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Full text of "Geschichte der indischen Litteratur"

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Die 

Litteraturen  des  Ostens 

in  Einzeldarstellungen 

Bearbeitet 

von 

Dr.  G.  Alexici,  Budapest;  Prof.  D.  A.  Bertholet,  Basel; 
Prof.  Dr.  C.  Brockelmann,  Königsberg;  Prof.  Dr.  A.  Brückner,  Berlin; 
Prof.  Dr.  K.  Budde,  .Marburg;  Privatdozent  Dr.  K.  Dieterich,  Leipzig; 
Prof.  Dr.  F.  N.  Finck,  Berlin;  Prof.  Dr.  K.  Rorenz,  Tokyo;  Prof.  Dr.  W. 
Grube  (f),  Berlin;  Prof.  Dr.  P.  Hom  (f),  StrafJburg;  Privatdozent  Dr.  J. 
Jokubec,  Prag;  Prof.  Dr.  L  Kont,  Poris;  Privatdozent  Dr.  Jobs.  Leipoldt, 
Halle;  Prof.  Dr.  Enno  Littmann,  StrojSburg  i.  E.;  Prof.  Dr.  M.  Murko,  (iroz; 
Privotdozent  Dr.  A.  Novdk,  Prag;  Prof.  Dr.  M.  Winternitz,  Prag 

Neunter   Band 
Gesdiidite  der  indisdien  Litteratur 


Dr.  M.  Wintetnitz 

Prof6i9or  an  der  dentaohen  UniTersitüt  in  Prag 

Erster  Band 


Zweite   Ausgabe 


Leipzig 

C.  F.  Amelangs  Verlag 

1909 


Gesdiidite 

der 

indisdien  Litteratur 


Von 


Dr.  M.  Winternitz 

a.  3.  Professor  an  der  deutsdien  Universit&t  in  Prag 


Erster  Band 

Einleitung   —  Der  Veda  —  Die  volkstümlidien 
Epen  und  die  Purönas 


Zweite  Ausgabe 


Leipzig 

C.  F.  Amelangs  Verlog 

1909 


Herrn 


Dr.  Leopold  von  Schroeder, 

Professor  an  der  Wiener  Universität, 

wirklichem  Mitglied  der  kaiserl.  Akademie  der  Wissenschaften 

in  Wien  etc.  etc 


in  aufrichtiger  Verehrung  und  Dankbarkeit 
gewidmet 

vom  Verfasser. 


Vorwort. 


»Nicht  an  gelehrte  Kreise,  sondern  an  die  Gebildeten  der 
Nation«  wendet  sich,  wie  es  in  einer  Ankündigung  des  Verlags 
heilst,  die  Sammlung,  in  welcher  der  vorliegende,  dem  ältesten 
Zeitraum  der  indischen  Litteratur  gewidmete  Band  erscheint. 
Diesem  Plane  gemäls  hat  mir  im  Verlaufe  meiner  Arbeit  stets 
der  Leser  vorgeschwebt,  der  von  der  indischen  Litteratur  noch 
gar  nichts  weifs  und  keinerlei  indologische  Fachkenntnisse  be- 
sitzt; —  allerdings  nicht  derjenige,  der  nur  in  einer  flüchtigen 
Stunde  auch  einmal  etwas  über  indische  Litteratur  erfahren 
möchte,  sondern  derjenige,  der  sich  mit  ihr  so  gründlich  vertraut 
machen  will,  als  es  ohne  Kenntnis  der  indischen  Sprachen  über- 
haupt möglich  ist.  Eine  Geschichte  der  indischen  Litteratur 
kann  aber  nicht  wie  eine  deutsche,  englische  oder  französische 
Litteraturgeschichte  eine  blofse  Darstellung  des  Entwicklungs- 
ganges eines  al?  bekannt  vorauszusetzenden  Schrifttums  sein, 
sondern  sie  mufs  den  deutschen  Leser  in  allen  Fällen,  wo  es 
keine  deutschen  Übersetzungen  gibt  —  und  leider  ist  dies  die 
Mehrzahl  der  Fälle  — ,  auch  über  den  Inhalt  der  Litteratur- 
erscheinungen  durch  Auszüge  und  Inhaltsangaben  so  weit  als 
möglich  unterrichten.  Mit  anderen  Worten:  Die  Litteratur- 
geschichte mufs  auch  zugleich  Litteratur  besc  hreibung 
sein.  Gerade  von  den  volkstümlichen  Epen  und  den  Puränas, 
mit  denen  sich  die  zweite  Hälfte  des  vorliegenden  Bandes  be- 
schäftigt, sind  bisher  nur  sehr  wenige  Stücke  in  deutschen  Über- 
setzungen bekannt  geworden.  Hier  mufsten  umfängliche  Inhalts- 
angaben und  Auszüge  gegeben  werden,  wenn  der  Leser  irgend- 
eine Vorstellung  von   den   behandelten  Werken  gewinnen  sollte. 

Dadurch  schwoll  nun  freilich  der  Band  zu  einem  grölseren 
Umfange   an,   als   ursprünglich   vorgesehen  war.    Und  noch  ein 


-     VIII    — 

zweiter  Umstand  trug  hierzu  bei.  Gerade  die  in  diesem  Bande 
behandelte  älteste  indische  Litteratur  schwebt  in  chronologischer 
Beziehung  gewissermafsen  in  der  Luft.  Kein  einziges  von 
den  vielen  imd  umfangreichen  Werken,  welche  zum  Veda,  zur 
volksttiralichen  Epik  oder  zu  den  Puränas  gehören,  kann  mit 
Sicherheit  auch  nur  diesem  oder  jenem  Jahrhundert  zu- 
geschrieben werden.  Es  ist  aber  einfach  unmöglich,  in  einem 
Satz  oder  in  wenigen  Zeilen  über  das  Alter  des  Veda,  des 
Mahäbhärata,  des  Ramäyaija  und  selbst  der  Puranas 
Aufschluis  zu  geben.  Atich  für  den  Laien  genügt  es  da  Jiicht, 
wenn  man  ihm  sagt,  dafs  wir  über  die  Zeit  dieser  Werke  nichts 
Sicheres  wissen.  Es  ist  notwendig,  die  Grenzen  abzustecken, 
innerhalb  deren  sich  unser  —  Nichtwissen  bewegt,  und  die 
Gründe  anzugeben,  auf  welche  sich  eine  annähernde,  wenn  auch 
nur  vermutungsweise  gegebene  Zeitbestimmimg  dieser  Werke 
stützt.  Darum  mufsten  den  Fragen  nach  dem  Alter  des  Veda, 
der  Epen  und  der  Puränas  gröfsere  Abschnitte  gewidmet  werden. 
Ich  betone  ausdrücklich,  dafs  auch  diese  Kapitel  nicht  etwa  nur 
für  den  Fachmann,  sondern  in  erster  Linie  für  den  oben  gekenn- 
zeichneten Laien,  den  ich  als  Leser  im  Auge  hatte,  geschrieben 
sind.  Wenn  sie  trotzdem  auch  für  den  Fachmann  manches 
Neue  —  und  wohl  auch  manches,  was  zum  Widerspruch  heraus- 
fordern dürfte  —  enthalten  sollten,  so  liegt  dies  daran,  dafs  es 
sich  hier  um  Fragen  handelt,  die  gerade  erst  in  den  letzten 
Jahren  Gegenstand  von  neuen  Untersuchungen,  neuen  Ent- 
deckungen und  vielfachen  Kontroversen  gewesen  sind. 

Die  in  den  Anmerkungen  gegebenen  Litteraturnachweise 
sind  zum  Teil  für  den  Fachmann  berechnet,  dem  gegenüber  sie 
den  Standpimkt  des  Verfassers  in  den  wichtigsten  Streitfragen 
rechtfertigen  sollen.  Es  ist  ja  selbstverständlich,  dafs  ein  Buch, 
das  sich  an  die  »Gebildeten  der  Nation«  wendet,  auch  vor  dem 
Urteil  des  Fachmannes  bestehen  und  sich  diesem  vollständig 
unterwerfen  mufs.  Andrerseits  habe  ich  aber  auch  Gewicht 
darauf  gelegt,  in  den  für  den  Nichtf achmann  bestimmten  An- 
merkungen auf  alle  nur  irgendwie  zugänglichen  deutschen  — 
und  wo  diese  fehlen,  auch  auf  die  englischen  und  französischen  — 
Übersetzungen  hinzuweisen.  Benutzt  habe  ich  diese  Über- 
setzungen nur  in  wenigen  Fällen,  wo  sie  mir  das  Original  in 
besonders    vortrefflicher   Weise    wiederzugeben    schienen.      Wo 


--    IX    — 

kein  anderer  Übersetzer  genannt  Ist,   rühren  die  Übersetzungen 
von  mir  selbst  her. 

Dafs  der  ursprünglich  bestimmte  Rahmen  eines  Bandes 
sich  für  diese  indische  Litteraturgeschichte  als  zu  eng  erwies, 
wird  nach  dem  Gesagten  nicht  tiberraschen.  Und  ich  bin  dem 
Herrn  Verleger  aufrichtig  dankbar,  dafs  er  sich  den  für  die  Er- 
weiterung des  ursprünglich  geplanten  Rahmens  geltend  gemachten 
Gründen  nicht  verschlofs  und  zu  emem  zweiten  Band  seine  Zu- 
stimmung gab.  Diest  Erweiterung  entspricht  auch  durchaus  dem 
Umfang  und  der  Bedeutung  der  indischen  Litteratur  —  wofür 
ich  wohl  auf  die  Einleitung  (S.  1  ff.)  verweisen  darf.  Behandelt 
der  vorliegende  Band  in  gewissem  Sinne  die  »vorgeschichtliche« 
Zeit  der  indischen  Litteratur  —  wenigstens  in  ihren  An- 
fängen reichen  ja  sowohl  der  Veda  als  auch  die  Volksepen  in 
nebelhafte,  durch  keine  Jahreszahlen  festzuhaltende  Fernen  zu- 
rück — ,  so  soll  der  zweite  Band  mit  der  buddhistischen  Litteratur 
beginnen  und  den  Leser  in  die  Litteratur  der  eigentlich  ge- 
schichtlichen Zeit  Indiens  einführen. 

Über  die  Werke,  aus  denen  ich  geschöpft  habe,  und  denen 
ich  zu  Danke  verpflichtet  bin,  geben  die  Anmerkungen  zu  den 
einzelnen  Abschnitten  Aufschlufs.  Was  ich  den  grundlegenden 
i Akademischen  Vorlesungen  über  indische  Literaturgeschichte« 
von  Albrecht  Weber  (2.  Aufl.,  Berlin  1876)  und  den  so  überaus 
anregenden  und  wertvollen  Vorlesungen  über  »Indiens  Literatur 
imd  Kultur  in  historischer  Entwicklung«  von  Leopold  v.  Schroeder 
(Leipzig  1887)  verdanke,  konnte  natürlich  nicht  in  jedem  ein- 
zelnen Falle  verzeichnet  werden.  Manches  verdanke  ich  auch, 
ohne  dafs  es  immer  besonders  erwähnt  wäre,  den  wertvollen 
»Bulletins  des  Religions  de  l'Inde«  von  A.  Barth  (in  der  Revue 
de  l'Histoire  des  Religions,  t.  I,  III,  V,  XI,  XIV,  XXVIII  f.,  XLI  f., 
und  XLV  (1880—1902).  Die  geistvollen  Essays  von  H.  Olden- 
berg,  »Die  LiWatur  des  alten  Indien«  (Stuttgart  und  Berlin 
1903),  haben  es  mehr  mit  einer  ästhetischen  Betrachtung  und 
Würdigung  der  indischen  Litteratur  zu  tun,  die  meinen  Ab- 
sichten femer  lag.  Die  für  ihre  Zwecke  ganz  nützlichen  Werke 
von  A.  Baum g artner  (Geschichte  der  Weltliteratur  IL  Die 
Literaturen  Indiens  und  Ostasiens,  3.  und  4.  Aufl.,  Freiburg  i.  B. 
1902),  A.  A.  Macdonell  (A  History  of  Sanskrit  Literature, 
London  1900)  und  V.  Henry  (Les  Litt^ratures  de  linde,  Paris 


—    X     — 

1904)  boten  mir  kaum  etwas  Neues.  Die  überaus  kurze,  in  ihrer 
Kürze  aber  ganz  vortreffliche  Übersicht  über  die  indische 
Litteratur  von  Richard  Pischel  in  Teil  I,  Abteilung  VII  (»Die 
orientalischen  Literaturen«)  des  Sammelwerkes  »Die  Kultur  der 
Gegenwart«  (Berlin  und  Leipzig  1906),  erschien  erst,  als  mein 
Manuskript  bereits  fertig  und  zum  Teil  gedruckt  war.  Nicht 
unerwähnt  möchte  ich  die  Dienste  lassen,  welche  mir  die  für 
jeden  Orientalisten  so  unentbehrliche  > Orientalische  Bibliographie« 
von  Lucian  Scherman  geleistet.  Schliefslich  sei  noch  allen 
jenen,  welche  den  ersten,  vor  zwei  Jahren  erschienenen  Halb- 
band  einer  wohlwollenden  Besprechung  oder  einer  sachlichen 
Kritik  unterzogen,  mein  inniger  Dank  ausgesprochen. 

Prag-Kgl.  Weinberge,  den  15.  Oktober  1907. 

M.  Winternitz. 


Inhalt. 


Seite 

Vorwort VII 

,      In  den  Anmerkungen  gebrauchte  Abkürzungen XII 

Über  die  Aussprache  indischer  Namen  und  Ausdrücke    .    .  XIII 

Einleitung ^    .    .    .  1 

Umfang  und  Bedeutung  der  indischen  Litteratur      ....  1 

Die  Anfänge  des  Studiums  der  indischen  Litteratur  in  Europa  8 

Die  Chronologie  der  indischen  Litteratur 23 

Die  Schrift  und  die  Überlieferung  der  indischen  Litteratur  28 

Die  indischen  Sprachen  in  ihrem  Verhältnis  zur  Litteratur  37 

I.  Abschnitt. 

Der  Veda  oder  die  vedi^che  Litteratur 47 

Was  ist  der  Veda? 47 

Die  Rigveda-Samhitä 51 

Die  Atharvaveda-Samhitä 103 

Das  altindische  Opfer  und  die  vedischen  Samhitäs    ....  138 

Die  Sämaveda-Samhitä 142 

Die  Samhitäs  des  Yajurveda 147 

Die  BrähQiai?ias 163 

Ara^yakas  und  Upanisads 196 

Die  Grundlehren  der  Upanisads 210 

Die  Vedängas 229 

Die  Rituallitteratur 232 

Die  exegetischen  Vedäfigas 240 

Das  Alter  des  Veda 246 

IL  Abschnitt. 

Die  volkstümlichen  Epen  und  die  Puräqas 259 

Die  Anfänge  der  epischen  Dichtung  in  Indien 259 

Was  ist  das  Mahäbhärata? 263 

Die  Haupterzählung  des  Mahäbhärata 273 

Alte  Heldendichtung  im  Mahäbhärata 319 


—    XII    — 

Seit« 

Brahmanische  Mythen-   und  Legendendichtung   im    Mahä- 

bhärata ^^0 

Fabeln,   Parabeln  und  moralische  Erzählungen  im  Mahä- 

bhärata 348 

Die  lehrhaften  Abschnitte  des  Mahäbhärata 362 

Der  Harivamsa,  ein  Anhang  zum  Mahäbhärata 378 

Das  Alter  und  die  Geschichte  des  Mahäbhärata 389 

Das  Rämäyana,  Volksepos  und  Kunstdichtung  zugleich  .    .  404 

Inhalt  des  Rämäyana 407 

E^chtes  und  Unechtes  im  Rämäyana 423 

Das  Alter  des  Rämäyana .  427 

Die  Puränas  und  ihre  Stellung  in  der  indischen  Litteratur  440 

Übersicht  über  die  Puräna-Litteratur 450 

Index 484 


In  den  Anmerkungen  gebrauchte  Abkürzungen. 

Bibl.  Ind.  =  Bibliotheca  Indica  (Kalkutta). 

Grundrifs  =  Grundrifs  der  indo-arischen  Philologie  und  Altertums- 
kunde, begründet  von  Georg  Bühler,  fortgesetzt  von  F.  Kielhorn 
(Strafsburg,  Triibner). 

Ind.  Ant.  =  Indian  Antiquary  (Bombay). 

JRAS  ==  Journal  of  the  Royal  Asiatic  Society  of  Great  Britain  and 
Ireland. 

SBE  =  Sacred  Books  of  the  East,  edited  by  F.  Max  Müller. 

WZKM  =  Wiener  Zeitschrift  für  die  Kunde  des  Morgenlandes. 

ZDMG  =  Zeitschrift  der  Deutschen  Morgenländischen  Gesellschaft. 


über  die  Aussprache  indischer  Namen  und 
Ausdrücke. 


Vokale.  Man  spreche  rals  vokalischen  r-Laut  wie  das  tschechische 
vokalisierte  r  oder  wie  r  in  »Bäck'r «.  Im  Sanskrit  (nicht  im  Präkrit) 
sind  e  und  o  immer  lang  wie  in  »beten«  und  »Sohn«  zu  sprechen. 

Palatale.  Man  spreche  c  ungefähr  wie  tsch  in  »klatschen«  oder 
wie  ch  im  englischen  »child«;  j  wie  dsch  oder  wie  englisches  j  in  »just«. 

Die  Zerebralen  t,  th,  d,  dh,  n  werden  wie  t,  th,  d,  dh,  n  im 
Englischen  gesprochen,  indem  die  Zungenspitze  nach  dem  Gaumendach 
auf-  und  zurückgebogen  wird. 

Halbvokale.  Man  spreche  y  wie  deutsches  j  in  »jeder»,  und 
V  wie  w  in  »wissen'. 

Zischlaute.  Man  spreche  s  palatal  wie  slavisches  s  oder  wie 
französisches  j  in  »jeu«,  s  zerebral  wie  seh  im  deutschen  »schon«. 

Nasale.  Man  spreche  gutturales  n  wie  n  in  »kliagen«,  palatales 
n  wie  das  mouillierte  n  im  französischen  »montagne«^  und  rp  wie  aus- 
lautendes französisches  n  in  »Jean». 

Die  Aspiraten  kh,  gh,  ch,  jh  u.  s.  w.  sind  mit  nachstürzendem 
Hauch  zu  spVechen,  z.  B.  kh  wie  in  *  Backhuhn «,  ph  wie  in  »Klapphorn«, 
th  wie  in  »Bethaus«  u.  s.  w. 

Der  Hauchlaut  h  ist  wie  ein  deutsches  h  mit  leisem  Nachklang 
des  vorausgehenden  Vokals  zu  sprechen,  z.  B.  devalj  wie  devah(a}. 


\ 


Einleitung. 


Umfang  und  Bedeutung  der  indischen  Litteratur. 

Die  Geschichte  der  indischen  Litteratur  ist  die  Geschichte 
der  in  Sprache  und  Schrift  zum  Ausdruck  gebrachten  Geistes- 
arbeit von  mindestens  drei  Jahrtausenden.  Und  die  Stätte  dieser 
durch  Jahrtausende  hindurch  fast  ununterbrochen  fortgesetzten 
Geistesarbeit  ist  ein  Land,  weiches  A'^om  Hindukusch  bis  zum  Kap 
Komorin  reicht  und  einen  Flächenraum  von  anderthalb  Millionen 
englischen  Quadratmeilen  bedeckt,  an  Umfang  sonach  dem  ganzen 
Europa  mit  Ausschlufs  von  Rufsland  gleichkommt,  —  ein  Land, 
das  sich  vom  achten  bis  zum  fünfunddreilsigsten  Grad  nördlicher 
Breite,  also  von  den  heifsesten  Gegenden  des  Äquators  bis  weit 
in  die  gemäfsigte  Zone  hinein  erstreckt.  Der  Einflufs  aber,  den 
diese  Litteratur  schon  in  alter  Zeit  auf  das  geistige  Leben 
anderer  Völker  geübt  hat,  reicht  weit  über  die  Grenzen  Indiens 
hinaus  nach  Hinterindien,  nach  Tibet,  bis  China,  Japan  und 
Korea  und  im  Süden  über  Ceylon  und  die  malaiische  Halbinsel 
hinweg  weithin  über  die  Inselwelt  des  Indischen  und  des  Stillen 
Ozeans,  während  nach  dem  Westen  hin  sich  die  Spuren  indischen 
Geisteslebens  bis  tief  in  Zentralasien  hinein  nach  Ostturkestan 
verfolgen  lassen,  wo  im  Wüstensande  vergraben  indische  Hand- 
schriften gefunden  worden  sind. 

Ihrem  Inhalte  nach  umfafst  die  indische  Litteratur  alles, 
was  das  Wort  »Litteratur^-  im  weitesten  Sinne  einschliefst:  reli- 
giöse und  weltliche,  epische,  lyrische,  dramatische  und  didaktische 
Poesie  sowie  auch  erzählende  und  fachwissenschaftliche  Prosa. 

Im  Vorder  gründe  steht  die  religiöse  Litteratur.  Nicht 
nur  die  Brahmanen  in  ihrem  Veda  und  die  Buddhisten  in  ihrem 
Tipitaka,   sondern   auch    viele   andere   der  zahlreichen  religiösen 

Wiuternitz,   Geschichte  der  indischen  Litteratur.  1 


_    2     — 

Sekten,  welche  in  Indien  aufgetaucht  sind,  haben  eine  Unmasse 
von  Litteraturwerken  —  Hymnen,   Opferlieder,   Zaubergesänge, 
Mythen  und   Legenden,   Predigten,   theologische  Abhandlungen 
und   Streitschriften,   Lehrbücher  des  Rituals  und   der  religiösen 
Ordnung  —  aufzuweisen.   In  dieser  Litteratur  ist  für  die  Religions- 
geschichte  ein   geradezu   unschätzbares  Material   aufgehäuft,   an 
dem   kein  Religionsforscher   achtlos  vorübergehen  kann.     Neben 
dieser  Jahrtausende  zurückreichenden  und  bis  zum  heutigen  Tage 
immer  noch   fortgesetzten   Tätigkeit   auf   dem  Gebiete   der  reli- 
giösen Litteratur   hat   es   in  Indien  schon  seit  ältester  Zeit  auch 
Heldengesänge  gegeben,  welche  im  Laufe  der  Jahrhunderte  sich 
zu   zwei   grofsen  Volksepen   —   dem   Mahäbhärata   und  dem 
Rämäyana  —  verdichteten.    Aus  den  Sagenstoffen  dieser  beiden 
Epen  schöpften  Jahrhunderte  hindurch  die  Dichter  des  indischen 
Mittelalters,  und  es  entstanden  epische  Dichtungen,  die  man  im 
Gegensatz    zu    jenen    Volksepen    als    Kunstepen    bezeichnet. 
Wenn   aber   diese    Kunstdichtungen   wegen   ihrer  oft   alles  Mafs 
überschreitenden  Künstelei  unserem  Geschmack  keineswegs  immer 
entsprechen,  haben  uns  indische  Dichter  Werke  der  Lyrik  und 
der  Dramatik  hinterlassen,  die  sich  an  Zartheit  \md  Innigkeit? 
zum  Teil  auch  an  dramatischer  Gestaltungskraft  mit  den  schönsten 
Schöpfungen  der   modernen   europäischen  Litteratur  vergleichen 
lassen.     Und  auf  einem  Gebiete  der  schönen  Litteratur,  auf  dem 
der  Spruchdichtung,   haben  es   die  Inder  zu  einer  Meister- 
schaft   gebracht,    die    von    keinem    anderen    Volke    je    erreicht 
worden    ist.     Indien   ist   auch   das   Land   der   Märchen-    und 
Fabeldichtung.     Die    indischen   Sammlungen   von   Märchen, 
Fabeln  und  Prosaerzählungen  haben  in  der  Geschichte  der  Welt- 
litteratur  keine  geringe  Rolle  gespielt.    Ja,  die  Märchenforschur g 
—  das  so  anziehende  Studium  der  Märchen  und  der  Verfolgung 
der  Märchenmotive  auf  ihren  Wanderungen  von  Volk  zu  Volk  — 
ist   erst  im  Anschlufs  an  Benfeys  grundlegendes  Werk  über  die 
indische  Fabelsammlung  PaÄcatantra  zu  einem  eigenen  Wissens- 
zweig geworden. 

Es  gehört  aber  zu  den  Merkwürdigkeiten  des  indischen 
Geistes,  dass  derselbe  zwischen  dem  rein  künstlerischen  Schaffen 
und  der  wissenschaftlichen  Betätigung  nie  eine  strenge  Grenz- 
linie gezogen  hat,  so  dass  eine  Scheidung  zwischen  »schöner 
Litteratur c     und    »fachwissenschaftlicher    Litteratur«    in    Indien 


—     3    — 

eigentlich  nicht  möglich  ist.  Was  uns  als  eine  Sammlung  von 
Märchen  und  Fabeln  erscheint,,  gilt  den  Indern  als  ein  Lehrbuch 
der  Politik  und  der  Moral.  Anderseits  sind  Geschichte  und 
Biographie  in  Indien  nie  anders  als  von  Dichtem  und  als  eine 
Abart  der  epischen  Dichtung  behandelt  worden.  Eine  Scheidung 
zwischen  den  Formen  der  Poesie  und  der  Prosa  gibt  es  in  Indien 
eigentlich  auch  nicht.  Jeder  Gegenstand  kann  ebensogut  in 
Versen  als  in  Prosaform  behandelt  werden.  Wir  finden  Romane, 
die  sich  von  den  Kunstepen  nur  dadurch  unterscheiden,  dass 
ihnen  die  metrische  Form  fehlt.  Eine  besondere  Vorliebe  finden 
wir  seit  der  ältesten  Zeit  für  die  Mischung  von  Prosa  und  Vers. 
Und  für  das,  was  wir  fachwissenschaftliche  Litteratur  nennen, 
ist  in  Indien  nur  zum  kleinen  Teil  die  Prosaform,  in  weit 
gröfserem  Umfange  aber  der  Vers  verwendet  worden.  Dies  gilt 
von  W^erken  über  Philosophie  und  Recht  ebenso  wie  von  solchen 
über  Medizin,  Astronomie,  Architektur  usw.  Ja,  selbst  Gramma- 
tiken und  Wörterbücher  haben  die  Inder  in  metrischer  Form 
abgefafst.  Und  es  ist  vielleicht  nichts  charakteristischer,  als  dafs 
es  ein  grofses  Kunstepos  in  22  Gesängen  gibt,  welches  den  aus- 
gesprochenen Zweck  verfolgt,  die  Regeln  der  Grammatik  zu 
illustrieren  und  einzuschärfen.  Die  Philosophie  ist  in  Indien 
frühzeitig  —  und  zwar  zuerst  im  Anschlufs  an  die  religiöse 
Litteratur,  später  aber  auch  unabhängig  von  derselben  —  Gegen- 
stand litterarischer  Betätigung  gewesen.  Desgleichen  ist  schon 
in  sehr  alter  Zeit  Recht  und  Sitte  —  und  zwar  gleichfalls  zuerst 
im  Zusammenhang  mit  der  Religion  —  zum  Gegenstand  einer 
eigenen,  teils  in  Versen,  teils  in  Prosa  abgefafsten  Rechts- 
litteratur  gemacht  worden.  Die  Bedeutung  dieser  Rechts- 
litteratur  für  die  vergleichende  Rechtsforschung  und  die  Ge- 
sellsv,lic.(t3wissenschaft  wird  heute  auch  von  hervorragenden 
Juristen  und  Soziologen  vollauf  gewürdigt.  Jahrhunderte  vor 
Christi  Geburt  ist  in  Indien  auch  schon  Grammatik  getrieben 
worden,  eine  Wissenschaft,  in  welcher  die  Inder  alle  \^ölker  des 
Altertums  weit  überragen.  Auch  die  Lexikographie  reicht 
in  ein  hohes  Alter  hinauf.  Die  indischen  Kunstdicbter  der 
späteren  Zeit  haben  nicht  gesungen,  was  ihnen  ein  Gott  gegeben, 
sondern  sie  studierten  die  Regeln  der  Grammatik  und  suchten 
in  Wörterbüchern  nach  seltenen  und  poetischen  Ausdrücken; 
sie   dichteten   nach   den  Lehren   und  Regeln,   welche  in  wissen- 

1* 


__     4     — 

schartlichen  Werken  über  Metrik  und  Poetik  niedergelegt 
waren.  Von  jeher  hatte  der  indische  Geist  eine  besondere  Vor- 
liebe für  das  Schematisieren  nnd  für  die  pedantische  wissen- 
schaftliche Behandlung  aller  möglichen  Gegenstände.  Wir  finden 
daher  in  Indien  nicht  allein  eine  reiche  und  zum  Teil  alte 
Litteratur  über  Medizin,  Astrologie  und  Astronomie, 
Arithmetik  und  Geometrie,  sondern  auch  Musik,  Ge- 
sang, Tanz  und  Schauspielkunst,  Zauberei  und  Mantik, 
ja,  selbst  die  Erotik  sind  in  wissenschaftliche  S3^steme  gebracht 
und  in  eigenen  Lehrbüchern  behandelt  worden. 

In  jedem  einzelnen  der  hier  aufgezählten  Litteraturzweige 
hat  sich  aber  im  Laufe  der  Jahrhunderte  eine  schier  unüberseh- 
bare Menge  von  litterarischen  Erzeugnissen  angehäuft-,  nicht 
zum  wenigsten  auch  dadurch,  dafs  auf  fast  allen  Gebieten  der 
religiösen  Litteratur  sowohl  wie  der  Dichtung  und  der  Wissen- 
schaft die  Kommentatoren  eine  überaus  eifrige  Tätigkeit  ent- 
falteten. So  sind  namentlich  einige  der  bedeutendsten  und 
umfangreichsten  Werke  über  Grammatik,  Philosophie  und  Recht 
nur  Kommentare  zu  älteren  Werken.  Und  zu  diesen  Kom- 
mentaren sind  gar  oft  wieder  Kommentare  verfafst  worden.  Ja,  es 
ist  in  Indien  nichts  Seltenes,  dafs  ein  Autor  seinem  eigenen  Werke 
einen  Kommentar  beigegeben  hat.  So  ist  es  denn  kein  Wunder, 
dafs  die  Gesamtmasse  der  indischen  Litteratur  nahezu  über- 
wältigend ist.  Und  trotzdem  die  Verzeichnisse  indischer  Hand- 
schriften, die  in  indischen  und  europäischen  Bibliotheken  vor- 
handen sind,  viele  Tausende  von  Büchertiteln  und  Verfassemamen 
enthalten,  sind  doch  auch  zahllose  Werke  der  indischen  Litteratur 
verloren  gegangen,  und  viele  Namen  alter  Autoren  sind  nur 
durch  Zitate  bei  späteren  Schriftstellern  bekannt  oder  auch  ganz 
verschollen. 

Alle  diese  Tatsachen  —  das  Alter,  die  weite  geographische 
Verbreitung,  der  Umfang  und  die  Reichhaltigkeit,  der  ästhetische 
und  noch  mehr  der  kulturgeschichtliche  Wert  der  indischen 
Litteratur  —  würden  vollauf  genügen,  um  unser  Interesse  für 
diese  grofse,  eigenartige  und  alte  Litteratur  gerechtfertigt  er- 
scheinen zu  lassen.  Es  kommt  aber  noch  etwas  hinzu,  was 
gerade  der  indischen  Litteratur  ein  ganz  besonderes  Interesse 
verleiht.  Die  indo-arischen  Sprachen  bilden  zusammen  mit  den 
iranischen  den  östlichsten  Zweig   jener  grofsen  Sprachenfamilie, 


—    5    — 

zu  welcher  auch  unsere  Sprache  und  überhaupt  die  meisten 
Sprachen  Europas  gehören,  und  die  man  als  indogermanisch 
bezeichnet.  Gerade  die  indische  Litteratur  war  es  ja,  deren 
Erforschung  zur  Entdeckung  dieser  Sprachenverwandtschaft  ge- 
führt hat,  —  einer  Entdeckung,  die  darum  so  wahrhaft  epoche- 
machend war,  weil  sie  auf  die  vorgeschichtlichen  Völkerbeziehungen 
ein  so  überraschend  neues  Licht  warf.  Denn  von  der  Verwandt-- 
Schaft  der  Sprachen  mufste  man  auf  eine  ehemalige  Sprachen- 
einheit und  von  dieser  wieder  auf  eine  engere  Zusammengehörig- 
keit der  diese  indogermanischen  Sprachen  redenden  Völker 
schliefsen.  Wohl  sind  über  diese  Verwandtschaft  der  indo- 
germanischen Völker  noch  heute  bedenkliche  Irrtümer  verbreitet. 
Man  spricht  von  einer  indogermanischen  »Rasse«,  die  es  gar 
nicht  gibt  und  nie  gegeben  hat.  Man  hört  noch  zuweilen,  da(s 
Inder,  Perser,  Griechen,  Römer,  Germanen  und  Slawen  eines  und 
desselben  Blutes,  Abkömmlinge  eines  und  desselben  indo- 
germanischen *Urvolkes«  sind.  Das  waren  allzu  voreilige 
Schlufsfolgerungen.  Wenn  es  aber  auch  mehr  als  zweifelhaft 
ist,  ob  die  Völker,  welche  indogermanische  Sprachen  reden,  alle 
von  denselben  Urahnen  abstammen,  so  darf  doch  das  nicht  be- 
zweifelt werden,  dafs  die  Gemeinsamkeit  der  Sprache,  dieses 
wichtigsten  Werkzeuges  aller  geistigen  Betätigung,  eine  Geistes- 
verwandtschaft und  eine  Kulturgemeinschaft  voraus- 
setzt. Wenn  auch  die  Inder  nicht  Fleisch  von  unserem  Fleisch 
und  Blut  von  unserem  Blut  sind,  so  können  wir  doch  in  der 
indischen  Gedankenwelt  Geist  von  unserem  Geist  entdecken.  Um 
aber  zur  Erkenntnis  des  »indogermanischen  Geistes«,  d.  h.  dessen 
zu  gelangen,  was  man  als  indogermanische  Eigenart  im  Denken 
und  Shinen  und  Dichten  dieser  Völker  ansprechen  kann,  ist  es 
durchaus  notwendig,  dafs  unsere  einseitige  Kenntnis  indo- 
germanischen Wesens,  wie  wir  sie  durch  das  Studium  euro- 
päischer Litteraturen  erlangt  haben,  durch  die  Bekanntschaft 
mit  dem  indogermanischen  Geist,  wie  er  sich  im  fernen  Osten 
betätigt  hat,  ergänzt  wird.  Darum  bildet  gerade  die  indische 
Litteratur  eine  notwendige  Ergänzung  zur  klassischen 
Litteratur  Altgriechenlands  und  Roms  für  jeden,  der  sich  vor 
einer  einseitigen  Betrachtung  indogermanischen  Wesens  be- 
wahren will.  Wohl  kann  sich  die  indische  Litteratur  an  künst- 
lerischem Wert   nicht   mit   der  griechischen  vergleichen;   gewifs 


—    6    — 

hat  die  indische  Gedankenwelt  auf  das  moderne  europäische  Geistes- 
leben nicht  im  entferntesten  einen  solchen  Einflufs  geübt  wie 
die  griechische  und  römische  Kultur.  Aber  wenn  wir  die  An- 
fänge unserer  eigenen  Kultur,  wenn  wir  die  älteste  indo- 
germanische Kultur  verstehen  lernen  wollen,  so  müssen  wir 
nach  Indien  gehen,  wo  uns  die  älteste  Litteratur  eines  indo- 
germanischen Volkes  erhalten  ist.  Denn  wie  immer  die  Frage 
nach  dem  Alter  der  indischen  Litteratur  entschieden  werden  mag, 
so  viel  dürfte  doch  sicher  sein,  dafs  das  älteste  Litteraturdenkmal 
der  Inder  zugleich  das  älteste  indogermanische  Litteratur- 
denkmal ist,  das  wir  besitzen. 

Aber  auch  der  unmittelbare  Einflufs,  welchen  die  Litteratur 
Indiens  auf  unsere  eigene  Litteratur  ausgeübt  hat,  ist  nicht  gar 
zu  gering  anzuschlagen.  Wir  werden  sehen,  dafs  die  erzählende 
Litteratur  Europas  in  nicht  geringem  Grade  von  der  indischen 
Märchenlitteratur  abhängig  ist.  Und  gerade  die  deutsche  Litteratur 
und  die  deutsche  Philosophie  ist  seit  dem  Beginn  des  neunzehnten 
Jahrhunderts  von  indischen  Gedankenkreisen  vielfach  beeinflufst 
worden-,  und  es  ist  durchaus  wahrscheinlich,  dafs  dieser  Einflufs 
noch  in  Zunahme  begriffen  ist  und  sich  im  Laufe  unseres  Jahr- 
hunderts noch  steigern  wird. 

Denn  jene  Geistesverwandtschaft,  welche  aus  der  indo- 
germanischen Spracheneinheit  erschlossen  wird ,  ist  auch  noch 
heute  deutlich  erkennbar  und  nirgends  so  sehr  als  zwischen 
Indern  und  Deutschen.  Auf  die  auffallenden  Übereinstimmungen 
zwischen  deutschem  und  indischem  Geist  ist  schon  öfter  hin- 
gewiesen worden').  >Die  Inder«,  sagt  Leopold  von  Schroeder, 
ssind  da^' Volk  der  Romantik  im  Altertum;  die  Deutschen  sind 
es  in  der  neueren  Zeit.«  Auf  den  Hang  zur  beschaulichen  Be- 
trachtung und  zur  abstrakten  Spekulation  sowie  auf  die  Hin- 
neigung zum  Pantheismus  bei  Deutschen  und  Indern  hat  bereits 
G.  Brandes  hingewiesen.  Aber  auch  in  vielen  anderen  Be- 
ziehungen berühren  sich  deutsches  und  indisches  Wesen  in  auf- 
fallender Weise.  Nicht  nur  deutsche  Dichter  haben  vom  »Welt- 
schmerz«   gesungen.     Der   »Weltschmerz«    ist   auch   der  Grund- 


')  So  namentlich  von  G.  Brandes  (Hauptströmungen  der  Literatur 
des  neunzehnten  Jahrhunderts.  Berlin  1872.  I,  S.  270)  und  Leopold 
V.  Schroeder  (Indiens  Literatur  und  Cultur.    Leipzig  1887.    S.  6  f.). 


gedanke,  auf  dem  die  Lehre  des  Buddha  aufgebaut  ist ;  und  mehr 
als  ein  indischer  Dichter  hat  über  das  Leid  und  Weh  der  Welt,' 
tiber  die  Vergänglichkeit  und  Nichtigkeit  alles  Irdischen  in 
Worten  geklagt,  die  merkwürdig  an  die  Verse  unseres  grofsen 
Weltschmerzdichters  Nikolaus  Lenau  erinnern.  Und  wenn 
Heine  sagt: 

"Suis  ist  der  Schlaf,  der  Tod  ist  besser, 
Am  besten  war'  es,  nie  geboren  sein,« 

so  drückt  er  damit  denselben  Gedanken  aus  wie  jene  indischen 
Philosophen,  die  kein  heifseres  Streben  kennen  als  den 
Tod ,  auf  den  kein  Wiedergeborenwerden  folgt.  Auch  die 
Sentimentalität  und  das  Naturgefühl  sind  der  deutschen  und  der 
indischen  Dichtung  gleich  eigentümlich,  während  sie  z.  B.  der 
hebräischen  oder  der  griechischen  Poesie  fremd  sind.  Deutsche 
und  Inder  lieben  Naturschilderungen;  und  indische  ebenso  wie 
deutsche  Dichter  lieben  es,  die  Leiden  und  Freuden  der  Menschen 
mit  der  sie  umgebenden  Natur  in  Beziehung  zu  bringen.  Und 
noch  auf  einem  ganz  anderen  Gebiete  tritt  uns  die  Ähnlichkeit 
zwischen  Deutschen  und  Indern  entgegen.  Von  der  Neigung  der 
Inder  zur  Ausbildung  wissenschaftlicher  Systeme  war  schon  die 
Rede;  und  wir  können  mit  Recht  sagen,  dafs  die  Inder  das 
Gelehrtenvolk  des  Altertums  waren,  wie  es  die  Deutschen  in 
der  Gegenwart  sind.  Wie  die  Inder  schon  im  grauesten 
Altertum  ihre  uralten  heiligen  Schriften  philologisch  zergliederten, 
die  sprachlichen  Erscheinungen  in  ein  wissenschaftliches  System 
einordneten  und  es  in  der  Grammatik  so  weit  brachten,  dafs  die 
moderne  Sprachwissenschaft  noch  heute  an  ihre  Leistungen  an- 
knüpfen kann,  so  sind  die  Deutschen  heutigen  Tages  unbestritten 
die  Führer  auf  allen  Gebieten  der  Philologie  und  Sprach- 
wissenschaft. 

Auch  auf  dem  Gebiete  der  indischen  Philologie  und  in  der 
Erforschung  der  indischen  Litteratur  sind  die  Deutschen  die 
Führer  und  Bahnbrecher  gewesen.  So  viel  wir  auch  den  Eng- 
ländern verdanken,  die  als  Beherrscher  Indiens  durch  praktische 
Bedürfnisse  zu  dem  Studium  der  indischen  Sprache  und  Litteratur 
veranlafst  wurden,  so  viel  auch  einige  hervorragende  französische, 
italienische,  holländische,  dänische,  amerikanische,  russische  und 
—  nicht  zu  vergessen  —  eingeborene  indische  Gelehrte  für  die 
Erforschung  der  indischen  Litteratur  und  Kultur  getan  haben,  — 


—    8    - 


den  Löwenanteil  an  der  Herausgabe  von  Texten,  an  der  Er- 
klärung und  Durchforschung  derselben,  an  der  Ausarbeitung  von 
Wörterbüchern  und  Grammatiken  haben  unstreitig  die  Deutschen 
gehabt.  Dies  mag  ein  kurzer  Überblick  Über  die  Geschichte  der 
indologischen  Studien  lehren. 


Die  Anfänge  des  Studiums  der  indischen  Litteratur 
in  Europa. 

Die  ungeheure  Masse  von  indischen  Litteraturwerken ,  die 
heute  kaum  n;iehr  von  e  i  n  e  m  Forscher  zu  übersehen  ist,  ist  erst 
im  Laufe  voii  wenig  mehr  als  hundert  Jahren  d»ir  Forschung 
zugänglich  gemacht  worden. 

Wohl  haben  sich  schon  im  siebzehnten  und  noch  mehr  im 
achtzehnten  Jahrhundert  einzelne  Reisende  und  Missionäre  eine 
gewisse  Kenntnis  indischer  Sprachen  angeeignet  und  sich  mit 
einem  oder  dem  anderen  Werk  der  indischen  Litteratur  bekannt 
gemacht.  Aber  ihre  Anregungen  sind  nicht  auf  fruchtbaren 
Boden  gefallen.  So  berichtete  im  Jahre  1651  der  Holländer 
Abraham  Roger,  der  als  Prediger  in  Paliacatta  (Puliat) 
nördlich  von  Madras  gelebt  hatte,  in  seinem  Werk  »Offene  Thür 
zu  dem  verborgenen  Heidentum  c  ')  über  die  alte  brahmanische 
Litteratur  der  Inder  und  veröffentlichte  einige  von  einem  Brah- 
manen  für  ihn  ins  Portugiesische  übersetzte  Sprüche  des 
Bhartrhari,  aus  denen  später  Herder  für  seine  »Stimmen 
der  Völker  in  Liedeni«  schöpfte.  Im  Jahre  1699  ging  der  Jesuit 
Pater  Johann  Ernst  Hanxleden  nach  Indien  und  wirkte  dort 
über  dreifsig  Jahre  in  der  malabarischen  Mission.  Er  bediente 
sich  selber  indischer  Sprachen,  und  seine  ^Grammatica  Granthamia 
seu  Samscrdumica«  war  die  erste  Sanskritgrammatik,  die  ein 
Europäer  geschrieben  hat.  Sie  ist  nie  gedruckt  worden,  wurde 
aber  von  Fra  Paolino  de  St.  Bartholomeo  benutzt.  Dieser 
Fra  Paolino  —  ein  österreichischer  Karmelit,  dessen  eigentlicher 
Name  J.  Ph.  Wefsdin  war  —  ist  unstreitig  der  bedeutendste  unter 


')  Das  Werk  erschien  holländisch  1651   und  in  deutscher  Über- 
setzung in  Nürnberg  1663. 


den  Missionären,  welche  an  der  frühesten  Erschliefsung  der 
indischen  Litteratur  arbeiteten.  Er  war  von  1776 — 1789  Missionar 
an  der  Küste  von  Malabar  und  starb  im  Jahre  1805  in  Rom.  Er 
schrieb  zwei  Sanskritgrammatiken  und  mehrere  gelehrte  Ab- 
handlungen und  Bücher.  Sein  »Systema  Brahmanicum«  (Rom 
1792)  und  seine  »Reise  nach  Ostindien«  (deutsch  von  J-  R.  Forster. 
Berlin  1798)  beweisen  eine  grolse  Kenntnis  von  Indien  und  der 
brahmanischen  Litteratur,  sowie  ein  eingehendes  Studium  der 
indischen  Sprachen  und  insbesondere  des  indischen  Religions- 
wesens. Doch  hat  auch  sein  Wirken  nur  geringe  Spuren  hinter- 
lassen. 

Um  dieselbe  Zeit  aber  hatten  auch  bereits  die  Englander 
begonnen,  sich  um  die  Sprache  und  Litteratur  der  Inder  zu 
kümmern.  Kein  Geringerer  als  War  ren  Hastings,  der  eigent- 
liche Begründer  der  englischen  Herrschaft  in  Indien,  war  es,  von 
dem  die  erste  fruchtbare  Anregung  zu  einem  seither  nie  wieder 
unterbrochenen  Studium  der  indischen  Litteratur  ausging.  Er 
hatte  erkannt,  was  die  Engländer  seitdem  nie  vergessen  haben, 
dafs  die  Herrschaft  Englands  in  Indien  nur  dann  gesichert  sei, 
wenn  die  Beherrscher  es  verstünden,  die  sozialen  und  religiösen 
Vorurteile  der  Eingeborenen  nach  Möglichkeit  zu  schonen.  Auf 
seine  Veranlassung  wurde  daher  in  das  Gesetz,  welches  die  Ver- 
waltung Indiens  regeln  sollte,  die  Bestimmung  aufgenommen, 
dafs  einheimische  Gelehrte  den  Rechts  Verhandlungen  beiwohnen 
sollten,  um  es  den  englischen  Richtern  in  Indien  zu  ermöglichen, 
die  Satzungen  der  indischen  Rechtsbücher  bei  der  Abfassung 
ihrer  Urteile  zu  berücksichtigen.  Und  als  Warren  Hastings  im 
Jahre  1773  zum  Generalgouverneur  von  Bengalen  ernannt  und 
mit  den  höchsten  Gewalten  über  sämtliche  englische  Besitzungen 
in  Indien  betraut  worden  war,  liefs  er  von  einer  Anzahl  rechts- 
kundiger Brahmanen  aus  den  alten  indischen  Rechtsbüchern  ein 
Werk  zusammenstellen,  welches  unter  dem  Titel  Vivädärnavasetu 
(»Brücke  über  den  Ozean  der  Streitigkeiten«)  alles  Wichtige  über 
indisches  Erbrecht,  P'araiHenrecht  u.  dgl.  enthielt.  Als  das  Werk 
fertig  war,  fand  sich  aber  niemand,  der  imstande  gewesen  wäre, 
dasselbe  unmittelbar  aus  dem  Sanskrit  ins  Englische  zu  über- 
setzen. Es  mufste  daher  zuerst  aus  dem  Sanskrit  ins  Persische 
übertragen  werden,  aus  welchem  es  Nathaniel  Brassey  Halhed 
ins  Englische   übersetzte.     Diese  Übersetzung   wurde  unter  dem 


—     10    — 

Titel  >A  Code  of  Gentoo ')  Law<  im  Jahre  1776  auf  Kosten  der 
Ostindischen  Gesellschaft  gedruckt.  Eine  deutsche  Übersetzung 
dieses  Rechtsbuches  erschien  im  Jahre  1778  in  Hamburg  unter 
dem  Titel:  »Gesetzbuch  der  Gentoos  oder  Sammlung  der  Ge- 
setze der  Pundits,  nach  einer  persianischen  Übersetzung  des 
in  der  Shanskritsprache  geschriebenen  Originales.  Aus  dem 
Englischen  von  Rud.  Erich  Raspe.« 

Der  erste  Engländer,  der  sich  eine  Kenntnis  des  Sanskrit 
aneignete,  war  Charles  Wilkins,  der  durch  Warren  Hastings 
dazu  angeregt  worden  war,  bei  den  Pandits  in  Benares,  dem 
Hauptsitz  der  indischen  Gelehrsamkeit,  Unterricht  zu  nehmen. 
Als  die  erste  Frucht  seiner  Sanskritstudien  veröffentlichte  er  im 
Jahre  1785  eine  englische  Übersetzung  des  philosophischen  Gedichtes 
Bhagavadgitä,  womit  zum  erstenmal  ein  Sanskritwerk  direkt 
in  eine  europäische  Sprache  übersetzt  war.  Zwei  Jahre  später 
folgte  eine  Übersetzung  des  Fabel  Werkes  Hitopadesa  und 
1795  eine  Übersetzung  der  Sakuntalä-Episode  aus  dem  M  a  h  ä  - 
bhärata.  Für  seine  1808  erschienene  Sanskritgrammatik  wurden 
zum  erstenmal  in  Europa  Sanskrittypen  benutzt,  die  er  selbst 
geschnitten  und  gegossen  hatte.  Er  war  auch  der  erste,  der 
sich  mit  indischen  Inschriften  befafst  und  einige  derselben  ins 
Englische  übersetzt  hat. 

Noch  wichtiger  aber  für  die  Erschlielsung  grofser  Gebiete 
der  indischen  Litteratur  war  die  Tätigkeit  des  berühmten  eng- 
lischen Orientalisten  William  Jones  (geb.  1746,  gest.  1794), 
der  sich  im  Jahre  1783  nach  Indien  begab,  um  den  Posten  eines 
Oberrichters  im  Fort  William  zu  übernehmen.  Jones  hatte  sich 
schon  in  jungen  Jahren  mit  orientalischer  Poesie  beschäftigt  und 
arabische  und  persische  Gedichte  ins  Englische  übertragen.  Kein 
Wunder,  dafs  er,  in  Indien  angelangt,  sich  mit  Eifer  auf  das 
Studium  des  Sanskrit  und  der  indischen  Litteratur  verlegte. 
Gleich  ein  Jahr  nach  seiner  Ankunft  in  Indien  wurde  er  der 
Begründer  der  Asiatic  Society  of  Bengal,  welche  bald  durch  die 
Herausgabe  von  Zeitschriften  und  insbesondere  durch  den  Druck 
zahlreicher  indischer  Textausgaben  eine  ungemein  nützliche  Tätig- 
keit entfaltete.  Im  Jahre  1789  veröffentlichte  er  seine  englische 
Übersetzung   des  berühmten  Dramas  »^akuntalä«    von  Kälidäsa. 


')  Portugiesisch  für  »Hindu*. 


—   11   — 

Diese  englische  Übersetzung  wurde  im  Jahre  1791  von  Georg 
Forster  ins  Deutsche  tibertragen  und  erweckte  im  höchsten  Grade 
die  Begeisterung  von  Männern  wie  Herder  und  Goethe.  Ein 
anderes  Werk  desselben  Dichters  Kälidäsa,  das  tyrische  Gedicht 
Rtusamhära,  wurde  von  Jones  in  Kalkutta  im  Jahre  1792  im 
Urtext  herausgegeben,  und  es  war  dies  der  erste  Sanskrittext^ 
der  im  Druck  erschien.  Von  noch  gröf serer  Bedeutung  war  es, 
dafs  W.  Jones  das  berühmteste  und  in  Indien  angesehenste  Werk 
der  indischen  Rechtslitteratur ,  das  Gesetzbuch  des  Manu,  ins 
Englische  übertrug.  Diese  Übersetzung  erschien  in  Kalkutta 
1794  unter  dem  Titel  »Institutes  of  Hindu  Law,  or  the  Ordinnances 
of  Menü«.  Eine  deutsche  Übersetzung  dieses  Werkes  erschien 
1797  in  Weimar').  W.  Jones  war  endlich  auch  der  erste,  der 
den  genealogischen  Zusammenhang  des  Sanskrit  mit  dem 
Griechischen  und  Lateinischeil  mit  voller  Bestimmtheit  und  den 
mit  dem  Deutschen,  Keltischen  und  Persischen  vermutungsweise 
aussprach.  Er  hat  auch  bereits  auf  die  Ähnlichkeiten  zwischen 
der  altindischen  und  der  griechisch-römischen  Mythologie  hin- 
gewiesen. 

Wahrend  der  schwärmerische  W.  Jones  durch  die  Be- 
geisterung, mit  der  er  die  indischen  Litteraturschätze  ans  Licht 
zog ,  vor  allem  anregend  wirkte  ,  wurde  der  nüchterne  Henry 
Thomas  Colebrooke,  der  das  Werk  von  W.  Jones  fortsetzte, 
zum  eigentlichen  Begründer  der  indischen  Philologie  und  Alter- 
tumskunde. Colebrooke  hatte  im  Jahre  1782  als  siebzehnjähriger 
Jüngling  seine  Beamtenlaufbahn  in  Kalkutta  angetreten,  ohne 
sich  während  der  ersten  elf  Jahre  seines  Aufenthalts  in  Indien 
um  das  Sanskrit  und  dessen  Litteratur  zu  kümmern.  Als  aber 
W.  Jones  1794  starb,  hatte  Colebrooke  eben  das  Sanskrit  erlernt 
und  es  übernommen,  eine  unter  Jones'  Leitung  von  eingeborenen 
Gelehrten  gemachte  Zusammenstellung  der  Lehren  der  indischen 
Rechtsbücher  über  Erbrecht  und  Kontrakte  aus  dem  Sanskrit 
ins  Englische    zu    übersetzen.     Diese  Übersetzung   erschien   1797 

0  »Hindu's  Gesetzgebung,  oder  Menirs  Verordnungen  nach 
Culluca's  Erläuterung,  ein  Inbegriff  des  indischen  Systems  religiöser 
und  bürgerlicher  Pflichten.  Aus  der  Sanskritsprache  wörtlich  ins 
Englische  übersetzt  von  W.  Jones,  und  verdeutscht  nach  der  Cal- 
cuttischen-  Ausgabe,  und  mit  einem  Glossar  und  Anmerkungen  be- 
gleitet von  Joh.  Christ.  Hüttner.  • 


—    12    — 

und  1798  unter  dem  Titel  »A  Digest  of  Hindu  Law  on  Con- 
tracts  and  Successions«  in  vier  Foliobänden.  Von  da  an  widmete 
er  sich  mit  unermtidlichem  Eifer  der  Erforschung  der  indischen 
Litteratur.  Und  zwar  interessierte  ihn  —  im  Gegensatz  zu 
Jones  —  nicht  so  sehr  die  poetische  als  die  fachwissenschaftliche 
Litteratur.  Ihm  verdanken  wir  daher  nicht  nur  noch  weitere 
Arbeiten  über  indisches  Recht,  sondern  auch  bahnbrechende 
Aufsätze  über  die  Philosophie  und  das  Religionswesen ,  über 
Grammatik,  Astronomie  und  Arithmetik  der  Inder.  Er  war 
es  auch,  der  im  Jahre  1805  in  dem  berühmt  gewordenen  Auf- 
satze über  die  Vedas  zum  erstenmal  genaue  und  zuverlässige 
Mitteilungen  über  die  alten  heiligen  Bücher  der  Inder  gab '). 
Auch  ist  er  der  Herausgeber  des  Amarakosa  und  anderer  indischer 
Wörterbücher,  der  berühmten  Grammatik  des  Pänini,  der  Fabel- 
sammlung  Hitopade^a  und  des  Kunstepos  Kirätärjunlya.  Er  ist 
ferner  der  Verfasser  einer  Sanskritgraminatik  und  hat  eine  An- 
zahl von  Inschriften  bearbeitet  und  übersetzt.  Endlich  hat  er 
eine  ungemein  reichhaltige  Sammlung  von  indischen  Handschriften 
zusammengebracht,  die  ihn  gegen  10  000  Pfund  Sterling  gekostet 
haben  soll,  und  die  er  bei  seiner  Rückkehr  nach  England  der 
Ostindischen  Gesellschaft  zum  Geschenk  machte.  Diese  Hand- 
schriftensammlung gehört  heute  zu  den  kostbarsten  Schätzen  der 
Bibliothek  des  India  Office  in  London. 

Unter  den  Engländern,  welche  ebenso  wie  Jones  und  Cole- 
brooke  um  die  Wende  des  achtzehnten  Jahrhunderts  in  Indien 
Sanskrit  lernten,  war  auch  Alexander  Hamilton.  Dieser  kehrte 
1802  nach  Europa  zurück  und  hielt  sich,  über  Frankreich  reisend, 
kurze  Zeit  in   Paris   auf.     Da   fügte   es  ein   für   ihn   selbst  un- 


')  Die  im  Jahre  1778  unter  dem  Titel  »Ezour-Vedam«  französisch 
und  1779  auch  deutsch  erschienene  angebliche  Übersetzung  des 
Yajurveda  ist  eine  Fälschung,  eine  pia  fraus,  welche  wahrscheinlich 
von  dem  Missionar  Robertus  de  Nobilibus  herrührt.  Voltaire  empfing 
aus  den  Händen  eines  von  Pondichery  zurückkehrenden  Beamten  diese 
angebliche  Übersetzung  und  übergab  sie  1761  der  königlichen  Biblio- 
thek in  Paris.  Voltaire  hielt  das  Werk  für  einen  alten  Kommentar 
zum  Veda,  der  von  einem  ehrwürdigen,  hundertjährigen  Branmanen 
ins  Französische  übersetzt  worden  sei,  und  er  beruft  sich  auf  den 
''Ezour-Veda"'  öfters  als  Quelle  für  indische  Altertümer.  Schon  im 
Jahre  1 782  erklärte  Sonnerat  das  Werk  für  eine  Fälschung.  (A.  W. 
Schlegel,  Indische  Bibliothek.    II,  S.  50  ff.) 


—     13    — 

angenehmer,  für  die  Wissenschaft  aber  aufserordentlich  günstiger 
Zufall,  dafs  gerade  damals  die  durch  den  Frieden  von  Amiens 
nur  auf  kurze  Zeit  unterbrochenen  Feindseligkeiten  zwischen 
England  und  Frankreich  aufs  neue  ausbrachen  und  Napoleon 
den  Befehl  ergehen  liefs,  dafs  alle  Engländer,  die  sich  zur  Zeit 
des  Ausbruchs  des  Krieges  in  Frankreich  aufhielten,  an  der 
Rückkehr  in  ihre  Heimat  verhindert  und  in  Paris  zurückgehalten 
werden  sollten.  Unter  diesen  Engländern  befand  sich  auch 
Alexander  Hamilton.  Im  Jahre  1802  war  aber  gerade  auch  der 
deutsche  Dichter  Friedrich  Schlegel  nach  Paris  gekommen, 
um  sich  dort  mit  einigen  Unterbrechungen  bis  zum  Jahre  1807 
aufzuhalten,  —  gerade  während  der  Zeit  des  unfreiwilligen  Auf- 
enthalts von  A.  Hamilton,  In  Deutschland  war  man  ja  schon 
längst  auf  die  Arbeiten  der  Engländer  aufmerksam  geworden. 
Namentlich  hatte  die  bereits  erwähnte  Übersetzung  der  »Öakun- 
talä«  durch  W.  Jones  grofses  Aufsehen  gemacht  und  war  auch 
sofort  (1791)  ins  Deutsche  übersetzt  worden.  In  den  Jahren 
1795 — 97  waren  auch  schon  die  Abhandlungen  von  William 
Jones  in  deutscher  Übersetzung  erschienen  "").  Auch  die  Jonessche 
Übersetzung  von  Manus  Gesetzbuch  war  schon  im  Jahre  1797 
ins  Deutsche  tibertragen  worden.  Die  Werke  des  Fra  Paolino 
de  St.  Bartholomeo  sind  in  Deutschland  gewifs  auch  nicht  un- 
beachtet geblieben.  Vor  allem  aber  war  es  die  romantische 
Schule,  an  deren  Spitze  die  Brüder  Schlegel  standen,  für  welche 
die  indische  Litteratur  eine  besondere  Anziehungskraft  hatte. 
Es  .war  ja  die  Zeit,  wo  man  sich  für  fremde  Litteraturen  zu  be- 
geistern begann.  Herder  hatte  schon  durch  seine  »Stimmen  der 
Völker  in  Liedern«  (1778)  und  durch  seine  »Ideen  zur  Geschichte 
der  Menschheit«  (1784—91)  die  Aufmerksamkeit  der  Deutschen 
vielfach  auf  den  Orient  gelenkt.  Die  Romantiker  aber  waren 
es,  die  sich  mit  höchster  Begeisterung  auf  alles  Fremde  und 
Feme  warfen  und  sich  von  Indien  ganz  besonders  angezogen 
fühlten.  V^on  Indien  her  erwartete  man,  wie  Friedrich  Schlegel 
sagte,  nichts  weniger  als  »Aufschlufs  über  die  bis  jetzt  so  dunkle 
Geschichte  der  Urwelt;  und  die  Freunde  der  Poesie  hofften  be- 
sonders  seit    der    Erscheinung    der    Sokuntola    von    daher    noch 


')  W.  Jones,  Abhandlungen  über  die  Geschichte,  Altertümer  usw. 
Asiens.    Riga  1795—97.    4  Bde. 


—     14     — 

manches  ähnliche  schöne  Gebilde  des  asiatischen  Geistes  zu  sehen, 
wie  dieses  von  Anmut  und  Liebe  beseelt«.  Kein  Wunder  daher,  dals 
Friedrich  Schlegel,  als  er  in  Paris  die  Bekanntschaft  des  Alexander 
Hamilton  machte,  sofort  die  Gelegenheit  ergriff,  von  demselben 
Sanskrit  zu  lernen.  In  den  Jahren  1803  und  1804  genofs  er 
■dessen  Unterricht,  und  die  weiteren  Jahre  seines  Pariser  Aufent- 
haltes benutzte  er  zu  Studien  in  der  dortigen  Bibliothek,  welche 
damals  bereits  gegen  200  indische  Handschriften  besafs')-  Als 
Frucht  dieser  Studien  erschien  im  Jahre  1808  jene  Schrift,  durch 
welche  Friedrich  Schlegel  zum  Begründer  der  indischen  Philo- 
logie in  Deutschland  wurde:  Ȇber  die  Sprache  und  Weisheit 
der  Indien  Ein  Beitrag  zur  Begründung  der  AltCi-tumskunde.« 
Dieses  Buch  war  mit  Begeisterung  geschrieben  und  geeignet, 
Begeisterung  zu  erwecken.  Es  enthielt  auch  Übersetzungen 
einiger  Stücke  aus  dem  Rämäyana ,  aus  Manus  Gesetzbuch ,  aus 
der  Bhagavadgitä  und  aus  der  Sakuntalä  -  Episode  des  Mahä- 
bhärata.  Es  waren  dies  die  ersten  direkten  Übersetzungen  aus 
dem  Sanskrit  ins  Deutsche;  denn  was  vorher  von  indischer 
Litteratur  in  Deutschland  bekannt  geworden  war,  war  aus  dem 
Englischen  übersetzt. 

Während  aber  Friedrich  Schlegel  vor  allem  anregend  wirkte, 
war  sein  Bruder  August  W^ilhelm  von  Schlegel  der  erste, 
der  in  Deutschland  durch  Textausgaben,  Übersetzungen  und 
andere  philologische  Arbeiten  eine  ausgedehnte  Tätigkeit  als 
Sanskritgelehrter  entfaltete.  Er  war  auch  der  erste  Professor 
des  Sanskrit  in  Deutschland,  und  zwar  wurde  er  als  solcher  im 
Jahre  1818  an  die  eben  begründete  Universität  Bonn  berufen. 
Gleichwie  sein  Bruder  hatte  auch  er  in  Paris  —  und  zwar  im 
Jahre  1814  —  seine  Sanskritstudien  begonnen.  Sein  Lehrer  war 
aber  ein  Franzose,  A.  L.  Chezy,  der  erste  französische  Gelehrte, 
der  Sanskrit  lernte  und  lehrte;  er  war  auch  der  erste  Sanskrit- 
Professor  am  College  de  France  und  hat  sich  als  Herausgeber 
und  Übersetzer  indischer  Werke  verdient  gemacht.  Im  Jahre 
1823  erschien  der  erste  Band  der  von  Aug.  Wilh.  von  Schlegel 
begründeten  und  fast  ausschliefslich  von  ihm  geschriebenen  Zeit- 


0  Einen  Katalog  derselben  veröffentlichte  Alexander  Hamilton 
(im  Verein  mit  L.  Langles,  der  Hamiltons  englische  Notizen  ins  Fran- 
zösische übertrug)  Paris  1807 


—     15    — 

Schrift  >Indische  Bibliothek« ,  welche  zahlreiche  Aufsätze  zur 
indischen  Philologie  enthält.  Im  selben  Jahre  veröffentlichte  er 
auch  eine  gute  Ausgabe  der  Bhagavadgitä  mit  lateinischer  Über- 
setzung, während  im  Jahre  1829  der  erste  Teil  der  bedeutendsten 
Arbeit  Schlegels,  seiner  xm vollendet  gebliebenen  Ausgabe  des 
Rämäyana,  erschien. 

Ein  Zeitgenosse  Aug.  Wilh.  von  Schlegels  war  der  1791 
geborene  Franz  Bopp,  der  im  Jahre  1812  nach  Paris  ging, 
um  sich  mit  orientalischen  Sprachen  zu  beschäftigen ,  und  dort 
zusammen  mit  Schlegel  bei  Ch^zy  Sanskrit  lernte.  Während  aber 
die  Brüder  Schlegel  als  die  Dichter  der  Romantik  für  Indien 
schwärmten  und  die  Beschäftigung  mit  der  indischen  Litteratur 
als  eine  Art  > Abenteuer «  ^)  auffafsten,  trat  Bopp  als  durchaus 
nüchterner  Forscher  an  diese  Studien  heran,  und  er  war  es,  der 
durch  seine  im  Jahre  1816  erschienene  Schrift  »Ueber  das  Con- 
jugationssystem  der  Sanskritsprache  in  Vergleichung  mit  jenem 
der  griechischen,  lateinischen,  persischen  und  germanischen 
Sprache«  zmn  Begründer  einer  neuen  Wissenschaft  wurde,  der 
vergleichenden  Sprachwissenschaft,  der  eine  so  grofse  Zukunft 
beschieden  sein  sollte.  Aber  auch  um  die  Erforschung  der 
indischen  Litteratur  hat  sich  Bopp  aufserordentlich  verdient  ge- 
macht. Schon  in  seinem  »Conjugationssystem«  gab  er  als  An- 
hang einige  Episoden  aus  dem  Rämäyana  und  Mahäbhärata  in 
metrischen  Übersetzungen  aus  dem  Originaltext,  sowie  einige 
Proben  aus  dem  Veda  nach  Colebrookes  englischer  Übersetzung. 
Mit  seltenem  Geschick  hat  er  dann  aus  dem  Riesenepos  Mahä- 
bhärata die  wunderbare  Geschichte  vom  König  Nala  und  seiner 
treuen  Gattin  Damayanti  herausgegriffen  und  durch  eine  gute 
kritische    Ausgabe    mit    lateinischer   Übersetzung    allgemein    zu- 


')  So  schreibt  Friedrich  Schlegel  in  einem  Briefe  an  Goethe,  er 
habe  es  sich  zur  Aufgabe  gemacht,  »das  Vergessene  und  Verkannte 
ans  Licht  zu  ziehen«,  und  sich  darum  von  Dante  zu  Shakespeare,  zu 
Petrarca  und  Calderon,  zu  den  altdeutschen  Heldenliedern  gewandt. 
»Solchergestalt  hatte  ich  die  europäische  Literatur  gewissermafsen  er- 
schöpft und  wandte  mich  nach  Asien ,  um  ein  neues  Abenteuer  auf- 
zusuchen.« (A.  Hillebrandt,  Alt-Indien.  Breslau  1899.  S.  37.)  [Jnd 
Aug.  Wilh.  von  Schlegel  schreibt  (Indische  Bibliothek  I,  S.  8),  er  wolle 
mit  seinen  Aufsätzen  denen  unter  seinen  Landsleuten,  »welche  das 
Abenteuer  bestehen  wollen  (denn  ein  Abenteuer  bleibt  es  noch  immer)», 
einigermafsen  den  Weg  weisen. 


—     16     — 

gänglich  gemacht^).  Es  war  dies  gerade  diejenige  von  den  zahl- 
losen Episoden  des  Mahäbhärata,  welche  am  meisten  ein  ab- 
geschlossenes Ganzes  bildet  und  nicht  nur  zu  den  schönsten 
Stücken  des  grofsen  Epos  gehört,  sondern  auch  als  eine  der 
reizendsten  Schöpfungen  indischer  Dichtkunst  ganz  besonders 
geeignet  ist,  Begeisterung  ftir  die  indische  Litteratur  und  Liebe 
zum  Sanskritstudiura  zu  erwecken.  Es  ist  denn  auch  geradezu 
traditionell  geworden,  an  allen  Universitäten,  wo  Sanskrit  gelehrt 
wird,  die  Nala-Episode  als  erste  Lektüre  für  die  Studierenden  zu 
wählen ,  wozu  sie  sich  auch  wegen  der  Einfachheit  der  Sprache 
ganz  besonders  eignet.  Noch  eine  Reihe  von  anderen  Episoden  aus 
dem  Mahäbhärata  hat  Bopp  zum  erstenmal  herausgegeben  und 
ins  Deutsche  übersetzt.  Seine  Sanskritgrammatiken  (1827,  1832 
und  1834)  und  sein  »Glossarium  Sanscritum«  (Berlin  1830)  haben 
das  Studium  des  Sanskrit  in  Deutschland  mächtig  gefördert. 

Ein  Glück  für  die  junge  Sprachwissenschaft  und  das  damals 
und  noch  auf  lange  mit  ihr  verbundene  Sanskritstudium  war  es, 
dals  der  geistvolle,  vielseitige  und  einflufsreiche  W  i  1  h e  1  m  von 
Humboldt  sich  für  diese  Wissenschaften  begeisterte.  Im  Jahre 
1821  begann  er  Sanskrit  zu  lernen,  da  er  —  wie  er  einmal  in 
einem  Briefe  an  Aug.  Wilh.  von  Schlegel  *)  schrieb  —  eingesehen 
hatte,  »dafs  ohne  möglichst  gründliches  Studium  des  Sanskrit 
weder  in  der  Sprachkunde  noch  in  derjenigen  Art  Geschichte, 
die  damit  zusammenhängt,  das  mindeste  auszurichten  sei«.  Und 
als  Schlegel  im  Jahre  1828  einen  Rückblick  auf  die  indischen 
Studien  warf,  hob  er  es  als  ein  besonderes  Glück  für  die  neue 
Wissenschaft  hervor,  dafs  dieselbe  »an  Herrn  Wilhelm  von 
Humboldt  einen  warmen  EVeund  und  Gönner  gefunden«.  Schlegels 
Ausgabe  der  Bhagavadgitä  hatte  Humboldts  Aufmerksamkeit 
auf  dieses  theosophische  Gedicht  gelenkt.  Er  widmete  demselben 
eigene  Abhandlungen,  und  an  Fr.  von  Gentz  schrieb  er  damals 
(1827):  »Es  ist  wohl  das  Tiefste  und  Erhabenste,  das  die  Welt 
aufzuweisen  hat.«  Und  als  er  später  (1828)  dem  Freund  seine 
mittlerweile  von  Hegel  rezensierte  Schrift  über  die  Bhaga- 
vadgitä  zusandte,  schrieb  er,  so  gleichgültig  ihn  die  Beurteilung 


")  Nalus,  Carmen  Sanscritum  e  Mahabharato,  edidit,  latine  vertit 
et  adnotationibus  illustravit  Franciscus  Bopp.    London  1819. 
»)  Indische  Bibliothek  I,  S.  433. 


_     17     — 

von  Seiten  Hegels  lasse,  so  grolsen  Wert  lege  er  auf  die  indische 
philobophische  Dichtung.  »Ich  las  das  indische  Gedicht«,  schreibt 
er,  .zum  erstenmal  m  Schlesien  auf  dem  Lande,  und  mein  be- 
ständiges Gefühl  dabei  war  Dank  gegen  das  Geschick,  dafs  es 
mich  habe  leben  lassen,  dieses  Werk  noch  kemien  zu  lernen«.') 
Und  noch  eiai  grofser  Heros  der  deutschen  Litteratur  ist 
zu  nennen ,  der  zum  j  Glück  für  unsere  Wissenschaft  sich  für 
indische  Dichtung  begeistert  hat.  Das  ist  der  deutsche  Dichter 
Friedrich  Rückert,  der  unvergleichliche  Meister  der  Über- 
setzungskunst. Von  den  schönsten  Perlen  indischer  Epik  und 
Lj'^rik  ist  gar  manches, 

»Was  vor  Jahrtausenden  gerauscht 
Im  Wipfel  ind 'scher  Palmen", 
durch  ihn  zum  Gemeingut  des  deutschen  Volkes  geworden. 

Bis  zum  Jahre  1830  war  es  fast  ausschhefslich  die  sogenannte 
»klassische  Sanskritlitteratur« ,  der  sich  die  Aufmerksamkeit 
europäischer  Forscher  zuwandte.  Das  Drama  »hakuntalä«,  das 
philosophische  Gedicht  »BhHgavadgitä< ,  das  Gesetzbuch  des 
Manu,  die  Sprüche  des  Bhartrhari,  die  P'abelsammlung  »Hitopa- 
deSa«  und  einzelne  Stücke  aus  den  gröfsen  Epen  —  das  waren 
so  ungefähr  die  Hauptwerke,  mit  denen  man  sich  beschäftigte, 
und  die  man  für  den  Grundstock  der  indischen  T^itteratur  ansah. 
Das  grofse  und  allerwichtigste  Gebiet  der  indischen  Fitteratur 
—  der  Veda  —  war  beinahe  ganz  unbekannt,  und  von  der 
ganzen  grofsen  b'jddhisti sehen  Litteratur  wufste  man  noch 
gar  nichts. 

Das  Wenige,  was  bis  zum  Jahre  1830  vom  Veda  bekannt 
war,  beschränkte  sich  auf  kärgliche  und  ungenaue  Angaben  bei 
den  älteren  Schriftstellern  über  Indien.  Die  ersten  zuverlässigen 
Mitteilungen  gab  Colebrooke  in  der  schon  erwähnten  Abhandlung 
über  die  Vedas  (1805)^).  Verhältnismäfsig  am  meisten  wufste 
man  noch  von  den  üpanisads,  den  zum  Veda  gehörigen  philo- 
sophischen Abhandlungen.    Diese  Üpanisads  wurden  nämlich  im 


')  Schriften  von  Friedrich  von  Gentz.  Herausgegeben  von  Gustav 
Schlesier.    Mannheim  1840.    Bd.  V,  S   2^1  u.  300. 

^)  Eine  deutsche  Übersetzung  erschien  viele  Jahre  später:  H.  Th. 
Colebrookes  Abhandlung  über  die  heiligen  Schriften  der  Indier.  Aus 
dem  Englischen  tibersetzt  von  Ludwig  Poley.  Nebst  Fragmenten  der 
ältesten  religiösen  Dichtungen  der  Indier.    Leipzig  1847 

Winternitz,   Geschichte  der  indischen  Litteratur.  2 


—     18    — 

siebzehnten  Jahrhundert  von  dem  Bruder  Aurengzebs,  dem  un- 
glücklichen Prinzen  Mohammed  Dara  Schakoh  ^),  dem  Sohn  des 
Grofsmoguls  Schah  Dschehan,  ins  Persische  übersetzt.  Aus  dem 
Persischen  hat  sie  am  Anlange  des  neunzehnten  Jahrhunderts 
der  französische  Gelehrte  Anquetil  Duperron  unter  dem  Titel 
»Oupnek'hat«  ^)  ins  Lateinische  übersetzt.  So  unvollkommen  und 
von  Mifsverständnissen  voll  auch  die  lateinische  Übersetzung  war, 
so  ist  sie  doch  für  die  Geschichte  der  Wissenschaft  dadurch  von 
Wichtigkeit  geworden,  dafs  die  deutschen  Philosophen  Schellin g 
und  insbesondere  Schopenhauer  sich  auf  Grund  derselben  für 
die  indische  Philosophie  begeisterten.  Nicht  die  Upanisads,  wie 
wir  sie  mit  allen  uns  heute  zu  Gebote  stehenden  Mitteln  der 
indischen  Philologie  und  unserer  genaueien  Kenntnis  der  ganzen 
Philosophie  der  Inder  verstehen  und  erklären,  sondern  das 
*Oupnek'hat« ,  die  ganz  und  gar  unvollkommene  persisch- 
lateinische  Übersetzung  des  Anquetil  Duperron  war  es,  welche 
Schopenhauer  für  ^>die  Ausgeburt  der  höchsten  menschlichen 
Weisheit«  erklarte.  Und  um  dieselbe  Zeit,  als  in  Deutschland 
Schopenhauer  in  die  Upanisads  der  Inder  seine  tigenen  philo- 
sophischen Gedanken  mehr  hineindachte,  als  er  sie  herauszulesen 
vermochte,  lebte  in  Indien  einer  der  weisesten  und  edelsten 
Männer,  welche  dieses  Land  hervorgebracht  hat,  Rämmohun 
Roy,   der  Begründer  der  »Brahmo  Samäj«  (einer   neuen  vSekte, 


')  Das  Schicksal  dieses  Prinzen  bildet  den  Gegenstand  eines 
schönen,  leider  viel  zu  wenig  bekannten  Trauerspiels  von  L.  von 
Schroeder:  'Dara  oder  Schah  Dschehan  und  seine  Söhne"  (Mitau  1891). 

*)  Der  vollständijie  Titel  lautet:  ^^Oupnek'hat,  i  e.  secretum 
tegendiim,  opus  ipsa  in  India  rarissimum,  continens  antiquam  et  arcanani 
s.  theologicam  et  philosopliicam  doctrinam  c  quatuor  sa^ris  !  .idoruin 
libris,  Rak  Beid,  Djedir  Beid,  Sam  Beid,  Athrban  Beid  excerptam;  ad 
verbum  e  pcrsico  idiomate,  Sansci'eticis  vocabulis  interniixto  in  latinum 
conversum  .  .  .  studio  et  opera  Anquetil  du  Perron  .  .  .  Parisiis 
1801 — 18ü2.  4.  2  vol."  Teilweise  ins  Deutsche,  übersetzt  unter  dem 
Titel:  »V^ersuch  einer  neuen  Darstellung  der  uralten  indischen  All- 
Eins-Lehre:  oder  der  berühmten  Sammlung  »u}»-  Oupuekharwr  erstes 
Stück:  Oupnek'hat  Tschehandouk  genannt.  Nach  dem  lateinischen  der 
persischen  Uebersetzung  wörtlich  getreuen  Texte  des  Hrn.  Anquetil 
du  Perron  frey  ins  Deutsche  übersetzt  und  mit  Anmerkungen  versehen 
von  Th.  A.  Rixner,  Nürnberg  1808.»  »Oupnek'hat  ist  eine  Verstümme- 
lung von  »Upanisad«^  und  'Rak  Beid«  usw.  sind  Verballhornungen 
von  »Rg-veda'<,  »Yajur-vedas  "Säma-veda*  und  "Atharva-veda«^. 


—     19    — 

welche  das  Beste  der  Religionen  Europas  mit  dem  Glauben  der 
Hindus  zu  vereinigen  suchte),  —  ein  Inder,  der  aus  denselben 
Upanisads  den  reinsten  Gottesglauben  herauslas  und  aus  den- 
selben seinen  Landsleuten  zu  beweisen  suchte,  dals  zwar  der 
Götzendienst  der  jetzigen  indischen  Religionen  verwerflich  sei, 
dafs  aber  die  Inder  darum  doch  nicht  das  Christentum  anzunehmen 
brauchten,  sondern  in  ihren  heiligen  Schriften,  in  den  alten 
\"edas,  wenn  sie  dieselben  nur  verstünden,  eine  reine  Gotteslehre 
finden  könnten.  Mit  der  Absicht,  diese  neue,  wenngleich  schon 
in  den  alten  heiligen  Schriften  enthaltene  Lehre  zu  verkünden 
und  durch  die  von  ihm  begründete  Sekte,  der  Brahmo  Samäj 
oder  der  »Kirche  Gottes« ,  verbreiten  zu  lassen,  und  zugleich  in 
der  Absicht,  den  von  ihm  hochgeschätzten  christlichen  Theologen 
und  Missionären  zu  beweisen,  dafs  das  Beste  von  dem,  was  sie 
lehrten,  Schon  in  den  Upani.sads  enthalten  sei,  übersetzte  er  in  den 
Jahren  1816 — 1819  eine  grölsere  Anzahl  von  Upanisads  ins 
Englische  und  gab  einige  derselben  im  Urtexte  heraus'). 

Die  eigentliche  philologische  Erforschung  des  Veda  begann 
jedoch  erst  mit  der  im  Jahre  1838  in  Calcutta  erschienenen  Aus- 
gabe des  ersten  Achtels  des  Rigveda  von  Friedrich  Rosen, 
der  nur  durch  einen  vorzeitigen  Tod  an  der  Vollendung  seiner 
Ausgabe  verhindert  wurde.  Insbesondere  aber  war  es  der  grofse 
französische  Orientalist  Eugene  Burnouf,  der  im  Anfang  der 
vierziger  Jahre  am  College  de  France  lehrte  und,  indem  er 
einen  Kreis  von  Schülern  um  sich  versammelte,  welche  später 
hervorragende  Vedagelehrte  wurden ,  den  Grund  zum  Veda- 
studium  in  Europa  legte.  Einer  dieser  Schüler  war  Rudolph 
Roth,  der  mit  seiner  im  Jahre  1846  erschienenen  Schrift  »Zur 
Lifcter.itur  und  Geschichte  des  Weda«  das  Studium  des  Veda  in 
Deutschland  begründete.  Roth  selbst  und  eine  stattliche  Anzahl 
seiner  Schüler  widmeten  sich  in  den  folgenden  Jahren  und  Jahr- 
zehnten mit  Feuereifer  der  Erforschung  der  verschiedenen  Zweige 
dieser  ältesten  Litteratur  Indiens.  Ein  anderer  berühmter  Schüler 
Burnoufs  war  F. .  M  a  x  Müll  er ,  der  gleichzeitig  mit  Roth  durch 
Burnouf    in    das    Vedastudium    eingeführt    worden    war.      Von 

')  Kleinere  Bruchstücke  der  Upanisads  erschienen  auch  in  Othmar 
Franks  »Chrestomathia  Sanscrita*  (1820 — 1821)  und  in  desselben 
'Vväsa,  über  Philosophie,  Mj^thologie.  Literatur  und  Sprache  der 
Hindu«  (1826-1830). 

2* 


-     20    — 

Lurnouf  dazu  angeregt,  falste  Max  Müller  den  Plan,  die  Hymnen 
des  Rigveda  mit  dem  grofsen  Kommentar  des  Sayana  heraus- 
zugeben. Diese  für  alle  weiteren  Forschungen  unentbehrliche 
Ausgabe  erschien  in  den  Jahren  1849  1875').  Noch  ehe  dieselbe 
vollendet  war,  machte  sich  Th.  Auf  recht  durch  seine  handliche 
Ausgabe  des  vollständigen  Textes  der  Hjmnen  des  Rigveda 
(1861  und  1863)  um  diese  Forschungen  auf  serordentlich  verdient. 

Derselbe  Eugene  Burnouf,  der  an  der  Wiege  des  Veda- 
studiums  gestanden,  hat  auch  durch  den  im  Verein  mit  Chr. 
Lassen  1826  veröffentlichten  i-Essai  sur  le  Pälis  und  durch  seine 
1844  erschienene  »Introduction  ä  l'histoire  du  Bouddhisme  Indien« 
zum  Pälistudium  und  zur  Erforschung  der  buddhistischen  Litteratur 
den  Grund  gelegt. 

Mit  der  Erobei'ung  des  grofsen  Gebietes  der  Vedalitteratur 
und  mit  der  Erschlielsung  der  Litteratur  des  Buddhismus  hat 
aber  die  Kindheitsgeschichte  der  indischen  Philologie  ihr  Ende 
erreicht.  Sie  ist  zu  einem  grofsen  Wissensgebiete  erstarkt,  auf 
dem  die  Mitarbeiter  sich  von  Jahr  zu  Jahr  mehren.  Nun  er- 
scheinen Schlag  auf  Schlag  die  kritischen  Ausgaben  der  wichtig- 
sten Texte,  und  Gelehrte  aller  Länder  bemühen  sich  im  edlen 
Wetteifer  =")  um  die  Interpretation  derselben.  Was  aber  in  den 
letzten  sechzig  Jahren  für  die  einzelnen  Gebiete  der  indischen 
Litteratur  geleistet  worden  ist,  wird  zum  grofsen  Teil  in  den 
einzelnen  Kapiteln  dieser  Litteraturgeschichte  zu  erwähnen  sein. 
Hier  seien  nur  noch  die  Hauptetappen  auf  dem  W^ege  der  Indo- 
logie, die  allerwichtigsten  Ereignisse  in  der  Geschichte  derselben 
kurz  gestreift 

Da  ist  vor  allem  ein  Schüler  Aug.  Wilh.  von-  Schlegels, 
Christian  Lassen,  zu  nennen,  der  in  seiner  grois  angelegten 
»Indischen  Altertumskunde«,  welche  im  Jahre  1843  zu  erscheinen 
begann  und  vier  dicke  Bände  umfafste,  von  denen  der  letzte  1862 
erschien,  das  gesamte  Wissen  seiner  Zeit  über  Indien  zusammen- 
zufassen   suchte.     Dafs  dieses  Werk   heute   bereits  veraltei  ist, 

')  Eine  zweite,  verbesserte  Ausgabe  erschien  1890—1892. 

»)  Schon  1823  hatte  A.  W.  v,  Schlegel  sehr  hübsch  gesagt: 
»Sollten  die  Engländer  etwan  auf  ein  Monopol  mit  der  Indischen 
Litteratur  Anspruch  machen?  Das  wäre  zu  spät.  Der  Zimmet  und 
die  Gewürznelken  mögen  ihnen  bleiben;  diese  geistigen  Schätze  sind 
ein  Gemeingut  der  gebildeten  Welt.«  (Ind.  Bibl.  .1,  15.) 


-    21     - 

ist  nicht  die  Schuld  seines  Verfassers^  sondern  nur  ein  glänzender 
Beweis  für  die  ungeheuren  Fortschritte,  welche  unsere  Wissenschaft 
in  der  zweiten  Hälfte  des  neunzehnten  Jahrhunderts  gemacht  hat. 

Der  mächtigste  Hebel  aber  für  diese  Fortschritte  imd 
vielleicht  das  Hauptereignis  in  der  Geschichte  der  Sanskrit- 
forschung war  das  Erscheinen  des  von  Otto  Böhlüngk  und 
Rudolph  Roth  bearbeiteten  »Sanskrit- Wörterbuchs  ,  heraus- 
gegeben von  der  Akademie  der  Wissenschaften  in  St.  Petersburg. 
Der  erste  Teil  desselben  erschien  im  Jahre  1852,  und  im  Jahre 
1875  lag  das  Werk  —  ein  glänzendes  Denkmal  deutschen 
Fleifses  —  in  sieben  Foliobänden  vollendet  vor. 

Und  in  demselben  Jahre  1852,  wo  das  grofse  »Petersburger 
Wörterbuch«  zu  erscheinen  begann,  machte  Albrecht  Weber 
zum  erstenmal  den  Versuch,  eine  vollständige  Geschichte  der 
indischen  Litteratur  zu  schreiben.  Das  Werk  erschien  unter  dem 
Titel  .»Akademische  Vorlesungen  über  indische  Litteratur- 
geschichte«  —  eine  zweite  Auflage  erschien  1876  — ,  und  es 
bezeichnet  nicht  nur  einen  Markstein  in  der  Geschichte  der 
Indologie,  sondern  es  ist  auch  heute  noch  -  ungeachtet  seiner 
stilistischen  Mängel,  die  es  für  den  Laien  unverdaulich  machen  — 
das  zuverlässigste  und  vollständigste  Handbuch  der  indischen 
Litteratur,  das  wir  besitzen. 

Wenn  man  aber  eme  Vorstellung  gewinnen  will  von  den 
geradezu  erstaunlichen  Fortschritten,  welche  die  Erforschung  der 
indischen  Litteratur  in  der  v^erhältnismäfsig  kurzen  Zeit  ihres 
Bestandes  gemacht  hat,  so  lese  man  den  im  Jahre  1819  von 
Aug.  WMlh.  von  Schlegel  geschriebenen  Aufsatz  »Ueber  den 
gegenwärtigen  Zustand  der  Indischen  Philologie« ,  in  welchem 
wenig  mehr  als  ein  Dutzend  Sanskrit  werke  als  durch  Ausgaben 
oder  Übersetzungen  bekannt  aufgezählt  werden.  Man  werfe  dann 
einen  Blick  in  das  im  Jahre  1830  in  St.  Petersburg  erschienene 
Buch  von  Friedrich  Adelung:  »Versuch  einer  Literatur  der 
Sanskrit-Sprache-^*),  in  welchem  bereits  die  Titel  von  über 
350  Sanskritwerken  angeführt  werden.  Maa  vergleiche  damit 
Webers  /; Indische  Literaturgeschichte»,  welche  im  Jahre  1852 
(nach  einer  ungefähren  Schätzung)  nahe  an  500  Werke  der 
indischen  Litteratur  bespricht.     Und  dann  sehe  man  sich  den  in 


^)  Es  Jst  dies  mehr  eine  Bibliogrraphie  als  eine  Litteratargeschichte. 


—     22    — 

den  Jahren  1891,  1896  und  1903  von  Theodor  Aufrecht 
herausgegebenen  >;Catalogus  Catalogorum«  an,  welcher 
ein  alphabetisches  Verzeichnis  aller  Sanskritwerke  und  Autoren 
auf  Grund  der  Durchforschung  sämtlicher  vorhandener  Hand- 
schriftenverzeichnisse enthalt.  In  diesem  monumentalen  Werke, 
an  welchem  Aufrecht  über  vierzig  Jahre  gearbeitet  hat,  sind  die 
Kataloge  der  Sanskrithandschriften  von  allen  gröfseren  Biblio- 
theken in  Indien  und  Europa  verarbeitet,  und  die  Zahl  der  vor- 
handenen Sanskritwerke  beläuft  sich  nach  diesem  ^Catalogus 
Catalogorum«  auf  viele  Tausende.  Und  dabei  schliefst  dieser 
Katalog  die  ganze  buddhistische  Litteratur  und  alle  nicht  im 
Sanskrit,  sondern  in  anderen'  indischen  Sprachen  abgefalsten 
Litteraturwerke  nicht  ein. 

Die  Erforschung  der  buddhistischen  Litteratur  ist  durch  die 
im  Jahre  1882  von  T.  W.  Rhys  Davids  begründete  »Päli 
Text  Society«  mächtig?  gefördert  worden.  Und  Albrecht 
Weber  hat  mit  seiner  grofsen  Abhandlung  »Ueber  die  heiligen 
Schriften  der  Jaina«'=)  (1883  und  1885)  noch  einen  neuen  grofsen 
Litteraturzweig ,  das  Schrifttum  der  dem  Buddhismus  an  Alter 
nicht  nachstehenden  Sekte  der  Jainas,  für  die  Wissenschaft 
erschlossen. 

So  rehr  ist  aber  die  nach  und  nach  bekannt  gewordene 
indische  Litteratur  angewachsen,  dafs  es  heutzutage  kaum  mehr 
möglich  ist,  dafs  ein  Gelehrter  alle  Gebiete  derselben  beherrscht, 
und  dafs  sich  schon  vor  einigen  Jahren -die  Notwendigkeit  heraus- 
gestellt hat,  in  einem  zusammenfassenden  Werk  einen  Gesamt- 
überblick über  alles  zu  geben,  was  in  den  einzelnen  Zweigen  der 
Indologie  bisher  geleistet  worden  ist.  Der  Plan  zu  diesem  Werke, 
welches  unter  dem  Titel  »Grundrifs  der  indo-arischen 
Philologie  und  Altertumskunde«  seit  dem  Jahre  1897») 
erscheint,  wurde  von  Georg  Bühler,  dem  bedeutendsten  und 
vielseitigsten  Sanskritforscher  der  letzten  Jahrzehnte,  entworfen. 
Dreifsig  Gelehrte  aus  Deutschland,  Österreich,  England,  Holland, 
Indien  und  Amerika  haben  sich  unter  Bühlers  Leitung  —  und 
nach  dessen  allzu  frühem  Tode  unter  der  von  Franz  Kiel  hörn  — 
zusammen  getan ,   um   die   einzelnen  Teile   dieses  Werkes   zu  be- 


•)  Indische  Studien,  Bd.  16  u.  17. 
*)  Bei  Karl  J.  Trübner  in  Strafsburj 


—    23    - 

arbeiten.  Das  Erscheinen  dieses  »Grundrisses«  ist  zugleich  das 
jüngste  und  erfreulichste  Hauptereignis  in  der  Entwicklungs- 
geschichte der  Indologie.  Wenn  wir  das  Wissen  über  Indien 
und  dessen  Litteratur,  welches  in  den  fünfzehn  Heften  dieses 
»Grundrisses« ,  welche  bis  jetzt  erschienen  sind  und  noch  nicht 
einmal  die  Hälfte  des  Ganzen  ausmachen,  niedergelegt  sind,  etwa 
mit  dem  vergleichen,  was  nvir  wenige  Jahrzehnte  vorher  Lassen 
in  seiner  »Indischen  Altertumskunde«  über  Indien  zu  sagen  im- 
stande war,  so  können  wir  mit  berechtigtem  Stolz  auf  die  Fort- 
schritte blicken,  welche  die  Wissenschaft  in  einem  verhältnismäfsig 
kurzen  Zeitraum  gemacht  hat. 


Die  Chronologie  der  indischen  Litteratur. 

So  viel  aber  auch  in  bezug  auf  die  Erschliefsung 
der  indischen  Litteratur  geleistet  worden  ist,  so  ist  doch 
die  eigentliche  Geschichte  derselben  noch  vielfach  dunkel 
und  unerforscht.  Vor  allem  ist  die  Chronologie  der 
indischen  Litteraturgeschichte  in  ein  geradezu  beängstigendes 
Dunkel  gehüllt,  und  es  bleiben  der  Forschung  hier  noch  die 
meisten  Rätsel  zu  lösen.  Es  wäre  ja  so  schön,  so  bequem  und 
namentlich  für  ein  Handbuch  so  erwünscht,  wenn  man  die  indische 
Litteratur  in  drei  oder  vier  grofse,  durch  bestimmte  Jahreszahlen 
abgegrenzte  Perioden  einteilen  und  die  verschiedenen  litterarischen 
Erzeugnisse  in  der  einen  oder  der  anderen  dieser  Perioden  unter- 
bringen könnte.  Aber  jeder  derartige  Versuch  müfste  bei  dem 
gegenwärtigen  Stande  der  Wissenschaft  scheitern,  und  die  An- 
führung von  hypothetischen  Jahreszahlen  wäre  nur  ein  Blendwerk, 
welches  mehr  schaden  als  nützen  würde.  Es  ist  viel  besser,  sich 
über  die  Tatsache  klar  zu  sein,  dafs  wir  für  den  ältesten  Zeit- 
raum der  indischen  Litteraturgeschichte  gar  keine  und  für  die 
späteren  Perioden  nur  wenig  sichere  Zeitangaben  machen  können. 
Vor  Jahren  hat  der  berühmte  amerikanische  Sanskritforscher 
W.  D.  Whitney  den  seither  oft  wiederholten  Satz  ausgesprochen : 
»Alle  in  der  indischen  Litteraturgeschichte  gegebenen  Daten  sind 
gleichsam  wieder  zum  Umwerfen  aufgesetzte  Kegel.«  Und  zum 
grofsen  Teil  ist  dies  noch  heute  der  Fall.  Noch  heute  gehen 
die  Ansichten  der  bedeutendsten  P'orscher  in  bezug  auf  das  Alter 


—     24     - 

der  wichtigsten  indischen  Litteraturwerke  nicht  etwa  um  jähre 
und  Jahrzehnte,  sondern  gleich  um  Jahrhunderte  —  wenn  nicht 
gar  um  ein  bis  zwei  Jahrtausende  —  auseinander.  Was  sich  mit 
einiger  Sicherheit  feststellen  läfst,  ist  meist  nur  eine  Art  relativer 
Chronologie.  Wir  können  oft  sagen :  dieses  oder  jenes  Werk,  diese 
oder  jene  Litteraturgattung  ist  älter  als  irgendeine  andere ;  allein, 
über  das  wirkliche  Alter  derselben  lassen  sich  blofs  Vermutungen 
aufstellen.  Das  sicherste  Unterscheidungsmerkmal  für  diese  relative 
Chrojioiogie  iist  immer  noch  die  Sprache.  Weniger  zuverlässig 
sind  schon  stilistische  Eigentümlichkeiten;  denn  es  ist  in  Indien 
oft  vorgekommen,  dafs  jüngere  Werke  den  Stil  einer  älteren 
Litteraturgattung  nachgeahmt  haben,  um  sich  den  Anschein  von 
Alter türalichkeit  zu  geben.  Gar  oft  wird  aber  auch  die  relative 
Chronologie  dadurch  zuschanden,  dafs  viele  Werke  der  indischen 
Litteratur  —  und  gerade  diejenigen,  welche  die  volkstümlichsten 
waren  und  darum  auch  für  uns  am  wichtigsten  sind  —  mannig- 
fache Überarbeitungen  erfahren  haben  und  in  verschiedenen 
Umgestaltungen  auf  uns  gekommen  sind.  Finden  wir  z.  B.  in 
einem  halbwegs  datierbaren  Werke  das  Rämäyana  oder  das 
Mahäbhärata  zitiert,  so  erhebt  sich  immer  erst  die  Frjige,  ob 
sich  dieses  Zitat  auf  die  Epen  bezieht,  wie  sie  uns  vorliegen, 
oder  auf  ältere  Gestalten  derselben.  Noch  gröfser  wird  aber  die 
Unsicherheit  dadurch,  dals  uns  für  die  grofse  Mehrzahl  von 
Werken  der  älteren  Litteratur  die  Namen  der  Verfasser  so  gut 
wie  unbekannt  sind.  Sie  werden  uns  als  die  Werke  von  Familien, 
von  Schulen  oder  Mönchsgemeinden  überliefert,  oder  aber  es  wird 
ein  sagenhafter  Seher  der  Vorzeit  als  Verfasser  genannt.  Und 
wenn  wir  endlich  zu  einer  Zeit  kommen,  wo  wir  es  mit  Werken 
ganz  besitimmter  individueller  Schriftsteller  zu  tun  haben,  da 
werden  dieselben  in  der  Regel  nur  mit  ihren  Familiennamen 
angeführt,  mit  denen  der  Litterarhistoriker  Indiens  ebensowenig 
anzufangen  weifs  wie  etwa  ein  deutscher  Litterarhistoriker  mit 
den  Namen  Meier,  Schultze  oder  Müller,  wenn  dieselben  ohne 
Vornamen  gegeben  werden.  Erscheint  z.  B.  ein  Werk  unter 
.  dem  Namen  des  Kälidäsa,  oder  wird  der  Name  Kälidäsa  irgendwo 
erwähnt,  so  ist  es  noch  keineswegs  sicher,  dafs  der  grofse 
Dichter  dieses  Namens  gemeint  ist,  —  es  kfinn  ebensogut  ein 
anderer  Kälidjisa  sein. 

In   diesem  Meer   von  Unsicherheit   gibt   es   nur  einige  feste 


—    25    - 

Punkte,  die  ich  hier    am  den  Leser  nicht  allzusehr  zu  erschrecken, 
anführen  möchte. 

Da  ist  vor  allem  das  Zeugnis  der  Sprache,  weiches  beweist, 
dafs  die  Lieder  und  Gesänge,  Gebete  und  Zauberformeln  des 
Veda  unstreitig  das  Älteste  sind,  was  wir  von  indischer  Litteratur 
besitzeh.  Sicher  ist  ferner,  dafs  um  500  vor  Christo  der  Buddhis- 
mus in  Indien  erstanden  ist^),  und  dafs  derselbe  die  ganze 
vedische  Litteratur  ihren  Hauptwerken  nach  als  im  wesentlichen 
abgeschlossen  voraussetzt ,  so  dafs  man  behaupten  kann :  Die 
vedische  Litteratur  ist,  abgesehen  von  ihren  letzten  Ausläufern, 
im  grofsen  und  ganzen  vorbuddhistisch,  d.  h.  sie  war  vor 
500  V,  Chr.  abgeschlossen.  Auch  ist  die  Chronologie  der 
buddhistischen  und  der  jainistischen  Litteratur  glück- 
licherweise nicht  gar  so  unsicher  wie  die  der  brahmanischen. 
Die  Überlieferungen  der  Buddhisten  und  der  Jainas  in  bezug  auf 
die  Entstehung  beziehungsweise  Sammlung  ihrer  kanonischen 
Werke  haben  sich  als  ziemlich  zuverlässig  erwiesen.  Und  In- 
schriften auf  den  uns  erhaltenen  Ruinen  von  Tempeln  und 
Thopen  dievSer  religiösen  Sekten  geben  uns  dankenswerte  Hin- 
weise auf  die  Geschichte  ihrer  Litteratur. 

Die  sichersten  Daten  der  indischen  Geschichte  sind  aber  jene, 
welche  wir  nicht  von  den  Indern  selbst  haben.  So  ist  der  Einfall 
Alexanders  des  Grofsen  in  Indien  im  Jahre  326  v.  Chr. 
ein  gesichertes  Datum,  welches  auch  für  die  indische  Litteratur- 
geschichte  von  Wichtigkeit  ist,  namentlich  wenn  es  sich  darum 
handelt,  zu  entscheiden,  ob  in  irgendeinem  Litteraturwerk  oder 
einer  Litteraturgattung  griechischer  Einflufs  anzunehmen  sei. 
Von  den  Griechen  wissen  wir  auch,  dafs  um  315  v.  Chr.  Can- 
dragupta,  der  Sandrakottos  der  griechischen  Schriftsteller,  die 
Empörung  gegen  die  Präfekten  Alexanders  mit  Erfolg  leitete, 
sich  des  Thrones  bemächtigte  und  der  Begründer  der  Maurya- 
dynastie  in  Pätaliputra  (dem  Palibothra  der  Griechen,  dem 
heutigen  Patna)  wurde.  Um  dieselbe  Zeit  oder  wenige  Jahre 
später  war  es,  dafs  der  Grieche  Megasthenes  von  Seleukos 
als  Gesandter  an  den  Hof  des  Candragupta  geschickt  wurde. 
Die    uns    erhaltenen   Bruchstücke    der    von    ihm    verfafsten   Be- 


')  Das  Jahr  477  v.  Chr.  gilt  mit  ziemlicher  Sicherheit  als  das 
Todesjahr  des  Buddha. 


—     26    — 

Schreibung  Indiens  (ra  'Ivdind)  geben  uns  ein  Bild  von  dem 
Stand  der  indischen  Kultur  zu  jener  Zeit  und  gestatten  uns  auch 
Schlüsse  auf  die  Datierung  mancher  indischer  Litteraturwerke. 
Ein  Enkel  des  Candragupta  ist  der  berühmte  König  A  §  o  k  a ,  der 
um  259  (oder  269)  v.  Chr.  gekrönt  wurde,  und  von  dem  die 
ältesten  datierbaren  indischen  Inschriften  herrühren,  die  bis  jetzt 
gefunden  worden  sind.  Diese  teils  auf  Felsen,  teils  auf  Säulen  ge- 
schriebenen Inschriften  sind  zugleich  die  ältesten  Zeugnisse  indischer 
Schrift,  die  wir  besitzen.  Sie  zeigen  uns  diesen  mächtigen  König  als 
einen  Gönner  und  Schützer  des  Buddhismus,  der  seine  von  dem 
äufsersten  Norden  bis  zum  äufsersten  Süden  Indiens  reichende 
Herrschaft  dazu  benutzte,  tiberall  die  Lehre  des  Buddha  zu  ver- 
breiten, und  der  in  seinen  Felsen-  imd  Säulenedikten  nicht,  wie 
es  andere  Herrscher  getan  haben,  von  seinen  Siegen  und  Ruhmes- 
taten erzählte,  sondern  das  Volk  zu  tugendhaftem  Wandel  auf- 
forderte, vor  den  Gefahren  der  Sünde  warnte,  Nächstenliebe  und 
Duldsamkeit  predigte.  Diese  einzigartigen  Edikte  des  Königs 
Agoka  sind  selbst  kostbare,  in  Stein  gehauene  Litteraturdenkmäler, 
sie  sind  aber  auch  durch  ihre  Schrift  und  ihre  Sprache  sowie  durch 
ihre  religionsgeschichtlichen  Hinweise  für  die  Litteraturgeschichte 
von  Wichtigkeit.  Im  Jahre  178  v.  Chr.  —  l37  Jahre  nach 
Candraguptas  Krönung  —  wurde  der  letzte  Sprofs  der  Maurya- 
dynastie  von  einem  König  Pusyamitra  vom  Throne  gestürzt. 
Die  Erwähnung  dieses  Pusyamitra  —  z.  B.  in  einem  Drama  des 
Kälidäsa  —  ist  ein  wichtiger  Anhaltspunkt  für  die  Zeit- 
bestimmung mancher  Werke  der  indischen  Litteratur.  Das 
gleiche  gilt  von  dem  gräko-baktrischen  König  Men ander,  der 
um  144  V.  Chr.  regierte.  Er  erscheint  unter  dem  Namen  Milinda 
in  dem  berühmten  buddhistischen  Werk  »Milindapanha«. 

Nächst  den  Griechen  sind  es  die  Chinesen,  denen  wir 
einige  der  wichtigsten  Zeitbestimmungen  für  die  indische  Litteratur- 
geschichte verdanken.  Vom  ersten  Jahrhundert  n.  Chr.  an- 
gefangen hören  wir  von  buddhistischen  Missionären,  welche  nach 
China  gehen  und  buddhistische  Werke  ins  Chinesische  übersetzen, 
von  indischen  Gesandtschaften  in  China  •■  und  von  chinesischen 
Pilgern,  welche  nach  Indien  wallfahrten,  um  die  heiligen  Stätten 
des  Buddhismus  aufzusuchen.  Werke  der  indischen  Litteratur 
werden  ins  Chinesische  übersetzt,  und  die  Chinesen  geben  uns 
die  genauen  Daten,  wann  diese  Übersetzungen  gemacht  wurden. 


—     27     - 

Drei  chinesische  Pilger  sind  es  namentlich  —  Fa-hian,  der  im 
Jahre  399  nach  Indien  ging,  Hiuen-Tsiang,  der  von  630 — 645 
grofse  Reisen  in  Indien  machte,  und  I-tsing,  der  sich  von 
671-695  in  Indien  aufhielt  — ,  deren  Reiseberichte  uns  erhalten 
sind  und  manche  lehrreiche  Aufschlüsse  über  indische  Altertümer 
und  Litteraturwerke  geben.  Die  chronologischen  Angaben  der 
Chinesen  sind  im  Gegensatz  zu  denen  der  Inder  merkwürdig- 
genau  und  zuverlässig.  Von  den  Indern  gilt  nur  zu  sehr,  was 
schon  der  arabische  Reisende  Alberuni,  der  im  Jahre  1030 
ein  für  uns  ebenfalls  sehr  wichtiges  Werk  über  Indien  schrieb,  von 
ihnen  gesagt  hat:  »Die  Inder  schenken  leider  der  historischen 
Folge  der  Dinge  nicht  viel  Aufmerksamkeit ;  sie  sind  sehr  nach- 
lässig in  der  Aufzählung  der  chronologischen  Reihenfolge  ihrer 
Könige,  und  wenn  man  sie  zu  einer  Aufklärung  drängt  und  sie 
nicht  wissen,  was  sie  sagen  sollen,  so  sind  sie  gleich  bereit, 
Märchen  zu  erzählen.  ^ 

Dennoch  darf  man  nicht  glauben,  dafs  den  Indern,  wie  so 
oft  behauptet  worden  ist,  der  historische  Sinn  ganz  und  gar 
mangelt.  Es  hat  auch  in  Indien ,  wie  wir  sehen  werden ,  eine 
Geschichtschreibung  gegeben ;  und  jedenfalls  finden  wir  in  Indien 
zahlreiche  genau  datierte  Inschriften,  —  was  doch  kaum  der  Fall 
wäre,  wenn  die  Inder  gar  keinen  Sinn  für  Geschichte  gehabt 
hätten.  Richtig  ist  nur,  dafs  die  Inder  bei  ihrer  Geschicht- 
schreibung Dichtung  und  Wahrheit  nie  streng  auseinanderzu- 
halten wufsten,  dafs  ihnen  die  Dinge  selbst  stets  wichtiger 
waren  als  die  chronologische  Folge  derselben,  und  dafs  sie 
namentlich  in  litterarischen  Dingen  auf  das  Früher  oder  Später 
gar  kein  Gewicht  legten.  Was  immer  dem  Inder  gut,  wahr  und 
richtig  scheint,  das  rückt  er  in  ein  möglichst  hohes  Alter  hinauf ; 
und  wenn  er  irgendeiner  Lehre  eine  besondere  Weihe  geben 
will,  oder  wenn  er  wünscht,  dafs  sein  Werk  möglichst  verbreitet 
werde  und  zu  Ansehen  gelange,  so  hüllt  er  seinen  Namen  in  ein 
bescheidenes  Inkognito  und  gibt  irgendeinen  uralten  Weisen  als 
Verfasser  des  Werkes  an.  Das  geschieht  noch  heutigen  Tages, 
und  das  war  schon  in  verflossenen  Jahrhunderten  nicht  anders. 
Daher  kommt  es  auch,  dafs  so  viele  ganz  moderne  Werke  unter 
den  ciltehrwürdigen  Namen  von  »Upanisads«  oder  »Puränas« 
gehen,  —  neuer,  saurer  Wein  in  alte  Schläuche  gegossen.  Die 
Absicht  eines  Betruges  ist  aber  dabei  in  der  Regel  ausgeschlossen. 


—     28     - 

Es  herrscht  nur  die  äufserste  Gleichgültigkeit  in  bczug  auf 
litterarisches  Eigentumsrecht  und  die  Geltendmachung  desselben. 
Erst  in  den  späteren  Jahrhunderten  kommt  es  vor,  dafs  Autoren 
ihren  Namen  mit  greiser  Umständlichkeit  unter  Anführung  ihrer 
Eltern,  Grofseltern,  Lehrer  und  Patrone  angeben  und  einige 
dürftige  biographische  Angaben  über  sich  selbst  macheni  Die 
Verfasser  astronomischer  Werke  pflegen  dann  wohl  auch  das 
genaue  Datum  des  Tages,  an  welchem  sie  ihr  Werk  vollendet, 
anzugeben.  Vom  fünften  Jahrhundert  n.  Chr.  an  geben  uns 
endlich  über  die  Zeit  mancher  Schriftsteller  auch  schon  die  In- 
schriften Aufschlufs.  Und  die  Inschriften,  mit  deren  Ent- 
zifferung in  den  letzten  zwanzig  Jahren  grofse  Fortschritte  ge- 
macht worden  sind')  —  ein  »Corpus  Inscriptionum  Indicarum«  und 
die  Zeitschrift  «Epigraphia  Indica«  legen  davon  Zeugnis  ab  — , 
sind  es,  denen  wir  nicht  nur  bisher  die  sichersten  Daten  der 
indischen  Litte  rat  Urgeschichte  verdanken,  sondern  von  denen  auch 
noch  die  meisten  Aufschlüsse  über  die  bis  jetzt  ungelösten 
chronologischen  Rätsel  derselben  zu  erhoffen  sind. 


Die  Schrift  und  die  Überlieferung  der  indischen  Utieratur. 

Die  Inschriften  sind  auch  deshalb  für  uns  von  so  grol'ser 
Bedeutung,  weil  sie  uns  über  die  für  die  Litteraturgescbichte 
immerhin  nicht  unwichtige  Frage  nach  dem  Alter  der  Schrift  in 
Indien  Aufschlufs  geben.  Die  Geschichte  der  indischen  Litteratur 
beginnt  zwar,  wie  wir  gleich  sehen  w^erden,  keineswegs  mit  ge- 
schriebener Litteratur,  und  in  die  ältesten  Perioden  der  indischen 
Litteraturgeschichte  gehören  nicht  eigentliche  Schriftwerke, 
sondern  nur  mündlich  überlieferte  Texte.  Dennoch  ist  es  klar,  dafs 
die  Frage,  seit  wann  litterarische  Erzeugnisse  niedergeschrieben 
und  schriftlich  überliefert  wurden,  für  die  Geschichte  der  Litteratur 
durchaus  nicht  gleichgültig  sein  kann.  Die  ältesten  datierbaren 
indischen  Inschriften  nun,  die  man  bisher  aufgefunden  hat,  sind 
die  bereits  erwähnten  Edikte  des  Königs  Agoka  aus  dem  dritten 
vorchristlichen  Jahrhundert.  Es  wäre  aber  ganz  falsch,  wenn  man 
daraus  —  wie  dies  noch  ?vlax  Müller  getan  hat  —  den  Schlufs  ziehen 

')  Um  die  Inschriftenforschung  haben  sich  G.  Bühler,  F.  Kielhora, 
E.  Hultzsch  und  J.  F.  Fleet  die  grölsteji  Verdienste  erworben. 


—     29     — 

.  wollte,  dals  der  Gebrauch  der  Schrift  in  Indien  nicht  in  ein  höheres 
Alter  zurückreiche.  Paläographische  Tatsachen  beweisen  unwider- 
leglich, dafs  zur  Zeit  des  A§oka  die  Schrift  unmöglich  erst  eine  neue 
Erfindung  gewesen  sein  kann,  sondern  bereits  eine  lange  Geschichte 
/linter  sich  gehabt  haben  mufs.  Die  älteste  indische  Schrift,  von 
welcher  die  in  Europa  .am  besten  bekannte  Nägarf-Schrift  und  alle 
die  zahlreichen  in  indischen.  Handschriften  verwendeten  Alphabete 
abzuleiten  sind,  wird  »Brahma-Schrift«  genannt,  weil  sie  nach 
indischer  Sage  von  dem  Schöpfer,  Gott  Brahman  selbst,  erfunden 
worden  sein  soll.  Nach  G.  Btihlers  eingehenden  Untersuchungen^) 
geht  diese  Schrift  atif  eine  semitische  Quelle  zurück,  und  zwar 
auf  die  ältesten  nordsemitischen  Schriftzeichen,  wie  sie  sich  in 
phönizischen  Inschriften  und  auf  dem  vSteine  Mesas  um  890  v.  Chr. 
finden.  Wahrscheinlich  waren  es  Kaufleute,  welche  —  vielleicht 
schon  um  800  v.  Chr.  —  die  Schrift  in  Indien  ieingeführt  haben. 
Lange  Zeit  wird  .  sie  aber  ausschliefslich  für  kaufmännische 
Zwecke,  Urkunden,  Korrespondenzen,  Rechnungen  u.  dgl.,  ver- 
wendet v/orden  sein.  Als  man  dann  anfing,  sich  in  den  könig- 
lichen 'Kanzleien  der  Schrift  auch  zur  Aufzeichnung  von  Bot- 
schaften, Erlassen,  Urkunden  u.  dergi.  zu  bedienen,  da  müssen 
die  Könige  auch  gelehrte  Grammatiker,  Brahmanen,  herangezogen 
haben,  welche  das  fremde  Alphabet  mehr  und  mehr  den  Bedürf- 
nissen der  indischen  Phonetik  anpafsten  und  aus  den  22  semitischen 
Schriftzeichen  ein  vollständiges  Alphabet  von  44  Buchstaben  aus- 
arbeiteten, wie  es  unfe  bereits  die  ältesten  Inschriften  zeigen.  Seit 
wann  aber  die  Schrift  in  Indien  auch  zur  Aufzeichnung  von 
litterarischen  Erzeugnissen  verwendet  worden  ist,  das  ist  eine 
vielumstrittene  Frage,  die  sich  schwer  beantworten  läfst. 

Denn  sichere  Nachweise  der  Existenz  von  Handschriften 
oder  auch  nur  verbürgte  Nachrichten  über  das  Niederschreiben 
von  Texten  gibt  es  aus  alter  Zeit  nicht.  In  der  ganzen  vedischen 
Litteratur  hat  man  bis  jetzt  kein  Zeugnis  für  die  Kenntnis  der 
Schrift  nachweisen  können.  .In  dem  buddhistischen  Kanon,  welcher 
wahrscheinlich  um  400  v.  Chr.  abgeschlossen  war,  findet  sich 
noch  keine  Erwähnung  von  Frir.dschriften,  trotzdem  in  demselben 
sich   zahlreiche    Beweise   von   der   Bekanntschaft   mit   der  Kunst 


')   Tndische   Palaeogräphie'    im    »Grundriss''    I,   2   und    'On    tlie 
Origin  of  the  bidian  Brahma  Alphabet»  2nd  Ed.    Stralsburg  1898. 


—     30     — 

des  Schreibens  und  von  dem  ausgedehnten  Gebrauche  der  Schrift  zu 
jener  Zeit  finden.  Es  wird  dort  von  dem  Schreiben  als  einem  aus- 
gezeichneten Wissenszweig  gesprochen;  den  buddhistischen  Nonnen 
wird  ausdrückhch  gestattet,  sich  mit  der  Schreibekunst  zu  be- 
schäftigen ;  wir  hören  von  Mönchen,  die  durch  .schriftliche  Anpreisung 
des  rehgiösen  Selbstmords  den  Tod  anderer  veranlassen;  es  heifst, 
dafs  ein  »eingeschriebener«  Dieb  (d.  h.  ein  Dieb,  dessen  Name  im 
Palast  des  Königs  aufgeschrieben  ist)  nicht  als  Mönch  in  den  Orden 
aufgenommen  werden  darf;  ein  Buchstabenspiel')  kommt  vor;  und 
es  ist  davon  die  Rede,  dafs  Eltern  ihre  Kinder  im  Schreiben  und 
Rechnen  unterrichten  lassen.  Dennoch  findet  sich  in  den  heiligen 
Büchern  des  Buddhismus  nicht  die  geringste  Andeutung  davon, 
dafs  man  die  Bücher  selbst  abgeschrieben  oder  gelesen  hätte. 
Es  ist  dies  um  so  auffälliger,  als  wir  in  den  heiligen  Texten  des 
Buddhismus  alle  möglichen,  noch  so  unbedeutend  scheinenden 
Züge  aus  dem  Leben  der  Mönche  erfahren.  »Vom  Morgen  bis 
zum  Abend  können  wir  die  Mönche  in  ihrem  täglichen  Leben 
verfolgen,  auf  ihren  Wanderungen  und  während  der  Rast,,  im 
Alleinsein  und  im  Verkehr  mit  andern  Mönchen  oder  mit  Laien ; 
wir  kennen  die  Ausstattung  der  von  ihnen  bewohnten  Räume, 
ihre  Gerätschaften,  den  Inhalt  ihrer  Vorratskammern;  aber 
nirgends  hören  wir.  dafs  sie  ihre  heiligen  Texte  lasen  oder  ab- 
schrieben, nirgends,  dafs  man  in  den  Mörichshäusern  solche  Dinge 
wie  Schreibutensilien  oder  Manuskripte  besafs.  Das  Gedächtnis 
der  »an  Hören  reichen«  geistlichen  Brüder  —  was  wir  heute 
belesen  nennen,  hiefs  damals  reich  an  Hören  —  vertrat  die  Stelle 
von  Klosterbibliotheken;  und  drohte  unter  einer  Gemeinde  die 
Kenntnis  eines  unentbehrlichen  Textes  —  z.  B.  des  Beicht- 
formulars, das  an  jedem  Vollmond  oder  Neumond  in  den  Ver- 
sammlungen der  Brüder  vorgetragen  werden  mufste  —  ab- 
zureifsen,  so  verfuhr  man,  wie  es  in  einer  alten  buddhistischen 
Gemeindeordnung  vorgeschrieben  wird:  >Von  jenen  Mönchen 
soll  unverzüglich  ein  Mönch  nach  der  benachbarten  Gemeinde 
abgesandt  werden.  Zu  dem  soll  man  sprechen:  Geh,  Bruder, 
und  wenn  du  die  Beichtordnung  auswendig  gelernt  hast,  die  volle 
oder  die  verkürzte,  so  kehre  zu  uns  zurück '<  ^).     Und  wo  immer 

')  Dies  besteht  in  dem  Erraten  von  Buchstaben,  die  mau  in  der 
Luft  oder  auf  dem  Rücken  eines  Spielkameraden  zeichnet. 

')  H.  Oldenberg,  Aus  Indien  und  Iran.    Berlin  1899.    S.  22  f. 


—    31     — 

von  der  Erhaltung  der  Lehren  des  Meisters  und  dem  Bestände 
der  heiHgen  Texte  die  Rede  ist,  wird  immer  nur  vom  Hören  und 
Auswendiglernen,  nirgends  vom  Schreiben  und  Lesen  gesprochen. 

Man  möchte  aus  solchen  Tatsachen  schlielsen,  dals  man 
damals  —  also  im  fünften  Jahrhundert  v.  Chr.  —  auf  die  Idee, 
dafs  man  auch  Bücher  schreiben  könne,  noch  gar  nicht  ver- 
fallen war.  Doch  wäre  ein  solcher  Schlufs  voreilig.  Denn  es 
ist  eine  merkwürdige  Erscheinung,  dafs  in  Indien  von  den  ältesten 
Zeiten  bis  auf  den  heutigen  Tag  für  die  ganze  litterarische  und 
wissenschaftliche  Tätigkeit  das  gesprochene  Wort  und  nicht  die 
Schritt  mafsgebend  war.  Noch  heute,  wo  die  Inder  seit  Jahr- 
hunderten die  Kunst  des  Schreibens  kennen ,  wo  es  unzählige 
Manuskripte  gibt  und  diesen  Manuskripten  sogar  eine  gewisse 
Heiligkeit  und  Verehrung  zukommt,  wo  die  wichtigsten  Texte 
auch  in  Indien  in  billigen  L)rucken  zugänglich  sind,  —  noch  heute 
gründet  sich  der  ganze  litterarische  und  wissenschaftliche  Ver- 
kehr in  Indien  auf  das  mündliche  Wort,  Nicht  aus  Manuskripten 
oder  Büchern  lernt  man  die  Texte,  sondern  nur  aus  dem  Munde 
des  Lehrers  —  heute  w^ie  vor  Jahrtausenden.  Der  geschriebene 
Text  kann  höchstens  als  Hilfsmittel  beim  Lernen,  als  eine  Ge- 
dächtnisstütze benutzt  werden,  aber  es  kornnst  ihm  keine  Autorität 
zu.  Autorität  besitzt  nur  das  gesprochene  Wort  des  Lehrers. 
Und  wf.nn  heute  alle  Handschriften  und  Drucke  verloren  gingen, 
so  würde  damit  die  indische  Litteratur  noch  keineswegs  vom 
Erdböden  verschwinden,  sondern  ein  grofser  Teil  derselben  könnte 
aus  dem  Gedächtnis  der  Gelehrten  und  Rezitatoren  wieder  zu- 
tage gefördert  werden.  Denn  auch  die  Werke  der  Dichter  sind 
in  Indien  nie  für  Leser,  sondern  immer  nur  für  Hörer  bestimmt 
gewesen.  Und  selbst  moderne  Dichter  wünschen  nicht  gelesen 
zu  werden,  sondern  ihr  Wunsch  ist,  dafs  ihre  Dichtungen  »ein 
Schmuck  für  die  Kehlen  der  Kenner <■'■  werden  mögen')- 

Es  ist  daher  der  Umstand ,  dafs  in  den  älteren  Litteratur- 
vverken  nirgends  von  Handschriften  die  Rede  ist,  für  das  Nicht- 
vorhandensein derselben  nicht  absolut  beweisend.  Sie  sind  viel- 
leicht nur  deshalb  nicht  erwähnt,  weil  das  Schreiben  und  Lesen 
derselben  keine  Rolle  spielte,  da  alles  Lehren  und  Lernen  münd- 
hch  vor  sich  ging.     Deshalb  wäre  es  immerhin  möglich,    dafs 

')  G.  Bühler,  Indische  Palaeographie  (»Grundriss«  I,  2).    S.  3  f. 


—     32     - 

schon  in  sehr  alter  Zeit  auch  Bücher  abgeschrieben  und  wie  jetzt 
als  Hilfsmittel  beim  Unterricht  verwendet  wurden.  Das  ist  die 
Ansicht  mancher  Forscher.  Doch  scheint  es  mir  bemerkenswert, 
dafs  in  der  späteren  Litteratur  —  in  jüngeren  Puränas,  in 
buddhistischen  Mahäyänatexten  und  in  modernen  Zusätzen  zum 
alten  Epos  —  häufig  das  Abschreiben  von  Büchern  und  das 
Verschenken  derselben  als  religiöses  V^erdienst  gepriesen  wird, 
während  in  der  ganzen  älteren  Litteratur  davon  keine  Spur  zu 
finden  ist.  Bezeichnend  ist  es  auch,  dafs  die  alten  Werke  über 
Phonetik  und  Grammatik,  selbst  noch  das  Mahäbhäs5^a  des 
Patanjali  im  zweiten  Jahrhundert  v.  Chr.,  keinerlei  Rücksicht 
auf  die  Schrift  nehmen,  dafs  sie  immer  nur  von  gesprochenen 
Lauten  und  nie  von  geschriebenen  Buchstaben  handeln,  und  dafs 
die  ganze  grammatische  Terminologie  stets  nur  das  gesprochene 
Wort  und  nie  geschriebene  Texte  im  Auge  hat.  Es  ist  nach  all 
dem  doch  wahrscheinlich,  dafs  es  in  alter  Zeit  keine  ge- 
schriebenen Bücher  in  Indien  gegeben  hat. 

Für  diese  merkwürdige  Erscheinung,  dafs  man  die  Schrift 
jahrhundertelang  kannte,  ohne  sich  derselben  für  litterarische 
Zwecke  zu  bedienen,  lassen  sich  verschiedene  Gründe  denken. 
Zunächst  hat  es  wohl  an  geeignetem  Schreibmaterial  gefehlt. 
Das  hätte  sich  aber  gefunden,  wenn  ein  starkes  Bedürfnis  danach 
vorhanden  gewiesen  wäre.  Ein  solches  Bedürfnis  war  aber  nicht 
nur  nicht  vorhanden,  sondern  es  lag  im  Interesse  der  Priester, 
welche  die  Träger  der  ältesten  Litteratur  waren,  dafs  die  heiligen 
Texte,  welche  sie  in  ihren  Schulen  lehrten,  nicht  aufgezeichnet 
wurden.  Sie  behielten  dadurch  ein  sehr  einträgliches  Monopol 
fest  in  Ihren  Händen.  Wer  etwas  lernen  wollte,  mufste  zu  ihnen 
kommen  und  sie  reichlich  belohnen ;  und  sie  hatten  es  in  der 
Hand,  jenen  Kreisen,  die  sie  vom  heiligen  Wissen  ausschliefsen 
wollten,  ihre  Texte  vorzuenthalten.  Wie  wichtig  ihnen  das 
letztere  war,  das  lehren  uns  die  brahmanischen  Gesetzbücher, 
die  wiederholt  das  Gesetz  einschärfen,  dafs  die  Angehörigen  der 
niedrigsten  Kasten  (die  Siidras  und  Candälas)  die  heiligen  Texte 
nicht  lernen  dürfen:  denn  unrein  wie  ein  Leichnam,  wie  eine 
Leichenstätte  sei  der  Südra,  darum  dürfe  in  seiner  Nähe  der 
Veda  nicht  rezitiert  werden.  Und  in  dem  alten  Gesetzbuch  des 
Gautama  heifst  es'):  »Wenn  ein  Sndra  den  Veda  anhört,  sollen 

')  XII,  4-6. 


—     33     — 

ihm-  die  Ohren  mit  geschmolzenem  Zinn  Öder  Lack  verstopft, 
wenn  er  die  heiligen  Texte  aufsagt,  soll  ihm  die  Zunge  aus- 
geschnitten, wenn  er  sie  irn  Gedächtnis  behält,  soll  sein  Körper 
entzweigehauen  werden.«  Wie  hätten  sie  da  ihre  Texte  nieder- 
schreiben und  sich  so  der  Gefahr  aussetzen  sollen,  dafs  sie  von 
Unberufenen  gelesen  würden  ?  Und  überhaupt  war  ja  die  Über- 
lieferung der  Texte  durch  den  Mund  des  Lehrers  eine  alt- 
bewährte Methode  für  die  Erhaltung  derselben,  —  wamm  sollte 
man  diese  neumodische  Erfindung,  die  Schrift,  an  ihre  Stelle 
setzen  ?  Und  der  Hauptgrund  davon '),  dafs  die  Schrift  so  lange 
nicht  für  litterarische  Zwecke  verwendet  wurde,  ist  doch  wohl 
darin  zu  sehen,  dafs  die  Inder  mit  der  Schreibekunst  erst  zu  einer 
Zeit  bekannt  wurden,  als  sie  schon  längst  eine  reiche,  nur  auf 
mündlichem  Wege  fortgepflanzte  Litteratur  besafsen. 

Sicher  ist,  dafs  die  ganze  älteste  Litteratur  der  Inder,  so- 
wohl die  brahmanische  als  die  buddhistische,  ohne  die  Schreibe- 
kunst entstanden  und  jahrhundertelang  ohne  dieselbe  fort- 
überliefert worden  ist.  Wer  einen  Text  kennen  lernen  wollte, 
der  mufste  zu  einem  Lehrer  gehen ,  um  ihn  von  ihm  zu  hören. 
Darum  lesen  wir  oft  und  oft  in  der  älteren  Litteratur,  dafs  ein 
Krieger  oder  Brahmane,  der  irgendein  Wissen  erwerben  will, 
zu  einem  berühmten  Lehrer  wandert  und  unsägliche  Mühen  und 
Opfer  auf  sich  nimmt,  um  der  Lehre  teilhaftig  zu  werden,  die 
auf  keine  andere  Weise  zu  erwerben  ist.  Darum  gebührt  dem 
Lehrer  als  dem  Träger  und  Bewahrer  des  heiligen  Wissens  nach 
altindischem  Recht  die  höchste  V^erehrung  —  er  wird  als  der 
geistige  Vater  dem  leiblichen  Erzeuger  bald  gleich-,  bald  über- 
gestellt, er  gilt  als  ein  Abbild  des  Gottes  Brahman,  und  wer 
dem  Lehrer  treu  ergeben  dient,  dem  ist  Brahmans  Himmel  sicher. 
Darum  ist  auch  die  Einführung  des  Schülers  beim  Lehrer,  der 
ihn  die  heiligen  Texte  lehren  soll,  eine  der  heiligsten  Zeremonien, 
der  sich  kein  arischer  Inder  entziehen  durfte,  wenn  er  nicht  der 
Kaste  verlustig  gehen  wollte.  Ein  Buch  existierte  nur  dann  und 
nur  so  lange,  als  es  Lehrer  und  Schüler  gab,  die  dasselbe  lehrten 
und  lernten.  Was  wir  verschiedene  Litteraturzweige,  verschiedene 
theologische  und  philosophische  Systeme,  verschiedene  Redaktionen 


')  Vgl.  besonders  T.  W-  Khys  Davids,  Buddhist  India.    London 
1903.    S    112  f. 

Wjnternitz,   Geschichte  der  indischen  Litteratur.  3 


-     34    — 

oder  Rezensionen  eines  Werkes  nennen,  das  waren  im  alten 
Indien  in  "Wirklichkeit  verschiedene  Schulen,  in  denen  be- 
stimmte Texte  von  Geschlecht  zu  Geschlecht  fortgelchrt,  gehört 
und  gelernt  wurden.  Nur  wenn  wir  dies  im  Auge  behalten, 
können  wir  die  ganze  Entwicklung  der  ältesten  indischen  Littera- 
tur  verstehen. 

Auch  das  mufs  stets  berücksichtigt  werden,  dals  die  Art  der 
Überlieferung  bei  den  religiösen  Texten  eine  andere  war  als  bei 
den  profanen.  Die  religiösen  Texte  galten  als  heilig,  und  die 
Genauigkeit  des  Lernens  war  bei  denselben  ein  strenges  Er- 
fordernis der  Religion.  Wort  für  Wort,  mit  sorgfältiger  Ver- 
meidung jedes  Fehlers  in  der  Aussprache,  m  der  Betonung,  in 
der  Rezitationsweise  mufste  der  Schüler  sie  dem  Lehrer  nach- 
sagen und  seinem  Gedächtnis  einprägen.  Und  es  kann  kein 
Zweifei  sein,  dafs  diese  Art  der  mündlichen  Überlieferung  eine 
gröfsere  Gewähr  für  die  I^ihaltung  des  ursprünglichen  Textes 
gibt  als  das  Abschreiben  und  Wiederabschreiben  von  Hand- 
schriften. Ja,  wir  haben  —  wie  wir  später  sehen  werden  — 
direkte  Beweise,  dafs  z.  R.  der  Text  der  Lieder  des  Rigveda, 
so,  v^ie  wir  ihn  heute  in  unseren  gedruckten  Ausgaben  lesen, 
Wort  für  Wort,  Silbe  für  Silbe,  Akzent  für  Akzent  seit  dem 
fünften  Jahrhundert  v.  Chr.  fast  unverändert  geblieben  ist. 
Anders  war  es  freilich  bei  öcn  profanen  Werken,  namentlich  bei 
den  epischen  (Jedichten.  Da  waren  die  Texte  allerdings  zahl- 
reichen Entstellungen  ausgesetzt,  da  hielt  sich  jeder  Lehrer,  jeder 
Rezitator  für  berechtigt,  nach  Belieben  zu  ändern  und  zu  ver- 
bessern, auszulassen  und  hinzuzufügen,  —  unü  die  Kritik  steht 
hier  vor  einer  .schwierigen,  oft  unlösbaren  Aufgabe,  wenn  sie 
.solche  Texte  in  ihrer  ältesten  unc\  tirspri.;n:i:;lichsten  Fi  rm  her- 
stellen will. 

Und  doch  ist  die  mündliche  Überlieferung,  wo  es  noch 
möglich  ist,  auf  sie  zurückzugreifen  —  und  dies  ist  bei  den 
ältesten  Vedatexten  mit  Hilfe  der  alten  phonetischen  Lehrbücher 
(Prätif^akhya.s)  und  .sonst  oft  mit  }Iilfe  dtr  Kommentare  der 
1^'all  — ,  das  wertvollste  Hilfsmittel  zur  Herstellung  un.serer  Texte. 
Denn  die  Handschriften ,  aus  denen  wir  die  meisten  unserer 
Texte  gewinnen,  reichen  nur  sehr  selten  in  ein  hohes  Alter 
hinauf.  Das  älteste  Schreibmaterial,  auf  dem  die  Inder  ge- 
schrieben haben,  .sind  Palmblätter,   —  und  es  ist  bezeichnend  für 


—    35    - 

den  konservativen  Sinn  der  Inder,  dafs  iioch  heute,  trotz  der 
Bekanntschaft  mit  dem  so  viel  bequemeren  i^apier  und  trotz  dem 
allgemeinen  Gebrauche  des  Druckes,  Manuski  ipte  auf  Palmblättern 
geschrieben  werden  —  und  Streifen  von  Birkenrinde.  Beide 
Materialien  sind  sehr  gebrechlich  und  bei  dem  indischen  Klima 
rasch  vergänglich.  So  kommt  es,  dafs  die  grofse  Mehrzahl  der 
Manuskripte,  die  wir  besitzen,  und  nach  denen  so  ziemlich  alle 
unsere  Textausgaben,  gemacht  sind,  nur  aus  den  letzten  Jahr- 
hunderten stammt.  Handschriften  aus  dem  vierzehnten  Jahrhundort 
gehören  bereits  zu  den  gröfsteii  Seltenheiten.  Bühler  hat  in  Indien 
einige  Manuskripte  entdeckt,  die  bis  zum  zwölften  Jahrhundert 
zurückreichen.  Die  ältesten  indischen  J-Iandschriften  hat  man 
aber  in  Nepal,  Japan  und  Ostturkestan  gefunden.  Die  in  Nepal 
gefundenen  Manuskripte  gehen  bis  ins  zehnte  Jahrhundert  zurück, 
und  in  Japan  hat  man  Handschriften  auf  Palmblättern  entdeckt, 
die  aus  der  ersten  Hälfte  des  sechsten  Jahrhunderts  stammen. 
Seit  dem  Jahre  1889  hat  man  in  Kashgar  und  Umgegend 
Handschriftenfunde  gemacht,  die  uns  bis  ins  fünfte  Jahrhundert 
zurückführen;  und  M.  A.  Stein  hat  im  Jahre  1900  in  der  Nähe 
von  Khotan  in  der  Taklamakän-Wüste  über  500  beschriebene 
Holztäfelchcn  aus  dem  Wüstensand  herausgegraben,  welche 
bis  ins  vierte  Jahrhundert  zurückreichen  und  vielleicht  noch 
älter  sind.  Merkwürdigerweise  aber  hat  sich  gerade  in  diesen 
ältesten  Manuskripten  bis  jetzt  wenigstens  kein  einziger  wichtiger 
alter  Text  gefunden,  der  nicht  sonst  schon  bekannt  wäre;  und 
diese  paläographisch  so  kostbaren  Funde  haben  unsere  Kenntnis 
der  indischen  IJtteratur  bisher  nicht  erweitert. 

Holz  als  Schreibmaterial  wird  übrigens  schon  in  den 
buddhistischen  Schriften  erwähnt,  und  es  mufs  die  Verwendung 
desselben  sehr  alt  sein.  Doch  läfst  sich  auch  der  Gebrauch  von 
Palmblättern  bis  ins  erste  Jahrhundert  n.  Chr.  zurückverfolgen. 
Selten  wurden  in  Indien  Baumwollenzeug,  Leder,  Metalle  und 
Steine  als  Schreibmaterialien  verwendet.  Die  Buddhisten  ge- 
denken hie  und  da  der  Aufzeichnung  von  Dokumenten,  aber 
aach  von  Versen  und  Sentenzen  auf  goldenen  Platten.  Eine 
Goldplatte  mit  einer  Votivinschrift  ist  uns  auch  erhalten.  Ur- 
kunden und  selbst  kleinere  Manuskripte  auf  silbernen  Platten  sind 
mehrfach  in  Indien  gefunden  worden.  Ungemein  häufig  aber 
wurden  Kupferplatten   zifr  Aufzeichnung  von  Dokumenten,   ins- 


—     36    — 

besondere  Schenkungsurkunden,  verwendet,  und  solche  sind  uns 
in  grofser  Anzahl  erhalten.  Und  der  chinesische  Pilger  Hiuen- 
Tsiang  berichtet,  dafs  der  78  n.  Chr.  gekrönte  König  Kaniska 
die  heiligen  Schriften  der  Buddhisten  auf  Kupfertafeln  ein- 
gravieren liefs.  Ob  dies  auf  Wahrheit  beruht,  wissen  wir  nicht; 
glaublich  aber  ist  es  gewifs.  Denn  man  hat  in  der  Tat  auch 
schon  litterarische  Werke  auf  Kupfertafeln  gefunden.  Kaum 
glaublich  würde  es  sein,  dafs  man  in  Indien  htterarische  Werke 
auch  in  Felsen  eingehauen  hat ,  wenn  nicht  vor,  einigen  Jahren 
in  Ajmir  Felst^ninschriften  gefanden  worden  wären,  welche  ganze 
dramatische  Dithtungen  —  allerdings  die  Dramen  eines  Königs 
und  seines  Hofdichters  —  enthalten. 

Die  grofse  Mehrzahl  der  indischen  Handschriften  jedoch,  auf 
denen  unsere  Texte  beruhen,  ist  auf  Papier  geschrieben.  Papier 
ist  aber  erst  durch  die  Mohammedaner  in  Indien  eingeführt 
worden,  und  die  älteste  Papierhandschrift  soll  1223/4  n.  Chr. 
geschrieben  sein. 

Trotz  der  oben  erwähnten  Vorliebe  der  Inder  für  mündliches 
Lehren  und  Lernen  begannen  sie  doch  schon  vor  vielen  Jahr- 
hunderten, Handschriften  zu  sammeln  und  in  Bibliotheken  auf- 
zubewahren. Solche  Bibliotheken  —  »Schatzhäuser  der  (röttin 
der  Rede«  nennen  sie  die  Inder  —  gab  es  imd  gibt  es  vielfach 
noch  jetzt  in  Klöstern  und  l'empein,  in  den  Palästen  der  Fürsten 
und  selbst  in  den  Privathäusern  der  Reichen.  Von  dem  Dichter 
Bäna  (um  620  n.  Chr.)  wird  uns  berichtet,  dafs  er  sich  einen 
eigenen  Vorleser  hielt;  er  mufs  also  wohl  eine  bedeutende 
Frivatbibliothek  besessen  haben.  Im  elften  Jahrhundert  hatte  > 
König  Bhoja  von  Dhär  eine  berühmte  Bibliothek.  Im  Laufe  der 
Jahrhunderte  wurden  diese  Bibliotheken  ungemein  reichhaltig. 
So  fand  Bühler  in  Khambay  in  zwei  Jaina-Bibliotheken  über 
30000  Handschriften,  und  die  Pala'stbibliothek  von  Tanjore  in 
Südindien  enthält  über  12000  Manuskripte.  Die  systematische 
Durchforschung  dieser  indischen  Bibliotheken  und  die  giündliche, 
über  ganz  Indien  sich  erstreckende  HandvSchriftensucne  begannen 
im  Jahre  1868.  Wohl  hatten  schon  früher  Colebrooke  und 
andere  Engländer  ziemlich  grofse  Sammlungen  von  Manuskripten 
nach  Europa  gebracht.  Aber  im  Jahre  1868  regte  der  verdiente 
Keltist  Whitley  Stokes,  damals  Sekretär  des  indischfen  Rats 
in  Simla ,  eine  vollständige  Katalogisierung  aller  Sanskrit-Hand- 


—     37     — 

Schriften  an,  und  seitdem  hat  die  indische  Regierung  jährlich  eine 
grofse  Summe  (24000  Rupien)  zum  Zweck  handschriftlicher 
Forschungen  (»Search  of  Sanskrit  Manuscripts«)  in  das  indische 
Jahresbudget  eingestellt.  So  ist  es  durch  die  Opferwilligkeit  der 
anglo-indischen  Regierung  und  durch  den  unermüdlichen  Fleifs 
englischer,  deutscher  und  indischer  Gelehrter  dahin  gekommen, 
dafs  wir  jetzt  so  ziemlich  eine  Übersicht  über  die  ganze  un- 
geheure Masse  der  •  indischen  Litteratur,  soweit  sie  in  Hand- 
schriften zugänglich  ist,  besitzen. 


Die  indischen  Sprachen  in  ihrem  Verhältnis  zur 
Litteratur. 

Diese  ganze  grofse  Litteratur,  die  uns  so  überliefert  ist,  ist 
gröfstenteils  im  Sanskrit  abgefalst.  Dennoch  decken  sich  die 
Begriffe  »indische  Litteratur«  und  »Sanskritlitteratur«  keineswegs. 
Die  Geschichte  der  indischen  Litteratur  im  umfassendsten  Sinne 
des  Wortes  ist  die  Geschichte  nicht  nur  einer  über  grofse  Zeit- 
läufte und  über  einen  ungeheuren  Flächenraum  sich  erstreckenden, 
sondern  auch  einer  vielsprachigen  Litteratur. 

Die  zur  indogermanischen  Sprachenfamilie  gehörigen 
Sprachen  Indiens  haben  drei  grofse,  zum  Teil  zeitlich  aufeinander- 
folgende, aber  zum  Teil  auch  parallel  nebeneinander  herlaufende 
Entwicklungsphasen  durchgemacht.  Es  sind  dies;  L  das  Alt- 
indische,  II.  die  mittelindischen  und  III.  die  neu- 
indischen  Sprachen  und  Dialekte. 

I.   Das  Altindische. 

Die  Sprache  der  ältesten  indischen  Litteraturdenkmäler,  der 
Lieder,  Gebete  und  Zauberformeln  des  Veda,  bezeichnet  man 
zuweilen  als  »Altindisch«  im  engeren  Sinne,  zuweilen 
auch  als  »Vedisch«  (unpassend  wohl  auch  als  .>vedisches 
Sanskrit«).  »Althochindisch«: ')  wäre  vielleicht  die  beste 
Bezeichnung  für  diese  Sprache,  welche  zwar  auf  einem  ge- 
sprochenen Dialekt   beruht,    aber    doch   schon  nicht   mehr  eine 


•)  >Ancient  High  Indian«  nenut  sie  Rhys  Davids,  Buddhist  ludia. 
S.  153. 


—     38    — 

eigentliche  Volkssprache ,  sondern  eine  im  Kieise  priesteriicher 
Sänger  von  Geschlecht  zu  Geschlecht  vererbte  und  absichtlich  in 
ihrer  Altertümlichkeit  erhaltene  Litteratursprache  ist.  Der  diesem 
Althochindischen  zugrundeliegende  Dialekt,  wie  er  von  den 
arischen  Einwanderern  im  nordwestlichen  Indien  gesprochen 
wurde,  war  dem  Altpersischen  und  Altbaktrischen  sehr  nahe 
verwandt  und  von  der  indo-iranischen  Grundsprache  ')  nicht  allzu 
weit  entfernt.  Ja,  der  Abstand  zwischen  der  Sprache  des  Veda 
und  dieser  indo-iranischen  Grundsprache  scheint  geringer  zu  sein, 
als  etwa  der  zwischen  den  indischen  Sprachen  Sanskrit  und  Päli. 
Vom  Sanskrit  unterscheidet  sich  das  Vedische  fast  gar  nicht  in 
seinem  Lautbestand,  sondern  nur  durch  eine  viel  gröfsere  Alter- 
tümlichkeit, insbesondere  durch  einen  reicheren  Formenschatz.  So 
besitzt  z.  B.  das  Althochindische  einen  Konjunktiv,  der  dem 
Sanskrit  fehlt ;  es  hat  ein  Dutzend  verschiedener  Infinitivendungen, 
von  denen  im  Sanskrit  eine  einzige  übriggeblieben  ist.  Die  in 
der  vedischen  Sprache  sehr  zahlreich  vertretenen  Aoriste  ver- 
schwinden im  Sanskrit  mehr  und  mehr.  Auch  die  Kasus-  und 
Personalendungen  sind  in  der  ältesten  Sprache  noch  viel  voll- 
kommener als  im  späteren  Sanskrit. 

Eine  jüngere  Phase  des  Althochindischen  erscheint  bereits 
in  den  H3^mnen  des  X.  Buches  des  Rigveda  und  in  manchen 
Teilen  des  Atharvaveda  und  der  Sammlungen  des  Vajurveda. 
Hingegen  hat  die  Sprache  der  vedischen  Prosawerke,  der  Bräh- 
manas,  Äranyakas  und  Upanisads,  nur  noch  einzelne  Altertüm- 
lichkeiten des  Althochindischen  bew^ahrt;  im  grofsen  und  ganzen 
ist  die  Sprache  dieser  Werke  bereits  das,  was  man  »Sanskrit« 
nennt,  während  die  Sprache  der  zu  den  Vedangas  gehörigen 
Sntras  nur  noch  ganz  ausnahmsweise  vedische  Formen  darbietet, 
im  wesenthchen  aber  reines  Sanskrit  ist.  Nur  die  zahlreichen, 
den  alten  vedischen  Hymnen  entnommenen  Mantras,  d.  h. 
Verse,  Gebete.  Sprüche  und  Zauberformeln,  die  wir  in  den 
vedischen  Prosawerken  und  den  Sütras  zitiert  linden,  gehören 
der  Sprache  nach  zum  Althochindischen. 

Das  Sanskrit  dieser  ältesten  Prosalitteratur  —  der  Brähmanas, 


';  Das  ist  die  aus  der  Vergleichimg  der  Sprache  des  Veda  mit 
dein  Altpersischen  der  Keilinschriften  und  dem  Altbaktrischen  des 
Avesta  zu  erschlief  sende  Grundsprache. 


—     39    - 

Aranyakas,  Upanisads  und  der  Sütras  —  ist  wenig  verschieden 
von  dem  Sanskrit,  welches  in  der  berühmten  Grammatik  des 
P  ä  n  i  n  i  (der  nach  der  Ansicht  der  meisten  Forscher  ungefähr  um 
350  V.  Chr.  anzusetzen  wäre)  gelehrt  wird.  Man  kann  es 
vielleicht  am  besten  als  »altes  Sanskrit«  bezeichnen.  Es  ist  die 
Sprache,  welche  zu  Päninis  Zeit  ujid  gewifs  auch  schon  früher  von 
den  Gebildeten,  nam.entlich  in  den  Kreisen  der  Priester  und  Ge- 
lehrten, gesprochen  .wurde.  Es  ist  das  Sanskrit,  von  welchem 
noch  Patanjali,  ein  Grammatiker  des  zweiten  vorchristlichen 
Jahrhunderts ,  sagt ,  dafs  man  es ,  um  es  richtig  zu  lernen .  von 
den  »Sistas«,  d.  h.  von  den  gelehrten  und  in  der  Litteratur  be- 
wanderten Brahmanen,  hören  müsse.  Dafs  sich  aber  der  Kreis 
der  Sanskritsprechenden  viel  weiter  —  auf  alle  .Gebildeten«  über- 
haupt —  erstreckte,  erfahren  wir  von  demselben  Patanjali,  der 
uns  eine  Anekdote  erzählt,  in  welcher  ein  Grammatiker  sich  mit 
einem  Wagenlenker  im  Sanskrit  unterhält  und  die  beiden  über 
Et3'^mologien  disputieren.  Und  wenn  in  den  indischen  Dramen 
die  Sprachen  so  verteilt  sind,  dals  der  König,  die  Brahmanen 
imd  vornehme  Leute  Sanskrit  sprechen,  während  die  Frauen  und 
alle  Leute  aus  dem  Volk  sich  der  Volkssprachen  bedienen,  nur 
mit  der  beachtenswerten  Ausnahme,  dafs  einige  gebildete  Frauen 
(Nonnen  und  Hetären)  gelegentlich  auch  Sanskrit  sprechen,  un- 
gebildete Brahmanen  hingegen  Volksdialekte  redend  eingeführt 
werden,  so  spiegelt  sich  darin  gewifs  der  Gebrauch  der  Sprachen 
im  wirklichen  Leben  —  und  nicht  nur  der  nachchristlichen  Zeit, 
aus  welcher  diese  Dramen  stammen,  sondern  auch  schon  früherer 
Jahrhunderte  —  wider.  Eine  eigentliche  Volkssprache  war  das 
Sanskrit  gewifs  nicht,  aber  es  war  eine  in  weiten  Kreisen  der 
Gebildeten  gesprochene  und  in  noch  weiteren  Kreisen  verstan- 
dene Hochsprache.  Denn  so  wie  im  Drama  Dialoge  zwischen 
Sanskritsprechenden  und  Präkritsprechenden  vorkommen,  so  muss 
auch  im  wirklichen  Leben  das  Sanskrit  von  jenen ,  die  es  selbst 
nicht  sprachen,  verstanden  worden  sein').     Auch  die  Rhapsoden, 

')  Die  sprachlichen  Verhältnisse  im  alten  Indien ,  von  denen  uns 
die  Dramen  eine  so  gute  Vorstellung  geben,  haben  sich  bis  heute  wenig 
veränd»  rl.  Noch  heute  kommt  es  vor.  dafs  in  einem  vornehmen  Hause 
mit  zahlreicher  Dienerschaft,  die  aus  verschiedenen  Gegenden  zu- 
sammengewürfelt ist,  ein  Dutzend  verschiedener  Sprachen  und  Dialekte 
gesprochen    und    allgemein    verstanden    wird.      G.    A-    Grierson 


-     40    —  • 

welche  die  volkstümlichen  Epen  in  den  Palästen  der  Könige  und 
in  den  Häusern  der  Reichen  und  \'ornehnien  zum  Vortrage 
brachten^  müssen  verstanden  worden  sein.  Und  die  Sprache  der 
Epen  ist  ebenfalls  Sanskrit.  Wir  nennen  es  »episches  Sanskrit <;!, 
und  es  unterscheidet  sich  vom  »klassischen  Sanskrit«  nur  wenig, 
teils,  indem  es  manches  Altertümliche  bewahrt  hat,  noch  mehr 
aber  dadurch,  daXs  es  sich  weniger  streng  an  die  Regeln  der 
Grammatik  hält  und  sich  mehr  der  Sprache  des  Volkes  nähert, 
so  dafs  man  es  als  eine  volkstümlichere  Form  des  Sanskrit  be- 
zeichnen kann.  Nie  aber  hätte  es  im  Sanskrit  gedichtete  Volks- 
epen gegeben '),  wenn  nicht  das  Sanskrit  einmal  eine  in  weiten 
Kreisen  verstandene  Sprache  gewesen  wäre,  —  etwa  so,  -wie 
bei  uns  heutzutage  das  Neuhochdeutsche  allgemein  verstanden 
wird,  obwohl  es  von  allen  gesprochenen  Dialekten  wesentlich 
abweicht. 

Dafs  das  Sanskrit  eine  >  Hochsprache  r  oder  » Standessprache '< 
oder  »Litteratursprache«  ist  —  wie  immer  wir  es  im  Gegensatz 
zur  eigentlichen  Volkssprache  nennen  mögen  — ,  drücken  die 
Inder  selbst  durch  den  Namen  » Sanskrit«  aus,  denn  »Sanskrit« 
—  samskrta,  so  viel  wie  i zurechtgemacht,  geordnet,  präpariert, 
vollkommen,  rein,  heilig«  —  bedeutet  die  vornehme  oder  heilige 
Sprache,  im  Gegensatz  zu  *Präkrit«  —  prakrta,so  viel  wie  »lu:- 

schildert  einen  ihm  bekannten  Fall,  wo  in  einem  Hause  in  Bengalen 
nicht  weniger  als  dreizehn  verschiedene  Sprachen  und  Dialekte  ge- 
sprochen werden.  Der  Herr  des  Hauses  spricht  mit  Europäern  in  der 
vornehmen  bengalischen  Hochsprache,  während  er  im  gewöhnlichen 
Leben  das  von  der  Litteratursprache  stark  abweichende  Bengali  der 
Umgangssprache  gebraucht.  Seine  Frau  stammt  aus  einem  hundert 
englische  Meilen  entfernten  Ort  und  spricht  den  eigentümlichen  Fraueo- 
dialekt  jener  Gegend.  Seine  Nebenfrau,  deren  gewöhnliche  Umgangs- 
sprache das  Urdu  von  Lucknow  ist,  verfällt  in  Jargon,  wenn  sie  sich 
ärgert.  Sein  Geschäftsführer  spricht  Dhäkl,  während  von  den  Dienern 
die  einen  Uriyä,  andere  Bhojpun,  Awadhi,  Maithili,  Ahiri  und  Chat 
gaiyä  sprechen.  Alle  verständigen  sich  vollkommen  untereinander, 
obwohl  jeder  nur  seinen  eigenen  Dialekt  spricht.  Dafs  einer  den  Dia- 
lekt der  von  ihm  angesprochenen  Person  gebraucht,  kommt  selten  vor 
(Indian  Antiquary  XXX.    1901.    S.  556). 

')  Dafs  die  \^olksepen  urprünglich  im  Dialekt  gedichtet  und  erst 
später  ins  Sankrit  übersetzt  worden  seien,  ist  vermuiet  worden.  Diese 
Vermutung  entbehrt  aber  jeder  tatsächlichen  Stütze,  wie  H.  Jacobi 
(ZDMG  48,  407  ff.)  dargetan  hat. 


—     41    — 

sprtinglich,  natürlich,  gewöhnlich,  gemein«  — ,  welches  die  »gemeine 
Volkssprache«  bedeutet. 

Dennoch  darf  man  vom  Sanskrit  nicht  als  einer  »toten« 
Sprache  reden.  Eher  als  einer  »gefesselten«:  Sprache,  insofern 
ihre  natürliche  Entwicklung  dadurch  gehemmt  wurde,  dafs  sie 
durch  die  Regeln  der  Grammatiker  auf  einer  gewissen  Stufe 
festgehalten  worden  ist.  Denn  durch  die  Grammatik  des  Pänini 
wurde  im  vierten  Jahrhundert  v.  Chr.  oder  schon  früher  eine  feste 
Norm  geschaffen,  welche  für  alle  künftigen  Zeiten  für  die  Sanskrit- 
sprache mafsgebend  blieb.  Was  wir  »klassisches  Sanskrit« 
nennen,  bedeutet  Päninisches  Sanskrit,  d.  h.  das  Sanskrit,  welches 
nach  den  Regeln  der  Grammatik  des  Pänini  allein  richtig  ist').  In 
den  »Fesseln«  dieser  Grammatik  lebte  aber  die  Sprache  doch 
tort.  Ist  doch  die  grofse  Masse  der  poetischen  und  wissen- 
schaftlichen Litteratur  durch  ein  Jahrtausend  hindurch  in  dieser 
Sprache,  dem  »klassischen  Sanskrit«,  geschaffen  worden.  Eine 
„tote**  Sprache  ist  aber  das  Sanskrit  auch  heute  noch  nicht.  Es 
gibt  noch  heute  mehrere  Sanskritzeitschriften  in  Indien,  und 
Tagesfragen  werden  in  Sanskritflugschriften  erörtert.  Auch  das 
Mahäbhärata  wird  noch  heute  öffentlich  vorgelesen,  was  doch 
wenigstens  ein  teilweises  Verständnis  voraussetzt.  Man  dichtet 
und  schreibt  noch  heute  im  Sanskrit,  und  es  ist  die  Sprache,  in 
welcher  sich  die  indischen  Gelehrten  noch  heute  über  wissen- 
schaftliche Fragen  unterhalten.  Sanskrit  spielt  mindestens  noch 
dieselbe  Rolle  in  Indien  wie  das  Lateinische  während  des  Mittel- 
alters in  Europa  oder  wie  das  Hebräische  bei  den  Juden  ^). 


0  Die  Inder  bezeichnen  als  »Sanskrit«  nur  diese  durch  die  indischen 
Grammatiker  fixierte  Litteratursprache.  Wenn  man,  wie  dies  oft  ge- 
schieht, von  »vedischem  Sanskrit»  spricht,  so  dehnt  man  den  Begriff 
Sanskrit  auf  das  Altindische  überhaupt  aus. 

*)  Interessante  Aufschlüsse  über  die  weite' Verbreitung  des  Sans- 
krit im  heutigen  Indien  gibt  Paul  Deussen  in  seinem  schönen 
Buche  'Erinnerungen  an  Indien«  (Kiel  1904.  S.  2  f.):  ^Nicht  nur  die 
Gelehrten  von  Fach,  wie  namentlich  die  einheimischen  Sanskrit- 
professoren der  indischen  Universitäten,  sprechen  Sanskrit  mit  grofser 
Eleganz,  nicht  nur  ihre  Zuhörer  wissen  dasselbe  ebensogut  zu  hand- 
haben wie  bei  uns  ein  Studierender  der  klassischen  Philologie  das 
Lateinische,  auch  die  zahlreichen  Privatgelehrten,  Heiligen,  Asketen, 
ja  selbst  weitere  Kreise  sprechen  und  schreiben  Sanskrit  mit  Leichtig- 
keit; mit  dem  M  häräja  von  Benares  habe  ich  mich  wiederholt  stunden- 


-    42    - 

Zusammenfassend  möchte  ich  also  das  Altindische  in  seinem 
Verliältnis  zuf  Litteratnr  folgendermafsen  einteilen: 

1 .  Althochindisch : 

a)  Sprache  der  ältesten  Hymnen  und  Mantras,  insbesondere 
der  des  Rigveda. 

b)  Sprache  der  jüngeren  Hymnen  und  Mantras,  insbesondere 
der  der  anderen  Vedas,  sowie  der  in  den  Brähmanas 
und  Satras  enthaltenen  Mantras. 

2.  Sanskrit : 

a)  Altes  Sanskrit,  die  Sprache  der  vedischen  Prosawerke 
(mit  Ausschluß  der  Mantras)  und  des  Pänini. 

b)  Episches  Sanskrit,  die  Sprache  der  volkstümlichen 
Epen. 

c)  Klassisches  Sanskrit,  die  Sprache  der  klassischen  Sans- 
kritlitteratur  nach  Pänini. 

H.   Die  miüelindischen  Sprachen  und  Dialekte. 

Gleichzeitig  und  parallel  mit  der  Entwicklung  des  Sanskrit 
ging  auch  die  mehr  natürhche  Weiterentwicklung  der  von  den 
arischen  Indern  gesprochenen  Volksdialekte  vor  sich.  Und  die 
Sprachen  und  Dialekte,  die  man  als  s Mittelindisch ^.  bezeichnet, 
sind  nicht  etwa  direkt  vom  Sanskrit  abzuleiten,  sondern  vielmehr 
von  den   dem  AI thochindischen   und   dem  Sanskrit   zu- 


lang  darin  unterhalten:  Fabrikanten,  Industrielle,  Kaufleute  sprechen 
es  zum  Teil  oder  verstehen  doch  das  Gesprochene;  in  jedem  kleinen 
Dorfe  war  meine  erste  Frage  nach  einem,  der  Sanskrit  spreche,  worauf 
sich  d<inn  alsbald  der  eine  oder  andere  einstellte,  der  gewöhnlich  mein 
Führer,  ja,  nicht  selten  mein  Freund  wurde.«  Wenn  er  Vorträge  in 
englischer  Sprache  hielt,  wurde  er  oft  aufgefordert,  das  Gesagte  noch- 
mals in  Sanskrit  zu  wiederholen.  'Nachdem  dies  geschehen,  folgte 
eine  Diskussion,  bei  der  die  einen  Englisch,  die  andern  vSanskrit,  noch 
andere  Hindi  sprachen,  welches  sich  den?i  auch  der  Hauptsache  nach 
verstehen  liefs,  da  das  reine  Hindi  sich  vom  Sanskrit  kaum  durch  viel 
mehr  als  durch  den  Verlust  der  Flexionsendungen  unterscheidet.  Da- 
her versteht  ieder  Hindu  vom  Sanskrit  ungefähr  ebensoviel  wie  ein 
Italiener  vom  Lateinischen,  namentlich  da  im  eigentlichen  Hindostan 
die  Schrift  die  nämliche  geblieben  ist:  und  ein  Anflug  des  Sanskrit 
läfst  sich  bis  hinab  in  die  Kreise  der  Dienerschaft  und  des  geringen 
Volkes  antreffen,  daher  auch  ein  Brief  nach  Benares  mit  blofser 
Sanskritadresse  durch  jeden  Postboten  ohne  Schwierigkeit  [seine  Be- 
stellung findet." 


—     43     — 

grundeliegcnden  oder  denselben  nahestehenden  indo-arischen 
Volkssprachen.  Bei  der  Grüfse  Indiens  ist  es  nicht  zu  ver- 
wundern, dafs  mit  der  allmählichen  i^  u-sbreitung  der  arischen 
Einwanderer  vom  Westen  nach  dem  Osten  und  Süden  eine  grofse 
Anzahl  voneinander  abweichender  Dialekte  sich  bildete.  Von  der 
Mannigfaltigkeit  dieser  Dialekte  geben  uns  die  ältesten  Inschriften, 
die  sämtlich  in  Mittel'indisch  und  nicht  im  Sanskrit  geschrieben 
sind,  eine  Vorstellung.  Eine  ganze  Reihe  von  solchen  Volks- 
sprachen ist  aber  auch  zum  Range  von  Litteratursprachen  erhoben 
worden.     Nur  diese  sollen  hier  kurz  aufgezählt  werden : 

1.  Die  wichtigste  der  mittelindischen  Litteratursprachen  ist 
dasPäli,  die  KirchenspracKe  der  Buddhisten  von  Ceylon,  Birma 
und  SJam,  die  Sprache,  in  welcher  die  älteste  Sanmilung  der  uns 
erhaltenen  heiligen  Schriften  des  Buddhismus  abgefafst  ist.  Die 
Buddhisten  selbst  erzählen  uns,  dafs  der  Buddha  nicht  wie  die 
Brahmanen  in  dem  gelehrten  Sanskrit  gepredigt,  sondern  in  der 
Sprache  des  Volkes  zum  Volke  selbst  geredet  iiabe.  Und  da  der 
Buddha  in  dem  Lande  Magadha  (dem  südlichen  Bihär)  zuerst 
gepredigt  und  dort  seine  vorzüglichste  Wirksamkeit  entfaltet  hat, 
so  sagen  uns  die  Buddhisten,  Päli  sei  dasselbe  wie  Mägadhi,  die 
Sprache  der  Provinz  Magadha.  Das  kann  aber  nicht  richtig  sein, 
da  der  uns  anderweitig  bekannte  Dialekt  von  Magadha  mit  dem 
Pilli  nicht  übereinstimmt.  Wahrscheinlicher  ist  es,  dafs  der 
Dialekt  von  Ujjayini  (Ujjein)  dem  Päli  zugrunde  liegt.  Wie 
immer  dem  auch  sein  mag,  sicher  ist,  dafs  der  im  Pali  abgefafste 
buddhistische  Kanon  die  zuverlässigste  Quelle  für  unsere  Kennt- 
niss  des  alten  Buddhismus,  der  ursprünglichen  Lehre  des  Buddha 
bildet.  Das  Wort  »Päli<  bedeutet  eigentlich  i' Reihe « ,  dann 
»Ordnung,  Anordnung,  Regel«,  dabei-  auch  »heiliger  Text«  und 
schliefslich  die  Sprache  der  heiligen  Texte,  im  Gegensatz  zum 
Altsinghalesisrhen,  der  Sprache,  in  welcher  die  Kommentare  zu 
diesen  Texten  abgefafst  waren. 

2.  Neben  der  Palüitteratur  gibt  es  aber  auch  eine  buddhi- 
stische Sanskritlitteratur.  In  diesen  buddhistischen  Werken  ist 
nun  häufig  nur  die  Prosa  Sanskrit,  während  die  eingestreuten 
metrischen  Stücke,  die  sogenannten  ^^Gathäs«  (d.  h.  /Lieder«  oder 
»Verse«),  In  einem  mittelindischen  Dialekt  abgefafst  sind.  Man 
hat  daher  diesen  Dialekt  »G  äthädialekt«  genannt.  Die  Be- 
zeichnung ist  jedoch  nicht  ganz   zutreffend,    da    derselbe  Dialekt 


_     44    — 

sich  auch  in  Prosastücken  findet  und  auch  ganze  Prosawerke 
denselben  aufweisen.  Es  ist  dies  ein  alter  mittelindischer  Dialekt, 
welcher  durch  Einfügung  von  Sanskritendungen  und  sonstige 
Sanskritismen  in  ziemlich  unbeholfener  Weise  dem.  Sanskrit  an- 
genähert worden  ist,  weshalb  Senart  für  denselben  die  Be- 
zeichnung »gemischtes  Sanskrit«  vorgeschlagen  hat. 

3.  Ähnlich  wie  die  Buddhisten  so  haben  auch  die  Jainas 
für  ihre  heiligen  Schriften  nicht  das  Sanskrit,  sondern  mittel- 
indische    Dialekte     verwendet,     und     zwar     zwei     verschiedene 

Präkrits'): 

a)  das  Jaina-Präkrit  (auch  Ardhamägadhi  oder  Arsa 
genannt),  die  Sprache  der  älteren  Werke  des  Jaina-Kanons,  und 

b)  die  Jaina-Mahäräslri.  die  Sprache,  in  welcher  die 
Kommentare  zum  Jaina-Kanon  und  die  nichtreligiösen  poetischen 
Werke  der  Jainas  abgefasst  sind.  Dieser  Dialekt  ist  sehr  nahe 
verwandt  mit  jenem  Präkrit,  welches  am  häufigsten  als  Litteratur- 
sprache  für  weltliche  Dichtung   verwendet  worden   ist,   nämlich 

4.  der  Maiiärfistri,  der  Sprache  von  Mahärä^tra,  dem 
Lande  der  Maräthen.  Diese  gilt  allgemein  als  das  beste  Präkrit, 
und  wenn  die  Inder  von  Präkrit  schlechthin  sprechen,  so  meinen 
sie  die  Mahärästri.  Sie  wurde  hauptsächlich  für  lyrische  Dichtung 
verwendet,  insbesondere  auch  für  die  lyrischen  Partien  in  den 
Dramen.  Es  gibt  aber  auch  epische  Gedichte  in  Mahärästri. 
Andere  wichtige  Präkritdialekte,  die  im  Drama  verwendet  werden, 
sind: 

5.  Die  §auraseni,  welche  in  der  Prosa  der  Dramen  haupt- 
sächlich von  vornehmen  Frauen  gesprochen  wird.  Ihre  Grundlage 
bildet  der  Dialekt  des  Snrasenalandes ,  dessen  Hauptstadt 
Mathurä  ist. 

6.  Leute  niedrigen  Standes  sprechen  in  den  Dramen 
Mägadhi,  den  Dialekt  von  Magadha,  und 

7.  Paisäci  wird  im  Drama  von  den  Angehörigen  der 
niedrigsten  V'oiksklassen  gesprochen.  Das  Wort  bezeichnet  wahr- 
scheinlich ursprünglich  den  Dialekt  eines  Volksstammes  der  Pisäcas, 
obwohl  es  die  Inder  als  die  Sprache  der  Pisäcas  genannten  Dä- 


')  Mit  dem  Ausdruck  »Präkrit«  bezeichnen  die  Inder  nicht  die 
Volkssprachen  schlechthin,  sondern  nur  die  in  der  Litteratur  ver- 
wendeten Volkssprachen.  Vgl.  zu  diesem  ganzen  Abschnitt  R.  Pischel, 
Grammatik  der  Präkrit-Sprachen  (im  »Grundrisse  I,  8),  Einleitung. 


—     45    — 

monen  erklären.  In  diesem  Paisäoidialekt  ist  auch  ein  berühmtes 
Werk  der  Erzählungslitteratur  —  Gunädhyas  Brhatkathä  —  ab- 
gefaist. 

8.  Endlich  wird  noch  unter  dem  Namen  »Apabhramäa« 
eine  Anzahl  von  Präkritdialekten ,  die  im  Drama  gelegentlich 
vorkommen,  zusammengefafst.  Das  Wort  Apabhramsa  bezeichnet 
ursprünglich  alles,  was  vom  Sanskrit  abweicht,  dann  insbesondere 
die  lebenden  Volkssprachen,  und  in  letzter  Linie  gewisse  Präkrit- 
dialekte. 

III.   Die  neaindischen  Sprachen  und  Dialekte. 

Vom  zehnten  Jahrhundert  an  beginnt  sich  die  dritte  Ent- 
wicklungsstufe des  Indischen,  die  der  neuindischen  Sprachen,  be- 
merkbar zu  machen,  und  vom  zwölften  Jahrhundert  an  haben 
auch  diese  Sprachen  eine  eigene  Litteratur  aufzuweisen,  die  zum 
Teil  selbständig,  zum  Teil  von  der  Sanskritlitteratur  abhängig 
ist.  Die  wichtigsten  der  lebenden  neuindischen  Sprachen,  die  sich 
aus  den  mittelindischen  Dialekten  entwickelt  baten,  sind  die 
folgenden : 

Sindhi,  Gujaräti,Panjäbi  und  West-Hindi  im  west- 
lichen Indien 5  Garhwäli  (gesprochen  zwischen  dem  Satlaj  und 
Ganges),  Kumaöni  (zw^ischen  Ganges  und  Gogari),  KaSmiri 
und  Naipäli  (Sprache  von  Nepal)  in  Nordindien;  Maräthi  in 
Südindien  und  Bihäri,  Bengali,  Uriyä  und  Asämi  im 
östlichen  Indien.  Dazu  kommt  noch  das  Urdu  oder  Hindustäni, 
ein  mit  persisch-arabischen  Elementen ')  stark  versetztes  Hindi, 
Es  entstand  im  zwölften  Jahrhundert  in  der  Gegend  von  Delhi, 
dem  damaligen  Mittelpunkt  der  mohammedanischen  Macht,  in  den 
Lagern  (urdu)  der  Soldaten  (daher  >^Urdu«,  d.  h.  /)Lagersprache«;). 
Im  16.  Jahrhundert  begann  es  auch  eine  Litteratur  hervor- 
zubringen. Es  ist  heutzutage  die  allgemeine  Verkehrssprache 
Indiens. 

Ein  aus  dem  Mittelindischen  hervorgegangener  indogermani- 
scher Dialekt  ist  endlich  auch  das  Singhalesische,  die 
Sprache  von  Ceylon.  Durch  die  Einführung  des  Buddhismus 
und  der  buddhistischen  rälilitteratur  auf  Ceylon  begann  hier 
schon  früh  eine  litterarische  Tätigkeit,  die  sich  zunächst  auf  die 


0  Auch  die  Schrift  ist  persisch -arabisch. 


—     46     — 

Erklärung  der  religiösen  Texte  beschränkte.  In  den  späteren 
Jahrhunderten  finden  wir  auch  eine  von  der  vSanskritpoesie  be- 
einflufste  weltliche  Litteratur'). 

Alle  bisher  erwähnten  indischen  Sprachen  gehören  zur  indo- 
germanischen Sprachenfamilie.  Aufserdcm  aber  haben  wir  in 
Südindien  ^)  auch  eine  Anzahl  von  nichtindogermanischen 
Sprachen.  Diese  Sprachen  bezeichnet  man  als  dravidische, 
und  sie  bilden  eine  eigene  Sprachengruppe.  Wenigstens  ist  es 
der  Sprachwissenschaft  bis  jetzt  noch  nicht  gelungen,  eine  Ver- 
wandtschaft der  dravidischen  Sprachen  mit  irgendeiner  andern 
der  grolsen  Sprachenfamilien  nachzuweisen.  Die  wichtigsten 
dieser  Sprachen  sind:  Tamil,  Telugu,  Malayalam  und 
Kanaresisch.  Obwohl  diese  Sprachen  nicht  indogermanisch 
sind,  so  sind  doch  zahlreiche  Sanskritismen  in  dieselben  ein- 
gedrungen, und  auch  die  nicht  unbedeutende  Litteratur  dieser 
Sprachen  ist  von  der  Sanskritlitteratur  in  hohem  Mafse  abhängig. 

In  diesem  Buche  werden  wir  uns  im  wesentlichen  auf  die 
Sanskrit-,  Päli-  und  Prakritlitteratur  beschränken  müssen.  Auf 
die  neuindische  Litteratur  einzugehen,  wird  höchstens  nur  anhangs- 
weise möglich  sein. 


')  Vgl.  Wilhelm  Geiger,  Literatur  und  Sprache  der  Singhalesen, 
im  »Grundriss«  I.  10. 

')  Auch  im  äufsersten  Nordwesten  Indiens  haben  sich  einige 
dravidische  Dialekte  (von  etwa  2  Millionen  Menschen  gesprochen)  er- 
halten. 


I.   Abschnitt. 

Der  Veda  oder  die  vedische  Litteratur. 


Was  Ut  der  Veda? 

Als  dem  ältesten  indischen  und  zugleich  ältesten  indo- 
germanischen Litteraturdenkmal  gebührt  dem  V^eda  ein  hervor- 
ragender Platz  in  der  Geschichte  der  Weltlitteratur.  Er  gebührt 
ihm  auch,  wenn  wir  bedenken,  dafs  mindestens  3000  Jahre 
hindurch  Millionen  von  Hindus  das  Wort  des  Veda  für  das  Wort 
Gottes  gehalten  haben,  und  lür  ihr  Denken  und  Fühlen  der 
Veda  mafsgebend  gewesen  ist.  Und  wie  der  Veda  um  seines 
Alters  willen  an  der  Spitze  der  indischen  Litteratur  steht,  so 
kann  auch  niemand  das  Geistesleben  und  die  Kultur  der  Inder 
verstehen,  der  nicht  einen  Einblick  in  die  vedische  Litteratur 
gewonnen  hat.  Auch  der  Buddhismus,  dessen  Geburtsstiitte 
Indien  ist,  bleibt  ewig  unverständlich  für  den,  der  den  Veda 
nicht  kennt.  Denn  die  Lehre  des  Buddha  verhält  sich  zum  Veda 
wie  das  Neue  zum  Alten  Testament.  Keiner  kann  «den  neuen 
Glauben  verstehen,  ohne  den  alten,  von  dem  der  Veda  uns  Kunde 
gibt,  kennen  gelernt  zu  haben. 

Was  ist  nun  eigentlich  der  Veda? 

Das  Wort  »Veda«  bedeutet  »Wissen« ,  dann  »das  Wissen 
par  excellenccv  ,  d.  h.  »das  heilige,  das  religiöse  Wissen«,  und 
es  bezeichnet  nicht  ein  einzelnes  litterarisches  Werk,  wie  etwa 
das  Wort  v  Koran  <^ ,  auch  nicht  eine  zu  irgendeiner  Zeit  ver- 
anstaltete, in  sich  abgeschlossene  Sammlung  einer  bestimmten 
Anzahl  von  Büchern,  wie  das  Wort  »Bibel«  ''das  »Buch,  par 
excellence«)  oder  wie  das  Wort  »Tipitaka« ,  die  »Bibel«  der 
Buddhisten,  sondern  eine  ganze  grofse  Litteratur,  welche 
im  Laufe  von  vielen  Jahrhunderten  entstanden  und  Jahrhunderte- 


—     48     — 

lang  durch  mündliche  Überlieferung  von  Geschlecht  zu  Geschlecht 
fortgepflanzt  worden  ist,  bis  sie  schliefslich  von  einem  jüngeren 
Geschlecht  —  aber  auch  schon  in  grauer  Vorzeit  —  ebensowohl 
wegen  ihres  hohen  Alters  wie  wegen  ihres  Inhaltes  als  »heiliges 
Wissen«,  als  »göttliche  Offenbarung«  erklärt  wurde.  Es  ist  hier 
nicht  von  einem  »Kanon«  die  Rede,  der  auf  irgendeinem  Konzil 
festgestellt  worden  wäre,  sondern  der  Glaube  an  die  »Heiligkeit« 
dieser  Litteratur  ergab  sich  gewissermafsen  von  selbst  und 
wurde  nur  selten  ernstlich  bestritten. 

Was  man  nun  aber  »V^eda«  oder  »vedische  Litteratur«  nennt, 
besteht  aus  drei  verschiedenen  Klassen  von  Litteratur  werken; 
und  zu  jeder  dieser  drei  Klassen  gehört  eine  gröfsere  oder 
geringere  Anzahl  von  einzelnen  Werken,  von  denen  uns  manche 
erhalten,  viele  aber  auch  verloren  gegangen  sind.  Diese  drei 
Klassen  sind: 

L  Samhitäs,  d.  h.  »Sammlungen«,  nämlich  Sammlimgen 
von  Hymnen,  Gebeten,  Zauberliedern,  Segenssprüchen,  Opfer- 
formeln und  Litaneien. 

II.  Brähmanas,  umfangreiche  Prosatexte,  welche  theo- 
logische Erörterungen,  insbesondere  Betrachtungen  über  das 
Opfer  und  die  praktische  oder  mystische  Bedeutung  der  einzelnen 
Opferriten  und  Zeremonien,  enthalten. 

III.  Äranyakas  (»Waldtexte«)  und  Upanisads  (j-Ge- 
heimlehren«),  welche  zum  Teil  in  den  Brähmanas  selbst  ein- 
geschlossen oder  denselben  angehängt  sind,  zum  Teil  aber  auch 
als  selbständige  Werke  gelten.  Sie  enthalten  die  Meditationen 
der  Waldemsiedler  und  Asketen .  über  Gott ,  Welt  und  Mensch- 
heit ,  und  in  ihnen  steckt  ein  gut  Stück  ältester  indischer  Philo- 
sophie. 

Es  mufs  einmal  eine  ziemlich  grofse  Anzahl  von  Samhitäs 
gegeben  haben,  die  in  verschiedenen  Priester-  und  Sängerschulen 
entstanden  und  in  denselben  weiter  überliefert  worden  sind.  \'iele 
dieser  »Sammlungen«  waren  aber  nichts  anderes  als  wenig  ab- 
weichende Rezensionen  —  Säkhäs,  »Zweige«,  wie  die  Inder 
sagen  — •  einer  und  derselben,  Samhitä.  Vier  Sarphitäs  aber 
gibt  es,  die  sich  scharf  voneinander  unterscheiden,  und  die  uns 
auch  in  einer  oder  mehreren  Rezensionen  erhalten  sind.  Es 
sind  dies: 

1.    Die  Rigveda-Samhitä,   die  Sammlung  des  Rigveda. 


--    49    — 

»Rlg-veda«  (eigentlich  rg-veda)  ist   »der  Veda  oder  das  Wissen 
von  den  Preisliedern«  (fC,  plur.  rcas). 

2.  Die  Athat'Vä vedä-Samhitä,  die  Sammlung  des 
Atharva-veda,  d.  h.  *des  Wissens  von  den  Zaubersprüchen« 
(atharvan). 

3.  Die  SämavedaSamhitä,  die  Sammlung  des  Säma- 
veda,  d.  h.  »des  Wissens  von  den  Melodien«  (säman). 

4.  Die  Yajurveda-Samhitä,  die  Sammkmg  des  Yajur- 
veda,  d,  h.  »des  Wissens  von  den  Opfersprllchen<  (yajus,  plur. 
yajumsi),  von  welcher  es  zwei  voneinander  ziemlich  stark  ab- 
weichende Texte  gibt,  nämlich: 

a )  die  Samhitä  des  schwarzen  Yajurveda ,  welche  uns  in 
mehreren  Rezensionen  erhalten  ist,  von  denen  die  Taittiriya- 
Samhitä  und  die  Maiträyani-Samhitä  am  wichtigsten 
sind;  und 

b)  die  Samhitä  des  weifsen  Yajurveda,  die  uns  in  der 
Vajasancyi-Samhitä  erhalten  ist. 

Auf  Grund  dieser  vier  verschiedenen  Samhitäs  unterscheiden 
die  Inder  vier  verschiedene  Vedas  —  und  darum  spricht  man 
auch  häufig  von  den  »Vedas«  oder  den  »Veden«  in  der  Mehr- 
zahl — ,  nämlich:  Rigveda,Atharvaveda,  Sämaveda  und 
(schwarzen  und  weifsen)  Yajurveda.  Und  jedes  der  zur 
Klasse  der  Brühmanas,  der  Äranyakas,  oder  der  Upanisads  ge- 
hörigen Werke  schliefst  sich  an  eine  der  aufgezählten  Samhitäs 
an  und  »gehört«,  wie  man  zu  sagen  pflegt,  zu  einem  der  vier 
Vedas.  Rs  gibt  daher  nicht  nur  Samhitäs,  sondern  auch  Bräh- 
maoa.s^  Äranyakas  und  Upanisads  dfes  Rigveda,  ebenso  wie  des 
Atharvaveda,  des  Sämaveda  und  des  Yajurveda.  So  gehört 
2.  B.  das  Aitareya - Brähmana  zum  Rigveda,  das  Öatapatha- 
Brähmana  zum  weissen  Yajurveda,  die  Chandogya - Upani^ad 
zum  Sämaveda  u.  s.  w. 

Jedes  Werk,  welches  zu  einer  der  drei  obengenannten  Klassen 
und  zu  einem  der  vier  Vedas  gehört,  raufs  als  »vedisch'  bezeichnet 
werden-,  und  die  ganze  vedische  Litteratur  stellt  sich  uns  somit 
dar  als  eine  grofse  Reihe  von  Werken  religiösen  Inhalts  — 
Liedersammlungen, Gebetbüchern,  theologischen  und  theosophischen 
Abhandlungen,  —  welche  verschiedenen,  aufeinanderfolgenden  Zeit- 
perioden angehören,  welche  aber  insofern  eine  Einheit  dar- 
stellen,  als  sie  alle  zusammen  die  Grundlage  für  das  brahma- 

Wioternitz,   Gcschicbte  der  indischer»  Litteratur.  4 


—    50     — 

nische  Religionssystem  bilden  und  für  den  Brahmanis- 
mus  dieselbe  Bedeutung  haben  wie  das  Alte  Testament  für  das 
Judentum  oder  das  Neue  TevStament  für  das  Christentum.  Und 
wie  Juden  und  Christen  ihre  »Heilige  Schrift<? ,  so  halten  die 
brahmanischen  Inder  ihren  Veda  in  seinem  ganzen  Umfange  für 
göttliche  Offenbarung.  Dem  Ausdruck  »Heilige  Schrift«  entspricht 
aber  bei  den  Indern  in  bezeichnender  Weise  der  Ausdruck 
»Sruti«,  »das  Hören«,  weil  die  offenbarten  Texte  nicht  geschrieben 
und  gelesen,  sondern  nur  gesprochen  und  gehört  wurden.  Dafs 
aber  nicht  nur  die  uralten  Hymnen  des  Rigveda  als  von  Gott 
Brahman  »ausgehaucht«  und  von  den  alten  Sehern  nur  geschaut 
galten,  sondern  dafs  auch  jedes  Wort  in  den  Upanisads,  den 
spätesten  Erzeugnissen  der  vedischen  Litteratur,  als  von  Gott 
Brahman  selbst  herrührend  für  unanfechtbare  Wahrheit  angesehen 
wurde,  davon  zeugt  die  ganze  Cieschichte  der  indischen  Philosophie. 
So  sehr  auch  die  verschiedenen  Systeme  indischer  Philosophie 
auseinandergehen,  so  stimmen  sie  doch  fast  alle  darin  überein, 
dafs  sie  den  Veda  für  offenbart  halten,  und  dafs  sie  sich  alle 
auf  den  Veda,  insbesondere  die  Upanisads,  berufen;  freilich 
herrscht  grofse  Freiheit  und  Willkür  in  bezug  auf  die  Erklärung 
dieser  Texte,  und  jeder  Philosoph  liest  aus  denselben  gerade  das 
heraus,  was  er  finden  will.  Höchst  bezeichnend  ist  es,  dafs 
selbst  die  Buddhisten,  welche  die  Autorität  des  Veda  leugnen, 
doch  zugeben,  dafs  derselbe  ursprünglich  von  Gott  Brahman 
verkündet  (oder  ^geschaffen«)  worden  sei;  nur,  fügen  sie  hinzu, 
sei  er  durch  die  Brahmanen  verfälscht  worden  und  enthalte  darum 
so  viele  Ii'rtümer. 

Nur  für  diese  als  offenbart  angesehene  Litteratur  ist  der 
Ausdruck  »Veda«  h^rechtigt.  Es  gibt  aber  noch  tine  KlasLc  "on 
Werken,  die  sich  aufs  engste  an  die  vedische  Litteratur  an- 
schliefsen,  aber  doch  nicht  als  zum  Veda  gehörig  bezeichnet 
werden  können.  Es  sind  dies  die  sogenannten  Kalpasntras 
(zuweilen  auch  kurz  »Sütras^'  genannt)  oder  Lehrbücher  des 
Rituals,  welche  in  einem  eigentümlichen,  aphoristischen  Prosastil 
abgefafst  sind.     Zu  ihnen  gehören: 

1.  Die  Srautasutras,  welche  die  Regeln  für  die  Voll- 
ziehung der  grofsen,  oft  viele  Tage  lang  dauernden  Opfer  ent- 
halten, bei  welchen  mehrere  heilige  Feuer  brennen  und  eine  grofse 
Anzahl  von  Priestern  verwendet  werden  mufs; 


—    51     - 

2.  die  Grhyasatras,  welche  Vorschriften  über  die  ein- 
fachen Zeremonien  und  Opferhandlungen  des  täglichen  Lebens 
(bei  Geburt,  Hochzeit,  Todesfällen  u.  dgl.)  enthalten ,  und 

3.  die  Dharmasatras,  Lehrbücher  des  geistlichen  und 
weltlichen  Rechts  —  die.  ältesten  Rechtsbücher  der  Inder. 

Ebenso  wie  Brähmaiias,  Aranyakas  und  Upanisads  schliefsen 
sich  auch  diese  Werke  an  einen  der  vier  Vedas  an;  und  es  gibt 
Srauta-,  Grhya-,  und  Dharmasatras,  welche  zum  Rigveda,  andere, 
welche  zum  Säraaveda,  zum  Yajurveda  oder  zum  Atharvaveda 
gehören.  Sie  sind  nämlich  aus  bestimmten  vedischen  Schulen 
hervorgegangen,  die  sich  das  Studium  irgendeines  Veda  zur 
Aufgabe  gemacht  haben.  Doch  gelten  alle  diese  Lehrbücher  als 
Menschenwerk  und  nicht  mehr  als  göttliche  Offenbarung ;  sie  ge- 
hören nicht  zum  Veda,  sondern  zu  den  »»Vedähgas«,  den 
»Gliedern«,  d.  h.  den  »Hilfswissenschaften  des  Veda«. 

Zu  diesen  »Vedangas«  gehören  aufser  den  Werken  über 
Ritual  auch  eine  Anzahl  von  Werken  über  Phonetik,  Grammatik, 
Etymologie,  Metrik  und  Astronomie.  Auch  auf  diese  werden  wir 
am  Ende  dieses  Abschnittes  zu  sprechen  kommen. 

Nach  diesem  allgemeinen  Überblick  über  die  vedische  und  die 
mit  ihr  zusammenhängende  Litteratur  wenden  wir  uns  zur  Be- 
sprechung der  wichtigsten  zum  Veda  gehörigen  Werke,  vor  allem 
der  Samhitäs. 

Die  Rig^'eda'^Samhitä. 

Unstreitig  das  älteste  und  wichtigste  von  allen  Werken  der 
vedischen  Litteratur  iSt  die  Rigveda-Samhitä,  gewöhnlich  schlecht- 
hin »der  Rigveda«  genannt.  Von  den  verschiedenen  Rezensionen 
{^K.-.o-  Si-nbitji  ^  die  es  einmal  gegeben  hat,  ist  uns  nur  eine 
einzige  erhalten.  Diese^)  besteht  in  dem  uns  überlieferten  Text 
aus  einer  Sammlung  von  1028  H)'^mnen  (Süktas),  welche  in  zehn 
Bücher  (Mandalas,   »Kreise«)  eingeteilt  sind^). 

0  Es  ist  die  Rezension  der  Säkalaka-Schule.  Über  Ausgaben  des 
Textes  siehe  oben  S.  19  f. 

*)  Daneben  gibt  es  noch  eine  rein  äufserliche  Einteilung,  welche 
den  Umfang  allein  berücksichtigt,  nämlich  in  acht  Astakas  oder  »Achtel», 
deren  jedes  in  acht  Adhyäyas  oder  «Lektionen«  zerfällt,  die  ihrerseits 
wieder  in  kleinere  Vargas  oder  »Abschnitte«,  gewöhnlich  zu  je  fünf 
Strophen,  eingeteilt  sind. 

4* 


—    52    — 

Dafs  diese  Hymnensammlung  das  Älteste  ist  oder  wenigstens 
das  Älteste  enthält ,  was  wir  von  indischer"  Litteratur  besitzen, 
beweist  die  Sprache  der  Hymnen  unwiderleglich.  Die  Sprache 
beweist  aber  auch,  dafs  die  Sammlung  kein  einheitliches  Werk 
ist,  sondern  aus  älteren  und  jüngeren  Stücken  besteht.  Wie  in 
dem  hebräischen  Buch  der  Psalmen,  so  wurden  auch  hier  Lieder, 
die  in  weit  auseinanderliegenden  Zeiträumen  gedichtet  worden 
sind,  zu  irgendeiner  Zeit  in  einer  Sammlung  vereinigt  und  be- 
rühmten Persönlichkeiten  der  Vorzeit  zugeschrieben,  am  liebsten 
den  Urahnen  jener  Familien,  in  denen  die  betreffenden  Lieder 
überliefert  wurden.  Die  Mehrzahl  der  ältesten  Hymnen  findet 
sich  in  den  Büchern  II  bis  VII,  welche  man  als  die  »Familien- 
bücher? zu  bezeichnen  pflegt,  weil  sie  von  der  Überlieferung  je 
einer  bestimmten  Sängerfamilie  zugeschrieben  werden.  Die  Namen 
der  Sänger  oder  Rsis  (d.h.  »Seher,  Propheten«),  welche,  wie 
die  luder  sagen,  diese  Hymnen  ? geschaut x  haben,  werden  uns 
teils  in  den  Brähmanas,  teils  in  eigenen,  der  Vedängalitteratur 
sich  anschlie [senden  Verfasserlisten  (Anukramanis)  genannt.  Sie 
heifsen:  Grtsamada,  Visvämitra,  Vämadeva,  Atri,  Bharadväja 
und  Vasistha.  Diese  und  ihre  Nachkommen  galten  den  Indem 
als  die  Räis  oder  »Erschauer«'  — wir  würden  sagen:  v Verfasser« 
—  der  Hymnen  von  Mandalas  II  bis  VIT.  Das  VIII.  Buch  ent- 
hält Hymnen,  welche  dem  Säugergesrhlecht  der  Kaiivas  und  dem 
der  ÄAgiras  zugeschrieben  werden.  Die  Anukramanis  geben 
uns  aber  auch  die  Namen  der  Rsis  oder  *  Verfasser«  von  jedem 
einzelnen  Hymnus  der  übrigen  Bücher  (I,  IX,  X),  und  es  ist  be- 
merkenswert, dafs  auch  Frauennamen  sich  darunter  befinden. 
Leid<;r  haben  alle  diese  Namenlisten  so  gut  wie  gar  keinen  Wert, 
und  in  Wirklichkeit  sind  uns  die  Verfassei-  der  vedischen  Hyuinen 
ganz  unbekannt.  Denn  wie  längst  nachgewiesen  worden  ist\), 
steht  die  Überlieferung,  welche  Grtsamada,  ViSvämitra  u.  s.  w. 
und  einzelne  von  deren  Nachkommeji  als  die  Rsis  der  Hymnen 
nennt,  mit  den  Angaben  der  Hymnen  selbst  in  Widerspruch.  In 
diesen  werden  nämlich  nur  Nachkommen  jener  alten  I^sis  als 
Verfasser  der  Hymnen  genannt:  die  Rsis  aber,  Grtsamada,  Vigvä- 


')  Oldenberg,  '-Über  die  Liedverfasser  des  Rigveda«,  in  ZDMG 
Bd.  42,  S.  19^^  ff.  Schon  vorher  A.  Ludwig,  Der  Rigveda,  Bd.  III, 
S.  XIII  und  100  ff. 


-     53    — 

mitra.  Vasi^tha,  und  wie  sie  alle  heifsen  —  ihre  Namen  sind  als 
die  Helden  zahlloser  Mythen  und  Legenden  in  der  ganzen  indischen 
Litteratur  wohlbekannt  —  sind  bereits  in  den  Hymnen  des  Rigvcda 
die  Seher  einer  längst  vergangenen  Vorzeit  und  werden  blof.s 
als  die  Stammväter  der"  Sängerfamilien  genannt,  in  denen  die 
Hymnen  tiberliefert  wurden.  Das  IX.  Buch  gewinnt  dadurch 
einen  einheitlichen  Charakter,  dafs  es  ausschliefslich  Hymnen  ent- 
hält, welche  den  Somatrank  verherrlichen  und  dem  Gott  Soma 
gewidmet  sind.  Soma  ist  der  Name  einer  Pflanze,  aus  welcher 
ein  berauschender  Saft  geprefst  wurde,  welcher  schon  in  der 
indo-iranischen  Vorzeit  als  ein  den  Göttern  willkommener  Trank 
galt  und  daher  bei  den  Opfern  sowohl  der  Inder  wie  der  alten 
Iranier  —  er  heifst  hier  Haöma  —  eine  hervorragende  Rolle 
spielt.  In  der  altindischen  Mythologie  wird  aber  der  Somatrank 
mit  dem  Unsterblichkeitstrank  der  Götter  gleichgesetzt,  und  der 
Sitz  dieses  "Göttertrankes  ist  der  Mond,  der  goldglänzende 
»Tropfen« ')  am  Himmel.  Daher  wird  im  IX.  Buche  der  Rigveda- 
Sambitä  Soma  nicht  nur  als  der  den  Göttern  liebe  Opfertrank, 
sondern  auch  als  der  Mond,  der  König  des  Himmels,  gefeiert. 
Da  der  Somakult  in  die  indo-iranische  Zeit  zurückreicht,  dürfen 
wir  auch  für  die  mit  dem  Somaopfer  aufs  engste  zusaramen- 
hänge'nden  Lieder  des  IX.  Buches  ein  ziemlich  hohes  Alter  an- 
nehmen. Die  jüngsten  Bestandteile  unserer  Hymnensammlung 
finden  sich  aber  in  den  aus  sehr  verschiedenartigen  Stücken  zu- 
sammengesetzten Büchern  I  und  X.  Damit  soll  aber  nicht  ge- 
sagt sein,  dafs  sich  nicht  auch  manche  sehr  alte  Stücke  in 
diesen  Büchern  erhalten  haben,  während  umgekehrt  einige  jüngere 
Hymnen  auch  in  den  »Familienbüchern«  zerstreut  sind.  Über- 
haupt ist  die  Frage,  welche  Hymnen  »älter«  und  welche  »jünger« 
sind,  nicht  leicht  zu  entscheiden.  Denn  die  Spniche,  auf  welche 
sich  diese  Unterscheidung  hauptsächlich  stützt,  ist  nicht  nur  nach 
dem  Alter  der  Hymnen  vei-schieden ,  sondern  auch  nach  dem 
Ursprung  und  Zweck  derselben ,  je  nachdem  sie  mehr  zum 
priesterlichen  Kult  oder  zur  volkstümlichen  Rehgion  in 

')  .Sanskrit  Inda  heifst  »Tropfen«  und  »Mond'.  Es  ist  das  Ver- 
dienst A.  Hillebrandts,  in  seiner  «Vedischen  Mythologie»  (Breslau 
1891  ff.)  nachgewiesen  zu  haben,  dafs  Soma  schon  im  Rigvcda  nicht 
nur  die  Pflanze,  sondern  auch  den  Mond  bedeutet.  In  der  ganzen 
späteren  Litteratur  ist  Soma  der  Mond. 


—     54     — 

Beziehimg  stehen.  Ein  Zauberlied  z.  B.  kann  sich  in  der  Sprache 
von  einem  Lobgesang  auf  Soma  oder  Indra  unterscheiden, 
braucht  aber  deshalb  noch  nicht  jünger  zu  sein*). 

Die  Frage  aber,  was  wir  unter  »alten«  und  was  wir  unter 
> jüngeren«  Hymnen  des  Rigveda  zu  verstehen  haben,  können 
wir  erst  am  Schlüsse  dieses  Abschnittes  behandeln,  wo  wir  auf 
die  Frage  nach  dem  Alter  des  Veda  überhaupt  eingehen  müssen. 
Hier  mufs  es  genügen,  dafs  die  allgemeine  Ansicht  von  dem 
hohen  Alter  des  Rigveda,  selbst  der  »jüngeren«  Bestandteile  des- 
selben, schon  dadurch  vollauf  gerechtfertigt  ist,  dafs  —  wie 
Alfred  Ludwig^)  sagt  —  »der  Rigveda  nichts  von  dem  voraus- 
setzt, was  wir  in  der  indischen  Litteratur  kennen,  während  um- 
gekehrt die  gesamte  indische  Litteratur,  das  gesamte  indische 
Leben  den  Veda  voraussetzt«. 

Nächst  der  Sprache  beweist  aber  namentlich  auch  die  Metrik 
das  hohe  Alter  der  vedischen  Hymnendichtung.  Denn  einerseits 
scheint  die  vedische  Metrik  geradezu  durch  eine  Kluft  von 
der  der  klassischen  Sanskritdichtung  getrennt,  indem  es  in  der 
vedischen  Poesie  zahlreiche  Metren  gibt,  von  denen  in  der 
späteren  Dichtung  keine  Spur  zu  finden  ist,  während  umgekehrt 
zahlreiche  Metren  der  klassischen  Sanskritpoesie  kein  Vorbild  im 
Veda  haben.  Anderseits  erscheinen  einige  Metren  der  vedischen 
Poesie  zwar  in  der  späteren  Dichtung  wieder,  aber  mit  einem  viel 
fester  ausgeprägten  Rhythmus  als  im  Rigveda. 

In  der  aitindischen  Metrik  steht  nur  die  Silbenzahl  fest, 
•Während  die  Quantität  der  Silben  nur  teilweise  bestimmt  ist. 
Die  vedischen  Verse  sind  aus  Zeilen  von  8,  11  oder  12,  seltener 
von  5  Silben  gebildet.     Diese  Zeilen,  Pädas^)  genannt,  sind  die 


')  Vgl.  M.  Bloomfield,  On  the  relative  Chronology  of  the  Vedic 
Hymns  (Journal  of  the  American  Oriental  Society,  Vol.  XXI,  1900, 
pp.  42—49). 

')  Der  Rigveda  III,  S.  183.  Vgl.  auch  ebda.  S.  3:  »Der  Anspruch 
auf  höchstes  Alter  ist  nicht  nur  innerlich  durch  den  Gehalt  sowie  durch 
die  sprachliche  Form  erwiesen,  sondern  äufserlich  dadurch,  dafs  der 
Veda  die  Grundlage  der  Litteratur,  des  geistigen  und  religiösen 
Lebens  bildete  und  innerhalb  des  Veda  wieder  die  poetischen 
.Stücke  die  Voraussetzung  für  das  übrige  sind,  selberaber 
nichts  voraussetzen.' 

3)  Päda  bedeutet  »Fuls«,  aber  auch  »Viertel«.  Letztere  Bedeutung 
ist  hier  anzunehmen,  da  in  der  Regel   vier  Padas  eine  Strophe  aus- 


—     55     — 

Einheiten  in  der  altindischen  Metrik,  und  nur  die  vier  (oder  fünf) 
letzten  Silben  sind  in  bezug  auf  den  Rhythmus  bestimmt,  wobei 
aber  wieder  die  letzte  Silbe  eine  syllaba  anceps  ist.  Die  regel- 
mäfsige  Form  des  achtsilbigen  Päda  ist  also: 

0000\y     —     <J     — 

Drei  solche  Zeilen  bilden  die  Gäyatri  und  vier  solche  Zeilen 
die  Anustubh  genannte  Strophe.  In  der  älteren  Poesie  steht  die 
Anustubh  an  Beliebtheit  weit  hinter  der  Gäyatri  zurück.  Später 
ist  es  umgekehrt :  die  Anustubh  wird  der  gewöhnliche  Vers,  und 
aus  ihr  entwickelt  sich  der  Sloka,  das  eigentliche  Versmafs  der 
epischen  Dichtung.  Seltener  vorkommende  Metren  sind  die  aus 
ftinf  achtsilbigen  Zeilen  bestehende  Pankti  und  die  aus  sechs 
solchen  Pädas  bestehende  Mahäpankti. 

Die  elfsilbige  Zeile  hat  eine  Zäsur  nach  der  vierten  oder 
fünften  Silbe,  und  ihre  regelmäfsige  Form  ist  die  folgende 

OOOO      IjOCO-v.--- 

oder    ooooo||oo-v^-^ 

Vier  solche  Pädas  bilden  die  Tristubh  genannte  Strophe. 

Die  zwölfsilbige  Zeile  unterscheidet  sich  von  der  elfsilbigen 
nur  dadurch,  dafs  sie  eine  Silbe  mehr  hat-,  im  übrigen  sind  die 
beiden  Metren  ganz  gleich  gebaut.  Die  regelmäfsige  Form  des 
zwölfsilbigen  Päda  ist  also: 

0000||-00      0-vj-^- 
oder     oooooll     oo—   v^   —   v^   — 

Vier  solche  zwölfsilbige  Pädas  ergeben  eine  Strophe,  welche 
Jagati  genannt  wird. 

Die  regelmäfsige  Form  der  fünfsilbigen  Zeile,  von  welcher 
vier  oder  acht  zusammen  die  Dvipadä  Viräi  genannte  Strophe 
ergeben,  lautet : 

v^       —        _        ^^ 

Durch  Kombinationen  verschiedenartiger  Pädas  zu  einer 
Strophe  entsteht  noch  eine  Anzahl  kunstvollerer  Metren,  wie 
die  aus  acht-  und  zwölfsilbigen  Reihen  zusammengesetzten  Usnih- 
und  B  r  h  a  t  i  -  Strophen. 


machen.  Mit  dem  "Fufs*  der  griechischen  Metrik  hat  das  Wort  Päda 
nichts  zu  tun.  Ein  Zurückgehen  auf  so  kleine  Einheiten  wie  die 
griechischen  »Versfüfse»  ist  in  der  altindischen  Metrik  unmöglich. 


—    56    ~- 

Wie  sehr  es  bei  den  altindischen  Metren  auf  die  Silbenzahl 
und  wie  wenig  auf  den  Rhythmus  ankonimt,  beweisen  noch  die 
in  den  Brähmanas  und  Upanisads  vielfach  vorkommenden  Spekula- 
tionen über  die  mystische  Bedeutung  der  .  Metren ,  wobei  die 
Zahlenmj'stik  im  Spiele  ist,  —  wenn  es  z.  B.  mit  seltsamer  Logik 
heilst:  >Die  Wörter  bhami  (Erde),  antariksa  (Luftraum)  und 
dyu  (Himmel)  bilden  acht  Silben.  Ein  Gäyatri-Pada  besteht  aus 
acht  Silben.  Daher  gewinnt  derjenige,  der  die  Gäyatri  kennt, 
die  drei  Welten«  ').  Dafs  aber  die  Metren  in  der  Mystik  des 
Rituals  eine  so  ungeheure  Rolle  spielen,  dafs  sie,  als  göttliche 
Wesen  gedacht,  sogar  Opfer  empfangen"),  dafs  sich  die  Mytho- 
logie mit  ihnen  beschäftigt,  so  insbesondere  mit  der  Gäyatri,  die 
in  Vogelgestalt  den  Soma  vom  Himmel  holt,  dafs  sie  wie  andere 
Wesen  von  Prajäpati  geschaffen  werden 3),  —  alles  das  deutet 
auf  das  hohe  Alter  dieser  Metren  hin,  die  man  sich  als  in  un- 
vordenklicher Zeit  entstanden  dachte.  So  ist  das  Alter  der  Metren 
auch  ein  Beweis  für  das  Alter  der  Hymnen  selbst. 

Die  beste  Vorstellung  aber  von  dem  hohen  Alter  dieser 
Hymnen  gewährt  uns  ein  Blick  auf  die  geographischen  und 
kulturellen  Verhältnisse  der  Zeit,  von  welcher  sie  uns  Kunde 
geben.  Da  sehen  wir  vor  allem,  dafs  die  arischen  Inder  zur  Zeit, 
wo  die  Hymnen  des  Rigveda  entstanden,  sich  noch  lange  nicht  über 
ganz  Indien  aasgebreitet  hatten.  Wir  finden  sie  noch  im  Strom- 
gebiet des  Indus  (Sindhu),  dem  heutigen  Pandschab,  ansässig*). 
Vom  Westen  her,  über  die  Pässe  des  Hindukusch,  waren  arische 
Stämme  in  das  F'Unfstromland  eingedrungen,  und  in  den  Liedern 
des  Rigveda  hören  wir  noch  von  den  Kämpfen,  welche  die  Arier  s) 

0  Brh:tdäranyaka-Upani?ad  V,  15.    Dyu  ist  diu  zu  sprechen. 

*)  Väsistha-Dbannasutra  XIII,  3  und  sonst. 

5)  Z.B.  Satapatha  Brahmaria  VIII,  1,  1-2. 

■<)  Nach  den  Ausführungen  von  E,  W.  Hopkins  (The  Panjäb  and 
the  Rig-Veda,  im  Journal  of  the  Amer.  Or.  Soc.  XIX,  19-28)  würen 
die  Wohnsitze  der  arischen  Inder  zur  Zeit,  wo  die  Mehrzahl  der 
Hymne»  gedichtet  wuide,  in  der  Gegend  der  heutigen  Stadt  AmbalJa, 
zwischen  den  Flüssen  Sarasouti  und  Ghuggar  zu  suchen. 

5)  Ssk.  ärya  =^  altbaktr.  airya--=altpers.  ariya,  *die  Treuergebenen, 
die  Leute  des  eigenen  Stammes '.  Herodot  (VII,  62)  sagt,  dafs  sich 
die  Meder"V{»«>*  nannten.  »Arier»  ist  also  die  gemeinsame  Bezeichnung 
von  Indern  und  Iraniern.  Über  die  nahe  Verwandtschaft  der  Sprache 
des  Veda  mit  dem  Altiranischen  s.  oben  S.  38. 


-    57    -- 

mit  den  Dnsyu  oder  der  »schwarzen  Haut«,  wie  die  dunkelfarbigen 
Ureinwohner  genannt  wurden,  auszufecbten  hatten.  Nur  langsam 
j  ringen  sie  unter  fort  wahrenden  Kämpfen  gegen  die  verhafsten 
»Nichtarier«  (anärya)  —  die  Dasyus  oder  Däsas,'die  keine  Gutter, 
keine  Gesetze  und  keine  Opfer  kennen  —  gegen  Westen  bis  an 
den  Ganges  vor.  Und  es  ist  bezeichnend,  dafs  dieser  Strom, 
L>hne  den  wir  uns  das  Indien  aller  späteren  Zeit  kaum  denken 
künnen,  und  der  bis  auf  den  heutigen  Tag  in  der  Dichtung  wie 
im  Volksglauben  d^r  Inder  eine  so  hervorragende  Rolle  spielt, 
im  Rigveda  kaum  erwHhnt  wird.     Das  Heinesche  Stimmungsbild  : 

»Ani  Ganges  duftet's  und  leuchtet's, 
Und  Riesenbäume  bltlhn, 
XJöd  schöne,  still«  Menschen 
Vor  Lotosblumen  knien,- 

das  uns  Gestalten  und  Bilder  aus  Kiilidäsas  Zeiten  vors  Auge 
zaubert,  pafst  durchaus  nicht  zu  den  Zeiten  des  Rigveda.  Selbst 
die  Lotosblume,  die  gewissermafsen  zum  Grundbestaiid  der  spateren 
indischen  Poesie  gehört,  gibt  den  vedischen  Süngern  noch  nicht 
Anlafs  zu  Vergleichen.  Überhaupt  sind  Tier-  und  Pflanzenwelt 
im  Rigveda  wesentlich  verschieden  von  denen  der  späteren  Zeit. 
Der  indische  Feigenbaum  (Nyagrodha,  Ficus  indica)  fehlt  im 
Rigveda.  Das  gefUrchtetste  Raubtier  des  heutigen  Indiens,  der 
Tiger,  wird  in  den  Hymnen  noch  nicht  erwähnt,  —  seine  Heimat 
ist  Bengalen,  wohin  die  arischen  Inder  damals  noch  nicht  vor- 
gedrungen waren.  Der  Reis  —  später  die  Haupttrucht  des  Land- 
baues und  das  Hauptnahrungsmittel  der  Inder  —  ist  dem  Rigveda 
noch  ganz  unbekannt.  Gepflanzt  wird  nur  die  Gerste,  und  der 
Ackerbau  spielte  zur  Zeit  der  Hymnen  nur  erst  eine  geringe 
Rolle.  Die  Haupterwerbsquelle  war  die  Viehzucht,  und  Haupt- 
zuchttier war  das  Rind.  Hochgeschätzt  war  auch  das  Rofs,  das, 
vor  den  Streitwagen  gespannt,  den  Krieger  ins  Feld  trug  und 
bei  dem  beliebten  Wageni*ennen  dem  Sieger  Preis  und  Ruhm 
einbrachte.  Immer  kehrt  in  den  Liedern  und  Anrufungen  an  die 
Götter  die  Bitte  um  Ritider  und  Rosse  wieder.  Um  Rinderbesitz 
dreht  sich  auch  der  Kampf  mit  den  feindlichen  Ureinwohnern, 
Dai-um  heilst  auch  das  alte  Woi  t  fttr  »Krieg«  oder  »Kampf* 
ursprunglich  »Verlangen  nach" Rindern <?  (gavisti).  In  den  über- 
schwenglichsten Ausdrücken  werden  die  Rinder  als  der  köstlichste 


—    58    — 

Besitz  gepriesen').  Das  Brüllen  der  Kühe,  die  dem  Kalbe  zu- 
eilen, gilt  dem  alten  Inder  als  die  lieblichste  Musik.  »Die  Sänger 
jauchzten  dem  Gott  Indra  zu,-  sagt  ein  Dichter,  »wie  Mutterkühe 
dem  Kalbe  zubrüllen.«  Götter  werden  gerne  mit  Stieren,  Göttinnen 
mit  Kühen  verglichen.  Die  Milch  der  Kuh  war  nicht  nur  ein 
Hauptnahrungsm itiel,  sondern  Milch  und  Butter  bildeten  auch 
einen  wesentlichen  Bestandteil  der  Opfer  an  die  Götter.  Die  Milch 
wurde  gern  warm  genossen,  wie  sie  von  der  Kuh  kam,  und 
vedische  Dichter  staunen  über  das  Wunder,  dafs  die  rohe  Kuh 
gekochte  Milch  spende.  Und  wie  es  im  deutschen  Kinderliede 
heilst : 

»O  sagre  mir,  wie  geht  es  zu, 

Gibt  weilse  MiJch  die  rote  Kuh  — ,« 

so  preist  ein  vedischer  Sänger  den  Gott  Indra  ob  des  Wunders, 
dals  er  die  glänzendweifse  Milch  in  die  roten  und  schwarzen 
Kühe  gelegt  habe.  Die  hohe  Wertschätzung  des  Rindes  "hinderte 
aber  nicht,  dafs  man  Kühe  und  besonders  Stiere  bei  den  Opfern 
schlachtete;  auch  ihr  Fleisch  wurde  gegessen.  Ein  Verbot  der 
Kuhtötung  gab  es  in  der  ältesten  Zeit  nicht.  Auch  das  Fell  der 
Rinder  wurde  verwendet.  Der  Gerber  verarbeitete  es  ?;u  Schläuchen, 
Bogensehnen  und  Riemen.  Es  gab  auch  sonst  schon  mancherlei 
Gewerbe.  Da  war  vor  allem  der  Holzarbeiter  —  zugleich  Zimmer- 
mann, Wagner  und  Schreiner  — ,  der  namentlich  den  Wagen 
zimmerte.  Es  gab  Metallarbeiter,  Schmiede,  die  sich  eines  Vogel- 
fittichs als  Blasebalgs  bedienten.  Die  Schiffahrt  war  noch  in  den 
ersten  Anfängen.  Ein  mit  Rudern  versehener  Kahn,  wohl  nur 
aus  einem  ausgehöhlten  Baumstamm  bestehend,  diente  zum  Be- 
fahren der  Flüsse.  Das  Meer  haben  die  vedischen  Inder  wohl 
gekannt,  ob  es  aber  schon  einen  ausgedehnten_Seehandel  ge- 
geben hat,  ist  zum  mindesten  höchst  zweifelhaft ').  Hingegen  ist 
es  sicher,  dafs  es  Händler  gab  und  ein  ausgedehnter  Handel  ge- 


')  Ganz  ähnlich  ist  es  bei  den  Dinka  und  Kaffern  in  Afrika,  deren 
gegenwärtige  Wirtschaftsform  mit  der  der  vedischen  Arier  ziemlich 
übereinstimmen  dürfte. 

*)  Es  ist  gewifs  kein  Zufall,  dafs  in  den  Liedern  des  Kigveda  un- 
zählige Bilder  und  Vergleiche  von  der  Viehzucht  hergenommen  sind, 
während  nur  selten  einmal  ein  Bild  auf  die  Schiffahrt  Bezug  nimmt. 
Man  vergleiche  dagegen  den  Reichtum  Homers  an  Gleichnissen  und 
Bildern,  die  sich  auf  Schiffahrt  beziehen. 


-^    59     — 

trieben  wurde,  wobei  Rinder  und  Schmuckgegenstände  von  Gold 
die  Stelle  des  Geldes  vertraten.  Nebst  Rindern  und  Rossen  ist 
es  hauptsächlich  Gold,  was  die  vedischen  Sänger  von  den  Göttern 
erflehen  und  von  reichen  Opferherren  als  Spenden  erhoffen. 

Während  wir  aber  von  -Viehzucht  und  Ackerbau,  von  Handel 
und  Gewerbe  ebenso  wie  von  Kriegstaten  und  von  Opfern  im 
Rigveda  hören,  läfst  sich  in  den  Hymnen  noch  nicht  jene  Kasten- 
einteilung nachweisen,  welche  dem  ganzen  gesellschaftlichen 
Leben  der  Inder  der  späteren  Zeit  ein  eigenartiges  Gepräge  ver- 
leiht, und  welche  bis  zum  heutigen  Tage  der  Fluch  Indiens  ge- 
blieben ist.  Nur  in  einem  einzigen,  nachweislich  späten  Hymnus 
werden  die  vier  Kasten  —  Brähmana,  Ksatriya,  Vaisya  und 
Sndra  —  erwähnt.  Wohl  gab  es  Krieger  und  Priester,  aber  von 
einer  geschlossenen  Kriegerkaste  ist  im  Rigveda  so  wenig  die 
Rede  wie  von  einer  oder  mehreren  tief  erstehenden  Kasten  von 
Ackerbauern,  Viehzüchtern,  Kaufleuten,  Handwerkern  und 
Arbeitern.  W^ie  in  späterer  Zeit  so  war  es  allerdings  schon  im 
Rigveda  Sitte,  dafs  dem  König  ein  Hauspriester  (Purohita)  zur 
Seite  stand,  der  die  Opfer  für  ihn  darbrachte.  Aber  wir  hören 
noch  oft  genug  —  auch  noch  in  späterer  vedischer  Zeit  — '  von 
Opfern  und  Zeremonien,  die  der  Hausvater  allein  ohne  priester- 
lichen Beistand  vollzieht.  Die  Hausfrau  nimmt  an  diesen  Opfern 
teil;  ja,  es  gilt  geradezu  als  wesentlich,  dafs  Mann  und  Frau 
vereint  die  heiligen  Zeremonien  vollziehen.  Diese  Teilnahme  der 
Frau  an  den  Opfern  beweist  immerhin,  dafs  die  Stellung  der 
Frau  in  der  ältesten  Zeit  des  Rigveda  noch  nicht  so  niedrig  war 
wie  später,  wo  die  Gesetzbücher  es  den  Frauen  geradezu  ver- 
bieten, zu  opfern  und  heilige  Sprüche  zu  sagen.  Im  Rigveda 
(VIII,  31)  lesen  wir  von  dem  Ehepaar  (dampati,  »Hausherr  und 
Hausfrau«),  das  »einträchtigen  Sinnes  den  Soma  preist,  abspült 
und  mit  Milch  mischt«  und  den  Göttern  V^erehrung  darbringt. 
Manu  aber  erklärt  in  seinem  Gesetzbuch,  dafs  es  den  Göttern 
unangenehm  ist,  wenn  Frauen  opfern  (IV,  206),  und  dafs  Frauen, 
die  das  Feueropfer  (Agnihotra)  darbringen,  in  die  Hölle  sinken 
(XI,  37).  Und  wenn  wir  noch  in  den  Upanisads  hören,  dafs  sich 
Frauen  auch  an  den  Disputationen  der  Philosophen  lebhaft  be- 
teiligten, so  darf  es  uns  nicht  wundernehmen,  dafs  in  den 
Hymnen  des  Rigveda  die  Frauen  uneingeschränkt  —  bei  F'esten, 
Tänzen  u.  dgl.   —   sich   öffentlich   zeigen   konnten.     Und   es   ist 


—    60     -. 

keineswegs  notwendig,  wie  es  einige  Gelehrte  tun,  an  Hetären 
zu  denken,  wenn  es  heilst,  dafs  schöne  Frauen  zu  den  Fest- 
versammlungen strömen.  Damit  soll  nicht  geleugnet  werden,  dats 
auch  schon  zur  Zeit  des  Rigveda  manche  alleinstehende,  schutzlose 
Frauen  —  »bruderlose  Mädchens  nennt  sie  ein  Dichter  —  sich 
der  Prostitution  ergaben;  dafs  es  aber  schon  damals  »ein  grofs- 
artiges  Hetärenwesen^r  gegeben  habe,  wie  zur  Zeit  des  Buddha 
in  \^esHli  oder  zur  Zeit  des  Perikles  in  Athen,  haben  Pischel  und 
Gt^ldner')  trotz  aller  Mühe,  die  sie  sich  diesbezüglich  gegeben 
haben,  iiicht  bewiesen. 

Immerhin  dürfen  wir  uns  von  den  sittlichen  Zuständen  im 
alten  Indien  keine  allzu  hohe  Vorstellung  machen  und  uns  die- 
selben nicht  so  idyllisch  ausmalen,  wie  es  wohl  Max  Müller 
zuweilen  getan  hat  Wir  hören  in  den  Hymnen  des  Rigveda 
von  Blutschande,  Verführung,  ehelicher  Untreue,  Abtreibung  der 
Leibesfrucht  ebenso  wie  von  Betrug,  Diebstahl  und  Raub.  Aber 
alles  dies  beweist  nichts  gegen  die  Altertümlichkejt  des  Rigveda. 
Die  heutige  Völkerkunde  weils  nichts  von  »unverdorbenen  Natur- 
menschen/ ,  ebensowenig ,  wie  ihr  alle  Naturvölker  rohe  Wilde, 
menschenfressende  Ungeheuer  sind.  Der  Ethnologe  weifs,  dafs 
eine  Stufenleiter  von  unendlichen  Abstufungen  der  verschieden- 
artigsten Kulturverhültnisse  von  den  Naturvölkern  zu  den  Halb- 
kulturvölkern bis  hinauf  zu  den  Kulturvölkern  führt.  Wir  brauchen 
uns  daher  das  Volk  des  Rigveda  weder  als  ein  uns«7huldiges 
Hirtenvolk  noch  als  eine  Horde  roher  Wilder,  aber  auch  nicht 
als  ein  Volk  von  verfeinerter  Kultur  zu  denken.  Das  Kulturbild, 
welches  sich  uns  in  diesen  Liedern  entrollt,  und  welches  uns 
Heinrich  Zimmer  in  seinem  schönen  und  noch  immer  wert- 
vollen Buch:  »Altindisches Leben«  ^)  so  meisterhaft  geschildert  hat, 
zeigt  uns  die  arischen  Inder  als  ein  tätiges,  lebensfrohes  und 
kampflustiges  Volk  von  einfachen,  zum  Teil  noch  rohen  Sitten. 
Die  vedisohen  Sanger  flehen  zu  den  Göttern  um  Hilfe  gegen  den 
Feind,  um  Sieg  in  der  Schlacht,  um  Ruhm  und  reiche  Beute-, 
sie  beten  um  Reichtum,  Haufen  Goldes  und  ungezählte  Vieh- 
herden, um  Regen  für  ihre  Felder,  um  Kindersegen  und  langes 
Leben.    Noch  finden  wir  in  den  Liedern  des  Rigveda  nicht  jenen 


«)  Vedische  Studien  I,  S.  XXV. 
')  Berlin  1879. 


—    61     — 

weichlichen,  weltfremden  und  weltschmerzlichen  Zug  des  indischen 
Wesens,  der  uns  in  der  späteren  indischen  Litteratur  immer 
wieder  begegnen  wird. 

Es  hat  nun  Forscher  gegeben,  welche  die  Hymnen  des  Rig- 
veda  für  so  ungeheuer  alt  hielten,  dafs  sie  in  denselben  nicht  so 
sehr  indisches  als  arisches  oder  indogermanisches  Geistesleben 
zu  sehen  glaubten;  sie  hielten  dafür,  dafs  die  Epoche  dieser 
Hymnen  der  indogermanischen  »Urzeit«  noch  so  nahe  stehe,  dafs 
wir  es  in  denselben  noch  viel  mehr  mit  *  Ariern«  als  mit  eigent- 
lichen Indern  zu  tun  hätten.  Dagegen  haben  andere  Forscher 
geltendgeraacht ,  dafs  der  Rigveda  vor  allem  ein  Erzeugnis  des 
indischen  Geistes  ist,  und  dafs  für  die  Erklärung  desselben 
nicht  andere  Grundsätze  mafsgebend  sein  dürfen  als  für  die 
irgendeines  anderen  Textes  der  indischen  Litteratur.  Dies  ist 
einer  der  vielen  Punkte,  in  denen  die  Erklärer  des  Rigveda 
ziemlich  weit  auseinandergehen. 

Wir  müssen  nämlich  hier  der  wichtigen  Tatsache  gedenken, 
dafs  der  Rigveda  noch  keineswegs  vollständig  erklärt  ist.  Es 
gibt  wohl  eine  grofse  Anzahl  von  Hymnen,  deren  Erklärung 
ebenso  sicher  steht  wie  die  irgendeines  anderen  indischen  Textes. 
Aber  es  gibt  anderseits  viele  Hymnen  und  sehr  viele  Verse 
und  einzelne  Stellen  des  Rigveda,  deren  richtige  Deutung  noch 
im  höchsten  Grade  zweifelhaft  ist.  Dies  ist  auch  für  die  gerechte 
Würdigung  dieser  alten  Dichtungen  von  grofser  Wichtigkeit. 
Der  Laie,  der  eine  Übersetzung  des  Rigveda  in  die  Hand  nimmt, 
wundert  sich  oft  darüber,  wie  so  vieles  in  diesen  Hymnen  un- 
poetisch, ja,  unverständlich  und  unsinnig  ist.  Der  Grund  ist  aber 
häufig  nur  der,  dafs  die  Übersetzer  sich  nicht  damit  begnügen, 
das  Verständliche  zu  übersetzen,  sondern  dafs  sie  glauben,  alles 
übersetzen  zu  müssen,  selbst  das,  was  bis  jetzt  noch  nicht 
richtig  gedeutet  ist. 

Dafs  wir  aber  den  Rigveda  noch  nicht  richtig  verstehen, 
vmd  dafs  eine  vollständige  Übersetzung  desselben  notwendiger- 
weise Unrichtiges  enthalten  mufs,  ist  nicht  ganz  unsere  Schuld. 
Der  Grund  ist  eben  gerade  das  hohe  Alter  dieser  Hymnen, 
welche  den  Indern  selbst  schon  in  sehr  früher  Zeit  unverständ- 
lich geworden  sind.  Innerhalb  der  vedischen  Litteratur  finden 
wii  bereits  manche  Verse  des  Rigveda  mifsverstanden  und  falsch 
aufgefafst.    Und  schon   frühzeitig  haben  sich   indische  Gelehrte 


—    62     - 

mit  der  Auslegung  des  Rigveda  abgegeben.     Es  wurden  Samm- 
lungen von  seltenen  und  dunklen  Wörtern,  welche  in  den  Hymnen 
vorkommen,  veranstaltet, sogenannte Nighantus  oder  »Glossare? . 
Und  der  erste  Exeget  des  Rigveda,    dessen  Werk  uns  erhalten 
ist,    war  Yäska,   der  auf  Grundlage   der  Nighantus  in  seinem 
Werk  Nirukta  (d.  h.  »Etymologie«)  eine  grofse  Anzahl  vedischer 
Verse  erklärt.     Dieser  Yäska,  welcher  jedenfalls  älter  als  Pänini 
ist,    zitiert  bereits  nicht  weniger  als  siebzehn  Vorgänger,    deren 
Meinungen  einander  oft  widersprechen.     Ja,  einer  der  von  Yäska 
zitierten  Gelehrten  behauptete  geradezu,    dafs   die  ganze  Veden- 
exegese  nichts  tauge,  da  die  Hymnen  dunkel,    sinnlos  und  ein- 
ander widersprechend  seien,  —  wozu  Yäska  allerdings  bemerkt, 
es  sei  nicht  die  Schuld  des  Balkens,    wenn  der  Blinde  ihn  nicht 
sehe.     Yäska  selbst  verläfst  sich  bei  der  Erklärung   schwieriger 
Wörter   vielfach  auf  die  Etymologie    (die   selbstverständlich   den 
wifsenschaftlichen  Anforderungen  der  modernen  Philologie   nicht 
entspricht)  und  gibt  oft  zwei  oder  mehrere  verschiedene  Deutungen 
für   ein    und    dasselbe   Wort.     Es    folgt   daraus,   dafs  schon   zu 
Yäskas   Zeit  der  Sinn   vieler  Wörter  und   Stellen   des   Rigveda 
nicht   mehr   durch  eine  ununterbrochene  Überlieferung  feststand. 
Von   den    vielen  Nachfolgern   nun,    welche  dieser  Yäska  gehabt 
hat,  ist  uns  ebenso  wie  von  seinen  Vorgängern    nichts  erhalten. 
Erst   aus  dem  14.  Jahrhundert  nach  Christi  Geburt  besitzen  wir 
einen  ausführlichen   Kommentar,  welcher  den  Text  des  Rigveda 
Wort  für  Wort  erklärt.     Es   ist   dies   der   berühmte  Kommentar 
des   Säyana.      Einige    der    älteren    europäischen   Erklärer    des 
Rigveda    —    so    der    englische    Gelehrte    H.    H.    Wilson,    der 
eine     vollständige     englische     Übersetzung     des     Rigveda     ver- 
öffentlicht  hat,    die    ganz    dem   indischen   Kommentar    folgt    — 
verliefsen    sich    durchaus    auf   Säyanas   Kommentar,    indem    sie 
von    der    Ansicht    ausgingen,    dafs    derselbe    auf    einer    zuver- 
lässigen  Tradition   beruhe.     Hingegen    kümmerten    sich    andere 
Vedaforscher  um  die  einheimische  Interpretation    gar  nicht.     Sie 
leugneten,  dafs  ein  Kommentator,  der  mehr  als  zwei  Jahrtausende 
nach  dem  Entstehen  des  von  ihm  erklärten  Werkes  gelebt  habe, 
irgend  etwas  wissen  könne,  was  wir  Europäer  mit  unserer  philo- 
logischen  Kritik    und    mit    den    modernen   Mitteln    der    Sprach- 
wissenschaft nicht  besser  ergründen  und  verstehen  könnten.     Zu 
d'.esen  Forschern  gehörte  namenthch  Rudolf  Roth.     Einer  seiner 


~     63    — 

Schüler  und  Anhänger  war  H.  Grafsmann,  der  eine  voll- 
ständige metrische  Übersetzung  der  Hymnen  des  Rigveda  in  zwei 
Bänden  veröffentlichte ' ).  Die  meisten  Forscher  nehmen  heut- 
zutage eine  vermittelnde  Stellung  ein.  Sie  geben  zwar  zu,  dafs 
wir  den  einheimischen  Erklärern  nicht  blindlings  folgen  dürfen, 
glauben  aber,  dafs  dieselben  doch  teilweise  wenigstens  aus 
einer  ununterbrochenen  Überlieferung  schöpften  und  darum  Be- 
achtung verdienen,  dafs  sie  aber  auch  schon  deshalb,  weil  sie 
Inder  sind  und  sich  in  der  indischen  Atmosphäre  gewissermafsen 
besser  auskennen  als  wir  Europäer,  oft  das  Richtige  treffen.  Zu 
diesen  Erklärern  gehört  Alfred  Ludwig,  der  iii  seiner  voll- 
ständigen deutschen  Übersetzung  des  Rigveda,  der  ein  ausführ- 
licher, höchst  wertvoller  Kommentar  beigegeben  ist  =),  zum  ersten- 
mal die  Erklärungen  des  Säyana  gründlich  verwertet  hat,  ohne 
dabei  auf  andere  Hilfsmittel  der  Erklärung  zu  verzichten.  Er  ist 
ein  Vorläufer  von  R.  Pischel  und  K.  F.  Geldner,  die  sich 
durch  ihre  »Vedischen  vStudien«  ^)  um  die  Aufklärung  vieler  dunkler 
Stellen  des  Rigveda  aufscrordentlich  verdient  gemacht  haben. 
Sie  haben  auch  am  schärfsten  —  freilich  nicht  ohne  Übertreibung 
—  den  Grundsatz  festgehalten,  dafs  der  Rigveda  vor  allem  als 
ein  indisches  Geisteserzeugnis  erklärt  werden  mufs,  für  dessen 
richtiges  Verständnis  die  indische  Litteratur  späterer  Perioden 
den  besten  Schlüssel  liefert. 

Zu  all  dem  koöimt  noch  eine  andere  vielumstrittene  Frage, 
welche  für  die  Erklärung  der  vedischen  Hymnen  von  nicht  ge- 
ringem Belange  i.st:  nämlich  die,  ob  diese  Hymnen  unabhängig 
von  allem  Opferrituell  als  die  naiven  Äufserungen  eines  frommen 
Götterglaiibens ,  als  die  Herzensergüsse  gottbegeisterter  Sänger 
entstanden,  oder  aber,  ob  sie  vori  Pri    .' :  ::   Mofs  mit  der  Absicht, 


•)  Leipzig  1876  und  1877'.  Viel  mehr  zu  empfehlen  als  diese 
Übersetzung  ist  die  gleichfalls  aus  der  Schule  Roths  hervorgegangene 
Auswahl  «Siebenzig  Lieder  des  Rigveda  übersetzt  von  Karl  Geldner 
und  Adolf  Kaegi.    Mit  Beiträgen  von  R.  Roth«.    Tübingen  1875. 

')  Prag  1876—1888  in  sechs  Bänden.  Trotz  ihrer  abschreckenden 
äufseren  Form  ist  die  Prosaübersetzung  Ludwigs  in  bezug  auf  Ge- 
nauigkeit und  Zuverlässigkeit  den  gefälligen  Versen  Grafsmanns  unbe- 
dingt vorzuziehen.  Zu  empfehlen  sind  auch  die  englischen  Übersetzungen 
ausgewählter  Hymnen  des  Rigveda  von  F.  Max  Müller  und  H.  Olden- 
berg  in  den  ».Sacred  Books  of  the  East»,  vols.  32  und  46. 

3)  Stuttgart  1889—1901,  drei  Bände. 


~    64    — 

zu  gewissen  Opfern  und  Zeremonien  verwendet  zu  werden,  band- 
werksmäfsig  verfafst  worden  sind. 

Wie  verschieden  aber  die  Beurteilung  dieser  Lieder  ist,  je 
nachdem  ein  Forscher  aul  dem  einen  oder  dem  anderen  der  eben 
aufgezählten  Standpunkte  der  Auslegung  steht,  das  mag  eine 
Gegenüberstellung  der  Urteile  zweier  bedeutender  Forscher  zeigen. 
In  seinem  schönen  und  noch  immer  empfehlenswerten  Buch :  »Der 
Rigveda,  die  älteste  Litteratur  der  Inder«  ')  sagt  Ad.  Kaegi 
von  den  Hymnen  desRigveda:  »Die  grofse  Mehrzahl  der  Lieder 
sind  Annifungen  und  Verherrlichungen  der  jeweilen  angeredeten 
Gottheiten;  ihr  Grundton  ist  durchweg  ein  einfacher  Ergufs  des 
rierzens,  ein  Gebet  zu  den  Ewigen,  eine  Einladung,  die  fromm 
geweihte  Gabe  günstig  entgegenzunehmen  .  ,  .  Was  ein  Gott  in 
seme  Seele  legte  und  ihm  zu  fühlen  gab:  dem  Drang  seines 
Herzens  will  der  Sänger  beredten  Ausdruck  geben.«-  Er  gibt  zu, 
dafs  auch  minderwertige  Stücke  sich  in  der  Sammlung  befinden, 
»aber  es  weht  in  ihnen  allen  ein  frischer  Hauch  urkruftiger,  natur- 
wüchsiger Poesie:  wer  immer  sich  die  Mühe  gibt,  sich  hinein- 
zuversetzen in  das  religiöse  und  sittliche  E'enken  und  Handeln, 
das  Dichten  und  Schaffen  eines  Volkes  und  Zeitalters,  welches 
die  erste  Geistesentwicklung  unseres  eigenen  Stammes  uns  am 
besten  vor  Augen  stellt,  der  wird  sich  durch  viele  dieser  Lieder, 
hier  durch  die  kindliche  Einfalt,  dort  durch  die  Frische  oder 
Zartheit  der  Empfindung,  anderwärts  durch  die  Küh'nheit  der 
Bilder,  durch  den  Schwung  der  Phantasie  mannigfach  angezogen 
fühlen« .  Und  nun  höre  man ,  was  H.  Oldenberg,  der  geist- 
volle und  feinsinnige  Kenner  indischer  Litteratur,  in  seiner 
»Religion  des  Veda'?  -)  über  diese  Lieder  sagt.  Er  sieht  schon 
in  diesem  iältesten  Dokument  der  indischen  Litteratur  und  Religion« 
;»die  deutlichen  Spuren  eines  immer  mehr  überhandnehmenden 
geistigen  Erschlaf fens« .  Er  spricht  von  den  »Opfergesängen  und 
Litaneien,  mit  welchen  die  Priester  der  vedischen  Arier  auf 
tempellosem  Opterplatz,  an  den  rasenumstreuten  Opferfeuern  ihre 
Götter  anriefen,  —  Barbarenpriester  die  Barbarengötter,  die  mit 
Rossen  und  Wagen  durch  Himmel  und  Luftreich  gefahren  kamen, 
um  den  Opferkuchen,  Butter  und  Fleisch  zu  schmausen   und   im 


')  Zweite  Auflage,  Leipzig  1881. 


*)  Berlin  1894. 


—    65    — 

berauschenden  Somasaft  sich  Mut  und  Götterkraft  zu  trinken. 
Die  Sänger  des  Rigveda,  in  altererbter  Weise  dichtend  für  das 
grofse  und  prunkvolle  .  .  .  Somaopfer,  wollen  nicht  von  dem 
Gott,  welchen  sie  feiern,  erzählen,  sondern  sie  wollen  diesen  Gott 
loben  ...  So  häufen  sie  auf  ihn  alle  verherrlichenden  Beiworte, 
welche  der  schmeichlerisch-plumpen  Redseligkeit  einer  das  Helle 
und  Grelle  liebenden  Phantasie  zu  Gebote  stehen.«  »Nur  in  den 
abgeschlossenen  Kreisen  priesterlicher  Opfertechniker«  konnte, 
meint  Oldenberg,  eine  solche  Poesie  entstanden  sein. 

Mir  scheinen  diese  Urteile  beide  tibertrieben,  und  die  Wahr- 
heit liegt  meiner  Ansicht  nach  hier  wie  bei  allen  die  Rigveda- 
Erklärung  betreffenden  Streitfragen  in  der  Mitte.  Erinnern  wir 
uns,  dals  die  Hymnensammlung  des  Rigveda  aus  älteren  und 
jüngeren  Stücken  zusammengesetzt  ist.  Und  so  wie  es  Hymnen 
in  der  Samhitä  gibt,  die  verschiedenen  Zeitaltern  angehören,  so 
sind  auch  die  Hymnen  inhaltlich  von  sehr  verschiedenem  Wert 
und  verschiedenen  Ursprungs.  Kein  Zweifel,  dafs  eine  grofse 
Anzahl  derselben  unabhängig  von  allem  Opferrituell  entstanden 
ist,  und  dafs  in  ihnen  der  Hauch  echter,  urwüchsiger  religiöser 
Poesie  weht ').  Wenn  viele  dieser  Hymnen  auch  späterhin 
für  Opferzwecke  verwendet  wurden,  so  beweist  das  durchaus 
nicht,  dafs  sie  von  Anfang  an  für  diesen  Zweck  gedichtet 
worden  sind.  Anderseits  ist  es  ebenso  unzweifelhaft,  dafs  sehr 
viele  Stücke  der  Rigveda-Samhitä  von  vornherein  nichts  anderes' 
als  Opfergesänge  und  Litaneien  sein  sollten  und  von  priester- 
lichen Sängern  recht  handwerksmäfsig  zusammengeleimt  worden 
sind.  Übertrieben  ist  es  gewifs  auch,  wenn  W.  D.  Whitney 
sagt:  »Nicht  ein  indisches,  sondern  eher  ein  indogermanisches 
Buch  scheinen  die  Vedas  zu  sein.«  Aber  ebenso  entschieden  ist 
es  eine  Übertreibung,  wenn  Pischel  und  Geldner  (mit  H.  H.  Wilson) 
behaupten,  dafs  die  Inder  zur  Zeit  des  Rigveda  bereits  eine 
Kulturstufe  erreicht  hatten,  die  wenig  versfchieden  war  von  der, 


')  Nur  darf  man  nicht  mit  solchen  Übertreibungen  kommen  wie 
H.  Brunnhof  er  (Über  den  Geist  der  indischen  Lyrik,  Leipzig  1882), 
der  den  Verfasser  einer  der  späteren  philosophischen  Hymnen  des  Rig- 
veda zu  einem  »aus  den  Nebeln  der  Urzeit  emporrag:enden  Dichter- 
fürsten-' macht  (S.  15)  und  sich  zu  dem  Satz  hinreifsen  läfst:  »Der  Veda 
ist  gleichsam  der  Morgenlerchentriller  der  zum  Bewufstsein  ihrer 
Grofse  erwachenden  Menschheit.  <  (S.  41 .)  Das  ist  der  Veda  gewifs  nicht ! 

Winternitr,    Gejctiichte  dor  iadischeti  Litteratur.  5 


—    66     — 

welche    Alexander    der    Grofse     bei    seinem    Einfall    in    Indien 

vorfand')- 

Mag  die  Kluft,  welche  die  Hymnen  des  Rigveda  von  der 
übrigen  indischen  Litteratur  trennt,  auch  nicht  so  grofs  sein, 
wie  manche  ältere  Forscher  angenommen  haben,  —  eine  KJuft 
ist  doch  vorhanden  *).  Dies  beweist  die  Sprache ,  dies  beweisen 
die  oben  angedeuteten  Kulturverhältnisse,  und  dies  beweist  ganz 
besonders  auch  die  Stufe  der  Religionsentwicklung^  welche 
uns  in  den  Hymnen  entgegentritt.  Und  so  viel  ist  sicher :  Was 
auch  immer  der  dichterische  Gehalt  der  Lieder  des  Rigveda  sein 
mag,  es  gibt  keine  wichtigere  Quelle  für  die  Erforschung  der 
frühesten  Stufen  in  der  Entwicklung  der  indischen  Religion,  keine 
wichtigere  litterarische  Quelle  für  die  Erforschung  der  Mythologie 
der  indogermanischen  Völker,  ja,  der  Völker  überhaupt  als  diese 
Lieder  des  Rigveda. 

Um  es  mit  einem  Worte  zu  sagen:  Was  diesen  Hymnen 
ihren  Wert  verleiht,  ist  der  Umstand,  dafs  wir  in  denselben  eine 
Mythologie  im  Werde ri  vor  uns  sehen.  Wir  sehen  Götter 
gewissermafsen  vor  unseren  Augen  entstehen.  Viele  der  Hymnen 
gelten  nicht  einem  Sonnengott,  nicht  einem  Mondgott,  nicht  einem 
Feuergott,  nicht  einem  Himmelsgott,  nicht  Sturmgöttern  und 
Wassergottheiten ,  nicht  einer  Göttin  der  Morgenröte  und  einer 
Erdgöttin,  sondern  die  leuchtende  Sonne  selbst,  der  strahlende 
Mond  am  nächtlichen  Firmament,  das  auf  dem  Herde  oder  dem 
Altar  lodernde  Feuer  oder  auch  der  aus  der  Wolke  zuckende 
Blitz,  der  helle  Tageshimmel  oder  der  gestirnte  Nachthiinmel,  die 
brausenden  Stürme,  die  strömenden  Wasser  der  Wolken  und  der 
Flüsse,  die  erglühende  Morgenröte  und  die  weithin  sich  aus- 
breitende, fruchtbare  Erde  —  alle  diese  Naturerscheinungen  werden 
als  solche  verherrlicht,  angebetet  und  angerufen.  Und  erst  all- 
mählich vollzieht  sich  in  den  Liedern  des  Rigveda  selbst  die  Um- 
wandlung dieser  Naturerscheinungen  in  mythologische  Gestalten, 
in  Götter  und  Göttinnen,  wie  Sürya  (Sonne),  Soma  (Mond),  Agni 
(Feuer),  Dyaus  (Himmel),  Maruts  (Stürme),  Väyu  (Wind),  Äpas 
(Gewässer),  Usas  (Morgenröte)  und  Ptthivi  (Erde),  deren  Namen 
auch  noch  unzweifelhaft  andeuten,  was  sie  ursprünglich  gewesen 


0  Vedische  Studien  I,  S.  XXVI. 

»)  So  auch  A.  Hillebrandt,  Vedische  Mythologie  II,  8. 


—    67    —     • 

sind.     Und  so  beweisen  die  Lieder   des  Rigveda    unwiderleglich, 
dafs  die  hervorragendsten  Gestalten  der  Mythologie  aus  Personi- 
fikationen der   aufCälligöten  Naturerscheinungen   hervorgegangen 
sind.    Der  mythologischen  Forschung  aber  ist  es  gelungen,  auch  bei 
anderen  Gottheiten,  deren  Namen  nicht  mehr  so  durchsichtig  sind, 
nachzuweisen,  dafs  sie  ursprünglich  nichts  anderes  waren  als  eben- 
solche Naturerscheinungen  wie  Sonne,  Mond  u.  s.  w.  Solche  mytho- 
logische Gestalten,   deren  ursprüngliche  Natur    in    den  Hymnen 
schon  halb  und  halb  vergessen  ist,  und  die  nur  mehr  als  mächtige, 
erhabene  und  durch   allerlei  Wundertaten   ausgezeichnete  Wesen 
gefeiert  werden,  sind  Indra,  Varuna,  Mitra,  Aditi,  Visnu,  Püsan, 
die  beiden  Asvins,  Rudra  und  Parjanya.     Auch  diese  Götternamen 
bezeichneten   ursprünglich  Naturerscheinungen   und   Naturwesen. 
Beiwörter,    welche  zunächst  eine  besonders  wichtige  Seite   eines 
Naturwesens  hervorhoben,  wurden  zu  eigenen  Göttemamen   und 
zu  neuen  Göttern.   So  waren  Savitar,  der  »Erreger«,  der  »Beieber«, 
und  Vivasvat,  sder  Leuchtende«,  zuerst  Beiwörter,  dann  Namen 
der  Sonne,  und  schlielslich  wurden  sie  zu   selbständigen  Sonnen- 
göttern  neben   Sürya.     Auch   die  Götter   verschiedener  Stämme 
imd  verschiedener  Zeiten  sind  vielfach  in  dem  Polytheismus  der 
vedischen   Inder   vertreten').     So   kommt  es,   dafs   auch    Mitra, 
Visnu  und  Püsan  im  Rigveda  als  Sonnengötter  erscheinen.     Pusan 
war  vermutlich  ursprünglich  der  Sonnengott  eines  kleinen  Hirten- 
stammes,  ehe   er   als   der  »Herr  der  Wege«,    der  Schützer   der 
Reisenden,  der  Gott,  der  alle  Pfade  kennt  und  auch  das  verlaufene 
Vieh    wieder    auf   den   richtigen   Weg   bringt,   in    das    vedische 
Pantheon  aufgenommen  wurde.     Mitra,  der  identisch  ist  mit  dem 
Mithra  des  Avesta,  gibt  sich  schon  dadurch  als  ein  alter  arischer 
Sonnenaott  zu    erkennen,    der   noch   aus   der   Zeit   stammt,    wo 
Inder  und  Iranicr  ein  Volk  bildeten.     Nicht  bei  allen  Göttern  ist 
es  so  leicht,  zu  ergründen,    welcher  Naturerscheinung   sie   ihren 
Urspning  verdanken.     Noch   gehen  die  Ansichten   der  Forscher 
in  der  Erklärung  von  Göttern  wie  Indra,  Varuna,   Rudra,    der 
Aditi  und  den  A§vrns  —  um  nur  die  wichtigsten  zu   nennen  — 
weit  auseinander.     So  ist  Indra  dem  einen  ein  Gewittergott,  dem 
andern    ein    alter  Sonnengott.      Varuna   gilt   den   einen    als   ein 
Himmelsgott,    während   andere    in    ihm    einen   Mondgott    sehen. 


')  Vgl  A.  Hillebrandt.  Vedische  Mythologie  II,  U  iL 

5' 


—    68    — 

Rudra,  der  gewöhnlich  für  einen  Sturmgott  gehalten  wird  ,  weil 
er  der  Vater  der  Sturmgötter  (der  »Maruts«)  ist,  wäre  nach 
Oldenberg  ein  Berg-  und  Waldgott,  nach  Hillebrandt  »ein  Gott 
der  Schrecken  des  tropischen  Klimas  s.  Aditi  ist  nach  der  einen 
Ansicht  der  weite  Himmelsraum,  nach  der  anderen  die  endlos 
sich  ausbreitende  Erde.  Die  beiden  Asvins,  ein  Götterpaar, 
welches  mit  den  griechischen  Dioskuren  zweifellos  verwandt  ist 
und  sich  auch  in  der  germanischen  und  lettischen  Mythologie 
wiederfindet,  waren  schon  vor  Yäska  den  alten  indischen  Exegeten 
ein  Rätsel;  die  einen  hielten  sie  für  Himmel  und  Erde,  andere 
für  Tag  und  Nacht,  und  heute  noch  sehen  manche  Forscher  in 
ihnen  die  beiden  Dämmerungen,  andere  Sonne  und  Mond,  wieder 
andere  den  Morgen-  und  Abendstern  und  noch  andere  das  Stern- 
bild der  Gemini \).  Was  aber  das  wichtigste  ist:  darin  stimmen 
die  meisten  M)i.hologen  heute  überein ,  dafs  die  weitaus  gröfste 
Mehrzahl  der  vedischen  Götter  aus  Naturerscheinungen  oder 
Naturwesen  hervorgegangen  ist.  Wohl  hat  es  auch  einige  Gott- 
heiten gegeben ,  welche  aus  Abstraktionen  zu  göttlichen  Wesen 
geworden  sind ,  aber  sie  treten  fast  alle  erst  in  den  spätesten 
Hymnen  des  X.  Buches  auf ;  so  Visvakarman,  »der  Weltbaumeister« , 
Prajäpati,  »der  Herr  der  Geschöpfe«,  oder  Sraddhä,  »Glaube«, 
Manyu,  »Zorn«,  und  einige  ähnliche  Personifikationen.  Wichtiger 
sind    einzelne    Götter    der    sogenannten     »niederen«     Mythologie, 


')  Es  ist  hier  nicht  der  Ort,  zu  all  den  Streitfragen,  welche  die 
vedische  Mythologie  betreffen,  vStellung"  zu  nehmen.  Die  Tatsachen 
der  vedischen  Mythologie  findet  man  am  besten  zusammengestellt  bei 
A.  A.  Macdonell,  Vedic  Mythology  (im  "Grundrifs  III,  lA)  Wer  sich 
in  bezug  auf  die  Erklärung  der  Mythen  und  des  Götterglaubens 
der  alten  Inder  orientieren  will,  mufs  unbedingt  sowohl  H.  Oidenbergs 
'Religion  des  Veda  (Berlin  18^4)  als  auch  A.  Hillebrandts  »Vedische 
Mythologie^  (drei  Bände,  Breslau  1891 — 1902j  zu  Rate  ziehen.  So 
verschieden  auch  die  Resultate  sind,  zu  denen  di-i  beiden  Forscher  ge- 
langen, so  haben  doch  beide  zur  Erweiterung  UT:d  Vertiefung  unserer 
Kenntnis  der  vedischen  Religion  unendlich  viel  beigetragen.  Dals  aber 
bei  den  hier  in  Betracht  kommenden  Fragen  absolute  Sicherheit  nie 
zu  erreichen  ist,  dafs  man  der  Wahrheit  immer  nur  mehr  oder  weniger 
nahekommen  kann,  darüber  mufs  sich  auch  der  Laie  klar  werden.  Grolse 
Verdienste  um  die  Erforschung  der  vedischen  Religion  und  noch  mehr 
um  die  Exegese  der  Hymnen  des  Rigveda  hat  sich  auch  der  französische 
Gelehrte  Abel  Bergaigne  (La  religion  v^dique  d'apres  les  hymnes 
du  Rig-Veda,  drei  Bände,  Paris  187^-1883)  erworben. 


—    69    — 

welche  auch  im  Rigveda  vorkommen:  die  Rbhus,  welche  den 
Elfen,  die  Apsaras,  welche  den  Nymphen  entsprechen,  und  die 
Gandharvas,  welche  eine  Art  Wald-  und  Feldgeister  sind.  Auch 
zahlreiche  Dämonen  und  böse  Geister  erscheinen  in  den  Hymnen 
als  Götterfeinde,  welche  von  den  Devas  oder  Göttern  gehafst  und 
bekämpft  werden.  Der  Name  Asura  aber,  mit  welchem  in  den 
späteren  vedischen  Werken  diese  Götterfeinde  bezeichnet  werden, 
kommt  im  Rigvcda  noch  in  der  alten  Bedeutung  >Gott^  vor, 
welche  das  entsprechende  Wort  xAhura«  im  Avesta  hat,  und 
nur  an  wenigen  Stellen  auch  in  der  Bedeutung  von  Dämonen. 
Im  Rigveda  ist  Däsa  oder  Dasyu  —  so  bezeichnete  man  auch 
die  nicht-arischen  Ureinwohner  —  der  gewöhnliche  Name  für  die 
bösen  Dämonen,  daneben  auch  Raksas  oder  Räksasas,  womit  im 
Rigveda  ebenso  wie  in  der  ganzen  späteren  indischen  Litteratur 
alle  Arten  von  unheilbringenden,  gespenstischen  Wesen  bezeichnet 
werden.  Auch  die  Pitaras,  die  »Väter«  oder  Ahnengeister,  emp- 
fangen schon  im  Rigveda  göttliche  Verehrung.  Und  der  König 
dieser  Ahnengeister,  der  im  Reiche  der  Verstorbenen  hoch  oben 
im  höchsten  Himmel  herrscht,  ist  Yama,  ein  Gott,  der  schon  der 
indo-iranischen  Vorzeit  angehört-,  denn  er  ist  identisch  mit  Yima, 
der  im  Avesta  der  erste  Mensch,  der  Urahn  des  Menschen- 
geschlechts ist.  Als  der  erste  Dahingeschiedene  —  vielleicht  ur- 
sprünglich die  täglich  untersinkende  Sonne  oder  der  allmonatlich 
hinsterbende  Mond  —  wurde  er  zum  König  im  Reiche  der  Toten. 
Aber  dieses  Totenreich  ist  im  Himmel,  und  den  Sterbenden  tröstet 
der  Glaube,  dafs  er  nach  dem  Tode  im  höchsten  Himmel  bei 
König  Yama  weilen  werde.  Von  dem  düsteren  Glauben  an  eine 
Seelenwanderung  und  ein  ewiges  Wiedergeborenwerden  —  dem 
Glauben,  welcher  das  ganze  philosophische  Denken  der  Inder 
in  späteren  Jahrhunderten  beherrscht  —  ist  im  Rigveda  noch 
keine  Spur  zu  finden.  So  sehen  wir  auch  hier,  wie  doch  in  diesen 
Hymnen  ein  ganz  anderer  Geist  weht  als  in  der  gesamten 
späteren  indischen  Litteratur. 

Gerade  diese  bedeutenden  Unterschiede  zwischen  den  religiösen 
Anschauungen,  die  in  den  Liedern  des  Rigveda  zutage  treten, 
imd  denen  der  Folgezeit  beweisen  aber  auch,  dafs  diese  Lieder 
tatsächlich  den  Volksglauben  der  alten  arischen  Inder  wider- 
spiegeln. Und  wenn  es  auch  richtig  ist.  dafs  die  Lieder  des 
Rigveda  iiicht  eigentlich  > Volksdichtung <:  zu  nennen   sind,    dafs 


—     70     — 

sie  —  zum  grofsen  Teile  wenigstens  —  in  gewissen  Sängerfamilien, 
in  engen  priesterlichen  Kreisen  entstanden  sind,  so  dürfen  wir  doch 
nicht  glauben,  dafs  diese  Priester  und  Sänger  die  Mythologie  und 
das  Religionswesen  ohne  Rücksicht  auf  den  Volksglauben  ge- 
schaffen haben.  Wohl  mag  manches,  was  uns  von  den  Göttern 
berichtet  wird ,  nur  auf  »momentanen  Einfällen  der  einzelnen 
Dichter«  beruhen,  aber  im  grofsen  und  ganzen  müssen  wir  an- 
nehmen, dafs  diese  Priester  und  Sänger  an  Volkstümliches  an- 
geknüpft haben,  dafs  sie  —  wie  Hillebrandt  treffend  sagt  — 
»über,  aber  nicht  aufser  dem  Volke«  standen»). 

So  sind  uns  denn  diese  Lieder  als  Zeugnisse  für  den  ältesten 
Götterglauben  der  arischen  Inder  von  unschätzbarem  Wert.  Aber 
auch  als  Werke  der  Dichtkunst  verdienen  sie  einen  hervor- 
ragenden Platz  in  der  Weltlitteratur.  Wohl  erheben  sich  die 
Dichter  dieser  Hymnen  nur  äufserst  selten  zu  dem  erhabenen 
Schwung  und  der  tiefen  Inbrunst  etwa  der  religiösen  Poesie  der 
Hebräer.  Der  vedische  Sänger  blickt  zu  dem  Gott,  den  er  be- 
singt, nicht  mit  jener  erschauernden  Ehrfurcht  und  nicht  mit 
jenem  felsenfesten  Glauben  empor  wie  der  Psaimist  zu  Jehovah. 
Und  nicht,  wie  bei  diesem,  steigen  die  Gebete  der  priesterlichen 
Sänger  Altindiens  aus  dem  Tiefinnersten  der  Seele  zu  den 
Himmlischen  empor.  Diese  Dichter  stehen  mit  den  Göttern,  die 
sie  besingen,  auf  mehr  vertrautem  Fufse.  Wenn  sie  einem  Gott 
ein  Loblied  singen,  so  erwarten  sie  von  ihm,  dafs  er  ihnen  dafür 
auch  Reichtümer  an  Kühen  und  Heldensöhnen  schenkt,  und  sie 
scheuen  sich  auch  nicht,  dem  Gotte  das  zu  sagen.  »Do,  ut  desc 
ist  der  Standpunkt,  auf  dem  sie  stehen.  So  sagt  ein  vedischer 
Sänger  zu  dem  Gott  Indra  (Rv.  VIII,  14,  L  2): 

'•Wenn  ich,  o  Indra,  so  wie  du, 
Allein  der  Herr  der  Güter  war', 
Dann  würde  mein  Lobsänger  nie 
Ganz  ohne  Rinder  sein; 

Ihm  helfen  würd'  ich,  schenken  ihm, 
Dem  weisen  Sänger,  —   tat'  es  «ern, 
Wenn  ich,  o  hilfereicher  Gott. 
Der  Herr  der  Rinder  war'." 


')  Vgl.  Oldenberg,   Aus   Indien  und  Iran,  S.   19.     Religion  des 
Veda,  S.  13.    Hillebrandt.  Vedische  Mythologie  IL  4. 


—     71     — 

Und  ein   anderer  Sänger  wendet  sich   an  Gott   Agni  mit    den 
Worten  (Rv.  VIII,  19,  25.  26): 

»Wenn,  Agni,  du  der  Sterbliche  wärest  und  der  Unsterbliche  ich, 
O  du  dem  Mitra  gleicher  Sohn  der  Kraft,  dem  unser  Opfer  gilt  — 
Nicht  würd'  dem  Fluche  ich,  dem  Unheil  preis  dich  geben,  guter  Gott ! 
Nicht  würde  mein  Lobpreiser  arm  und  elend,  nicht  im  Unglück  sein.« 

Doch  ist  der  Charakter  der  Hymnen  ~  und  ich  spreche  zu- 
nächst von  jenen,  welche  Anrufungen  und  Lobpreisungen 
der  Götter  enthalten,  ohne  für  bestimmte  Opferzwecke  verfafst 
zu  sein  —  sehr  verschieden,  je  nach  den  Gottheiten,  welchen  sie 
gewidmet  sind.  Zu  den  erhabensten  und  schwungvollsten  Ge- 
dichten gehören  unstreitig  die  Lieder  an  Varuna.  Es  sind 
ihrer  allerdings  nicht  viele.  Varuna  aber  ist  der  einzige  unter 
den  vedischen  Göttern,  der  hocherhaben  über  den  Sterblichen 
dasteht,  dem  sich  der  Sänger  nur  jiiit  Zittern  und  Bangen  und 
in  demutsvoller  Ehrfurcht  zu  nahen  wagt.  Varuna  ist  es  auch, 
der  mehr  als  irgendein  anderer  Gott  des  vedischen  Pantheons 
sich  um  den  sittlichen  Wandel  der  Menschen  kümmert  und  die 
Sünder  bestraft.  Zerknirscht  naht  ihm  deshalb  der  Sänger  und 
bittet  um  Vergebung  seiner  Sünden.  Danmfi  sind  die  an  Varuna 
gerichteten  Hymnen  auch  die  einzigen,  die  sich  einigermalsen 
mit  der  Poesie  der  Psalmen  etwa  vergleichen  lassen.  Als  Probe 
gebe  ich  den  Hymnus  Rv.  V,  85  in  der  Übersetzung  von 
K.  Geldner'):- 

»Das  Lied  stimm  an  bald  laut,  bald  leiser  tönend 
Dem  Varuna,  dem  Herrn  des  Alls,  das  liebe 

Ihm,  der  die  Erde  spannte,  wie  der  Schlächter 
Die  Stierhaut  in  dem  Sonnenscheine  spreitet 

Die  Lüfte  hat  mit  Wolken  er  durchwoben*). 

Ins  Rofs  den  Mut  gelegt,  die  Milch  in  Kühe, 

Verstand  ins  Herz,  in  Wasserfluten  Feuer  ^), 

Die  Sonn'  am  Himmel,  auf  den  Fels  den  Soma. 


')  »Siebenzig  Lieder  des  Rigveda«,  Nr.  2. 

')  Im  Text  heilst  es  aber:  "Über  die  Wälder  hat  er  den  Luftraum 
ausgespannt.« 

3)  Nämlich  den  Blitz  in  die  Wolke. 


-     72     - 

Die  Wolkentonne  stürzt  er  um  und  lätst  sie 

Zerrinnen  in  die  Luft,  nach  Erd'  und  Himmel. 

So  tränket  er,  der  König  alles  Lebens, 

Die  "Wesen,  wie  des  Feldes  Frucht  der  Regen. 

Er  netzt  der  Erde  Boden  und  den  Himmel, 
Sobald  er  jene  Milch  will  melken  lassen, 

So  hüllen  Berge  sich  in  Wetterwolken, 

Und  rüstige  Männer  bringen  sie  zum  Schmelzen')- 

Auch  dies  gewaltige  Wunderwerk  Varunas, 

Des  hochgerühmten  Gottes,  will  ich  künden: 
In  Lüften  stehend  mifst  er  mit  der  Sonne 
Die  Erdetiräume  wie  mit  einem  Mafse. 

Auch  dies  gewaltige  Wunderwerk  des  Gottes, 
Des  höchsten  Weisen,  tastet  keine  Hand  an, 

Dafs  aller  Ströme  blinkende  Gewässer 
In  eine  See  gegossen  sie  nicht  füllen. 

Wenn  wir  den  nah  befreundeten  und  lieben 

Genossen  oder  Bruder  oder  Nachbarn, 
Wenn  wir  den  Landsmann  oder  Fremden  jemals, 

O  \'aruna,  verletzten,  so  vergib  das. 

Wenn  wir  wie  Schelme  bei  dem  Spiel  betrogen. 

Wenn  wissentlich  wir  fehlten  oder  anders. 
So  löse  alle  diese  Schuld  wie  Flocken ; 

Dir  lieb  und  wert  zu  sein,  ist  unser  Streben.« 

Varuna  ist  auch  .schon  im  Rigveda,  wie  er  in  der  späteren 
Mythologie  der  Gott  des  Meeres  ist,  ein  Gott  der  Gewässer,  und 
darum  bestraft  er  auch  die  Menschen,  die  sich  versündigt  haben, 
vornehmlich  durch  die  Wassersucht.  Ein  schlichtes  Gebet  eines 
an  der  Wassersucht  Erkrankten  ist  Rv.  VII,  89.  Ich  gebe  es  in 
wörtlicher  Prosaübersetzung : 

»O  möcht"  ich  doch  noch  nicht  ins  irdene  Haus*)  eingehen, 
o  König  Varuija!    Sei  gnädig,  Herrscher,  hab  Erbarmen! 


')  Die  Milch  ist  das  Wasser  der  (mit  Kühen  verglichenen)  Wolken. 
Die  »rüstigen  Männer«  sind  die  Sturmgötter  (Maruts),  welche  beim 
Gewitter  die  »Milch-  der  Wolken  zum  Fliefsen  bringen. 

')  Das  Grab  oder  die  tönerne  Urne,  in  welcher  die  Asche  des  ver- 
brannten Leichnams  aufbewahrt  wird,  kann  gemeint  sein.  Über  die 
Bestattungs weisen  der  alten  Inder  siehe  unten  S.  84  f. 


—     73    — 

Wenn  ich.  wie  ein  aufgeblasener  Schlauch,  schwankend  einhergehe, 
o  Steinbewehrter,  —  sei  gnädig,  Herrscher,  hab  Erbarmen! 

Durch  die  Schwäche  meines  Verstandes  bin  ich  —  ich  weifs  nicht, 
wie  —  irre  gegangen;  -    sei  gnädig,  Herrscher,  hab  Erbarmen! 

Obgleich  dein  Sänger  mitten  im  Wasser  steht,  hat  ihn  doch  Durst 
heimgesucht;  —  sei  gnädig,  Herrscher,  hab  Erbarmen. 

Was  immer  wir,  o  Varuna,  Menschen,  die  wir  sind,  für  Unrecht 
gegen,  das  Göttervclk  begangen,  wenn  wir  auch  aus  Unverstand  deine 
Gesetze  übertreten  haben,  —  o  Gott,  füge  uns  kein  Leid  zu  um  dieser 
Sünde  willen!« 

Ein  ganz  anderer  Tön  ist  es,  welcher  in  den  Liedern  an  den 
Gott  Indra  angeschlagen  wird.  Indra  kann  als  der  eigentliche 
Nationalgott  der  vedischen  Inder  bezeichnet  werden.  Da  aber 
die  Inder  zur  Zeit  des  Rigveda  noch  ein  kämpfendes  und 
ringendes  A'^olk  waren,  so  ist  auch  Indra  ein  durchaus  kriegerischer 
Gott.  Seine  ungeheure  Kraft  und  Rauflust  wird  immer  wieder 
geschildert,  und  mit  Liebe  verweilen  die  vedischen  Sänger  bei 
den  Kämpfen  des  Indra  rm't  den  Dämonen,  die  er  mit  seinem 
Donnerkeil  vernichtet.  Namentlich  wird  der  Kampf  des  Indra 
mit  dem  Vrtra  in  zahlreichen  Hymnen  besungen.  Immer  wieder 
ist  von  dem  grofsartigen  Sieg  die  Rede,  welchen  der  Gott  über 
den  Dämon  errungen;  unzählige  Male  wird  Indra  jubelnd  ge- 
priesen, dafs  er  den  Vrtra  mit  seinem  Donnerkeil  erschlagen. 
Vrtra  (wahrscheinlich  »der  Hemmer«)  ist  ein  Dämon  in  Schlangen- 
oder Drachengestalt,  der  die  Wasser  in  einem  Berge  eingeschlossen 
oder  gefangen  halt.  Indra  will  die  Wasser  befreien.  Er  trinkt 
sich  mit  Soma  Mut,  eilt  zum  Kampf  und  erschlägt  das  Ungeheuer; 
—  nun  strömen  die  befreiten  Wasser  über  den  Leichnam  des 
Vrtra  in  raschem  Laufe  dahin.  Sehr  anschaulich  wird  uns  diese 
grolse  Tat  des  Indra  in  dem  Liede  Rv.  I,  32  geschildert,  das  mit 
den  Versen  beginnt: 

"Indras  Heldentaten  will  ich  verkünden,  die  ersten,  die  des  Donner- 
keils Herr  getan  hat.  Die  Schlange  hat  er  geschlagen,  den  Wassern 
hat  er  Bahn  gemacht,  der  Berge  Bauch  hat  er  gespalten. 

Die  Schlange  hat  er  geschlagen,  die  auf  dem  Berge  lag.  Tvas^ar 
hat  ihm  den  sausenden  Donnerkeil  geschmiedet.  Wie  brüllende  Kühe 
eilten  die  Wasser;  stracks  gingen  sie  hinab  zum  Meer.«') 


')  Nach  Oldenberg,   der  den  ganzen  Hymnus  übersetzt    hat    in 
seiner  »Religion  des  Veda*.  S.  136  ff. 


_     74     — 

Die  Lieder  lassen  keinen  Zweifel  darüber,  dafs  es  sich  bei 
dem  Mythos  vora  Drachenkampf  des  Indra  um  ein  gewaltiges 
Naturphänomen  handelt.  Himmel  und  Erde  erzittern,  wenn  Indra 
den  Vitra  erschlägt.  Er  vernichtet  den  Drachen  nicht  nur  ein- 
mal, sondern  wiederholt,  und  er  wird  aufgefordert,  auch  in  der 
Zukunft  immer  den  Vrtra  zu  töten  und  die  Wasser  zu  befreien. 
vSchon  die  alten  indischen  Veda-Erklärer  sagen  uns,  dafs  Indra 
ein  Gewittergott  ist,  dafs  wir  unter  den  Bergen,  in  welchen  die 
Wasser  eingeschlossen  sind,  die  Wolken  zu  verstehen  haben,  in 
denen  Vitra  —  der  Dämon  der  Dürre  —  die  Wasser  eingekerkert 
hält.  Und  die  meisten  europäischen  Mythologen  schlössen  sich 
dieser  Meinung  an  und  sahen  in  dem  donnerkeilbewehrten  Indra 
ein  Gegenstück  des  gei-nianischen  Thunar,  der  den  Donnerhammer 
Mjölnir  schwingt,  einen  in  die  indogermanische  Vorzeit  zurück- 
reichenden Gewittergott,  und  in  dem  Drachenkampf  eine  mytho- 
logische DarstelluDg  des  Gewitters.  Neuerdings  hat  aber  Hille- 
brandt  zu  beweisen  gesucht,  dafs  Vitra  nicht  ein  Wolkendämon 
und  nicht  ein  Dämon  der  Dürre,  sondern  ein  Winterriese  ist, 
dessen  Macht  durch  den  Sonnengott  Indra  gebrochen  wird;  die 
»Ströme« ,  v/elche  von  Vrtra  gefangengebalten  und  von  Indra 
befreit  werden,  sind  nach  ihm  nicht  die  Regengüsse,  sondern  die 
Ströme  des  nordwestlichen  Indiens,  welche  im  Winter  versiegen 
und  sich  erst  füllen,  wenn  die  Sonne  die  Schneemassen  der 
Berge  des  Himalaja  zum  Schmelzen  bringt. 

Wie  immer  dem  sein  mag,  sicher  ist,  dafs  die  vedischen 
Sänger  selbst  kein  klares  Bewufstsein  mehr  von  der  ursprüng- 
lichen Naturbedeutung  des  Indra  sowie  des  Vrtra  hatten. 
Für  sie  war  Indra  ein  gewaltiger  Kämpe,  ein  Riese  von  un- 
geheurer Stärke,  Vrtra  aber  der  gefürchtetste  unter  den  Dämonen, 
welche  man  in  den  schwarzen  Ureinwohnern  des  Landes  ver- 
körpert glaubte.  Indra  kämpft  ja  nicht  nur  mit  Vrtra,  sondern 
mit  zahlreichen  anderen  Dämonen.  Und  seine  Dämonenkämpfe 
sind  nur  ein  Abbild  der  Kämpfe,  welche  die  arischen  Einwanderer 
auszufechten  hatten.  Darum  ist  auch  Indra  vor  allem  ein  Gott 
der  Krieger.  Und  von  keinem  der  Götter  des  vedischen  Pan- 
theons werden  uns  so  viele  individuelle  Züge  mitgeteilt,  keiner 
wird  so  »lebenswahre  —  wenn  man  den  Ausdruck  von  einer 
Gottheit  gebrauchen  kann  —  gezeichnet  wie  dieser  kriegerische 
Gott  in  den  250  Hymnen,   die  ihm  gewidmet   sind.     Grofs  vmd 


-     75     — 

stark  sind  seine  Arme.  Mit  Schönen  Lippen  schlürft  er  den 
Somatrank ,  und  wenn  er  getrunken ,  bewegt  er  vergnügt  die 
Kinnbacken  und  schüttelt  den  blonden  Bart.  Goldblond  ist  auch 
sein  Haar  und  seine  ganze  Erscheinung.  Er  ist  ein  Riese  von 
Gestalt,  —  Himmel  und  Erde  wären  nicht  grofs  genug,  um  ihm 
als  Gürtel  zu  dienen.  An  Stärke  und  Kraft  kommt  ihm  kein 
Himmlischer  und  kein  Irdischer  gleich.  Als  er  die  zwei  endlosen 
Welten  erfafste,  da  waren  sie  für  ihn  blofs  eine  Handvoll.  Mit 
Vorliebe  wird  er  ein  Stier  genannt.  Grenzenlos  wie  seine  Stärke 
ist  auch  seine  Trinkfähigkeit,  die  in  den  Liedern  oft  nicht  ohne 
Humor  geschildert  wird.  Bevor  er  den  Vrtra  schlug,  trank  er 
drei  Teiche  voll  Soma  aus ;  und  einmal  heifst  es  gar,  er  habe  auf 
einen  Schluck  dreifsig  Teiche  Somasaft  getrunken.  Kaum  dafs 
er  geboren  war  —  und  seine  Geburt  war  keine  gewöhnliche, 
denn  noch  im  Mutterschofse  sagte  er;  »Hier  will  ich  nicht 
hinausgehen;  das  ist  ein  schlechter  Weg;  querdurch  aus  der  Seite 
will  ich  hinaus«  (Rv.  IV,  18,  "2)  — ,  trank  er  auch  schon  den 
Soma  becherweise.  Manchmal  hat  er  auch  des  guten  zuviel 
getan.  In  dem  Lied  Rv.  X,  119  führt  uns  ein  Sänger  den 
trmikenen  Indra  vor,  wie  er  einen  Monolog  hält  und  überlegt, 
was  er  machen  soll  —  5»So  will  ich's  machen,  nein,  so,«,  »ich  will 
die  Erde  hier,  nein,  ich  will  sie  dortbin  setzen«  u.  s.  w.  — ,  wobei 
jede  Strophe  mit  dem  vielsagenden  Refrain  endet:  »Habe  ich 
denn  vom  Soma  getrunken?« 

Dieser  kriegerische  Nationalgott  eignete  sich  viel  mehr  als 
irgendein  anderer  zum  Götter fürsten.  Und  obwohl  im  Rigveda 
fast  jeder  der  Götter  gelegentlich  einmal  als  der  erste  und  höchste 
aller  Götter  gepriesen  wird  —  es  ist  dies  eine  Art  der  Schmeichelei, 
durch  welche  man  sich  den  Gott  gewogen  machen  will,  ähnlich 
wie  spätere  Hofdichter  manches  kleine  Fürstchen  als  Welt- 
beherrscher gefeiert  haben  — ,  so  ist  doch  Indra  in  den  ältesten 
Zeiten  unzweifelhaft  ein  König  unter  den  Göttern,  ähnlich  wie 
der  Zeus  des  griechischen  Olymps. 

Als  Götterfürst  wird  er  gefeiert  in  dem  Liede  Rv.  II,  12, 
dys  als  Probe  eines  Indraliedes  hier  in  wörtlicher  Prosaübersetzung 
gegeben  sei : 

»Der  verständige  Gott,  der,  kaum  dafs  er  geboren  war.  die  Götter 
alle  schon  an  Einsicht  übertraf,  vor  dessen  ungestümer  Kraft  Himmel 
und  Erde  erbebten,  ob  der  Gröfse  seiner  Mannhaftigkeit,  —  das,  ihr 
Leute,  ist  Indra. 


-      76    — 

Der  die  wankende  Erde  festigte,  der  die  taumelnden  Berge  zur 
Ruhe  brachte,  der  den  Luftraum  weithin  ausmafs,  der  den  Himmel  ge- 
stützt hat,  —  das,  ihr  Leute,  ist  Indra. 

Der  die  Schlange  getötet  und  die  sieben  Ströme  freigemacht,  der 
die  Kühe  aus  dem  Versteck  des  Vala  herausgetrieben'),  der  zwischen 
zwei  Steinen  (Wolken  ?)  den  Agni  erzeugte,  der  Zermalmer  in  Schlachten 

—  das,  ihr  Leute,  ist  Indra. 

Der  diese  ganze  Welt  zum  Wanken  bringt,  der  die  Sklavenrasse 
gedemütigt  und  ins  Versteck  getrieben,  der  die  Reichtümer  des  Feindes 
an  sich  gerissen  hat,  gleichwie  ein  Spieler,  wenn  er  gewonnen,  den  Preis 
einzieht,  —  das,  ihr  Leute,  ist  Indra. 

Der  so  gewaltig  ist,  und  von  dem  die  Leute  fragen  ,Woister?', 
und  von  dem  sie  sagen:  ,Er  ist  ja  gar  nicht,'  der  die  Schätze  des  Feindes 
vermindert,  wie  der  Gewinner  beim  Spiel  die  Einsätze,  an  den  glaubet, 

—  das,  ihr  Leute,  ist  Indra. 

Der  ein  Förderer  des  Frommen,  ein  Helfer  des  Armen,  des  Priesters, 
des  flehenden  .Sängers,  der  ein  Helfer  dessen  ist,  der  die  Prefssteine 
herrichtet  und  den  Soma  preist,  der  mit  schönen  Lippen  trinkt  —  das, 
ihr  Leute,  ist  Indra. 

Unter  dessen  Botmäfsigkeit  alle  Rosse  und  Rinder,  Menschen  und 
Streitwagen  stehen,  der  die  Sonne,  der  die  Morgenröte  hervorgebracht, 
der  die  Wasser  lenkt,  -    das,  ihr  Leute,  ist  Indra. 

Den  die  beiden  Schlachtreihen,  wenn  sie  zusammcnstofsen ,  jede 
einzeln  anrufen  —  die  beiden  feindlichen  Kämpfer,  die  stärkeren  sowohl 
wie  die  schwächeren  — ,  und  den  auch  die  beiden,  welche  denselben 
Streitwagen  bestiegen*),  jeder  für  sich  anrufen,  —  das,  ihr  Leute,  ist  Indra. 

Ohne  den  die  Menschen  nicht  siegen,  den  die  Kämpfenden  zu 
Hilfe  rufen,  der  jedem  Feind  ein  ebenbürtiger  Gegner  ist,  der  das  Un- 
erschütterliche erschüttert,  —  das,  ihr  Leute,  ist  Indra. 

Der  immer  noch  diejenigen,  welche  grofse  Schuld  auf  sich  geladen, 
mit  seinem  Pfeil  getötet  hat,  eh  dafs  sie  es  gedacht,  der  dem  Trotzigen 
an  Trotz  nicht  nachgibt ,  der  Töter  des  Dasyu  ^)  —  das,  ihr  Leute,  ist 
Indra. 

Der  den  in  den  Bergen  hausenden  Sambara^)  im  vierzigsten  Herbste 
aufgefunden,  der  den  Drachen  Danu  t),  obgleich  dieser  all  seine  Kraft 
anwandte,  getötet  hat,  so  dafs  er  hingestreckt  dalag,  —  das,  ihr  Leute, 
ist  Indra. 


')  Nächst  der  Vrtratötung  ist  diese  Befreiung  der  Kühe  die  gröfste 
Heldentat  des  Indra.  Man  vergleicht  damit  —  ich  glaube,  mit  Recht  — 
die  Tat  des  Herakles,  der  den  dreiköpfigen  Geryoneus  tötet  und  die 
von  ihm  geraubten  Rinderherden  wegführt.  Ebenso  Hercules  und 
Cacus.  Vgl.  Oldeuberg,  Rel.  d.  Veda,  S.  143  fg.  Hillebrandt,  Ved.  Myth. 
111,  260  ff, 

0  Nämlich  der  Kämpfer  und  der  Wagenlenker. 

?)  Namen  von  Dämonen. 


—     77     — 

Der  kraftvolle  Stier,  der  mit  sieben  Zögein  einherfährt ')i  der  die 
iieben  Ströme  freigelassen  hat,  so  dafs  sie  dahinfliefsen ,  der  den  zum 
Himmel  hinaufklimmenden  Rauhina*)  hinabgeschleudert  hat,  mit  dem 
Donnerkeil  in  der  Hand,  —  das,  ihr  Leute,  ist  Indra. 

Ja,  Himmel  und  Erde  beugen  sich  vor  ihm;  vor  seiner  ungestümen 
Evraft  erzittern  die  Berge.  Er,'  der  als  Somatrinker  berühmt  ist,  der 
ien  Donnerkeil  im  Arme  hält,  der  den  Donnerkeil  mit  der  Hand 
schwingt,  —  das,  ihr  Leute,  ist  Indra. 

Der  den  Somapresser  und  den  Speisenkocher,  der  den  Lobsänger 
]nd  den  Opferdarbringer ')  mit  seiner  Hilfe  fördert  für  den  das  Opfer- 
ied,  für  den  der  Soma,  für  den  diese  Opferspende  hier  eine  Stärkung 
st,  —  das,  ihr  Leute,  ist  Indra. 

Der  du  unaufhaltsam  dem  Somapresser  und  dem  Speisenkocher 
eiche  Speise  erschliefsest ,  der  wahrlich  bist  du,  der  wahrhaftige! 
Vfögen  wir,  o  Indra,  immerdar  als  deine  lieben  Freunde  reich  an 
rfelden  in  der  Opfer  Versammlung  gebieten  l-^*) 

Wenn  un.s  die  Hymnen  an  Varuna  und  Indra  zeigen,  dafs 
DS  den  vedischen  Dichtem  nicht  an  Pathos,  Kraft  und  Urwiichsig- 
ceit  fehlt,  so  zeigen  uns  die  Lieder  an  Agni,  das  Feuer  oder 
Ien  Feuergott,  dafs  diese  Dichter  auch  oft  den  schlichten,  warmen 
iierzenston  zu  finden  wissen.  Agni  —  als  das  Opferfeuer  und 
ils  das  Feuer,  das  auf  dem  Herde  flammt  —  gilt  als  der  Freund 
ler  Menschen;  er  ist  der  Vermittler  zwischen  ihnen  und  den 
j^öttem,  und  zu  ihm  spricht  der  Dichter  wie  zu  einem  lieben 
^reund.  Er  betet  zu  ihm,  dafs  er  ihn  segne,  »wie  der  Vater 
Ien  Sohn«,  und  er  setzt  voraus,  dafs  der  Gott  an  seinem  Liede 
lieh  freut  und  dem  Sänger  seinen  Wunsch  erfüllt.  Wenn  Tndra 
ler  Gott  des  Kriegers  ist,  so  ist  Agni  der  Gott  des  Familien- 
vaters, der  ihm  W^eib  und  Kinder  beschützt  und  ihm  Haus  und 
üof  gedeihen  läfst.  Er  heilst  selbst  oft  »Hausherrc  (grhapati). 
ir  ist  der  »Gast«  jedes  Hauses,  »der  erste  aller  Gäste«.  Als 
unsterblicher  hat  er  unter  den  Sterblichen  seine  Wohnung 
Lufgeschlagen ;  und  unter  seinem  Schutze  steht  das  Gedeihen 
ier  Familie.     Seit   uralter  Zeit   wurde   die  Braut,  wenn   sie   ins 


')  Indra  hat  einen  mit  sieben  Zügeln  versehenen  Wagen  (Rv.  II, 
:8,  1;  VI,  44,  24),  d.h.;  viele  Pferde  —  »sieben«  bedeutet  im  Rigveda 
)i\  »viele  —  sind  an  seinen  Wagen  gespannt 

*)  Name  eines  Dämons. 

3)  Das  sind  die  vier  Opferpriester  der  älteren  Zeit. 

*)  Die  letzte  Strophe  dürfte  ein  späterer  Zusatz  sein  aus  der  Zeil, 
NO  der  Hymnus  in  ein  Opferlied  umgewandelt  wurde. 


—     78     — 

neue  Heim  einzog,  um  das  heilige  Feuer  herumgeiühit ,  — 
und  darum  heilst  Agni  auch  »der  Buhle  der  Mädchen,  der 
Gatte  der  Weiber«  (Rv.  I,  66,  8),  und  in  einem  Hochzeitsspruch 
wird  gesagt,  dafs  Agni  der  Gatte  der  Mädchen  ist,  und  dafs  der 
Bräutigum  die  Braut  von  Agni  empfängt.  Schlichte  Gebete 
richtete  man  an  ihn  bei  der  Hochzeit,  bei  der  Geburt  von  Kindern 
und  ähnlichen  Familienereignissen.  Während  des  Hochzeitsopters 
betete  man  für  die  Braut :  »Möge  Agni,  der  Hausherr,  sie  schlitzen  ! 
Möge  er  ihre  Nachkommen  zu  hohem  Alter  führen;  gesegneten 
Scholses  sei  sie,  Mutter  lebender  Kinder.  Möge  sie  Freude 
ihrer  Söhne  schauen!«  Als  das  Opferfeuer  ist  Agni  »der  Bote« 
zwischen  Göttern  und  Menschen;  und  bald  heifst  es,  dals  er  als 
solcher  die  Opferspeisen  zu  den  Göttern  emporträgt,  bald  auch, 
dafs  er  die  Götter  zum  Opfer  herabbringt.  Darum  heifst  er  der 
Priester,  der  Weise,  der  Brahmane,  der  Purohita  (Hauspriester), 
und  mit  Vorliebe  wird  ihm  der  Titel  Hotar  —  So  heifst  der  vor- 
i^ehmste  der  Priester  —  beigelegt.  Werdende  Mythologie  und 
Dichtung  sind  gerade  in  den  Liedern  an  Agni  kaum  zu  trennen. 
Durch  reichliche  Giissfe  von  zerlassener  Butter  wurde  das  Opfer- 
feuer in  heller  Glut  strahlend  erhalten,  und  der  Dichter  sagt: 
Agnis  Antlitz  glänzt,  oder  sein  Rücken,  seine  Haare  triefen  von 
Butterschmalz.  Und  wenn  er  als  fjamraenhaarig  oder  rothaarig,  rot- 
bärtig, als  mit  scharfen  Kinnbacken  und  goldenglänzenden  Zähnen 
versehen  geschildert  wird ;  wenn  von  den  Flammen  des  Feuers 
als  von  Agnis  Zungen  die  Rede  ist;  wenn  der  Dichter,  an  das 
helle,  nach  allen  Seiten  strahlende  Feuer  denkend,  den  Agni 
vieräugig  oder  tausendäugig.  nennt ;  so  kann  man  das  alles  ebenso- 
gut Poesie  als  Mythologie  nennen.  So  wird  auch  das  Prasseln 
und  Knistern  des  Feuers  mit  dem  Brüllen  des  .Stieres ')  verglichen, 
—  und  Agni  w^ird  als  Stier  bezeichnet.  Die  spitz  aufsteigenden 
Flammen  werden  als  Hörner  gedacht,  und  ein  Sänger  nennt  den 
Agni  »mit  tausend  Hörnern  versehen^,  während  ein  anderer  sagt, 
dafs  er  seine  Hörner  wetzt  und  im  Zorne  schüttelt.  Ebenso 
häufig  wird  aber  Agni  auch  mit  einem  lustig  wiehernden  Pferde, 
einem  »feurigen  Renner« ,  verglichen,  —  und  in  der  Mythologie 
wie  im  Kult  steht  Agni  zum  Pferd  in  enger  Beziehung.     Wenn 


'j  Auch    im   Englischen    spricht   man    vom     roaring    fire'.    dem 
»brüllenden  Feuer«. 


~    79    — 

aber  Agni  auch  als  der  Vogel,  der  Himmelsadler,  bezeichnet 
wird,  der  mit  raschem  Fluge  zwischen  Himmel  und  Erde  dahin- 
eilt, so  haben  wir  an  die  vom  Himmel  herabfabrende  Blitzesflamme 
zu  denken.  Wieder  an  eine  andere  Erscheinung  des  Feuers  denkt 
der  Dichter,  wenn  er  sagt  (Rv.  I,  143,  5):  »Agni  frifst  mit  seinen 
Scharfen  Kinnbacken  die  Wälder;  er  zerkaut  sie,  er  streckt  sie 
nieder  wie  der  Krieger  seine  Feinde.«  Und  ähnlich  ein  anderer 
Dichter  (Rv.  I,  65,  8):  »Wenn  Agni,  vom  Winde  entfacht,  sich 
durch  die  Wälder  ausbreitet,  schert  er  ab  das  Haar  der  Erde« 
(d.  h.  Gras  und  Kräuter). 

Selbst  die  eigentlichen  Agnimythen  sind  nur  aus  der  dichte- 
rischen Bilder-  und  Rätselsprache  hervorgegangen.  Agni  hat 
drei  Geburten  oder  drei  Geburtsstätten.  Am  Himmel  glüht  er  als 
das  Feuer  der  Sonne,  auf  Erden  wird  er  von  den  Menschen  aus 
den  beiden  Reibhölzern  erzeugt,  und  als  der  Blitz  wird  er  im 
Wasser  geboren.  Da  er  mit  Hilfe  von  zwei  Reibhötzern  (Aranis) 
erzeugt  wird,  heifst  es,  dafs  er  zwei  Mütter  hat,  —  imd  >kaum 
ist  das  Kind  geboren,  frifst  es  die  beiden  Mütter  auf*  (Rv.  X. 
79,  4).  Ein  älterer  Dichter  aber  sagt:  j-Zehn  unermüdliche  Jung- 
frauen haben  dies  Kind  des  Tvastar  (d.h.  den  Agni)  hervorgebracht« 
(Rv.  l,  95,  2),  womit  die  zehn  Finger  gemeint  sind,  welche  beim 
Feuerquirlen  verwendet  werden  mufsten;  und  da  es  nur  durch 
grofse  Kraftanstrengung  möglich  war,  das  Feuer  durch  das 
Quirlen  aus  den  Hölzern  herauszubringen,  heilst  Agni  im  ganzen 
Rigveda  »der  Sohn  der  Kraft«. 

Bei  dem  ausgedehnten  Umfang,  welchen  der  Feuerkult  bei 
den  alten  Indern  spielte,  ist  es  nicht  zu  verwundern,  dafs  von 
den  zahlreichen  Liedern  im  Rigveda,  welche  dem  Agni  gewidmet 
sind  —  es  sind  deren  gegen  zweihundert  —  die  meisten  als 
Opferlieder  verwendet,  viele  auch  nur  für  Opferzwecke  gedichtet 
worden  sind.  Dennoch  finden  wir  unter  diesen  Liedern  viele 
einfache ,  Schlichte  Gebete ,  die  ja  vielleicht  das  Werk  von 
Priestern,  jedenfalls  aber  das  Werk  von  Dichtem  sind.  Als 
Beispiel  gebe  ich  den  ersten  Hymnus  unserer  Rigveda  Sarnhita 
in  der  Übersetzung  von  Ernst  Meier'),  welche  den  Charakter 
des  Originals  sehr  gut  wiedergibt : 


V  Die  klassischen  Dichtungen  der  Inder  III.  32  ig. 


—     80     — 

'^Ich  preise  den  Agni '), 
Den  göttlichen  Opferer, 
Den  Priester,  den  Sänger, 
Den  Schätzereichsten. 

Gepriesen  von  alten 
Und  neuen  Weisen, 
Führe  Agni 
Die  Götter  hieher! 

Durch  ihn  erhalte  der  Opfrer 
Täglich  sich  mehrenden, 
Ruhmvollen  Reichtum 
Und  kräftige  Kinder  l 

O,  Agni,  das  Opfer, 

Das  du  umfassest 

Ungestört, 

Das  kommt  zu  den  Göttern. 

Er,  der  heilige  Sänger, 

Der  das  Opfer  leitet, 

Der  wahrhaftig  und  ruhmvoll, 

Er,  der  Gott,  nahe  mit  den  Göttern. 

O,  Agni,  das  Heil, 
Das  du  dem  Opfrer  gewährst, 
Das  kommt  auch  wahrlich 
Dir  zugut 

Wir  nahen  dir  täglich 
Bei  Nacht  und  am  Tage, 
Mit  frommen  Werken 
Dich  verehrend, 

Wir  nahen  dir, 

Dem  Beschützer  der  Opfer, 

Dfm  Strahlenden, 

Der  du  wächst  in  der  Wohnung. 

Sei  uns  freundlich,  o  Agni, 
Wie  der  Vater  dem  Sohn! 
Sei  du  mit  uns 
Zu  unserm  Heile!« 


')  E.  Meier  schreibt  immer  den  Nominativ  Agnis  statt  Agni, 


—    81     — 

Manche  Perlen  lyrischer  Dichtung,  die  uns  ebenso  durch  das 
feine  Verständnis  für  Naturschönheiten,  wie  durch  ihre  bilderreiche 
Sprache  anmuten,  finden  sich  unter  den  Liedern  an  Sürya  (die 
Sonne),  an  Parjanya  (den  Regengott),  an  die  Maruts  (die 
wSturmgötter)  und  vor  allem  an  Usas  (die  Morgenröte),  in  den 
an  die  letztere  gerichteten  Hymnen  überbieten  sich  die  Sänger 
an  prachtvollen  Bildern,  welche  die  Herrlichkeit  der  aufleuchtenden 
Morgenröte  schildern  sollen.  Strahlend  naht  sie  wie  eine  von 
der  Mutter  geschmückte  Jungfrau,  die  stolz  ist  auf  ihren  Leib. 
Sie  zieht  prächtige  Gewänder  an,  wie  eine  Tänzerin,  und  enthüllt 
dem  Sterblichen  ihren  Busen.  In  Licht  gekleidet  erscheint  die 
Jungfraii  im  Osten  und  entschleiert  ihre  Reize.  Sie  öffnet  die 
Tore  des  Himmels  und  tritt  strahlend  aus  denselben  hervor. 
Immer  wieder  werden  ihre  Reize  mit  denen  eines  zur  Liebe 
lockenden  Weibes  verglichen. 

«Als  wäre  nach  dem  Bad  der  Schönheit  ihres  Leibs 

Sie  sich  bewufst,  steht  sie  hoch  aufgerichtet  da, 

Dafs  wir  sie  schau'n.    Den  Feind,  das  Dun  kr],  hat  verscheucht 

Die  Himmelsto^^ter,  die  mit  Licht  fiekoinmen  ist. 

Gleich  einem  schönen  Weib  enthüllt  die  Himmelstochter 
Den  Männern  ihre  Brnst.    Sie  breitet  Schätze  aus, 
Die  sich  der  Fromme  wünscht,  und  wie  von  Alters  her, 
Hat  wieder  uns  die  Juniie  heut'  das  Licht  gebracht.«') 

Den  folgenden  Hymnus  an  die  Morgenröte  (Rv.  VI,  64)  gebe 
ich  in  der  Übersetzung  von  H.  Brunnhofer  ■') : 

"In  Majestät  aufstrahlt  die  Morgenröte, 
Weilsgiänzend  wie  der  Wasser  Silberwogen. 
Sie  macht  die  Pfade  schön  und  h.>icht  zu  wandeln 
Und  ist  so  mild  und  gut  und  reich  an  Gaben. 

Ja,  du  bist  gut.  du  leuchtest  weil,  zum  Himmel 
Sind  deines  Lichtes  Strahlen  aufgeflogen. 
Du  schmückest  dich  und  prangst  mit  deinem  Busen 
Und  strahlst  voll  Hoheit,  Göttin  Morgenröte. 

Es  führt  dich  ein  Gespann  von  roten  Kühen, 
Du  sel'ge,  die  du  weil  und  breit  dich  ausdehnst. 
Sie  scheucht  die  Feinde  wne  ein  Held  mit  Schleudern, 
Und  schlägt  das  Dunkel  wie  ein  Wagenkämpfer, 


^)  Rv.  V,  80,  5—6. 

*)  Geist  der  indischen  Lyrik,  S.  8  f. 

Winteruitz,   Geschichte  der  indisctien  Litterauir. 


—    82    — 

Bequeme  Pfade  hast  du  selbst  auf  Bergen 
Und  schreitest,  selberleuchtend,  durch  die  Wolken. 
So  bring  uns,  Hohe,  denn  auf  breiten  Bahnen 
Gedeih'n  und  Reichtum,  Göttin  Morgenröte! 

Ja  bring  uns  doth,  die  du  mit  deinen  Rindern 
Das  Beste  führest,  Reichtum  nach  Gefallen! 
Ja,  Himmelstochter,  die  du  dich  als  Göttin 
Beim  Morgensegen  noch  so  mild  gezeigt  hast! 

Die  Vögel  haben  sich  bereits  erhoben 
Und  auch  die  Männer,  die  beim  Frühlicht  speisen. 
Doch  bringst  du  auch  dem  Sterblichen  viel  Schönes, 
Der  dich  daheim  ehrt,  Göttin  Morgenröte!« 

An  Vata,  den  Wind,  als  den  Führer  der  Maruts,  der  Sturm- 
götter,  ist  der  folgende  Hymnus  (Rv.  X,  168)  gerichtet,  den  ich 
gleichfalls  in  der  Übersetzung  von  H.  Bninnhofer ')  anführe : 

»Der  Wucht  von  Vätas  Wagen  Preis  und  Ehre! 
Mit  Donnerhall  fährt  er  dahin  zerschmetternd. 
Bald  streift  den  Himmel  er  und  färbt  ihn  rötlich, 
Bald  stürmt  er  erdenwärts  und  wühlt  den  Staub  auf. 

So  stürmen  Vätas  Scharen  durch  die  Lande, 
Wie  Bräute  zu  des  Bräutigams  Empfange. 
Mit  seinen  Freunden  auf  demselben  Wagen 
Saust  er  dahin,  des  Weltenalls  Beherrscher. 

Er  fährt  dahin  auf  luftig  hohen  Bahnen 
Und  kommt  nicht  einen  Tag  zu  Rast  und  Ruhe. 
Der  Wolken  Freund,  der  Fromme,  Erstgeborne, 
Wo  stammt  er  her,  von  wannen  mag  er  kommen? 

Der  Götter  Hauch,  dem  Weltenall  entsprossen, 
Er  fährt  dahin,  wohin  es  ihn  gelüstet. 
Man  hört  sein  Brausen  wohl,  doch  niemand  sieht  ihn. 
Auf,  lafst  uns  Väta  hoch  mit  Opfern  ehren!« 

Neben  diesen  Liedern,  welche  als  Werke  der  Dichtkunst 
geschätzt  zu  werden  verdienen,  gibt  es  allerdings  eine  zweite 
Klasse  von  Hymnen  im  Rigveda,  welche  nur  als  Opfergesänge 
und  Litaneien  für  ganz  bestimmte  rituelle  Zwecke  verfalst 
worden  sind.  Eine  strenge  Scheidung  ist  hier  allerdings  nicht 
möglich.     Ob  wir  ein  Lied  als  die   spontane   Äulserung   eines 

')  Geist  der  indischen  Lyrik,  S.  11. 


~-    83     — 

frommen  Glaubens,  als  das  Werk  eines  gottbegeisterten  Dichters 
oder  aber  als  ein  handwerksmälsig  zusammengestelltes  Opfergebet 
auffassen  wollen,  ist  oft  nur  Geschmacksache,  Charakteristisch  für 
diese  Gebete  und  Opfergesänge  ist  immerhin  die  aufserordentliche 
Eintönigkeit,  die  ihnen  anhaftet.  Es  sind  immer  dieselben  Rede- 
wendungen, mit  denen  ein  Gott  wie  der  andere  als  grofs  imd  ge- 
waltig gepriesen  wird;  immer  dieselben  Formeln,  mit  denen  der 
Opferpriester  um  Rinderschätze  und  Reichtümer  zu  den  Göttern 
fleht.  Viele  dieser  Opfergesänge  sind  schon  daran  erkennbar, 
dafs  in  einem  und  demselben  Hymnus  mehrere  Götter,  mitunter 
sogar  sämtliche  Götter  des  vedischen  Pantheons  nacheinander 
angerufen  werden.  Denn  bei  dem  grofsen  .Somaopfer  mufs  jeder 
Gott  seinen  Teil  bekommen,  und  jede  Opferspende  mufs  von 
emem  Vers  begleitet  sein.  Man  vergleiche  z.  B.  mit  den  oben 
zitierten  Liedern  an  Varuna,  Indrä  und  Agni  eine  Opferlitanei 
wie  die  folgende  (Rv.  VII,  35): 

»Zum  Heile  seien  uns  Indra  und  Agni  mit  ihren  Gnaden,  zum 
Heile  Indra  und  Varuna,  denen  Opferspeise  dargebracht  wird;  zum 
Heile  Indra  und  Soma,  zur  Wohlfahrt,  zu  Heil  und  Segen!  Zum  Heile 
seien  uns  Indra  und  Püsan  beim  Gewinnen  der  Beute. 

Zum  Heile  sei  uns  Bhaga,  zum  Heile  sei  uns  unser  Lobgesang 
zum  Heile  sei  uns  Purandhi,  zum  Heile  seien  uns  die  Reichtümer  .  .  . 

Zum  Heile  sei  uns  Dhälar,  zum  Heile  Dhartar,  zum  Heile  sei  uns 
die  "Weitausgebreitete')  mit  ihren  Labungen;  zum  Heile  seien  uns  die 
beiden  grofsen  Weltenräume*),  zum  Heile  sei  uns  der  Berg,  zum  Heile 
seien  uns  die  günstirren  Anrufungen  der  Götter. 

Zum  Heile  sei  uns  dt^i  lichtanilitzige  Agni,  zum  Heile  Mitra  und 
Varuna,  zum  Heile  die  beiden  Asvins ;  zum  Heile  seien  uns  die  guten 
\yerke  der  Frommen!    Heil  wehe  uns  der  kräftige  Windgott  zu!» 

Und  so  geht  ^s  fort  durch  fünfzehn  lange  Strophen. 

Zu  diesen  Opferliedern  gehören  unter  anderen  auch  die 
sogenannten  Äprisüktas  > Beschwichtigungshymnen«  (d.  h. 
Hymnen  zur  Beschwichtigung  oder  V^ersöhnung  bestimmter 
Gottheiten,  Dämonen  und  gewisser  persönlich  gedachter,  mit  dem 
Opfer  verbundener  Gegenstände).  Diese  Hymnen^  deren  es  zehn 
in  der  Rigveda  Sarnhi*^  ^^bt.  haben  eine  ganz  bestimmte  Ver- 
wendung beim  Tieropfer.  Sie  bestehen  alle  aus  eU  oder  zwölf 
Versen,  und  Agni  wird  in  denselben  unter  verschiedenen  Namen 


')  D.  h.  die  Erde 

*)  Himmel  und  Erde, 


„     84    - 

angerufen,  dafs  er  die  Götter  zum  Opfer  herbeibringe.  Im  vierten 
oder  fünften  Vers  werden  die  Priester  aulgefordert,  das  heilige 
Gras  hinzustreuen,  auf  dem  die  Götter  sich  niederlassen  sollen, 
um  die  Üpfergaben  entgegenzunehmen.  Auch  gewisse  Göttinnen 
werden  in  diesen  Hymnen  regelmäfsig  angerufen,  und  der  vorletzte 
Vers  enthält  gewöhnlich  eine  Anrufung  an  den  Pfosten,  welcher 
zum  Anbinden  des  Opfertieres  dient,  z.  B.:  »O  göttlicher  Baum, 
lasse  die  Opferspeise  zu  den  Göttern  gehen«. 

Durchweg  Opfergesänge  sind  die  schon  erw'ähnten  Hymnen 
des  IX.  Buches,  welche  alle  an  Soma  gerichtet  sind  imd  bei  dem 
grofsen  Somaopfer  Verwendung  finden.  In  schier  endloser  Ein- 
tönigkeit werden  hier  immer  wieder  dieselben  Vorgänge,  das 
Pressen  des'  Soma,  das  Mischen  und  Läutern  desselben,  das  Ein 
giefsen  in  die  Kufen  u  s.  w.  besungen,  immer  wieder  wird  Indra 
zum  Somatrank  herbeigerufen,  Soma  und  Indra  vereint  werden 
gepriesen  und  um  Reichtümer  angefleht,  oder  um  den  Regen, 
von  dem  der  durch  das  Sieb  herabträufelnde  Somasaft  ein  Symbol 
ist.  Nur  selten  einmal  stofsen  wir  in  diesen  eintönigen  Litaneien 
auf  ein  hübsches  Bild,  wie  etwa,  wenn  es  vom  Somy  heifst  (Rv. 
IX,  16,  6): 

Geläutert  in  dem  Schafhaarsieb 
Erhebt  er  sich  zu  voller  Pracht 
Und  stehet  da,  wie  nach  der  Schlacht 
Der  Held  bei  den  geraubten  Kühn.« 

Dals  aber  Verse  für  rituelle  Zwecke  verfafst  und  doch  von 
hoher  dichterischer  Schönheit  sein  können,  das  beweisen  die 
Totenbestattungslieder,  von  denen  uns  einige  im  X.  Buch 
des  Rigveda  erhalten  sind.  Die  Leichen  wurden  im  alten  Indien 
in  der  Regel  verbrannt,  doch  war  in  der  ältesten  Zeit  wahr- 
scheinlich bei  den  Indern,  wie  bei  anderen  indogermanischen 
Völkern,  das  Begraben  üblich.  Auf  ein  Begräbnis  beziehen  sich 
die  schönen  Verse  (Rv.  X,  18,  10—13): 

»Geh  hin  zur  Mutter,  gehe  hin  zur  Erde, 
Der  weitgestreckten,  breiten,  segensreichen  — 
])em  Frommen  eine  wollig- weiche  Jungirau  — 
Sie  halte  dich  vom  Rande  des  Verderbens! 

Öffne  dich,  Erde,  tu  ihm  nichts  zu  Leide, 
Empfang  ihn  freundlich  und  mit  liebem  Grulse. 
UmhüU  ihn,  Erde,  wie  den  Sohn 
Die  Mutter  hüllt  in  ihr  Gewand. 


—    85    — 

Nun  stehe  fest  die  aufgeworfne  Erde, 
Und  tau55endfacher  Staub  mög'  drüber  fallen. 
Mög'  dieses  Haus  von  fetten  Spenden  triefen 
Und  ifim  ein  Obdach  sein  zu  allen  Zeiten. 

Ich  stemme  dir  die  Erde  ab  und  lege, 

Ohn'  dafs  du's  fühlst,  aufs  Haupt  dir  diesen  Deckel. 

Die  Väter  mögen  deinen  Hügel  wahren, 

Und  Yama  dort  dir  eine  Stätte  schaffen').* 

Es  ist  wohl  möglich,  diese  Verse  —  wie  Oldenberg  ^)  meint  — 
auch  in  das  Leichenverbrennungsrituell  einzufügen.  Es  wurden 
nümlich,  wie  uns  die  Ritualbücher  lehren,  im  alten  Indien  nach 
der  Verbrennung  die  Knochen  gesammelt  und  in  eine  Urne  ge- 
legt, und  diese  wurde  begraben.  Demnach  könnten  diese  Verse 
beim  Begraben  dieser  Knochenurne  gesprochen  worden  .sein.  Ich 
halte  das  aber  nicht  für  wahrscheinlich.  Die  Worte:  >  Öffne  dich, 
Erde,  tu  ihm  nichts  zu  Leide <  u.  s.  w.  sch(Mnen  mir  doch  nur  bei 
Errichtung  eines  Grabhügels  über  dem  wirklichen  Leichnam  einen 
Sinn  zu  haben.  Die  Sitte  des  Begrabens  der  Knochen  halte  ich 
für  ein  Überlebsel  einer  älteren.  Sitte  des  Begrabens  der 
Leichen,  auf  welche  unsere  Verse  sich  beziehen  3), 

Hingegen  ist  das  Lied  Rv.  X,  16,  l — 6,  vermutlich  aus 
jüngerer  Zeit  stammend,  für  die  Zeremonie  der  Leichenverbrennung 
bestimmt.  Wenn  der  Holzstofs  errichtet  ist,  wird  der  Leichnam 
daraufgelegt  und  das  Feuer  entzündet.  b'^nd  während  die 
Flammen  über  denselben  zusammenschlagen,  beten  die  Priester: 

•  Verbrenn  ihn  nicht,  verseng  ihn  nicht,  o  Agni, 
Zerstückle  nicht  dif  Haut  und  seine  Glieder; 
Wenn  du  ihn  gar  gekocht,  o  J.ätavedas*), 
Magst  du  ihn  hin  zu  unsern  Vätern  senden. 


')  Übersetzt  von  F.  Max  Müller,  Anthropologische  Religion, 
aus  dem  Englischen  übersetzt  von  M.  Winternitz  (Leipzig  1894), 
S.  250.  (Die  Übersetzung  erschien  zuerst  im,  IX.  Bd.  der  ZDMG.) 
Der  letzte  Vers  heilst  wörtlich  übersetzt:  »Ich  werfe  rings  um  dich  die 
Erde  auf.  Mög'  ich  dich  nicht  verletzen,  indem  ich  diese  Steinplatte 
niederlege.  Die  X'äter  mögen  diese  Säule  fest  bewahren,  und  Yama 
hier  dir  Sitze  bereiten.» 

*)  Religion  des  Veda,  S.  .ö71. 

3)  Zur  Zijit,  als  die  Leichenverbrennung  schon  allgemein  Sitte  war, 
wurden  noch  Kinder  und  Aszeten  begraben.  Doch  deutet  nichts  in 
den  obigen  Versen  darauf  hin,  dafs  es  sich  um  das  Begräbnis  eines 
Kindes  oder  eines  Aszeten  handelt. 

«)  Ein  Name  des  Gottes  Agni. 


-So- 
ja, wenn  du  ihn  gekocht,  o  Jätavedas, 
Magst  du  ihn  unsern  Vätern  übergeben-, 
Ist  er  in  jenes  Leben  eingetreten. 
So  wird  er  treu  der  Götter  Dienst  verrichten. 

Zur  Sonne  geh  dein  Aug',  zum  Wind  die  Seele, 
Wie's  recht  dir,  geh  zum  Himmel,  geh  zur  Erde, 
Geh  zu  den  Wassern,  wenn  es  dir  genehm  ist; 
Des  Leibes  Glieder  ruhen  bei  den  Kräutern. 

Das  ew'ge  Teil  —  wärm  es  mit  deiner  Wärme, 
Wärm  es  mit  deinem  Glanz,  mit  deinen  Gluten, 
O  Gott  des  Feuers,  nimm  freundliche  Gestalt  an. 
Und  trag  es  sanft  hinweg  zur  Welt  der  Frommen')». 

Hier  spielen  bereits  philosophische  Anschauungen  über  das 
Leben  nach  dem  Tode  und  über  das  Schicksal  der  Seele  in  die 
mythologischen  Vorstellungen  von  Agni  und  den  Vätern  hinein. 
Diese  Anspielungen  stehen  nicht  vereinzelt  da,  sondern  es  gibt 
ungefähr  ein  Dutzend  Hymnen  im  Rigveda,  die  wk  als  philo- 
sophische Hymnen  bezeichnen  können,  in  denen  neben 
Spekulationen  über  das  Weltall  und  die  Weltschöpfung  zum 
ersten  Male  jener  grofse  pantheistische  Gedanke  von  der  Welt- 
seele auftaucht ,  die  mit  dem  Weltall  eins  ist  —  ein  Gedanke, 
welcher  von  da  an  die  ganze  indische  Philosophie  beherrscht  hat. 

Schon  früh  regten  sich  bei  den  Indem  Zweifel  an  der  Macht, 
ja  an  dem  Dasein  der  Götter.  Bereits  in  dem  oben  übersetzten 
Liede  Rv.  II,  12,  welches  die  Macht  und  die  Krafttaten  des  Indra 
so  zuversichtlich  preist  und  dessen  einzelne  Strophen  in  den  so 
glaubensinnig  ausgestofsenen  Refrain:  »Das,  ihr  Leute,  ist  Indra« 
ausklingen,  selbst  da  hören  wir  schon,  dafs  es  Leute  gab,  die 
an  Indra  nicht  glaubten:  *»Von  dem  die  Leute  fragen  ,wo  ist  er?' 
und  von  dem  sie  sagen  ,er  ist  ja  gar  nicht'  ...  an  den  glaubet 
—  das,  ihr  Leute,  ist  Indra«.  Ähnlichen  Zweifeln  begegnen  wir 
in  dem  merkwürdigen  Hymnus  Rv.  VIII,  100,  wo  die  Priester 
aufgefordert  werden,  ein  Loblied  auf  Indra  vorzutragen,  »ein 
wahrhaftiges,  wenn  er  in  Wahrheit  ist;  denn  so  mancher  sagt: 
,Es  gibt  keinen  Indra,  wer  hat  ihn  je  gesehen?  An  wen  sollen 
wir  das  Loblied  richten?'«  Worauf  dann  Indra  persönlich  auf- 
tritt, um  sein  Dasein  und  seine  Gröfse   zu  versichern:    »Da  bin 

')  Übersetzung  von  Max  Müller  a.  a.  O.,  S.  248  f. 


—     87    — 

ich,   Sänger,   schau  mich  an  hier,   alle  Wesen  überrage  ich  an 
Gröfse  u.  s.  w.« 

Hatte  raan  aber  einmal  begonnen,  an  Indra  selbst  zu  zweifeln, 
der  doch  der  höchste  und  mächtigste  aller  Götter  war,  so  regten 
sich  umsomehr  Bedenken  gegen  die  Vielheit  der  Götter  überhaupt, 
und  Zweifel  begannen  sich  zu  regen,  ob  es  denn  einen  Wert  habe, 
den  Göttern  zu  opfern.  So  in  dem  Hymnus  Rv.  X,  121,  in 
welchem  Prajäpati  als  Schöpfer  und  Erhalter  der  Welt  und  als 
einziger  Gott  gepriesen  wird,  und  wo  in  dem  von  Vers  zu  Vers 
wiederkehrenden  Refrain :  »Welchen  Gott  sollen  wir  durch  Opfer 
ehren?«  der  Gedanke  verborgen  liegt,  dafs  es  eigentlich  mit  all 
der  Vielheit  von  Göttern  nichts  ist,  und  dals  nur  der  eine  und 
einzige,  der  Schöpfer  Prajäpati,  Verehrung  verdient.  Und 
schliefslich  hat  diese  Zweifelsucht  in  dem  tiefsinnigen  Gedicht 
von  der  Schöpfung  (Rv.  X,  129)  ihren  gewaltigsten  Ausdruck 
gefunden.  Es  beginnt  mit  einer  Schilderung  der  Zeit  vor  der 
Schöpfung : 

"Damals  war  nicht  das  Nichtsein,  noch  das  Sein, 
Kein  Luftraum  war,  kein  Himmel  drtlber  her.  — 
Wer  hielt  in  Hut  die  Welt;  wer  schlofs  sie  ein? 
Wo  war  der  tiefe  Abgrund,  wo  das  Meer? 

Nicht  Tod  war  damals  noch  Unsterblichkeit, 
Nicht  war  die  Nacht,  der  Tag  nicht  offenbar.  — 
Es  hauchte  windlos  in  Ursprünglichkeit 
Das  Eine,  aufser  dem  kein  andres  war.«- 

Nur  ganz  schüchtern  wagt  der  Dichter  eine  Antwort  auf  die 
Frage  nach  dem  Ursprung  der  Welt.  Er  denkt  sich  den  Zustand 
vor  der  Schöpfung  als  »Finsternis  von  Finsternis  umhüllt«,  weithin 
nichts  alseine  undurchdringliche  Wasserflut,  bis  durch  die  Macht  des 
Tapas,  der  Hitze  (wohl  einer  Art  »Bruthitze«),  »das  Eine«  entstand. 
Dieses  »Eine«  war  bereits  ein  intellektuelles  Wesen;  und  als  das 
erste  Erzeugnis  seines  Geistes  —  »des  Geistes  erster  Same«,  wie 
der  Dichter  sagt —  entstand  Käma.  d.  h.  »Begierde,  Sinnenlust«  '), 
und  in  diesem  Räma  »haben  die  Weisen ,   im  Herzen  forschend, 


*)  Nicht  der  Schopenhauersche  »Wille«,  wie  Deussen  und  andere 
annehmen  Wie  die  sinnliche  Liebe  zur  Zeugung  und  Entstehung 
der  Wesen  führt,  so  dachten  sich  diese  alten  Denker  die  Sinnenlust  als 
den  Urquell  alles  Seins.    Tapas  kann  auch  »Askese»  bedeuten. 


—    88     ^ 

durch  Nachdenken  den  Zusammenhang  des  Seienden  mit  dem 
NichtSeienden  gefunden«.  Doch  nur  leise  Andeutungen  wagt 
der  Dichter  zu  geben,  bald  regen  sich  wieder  Zweifel ,  und  er 
schliefst  mit  den  bangen  Fragen: 

»Doch,  wem  ist  auvszuforschen  es  gelungen, 
Wer  hat,  woher  die  Schöpfung  stammt,  vernommen? 
Die  Götter  sind  diesseits  von  ihr  entsprungen! 
Wer  sagt  es  also,  wo  sie  hergekommen')? 

Er,  der  die  Schöpfung  hat  hervorgebracht, 

Der  auf  sie  schaut  im  höchsten  Himmelslicht, 

Der  sie  gemacht  bat  oder  nicht  gemacht. 

Der  weifs  es!  —  oder  weifs  auch  er  es  nicht?')« 

Wohl  tritt  in  den  meisten  philosophischen  Hymnen  des  Rigveda 
der  Gedanke  an  einen  Weltschöpfer  hervor,  der  bald  Prajäpati, 
bald  Brahma^aspati  oder  Brhaspati,  bald  Vigvakarman  heilst,  der 
aber  immer  noch  als  ein  persönlicher  Gott  gedacht  ist.  Aber 
schon  in  dem  eben  zitierten  Vers  scheint  es  dem  Dichter  zweifel- 
haft, ob  die  Schöpfung  »gemacht«  oder  auf  andere  Weise  ent- 
standen ist,  und  das  schöpferische  Prinzip  erhält  in  dem  Gedicht 
keinen  Namen,  sondern  es  heifst  »das  Eine«.  So  bereitet  sich 
schon  in  den  Hynnien  der  grofse  Gedanke  von  der  Alleinheit 
vor,  der  Gedanke,  dafs  alles,  was  wir  in  der  Natur  sehen  und 
was  der  volkstümliche  (ilaube  als  »Götter«  bezeichnet,  in  Wirklich- 
keit nur  der  Ausflufs  des  Einen  und  Einzigseienden,  dafs  alle 
Vielheit  nur  Schein  ist  —  ein  Gedanke,  der  eigentlich  schon  klar 
und  deutlich  in  dem  Vers  Rv.  I,  164,  46  ausgesprochen  ist-: 

»Man  nennt  es  Indra,  Varuna  und  Mitra, 
Agni,  den  schönbeschwLngten  Himmelsvogel; 
Vielfach  benennen,  was  nur  eins,  die  Dichter; 
Man  nennt  es  Agni,  Yama,  MätarisvanJ)«. 

Während  diese  philosophischen  Hyumen  gleichsam  eine  Brücke 
zu  den  philosophischen  Spekulationen  der  Upanisads  bilden,  gibt 


')  D-  h.  die  Götter  sind  selber  geschaffen,  sie  können  uns  also 
nicht  sagen,  woher  die  Welt  entstanden  ist. 

*)  Die  Verse  übersetzt  von  Paul  Deussen,  der  in  dem  ersten 
Teil  des  ersten  Bandes  seiner  »Allgemeinen  Geschichte  der  Philosophie» 
alle  philosophischen  Hymnen  des  Rigveda  übersetzt  und  eingehend  be- 
handelt hat. 

3)  Übersetzt  von  Deussen  a.  a.  0.  118. 


—     89    — 

es  auch  eine  Anzahl  von  Gedichten  in  der  Rigveda-Samhitä  — 
es  dürften  ihrer  gegen  zwanzig  sein  — ,  die  uns  zur  epischen 
Dichtung  hinüberführen.  Es  sind  dies  Bruchstücke  von  Er- 
zählungen in  Form  von  Dialogen,  die  man  jetzt  mit  Oldenberg, 
der  sich  mit  dem  Studium  dieser  Klasse  von  vedischen  Hymnen 
zuerst  eingehend  beschäftigt  hat,  als  Akhyänahymnen  zu 
bezeichnen  pflegt  ^).  Oldenberg  hat  gezeigt,  dafs  die  älteste  Form 
epischer  Dichtung  in  Indien  =')  in  einem  Gemisch  von  Prosa  und 
Versen  bestand,  und  zwar  in  der  Weise,  dafs  die  Verse  meistens  3) 
nur  die  Reden  und  Gegenreden  der  auftretenden  Personen  ent- 
hielten, während  die  Begebenheiten,  welche  zu  den  poetischen 
Wechselreden  Anlafs  gaben,  in  Prosa  erzählt  wurden.  Es  wurden 
aber  ursprünglich  nur  die  Verse  in  bestimmter  Form  dem  Ge- 
dächtnis eingeprägt  und  überliefert,  während  die  Prosa  von  jedem 
Erzähler  nach  Belieben  mit  seinen  eigenen  Worten  erzählt  werden 
konnte.  In  den  Akhyänahymnen  des  Rigveda  nun  sind  uns 
nur  die  poetischen  Wechselreden  der  in  der  Erzählung  auf- 
tretenden Personen  erhalten,  während  uns  die  Prosateile  der  Er- 
zählung verloren  gegangen  sind.  Nur  manche  dieser  Erzählungen 
können  wir  uns  mit  Hilfe  der  Brähmanas  oder  der  späteren 
epischen  Litteratur  oder  auch  aus  Kommentaren  zum  Teil 
wenigstens  ergänzen. 


')  »Das  altindische  Äkhyäna«  in  ZDMG  37  (1883),  54  ff.  und 
»Akhyänahymnen  im  Rigveda«  in  ZDMG  39  (1885),  52  ff.  Äkhyäna 
bedeutet  «Erzählung«. 

»)  Ernst  Windisch  hatte  bereits  im  Jahre  1878  in  einem  auf  der 
33.  Versammlung  deutscher  Philologen  und  Schulmänner  in  Gera 
gehaltenen  Vortrag  auf  die  Bedeutung  der  ganz  ähnlichen  Erscheinungen 
in  der  altirischen  Sagendichtung  hingewiesen  und  bei  dieser  Ge- 
legenheit auch  schon  auf  die  verwandten  Erscheinungen  in  der  indischen 
Litteratur  aufmerksam  gemacht. 

3)  Aufser  diesen  Wechselreden  wurden  auch  die  Hauptmomente 
einer  Erzählung  manchmal  in  Versen  vorgetragen.  Umgekehrt  hat  man 
ganz  kurze  Reden  gewifs  in  der  Prosaerzählung  gegeben.  -Wie  es 
von  vornherein  wahrscheinlich  ist,  dafs  in  den  alten  Erzählungen 
kürzere  untergeordnete  Wechselreden  in  Prosa  und  nur  der  spannendste 
Moment,  der  Hauptdialog,  in  dem  das  Ganze  gleichsam  gipfelt,  poetisch 
gefalst  war,  so  scheint  umgekehrt  die  meist  trockene  einförmige  Er- 
zählung an  gewissen  Halt-  und  Schlufspunkten  zur  pathetischeu  Höhe 
gebundener  Diktion  sich  aufgeschwungen  zu  haben*.  Geldner  in 
den  Vedischen  Studien  I,  291  f. 


-    90    — 

So  finden  wir  im  Rv.  X,  95  ein  Cedicht  von  18  Strophen, 
aus  Wechselreden  zwischen  Purüravas  und  UrvasI  bestehend. 
PurOravas  ist  ein  Sterblicher,  Urvasi  eine  Nymphe  (Apsaras). 
Vier  Jahre  lang  weilte  die  göttliche  Schöne  als  des  Purüravas 
Gattin  auf  Erden,  bis  sie  von  ihm  schwanger  ward.  Dann  ent- 
schwand sie,  »wie  die  erste  der  Morgenröten«.  Darauf  ging  er 
aus,  sie  zu  suchen;  endlich  findet  er  sie,  wie  sie  zusammen  mit 
anderen  Wasserfrauen  auf  einem  See  ihr  Spiel  treibt.  Das  ist 
so  ziemlich  alles,  was  wir  aus  den  dunklen,  oft  ganz  unverständ- 
lichen Versen  —  den  V/echselreden  des  Verlassenen  und  der  im 
Teiche  mit  ihren  Qespielinnen  sich  tummelnden  Göttin  —  ent- 
nehmen können.  Glücklicherweise  ist  uns  dies  uralte  Märchen 
von  der  Liebe  eines  sterblichen  Königs  zu  einem  Göttermädchen 
in  der  indischen  Litteratur  auch  sonst  noch  aufbewahrt  und  wir 
können  so  einigermafsen  das  Gedicht  des  Rigveda  ergänzen. 
Schon  in  einem  Brähmana')  wird  uns  die  Sage  von  Purtiravas 
und  UrvaSi  erzählt,  und  die  Verse  des  Rigveda  sind  in  die  Er- 
zählung eingeflochten.  Es  heifst  da,  dafs  die  Nymphe,  als  sie 
einwilligte ,  des  Purüravas  Gattin  zu  werden ,  drei  Bedingungen 
gestellt  habe,  darunter  die,  dafs  sie  ihn  nie  nackt  sehen  dürfe. 
Die  Gandharvas  —  Halbgötter  desselben  Reiches,  dem  die 
Apsaras  angehören  —  wollen  die  Urvasi  wieder  zurückerlangen. 
Darum  rauben  sie  des  Nachts  zwei  iJmmchen,  die  sie  wie 
Kinder  liebt  und  die  an  ihrem  Bette  angebunden  sind.  Und  da 
Urvasi  sich  bitter  beklagt,  dafs  man  sie  beraube,  als  wäre  kein 
Mann  da,  springt  Purüravas —  »nackt  wie  er  war,  denn  es  deuchte 
ihm  zu  lange,  wenn  er  erst  ein  Kleid  anlegen  sollte«  —  auf, 
die  Diebe  zu  verfolgen.  Im  selben  Augenblicke  aber  lassen  die 
Gandharvas  einen  Blitz  erscheinen,  so  dafs  es  taghell  wird  und 
Urvasi  den  König  nackt  erblickt.  Da  verschwand  sie;  und  als 
Purüravas  wiederkam,  war  sie  fort.  Vor  Gram  wahnsinnig, 
wanderte  darauf  der  König  im  I^ande  umher,  bis  er  eines  Tages 
zu  einem  Teiche  kam,  in  welchem.  Nymphen  in  Gestalt  von 
Schwänen  herumschwammen.  Und  hier  entspinnt  sich  das 
Gespräch,  das  uns  im  Rigveda  erbalten  ist,  und  das  im  Brähmana  ^) 


')  Satapatha-Brähinana  XI,  5,  1. 

')  Das  Satapatha-Brähmaija  hat  blofs   15  von  den  18  Versen  des 
Rigveda. 


—    91     — 

mit  erklärenden  Zusätzen  wiedergegeben  wird.  E>och  vergebens 
sind  alle  Bitten  des  Purüravas,  dafs  sie  zu  ihm  zurückkehre. 
Selbst  da  er  verzweifelt  von  Selbstmord  spricht  —  er  will  sich 
vom  Felsen  stürzen,  den  grimmen  Wölfen  zum  Frafs  — ,  hat  sie 
nur  die  Antwort: 

»Stirb  nicht,  Purüravas,  stürz  nicht  hinab 
Vom  Felsen  dich,  zum  Frais  den  wilden  Wölfen  — 
Es  gibt  ja  keine  Freundschaft  mit  den  Weibern, 
Sie  haben  Herzen  wie  Hyänen«. 

Ob  und  wie  Purüravas  mit  der  Geliebten  wieder  vereint 
wird,  ist  weder  aus  dem  Rigveda  noch  aus  dem  Satapatha- 
Brähmana  ganz  klar.  Es  scheint,  dafs  er  in  einen  Gandharva 
verwandelt  wird  und  in  den  Himmel  gelangt,  wo  ihm  erst  die 
SeUgkeit  der  Wiedervereinigung  zuteil  wird.  Die  Geschichte 
von  Purüravas  und  Urvasi  ist  in  Indien  oft  wiedererzählt  worden ; 
sie  wird  in  dem  zum  schwarzen  Yajurveda  gehörigen  Käthaka 
kurz  angedeutet,  sie  wird  in  vedaexegetischen  Werken,  in  dem 
Harivamsa,  einem.  Anhang  zum  Mahäbhärata,  im  Visnu-Puräna 
und  in  dem  Märchenbuch  Kathäsaritsagara  wiedererzählt,  und 
kein  geringerer  als  Kälidäsa  hat  aus  ihr  eines  seiner  unsterblichen 
Dramen  geschaffen.  Wie  weit  aber  der  Rigveda  zeitlich  hinter 
allem,  was  wir  von  indischer  Litteratur  besitzen,  zurückliegt, 
beweist  der  Umstand,  dafs  trotz  aller  Bemühungen,  die  Verse 
des  Rigveda  mit  den  späteren  Erzählungen  in  Einklang  zu 
bringen  und  letztere  zur  Erklärung  des  rigvedischen  Gedichtes 
zu  verwenden*),  in  diesen  Versen  noch  vieles  dunkel  und  un- 
aufgeklärt bleibt. 

Ein  anderes  kostbares  Bruchstück  alter  Erzählungskunst  ist 
uns  in  dem  Zwiegespräch  von  Yama  und  Yami  (Rv.  X,  10) 
erhalten.  Ein  alter  Mythos  vom  Ursprung  des  Menschen- 
geschlechtes von  einem  ersten  Zwillingspaar  liegt  dem  Gespräch 
zugrunde ').    Yami  sucht  ihren  Bruder  Yama  zur  Blutschande  zu 


0  S.  besonders  Geldner  in  den  Vedischen  Studien,  I,  243—295. 
Anders  Oldenberg,  ZDMG  39,  72  ff.  und  *Die  Literatur  des  alten 
Indien«,  S.  53  ff. 

»)  Yama  bedeutet  »Zwilling« ,  und  Yami  ist  eine  Femininbildung 
zu  Yama.  Eine  mythologische  Deutung  des  Mythos  hat  A.  Winter  in 
dem  Aufsatz:  »Mein  Bruder  freit  um  mich«  (Zeitschrift  des  Vereins 


—    92    — 

verleiten,  damit  das  Menschengeschlecht  nicht  aussterbe.  In 
leidenschaftlichen,  liebeglUhenden  Worten  lockt  die  Schwester 
den  Bruder  zur  Liebe  —  in  ruhiger,  gelassener  Rede,  hinweisend 
auf  die  ewigen  Gesetze  der  Götter,  welche  die  Vereinigung  von 
Blutsverwandten  verbieten,  wehrt  Yama  ab.  Voll  dramatischer 
Kraft  sind  diese  Reden,  in  denen  nur  leider  noch  vieles  unklar 
ist.     Yami  spricht  zuerst.: 

•Zur  Freundschaft  will  den  Freund  ich  an  mich  locken. 
Und  hätt'  er  selbst. das  weite  Meer  durchquert. 
Von  ihm  als  Vater  leg'  ein  Kind  in  mich 
Der  Schöpfer,  denkend  an  der  Erde  Zukunft!« 

Yama  erwidert  darauf: 

»Nicht  Solche  Freundschaft  wünscht  dein  Freund,  wo  die 
Von  gleichem  Blut  zu  einer  Fremden  wird. 
Es  spähen  weit  umher  des  Himmels  Ordner 
Des  Rrofsen  Gottes  heldenhafte  Söhne.« 

Yami  aber  sucht  den  Bruder  zu  überreden,  dafs  die  Qötter 
selbst  es  wünschen,  dafs  er  mit  ihr  sich  vereine,  um  sein  Geschlecht 
fortzupflanzen.  Da  er  aber  nicht  hören  will,  wird  sie  immer 
dringender,  immer  leidenschaftlicher: 

-Die  Liebe  treibt  zu  Yama  mich,  die  Yami, 
Mit  ihm  zu  ruhn  auf  gleicher  Lagerstätte. 
Als  Weib  dem  Gatten  geh'  ich  ganz  mich  hin  dir, 
La(s  uns  verbunden  sein  wie  Rad  und  Wagen! 

Yama  aber  wehrt  wieder  ab  mit  den  Worten: 

»Sie  stehn  nicht  still,  sie  schliefsen  nicht  die  Augen, 
Der  Götter  Späher,  die  die  Erd'  durchstreifen. 
Gesell'  dich.  Dreiste,  rasch  zu  einem  andern, 
Mit  ihm  verbunden  sei  wie  Rad  und  Wagen!« 

Aber  immer  stlirmischer  wird  die  Schwester,  immer  heilser 
begehrt  sie  nach  des  Y^ina  Umarmung,  bis  sie  —  auf  seine  wieder- 
holte Weigerung  —  in  die  Worte  ausbricht: 

»Was  bist  du,  V'ama,  für  ein  Schwächling  doch! 
Dein  Herz  und  deinen  Sinn  begreif  ich  nimmer. 
Vielleicht  dals  eine  andre  dich  umschlingt. 
Gleichwie  der  Gurt  das  Rofs,  den  Baum  die  Ranke!» 


für  Volkskunde  VII,  1897,  S.  172  ff.)  versucht,  indem  er  Rv.  X,  10  mit 
einem  lettischen  Volkslied  vergleicht,  in  welchem  der  Bruder  die 
Schwester  zur  Blutschande  zu  verleiten  sucht. 


—    93    —         • 

Worauf  Yama  das  Zwiegespräch  mit  den  Worten  beschliefst; 

»Auch  du  umschlinge,  Yami,  einen  andern 

—  Und  dich  der  andre  —  wie  den  Baum  die  Ranke! 

Sein  Herz  gewinne  du,  und  er  das  deine: 

So  leb'  mit  ihm  in  wunderschöner  Eintracht!" 

Wie  die  Geschichte  von  Yama  und  Yami  geendet  hat,  wissen 
wir  nicht;  auch  keine  spätere  Quelle  gibt  darüber  Aufschlufs. 
So  ist  das  Gedicht  des  Rigveda  leider  nur  ein  Torso,  —  aber 
ein  Torso,  der  auf  ein  herrliches  Kimstwerk  schlieLsen  läfst. 

Zu  den  Äkhyänahymnen  möchte  ich  auch  das  Süryäsükta, 
Rv.  X,  85,  stellen.  Dieser  Hymnus  schildert  nämlich  die  Hochzeit 
der  Söryä  (der  S  inentochter,  wie  die  Morgenröte  hier  genannt 
wird)  mit  Soma  (dem  Mond),  wobei  die  beiden  Asvins  die  Braut- 
werber waren.  Dieser  Hymnus  besteht  aus  47  Versen,  die 
ziemlich  lose  zusammenhängen.  Die  Verse  beziehen  sich  fast 
alle  auf  das  Hochzeitsrituell,  und  die  meisten  derselben  wurden, 
wie  wir  aus  den  Grhyasütras,  den  Lehrbüchern  des  häuslichen 
Rituals,  wissen,  auch  bei  der  Hochzeit  gewöhnlicher  Sterblicher 
verwendet.  Doch  glaube  ich  nicht,  dafs  diese  Verse  —  wie  das 
zum  Teil  bei  den  Totenbestattungshyranen  der  Fall  ist  —  blo/s 
aus  dem  Rituell  zusammengestellt  wurden;  so  dafs  sie  etwa  so 
anzusehen  wären,  wie  wenn  in  einem  Gebetbuch  alle  bei  den 
Hochzeitsriten  zu  verwendenden  Sprüche  in  einem  Kapitel  ver- 
einigt sind.  Ich  glaube  vielmehr,  wir  haben  es  hier  mit  einem 
epischen  Stück  zu  tun,  welches  die  Heirat  der  Süryä  erzählte. 
Wie  bei  anderen  Äkhyänahymnen,  ist  auch  hier  die  Prosa  der 
eigentlichen  Erzählung  verloren  gegangen,  und  erhalten  sind  blofs 
die  Reden  der  Priester,  die  Sprüche  und  Gebetformeln,  wie  sie 
bei  der  Hochzeit  vorkamen,  nebst  einigen  Versen,  in  denen  die 
Hauptmomente  der  Erzählung  kurz  zusammengefafst  sind*). 
Unter  den  Hochzeitssprüchen  aber,  die  wir  in  diesem  Süryäsükta 
finden,  gibt  es  viele,  die  uns  durch  den  schlichten,  warmen 
Herzenston,  der  aus  ihnen  spricht,  an  die  oben  besprochenen 
Totenbestattungslieder  erinnern.  So  wird  das  Brautpaar  mit 
den  schönen  Worten  beglückwünscht: 


')  Siehe  oben  S.  89. 


—    94    -^ 

»Es  mög'  dir  Liebes  hier  gedeihn  durch  Kindersegen  l . 
In  diesem  Hause  wache  als  des  Hauses  Herrin! 
Mit  diesem  Gatten  hier  vereinig'  deinen  Leib! 
Und  noch  als  Greise  sollt  im  Hause  ihr  gebieten!« 

Und  den  Zuschauem,  an  denen  der  Hochzeitszug  vorbeizieht, 
wird  zugerufen: 

»Wie  schön  geschmückt  ist  diese  junge  Frau  hier! 
Kommt  her,  ihr  alle,  schauet  sie  euch  an! 
Und  wenn  ihr  Glück  und  Segen  ihr  gewünscht  habt, 
So  kehret  wieder  um  und  geht  nach  Haus  \« 

Und  wenn  der  Bräutigam  nach  uraltem  indogermanischem 
Hochzeitsbrauch  die  Hand  der  Braut  erfalst,  so  sagt  er  den  Spruch : 

*Zu  Glück  und  Segen  fafs'  ich  deine  Hand, 
Dafs  du  mit  mir  als  Mann  zur  Greisin  werdest. 
Die  Götter  Bhaga,  Aryaman,  Savitar 
Und  Püsan  gaben  dich  als  Hausfrau  mir.^ 

Wenn  endlich  das  Brautpaar  das  neue  Heim  betritt,  wird  es 
mit  den  Worten  empfangen: 

»Hier  sollt  ihr  bleiben,  nie  euch  trennen, 
Ein  Lebensalter  voll  geniefsen, 
Mit  Söhnen  und  mit  Enkeln  spielend,. 
Euch  freuend  in  dem  eignen  Heim!« 

Und  über  die  Braut  spricht  man  den  Segen: 

»O  gabenreicher  Indra,  mach  sie 
An  Söhnen  reich  und  reich  an  Glück! 
Zehn  Söhne  leg'  in  ihren  Schols, 
Den  Gatten  mach  zum  elften  ihr!« 

Manche  von  diesen  Hochzeitssprüchen  haben  aber  mehr  den 
Charakter  von  Zauberformeln.  Wir  finden  unter  ihnen  sowohl 
Beschwörungen  gegen  das  böse  Auge  und  sonstigen  unheilvollen 
Zauber ,  durch  welchen  die  Braut  dem  künftigen  Gatten  schaden 
könnte,  als  auch  Zaubersprüche,  durch  welche  Dämonen,  die  der  Braut 
nachstellen,  verscheucht  werden  sollen.  Und  diese  Zaubersprüche 
stehen  keineswegs  vereinzelt,  sondern  es  gibt  im  Rigveda  auch  gegen 
dreilsig  Zauberlieder.  Und  zwar  finden  wir  Sprüche  und 
Formeln  zur  Heilung  verschiedener  Krankheiten,  zur  Behütung 
der  Leibesfrucht,  zur  Abwehr  böser  Träume  und  ungünstiger 
Vorzeichen,  zur  Verscheuchung  von  Unholdinnen,  zur  Ver- 
nichtung von   Feinden  und    übelwollenden   Zauberern,    Zauber- 


—    95    — 

formein  gegen  Gift  und  Gewürm,  Sprüche  zur  Verdrängung  einer 
Nebenbuhlerin;  wir  finden  einen  Ackersegen,  einen  Rindersegen, 
einen  Schlachtsegen,  einen  Spruch  zur  Einschläferung  u.  dgl. 
mehr.  Hierher  gehört  auch  das  sehr  merkwürdige  »Froschlied«, 
Rv.  VII,  103.  Hier  werden  die  Frösche  mit  Brahmanen  ver- 
glichen. In  der  trockenen  Zeit  liegen  sie  da  wie  Brahmanen, 
die  das  Gelübde  des  Schweigens  auf  sich  genommen.  Wenn 
dann  der  Regen  kommt,  begrüfsen  sie  einander  mit  lustigem 
Gequake  »wie  der  Sohn  den  Vater«.  Und  der  eine  wiederholt 
das  Quaken  des  anderen,  wie  in  einer  Brahmanenschule  beim  Veda- 
lernen  die  Schüler  die  Worte  des  Lehrers  nachsagen.  In  mannig- 
facher Weise  modulieren  sie  ihre  Stimmen.  Wie  Priester  beim 
Somaopfer  singend  um  die  gefüllte  Kufe  sitzen,  so  feiern  die 
Frösche  den  Eintritt  der  Regenzeit  mit  ihrem  Gesang.  Zum 
Schlüsse  folgt  ein  Gebet  um  Reichtum: 

»Der  Brüller  spende  Reichtum  und  der  Meckrer, 
Es  spende  uns  der  Bunte  und  der  Grüne. 
Viel  hundert  Kühe  soll'n  die  Frösche  spenden, 
Zu  tausend  Opfern  uns  das  Leben  schenken.» 

Das  alles  klingt  ungemein  komisch,  und  ziemlich  allgemein 
wurde  das  Lied  für  eine  Parodie  auf  die  Opferlieder  und  eine 
böse  Satire  gegen  die  Brahmanen  gehalten ').  Bloomfield  hat 
aber  endgültig  nachgewiesen »),  dafs  wir  es  hier  mit  einem  Zauber- 
lied zu  tun  haben,  welches  für  einen  Regenzauber  verwendet 
wurde,  tmd  dafs  die  Frösche,  die  nach  altindischem  Volksglauben 
Wasser  hervorbringen  können,  als  Regenbringer  gepriesen  und 
angerufen  werden.  Der  Vergleich  mit  den  Brahmanen  soll  keine 
Satire  auf  die  letzteren  sein,  sondern  nur  eine  Schmeichelei  — 
eine  captatio  benevolentiae   —   für  die  Frösche.     Möglich   wäre 


')  So  noch  Paul  Deussen,  Allg.  Geschichte  der  Philosophie  I,  1, 
S.  100  ff. 

»)  Journal  of  the  American  Oriental  Society,  vol.  XVII,  1896, 
pp.  173  ff.  Vorher  hatte  schon  M.  Hau g  (Brahma  und  die  Brahmanen. 
München  1871,  S.  12)  das  Lied  ebenso  autgefafst  und  daran  die  folgende 
interessante  Mitteilung  geknüpft :  "Das  Lied  wird  in  Verbindung  mit 
dem  vorhergehenden ,  an  den  Regengott  (Parjanya)  gerichteten ,  jetzt 
noch  zur  Zeit  grofser  Dürre  gebraucht,  wenn  der  heifsersehntg  Regen 
nicht  kommen  will.  Zwanzig  bis  dreilsig  Brahmanen  gehen  an  einen 
Flufs  und  rezitieren  diese  beiden  Hymnen,  um  den  Regen  herab- 
zulocken.« 


—    96    — 

es  immerhin,  dafs  hier  ein  ursprünglich  als  Satire  gemeintes 
Gedicht  später  in  ein  Zauberlied  verarbeitet  wurde.  Ähnlich 
dürfte  auch  das  Lied  Rv.  VI,  75  ursprünglich  ein  Schlachtgesang 
gewesen  sein,  den  man  in  einen  Schlachtsegen  umgewandelt  hat. 
Während  nämlich  einzelne  Verse  dieses  Liedes  von  grofser 
dichterischer  Schönheit  und  namentlich  durch  kühne  Bilder  aus- 
gezeichnet sind,  bewegen  sich  andere  Verse  ganz  in  der  trockenen, 
kunstlosen  Sprache  der  Zauberlieder.  Nicht  wie  ein  Zauberlied, 
sondern   wie   ein  Schlachtgesang   klingen   die  ersten  drei  Verse: 

»Wie  eine  Wetterwolke  anzuschauen, 
So  stürzt  der  Panzerheld  ins  Schlachtgewühle. 
Heil  dir  und  Sieg  und  unverletzten  Körper! 
O,  dafs  des  Panzers  Stärke  fest  dich  schirme! 

Mit  unserm  Bogen  wollen  wir  uns  Herden, 
Mit  unserm  Bogen  Schlacht  um  Schlacht  ersiegen! 
Mit  unserm  Bogen,  aller  Feinde  Schauder, 
Getraun  wir  uns  die  Erde  zu  erobern. 

Als  ob  sie  ihren  lieben  Freund  umhalsend. 
Ins  Ohr  ihm  etwas  sagen  wollte,  raunt  sie 
Wie  eine  Braut,  die  Sehne,  wenn  vom  Bogen 
Sie  losgeschnellt  den  Pfeil  ins  Karapfgetümmel ')  « 

Im  grofsen  und  ganzen  aber  unterscheiden  sich  die  Zauber- 
lieder des  Rigveda  in  nichts  von  denen  des  Atharvaveda,  auf 
die  wir  bald  zu  sprechen  kommen ").  Es  ist  aber  sehr  bedeutsam, 
dafs  neben  den  Hymnen  an  die  grofsen  Götter  und  den  Opfer- 
gesängen auch  solche  Zauberlieder  in  die  Rigveda-Samhitä  —  und 
keineswegs  blofs  in  das  X.  Buch  derselben  —  aufgenommen 
worden  sind. 

Und  noch  bedeutsamer  ist  es,  dafs  sich  auch  einige  ganz 
weltliche  Gedichte  unter  die  heiligen  Lieder  und  Opfer- 
gesänge des  Rigveda  gemischt  haben.  So  finden  wir  z.  B. 
Rv.  IX,  112  mitten  unter  den  Somaliedern  ein  satirisches  Gedicht, 
welches  über  die  mannigfachen  Wünsche  der  Menschen  spottet. 
Möglich,  dafs  es  nur  dadurch  Aufnahme  in  die  Rigveda-Samhitä 
gefunden  hat,   weil  ein  witziger  Diaskeuast  darauf  verfallen  ist. 


')  Übersetzt  von   H.  Brunnhof  er.   Über  den  Geist  der   indischen 
Lyrik,  S.  12  f. 

')  Unten  S.  103  ff^ 


—    97    — 

jedem  Vers  den  höchst  unpassenden  Refrain :  iDem  Indra  ströme 
Soma  zu«  anzuhangen.  Ich  gebe  das  merkwürdige  Gedicht  in 
der  Übersetzung  von  P.  Deussen"): 

"Gar  mannigfach  ist  unser  Sinn, 
Verschieden,  was  der  Mensch  sich  wünscht: 
Radbruch  der  Wagner,  Beinbruch  der  Arzt, 
Der  Priester  den,  der  Soma  preist,  — 
Dem  Indra  ströme  Soma  zu! 

Der  Schmied  mit  dürrem  Reiserwerk 
Mit  Flederwisch  als  Blasebalg, 
Mit  Ambosstein  und  Feuersglut 
Wünscht  einen,  der  das  Geld  nicht  spart,  ~ 
Dem  Indra  ströme  Soma  zu! 

Ich  bin  Poet,  Papa  ist  Arzt, 
Die  Küehenmühle  dreht  Mama, 
vSo  jagen  vielfach  wir  nach  Geld, 
Wie  Hirten  hinter  Kühen  her,  — 
Dem  Indra  ströme  vSoma  zu! 

Das  Streitrofs  wünscht  den  Wagen  leicht, 
Zulächehi,  wer  Anträge  stellt, 
HirstLtam  viilvam  mentula, 
Es  wüiischt  der  hrosch  den  Wasserpfuhl,  — 
Dem  Indra  ströme  Soma  zu!« 

Das  schönste  aber  unter  den  nicht -religiösen  Gedichten  der 
Rigvedasammhmg  ist  das  Lied  vom  Spieler,  Rv.  X,  34.  Es  ist 
das  Selbstgespräch  eines  reuigen  Sünders,  der  durch  seinen  un- 
widerstehlichen Hang  zum  Würfelspiel  sein  Lebensglück  zerstört 
hat.  In  ergreifenden  \'ersen  schüdert  der  Spieler,  wie  ihn  die 
Würfel  um  sein  FamilienglUck  gebracht  haben: 

"Mein  Weib  hat  nie  mich  aufgereizt,  gescholten, 
Sie  meint'  es  gut  mit  mir  und  meinen  PVeunden; 
Obschon  sie  treu  war,  sltefs  ich  sie  doch  von  mir 
Dem  Würfel,  der  mir  alles  gilt,  zuliebe. 

Nun  halst  die  Schwieger,  weist  mich  ab  die  Gattin, 
Des  Spielers  Klagen  finden  kein  Erbarmen-, 
Ich  weifs  auch  nicht,  wozu  ein  Spieler  gut  war'. 
So  wenig  als  ein  teurer  Gaul  im  Alter. 


')  Allgemeine  Geschichte  der  Philosophie  I,  1,  98. 

Winternitz,   üeschicbte  Jet  iiidiscbsn  I.itteratur. 


—    98    — 

Nach  seinem  Weibe  greifen  fremde  Hände, 

Indes  mit  Würfeln  er  auf  Beute  auszieht. 

Der  Vater,  Bruder  und  die  Mutter  rufen: 

Wer  ist  der  Mensch?    Nur  fort  mit  ihm  in  Banden!« 

Aber  auch  die  unheimliche  Macht  der  Würfel  wird  in 
kräftigen  Worten  geschildert: 

•Und  sag'  ich  mir:  ich  will  nun  nicht  mehr  spielen, 
So  lassen  mich  im  Stich  die  Freunde  alle; 
Doch  hör'  ich  wieder  braune  Würfel  fallen, 
So  eil'  ich  wie  zum  Stelldichein  die  Buhle,« 

Und  von  den  Würfeln  heilst  es: 

»Sie  sind  wie  Angeln,  die  sich  bohren  in  das  Fleisch, 
Betrüger  sind  sie,  brennen,  quälen,  peinigen; 
Nach  kurzem  Glücke  rauben  sie  den  Sieger  aus, 
Dem  Spieler  sind  sie  dennoch  süfse  Herzenslust. 

Sie  rollen  nieder,  hüpfen  in  die  Höhe, 
Und  ohne  Hände  zwingen  sie  die  Fäuste. 
Die  zauberhaften  Kohlen  auf  dem  Plane 
Versengen  jedes  Herz,  obwohl  sie  tot  sind.< 

Und  so  sehr  er  auch  sein  Schicksal  bejammert,  so  fällt  er 
doch  immer  wieder  in  die  Gewalt  der  Würfel: 

»Verlassen  grämt  des  Spielers  Weib  sich  einsam, 
Die  Mutter,  weil  der  Sohn  —  wer  weifs,  wo  —  umirrt. 
Er  selbst  verschuldet  geht  voll  Angst  auf  Diebstahl, 
Verbirgt  zur  Nacht  sich  unter  fremdem  Dache. 

Ein  Weh  ergreift  ihn,  wenn  er  sieht  die  Gattin 
Und  wohlbestellte  Heimat- eines  andern. 
Am  frühen  Morgen  schirrt  er  schon  die  Braunen*); 
Erlischt  das  Feuer,  sinkt  der  Wicht  zusammen.«*) 

Zum  Schlüsse  besinnt  er  sich  doch  eines  Besseren:  er  fleht 
die  Würfel  an,  ihn  freizulassen,  da  er,  dem  Gebot  des  Savitar 
folgend,  das  Spiel  aufgeben  wolle,  um  seinen  Acker  zu  bestellen 
und  seiner  Familie  zu  leben. 

Eine  Art  Mittelstellung   zwischen   religiöser   und   weltlicher 


0  D.  h.  er  beginnt  mit  den  braunen  Würfeln  zu  spielen. 
*)  Übersetzung  von  K.  Geldner  in  »Siebenzig  Lieder  des  Rigveda«, 
S.  158  ff. 


—    99    — 

Dichtung  nehmen  schliefslich  noch  diejenigen  Hymnen  ein,  welche 
mit  sogenannten  Dänastutis,  »Preisliedern  auf  die  Freigebig- 
keit« (nämlich  der  Fürsten  und  Opferherren,  für  welche  die  Lieder 
gedichtet  wurden)  verbunden  sind.  Es  gibt  ungefähr  vierzig 
solcher  Hymnen\).  Einige  derselben  sind  Siegeslieder,  in  denen 
Gott  Indra  gepriesen  wird,  weil  er  irgendeinem  König  zum 
Sieg  über  seine  Feinde  verhelfen  hat.  Mit  dem  Lob  des  Gotteis 
verbindet  sich  die  Verherrlichung  des  siegreichen  Königs.  Zuni 
Schlufs  aber  preist  der  Sänger  seinen  Herrn,  der  ihm  Rinder, 
Rosse  und  schöne  Sklavinnen  aus  der  Kriegsbeute  geschenkt  hat, 
wobei  gelegentlich  auch  mit  einigen  derben  Zoten  des  Ver- 
gnügens gedacht  wird,  das  die  Sklavinnen  dem  Sänger  bereiten. 
Andere  sind  sehr  umfangreiche  Opferlieder^),  auch  meist  an  Indra 
gerichtet,  welche  offenbar  für  ganz  bestimmte  Gelegenheiten  auf 
Bestellung  eines  Fürsten  oder  eines  reichen  Herrn  verfafst  und 
beim  Opfer  rezitiert  wurden;  zum  Schlüsse  aber  folgen  wieder 
einige  Verse,  in  denen  der  Opferherr  dafür  belobt  wird,  dafs  er 
dem  Sänger  reichlichen  Priesterlohn  gegeben.  Immer  aber  wird 
in  den  Dänastutis  der  volle  Name  des  frommen  Spenders  ge- 
nannt, und  sie  beziehen  sich  unzweifelhaft  auf  historische  Ereig- 
nisse oder  doch  auf  tatsächliche  Vorfälle.  Darum  sind  sie  auch 
nicht  unwichtig.  Als  Dichtungen  freilich  Isind  sie  ganz  wertlos; 
sie  sind  von  handwerksmäfsig  schaffenden  Versemachern  auf 
Bestellung  oder  im  Hinblick  auf  den  zu  erwartenden  Lohn  ver- 
fertigt. Gewifs  sind  gar  manche  Hymnen  des  Rigveda,  auch 
wenn  sie  mit  keiner  Dänastuti  verbunden  sind,  ebenso  handwerks- 
mäfsig für  gute  Belohnung  »zusammengezimmert«  worden.  Ver- 
gleichen doch  vedische  Sänger  zuweilen  selbst  ihre  Arbeit  mit 
der  des  Zimmermanns. 3)  Immerhin  ist  es  bemerkenswert,  dafs 
es    unter    aeujenigen  Hymnen,    die    als  Werke    der   Dichtkunst 


')  Blofs  ein  Hymnus  (Rv.  1, 126)  ist  ganz  eine  Dänastuti.  Sonst 
sind  es  gewöhnlich  nur  drei  bis  fünf  Verse  am  Schlüsse  der  Hymnen, 
welche  die  Dänastuti  enthalten. 

*)  Man  hat  den  Eindruck,  dafs  das  Honorar  um  so  gröfser  war, 
je  länger  das  Gedicht  ausfiel. 

3)  Rv.  I,  130,  6:  "Diese  Rede  haben  dir  die  Menschen,  nach  Gütern 
verlangend,  gezimmert,  wie  ein  geschickter  Meister  einen  Wagen.« 
Rv.  I,  61,  4:  "Ihm  (dem  Indra)  schicke  ich  dieses  Loblied  zu,  wie  einen 
Wagen  der  Zimmermann  dem  Besteller.« 

7* 


—     100     - 

irgendwie  hervorragen,  keinen  einzigen  gibt,  der  in  eine  Dänastuti 
ausläuft.  Wenn  daher  H.  Oldenberg')  über  die  Rigvcda-Poesie 
im  allgemeinen  sagt:  2 Diese  Poesie  steht  nicht  im  Dienst 
der  Schönheit,  wie  diese  Religion  nicht  im  Dienst  der  Aufgabe 
s-teht,  die  Seelen  zu  läutern  und  zu  erheben;  sondern  beides  steht 
im  Dienst  des  Standesinteresses,  des  persönlichen  InterevSses,  des 
Honorars,«  —  so  vergifst  er  doch  wohl,  dafs  es  unter  den  1028 
Hymnen  des  Rigveda  nur  etwa  40  gibt,  die  in  Dänastutis  aus- 
laufen. Ich  meine,  es  hat  unter  den  Verfassern  vedischer  Hymnen 
gewils  H  a  n  d  w  e  V  k  e  r ,  aber  ebenso  gewifs  auch  Dichter  ge- 
geben. 

Einen  Hytnnus  gibt  es  im  Rigveda,  der  in  einem  höheren 
Sinne  eine  Dänastuti,  ein  »Lob  der  Freigebigkeit«,  ist.  Es  ist 
der  Hymnus  Rv.  X,  117,  der  auch  darum  Erw^ähnung  verdient, 
weil  in  demselben  eine  dem  Rigveda  sonst  ganz  fremde,  morali- 
sierende Tonart  angeschlagen  wird.  Alles  ist  der  Rigveda,  nur 
kein  Lehrbuch  der  Moral.  Und  der  Hymnus,  von  dem  ich  eine 
wörtliche  Prosaübersetzung  folgen  lasse,  steht  im  Rigveda  als 
etwas  ganz  Vereinzeltes  da: 

'Wahrlich,  die  Götter  haben  den  Hunger  nicht  als  Todesstrafe 
bestimmt;  auch  dem,  der  sich  saltgegessen,  naht  der  Tod  in  vielerlei 
Gestalt^).  Und  (kr  Reichtum  dessen,  der- da  spendet,  nimmt  nicht  ab-, 
wer  aber  nicht  spendet,  der  findet  keinen  Erbarmer. 

Der  mit  Speise  Gesegnete,  der  dem  heruntergekommenen 
Armen,  \veni>  er  um  I_abung  flehend  zu  ihm  kommt,  sein  Herz  ver- 
härtet, sogar  wenn  ihm  dieser  vorher  Dienste  erwiesen,  der  findet 
keinen  Erbarraer. 

Der  ist  ein  rechter  Spender,  der  dem  Bettler  gibt,  dem  dtirftigen, 
der  Speise  verlangend  daherkommt;  auf  seinen  Hilferuf  steht  er  ihm 
zu  Diensten  und  ma<:ht  ihn  zum  Freund  sich  für  alle  Zukunft. 

Nicht  der  ist  ein  F'reund,  der  niciil  Labung  uarreichl  d?m  Freund 


')  Die  Literatur  des  alten  Indien,  S.  2U. 

')  Sehr  gut  erklärt  von  A.  Ludwig  (Der  Rigveda  V,  561):  "Man 
greilt  dadurch  nicht  in  das  Walten  der  Götter  ein,  dafs  man  dem,  der 
dem  Hungertode  nahe  ist,  Nahrung  reicht;  es  ist  dii^s  mit  bitterer  Ironie 
gegen  die  Heuchler  gesagt,  die  ihre  Hartherzigkeit  dadurch  zu  recht- 
fertigen suchten,  dafs  den  Dürftigen  ihr  Los  ja  von  den  (Göttern  be- 
stimmt worden  sei.  Die  Ironie  oder  der  Sarkasmus  wird  unzweifelhaft 
durch  das  tolgende,  der  Dichter  schliefst  weiter,  dafs,  wenn  die  Armen 
von  den  Göttern  dem  Hungertode  bestimmt  wären,  die  Reichen,  die 
zu  essen  hätten,  ewig  leben  niüfsten.« 


-     101     -- 

und  treuen  Gefährten.  Weg-  von  dem  soll  er  sieh  wenden  —  das  ist 
keine  WohnstJitte  —  lieber  suche  er  sich  einen,  selbst  einen  Fremden, 
der  spendet. 

Spenden  soll  der  Reichere  dem  Atmen,  den  ganzer»,  langen  Lebens- 
pfad entlang-  blickend;  denn  wie  Wagenräder  sich  drehen,  so  wendet 
der  Reichtum  sich  von  einem  zum  andern  ')■ 

Vergeblich  gelangt  der  Tor  in  den  Besitz  von  Speise;  die  Wahr- 
heit spreche  ich:  sie  ist  nnr  sein  Verderben!  Er  nährt  nicht  den  treuen 
Gefährten,  nicht  den  Freund;  er  ifst  allein,  und  allein  ist  er  schuld- 
beladen. 

Pflügend  schafft  die  Pflugschar  Nahrung.  Gehend  legt  der 
Wanderer  seinen  Weg  zurück.  Ein  sprechender  (d.  h.  Sprüche  sagender) 
Priester  gewinnt  mehr  als  einer,  der  nicht  spricht.  Ein  Freund,  der 
spendet,  überragt  wohl  den,  der  nicht  spendet. 

Der  Einfuls  ist  weiter  ausgeschritten  als  der  Zweifufs;  der  Zwei- 
fufs  holt  den  Dreifufs  ein;  der  Vierfufs  geht  hinter  den  Zweifüfslern 
einher,  herantretend  und  die  Reihen  überschauend.») 

Die  zwei  gleichen  Hände  leisten  doch  nicht  das  gleiche;  Kühe 
von  derselben  Mutter  geben  nicht  die  gleiche  Milch.  Selbst  Zwillinge 
sind  nicht  von  gleicher  Stärke,  und  selbst  zwei  Nah  verwandte  spenden 
nicht  das  gleiche.«f5) 

Die  vorletzte  Strophe  ist  ein  Beispiel  von  der  bei  den  alten 
Indern  ebenso  wie  bei  anderen  alten  Völkern  sehr  beliebten 
Rätseldichtung.  Eine  grolse  Anzahl  solcher  —  für  uns 
leider  meist  unverständlicher  —  Ratsei  findet  sich  in  dem  Hymnus 
Rv.  I,   164.     Da  heilst  es  z.  B. : 

"Sieben  bespannen  einen  einrädrigen  Wagen;  ihn  zieht  ein  Rofs 
mit  sieben  Namen;  drei  Naben  hat  das  unvergängliche,  unaufhaltsame 
Rad,  auf  welchem  alle  diese   Wesen  stehen.« 

Das  kann  bedeuten:  Die  sieben  Opferpriester  bespannen 
(mittels  des  Opfers)  den  Sonnenwagen,  der  von  sieben  Ro.ssen 
oder  einem  siebengestaltigen  Rofs  gezogen  wird;  dieses  unver- 
gängliche Sonnenrad    hat   drei  Naben,    nämlich   die   drei  Jahres- 

')  Geldner  (,*Siebenzig-  Lieder«,  S.  156)  übersetzt  hübsch: 
«Wer's  kann,  der  soll  dem  Hilfsbedürftigen  spenden. 
Den  fernem  Weg  des  Lebens  wohl  bedenken! 
Das  Glück  rollt  hin  und  her  wie  Wagenräder, 
Bald  kehrt  es  ein  bei  diesem,  bald  bei  jenem." 
^)  Die  Übersetzung  ist  kaum  zweifelhaft,    um  so  mehr  der  Sinn. 
Man   vermutet,   dals   mit    dem    -Einfufs«    der    «einfüfsige   Bock«-,   ein 
Sturmgott,  gemeint,  und  dafs  der  '- Dreifufs«  der  auf  den  Stock  gestützte 
Greis  und  der  »VierfuiS"  der  Hund  sei.     Sicher  ist  das  keineswegs. 
3)  Vgl.  Deussen,  Allg.  Geschichte  der  Philosophie  I,  1,  S.  93  f. 


—     102    — 

Zeiten  (Sommer ,  Regenzeit  und  Winter) ,  in  welchen  das  Leben 
aller  Menschen  dahingeht.  Aber  auch  andere  V  ,'Utungen  des 
Rätsels  sind  möglich. 

In  den  Sinn  folgender  Rätsel  eindringen  zu  wollen,  würde 
sich  wohl  kaum  lohnen: 

"Drei   Mütter   und  drei  Väter  tragend    steht  der  Eine  aufrecht 
da,  und  nicht  ermüden  sie  ihn;  auf  dem  Rücken  des  Himmels  dortbe-' 
ratschlagen  sie  mit  der  allwissenden,  aber  nicht  allumfassenden  Väc 
(Göttin  der  Rede). 

Wer  ihn  gemacht  hat,  der  weifs  nichts  von  ihm;  wer  ihn  geschaut 
hat,  dem  ist  er  verborgen;  er  liegt  eingehüllt  im  Schofs  der  Mutter; 
viele  Kinder  hat  er  und  ist  doch  zur  Nirrti  eingegangen  ')• 

Der  Himmel  ist  mein  Vater  und  mein  Erzeuger,  da  ist  der  Nabel ; 
meine  mir  angehörige  Mutter  ist  diese  grofse  Erde.  Zwischen  den 
zwei  ausgebreiteten  Somagef äfsen  ist  der  Mutterschofs ;  da  hinein  legte 
der  Vater  den  Keim  in  die  Tochter.« 

Hingegen  ist  es  klar,  dafs  die  Sonne  gemeint  ist,  wenn  es 
heifst  : 

»Einen  Hirten  sah  ich,  der  nicht  herunterfällt,  der  hin  und  wieder 
wandelt  auf  seinen  Pfaden;  sich  kleidend  in  die  Zusammenlaufenden 
und  die  Auseinanderlaufenden»)  kreist  er  in  den  Welten  umher.« 

Ebenso  klar  ist  die  Deutung  des  Rätsels: 

»Zwölf  Radkränze,  ein  Rad,  drei  Naben:  wer  kennt  das?  Darin 
sind  zusammen  etwa  dreihundert  und  sechzig  bewegliche  Pflöcke  ein- 
geschlagen.« 

Gemeint  ist  das  Jahr  mit  den  12  Monaten,  3  Jahreszeiten 
und  rund  360  Tagend). 

Solche  Rätselfragen  und  Rätselspiele  gehörten  zu  den  be- 
liebtesten Unterhaltungen  im  alten  Indien;  sie  bildeten  bei  manchen 
Opfern  geradezu  einen  Bestandteil  des  Rituals.  Und  wir  be- 
gegnen denselben  sowohl  im  Atharvaveda  wie  im  Yajurveda 
wieder. 


0  Nirrti  ist  die  Göttin  des  Todes  und  Verderbens.  >Zur  Nirrti 
eingehen«  heifst:  ganz  zugrunde  gehen,  ins  Nichts  versinken. 

*)  Die  Strahlen  sind  gemeint. 

3)  Die  Rätsel  von  Rv.  I,  164  sind  eingehend  behandelt  worden 
von  Martin  Haug,  Vedische  Rätselfragen  und  Rätselsprüche  (Sitzungs- 
berichte der  philos.-philol.  Klasse  der  bayer.  Akademie  der  Wissen- 
schaften, München  1875)  und  von  P.  Deussen,  Allgemeine  Geschichte 
der  Philosophie,  I,  1,  S.  105-119. 


—     103    — 

Überblicken  wir  nun  den  bunten  Inhalt  der  Rigveda-SamhitS, 
von  dem  ich  hier  eine  Vorstellung  zu  geben  versuchte,  so  drängt 
sich  uns  die  Überzeugung  auf,  dafs  wir  in  dieser  Sammlung  die 
Bruchstücke  ältester  indischer  Dichtung  überhaupt  zu  sehen 
haben,  dals  die  uns  erhaltenen  Lieder,  Hymnen  und  Gedichte 
des  Rigveda  nur  ein  Bruchteil  einer  viel  umfangreicheren  — 
religiösen  und  weltlichen  —  Poesie  sind,  von  der  wohl  das  meiste 
unwiederbringlich  verloren  ist.  Da  aber  diese  Hymnen  ihrer 
grofsen  Mehrzahl  nach  entweder  Opfergesänge  sind  oder  als 
Gebete  und  Opferlieder  verwendet  wurden  oder  doch  verwendet 
werden  konnten,  so  dürfen  wir  annehmen,  dafs  eben  diese 
Hymnen  den  eigentlichen  Anlafs  zur  Sammlung  und  Vereinigung 
derselben  in  einem  »Buch«  gegeben  haben.  Doch  haben  die  Samm- 
ler, die  neben  dem  religiösen  auch  ein  rein  litterarisches  Interesse 
an  der  Sammlung  gehabt  haben  werden,  sich  nicht  gescheut,  in  die- 
selbe auch  unheilige  Dichtungen  aufzunehmen,  welche  sich  durch 
Sprache  und  Metrum  als  ebenso  alt  und  altehrwürdig  erwiesen 
wie  jene  Opfergesänge.  Nur  dadurch,  dafs  sie  in  ein  »Buch« 
—  d.  h.  einen  zum  Auswendiglernen  bestimmten  Schultext  — 
Aufnahme  fanden,  konnten  sie  vor  dem  Vergessenwerden  be- 
wahrt bleiben.  Gewifs  hat  es  aber  auch  Vieles  gegeben,  was  für 
sie  als  zu  unheilig  galt,  um  in  die  Rigveda-Samhitä  aufgenommen 
zu  werden.  Von  diesem  ist  wieder  manches  dadurch  für  uns 
gerettet  worden,  dafs  es  später  in  eine  andere  Sammlung  —  die 
Atharvaveda-Samhitä  —  Aufnahme  fand. 

Die  Atharvaveda-Samhitä.') 

»Atharva-veda«  bedeutet  so  viel  wie  »der  Veda  der  Athar- 
vans«  oder  »das  Wissen  von  den  Zaubersprüchen.«  Ursprünglich 
bezeichnet  aber  das  Wort  Atharvan  einen  Feuerpriester,  und 
es  ist  wohl  der  älteste  indische  Name  für  »Priv-Ster«  überhaupt, 


0  Eine  vollständige  deutsche  Übersetzung  des  Atharvaveda-  gibt 
es  nicht,  wohl  aber  Übersetzungen  einzelner  Bücher  und  ausgewählter 
Hymnen.  Eine  grofse  Auswahl  von  Hymnen  ist  übersetzt  von  Alfred 
Ludwig  im  dritten  Band  seines  »Rigveda«  (Prag  1878),  S.  428—551. 
Eine  Auswahl  metrischer  Übersetzungen  gibt  Julius  Grill,  »Hundert 
Lieder  des  Atharva- Veda«  (zweite  Aufl.,  Stuttgart  1888).  A.Weber 
hat  übersetzt:  die  Bücher  I  bis  V  und  XIV  im  4.,  13.,  17.,  18-  und 
5.  Band  der  »Indischen  Studien«  resp. ,   ferner  Buch  XVIII  in  den 


—     104    - 

denn  das  Wort  geht  in  die  indo-iranische  Zeit  zurück.  Den 
indischen  x\tharvans  entsprechen  nämlich  die  Äthravans  oder 
»Feuerleute«-  des  Avesta").  Der  Feuerkult  spielte  im  täglichen 
Leben  der  alten  Inder  keine  geringere  Rolle  als  bei  den  so  oft 
als  » Feueranbetern f  bezei<hneten  alten  Persern;  die  Priester 
dieses  urallen  Feuerkultes  waren  aber  noch  —  wie  die  Scha- 
manen Nordasiens  und  die  Medizinmanner  der.  Indianer  — 
V Zauberpriester « ,  d.  h.  Priester  und  Zauberer  in  einer  Person, 
wie  ja  auch  in  dem  Worte  »Magier«  —  wie  die  Äthravans  in 
Medien  genannt  wurden  —  die  Begriffe  Zauberer  und  Priester 
iiieinanderfliefsen.  So  erklärt  es  sich ,  dafs  mit  dem  Worte 
atharvan  auch  die  i- Sprüche  der  Atharvans  oder  der  Zaiiber- 
pnester« ,  also  die  Zaubersprüche  und  Zauberformeln  selbst  be- 
zeichnet wurden.  Der  älteste  Name  aber,  unter  dem  dieser  Veda. 
in  der  indischen  Litteratur  bekannt  ibt,  lautet  Atharvan 
girasah,  d.  h.  »die  Atharvans  und  die  Angiras«r.  Die  Angiras 
sind  ebenfalls  eine  Klasse  von  Feuerpriestern  der  Vorzeit,  und 
das  Wort  erlangte  ebenso  wie  atharvan  die  Bedeutung  von 
»Zauberformeln  und  Zaubersprüchen«.  Die  beiden  Ausdrücke 
atharvan  und  a  rt  g  i  r  a  s  bezeichnen  aber  zwei  verschiedene 
Gattungen  von  Zauberformeln:  atharvan  ist  »heiliger,  glück- 
bringender Zauber« ,  während  angiras  »feindlichen  Zauber, 
schwarze  Magie«  bedeutet.  Zu  den  Atharvans  gehören  2.  B.  die 
zur  Heilung  von  Krankheiten  dienenden  Zauberformeln,  während 
zu   den  Angiras  die  Verfluchungen  von  Feinden,   Nebenbuhlern, 

Sitzungsberichten  der  Berliner  Akademie  der  Wissenschaften  1895  und 
1896.  Das  XV.  Buch  hat  Th.  A  u  f  r  e  c  h  t  im  ersten  Band  der  «Indischen 
Studien«  und  die  ersten  50  Hymnen  des  VI.  Buches  C.  A.  Florenz 
(Gottingen  1887,  Doktordissertation)  ins  Deutsche  übersetzt.  Viktor 
Henry  tibersetzte  die  Bücher  Vll  bis  XIII  ins  Französische  (Paris 
1891—96).  Eine  vollständige  euürlische  Übersetzung  gibt  es  von 
R.  T.  H.  Griffith  (Benares  1895-6).  Die  beste  Auswahl  in  vorzüg- 
licher englischer  Übersetzung  ist  die  von  M.  Bloomfield  (Sacred 
Book's  of  the-East,  vol.  4'J).  Derselbe  Gelehrte  hat  auch  im  »Grundrifs" 
(Bd.  ü,  erstes  Heft,  B)  selir  eingehend  über  den  Atharvaveda  gehandelt, 
und  diesem  vortrefflichen  Werke  ist  der  Verfas.ser  für  die  folgende 
Darstellung,  namentlich  auch  für  die  Klassifikation  der  Hymnen,  z« 
besonderem  Danke  verpflichtet. 

')  Auch  im  alten  Rom  gehören  die  flaraines,  welche  da.s  Brand- 
opfer zu  vollziehen  hatten,  zu  den  ältesten  Priestern.  (Th.  Mommsen, 
Römische  Geschichte,  4.  Aufl.  l.  S  170  f.) 


—     105    — 

bösen  Zauberern  u.  dgl.  gehören.  Der  alte  Name  Atharväii- 
girasah  bezeichnet  also  diese  beiden  Arten  von  Zauberformeln,- 
welche  den  Hauptinhalt  des  Atharvaveda  bilden.  Der  spätere 
Name  Atharvaveda  ist  blofs  eine  Abkürzung  für  »V^eda  der 
AtharA^ans  und  Angiras-?. 

Die  Atharvaveda-Samhitä  nun  —  gewöhnlich  schlechthin 
»der  Atharvaveda«  genannt  —  ist  in  der  Rezension,  welche  uns 
am  besten  erhalten  ist'),  eine  Siimmlung  von  731  Myrtinen, 
welche  ungefähr  60Ö0  Verse  enthalten.  Sie  ist  in  20  Bücher 
eingeteilt.  Von  diesen  ist  das  XX.  Buch  erst  sehr  spät  hinzu- 
gefügt worden,  und  auch  das  XIX.  Buch  gehörte  ursprünglich 
der  Sarahitä  nicht  an'.  Das  XX.  Buch  ist  fast  ganz  aus  Hymnen 
zusammengesetzt,  welche  wörtlich  der  Rigveda-Samhitä  ent- 
nommen sind.  Aufserdem  ist  noch  ungefähr  ein  Siebentel  der 
Atharvaveda-Samhitä  dem  Rigveda  entnommen;  und  zwar  findet 
sich  mehr  als  die  Hälfte  der  Verse,  welche  der  Atharvaveda 
mit  dem  Rigveda  gemeinsam  hat,  im  X.  Buch,  die  meisten  der 
übrigen  Verse  im  1.  und  VIII.  Buch  des  Rigveda.  Die  An- 
ordnung der  Hymnen  in  den  18  echten  Büchern  folgt  einem  ge- 
wissen Plan  und  verrät  eine  ziemlich  sorgfältige  redaktionelle 
Tätigkeit.  Die  ersten  sieben  Bücher  bestehen  aus  zahlreichen 
kurzen  Hymnen,  und  zwar  haben  die  Hymnen  in  Buch  I  in 
der  Regel  vier,  in  Buch  II  fünf,  in  Buch  III  sechs,  in  Buch  IV 
sieben  Verse.  Die  Hymnen  des  V.  Buches  haben  mindestens 
acht  und  höchstens  achtzehn  Verse.  Das  VI.  Buch  besteht  aus 
142  Hymnen  von  zumeist  nur  drei  Versen  und  das  VII.  Buch 
aus  118  Hymnen,  von  denen  die  meisten  nur  einen  oder  zwei 
Verse  enthalten.  Die  Bücher  VIII-XIV,  XVII  und  XVITI 
bestehen  durchwegs  aus  sehr  langen  Hymnen,  und  zwar  steht 
der  kürzeste  Hymnus  (mit  21  Versen;  am  Anfang  dieser  Reihe 
(VllI,  l)  und  der  längste  (mit  89  Versen)  am  Ende  dersdben 
(XVIIl,  4).  Buch  XV  und  der  grofste  Teil  von  Buch  XVI, 
welche  die  Reihe  unterbrechen,  sind  in  Prosa  abgefafst  und  deni 
Stil    und    der  Sprache   nach   den  Brähmanas  ähnlich      Trotzdem 


')  Es  ist  die  baunaka- Rezension  oder  der  zur  Saunaka- Schule 
geh(>riKe  Samhitatext.  Nur  durch  eine  einzige,  ung^eriaue  Handschrift 
bekannt  ist  die  Paippaläda  Rezension.  Der  Text  der  Saunaka-Rezension 
ist  herausgegeben  von  R.  Roth  und  W.  D.  Whitney,  Berlin  1856. 


—     106    — 

bei  dieser  Anordnung  in  erster  Linie  etwas  rein  Äufserliches 
—  die  Verszahl  —  in  Betracht  gezogen  ist,  wird  doch  auch 
auf  den  Inhalt  einige  Rücksicht  genommen.  Zwei,  drei,  vier 
und  auch  mehr  Hjmmen,  die  denselben  Gegenstand  behandeln, 
stehen  oft  beisammen.  Zuweilen  ist  der  erste  Hynmus  eines 
Buches  mit  Rücksicht  auf  seinen  Inhalt  an  den  Anfang  gestellt; 
so  beginnen  die  Bücher  II,  IV,  V  und  VII  mit  theosophischen 
Hymnen,  was  gewifs  absichtlich  ist.  Die  Bücher  XIII— XVIII 
sind  ihrem  Inhalte  nach  fast  ganz  einheitlich ;  so  enthält  Buch  XIV 
nur  Hochzeitssprüche  und  Buch  XVIII  nur  Totenbestattungs- 
verse. 

Sprache  und  Metrik  der  Hymnen  des  Atharvaveda  sind  im 
wesentlichen  dieselben  wie  die  der  Rigveda-Samhitä.  Doch  finden 
sich  in  der  Sprache  des  Atharvaveda  zum  Teil  entschieden  jüngere 
und  zum  Teil  mehr  volkstümliche  Bildungen,  und  auch  die  Metrik 
wird  bei  weitem  nicht  so  streng  gehandhabt  wie  im  Rigveda. 
Abgesehen  von  Buch  XV,  das  ganz,  und  Buch  XVI,  das  gröfsten- 
teils  in  Prosa  abgefafst  ist,  finden  wir  auch  sonst  gelegentlich 
prosaische  Stücke  unter  den  Versen;  und  es  ist  oft  nicht  leicht, 
zu  entscheiden,  ob  ein  Stück  in  gehobener  Prosa  oder  in  schlecht- 
gebauten Versen  verfafst  ist.  Auch  das  kommt  vor,  dafs  ein 
ursprünglich  richtiges  Metrum  durch  eine  Einschiebung  oder 
Textverderbnis  gestört  wird.  In  einzelnen  Fällen  weisen  wohl 
die  sprachlichen  und  metrischen  Tatsachen  darauf  hin,  dafs  wir  es 
mit  jüngeren  Stücken  zu  tun  haben.  Im  allgemeinen  aber  lassen 
sich  aus  der  Sprache  und  dem  Metrum  keine  Schlüsse  auf  die 
Abfassungszeit  der  Hymnen,  noch  weniger  auf  das  Alter  der 
Redaktion  unserer  Samhitä  ziehen.  Denn  es  bleibt  immer  eine 
offene  Frage,  ob  die  sprachlichen  Eigentümlichkeiten  und  die 
metrischen  Freiheiten,  durch  welche  sich  die  Zaubersprüche  des 
Atharvaveda  von  der  Hymnendichtung  des  Rigveda  unterscheiden, 
auf  einem  Unterschied  in  der  Entstehungszeit  oder  auf  der  Ver- 
schiedenheit -.wischen  volkstümlicher  und  priesterlicher 
Dichtung  beruhen.     (Vgl.  oben  S.  53  f.) 

Hingegen  gibt  es  andere  Tatsachen,  welche  unwiderleglich 
beweisen,  dafs  unsere  Redaktion  der  Atharvaveda-Samhitä  jünger 
ist  als  die  der  Rigveda-Samhitä.  Zunächst  führen  uns  die  geo- 
graphischen und  kulturellen  Verhältnisse,  wie  sie  sich  im  Atharva- 
veda  widerspiegeln,   in  eine  jüngere  Zeit.     Die  vedischen  Arier 


—     107     — 

sind  nun  bereits  weiter  nach  Südosten  vorgedrungen  und  schon 
im  Gangeslande  ansässig.  Der  in  den  Sumpfwaldungen  Bengalens 
einheimische  und  daher  im  Rigveda  noch  unbekannte  Tiger  er- 
scheint im  Atharvaveda  schon  als  das  mächtigste  und  gefürchtetste 
aller  Raubtiere,  und  bei  der  Königsweihe  tritt  der  König  auf  ein 
Tigerfell,  das  Symbol  königlicher  Macht.  Der  Atharvaveda 
kennt  nicht  nur  die  vier  Kasten  —  Brähraanas,  Ksatriyas,  Vaisyas 
und  Öüdras  — ,  sondern  in  einer  Reihe  von  Hymnen  werden 
schon  (wie  das  später  mehr  und  mehr  der  Fall  ist)  von  der 
Priesterkaste  die  höchsten  Ansprüche  erhoben,  und  die  Brah- 
manen  werden  bereits  oft  als  die  »Götter«  *)  dieser  Erde  be- 
zeichnet. Die  Zauberlieder  des  Atharvaveda,  die  ja  gewifs  ihren 
Hauptbestandteilen  nach  volkstümlich  und  uralt  sind,  haben  auch 
in  der  Samhitä  nicht  mehr  ihre  ursprüngliche  Gestalt,  sondern 
sie  sind  brahmanisiert.  Diese  alten  Sprüche  und  Formeln, 
deren  Verfasser  ebenso  unbekannt  sind  wie  die  der  Zauber- 
sprüche und  Zauberlieder  anderer  Völker,  und  die  ursprünglich 
ebensosehr  »Volksdichtung«  waren,  wie  die  Zauberpoesie  es  ja 
überall  ist,  haben  in  der  Atharvaveda -Samhitä  ihren  volkstüm- 
lichen Charakter  zum  Teil  schon  eingebülst.  Wir  sehen  auf 
Schritt  und  Tritt,  dafs  die  Sammlung  von  Priestern  zusammen- 
gestellt worden  ist ,  und  dafs  auch  viele  der  Hymnen  von 
Priestern  verfafst  sind.  Dieser  priesterliche  Horizont  der  Re- 
dakteure und  zum  Teil  auch  der  Verfasser  der  Hymnen  des 
Atharvaveda  verrät  sich  in  gelegentlichen  Vergleichungen  und 
Beiworten,  wie  etwa,  wenn  es  in  einem  Spruch  gegen  Feld- 
ungeziefer heifst,  es  solle  das  Getreide  unberührt  lassen  »wie 
der  'Brahmane  unfertige  Opferspeise«.  Eine  ganze  Klasse  von 
Hymnen  des  Atharvaveda  —  wir  kommen  unten  auf  sie  zu 
sprechen  —  beschäftigt  sich  nur  mit  den  Interessen  der  Brah- 
manen,  der  Priesterspeisung,  der  Opferlöhnung  u.  dgl.,  und  sie 
sind  selbstverständlich  das  Wer^  von  Priestern. 

So  wie  aber  diese  Brahmanisierung  der  alten  Zauberpoesie 
auf  eine  jüngere  Zeit  der  Redaktion  hinweist,  so  zeugt  auch  die 
Rolle,  welche  die  vedischen  Götter  im  Atharvaveda  spielen,  für 


')  Einmal  kommt  der  Ausdruck  »Götter«  für  »Priester^  auch 
im  Rigveda  vor  (Rv.  I,  128,  8).  Vgl.  Zimmer,  Altindisches  Leben, 
S.  205  ff. 


—     108     — 

die  Spätere  Entstehungszeit  der  Samhitä.  Wir  begegnen  hier  den- 
selben Göttern  Avie  im  Rigveda  —  Agni,  Indra  u.  s.  w.  — ,  aber 
sie  sind  ihrem  Charakter  nach  ganz  verblafst,  sie  unterscheiden 
sich  kaum  einer  von  dem  andern,  ihre  ursprüngliche  Bedeutung 
als  Naturwesen  ist  zum  grofsen  Teil  vergessen:  und  da  es  sich  ja 
in  den  Zauberliedern  hauptsächlich  um  Vertreibung  und  Ver- 
nichtung von  DJimonen  handelt,  werden  auch  die  Götter  nur  zu 
diesem  Zwecke  angerufen,  —  sie  sind  alle  zu  Däraonentötem  ge- 
worden. Auf  eine  jüngere  Zeit  weisen  endlich  auch  diejenigen 
Hymnen  des  Atharvaveda  hin,  welche  theosophische  und  kosmo- 
gonische  Spekulationen  enthalten.  Wir  finden  in  diesen  Hymnen 
bereits  eine  ziemlich  ausgebildete  philosophische  Termino- 
logie und  eine  mit  der  Philosophie  der  Upanisads  auf  gleicher 
Stufe  stehende  Entwicklung  des  Pantheismus.  Dafs  aber  selbst 
diese  philosophischen  Hymnen  zu  Zauberzwecken  verwendet 
werden,  dafs  z,  ß,  ein  philosophischer  Begriff  wie  Asat,  »das 
Nichtseiende« ,  als  ein  Mittel  zur  Vernichtung  von  Feindeii, 
Dämonen  und  Zauberern  verwendet  wird'),  zeigt,  dafs  wir  hier 
bereits  eine  künstliche  und  sehr  moderne  Entwicklung  des  alten 
Zauberwesens  vor  uns  haben. 

Kein  Zeichen  jüngeren  Datums  ist  es,  dafs  die  Heiligkeit 
des  Atharvaveda  von  den  Indern  selbst  lange  nicht  anerkannt 
wurde  und  vielfach  noch  heute  bestritten  wird.  Der  Grund  hier- 
für ist  in  dem  Charakter  dieses  Veda  zu  suchen.  Zweck  des 
-Atharvaveda  ist  es,  wie  die  Inder  sagen,  »zu  besänftigen^  zu 
segnen  und  zu  fluchen«  ').  Jene  zahlreichen  Zauberformeln  aber, 
welche  Flüche  und  Beschwörungen  eiUhalten.  gehören  in  daJ5 
Gebiet  des  ^unheiligen  Zaubers« ,  von  dem  das  Priestertum  und 
die  priesterliche  Religion  sich  mehr  und  mehr  loszusagen  bemüht 
waren.  Im  Grunde  it<t  ja  zwischen  Kult  und  Zauber  kein  wesenl 
lieber  Unterschied:  durch  beide  sucht  der  Mensch  auf  die  über- 
sinnliche Welt  einzuwirken.  ,\uch  Priester  und  Zauberer  sind 
ursprünglich  ein  und  dasselbe.  Aber  in  der  Geschichte  aller 
Völker  beginnt  eine  Zeit,  wo  Götterkult  und  Zauberwerk  aus- 
einanderzugehen streben  (was  niemals  ganz  gelingt),  wo  der  mit 


')  Ath.  IV.  19,  6. 

Ö  D.  h.  die  DämoTien  zu  besänftigen,  die  Freunde  zu  segnen  und 
den  Feinden  zu  fluchen. 


—     109     — 

den  Göttern  befreundete  Priester  sich  von  dem  mit  der  unheim- 
lichen Dämonenwelt  im  Bunde  stehenden  Zauberer  lossagt  und 
auf  ihn  von  oben  herabblickt.  Dieser  Gegensatz  zwischen  Zauberer 
und  Priester  bildete  sich  auch  in  Indien  heraus.  Nicht  nur  6i;n 
buddhistischen  und  jainistischeh  Mönchen  ist  es  verboten,  sich  mit 
den  Beschwörungen  des  Atharvaveda  und  mit  Zauberwerk  zu 
beschUftigen,  sondern  auch  die  brahmanischen  Gesetzbücher  er- 
klären die  Zauberei  für  eine  Sünde,  stellen  die  Zauberer  mit 
Betrügern  und  Spitzbuben  in  eine  Linie  und  fordern  den  König 
auf,  mit  Strafen  gegen  sie  vorzugehen ').  .  Freilich  wird  an 
anderen  Stellen  der  Gesetzbücher  den  Brahmanen  ausdrücklich 
gestattet,  sich  der  Beschwörungen  des  Atharvaveda  gegen  ihre 
Feinde  zu  bedienen^),  und  die  rituellen  Texte,  welche  uns  die 
grofsen  Opfer  schildern,  enthalten  zahllose  Beschwörungsformeln 
tmd  Beschreibungen  von  Zauberriten,  durch  welche  der  Priester 
;>den,  der  uns  hafst,  und  den,  den  wir  hassen«,  —  so  lautet  die 
stehejide  Formel  —  vernichten  kann.  Dennoch  entstand  in 
priesterlichen  Kreisen  eine  gewisse  Abneigung  gegen  den  Veda. 
der  Zaubersprüche-  er  galt  nicht  als  orthodox  genug  und  wurde 
vielfach  vom  Kanon  der  heiligen  Texte  ausgeschlossen.  Eine 
Sonderstellung  in  der  heiligen  Litteratur  nahm  er  von  Anfang  an 
ein.  Wo  immer  in  älteren  Werken  von  heiligem  Wissen  die 
Rede  ist,  da  wird  immer  zuerst  die  trajM  vidyä,  :^das  drei- 
fache Wissen<' ,  d.  h.  R  ig  veda,  Yajurveda  und  Sämaveda,  er- 
wähnt-, der  Athaiva veda  folgt  immer  erst  nach  der  trayi  vidyä 
und  wird  oft  auch  ganz  übergangen.  Es  kommt  sogar  vor,  dafs 
die  Vedängas  und  die  epischen  Erzählungen  (itihäsapuräna)  als 
heilige  Texte  aufgeführt  werden,  während  der  Atharvaveda  un- 
erwähnt bleibt.  So  wird  in  einem  Grhy^sntra"')  eine  Zeremonie 
beschrieben,  durch  welche  in  das  neugeborene  Kiiid  die  Vedas 
»hineingelegt<'  werden  sollen.  Dies  geschieht  mittels  eines 
Spruches,  in  welchem  es  heifst :  »Den  Rigveda  lege  ich  in  dich; 
den  Yajurveda  lege  ich  in  dich,  den  Sämaveda  lege  ich  in  dich, 
die  Wechselreden  (väkoväkya»   lege  ich  in  dich,    die  Sagen  und 


M  Sacred   Bocks  of  the  Hast  X,  II ,  S.  176.    XLV,  S.  105,  1.S3, 
363.    Manu  IX,  258,  290.    XI,  64.    Visnu-Sinrti  54,  25. 
»)  Siehe  unten  S.  129. 
3)  Sänkhäyana-Grhyasütra  I,  24,  8. 


-     110    — 

Legenden  (itihäsapuräna)  lege  ich  in  dich,  alle  Vedas  lege  ich  in 
dich.«  Hier  ist  also  der  Atharvaveda  absichtlich  übergangen. 
Selbst  in  alten  buddhistischen  Texten  wird  von  gelehrten  Brah- 
manen  gesagt,  dafs  sie  in  den  drei  Vedas  bewandert  sind.  ^)  Dafs 
aber  diese  Nichterwähnung  des  Atharvaveda  kein  Beweis  für  die 
späte  Entstehung  der  Samhitä  ist,  geht  schon  daraus  hervor, 
dals  bereits  in  einer  Samhitä  des  schwarzen  Yajurveda*)  und 
auch  sonst  gelegentlich  in  alten  Brähmanas  und  Upanisads  der 
Atharvaveda  neben  den  drei  anderen  Vedas  genannt  wird. 

Wenn  es  aber  auch  feststeht,  dafs  unsere  Redaktion  der 
Atharvaveda-Samhitä  jünger  ist  als  die  der  Rigveda-Samhitä,  so 
folgt  daraus  keineswegs,  dals  die  Hymnen  selbst  jünger  sind  als 
die  Rigvedahymnen.  Es  folgt  nur,  dafs  die  jüngsten  Hymnen 
des  Atharvaveda  jünger  sind  als  die  jüngsten  Hymnen  des  Rig- 
veda.  Aber  so  gewifs  es  ist,  dafs  es  unter  den  Hymnen  des 
Atharvaveda  viele  gibt,  welche  jünger  sind  als  die  grofse  Mehr- 
zahl der  Rigvedahymnen,  so  gewifs  ist  es,  dafs  die  Zauberpoesie 
des  Atharvaveda  an  sich  mindestens  ebenso  alt,  wenn  nicht  älter 
ist  als  die  Opferpoesie  des  Rigveda,  dafs  zahlreiche  Stücke  des 
Atharvaveda  in  dieselbe  graue  Vorzeit  zurückreichen  wie  die 
ältesten  Lieder  des  Rigveda.  Denn  es  geht  durchaus  nicht  an, 
etwa  von  einer  »Periode  des  Atharvaveda«  zu  sprechen.  Wie 
die  Rigveda- Samhitä  so  enthält  auch  die  Sammlung  des  Athar- 
vaveda Stücke,  welche  durch  Jahrhunderte  voneinander  getrennt 
sind.  Und  nur  VQn  den  jüngeren  Bestandteilen  der  Atharvaveda- 
Samhitä  kann  man  sagen,  dafs  manche  derselben  erst  nach  dem 
Vorbild  der  Rigvedahymnen  gedichtet  worden  sind.  Für  un- 
richtig halte  ich  aber  die  Ansicht  von  Oldenberg^),  dafs  die 
älteste  Gestalt  der  Zauberformeln  in  Indien  die  prosaische  ge- 
wesen, und  dafs  die  ganze  Litteratur  von  Zauberversen  imd 
Zauberliedern  erst  nach  dem  »Vorbild  ihrer  älteren  Schwester, 
der  Poesie  der  Opferhymnen«  geschaffen  worden  sei. 

')  Besonders  merkwürdig  ist  Suttanipäta,  Selasutta,  wo  von  dem 
Brahmanen  Sela  gesagt  wird,  dafs  er  in  den  drei  Vedas,  den  Vedängas 
und  dem  Itihäsa  als  fünftem  bewandert  ist  (ed.  Fausböll,  p.  101).  Auch 
in  Suttanipäta  1019  heilst  es  von  Bhävari,  dafs  er  die  drei  Vedas  be- 
meistert hat.    (Sacred  Books  of  the  Hast,  vol.  X,  II,  pp.  98  und  189.) 

*)  Taittiryla-Satphitä  VII,  5,  11,  2,  wo  der  Plural  von  Angiras  im 
Sinne  von  »Atharvaveda»  steht.    S.  oben  S.  104  f. 

3)  Literatur  des  alten  Indien,  S.  41. 


—   111   — 

Aus  den  Zauberliedern  des  Atharvaveda  spricht  doch  ein 
ganz  anderer  Geist  als  aus  den  Hymnen  des  Rigveda.  Es  ist 
eine  ganz  andere  Welt,  in  der  wir  uns  hier  bewegen.  Dort  die 
grolsen  Götter  des  Himmels,  welche  die  gewaltigen  Natur- 
erscheinungen verkörpern,  die  der  Sänger  verherrlicht  und  lob- 
preist, denen  er  opfert,  und  zu  denen  er  betet,  starke,  hilfreiche, 
zum  Teil  erhabene  Wesen,  freundliche  Lichtgottheiten  zumeist,  — 
hier  die  finsteren ,  dämonischen  Mächte ,  welche  Krankheit  und 
Unglück  über  die  Menschen  bringen,  gespenstische  Wesen,  gegen 
die  der  Zauberer  seine  wilden  Flüche  schleudert,  oder  die  er 
durch  Schmeichelreden  besänftigen  und  bannen  will.  Viele  dieser 
Zauberlieder  gehören  ja  gerade  so  wie  die  dazugehörigen 
Zauberriten  einem  Kreise  von  Vorstellungen  an,  ^^Jlche,  über 
die  ganze  Erde  verbreitet,  bei  den  verschiedensten  Völkern  aller 
Länder  mit  überraschender  Ähnlichkeit  immer  wiederkehren. 
Wir  finden  genau  dieselben  Anschauungen,  genau  dieselben  selt- 
samen Gedankensprünge  in  den  Zauberliedem  und  Zauberriten, 
wie  sie  uns  der  Atharvaveda  von  den  alten  Indern  aufbewahrt 
hat,  auch  bei  den  Indianern  Nordamerikas,  bei  den  Negervölkem 
Afrikas,  bei  Malaien  und  Mongolen,  bei  den  alten  Griechen  und 
Römern  und  vielfach  noch  bei  dem  Landvolk  im  heutigen  Europa 
wieder.  Es  finden  sich  denn  auch  zahlreiche  Verse  im  Athar- 
vaveda, welche  ihrem  Charakter  und  oft  auch  ihrem  Inhalte  nach 
von  den  Zaubersprüchen  der  indianischen  Medizinmänner  und 
der  tatarischen  Schamanen  ebensowenig  verschieden  sind  wie 
von  den  Merseburger  Zaubersprüchen,  die  zu  den  kärglichen 
Überresten  ältester  deutscher  Poesie  gehören.  So  lesen  wir  z.  B. 
in  einem  der  Merseburger  Zaubersprüche,  dafs  »Wodan,  der  es 
wohl  verstand«,  die  Bein  Verrenkung  von  Balders  Fohlen  mit  der 
Formel  besprach: 

»Bein  zu  Beine, 

Blut  zu  Blute, 

Glied  zu  Gliedern, 

Als  wenn  sie  geleimet  wären.« 

Und  ganz  ähnlich  heilst  es  im  Atharvaveda  IV,  12  in  einem 
Spruch  gegen  Beinbruch: 

»Mark  mit  Mark  füg'  sich  zusammen, 
Glied  mit  Glied  füg'  sich  zusammen. 
Was  vom  Fleisch  dir  abgefallen. 
Und  der  Knochen  wachs'  zusammen. 


—     112    — 

Mark  mit  Mark  soll  sich  vereinen, 
Haut  mit  Haut  zusammenwachsen, 
Blut  und  Knochen  soll  verwachsen, 
r'leisch  mit  Fleisch  zusammenwachsen! 

Haar  mit  Haar  brinj?  du ')  zusammen, 
Haut  mit  Haut  brinpf  du  zusammen,  — 
Blut  und  Knochen  soll  verwachsen.  — 
Kraut,  vereinig'  das  Gespalt'ne.« 

Gerade  darin  liegt  die  grolse  Bedeutung  der  Atharvaveda- 
Samhitä,  dafs  sie  für  uns  eine  unschätzbare  Quelle  ist  für  die 
Kenntnis  des  eigentlichen ,  von  der  Priesterreiigion  noch  unbe- 
einflufsten  Volksglaubens,  des  CMaubens  an  zahllose  Geister, 
Kobolde,  Gespenster  und  Dämonen  aller  Art,  und  des  ethnologisch 
und  religionsgeschicbtlich  so  überaus  wichtigen  Zauberwesens. 
Wie  wichtig  gerade  für  den  Ethnologen  der  Atharvaveda  ist, 
das  mag  die  folgende  Übersicht  über  die  verschiedenen  Klassen 
von  Hymnen,  welche  die  Sammlung  enthält,  zeigen. 

Einen  Hauptbestandteil  der  Atharvaveda-Samhitä  bilden  die 
Lieder  und  Spruche  zur  Heilung  von  Krankheiten, 
welche  zu  den  Heilzauberriten  (bhaisajyäni)  gehören.  Sie  sind 
entweder  an  die  als  persönliche  Wesen ,  als  Dämonen  gedachten 
Krankheiten  ^)  selbst  gerichtet  oder  aber  an  ganze  Klassen  von 
Dämonen,  welche  nls  Verursacher  von  Krankheiten  gelten.  Und 
wie  bei  anderen  Völkern  herrscht  auch  in  Indien  der  Glaube, 
dafs  diese  Dämonen  den  Kranken  entweder  von  aufsen  be- 
drängen und  quälen,  oder  dafs  der  Kranke  von  ihnen  besessen 
ist.  Manche  dieser  Sprüche  sind  auch  Anrufungen  und  Lob- 
preisungen des  Heilkrautes,  w(iiches  zur  Heilung  der  Krankheit 
dienen  soll;  andere  wieder  sind  Gebete  an  das  Wasser,  dem  be- 
sondere Heilkraft  zugeschrieben  vvird,  oder  an  das  Feuer,  welches 
den  Indern  als  der  kräftigste  Dämonenverscheucher  gilt.  Diese 
Zauberlieder  bilden  zusammen  mit  den  dazugehörigen  Zauber- 
riten, von  denen  wit:  aus  dem  später  zu  nennenden  Kausikasütra 
Kunde   haben,    das  älteste   System   der   indischen   medizinischen 


')  Das  Heil  kraut  ist  angesprochen. 

*)  Der  Nam(;  der  Ivranklieit  i>,t  zugleich  der  Name  des  l^ämons. 
Genau  so  ist  es  z.  B.  bei  den  Malaien:  So  viele  Krankheiten  sie  kennen, 
so  viele  Namen  von  Kraakheitsgeistern  besitzen  sie. 


—     113    — 

Wissenschaft,  Mit  grofser  Anschaulichkeit  werden  in  den  Liedern 
oft  die  Symptome  der  verschiedenen  Krankheiten  geschildert, 
und  sie  sind  daher  auch  für  die  Geschichte  der  Medizin  nicht 
uninteressant.  Dies  gilt  besonders  von  den  Sprüchen  gegen  das 
Fieber.  Wegen  ceiner  Häufigkeit  und  Heftigkeit  wird  das  Fieber 
noch  in  den  späteren  Lehrbüchern  der  Medizin  »der  König  der 
Krankheiten«  genannt.  Und  an  den  Takman  —  dies  ist  der 
Name  des  als  Dämon  gedachten  Fiebers  im  Atharvaveda  —  sind 
zahlreiche  Sprüche  gerichtet.  So  z.  B.  der  Hymnus  Ath.  V,  22, 
von  dem  einige  Verse  hier  angeführt  seien: 

•  Der  du  alle  Menschen  gelb  machst, 
Sie  versengst  wie  lodernd  Feuer, 
Jetzt,  o  Takman,  werde  kraftlos, 
Jetzt  geh  fort,  hinab,  hinunter!    (2) 

Ihn,  der  fleckig  ist,  gesprenkelt. 
Der  wie  roter  Staub,  den  Takman  — 
Jag  ihn  fort,  allkräftig  Kraut  du, 
Weg,  hinunter  in  die  Tiefe!    (3) 

Geh  zu  Müjavants,  zu  Baihiks'), 
Takman,  fort,  in  ferne  Lande; 
Such  ein  üppig  Südraweib  dir. 
Schüttle  sie  gehörig,  Takman!    (7) 

Wenn  du,  kalt  und  wieder  heifs  gleich, 
Wenn,  vereint  mit  Husten,  Takman, 
Du  den  Kranken  schüttelst,  schrecklich 
Sind  dann  deine  Pfeile;  —  schon  uns!    (10) 

Mit  dem  Husten,  deinem  Bruder, 
Und  der  Schwindsucht,  deiner  Schwester, 
Mit  dem  Vetter  Aussatz,  Takman, 
Geh  hinweg  zu  fremden  Leuten!«    (12) 

Dieser  fromme  Wunsch,  dafs  die  Krankheit  zu  anderen 
Völkern  gehen,  andere  Länder  heimsuchen  möge,  kehrt  in  den 
Liedern  des  Atharvaveda  nicht  selten  wieder.  In  ähnlicher 
Weise  schickt  man  den  Husten  von  dem  Kranken  fort  in  weite 
Ferne  mit  dem  Spruch  Ath.  VI,  105: 


^)  Namen  von  Völkerstämmen, 

Winternitr,   Geschichte  der  indischen  Litteratur. 


—     114    — 

»Wie  der  Geist  mit  seinen  Wünschen  rasch  in  weite  Fernen  fliegt, 
So  flieg,  Husten,  fort  von  hier  mit  des  Geistes  raschem  Flug. 

Wie  der  Pfeil,  der  wohlgeschärfte,  rasch  in  weite  Fernen  fliegt, 
So  flieg,  Husten,  fort  A-^on  hier  längs  der  Erde  weitem  Raum! 

Wie  des  Sonnengottes  Strahlen  rasch  in  weite  Fernen  flieg'n, 
So  flieg,  Husten,  fort  von  hier  längs  des  Meeres  Wogenschwall!« 

Um  ihrer  bilderreichen ,  schwungvollen  Sprache  willen  ver- 
dienen manche  dieser  Zauberlieder  auch  als  Erzeugnisse  lyrischer 
Dichtung  geschätzt  zu  werden.  Zu  hohe  Anforderungen  darf 
man  freilich  nicht  an  diese  Poesie  stellen;  man  mufs  sich  damit 
begnügen,  hie  und  da  durch  ein  hübsches  Bild  überrascht  zu 
werden,  wie  wenn  in  einem  Spruch  gegen  Blutung  der  Zauberer 
die  Adern  als  rotgekleidete  Mädchen  anspricht  (Ath.  I,  17): 

»Die  Mädchen,  die  einher  dort  ziehn,  die  Adern,  rötlich  angetan, 

Sie  sollen  kraftlos  stillestehn,  wie  Schwestern,  wenn  ein  Bruder  fehlt. 

Steh  still,  du  Untre,  Obre  auch,  und  auch  du  Mittlere,  steh  still; 
Die  winzig  kleine  steht,  so  komm'  das  grofse  Blutgefäfs  zum  Stehn! 

Von  hundert  Blutgefäfsen  hier,  von  all  den  tausend  Adern  da 
Stehn  jetzt  die  in  der  Mitte  hier,  und  auch  die  Enden  ruhen  aus. 

Als  dämmte  euch  ein  Uferrand,  ein  hoher  Wall   von  Sand  und  Kies, 
So  steht  fein  still  und  ruhet  nun!«') 

Aber  nicht  immer  sind  diese  Sprüche  so  poetisch.  Gar  oft 
smd  sie  recht  eintönig,  und  vjele  derselben  haben  mit  den 
Dichtungen  der  Naturvölker  das  geraeinsam,  dafs  gerade  die  ein- 
tönige Wiederholung  derselben  Worte  und  Sätze  es  haupt- 
sächlich ist,  was  die  dichterische  Form  bei  ihnen  ausmacht'). 
Nicht  selten  ist  auch,  wie  dies  ja  bei  den  Zaubersprüchen  aller 
Völker  der  Fall  zu  sein  pflegt,  ihr  Sinn  absichtlich  rätselhaft 
und  dunkel.  Ein  solcher  eintöniger  und  zugleich  dunkler  Spruch 
ist  z.  B.  der  gegen  skrofulöse  Geschwüre  (Ath.  VI,  25): 

"Die  fünfundfünfzig,  die  auf  dem  Genick  zusammenkommen, 
sollen  alle  von  hier  verschwinden,  wie  die  Blasen  des  Aussatzes. 

'I  Übersetzt  von  Grill,  Hundert  Lieder  des  Atharvaveda,  S.  16  f. 

')  Über  die  Wiederholung  als  die  roheste  Anfangsform  der 
Dichtung  vgl.  H.  Schurtz,  Uigeschichte  der  Kultur,  Leipzig  und 
Wien  1900,  S   523  ff. 


-     115     — 

Die  siebenundsiebenzig,  die  auf  dem  Hals  zusammenkommen, 
sollen  alle  von  hier  verschwinden,  wie  die  Blasen  des  Aussatzes. 

Die  neunundneunzig,  die  auf  den  Schultern  zusammenkommen, 
sollen  alle  von  hier  verschwinden,  wie  die  Blasen  des^  Aussatzes.« 

Eine  merkwürdige  Übereinstimmung  herrscht  aber  auch  hier 
zwischen  indischen  und  deutschen  Zaubersprüchen.  Gerade  so 
wie  der  Atharvaveda  von  55,  77,  99  Krankheiten  spricht,  so  ist 
auch  in  deutschen  Zaubersprüchen  gern  von  77  oder  99  Krank- 
heiten die  Rede.    So  lautet  ein  deutscher  Spruch  gegen  das  Fieber : 

»Dies  Wasser  und  Christi  Blut 

Ist  für  das  siebenundsiebzigerlei  Fieber  gut.« 

Eine  Vorstellung,  welche  die  alten  Inder  nicht  nur  mit  den 
Deutschen,  sondern  auch  mit  vielen  anderen  Völkern  gemeinsam 
haben,  ist  die,-  dafs  viele  Krankheiten  durch  Würmer  verursacht 
werden.  Es  gibt  daher  eine  Reihe  von  Zauberliedern,  die  zur 
Beschwörung  und  Vertreibung  von  allerlei  Würmern  dienen 
sollen.     So  lesen  wir  Ath.  II,  31 : 

>Den  Wurm.,  der  in  den  Eingeweiden,  den,  der  im  Kopfe,  und 
den,  der  in  den  Rippen  ist.  .  .  .  die  Würmer  zermalmen  wir  mit  diesem 
Spruch.  (4) 

Die  Würmer,  die  in  den  Bergen,  in  den  Wäldern,  in  den  Pflanzen, 
in  dem  Vieh,  in  den  Gewässern,  und  die,  welche  sich  in  unseren  Leibern 
niedergelassen  haben,  dieses  ganze  Würmergezücht  zerschmettere 
ich.«  (5) 

Man  denkt  sich  diese  Würmer  wie  dämonische  Wesen,  spricht 
von  ihrem  König  und  Statthalter,  von  männlichen  und  weiblichen, 
von  verschiedenfarbigen  und  phantastisch  gestalteten  Würmern 
u.  dgl. ,  so  z.  B.  in  dem  Spruch  gegen  Würmer  bei  Kindern 
(Ath.  V,  23): 

»Erschlag  die  Würmer  in  diesem  Knaben,  o  Indra,  Herr  der 
Schätze!  Erschlagen  sind  alle  feindlichen  Mächte  durch  meine  wilde 
Beschwörung.  (2) 

Den,  der  um  die  Augen  herumkriecht,  den,  der  um  die  Nase 
herumkriecht,  den,  der  mitten  unter  die  Zähne  geht,  —  den  Wurm  zer- 
malmen wir.  (3) 

Die  zwei  gleichfarbigen  und  die  zwei  verschiedenfarbigen,  die 
zwei  schwarzen  und  die  zwei  roten,  der  braune  und  der  braunohrige, 
der  Geier  und  der  Kuckuck  —  erschlagen  sind  sie.  (4) 

Die  Würmer  mit  weilsea  Schultern,  die  schwarzen  mit  weifsen 
Armen  und  die  bunten  Würmer,  die  alle  zermalmen  wir.  (5) 

8* 


—     116     — 

Erschlagen  ist  der  König  der  Würmer,  erschlagen  ist  der  Statt 
halter  der  Würmer,  erschlagen'ist  der  Wurm;  mit  ihm  ist  seine  Muttei 
erschlagen,  sein  Bruder  erschlagen,  seine  Schwester  erschlagen.  (11) 

Erschlagen  , sind  seine  Mannen,  erschlagen  sind  seine  Nachbarn 
und  auch  alle  die  ganz  kleinwinzigen  Würmchen  sind  erschlagen.  (12 

Allen  männlichen  Würmern  und  allen  weiblichen  Würmern  zer 
schmettere  ich  den  Kopf  mit  dem  Steine,  verbrenne  ich  das  Gesich 
mit  dem  Feuer.«  (13) 

Ganz  ähnlich  sind  auch  deutsche  Zaubersprliche  gegei 
»Wurm  und  Würmin«  gerichtet,  und  auch  von  verschieden 
farbigen  Würmern  ist  in  dem  deutschen  Zauberspruch  gegen  da; 
Zahnweh  die  Rede: 

"Birnbaum,  ich  klage  dir. 

Drei  Würmer  stechen  mir,  ^ 

Der  eine  ist  grau, 

Der  andre  ist  blau, 

Der  dritte  ist  rot,  — 

Ich  wollt'  wünschen,  sie  wären  alle  drei  tot.»') 

Sehr  zahlreich  sind  auch  die  Zauberlieder,  welche  geger 
ganze  Klassen  von  Dämonen  gerichtet  sind,  die  als  die  Ver 
ursacher  von  Krankheiten  gelten,  so  besonders  gegen  di( 
Pisäcas  (Kobolde)  und  Räksasas  (Teufel).  Der  Zweck  diese! 
Sprüche  ist  die  Vertreibung  oder  Bannuhg  dieser  dämonischer 
Wesen.  Ein  Beispiel  ist  das  Lied  Ath.  IV,, 36  gegen  die  Pisäcas 
dem  die  folgenden,  hier  in  Prosa  wiedergegebenen  Verse  ent 
nommen  sind ,  die  von  einem  grenzenlosen  Selbstbewufstsein  de: 
Zauberers  zeugen: 

»Eine  Plage  bin  ich  den  Pisäcas,  wie  der  Tiger  den  Rinder 
besitzern.  Wie  Hunde,  wenn  sie  den  Löwen  erblickt  haben,  findei 
sie  keinen  Schlupfwinkel.  (6' 

Mit  den  Pisäcas  sollt'  ich  nicht  fertig  werden,  nicht  mit  Diebei 
und  Wegelagerern?  Vorn  Dorfe,  das  mein  Fuls  betritt,  verschwinde! 
die  Pisäcas.  (7) 

')  Der  Glaube,  dafs  das  Zahnweh  von  Würmern  herrührt,  is 
nicht  nur  in  Indien,  Deutschland,  England  und  Frankreich  verbreitet 
Auch  in  Madagaskar  sagt  man  von  einem,  der  Zahnweh  hat:  »Er  is 
krank  durch  den  Wurm.«  Und  die  Tschiroki-Indianer  (Cherokees)  habei 
einen  Spruch  gegen  das  Zahnweh,  in  dem  es  heifst:  »Der  Eindringlini 
in,  dem  Zahn  hat  gesprochen,  und  es  ist  nur  ein  Wurm."  (James  Moone] 
im  7th  Annual  Report  of  the  Bureau  of  Ethnology  1885—86 
Washington  1891,  S.  357  f.) 


—     117     — 

Vom  Dorfe,  das  meine  ungestüme  Kraft  betritt,  verschwinden 
die  Pisäcas;  nichts  Böses  führen  sie  mehr  im  Schilde.«  (8) 

Neben  diesem  Glauben  an  teuflische  Wesen,  welche  Krank- 
heiten über  die  Menschen  bringen,  finden  wir  in  Indien  auch  den 
weltweit  verbreiteten  Glauben  an  männliche  und  weibliche 
Dämonen  (Incubi  und  Succubi),  welche  sterbliche  Frauen  und 
Männer  des  Nachts  heimsuchen.  Dies  sind  die  Apsaras  und 
Gandharvas  des  altindischen  Volksglaubens,  welche  in  jeder 
Beziehung  und  in  geradezu  überraschender  Weise  den  Nixen  und 
Elfen  oder  Mahren  des  deutschen  Volksglaubens  entsprechen. 
Sie  sind  eigentlich  Naturgeister,  Flufs-  und  Waldgottheiten. 
Flüsse  und  Bäume  sind  ihre  Wohnstätten,  die  sie  nur  verlassen, 
um  die  Sterblichen  anzulocken  und  durch  unnatürlichen  Beischlaf 
zu  schädigen.  Um  diese  Geister  zu  vertreiben,  bedienten  sich 
die  altindischen  Zauberer  einer  wohlriechenden  Pflanze,  Ajasrfigi 
(»Bockshorn«,  Odina  pinnata)  genannt,  und  sprachen  dabei  das 
Lied  Ath.  IV,  37,  dem  ich  folgende  Verse  entnehme: 

»Mit  dir  vertreiben  wir  die  Apsaras  und  die  Gandharvas. 
O  Ajasrhgl,  jage  (aja)  die  Räksasas  fort,  verscheuche  sie  mit  deinem 
Duft!  (2) 

Die  Apsaras  Guggulü,  Pilä,  NaladT,  Auksamandhi  und  Pramändani 
sollen  zum  Flusse  gehen,  zur  Furt  der  Gewässer,  wie  weggeblasen. 
Dorthin  machet  euch  fort,  ihr  Apsaras,  denn  ihr  seid  erkannt.')  (3) 

Wo  die  Feigenbäume  wachsen  und  die  Bananen,  die  grofsen 
Bäume  mit  hohen  Wipfeln,  —  wo  eure  goldenen  und  silbernen 
Schaukeln  sind,  wo  Zimbeln  und  Lauten  zusammenklingen,  —  dorthin 
machet  euch  fort,  ihr  Apsaras,  denn  ihr  seid  erkannt.  (4) 

Dem  haarbuschgeschmückten  Gandharva,  dem  Gemahl  der  Apsaras, 
der  tanzend  daherkommt,  dem  zermalme  ich  die  Testikeln,  dem  spalte 
ich  den  Penis.  (7) 

Wie  ein  Hund  ist  der  eine,  wie  ein  Affe  der  andere.  Wie  ein 
Jüngling  mit  langem  Haupthaar,  lieblich  anzuschauen,  hängt  sich  der 
Gandharva  an  das  Weib.  Ihn  verscheuchen  wir  von  hier  mit  unserem 
mächtigen  Zauberspruch.  (11) 

Die  Apsaras  sind  ja  eure  Weiber;  ihr,  die  Gandharvas,  seid  deren 
Gatten.  Hinweg  mit  euch,  ihr  Unsterblichen;  stellet  nicht  den  Sterb- 
lichen nach!«  (12) 


0  Nach  dem  Zauberglauben  der  Inder  wie  anderer  Völker  werden 
Geister  und  Gespenster  dadurch  machtlos,  dafs  man  sie  erkennt  und 
beim  Namen  ruft.    GuggulQ  u.  s.  w.  sind  Namen  bestimmter  Apsaras. 


—     118    ~ 

Genau  so  wie  in  diesem  Liede  des  Atharvaveda  wird  ir 
deutschen  Zaubersprüchen  der  Mahr  aufgefordert,  die  Häusei 
der  Sterblichen  zu  verlassen  und  zu  den  Flüssen  und  Bäumer 
zu  gehen.  Und  wie  die  Apsaras  und  Gandharvas  so  lieben  aucl 
die  germanischen  Nixen  und  Elfen  Musik  und  Tanz,  womit  sie 
sterbliche  Männer  und  Frauen  anlocken.  Wie  im  altindischer 
Zauberliede  der  Gandharva  bald  als  Hund,  bald  als  Affe  unc 
bald  als  schöngelockter  Jüngling  erscheint,  so  pflegt  auch  ir 
deutschen  Sagen  der  Mahr  in  allerlei  Verwandlungen  aufzutreten 
Und  wie  die  Apsaras  der  Inder  in  den  Zweigen  der  Bananen 
und  Feigenbäume  ihre  Schaukeln  haben,  so  schaukeln  sich  aucl 
nach  deutschem  Volksglauben  die  Nixen  in  den  Wipfeln  unc 
Ästen  der  Bäume.  Und  gerade  so  wie  hier  im  Atharvavedi 
eine  wohlriechende  Pflanze  zum  Vertreiben  der  Dämonen  dient 
so  gelten  auch  nach  deutschem  Geisterglauben  wohlriechende 
Kräuter  (wie  Thj^mian)  als  vorzügliche  Mittel,  um  Elfen  unc 
anderen  Geisterspuk  zu  verscheuchen.  Das  sind  schwerlich  zu 
fällige  Übereinstimmungen,  sondern  wir  dürfen  wohl  mit^Adalber 
Kuhn,  der  schon  vor  vierzig  Jahren  indische  und  germanisch« 
Zaubersprüche  vergli.-hen  hat'),  annehmen,  dafs  nicht  blofs  ge 
wisse  Erscheinungen  des  Zauberglaubens,  sondern  auch  geradezi 
bestimmt  ausgeprägte  Formen  von  Zauberliedern  und  Zauber 
Sprüchen  in  die  indogermanische  Vorzeit  zurückreichen,  dafs  wii 
also  aus  den  deutschen  und  indischen  Zauberliedern  eine  Ar 
vorgeschichtlicher  Poesie   der  Indogerraanen  erschliefsen  können 

Wenig  verschieden  von  den  Heilzaubersprüchen  sind  di( 
Gebete  um  Gesundheit  und  langes  Leben,  von  der 
Indern  äyusyäni  süktäni,  d.  h.  >langes  Leben  bewirkende  Hymnenc 
genannt,  welche  die  zweite  Klasse  von  Hymnen  des  Atharvavedi 
bilden.  Es  sind  dies  Gebete,  wie  sie  hauptsächlich  bei  Familien 
festen,  wie  dem  ersten  Haarscheren  des  Knaben,  dem  Bart 
scheren  des  Jünglings  und  der  Schülerweihe ,  in  Verwendung 
kamen.  In  ziemlich  eintöniger  Weise  kehrt  hier  die  Bitte  un 
hohes  Alter,  um  ein  Leben  von  »hundert  Herbsten  oder  »hunder 
Wintern«,  um  Befreiung  von  den  100  oder  101  Todesarten  unc 
um  Schutz   gegen   allerlei  Krankheiten   immer  wieder.     Das  aui 


')  Im  XIII.  Band  der  Zeitschrift  für  vergleichende  Sprachwissen 
Schaft  (1864).  "S.  49  ff.,  113  ff. 


—     119    — 

einem  einzigen  Hymnus  von  30  Strophen  bestehende  Buch  XVII 
gehört  auch  hierher.  So  wie  in  den  Heilzaubersprüchen  oft  das 
Heilkraut  angerufen  wird,  welches  der  Zauberdoktor  verwendet, 
so  sind  manche  dieser  Gebete  um  langes  Leben  an  Amulette  ge- 
richtet, die  dem,  der  sie  trägt,  Gesundheit  und  langes  Leben 
sichern  sollen. 

Und  mit  diesen  Gebeten  berühren  sich  wieder  aufs  engste 
die  tmgemein  zahlreichen  Segenssprüche  (paustikäni) ,  durch 
die  der  Landmann,  der  Hirte,  der  Kaufmann  Glück  und  Ge- 
deihen in  ihren  Unternehmungen  zu  gewinnen  hoffen.  Da  finden 
wir  ein  Gebet,  welches  beim  Hausbau  verwendet  wird,  Segens- 
sprtiche  beim  Pflügen,  beim  Säen,  für  das  Wachstum  des  Ge- 
treides und  Beschwörungen  gegen  Feldungeziefer,  Sprüche  gegen 
Feuersgefahr,  beim  Regenzauber  verwendete  Gebete  um  Regen, 
zahlreiche  Segenssprüche  für  das  Gedeihen  der  Viehherden,  Be- 
schwörungen eines  Hirten  gegen  wilde  Tiere  und  Räuber,  Gebete 
eines  Kaufmanns  um  gute  Geschäfte  und  Glück  auf  der  Reise, 
eines  Spielers  um  Glück  mit  den  Würfeln,  Bannsprüche  und 
Beschwörungsformeln  gegen  die'  Schlangen  u.  dgl.  mehr.  Nur 
wenige  von  diesen  Liedern  und  Sprüchen  sind  als  Dichtungen 
bedeutend,  öfters  aber  kommt  es  vor,  dafs  wir  in  einem  sehr 
mittelmäfsigen  längeren  Gedicht  einzelne  Verse  von  grofser 
Schönheit  finden.  Am  schönsten  ist  vielleicht  das  Regenlied 
Ath.  IV ,  15.  Vom  Winde  getrieben  —  heilst  es  da  —  mögen 
die  Wolken  dahinziehen,  und  »während  der  grofse,  wolken- 
umhüllte  Stier  \)  brüllt,  mögen  die  rauschenden  Wasser  die  Erde 
erquicken«.     Parjanya  selbst  wird  mit  den  Worten  angerufen: 

»Schrei  nur  zu,  Parjanya,  donnre,  peitsch  den  Ozean! 
Salbe  du  mit  deinem  Nafs  die  Erde!    Und  von  dir  gesandt 
Soll  der  Regen  reichlich  fliefsen!    Obdach  suchend 
Soll  der  Hirt  mit  seinen  magern  Kühen  heimkehr'n.«*) 

Am  wenigsten  poetischen  Gehalt  besitzen  diejenigen  Segens- 
sprüche, welche  nur  ganz  allgemeine  Bitten  um  Glück  und  Segen 


')  Der  Regengütt  Parjanya. 

*)  In  der  Zeit  der  Dürre  sind  die  Kühe  wegen  des  kärglichen 
P'utters  mager  geworden  Nun  mufs  der  Hirt  vor  dem  Regen  flüchten, 
und  für  das  Vieh  werden  bessere  Zeiten  kommen.  (Weber,  Indische 
Studien,  Bd.  18,  S.  62.) 


~     120    --  • 

oder  um  Schutz  vor  Gefahr  und  Unheil  enthalten.  Zu  den 
letzteren  gehören  die  sogenannten  »mrgärasüktäni«  (Ath.  IV, 
23 — 29),  eine  aus  sieben  Hymnen  zu  je  sieben  Versen  bestehende 
Litanei.  Sie  sind  der  Reihe  nach  an  Agni  (1),  Indra  (2),  Väyu 
und  Savitar  (3),  Himmel  und  Erde  (4),  die  Maruts  (5),  Bhava 
und  Sarva ')  (6),  Mitra  und  Varuna  (7)  gerichtet,  und  jeder  Vers 
schliefst  mit  der  refrainartigen  Bitte  um  Befreiung  von  Drangsal. 
Das  Wort  amhas  aber,  welches  wir  hier  durch  »Drangsal« 
übersetzen,  vereinigt  in  sich  die  Bedeutungen  »Not,  Bedrängnis« 
einerseits  und  »Schuld,  Sünde«  anderseits.  Daher  kann  die  eben 
erwähnte  Litanei  auch  zu  jener  Klasse  von  Hymnen  des  Athar- 
vaveda  gerechnet  werden,  die  mit  Sühnzereraonien  (präyascittäni) 
in  Verbindung  stehen.  Diese  Entsühnungsf ormeln  und 
Sprüche  zur  Reinigung  von  Schuld  und  Sünde  sind 
von  den  Heilzaubersprüchen  weniger  verschieden,  als  man  glauben 
möchte.  Denn  nach  indischen  Begriffen  ist  eine  Entsühnung, 
ein  präyascitta,  nicht  nur  für  »Sünden«  in  unserem  Sinne,  d.  h. 
Vergehen  gegen  das  Sittengebot  oder  Verstöfse  gegen  die  Re- 
ligion, erforderlich,  sondern  neben  Entsühnungsformeln  für  mangel- 
haft vollzogene  Opfer  und  Zeremonien,  für  wissentlich  und  un- 
wissentlich begangene  Verbrechen,  für  Gedankensünden,  für  Nicht- 
bezahlung von  Schulden,  insbesondere  Spielschulden,  für  die  im 
Gesetz  verbotene  Verheiratung  eines  jüngeren  Bruders  vor  dem 
älteren  und  neben  allgemein  gehaltenen  Gebeten  um  Befreiung 
von  Schuld  und  Sünde  und  deren  Folgen  finden  wir  auch  Sühn- 
formeln und  mit  Sühnzeremonien  verbundene  Lieder  und  Sprüche, 
durch  welche  geistige  und  körperliche  Gebrechen,  unglück- 
bedeutende Vorzeichen  (z.  B.  durch  Vogelflug  oder  die  Geburt 
von  Zwillingen  oder  die  Geburt  eines  Kindes  unter  einem  un- 
glücklichen Stern),  böse  Träume  und  plötzliche  Unglücksfälle 
»entsühnt«,  d.  h.  abgewehrt  oder  in  ihrer  Wirkung  abgeschwächt 
werden  sollen.  Die. Begriffe  »Schuld«,  »Sünde«,  »Unheil«,  »Un- 
glück« gehen  fortwährend  ineinander  über.  Es  gilfeben  alles 
Böse  —  Krankheit  und  Unglück  ebenso  wie  Schuld  und  Sünde  — 
als  von  übelwollenden  Dämonen,    von  bösen  Geistern  veranlafst. 


')  Namen  oder  Formen  des  Rudra,  eines  Gottes,  der  im  Zauber- 
wesen und  in  den  Zauberliedern  des  Atharvaveda  eine  Hauptrolle 
spielt,  während  er  in  den  Hymnen  des  Rigveda  mehr  zurücktritt. 


—     121     - 

Wie  der  Kranke,  der  Wahnsinnige  so  ist  auch  der  Übeltäter, 
der  Sündige  von  einem  bösen  Dämon  besessen.  Und  dieselbeh 
menschenfeindhchen  Wesen,  welche  Krankheiten  bringen,  senden 
auch  die  unglücklichen  Vorzeichen  imd  die  Unglücksfälle  selbst. 
So  wird  z.  B.  Ath.  X,  3  ein  Amulett,  das  man  sich  umbindet,  in 
25  Versen  überschwenglich  gepriesen  und  verherrlicht  als  ein 
mächtiger  Schutz  gegen  Feinde  und  Nebenbuhler,  gegen  Ge- 
fahren und  Übel  aller  Art,  gegen  bösen  Zauber,  gegen  böse 
Träume  und  unglückliche  Vorzeichen,  gegen  »die  Sünde,  die 
meine  Mutter,  die  mein  Vater,  die  meine  Brüder  und  meine 
Schwester  und  die  wir  selbst  begangen  haben« ,  und  zugleich 
auch  als  ein  Universalmittel  gegen  alle  Krankheiten. 

Durch  den  Einflufs  böser  Dämonen  oder  böswilliger  Zauberer 
entsteht  auch  Familienzwist.  Daher  finden  wir  im  Atharvaveda 
auch  eine  Anzahl  von  Zaubersprüchen  zur  Herstellung 
von  Eintracht,  die  zwischen  den  Entsühnungsformeln  und 
den  Segenssprüchen  in  der  Mitte  stehen.  Denn  hierher  gehören 
nicht  nur  die  Sprüche,  durch  welche  Friede  und  Eintracht  in 
der  Familie  hergestellt  werden  sollen,  sondern  auch  Formeln,  durch 
welche  man  den  Zorn  eines  grofsen  Herrn  besänftigen  oder 
durch  die  man  Einflufs  in  einer  Versammlung,  Überredungskunst 
im  Gerichtshof  u.  dgl.  erlangen  will.  Eines  der  ansprechendsten 
unter  den  hierhergehörigen  Liedern  ist  Ath.  III,  30,  das  mit 
den  Worten  beginnt: 

»Eines  Herzens,  eines  Sinnes, 
Frei  von  Hasse  mache  ich  euch. 
Freut  euch  einer  an  dern  andern, 
Wie  am  neugebornen  Kalb  die  Kuh. 

Folgsam  sei  der  Sohn  dem.  Vater, 
Mit  der  Mutter  eines  Sinnes; 
Süfs  und  friedvoll  sei  die  Rede, 
Die  zum  Gatten  spricht  die  Gattin! 

Bruder  hasse  nicht  den  Bruder, 
Und  die  Schwester  nicht  die  Schwester: 
Gleichgesinnt  und  gleichgestimmet, 
Redet  Worte  voller  Liebe!« 

Es  ist  begreiflich,  dafs  manche  von  diesen  Versöhnungs- 
sprüchen auch  zur  Herstellung  von  Eintracht  zwischen  Ehegatten 


—     122    - 

verwendet  werden  konnten.  Doch  bilden  die  auf  Ehe  und 
Liebe  bezüglichen  Zauberlieder  eine  eigene  greise 
Klasse  von  Hymnen  des  Atharvaveda ;  und  aus  dem  Kausikasütra 
lernen  wir  die  mannigfachen  Arten  des  Liebeszaubers  und  aller 
der  Zauberriten  kennen,  welche  die  Inder  als  strlkarmäni  oder 
»Frauenriten«  bezeichnen,  und  für  welche  diese  Lieder  und  Sprüche 
verwendet  wurden.  Es  gibt  aber  zwei  Gattungen  von  hier- 
hergehörigen Sprüchen.  Die  einen  haben  einen  gemütlichen 
und  friedlichen  Charakter  und  beziehen  sich  auf  Ehe  und  Kinder- 
erzeugung. Es  sind  fromme,  mit  harmlosen  Zauberriten  verbundene 
Sprüche,  durch  welche  ein  junges  Mädchen  zu  einem  Bräutigam 
oder  ein  junger  Mann  zu  einer  Braut  zu  kommen  sucht,  Segens- 
sprüche über  das  Brautpaar  und  die  Neuvermählten,  Zauberlieder 
und  Sprüche,  durch  welche  die  Empfängnis  befördert  und  die 
Geburt  eines  männlichen  Kindes  erzielt  werden  soll ,  Gebete  um 
Schutz  für  die  Schwangere  sowohl  wie  für  das  ungeborene  und  das 
neugeborene  Kind  u.  dgl.  Hierher  gehört  das  ganze  XIV.  Buch, 
welches  eine  Sammlung  von  Hochzeitssprüchen  enthält  und  im 
wesentlichen  eine  zweite,  stark  vermehrte  Auflage  der  Hochzeits- 
sprüche des  Rigveda'^)  ist.  Zahlreicher  ist  die  zweite  Gattung 
der  hierhergehörigen  Sprüche,  aus  wilden  Beschwörungen  und 
Flüchen  bestehend,  die  sich  auf  Buhlschaft  und  Störungen  des 
Ehelebens  beziehen.  Ziemlich  harmlos  sind  ja  noch  die  Zauber- 
sprüche, durch  welche  eine  Frau  die  Eifersucht  ihres  Mannes 
beruhigen  will,  oder  die  Verse,  welche  einem  Mann  die  unge- 
treue Gattin  wieder  zurückbringen  sollen,  oder  der  Einschläferungs- 
zauber  (Ath.  IV,  5),  in  welchem  der  Vers:  »Es  schlafe  die 
Mutter,  es  schlafe  der  Vater,  es  schlafe  der  Hund,  es  schlafe  der 
Hausälteste,  ihre  Verwandten  mögen  schlafen,  es  schlafe  ringsimi 
alles  Volk,«  beweist,  dafs  das  Lied  von  einem  Buhlen  verwendet 
wird,  der  sich  zum  Liebchen  schleicht.  Minder  harmlos  und  zum 
Teil  von  urwüchsiger  Wildheit  sind  die  Zaubersprüche,  durch 
welche  eine  Person  gegen  ihren  Willen  zur  Liebe  gezwungen 
werden   soll.     Der  in  der  ganzen  Welt  verbreitete  Glaube,   dafs 


')  Siehe  oben  S.  93  f.  .Sowohl  die  Hochzeitssprüche  des  Rigveda  als 
auch  des  Atharvaveda  ebenso  wie  die  Liebeszauber lieder  des  Atharva- 
veda sind  von  A,  Weber  im  V.  Band  der  »Indischen  Studien*  über- 
setzt und  erklärt  worden. 


—     123    — 

man  vermittelst  eines  Bildes  einer  Person  schaden  oder  Gewalt 
über  sie  erlangen  könne,  findet  sich  auch  im  alten  Indien.  Wenn 
ein  Mann  sich  die  Liebe  einer  Frau  verschaffen  wollte,  so  machte 
er  ein  Bild  aus  Ton,  nahm  einen  Bogen  mit  einer  Sehne  von 
Hanf,  einen  Pfeil,  dessen  Widerhaken  ein  Dorn  war,  dessen  Feder 
von  einer  Eule  stammte,  dessen  Schaft  aus  schwarzem  Holz  ge- 
macht war,  und  begann  mit  dem  Pfeile  das  Herz  des  Bildes  zu 
durchbohren  —  eine  symbolische  Durchbohrung  des  Herzens  der 
Geliebten  mit  dem  Pfeile  des  Liebesgottes  Käma  — ,  wobei  er 
die  Verse  des  Zauberliedes  Ath.  III,  25  rezitierte: 

»Käma,  der  Aufstachler,  stachle  dich  auf!  Nicht  aushalten  sollst 
du  es  auf  deiner  Lagerstätte!  Mit  des  Käma  schrecklichem  Pfeile 
durchbohre  ich  dir  das  Herz. 

Mit  dem  Pfeil,  dessen  Feder  die  Sehnsucht,  dessen  Dom  die  Liebe, 
dessen  Schaft  das  Verlangen,  —  mit  diesem  Pfeile,  wohlgezielt,  durchbohre 
Kam?  dir  das  Herz. 

Mit  dem  wohlgezielten  Pfeil  des  Käma,  dem  versengenden,  der 
die  Milz  verdorren  macht,  dessen  Feder  vorwärtsfliegt,  —  mit  dem 
durchbohre  ich  dir  das  Herz. 

Von  heilser  Glut  verzehrt,  lechzenden  Mundes  komm  zu  mir  ge- 
schlichen! Sanft,  des,  Stolzes  bar,  freundlich  redend,  treu  ergeben, 
sei  ganz  mein  eigen! 

Mit  der  Peitsche  peitsch'  ich  fort  dich  von  der  Mutter,  von  dem 
Vater,  auf  dafs  du  in  meiner  Gewalt  seiest,  meinem  Wunsch  willfahrest. 

Vertreibet,  o  Mitra  und  Varu^a,  ihre  eigenen  Gedanken  aus  ihrem 
Herzen!  Und  wenn  ihr  sie  willenlos  gemacht,  gebet  sie  in  meine 
Gewalt!« 

In  ähnlicher  Weise  verfährt  eine  Frau,  wenn  sie  die  Liebe 
eines  Mannes  erringen  will.  Sie  macht  sich  ein  Bild  von  dem 
Manne,  stellt  es  vor  sich  hin  und  schleudert  heifsgemachte  Pfeil- 
spitzen gegen  das  Bild,  indem  sie  die  Lieder  Ath.  VI,  130  und 
131  mit  dem  Refrain:  »Sendet,  Göttei',  Liebessehnsucht]  Jener 
soll  nach  mir  entbrennen!«  dazu  sagt,  wo  es  z.  B.  heilst: 

»Macht  ihn  liebestrunken.  Stürme! 
Macht  ihn  liebestrunken,  Lüfte! 
Feuer,  mach  ihn  liebestrunken! 
Jener  sqU  nach  mir  entbrennen!    (130,  4) 

Liebesqual  bring'  ich  hernieder 
Dir  vom  Kopf  bis  auf  die  Fülse; 
Sendet,  Götter,  Liebessehnsucht! 
Jener  soll  nach  mir  entbrennen!    (131,  1) 


-^     124    — 

Rennst  du  gleich  drei  Meilen  oder  fünf, 
Rennst  du  auch,  soweit  ein  Rols  läuft, 
Sollst  zurtlck  doch  wieder  kommen, 
Meiner  Söhne  Vater  werden."    (131,  3) 

Die  wildesten  und  förmlich  von  Hafs  sprühenden  Zauber- 
lieder sind  diejenigen,  mit  welchen  Frauen  ihre  Nebenbuhlerinnen 
zu  verdrängen  suchen.     Ein  Beispiel  ist  Ath.  I,  14: 

»Ihr  I  i'^besglück  und  ihren  Glanz  hab'  ich  an  mich  gerissen,  wie 
einen  Kranz  vom  Baume.  Wie  ein  Berg  auf  festem  Grunde  soll  lange 
sie  im  Elternhause  sitzen! 

Dies  Mädchen,  König  Yama'),  soll  dir  als  deine  Braut  hingeworfen 
werden;  jetzt  aber  soll  sie  an  der  Mutter,  an  des  Bruders,  an  des 
Vaters  Haus  gefesselt  sein! 

Dies  Weib  soll  deine  Hausfrau  sein,  König  Yama;  dir  über- 
geben wir  sie.  Lang  soll  sie  im  Elternhause  sitzen,  bis  ihr  das  Haar 
vom  Haupte  fällt. 

Mit  dem  Zauberspruch  des  Asita,  des  Kasyapa  und  des  Gaya*) 
verschlielse  ich  dein  Liebesglück,  wie  Frauen  (ihre  Kleinodien)  im 
Kasten.«  5) 

Eine  unzweideutige  Sprache  von  ungezügelter  Wildheit 
führen  auch  die  Lieder,  d,urch  welche  eine  Frau  unfruchtbar  ge- 
macht (Ath.  VII,  35)  oder  ein  Mann  der  Zeugung.skraft  beraubt 
werden  soll  (Ath.  VI,  138.     VII,  90). 

Diese  Liebeszauberlieder  gehören  eigentlich  schon  zu  jener 
Klasse  von  Hymnen,  die  mit  dem  alten  Namen  »Angiras«  "*)  be- 
zeichnet werden,  zur  Klasse  der  Flücheund  Beschwörungen 
gegen  Dämonen,  Zauberer  und  Feinde  (äbhicärikäni). 
Auch  manche  von  den  Heilzaubersprüchen  können  ebensogut 
zu  dieser  Klasse  gerechnet  werden,  insofern  sie  Beschwörungen 
gegen  die  Krankheitsdämonen  enthalten.  Hierher  gehört  unter 
anderen  auch  die  zweite  Hälfte  des  XVI.  Buches,  welche  eine 
Beschwörung  gegen  den  Mahr  oder  Alp  (das  Alpdrücken)  ent- 
hält, indem  dieser  Dämon  aufgefordert  wird,  die  Feinde  heim- 
zusuchen.     Zwischen    Dämonen    und    übelwollenden    Zauberern 


')  Der  Todesgott! 

*)  Wohl  Namen  berühmter  Zauberer. 

3)  Dieses  schwierige  Lied  ist  zuerst  von  M.  Bloomfield  (Sacred 
Books  of  the  East  XLII,  S.  107,  252  ff)  richtig  erklärt  worden. 
♦)  Siehe  oben  S.  104  f. 


_     125     — 

und  Hexen  wird  in  diesen  Beschworungen  kein  Unterschied  ge- 
macht, und  gegen  sie  wird  namentlich  Agni  —  das  Feuer  als 
Dämonenvernichter  —  zu  Hilfe  gerufen.  Zahlreiche  volksttim- 
liche  Namen  von  Dämonen,  sonst  ganz  unbekannt,  finden  sich 
in  diesen  Hymnen,  in  denen  uns  überhaupt  mehr  als  sonst  echt 
volkstümliche  Vorstellungen  auf  Schritt  und  Tritt  begegnen.-  So 
stofsen  wir  hier  auf  die  tief  im  V^olksglauben  —  und  zwar  aller 
Völker  —  wurzelnde  Anschauung,  dafs  Krankheit  und  Unglück 
nicht  nur  von  Dämonen,  sondern  auch  von  bösen,  mit  Zauber- 
macht ausgestatteten  Menschen  verursacht  werden  können.  Der 
Zauber,  durch  den  diese  bösen  Menschen  Übel  stiften,  wird  in 
den  Liedern  oft  personifiziert  und  ihm  ein  Gegenzauber  —  ein 
Heilkraut,  ein  Amulett,  ein  Talisman  —  gegenübergestellt.  Die 
mit  diesem  feindlichen  Zauber  und  Gegenzauber  verbundenen 
Sprüche  und  Lieder  zeichnen  sich  oft  durch  eine  urwüchsige 
Kraft  und  Wildheit  aus,  die  eines  gewissen  Reizes  nicht  entbehrt. 
Und  jedenfalls  steckt  in  manchen  dieser  Flüche  und  Beschwörungen 
des  Atharvaveda  mehr  gute  volkstümliche  Poesie  als  in  den 
meisten  Opferliedern  und  Gebeten  des  Rigveda.  Ein  Beispiel  ist 
das  zur  Abwehr  eines  bösen  Zaubers  dienende  Lied  Ath.  V,  14, 
von  dem  einige  Verse  hier  angeführt  seien: 

»Aufgefunden  hat  der  Adler,  ausgegraben  dich  der  Eber, 

Pflanze,  schädig  du  den  Schädling,  nieder  schlag  den  Zauberstifter!  (1) 

Nieder  schlag  die  Hexenmeister,  nieder  schlag  die  Zauberstifter! 
Wer   uns   schaden    will,    den   töte,    tot   ihn,    Kraut,   und  schon   ihn 

nimmer !    (2) 

Schneidet,  wie  ein  Stück  aus  einem  Antilopenfelle,  Götter, 

Weg  den  Zauber,  hängt  ihn  um  dem  Zauberstifter,  wie  ein  Kleinod!  (3) 

Nimm  den  Zauber  bei  der  Hand  und  führ  ihn  hin  zum  Zauberstifter, 
Stell  ihn  vor  sein  Angesichte,  dafs  er  tot'  den  Zauberstifter!    (4) 

Fluch  treff  den,  der  flucht,  zum  Zauberstifter  soll  der  Zauber  gehen. 
Wie  ein  Wagen  leicht  dahinrollt,  roll'  zum  Zaubrer  hin  der  Zauber.  (5) 

Ob  ein  Weib,  ein  Mann  den  bösen  Unglückszauber  hat  bereitet,  — 
Wie  ein  Pferd  am  Halfter  führen  wir  zu  ihm  zurück  den  Zauber.   (6) 

Geh   wie    der   Sohn  zum  Vater,  Zauber!     Beifs  wie  die   Viper,    die 

getreten! 

Kehre    zurück     zum    Zauberstifter,     wie     der     befreite     Flüchtling 

heimeilt!«    (10) 


—     126     — 

In  ähnlicher  Weise  wird  in  dem  Lied  Ath.  VI,  37  der  Fluch 
personifiziert  und  dem  Fluchenden  zurückgeschickt  mit  den 
kräftigen  Versen: 

"Hergekommen  ist  der  tausendäugige  Fluch  aut  seinem  Wagen, 
Den  zu  suchen,  der  uns  fluchet,  wie  der  Wolf  das  Haus  des  Schäfers. 

Geh,  o  Fluch,  an  uns  vorüber,  wie  an  dem  Teich  ein  lodernd  Feuer! 
Schlage  den,  der  uns  gefluchet,  wie  des  Himmels  Blitz  den  Baum 

schlägt! 

Wer  uns  flucht,  wenn  wir  ihm  fluchen,  wer  uns  flucht,  dem  wir  nicht 

fluchen,  — 
Beide  werf'  ich  sie  dem  Tod  zu,  Avie  dem  Hunde  einen  Knochen.« 

Hierher  gehört  auch  der  grofsartige  Hymnus  an  Varuna 
(Ath.  IV,  16),  dessen  erste  Hälfte  die  Allmacht  und  Allwissenheit 
Gottes  in  einer  Sprache  feiert,  die  uns  aus  den  Psalmen  geläufig 
ist,  die  aber  in  Indien  nur  äufserst  selten  gehört  wird,  während 
die  zweite  nichts  anderes  ist  als  eine  kräftige  Beschwörungs- 
formel gegen  Lügner  und  Verleumder,  wie  sie  im  Atharvaveda 
nicht  selten  sind.  Ich  gebe  das  merkwürdige  Gedicht  in  der 
Übersetzung  von  R.  Roth  *)  : 

«Aus  der  Höhe  schaut  ein  Wächter,  wie  einer,  der  daneben  steht; 
Verstohlen  meint  man  es  zu  tun:  und  alles  ist  den  Göttern  kund. 

Wenn  einer  steht  und  geht,  wenn  einer  schleichet. 
Zu  Versteck  und  Schlupfwinkel  sich  zurückzieht. 
Wo  zwei  zusamraensitzeud  sich  bereden: 
Das  weils  der  König  Varuna  als  Dritter. 

Diese  Erde  gehört  dem  König  Varuna, 
Sein  ist  der  hohe,  unendliche  Himmel ; 
Seine  Lenden  sind  Luftmeer  und  Ozean; 
Auch  dieses  Wässerchen  ist  seine  Wohnstatt. 

Wer  über  den  Himmel  eilte  zur  Ferne, 
Nicht  kam'  er  los  von  Varu^ia,  dem  König. 
Vom  Himmel  steigen  seine  Späher  nieder; 
Tausend  äugig  überschauen  sie  die  Erde. 

Alles  sieht  der  königliche  Varuj^a, 
Was  zwischen  Himmel  und  Erd'  ist,  was  jenseits; 
Das  Blinzen  des  menschlichen  Auges  zählt  er: 
Es  liegt  vor  ihm  wie  W^ürfel  vor  dem  Spieler. 

')  Abhandlung  über  den  Atharva  Veda,  Tübingen  1856,  S.  29  f. 


—     127     — 

Ausgespannt  sind  deine  glänzenden  Stricke 
Dreifach,  o  Varuija,  siebenmal  sieben; 
Sie  alle  sollen  umwinden  den  Lügner, 
Freilassen  aber,  wer  die  Wahrheit  redet. 

Mit  hundert  Stricken,  Varu^a,  umstricke  ihn! 
Lafs  nicht  los,  Menschenwächter,  den  Verleumder! 
Mit  hängendem  Bauch  sitze  der  Gemeine  da, 
Umwunden  wie  ein  Fafs,  das  aus  dem  Bande  geht! 

Der  Schadenbringer  Varu^a,  der  Schadenlöser  —  der  Gebieter  Varu^a, 

der  V  erbieter  — 
Der  göttliche  Varu^ia,  der  menschliche  — ') 

Ich  binde  dich  mit  allen  diesen  Fesseln, 

Du  N.  N.,  Nachkomme  des  N.  N.,  Sohn  der  N.  N., 

Dir  Sprech'  ich  alle  diese  Fesseln  zu.» 

Roth  bemerkt  zu  diesem  Lied :  »Es  gibt  kein  anderes  Lied 
in  der  ganzen  vedischen  Litteratur,  welches  die  göttliche  All- 
wissenheit in  so  nachdrücklichen  Worten  ausspräche,  und  dennoch 
ist  diese  schöne  Ausführung  zum  Exordium  einer  Beschwörung 
herabgewürdigt  worden.  Doch  liegt  hier,  wie  bei  vielen  anderen 
Stucken  dieses  Veda,  die  Vermutung  nahe,  dafs  vorhandene 
Bruchstücke  älterer  Hymnen  dazu  benutzt  wurden,  Zauberformeln 
aufzuputzen.  Als  ein  Bruchstück  dieser  Art  wären  die  fünf  oder 
auch  sechs  ersten  Verse  unseres  Liedes  zu  betrachten.«  Ich  kann 
diesen  Worten  nur  zustimmen;  die  Annahme  Bloomfields  ^),  dafs 
tlas  ganze  Gedicht  so,  wie  es  ist,  von  Anfang  an  für  Zauber- 
zwecke verfafst  worden  sei,  scheint  mir  nicht  gut  denkbar. 

Teils  aus  Beschwörungsformeln  gegen  Feinde,  teils  aus  Segens- 
sprücben  besteht  eine  ziemlich  grofse  Klasse  von  Zauberliedern, 
welche  für  die  Bedürfnisse  der  Könige  berechnet 
sind.  Jeder  König  mufste  in  Indien  von  alters  her  seinen 
Purohita  oder  Hauspriester  haben,  und  dieser  Hauspriester  mufste 
in  den  auf  das  Leben  eines  Königs  bezüglichen  Zauberriten 
(räjakarmäni ,  »Königsriten«)  Bescheid  wissen  und  in  den  zu 
diesen  Riten   gehörigen  Liedern   und    Sprüchen   bewandert   sein. 


')  Die  Übersetzung  dieses  Verses  ist  sehr  zweifelhaft.  Es  ist  einer 
der  vielen  Verse  im  Atharvaveda,  deren  Sprache  eine  Art  Kauder- 
wels»:h  ist,  wie  es  in  den  Zaubersprüchen  aller  Völker  sich  findet. 

')  Sacred  Boüks  of  the  Hast,  XLII,  S.  389. 


-     128    — 

Daher  steht  auch  der  Atharvaveda  in  engster  Beziehung  zur 
Kriegerkaste.  So  finde«  wir  denn  hier  die  Lieder,  die  sich  auf 
die  Königsweihe  beziehen,  wobei  der  König  mit  dem  heiligen 
Weihwasser  besprengt  wird  und  auf  ein  Tigerfell  tritt  ^  wir 
finden  Zaubersprüche,  welche  einem  Könige  Herrschaft  über 
andere  Fürsten,  überhaupt  Macht  und  Ruhm  sichern  sollen, 
Gebete  für  den  König,  wenn  er  die  Rüstung  anlegt,  wenn  er 
den  Kriegswagen  besteigt,  u.  dgl.  Interessant  ist  ein  Gebet 
(Ath.  III,  4)  bei  der  Königswahl,  wo  der  himmlische  König 
Varuna ,  indem  der  Name  des  Gottes  mit  dem  Zeitwort  var 
»wählen«  in  etymologische  Verbindung  gebracht  wird,  als  der- 
jenige erscheint,  welcher  den  König  wählt.  Merkwürdig  ist  auch 
Ath.  III,  3,  eine  Zauberformel  für  die  Wiedereinsetzung  eines 
verbannten  Königs.  Zu  den  schönsten  Hymnen  dieser  Klasse 
gehören  aber  die  Schlachtgesänge  und  Kriegszauberlieder,  so 
insbesondere  die  zwei  Lieder  an  die  Trommel,  welche  die  Kämpfer 
zur  Schlacht  und  zum  Sieg  rufen  sollen  (Ath.  V,  20  und  21). 
Als  Beispiel  folgen  einige  Verse  von  V,  20: 

»Laut  erdröhnt  die  Trommel,  die   von  Holz  gemacht,  mit  Kuhhaut 

überzogen ; 

Wie  ein  Krieger  sich  gebärdend  wetzt  die  Stimme  sie  und   zwingt 

die  Feinde. 

Siegessicher,  wie  der  Löwe,  lafs  den  Donnerruf  erschallen!    (1) 

Wie  ein  Löwe  donnert  die  von  Holz  gemachte,  hautbespannte  Trommel, 
Wie  ein  Stier  der  geilen  Kuh  entgegenbrüllt.    Ein  Stier,  o  Trommel, 

bist  du, 
Und   die   Feinde  sind  Verschnittne.     Dein   ist  Indras  feindezwingend 

Feuer.    (2) 

Wie    der    brünst'ge   Stier    voll    Macht   inmitten    der   Herde,   brülle» 

Beutegewinner, 

Laut  dem  Feind  entgegen.    Und  mit  Feuersglut  durchbohr  das  Herz 

der  Gegner! 

Auseinanderstieben  sollen  gleich  die  Feinde  mit  wankenden  Schlacht- 

reihn!    (3) 

Wenn  die  Frau  des  Feinds  der  Trommel  weithinschallende  Stimme 

hört,  so  flieh'  sie 

Hilfe  suchend,   aufgeschreckt    vom    Kriegslärm,    an    der   Hand    ihr 

Söhnlein  führend, 

Eiligst,  furchtbeklommen  beim  Zusammenstofs  der  Todeswaffen!«    (5) 


—     129    — 

Die  Brahmanen  waren  aber  von  jeher  viel  zu  praktische 
Leute,  als  dafs  sie  die  Zaubersprüche  immer  nur  im  Interesse  der 
Könige  oder  anderer  Leute  und  nicht  auch  für  sich  selbst  benutzt 
hätten.  Schon  unter  den  zu  den  »Königsriten«  gehörigen  Zauber- 
Hedem  finden  sich  einige,  welche  sich  mehr  mit  dem  Purohita^ 
dem  unentbehrlichen  Hauspriester  des  Königs,  als  mit  dem  letzteren 
selbst  beschäftigen.  Und  wenn  es  auch  in  der  brahmanischen 
Litteratur  nicht  an  Ausfällen  gegen  Zauberwerk  und  Beschwö- 
rungen fehlt'),  so  sagt  doch  das  Gesetzbuch  des  Manu  (XI,  33) 
klar  und  deutlich:  »Ohne  Bedenken  soll  der  Brahraane  sich  der 
heiligen  Texte  des  Atharvaveda  bedienen;  das  Wort  fürwahr 
ist  die  Waffe  des  Brahmanen;  damit  töte  er  seine  Feinde.«  So 
finden  wir  denn  auch  im  Atharvaveda  eine  ganze  Reihe  von 
Zauberliedern  und  Beschwörungen  im  Interesse  der 
Brahmanen.  In  den  stärksten  Ausdrücken  wird  in  diesen 
Hymnen  immer  wieder  die  Unverletzlichkeit  der  Brahmanen  und 
die  Unantastbarkeit  ihres  Besitzes  eingeschärft,  und  die  schwersten 
Flüche  werden  gegen  jene  ausgesprochen ,  welche  sich  an  Gut 
und  Leben  der  Brahmanen  vergreifen.  Daneben  wird  die 
mystische  Bedeutung  der  Daksinä,  d.  h.  des  Opferlohns,  in  den 
überschwenglichsten  Ausdrücken  hervorgehoben.  Brahmanen  zu 
unterdrücken,  ist  die  schwerste  aller  vSünden ;  ihnen  reichlichen 
Opferlohn  zu  geben,  ist  der  höchste  Gipfel  der  Frömmigkeit :  das 
sind  die  Grundgedanken,  die  sich  durch  alle  diese  Lieder  ziehen, 
die  zu  den  unerquicklichsten  des  ganzen  Atharvaveda  gehören. 
Nur  einige  wenige  der  besseren  dieser  Hymnen  enthalten  Gebete 
um  Einsicht,  Weisheit,  Ansehen  und  theologisches  Wissen.  Alle 
zu  dieser  Klasse  gehörigen  Lieder  darf  man  wohl  unbedenklich 
zu  den  jüngsten  Bestandteilen  der  Atharvaveda-Sammlung  rechnen. 

Zu  den  jüngeren  Bestandteilen  der  Samhitä  gehören  auch 
die  für  Opferzwecke  verfafsten  Lieder  und  Sprüche, 
welche  wahrscheinlich  nur  deshalb  in  den  Atharvaveda  auf- 
genommen wurden ,  damit  derselbe  ebenso  wie  die  drei  anderen 
"^/"edas  zum  Opfer  in  Beziehung  gebracht  und  als  wirklicher 
j  Veda«  anerkannt  werde.  So  finden  wir  z.  B.  zwei  Äprihymnen ') 
und  andere  den  Opfergesängen  des  Rigveda  entsprechende  Lieder. 


0  Siehe  oben  S.  109. 
»)  Siehe  oben  S.  83  f. 

Winternitz,  Geschichte  der  indischen  Litteratur. 


-     130     - 

Auch  Prosaformeln,  die  denen  des  Yajurveda  entsprechen,  finden 
wir,  z.  B.  im  XVI.  Buch,  dessen  ganze  erste  Hälfte  aus  Formeln 
besteht,  in  denen  das  Wasser  verherrlicht  wird,  und  die  zu  irgend- 
einem Lustrationsrituell  in  Beziehung  stehen.  Hierher  gehört 
auch  das  XVIII.  Buch,  welches  die  zum  Totenrituell  und  zur 
Ahnenverehrung  gehörigen  Sprüche  enthält.  Die  Bestattungs- 
lieder aus  dem  X.  Buch  des  Rigveda')  kehren  hier  wörtlich 
wieder  und  sind  nur  durch  viele  Zusätze  vermehrt.  Auch  das 
ganz  spät  hinzugefügte  XX.  Buch,  dessen  Hymnen  mit  wenigen 
Ausnahmen  sämtlich  aus  dem  Rigveda  entlehnt  sind,  steht  zum 
Somaopfer  in  Beziehung.  Neu  sind  in  diesem  Buch  nur  die  sehr 
merkwürdigen  »Kuntäpahymnen«  -),  Ath.  XX,  127 — 136.  Auch 
sie  fügen  sich  als  Liturgien  in  das  Opferritual  ein,  berühren  sich 
aber  ihrem  Inhalte  nach  zum  Teil  mit  den  Dänastutis  des 
Rigveda  3),  indem  sie  die  Freigebigkeit  gewisser  Fürsten  preisen ; 
zum  Teil  sind  es  Rätselfragen  und  deren  Auflösungen  ^),  zum  Teil 
aber  auch  —  obszöne  Lieder  und  derbe  Zoten.  Bei  gewissen 
Opfern,  die  viele  Tage  lang  dauerten,  bildeten  Hymnen  von 
dieser  Art  die  vorschriftsmäfsige  Unterhaltung  der  Priester, 
welche  schliefslich  —  nach  dem  treffenden  Ausdruck  von 
M.  Bloomfield  —  in  eine  Art  liturgischer  »Saukneipe«  ausartete. 

Rituellen  Ursprungs  ist  wahrscheinlich  auch  das  in  Prosa 
abgefalste  XV.  Buch.  Es  ist  dies  eine  mystisch  verworrene 
Verherrlichung  des  Vrätya,  d.  h.  des  in  die  Brahmanenkaste 
aufgenommenen  Nichtariers ;  und  die  Sprüche  wurden  wohl  bei 
einer  Zeremonie  verwendet,  mittelst  welcher  diese  Aufnahme 
vollzogen  wurde. 

Wegen  seines  mystischen  und  halb  philosophischen  Inhalts 
kann  man  aber  dieses  Buch  auch  zur  letzten  Klasse  von  Hymnen 
des  Atharvaveda,  die  noch  zu  erwähnen  ist,  rechnen,  nämlich  zu 
den  Hymnen  theosophi sehen  und  ko  smog  o  n  i  sehen 
Inhalts,  die  wohl  ohne  Zweifel  auch  zu  den  jüngsten  Bestand- 
teilen des  Atharvaveda  gehören.  Nichts  scheint  ja  dem  Zauber- 
wesen ferner  zu  stehen  als  die  Philosophie,  und  man  könnte  sich 


')  Siehe  oben  S.  84  ff. 

*)  Was  der  Name  »Kuntäpa«  bedeutet,  ist  nicht  bekannt. 

5)  Siehe  oben  S.  99  f. 

<)  Gleich  denen  des  Rigveda.    S.  oben  S.  101  f. 


—     131     — 

darüber  wundern,  dafs  die  Atharvaveda-Samhitä  neben  Zauber- 
liedern, Flüchen  und  Segenssprüchen  auch  Hymnen  philosophischen 
Inhalts  enthält.  Wenn  wir  uns  aber  diese  Hymnen  näher  an- 
sehen, so  wefden  wir  bald  finden,  dafs  sie  ebenso  wie  die  Zauber- 
lieder zum  grofsen  Teil  auch  nur  praktischen  Zwecken  dienen. 
Es  ist  nicht  das  Sehnen  und  Suchen  nach  Wahrheit,  nach  der 
Lösung  dunkler  Welträtsel,  das  in  ihnen  zum  Ausdruck  kommt, 
sondern  auch  hier  sind  es  nur  Zauberkünstler,  die  sich  als 
Philosophen  gebärden,  indem  sie  die  geläufigen  philosophischen 
Ausdrücke  zu  einem  künstlichen,  besser  gesagt:  gekünstelten 
Gewebe  von  aberwitzigen  und  überwitzigen  Phantastereien  mifs- 
brauchen,  um  den  Eindruck  des  Mystischen,  des  Geheimnisvollen 
hervorzurufen.  Was  uns  auf  den  ersten  Blick  als  Tiefsinn  er- 
scheint, ist  oft  in  Wirklichkeit  nichts  als  leere  Geheimtuerei, 
hinter  der  mehr  Unsinn  als  Tiefsinn  steckt ;  und  für  den  Zauber- 
meister gehört  ja  die  Geheimtuerei,  das  Verhüllen  des  Wirklichen 
unter  einem  mystischen  Schleier,  zum  Handwerk.  Doch  setzen 
diese  philosophischen  Hymnen  eine  ziemlich  hohe  Entwicklung  des 
metaphysischen  Denkens  voraus.  Die  Hauptgedanken  der  Upanisads, 
die  Vorstellung  von  einem  höchsten  Gott  als  Schöpfer  und 
Erhalter  der  Welt  (Prajäpati),  und  selbst  die  von  einem  unpersön- 
lichen schöpferischen  Prinzip  sowie  eine  Reihe  von  philosophischen 
Kunstausdrücken,  wie  brahman,  tapas,  asat,  präna,  manas,  müssen 
zur  Zeit,  als  diese  Hymnen  entstanden,  bereits  Gemeingut  weiter 
Kreise  gewesen  sein.  Darum  dürfen  wir  auch  in  den  theo- 
sophischen  und  kosmogonischen  Hymnen  des  Atharvaveda  nicht 
etwa  eine  Entwicklungsstufe  der  indischen  Philosophie  sehen. 
Die  fruchtbaren  Gedanken  der  wahrhaft  philosophischen  Hymnen 
des  Rigveda  haben  ihre  weitere  Ausbildung  erst  in  den  Upanisads 
erfahren ,  und  die  philosophischen  Hymnen  des  Atharvaveda 
können  durchaus  nicht  als  eine  Ubergangsstufe  von  der  ältesten 
Philosophie  zu  der  der  Upanisads  aufgefafst  werden.  »Sie  stehen«, 
wie  Deussen  sagt,  »nicht  sowohl  innerhalb  des  grofsen  Ent- 
wicklungsganges als  vielmehr  ihm  zur  Seite.«  ') 

Manch  tiefer  und  wahrhaft  philosophischer  Gedanke  blitzt 
zuweilen  in  diesen  Hymnen  aus  dem  mystischen  Nebel  hervor, 
aber  wohl   in  den  meisten  Fällen  wird  man  sagen  können,  dafs 

')  Deussen,  Allgemeine  Geschichte  der  Philosophie  I,  1,  S.  209. 

9  * 


—     132    — 

nicht  der  Atharvandichter  der  Urheber  dieser  Gedanken  ist, 
sondern  dafs  er  nur  fremden  Geist  seinen  Zwecken  dienstbar 
gemacht  hat.  So  ist  es  gewifs  ein  eines  Philosophen  würdiger. 
Gedanke,  dals  Kala,  die  Zeit,  der  Urgrund  alles  Seins  ist. 
Allein,  es  ist  die  Sprache  des  Mystikers  und  nicht  des  Philosophen, 
wenn  wir  Ath.  XIX,  53  lesen: 

»Kala  fährt  dahin,  ein  Rofs  mit  sieben  Zügeln,  mit  tausend  Augen, 
nimmer  alternd,  reich  an  Samen;  ihn  besteigen  die  weisen  Sänger; 
seine  Räder  sind  alle  Wesen. 

Mit  sieben  Rädern  fährt  Kala,  sieben  Naben  hat  er,  Unsterblich- 
keit ist  seine  Achse.  Her  führt  Kala  alle  diese  Wesen.  Als  der  erste 
der  Götter  eilt  Kala  dahin. 

Ein  voller  Krug  ist  auf  Kala  gesetzt;  den  sehen  wir  vielfach  ge- 
staltet. Weg  führt  er  alle  diese  Wesen.  Kala  nennt  man  ihn  im 
höchsten  Himmel«  u.  s.  w. 

Wohl  findet  der  Gedanke,  dafs  Kala,  die  Zeit,  alles  hervor- 
gebracht hat,  einen  würdigen  Ausdruck  in  den  beiden  Versen 
5  und  6: 

»Kala  hat  den  Himmel  dort  geschaffen,  Kala  diese  Erden  hier. 
Was  war,  und  was  sein  wird,  entfaltet  sich,  von  Kala  angetrieben. 

Kala  hat  die  Erde  geschaffen,  in  Kala  glüht  die  So^ne;  in  Kala 
sind  alle  Wesen,  in  Kala  blickt  das  Auge  um  sich.« 

Aber  gleich  in  den  folgenden  Versen  und  im  folgenden 
H)'^mnus  (Ath.  XIX,  54)  wird  dann  in  ganz  mechanischer  Weise 
alles  mögliche  als  aus  der  Zeit  entspringend  aufgezählt,  und 
namentlich  werden  der  Reihe  nach  die  verschiedenen  Namen 
des  Göttlichen,  die  zu  jener  Zeit  bekannt  waren,  als  von  Kala 
geschaffen  erklärt,  so  Prajäpati,  so  das  Brabman,  das  Tapas 
(Askese),  der  Präna  (Lebensodem)  u.  s.  w. 

Mehr  Geheimniskrämerei  als  wahre  Philosophie  findet  sich 
auch  in  den  langen  Rohitahymnen,  aus  denen  das  XIII.  Buch 
des  Atharvaveda  besteht,  in  denen  überdies  allerlei  nicht  Zu- 
sammengehöriges bunt  durcheinandergewürfelt  erscheint.  Da 
wird  z.  B.  in  dem  ersten  Hymnus  Rohita,  »der  Rote«,  d.  i.  die 
Sonne  oder  ein  Genius  der  Sonne,  als  schöpferisches  Prinzip  ge- 
feiert —  »er  schuf  den  Himmel  und  die  Erde«,  »er  hat  mit 
Kraft  befestigt  Erd'  und  Himmel«  —  ;  zu  gleicher  Zeit  wird  aber 
ein  irdischer'  König  verherrlicht  und  der  himmlische  König 
Rohita  mit  dem  irdischen  König  in  absichtlich  verworrener  Weise 


—     133     — 

in  Zusammenhang  gebracht.  Mitten  darinnen  finden  wir  aber 
auch  Verwünschungen  gegen  Feinde  und  Nebenbuhler  und  gegen 
denjenigen,  der  eine  Kuh  mit  dem  Fufse  stölst  oder  gegen 
die  Sonne  sein  Wasser  abschlägt').  Und  wieder  in  dem 
Hymnus  XIII,  3  wird  in  einigen  Versen,  deren  Pathos  an  den 
oben  zitierten  Varunahymnus  erinnert,  Rohita  als  höchstes  Wesen 
gepriesen,  daran  aber  ein  Refrain  gehängt,  in  welchem  derselbe 
Rohita  aufgefordert  wird,  denjenigen  in  seinem  Zorn  zu  zermalmen, 
der  einen  Brahmanen  quält.     Es  heilst  da  z.  B. : 

»Der  Himmel  hier  und  Erde  hat  erschaffen, 

Der  in  die  Dinge  sich  wie  in  ein  Kleid  hüllt. 

In  dem  die  Pole,  die  sechs  Weiten  ruhen, 

Durch  die  er  wie  ein  Vogel  hoch  hindurchblickt,  — 
Ihm,  dem  zornmtit'gen  Gott,  sei  der  ein  Greuel, 
Wer  den  dies  wissenden  Brahmanen  schindet; 
Erschüttre  ihn,  o  Rohita,  zermalm  ihn. 
Leg  ihn  in  Fesseln,  den  Brahmanenschinder ! 

Durch  den  zu  ihrer  Zeit  die  Winde  brausen. 
Von  dem  herab  die  Meere  sich  ergiefsen,  — 
Ihm,  dem  zornmüt'gen  Gott  u.  s.  w. 

Der  sterben  läfst  und  leben  läfst,  von  dem 
Ihr  Leben  die  Geschöpfe  alle  haben,  — 
Ihm,  dem  zornraüt'gen  Gott  u.  s.  w. 

Der,  wenn  er  einhaucht,  Erd'  und  Himmel  sättigt, 
Durch  seinen  Aushauch  füllt  den  Bauch  des  Meeres,  — 
Ihm,  dem  zornmüt'gen  Gott«  u.  s.  w.  ) 

Neben  solchen  schwungvollen  Verherrlichungen  des  Rohita 
finden  sich  aber  mystische  Gedankenspiele,  wie  wenn  es 
heifst,  dafs  die  beiden  Opfermelodien  Brhat  und  Rathantara  den 
Rohita  erzeugt  haben,  oder  Nvenn  das  Versmafs  Gäyatri  als  »der 
Unsterblichkeit  Schofs«  bezeichnet  wird.  Es  wäre  wohl  vergebens, 
das  mystische  Halbdunkel,  welches  solche  und  ähnliche  Verse 
umgibt,  aufhellen  zu  wollen.     Und  so  glaube  ich  auch  nicht,  dafs 


')  Bloomfield  vergleicht  hierzu  Hesiod: />»j<T'  arr'  riflCov  jsTQaufxivog 
oQ&og  ofit^ttv  CEqyu  y.ttl  rj/n^Qai  725).  Vgl.  Protagoras  (Diog.  Laert.  VIII, 
l.  19):  Trpcf  rjhov  jfTgafjfxiiov  firj  ouixitr. 

*)  Übersetzt  von  P.  Deussen,  Allgemeine  Geschichte  der  Philo- 
sophie I,  1,  S.  227. 


—     134    ~ 

wir  grofse  philosophische  Wahrheiten  in  einem  Hymnus  wie 
Ath.  IV,  11  vermuten  dürfen,  wo  der  Ochs  als  Schöpfer  und 
Erhalter  der  Welt  gepriesen  wird: 

«Der  Ochse  trägt  die  Erde  und  den  Himmel, 
Der  Ochse  trägt  den  weiten  Luftraum. 
Der  Ochs  trägt  die  sechs  weiten  Himmelsräume, 
Der  Ochs  durchdringt  das  ganze  Weltall.« 

Es  kann  uns  auch  nicht  imponieren,  dals  dieser  Ochs  mit 
Indra  und  anderen  höchsten  Göltern  gleichgesetzt  wird,  noch 
weniger,  dafs  er  Milch  gibt  —  »seine  Milch  ist  das  Opfer,  dei 
Opferlohn  seine  Melkung <  — ,  und  wir  glauben  es  gerne,  dafs, 
»wer  die  sieben  unversieglichen  Melkungen  des  Och.seh  kennt 
Nachkommenschaft  und  den  Himmel  erlangt«.  Es  ist  mit  diesen: 
Ochseri  nicht  viel  weiter  her  als  mit  dem  Stier,  der  in  Ath.  IX,  A 
überschwenglich  gefeiert  wird  —  er  trägt  alle  Gestalten  ir 
seinen  Weichen,  er  war  im  Anfang  ein  Abbild  des  Urwassen 
u.  dgl.  — ,  und  von  dem  sich  schliefslich  herausstellt,  dafs  er  nui 
ein  gewöhnlicher  Opferstier  ist,  der  geschlachtet  werden  soll 
Dafs  aber  diese  Schein philosophie  und  Geheimniskrämerei  im  Grunde 
einen  recht  praktischen  Zweck  verfolgt,  beweist  ein  Hymnus  wie 
Ath.  X,  10,  Hier  wird  das  grofse  Mysterium  von  der  Kuh  ver- 
kündet: Himmel  und  Erde  und  die  Wasser  sind  von  der  Kuli 
behütet.  Hundert  Eimer,  hundert  Melker,  hundert  Hüter  sind 
auf  ihrem  Rücken.  Die  Götter,  die  in  der  Kuh  atmen,  die  kenner 
auch  die  Kuh  .  .  .  Die  Kuh  ist  die  Mutter  des  Kriegers,  das 
Opfer  ist  die  Waffe  der  Kuh,  ans  ihr  entstand  der  Gedanke, 
In  dieser  Weise  geht  es  fort,  bis  diese  Geheimlehre  ihren  Höhe 
punkt  erreicht  in  den  Worten:  Die  Kuh  allein  nennt  man  Un 
Sterblichkeit,  die  Kuh  allein  verehrt  man  als  den  Tod;  die  Kufc 
ward  dieses  Weltall,  Götter,  Menschen,  Asuras,  Manen  und  Sehet 
(sie  alle  sind  die  Kuhj.;  Nun  aber  folgt  die  Nutzanwendung; 
Nur  wer  dieses  grofse  Geheimnis  weifs,  darf  eine  Kuh  als  Geschenk 
annehmen;  und  wer  den  ßrahmanen  eine  Kuh  .schenkt,  der  er- 
ringt sich  alle  Welten,  denn  in  der  Kuh  ist  alles  Höchste  —  Rta 
(die  Weltordnung),  Brahmau  (die  Weltseele)  und  Tapas  (die 
Askese)  —  eingeschlossen,  und: 

»Die  Götter  leben  von  der  Kuh  und  auch  die  Menschen  von  der  Kuh: 
Die  Kuh  ist  diese  ganze  Welt,  soweit  die  Sonne  niederschaut.' 


—     135     - 

Deussen^)  hat  sich  unendliche  Mühe  gegeben,  in  den  »philo- 
sophischen« Hymnen  des  Atharvaveda  Sinn  und  Verstand  zu  ent- 
decken und  einen  gewissen  Zusammenhang  herzustellen.  Er  findet 
z.  B.  in  Ath.  X,  2  und  XI,  8  den  Gedanken  der  »Verwirklichung 
des  Brahman  im  Menschen«  behandelt,  und  zwar  in  X,  2  »mehr 
von  der  physischen,  teleologischen«,  in  XI,  8  »mehr  von  der 
psychischen  Seite  her«  ^).  Ich  kann  so  viel  Philosophie  in  diesen 
Hymnen  nicht  entdecken ;  ich  glaube  vielmehr,  dafs  wir  es  auch 
hier  nur  mit  Pseudophilosophen  zu  tun  haben,  die  nicht  eine  neue 
Lehre  von  der  Weltseele  im  Menschen  verkündeten,  sondern  die 
diese  Lehre  bereits  fertig  vorfanden  und  in  mystisch  verworrener 
Zusaminenhangslosigkeit  vortrugen.  Während  in  einem  berühmten 
Hymnus  des  Rigveda  (X,  121)  ein  tiefer  Denker  und  ein  wahrer 
Dichter  in  kühnen  Worten  auf  die  Grofsartigkeit  des  Kosmos 
hinweist  und  zweifelnd  nach  dem  Schöpfer  fragt,  zählt  uns  im 
Atharvaveda  X,  2  ein  Versifex  alle  Glieder  des  Menschen  der 
Reihe  nach  auf  und  fragt,  wer  sie  geschaffen: 

»Von  wem  sind  des  Menschen  Fersen  geschaffen?  Von  wem  das 
Fleisch,  von  wem  die  Knöchel,  von  wem  die  wohlgeformten  Finger? 
Von  wem  die  Öffnungen?  .  .  .  Warum  haben  sie  des  Menschen  Fufs- 
knöchel  unten  und  oberhalb  die  Kniescheiben  gemacht?  Warum  die 
Beine  voneinander  getrennt  niedergesetzt,  und  wo  sind  die  Angeln 
der  Kniee?    Wer  hat  wohl  das  ersonnen?«  u.  s.  w. 

So  geht  es  acht  Verse  hindurch  fort.  Dann  folgen  neun 
Verse,  in  denen  nach  allem  möglichen  gefragt  wird,  was  zum 
menschlichen  Organismus  und  zum  Menschenleben  überhaupt 
gehört:  »Woher  sta'mmt  Lust  und  Unlust,  woher  der  Schlaf,  die 
Angst,  die  Mattigkeit,  woher  alle  Freuden  und  Wonnen  des 
Menschen?  Woher  Not  und  Elend ?•«;  u.  s.  w.  Durcheinander  wird 
in  demselben  Tone  gefragt,  wer  das  Wasser  in  den  Körper,  das 
Blut  in  die  Adern  gelegt,  woher  der  Mensch  Gestalt,  Gröfse  und 
Namen  bekommen,  wer  ihm  Gang,  Verstand,  Atem,  Wahrheit 
und   Unwahrheit,    Unsterblichkeit    und   Tod,    Kleidung,    langes 


')  Allgemeine  Geschichte  der  Philosophie,  I,  1,  S.  209  ff.  Vgl. 
auch  Lucian  Scherman,  Philosophische  Hymnen  aus  der  Rig-  und 
Atharva-Veda-Samhitä,  verglichen  mit  den  Philosophemen  der  älteren 
Upanishads.    Strafsburg  1887. 

')  Deussen  a.  a.  O.  S.  264  ff. 


—     136     — 

Leben,  Kraft  und  Schnelligkeit  verliehen  hat,  u.  s.  w.  Es  wird  dann 
weiter  gefragt,  woher  der  Mensch  seine  Herrschaft  über  die 
Natur  erlange,  und  alle  diese  Fragen  werden  dahin  beantwortet, 
dafs  der  Mensch  als  Brahman  (Weltseele)  das  geworden,  was  er 
ist,  und  all  seine  Macht  erreicht  habe.  So  weit  ist  der  Hymnus 
nicht  gerade  schön,  aber  wenigstens  ziemlich  klar.  Nun  folgt 
aber  der  gewöhnliche  mystische  Schwindel  in  den  Schlufsversen 
26—33,  wo  es  z.  B.  heifst: 

»Als  der  Atharvan  ihm  sein  Herz  und  sein  Haupt  zusammen- 
genäht hatte,  da  regte  er  ihn  oberhalb  des  Gehirns  vom  Haupte  her 
als  Läuterer  an. 

Dem  Atharvan  gehört  dies  Haupt,  ein  festgeschlossener  Götter- 
kasten, und  dieses  Haupt  schützt  der  Atem,  die  Speise  und  der 
Verstand.« 

Man  tut ,  glaube  ich ,  solchen  Versen  zuviel  Ehre  an ,  wenn 
man  tiefsinnige  Weisheit  in  ihnen  sucht.  Darum  kann  ich  auch 
in  dem  Hymnus  Ath.  XI,  8,  der  nach  Deussen  >die  ursprüng- 
liche Entstehung  des  Menschen  durch  ein  Zusammenfahren 
psychischer  und  physischer,  übrigens  insgesamt  von  Brahman 
abhängiger  Faktoren«  schildern  soll,  nicht  so  viel  Tiefsinn  finden. 
So  wie  der  Lügner  manchmal  die  Wahrheit  sprechen  mufs,  damit 
man  ihm  seine  Lügen  glaube,  so  mufs  auch  der  Mystiker  hier 
und  dg.  einen  wirklich  philosophischen  Gedanken,  den  er  irgendwo 
aufgegriffen,  in  sein  Machwerk  hineinbringen,  damit  man  auch 
seinen  Unsinn  für  höhere  Weisheit  halte.  So  liegt  ja  dem 
Hymnus  XI,  8  der  Gedanke  von  dem  Brahman  als"  dem  Urquell 
alles  Seins  und  von  der  Einheit  des  Menschen  mit  der  Weltseele 
zugrunde.  Aber  ich  glaube  nicht,  dafs  sich  der  Verfasser  irgend 
etwas  bei  den  Worten  gedacht  hat: 

»Woraus  ward  Indra,  woraus  Soma,  woraus  Agni  geboren?  Woher 
entstand  Tvastar  (»der  Bildner«)?  Woraus  ist  Dhätar  (»der  Schöpfer«) 
geboren? 

Aus  Indra  ward  Indra,  aus  Soma  ward  Soma,  und  aus  Agni  ward 
Agni  geboren.  Tvastar  ist  aus  Tvastar  geworden,  und  aus  Dhätar  ist 
Dhätar  geboren.» 

Himmelhoch  über  dieser  Versemacherei,  die  weder  Philosophie 
noch  Poesie  ist,  steht  ein  Hymnus  des  Atharvaveda,  den  man 
um  einiger  Verse  willen,  die  sich  auf  die  Entstehung  der  Erde 
beziehen,  zu  den  kosmogonischen  Hymnen  zu  rechnen  pflegt,  der 


—     137    — 

aber  frei  von  aller  und  jeder  Mystik  ist  und  eigentlich  auch  recht 
wenig  Philosophie  enthält,  —  dafür  aber  um  so  mehr  wahre 
Poesie.  Es  ist  der  herrliche  Hj'mnus  an  die  Erde,  Ath.  XII,  1. 
In  63  Versen  wird  hier  Mutter  Erde  als  die  Trägerin  und  Er- 
halterin alles  Irdischen  gepriesen  und  um  Glück  und  Segen-  und 
Schutz  vor  allem  Bösen  angerufen.  Einige  wenige  Verse  in 
wörtlicher  Prosaübersetzung  müssen  genügen,  um  eine  Vorstellung 
von  einem  der  schönsten  Erzeugnisse  der  religiösen  Dichtung 
Altindiens  zu  geben: 

»Die  erhabene  Wahrheit,  die  gewaltige  Ordnung,  die  Opferweihe 
und  die  Bufse,  das  Gebet  und  das  Opfer  erhalten  die  Erde.  Sie  ist 
die  Herrin  von  allem,  was  da  ist,  und  was  sein  wird.    (1) 

Die  Erde,  die  im  Anfang  Wasser  auf  dem  Ozean  war,  und  die 
weise  Männer  durch  ihres  Geistes  Wunderkraft  gefunden;  die  Erde, 
deren  Herz  im  höchsten  Himmel  ist,  unsterblich  und  von  Wahrheit 
umgeben,  —  sie  verleihe  uns  Glanz  und  Stärke,  sie  setze  uns  in  die 
höchste  Herrschaft  ein.    (8)  •  • 

Die  Erde,  die  die  Asvins  ausgemessen,  auf  der  Visijiu  ausgeschritten, 
die  Indra,  der  Herr  der  Kraft,  sich  von  Feinden  befreit  hat,  —  sie,  die 
Mutter,  spende  mir,  ihrem  Sohn,  reichlich  Milch.    (10) 

Mir  zum  Heile  seien  deine  schneebedeckten  Bergeshöhen  und 
deine  Wälder,  o  Erde!  Auf  der  braunen,  der  schwarzen,  der  roten, 
der  buntfarbigen  festen  Erde,  der  von  Indra  beschützten  —  unbesiegt, 
unverletzt,  unverwundet  stehe  ich  auf  dieser  Erde  da.    (11) 

Von  dir  geboren,  leben  auf  dir  die  Sterblichen.  Du  erhältst  die 
Zweifüfsler  und  die  Vierfüfsler;  dir,  o  Erde,  gehören  die  fünf  Ge- 
schlechter der  Menschen,  über  welche  die  aufgehende  Sonne  mit  ihren 
Strahlen  unsterbliches  Licht  ausbreitet.    (15) 

Auf  der  Erde  geben  die  Götter  den  Menschen  das  Opfer,  die 
wohlbereitete  Spende;  auf  der  Erde  leben  die  Sterblichen  von  Trank 
und  Speise.  Möge  diese  Erde  uns  Odem  und  Leben  spenden,  uns  ein 
hohes  Alter  erreichen  lassen!    (22) 

Was  ich  aus  dir,  o  Erde,  ausgrabe,  das  möge  schnell  wieder  nach- 
wachsen! Möge  ich,  du  Reine,  nicht  deine  wunde  Stelle,  nicht  dein 
Herz  durchbohren!    (35) 

Die  Erde,  auf  der  die  Sterblichen  jauchzen,  singen  und  tanzen, 
auf  der  sie  kämpfen,  auf  der  die  Trommel  laut  ertönt,  —  diese  Erde 
stofse  meine  Nebenbuhler  fort,  mache  mich  frei  von  Nebenbuhlern.    (41) 

Den  Toren  trägt  sie  wie  den  ehrwürdigen  Weisen,  den  Guten 
läfst  sie  und  den  Bösen  auf  sich  wohnen;  mit  dem  Eber  gesellt  sich 
die  Erde,  der  Wildsau  macht  sie  Platz.    (48) 

O  Mutter  Erde,  setze  gnädig  mich  an  eine  festgegründete  Stelle! 
Vereint  mit  dem  Himmel,  versetze  du,  o  W^eise,  mich  in  Glück  und 
Wohlfahrt!«    (63). 


—     138    — 

Dieser  Hymnus,  der  ebensogut  in  der  Rigveda - Samhitä 
stehen  könnte,  beweist,  dafs  auch  in  der  Samhitä  des  Atharva- 
veda,  obgleich  dieselbe  mehr  als  die  des  Rigveda  einen  einheitlichen 
Zweck  verfolgt,  mannigfache  Bruchstücke  alter  Poesie  ein- 
gesprengt sind.  Auch  in  dieser  Sammlung,  wie  in  der  des 
Rigveda,  finden  sich  neben  manchem  Minderwertigen  und  völlig 
Wertlosen  köstliche  Perlen  ältester  indischer  Dichtkunst.  Und 
nur  beide  Werke  zusammen  geben  uns  eine  richtige  Vor- 
stellung von  der  ältesten  Poesie  der  arischen  Inder. 

Das  altindische  Opfer  und  die  vediscben  Samhitäs. 

Die  beiden  bisher  besprochenen  Samhitäs  haben  auch  das 
gemeinsam,  dafs  sie  nicht  für  besondere  liturgische  Zwecke  zu- 
sammengestellt worden  sind.  Wenn  auch  die  meisten  Hymnen 
des  Rigveda  für  Opferzwecke  verwendet  werden  konnten  und 
tatsächlich  verwendet  wurden  und  ebenso  die  Lieder  und  Sprüche 
des  Atharvaveda  fast  durchweg  zu  Ritual-  und  Zauberzwecken 
Verwendung  fanden,  so  hat  doch  die  Zusammenstellung  und 
Anordnung  der  Hymnen  in  diesen  Samhitäs  nichts  mit  den  ver- 
schiedenen liturgischen  und  rituellen  Zwecken  zu  tun.  Die 
Hymnen  wurden  um  ihrer  selbst  willen  gesammelt  und  mit 
Rücksicht  auf  die  angeblichen  Verfasser  oder  die  Sängerschulen, 
denen  sie  angehörten,  zum  Teil  auch  mit  Rücksicht  auf  ihren 
Inhalt  und  noch  mehr  auf  ihre  äufsere  Form  —  Zahl  der  Verse 
u.  dgl.  —  in  diesen  beiden  Sammlungen  angeordnet  und  zusammen- 
gestellt. Es  sind  Liedersammlungen,  können  wir  sagen,  welche 
einen  litterarischen  Zweck  verfolgen. 

Ganz  anders  verhält  es  sich  mit  den  Samhitäs  der  beiden 
anderen  Vedas,  des  Sämaveda  und  des  Yajurveda.  In  diesen 
Sammlungen  finden  wir  die  Lieder,  Verse  und  Sprüche  mit 
Rücksicht  auf  ihre  praktischen  Zwecke  angeordnet,  genau  in  der 
Reihenfolge,  wie  sie  beim  Opfer  verwendet  wurden.  Es  sind  dies 
also  in  der  Tat  nichts  weiter  als  Gebetbücher  und  Gesangbücher 
zum  praktischen  Gebrauch  für  bestimmte  Opferpriester  —  aller- 
dings nicht  etwa  geschriebene  Bücher,  sondern  Texte,  die  nur 
im  Kopfe  von  Lehrern  und  Priestern  existierten  und  durch  münd- 
liches Lehren  und  Lernen  in  den  Priesterschulen  erhalten  blieben  *). 


■)  Vgl.  oben  S.  33. 


-     139     ~ 

Um  aber  die  Entstehung  dieser  Samhitäs  zu  erklären,  ist  es  not- 
wendig, einige  Worte  über  den  Kult  der  arischen  Inder  hier 
einzufügen.  Es  wird  sich  dies  um  so  mehr  empfehlen,  als  ein 
volles  Verständnis  der  vedischen  Litteratur  überhaupt  ohne  einen 
gewissen  Einblick  in  das  altindische  Opferwesen  kaum  möglich  ist. 
Soweit  wir  die  vedisch  -  brahmanische  Religion  zurück- 
verfolgen können,  hat  es  immer  zwei  Arten  des  Kultes  gegeben. 
Wir  haben  gesehen'),  dafs  einzelne  Hymnen  des  Rigveda  und 
eine  grolse  Anzahl  von  Liedern  und  Sprüchen  des  Atharvaveda 
als  Segenssprüche  und  Gebete  bei  Geburt  und  Hochzeit  und 
anderen  Anlässen  des  täglichen  Lebens,  bei  der  Totenbestattung 
und  Ahnenverehrung  sowie  bei  den  verschiedenen  Zeremonien, 
die  der  Hirte  für  das  Gedeihen  des  Viehes  und  der  Landmann 
für  das  Wachstum  der  Feldfrucht  zu  vollziehen  hatte,  verwendet 
wurden.  Die  Inder  nennen  diese,  meist  auch  mit  Opfern  ver- 
bundenen Zeremonien  grhyakarmäni,  d.  h.  »häusliche  Zere- 
monien«. Über  sie  geben  uns  die  später  zu  erwähnenden 
Grhyasütras  ausführliche  Nachricht.  Bei  den  Opfern,  welche 
dieser  häusliche  Kult  erforderte,  versah  der  Hausherr  selbst,  dem 
höchstens  noch  ein  einzelner  Priester,  der  »Brahman«,  zur 
Seite  stand,  das  Amt  des  Opferpriesters*).  Und  soweit  diese 
Opfer  Brandopfer  waren,  diente  das  einePeuer  des  häuslichen 
Herdes  als  Altar  für  die  Darbringung  derselben.  Neben  diesen 
Opfern,  die  jeder  fromme  Arier,  ob  arm  oder  reich,  ob  vornehm 
oder  gering,  nach  altem  Brauche  vollzog,  gab  es  aber  auch 
grofse  Opferfeste  —  namentlich  in  Verbindung  mit  dem  z,u  Indra, 
dem  Gott  der  Krieger,  in  Beziehung  stehenden  Somakult  — , 
welche  nur  von  den  Vornehmen  und  Reichen,  in  erster  Linie 
von  den  Königen,  gefeiert"  werden  konnten.  Auf  einem  weiten, 
nach  festen  Regeln  hergestellten  Opferplatze  wvirden  Altäre  für 
die  drei  heiligen  Feuer  errichtet,  welche  bei  jedem  solchen 
Opfer  notwendig  waren,  und  eine  Schar  von  Priestern,  an  deren 
Spitze   vier  Hauptpriester  standen,   war  mit   dem  Vollzug 


■)  Oben  S.  84  ff.,  93  ff.,  118  f. 

*)  Asvaläyana-Grhyasütra  I,  3,  6:  Die  Anstellung  eines  B.rahmanen 
ist  bei  häuslichen  Opfern  beliebig:.  Gobhila-Grhyasütra  I,  9,  8  f . :  Der 
Brahman  ist  der  einzige  Priester  bei  den  Päkayajnas  (d.  h.  den  »einfachen 
Opfern«  des  häuslichen  Kultes);  der  Opferer  selbst  ist  der  Hotar  ider 
Priester,  der  die  Verse  rezitiert). 


—     140     — 

der  unzähligen,  aufserordentlich  verwickelten  Riten  und  Zeremonien, 
die  ein  solches  Opfer  erforderte,  beschäftigt.  Der  Yajamäna  oder 
»Opferer«  —  der  Fürst  oder  grofse  Herr,  der  das  Opfer  dar- 
brachte —  hatte  nur  wenig  dabei  zu  tun ;  seine  Hauptpflicht  war 
es,  den  Priestern  reichlichen  Opferlohn  (daksinä)  zu  geben.  Kein 
Wunder,  dafs  die  Brahmanen  gerade  diese  Opferzeremonien, 
welche  ihnen  am  meisten  einbrachten,  zum  Gegenstand  eifrigen 
Studiums  machten,  dafs  sie  eine  förmliche  Opferwissenschaft  aus- 
bildeten, welche  in  jenen  Texten  niedergelegt  ist,  die  wir  als 
Brähmanas  kennen  lernen  werden,  und  welche  einen  wesentliche» 
Bestandteil  der  Sruti,  der  »Offenbarung« ,  d.  h.  derjenigen  Litte- 
ratur  bilden,  welcher  im  Laufe  der  Zeit  göttlicher  Ursprung  zu- 
geschrieben wurde.  Diese  Opfer  nannte  man  daher  srauta- 
karmäni,  >^auf  der  Öruti  beruhende  Zeremonien«,  im  Gegensatz 
zu  den  häuslichen  (grhya)  Zeremonien,  welche  nur  auf  der  Smrti, 
der  » Erinnerung '< ,  d.  h,  dem  Herkommen  beruhen,  und  keine 
göttliche  Autorität  besitzen. 

Die  vier  Hauptpriester  nun,  welche  bei  den  Srautaopfern  be- 
schäftigt waren,  sind:  1.  der  Hotar  oder  »Rufer«,  welcher  die 
Verse  (rcas)  der  Hymnen  rezitiert,  um  die  Götter  zu  preisen  und 
zum  Opfer  einzuladen;  2.  der  Udgätar  oder  »Sänger«,  welcher 
die  Bereitung  und  Darbringung  der  Opfer,  insbesondere  der 
Somalibationen,  mit  Gesängen  (säman)  begleitet;  3!  der  Adhvaryu 
oder  »Opfer verrichter«,  welcher  alle  Opferhandlungen  vollzieht 
und  dabei  die  prosaischen  Gebete  und  Opferformeln  (yajus) 
murmelt,  und  4.  der  Brahman  oder  *  Oberpriester  ,  dessen  Amt 
es  ist,  das  Opfer  vor  Schaden  zu  bewahren.  Denn  jede  heilige 
Handlung,  so  auch  jedes  Opfer,  ist  nach  indischer  Anschauung 
mit  einer  gewissen  Gefahr  verbunden ;  wird  eine  Handlung  nicht 
genau  nach  der  rituellen  Vorschrift  vollzogen,  ein  Spruch  oder 
eine  Gebetformel  nicht  richtig  gesprochen  oder  eine  Melodie 
falsch  gesungen,  so  kann. die  heilige  Handlung  dem  Veranstalter 
des  Opfers  zum  Verderben  gereichen.  Daher  sitzt  im  Süden  des 
Opferplatzes  —  der  Süden  ist  die  Gegend  des  Todesgottes  und 
die  Gegend,  aus  welcher  die  dem  Opfer  feindlichen  Dämonen 
den  Menschen  bedrohen  —  der  Brahman,  um  das  Opfer  zu  be- 
schützen. Er  verfolgt  den  Verlauf  des  ganzen  Opfers  im  Geiste, 
und  sobald  er  den  geringsten  Fehler  in  einer  Opferhandlung, 
einer  Rezitation  oder  einem  Gesang  bemerkt,  mufs  er  durch  das 


—     141     — 

Aussprechen  heiliger  Worte  den  Schaden  wieder  gutmachen. 
Darum  heilst  der  Brahman  in  einem  alten  Text  »der  beste  Arzt 
unter  den  Opf erpriestern«  '),  Um  aber  dieses  Amt  versehen  zu 
können,  muls  der  Brahman  *vom  Veda  voll«  sein;  er  versieht 
sein  Amt  als  Opferpriester  »mit  dem  dreifachen  Wissem,  d.  h. 
vermöge  seiner  Kenntnis  aller  drei  Vedas,  die  ihn  in  stand  setzt, 
jeden  Fehler  sogleich  zu  entdecken  ^). 

Hingegen  brauchen  die  drei  anderen  Priester  jeder  nur  einen 
Veda  zu  kennen.  Die  V^erse,  mit  welchen  der  Hotar  die  Götter 
zum  Opfer  ruft,  die  sogenannten  :» Einladungsverse«  (Anuväkyäs), 
und  die  Verse,  mit  welchen  er  die  Spenden  begleitet,  die  so- 
genannten » Opferverse f  (Yäjyäs),  entnimmt  der  Hotar  dem  Rig- 
veda.  Er  mufs  auch  ein  Kenner  der  Rigveda-Samhitä  sein,  d.  h. 
er  muls  sie  auswendig  gelernt  haben,  um  sich  aus  derselben  die 
sogenannten  Sastras  oder  »Preislieder*,  die  er  beim  Somaopfer 
zu  rezitieren  hatte,  zusammenzustellen.  So  steht  die  Rigveda- 
Samhitä  zu  dem  Hotar  in  einer  gewissen  Beziehung,  wenngleich 
dieselbe  keineswegs  für  die  Zwecke  dieses  Priesters  gesammelt 
oder  angecHrdnet  ist. 

Zum  Somaopfer  gehören  aber  nicht  nur  die  vom  Hotar  re- 
zitierten Preislieder,  sondern  auch  sogenannte  Stotras  oder 
» Lobgesänge «^,  welche  vomUdgätar  und  seinen  Gehilfen  gesungen 
wurden '')-  Solche  Stotras  bestehen  aus  Gesangstrophen,  d.  h. 
aus  Versen  (rcas),  die  zu  Trägern  bestimmter  Melodien  (säman) 
gemacht  worden  waren.     Diese  Melodien  sowohl  wie  die  Gesang- 


')  Öatapatha-Brähma^a  XIV,  2,  2,  19.  Vgl.  Chändogya-Upanisad 
IV,  17,  8  f. 

-)  Aitareya-Ära^yaka  III,  2,  3,  6.  Satapatha-Brähmana  XI,  5,  8,  7. 
Erst  eine  spätere  Zeit  hat  den  Brahman  zum  Atharvaveda  in  Be- 
ziehung gebracht,  so  dals  »Brahma veda«  oder  »der  Veda  des  Brahman« 
geradezu  eine  Bezeichnung  des  Atharvaveda  wurde :  und  die  Anhänger 
des  Atharvaveda  erklärten,  dafs  der  Brahman  ein  Kenner  der  Atharva- 
veda-Samhitä  sein  müsse.  In  Wirklichkeit  hat  das  Amt  des  Brahman 
beim  Srautaopfer  mit  dem  Atharvaveda  nichts  zu  tun.  Begreiflich  ist 
es  aber,  dafs  man  die  beiden  in  Zusammenhang  bringen  konnte.  Denn 
wenn  der  Brahman,  wie  oben  b^-aei  Kt,  als  einzigei  Priester  bei  Grhya- 
oplern  amtierte,  mulste  er  allerdings  mit  den  zum  grölsten  Teil  im 
A  harvaveda  vorkommenden  Segenssprüchen  vertraut  sein. 

^)  Und  zwar  kommen  zuerst  die  Gesänge  (Stotras),  dann  erst  die 
Rezitationen  (Sascras). 


—     142     — 

Strophen,  mit  denen  sie  verbunden  waren,  lernten  die  Udgätar- 
priester  in  den  Schulen  des  Säraaveda,  und  die  Sämaveda- 
Samhitäs  sind  nichts  anderes  als  Sammlungen  von  Texten,  die 
nicht  um  ihrer  selbst  willen,  sondern  wegen  der  Sangweisen, 
deren  Träger  sie  waren,  für  die  Zwecke  der  Udgätars  zusammen- 
gestellt worden  sind. 

Der  Adhvaryupriester  endlich  hat  bei  seinen  zahllosen  Opfer- 
verrichtungen fortwährend  teils  kurze  Prosaformeln,  teils  längere 
Gebete  in  Prosa  und  Vers  —  die  prosaischen  Formeln  und  Gebete 
heifsen  yajus  (plur.  yajümsi),  die  Verse  rc  (plur.  rcas)  ~  leise 
zu  sprechen').  In  den  Samhitäs  des  Yajurveda  sind  alle  diese 
Prosaformeln  und  Gebete  —  meist  auch  zusammen  mit  Regeln 
und  Erörterungen  über  die  Opferhandlungen,  bei  denen  sie  zu 
murmeln  sind  --  für  die  Zwecke  der  Adhvaryupriester  in  der 
Reihenfolge,  wie  sie  eben  bei  den  Opfe/n  verwendet  wurden, 
zusammengestellt. 

Wir  wenden  uns  nun  zur  Besprechung  der  liturgischen 
Samhitäs.  wie  wir  nach  den  vorstehenden  Ausführungen  die 
Samhitäs  des  Sämaveda  und  des  Yajurveda  im  Gegensatz  zu  denen 
des  Rigveda  und  des  Atharvaveda  nennen  können. 

Die  Sämaveda-Samhitä. 

Von  den  vielen  Samhitäs  des  Sämaveda.  die  es  einmal  ge- 
geben haben  soll  —  die  Puränas  sprechen  gar  von  tausend 
Samhitäs-')  — ,  ist  nur  eine  auf  uns  gekommen.  Diese  uns  er- 
haltene Sämaveda-Samhitä -^)  besteht  aus  zwei  Teilen,  dem  Ärcika 
oder  der  »Strophensaramlung«  und  demUttarärcika,  der  »zweiten 


)  Der  Hotar  rezitiert  die  Hymnen,  d.  h.  er  sagt  sie  in  einer 
A  rt  Singsang  laut  her,  der  Udgätar  s  i  n  <r  t  die  Proislieder  nach  bestimmten 
Melodien,  der  Adhvaryu  murmelt  die  Gebete.  Pdofs  die  sogenannten 
«Nigadas«,  eine  Abart  der  Yajusformeln,  welche  den  Zweck  haben,  die 
anderen  Priester  zu  ihren  verschiedenen  Verrichtungen  aufzufordern, 
mufsten  vom  ;\dhvaryu  natürlicherweise  laut  t^esprochen  werden. 

*)  Auch  von  tausend  .Schulen  des  Sämaveda  ist  bei  späteren 
Schriftstellern  die  Rede  Vgl.  R.  Simon,  Beiträge  zur  Kenntnis  der 
vedischen  Schulen  iKiel  1889)  S.  27,  30  1. 

3)  Es  ist  dies  die  erste  von  allen  vedischen  Samhitäs,  die  heraus- 
gegeben und  vollständig  übersetzt  worden  ist:  Die  Hymnen  des  Säma- 
Veda,  herausgegeben,  übersetzt  und  mit  (jlossar  versehen  von  Theodor 
Renfey.    Leipzig  1848. 


—     143    — 

Ströphensammlung«.  Beide  Teile  bestehen  aus  Versen,  die  fast 
alle  im  Rigveda  wiederkehren.  Von  den  1810  —  oder,  wenn 
man  die  Wiederholungen  abrechnet,  1549  —  Versen,  welche 
beide  Teile  zusammen  enthalten,  stehen  alle  bis  auf  75  auch  in 
der  Rigveda -Samhitä,  und  zwar  gröfstenteils  im  VIII.  und 
IX.  Buche  derselben.  Die  meisten  dieser  Verse  sind  im  Gäyatrl- 
metrum  oder  in  den  aus  GäyatrI-  und  Jagatizeilen  zusammen- 
gesetzten Pragäthastrophen  abgefafst,  und  ohne  Zweifel  waren 
die  in  diesen  Versmafsen  gedichteten  Strophen  und  Lieder  von 
Anfang  an  für  den  Gesang  bestimmt  ^).  Die  75  Verse,  die  nicht 
im  Rigveda  vorkommen,  finden  sich  zum  Teil  in  anderen 
.Samhitäs,  zum  Teil  in  verschiedenen  Ritualwerken;  einige  mögen 
aus  einer  uns  unbekannten  Rezension  stammen,  manche  sind  aber 
auch  blofs  aus  verschiedenen  Versen  des  Rigveda  zusammen- 
gestöppelt, ohne  einen  rechten  Sinn  zu  geben.  Die  Verse  des 
Rigveda  begegnen  uns  im  Sämaveda  zum  Teil  auch  mit  ab- 
weichenden Lesarten,  und  man  hat  geglaubt,  in  denselben  einen 
altertümlicheren  Text  sehen  zu  dürfen.  Doch  hat  schon  Theodor 
Aufrecht')  nachgewiesen,  dafs  die  abweichenden  Lesarten  des 
Sämaveda  blofs  auf  willkürlichen,  absichtlichen  oder  auffälligen 
Änderungen  beruhen,  —  Änderungen,  wie  sie  auch  sonst 
vorkommen;  wo  Worte  für  Musik  zurechtgemacht  werden. 
Der  Text  ist  ja  beim  Sämaveda  —  sowohl  beim  Ärcika,  wie 
beim  Uttarärcika  —  nur  Mittel  zum  Zweck.  Das  Wesentliche  ist 
immer  die  Melodie,  und  der  Zweck  beider  Teile  ist  es,  die 
Melodien  zu  lehren.  Der  Schüler,  der  sich  in  den  Schulen  des 
Sämaveda  zum  Udgätarpriester  ausbilden  wollte,  mufste  zuerst  die 
Sangweisen  lernen:  dies  geschah  mit  Hilfe  des  Ärcika;  dann 
erst  konnte  er  die  Stotras,  wie  sie  beim  Opfer  gesungen  wurden, 
auswendig  lernen,  wozu  das  Uttarärcika  diente. 

Der  erste  Teil  unserer  Säraaveda-Samhitä,  das  Ärcika,  be- 
steht nämlich  aus  585  Einzelstrophen  (rc),   zu  welchen  die  ver- 

')  Dies  beweisen  schon  die  Namen  »GäyatrI«  und  »Pragätha«,  die 
von  dem  Zeitwort  gä  (resp.  pragä)  «singen«  abgeleitet  sind.  Vgl.  darüber 
und  au  dem  Folgenden  die  wichtige  Abhandlung  von  H.  Oldenberg, 
»Rigveda-Samhitä  und  Sämavedärcika«  in  ZDMG  XXXVIII,  1884, 
S.  439  ff.,  464  ff. 

*)  In  der  Vorrede  zu  seiner  Ausgabe  der  Hymnen  des  Rigveda 
(zweite  Aufl.,  Bonn  1877)  II,  S.  XXXVIII  ff. 


—     144     — 

schiedenen  Sangweisen  (säman)  gehören,  welche  beim  Opfer  ver- 
wendet wurden.  Das  Wort  säman,  wenn  auch  oft  zur  Be- 
zeichnung des  für  den  Gesang  hergerichteten  oder  bestimmten 
Textes  gebraucht,  bedeutet  ja  ursprünglich  nur  *  Sangweise«  oder" 
»Melodie«.  Wie  wir  sagen,  dafs  eine  Strophe  »nach  einer  be- 
stimmten Melodie«  gesungen  wird,  so  sagen  die  Inder  umgekehrt: 
Diese  oder  jene  Melodie  (säman)  wird  »auf  einer  gewissen  Strophe  sc 
gesungen.  Die  vedischen  Theologen  fassen  aber  das  Verhältnis 
von  Melodie  und  Strophe  so  auf,  dafs  sie  sagen,  die  Melodie  sei 
aus  der  Strophe  entstanden.  Die  Strophe  (rc)  wird  daher  als 
die  Yoni,  d.  h.  »der  Mutterschofss;,  bezeichnet,  woraus  die  Sang- 
weise entsprungen  sei.  Und  obwohl  natürlich  eine  Strophe  nach 
verschiedenen  Melodien  und  eine  Melodie  zu  verschiedenen 
Strophen  gesungen  werden  kann,  so  gibt  es  doch  gewisse 
Strophen,  die  in  der  Regel  als  die  Texte  —  die  »Yonis«,  wie 
der  indische  Kunstausdruck  lautet  —  zu  bestimmten  Melodien 
gelten  können.  Es  ist  etwa  so,  wie  wir  bei  den  Worten: 
»Stimmt  an  mit  hellem,  hohem  Klarig<'  oder  ^Es  steht  ein  Baum 
im  Odenwald«  u.  s.  w.  an  bestimmte  Melodien  denken.  Das 
Ärcika  ist  also  nichts  anderes  als  eine  Sammlung  von  585 
>Yonis«  oder  Einzelstropben,  welche  nach  ebenso  vielen  ver- 
schiedenen Melodien  gesungen  werden.  Man  denke  sich  etwa 
ein  Liedertextbuch,  in  welchem  von  jedem  Lied  blofs  der  Text 
der  ersten  Strophe  als  Gedächtnisstütze  für  die  Melodie  ge- 
geben wäre. 

Das  Uttarärcika,  der  zweite  Teil  der  Sämaveda-Samhitä^ 
besteht  aus  400  Gesängen ,  gröfstenteils  zu  je  drei  Strophen  ^), 
aus  denen  die  bei  den  Hauptopfern  gesungenen  Stotras  gebildet 
werden.  Während  im  Arcika  die  Strophen  teils  nach  den  Vers- 
mafsen,  teils  nach  den  Göttern,  an  die  sie  gerichtet  sind  —  und 
zwar  in  der  Reihenfolge  Agni,  Indra,  Soma  — ,  angeordnet  er- 
scheinen, sind  die  Gesänge  im  Uttarärcika  nach  der  Folge  der 
hauptsächlichen  Opfer  angeordnet^).     Ein  Stotra  besteht  also  aus 

')  287  Gesänge  bestehen  aus  je  3  Versen,  66  aus  je  2,  13  aus  je 
1  Vers,  10  aus  je  6,  9  aus  je  4,  4  aus  je  5,  3  aus  je  9,  ebenso  viele 
aus  je  10,  2  aus  je  7  und  ebenso  viele  aus  je  12,  und  1  Gesang  be- 
steht aus  8  Versen. 

*)  Über  die  Stotras  des  Sämaveda  und  deren  Verwendung  beim 
Opfer  vgl.  A.  Hillebrandt,  Rituallitteratur,  S.  99  ff.  im  'Grund- 
rifs«  III,  2. 


—     145     — 

mehreren,  gewöhnlich  dr&i  Strophen,  die  alle  nach  derselben 
Melodie  gesungen  werden,  und  zwar  nach  einer  der  Melodien, 
welche  das  Arcika  lehrt.  Wir  können  das  Uttarärcika  mit 
einem  Liedertextbuch  vergleichen,  in  welchem  der  Text  der 
Lieder  vollständig  gegeben  ist,  während  die  Melodien  als 
bekannt  vorausgesetzt  werden.  Man  nimmt  gewöhnlich  an, 
dafs  das  Uttarärcika  späteren  Ursprungs  sei  als  das  Ärcika. 
Für  diese  Annahme  spricht  der  Umstand,  dafs  das  Ärcika  viele 
lYonis«,  also  auch  viele  Sangweisen  kennt,  die  in  den  Gesängen 
des  Uttarärcika  gar  nicht  vorkommen,  und  dafs  auch  das  Uttar- 
ärcika manche  Gesänge  enthält,  für  die  das  Ärcika  keine  Sang- 
weise lehrt.  Anderseits  ist  doch  das  Uttarärcika  eine  notwendige 
Ergänzung  des  Ärcika:  dieses  ist  gleichsam  der  erste,  jenes  der 
zweite  Kurs  in  dem  Unterricht  des  Udgätar. 

Beide  Teile  der  Sarnhitä  geben  uns  nur  die  Texte,  wie  sie 
gesprochen  werden.  Die  Sangweisen  selbst  wurden  in 
ältester  Zeit  jedenfalls  nur  durch  den  mündlichen  und  wohl  auch 
instrumentalen  Vortrag  gelehrt.  Erst  aus  späterer  Zeit  stammen 
die  sogenannten  Gänas  oder  eigentlichen  j Gesangbücher«  (von 
gä  »singen«),  welche  die  Melodien  durch  Noten  bezeichnen,  und 
in  denen  die  Texte  in  der  Gestalt  aufgezeichnet  sind,  welche  sie 
beim  Gesang  haben,  d.  h.  mit  allen  Silbendehnungen,  Wieder- 
holxmgen  und  Einschiebungen  von  Silben  und  selbst  von  ganzen 
Wörtern  —  den  sogenannten  >Stobhas«,  wie  hoyj,  huvä,  höi  u.  s.  w., 
die  zum  Teil  unseren  Jauchzern  und  Jodlern  nicht  unähnlich  sind. 
Die  älteste  Notenbezeichnung  ist  wahrscheinlich  die  vermittelst 
Silben,  wie  ta,  co,  na  u.  s.  w.  Häufiger  aber  ist  die  Bezeichnung 
der  sieben  Noten  mittelst  der  Ziffern  1,  2,  3,  4,  5,  6  und  1,  denen 
F,  E,  D,  C,  B,  A,  G  unserer  Tonleiter  entsprechen.  Beim 
Singen  markieren  die  Priester  diese  verschiedenen  Noten  durch 
Bewegungen  der  Hand  und  der  Finger").  Es  scheint,  dafs  die 
Sangweisen  bei  den  im  Dorf  gefeierten  Somaopfern  andere  waren 
als  bei  den  Opfern  der  Waldeinsiedler,  denn  es  gibt  zum  Ärcika 
ein  Grämageyagäna  (»Dorfgesangbuch«)  und  ein  Äranyagäna 
(> Waldgesangbuch«).      Yv'^enn   wir    die    Ärcikas    mit   Liedertext- 


')  Näheres  über  diese  älteste  Musik  der  Inder  findet  man  bei 
A.  C.  Burneil,  The  Ärsheya  Brähmai?a  .  .  .  of  the  Säma  Veda 
(Mangalore  X876)  Introd.  p.  XX^:^III,  XLI-XLVIII. 

Wintemitz,   Geschichte  der  indischen  Litte.ratur.  10 


—     146     — 

büchern  verglichen  haben,  so  k(3nnert  wir  die  Gänas  mit  Noten- 
büchern vergleichen,  in  denen  die  \Vorie  mit  allen  Dehnungen, 
Silbenwiederholungen  u.  dgl.,  wie  sie  der  Gesang  erfordert,  unter 
die  Noten  geschrieben  sind. 

Die  Zahl  der  bekannten  Sangweisen  mufs  eine  sehr  grofse 
gewesen  sein'),  und  schon  in  sehr  alter  Zeit  hatte  jede  Melodie 
einen  besonderen  Namen.  Unter  diesen  Namen  werden  sie  nicht 
nur  in  den  Ritualbüchern  oft  genannt ,  sondern  es  werden  ihnen 
auch  verschiedene  symbolische  Bedeutungen  zugeschrieben,  und 
sie  spielen  in  der  Symbolik  und  Mystik  der  Brähmanas,  Äranyakas 
und  Upanisads  keine  geringe  Rolle,  namentlich  einige  derselben, 
wie  die  beiden  schon  im  Rigveda  vorkommenden  Sangweisen 
iBrhat<  und  v Rathantara«.  Gewifs  haben  auch  die  Priester  und 
Theologen  diese  Melodien  nicht  alle  selbst  erfunden.  Die  ältesten 
derselben  waren  vermutlich  volkstümliche  Weisen,  nach  denen 
in  uralter  Zeit  bei  Sonnwendfeiern  und  anderen  Volksfesten 
halbreligiöse  Lieder  gesungen  wurden ,  und  noch  andere  mögen 
bis  auf  jene  lärmende  Musik  zurückgehen .  mit  welcher  vor- 
brahmanische  Zauberpriester  —  den  Zauberern,  Schamanen  und 
Medizinmännern  der  Naturvölker  nicht  unähnlich  —  ihre  wilden 
Lieder  und  Riten  begleiteten  ^).  Spuren  dieses  volkstümlichen 
Ursprungs  der  Sämanweisen  zeigen  sich  schon  in  den  oben  er- 
wähnten Stobhas  oder  Jauchzern,  und  besonders  darin ,  dafs  die 
Melodien  des  Sämaveda  noch  in  brahmanischer  Zeit  als  zauber- 
kräftig   galten  ^),     Und    es    gibt    ein    zum    Sämaveda  gehöriges 


')  Ein  späterer  Schriftsteller  o:ibt  die  Zahl  der  Sämans  auf  8000 
an!    (R.  Simon  a.  a.  O.  S.  31.) 

*)  Vgl.  A.  Hillebrandt,  Die  Sonnwendfeste  in  Alt -Indien. 
(Sep.  aus  der  Festschrift  für  Konrad  Hofmann),  Erlangen  1889,  S.  22  ff. 
34  ff.  M.  Bloom  fiel  d,  The  god  Indra  and  the  Säma-veda,  in  WZKM 
XVII,  1903,  S.  156  ff. 

')  Wahrscheinlich  ist  die  Grundbedeutung  von  sä  man  »Be- 
sänftigungslied« ,  >ein  Mittel  zur  Beschwichtigung  von  Göttern  und 
Dämonen".  Das  Wort  säman  kommt  auch  in  der  Bedeutung  'Milde, 
freundliches  Entgegenkommen"  vor.  Wenn  in  der  älteren  Litteratur 
der  Sämaveda  zitiert  wird,  so  geschieht  dies  gewöhnlich  mit  den  Worten: 
»DieChandogas  sagen. '  Chandoga  heifst  "Chandassänger-,  und  chandas 
vereinigt  in  sich  die  Bedeutungen  ^Zauberlied  ,  'heiliger  Text«  und 
»Metrum^.  Es  mufs  also  etwa  »die  rhythmisch  bewegte  Rede«  die 
Grundbedeutung  des   Wortes  s«in:   es  dürfte   mit   der  Wurzel  chand 


—     147    — 

Ritualbuch  —  es  nennt  sich  Sämavidhäna-Brähmuna  — ,  dessen 
zweiter  Teil  geradezu  ein  Handbuch  der  Zauberei  ist,  in 
welchem  die  Verwendung  verschiedener  Sämans  zu  Zauberzwecken 
gelehrt  wird.  Auch  darin  kann  man  noch  eine  Erinnerung 
an  den  Zusammenhang  der  Sämanweisen  mit  dem  vorbrahmanischen 
Volksglauben  und  Zauberwesen  sehen,  dafs  die  brahmanischen 
Gesetzbücher  lehren,  dafs  man  die  Rezitation  des  Rigveda  und 
des  Yajurveda  unterbrechen  müsse,  sobald  man  den  Klang  eines 
Säman  hört.  Besonders  deutlich  ist  Äpastambas  Gesetzbuch  ^), 
wo  Hundegebell,  Eselgeschrei,  das  Heulen  von  Wölfen  und 
Schakalen,  das  Schreien  der  Eule,  der  Klang  von  Musik- 
instr-umenten,  Weinen  und  der  Ton  von  .Sämans  als 
Geräusche  aufgezählt  werden,  bei  denen  das  Vedastudium  unter- 
brochen werden  mufs. 

So  ist  denn  die  Sämaveda-Samhitä  für  die  Geschichte  des 
indischen  Opfer-  und  Zauberwesens  nicht  ohne  Wert,  und  die  zu 
ihr  gehörigen  Gänas  sind  gewifs  für  die  Geschichte  der  indischen 
Musik  sehr  wichtig,  wenn  auch  noch  keineswegs  für  diesen  Zweck 
ausgebeutet,  —  als  litterarisches  Erzeugnis  aber  ist  diese  Sarphitä 
für  uns  so  gut  wie  wertlos. 

Die  Samhitäs  des  Yajurveda. 

So  wie  die  Sämaveda-Samhitä  das  Liedertextbuch  des  Udgätar 
ist,  so  sind  die  Yajurv^eda-Samhitäs  die  Gebetbücher  für  den 
Adhvaryupriester.  Der  Grammatiker  Pataiijali ")  spricht  von 
»101  Schulen  des  Veda  der  Adhvaryuss  und  es  ist  begreiflich, 
dafs  gerade  von  diesem  Veda  viele  Schulen  existierten ;  denn  in  bezug 
auf  die  einzelnen  Opferhandlungen,  wie  sie  der  Adhvaryu  zu  ver- 
richten und  mit  seinen  Gebeten  zu  begleiten  hatte,  konnten  sich 
leicht  Meinungsverschiedenheiten  und  sektarische  Gliederungen 
bilden,  welche  zur  Schaffung  eigener  Handbücher  und  Gebet- 
bücher führten.  Zur  Bildung  einer  neuen  vedischen  Schule  ge- 
nügte ja  schon  die  kleinste  Abweichung  im  Zeremoniell  oder  in 
der  Liturgie.  W'ir  kennen  bis  jetzt  die  folgenden  fünf  vSarrihitäs 
und  Schulen  des  Yajurveda: 

»gefallen,  befriedigen  oder  gefallen  machen^  (vgl.  chanda  »gefällig,  ver- 
lockend, einladend«)  zusammenhängen. 

')  I,  3,  10,  19. 

*j  In  der  Einleitung  zu  seinem  Mahäbhäsya. 

10  * 


—     148     — 

1.  Das  Käthakaj  die  Yajurveda-Sainhitä  in  der  Rezension 
der  Katha  -  Schule ,  welche  lange  Zeit  nur  in  einer  Handschrift 
der  Berliner  Bibliothek  bekannt  war,  jetzt  aber  von  L.  von  Schroeder 
herausgegeben  wird '). 

2.  Die  Kapisthala-Katha-Samhitä,  die  nur  in  wenigen 
handschriftlichen  Fragmenten  erhalten  ist. 

3.  Die  Maiträyani-Samhitä,  d.  h.  die  Yajurveda-SarnhitS 
in  der  Rezension  der  Maiträyaniya-Schule,  welche  L.  von  Schroeder 
herausgegeben  hat=). 

4.  Die  Taittiriya-Samhitä,  d.h.  die  Yajurveda-Samhitä 
in  der  Rezension  der  Taittiriya-Schule ,  nach  der  Apastamba- 
Schule,  einer  der  Hauptschulen,  in  welcher  dieser  Text  gelehrt 
wurde,  auch  »Äpastamba-Samhitä«  genannt.  Herausgegeben 
wurde  dieselbe  von  A.  Weber  3). 

Diese  vier  Rezensionen  sind  untereinander  näher  verwandt 
und  werden  als  zum  »schwarzen  Yajurveda«  gehörig  be- 
zeichnet.    Von  ihnen  unterscheidet  sich 

5.  die  Väjasaneyi-Samhitä  oder  die  Samhitä  des 
»weifsen  Yajurveda«,  welche  ihren  Namen  von  Yäjiia- 
valkya  Väjasaneya,  dem  Hauptlehrer  dieses  Veda,  hat. 
Von  dieser  Väjasaneyi-Samhitä  gibt  es  zwei  Rezensionen,  die  der 
Känva-  und  die  der  Mädhy  and  i  na -Schule,  die  aber  nur  ganz 
unbedeutend  voneinander  abweichen.  Herausgegeben  wurde  auch 
diese  Samhitä  von  A.  Weber''). 

Der  Hauptunterschied  zwischen  den  Samhitäs  des  » schwarzen c 
und  des  »weifsen«  Yajurveda  besteht  darin,  dafs  die  Väjasaneyi- 
Samhitä  blofs  die  Mantras,  d.  h.  die  Gebete  und  Opferformeln, 
enthält,  welche  der  Adhvaryupriester  zu  sagen  hat,  während  die 


•)  Käthakam.  Die  Samhitä  der  Katha-(päkhä,  herausgegeben  von 
Leopold  von  Schroeder.    I.  Buch.    Leipzig  1900. 

»)  Leipzig  1881—1886.  Zahlreiche  Zitate  aus  dieser  Samhitä  in 
deutscher  Übersetzung  findet  man  bei  L.  von  Schroeder,  Indiens 
Literatur  und  Kultur  (Leipzig  1887),  S.  110—162. 

3)  Im  11.  und  12.  Band  seiner  »Indischen  Studien«,  1871  und  1872. 

♦)  The  White  Yajurveda,  Part  I,  The  Väjasaneyi-Samhitä  .  .  . 
with  the  Commentary  of  Mahidhara.  Berlin  -  London  1852.  Eine 
englische  Übersetzung  derselben  gibt  es  von  R.  T.  H.  Griffith  (The 
Texts  of  the  White  Yajurveda,  translated  with  a  populär  Commentary. 
Benares  1899). 


—     149    — 

Samhitäs  des  schwarzen  Yajurveda  aufser  den  Mantras  auch  zu- 
gleich eine  Darstellung  der  zu  denselben  gehörigen  Opferriten 
nebst  Erörterungen  über  dieselben  enthalten.  Es  ist  also  in  den 
Samhitäs  des  schwarzen  Yajurveda  das,  was  man  »Brähmana« 
oder  ^theologische  Erörterung«  nennt,  und  was  den  Inhalt  der 
im  nächsten  Kapitel  zu  besprechenden  Brähmanas  bildet,  mit 
den  Mantras  vermischt.  Es  ist  aber  leicht  begreiflich,  dafs  in 
den  ftir  den  Gebrauch  der  Adhvaryus  bestimmten  Gebetbüchern 
auch  die  Opferverrichtungen  selbst  besprochen  wurden,  denn  diese 
Priester  hatten  vor  allem  die  einzelnen  Opferhandlungen  zu  voll- 
ziehen, imd  das  Murmeln  von  Gebeten  und  Formeln  im  engsten 
Zusammenhang  mit  diesen  Handlungen  bildete  blols  einen  kleinen 
Teil  ihrer  Verpflichtungen.  Es  kann  daher  kaum  zweifelhaft 
sein,  dafs  die  Samhitäs  des  schwarzen  Yajurveda  älter  sind  als 
die  Väjasaneyi  -  Samhitä.  Erst  spätere  Systematiker  unter  den 
Yajurveda-Theologen  fühlten  wohl  das  Bedürfnis,  analog  den 
anderen  Vedas  eine  nur  aus  Mantras  bestehende  Samhitä  nebst 
einem  davon  getrennten  Brähmana  zu  haben*). 

So  bedeutungsvoll  aber  auch  die  Unterschiede  zwischen  den 
einzelnen  Samhitäs  des  Yajurveda  für  die  Priester  und  Theologen 
Altindiens  sein  mochten,  für  uns  sind  sie  ganz  unwesentlich ;  und 
auch  der  Zeit  nach  dürften  die  verschiedenen  Samhitäs  des 
schwarzen  und  weifsen  Yajurveda  nicht  allzu  weit  voneinander 
entfernt  sein.  Wenn  ich  daher  im  folgenden  eine  kurze  Be- 
schreibung des  Inhalts  der  Väjasaneyi -Samhitä  gebe,  so 
genügt  dies  vollkommen,    um   dem  Leser   eine  Vorstellung   von 


0  Man  nimmt  gewöhnlich  an,  dafs  der  Name  »weifser«  Yajurveda 
so  viel  bedeute  wie  »klarer,  geordneter«  Yajurveda  und  auf  die  reinliche 
Scheidung  zwischen  Opferspruch  und  Ritualerläuterung  in  demselben 
hinweise,  während  »schwarzer»  Yajurveda  so  viel  wie  »ungeordneter« 
Yajurveda  bedeute.  Mir  kommt  diese  schon  auf  indische  Kommenta- 
toren zurückgehende  Erklärung  sehr  unwahrscheinlich  vor.  Aber 
schon  Öatap.  Br.  XIV,  9,  4,  33  (vgl.  IV,  4,  5,  19^  werden  die  »weifsen 
Opfersprüche« (sukläniyajümsi) als  ädityäni,  »von  derSonne  offenbart« 
bezeichnet;  und  auch  die  Purä^as  erzählen,  dafs  Yäjnavalkj'a  neue 
Opfersprüche  von  der  Sonne  erhalten  habe  (Vis^u-Purä^a  III,  5).  Ich 
glaube,  dafs  der  »weif  se  Yajurveda«  seinen  Namen  diesem  Zusammen- 
hang mit  der  Sonne  verdankt.  Im  Gegensatz  dazu  nannte  man  dann 
den  älteren  Yajurveda  den  »schwarzen«. 


-^     150     — 

dem  Inhalt  und  Charakter  d^^r  S^mhitäs  des  Yajurveda  überhaupt 

zu  geben. 

Die  Väjasaneyi-Samhitä  besteht  aus  40  Abschnitten,  von  denen 
aber  die  letzten  15  (vielleicht  sogar  die  letzten  22)  Abschnitte 
jüngeren  Datums  sind.  Die  ersten  25  Abschnitte  enthalten  die 
Gebete  für  die  wichtigsten  grofsen  Opfer.  Und  zwar  geben  die 
beiden  ersten  Abschnitte  die  Gebete  für  die  Neu-  und  Voll- 
mondsopfer  (Darsapürnamäsa)  mit  dem  dazugehörigen 
Manenopfer  (Pindapitryajna).  Im  dritten  Abschnitt  folgen 
die  Gebete  für  den  täglichen  Feuerkult,  die  Anlegung  des  Feuers 
und  die  jeden  Morgen  und  Abend  darzubringenden  Feueropfer 
(Agnihotra)  und  für  die  alle  vier  Monate  stattfindenden  Jahres- 
Zeitenopfer  (Cäturmäsya).  Die  Gebete  für  das  Somaopfer 
im  allgemeinen T)  mit  Einschlufs  des  dazugehörigen  Tier opfers 
finden  sich  in  den  Abschnitten  IV  bis  VIII.  Unter  den  Soraa- 
opfern  gibt  es  solche,  die  eine;i  Tag,  und  solche,  die  mehrere 
Tage  dauern.  Zu  den  Eintagsopfern  gehört  der  Vjijapeya 
oder  >Wettkampftrunkc.,  ein  ursprünglich  wohl  nur  von  Kriegern 
und  Königen  dargebrachtes  Opfer,  welches  mit  einem  Wagen- 
wettrennen verbunden  war,  und  bei  welchem  aufser  deni  Soraa 
der  nach  brahmanischem  Gesetz  sonst  verpönte  Branntwein 
(surä)'")  gespendet  wurde.  Ausschliefslich  für  Könige  bestimmt 
ist  das  :^Königsweiheüpfer«  oder  Ra jasüya.  ein  mit  mancherlei 
volkstümlichen  Bräuchen  —  einem  symbolischen  Kriegszug,  einem 
Würfelspiel  und  allerlei  Zauberriten  —  verbundenes  Opferfest. 
Die  Gebete  für  diese  beiden  Arten  von  Somaopfern  enthalten  die 
Abschnitte  IX  und  X.  Es  folgen  dann  in  den  Abschnitten 
XI  bis  XVIII  die  zahlreichen  Gebete  und  Opferformeln   für   das 


•}  Die  Opfer  der  alten  Inder  zertallen  in  zwei  grofse  Unter- 
abteilungen: Speiseopfer  (bei  denen  hauptsächlich  Milch,  Butter, 
Kuchen,  Mus  und  Körner  geopfert  werden)  und  Somaopfer  (deren 
Hauptbestandteil  die  Somalibationen  bilden).  Unter  diese  beiden  Haupt- 
arten gruppieren  sich  die  einzelnen  Opfer  Das  Tieropfer  verbindet 
sieb  sowohl  mit  Opfern  der  ersten  als  auch  mit  solchen  der  zweiten  Ab- 
teilung. Mit  allen  Arten  von  Opfern  verbindet  sich  der  Feuerkult, 
der  gewissermafsen  die  Vorbedingung  für  jede  Art  von  Götter- 
verehrung ist. 

»)  Nach  den  Gesetzbüchern  ist  das  Trinken  von  Branntwein  eine 
dem  Brahmanenmord  gleiche  grofse  Sünde 


—     151     — 

Agnicayana  oder  die  »Feueraltarschichtung«,  eine  Zeremonie^ 
die  sich  über  ein  ganzes  Jahr  erstreckt,  und  der  in  den  Brähmanas 
eine  tiefe  mystisch -symbolische  Bedeutung  zugeschrieben  wird. 
Der  Feueraltar  heilst  nicht  anders  als  »Agni«  und  gilt  durchaus 
als  identisch  mit  dem  Feuergott.  Er  wird  aus  10800  Backsteinen 
in  der  Form  eines  grofsen  Vogels  mit  ausgebreiteten  Flügeln 
gebaut.  Jn  die  unterste  Schichtung  des  Altars  werden  die 
Köpfe  von  fünf  Opfertieren  eingemauert,  und  die  Leiber  der  Tiere 
werden  in  d;is  Wasser  geworfen,  aus  dem  der  Ton  für  die  An- 
fertigung der  Backsteine  und  der  Feuerschüssel  entnommen  wird. 
Das  Formen  und  Backen  der  P>uerschüssel  und  der  einzelnen 
Backsteine,  von  denen  viele  besondere  Namen  und  eine  eigene 
symbolische  Bedeutung  haben,  geschieht  mit  grofser  Umständ- 
lichkeit und  unter  fortwährendem  Hersagen  von  Sprüchen  und 
Gebetformeln.  Die  folgenden  Abschnitte  XIX  bis  XXI  geben 
die  Gebete  für  die  Sauträmanifeier,  eine  merkwürdige  Opfer- 
zeremonie, bei  welcher  wieder  statt  des  Somatranks  der  Brannt- 
wein verwendet  und  den  Asvins,  der  Göttin  Sarasvati  und  dem 
Indra  geopfert  wird.  Die  Zeremonie  wird  empfohlen  für  einen, 
der  zuviel  Soma  getrunken  hat  oder  denselben  nicht  vertragen 
kann  —  und  das  dürfte  der  ursprüngliche  Zweck  derselben  sein  — , 
aber  auch  für  einen  Brahmanen,  der  sich  Erfolg  wünscht,  für 
einen  vertriebenen  König,  der  seinen  Thron  wiedergewinnen,  für 
einen  Krieger,  der  Sieg  erringen,  und  einen  Vais3^a,  der  grofse 
Reichtümer  erlangen  will.  Die  zu  diesem  Opfer  gehörigen 
Sprüche  nehmen  vielfach  Bezug  auf  die  Sage  von  Indra,  der 
sich  durch  übermäfsigen  Genuls  des  Soma  einen  Katzenjammer 
zugezogen  hatte  und  von  den  Asvins  und  der  Sarasvati  geheilt 
werden  mufste ')•  Die  Abschnitte  XXil  bis  XXV  endlich,  mit 
welchen  der  alte  Teil  der  Väjasaneyi-Samhitä  endet,  enthalten 
die  Gebete  für  das  grofse  Pferdeopfer  (Asvamedha), 
welches  nur  ein  mächtiger  König,  ein  gewaltiger  Eroberer  oder 
> Weltherrscher«  darbringen  durfte.  Alte  Sagen  und  epische 
Gedichte  berichten  von  Königen  der  Vorzeit ,  die  dieses  Opfer 
vollzogen,  und  es  gilt  als  der  höchste  Ruhm  für  einen  Herrscher, 
wenn  man  von  ihm  sagen  kann:    »Er    hat   das  Pferdeopfer   dar- 


')  Vgl.  oben  S.  75. 


—     152    — 

gebracht.«     Der  Zweck  dieses  grofsen  Opfers  ist  sehr   schön  in 
dem  Gebet  Väj.-Samh.  XXII,  22  ausgesprochen: 

"O  Brahman!  Möge  in  diesem  Königreich  der  Brahmane  geboren 
werden,  der  durch  heiUges  Wissen  glänzt!  Möge  der  Krieger,  der 
ein  Held,  ein  tüchtiger  Schütze,  ein  guter  Treffer  und  gewaltiger 
Wagenkämpfer  ist,  hier  geboren  werden !  Auch  die  Kuh,  die  gut  milcht, 
der  Ochse,  der  gut  zieht,  das  rasche  Pferd,  die  wackere  Hausfrau! 
Möge  diesem  Opferer  ein  Heldensohn  geboren  werden,  der  siegreich, 
ein  tüchtiger  Wagenkämpfer  und  in  der  Versammlung  beredt  ist! 
Möge  Parjanya  uns  Regen  senden  nach  Wunsch!  Mögen  unsere 
fruchttragenden  Pflanzen  reifen!  Möge  uns  Glück  und  Wohlfahrt 
zuteil  werden!" 

Dafs  die  letzten  fünfzehn  Abschnitte  späteren  Ursprungs  sind, 
ist  nicht  zweifelhaft.  Die  Abschnitte  XXVI  bis  XXXV  werden 
von  der  indischen  Überlieferung  selbst  als  Khilas,  d.  h.  >Nachträge«, 
1  Supplemente«,  bezeichnet.  Tatsächlich  enthalten  XXVI  bis  XXIX 
blofs  Nachträge  zu  den  Gebeten  der  vorhergehenden  Abschnitte. 
Der  XXX.  Abschnitt  erweist  sich  schon  dadurch  als  Zusatz,  dafs 
er  keine  Gebete  enthält,  sondern  nur  eine  Aufzählung  der  Menschen, 
welche  beim  Purusamedha  oder  »Menschenopfer«  an  die 
verschiedensten  göttlichen  oder  für  den  Augenblick  zu  Gottheiten 
erhobenen  Wesen  und  Mächte  geopfert  werden  sollen.  Nicht 
weniger  als  184  Menschen  sollen  bei  diesem  Purusamedha 
hingeschlachtet  werden;  und  zwar  opfert  man,  um  nur  einige 
Beispiele  zu  geben,  »der  Priesterwürde  einen  Brahmanen, 
der  Königswürde  einen  Krieger,  den  Maruts  einen  VaiSya, 
der  Askese  einen  Südra,  der  Finsternis  einen  Dieb,  der  Hölle 
einen  Mörder,  dem  Übel  einen  Eunuchen  .  .  .  der  Lust  eine  Hure, 
dem  Lärm  einen  Sänger,  dem  Tanz  einen  Barden,  dem  Gesang 
einen  Schauspieler  .  .  .  dem  Tod  einen  Jäger  .  .  .  den  Würfeln 
einen  Spieler  .  .  .  dem  Schlaf  einen  Blinden,  der  Ungerechtigkeit 
einen  Tauben  .  .  .  dem  Glanz  einen  Feueranzünder  .  .  .  dem 
Opfer  eine  Waschfrau,  der  Begierde  eine  Färberin  .  .  .  dem  Yama 
eine  unfruchtbare  Frau  .  .  .  der  Festfreude  einen  Lautenspieler, 
dem  Geschrei  einen  Flötenbläser  .  .  .  der  Erde  einen  Krüppel  .  .  . 
dem  Himmel  einen  Kahlkopf«  u.  s.  w.  Dafs  alle  diese  Gattungen 
von  Menschea  zusammengebracht  und  getötet  worden  sein  sollen, 
ist  gewifs  nicht  gut  denkbar.  Es  handelt  sich  hier  wahrscheinlich 
nur  uhi  eine  symbolische  Handlimg,  die  eine  Art  »Menschenopfer«, 


—     153     — 

durch  welche  das  grofse  Pferdeopfer  noch  übertrumpft  werden 
soll,  darstellt,  die  aber  wohl  nur  als  ein  Bestandteil  der  Opfer- 
mystik und  Opfertheorie  existierte,  in  Wirklichkeit  aber  kaum 
vorkam').  Dazu  stimmt  auch,  dafs  der  XXXI.  Abschnitt  eine 
Version  des  aus  dem  Rigveda  bekannten  Purusasükta  —  d.  i.  des 
Hymnus  Rv.  X,  90,  in  welchem  die  Entstehung  der  Welt  durch 
die  Opferung  des  Purusa  und  die  Identifizierung  der  Welt  mit 
dem  Purusa  gelehrt  wird,  wobei  Purusa,  »der  Mensch«,  zugleich 
als  höchstes  Wesen  gedacht  ist  —  enthält,  und  dafs  dieser  Ab- 
schnitt, den  der  Brahman  beim  Purusamedha  rezitieren  soll,  auch 
als  Upanisad,  d.  h.  als  Geheimlehre,  bezeichnet  wird.  Auch  der 
XXXII.  Abschnitt  ist  nach  Form  und  Inhalt  nichts  anderes  als 
eine  Upanisad :  Der  Schöpfer  Prajäpati  wird  hier  mit  dem  Purusa 
und  dem  Brahman  gleichgesetzt.  Die  ersten  sechs  Verse  des 
XXXIV.  Abschnittes  werden  ebenfalls  zu  den  Upanisads  gerechnet, 
und  zwar  unter  dem  Titel  Sivasamkalpa- Upanisad.  Verwendet 
werden  sollen  die  Sprüche  der  Abschnitte  XXXII  bis  XXXIV 
bei  dem  sogenannten  Sarvamedha  oder  »Allopfer«.  Es 
ist  dies  das  höchste  Opfer,  das  es  überhaupt  gibt,  und  das 
damit  endet,  dafs  der  Opferer  sein  ganzes  Hab  und  Gut  den 
Priestern  als  Opferlohn  schenkt  und  sich  dann  als  Einsiedler 
in  den  Wald  zurückzieht,  um  dort  den  Rest  seiner  Tage  zu 
verbringen.  Der  XXXV.  Abschnitt  enthält  einige  zur 
Totenbestattung  gehörige  Verse,  die  zumeist  dem  Rigveda 
entnommen  sind.  Die  Abschnitte  XXXVI  bis  XXXIX  enthalten 
die  Gebete  für  die  Pravargya  genannte  Zeremonie,  bei  welcher 
ein  Kessel  auf  dem  Opferfeuer  glühend  gemacht  wird,  um  sym- 
bolisch die  Sonne  darzustellen;  in  diesem  Kessel  wird  dann  Milch 
gekocht  und  den  Asvins  geopfert.  Die  ganze  Feier  gilt  als  ein 
grofses  Mysterium.  Zum  Schlufs  derselben  werden  die  Opfer- 
geräte so  aufgestellt,  dafs  sie  einen  Menschen  darstellen:  Die 
Milchtöpfe  sind  der  Kopf,  auf  welchem  ein  Büschel  von  heiligem 
Gras  die  Haarlocke  darstellt;  zwei  Melkkübel  vertreten  die  Ohren, 


')  Ähnlich  Oldenberg,  Religion  des  Veda,  S.  365  f.  Anders 
Hillebrandt,  Rituallitteratur  (»Grundrifs'  III,  2),  S.  153.  Menschenopfer 
hat  es  ja  gewif  s  im  alten  Indien  gegeben,  wie  ja  bis  in  die  neueste  Zeit 
die  grausamsten  Menschenopfer  bei  einigen  indischen  Sekten  vor- 
gekommen sind.  Daraus  folgt  aber  nicht,  dafs  der  Purusamedha  ein 
solches  Menschenopfer  gewesen  ist. 


-     154     — 

zwei  Goldblättchen  die  Augen,  zwei  Schalen  die  Fersen,  das  über 
das  Ganze  ausgestreute  Mehl  das  Mark,  ein  Gemisch  von  Milch 
und  Honig  das  Blut  u.  s.  w.  Den  geheimnisvollen  Zeremonien  ent- 
sprechen natürlich  auch  die  Gebete  und  Formeln').  Der  XL. 
und  letzte  Abschnitt  der  Väjasaneyi-Sanihitä  enthält  wieder  eine 
Upanisad,  und  zwar  die  in  allen  Upanisadsammlungen  vorkommende, 
sehr  wichtige  l§ä  -  Upanisad ,  auf  die  wir  ira  Kapitel  über  die 
Upanisads  noch  zurückkommen  müssen. 

Ist  es  so  schon  Jius  dem  Inhalt  der  letzten  Abschnitte 
klar,  dafs  dieselben  jüngeren  Datums  sind,  so  wird  dies  noch 
dadurch  bestätigt,  dals  die  in  den  Sarnhitäs  des  schwarzen 
Yajurveda  enthaltenen  Gebete  nur  denen  der  ersten  Hälfte 
der  Väjasaneyi-Samhitä  entsprechen  ^). 

Was  nun  die  Gebete  und  Opferformeln  selbst  anbelangt,  welche 
den  Hauptinhalt  der  Yajurveda-Samhiläs  bilden,  so  bestehen  die- 
selben zum  Teil  aus  Versen  (rc),  zum  Teil  aus  Prosasprüchen. 
Die  letzteren  sind  es,  welche  als  »Yajus?  bezeichnet  werden,  und 
von  welchen  der  Yajurveda  seinen  Namen  hat.  Die  Prosa  dieser 
Sprüche  ist  zuweilen  aijch  eine  gemessene  und  erhebt  sich  hier 
und  da  sogar  zu  rhythmischem  Schwung,  Die  Verse,  welche 
vorkommen,  finden  sich  gröfstenteils  auch  in  der  Rigveda-Samhitä. 
Die  abweichenden  Lesarten  aber,  welche  der  Yajurveda  oft  bietet, 
siAd  nicht  etwa  altertümlicher  als  der  im  Rigveda  vorliegende 
Text,  sondern  es  sind  zumeist  absichtliche  Veränderungen,  welche 
mit  den  Versen  vorgenommen  wurden,  um  sie  mit  den  Opfer- 
handlungen mehr  in  Zusammenhang  zu  bringen.  Nur  selten 
sind  ganze  Hymnen  des  Rigveda  in  die  Yajurveda-Samhitäs  auf- 
genommen worden;  meist  sind  es  blofs  einzelne,  aus  dem  Zu- 
sammenhang gerissene  Verse,  welche  gerade  zu  irgendeiner 
Opferzeremonie  passend  schienen  und  darum  in  den  Veda  der 
Gebete   Aufnahme   fanden.      Es   haben    daher  auch  diese   Verse 


0  Näheres  über  alle  diese  «Opfer  und  Feste  findet  man  bei 
A.  Hillebrandt,  "Rituallitteratur.  Vedische  Opfer  und  Zauber"  (Grund- 
rifs  III,  2),  S.  97-166.  H.  Oldenberg.  Religion  des  Veda,  S-  4:-i8-475. 
E.  Hardv,  Die  vedisch  brahmanische  Periode  der  Religion  des  alten 
Indiens,  Münster  i.  W.  1893,  S   154  ff. 

')  Nur  die  ersten    18  Adhyäyas  der  Väjasaneyi-Samhitä  werden 
m  dem  zum  weifsen  Yajurveda  gehörigen  5atapatha-Brähma^ia  voll 
ständig  Wort  für  Wort  aufgeführt  und  erläutert. 


—     155     — 

für  uns  weniger  Interesse.    Das  Charakteristische  für  den  Yajur- 
veda  sind  die  prosaischen  Formeln  und  Gebete '). 

Das  einfachste  Gebet,  das  wir  uns  denken  können,  ist  die 
Widmung  einer  Opfergabe  mit  der  blofsen  Nennung  des  Namens 
der  Gottheit,  der  sie  gespendet  wird.  Formeln  der  Art  sind  im 
Yajurveda  sehr  zahlreich.  -e^Dich  für  Agni«,  »dich  für  Indra«, 
oder  »dies  für  Agnie  ,  oder  auch  nur  »dem  Agni  Heil«,  »dem 
Indra  Heil«  u.  s.  w.,  —  mit  solchen  Worten  legt  man  die  Spende 
hin  oder  wirft  sie  ins  heilige  Feuer.  Und  ein  kürzeres  und 
schlichteres  Loblied  auf  einen  Gott  kann  man  sich  kaum  denken 
als  die  Worte,  mit  denen  jeden  Morgen  und  jeden  Abend  das 
aus  Milch  bestehende  Feueropfer  (Agnihotra)  dargebracht  wird: 
>Agni  ist  Licht,  Licht  ist  Agni,  Heil!«  (am  Abend)  und  »Sürya 
ist  Licht,  Licht  ist  Sürya,  Heil!'-  (am  Morgen).  In  ebenso  kurzen 
Worten  wird  häufig  der  Zweck  einer  heiligen  Handlung  an- 
gedeutet, wenn  z.  B.  der  Opferpriester  den  Zweig  abschneidet, 
mit  welchem  die  Kälber  von  den  Kühen  getrieben  werden,  und 
dabei  sagt:  *Dich  zum  Saft,  dich  zur  Kraft!«  Oder  es  wird  der 
Gegenstand,  der  zu  einer  heiligen  Handlung  dient,  kurz  bezeichnet 
und  daran  ein  Wunsch  geknüpft,  wenn  z.  B.  der  Holzspan,  mit 
dem  das  Opferfeuer  entzündet  werden  soll,  mit  den  Worten  ge- 
weiht wird:  ;Dies,  Agni,  ist  dein  Anzünder^  durch  ihn  sollst 
du  wachsen  und  gedeihen.  Mögen  auch  wir  wachsen  und  ge- 
deihen!« Fürchtet  man  von  einem  beim  Opfer  verwendeten 
Gegenstand  Unheil  oder  bösen  Zauber,  so  dient  ein  kurzer  Spruch 
zur  Abwehr  desselben.  So  sagt  man  zum  Halfter,  mit  dem 
das  Opfertier  an  den  Pfahl  gebunden  wird :  AVerde  keine  Schlange, 
werde  keine  Viper !x  Zum  Rasiermesser,  mit  dem  der  Opterer, 
wenn  er  zum  Opfer  geweiht  wird,  sich  den  Bart  rasieren  läfst, 
sagt  der  Priester-.  iO  Messer,  verletze  ihn  nicht!«  Bei  der 
Königsweihe  blickt  der  König  auf  die  Erde  herab  und  betet- 
»Mutter  Erde,  mögest  du  mich  nicht  verletzen,  noch  ich  dich!«  ') 

Die  Gottheiten  werden  in  diesen  Opferformeln  nicht  immer 
angerufen  oder  gepriesen,  sondern  auf  die  verschiedensten  Arten 

')  Auch  von  den  brähmaijaartigen  theologischen  Erörterungen, 
welche  die  Samhitäs  des  schwarzen  Yajurveda  neben  den  Gebeten 
und  Formeln  enthalten,  sehen  wir  hier  ganz  ab.  Denn  für  sie  gilt 
dasselbe,  was  im  folgenden  Kapitel    über  die  Brähmanas  gesagt  wird. 

V  Väj.  IV,  1.    VI,  12.    II,  14.    I,  1.    III,  9.    X,  23. 


—     156     — 

werden  Opfergeräte  und  Opferhandlungen  zu  Gottheiten  in  Be- 
ziehung gebracht.  So  umgürtet  z.  B.  der  Priester  die  am  Opfer 
teilnehmende  Gattin  des  Opferers  mit  einem  Seil,  indem  er  sagt : 
»Ein  Gürtel  bist  du  für  Aditi.c  Bei  der  Weihe  zum  Somaopfer 
umgürtet  sich  der  Opferer  mit  einem  Gürtel  aus  Hanf  und  Schilf- 
gras mit  den  Worten:  »Du  bist  die  Kraft  der  Angiras'),  weich 
wie  Wolle;  verleihe  mir  Kraft!«  Dann  macht  er  einen  Knoten 
in  sein  Unter gewand  und  sagt:  »Der  Knoten  des  Soma  bist  du.« 
Hierauf  umhüllt  er  sein  Haupt  mit  einem  Turban  (oder  mit  seinem 
Obergewand),  indem  er  murmelt:  Du  bist  Visnus  Schirm,  der 
Schirm  des  Opferers  .  Und  zu  dem  Hom  einer  schwarzen  Anti- 
lope, welches  er  in  den  Saum  seines  Gewandes  wickelt,  spricht 
er:  Du  bist  Indras  Mutterschofs.«  Die  Opferspeisen  nimmt  der 
Priester  vom  Wagen  mit  den  Worten:  »Du  bist  der  Leib  des 
Agni,  dich  für  Visnu,  Du  bist  der  Leib  des  Soma,  dich  für 
Visnu.»  Wenn  der  Priester  irgendein  Opfergerät  in  die  Hand 
nimmt,  so  tut  er  dies  mit  der  oft  wiederkehrenden  Formel:  »Auf 
Gott  Savitars  Anregung  nehme  ich  dich  mit  den  Armen  der 
A§vins,  mit  den  Händen  des  Püsan.«  ') 

Das  heilige  Opferfeuer  mufs  nach  uralter  Weise  mit  dem 
Feuerbohrer 3)  gequirlt  werden;  und  die  Hervorbringung  des 
Feueis  wird  schon  im  Rigveda  mit  dem  Zeugungsvorgang  ver- 
glichen, indem  das  untere  Brettchen  als  die  Mutter,  der  obere 
Reibstock  als  der  Vater  des  Kindes  Agni  (des  Feuers)  angesehen 
wird-*).  So  erklären  sich  die  Formeln,  mit  denen  die  Feuer- 
quirlung  beim  Somaopfer  vollzogen  wird,  in  welchen  die  beiden 
Reibhölzer  als  das  uns  schon  bekannte  Liebespaar  Purüravas  und 

')  Die  alten  Feuer-  und  Zauberpriester,  als  halbgöttliche  Wesen 
gedacht. 

')  Väj.  I,  30.    IV,  10.    V,  1.    VI,  30. 

5)  Derselbe  besteht  aus  den  zwei  » Ara^is«  oder  Reibhölzern,  von 
denen  das  eine  ein  Brettchen  ist,  das  andere  ein  zugespitzter  Stock, 
welcher  in  dem  Brettchen  so  lange  herumgedreht  wird,  bis  eine  Flamme 
entsteht.  Es  ist  dies  das  bei  vielen  Naturvölkern,  z.  B.  den  Eskimos, 
noch  heute  gebrauchte  Feuerzeug,  ohne  Zweifel  eines  der  primitivsten 
Geräte  der  Menschheit. 

♦)  Die  Malaien  in  Indonesien  bezeichnen  noch  heute  das  Holz- 
brettchen,  in  welchem  der  Feuerquirl  herumgedreht  wird,  als  "  Mutter« 
oder  »Weib«,  während  sie  den  Quirl  selbst  -Mann«  nennen.  Auch 
die  alten  Araber  hatten  zum  Feuerreiben  zwei  Hölzer,  von  denen  das 
eine  weiblich,  das  andere  männlich  gedacht  wurde. 


-r        157       — 

Urva§i  *),  welche  den  Äyu  erzeugen,  angesprochen  werden.  Der 
Priester  nimmt  das  untere  Reibholz  mit  den  Worten:  »Du  bist 
Agnis  Geburtsstätte,«  legt  zwei  Halme  von  heiligem  Gras 
darüber  und  sagt:  »Ihr  seid  die  beiden  Samenergiefser  (testiculi).« 
Dann  legt  er  das  Brettchen  hin  mit  den  Worten:  »Du  bist 
Urvasi,«  berührt  die  Schmalzpfanne  mit  dem  Quirlstock,  indem 
er  sagt:  »Du  bist  Äyu,«  und  steckt  mit  den  Worten:  »Du  bist 
Purüravas,«  den  Quirlstock  in  das  untere  Reibholz.  Darauf  quirlt 
er  mit  den  Sprüchen:  »Ich  quirle  dich  mit  dem  Gäyatrimetrum, 
ich  quirle  dich  mit  dem  Tristubhmetrum,  ich  quirle  dich  mit  dem 
Jagatimetrum.« ") 

Man  darf  in  der  Erwähnung  der  Metren  in  den  letzten 
Sprüchen  nicht  etwa  eine  tiefe  Symbolik  suchen.  Es  sind  Worte, 
nichts  als  Worte,  die  ihren  Zweck  ebensogut  erfüllen,  wie  es 
irgendwelche  andere  Worte  tun  würden.  Und  formelhafte 
Wendungen  der  Art,  die  wenig  oder  gar  keinen  Sinn  geben, 
sind  im  Yajurveda  überaus  zahlreich.  Verhältnismäfsig  selten 
stofsen  wir  auf  lange  Prosagebete,  in  denen  der  Opferer  in 
schlichten  Worten  der  Gottheit  seine  Wünsche  kundgibt,  wie  in 
dem  bereits  oben  angeführten  schönen  Gebet,  welches  beim  Pferde- 
opfer gesprochen  wurde.  Häufiger  sind  schon  formelhafte  Gebete, 
die  aber  immerhin  noch  einen  guten  Sinn  geben,  wie  die  folgenden : 

»Du,  Agni,  bist  der  Schützer  der  Leiber;  schütze  meinen  LeibI 
Du,  Agni,  bist  der  Spender  des  Lebens;  spende  mir  Leben!  Du, 
Agni,  bist  der  Geber  der  Kraft;  gib  mir  Kraft!  Du,  Agni,  mache  ganz, 
was  an  meinem  Körper  mangelhaft  ist.«    (Väj.  III,  17.) 

»Es  gedeihe  das  Leben  durch  das  Opfer!  Es  gedeihe  der  Atem 
durch  das  Opfer!  Es  gedeihe  das  Auge  durch  das  Opfer!  Es  gedeihe 
das  Ohr  durch  das  Opfer!  Es  gedeihe  der  Rücken  durch  das  Opfer! 
Es  gedeihe  das  Opfer  durch  das  Opfer!«    (Väj.  IX,  21.) 

Aber  noch  häufiger  finden  wir  endlose  Formeln,  bei  denen 
der  Sinn  schon  mehr  nebensächlich  ist,  z.  B. : 

»Agni  hat  mit  dem  einsilbigen  (Wort)  den  Atem  gewonnen;  möge 
ich  iixn  gewinnen!  Die  Asvins  haben  mit  dem  zweisilbigen  die  zwei- 
füfsigen  Menschen  gewonnen,  möge  ich  sie  gewinnen!  Vis^u  hat  mit 
dem  dreisilbigen  die  drei  Welten  gewonnen,  möge  ich  sie  gewinnen! 
Soma  hat  mit  dem  viersilbigen  das  vierfüfsige  Vieh  gewonnen;  möge 
ich  es  gewinnen!  Püsan  hat  mit  dem  fünfsilbigen  die  fünf  Weltgegenden 

•)  S  oben  S.  90  f. 

»)  Väj.  V,  2.    Satapatha-Brähmaija  III,  4,  1,  20  ff. 


—     158    — 

gewonnen ;  möge  ich  sie  gewinnen !  Savitar  hat  mit  dem  sechssilbigeu 
die  sechs  Jahreszeiten  gewonnen;  möge  ich  sie  gewinnen!  Die  Maruts 
haben  'mit  dem  sieben  silbigen  die  sieben  gezähmten  Ti^re  gewonnen; 
möge  ich  sie  gewinnen!  Brhaspati  hat  mit  dem  achtsilbigen  die 
GäyatrI  gewonnen;  möge  ich  sie  gewinnen!  .  .  .  Aditi  hat  mit  dem 
sechzehnsilbigen  den  sechzehnfachen  Stoma  gewonnen;  möge  ich  ihn 
gewinnen!  Prajäpati  hat  mit  dem  siebzehnsilbigen  den  siebzehnfachen 
Stoma  gewonnen;  möge  ich  ihn  gewinnen!«    (Väj.  IX,  31—34.) 

Was  aber  ganz  besonders  dazu  beiträgt ,  dafs  uns  diese 
Gebete  und  Opferformeln  oft  nur  als  eine  sinnlose  Anhäufung 
von  Worten  erscheinen,  ist  die  im  Yajurveda  so  sehr  beliebte 
Gleichsctzung  und  Zusammenstellung  von  Dingeti,  die  gar  nichts 
miteinander  zu  tun  haben.  Da  wird  z,  B.  ein  Kochtopf  mit  den 
Worten  aufs  Feuer  gesetzt: 

Du  bist  der  Himmel,  du  bist  die  Erde,  du  bist  der  Kessel  des 
Mätarisvan.«')    (Vaj.  I,  2.) 

Oder  die  Kuh,  mit  welcher  der  Soma  gekauft  wird,  spricht 
der  Priester  mit  den  Worten  an: 

»Du  bist  der  tiedanke,  du  bist  der  Geist,  du  bist  der  Verstand, 
du  bist  der  Opferlohn,  du  bist  zur  Herrschaft  geeignet,  du  bist  zum 
Opfer  geeignet,  du  bist  die  doppelköpfige  Aditi.'    (Vaj.  IV,  19.) 

An  das  Feuer,  welches  bei  der  Feueraltarschichtung  in  der 
Pfanne  herumgetragen  wird,  ist  folgendes  Gebet  gerichtet: 

»Du  bist  der  schönbeschwingte  Vogel,  der  Preisgesang  Trivrt  ist 
dein  Kopf,  die  Gäyatramelodie  dein  Auge,  die  beiden  Melodien  Brhat 
und  Rathantara  sind  deine  Flügel,  der  Preisgesang  ist  deine  Seele,  die 
Metren  sind  deine  Glieder,  die  Yajusformeln  dein  Name,  die  Väma- 
devyamelodie  dein  Körper,  die  Yajnäyajniyamelodie  dein  Schwanz,  die 
Feuerherde  sind  deine  Hufe ;  du  bist  der  schönbeschwingte  Vogel,  geh 
zum  Himmel,  flieg  zum  Licht  !<     (Väj.  XII,  4  ) 

Dann  macht  der  Priester  mit  der  Feuefpfanne  drei  Schritte 
und  spricht: 

'Du  bist  der  die  Nebenbuhler  vernichtende  Scliritt  des  Visiju;  be- 
steige das  Gäyatrimetrum,  schreite  die  Erde  entlang!  Du  bist  der  die 
Nachsteller  vernichtende  Schritt  des  Visiju;  besteige  dasTristubhmetrum, 
schreite  die  Luft  entlang!  Du  bist  der  die  Gehässigen  vernichtende 
Schritt  des  Visnu;  besteige  das  JagatImetrum ,  schreite  den  Himmel 

')  Mätarisvan  ist  hier  der  Windgott,  daher  ^der  Kessel  des  M."  so 
viel  wie  »Luftraum. 


-     159     — 

entlang !  Du  bist  der  die  Feindseligen  vernichtende  Schritt  des  Visiyu ; 
besteige  das  Anustubhmetrum ,  schreite  die  Weltgegenden  entlangl« 
(Vaj.  XII,  5.) 

Mit  Bezug  auf  diese  Art  von  Gebeten  sagt  Leopold 
von  Schroeder:  »Man  möchte  oft  geradezu  daran  zweifeln,  ob 
man  es  noch  mit  verständigen  Menschen  zu  tun  hat,  und  es  ist 
in  dieser  Hinsicht  recht  interessant,  zu  beobachten,  dals  in  den 
schriftlichen  Aufzeichnungen  von  Personen  im  Stadium  des 
Schwachsinns  gerade  die  öden  und  einförmigen  Variationen 
ein  und  desselben  Gedankens  besonders  charakteristisch  sind.« 
Er  gibt  dann  einige  von  Irrenärzten  aufbewahrte  Aufzeichnungen 
von  Geisteskranken,  die  in  der  Tat  eine  auffallende  Ähnlichkeit 
mit  vielen  der  Gebete  des  Yajurveda  zeigen').  Wir  dürfen  eben 
nicht  vergessen,  dafs  wir  es  hier  nicht  mit  uralten,  volkstümlichen 
Zauberformeln  zu  tun  haben,  wie  wir  sie  im  Atharvaveda  und 
teilweise  ja  auch  noch  im  Yajurveda  finden,  sondern  mit  den 
Machwerken  von  Priestern,  welche  die  von  ihnen  ausgeklügelten 
unzähligen  Opferriten  mit  ebenso  zahllosen  Sprüchen  und  Formeln 
ausstatten  mufsten. 

Manche  Gebetformeln  des  Yajurveda  sind  allerdings  nichts 
anderes  als  Zaubersprüche  in  Prosa.  Selbst  Beschwörungen  und 
Flüche,  ganz  ähnlich  denen,  die  wir  im  Atharvaveda  kennen  ge- 
lernt haben,  begegnen  uns  auch  unter  den  Gebeten  des  Yajurveda. 
Denn  es  gibt  auch  Opferhandlungen,  durch  die  man  einem  Feinde 
schaden  kann.  So  sagt  der  Priester  zu  dem  Joch  des  Wagens, 
auf  dem  die  Opfergeräte  sich  befinden:  »Ein  Joch  bist  du;  unter- 
joche den  Unterjochenden,  unterjoche  den,  der  uns  unterjocht, 
unterjoche  den,  den  wir  unterjochen.«  (Väj.  I,  8.) '')  Folgende 
Beispiele  von  solchen  Opfergebeten  gibt  L.  von  Schroeder  3)  aus 
der  Maiträyanl-Samhitä : 

"Welcher  Mensch  uns  feindlich  ist,  und  welcher  uns  hafst,  welcher 
uns  schmäht  und  schadi^n  will,  alle  die  sollst  du  zu  Staub  zerreiben!« 

»O  Agni,  mit  deiner  Glut  glühe  los  gegen  den,  welcher  uns  hafst, 
und  welchen  wir  hassen!    O  Agni,  mit  deiner  Flamme  brenne  los  gegen 

')  L.  V.  Schroeder,  Indiens  Literatur  und  Kultur,  S.  113  f. 

*)  Zugleich  ein  Beispiel  der  in  den  Yajusformeln  sehr  beliebten 
Wortspiele.  Der  Text  lautet:  dhür  asi,  dhürva  dhürvantam,  dhürva 
tarn  yo  'smän  dhürvati,  tarn  dhüi-va  yarn  dhürvämah. 

5)  Indiens  Literatur  und  Kultur,  S.  122. 


—     160    — 

den,  welcher  uns  halst,  und  welchen  wir  hassen  O  Agni,  mit  deinem 
Strahl  strahle  gegen  den,  welcher  uns  hafst,  und  welchen  wir  hassen! 
O  Agni,  mit  deiner  packenden  Kraft  packe  den.  welcher  uns  hafst,  und 
welchen  wir  hassen!« 

»Der  Todesgott,  das  Verderben  soll  die  Nebenbuhler  ergreifen!« 

So  wie  diese  Beschwörungsformeln  etwas  Urwüchsiges  und 
Volkstümliches  an  sich  haben,  so  finden  wir  auch  unter  den 
Rätseln,  die  uns  im  Yajurveda  erhalten  sind,  neben  echt 
theologischen  Rätseln,  die  den  technischen  Namen  »Brahmodya« 
wohl  verdienen,  da  sie  eine  Bekanntschaft  mit  dem  Brahman 
oder  dem  heiligen  "Wissen  voraussetzen,  auch  einige  alte  volks- 
tümliche Rätsel.  Wir  haben  diese  gewifs  sehr  alte  Litteratur- 
gattung  bereits  im  Rigveda  und  im  Atharvaveda  kennen  gelernt. 
Im  Yajurveda  lernen  wir  auch  die  Gelegenheiten  kennen,  bei 
denen  die  Rätselspiele  üblich  waren,  ja,  sogar  einen  Teil  des 
Kultes  bildeten.  So  finden  wir  in  der  Väjasaneyi  -  Samhitä  im 
XXIII.  Abschnitt')  eine  Anzahl  von  Rätseln,  mit  denen  sich  die 
Priester  bei  dem  altberühmten  Pferdeopfer  unterhielten.  Einige 
derselben  erinnern  an  unsere  Kinderrätsel,  während  andere  sich 
auf  die  Opfermystik  der  Brähmanas  und  die  Philosophie  der 
Upanisads  beziehen.  Als  Beispiele  seien  die  Rätsel  von 
Väj.  XXIIl,  45-48,  51  ff.  angeführt: 

Der  Hotar:  "Wer  wandelt  einsam  seinen  Weg? 

Wer  wird  von  neuem  stets  geboren? 
Was  ist  für  Kälte  die  Arznei? 
Wie  heifst  das  grolse  Korngefäfs?« 

Der  Adhvaryu:   »Die  Sonne  wandelt  einsam  ihren  Weg, 

Der  Mond  wird  immer  wieder  neu  geboren. 
Das  Feuer  ist  für  Kälte  die  Arznei, 
Die  Erde  ist  das  grofse  Korngefäfs.«^ 

Der  Adhvaryu:   »Was  ist  das  sonnengleiche  Licht? 

Wie  he'ifst  die  Flut,  die  gleich  dem  Meere? 

Und  was  ist  grölser  als  die  Erde? 

Was  ist's,  wovon  kein  Mafs  man  kennt?« 

Der  Hotar:  »Das  Brahman')  ist  das  sonnengleiche  Licht, 

Der  Himmel  ist  die  Flut,  die  gleich  dem  Meere, 

Und  grölser  als  die  Erde  ist  Gott  Indra, 

Doch  ist's  die  Kuh,  von  der  kein  Mafs  man  kennt.« 


')  Ähnlich  auch  in  der  Taittiriya- Samhitä  VII,  4,  18. 
*)  Dieses    vieldeutige    Wort    bedeutet    hier    wahrscheinlich    »das 
Priestertum«,  vielleicht  »das  heilige  Wissen- 


-^     161     ~ 

Der  Udgätar:      »^In  welche  Dinge  ist  der  Purusa  gedrungen? 

Und  welche  Dinge  sind  im  Purusa  enthalten? 

Dies  Rätsel,  Brahman,  gebe  ich  dir  auf  zur  Lösung; 

Was  hast  du  nun  zur  Antwort  drauf  zu  sagen? 
Der  Brahman:     »Die  Fünfe  sind's,  in  die  der  Purusa  gedrungen, 

Und  ebendiese  sind  im  Purusa  enthalten  ). 

Das  ist's,  was  ich  als  Antwort  dir  ersonnen  habe; 

An  Wunderkraft  des  Wissens  bist  du  mir  nicht  über.«. 

Diese  Rätselspiele  bilden  einen  ebenso  wichtigen  Bestandteil 
der  Götterverehrung  wie  die  Gebete  und  Opferformeln.  Freilich 
ist  mit  dem  Worte  »Götterverehrung«  der  Zw6ck  der  Gebete 
und  Formeln,  ja,  der  Opfer  selbst  nur  ungenügend  bezeichnet. 
Die  Mehrzahl  der-  Opferzeremonien  wie  der  Yajusformeln  hat 
nicht  den  Zweck,  die  Götter  zu  »verehren«,  sondern  sie  zu  beein- 
flussen, sie  zu  zwingen,  dafs  sie  die  Wünsche  des  Opferers  er- 
füllen. Und  auch  die  Götter  lieben  »panem  et  circenses« ,  auch 
sie  wollen  nicht  nur  gespeist,  sondern  auch  unterhalten  werden; 
dafs  aber  die  Götter  an  dem  Geheimnisvollen,  dem  Rätselhaften, 
dem  blofs  Angedeuteten  ein  besonderes  Vergnügen  finden,  ver- 
sichern uns  die  vedischen  Texte  sehr  oft  ^). 

Im  Yajurveda  finden  wir  auch  schon  eine  Art  der  Götter- 
beeinflussung, die  in  spätierer  Zeit  ungemein  überhandgenommen 
hat,  und  die  darin  besteht,  dafs  man,  um  von  einem  Gott  etwas 
zu  erlangen,  möglichst  viele  Namen  und  Beiwörter  des  Gottes 
aneinanderreiht  und  ihm  unter  allen  diesen  Namen  seine  Ver- 
ehrung bezeigt.  So  finden  wir  in  der  späteren  Litteratur  Texte, 
welche  tausend  Namen  des  Visnu  oder  tausend  Namen  des  Siva 
aufzählen,  und  deren  Rezitation  als  ein  besonders  wirkungsvolles 
und  verdienstliches  Andachtswerk  gilt.  Die  ersten  Anfänge  dieser 
Art  von  Gebeten  finden  wir  im  fi  a  t  a  r  u  d  r  i  y  a .  der  Aufzählung 


')  Purusa  bedeutet  »Mensch«,  »Person«  und  auch  «Geist«,  »Welt- 
geist». >Die  Fünfe"  sind  die  fünf  Sinne,  welche  im  Purusa,  d.  h.  »im 
Menschen^,  enthalten  und  vom  Purusa,  d.h.  »dem  Weltgeist«,  durch- 
drungen sind. 

*)  »Die  Götter  lieben  das  Angedeutete,  das  Geheimnisvolle«,  ist 
ein  in  den  Brähma^as  oft  wiederkehrender  Satz,  z.  B.  Satapatha-Bräh- 
mana  VI,  1,  1,  2;  11;  2,  3;  7,  1,  23.  VIT,  4,  1,  10  etc  Brhadaraijyaka- 
Upanisad  IV,  2,  2:  "Die  Götter  lieben  das  versteckt- Angedeutete  und 
hassen  das  direkt  Gesagte.« 

Winternitz,    Geschichte  der  indischen  L  ittt-ratur.  11 


—     162     - 

der   hundert  Namen   des  Gottes  Rudra,    im  XVI.  Abschnitt   der 
Väjasaneyi-Samhitä  und  in  der  Taittirlya-Samhitä  IV,  5. 

.  Endlich  gibt  es  noch  eine  Art  von  »Gebeten«  —  wie  man 
sie  doch  wohl  nennen  mufs  — ,  die  uns  schon  im  Yajurveda  be- 
gegnen, und  mit  denen  gleichfalls  in  späterer  Zeit  viel  Unfug 
getrieben  wurde.  Es  sind  das  nämlich  einzelne  Silben  oder  Worte, 
die  gar  keinen  Sinn  geben,  oder  deren  Sinn  abhanden  gekommen 
ist ,  die  an  gewissen  Stellen  der  Opferhandlung  in  feierlichster 
Weise  ausgesprochen  werden  und  für  ungemein  heilig  gelten. 
Da  ist  vor  allem  der  Opferruf  svähä,  den  wir  gewöhnlich  mit 
»Heil«  übersetzen,  mit  dem  man  jede  Spende  für  die  Götter  ins 
Feuer  wirft,  während  der  Ruf  s  v  a  d  h  ä  bei  Opferspenden  für  die 
Manen  verwendet  wird.  Andere  ganz  unverständliche  Ausrufe 
der  Art  sind  vasat,  vet,  vät,  vor  allem  aber  die  hochheilige 
Silbe  om.  Diese  Silbe,  ursprünglich  nichts  anderes  als  eine  Be- 
jahung '),  galt  den  Indern  Jahrtausende  hindurch  und  gilt  noch 
bis  zum  heutigen  Tage  als  ungemein  heilig  und  voll  von  mystischer 
Bedeutung.  In  den  Upanisads  wird  sie  mit  dem  Brahman,  der 
Weltseele,  gleichgesetzt  und  dem  Weisen  als  höchster  Gegenstand 
der  Meditation  empfohlen;  die  Katha-Upanisad  (II,  16)  sagt  von 
ihr:  »Diese  Silbe  ist  ja  das  Brahman,  diese  Silbe  ist  das  Höchste; 
denn  wer  Miese  Silbe  kennt,  dem  geht  in  Erfüllung,  was  immer 
er  sich  wünscht.«  Und  an  diese  Silbe  om  schliefsen  sich  die 
drei  »grofsen  Worte«  (mahä-vyährti)  an,  nämlich  bhür,  bhuvah, 
svar  (von  den  Indern  als  »Erde,  Luft,  Himmel«  ei-klärt,  was 
aber  zweifelhaft  ist),  von  denen  es  in  einem  alten  Text  '^)  heilst : 
»Dies  fürwahr  ist  das  Brahman,  dies  die  Wahrheit,  dies  das 
Recht;  ohne  diese  gibt  es  kein  Opfer.« 

Jahrhunderte  später  hat  in  den  Tantras,  den  religiösen 
Büchern  neuerer  indischer  Sekten,  der  Gebrauch  solcher  mystischer 
Silben   und    Worte   so   überhandgenommen ,    dafs   wir   oft  seiten- 


')  Nach  Aitareya-Brähraana  VII,  18  bedeutet  om  in  der  für  die 
Götter  gebrauchten  Sprache  dasselbe,  was  mit  tathä,  »so  sei  es«,  »ja-s 
unter  den  Menschen  ausgedrückt  wird.  Ebenso  heifst  es  Chändogya- 
Upanisad  I,  1,  8:  *  Diese  Silbe  om  drückt  Zustimmung  aus,  denn  wenn 
einer  zu  etwas  zustimmt,  sagt  er:  ,om'.''  Mit  dem  hebräischen  »amen« 
stimmt  die  Silbe  om  wohl  nur  i^ein  zufällig  dem  Sinne  wie  dem  Laute 
nach  ein  wenig  überein. 

^)  Maiträyani-Samhitä  I,  8,  5. 


--      163     - 

lang  nichts  als  unartikulierte  Laute,  wie  um,  am,  hrim,  üni,  eni, 
krom,  pbat,  ah  u.  s,  w.  finden.  Bezeichnend  ist  es  auch,  dafs  das 
Wort  M antra,  welches  ursprünglich  die  Verse  und  Gebete  (rc 
und  yajus)  der  vedischen  Samhitäs  bezeichnete,  späterhin  nur 
mehr  die  Bedeutung  »Zauberformel«  hatte.  Wir  können  im  Yajur- 
veda  bereits  diesen  Übergang  vom  Gebet  zur  Zauberformel  — streng 
geschieden  waren  ja  die  beiden    niemals    —    sehr   gut  verfolgen. 

Und  so  öde  und  langweilig,  so  unerquicklich  die  Yaiurveda- 
Samhitäs  sind,  wenn  man  sie  als  Litteraturwcrke  lesen  will,  so 
überaus  wichtig,  ja,  interessant  sind  sie  für  den  Religionsforschcr, 
der  sie  als  Quellenwerke  nicht  nur  für  die  indische,  sondern  auch 
für  die  allgemeine  Religionswissenschaft  studiert.  Wer  den 
Ursprung,  die  Entwicklung  und  die  religionsgeschichtliche  Be- 
deutung des  Gebetes  ergründen  will  —  und  es  gehört  dies  zu 
den  interessantesten  Kapiteln  der  Religionsgeschichte  — ,  der  sollte 
auf  keinen  Fall  versäumen,  sich  mit  den  Gebeten  des  Yajurveda 
bekannt  zu  machen. 

Aber  auch  für  das  Verständnis  der  ganzen  späteren  religiösen 
und  philosophischen  Litteratur  der  Inder  sind  diese  Samhitäs  un- 
entbehrlich. Ohne  den  Yajurveda  können  wir  nicht  die  Brähmanas 
und  ohne  diese  nicht  die  Upanisads  verstehen. 

Die  Brähmanas  ^). 

Von  den  Bnähmanas,  der  zweiten  grofsen  Klasse  von  \\  crken, 
die  zum  V\'da  gehören,  sagt  Max  Müller  einmal:  *So  interessant 
auch  die  Brähmanas  für  den  Forscher  auf  dem  Felde  der  indischen 
Litteratur  sein  mögen,  von  so  geringem  Interesse  sind  dieselben 
für  das  allgemein  gebildete  Publikum.  Der  Hauptinhalt  derselben 
ist  einfach  Gefasel  und  —  was  noch  weit  .schlimmer  —  theologisches 
Gefasel.  Niemand ,  der  nicht  von  vornherein  die  .Stelle  kennt, 
welche  die  Brähnrmnas  in  der  Geschichte  des  mdischen  Geistes 
einnehmen,  könnte  über  zehn  Seiten  hinauslesen,  ohne  das  Buch 
zuzuschlagen.« ''^)  In  der  Tat  gilt  von  diesen  Werken  noch  mehr 
als  vom  Yajurveda,  dafs  sie  als  Lektüre  ungeniefsbar,  aber  zum 

')  Vgl.  L.  von  Schrot-der,  Indiens  Literatur  und  Kultur,  Leipzii? 
1S87,  S.  127-167,  179-1*^0.  Sylvaiii  L('vi,  La  doctrine  du  sacritice 
dans  les  Brähmanas  i'Bibliotheque  de  l'ecole  di-s  hautes  etudes), 
Paris  1898. 

*)  Essays  von  Max  MülKr  1  (Leipzig  1869)  'S.  105. 

11* 


-      164     — 

Verständnis  der  ganzen  späteren  religiösen  und  philosophischen 
Litteratur  der  Inder  unentbehrUch  und  ftir  die  allgemeine  Religions- 
wissenschaft von  höchstem  Interesse  sind.  Wie  die  Sarnhitäs  des 
Yajurveda  für  die  Geschichte  des  Gebetes  so  sind  die  Brähmanas 
für  die  Geschichte  des  Opferwesens  und  des  Priest  er  tu  ms 
dem  Religionsforscher  ganz  unschätzbare  Quellen. 

Das  Wort  Brähmana")  (neutr.)  bedeutet  zunächst  eine 
einzelne  »Erklärung  oder  Äufserung  eines  gelehrten  Priesters, 
eines  Doktors  der  Opferwissenschaft  über  irgendeinen  Punkt  des 
Rituals«,  Kojlektivisch  gebraucht,  bezeichnet  das  Wort  dann 
eine  Sammlung  von  solchen  Aussprüchen  und  Erörterungen  der 
Priester  über  die  Opferwissenschaft.  Denn  wenn  auch  die  Bräh- 
manas glücklicherweise  mancherlei  enthalten,  was  zum  Opferdienst 
nur  eine  entfernte  Beziehung  hat,  wie  kosmogonische  Mythen, 
alte  Sagen  und  Erzählungen,  so  ist  doch  das  Opfer  das  eine  und 
einzige  Thema,  von  welchem  alle  Erörterungen  ausgehen,  um 
welches  sich  alles  dreht.  Und  zwar  behandeln  die  Brähmanas 
der  Reihe  nach  die  grofsen  Opfer,  die  wir  oben  nach  dem  Inhalt 
der  Väjasaneyi-Samhitä  kennen  gelernt  haben  ),  geben  Vorschriften 
über  die  einzelnen  Riten  und  Zeremonien,  knüpfen  daran  Be- 
trachtungen über  die  Beziehungen  der  einzelnen  Opferhandlungen 
zueinander  und  zu  den  teils  im  Wortlaut,  teils  abgekürzt  an- 
geführten Sprüchen  und  Gebeten^).  Daran  schliefsen  sich 
symbolische  Deutungen  und  spekulative  Begründungen  der  Zere- 
monien und  ihrer  Verbindung  mit  den  Gebetformeln.  Wo,  wie 
das  oft  der  Fall  ist,  die  Ansichten  der  Gelehrten  über  Einzel-' 
heilen  des  Rituals  auseinandergehen,  wird  die  eine  Ansicht  ver- 
teidigt, die  andere  verworfen.  Auch  von  Verschiedenheit  der 
Zeremonien    in   verschiedenen  Gegenden    ist   zuweilen   die  Rede, 

')  Die  Ableitung  des  Wortes  ist  zweifelhaft.  Es  kann  entweder 
von  brähman  (neutr.J  in  dem  Sinne  »heilige  Rede,  Gebet,  heiliges 
Wissen«  oder  von  brahmän  (masc.)  »Priester«  überhaupt  oder  »Brah- 
manpriester«  oder  auch  von  brähina^a  (masc.)  »der  Brahmane,  der 
Angehörige  der  Priesterkaste,  der  Theologe«  abgeleitet  werden. 

>)  S.  150-154. 

5)  Der  älteste  Name  für  »Brähmana«  ist  bandhu  "Verbindung», 
was  darauf  hindeutet,  dafs  der  Hauptzweck  der  Erörterungen  der 
Brähmanas  ursprünglich  der  war,  die  Verbindung  zwischen  Opfer- 
handlung und  Gebet  zu  erklären.  (A.  Weber,  Indische  Literatur- 
geschichte, zweite  Aufl.,  S.  12.) 


—     165     — 

ebenso  von  Modifikationen  gewisser  Opferriten  unter  besonderen 
Umständen.  Es  wird  nie  versäumt,  bei  jeder  Opferhandlung 
genau  anzugeben,  worin  der  Priesterlohn,  die  Dafcsinä,  zu  bestehen 
hat.  Ebenso  wird  dem  Opferer  auseinandergesetzt,  was  für 
Vorteile,  sei  es  in  diesem  Leben  oder  im  Jenseits,  er  durch  die 
verschiedenen  Opferriten  erringen  kann.  Kurz,  wenn  es  gestattet 
ist,  das\y"ort  »Wissenschaft«  auf  theologisches  Wissen  anzuwenden, 
so  können  wir  die  Brähmanas  am  besten  als  Texte  bezeichnen, 
welche  die  »Opferwissenschaft?  behandeln. 

Es  mufs  sehr  viele  solche  Texte  gegeben  haben.  Das  ver- 
sichern uns  die  Inder  selbst,  und  das  bestätigen  auch  die  vielen 
Zitate  aus  verloren  gegangenen  Brähmanas,  die  wir  in  unseren 
Texten  finden.  Aber  auch  die  Zahl  der  noch  erhaltenen  Bräh- 
manas ist  keineswegs  gering,  und  sie  gehören  fast  alle  zu  den 
umfangreicheren  Werken  der  indischen  Litteratur.  Nach  den 
vier  vedischen  Samhitäs,  die  wir  kennen  gelernt  haben,  unterschied 
man,  wie  wir  wissen,  die  vier  Vedas,  und  zu  jedem  derselben 
gehören  gewöhnlich  mehrere  Brähmanas,  die  aus  verschiedenen 
Schtden  (Säkbäs)  hervorgegangen  sind.  Wir  haben  gesehen, 
dafs  schon  die  Samhitäs  des  schwarzen  Yajurveda  neben  den 
Mantras  oder  Gebeten  auch  Aussprüche  und  Erörterungen  über 
Zweck  und  Sinn  des  Opfers  enthielten.  In  diesen  Brähmana- 
artigen  Bestandteilen  der  Yajurveda  -  Samhitäs  werden  wir  den 
Anfang  der  Brähmanalitteratur  zu  sehen  haben.  Ebendiese 
Anleitungen  zur  \'oüziehung  der  Opferzeremonien  und  die  Er- 
örterungen über  den  Sinn  des  Rituals,  weiche  in  den  Samhitäs 
des  schwarzen  Yajurveda  unmittelbar  an  die  Mantras  selbst  an- 
geknüpft wurden,  machte  eine  vedische  Schule  nach  der  andern 
zum  Gegenstand  eigener  Werke.  Und  bald  galt  es  als  Regel, 
dafs  jede  vedische  Schule  auch  ein  Brähmana  besitzen  müsse. 
Daher  erklärt  sich  einerseits  die  grofse  Zahl  der  Brähmanas  und 
anderseits  der  Umstand,  dafs  manche  Werke  als  Brähmanas  be- 
zeichnet wurden,  die  weder  nach  ihrem  Inhalt  noch  nach  ihrem 
Umfang  diesen  Namen  verdienen,  und  die  zu  den  spätesten  Er- 
zeugnissen der  vedischen  Litteratur  gehören.  Von  der  Art  sind 
viele  sogenannte  » Brähmanas c  des  Sämaveda,  die  nichts  anderes 
als  Vedähgas')    sind,    ebenso    das    zum    Atharvaveda    gehörige 

')  Vgl  über  diese  S.  229  ff. 


—     166     — 

Gopatha-Brähmana,  Das  letztere  ist  eines  der  spätesten 
Werke  der  ganzen  vedischen  Litteratur.  Es  hat  offenbar  zum 
Atharvaveda  in  alter  Zeit  gar  kein  Brähmana  gegeben.  Erst 
eine  spätere  Zeit,  die  sich  einen  Veda  ohne  ein  Brähmana  nicht 
denken  konnte,  hat  dann  diese  Lücke  auszufüllen  versucht'). 

\''oa  den  alten  Brähmanas  seien  die  wichtigsten  hier  auf- 
gezählt. 

Zum  Rigveda  gehört  das  iVitareya-Brähmäna.  Es  be- 
steht aus- 40  Adhyäyas  oder  »Lektionen  <,  die  in  acht  Paficakas 
oder  »Fünftel«  eingeteilt  s-nd.  Die  Überlieferung  bezeichnet 
Mahidäsa  Aitareya  als  den  Verfasser  des  Werkes.  In  Wirklichkeit 
war  er  Vv'ohl  nui  der  Ordner  oder  Herausgeber  desselben.  Dieses 
Brähmana  behandelt  hauptsächlich  das  Somaopfer,  daneben  nur 
noch  das  Feueropfer  (Agnihotra)  und  das  Fest  der  Königsweihe 
(Rajasüya).  Man  vermutet,  dafs  die  letzten  zehn  Abschnitte 
jüngeren  Ursprungs  sind^. 

Mit  diesem  Brähmana  aufs  engste  verwandt  ist  das  ebenfalls 
zum  Rigveda  gehörige  Kausitaki-  oder  Sänkhäy  a  na-Bräh- 
mana,  aus  30  Adhyäyas  oder  -^Lektionen«  bestehend.  Die 
ersten  sechs  Adh)^äyas  behandeln  die  Speiseopfer  (Feueranlegung, 
Feueropfer,  Neu-  und  \  ollmond-^opfer  und  die  Jahreszeitenopfer), 
während  die  Abschnitte  VII  bis  XXX  in  ziemlicher  Überein- 
stimmung mit  dem  Aitareya- Brähmana  das  Somaopfer  behandeln'). 

Zum  Sämaveda  gehört  das  Tändya-Mahä  Brähmana. 
auch  Pancavimsa,  d.  h.  *das  aus  fünfundzwanzig  Büchern  be- 
stehende Brähmana«,  genannt.  Es  ist  dies  eines  der  ältesten 
Brähmanas  und  enthält  manche  wichtige  alte  Sagen,  Von  be- 
sonderem Interesse  sind  die  in  demselben  vorkommenden  Vrätya- 
stomas.  Opferzeremonien,  durch  welche  Angehörige  wildlebender, 
vermutlich  nicht-arischer  Stämme  in  die  Brahmanenkaste  auf- 
genommen wurden'').    Das  Sad vimsa-ßrähmana,  d.h.  ^das 

')  Ausführlich  handelt  über  das  Gopatha- Brahma^  M.  Bloomfield, 
The  Atharvaveda  ('Grundrifs«  II,  1 B)  S.  lOL-124. 

')  Herausgegeben  und  ins  Englische  übersetzt  von  Martin  Haug, 
Bombay  1863.  Eine  viel  bessere  Ausgabe  mit  Auszügen  aus  Säyapa 's 
Kommentar  '/on  Th.  Aufrecht,  Bonu  1879. 

5)  Herausgegeben  ist  das  Kausitaki  Brähmana  von  B.  Lindner. 
Jena  1887. 

*)  Weber,   Indische  Literaturgeschichte,    S.   73  f.,   beziehfdiese 


—     167     — 

sechsundzwanzigste  Brähmana«,  ist  blofs  eine  Ergänzung  zu  dem 
aus  fünfundzwanzig  Büchern  bestehenden  Tändya.  Der  letzte  Teil 
des  Sadvimsa  ist  das  sogenannte  »Adbhuta  -  Brähmana« ,  ein 
Vedängatext  über  Wunder  und  Vorzeichen.  Das  zum  Sämaveda 
gehörige  JaiminTya-Brähmana  ist  nur  teilweise   bekannt'). 

Das  Taittiriya-Brähmana,  das  zum  schwarzen  Yajur- 
veda  gehört,  ist  nichts  and.eres  als  eine  Fortsetzung  der  Taittirlya- 
Samhitä").  In  den  Samhitäs  des  schwarzen  Yajurveda  waren  ja 
die  Brähmanas  schon  eingeschlossen.  Das  Taittiriya-Brähmana 
enthält  daher  nur  spätere  Nachträge  zur  Samhitä.  Wir  finden 
hier  erst  den  Purusamedha,  das  symbolische  »Menschenopfer«^), 
beschrieben ;  und  dafs  dieses  Opfer  in  der  Samhitä  fehlt,  ist  einer 
der  vielen  Beweise  dafür,  dafs  dasselbe  erst  ein  ziemlich  spätes 
Erzeugnis  der  Opferwissenschaft  ist. 

Zum  weifsen  Yajurveda  gehört  das Öatapatha-Brähmana, 
»das  Brähmana  der  hundert  Pfade«,  so  genannt,  weil  es  aus 
hundert  Adhyäyas  oder  »Lektionen«  besteht.  Es  ist  dies  das 
bekannteste,  umfangreichste  und  ohne  Zweifel  auch  durch  seinen 
Inhalt  bedeutendste  aller  Brähmanas  ♦).  Wie  von  der  Väjasaneyi- 
Samhitä  gibt  es   auch   von   diesem  Brähmana   zwei  Rezensionen, 

Opfer  auf  '^ arische,  aber  nicht  brahmanisch  lebende  Inder«.  Die  Be- 
schreibung der  Vrätyas  pafst  aber  besser  auf  nicht-arische  Stämme, 
Vgl.  auch  oben  S.  130  und  Aufrecht,  Indische  Studien  I,  138  f. 

')  Eine  Ausgabe  des  Tändya -Mahä- Brähmana  erschien  in  der 
Bibliotheca  Indica,  Calcutta  1870—1874.  Ein  Stück  des  Sa^virnsa  hat 
Kurt  Klemm  herausgegeben  und  übersetzt  (Das  Sadvim^abrähraaija, 
mit  Proben  aus  Säyaijas  Kommentar  nebst  einer  Übersetzung,  I, 
Gütersloh  1894).  Das  Adbhuta -Brähmaija  hat  A.  Weber  heraus- 
gegeben und  übersetzt  in  der  Abhandlung  «Zwei  vedische  Texte  über 
Omina  und  Portenta«  (Abhandlungen  der  Berliner  Akademie  der 
Wissenschaften,  1858).  Teile  des  Jaiminiya-Brähmana  hat  Hans  Oe r tel 
im  XIV.,  XV.  und  XVIII.  Band  des  Journal  of  the  American  Oriental 
Society  bekannt  gemacht. 

^)  Eine  Ausgabe  erschien  in  der  Bibliotheca  Indica,  Calcutta 
1855-1890. 

3)  S.  oben  S.  152  f. 

*)  Herausgegeben  wurde  der  Text  von  A.  Weber  (The  White 
Yajurveda.  Part  IL  The  Qatapatha- Brähmana.  Berlin  and  London 
1855).  Eine  ausgezeichnete  englische  Übersetzung  mit  wichtigen  Ein- 
leitungen und  Anmerkungen  hat  Julius  Eggeling  in  fünf  Bänden 
gegeben  (Sacred  Books  of  the  East,  Vols.  12,  26,  41,  43  und  44). 


—     168     —  . 

die  der  Känvas  und  die  der  Mädhyandinas.  In  der  letzteren 
sind  die  hundert  Adhyäyas  auf  XIV  Bücher  (Kändas)  verteilt. 
Die  ersten  neun  Bücher  sind  geradezu  ein  fortlaufender  Kommentar 
zu  den  ersten  achtzehn  Abschnitten  der  Väjasaneyi-Samhitä.  Sie 
sind  entschieden  älter  als  die  fünf  letzten  Bücher.  Wahrschein- 
lich gehören  auch  die  Bücher  I  bis  V  enger  zusanunen.  In  ihnen 
wird  Yäjnavalkya,  der  am  Ende  des  XIV.  Buches  als  der 
Verkünder  des  ganzen  Satapatha-Brähmana  bezeichnet  wird,  oft 
als  der  Lehrer  genannt,  dessen  Autorität  mafsgebend  ist.  Hin- 
gegen wird  in  den  Büchern  VI  bis  IX,  welche  die  Feueraltar- 
schichtung (Agnicayana)  behandeln,  Yäjfiavalkya  gar  nicht  genannt. 
Statt  dessen  wird  ein  anderer  Lehrer,  Sändilya,  als  Autorität 
angeführt;  -und  derselbe  Sändilya  gilt  auch  als  der  Verkünder 
des  Agnirahasya,  d,  h.  des  »Feueraltarmysteriums«:,  welches  den 
Inhalt  des  X.  Buches  bildet.  Die  Bücher  XI  bis  XIV  enthalten 
aufser  Nachträgen  zu  den  vorhergehenden  Büchern  auch  einige 
interessante  Abschnitte  über  Gegenstände,  die  sonst  nicht  in  den 
Brähmanas  behandelt  werden,  so  über  das  Upanayana,  die 
Schülerweihe  oder  die  Einführung  des  Schülers  beim  Lehrer,  der 
ihn  in  den  heiligen  Texten  unterrichten  soll  (XI,  5,  4),  über  das 
tägliche  Vedastudium  (svädhyä5^a) ') ,  welches  als  ein  Opfer 
an  Gott  Brahman  aufgefafst  wird  (XI,  5,  6 — 8),  und  über  die 
Leichenzeremonien  und  die  Errichtung  eines  Grabhügels 
(XIII,  8).  Das  Pferdeopfer  (Asvamedha),  das  »Menschenopfer« 
(Purusamedha)  und  das  >. Allopfer«  (Sarvamedha)  werden  im 
XIII.  und  die  Pravargya Zeremonie  im  XIV.  Buche  behandelt. 
Den  Schlufs  dieses  umfangreichen  Werkes  bildet  die  alte  und 
wichtige  Brhadäranyaka-Upanisad ,  die  wir  im  nächsten  Kapitel 
kennen  lernen  werden. 

Der  Unterschied  zwischen  den  Brähmanas,  die  zu  den  ein- 
zelnen Vedas  gehören,  besteht  hauptsächlich  darin,  dafs  die  Bräh- 
manas des  Rigveda  bei  der  Darstellung  des  Rituals  das  hervor- 
heben, was  für  den  Hotarpriester,  der  die  Verse  und  Hymnen  des 
Rigveda  zu  rezitieren  hat,  von  Wichtigkeit  ist,  während 
die  Brähmanas  des  Sämaveda  sich  vor  allem   mit  den  Obliegen- 


')  Das  "Lernen«  oder  Rezitieren  des  Veda  als  eine  religiöse 
Pflicht  bei  den  Indern  hat  eine  genaue  Parallele  in  dem  Thoralesen 
oder  »Lernen*  der  Juden. 


-     169      - 

heilen  des  Udgätar  und  die  des  Yajurveda  mit  den  vom  Adhvaryu 
zu  vollziehenden  Opferhandlungen  beschäftigen.  Ihrem  wesent- 
lichen Inhalte  nach  stimmen  aber  die  Brähmanas  so  ziemlich  alle 
miteinander  überein.  Es  sind  im  Grunde  immer  dieselben  Gegen- 
stände, welche  da  behandelt  werden;  und  der  Charakter  aller 
dieser  Werke  trägt  ein  und  dasselbe  Gepräge.  Es  ist  dies  um 
so  auffälliger,  als  wir  doch  gezwungen  sind,  einen  Zeitraum  von 
mehreren  Jahrhunderten  für  die  Entstehung  und  Ausbreitung 
dieser  Litteratur  anzunehmen.  Wenn  wir  der  Überlieferung 
glauben  dürften,  welche  in  den  sogenannten  Vamsas*)  oder 
»Genealogien«  Lehrerstammbäume  mit  50  bis  6Ö  Namen  aufführt, 
so  würde  nicht  einmal  ein  Jahrtausend  genügen,  um  alle  die 
Generationen  von  Lehrern,  deren  Namen  genannt  werden,  unter- 
zubringen. Diese  Genealogien  haben  zwar  den  Zweck,  den  Ur- 
sprung der  Opferlehre  auf  irgendeine  Gottheit  —  Brahman,  Prajä- 
pati  oder  die  Sonne  —  zurückzuführen,  aber  sie  enthalten  auch 
so  viele  Namen,  welche  durchaus  den  Anschein  von  echten 
Familiennamen  haben,  dafs  es  schwer  ist,  sie  für  ganz  und  gar 
erfunden  zu  halten.  Aber  selbst  wenn  wir  von  diesen  Lehrer- 
listen ganz  absehen,  so  bleiben  doch  noch  immer  die  zahlreichen 
Namen  von  Lehrern,  welche  in  den  Brähmanas  selbst  als  Autori- 
täten angeführt  werden,  und  es  bleibt  die  Tatsache,  dafs  die 
Sammler  und  Ordner  der  Brähmanas  die  Anfänge  der  in  ihnen 
niedergelegten  Opferwissenschaft  in  eine  unendlich  ferne  Ver- 
gangenheit verlegen.  Aber  auch  diese  Opferwissenschaft  selbst 
erfordert  Jahrhunderte  zu  ihrer  Entwicklung. 

Wenn  wir  aber  fragen,  in  welche  Zeit  wir  diese  Jahrhunderte 


')  Zum  Sämaveda  gibt  es  ein  eigenes  sogenanntes  »Brähma^a', 
das  Vamsa-Brähmana ,  welches  nur  eine  solche  Liste  von  53  Lehrern 
enthält,  deren  letzter,  Kasyapa,  die  Tradition  von  Gott  Agni  erhalten 
haben  soll.  Im  Satapatha-Brähma^a  gibt  es  vier  verschiedene  Vamsas. 
Die  am  Schlüsse  des  Werkes  gegebene  beginnt  mit  den  Worten:  »Wir 
haben  dies  vom  Sohn  der  Bhäradväjl,  der  Sohn  der  Bhäradväji  vom 
Sohn  der  Vätsimändavl"  u.  s.  w.  Es  folgen  dann  noch  40  Lehrer,  alle 
nur  mit  ihren  Mutternamen.  Erst  als  der  45.  in  der  Liste  erscheint 
Yäjfiavalkya,  als  dessen  Lehrer  der  aus  den  Upanisads  bekannte 
Uddälaka  genannt  wird.  Der  letzte  (55.)  menschliche  Lehrer  ist 
Kasyapa  Naidhfuvi,  welchem  das  Brähraaija  von  der  Väc  (der  Göttin 
der  Rede)  offenbart  worden  sein  soll.  Diese  soll  es  von  Ambhrni  (der 
l>)nnerstimme)  und  diese  von  Aditya  (der  Sonne)  erhalten  haben. 


—     170    — 

der  Entwicklung  der  Brähmanalitteratur  zu  versetzen  haben,  so 
kann  von  irgendwelchen  bestimmten  Jahreszahlen  ebensowenig 
die  Rede  sein  wie  bei  der  Bestimmung  der  Zeit  der  Samhitäs. 
Sicher  ist  nur,  dafs  die  Samhitä  des  Rigveda  bereits  abgeschlossen 
war  und  die  Hymnendichtung  schon  einer  längst  vergangenen 
Vorzeit  angehörte,  als  man  begann,  die  Gebete  und  Opfer  zum 
Gegenstand  einer  besonderen  »Wissenschaft«  zu  machen.  Sicher 
ist  es  wohl  auch ,  dafs  die  grofse  Mehrzahl  der  Zauberlieder, 
Sprüche  und  Formeln  des  Atharvaveda  und  des  Yajurveda 
sowie  die  Sangweisen  des  Sämaveda  um  vieles  älter  sind  als  die 
Spekulationen  der  Brähmanas.  Hingegen  ist  es  wahrscheinlich, 
dafs  die  endgültige  Zusammenstellung  der  Samhitä  des 
Atharvaveda  und  der  liturgischen  -Samhitäs  mit  den  Anfängen 
der  Brähmanalitteratur  ungefähr  gleichzeitig  war,  so  dafs  die 
jüngsten  Bestandteile  dieser  Sarnhitäs  mit  den  ältesten  Bestand- 
teilen der  Brähmanas  der  Zeit  nach  zusammenfallen  dürften. 
Wenigstens  deuten  darauf  die  geographischen  und  kulturellen 
Verhältnisse  hin,  wie  sie  sich  uns  in  den  Samhitäs  des  Atharvaveda, 
Sämaveda  und  Yajurveda  einerseits  und  den  Brähmanas  ander- 
seits im  Vergleich  zu  denen  des  Rigveda  darstellen.  Wir  haben 
gesehen,  wie  sich  schon  in  der  Zeit  der  Atharvaveda -Sarnhitä 
die  arischen  Stämme  vom  Induslande,  der  Heimat  des  Rigveda, 
weiter  nach  Osten  in  das  Gebiet  des  Ganges  und  der  Jamnä 
ausgebreitet  hatten.  Das  Gebiet,  auf  welches  uns  die  Samhitäs 
des  Yajurveda  sowohl  wie  alle  Brähmanas  hinweisen,  ist  das 
Land  der  Kurus  und  Paiicälas,  jener  beiden  Volksstämme, 
deren  gewaltige  Kämpfe  den  Kern  des  grofsen  indischen  Epos, 
des  Mahäbhärata,  bilden.  Insbesondere  gilt  Kur uksetra,  »das 
Land  der  Kurus< ,  als  ein  heiliges  Land ,  in  welchem  —  wie  es 
oft  heifst  —  die  Götter  selbst  ihre  Opferfeste  feierten.  Dieses 
Land  Kijruksetra  lag  zwischen  den  beiden  kleinen  Flüssen  Sara- 
svati  und  Drsadvati  in  der  Ebene  westlich  von  Ganges  und  Jamnä; 
und  das  benachbarte  Gebiet  der  Paficälas  zog  sich  von  Nordwesten 
nach  Südosten  zwischen  Ganges  und  Jamnä  hin.  Dieser  Teil 
Indiens,  das  Doab  zwischen  Ganges  und  Jamnä  von  der  Gegend 
von  Delhi  bis  nach  Mathurä,  gilt  noch  in  späterer  Zeit  als  das 
eigentliche  »Brahmanenland«  (Brahmävarta) ,  dessen  Sitten  und 
Bräuche  nach  den  brahmanischen  Gesetzbüchern  für  ganz  Indien 
mafsgebend  sein  sollen.  Es  ist  dies  Gebiet  nicht  nur  das  Entstehungs- 


~     171     — 

land  der.  Samhitäs  des  Yajurveda  und  der  Biähmanas,  sondern 
auch  das  Stammland  der  ganzen  brahmanischen  Kultur,  die  sich 
von  hier  aus  erst  ttber  ganz  Indien  verbreitet  hat. 

Die  religiösen  und  sozialen  Verhältnisse  haben  sich  seit  der 
Zeit  des  Rigveda  sehr  verändert.     Wie   im  Atharvaveda   so  er- 
scheinen wohl  auch  noch  in  den  Yajurveda-Samhitäs  und  in  den 
Brähmanas  die  allen  Götter  des  Rigveda.    Aber  in  ihrer  Bedeutung 
sind  sie  ganz  verblafsl,   und  alle  Macht,   die   sie   besitzen,    ver- 
danken sie  einzig  und   allein   dem  Opfer.     Auch   treten  manche 
Götter,  die  im  Rigveda  noch  eine  untergeordnete  Rolle  spielen,  in  den 
liturgischen  Sarnhitäs  und  in  den  Brähmanas  viel  stärker  hervor, 
so  Visnu  und  insbesondere  Rudra   oder  §iva.     Von   gröfster 
Bedeutung  ist  nun  auch  Prajäpati,   .; der  Herr  der  Geschöpfe <;, 
der  als  der  Vater  sowohl    der  Götter  (Devas)    als   der  Dämonen 
(Asuras)   gilt.     Das   Wort    Asura,   welches   im  Rigveda    noch, 
dem  avestischen  Ahura  entsprechend,   d»e  Bedeutung  ;>Gott«  hat 
und  oft  als  Beiname  des  Gottes  Varuna  vorkommt,  hat  nunmehr 
die  Bedeutung  »Dämon«,  die  es  im  späteren  Sanskrit  immer  hat, 
und  von   den  Kämpfen    zwischen  Devas   und  Asuras   ist   in   den 
Brähmanas  oft   und   oft   die   Rede.     Doch   haben    diese   Kämpfe 
nichts    Titanenhaftes    an    sich,    wie    etwa    der    Kampf    zwischen 
Indra    imd  Vrtra    im   Rigveda,    sondern   die  Götter   und  Asuras 
bemühen  sich,  durch  Opfer  einander  zu  übertrumpfen.     Denn  in 
diesen    Brähmanas   müssen    tatsächlich   auch    die   Götter    opfern, 
wenn  sie  es  zu  etwas  bringen  wollen.    Und  nichts  ist  bezeichnender 
für  die  Brähmanas  als   die   ungeheure  Bedeutung,   welche   dem 
Opfer  zugeschrieben  wird.     Das  Opfer   ist   hier   nicht   mehr   ein 
Mittel  zum  Zweck,   sondern  es  ist  Selbstzweck,   ja,  der  höchste 
Zweck  des  Daseins.    Das  Opfer  ist  auch  eine  alles  überwältigende 
Macht,   ja,  eine  schöpferische  Naturkraft.     Darum  ist  das  Opfer 
auch  mit  Prajäpati,  dem  Schöpfer,  identrsch.     »Prajäpati   ist   das 
Opfer,«    lautet  ein  oft   wiederholter  Satz   der  Brähmanas.     »Die 
Seele  aller  W^sen,  aller  Götter  ist  dies,  das  Opfer.«     »Wahrlich, 
wer  sich  zum  Opfer  weiht,  der  weiht  sich  für  das  All.  denn  erst  auf 
das  Opfer  folgt  das  AU;    indem  er   die  Vorbereitungen    zu   dem 
Opfer  trifft,  für  weiches  er  sich  weiht,  schafft  er  aus  sich  heraus 
das  All«  ■)    Und  ebenso   wunderkräftig  und   bedeutungsvoll   ist 

')  §at.  XIV.  3.  2,  1.    III,  6,  3.  1. 


—     172     — 

alles,  was  mit  dem  Opfer  zusammenhängt,  die  Opfergeräte  nicht 
minder  als  die  Gebete  und  F'ormeln,  die  Verse  und  ihre  Metren, 
die  Gesänge  und  ihre  Melodien.  Jede  einzelne  Opferhandlung 
wird  mit  gröfster  Umständlichkeit  behandelt ;  den  geringfügigsten 
Umständen,  den  nebensächlichsten  Details  wird  eine  ungeheure 
Wichtigkeit  zugeschrieben.  Ob  eine  Handlung  nach  links  oder 
nach  rechts  hin  zu  geschehen  hat,  ob  ein  Topf  an  diese  oder 
jene  Stelle  des  Opferplatzes  gestellt  wird,  ob  ein  Grashalm  mit 
der  Spitze  nach  Norden  oder  nach  Nordosten  hingelegt  werden 
soll,  ob  der  Priester  vor  oder  hinter  das  Feuer  tritt,  nach  welcher 
Himmelsgegend  er  das  Gesicht  gewandt  haben  mufs,  in  wie  viele 
Teile  der  Opferkuchen  zu  zerlegen  ist,  ob  die  Butter  in  die 
nördliche  oder  in  die  südliche  Hälfte  oder  in  die  Mitte  des  Feuers 
gegossen  werden  soll,  in  welchem  Augenblick  die  Hersagung 
irgendeines  Spruches,  die  Absingung  irgendeines  Liedes  zu  er- 
folgen hat  ^),  —  das  sind  Fragen,  über  welche  Generationen  von 
Meistern  der  Opferkunst  nachgedacht  haben,  und  die  in  den 
Brähmanas  aufs  eingehendste  behandelt  werden.  Und  von  der 
richtigen  Kenntnis  all  dieser  Details  hängt  das  Wohl  und  Wehe 
des  Opferers  ab.  »Das,  ja  das  sind  die  Wälder  und  Wüsteneien 
des  Opfers,  die  Hunderte  und  Hunderte  von  Wagentagereisen  er- 
fordern; und  die  sich  als  Unwissende  in  sie  hineinbegeben,  denen 
ergeht  es  wie  törichten  Leuten,  die,  in  der  Wildnis  umherirrend, 
von  Hunger  und  Durst  geplagt,  von  Bösewichten  und  Unholden 
verfolgt  werden.  Die  Wissenden  aber  begeben  sich,  gleichwie 
v.on  einem  Flufslauf  zum  andern,  von  einer  gefahrlosen  Stelle 
zur  andern,  von  Gottheit  zu  Gottheit;  sie  erlangen  das  Heil,  die 
Himmelswelt.«'')     »Die  Wissenden«  aber,   die  Führer  durch  die 


')  Eggeling  (Sacred  Books  of  the  East,  Vol.  XII,  p.  X)  erinnert 
daran,  dafs  auch  bei  den  alten  Römern  die  Pontifices  gerade  dadurch 
zu  Macht  und  Einflufs  gelangten,  dafs  sie  allein  sich  auf  alle  die  kleineu 
und  doch  für  ungeheuer  wichtig  erklärten  Details  des  Opferzeremoniells 
verstanden.  Es  ist  im  alten  Rom  vorgekommen,  dafs  ein  Opfer  dreifsig- 
mal  wiederholt  werden  mufste,  weil  irgendein  kleiner  Fehler  bei  einer 
Zeremonie  begangen  ward ;  und  auch  im  alten  Rom  galt  eine  Zeremonie 
für  null  und  nichtig,  wenn  ein  Wort  falsch  ausgesprochen  oder  eine 
Handlung  nicht  ganz  richtig  vollzogen  war,  oder  wenn  die  Musik  nicht 
im  richtigen  Moment  zu  spielen  aufhörte.  Vgl.  Marquardt-Mommsen, 
Handbuch  der  römischen  Altertümer,  VI,  S.  172,  174,  213. 

')  Sat.  XII,  2,  3,  12. 


-     173    — 

Wildnis  der  Opferkunst,  sind  die  Priester,  und  es  ist  kein  Wunder, 
dafs  die  Ansprüche  der  Priesterkaste  —  denn  von  einer 
solchen  müssen  wir  jetzt  sprechen,  da  das  Kastenwesen  bereits 
vollständig  ausgebildet  ist  —  in  den  Brähmanas  (wie  ja  schon 
in  einigen  Teilen  des  Atharvaveda)  alles  Mafs  übersteigen.  Nun- 
werden die  Brahmanen  offen  für  Götter  erklärt.  >Ja,  die  leib- 
haftigen Götter  sind  sie,  die  Brahmanen.«  ')  Und  deutlich  genug 
drückt  sich  ein  Brähmana  aus: 

»Zweierlei  Götter  gibt  es  fürwahr,  nämlich  die  Götter  sind  die 
Götter,  und  die  gelehrten  und  lernenden*)  Brahmanen  sind  die  Menschen- 
götter. Zwischen  diesen  beiden  ist  das  Opfer  geteilt:  die  Opferspendea 
sind  für  die  Götter,  die  Geschenke  (Daksii?äs)  für  die  Menschengötter, 
die  gelehrten  und  lernenden  Brahmanen;  durch  Opferspenden  erfreut 
er  die  Götter,  durch  Geschenke  die  Menschengötter,  die  gelehrten  und 
lernenden  Brahmanen ;  diese  beiden  Arten  von  Göttern  versetzen  ihn, 
wenn  sie  befriedigt  sind,  in  die  Seligkeit  des  Himmels.«  ^) 

Vier  Pflichten  hat  der  Brahmane:  brahmanische  Abkunft, 
dementsprechendes  Betragen,  Ruhm  (durch  Gelehrsamkeit)  und 
»Reifmachung  der  Menschen«  (d.  h.  Darbringung  von  Opfern, 
durch  welche  ,die  Menschen  für  das  Jenseits  reif  gemacht  werden). 
Aber  auch  die  3>reifgemachten^  Menschen  haben  vier  Pflichten 
gegen  die  Brahmanen :  Sie  müssen  ihnen  Ehre  bezeigen,  Geschenke 
geben,  dürfen  sie  nicht  bedrücken  und  nicht  töten.  Das  Eigentum 
eines  Brahmanen  darf  vom  König  unter  keinen  Un^ständen  an- 
getastet werden;  und  wenn  ein  König  sein  ganzes  Land  mit  allem, 
was  darin  ist,  als  Opferlohn  an  die  Priester  verschenkt,  so  ist 
doch  immer  das  Eigentum  von  Brahmanen  eo  ipso  ausgenommen. 
Wohl  kann  der  König  auch  einen  Brahmanen  unterdrücken,  aber 
wenn  er  es  tut,  ergeht  es  ihm  schlecht.  Bei  der  Königsweihe 
sagt  der  Priester :  »Dieser  Mann,  ihr  Leute,  ist  euer  König ;  Soma 
ist  der  König  von  uns  Brahmanen,«  wozu  das  Satapatha-Brähmana 
bemerkt:  »Durch  diese  Formel  macht  er  dieses  ganze  Volk  zur 
Speise  für  den  König  ••) ;  den  Brahmanen  allein  nimmt  er  aus :  darum 
darf  der  Brahmane  nicht  zur  Speise  ausgenützt  werden;  denn  er 

')  Taittirlya-Samhitä  1,  7,  3,  1. 

*)  Wörtlich:  »die  gehört  haben,  und  die  (das  Gehörte)  nachsagen« 
(rezitieren). 

^)  ^at.  II,  2,  2,  6;  IV,  3,  4,  4. 

♦)  D.  h.  der  König  lebt  vom  Volk,  das  ihm  Steuern   geben   mufs. 


—     174     — 

hat  den  Soma  zum  König. c  ')  Nur  ein  Brahmanenmord  ist 
wirklicher  Mord.  In  einem  Streit  zwischen  einem  Brahmanen 
und  einem  Nichtbrahmanen  mufs  der  Schiedsrichter  immer  dem 
Brahmanen  rechtgeben,  denn  dem  Brahmanen  darf  nicht  wider- 
sprochen werden  ').  Alles,  was  aus  irgendeinem  Cirunde  tabu  ist, 
was  man  nicht  anrühren  darf,  sonst  nicht  verwenden  kann,  wie 
z.  B.  die  steinernen  und  irdenen  Gefäfse  eines  Verstorbenen  oder 
eine  für  die  Agnihotramilch  bestimmte  Kuh,  die  störrisch  oder 
krank  wird,  mufs  dem  Brahmanen  gegeben  werden,  namentlich 
auch  Opferreste  und  Speisen,  die  für  andere  tabu  sind,  denn  »dem 
Bauch  eines  Brahmanen  schadet  nichts«  ^). 

So  kommt  es  schliefslich  dahin,  dafs  der  Brahmane  nicht 
mehr  ein  »Menschengott«  neben  den  himmlischen  Göttern  ist, 
sondern  dafs  er  sich  über  die  Götter  erhebt.  Schon  im  Satapatha- 
Brähmana")  heifst  es:  vDer  von  einem  Ksi  stammende  Brahmane 
fürwahr  ist  alle  Gottheiten,«  d.h.  in  ihm  sind  alle  Gottheiten 
verkörpert.  Diese  Überhebung  der  Priester,  die  ims  in  den 
Brähmanas  in  ihren  Anfängen  entgegentritt,  ist  nicht  nur  kultur- 
historisch als  ein  Beispiel  von  Priesterüberhebung  von  gröfstem 
Interesse,  sondern  sie  ist  auch  die  Vorstufe  einer  Erscheinung, 
die  wir  durch  das  ganze  indische  Altertum  verfolgen  können,  und 
die  —  meine  ich  —  tief  im  Wesen  des  indogermanischen  Geistes 
begründet  ist.  Während  z.  B.  der  hebräische  Dichter  .sagt :  >Was 
ist  der  Mensch,  dafs  du  sein  gedenkest,  und  der  Menschensohn, 
dafs  du  dich  seiner  annimmst!  und  hinzufügt:  »Der  Mensch 
gleicht  dem  Nichts,^'  hat  ein  griech  i  scher  Dichter  das  grofse 
Wort  gesprochen:  > Viel  des  Gewaltigen  gibt's,  doch  das  Ge- 
waltigste ist  der'  Mensch.«-  Und  ein  deutscher  Dichter  —  der- 
selbe, der  den  Übermenschen  5)  Faust  geschaffen,    der  ungestüm 

')  Öat.  XI,  5,  7,  1.    XIII,  5,  4.  24.    XIII,  1,  5,  4.    V,  4,  2,  3. 
»)  Sat.  XIII,  3,  5,  3.    Taittirlya-Samhitä  II,  5,  11,  9. 
3)  Taittiriya-Samhitä  II,  6,  8,  7.    Vgl.  Goethe,  Faust: 
"Die  Kirche  hat  einen  guten  Magen, 
Hat  ganze  Länder  aufgefressen 
Und  doch  noch  nie  sich  übergessen.'^ 
^)  XII,  4,  4,  6.    Später  heifsl  es  im  Gesetzbuch  des  Manu:   »Ein 
Brahmane,  sei  er  gelehrt  oder  ungelehrt,  ist  eine  grofse  Gottheit,»  und 
gleich  darauf:   »Der  Brahmane  ist  die  höchste  Gottheit.«    (Manu  IX, 
317,  319.) 

5)  »Welch  f-rbärmbch  Grauen  fafst  Übermenschen  dich!« 


—     175    — 

an  die  Tore  der  Geisterwelt  pocht  —  hat  das  Lied  von  Prometheus 
gesungen,  der  den  Göttern  zuruft: 

»Ich  kenne  nichts  Ärmeres 

Unter  der  Sonn',  als  euch.  Götter!' 

Und  in  Indien  sehen  wir,  wie  schon  in  den  Brähmanas  der 
Priester  sich  durch  das  Opfer  über  die  Götter  erhebt;  in  den 
Epen  lesen  wir  zahllose  Geschichten  von  Asketen,  die  durch 
Askese  solche  Übermacht  erlangen,  dafs  die  Götter  auf  ihren 
Thronen  erzittern.  Und  im  Buddhismus  gar  sind  die  Himmlischen 
samt  dem  Götterfürsten  Indra  zu  recht  imbedeutenden  Wesen 
zusammengeschrumpft,  die  sich  von  gewöhnlichen  Sterblichen 
nur  dadurch  unterscheiden,  dafs  sie  etwas  besser  situiert  sind,  — 
aber  auch  nur  so  lange,  als  sie  fromme  Buddhisten  bleiben ;  und  un- 
endlich hoch  über  diesen  Göttern  steht  nicht  nur  der  Buddha  selbst, 
sondern  jeder  Mensch,  der  durch  Liebe  zu  allen  Wesen  und 
durch  Weltentsagung  zum  Arhat  oder  Heiligen  geworden. 

So  bereitet  sich  schon  in  den  Brähmanas  jene  grofse  Be- 
wegung vor,  welcher  der  Buddhismus  seinen  Ursprung  verdankt. 
Denn  daran  ist  nicht  zu  zweifeln,  dafs  die  alten  und  echten 
Brähmanas  der  vorbuddhistischen  Zeit  angehören.  Während  sich 
in  den  Brähmanas  nicht  die  geringste  Spur  einer  Bekanntschaft 
mit  dem  Buddhismus  zeigt '),  setzen  die  buddhistischen  Texte  das 
Vorhandensein  einer  Brähmanalitteratur  voraus.  Wir  können 
daher  mit  gutem  Grunde  sagen,  dafs  die  Jahrhunderte,  in  denen 
die  liturgischen  Sarnhitäs  und  die  Brähmanas  entstanden  sind,  in 
die  Zeit  nach  dem  Abschlufs  der  Hymnendichtung  und  der 
Rigveda-Sarnhitä  und  vor  dem  Auftreten  des  Buddhismus  fallen 
müssen. 

Was  nun  den  eigentlichen  Inhalt  dieser  Werke  anbelangt, 
so  werden  einige  Beispiele  dem  Leser  am  besten  eine  Vorstellung 
davon  geben.  Die  Inder  selbst  pflegen  den  Inhalt  der  Brähmanas 
unter  zwei  Hauptkategorien  unterzubringen,  die  sie  Vidhi  und 
Arthaväda  nennen.  Vidhi  heifst  »Regel,  Vorschrift«,  Artha- 
väda  > Sinneserklärung«.     Die  Brähmanas  geben  nämlich   zuerst 

')  Es  ist  bezeichnend,  dafs  in  der  Liste  von  Menschenopfern  in 
der  Väjasaneyi-Samhitä  XXX  (vgl.  oben  S.  152)  weder  von  Mönchen 
oder  Nonnen  noch  überhaupt  von  Buddhisten  die  Rede  ist.  Und  doch 
ist  diese  Liste  wahrscheinlich  jünger  als  die  ältesten  Brähmanas. 


—     176    — 

Regeln  für  die  Vollziehung  der  einzelnen  Zeremonien,  und  daran 
knüpfen  sich  dann  die  Erklärungen  und  Auseinandersetzungen 
über  den  Zweck  und  Sinn  der  Opferhandlungeii  und  Gebete.  So 
beginnt  z.  B.  das  Satapatha-Brähmana  mit  den  ^^oröchriften  über 
das  Enthaltsamkeitsgelübde ,  welches  der  Opferer  am  Tage  vor 
dem  Neu-  und  .Vollmondsopfer  auf  sich  nehmen  mufs.  Da  heifst 
es  (Öat.  I,   1,   1,  .1): 

«Derjenige,  welcher  ein  Gelübde  auf  sich  zu  nehmen  im  Begriff 
ist,  taucht  seine  Hand  in  Wasser,  indem  er  mit  dem  Gesicht  gegen 
Osten  gewandt  zwischen  dem  Opferfeuer  und  dem  Hausfeuer  steht. 
Der  Grund,  weshalb  er^  die  Hand  in  Wasser  taucht,  ist  folgender: 
Unrein  ist  ja  der  Mensch,  weil  er  Unwahrheit  spricht;  darum  vollzieht 
er  eine  innerliche  Reinigung;  opferrein  ist  ja  das  W^asser.  Er  denkt: 
, Nachdem  ich  opferrein  geworden,  will  ich  das  Gelübde  auf  mich 
nehmen.'  Ein  Reinigungsmittel  aber  ist  ja  das  Wasser.  ,Mit  dem 
Reinigungsmittel  gereinigt,  will  ich  das  Gelübde  auf  mich  nehmen,' 
denkt  er;  und  darum  taucht  er  seine  Hand  in  Wasser." 

An  solche  einfache  Erklärungen  knüpfen  sich  oft  Erörterungen 
der  Ansichten  verschiedener  Lehrer  über  irgendeine  Frage  des 
Rituells.  So  wird  hier  die  vStreitfrage  aufgeworfen,  ob  man  bei 
Übernahme  des  in  Rede  stehenden  Gelübdes  fasten  solle  oder 
nicht,  und  es  heifst  (.^at.  I,   1,  1,  7—9): 

»Nun,  was  das  Essen  oder  Fasten  anbelangt,  so  ist  Äsädha 
Sävayasa  der  Meinung,  dafs  das  Gelübde  eben  im  Fasten  bestehe. 
Denn,  sagt  er,  die  Götter  kennen  ja  doch  die  Absicht  des  Menschen. 
Sie  wissen,  dafs  derjenige,  welcher  dieses  Gelübde  auf  sich  nimmt, 
ihnen  am  nächsten  Morgen  opfern  wird.  So  begeben  sich  denn  alle 
Götter  in  sein  Haus;  sie  wohne"n  bei  ihm  (upa  vasanti)  in  seinem  Hause; 
darum  ist  dieser  Tag  ein  Upavasatha  (d.  h.  »Fasttag«).  Nun  wäre 
es  doch  gewifs  unpassend,  wenn  einer  essen  würde,  bevor  die  Menschen 
(die  als  Gäste  in  sein  Haus  gekommen  sind)')  gegessen  haben;  um 
wie  viel  mehr  (wäre  es  unpassend),  v/enn  er  essen  würde,  bevor  die 
Götter  (die  in  seinem  Hause  als  Gäste  wohnen)  gegessen  haben.  DarQm 
soll  er  keinesfalls  essen.  Anderseits  aber  sagt  Yäjüavalkya:  Wenn  er 
nicht  ifst,  so  benimmt  er  sich  als  ein  Manenverehrer-);  wenn  er  aber  ifst,  so 

')  Die  eingeklammerten  Sätze  sind  aus  dem  Zusammenhange  er- 
gänzt. Es  ist  unmöglich,  im  Deutschen  das  Original  genau  wieder- 
zugeben, ohne  solche  Ergänzungen  einzufügen.  Die  Brähmanas  sind 
nämlich  nicht  für  Leser  geschrieben,  sondern  zu  Hörern  ge- 
sprochen, daher  vieles  ausgelassen  ist,  was  der  Sprechende  durch 
Betonung  einzelner  Worte,  Handbewegungen  u.  dgi.  ausdrücken  kann. 

-)  Weil  bei  Manenopfern  Fasten  vorgeschrieben  ist. 


-__     177     -- 

beleidigt  er  die  Götter  durch  das  Vorheressen-,  darum  soll  er  etwas  essen 
was,  wenn  es  gegessen  wird,  als  nicht  gegessen  gilt.  Das  aber,  wovon 
man  keine  Opferspeise  nimmt,  gilt,  selbst  wenn  es  gegessen  wird,  als 
nicht  gegessen.  Durch  solche  Speise  wird  er  einerseits  nicht  ein 
Manen  Verehrer,  und  anderseits  beleidigt  er,  wenn  er  etwas  ifst,  wovon 
man  keine  Opterspeise  nimmt,  nicht  die  Götter  durch  das  Vorheressen. 
Darum  esse  er  nur,  was  im  Walde  wächst,  sei  es  VVaJdkiäuter  oder 
Raumfrucht.« 

Etymologien,  wie  die  von  Upavasjitha  in  der  eben 
zitierten  Stelle,  sind  in  den  Brähmanas  ungemein  häufig.  Dabei 
gilt  es  als  ein  besonderer  Vorzug,  wenn  eine  Etymologie  nicht 
ganz  genau  stimmt,  deiut  »die  Götter  lieben  das  Versteckte«, 
So  wird  z.  B.  der  Name  des  Gottes  Indra  von  indh,  »anzünden c^, 
abgeleitet  und  gesagt:  er  heilst  also  eigentlich  Indh a,  und  man 
nennt  ihn  »Indra«  blofs  deshalb,  weil  die  Götter  das  Versteckte 
lieben.  Oder  es  wird  das  Wort  ulükhala,  welches  .^) Mörser <; 
bedeutet,  von  uru  karat,  »er  mache  weit«,  abgeleitet  und  ulü- 
khala als  eine  mystische  Bezeichnung  für  urukara  erklärt'). 
Ebenso  wie  das  Etymologisieren  spielt  in  den  Brähmanas  noch 
mehr  als  in  den  Yajurveda-Samhitäs^)  das  Identifizieren 
und  Symbolisieren  eine  grofse  Rolle,  wobei  die  ungleich- 
artig.sten  Dinge  zusammengestellt  und  zuemander  in  Beziehung 
gebracht  weiden.  Auf  jeder  Seite  der  Brähmanas  finden  wir  Aus- 
einandersetzungen wie  die  folgenden: 

»Paarweise  holt  er  die  Opfergeräte  herbei,  und  zwar:  Sieb  und 
Feueropferlöffel,  Holzmesser  und  Schüsselchen,  Keil  und  Antilopenfell, 
Mörser  und  Stöfsel,  grofsen  und  kleinen  Mahlstein  Das  sind  zehn. 
r>enn  aus  zehn  Silben  besteht  das  Metrum  Viräj;  viräj  (d  h.  »glän- 
zend«) ist  aber  auch  das  Opier;  dadurch  eben  macht  er  das  Opfer  der 
Viräj  ähnlich.  Paarweise  aber  holt  er  sie  deshalb,  weil  ja  doch  ein 
Paar  Kraft  bedeutet;  wo  zwei  etwas  unternehmen,  ua  ist  nämlich  Kraft 
dabei.  Ein  Paar  stellt  aber  auch  Paarung  und  Fortpflanzung  dar;  so 
wird  also  (durch  das  paarweise  Herbeiholen  der  Opfergeräte)  Paarung 
und  Fortpflanzung  befördert.«    (Sal.  1,  1,  1,  22.) 

"Das  Opfer  fürwahr  ist  der  Men.sch.  Und  zwar  ist  das  Opfer 
deshalb  der  Mensch,  weil  der  Mensch  es  (auf  dem  Opferplatze)  aus- 
breitet-, und  indem  es  ausgebreitet  wird,  wird  es  genau  so  grofs  ge- 
macht ,  wie  der  Mensch  ist ').     Darum  ist  das  Opfer  der  Mensch.    Zu 

')  Sat.  VI,  1,  1,  2.    VIl,  5,  1,  22.    Vgl.  oben  S.  161. 
»)  Siehe  oben  S.  158. 

3)  Weil  beim  Ausmessen  des  Opferplalzes solche  Mafse  wie  »Mannes- 
länge-,  »Armlänge",  »Spanne«  u.  dgl.  verwendet  werden. 

Wirlcrnit/  ,  (»esihirbte  der  indisrhen  Litteratur.  12 


-•    178    — 

diesem  (menschengleichen  Opfer)  gehört  die  J  u  h  ü  ')  (als  der  rechte 
Arm)  und  die  Upabhrt')  (als  der  linke  Arm);  die  Dhruvä')  aber  ist 
der  Rumpf.  Nun  gehen  aber  aus  dem  Rumpfe  alle  Gliedmafsen  hervor« 
daium  geht  da?=  ganze  Opfer  aus  der  Dhruvä  hervor.  Der  Schmalz- 
löffel') ist  aber  der  Atem.  Der  Atem  des  Menschen  geht  durch  alle 
Glieder,  und  darum  geht  der  Schmalzlöffel  von  einem  Opferlötfel  zum 
andern.  Von  diesem  (Menschen) 3)  ist  die  Juhü  jener  Himmel  dort, 
und  die  Upabhrt  ist  der  Luftraum  hier;  die  Dhruvä  aber  ist 
diese  da  (d.  h.  die  Erde).  Wahrlich  aber,  von  dieser  da  (der  Erde) 
entspringen  alle  Welten;  darum  entspringt  das  ganze  Opfer  aus 
der  Dhruvä,  Dieser  Schmalzlöffel  hier  ist  aber  der,  der  dort  weht 
(d.  h.  der  W^iijd)  —  er  ist  es,  der  durch  alle  Welten  dahinweht  — ,  und 
darum  geht  der  Schmalzlöffel  von  einem  Opferlöffel  zum  andern." 
(äat.  I,  3,  2,  1-5.) 

An  zahllosen  Stellen  der  Brahma nas  wird  dks  Opfer  mit 
dem  Gott  Visnu  und  ebenso  häufig  mit  dem  Schöpfer  Prajäpati 
gleichgesetzt.  Aber  auch  das  Jahr  wird  unzähligemal  mit 
Prajäpati  identifiziert,  während  anderseits  Agni,  als  der  Feuer- 
altar, weil  der  Bau  desselben  ein  ganzes  Jahr  dauert,  ebenfalls 
gleich  dem  Jahre  gilt.  So  lesen  wir:  »Agni  ist  das  Jahr,  und 
das  Jahr  ist  diese  Welten,«  und  gleich  darauf:  »Agni  ist  Prajäpati, 
und  Prajäpati  ist  das  Jahr.«  Oder:  »Prajäpati  fürwahr  ist  das 
Opfer  und  das  Jahr,  die  Neumondsnacht  ist  sein  Tor,  und  der 
Mond  ist  der  Riegel  des  Tores.«  *)  Eine  grofse  Rolle  spielt  hier 
wieder  die  Symbolik  der  Zahlen.     So  lesen  wir  z.  B.: 

' Mit  V i e r  (Versen)  nimmt  er  (etwas  Asche)  weg;  dadurch  versieht 
er  ihn  mit  dem,  was  es  an  vierfüfsigem  Vieh  gibt.  Nun  ist  aber  doch 
das  Vieh  Nahrung;  mit  Nahrung  versieht  er  ihn  also.  Mit  drei  (Versen) 
bringt  er  (die  Asche  zum  Wasser).  Das  macht  sieben,  denn  aus 
sieben  Schichten  besteht  der  Feueraltar  (Agni).  Sieben  Jahreszeiten 
sind  ein  Jahr,  und  das  Jahr  ist  Agni;  soigrofs  Agni  ist,  so  grofs  ist 
das  Mafs  des  Jahres,  so  grofs  wird  dieses  (All)."    (Sat.  VI,  8,  2,  7.) 


")  Namen  verschiedener  Opferlöffel. 

»)  Mit  diesem  Löffel  (Sruva)  wird  die  zerlassene  Butter  aus  dem 
Schmalztopf  herausgenommen  und  in  die  Opferlöffel  gegossen,  mit 
welchen  gespendet  wird. 

3)  »Mensch»  heilst  Pur  usa.  Purusa  heifst  aber  auch  »Geist«  und 
bezeichnet  auch  den  «Grofsen  Geist«,  der  mit  Prajäpati,  dem  Weltschöpfer, 
eins  i.st.  Das  Opfer  wird  daher  nicht  nur  mit  dem  Menschen  (dem 
Opferer),  sondern  auch  mit  dem  Weltgeist  und  Prajäpati  identifiziert. 
Vgl.  oben  S.  161,  Anm.  1. 

*)  ÖHt.  Vm,  2,  1,  17-18.    XI,  1,  1,  1. 


—     179    — 

Hier  und  da  erhalten  diese  unfruchtbaren  Auseinander- 
setzungen dadurch  einiges  Interesse,  dafs  sie  ein  Streiflicht  auf 
die  sittlichen  Anschauungen  vind  gesellschaftlichen  Verhältnisse 
der  Zeit  werfen,  der  die  Brähmanas  angehören.  So  wird  z.  B. 
beim  Somaopfer  eine  der  Somaspenden  dem  Agni  Patnivat,  d.  h. 
»Agni  dem  Bew^eibten«  '),  geweiht.  Diese  Libation  tmterscheidet 
sich  durch  gewisse  Einzelheiten  von  anderen  Somaspenden,  und 
diese  Abweichungen  bei  der  Darbringung  derselben  werden  mit 
dem  Hinweis  auf  die  Schwäche  und  Rechtlosigkeit  des  weiblichen 
Geschlechtes  erklärt: 

»Mit  den  im  Opferlöffel  übriggebliebenen  Schmalzresten  mischt 
er  (den  Soma).  Andere  Somalibationen  macht  er  kräftig,  indem  er  sie 
mischt;  diese  aber  schwächt  er;  denn  Schmalz  ist  ja  ein  Donnerkeil, 
und  mit  dem  Donnerkeil,  dem  Schmalz,  haben  die  Götter  ihre  Weiber 
geschlagen  und  entkräftet;  und  also  geschlagen  und  entkräftet,  hatten 
sie  weder  irgendein  Recht  auf  ihren  eigenen  Körper  noch  auf  ein  Erbe. 
Und  ebenso  schlägt  und  entkräftet  er  jetzt  mit  dem  Donnerkeil,  dem 
Schmalz,  die  Weiber;  und  also  geschlagen  und  entkräftet,  haben  sie 
weder  irgendein  Recht  auf  ihren  eigenen  Körper  noch  auf  ein  Erbe.« 
(Öat.  IV,  4,  2,  13.) 

Das  wäre  also  eine  rituelle  Begründung  der  Hörigkeit  des 
Weibes.  In  etwas  freundlicherem  Licht  erscheint  das  Verhältnis 
der  Frau  zum  Gatten  an  einer  anderen  Stelle.  Beim  Väjapeya- 
opfer  nämlich  kommt  folgende  Zeremonie  vor.  An  den  Opferpfosten 
wird  eine  Leiter  gelehnt,  und  der  Opferer  mit  seiner  Frau  steigt 
hinauf : 

»Indem  er  im  Begriffe  ist,  hinaufzusteigen,  redet  er  seine  Frau 
mit  den  Worten  an:  ,Frau,  wir  wollen  zum  Himmel  hinaufsteigen,'  und 
die  Frau  erwidert :  , Ja,  wir  wollen  hmaufsteigen.'  Der  Grund,  weshalb 
er  seine  Frau  so  anredet,  ist  der:  Sie,  die  Frau,  —  das  ist  ja  fürwahr 
seine  eigene  Half te ;  solange  er  daher  keine  Frau  hat,  so  lange  pflanzt 
er  sich  nicht  fort,  so  lange  ist  er  kein  ganzer  Mensch;  wenn  er  aber 
eine  Frau  hat,  dann  pflanzt  er  sich  fort,  dann  ist  er  ganz.  ,Als 
ein  ganzer  Mensch  will  ich  diesen  Weg  (zum  Himmel)  gehen,'  denkt 
er;  darum  redet  er  seine  Frau  so  an.«    (§at.  V,  2,  1,  10.) 

Die  Opferstätte  oder  der  Altar  (Vedi,  fem.)  wird  in  der 
Symbolik  der  Brähmanas  als  eine  Frau  dargestellt.     Und  folgende 


0  Vgl.  oben  S-  78. 

12 


—     180     — 

Vorschrift   über   die    Herstellung   des  Altars  gibt   uns   über   das 
altindische  Ideal  von  Frauenschönheit  Autschlufs: 

"Sie')  soll  gegen  Westen  zu  sehr  breit  sein,  eingebogen  in  der 
Mitte  und  wiederum  breit  im  Osten.  So  nämlich  lobt  man  ein  Weib: 
.Breit  um  die  Hüften,  ein  wenig  schmäler  zwischen  den  Schultern  und 
in  der  Mitte  zu  umfassen.'  Auf  diese  Weise  eben  macht  er  sie  den 
Göttern  anRenehm.'     (^Sat.  I,  2,  .5,  16.) 

Ein  grelles  Licht  auf  die  Geschlechtsmoial  jener  Zeit  wirft 
ein  brutaler  Opferbrauch,  der  bei  einem  der  Jahreszeitenopfer 
vorkommt  und  folgendermafsen  geschildert  wird: 

»Dann  kehrt  der  Pratipra.sthätar')  (zu  dem  Ort,  wo  die  Gattin  des 
Opferers  sitzt)  zurück;  und  indem  er  im  Begriffe  ist,  die  Gattin  hinauf • 
zuführen^),  fragt  er  sie:  ,Mit  wem  hältst  du  es?'  Denn  fürwahr,  eine 
Frau  begeht  eine  Sünde  gegen  Varuna,'  wenn  sie,  während  sie  dem 
einen  gehört,  es  mit  einem  anderen  hält.  Weil  er  denkt;  ,Dafs  sie  mir 
nur  nicht  mit  ein<'m  Stachel  im  Herzen  opferti'  deshalb  fragt  er  sie.  Da- 
durch, dafö  man  eine  Sünde  bekennt,,  wird  sie  ja  geringer;  denn  sie 
^T.ird  zur  Wahrheit.  Deshalb  eben  fragt  er  sie.  Was  sie  aber  nicht 
eingesteht,  das  gereicht  ihren  Verwandten  zum  Unheil.«  'Sat.  II,  5,  2,  20.) 

Dies  ist  übrigens  eine  der  wenigen  Stellen  in  den  Brähmanas, 
wo  der  Moral  gedacht  wird.  Sonst  ist  es  für  diese  Texte  un- 
gemein bezeichnend,  dafs  in  ihnen  so  gut  wie  gar  nicht  von  Moral 
die  Rede  ist.  Die  Brähmatias  sind  ein  glänzender  Beweis  daftjr, 
dals  ungeheuer  viel  Religioij  mit  unendlich  wenig  Moral  ver- 
bunden sein  kann.  Religiöse  Handlungen,  Opfer  und  Zeremonien, 
sind  das  eine  und  einzige  Thema  aller  dieser  umfangreichen 
Werke.  —  aber  mit  der  Moral  haben  diese  Handlungen  nichts 
zu   tun^).     Im  Gegenteil.      Opferhandlungen    werden   nicht   nur 


')  Nämlich  die  Vedi  oder  Opferstätte. 

^)  Einer  der  Priester,  ein  Gehilfe  des  Adhvaryu. 

^)  Nämlich  zum  Altar,  wo  sie  eine  Spende  au  Varuija  opfern  soll. 

*)  "  La  morale  n'a  pas  trou ve  de  place  dans  ce  Systeme :  le  sacrif ice 
qui  regle  les  rapports  de  Ihomme  avec  les  divinites  est  une  Operation 
mecanique  qui  agit  par  son  energie  intime;  cache  au  sein  de  la  nature, 
il  ne  vS'en  degage  que  sous  i'action  magique  du  pretre«  ....  »En 
tait  il  est  difficüe  de  concevoir  rien  de  plus  brutal  et  de  plus  matdriel 
que  la  theologie  des  Brähmaijas;  les  notions  que  lusage  a  lentement 
atfinees  et  qu'il  a  revetues  d'un  aspect  moral,  surprenneut  par  leur 
realisme  sau  vage."  Svlvain  Levi,  La  doctrine  du  sacrif  ice,  p.  9; 
vgl.  Iü4  ff. 


—     181     — 

vollzogen,  damit  die  Götter  die  sehr  materiellen  Wünsche  des 
Opferers  erfüllen,  sondern  sehr  oft  auch,  um  einem  Feinde  zu 
schaden.  Ja,  die  Brähmanas  geben  Anweisungen  für  die  Priester, 
wie  sie  mittelst  des  Opfers  dem  Opferer  selbst,  von  dem  sie  an- 
gestellt sind,  schaden  k()nnen,  wenn  er  ihnen  z.  B.  nicht  genug 
Geschenke  gibt.  Sie  brauchen  blols  die  vorgeschriebenen  Zere- 
monien in  verkehrter  Reihenfolge  zu  vollziehen  oder  Sprüche  an 
einer  unrichtigen  Stelle  anzuwenden ,  —  und  das  Schicksal  des 
Opferers  ist  besiegelt. 

Doch  genug  von  dieser  krausen  Opferwissenschaft,  welche 
den  Hauptinhalt  der  Brähmanas  ausmacht.  Glücklicherweise 
bilden  aber  einen  Bestandteil  des  Arthaväda  oder  der  »Sinnes- 
erklärung« auch  die  sogenannten  Itihäsas,  Äkhyänas  und 
Puränas,  d.h.  Geschichten,  Sagen  und  Legenden,  welche  er- 
zahlt werden,  um  irgendeine  rituelle  Handlung  zu  begründen. 
Wie  im  Talmud,  mit  dem  die  Brähmanas  manche  Ähnlichkeit 
haben,  neben  der  theologischen  Spiegelfechterei  der  Halacha  der 
von  Heine  so  schön  besungene  blühende  Garten  der  Hagada 
steht,  so  wird  auch  in  den  Brähmanas  die  Wüstenei  öder  theo- 
logischer Spekulation  ab  und  zu  durch  eine  Oase,  in  der  die 
Blume  der  Poesie  blüht  —  eine  poetische  Erzählung  oder  eine 
gedankentiefe  Schöpfungslegende  — ,  angenehm  unterbrochen. 

Eine  solche  Oase  in  der  Wüste  ist  das  im  Öatapatha-Bräh- 
mana')  erzählte  uralte  Märchen  von  Purüravasund  Urvasi, 
das  bereits  den  Sängern  des  Rigveda  bekannt  war.  Da  wird 
erzählt,  wie  die  Nymphe  (Apsaras)  Urvasi  den  König  Purüravas 
liebte,  wie  sie  ihre  Bedingungen  stellte,  als  sie  sein  Weib  wurde, 
und  wie  die  Gandharvas  bewirkten,  dafs  er  eine  dieser  Be- 
dingungen verletzen  mufste.  Da  entschwindet  sie  ihm,  und 
Purüravas  durchstreift  jammernd  und  klagend  ganz  Kuruksetra, 
bis  er  zu  einem  Lotosteich  kommt,  wo  Nymphen  in  Gestalt  von 
Schwänen  herumschwimmen.  Unter  ihnen  ist  Urvasi,  und  da  ent- 
spinnt sich  das  Gespräch,  das  uns  bereits  aus  den  Äkhyänü- 
Strophen  des  Rigveda  bekannt  ist. 

»Da  tat  er  ihr  leid  im  Herzen.  Und  sie  sprach:  ,Heute  übers 
Jahr  sollst  du  kommen;  dann  magst  du  eine  Nacht  bei  mir  ruhen;  bis 

')  XI,  5,  1.  Eine  gute  deutsche  Übersetzung  des  Stückes  hat 
K.  Geldner  (in  den  »Vedischen  Studien"  I,  244  ff.)  gegeben.  Vgl.  oben 
S.  90  f. 


-     182     — 

dahin  wird  dein  Sohn,  den  ich  im  Schoofse  trage '),  geboren  sein.'  Und 
in  der  Nacht,  als  das  Jahr  um  war,  kam  er  wieder.  Ei,  da  stand  ein 
goldener  Palast!  Dann  sprachen  sie  zvl  ihm  allein:  ,Tritt  ein  hier!* 
Darauf  schickten  sie  die  Urvasi  zu  ihm.  Sie  aber  sprach:  ,Die  Gan- 
dharvas  werden  dir  morgen  einen  Wunsch  freistellen,  wähle  dir  einen !' 
,Wähle  du  ihn  für  mich!'  ,Ich  will  einer  der  Euren  werden,  sollst  du 
sagen.'  Ihm  stellten  am  nächsten  Morgen  die  Gandharvas  einen  Wunsch 
frei.    Er  aber  sprach:  ,Ich  will  einer  der  Euren  werden.'« 

Darauf  lehrten  ihn  die  Gandharvas  eine  besondere  Form  des 
Feueropfers,  durch  welches  ein  Sterblicher  in  einen  Gandharva 
verwandelt  wird.  Der  Beschreibung  dieses  Opfers  verdanken 
wir  die  Einfügung  des  uralten  Wundermärchens,  von  dem  nicht 
einmal  die  Doktoren  der  Opferkunst  allen  poetischen  Zauber  ab- 
zustreifen vermochten,  in  das  Brähmana. 

Im  Satapatha-Brähmana ^)  finden  wir  auch  die  indische 
Flut  sage,  die  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  auf  eine  semitische 
Quelle  zurückgeht,  in  ihrer  ältesten  Gestalt: 

»Dem  Manu  brachten  sie  des  Morgens  Wasser  zum  Waschen,  so 
wie  man  noch  heutzutage  einem  Menschen  Wasser  zum  Händewaschen 
zu  bringen  pflegt.  Während  er  sich  wusch,  kam  ihm  ein  Fisch  in  die 
Hände.  Und  der  sprach  zu  ihm  die  Worte:  ,Erhalte  mich  am  Leben, 
und  ich  werde  dich  retten.'  , Wovon  wirst  du  mich  retten?'  ,Eine 
Flut  wird  alle  diese  Wesen  hinwegraffen.  Von  dieser  werde  ich  dich 
retten.'  ,Wie  soll  ich  dich  am  Leben  erhalten?'  Jener  sprach:  ,So- 
lange  wir  ganz  klein  sind,  droht  uns  viel  Todesgefahr;  ein  Fisch  ver- 
schlingt den  andern.  Du  sollst  mich  zuerst  in  einem  Topfe  erhalten, 
und  wenn  ich  tiber  diesen  hinausgewachsen  bin ,  dann  sollst  du  eine 
Grube  graben  und  mich  in  dieser  erhalten,  und  wenn  ich  über  diese 
hinausgewachsen  sein  werde,  dann  sollst  du  mich  zum  Meere  bringen, 
denn  dann  werde  ich  über  alle  Todesgefahr  hinaus  sein.'  Und  bald 
war  er  ein  Jhasafisch;  der  wird  nämlich  am  gröfsten.    Da  sprach  er: 


')  Wörtlich:  »Dieser  dein  Sohn  hier«.  Einer  der  vielen  Ausdrücke, 
die  nur  beim  mündlichen  Vortrag  erklärlich  sind.  Ähnlich  bedeutet 
in  den  Brähma^s  oft  »diese  hier«  so  viel  wie  »Erde«,  »jener  dort«  so 
viel  wie  »Himmel«  u.  dgl;  mehr. 

')  I,  8,  1.  Ins  Deutsche  übersetzt  von  A.  Weber,  Indische 
Streifen  I,  Berlin  1868,  S.  9  f.  In  demselben  Band  hat  Weber  auch 
einige  andere  Legenden  (Sage  von  der  Weiterwanderung  der  Arier 
nach  Osten.  Legende  von  dem  Verjüngungsborn,  die  Sage  von  Purü- 
ravas  und  Urvasi  und  eine  Legende  über  die  strafende  Vergeltung 
nach  dem  Tode)  sowie  den  ganzen  ersten  Adhyäya  des  Satapatha-Bräh- 
mana  übersetzt. 


—     183    — 

Im  soundsovielten  Jahre  wird  eine  Flut  kommen.  Darum  mache  dir 
ein  Schiff  und  warte  auf  mich.  Und  wenn  die  Flut  sich  erhoben  hat, 
dann  sollst  du  dich  in  das  Schiff  begeben,  und  ich  werde  dich  retten.' 
Nachdem  er  ihn  nun  auf  diese  Weise  am  Leben  erhalten  hatte,  brachte 
er  ihn  zum  Meere.  Und  in  dem  Jahre,  welches  ihm  der  Fisch  an- 
gedeutet hatte,  machte  er  sich  ein  Schiff  und  wartete.  Als  aber  die 
Flut  sich  erhob,  begab  er  sich  in  das  Schiff,  und  der  Fisch  schwamm 
heran  zu  ihm.  Er  aber  band  das  Tau  an  das  Hörn  des  Fisches;  und 
mit  ihm  segelte  er  rasch  über  diesen  nördlichen  Berg  da  hinüber.  Da 
sprach  der  Fisch:  ,Ich  habe  dich  gerettet.  Binde  das  Schiff  an  einen 
Baum.  Dals  dich  aber  nicht,  während  du  auf  dem  Berge  bist,  das 
Wasser  von  der  Erde  abschneide!  Steige  also  ganz  allmählich  hinab, 
so  wie  das  Wasser  abfliefst.'  Ganz  allmählich  stieg  er  hinab.  Und 
ebendiese  Stelle  des  nördlichen  Gebirges  heilst  noch  heute  ,Manu's 
Abstieg*.  Die  Flut  aber  raffte  alle  Wesen  dahin ;  Manu  allein  blieb  übrig.« 

So  weit  geht  die  alte  Sage,  welche  weiter  berichtet  "haben 
mufs,  wie  das  Menschengeschlecht  durch  Manu  wieder  erneut 
wurde.  Das  Brähmana  aber  erzählt,  dafs  Manu,  um  Nachkommen- 
schaft zu  erlangen,  fein  Opfer  darbrachte;  aus  diesem  Opfer  sei 
ein  weibliches  Wesen  entstanden,  und  durch  sie  sei  das  Menschen- 
geschlecht fortgepflanzt  worden.  Diese  Tochter  des  Manu  heilst 
I^ä  —  und  die  Erzählung  ist  nur  eingefügt,  um  die  Bedeutung 
einer  mit  dem  Namen  Idä  bezeichneten  Opferspende  zu  erläutern. 

Diese  Erzählungen  sind  uns  auch  von  Wichtigkeit  als  die 
ältesten  Beispiele  einer  erzählenden  Prosa,  die  wir  von  den  Indern 
besitzen.  Dafs  diese  Prosa  der  ältesten  epischen  Dichtung  häufig 
mit  Versen  abwechselte,  ist  schon  oben')  ausgeführt  worden. 
Während  aber  in  der  Erzählung  von  Puröravas  und  UrvasT  die 
Verse  nicht  nur  in  der  Rigveda-Sammlung  erscheinen,  .sondern 
auch  der  Sprache  und  dem  Metrum  nach  zur  ältesten  vedischen 
Dichtung  gehören,  finden  wir  im  Aitareya-Brähmana  ein  Äkhyäna, 
in  welchem  die  in  die  Prosa  eingestreuten  Gäthäs  oder  Strophen 
sich  sowohl  in  der  Sprache  wie  in  dem  Versmafs  dem  Epos 
nähern.  Es  ist  dies  die  in  mehr  als  einer  Beziehung  interessante 
Sage  von  Sunahsepa'-').     Sie  beginnt,  wie  folgt: 


•)  Seite  89. 

»)  Aitareya-Brähmana  VII,  13—18.  Eine  deutsche  Übersetzung 
des  Stückes  gibt  es  von  R.  Roth  in  Webers  Indischen  Studien  1  (1850), 
S.  457-464. 


-.     184     — 

"Hariscandra,  Sohn  des  V^edhas.  ein  König-  aus  derp  Geschlechte 
der  Iksväkus,  war  kinderlos.  Er  hatte  hundert  Frauen,  bekam  aber 
von  ihnen  keinen  Sohn.  Einst  kehrten  Parvata  und  NäradaM  bei  ihm 
ein,  und  er  fragte  den  Närada: 

,Da  alle  Menschen  einen  Sohn  sich  wünschen,  Weise  so  wie  Toren, 
So  sage  mir,  o  Närada,  was  durch  den  Sohn  man  denn  erlangt.' 

Also  mit  einer  Strophe  gefragt,  antwortete  ihm  dieser  mit  zehn: 

,Der  Vater,  der  das  Antlitz  schaut  des  Sohns,  der  lebend  ihm  geboren, 
Bezahlet  seine  Schuld  in  ihm,  erlangt  Unsterblichkeit  durch  ihn;'). 

Von  allen  Freuden,  die  es  gibt  für  die  Geschöpfe  auf  der  Erde, 

Im  Feuer  und  im  Wasser,  ist  des  Vaters  Freud'  am  Sohn  die  gröfste. 

Stets  haben  durch  den  Sohn  die  Väter  alle  Finsternis  besiegt; 

Er  selbst  ist  wieder  neu  gezeugt,  der  Sohn  ist  ihm  ein  rettend  Boot. 

Was  soll  der  Schmutz,  was  soll  das  Fell,  was  soll  der  Bart,  was  soll 

Askese ! ") 
Brahmanen,  wünscht  euch  einen  Sohn :  in  ihm  habt  ihr  die  Himmelswelt. 

Speise  ist  Leben,  Obdach  ist  Schutz,  und  Gold  schmuck  ist  Schönheit: 
Heirat  bringt  Vieh'');  ein  Freund 5)  ist  die  Gattin,   ein  Jammer   die 

Tochter''), 
Licht  in  der  höchsten  Himmelswelt  ist  der  Sohn  für  den  Vater. 


')  Zwei  Rsis  oder  Heilige,  die  bald  im  Himmel,  bald  auf  der  Erde 
wohnen  und  öfters  den  Göttern  als  Boten  dienen. 

^)  Die  beste  Erklärung  zu  diesem  Verse  geben  die  zwei  Brähma^a- 
stellen  Taittiriya-Samhitä  VI,  3,  10,  5:  »Von  dem  Augenblick  seiner 
Geburt  an  ist  der  Brahmane  mit  drei  Schulden  beladen:  den  Rsis 
schuldet  er  das  Gelübde  des  Vcdalernens,  den  Göttern  das  Opfer  und 
den  Manen  Nachkommenschaft;  der  wird  seiner  Schulden  ledig, 
der  einen  Sohn  erzeugt,  Opfer  darbringt  und  das  Gelübde  des  Veda- 
lernens  hält;'  und  Taittiriya - Brähma^a  I,  5,  5,  6:  »In  Nachkommen 
pflanzest  du  dich  fort;  das,  Sterblicher,  ist  deine  Unsterblichkeit.«  Schon 
im  Rigveda  V,  4,  10  heilst  es:  «Möge  ich,  o  Agni,  durch  Nachkommen- 
schaft Unsterblichkeit  erlangen!« 

^)  Der  Vers  ist  gegen  die  Waldeinsiedler  und  Asketen  gerichtet. 

*)  Weil  der  Kaufpreis  für  die  Tochter  bei  den  alten  Indern  ebenso 
wie  bei  den  alten  Griechen  —  vergleiche  die  »Rinder  einbringenden 
Jungfrauen*  bei  Homer  —  in  Kühen  bezahlt  wurde. 

5)  Bei  der  Hochzeit  machten  im  alten  Indien  Braut  und  Bräutigam 
sieben  Schritte  miteinander,  worauf  der  Bräutigam  sagte:  »Freund  sei 
mit  dem  siebenten  Schritt.« 

*>)  Erst  unter  der  Herrschaft  der  Engländer  ist  es  gelungen,  die 
in  Indien  tief  eingewurzelte  Sitte  der  Tötung  weiblicher  Kinder  aus- 


—     185    — 

Der  Mann  geht  ein  In  seine  Frau  und  wird  zum  Keim  in  ihrem  Schofs; 
Von  ihr  wird  er  als  neuer  Mensch  im  zehnten  Mond  zur  Welt  gebracht.' 

.  .  . ')  Nachdem  er  die  Verse  gesprochen,  sagte  er  zu  ihm :  ,Wende 
dich  an  König  Varuna  und  sprich:  Es  werde  mir  ein  Sohn  geboren; 
den  will  ich  dir  opfern.'  ,Das  will  ich,'  sagte  er  und  flüchtete  zu  König 
Varuna,  betend:  ,Es  werde  mir  ein  Sohn  geboren;  den  will  ich  dir 
opfern.'  ,So  sei  es'  (sprach  Varuna).  Da  ward  ihm  ein  Sohn  geboren, 
Rohita  mit  Namen.  Und  Varuna  sprach  zu  ihm:  ,Nun  ist  dir  ja  ein 
Sohn  geboren  worden;  opfere  ihn  mir.'  Er  aber  sagte:  »Wenn  ein 
Tier  über  zehn  Tage  alt  ist,  dann  ist  es  ja  erst  zum  Opfer  geeignet. 
Lafs  ihn  über  zehn  Tage  alt  werden ;  dann  will  ich  ihn  dir  opfern.'  ,So 
sei  es.'  Und  er  wurde  über  zehn  Tage  alt.  Jener  sprach  zu  ihm:  ,Nun 
ist  er  über  zehn  Tage  alt  geworden ;  opfere  ihn  mir.'  Der  aber  sagte : 
,Wenn  ein  Tier  Zähne  bekommen  hat,  dann  ist  es  ja  erst  zum  Opfer 
geeignet.  Lafs  ihn  Zähne  bekommen;  dann  will  ich  ihn  dir  opfern.' 
,So  sei  es.'« 

In  ähnlicher  Weise  hält  Hariscandra  den  Gott  Varuna  hin, 
bis  Rohita  das  Mannesalter  erreicht  hat.  Da  will  er  ihn  endlich 
opfern,  aber  Rohita  entflieht  in  den  Wald,  wo  er  ein  Jahr  lang 
umherwandert.  Darauf  wird  Hariscandra  von  der  Wassersucht, 
der  von  Varuna  als  Strafe  gesandten  Krankheit,  ergriffen.  Rohita 
hört  davon  und  will  zurückkehren,  aber  Indra  tritt  ihm  in  Gestalt 
eines  Brahmanen  entgegen,  preist  das  Glück  des  Wanderers  und 
heilst  ihn  weiterwandem.  Und  ein  zweites,  ein  drittes,  ein  viertes, 
ein  fünftes  Jahr  wandert  der  Jüngling  im  Walde  umher,  immer 
wieder  will  er  zurückkehren,  und  immer  wieder  tritt  ihm  Indra 
entgegen  und  treibt  ihn  zu  weiterer  Wanderschaft  an.  Als  er 
nun  das  sechste  Jahr  im  Walde  umherirrte,  da  traf  r  den  Rsi 
Ajigarta,  der,  von  Hunger  gequält,  sich  im  Walde  umhertrieb. 
Dieser  hatte  drei  Söhne,  Sunahpuccha,  Sunahsepa,  Sunolähgüla  *) 
mit  Namen.     Rohita  bietet   ihm   hundert  Kühe   für   einen  seiner 


zurotten,  —  eine  Sitte,  die  in  der  ganzen  Welt  sehr  verbreitet  ist, 
ebenso  wie  die  Anschauung,  dafs  die  Tochter  »ein  Jammer«  ist.  »Wenn 
eine  Tochter  geboren  wird,  weinen  alle  vier  Wände.« 

')  Es  folgen  noch  vier  Verse,  in  denen  dieselben  Gedanken  variiert 
werden. 

*)  Diese  merkwürdigen  Namen,  welche  »Hundeschweif«,  "Hunde- 
rute«,  »Hundeschwanz«  bedeuten,  sind  wohl  absichtlich  gewählt,  um 
den  Rsi  Ajigarta  —  der  Name  bedeutet:  »der  nichts  zu  fressen  hat»  — 
in  möglichst  schlechtem  Licht  erscheinen  zu  lassen.  Immerhin  beweisen 
auch  diese  Namen  den  mehr  volkstümlichen  als  priesterlichen  Charakter 
der  Erzählung. 


—     186     — 

Söhne  an,  um  sich  durch  denselben  loszukaufen,  und  erhält  — 
da  der  Vater  nicht  den  ältesten  und  die  Mutter  nicht  den 
jüngsten  Sohn  hergeben  will  —  den  mittleren,  §unah§epa.  Mit 
diesem  geht  Rohita  zu  seinem  Vater.  Und  da  Varuna  damit 
einverstanden  ist,  dafs  ihm  der  Sunahsepa  geopfert  werde  —  denn 
»ein  Brahmane  ist  mehr  wert  als  ein  Krieger,  sagte  Varuna«  — , 
soll  derselbe  an  Stelle  des  Opfertieres  beim  Königsweiheopfer 
(Rajasüya)  dargebracht  werden.  Alles  ist  zum  Opfer  vorbereitet, 
aber  es  findet  sich  niemand,  der  das  Anbinden  des  Schlachtopfers 
Übernehmen  will.  Da  sagt  Ajigarta:  »Gebt  mir  ein  zweites 
Hundert,  und  ich  will  ihn  anbinden.«  Und  für  ein  zweites  Hundert 
Kühe  bindet  er  seinen  Sohn  Sunahsepa  an  den  Opferpfahl;  für 
ein  drittes  Hundert  aber  erbietet  er  sich,  ihn  zu  schlachten.  Man 
gibt  ihm  die  weiteren  hundert  Kühe,  und  er  tritt  mit  geschärftem 
Messer  auf  seinen  Sohn  zu.  Da  dachte  dieser:  »Man  will  mich 
schlachten,  als  wäre  ich  kein  Mensch;  wohlan!  ich  will  zu  den 
Göttern  meine  Zuflucht  nehmen.«;  Und  er  pries  der  Reihe  nach 
alle  die  hervorragendsten  Götter  des  vedischen  Pantheons  in  einer 
Anzahl  von  Hymnen,  die  in  unserer  Rigveda - Samhitä  stehen- 
Als  er  aber  zuletzt  Usas,  die  Morgenröte,  in  drei  Versen  pries, 
da  fiel  eine  Fessel  nach  der  andern  von  ihm,  und  des  Hariscandra 
Wasserbauch  wurde  kleiner,  und  mit  dem  letzten  Vers  war  er 
der  Fesseln  ledig,  und  Hariscandra  war  gesund.  Darauf  nahmen 
ihn  die  Priester  in  die  Opferversammlung  auf,  und  bunahsepa 
erschaute  eine  besondere  Art  des  Somaopfers.  Visvämitra  aber, 
der  sagenumwobene  Rsi,  der  bei  dem  Opfer  des  Hariscandra  das 
Amt  des  Hotar  versah,  nahm  den  Sunahsepa  an  Sohnes  Statt  an 
und  setzte  ihn  in  feierlicher  Weise  mit  Hintansetzung  seiner 
eigenen  hundert  Söhne  zum  Erben  ein.     Zum  Schlüsse  heifst  es: 

»Das  ist  die  Erzählung  (äkhyäna)  von  Sunahsepa,  welche  über 
hundert  Rigvedaverse  und  noch  dazu  Strophen  •)  enthält.  Diese  erzählt 
der  Hotar  dem  König,  nachdem  er  beim  Rajasüya  mit  Weihwasser  be- 
sprengt worden.  Auf  einem  goldenen  Kissen  sitzend  erzählt  er.  Auf 
einem  goldenen  Kissen  sitzend  gibt  (der  Adhvaryu)  die  Antwortrufe. 
Gold  bedeutet  ja  Ruhm.  An  Ruhm  macht  er  ihn  dadurch  ge- 
deihen. ,0m'  ist  der  Antwortruf  auf  einen  Rigvers,  ,ja'  der  auf  eine 
Gäthä').    ,0m'  ist  nämlich  göttlich  und  ,ja'  ist  menschlich.    Auf   diese 


')  »Gathas»,  epische  Strophen,  wie  die  oben  zitierten. 
j  ')  D.h.  immer,  wenn  der  Hotar  einen  Rigvers  rezitiert,  ruft  der 


—     187     — 

Weise  befreit  er  ihn  durch  göttliches  und  menschliches  Wort  von 
Unglück  und  Sünde.  Es  kann  daher  ein  König,  der  siegreich  sein 
will,  auch  wenn  er  nicht  ein  Opferer  ist,  sich  die  Sunah§epalegende 
erzählen  lassen;  dann  bleibt  auch  nicht  die  geringste  Sünde  an  ihm 
haften.  Tausend  Kühe  soll  er  dem  Erzähler  geben,  hundert  dem  Priester, 
der  die  Antwortrufe  gibt,  und  jedem  von  beiden  das  goldene  Kissen, 
auf  dem  er  gesessen;  aufserdem  gebührt  dem  Hotar  ein  silberner  W^agen 
mit  einem  Maultiergespann.  Auch  diejenigen,  weiche  sich  einen  Sohn 
wünschen,  sollen  sich  die  Legende  erzählen  lassen;  dann  erlangen  sie 
bestimmt  einen  Sohn.« 

Wenn  aber  diese  Bunahsepalegende  für   die  Verfasser  oder 
Ordner  des  Aitareya-Brähmana  bereits  eine  ehrwürdige  alte  Sage 
war,   deren   Erzählung   beim   Königsweiheopfer    geradezu   einen 
Bestandteil  des  Rituals  bildete,  wie  alt  mufs  die  Sage  selbst  sein ! 
Sehr  alt  mufs  sie  auch  deshalb  sein,  weil  sich  in  ihr  die  Erinnerung 
an    Menschenopfer  erhalten   hat,   die  in   vorgeschichtlicher   Zeit 
beim  Räjasüya  dargebracht   worden  sein   müssen,   obwohl   sonst 
weder  in  den  Brähmanas  noch  in  den  Rituallehrbüchern  (Srauta- 
sütras)  irgendwo  von  Menschenopfern   bei   der  Königsweihe  die 
Rede  ist.     Und  dennoch  ist  die  Öunahsepalegende   jung   im  Ver. 
gleich  zum  Rigveda.     Denn  die  Hymnen'),   welche  nach   dem 
Aitareya-Brähmana  Sunahsepa  »erschaut«   haben   soll ,   sind  zum 
Teil  solche,  welche  allenfalls  ein  Rsi  gunahsepa  ebcinsogut  gedichtet 
haben  kann  wie  irgendein  anderer  Rsi,  obwohl  in  ihnen  nicht  das 
geringste  enthalten  ist,  was  zu  unserer  Sage  in  Beziehung  stünde . 
zum  Teil  aber  sind  es  Hymnen,  welche  in  den  Mund  des  gunahsepa 
der  Sage  gar  nicht  passen,   wie   etwa   das  Lied  Rigveda  I,   29 
mit  dem  Refrain :  »Lafs  uns  hoffen,  o  reichlich  spendender  Indra, 
auf.  tausend  glänzende  Rinder  und  Pferde,«    oder  welche  sogar, 
wie  Rv.  I,  24,  Verse  enthalten,  die  unmöglich  von  dem  Sunah§epa 
des  Aitareya-Brähmana  gedichtet   sein  können.     Denn  es  heilst 
hier :  »Er,  den  Sunahsepa  anrief,  als  er  ergriffen  ward,  der  König 
Varuna  möge  uns  erlösen!«  und:    »Sunahsepa   rief  nämlich,   als 
er  ergriffen  und  an  drei  Pfosten  gebunden  war,  den  Aditya  an.« 
Das  sind  Verse,   die  sich  auf  eine  andere  viel  ältere  Sunahsepa- 
legende  beziehen   müssen.     Wenn   das  Aitareya-Brähmana  diese 


Adhvaryu  am  Schluls  desselben:  'Om«;  wenn  er  eine  epische  Strophe 
rezitiert  hat,  ruft  er:  »Ja».    Vgl.  oben  S.  162,  Anm.  1. 
')  Nämlich  Rv.  I,  24—30  und  IX,  3. 


—     188     — 

Hymnen  dem  Sunahsepa  in  den  Mund  legt,  so  kann  das  nur  darin 
seinen  Grund  haben,  dafs  dieselbe  keineswegs  zuverlässig-e  Tradition, 
welche  in  unseren  Anukrarnanls  vorliegt^),  schon  zur  Zeit  des 
Aitareya-Brähmana  jene  Hymnen  einem  Rsi  Sunahsepa  zuschrieb. 
Wir  haben  hier  wieder  einen  Beweis  dafür,  wie  weit  die  Rigveda- 
hymnen  der  Zeit  nach  hinter  allem  anderen,  was  zum  V^eda  ge- 
hört, zurückliegen. 

Leider  sind  uns  nur  wenige  Erzählungen  so  vollständig  in 
den  Brahma nas  erhalten  wie  die  von  Sunahsepa.  Meistens  sind 
die  Geschichten  für  den  Zweck,  dem  sie  dienen  sollen,  nämlich 
der  Erklärung  oder  Begründimg  einer  Opferzeremonie,  zurecht- 
gemacht, und  es  ist  manchmal  nicht  leicht,  aus  ihnen  den  Kern 
einer  alten  Sage  oder  eines  alten  Mythos  herauszuschälen.  Es 
gehen  auch  durchaus  nicht  alle  Erzählungen,  die  wir  in  den 
Brähmanas  finden,  auf  alte  Mythen  und  Legenden  zurück,  sondern 
sie  sind  oft  nur  zur  Erklärung  irgendeiner  Opferzeremonie  er- 
funden. Manchmal  sind  aber  auch  diese  erfundenen  Geschichten 
nicht  ohne  Interesse,  Um  z.  B,  zu  erklären,  warum  bei  Opfer- 
spenden, die  dem  Prajäpati  geweiht  sind,  die  Gebete  nur  leise 
gesprochen  werden  sollen,  wird  folgende  hübsche  Allegorie  erzählt : 

"Es  brach  einmal  ein  Streit  aus  zwischen  dem  Geist  und  der  Rede, 
wer  von  beiden  besser  sei.  ,Ich  bin  der  Bessere,'  so  sprachen  sie  beide, 
der  Geist  und  die  Rede.  Der  Geist  sagte:  ,Wahrlich,  ich  bin  besser 
als  du,  denn  du  sprichst  nichts,  was  ich  nicht  vorher  gedacht  habe; 
und  da  du  nur  ein  Nachahmer  meiner  Taten,  nur  ein  Nachtrcter  von 
mir  bist,  so  bin  ich  jedenfalls  besser  als  du.'  Da  sprach  aber  die  Rede: 
,Ich  bin  doch  besser  als  du;  denn  was  du  weifst,  das  mache  ich  erst 
bekannt,  das  teile  ich  mit.'  Sie  begaben  sich  zu  Prajäpati,  dafs  er  den 
Streit  schlichte.  Prajäpati  aber  cnt.schied  zugunsten  des  Geistes,  indem 
er  zur  Rode  sagte:  ,Der  Geist  ist  besser  als  du,  denn  wahrlich  du  bist 
nur  ein  Nachahmer  seiner  Taten,  nur  sein  Nachtreter;  und  niedriger 
ist  jedenfalls  der,  der  nur  ein  Nachahmer  der  Taten  eines  Besseren, 
nur  sein  Nachtreter  ist.'  Darüber  nun,  dals  die  Entscheidung  gegen 
sie  ausgefallen  war,  war  die  Rede  sehr  bestüizt.  (Infolge  der  Aufregung) 
machte  sie  eine  Fehlgeburt.  Sie  aber,  die  Rede,  sprach  zu  Prajäpati: 
,Nie  soll  ich  deine  Opferbringerin  sein,  weil  du  gegen  mich  entschieden 
hast.'  Daher  wird  beim  Opfer  jede  dem  Prajäpati  gewidmete  Zeremonie 
leise  vollzogen ;  denn  die  Rede  wollte  für  Praiäpati  keine  Opferbringerin 
sein.«    (äat.  I,  4,  5,  8-12.) 


')  Siehe  oben  S.  52  f.  und  unten  S.  24.3. 


—     189     - 

Väc,  die  Rede,  bildet  auch  den  Gegenstand  mancher  Er- 
zählungen, in  denen  sie  als  das  Urbild  des  Weibes  hingestellt 
wird.  So  begegnet  sie  uns  z.  B.  in  der  in  den  Brahmanas  öfters 
vorkommenden  Sage  vom  Somadiebslahl.  Der  Soma  war  im 
Himmel,  und  Gä3^atri,  in  der  Gestalt  eines  Vogels,  holte  ihn 
herab.  Als  sie  ihn  aber  forttrug,  wurde  er  ihr  von  einem  Gan- 
dharva  geraubt.  Nun  beratschlagten  die  Götter,  wie  sie  den  ge- 
stohlenen Soma  wiederbekommen  könnten. 

"Die  Götter  sprachen: , Die  Gatidharvas  sind  nach  Weibern  lüstern; 
wir  wollen  die  Väc  7U  ihnen  senden,  und  sie  wird  mit  dem  Soma  zu 
uns  zurückkehren.'  Und  sie  sandten  die  Väc  zu  ihnen,  und  sie  kehrte 
mit  dem  Soma  wieder  zurück.  Die  Gandharvas  aber  iolgten  ihr  nach 
und  .sprachen:  , Der  Soma  gehöre  euch,  die  Väc  aber  soll  uns  gehören.' 
,Gut,'  sagten  die  Götter-,  .aber  wenn  sie  lieber  zu  uns  herkommen  wollte, 
.sollt  ihr  sie  nicht  mit  Gewalt  fortführen:  wir  wollen  im  Wettstreit 
um  sie  werben.'  Da  warben  sie  also  um  die  Väc  im  Wettstreit.  Die 
Gandharvas  sagten  ihr  die  Vedas  vor  und  sprachen:  ,So,  ja,  so  wissen 
wir,  so  wissen  wir').'  Die  Götter  aber  schufen  die  Laute  und  setzten 
sich  spielend  und  singend  zur  Väc  hin,  indem  sie  sagten:  ,So  wollen 
wir  dir  vorsingen,  so  wollen  wir  dich  ergötzen.*  Da  wandte  sie  sich 
den  Göttern  zu-,  ]a,  so  wandte  sie  sich  dem,  was  eitel  ist,  zu,  indem  sie 
von  den  Preisenden  und  Lobsingenden  hinweg  sich  zu  Tanz  und 
Gesang  wandte.  Darum  sind  noch  bis  zum  heutigen  Tage  die  Weiber 
nur  eitlem  Tand  ergeben.  So  wandte  sich  nämlich  Väc  dem  zu,  und 
andere  Weiber  folgen  ihr  nach.  Daher  kommt  es,  dafs  dem,  der  singt, 
und  dem,  der  tanzt,  die  Weiber  sich  am  liebsten  anhängen.« ») 

So  wie  dieses  Geschichtchen  erfunden  ist,  um  eine  Eigen- 
schaft der  Frauen  zu  er  klaren,  so  gibt  es  zahlreiche  Er- 
zählungen in  den  Brahmanas,  die  sich  mit  dem  Ursprung 
irgendeiner  Sache  oder  einer  Einrichtung  beschäftigen.  Solche 
Ursprungssagen,  zu  denen  auch  die  Schöpfungslegenden  gehören, 
bezeichnen  die  Inder,  zum  Unterschiede  von  den  Itihäsas  (oder 
Äkhyänas),  wie  die  Erzählungen  von  Göttern  und  Menschen 
genannt  werden,  als  Pu  ränas  ").   Auch  unter  diesen  Erzählungen 


')  Da  der  Veda  das  Wissen  par  excellence  ist.  Siehe  oben 
S.  47. 

^j  Sat.  III,  2,  4,  2-6.    Vgl.  auch  Sat.  ül,  2,  1,  19  ff. 

3)  Puräna  bedeutet  'ah«,  dann  'alte  Sage^,  alte  Geschichtei, 
insbesondere  kosmogonische  und  kosmologische  Mythen.  In  späterer 
Zeit  bezeichnete  man  als  f^u ränas  eine  eigene  Klasse  von  Werken, 
über  welche  wir  in  einem  späteren  Abschnitt  zu  sprechen  haben  werden. 


—     190    — 

gibt  es  solche,  welche  blofs  von  den  Brähmanatheologen  erfvinden 
sind,  während  andere  auf  alte,  volkstümliche  Mythen  und  Sagen 
zurückgehen  oder  doch  auf  einer  von  der  Opfer  Wissenschaft  un- 
abhängigen Überlieferung  beruhen.  So  wird  in  den  Brähmanas 
öfters  die  Entstehung  der  vier  Kasten  erzählt.  Schon  in  einem 
der  philosophischen  Hymnen  des  Rigveda,  dem  Purusasükta  ^), 
wird  berichtet,  wie  der  Brahmane  aus  dem  Munde,  der  Krieger 
aus  den  Armen,  der  Vaisya  aus  den  Schenkeln  imd  der  Südra 
aus  den  Füfsen  des  von  den  Göttern  geopferten  Purusa  entstanden 
ist.  In  den  Brähmanas  ist  es  Prajäpati,  der  aus  seinem  Munde 
den  Brahmanen  zusammen  mit  dem  Gott  Agni,  aus  seiner  Brust  und 
den  beiden  Armen  den  Krieger  nebst  Indra,  aus  der  Mitte  seines 
Körpers  den  Vaisya  und  die  Allgötter,  aus  seinen  Fülsen  aber 
den  Südra  hervorgehen  liefs.  Mit  dem  Südra  wurde  keine  Gott- 
heit geschaffen;  darum  ist  dieser  zum  Opfer  unfähig.  Infolge 
dieser  Art  der  Entstehung  verrichtet  der  Brahmane  sein  Werk 
mit  dem  Munde,  der  Krieger  mit  den  Armen  ;^  der  Vaisya  geht 
nicht  unter,  so  sehr  er  auch  von  Priestern  und  Kriegern  »ver- 
zehrt«,  d.  h.  ausgenutzt  wird,  denn  er  ist  aus  der  Mitte  des 
Körpers,  wo  die  Zeugungskraft  ruht,  geschaffen ;  der  Südra  aber 
kann  von  religiösen  Zeremonien  nur  das  Fufswaschen  von  Mit- 
gliedern der  höheren  Kasten  vollziehen ,  denn  er  ist  aus  dem 
Fufse  entstanden').  Ansprechender  sind  die  zwei  sinnigen  Er- 
zählungen von  der  Erschaffung  der  Nacht  und  von  den  geflügelten 
Bergen,  welche  L.  von  Schroeder3)  aus  der  MaiträyanlS  amhitä 
herausgehoben  hat: 

»Yama  war  gestorben.  Die  Götter  suchten  der  Yami*)  den  Yama 
aus  dem  Sinne  zu  reden.  Wenn  sie  dieselbe  fragten,  sapjte  sie;  ,Heute 
erst  ist  er  gestorben.'  Da  äpracHeh  die  Götter;  ,So  wird  sie  ihn  ja 
niemals  vergessen;  wir  wollen  die  Nacht  schaffen!'  Damals  war  nämlich 
.iur  der  Tag  und  keine  Nacht.  Die  Götter  schufen  die  Nacht;  da  ent- 
stand ein  morgender  Tag;  darauf  vergafs  sie  ihn.  Darum  sagt  man: 
,Tag  und  Nacht  fürwahr  lassen  das  Leid  vergessen.'"     (Maitr.  I,  5,  12.) 


')  X,  90,  12.  Vgl.  oben  S.  153.  Deussen,  Allgemeine  Geschichte 
der  Philosophie  I,  1,  S.  150  ff. 

*)  Taittiriya-Samhitä  VII,  1,  1,  4—6.  Tändya - Brähmana  VI,  1, 
6-11.    Vgl.  Weber,"  Indische  Studien  X,  7-10*.* 

^)  Indiens  Literatur  und  Kultur,  S.  142. 

*)  ^willingsschwester  des  Yama.    Vgl-  oben  S.  91  ff. 


—     191     — 

»Die  ältesten  Kinder  des  Prajäpati,  das  waren  die  Berge,  und  sie 
waren  geflügi'lt.  Sie  flogen  hinweg  und  setzten  sich  nieder,  wo  sie 
gerade  wollten.  Die  Erde  aber  schwankte  damals  noch  hin  und  her. 
Da  schnitt  liidra  den  Bergen  die  Flügel  ab  und  machte  die  Erde  mit 
ihnen  fest.  Die  Flügel  aber,  die  wurden  zu  Gewitterwolken;  darum 
schweben  diese  immer  zum  Gebirge  hin.«    (Maitr.  I,  10,  13.)') 

Sehr  zahlreich  sind  in  den  Brähmanas  die  Schöpfungs- 
legenden. Wie  sich  hier  metaphysisches  Denken  mit  spielen- 
den Erklärungen  von  Opfervorschriften  vereinigt,  mag  ein  Bei- 
spiel zeigen.  Zu  den  wichtigsten  Opfern  gehört  das  tägliche 
Feueropfer  (Agnihotra) ") ,  darin  bestehend ,  dafs  jeden  Morgen 
und  jeden  Abend  dem  Feuer  eine  Milchspende  dargebracht  wird. 
Über  Ursprung  und  Bedeutung  dieses  Opfers  äufsert  sich  ein 
Brähmana^)  folgendermalsen: 

»Im  Anfange  war  hier  nur  Prajäpati  allein.  Er  dachte  bei  sich: 
,Wie  kann  ich  mich  fortpflanzen?'  Er  quälte  sich  ab,  er  kasteite  sich*). 
Er  erzeugte  aus  seinem  Munde  den  Agni.  Und  weil  er  ihn  aus  seinem 
Munde  erzeugte,  darum  ist  Agni  ein  Verzehrcr  von  Speise.  Und 
wahrlich,  derjenige,  welcher  weifs,  dafs  Agni  ein  Speisen  verzehrer  ist, 
wird  selbst  ein  Verzehrer  von  Speise.  Ihn  erzeugte  er  also  zuerst 
agre)  unter  den  Göttern,  und  darum  heilst  er  Agni,  denn  der  Name 

')  Die  Sage  von  den  geflügelten  Bergen  ist  schon  den  Sängern 
des  Rigveda  bekannt  und  noch  bei  späteren  Dichtern  ein  beliebtes 
Thema.    Vgl.  Pischel,  Vedische  Studien  I,  174. 

»)  Siehe  oben  S.  150. 

3)  §at.  II,  2,  4. 

♦)  In  derselben  Weise  beginnen  fast  alle  Schöpfungssagen  in  den 
Brähmanas.  Wie  der  Zauberer  für  sein  Zauberwerk  und  der  Priester 
für  das  Opfer  sich  durch  Selbstquälerei  und  Kasteiung  vorbereiten 
müssen,  so  mufs  sich  auch  Prajäpati  auf  dieselbe  Weise  für  das  grofse 
Werk  der  Schöpfung  vorbereiten.  Von  der  Wurzel  sr  am,  »sich  abmühen«, 
»sich  abquälen«  ist  das  später,  besonders  in  der  buddhistischen  Litteratur, 
oft  vorkommende  Wort  Srama^a,  »der  Asket«,  abgeleitet.  Das  Wort 
Tapas  bedeutet  eigentlich  »Hitze,  dann  die  Erhitzung  zum  Zweck 
der  Askese,  dann  die  Askese  selbst  »In  der  Tat  steht,  wenn  unter 
der  Bezeichnung  Tapas  die  mannigfachsten  Formen  der  Kasteiüng  be- 
griffen werden,  doch  namentlich  in  der  älteren  Zeit  die  Beziehung  auf 
die  Hitze  als  das  Vehikel  der  Kasteiung  im  Vordergrunde.«  Vgl.  die 
vortrefflichen  Ausführungen  über  das  Tapas  von  Oldenberg,  Religion 
des  Veda,  S.  402  ff.  Nach  dem  §at.  X,  4,  4,  1  f.  kasteite  sich  Prajä- 
pati einmal  tausend  Jahre  lang,  bis  infolge  der  »Hitze«  der  Kasteiung 
Lichter  aus  seinen  Poren  drangen,  —  daraus  wurden  die  Sterne. 


—     192    — 

Agni  lautet  eigentlich  Agri')  .  .  .  Nun  dachte  Prajäpati  bei  sich: 
, Diesen  Agni,  den  habe  ich  mir  als  einen  Speiseverzehrer  erzeugt. 
Aber  es  gibt  ia  doch  hier  keine  andere  Speise  als  mich  selbst,  —  dals 
er  nur  nicht  mich  auffrilst!'  Zu  jener  Zeit  war  nämlich  diese  Erde 
ganz  kahl;  es  gab  da  weder  Pflanzen  noch  Bäume.  Darüber  machte 
sich  Prajäpati  Sorgen.  Hierauf  wandte  sich  Agni  gegen  ihn  mit  offenem 
(Munde),  und  von  dem  (Prajäpati),  da  er  sich  fürchtete,  wich  die  eigene 
Gröfse.  Seine  eigene  Gröfse.  das  war  aber  seine  Rede,  und  diese  seine 
Rede  wich  von  ihm.«  (Es  wird  dann  weiter  erzählt,  dafs  Prajäpati  für 
sich  selbst  ein  Opfer  wünscht  und  durch  Reiben  der  Hände  eine  Butter- 
oder Milchspende  erlangt,  woraus  die  Pflanzen  entstehen.  Infolge 
einer  zweiten  Butter-  oder  Milchspende  entstehen  dann  Sürya,  die 
Sonne,  und  Väyu,  der  Wind.)  'Und  indem  Prajäpati  Opf(>r  darbrachte, 
pflanzte  er  sich  einerseits  fort  und  rettete  sich  anderseits  auch  vor  Agni, 
dem  Tode,  da  dieser  im  Begriffe  war,  ihn  zu  verzehren.  Und  derjenige, 
welcher,  dieses  wissend,  das  Feueropfer  darbringt,  der  pflanzt  sich  einer- 
seits durch  Nachkommenschaft  fort,  so  wie  Prajäpati  sich  fortgepflanzt 
hat,  und  anderseits  rettet  er  sich  vor  Agni,  dem  Tode,  wenn  dieser  im 
Begiiff  ist,  ihn  zu  verzehren.  Und  wenn  er  stirbt,  und  wenn  man  ihn 
aufs  Feuer  legt,  so  wird  er  aus  dem  Feuer  wiedergeboren ,  das  Feuer 
aber  verzehrt  nur  seinen  Körper ').  Und  wie  wenn  er  von  sein<;m  Vater 
und  seine!-  Mutter  geboren  würde,  gerade  so  wird  er  aus  dem  Feuer 
geboren.  Derjenige  aber,  der  nicht  das  Feueropfer  darbringt,  ersteht 
nie  wieder  zu  neuem  Ueben.'  Darum  muls  man  unbedingt  das  Feuer- 
opfer darbringen.«  (Es  wird  dann  weiter  sehr  umständlich  erzählt,  wie 
die  von  Prajäpati  hervorgebrachten  Götter  Agni,  Väyu  und  Sürya 
selbst  wieder  Opfer  darbringen,  und  wie  die  Kuh  geschaffen  wurde. "I 
*  Diese  Kuh  aber  begehrte  Agni,  indem  er  dachte:  ich  möchte  mich 
mit  ihr  paaren.  Er  vereinigte  sich  mit  ihr  und  ergofs  seinen  Samen 
in  sie.  Dieser  wurde  zur  Milch.  Darum  ist  dieselbe  gekocht,  während 
die  Kuh  roh  ist.  denn  die  Milch  ist  Agnis  Same:  und  darum  ist  auch 
die  Milch,  ob  sie  nun  in  einer  schwarzen  oder  in  einer  roten  Kuh  ist, 
immer  weifs  und  glänzend  wie  Feuer,  weil  sie  eben  Agnis  Same  ist. 
Und  darum  ist  sie  auch  gleich  beim  Melken  warm,  denn  sie  ist  der 
Same  des  Agni.-^) 

So  -wie  diese  Schöpfungssagen  in  der  Regel  damit  beginnen, 
dafs  Praiäpati  sich  »abquält  und  kasteit«,  so  lesen  wir  auch  oft, 
dafs  er,  nachdem  die  Schöpfung  vollendet  war,  schlaff,  erschöpft  und 
ermattet  gewesen  sei,  —  worauf  dann  irgendein  Opfer  beschrieben 


\)  Vgl.  oben  S.  177. 

')  Eine  der  wenigen  Stellen  in  den  Brähmanas.  wo   vom   Leben 
nach  dem  Tode  die  Rede  ist. 
=»)  Vgl.  oben  S.  58. 


—     193    — 

wirdj  dmxh  welches  er  wieder  gestärkt  werden  mufste.  Einmal 
sind  es  die  Götter,  welche  dieses  Opfer  darbringen,  ein  anderes 
Mal  erweist  Agni  allein  dem  Prajäpati  diesen  Gefallen,  und  wieder 
an  einer  anderen  Stelle  kommt  er  dadurch  wieder  zu  Kräften^ 
dafs  er,  »nachdem  er  Hymnen  gesungen  und  sich  abgequält«, 
die  Opfertiere  erschafft  und  dieselben  opfert" ).  Es  ist  überhaupt 
merkwürdig,  dafs  dieser  Weltschöpfer  Prajäpati,  der  doch  eigent- 
lich der  höchste  Gott  in  den  Brähmanas  ist,  so  gar  nichts  Er- 
habenes an  sich  hat  und  oft  eine  ziemlich  klägliche  Rolle  spielt. 
Wird  er  ja  sogar  einmal  von  den  Göttern  selbst  als  Opfer  dar- 
gebracht^)! In  einer  mehrfach  erwähnten  Sage  wird  er  der 
Blutschande  bezichtigt,  die  er  mit  seiner  Tochter  Dyaus  (Himmel) 
oder  Usas  (Morgenröte)  begangen.  Um  ihn  für  diese  Sünde  zu 
strafen,  bildeten  die  Götter  aus  ihren  schrecklichsten  Formen  den 
Gott  Rudra.  Dieser  durchbohrte  mit  seinem  Pfeil  den  Prajäpati, 
wobei  Orion  und  andere  Sternbilder  entstanden  3).  Sehr  be- 
achtenswert ist  es  auch,  dafs  es  in  den  Brähmanas  (und  im  Veda 
überhaupt)  nicht  eine  indische  Schöpfungssage  gibt,  welche  — 
etwa  wie  die  biblische  Sage  in  Europa  —  mehr  oder  weniger 
aligemeine  Anerkennung  in  Indien  gefunden  hätte,  sondern  dafs 
wir  eine  Unzahl  von  vSchöpfungslegenden  finden,  welche  die  ver- 
schiedenartigsten Einfälle  und  Spekulationen  enthalten,  die  sich 
durchaus  nicht  miteinander  in  Einklang  bringen  lassen.  So  finden 
wir  z.  B.  im  Satapalha-Brähmana  kurz  nach  der  eben  angeführten 
Legende  einen  ganz  anderen  Schöpfungsbericht.  Prajäpati,  heilst 
es  auch  hier^),  quälte  sich  ab  und  kasteite  sich,  um  Wesen  zu 
erzeugen.  Er  brachte  Geschöpfe  hervor,  zuerst  die  Vögel,  dann  die 
kleinen  Kriechtiere,  dann  die  Schlangen,  —  aber  kaum  dafs  sie  ge- 
schaffen waren,  schwanden  sie  alle  wieder  dahin,  und  Prajäpati  war 
wieder  aliein.  Er  dachte  eifrig  darüber  nach,  woher  das  komme, 
und  endlich  fiel  ihm  ein,  dafs  die  Geschöpfe  aus  Mangel  an  Nahrung 
\imkämen.  Da  schuf  er  neue  Wesen,  aus  deren  Brüsten  er  Milch 
hervorquellen  liefs,  und  diese  blieben  am  Leben.   Wieder  an  einer 


')  §at.  IV,  6,  4,  1.  VII,  4,  1,  16  und  öfters.  VI,  1,  2,  12  ff. 
III,  9,  1. 

-)  Sat.  X,  2,  2. 

^)  Aitareya  Brähmaija  IIL  33.  Vgl.  Sat.  I,  7,  4,  1.  II,  1,  2,  8, 
VI,  1,  3,  8. 

^)  Sat.  II,  5,  1,  1—3. 

Winternitz,    Geschichte  de.  indischen  Litteratur.  13 


—     194     — 

anderen  Stelle  desselben  Werkes')  erschafft  Prajäpati  die  Tiere 
aus  seinen  Lebensorganen,  und  zwar:  aus  seinem  Geist  den 
Menschen,  aus  seinem  Auge  das  Pferd,  aus  seinem  Atem  die 
Kuh,  aus  seinem  Ohr  das  Schaf,  aus  seiner  Stimme  die  Ziege. 
Weil  der  Mensch  aus  Prajäpatis  Geiste  geschaffen  und  der  Geist 
das  erste  der  Lebensorgane  ist,  darum  ist  der  Mensch  das  erste 
und  stärkste  aller  Tiere  ^). 

In  der  Mehrzahl  der  Legenden  ist  allerdings  Prajäpati  der 
emzige  Schöpfer,  von  dem  die  Welt  und  die  Wesen  ihren  Ur- 
sprung nehmen.  Aber  es  gibt  auch  schon  in  den  Brähmanas 
Stellen,  wo  Prajäpati  selbst  als  geschaffen  gilt  und  die  Schöpfung 
mit  dem  Urwasser  oder  mit  dem  Nichtseienden  oder  mit  dem 
Brahman  beginnt.     So  lautet  die  Schöpfungssage  Sat.  XI,   1,  6: 

"Im  Anfange  gab  es  hier  nichts  als  Wasser,  ein  Wassermeer. 
Diese  Wasser  wünschten  sigh  fortzupflanzen.  .Sie  quäUen  sich  ab,  sie 
kasteiten  sich.  Und  als  sie  sich  kasteit  hatten^),  entstand  in  ihnen  ein 
goldenes  Ei.  Das  Jahr  gab  es  damals  noch  nicht;  aber  solange  eben 
ein  Jahr  währt,  schwamm  dieses  goldene  Ei  herum.  Nach  einem  Jahr 
entstand  daraus  ein  Mann,  das  war  Prajäpati.  Darum  gebiert  eine 
Frau  oder  eine  Kuh  oder  eine  Stute  innerhalb  eines  Jahres;  denn 
Prajäpati  wurde  nach  einem  Jahre  geboren.  Er  brach  das  goldene  Ei 
auf.  Damals  gab  es  aber  noch  gar  keinen  Standort.  So  schwamm 
denn  dieses  goldene  Ei,  welches  ihn  trug,  so  lange  herum,  als  ein  Jahr 
währt.  Nach  einem  Jahr  suchte  er  zu  sprechen,  und  er  sprach:  ,bhöh'^ 
und  dieses  (Wort)  wurde  die  Erde  hier;  (er  sprach:)  ,bhuvah',  und 
dieses  wurde  der  Luftraum  da,  ,su  var'*),  und  dieses  wurde  der  Himmel 
dort.  Darum  versucht  ein  Kind  nach  einem  Jahr,  zu  sprechen,  denn 
nach  einem  Jahr  hat  Prajäpati  gesprochen.  Als  Prajäpati  zuerst  sprach, 
sprach  er  ein-  und  zweisilbige  Wöjter,  darum  spricht  ein  Kind,  wenn, 
es  zuerst  spricht,  ein-  und  zweisilbige  Wörter.  Jene  (drei  Wörter) 
bilden  fünf  Silben.  Aus  diesen  machte  er  die  fünf  Jahreszeiten,  —  so 
gibt  es  hier  fünf  Jahreszeiten  5).    Dieser  Prajäpati  erhob  sich  über  die 

')  Sat.  VII,  5,  2,  6. 

^)  Es  ist  hier  speziell  von  den  Opfertieren  die  Rede. 

3)  Da  der  Ausdruck  Tapas  nicht  nur  Kasteiung,  sondern  auch 
Hitze  bedeutet,  ist  es  möglich,  bei  den  Worten  "als  sie  sich  kasteit 
hattens  die  auch  "als  sie  sich  erhitzt  hatten"  bedeuten  können,  an  die 
Bruthitze  zu  denken,  und  es  ist  leicht  möglich,  dafs  ein  beabsichtigter 
Doppelsinn  in  den  Sanskritworten  liegt.  Vgl.  oben  S.  87  und  191,  Anm  4. 
Deussen,  AUg.  Geschichte  der  Philosophie  I,  1,  S.  182,  2,  S.  60  ff. 

^)  Vgl.  oben  S.  162  über  die  drei  heiligen  Worte  bhüh.  bhuvah. 
suvar  (oder  svar). 

5)  Nämlich:  Frühling,  Sommer,  Regenzeit,  Herbst  und  Winter. 


—     195     — 

so  geschaffenen  Welten  nach  einem  Jahr;  darum  versucht  ein  Kind  nach 
einem  Jahr,  zu  stehen,  denn  nach  einem  Jahre  hat  sich  Prajapati  er- 
hoben. Er  wurde  geboren  mit  einem  Leben  von  tausend  Jahren.  Wie 
man  das  andere  Ufer  eines  Musses  von  ferne  sieht,  so  erblicktti  er  das 
andere  Ufer  seines  Lebens')-  Und  lobsingend  und  sich  abquälend 
lebte  er  dahin,  da  er  sich  fortzupflanzen  wünschte.  Er  leg:te  Zeugungs- 
kraft in  sich  hinein,  und  mit  dem  Munde  schuf  er  die  Götter  .  .  . 
Nachdem  er  sie  geschaffen,  war  es  für  ihn  gleichsam  taghell  (divä), 
und  das  ist  der  Götter  (deva)  Gottheit,  dafs  es  für  ihn,  nachdem  er 
sie  geschaffen,  gleichsam  taghell  war.  Nun  schuf  er  mit  dem  Lebens 
hauch,  welcher  unjen  ist,  die  Asuras  (Dämonen)  .  .  .  Und  nachdem  sie 
geschaffen  waren,  da  war  es  für  ihn  gleichsam  dunkel.  Er  wufste: 
Wahrlich,  Unheil  habe  ich  mir  da  geschaffen,  da  es  gleichsam  dunkel 
für  mich  -var,  nachdem  ich  sie  geschaffen.'  Und  damals  schon  schlug 
er  sie  mit  Unheil,  und  mit  ihnen  war  es  schon  damals  aus.  Darum 
sagt  manf  ,Nicht  wahr  ist  das  von  den  Kämpfen  zwischen  Göttern  und 
Asuras,  was  teils  in  Erzählungen  (anväkhyäna),  teils  in  Legenden 
(itihäsa)  berichtet  wird '),  denn  schon  damals  hat  sie  Prajapati  mit  Unheil 
geschlagen,  schon  damals  war  es  aus  mit  ihnen'  .  .  .  Was  für  ihn,  als 
er  die  Götter  geschaffen  hatte,  gleichsam  taghell  war,  daraus  machte 
er  den  Tag;  und  was  für  ihn,  als  er  die  Asuras  geschaffen  hatte, 
gleichsam  dunkel  war,  daraus  machte  er  die  Nacht.  So  gab  es  nun 
Tag  und  Nacht."    (Sat.  XI,  1,  6,  1—11.) 

Noch  merkwürdiger,  freilich  auch  viel  unklarer  ist  eine 
andere  Schöpfungslegende  (Sat.  VI,  1,  1),  die  mit  den  Worten 
beginnt:  x>Im  Anfange  war  hier  nur  das  Nichtseiende  (Asat).« 
Doch  wird  gleich  hinzugefügt,  dafs  dieses  Nichtseiende  eigentlich 
die  Rsis  waren,  denn  diese  haben  durch  Selbstqual  und  Kasteiung 
alles  hervorgebracht.  Diese  Rsis  waren  aber  die  Pränas  oder 
Lebensgeister,  und  diese  schufen  —  wie  sie  das  anstellten,  ist 
ganz  unklar  —  erst  sieben  Purusas  oder  x Menschen«  und  ver- 
einigten dann  diese  zu  einem  einzigen  Purusa,  dem  Prajapati. 

»Dieser  Purusa  (Menschl  Prajapati  wünschte,  sich  zu  vermehren, 
sich  fortzupflanzen.  Er  quälte  sich  ab,  er  kasteite  sich.  Nachdem  er 
sich  abgequält  und  kasteit  hatte,  schuf  er  als  erstes  das  Brahman, 
nämlich  die  dreifache  Wissenschaft  (trayi  vidyä).  Dies  war  für  ihn  die 
Grundlage.  Darum  sagt  man:  ,Das  Brahman  ist  die  Grundlage  des 
Alls.'  Darum  steht  man  fest,  wenn  man  den  Veda  gelernt  hat;  denn 
dieses,  das  Brahman  (d.  h.  der  Veda),  ist  die  Grundlage.« 


')  Da  Prajapati  geboren  ist,  mufs  er  auch  sterblich  sein. 

*)  Damit  werden  alle  die  zahlreichen  Legenden  der  Brähmanas, 
die  von  Kämpfen  zwischen  Göttern  und  Asuras  erzählen,  als  Lügen 
erklärt  1 

13* 


—    1%  — 

Es  wird  dann  weiter  erzählt,  wie  Prajäpati,  »feststehend  auf 
dieser  Grundlage«,  sich  kasteite  und  dann  erst  das  Wasser  schuf. 
Mit  Hilfe  des  Veda  brachte  er  ein  Ei  hervor;  aus  dem  Ei  ent- 
stand Agni,  und  die  Eierschale  ward  die  Erde  u.  s.  w.  Es  ist  ein 
sehr  weitschweifiger  und  verworrener  Bericht.  Aber  wichtig  ist 
es,  zu  sehen,  dafs  das  B  rahm  an,  ursprlinglich  Gebet  oder 
Zauberspruch,  dann  beiliges  Wissen  oder  Veda  bedeutend,  hier 
bereits  zur  Grundlage  alles  Seins  gemacht  wird.  Von  da  war 
nur  mehr  ein  Schritt  zu  der  Lehre  von  dem  Brahman  selbst  als 
einem  schöpferischen  Prinzip.  Auch  diese  Lehre  findet  sich  schon 
im  Satapatha  Brcähraana  (XI,  2,  3,  1),  wo  es  heifst: 

»Im  Anfange  war  hier  nur  das  Brahman.  Dieses  schuf  die  Götter^ 
und  nachdem  es  die  Götter  geschaffen,  gab  es  ihnen  diese  Welten  als 
Wohnsitze"),  (nämlich)  diese  Erden-weit  hier  dem  Agni,  den  Luftraum 
dem  Väyu  und  den  Himmel  dem  Sürya." 

So  sehen  wir,  wie  sich  in  den  Brähnianas  —  und  darin  liegt 
ihre  grolse  Bedeutung  für  die  Geschichte  des  indischen  Denkens 
—  bereits  alle  jene  Ideen  vorbereiten,  welche  erst  in  den 
Äranyakas  und  Upanisads  zur  vollen  Entfaltung  gekommen  sind. 
Findet  sich  doch  selbst  die  Grundlehre  der  Upanisads,  wie  sie 
äändilya  verkündete,  schon  in  dem  Öatapatha-ßrähmajia ^). 

Äranyakas  und  Upanisads. 

Wenn  R.  Garbe  3)  die  Opferwissenschaft  der  Brähmanas  als 
»das  einzige  litterarische  Erzeugnis  dieser  geistesarmen  Jahr- 
hunderte vor  dem  Erwachen  der  philosophischen  Spekulation« 
bezeichnet,  so  gibt  er  damit  einer  allgemein  verbreiteten,  aber 
meiner  Ansicht  nach  irrigen  Anschauung  Ausdruck.  Es  wäre 
ja  schrecklich,  zu  denken,  dafs  bei  einem  so  begabten  Volk,  wie 
es  die  Inder  schon  nach  dem  Zeugnis  der  Rigvedahymnen  ge- 
wesen sein  müssen,  die  unfruchtbaren  Difteleien  über  Zweck  und 
Sinn  von  Opferzeremonien  das  ganze  Denken  auch  nur  der 
Priester,  geschweige  denn  der  Krieger  und  der  übrigen  Volks- 
klassen ausgefüllt  haben  sollten.  In  Wirklichkeit  finden  wir  ja 
in  den  Brähmanas  selbst,   wie  schon  Säyana  hervorgehoben  hat, 

•)  Wörtlich:  »machte  es  sie  diese  Welten  besteigen". 

>)  X,.6,  3.    Vgl.  unten  S.  212. 

■)  Beiträge  zur  indischen  Kulturgeschichte  (Berlin  1903),  S-  6 


—     197     — 

und  wie  wir  zum  Teile  oben  gesehen  haben,  neben  Ritual - 
Vorschriften  (Kalpa)  und  den  Erläuterungen  zu  denselben  auch 
Sagen  und  Legenden  (Itihäsa),  kosmogonische  Mythen  (Puräna), 
epische  Gesangstrophen  (Gäthäj  und  Heldenpreislieder  (Närä- 
samsT) ').  Mit  anderen  Worten :  die  Anfänge  der  epischen  Dich- 
tung reichen  in  die  Zeit  der  Brähmanas  hinein.  Es  ist  ja  selbst- 
verständlich, dafs  die  grofsen  und  kostspieligen  Opfer,  von  denen 
die  Brähmanas  handeln,  nur  möglich  waren  unter  der  Voraus- 
setzung eines  tätigen  und  erwerbenden  Volkes;  und  undenkbar 
ist  es,  dafs  die  Krieger  und  Kaufleute,  die  Bauern  und  Herden- 
besitzer, die  Handwerker  und  Arbeiter  jener  Zeit  keine  Lieder 
gesungen,  keine  Geschichten  erzählt  hätten.  Von  dem  aber, 
was  schon  damals  in  Indien  gesungen  und  erzählt  wurde ,  ist 
einiges  in  den  vedischen  Texten  selbst  (so  z.  B.  die  Legende  von 
Sunahsepa),  vieles  aber  in  den  späteren  Epen  und  Puränas  er- 
halten. Die  Brähmanas  setzen  ferner  schon  die  Anfänge  der 
Grammatik,  der  Phonetik,  der  Astronomie,  d.  h.  jener  Wissen- 
schaften voraus,  welche  dann  später  als  Vedängas  mehr  selb- 
ständig betrieben  wurden  =).  Aber  auch  das  »Erwachen  der 
philosophischen  Spekulation«  fällt  nicht  nach  der  Zeit  der 
Brähmanas,  sondern  v.or  diese  Zeit.  Wir  haben  ja  gesehen,  wie 
schon  in  einigen  Hymnen  des  Rigveda  Zweifel  und  Bedenken 
gegen  den  volkstümlichen  Götterglauben  und  den  priesterlichen 
Kult  auftauchten.'  Diese  Zweifler  und  Denker,  diese  ersten 
Philosophen  Altindiens  blieben  gewifs  nicht  vereinzelt.  Dafs 
auch  sie  »Schule  gemacht« ,  dafs  auch  ihre  Lehren  sich  ver- 
breitet haben,  beweisen  ja  die  »philosophischen«  Hymnen  des 
Atharvaveda  und  einzelne  Stücke  der  Yajurveda-Samhitäs,  in  denen 
freilich  die  Lehren  der  Philosophen  oft  nur  in  einem  Zerrbild  er- 
scheinen 3).  Aber  selbst  diese  Zerrbilder  beweisen,  dafs  die  philo- 
sophische Spekulation  auch  während  der  Jahrhunderte,  in  welchen 
die  Opferwissenschaft  der  Brähmanas  blühte,  weitergepflegt  wurde, 

')  Max  Müller,  History  of  Ancient  Sanskrit  Literature.  2"^  Ed. 
London  1860^5.  344.  Vgl.  Öat.  XI,  5,  6,  8-,  7,  9,  -Kenner  der  Er- 
zählungen"  (Akhyänavidas)  werden  in  dem  äänk4iäyana-Srautasötra  als 
eine  eigene  Klasse  von  Litteraten  genannt.  (Indische  Studien  II,  S.  313.) 

*)  Über  die  Anfänge  der  Vedängas  in  den  Brähmanas  vgl.  Max 
Müller,  History  of  Ancient  Sanskrit  Literature,  S.  110  ff. 

3)  Vgl.  oben  S.  86  ff.,  130  ff.,  160  f. 


—     198    — 

Freilich  ist  es  niciit  wahrscheinlich^  da  fs  diese  ältesten  Philo- 
sophen Altindiens  dem  Priesterstande  angehörten.  Denn  ihre 
Lehren,  die  sich  gegen  die  Vielheit  der  Götter  wandten,  standen 
mit  den  Lebensinteressen  der  Priester  in  offenbarem  Widerspruch. 
Es  ist  nicht  gut  denkbar,  dafs  die  Brahmanen,  die  von  den 
Opfern  lebten,  unter  sich  Männer  hatten,  die  das  Dasein  des 
Indra  selbst  bezweifelten  und  die  Frage  aufwarfen,  ob  es  einen 
Sinn  habe,  den  Göttern  zu  opfern  ').  Viel  wahrscheinlicher  ist 
es,  dafs  sich  solche  Zweifler  und  Denker  unter  denjenigen  fanden, 
welche  den  Priestern  am  meisten  verhafst  waren,  unter  den 
»Geizigen«,  die  nicht  glaubten,  d.  h.  die  nicht  opferten  und 
den  Priestern  keine  Geschenke  gaben. 

Dafs  die  Knegerkaste  dem  geistigen  Leben  und  dem  litte- 
rarischen Treiben  der  alten  Zeit  nicht  ferne  stand,  beweisen  zahl- 
reiche Stellen  der  Upanisads,  aber  auch  schon  der  Brähmanas.  Im 
Kausitaki-Brähmana  (XXVI,  5).  unterhält  sich  ein  König  Pratar- 
dana  mit  den  Priestern  über  die  Opferwissenschaft.  Und  im 
XI.  Buch  des  Satapatha-Brähmana  ist  wiederholt  von  dem  König 
Janaka  von  Videha  die  Rede,  der  alle  Priester  durch  sein  Wissen 
beschämt.  Besonders  lehrreich  ist  die  Stelle,  wo  Janaka  die 
Priester  Svetaketu,  Somasusma  und  Yäjuavalkya  befragt,  wie  sie 
das  Feueropfer  (Agnihotra)  vollziehen.  Keiner  gibt  eine  be- 
friedigende Antwort.  Yäjfiavalkya  aber  erhält  ein  Geschenk  von 
hundert  Kühen,  weil  er  über  den  Sinn  des  Opfers  am  meisten 
geforscht  hat,  obwohl,  wie  König  Janaka  bemerkt,  auch  ihm  der 
wahre  Sinn  des  Agnihotra  noch  nicht  aufgegangen  ist.  Nach- 
dem der  König  sich  entfernt  hat,  sagen  die  Priester  zueinander: 
»Wahrhaftig,  dieser  Krieger  da  hat  uns  durch  seine  Rede  be- 
schämt. Wohlan!  Wir  wollen  ihn  zu  einem  Redewettstreit 
(Brahmodya)  herausfordern. «;  Yäjfiavalkya  aber  rät  davon  ab, 
indem  er  sagt:  »Wir  sind  Brahmanen,  er  aber  ist  nur  ein  Krieger. 
Wenn  wir  ihn  besiegen,  wen  sollen  wir  sagen,  dafs  wir  besiegt 
haben?  Wenn  aber  er  uns  besiegen  sollte,  würden  die  Leute 
von  uns  sagen:  ,Ein  Krieger  hat  die  Brahmanen  besiegt;'  denkt 
nicht  daran!'  Die  beiden  anderen  Priester  stimmten  ihm  bei, 
Yäjfiavalkya  aber  begibt    sich  zum  König  Janaka  und  läfst  sich 


')  Vpl  oben  S.  86. 


—     199     - 

von  ihm  belehren').  —  Auch  Ayasthüna,  der  Opferveranstalter, 
der  seinen  Priester  Saulväyana  belehrt ') ,  ist  schwerlich  ein 
Brahmane,  trotzdem  Säyana  ihn  für  einen  Rsi  erklärt.  Auch 
die  Rsis  oder  Verfasser  der  Hymnen  des  Rigveda  waren  ja  nach 
der  Tradition  durchaus  nicht  immer  Angehörige  des  Priester- 
standes, So  wird  von  einem  Rsi  Kavasa  er2ählt,  er  sei  der  Sohn 
einer  Sklavin,  em  Nichtbrahmane  gewesen.  Als  er  an  einem 
grofsen  Opfer  teilnehmen  wollte,  jagten  ihn  die  Priester  davon, 
damit  er  in  der  Wüste  verhungere  und  verdurste.  Die  Wasser 
und  die  Göttin  Sarasvati  aber  nehmen  sich  seiner  an,  er  »erschaut« 
einen  Hymnus,  worauf  die  Priester  ihn  als  Rsi  anerkennen  und 
wieder  aufnehmen  ^). 

In  den  Upanisads  aber  finden  wir  nicht  nur  Könige,  sondern 
auch  J^rauen  und  selbst  Leute  niedrigen  Standes,  die  sich  an 
den  litterarischen  und  philosophischen  Bestrebungen  lebhaft  be- 
teiligen und  oft  im  Besitze  des  höchsten  Wissens  sind.  So  fragt 
in  der  Brhadäranyaka-üpanisad  GärgT,  die  Tochter  des  Vacaknu, 
den  Y.äjnavalkya  so  lange  über  den  Urgrund  alles  Seins,  bis 
dieser  sagt:  »Frage  nicht  zuviel,  GärgT!  Dafs  dir  nicht  der 
Kopf  zerspringe.  Wahrlich,  über  die  Gottheit  darf  man  nicht 
zuviel  fragen.  Du  fragst  zuviel,  Gärgi;  frage  nicht  zuviel!« 
Und  an  einer  anderen  Stelle  tritt  dieselbe  GärgT  inmitten  einer 
Versammlung  von  disputierlustigen  Weisen  dem  berühmten  Lehrer 
Yäjfiavalkya  mit  den  Worten  entgegen:  »Ich  erhebe  mich  gegen 
dich.  Yäjnavalkya!  Wie  ein  Heldensohn  aus  Benares  oder  aus 
Videha  den  abgespannten  Bogen  mit  der  Sehne  bespannt  und 
mit  zwei  feindedurchbohrenden  Pfeilen  m  der  Hand  sich  erhebt, 
gerade  so  erhebe  ich  mich  gegen  dich  mit  zwei  Fragen,  —  die 
beantworte  mir!«  In  derselben  Upanisad  belehrt  Yäjnavalkya 
seine  Gattin  MaitreyT  über  die  höchste  Wissenschaft  vom  Atman  *). 
Wie  wenig  dieses  höchste  Wissen  ein  Vorrecht  der  Brahmanen 
ist,  beweist  auch  die  köstliche  Geschichte  von  Raikva  mit 
dem  Zjehkarren,  der  unter  seinem  Wagen  sitzt  und  sich  den 
Aussatz  schabt,    aber  im  Besitz  der  höchsten  Weisheit  stolz  wie 

')  Sat.  XI,  6,  2.    Vjrl.  XL  3,  1,  2-4.    XL  6,  3. 

')  Sat.  XL  4,  2,  17-20. 

^)  Aitareya  Brähmana  IL  19. 

')  Brhadäranyaka Upanisad  IT,  6;  III,  8;  H,  4  und  IV,  5. 


—    200    — 

ein  König  ist.  Demütig  naht  ihm  der  reiche  Spender  Jänasruti, 
um  von  ihm  belehrt  zu  werden.  Einen  Südra  nennt  ihn  Raikva 
und  lacht  über  die  Geschenke,  die  ihm  der  reiche  Mann  anbietet. 
Erst  als  dieser  ihm  seine  schöne  Tochter  zur  Frau  gibt,  läfst 
er  sich  herbei,  ihn  zu  belehren^).  Von  reizender  Naivität  ist 
auch  die  folgende  Geschichte: 

»Satyakäma  Jäbäla  sprach  zu  seiner  Mutter  Jabälä-  ,Ich  will, 
Verehrliche,  als  Brahmanschüler  eintreten;  sage  mir,  aus  welcher 
Familie  ich  bin'.  —  Sie  sprach  zu  ihm:  ,Das  weifs  ich  nicht,  mein  Junge, 
aus  welcher  Familie  du  bist;  in  meiner  Jugend  kam  ich  viel  herum 
als  Magd:  da  habe  ich  dich  bekommen;  ich  weifs  es  selbst  nicht,  aus 
welcher  Familie  da  bist;  ich  heifse  Jabälä,  und  du  heifsest  Satyakäma; 
so  nenne  ich  dich  denn  [statt  nach  dem  Vater]  Satyakäma,  Sohn  der 
Jabälä.'  Da  ging  er  zu  Häridrumata,  dem  Gautamer,  und  sprach ;  ,Ich 
möchte  bei  Ew.  Ehrwürden  als  Brahmacärin  eintreten;  Ew.  Ehrwürden 
wollen  mich  aufnehmen.'  —  Er  sprach  zu  ihm:  ,Aus  welcher  Familie 
bist  Du,  mein  Lieber'?  —  Er  sprach:  ,Das  weifs  ich  nicht,  Herr  Lehrer, 
aus  welcher  Familie  ich  bin;  ich  habe  die  Mutter  gefragt;  die  hat 
mir  geantwortet:  In  meiner  Jugend  kam  ich  viel  herum  als  Magd;  da 
habe  ich  dich  bekommen;  ich  weifs  es  selbst  nicht,  aus  welcher  Familie 
du  bist;  ich  heifse  Jabälä,  und  du  heifsest  Satyakäma.  So  nenne  ich 
mich  denn  vSatyakäma,  den  Sohn  der  Jabälä,  Herr  Lehrer.'  —  Er 
sprach  zu  ihm:  ,Nur  ein  Brahmane  kann  so  offen  sprechen;  hole  das 
Brennholz  herbei,  mein  Lieber  [das  zur  Zeremonie  erforderlich  ist];  ich 
werde  dich  aufnehmen,  weil  du  nicht  von  der  Wahrheit  abgegangen 
bist.'^) 

Die  Stelle  beweist,  wie  leicht  man  es  in  jener  alten  Zeit  mit 
der  brahmanischen  Abstammung  nahm,  während  doch  später 
—  in  den  Gesetzbüchern  —  immer  wieder  betont  wird,  dafs  nur 
der  Brahmane  den  X'^eda  lehren  und  nur  ein  Mitglied  der  drei 
höchsten  Kasten  im  Veda  unterrichtet  werden  darf.  In  den 
Upanisads  aber  wird  uns  auch  wiederholt  erzählt,  dafs  Könige 
oder  Krieger  im  Besitze  des  höchsten  Wissens  sind,  und  dafs  Brah- 
manen  zu  ihnen  in  die  Lehre  gehen.  So  geht  der  Brahmane 
Gautama,  Vater  des  Svetaketu,   zum  König  FVavähana,   um  sich 

')  Chändogya-Upanisad  IV,  1—3. 

*)  Chändogya-Upanisad  IV,  4.  Übersetzt  von  Paul  Deussen, 
Sechzig  Upanishads  des  Veda,  S.  121  f.  In  den  Vamsas  oder  Lehrer- 
listen des  öatapatha  -  Brähmana  werden  zahlreiche  Lehrer  nur  mit 
Mutternamen  genannt.  Vgl.  oben  S.  169,  Anm.  Satyakäma  be- 
deutet: »wahrheitsliebend«. 


—    201     — 

von  ihm  über  das  Jenseits  belehren  zu  lassen.  Und  es  wird  er- 
zählt, dals  dem  König  das  Verlangen  des  Gautama  sehr  peinlich 
gewesen  sei.  Denn  die  Lehre,  die  er  zu  verkünden  hatte,  war 
vorher  nie  zu  den  ßrahmanen  gednangen,  »und  darum  eben  ist 
in  allen  Welten  die  Herrschajt  dem  Krieget  stände  zugefallen'. 
Schliefslich  teilt  ihm  aber  der  König  doch  die  Lehre  mit,  —  und 
zwar  ist  es  die  Lehre  von  der  Seelen  Wanderung,  die  hier, 
wo  sie  zuerst  klar  und  deutlich  auftritt,  sich  als  eine  der  brah- 
tnanischen  Theologie  ursprünglich  fremde,  aus  dem  Kriegerstande 
hervorgegangene  Lehre  erweist').  Dafs  aber  auch  die  Haupt- 
lehre  der  Upanisads,  die  Lehre  vom  Ätman,  dem  AU-Eiuen, 
in  nicht-brahmanischen  Kreisen  entstanden  ist,  beweist  eine  andere 
Steile,  wo  fünf  hochgelehrte  Brahmanen  sich  zu  dem  weisen 
Uddälaka  Aruni  begeben,  um  von  ihm  die  Lehre  vom  Atman 
zu  erfahren.  Der  aber  überlegte  bei  sich :  »Diese  grofsen  Herren 
und  grofsen  Gelehrten  werden  mich  fragen,  und  ich  werde  ihnen 
nicht  auf  alles  antworten  können.  Wohlan!  Ich  will  sie  auf 
einen  anderen  hinweisen.«  Und  er  verweist  sie  auf  den  König 
Asvapati  Kaikeya,  zu  dem  sie  dann  tatsächlich  in  die  Lehre 
gehen  *). 

Während  also  die  Brahmanen  ihre  unfruchtbare  Opfer- 
wissenschaft betrieben,  beschäftigten  sich  bereits  andere  Kreise 
mit  jenen  höchsten  Fragen,  welche  schliefslich  in  den  Upanisads 
in  so  bewunderungswürdiger  Weise  behandelt  worden  sind.  Aus 
diesen  der  Priesterkaste  ursprünglich  fernstehenden  Kreisen 
gingen  die  Waldeinsiedler  und  wandernden  ,  Asketen  hervor, 
welche  nicht  nur  der  Welt  und  ihren  Genüssen  entsagten, 
sondern  sich  auch  von  den  Opfern  und  Zeremonien  der  Brah- 
manen fernhielten.  Aus  diesen  selben  Kreisen  bildeten  sich  auch 
bald  verschiedene,  dem  Brahmanismus  mehr  oder  weniger  feind- 
liche Sekten,    von  denen   die   der  Buddhisten   zu  so   grofser  Be- 


')  Chändogya-Up.  V,  3.  Brhadäragiyaka-Up.  VI,  2.  In  der  KausI 
taki-Up.  I,  1  belehrt  der  Ksatrija  Citra  den  '< Ersten  der  Priester-, 
Äruni,  über  das  Jenseits. 

')  Chändogya-Up.  V,  11  ff.  Eine  Version  dieser  Erzählung  findet 
sich  schon  im  §at.  X,  6,  1.  Vgl.  Deussen,  System  des  Vedänta 
(Leipzig  1883),  S.  18  f.  Allgemeine  Geschichte  der  Philosophie  I,  1,  S. 
166.  I,  2,  S.  17  ff.  R.  Garbe,  Beiträge  zur  indischen  Kulturgeschichte 
(Berlin  1903).  S.  1  ff.:  »Die  Weisheit  des  Brahmanen  oder  des  Kriegers?« 


—     202     -- 

rtihmtheit  gelangt  ist.  Die  grofse  Verbreitung  dieser  Sekten, 
namentlich  des  Buddhismus,  beweist  aber,  auf  wie  fruchtbaren 
Boden  die  Lehren  jener  alten  Philosophen  gefallen  sein  müssen, 
und  wie  sehr  die  mit  dem  Opferwesen  in  Widerspruch  stehenden 
Lehren  im  Volke  Anklang  fanden. 

Die  Brahmanen  aber  waren  von  jeher  viel  zu  kluge  Leute, 
um  nicht  von  diesen  Strömungen  Notiz  zu  nehmen,  ja,  sie  für 
ihre  Zwecke  auszunutzen.  Sie  taten  dies,  indem  sie  die  Lehre 
von  den  vier  Asramas  (Lebensstufen)  entwickelten,  wodurch 
das  Asketen-  und  Einsiedlerleben  zu  einem  wesentlichen  Bestand- 
teil des  brahmanischen  Religionssystems  gemacht  wurde.  Diese 
Lehre  besteht  darin,  dafs  man  erklärte,  jeder  > Ariern ,  d.  h.  jeder 
zu  einer  der  drei  höheren  Kasten  gehörige  Mann ,  der  ein 
ideales  Leben  führen  wolle,  müsse  vier  Lebensstufen  durch- 
laufen. Er  solle  zunächst  als  Schüler  (Brahmacärin)  bei 
einem  Lehrer  wohnen  und  den  Veda  lernen;  nach  vollendeter 
Lehrzeit  solle  er  einen  Hausstand  gründen  und  als  Hausherr 
(Ct  r  h  a  s  t  h  a)  Kinder  erzeugen  und  den  Göttern  die  vor- 
geschriebenen Opfer  darbringen  oder  darbringen  lassen.  Bei 
herannahendem  Greisenalter  aber  möge  er  sein  Haus  ver- 
lassen und  als  Waldeinsiedler  (V^änaprastha)  nur  mehr  einen 
beschränkten  Opferdienst  verrichten,  umsomehr  aber  über  die 
mystische  und  symbolische  Bedeutung  des  Opfers  nachsinnen- 
Aber  erst  wenn  er  sein  Ende  herannahen  fühlt,  soll  er  auch 
diese  Opfer  und  Meditationen  aufgeben,  aller  Werkefrömmigkeit 
entsagen  und  als  weltfluchtiger  Asket  (Sannyäsin)  nur  •  mehr 
über  das  Brahman,  das  höchste  Weltprinzip,  nachdenken  und  der 
Vereinigung  mit  demselben  zustreben. 

Mit  dieser  Lehre  vom  brahmanischen  Lebensideal  hängt  es 
zusammen,  dals  wir  in  den  Brähmanas  bereits  auch  Abschnitte 
finden,  welche  als  Äranyakas  oder  > Waldbücher ^^  d.  h.  im 
Walde  von  den  Einsiedlern  (Vänaprasthas)  zu  studierende  Texte'), 


')  So  heifst  es  in.  der  Äru^eya-Upanisad  2  (Deussen,  Sechzig: 
Upanishads  des  Veda,  S.  693),  dafs  der  Waldeinsiedler  von  allen  Veden 
nur  das  Aranyaka  und  die  Upanisad  hersaj^en  soll.  Auch  Rämänuja 
(Sacred  Books  of  the  East,  Vol.  48,  p.  645;  erklärt  die  Erwähnung- 
von  Opferzeremonien  in  den  Äragyaka-artigen  Anfängen  der  Upanisads 
damit,  dafs  sie  im  Walde  studiert  weiden  mufsten.    Vgl.  auch  Max 


—     203     — 

von  dem  übrigen  Lehrstoffe  der  Brahmanenschulen  abgesondert, 
zum  Teil  auch  demselben  hinzugefügt  wurden.    Den  Hauptinhalt 
dieser  Äranyakas  bilden  nicht  mehr  Regeln  über  die  Vollziehung 
der  Opfer   und   die   Erklärung   der  Zeremonien,   sondern  Opfer- 
mystik,  Opfersymbolik  und   die   priesterliche   Philosophie.     Mit 
dieser  Priesterphilosophie,  welche  wir  in  den  Brähmanas 
und  den  zu  ihnen  gehörigen  Äranyakas   verfolgen   können,   und 
welche  teils  das  Opfer,   teils  das  von   demselben  unzertrennliche 
heilige  Wort   (das   Brahman)   zum   höchsten   Prinzip    erhob    und 
zum  Urquell  alles  Seins  machte,  wurde  die  aufserhalb  der 
Priesterkreise   entstandene   und   der   priesterlichen 
Religion    eigentlich    zuwiderlaufende    Lehre    von 
dem   inneren  Selbst    (dem  Ä  t  m  a  n)    als    dem    Allein- 
seienden verquickt.    Das  R<!;sultat  dieser  unnatürlichen  imd 
gewaltsamen   Verquickxmg    sind    die    Upanisads.     Die    Lehre 
von   den  vier  Lebensstufen   aber   war  es  wieder,   welche   es  er- 
möglichte,  diese   Upanisads   zu  einem   Bestandteil   des  Veda   zu 
machen.     Wir    finden    nämlich    die    ältesten    Upanisads   teils    in 
den  Äranyakas  eingebettet,    teils  denselben   angehängt,   als  die- 
jenigen Texte,    welche  von   den  im   letzten  Asrama   befindlichen 
Asketen    (Sannyäsins)    studiert    werden   sollen.     Sie    bildeten    in 
mehr    als   einem    Sinne    den   Vedänta,    d.  h.    »das    Ende    des 
Veda« ').     Zunächst   sind  ja   die   meisten  dieser   Texte   späteren 
Ursprungs  und  fallen  chronologisch  in  das  Ende  der  vedischen 
Periode,     Ferner    dürfen    wir    nie    vergessen,    dafs    diese    ganze 
vedische   Litteratur    nicht    aus    geschriebenen    Büchern    bestand, 
sondern   nur  mündlich   überliefert  wurde.     Was  wir   also  in  den 
einzelnen  Brähmanas  finden  und  als  *  Werke«  oder  »Bücher«  zu 
bezeichnen   pflegen,    ist   nichts   anderes,    als   der   Lehrstoff   ver- 
schiedener   Priesterschulen.     Dieser    Lehrstoff    wurde    innerhalb 

Müller,  History  of  Ancient  Sanskrit  Literature,  p.  313  ff.  Nach 
H.  Oldenberg  (Die  Hymnen  des  Rigveda  I,  Berlin  1888,  S.  291) 
freilich  wären  die  Äranyakas  so  genannt,  weil  sie  »um  ihrer  höheren 
mystischen  Heiligkeit  willen  vom  Lehrer  dem  Schüler  im  Walde  statt 
im  DoT-f«  mitgeteilt  wurden.  Möglich  ist  es  ja,  dafs  auch  der  Unter- 
richt in  diesen  Texten  im  Walde  stattfand  (was  man  aus  Sänkhäyana- 
Grhyasütra  II,  12,  il  f.  vielleicht  schlielsen  darf). 

')  »Vedänta«  bezeichnet  ursprünglich  nur  die  Upanisads.  Später 
erst  wurde  das  Wort  zur  Bezeichnung  des  auf  die  Upanisads  sich 
gründenden  Systems  der  Philosophie  verwendet. 


—     204     — 

einer  gewissen  Lehrzeit  —  sie  imifafste  eine  Reihe  von  Jahren, 
während  welcher  der  Schüler  beim  Lehrer  wohnen  und  ihm 
dienen  mufste  —  den  Schülern  beigebracht.  In  das  Ende  dieser 
Lehrzeit  mufsten  natürlich  die  Unterweisungen  über  das  fallen, 
was  am  schwierigsten  zu  verstehen  war,  —  die  Mysterien,  die 
mystischen  und  philosophischen  Lehren,  wie  sie  in  den  Aran- 
yakas  und  Upanisads  enthalten  sind.  Auch  bei  der  Vedarezitation 
als  einer  heiligen  Handlung  und  religiösen  Pflicht  bildeten  diese 
Texte  das  Ende.  Die  späteren  Philosophen  endlich  sahen  in 
den  Lehren  der  Upanisads  nicht  das  Ende,  sondern  das  Endziel 
des  Veda'), 

Als  Vedänta  oder  »Veda-Ende«  gehören  also  die  Äranyakas 
sowie  die  älteren  Upanisads  zu  den  verschiedenen  -  vedischen 
Schulen ;  ja,  sie  bilden  geradezu  nur  Bestandteile  der  Brähmanas. 
So  schliefst  sich  an  das  zum  Rigveda  gehörige  Aitareya-Bräh 
mana  ein  Aitarey  a-Aranyaka  an,  in  welchem  die  Aitarey  a- 
U  p  a  n  i  s  a  d  ehigeschlossen  ist.  Das  ebenfalls  zum  Rigveda  gehörige 
KausTtaki-ßrähmana  endet  mit  djem  KausTtaki-Aranyaka, 
von  welchem  die  Kausitaki-Upanisad  nur  einen  Teil  bildet. 
Im  schwarzen  Yajurveda  ist  das  Taittiriy a-Aranyaka  nur 
eine  Fortsetzung  des  TaittirTya-Brähmana ,  und  den  Schlufs  des 
Äranyaka  bilden  die  TaittirTya-Upanisad  und  die  Mahä- 
Näräyana-Upanisad.  In  dem  grofsen,  zum  weilsen  Yajur- 
veda gehörigen  Satapatha-Brähmana  ist  das  erste  Drittel  des 
XIV.  Buches  ein  Äranyaka,  während  den  Schlufs  des  Buches 
die  gröfste  und  bedeutendste  aller  Upanisads,  die  Brhadära- 
nyaka-Upanisad,  bildet.  Zu  einem  Brähmana  des  Sämaveda 
—  wahrscheinlich  zum  Tändya-Mahä-Brähmana  —  gehört  die 
Chändogya-Upanisad,  deren  erster  Abschnitt  nichts  anderes 
als  ein  Äranyaka  ist.  Das  sogenannte  JaiminTya-Upanisad- 
Brähmana^)  ist  ein  Äranyaka  der  zum  Sämaveda  gehörigen 
Jaiminlya-  oder  Talavakära-Schule ,  und  einen  Teil  desselben 
bildet  die  Kena-Upanisad,  auch  Talavakära-Upanisad  ge- 
nannt. 


')  Vgl.  F.  Deussen,  System  des  Vedänta,  S.  3  f.  Allgemeine 
Geschichte  der  Philosophie  I,  2,  S.  5. 

')  The  Jaiminiya  or  Talavakära  opanisad  Brähmana,  Text, 
Translation,  and  Notes  by  Hanns  Oertel,  im  Journal  of  the  American 
Oriental  Society,  Vol.  XVI,  1896. 


—     205    — 

Mit  Ausnahme  der  Mahä-Näräyana-Upanisad,  welche  erst  in 
späterer  Zeit  zum  Taittiri\'^a  Aranyaka  hinzugefügt  worden  ist, 
gehören  alle  die  genannten  Upanisads  zu  den  ältesten  Werken 
dieser  Art.  Sie  sind  in  .Sprache  und  Stil  von  den  Brähmanas, 
zu  denen  sie  als  Bestandteile  gehören,  oder  denen  sie  sich  un- 
mittelbar anschliefsen,  nicht  verschieden.  Es  ist  dieselbe  schlichte, 
etwas  unbeholfene,  aber  —  namentlich  in  den  erzählenden  Stücken 
—  keineswegs  der  Schönheit  entbehrende  Prosa.  Nur  die  Keria- 
Upanisad  ist  ziir  Hälfte  metrisch,  und  sie  ist  die  jüngste  von  den 
aufgezählten  Upanisads.  Zwar  enthält  jede  der  grofsen  Upa- 
nisads, wie  Deussen')  sagt,  »ältere  und  jüngere  Texte  neben- 
einander, daher  das  Alter  jedes  einzelnen  Stückes  für  sich  be- 
stimmt werden  muls«.  Aber  im  grofsen  und  ganzen  lassen?  sich 
dtxib  vier  zeitlich  aufeinanderfolgende  Perioden  unterscheiden, 
und  es  lassen  sich  die  einzelnen  Upanisads  mit  ziemlicher  Sicher- 
heit in  eine  von  diesen  Perioden  einordnen.  In  die  erste  und 
älteste  von  diesen  Perioden  gehören  die  bisher  genannten  Up? 
nisads,  und  zv/ar  ist  nach  DeuSvSen"^),  dessen  Führung  v^' 
uns  hier  ganz  anvertrauen  können,  ihre  chronologische  Reihen- 
folge die  nachstehende: 

1 .  Brhadäranya  ka-Upanisad, 

2.  Chändogya-Upanisad, 

3.  Taittirlya-Upanisad, 

4.  Aitareya-Upanisad, 

5.  Kausrtaki-Upanisad, 

6.  Kena-Upanisad. 

An  diese  ältesten  Upanisads  schliefst  sich  eine  zweite  Klasse 
von  Texten  an,  welche  zwar  von  den  Indern  gleichfalls  be- 
stimmten vedischen  Schulen  zugeschrieben  werden,  bei  denen 
aber  der  Zusammenhang  mit  den  betreffenden  Schulen  sehr  lose 
und  in  der  Tat  sehr  zweifelhaft  ist.  Diese  Upanisads  sind  fast 
durchwegs  metrisch;  es  findet  sich  in  ihnen  nichts  mehr  von 
der  Opfermystik  der  Äranyakas,  —  sie  gehören  einer  jüngeren 
Periode  an.  Es  sind  dies  —  wieder  nach  der  chronologischen 
Anordnung  von  Deussen  —  die  folgenden  Texte: 

7.  Käthaka-Upanisad,    zum    schwarzen    Yajurveda    ge- 
rechnet ; 


')  Allgemeine  Geschichte  der  Philosophie  1,  2,  S.  22. 
')  A.  a.  O.,  S.  23  ff. 


—     206     — 

8.  Isä-Upanisad,  zum  weifsen  Yajurveda  gezählt,  weil 
sie  in  die  Väjasaneyi-Samhitä  aufgenommen  worden  ist^; 

^K  Svetäsvatara-Upanisad,  als  zum  schwarzen  Yajur- 
veda, 

10.  Mundaka-Upanisad,  als  zum  Atharvaveda,  und 

11.  Mahä-Näräyana-Upanisad,   als    zum    schwarzen 
Yajurveda   (Taittirrya-Aranyaka)  gehörig  bezeichnet 

Auf  diese  folgt  eine  dritte  Klasse  von  Upanisads,  welche 
wieder  in  Prosa  abgefalst  sind.  Aber  Sprache,  Stil  und  Inhalt 
weisen  sie  einer  jüngeren  Periode  zu,  obwohl  auch  sie  noch  be- 
stimmten vedischen  Schulen  zugerechnet  werden,  und  zwar: 

12.  die  Prasna-Upanisad  zum  Atharvaveda, 

13.  die  M  a  i  t  r  ä  y  a  n  i  y  a  -  U  p  a  n  i  s  a  d    zum   schwarzen  Yajur- 
veda und 

14.  die  M  ändükya-Upanisad  zum  Atharvaveda. 

Diese  vierzehn  Upanisads  sind  es,  welche  —  wenn  auch  ver- 
schiedenen Perioden  angehörig  —  immer  noch  die  älteste  Ent- 
wicklungsstufe der  Upanisadlitteratur  darstellen.  Sie  sind  es,  an 
welche  man,  wenn  von  der  ältesten  indischen  Philosophie  die 
Rede  ist,  vor  allem  denkt  und  welche  allein  ge wisser mafsen  ein 
kanonisches  Ansehen  geniefsen.  Die  sogenannte  Vedänta-Lehre 
ist  nur  in  diesen  Upanisads  in  ihrer  reinen,  ursprünglichen  Form 
enthalten. 

Es  gibt  nun  noch  eine  vierte  Klasse  von  Upanisads.  Wenn 
aber  schon  bei  den  Upanisads  der  beiden  vorhergehenden  Klassen 
die  Zugehörigkeit  zu  bestimmten  vedischen  Schulen  sehr  zweifel- 
haft ist,  so  steht  die  grofse  Masse  von  Texten,  welche  dieser 
Klasse  angehören,  eigentlich  zu  den  vedischen  Schulen  ,in  keiner 
Beziehung  mehr,  man  kann  sie  kaum  mehr  zum  Veda  überhaupt 
rechnen.  Die  Inder  allerdings  bezeichnen  alle  diese  Upanisads 
als  zum  Atharvaveda  gehörig.  In  Wirklichkeit  aber  ent- 
halten diese  sogenannten  »Upanisads  des  Atharvaveda  <  die 
Lehren  und  Anschauungen  von  Philosophenschulen  und  sektari- 
schen Gemeinschaften,  welche  au  [serhalb  des  Veda  stehen  und 
einer  viel  jüngeren  Zeit  angehöien.  Man  zählte  sie  zum  Athar- 
vaveda, weil  dieser  Veda  schon  von  Anfang  an  kein  kanonisches 
Ansehen«  genofs   und   es   nahe  lag,    alles,    was  nicht   orthodox- 

•)  S.  oben  S.  154. 


—     207     — 

brahmanisch  war,  a!s  zum  Atharvaveda  gehörig  zu  bezeichnen. 
Ferner  war  ja  der  Atharvaveda,  wie  wir  gesehen  haben,  vor 
allem  der  Veda  der  Zauberei  und  der  damit  verbundenen  Ge- 
heimniskrämerei ^).  Die  eigentliche  Bedeutung  von  »Upanisad« 
—  und  man  hat  diese  Bedeutung  nie  vergessen  —  war  aber 
»Geheimlehre«.  Was  war  natürlicher,  als  dals  man  eine  greise 
Klasse  von  Werken,  die  als  Upanisads  oder  Geheimlehren  galten, 
dem  Atharvaveda,  der  ja  selbst  nichts  anderes  war  als  eine 
Summe  von  Geheimiehren,  angliederte ') ! 

Das  Wort  IJpanisad  ist  nämlich  von  dem  Zeitwort  upa- 
ni-sad,  »sich  zu  jemand  nahe  hinsetzen«  abzuleiten,  und  es  be- 
deutet ursprünglich   das  Sich -hinsetzen  des  Schülers  zum  Lehrer 

-)  Siehe  oben  S    131. 

0  Die  sogenannten  »Atharvaveda-Upanisadsf  waren  es  vermutlich, 
von  welchen  zuerst  eigene  Upanisad -Sammlungen  angelegt  wurden. 
Solche  Sammlungen  sind  nicht  alt.  Denn  der  Philosoph  Sankara.  der 
um  800  n.  Chr.  gelebt  haben  dürfte,  zitiert  die  Upanisads  noch  als 
Bestandteile  der  Brähmanas,  zu  denen  sie  gehören,  und  weifs  von  einer 
Sammlung  derselben  nichts.  Er  spricht  entweder  von  den  Upanisads 
als  der  Sruti  oder  »Offenbarung«  schlechthin,  oder  er  nennt  die 
vedischen  Schulen,  zv.  denen  sie  gehören.  Selbst  Rämlnuja,  der  im 
zwölften  Jahrhundert  n.  Chr.  gt-lebt  haben  soll,  spricht  von  den 
Chandogas,  den  Väjasaneyins  oder  den  Kausitakins,  wenn  er  die 
Upanisads  der  betreffenden  Schulen  zitiert,  d.  h.  sie  sind  auch  für  ihn 
nur  Bestandteile  des  Veda,  nicht  Werke,  die  in  eigenen  Sammlungen 
existierten.  In  der  ohne  Zweifel  ganz  modernen  MuktikärUpanisad  wird 
eine  Liste  von  108  Upanisads  aufgezählt,  die  jedenfalls  in  einer 
Sammlung  bestanden.  (Deussen,  Sechzig  Upanishads,  S.  532  f.)  Die 
im  Jahre  1656  ins  Persische  übersetzte  Sammlung,  das  Oupnek'hat 
(s.  oben  S.  18),  enthält  50  Upanisads.  Die  Texte  der  Upanisads  sind 
in  Indien  sehr  oft  herausgegeben  worden.  Die  Brhadäranyaka  und  die 
Chändog>-a  -  Upanisads  sind  von  O.  Böhtlingk  (St.  Petersburg  resp. 
Leipzig  1889)  kritisch  herausgegebeu  und  ins  Deutsche  über- 
setzt worden.  Derselbe  Gelehrte  hat  die  Katha-,  Aitareya-  und  Prasna- 
Upanisads  kritisch  bearbeitet  und  ins  Deutsche  übersetzt  (Berichte 
der  kgl.  sächs.  Gesellschaft  der  Wissenschaften,  1890).  Die  wichtigsten 
Upanisads  sind  auch  im  I.  und  XV.  Band  der  Sacred  Books  of  the 
East  von  Max  Müller  ins  Englische  übersetzt  worden  (1879  und  1884). 
Am  besten  zugänglich  sind  jetzt  die  Upanisads  in  der  vortrefflichen 
deutschen  Übersetzung  von  Paul  Deussen,  Sechzig  Upanishads 
des  Veda,  Leipzig  1897.  Derselbe  Forscher  hat  im  zweiten  Teil  des 
ersten  Bandes  seiner  »Allgemeinen  Gescliichte  der  Philosophie"  (I>eipzig 
1899)  eingehend  über  die  Philosophie  der  Upanisads  gehandelt. 


—    208     ~ 

zum  Zweck  einer  vertraulichen  Mitteilung,  also  eine  »vertrau- 
liche« oder  »Geheimsitzung«.  Aus  diesem  Begriff  der  »Cieheim- 
sitzung«  hat  sich  dann  die  Bedeutung  »Geheiralehre«  —  das, 
was  in  einer  solchen  vertraulichen  Sitzung  mitgeteilt  wird  — 
entwickelt^).  Die  Inder  geben  als  Synonym  des  Wortes  upani- 
sad  in  der  Regel  das  Wort  rahas5'^am  an,  welches  »Mysterium, 
Geheimnis'<  bedeutet.  In  den  Upanisadtexten  selbst  werden 
öfters  die  Ausdrücke  i t i  rahasyam  und  ity  upanisad  neben- 
einander in  defti  Sinne  von  »so  lautet  die  Geheimlehre«  ge- 
braucht. Oft  genug  finden  wir  auch  in  den  Upänisads  selbst  die 
Warnung,  irgendeine  Lehre  einem  Unwürdigen  mitzuteilen. 
»Diese  Lehre  vom  Brahman,«  heifst  es  z.  B.  ^),  verkünde  ein 
Vater  seinem  ältesten  Sohne  oder  einem  vertrauten  Schüler, 
nicht  aber  einem  anderen,  wer  es  auch  sei,  selbst  wenn  ihm 
dieser  die  ganze  vom  Wasser  umschlossene ,  mit  Schätzen  ge- 
füllte Erde  geben  sollte.«  Sehr  häufig  wird  in  den  Upanisads 
auch  erzählt,  wie  ein  Lehrer  um  Mitteilung  irgendeines  Wissens 
gebeten  wird,  aber  erst  auf  wiederholtes  Bitten  und  Drängen  des 
Schülers  nachgibt  und  ihm  seine  Lehre  offenbart  3). 

Dieser  ursprünglichen  Bedeutung  des  Wortes  Upanisad 
entsprechend,  enthalten  schon  die  ältesten  Upanisads  sehr  ver- 
schiederartige Dinge.  Upanisad  war  nun  einmal  vor  allem  anderen 
ein  »Mysterium«,  und  jede  Lehre,  die  nicht  für  die  grofse  Menge 
bestimmt,  sondern  nur  in  einem  engen  Kreise  von  bevorzugten 
Personen  mitgeteilt  wurde  —  sei  es  eine  tiefsinnige  philosophische 

')  Deussen  (Allgemeine  Geschichte  .der  Philosophie  I,  2,  S.  14) 
erinnert  sehr  passend  daran,  daf s  das  Wort  Kollegium  ursprünglich 
^Versammlung"  bedeutet,  dann  aber  das,  was  in  dem  Kollegium  oder 
der  Versammlung  vorgetragen  Avird,  wenn  wir  Ausdrücke  wie  »ein 
Kolleg  lesen*,  »ein  Kolleg  hören«  gebrauchen.  Die  Ansicht  von 
Oldenberg  (ZDMG  Bd.  50,  1896,  S.  458  ff.),  dafs  upanisad  ursprüng- 
lich "Verehrung"  bedeute,  ist  von  Deussen  mit  den  besten  Gründen 
widerlegt  worden. 

*)  Chändogya-Upanisad  III,  Jl,  5  f.    Vgl.  Denissen  a.  a.  O.,  S.  12  f. 

?)  Das  Wort  upanisad  kommt  in  den  Upanisads  selbst  in  drei 
Bedeutungen  vor;  es  bedeutet  1.  «Geheimsinn«,  z.  B.  die  geheimnisvolle 
Bedeutung  der  Silbe  Gm;  2.  « Geheim  wort « ,  gewisse  Ausdrücke  und 
Formeln,  die  nur  dem  Eingeweihten  verständlich  sind,  wie  taijalän, 
*in  ihm  werdend,  vergehend,  atmend",  oder  satyasya  satyam,  »das  V/ahre 
des  Wahren',  als  Bezeichnung  des  höchsten  Wesens;  3.  *Geheimtext", 
d.  h,  »Geheimlchre"  und  >  Geheimwissen ^.    Vgl.  Deussen  a.  a.  O.,  S.  16  f. 


—    209     — 

Lehre  oder  irgendeine  nichtssagende  Symbolik  oder  Allegorie, 
ein  von  einem  Brahmanen  ausgeklügeltes,  als  Zauber  dienendes 
symbolisches  Opfer  oder  irgendeine  als  Zauberformel  dienende 
Aberweisheit  — ,  bezeichnete  man  als  Upanisad.  Alles  das  finden 
wir  in  der  Tat  schon  in  den  alten  Upanisads  nebeneinander 
und  durcheinander,  und  ganz  besonders  ist  dies  in  den  Athar- 
vaveda-Upanisads  der  Fall '). 

So  enthält  die  Kausitaki-Upanisad  aufser  psychologi- 
schen und  metaphysischen  Auseinandersetzungen  und  einer  aus- 
führlichen Eschatologie  auch  Beschreibungen  von  Opferriten, 
durch  die  man  irgendein  Gut  erlangen  oder  einen  Liebeszauber 
bewirken  kann,  Zeremonien  zur  Verhinderung  des  Sterbens  von 
Kindern,  und  sogar  eine  »Upanisad«,  d.  h.  eine  Geheimlehre, 
deren  Kenntnis  als  ein  Zauber  zur  Vernichtung  von  Feinden 
dient.  Desgleichen  enthält  die  Chändogya-Upanisad  zwar 
tiefe  philosophische  Gedanken  über  die  Weltschöpfung,  das  Welt- 
all und  die  Seele,  mitten  darunter  aber  auch  mystische  Speku- 
lationen über  die  Silbe  Om,  geheimnisvolle  Riten  zur  Heilung 
von  Krankheiten  und  dergleichen.  In  den  Atharvaveda- Upani- 
sads aber  finden  wir  z,  B.  eine  ganze  Upanisad  —  die  Gäruda- 
Upanisad'^)  — ,  die  nichts  anderes  ist  als  ein  Schlangenzauber 
und  ebensogut  in  der  Atharvaveda-Samhitä  stehen  könnte. 

Dies  ist  im  Auge  zu  behalten,  wenn  von  einer  »Philosophie 
der  Upanisads«  oder  gar  von  einem  »System  der  Upanisads -<  ge- 
sprochen wird»  Eine  Philosophie  der  Upanisads  gibt  es  nur  in- 
sofern, als  in  "diese  Sammelwerke  von  allerlei  Mysterien  auch 
die  Lehren  der  Philosophen  aufgenommen  worden  sind.  Und 
ein  System  der  Upanisad  -  Philosophie  gibt  es  nur  in  einem  sehr 
beschränkten  Sinne.  Denn  es  sind  nicht  die  Gedanken  eines 
einzelnen  Philosophen  oder  einer  einheitlichen,  etwa  auf  einen 
einzigen  Lehrer  zurückgehenden  Philosophen  schule,  die  uns  in 
den  Upanisads  vorliegen ,  sondern  es  sind  die "  Lehren  ver- 
schiedener Männer,  ja  verschiedener  Zeiten,  welche  in  den 
einzelnen  Abschnitten  der  Upanisads  vorgetragen  werden.    Aller- 


')  In  den  Lehrbüchern  der  Erotik  werden  unter  dem  Titel 
»Upanisad«  allerlei  auf  Kosmetik  und  Geschlechtsverkehr  bezügliche 
Geheimraittel  gelehrt  (Rieh.  Schmidt,  Beiträge  zur  indischen  Erotik, 
Leipzig  1902,  S.  817  ff.).  Ähnlich  schon  Asvaläyana-Grhyasütra  I,  13.  1. 

')  Deussen,  Sechzig  Upanishads  des  Veda,  S.  627  f. 

Winternitr,    Geschichte  der  indischen  Litteratur.  14- 


—    210     — 

dings  gibt  es  einige  Griindlehren,  welche  den  philosophischen 
Gedanken,  die  in  den  Upanisads  hervortreten,  etwas  Einheitliches 
verleihen;  und  nur  mit  Rücksicht  auf  diese  Grundlehren  kann 
man  (wie  es  üeussen  tut)  —  aber  immer  mit  Vorbehalten  — 
^on  einem  »System  der  Upanisads«  sprechen.  Wir  dürfen  daher 
auch  nicht  in  jedem  Kapitel  der  Upanisads  eine  tiefe  Weisheit 
suchen  und  in  jeder  Upanisad  einen  platonischen  Dialog  erwarten. 
Es  ist  ja  merkwürdig  genug,  dafs  wir  gerade  in  den  ältesten  und 
schönsten  Stücken  der  Upanisads  dieselbe  Form  des  Dialogs  finden 
wie  bei  dem  grofsen  griechischen  Philosophen.  Und  wie  uns 
Piatos  Dialoge  ein  wunderbar  lebendiges  Bild  von  dem  Leben 
und  Treiben  der  alten  Griechen  entrollen,  so  gestatten  uns  auch 
die  Dialoge  der  älteren  Upanisads  oft  einen  überraschenden  Ein- 
blick in  das  Leben  an  den  altindischen  Fürstenhöfen,  wo  Priester 
und  berühmte  Wanderlehrer  —  auch  gelehrte  Frauen  darunter 
-  zusammenströmten,  um  ihre  Redeturniere  vor  dem  König 
aufzuführen,  der  sich  nicht  selten  in  die  theologischen  und  philo- 
sophischen Unterhaltungen  mischte  und  die  gelehrten  Brahmanen 
durch  sein  Wissen  beschämte;  —  und  einen  Einblick  auch  in 
das  Schulleben  jener  alten  Zeiten,  wo  fahrende  Schtiler  weite  Reisen 
unternahmen,  um  irgendeinen  berühmten  Lehrer  zu  »hören«,  einen 
Lehrer,  zu  dem  die  Schüler  von  allen  Seiten  herzugelaufen  kamen, 
»wie  Wasser  in  den  Abgrund  stürzen  und  Monde  in  das  Jahr 
versinken«  ^).  Aber  neben  Abschnitten  von  tiefem  philosophischem 
Gehalt  und  neben  Stücken,  die  den  Vergleich  mit  den  Dialogen 
Piatos  sehr  wohl  aushalten,  finden  wir.  in  den  Upanisads  auch 
vieles,  was  philosophisch  und  litterarisch  ganz  wertlos  ist. 

Die  Qrundlehren  der  Upanisads. 

Das  Wertvollste  aber  in  den  Upanisads  sind  jene  Grund- 
gedanken, um  derentwillen  wir  von  einer  »Philosophie  der  Upani- 
sads« sprechen  können,  vor  allem  die  Grundlehre,  die  sich  durch 
alle  echten  Upanisads  hindurchzieht,  und  welche  sich  in  dem  Satze 
zusammenfassen  läfst:  ^Das  Weltall  ist  das  Brahman, 
das  Brahman  aber  ist  der  Ätman'j,  was  in  unserer  philo 
sophischen  Ausdrucks  weise  so  viel  heifsen  würde  wie:  »Die 
W'elt  ist  Gott,  und  Gott  ist  meine  Seele.« 

')  Taittirlya-Upanisad  J,  3. 


~    211     - 

Um  die  beiden  Begriffe  B  r  a  h  m  a  n  und  Ät  man  dreht  sich 
das   ganze  Denken   der  Upanisad  -  Philosophen ;  und   es   ist   not- 
wendig, sich  über  diese  Begriffe  klar  zu  sein,  um  die  Philosophie 
der  Upanisads  verstehen  zu  können.    Die  Etymologie  des  Wortes 
B  rahm  an     ist     zweifelhaft.     Schlagen    wir    das    Petersburger 
Sauskrit-Wörterbuch  auf,  so  finden  wir  Brahman  erklärt  als  »die 
als  Drang  und  Fülle   des  Gemüts  auftretende   und   den  Göttern 
zustrebende   Andacht«,   während  nach  Deussen')   das   Brahman 
»der   zum  Heiligen,  Göttlichen  emporstrebende  Wille   des  Men- 
schen« sein  soll.     Diese  Erklärungen  mögen  jüdisch -christlichen 
Vorstellungen    von    der  Gottheit    entsprechen,    der    indischen 
Auffassung  von  dem  Verhältnis  zwischen  Göttern  und  Menschen, 
wie   wir    sie   in   den   Samhitäs  und   Brähmanas  kennen    gelernt 
haben  ^),   laufen  sie  schnurstracks  zuwider.     Was  das  Wort  ety- 
mologisch  bedeutet,   wissen  wir  einfach   nicht.     Aber   im   Veda 
selbst  kommt  Brahman   unzählige  Male  in  der   Bedeutung  von 
»Gebet«    oder    »Zauberformel«    vor,    wobei    aber    nirgends    von 
einer  Andacht  oder  einer  Erhebung  zum  Göttlichen  die  Rede  ist, 
sondern   es  sind  damit  immer  nur  Formeln  und  Verse   gemeint, 
durch   welche   der  Mensch   auf   göttliche  Wesen  einwirken,   von 
ihnen  etwas  erreichen,  ja  erzwingen  will.    Als  eine  spätere  Zeit 
diese  Zauberformeln  und  Gebete  in  den  drei  Vedas  zu  »Büchern« 
oder  Schultexten   vereinigte,   nannte   man    diese    trayi   vidyä 
oder  »dreifache  Wissenschaft«  auch  kurzweg  das  Brahman.     Da 
man    aber    diesem    Veda    oder    Brahman  —  die    beiden    Worte 
wurden  ganz  gleichbedeutend  gebraucht  —  göttlichen  Ursprung 
zuschrieb,  und   da  das  Opfer,   welches,  wie  wir  gesehen  haben, 
selbst  als  eine  göttliche  Macht  aufgefafst  wurde,   nach  indischer 
Auffassung  vom  Veda  stammte   oder  im  Veda   enthalten  war'), 
so  gelangte  man  schliefslich  dazu,  dieses  Brahman  —  das  »Wort 
Gottes«,  das  heilige  Wissen  —  als  das  zuerst  Geschaffene  (brahma 
prathamajam)   zu  bezeichnen  und   es  am  Ende  gar  zum  schöpfe- 
rischen Prinzip,   zum  Urgrund   alles  Seins   (brahma  svayambhu) 


')  System  des  Vedänta,  S.  128.  Allgemeine  Geschichte  der 
Philosophie  I,  1,  S.  241  f. 

»)  Vgl.  oben  S.  70  f.,  174  f.,  193. 

3)  Öat.  V,  5,  5,  10:  »Das  ganze  Opfer  ist  so  grofs  als  der  dreifache 
Veda.«  Nach  Chändogya-Up.  VII,  4,  1,  sind  »in  den  Mantras  (d.  h.  im 
Veda)  die  Opferhandlungen  enthalten«. 

14* 


—    212     — 

zu  machen.  So  ist  das  Brahman  als  göttliches  Prinzip  ein  Be- 
griff der  Priesterphilosophie  und  aus  den  brahmanischen  An- 
schauungen über  Gebet  und  Opfer  durchaus  erklärlich '). 

Einfacher  ist  die  Geschichte  des  Wortes  Ätman.  Die  Ety- 
mologie ist  auch  bei  diesem  Worte  unsicher.  Die  einen  leiten 
es  von  der  Wurzel  an  »atmen«  ab  und  erklären  es  als  »Hauch, 
Atem,  Seele,  Selbst«.  Andere,  wie  Deussen^"),  wollen  es  von 
zwei  Pronominalstämmen  ableiten,  so  dafs  es  ursprünglich  be- 
deuten würde:  »Dieses  Ich«.  Wie  dem  auch  sein  mag,  Atman 
ist  nicht  blofs  ein  philosophischer  Begriff,  sondern  ein  im 
Sanskrit  häufig  vorkommendes  Wort,  dessen  Bedeutung  völlig 
klar  ist.  Es  heifst  so  viel  wie  »selbst?,  wird  oft  als  Reflexiv- 
pronomen gebraucht  und  bedeutet  als  Substantiv  die  eigene 
Person,  den  eigenen  Leib  im  Gegensatz  zur  Aufsenwelt,  zuweilen 
den  Rumpf  im  Gegensatz  zu  den  Gliedmafsen,  am  häufigsten 
aber  die  Seele,  das  eigentliche  Selbst,  im  Gegensatz  zum 
Leibe  3). 

Diese  beiden  Begriffe  Brahman  und  Atman  sind  in  der 
Philosophie  der  Upanisads  zusammengeflossen.  So  beginnt  die 
berühmte  Lehre  des  Sändilya  mit  den  Worten:  »Wahrlich, 
dies  AU  hier  ist  Brahman« ,  und  endet  nach  einer  Beschreibung 
des  Atman  mit  der  Erklärung,  dafs  Brahman  und  Atman  eins 
sind: 

»Dieser  mein  Atman  im  Innern  des  Herzens  ist  kleiner  als  ein 
Reiskorn,  oder  ein  Gerstenkorn,  oder  ein  Senfkorn,  oder  ein  Hirse- 
korn .  .  .  Dieser  mein  Ätman  im  Innern  des  Herzens  ist  grölser  als 
die  Erde,  gröfser  als  der  Luftraum,  gröfser  als  der  Himmel,  gröfser 
als  diese  Weltcnräume.    Jn  ihm  sind  alle  Handlungen,  alle  Wünsche, 


')  Vgl.  oben  S.  195  f.  Schon  A.  Weber  hat  das  Brahman  mit 
der  Logosidee  im  Neuplatonismus  und  im  Christentum  verglichen.  So 
auch  Deussen,  System  des  Vedänta,  S.  51,  und  Max  F.  Heck  er, 
Schopenhauer  und  die  indische  Philosophie  (Köln  1897),  S.  3.  Deussen 
will  das  Brahman  auch  mit  dem  Schopenhauerschen  »Willen«  in  Ein- 
klang bringen,  mufs  aber,  wie  Hecker  '.a.  a.  0.,  S.  82)  sich  milde  aus- 
drückt, dabei  »dem  Begriff  des  Brahman  einige  Gewalt  antun«. 
')  Allg.  Geschichte  der  Philosophie  1,  1.  S.  285^ 
5)  Schopenhauer  nannte  seinen  weifsen  Pudel  »Atman«,  'wodurch 
er,  der  vedäntistischen  Lehre  folgend,  das  innere  Wesen  in  Mensch 
und  Tier  als  das  gleiche  anerkennen  wollte«.    (Hecker  a.  a.  O.,  S.  8.) 


—    213    — 

alle  Gerüche,  alle  Geschmäcke-,  er  hält  dies  All  in  sich  eingeschlossen ; 
er  redet  nicht,  er  kümmert  sich  um  nichts;  —  dieser  mein  Atman 
im  Innern  des  Herzens  ist  dieses  Brahman.  Mit  diesem 
werde  ich,  wenn  ich  aus  diesem  Leben  scheide,  vereinigt  sein.  Wem 
solche  Erkenntnis  ward,  für  den,  fürwahr,  gibt  es  keinen  Zweifel. 
Also  sprach  Sä^cjib'a  —  Sändilya.«') 

Kurz  und  treffend  drückt  Deussen  diesen  Grundgedanken 
der  Upanisads  Tiiit  den  Worten  aus:  »Das  Brahman,  die  Kraft, 
welche  in  allen  Wesen  verkörpert  vor  uns  steht,  welche  alle 
Welten  schafft,  trägt,  erhält  und  wieder  in  sich  zurücknimmt, 
diese  ewige,  unendliche,  göttliche  Kraft  ist  identisch  mit  dem 
Atman,  mit  demjenigen,  was  wir  nach  Abzug  alles  Äufser- 
lichen  als  unser  innerstes  und  wahres  Wesen,  als  unser  eigent- 
liches Selbst,  als  die  Seele  in  uns  finden '^).«  Diese  Lehre  hat 
ihren  schärfsten  und  kühnsten  Ausdruck  in  dem  Upanisad- Worte 
gefunden,  welches  später  zum  Glaubensbekenntnis  von  Millionen 
von  Indern  geworden  ist,  in  dem  (von  Schopenhauer  so  oft 
zitierten)  tat  tvam  asi,  »das  bist  du«,  d.  h.  das  Weltall  und 
das  Brahman,  das  bist  du  selbst,  oder  mit  anderen  Worten :  Die 
Welt  ist  nur  insofern,  als  sie  in  deinem  eigenen  Innern  zur  Er- 
scheinung kommt.  Hören  wir,  in  welcher  Weise  die  Dichter- 
philosophen der  Upanisads  diese  Lehre  von  der  Wesenseinheit  der 
Welt  mit  dem  Brahman  und  des  Brahman  mit  dem  Atman  an- 
schaulich zu  machen  suchen'): 

»hvetaketu  war  der  Sohn  des  Uddälaka  Aruni.  Zu  ihm  sprach 
sein  Vater:  ,bvetaketu,  begib  dich  als  Vedaschüler  /u  einem  Lehrer. 
Denn,  mein  Lieber,  in  unserer  Familie  ist  es  nicht  üblich,  dafs  man, 
ohne  den  Veda  gelernt  zu  haben,  nur  so  dem  Namen  nach  ein 
Brahmane  ist.'  Da  nahm  er  denn,  zwölf  Jahre  alt,  die  Schülerweihe. 
Und  nachdem  er  mit  vierundzwanzig  Jahren  alle  Vedas  ausgelernt 
hatte,  kam  er  nach  Hause  —  hochmütig,  aufgeblasen  und  sich  für 
einen  Gelehrten  haltend.  Da  sprach  zu  ihm  sein  Vater:  ,Da  du  nun, 
mein  lieber  Svetaketu,  so  hochmütig  und  aufgeblasen  bist,  dich  für 
einen  Gelehrten  hältst,  sage  mir,  hast  du  denn  auch  jene  Lehre  er- 
fragt, durch  welche  das  Ungehörte  zu  Gehörtem,  das  Ungedachte  zu 
Gedachtem,  das  Unerkannte  zu  Erkanntem  wird?'  , Ehrwürdiger,  wie 
lautet   denn   diese   Lehre?'     ,Gleichwie,   mein   Lieber,   durch   einen 


')  Chändogya-Upanisad  III,  14.    Vgl.  oben  S.  196. 
*)  Allgemeine  Geschichte  der  Philosophie  1,  2,  S.  37. 
5)  Chändogya-Upanisad  VI,  1  ff. 


—    214     — 

Tonklumpen  alles  Tönerne  erkannt  wird  und  die  Verschiedenheit 
blofs  im  Worte  liegt,  blofs  ein  Name  ist  —  in  Wahrheit  aber  ist  es 
Ton  — ;  und  gleichwie,  mein  Lieber,  durch  ein  kupfernes  Kleinod 
alles  Kupferne  erkannt  wird  und  die  ''Verschiedenheit  blofs  im  Worte 
liegt,  blofs  ein  Name  ist  —  in  Wahrheit  aber  ist  es  Kupfer  — -,  und 
gleichwie,  mein  Lieber,  durch  e  i  n  e  Nagelschere  alles  Eiserne  erkannt 
wird  und  die  \''erschiedenheit  blofs  im  Worte  liegt,  blofs  ein  Name 
ist  —  in  Wahrheit  aber  ist  es  Eisen:  so,  mein  Lieber,  verhält  es  sich 
mit  dieser  Lehre.'  , Sicherlich  haben  meine  ehrwürdigen  Lehrer  dies 
nicht  gewufst;  denn  wenn  sie  es  gewufst  hätten,  warum  hätten  sie  cs 
mir  nicht  mitgeteilt?  So  mögest  denn  du,  Ehrwürdiger,  es  mir 
erklären.'    ,Gut,  mein  Lieber,'  sagte  der,  Vater. 

.Nur  das  Seiende,  mein  Lieber,  war  hier  im  Anfang,  und  zwar 
nur  als  Eines  ohne  ein  Zweites.  Es  haben  wohl  manche  gesagt:  Nur 
das  Nichtseiende  war  hier  im  Anfang,  und  zwar  nur  als  Eines  ohne 
ein  Zweites,  und  aus  diesem  Nichtseienden  ist  das  Seiende  entstanden. 
Wie  könnte  sich  aber,  mein  Lieber,  dies  also  verhalten?  Wie  sollte 
aus  dem  Nichtseienden  das  Seiende  entstehen  ?  Nur  das  Seiende,  mein 
Lieber,  war  hier  im  Anfang,  und  zwar  nur  als  Eines  ohne  ein  Zweites.'« 
(Er  führt  dann  weiter  aus,  wie  dieses  Seiende  die  Glut,  diese  das 
Wasser  und  dieses  die  Nahrung  geschaffen;  und  wie  das  Seiende, 
indem  es  jene  drei  Elemente  durchdrang,  die  Sinnenwelt  aus  sich  ent- 
wickelt Habe.  An  den  Erscheinungen  des  Schlafes,  des  Hungers  und 
des  Durstes  erläutert  er  dann,  wie  alles  auf  die  drei  Elemente,  Glut, 
Wasser,  Nahrung  —  oder,  wie  wir  sagen  würdeit:  Feuer,  Wasser, 
Erde  — ,  zurückgeht,  während  diese  drei  Elem.ente  wieder  nur  auf  dem 
Seienden  beruhen.  Da  aber  dieses  Seiende  mit  dem  Atman,  seiner 
Seele,  in  alle  Wesen  eingedrungen  ist,  so  ist  es  eben  auch  die  Seele 
in  uns.  Wenn  daher  ein  Mensch  stirbt,  so  wird  er  wieder  zu  dem, 
was  er  ursprünglich  war;  er  vereinigt  sich  wieder  mit  dem  Seienden, 
aus  welchem  er  hervorgegangen  ist.  Nun  folgt  eine  Reihe  von  Bildern, 
welche  alle  die  Lehre  von  der  Einheit  der  Welt  mit  dem  Allein- 
seienden und  der  menschlichen  Seele  erläutern  sollen).  »,So  wie,  mein 
Lieber,  die  Bienen,  wenn  sie  Honig  bereiten,  die  Säfte  der  ver- 
schiedensten Bäume  sammeln  und  dann  den  Saft  zu  einer  Einheit 
zusammentragen ;  —  so  wie  in  dieser  Einheit  jene  Säfte  keinen  Unter- 
schied beibehalten,  so  dafs  sie  sagen  könnten:  ich  bin  der  Saft  dieses 
Baumes,  ich  bin  der  Saft  jenes  Baumes,  —  also,  mein  Lieber,  haben 
auch  alle  diese  Geschöpfe  hier,  wenn  sie  in  dem  Seienden  aufge- 
gangen sind ,  kein  Bewufstsein  davon ,  dafs  sie  in  dem  Seienden  auf- 
gegangen. Was  sie  auch  immer  hier  sein  mögen,  ob  Tiger  oder  Löwe, 
Wolf  oder  Eber,  Wurm  oder  Vogel,  Bremse  oder  Mücke,  —  zu 
diesem  (nämlich  dem  Seienden)  werden  sie.  Und  dieses  Feine  eben 
ist  es_,  was  das  Wesen  des  Alls  ausmacht,  das  ist  das  Wahre,  das  ist 
der  Atman,  das  bist  du,  o  Svetaketu!'  ,Ehrv*ürdiger,  belehre  mich 
noch  weiter.'    ,Gut,  mein  Lieber  .  .  .' 

,Hole  mir  eine  Frucht  von  dem  Feigenbaume  dort.'   ,Hier  ist  sie. 


—    215    — 

Ehrwürdiger.'  ,Spalte  sie'  ,Sie  ist  gespalten,  Ehrwürdiger.'  ,Was 
siehst  du  darin ?'  ,Ganz  kleinwinzige  Körnchen,  Ehrwürdiger!'  ,SpaUe 
eines  von  diesen.'  ,Es  ist  gespalten.'  ,Was  siehst  du  darin?'  ', Nichts, 
Ehrwürdiger.'  Da  sprach  jener  zu  ihm:  ,Mein  Lieber,  jenes  ganz 
Feine,  was  du  nicht  wahrnimmst,  ist  es,  infolge  dessen  dieser  grofse 
Feigenbaum  dasteht.  Glaube  mir,  mein  Lieber,  dieses  Feine  eben  ist 
es,  was  das  Wesen  des  Alls  ausmacht,  das  ist  das  Wahre,  das  ist 
der  Atman,  das  bist  du,  o  t^vetaketu.'  ,Ehrwtirdiger ,  belehre  mich 
noch  weiter.'    ,Gut,  mein  Lieber.' 

,Lege  dieses  Stück  Salz  ins  Wasser  und  komme  morgen  früh 
wieder  zu  mir.'  Jener  tat  also.  Da  sprach  der  Vater  zu  ihm ;  ,Bringe 
mir  doch  das  Salz,  welches  du  gestern  abend  ins  Wasser  gelegt  hast.' 
Er  griff  danach,  fand  es  aber  nicht;  wie  verschwunden  war  es.  ,Koste 
doch  einmal  von  der  einen  Seite  des  Wassers.  Wie  schmeckt  es?' 
jSalzig.'  ,Koste  von  der  Mitte.  Wie  schmeckt  es?'  ,Salzig.'  ,Koste 
von  der  andern  Seite.  Wie  schmeckt  es?'  ,Salzig.'  ,Ifs  etwas  dazu 
und  komme  dann  wieder  zu  mir.'  Er  tat  also,  aber  der  Salzgeschmack 
blieb  immer  noch.  Da  sprach  der  Vater  zu  ihm:  ,W^ahrlich,  mein 
Lieber,  auch  hier  (in  diesem  Leib)  nimmst  du  das  Seiende  nicht  ge- 
wahr, und  doch  ist  es  da.  Und  dieses  Feine  eben  ist  es,  was  das  Wesen 
des  Alls  ausmacht,  das  ist  das  Wahre,  das  ist  der  Atman,  das  bist 
du,  o  Svetaketu.'« 

Was  uns  vor  diesen  alten  Denkern  Indiens  die  höchste 
Achtung  einflölsen  mufs,  das  ist  der  Ernst  und  der  Eifer,  mit 
dem  sie  das  göttliche  Prinzip  oder  was  Kant  das  Ding-an-sich 
nennen  würde  —  ob  sie  es  nun  »das  Eine«  oder  i>das  Seiende«, 
ob  sie  es  das  Brahman  oder  den  Atman  nannten  —  zu  er- 
gründen suchten.  So  lesen  wir  in  einem  Dialog,  der  in  zwei 
üpanisads  in  zwei  verschiedenen  Versionen  wiederkehrt*),  wie 
Gärgya  Bäläki,  ein  stolzer  und  gelehrter  Brahmane  zu  AjätaSatru, 
dem  König  von  Benareh,  kommt  und  sich  anheischig  macht,  ihm 
das  Brahman  zu  erklären.  Der  Reihe  nach  erklärt  er  den 
Purusa,  d.  h.  den  persönlichen  Geist,  in  der  Sonne,  im  Monde, 
im  Blitze,  im  Äther,  im  Winde,  im  Feuer,  im  Wasser,  sodann 
den  Geist,  der  als  Spiegelbild  oder  Schatten,  der  im  Echo,  im 
Tone,  im  Traume,  im  menschlichen  Körper  oder  im  Auge  er- 
scheint, für  das  Brahman.  Ajätasatru  ist  aber  von  keiner  dieser 
Erklärungen  befriedigt,  so  dafs  schliefslich  der  gelehrte  Brah- 
mane zum  König  selbst  in  die  Lehre  geht,  der  ihm  dann  aus- 
einandersetzt,   dafs   das    wahre   Brahman    nur    in   dem    erken- 


')  Kau§itaki-Up.  IV  und  Brhadaranyaka-Up.  II,  1. 


—    216     ~ 

nenden  Geist  (Purusa)  im  Menschen,  d.  h.  im  Atman,  im  Selbst, 
zu  suchen  sei.  »Wie  eine  Spinne  mit  ihrem  Gewebe  aus  sich 
herausgeht,  wie  von  einem  Feuer  die  kleinen  Fünkchen  nach 
allen  Richtungen  auseinanderfliegen,  so  gehen  aus  diesem  Ätman 
alle  Lebensgeister,  alle  Welten,  alle  Götter  und  alle  Wesen  hervor.« 
In  ähnlicher  Weise  wird  in  einer  berühmten  Upanisadstelle 
der  Unterschied  zwischen  dem  wahren  und  dem  falschen  Ätman 
dargetan.     Da  lesen  wir: 

»,Der  Ätman,  von  dem  alles  Böse  gewichen,  der  frei  vom  Alter, 
frei  vom  Tode  und  frei  vom  Kummer,  der  ohne  Hunger  und  ohne 
Durst  ist,  dessen  Wünsche  wahrhaft,  dessen  Entschlüsse  wahrhaft  sind, 
den  soll  man  erforschen,  den  soll  man  zu  erkennen, suchen;  der  erlangt 
alle  Welten  und  die  Erfüllung  aller  Wünsche,  wer  diesen  Ätman  ge- 
funden und  erkannt  hat.'  Also  sprach  Prajäpati.  Das  vernahmen 
sowohl  die  Götter  als  auch  die  Dämonen,  und  sie  sprachen:  ,Wohlan, 
wir  wollen  diesen  Atman  erforschen,  —  den  Atman,  durch  dessen  Er- 
forschung man  alle  Welten  und  die  Erfüllung  aller  Wünsche  erlangt. 
Und  Indra  machte  sich  auf  von  den  Göttern,  Virocana  aber  von  den 
Dämonen,  und  beide  kamen,  ohne  dafs  sie  sich  verabredet  hätten,  mit 
Brennholz  in  der  Hand  zu  Prajäpati  ')•  Sie  verweilten  als  Schüler 
zweiunddreifsig  Jahre  bei  ihm.  Da  sprach  zu  ihnen  Prajäpati :  ,Wonac.h 
ist  euer  Verlangen,  dafs  ihr  als  Schüler  hier  gewohnt  habt?'  Und  sie 
sprachen:  ,Der  Atman y  von  dem  alles  Böse  gewichen,  der  frei  vom 
Alter,  frei  vom  Tode  und  frei  vom  Kummer,  der  ohne  Hunger  und 
ohne  Durst  ist,  dessen  Wünsche  wahrhaft,  dessen  Entschlüsse  wahr- 
haft sind,  den  soll  man  erforschen,  den  soll  man  zu  erkennen  suchen, 
der  erlangt  alle  Welten  und  die  Erfüllung  aller  Wünsche,  wer  diesen 
Ätman  gefunden  und  erkannt  hat.  Diese  deine  Rede,  Ehrwürdiger,  hat 
man  vernommen.  Nach  diesem  ( A  tman)  ist  unser  Verlangen ;  darum  haben 
wir  hier  als  Schüler  bei  dir  gewohnt.'»  (Prajäpati  erklärt  ihnen  nun 
zuerst,  dafs  der  Purusa  im  Auge  oder  im  Schattenbild  der  Atman  sei. 
Virocana  gibt  sich  damit  zufrieden,  kehrt  zu  den  Dämonen  zurück 
und  verkündet  ihnen  die  Lehre,  dafs  der  Leib  der  Atman  sei,  und 
dafs  man  nur  den  Leib  zu  erfreuen  und  zu  pflegen  brauche,  um  alle 
Welten  zu  erlangen.  Indra  aber  sieht  bald  ein,  dafs  die  von  Prajäpati 
gegebene  Erklärung  nicht  ernst  gemeint  sein  könne.  Unbefriedigt 
kehrt  er  zurück  und  weilt  abermals  zweiunddreifsig  Jahre  als  Schüler 
bei  Prajäpati.)    »Da  sprach  dieser  zu  ihm:  ,Der  (Geist),  der  im  Traume*) 

')  Der  Schüler  mufs  beim  Lehrer  wohnen  und  ihm  dienen,  ins- 
besondere für  das  heilige  Feuer  sorgen.  »Mit  Brennholz  in  der  Hand 
kommen«  heilst  daher  so  viel-,  wie  »als  Schüler  zu  jemand  in  die 
Lehre  gehen«. 

*)  So  wie  in  den  Upanisads  die  Entwicklung  des  Ätmanbegriffes 
durch  die  Vorstufen  des  Purusa  im  Auge,  im  Spiegelbild,  im  Schatten 


-     217     -- 

froh  umherschweiit,  der  ist  der  Atman,  das  ist  das  Unsterbliche,  das 
Gefahrlose,  das  ist  das  Brahman.'  Da  zog  Indra  beruhigten  Herzens 
von  dannen.«  (Ehe  er  aber  noch  zu  den  Göttern  gelangt  war. 
begriff  er,  dafs  auch  das  Traumbild  noch  nicht  der  wahre  Ätman  sein 
könne.  Abermals  kehrt  er  zu  Prajäpati  zurück  und  weilt  zweiund- 
dreifsig  Jahre  als  Schüler  bei  ihm.  Nun  erklärt  Prajäpati  die  Seele  im 
traumlosen  Tiefschlaf  für  den  wahren  Ätman.  Indra  ist  auch  damit  noch 
nicht  zufrieden,  er  kfehrt  zurück,  und  Prajäpati  läfst  ihn  noch  fünf 
Jahre  bei  sich  wohnen,  worauf  er  ihm  endlich  die  Lehre  vom  wahren 
Atman  eröffnet.)  »,0  Indra,  sterblich  fürwahr  ist  dieser  Leib,  vom 
Tode  in  Besitz  genommen.  Er  ist  die  Wohnstätte  jenes  unsterb- 
lichen, körperlosen  Atman.  Von  Lust  und  Unlust  in  Besitz  genommen 
ist  der  mit  dem  Körper  verbundene  (Äiman),  denn  solange  er  mit  dem 
Körper  verbunden  ist,  gibt  es  für  ihn  keine  Abwehr  von  Lust  und 
Unlust.  Wenn  er  aber  körperlos  ist,  dann  freilich  berühren  ihn  Lust 
und  Unlust  nicht  .  .  ,  Wenn  nun  das  Auge  auf  den  Äther  dort  ge- 
richtet ist,  so  ist  e  r  der  Gejst  (Purusa)  im  Auge,  das  Auge  dient  aber 
nur  zum  Sehen.  Und  der  Atman  ist  es.  der  da  weifs:  „dies  will  ich 
riechen";  das  Geruchsorgan  dient  nur  zum  Riechen.  Und  der  Ätman 
ist  es,  der  da  weifs:  ,^dies  will  ich  sprechen';  die  Stimme  dient  nur  zum 
Sprechen.  Und  der  Atman  ist  es,  der  da  weifs:  ,4ies  will  ich  hören" ; 
das  Gehörorgan  dient  nur  zum  Hören.  Und  der  Atman  ist  es,  der  da 
weifs:  „dies  will  ich  denken";  das  Denkorgan  ist  sein  göttliches 
Auge.  Er  aber  ist  es,  der  sich  freut,  wenn  er  mit  dem  Denk 
organ,  diesem  göttlichen  Auge,  die  Gegenstände  seiner  Wünsche  sieht. 
Ihn  fürwahr,  diesen  Atman,  verehren  die  Götter  in  der  Brahman- 
welt ;  darum  sind  alle  Welten  von  ihnen  in  Besitz  genommen  und  alle 
ihre  Wünsche  erfüllt.  Und  der  erlangt  alle  Welten  und  die  Erfüllung 
aller  Wünsche,  der  diesen  Atman  gefunden  hat  und  erkennt.'  Also 
sprach  Prajäpati,  so  sprach  Prajäpati.*^) 

So  wird  also  auch  hier  wieder  der  wahre  Atman  als  der 
wissende  und  erkennende  Geist  im  Menschep  erklärt.  Dafs  aber 
dieser  Atman   mit  dem  Weltall  eins  ist  und  alles   nur   existiert, 


und  im  Traumbild,  wozu  oft  noch  der  Präi^a  oder  Lebensodem  kommt, 
bis  zum  wahren  Atman  verfolgt  wird,  so  finden  wir  in  merkwürdiger 
Übereinstimmung  auch  bei  den  Naturvölkern  den  Atem,  das  Augen- 
männchen, das  Spiegelbild,  den  Schatten  und  die  Traumbilder  als 
Vorstufen  des  Seelenglaubens.  (Vgl.  E.  B.  Tylor,  Die  Anfänge 
der  Kultur,  Leipzig  1873,  I,  S.  422  ff.  Fritz  Schnitze,  Psychologie 
der  Naturvölker,  Leipzig  1900,  S.  247  ff.) 

')  Chändogya-Upanisad  VIII,  7 — 12.  Eine  sehr  freie  poetische  Be- 
arbeitung dieses  Stückes  findet  sich  unter  dem  Titel  »Die  Belehrung 
der  Götter^  bei  Luise  Hitz,  Ganga  Wellen,  München  1893. 


—    218     — 

insofern  es  in  dem  erkennenden  Selbst  ist,  lehrt  das  schöne  Ge- 
spräch zwischen  Yäjnavalkya  und  Maitreyi.  Yäjnavalkya  ist  im 
Begriffe,  sein  Haus  zu  verlassen,  um  sein  Leben  als  Einsiedler 
im  Walde  zu  beschliefsen.  Da  will  er  zwischen  seinen  beiden 
Frauen  die  Teilung  machen  und  teilt  dies  der  einen,  der  Mai- 
treyi, mit. 

»Da  sprach  Maitreyi:  ,Wenn  mir  nun,  o  Herr,  diese  ganze  Erde 
mit  allem  ihrem  Reichtume  angehörte,  würde  ich  wohl  dadurch  un- 
sterblich sein?'  —  ,Mit  nichten!'  sprach  Yäjnavalkya,  ,sondern  wie  das 
Leben  der  Wohlhabenden  also  würde  dein  Leben  sein-,  auf  Unsterb- 
lichkeit aber  ist  keine  Hoffnung  durch  Reichtum*  —  Da  sprach  Maitreyi: 
»Wodurch  ich  nicht  unsterblich  werde,  was  soll  ich  damit  tun?  Teile  mir 
lieber,  o  Herr,  das  Wissen  mit,  welches  du  besitzest.'  —  Yäjnavalkya 
sprach:  ,Lirb,  fürwahr,  bist  du  uns,  und  Liebes  redest  du;  komm,  setze 
dich,  ich  werde  es  dir  erklären;  du  aber  merke  auf  das,  was  ich  dir 
sage.'  Und  er  sprach:  ,Fürwahr,  nicht  um  des  Gatten  willen  ist  der 
Gatte  lieb,  sondern  um  des  Selbstes  willen  ist  der  Gatte  lieb;  fürwahr, 
nicht  um  der  Gattin  will' .-  ist  die  Gattin  lieb,  sondern  um  des  Selbstes 
willen  ist  die  Gattin  lieb;  fürwahr,  nicht  um  der  Söhne  willen  sind 
die  Söhne  lieb,  sondern  um  des  Selbstes  willen  sind  die  Söhne  lieb  .  . .; 
fürwahr,  nicht  um  der  Götter  willen  sind  die  Götter  lieb,  sondern  iim 
des  Selbstes  wilkn  sind  die  Götter  lieb;  fürwahr,  nicht  um  der  Wesen 
willen  sind  die  Wesen  lieb,  sondern  um  des  Selbstes  willen  sind  die 
Wesen  lieb;  fürwahr,  nicht  um  des  Weltalls  willen  ist  das  Weltall 
lieb,  sondern  um  des  Selbstes  willen  ist  das  Weltall  lieb.  Das  Selbst, 
fürwahr,  soll  man  sehen,  soll  man  hören,  soll  man  verstehen,  soll  man 
überdenken,  o  Maitreyi;  fürwahr,  wer  das  Selbst  gesehen,  gehört, 
verstanden  und  erkannt  hat,  von  dem  wird  diese  ganze  Welt  ge- 
wufst'» ») 

Eine  der  häufigsten  Benennungen  des  Atman  in  den  Upa- 
ni?ads  ist  das  Wort  Präna,  d.  h.  ? Lebensodem,  Leben,  Lebens- 
prinzip ;<.  Und  zahlreiche  Stellen  der  Upanisads  beschäftigen 
sich  mit  diesem  Präna,  welcher  mit  dem  erkennenden  Selbst  eins 
ist ;  oder  auch  mit  dem  Verhältnis  desselben  zu  den  Organen  der 
Seele,  den  sogenannten  Pränas  (präuäh,  Plural  von  präna). 
Diesen  Organen  —  Sprache,  Atem,  Gesicht,  Gehör  und  Denk- 
organ -  entsprechen  im  Weltall  fünf  Naturkräfte:  das  Feuer, 
der  Wind ,  die  Sonne ,  die  Weltgegenden  und  der  Mond.  Und 
von  der  Wechselwirkung  zwischen  den  Organen  und  den  Natiir- 

')  Brhadäranyaka-Up.  II,  4.  Übersetzung  von  P.  Deussen,  Sechzig 
Upanishads,  S.  416  ff. 


—     219     — 

kräften  ist  in  den  Upanisads  oft  die  Rede.  Es  ist  das  gewisser- 
mafsen  die  von  der  Metaphysik  allerdings  nicht  zu  trennende 
Psychologie  der  Upanisads.  Sehr  beliebt  ist  das  oft  erzählte 
»psychologische  Märchen«  vom "  Rangstreit  der  Lebensorgane. 
Da  wird  erzählt ,  wie  die  Pränas  oder  Lebensorgane  einst  um 
den  Vorrang  stritten.  Sie  gingen  inm  Vater  Prajäpati,  dafs  er 
ihren  Streit  schlichte. 

»Er  aber  sprach  zu  ihnen:  »Derjenige  ist  der  Beste  von  euch,  nach 
dessen  Wegprang  sich  der  Körper  am  schlechtesten  befindet.'  Da  zog 
die  Sprache  aus,  und  nachdem  sie  ein  Jahr  lang  in  der  Fremde  geweilt, 
kehrte  sie  zurück  und  sprach:  ,Wie  habt  ihr  ohne  mich  leben  können ?' 
»Gerade  so',  sagten  sie,  ,wie  Stumme,  die  nicht  reden,  aber  mit  dem 
Atem  atmen,  mit  dem  Gesicht  sehen,  mit  dem  Gehör  hören  und  mit  dem 
Denkorgan  denken.'  Und  die  Sprache  begab  sich  wieder  (in  den  Körper) 
hinein.  Da  zog  das  Gesicht  aus,  und  nachdem  es  ein  Jahr  lang  in  der 
Fremde  geweilt,  kehrte  es  zurück  und  sprach :  ,Wie  habt  ihr  ohne  mich 
leben  können?'  ,Gerade  so',  sagten  sie,  .wie  die  Blinden,  die  nicht  sehen, 
aber  mit  dem  Atem  atmen,  mit  der  Sprache  reden,  mit  dem  Gehör 
hören  und  mit  dem  Denkorgan  denken.'  Und  das  Gesicht  begab  sich 
wieder  hinein.  Da  zog  das  Gehör  aus,  und  nachdem  es  ein  Jahr  lang 
in  der  Fremde  geweilt,  kehrte  es  zurück  und  sprach:  ,Wie  habt  ihr 
ohne  mich  leben  können?'  ,Gerade  so',  sagten  sie,  ,wie  Taube,  die 
nicht  hören,  aber  riiit  dem  Atem  atmen,  mit  der  Sprache  reden,  mit 
dem  Gesichte  sehen  und  mit  dem  Denkorgan  denken.'  Und  das  Gehör 
begab  sich  wieder  hinein.  Da  zog  das  Denkorgan  aus,  und  nachdem 
es  ein  Jahr  lang  in  der  Fremde  geweilt,  kehrte  es  zurück  und  sprach: 
,Wie  habt  ihr  ohne  mich  leben  können?'  ,Gerade  so,',  sagten  sie,  ,wie 
Einfältige,  die  nicht  denken,  aber  mit  dem  Atem  atmen,  mit  der 
Sprache  reden,  mit  dem  Gesichte  sehen  und  mit  dem  Gehöre  hören.' 
Und  das  Denkorgan  begab  sich  wieder  hinein.  Als  aber  nun  der  Atem 
(Prä^a)  ausziehen  wollte,  da  rils  er  die  anderen  Lebensorgane  mit 
heraus,  gerade  so,  wie  ein  edles  Rofs  die  Pflöcke  der  Fufsfesseln  mit 
herausreifst.  Da  kamen  sie  alle  zu  ihm  und  sprachen:  ,Ehrwürdiger, 
komm,  du  bist  der  Beste  von  uns.  Ziehe  nicht  aus!'  .  .  .  Darum 
nennt  man  sie  nicht  die  Sprachen,  nicht  die  Gesichte,  nicht  die  Ge- 
höre, nicht  die  Denkorgane,  sondern  man  nennt  sie  die  Pränas,  denn 
eben  der  Prä^a  ist  sie  alle.«^) 

Sowie  die  Lehre  vom  Präna  und  den  Pränas  mit  der  Grund- 
lehre vom  Atman  zusaninienhängt ,  so  gibt  dieselbe  Lehre  den 
Dichterphilosophen  der  Upanisads  auch  Anlafs  zu  grofsartigen 
philosophischen  Dichtungen ,   wie   man   sie  wohl  am  beslen   be- 

')  Chändogya-Up.  V.  1.    Vgl.  Brhadäranyaka-Up.  VI,  1,  7-14. 


_     220    — 

zeichnen  kann,  über  die  Schicksale  des  individuellen  Atman, 
d.  h.  der  menschlichen  Seele,  in  den  Zuständen  des  Wachens 
und  des  Träumens,  des  Schlafes  und  des  Sterbens,  und  auf  ihren 
Wanderungen  ins  Jenseits  bis  zu  ihrer  endlichen  »Erlösung«, 
d.  h.  ihrem  völligen  Aufgehen  in  dem  Brahman.  So  entwirft 
vor  allem  die  Brhadäranyaka-Upanisad  (IV,  3—4)  von  den  Schick- 
salen der  Seele  ein  Bild,  welches,  wie  Deijssen')  mit  Recht  be- 
merkt, »an  Reichtum  und  Wärme  der  Darstellung  wohl  einzig 
in  der  indischen  Litteratur  und  vielleicht  in  der  Litteratur  aller 
Völker  dasteht.«  Hier  finden  wir  auch  die  Lehre  von  der 
Seelenwanderung  und  die  mit  ihr  aufs  engste  zusammen- 
hängende ethische  Lehre  vom  Karman,  der  Tat,  die  mit 
der  Sicherheit  eines  Naturgesetzes  ihre  Folgen  haben  rnufs,  zum 
erstenmal  klar  und  deutlich  entwickelt.  Diese  grofse,  später 
—  namentlich  im  Buddhismus  —  auf  allen  Gassen  und  Strafsen 
gepredigte  Lehre  von  der  Tat  ist  in  den  Upanisads  noch  ein 
grofses  Mysterium.     Artabhäga  fragt  den  Yäjftavalkya: 

»,Yä)navalkya,'  sagte  er,  ,wenn  nach  dem  Tode  dieses  Menschen 
hier  seine  Stimme  in  das  Feuer  eingeht,  sein  Atem  in  den  Wind,  sein 
Gesicht  in  die  Sonne,  sein  Denkorgau  in  den  Mond,  sein  Gehör  in  die 
Weltgegenden,  sein  Leib  in  die  Erde,  seine  Seele  (Ätman)  in  den 
Äther,  seine  Leibhaare  in  die  Kräuter,  seine  Haupthaare  in  die  Bäume 
und  sein  Blut  und  Samen  im  Wasser  niedergelegt  wird ,  —  wo  ist 
dann  dieser  Mensch?'  ,Nimm  mich  bei  der  Hand,  mein  Lieber!'  sprach 
Yäjnavalkya.  ,  Artabhäga,  wir  beide  wollen  davon  wissen ;  nicht  gehört 
diese  unsere  Angelegenheit  unter  die  Leute.'  Und  die  beiden  gingen 
hinaus  und  beredeten  sich  miteinander;  und  die  Tat  war  es,  wovon 
sie  sprachen-,  die  Tat  war  es,  die  sie  priesen.  Gut,  fürwahr,  wird  er 
durch  gute  Tat,  böse  durch  böse  Tat  <  ^). 

Ausführlicher  wird  diese  Lehre  dann  im  Anschlufs  an  die 
grofsartige  Schilderung  vom  Auszug  der  Seele  aus  dem  Körper 
behandelt.     Da  heilst  es: 

»Die  Spitze  seines  Herzens  beginnt  zu  leuchten,  und  bei  dieser 
Leuchte  zieht  der  Ätmän  aus,  sei  es  aus  dem  Auge,  oder  aus  dem 
Kopfe,  oder  aus  anderen  Ivcrperstellen.  Und  indem  er  auszieht,  folgt 
ihm  der  Lebensodem  (Präna)  nach;  und  hinter  dem  ausziehenden 
Lebensodem  her  ziehen  alle  Lebensorgane  hinaus,  und  auch  das  Be- 
wufstsein  folgt  ihnen  nach.    Er  aber,  der  Erkennende  (der  Atman),  ist 


0  Sechzig  Upauishads,  S.  463. 
»)  Brhadäranyaka-Up.  III,  2,  13  f. 


—    221     — 

mit  Erkenntnis  ausjjestattet.  An  ihm  bleiben  das  Wissen  und  die 
Taten,  die  Erfahrungen  des  früheren  Lebens,  haften.  Gleichwie  eine 
Raupe,  wenn  sie  an  das  Ende  eines  Grashalms  g:elangt  ist,  sich  in  sich 
selbst  zusammenzieht,  ebenso  zieht  sich  der  Mensch,  wenn  er  den 
Körper  abgestreift  hat  und  das  Nichtwissen  losgeworden  ist,  in  sein 
Selbst  f  Atraan^  zusammen.  Gleichwie  eine  Stickerin  von  einer  Stickerei 
ein  Teilchen  abtrennt  und  daraus  eine  aridere,  ganz  neue  und  schönere 
Form  schafft,  ebenso  schafft  sich  der  Mensch  hier,  nachdem  er  diesen 
Körper  abgestreift  hat  und  das  Nichtwissen  losgeworden  ist,  eine 
andere,  ganz  neue  und  schönere  Form,  die  eines  Ahnengeistes  oder 
eines  Gandharva,  eines  Brahman  oder  eines  Prajäpati,  eines  Gottes  oder 
eines  Menschen  oder  die  irgendeines  anderen  Wesens.  .  .  .  Wie  er 
gehandelt,  wie  er  gewandelt,  so  wird  er;  wer  Gutes  getan,  wird  als 
Guter,  wer  Böses  getan,  als  Böser  wiedergeboren.  Gut  wird  er  durch 
gute  Tat,  böse  durch  böse  Tat.  Darum  sagt  «lan  ja.  »Der  Mensch 
hier  ist  ganz  aus  Begierde  gebildet,  und  je  nachdem  seine  Begierde 
ist,  danach  ist  sein  Entschlufs,  und  je  nachdem  sein  Entschlufs  ist, 
danach  vollzieht  er  die  Tat,  und  je  nachdem  er  die  Tat  vollzieht,  danach 
ist  sein  Geschick.'« ') 

Infolge  dieser  Lehre  vom  Karman  spielt  das  moi-alische 
Element  in  den  Upani.sads  eine  weit  grölsere  Rolle  als  in  den 
Bruhmanas.  Viel  Raum  für  eine  eigentliche  Sittenlehre  ist  jedoch 
auch  in  den  Upanisads  nicht  übrig,  Verhältnismäfsig  selten  be- 
gegnen uns  sittliche  Vorschriften,  wie  sie  z.  B.  in  der  Taittiriya- 
Upanisad  (I,  11)  der  Lehrer  dem  scheidenden  Schüler  mit  auf 
den  Lebensweg  gibt: 

»Sprich  die  Wahrheit,  tue  deine  Pflicht,  vernachlässige  nicht  das 
Vedastudium.  Nachdem  du  dem  Lehrer  (nach  Beendigung  der  Lehr- 
zeit) die  liebe  Gabe  gebracht  hast,  sorge  dafür,  dafs  der  Faden  deines 
Geschlechts  nicht  abreifse  .  .  .  Vernachlässige  nicht  die  Zeremonien 
für  die  Götter  und  Manen.  Ein  Gott  sei  dir  die  Mutter,  ein  Gott  sei 
dir  der  Vater,  ein  Gott  sei  dir  der  Lehrer,  ein  Gott  sei  dir  der  Gast« 
u,  s.  w. 

Interessanter   und  viel  mehr  upanisad-artig   als  diese  Moral- 
vorschriften ist  eine  andere   auf  die  Ethik  bezügliche  Stelle,   die 
-    wir  in  der  Brhadäranyaka-Upanisad  (V,  2)  finden: 

»Dreierlei  Söhne  des  Prajäpati,  die  Götter,  die  Menschen  und  die 
Dämonen,  weilten  bei  ihrem  Vater  Prajäpati  als  Schüler.  Nachdem 
die  Götter  als  Schüler  da  geweilt  hatten,  sprachen  sie;  ,Sage  uns  etwas, 
Herr!'     Und  er  sprach  zu  ihnen  die  Silbe  ,da'  und  sagte:  ,Habt  ihr 

')  Brhadäranyaka-Up.  IV,  4,  2—5 


—     222     — 

das  verstanden?'  ,Wir  haben  es  verstanden,'  sagten  sie;  ,du  hast  uns 
gesagt:  dam y ata  (bezähmet  euch).'  Jawohl,'  sprach  er;  ,ihr  habt 
es  verstanden.'  —  Da  sprachen  zu  ihm  die  Menschen:  ,Sage  uns  etwas, 
Herr!'  Und  er  sprach  zu  ihnen  ebendiese  Silbe  ,da'  und  sagte:  ,Habt 
ihr  das  verstanden  V  ,Wir  haben  es  verstanden',  sagten  sie,  ,du  hast  zu  uns 
gesagt:  datta  (spendet).'  ,  Ja  wohl,'  sprach  er,  ,ihr  habt  es  verstanden.'  — 
Da  sprachen  zu  ihm  dieDämonen :  ,Sage  uns  etwas,  Herr !'  Und  er  sprach 
zu  ihnen  ebendiese  Silbe  ,(fa'  und  sagte:  ,Habt  ihr  das  verstanden?' 
,Wir  haben  es  verstanden,'  sagten  sie;  ,du  hast  uns  gesagt:  dayadhvam 
(habet  Mitleid).*  ,  Ja  wohl,'  sprach  er;  ,ihr  habt  es  verstanden.'  —  Und 
ebendieses  ist  es,  was  jene  göttliche  Stimme,  der  Donner,  verkündet: 
da-da-da,  das  heilst :  dämyata,  datta,  dayadhvam.  Darum  lerne  er  diese 
drei  Dinge:  Selbstbezähmung,  Freigebigkeit  und  Mitleid.« 

Dafs  uns  aber  solche  ethische  Lehren  in  den  Upanisads 
nur  selten  begegnen,  ist  begreiflich  genug.  Nach  der  Lehre 
der  Upanisads  ist  das  höchste  zu  erstrebende  Ziel  die 
Vereinigung  mit  dem  Brahraan,  und  diese  Vereinigung  ist  nur 
zu  erreichen  durch  Aufgeben  des  Nichtwissens ,  durch  Er- 
kenntnis. Nur  wer  die  Einheit  des  Atman  mit  dem  Brahman, 
die  Einheit  der  Seele  mit  Gott  erkannt  hat,  wird  der  Erlösung, 
d.  h.  der  völligen  Vereinigung  mit  dem  Brahman,  teilhaftig. 
Um  aber  dieses  höchste  Ziel  zu  erreichen,  ist  es  notwendig,  alle 
Werke,  sowohl  gute  wie  böse,  aufzugeben.  Opfer  und  fromme 
Werke  führen  ja  immer  nur  zu  neuen  Wiedergeburten,  das 
Wissen  allein  führt  hinaus  aus  diesem  Irrsal  zum  Einzigen 
und  Ewigwahren.  »Wie  an  dem  Lotosblütenblatt  das  Wasser 
nicht  haftet,  so  haftet  keine  böse  Tat  an  dem,  der  solches  weifs^).« 
Schon  in  den  Brähmanas  und  Aranyakas  ist  oft  und  oft  von  den 
Vorteilen  die  Rede,  die  demjenigen  zuteil  werden,  der  irgendeine 
Geheimlehre  der  Opferwissenschaft  kennt,  —  »der  dieses  weifsc 
Für  die  Upanisads  aber  ist  nichts  bezeichnender,  als  die  unzählige 
Male  wiederkehrende  Verheifsung  von  Glück  und  Seligkeit,  von 
irdischen  Gütern  und  himmlischen  Wonnen  als  Lohn  für  den, 
»der  dieses  weils«.  Der  Gedanke,  dafs  Wissen  nicht  blofs  Macht, 
sondern  das  höchste  zu  erstrebende  Ziel  sei,  zieht  sich  durch 
alle  Upanisads.  Nicht  nur  Indra  dient  dem  Prajäpati  101  Jahre 
als  Schüler,  sondern  auch  von  Menschen  wird  oft  berichtet,  dafs 
sie  jahrelang    als   Schüler  einem  Lehrer   dienen,   um  von  ihm 

')  Chändogya-Up.  IV,  14,  3.    Vgl.  Kausitaki-Up.  I,  4;  III,  8. 


-     223     — 

irgendein  Wissen  überliefert  zu  erhalten.  Könige  sind  bereit, 
Tausende  von  Kühen  und  Haufen  Goldes  dem  Brahmanen  zu 
schenken,  der  ihnen  die  Lehre  vom  wahren  Atman  oder  Brah- 
man  zu  verkünden  weifs.  Aber  auch  Brahmanen  demütigen  sich 
vor  Königen,  Reiche  vor  Bettlern,  wenn  diese,  wie  das  nicht 
selten  der  Fall  ist ,  im  Besitze  höherer  Weisheit  sind  ^).  Ihren 
ergreifendsten  Ausdruck  hat  aber  diese  Sehnsucht  nach  Wissen 
in  der  herrlichen  Dichtung  von  Naciketas  gefimden ,  welche 
uns  die  Käthaka-Upanisad  überliefert  hat. 

Der  Jüngling  Naciketas  ist  in  die  Unterwelt  hinabgestiegen 
und  der  Todesgott  hat  ihm  drei  Wünsche  freigestellt.  Naciketas 
wünscht  sich  als  erstes,  dafs  er  wieder  lebend  zu  seinem  Vater 
zurückkehren  möge,  als  zweites  wünscht  er  sich  himmlische 
Seligkeit.  Da  er  aber  den  dritten  Wunsch  aussprechen  soll, 
sagt  er: 

»Ein  Zweifel  waltet,  wenn  der  Mensch  dahin  ist: 
,Er  ist,'  sagt  dieser;  ,er  ist  nicht/  sagt  jener. 
Das  möchte  ich,  von  dir  belehrt,  ergründen, 
Das  sei  die  dritte  Gabe,  die  ich  wähle!' 

Darauf  erwidert  Yama,  dafs  diese  Frage,  was  mit  dem 
Menschen  nach  dem  Tode  geschehe,  so  schwer  zu  ergründen 
sei,  dafs  selbst  die  Götter  einst  darüber  in  Zweifel  gewesen;  und 
er  bittet  den  Jüngling  auf  diesen  seinen  Wunsch  zu  verzichten : 

»Wähl  hundertjährige  Kinder  dir  und  Enkel, 
Viel  Herden,  Elefanten,  Gold  und  Rosse, 
Erwähle  grolsen  Grundbesitz  an  Land  dir. 
Und  lebe  selbst,  soviel  du  willst  der  Herbste ! 

Wenn  dies  als  Wunsch  du  schätzest  gleich  an  Werte, 
So  wähle  Reichtum  dir  und  langes  Leben, 
Ein  Grofser,  Naciketas,  sei  auf  Erden, 
Ich  mache  zum  Geniefser  aller  Lust  dich. 

Was  schwer  erlangbar  ist  an  Lust  hienieden, 
Erbitte  nach  Belieben  alle  Lust  dir,  — 
Schau  hier  auf  Wagen  holde  Frau'n  mit  Harfen, 
Wie  solche  nicht  von  Menschen  zu  erlangen. 
Ich  schenke  dir  sie,  dafs  sie  dich  bedienen,  — : 
Nur  frag  nicht.  Naciketas,  nach  dem  Sterben!« 


')  Vgl.  oben  S.  198  ff. 


^    224     — 

Naciketas  aber  läfst  sich  durch  diese  Verheifsungen  irdischer 
Güter  von  seinem  Wunsch  nicht  abbringen: 

»Was  uns,  o  Tod,  gegönnt  an  Kraft  der  Sinne, 
Die  Sorge  für  das  Morgen  macht  es  welken. 
Auch  ganz  gelebt,  ist  doch  nur  kurz  das  Leben.  — 
Behalte  deine  Wagen,  Tanz  und  Spiele. 

Durch  Reichtum  ist  der  Mensch  nicht  froh  zu  machen! 
Wen  lockte  Reichtum,  der  dir  sah  ins  Auge? 
Lafs  leben  uns,  solang  es  dir  genehm  ist! 
Als  Gabe  aber  wähle  ich  nur  jene,  .  .  . 

Worüber  jener  Zweifel  herrscht  hienieden. 
Was  bei  dem  giofsen  Hingang  wird,  das  sag  uns; 
Der  Wunsch,  der  forschend  diingt  in  dies  Geheimnis, 
Den  wählt,  und  keinen  andern,  Naciketas.« 

Da  preist  Yanaa,  der  Todesgott,  den  Naciketas,  dals  er  das 
Wissen  und  nicht  die  Lüste  gewählt,  und  teilt  ihm  endlich  die 
Lehre  von  der  Unsterblichkeit  des  Ätman  mit'). 

Wie  aber  diese  Hochschätzung  des  Wissens  nicht  nur  zur 
Abkehr  von  irdischen  Genüssen,  sondern  zur  Welt  Verachtung 
überhaupt  führt,  das  zeigt  uns  eine  andere  üpanisad,  in  welcher 
zum  erstenmal  jener  pessimistische  Grundzug  des  indischen 
Denkens  zutage  tritt,  der  uns  in  der  späteren  indischen  Litte- 
ratur  immer  wieder  begegnen  wird.     Da  lesen  wir^): 

»Es  begab  sich,  dafs  ein  König  mit  Namen  Brhadratha,  nachdem 
er  seinen  Sohn  in  die  Herrschaft  eingesetzt  hatte,  in  der  Erkenntnis^ 
dafs  dieser  Leib  vergänglich  ist,  sich  der  Ent.sagung  zuwandte  und  in 
den  Wald  hinauszog.  Dort  gab  er  sich  der  höchsten  Kasteiung  hin, 
indem  er  in  die  Sonne  schauend  und  mit  emporgereckten  Armen 
dastand.  .Nach  Ablauf  von  eintausend  Tagen  nahte  sich  ihm  .  .  .  der 
des  Ätman  kundige,  verehrungswürdige  Säkäyanya.  ,Stehe  auf,  stehe 
auf  und  wähle  dir  einen  Wunsch !'  so  sprach  er  zu  dem  Könige.    Der 


')  Die  obigen  Verse  in  der  Übersetzung  von  Deu.ssen,  Sechzig 
Upanishads ,  S.  270  f.  Eine  sehr  freie  poetische  Bearbeitung  des  Ge- 
dichtes gibt  Luise  Hitz,  Ganga-Wellen,  München  1893.  Ohne  gegen 
den  Geist  der  Üpanisad  zu  verstofsen,  hat  die  Dichterin  die  im  Original 
etwas  fragmentarische  und  zerfahrene  Darstellung  zusammengedrängt 
und  7u  einem  Ganzen  abgerundet. 

*)  Maiträya^a  Up.  1,  2-4  in  der  Übersetzung  von  Deussen,  Sechzig 
Upanishads,  S.  315  ff. 


—     225     - 

bezeugte  ihm  seine  Verehrung  und  sprach:  ,0  Ehrwürdiger!  ich  bin 
nicht  des  Ätman  kundij?.  Du  kennst  Seine  Wesenheit,  wie  wir  ver- 
nommen; diese  wollest  du  uns  erklären!' ■  (Der  Brahmane  will  ihm 
diesen  Wunsch  ausreden  und  fordert  ihn  auf,  sich  etwas  anderes  zu 
wünschen  Da  bricht  der  König  in  die  Worte  aus:)  »O  Ehrwürdiger! 
In  diesem  aus  Knochen,  Haut,  Sehnen,  Mark,  Fleisch,  Same,  Blut, 
Schleim,  Tränen,  Augenbutter,  Kot,  Harn,  Galle  und  Phlegma  zu- 
sammengeschütteten, übelriechenden,  kernlosen  Leibe,  —  wie  mag  man 
nur  Freude  geniefsen!  In  diesem  mit  Leidenschaft,  Zorn,  Begierde. 
Wahn,  Furcht,  Verzagtheit,  Neid,  Trennung  von  Liebem,  Bindung  an 
Unliebes,  Hunger,  Durst,  Alter,  Tod,  Krankheit,  Kummer  und  der- 
gleichen behafteten  Leibe,  —  wie  mag  mau  nur  Freude  geniefsen! 
Auch  sehen  wir,  dafs  diese  ganze  Welt  vergänglich  ist,  so  wie  diese 
Bremsen,  Stechfliegen  und  dergleichen,  diese  Krä^iter  und  Bäume, 
welche  entstehen  und  wieder  verfallen."  (Es  folgt  dann  eine  Auf- 
zählung von  Königen  und  Helden  der  V^orzeit,  die  zugrunde  gehen 
mufsten,  sowie  von  Göttern  und  Halbgöttern,  die  alle  der  Vernichtung 
anheimfallen.)  »Aber  was  rede  ich  von  diesen!  Gibt  es  doch  noch 
andere  Dinge,  ~-  Vcrtrocknung  grofser  Meere,  Einstürzen  der  Berge, 
Wanken  des  Polarsterns,  .  .  .  Versinken  der  Erde,  Stürzung  der 
Götter  aus  ihrer  Stelle,  -  in  einem  Weltlaufe,  wo  derartiges  vorkommt, 
wie  mag  man  da  nur  Freude  geniefsen!  Zumal  auch,  wer  ihrer  satt 
ist,  doch  immer  wieder  und  wieder  zurückkehren  mufs!  Darum  errette 
mich!  Denn  ich  fühle  mich  in  diesem  Weltlaufe  wie  der  Frosch  in 
einem  blinden  (was.serlosen)  Brunnenloche.  Du,  o  Ehrwürdiger,  bist 
unsere  Zuflucht.« 

Es  ist  aber  bemerkenswert,  dafs  diese  Stelle,  zu  der  sich  so- 
wohl in  der  buddhistischen  wie  in  der  späteren  Sanskritlitteratur 
zahlreiche  Parallelen  finden  liefsen,  einer  der  späteren  Upa- 
nisads  angehört.  Denn  die  Maiträyana  -  Üpanisad  steht  durch 
Sprache  und  Stil  der  klassischen  Sanskritlitteratur  näher  als  dem 
Veda  und  ist  entschieden  nachbuddhistisch ').  In  den  alten 
vedischen  Upanisads  finden  sich  nur  erst  die  Keime  des 
Pessimismus  in  der  Lehre  von  der  NichtWirklichkeit  der  Welt. 
Wirklich  ist  ja  nur  das  Brahman,  und  die.ses  ist  der  Atman,  die 
Seele,  »welche  übt;r  den  Hunger  und  den  Durst,  den  Schmerz 
und  den  W^ahn,  das  Alter  und  den  Tod  erhaben  ist«.  »Was  da- 
von verschieden  ist,  das  ist  voll  von  Leiden«,  —  ato'nyad  ärtam  ^). 


')  Maitr.-Up.  VIl,    8  f.    enthält   deutliche  Anspielungen  aut  die 
Buddhisten  als  Ketzer. 

^)  Brhadf4rai?yaka-Up.  III,  5. 

Winternitz,    Geschichte  der  indischen  Litteratur.  |f> 


~    226     — 

Aber  »was  davon  verschieden  ist« ,  existiert  ja  gar  nicht  in 
Wirklichkeit,  und  darum  ist  auch  das  Leid  und  Weh  der  Welt 
nicht  wirklich.  Der  Wissende,  der  die  Lehre  von  der  Einheit 
begriffen  hat,  kennt  keine  Furcht,  keinen  Schmer/.  »Der  die 
Wonne  des  Brahman  kennt,  für  den  gibt  es  keine  Furcht.« 
»Wo  wäre  Wahn,  wo  Kummer  für  den,  der  die  Einheit  kennt?« 
»Wonne«  (Snanda)  ist  ein  Name  des  Brahman.  »Aus  Wonne 
bestehend«  (änandama)'^a)  ist  der  Atman.  Und  wie  ein  Triumph- 
gesang des  Optimismus  klingen  die  Worte  einer  Upanisad : 
»Wonne  ist  das  Brahman,  Denn  wahrlich,  aus  der  Wonne  ent- 
stehen alle  diese  V-^en,  durch  die  Wonne  leben  sie,  nachdem 
sie  entstanden,  und  in  die  Wonne  gehen  sie,  wenn  sie  dahin- 
scheiden, wieder  ein.«  ') 

So  ist  die  Lehre  der  Upanisads  im  Grunde  nicht  pessimistisch. 
Freilich  ist  nur  ein  kleiner  Schritt  von  dem  Glauben  an  die 
Nichlwirklichkeit  der  Welt  zur  Weltverachtung.  Je  überschweng- 
licher die  Wonne  des  Brahman  gepriesen  wurde,  desto  nichtiger, 
desto  wertloser  erschien  das  irdische  Dasein^),  Darum  hat  auch 
der  Pessimismus  der  späteren  indischen  Philosophie  seine  Wurzeln 
doch  in  den  Upanisads. 

In  der  Tat  wurzelt  ja  die  ganze  spätere  Philosophie  der 
Inder  in  den  Upanisads.  Ihre  Lehren  bildeten  die  Grundlage  für 
die  Vedänta-Sütras  des  Bädaräyana,  ein  Werk,  von 
welchem  ein  späterer  Schriftsteller')  sagt:  »Dieses  Lehrbuch  ist 
das  hauptsächlichste  von  allen  Lehrbüchern.  Alle  anderen  Lehr- 
bücher dienen  nur  zu  seiner  Ergänzung.  Darum  sollen  es  alle, 
die  nach  Erlösung  streben,  hochhalten.«  Auf  diesem  Lehrbuch 
sind  die  theologisch-philosophischen  Systeme  des  Sankara  und 
des  Ra  manu  ja  aufgebaut,  deren  Anhänger  noch  heute  nach 
Millionen  zählen.  Aber  auch  alle  anderen  philosophischen  Systeme 
und  Religionsbekenntnisse,  die  im  Laufe  der  Jahrhunderte  in 
Indien  erstanden  sind,  der  ketzerische  Buddhismus  nicht  minder 
als  die  orthodox -brahmanische  Religion  der  nachbuddhistischen 
Zeit,  sind  auf  dem  Boden  der  Upanisadlehren  erwachsen. 

')  Taittirlya-Up.  II.  9.    III,  6.    Isä-Up.  7. 

*)  Vgl.  M.  F.  Hecker,  Schopenhauer  und  die  indische  Philosophie, 
S.  116-120. 

')  Madhusüdana  vSarasvati  (in  Webers  »Indischen  Studien«  I,  S.  9 
und  20). 


—    227     — 

Was  aber  diesen  philosophischen  Dichtungen  —  man  kann 
sie  kaum  besser  bezeichnen  —  eine  so  ungeheure  Macht  über  die 
(ieraüter  verheben  hat,  das  war  nicht  der  Glaube  an  ihre  gött- 
liche Offenbarung  —  galten  doch  auch  die  einfältigsten  Hymnen 
und  die  blödsinnigsten  Brähmanastellen  als  von  der  Gottheit  ver- 
kündet — ,  sondern  vielmehr  der  Umstand,  dafs  sie  in  die  Sprache 
der  Poesie  gekleidet,  sich  ebensosehr  an  die  Herzen,  als  an 
die  Geister  wandten.  Und  nicht  darum  haben  die  Upanisads 
über  den  Zeitraum  von  Jahrtausenden  hinweg  auch  uns  noch 
vieles  zu  sagen,  weil  sie,  wie  Schopenhauer  behauptet,  die  »Frucht 
der  höchsten  menschlichen  Erkenntnis  und  Weisheit«  darstellen 
und  »fast  übermenschliche  Konzeptionen s  enthalten,  »deren  Ur- 
heber kaum  als  blofse  Menschen  denkbar  sind«');  nicht  darum, 
weil,  wie  Deussen  meint,  diesen  Denkern  »wenn  nicht  der 
wissenschaftlichste,  so  doch  der  innigste  und  unmittelbarste  Auf- 
schlufs  über  das  letzte  Geheimnis  des  Seins  geworden«,  und  weil 
—  womit  Deussen  den  Offenbarungsglauben  der  Inder  zu  recht- 
fertigen sucht  —  in  den  Upanisads  »philosophische  Konzeptionen 
vorliegen,  wie  sie  weder  in  Indien  noch  vielleicht  sonst  irgendwo 
in  der  Welt  ihresgleichen  haben«  ^);  .sondern  darum,  weil  diese 
alten  Denker  so  ernstlich  um  die  Wahrheit  ringen,  weil  in 
ihren  philosophischen  Dichtungen  das  ewig  unbefriedigte  mensch- 
liche Sehnen  nach  Wissen  so  innigen  Ausdruck  gefunden  hat. 
Nicht  »übermenschliche  Konzeptionen«  enthalten  die  Upanisads, 
sondern  —  das  ist  es  gerade,  was  sie  uns  so  wertvoll  macht  — 
menschliche,  ganz  und  gar  menschliche  Versuche,  der  Wahrheit 
näherzukommen. 

Für  den  Geschichtsforscher  aber,  der  die  Geschichte  des 
menschlichen  Denkens  verfolgt,  haben  die  Upanisads  noch  eine 
weit  gröfsere  Bedeutung.  Von  den  mystischen  Lehren  der  Upa- 
nisads zieht  sich  ein  Gedankenstrom  zur  Mystik  des  persischen 
Sufiismus,  zur  mystisch-theosophischen  Logoslehre  der  Neuplatoniker 
und  der  alexandrinischen  Christen  bis  zu  den  Lehren  der  christ- 
liehen  Mj^^stiker  Eckhart  und  Tauler  und  endlich  zur  Philosophie 
des   grofsen   deutschen  Mystikers   des   neunzehnten  Jahrhunderts 


')  Hecker  a.  a.  0.,  S.  7. 

')  Deussen,   System  des  Vedänta,  S.  50,  99  f.    Welche  Über- 
treibungen 

15* 


~     228    — 

—  Schopenhauers').  Was  Schopenhauer  den  Indern  verdankte, 
hat  er  uns  selbst  oft  genug  gesagt.  Tlato,  Kant  und  »die  Veden«. 
(worunter  bei  Schopenhauer  immer  die  Upanisads  zu  verstehen 
sind)  nennt  er  selbst  seine  Lehrer.  In  seinem  für  die  akademische 
Vorlesung  bestimmten  Manuskript  schrieb  er:  »Die  Resultate 
dessen,  was  ich  Ihnen  vorzutragen  gedenke,  stimmen  überein  mit 
der  ältesten  aller  Weltansichten,  nämlich  den  Vedas.«  Die  Er- 
schlief sung  der  Sanskritlitteratur  bezeichnet  er  als  »das  gröfste 
Geschenk  unseres  Jahrhunderts« ,  und  er  prophezeit ,  dafs  der 
indische  Pantheismus  zum  Volksglauben  auch  im  Okzident  werden 
dürfte.  Geradezu  wundervoll  erscheint  ihm  die  Übereinstimmung 
seines  eigenen  Systems  mit  dem  der  Upanisads,  und  er  sagt  uns, 
»dafs  jeder  von  den  einzelnen  und  abgerissenen  Aussprüchen, 
welche  die  Upanischaden  ausmachen,  sich  als  Folgesatz  aus  dem 
von  ihm  mitgeteilten  Gedanken  ableiten  liefse,  obgleich  keineswegs 
auch  umgekehrt  diese  schon  dort  zu  finden  sei«.  Es  ist  ja  be- 
kannt, dafs  auf  seinem  Tisch  das  Oupnek'hat  aufgeschlagen  lag 
und  er  darin  vor  dem  Schiafengehcn  seine  » Andacht«  verrichtete. 
Und  er  sagt  von  diesem  Buche:  »Es  ist  die  belohnendste  und 
erhebendste  Lektüre,  die  (den  Urtext  ausgenommen)  auf  der  Welt 
möglich  ist;  sie  ist  der  Trost  meines  Lebens  gewesen  und  wird 
der  meines  Sterbens  sein.«  ")  Die  Grundlehre  der  Upanisads  aber 
ist  dieselbe,  welche  nach  Schopenhauer  »zu  allen  Zeiten  der 
Spott  der  Toren  und  die  endlose  Meditation  der  Weisen  war«, 
nämlich  die  Einbeitslehre,  d.  h.  die  Lehre,  »dafs  alle  Vielheit 
nur  scheinbar  sei,  dafs  in  allen  Individuen  dieser  Welt,  in  so 
unendlicher  Zahl  sie  auch,  nach-  und  nebeneinander,  sich  darstellen, 
doch  nur  eines  und  dasselbe,  in  ihnen  allen  gegenwärtige  und 
identische,  wahrhaft  seiende  Wesen  sich  manifestiert«  3).  Und 
wenn  Ludwig  Stein  recht  hat,  der  unlängst  sagte:  »Die  Philo- 
sophie der  Gegenwart  ist  der  Monismus,  das  heilst  die  Einheits- 
deutung alles  Weltgeschehens,«'')  —  dann  ist  diese  »Philo- 
sophie der  Gegenwart«  vor  drei  Jahrtausenden  schon  die  Philo- 
sophie der  alten  Inder  gewesen. 

')  Über  Schopenhauer  als  Mystiker  vgl.  Hecker  a.  a.  O.,  S.  85  f. 

^)  Parerga  und  Paralipomena ,  herausg.  von  |.  Frauenstädt ,  II, 
S.  427  (§  185).    Hecker  a.  a.  O.,  S.  6  ff. 

^)  Schopenhauer,  Grundlage  der  Moral,  §  22.  (Werke,  herausg 
von  J.  Frauenstädt,  IV,  S.  268  ff.) 

'•)  Beilage  der  > Neuen  freien  Presse,  10.  Juli  1904. 


_    229    — 

Die  Vedäng^as. 

In  einer  der  Upanisads  wird  uns  gesagt,  dals  es  zweierlei 
Wissenschaften  gibt,  eine  höhere  und  eine  niedrigere.  Die  höhere 
ist  die,  durch  welche  das  unvergängliche  Brahman  erkannt  wird, 
die  niedrigere  aber  besteht  aus  »Rigveda,  Yajuryeda,  Sämaveda, 
Atharvaveda,  Phonetik,  Ritual,  Grammatik,  Etymologie, 
Metrik  und  Astronomie«  ').  Dies  ist  die  älteste  Aufzählung 
der  sogenannten  sechs  Vedähgas,  d.h.  der  sechs  y Glieder < 
oder  Hilfswissenschaften  des  Veda").  Ursprünghch  sind  damit 
weder  eigene  Bücher  noch  eigene  Schulen  gemeint,  sondern  nur 
Lehrgegenstände,  welche  in  den  vedischen  Schulen  selbst  gelernt 
werden  mufsten,  um  die  vedischen  Texte  zu  verstehen.  Wir  finden 
daher  die  Anfänge  der  Vedähgas  bereits  in  den  Brähmanas  und 
Aranyakas,  wo  wir  neben  den  Erklärungen  des  Opferrituals  auch 
bereits  gelegentlich  phonetische,  grammatische,  etymologische, 
metrische  und  astronomische  Auseinandersetzungen  finden.  Im 
Laufe  der  Zeit  wurden  aber  diese  Gegenstände  mehr  systematisch 
behandelt,  und  es  entstanden  —  immer  noch  innerhalb  der  vedischen 
Schulen  —  besondere  Fachschulen  für  jede  der  sechs  Hilfs- 
wissenschaften des  Veda.  Aus  diesen  sind  dann  eigene  Lehrtexte, 
»Lehrbücher«,  hervorgegangen,  die  in  einem  eigentümlichen,  zum 
Auswendiglernen  bestimmten  Prosastil  abgefafsten  Sütras. 

Das  Wort  sütra  bed^putet  ursprünglich  »Faden«,  dann  eine 
»kurze  Regel«,  einen  in  wenigen  Worten  zusammengedrängten 
Lehrsatz.  Wie  nämlich  —  dies  dürfte  die  Erklärung  des  Be- 
deutungsüberganges sein  —  aus  mehreren  Fäden  ein  Gewebe 
gemacht  wird,  so  wird  aus  solchen  kurzen  Lehrsätzen  ein  Lehr- 
system ^)  zusammengewoben.  Ein  gröfseres  Werk,  welches  aus 
einer  Aneinanderreihung  solcher  Sütras  besteht,  heifst  dann  eben- 
falls Sütra*).     Der  Zweck  dieser  Werke  ist  ein  rein  praktischer. 

^)  Mu^cJakaUp.  I,  1, 5:  rgvedo  yajurvedab  sämavedo  tharvavedab  | 
siksä  kalpo  vyäkara^am  niruktam  chando  jyotisam  || 

'   '■)  Vgl.  oben  S.  5l' und  Ludwig,  Der  Rigveda  III,  S.  74  ff. 

'^)  Ähnlich  bedeutet  das  Wort  tantra  ursprünglich  »Gewebe«, 
dann  ein  Lehrsystem,  ein  litterarisches  Werk,  eiu  Buch. 

1)  Man  vergleiche  das  Wort  brähmaija,  welches  ursprünglich 
»Ausspruch  eines  Theologen«  bedeutet,  dann  kollektivisch  für  die  Samm- 
lungen solcher  Aussprüche  gebraucht  wird,  und  das  Wort  upanisad, 
welches  izuerst  eine  Geheimlehre,  dann  aber  ein  gröfseres  Werk,  eine 
Sammlung  von  Geheimlehren  bezeichnet.    (Oben  S.  164  und  207  f.) 


—    230     -^ 

Es  soll  in  denselben  irgendein  Wissen  systematisch  in  gedrängter 
Kürze  dargestellt  werden,  so  dals  es  der  Schüler  leicht  auswendig 
lernen  kann.  Es  gibt  w^ohl  in  der  ganzen  Litteratur  der  Welt 
nichts  Ähnliches  wie  diese  Sütras  der  Inder.  Dem  Verfasser  eines 
solchen  Werkes  ist  es  darum  zu  tun,  in  möglichst  wenigen  Worten 
—  selbst  auf  Kosten  der  Klarheit  und  Verständlichkeit  —  möglichst 
viel  zu  sagen.  Der  Grammatiker  Patafijali  hat  den  oft  zitierten 
Ausspruch  getan,  dafs  ein  Sütraverfasser  sich  über  die  Ersparnis 
eines  halben  kurzen  Vokals  ebenso  freue  wie  über  die  Geburt 
eines  Sohnes.  Nur  durch  Beispiele  ist  es  möglich,  eine  Vor- 
stellung von  der  ganz  eigenartigen  aphoristischen  Prosa  dieser 
Werke,  dem  Sütrastil,  zu  geben.  Was  in  den  beiden  folgenden 
Stellen  in  unserer  Übersetzung  in  Klammern  gegeben  ist,  mufs 
ergänzt  werden,  um  den  Sinn  der  abgerissenen  Worte  verständ- 
lich zu  machen: 

Apastambiya-Dharmasütra  I,  1,  1,  4—8: 

Siitra  4:  (Es  gibt)  vier  Kasten:  Brahmanen,  Ksatriyas,  Vaisyas  und 

§üdras. 
Sjitra  5:  Von  diesen  (ist)  immer  die  vorhergehende  der  Geburt  nach 

besser  (als  jede  folgende). 
Sütra  6:  Für  (diejenigen,  welche)  nicht  Sudras  (sind)  und  nicht  böse 

Handlungen   begangen   haben,    (ist    vorgeschrieben:)   Schülerweihe, 

Vedastudium,  Feueranlegung;  und  (diese  heiligen)  Handlungen  (sind) 

fruchtbringend  (in  dieser  Welt  und  in  der  nächsten). 
Siitra  7 :  Gehorsam  gegen  die  anderen  Kasten  (ist  die  Pflicht)  der  §üdras. 
Sütra  8:  Bei  jeder  vorhergehenden  Kaste  (ist)  das  Heil  gröfser  (d.  h, 

je  höher  die  Kaste  ist,  welcher  ein  Südra  dient,  desto  gröfser  ist  das 

Heil,  welches  ihm  dafür  im  Jenseits  zuteil  wird). 

Gobhila-Grhyasütra  I,  5,  1—5;  8—9: 

Sütra  1:  Nun  beim  Neu-  und  Vollmond  (d.  h.  am  Neumondstag  und 
am  Vollmondstag  sind  die  folgenden  Zeremonien  zu  verrichten): 

Sütra  3:  An  dem  Vollmondstag  (wo  der  Mond)  zur  (Zeit  der  Abend-) 
Dämmerung  (aufgeht)  soll  er  fasten. 

Sütra  3:  Einige  (JLehrer  sagen):  an  dem  (darauf)folgenden  (Tag,  d.h. 
wenn  der  Mond  kurz  nach  Sonnenuntergang  aufgeht,  soll  er  fasten). 

Sütra  4:  Ferner  (soll  er  fasten)  an  dem  Tage,  an  welchem  der  Mond 
nicht  gesehen  wird,  (indem  er)  diesen  als  den  Neumondstag  (ansieht). 

Sütra  5:  Am  Ende  der  Monatshälften  soll  man  fasten,  am  Anfang  der 
Monatshälften  soll  man  opfern  (d.  h,  den  Opfern  am  Neumondstag 
'sder  am  Vollmondstag  soll  immer  ein  Fasttag  vorhergehen). 

Siitra  8:  An  welchem  Tage  aber  der  Mond  nicht  gesehen  wird,  den 


-     231     — 

mache  man  zum  Neumondstage  (d.  h.  den  soll  man  als  den  Neumorids- 
tag  feiern). 
Sütra  9:  Auch  wenn  (der  Mond)  nur  einmal  (des  Tages  gerade  noch 
ein  wenig)  gesehen  wird,  (kann  man  diesen  Tag  als  Neumondstag  feiern ; 
dann  sagt  man  nämlich,)  dafs  (der  Mond  bereits)  seinen  Weg  zurück- 
gelegt hat. 

.  Der  Sanskrittext  enthält  also  nur  die  nicht-eingeklammerten 
Worte.  Der  Schüler  lernte  nur  diese  aphoristischen  Sätze  aus- 
wendig; die  notwendigen  Erklärungen  erhielt  er  vom  Lehrer.  In 
späteren  Zeiten  wurden  diese  Erklärungen  der  Lehrer  auch 
niedergeschrieben,  und  sie  sind  uns  in  den  umfangreichen  Kommen- 
taren erhalten,  die  es  zu  allen  Sütratexten  gibt,  und  ohne  welche 
die  Sütras  ftir  uns  zumeist  unverständlich  sein  würden.  Hervor- 
gegangen ist  dieser  eigentümliche  Sütrastil  aus  der  Prosa  der 
Brähmanas.  Diese  aus  fast  lauter  kurzen  Sätzen  bestehende  Prosa 
der  Brähmanas,  welcher  die  indirekte  Rede  ganz  fehlt,  in  welcher 
die  Aufeinanderfolge  von  Hauptsätzen  nur  selten  durch  einen 
Relativsatz  oder  Konditionalsatz  unterbrochen  wird ,  und  deren 
Eintönigkeit  blofs  durch  Partizipiajkonstruktionen  eine  gewisse 
Abwechslung  erfährt;  in  denen  fef'ner  —  trotz  einer  gewissen 
Weitschweifigkeit,  die  sich  namentlich  in  unbeholfenen  Wieder- 
holungen zeigt  —  vieles  ungesagt  bleibt ,  was  sich  beim  münd- 
lichen Vortrag  und  Unterricht  von  selbst  versteht,  während  wir 
es  in  unseren  Übersetzungen  ergänzen  müssen '),  —  diese  Prosa 
konnte  leicht  durch  eine  mehr  und  mehr  übertriebene  Ver- 
einfachung zu  solchen  lapidarischen,  abgehackten,  blofs  durch  die 
allernotwendigsten  Partikeln  aneinandergereihten  Sätzen  um- 
gemodelt werden,  wie  sie  uns  in  den  Sütras  vorliegen.  Zum 
Zweck  der  gröfseren  Silbenersparnis  und  einer  noch  knapperen 
Zusammenfassung  trat  nur  noch  ein  neues  Element  hinzu:  die 
Bildung  langer  Komposita,  denen  wir  in  den  Sütras  zum  ersten- 
mal begegnen,  und  die  dann  für  die  klassische  Sanskritlitteratur 
besonders  charakteristisch  geworden  ist  und  in  späterer  Zeit 
immer '  mehr  überhandgenommen  hat.  Dafs  der  Sütrastil  sich 
aus  der  Prosa  der  Brähmanas  entwickelt  hat,  kann  man  noch 
deutlich  daraus  ersehen,  dafs  in  den  ältesten  Sütratexten  häufig 
Zitate  aus   den   Brähmanas   vorkommen   und   öfters  auch,    ohne 


')  Vgl.  oben  S.  176  Anm.  1. 


—     232     — 

da(s  zitiert  wird,  brähmanaartige  Stellen   sich   mitten  unter   den 
Sütras  finden '), 

Die  Ritualiitteratur. 

Die  ältesten  Sütrawerke  sind  denn  auch  in  der  Tat  diejenigen, 
welche  sich  auch  inhaltlich  unmittelbar  an  die  Brähmanas 
und  Äranyakas  anschliefsen.  Ja,  in  dem  Aitareya-Äranyaka 
finden  sich  tatsächlich  Stücke,  welche  nicht;?  anderes  als  Sütras 
sind  und  von  der  Überlieferung  selbst  den  Sütraverfassern 
Äsvaläyana  und  §aunaka  zugeschrieben  und  als  nicht  -  offenbart 
bezeichnet  werden^).  Auch  zum  Sämaveda  gehören  einige  nur 
zu  Unrecht  als  »Brähmanas«  bezeichnete  Werke,  die  in  Wirklich- 
keit Sütras  sind  und  ihrem  Inhalte  nach  zur  Vedähgalitteratur 
gezählt  werden  müssen.  Das  Ritual  (k  a  1  p  a) ,  welches  ja  den 
Hauptinhalt  der  Brähmanas  ausmacht,  ist  denn  auch  dasjenige 
Vedänga,  welches  zuerst  eine  systematische  Behandlung  in  eigenen 
Lehrbüchern,  den  sogenannten  Kalpasütras,  erfahren  hat.  Sie 
entsprangen  dem  Bedürfnis,  die  Regeln  für  das  Opferritual  in 
einer  kürzeren,  mehr  übersMitlichen  und  zusammenhängenden 
Form  für  die  praktischen  Zwecke  der  Priester  zusammenzustellen. 
Je  nachdem  sich  diese  Kalpasütras  mit  den  in  den  Brähmanas 
gelehrten  Srauta opfern  oder  mit  den  häuslichen  Zeremonien  und 
Opfern  des  täglichen  Lebens,  den  Gihyariten,  beschäftigen, 'hejfsen 
sie  Srautasütras  und  Grhy asütras?). 

Die  Srautasütras  enthalten  demnach  die  V^orschriften 
über  die  Anlegung  der  drei  heiligen  Opferfeuer,  über  das  Feuer- 
opfer (Agnihotra),  die  Neu-  und  Vollmondsopfer,  die  Jahreszeiten- 
Opfer,  das  Tieropfer  und  namentlich  über  das  Somaopfer  mit 
seinen  zahlreichen  Abarten-»).  Sic  sind  für  uns  die  wichtigste 
Quelle    für   das  Verständnis  des  indischen  Opferkultes,   und  ihre 

')  So  sind  einzelne  Abschnitte  des  Sänkhäyana-Srautasütra  in  Stil 
und  Charakter  den  Brähraaijias  ähnlich  (Weber,  Indische  Litteratur- 
geschichte,  S.  59.  Hillebrandt  in  der  Vorrede  zu  seiner  Ausgabe  des 
Öänkhä^ana-Hrautasülra).  Auch  in  dem  Baudhäyana-Kalpasütra  gibt 
es  zahlreiche  Stellen,  die  sich  ganz  wie  Brähmanas  lesen. 

')  Vtil.  Max  Müller,  History  of  Ancient  Sanskrit  Literatare, 
S.  314  f.,  339. 

3)  Vgl.  oben  S.  50  f.  und  139  f. 

*)  Vgl.  oben  S.  150  ff. 


—     233    — 

Bedeutung   als   religionsgeschichtiiche    Quellen   kann   nicht   hoch 
genug  veranschlagt  werdeti ' ). 

Noch  mannigfaltiger  und  in  mancher  Hinsicht  interessanter 
ist  der  Inhalt  der  Grhyasütras^).  Sie  enthalten  namlirh  die 
Vorschriften  über  alle  Gebräuche,  Zeremonien  und  Opfer,  duixh 
welche  das  Leben  des  Inders  von  dem  x\ugenblick  an,  wo  er  im 
Mutterschofse  empfangen  wird ,  bis  zu  seiner  Todesstunde  und 
noch  da.rüber  hinaus  durch  die  Totenzeremonien  und  den  Seelen- 
kult eine  höhere  »Weiber  —  was  die  Inder  samskära  nennen 
—  empfängt.  Wir  finden  demna^'h  in  diesen  Werken  eine  grofse 
Menge  von  echt  volkstümlichen  Sitten  und  Gebräuchen  ausführ- 
lich behandelt,  die  sich  auf  die  Empfängnis,  die  Geburt,  die 
Wöchnerin  und  das  neugeborene  Kind,  die  Namengebung,  den 
ersten  Ausgang  und  die  erste  Speisung  des  Kindes  beziehen ;  wir 
finden  genaue  Vorschriften  über  da^  Haarscheren  des  Knaben, 
die  Einführung  des  Schülers  beim  Lehrer  (upanayana  oder 
»Schülerweihe«),   die   Lebensweise   des  Brahmacärin   oder  Veda- 


')  Von  einem  Srautasutra  }>ibt  es  bis  jetzt  keine  Übersetzunt?. 
Jedoch  ist  der  Inhalt  dieser  Werkf  zum  Teil  in  den  Werken  von 
A.  H  i  1 1  e  b  r  a  n  d  t ,  Das  altindische  Neu-  und  Vollmondsopfer,  Jena  1 879, 
und  Julius  Schwab,  Das  altindische  Tieropfer,  Erlangen  1886.  ver- 
arbeitet. Die  gesamte  Rituallitteratur,  sowie  die  Hauptztige  des 
Rituals  selbst,  sowohl  der  Srauta  wie  der  Grhyazeremonien ,  hat 
A.  Hillebrandt  im  'Grundrifs«,  Bd.  III,  Hett  2  (Rituallitteratur. 
Vedische  Opfer  und  Zauber,  Strafsburg  1897)  ausführlich  behandelt. 
Die  Bedeutung  der  Srautasütras  für  die  allgemeine  Religionswissen- 
schaft haben  zuerst  H.  Hubert  und  M.  Maufs  in  ihrem  »Essai  sur 
la  nature  et  la  fonction  du  sacrificc"  (Annee  Sociologique,  Paris 
1897—1898,  pp   29—138)  vollauf  gewürdigt. 

^)  Die  Grhyasütras  sind  leicht  zugänglich  in  folgenden  Ausgaben 
und  Übersetzungen:  Indische  Hausregeln.  Sanskrit  und  deutsch 
herausgegeben  von  A.  F.  Stenzler.  I.  A<;valäyana.  Leipzig  1864—65. 
II.  Päraskara.  L-eipzig  1876  und  1878  (Abhandlungen  für  die  Kunde 
des  Morgenlandes  III,  IV  und  VI.)  Das  (^änkhäyanagrihyam  (Sanskrit 
und  deutsch)  von  H.  Ol  den  b  er  g  lim  15.  Band  der  »Indischen  Studien-). 
Das  Gobhilagrhyasötra,  herausgegeben  unJ  über-setzt  von  Friedrich 
Knauer.  Dorpat  1884  und  1886.  Vgl.  auch  M.  Bloomfield,  Das 
Grhyasamgrahaparicishta  des  Gobhilaputra  (in  ZDMG.,  Bd.  XXX VO, 
und  P.  V.  Bradke,  Über  das  Mänava-Grhya-Sütra  (in  ZDMG.. 
Bd.  XXXVI).  Eine  englische  Übersetzung  der  wichtigsten  Grhya- 
sütras hat  H.  Oldenberg  in  den  S.acred  Books  of  the  East,  Vols.  29 
und  30,  veröffentlicht. 


—     234     — 

Schülers,  das  Verhältnis  zwischen  Schüler  und  Lehrer  und  die 
Entlassung  des  Schülers  aus  dem  Dienste  des  Lehrers.  In  aus- 
führlichster Weise  werden  dann  namentlich  die  Gebräuche  bei 
der  Werbung,  Verlobung  und  Hochzeit  dargestellt.  Hier  in  den 
Grhyasütras  werden  auch  die  schon  im  hatapatha-Brähmana 
(XI,  5,  6)  erwähnten  »fünf  grofsen  Opfer«  ausführlich  beschrieben. 
»Das  sind  in  der  Tat  grofse  Opferfeste,«  heilst  es  emphatisch  in 
dem  Brähmana,  urid  »grofse  Opfere  werden  sie  genannt,  weil  die 
Vollziehung  derselben  zu  den  wichtigsten  religiösen  Pflichten 
eines  jeden  Hausvaters  gehört,  obgleich  sie  in  Wirklichkeit  nur 
aus  kleinen  Spenden  und  wenigen,  einfachen  Zeremonien  bestehen. 
Es  sind  dies  die  täglichen  Opfer  an  die  Götter,  Dämonen 
und  Manen,  die  nur  in  dem  andächtigen  Auflegen  eines  Holz- 
scheites auf  das  heilige  Feuer  des  Herdes,  einigen  Speiseresten, 
einer  W^asserspende  zu  bestehen  brauchen,  ferner  die  Bewirtung 
eines  Gastes  (als  »Opfer  an  die  Menschen«  bezeichnet)  und 
fünftens  das  als  »Opfer  an  das  Brahman  (oder  die  Rsis)<  ge- 
dachte tägliche  Lesen  eines  Veda-Abschnittes.  Die  einfachen 
Abend-  und  Morgenopfer,  Neu-  und  Vollmondsopfer  und  die  mit 
Opfern  verbundenen  Jahresfeste  (aus  denen  die  zu  den  Örauta- 
opfern  gehörigen  Agnihotra-,  Dansapürnamäsa-  und  Cäturmäsya- 
opfer  hervorgegangen  sein  dürften)  finden  wir  ebenfalls  in  den 
Grhyasütras  dargestellt.  Ferner  werden  uns  die  Bräuche  und 
Zeremonien  geschildert,  die  sich  auf  den  Hausbau,  die  Viehzucht 
und  die  Landwirtschaft  beziehen,  desgleichen  die  Zauberriten, 
welche  zur  Abwehr  von  Krankheiten  und  unglückbedeutenden 
Vorzeichen  dienen  sollen,  wie  auch  Beschwörungen  und  Riten 
für  Liebeszauber  u.  dgl.  Endlich  behandeln  die  Grhyasütras  auch 
die  Totengebräuche  und  die  Manenopfer  (Sräddhas),  die  aber  ftir 
so  wichtig  galten,  dafs  sie  bald  in  eigenen  Texten  (Öräddhakalpas) 
mit  grofser  Umständlichkeit  behandelt  worden  sind '). 

So  gewähren  uns  denn  diese  Grhyasütras,  so  unbedeutend  sie 
auch  als  Litteraturwerke  sein  mögen,  einen  tiefen  Einblick  in  das 

')  Um  die  Erforschung  der  Toten^ebräuche  und  des  Ahnenkults 
auf  Grund  der  indischen  Rituallitteratur  hat  sich  namentlich  W.  Caland 
verdient  gemacht  durch  die  Werke :  Über  Totenverehrung  bei  einigen 
der  indogermanischen  Völker.  Amsterdam  1888.  Altindischer  Ahnen- 
kult. Leiden  1893.  Die  altindischen  Todten-  und  Bestattungsgebräuche. 
Amsterdam  1896. 


—    235    — 

Leben  der  alten  Inder.  Sie  sind  in  der  Tat  für  den  Kultur- 
forscher  ein  wahrer  Schatz.  Man  denke  nur,  wie  mühsam  sich 
der  Altertumsforscher  die  Nachrichten  über  das  tägliche  Leben 
der  alten  Griechen  und  Römer  aus  den  verschiedensten  Werken 
zusammensuchen  mufs.  Hier  in  Indien  haben  wir  nun  in  diesen 
unscheinbaren  Sütratexten  in  der  Form  von  Regeln  und  Vor- 
schriften die  zuverlässigsten  Nachrichten  —  wir  können  sagen : 
von  Augenzeugen  —  über  das  tägliche  Leben  der  alten  Inder.  Sie 
sind  gleichsam  die  ^Folklore-Journals«  des  alten  Indiens.  Zwar 
schildern  sie  das  Leben  des  indischen  Hausvaters  nur  von  der 
religiösen  Seite,  da  aber  die  Religion  bei  den  alten  Indern  das 
ganze  Dasein  durchdrang,  so  sehr,  dals  eigentlich  nichts  geschehen 
konnte,  ohne  dafs  auch  zugleich  eine  religiöse  Zeremonie  statt- 
fand, sind  sie  für  den  Völkerforscher  ganz  unschätzbare  Quellen 
für  die  volkstümlichen  Sitten  und  Bräuche  jener  alten  Zeit,  um 
so  wichtiger  sind  sie,  da  sich,  wie  man  längst  entdeckt  hat,  zu 
den  in  den  Grhyasütras  geschilderten  Bräuchen  zahlreiche 
Parallelen  in  den  Sitten  und  Gebräuchen  anderer  indogermanischer 
Völker  finden.  Insbesondere  hat  die  Vergleichung  der  griechischen, 
römischen,  germanischen  und  slavischen  Hochzeitsbräuche  mit  den 
in  den  Grhyasütras  enthaltenen  Vorschriften  gelehrt,  dafs  die 
Verwandtschaft  der  indogermanischen  Völker  sich  nicht  auf  die 
Sprache  beschränkt,  sondern  dafs  diese  sprachverwandten  Völker 
auch  in  ihren  Sitten  und  Bräuchen  viele  gemeinsame  Züge  aus 
vorgeschichtlicher  Zeit  bewahrt  haben'). 


')  Vgl.  E.  Haas  und  A.  Weber,  Die  Heiratsgebräuche  der 
alten  Inder,  nach  den  Grihyasütra  (im  fünften  Band  der  "Indischen 
Studien").  L.  v.  Schroeder,  Die  Hochzeitsgebräuche  der  Esten  und 
einiger  anderer  finnisch-ugrischer  Völkerschaften  in  Vergleichung 
mit  denen  der  indogermanischen  Völker,  Berlin  1888.  B.  W.  Lei  st, 
Altarisches  Jus  gentium.  Jena  1889.  M.  Winternitz,  Das  altindische 
Hochzeitsrituell  nach  dem  Äpastamblya-Grhyasütra  und  einigen  anderen 
verwandten  Werken.  Mit  Vergleichung  der  Hochzeitsgebräuche  bei 
den  übrigen  indogermanischen  Völkern.  (Denkschriften  der  kais. 
Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien,  phil.-hist.  Kl.,  Bd.  XL. 
Wien  1892.)  M.  Winternitz,  On  a  Comparative  Study  of  Indo-European 
Customs,  with  special  reference  to  the  Marriage  Customs  (The  Inter- 
national Folk-Lore  Congress  1891,  Papers  and  Transactions ,  London 
1892,  pp.  267 — 291.)  O.  Schrader,  Reallexikon  der  indogermanischen 
Altertumskunde,  Strafsburg  1901,  S.  ?>53  ff.     Th.  Zachariae,   Zum 


—     236     - 

Nicht  minder  wichtig  ist  eine  dritte  Klasse  von  Lehrbüchern, 
die  sich  unmittelbar  an  die  Grhyasütras  anschhefst  und  wohl  nur 
als  F'ortsctzung  derselben  entstanden  ist,  nämlich  die  Dharma- 
sütras,  d.  h.  Lehrbücher,  welche  über  den  Dharma  handeln. 
Dharma  bedeutet  aber  sowohl  »Recht,  Pflicht,  Gesetz«  als  auch 
»Religion,  Sitte,  Brauch*.  Diese  Werke  behandeln  daher  sowohl 
das  weltliche  als  das  religiöse  Recht,,  die  ja  in  Indien  gar  nicht 
zu  trennen  smd.  Sie  geben  Regeln  und  Vorschriften  über  die 
Pflichten  der  Kasten  und  der  Lebensstufen  (Äsramas),  Durch 
diese  Werke  gelang  es  den  Brahmanen,  das  altindische  Gewohn- 
heitsrecht zu  ihren  Gunsten  umzugestalten  und  ihren  Einflufs  nach 
allen  Seiten  geltendzumachen.  Wir  werden  auf  diese  Dharma- 
sütras  in  dem  Abschnitt  über  die  Rechtslitteratur  noch  eingehen- 
der zu  sprechen  kommen.  Hier  mufsten  sie  nur  erwähnt  werden, 
weil  sie  ebenso  wie  die  i'^rauta-  und  Grhyasütras  in  den  vedischen 
Schulen  entstanden  sind  und  mit  diesen  einen  Bestandteil  der 
Kalpasutras  oder  Lehrbücher  des  Rituals  bilden. 

Zu  diesen  Kalpasutras  gehören  schliefslich  auch  noch  die 
i'^ul  vasütras,  die  sich  unmittelbar  an  die  §rautasütras  anschlieisen. 
Sie  enthalten  genaue  Regeln  über  die  Ausmessung  —  sulva  be- 
deutet »Mefsschnurc  —  und  den  Bau  des  Opferplatzes  und  der 
Feueraltäre  und  sind  als  die  ältesten  Werke  über  die  indische 
Geometrie  für  die  Geschichte  der  Wissenschaft  von  nicht  ge- 
ringer Bedeutung, 

Von  grofser  Wichtigkeit  sind  die  Srauta-  und  Grhyasütras 
auch  für  die  Vedaerklärung.  Sie  enthalten  nämlich  nicht  nui 
die  Regeln  für  das  Ritual,  sondern  auch  für  die  Verwendung 
(viniyoga)  der  Munt  ras,  d.  h.  der  Gebete  und  Formeln.  Es 
sind  dies  zumeist  Verse  oder  Yajussprüche,  welche  in  den  vedischen 
Samhitäs  vorkommen;  und  für  die  richtige  Erklärung  derselben 
ist  ihre  Verwendung  bei  den  Opferriten  keineswegs  gleichgültig. 
Oft  genug  haben  zwar  die  Mantras  mit  den  Opferhandhmgen, 
für  welche  sie  vorgeschrieben  werden,  nichts  zu  tun  —  und  es 
ist  religionsgeschichtlich  ungemein  interessant,  zu  sehen,  wie  oft 
Gebete  für  Zwecke  verwendet  werden,  zu  denen  sie  gar  nicht 
passen,   und   wie   sie   oft   ganz  mi fsverstanden ,    falsch  aufgefafst 

altindischeu  Hochzeitsritual  (in  der  Wiener  Zeitschrift  für  die  Kunde 
des  Morgenlandes,  Bd.  XVII,  S.  135  ff.,  211  ff. 


--     237     - 

oder  auch  willkürlich  verändert  worden  sind  —  .  aber  zuweilen 
gibt  doch  ihre  rituelle  Verwendung  den  Schlüssel  zur  Erklärung 
einer  schwierigen  Vedastelle.  In  der  Regel  sind  die  Mantras  in 
den  Sütras  eingeschlossen  und  werden  in  denselben  teils  voll- 
ständig, teils  nur  mit  den  Anfangsworten  der  als  bekannt  voraus- 
gesetzten Verse  angeführt. 

Die  Mantras  sind  es  avich,  durch  welche  die  Kalpasütras  ihre 
Zugehörigkeit  zu  bestimmten  vedtschen  Schulen  am  deutlichsten 
zum  x\usdruck  bringen.  So  geben  z.  B.  die  zum  schwarzen 
Yajurveda  gehörigen  Srauta-  und  Grhyasötras  die  Gebete  in  der 
Form ,  welche  sie  in  den  Samhitäs  des  schwarzen  Yajurveda 
haben ;  und  sie  geben  die  Verse  oder  Yajussprüche,  welche  wört- 
lich der  Sarnhitä,  zu  welcher  sie  gehören,  entnommen  sind,  nur 
mit  den  Anfangsworten,  d.  h.  sie  setzen  sie  als  bekannt  voraus, 
wahrend  sie  andere  Mantras,  z.  B.  solche  aus  dem  Rigveda  oder 
Atharvaveda,  vollständig  geben.  Es  gibt  übrigens  in  allen  Sütras 
auch  eine  Anzahl  von  Mantras,  welche  in  den  Samhitäs  nicht 
vorkommen.  Und  zwei  Grhyasütras  gibt  es,  bei  denen  die  Mantras 
überhaupt  von  dem  Sutratexte  getrennt  und  in  eigenen  Gebet- 
büchern vereinigt  sind;  es  sind  dies  das  Mantrabrähmana  ^), 
welches  die  Gebete  für  das  Gobhila-Grhyasütra  enthält,  und  der 
zum  Apastambiya-Grhyasutra  gehörige  M  a  n t  r a  p  ä  t  h  a  ^). 

Blofs  bei  den  zum  schwarzen  Yajurveda  gehörigen  Schulen 
des  Baudhäyana  und  des  Äpastamba  finden  wir  Kalpa- 
sütras, welche  alle  vier  Arten  von  Sütra texten  —  Srauta-,  Grhya-, 
Dharma-  und  Sulvasütras  —  enthalten,  wobei  es  sich  auch  nach- 
weisen lafst,  dafs  diese  Werke  in  der  Tat  so  zusammenhängen, 
dafs  sie  gewissermafsen  als  die  vier  Bände  eines  einheitlichen 
Werkes  angesehen  werden  können.  Wenn  nicht  —  was  auch 
möglich  ist  —  Baudhäyana  und  Äpastamba  tatsächlich  die  Ver- 
fasser von  vollständigen,  alle  vier  Arten  von  Texten  umfassenden 
Kalpasütras  waren,  so  sind  doch  jedenfalls  die  zur  Baudhäyana- 
beziehungsweise  Äpastambaschule  gehörigen  Srauta-,  Grhya-, 
Dharma-    und    Sulvasütras   die  in  jedem  von  beiden  Fällen  nach 


')  Das  Mantra  -  Brähmapa.  1.  Prapäthaka  (Sanskrit  und  deutsch) 
von  Heinrich  Stönner.  Halle  a.  S.  1901  (Inauguraldissertation). 

*)  The  Mantrapätha,  or  the  Prayer  Book  of  the  Äpastambins. 
Edited  by  M.  Winternitz.    Oxford  (Anecdota  Oxoniensia)  1897. 


—     238     — 

einem  einheitlichen  Plane  verfafsten  Werke  dieser  zwei  zum 
Yajurveda  gehörigen  Schulen'). 

Eng  verwandt  mit  den  Sütras  der  Apastambaschule  sind  die 
der  Hiranyakesins.  Doch  gibt  es  hier  nur  ein  Srauta-  und  ein 
Grhyasütra  "=) ,  während  das  Hiranyakesi-Dharmasütra  von  dem 
ApastambTya-Dharmasütra  fast  gar  nicht  verschieden  ist. 

Alle  diese  Sütras  ' —  ebenso  wie  die  bisher  noch  nicht  heraus- 
gegebenen Texte  der  Bhäradväjas  —  stehen  in  enger  Beziehung 
zur  TaittirTya-Samhitä.  Aulserdem  gehören  zum  schwarzen 
Yajurveda  noch  die  zur  MaiträyanT-Samhitä  in  Beziehung  stehen- 
den Srauta-,  Grhya-  und  Sulvasütras  der  Mäna  vaschule  ^)  sowie 
das  mit  dem  Mänava-Grhyasütra  verwandte  Käthaka-Grhya- 
sütra. 

Ob  es  auch  in  jeder  anderen  vedischen  Schule  immer  ein 
Kalpasötra  gegeben  hat,  welches  alle  vier  Arten  von  Sütras  um- 
fafste,  wie  es  bei  den  Schulen  des  Baudhäyana  und  des  Äpastamba 
der  Fall  ist,  läfst  sich  nicht  entscheiden.  Tatsächlich  besitzen  wir 
von  den  nicht  zum  schwarzen  Yajurveda  gehörigen  Schulen  bald 
nur  ein  Srautasütra,  bald  nur  ein  Grhyasütra,  während  der  Zu- 
sammenhang einiger  Dharmasütras  mit  Schulen  des  Rigveda 
oder  des  weifsen  Yajurveda  überhaupt  sehr  lose  ist.  Es  gehören 
zum  weifsen  Yajurveda  ein  Kätyäyana-Srautasütra*),  ein 
Pära  skara-Grhyasütra  und  ein  Kätyäy  ana- Sulva- 
sütra;      zum    Rigveda     ein     Asvaläyana-8rautasütra  s), 


■)  Herausgegeben  wurde  das  Apastambiya  -  brautasütra  von 
R.  Garbe  in  der  »Bibliotheca  Indica«,  Calcutta  1882  ff.,  das  Apastam- 
biya-Grhyasütra  von  M.  Winternitz,  Wien  1887,  das  Apastambiya- 
Dharmasütra  von  G^  Bühler,  zweite  Aufl.  (Bombay  Sanskrit  Series 
1892  und  1894),  das  Apastambiya-Sulvasütra  mit  deutscher  Übersetzung 
von  Albert  Bürk  (in  ZDMG  Bd.  .55  und  56,  1901-2).  Das  Sulvasütra 
des  Baudhäyana  hat  G.  Thibaut  herausgegeben  und  ins  Englische 
übersetzt  (im  »Pandit«,  voL  IX  ff).  Eine  Ausgabe  des  Baudhäyaoa- 
Srautasütra  hat  W.  Caland  eben  erst  begonnen. 

*)  Das  Hiranyakesi-GrhyasQtra  hat  J.  Kirste  (Wien  1889)  heraus- 
gegeben. 

^)  Das  Mänava-Grhya-vSütra,  herausg.  von  F.  Knauer,  St.  Peters- 
burg 1897.  Das  Mänava-C^rauta-Sütra,  herausg.  von  F.  Knauer,  I  bis 
V,  St.  Petersburg  1900  ff. 

■*)  Herausg.  von  A.  Weber  als  dritter  Bd.  seines  »White  Yajurveda^. 

'')  Herausgegeben  in  der    ßibliotheca  Indica  s  Calcutta. 


—    239    — 

Asvaläyana-Grhyasatra,Sänkhäyana-§rautasütra'> 
und  Sänkhäyana-Grhyasütra;  zum  Sämaveda  einLtäyä- 
yana-Öraut.asütra  =),  ein  Gobhila-Grhyasütra  und  ein 
Khädira-Grhjasütra^).  Zum  Atharvaveda  endlich  gehören 
ein  Vaitäna-Srautasütra''),  ein  sehr  spät  entstandenes 
Werk,  welches  dem  Atharvaveda  beigegeben  wurde,  um  ihn  den 
übrigen  drei  Vedas  gleichwertig  zu  machen,  und  das  viel  ältere 
und  wichtigere  Kausikasütra^).  Dieses  ist  nur  zum  Teil  ein 
Grhyasütra,  welches  ebenso  wie  die  anderen  Grhyasütras  das 
häusliche  Rituell  behandelt;  es  ist  aber  viel  umfangreicher  und 
enthält  auch  die  ausführlichsten  Anweisungen  zur  V^oUziehung 
jener  Zauberriten,  für  welche  die  Lieder  und  Sprüche  des 
Atharvaveda  verwendet  wurden.  So  ist  dieses  Kausikasütra  eine 
höchst  wertvolle  Ergänzung  zur  Atharvaveda-Samhitä  und  eine 
unschätzbare  Quelle  für  unsere  Kenntnis  des  altindischen  Zauber- 
wesens. Ein  interessantes  Zauberbuch  ist  auch  das  zum  Sämaveda 
gehörige  Sämavidhäna-Brähmana^),  das  trotz  seines  Titels 
zur  Sütralitteratur  gehört. 

Mit  den  Sütratexten  ist  die  Litteratur  über  das  Opferritual 
keineswegs  erschöpft.  So  wie  sich  an  die  Upanisads  des  Veda 
eine  nachvedische  Upanisadlitteratur  anschliefst,  so  schliefst  sich 
an  die  vedische  Rituallitteratur  eine  bis  in  die  neueste  Zeit  fort- 
gesetzte litterarische  Tätigkeit  auf  dem  Gebiete  des  Rituals.    Zu- 


')  Herausg.  von  A.  Hillebrandt  in  der  »Bibliotheca  Indica«, 
Calcutta  1888  ff. 

^)  Herausg.  in  der  "Bibliotheca  Indica",  Calcutta. 

')  Herausg.  von  H.  Oldenberg  in  Sacred  Books  of  the  East,  Vol.  29. 
Die  Ausgaben  der  übrigen  Grhyasütras  siehe  oben  S.  233  Anm.  2. 

■»)  Herausgegeben  und  ins  Deutsche  übersetzt  von  R.  Garbe» 
London  resp.  Strafsburg  1878. 

5)  Herausgegeben  von  M.  Bloomf  ield,  New  Haven  1890.  Zahl- 
reiche Auszüge  aus  diesem  Sütra  hat  derselbe  Gelehrte  in  den  An- 
merkungen zu  seiner  englischen  Übersetzung  ausgewählter  Hymnen 
des  Atharvaveda  (Sacred  Books  of  the  East,  Vol.  XLII)  gegeben.  Die 
wichtigsten  auf  Zauberei  bezüglichen  Absfchnitte  des  Kausikasütra 
hat  auch  W.  Caland  in  seinem  Werke:  Altindisches  Zauberrifual» 
Amsterdam  1900,  ins  Deutsche  übersetzt. 

*'}  Herausgegeben  von  A.  C.  Burneil,  London  1873.  Ins  Deutsche 
übersetzt  von  Sten  Kon  o  w ,  Das  Sämavidhänabrähmäna,  ein  altindisches 
Handbuch  der  Zauberei,  Halle  a,  S,  1893. 


—     240     — 

nächst  folgen  auf  die  Örauta-  und  Grhyasutras  die  PariSistas 
oder  »Nachträge*  ,  in  welchen  ein'zeine  in  den  Sötras  nur  kurz 
angedeutete  Dinge  ausführlicher  behandelt  werden.  Später  folgen 
diePrayogas,  i> praktische  Handbücher«,  die  Paddhatis, 
'Grundrisse«,  und  die  Kärikäs,  versifizierte  Darstellungen' des 
Rituals.  Alle  diese  Werke  behandeln  entweder  das  ganze  Ritual 
irgendeiner  vedischen  Schule  oder  —  w^as  häufiger  der  Fall 
ist  -  einzelne  Abschnitte  desselben.  Von  Wichtigkeit  sind 
insbesondere  die  Spezialwerke  über  Hochzeitsgebräuche,  Toten- 
bo^stattung  und  Manenopfer  (Sräddhas),  von  denen  freilich  die 
meisten  nur  durch  Handschriften  und  indische  Drucke  bekannt  sind. 

Die  exegetischen  Vedängas. 

Mindestens  ebenso  alt  wie  die  Kalpasütras  sind  diejenigen 
Sütratexte,  welche  sich  mit  der  Siksä  oder  »Phonetik«  beschäftigen. 
Während  die  Kalpasütras  Hilfswerke  zum  Brelhmanateile  des 
Veda  sind,  stehen  die  zum  Vedänga  f^iksä  gehörigen  Sütras  in 
engster  Beziehung  zu  den  Samhitäs  der  Vedas. 

Siksä  heifst  eigentlich  »Unterricht«,  dann  im  besonderen 
»Unterricht  im  Rezitieren«,  d.  h.  in  der  richtigen  Aussprache, 
Betonung  u.  s.  w.  der  Samhitätexte.  Die  älteste  Plrwähnung  dieses 
Vedänga  findet  sich  in  der  TaittiriyaUpanisad  (I,  2),  wo  die 
Lehre  von  den  Buchstaben  und  der  Betonung ,  dem  .Silbenmafs 
(Quantität)  und  der  Lautstärke,  der  Melodie  und  der  Wort- 
verbindung bei  der  fortlaufenden  Rezitation  als  die  sechs  Kapitel 
der  Siksä  aufgezählt  werden.  Ebenso  wie  die  Lehre  vom  Ritual 
entsprang  auch  die  Siksä  einem  religiösen  Bedürfnis.  Denn  um 
eine  Opferhandlung  richtig  zu  vollziehen,  war  es  nicht  nur  not- 
wendig ,  das  Ritual  zu  kennen ,  sondern  man  mufste  auch  die 
heiligen  Texte  genau  aussprechen  und  ohne  Fehler  rezitieren 
können,  —  und  zw^ar  so,  wie  sie  in  den  Samhitäs  überliefert 
waren.  Dies  setzt  aber  voraus,  dafs  zur  Zeit,  wo  die  Lehrbücher 
der  biksä  entstanden ,  die  vedischen  Samhitäs  bereits  als  heilige 
Texte  fixiert  waren,  dafs  sie  durch  phonetisch  geschulte  Redaktoren 
eine  feste  Gestalt  bekommen  hatten.  In  der  Tat  läfst  sich  nach- 
weisen, dafs  z.  B.  die  Rigveda-Samhitä  die  Hymnen  nicht  in  der 
Gestalt  gibt,  wie  sie  von  den  alten  Sängern  gedichtet  worden 
sind.     Zwar   haben    die  Redaktoren  an  den  W^orten  selbst  nichts 


-     241     — 

geändert;  abef-  sie  liefsen  sich  in  bezug  auf  die  Aussprache,  den 
Auslaut  und  Anlaut  der  Wörter,  die  Vermeidung  des  Hiatus  u.  dgl. 
durch  phonetische  Theorien  dazu  verleiten ,  von  der  ursprüng- 
lichen Rezitationsweise  abzuweichen.  So  lesen  wir  z.  B.  in  unserer 
Samhitä  tvam  hyagne,  können  aber  (auf  Grund  des  Metrums) 
beweisen,  dafs  die  alten  Sänger  tuain  hi  agne  gesprochen 
hatten.  Es  sind  also  die  vedischen  wSarnhitäs  .selbst  bereits  das 
Werk  von  Phonetikern.  Aber  neben  den  Samhitä-Pä thas, 
d.  h.  den  Sarnhitätexten,  wie  sie  nach  den  Lehren  der  Siksä 
rezitiert  werden  muisten,  gibt  es  auch  die  sogenannten  Pada- 
Päthas  oder  »Worttexte«,  in  denen  die  einzelnen  Worte  aus 
der  phonetischen  Verbindung,  in  welcher  sie  der  Sarnhitätext 
bietet,  losgetrennt  erscheinen.  Ein  Beispiel  wird  genügen,  um 
den  Unterschied  zwischen  Samhitä-Pätha  und  Pada-Päiha  klar  zu 
machen.     Ein  Vers  lautet  in  unserer  Rigveda-Samhitä ; 

agnih  pürvebhirrsibhirl^yo  nötanairuta  1  sa  deväm  eha  vaksati  || 

Im  Pada-Pätha  lautet  dieser  Vers: 

agnih  |  pürvebhih  |  rsi-bhib  !  I(Jyab  I  nütanaih  |  uta  |  sa  i  devän  i  ä  | 

iha  I  vaksati  || 

/ 

Diese  Pada-Päthas  sind  natürlich  das  Werk  von  phonetisch 
geschulten  Theologen,  ja  von  Grammatikern  •,  denn  sie  bieten  den 
Text  der  Verse  in  einer  vollständigen  grammatischen  Analyse. 
Dennoch  müssen  sie  ziemlich  alt  sein.  Der  Pada-Pätha  des  Rig- 
veda  wird  dem  Säkalya  zugeschrieben,  einem  Lehrer,  der  schon 
im  Aitareya-Äranyaka  erwähnt  wird. 

Samhitä-Päthas  und  Pada-Päthas  sind  also  die  ältesten  Er- 
zeugnisse der  Öiksä-Scbulen.  Die  ältesten  uns  erhaltenen  Lehr- 
bücher aber,  welche  zu  diesem  Vedänga  gehören,  sind  die 
Prätisäkhyäs,  welche  die  Regeln  enthalten,  mit  Hilfe  deren 
man  aus  dem  Pada-Pätha  den  Samhitä-Pätha  bilden  kann.  Daher 
enthalten  sie  Belehrungen  über  die  Aussprache,  die  Betonung, 
die  euphonischen  Veränderungen  der  Laute  in  der  Wortzusammen- 
setzung sowie  im  Auslaut  und  Anlaut  der  Wörter  im  Satze,  über 
Verlängerung  von  Vokal'en,  kurz :  über  die  ganze  Rezitationsweise 
der  Sarnhitä.  Zu  jeder  Öäkhä  oder  Rezension  einer  Saiphitä  hat 
es  ein  solches  Lehrbuch  gegeben  —  daher  der  Name  Prätisä- 
khyäs, d.  h.   jje  für  eine  Häkhä  bestimmte  Lehrbücher«.    Erhalten 

Wintetnitz,   Geschiebte  der  indischen  Litteratur.  16 


—    242    — 

ist  uns  zunächst  ein  Rigveda-PrätiSäkhya^),  welches  dem 
Saunaka,  der  ein  Lehrer  des  Asvaläyana  gewesen  sein  soll, 
zugeschrieben  wird.  Dieses  Werk  ist  in  Versen  abgefafst  und 
wahrscheinlich  eine  jüngere  Überarbeitung  eines  älteren  Sütra- 
textes;  es  wird  sogar  in  Manuskripten  und  Zitaten  als  »Sütra<- 
bezeichnet.  Zur  Taittiriya-Samhitä  gehört  das  Taittirlya- 
Präti§äkhya-Sütra=');  zur  Väjasaneyi-Samhitä  ein  dem 
Kätyäyana  zugeschriebenes  Väjasaneyi-Prätisäkhya- 
Sütra3),  und  zur  Atharyaveda-Samhitä  ein  Atharvaveda- 
Prätisäkhya-Sütra*),  welches  zur  Schule  der  §aunakas 
gehören  soll. 

Von  Wichtigkeit  sind  diese  Werke  ftir  uns  in  zweifacher 
Beziehung.  Erstens  für  die  Geschichte  des  grammatischen 
Studiums  in  Indien,  welche  für  ims  mit  diesen  PrätiSäkhyas  be- 
ginnt. Wenn  sie  auch  nicht  selbst  eigentlich  grammatische  Werke 
sind,  so  behandeln  sie  doch  Gegenstände,  welche  zur  Grammatik 
gehören.  Sie  beweisen  auch  dadurch,  dafs  sie  viele  Grammatiker 
zitieren,  dafs  zu  ihrer  Zeit  das  grammatische  Studium  bereits  in 
voller  Blüte  stand.  Noch  wichtiger  sind  sie  aber  zweitens  da- 
durch, dafs  sie  uns  eine  Bürgschaft  dafür  abgeben,  dafs  die  Texte 
der  Samhitäs  so,  wie  sie  uns  heute  vorliegen,  sich  durch  alle  Jahr- 
hunderte seit  der  Zeit  der  Prätisäkhyas  imverändert  erhalten 
haben.  So  setzen  die  Regeln  des  Rigveda-Prätisäkhya  voraus, 
dafs  zur  Zeit  desselben  die  Rigveda-Samhitä  nicht  nur  bereits 
mit  ihrer  Einteilung  in  zehn  Mandalas  feststand,  sondern  dafs 
auch  die  Reihenfolge  der  Hymnen  in  jedem  Mandala  dieselbe 
war  wie  jetzt.  Ja,  die  minutiösen  Regeln  des  Saunaka  lassen 
keinen  Zweifel  darüber,  dafs  zu  seiner  "Zeit  der  Text  der  Rigveda- 
Samhitä  nahezu  Wort   für  Wort   und   Silbe  für  Silbe  genau   so 

•)  Rig-V^da-Pratisakhya,  das  älteste  Lehrbuch  der  vedischen 
Phonetik.  Sanskrittext  mit  Übersetzung  und  Anmerkungen  heraus- 
gegeben von  Max  Müller,  Leipzig  1856 — 69. 

*)  The  Taittiriya-Prätigäkhya.  Text,  Translation  and  Notes  by 
W.  D.  Whitney.  New  Haven  1871.  (Journal  of  the  American 
Oriental  Society,  Vol.  IX.) 

^)  Kätyäyana's  Pratisakhya  of  the  White  Yajur-Veda,  ed.  bv 
P.  Y.  Pathaka.    Benares  1883-88. 

*)  The  Atharva- Veda  Präti<;äkhya  or  (^aunakiyä  Caturädhyäyikä  : 
Text,  Translation  and  Notes-  By  W.  D.  Whitney.  New  Haven  1862. 
(Journal  of  the  American  Oriental  Society,  Vol.  VII.) 


-     243     — 

feststand,   wie  wir  denselben   heutzutage   in  unseren  gedruckten 
Ausgaben  vorfinden. 

Diese  Prätisäkhyas  sind  die  ältesten  Vertreter  des  Vedänga 
Siksä.  Es  gibt  daneben  noch  mehr  moderne  Werke,  kleine  Ab- 
handlungen über  Phonetik,  die  sich  8  i  k  s  ä  s  nennen  und  berühmte 
alte  Namen,  wie  Bhäradväja,  Vyäsa,  Väsi^tha,  Yäjiiavalkya  u. s.w. 
als  ihre  Verfasser  angeben.  Sie  schliefsen  sich  an  die  Prätisäkhyas 
ungefähr  ebenso  an,  wie  auf  die  alten  vedischen  Dharmasütras 
in  späterer  Zeit  versifizierte  Rechtsbücher  folgten,  die  ebenfalls 
altberühmte  Namen  als  ihre  Verfasser  nennen.  Manche  dieser 
Öiksäs  sind  verhältnismäfsig  alt  und  schliefsen  sich  mehr  un- 
mittelbar an  irgendein  Prätisäkhya  an  —  z.  B.  die  Vyäsa - 
Siksä')  an  das  Taittirlya-Prätisäkhya  — ,  während  andere  viel 
jüngeren  Ursprungs  und  weder  für  die  Grammatik  noch  für  die 
Geschichte  der  vedischen  Texte  von  Belang  sind. 

S a u n a k a  und  K  ätyäyana,  welche  als  Verfasser  von 
Prätisäkhyas  genannt  werden,  gelten  auch  als  die  Verfasser  von 
Werken,  die  der  Vedähgalitteratur  sehr  nahe  stehen,  weil  sie 
sich  ebenfalls  mit  den  Texten  der  vedischen  Samhitäs  beschäftigen, 
die  man  aber  doch  nicht  als  Vedängas  bezeichnet.  Es  sind  dies 
die  Anukramanis,  d.  h.  »Verzeichnisse«,  »Listen«,  »Indices«, 
welche  den  Inhalt  der  vedischen  Samhitäs  nach  verschiedenen 
Richtungen  angeben.  So  verfafste  Saunaka  eine  AnukramanI 
oder  ein  Verzeichnis  von  den  Rsis  der  Rigvedabymnen ,  ein 
V^erzeichnis  von  den  Metren,  eines  von  den  Gottheiten  und  eines 
von  den  Hymnen.  Von  Kätj^äyana  besitzen  wir  eine  Sarvänu- 
kramani^),  d.h.  ein  »Verzeichnis  von  allen  Dingen«,  zum  Rig- 
veda.  Dieses  Werk  gibt  in  der  Form  von  Sütras  die  Anfangs- 
worte eines  jeden  Hvmnus,  dann  die  Zahl  der  Verse,  den  Namen 
und  das  Geschlecht  des  Rsi,  dem  derselbe  zugeschrieben  wird,  der 
Gottheiten,  an  welche  die  einzelnen  V^erse  gerichtet  sind,  und  des 
Metrums  oder  der  Metren,  in  welchen  der  Hymnus  abgefafst  ist.  Dem 
baunaka  werden  auch  die  beiden  metrischen  Werke  Brhaddevatä 


')  Vgl.  H.  Lüders,  Die  \'yäsa-^ikshä  besonders  in  ihrem  Ver- 
hältnis zum  Tatttiriya-Prätipäkhya.    Kiel  1895. 

-)  Herausgegeben    von    A.    A.    Macdonell,     Oxford    (Anecdota 
Oxoniensia)  1886. 

16* 


—     244    — 

und  Rgvidhäna  zugeschrieben.  Die  Brhaddevatä \)  ist  ein  er- 
weitertes Verzeichnis  der  in  den  einzelnen  Hymnen  des  Rigveda 
verehrten  Gottheiten;  sie  enthält  nämlich  auch  Mythen  und 
Legenden,  die  sich  auf  diese  Gottheiten  beziehen,  und  ist  darum  zu- 
gleich ein  für  die  indische  Erzählungslitteratur  wichtiges  Werk. 
Das  Rgvidhäna  ^j  gibt  —  gleichfalls  in  Form  eines  der  Einteilung 
unserer  Rigveda-Samhitä  folgenden  Verzeichnisses  —  für  jeden 
Hymnus  oder  auch  für  einzelne  Verse  die  Zauberwirkung  an, 
welche  durch  Rezitation  derselben  erreicht  werden  kann.  Es 
berührt  sich  zum  Teil  mit  dem  obenerwähnten  Sämavidhäna- 
Brähmana. 

Die  Wichtigkeit  der  Anukramanis  und  der  verwandten 
Werke  beruht  darauf,  dafs  auch  sie  beweisen,  dafs  schon  in  sehr 
alter  Zeit  die  Texte  der  vedischen  vSamhitäs  fast  genau  in  der- 
selben Gestalt,  in  derselben  Einteilung,  mit  derselben  Verszahl  u.s.  w. 
vorhanden  waren,  wie  sie  uns  jetzt  vorliegen. 

Das  gleiche  gilt  auch  für  das  schon  hei  anderer  Gelegenheit 
erwähnte  Nirukta  des  Yäska').  Auch  dieses  Werk,  das 
einzige,  welches  wir  als  Überrest  des  Vedänga  Nirukta  besitzen, 
setzt  die  Rigveda-Samhitä  in  wesentlich  demselben  Zustande 
voraus,  in  welchem  wir  sie  heute  kennen.  Die  Überlieferung 
schreibt  fälschlicherweise  auch  die  Nighantus  oder  »Wortlisten« 
dem  Yäska  zu.  In  Wirklichkeit  ist  aber  das  Werk  des  Yäska 
nur  ein  Kommentar  zu  diesen  Wortlisten,  von  denen  Yäska  selbst 
^agt,  dafs  sie  von  den  Nachkommen  der  alten  Weisen  zum 
leichteren  Verständnis  der  überlieferten  Texte  zusammengestellt 
worden  seien.  Die  Nighantus  sind  nämlich  fünf  Listen  von 
Wörtern,  welche  in  drei  Abschnitte  eingeteilt  sind.  Der  erste 
Abschnitt  (Naighantukakända)  besteht  aus  drei  Listen,  in  welchen 
vedische  Wörter  unter  bestimmten  Hauptbegriffen  zusammen- 
gestellt sind.  Es  werden  z.  B.  21  Namen  für  »Erde« ,  15  für 
»Gold«,    16   für    vLuft«,    101  für  »Wasser«,    122  Zeitwörter   für 


■')  Herausgegeben    von    Rajendralala    Mitra    in    der    »Bibliotheca 
Indica«,  Calcutta  1892. 

')  Rgvidhäiiani  edidit  cum  praefatione  Rudolf  Meyer,  ßerolini  1878 
i)  Vgl.   oben   S.   62.     Herausgegeben  wurde   das  Nirukta  zuerst 
von  R.  Roth.    Göttingen    1852,     Eine  mit  Kommentaren   und   Indices 
reich  ausgestattete  Ausgabe  von  S.  Sämasrami  erschien  in  der    Biblio- 
theca Indica«,  Calcutta  1882-91. 


—    245    — 

>gehen«,  26  Adjektiva  und  Adverbia  für  »schnell«,  12  für  »viel« 
u.  s.  w.  aufgeführt.  Der  zweite  Abschnitt  (Naigamakända  oder 
Aikapadika)  enthält  eine  Liste  von  einzelnen  vieldeutigen  und 
besonders  schwierigen  Wörtern  des  Veda,  während  der  dritte 
Abschnitt  (Daivatakända)  eine  Klassifizierung  der  Gottheiten  nach 
den  drei  Gebieten  Erde,  Luftraum  und  Himmel  gibt*).  Mit  der 
Zusammenstellung  solcher  Glossare  hat  die  Vedaexegese  wahr- 
scheinlich begonnen,  und  erst  eine  weitere  Stufe  der  Entwicklung 
war  es,  als  man  zu  diesen  Glossaren  Kommentare  nach  Art 
unseres  Nirukta  verfafste,  in  welche  die  Erklärungen  schwieriger 
Vedaverse  eingeflochten  waren,  bis  dann  in  noch  späterer  Zeit 
ausführliche  und  fortlaufende  Kommentare  zu  den  vedischen  Texten 
geschrieben  worden  sind.  Sicher  ist,  dafs  Yäska  viele  Vorgänger 
hatte,  und  dafs  sein  Werk,  obgleich  es  gewifs  sehr  alt  imd  für 
uns  das  älteste  vedaexegetische  Werk  überhaupt  ist,  doch  nur  als 
das  letzte,  vielleicht  auch  vollkommenste  Erzeugnis  der  zum 
Vedänga  Nirukta  gehörigen  Litteratur  angesehen  werden  kann. 
Auch  von  den  Vedängas  der  Metrik  und  der  Astronomie 
sind  uns  nur  die  letzten  Ausläufer  einer  älteren  wissenschaftlichen 
Litteratur  in  je  einem  Werk  erhalten.  Das  Lehrbuch  des 
Pingala  über  Metrik,  obgleich  es  von  den  Indern  als  ein  zum 
Rigveda  beziehungsweise  Yajurveda  —  es  ist  nämlich  in  zwei 
Rezensionen  überliefert  —  gehöriges  Vedänga  angesehen  wird, 
ist  doch  das  Werk  einer  späteren  Zeit;  denn  es  behandelt  auch 
Versmafse,  welche  erst  der  späteren  Sanskritdichtung  angehören  =*). 
Das  Jyotisa-Vedänga  ist  ein  kleines,  in  Versen  abgefafstes 
astronomisches  Lehrbuch  —  es  enthält  in  der  Rezension  des 
Yajurveda  43,  in  der  des  Rigveda  36  Verse  — ,  welches 
hauptsächlich  die  Stellen  von  Mond  und  Sonne  an  den 
Solstizien  sowie  der  Neu-  und  Vollmonde  im  Kreise  der 
27  Naksatras  oder  Sterne  des  Tierkreises  angibt  oder  Regeln  zu 
deren  Berechnung  aufstellt  3).     Schon  der  Umstand,  dafs  es  nicht 


')  Über  diese  Nighai?tus  als  die  Anfänge  der  indischen  Lexiko- 
graphie vgl.  Th.  Zachariae,  Die  indischen  Wörterbtlcher  (»Grund- 
rils«  I,  3  B.),  Strafsburg  1897,  S.  2  f. 

*)  Das  Sütra  des  Pingala  hat  A.  Weber  im  8.  Bande  der  »Indischen 
Studien«  herausgegeben  und  erklärt.  Vgl.  auch  A.  Weber,  Indische 
Literaturgeschichte,  S-  66. 

')  Vgl.  A.  Weber,    Über  den   Vedakalender  namens  Jyotisham 


—    246     — 

in  Sütras  abgefafst  ist,  weist   das  Werkchen,    welches   übrigens 
noch  nicht  genügend  erklärt  ist,  einer  späteren  Zeit  zu. 

Ganz  verloren  gegangen  sind  uns  die  alten  Vedängatexte 
über  Grammatik.  Gewifs  ist  auch  diese  Wissenschaft  im  Zu- 
sammenhang mit  der  Vedaexegese  entstanden  und  aus  den  Veda- 
schulen  hervorgegangen.  Finden  wir  doch  schon  in  den 
Äranyakas  einzelne  grammatische  Kunstausdrücke.  Aber  das 
älteste  und  bedeutendste  Lehrbuch  der  Grammatik,  das  uns  er- 
halten ist,  das  des  Pänini,  behandelt  die  vedische  Sprache 
nur  mehr  nebenbei;  es  steht  zu  keiner  Vedaschule  mehr  in 
engerer  Beziehung  und  gehört  überhaupt  einer  Zeit  an,  wo 
die  Wissenschaft  der  Grammatik  bereits  in  eigenen,  von  der 
Theologie  unabhängigen  Fachschulen  betrieben  wurde.  Denn 
auch  in  Indien  hat  sich,  wie  wir  noch  in  dem  Abschnitt  über  die 
wissenschaftliche  Litteratur  sehen  werden,  die  Wissenschaft  von 
der  Theologie,  in  der  sie  ursprünglich  fast  ganz  eingeschlossen 
war,  mehr  und  mehr  losgelöst. 

Das  Alter  des  Veda. 

Wir  haben  die  ganze  vedische  Litteratur  bis  zu  ihren  letzten 
Ausläufern  und  Nachzüglern  verfolgt  und  können  nun  der  Frage 
nach  dem  Alter  dieser  ganzen  grofsen  Litteratur  nicht  mehr 
ausweichen.  Wenn  es  möglich  wäre,  auch  nur  innerhalb  einiger 
Jahrhunderte  anzugeben,  in  welche  Zejt  die  ältesten  Hymnen 
des  Rigveda  und  des  Atharvaveda  zurückreichen,  so  wäre  es 
unnötig,  dieser  Frage  ein  besonderes  Kapitel  zu  widmen.  Es  würde 
genügen,  mit  ein  paar  Worten  das  ungefähre  Alter  des  Veda 
anzugeben.  Leider  ist  es  aber  eine  Tatsache  —  und  es  ist 
geradezu  peinlich,  diese  Tatsache  gestehen  zu  müssen  — ,  dafs 
die  Ansichten  der  besten  Forscher  in  bezug  auf  das  Alter  des 
Rigveda  nicht  um  Jahrhunderte,  sondern  um  Jahrtausende  aus- 
einandergehen, dafs  die  einen  das  Jahr  1000  v.  Chr.  als  unterste 
Grenze  für  die  rigvedischen  Hymnen  ansetzen,  während  andere 
dieselben  zwischen  3000  und  2500  v.  Chr.  entstehen  lassen.  Wo 
die  Ansichten  der  Fachgelehrten  so  sehr  auseinandergehen, 
genügt  es  nicht,  selbst  in  einem  für  Laien  bestimmten  Handbuch, 


(Abhandlungen   der  Akademie   der  Wissenschaften    zu   Berlin    1862) 
und  G.  Thibaut,  Astronomie  (im  »Grundrifs«  III,  9),  S.  17,  20  und  28. 


—    247    — 

irgendein  ungefähres  Datum  anzugeben,  sondern  es  mufs  auch 
der  Laie  eine  Vorstellung  davon  haben,  worauf  sich  die  ver- 
schiedenen Ansichten  über  das  höhere  oder  niedrigere  Alter  des 
Veda  stützen.  Es  ist  dies  um  so  notwendiger,  als  ja  die  Frage 
nach  dem  Zeitalter  der  ältesten  indischen  Litteratur  mit  der  Frage 
nach  dem  Beginn  der  indo  -  arischen  Kultur  zusammenfällt,  eine 
Frage,  die  für  jeden  Historiker,  Altertumsforscher  und  Philologen 
von  grölster  Wichtigkeit  ist.  Denn  nur  wenn  wir  die  ältesten 
Zeugnisse  arischer  Kultur  in  Indien  zeitlich  fixieren  können, 
lassen  sich  von  da  aus  Rückschlüsse  auf  die  Periode  der  indo- 
iranischen und  weiterhin  der  indogermanischen  Kulturentwicklung 
machen.  Aber  auch  für  den  Historiker,  der  sich  mit  der  Geschichte 
der  alten  Welt  beschäftigt  und  die  mannigfachen  Beziehungen 
zwischen  den  Kulturvölkern  des  Altertums  verfolgen  will,  ist  es 
von  Wichtigkeit,  zu  wissen,  wie  sich  Indien  in  bezug  auf  den 
Ausgangspunkt  seiner  ältesten  Kulturepoche  zu  den  drei  anderen 
grofsen  Kulturzentren  des  Orients  —  Babylonien,  Ägypten  und 
China  —  verhält. 

Unter  solchen  Umständen  scheint  es  mir  unumgänglich  not- 
wendig ,  auch  dem  Nichtfachmann  von  dem  Stand  der  Frage 
Rechenschaft  zu  geben  und  unser  Nichtwissen  sowohl  wie  unser 
Wissen,  so  weit  es  möglich  ist,  zu  begrenzen  und  zu  begründen. 

Als  man  zuerst  mit  der  indischen  Litteratur  bekannt  wurde, 
war  man  geneigt,  allen  indischen  Litteraturwerken  ein  ungeheuer 
hohes  Alter  zuzuschreiben.  Erwartete  doch  Friedrich  Schlegel 
von  Indien  her  nichts  weniger  als  »Aufschlufs  über  die  bis  jetzt 
so  dunkle  Geschichte  der  Urwelt« ').  A.  Weber  schrieb  noch 
1852  in  seiner  »Indischen  Litteraturgeschichte« :  »Die  indische 
Litteratur  gilt  allgemein  für  die  älteste,  von  der  wir  schriftliche 
Dokumente  besitzen,  und  das  mit  Recht«  und  fügte  erst  1876  in 
der  zweiten  Auflage  hinzu:  »soweit  nicht  etwa  jetzt  doch  die 
monumentalen  Schriftstücke  und  die  Papyros  -  Rollen  Ägyptens, 
oder  gar  etwa  auch  die  erst  jüngst  neuerstandene  assyrische 
Litteratur,  Einspruch  hiergegen  einlegen.«  Die  Gründe,  aus 
welchen  man  nach  Weber  »mit  Fug  und  Recht  die  indische 
Litteratur  als  die  älteste  zu  betrachten  hat,  von  der  uns  um- 
fassende   schriftliche   Denkmäler    überliefert    sind« ,    wären    teils 


•)  Vgl.  oben  S.  13. 


—     248     — 

geographische,  teils  religionsgeschichtliche.  In  den  älteren  Teilen 
des  Rigveda  erscheint  uns  das  indische  Volk  als  sefshaft  im 
Pendschab.  Die  allmähliche  Ausbreitung  von  da  nach  Osten 
über  Hindostan  nach  dem  Ganges  zu  läfst  sich  in  den  späteren 
Teilen  der  vedischen  I.itteratur  verfolgen.  Die  epische  Litteratur 
zeigt  uns  dann  weiter  die  Ausbreitung  des  Brahmanismus  nach 
dem  Süden.  Es  mufs  Jahrhunderte  gedauert  haben,  ehe  jine  so 
ungeheure  Länderstrecke,  »bewohnt  von  wilden,  kräftigen  Völker- 
stämmenc,  brahmanisiert  werden  konnte.  Auch  die  religions- 
geschichtliche Entwicklung  vom  einfachen  Naturdienst  der  Rig- 
vedahymnen  bis  zu  den  theosophisch-philosophischen  Spekulationen 
der  Upanisads  und  wieder  bis  zu  jenen  Phasen  des  Götterglaubens 
und  Kultes,  wie  sie  Megasthenes  um  300  v.  Chr.  in  Indien  vor- 
fand, mufs  viele  Jahrhunderte  erfordert  haben.  Eine  genauere 
Bestimmung  des  vedischen  Zeitalters  hat  Weber  gar  nicht  ver- 
sucht; ja,  er  erklärt  ausdrücklich  jeden  derartigen  Versuch  für 
ganz  fi-uchtlos  \), 

Der  erste,  der  diesen  Versuch  doch  machte  und  eine  Art 
Chronologie  der  ältesten  indischen  Litteratur  herzustellen  suchte, 
war  Max  M  ü  1 1  e  r  in  seiner  1859  erschienenen  »History  of  Ancient 
Sanskrit  Literature«.  Ausgehend  von  den  wenigen  festen  An- 
haltspunkten, die  wir  für  die  indische  Chronologie  besitzen,  dem 
Einfall  Alexanders  und  dem  Auftreten  des  Buddhismus  ^),  schlofs 
er  folgendermafsen  weiter.  Der  Buddhismus  ist  nichts  anderes 
als  eine  Reaktion  gegen  den  Brahmanismus,  und  er  hat  das  Be- 
stehen des  ganzen  Veda,  d.  h.  der  aus  den  Hymnen,  den  Bräh- 
manas,  Aranyakas  und  Upanisads  bestehenden  Litteratur,  zur  Vor- 
aussetzung. Diese  ganze  Litteratur  mufs  also  vorbuddhistisch, 
d.  h.  sie  mufs  vor  500  v.  Chr.  entstanden  sein.  Ungefähr  gleichzeitig 
mit  dem  Entstehen  und  der  ersten  Ausbreitung  des  Buddhismus 
dürfte  die  Vedänga-  oder  Sütralitteratur  sein.  Diese  Sütrawerke, 
deren  Entstehen  ungefähr  in  die  Zeit  von  600  bis  200  v.  Chr. 
fällt  —  mit  der  Aufstellung  dieser  rein  willkürlichen  Jahreszahlen 
beginnt  das  Unhaltbare  der  Max  Müllerschen  Berechnungen  — 
sind  aber  so  beschaffen,  dafs  sie  die  Brähmanalitteratur  zur  not- 
wendigen Voraussetzung  haben.    Die  Brahma nas  aber,  von  denen 


')  Weber,  Indische  Literaturgeschichte.  S.  2  ff.,  7. 
*)  Vgl.  oben  S.  25  f. 


—     249     — 

es  jüngere  und  ältere  gibt,  in  denen  lange  Listen    von  Lehrern, 
■welche   ältere   Brähmanas  überlieferten,   enthalten   sind,   können 
unmöglich    in    weniger    als    200   Jahren    untergebracht    werden. 
Man  wird  daher,  meinte  Max  Müller,    die  Zeit  von  800  bis  600 
V.  Chr.   für  die  Periode  der  Entstehung   dieser  Prosa  werke   an- 
nehmen müssen.     Die  Brähmanas   aber  setzen   ihrerseits  wieder 
die    vedischen   Samhitäs    voraus.     Mindestens   200   Jahre    waren 
aber  notwendig,   um  alle  diese   Sammlungen   von   Liedern   und 
Gebeten  zusammenzustellen;  daher  dürfte  der  Zeitraum  von   un- 
gefähr 1000  bis  800  v.  Chr.  als  das  Zeitalter  anzusehen  sein,  in 
welchem  diese  Sammlungen  veranstaltet    wurden.     Dieser   Ver- 
anstaltimg   von    Sammlungen    aber,    weiche    bereits    als  heilige 
Opferdichtung   und   autorisierte   Gebetbücher    galten,   mufs  eine 
Zeit  vorausgegangen  sein,    in  welcher  die   in   ihnen    enthaltenen 
Lieder  und  Gesänge  als  volkstümliche  oder  religiöse  Dichtungen 
entstanden   sind.      Diese    Zeit,    schlofs    Max    Müller,    mufs   vor 
1000  V.  Chr.  zurückliegen.     Und   da  er  schon  einmal  200  Jahre 
für  die  »Brähmanaperiode«  und  200  Jahre  für  die   von   ihm   so 
genannte  »Mantraperiode«  angenommen  hatte,  so  nahm  er  auch 
—   allerdings   ohne   auf  diese   Zahl    viel   Gewicht    zu    legen   — 
200  Jahre   für  das  Entstehen   dieser    Poesie   an  und   kam   so 
auf    1200   bis    1000  v.  Chr.    als    die   Anfangszeit    der    vedischen 
Dichtung. 

Es  ist  nun  klar,  dafs  die  Annahme  von  je  200  Jahren  für 
die  verschiedenen  litterarischen  Epochen  in  der  Entstehung  des 
Veda  rein  willkürlich  ist.  Und  Max  Müller  selbst  wollte  eigent- 
lich nicht  mehr  sagen,  als  dafs  man  mindestens  einen  solchen 
Zeitraum  annehmen  müsse,  und  dafs  mindestens  um  1000  v.  Chr. 
unsere  Rigveda-Samhitä  schon  vollendet  gewesen  sei.  Er  hat 
seine  Datierung  von  1200—1000  v.  Chr.  immer  nur  als  termi- 
nus  ad  quem  verstanden,  und  in  seinen  1890  erschienenen 
Vorlesungen  über  »Physische  Religion«  hat  er.  ausdrücklich  ge- 
sagt, »dafs  wir  nicht  hoffen  dürfen,  einen  terminus  a  quo 
aufstellen  zu  können.  Ob  die  vedischen  Hymnen«,  sagt  er,  »1000 
oder  1500  oder  2000  oder  3000  Jahre  v.  Chr.  verfafst  wurden, 
wird  keine  Macht  der  Erde  jemals  bestimmen  können«. ')    Es  ist 


')  Physische  Religion.    Gifford- Vorlesungen  von  F.  Max  Müller. 
Aus  dem  Englischen  übersetzt  von  R.  O.  Franke,  Leipzig  1892,  S.  86  f. 


% 


—    250     - 

aber  merkwürdig,  wie  stark  auch  in  der  Wissenschaft  die  Macht 
der  Suggestion  ist.  Die  rein  hypothetische  und  eigentlich  ganz 
willkürliche  chronologische  Fixierung  der  vedischen  Epochen 
durch  Max  Müller  erhielt,  ohne  dafs  irgendwelche  neue  Argu- 
mente oder  tatsächliche  Beweise  dazugekommen  wären,  im 
Laufe  der  Jahre  mehr  und  mehr  das  Ansehen  und  den  Charakter 
einer  wissenschaftlich  erwiesenen  Tatsache.  Man  gewöhnte  sich 
—  und  schon  W.  D.Whitney*)  hat  diese  Gewohnheit  gertigt  — 
zu  sagen,  Max  Müller  habe  1200—1000  v.  Chr.  als  das  Datum 
des  Rigveda  nachgewiesen.  Nur  -  schüchtern  wagten  es  einige 
Forscher,  wie  L.  von  Schroeder  •'),  bis  1500  oder  gar  2000  v.  Chr. 
hinaufzugehen.  Und  als  vor  einigen  Jahren  H.  Jacob i  auf 
Grund  von  astronomischen  Berechnungen  die  vedische  Litteratur 
bis  ins  dritte  Jahrtausend  v.  Chr.  zurückzudatieren  versuchte, 
da  entstand  ein  grofses  Geschrei  unter  den  Gelehrten  über  solch 
ketzerisches  Vorgehen,  und  noch  heute  schütteln  die  meisten 
Forscher  die  Köpfe  darüber,  wie  nur  Jacobi  eine  so  überspannte 
Ansicht  über  das  Alter  des  Veda  habe  aufstellen  können.  i4an 
hat  merkwürdigerweise  ganz  vergessen,  auf  wie  schwachen  Füfsen 
»die  bisher  herrschende  Ansicht«,  die  man  so  eifrig  zu  verteidigen 
suchte,  eigentlich  stand. 

Der  Gedanke,  mit  Hilfe  von  astronomischen  Daten  aus 
der  Geschichte  des  Sternenhimmels  Schlüsse  auf  die  Chronologie 
der  ältesten  indischen  Litteratur  zu  ziehen,  ist  kein  neuer.  Schon 
A.  Ludwig  hat  auf  Grund  der  Sonnenfinsternisse  einen  solchen  Ver- 
such unternommen  3).  Die  Priester  Altindiens,  welche  die  Opferzeiten 
zu  bestimmen  hatten,  waren  ja  ebenso  wie  die  Pontifices  im  alten 
Rom  zugleich  die  Kalendermacher.  Sie  mufsten  den  Sternen- 
himmel beobachten,  um  die  Opferzeiten  zu  regeln  und  vorher- 
zubestimmen. Und  so  finden  wir  denn  auch  in  den  Brähmanas 
und  Sütras  zahlreiche  astronomische  und  kalendarische  Angaben. 
In    diesen    spielen    namentlich    die    sogenannten    Naksatras   oder 

>Mondhäuser«  eine  grofse  Rolle.    Die  alten  Inder  haben  nämlich 

1 

*)  Orieotal  and  Linguistic  Studies.  First  Series.  New  York  1872. 
S.  78. 

»)  Indiens  Literatur  und  Kultur,  S.  291  f. 

3)  Über  die  Erwähnung  von  Sonnenfinsternissen  im  Rigveda. 
(Sitzungsberichte  der  Königl.  böhmischen  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften, Prag  1885.) 


—    251     — 

bemerkt,  dals  der  Mond  zu  seinem  siderischen  Umlaufe  ungefähr 
27  Tagnächte  brauche  und  jede  Nacht  des  siderischen  Monats 
in  einem  anderen  Sternbilde  weile.  Diese  Sterne  oder  Konstel- 
lationen, welche  sämtlich  nicht  weit  von  der  Ekliptik  liegen, 
wurden  zu  einer  Art  Zodiak,  einer  die  Sphäre  umfassenden  Reihe 
von  27  Naksatras,  vereinigt,  und  dieser  lunare  Zodiak  wurde  dazu 
verwendet,  die  Stellung  des  Mondes  zu  einer  bestimmten  Zeit 
anzugeben').  So  gibt  es  sehr  viele  Stellen  in  der  vedischen 
Litteratur,  wo  es  heifst,  dafs  eine  Opferhandlung  »unter  dem  und 
dem  Naksatra«  stattfinden  soll,  d.  h.  »wenn  der  Mond  mit  diesem 
Naksatra  in  Konjunktion  steht«.  Noch  zahlreicher  sind  Stellen, 
in  denen  die  Naksatras  in  bestimmte  Beziehung  zu  Vollmond 
und  Neumond  gebracht  werden.  Und  schon  in  der  älteren 
Litteratur  erscheinen  oft  nur  zwölf  von  den  27  Naksatras  mit 
dem  Vollmond  verbunden,  woraus  sich  die  aus  den  zwölf  Naksatras 
abgeleiteten  Monatsnamen  erklären.  Diese  Monatsnamen  wurden 
ursprünglich  nur  auf  lunare  Monate  angewandt,  später  aber  auch 
auf  die  Zwölfteile  des  Sonnenjahres  übertragen.  Da  man  aber 
schon  in  vedischer  Zeit  auf  irgendeine  Weise  Sonnen-  und  Mond- 
jahr in  Einklang  zu  bringen  suchte,  erhebt  sich  die  Frage,  ob 
sich  nicht  aus  der  Verbindung  bestimmter  Vollmond-Naksatras 
mit  den  Jahreszeiten  und  dem  Beginn  des  Jahres  Rückschlüsse 
auf  die  Zeit  machen  lassen,  welcher  die  betreffenden  kalendarischen 
Angaben  entstammen.  Solche  Schlüsse,  welche  zu  überraschen- 
den Resultaten  führten,  haben  nun  im  Jahre  1899  gleichzeitig 
und  unabhängig  voneinander  H.  Jacobi  in  Bonn  und  der  Inder 
Bäl  Gangädhar  Tilak  in  Bombay  zu  machen  gesucht^).     Beide 


0  Der  lunare  Zodiak  hat  sich  in  Indien  neben  dem  solaren  Zodiak, 
der  wahrscheinlich  erst  mit  den  Lehren  der  griechischen  Astronomen 
im  ersten  Jahrhundert  n.  Chr.  in  Indien  Eingang  gefunden  hat,  bis 
zum  heutigen  Tage  erhalten.  Die  PVage  nach  dem  Ursprünge  dieses 
lunaren  Zodiaks  und  dem  Verhältnis  zwischen  den  indischen  Naksatras, 
den  Menäzil  der  Araber  und  den  Sieou  der  Chinesen  ist  noch  immer 
unentschieden. 

*)  B.  G.  Tilak,  The  Orion  or  Researches  into  the  Antiquity  of 
the  Vedas,  Bombay  1893,  und  H.  Jacobi,  Über  das  Alter  des  Rig- 
Veda  (im  »Festgrufs  an  Rudolf  von  Roth  s  Stuttgart  1893,  S.  68-73); 
Beiträge  zur  Kenntnis  der  vedischen  Chronologie  (in  den  Nachrichten 
von  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissenschaften  zu  Göttingen,  phil- 
hist.  Kl.,    1894,    S.    105—116);    Beiträge    zu    unserer    Kenntnis    der 


—     252     - 

Forscher  sind  auf  verschiedenen  Wegen  zu  der  Ansicht  gelangt, 
dafs  in  der  Zeit  der  Brähmanas  die  Plejaden  (Krttikäs),  welche 
damals  den  Anfangspunkt  der  Naksatrareihe  bildeten,  mit  dem 
Frühlingsäquinox  zusammenfielen,  dafs  sich  aber  in  den  vedischen 
Texten  auch  Spuren  eines  älteren  Kalenders  finden,  in  welchem 
das  Frühlingsäquinox  in  den  Orion  (Mrgasiras)  fiel.  Aus  einer 
Berechnung  des  Wertes  der  Präzession  ergibt  sich  aber,  dafs 
gegen  2500  v.  Chr.  das  Frühlingsäquinox  in  den  Plejaden  und 
gegen  4500  im  Orion  lag.  Während  aber  Tilak  so  weit  geht, 
manche  vedische  Texte  bis  zum  Jahre  6000  v.  Chr.  zurück- 
zuführen, begnügt  sich  Jacobi  damit,  »die  Anfänge  der  Kultur- 
periode, als  deren  reifes,  vielleicht  sogar  spätes  Erzeugnis  die 
Lieder  des  Rigveda  auf  uns  gekommen  sind« ,  in  die  Zeit  von 
etwa  4500  v.  Chr.  zurückzuverlegen.  Diese  Kulturperiode  er- 
streckte sich  nach  ihm  ungefähr  von  4500—2500  v.  Chr.,  und 
er  ist  geneigt,  »die  uns  erhaltene  Sammlung  von  Hymnen  der 
zweiten  Hälfte  dieser  Periode«  zuzuschreiben").  In  dieser  An- 
sicht wurde  Jacobi  noch  durch  eine  zweite  astronomische  Be- 
trachtung bestärkt.  Die  Grhyasütras  berichten  uns  nämlich  von 
einem  Hochzeitsbrauch  in  Altindien,  welcher  darin  bestand,  dafs 
Braut  und  Bräutigam,  nachdem  sie  im  neuen  Heim  angekommen 
waren,  schweigend  auf  einem  Stierfell  sitzen  mufsten,  bis  die 
Sterne  sichtbar  geworden,  worauf  der  Bräutigam  seiner  Braut 
den  Polarstern  —  dhruva,  »der  F'este-ä.  ,  genannt  —  zeigte 
und  einen  Spruch  dazu  sagte,  wie  z.  B. :  »Fest  sei,  gedeihend 
bei  mir«,  worauf  sie  antwortete:  *Fest  bist,  du,  fest  möge  ich  im 
Hause    meines   Gatten    sein«.     Von  Wichtigkeit    ist    der    Name 


Indischen  Chronologie  (Actes  du  dixieme  Congres  international  des 
Orientalistes,  Session  de  Geneve,  1894,  X,  I,  S.  103-108).  Vgl. 
W.  D.  Whitney  in  den  Proceedings  of  the  American  Grien tal  Society, 
March  18*^)4  (wiederabgedruckt  im  Indian  Antiquary,  Bd.  24,  1895, 
S.  361  ff.);  A.  Barth  im  Journal  Asiatique,  1894,  S.  156  ff.;  H.Olden- 
berg  in  ZDMG,  Bd.  48,  S.  629  ff.,  Bd.  49,  S.  470  ff.,  Bd.  50,  S.  450  ff.; 
H.  Jacobi  m  ZDMG,  Bd.  49,  S.  218  ff.,  Bd.  50.  S.  69  ff.;  G.  Bühler 
im  Indian  Antiquarv,  Bd.  23,  1894,  S.  238  ff.;  G.  Thibaut  im  Indian 
Antiquary,  Bd.  24,  S.  85  ff.  (vgl.  auch  -Grundrifs«  III,  9,  S.  18  f.); 
S.  B.  Dikshit  im  Indian  Antiquary,  Bd.  24,  S.  245  f.  E.W.Hopkins, 
The  Religions  of  India.  Boston  and  London  1895,  S.  4  ff.;  A.  A.  Mac- 
donell,  ilistory  of  Sanskrit  Literature,  London  1900,  S.  12. 
')  Festgrufs  an  Roth,  .S.  71  f. 


—     253     - 

Dhruva,  »der  Feste.;,  unter  welchem  dieser  Stern  im  Hochzeits- 
rituell erscheint,  und  die  ganze  Zeremonie,  bei  welcher  der  Stern 
geradezu  als  Symbol  der  F'estigkeit,  der  unveränderlichen  Treue, 
erscheint,  beruht  darauf,  dafs  man  diesen  Polarstern  für  unbeweg- 
lich hielt  oder  seine  Bewegung  nicht  wahrnahm.  Diese  Be- 
zeichnung sowie  die  Zeremonie  kann  also  nur  aus  einer  Zeit 
stammen,  in  der  ein  hellerer  Stern  dem  Himmelspol  so  nahe 
stand ,  dafs  er  für  die  damaligen  Beobachter  stillzustehen 
schien.  Nun  ist  es  wieder  eine  Folge  der  Präzession,  dafs  mit 
der  allmählichen  Veränderung  des  himmlischen  Äquators  auch 
sein  Nordpol  sich  fortbewegt,  und  zwar  beschreibt  er  in  beiläufig 
26000  Jahren  einen  Kreis  von  23', 2  Graden  Radms  um  den  festen 
Pol  der  Ekliptik.  Dadurch  rückt  langsam  ein  Stern  nach  dem 
anderen  dem  Nordpol  näher  und  wird  Nordstern  oder  Polarstern ; 
aber  nur  zuweilen  nähert  sich  ein  hellerer  Stern  dem  Pol  so 
sehr,  dafs  er  für  alle  praktischen  Zwecke  als  »ein  F'esterc 
(dhruva)  gelten  kann.  Gegenwärtig  ist  der  Stern  zweiter  Gröfse 
Alpha  im  Kleinen  Bären  der  Polarstern  auf  der  nördlichen  Halb- 
kugel. Dieser  Stern  kann  natürlich  nicht  gemeint  sein ,  wenn 
vom  Polarstern  in  vedischer  Zeit  die  Rede  ist,  weil  derselbe  noch 
vor  2000  Jahren  vom  Pole  so  weit  entfernt  war,  dafs  er  unmög- 
lich als  der  »Feste«  hätte  bezeichnet  werden  können.  Einem 
anderen  Polarstern,  der  diese  Bezeichnung  verdiente,  begegnen 
wir  aber  erst  2780  v.  Chr.  Damals  stand  Alpha  Draconis  über 
ein  halbes  Jahrtausend  dem  Pole  so  nahe,  dafs  er  der  Beobachtung 
mit  blofsem  Auge  als  unbeweglich  erscheinen  mufste.  Wir 
müssen  also  die  Entstehung  des  Namens  Dhruva  sowie  des 
Brauches,  den  »festen«  Stern  der  Braut  als  Sinnbild  der  Festig- 
keit am  Hochzeitsabend  zu  zeigen ,  in  eine  Zeit  setzen ,  in  der 
Alpha  Draconis  Polarstern  v/ar,  also  in  die  erste  Hälfte  des  dritten 
Jahrtausends  v.  Chr.  In  den  Hochzeitssprüchen  des  Rigveda 
wird  aber  dieses  Gebrauches  noch  nicht  gedacht,  weshalb  Jacobi 
es  für  wahrscheinlich  hält,  -dafs  die  Verwendung  des  Dhruva 
im  Hochzeitszeremoniell  nicht  der  Zeit  des  Rigveda,  sondern  der 
folgenden  Periode  angehört,  urid  dafs  also  die  rigvedische  Kultur- 
periode vor  dem  dritten  vorchristlichen  Jahi-tausend  liegt '<  '). 

Die    Aufstellungen    Jacobis    sind ,    wie    bemerkt,    heftig    an- 
gegriffen worden.     Die  Angriffe  richteten  sich  namentlich  gegen 


')  ZDMG,  Bd.  f)0,  S.  71. 


—     254     — 

den  ersten  Teil  der  astronomischen  Beweisführung.  In  der  Tat 
handelt  es  sich  dabei  um  höchst  verwickelte  Fragen  über  den 
Jahresanfang  in  verschiedenen  Jahrtausenden,  und  diese  Fragen 
sind  um  so  schwieriger  zu  entscheiden,  weil  es  seit  jeher  in  Indien 
mehrere  Jahresanfänge  gegeben  hat,  indem  man  das  Jahr  bald 
mit  dem  Frühling,  bald  mit  dem  Winter,  bald  mit  der  Regenzeit 
beginnen  liefs').  Ernstlich  ist  auch  bestritten  worden,  dafs  die 
Inder  in  alter  Zeit  sich  schon  um  die  Äquinoktien  gekümmert 
hätten.  Anderseits  ist  gegen  den  zweiten  Teil  der  Beweisführung, 
der  sich  auf  den  Polarstern  stützt,  wenig  Stichhaltiges  vorgebracht 
worden.  Man  kann  aber  nicht  behaupten,  dafs  die  Frage  in  der 
einen  oder  der  anderen  Weise  bereits  endgültig  entschieden  wäre. 
Es  wird  sich  darum  handeln,  ob  weitere  Forschungen  über  die 
altindische  Astronomie  und  den  Vedakalender  die  Aufstellungen 
von  Jacobi  bestätigen  werden  oder  nicht.  Eines  aber  kann  man 
schon  jetzt  sagen.  Vom  Standpunkt  der  indischen  Geschichte 
spricht  nichts  gegen  die  Annahme,  dafs  die  vedische  Litteratur 
bis  ins  dritte  und  die  altindische  Kultur  bis  ins  vierte  Jahrtausend 
zurückreicht,  während  sich  der  auf  Max  Müller  zurückgehende 
Ansatz  von  1200  oder  selbst  1500  v.  Chr.  für  den  Beginn  der 
vedischen  Periode  mit  dem  heutigen  Stande  unseres  Wissens 
über  die  politische  Geschichte  sowohl  als  auch  über  die  Litteratur- 
und  Religionsgeschichte  Altindiens  nicht  mehr  verträgt.  Das  hat 
namentlich  G.  Bühler ^),  wie  ich  glaube,  überzeugend  nach- 
gewiesen. 

Inschriften  beweisen,  dafs  im  dritten  Jahrhundert  v.  Chr. 
Südindien  von  den  arischen  Indern  erobert  und  von  der  brahma- 
nischen  Kultur  überzogen  war.  Die  Tatsache  aber,  dafs  einige 
vedische  Schulen,  wie  die  des  Baudhäyana  und  Äpastamba,  im 
Süden  Indiens  entstanden  sind,  macht  es  wahrscheinlich,  dafs  die 
Eroberung  des  Südens  durch  die  Arier  schon  viel  früher  —  viel- 
leicht schon  im  7.  oder  8.  Jahrhundert  v.  Chr.  —  stattgefunden 
habe.  Denn  unmittelbar  nach  der  Eroberung  kann  doch  nicht 
gleich  das  ganze  Land  so  kolonisiert  und  brahmanisiert  worden 
sein,    dafs  vedische  Schulen  im  fernen  Süden  entstehen  konnten. 


')  Im  Satapatha-Brahmaija  XII,  8,  2,  35  heifst  es:  »Alle  Jahres- 
zeiten sind  die  ersten,  alle  sind  die  mittleren,  alle  sind  die  letzten.« 
0  Indian  Antiquary  XXIII,  1894,  S.  245  ff. 


—     255    — 

Mit  der  Eroberung  des  südlichen  Indiens  um  700  oder  600  v.  Chr. 
verträgt  sich  aber  durchaus  nicht  die  Annahme,  dafs  die  Indo- 
Arier um  1200  oder  selbst  um  1500  v.  Chr.  noch  im  nordwest- 
lichsten Winkel  Indiens  und  im  östlichen  Afghanistan  gesessen 
haben  sollen.  »Die  Vorstellung,«  sagt  Bühler,  »dafs  das  indo- 
arische Volk  der  vedischen  Zeit  mit  seinen  vielen  Spaltungen  in 
Sippen  und  den  fortwährenden  inneren  Kämpfen  innerhalb  fünf, 
sechs  oder  selbst  acht  Jahrhunderten  die  123000  Quadratmeilen 
des  eigentlichen  Indiens  (mit  Ausschlufs  des  Pendschab,  Assams 
und  Birmas)  erobert,  Staaten  gegründet  und  nach  einem  und  dem- 
selben Muster  organisiert  haben  sollte,  erscheint  einfach  lächerlich ; 
insbesondere  wenn  man  bedenkt,  dafs  dieses  Gebiet  nicht  blofs 
von  Waldstämmen,  sondern  zum  Teil  von  Völkern  bewohnt  war, 
welche  eine  nicht  viel  geringere  Kultur  besafsen  als  die  Eroberer.« 
Man  könnte  nun  sagen  —  imd  es  ist  von  Oldenberg  gesagt 
worden  — :  siebenhundert  Jahre  sind  eine  gute  Spanne  Zeit,  in 
der  sich  viel  ereignen  kann.  »Man  bedenke,«  sagt  Oldenberg'), 
»was  400  Jahre  für  die  ungeheueren  Flächen  des  nördlichen  und 
südlichen  Amerika  bedeutet  haben.«  Das  ist  nun  allerdings  ein 
schlechter  Vergleich.  Die  Völker  und  Kulturen,  welche  in 
Amerika  aufeinanderstiefsen ,  waren  doch  recht  verschieden  von 
denen,  mit  welchen  wir  es  in  Indien  zu  tun  haben.  Was  die 
politischen  Verhältnisse  Altindiens  betrifft,  so  erfahren  wir  aus 
einigen  Liedern  des  Rigveda  und  aus  den  Epen,  dafs  genau  so, 
wie  es  uns  die  spätere  Geschichte  Indiens  zeigt ,  auch  in  alter 
und  ältester  Zeit  fortwährend  Kämpfe  zwischen  den  einzelnen 
arischen  Stämmen  untereinander  stattfanden.  Unter  solchen  Um- 
ständen konnte  die  Eroberung  Indiens  nur  Schritt  vor  Schritt, 
nur  äulserst  langsam  vor  sich  gehen.  Tatsächlich  sehep  wir  auch, 
wenn  wir  die  beiden  ältesten  Schichten  der  indischen  Litteratur 
miteinander  vergleichen,  dafs  das  Vordringen  der  Arier  gegen 
Osten  und  Süden  nur  ganz  langsam  vor  sich  ging.  Wir  finden 
in  den  Hymnen  des  Rigveda  das  indoarische  Volk  noch  aus- 
schliefslich  im  äufsersten  Nordwesten  Indiens  und  im  östlichen 
Afghanistan  ansässig.  Und  doch  mufs  sich  die  Periode,  in  welcher 
die  Hymnen  des  Rigveda  entstanden  sind,  über  Jahrhunderte  er- 
streckt haben.     Das  beweisen  die  vielen  verschiedenen  Schichten 


')  ZDMG,  Bd.  49,  S.  479. 


—     256     — 

von  Ulteren  und  jüngeren  Bestandteilen,  die  wir  in  diesen  Hymnen 
finden-  das  beweist  der  Umstand,  dafs  die  Rsis,  welche  nicht  nur 
in  den  AnukramanTs,  sondern  schon  in  den  Brähmanas  fälsch- 
lich als  V  Erschauer«  oder  Verfasser  der  Hymnen  bezeichnet 
werden,  in  den  Hymnen  selbst  als  Seher  der  Vorzeit  gelten'). 
Und  die  Verfasser  der  Hymnen  sprechen  auch  gar  oft  von 
»alten  Liedern«,  von  »Liedern,  nach  alter  Weise  gedichtet«, 
als  ob  diese  Dichtung  seit  unvordenklicher  Zeit  geübt  worden 
wäre ').  Wir  haben  aber  in  diesem  Abschnitt  wiederholt  gesehen, 
wie  weit  doch  der  Rigveda  hinter  allen  anderen  zum  Veda  ge- 
hörigen Litteraturwerken  zurückliegt.  Schon  di?  Sprache  der 
Hymnen  ist  viel  altertümlicher  als  die  der  vedischen  Prosawerke. 
Die  religiösen  Anschauungen  und  die  Kulturverbältnisse  sind 
ganz  andere.  Die  Brähmanas,  Aranyakas  und  Upanisads  setzen 
nicht  nur  die  Hymnen  des  Rigveda,  sondern  auch  die  Sprüche 
und  Gebete  der  übrigen  Samhitäs  als  uralte  heilige  Texte  vor- 
aus. Ja,  diese  alten  Hymnen  und  Sprüche  wurden  vielfach  nicht 
mehr  verstanden.  Die  alten  Legenden  waren  in  Vergessenheit 
geraten.  Ich  erinnere  nur  an  den  Abstand ,  welcher  die 
iSunahsepalegende  des  Aitareya-Brähmana  von  den  Hymnen  des 
Rigveda  trennt'). 

Die  mündliche  Überlieferung  setzt  ja  auch  längere  Zeit- 
räume voraus,  als  wenn  diese  Texte  niedergeschrieben  worden 
wären.  Generationen  von  Schülern  und  Lehrern  müssen  dahin- 
gegangen sein,  ehe  alle  die  vorhandenen  und  die  vielen  verloren 
gegangenen  Texte  in  den  vedischen  Schulen  festfe  Gestalt  ge- 
wonnen hatten*).  Aus  sprachlichen,  litterarischen  und  kultur- 
geschichtlichen Gründen  müssen  wir  daher  annehmen,  da£s 
zwischen  der  Zeit  der  ältesten  Hymnen  und  der  schliefslichen 
Vereinigung   der   Hymnen    zu   einer  Samhitä  oder  »Sammlung« 


•)  Vgl.  oben  S.  52  f. 

0  Vgl.  Ludwig,  Der  Rigveda,  III,  S.  180  f. 

^)  Vgl.  oben  S.  52,  54,  56  ff.,  61  f.,  66,  69  f.,  91,  170  ff.,   187  f. 

*)  Dals  die  Texte  niedergeschrieben  worden  sind,  als  man  sie 
nicht  mehr  völHg  verstand  und  ein  Rifs  in  die  Überlieferung  gekommen 
war,  erklärt  uns  auch  die  Tatsache,  dafs  so  vielfach  Stücke  ver- 
schiedenen Inhalts  und  vcrschit^dener  Zeiten  '  in  allen  vedischen 
Texu>n  vorkommen,  dals  z,  B.  manche  Upanisads  in  den  Sarnhitäs  und 
Brähmanas  stehen.     Vgl,  oben  S.  108,  130  ff.,  197. 


—     257     - 

—  denn  die  Rigveda-Samhitä  bezeichnet  ja  doch  nur  den  Ab- 
schluls  einer  langen  vorausgehenden  Periode')  —  und  wieder 
zwischen  der  Rigveda-Samhitä  und  den  Brähmanas  viele  Jahr- 
hunderte verflossen  sind.  Die  Brähmanas  selbst  aber  mit  ihren 
zahlreichen  Schulen  und  Abzweigungen  von  Schulen,  mit  ihren 
unendlichen  Lehrerlisten  und  den  zahlreichen  Hinweisen  auf 
Lehrer  der  Vorzeit  erfordern  einen  Zeitraum  von  mehreren  Jahr- 
hunderten zu  ihrer  Entstehung  ^),  Sowohl  diese  Litteratur  selbst 
als  auch  die  damit  Hand  in  Hand  gehende  Ausbreitung  brahma- 
nischer  Kultur,  theologischen  Wissens  und  nicht  zuletzt  priester- 
licher Oberherrschaft  mufs  Jahrhunderte  gebraucht  haben.  Und 
wenn  wir  zu  den  Upanisads  kommen,  so  sehen  wir,  dafs  auch 
sie  verschiedenen  Zeitperioden  angehören,  dafs  auch  sie  Gene- 
rationen von  Lehrern  und  eine  lange  Überlieferung  voraussetzen  ^). 
Und  doch  sehen  wir,  dafs  während  dieser  ganzen  Zeit,  welche 
von  den  ersten  Anfängen  bis  zu  den  letzten  Ausläufern  der 
vedischen  Litteratur  gedauert  hat,  das  indoarische  Volk  blofs  die- 
verhältnismäfsig  kleine  Strecke  vom  Indus  bis  zum  Ganges,  das 
eigentliche  Hindostan,  erobert  hat.  Wenn  schon  dieses  Vor- 
dringen vom  äufsersten  Nordwesten  bis  ins  östliche  Gangesland 
so  lange  Zeit  in  Anspruch  genommen  hat,  wie  viele  Jahrhunderte 
mufs  die  Eroberung  von  ganz  Zentral-  und  Südindien  gedauert 
haben !  Wenn  wir  dies  erwägen ,  werden  uns  700  Jahre  nicht 
mehr  als  ein  grofser  Zeitraum  erscheinen. 

Dazu  kommen  noch  andere  Erwägungen.  Es  ist  Max  Müllers 
unbestreitbares  Verdienst,  gezeigt  zu  haben,  dafs  der  Buddhismus 
um  500  V.  Chr.  unbedingt  das  Bestehen  der  ganzen  vedischen 
Litteratur  voraussetzt.  Die  buddhistische  Litteratur  aber,  die  wir  ja 
jetzt  viel  genauer  kennen,  setzt  nicht  nur  den  Veda,  sondern  auch 
die  Vedängas'»)  und  überhaupt  eine  hohe  Entwicklung  brahma- 
nischer   Litteratur    und   Wissenschaft    voraus.     Ferner    sind    wir 


')  Schon  das  Aitareya - Ara^yaka  setzt  die  Rigveda-Samhitä  mit 
ihrer  Einteilung  in  zehn  Bücher  voraus.  (Max  Müller,  History  of 
Ancient  Sanskrit  Literature,  S.  340  f.) 

»)  Vgl.  oben  S.  169. 

")  Vgl.  oben  S.  205  ff. 

*)  Beachtenswert  ist,  dafs  die  Buddhisten  ihre  Lehrteite  ebenfalls 
»Sütras'  nennen,  obwohl  diese  durchaus  nicht  in  dem  oben  S.  229  ff. 
gekennzeichneten  Sütrastil  abgefalst  sind.  Für  sie  bedeutete  »Sütra« 
nur  mehr  »Lehrtext«. 

Winternitz,   Geschichte  der  indischen  Litteratur.  17 


•  —    258     — 

auch  heute  über  die  religionsgeschichtlichen  Verhältnisse  im  alten 
Indien  viel  besser  unterrichtet,  als  dies  vor  dreifsig  oder  vierzig 
Jahren  der  Fall  war,  wo  man  die  ganze  religionsgeschichtliche 
Entwicklung  Indiens  bis  zum  Auftrete-  des  Buddhismus  in  700 
Jahre  einzwängen  zu  können  glaubte.  Schon  vor  dem  Auftreten 
des  Buddhismus  hat  es,  wie  Bühler  hervorgehoben  hat,  in  Indien 
Sekten  gegeben,  welche  die  Heiligkeit  des  Veda  leugneten.  Die 
•  Tradition  einer  dieser  Sekten ,  der  Jainas ,  hat  sich  bis  jetzt  in 
chronologischer  Beziehung  als  so  zuverlässig  erwiesen,  dafs  wir 
einer  Nachricht,  welche  den  ersten  Gründer  dieser  Sekte  um  750 
V.  Chr.  leben  läfst,  einiges  Vertrauen  entgegenbringen  dürfen. 
Bühler  glaubte  auch  noch  von  anderen  dem  Veda  und  dem 
Brahmanismus  feindlich  gegenüberstehenden  Sekten  beweisen  ^.n 
können,  dafs  sie  in  ein  viel  höheres  Alter  hinaufreichen,  als  man 
bisher  anzunehmen  gewohnt  war ').  Leider  war  es  ihm  nicht  mehr 
gegönnt,   diesen  Beweis  zu  führen. 

Fassen  wir  das  Gesagte  zusammen,  so  steht  die  Frage  nach 
dem  Alter  des  Veda  nicht  so,  wie  man  es  in  letzter  Zeit  öfters 
dargestellt  hat,  als  wären  Tilak  und  Jacobi  gegen  das  erwiesene 
Datum  von  1200  oder  1500  v,  Chr.  für  die  ältesten  Hymnen  des 
Veda  aufgetreten.  Sondern  in  Wirklichkeit  hat  man  nie  mehr 
gewufst,  als  dafs  die  vedische  Periode  sich  von  einer  ganz 
unbestimmten  Vergangenheit  bis  500  v.  Chr.  erstreckt. 
Weder  die  Zahlen  1200-500  noch  1500-500,  noch  2000—500, 
die  man  in  populären  Berichten  über  das  Alter  der  vedischen 
Litteratur  öfters  findet,  haben  irgendwelche  Berechtigung.  Be- 
rechtigt ist  nur  das  Datum:  x  bis  500  v.  Chr.  Und  als  Er- 
gebnis der  Forschungen  des  letzten  Jahrzehnts  darf  man  hinzu- 
fügen: Es  ist  wahrscheinlich,  dafs  man  an  die  Stelle  von 
500  V.  Chr.  das  Datum  800  v.  Chr.  wird  setzen  müssen ;  und  es 
ist  wahrscheinlicher,  dafs  das  Anfangsdatum  x  in  das 
dritte,  als  dafs  es  in  das  zweite  Jahrtausend  v.  Chr.  fällt.  Aber 
hüten  wir  uns  vor  bestimmten  Zahlenangaben,  wo  die  Möglich- 
keit  von   solchen   der  Natur   der  Sache   nach  ansgeschlossen  ist. 

')  Auch  R.  Garbe  (Beiträge  zur  indischen  Kultur „  iiichte, 
S.  27  ff.)  ist  geneigt,  die  Entstehung  der  Sekte  der  Bhägavatas  oder 
Päncarätras  in  vorbuddhistische  Zeit  hinaut'zutücken 


II.  Abschnitt 

Die  valkstümlichen  Epen  und  die  Puränas. 


Die  Anfinge  der  epischen  Dichtung  in  Indien. 

Die  ersten  Spuren  epischer  Dichtung  in  Indien  konnten  wir 
bereits  in  der  vedischen  Litjteratur  —  in  den  Akhyänahymnen 
des  Rigveda,  sowie  in  den  Äkhyänas,  Itihäsas  und  Puränas  der 
Brähmaiiasi)  —  nachweisen.  Aus  den  Bräbmanas  und  aus  der 
Rituallitteratur  wissen  wir  auch,  dafs  der  Vortrag  \on  solchen 
erzählenden  Dichtungen  einen  Teil  der  religiösen  Zeremonien  bei 
Opferfeiern  und  Familienfesten  bildete. 

So  gehörte  zu  der  ein  Jahr  lang  wahrenden  Vorfeier  des 
grofsen  Pferdeopfers  der  tägliche  Vortrag  von  Götter-  und  Helden- 
sagen. In  einer  alle  zehn  Tage  sich  immer  wiederholenden 
Reihenfolge  wurden  Geschichten  von  bestimmten  Göttern  und 
Heroen  erzählt  •,  und  auch  zwei  Lautenspieler,  ein  Brahmane  und 
ein  Krieger  waren  anwesend,  welche  in  selbstgedichteten  Versen 
(gäthäs)  der  eine  die  Freigebigkeit,   der  andere  die  Kriegstaten 

')  Vgl.  oben  S.  89  ff.,  181  ff.,  197.  Die  Inder  sind  in  dem  Ge- 
brauch der  Ausdrücke  äkhyäna,  itihäsa  und  purä^a  nicht  kon- 
sequent, indem  sie  diese  bald  als  gleichbedeutend  verwenden,  bald 
aber  auch  verschiedene  Arten  von  Erzählungen  mit  ihnen  bezeichnen. 
Das  Epos  »Mahäbhärata'  bezeichnet  sich  selbst  in  der  Einleitung  ab- 
wechselnd als  itihäsa,  purä^a  und  äkhyäna.  Vgl.  über  diese 
termini  auch  Emil  Sieg,  Die  Sagenstofle  des  Rgveda  und  die  indische 
Itihäsa tradition  I,  Stuttgart  1902,  Einleitung.  Dafs  die  alte  Äkhyäna- 
dichtung  der  Form  nach  aus  einer  Mischung  von  Versen  und  Prosa 
bestand  (oben  S.  89),  ist  mir  trotz  der  scharfsinnigen  Ausführungen 
von  Joh.  Hertel  in  der  WZKM  XVIIL  1904,  S.  59  ff.,  137  ff.  noch 
immer  wahrscheinlich. 

Winternitz,  Geschichte  der  indischen  Litte\at«r.  i" 


—    260    — 

des  Fürsten,  der  das  Opfer  feierte,   verherrlichten.     Die  Lauten- 
Spieler,  welche  zur  Laute  einen  wirklichen  König  oder  den  Soma 
als  den  König   der  Brahmanen   besangen,    durften  auch  bei  der 
Zeremonie  der  Haarscheitelung   nicht  fehlen,   welche  im  vierten 
Monate  der  Schwangerschaft  mit  einem  Opfer  für  das  Gedeihen 
der  Leibesfrucht  an  der  hoffenden  Mutter  vollzogen  wurde.    Auch 
nach   dem  Leichenbegängnis  war  es  alte  Sitte,   deren  Bestehen 
aber  noch  der  Dichter  Bäna  im  7.  Jahrhundert  n.  Chr.  bezeugt, 
dafs  die   Leidtragenden   aufserhalb    des    Hauses    sich    auf   einen 
schattigen    Platz    niederliefsen    und    durch    den    Vortrag     alter 
Itihäsas  oder  Puränas  zerstreut  und  getröstet  wurden.    Und  wenn 
nach  einem  Todesfall  oder  einem  sonstigen  schweren  Verlust  zur 
Abwehr  weiteren  Unglücks  das  alte   Herdfeuer  hinausgetragen 
und  ein  neues  Feuer   im  Hause   durch  Reiben   von  Hölzern  ent- 
zündet worden   war,   da   safsen  die  Mitglieder  der  Familie,   das 
Feuer  in  Glut  erhaltend,  bis  in  d»e  stille  Nacht  hinein,  indem  sie 
sich   Geschichten  von   altgewordenen  Leuten   und   Itihäsas   und 
Puränas  von  glücklicher  Vorbedeutung  erzählen  liefsen '). 

Nicht  selten  werden  auch  in  den  alten  Texten  1 1  i  h  ä  s  a  und 
Puräna  neben  den  Vedas  und  anderen  Wissenszweigen  auf- 
gezählt, ihr  Studium  gilt  als  ein  die  Götter  erfreuendes  Werk, 
ja  es  wird  sogar  Itihäsapuränaals  »fünfter  Veda«  bezeichnet ^). 
Dafs  ihnen  aber  ein  mehr  volkstümlicher  Charakter  zujiommt, 
beweist  die  enge  Beziehung,  in  welche  sie  zum  Atharvaveda  ge- 
bracht werden^).  Den  Inhalt  dieser  Itihäsas  und  Puränas  bildeten 
hauptsächlich  Göttersagen  und  Erzählungen  von  Dämonen, 
Schlangengottheiten,  alten  Weisen  (Rsis)  und  Königen  der  Vor- 
zeit. Manchmal  aber  werden  als  Texte,  durch  deren  Rezitation 
die  Götter  erfreut  werden,  neben  Itihäsas  und  Puränas  auch  die 


*)^atapatha-Brähmaaa  XIII,  4,  3.  ^^änkhäyana-Grhyasütra  I,  22, 
11  f.  Asvaläyana-Grhyasütra  I,  14,  6  f.,  IV,  6,  6.  Färaskara-Grhyasütra 
I,  15,  7  f.  Apastambiya-Grhyasütra  14,  4  f.  Vgl.  auch  A.  Weber, 
Episches  im  vedischen  Ritual  (Sitzungsberichte  der  Berliner  Akademie 
der  Wissenschaften  1891)  und  H.  Lud  er s  in  ZDMG,  Bd.  58,  S.  707  ff. 

*)  So  Chändogya-Upanisad  VII,  1  und  7  und  im  Suttanipäta  III,  7 
(Selasutta).  Vgl.  auch  Joseph  Dahlmann,  Das  Mahäbhärata  als  Epos 
und  Rechtsbuch,  Berlin  1895,  S.  281  ff.,  dessen  Schlufsfolgeruhgen 
aber  viel  zu  weit  gehen. 

^)  Chändog3'a-Upanisad  III,  4:  »Die  Bienen  sind  der  Atharvaveda, 
das  Itihasapuräi;ia  die  Blume." 


—    261      - 

» Männer preisHe der«  (gäthä  näräsamsT)  erwähnt*)  und  diese 
dürfen  wir  als  die  eigentlichen  Vorläufer  eines  Heldenepos 
ansprechen.  Wenn  man  aber,  wie  das  einige  Gelehrte  tun 2), 
aus  den  eben  angeführten  Stellen  schliefsen  wollte,  dafs  es  in 
vedischer  Zeit  schon  ein  Sammelwerk  von  erzählenden  Dichtungen 
unter  dem  Titel  »Itihäsa«  oder  >Itihäsapuräna«  gegeben  habe, 
so  müfste  man  auch  annehmen,  dafs  ebenso  unter  dem  Titel 
»Gäthä  Näräsamsl«  eine  Sammlung  von  Heldenliedern  als  Buch 
vorhanden  gewesen  sei. 

Erwiesen  ist  das  Vorhandensein  solcher  Sammelwerke  oder 
> Bücher«  für  die  vedische  Zeit  jedenfalls  nicht,  auch  gar  nicht 
wahrscheinlich*).  Dafs  es  aber  berufsmäfsige  Geschichtenerzähler 
(Aitihäsikas,  Pauränikas)  schon  in  sehr  alter  Zeit  gegeben  hat, 
wird  nicht  zu  bezweifeln  sein.  Sicher  ist  auch,  dafs  es  um  die 
Zeit  des  Buddha  (also  im  5.  Jahrhundert  v.  Chr.)  bereits  einen 
unerschöpflichen  Vorrat  von  Erzählungen  in  Prosa  und  Versen  — 
Äkhyänas,  Itihäsas,  Puränas  und  Gäthäs  —  als  eine  Art  litte- 
rariscbes  Gemeingut  gegeben  haben  mufs,  aus  welchem  die 
Buddhisten  und  Jainas  ebenso  wie  die  epischen  Dichter  geschöpft 
haben. 

Neben  dieser  Itihäsalitteratur,  wie  wir  den  für  die  vedische  Zeit 
bezeugten  litterarischen  Gemeinbesitz  an  erzählenden  Dichtungen 
kurz  bezeichnen  können,  mufs  es  aber  auch  schon  eigentliche 
epische  Gedichte,  Heldengesänge,  und  wohl  auch  Zyklen 
epischer  Lieder  in  alter  Zeit  gegeben  haben.  Denn  die  beiden 
uns  allein  erhaltenen  Epen  Mahäbhärata  und  Rämäyana 
stellen  doch  nur  den  Niederschlag  einer  langen  vorausgehenden 
Periode  epischen  Dichtens  dar.  Lange  bevor  es  diese  beiden 
Epen  als  solche  gegeben  hat ,  müssen  Lieder  von  der  grofsen 
Völkerschlacht,  welche  den  Gegenstand  des  Mahäbhärata  bildet, 


^)  Satapatha-Brahmaaa  XI,  5,  6,  8.    Asvalayana-Grhyasutra  III,  3. 

2)  K.  F.  Geldner,  Vedische  Studien  I,  S.  290 f.  E.  Sieg,  Die 
Sagenstoffe  des  Rgveda  und  die  indische  Itihäsatradition  I,  S.  33. 
Dagegen  H.  Oldcnberg  in  Götting.  Gel.  Anz.  18S>0,  S.  419. 

")  Indische  Werke  haben  in  der  Regel  Spezialtitel.  Es  gibt  kein 
W^erk,  welches  »Brähmana'  oder  »Upanisad«  heilst,  sondern  eine  grofse 
Anzahl  einzelner  Werke,  welche.'  nach  Schulen  oder  Lehrern  benannt 
sind.  Es  ist  daher  unwahrscheinlich,  dals  man  bestimmte  Bücher  nur 
als  »Erzählungen«  bezeichnet  hätte, 

18* 


—    262    — 

und  von  den  Taten  des  Räma,  des  Helden  des  Rämäyana,  ge- 
sungen worden  sein.  Es  ist  aber  auch  nicht  gut  denkbar,  dafs 
die  Kämpfe  der  Kauravas  und  Pändavas  und  die  Abenteuer  des 
Räma  die  einzigen  Gegenstände  der  Dichtung  gewesen  seien. 
Gewifs  sind  auch  viele  andere  Helden  und  grofse  Ereignisse  in 
manch  anderen  Ftirstengeschlechtern  besungen  worden.  Nicht 
alles  von  diesem  alten  Heldengesang,  dessen  Vorhandensein  wir 
annehmen  müssen,  ist  spurlos  verschwunden;  in  Trümmern  und 
Resten  hat  sich  manches  in  unseren  beiden  Epen  erhalten^). 

Die  Träger  dieser  Heldendichtung  waren  die  Barden,  ge- 
wöhnlich Sütas  genannt,  welche  an  den  Höfen  der  Könige 
lebten  und  bei  grofsen  Festen  ihre  Lieder  vortrugen  oder  sangen, 
um  den  Ruhm  der  Fürsten  zu  verkünden.  Sie  zogen  auch  mit 
in  die  Schlacht,  um  die  Heldentaten  der  Krieger  aus  eigener 
Anschauung  besingen  zu  können.  So  ist  es  im  Mahäbhärata 
selbst  der  Süta  Sanjaya,  welcher  dem  König  Dhitarästra  die 
Vorgänge  auf  dem  Schlachtfelde  schildert.  Diese  Hofsänger 
bildeten  eine  besondere  Kaste  ^),  in  welcher  die  epischen  Lieder 
von  Geschlecht  zu  Geschlecht  vererbt  wurden.  In  den  Kreisen 
solcher  dem  Kriegerstande  jedenfalls  sehr  nahestehenden 
Barden  wird  die  epische  Dichtung  entstanden  sein.  Für  die 
Verbreitung  der  Heldenlieder  im  Volke  sorgten  dann  auch 
fahrende  Sänger,  Kusllavas  genannt,  welche  die  Lieder  aus- 
wendig lernten  und  öffentlich  zur  Laute  sangen^).  So  wird 
im  Rämäyana  —  allerdings  in  einem  spät  eingeschobenen  Ge- 
sang*) —  erzählt,  wie  die  beiden  Söhne  des  Räma,  Kusa  and 
Lava,  als  wandernde  Sänger  umherzogen  und  das  von  dem 
Dichter  Välmlki  gelernte  Gedicht  in  öffentlicher  Versammlung 
vortragen. 


')  Vgl.  H.  Jacob i,  Über  ein  verlorenes  Heldengedicht  der  Sindhu- 
Sauvlra  in  den  M^langes  Kern,  Leide  1903,  S.  53  ff. 

2)  Nach  dem  Gesetzbuch  des  Manu  (X,  11  und  17)  sind  die  Sütas 
eine  aus  der  Vermischung  von  Kriegern  mit  Brahmanentöchtern  her- 
vorgegangene Mischkaste,  während  die  Mägadhas,  welche  gewöhnlich 
auch  neben  den  Sütas  als  Sänger  genannt  zu  werden  pflegen,  aus  der 
Vermischung  von  Vaisyas  mit  Ksatriyatöchtern  hervorgegangen  sein 
sollen.    Im  Kriege  sind  die  Sütas  auch  die  "Wagenlenker  der  Fürsten. 

»)  Vgl.  A.  Holtzmann,  Das  Mahäbhärata  I,  S.  54f.,  65f. 
H.  Jacobi,  Das  Rämävana,  S.  67. 

*)  I,  4. 


—    263    — 

Was  wir  aber  als  die  Volksepen  der  Inder  kennen  — 
Mahäbhärata  und  Rämäyana  —  sind  nicht  die  alten  Helden- 
lieder, wie  sie  jene  Hofbarden  und  jene  fahrenden  Spielleute 
Altindiens  gesungen  haben,  von  grofsen  Dichtern  oder  wenigstens 
von  geschickten,  dichterisch  begabten  Sammlern  zu  einheitlichen 
Dichtungen  verarbeitet,  sondern  es  sind  Ansammlungen  sehr  ver- 
schiedenartiger und  ungleichwertiger  Gedichte,  die  im  Laufe  ^»"on 
Jahrhunderten  durch  fortwährende  Einschiebungen  und  Ände- 
rungen entstanden  sind.  Alte  Heldenlieder  bilden  zwar  den  Kern 
der  beiden  Werke ,  aber  im  grofsen  Umfange  ist  auch  die  mehr 
religiöse  Itihäsalitteratur  in  sie  aufgenommen  worden,  und  durch 
die  Einfügung  umfangreicher,  religiös  belehrender  Stücke  hat 
namentlich  das  Mahäbhärata  den  Charakter  eines  Epos  fast  ganz 
eingebüfst. 

Was  ist  das  Mahäbhärata?^) 

In  der  Tat  kann  man  nur  in  einem  sehr  beschränkten  Sinne 
vom  Mahäbhärata  als  einem  »Epos«  und  einem  »Gedichte  sprechen. 
Ja,  in  gewissem  Sinne  ist  das  Mahäbhärata  überhaupt  nicht  e  i  n 

')  Zur  Orientierung  über  den  Inhalt  des  Epos  dient  am  besten 
H.  Jacobi,  Mahäbhärata,  Inhaltsangabe,  Index  und  Konkordanz  der 
Kalkuttaer  und  Borabayer  Ausgaben.  Bonn  1903.  Über  die  Probleme 
des  Mahäbhärata  orientiert  am  besten  E.  W.  Hopkins,  The  Great 
Epic  of  India,  its  Character  and  Origin.  New  York  1901,  Eine  reiche 
Materialiensammlung  —  leider  zu  wenig  übersichtlich  —  enthält 
A.  Holtzmann,  Das  Mahäbhärata  und  seine  Teile.  In  4  Bänden. 
Kiel  1892—95.  Der  Wert  dieses  grofsen  Werkes  ist  durch  die  un- 
haltbaren Theorien  des  Verfassers  über  die  Umarbeitungen  des 
Mahäbhärata  wesentlich  beeinträchtigt.  Unhaltbar  sind  auch  die  ent- 
gegengesetzten Theorien  über  die  einheitliche  Entstehung  des  Epos, 
welche  Joseph  Da  hl  mann  in  den  Büchern  »Das  Mahäbhärata  als 
Epos  und  Rechtsbuchs  Berlin  1895,  »Genesis  des  Mahäbhärata», 
Berlin  1899,  und  »Die  Sämkhja-Philosophie  als  Naturlehre  und  Er- 
lösungslehre, nach  dem  Mahäbhärata«,  Berlin  1902,  vertreten  hat. 
Das  erste  dieser  Bücher  hat  aber  das  grofse  Verdienst,  die  epischen 
Studien  neu  belebt  zu  haben;  es  hat  zu  einer  förmlichen  »Dahlmann- 
Litteratur»  Anlafs  gegeben.  Vgl.  H.  Jacobi  in  Götting.  Gel.  Anz 
1896  Nr.  1  und  1899  Nr.  11;  A.  Ludwig  in  Sitzungsber.  der  kgl. 
böhmischen  Ges.  der  Wiss.,  Gl.  f.  Phil.,  Prag  1896;  A.  Barth  im 
Journal  des  savants,  avril,  juin,  juillet  1897  und  Revue  de  Thistoire 
des  religions,  t  45,  1902,  S.  191  ff.;  M.  Winternitz  im  JRAS  1897, 
S.  713 ff.  und  WZKM   XIV,    1900,  S.  53  ff.;  E.  W.  Hopkins  im 


—    264    — 

dichterisches    Erzeugnis,     sondern     vielmehr    —    eine    ganze 
L  i  1 1  e  r  a  t  u  r. 

Mahäbh  ärata*)  bedeutet  »die  Erzählung  von  dem  grofsen 
Kampf  der  Bharatas«.  Die  Bharatas  werden  bereits  im  Rig- 
veda  als  ein  kriegerischer  Volksstamm  erwähnt,  und  Bharata, 
der  Sohn  des  Duljsanta  und  der  Sakuntalä,  der  als  Ahnherr  des 
Fürstengeschlechts  der  Bharatas  gilt,  begegnet  uns  schon  in  den 
Brähmanas.  Die  Wohnsitze  dieser  Bharatas  oder  Bharatas  waren 
das  Land  am  oberen  Ganges  und  an  der  Jamnä.  Unter  den 
Nachkommen  4es  Bharata  ragte  ein  Herrscher  namens  Kuru 
hervor,  und  dessen  Nachkommen,  die  Kauravas  (Kuruiden, 
Kuruinge)  waren  so  lange  das  Herrschergeschlecht  der  Bharatas, 
dals  der  Name  Kuru  oder  Kaurava  sich  im  Laufe  der  Zeit  auch 
als  Bezeichnung  für  den  Volksstamm  der  Bharatas  einbürgerte, 
und  ihr  Land  ist  das  uns  bereits  aus  dem  Yajurveda  und  den 
Brähmanas  bekannte  Kuruksetra  oder  »Kuruland«  2).  Durch 
einen  Familienzwist  in  dem  Fürstenhause  der  Kauravas  kommt 
es  zu  einem  blutigen  Kampfe,  einem  wahren  Vemichtungskarapfe, 
in  welchem  das  alte  Kurugeschlecht  und  damit  die  Familie  der 
Bharatas  fast  ganz  zugrunde  geht.  Die  Geschichte  dieses  blutigen 
Kampfes  —  in  dem  wir  wohl  ein  geschichtliches  Ereignis  sehen 
dürfen ,  obgleich  wir .  von  demselben  nur  aus  dem  Mahäbhärata 
Kunde  haben  —  wurde  in  Liedern  besungen,  und  irgend  ein. 
grofser  Dichter,   dessen  Name   verschollen   ist,  hat  diese  Lieder 


American  Journal  of  Philology,  1898,  XIX,  Nr.  1;  W.  Cartellieri 
in  WZKM  XIII,  1899,  S.  57  ff.;  J.  Kirste  im  Ind.  Ant.  XXXI, 
1902,  S.  5  ff.  Aus  der  älteren  Litteratur  über  das  Mahäbhärata  (sie 
ist  zusammengestellt  bei  Holtzmann  a.  a.  O.  IV,  S.  165  ff.)  verdienen 
noch  hervorgehoben  zu  werden:  Monier  Williams,  Indian  Wisdom, 
4.  Aufl.,  London  1893;  Sören  Sörensen,  Om  Mahäbhärata's  stilling 
i  den  Indiske  literatur  (mit  einem  »Summarium«  in  lateinischer  Sprache), 
Kopenhagen  1893;  A.  Ludwig,  Über  das  Rämäyana  und  die  Be- 
ziehungen desselben  zum  Mahäbhärata  (II.  Jahresbericht  des  wiss. 
Vereins  f.  Volkskunde  und  Linguistik  in  Prag  1894). 

^)  Bharata  bedeutet  »Kampf  der  Bharatas«  (bhäratah  samgrämah, 
Pänini  IV,  2,  56).  Im  Mahäbhärata  selbst  finden  wir  raahäbhärata- 
y  uddha  (XIV,  81,8)»diegrofse  Bharataschlacht»,  und  mahäbhäratä- 
khyänam  (1,-62,  39)  »die  Erzählung  von  der  grofsen  Bharataschlacht«, 
von  welch  letzterem  der  Titel  '>  Mahäbhärata«  eine  Abkürzung  ist. 

2)  S.  oben  S.  170. 


—    265    — 

zu  einem  Heldengedicht  von  der  grofsen  Schlacht  im  Kurufelde 
vereinigt.  So  bildet,  wie  in  der  Ilias  und  wie  im  Nibelungen- 
liede, die  Tragik  eines  furchtbaren  Vernichtungskampfes  deo 
eigentlichen  Gegenstand  der  Heldendichtung.  Dieses  alte  Helden- 
gedicht bildet  den  Kern  des  Mahäbhärata. 

Um  diesen  Kern  herum  hat  sich  aber  im  Laufe  von 
Jahrhunderten  eine  Unmasse  der  verschiedenartigsten  Dichtungen 
angesammelt.  Zunächst  wurden  zahlreiche  Sagen,  welche  mit 
dem  alten  Heldengedicht  in  mehr  oder  weniger  losem  Zusammen- 
hang stehen  —  Sagen,  die  sich  auf  die  Vorgeschichte  der  Helden 
beziehen  oder  von  allerlei  Abenteuern  derselben  berichten,  ohne 
dafs  sie  zu  dem.  grofsen  Kampf  irgend  einen  Bezug  haben  — 
in  das  Gedicht  aufgenommen.  Aber  auch  Bruchstücke  anderer 
Heldensagen  und  vSagenzyklen ,  die  sich  auf  irgendwelche  be- 
rühmte Könige  und  Helden  der  Vorzeit  beziehen,  fanden  in  das 
Gedicht  Eingang,  wenn  sie  auch  mit  dem  Liede  von  der  grofsen 
Kuruschiacht  gar  nichts  zu  tun  hatten.  Was  von  dieser  alten 
Bardendichtung  bereits  dem  ursprünglichen  Gedicht  als  Neben- 
handlungen (Episoden)  angehörte  und  was  erst  später  hinzu- 
gefügt wurde,  wird  sich  schwerlich  jemals  entscheiden  lassen. 
Jedenfalls  ist  unser  Mahäbhärata  nicht  blofs  das  Heldengedicht 
vom  Kampfe  der  Bhäratas,  sondern  zugleich  auch  ein  Reper- 
torium  der  alten  Bardendichtung  überhaupt. 

Es  ist  aber  noch  viel,  viel  mehi".  Wir  wissen,  dafs  die 
litterarische  Tätigkeit  im  alten  Indien  zumeist  in  den  Händen 
der  Priester,  der  ßiahmanen,  lag;  und  wir  haben  ja  gesehen, 
wie  sie  die  alten,  volkstümlichen  Zauberlieder  des  Atharvaveda 
brahmanisiert,  und  wie  sie  die  dem  Priestertum  eigentlich  fremde, 
ja  feindliche  Philosophie  der  Upanisads  mit  ihrer  Priesterweisheit 
v^ermengt  habend.  Je  beliebter  und  volkstümlicher  aber  nun  die 
Heldenlieder  wurden ,  desto,  mehr  mufste  den  Brahmanen  daran 
gelegen  sein,  sich  auch  dieser  epischen  Dichtung  zu  bemächtigen ; 
uiid  sie  verstanden  es,  diese  ihrem  ganzen  Wesen  nach  ursprüng- 
lich rein  weltliche  Poesie  mit  ihren  eigenen  religiösen 
Dichtungen  und  mit  theologisch  -  priesterlichem  Wissenskram  zu 
vermengen.  So  kommt  es,  dafs  auch  Göttersagen,  mytho- 
logische   Erzählungen    brahmanischen    Ursprungs, 


')  Vgl  oben  S.  107  und  'iül  ff. 


—    266    — 

aber  auch  im  grofsen  Umfange  lehrhafte  Stücke,  auf  brah- 
manische  Philosophie  und  Sittenlehre  und  brah- 
manisches  Recht  bezüglich,  in  das  Mahäbhärata  Aufnahme 
fanden.  Für  diese  Priesterkaste  war  gerade  das  volkstümliche 
Epos  ein  willkommenes  Mittel,  um  ihre  eigenen  Lehren  zu  ver- 
breiten und  so  ihre  Macht  und  ihren  Einflufs  zu  verstärken  und 
zu  befestigen.  Sie  waren  es,  welche  alle  die  zahlreichen  Sagen 
und  Legenden  (Itihäsas)  in  das  Epos  einfügten,  in  denen  von 
den  berühmten  Sehern  der  Vorzeit,  den  Rsis,  den  Urvätern  der 
Brahmanen,  Wunder  erzählt  werden  —  wie  sie  durch  Opfer  und 
Askese  ungeheure  Macht  nicht  nur  über  die  Menschen,  sondern 
selbst  über  die  Götter  erlangen,  und  wie  sie,  wenn  sie  gekränkt 
werden,  durch  ihren  Fluch  Fürsten  und  Grofse,  ja  selbst  Götter- 
könige zu  Falle  bringen. 

Das  Mahäbhärata  war  aber  zu  sehr  ein  Volksbuch,  zu  sehr 
Eigentum  weiterer  Volkskreise,  insbesondere  der  Kriegerkaste, 
als  dafs  es  je  hätte  ein  eigentlich  brahmanisches  Werk  oder  das 
Eigentum  irgendeiner  vedischen  Schule  werden  können.  Es 
waren  auch  nicht  so  sehr  die  vedakundigen  und  gelehrten 
Brahmanen,  welche  sich  an  dem  Ausbau  des  Mahäbhärata  be- 
teiligten —  daher  die  auffällig  geringe  Kenntnis  der  eigentlich 
brahmanischen  Theologie  und  Opferwissenschaft ,  die  wir  selbst 
in  jenen  Teilen  des  Epos  finden,  in  denen  brahmanischer  Emflufs 
unverkennbar  ist  —  als  die  Purohitas,  die  Priester,  welche 
ebenso  wie  die  Sütas  (Barden)  im  Dienste  der  Könige  standen 
und  schon  dadurch  mit  der  epischen  Dichtung  mehr  in  Berühnmg 
kamen.  Diese  weniger  gelehrte  Priesterklasse  war  es  auch, 
welche  später  als  Tempelpriester  an  berühmten  zumeist  den 
Göttern  Visnu  oder  äiva  geweihten  Kultstätten  und  Wallfahrts- 
orten den  Dienst  versah  und  sich  litterarisch  mit  der  Pflege  der 
Lokalsagen,  die  sich  an  solche  heilige  Orte  knüpften,  sowie  mit 
den  auf  die  Götter  Visnu  und  Siva  bezüglichen  Legenden  be- 
schäftigte. Das  geschah,  wie  wir  sehen  werden,  hauptsächlich 
in  den  Puränas,  aber  auch  im  Mahäbhärata,  in  welches  zahl- 
reiche ganz  im  Stile  der  Puränas  gehaltene  Lokal- 
sagen, Visnu-  und  Sivamythen,  sowie  puränaartige 
Kosmologien,  geographische  Listen  und  Genealogien 
Eingang  gefunden  haben. 

Da    aber   die    epische    Dichtung    mehr    in    jenen   Gegenden 


—     267     — 

Indiens  gepflegt  winde,  wo  die  Verehrung  des  Visnu  als  höchster 
Gottheit  verbreitet  war,  ist  es  erklärlich,  dafs  in  den  religiös- 
lehrhaften Teilen  des  Mahäbhärata  dieser  Gott  so  sehr  im 
Vordergrunde  steht,  dafs  das  Werk  zuweilen  den  Eindruck 
eines  der  Visnu  Verehrung  gewidmeten  Erbauungs- 
buches macht.  Daneben  fehlt  es  freilich  auch  nicht  an  Siva- 
legenden  und  dem  l^ivakult  gewidmeten  Einlagen,  welche 
aber  überall  leicht  als  späte  Zusätze  erkennbar  sind.  Sie  wurden 
eingefügt,  als  das  Epos  sich  auch  über  Gegenden,  wo  die  Siva- 
verehrung  zu  Hause  war,  verbreitete^). 

Aber  noch  andere  geistliche  Kreise  gab  es  in  Indien,  welche 
schon  in  alter  Zeit  eine  litterarische  Tätigkeit  entfalteten  und 
zum  Teil  noch  mehr  als  die  Brahmanen  die  grofsen  Massen  des 
Volkes  für  sich  zu  gewinnen  suchten.  Das  waren  die  Asketen, 
Waldeinsiedler  und  Bettelmönche,  die  Begründer  von  Sekten 
und  Mönchsorden,  welche  zur  Zeit  des  Buddha  in  Indien  bereits 
sehr  zahlreich  waren.  Auch  diese  hatten  ihre  eigenen  Dichtungen: 
Heiligenlegenden,  Weisheitssprüche,  in  denen  sie 
ihre  Lehren  von  Entsagung  und  Weltverachtung,  von  Selbst- 
aufopferung und  Liebe  zu  allen  Wesen  predigten,  aber  auch 
Fabeln,  Parabeln,  Märchen  und  moralische  Er- 
zählungen, welche  die  Weisheits-  und  Sittenlehren  der  Asketen 
durch  Beispiele  erläutern  sollten.  Auch  diese  Asketendichtung 
ist  in  ziemlich  grofsem  Umfange  in  das  Mahäbhärata  aufgenommen 
worden. 

So  finden  wir  denn  in  diesem  merkwürdigsten  aller  Litteratur- 
erzeugnisse  nebeneinander  und  durcheinander  kriegerische  Helden- 
'lieder  mit  farbenreichen  Schilderungen  blutiger  Kampfesszenen, 
fromme  Priesterpoesie  mit  oft  recht  langweiligen  Auseinander- 
setzungen über  Philosophie,  Religion  und  Recht,  und  milde 
Asketendichtung  voll  erbaulicher  Weisheit  und  voll  über- 
strömender Liebe  zu  Mensch  und  Tier. 

Darum  betrachten  auch  die  Inder  selbst  das  Mahäbhärata 
zwar  immer  als  ein  Epos,  als  ein  Werk  der  Dichtkunst  (k  ä  v  y  a), 
aber  zugleich  auch  als  ein  auf  uralter  Überlieferung  (smrti) 
beruhendes  und  daher  mit  unanfechtbarer  Autorität  ausgestattetes 
Lehrbuch  (sästra)  der  Moral,  des  Rechts  und  der  Philosophie; 

')  Vgl.  H.  Jacobi  in  Götting.  Gel.  Anzeigen  1892,  S.  629 f. 


—     268    ~ 

und  seit  mehr  als  1500  Jahren  diente  es  den  Indern  ebenso  sehr 
zur  Unterhaltung  wie  zur  Belehrung  und  Erbauung. 

Vor  mindestens  1500  Jahren')  war  dieses  Mahäbhärata  auch 
schon  so  —  oder  wenigstens  so  ähnlich  —  wie  wir  es  heute  in 
unseren  Handschriften  und  Ausgaben  besitzen,  ein  Werk, 
welches  auch  ungefähr  denselben  Umfang  wie  unser  heutiges 
Epos  hatte.  So  wie  dieses,  enthielt  es  bereits  eine  lange  Ein- 
leitung mit  einer  Rahmenerzählung,  einer  Geschichte  des  sagen- 
haften Ursprungs  des  Gedichtes  und  einer  Verherrlichung  des- 
selben als  eines  Lehr-  und  Erbauungsbuches-,  war  in  achtzehn 
Bücher,  Parva ns  genannt,  eingeteilt,  zu  denen  auch  schon  ein 
neunzehntes  Buch  Harivamsa  als  »Ergänzung«  (Khila)  hinzu- 
gefügt war;  und  erreichte  emen  Umfang  von  beiläufig  100000 
Strophen  (Slokas).  Und  bis  zum  heutigen  Tage  gilt  dieses  Riesen- 
werk trotz  all  der  verschiedenartigen  Elemente,  aus  denen  es  besteht, 
den  Indern  als  ein  einheitliches,  in  sich  abgeschlossenes  Werk^), 
welches  den  altehrwürdigen  Rsi  Krsna  Dvaipäyana,  auch 
Vyäsa  genannt,  zum  Verfasser  hat.  Dieser  selbe  Rsi  soll  auch 
der  Ordner  der  vier  Vedas^)  und  der  Verfasser  der  Puränas 
sein.  Er  war  nach  der  Sage  nicht  nur  ein  Zeitgenosse,  sondern 
ein  naher  Verwandter  der  Helden  des  Mahäbhärata  und  greift 
gelegentlich  auch  in  die  Handlung  des  Gedichtes  ein.  Seine 
Geschichte  wird  uns  im   Mahäbhärata   sehr  ausführlich  erzählt. 

Er  ist  der  Sohn  eines  berühmten  Asketen,  des  Rsi  Paräsara. 
Dieser  grofse  Heilige  erblickt  eines  Tages  die  in  einem  Fische 
zur  Welt  gekommene  und  von  Fischerleuten  aufgezogene  Satyavati 
und  ist  von  ihrer  Schönheit  so  entzückt,  dafs  er  ihre  Liebe  be- 
gehrt. Sie  will  ihm  aber  nur  unter  der  Bedingung  zu  willen 
sein,  dals  sie,  nachdem  sie  ihm  einen  Sohn  geboren,  wieder  ihre 
Jungfernschaft  zurückerlange.  Der  grofse  Heilige  gewährt  ihr 
diesen  Wunsch,  sowie  auch  den,  dafs  sie  ihren  Fischgeruch  ver- 
liere und  einen  wunderbaren  Duft  ausströme.    Unmittelbar  nach- 


')  Siehe  weiter  unten  das  Kapitel  über  das  Alter  und  die  Ge- 
schichte des  Mahäbhärata. 

^)  Darum  wird  es  auch  als  eine  S  am  h  it  ä ,  d.h.  »eine  (abgeschlossene) 
Zusammenstellung«,  »ein  zusammenhängender  Text«  bezeichnet,  so 
Mahäbh.  I,  1,  21 

*)  Daher  sein  Name  Vyäsa  oder  Vedavyäsa,  d.  h.  »Ordner«, 
»Ordner  des  Veda». 


_     269     — 

dem  er  ihr  beigewohnt,  gebiert  sie  auf  einer  Insel  in  der  Jamnä 
einen  Sohn,  welcher  Dvaipäyana,  »der  Inselgeborene«,  genannt 
wird.  Der  Knabe  wächst  heran  und  ergibt  sich  bald  der  Askese, 
Indem  er  sich  von  der  Mutter  verabschiedet,  sagt  er  ihr,  dals 
er  jederzeit  sofort  erscheinen  werde,  sobald  sie  nur,  wenn  sie 
seiner  bedürfe,  an  ihn  denke.  SatyavatT  aber,  wieder  zur  Jung- 
frau geworden,  wurde  später  die  Gemahlin  des  Kurukönigs 
Öäntanu  und  gebar  diesem  zwei  Söhne,  Citrängada  und  Vici- 
travirya.  Nachdem  Säntanu  und  Citrängada  gestorben  waren, 
wurde  Vicitravirya  zum  Thronnachfolger  bestimmt.  Dieser 
starb  jung  und  kinderlos,  hinterliefs  aber  zwei  Frauen.  Damit 
nun  das  Geschlecht  nicht  aussterbe,  beschliefst  SatyavatI,  ihren 
unehelichen  Sohn  Dvaipäyana  zu  berufen,  damit  er  —  auf  Grund 
der  Rechtssitte  des  Levirats  —  seinen  Schwägerinnen  Nachkommen- 
schaft erwecke.  Nun  ist  aber  dieser  Dvaipäyana  zwar  ein  grofser 
Büfser  und  Heiliger,  aber  ein  überaus  häfslicher  Mann  mit 
struppigem  Haar  und  Bart  und  finster  rollenden  Augen,  dunkel 
von  Gesicht  (daher  wohl  auch  sein  Name  Krsna,  >der  Schwarze«) 
und  ein  übler  Geruch  geht  von  ihm  aus.  Als  er  daher  der  einen 
Prinzessin  naht,  kann  sie  seinen  Anblick  nicht  ertragen  und 
schliefst  die  Augen:  die  Folge  davon  ist,  dafs  ihr  Sohn  blind 
zur  Welt  kommt.  Es  ist  dies  der  nachmalige  König  Dhrta- 
rästra.  Darauf  naht  der  Heilige  der  zweiten  Frau,  und  diese 
erbleicht  bei  seinem  Anblick.  Infolgedessen  gebiert  sie  einen 
Sohn,  welcher  bleich  ist  und  daher  Pändu,  »der  Bleiche«,  ge- 
nannt wird.  Er  ist  der  Vater  der  fünf  Haupthelden  des  Epos. 
Noch  einmal  soll  Dvaipäyana  der  ersten  Frau  nahen ;  aber  klüger 
geworden,  schickt  sie  dem  Heiligen,  der  nichts  von  der  Unter- 
schiebung merkt,  ihre  Magd,  und  mit  dieser  erzeugt  er  den 
Vi  dura,  dem  im  Epos  die  Rolle  eines  weisen  und  wohl- 
wollenden Freundes  des  Dhrtarästra  sowohl  wie  der  Söhne  des 
Pändu  zuerteilt  wird^). 

Dieser  häfsliche  übelriechende  Heilige,  Krsna  Dvaipäyana 
Vyäsa,  den  die  Legende  zu  einer  Art  Grofsvater  2)  der  Helden 
des  Epos  gemacht   bat,    gilt   also  den  Indem  bis  zum  heutigen 


«)  Mahäbh.  I,  63;  lOGff. 

*)  Nach  dem  Gesetz  des  Levirats  ist  Vyäsa  nur  der  Erzeuger, 
nicht  der  Vater  des  Dhrtarästra  und  des  Päigtdu.  Als  ihr  Vater  gilt 
der  verstorbene  Gatte  der  beiden  Witwen. 


—    270     — 

Tage  als  der  Verfasser  des  ganzen  Mahäbhärata.  Erst  nachdem 
seine  drei  »Söhne«  gestorben  waren  —  so  erzählt  die  Einleitung 
zum  Mahäbhärata  ^)  —  hat  Vyäsa  das  von  ihm  verfafste  Gedicht 
unter  den  Menschen  bekannt  gemacht.  Und  zwar  hat  er  es 
seinem  Schüler  Vais am päy an a  mitgeteilt,  und  dieser  trug  das 
ganze  Gedicht  in  den  Zwischenpausen  des  grofsen  Schlangen- 
opfers des  Königs  Janamejaya  vor.  Bei  dieser  Gelegenheit  hörte 
es  der  Süta  Ugrasravas,  Lomaharsanas  Sohn;  und  unser  Mahä- 
bhärata beginnt  damit,  dafs  die  Ksis,  welche  bei  dem  zwölfjährigen 
Opfer  des  Saunaka  im  Naimisawalde  versammelt  sind,  den  Süta 
Ugrasravas  ersuchen,  ihnen  die  Geschichte  des  Mahäbhärata,  wie 
er  sie  von  Vaisampäyana  gehört,  zu  erzählen.  Der  Süta  erklärt 
sich  hierzu  bereit  und  erzählt  die  Geschichte  von  dem  Schlangen- 
opfer  des  Janamejaya,  um  dann  erst  zur  Wiedergabe  der  Er- 
zählung des  Vaisampäyana  zu  schreiten. 

Es  ist  gewifs  ein  altertümlicher  Zug  des  Mahäbhärata,  dafs 
es  fast  durchwegs  nur  Reden  enthäh^).  Ugrasravas  ist  der 
Vortragende  der  Rahmenerzählung,  und  in  dem  Gedicht  selbst 
ist  Vaisampäyana  der  Sprechende.  Innerhalb  der  Erzählung 
des  Vaisampäyana  werden  wieder  zahllose  eingeschaltete  Ge- 
schichten —  und  diese  Einschachtelimg  von  Erzählungen  in  Er- 
zählungen ist  in  der  indischen  Litteratur  überhaupt  sehr  beliebt  — 
verschiedenen  Personen  in  den  Mund  gelegt.  In  den  meisten 
Fällen  werden  sowohl  die  Erzählungen,  als  auch  die  Reden  der 
auftretenden  Personen  nur  mit  den  Prosaformeln  »Vaisampäyana 
sprach«,  »Yudhisthira  sprach«,  »DraupadT  sprach«  usw.  ein- 
geleitet; 

So  phantastisch  auch  alles  ist,  was  uns  die  Einleitung  zum 
Mahäbhärata  über  dessen  angeblichen  Verfasser  mitteilt,  so  finden 

')  I,  1,  95  ff. 

2)  "Dafs  die  alten  Epen  überall  sehr  viel  Rede  und  Gegenrede 
enthalten,  kann  man  auch  an  der  Dias  beobachten;  erst  in  den 
späteren  Epen  tritt  dieses  dramatische  Element  mehr  zurück  .  .  .  Das 
epische  Gedicht  aber  wird  erst  dadurch  vollendet,  dafs  zu  den  Reden 
nun  auch  die  Rahmenerzählung  in  metrische  Form  gefafst  wird.  Eine 
letzte  Stufe  ist  es,  dafs  die  Reden  zurücktreten  und  nur  Ereignisse  in 
Versform  erzählt  werden.'  Ernst  Windisch,  Mära  und  Buddha 
(Abhaudl.  der  philolog.-histor.  Klasse  der  K.  sächsischen  Ges.  der  Wiss. 
Leipzig  1895),  S.  222  ff.  Von  jener  »letzten  Stufe»  ist  das  Mahäbhärata 
noch  weit  entfernt 


—    271     — 

wir  in  ihr  doch  auch  einige  bemerkenswerte  Angaben.  So  heifst 
es,  dafs  der  Rsi  Vyäsa  sein  Werk  sowohl  in  einer  kurzen 
Zusammenfassung  als  auch  in  einer  ausführlichen  Darstellung 
erzählt  habe;  ferner,  dafs  verschiedene  Rezitatoren  das  Gedicht 
an  drei  verschiedenen  Stellen  anfangen,  und  dafs  sein  Umfang 
nicht  immer  der  gleiche  war.  Ugrasravas  sagt,  er  kenne  das 
Gedicht  in  dem  Umfange  von  8800  Strophen,  während  Vyäsa  er- 
klärt, dafs  er  die  Samhitä  des  Bhäratagedichtes  in  24  000  Strophen 
verfafst  habe,  »und  ohne  die  Nebenerzählungen  wird  das  Bhärata 
in  diesem  Umfange  von  den  Verständigen  vorgetragen«.  Phan- 
tastisch genug  heifst  es  gleich  darauf,  dafs  Vyäsa  auch  ein 
Epos  von  60  hunderttausend  Strophen  verfafst  habe,  und  zwar 
30  hunderttausend  für  die  Götter,  15  für  die  Manen,  14  für 
die  Gandharvas  und  ein  Hunderttausend  für  die  Menschen*). 
Natürlich  soll  damit  nur  der  gegenwärtige  Umfang  des  Mahä- 
bhärata  angedeutet  sein,  der  ihm  auch  die  Bezeichnung  sata- 
sähasri  samhitä,  »Sammlung  von  hunderttausend  Versen«, 
eingetragen  hat.  Man  ersieht  aus  diesen  Angaben,  dafs  die 
Inder  selbst  trotz  ihrem  festen  Glauben  an  die  Einheitlichkeit 
des  Werkes  doch  wenigstens  eine  Erinnerung  daran  behalten 
haben,  dafs  das  Mahäbhärata  aus  einem  ursprünglich  kleineren 
Gedicht  erst  allmählich  zu  Seinem  jetzigen  Umfang  heran- 
gewachsen ist. 

Was  das  Mahäbhärata  den  Indern  ist,  sagt  uns  in  über- 
schwenglichster Weise  die  Einleitung  zu  dem  Werke.  Da  heifst 
es  z.  B. : 

»Wie  die  Butter  unter  allen  Arten  saurer  Milch,  wie  der  Brah- 
mane  unter  den  Ariern,  wie  die  Arauyakas  unter  den  Vedas,  wie  der 
Unsterblichkeitstrank  unter  den  Arzneien,  der  Ozean  unter  allen  Ge- 
wässern und  die  Kuh  unter  den  Vierfüfslern  am  besten  ist,  so  ist 
von  allen  Erzählungswerken  (Itihäsas)  das  Mahäbhärata  das  beste.« 

»Wer  einmal  diese  Erzählung  gehört  hat,  dem  gefällt  nichts 
anderes  Hörens  wertes  mehr:  wie  dem,  der  den  Gesang  des  Kokila- 
männcheus-)  gehört,  der  Krähe  rauhe  Stimme  nicht  gefällt.» 

»Aus  diesem  vortrefflichsten  aller  Erzählungswerke  entstehen  die 
Gedanken  der  Dichter,  wie  die  drei  Weltenräume  aus  den  fünf 
Elementen.« 


')  Mahäbh.  1.  1,  51  ff.;  81;  lOlff. 

'-)  Der   Kokila,   der  indische  Kuckuck,  ist  für  indische   Dichter 
dasselbe,  was  bei  unseren  Dichtern  die  Nachtigall  ist. 


—    272    — 

»Wer  einem  vedakundigen,  hochgelehrten  ßrahmanen  einhundert 
Kühe  mit  vergoldeten  Hörnern  schenkt,  und  wer  täglich  die  heiligen 
Erzählungen  des  Bhäratagedichtes  hört  —  die  beiden  erwerben  sich 
gleiches  (religiöses)  Verdienst.«' 

"Ein  Siegesspruch  ist  ja  dieses  Erzählungswerk:  ein  König,  der 
zu  siegen  wünscht,  soll  es  hören,  und  er  wird  die  Erde  erobern  und 
die  Feinde  besiegen." 

«Dies  ist  ein  heiliges  Lehrbuch  der  Moral  (dharma);  dies  ist  das 
beste  Lehrbuch  des  praktischen  Lebens  (artha),  und  auch  als  ein  Lehr- 
buch der  Erlösung  (moksa)  ^)  ist  es  von  dem  unermelslich  weisen  Vyäsa 
vorgetragen  worden.« 

»Jegliche  Sünde,  sei  sie  in  Taten,  Gedanken  oder  Worten  be- 
gangen, weicht  alsbald  von  dem  Mann,  der  dieses  Gedicht  anhört.* 

»In  drei  Jahren  hat  der  Asket  Krsna  Dvaipäyana,  täglich  (zur 
Verrichtung  seiner  Andachts-  und  Butsübungen)  sich  erhebend,  diese 
wunderbare  Erzählung,  das  Mahäbhärata,  verfalst.  Was  in  bezug  auf 
M o r a  1 ,  in  bezug  auf  das  praktische  Leben,  in  bezug  auf  S i n n e n - 
genufs  und  in  bezug  auf  die  Erlösung')  in  diesem  Buche  steht  — 
das  gibt  es  anderswo;  was  hier  nicht  steht,  das  gibt  es  nirgends  in 
der  Welt.* 

Für  uns  aber,  die  wir  das  Mahäbhärata  nicht  als  gläubige 
Hindus,  sondern  als  kritische  Litterarhistoriker  betrachten,  ist  es 
nichts  weniger  als  ein  Kunstwerk;  und  auf  keinen  Fall  können 
wir  in  ihm  das  Werk  eines  Verfassers,  ja  auch  nicht  einmal 
das  eines  geschickten  Sammlers  und  Ordners  sehen.  Das  Mahä- 
bhärata als  Ganzes  ist  ein  litterarisches  Unding.  Nie  hat  eine 
Künstlerhand  versucht  —  und  es  wäre  ja  auch  kaum  möglich 
gewesen  — ,  die  widerstrebenden  Elemente  zu  einem  einheitlichen 
Gedicht  zu  vereinigen.  Nur  poesielose  Theologen  und  Kom- 
mentatoren und  ungeschickte  Abschreiber  haben  die  tatsächtlich 
unvereinbaren  und  aus  verschiedenen  Jahrhunderten  stammenden 
Teile  schliefslich  zu  einer  ungeordneten  Masse  zusamraen- 
geschweifst.  Aber  in  diesem  Urwald  von  Dichtungen,  den  die 
Wissenschaft  eben  erst  zu  lichten  begonnen  hat,  grünt  und 
spriefst,  unter  wildem  Gestrüpp  verborgen,  viel  wahre  und  echte 
Poesie.      Aus    der   ungefügen    Masse    leuchten    die    köstlichsten 

')  Dharma,  »Recht  und  .Sitte«  oder  »Moral«,  artha  »Nutzen«. 
»Vorteile«,  »das  praktische  Leben»  und  käma,  »Sinnengenufs«  sind 
die  drei-  Ziele  des  Lebens,  gewissermafsen  das  Um  und  Auf  des 
menschlichen  Daseins,  nach  der  indischen  Ethik.  Das  Endziel  alles 
Strebens  aber  ist  moksa,  »die  Erlösung",  zu  welcher  die  verschiedenen 
Sekten  und  philosophischen  Systeme  verschiedene  Wege  weisen. 


—     273     — 

Blüten  unsterblicher  Dichtkunst  und  v,  tiefgründiger  Weisheit 
hervor.  Und  gerade  weil  das  Mahäbhärata  mehr  eine  ganze 
Litteratur  als  ein  einziges  und  einheitliches  Werk  darstellt 
und  so  vieles  und  so  vielerlei  enthält,  ist  es  mehr  als  irgendein 
anderes  Buch  geeignet,  uns  einen  Einblick  in  die  tiefsten  Tiefen 
der  indischen  Volksseele  zu  gewähren. 

Das  mag  die  folgende  Übersicht  über  den  Inhalt  des  Mahä- 
bhcärata  und<seiner  verschiedenen  Bestandteile  zeigen*). 


Die  Haupterzählung  des  iVIahabhärata. 

Vor  Jahren  hat  Adolf  Holtzmann  (der  Ältere)  den 
kühnen  Versuch  unternommen,  »den  Grundstoff  des  Mahäbhärata, 
das   alte   indische   Nationalepos   selbst,   deutschen   Freunden   der 


*)  Eine  vollständige  deutsche  Übersetzung  des  Mahäbhärata  gibt 
es  nicht;  Übersetzungen  und  Bearbeitungen  einzelner  Stücke  sind  in 
den  Anmerkungen  zu  der  folgenden  Inhaltsübersicht  genannt.  Die 
französische  Übersetzung  von  H.  Fauche  (Paris  1863 — 1870)  reicht 
nur  bis  zum  Ende  des  zehnten  Buches.  Englische  Prosaübersetzungen 
des  ganzen  Mahäbhärata  gibt  es  von  Protap  Chandra  Roy  (Kalkutta 
1884-1896)  und  Manmatha  Nath  Dutt  (Kalkutta  1895—1905). 
Eine  schöne  poetisc|ie  Wiedergabe,  teils  in  metrischen  Übersetzungen, 
teils  in  Prosa-luhaltsangaben  ist  »>  Maha-Bharata,  the  Epic  of  Ancient 
India  Condensed  into  English  Verse*,  byRomeshDutt.  London  1899. 
Gröfsere  und  kleinere  Auszüge  aus  dem  Mahäbhärata  findet  man 
auch  in  John  Muirs  'Original  Sanskrit  Texts»,  5  Vols.,  1858—1872, 
Vol.  I,  3.  Aufl.  1890,  und  in  desselben  "Metrical  Translations  from 
Sanskrit  Writers".  London  1879,  sowie  in  Monier  Williams'  »Indian 
Wisdom«  4'h  ed.  London  1893.  Eine  Sammlung  von  gröfseren  Stücken 
aus  dem  Mahäbhärata  in  französischer  Übersetzung  gab  Ph.E.Fouc  aux, 
Le  Mahäbhärata,  onze  episodes  tires  de  ce  poeme  epique,  Paris  1862. 
Einzelne  Episoden  in  italienischer  Übersetzung  gibt  P.  E.  Pavolini, 
Mahäbhärata,  Episodi  scelti  e  tradotti  coli.  col.  racconto  dell'  interno 
poema  (Bibliotheca  dei  popoli  I)  1902.  Einige  Fragmente  aus  den  letzten 
Büchern  des  Mahäbhärata,  von  Friedrich  Rückert  übersetzt,  sind 
herausgegeben  in  den  »Rückert-Studien«  von  Robert  Boxberge r, 
Gotha  1878,  S.  84 — 122.  Eine  Sammlung  der  wichtigsten  philosophi- 
schen Texte  des  Mahäbhärata  in  guter  deutscher  Übersetzung  kommt 
mir  eben  noch  knapp  vor  dem  Drucke  zu:  »Vier  philosophische 
Texte  des  Mahäbhäratam:  Sanatsujäta-Parvan-Bhagavadgitä-Mok- 
shadharma-Anugltä«.  In  Gemeinschaft  mit  Dr.  Otto  Strauss  aus 
dem  Sanskrit  übersetzt  von  Paul  Deussen  (Leipzig  1906). 


—    274    — 

Poesie  zum  erstenmal  zu  erschliefsen«  ^).  Er  ging  von  der  un- 
zweifelhaft richtigen  Ansicht  aus,  dafs  das  MahäbhSrata  nicht 
>das  indische  Epos«  sei,  sondern  dafs  vielmehr  nur  »die  Über- 
reste, die  Trümmer  der  alten  indischen  Heldengesänge  im  Mahä- 
bhärata  .  .•  *  in  vielfacher  Überarbeitung,  Erweiterung  und  Ent- 
stellung enthalten  seien«.  Aber  mit  beneidenswertem  Selbst- 
bewufstsein  traute  er  sich  die  Fähigkeit  zu,  aus  diesen  über- 
arbeiteten und  entstellten  »Trümmern«  das  alte,  ursprüng- 
liche Heldengedicht  wiederherstellen  zu  können.  Er  glaubte, 
durch  Auslassungen,  Kürzungen  und.  Veränderungen  ein 
indisches  Heldengedicht  in  deutschen  Versen  geschaffen  zu  haben, 
welches  von  dem  eigentlichen  Mahäbhärata,  wie  es  die  alten 
indischen  Barden  gesungen,  eine  bessere  Vorstellung  gebe,  als 
es  etwa  eine  wörtliche  Übersetzung  des  uns  vorliegenden  Urtextes 
tun  würde.  Nun  hat  Holtzmann  gewifs  mit  genialem  Blick  und 
tiefem  dichterischem  Gefühl  oft  das  Richtige  getroffen;  er  hat 
sich  aber  auch  mit  so  grenzenloser  Willkür  von  dem  Sanskrit- 
text entfernt,  dafs  sein  Werk  doch  nur  als  eine  sehr  freie  Um- 
dichtung  des  alten  Mahäbhärata,  aber  keinesfalls  als  ein  treues 
Abbild  desselben  gelten  kann.  In  der  Tat  ist  das,  was  Holtzmann 
^rersucht  hat,  ein  Ding  der  Unmöglichkeit,  jedem  Versuch,  »das 
alte  indische  Nationalepos  selbst«  in  seiner  Ursprünglichkeit 
wiederherzustellen,  wird  immer  so  viel  Willkürliches  an- 
haften, dafs  er  nur  einen  rein  subjektiven  Wert  haben  kann. 

Hingegen  ist  es  verhältnismäfsig  leicht,  aus  der  ungeheueren 
Masse  von  Gesängen  des  Mahäbhärata  einen  Kern  heraus- 
zuschälen, nämlich  die  Erzählung  vom  Kampfe  der 
Kauravas  und  der  Pändavas,  welche  jedenfalls  den  Vor- 
wurf des  eigentlichen  Epos  bildete.  Das  soll  in  dem  nach- 
folgenden, notwendigerweise  kurzen  Auszuge  geschehen.  Wir 
verfolgen  die  Geschichte  von.  dem  grofsen  Kampfe ,  indem  wir 
auch  die  wichtigsten  auf  die  Hauptheiden  bezüglichen  Neben- 
erzählungen  nach  Möglichkeit  berücksichtigen.  Dabei  wollen  wir 
uns  nicht  auf  zweifelhafte  Hypothesen  über  das  »ursprüngliche« 
Epos  einlassen,  sondern  getreu  unserem  jetzt  vorhandenen 
Mahäbhäratatexte  folgen,  indem  wir  nur  vorläufig  alles 
beiseite-  lassen,  was  nicht  auf  die  Haupterzählung  bezug  hat. 


')  Indische  Sagen.    2.  Teil:  Die  Kuruinge.    Karlsrahe  1846. 


—    275    — 

Die  Herkunft  der  Kauravas  und  der  Pä^cjavas. 

Im  Lande  der  Bharatas  herrschte  einmal  ein  König  aus  dem 
Kurugeschlecht,  Säntanu  mit  Namen.  Dieser  hatte  von  der  zu  einem 
Menschenweibe  gewordenen  Gangä')  einen  Sohn,  Namens  Bhisma, 
welchen  er  zum  Thronnachfolger  bestimmt  hatte.  Eines  Tages,  als 
dieser  bereits  zu  einem  trefflichen,  mit  allen  Kriegertugenden  aus- 
gestatteten Helden  herangewachsen  war,  traf  Säntanu  die  schöne 
Fischerstochter  Satyavati,  verliebte  sich  in  sie  und  begehrte  sie  zum 
Weibe.  Ihr  Vater  aber,  der  König  der  Fischersleute,  wollte  sie 
ihm  nur  unter  der  Bedingung  geben,  dals  der  von  seiner  Tochter  ge- 
borene Sohn  den  Thron  erben  solle.  Darauf  wollte  Säntanu  nicht  ein- 
gehen, so  schwer  es  ihm  wurde,  auf  die  Geliebte  zu  verzichten, 
Bhisma  aber  merkte  bald  die  Niedergeschlagenheit  seines  Vaters,  imd 
als  er  den  Grund  derselben  erfahren  hatte,  begab  er  sich  selbst  zu 
dem  Fischerkönig,  um  für  seinen  Vater  um  Satyavati  zu  werben.  Er 
erklärt  nicht  nur,  auf  den  Thron  verzichten  zu  wollen,  sondern  nimmt 
auch  das  Gelübde  der  Keuschheit  auf  sich,  damit  nicht  etwa  ein  Sohn 
von  ihm  als  Thronnachfolger  in  Frage  käme,  worauf  ihm  der  Fischer 
gern  seine  Tochter  gibt.  Säntanu  heiratet  also  Satyavati  und  erzeugt 
mit  ihr  zwei  Söhne,  Citrängada  und  Vicitravirya.  Nachdem 
Säntanu  bald  darauf  gestorben  war  und  den  jungen  Citrängada  ein 
Gandharva  im  Kampfe  getötet  hatte,  weihte  Bhisma,  als  der  Senior 
der  Familie,  den  Vicitravirya  zum  König.  Dieser  aber  starb  jung  und 
kinderlos,  obgleich  er  zwei  Frauen  hatte.  Damit  nun  das  Geschlecht 
nicht  aussterbe,  bittet  Satyavati  den  Bhisma,  nach  dem  alten  Rechts- 
brauche des  Levirats  mit  den  hinterbliebenen  Witwen  des  Vicitravirya 
Nachkommenschaft  zu  erzeugen.  Bhisma  aber  weist  auf  sein  Gelübde 
der*  Keuschheit  hin  und  erklärt,  dals  wohl  die  Sonne  ihren  Glanz,  das 
Feuer  seine  Hitze,  der  Mond  die  Kühle  seiner  Strahlen,  Gott  Indra 
seine  Tapferkeit,  Gott  Dharma^)  seine  Gerechtigkeit  aufgeben,  er  aber 
nie  und  nimmer  sein  gegebenes  Wort  brechen  könne.  Da  erinnert  sich 
Satyavati  ihres  unehelichen  Sohnes  Vyäsa  und  fordert  mit  Zu- 
stimmung des  Bhisma  ihn  auf,  für  die  Erhaltung  des  Geschlechtes 
Sorge  zu  tragen.  Und  der  heilige  Vyäsa  erzeugt,  wie  wir  schon  ge- 
sehen haben'),  den  Dhrtarästra,  den  Päijdu  und  den  Vidura.  Da 
Dhftarästra  blind  geboren  war,  wurde  der  jüngere  Bruder  Pä^du  zum 
König  eingesetzt.  Dhrtarästra  heiratete  Gändhärl,  die  Tochter  des 
Gändhärakönigs,  und  sie  gebar  ihm  hundert  Söhne,  von  denen  der 
älteste  Duryodhana  hiefs.  Pändu  aber  hatte  zwei  Frauen,  Prihä 
oder  Kunti,  die  Tochter  eines  Königs  der  Yädavas,  und  Mädri,  die 
Schwester  des  Salya,  des  Königs  der  Madras.  KuntI  gebar  ihm  drei 
Söhne:  Yudhisthira,  den  ältesten,  Arjuna  und  Bhima,   der  am 

')  Göttin  des  Flusses  Ganges. 

^)  Der  Todesgott  und  zugleich  der  Gott  der  Gerechtigkeit. 

";  Oben  S.  269. 

Winternitr,  Geschichte  der  indischen  Litteratur  iO 


—    276    — 

selben   Tage   wie   Duryodhana  geboren    wurde,    während    MädrI  die 
Mutter  der  beiden  Zwillinge  Nakula  und  Sahade va  wurde. 

Eine  sehr  phantastische  (schwerlich  dem  alten  Gedichte  an- 
gehörige)  Geschichte  wird  erzählt,  wonach  diese  fü#f  Haupthelden  des 
Epos  nicht  von  Pä^ciu,  sondern  f  ü  r  Pä^du  gezeugt  worden  sein  sollen. 
Pändu  —  so  wird  erzählt  —  hat  auf  der  Jagd  ein  Antilopenpärchexi 
bei  der  Begattung  getötet.  In  Wirklichkeit  ist  es  aber  ein  Rsi,  der 
Antilopengestalt  angenommen  bat,  um  der  Liebe  zu  pflegen.  Dieser 
Rsi  spricht  nun  tlber  Pändu  den  Fluch  aus,  dals  er  beim  Liebesgenu[s 
sterben  solle.  Daraufhin  beschliefst  Pändu.  ein  Asketenleben  zu  lübrec 
und  auf  den  Geschlechtsgenuls  zu  verzichten.  Damit  er  aber  doch 
Nachkommenschaft  erhalte,  werden  von  KuntI  die  Götter  herbeigerufen, 
damit  sie  ihr  Kinder  erzeugen.  Dharma,  der  Gott  der  Gerechtigkeit, 
erzeugt  mit  ihr  den  Yudhisthira,  der  Windgott  Väyu  den  starken 
Bhlma  und  der  Götterfürst  Indra  den  Arjuia.  Auf  Bitten  der  KuntT 
wohnen  die  beiden  Asvins  der  MädrI  bei  und  erzeugen  mit  ihr  die 
Zwillinge  Nakula  und  Sahade  va. 

Die  Pä^davas  und  Kauravas  am  Hofe  des  Dhrtarästra. 

Nachdem  Pändu  bald  darauf  gestorben  war,  übernahm  der  blinde 
Dhrtarästra  die  Regierung.  Die  fünf  Söhne  des  Päijidu  zogen  mit 
ihrer  Mutter  Kunti  —  Pändus  zweite  Frau  MädrI  hatte  sich  mit  ihm 
als  Witwe  verbrennen  lassen  —  an  den  Hof  des  Königs  Dhrtarästra 
nach  Hastinäpura  und  wurden  dort  zusammen  mit  den  Prinzen,  ihren 
Vettern,  erzogen. 

Schon  in  den  Kinderspielen  zeichneten  sich  die  Söhne  des  Pändu 
vor  denen  des  Dhrtarästra  aus  und  erregten  die  Eifersucht  der  letzteren. 
Bhima  insbesondere  war  äufserst  übermütig  und  gab  manche  Proben 
unbändiger  Kraft,  die  den  Kindern  des  Dhrtarästra  recht  unangenehm 
waren.  Wenn  die  Kinder  z.  B.  auf  einen  Baum  stiegen,  schüttelte 
er  ihn  so,  dafs  die  Vettern  samt  den  Früchten  heruntergepurzelt 
kamen-  Duryodhana  war  daher  dem  Bhlma  sehr  gehässig  und  machte 
auch  mehrere  Anschläge  gegen  sein  Leben,  ohne  ihm  aber  etwas  an- 
haben zu  können.  Die  Knaben  wuchsen  heran  und  erhielten  zwei  be- 
rühmte, waffenkundige  Brahmanen,  Krpa  und  Dro^a,  zu  Lehrern  im 
Waffenhandwerk.  Zu  ihren  Schülern  gehörten  aufser  den  Söhnen  des 
Dhrtarästra  und  des  Pändu  auch  Asvatthäman,  ein  Sohn  des  Drona. 
und  Kar  na,  der  Sohn  eines  Süta  oder  Wagenlenkers.  Duryodhana 
und'Bhima  wurden  bald  die  besten  Schüler  des  Drona  im  Keulen- 
kampf, Asvatthäman  in  Zauberkünsten,  Nakula  und  Sahadeva  im 
Schwertkampf  und  Yudhisthira  im  Wagenkampf.  Arjuna  aber  war 
nicht  nur  der  tüchtigste  Bogenschütze,  sondern  übertraf  alle  andern 
in  jeder  Beziehung.  Daher  waren  die  Söhne  des  Dhrtarästra  überaus 
eifersüchtig  auf  ihn. 

Als  die  Prinzen  ihre  Lehrzeit  beendet  hatten,  veranstaltete  Drona 
einen  Wettkarapf,  bei  dem  seine  Schüler  ihre  Künste  zeigen  sollten. 


—     277     — 

Es  ist  eine  glänzende  Festversammlung;  der  König,  die  Königinnen 
und  zahlreiche  Helden  sind  anwesend.  Bhlma  und  Duryodhana  führen 
einen  Keulenkampf  auf,  der  so  ernst  zu  werden  droht,  dafs  die  Kämpfen- 
den getrennt  werden  müssen.  Arjuna  erntet  allgemeinen  Beifall  durch 
seine  Kunst  im  Bogenschiefsen.  Aber  auch  Kar^a  tritt  in  die  Arena 
und  vollführt  dieselben  Künste  wie  Arjuna,  worüber  dieser  sehr  er- 
zürnt ist,  während  Duryodhana  den  Kar^  freudig  umarmt  und  ihn 
seiner  ewigen  Freundschaft  versichert.  Karna  fordert  den  Arjuna  zum 
Zweikampf  heraus,  wird  aber  als  Abkömmling  eines  Wagenlenkers 
von  den  Pändavas  verhöhnt. 

Yudhisthira  wird  Thronfolger.    Verschwörung  gegen 
ihn  und  seine  Brüder.     (Das  Lackhaus.) 

Ein  Jahr  darauf  setzte  Dhrtarästra  den  durch  Tapferkeit  wie 
durch  alle  andern  Tugenden  gleich  ausgezeichneten  Yudhisthira  (als 
den  Erstgeborenen  der  Kurufamilie)  zum  Thronfolger  ein.  Die  übrigen 
Pändavas  bildeten  sich  noch  weiter  in  den  Waffen  aus  und  unter- 
nahmen auch  auf  eigene  Faust  siegreiche  Eroberungszüge.  Als  Dhyta- 
räsfra  von  diesen  Waffentaten  der  immer  mächtiger  werdenden  Päijdavas 
hörte,  wurde  er  um  die  Zukunft  seiner  eigenen  Linie  einigermafsen 
besorgt.  Als  daher  Dur3'odhana,  sein  jüngerer  Bruder  Dussäsana, 
sein  Freund  Kan^a  und  sein  mütterlicher  Oheim  Sakuni  eine  Ver- 
schwörung gegen  die  Pändavas  anzettelten,  fanden  sie  bei  dem  alten  König 
bereitwillige  Unterstützung.  Sie  überredeten  Dhrtarästra,  die  Pändavas 
unter  irgend  einem  Vorwand  nach  Vära^ävata  zu  entfernen.  Dort  liefs 
Duryodhana  durch  einen  geschickten  Baumeister  ein  Haus  aus  Lack 
und  andern  leicht  entzündlichen  Stoffen  bauen,  in  welchem  die  Pändavas 
wohnen  sollten.  In  nachtschlafender  Zeit  sollte  dann  das  Haus  an- 
gezündet werden,  damit  die  Pändavas  ihren  Untergang  fänden.  Vidura 
aber  teilt  dem  Yudhisthira  insgeheim  —  er  bedient  sich  dabei  einer 
Mlecchasprache ,  d.  h.  einer  den  übrigen  nicht  verständlichen  Sprache 
eines  nichtindischen  Volksstammes  —  den  heimtückischen  Plan  mit. 
Um  aber  keinen  Verdacht  zu  erregen,  da  sie  fürchteten,  Duryodhana 
würde  sie  sonst  auf  andere  Weise  durch  Meuchelmörder  töten  lassen, 
gehen  sie  scheinbar  auf  den  Plan  ein,  begeben"  sich  nach  Väranävata 
und  beziehen  das  Lackhaus.  Durch  einen  unterirdischen  Gang  aber, 
den  sie  heimlich  anlegen  liefsen,  entfliehen  sie  in  den  Wald,  nachdem 
sie  das  Haus,  in  welchem  nebst  dem  Baumeister  nur  noch  ein  be- 
trunkenes Weib  niedriger  Kaste  nut  fünf  Söhnen  Schläft,  selbst  an- 
gezündet haben.  Während  alle  Leute  glauben,  die  Pändavas  mit  ihrer 
Mutter  KuntI  seien  verbrannt,  und  am  Hofe  des  Dhrtarästra  die  Toten- 
feier abgehalten  wird,  irren  die  fünf  Brüder  mit  ihrer  Mutter  im  Walde 
jenseits  des  Ganges  umher.  In  finsterer  Nacht  befinden  sie  sich  mitten 
im  dichten  Walde  —  müde,  hungrig  und  durstig.  KuntI  klagt  über 
Durst,  und  Bhlma  bringt  die  Mutter  und  seine  vier  Brüder  zu  einem 
Bananenbaum,  wo  sie  sich  ausruhen  sollen,  während  er  Wasser  suchen 

19* 


—    278    — 

•will.  Den  Wasservögeln  folgend,  kommt  er  zu  einem  Teich,  wo  er 
badet  und  trinkt  und  die  Oberkleider  ins  Wasser  taucht,  um  den 
übrigen  Wasser  zu  bringen.  Eiligst  kehrt  er  zurück,  findet  aber  die 
Seinen  alle  unter  dem  Baume  eingeschlafen.  Wie  er  die  Mutter  und 
die  Brüder  so  schlafend  liegen  sieht,  beklagt  er  in  bitteren  Worten  ihr 
trauriges  Schicksal. 

Hidimba,  der  Riese,  und  seine  Schwester. 
In  der  Nähe  dieses  Bananenbaumes  haust  ein  gräulicher,  menscheu- 
fressender  Riese,  der  RäksasaHidim  b  a.  Er  riecht  Menschenfieisch, 
und   von   einem  hohen    Baume   aus   sieht  er   die   Schlafenden.      Ihm 
wässert  der  Mund  nach  dem  lang  entbehrten  Genüsse  und  er  fordert 
seine  Schwester,  die  Riesin  Hidirabä,  auf,  nachzusehen,  was  es  für 
Leute  seien;  dann  wollten  sie  zusammen  sich  an  der  Menschen  frischem 
Fleisch  und  Blut  gütlich  tun  und  nachher  fröhlich  tanzen  und  singen. 
Die  Riesin  geht  hin;  aber  kaum  hat  sie  den  Bhlma  erblickt,  so  wird 
sie  von  heftiger  Liebe  zu  dem  kräftigen  Heldenjüngling  ergriffen.    Sie 
verwandelt    sich   daher  in  ein  schönes  menschliches  Weib  und  geht 
lächelnd   auf    Bhlma  zu,   erzählt    ihm,    dafs    dieser  Wald    von   dem 
menschenfressenden  Räksasa,  ihrem  Bruder,  heimgesucht  sei,  der  sie 
hergeschickt  habe;  dafs  sie  ihn  aber  liebe  und  keinen  andern  Mann 
zum  Gatten  haben  wolle,  als  ihn ;  er  möge  sich  ihrer  freuen,  sie  werde 
ihn  retten.    Bhima  antwortet,  er  denke  nicht  daran,  sich  der  Lust  hin- 
zugeben und  Mutter  und  Brüder  im  Stiche  zu  lassen.    Hidimbä  er- 
widert, er  möge  nur  seine  Angehörigen  aufwecken,  sie  werde  sie  alle 
retten.    BhTma  aber  erklärt,  es  werde  ihm  nie  einfallen,  seine  Mutter 
und  seine  Brüder  aus  süfsem  Schlummer  zu  wecken;  vor  Räksasas, 
Yaksas  (Elfen),  Gandharvas  und  dergleichen  Gelichter  habe  er  keine 
Angst,  er  werde  auch  mit  dem  Menschenfresser  fertig  werden.    Da 
kommt  auch  schon  der  Riese  Hidimba.  dem  seine  Schwester  zu  lange 
ausbleibt,  selbst  daher  und  will  die  verliebte  Hidimbä  im  Zorne  töten. 
Bhlma   aber   stellt  sich  ihm  entgegen  und  fordert  ihn   zum  Kampfe 
heraus.    Nach  furchtbarem  Ringen,   während  dessen  die  Brüder  er 
wachen,  erschlägt  er  den  Riesen.    Nun  will  er  auch  die  Hidimbä  dem 
Bruder  nachsenden,  aber  Yudhisthira  ermahnt  ihn,  doch  nicht  ein  Weib 
zu  töten.    Auf  ihr  flehentliches  Bitten  läfst  er  sich  schliefslich  herbei, 
sich  mit  ihr  so  lange  zu  vereinigen,  bis  sie  einen  Sohn  geboren  habe. 
Yudhisthira  ordnet  an,  dafs  Bhima  tagsiiber  bei  der  Riesin  weilen  möge, 
aber  vor  Sonnenuntergang  stets  zurückkehren  müsse.    So  fliegt  denn 
Hidimbä  mit  Bhlma  dui-ch  die  Luft  auf  liebliche  Bergeshöhen,  wo  sie 
sich  dem   Liebesspiel   hingeben,    bis  sie  empfängt  und   einen   Sohn 
gebiert,  der  auch  ein  mächtiger  Räksasa  ist.    Sie  nennen  ihn  G  hatot- 
kaca.    Dieser  hat  später  den  Panda vas  in  der  grofsen  Schlacht  gute 
Dienste  geleistet'). 


*)  Eine  sehr  freie  Bearbeitung  der  Hidimba-Episode  hat  Friedrich 
Rückert  gegeben.   (Werke,  herausg.  von  C.Beyer,  Bd.  6,  S.  426 ff.) 


—    279    — 

Der  Riese  Baka  und  die  Brahmanenf amilie. 

Die  Päi^davas  ziehen  nun,  als  Büfser  verkleidet,  unter  mancherlei 
andern  Abenteuern,  von  Wald  zu  Wald  und  kommen  schhelslich  in 
eine  Stadt  Ekacakrä,  wo  sie  unerkannt  im  Hause  eines  Brahmanen 
Aufenthalt  nehmen.  Bei  Tage  erbetteln  sie  sich  ihre  Speise  und  bringen 
sie  abends  nach  Hause,  wo  KuntI  das  ganze  Essen  in  zwei  Hälften 
teilt  —  die  eine  für-Bhima,  die  andere  für  alle  übrigen.  Eines  Tages 
ist  Kunti  mit  Bhima  allein  zu  Hause.  Da  dringt  aus  den  Gemächern 
des  Brahmanen,  bei  dem  sie  Gastfreundschaft  geniefsen,  lautes  Jammern 
und  Wehklagen.  Und  sie  hören,  wie  erst  der  Brahmane  unter  bitteren 
Klagen  über  das  Menschenlos  überhaupt  erklärt,  dals  es  am  besten 
sei,  wenn  er  samt  seiner  Familie  in  den  Tod  ginge.  Denn  er  könnte 
es  nie  über  sich  gewinnen,  die  treue  Gattin,  die  geliebte  Tochter  oder 
gar  das  Söhnchen  zu  opfern,  und  anderseits  müfste  er,  wenn  er  allein 
stürbe,  die  Seinen  sicherem  Elend  überlassen.  Darauf  ergreift  die 
Frau  des  Brahmanen  das  Wort  und  sagt:  Er  müsse  am  Leben  bleiben, 
um  für  seine  Kinder  zu  sorgen  und  das  Geschlecht  zu  erhalten.  Sie 
aber  habe,  nachdem  sie  ihm  einen  Sohn  und  eine  Tochter  geboren, 
den  Zweck  ihres  Daseins  erfüllt  und  könne  ruhig  sterben.  Wenn  er 
stürbe,  so  könnte  ja  sie  allein  nie  ihre  beiden  Kinder  ernähren  und 
beschützen;  sie  könnte  weder  ihre  Tochter  vor  unwürdigen  Männern 
bewahren ,  noch  ihrem  Sohne  die  eines  Brahmanen  würdige  Erziehung 
geben.  Er  könne  ja  auch  wieder  eine  zweite  Frau  nehmen,  während 
sie  als  Witwe  doch  nur  ein  bedauernswertes  Los  hätte.  »Wie  Vögel 
sich  gierig  auf  ein  weggeworfenes  Stück  Fleisch  stürzen,  so  die  Männer 
auf  eine  des  Gatten  beraubte  Frau«.  Darum  werde  sie  ihr  Leben 
opfern.  Nun  beginnt  die  Tochter,  welche  die  Reden  ihrer  Eltern 
gehört  hat,  zu  sprechen  und  sucht  zu  beweisen,  dafs  es  ihr  allein  zu- 
komme, für  die  Familie  zu  sterben.  »Sagt  man  doch:  das  eigene  Selbst 
ist  der  .Sohn,  ein  Freund  die  Gattin,  ein  Elend  aber  die  Tochter.  Be- 
freie dich  selbst  von  diesem  Elend  und  lafs  mich  meine  Pflicht  er- 
füllen". Während  diese  drei  so  miteinander  reden  und  schlieislich 
alle  zusammen  in  Weinen  ausbrechen,  tritt  das  kleine  Söhnchen  mit 
weitgeöffneten  Augen  auf  jeden  einzelnen  zu  und  spricht  lächelnd  mit 
süfser,  kindlicher  Stimme :  «Weine  nicht,  Vater!  Weine  nicht,  Mutter ! 
Weine  nicht,  Schwester!"  Und  frohgemut  •  nimmt  der  Kleine  einen 
Grashalm  vom  Boden  und  spricht:  »Mit  dem  werde  ich  den  menschen- 
fressenden Räksasa  töten!«  Und  so  tiefbetrübt  sie  auch  alle  waren  — 
als  sie  des  Knaben  süfse  Stinmie  hörten,  ward  ihr  Herz  von  Freude 
erfüllt.  Diesen  Augenblick  benützt  Kunti,  die  Mutter  der  Panda vas, 
um  einzutreten  und  sich  zu  erkundigen,  was  denn  eigentlich  los  sei. 
Da  erfährt  sie  denn,  dafs  in  der  Nähe  der  Stadt  ein  menschenfressen- 
der Räksasa,  der  Riese  Baka,  hause,  dem  die  Einwohner  der  Stadt  in 
gewissen  Zeiträumen  eine  Wagenladung  Reis,  zwei  Büffel  und  einen 
Menschen  als  Tribut  bringen  müssen.  Abwechselnd  komme  immer 
eine  andere  Familie  daran,  und  jetzt  sei  gerade  die  Reihe  an  ihnen. 


—     280     — 

Darauf  tröstet  KuntI  den  Brahmanen  und  schlägt  vor,  dafs  einer  ihrer 
fünf  Söhne  dem  Räksasa  seinen  Tribut  bringe.  Der  Brahmane  aber 
will  nichts  davon  wissen,  dafs  ein  Brahmane,  und  noch  dazu  ein  Gast, 
für  ihn  das  Leben  opfere.  Da  erklärt  ihm  Kunti,  dafs  ihr  Sohn  ein 
grofser  Held  sei  —  was  er  aber  niemand  verraten  dürfe  — ,  der  den 
Räksasa  gewifs  töten  werde.  Bhima  ist  sofort  bereit,  der  Aufforderung 
der  Mutter  Folge  zu  leisten  und  fährt  am  nächsten  Morgen  mit  dem 
Wagen,  der  die  für  den  Räksasa  bestimmten  Speisen  enthält,  in  den 
Wald,  wo  der  Unhold  haust.  Sobald  er  in  den  Wald  ko^nmt,  beginnt 
er  —  dies  wird  mit  grofsem  Humor  geschildert  —  die  Speisen  selbst 
zu  essen  und  läfst  sich  auch  durch  den  heranstürmenden  Riesen  nicht 
irre  machen.  Selbst  als  der  wutentbrannte  Räksasa  mit  beiden  Händen 
auf  ihn  losschlägt,  ifst  er  ruhig  weiter.  Erst  nachdem  er  alles  auf- 
gegessen hat,  rüstet  er  sich  zum  Kampfe.  Die  mächtigsten  Bäume  des 
Waldes  reifsen  sie  aus  und  schleudern  sie  aufeinander.  Dann  aber  be- 
ginnt ein  gewaltiges  Ringen,  welches  damit  endet,  dafs  Bhlma  den 
Riesen  über  seinem  Knie  entzwei  bricht.  Den  übrigen  Räksasas,  den 
Verwandten  und  Untergebenen  des  Baka,  nimmt  Bhima  das  Ver- 
sprechen ab,  keinen  Menschen  mehr  zu  töten  und  kehrt  zu  den  Brüdern 
zurück.  In  der  Stadt  herrscht  grofse  Freude.  Aber  das  Inkognito  der 
Pändavas  wird  gewahrt. 

Gattenselbstwahl  und  Heirat  der  Draupadi. 

Nach  einiger  Zeit  entschliefsen  sich  die  Pändavas,  die  Stadt 
Ekacakrä  zu  verlassen  und  ins  Pancälaland  zu  wandern.  Auf  dem 
Wege  dahin  erfahren  sie,  dafsDrupada,  der  König  der  Pancälas,  so- 
eben im  Begriffe  sei,  die  Gattenselbstwahl')  seiner  Tochter  zu  ver- 
anstalten. Die  Brüder  beschlielsen,  sich  auch  an  dem  Feste  zu  be- 
teiligen und  begeben  sich,  als  Brahmanen  verkleidet,  in  die  Residenz- 
stadt des  Drupada,  wo  sie  im  Hause  eines  Töpfers  unerkannt  leben, 
indem  sie  sich  als  Brahmanen  ihren  Unterhalt  erbetteln.  Drupada  aber 
hatte  einen  sehr  festen  Bogen  machen ,  mittels  einer  künstlichen  Vor- 
richtung hoch  in  der  Luft  ein  Ziel  aufrichten  und  verkünden  lassen» 
dafs  nur  derjenige  Held  seine  Tochter  Krs^ä  beim  Svayamvara  er- 
ringen könne,  der  den  Bogen  spannen  und  das  aufgesteckte  Ziel  treffen 
würde.    Fürsten  aller  Länder,  darunter  auch  die  Kauravas,  Duryo- 


')  Svayamvara,  d.  h.  »Selbst wähl«,  ist  eine  Form  der  Ehe- 
gründung oder  Verlobung,  welche  darin  besteht,  dafs  die  Königs- 
tochter sich  unter  den  versammelten  Fürsten  und  Helden  (nachdem 
der  Vater  eine  feierliche  Einladung  hat  ergehen  lassen)  den  Gatten 
selber  auswählt,  indem  sie  dem  Erwählten  einen  Kranz  um  den  Hais 
hängt,  worauf  dann  die  Hochzeit  stattfindet.  Während  der  Svayamvara 
in  der  epischen  Dichtung  sehr  häufig  geschildert  wird,  erwähnen 
die  brahmanischen  Gesetzbücher,  die  sonst  die  verschiedenen  Arten 
der  Ehegründung  sehr  ausführlich  behandeln,  diese  Sitte  gar  nicht. 


—    281     — 

dhana  und  seine  Brüder,  nebst  Karna  folgen  der  Einladung  des  Königs 
Drupada  und  versammeln  sich  in  der  festlich  geschmückten  Halle,  in 
welcher  die  Gattenselbstwahl  stattfinden  soll.  Auch  zahllose  Brah- 
manen  strömen  als  Zuschauer  herbei,  unter  ihnen  die  fünf  Pändavas. 
Mehrere  Tage  hindurch  finden  glänzende  Festlichkeiten  statt,  und  die 
fremden  Könige  und  Brahmanen  werden  als  Gäste  grofsartig  bewirtet. 
Endlich  am  sechzehnten  Tage  tritt  unter  den  üblichen  Zeremonien 
die  wunderschöne  Krsijä,  herrlich  gekleidet  und  geschmückt,  in  den 
Saal,  den  Blumenkranz  in  der  Hand.  Ihr  Bruder  Dhrstadyumna 
verkündet  mit  lauter  Stimme:  »Höret,  all  ihr  Fürsten  insgesamt! 
Hier  ist  der  Bogen,  hier  sind  die  Pfeile,  dort  ist  das  Ziel.  Treffet  es 
durch  das  Loch  der  Vorrichtung  mit  den  fünf  scharfen ;  luftdurch- 
schwirrenden  Pfeilen.  Wer,  mit  edler  Geburt,  Schönheit  und  Kraft 
ausgestattet,  diese  grofse  Tat  vollbringt,  dessen  Gemahlin  soll  meine 
Schwester  Krsnä  heute  sein  —  nicht  eitel  ist  meine  Rede."  Darauf 
nennt  er  seiner  Schwester  die  Namen  aller  anwesenden  Könige,  mit 
Duryodhana  beginnend.  Alle  verlieben  sich  sofort  in  die  reizende 
Krs^ä,  einer  ist  auf  den  andern  eifersüchtig  und  jeder  einzelne  hofft, 
sie  zu  gewinnen.  Einer  nach  dem  andern  versucht  nun,  den  Bogen 
zu  spannen,  aber  keinem  will  es  gelingen.  Da  tritt  Karna  vor;  schon 
hat  er  den  Bogen  gespannt  und  ist  bereit,  das  Ziel  zu  treffen ,  da  ruft 
Krsnä  mit  lauter  Stimme:  »Einen  Wagenlenker  wähle  ich  nicht.« 
Mit  bitterem  Lachen  und  einem  Blick  zur  Sonne  wirft  Karija  den 
Bogen  wieder  hin.  Vergeblich  versuchen  noch  die  mächtigen  Könige 
Sisupäla,  Jaräsandha  und  Salya  den  Bogen  zu  spannen.  Da  erhebt 
sich  Arjuna  aus  der  Mitte  der  Brahmanen.  Unter  lautem  Gemurmel 
des  Beifalls  derjenigen,  die  den  stattlichen  Jüngling  bewundern, 
und  des  Widerspruchs  jener,  die  sich  darüber  ärgern,  dafs  ein  Brah- 
mane  mit  Kriegern  in  die  Schranken  zu  treten  wage,  schreitet  er  auf 
den  Bogen  zu,  spannt  ihn  im  Nu  und  schiefst  das  Ziel  herab.  Da  Krsnä 
den  göttergleichen  Jüngling  sieht,  reicht  sie  ihm  erfreut  den  Kranz, 
und  Arjuna  verläfst,  von  der  Königstochter  gefolgt,  die  Halle. 

Da  aber  die  versammelten  Könige  merken,  dafs  Drupada  wirklich 
seine  Tochter  dem  Brahmanen  geben  wolle,  sehen  sie  dies  für  eine 
Beleidigung  an ;  denn  eine  Gattenselbstwahl  sei  nur  für  Krieger,  nicht 
für  Brahmanen  bestimmt.  Sie  wollen  den  Drupada  töten.  Aber 
Bhlma  und  Arjuna  eilen  ihm  zu  Hilfe.  Bhlma  reifst  einen  mächtigen 
Baum  aus  und  steht  furchtbar  wie  der  Todesgott  da.  Arjuna  stellt 
sich  mit  gespanntem  Bogen  neben  ihn.  Kar^a  kämpft  mit  Arjuna, 
äaiya  mit  Bhlma.  Nach  hartem  Kampfe  erklären  sich  Kardia  und 
Salya  für  besiegt.  Die  Könige  geben  den  Kampf  auf  und  kehren  in 
ihre  Heimat  zurück.  Die  Pändavas  aber  ziehen  mit  Krsnä  ab  und 
begeben  sich  zum  Töpferhaus,  wo  KuntI  bereits  besorgt  auf  sie  wartet. 
Hier  nun  erklärt  Arjuna  vor  der  Mutter  und  den  Brüdern,  dafs  er 
die  von  ihm  gewonnene  Krsnä,  die  Tochter  des  Drupada,  nicht  alleih 
heiraten  werde,  sondern  dafs  sie  nach  altem  Familienbrauch  die  ge- 
meinsame Gattin  aller  fünf  Brüder  werden  müsse. 


—    282     — 

Uuter  denjenigen,  welche  bei  der  Gattenselbstwahi  zugegen  waren, 
befand  sich  auch  Krs^a,  der  Häuptling  eines  Clans  der  Yädavas  und 
der  Vetter  der  Panda vas  (denn  Vasudeva,  Krs^as  Vater,  war  der 
Bruder  der  KuntI).  Er  war  der  einzige,  welcher  die  Päudavas  trotz 
ihrer  Verkleidung  erkannt  hatte.  Er  folgte  daher,  begleitet  von  seinem 
Bruder  Baladeva,  den  Pändavas,  besuchte  sie  im  Töpferhaus  und 
gab  sich  ihnen  als  ihr  Verwandter  zu  erkennen.  Die  Pändavas  waren 
darüber  sehr  erfreut.  Damit  diese  aber  nicht  erkannt  würden,  ent- 
fernten sich  Krs^a  und  Baladeva  bald  wieder. 

Auch  Prinz  Dhrstadyumna  war  den  Pändavas  heimlich  gefolgt, 
um  zu  erfahren,  wer  denn  eigentlich  der  Held  sei,  der  seine  Schwester 
zur  Gemahlin  gewonnen.  Er  verbirgt  sich  im  Töpferhaus  und  be- 
obachtet, wie  die  Brüder  heimkehren  und  ihre  Mutter  ehrfurchtsvoll 
begrüfsen,  wie  KuntI  die  Draupadi')  in  bezug  auf  die  Zubereitung 
und  Verteilung  der  Speisen  unterweist,  wie  sie  sich  dann  nach  dem 
Abendessen  zur  Ruhe  begeben,  indem  der  jüngste  der  Brüder  ein  Lager 
von  Kusagras  ausbreitet,  auf  welchem  sich  die  fünf  Brüder  der  Reihe 
nach  jeder  auf  seinem  Antilopenfell  hinstrecken,  während  die  Mutter 
zu  ihren  tiäuptern  und  Draupadi  zu  ihren  Füfsen  ihr  Nachtlager 
aufschlagen;  und  er  hört,  wie  sich  die  Brüder  vor  dem  Einschlafen 
noch  mit  allerlei  Gesprächen  über  Waffen  und  Kriegstaten  unter- 
halten. Darauf  eilt  Dhrstadyumna  zu  seinem  Vater  zurück,  um  ihm 
zu  berichten,  dafs  die  angeblichen  Brahmanen,  nach  ihren  Gesprächen 
zu  schliefsen,  Krieger  sein  müfsten,  worüber  der  König  hocherfreut 
ist.  Am  nächsten  Morgen  läfst  Drupada  die  Pändavas  in  den  Palast 
einladen,  um  die  Hochzeit  .seiner  Tochter  in  feierlicher  Weise  zu  be- 
gehen. Nun  erst  teilt  ihm  Yudhisthira  mit,  dafs  sie  die  totgeglaubten 
Söhne  des  Pä^du  seien,  worüber  Drupada  sehr  froh  ist;  denn  es  war 
immer  sein  Wunsch  gewesen,  den  tapferen  Arjuna  zum  Schwiegersohn 
zu  haben.  Da  er  aber  die  feierliche  Vermählung  seiner  Tochter  mit 
Arjuna  vornehmen  will,  ist  er  einigermafsen  erstaunt  und  wenig  er- 
freut, als  ihm  Yudhisthira  die  Mitteilung  macht,  dafs  Krsnä  die  ge- 
meinsame Gattin  aller  fünf  Brüder  werden  müsse.  Die  Bedenken,  die 
er  äufsert,  werden  aber  durch  den  Hinweis  auf  den  alten  Familien- 
brauch der  Pändavas  beschwichtigt,  und  Draupadi  wird  zuerst  dem 
Yudhisthira  als  dem  Ältesten,  dann  in  der  Reihenfolge  des  Alters  den 
vier  andern  Brüdern  vor  dem   heiligen  Feuer  als  Gattin  angetraut^). 


*)  Krsnä,  >die  Schwarze«,  wird  gewöhnlich  Draupadi,  d.  h.  »Tochter 
des  Drupada»,  genannt. 

^)  Das  Epos  hat  in  dieser  Fünfmännerehe  unzweifelhaft  einen 
alten  Zug  der  Sage  treu  bewahrt.  Denn  die  Polyandrie  oder  vielmehr 
die  Gruppenehe,  von  welcher  die  Ehe  der  Pändavas  ein  Beispiel  bietet, 
kommt  zwar  in  einzelnen  Gegenden  Indiens  auch  heute  noch  vor,  ist 
aber  sonst  im  alten  Indien  durchaus  nicht  als  rechtmäfsige  Eheform 
bezeugt  und  widerspricht  ganz  und  gar  den  brahmanischen  An- 
schauungen.    Wenn  Drupada  sagt  (I,   197,   27):   »Das  Gesetz   lehrt, 


—    283     — 

KuntI  segnet  ihre  Schwiegertochter.    Den  Neuvermählten  aber  sendet 
Krsi^a  reiche  und  tlberaus  kostbare  Hochzeitsgeschenke. 


dafs  ein  Mann  viele  Frauen  hat;  aber  man  hat  nie  gehört,  dafs  eine 
Frau  viele  Männer  zu  Gatten  habe,  so  gibt  er  damit  nur  der  all- 
gemein indischen  Anschauung  Ausdruck.  Wenn  trotzdem  im  Epos 
die  fünf  Haapthelden  nur  eine  Gattin  haben,  so  ist  dies  ein  Beweis 
dafür,  dafs  dieser  Zug  so  enge  mit  der  ganzen  Sage  und  dem  alten 
Epos  verwoben  war,  dafs  selbst  in  späterer  Zeit,  als  das  Mahäbhärata 
mehr  und  mehr  einen  brahmanischen  Charakter  erhielt  und  zu  einem 
religiösen  Lehrbuch  wurde,  nicht  daran  gedacht  werden  konnte,  diesen 
Zug  zu  beseitigen.  Man  bemühte  sich  nur,  durch  mehrere  ziemlich 
ungeschickt  eingefügte  Erzählungen  die  Fünfmännerehe  zu  recht- 
fertigen. Einmal  erzählt  V3'äsa  die  alberne  Geschiebte  von  einer 
Jungfrau,  die  keinen  Mann  bekommen  konnte  und  den  Gott  Sfva  an- 
flehte, dafs  er  ihr  einen  Gatten  besorge.  Weil  sie  nun  fünfmal  ge- 
rufen hatte;  »Gib  mir  einen  Gatten«,  verspricht  ihr  Sivä  fünf  Gatten  — 
in  einer  späteren  Geburt.  Diese  Jungfrau  ist  als  K|-s^,  Drupadas 
Tochter,  wiedergeboren  und  erhält  daher  die  fünf  Päijdavas  zu  Gatten, 
Nicht  viel  geistreicher  ist  eine  zweite  Geschichte.  Die  Pändavas,  die 
im  Töpferhaus  als  bettelnde  Brahmanec  leben,  kommen  mit  Draupadi 
nach  Hause  und  melden  ihrer  Mutter,  dafs  sie  »die  Almosen«,  die  sie 
auf  ihrem  Bettelgang  gesammelt,  gebracht  haben.  Ohne  aufzusehen, 
sagt  Kunti  gewohnheitsmäf sig :  »Geniefset  es  alle  miteinander«.  Dann 
erst  bemerkt  sie,  dafs  »das  Almosen«  eine  Frau  ist,  und  ist  sehr  be- 
stürzt; aber  das  Wort  einer  Mutter  darf  nicht  unwahr  gemacht  werden, 
und  es  mufs  dabei  sein  Bewenden  haben,  dafs  die  fünf  Brüder  die 
Draupadi  gemeinsam  geniefsen.  Eine  dritte  Geschichte,  welche  wieder 
Vyäsa  dem  Drupada  erzählt,  ist  die  sivaitische  »Fünf-Indra-Erzählung« 
(pancendropäkhyänam),  ein  höchst  phantastischer  und  verworrener  Be- 
richt, nach  welchem  Indra  zur  Strafe  dafür,  weil  er  den  §iva  beleidigt 
hat,  fünffach  geteilt  auf  der  Erde  wiedergeboren  und  eine  Inkarnation 
der  LaksmT  oder  §rl  (Qöttin  des  Glückes  und  der  Schönheit)  z\i  seiner 
Frau  bestimmt  wird.  Die  fünf  Pändavas  sind  Inkarnationen  des  einen 
Indra,  Draupadi  ist  eine  Inkarnation  der  Laksmi;  so  hat  Draupadi 
eigentlich  nur  einen  Gemahl!  Es  wird  nicht  einmal  der  Versuch 
gemacht,  diese  drei  Rechtfertigungsg*;schichten  miteinander  oder  mit 
der  Haupterzählung  in  Einklang  zu  bringen.  Hingegen  wird  wieder- 
holt deutlich  ausgesprochen,  dafs  wir  es  mit  einer  alten  Familien- 
sitte —  nicht  etwa  mit  einem  allgemein  indischen,  sondern  mit  einem 
speziellen  Familienbrauch  der  Pän4avas  —  zu  tun  haben.  In  Er- 
zählungen der  Buddhisten  und  Jainas  wird  die  Gattenselbstwahl  der 
Draupadi  in  der  Weise  geschildert,  dafs  sie  nicht  den  Arjuna,  sondern 
gleich  alle  fünf  Pändavas  auf  einmal  wählt.  Sonderbarerweise  haben 
auch  einige  europäische  Forscher-  die  Fünfmännerehe  mythologisch, 
allegorisch   und  symbolisch  zu   deuten   und  zu   rechtfertigen  ge- 


—    284    — 

Die  Pändavas  erhalten  ihr  Reich  zurück. 

Bald  verbreitet  sich  die  Nachricht,  dafs  die  Pändavas  noch  anni 
Leben  sind  und  dafs  Arjuna  es  war,  der  die  Draupadl  bei  der  Gatten- 
selbstwahl  gewonnen.  Duryodhana  und  seine  Genossen  kehren  betrübt 
nach  Hastinäpura  zurück,  und  es  macht  ihnen  grofse  Sorge,  dals  die 
Pändavas  jetzt  durch  ihre  Heirat  zwei  mächtige  Bundesgenossen  — 
Drupada  und  die  Pancälas,  Krsna  und  die  Yädav?s  —  gewonnen 
haben.  Durj'odhana  meint,  man  müsse  nun  vor  den  Pändavas  auf  der 
Hut  sein;  und  schlägt  vor,  sie  durch  Verräterei  zu  beseitigen.  Hin. 
gegen  rät  Karna  zum  offenen  Kampfe.  BbTsma  aber,  dem  auch  Vidura 
und  Drona  zustimmen,  rät  dem  Dhrtarästra,  den  Pändavas  das  halbe 
Königreich  abzutreten  und  mit  ihnen  in  Frieden  zu  leben.  Dhrtarästra 
geht  auf  diesen  Vorschlag  ein  und  tritt  den  Pändavas  die  Hälfte  seines 
Reiches  ab,  und  zwar  sollen  sie  sich  in  der  Wüste  Khändavaprastha 
niederlassen.  Yudhis^hira  nimmt  das  Anerbieten  bereitwillig  an,  und 
die  Pändavas  begeben  sich,  von  Krsija  begleitet,  nach  Khändavaprastha. 
Dort  gründen  sie  sich  als  Residenz  die  grofse  Stadt  und  Festung 
Indraprastha  (in  der  Nähe  des  heutigen  Delhi). 

Arjunas  Verbannung  und  Abenteuer. 

Glücklich  und  zufrieden  lebten  die  Pändavas  mit  ihrer  gemein- 
samen Gattin  in  Indraprastha.  Damit  keine  Eifersucht  zwischen  ihnen 
entstehe,  hatten  sie  (auf  den  Rat  des  himmlischen  Weisen  Närada)  ver- 
einbart, dafs  derienige  von  den  Brüdern,  welcher  einen  der  andern  bei 
einem  traulichen  Zusammensein  mit  Draupadl  überrasche,  auf  zwölf 
Jahre  in  die  Verbannung  gehen  und  ein  Leben  der  Keuschheit  führen 
müsse.  Infolge  dieser  Vereinbarung  leben  sie  stets  in  Frieden  mit- 
einander. 

Eines  Tages  stehlen  Räuber  einem  Brahmanen  sein  Vieh,  und 
dieser  kommt  mit  heftigen  Vorwürfen,  dafs  der  König  seine  Unter- 
tanen nicht  genügend  schütze,  in  den  Palast  gelaufen-  Arjuna  will 
ihm  sofort  zu  Hilfe  eilen.  Zufälligerweise  aber  hängen  die  Waffen 
in  einem  Zimmer,  in  welchem  Yudhisthira  gerade  mit  Draupadl  bei- 
sammen ist.  Arjuna  ist  in  einem  Dilemma:  Soll  er  die  Kriegerpflicht 
gegenüber  dem  Brahmanen  üben  und  die  Regel  in  bezug  auf  die  ge- 
meinsame Gattin  durchbrechea,  oder  soll  er  die  erstere  verletzen,  um 
die  letztere  einzuhalten?  Er  entschliefst  sich  dafür,  in  die  Kammer 
zu  gehen,  um  die  Waffen  zu  holen,  verfolgt  die  Räuber  und  gibt  dem 
.  Brahmanen  sein  Vieh  zurück.  Darauf  kehrt  er  heim  und  erklärt  dem 
Yudhisthira,  dafs  er  nun  der  Vereinbarung  gemäfs  auf  zwölf  Jahre  in 
die  Verbannung  !gehen  werde.  Obwohl  Yudhisthira  ihn  zurückzuhalten 
sucht,  da  er  sich  gar  nicht  beleidigt  fühle,   zieht  sich  doch  Arjuna 


sucht,  anstatt  sie  als  ethnologisches  Faktum  hinzunehmen.   (Vgl,  meine 
»Notes  on  the  Mahäbhärata«  im  JRAS,  1897,  S.  733  ff.) 


—    285    ~ 

nach  dem  Grundsatz,  dafs  Recht  Recht  bleiben  müsse,  in  den  Wald 
zurück. 

Hier  erlebt  er  nun  mancherlei  Abenteuer.  So  badet  er  einmal 
im  Ganges  und  will  eben,  nachdem  er  den  Manen  geopfert,  heraus- 
steigen, als  ihn  Ulüpi.  die  Tochter  eines  Nägakönigs,  in  das  Reich 
der  Nägas  (Schlangendämonen)  hinabzieht.  Sie  erklärt  ihm,  dafs  sie 
sich  in  ihn  verliebt  habe,  und  bittet  ihn,  sich  ihrer  zu  erfreuen.  Arjuna 
antwortet,  dafs  er  dies  nicht  tun  könne,  weil  er  das  Gelübde  der 
Keuschheit  auf  sich  genommen.  Aber  die  Schlangenjungfrau  wendet 
ihm  ein,  dafs  sich  dieses  Gelübde  doch  nur  auf  Draupadi  beziehen 
könne;  übrigens  sei  es  seine  Kriegerpflicht,  Unglücklichen  zu  helfen; 
wenn  er  ihr  ihren  Wunsch  nicht  erfülle,  werde  sie  sich  umbringen  —  er 
müsse  ihr  also  das  Leben  retten.  Diesen  Argumenten  kann  Arjuna 
nichts  mehr  entgegensetzen,  und  »seine  Pflicht  im  Auge  habend«  er- 
füllt er  den  Wunsch  der  schönen  UlüpT  und  verbringt  eine  Nacht 
mit  ihr. 

Ein  andermal  kommt  er  auf  seinen  Wanderungen  zu  Citravähana, 
dem  König  von  Manipüra,  und  verliebt  sich  in  dessen  schöne  Tochter 
Citrähgadä  Sie  ist  aber  eine  Sohnestochter'),  und  der  König  gibt 
sie  ihm  nur  unter  der  Bedingung,  dafs  ein  von  ihr  geborener  Sohn 
als  sein  (Citravähanas)  Sohn  zu  gelten  habe.  Arjuna  ist  damit  ein- 
verstanden und  lebt  mit  ihr  drei  Jahre  in  Manipüra^),  Nachdem  sie 
einen  Sohn  geboren  hat,  verabschiedet  er  sich  und  setzt  seine  Wande- 
rung fort. 

Nachdem  er  verschiedene  heilige  Orte  besucht  und  noch  mancherlei 
Abenteuer  erlebt  hat ,  kommt  er  mit  Kfsna  zusammen  und  besucht 
diesen  in  seiner  Stadt  Dvärakä,  wo  er  ungemein  festlich  empfangen 
wird.  Einige  Tage  nachher  fand  auf  dem  Berge  Raivataka  ein  grofses 
Fest  der  Vr.snis  und  Andhakas  —  Clans  der  Yädavas  —  statt.  Mit 
Musik,  Gesang  und  Tanz  ziehen  Edle  und  Bürger  hinaus,  und  es 
geht  recht  lustig  zu.  Raladeva,  Krsnas  Bruder,  betrinkt  sich  mit  seiner 
Frau  Revati;  Ugrasena,  König  der  Vrsnis,  kommt  mit  seinen  tausend 
Weibern,  und  zahlreiche  andere  Fürsten  mit  ihren  Frauen.  Bei  dieser 
Gelegenheit  sieht  Arjuna  die  schöne  Schwester  des  Krsna,  Subhadrä, 
und  verliebt  sich  in  sie.  Er  fragt  den  Krsna,  wie  er  sie  bekommen 
könne,  und  dieser  rät  ihm,  sie  nach  Kriegerart  gewaltsam  zu  entführen, 
denn  eine  Gattenselbstwahl  sei  immer  eine  unsichere  Sache  ^).  Da  schickt 

')  Eine  putrikä  oder  *  Sohnestochter«  ist  eine  Tochter,  deren  Sohn 
"fiicht  dem  Gatten,  sondern  dem  Vater  des  Mädchens  gehört.  Wenn 
nämlich  ein  Mann  keinen  Sohn  hat,  so  kann  er  seine  Tochter  als 
putrikä  einsetzen,  wodurch  ein  von  ihr  geborener  Sohn  zum  Fort- 
setzer des  Geschlechts  ihres  Vf  ters  wird,  d.  h.  er  ist  zum  Toten- 
opfer verpflichtet  und  zum  Erbe  berechtigt. 

2)  Von  dem  Keuschheitsgelübde  ist  jetzt  nicht  mehr  die  Rede. 

*)  Offenbar  waren  die  Yädavas  ein  wilder  Hirtenstamm,  bei  dem 
die  Raubehe  noch  zu  Recht  bestand. 


—    286     — 

Arjuna  einen  Boten  zu  Yudhis^hira ,  um  dessen  Erlaubnis  zur  Ent- 
führung der  Subhadrä  einzuholen.  Yudhisthira  gibt  seine  Zustimnaung, 
und  Arjuna  zieht  in  voller  Kriegsrüstung  auf  seinem  Streitwagen  aus, 
■wie  wenn  er  auf  die  Jagd  ginge.  Subhadrä  ergeht  sich  auf  dem  Raivataka, 
und  wie  sie  eben  nach  Dvärakä  zurückkehren  will,  ergreift  sie  Arjuna, 
nimmt  sie  auf  seinen  Wagen  und  fährt  mit  ihr  in  der  Richtung  nach 
Indraprastha.  In  Dvärakä  herrscht  grolse  Aufregung;  der  betrunkene 
Baladeva  ist  wütend,  dafs  Arjuna  das  Gastrecht  verletzt  habe.  Aber 
Krs^ia  beruhigt  seine  Verwandten:  Arjuna  habe  sie  gar  nicht  beleidigt. 
Im  Gegenteil,  er  habe  die  Yädavat.  nicht  für  so  geldgierig  gehalten,  dafs 
sie  ein  Mädchen  wie  ein  Stück  Vieh  verkaufen  würden,  und  auf  eine 
unsichere  Gattenselbstwahl  habe  er  sich  nicht  einlassen  wollen,  so  sei 
ihm  nichts  übrig  geblieben,  als  die  Subhadrä  zu  rauben.  Gegen  die 
Ehe  sei  ja  nichts  einzuwenden.  Man  solle  nur  den  Arjuna  zurück- 
bringen und  sich  mit  ihm  versöhnen.  Das  geschieht  denn  auch,  und 
Subhadrä  wird  mit  Arjuna  vermählt.  Er  verweilt  dann  noch  ein  Jahr 
in  Dvärakä,  sich  mit  Subhadrä  vergnügend.  Den  Rest  der  zwölf 
Jahre  verbringt  er  in  dem  heiligen  Orte  Puskara,  worauf  er  nach 
Indraprastha  zurückkehrt.  Draupadl  macht  ihm  wegen  seiner  Heirat 
mit  Subhadrä  Vorwürfe,  beruhigt  sich  aber,  da  sich  Subhadrä  ihr  als 
Magd  unterwirft.  Und  Draupadi,  Subhadrä  und  KuntI  leben  von  da 
an  glücklich  miteinander.  Subhadrä  gebar  dem  Arjuna  einen  Sohn, 
Abhimanyu,  der  ein  Liebling  seines  Vaters  und  seiner  Onkel  wurde. 
Draupadl  aber  gebar  jedem  der  fünf  Panda vas  je  einen  Sohn. 

Yudhisthira  wird  Weltherrscher. 

Gerecht  und  fromm  regierte  König  Yudhisthira  in  seinem  Reiche, 
nnd  seine  Untertanen,  die  ihm  in  Liebe  zugetan  waren,  lebten  glück- 
lich und  zufrieden.  Ein  glückliches  Dasein  führten  auch  die  Brüder 
des  Königs.  Den  Arjuna  aber  verband  nun  noch  innigere  Freund- 
schaft mit  Krsna.  Als  sich  die  beiden  Freunde  einst  in  den  Hainen 
an  der  Jamnä  (wo  sie  mit  vielen  schönen  Frauen  wahre  Orgien 
feierten,  an  denen  sich  selbst  Draupadl  und  Subhadrä  beteiligten)  mit- 
einander unterhielten,  kam  der  Gott  Agni  in  Brahmanengestalt  auf  sie 
zu  und  ersuchte  sie,  ihm  beim  Verbrennen  des  Khändavawaldes  be- 
hilflich zu  sein.  Der  Gott  hatte  sich  nämlich  bei  einem  grofsen  Opfer 
durch  das  Verzehren  der  vielen  Opferspeisen  den  Magen  verdorben, 
und  Brahman  hatte  ihm  gesagt,  er  müsse  den  Khändavawald  ver- 
brennen, um  wieder  zu  genesen.  So  oft  er  aber  versucht,  den  Wald 
in  Brand  zu  stecken,  löschen  die  Waldtiere  das  Feuer  immer  wieder 
aus.  Das  sollen  Arjuna  und  Krsna  verhindern,  und  zu  dem  Zweck 
verschafft  ihnen  Agni  himmlische  Waffen :  dem  Arjuna  den  gewaltigen 
Bogen  Gäijdlva  mit  zwei  unerschöpflichen  Köchern  und  einen  prächtigen, 
mit  silberweifsen  Pferden  bespannten  und  durch  ein  Affenbanner  weit- 
hin kenntlichen  Streitwagen;  dem.  Krsna  aber  eine  sichertreffende 
Wurfscheibe   und   eine  unwiderstehliche  Keule.     Mit  diesen  Waffen 


—     287    — 

stehen  sie  dem  Agni  zur  Seite  und  töten  alle  Wesen,  welche  aus  dem 
brennenden  Walde  zu  entfliehen  suchen.  Nur  den  Dämon  Maya,  der 
ein  grofser  Künstler  unter  den  Himmlischen  ist,  verschonen  sie'). 

Zum  Dank  dafür,  dals  ihm  das  Leben  geschenkt  ward,  baut  der 
Dämon  Maya  dem  Yudhisthira  einen  wunderbaren  Palast  mit  höchst 
kunstvollen  Einrichtungen.  Nach  einiger  Zeit  beschliefst  Yudhisthira 
im  Einvernehmen  mit  Krsna,  das  grofse  Königsweiheopfer  (räjasüya) 
darzubringen.  Zur  Darbringung  dieses  Opfers  ist  aber  nur  ein  Welt- 
herrscher, ein  grolser  Eroberer,  berechtigt.  Da  aber  zurzeit  Jaräsandha, 
König  von  Magadha,  der  "mächtigste  Herrscher  ist,  muts  erst  dieser 
beseitigt  werden.  In  einem  Zweikampf  mit  Bhima  .wird  er  getötet. 
Dann  erst  unternehmen  Arjuna  im  Norden,  Bhima  im  Osten,  Sahadeva 
im  Süden  und  Nakula  im  Westen  siegreiche  Eroberungszüge,  durch 
welche  Yudhisthira  zum  Besitzer  eines  Weltreiches  wird.  Nun  kann 
das  Königs weiheopf er  vollzogen  werden,  das  mit  grofsem  Prunk  ge- 
feiert wird.  Zahlreiche  Könige,  auch  die  Kauravas,  sind  dazu  ein- 
geladen. Zum  Schlufs  des  Opfers  werden  Ehrengaben  verteilt.  Auf 
Vorschlag  des  Bhlsma  soll  Krs^a  die  erste  Ehrengabe  erhalten.  Da- 
gegen lehnt  sich  Sisupäla,  König  von  Cedi,  auf.  Infolgedessen  kommt 
es  zu  einem  Streite,  der  damit  endet,  dafs  Öisupäla  von  Krs^a  ge- 
tötet wird. 

Nach  beendetem  Opfer  verabschieden  sich  die  fremden  Könige. 
Auch  Krsija  kehrt  wieder  in  seine  Heimat  zurück.  Nur  Duryodhana 
und  sein  Oheim  Sakuni  verweilen  noch  einige  Zeit  im  Palaste  der 
Pändavas.  Bei  der  Besichtigung  des  wunderbaren  Gebäudes  wider- 
fährt dem  Duryodhana  allerlei  Mifsgeschick.  So  hält  er  eine  Kristall- 
fläche für  einen  Teich  und  zieht  sich  aus,  um  zu  baden,  während  er 
einen  künstlichen  Teich  für  festes  Land  halt  und  zu  einem  unfrei- 
willigen Bad  kommt,  worüber  Bhima  und  Arjuna  in  lautes  Lachen 
ausbrechen.  Dieser  Spott  kränkte  den  ohnehin  von  Neid  erfüllten 
Duryodhana  aufs  tiefste.  Mit  den  bittersten  Gefühlen  des  Neides  und 
des  Hasses  verabschiedet  er  sich  von  seinen  Vettern  und  kehrt  nach 
Hastinäpura  zurück. 

Das  Würfelspiel. 
In  bitteren  Worten  klagt  Duryodhana  dem  Oheim  Sakuni  sein 
Leid.  Nicht  ertragen  könne  er  die  Schmach,  seine  Feinde  solche 
Triumphe  feiern  zu  sehen ;  und  da  er  keine  Mittel  und  Wege  sehe,  den 
Pändavas  beizukommen,  werde  er  durch  Feuer,  Gift  oder  Wasser 
seinem  Leben  ein  Ende  machen.  Da  macht  ^akuni  den  Vorschlag,  es 
solle  ein  Würfelspiel  veranstaltet  und  Yudhisthira  dazu  eingeladen 
werden;  er,  §akuni,  der  ein  gewandter  Spieler  sei,  werde  dem  Yudhi- 
sthira leicht  sein  ganzes  Reich  abgewinnen.  Sogleich  begeben  sie  sich 
zu  dem  alten  König  Dhftarästra,  um  dessen  Zustimmung  zu. dem  Plane 

')  Hier  endet  das  Adiparvan  oder  das  erste  Buch  des  Mahä- 
bhärata. 


—     288     — 

zu  erlangen.  Dieser  will  zwar  anfangs  nichts  davon  wissen  und  will 
sich  jedenfalls  erst  mit  seinem  weisen  Bruder  Vidura  beraten;  aber 
da  Duryodhana  ihm  vorhält,  dafs  Vidura  immer  nur  die  Partei  der 
Pändavas  ergreife,  läfst  sich  schliefslich  der  alte,  schwache  König  iäber- 
reden  und  ordnet  das  Würfelspiel  an.  Den  Vidura  selbst  schickt  er  als 
Boten  zu  Yudhisthira,  um  diesen  zum  Spiele  einzuladen.  Vidura  warnt 
den  König  und  verhehlt  ihm  nicht,  dafs  er  befürchte,  es  werde  grofses 
Unheil  aus  diesem  Würfelspiel  entstehen.  Diese  Besorgnis  hat  auch 
Dhrtarästra  selbst,  aber  er  glaubt,  dem  Schicksal  seinen  Lauf  lassen 
zu  müssen.  So  begibt  sich  denn  Vidura  an  den  Hof  des  Königs 
Yudhisthira,  um  die  Einladung  zum  Würfelspiel  zu  überbringen.  Auch 
dieser  beruft  sich  auf  die  unwiderstehliche  Macht  des  Schicksals,  in- 
dem er  der  Einladung,  wenn  auch  widerwillig,  Folge  leistet.  Und  be- 
gleitet von  seinen  Brüdern  und  DraupadI  mit  den  übrigen  Frauen  des 
Haushaltes,  macht  er  sich  auf  den  Weg  nach  Hastinäpura.  Im  Palaste 
des  Dhrtarästra  werden  die  Gäste  von  den  Verwandten  freundlich  be- 
grüfst  und  mit  grofsen  Ehren  aufgenommen. 

Am  nächsten  Morgen  begeben  sich  Yudhisthira  und  seine  Brüder 
in  die  Spielhalle,  wo  bereits  die  Kauravas  versammelt  sind,  l^akuni 
fordert  den  Yudhisthira  zum  Spiel  heraus,  dieser  macht  einen  Einsatz  — 
und  verliert.  Und  nacheinander  setzt  er  alle  seine  Schätze  und  Reich- 
tümer an  Gold  und  Edelsteinen  ein,  seinen  Prachtwagen,  seine 
Sklavinnen  und  Sklaven,  Elefanten,  Wagen  und  Rosse  —  und  jedesmal 
verliert  er.  Da  wendet  sich  Vidura  au  Dhrtarästra  und  rät  ihm,  sich 
von  seinem  Sohn  Duryodhana.  der  den  Untergang  der  ganzen  Familie 
herbeiführen  werde,  loszusagen  und  die  Fortsetzung  des  Spieles  zu 
verbieten.  Nun  fällt  Duryodhana  mit  den  heftigsten  Schmähungen 
über  Vidura  her,  den  er  einen  Verräter  schilt  —  eine  Schlange,  welche 
die  Kauravas  an  ihrem  Busen  genährt  — ,  denn  stets  spreche  er  nur 
zugunsten  ihrer  Feinde.  Vidura  wendet  sich  vergebens  an  Dhrtarästra. 
Sakuni  aber  fragt  den  Yudhisthira  mit  Hohn,  ob  er  noch  etwas  ein- 
zusetzen habe.  Yudhisthira  ist  nun  von  wilder  Spielleidenschaft  er- 
griffen und  setzt  seine  ganze  Habe,  seine  Rinder  und  all  sein  Vieh 
ein,  seine  Stadt,  sein  Land  und  sein  ganzes  Reich  -  und  v<-rspielt 
alles.  Auch  die  Prinzen,  dann  die  Brüder  Nakula  und  Sahadeva 
setzt  er  ein  und  verliert  sie.  Von  Sakuni  gereizt,  läfst  er  sich  auch 
verleiten,  Arjuna  und  Bhlma  einzusetzen  und  auch  diese  verliert  er. 
Endlich  macht  er  sich  selbst  zum  Einsatz,  und  wieder  gewinnt 
Sakuni.  Höhnend  bemerkt  Sakuni,  Yudhisthira  habe  schlecht  daran 
getan,  sich  selbst  zum  Einsatz  zu-  machen,  er  habe  ja  noch  einen 
Schatz,  um  den  er  spielen  könne  —  DraupadI,  die  Paficalakönigs- 
tochter.    Und  zum  Entsetzen  aller  anwesenden  Alten  •)  —  des  Bhlsma, 

')  Es  ist  sehr  beachtenswert,  dafs  diese  Unparteiischen  und  Wohl- 
gesinnten es  ruhig  hixmehmen,  dafs  Yudhisthira  seine  Brüder  und 
sich  selbst  verspielt,  während  es  ihnen  als  etwas  Ungeheuerliches 
erscheint,  dafs  er  die  gemeinsame  Gattin  einsetzt. 


—    289     - 

des  Dro^a,  des  Krpa  und  des  Vidura  —  erklärt  Yudhisthira,  um  die 
schöne  Draupadl  als  Einsatz  spielen  zu  wollen.  Unter  allgemeiner 
Aufregung  fallen  die  Würfel  —  und  abermals  hat  §akuni  gewonnen. 
Lachend  fordert  Duryodhana  den  Vidura  auf,  die  Draupadl  herbei- 
Äubringen,  damit  sie  die  Zimmer  fege  und  sich  zu  den  Mägden  ge- 
selle. Vidura  weist  ihn  zurecht  und  warnt  ihn,  dafs  er  durch  sein 
Benehmen  nur  den  Untergang  der  Kauravas  heraufbeschwöre; 
Draupadl  sei  auch  gar  nicht  zur  Sklavin  geworden,  denn  Yudhisthira 
habe  sie  erst  eingesetzt,  als  er  schon  nicht  mehr  Herr  über  sich  selbst 
gewesen.  Da  sendet  Duryodhana  einen  Süta  als  Boten  zu  Draupadi, 
um  sie  zu  holen.  Diese  läfst  fragen,  ob  Yudhisthira  zuerst  sich 
selbst  oder  sie  verspielt  habe.  Duryodhana  sendet  die  Antwort:  sie 
möge  in  die  Spielhalle  kommen  und  selbst  diese  Frage  stellen.  Da 
sie  sich  weigert  und  den  Boten  immer  wieder  unverrichteter  Sache 
zurückschickt,  fordert  Duryodhana  seinen  Bruder  Dussäsana  auf,  sie 
mit  Gewalt  herbeizubringen.  Dieser  begibt  sich  in  das  Frauengemach, 
und  bald  bringt  er  die  sich  sträubende  Draupadi  —  die  unwohl  und 
daher  nur  mit  dürftigem  Gewände  begleitet  ist  —  bei  den  Haaren  in 
die  Versammlung  geschleppt.  Bitter  klagt  sie,  dals  keiner,  nicht 
einmal  Bhisma  und  Drona,  sich  ihrer  annehme,  und  einen  ver- 
zweifelten Blick  wirft  sie  auf  die  Pä^davas.  Diesen  aber  bereitete 
der  Verlust  ihrer  Habe  und  ihrer  Herrschaft  nicht  solchen  Schmerz, 
wie  dieser  von  Scham  und  Zorn  erfüllte  Blick  der  Draupa^Ai.  Da 
kann  Bhima  nicht  länger  an  sich  halten,  er  macht  dem  Yudhisthira 
heftige  Vorwürfe,  dafs  er  die  Draupadi  eingesetzt,  und  will  sich  schon 
an  ihm  vergreifen.  Arjuna  aber  weist  ihn  zurecht:  Yudhisthira  müsse 
immer  als  der  Älteste  anerkannt  und  geachtet  werden.  Nun  fordert 
Vikarija,  einer  der  jüngsten  Brüder  des  Duryodhana,  die  Versammelten 
auf,  die  Frage  der  Draupadi,  ob  sie  rechtens  verspielt  sei,  zu  beant- 
worten. Und  da  alle  schweigen,  verneint  er  selbst  die  Frage. 
Kari?a  aber  erklärt  dagegen,  die  Kauravas  hätten  alles  gewonnen, 
und  deshalb  gehöre  ihnen  auch  die  Gattin  der  Pä^ijavas.  Sogar  die 
Kleider  müsse  man  den  Pä^davas  sowohl  als  auch  der  Draupadi  ab- 
nehmen, denn  auch  diese  seien  ihnen  abgewonnen.  Und  die  Panda vas 
legen  ihre  Oberkleider  ab,  während  Dussäsana,  dem  Winke  des  Karna 
folgend,  sich  daran  macht,  der  Draupadi  ihr  Gewand  vom  Leibe  zu 
reifsen.  Sie  aber  betet  zu  Gott  Vis^u,  der  bewirkt,  dafs  sie  immer 
bekleidet  bleibt,  so  oft  ihr  auch  Dussäsana  die  Hülle  ertreilst.  Bhima 
aber  spricht  den  fürchterlichen  Eid  aus: 

»Höret  dieses  mein  Wort,  ihr  Krieger  aller  Welt,  ein  V/ort,  wie 
es  nie  vorher  von  Männern  gesprochen  worden,  wie  es  nie  wieder  ein 
Mann  sprechen  wird.  Nie  möge  ich  zur  Stätte  meiner  Ahnen  ge- 
langen, wenn  ich  nicht  erfülle,  was  ich  gesprochen,  —  wenn  ich  nicht 
im  Kampfe  aufreifse  die  Brust  und  trinke  das  Blut  dieses  bösen, 
törichten  Auswürflings  der  Bhäratas.« 

Entsetzen  ergreift  alle  Krieger  und  Helden  bei  diesen  fürchter- 
lichen Worten.    Doch  vergebens  mahnt  Vidura  die  Anwesenden  an 


—    290    — 

ihre  Pflicht,  die  Rechtsfrage  zu  iftitscheiden,  ob  Draupadi  von  den 
Kauravas  gewonnen  sei  oder  nicht.  Vergebens  iammert  und  weint 
Draupadi  und  fordert  ihre  Verwandten  auf,  ihre  Frage  zu  beant- 
worten. Selbst  der  fromme  und  rechtskundige  Bhlsraa  weifs  nichts 
weiter  zu  sagen,  als  dafs  das  Recht  eine  heikle  Sache  sei,  und  dafs  in 
dieser  Welt  Macht  vor  Recht  gehe.  Yudhisthira  sei  ja  ein  Muster 
von  Gerechtigkeit,  er  möge  selbst  entscheiden.  Höhnisch  fordert  auch 
Duryodhana  den  Yudhisthira  auf,  seine  Meinung  zu  sagen,  ob  er 
Draupadi  für  gewonnen  erachte  oder  nicht.  Und  da  Yudhisthira  wie 
geistesabwesend  dasitzt  und  nichts  antwortet,  lälst  sich  Duryodhana 
zu  der  unerhörtesten  Schmähung  der  Pändavas  hinreifsen:  er  entblöfst 
seinen  linken  Schenkel  vor  den  Augen  der  Draupadi.  Da  spricht 
Bhima  die  schrecklichen  Worte:  »Nie  soll  Bhima  mit  seinen  Vätern 
vereinigt  werden,  wenn  ich  dir  nicht  in  der  Schlacht  diesen  Schenkel 
mit  der  Keule  zerschmettere.« 

W^ährend  noch  weitere  Reden  gewechselt  werden,  hört  man  im 
Hause  des  Dhrtarästra  das  laute  Schreien  eines  Schakals  und  andere 
unheilverkündende  Vorzeichen.  Durch  diese  erschreckt,  fühlt  sich 
endlich  der  alte  König  Dhrtarästra  veranlafst,  einzugreifen.  In  heftigen 
Worten  tadelt  er  den  Duryodhana.  Dann  besänftigt  er  die  Draupadi 
und  stellt  ihr  einen  Wunsch  frei.  Sie  wählt  sich  die  Freiheit  ihres 
Gatten 'Yudhisthira.  Er  gewährt  ihr  einen  zweiten  Wunsch,  und  sie 
wählt  die  Freilassung  der  übrigen  vier  Pändavas.  Als  er  ihr  aber  noch 
einen  dritten  Wunsch  freistellt,  sagt  sie,  dafs  sie  nun  nichts  mehr  zu 
wünschen  habe,  denn  die  Pändavas  würden,  sobald  sie  nur  frei  ge- 
worden, selbst  gewinnen,  was  sie  brauchten.  Karna  aber  spottet  nun: 
Draupadi  sei  das  Boot  geworden,  auf  welchem  die  Pändavas  sich  aus 
der  Gefahr  gerettet  hätten.  Bhima  entbrennt  in  Wut  und  zweifelt, 
ob  er  nicht  die  Kauravas  auf  der  Stelle  niederschlagen  soll.  Arjuna 
aber  besänftigt  ihn,  und  Yudhisthira  verbietet  jeden  Streit.  Der  König 
Dhrtarästra  aber  gibt  dem  Yudhisthira  sein  Königreich  zurück  und 
ermahnt  ihn,  alles  Vergangene  vergessen  sein  zu  lassen.  So  kehren 
sie  denn  beruhigt  wieder  nach  Indraprastha  zurück. 

Das  zweite  W^ürfelspiel  und   die  Verbannung 
der  Pändavas. 

Kaum  aber  haben  sich  die  Pändavas  entfernt,  so  besiürmen 
Duryodhana,  Dussäsana  und  Sakuni  wieder  den  alten  König,  halten 
ihm  vor,  welche  Gefahr  den  Kauravas  von  Seiten  der  nun  so  schwer 
beleidigten  Pändavas  drohe,  und  überreden  ihn,  zu  einem  neuen 
Würfelspiel  seine  Zustimmung  zu  geben.  Diesmal  soll  derjenige, 
welcher  verliert,  auf  zwölf  Jahre  in  die  Verbannung  in  den  Wald 
gehen,  sich  im  dreizehnten  Jahre  irgendwo  unter  Menschen  unerkannt 
aufhalten  und  erst  im  vierzehnten  Jahre  wieder  zurückkehren  dürfen. 
Sollte  er  aber  im  dreizehnten  Jahre  erkannt  werden,  so  müfste  er 
abermals  auf  zwölf  Jahre  in  die  Verbannung  gehen.    Vergebens  be- 


—    291     — 

müht  sich  Gändhän,  des  Königs  Gattin,  diesen  zu  überreden,  dafs  er 
sich  von  seinem  bösen  Sohne  Duryodhana  lossage,  um  nicht  an  dem 
Untergange  aller  Kauravas  schuldig  zu  werden.  Verblendet  gibt  er 
seine  Zustimmung;  und  ein  Bote  wird  abgeschickt,  der  die  Pändavas 
noch  auf  ihrem  Heimwege  trifft  Vom  Schicksal  verwirrt,  leistet 
Yudhisthira  der  Aufforderung  zum  abermaligen  Würfelspiel  Folge. 
Alle  kehren  sie  wieder  zurück,  das  Spiel  beginnt  von  neuem,  und  er 
verliert  wieder.  Nun  müssen  sie  auf  dreizehn  Jahre  in  die  Verbannung 
ziehen. 

In  Antilopenfelle  gekleidet,  schicken  sich  die  Pändavas  an,  in 
den  Wald  zu  gehen.  Duryodhana  und  Dussäsana  triumphieren  und 
machen  sich  über  sie  lustig.  Bhlraa  aber  schleudert  ihnen  beiden  furcht- 
bare Drohworte  zu.  Wie  Duryodhana  ihre  Herzen  mit  spitzen  Worten 
durchbohre,  so  werde  er  dessen  Herz  in  der  Schlacht  durchbohren. 
Und  noch  einmal  schwört  er,  das  Blut  des  Dussäsana  zu  trinken. 
Arjuna  verspricht  den  Karna,  Sahadeva,  den  Sakuni,  und  Nakula,  die 
übrigen  Söhne  des  Dhrtarästra  zu  töten.  Yudhisthira  aber  nimmt 
von  Dhrtarästra,  BhTsma  und  den  übrigen  Kauravas,  am  herzlichsten 
aber  von  dem  weisen  und  guten  Vidura  Abschied.  Die  Mutter  der 
Pändavas,  KuntI,  bleibt  im  Hause  des  Vidura  zurück.  Draupadl  aber 
folgt  den  Gatten  in  die  Verbannung,  und  rührend  ist  der  Abschied, 
den  sie  von  ihrer  Schwiegermutter  nimmt.  Mit  tränenvollen  Klagen 
sieht  KuntI  ihre  Kinder  in  die  Verbannung  ziehen.  Diese  aber,  mit 
Ausnahme  des  sanften  Yudhisthira,  geloben  alle,  im  vierzehnten  Jahre^ 
blutige  Rache  an  den  Kauravas  zu  nehmen.  Unglück  bedeutende 
Vorzeichen  und  die  prophetischen  Worte  des  Himmelsboteh  Närada 
künden  dem  König  Dhrtarästra  den  Untergang  seines  Geschlechtes  an, 
und  er  empfindet  bittere  Reue  darüber,  dafs  er  seine  Zustimmung  zum 
Würfelspiel  und  zur  Verbannung  gegeben'). 

Das  zwölfjährige  Waldleben  der  Pändavas*). 

Zahlreiche  Bürger  von  Hastinäpura  gaben  den  Pändavas  das 
Geleite  in  den  Wald,  und  es  kostete  dem  Yudhisthira  einige  Mühe, 
sie  zur  Rückkehr  zu  bewegen.  Mehrere  Brahmanen  aber  blieben 
längere  Zeit  bei  ihm.  Um  sie  ernähren  zu  können,  übte  er  Askese 
und  betete  zu  dem  Sonnengott,  worauf  er  von  diesem  einen  kupfernen 
Kochtopf  erhielt,  der  sich  auf  Wunsch  von  selbst  füllte.  Damit  speiste 
er  die  Brahmanen  und  zog  dann  weiter  nach  Norden  zu  in  den 
Kämyakawald.  Dem  menschenfressenden  Räksasa  Kirmira,  einem 
Bruder  Bakas  und  Freund  Hidimbas,  der  diesen  Wald  unsicher  machte, 
wurde  von  Bhlma  bald  der  Garaus  gemacht. 

Mittlerweile  hatte  Dhrtarästra  eine  Unterredung  mit  Vidura.  Dieser 


')  Hier  endet  das  Sabhäparvan.  das  zweite  Buch. 
^)  Dieses  bildet   den  Inhalt  des   umfangreichen   dritten  Buches, 
Vanaparvan  (»Waldabschnitt«)  genannt. 

Wintcrnit«,  Geschichte  Jcr  indischen  Litteratur.  20 


__     292     

rät  dem  König,  die  Pä^davas  aus  der  Verbannung  zurückzurufen  und 
sich  mit  ihnen  zu  versöhnen.  Dhrtarästra  ist  erzürnt  darüber,  dafs 
Vidura  stets  die  Partei  der  Pä^davas  ergreife,  und  entläfst  ihn  un- 
gnädig mit  den  Worten,  er  möge  hingehen,  wohin  er  wolle.  Vidura 
begibt  sich  zu  den  Pä^davas  in  den  Kämyakawald  und  erzählt  ihnen 
das  Vorgefallene.  Sehr  bald  aber  bereut  der  alte  König  seine  Heftig- 
keit, und  er  sendet  den  Wagenlenker  Sanjaya,  um  seinen  Bruder 
Vidura  wieder  zurückrufen  zu  lassen.  Dieser  kehrt  denn  auch  alsbald 
zurück,  und  es  findet  wieder  eine  völlige  Versöhnung  zwischen  den 
beiden  Brüdern  statt. 

Als  die  Freunde  und  Verwandten  der  Pä^davas  von  deren  Ver- 
bannung hörten,  kamen  sie  zu  ihnen  in  den  Wald,  um  sie  zu  be- 
suchen. Einer  der  ersten  war  natürlich  Krsna.  Als  das  W^ürfeJspiel 
stattfand,  war  er  gerade  in  einen  Krieg  verwickelt  gewesen,  weshalb 
er  seinen  Freunden  nicht  beistehen  konnte.  Wäre  er  bei  ihnen  ge- 
wesen, so  hätte  er  das  Spiel  gewils  verhindert.  Auf  den  Vorschlag 
des  Krsna  aber,  den  Duryodhana  zu  bekriegen  und  den  Yudhisthira 
wieder  in  die  Herrschaft  einzusetzen,  will  Yudhisthira  nicht  eingehen, 
trotzdem  Draupadi  in  bitteren  Worten  über  die  ihr  von  den  Kauravas 
angetane  Schmach  klagt.  Wiederholt  bestürmen  auch  später  Draupadi 
und  Bhlma  den  Yudhisthira,  er  möge  sich  aufraffen  und  sich  mit 
Gewalt  seines  Thrones  wieder  bemächtigen.  Yudhisthira  erklärt  aber 
immer  wieder,  er  müsse  seinem  gegebenen  Worte  treu  bleiben  und 
zwölf  Jahre  im  Walde  zubringen,  ßhlma  wirft  ihm  Unmännlichkeit 
vor;  des  Kriegers  erste  Pflicht  sei  der  Kampf.  Dreizehn  Monate  seien 
bereits  verflossen,  Yudhisthira  möge  sie  für  dreizehn  Jahre  ansehen, 
oder  er  könne  den  Wortbruch  auch  durch  ein  Sühneopfer  wieder  gut 
machen.  Da  wendet  Yudhisthira  auch  ein,  dafs  Duryodhana  an 
Bhisma,  Droija,  Krpa  und  Kari^a  mächtige  und  unüberwindliche  Bundes- 
genossen habe.  In  dem  Augenblicke  erscheint  wieder  einmal  der  alte 
Rsi  Vyäsa  und  verleiht  dem  Yudhisthira  einen  Zauber,  mit  Hilfe  dessen 
Ärjuna  von  den  Göttern  himmlische  Waffen  erlangen  werde,  die  ihnen 
zum  Sieg  über  die  Kauravas  helfen  würden.  So  sendet  denn  bald 
darauf  Yudhisthira  den  Arjuna  zu  Indra,  damit  er  sich  die  himm- 
lischen Waffen  verschaffe.  Arjuna  wandert  in  den  Himälaya.  wo  ihm 
Indra  in  Gestalt  eines  Asketen  begegnet.  Dieser  schickt  ihn  zu  Siva, 
der  erst  die  Erlaubnis  zur  Ausfolgung  der  Waffen  an  Arjuna  geben 
müsse.  Da  übt  Arjuna  grofse  Askese,  worauf  ihm  §iva  in  Gestalt 
eines  Kiräta,  eines  wilden  Bergbewohners,  erscheint.  Arjuna  lälst  sich 
in  einen  heftigen  Kampf  mit  dem  vermeintlichen  Kiräta  ein,  bis  dieser 
sich  als  Gott  Siva  entpuppt  und  ihn  mit  unwiderstehlichen  Waffen  be- 
schenkt. Auch  die  Welthüter  Yama,  V^armia  und  Kubera  erscheinen 
alsbald  und  verleihen  ihm  ihre  Waffen.  Mätali  aber,  Indras  Wagen 
lenker,  führt  ihn  in  die  himmlische  Stadt  des  Indra,  wo  er  noch  mehr 
Waffen  erhält.  In  Indras  Himmel  lebt  er  fünf  Jahre  lang  sehr  ver- 
gnügt. Ein  Gandharva  gibt  ihm  hier  auf  Indras  Befehl  Unterricht  in 
Gesang  und  Tanz. 


—    293    — 

Unterdessen  leben  die  übrigen  Panda vas  im  Walde  von  der  Jagd 
und  ernähren  sich  kümmerlich  von  wilden  Tieren,  Wurzeln  und  Früchten 
Da  Arjuna  so  lange  fem  bleibt,  sind  sie  sehr  besorgt  um  ihn.  Wohl 
kommt  der  Rsi  Lomaäa,  der  zufällig  in  Indras  Himmel  einen  Besuch 
gemacht  hat!  zu  ihnen  und  tröstet  sie,  dafs  Arjuna  wohlbehalten  bei 
Indra  weile.  Aber  sie  sind  doch  nicht  beruhigt  und  machen  sich  auf, 
Arjuna  zu  suchen.  Sie  wandern  in  das  Gandhamädanagebirre,  wo  sie 
durch  einen  furchtbaren  Sturm  und  ein  gewaltiges  Gewitter  sehr  er- 
schreckt werden.  Draupadi  wird  vor  Schrecken  und  Müdigkeit  ohn- 
mächtig. Da  denkt  Bhlma  an  seinen  Sohn  Ghatotkaca,  den  er  mit  der 
Riesin  Hi<Jimbä  gezeugt;  und  dieser  Räksasa  erscheii.t  sofort  und 
nimmt  Draupadi  auf  den  Rücken;  er  ruft  auch  andere  Räksasas  herbei, 
welche  die  Pändavas  auf  den  Rücken  nehmen,  und  so  werden  sie  alle 
bis  zu  einer  Einsiedelei  an  dem  Ganges  in  der  Nähe  des  Götterberges 
Kailäsa  getragen,  wo  sie  unter  einem  mächtigen  Badaribaum  Aufent- 
halt nehmen. 

Da  Draupadi  ein  Verlangen  nach  himmlischen  Lotusblumen  hat, 
durchstreift  Bhima  die  Bergeswildnis  —  zum  Schrecken  der  wilden 
Tiere.  Denn  er  erschlägt  einen  wilden  Elefanten  mit  dem  andern, 
einen  Löwen  mit  dem  andern ,  wenn  er  sie  nicht  einfach  mit  einem 
Schlage  seiner  Faust  tötet.  Hier  trifft  er  auch  den  Affenkönig 
Hanumat,  der  ihm  den  Weg  versperrt  und  ihn  warnt,  nicht  weiter 
2u  gehen,  wo  nur  die  Unsterblichen  gehen  könnten.  Bhima  aber  sagt 
ihm,  mit  wem  er  es  zu  tun  habe,  und  heifst  ihn  aus  dem  Wege  gehen. 
Der  Affe  rührt  sich  nicht,  gibt  vor,  krank  zu  sein  und  sagt,  Bhima 
möge  nur  seinen  Schwanz  beiseite  schieben,  um  vorbeizukommen. 
Vergebens  versucht  nun  Bhima,  den  Schwanz  des  Affen  aufzuheben. 
Da  gibt  sich  ihm  dieser  lächelnd  als  der  »aus  dem  Ramäyana  rühm-« 
liehst  bekannte« ')  Hanumat  zu  erkennen.  Bhima  ist  nun  sehr  erfreut, 
seinen  Bruder  —  beide  sind  nämlich  Söhne  des  Windgottes .—  zu 
sehen  und  läfst  sich  mit  ihm  in  eine  Unterhaltung  ein.  Schliefshch  zeigt 
Hanumat  dem  Bhima  den  Weg  zu  Kuberas  Garten ,  warnt  ihn  aber, 
dort  Blumen  zu  pflücken,  worauf  sie  herzlichen  Abschied  voneinander 
nehmen.  Bald  darauf  kommt  Bhima  zum  Lotusteiche  und  Garten  des 
Kubera.  wo  die  himmlischen  Lotusse  wachsen.  Räksasas  stellen  sich 
ihm  entgegen  und  verbieten  ihm,  Blumen  zu  nehmen;  er  müsse  jeden- 
falls den  Kubera  erst  um  Erlaubnis  bitten.  Bhima  erwidert:  Ein 
Krieger  bittet  nicht,  sondern  nimmt  sich,  was  er  will.  Er  kämpft  mit 
den  Räksasas,  schlägt  sie  in  die  Flucht  und  pflückt  die  Blumen. 

Unter  verschiedenen  Abenteuern  und  Kämpfen  mit  Räksasas 
kommt  das  fünfte  Jahr  heran,  in  welchem  Arjuna  vom  Himmel  zurück- 
kehren soll.  Um  ihn  zu  treffen,  begeben  sich  die  Brüder  auf  den  .weifsen 
Berg,  (den  Götterberg  Kailäsa).  Wieder  gerät  Bhima  in  einen  Kampf 
mit  Yaksas  und  Räksasas,  Wächtern  von  Kuberas  Garten,  und  er- 

^')l»7Tpricht  von  ihm  Bhima  Mahäbh.  HI,  147.  11.  Hanumat  gibt 
hier  einen  kurzen  Auszug  aus  dem  Ramäyana. 

mV 


—    294    — 

schlägt  viele  von  ihnen,  unter  anderen  auch  den  Manimat,  der  einmal 
dem  heiligen  Rsi  Agastya  auf  den  Köpf  gespuckt  hatte,  wofür  Kubera 
von  dem  Rsi  verflucht  wurde.  Durch  die  Tat  des  Bhlma  ist  nun 
Kubera  von  dem  Fluche  befreit.  Darum  ist  er  dem  Bhlma  wegen 
des  unter  den  Dämonen  angerichteten  Blutbades  auch  gar  nicht  böse, 
sondern  begrüfst  ihn  und  seine  Brüder  sehr  freundlich. 

Auf  dem  herrlichen  Berge  treffen  sie  endlich  wieder  mit  Arjuua 
z\isammen,  der  in  Indras  Wagen,  den  Mätali  lenkt,  herangefahren 
kommt.  Nach  herzlichster  Begrüfsung  erzählt  ihnen  Arjuna  alle  seine 
Erlebnisse  und  Abenteuer,  insbesondere  auch,  wie  er  mit  den  am 
Meere  wohnenden  Nivätakavaca- Dämonen  und  den  Bewohnern  de'r 
durch  die  Luft  fliegenden  Stadt  Hiranyapura  siegreich  gekämpft  hat. 

Die  Päncjavas  leben  nun  vergnügt  in  den  Lusthainen  des  Kubera 
und  verbringen  vier  Jahre  wie  eine  einzige  Nacht.  Um  aber  nicht 
von  ihren  irdischen  Sorgen  und  Kämpfen  abgelenkt  zu  werden,  be- 
schliefsen  sie,  die  himmlischen  Regionen  zu  verlassen.  Nachdem  sie 
vom  Kailäsa  herabgestiegen,  begeben  sie  sich  in  die  Berge  und  Wälder 
an  der  Jamnä. 

Hier  erlebte  Bhlma  ein  unangenehmes  Abenteuer,  wobei  ihm 
Yudhisthira  das  Leben  rettete.  Im  Walde  herumstreifend,  erblickt  er 
eine  ungeheuere  Schlange,  welche  sich  wütend  auf  ihn  stürzt  und  ihn 
fest  umschlingt,  so  dafs  er  sich  nicht  losmachen  kann.  So  findet  ihn 
sein  Bruder  Yudhisthira.  Die  Schlange  aber  ist  niemand  anders  als 
der  berühmte  alte  König  Nahusa,  der  infolge  eines  Fluche?  des 
Agasi.  a  aus  dem  Himmel  hinausgeworfen  und  in  eine  Schlange  ver- 
wandelt worden  ist.  Von  dem  Fluche  aber  soll  er  nicht  früher  befreit 
werden,  bis  er  jemand  findet,  der  alle  von  ihm  gestellten  Fragen  be- 
*antwortet.  Yudhisthira  beantwortet  ihm  seine  philosophischen  Fragen 
zur  Zufriedenheit,  worauf  er  den  Bhlma  losläfst  und  selbst,  vom 
Schlangenzustand  bei  reit,  wieder  in  den  Himmel  zurückkehrt. 

Bald  darauf  begeben  sie  sich  wieder  in  den  Kämyakawald.  Hier 
empfangen  sie  abermals  den  Besuch  des  Krsna.  Er  bringt  der 
DraupadT  erwünschte  Nachricht  über  ihre  Kinder  und  fordert  den 
Yudhisthira  auf,  sich  Bundesgenossen  für  den  Kampf  mit  den  Kauravas 
zu  sichern  und  sonstige  Vorbereitungen  für  den  Krieg  zu  treffen, 
Yudhisthira  aber  versichert  wie  immer,  dafs  er  seinem  gegebenen  Wort 
treu  bleiben  und  vor  Ablauf  des  dreizehnten  Jahres  nicht  an  Kampf 
denken  wolle. 

Häufig  erhalten  die  Pändavas  im  Walde  auch  Besuche  von 
frommen  Brahmanen.  Einer  von  diesen  begibt  sich  von  den  Pändavas 
an  den  Hof  des  Königs  Dhrtarästra  und  erzählt  dort,  wie  sehr  schlecht 
es  den  Pändavas  und  besonders  der  Draupadi  im  Kampfe  mit  Wind 
und  Wetter  in  der  Wildnis  ergehe.  Während  der  alte  König  darüber 
voll  Reue  jammert,  freut  sich  sein  Sohn  Duryodhana  herzlich.  Und 
von  Sakuni  und  Karna  angestachelt,  beschliefst  er,  die  Pändavas  im 
Walde  zu  besuchen,  um  sich  an  ihrem  Elend  zu  weiden.  Dem 
Dhrtarästra  gegenüber  wird  die  Ausrede  gebraucht,  dafs  sie  die  in 


—    295    — 

der  Nähe  des  Waldes  befindlichen  Viehstationen  besuchen  milfsten, 
um  die  Herden  zu  besichtigen,  das  Vieh  zu  zählen  und  die  jungen 
Kälber  zu  bezeichnen.  Mit  grofseni  Trofs  ziehen  sie  aus,  besorgen 
die  Besichtigung  der  Rinder  und  ergeben  sich  dem  Vergnügen  der 
Jagd.  Wie  sie  aber  in  die  Nähe  des  Aufenthaltsortes  der  Pä94avas 
gelangen  wollen,  werden  sie  von  Gandharvas  aufgehalten.  Es  kommt 
zu  einem  Kampfe,  in  welchem  Duryodhana  vom  Gandharvakönig 
schmählich  gefangen  genommen  wird.  Die  Kauravas  eilen  zu  den 
Pändavas  um  Hilfe,  die  der  edle  Yudhisthira  nicht  versagt.  Nach 
heftigem  Kampfe  wird  Duryodhana  durch  die  Pändavas  aus  der  Ge- 
fangenschaft des  Gandharvakönigs  befreit.  Voll  Scham  und  Schmerz 
über  diese  Demütigung  will  sich  Durj'odhana  das  Leben  nehmen. 
Nur  mit  Mühe  gelingt  es  seinen  Freunden,  ihn  von  seinen  Selbstmord- 
gedanken abzubringen. 

Karna  hat  nun  einen  neuen  Plan,  um  die  Pändavas  zu  ärgern. 
Er  unternimmt  einen  grofsen  Eroberungszug  in  alle  vier  Welt- 
gegenden, um  für  Duryodhana  die  Weltherrschaft  zu  erringen,  damit 
auch  er  ein  grofses  Königsopfer  feiern  könne.  Nach  dem  siegreich 
vollendeten  Eroberungszug  wird  in  der  Tat  ein  grofses  Opfer  ge- 
feiert; da  aber  ein  Räjasuyaopfer  in  einer  und  derselben  Familie  nur 
einmal  dargebracht  werden  kann  und  Yudhisthira  schon  ein  solches 
vollzogen  hat,  ist  es  ein  anderes  Opfer,  Vaisijava  genannt,  welches 
nur  der  Gott  Visnu  selbst  dargebracht  haben  soll.  Um  die  Pändavas 
zu  kränken,  lädt  Duryodhana  sie  zu  diesem  grofsen  Opferfeste  ein. 
Yudhisthira  lehnt  höflich  ab,  während  Bhima  durch  den  Boten  sagen 
läfst,  die  Pändavas  würden  nach  dem  dreizehnten  Jahre  im  Opfer  der 
Schlacht  das  Opferschmalz  ihres  Zornes  über  die  Kauravas  ausgiefsen. 

Im  letzten  Jahre  ihres  Waldaufenthaltes  drohte  den  Pändavas 
noch  ein  grofser  Verlust.  Als  eines  Tages  sämtliche  Brüder  auf  der 
Jagd  waren,  wurde  ihre  Gattin  Draupadl,  die  allein  zurückgeblieben 
war,  von  dem  vorüberkommenden  König  der  Sindhus,  Jayadratha, 
geraubt.  Die  Pändavas  verfolgen  ihn  .alsbald,  er  wird  besiegt  und  von 
Arjuna  und  Bhima  gezüchtigt  und  gedemütigt.  Bhlma  hätte  ihn 
gerne  getötet,  aber  Yudhisthira  schenkt  ihm,  da  er  ein  Schwiegersohn 
des  Dhrtarästra  ist,  das  Leben. 

Über  den  Raub  der  Draupadl  sind  die  Pändavas  sehr  betrübt. 
Sie  fühlen  sich,  trotzdem  Jayadratha  bestraft  worden  ist,  doch  ge- 
demütigt. Yudhisthira  namentlich  ist  oft  in  trüber  Stimmung,  macht 
sich  wohl  auch  Vorwürfe  wegen  des  von  ihm  verschuldeten  Unglücks 
und  beklagt  insbesondere  das  traurige  Los  der  Draupadl.  Von  den 
Kauravas  aber  fürchtet  Yudhisthira  keinen  so  sehr  als  den  Karna, 
der  mit  einem  natürlichen  Panzer  und  mit  Ohrringen,  die  ihn  un- 
verletzlich machen,  auf  die  Welt  gekommen  ist.  Um  den  Yudhisthira 
von  seiner  Angst  vor  Kar^a  zu  befreien,  erscheint  Indra  in  Gestalt 
eines  Brahmanen  vor  Kar^a  und  bettelt  ihm  den  Panzer  und  die  Ohr- 
ringe ab.  Kar^a,  der  einem  Brahmanen  nichts  abschlagen  kann,  gibt 
ihm  Panzer  und  Ohrringe,  die  er  sich,  ohne  mit  einer  Wimper  zu 


—     296    — 

zucken,  vom  Leibe  schneidet.  Als  Gegengabe  schenkt  ihm  Indra  einen 
nie  fehlenden  Speer,  den  er  aber  nur  gegen  einen  einzigen  Feind  und 
nur  bei  höchster  Gefahr  gebrauchen  darf. 

Mifsnu+!iT  wegen  des  Raubes  der  Draupadi  verliefsen  die  Pä^davas 
den  Käniyakawald  und  begaben  sich  in  den  Dvaitavana.  Dort  erlebten 
sie  ihr  letztes  Waldabenteuer.  Eine  im  Walde  herumstreifende  Anti- 
lope fängt  zufällig  mit  ihrem  Geweih  die  Feuerreibbölzer  eines  Brah- 
manen  auf  und  eilt  davon.  Der  Brahmane,  der  die  Hölzer  zum  Opfer 
braucht,  bittet  die  Panda vas,  sie  ihm  zu  verschaffen,  und  diese  ver- 
folgen das  Tier  in  heifser  Jagd,  können  es  aber  nicht  eria.?en,  und  zu- 
letzt verschwindet  es.  Sie  klagen  über  ihr  Mifsgeschick.  Matt  von 
der  erfolglosen  Jagd  und  vom  Durst  gequält,  sehen  sie  sich  nach 
Wasser  um.  Nakula  steigt  auf  einen  Baum  und  sieht  einen  Teich  in 
der  Ferne,  Von  Yudhisthira  aufgefordert,  begibt  er  sich  dahin,  um  in 
den  Köchern  Wasser  zu  holen.  Er  kommt  zu  einem  lieblichen,  von 
Kranichen  umgebenen  Teich  mit  schönem,  klarem  Wasser.  Wie  er 
aber  trinken  will,  spricht _^ein  unsichtbarer  Geist  (Yaksa)  aus  den 
Lüften:  *  Verübe  keine  Gewalttat,  Freund,  dies  ist  mein  Besitz;  erst 
beantworte  meine  Fragen,  dann  trink  und  nimm  Wasser!«  Nakula 
aber  kehrt  sich  nicht  an  diese  Worte,  trinkt  und  sinkt  leblos  zu  Boden. 
Da  er  so  lange  nicht  zurückkommt,  geht  Sahadeva,  ihn  zu  suchen; 
ihm  aber  ergeht  es  ebenso.  Nun  schickt  Yudhisthira  den  Arjuna,  dem 
es  nicht  besser  ergeht,  und  schliefslich  den  Bhima,  der  vergebens  mit 
dem  unsichtbaren  Yaksa  kämpfen  will.  Auch  er  trinkt  aus  dem  Teiche 
und  fällt  leblos  hin.  Nichts  Gutes  ahnend,  geht  endlich  Yudhisthira 
hin,  um  nach  den  Brüdern  zu  sehen.  Entsetzt  sieht  er  sie  alle  tot  da= 
liegen  und  bricht  in  Klagen  und  Jammern  aus.  Wie  er  aber  auf  den 
Teich  zugeht,  hört  er  auch  schon  die  Stimme  des  Geistes,  der  ihn  warnt 
zu  trinken,  bevor  er  seine  Fragen  beantwortet.  Yudhisthira  erklärt 
sich  bereit,  die  Fragen  zu  beantworten,  und  es  folgt  nun  ein  höchst 
interessantes  Frage-  und  Antwortspiel,  in  welchem  —  von  einigen 
Rätseln  im  Stile  der  alten  vedischen  Brahmodyas ')  abgesehen  —  fast 
die  ganze  indische  Sittenlehre  vorgetragen  wird.  Nur  ein  paar  Proben 
seien  hier  angeführt: 

Der  Yaksa:  Was  wiegt  mehr  als  die  Erde?  Was  ist  höher  als 
der  Himmel?  Was  ist  schneller  als  der  Wind?  Was  ist  zahlreicher 
als  das  Gras? 

Yudhisthira:  Die  Mutter  wiegt  mehr  als  die  Erde.  Der  Vater 
ist  höher  als  der  Himmel.  Der  Geist  ist  schneller  als  der  Wind.  Die 
Gedanken  sind  zahlreicher  als  das  Gras  « 

'Der  Yaksa:  Wer  ist  des  Reisenden  Freund?  Wer  ist  der 
Freund  des  zu  Hause  Weilenden?  Wer  ist  der  Freund  des  Kranken? 
W^er  ist  des  Sterbenden  Freund? 


M  Vgl.  oben  S.  160  f.    Das  dort  aus  Vajasaneyi-Samhita  XXIII, 
4.^  f.  zitierte  Rätsel  kehrt  hier  (Mahäbh.  III,  313,  65  f.)  wieder. 


—    297    — 

Yudhisthira:  Eine  Karawane  ist  der  Freund  des  Reisenden.  Die 
Gattin  ist  der  Freund  des  zu  Hause  Weilenden.  Der  Arzt  ist  der  Freund 
des  Kranken.    Mildtätigkeit  ist  der  Freund  des  Sterbenden.« 

»Der  Yaksa:  Wer  ist  der  schwer  zu  besiegende  Feind  und 
welches  die  endlose  Krankheit?  Welcher  Mensch  gilt  für  gut,  und 
welcher  für  schlecht? 

Yudhisthira:  Der  Zorn  ist  der  schwer  zu  besiegende  Feind. 
Gier  ist  die  endlose  Krankheit.  Wer  gegen  alle  Wesen  freundlich 
ist,  der  gilt  als  gut;  als  böse,  wer  kein  Erbarmen  kennt.« 

»Der  Yaksa:  Was  wird,  o  König,  Verblendung  genannt,  und 
was  heifst  Stolz?  Was  versteht  man  unter  Trägheit,  und  was  heilst 
Leid? 

Yudhisthira:  Verblendetsein  in  bezug  auf  Moral')  ist  Ver- 
blendung; das  Stolzsein  auf  sich  selbst  heifst  Stolz.  Untätigkeit  in 
bezug  auf  Moral  ist  Trägheit,  und  wahres  Leid  ist  die  Unwissen- 
heit.« 

»Der  Yaksa:  W^as  wird  von  den  Rsis  Festigkeit  genannt,  und 
was  wird  als  Tapferkeit  bezeichnet?  Was  nennt  man  das  beste  Bad? 
Was  heifst  Mildtätigkeit? 

Yudhisthira:  Festsein  in  der  Erfüllung  seiner  Pflicht  ist  Festig- 
keit; Tapferkeit  heifst  Bezähmung  der  Sinne.  Das  beste  Bad  ist  Be- 
freiung vom  Geistesschmutz ;  Mildtätigkeit  aber  besteht  darin,  dafs  man 
allen  Wesen  Schutz  gewährt.« 

»Der  Yaksa:  Sage  mir,  o  König,  worin,  wenn  man's  recht  be- 
denkt, besteht  die  Brahmanenschaft,  in  der  Abstammung,  im  Lebens- 
wandel, im  Vedalesen  oder  in  der  Gelehrsamkeit? 

Yudhisthira:  Höre,  mein  lieber  Yaksa!  Weder  die  Abstammung, 
noch  das  Vedalesen,  noch  die  Gelehrsamkeit  sind  der  Grund  der 
Brahmanenschaft,  sondern  nur  ein  guter  Lebenswandel  --  darüber 
kann  kein  Zweifel  sein.  Mehr  als  auf  alles  andere  mufs  der  Brahmane 
streng  auf  seinen  Lebenswandel  achten;  solange  sein  guter  Lebens- 
wandel ungeschwächt  ist,  ist  er  selber  ungeschwächt;  ist  es  mit  seinem 
guten  Lebenswandel  aus,  so  ist  es  mit  ihm  aus.  Die  da  lernen  und 
die  da  lehren  und  die  über  die  Wissenschaften  nachsinnen  —  Toren 
sind  sie  alle,  wenn  sie  den  Leidenschaften  frönen.  Wer  seine  Pflicht 
tut,  der  ist  ein  Weiser.  Ein  Bösewicht,  wenn  er  auch  alle  vier  Vedas 
kennt,  überragt  einen  ^üdra  nicht.  Wer  auch  nur  das  Feueropfer 
darbringt,  aber  seine  Sinne  bezähmt,  der  gilt  als  ein  Brahmane«  *). 

')  Es  gibt  im  Deutschen  kein  Wort,  welches  sich  mit  dem  Sanskrit- 
wort Dbarma  ganz  decken  würde.  Dharma  bedeutet  'die  Norm 
des  Handelns«,  und  schliefst  die  Begriffe  »Recht  und  Sitte,  Moral 
und  Religion,  Pflicht  und  Tugend«  ein.  Es  ist  daher  unmöglich, 
das  Wort  überall  in  gleicher  Weise  zu  übersetzen.   Vgl.  oben  S.  272. 

»)  in,  313.  Ähnliche  Definitionen  des  »Brahmanen«  sind  in 
buddhistischen  Texten  häufig.  Vgl  z.  B.  Vinayapitaka,  Mahävagga 
I,  2,  2  f.    Suttanipäta,  Väsetthasutta  und  Milindapafiha  IV,  5,  26. 


—    298    — 

Der  Yaksa  ist  von  den  Antworten  des  Yudhisthira  so  befriedigt, 
dafs  er  einen  von  seinen  Brüdern  wieder  zum  Leben  zurückrufen  will. 
Yudhisthira  möge  sich  wählen,  welcher  von  den  vier  Brüdern  wieder 
lebendig  werden  solle.  Er  wählt  den  Nakula  und  begründet  dies  damit, 
dafs  sein  Vater  zwei  Frauen  gehabt  habe  und  es  nur  recht  und  billig 
sei,  dafs  auch  ein  Sohn  der  Mädri,  der  zweiten  Frau,  lebe.  Die  Ant- 
wort befriedigt  den  Yaksa  so  sehr,  dafs  er  ihm  alle  seine  Brüder  wieder 
lebendig  macht.  Der  Yaksa  ist  aber  in  Wirklichkeit  niemand  anders 
als  Gott  Dharma  selbst,  der  » Vater ' ')  des  Yudhisthira,  der  Gott  des 
Rechts  und  der  Moral.  Bevor  er  verschwindet,  gewährt  er  den 
Pä^davas  noch  die  Gnade,  dafs  sie  im  dreizehnten  Jahre  unerkannt 
bleiben  sollen.  Denn  die  zwölf  Jahre  des  Waldlebens  sind  jetzt  vor- 
über, und  sie  müssen  nun  noch  der  Verabredung  gemäfs  das  drei- 
zehnte Jahr  unerkannt  unter  Menschen  verleben. 

Die  Pändavas  am  Hofe  des  Königs  Viräta*). 

Die  Pändavas  beschliefsen,  an  den  Hof  des  Viräta,  des  Königs 
der  Matsyas,  zu  gehen  und  sich  dort  unter  falschen  Namen  in  an- 
gemessenen Verkleidungen  einzuführen.  Ihre  Waffen  verbergen  sie  in 
der  Nähe  des  Friedhofes  vor  der  Stadt  auf  einem  Baum,  auf  welchen  sie 
einen  Leichnam  hängen,  damit  niemand  sich  in  die  Nähe  wage;  den 
Hirten,  welche  ihnen  dabei  zusehen,  sagen  sie,  das  sei  ihre  hundert- 
achtzig Jahre  alte  Mutter,  welche  sie  nach  Vätersitte  in  der  Weise 
bestatteten.  Yudhisthira  geht  nun  zuerst  zu  Viräta,  gibt  sich  für  einen 
ausgezeichneten  Würfelspieler  aus  und  wird  von  diesem  zu  seinem 
Gesellschafter  und  Vertrauten  gemacht.  Dann  kommen  der  Reihe 
nach  die  andern.  Bhlma  verdingt  sich  als  Koch.  Arjuna  unter  dem 
weiblichen  Namen  Brhannalä,  gibt  sich  als  Eunuch  aus  und  wird  als 
Tanzmeister  der  Königstochter  Uttarä  angestellt.  Nakula  wird  als 
Rossezähmer,  Sahadeva  als  Rinderaufseher  aufgenommen,  während 
DraupadI  von  der  Königin  zu  ihrer  Kammerzofe  gemacht  wird. 

Die  Pändavas  machen  sich  bald  bei  Viräta  sehr  beliebt,  namentlich 
da  sich  Bhlma  einmal  durch  Tötung  des  weitberühmten  Athleten 
Jimüta  in  einem  zu  Ehren  des  Gottes  Brahman  veranstalteten  Ring- 
kampfe ausgezeichnet  hat. 

Ein  unliebsames  Abenteuer  erlebte  aber  DraupadI.  Der  Feldherr 
Klcaka,  ein  Schwager  des  Königs,  verliebt  sich  in  die  schöne  Kammer- 
zofe und  stellt  ihr  nach.  DraupadI  hatte  aber  gleich,  als  sie  von  der 
Königin  aufgenommen  wurde,  vorgegeben,  sie  sei  die  Gemahlin  von 
fünf  Gandharvas,  welche  sie  im  Notfalle  beschützen  würden.  Durch 
das  Versprechen  eines  Stelldicheins  lockt  nun  DraupadI  ihren  Ver- 
folger in  finsterer  Nacht  in  den  Tanzsaal,  wo  Bhlma-  auf  ihn  lauert 

»)  Siehe  oben  S.  276. 

")  Die  Erlebnisse  am  Hofe  des  Viräta  bilden  den  Inhalt  des 
vierten  Buches,  Virätaparvan  genannt. 


—    299    — 

und  ihn  nach  gewaltigem  Ringen  erwürgt.  Darauf  ruft  Draupadl  die 
Wächter  herbei  und  erzählt,  dafs  einer  ihrer  Gandharvas  den  Kicaka, 
weil  er  sie  mit  Liebesao trägen  verfolgt,  getötet  habe.  Die  mächtigen 
Verwandten  des  Kicaka  wollen  mit  dem  Leichnam  desselben  die  Zofe 
verbrennen;  aber  wieder  kommt  Bhlma  zu  Hilfe,  tötet,  für  einen 
Gandharva  gehalten,  105  Sütas  (Kicaka  ist  nämlich  ein  Süta)  und  be- 
freit Draupadl.  Da  verlangen  die  Bürger  der  Stadt,  dafs  die  durch 
ihre  Gandharvas  so  gefährliche  Kammerzofe  weggeschickt  werde,  wozu 
denn  auch  der  König  den  Auftrag  gibt.  Draupadl  aber  bittet  die 
Königin,  noch  dreizehn  Tage  bleiben  zu  dürfen,  dann  würden  die 
Gandharvas  sie  abholen.  (In  dreizehn  Tagen  ist  nämlich  das  dreizehnte 
Jahr  abgelaufen.) 

Vergebens  hat  Duryodhana  Spione  ausgeschickt,  um  den  Aufent- 
haltsort der  Pändavas  ausfindig  zu  machen.  Die  Spione  bringen  nur  die 
Nachricht,  dals  Kicaka  von  Gandharvas  erschlagen  worden  sei,  was  dem 
Duryodhana  immerhin  ganz  angenehm  ist,  da  die  Matsyas  ein  feind- 
liches Volk  sind.  Kicaka  hatte  auch  oft  den  König  der  Trigartas, 
Susarman,  bedrängt.  Nun  verabreden  sich  die  Trigartas  mit  den 
Kauravas,  gemeinsam  einen  Einfall  in  das  Land  der  Matsyas  zu  unter- 
nehmen. Gerade  wie  das  dreizehnte  Jahr  der  Verbannung  zu  Ende 
geht,  kommt  die  Nachricht,  dafs  die  Trigartas  eingefallen  sind  und  das 
Vieh  des  Königs  Viräta  geraubt  haben.  Viräta  rüstet  zum  Kampfe, 
stattet  auch  Yudhisthira,  Bhlma,  Nakula  und  Sahadeva  mit  Waffen 
aus  und  zieht  gegen  die  Trigartas  zu  Felde.  Es  kommt  zu  einer  ge- 
waltigen Schlacht.  Viräta  wird  gefangen  genommen,  aber  alsbald  von 
Bhima  befreit,  und  schliefslich  werden  die  Trigartas  —  dank  der 
Beihilfe  der  Pändavas,  die  trotzdem  unerkannt  bleiben  —  geschlagen. 

Während  Viräta  mit  den  Trigartas  kämpft,  machen  die  Kauravas 
von  einer  andern  Seite  her  einen  Einfall  ins  Matsyaland  und  rauben 
viel  Vieh.  Die  Kuhhirten  kommen  zu  dem  jungen  Prinzen  Uttara, 
der  in  der  Stadt  zurückgeblieben  ist,  und  fordern  ihn  auf,  gegen  die 
Kauravas  zu  Felde  zu  ziehen.  Er  hat  aber  keinen  Wagenlenker.  Da 
veranlafst  ihn  Draupadl  durch  Vermittlung  der  Prinzessin,  den  Arjuna 
zum  Wagenlenker  2U  nehmen.  Er  bekommt  eine  Rüstung,  und  sie 
ziehen  in  den  Kampf.  Als  Uttara  die  gewaltigen  Scharen  der  Kauravas 
sieht,  bekommt  er  Angst,  springt  vom  Wagen  und  will  fliehen.  Arjuna 
aber  fängt  ihn  wieder  ein,  schleppt  ihn  bei  den  Haaren  auf  den  Wagen 
und  spricht  ihm  Mut  zu.  Dann  fahren  sie  zu  dem  Baum,  auf  welchem 
die  Waffen  verborgen  sind,  und  Arjuna  holt  sich  seine  Waffen.  Da 
er  sich  dem  Uttara  schliefslich  als  der  gewaltige  Held  Arjuna  zu  er- 
kennen gibt,  fafst  dieser  wieder  Mut.  Uttara  wird  jetzt  der  Wagen- 
lenker des  Arjuoa.  Nun  kommt  es  zu  einer  gewaltigen  Schlacht,  in 
welcher  Arjuna  mit  Duryodhana,  Karna,  Bhlsma  und  den  übrigen 
Helden  der  Kauravas  kämpft  und  natürlich  einen  glänzenden  Sieg 
davonträgt.  Die  Kauravas  schöpften  zwar  Verdacht,  dafs  sie  es  mit 
Arjuna  zu  tun  hätten,  haben  ihn  aber  doch  nicht  erkannt. 

Nach  gewonnenem  Sieg   schafft  Anuna    die  Waffen  wieder   zu 


--    300    — 

dem  Baum  zurück  und  kommt  als  Tanzmeister  Brhannalä  und  Uttaras 
Wagrenlenker  in  die  Stadt,  nachdem  er  dem  Uttara  eingeschärft  hat, 
dafs  er  ihn  nicht  verraten  dürfe.  Mittlerweile  sind  Viräta  und  die 
Pandavas  nach  Besiegung  der  Trigartas  zurückgekehrt.  Der  König 
ist  sehr  besorgt,  da  er  hört,  sein  Sohn  sei  gegen  die  Kauravas  gezogen. 
Aber  bald  kommt  die  Nachricht  von  dem  Siege,  Im  Triumph  wird 
Uttara  empfangen.  Dieser  erzählt,  nicht  er  habe  die  Kauravas  ge- 
schlagen, sondern  ein  Gott  in  Gestalt  eines  schönen  Jünglings  habe 
ihm  geholfen.  Drei  Tage  später  ist  das  dreizehnte  Jahr  zu  Ende.  Zur 
Überraschung  des  Königs  erscheinen  die  fünf  Pandavas  in  ihrer  wahren 
Gestalt  in  der  Halle  und  geben  sich  zu  erkennen.  Viräta  ist  sehr  er- 
freut und  bietet  sogleich  dem  Arjuna  seine  Tochter  als  Gemahlin  an. 
Dieser  aber  nimmt  sie  nicht  für  sich,  sondern  für  seinen  Sohn 
Abhimanyu  an.  Denn  dadurch,  dafs  er  sie  zu  seiner  Schwieger- 
tochter mache,  bezeuge  er,  dafs  sie,  trotzdem  er  ein  Jahr  lang  mit  ihr 
in  so  naher  Berührung  gelebt  habe,  rein  geblieben  sei.  Mit  grofsem 
Pomp  wird  bald  auch  die  Hochzeit  des  Abhimanyu  mit  der  Uttara 
gefeiert,  zu  welcher  zahlreiche  Könige,  selbstverständlich  auch  Dru- 
pada  und  Kjrsna,  mit  reichen  Geschenken  herbeikommen. 

Friedensverhandlungen  und  Kriegsvorbereitungen'). 

Bei  diesem  Hochzeitsfeste  beraten  die  Pandavas  und  ihre  Freunde 
darüber,  wie  man  sich  nun  gegenüber  den  Kauravas  verhalten  solle. 
Kr?na  macht  den  Vorschlag,  man  möge  einen  Gesandten  zu  Duryo- 
dhana  schicken,  um  ihn  aufzufordern,  dafs  er  den  Pandavas  wieder  ihr 
halbes  Königreich  zurückgebe.  In  längerer  Beratung  wird  denn  auch 
beschlossen,  den  alten  Familienpriester  des  Königs  Drupada  als  Ge- 
sandten zu  den  Kauravas  zu  senden. 

Ehe  aber  noch  die  Verhandlungen  beginnen,  trachten  sowohl  die 
Pandavas  als  auch  die  Kauravas  möglichst  viele  Bundesgenossen  zu 
werben.  Und  um  einige  mächtige  Könige  bemühen  sich  beide  Parteien 
zugleich.  So  sucht  Duryodhana  selbst  den  Krsna,  den  wir  bisher 
nur  als  intimen  Kreund  der  Pandavas  kennen  gelernt  haben,  auf  seine 
Seite  zu  bhngen.  Ein  Zufall  fügt  es,  dafs  Duryodhana  zu  Krsi?a 
kommt,  während  dieser  gerade  schläft,  und  dafs  unmittelbar  nach  ihm 
Arjuna  eintrifft.  Als  Krsna  erwacht,  fällt  sein  Blick  zuerst  auf  Arjuna. 
Da  also  Duryodhana  zuerst  gekommen,  Arjuna  aber  zuerst  von  ihm  er- 
blickt worden  ist,  glaubt  Krs^,  keinen  von  beiden  abschlägig  bescheiden 
zu  dürfen,  und  er  erklärt,  dafs  er  dem  einen  von  ihnen  mit  seinem  Rat 
beistehen,  dem  andern  eine  Armee  von  Hirten  zur  Verfügung  stellen 
wolle.  Duryodhana  wählt  das  letztere,  Arjuna  das  erstere.  Darum 
verspricht  Krsijia,  sich  am  Kampfe  nicht  direkt  zu  beteiligen,  sondern 
nur  als  Wagenlenker  des  Arjuna  den  Pandavas  als  Berater  zur  Seite 

')  Diese  bilden  den  Inhalt  des  fünften  Buches  (Udyoga- 
p  a  r  V  a  n). 


—    301    — 

zu  stehen.  Auch  Salya,  der  König  der  Madras,  der  sich,  von  einer 
Kriegerschar  begleitet,  schon  auf  dem  Wege  zu  Yudhis|hira  befindet, 
um  sich  ihm  anzuschliefsen ,  wird  von  Duryodhana  aufgefordert,  sich 
auf  die  Seite  der  Kauravas  zu  schlagen,  i^alya  geht  darauf  ein,  begibt 
sich  aber  dennoch  zu  Yudhisthira.  Und  dieser,  der  sonst  stets  als  ein 
wahrer  Tugendbold  dargestellt  wird,  verabredet  mit  Salya  eine  schänd- 
liche Verräterei.  §alya  soll  nämlich  auf  Seiten  der  Kauravas  kämpfen, 
aber  als  Wagenlenker  des  Karna,  wenn  es  zum  Zweikampf  zv»ischen 
diesem  und  Arjuna  kommt,  den  Wagen  schlecht  lenken  und  den  Karna 
dadurch  zu  Falle  bringen. 

Während  so  auf  beiden  Seiten  schon  an  den  Krieg  gedacht  wird, 
kommt  Drupadas  hochbetagter  Priester  als  Gesandter  zum  König 
Dhjrtarästra ,  dem  er  die  Friedensbedingungen  der  Pä^davas  tiber- 
bringt. Der  König  empfängt  ihn  sehr  würdig,  gibt  ihm  aber  keine 
entscheidende  Antwort,  sondern  sagt,  er  werde  selbst  seinen  Wagen- 
lenker Safijaya  als  Gesandten  zu  Yudhisthira  senden.  Das  tut  er  in 
einigen  Tagen-,  doch  bringt  Safijaya  nur  die  Botschaft,  dafs  Dhrtarästra 
den  Frieden  wolle,  ohne  den  Pändavas  etwas  anzubieten.  Darauf 
sendet  Yudhisthira  die  Antwort  zurück:  Entweder  müsse  er  Indra- 
prastha  und  das  halbe  Königreich  zurückbekommen,  oder  es  solle  der 
Kampf  beginnen.  Ja,  er  erklärt  sich  sogar  bereit,  um  nur  das  Blut- 
vergiefsen  zwischen  Verwandten  zu  vermeiden,  den  Frieden  an- 
zunehmen, wenn  ihm  Duryodhana  nur  fünf  Dörfer  zur  Verfügung 
stelle.  Über  diese  von  Safijaya  überbrachte  Antwort  verhandeln  nun 
die  Kauravas.  Bhisma,  Drona  und  Vidura  bemühen  sich  vergebens,  den 
Duryodhana  zur  Nachgiebigkeit  und  zum  Frieden  zu  überreden.  Da 
Dhrtarästra  sich  ganz  schwach  und  machtlos  zeigt,  wird  auch  diese 
Beratung  resultatlos  abgebrochen. 

Auch  die  Pändavas  beraten  noch  einmal  über  den  Frieden,  und 
Krsna  macht  sich  erbötig,  noch  einen  Versuch  zu  machen  und  selbst 
als  Friedensbote  zu  dm  Kauravas  zu  gehen.  Die  Pä^cjavas  nehmen 
dieses  Anerbieten  dankbar  an.  Selbst  der  trotzige  Bhima  «spricht  in 
Worten,  deren  Milde  so  überraschend  ist,  -wie  wenn  die  Berge  leicht 
und  das  Feuer  kalt  geworden  wäre«,  für  den  Frieden,  so  dafs  selbst 
Krs^a  erstaunt  ist.  Hingegen  wollen  einige  der  Helden,  insbesondere 
aber  die  Heldengattin  DraupadT,  von  Friedensverhandlungen  nichts 
wissen,  sondern  möchten  am  liebsten  sofort  den  Krieg  ankündigen. 
Yudhisthira  aber  besteht  auf  der  Friedenssendung.  Er  gedenkt  in  zärt- 
lichen Worten  der  Mutter  KuntI  und  bittet  den  Krsna,  sie,  die  ja  bei 
Vidura  am  Hofe  der  Kauravas  wohnt,  zu  besuchen  und  nach  ihrem 
Wohlergehen  zu  befragen. 

Von  Segenswünschen  begleitet,  begibt  sich  Krsna  zu  den  Kauravas. 
Er  wird  von  Dhrtarästra  glänzend  empfangen,  nimmt  aber  nur  die 
Gastfreundschaft  des  Vidura  an.  Er  besucht  auch  sogleich  Kunti  und 
bestellt  die  Grülse  von  Yudhisthira.  In  bitteren  Worten  klagt  die 
Heldenmutter  über  die  Trennung  von  ihren  Söhnen.  Aber  noch 
schmerzlicher  empfindet  sie  die  Schmach,  die  man  der  DraupadT  an- 


—     302    — 

getan,  und  sie  wirft  dem  Yudhisthira  Schwäche  vor.  Sie  trägt  dem  Krs^a 
auf,  ihren  Söhnen  zu  sagen,  dafs  sie  ihrer  Kriegerpflicht  nicht  vergessen 
und  nicht  zögern  sollten,  ihr  Leben  aufs  Spiel  zu  setzen.  Der  Zeitpunkt 
sei  jetzt  gekommen,  »um  dessen  willen  eine  Kriegerfrau  Kinder  zur  Welt 
bringt*.  Am  nächsten  Morgen  geht  nun  Krs^^a  in  festlichem  Aufzuge 
in  die  Versammlung  der  Kauravaftirsten  und  hält  dort  eine  Friedens- 
rede Dhrtarästra  erklärt,  dafs  er  selber  zwar  nur  den  Frieden  wolle, 
aber  gegen  seinen  Sohn  Duryodhana  nichts  auszurichten  vermöge.  Da 
richtet  Krsna  seine  Friedensmahnungen  an  Duryodhana,  und  auch 
Bhlsma,  Drona  und  Vidura  tun  ihr  möglichstes,  um  Duryodhana  zur 
Annahme  der  Friedensbedingungen  zu  bewegen.  Dieser  erklärt  aber, 
nicht  einmal  so  viel  Land,  als  einer  Nadel  Spitze  bedeckt,  den  Pä^davas 
abtreten  zu  wollen.  Nachdem  er  zornig  die  Versammlung  verlassen, 
macht  Krsna  den  Vorschlag,  die  Wohlgesinnten  unter  den  Kauravas 
sollten  Duryodhana  und  seine  Genossen  den  Pändavas  gefangen  aus- 
liefern. Darauf  geht  Dhrtarästra  gar  nicht  ein;  aber  er  schickt  um 
seine  Frau  Gändhärl,  damit  diese  den  Versuch  mache,  den  wider- 
spenstigen Sohn  zum  Frieden  zu  bewegen.  Gändhärl  kommt  und 
macht  dem  alten  König  heftige  Vorwürfe,  dafs  er  die  Herrschaft  seinem 
Sohne  abgetreten.  Die  Ermahnungen  aber,  die  sie  an  Duryodhana 
richtet,  sind  ebenso  fruchtlos  wie  die  der  andern.  Im  Gegenteile, 
Duryodhana  und  seine  Genossen  hecken  den  Plan  aus,  den  Krsqia  ge- 
fangen zu  nehmen,  um  sich  so  eines  mächtigen  Feindes  zu  entledigen. 
Der  Plan  bleibt  aber  nicht  verborgen,  und  Duryodhana  wird  von 
Dhrtarästra  und  Vidura  wegen  dieser  geplanten  Verletzung  des  Ge- 
sandtenrechts scharf  zurechtgewiesen.  Nachdem  noch  Bhlsma  und 
Drona  vergebens  zum  Frieden  gemahnt,  mufs  auch  diese  Friedens- 
gesandtschaft des  Krsna  als  mifsglückt  angesehen  werden. 

Ehe  Krsna  abreist,  hat  er  noch  eine  geheime  Unterredung  mit 
Kar^a.  Dieser  tapfere  Held  gilt  allgemein  als  der  Sohn  eines  Wagen- 
lenkers (Süta).  Es  wird  aber  erzählt,  daLs  er  in  Wirklichkeit  von 
Sürya,  dem  Sonnengott,  mit  der  Kuntl.  als  diese  noch  eine  Jungfrau 
war,  auf  wunderbare  Weise,  ohne  dafs  ihre  Jungfernschaft  dabei  zu 
Schaden  gekommen  wäre,  gezeugt  worden  sei.  Nachdem  sie  aber  den 
Karna  geboren,  schämte  sie  sich  und  setzte  den  Knaben  in  einem 
wasserdichten  Körbchen  im  Flu.sse  aus.  Dort  fand  ihn  ein  Wagen- 
lenker und  zog  ihn  auf.  So  ist  Karna  eigentlich  ein  älterer  Bruder 
der  Pändavas.  Darauf  weist  Krs^a  hin  und  sucht  ihn  zu  überreden, 
dafs  er  sich  des  Thrones  bemächtige  und  den  Yudhisthira  als  jüngeren 
Bruder  zum  Thronfolger  einsetze,  womit  die  Pändavas  einverstanden 
sein  würden.  Karna  will  aber  von  einem  solchen  Verrat  an  seinem 
Freund  Duryodhana  nichts  wissen.  Auch  fls  Kuntl,  unterstützt  von 
Sürya  selbst,  ihm  in  ähnlicher  Weise  zuredest,  zu  den  Pändavas  tiber- 
zugehen, antwortet  ihr  Karna  nur  mit  harten  Worten:  sie  sei  ihm  nie 
eine  gute  Mutter  gewesen,  so  wolle  er  auch  jetzt  nicht  ihr  Sohn  sein. 

Unverrichteter  Sache  kehrt  also  Krsna  wieder  zu  den  Pändavas 
zurück  und  berichtet  über  seine  vergeblichea  Versuche,  den  Frieden 


—    303     — 

herzustellen.  Wildes  Kampf geschrei  ertönt,  da  Krsna  erzählt,  dafs 
man  ihn  sogar  gefangen  nehmen  -wollte.  Auf  beiden  Seiten  werden 
nun  eifrig  Kriegsvorbereitungen  getroffen.  Die  Pändavas  wählen  den 
Dhrstadyumna,  Sohn  des  Königs  Drupada,  die  Kauravas  den  Bhlsma 
zum  Oberfeldherrn.  Die  Schlachtreihen  werden  aufgestellt  und  ge- 
ordnet, Bhlsma  zählt  dem  Duryodhana  die  Helden  nach  ihrem  Range 
als  Wagenkämpfer  auf,  wobei  er  den  Karna  niedriger  stellt  als  alle 
andern  Helden  und  ihn  dadurch  tödlich  beleidigt.  Kar^a  schwört,  er 
werde  an  dem  Kampfe  nicht  früher  teilnehmen,  als  bis  Bhlsma  gefallen 
sei.  Darauf  zählt  Bhlsma  die' Haupthelden  der  Pändavas  auf  und  er- 
klärt, dafs  er  mit  allen  kämpfen  wolle,  nur  nicht  mit  Sikhandin. 
Dieser  ist  nämlich  als  Mädchen,  als  Tochter  des  Drupada,  zur  Welt 
gekommen  und  erst  später  dadurch,  dafs  ein  Yaksa  sein  Geschlecht 
mit  ihr  tauschte,  in  einen  Mann  verwandelt  worden').  Bhlsma  sieht 
aber  in  diesem  Krieger  noch  immer  das  Weib,  und  mit  einem  Weibe 
kämpft  er  nicht. 

Nach  Beendigung  der  Kriegsvorbereitungen  wird  Ulüka,  der 
Sohn  eines  Spielers,  von  den  Kauravas  mit  einer  Kriegserklärung  in 
Form  von  Schmähreden  in  das  Lager  der  Pändavas  geschickt,  welche 
ihn  mit  nicht  minder  schmähenden  und  trotzigen  Worten  zurück- 
senden.   Darauf  marschieren  die  beiden  Heere  nach  Kuruksetra. 

Die   grofse   achtzehntägige  Schlacht*). 

In  unendlichen  Reihen  scharen  sich  die  beiden  Heere  mit  ihren 
Hilfstruppen  zu  beiden  Seiten  des  grofsen  Kurufeldes.  Losungsworte 
und  Abzeichen  werden  festgesetzt,  durch  welche  der  Freund  vom  Feind 
unterschieden  werden  kann.  Sodann  werden  zwischen  den  Kämpfen- 
den völkerrechtliche  Vereinbarungen  getroffen:  Nur  ebenbürtige 
Gegner  und  solche  von  derselben  Waffengattung  sollen  miteinander 
kämpfen ;  Wagenkämpfer  nur  mit  Wagenkämpfem,  Elefantenkämpfer 
mit  Elefantenkämpfern,  Reiter  mit  Reitern,  Fufssoldaten  mit  Fufs- 
soldaten :  niemand  soll  kämpfen,  ohne  den  Gegner  vorher  zum  Kampfe 
herausgefordert  zu  haben;  diejenigen,  welche  sich  ergeben  haben  oder 
kampfunfähig*  sind,  ebenso  die  Flüchtlinge  sollen  nicht  getötet  werden  •, 
Kutscher,  Lasttiere,  Waffenträger  und  Musikanten  sollen  ebenfalls 
verschont  werden. 

V^or  Beginn  der  Schlacht  erscheint  noch  der  heilige  Vyäsa  und 
verleiht  Saftjaya,  dem  Wagenlenker  des  Königs  Dhrtarästra,  die 
Gabe,  alle  Vorgänge  auf  dem  Schlachtfelde  zu  schauen.  Er  macht  ihn 
auch  unverwundbar,  so  dafs  er  dem  alten  blinden  Könige  täglich  Bericht 
erstatten    könne.      Und    dadurch,    dafs    die   nun    folgenden    Kampf- 


')  Über  diese  und  ähnliche  Geschlechtsverwandlungen  in  der 
Märchenlitteratur  vgl.  Th.  Benfey,  Das  Pantschatantra.  I,  S-  41  ff. 

^)  Das  sechste  Buch  (Bhismaparvan)  beginnt  hier  und  endet 
mit  dem  Fall  des  Feldherrn  Bhlsma. 


—     304    — 

Schilderungen  dem  Sanjaya  in  den  Mund  gelegt  werden ,  der  sie  wie 
ein  Augenzeuge  berichtet,  erhalten  sie  etwas  ungemein  Lebendiges. 

Der  greise  Bhisma,  der  Grofsonkel  sowohl  der  Kauravas  als 
der  Pä^idavas,  befehligt  die  Heere  der  Kauravas  an  den  ersten  zehn 
Schlacht(agen.  In  feuriger  Rede  fordert  er  die  Krieger  zum  tapferen 
Kampfe  auf:  »Das  grofse  Tor  zum  Himmel  steht  heute  weit  offen,  ihr 
Krieger!  Zieht  ein  durch  dieses  Tor  zur  Welt  des  Indra  und  des 
Brahraan!  .  .  .  Unrecht  ist  es  für  den  Krieger,  zu  Hause  an  einer 
Krankheit  zu  sterben;  in  der  Schlacht  den  Tod  zu  finden,  das  ist  des 
Kriegers  ewige  Pflicht.«')  So  ziehen  sie  mutig  in  die  Schlacht,  und 
in  glänzendem  Schmuck  der  Waffen  und  der  Rüstungen  stehen  die 
beiden  Heere  einander  gegenüber. 

Donnerndes  Kriegsgeschrei  und  dröhnende  Schlachtmusik  geben 
das  Zeichen  zum  Beginn  des  Kampfes.  Und  in  furchtbarem  Ringen 
begegnen  sich  Kauravas  und  Pändavas  —  ohne  jede  Rücksicht 
auf  Verwandtschaft :  Der  Vater  kennt  nicht  den  Sohn,  der  Bruder  nicht 
den  Bruder,  der  Oheim  nicht  den  Schwestersohn,  der  Freund  nicht 
den  Freund.  Elefanten  richten  schreckliche  Verheerungen  an  und  ein 
blutiges  Gemetzel  findet  statt.  Bald  dieser,  bald  jener  Held  tut  sich 
im  Einzeikampf  hervor;  bald  ist  der  Sieg  auf  Seite  der  Pän4avas,  bald 
auf  der  der  Kauravas.  Wenn  aber  die  Nacht  hereinbricht,  ziehen  sich 
die  Kämpfenden  zurück,  und  erst  am  folgenden  Morgen  werden  die 
Heere  in  neuer  Schlachtordnung  aufgestellt,  und  der  Kampf  beginnt 
von  neuem.  Wiederholt  stofsen  Bhisma  und  Arjuna  aufeinander,  und 
beide  kämpfen  so  tapfer,  dafs  Götter  und  Dämonen  verwundert  dem 
Kampfe  zusehen.  So  oft  es  aber  den  Kauravas  schlecht  geht,  macht 
Duryodhana  dem  Bhisma  Vorwürfe,  dafs  er  zu  rücksichtsvoll  gegen 
die  Päij^avas  kämpfe;  und  wenn  die  Pändavas  Verluste  erleiden,  wirft 
Krs^  dem  Ariuna  vor,  dafs  er  sein  Geschofs  nicht  gegen  Bhisma  richte. 
Zahlreiche  Brüder  des  Duryodhana  sind  schon  ins  Kampfe  gefallen.  Da 
erhebt  wieder  Duryodhana  gegen  Bhisma  den  Vorwurf,  dafs  er  den  Pän- 
davas gegenüber  zu  viel  Erbarmen  zeige.  Er  solle  die  Feinde  besiegen 
oder  den  Oberbefehl  an  Kar^  abtreten.  Von  Schmerz  und  Zorn  über- 
mannt, verspricht  Bhisma,  am  nächsten  Tage  schonungslos  gegen  alle 
—  Sikbai^dir. ,  der  ein  Weib  gewesen,  ausgenommen  —  zu  kämpfen. 
»Schlaf  ruhig.  Sohn  derGändhäri%  sagt  er*),  »morgen  werde  ich  eine 
grofse  Schlacht  schlagen,  von  der  die  Menschen  erzählen  werden,  so- 
lange die  Erde  steht '  Und  in  der  Tat  erleiden  am  neunten  Tage  der 
Schlacht  die  Pändavas  grofse  Verluste.  Bhisma  wütet  wie  der  Todes- 
gott im  Heere  der  Feinde,  während  Ariuna,  der  den  Bhisma  immer 
noch  als  »Grofsvater« ")  verehrt,  allzu  rücksichtsvoll  kämpft.    Da  Krsi^a 

')  VI,  17,  8  ff. 
*)  VI,  99,  23. 

®)  So  wird  der  Grofsonkel  Bhisma  von  den  Pändusöhnen  meistens 
genannt. 


—    305    — 

dies  bemerkt,  stürzt  er  sich  selbst  auf  Bhlsma,  um  ihn  zu  töten,  aber 
Arjuna  hält  ihn  gewaltsam  zurück,  indem  er  ihn  an  sein  Gelöbnis, 
nicht  kämpfen  zu  wollen,  erinnert.  Von  Bhlsma  in  wilde  Flucht  ge- 
schlagen, kehren  die  Krieger  der  Pän4avas  bei  hereinbrechender  Nacht 
ins  Lager  zurück. 

Die  Nacht  benutzen  die  Päij^avas  zu  einer  Beratung.  Da  sie 
wissen,  dafs  ßhisma  gegen  Öikha^din  nicht  kämpfen  wolle,  beschlicfsen 
sie'),  am  nächsten  Tage  diesen  dem  Bhlsma  gegenüberzustellen; 
hinter  dem  Öikhandin  verborgen,  solle  aber  Arjuna  auf  Bhlsma 
seine  Pfeile  richten.  Nur  ungern  entschliefst  sich  Arjuna  zu  diesem 
Verrat,  und  mit  Schmerz  und  Scham  denkt  er  daran,  dafs  er  als 
Knabe  auf  dem  Schofse  des  Bhlsma  gespielt  und  ihn  A^äterchen«  ge- 
heifsen.  Aber  Krsna  weiis  ihn  zu  überreden ,  dafs  nur  er  allein  den 
Bhlsma  überwinden  könne,  und  dafs  er  nur  seine  Kriegerpflicht  er- 
fülle, wenn  er  den  mächtigen  Gegner  töte. 

So  bricht  der  Morgen  des  zehnten  Schlachttages  heran,  und 
Sikha94in  wird  von  den  Pändavas  ins  Vordertreffen  gestellt,  während 
die  Kauravas  mit  Bhlsma  an  der  Spitze  heranrücken.  Den  ganzen 
Tag  wogt  um  Bhlsma  herum  der  Kampf  zwischen  Pän4a-vas  und 
Kauravas.  Tausende  und  Tausende  sinken  auf  beiden  Seiten  in  den 
Staub.  Endlich  gelingt  es  Sikhandin ,  hinter  dem  Arjuna  sich  ver- 
borgen hält,  an  Bhlsma  heranzukommen.  Lächelnd  erwartet  dieser 
die  Pfeile  des  äikhandin,  ohne  sich  gegen  ihn  zu  verteidigen.  So 
wütend  aber  auch  der  letztere  seine  Geschosse  auf  Bhisma  richtet  — 
sie  können  diesem  nichts  anhaben.  Bald  aber  beginnt  Arjuna,  hinter 
Sikhandin  verborgen,  Pfeil  auf  Pfeil  gegen  den  Heldengreis  zu 
schiefsen.  Und  zu  dem  neben  ihm  kämpfenden  Dussäsana  gewandt, 
sagt  Bhisma:  «»Diese  Pfeile,  die  wie  Vamas  Boten  meine  Lebens- 
geister schier  vernichten,  sind  nicht  Öikhandins  Pfeile;  diese  Pfeile, 
die  wie  wütende,  giftstrotzende  Schlangen  züngelnd  in  meine  Glieder 
fahren  —  sind  nicht  Sikhandins  Pfeile,  sie  sind  Arjunas  Geschofs«^). 
Noch  rafft  er  sich  auf  und  sendet  einen  Pfeil  gegen  Arjuna,  den  dieser 

>)  Im  alten  Gedicht  ist  es  wahrscheinlich  Krsna  gewesen,  der 
diesen  Rat  gegeben  hat.  Die  Darstellung  in  unserem  jetzigen  Mahä- 
bhärata  ist  geradezu  absurd.  Die  Pä^dusöhne  begeben  sich  nämlich 
in  nachtschlafenden  Zeit  ins  feindliche  Lager  zu  Bhlsma  und  fragen 
ihn  ganz  naiv,  wie  sie  ihn  am  besten  umbringen  könnten.  Bhisma 
gibt  ihnen  dam  selbst  den  Rat,  ihm  den  §ikhai;i4in .  hinter  dem 
Arjuna  kämpfen  soll,  gegenüberzustellen.  So  wird  am  Anfang  des 
Gesanges  VI,  107  erzählt;  in  der  Mitte  desselben  Gesanges  stehen  die 
schönen  Reden,  in  denen  Arjuna  voll  Zärtlichkeit  seines  »Grofsvaters« 
Bhlsma  gedenkt,  der  ihn  als  Kind  auf  den  Knien  geschaukelt;  und 
am  Ende  desselben  Gesanges,  ist  es  derselbe  Arjuna,  der  mit  dem  Plane 
hervortritt,  den  Bhlsma  auf  so  unehrliche  Weise  zu  töten.  Vgl. 
Ad.  Holtzmann,  Das  Mahäbhärata  II,  172  f, 

2)  VI,  119,  63  f. 


—    306    — 

aber  auffängt  und  in  drei  Stücke  zersplittert.  Dann  nimmt  er  Schwert 
und  Schild,  um  sich  lu  wehren.  Arjuna  aber  zerschmettert  ihm  den 
Schild  in  hundert  Stücke.  Da  gibt  Yudhisthira  den  Seinen  Befehl, 
gegen  Bhlsma  loszugehen,  und  von  allen  Seiten  stürzen  sich  die 
Pändavas  auf  den  allein  stehenden  Krieger,  bis  er  endlich,  aus  unzäh- 
ligen Wunden  blutend  —  kurz  vor  Sonnenuntergang  —  vom  Wagen 
stürzt^).  So  viele  Pfeile  aber  stecken  von  allen  Seiten  in  seinem  Körper, 
dals  er  im  Falle  den  Boden  nicht  berührt,  sondern  auf  einem  Bett  von 
Pfeilen  ruht. 

Laut  ist  der  Jubel  unter  den  Pändavas,  grenzenlos  der  Jammer 
im  Lager  der  Kauravas.  Zu  Ehren  des  gefallenen  Helden,  der  beiden 
kämpfenden  Parteien  so  nahe  gestanden,  wird  aber  ein  Waffenstillstand 
vereinbart.  Und  sowohl  Pändavas  als  Kauravas  stehen,  von  Bewunderung 
und  Trauer  erfüllt,  um  den  sterbenden  Helden.  Er  begrüfst  die  Krieger 
und  will  zu  ihnen  sprechen.  Matt  hängt  das  Haupt  des  Sterbenden 
-herunter.  Er  bittet  um  ein  Polster.  Man  eilt,  feine  Polster  herbei- 
zuholen. Lächelnd  weist  er  sie  zurück.  Da  nimmt  Arjuna  drei  Pfeile 
aus  seinem  Köcher  und  stützt  mit  ihnen  das  Haupt  des  Bhisma,  der 
zufrieden  erklärt,  das  habe  er  gewollt,  das  sei  ein  rechtes  Helden- 
lager. Der  Sterbende  richtet  in  eindringlichen  Worten  an  Duryodhana 
die  Mahnung,  Frieden  zu  schlieisen:  »Lais  diese  Schlacht  mit  meinem 
Tode  enden,  mein  Sohn,»  mahnt  er,  »mache  Frieden  mit  den  Pän- 
davas.« Aber  gleich  einem  Todkranken,  der  die  Medizin  verweigert, 
weist  Durj-odhana  des  Bhlsraa  weisen  Rat  zurück. 

Auch  der  trotzige,  aber  edle  Karna  kommt  herbei,  um  dem 
sterbenden  Helden  seine  Verehrung  zu  bezeigen.  Mit  brechendem 
Auge  umarmt  ihn  der  Greis  mit  einer  Hand  und  mahnt  auch  ihn  zum 
Frieden  mit  den  Pändavas,  um  so  mehr,  da  er  ja  als  Sohn  der  KuntI 
deren  Bruder  sei.  Aber  Karna  erklärt,  dem  Duryodhana  die  Treue 
wahren  und  seiner  Kriegorpflicht  im  Kampfe  gegen  die  Pändavas  ge- 
nügen zu  müssen.  Er  könne  nicht  anders.  Und  versöhnt  gibt  Bhlsma 
dem  tapferen  Krieger  die  Erlaubnis  zu  kämpfen,  so  schmerzlich  es 
ihm  auch  ist,  daf s  all  sein  Bemühen  um  den  Frieden  vergebens  gewesen  *). 


■)  Mit  dieser  Schilderung  (VI,  120,  58  ff.)  steht  die  alberne  Er- 
zählung (VI,  1 1 6),  wo  Bhisma  dem  Yudhisthira  mitten  in  der  Schlacht 
erklärt,  er  sei  lebensmüde,  worauf  dieser  —  mit  billigem  Mut  —  die 
Seinen  zum  Kampf  gegen  den  Helden  auffordert,  ebenso  in  Wider- 
spruch wie  das  kindische  Märchen  (VI,  120,  32  ff.),  welches  erzählt, 
wie  Vasus.  (göttliche  ,  W^esen)  und  Rsis  am  Himmel  erscheinen  und 
Bhlsmas  Entschlufs,  zu  sterben,  gutheilsen.  Das  sind  spätere  Ein- 
fügungen, die  den  doppelten  Zweck  verfolgen,  die  Pändavas  rein- 
zuwaschen und  den  Bhisma  selbst  zu  einem  Halbgott  zu  machen.  Im 
alten  Gedicht  war  Bhisma  gewifs  nur  ein  gewaltiger  Held,  den  die 
Pändavas  auf  wenig  ritterliche  Art  zu  Falle  gebracht  haben. 

*)  Im  alten  Gedicht  hat  Bhisma  nach  seinem  Fall  gewifs  nicht 
länger  gelebt,  als  nötig  war,  um  noch  einige  Worte  an  Duryodhana 


—     307     — 

Nun  da  Bhisma  gefallen  ist,  nimmt  Karna  wieder  an  dem  Kampfe 
teil ,  und  auf  seinen  Vorschlag  wird  der  alte  Lehrer  D  r  o  n  a  zum 
Oberfeldherrn  geweiht').  Unter  seiner  Feldherrnschaft  wird  vom  elften 
bis  zr.m  fttnfzehnten  Tage  gekämpft. 

Der  dreizehnte  Schlachttag  bringt  ein  trauriges  Ereignis  für  die 
Pändavas.  Der  jugendliche,  aber  tapfere  Sohn  des  Arjuna,  Abhi- 
manyu,  wagt  sich  zu  weit  in  die  Reihen  der  Feinde  vor,  wird  durch 
den  Sindhukönig  Jayadratha  von  seinen  Beschützern  getrennt  und  von 
Dussäsanas  Sohn  getötet.  Arjuna  schwört,  furchtbare  Rache  an  dem 
Mörder  seines  Sohnes,  als  den  er  den  Jayadratha  bezeichnet,  zu 
nehmen.  Das  Hauptereignis  des  vierzehnten  Schlachttages  ist  denn 
auch  der  Kampf  des  Arjuna  mit  Jayadratha,  der  sich  den  ganzen  Tag 
hinzieht  und  mit  des  letzteien  Tod  endet.  Er  fällt,  wie  es  Arjuna  ge- 
schworen, bevor  die  Sonne  untergegangen  ist  Zu  gleicher  Zeit  hat 
Bhlma  im  Heere  der  Kauravas  gewütet  und  zahlreiche  Söhne  des 
Dhrtarästra  getötet. 

Aber  nicht  wie  sonst  wird  an  diesem  Tage  mit  dem  Untergange 
der  Sonne  der  Kampf  unterbrochen.  So  erbittert  sind  die  Kämpfenden 
auf  beiden  Seiten,  dafs  sie  trotz  der  hereinbrechenden  Finsternis  keine 
Pause  eintx-eten  lassen.  Beim  Scheine  von  Fackeln  und  Lampen  wird 
weiter  gekämpft.  Erstaunliche  Kämpfe  werden  von  einzelnen  Helden 
ausgefochten.  Karna  aber  bedrängt  die  Pändavas  besonders  hart,  und 
auf  Anraten  des  Krsija  wird  der  Räksasa  Ghatotkaca  gegen  Karna 
ausgesandt.  Gewaltig  ringt  der  Held  mit  dem  Riesenungetüm,  und 
furchtbaren  Schaden  richtet  der  Räksasa  im  Heere  der  Kauravas  an, 
bis  er  endlich  von  Karna  getötet  wird.  Noch  im  Falle  reifst  aber  der 
Riese  Ghatotkaca  eine  ganze  Armee  der  Kauravas  zu  Boden  und  er- 
drückt sie.  Die  Pändavas  sind  über  den  Tod  von  Bhimas  Sohn  Gha- 
totkaca sehr  betrübt  —  nur  Krsna  jubelt.    Karna  hat  nämlich  den  ihm 

und  Karna  zu  richten.  Unser  Mahäbhärata  erzählt  die  wunderliche 
Geschichte,  dafs  Bhisma  beim  südlichen  Gang  der  Sonne,  d.  h.  im 
Halbjahr  vor  dem  Wintersolstitium,  gefallen  sei,  aber  seinen  Tod  bis 
zum  nördlichen  Gang  der  Sonne  (uttaräyana),  d.  h.  zum  Halbjahr 
vor  dem  Sommersolstitium ,  verschoben  habe.  Die  Upanisads  lehren 
nämlich,  dafs  die  Seele,  welche  auf  dem  Götterpfad  zur  Brahmanwelt 
geht,  das  uttaräyaija  passieren  mufs  (Chänd.  Up.  V,  10,  1:  Brh.  Up. 
VI,  2,  15).  Daraus  haben  die  Theologen  herausgeklügelt,  dafs  ein 
Heiliger  oder  Yogin,  der  mit  Brahman  vereint  sein  will,  imuttaräyana 
sterben  müsse.  (So  Bhagavadgitä  VIII,  24.)  Der  Philosoph  Sankara 
(zu  Vedänta-sütra  IV,  2,  20  f.)  spricht  bereits  davon,  dafs  Bhisma  sich 
das  uttaräyana  zum  Sterben  ausgewählt  habe.  Damals  (8.  Jahrh.  n. 
Chr.)  mufs  also  bereits  die  Geschichte  von  Bhlsmas  Tod  so  wie  in 
unserem  jetzigen  Mahäbhärata  erzählt  worden  sein. 

*)  Der  Kampf  unter  der  Feldherrnschaft  des  Dro^a  bildet  den  In- 
halt des  siebenten  Buches  (Dronaparvan). 

Winternitz,  Geschichte  der  indischen  Litteratur.  21 


—     308     ~ 

von  Indra  geschenkten  Speer,  den  er  für  Arjuna  aufbewahrt  hatte*), 
gegen  den  Räksasa  verwendet.    Das  hatte  eben  Krsna  beabsichtigt. 

Fort  wütet  der  Kampf,  bis  die  Krieger  beider  Heere  vom  Schlaf 
übermannt  werden.  Nur  mit  Mühe  halten  sich  die  pflichtgetreuesten 
Krieger  aufrecht.  Gar  manche  sinken  aber  müde  und  schlaftrunken 
auf  ihren  Elefanten,  Wagen  und  Pferden  bin,  während  andere  gar  blind 
vor  Schlaf  herumtaumeln  und  ihre  eigenen  Freunde  erschlagen.  Da 
erbarmt  sich  Arjuna  der  Krieger  und  gibt  mit  weithin  schallender 
Stimme  die  Erlaubnis,  eine  Weile  dem  Schlafe  zu  widmen.  Freudig 
begrüfsen  auch  die  Feinde  den  Vorschlag,  und  Götter  und  Menschen 
segnen  Arjuna  für  dieses  Wort.  Und  mitten  auf  dem  Schlachtfelde 
legen  sich  Rosse,  Elefanten  und  Krieger  zum  Schlummer  niedei". 

Von  der  dichterischen  Schönheit  der  hier  geschilderten 
Nachtszene  —  der  Stil  erinnert  zuweilen  an  die  Lyrik  eines 
Kälidäsa  ^)  —  kann  die  folgende  wörtliche  Prosaübersetzung  einiger 
Verse  nur  eine  schwache  Vorstellung  geben. 

»Von  Schlaf  übermannt,  verstummten  da  alle  die  grofsen  Wagen- 
kämpfer. Und  sie  legten  sich  hin  —  die  einen  auf  dem  Rücken  ihrer 
Pferde,  andere  im  Wagenkasten,  wieder  andere  auf  dem  Nacken  ihrer 
Elefanten,  und  viele  auch  streckten  sich  auf  den  Erdboden  hin.  Mit 
ihren  Waffen,  mit  Keulen,  Schwertern,  Streitäxten  und  Lanzen,  in 
voller  Rüstung  legten  sie  sich  hin  zum  Schlaf,  die  eiaen  hier,  die 
andern  dort . .  .  Die  Elefanten,  die  schwer  atmend  auf  der  Erde  lagen, 
sahen  aus  wie  Bergeshügel,  über  welche  Riesenschlangen  dahin- 
zischten  .  .  .  Und  dieses  schlummernde  Heer,  wie  es  in  Schlaf  ver- 
senkt bewufstlos  dalag,  glich  einem  wunderbaren  Bilde,  von  einem  ge- 
schickten Künstler  auf  die  Leinwand  gemalt .  .  .  Da  liefs  plötzlich  im 
Osten  der  erhabene  Mond  sein  rötliches  Licht  erstrahlen  ...  Im  Nu 
war  die  Erde  von  Licht  erfüllt,  und  hinweg  floh  rasch  die  tiefe,  un- 
ergründliche Finsternis  .  .  .  Vof  den  Strahlen  des  Mondes  aber  er- 
wachte dieses  Kriegerheer,  wie  ein  Hain  von  hundertblättrigen  Tag- 
lotosblumen vor  der  Sonne  Strahlen.  Und  wie  die  Meeresflut  sich 
erhebt  beim  Leuchten  des  Mondes,  also  erwachte  diese  See  von 
Truppen  beim  Aufgang  des  Gestirns  der  Nacht.  Dann  aber,  o  König, 
begann  von  neuem  der  Kampf  zur  Vernichtung  der  Welt  unter  diesen 
Menschen,  welche  die  höchste  Himmelswelt  ersehnten,»') 

Und  das  blutige  Ringen  dauert  ununterbrochen  fort  bis  zum 
Morgengrauen.  Der  fünfzehnte  Schlachttag  bricht  heran.  Die  Sonne 
zieht  vom  Osten  herauf,  und  die  Krieger  beider  Heere  steigen  von 
ihren  Rossen,  Elefanten  und  Wagen;  zum  Sonnengott  emporblickend, 

')  Er  durfte  ihn  nur  einmal  anwenden,  oben  S.  296. 
ä)  Auch  abgesehen  von  einigen  yon  einem  späteren  Kunstdichter 
eingefügten  Versen. 
3)  VII,  185,  37  ff. 


—    309    — 

verrichten  sie  mit  gefalteten  Händen  ihre  Morgenandacht.  Doch  nur 
einen  Augenblick  währt  diese  Unterbrechung,  und  weiter  wütet  der 
Kampf.  Zwei  der  hervorragendsten  Helden,  die  Könige  Drupada  und 
Viräta,  fallen  von  Dronas  Hand.  Vergebens  bemühen  sich  die 
Pändavahelden,  diesen  Recken  zu  Falle  zu  bringen.  Ein  erstaun- 
licher Zweikampf  zwischen  Drona  und  Arjuna  —  Lehrer  und  Schüler  — , 
dem  die  Himmlischen  selbst  bewundernd  zusehen,  führt  zu  keinem  Er- 
gebnis, da  der  Schüler  dem  Lehrer  in  keiner  seiner  Waffenkünste 
nachsteht.  Da  ist  es  wieder  Krsua,  der  eine  teuflische  List  ersinnt. 
Von  ihm  angestiftet,  tötet  Bhima  einen  Elefanten,  der  zufällig  auf 
den  Namen  Asvatthäman  hört,  und  ruft  dann  laut,  auf  Drona  zu- 
gehend, dafs  Asvatthäman  —  so  heilst  auch  der  Sohn  des  Drona  — 
getötet  sei.  Dropa  erschrickt,  glaubt  aber  die  Nachricht  noch  nicht. 
Erst,  da  auch  der  durch  seine  Wahrheitsliebe  berühmte  Yudhisthira, 
von  Kisna  überredet,  die  Lüge  wiederholt,  muls  Drona  sie  glauben. 
Von  Schmerz  überwältigt,  legt  er  die  Waffen  beiseite  und  bleibt 
in  tiefes  Sinnen  versunken  stehen.  EHesen  Augenblick  benutzt 
Drupadas  Sohn  Dhrstadyumna.  um  dem  fünfundachtzigjährigen  Drona 
den  Kopf  abzuschneiden.  Umsonst  ruft  Arjuna,  der  greise  Lehrer 
düiffe  nicht  getötet  werden.  Dhrstadyumna  hat  die  Tat  vollbracht 
und  den  Kopf  des  Feldherrn  unter  die  Kauravas  geworfen,  die  ent- 
setzt die  Flucht  ergreifen.  Nun  erst  erfährt  Asvatthäman  die  Nach- 
richt vom  Tode  seines  Vaters,  und  er  schwört  den  PaAcälas  und  den 
Fändavas  blutige  Rache. 

Nach  dem  Falle  des  Drona  wird  Kar  na  zum  Oberfeldherrn  der 
Kauravas  gewählt.  Unter  ihm  wird  nur  zwei  Tage  gekämpft').  Am 
sechzehnten  Tage  der  Schlacht  verrichten  Bhima  und  Asvatthäman, 
Arjuna  und  Karna  Wunder  der  Tapferkeit,  aber  es  kommt  zu  keiner 
Entscheidung.  Am  Morgen  des  siebzehnten  Scblachttages  verlangt 
Karna,  dafs  ihm  Salya,  der  König  der  Madras,  als  Wagenlenker  ge- 
geben werde,  denn  nur  dann  würde  er  dem  Arjuna,  der  an  Krsna 
einen  so  vortrefflichen  Wagenlenker  habe,  gewachsen  sein.  .  balya 
sträubt  sich  anfangs  dagegen,  dafs  er  einem  Niedrigeren  Dienste 
leisten  solle,  willigt  aber  schliefslich  unter  der  Bedingung  ein,  dafs  es 
ihm  gestattet  sein  müsse,  vor  Karna  zu  reden,  was  er  wolle.  Von 
dieser  Bedingung  macht  er  nun  weidlich  Gebrauch.  Während  er  den 
Wagen  des  Karna  lenkt,  überschüttet  er  diesen  mit  Spott  und  Hohn. 
Karna  bleibt  ihm  allerdings  nichts  schuldig,  sondern  zieht  in  beifsen- 
den  Worten  gegen  die  Madras,  das  Volk  des  Salya,  los,  die  er  als 
falsch,  heuchlerisch,  trunksüchtig,  der  Unzucht  und  der  Blutschande 
ergeben  schildert,  ^^alya  wirft  dagegen  dem  Karna  vor,  dafs  die 
Ahgas,    über   welche    er   herrsche,    ihre    Weiber   und    Kinder    ver- 


^)  Dieser  Kampf  bildet  den  Inhalt  des  achten  Buches  (Kar^a- 
p  a  r  V  a  n). 

21* 


—    310    ~ 

kauften ').  Endlich  stellt  Duryodhana  den  Frieden  zwischen  den  beiden 
wieder  her,  und  sie  ziehen  in  die  Schlacht. 

Während  Arjuna  an  Kar^a  heranzukommen  sucht,  richtet  Bhlma 
ein  furchtbares  Blutbad  unter  den  Söhnen  des  Dhrtarästra  an,  von 
denen  er  wieder  viele  tötet.  Mit  seiner  wuchtigen  Keule  schleudert 
er  den  DusSäsana  vom  Wagen  herab,  stürzt  sich  auf  ihn,  reifst  ihm 
die  Brust  auf  und  trinkt  sein  warmes  Herzblut  —  wie  er  es  einst  ge- 
schworen^). Schaudernd  weichen  bei  diesem  Anblick  die  Feinde  zu- 
rück. Mittlerweile  sind  Arjuna  und  Karna  aneinander  geraten,  und 
es  kommt  zu  einem  furchtbaren  Zweikampf,  bei  welchem  auch  die 
Götter  Partei  ergreifen:  Indra  für  Arjuna,  Sürj^a  für  Karjja.  Wie 
zwei  wilde  Elefanten,  die  einander  mit  ihren  Hauzähnen  bearbeiten, 
überschütten  die  beiden  Helden  einander  mit  ihren  Pfeilen.  Vergeb- 
lich bemüht  sich  Arjuna,  den  Kar^a  zu  Falle  zu  bringen.  Da  be- 
ginnt der  Streitwagen  des  Karna  mit  einem  Rade  in  die  Erde  zu 
sinken').  Karija  bemüht  sich  nun,  den  Wagen  wieder  herau.szuziehen, 
und  fordert  den  Arjuna  auf,  mit  Rücksicht  auf  das  Kriegsrecht  den 
Kampf  zu  unterbrechen.  Krsi;ia  aber  überredet  den  Arjuna,  keine 
Rücksicht  zu  nehmen.  Und  Arjuna,  sonst  das  Muster  der  Ritterlich- 
keit, tötet  den  Karija  meuchlings,  während  dieser  noch  mit  seinem 
Wagen  beschäftigt  ist.  Vom  Körper  des  Gefallenen  strahlt  ein  Licht 
aus,  und  er  behält  auch  im  Tode  seine  Schönheit. 

Grofser  Jubel  herrscht  im  Lager  der  Panda vas,  die  Kauravas  aber 
fliehen  voll  Angst. 

Nur  mit  Mühe  gelingt  es  dem  Duryodhana,  seine  Truppen  zu 
neuem  Kampfe  zu  sammeln  und  aufzumuntern,  balya  ist  der  Ober- 
feldherr am  achtzehnten  Tage  der  Schlacht*).  Yudbisthira  ist  dazu 
ausersehen,  den  Zweikampf  mit  fealya  aufzunehmen.  Nach  langem  und 
heftigem  Ringen  wird  um  die  Mittagzeit  Salya  von  Yudhisthira  ge- 
tötet. Die  Kauravas  fliehen.  Nur  Duryodhana  und  Sakuni  mit  einer 
kleinen  Schar  leisten  noch  verzweifelten  Widerstand.  Sahadeva  tötet 
den  Sakuni.  Arjuna  und  BhTma  richten  ein  furchtbares  Gemetzel  an. 
Das  Heer  der  Kauravas  ist  nun  gänzlich  vernichtet. 

Duryodhana  flieht  allein  zu  einem  Teich,  wo  er  sich  verbirgt 
Aufser  ihm  leben  nur  noch  drei  Helden:  Krtavarman,  Krpa  und 
Asvatthäman.    Die  Sonne  ist  bereits   untergegangen.    Ode   und   leer 

')  Der  ganze  sehr  merkwürdige  Abschnitt  (VIII,  33— 4!^)  ist  kultur- 
geschichtlich und  ethnographisch  äufserst  interessant. 

^\  Oben  S.  289. 

')  Obwohl  wir  bereits  wissen  (oben  S.  301),  dafs  dies  infolge  einer 
Verräterei  des  Salya  geschieht,  wird  die  Sache  hier  so  dargestellt,  als 
ob  dem  Karija  dieser  Unfall  infolge  des  Fluches  eines  von  ihm  be- 
leidigten Brahmanen  zugestofsen  wäre  (VIII,  42,  41  und  90,  81). 

*)  Dieser  Schlachttag  bildet  den  Inhalt  des  neunten  Buches 
(Salyaparvan), 


—     311     — 

liegt  das  Lager  der  Kauravas  da.  Die  Päipidavas  suchen  den  ent- 
flohenen Duryodhana  und  finden  ihn  endlich.  Yudhisthira  fordert  ihn 
zum  Zweikampf  heraus.  Duryodhana  erklärt,  erst  am  nächsten  Morgen 
kämpfen  zu  wollen:  aus  Müdigkeit,  nicht  aus  Furcht  sei  er  zum  Teiche 
geflohen.  Yudhisthira  aber  besteht  darauf,  dafs  sogleich  gekämpft 
werden  müsse,  und  verspricht  ihm,  dafs  er  König  bleiben  solle,  wenn 
er  auch  nur  einen  von  ihnen  töte.  Bhima  ist  es,  mit  dem  Duryodhaaa 
den  Zweikampf  aufnehmen  soll.  Mit  dem  üblichen  Wortgefecht  v/ird 
der  Keulenkaij^pf  eingeleitet.  Aus  weiter  Ferne  kommt  Baiadeva,  der 
Bruder  des  Krs^a,  der  sich  an  dem  Kampfe  nicht  beteiligt  hatte,  her- 
bei, um  dem  Keulenkampf  als  Zuschauer  beizuwohnen.  Auch  die 
Götter  blicken  dem  Schauspiel  staunend  und  bewundernd  zu.  Wie 
zwei  Stiere  mit  ihren  Hörnern  aufeinander  losgehen,  so  schlagen  die 
beiden  Helden  mit  ihren  Keulen  aufeinander  los.  Blutüberströmt 
kämpfen  sie  beide  immer  noch  fort.  Sie  zerfleischen  einander  mit 
ihren  Keulen,  wie  zwei  Katzen,  die  sich  um  ein  Stück  Fleisch  balgen . 
Beide  verrichten  Wunder  der  Tapferkeit,  und  der  Kampf  bleibt  un- 
entschieden. Da  sagt  Krsna  zu  Arjuna,  Bhlma  werde  nie  imstande 
sein,  den  Duryodhana  im  ehrlichen  Kampfe  zu  besiegen;  denn  Bhlma 
sei  zwar  der  stärkere,  Duryodhana  aber  der  geschicktere  Kämpfer. 
Er  erinnert  ihn  aber  an  die  Worte  des  Bhlma,  wie  dieser  damals,  als 
Draupadi  beschimpft  wurde'),  gelobt  habe,  des  Duryodhana  Schenkel 
zu  zertrümmern.  Da  schlägt  sich  Arjuna  vor  den  Augen  des  Bhlma 
mit  den  Händen  auf  den  Schenkel.  Bhlma  versteht  diesen  Wink  — 
und  während  der  Gegner  einen  Sprung  macht,  um  zum  Streiche  aus- 
zuholen, zerschmettert  ihm  Bhlma  die  Schenkel,  dafs  er  zusammen- 
bricht wie  ein  vom  Sturm  entwurzelter  Baum.  Baiadeva  aber,  der 
dem  Kampfe  zugesehen,  schleudert  zornige  Worte  gegen  Bhlma,  da 
er  unehrlich  gekämpft,  denn  im  ehrlichen  Keulenkampf e  sei  es  ver- 
boten, den  Gegner  unterhalb  des  Nabels  zu  treffen.  Mit  Mühe  hält 
ihn  sein  Bruder  Krsna  davon  ab,  den  Bhima  zu  züchtigen.  Vergebens 
sucht  aber  Krs^a  durch  seine  Sophistereien  den  Bruder  zu  über- 
zeugen, dafs  BhTma  recht  gehandelt  habe.  Der  ehrliche  Baiadeva  be- 
steigt erzürnt  seinen  Wagen  und  fährt  hinweg,  indem  er  verheifst. 
dafs  Bhima  stets  als  unehrlicher,  Duryodhana  als  ehrlicher  Kämpfer  in 
der  Welt  bekannt  sein  werde. 

Yudhisthira  sendet  hierauf  den  Krsna  nach  Hastinäpura,  damit  er  den 
Dhrtarästra  und  die  Gändhärl  tröstq  und  besänftige,  was  dieser  so  gut 
als  möglich  besorgt.  Die  Pändavas  beschliefsen,  die  Nacht  aufserhalb 
des  Lagers  am  Ufer  eines  Flusses  zuzubringen. 

Sobald  Asvatthäman  und  seine  beiden  Genossen  die  Nachricht 
vom  Falle  des  Duryodhana  gehört  haben,  eilen  sie  zum  Kampfplatz 
und  beklagen  den  Helden,  der  mit  zerschmetterten  Schenkeln  daliegt. 
Asvatthäman  aber  schwört,  dafs  er  alle  Paäcälas   vernichten  werde, 


')  Oben  S.  290. 


—    312    — 

worauf  ihn  der  sterbende  Duryodhana  noch  feierlich  zum  Oberfeldherm 
(man  weifs  nicht  recht,  wovon)  weiht. 

Das  nächtliche  Blutbad  im  Pä^idavalager'). 

Die  drei  überlebenden  Helden  der  Kauravas  haben  sich,  nachdem 
sie  von  Duryodhana  Abschied  genommen,  in  einiger  Entfernung  vom 
Schlachtfeld  unter  einen  Baum  begeben,  um  die  Nacht  hier  zuzubringen. 
Krpa  und  Krtavarman  sind  eingeschlafen,  Asvatthämän  aber  wird  vom 
Zorn  und  Rachedurst  wachgehalten.  Da  sieht  er,  wie  ia  den  Zweigen 
des  Baumes,  unter  dem  sie  ruhen,  eine  Schar  von  Krähen  nistet,  und 
wie  plötzlich  mitten  in  der  Nacht  eine  fürchterlich  aussehende  Eule 
daherkommt  und  alle  die  schlafenden  Vögel  tötet*).  Dieser  Anblick 
bringt  ihn  auf  den  Gedanken,  die  Feinde  im  Schlafe  zu  überfallen  und 
hinzumorden.  Er  weckt  die  beiden  andern  Helden  und  trägt  ihnen  seinen 
Plan  vor.  Krpa  sucht  ihn  davon  abzubringen,  denn  es  sei  unrecht. 
Schlafende  und  Wehrlose  zu  überfallen.  Asvatthämän  aber  erwidert, 
die  Pä^idavas  hätten  längst  »die  Brücke  des  Rechts  in  hundert  Stücke 
gebrochen«;  jetzt  gelte  nur  das  Gebot  der  Rache,  und  kein  Mensch 
werde  ihn  hindern,  seinen  Vorsatz  auszuführen.  »Töten  will  ich  die 
Paftcälas,  die  Mörder  meines  Vaters,  im  Schlafe  der  Nacht  —  mag  ich 
auch  dann  als  Wurm  oder  geflügeltes  Insekt  Wiedergeburt  erlangen '  ') 
So  entschlossen,  besteigt  er  seinen  Streitwagen  und  fährt  zum  feind- 
lichen Lager.  Wie  ein  Dieb  schleicht  er  sich  hinein,  während  die 
beiden  andern  Helden  am  Tore  des  Lagers  Wache  halten,  um  jeden, 
der  etwa  entfliehen  wolle,  zu  töten.  Er  dringt  in  das  Zelt  des 
Dhfstadyumna  (der  ihm  den  Vater  getötet),  weckt  ihn  mit  einem  Fuls- 
tritt  auf  und  erwürgt  ihn  wie  ein  Stück  Vieh.  Dann  geht  er  wie  der 
Todesgott  von  Zelt  zu  Zelt,  von  Lagerstätte  zu  Lagerstätte  und  mordet 
einen  nach  dem  andern  von  den  schlafenden  und  schlaftrunkenen 
Helden  unbarmherzig  hin,  darunter  auch  die  fünf  Söhne  der  Draupadi 
und  den  Öikhandin.  Noch  vor  Mitternacht  sind  alle  Krieger  des  feind- 
lichen Heeres  getötet.  Tausende  wälzen  sich  in  ihrem  Blute.  Räksasas 
und  Pisä':as,  die  nachtschwärmenden,  fleischfressenden  Dämonen, 
kommen  scharenweise  ins  Lager  gezogen,  um  in  dem  Fleisch  und  Blut 
der  Gemordeten  zu  schwelgen.  Als  der  Morgen  graut,  herrscht  wieder 
Totenstille  weit  über  dem  Lager. 

Die  drei  Helden  aber  begeben  sich  eiligst  zur  Stelle,  wo  noch 
immer  der  sterbende  Duryodhana  liegt,  um  ihm  die  Nachricht  von  der 
Hinmetzelung  der  feindlichen  Krieger  zu  bringen.  Und  nachd-ra  dieser 
vernommen,  was  für  ihn  eine  Freudenbotschaft  ist,  gibt  er  dankbar 
und  {glücklich  seinen  Geist  auf. 

'■^Dieses  bildet  den  Inhalt  des  zehnten  Buches  (Sauptika- 
parvan). 

')  Vgl.  zu  dieser  Szene  Th  Benfey,  E)3s  Pantschatantra  I. 
S.  336  ff. 

')  X,  5.  18-27. 


—    313    — 

Mittlerweile  hat  Dhrstadyumnas  Wagenlenker,  der  einzige  Über- 
lebende, den  Päi?<Javas  die  Schreckensnachricht  hinterbracht,  dafs  ihre 
und  Drupadas  Söhne  ermordet  und  das  ganze  Heer  vernichtet  sei. 
Yudhisthira  fällt  in  Ohnmacht  und  wird  nur  mit  Mtihe  von  den  Brüdern 
aufrecht  erhalten.  Dann  sendet  er  um  Draupadi  und  die  andern  Frauen 
der  Verwandtschaft.  Er  begibt  sich  zum  Lager  und  bricht  bei  dem  An- 
blick, der  sich  ihm  darbietet,  fast  zusammen.  Da  kommt  auch  schon 
Draupadi,  und  im  ungeheueren  Schmerz  um  ihre  hingemordeten  Söhne 
und  Brüder  beglückwünscht  sie  in  Worten  bitterster  Ironie  ihren 
Gemahl  Yudhisthira  zu  seinem  herrlichen  Sieg.  Grenzenlos  wie  ihr 
Jammer  ist  aber  auch  ihr  Ingrimm  gegen  den  Mörder  Asvatthäman 
und  nicht  früher  will  sie  Nahrung  zu  sich  nehmen,  als  bis  diese  furcht- 
bare Tat  gerächt  ist. 

Ob  und  wie  aber  im  ursprünglichen  Epos  die  Tat  des 
A§vatthäman  gerächt  wurde,  ist  aus  unserem  Mahäbhärata  in- 
folge von  EinSchiebungen  und  Entstellungen  nicht  mehr  ersicht- 
lich. In  sehr  unklarer  und  verworrener  Weise  wird  nämlich  das 
Folgende  erzählt: 

BhTma  verfolgt  den  Asvatthäman,  kämpft  mit  ihm,  zieht  aber 
eigentlich  den  Kürzeren.  Jedenfalls  tötet  er  ihn  nicht,  sondern 
Asvatthäman  gibt  ihm  freiwillig  ein  von  Draupadi  gewünschtes  Juwel, 
das  ihm  am  Kopfe  angewachsen  ist.  (Von  diesem  sonderbaren  Kopf- 
schmuck war  vorher  nie  die  Rede.)  Er  ist  ferner  im  Besitze  einer 
wunderbaren  Waffe,  mit  welcher  er  den  letzten  Sprofs  des  Kuru- 
geschlechtes ,  der  noch  als  Embryo  im  Schofse  der  Uttarä,  der 
Schwiegertochter  Arjunas,  ruht,  vernichtet;  infolge  dessen  bringt 
Uttarä  später  ein  totes  Kind  zur  Welt,  welches  aber  von  Krsna 
lebendig  gemacht  wird-  Es  ist  dies  Pariksit,  der  Vater  jenes  J'ana- 
mejaya,  bei  dessen  wSchlangenopfer  das  Mahäbhärata  zuerst  vor- 
getragen worden  sein  soll-  Krsna  aber  verflucht  den  Asvatthäman, 
dafs  er  dreitausend  Jahre  lang  —  eine  Art  Ahasver  —  allein,  von  allen 
Menschen  gemieden,  auf  der  Erde  herumwandern  solle,  Blut-  und  Eiter- 
geruch verbreitend  und  mit  allen  Krankheiten  beladen. 

Ob  etwas  von  all  dem  zu  dem  alten  Gedicht  gehört,  ist 
schwer  zu  sagen.  Sicher  gehörte  wohl  noch  die  Totenklage 
dazu. 

Die  Totenklage  der  Frauen')- 

Vergeblich  bemühen  sich  Saöjaya  und  Vidura,  den  blinden  alten 
König  Dhrtarästra  in  seinem  namenlosen  Schmerze  zu  trösten.  Immer 
wieder  bricht  er  zusammen,  und  sohliefslich  kommt  auch  noch  Vyäsa, 
ihm  Trost  zuzusprechen.    Nun  müssen  aber  die  Totenzeremonien  für 

')  Sie  bildet  den  Inhalt  des  elften  Buches  (Strtparvan). 


—    314    — 

die  Getallenen  vollzogen  werden.  Darum  lälst  der  König  seine  Ge- 
mahlin Gändhäri  und  die  andern  Frauen  des  Hofes  holen,  und  unter 
lautem  Wehklagen  fahren  sie  zur  Stadt  hinaus  dem  Schlachtfelde  zu. 
Auf  dem  Wege  begegnen  sie  den  drei  überlebenden  Kauravahelden, 
die  ihnen  von  dem  fürchterlichen  Blutbad  erzählen,  das  sie  nächtlicher- 
weile im  Feindeslager  angerichtet.  Sie  verweilen  aber  nicht,  sondern 
machen  sich  aus  Furcht  vor  der  Rache  der  Päijdavas  alsbald  aus  dem 
Staube.  In  der  Tat  kommen  auch  gleich  darauf  die  fünf  Pändusöhne 
mit  Krsna  des  Weges  und  treffen  mit  dem  Zug  der  Trauernden  zu- 
sammen. Mit  Mühe  gelingt  es  dem  Krsna,  eine  Art  V^ersöhnung 
zwischen  den  Pändavas  und  dem  alten  Herrscherpaar  herzustellen,  so 
schwer  es  auch  der  Gändhäri  fällt,  dem  Bhlma  zu  verzeihen,  der  ihr 
von  ihren  hundert  Söhnen  auch  nicht  einen  am  Lebe*i  gelassen.  Doch 
auch  Draupadi  hat  alle  ihre  Söhne  verloren,  und  die  Gemeinsamkeit 
des  Schmerzes  trägt  zur  Versöhnung  bei. 

Es  folgt  nun  die  Klage  der  Gändhäri.  die  sowohl  als 
ein  Meisterwerk  elegischer  Dichtung  als  auch  durch  die  an- 
schaulichen, an  die  Bilder  eines  Wereschagin  erinnernden  Schilde- 
rungen des  Schlachtfeldes  zu  den  schönsten  Teilen  des  ganzen 
Epos  gehört.  Dadurch,  dafs  der  Dichter  nicht  selbst  erzählt, 
sondern  die  greise  Heldinnenmutter  berichten  läfst,  was  sie  mit 
eigenen  Augen  schaut  ^),  wird  das  Ganze  um  so  wirkungsvoller. 

Der  Zug  der  Trauernden  gelangt  zum  Schlachtfeld.  Entsetzlich 
ist  der  Anblick  der  zerstückelten  Leichname,  um  welche  Raubvögel, 
Schakale  und  fleischfressende  Dämonen  herumschwärmen,  während 
Mütter  und  Gattinen  der  gefallenen  Helden  jammernd  zwischen  den 
Leichen  umherirren.  All  das  sit^ht  Gändhäri,  als  sie  ihre  Klage,  die 
sie  an  Krsua  richtet,  beginnt.  Sie  erblickt  auch  den  Duryodhana,  und 
sie  erinnert  sich  mit  Wehmut  daran,  wie  er  am  Vorabend  der  Schlacht 
von  ihr  Abschied  genommen.  »Ihm,  dem  einst  schöne  Frauen  mit 
ihren  Fächern  Kühlung  zugefächelt,  fächeln  jetzt  nur  die  Raubvögel 
mit  ihren  Fittigen.«  Mehr  aber  noch  als  der  Anblick  ihres  tapferen 
Sohnes,  mehr  als  der  Anblick  aller  ihrer  hundert  Söhne,  die  im  Staube 
liegen,  denen  aber  der  Himmel  gewifs  ist,  jammern  sie  ihre  Schwieger- 
töchter, die  in  wilder  Verzweiflung  mit  fliegenden  Haaren  zwischen 

^)  Trotzdem  ausdrücklich  gesagt  wird  (XI,  16, 10  f.\  dafs  Dhrtarä.stra 
und  die  Frauen  im  Kuruksetra  angelangt  sind  und  das  blutige  Schlacht- 
feld vor  sich  sehen,  wird  doch  am  Anfange  des  Gesanges  erzählt,  dafs 
Gändhäri  wegen  ihrer  frommen  Bufsübungen  durch  die  Gnade  des 
Vyäsa  ein  himmlisches  Seherauge  bekommen  habe,  mit  dem  sie  schon 
aus  weiter  Ferne  das  Schlachtfeld  überblicken  konnte.  Es  ist  das  gewifs 
ein  der  alten  Dichtung  fremder  Zug  —  der  ungeschickte  Einfall  eines 
späteren  Pedanten. 


—    315    — 

der  Leichen  ihrer  Gatten  und  Söhne  hin  und  her  laufen.  Mit  zer 
stückelten  Gliedern  sieht  sie  ihren  klugen  SohnVikar^a  mitten  untor 
erschlagenen  Elefanten  liegen  —  "wie  wenn  am  herbstlichen  Himmel 
der  Mond  von  dunklem  Gewölk  umgeben  ist'.  Dann  sieht  &*ie  den 
jugendlichen  Abhimanyu,  Arjunas  Sohn,  dessen  Schönheit  auch  der 
Tod  nicht  ganz  zu  zerstören  vermocht  hat.  Seine  unglückliche  junge 
Gattin  tritt  auf  ihn  zu,  streichelt  ihn,  nimmt  ihm  den  schweren  Panzer 
ab,  fafst  die  blutigen  Locken  zusammen,  legt  sein  Haupt  in  ihren 
Schofs  und  redet  in  zärtlichsten  Worten  zu  dem  Toten ;  sie  bittet  ihn, 
wenn  er  im  Himmel  mit  schönen  Götterfrauen  sich  erfreue,  auch 
manchmal  ihrer  zu  gedenken.  Dann  fällt  ihr  Blick  auf  Kardia,  den 
Helden,  den  alle  einst  so  gefürchtet,  und  der  jetzt  da  liegt  wie  ein 
vom  Sturme  geknickter  Baum-  Daraul  sieht  sie  ihren  Schwiegersohn, 
den  Sindhukönig  Jayadratha,  dessen  Frauen  vergebens  die  gierigen 
Raubvögel  von  dem  Leichnam  2U  verscheuchen  suchen,  während  ihre 
eigene  Tochter  Dussalä  jammernd  den  Kopf  ihres  Gemahls  sucht. 
Dort  wieder  sieht  sie  den  Madrakönig  '^sdja.  Hegen,  dessen  Zunge  ge- 
rade von  Geiern  zerfressen  wird,  während  um  ihn  herum  seine 
jammernden  Frauen  sitzen,  »wie  brünstige  Elefantenweibchen  um  den 
im  Sumpf  versunkenen  Elefanten«.  Auch  BhTsma  sieht  sie  auf  seinem 
Pfeilbett  liegen  —  »diese  Sonne  unter  den  Menschen  geht  zur  Rüste, 
wie  die  Sonne  am  Himmel  untergeht«-  Und  nachdem  sie  noch  Drona 
und  Drupada  und  alle  die  grofsen  Helden,  die  da  gefallen  sind,  be- 
klagt hat,  wendet  sie  sich  mit  zornigen  Worten  an  Krsna  und  macht 
ihm  Vorwürfe,  dafs  er  die  V^ernichtung  der  Päncjavas  und  Kauravas 
nicht  verhindert  habe.  Und  sie  spricht  den  Fluch  über  ihn  aus,  dafs 
er  sechsunddreifsig  Jahre  später  die  Vernichtung  seines  eigenen  Ge- 
schlechtes verursachen  und  selbst  elend  in  der  Wildnis  zugrunde 
gehen  solle. 

Darauf  gibt  Yudhisthira  den  Befehl  zum  Vollzug  der  Leichen- 
zeremonien für  sämtliche  Gefallene.  Scheiterhaufen  werden  errichtet, 
Butter  und  Öl  darauf  gegossen.  Wohlriechende  Hölzer  und  kostbare 
Seidenkleider,  zerbrochene  Wagen  und  Waffen  werden  mit  den 
Leichen  verbrannt.  Nach  Vollzug  der  Riten  und  Totenklagen,  wobei 
auch  der  Fremden  und  Freundlosen  nicht  vergessen  wird,  begeben  sich 
alle  zum  Ufer  des  Ganges,  um  den  Toten  die  üblichen  Wasserspe-nden 
darzubringen. 

Hier  w^ird  wohl  das  alte  Gedicht  geendet  haben.  Unser 
Mahäbhärata  verfolgt  die  Geschichte  der  Helden  noch  weiter. 

Das  Pf erdeopfer M- 

Gelegentlich  der  Darbringung  der  Totenspenden  hat  Kunti  ihrem 
Sohn  Yudhisthira  erst  mitgeteilt,   dafs  auch  Karna  ein  Sohn  von    ihr 


')  Dieses   bildet    den  Inhalt  des  vierzehnten    Buches  (As\ra- 
medhikapar  van).    Über  die  Bücher  XII  u.  XIII  siehe  weiter  unten 


—    316    — 

gewesen  sei,  und  fordert  ihn  auf,  ihm  als  dem  ältesten  Bruder  auch 
Wasserspenden  zu  weihen.  Yudhisthira  ist  nun  sehr  betrübt,  dafs  er 
nicht  nur  den  Untergang  so  vieler  Verwandten  und  Freunde  ver- 
schuldet, sondern  an  Karna  sogar  einen  Brudermord  begangen  habe. 
Ganz  untröstlich,  gibt  er  die  Absicht  kund,  in  den  Wald  zu  gehen 
und  Asket  zu  werden.  Vergebens  reden  ihm  seine  Brüder  und 
Krsna  zu ,  die  Regierung  zu  übernehmen  —  er  beharrt  auf  seinem 
Entschlüsse,  bis  endlich  Vyäsa  kommt  und  ihm  den  Rat  erteilt,  ein 
Pferdeopfer  darzubringen  und  sich  dadurch  von  seinen  Sünden  zu 
reinigen.  Diesen  Rat  befolgt  Yudhisthira.  Die  Vorbereitungen  zu 
dem  grofsen  Opfer  werden  getroffen.  Wie  es  das  Ritual  verlangt, 
wird  das  Opferpferd  freigelassen,  um  ein  Jahr  lang  nach  Belieben 
herumzustreifen.  Arjuna  ist  dazu  ausersehen,  das  Pferd  zu  begleiten 
und  zu  beschützen.  Von  Land  zu  Land  folgt  er  dem  Rosse  über  die 
ganze  Erde  hin.  Auf  dieser  Wanderung  hat  er  viele  Kämpfe  zu  be- 
stehen, denn  allenthalben  trifft  er  auf  Stämme,  deren  Krieger  in  der 
Kuruschiacht  besiegt  worden  sind,  und  die  sich  ihm  nun  feindlich  ent- 
gegenstellen. Er  vollführt  grofse  Heldentaten,  vermeidet  aber  soviel 
als  möglich  unnützes  Blutvergiefsen  und  lädt  alle  unterworfenen  Könige 
zum  Rofsopfer  ein.  Nach  einem  Jahr  kehrt  er  mit  dem  Opferrofs  nach 
Hastinäpura  zurück,  wo  er  mit  Jubel  empfangen  wird.  Nun  beginnt 
das  Opferfest,  zu  dem  von  allen  Seiten  die  geladenen  Könige  herbei- 
strömen. Das  Pferd  wird  unter  genauer  Beobachtung  aller  Ritual- 
vorschriften geschlachtet  und  im  Feuer  geopfert.  Die  Pändavas  atmen 
den  Rauch  des  verbrannten  Markes  ein,  wodurch  alle  ihre  Sünden 
getilgt  werden.  Nach  Vollendung  des  Opfers  schenkt  Yudhisthira  dem 
V^yäsa  "die  ganze  Erde«.  Grolsmütig  gibt  dieser  sie  ihm  wieder  zu- 
rück und  fordert  ihn  auf,  den  Priestern  nur  recht  viel  GoM  zu 
schenken.  Nachdem  Yudhisthira  dem  entsprechend  Unmassen  Goldes 
an  die  Priester  verschenkt  hat,  ist  er  von  Sünden  rein  und  herrscht 
von  da  an  als  ein  guter  und  frommer  König  in  seinem  Reich. 

Dhrta  rast  ras  Ende. 

Der  alte  König  Dhrtarästra ')  wird  aber  immer  noch  als  Haupt 
der  Familie  in  allen  Angel<?genheiten  um  Rat  gefragt,  und  er  und 
seine  Gemahlin  Gändhärl  werden  stets  hoch  in  Ehren  gehalten.  So 
lebt  der  alte  König  noch  fünfzehn  Jahre  lang  am  Hofe  des  Yudhisthira 
im  besten  Einvernehmen  mit  den  Pändavas,  welches  nur  durch  das 
Verhältnis  zu  Bhima  einigermalsen  gestört  wird.  Ihm,  der  ihn  aller 
seiner  Söhne  beraubt  hatte,  konnte  der  König  nie  ganz  vergeben,  und 
auch  der  trotzige  Bhlma  kränkte  nur  zu  oft  seinen  greisen  Onkel 
durch  unziemliche  Rede.  So  falste  denn  nach  fünfzehn  Jahren  der 
alte  König  den  Entschlufs,   sich  als  Einsiedler  in  den  Wald  zurück- 

')  Hier  beginnt  das  fünfzehnte  Buch  (Ä  s  r  a  ra  a  v  ä  s  i  k  a  - 
parvan) 


—    317    — 

2uziehen.  Nur  ungern  gibt  Yudhistbira  seine  Einwilligung  dazu.  Aber 
Krsna  sagt,  es  sei  von  jeher  die  Sitte  frommer  Könige  gewesen,  ent- 
weder als  Krieger  auf  dem  Schlachtfeld  oder  als  Einsiedler  im  Walde 
zu  sterben.  So  ziehen  denn  Dhrtarästra  und  GändhärT  in  den  "Wald, 
und  ihnen  schlielsen  sich  anch  Kuntf,  Sanjaya  und  Vidura  an.  Nach 
einiger  Zeit  besuchen  die  Pändavas  ihre  Verwandten  in  der  Wald- 
einsiedelei, da  stirbt  gerade  der  weise  Vidura.  Zwei  Jahre  später  ge- 
langt zu  den  Pändavas  die  Nachricht,  dafs  Dhrtarästra,  Gändhäri  und 
Kuntl  bei  einem  Waldbrande  umgekommen  sind,  während  Saftjaya  sich 
in  den  Himälaya  begeben  hat. 

Untergang  des  Krsna  und  seines  Volkes'). 

Sechsunddreifsig  Jahre  nach  der  grofsen  Schlacht  im  Kurufelde 
kommt  den  Pändavas  die  traurige  Nachricht  zu,  dafs  der  Fluch  der 
Gändhäri  •')  in  Erf tiliung  gegangen  und  Krsna  samt  seinem  Geschlecht 
zugrunde  gegangen  ist.  Bei  einem  Trinkgelage  geraten  zwei  Sippen- 
häuptlinge  miteinander  in  Streit,  in  den  sich  bald  andere  mischen 
Ein  allgemeiner  Keulenkampf  entsteht  —  Riedgräser  werden  von 
Krsna  in  Keulen  verwandelt  -,  und  die  Männer  der  Yädavasippen 
bringen  einander  um.  Krs^  sieht  sich  nach  seinem  Bruder  Baladeva 
um,  kommt  aber  gerade  zu  dessen  Sterbestunde.  Eine  weifse  Schlange 
läuft  aus  Baladevas  Munde  und  eilt  zum  Ozean'),  wo  sie  von  den  be- 
rühmtesten Schlangendämonen  empfangen  wird.  Da  legt  sich  Krs^a 
im  öden  Walde  hin  und  versinkt  in  tiefes  Nachdenken.  Hier  wird  er 
von  einem  Jäger  namens  Jarä  (d.  h.  »Alter«)  für  eine  Antilope  ge- 
halten und  mit  seinem  Pfeile  in  die  Fufssohle  —  der  einzigen  Stelle, 
wo  er  verwundbar  ist  —  getroffen  und  getötet. 

Der  Pändavas  letzte  Reise. 

Über  den  Tod  ihres  treuen  Freundes  sind  die  Pändavas  untröst- 
lich, und  bald  nachher  beschliefsen  .sie,  ihre  letzte  Reise  anzutreten*). 
Yudhistbira  setzt  den  Pariksit  zum  König  ein  und  nimmt  von  den 
Untertanen  Abschied.  Darauf  wandern  die  fünf  Brüder  mit  ihrer 
Gemahlin  Draupadi,  alle  in  Bastgewänder  gekleidet,  nur  von  einem 
Hunde  gefolgt,  in  den  Himälaya,  übersteigen  denselben  und  gelangen 

')  Erzählt  im  sechzehnten  Buche  (Mausalaparvan). 

•')  S.  oben  S.  315. 

')  Ein  schönes  Beispiel  von  der  bei  so  vielen  Völkern  verbreiteten 
Vorstellung  der  Seele  in  Form  einer  Schlange.  Auch  in  der  deutschen 
Sage  von  König  Guntram  läuft  die  Seele  in  Form  einer  Schlange  aus 
dem  Munde  des  schlafenden  Königs  in  einen  Berg. 

*)  Damit  beginnt  das  siebzehnte  Buch  (Mahäprasthänika- 
parvan). 


-     318     — 

zum  Götterberg  Meru.  Auf  dem  Weg  zum  Himmel  fällt  zuefst 
Draiipadi  tot  hin,  dann  Sahadeva,  hierauf  Nakula,  bald  auch  Arjuna 
und  zuletzt  Bhima.  Dann  kommt  Indra  auf  seinem  Götterwagen  ein* 
hergefahren,  um  den  Yudhisthira  in  den  Himmel  zu  holen ^).  Dieser 
will  aber  nicht  mitkommen,  da  er  ohne  seine  Brüder  nicht  im  Himmel 
sein  wolle.  Da  verspricht  ihm  Indra,  dafs  er  die  Brüder  sowohl  als 
auch  DraupadT  im  Himmel  wiedersehen  werde.  Yudhisthira  besteht 
aber  darauf,  dafs  auch  sein  Hund  in  den  Himmel  mitkommen  müsse, 
was  Indra  durchaus  nicht  zugeben  will.  Endlich  gibt  sich  der  Hund 
als  Gott  Dharma  zu  erkennen  und  zeigt  seine  grofse  Befriedigung 
über  die  Treue  des  Yudhisthira.  So  kommen  sie  denn  in  den  Himmel, 
wo  aber  Yudhisthira  durchaus  nicht  bleiben  will,  da  er  weder  seine 
Brüder  noch  Draupadi  dort  sieht.  Da  er  nun  gar  2)  den  Duryodhana 
auf  einem  himmlischen  Thron  sitzend  und  von  allen  geehrt  erblickt, 
will  er  von  dem  Himmel  schon  gar  nichts  mehr  wissen  und  verlangt 
in  die  Welten  geführt  zu  werden,  wo  seine  Brüder  und  Helden  wie 
Karna  sich  befänden.  Da  geben  ihm  die  Götter  einen  Boten  mit,  der 
ihn  in  die  Hölle  führt,  wo  er  die  entsetzlichen  Qualen  der  Verdammten 
sieht-  Schon  will  er  sich  von  dem  schauderhaften  Anblick  abwenden, 
da  hört  er  Stimmen,  die  ihn  anflehen,  zu  verweilen,  da  ein  wohltuen- 
der Lufthauch  von  ihm  ausgehe.  Voll  Mitleid  fragt  er  die  Gequälten, 
wer  sie  seien,  und  erfährt,  dafs  es  seine  Brüder  und  Freunde  sind, 
Da  erfafst  ihn  Schmerz  und  Zorn  über  die  Ungerechtigkeit  des 
Schicksals,  und  er  schickt  den  Boten  zu  den  Göttern  mit  der  Er- 
klärung zurück,  dafs  er  nicht  in  den  Himmel  gehen,  sondern  in  der 
Hölle  bleiben  wolle.  Bald  aber  kommen  die  Götter  zu  ihm  herab, 
und  Indra  erklärt  ihm,  dafs  diejenigen,  welche  am  meisten  gesündigt 
haben,  erst  in  den  Himmel  kommen  und  dann  in  die  Hölle  geschickt 
werden,  während  diejenigen,  welche  nur  wenige  Sünden  begangen 
haben,  diese  zuerst  in  der  Hölle  rasch  abbüCsen,  um  dann  zur  ewigen 
Seligkeit  in  den  Himmel  einzugehen.  Er  selbst  habe  wegen  seiner 
Täuschung  des  Drona  die  Hölle  besuchen  müssen,  und  ebenso  hätten 
seine  Brüder  und  Freunde  ihre  Sünden   in  der  Hölle  abzubüfsen  ge- 


')  In  einem  Aufsatze  »Points  de  contact  entre  Mahäbhärata  et  le 
Shäh-nämah"  (Journal  Asiatique,  Serie  8«™«,  t.  X,  1887,  p.  38  ff.)  hat 
J.  Darmesteter  die  Himmelfahrt  des  Yudhisthira  mit  dem  Ver- 
schwinden des  Kai  Khosru  im  persischen  Heldenepos  verglichen. 
Auch  Kai  Khosru  steigt  auf  einen  hohen  Berg,  um  lebendigen  Leibes 
in  den  Himmel  zu  gelangen.  Sowie  Yudhisthiras  Brüder,  so  gehen 
auch  die  den  Kai  Khosru  begleitenden  Pehlewanen  auf  dem  Wege  zu- 
grunde. Dennoch  sind  die  beiden  Episoden  so  grundverschieden,  dafs 
ich  an  einen  Zusammenhang  nicht  glaube.  (Vgl.  auch  Barth  in 
Revue  de  l'Histoire  des  Religions.t.  19,  1889,  p.  162  ff.). 

'■')  Hier  beginnt  das  achtzehnte  (letzte)  Buch  (Svargäroha^a - 
parvan). 


—    319    ~ 

habt.    Alsbald  verschwindet  aber  der  ganze  Höllen«räuel ;  sie  befinden 
sich  alle  im  Himmel  und  nehmen  Göttergestalt  an'). 

Diese  hier  kurz  skizzierte  Haupterzählung  macht  ungefähr  die 
Hälfte  der  achtzehn  Bücher  des  Mahäbhärata  aus  ^).  Die  andere 
Hälfte  entfällt  auf  jene  teils  erzählenden,  teils  belehrenden  Be- 
standteile des  Werkes,  welche  zum  Kampf  der  Kauravas  und  der 
Pän^avas  in  gar  keiner  oder  nur  ganz  loser  Beziehung  stehen. 
Über  diese  soll  in  den  folgenden  Kapiteln  berichtet  werden. 


Alte  Heldcndichtung  im  Mahäbhärata. 

Zu  den  Aufgaben  der  altindischen  Barden  gehörte  es  auch, 
die  Stammbäume  der  Könige  zu  verfolgen  oder  —  wenn  es  nötig 
war  —  solche  zu  erdichten.  Genealogische  Verse  (anuvamsa- 
sloka)  bilden  daher  einen  wesentlichen  Bestandteil  der  alten 
Heldendichtung.  Und  das  erste  Buch  des  Mahäbhärata  enthält 
einen  ganzen  Abschnitt,  Sambhavaparvan,  »Abschnitt  von 
den  Ursprüngen«,  betitelt,  in  welchem  die  Genealogie  der  Helden 
bis  auf  ihre  ersten,  von  den  Göttern  abstammenden  Urahnen 
zurückverfolgt  wird,  wobei  manche  interessante  Sagen  von  diesen 
alten  Königen  der  Vorzeit  erzählt  werden.  Selbstverständlich 
kann  unter  diesen  Vorfahren  der  zum  Bhäratageschlecht  ge- 
hörigen Kauravas  und  Panda vas  jener  Bharata  nicht  fehlen,  von 
dem  das  Mahäbhärata  selbst  seinen  Namen  hat.  Bharata  ist 
aber  der  Sohn  des  Königs  Dusyanta  und  der  durch  Kälidäsas 
Drama  so  berühmt  gewordenen  Sakuntalä,  deren  Geschichte 
denn  auch  im  Sambhavaparvan  erzählt  wird. 

Leider  ist  uns  aber  gerade  die  ^akuntalä-Episode  des 
Mahäbhärata  ^)  in  einer  priesterlich  verballhornten  und  wohl  auch 


')  Vgl.  zu  dieser  Episode  auch  Lucian  Scherman,  Materialien 
zur  Geschichte  der  indischen  Visionslitteratur,  Leipzig  1892,  S.  48  ff. 

*)  Die  achtzehn  Parvans  odi/r  Bücher  des  Mahäbhftrata  enthalten 
zusammen  2109  Adhyäyas  oder  Gesänge:  von  diesen  entfallen  1070 
auf  die  Haupterzählung. 

^)  I,  68-~7f).  Eine  vollständige  Übersetzung  gab  B.  Hirzel  im 
Anhange  zu  seiner  Übersetzung  von  Kälidäsas  »i^akuntalä«  (Zürich 
1833,  2.  Aufl.  1849).  Eine  vorteilhaft  gekürzte,  dichterische  Be- 
arbeitung gab  Ad.  Friedr.  Graf  von  Schack,  vStimmen  vom  Ganges 
(Stuttgart  1877)  S.  32  ff. 


—    320    — 

verstümmelten  Form  tiberliefert,  welche  nur  wenige  Züge  der 
alten  Heldendichtung  bewahrt  und  auch  schwerlich  die  Vorlage 
für  Kälidäsas  Dichtung  gebildet  haben  dürfte.  Die  Schildemngen 
des  Waldes,  der  Jagd  und  der  Einsiedeleien  sind  nicht  mit 
»epischer«,  sondern  mit  pedantischer  Breite  ausgesponnen,  zum 
Teil  nach  der  Schablone  der  späteren  höfischen  Kunstdichtung. 
Die  Erzählung  selbst  ist  reizlos  und  unktinstlerisch  begründet. 
Dafs  Sakuntalä  von  dem  König  nicht  anerkannt  wird,  ist  nicht 
wie  bei  Kälidäsa  durch  einen  Fluch  und  durch  die  Geschichte 
von  dem  verlorenen  Ring  motiviert,  sondern  damit,  dals  der 
König  seinen  Höflingen  gegenüber  jeden  Zweifel  an  der  Echt- 
heit der  königlichen  Geburt  seines  Sohnes  beseitigen  will.  Des- 
halb provoziert  er  gewissermafsen  ein  Gottesurteil.  Er  gibt  vor, 
Sakuntalä  nicht  zu  kennen,  und  will  von  dem  Sohne  nichts 
wissen,  bis  eine  himmlische  Stimme  vor  dem  ganzen  Hofe  ver- 
kündet, dafs  Sakuntalä  die  Wahrheit  gesprochen  und  ihr  Kind 
wirklich  der  Sohn  des  Königs  Dusyanta  sei.  Hier  begegnen 
uns  die  zwei  Verse,  von  denen  wir  bestimmt  wissen,  dafs  sie 
zum  ältesten  Bestand  des  Äakuntalägedichtes  gehören  und  der 
alten  Bardendichtung  entnommen  sind  *) : 

»Die  Mutter  ist  nur  der  Schlauch  (zum  Aufbewahren  des  Samens), 
dem  Vater  gehört  das  Kind-,  der  Sohn,  den  er  gezeugt,  ist  er  selbst*). 
Erhalte")  deinen  Sohn,  Dusyanta,  verschmähe  nicht  Sakuntalä! 

Die  Väter  (Manen),  o  König,  rettet  der  Sohn  aus  des  Yama  (des 
Todesgottes)  Behausung.  Du  aber  bist  dieses  Sprosses  Schöpfer,  die 
Wahrheit  sprach  Sakuntalä.» 

Auch  in  dem  Dialog  zwischen  Sakuntalä,  die  ihre  und  ihres 
Sohnes  Rechte  vertritt,  und  dem  König,  der  sie  nicht  anerkennen 
will,  haben  sich  gewifs  manche  alte  und  echte  Verse  erhalten. 
Jedenfalls  mufs  ein  solches  Zwiegespräch  einen  Hauptbestandteil 
der  alten  Erzählung  gebildet  haben,  und  es  mögen  in  der  Rede 
der  Sakuntalä  moralisierende  Sprüche  vorgekommen  sein,  wie 
die  schönen  Verse: 


')  Wir  finden  nämlich  dieselben  Verse  (I,  74,  109  f.)  im  Mahäbhä- 
rata  (I,  95,  29  f.)  noch  einmal  als  ? genealogische  Verse»  (anuvamsa- 
slokau)  zitiert,  und  sie  kehren  im  Harivamsa  (32,  10  ff.),  im  Visnu- 
Purä^a  (IV,  19)  und  im  Bbägavata-Puräna  (IX,  20,  21  f.)  wieder. 

2)  Vgl.  die  oben  S.  184  übersetzten  Verse. 

«)  Wegen  dieses  Wortes  »erhalte«  (bhara)  bekam  der  Knabe  den 
Namen  Bharata. 


—    321    — 

»Wenn  du  denkst  ,Ich  bin  allein',  dann  kennst  du  den  alten 
"Weisen  nicht,  der  im  Herzen  wohnt  und  der  von  jeder  bösen  Tat  weifs. 
In  seiner  Gegenwart  begehst  du  deine  Sünde. 

»Es  glaubt  wohl  mancher,  der  Böses  getan,  dafs  niemand  ihn  ge- 
sehen habe;  aber  die  Götter  haben  ihn  gesehen  und  der  Geist,  der  in 
seinem  Herzen  wohnt.« ') 

Auch  wird  gewifs  Sakuntalä  von  denn  Glück  und  Segen 
gesprochen  haben,  welchen  ein  Sohn  dem  Vater  bringt,  wie  in 
den  Versen: 

=,Er  selbst  hat  sich  durch  sich  selbst  als  Sohn  wieder  erzeugt'*), 

pflegen    die   Weisen    zu    sagen.      Darum    soll    der    Mann    auf    seine 

Gattin,  die  Mutter  seiner  Söhne,  wie  auf  seine  eigene  Mutter  blicken.« 

»Gibt  es  ein  höheres  Glück,  als  das,  wenn  das  Söhnchen,  mit  Staub 

bedeckt,  vom  Spiele  heimkehrt  und  des  Vaters  Glieder  umfängt?« 

» Aus  deinen  Gliedern  ist  dieser  entsprossen,  aus  einer  Seele  eine 
zweite  Seele.  Siehe  hier  deinen  Sohn,  wie  dein  zv/eites  Selbst  im 
spiegelklaren  See ! '  ^) 

Doch  ist  es  nicht  wahrscheinlich ,  dals  alle  die  schönen 
Sprüche,  welche  der  i^^akuntalä  in  den  Mund  gelegt  werden  — 
Sprüche,  welche  vom  Glück  der  Ehe  und  den  Pflichten  der 
Ehegatten,  von  den  Vaterpflichten  und  der  Wahrhaftigkeit 
handeln  — ,  wirklich  der  alten  Heldendichtung  angehörten.  Viel- 
mehr deuten  einige  auf  Eherecht  und  Erbfolge  bezügliche  Verse, 
welche  geradezu  der  Rechtslitteratur  entnommen  sind,  darauf 
hin,  dafs  brahmanische  G  e  1  e  h  r  t  e  die  Reden  der  Sakuntalä  dazu 
benutzt  haben,  möglichst  viele  Sprüche  über  Moral  und  Recht 
anzubringen.  Das  hindert  nicht,  dafs  wir  gerade  in  diesen 
Reden  einige  der  herrlichsten  Proben  indischer  Spruchdichtung 
finden,  wie  die  folgenden: 

»Die  Gattin  ist  des  Mannes  Hälfte,  die  Gattin  ist  der  beste  Freund. 
Die  Gattin  ist  die  Wurzel  der  drei  Lebensziele,  die  Gattin  ist  die 
Wurzel  des  höchsten  Heils.« 

»Sie,  die  sanftredenden  Frauen,  sind  Freunde  in  der  Einsamkeit, 
Väter  beim  Vollzug  heiliger  Handlungen,  Mütter  für  den  Unglück- 
lichen.« 

»Von  Seelenschmerz  gepeinigt  und  "on  Krankheiten  heimgesucht, 
erquicken  Männer  sich  an  ihren  Frauen  wie  die  von  Hitze  Gequälten 
an  frischem  Wasser.»*) 

1)1,  74,  16  f. 

■2)  Ähnlich  Aitareya-Brähmapa  VII,  13;  vgl.  oben  S.  184. 

«)  I,  74.  47;  52;  64. 

*)  I,  74,  40;  42;  49. 


—     322     — 

Unter  den  Vorfahren  der  Helden  des  Mabäbhärata  wird 
auch  ein  König  Yayäti  aufgeführt,  dessen  Geschichte  ebenfalls 
im  Sarabhavaparvan,  dem  Abschnitt  der  genealogischen  Barden- 
dichtung, erzählt  wird  ^).  So  wie  aber  die  alte  Sakuntalädichtung 
dazu  benutzt  wurde,  brahmanische  Lehren  über  Recht  und  Sitte 
vorzutragen,  so  hat  man  die  alte  Yayätisage,  die  ursprünglich 
eine  Art  Titanensage  gewesen  sein  mufs,  in  eine  moralische  Er- 
zählung umgewandelt,  M^odurch  sie  zu  einem  beliebten  Gegenstand 
der  Asketendichtung  wurde.  Doch  sind  keineswegs  die  Spuren 
der  alten  Heldendichtung  ganz  verwischt,  sie  zeigen  sich  nament- 
lich in  einem  gewissen  urwüchsigen  Humor,  mit  dem  die  Ge- 
schichte von  den  beiden  Frauen  des  Königs  erzählt  wird.  Aus 
dem  Inhalt  der  Yayati-Episode  sei  nur  folgendes  hervorgehoben  : 

Devayäm,  die  Tochter  des  Asurapriesters  §ukra,  ist  von  Sarniisthä, 
der  Tochter  des  Asurakönigs,  beleidigt  worden.  Deshalb  will  der  Priester 
den  König  verlassen  Letzterer  aber,  um  den  Priester  zu  versöhnen, 
jribt  seine  Tochter  der  Devayänl  als  Dienerin.  Bald  darauf  wird 
Devayänl  die  Frau  des  Königs  Yayäti,  der  versprechen  mufs,  mit  ihrer 
»Dienerin« ,  der  Königstochter  Sarmisthä,  keinen  Umgang  zu  haben. 
Der  König  aber  bricht  sein  gegebenes  Wort  und  erzeugt  in  heim- 
licher Ehe  mit  Sarmisthä  drei  Söhne.  Die  eifersüchtige  Devayäni 
kommt  dahinter  und  bekls>!:t  sich  bei  ihrem  Vater  Sukra.  Dieser 
spricht  über  Yayäti  den  Fluch  aus,  dafs  er  sofort  seine  Jugend  ein- 
büfsen  und  alt  und  gebrechlich  werden  solle,  mildert  aber  auf  Yayätis 
Bitten  den  Fluch  dahin,  dafs  er  sein  Alter  auf  jemand  anderen  über- 
tragen dürfe. 

Nun  forderte  Yayäti,  nachdem  er  plötzlich  alt  und  runzlig  und 
grau  gevrorden  war,  einen  nach  dem  andern  von  seinen  Söhnen  auf, 
dafs  sie  ihm  sein  Alter  abnehmen  und  ihm  ihre  Jugend  geben  sollten, 
da  er  des  Lebens  noch  nicht  genug  froh  geworden  sei.  Keiner  von 
'  den  älteren  Söhnen  will  auf  diesen  Tausch  eingehen ,  worauf  sie  vom 
Vater  verflucht  werden.  Nur  der  Jüngste,  Püru,  erklärt  sich  dazu 
bereit.  Er  nimmt  dem  Vater  das  Alter  ab 'und  gibt  ihm  dafür  seine 
eigene  Jik^end.    Darauf  erfreute  sich  Yayäti  noch  tausend  Jahre  der 


')  Die  Geschichte  wird  zuerst  I,  75  kurz  erzählt,  dann  I,  76—93 
mit  vielen  Details  wiederholt.  Der  letzte  Teil  der  Sage  wird  V,  120 
bis  123  mit  einigen  Zusätzen  noch  einmal  erzählt.  Eine  freie  dichte- 
rische Bearbeitung  der  Yayäti -Episode  findet  sich  bei  Ad.  Holtzmann, 
Indische  Sagen  I  (Karlsruhe  1845),  S.  139—188.  Eine  mythologische 
Deutung  der  Sage  hat  A.  Ludwig,  Die  Geschichte  von  Yaj'ati 
Nahusya,  Analyse  und  Rolle  derselben  im  Mahäbhärata,  Prag  LS98 
(Sitzungsber.  der  k.  böhm.  Ges.  d.  Wiss.)  versucht. 


—    323     - 

blühendsten  Jugend  und  genofs  das  Leben  in  vollen  Zügen.  Er  er- 
götzte sich  nicht  nur  mit  seinen  beiden  Frauen,  sondern  auch  mit 
einer  himmlischen  Nymphe,  der  schönen  Apsaras  Visväci  (»Allgeneigt»). 
Aber  so  viel  er  auch  genofs,  so  bekam  er  doch  nie  genug.  Und  als 
die  tausend  Jahre  um  waren,  da  kam  er  zu  der  Erkenntnis,  die  er  in 
den  Versen  aussprach: 

*  Wahrlich  nicht  durch  die  Befriedigung  der  Lüste  wird  die  Lust 

gestillt ; 

Nein,  sie  wächst  nur  und  wird  stärker,  wie  das  Feuer  durch  das 

Opferschmalz. 

Die  mit  Schätzen  vollgefüllte  Erde,  Gold  und  Vieh  und  Weiber 

auch. 
Nicht  für  Einen  ist's  genug:  —bedenke  das  und  suche  Seelenruh ! 

Nur  wer  nie  und  nimmer  irgendeinem  Wesen  Böses  zugefügt, 
Sei's  mit  Taten,  mit  Gedanker  oder  Worten,  der  geht  ein  zum 

Brahman. 

Wer  nichts  fürchtet  und  vor  dem  kein  Wesen  Furcht  je  hegt. 
Wer  nichts  wünscht  und  keinen  Hals  kennt,  der  geht  ein  zum 

Brahman.« ') 

Da  gab  er  denn  seinem  Sohne  Püru  die  Jugend  wieder  zurück, 
nahm  sein  eigenes  Alter  auf  sich,  und  nachdem  er  dem  Püru  die 
Herrschaft  übergeben,  ging  er  in  den  Wald,  lebte  dort  als  Einsiedler 
und  übte  tausend  Jahre  lang  die  strengsten  Bufsübungen.  Infolge- 
dessen kam  er  in  den  Himmel,  wo  er  lange  Zeit,  von  allen  Göttern 
und  Heiligen  geehrt,  wohnte.  Eines  Tages  aber  überhob  er  sich  im 
Gespräche  mit  Indra  und  wurde  deshalb  aus  dem  Himmel  hinaus- 
geworfen. Er  fährt  aber  später  mit  seinen  vier  frommen  Enkeln 
wieder  in  den  Himmel. 


')  1, 75,  49—52.  Nur  der  erste  Vers  kehrt  an  allen  anderen  Stellen, 
wo  die  Yayätisage  erzählt  wird,  wörtlich  wieder.  (Er  kommt  auch  bei 
Manu  II,  94  vor.)  Die  übrigen  Verse  finden  sich  1,  85,  12—16,  Hari- 
vamsa  30,  1639—1645,  Visnu-Puräna  IV,  10,  Bhägavata-Purä^a  IX, 
19,  13—15  mit  Varianten  wieder.  Aber  nur  I,  75,  51—52  und  Hari- 
varasa  30,  1642  ist  von  der  Vereinigung  mit  dem  Brahman  im 
Sinne  der  Vedäntaphilosophie  die  Rede.  An  allen  anderen  Stellen 
ist  in  den  entsprechenden  Versen  stets  nur  von  der  Bezähmung  der 
Begierden  als  dem  erstrebenswerten  Ziel  der  Asketenmoral  die  Rede, 
und  diese  Moral  ist  für  Buddhisten  und  Jainas  wie  für  die  brah- 
manischen  und  visnuitischen  Asketen  dieselbe.  Daher  finden  wir  ganz 
ähnliche  Sprüche  bei  allen  indischen  Sekten,  welche  ein  Asketentum 
kennen. 

Winterniti.  Geschichte  der  indischen  Litter »tur.  22    ■ 


—     324     — 

Eine  Art  Titanensage,  die  mit  einem  Sturz  aus  dem  Himmel 
endet,  ist  auch  die  von  N  a  h  u  s  a ,  dem  Vater  des  Yayäti,  welche 
im  Mahäbhärata  öfters  erzählt  wird  *) : 

N  a  h  u  s  a ,  ein  Enkel  des  aus  dem  Veda  bekannten  Purüravas  ^),  war 
ein  mächtiger  König,  der  die  Räuberbanden  (dasyusamghätän)  ver- 
nichtete. Er  legte  aber  auch  den  Rsis  Steuern  auf  und  liefs  sich  von 
ihnen  wie  von  Lasttieren  auf  dem  Rücken  tragen.  Er  überwältigte 
sogar  die  Götter  und  führte  lange  Zeit  an  Steile  des  Indra  die  Herr- 
schaft im  Himmel.  Er  begehrte  die  Sacl,  des  Indra  Ehefrau,  zur  Ge- 
mahlin und  wurde  so  übermütig,  dafs  er  die  himmlischen  Rsis  vor 
seinen  Wagen  spannte  und  dabei  dem  Agastya  auf  den  Kopf  trat. 
Das  war  diesem  grofsen  Heiligen  doch  zu  stark,  und  er  verfluchte  den 
Nahusa,  so  dafs  er  aus  dem  Himmel  herausfiel  und  zehntausend  Jahre 
als  Schlange  auf  der  Erde  leben  mufste^). 

Manche  von  den  in  das  Mahäbhärata  aufgenommenen  Ge- 
dichten nehmen  einen  solchen  Umfang  ein  und. bilden  so  sehr  ein 
in  sich  abgeschlossenes  Ganzes,  dafs  man  sie  geradezu  als  Epen 
im  Epos  bezeichnen  kann.  Von  der  Art  ist  vor  allem  das  mit 
Recht  berühmte  Gedicht  vonNala  und  Damayantr*j.  Wäh- 
rend die  Pändavas  sich  im  Walde  in  der  Verbannung  befinden, 
erhalten  sie  den  Besuch  des  Rsi  Brhadasva.  Yudhisthira  klagt 
ihm  sein  und  der  Seinen  Unglück  und  richtet  an  ihn  die  Frage, 
ob  es  einen  unglücklicheren  König  je  gegeben  habe  als  ihn 
selbst.  Darauf  erzählt  Brhadasva  die  Geschichte  von  dem  un- 
glücklichen König  Nala,  der  im  Würfelspiel  mit  seinem  Bruder 
Puskara  Hab  und  Gut  und  sein  Königreich  verliert  und  dann 
mit  seiner  schönen,  treuen  Gattin  DamayantI  als  Verbannter  in 
den  Wald  zieht;  von  dem  f)ösen  Spieldämon  noch  weiter  ver- 
folgt und  verblendet,  verläfst  er  mitten  im  Walde  die  getreue 
Gattin,    während    sie    vom   Wege   müde    in    tiefem  Schlummer 


')  Zuerst  I,  75  als  Einleitung  zur  Yayätiepisode ,  dann  ausführ- 
licher V,  11—17;  in  kürzerem  Auszug  auch  XII,  342  und  XIII, 
100.  Eine  freie  dichterische  Bearbeitung  bei  Ad.  Holtzmann,  In- 
dische Sagen,  I,  S.  9—30. 

^)  Auch  Purüravas  (vgl.  oben  S.  90  f.,  181  f.)  war  wie  Nahusa 
nach  dem  Mahäbhärata  (I,  75 ,  20  ff.)  ein  Priesterfeind ,  der  die  Rsis 
unterdrückte  und  durch  ihren  Fluch  vernichtet  wurde. 

')  Er  wurde  dann  durch  Yudhisthira  erlöst  (III,  179  f.),  oben 
S.  294. 

*)  III,  52-79:  Nalopäkhyäna. 


—     325    — 

liegt.  Die  Abenteuer  des  Königs  Nala  und  der  von  ihrem  Ge- 
mahl verlassenen  Damayanti,  wie  sie  getrennt  voneinander  durch 
den  Wald  irren,  wie  Damayanti  nach  vielem  Leid  und  Ungemach 
bei  der  >  Königin  -  Mutter  von  Cedi  freundliche  Aufnahme  findet, 
wie  Nala,  nachdem  der  Schlangenkönig  Karkotaka  ihn  unkennt- 
lich gemacht  hat,  als  Rosselenker  und  Koch  dem  König  Rtuparna 
dient,  bis  schliefslich  die  beiden  Gatten  nach  langer  schmerz- 
licher Trennung  wieder  in  Liebe  vereint  werden  —  das  alles 
wird  in  dem  rührend  schlichten,  echt  volkstümlichen,  zuweilen 
auch  des  Humors  nicht  entbehrenden  Tone  des  Märchens  er- 
zählt. 

Seitdem  Franz  B  o  p  p  im  Jahre  1819  dieses  Gedicht  vom 
König  Nala  zum  ersten  Male,  mit  einer  lateinischen  Übersetzung 
versehen,  herausgegeben  hat,  gehört  es  anerkanntermafsen  zu 
den  Perlen  der  indischen,  ja  zu  den  Perlen  der  Weltlitteratur, 
und  es  ist  auch  mehrfach  ins  Deutsche  übersetzt  und  umgedichtet 
worden.  Die  Boppsche  Ausgabe  und  Übersetzung  des  Gedichtes 
begrüfste  A.W.  v.  SchlegeP)  mit  den  Worten:  »Hier  will  ich 
nur  so  viel  sagen,  dafs  nach  meinem  Gefühl  dieses  Gedicht  an 
Pathos  und  Ethos,  an  hinreifsender  Gewalt  und  Zartheit  der 
Gesinnungen  schwerlich  übertroffen'  werden  kann.  Es  ist  ganz 
dazu  gemacht,  alt  und  jung  anzusprechen,  vornehm  und  ge- 
ring, die  Kenner  der  Kunst  und  die,  welche  sich  blofs  ihrem 
natürlichen  Sinne  überlassen.  Auch  ist  das  Märchen  in  Indien 
unendlich  volksmälsig,  .  ,  .  dort  ist  die  heldenmütige  Treue  und 
Ergebenheit  der  Damayanti  ebenso  berühmt  als  die  der  Penelope 
unter  uns;  und  in  Europa,  dem  Sammel platze  der  Erzeugnisse 
aller  Weltteile  und  Zeitalter,  verdient  sie  es  ebenfalls  zu  werden.  < 
Und  sie  ist  es  wohl  geworden.  Friedrich  Rücker t,  der  geniale 
Übersetzungskünstler,  hat  das  Gedicht  im  Jahre  1828 -)  mit 
seiner  unvergleichlichen  Virtuosität  ins  Deutsche  übertragen, 
freilich  mit  einer  Kühnheit  in  der  Handhabung  der  deutschtn 
Sprache,  namentlich  was  die  dem  Sanskrit  nachgebildeten  Wort- 
zusammensetzungen anbelangt,  die  —  so  bewunderungswürdig 
sie   oft   ist  —   doch    der  grofsartigen   Einfachheit   und   epischen 


')  Indische  Bibliothek  1,  98  f. 

2)  Neuauflagen  erschienen  1838,  1845,  1862  und  1873 

22  * 


—    326    — 

Würde  des  Originals  ebensowenig  gerecht  wird  ^),  wie  die  Knittel- 
verse mit  ihren  hervorsprudelnden  und  sich  überstürzenden  Reimen 
den  Eindruck  des  ruhigen  Flusses  der  indischen  Slokas  wieder- 
geben. Eine  bessere  Vorstellung  von  der  indischen  Dichtung 
wird  man  wohl  doch  durch  die  poetische  Übersetzung  von  Ernst 
Meier  2)  bekommen,  der  sich  mit  grofsem  Geschick  und  Glück 
der  Nibelungenstrophe  bedient  hat;  eine  noch  bessere  vielleicht 
durch  die  sehr  genaue  und  sorgfältige,  sinngetreue  Prosa- 
übersetzung von  Hermann  Camillo  Kellner^).  Man  urteile 
selbst  aus  der  Übersetzung  der  beiden  ersten  Verse: 
Rückert.  1  Meier. 

»Es   war  ein   Fürst,   mit   Ruhm      »Es  war  ein  König  Nala, 

bekannt,         Des  Virasena  Sprofs, 
Nala  der  Sohn  Wirasens  genannt,      Schön ,   hochbegabt  und  mächtig, 
Begabt  mit  jeglicher  Tugend,  Vertraut  mit  Wagen   und    Rofs; 

Tapferkeit,  Schönheit  und  Jugend;  |   Die  Herrscher  überragend, 
Der  ragt'  in  der  Menschenfürsten   |  Wie  Indra  die  Götterwelt, 

Mitte,       j   Und  alle  überstrahlend 
Dem  Götterkönige  gleich  an  Sitte,  |  Wie  die  Sonn'  am  Himmelszelt.« 
Überstrahlend  das  ganze  | 

Land  wie  die  Sonn'  im  Glänze.«   i 

Kellner:  "Es  war  einmal  ein  König,  Nala  war  er  geheifsen, 
König  Heldenheers  (Virasena)  starker  Sohn  Selbiger  war  aus 
gestattet  mit  begehrenswerten  Tugenden,  schön  gestaltet  und  em 
tüchtiger  Rossetummler.  Weit,  weit  überragte  er  alle  Menschen 
fürsten,  wie  der  Götterkönig  die  Götter  überragt;  seinem  Glänze  nach 
war  er  der  Sonne  vergleichbar. « 

Nala  Naisadha,  der  Held  der  Erzählung,  ist  gewifs  kein 
anderer  als  der  im  Öatapatha-Brähmana-*)  erwähnte  Nada 
Naisidha,  von   dem   es   dort   heilst,   dafs   er  »Tag  für  Tag  den 

')  Rückert  hat  auch  manchmal  Bilder  und  Gedanken,  die  im 
Originale  gar  nicht  vorkommen^  selbst  hinzugedichtet.  Im  Gegensatz 
hierzu  ist  die  freie  Bearbeitung  von  Ad.  Holtzmann  (Indische 
Sagen  III)  stark  gekürzt.  Dieser  meint  allerdings  »nicht  das  Gedicht 
selbst  abgekürzt,  sondern  nur  von  verunzierendem  unechtem  Beiwerk 
gereinigt  zuhaben«.  Er  ist  aber  dabei  ebenso  willkürlich  vorgegangen 
wie  in  den  »Kuruingen«.     Siehe  oben  S.  274. 

2)  Die  klassischen  Dichtungen  der  Inder  (Stuttgart  1847),  I.  Teil. 
Auch  E.  Lobedanz  hat  Leipzig  1863  eine  mevrische  Bearbeitung 
veröffentlicht. 

^)  In  Reclams  Universalbibliothek. 

*)  II,  3,  2,  1  f. 


—    327     — 

(Todesgott)  Yama  nach  dem  Süden  trägt  t.  Er  mufs  also  wohl 
zu  jener  Zeit  gelebt  und  Kriegszüge  nach  dem  Süden  unter- 
nommen haben.  Der  Name  des  Helden  weist  also  auf  ein  hohes 
Alter  zurück.  Auch  das  Gedicht  selbst  dürfte  zu  den  älteren, 
wenn  auch  nicht  zu  den  ältesten  Bestandteilen  des  Mahäbhärata 
gehören.  Es  ist  jedenfalls  frei  von  allem  puränaartigem  Beiwerk, 
und  nur  die  alten  vedischen  Götter,  wie  Varuna  und  Indra, 
werden  erwähnt,  nicht  aber  Visnu  oder  Siva.  Auch  die  in  dem 
Gedicht  geschilderten  Kulturverhältnisse  sind  im  ganzen  recht 
einfach  und  akertümUch.  Andererseits  finden  wir  in  der  ältesten 
Poesie  kaum  irgendwo  eine  solche  Zartheit  und  so  viel  Romantik 
in  der  Darstellung  des  Liebeswerbens  und  der  Liebe  überhaupt, 
wie  namentlich  in  den  ersten  Gesängen  des  Nalagedichtes.  Nur 
das  uralte  Gedicht  von  der  Liebe  des  Purüravas  und  der  Urvasi 
läfst  uns  ahnen,  dafs  die  Liebesromantik  auch  dem  ältesten  Indien 
nicht  fremd,  war.  Wie  sehr  aber  das  Romantische  dem  indischen 
Geiste  überhaupt  zusagt,  davon  zeugt  die  ungeheure  Beliebtheit 
dieser  Dichtung,  die  von  späteren  Dichtern  immer  wieder  —  so- 
wohl im  Sanskrit  als  auch  in  neuindischen  Sprachen  und  Dia- 
lekten —  nachgedichtet  worden  ist*).  Wenige  indische  Dich- 
tungen entsprechen  aber  auch  so  sehr  dem  europäischen  Geschmack 
als  das  Nalalied.  Es  ist  so  ziemlich  in  alle  Sprachen  Europas 
übersetzt  worden^),  und  eine  dramatische  Bearbeitung  von 
A.  de  Gubernatis  ging  in  Florenz  (1869)  sogar  über  die 
Bretter^).  Und  seit  langem  ist  es  an  fast  allen  abendländischen 
Universitäten  Sitte,  das  Sanskritstudium  mit  der  Lektüre  dieses 
Gedichtes  zu  beginnen,  wozu  es  sich  sowohl  durch  seine  Sprache 
als  auch  durch  seinen  Inhalt  vorzüglich  eignet*). 


^)  Vgl.  die  Aufzählung  bei  A.  Holtzmann,  Das  Mahäbhärata 
II,  69  ff. 

^)  A.  Holtzmann  a.  a.  O.  II,  73  ff.  weist  Übersetzungen  ins 
Deutsche,  Englische,  Französische,  Italienische,  Schwedische,  Tschechi- 
sche, Polnische,  Russische,  Neugriechische  und  Ungarische  nach. 

')  Auch  eine  deutsche  Dichterin,  Luise  Hitz,  hat  den  (wie  mir 
scheint)  nicht  sehr  glücklichen  Versuch  gemacht,  das  alte  Gedicht  für 
die  moderne  Bühne  zu  bearbeiten  (Damayanti,  Lyrisches  Drama  in 
drei  Aufzügen  und  einem  Vorspiel.    München  1897). 

*)  Für  die  Bedürfnisse  von  Anfängern  im  Sanskrit  berechnet  ist 
die  reichlich  mit  Anmerkungen  versehene  Ausgabe  von  H.  C  Kel  Iner , 
Das  Lied  vom  Könige  Nala.    Leipzig  1885. 


—     328    — 

Eine  Art  Epos  im  Epos  ist  auch  die  R am a- Episode*). 
Während  aber  das  Nalalied  (trotz  mancher  verunstaltender  Zu- 
sätze und  EinSchiebungen,  von  denen  ja  kein  Teil  des  Mahä- 
bhärata  ganz  frei  ist)  ein  Kunstwerk  und  ein  kostbarer  Überrest  der 
alten  Bardendichtung  ist,  hat  die  Erzählung  von  Räma  für  uns 
nur  eine  rein  litterarhistorische  Bedeutung  für  die  Geschichte 
des  zweiten  grofsen  Epos  der  Inder,  des  Rämäyana.  Denn  die 
Räma-Episode  ist  schwerlich  etwas  anderes  als  eine  ziemlich 
kunstlos  abgekürzte  Wiedergabe  entweder  des  Rämäyana  selbst^) 
oder  jener  Heldengesänge,  aus  welchen  Välmiki  seine  grofse 
Dichtung  geschöpft  hat.  Auf  keinen  Fall  sind  es  diese  ältesten 
Rämaheldenlieder  selbst,  die  uns  etwa  das  Mahäbhärata  erhalten 
hätte.  Erzählt  wird  die  Räma-Episode  von  dem  Rsi  Märkandeya, 
um  den  Yudhisthira,  der  wegen  des  Raubes  der  Draupadi 
sehr  verstimmt  ist*''),  zu  trösten;  de'nn  auch  Rämas  Gemahlin 
Sita  wurde  entführt  und  war  lange  in  der  Gefangenschaft  des 
Dämons  Rävana.  Anspielungen  auf  die  Rämasage  sind  auch 
sonst  im  Mahäbhärata  nicht  selten.  Ich  erinnere  nur  an  die  Be- 
gegnung des  Bhima  mit  dem  Affen  Hanumat*). 

Ein  viel  wertvollerer,  leider  nur  als  Bruchstück  erhaltener 
Rest  der  altindischen  Bardendichtung  sei  noch  aus  dem  fünften 
Buch  des  Mahäbhärata  hervorgehoben.  Es  ist  das  Stück  von 
der  Heldenmutter  Vidulä"^).  Kunti  läfst  durch  Kfsna  ihren 
Söhnen,  den  Panda vas,  sagen,  dafs  sie  ihrer  Kriegerpflicht  nicht' 
vergessen  sollen^),  und  erzählt  bei  dieser  Gelegenheit,  wie  einst 


')  III  273—290:  Rämopäkhyäna. 

^)  Für  diese  Auffassung  hat  H.  Jacobi,  Das  Rämäyana  (Bonn 
1893),  S.  71  ff.  so  starke  Beweisgründe  angeführt,  dafs  sie  mir  trotz 
der  Einwendungen  von  A.  Ludwig,  Über  das  Rämäyana  und  die 
Beziehungen  desselben  zum  Mahäbhärata,  S.  30  ff.  und  Hopkins, 
The  Great  Epic  of  India,  S.  63  f.  noch  immer  am  wahrscheinlichsten 
ist.    Vgl.  auch  A.  Weber,  Über  das  Rämäyana,  S.  34  ff. 

.  ')  S.  oben  S.  295.  Wahrscheinlich  ist  diese  Geschichte  von  der 
Entführung  der  Draupadi  selbst  nur  eine  plumpe  Nachahmung  des 
Raubes  der  Sita  im  Rämäyana. 

*)  Oben  S.  293. 

'')  V.  133— 136:  Viduläputränusäsana.  Vgl.  H.  Jacobi,  Über  ein 
verlorenes  Heldengedicht  der  Sindhu-SauvTra  (in  den  Melanges  Kern, 
Leide  1903,  S.  53  ff.). 

«)  Oben  S.  302. 


—    329    — 

die  .Kriegersfrau  Vidulä  ihren  Sohn  Sanjaya  zum  Kampf  auf- 
stachelte. Dieser  war  nach  einer  schmählichen  Niederlage,  die 
ihm  der  König  der  Sindhus  beigebracht  hatte,  ganz  verzagt  und 
lebte  mit  seiner  Frau  und  seiner  Mutter  Vidulä  im  Elend.  Da 
wirft  ihm  Vidulä  in  ungemein  kräftigen  Worten  seine  Feigheit 
und  Untätigkeit  vor  und  spornt  ihn  in  feuriger  Rede  zu  neuen 
Heldentaten  an.  Um  von  der  urwüchsigen  Kraft  der  Sprache 
dieses  Bruchstückes  alter  Heldendichtung  eine  Vorstellung  zu 
geben,  seien  wenigstens  ein  paar  Verse  aus  dieser  Rede  übersetzt; 

»Auf,  Feigling!  Liege  nicht  so  träge  da,  nachdem  du  besiegt 
worden,  den  Feinden  zur  Freude,  den  Freunden  zum  Leid!« 

»Bald  gefüllt  ist  ein  seichtes  Bächlein,  leicht  zu  ftillen  ist  die 
Faust  einer  Maus.  Bald  befriedigt  ist  der  Feigling,  mit  Kleinstem 
schon  begnügt  er  sich.^ 

»Stirb  nicht  wie  ein  Hund,  sondern  nachdem  du  wenigstens  der 
Schlange  den  Fangzahn  ausgebrochen!  Tapferkeit  zeige,  und  wenn 
es  auch  ums  Leben  geht!« 

»Was  Hegst  du  da  wie  ein  Toter,  wie  ein  vom  Blitz  Getroffener? 
Auf,  Feigling!    Schlafe  nicht,   nachdem  du  vom  Feinde  besiegt  bist!« 

»Flamme  auf  wie  eine  Fackel  von  Tindukaholz '),  wenn  auch  nur 
für  einen  Augenblick,  aber  qualme  nicht  wie  ein  flammenloses  Spreu- 
feuer, nur  um  weiter  zu  leben!" 

»Besser  aufgeflammt  einen  Augenblick,  als  lange  Zeit  nur 
qualmen!  0  dafs  doch  in  eines. Königs  Hause  nicht  ein  sanfter  Esel 
geboren  würde!« 

»Von  dessen  Taten  die  Menschen  nicht  Wunder  erzählen,  der 
dient  nur  zur  Mehrung  des  grofsen  Haufens,  der  ist  kein  Weib,  der 
ist  kein  Mann*).« 

Auf  alle  Ermahnungen  und  Vorwürfe  der  Mutter  weifs  der 
durch  seine  kurzen  Reden  scharf  charakterisierte  Sohn  nur  zu 
erwidern ,  dafs  es  ihm  an  den  Mitteln  zu  einem  siegreichen 
Kampfe  fehle,  und  dafs  ihr  doch  sein  Sterben  nichts  nützen  würde: 

»Aus  Stahl  gehämmert  ist  dein  Herz,  o  meine  heldenmütige 
Mutter,  die  du  kein  Mitleid,  kein  Erbarmen  kennst. 

Wehe  über  das  Leben  des  Kriegers,  dafs  du  mich  so  zum  Kample 
antreibst,  als  wärest  du  eines  anderen  Mutter  und  ich  dir  ein  Fremder -,  — 
dafs  du  zu  deinem  einzigen  Sohn  solche  W^orte  sprichst.  Was  nützte 
dir  aber  auch  die  ganze  Erde,  wenn  du' mich  nicht  mehr  sähest")?« 

')  Tinduka,  der  Baum  Diospyros  embryopteris. 
»)  V,  132,  8-10,  12,  15,  22. 
')  V,  134,  1-3. 


—     330    — 

Die  Mutter  antwortet  ihm  aber  immer  nur  mit  neuen  Er- 
mahnungen, dafs  der  Krieger  keine  Furcht  kennen  dürfe  und 
auf  jeden  Fall  nur  seiner  Kriegerpflicht  genügen  müsse.  Und 
endlich  gelingt  es  ihr,  den  Sohn,  »wenn  er  auch  wenig  Verstand 
hatte«,  aufzurütteln: 

»Wie  ein  edles  Pferd,  wenn  es  gescholten  wird,  so  tat  der  Sohn, 
durch  die  Wortpfeile  der  Mutter  aufgestachelt,  alles,  wie  sie  es  von 
ihm  verlangte ')." 

Dieser  Torso  eines  Heldengedichtes  ist  eines  der  wenigen 
Stücke  im  Mahäbhärata,  die  von  brahmanischem  Einflufs  ganz 
unberührt  geblieben  sind.  Nur  allzu  oft  ist  die  vom  Krieger- 
geist beseelte  alte  Bardendichtung  unter  dem  Einflufs  der  brah- 
manischen  Gelehrten  in  Form  und  Inhalt  ganz  verwässert 
worden.  So  finden  wir  —  dies  ist  eines  von  vielen  Beispielen  — 
im  zwölften  Buch  des  Mahäbhärata  einen  »alten  Itihäsa«  zitiert, 
welchen  Närada  dem  Srfijaya  erzählt,  um  ihn  über  den  Verlust 
seines  Sohnes  zu  trösten.  Da  werden  viele  Könige  der  Vorzeit 
genannt,  welche  alle,  trotzdem  sie  berühmte  Helden  waren, 
sterben  mufsten.  Worin  bestehen  aber  die  »Heldentaten«  dieser 
Könige?  Darin,  dafs  sie  zahllose  Opfer  darbrachten  und,  was 
noch  wichtiger,  den  Priestern  ungeheure  Geschenke  machten. 
Ein  König  z.  B.  schenkt  den  Priestern  als  Opferlohn  »tausend- 
mal tausend«  goldgeschmückte  Jungfrauen,  von  denen  jede  auf 
einem  vierspännigen  Wagen  sitzt;  jeder  Wagen  ist  von  hundert 
goldbekränzten  Elefanten  begleitet ;  hinter  jedem  Elefanten  folgen 
tausend  Pferde,  hinter  jedem  Pferde  tausend  Kühe,  hinter  jeder 
Kuh  tausend  Ziegen  und  Schafe  ^).  Oft  ist  es  schwer  zu  sagen, 
ob  wir  es  mit  Überresten  alter  Heldendichtung  in  priesterlicher 
Verballhornung  oder  mit  selbständigen  brahmanischen  Dichtungen 
zu  tun  haben. 

Brahmanische  Mythen-  und  Legendendichtung  im 
Mahäbhärata. 

Dem  Umstände,  dafs  die  Brahmanen  sich  des  Mahäbhärata 
bemächtigt  haben,  ist  es  zuzuschreiben,  dafs  die  altindische 
Bardendichtung  uns   nicht   in   ihrer   reinen  Ursprünglichkeit  er- 

')  V,  135,  12;  16. 

*)  XII,  29.  Eine  ähnliche  Liste  von  alten  Königen,  die  durch 
ihre  Freigebigkeit  berühmt  waren,  findet  sich  auch  VII,  56—71. 


—    331     — 

halten  geblieben  ist.  Demselben  Umstände  aber  verdanken  wir 
es,  dafs  uns  im  Mahäbhärata  nicht  nur  zahlreiche,  für  Mythologie 
und  Sagengeschichte  wichtige  Göttersagen  und  Legenden,  sondern 
auch  bedeutende  Schöpfungen  brahmanischer  Dichtkunst  und 
wertvolle  Zeugnisse  brahmanischer  Weisheit  erhalten  sind. 

Mythologisch  und  sagengeschichtlich  interessant  ist  die 
Rahmenerzählung  vom  Schlangenopfer  des  Janamejaya^), 
in  welche  selbst  wieder  ein  förmlicher  Knäuel  von  Erzählungen  — 
Schlangensagen,  Mythen  vom  Vogel  Garu<jla  u.  a.  m.  —  ein- 
geflochten ist.  Was  aber  hier  »Schlangenopf  er«  genannt  wird, 
ist  in  Wirklichkeit  ein  Schlangen  z a  u b  e  r ,  d.  h.  ein  Bannzauber 
zur  Vernichtung  der  Schlangen.  Janamejayas  Vater  Pariksit 
war  nämlich  von  dem  Schlangenkönig  Taksaka  zu  Tode  gebissen 
worden.  Um  den  Tod  des  Vaters  zu  rächen,  veranstaltet  König 
Janamejaya  ein  grofses  Opfer  ^),  bei  welchem  alle  Schlangen  der 
Erde,  von  den  Beschwörungen  der  Priester  bezwungen,  aus  nah 
und  fern  herbeikommen  und  sich  ins  F"euer  stürzen.  Mit  grofser 
Anschaulichkeit  wird  dies  in  unserem  Epos  geschildert: 

»Da  begann  nun  die  Opferhandlung^  nach  des  Schlangenopfers 
vorgeschriebener  Weise.  Hin  und  her  wandelten  die  Priester,  jeder 
eifrig  bei  seinem  Werke  In  schwarze  Gewänder  gehüllt,  die  Augen 
vom  Rauche  gerötet,  gössen  sie  mit  Sprüchen  Opferschmalz  in  das 
flammende  Feuer.  Sic  machten  die  Herzen  aller  Schlangen  erbeben 
und  riefen  sie  alle  herbei  in  den  Rachen  des  Feuers.  Da  fielen  die 
Schlangen  in  die  flammende  Glut,  sich  krümmend  und  jämmerlich 
einander  zurufend.  Zappelnd  und  zischend,  mit  Schwänzen  und 
Köpfen  einander  umschlingend,  stürzten  sie  sich  in  Massen  in  das 
hellglänzende  Feuer  .  .  Grofse  und  kleine,  viele,  von  vielerlei  Farben, 
von  Gift  strotzende,  schreckliche  keulengleiche  Beifser  von  gewaltiger 
Kraft  —  vom  Fluch  der  Mutter  getrieben,  fielen  die  Schlangen  ins 
Feuer.'''') 

')  I,  3,  13—58-,  XV,  35  Eine  freie  dichterische  Bearbeitung 
unter  dem  Titel  »Das  Schlangenopfer«  gibt  A.  Holtzmann,  Indische 
Sagen,  Bd.  III.  Ähnliche  Sagen  gibt  es  auch  in  Europa,  namentlich 
in  Tirol,  vgl.  meint?  Abhandlung,  Das  Schlangenopfer  des  Mahäbhärata 
(in  der  Festschrift  »Kulturgeschichtliches  aus  der  Tierwelt«  des  Vereins 
für  Volkskunde  und  Linguistik  in  Prag  1904). 

-)  In  den  Pausen  dieses  Opfers  soll  eben  das  Mahäbhärata  vor- 
getragen worden  sein,  siehe  oben  S.  270. 

')  I,  52. 


—     332    — 

Mit  dieser  Schlangenopfersage  wird  hier  auch  der  alte,  schon 
in  vedischen  Texten*)  vorkommende  Mythos  von  Kadrü  und 
Vinatä  verquickt.  Kadrü,  »die  Rotbraunec,  ist  die  Erde  und 
die  Mutter  der  Schlangen,  Vinatä,  »die  Gebogene«,  ist  das 
Himmelsgewölbe  und  die  Mutter  des  mythischen  Vogels  Garuda. 
Und  hier  wird  ferner  der  Mythos  von  der  Quirlung  des 
Ozeans^)  eirtgeflochten ,  der  auch  im  Räraäyana  und  in  den 
Puränas  vorkommt  und  von  Dichtern  späterer  Zeit  immer  wieder 
erzählt  oder  doch  zu  Bildern  und  Vergleichen  verwendet  wird. 
Wie  Götter  und  Dämonen  in  heifser  Arbeit  vereint  den  Ozean 
quirlen,  um  den  Unsterblichkeitstrank  zu  gewinnen,  wobei  der 
Berg  Mandara  als  Quirlstock  und  der  Schlangenfürst  Väsuki  als 
Strick  dient,  wie  sich  dann  aus  der  schäumenden  Masse  der 
Mond,  hierauf  Laksml,  die  Göttin  des  Glücks  und  der  Schönheit, 
der  Rauschtrank  Surä  und  andere  Kostbarkeiten  erheben,  bis 
zuletzt  der  schöne  Gott  Dhanvantari,  den  Unsterblichkeitstrank 
in  glänzend  weifser  Schale  haltend,  aus  dem  Ozean  emportaucht  — 
wird  mit  lebendiger  a  Anschaulichkeit«,  wenn  man  so  sagen  darf, 
geschildert. 

Noch  eine  von  den  in  die  Rahmenerzählung  eingeflochtenen 
Schlangensagen  verdient  hervorgehoben  zu  werden  —  die  Ge- 
schichte von  Ruru,.  zum  Teil  nur  eine  Dublette  zur  .Sage  vom 
Schlangenopfer  selbst,  denn  so  wie  Janamejaya  gelobt  auch  Ruru, 
alle  Schlangen  zu  vernichten.    Das  kam  aber  so: 

Der  Brahmanensohn  Ruru  erblickte  einst  die  wunderschöne 
Jungfrau  Pramadvarä,  Tochter  einer  Apsaras,  und  wurde  von  Liebe 
zu  ihr  erfafst.  Sie  wird  seine  Braut,  aber  wenige  Tage  vor  der  Hoch- 
zeit wird  sie  beim  Spiele  von  einer  Giftschlange  gebissen.  Leblos 
liegt  sie  da,  wie  eine  Schlafende,  schöner  noch  denn  je.  Alle  frommen 
Waldeinsiedler  kommen  herbei  und  brechen,  von  Mitleid  ergriffen, 
in  Tränen  aus.  Ruru  aber  geht  mit  seinem  Schmerz  hinaus  in  das 
Dickicht  des  Waldes.  Laut  jammernd  ruft  er  die  Götter  unter  Be- 
rufung auf  seine  Bufse  und  seinen  frommen  Wandel  an,  ihm  die  Ge- 


')  äatapatha-Brähmana  III,  6,  2.  Taittiriya-Samhitä  VI,  1,  6,  L 
Käthaka  23,  10.  Der  Su  parnädhyäya  (herausg.  von  E.  Grube, 
Berlin  1875  und  wieder  abgedruckt  in  ^Indische  Studien«  Bd.  14), 
eiij  spätvediscber  Text,  in  welchem  Oldenberg  (ZDMG  Bd.  37, 
1883,  S.  54  ff.)  eine  der  ältesten  Vorstufen  der  indischen  Epik  erkannt 
hat,  berührt  sich  zum  Teil  mit  der  Erzählung  des  Mahäbhärata. 

*)  I,  17-19. 


—    333     — 

liebte  wiederzuffeben.  Da  erscheint  ein  Götterbote  und  verkündet 
ihm,  dafs  Pramadvarä  nur  dann  wieder  ins  Leben  zurückgerufen 
werden  könne,  wenn  er  selbst  die  Hälfte  seines  Lebens  für  sie  hin- 
gebe. Ruru  ist  sofort  dazu  bereit,  und  der  König  des  Rechtes,  d.  i. 
der  Todesgott,  gibt  seine  Zustimmung,  dafs  Pramadvarä  wieder  zum 
Leben  erwache.  An  einem  glücklichen  Tage  werden  bald  darauf  die 
beiden  vermählt.  Ruru  aber  gelobte,  alle  Schlangen  der  Erde  zu 
vernichten,  und  wo  immer  er  von  da  an  eine  Schlange  sah,  tötete  er 
sie.  Eines  Tages  aber  stiefs  er  auf  eine  giftlose  Schlange,  die  ihn  um 
Schonung  bat.  Es  war  in  Wirklichkeit  ein  Rsi'  der  infolge  eines 
Fluches  als  Schlange  leben  mufste  und  durch  das  Zusammentreffen 
mit  Ruru  vom  Fluche  befreit  wurde.  In  seiner  menschlichen  Gestalt 
ermahnt  er  ihn,  das  Töten  lebender  Wesen  aufzugeben')- 

Ruru,  der  Held  dieser  Sage,  ist  ein  Enkel  jenes  Cyavana, 
von  dem  schon  im  Rigveda  ^)  erzählt  wird,  dafs"  die  Asvins  ihn 
wieder  jung  gemacht  haben.  Die  Geschichte  dieser  Verjüngung 
wird  in  den  Brähmanas^)  ausführlich  erzählt,  und  eine  Version 
der  Sage  findet  sich  auch  im  Mahäbhärata  *).  Es  ist  lehrreich, 
die  vedische  Form  der  Sage  mit  der  im  Epos  zu  vergleichen. 
Ich  gebe  daher  im  folgenden  den  Inhalt  nach  dem  Mahäbhärata 
und  verweise  in  Anmerkungen  auf  die  wichtigsten  Abweichungen 
der  Bräbmana-Erzählungen : 

Cyavana,  ein  Sohn  des  Bhrgu,  gab  sich  am  Ufer  eines  Teiches 
gewaltigen  Bufsübungen  hin.  So  lange  stand  er  unbeweglich  wie 
ein  Pfosten,  dafs  sich  über  ihm  ein  ganzer  Erdhügel  bildete,  auf 
welchem  die  Ameisen  herumkrochen,  und  er  selbst  wie  ein  Ameisen- 
haufen erschien").  In  d'e  Nähe  dieses  Teiches  kam  einst  der  König 
Saryäti  mit  grofsem  Gefolge,  Seine  jugendliche  Tochter  Sukanyä, 
mit  ihren  Gespielinnen  im  Walde  herumtollend,  stiefs  auf  den  Ameisen- 
haufen, in  dem  nur  die  beiden  Augen  des  Asketen  wie  Glühwürmchen 


^)  Auszug  aus  I,  8—  1 2. 

'^)  Rigveda  I,  116,  10,  wo  er  Cyavana  heilst. 

')  ^atapatha-Brähmana  IV,  1,  5,  ins  Deutsche  übersetzt  von 
A.  Weber,  Indische  Streifen  I  (Berlin  1868),  S.  13  ff.  Jaiminiya- 
Brähmana  III,  120  f.  Vgl.  die  interessante  Studie  von  E.  W.  Hop- 
kins, 'The  Fountain  of  Youth'  (im  Journal  of  the  American  Oriental 
Society,  Vol.  XXVI,  1905,  pp.  1-67  und  411  ff.),  welche  die  Sage 
vom  Jungbrunnen  nicht  nur  bei  den  Indern,  sondern  auch  bei 
anderen  Völkern  verfolgt. 

*)  III,  122—125.  Anspielungen  aut  den  letzten  Teil  der  Erzählung 
auch  XII,  342;  XIII,  156  und  XIV,  9. 

^)  Von  diesen  Bufsübungen  wissen  die  Brähmauas  nichts.  Cyavana 
ist  dort  nur  ein  -alter,  gespenstisch  aussehender«  Heiliger, 


—    334    — 

sichtbar  waren.  Aus  Übermut  und  Neugier  bohrte  das  junge  Mädchen 
mit  einem  Dorn  in  1en  beiden  leuchtenden  Dingern  herum  und  — 
stach  dem  Asketen  die  Augen  aus  ')■  Von  Zorn  erftillt,  verursachte 
der  Heilige  Harnverhaltung  und  Stuhlverstopfung  im  Heere  des 
Saryäti"^).  Der  König  forschte  lange  nach  der  Ursache  des  Unglücks, 
und  als  es  sich  herausstellte,  dafs  der  grolse  Büfser  beleidigt  worden 
war,  begab  er  sich  zu  diesem,  um  seine  Verzeihung  zu  erlangen.  Der 
läfst  sich  nur  dadurch  versöhnen,  dafs  der  König  ihm  seine  Tochter 
zur  Frau  gibt.  So  wird  das  junge  Mädchen  die  Gattin  des  alten  ge- 
brechlichen Greises.  Eines  Tages  sehen  die  beiden  Asvins  die  junge 
Frau,  wie  sie  eben  aus  dem  Bade  steigt,  und  wollen  sie  dazu  be- 
wegen, statt  des  hätslichen  Alten  einen  von  ihnen  zum  Gatten  zu  wählen. 
Sie  aber  erklärt,  ihrem  Manne  treu  bleiben  zu  wollen.  Da  machen 
ihr  die  beiden  Götterärzte  den  Vorschlag,  sie  würden  ihren  Gemahl 
jung  machen,  dann  solle  sie  zwischen  ihnen  beiden  und  dem  verjüngten 
Cyavana  wählen.  Da  Cyavana  dazu  einverstanden  ist,  willigt  auch 
sie  ein.  Die  Asvins  lassen  hierauf  den  alten  Asketen  in  den  Teich 
steigen  und  tauchen  auch  selbst  im  Wasser  unter,  worauf  sie  alle  drei 
ganz  gleich  und  in  blendender  Jugendschönheit  herauskommen.  Nun 
soll  Sukanyä  wählen  und  entscheidet  sich  nach  reiflicher  Überlegung 
für  ihren  eigenen  Gatten  Cyavana').  Dieser  aber  verspricht  den 
Asvins  zum  Dank  dafür,  dafs  sie  ihn  verjüngt  haben,  sie  zu  Soma- 
trinkern  zu  machen.  Bei  einem  grofsen  Opfer,  welches  er  für  Saryäta 
vollzieht,  bringt  er  den  Asvins  Soma  dar.  Der  Götterkönig  Indra 
aber  will  nicht  zugeben,  dafs  die  Asvins,  die  sich  als  Ärzte  unter  den 
Menschen  herumtreiben,  des  Soma  würdig  sein  sollen.  Cyavana  aber 
kümmert  sich  nicht  um  die  Einwände  des  Indra  und  opfert  weiter  den 
Asvins.  Da  will  der  erzürnte  Indra  den  Donnerkeil  auf  ihn  schleudern. 
In  dem  Augenblicke  aber  lähmt  der  Heiljge  den  Arm  des  Gottes ;  und 
;im  ihn  gründlich  zu  demütigen  *),  erschafft  er  kraft  seiner  Askese  ein 


^)  In  den  ßrähmapas  sind  es  die  jungen  Burschen  im  Gefolge  des 
Königs,  welche  den  alten  Rsi  beschimpfen,  indem  sie  ihn  mit  Erd- 
schollen bewerfen. 

*)  Nach  den  Brähma^as  bestand  die  Strafe  darin,  dafs  Uneinig- 
keit im  Gefolge  des  Königs  entstand:  »Der  Vater  kämpfte  mit  dem 
Sohne,  der  Bruder  mit  dem  Bruder  «(§at.  Br.).  »Die  Mutter  kannte 
nicht  den  Sohn,  der  Sohn  nicht  die  Mutter«  (Jaim.  ßr.). 

")  Das  Sat.  Br.  weifs  nichts  davon,  dafs  die  Asvins  gleichfalls  in 
den  Teich  steigen.  Das  Jaim.  Br.  aber  berichtet,  dafs  Cyavana  der 
Sukanyä  schon  vorher  ein  Zeichen  bekannt  gegeben  habe,  woran  sie 
ihn  erkennen  würde. 

*)  Im  bat.  Br.  ist  von  einer  Demütigung  des  Gottes  gar  keine 
Rede,  sondern  Cyavana  gibt  den  Asvins  nur  ein  Mittel  an  die  Hand, 
wodurch  sie  von  Indra  und  den  anderen  Göttern  freiwillig  zu  Teil- 
nehmern  am  Somatrank  gjmacht  werden.     Im  Jaim.  Br.  kommt  es 


—    335    — 

fürchterliches  Riesenungeheuer—  Mada.  den  Rausch.  Mit  seinem 
Riesenmaul  (der  eine  Kieler  befindet  sich  auf  der  Erde,  während  der 
andere  bis  zum  Himmel  reicht)  geht  er  auf  Indra  los  und  droht  ihn 
zu  verschlingen.  Zitternd  vor  Angst  bittet  der  (iötterfürst  den  Heiligen 
um  Gnade,  und  dieser  läfst  befriedigt  den  Rausch  wieder  ver- 
schwinden, indem  er  ihn  auf  den  Rauschtrank  Surä,  die  Weiber,  die 
Würfel  und  die  Jagd  verteilt'). 

Es  zeigt  sich  hier,  wie  in  vielen  anderen  Fällen,  deutlich, 
dafs  die  brahmanische  Dichtung,  die  im  Epos  enthalten  ist,  eine 
viel  jüngere  Phase  der  Entwicklung  darstellt  als  die  der  vedischen 
Litteratur.  Das  Charakteristische  dieser  jüngeren  brahmanischen 
Dichtung  ist  aber  die  Übertreibung,  die  Mafslosigkeit  überhaupt 
und  insbesondere  die  malslose  Überhebung  der  Heiligen  — 
ßrahmanen  und  Büfser  —  über  die  Götter.  Selbst  in  den  eigent- 
lichen Indra-Mythen,  welche  an  die  alten  vedischen  Götter- 
sagen anknüpfen,  ist  Indra  nicht  mehr  der  gewaltige  Kämpe  und 
Dämonenbesieger,  als  den  wir  ihn  in  den  Hymnen  des  Rigveda 
kennen  gelernt  haben  2).  Wohl  lebt  noch  die  alte  Sage  vom 
Kampfe  des  Indra  mit  Vrtra  fort,  sie  wird  im  Mahäbhärata 
sogar  zweimal  mit  ziemlicher  Ausführlichkeit  erzählt^),  aber  das 
Hauptgewicht  wird  dabei  auf  den  Umstand  gelegt,  dafs  Indra 
durch  Tötung  des  Vrtra  die  Schuld  des  Brahmanenmordes  auf 
sich  geladen  haben  soll.  "Wie  er  sich  von  dieser  furchtbaren 
Schuld  erst  befreien  und  dabei  mancherlei  Demütigungen  auf 
sich  nehmen  mufste,  das  wird  sehr  eingehend  berichtet.  Wir 
haben  ja  gesehen,  dafs  er  sogar  eine  Zeitlang  seines  himmlischen 
Thrones  beraubt  wurde  und  Nahusa  seine  Stelle  einnahm  *).    Dafs 


allerdings  bereits  zu  einer  Kraftprobe  zwischen  Rsis  und  Göttern,  und 
die  Rsis  erschaffen  den  Mada  zu  ihrem  Beistand.  Da  aber  Indra 
und  die  Götter  vor  dem  Ungeheuer  fliehen,  droht  das  Opfer  ein  indra- 
loses  und  götterloses  zu  werden,  und  der  Rsi  bittet  den  Indra  mit 
Gebeten  und  Anrufungen  recht  höflich,  wieder  zurückzukehren.  Erst 
in  der  Darstellung  des  Mahäbhärata  wird  der  Gott  von  dem  Heiligen 
ganz  und  gar  gedemütigt. 

')  Im  Jaim.  Er.  wird  der  Dämon  Rausch  nur  auf  die  Surä 
(Branntwein)  übertragen. 

•■)  Vgl.  oben  S.  73  ff. 

»)  III,  100  f.  V,  9-18.  Zahlreich  sind  die  Anspielungen  auf 
diesen  Kampf,  Eine  Dublette  der  Sage  vom  Vrtrakampf  ist  die  vom 
Kampfe  des  Indra  mit  Namuci,  IX,  43. 

*)  Oben  S.  324. 


—    336    — 

durch  die  Bufsübungen  frommer  Brahmanen  Indras  Herrschaft 
erschüttert  wird,  geht  aus  zahlreichen  Sagen  hervor.  Reifst  es 
doch  geradezu^),  dafs  Busse  selbst  den  Indra  zwingen  kann, 
zum  Sitze  des  Yama  (des  Todesgottes)  einzugehen.  Und  gar 
oft  greift  Indra  zu  dem  probaten  Mittel,  dafs  er  einen  Heihgen, 
der  durch  strenge  Bufsübungen  den  Göttern  gefähriich  zu  werden 
droht,  durch  eine  schöne  Apsaras  verführen  läfst^). 

Auch  Agni,  der  Freund  des  Indra,  hat  in  den  Mythen  des 
Mahäbhärata  viel  von  seiner  alten  Gottesherrlichkeit  eingebüfst. 
Zwar  knüpfen  die  Mythen,  welche  von  ihm  erzählt  werden, 
immer  noch  an  die  vedischen  Vorstellungen  von  dem  Feuer  und 
dem  Gott  des  Feuers  an.  Schon  im  Rigveda  heilst  er  »der  Buhle 
der  Mädchen,  der  Gatte  der  Weiber«  ^).  Aber  das  Mahäbhärata 
weifs  förmliche  Liebeshändel  von  Agni  zu  erzählen.  So  verliebte 
er  sich  einst  in  die  schöne  Tochter  des  Königs  Nila,  und  das 
heilige  Feuer  im  Palast  des  Königs  wollte  nur  brennen,  wenn  es 
von  den  schönen  Lippen  und  dem  süfsen  Atem  der  Königstochter 
angefacht  wurde.  Dem  König  blieb  nichts  übrig,  als  seine 
Tochter  dem  Agni  zur  Frau  zu  geben.  Zum  Dank  dafür  ge- 
währt ihm  der  Gott  die  Gnade,  dafs  er  unbesiegbar  wird  und 
dafs  die  Frauen  seiner  Stadt  vollständige  Freiheit  in  bezug  auf 
Geschlechtsverkehr  geniefsen*).  Auch  von  der  Gefräfsigkeit  des 
Agni  ist  schon  im  Veda  die  Rede.  Die  Sagen  des  Mahäbhärata 
erzählen  aber,  dafs  er  infolge  eines  Fluches  des  Rsi  B  h  r  g  u  zum 
»AUesesser«  geworden  ist.  Dafs  Agni  mehrere  Brüder  hat  und 
dafs  er  sich  im  Wasser  oder  in  den  Reibhölzern  versteckt,  sind 
ebenfalls  vedische  Vorstellungen,  welche  schon  in  den  Brähmanas') 
zur  Mythenbildung  führten;  aber  erst  im  Mahäbhärata  werden 
ausführliche  Geschichten  darüber  erzählt,  warum  Agni  sich,  ver- 
steckt habe,  und  wie  ihn  die  Götter  wiedergefunden*). 

Zu  den  Sagen,  welche  bereits  im  Veda  bekannt  sind  und  im 
Mahäbhärata    wiederkehren,    gehört    auch   die   Flut  sage    von 

1)  III  126,  21. 

-)  Vgl.  A.  Holtzmann,  Indra  nach  den  Vorstellungen  des  Mahä- 
bhärata, in  ZDMG  Bd.  32,  S.  290  ff. 

■")  Oben  S.  78. 

*}  II,  31.    Eine  ähnliche  Liebesgeschichte  von  Agni  XIII,  2. 

»)  Z.  B.  Satapatha-Br.  I,  2,  3,  1;  Taittirlya-Samhitä  II,  6,  6. 

*)  Vgl.  A.  Holtzmann,  Agni  nach  den  Vorstellungen  des  Mahä- 
bhärata.   Strafsburg  1878. 


—     337     — 

Manu  und  dem  Fisch,  die  wir  oben^)  nach  dem  hatapatha- 
Brähmana  kennen  gelernt  haben.  Die  Erzählung  des  Mahä- 
bhärata,  die  »Fischepisode«  ^),  wie  sie  genannt  wird,  unterscheidet 
sich  von  der  Legende,  wie  sie  das  Brähmana  erzählt,  durch  ihre 
weit  gröfsere  Ausführlichkeit  und  die  dichterische  Darstellung, 
der  es  auch  nicht  an  Schwung  fehlt  —  so  wenn  geschildert  wird, 
wie  das  Schiff  »wie  eine  trunkene  Dirne«  auf  dem  aufgeregten 
Ozean  hin  und  her  taumelt.  In  bezug  auf  den  Inhalt  ist  von  Wichtig- 
keit, dafs  im  Mahäbhärata,  genau  so  wie  in  den  semitischen 
Sintflutsagen,  das  Mitnehmen  von  Samen  in  dem  Schiffe  er- 
wähnt wird^).  Ich  sehe  darin  eines  der  stärksten  Zeugnisse 
dafür,  dafs  die  indische  Flutsage  von  der  semitischen  entlehnt 
ist*).  Anders  als  im  Brähmana  ist  der  Schlufs  der  Sage  im 
Mahäbhärata.  Hier  erklärt  der  Fisch,  dafs  er  der  Gott  Brahman 
sei,  und  fordert  den  Manu  auf,  die  Welt  neu  zu  erschaffen,  was 
dieser  tut,  indem  er  sich  schweren  Bufsübungen  unterzieht-^). 

Weniger  bekannt  ist  der  tiefsinnige,  schöne  Mythos  von 
der  Göttin  Tod,  der  im  Mahäbhärata  zweimal  erzählt  wird  ^). 
»Wessen  Kind  ist  der  Tod?  Woher  kommt  der  Tod?  Warum 
rafft  der  Tod  die  Geschöpfe  dieser  W^elt  dahin?«  So  fragt 
Yudhisthira,  betrübt  über  den  Hingang  so  vieler  Helden,  die  in 
der  Schlacht  gefallen  sind.  Da  erzählt  ihm  Bhlsraa  [bzw.  Vyäsa^')] 


n  S.  182  f. 

2)  Matsyopäkhyäna ,  III,  187.  Oft  überset/t,  zuerst  von  Franz 
Bopp,  Die  Sündflut  nebst  drei  anderen  der  wichtigsten  Episoden  des 
Mahä  Bhärata.  Berlin  1829.  Eine  neuere  Übersetzung  (von  H.  Jacobi) 
bei  H.  Usener,  Die  Sintflutsagen.    Bonn  1899,  S.  28 ff. 

')  Ebenso  im  Matsya-Purä^a  und  im  Bhägavata-Puräna ,  wo  die 
Sage  wiederkehrt. 

*)  Vgl.  meine  Abhandlung  »Die  Flutsagen  des  Altertums  und 
der  Naturvölker«  im  XXXI.  Band  der  Mitteilungen  der  Anthro- 
pologischen Gesellschaft  in  Wien,  1901,  besonders  S.  324  f.  und 
327  ff.  Ich  .weifs  nicht,  wie  diejenigen,  welche  wie  R.  Pischel,  Der 
Ursprung  des  christlichen  Fischsymbols  (Sitzungsberichte  der  Berliner 
Akademie  der  Wissenschaften  XXV,  1905)  den  Zusammenhang 
zwischen  indischen  und  semitischen  Flutsagen  leugnen,  diese  gewifs 
auffällige  Übereinstimmung  erklären. 

^)  Von  den  »Samen«,  die  er  mitgenommen,  ist  bei  der  Neu 
Schaffung  der  Welt  nicht  mehr  die  Rede! 

®)  VII,  52—54,  wo  Vyäsa  den  Yudhisthira,  welcher  über  den  Tod 
des  Abhimanyu  (oben  S.  307)  in  Schmerz  versunken  ist,  mit  der  Ge- 


—    338     — 

die  Geschichte,  welche  einst  Närada  dem  König  Anukampaka  er- 
zählte, als  dieser  über  den  Tod  seines  Sohnes  untröstlich  war. 
Der  Inhalt  der  Erzählung  ist  kurz  folgender: 

Als  der  Urvater  Brahman  die  Wesen  erschaffen  hatte,  vermehrten 
sie  sich  unablässig  und  starben  nicht.  Die  Welten  wurden  über  und 
über  voll,  und  die  Erde  beklagte  sich  bei  Brahman,  dals  sie  ihre 
Last  nicht  mehr  ertragen  könne.  Da  dachte  der  Urvater  darüber 
nach,  wie  er  die  Wesen  vermindern  könnte,  es  fiel  ihm  aber  kein 
Mittel  ein.  Darob  geriet  er  in  Zorn,  und  das  Feuer  seines  Zornes 
drang  aus  allen  Poren  seines  Leibes  hervor,  Flammen  schlugen  über 
die  Welt  zusanjmen  und  drohten  alles  zu  vernichten.  Gott  Siva  aber 
empfand  Mitleid  mit  den  Wesen,  und  auf  seine  Fürbitte  zog  Brahm^n 
das  aus  seinem  Zorn  entstandene  Feuer  wieder  in  sich  zurück  und 
ordnete  das  Entstehen  und  Vergehen  der  Wesen  an;  dabei  kam  aber 
aus  den  Poren  seines  Leibes  eine  dunkeläugige,  in  dunkelrotes  Gewand 
gehüllte,  schön  geschmückte  Frau  hervor.  Sie  wollte  nach  Süden  zu 
ihres  Weges  gehen,  aber  Brahman  rief  sie  an  und  sprach:  »Tod.  töte 
die  Wesen  dieser  Welt!  Du  bist  ja  aus  meinem  Gedanken  Welt' 
Vernichtung  und  meinem  Zorn  hervorgegangen,  darum  vernichte  die 
Geschöpfe,  die  Toren  und  die  Weisen,  alle  insgesamt!«  Da  weinte  die 
lotusbekränzte  Göttin  Tod  laut,  der  Herr  der  Geschöpfe  aber  fing 
ihre  Tränen  in  seinen  Händen  auf.  Sie  aber  flehte  ihn  an,  ihr  das 
grausame  Amt  zu  erlassen: 

A'^erehrung  sei  dir,  o  Herr  der  Wesen,  sei  mir  gnädig,  dafs  ich 
nicht  unschuldige  Geschöpfe  —  Kinder,  Greise  und  Menschen  im  besten 
Lebensalter  —  hinwegraffen  mufs:  geliebte  Kinder,  traute  Freunde^ 
Brüder,-  Mütter  und  Väter!  Schelten  wird  man  mich,  wenn  sie  so 
dahinsterben.  Davor  fürchte  ich  mich.  Und  der  Unglücklichen 
Tränen  fürchte  ich,  deren  Nafs  mich  brennen  wird  in  alle  Ewigkeit." 

Aber  ein  Beschlufs  des  Brahman  ist  unabänderlich.  Sie  mufs  sich 
darein  fügen;  doch  gewährt  ihr  der  Urvater  die  Gnade,  dafs  Habsucht, 
Zorn,  Neid,  Eifersucht,  Hals,- Verblendung  und  Schamlosigkeit  die 
Menschen  verderben,  und  dafs  die  Tränen,  die  die  Göttin  vergossen 
und  die  er  in  der  Hand  hält,  zu  Krankheiten  werden,  welche  die  Ge- 


schichte tröstet;  und  XII.  256—258,  wo  Bhlsma  dem  Yudhisthira,  da 
er  über  den  Hingang  der  vif.len  in  der  grofsen  Schlacht  gefallenen 
Helden  klagt,  dieselbe  Trostgeschichte  noch  einmal  erzählt.  Wahr- 
scheinlich stand  aber  die  Geschichte  ursprünglich  nur  im  XII.  Buch, 
denn  die  Verse  XII,  256,  1--6,  in  denen  von  den  vielen  Gefallenen 
in  der  Mehrzahl  die  Rede  ist,  finden  sich  VII,  52,  12—18  wörtlich 
wieder,  trotzdem  hier  eigentlich  nur  die  Klage  um  Abhimanyu  den 
Anlafs  zur  Erzählung  bietet.  Das  Stück  ist  übersetzt  von  Friedrich 
Rückert  (in  Rob.  Boxbergers  «Rückert- Studien » ,  Gotha  1878, 
S.  114  ff.)  und  von  Deussen,  ^-Vier  philosophische  Texte  des  Mahä- 
bhäratam«,  S.  404—413. 


—   339     — 

schöpfe  töten.  So  trifft  sie  keine  Schuld  an  dem  Tode  der  Wesen. 
Im  Gegenteil.  Die  Sünder  gehen  durch  ihre  eigene  Sünde  unter 
Sie  aber,  die  Göttin  Tod,  ist  die  Gerechtigkeit  selbst  und  die  Herrin 
der  Gerechtigkeit '),  indem  sie,  frei  von  Liebe  und  frei  von  Hafs,  die 
Lebewesen  dahinrafft. 

Ein  Beweis  für  das  ziemlich  hohe  Alter,  welches  diesem 
Mythos  ebenso  wie  dem  von  Manu  und  der  Flut  zugeschrieben 
werden  mufs,  ist  die  erhabene  Stellung,  welche  dem  Gott 
Brahman  in  ihnen  zuerteilt  wird.  Der  Gott  ^iva  ist  in 
dem  Mythos  von  der  Göttin  Tod  dem  Brahman,  der  ihn  als 
>Söhnchen«  anredet,  untergeordnet.  Mythen,  in  denen  der  Gott 
§iva  eine  alle  Götter  überragende  Stellung  einnimmt,  bezeichnen 
eine  viel  spätere  Schicht  brahmanischer  Dichtung  im  Mahäbhärata. 
Das  gleiche  gilt  auch  von  den  Mythen,  in  denen  der  Gott 
V  i  s  n  u  die  Hauptrolle  spielt.  Oft  sind  ältere  brahmanische 
Mythen  und  Legenden  im  Sinne  der  Vi§nu-  oder  Siva- Verehrung 
umgearbeitet  worden,  was  zumeist  unschwer  zu  erkennen  ist. 
Derlei  visnuitische  und  insbesondere  sivaitische  Zutaten  nehmen 
sich  oft  wie  Kleckse  auf  einem  Gemälde  aus,  Sic  sind  leicht 
auszuscheiden,  und  deren  Entfernung  erhöht  nur  den  Wert  der 
Dichtung.  Als  dichterische  Erzeugnisse  sind  die  Erzählungen, 
welche  der  Verherrlichung  der  Götter  Visnu  und  Siva  gewidmet 
sind,  durchaus  minderwertig^). 

Eine  Göttin  Tod  spielt  in  der  indischen  Mythologie  sonst 
keine  Rolle  3).  Sowie  aber  in  dem  oben  erzählten  Mythos  die 
Todesgöttin  zur  Göttin  der  Gerechtigkeit  wird,  so  ist  im  ganzen 
Mahäbhärata  die  Vorstellung  geläufig,  dafs  Yama,  der  Todes- 
gott, mit  Dharma,  dem  personifizierten  Recht,  eins  sei^). 
Nirgends  aber  kommt  diese  Gleichsetzung  des  Königs  der  Toten- 
welt mit  dem  Herrn  des  Rechts  und  der  Gerechtigkeit  so  schön 


')  Vn,  54,  41. 

2)  Ausschliefslich  dem  sektarischen  Kult  gewidmet  sind  Stücke, 
wie  das  Visnusahasranämakathana  (XIII,  149),  die  Aufzählung 
der  tausend  Namen  des  Visnu,  das  Satarudriya  {VII,  202),  »die 
hundert  Namen  des  Öiva«,  und  das  ^^i vasahasranämastotra  fXII, 
284,  16  ff.),   »Preis  des  Siva  in  tausend  Namen«.    Vgl.  oben  S.  161  f. 

^)  Meines  Wissens  kommt  sie  nur  noch  im  Brahmavaivartta- 
Puräua  einmal  neben  Yama  vor  (Th.  Aufrecht,  Catalogus  codicum 
MSS.  Sanscriticorum  in  Bibl.  Bodleiaua,  p.  22  a). 

*)  Über  den  Gott  Dharma  siehe  auch  schon  oben  S.  276  und  318. 

Winternitz,  Geschichte  der  indiscfaeii  Litteratur  23 


—     340     — 

zum  Ausdruck,  wie  in  der  herrlichsten  aller  brahmanischen 
Dichtungen,  die  uns  das  Epos  aufbewahrt  hat,  d6m  wunderbaren 
Gedicht  von  der  gattentreuen  Sävitrl^),  Der  zum  Teil  religiöse 
Charakter  der  Dichtung,  das  Hineinspielen  der  Mythologie  — 
und  zwar  der  alten  brahmanischen  Mythologie,  in  der  Brahman, 
der  Urvater,  die  Geschicke  der  Menschen  bestimmt  und  weder 
Siva  noch  Visnu  eine  Rolle  spielen  —  und  die  Szenerie  des 
Büfserhains,  in  welchem  die  Handlung  grölstenteils  vor  sich  geht, 
bestimmen  mich ,  die  Sävitri-Episode  in  die  brahmanische 
Legendendichtung  einzureihen.  Doch  ist  es  mir  nicht  ganz  un- 
zweifelhaft, ob  wir  es  nicht  vielmehr  mit  einem  frommen  Stück 
aus  der  alten  Bardendichtung  zu  tun  haben.  Denn  das  selb- 
ständige Auftreten  der  Königstochter  Sävitrl,  die  auszieht,  sich 
einen  Gemahl  zu  suchen,  und  auf  ihrer  Wahl  beharrt,  trotzdem 
der  Heilige  und  der  Vater  warnenden  Einspruch  erheben;  die 
Selbständigkeit,  mit  der  sie  Bufse  übt,  Opfer  darbringt  und  (Ge- 
lübde auf  sich  nimmt  2);  und  vor  allem  ihr  mutiges  Eintreten 
für  das  Leben  des  Gemahls  sowie  ihre  Kenntnis  weiser  Sprüche, 
durch  die  sie  selbst  auf  den  Todesgott  Eindruck  macht  —  alles 
das  erinnert  mehr  an  die  Frauen  der  Heldendichtung,  wie 
Draupadi,  KuntI  und  Vidulä,  als  an  das  brahmanische  Frauj^n- 
ideaP).  Wer  immer  es  aber  war,  der  das  Lied  von  der  Sävitri 
gesungen,  ob  ein  Süta  oder  ein  Brahmane,  jedenfalls  war  er 
einer  der  gröfsten  Dichter  aller  Zeiten.  Nur  ein  grofser  Dichter 
war  imstande,  diese  herrliche  Frauengestalt  so  lebendig  vor  uns 
hinzustellen,    dafs   wir   sie   vor   Augen   zu   sehen   meinen.     Nur 

')  III,  293~299:  Sävitryupäkhyäna,  »Episode  von  der  Sävitri« 
oder  Pativratämähätmya  »das  Hohelied  von  der  gatten treuen 
Frau».  Die  Geschichte  erzählt  der  vieltausendjährige,  aber  ewig  junge 
Seher  Märkandeya  dem  Yudhisthira,  um  ihn  über  das  Schicksal 
der  Draupadi  zu  trösten. 

*)  Nach  brahmanischer  Vorschrift  ist  eine  Frau  als  solche  (ge- 
trennt von  ihrem  Gatten)  zur  Vollziehung  von  Opfern  sowie  zur 
Übernahme  von  Fasten  und  anderen  Gelübden  nicht  berechtigt  (Manu 
V,  155). 

')  Dieses  Ideal  ist,  kurz  gesagt,  das  »Griseldis- Ideal«  —  das  un- 
bedingt gehorchende,  untertänige  Weib,  von  dem  Manu  V,  lö4  lehrt: 
»Selbst  wenn  ein  Gatte  aller  Tugenden  bar  ist,  nur  den  Lüsten  fröhnt 
und  keinerlei  gute  Eigenschaften  besitzt,  mufs  er  von  einer  tugend- 
haften Frau  stets  wie  ein  Gott  geehrt  werden." 


—    341     — 

ein  wahrer  Dichter  vermochte  den  Sieg  der  Liebe  und  Treue 
der  Güte  und  Weisheit  über  Schicksal  und  Tod  in  so  ergreifender 
und  sittlich  erhebender  Weise  zu  schildern,  ohne  auch  nur  einen 
Augenblick  in  den  Ton  des  trockenen  Sittenpredigers  zu  verfallen  *). 
Und  nur  ein  begnadeter  Künstler  konnte  so  wunderbare  Bilder  vor 
uns  hinzaubern.  Da  sehen  wir  die  schwer  geängstigte  Frau  an 
der  Seite  des  dem  Tode  verfallenen  Gatten  mutig  dahinschreiten ; 
den  todkranken  Mann,  der  sein  Haupt  müde  in  den  Schofs  der 
Gattin  legt;  die  furchtbare  Gestalt  des  Todesgottes,  der  die 
Seele  des  Mannes  in  Fesseln  schlägt  und  fortführt;  die  mit  dem 
Todesgott  um  das  Leben  des  Mannes  ringende  Frau;  und  endlich 
das  glücklich  wiedervereinte  Ehepaar,  das  armuraschlungen  im 
Mondschein  heimwärts  wandelt.  Und  wir  sehen  alle  diese 
Bilder  in  dem  prächtigen  Rahmen  eines  indischen  Urwaldes, 
dessen  tiefe  Ruhe  wir  zu  verspüren,  dessen  köstlichen  Duft  wir 
zu  atmen  vermeinen,  indem  wir  uns  dem  Zauber  dieser  un- 
vergleichlichen Dichtung  hingeben. 

Wie  sehr  die  Inder  selbst  den  Schatz,  den  sie  an  dieser  un- 
sterblichen Dichtung  besitzen,  zu  würdigen  wissen,  das  zeigen 
die  Schlufsworte,  welche  in  unserem  Mahäbliärata  dem  Gedichte 
angehängt  worden  sind : 

»Wer  die  herrliche  Geschichte  von  der  Sävitri  mit  gläubigem 
Gemüte  anhört,  der  Mann  ist  glücklich,  um  seine  Sache  ist  es  wohl- 
bestellt, und  nie  wird  ihm  ein-  Leid  widerfahren.« 

Noch  heute  feiern  indische  Frauen  alljährlich  ein  Fest 
( Sävitri vrata)  in  Erinnerung  an  die  gattentreue  Sävitri,  um  sich 

')  Das  Gespräch  zwischen  Sävitri  und  dem  Todesgott  Yama,  der 
zugleich  Dharma  ist.  bildet  den  Kern  des  Gedichtes.  Manche  der 
Verse  mögen  schlecht  überliefert  sein.  Doch  ist  der  Grundgedanke 
aller  der  Sinnsprüche,  durch  welche  Sävitri  den  Gott  so  erfreut 
und  bezwingt,  deutlich  genug  erkennbar;  es  ist  die  Lehre  von 
der  Weisheit,  die  mit  Liebe  und  Güte  eins  ist.  Das  ist  keine 
besondere  brahmanische  Weisheit,  sowenig  wie  Sävitri  «ein  mit  allem 
brahmanischen  Wissen  ausgestattetes,  frommes  Idealweib  nach  dem 
Herzen  der  Priester  ist,  wie  Paul  Hörn  («Der  dumme  Tod  im  Sävitrl- 
Liedes  Beilage  zur  Allg.  Zeitung  1902.  Nr.  55,  S.  438)  meint.  Es 
ist  auch  gar  nicht  daran  zu  denken,  dafs  dieses  Gespräch  ein  »Ein- 
schub«  und  «spezielles  Priesterwerk <  sei.  Ebensowenig  kann  ich  mit 
Paul  Hörn  in  der  SävitrI-Legende  eine  Parallele  zu  den  deutschen 
Sagen  vom  »dummen  Tod«  sehen. 

23* 


—    342    — 

eheliches  Glück  zu  sichern,  wobei  der  Vortrag  des  Gedichtes 
aus  dem  Mahäbhärata  einen  wesentlichen  Bestandteil  der  Feier 
bildet »). 

Oft  ist  das  Gedicht  in  europäische  Sprachen  und  auch  ins 
Deutsche  übersetzt  worden.  Eine  schlichte  Prosaübersetzung  gab 
schon  Franz  Bopp^);  die  erste  dichterische  Bearbeitung  Friedrich 
Rückert^),  Doch  alle  Übersetzungen,  Umdichtungen  und  Nach- 
dichtungen vermögen  nur  eine  schwache  Vorstellung  von  dem 
unvergleichlichen  Reiz  des  indischen  Gedichtes  zu  geben. 

Nicht  alle  brahmanischen  Legenden  sind  so  fromm  und 
moralisch  wie  die  von  Sävitri.  Ja,  es  liefse  sich  mit  Leichtig- 
keit ein  ganzer  Band  von  schmutzigen  und  unflätigen  Geschichten, 
an  denen  die  Brahmanen  Gefallen  fanden,  aus  dem  Mahäbhärata 
zusammensteilen  —  Geschichten,  welche  in  wortgetreuer  deutscher 
Übersetzung  mit  der  Etikette  »nur  für  Gelehrte«  veröffentlicht 
werden  müfsten.  Eine  dieser  Geschichten  ist  aber  zu  einer  ge- 
wissen Berühmtheit  gelangt  und  auch  für  die  Kritik  des  Mahä- 
bhärata selbst  von  nicht  geringer  Wichtigkeit.  Es  ist  dies  die 
Legende   von   Rsyasrnga^),    dem  Rsi,   der  nie   ein  Weib  ge- 


')  Vgl.  ShibChunderBose,  The  Hindoos  as  they  are,  2nd  Ed., 
Calcutta  1883,  S.  293  ff. 

^)  ^'Die  Sündflut  nebst  drei  anderen  der  wichtigsten  Episoden  des 
Mahä-Bhärata.,  Berlin  1829,  S.  11-70. 

*)  In  den  »Brahmanischen  Legenden«  1836.  Werke,  herausg.  von 
C.  Beyer,  Bd.  VI,  S.  412  ff.  Allzu  freie  Bearbeitungen  mit  willkür- 
lichen und  unnötigen  Änderungen  geben  A.  Holtzmann  in  den 
»Indischen  Sagen«  I  (Karlsruhe  1845,  2.  Aufl.  1854)  und  Luise  Hitz 
in  den  'Gangä- Wellen«  (München  1893).  Ganz  geschmacklos  ist  die 
Übertragung  von  Albert  Höfer,  Indische  Dichtungen  (Leipzig  1844). 
Die  Übersetzungen  von  J.  Merkel  (Aschaffenburg  1839)  und  von 
Ernst  Meier  (im  '-Morgenblatt  für  gebildete  Leser«  1854)  kenne  ich 
nicht.  Eine  gute  Vorstellung  von  dem  Original  gibt  die  genaue  Über- 
setzung (in  Prosa,  nur  die  Sinnsprüche  sind  in  Versen)  von  Hermann 
Camillo  Kellner  (in  Reclams  Universalbibliothek  Nr.  3504,  Leipzig 
1895). 

*)  III,  110—113.  Vgl.  Heinrich  Lüde rs,  Die  Sage  von  Rsyasrnga 
(Nachrichten  der  k.  Gesellschaft  der  Wiss.  zu  Göttingen.  Philol- 
histor.  Kl.  1897  Heft  1  und  1901  Heft  1.)  Eine  dichterische  Bearbeitung 
des  Stückes  gab  A.  Holtzmann,  Indische  Sagen  I,  109—119.  In 
sehr  freier  Weise  umgedichtet  ist  die  Sage  von  J.  V.  Widmann, 
»Buddhac  (Bern  1869)  im  IX.  Gesang,  S.  101  ff. 


—    343     — 

sehen.      Der    Inhalt    dieses    altindischen    Schwankes    ist     kurz 
folgender : 

Rsyasrnga ')  ist  der  auf  wunderbare  Weise  von  einer  Gazelle  ge- 
borene Sohn  eines  Heiligen,  der  in  der  Einsiedelei  im  Walde  auf- 
wächst, ohne  irgendeinen  Menschen  aufser  seinem  Vater  je  gesehen 
zu  haben.  Vor  allem  hat  er  nie  ein  Weib  erblickt.  Einst  entstand 
nun  im  Reiche  des  Königs  Lomapäda  eine  grofse  Dürre,  und  die 
Weisen  erklärten:  die  Götter  seien  erzürnt,  und  es  werde  nur  dann 
regnen,  wenn  es  dem  König  gelinge,  Rsyasrnga  in  sein  Land  zu 
bringen.  Des  Königs  Tochter  Santa 2)  übernimmt  die  Aufgabe,  den 
jungen  Heiligen  in  das  Land  zu  locken.  Aus  künstlichen  Bäumen 
und  Sträuchern  wird  eine  schwimmende  Einsiedelei  hergestellt,  in 
welcher  Santa  zum  Wohnsitz  des  Rsyasrnga  segelt.  In  der  Nähe  der 
Waldeinsiedelei  angekommen,  steigt  die  Königstochter  ans  Land  und 
benutzt  die  Abwesenheit  des  Vaters  des  Rsyasrnga,  um  sich  dem 
jugendlichen  Büfser  zu  nähern.  Sie  gibt  ihm  herrliche  Früchte  und 
köstlichen  Wein,  spielt  kokett  mit  einem  Ball  und  schmiegt  sich  in 
zärtlicher  Umarmung  an  den  Jüngling,  der  glaubt,  einen  Einsiedler- 
knaben gleich  ihm  selber  vor  sich  zu  haben.  Darauf  kehrt  das 
Mädchen  wieder  auf  das  Schiff  zurück,  da  der  Vater  des  Rsyasrnga 
der  Einsiedelei  naht.  Der  Alte  bemerkt  die  Aufregung  seines  Sohnes 
und  ftagt  ihn,  was  geschehen  sei.  Dieser  schildert  sein  Erlebnis  mit 
folgenden  Worten:  ^ 

'Ein  Schüler  mit  geflochtenen  Haaren 

war  hier,  ganz  weifs  von  Angesicht, 
Mit  schwarzen  Augen  und  lächelndem  Munde, 

mit  schmalem  Leibe  und  hoher  Brust. 
Wie  wenn  im  Mai  der  Kuckuck  singt, 

so  lieblich  klang  es,  wenn  er  sprach. 


*)  Der  Name  bedeutet  »Gazellenhorn«.  Da  er  ein  Hörn  auf  dem 
Kopfe  hat,  heifst  er  in  buddhistischen  Versionen  auch  Ekasrnga, 
d.  h.  »Einhorn«. 

*)  In  unserem  Mahäbhärata  ist  es  nicht  Santa,  sondern  eine 
Hetäre,  welche  den  Heiligen  verführt.  Lüders  (a.  a.  O.)  hat  aber 
sehr  schön  nachgewiesen,  dals  nicht  nur  in  der  ursprünglichen  Form 
der  Sage,  wie  sie  uns  noch  in  dem  zum  buddhistischen  Tipitaka  ge- 
hörigen Jätaka -Buche  erhalten  ist,  sondern. auch  in  einer  ursprüng- 
licheren Gestalt  des  Mahäbhärata  selbst  die  Königstochter  Santa  die 
Verführerin  gewesen  ist.  Erst  irgendein  späterer  Rhapsode  oder 
Abschreiber  hat  daran  Anstofs  genommen,  dals  eine  Königstochter 
den  Rsyasrnga  verführt  haben  soll,  und  bat  eine  Hetäre  an  ihre  Stelle 
gesetzt,  so  dals  man  nicht  weifs,  warum  der  König  zuletzt  dem  Heiligen 
seine  Tochter  zur  Frau  gibt.  Übrigens  hat  schon  Holtzmann  in 
seiner  freien  Bearbeitung  (a.  a  O.)  die  Prinzessin  Santa  zur  Verführerin 
des  Rsyasrnga  gemacht. 


~    344    — 

Und  um  ihn  schwebte  köstlicher  Duft, 

wie  wenn  der  "Wind  im  Lenze  weht. 
Von  unseren  Früchten  wollte  er  nicht 

und  trank  aus  unserem  Brunnen  nicht. 
Er  gab  mir  andere  Früchte,  die  schmeckten 

so  herrlich;  und  von  seinem  Tiank, 
Wie  ich  ihn  kostete,  ward  mir  so  wohl, 

der  Boden  fing  zu  wanken  an. 
Dann  fafste  mich  der  Knabe  am  Haar 

Und  zog  mein  Haupt  zu  sich  hinab 
Und  setzte  seinen  lieblichen  Mund 

auf- meinen  Mund  und  machte  da 
Ein  klein  Geräusch;  das  machte,  dafs  mir 

ein  Schauder  durch  die  Glieder  fuhr. 
Nach  diesem  Schüler  sehne  ich  mich; 

wo  er  ist,  möchte  ich  immer  sein; 
Mir  ist  so  übel,  im  Herzen  so  weh, 

seit  ich  ihn  nicht  mehr  sehen  kann. 
Die  Bufse,  die  der  Knabe  gelernt, 

die  möcht'  ich  lernen,  die  gefällt 

Mir  besser,  als  die  Bufse,  die  du, 

mein  Vater,  mich  gelehrt  hast.« 
/ 
Drauf  der  Vater: 

»Mein  Sohn,  in.  also  schöner  Gestalt 

gehen  Teufel  in  den  Wäldern  um, 
Um  frommer  Leute  Bufse  und  Heil 

zu  stören;  traue  ihnen  nicht!«') 

Kaum  ist  aber  der  Vater  wieder  fortgegangen,  so  begibt  sich 
Rsyasrnga  auf  die  Suche  nach  seinem  jungen  »Freunde«.  Bald  hat 
er  die  schöne  Santa  gefunden,  wird  von  ihr  auf  die  schwimmende  Ein- 
siedelei gelockt  und  in  Lomapädas  Reich  entführt.*  In  dem  Augen- 
blick, wo  der  junge  Heilige  das  Land  betritt,  beginnt  es  in  Strömen 
zu  regnen.  Der  König  aber  macht  ihn  zu  seinem  Schwiegersohn, 
nachdem  er  den  alten  Vater  durch  reiche  Geschenke  versöhnt  hat. 

Verschiedene  Versionen  dieser  Legende  finden  sich  auch  in 
anderen  indischen  Litteraturw'erken,  insbesondere  im  Rämäyana, 
im  Padma-Puräna  und  in  buddhistischen  Märchensammlungen. 
Es  läfst  sich  unschwer  erkennen,  dals  die  Geschichte  ursprünglich 
ein  ebenso  lustiger  wie  derber  Schwank  war,  dessen  Unanständig- 
keiten die  verschiedenen  Überarbeiter  zu  mildern  suchten.  Die 
Szene,   in  welcher  der  Büfsersohn,   der   nie  ein  Weib   gesehen, 


*)  Die  Verse  nach  A.  Holtzmann  a.  a.  O. 


—    345    — 

das  schöne  Mädchen  erblickt,  das  er  für  einen  Asketen  hält, 
während  ihn  doch  die  Reize  der  Schönen  nicht  kalt  lassen,  stand 
in  der  ursprünglichen  Fassung  jedenfalls  im  Mittelpunkt  der  Er- 
zählung und  wurde  mit  einem  derben  Humor  geschildert,  von 
dessen  Urwüchsigkeit  uns  noch  in  dem  buddhistischen  Jätaka- 
Buche  ^)  Proben  erhalten  sind.  Wie  beliebt  aber  dieser  Schwank 
war,  das  zeigt  der  Umstand,  dafs  er  in  verschiedenen  Versionen 
auch  in  Tibet,  China  und  Japan  bekannt  ist  und  selbst  in  der 
Einhomsage  des  Abendlandes  Spuren  hinterlassen  hat^). 

Die  Rsyasrhga-Legende  findet  sich  in  dem  sogenannten 
Tlrthayäträ- Abschnitt^).  Der  Rsi  Lomasa  nämlich,  der  ge- 
kommen ist;  die  Brüder  des  Arjuna  zu  trösten*),  macht  mit 
ihnen  eine  Wallfahrt.  Bei  jedem  heiligen  Orte  (Tirtha),  welchen 
sie  besuchen,  erzählt  der  Rsi  eine  auf  denselben  bezügliche 
Geschichte.  So  sind  in  diesem  (gewifs  nicht  zum  ältesten  Be- 
stände des  Mahäbhärata  gehörigen)  Abschnitte  zahlreiche  brah- 
manische  Legenden  vereinigt.  Hier  findet  sich  z.  B.  auch  die 
schon  oben  erzählte  Legende  von  Cyavana  ^),  desgleichen  die 
Gagen  von  dem  berühmten  Rsi  Agastya.  Dieser  grofse  Heilige 
wird  unter  anderem  von  den  Göttern  gebeten,  den  Ozean  trocken 
zu  legen,  damit  sie  gewisse  Dämonen,  die  auf  dessen  Grunde 
hausen,  bekämpfen  können.  Der  Heilige  besorgt  dies  ganz  ein- 
fach dadurch,  dafs  er  den  ganzen  Ozean  austrinkt.  Er  ist 
auch   der   Held   zahlreicher   anderer  brahmanischer  Legenden*). 

Während  diese  Agastya-Legenden  die  ungeheure  Übermacht 
des   brahmanischen  Heiligen  über  Menschen   und  Götter  dartun 


')  In  den  Gäthäs  der  Jätakas  Nr.  523  und  526.  Diese  Gäthäs 
sind  nach  Lü'ders  fa.  a.  0.1897,  S.  38)  »die  ältesten  Reste  einer 
Htterarischen  Fassung  der  Rsyasrnga-Sage«,  »und  diese  Strophen  hat 
der  Verfasser  der  Mahäbhärata- Version  wenigstens  teilweise  gekannt 
und,  ins  Sanskrit  übersetzt  und  mehr^oder  minder  umgestaltet,  in  sein 
Werk  autgenommen«. 

-)  Vgl.  F.  W.  K.  Müller,  Ikkaku  seunin,  eine  mittelalterliche 
japanische  Oper  transskribiert  und  übersetzt.  Nebst  einem  Exkurs 
zur  Einhornsage  (in  der  Festschrift  für  Adolf  Bastian  zu  seinem 
70.  Geburtstage.    Berlin  1896,  S.  513-538). 

')  D.  h.  »Abschnitt  der  Wallfahrten",  III,  80-156.  Heilige  Orte, 
zu  welchen  Wallfahrten  (yäträ)  unternommen  werden,  heifsen  Tlrthas. 

*)  S.  oben  S.  293. 

">)  S.  333  f. 

«)  III,  96-109. 


—    346    — 

sollen,  finden  wir  im  Mahäbhärata  auch  einen  ganzen  Sagenkreis, 
dessen  Helden  die  berühmten  Rsis  Vasistha  und  Visvämitra 
sind »),  der  zwar  auch  schliefslich  zur  Verherrlichung  der  Brah- 
manen  dient,  in  dem  sich  aber  noch  deutliche  Spuren  eines 
Kampfes  um  die  Vorherrschaft  zwischen  Priestern  und  Kriegern 
wahrnehmen  lassen.  Diese  Sagen  reichen  mit  ihren  Wurzeln 
tief  in  die  vedische  Zeit  hinein,  und  sie  kehren  in  verschiedenen 
Versionen  auch  im  Epos  Rämäyana  und  in  den  Puränas  wieder. 
Die  bekannteste  dieser  Sagen  ist  die  von  Vasisthas  Kuh,  welche 
Heine  zu  den  Versen  begeistert  hat: 

*0  König  Wischwamitra, 

O  welch  ein  Ochs  bist  du, 

Dafs  du  so  viel  kämpfest  und  hülsest 

Und  alles  für  eine  Kuh.'» 

Der  Inhalt  der  Sage  nach  dem  Mahäbhärata  ist  kurz 
folgender : 

Visvämitra  war  ein  Krieger,  der  Sohn  des  Königs  Gädhin  von 
Kanyäkubja  (Kanauj).  Einst  kam  er  auf  der  Jagd  zur  Einsiedelei  des 
Rsi  Vasistha.  Dieser  hatte  eine  wunderbare  Kuh ,  die  ihm  alle 
Wünsche  erfüllte.  Wenn  er  irgend  etwas  begehrte,  sei  es  Speisen 
oder  Getränke,  Edelsteine  oder  iCleider,  oder  was  auch  immer,  so 
brauchte  er  nur  zu  sagen:  »Gib*,  und  die  Kuh  Nandini  gewährte  es 
ihm.  Als  Visvämitra  die  vortreffliche  Kuh  sah,  wollte  er  sie  gerne 
haben  und  bot  dem  Vasistha  zehntausend  gewöhnliche  Kühe  für  sie 
an.  Dieser  wollte  sie,  die  ihm  alles  bot,  was  er  nur  für  Opferzwecke 
brauchte,  nicht  hergeben.  Visvämitra  aber  wollte  sie  nun  »nach 
Kriegerbrauch«  rauben.  Vasistha,  als  sanfter  Brahmane,  hinderte  ihn 
zwar  nicht  daran,  aber  die  Wunderkuh  selbst  brachte  aus  ihrem  Körper 
gewaltige  Kriegerscharen  hervor,  durch  welche  die  Truppen  des 
Visvämitra  in  wilde  Flucht  geschlagen  wurden.  Da  sieht  der  stolze 
König,  dafs  Brahmanen macht  doch  grölser  sei  als  Kriegermacht;  er 
gibt  sein  Königreich  auf  und  tut  gewaltige  Bufse,  um  ein  Brahmane  zu 
werden,  was  ihm  nach  unsäglichen  Anstrengungen  gelingt. 

Noch  eine  merkwürdige-  Legende  aus  diesem  Sagenkreis 
möchte  ich  hervorheben,  weil  sie  an  manche  Züge  der  Ahasver- 
sage  erinnert: 

Auch  nachdem  Visvämitra  schon  Brahmane  geworden,  besteht 
noch  immer  seine  Feindschaft  gegen  Vasistha  fort.    Von  Visvämitra 

»)  I,  177-182;  V,  106-119;  IX,  39f.,  42f.;  XII,  141;  XIII,  3f. 
Vgl.  J.  Muir,  Original  Sanskrit  Texts.  Vol.  I,  3rd  Ed.  (London 
1890)  S.  388  ff.,  411  ff. 


—     347     — 

angestiftet,  tötet  der  von  einem  Räksasa  besessene  Kalmäsapäda  die 
Söhne  des  Vasistha.  Dieser  ist  aber  so  voll  Milde,  dafs  er  lieber 
sterben  will,  als  daJs  er  seinem  Zorn  freien  Lauf  liefse.  Er  will  seinem 
Leben  ein  Ende  machen  und  stürzt  sich  vom  Berg  Meru  herab,  fällt 
aber  wie  auf  einen  Haufen  Wolle.  Er  geht  ins  Feuer,  aber  es  ver- 
brennt ihn  nicht.  Mit  einem  Stein  um  den  Hals  wirft  er  sich  ins 
Meer,  wird  aber  lebend  wieder  ausgeworfen.  Da  kehrt  er  betrübten 
Herzens  in  seine  Einsiedelei  zurück.  Wie  er  aber  sein  Heim  leer 
von  Kindern  erblickt,  bringt  ihn  der  Schmerz  von  neuem  auf  Selbst- 
mordgedanken. Er  stürzt  sich  in  einen  angeschwollenen  Bergstrom, 
nachdem  er  seine  Glieder  mit  Stricken  festgebunden,  aber  die  Strömung 
zerreifst  seine  Fesseln  und  wirft  ihn  ans  Ufer.  Er  kommt,  weiter 
wandernd,  zu  einem  Flufs,  der  voll  von  Krokodilen  und  greulichen 
Ungeheuern  ist;  er  stürzt  sich  hinein,  aber  die  wilden  Tiere  weichen 
scheu  vor  ihm  zurück-  Da  er  sieht,  dafs  er  von  eigener  Hand  nicht 
stet  ben  kann ,  kehrt  er ,  nachdem  er  Berge  und  Länder  durchstreift, 
wieder  zu  seiner  Einsiedelei  zurück.  Auf  dem  Wege  begegnet  ihm 
seine  Schwiegertochter  Adrsyantl,  und  er  hört  eine  Stimme  gleich  der 
seines  Sohnes  Vedahymnen  singen.  Es  ist  die  Stimme  seines  noch 
ungeborenen  Enkels,  der  schon  im  Mutterleibe  —  Adrsyantl  ist  seit 
zwölf  Jahren  mit  ihm  schwanger  —  alle  Vedas  gelernt  hat.  Sobald 
er  nun  weifs,  dafs  ihm  noch  Nachkommenschaft  beschieden  ist,  gibt  er 
seine  Selbstmordgedanken  auf. 

Während  dieser  Art  von  brahmanischen  Legenden  ein 
litterariscber  Wert  nicht  abgesprochen  werden  kann,  gibt  es 
auch  zahlreiche  Geschichten  im  Mahäbhärata,  die  ganz  tendenziös 
blofs  zur  Verherrlichung  der  Brahmanen  oder  zur  Einprägung 
irgendeiner  brahmanischen  Lehre  erfunden  sind.  Da  haben  wir 
z.  B.  Erzählungen  von  Schülern,  die  im  Gehorsam  gegen  ihren 
Lehrer  bis  zum  äufsersten  gehen,  wie  jener  Uddälaka  Aruni, 
der  von  seinem  Lehrer  den  Auftrag  erhält,  einen  lecken  Damm 
zu  verstopfen,  und  dies,  da  ihm  kein  anderes  Mittel  zu  Gebote 
steht,  mit  seinem  eigenen  Leibe  tut.  Oder  es  wird  die  Geschichte 
von  einem  König  erzählt,  der  zur  Strafe  dafür,  dafs  er  die  Kuh 
eines  Brahmanen  einem  anderen  geschenkt  hat,  in  eine  Eidechse 
verwandelt  wurde  *).  Andere  Geschichten  sollen  beweisen,  dafs 
es  kein  gröfseres  Verdienst  gebe,  als  den  Brahmanen  Kühe  zu 
schenken.  In  einer  berühmten  Upani?ad  benutzt  der  nach  Wissen 
dürstende  Jüngling  Naciketas  seinen  Aufenthalt  in  der  Unter- 
welt, um  den  Todesgott  mit  Fragen  nach  dem  Jenseits  zu  be- 
stürmen.    Im  Mahäbhärata  läfst   sich   der  Jüngling  —  er  heifst 


»)I,  3;  XIII,  70  f. 


—     348    — 

hier  Näciketa  —  das  Paradies  der  Kühespender  zeigen,  und 
Yama  beglückt  ihn  mit  einem  langen  V^ortrag  über  das  Ver- 
dienst, das  man  sich  durch  das  Schenken  von  Kühen  erwirbt '). 
Um  zu  beweisen,  dafs  es  verdienstlich  sei,  Sonnenschirme  und 
Schuhe  zu  schenken,  wird  erzählt,  dafs  der  Rsi  Jamadagni  einst 
über  die  Sonne  erbost  war  und  sie  gerade  vom  Himmel  herab- 
schiefsen  wollte,  als  ihn  der  Sonnengott  noch  rechtzeitig  dadurch 
besänftigte,  dafs  er  ihm  einen  Sonnenschirm  und  ein  Paar  Schuhe 
schenkte 2).  Derlei  Geschichten  sind  insbesondere  i.i  den  lehr- 
haften Abschnitten  und  Büchern  (XII  und  XIII)  durchaus  nicht 
selten.  In  diesen  lehrhaften  Teilen  des  Mahäbhärata  finden  wir  end- 
lich auch  zahlreiche  als  »Itihäsas«  bezeichnete  Rahmenerzählungen, 
die  nur  dazu  dienen,  Gespräche  über  Recht,  Moral  oder  Philosophie 
einzuleiten  und  einzukleiden.  Es  ist  beachtenswert,  dafs  wir  in 
diesen  Itihäsas  gelegentlich  denselben  Persönlichkeiten  als  Wort- 
führern begegnen,  die  wir  in  den  Upanisads  kennen  gelernt  haben, 
z.  B.  Yäjftavalkya  und  Janaka^).  Und  wie  in  den  Upanisads 
und  den  buddhistischen  Dialogen,  so  begegnen  wir  auch  in  den 
didaktischen  Itihäsas  des  Mahäbhärata  neben  Königen  und 
Weisen  *)  auch  gelehrten  Frauen  ^). 

Fabeln,  Parabeln  und  moralische  Erzählungen  im 
Mahäbhärata  ^). 
Diese   Itihäsa-Samvädas,   wie  wir  die   in   Erzählungen    ein- 
gekleideten Gespräche   (samväda)  nennen  können,    gehören  aber 
zum    grofsen    Teil    nicht    mehr    zur    brahmanischen    Legenden- 
dichtung,   sondern    zu    dem,    was    wir    in    Ermangelung    eines 

')  XIII,  71.    Vgl.  oben  S.  223  f. 

•-)  XIII,  95  f. 

')  XII,  18;  290;  310-320. 

^)  Gelegentlich  auch  Göttern,  z.  B.  Indra  und  Brhaspati,  XII,  11; 
21;  68;  84;  103;  XIII,  111-113. 

^)  KönifiT  Janaka  disputiert  mit  der  Nonne  Sulabhä,  XII,  320. 
König  Senajit  wird  mit  den  Versen  der  Hetäre  Pingalä  getröstet, 
XII,  174. 

®)  Eine  Auswahl  von  moralischen  Erzählungen,  namentlich  aus 
dem  XII.  Buch,  des  Mahäbhärata  gibt  in  französischer  Übersetzung 
A.  Roussel,  Legendes  Morales  de  linde  empruntees  au  Bhagavata 
Purana  et  au  Mahäbhärata  traduites  du  Sanskri*.  (Les  litteratures 
populaires  t.  38  et  39.)    Paris  1900. 


—     349    — 

besseren  Ausdrucks  als  Asketendichtung  bezeichnet  haben. 
Diese  hebt  sich  von  der  brahmanischen  Poesie,  die  an  die  alten, 
im  Volke  doch  schon  ziemlich  vergessenen  Göttersagen  anknüpft, 
deutlich  ab;  sie  hängt  viel  enger  mit  der  volkstümlichen 
Litteratur  der  Fabeln  und  Märchen  zusammen,  teils  indem  sie 
aus  dieser  schöpft,  teils  indem  sie  sich  ihr  möglichst  annähert. 
Und  während  die  brahmanischen  Legenden  sowie  die  brah- 
manischen Itihäsa-Samvädas  den  priesterlichen  Sonderinteressen 
dienen  und  eine  beschränkte  Priestermoral  lehren,  welche  im 
Opferdienst  und  in  der  Verehrung  der  Brahmanen  (mehr  als  der 
Götter)  gipfelt,  erhebt  sich  die  Asketendichtung  zu  einer  all- 
gemein menschlichen  Moral,  welche  vor  allem  Liebe  zu  allen 
Wesen  und  Weltentsagung  lehrt.  Niederschläge  dieser  Litteratur 
finden  sich  zuerst  in  den  Upanisads,  dann  aber  ebensosehr  im 
Mahäbhärata  und  in  manchen  Puränas .  wie  in  den  heiligen 
Texten  der  Buddhisten  und  der  J?inas.  Darum  ist  es  nicht  zu 
verwundem,  dafs  wir  denselben  Heiligenlegenden  und  denselben 
Weisheits-  und  Sittensprüchen  oft  wörtlich  in  diesen  verschiedenen 
Litteraturen  begegnen. 

Die  ältesten  indischen  Fabeln  finden  sich  allerdings  bereits 
im  eigentlichen  Epos,  und  sie  dienen  zur  Einschärfung  von  Regeln 
sowohl  der  Niti,  d.  h.  der  Lebensklugheit,  als  auch  des  Dharma 
oder  der  Moral.  So  rät  ein  Minister  dem  Dhrtarästra,  es  mit 
den  Pändavas  ähnlich  zu  machen,  wie  ein  gewisser  Schakal,  der 
seine  vier  Freunde,  einen  Tiger,  eine  Maus,  einen  Wolf  und  ein 
Ichneumon,  zur  Gewinnung  einer  Beute  auszunutzeri  wufste,  sich 
ihrer  aber  dann  schlau  entledigte,  so  dafs  ihm  allein  der  Frafs 
blieb').  An  einer  anderen  Stelle  vergleicht  Sisupäla  den  Bhisma 
mit  jenem  alten  scheinheiligen  Flamingo,  der  immer  nur  von 
Moral  redete  und  das  Vertrauen  aller  seiner  Mitvögel  genofs, 
so  dafs  diese  bei  ihm  ihre  Eier  aufbewahrten,  bis  sie  zu  spät 
entdecken,  dals  der  Flamingo  die  Eier  auffrifst.  Köstlich  ist 
auch  die  Fabel  von  dem  falschen  Kater,  welche  Ulüka  im  Namen 
des  Duryodhana  dem  Yudhisthira,  auf  den  sie  gemünzt  ist,  er- 
zählen soll.    Mit  erhobenen  Armen  vollzieht  der  Kater  am  Ufer 


')  I,  140,  übersetzt  von  Albert  Hoefer,  Indische  Gedichte  II, 
187 — 192,  Über  ähnliche  Fabeln  vgl.  Th.  Benfey,  Pantschatantra 
I,  S.  472  f. 


—    350    — 

des  Ganges  strenge  Bulsübungen ;  und  so  fromm  und  gut 
weifs  er  sich  zu  stellen,  dafs  nicht  nur  die  Vögel  ihn  ver- 
ehren, sondern  selbst  die  Mäuse  sich  in  seinen  Schutz  begeben. 
Er  erklärt  sich  gern  bereit,  sie  zu  beschützen,  doch  sei  er  infolge 
der  Askese  so  schwach,  dafs  er  sich  nicht  bewegen  könne.  Die 
Mäuse  müssen  ihn  daher  zum  Flusse  hintragen  —  wo  er  sie  auf- 
frifst  und  dick  und  fett  wird  ^).  Der  kluge  Vidura,  dem  viele 
weise  Sprüche  in  den  Mund  gelegt  werden,  ist  auch  ein  Kenner 
von  Fabeln.  So  rät  er  dem  Dhrtarästra,  nicht  aus  Eigennutz 
die  Pändavas  zu  verfolgen,  damit  es  ihm  nicht  ergehe,  wie  jenem 
König,  der  die  goldspeienden  Vögel  aus  Habgier  totschlug,  so 
dafs  er  dann  weder  Gold  noch  Vögel  hatte  **).  Er  erzählt  auch, 
um  zum  Frieden  zu  mahnen,  die  Fabel  von  den  Vögeln,  die  mit 
dem  vom  Jäger  ausgeworfenen  Netz  aufflogen,  aber  schliefslich 
dadurch,  dafs  sie  miteinander  in  Streit  gerieten,  doch  dem  Jäger 
in  die  Hände  fielen^). 

Die  meisten  Fabeln  aber  sowie  wohl  alle  Parabeln  und 
moralischen  Erzählungen  finden  sich  in  den  lehrhaften  Ab- 
schnitten und  in  den  Büchern  XII  und  XIII.  Viele  von  diesen 
kehren  in  den  buddhistischen  und  späteren  Fabel-  und  Märchen- 
sammlungen wieder,  und  manche  sind  in  die  europäische  Er- 
zählungslitteratur  übergegangen.  So  hat  Benfey  eine  Reihe 
von  Fabeln,  welche  alle  das  Thema  von  der  Unmöglichkeit  der 
Freundschaft  zwischen  Katze  und  Maus  behandeln,  durch  die 
Weltlitteratur  verfolgt*). 

')  II,  41;  V,  160.  Solche  Fabeln,  in  denen  Tiere  als  scheinheilige 
Asketen  auftreten,  sind  in  der  indischen  Fabellitteratur  durchaus  nicht 
selten.    Vgl.  Th.  Benfey  a.  a.  O.  I,  S.  177  f.,  352. 

■^)  II,  62.  Verwandt  ist  das  Märchen  von  Suvar^asthivin  (d.  h. 
»Goldspeier«),  dem  Sohn  des  Königs  Srfijaya.  Dieser  hatte  sich  einen 
Sohn  gewünscht,  dessen  sämtliche  Entleerungen  Gold  sein  sollen.  Der 
Wunsch  geht  in  Erfüllung,  und  in  seinem  Palaste  häuft  sich  das  Gold. 
Aber  schliefslich  wird  der  Sohn  von  Räubern  (Dasyus)  entführt  und 
gemordet,  und  alles  Gold  verschwindet.  VII,  55.  Vgl.  Benfey 
a.  a.  O.  I,  379. 

')  V,  64.  Vgl.  auch  die  Fabel  von  der  Krähe,  die  mit  dem 
Flamingo  um  die  Wette  fliegen  will,  VIII,  41,  übersetzt  von  Benfey 
a.  a.  O.  I,  S.  312  ffy   wo  auch  auf   verwandte  Fabeln  hingewiesen  ist. 

*)  XII,  1 1  iT  438 .  139  (auch  Harivamsa  20,  1117  ff.)  übersetzt  und 
in' anderen  Litteraturen  nachgewiesen  voa  Benfey  a.  a.  O.  I,  575  ff., 
545  ff.,  560  ff.    Andere  Fabeln  des  Mahäbhäräta,   welche  der  Welt- 


—    351     — 

Auch  manche  hübsche  Parabel  findet  sich  in  den  lehr- 
haften Teilen  des  Mahäbhärata.  So  wird  »der  alte  Itihäsa,  das 
Gespräch  zwischen  dem  Flusse  und  dem  Ozean«  ^)  erzählt,  um  die 
weise  Streberlehre  einzuprägen,  dafs  es  gut  sei,  sich  zu  ducken: 

Der  Ozean  fragt  die  Flüsse,  wie  es  komme,  dafs  sie  starke  mäch- 
tige Bäume  entwurzeln  und  ihm  zuführen,  während  sie  nie  das  dünne, 
schwache  Schilfrohr  bringen.  Die  Gangä  antwortet  ihm:  »Es  stehen 
die  Bäume  jeder  an  seinem  Ort,  festgewurzelt  an  einer  Stelle.  Weil 
sie  der  Strömung  sich  widersetzen,  müssen  sie  von  ihrer  Stätte 
weichen.  Nicht  so  d^s  Rohr.  Das  Rohr  beugt  sich,  sobald  es  die 
Strömung  herankommen  sieht  —  nicht  so  die  Bäume  — ,  und  wenn 
des  Stromes  Gewalt  vorübergegangen  ist,  richtet  es  sich  wieder  auf.« 

Zu  grofser  Berühmtheit  und  geradezu  weltweiter  Verbreitung 
ist  die  Parabel  vom  »Mann  im  Brunnen«  gelangt,  welche 
der  weise  Vidura  dem  König  Dhrtarästra  erzählt  ^).  Sowohl  um 
ihrer  selbst  willen  als  auch  wegen  ihrer  Bedeutung  für  die 
Weltlitteratur  verdient  sie  hier  im  Auszug  und  in  teilweiser 
Übersetzung  wiedergegeben  zu  werden : 

Ein  Brahmane  verirrt  sich  in  einem  dichten,  von  Raubtieren  er- 
füllten Walde.  In  höchster  Angst  rennt  er  hin  und  her,  vergebens 
nach  einem  Ausweg  spähend.  »Da  sieht  er,  dafs  der  schreckliche  Wald 
von  allen  Seiten  mit  Fallstricken  umgeben  ist  und  von  einem  "fürchter- 
lich aussehenden  Weibe  mit  beiden  Armen  umspannt  wird.  Grofse 
und  schreckliche  fünfköpfige  Drachen,  die  wie  Felsen  bis  zum  Himmel 
emporragen,  umgeben  diesen  grolsen  Wald."  Und  mitten  in  diesem 
Walde  befindet  sich,  von  Gestrüpp  und  Schlinggewächsen  überdeckt,  ein 
Brunnen.  Der  Brahmane  fällt  hinein  und  bleibt  in  dem  verschlungenen 
Geäst  einer  Liane  hängen.  »Wie  die  grofse  Frucht  eines  Brotfrucht- 
baumes, an  dem  Stengel  befestigt,  herabhängt,  so  hing  er  dort,  die  Füfse 
nach  oben,  den  Kopf  nach  unten.  Und  wieder  eine  andere  noch  gröfsere 
Gefahr  drohte  ihm  da.  Mitten  im  Brunnen  erblickte  er  einen  grofsen, 
gewaltigen  Drachen,  und  an  des  Brunnendeckels  Rande  sah  er  einen 
schwarzen,  sechsmäuligen  und  zwölffülsigen  Riesenelefanten  langsam 
berankonunen.«  In  den  Zweigen  des  Baumes  aber,  der  den  Brunneu 
bedeckte,  schwärmten  allerlei  furchtbar  aussehende  Bienen  und  be- 

litteratur  angehören,  sind  die  von  den  drei  Fischen  XII,  137  (Benf  ey 
a  a  O.  I,  243  f.)  und  die  von  dem  Hund  des  Heiligen,  der  nacheinander 
in  einen  Leoparden,  einen  Tiger,  einen  Elefanten,  einen  Löwen,  einen 
Sarabha  und  schliefsHch  wieder  in  einen  Hund  verwandelt  wird,  XII. 
116 f.  (Benfek'^.  a.  0.  I,  374 f.). 

')  XII,  lia.' 

2)  XI,  5. 


—    352    — 

reitetea  Honig.  Der  Honig  träufelt  herab  und  wird  von  dem  im  Brunnen 
hängenden  Manne  gierig  getrunken.  Denn  er  war  des  Daseins  nicht 
überdrüssig  und  gab  die  Lebenshoffnung  nicht  auf,  trotzdem  auch 
weifse  und  schwarze  Mäuse  den  Baum,  an  dem  er  hing,  benagten.  — 
Der  Wald  —  so  erklärt  Vidura  dem  von  Mitleid  ergriffenen  König 
das  Gleichnis  —  ist  der  Samsära,  das  Dasein  in  der  Welt:  die  Raub- 
tiere sind  die  Krankheiten,  das  gräfsliche  Riesenweib  ist  das  Alter, 
der  Brünnen  ist  der  Leib  der  Wesen,  der  Drache  auf  dem  Grunde  des 
Brunnens  die  Zeit,  das  Schlinggewächs,  in  dem  der  Mann  hängen  ge- 
blieben, die  Lebenshoffnung,  der  sechsmäulige  zwölfftifsige  Elefant 
das  Jahr  mit  den  sechs  Jahreszeiten  und  zwölf  Monaten,  die  Mäuse 
aber  sind  die  Tage  und  Nächte  und  die  Honigtropfen  die  Sinnen- 
genüsse. 

Dafs  diese  Parabel  ein  echt  indisches,  der  Asketenpoesie 
angehöriges  Erzeugnis  ist,  kann  nicht  zweifelhaft  sein.  Man 
hat  sie  als  ursprünglich  »buddhistisch«  bezeichnet*),  aber  sie 
entspricht  nicht  mehr  der  Lebensanschauung  der  Buddhisten  als 
der  der  Jainas  und  anderer  indischen  Asketensekten.  Die  buddhi- 
stischen Fassungen  der  Parabel  werden  es  allerdings  gewesen 
sein,  welche  ihr  den  Weg  nach  dem  Westen  vermittelten.  Denn 
sie  ist  hauptsächlich  mit  jenem  Litteraturström ,  welcher  durch 
die  aus  Indien  stammenden,  dann  aber  durchaus  international 
gewordenen  Volksbücher  »Barlaam  und  Joasaph«  und  »Kalilah 
und  Dimnah«  nach  dem  Abendland  geflossen  ist,  in  die  Littera- 
turen  des  Westens  eingedrungen.  In  Deutschland  aber  ist  sie 
uns  durch  Rückerts  schönes  Gedicht  »Es  war  ein  Mann  im 
Syrerland  ,  dessen  unmittelbare  Quelle  ein  persisches  Gedicht 
von  Jeläl-ed-dln  Rümt  ist,  am  vertrautesten ^).  Den  ganzen 
»Kreislauf  dieses  wahrhaft  konfessionslosen  Gleichnisses,  welches 
Brahmanen,  Jaina,  Buddhisten,  Mnhammedanern,  Christen  und 
Juden  in  gleichem  Maf=e  zur  Erbauung  gedient  hat«,  hat  zuletzt 
Ernst  Kuhn  durch  die  Weltlitteratur  verfolgt"). 

Sowie  bei  dieser  Parabel,  könnte  man  bei  vielen  moralischen 

1)  So  Benfey  a.  a.  O.  I,  S.  80 ff .  und  M.  Haberlandt,  Der 
altindische  Geist  (Leipzig  1887),  S.  209  ff. 

^)  Friedrich  Rückerts  Werke,  herausg.  von  C.  Beyer.  Bd.  I, 
S.  104  f.  Das  persische  Gedicht  aus  dem  zweiten  Diware  Jeläl-ed-din 
Rümis  übersetzt  von  Joseph  v.  Hammer,  Geschichte  der  schönen 
Redekünste  Persiens,  Wien  1818,  S.  183.  Vgl.  auch  R.  Boxberger, 
Rückert-Studien,  S.  85  f.,  94  ff. 

»)  Im  »Festgrufs  an  0.  v.  Böhtlingks  Stuttgart  1888,  S.  68-76. 


—     353     — 

Erzählungen  des  Mahäbhärata  zunächst  geneigt  sein,  sie  auf 
buddhistische  Quellen  zurückzuführen.  Bei  näherem  Zu- 
sehen aber  können  sie  ebensogut  aus  jenem  Born  volkstümlicher 
Erzählungen  geschöpft  sein,  welcher  Brahmanen,  Buddhisten  und 
anderen  Sekten  gleichermafsen  zu  Gebote  stand.  So  sehen  z.  B. 
die  Geschichten  vom  König  ^  i  b  i  nicht  nur  sehr  buddhistisch 
aus,  sondern  es  wird  auch  tatsächlich  bereits  in  einem  der  zum 
Tipitaka  gehörigen  Texte  ^)  die  Legende  erzählt,  wie  dieser  opfer- 
willige König  sich  beide  Augen  ausreifst,  um  sie  einem  Bettler 
hinzugeben.  Im  Mahäbhärata  wird  in  drei  verschiedenen 
Versionen  ^)  die  Geschichte  erzählt,  wie  dieser  König  sich  Stück 
für  Stück  sein  eigenes  Fleisch  vom  Leibe  schneidet  und  sein 
Leben  hingibt,  um  einer  von  einem  Habicht  verfolgten  Taube 
das  Leben  zu  retten.  Dieser  selbe  König  Sibi  spielt  aber  schon 
in  den  alten  Heldensagen  von  Yayäti  eine  Rolle.  Er  ist  einer 
der  vier  frommen  Enkel  dieses  Königs,  die  ihm  ihre  Plätze  im 
Himmel  anbieten  und  schliefslich  mit  ihm  zusammen  in  den 
Himmel  fahren^).  Und  entschieden  brahmanisch  gefärbt  ist 
die  Schilderung  von  den  unermefslichen  Reichtümern  und  der 
ungeheuren  Freigebigkeit  des  Sibi  an  eine;  anderen  Stelle,  wo 
er  als  ein  frommer  Opferer  gefeiert  wird,  der  den  Brahmanen 
so  viele  Rinder  schenkt,  als  Regentropfen  auf  die  Erde  fallen, 
als  es  Sterne  am  Himmel  und  Sandkörner  im  Bette  des  Ganges 
gibt^). 

Zu   den   in   der  Asketenpoesie  so  beliebten  Geschichten  von 
Selbstaufopferung    gehört    auch    die    rührende    Erzählung    vom 


^)  Cariyäpitaka  I,  8.  Vgl.  auch  das  Sivi-Jataka  (Jätakas  ed. 
V.  Fausböll,'lV,  401  ff.  Nr.  499)  und  Benfey  a.  a.  O.  I,  388 ff. 

3)111,  130  f.;  197;  XIII,  32. 

3)  I,  86  und  93.    Vgl.  oben  S.  323. 

*)  Vll,  58.  Ganz  brahmanisch  ist  auch  die  III,  198  erzählte 
Legende  von  äibi.  Hier  schlachtet  er  auf  Wunsch  eines  Brahmanen 
ohne  weiteres  seinen  eigenen  Sohn  und  —  ifst  ihn  sogar  selber  auf, 
weil  der  Brahmane  es  befiehlt.  Hingegen  sieht  die  Erzählung  von 
König  Suhotra  und  Sibi  (III,  194)  wieder  mehr  buddhistisch  aus  und 
kehrt  auch  in  der  Tat,  wenn  auch  nicht  mehr  auf  §ibi  bezogen,  in  der 
buddhistischen  Litteratur  (Jätaka  Nr.  151)  wieder.  Vgl.  T.  W.  Rhys 
Davids,  Buddhist  Birth  Stories,  London  1880,  p.  XXII— XXVIII: 
R,  O.  Franke,  WZKM,  XX,  1906,  S.  320  ff. 


—    354    — 

Jäger  und  den  Tauben^),  welche  auch  in  die  Fabelsammlung 
Pancatantra  ^)  aufgenommen  worden  ist.  Feindesliebe  und  Selbst- 
verleugnung können  kaum  weiter  getrieben  werden  als  in  diesem 
»heiligen,  sündenvertilgenden  Itihäsa«,  welcher  erzählt,  wie  der 
Täuberich  sich  für  den  bösen  Jäger,  der  ihm  sein  geliebtes  Weib 
gefangen,  im  Feuer  verbrennt,  weil  er  dem  »Gast«  keine  andere 
Speise  anbieten  kann;  wie  die  Taube  ihrem  Gatten  in  den  Tod 
folgt,  und  wie  der  böse  Jäger,  von  all  der  Liebe  und  Selbst- 
aufopferung des  Taubenpaares  tief  erschüttert,  sein  wildes  Leben 
aufgibt,    Asket  wird   und   schliefslich   auch   den  Tod    im  Feuer 

sucht  ^). 

Eine  andere  Seite  der  Asketenmoral  beleuchtet  die  Ge- 
schichte von  dem  frommen  Asketen  Mudgala,  der  nicht  in 
den  Himmel  kommen  will: 

Da  Mudgala  so  weise  und  fromm  ist,  erscheint  ein  Götterbote, 
um  ihn  in  den  Himmel  hinaufzuführen.  Mudgala  aber  ist  so  vor- 
sichtig, dafs  er  sich  erst  erkundigt,  was  es  mit  diesem  himmlischen 
Dasein  für  eine  Bewandtnis  habe.  Der  Gctterbote  schildert  ihm  darauf 
alle  Herrlichkeiten  des  Himmels  und  all  die  Seligkeit,  welche  die 
Frommen  dort  erwartet.  Freilich  kann  er  nicht  verschweigen,  dafs 
diese  Seligkeit  nicht  von  ewiger  Dauer  ist.  Jeder  muls  die  Früchte 
seiner  Taten  ernten.  Ist  einmal  das  Karman  erschöpft,  so  heilst  es 
wieder  vom  Himmel  herabsteigen  und  ein  neues  Dasein  beginnen. 
Da  will  Mudgala  von  einem  solchen  Himmel  nichts  wissen ;  er  gibt 
sich  aufs  neue  strengen  asketischen  Übungen  hin  und  erlangt  schliefs- 
lich durch  tiefe  Meditation  (dhyänayoga)  und  völlige  Gleichgültigkeit 
gegen  die  Sinnenwelt  jene  höchste  Stätte  des  Visnu,  in  der  allein  die 
ewige  Seligkeit  des  Niryäna  zu  finden  ist*). 

Die  Lehre  vom  Karman,  der  Tat,  welche  das  Schicksal 
des  Menschen  ist,  deren  erstes  Auftreten  wir  in  den  Upanisads  ^) 
beobachten  konnten,  bildet  den  Gegenstand  mancher  tiefsinniger 
Erzählungen   des  Mahäbhärata.     E-ne   der  schönsten  ist  die  von 

')  XII,  143-149. 

^)  Wenigstens  in  eine  Rezension  derselben.  Siehe  B  e  n  f  e  y  a.  a.  O. 
I,  S.  365  f.  §  152,  übersetzt  II,  247  ff.  Eine  poetische  Bearbeitung 
gab  M.  Haberlandt,  Indische  Legenden.  Leipzig  1885,  S.  1  ff. 

')  Die  Geschichte  kann  kaum  buddhistisch  sein,  da  der  Buddhismus 
den  religiösen  Selbstmord  nicht  empfiehlt.  Andere  Sekten,  z.  B.  die 
Jainas,  empfehlen  ihn. 

*)  III,  260  f. 

«)  Oben  S.  220  f. 


—    355    — 

der    Schlange,    dem    Tode,    dem   Schicksal    und    der 
Tat.     Der  Inhalt  ist  kurz  folgender: 

GautamI,  eine  alte  und  fromme  Brahmanenfrau,  ficdet  eines  Tages 
ihren  Sohn  tot.  Eine  Schlangre  bat  ihn  gebissen.  Der  grimme  Jäger 
Ariunaka  bringt  die  Schlange  an  einem  Strick  herbeigeschleppt  und 
fragt  GautamI,  wie  er  die  böse  Mörderin  ihres  Sohnes  töten  solle. 
GautamI  erwidert:  Durch  das  Töten  der  Schlange  werde  ihr  Kind 
nicht  mehr  lebendig  werden,  und  auch  sonst  würde  nichts  Gutes 
daraus  entstehen ;  durch  Tötung  eines  lebenden  Wesens  lade  man  nur 
Schuld  auf  sich.  Der  Jäger  wendet  ein,  dafs  es  gut  sei.  Feinde  zu 
töten,  wie  ja  auch  Indra  den  Vrtra  getötet  habe.  Aber  GautamI  kann 
nichts  Gutes  darin  sehen,  dals  man  Feinde  quäle  und  töte.  Da  mischt 
sich  auch  die  Schlange  in  das  Gespräch.  Sie  sei  ja  gar  nicht  schuld 
an  dem  Tode  des  Knaben.  Mrtyu,  der  Tod,  sei  es  gewesen,  der  sich 
ihrer  nur  als  Werkzeug  bedient  habe.  Während  nun  die  Schlange 
und  der  Jäger  heftig  darüber  streiten,  ob  die  Schlange  den  Tod  des 
Kindes  verschuldet  habe  oder  nicht,  erscheint  der  Todesgott  Mrtyu 
selbst  und  erklärt,  dafs  weder  die  Schlange  noch  er  selbst,  sondern 
das  Schicksal  (Kala,  '-die  Zeit«)  an  des  Knaben  Tod  schuld  sei: 
denn  alles,  was  geschieht,  geschieht  durch  Kala:  alles,  was  besteht, 
besteht  durch  Kala.  »Wie  die  Wolken  vom  Winde  hin  und  her  ge- 
trieben werden«,  so  steht  auch  der  Tod  unter  der  Botmälsigkeit  des 
Schicksals.  Während  der  Jäger  auf  dem  Standpunkt  beharrt,  dafs 
sowohl  die  Schlange  als  auch  Mrtyu  des  Kindes  Tod  verschuldet 
haben,  erscheint  Kala,  das  Schicksal,  selbst  und  erklärt:  »Weder  ich 
noch  der  Tod  (Mrtyu)  da  noch  diese  Schlange  hier  sind  schuld  an 
dem  Sterben  irgendeines  Wesens,  o  Jäger,  wir  siua  nicht  die  Ver- 
ursacher. Die  Tat  (Kar man)  ist  es,  welche  uns  duzu  getrieben  hat; 
keine  andere  Ursache  seines  Unterganges  gibt  es,  nur  durch  die  eigene 
Tat  ward  er  getötet.  .  .  .  Wie  der  Töpfer  aus  einem  Tonklumpen 
alles  formt,  was  er  nur  will,  so  erlangt  der  Mensch  nur  das  Geschick, 
das  er  durch  seine  Tat  sich  selber  bereitet  hat.  Wie  Licht  und 
Schatten  stets  aufs  engste  miteinander  verbunden  sind,  so  sind  auch 
die  Tat  und  der  Täter  eng  verbunden  durch  alles,  was  er  selbst  ge- 
tan.» Da  tröstet  sich  auch  GautamI  mit  dem  Gedanken,  dafs  der 
Tod  ihres  Sohnes  die  notwendige  Folge  seines  und  ihres  eigenen 
Karman  sei'). 

Wie  die  Menschen  sich  dem  Tode  gegenüber  verhalten 
sollen,  das  ist  eine  Frage,  welche  indische  Denker  und  Dichter 
in  zahllosen  Weisheitssprüchen,  aber  auch  in  mancherlei  Trosl- 
geschichten  2)  oft  und   oft  behandelt  haben.     Eine  der  schönsten 

')  XIII,  1. 

2)  Siehe  oben  S.  260  und  Lüders  in  ZDMG.  Bd.  58,  S.  707 ff. 

Winternitz,  Geschichte  der  inditcbeo  Litteratur.  24 


—    356    — 

dieser  Geschichten  ist  die  vom  Geier  und  Schakal  und  dem 
toten  Kindj  deren  Inhalt  wieder  nur  kurz  angedeutet  sei: 

Einem  Brahmanen  war  sein  einziges  Söhneben  gestorben. 
Jammernd  und  weinend  tragen  die  Verwandten  den  Leichnam  des 
kleinen  Kindes  zur  Leichenstätte  hinaus.  In  ihrem  Schmerz  können 
sie  sich  von  dem  toten  Liebling  gar  nicht  trennen.  Durch  das  Jammer- 
geschrei herbeigelockt,  kommt  ein  Geier  dahergeflogen  und  setzt 
ihnen  auseinander,  wie  nutzlos  alles  Klagen  um  die  Toten  sei.  Kein 
Sterblicher  kehre  wieder  zum  Leben  zurück,  wenn  er  einmal  dem 
Käla'j  verfallen;  darum  sollten  sie  unverzüglich  heimkehren.  Einiger- 
mafsen  beruhigt,  treten  die  Leidtragenden  den  Heimweg  an.  Da  tritt 
ihnen,  ein  Schakal  entgegen  und  wirft  ihnen  Lieblosigkeit  vor,  weil 
sie  ihr  eigenes  Kind  so  rasch  verlassen.  Traurig  kehren  sie  wieder 
um.  Hier  erwartet  sie  der  Geier  und  tadelt  sie  ob  ihrer  Schwäche. 
Nicht  um  die  Toten  soll  man  trauern,  sondern  um  sein  eigenes  Selbst. 
Dieses  soll  man  vor  allem  von  Sünden  reinigen,  nicht  um  Tote  jammern. 
Hängt  doch  alles  Wohl  und  Wehe  der  Menschen  nur  vom  Karman 
ab.  »Der  Weise  wie  der  Tor,  der  Reiche  wie  der  Arme,  sie  alle 
kommen  in  Kälas  Gewalt,  mit  ihren  guten  und  bösen  Taten.  Was 
wollt  ihr  mit  eurem  Trauern?  Was  klagt  ihr  dem  Tode  nach?«  usw. 
Wieder  wenden  sich  die  Leidtragenden  heimwärts.  Und  wieder  er- 
mahnt sie  der  Schakal,  die  Liebe  zu  ihrem  Sprölsling  nicht  aufzugeben ; 
man  müsse  sich  dem  Schicksal  gegenüber  bemühen,  denn  es  sei  viel- 
leicht doch  noch  möglich,  das  Kind  wieder  zum  Leben  zu  bringen. 
Wogegen  der  Geier  bemerkt:  Schier  tausend  Jahre  bin  ich  alt,  habe 
aber  nie  gesehen,  dafs  ein  Toter  wieder  lebendig  geworden  wäre. 
»Diejenigen,  welche  sich  um  Mutter  und  Vater,  um  Verwandte  und 
Freunde,  so  lange  sie  leben,  nicht  kümmern,  vergehen  sich  gegen 
die  Moral.  Was  soll  aber  euer  Weinen  dem  helfen,  der  mit  seinen 
Augen  nicht  sieht,  der  sich  nicht  bewegt  und  ganz  und  gar  tot  ist?« 
Und  immer  wieder  treibt  der  Geier  die  Leidtragenden  zur  Heimkehr 
an,  während  der  Schakal  sie  zum  Friedhof  zurückkehren  heifst.  Das 
wiederholt  sich  mehrmals.  Geier  und  Schakal  verfolgen  dabei  ihre 
eigenen  Zwecke,  denn  sie  sind  beide  hungrig  und  nach  dem  Leichnam 
gierig.  Schliefslich  erbarmt  sich  Gott  äiva,  von  seiner  Gemahlin  Umä 
angeregt,  der  armen  Verwandten  und  läfst  das  Kind  wieder  lebendig 
werden'^). 

Aber  nicht  nur  die  Asketenmoral  kommt  in  den  moralischen 
Erzählungen  des  Mahäbhärata  zu  Worte.  Viele  von  ihnen 
sprechen  uns  gerade  deshalb  an,  weil  sie  mehr  die  in  der  Liebe 
zwischen   Gatten,    Eitern   und   Kindern  w^urzelnde  Alltagsmoral 


*)  Kala   ist   nicht    nur    »Zeit«    und    »Schicksal«,    sondern   auch 
•'Todesverhängnis«. 
2)  XII,  153. 


—     357     — 

lehren.  Eine  der  hübschesten  dieser  Erzählungen  ist  die  von 
Cirakärin  oder  dem  Jüngling  Langbedacht'),  der  von 
seinem  Vater  den  Auftrag  erhält,  die  Mutter  zu  töten,  die  sich 
schwer  vergangen  hat.  Da  er  von  Natur  aus  langsam  ist  und 
alles  lange  überlegt,  zögert  er  mit  der  Ausführung  des  Befehls 
und  überlegt  lange  hin  und  her,  ob  er  den  Befehl  des  Vaters 
ausführen  und  einen  Muttermord  auf  sich  laden  oder  die  Pflicht 
gegen  den  Vater  versäumen  solle.  Während  er  so  lange  überlegt, 
kehrt  der  Vater  zurück  und,  da  sein  Zoni  mittlerweile  verraucht  ist, 
freut  er  sich  innig  darüber,  dafs  sein  Sohn  Langbedacht  seinem 
Namen  getreu  die  Sache  so  lange  bedacht  hat.  Im  Mittelpunkte 
der  in  schlichtem  volkstümlichem  Tone  mit  einem  gewissen 
Humor  vorgetragenen  Erzählung  steht  das  Selbstgespräch  des 
Jünglings.  In  schönen  Worten  spricht  er  von  der  Vaterliebe 
und  den  Sohnespflichten,  in  noch  schöneren  von  der  Mutterliebe : 

»So  lange  man  eine  Mutter  hat,  ist  man  wohl  behütet;  hat  man 
sie  verloren,  ist  man  schutzlos  Den  drückt  kein  Kummer,  den  reibt 
das  Alter  nicht  auf,  der  —  und  war'  er  auch  all  seines  Reichtums  be- 
raubt —  mit  dem  Rufe  «Mütterchen!"  sein  Haus  betritt.  Hat  einer 
auch  Söhne  und  Enkel  und  kommt  er  zur  Mutter,  selbst  wenn  er 
volle  hundert  Jahre  alt  ist,  —  so  benimmt  er  sich  wie  ein  zweijähriges 
Kind  .  .  .  Dann  wird  der  Mensch  alt,  dann  wird  er  unglücklich,  dann 
ist  die  Welt  leer  für  ihn,  wenn  er  die  Mutter  verloren  hat.  Es  gibt 
keinen  kühlenden  Schatten  gleich  der  Mutter,  es  gibt  keine  Zuflucht 
gleich  der  Mutter,  es  gibt  keine  Geliebte  gleich  der  Mutter«  .  .  . 

Der  Schwerpunkt  aller  dieser  Erzählungen  liegt  in  den 
Reden  der  auftretenden  Personen.  Ich  habe  aber  schon  erwähnt, 
dafs  viele  sogenannte  1 1  i  h  ä  s  a  s  eigentlich  nur  kurze  Einleitungen 
und  Einkleidungen  von  lehrhaften  Dialogen  sind,  so  dafs  wir 
sie  als  Itihäsa-samvädas  bezeichnen  können.  Manche  von 
diesen  Dialogen  stellen  sich  den  besten  ähnlichen  Erzeugnissen 
der  Upanisad-  und  der  buddhistischen  Litteratur  ebenbürtig  an 
die  Seite.  Wie  aus  einer  Upanisad  heraus  liest  sich  der  Aus- 
.spruch  des  Königs  Janaka  von  Videha,  nachdem  er  die  Seelen- 
ruhe gewonnen:  ^O,  unermefslich  ist  mein  Reichtum,  da  ich 
nichts  besitze.     Wenn   ganz   Mithilä   verbrennt,    mir    verbrennt 


*)  XII,  265,  übersetzt  von  Deussen,  »Vier  philosophische  Texte 
dos  Mahäbhäratams  S.  437—444. 

24* 


—    358    — 

nichts.*  \)  Und  an  die  buddhistischen  Nonnenlieder  (Therigäthä) 
erinnern  die  Verse  der  Hetäre  Pihgala,  die  beim  Stelldichein 
ihres  Liebsten  beraubt  wird  und  nach  Überwindung  ihres 
Schmerzes  jene  tiefe  Seelenruhe  erringt,  die  stets  das  höchste 
Ziel  aller  indischen  Asketenweisheit  gewesen  ist  —  Verse, 
welche  in  die  Worte  ausklingen:  »Ruhig  schläft  Pingalä,  nach- 
dem sie  Wunschlosigkeit  an  Stelle  der  V/ünsche  und  Hoffnungen 
gesetzt.:^)  Wie  zuweilen  in  den  Upanisads^),  so  sind  es  auch 
in  den  Dialogen  des  Mahäbhärata  oft  Leute  verachteter  Kaste 
und  niedrigen  Standes,  welche  im  Besitze  höchster  Weisheit 
sind.  So  wird  der  Brahmane  Kausika  von  dem  Dharma 
vySdha,  dem  frommen  Jäger  und  Fleischhändler,  über  Philo- 
sophie und  Moral  belehrt,  und  insbesondere  darüber,  dafs  nicht 
die  Geburt,  sondern  tugendhafter  Lebenswandel  einen  zum  Brah- 
manen  mache*).  So  tritt  auch  der  Krämer  Tulädhära  als 
Lehrer  des  brahmanischen  Asketen  JäjaH  auf  5).  Dieser  Itihäsa- 
Dialog  ist  für  die  Geschichte  der  indischen  Ethik  so  wichtig, 
dafs  er  verdient,  hier  im  Auszug  wiedergegeben  zu  werden: 

Der  Brahmane  Jäjali  lebte  als  Einsiedler  im  Walde  und  gab  sich 
den  schrecklichsten  Bufsübungen  hin.  In  Lumpen  und  Felle  ge- 
kleidet, von  Schmutz  starrend,  streifte  er  in  Regen  und  Sturm  durch 
den  Wald,  hielt  strenge  Fasten  und  trotzte  jeder  Unbill  der  Witterung. 
Einst  stand  er,  in  Yoga  versunken,  wie  ein  Holzpfosten,  ohne  sich  zu 
rühren,  im  Walde.  Da  kam  ein  Vogelpärchen  auf  ihn  zugeflogen 
und  baute  sich  in  seinem  vom  Sturm  zerzausten  und  durch  Schmutz 
und  Nässe  verknoteten  Haupthaar  ein  Nest.  Als  der  Yogin  dies 
merkte,  rührte  er  sich  nicht,  sondern  blieb  unbeweglich  wie  eine  Säule 
stehen,  bis  das  Vogel weibchen  in  das  Nest  auf  seinem  Haupte  Eier 
gelegt  hatte,  bis  die  Eier  ausgebrütet  und  die  jungen  Vögel  flügge 
geworden  und  hinweggeflogen  waren.  Nach  dieser  gewaltigen  Askese 
rief  Jäjali,  von  Stolz  erfüllt,  jubelnd  in  den  Wald  hinaus:  *Den  In- 
begriff aller  Frömmigkeit  habe  ich  erreicht.»    Da  antwortete  ihm  eine 

')  XII,  178.  Mithilä  ist  die  Residenzstadt  des  Janaka.  Vgl.Jätaka 
(ed.  Fausböll)  Bd.  V,  S.  252  (Vers  16  des  Sonakajätaka  Nr.  529)  und 
Bd.  VI,  S.  54  (Nr.  539).    R.  0.  Franke,  WZKM.  XX,  1906,  S.  352  f. 

2)  XII,  174;  178,  7  f.  Buddhistische  Parallelen  bringt  R.  O. 
Franke,  WZKM.  XX,  1906,  S.  346 f.  bei. 

3)  Siehe  oben  S.  199  f.        ' 
*)  III,  207-216. 

^)  XII,  261—264,  Jetzt  vollständig  übersetzt  von  Deussen, 
»Vier  philosophische  Texte  des  Mahäbhäratam«,  S.  418—435. 


—    359    — 

himmlische  Stimme  aus  den  Lüften:  »Du  bist  an  Frömmigkeit  nicht 
einmal  dem  Tulädhära  gleich,  o  Jäjali,  und  nicht  einmal  dieser  hoch- 
weise Tulädhära,  der  in  Benares  lebt,  darf  so  von  sich  sprechen,  wie 
du  da  redest.«  Da  wurde  Jäjali  sehr  niedergeschlagen  und  begab  sich 
zu  .Tulädhära  nach  Benares,  um  zu  sehen,  wieso  es  dieser  in  der 
Frömmigkeit  so  weit  gebracht  habe.  Tulädhära  aber  ist  ein  Krämer 
in  Benares,  wo  er  einen  offenen  Laden  hält  und  allerlei  Gewürze, 
Heilkräuter  u.  dgl.  verkauft.  Auf  Befragen  des  Brahmanen  Jäjali, 
worin  denn  seine  vielgerühmte  Frömmigkeit  bestehe,  antwortet  er  mit 
einer  langen  Rede  über  Moral,  welche  mit  den  Worten  beginnt: 

»Ich  kenne,  o  Jäjali,  das  ewige  Gesetz  mit  allen  seinen  Creheim- 
nissen:  es  ist  unter  den  Menschen  bekannt  als  die  allen  Wesen  heil- 
same alte  Lehre  von  der  Liebe').  Eine  Lebensweise,  welche  mit 
vollständiger  Harmlosigkeit  oder  doch  nur  mit  geringem  Harm  für 
alle  Wesen  verbunden  ist  —  das  ist  die  höchste  Frömmigkeit;  nach 
dieser  lebe  ich,  o  Jäjali.  Mit  Holz  und  Gras,  welches  andere  ab- 
geschnitten haben,  habe  ich  mir  diese  Hütte  gebaut.  Rotlack,  Lotus- 
wurzel, Lotusfasern,  alle  Arten  von  Wohlgertichen ,  vielerlei  Säfte 
und  Tränke  —  mit  Ausnahme  von  berauschenden  Getränken  —  kaufe 
und  verkaufe  ich  ohne  Betrug.  Derjenige,  o  Jäjali,  der  ein  Freund 
aller  Wesen  ist  und  sich  stets  an  dem  Wohl  aller  erfreut  in  Ge- 
danken, V/orten  und  Taten,  der  kennt  das  Sittengesetz.  Ich  kenne 
weder  Gunst  noch  Ungunst,  weder  Liebe  noch  Hafs.  Ich  bin  gleich 
gegen  alle  Wesen :  siehe,  Jäjali,  das  ist  mein  Gelübde.  Ich  habe  gleiche 
Wage^)  für  alle  Wesen,  o  Jäjali  .  .  ,  Wenn  einer  sich  vor  keinem 
Wesen  fürchtet,  und  kein  Wesen  sich  vor  ihm  fürchtet,  wenn  einer 
für  niemand  Vorliebe  hat  und  niemand  hafst,  dann  wird  er  mit  dem 
Brahman  vereinigt  .  .  .' 

Es  folgt  dann  eine  lange  Auseinandersetzung  über  Ahimsä, 
das  Gebot  des  Nichtverletzens.  Es  gibt  kein  höheres  Gesetz  als 
die  Schonung  aller  Lebewesen.  Darum  ist  auch  die  Viehzucht 
grausam,  weil  sie  das  Quälen  und  Töten  von  Tieren  im  Gefolge 
hat  Grausam  ist  auch  das  Halten  von  Sklaven  und  der  Handel  mit 
lebenden  Geschöpfen.  Selbst  der  Ackerbau  ist  voll  Sünde,  denn  der 
Pflug  verwundet  die  Erde  und  tötet  viele  unschuldige  Tiere  Jäjali 
wendet  ein.  dafs  ohne  Ackerbau  und  Viehzucht  die  Menschen  nicht 
bestehen  und  nicht  Nahrung  finden  könnten,  und  dals  auch  Opfer  un- 
möglich wären,  wenn  nicht  Tiere  getötet  und  Pflanzen  vernichtet 
werden  dürften.  Darauf  antwortet  Tulädhära  mit  einer  langen  Er- 
örterung über  das  wahre  Opfer,  welches  ohne  Verlangen  nach  Lohn, 


^)  Maitra  (im  Päli  der  Buddhisten  metta)  heilst  »Freundschaft« 
und  ist  der  technische  Ausdruck  für  die  Liebe  zu  allen  Wesen, 
die  sich  von  der  christlichen  Nächstenliebe  dadurch  unterscheidet,  dafs 
sie  sich  über  die  Menschen  hinaus  auch  auf  die  Tiere  erstreckt. 

*)  Der  Name  des  Krämers,  Tulädhära,  bedeutet:  »Der  die 
Wage  hält.« 


—    360     - 

ohne  Priesterbetrug  und  ohne  die  Tötung  lebender  Wesen  dargebracht 
werden  müsse.  Schliefslich  ruft  Tulädhära  auch  die  Vögel,  welche 
in  Jäialis  Haupthaar  genistet  hatten,  als  Zeugen  für  seine  Lehre  auf, 
und  auch  sie  bestätigen,  dals  die  wahre  Religion  in  der  Schonung 
aller  Lebewesen  bestehe. 

Den  scharfen  Gegensatz  zwischen  der  brahmanischen  Moral 
und  der  des  indischen  Asketentums  können  wir  aber  nirgends 
so  schön  beobachten  wie  in  dem  Zwiegespräch  zwischen 
Vater  und  Sohn*),  in  welchem  der  Vater  den  Standpunkt 
des  Brahmanen,  der  vSohn  den  des  Asketen,  der  mit  der  Priester- 
religion gebrochen  hat,  vertritt.  Die  von  dem  Sohne  vertretene 
Lebensanschauung  ist  die  der  Buddhisten  und  der  Jainas ^),  ohne 
aber  auf  diese  beschränkt  zu  sein.  Es  wäre  voreilig,  wenn  man 
den  Dialog,  von  dem  hier  eine  teilweise  Übersetzung  folgt,  oder 
auch  nur  einzelne  Verse  desselben  für  »buddhistisch«  oder  »von 
den  Buddhisten  entlehnt«  erklären  würde: 

Ein  Brahmane,  der  am  Lernen  des  Veda  seine  Freude  fand, 
hatte  einen  verständigen  Sohn,  Verständig  (Medhävin)  mit  Namen. 
Dieser  Sohn,  welcher  in  allem,  was  auf  die  Erlösung,  die  Moral  und 
das  praktische  Leben  Bezug  hat,  bewandert  war  und  das  wahre  Wesen 
der  Welt  durchschaute,  redete  zu  dem  Vater,  der  am  Vedalernen 
seine  Freude  fand. 

Der  Sohn  sprach:  »Was  soll  denn,  o  Väterchen,  der  Weise  und 
Verständige  tun?  Schnell  schwindet  ja  das  Leben  der  Menschen 
dahin.  Sag  mir  doch  das,  o  Vater,  eins  nach  dem  andern  in  zweck- 
entsprechender Ordnung,  damit  ich  tue,  was  gut  und  recht.« 

Der  Vater  sprach:  »Mein  Sohn!  Als  Brahmanenschüler  soll  er 
zuerst  die  Vedas  studieren  Dann  trachte  er  nach  Söhnen,  damit  er 
die  Manen  der  Väter  von  Schuld  reinige.  Und  nachdem  er  der  Vor- 
schrift gemäfs  die  heiligen  Feuer  angelegt  und  Opfer  dargebracht 
hat,  soll  er  sich  in  den  Wald  begeben  und  als  Asket  zu  leben  suchen.-  ^) 


')  XII,  175,  in  wenig  abweichender  Fassung  XII,  277  wiederholt. 
Jetzt  übersetzt  von  Deussen,  >^Vier  philosophische  Texte  des  Mahä- 
bhäratams  S.  118—122. 

*)  Fast  jeder  Vers,  den  hier  im  Mahäbhärata  der  Sohn  spricht 
könnte  ebenso  gut  in  einem  buddhistischen  oder  jinistischen  Text  vor- 
komn^en.  Tatsächlich  findet  sich  XIL  174,  7—9  in  dem  Uttarädhyayana- 
vSütra  (14,  21—23}  der  Jainas  wieder,  und  XII,  174,  13  entspricht  fast 
Wörtlich  den  Versen  des  buddhistischen  Dhaminapada.  47  f. 

')  Das  ist  die  brahmanische  Lehre  von  den  Asramas,  siehe  oben 
S.  202. 


—     361     — 

Der  Sohn  sprach:  «Wie  kannst  du  als  Weiser  so  sprechen?  Wo 
doch  die  Welt  schwer  heimgesucht  und  ringsum  bedroht  ist,  während 
die  Unentrinnbaren  rastlos  dahingleiten.« 

Der  \''ater  sprach:  '■W^ie  so  ist  die  Welt  schwer  heimgesucht? 
Von  wem  ist  sie  ringsum  bedroht?  Wer  sind  die  Unentrinnbaren, 
die  rastlos  dahingleiten?    Warum  erschreckst  du  mich  denn  so?« 

Der  Sohn  sprach:  »Vom  Tode  ist  die  Welt  schwer  heimgesucht, 
vom  Alter  ist  sie  ringsum  bedroht.  Und  die  unentrinnbaren 
Nächte')  kommen  und  gehen  immerdar.  Wenn  ich  also  weifs,  dafs 
der  Tod  nicht  Halt  macht,  wie  kann  ich  da  noch  geduldig  warten? 
Wie  kann  ich  dahinleben,  von  solcher  Erkenntnis  durchdrungen? 
Wenn  das  Leben  immer  kürzer  wird,  wie  Nacht  um  Nacht  ent- 
schwindet, mufs  doch  der  Weise  erkennen,  dals  unsere  Tage  nutzlos 
sind.  Wie  ein  Fisch  im  seichten  W^asser  —  wer  könnte  sich  da  noch 
glücklich  fühlen  ?  Ehe  noch  seine  Wünsche  erfüllt  sind,  tritt  der  Tod 
an  den  Menschen  heran.  Während  er  gleichsam  Blumen  pflückt,  den 
Sinn  auf  anderes  gerichtet,  überfällt  ihn  der  Tod,  wie  die  Wölfin  das 
Lämmlein,  und  geht  mit  ihm  fort.  .  .  .  Was  morgen  zu  tun  ist,  tue 
heute;  am  Morgen  tue,  was  am  Abend  zu  tun  ist.  Denn  nicht  w^artet 
der  Tod,  ob  du  dein  Werk  vollendet  oder  nicht.  Und  wer  weifs, 
wessen  Todesstunde  heute  kommen  wird?  Schon  als  Jüngling  tue 
daher,  was  recht  und  gut  ist;  flüchtig  ist  ja  das  Leben.  Hast  du  das 
Rechte  getan,  so  wirst  du  Ruhm  in  diesem  Leben  und  Glückseligkeit 
im  Jenseits  erlangen  .  .  .  Kaum  geboren,  folgen  dem  Sterblichen  Tod 
und  Alter  bis  ans  Ende;  behaftet  mit  diesen  beiden  sind  alle  Wesen, 
bewegliche  und  unbewegliche 'M  Wahrlich,  nur  der  Anfang  des  Todes 
ist  diese  Sinnenlust  des  im  Dorfe  lebenden  (Hausvaters);  der  Wald 
aber  (in  dem  der  Einsiedler  wohnt)  ist,  wie  der  Veda  lehrt,  ein 
Sammelplatz  für  Götter.  Diese  Sinnenlust  des  im  Dorfe  Lebenden,  — 
sie  ist  ein  fesselndes  Band;  die  Guten  reifsen  es  gleich  entzwei,  die 
Bösen  zerreifsen  es  nimmer.  Wer  kein  lebendes  Wesen  verletzt  mit 
Gedanken,  Worten  oder  Taten,  der  wird  nicht  durch  Handlungen, 
welche  des  Lebens  Endzweck  verdrängen,  gefesselt.  .  .  .  Wie  sollte 
ein  Mensch  wie  ich  mörderische  Tieropfer  darbringen?  Wie  sollte 
ein  Weiser,  als  wäre  er  ein  Pisäca,  gleichsam  totbringende  Kriegeropfer 
veranstalten?  ...  Es  gibt  kein  Auge  gleich  dem  des  Wissens;  es  gibt 
keine  Askese  gleich  der  der  Wahrheit;  es  gibt  kein  Unglück  gleich 
dem  der  Leidenschaft;  es  gibt  kein  Glück  gleich  dem  der  Entsagung. 
Im  Selbst  (Atman)  vom  Selbst  gezeugt,  festgewurzelt  im  Selbst,  werde 
ich  auch  ohne  Nachkommenschaft  im  Selbst  allein  leben;  —  mich 
braucht  keine  Nachkommenschaft  zu  erretten.  Es  gibt  keinen  gröfseren 
Schatz   für   den   Brahmanen,   als  Einsamkeit,  Gleichmut,  Wahrheit, 


')  Die  Inder  rechnen  die   Zeit  gewöhnlich  nach   Nächten   und 
nicht  nach  Tagen. 

■')  Die  »unbeweglichen«  Wesen  sind  die  Pflanzen. 


—    362    — 

Tugend,  Standhaftigrkeit ,  Milde,  Geradheit  und  Aufgeben  aller  Ge- 
schäfte. Was  sollen  dir  Schätze,  was  sollen  dir  \^erwandte,  was  soll 
dir  ein  Weib,  o  Brahmane,  da  du  doch  sterben  wirst?  Suche  das  in 
deinem  Innern  verborgene  Selbst  (den  Atman)!  Wohin  sind  deine 
Ahnen,  wohin  ist  dein  Vater  gegangen?« 

So  klingt  dieser,  scheinbar  ganz  in  buddhistischen  Gedanken- 
kreisen sich  bewegende  Dialog  in  die  Atman-Lehre  des  Vedänta 
aus,  die  wir  in  den  Upanisads  kennen  gelernt  haben  ^).  Und 
es  ist  dies  durchaus  nicht  auffällig.  Die  alten  indischen  Asketen- 
sekten unterschieden  sich  kaum  schärfer  voneinander,  als  etwa 
die  verschiedenen  protestantischen  Sekten  im  heutigen  Grofs- 
britannien.  Es  ist  daher  auch  kein  Wunder,  dafs  sich  in  den 
erbaulichen  Geschichten,  Dialogen  und  Weisheitssprüchen  der  in 
das  Mahäbhärata  aufgenommenen  Asketendichtung  so  viele  An- 
klänge an  die  Upanisads,  ebenso  wie  an  die  heiligen  Texte  der 
Buddhisten  und  der  Jainas  finden. 

Die  lehrhaften  Abschnitte  des  Mahäbhärata. 

Die  meisten  der  im  vorhergehenden  Kapitel  besprochenen 
Itihäsas  und  Itihäsa-Samvädas  finden  sich  in  den  zahlreichen  und 
umfangreichen  lehrhaften  Abschnitten  des  Mahäbhärata.  Solche 
bald  kürzere,  bald  längere  Abschnitte  finden  sich  verstreut  in 
fast  allen  Büchern  des  Mahäbhärata,  und  sie  handeln  über  die 
drei  Dinge,  welche  die  Inder  mit  den  Namen  Niti,  d.  h.  Lebens- 
klugheit, insbesondere  für  Könige,  daher  auch  »Politik«,  Dharma, 
d.  h.  sowohl  systematisches  Recht  als  auch  allgemeine  Moral, 
und  Moksa,  d.  h.  »Erlösung«  als  das  Endziel  aller  Philosophie, 
bezeichnen.  Aber  nicht  immer  werden  diese  Dinge  in  der  Form 
von  anmutigen  Erzählungen  und  schönen  Sprüchen  vorgetragen, 
sondern  wir  finden  auch  lange  Abschnitte,  welche  die  trockensten 
Auseinandersetzungen  —  namentlich  über  Philosophie  im  XII. 
und  über  Recht  im  XIII.  Buche  —  enthalten. 

Schon  aus  unserer  Inhaltsangabe  2)  ist  ersichtlich,  dals  die 
Bücher  Xtl  und  XIII  mit  dem  eigentlichen  Epos  gar  nichts  zu 
tun  haben,  sondern  dafs  die  im  XIV.  Buche  erzählten  Begeben- 
heiten unmittelbar  an  den  Schlufs  des  XI.  Buches  anknüpfen. 
Die    Einfügung    dieser    beiden   umfangreichen    Bücher   ist    aber 

')  Oben  S.  210  ff. 
*)  Vgl.  oben  S.  315. 


—     363    — 

durch  die  sonderbare  Legende  ermöglicht,  deren  wir  schon  oben 
gedacht  haben.  Bhlsma,  von  unzähligen  Pfeilen  durchbohrt,  liegt 
auf  dem  Schlachtfelde,  beschliefst  aber,  da  er  sich  die  Todes- 
stunde selbst  bestimmen  kann,  erst  ein  halbes  Jahr  später  zu 
sterben*).  Diese  Zwischenzeit  benützt  der  auf  den  Tod  ver- 
wundete Held,  der  zugleich  Rechtsgelehrter,  Theologe  und  Yogin 
ist,  dm  dem  Yudhisthira  v^orträge  über  Philosophie,  Moral  und 
Recht  zu  halten.  Und  zwar  beginnt  das  XII.  Buch  damit,  dafs 
Yudhisthira  ganz  verzweifelt  darüber  ist,  dals  so  viele  wackere 
Krieger  und  nahe  \^erwandte  hingemordet  worden  sind.  Er  er- 
geht sich  in  Selbstanklagen  und  beschliefst  in  seiner  Verzweiflung, 
sich  von  der  Welt  zurückzuziehen  und  als  Waldeinsiedler  sein 
Leben  zu  beschlief sen.  Die  Brüder  suchen  ihn  davon  abzubringen, 
und  dies  gibt  Anlafs  zu  langen  Auseinandersetzungen  darüber, 
ob  Entsagung  und  W^eltflucht  das  richtige  seien  oder  aber  die 
Ausübung  der  Pflichten  als  Hausvater  und  König.  Auch  der 
weise  Vyäsa  ist  zugegen  und  erklärt,  dafs  ein  König  zuerst  alle 
seine  Pflichten  erfüllen  und  sich  erst  am  Abend  seines  Lebens 
in  den  Wald  zurückziehen  solle.  Er  verweist  aber  den  Yudhisthira 
auf  BhTsma,  der  ihm  alle  Belehrung  über  die  Pflichten  eines 
Königs  erteilen  werde.  vSo  begibt  sich  denn  in  der  Tat  Yudhisthira, 
nachdem  er  sich  hat  zum  König  weihen  lassen,  mit  grofsem 
CJefolge  zu  dem  noch  immer  auf  dem  Schlachtfeld  liegenden 
BhTsma,  um  ihn  zunächst  über  die  Pflichten  eines  Königs  und 
weiterhin  über  andere  Dinge  zu  befragen.  Die  Reden  des 
BhTsma  über  Recht,  Moral  und  Philosophie  füllen  die  Bücher  XII 
und  XIIL 

Die  erste  Hälfte  des  XIL  Buches  (^änti-Parvan),  aus 
den  zwei  Abschnitten  »Belehrung  über  die  Königspflichten <'  und 
»Belehrung  über  das  Gesetz  in  Fällen  von  Not  und  Gefahr«  ^) 
bestehend,  handelt  vor  allem  über  die  Würde  und  die  Pflichten 
eines  Königs,  wobei  gelegentlich  Lehren  der  Politik  (nTti)  ein- 
geschaltet werden,  des  weiteren  aber  auch  über  die  Pflichten 
der  vier  Kasten  und  der  vier  Lebensstufen  (Asramas)  überhaupt, 
über  Pflichten  gegen  Eltern  und  Lehrer,  über  das  richtige  Ver- 

')  Siehe  oben  S.  307  Amn. 

*)  Räjadharmänusäsana-par van  (1—130)  und  äpaddharmänusäsana- 
parvan  (131—173). 


—     364    — 

halten  in  Not  und  Gefahr,  über  Selbstbezähmung,  Askese  und 
Wahrheitsliebe,  über  das  Verhältnis  der  drei  Lebensziele^) 
u.  dgl.  mehr.  Die  zweite  Hälfte  des  Buches,  den  Abschnitt  der 
»Belehrung  über  die  Pflichten,  welche  zur  Erlösung  führen«^), 
enthaltend,  ist  hauptsächlich  philosophischen  Inhalts.  Doch  finden 
wir  auch  hier  neben  langen,  trockenen  und  oft  verworrenen 
Auseinandersetzungen  über  die  Kosmogonie,  die  Psychologie, 
die  Grundlagen  der  Ethik  oder  die  Erlösungslehre  auch  viele 
der  schönsten  Legenden ,  Parabeln ,  Dialoge  und  moralischen 
Sentenzen,  von  denen  einige  bereits  im  vorhergehenden  Kapitel 
besprochen  worden  sind.  Und  während  dieses  XII.  Buch  als 
Ganges  nur  ein  kunstlos  zusammengewürfeltes  Sammelsurium 
darstellt,  enthält  es  doch  viele  kostbare  Perlen  derjpoesie  und 
der  Weisheit.  Auch  als  Quelle  für  die  Geschichte  der  indischen 
Philosophie  ist  dieses  Buch  von  unschätzbarem  Wert. 

Während  das  XII.  Buch  in  gewissem  Sinne  als  ein  »Lehr- 
buch der  Philosophie«  bezeichnet  werden  kann,  ist  das  XIII.  Buch 
(Anusäsana-Parvan)  im  wesentlichen  nichts  anderes  als  ein 
Lehrbuch  des  Rechts.  Ja,  es  gibt  ganze  grofse  Stücke  in  diesem 
Buch,  welche  entweder  Zitate  aus  oder  genaue  Parallelstellen  zu 
bekannten  Rechtsbüchern  —  z.  B.  dem  des  Manu  —  enthalten. 
Wir  werden  in  einem  folgenden  Abschnitte  sehen,  dafs  auch  die 
indische  Rechtslitteratur  zum  grofsen  Teil  aus  metrischen  Lehr- 
büchern besteht  und  zur  didaktischen  Poesie  gehört.  Das 
XIII.  Buch  des  Mahäbhärata  unterscheidet  sich  von  anderen 
Rechtsbüchern  (Dharmasästras)  nur  dadurch,  dals  die  trockene 
Darstellung  oft  durch  die  Erzählung  vcm  —  meist  höchst  ein- 
fältigen und  geschmacklosen  —  Legenden^)  unterbrochen  wird. 
Während  das  XII.  Buch,  wenn  es  auch  nicht  zum  ursprünglichen 
Epos  gehörte,  doch  schon  in  verhältnismäfsig  früher  Zeit  ein- 
gefügt worden  sein  dürfte ,  kann  in  bezug  auf  das  XIII.  Buch 
kaum  ein  Zweifel  darüber  herrschen,  dafs  es  noch  viel  später 
zu  einem  Bestandteil  des  Mahäbhärata  gemacht  worden  ist.  Es 
trägt  alle  Spuren  eines  recht  modernen  Machwerkes  an  sich. 
Nirgends  im  Mahäbhärata  werden,    um    nur  eines  zu  erwähnen, 

')  Dharma,  artha  und  käma,  vgl.  oben  S.  272  Anm. 
'O  Moksadharmänusäsana    (174  ff.),     vollständig    übersetzt     in 
Deussens   »Vier  philosophische  Texte   des   Mahäbhäratam«. 
^)  Von  der  Art,  wie  die  oben  S.  347  f.  angeführten. 


~    365    — 

die  Ansprüche  der  Brahmanen  auf  Vorherrschaft  über  alle 
anderen  Gesellschaftsschichten  in  so  anmafsender  und  über- 
triebener Weise  geltend  gemacht  als  im  XIII.  Buch.  Ein  grofser 
Teil  des  Buches  beschäftigt  sich  mit  dem  Dänadharma,  d.  h.  den 
Gesetzen  und  Vorschriften  über  die  Freigebigkeit.  Unter  »Frei- 
gebigkeit« ist  aber  stets  nur  das  Beschenken  von  Brahmanen  zu 
verstehen. 

Aufser  in  diesen  beiden  Büchern  finden  wir,  wenn  wir  von 
kleineren  über  ein  oder  zwei  Gesänge  nicht  hinausgehenden 
Stücken  absehen,  gröfsere  lehrhafte  Abschnitte  noch  im  III.,  V., 
VI.,  XI.  und  XIV.  Buche.  Wir  finden  da  im  III.  Buch  (28—33) 
eine  lange  Unterhaltung  zwischen  Draupadi,  Yudhisthira  und 
Bhlma  über  ethische  Fragen,  wobei  Draupadi  ein  Zwiegespräch 
zwischen  Bali  imd  Prahläda  und  eine  »Nlti  des  Brhaspati«  *) 
zitiert.  In  demselben  Buche  finden  wir  (205 — 216)  die  Aus- 
einandersetzungen des  Märkandeya  über  die  Tugenden  der 
Frauen  (205  f.),  über  die  Schonung  der  Lebewesen  (Ahimsä, 
206 — 208),  über  die  Macht  des  Schicksals,  Weltentsagung  und 
Erlösung,  über  Lehren  der  Sähkhyaphilosophie  (210)  und  des 
Vedänta  (211),  über  die  Pflichten  gegen  die  Eitern  (214  ff.)  u.  a. 
Das  V.  Buch  enthält  lange  Vorträge  des  Vi  dura  über  Moral 
und  Lebensklugheit  (33-40)  und  die  philosophischen  Lehren 
des  ewig  jungen  Sanatsujäta  (.41 — 46).  Im  VI.  Buche 
(25—42)  begegnet  uns  die  berühmte  Bhagavadgitä,  zu 
welcher  die  im  XIV,  Buche  (16--51)-enthaltene  Anugltä  eine 
Art  Fortsetzung  oder  Ergänzung  bildet  ^j.  Die  Trostreden  des 
Vidura  im  XI.  Buche  (2—7)  bewegen  sich  wieder  auf  dem  Ge- 
biete der  Ethik, 

Von  allen  diesen  lehrhaften  Stücken  des  Mahäbhärata  ist 
keines  zu  solcher  Beliebtheit  und  Berühmheit  gelangt  als  die 
Bhagavadgitä 8)  oder  das  »Gotteslied«.    In  Indien  selbst  gibt 

')  III,  32,  61. 

■♦)  Die  drei  philosophischen  Gedichte  BJiagavadgltä,  Sanatsujätiya 
und  Anugitä  sind  von  Käshinäth  Trimbak  Telang  im  8.  Band  der 
'Sacred  Books  of  the  East«  ins  Englische  übersetzt  wordev,  jetzt  auch 
ins  Deutsche  von  Deussen,  »Vier  philosophische  Texte  des  Mahä- 
bhäratam". 

^)  Der  vollständige  Titel  ist  Bhagavadgitä  upanisadah,  »die 
von  dem  Erhabenen  vorgetragenen  Geheimlehren«,    ßhagavat  »der 


—    366    — 

€s  kaum  ein  Buch,  welches  so  viel  gelesen  und  so  hoch  geachtet 
wird  wie  die  Bhagavadgltä.  Es  ist  das  heilige  Buch  der 
Bhägavatas,  einer  visnuitischen  Sekte,  es  ist  aber  ein  Andachts- 
und Erbauungsbuch  für  jeden  Inder,  welcher  Sekte  immer  er 
angehören  mag.  Von  einem  König  von  Kaschmir,  dem  883 
n.  Chr.  gestorbenen  Avantivarman,  erzählt  der  Geschichtschreiber 
Kalhana '),  dafs  er  in  seiner  Todesstunde  sich  die  Bhagavadgttä 
vom  Anfang  bis  zum  Ende  habe  vorlesen  lassen ,  worauf  er, 
an  Visnus  Himmelssitz  denkend,  frohgemut  seinen  Geist  aufgab. 
Und  er  ist  nicht  der  einzige  Inder  gewesen,  der  in  seiner  Todes- 
stunde in  diesem  Buche  Trost  gefunden.  Viele  gebildete  Hindus 
gibt  es  noch  heute,  welche  das  ganze  Gedicht  auswendig  wissen. 
Zahllos  sind  die  Handschriften,  die  von  demselben  erhalten 
sind.  Und  seitdem  es  im  Jahre  1809  zum  erstenmal  in  Kalkutta 
gedruckt  worden  ist,  vergeht  kaum  ein  Jahr,  wo  nicht  irgendein 
Neudruck  des  Werkes  in  Indien  erscheint.  Zahlreich  sind  auch 
die  Übertragungen  in  neuindische  Sprachen. 

In  Europa  wurde  das  Gedicht  zuerst  durch  die  englische  Über- 
setzung von  Chas.  Wilk ins  (London  1785)  bekannt.  Von  grofser 
Wichtigkeit  war  die  kritische  Textausgabe  durch  August  Wil- 
helm von  Schlegel  2),  welcher  eine  lateinische  Übersetzung  bei- 
gegeben war.  Durch  diese  Arbeit  wurde  Wilhelm  von  Humboldt 
mit  dem  Gedichte  bekannt,  und  es  wurde  bereits  erwähnt  *),  wie 
sehr  er  sich  für  dasselbe  begeistert  hat.  Er  stellte  die  BhagavudgTtä 
hoch  über  Lnkrez  und  selbst  über  Parmenides  und  Empedokies 
und  erklärte,  »dafs  diese  Episode  des  Mahäbhärata  das  schönste, 
ja  vielleicht  das  einzige  wahrhaft  philosophische  Gedicht  ist,  das 
alle  uns  bekannten  Litteraturen  aufzuweisen  haben«.  In  einer 
grofsen  Abhandlung   der   Berliner  Akademie   (1825 — 26)    »Über 

Erhabene,  der  Verehrungswürdige»  ist  der  Beiname  des  als  Krs^a 
verkörperten  Gottes  Visnu,  der  die  in  dem  Gedicht  enthaltenen  Lehren 
dem  Arjuna  vorträgt.  Aufser  »Bhagavadgltä«  ist  in  Indien  auch  der 
kurze  Titel  »Gitä«  (d.  h.  »das  Lied«  par  excellence)  sehr  geläufig. 

')  Räjatarahgi^I  V,  125. 

*)  Vgl.  oben  S.  10  oi."  15.  Die  englische  Übersetzung  von  Wil- 
kins  hat  Fr.  Majer  in  Jul.  Klaproths  »Asiat.  Magazin«  Bd.  I.  u.  II 
(Weimar  1802)  ins  Deutsche  übertragen.  Einige  Verse  der  Bhagavadgltä 
hat  auch  Herder  in   den  "Gedanken  einiger  Brahmanen«  übersetzt. 

»)  Oben  S.  16  f.  Vgl.  Ges.  Werke  von  W.  v.  Humboldt  I,  S.  96 
und  111. 


—    367    — 

die  unter  dem  Namen  Bhagavadgltä  bekannte  Episode  des 
Mahäbhärata«  ^)  und  in  einer  ausführlichen  Besprechung  der 
Schlegelschen  Ausgabe  und  Übersetzung  2)  beschäftigte  sich 
Wilhelm  von  Humboldt  eingehend  mit  dem  Gedicht.  Es 
wurde  mehrfach  ins  Deutsche  übersetzt,  1834  von  C.  R.  S. 
Peiper,  1869  von  Fr.  Lorinser  und  1870  von  R.  Box- 
berg er  ä).  Die  genauesten  und  zuverlässigsten  Übersetzungen 
sind  aber  jetzt  die  von  R.  Garbe*)  und  P.  Deussen^). 
/  Das  Gedicht  findet  sich  an  einer  Stelle,  wo  man  es  am  aller- 
wenigsten vermuten  würde  —  am  Anfange  des  VI.  Buches,  wo 
die  grofsen  Kampfschilderungen  beginnen.  Alle  Vorbereitungen 
zur  Schlacht  sind  getroffen.  Die  beiden  Heere  stehen  einander 
kampfbereit  gegenüber.  Da  läfst  Arjuna  den  Streitwagen 
zwischen  den  beiden  Heeren  Halt  machen  und  überschaut  die 
zum  Kampfe  gerüsteten  Scharen  der  Kauravas  und  Pändavas. 
Und  wie  er  da  auf  beiden  Seiten  »Väter  und  Grolsväter,  Lehrer, 
Oheime  und  Brüder,  Söhne  und  Einkel,  Freunde,  Schwäher  und 
Genossen«  sieht,  da  übermannt  ihn  ein  Gefühl  des  tiefsten  Mit- 
leids; Entsetzen  ergreift  ihn  bei  dem  Gedanken,  dafs  er  gegen 
V^erwandte  und  Freunde  kämpfen  solle;  Sünde  und  Wahnsinn 
scheint  es  ihm,  diejenigen  morden  zu  wollen,  um  derentwillen 
man  sonst  in  den  Kampf  zieht.  Da  ihm  aber  Krsna  Schwäche 
und  weichliche  Gesinnung  vorwirft,  erklärt  Arjuna,  da(s  er  ganz 

')  Auch  Ges.  W^Tke  1,  26-109. 

2)  In  Schlegels  «Indisciier  Bibliothek«  Bd.  II,  1824,  S.  218  ff., 
328  ff.    Auch  Ges.  Werke  1,  110-184. 

*)  Sehr  wertvoll  ist  die  oben  S.  365  Anm.  2  erwähnte  englische 
Übersetzung  von  Telang.  Hingeg^^n  ist  die  deutsche  Übersetzung 
von  Franz  Hartmann  (Braunschweig  1892)  für  moderne  Theosopheu, 
welche  sie  »im  Sonnenlichte  des  göttlichen  Geistes*  (Vorrede  des 
Übers.)  zu  lesen  imstande  sind,  gemacht,  kann  daher  gewöhnlichen 
Sterblichen  nicht  empfohlen  werden. 

*)  Die  Bhagavadgltä,  aus  dem  Sanskrit  übersetzt.  Mit  einer  Ein- 
leitung über  ihre  ursprüngliche  Gestalt,  ihre  Lehren  und  ihr  Alter 
Leipzig  1905.  Diese  Übersetzung  ist  philologisch  genau  und  gibt  den 
philosophischen  Inhalt  der  Dichtung  zuverlässig  wieder.  Von  deren 
dichterischem  Gehalt  gibt  sie  allerdings  keine  Vorstellung  und 
beabsichtigt  das  auch  nicht.  Von  den  poetischen  Übersetzungen 
ziehe  ich  die  reimlose  Peipers  den  gereimten  Versen  Boxbergers  vor. 
Lorinsers  t)bersetzung  ist  ebenso  undichterisch  wie  undeutsch. 

<^)  Siehe  oben  S.  273  Anm. 


—    368     — 

ratlos  dastehe,  dafs  er  nicht  wisse,  ob  es  besser  sei,  zu  siegen 
oder  sich  besiegen  zu  lassen,  und  er  bittet  schliefslich  den  Krsna, 
ihn  darüber  zu  belehren,  was  er  denn  eigentlich  in  diesem  Zwie- 
spalt der  Pflichten  tun  solle.  Darauf  antwortet  ihm  Krsna  mit 
einer  eingehenden  philosophischen  Auseinandersetzung,  deren 
unmittelbarer  Zweck  der  ist,  den  Arjuna  zu  überzeugen,  dafs  es 
seine  Pflicht  als  Krieger  sei,  zu  kämpfen,  was  auch  immer  die 
Folgen  sein  mögen.     So  sagt  er: 

»Du  beklagst  diejenigen,  welche  nicht  zu  beklagen  sind,  wenn  du 
gleich  verständige.  Worte  redest.  Der  Weise  klagt  nicht  um  die 
Lebenden  und  nicht  um  die  Toten.  Niemals  hat  es  eine  Zeit  gegeben, 
wo  ich  nicht  war,  niemals  eine  Zeit ,  wo  du  nicht  warst,  niemals  eine 
Zeit,  wo  diese  Könige  hier  nicht  waren:  und  keiner  von  uns  wird  je- 
mals aufhören  zu  sein.  Wie  der  Mensch  in  diesem  seinem  Körper 
Kindheit,  Jugend  und  Alter  erlangt,  so  erlangt  er  auch  (nach  dem 
Tode)  einen  anderen  Körper:  der  Weise  wird  daran  nicht  irre  .  .  . 
Vergänglich  sind  nur  diese  Leiber  an  dem  ewigen,  unvergänglichen, 
unvernichtbaren  Menschen;  darum  kämpfe  nur,  o,  Bharatasprofs! 
Wer  da  den  einen  für  den  Töter  erklärt  und  den  anderen  für  getötet 
hält,  —  die  wissen  beide  nichts.  Denn  der  Mensch  tötet  nicht  und 
wird  nicht  getötet.  Er  wird  nicht  geboren  und  stirbt  niemals  und 
niemals  wird  er,  wenn  er  einmal  entstanden  ist,  aufhören  zu  sein. 
Ungeboren,  beständig,  ewig  und  uranfänglich,  wird  er  nicht  getötet, 
wenn  der  Leib  getötet  wird  .  -  .  Wie  ein  Mann  alte  Kleider  abwirft 
und  andere  neue  anzieht,  so  wirft  der  Mensch  die  alten  Leiber  ab 
und  nimmt  andere  neue  an.  Ihn  verwundet  kein  Schwert,  ihn  brennt 
kein  Feuer,  ihn  netzt  kein  Wasser,  ihn  dörrt  kein  Wind  aus  .  .  . 
Wenn  du  dies  alles  erkannt  hast,  sollst  du  um  ihn  nicht  klagen  .  .  .« 

Krsna  sagt  also:  Es  ist  kein  Grund  zur  Klage  über  das 
bevorstehende  Morden,  denn  der  Mensch  selbst,  d.  h.  der 
Geist,  ist  ewig  und  unvemichtbar,  nur  die  Leiber  sind  es. 
welche  vernichtet  werden.  Und  daran  knüpft  er  die  Mahnung 
an  Arjuna,  er  möge  seiner  Pflicht  als  Krieger  eingedenk  in  den 
gerechten  Kampf  ziehen.  Glücklich  der  Krieger,  dem  ein  solcher 
Kampf  zuteil  wird,  der  ihm  die  Tore  zum  Himmel  öffnet!  Wenn 
er  nicht  kämpfe,  so  lade  er  Schande  auf  sich,  die  schlimmer  sei 
als  der  Tod.  Wenn  er  in  der  Schlacht  falle,  sei  ihm  der  Himmel 
gewifs;  siege  er,  so  werde  er  die  Erde  beherrschen.  Darum 
müsse  er  auf  jeden  Fall  kämpfen.  Mit  dieser  Rede  des  Helden 
Krsna  stehen  aber  alle  folgenden  Auseinandersetzungen  des 
Weisen   Krsna   und   später   des  Gottes  —  denn  im  Verlaufe 


—    369     — 

der  Dichtung  ist  es  mehr  und  mehr   der  Gott  Krsna,  welcher 
zu  Arjuna   spricht   —   in   unvereinbarem  Widerspruche.      Denn 
alle  weiteren   Erörterungen  der  Bhagavadgltä   über  die  Ethik 
des  Handelns  gipfeln  in  der  Lehre,  dafs  der  Mensch  zwar  seiner 
Pflicht   gemäfs  handeln   solle,    jedoch  ohne   alle  Rücksicht   auf 
Erfolg  oder  Mifserfolg,  ohne  sich  um  den  zu  erwartenden  Lohn 
zu  kümmern.     Denn   nur  ein   solches  wunschloses   Handeln 
läfst  sich  mit  dem  eigentlichen  Sittlichkeitsideal,  welches  in  dem 
Aufgeben  aller  Werke,   im  Nichthandeln,   in  der  völligen  Welt- 
entsagtmg   besteht,    einigerraafsen    vereinigen.      Und    eigentlich 
zieht  sich  trotzdem  noch  durch  das  ganze  Gedicht  ein  ungelöster 
Widerspruch     zwischen     der     quietistischen     Asketenmoral, 
welcher  die  in  Weltabgeschiedenheit   gepflogene  Meditation  und 
das   Streben   nach   höchster   Erkenntnis   als  Weg  zum  Heil   er- 
scheint, und  der  in  Indien  unter  den  Philosophen  wenigstens  nie 
recht  anerkannten  Moral  des  Handelns.    Zwar  lehrt  Krsna, 
dafs  es  zwei  Wege   zum  Heile  gebe,   den  Weg  der  Erkenntnis 
und   den  Weg   des  Handelns.    Solange  aber  der  Geist  an  den 
Körper  gebunden  ist,  wäre  es  nur  Heuchelei  zu  sagen,  dafs  der 
Mensch,  ohne  zu  handeln,   leben  könne.     Denn  mit  der  Materie 
sind  stets  die  drei  »Qualitäten«  [Gunas*)]   —  Güte,  Leidenschaft 
und   Finsternis  —   verbunden,   durch   welche   notwendigerweise 
Handlungen  entstehen.    Was  der  Mensch  tun  kann,  ist  also  nur 
das,   dafs  er  ohne  Wünsche,   ohne  Begierden  seine  Pflicht  tue. 
Denn  »wie  das  Feuer  vom  Rauch,  wie  der  Spiegel  vom  Schmutz 
verdeckt  wird,    wie   die   Frucht  im  Mutterleibe  von  der  Eihaut 
umhüllt  ist,  so  ist  die  Erkenntnis  von  der  Begierde,  dieser  ewigen 
Feindin    des    Erkennenden,    umhüllt«  2).     Wer    also    wunschlos 
handelt ,   der  kommt   dem  eigentlichen  Ideal ,    welches  doch  auf 
dem  Wege  der  Erkenntnis   liegt,   am  nächsten.     Wie  hoch   die 
Bhagavadgltä  die  Erkenntnis  als  Heilsweg  stellt,  das  zeigen 
die  Verse  (IV,  36 f.): 

»Und  wärest  du  auch  der  S'indigste  unter  allen  Sündigen,  mit 
dem  Boote  der  Erkenntnis  wirst  du  über  alle  Sünden  hinwegkommen. 
Wie  das  Feuer,  sobald  es  entflammt  ist,  das  Brennholz  in  Asche  ver- 


')  Die  Lehre  von  den  drei  Gunas  gehört  zum  System  der  Sankhya- 
Philosophie. 

2)  Bhag.  III,  38  f. 


—     370    — 

wandelt,  o  Arjuna,  so  verwandelt  das  Feuer  der  Erkenntnis  alle  Hand- 
lungen zu  Asche.» 

Und  auch  nach  der  Bhagavadgitä  ist  derjenige  ein  Yogin  — 
das  Ideal  des  Heiligen  und  Weisen  — ,  der,  von  allem  Irdischen 
völlig  abgewandt,  nur  sinnend  nach  Erkenntnis  strebt.  Der 
Yogin  bewahrt  seine  Seelenruhe  »in  Kälte  und  Hitze,  in  Freud 
und  Leid,  in  Ehre  und  Unehre«.  Eine  Erdscholle,  ein  Stein 
und  ein  Goldklumpen  gelten  ihm  gleich.  Er  ist  ein  und  der- 
selbe gegen  Freunde  und  Feinde,  gegen  Fremde  und  Verwandte, 
gegen  Gute  und  Böse.  An  einsamem  Orte  in  Versenkung 
sitzend,  »blickt  er,  ohne  sich  zu  rühren,  auf  seine  Nasenspitz?«. 
»'Wie  ein  Licht  an  einem  windstillen  Orte  nicht  flackert':  das 
ist  das  altbekannte  Gleichnis  für  den  Yogin,  der  sein  Denken 
im  Zaume  hält"  und  sich  ganz  der  Versenkung  (Yoga)  hingibt«  *). 
Während  aber  doch  in  den  Upanisads  *)  das  Sinnen  und  Denken 
als  der  einzige  Weg  zum  Erkennen  und  zum  Heil  gilt ,  kennt 
die  Bhagavadgitä  noch  einen  anderen  Weg,  den  der  Bhakti, 
d.  h.  der  Liebe  zu  Gott").    Auf  die  Frage  des  Arjuna,  ob  denn 


*)  VI,  7—19.  In  einem  Brief  an  Gentz  schreibt  Wilh.  v.  Hum- 
boldt, jener  werde  begreifen,  wie  sehr  das  indische  Gedicht  auf  ihn 
wirken  mufste.  »^Denn  ich  bin  den  Vertieften  (d.  i.  den  Yogins), 
von  denen  darin  die  Rede  ist,  so  unähnlich  nicht.«  (Schriften  von 
Friedrich  von  Gentz,  herausg.  von  G.  Schlesier.  Mannheim  1840. 
V,  S.  300.) 

2)  Vgl.  oben  S.  222. 

')  Diese  Idee  der  Bhakti  oder  Gottesliebe  ist  es,  welche  uns  mehr 
als  irgend  etwas  anderes  in  der  Bhagavadgitä  an  christliche  Ge- 
dankenkreise erinnert.  Auch  sonst  sind  die  Anklänge  an  christliche  Vor- 
stellungen so  stark,  dals  der  Versuch  F.  Lorin sers  in  dem  Anhange 
zu  seiner  Übersetzung  (Breslau  1869),  christliche  Einflüsse  in  der  Bhaga- 
vadgitä nachzuweisen,  von  vornherein  nicht  abzulehnen  ist.  Aber 
gerade  die  eingehende  Untersuchung  Lorinsers  beweist,  dafs  wir  es  hier 
mit  einem  religionsgeschichtlich  hoch  interessanten  Parallelismus  der 
Entwicklung  und  nicht  mit  einem  Fall  von  Entlehnung  zu  tun  haben. 
Lorinser  ist  überzeugt,  »dafs  der  Verfasser  der  Bhagavadgitä  nicht 
nur  die  Schriften  des  Neuen  Testaments  gekannt  und  vielfach  be- 
nützt, sondern  auch  in  sein  System  überhaupt  christliche  Ideen  und 
Anschauungen  verwoben  hat«,  und  er  will  beweisen,  »dafs  dieses  viel- 
bewunderte Denkmal  altindischen  Geistes,  dieses  schönste  und  er- 
habenste didaktische  Gedicht,  welches  als  eine  der  edelsten  Blüten 
heidnischer  Weltweisheit  betrachtet  werden  kann,  gerade  seine  reinsten 
und  am  meisten  gepriesenen  Lehren  zum  grofsen  Teil«  christlichen 


—    371     — 

derjenige,  welcher  nicht  imstande  sei,  seinen  Geist  ganz  und  aus- 
schliefslich  auf  die  Versenkung  zu  lenken,  verloren  sei,  antwortet 
Krsna:  »Keiner,  der  Gutes  getan  hat,  ist  ganz  verloren.«  Wer 
in  dieser  Welt  seine  Pflicht  getan  hat,  wird  nach  dem  Tode, 
seinem  Verdienste  entsprechend,  in  einer  guten  frommen  Familie 
wiedergeboren  und  erlangt  nach  mehreren  Wiedergeburten  all- 
mählich die  Fähigkeit,  ein  Yogin  zu  werden.  »Unter  allen 
Yogins,«  sagt  Krsna  ^),  »wird  derjenige  von  mir  für  den  Er- 
gebensten erachtet,  welcher  mit  seinem  auf  mich  gerichteten 
inneren  Selbst  glaubensvoll  mich  liebt.«  Aus  der  Gottes- 
liebe entspringt  erst  die  Gotteserkenntnis  und  die  wahre  Er- 
lösung.   Das  lehrt  Krs^a  immer  wieder: 

»Ja  selbst  wenn,  ein  sehr  schlechter  Mensch  mich  und  keinen 
anderen  verehrt,  so  mufs  er  für  gut  erachtet  werden;  denn  er  hat 
die  richtige  Überzeugung.  Aläbald  wird  er  rechtschaffenen  Herzens 
und  gelangt  auf  immerdar  zur  Seelenruhe.  Sei  überzeugt,  o  Sohn  der 
Kunti:  Keiner,  der  mich  liebt,  ist  verloren!  Selbst  diejenigen, 
o  Arjuna,  welche  von  schlechter  Geburt  sind,  selbst  die  Krauen,  die 
Vaisyas  und  die  ^Bdras,  wenn  sie  zu  mir  ihre  Zuflucht  nehmen,  er- 
reichen das  höchste  Ziel  —  um  wie  viel  mehr  denn  heilige  Brahmanen 
und  königliche  Weise,  die  mich  lieben  .  .  .« *). 

Auch  das  sittliche  Handeln  und  alle  Tugenden  des  Yogin 
erhalten  ihren  Hauptwert  erst  durch  die  Gottesliebe: 


Quellen  verdankt.  Von  solchen  Tendenzen  geleitet,  hat  Lorinser 
alles  verglichen,  was  sich  nur  halbwegs  vergleichen  läfst.  Aber  von 
den  mehr  als  hundert  Parallelstellen  aus  den  Evangelien,  welche 
Lorinser  zu  Stellen  der  Bhagavadgitä  anführt,  sind  höchstens  25  von 
der  Art,  dafs  eine  Entlehnung  denkbar  wäre.  In  keinem  einzigen 
Fall  jedoch  ist  die  Ähnlichkeit  eine  solche,  dafs  die  Annahme  einer 
Entlehnung  wahrscheinlicher  wäre  als  die  einer  zufälligen  Über- 
einstimmung. Auch  die  Gottesliebe  ist  ja  nicht  auf  das  Christentum 
beschränkt.  Ich  erinnere  nur  an  den  Sufiismus,  in  welchem  sie  keine 
geringere  Rolle  spielt  als  bei  den  christUchen  Mystikern.  Die  Aus- 
führungen Lorinsers  haben  auch  bisher  keinen  Indologen  überzeugt. 
Selbst  A.  Weber,  der  («Griechen  in  Indien«,  Sitzungsber.  der  Berliner 
Akademie  1890,  S.  930)  die  Bhakti  auf  christliche  Einflüsse  zurück- 
führt, meint  doch,  dafs  Lorinser  zu  weit  gehe.  Vgl.  auch  A.  Barth, 
The  Religions  of  India,  transl.  by  J.  Wood,  London  1889,  p.  220 f. 
und  Garbe  a.  a.  O.  S.  32  f.  u.  55 ff. 

1)  VI,  47. 

«)  IX,  30-33. 

Wioternitz,  Geschichte  der  indtscben  Litteratur.  25 


—    372     - 

»Derjenige  Verehrer  von  mir,  der  keinen  Hals  hegt  gegen  irgend- 
ein Wesen,  sondern  nur  voll  Liebe  und  Erbarmen  ist,  der  uneigen- 
nützig und  selbstlos,  in  Glück  und  Unglück  gleich,  nachsichtig,  zu- 
frieden, stets  der  Betrachtung  ergeben  sich  selbst  bezähmt  und  un- 
erschütterlich seinen  Geist  und  seinen  Verstand  auf  mich  gerichtet 
hat,  —  der  ist  mir  lieb.  Vor  wem  die  Menschen  nicht  zittern,  und 
wer  vor  den  Menschen  nicht  zittert,  wer  von  Freude  und  Zorn,  von 
Angst  und  Aufregung  frei  ist,  —  der  ist  mir  lieb.  Der  Verehrer  von 
mir,  der  sich  um  diese  Welt  nicht  kümmert,  der  rein,  klug,  gleich- 
mütig und  gegen  Schmerz  unempfindlich  ist  und  alles  Handeln  auf- 
gegeben hat,  —  der  ist  mir  lieb.«^) 

Der  Kern  aller  eth'schen  Lehren  der  Bhagavadgitä  ist  aber 
in  dem  Verse  enthalten,  welchen  die  Kommentatoren  mit  Recht 
als  den  »Quintessenz-Vers«  bezeichnen  2) : 

»Wer  alle  seine  Werke  um  meinetwillen  tut,  wer  mir  ganz 
ergeben  ist,  wer  mich  liebt,  vom  Haften  am  Irdischen  frei  und  ohne 
Hafs  gegen  irgendein  Wesen  ist,  der  geht  zu  mir  ein,  o  Päigi4n- 
sprols.« 

Hier  ist  auch  ausgesprochen,  worin  nach  der  Bhagavadgitä 
die  Erlösimg  oder  das  höchste  Heil  besteht:  in  dem  Eingehen 
zu  Gott.  Dieses  aber  ist  zu  verstehen  »als  Erhebung  der  Seele 
zu  gottähnlichem  Dasein,  als  individuelle  Fortdauer  in  der  Gegen- 
wart Gottes«^). 

Es  sind  also  drei  Wege,  welche  zu  diesem  Ziele  führen: 
der  Weg  des  pflichtgemälsen  Handelns,  der  Weg  der  Erkenntnis 
und  der  Weg  der  Gottesliebe.  Und  es  wird  wenigstens  ver- 
sucht —  wenn  auch  der  Versuch  nicht  immer  glücklich  ist  — , 
die  drei  Wege  miteinander  in  Einklang  zu  bringen.  Der  erste 
Weg  lälst  sich  ja  mit  dem  dritten  vereinigen,  und  die  Gottes- 
liebe führt  zur  Gotteserkenntnis,  trifft  also  mit  dem  zweiten 
Wege  zusammen.  So  kann  man  über  die  Widersprüche  in  bezug 
auf  die  ethischen  Lehren  der  Bhagavadgitä  einigermafsen  hinweg- 
kommen. Viel  ernster  ist  aber  ein  anderer  Widerspruch,  der 
sich  durch  das  ganze  Gedicht  hindurchzieht,  und  der  jedem 
Leser,  der  nicht  ein  gläubiger  Hindu  oder  ein  schwärmerischer 
Theosoph  ist,  auffallen  mufs.  Alles,  was  wir  bisher  angeführt 
haben,   insbesondere   aber  die  so    sehr    hervorgehobene    Bhakti 


')  XII,  13-16. 

2)  XI,  55. 

'')  Garbe  a.  a.  O.  S.  54. 


—    373    — 

oder  Gottesliebe,  Weist  auf  den  Glauben  an  einen  persönlicheo 
Gott  hin.  Neben  diesen  streng  theistischen  Anschauungen 
werden  nun  sehr  oft  auch  rein  pantheistische  Ausführungen 
im  Sinne  der  Brahman-Atman-Lehre  der  Upanisads  vorgetragen. 
Dies  geschieht  aber  nicht  etwa  in  der  Weise  (wie  das  in  Indien 
öfters  vorgekommen  ist),  dafs  die  Lehre  vom  persönlichen  Gott 
als  eine  niedrigere  für  das  Volk  (exoterische),  die  pantheistische 
Lehre  von  der  Weltseele  hingegen  als  eine  höhere  für  die  Weisen 
(esoterische)  hingestellt  würde-,  auch  nicht  in  der  Weise  (wofür 
es  gleichfalls  in  Indien  Beispiele  gibt),  dals  man  Theismus  imd 
Pantheismus  absichtlich  verbunden  und  die  Weltseele  mit  dem 
persönlichen  Gott  identifiziert  hätte ;  sondern  in  der  Bhagavadgitä 
stehen  die  Widersprüche  ganz  unvermittelt  nebeneinander.  Es 
folgen  Verse  auf  Verse,  in  denen  Krsna  von  sich  als  dem 
höchsten  Gott  und  Schöpfer  spricht,  und  mitten  darunter  wieder 
Verse,  in  denen  das  Brahman,  die  Weltseele,  ganz  im  Stile  der 
Upanisads  und  der  Vedäntaphilosophie  als  das  einzige  und  höchste 
Weltprinzip  erklärt  wird.  Man  hat  daher  früher  vielfach  an- 
genommen, dafs  die  Bhagavadgltä  ursprünglich  ein  pantheistisches 
Gedicht  gewesen  sei,  das  in  späterer  Zeit  von  den  Verehrern  des 
Gottes  Visnu  in  ein  theistisches  Gedicht  umgearbeitet  worden 
wäre. 

Es  ist  aber,  glaube  ich,  Garbe  vollständig  gelungen 
nachzuweisen,  dals  sich  die  Sache  umgekehrt  verhält.  Die 
Bhagavadgltä  ist  ihrer  ganzen  Anlage  nach  durchaus  theistisch, 
und  die  pantheistischen  Stellen  lassen  sich  verhältnismäfsig  leicht 
ausscheiden.  Von  den  700  Versen  des  Gedichtes  hat  Garbe 
170  als  unecht,  d.  h.  als  vom  Standpunkte  der  Vedäntaphilosophie 
und  der  orthodox-brahmanischen  Religion  später  eingeschoben, 
nachgewiesen.  Wenn  wir  das  Gedicht  mit  Auslassung  der  von 
Garbe  in  seiner  Übersetzung  kleingedruckten  Stellen  lesen,  so 
ergibt  sich,  dafs  dadurch  keine  Lücke  entsteht,  und  dafs  sogar 
an  vielen  Stellen  durch  Weglassung  der  so  bezeichneten  Verse 
ein  unterbrochener  Zusanamenhang  wiederhergestellt  wird.  Es 
spricht  auch  durchaus  für  die  Richtigkeit  der  Garbeschen  Auf- 
fassung, dafs  unter  den  170  von  ihm  ausgeschiedenen  Versen 
höchstens  etwa  zehn  oder  zwölf  genannt  werden  können,  die 
irgendwelche  poetische  Schönheiten  aufweisen.  Es  ist  dies  um 
so  bemerkenswerter,    als    Garbe    selbst   die   Bhagavadgltä   als 

25* 


—     374    — 

dichterische  Schöpfimg  nicht  sehr  hoch  einschätzt  und  daher 
diese  ästhetische  Erwägung  gar  nicht  beibringt. 

Wenn  wir  das  Gedicht,  so  wie  es  uns  vorliegt,  un- 
befangen und  kritisch  lesen,  müssen  wir  uns  in  der  Tat  darüber 
fast  wundern,  dafs  es  im  Osten  wie  im  Westen  so  viel  Be- 
geisterung erregt  hat.  Denn  O.  Böhtlingk»)  hat  gewifs 
nicht  unrecht,  wenn  er  sagt,  dafs  unser  Gedicht  »neben  vielen 
hohen  und  schönen  Gedanken  auch  nicht  wenige  Schwächen,  Wider- 
sprüche .  .  .,  Wiederholungen,  Übertreibungen,  Abgeschmackt- 
heiten und  Widerlichkeiten  *!  enthalte.  Es  ist  aber  zum  mindesten 
fraglich,  ob  nicht  gerade  d  i  e  Stellen,  für  welche  dieser  Vorwurf 
zutrifft,  auch  aus  anderen  Gründen  als  unecht  auszuscheiden  sein 
werden.  Ich  glaube  dies  um  so  mehr  annehmen  zu  müssen, 
als  ich  die  alte  und  echte  Bhagavadgltä  für  das  Werk  eines 
wahren  und  grofsen  Dichters  halte. 

Nicht  die  Gedankentiefe,  nicht  die  unergründliche  Weisheit, 
die  nach  der  Ansicht  der  meisten  indischen  und  so  «vieler 
europäischer  Gelehrten  in  dieser  Dichtung  stecken  soll,  ist  es, 
was  die  Bhagavadgltä  sowohl  in  Indien  als  auch  in  Europa  so 
berühmt  und  beliebt  gemacht  hat  •,  sondern  durch  ihren  dichterischen 
Gehalt  —  die  Gewalt  der  Sprache,  die  Pracht  der  Bilder  und 
Vergleiche,  den  Hauch  des  Weihe-  und  Stimmungsvollen,  der 
über  die  Dichtung  ausgebreitet  ist  —  hat  sie  zu  allen  Zeiten 
auf  empfängliche  Gemüter  einen  so  tiefen  Eindruck  gemacht. 

.Dafs  aber  die  Bhagavadgltä  in  ihrer  jetzigen  Gestalt  (welche 
sie  übrigens  wahrscheinlich  schon  in  den  ersten  Jahrhunderten 
nach  Chr.  hatte)  in  Indien  selbst  das  beliebteste  rehgiöse 
Erbauungsbuch  geworden  und  bis  heute  geblieben  ist,  wird  nicht 
zum  wenigsten  gerade  dem  Umstand  zuzuschreiben  sein,  dafs  in 
ihr  die  einander  widersprechendsten  philosophischen  Lehren  und 
religiösen  Anschauungen  zu  einem  Mischmasch  vereinigt  sind. 
Die  alte  Bhagavadgltä  stand  ohne  Zweifel  —  das  hat  Garbe 
bewiesen  —  in  philosophischer  Beziehung  auf  dem  Standpunkt  der 
Sänkhya-Philosophie^).     Dieses  System   lehrt  die  absolute 

^)  »Bemerkungen  zur  Bhagavadgltä"  in  den  Berichten  der  phü.- 
hist.  Klasse  der  König!.  Sachs.  Gesellschaft  der  Wissenschaften,  1897. 

*)  Garbe  a.  a.  O-  S.  42.  Kapila,  der  Begründer  des  Sänkhya- 
Systems,  wird  X,  26  als  erster  der  Heiligen  (Munis)  genannt.  Das 
Wort  Sänkhya  bedeutet  nach  Garbe  »Auf Zählungslehre«  (von 
sankhyä,  »Zahl«),  nach  anderen  etwa  »Unterscheidungslehre«. 


—    375    — 

Verschiedenheit  des  geistigen  und  ungeistigen  Prinzips,  behauptet 
eine  Vielheit  von  Seelen  und  die  Unabhängigkeit  und  Ewigkeit 
der  Materie,  es  erklärt  die  Schöpfung  als  eine  Entfaltung  der 
Welt  aus  der  Urmaterie ;  und  wenn  es  gleich  den  Üpanisads  die 
Erlösung  von  der  Erkenntnis  abhängig  macht,  so  versteht  es 
doch  unter  »Erkenntnis«  das  Wissen  von  der  Verschiedenheit 
von  Geist  und  Materie  *).  Alle  diese  Lehren  sind  der  Einheits- 
lehre, die  wir  in  den  Üpanisads  kennen  gelernt  haben,  schnur- 
stracks entgegengesetzt.  Und  doch  findet  der  Veaänta-Philosoph 
in  unserer  Bhagavadgltä  auch  seine  eigenen  Lehren  wieder. 
Mit  dem  Sänkhya-System  enge  verbunden  ist  aber  das  System 
des  Yoga;  die  Grundanschauungen  beider  Systeme  sind  die- 
selben, nur  dafs  das  Sähkhya  mehr  Psychologie,  Erkenntnis- 
lehre und  Metaphysik  ist,  während  der  Yoga  ein  System  der 
»praktischen  Philosophie«  darstellt.  In  der  Bhagavadgltä  ist 
Yoga  geradezu  die  Lehre  vom  pflichtgemäfsen  Handeln,  Sähkhya 
die  Theorie  von  der  richtigen  Erkenntnis  2) ;  das  Gedicht  wird 
wohl  auch  als  ein  »Lehrbuch  des  Yoga«  bezeichnet,  und 
»Sänkhya-Yoga«  gilt  in  der  Bhagavadgltä  wie  im  ganzen  Mahä- 
bhärata  als  die  Philosophie  par  excellence.  Nun  ist  zwar  Yoga 
an  manchen  Stellen  der  Bhagavadgltä  nichts  anderes  als  »Ethik«, 
meistens  aber  ist  damit  das  gemeint,  was  Yoga  in  der  indischen 
Litteratur  gewöhnlich  bedeutet,  nämlich  die  Lehre  von  der  »Ver- 
senkung« oder  »Vertiefung« :  die  verschiedenen  Methoden,  durch 
welche  der  Mensch  sich  vom  Körperlichen  und  Irdischen  befreien 
und  sich  ganz  in  die  Weltseele  oder  in  die  Gottheit  vertiefen  kann. 
Diese  Yoga-Lehren  lassen  sich  daher  zum  Vedänta  ebensogut 
wie  zum  Sähkhya  in  Beziehung  bringen,  und  für  die  Anhänger 
aller  religiösen  Sekten  ist  der  Yogin  (ob  er  nun  so  oder  anders 
genannt  wird)  das  Ideal  des  Heiligen.  Trotzdem  endlich  vedische 
Opfer    und    Zeremonien    in    den    alten    und    echten   Teilen    der 


')  Über  dieses  philosophische  System  unterrichtet  am  besten  und 
zuverlässigsten  Rieh.  Garbe,  Die  Sämkhya-Philosophie ,  eine  Dar- 
stellung des  indischen  Realismus.    Leipzig  1894. 

-)  Garbe,  Bhagavadgltä  S.  44.  Über  das  Yogasystem  und  dessen 
enger  Verbindung  mit  dem  Sänkhya-System  vgl.  R.  Garbe,  Sämkhya 
und  Yoga,  im  »Grundrifs  der  indo-arischen  Philologie«  III,  4.  Strafs- 
burg 1896.  Das  Wort  Yoga  bedeutet  »Ausübung,  Anstrengung, 
Praxis«. 


—    376    — 

Bhagavadgltä  als  nicht  zum  Heile  führend  geradezu  verworfen 
werden,  sind  doch  zugleich  mit  den  Vedähta-Lehren  auch  Verse 
in  das  Gedicht  eingeschmuggelt  worden,  in  denen  brahmanische 
Opfer  empfohlen  sind.  So  wird  es  verständlich,  dafs  sich  alle 
philosophischen  Schulen  und  religiösen  Sekten  auf  die  Bhaga- 
vadgltä berufen,  und  dafs  sich  der  strenggläubigste  Brahmane 
an  ihr  ebenso  erbaut  wie  der  Anhänger  der  Brahmo  SamEj  oder 
der  gläubige  Theosoph  im  Gefolge  der  Annie  Besant. 

Was  aber  von  der  Bhagavadgltä  gesagt  worden  ist,  das  gilt 
im  grofsen  und  ganzen  von  allen  philosophischen  Abschnitten 
des  Mahäbhärata.  Wohl  stehen  Sänkhya  und  Yoga  im  Vorder- 
grunde, ihre  Lehren  werden  am  häufigsten  und  ausführlichsten 
vorgetragen  und  als  höchste  Weisheit  empfohlen.  Doch  sind 
allenthalben  auch  Stellen  eingeschoben,  in  denen  der  Vedänta 
zu  Worte  kommt,  und  gröfsere  Stücke,  wie  das  Sanatsujätiya 
(V,  41 — 46),  sind  ganz  vom  Standpunkte  der  Vedänta-Lehre  ein- 
gefügt worden,  während  die  Anugitä  (XIV,  16 — 51)  wohl  nur 
eine  späte  Nachahmung  der  Bhagavadgltä  ist  und  noch  mehr 
als  diese  ein  buntes  Allerlei  von  Lehren  enthält').  An  dichte- 
rischem Gehalt  aber  kann  sich  keiner  der  eigentlich  philosophischen 
Abschnitte  auch  nur  entfernt  mit  der  Bhagavadgltä  vergleichen. 

Hingegen  finden  sich  manche  kostbare  Blüten  indischer  Dicht- 
kunst in  jenen  lehrhaften  Stücken,  welche  sich  mit  ethischen 
Fragen,  z.  B.  der  oft  erörterten  Frage  nach  dem  Verhältnis  von 
Schicksal  und  Menschentat  (karman),  beschäftigen  oder  allgemeine 
Sittenlehren —  ohne  alle  Rücksicht  auf  irgendwelche  philosophische 
oder  religiöse  Anschauungen  —  enthalten.     Von  der  Fülle  der 


')  Anugitä  bedeutet  «Nachgesang'.  Eine  übersichtliche  Zu- 
sammenstellung der  philosophischen  Lehren,  die  im  Mahäbhärata 
enthalten  sind,  gibt  E.  W.  Hopkins,  The  Great  Epic  of  India. 
S.  85—190.  Joseph  Dahlmann,  Die  Särakhya-Philosophie  als  Natur- 
lehre und  Erlösungslehre,  nach  dem  Mahäbhärata,  Berlin  1902,  hat 
mit  viel  Beredsamkeit  aus  dem  Mischmasch  der  philosophischen  Lehren 
des  Mahäbhärata  ein  einheitliches  System  herauszukonstruieren  ver- 
sucht. Auch  De  ussen  deutet  in  dem  Vorwort  zu  den  »Vier  philosoph. 
Texten  des  M.«  an,  dafs  er  in  der  Philosophie  des  Mahäbhärata  nicht 
eine  »Mischphilosophie«,  sondern  ein^  > Übergangsphilosophie»  sieht. 
Man  mufs  abwarten,  ob  ihm  der  versprochene  Beweis  hierfür  ge- 
lingen wird.  Vorläufig  glaube  ich  nur  »Mischphilosophie«  im  Mahä- 
bhärata zu  finden. 


—     377     — 

Schönheit  und  Weisheit,  welche  in  diesen  Sprüchen  des  Mahä- 
bhärata  verborgen  ist,  mögen  die  folgenden  Übersetzungen 
wenigstens  eine  kleine  Probe  geben; 

»Es  vernarbt  eine  von  Pfeilen  verursachte  Wunde,  ein  von  der 
Axt  gefällter  Wald  wächst  wieder;  aber  eine  durch  die  Rede  ge- 
schlagene Wunde  —  eine  garstige  böse  Rede  —  heilt  nicht  wieder.« 

*Dem  Menschen,  welchem  die  Götter  eine  Niederlage  bereiten 
wollen,  rauben  sie  den  Verstand,  dann  sieht  er  alles  verkehrt.« 

'Die  Götter  schützen  nicht  wie  der  Hirte  mit  dem  Stock  in  der 
Hand,  sondern  wen  sie  beschützen  wollen,  dem  verleihen  sie  Verstand.« 

»Wer  verletzende  Rede  nicht  spricht,  noch  sprechen  läfst;  wer, 
wenn  er  geschlagen  wird,  nicht  zurückschlägt,  noch  schlagen  läfst, 
wer  selbst  den  Bösewicht  nicht  zu  schlagen  sucht,  nach  dessen  An- 
kunft sehnen  sich  die  Götter.« 

»Ein  anderer  geniefst  den  Reichtum  des  Dahingegangenen, 
Vögel  und  Feuer  verzehren  die  Bestandteile  seines  Leibes;  nur  mit 
zweien  geht  er  ins  Jenseits  hinüber,  mit  seinen  guten  und  seinen  bösen 
Taten,  die  ihn  stets  begleiten. 

Freunde,  V^erwandte  und  Söhne  verlassen  den  Toten  und  kehren 
heim,  wie  die  Vögel  sich  von  bluten-  und  früchtelosen  Bäumen  ab- 
wenden. Aber  die  Tat,  die  er  selbst  getan,  folgt  ihm  nach,  wenn  er 
ins  Feuer  geworfen  wird.  Darum  soll  der  Mensch  nach  Kräften  all- 
mählich gute  Werke  sammeln.« 

»Gut  ist's,  die  Wahrheit  zu  sprechen;  es  gibt  nichts  Höheres  als 
die  Wahrheit.  Durch  die  Wahrheit  wird  alles  in  Ordnung  gehalten, 
auf  die  Wahrheit  ist  alles  gegründet. 

Selbst  verbrecherische  Räuber  verpflichten  sich  untereinander 
zur  Wahrheit  und  vermeiden,  auf  sie  gestützt,  Verrat  und  Streit; 
wenn  sie  nicht  gegeneinander  Treue  übten,  würden  sie  ohne  Zweifel 
zugrunde  gehen.« 

»Von  allen  Seiten  fürchtet  der  Dieb  Gefahr,  wie  ein  Wild,  das 
ins  Dorf  gekommen;  da  er  selbst  so  viel  Böses  tut,  erwartet  er  es 
auch  von  anderen. 

Immer  und  überall  geht  der  Reine  heiter  und  furchtlos  einher, 
denn  wie  er  selbst  nichts  Schlechtes  tut,  so  gewärtigt  er  auch  bei 
anderen  nichts  Böses.« 

»Was  ein  Mensch  nicht  wünscht,  dafs  es  ihm  von  anderen  ge- 
schehe, das  füge  er  auch  anderen  nicht  zu,  da  er  weifs,  wie  es  ihm 
selbst  unlieb  ist.«^) 


')  V,  33,  77;  80:  34,  41;  35,  11;  39,   16-18;  XII,  258,   10  f.; 
15 f.;  19.    Siehe  auch  oben  S.  296  f.,  320  f.,  323,  357,  359-362. 


378 


O^r  Harivamsa,  ein  Anhang  zum  Mahäbhärata  ^). 

Die  Ausführungen  der  vorausgehenden  Kapitel  müssen  ge- 
nügen, um  einen  Begriff  von  dem  mannigfachen  Inhalt  der 
achtzehn  Bücher  (Parvans)  des  Mahäbhärata  zu  geben.  Die 
Inder  betrachten  aber  auch  den  HarivamSa,  ein  Werk,  welches 
in  Wirklichkeit  ein  Puräna  ist  und  auch  gelegentlich  »Harivan^a- 
Puräna«  genannt  wird,  als  einen  Bestandteil  des  Mahäbhärata. 
Doch  wird  das  Buch  auch  von  den  Indern  nicht  als  ein  neun- 
zehntes »Parvan«,  sondern  als  ein  Khila,  d.  h.  ein  Nachtrag 
oder  Anhang,  zum  Mahäbhärata  bezeichnet.  Dieser  »Anhang« 
ist  nun  freilich  ein  Werk  von  16  374  Doppelversen  (§lokas), 
also  länger  als  Ilias  und  Odyssee  zusammengenommen.  Doch 
steht  die  litterarische  Bedeutung  desselben  keineswegs  in  ge- 
radem Verhältnis  zu  dem  Umfang.  Es  ist  vor  allem  keine 
»Dichtung«,  in  keinem  Sinne  das  Werk  irgend  eines  Dichters, 
sondern  eine  Zusammenhäufung  oder  ganz  lose  Aneinanderreihung 
von  Texten  —  Legenden,  Mythen,  Hymnen  — ,  welche  der  Ver- 
herrlichung des  Gottes  Visnu  dienen.  Der  Harivamsa  ist  aber 
nicht  einmal  das  Werk  ei,nes  Kompilators.  Das  letzte  Drittel 
desselben  ist  gewifs  erst  ein  späterer  Anhang  zum  Anhang,  und 
auch  in  den  übrigen  Teilen  des  Werkes  sind  viele  Stücke  wahr- 
scheinlich   zu    ganz  verschiedenen  Zeiten  eingeschoben    worden. 

Der  Zusammenhang  des  Harivamsa  mit  dem  Mahäbhärata 
selbst  ist  ein  ganz  äufserlicher  imd  beschränkt  sich  im  wesent- 
lichen darauf,  dafs  derselbe  Vaisampäyana ,  welcher  dem  Jana- 
mejaya  das  ganze  Mahäbhärata  vorgetragen  haben  soll  ^),  auch 
als  der  Vortragende  des  Harivamsa  gilt.  Anknüpfend  an  die 
Rahmenerzählung  des  Mahäbhärata  bittet  zu  Beginn  des  An- 
hangs Saunaka  den  Ugrasravas,  er  möge  ihm,  nachdem  er  alle 
die  schönen  Geschichten  von  den  Bhäratas  erzählt,  nun  auch 
noch  etwas  von  den  Vrsnis  und  Andhakas  —  den  Familien,  zu 
welchen  Krsna  gehört  —  berichten.    Darauf  bemerkt  Ugra§ravas, 


')  Vgl.  A.  Holtzmann,  Das  Mahäbhärata,  II,  S.  272-298.  Es 
gibt  nur  eine  französische  Übersetzung  dieses  Anhangs  von  S.  A. 
Langlois,  Harivamsa  ou  histoire  de  la  famille  de  Hari,  Paris 
1834-35. 

«)  Siehe  oben  S.  270. 


—    379    — 

ganz  dieselbe  Bitte  habe  Janamejaya  nach  dem  Vortrage  des 
MahSbharata  an  Vaisampäyana  gerichtet,  und  dieser  habe  sodann 
alles  das  erzählt,  was  er  selbst  jetzt  wiederholen  wolle.  So 
wird  denn  alles  folgende  dem  Vaisampäyana  in  den  Mund  ge- 
legt. Aufserdem  wird  in  einigen  Versen  am  Anfange  und  einem 
ganzen  langen  Gesang  am  Ende  des  Anhangs*)  in  über- 
schwenglichen Versen  das  Lob  des  Mahäbhärata  mit  Einschluls 
des  Harivamäa  gesungen  und  das  religiöse  Verdienst  hervor- 
gehoben, das  man  sich  durch  das  Rezitieren  und  Anhören  der 
ganzen  Dichtung  erwirbt.  Damit  ist  eigentlich  alles  erschöpft, 
wodurch  sich  der  Harivamsa  selbst  als  zum  Mahäbhärata  ge- 
hörig kennzeichnet.  Inhaltlich  hat  der  Harivamäa  mit  dem 
Mahäbhärata  nicht  mehr  gemein  als  die  Puränas.  Es  finden 
sich  nämlich  viele  Sagen,  insbesondere  brahmanische  Legenden 
und  Mythen,  welche  im  Mahäbhärata  vorkommen,  in  ver- 
schiedenen Versionen  sowohl  im  Harivamsa  als  auch  in  den 
Puränas  wieder. 

Der  Hafivam§a  besteht  aus  drei  grofsen  Abschnitten,  von 
denen  der  erste  Harivamsaparvan  betitelt  ist.  Der  Titel 
> Harivamsa <,  d.  i.  »Geschlechtsfolge  des  Hari«  ^),  welcher  dem 
ganzen  Anhang  gegeben  wurde,  pafst  eigentlich  nur  auf  dieses 
erfete  Buch.  Es  beginnt  nach  Art  der  Puränas  mit  einem  ziem- 
lich verworrenen  Schöpfungsbericht  u)id  allerlei  mythologischen 
Erzählungen,  so  von  Dhruva,  der  zum  Polarstem  wurde  (62  ff.), 
von  Daksa^und  seinen  Töchtern,  den  Ahnfrauen  der  Götter  und 
Dämonen  (101  ff.)  u.  a.  Ausführlich  wird  die- Geschichte  von 
dem  veda-  und  opferfeindlichen  Titanen  Vena  und  dessen  Sohn 
Prthu,  dem  ersten  König  der  Menschen,  erzählt*).  In  die 
Genealogie  der  Sonnendynastie  (545  ff.)  d.  h.  des  Königs  Iksväku 
und  seiner  Nachkommen,  die  ihren  Ursprung  auf  den  Sonnengott 
zurückfuhren,  fügen  sich  zahlreiche  Legenden,  z.  B.  von  Vi- 
Svämitra  und  Vasistha  (706  ff.)  ein.  Aufser  allem  Zusammenhang 
mit  dieser  Genealogie   wird   dann  ein   rituelles  Stück  über   die 


»)  Adhyäya  323,  siehe  unten  S-  838. 

^)  Von  den  unzähligen  Namen  des  Gottes  Vis^u  ist  Hari  einer 
der  gewöhnlichsten. 

.  «)  Prthüpäkhyäna,  Adhy.  4—6,  vss.  257—405. 


—    380    — 

Manen  und  den  ihnen  gebührenden  Opferdienst  eingefügt  i).  Es 
folgt  dann  (1312  ff.)  die  Genealogie  der  Monddynastie,  die  von 
Atri,  dem  Sohn  des  Mondgottes  (Soma),  gegründet  wurde.  Ein 
Enkel  des  Soma  war  der  berühmte  Purüravas,  dessen  Liebes- 
abenteuer mit  UrvasI  in  sehr  altertümlicher,  dem  Satapatha- 
Brähmana  sich  ziemlich  enge  anschliefsender  Form  erzählt 
werden^).  Zu  den  Nachkommen  des  Purüravas  gehören  Nahusa 
und  Yayäti.  Des  letzteren  Sohn  Yadu  ist  der  Ahnherr  der  Yädavas, 
zu  denen  Vasudeva  gehört,  als  dessen  Sohn  Krsna  der  Gott 
Visnu  auf  Erden  geboren  wird.  Nachdem  so  die  Genealogie  des 
menschlichen  Krsna  gegeben  worden  ist,  folgt  eine  Reihe  von 
Gesängen  (2131  ff.),  die  sich  ganz  mit  dem  Gotte  Visnu  be- 
schäftigen und  so  gewissermafsen  die  göttliche  Vorgeschichte 
des  Krs^a  enthalten. 

Der  zweite  grolse  Abschnitt  des  Harivamsa,  Visnuparvan 
betitelt  8),  beschäftigt  sich  fast  ausschlief  such  mit  Krsna,  dem 
Mensch  gewordenen  Gotte  Visnu.  Mit  grofser  Breite  werden 
hier  alle  die  Geschichten  von  der  Geburt  und  Kindheit ,  den 
Heldentaten  und  Liebesabenteuern  des  menschlichen,  oft  allzu 
menschlichen  Hirtengottes  erzählt,  welche  mit  grölserer  oder 
geringerer  Ausführlichkeit  auch  in  einigen  der  Puränas  berichtet 
werden,  und  welche  den  Namen  Krsna  zu  einem  der  ver- 
trautesten für  jeden  Hindu  gemacht  haben.  Während  die  Besten 
und  Weisesten  unter  den  Visnu- Verehrern  den  Krsna  vor  allem 
als  den  Verkünder  der  frommen  Lehren  der  BhagavadgltS 
feiern,  ist  es  der  Krsna  der  Legenden,  wie  sie  im  Harivam§a 
und  in  den  Puränas  erzählt  werden,  welcher  von  den  Millionen 
des  eigentlichen  Volkes  in  ganz  Indien  bis  zum  heutigen  Tage 
bald  als  ein  erhabener  Gott  verehrt  und  angebetet,  bald  als  ein 
Ideal  vollkommensten  Menschentums  hochgehalten  wird.  Und 
eben  dieser  Gott  der  Legenden,  nicht  aber  der  Krsna  des  Mahä- 
bhärata,  der  hinterlistige  Freund  der  Pändavas,  ist  es  auch,  von 


')Pitrkalpa,  »Manenritual.,  Adhy.  16—24,  vss.  835—1311. 
Eingefügt  ist  die  Geschichte  von  Brahmadatta,  der  die  Tiersprachen 
versteht,  Adhy.  21,  vss.  1185 ff.,  übersetzt  und  besprochen  von 
Th.  Benfey  in  »Orient  und  Occident«,  Bd.  II,  1862,  S.  133-171. 

2)  Adhy.  26,  vss.  1363—1414,  übersetzt  von  K.Geldnerinden 
» Vedischen  Studien«  I,  S.  249  ff.    Vgl.  oben  S.  181  f. 

•)  Adhy.  57  ff.  =  vss.  3180  ff. 


—    381    — 

welchem  schon  der  Grieche  Megasthenes  als  dem  »indischen 
Heraklesf  zu  erzählen  weifs.  Um  wenigstens  eine  Idee  von 
diesen  litterargeschichtlich  wie  religionsgeschichtlich  gleich  wich- 
tigen Krsna-Legenden  zu  geben,  sei  hier  der  Inhalt  dieses 
zweiten  Abschnittes  des  Harivamsa  ganz  kurz  skizziert^). 

In  der  Stadt  Mathurä")  herrschte  ein  böser  König  Kamsa. 
Diesem  verkündete  Närada,  dafs  ihm  von  dem  achten  Sohne  der 
Devakl,  der  Schwester  seines  Vaters  und  der  Gemahlin  des 
Vasudeva,  der  Tod  bevorstehe.  Da  beschliefst  Kamsa,  alle  Kinder 
der  Devakl  zu  töten.  Er  lälst  DevakT  durch  seine  Diener  strenge  be- 
wachen, und  sechs  ihrer  Kinder  werden  gleich  nach  der  Geburt  ver- 
nichtet. Das  siebente  Kind  —  es  ist  der  später  als  »Räma  mit  der 
Pflugschar«,  »Balaräma«  oder  »Baladeva«  bekannte  Bruder  des  Krs^a- 
wird  von  Nidrä^),  der  Schlafgöttin,  dadurch  gerettet,  dafs  sie  den 
Knaben,  ehe  er  noch  geboren  ist,  aus  dem  Mutterschofs  der  DevakT 
in  den  der  Rohini,  einer  anderen  Gemahlin  Vasudevas,  überträgt. 
Den  achten  Sohn  aber  r-  und  dies  war  Krs^a  —  vertauschte  Vasudeva 
selbst,  um  ihn  vor  Kamsa  zu  retten,  gleich  nach  der  Geburt  mit  der 
zur  selben  Zeit  geborenen  Tochter  des  Hirten  Nanda  und  der 
Yasodä.  So  wird  das  Töchterchen  der  letzteren  von  Kamsa  an  einem 
Felsen  zerschmettert,  während  Krsna  als  Sohn  eines  Hirten  gilt  und 
unter  den  Hirten  aufwächst.  Der  Obhut  der  Hirtenfamilie  wird  von 
Vasudeva  auch  Räma  anvertraut,  und  die  beiden  Knaben  wachsen  zu- 
sammen in  der  Hirtenstation  auf.  Schon  als  Säugling  verrichtet  K^sna 
erstaunliche  Wundertaten.  Da  ihn  eines  Tages  seine  Ziehmutter 
Yasodä,  nachdem  sie  ihn  schlafend  unter  einen  Wagen  gelegt,  zu  lagge 
auf  Nahrung  warten  läfst,  beginnt  er  ungeduldig  mit  Händen  und 
Ftifsen  zu  strampeln  und  wirft  schlielslich  mit  einem  Fufse  den  ganzen 
grofsen  Wagen  um.  In  tollem  Übermut  streifen  später  die  Knaben  Krs^a 
und  Räma  durch  Wald  und  Feld  und  geben  der  schlichten  Hirtenfrau 
Yasodä  nicht  wenig  zu  schaffen.  Einmal  weifs  sie  sich  schon  gar 
nicht  mehr  zu  helfen,  da  bindet  sie  dem  kleinen  Krs^a  einen  Strick 
um  den  Leib  und  knüpft  ihn  an  einen  schweren  Mörser  fest,  indem 


')  Vgl.  E.  W^ indisch,  Über  das  Drama  Mrcchakatikä  und  die 
Krsh]^a-Legende ,  in  den  »Berichten  über  die  Verhandl.  der  Kgl. 
Sächsischen  Gesellschaft  der  Wiss.  zu  Leipzig,  phil.-histor.  Cl.«r 
37.  Bd.,  1885,  S.  439  ff.,  456  ff. 

")  Noch  heute  sind  die  Tempel  von  Mathurä  voll  von  Statuen, 
die  sich  auf  die  Krsna-Legende  beziehen.  Vgl.  P.  Deussen,  Er- 
innerungen an  Indien  (Kiel  u.  Leipzig  1904)  S.  112. 

")  Vielleicht  veranlafste  der  Umstand,  dafs  Nidrä  auch  als  Name 
der  Durgä  gilt,  die  Einschiebung  eines  Hymnus  auf  diese  Göttin: 
Äryästava  (Adhy.  59  =  vss.  3268-3303).  Doch  ist  die  Einschiebung 
derartiger  Hymnen  (Stotras)  für  alle  Purä^as  charakteristisch. 


~       382       -r 

sie  zornig  sagt:  »Jetzt  lauf,  wenn  du  kannst."  Der  Knabe  aber 
zieht  nicht  nur  den  Mörser  mit  sich  fort,  sondern  da  dieser  zwischen 
zwei  Riesenbäumen  hängen  bleibt,  reifst  er  die  mächtigen  Bäume 
samt  den  Wurzeln  aus.  Entsetzt  sehen  die  Hirten  und  die  Zieh- 
mutter, wie  der  Knabe  lachend  zwischen  den  Ästen  der  Bäume  sitzt. 
Er  aber  ist  unversehrt. 

Nachdem  sieben  Jahre  verflossen  waren,  wurde  es  den  Knaben 
in  der  Hirtenstation  zu  langweilig.  Da  liefs  Krsija  aus  seinem  Körper 
zahllose  Wölfe  hervorgehen,  welche  die  Hirten  so  erschreckten,  dafs 
sie  beschlossen,  weiter  zu  wandern.  Sie  zogen  mit  ihren  Herden  nach 
dem  Vrndäwalde.  Hier  streifen  nun  die  Knaben  fröhlich  durch  den 
Wald.  Eines  Tages  aber  ergeht  sich  Krsijia  allein  —  bald  singend, 
bald  spielend,  bald  auf  einem  Blatte  pfeifend,  bald  auf  der  Hirtenflöte 
blasend  —  am  Ufer  des  Jamnäflusses  und  gelangt  bis  zu  einem  tiefen 
See,  in  dem  der  Schlangenkönig  Käliya  haust,  der  mit  seinem  Ge- 
folge das  Wasser  der  Jamnä  vergiftet  und  die  ganze  Gegend  unsicher 
macht.  Rasch  entschlossen  stürzt  sich  Krsna  in  den  See,  um  den 
fürchterlichen  Drachen  zu  bezwingen.  Alsbald  kommt  das  fünf- 
köpfige, feuerschnaubende  Ungeheuer  zum  Vorschein,  und  ein  Heer 
von  Schlangen  stürzt  sich  wütend  auf  den  jungen  Helden,  ihn  um- 
schlingend und  beilsend.  Er  aber  macht  sich  rasch  los,  drückt  die 
Köpfe  des  Ungetüms  zu  Boden  und  springt  mit  Wucht  auf  den  mitt- 
leren Kopf,  so  dafs  der  Drache  sich  für  besiegt  erklärt  und  mit  der 
ganzen  Schlangenbrut  ins  Meer  zurückweicht. 

Bald  nachher  tötet  er  auch  den  Dämon  Dhenuka,  der  in  Ge- 
stalt eines  Esels  den  Berg  Govardhana  bewacht.  Ein  anderer  Dämon, 
der  Riese  Pralamba,  läfst  sich  mit  Krs^a  nicht  erst  ein,  wird  aber 
von  dessen  Bruder  Räma  getötet. 

Im  Herbste  wollen  die  Hirten,  wie  sie  es  gewohnt  sind,  ein  grolses 
Fest  zu  Ehren  des  Regengottes  Indra  veranstalten.  Kjrsna  will  von 
dieser  Verehrung  des  Indra  nichts  wissen.  »Wir  sind  walddurch- 
wandernde Hirten,  die  stets  vom  Reichtum  der  Kühe  leben,  die  Kühe 
sind  unsere  Gottheit,  die  Berge  und  die  Wälder«  (3808).  Mit  solchen 
Reden  fordert  er  die  Hirten  auf,  statt  der  Indrafeier  ein  Bergopfer  zu 
veranstalten,  was  diese  auch  tun.  Darüber  ist  Indra  so  erzürnt,  dafs 
er  ein  fürchterliches  Unwetter  herabsendet.  Aber  Krsna  hebt  den 
Berg  Govardhana  in  die  Höhe  und  hält  ihn  wie  einen  Regenschirm 
über  die  Hirten  mit  ihren  Herden,  so  dafs  diese  völlig  geschützt 
sind.  "Nach  sieben  Tagen  hört  das  Unwetter  auf,  Krs^a  stellt  den 
Berg  wieder  auf  seinen  Platz  zurück,  und  Indra  erkennt  demütig  in 
Krsna  den  erhabenen  Gott  Vis^u. 

Da  preisen  und  verehren  ihn  die  Hirten  als  einen  Gott,  er  aber 
erklärt  lächelnd,  er  wolle  nur  ihr  Verwandter  sein;  die  Zeit  werde 
erst  kommen,  wo  sie  sein  wahres  Wesen  erkennen  würden.  Und  als 
Hirte  unter  Hirten  lebt  er  in  jugendlichem  Frohsinn  dahin.  Er  ver- 
anstaltet Stiergefechte  und  Wettkämpfe  mit  den  Stärksten  unter  den 
Hirten.    In  den  lieblichen  Kerbstnächten  aber  erfreut  sich  sein  Herz 


—    383     - 

an  den  Reigentänzen'),  welche  die  schönen  Hirtenmädchen,  die  alle 
in^den  Heldenjüngling  verliebt  sind,  im  Mondschein  aufführen,  indem 
sie  seine  Taten  besingen  und  sein  Tun  und  Treiben  —  sein  Spiel, 
seinen  heiteren  Blick,  seinen  Gang,  seinen  Tanz  und  seinen  Gesang  — 
scherzend  nachahmen. 

Einst  als  Krs^a  sich  mit  den  Hirtinnen  vergnügte,  erschien 
Arista,  ein  Dämon  in  Stiergestalt.  Kps^a  reifst  ihm  ein  Hörn  aus 
und  erschlägt  ihn  damit. 

Der  Ruhm  aller  der  Heldentaten  des  Krsi^a  dringt  zu  den  Ohren 
des  Kamsa  und  erregt  dessen  Besorgnis.  Um  ihn  unschädlich  zu 
machen,  läfst  er  die  beiden  jugendlichen  Helden  nach  Mathurä  kommen, 
wo  sie  bei  einem  Feste  mit  seinen  besten  Ringern  kämpfen  sollen. 
Aber  kaum  in  der  Stadt  angelangt,  verrichtet  Krsna  erstaunliche 
Wunder-  und,  Krafttaten.  So  spannt  er  des  Königs  grofsen  Bogen, 
den  selbst  die  Götter  nicht  zu  spannen  vermögen,  so  kräftig,  dafs  er 
mit  mächtigem  Gretöse  entzweibricht.  Einem  Elefanten,  den  Kamsa 
auf  die  Jünglinge  losläfst,  reifst  Krsija  den  Stofszahn  aus  und  er- 
schlägt ihn  damit.  Aber  auch  die  zwei  gewaltigen  Ringkämpfer, 
welche  Kamsa  d^n  Jünglingen  entgegenstellt,  werden  von  diesen  ge- 
tötet. Zornentbrannt  befiehlt  nun  der  König,  die  Hirtenjünglinge  und 
alle  Hirten  aus  seinem  Reiche  zu  verjagen.  Da  stürzt  sich  Krsna  wie 
ein  Löwe  auf  Kamsa,  schleppt  ihn  bei  den  Haaren  in  die  Mitte  der 
Arena  und  tötet  ihn. 

Nach  einiger  Zeit  begeben  sich  die  beiden  Brüder  nach  Ujjein, 
um  dort  bei  einem  berühmten  Lehrer  die  Kunst  des  Bogenschiefsens 
zu  lernen.  Diesem  Lehrer  ist  ein  Sohn  im  Meere  umgekommen,  und  er 
verlangt  als  Lehrlohn,  dafs  ihm  Krs^a  diesen  Sohn  wiederbringe.  Da 
steigt  Kfsna  in  die  Unterwelt  hinab,  bezwingt  den  Todesgott  Yama 
tmd  bringt  den  Knaben  seinem  Vater  zurück. 

Um  den  Tod  des  Kamsa  zu  rächen,  zieht  sein  Schwiegervater 
Jaräsandha  mit  vielen  verbündeten  Fürsten  gegen  die  Yädavas  in 
Felde,  belagert  Mathurä,  wird  wiederholt  von  Krsigia  zurückgeschlagen, 
erneuert  aber  seine  Angriffe  immer  wieder,  bis  er  endlich  doch  zurück- 
weichen mufs.  Diese  Kämpfe  mit  Jaräsandha  werden  in  einer  langen 
Reihe  von  Gesängen  geschildert. 

Ebenso  wird  die  folgende  Erzählung  von  dem  Raub  der  Rukmi?^! 
lange  ausgesponnen  *).    Der  König  Bhismaka  von  Vidarbha  hat  seine 


'>  Es  sind  dies  die  Rasa  oder  Hallisa  genannten,  von  mimischen 
Darstellungen  begleiteten  Tänze,  welche  in  manchen  Gegenden  Indiens 
noch  heute  vorkommen  und  z.  B.  in  Kathiavad  noch  unter  einem  dem 
Sanskrit  »Hallßa«  entsprechenden  Namen  bekannt  sind.  (Vgl.  die 
indische  Monatsschrift  'East  &  West",  Vol.  I,  748  f.,  May  1902.) 

^  In  die  alte  Sage,  in  der  Krs^a  als  VLe\d  auftritt,  sind  hier 
jüngere  Stücke  eingeschoben,  in  denen  er  als  Gott  Visi?u  in  seiner 
ganzen  Göttlichkeit  erscheint. 


—    384    — 

Tochter  Rukmiigii  dem  König  §isupäla  zur  Ehe  versprochen,  und  die 
Hochzeit  sollte  gefeiert  werden.  Da  kommt  Krsi^a  mit  seinem  Bruder 
Räma  zur  Hochzeitsfeier  und  raubt  die  Braut,  Die  schwer  be- 
leidigten Fürsten  jagen  ihm  nach,  werden  aber  von  Räma  zurück- 
geschlagen. Rukmin,  der  Bruder  der  Geraubten,  schwört,  er  wolle 
nicht  mehr  nach  seiner  Vaterstadt  zurückkehren,  wenn  er  nicht  Krsna 
getötet  habe  und  seine  Schwester  zurückbringe.  Es  kommt  zu  einem 
heftigen  Kampfe,  in  welchem  Rukmin  besiegt  wird;  auf  Bitten  der 
Rukmi^i  aber  schenkt  ihm  Krsna  das  Leben.  Um  seinen  Eid  nicht 
zu  brechen,  gründet  sich  Rukmin  eine  neue  Stadt.  In  Dvärakä  findet 
die  Hx>chzeit  des  Krsna  mit  RukminI  statt.  Er  erzeugt  mit  ihr  zehn 
Söhne,  heiratet  aber  dann  noch  sieben  Königinnen  und  sechzehn- 
tausend andere  Frauen,  mit  denen  er  Tausende  von  Söhnen  erzeugt. 
Pradyumna,  ein  Sohn  des  Krsna  und  der  RukminI 'X  heiratet  später 
eine  Tochter  des  Rukmin,  und  deren  Sohn  Aniruddha  heiratet  eine 
Enkelin  des  Rukmin.  Bei  der  Hochzeit  des  Aniruddha  geraten  Räma 
und  Rukmin  beim  Würfelspiel  in  Streit,  und  letzterer  wird  von  Räma 
erschlagen.  Daran  schliefst  sich  eine  Verherrlichung  der  Taten  des 
Räma  2). 

Es  folgt  dann  die  Geschichte  von  der  Tötung  des  Naraka*). 
Dieser  Naraka  ist  ein  Dämon,  der  die  Ohrringe  der  Aditi  geraubt 
hat  und  auch  sonst  den  Göttern  viel  zu  schaffen  gibt.  Auf  Bitten  des 
Indra  kämpft  Krs^a  gegen  ihn  und  tötet  ihn. 

Die  nächste  Erzählung*)  zeigt  uns  Krsna  im  Kampfe  gegen  Indra. 
Der  Seher  Närada  brachte  einmal  dem  Krs^a  eine  Blüte  vom  Himmels- 
baum Pärijäta,  welche  dieser  seiner  geliebten  RukminI  schenkte. 
Da  wird  Satyabhämä,  eine  seiner  anderen  Gemahünaen,  furchtbar 
eifersüchtig  und  schmollt  so  lange,  bis  ihr  Krsna  verspricht,  ihr  den 
ganzen  Pärijätabaum  vom  Himmel  zu  bringen.  Da  aber  Indra  den 
Baum  nicht  gutwillig  abtreten  will,  fordert  ihn  Krs^a  zum  Kampfe 
heraus.  Dies  führt  zu  einem  langen  und  heftigen  Kampfe  zwischen 
den  beiden  Göttern,  der  aber  schliefslich  von  der  Göttermutter  Aditi 
friedlich  geschlichtet  wird. 

Mit  diesem  langen  Abschnitt  nur  ganz  lose  verknüpft,  folgt  ein 
ziemlich  umfangreiches  lehrhaftes  Stück  ^),  welches  eigentlich  der 
wissenschaftlichen  Erotik,  dem  Kämasästra,  angehört.  Es  ist  eine 
Belehrung  (in  Form  eines  Gespräches  zwischen  den  Frauen  des  Krsi?a 
und  dem  weisen  Närada,  der  sich  aber  auf  Umä,  die  Gemahlin  des 


^)  Er  ist  eine  Inkarnation  des  Liebesgottes. 

*)  Baladevamähätmyakathana,  Adhy.  120,  6766—6786. 

»jNarakavadha,  Adhyäyas  121—123  ==  6787—6988. 

*)  Pärijätaharana,  Adhy.  124—140  =  6989—7956.  Eingefügt 
ist  ein  Hymnus  auf  Siva  (Mahädevastavana),  Adhy.  131  =  7415 
bis  7455. 

^)  Punyakavidhi,  Adhy.  136—140  =  vss.  7722—7956. 


—    385     - 

äiva,  als  Autorität  beruft)  über  Punyakas  und  Vratakas,  d.  h. 
Zeremonien,  Feierlichkeiten  und  Gelübde,  mittels  deren  eine  Frau 
ihren  Leib  dem  Gatten  angenehm  machen  und  sich  dessen  Gunst 
sichern  kann.  Da  aber  diese  Zeremonien  nur  für  tugendhafte  Frauen 
von  Erfolg  sind,  werden  einige  Belehrungen  über  die  Pflichten  der 
Frauen  (7754  ff.)  vorausgeschickt. 

Der  nächste  Abschnitt  \)  erzählt  wieder  von  Kämpfen  des  Krs^a 
mit  den  Dämonen.  Die  Asuras  der  »sechs  Städte»  (Satpura)  rauben 
dem  frommen  Brahmadatta  seine  Töchter.  Krsna  kommt  ihm  zu 
Hilfe,  besiegt  und  tötet  Nikumbha,  den  König  der  Asuras,  und  gibt 
dem  Brahmanen  seine  Töchter  zurück. 

Dann  folgt  ein  ganz  sivaitisches  Stück "),  das  mit  Krsna  gar  nichts 
zu  tun  hat  und  erzählt,  wie  der  tausendköpfige  Dämon  Andhaka 
von  äiva  getötet  wird. 

Der  folgende  Abschnitt^)  kehrt  wieder  zu  Krs^a  zurück  und  er- 
zählt eine  andere  Geschichte  von  der  Tötung  des  Asura  Nikumbha. 
Die  Yädavas.  mit  Krs^a  und  Räma  an  der  Spitze,  unternehmen  eine 
Wallfahrt  zur  See  nach  einem  heiligen  Badeorte,  um  dort  ein  grolses 
Freudenfest  zu  feiern.  Krsna  mit  seinen  sechzehntausend  Frauen, 
Räma  mit  seiner  einzigen  Gemahlin  Revatl  und  die  Jünglinge  der 
Yädavas  mit  Tausenden  von  Buhldirnen  geben  sich  unter  Spiel  und 
Gesang,  Schmausen  und  Trinken  allerlei  Lustbarkeiten  im  Wasser 
und  am  Meeresstrande  hin*).  Während  dieser  Festlichkeiten  raubt 
der  Dämon  Nikumbha  die  BhänunäatI,  eine  Tochter  des  Yädava 
Bhänu.  Krs^as  Sohn  Pradyumna  verfolgt  den  Asura  und  bringt  die 
Geraubte  wieder  zurück,  währei  d  Krsna  selbst  den  Naraka  tötet. 

Die  folgenden  Gesänge^)  beschäftigen  sich  fast  ausschliefslich 
mit  Pradyumna,  dem  Sohn  des  Krsija.  Es  wird  zuerst  die  Ge- 
schichte von  der  Heirat  des  Pradyumna  mit  Prabhävati,  der  Tochter 
des  Asura  Vajranäbha,  erzählt,  wobei  die  himmlischen  Flamingos 
den  Liebesbund  vermitteln  —  geradeso  wie  im  Nalalied  Flamingos  die 
Liebesboten  zwischen  Nala  und  DamayantI  sind.  Um  Prabhävati  zu 
gewinnen,  kommt  Pradyumna  als  Schauspieler  verkleidet  mit  einer 
ganzen  Schauspielertruppe  an  den  Hof  des  Vajranäbha.  Da  werden 
allerlei  Schauspiele  aufgeführt*^),  von  denen  die  Asuras  ganz  entzückt 


')  Satouravadh?,  Adhy.  141—144  =  vss.  7957-8198. 

')  Andhaka vadha,  Adhy.  145 f.  =  vss.  8199—8300. 

«)  Bhänumatlharana,  Adhy.  147— W9  =  vss.  8301—8549. 

*)  Die  glanzvolle  Schilderung  dieser  üppigen  Szenen  füllt  zwei 
Gesänge  (147  f.  =  8301-8470). 

*)  Adhy.  150  ff.  =  vss.  8550  ff.  Frei  wiedergegeben  in  dem  schönen 
Gedicht  »Pradyumna«'  von  Schack,  Stimmen  vom  Ganges,  S.  67  ff . 

«)  Es  ist  dies  (8672  ff.)  vielleicht  eine  der  ältesten,  jedenfalls 
eine  der  interessantesten  Erwähnungen  von  Dramen  und  dramatischen 
Aufführungen  in  der  indischen  Litteratur.    Es  werden  hier  nicht  nur 


—     386    — 

sind.  Die  lauschigen  Nächte  aber  benutzt  Pradyumna,  um  sich  mit 
PrabhävatI  dem  Liebesgenufs  hinzugeben.  Schlief slich  hört  Vajranäbha 
von  dem  Liebesverhältnis,  erzürnt  will  er  den  Pradyumna  in  Fesseln 
schlagen  lassen.  Dieser  aber  tötet  die  heransttlrmenden  Krieger  und 
den  Asurakönig  selbst.  Darauf  zieht  er  mit  der  Geliebten  in 
Dvärakä  ein. 

Die  zweite  Erzählung*)  behandelt  die  Jugendliebe  des  Pra- 
dyumna: wie  er  sieben  Tage  nach  seiner  Geburt  von  Asuras  geraubt 
wird  und  im  Hause  des  Dämons  Sambara  aufwächst;  wie  dessen  Ge- 
mahlin Mäyävati  in  Liebe  zu  dem  schönen  Jüngling  entbrennt  und 
ihn  darüber  aufklärt,  dafs  er  nicht  ihr  Sohn,  sondern  der  des  Krsna 
und  der  RukminT  sei;  wie  dann  Pradyumna  den  Öambara  nach  einem 
verzweifelten  Kampfe")  tötet  und  schliefslich  mit  Mäyävati  vereint 
in  seine  Vaterstadt  zurückkehrt,  wo  er  von  seinen  Eltern  freudig 
empfangen  wird. 

Ganz  ohne  jeden  Anlafs  ist  hier  das  tägliche  Gebet  des  Räma'X 
eine  aus  einer  Aufzählung  göttlicher  Wesen  bestehende  Litanei,  ein- 
geschoben. 

Nach  einigen  kleineren  Stücken  —  Legenden  und  Reden  — , 
welche  der  Verherrlichung  des  K^sna  dienen,  schliefst  das  Buch  mit 
der  Geschichte  von  dem  »Kampf  mit  Bäna«  *)  und  dem  Liebesverhältnis 
des  Aniruddha,  des  Sohnes  des  Pradyumna,  mit  Usä,  der  Tochter 
des  Asurakönigs  Bä^.  Der  letztere  ist  ein  Günstling  des  Gottes 
Siva.  Dem  Aniruddha,  der  von  Bäna  hart  bedrängt  wird,  kommt 
Krsija  zu  Hilfe;  und  die  Bekämpfung  des  ßä^a  führt  zu  einem  heftigen 
Kampfe  zwischen  Siva  und  Visiju,  wodurch  die  ganze  Welt  arg  be- 
droht ist.  Aber  Brahman  kommt  der  Erde  zu  Hilfe  und  stiftet  Frieden 
zwischen  den  beiden  Göttern,  indem  er  erklärt,  dafs  Siva  und  Visnu 
eins  seien.  Daran  schliefst  sich  ein  Hymnus  (Stotra)  zur  Verherr- 
lichung dieser  beiden  als  identischen  Gottheiten'^)  Mit  der  Hochzeit 
des  Aniruddha  und  der  Üsä,  welche  in  Dväravati  grofsartig  gefeiert 
wird,  endet  das  Buch. 


Szenen  aus  dem  Leben  des  KfSija  aufgeführt,  sondern  auch  Dramati- 
sierungen des  grofsen  Epos  Rämäya^a  und  der  Geschichte  von 
Rsyasrnga  (vgl.  oben  S.  342  ff.)  werden  ausdrücklich  erwähnt.  Leider 
ist  das  Alter  dieses  »Pradyumnottara«  genannten  Stückes  ganz  un- 
bestimmt.  Vgl.  Sylvain  Levi,  le  th^atre  indien,  Paris  1890,  S.  327  ff. 

>)  Öambaravadha,  Adhy.  163—167  =  vss.  9208—9487. 

^)  Dabei  hilft  ihm  Dufgä,  die  er  mit  einem  Hymnus  (Pradyumna- 
krta-Durgästava,  Adhy.  166  =  9423—9430)  anruft. 

8)  Baladevähnika,  Adhy.  168  =  vss.  9488-9591. 

^)Bä9ayuddha,  Adhy.  175-190  =  9806-11062. 

"*)  Hariharätmakastava,  Adhy.  184  =  vss.  10660-10697. 
Es  ist  dies  eine  der  wenigen  Stellen  in  der  indischen  Litteratur, 
wo  von  der  Trimürti  die  Rede  ist.  Denn  Hari  (Vis^u)  und  Hara 
(Siva)  sind  nicht  nur  miteinander,  sondern  auch  mit  Brahman  identisch. 


—    387     - 

Die  Einflechtung  von  Stotras  (Hymnen),  wie  hier  das  auf 
Visnu-^iva,  zeigt  ganz  besonders,  wie  sehr  der  HarivamSa  eine 
Sammlung  von  Texten  für  religiöse  Zwecke  und  nicht  eine 
epische  Dichtung  ist*). 

Während  aber  in  dem  zweiten  Buche  doch  noch  Überreste 
eines  Krsna-Epos,  das  es  jedenfalls  einmal  gegeben  haben 
dürfte,  erhalten  sind,  ist  das  dritte  Buch,  Bhavisyaparvan 
(11  063  ff.)  genannt,  nur  eine  lose  Sammlung  von  Puränatexten. 
Der  Titel  Bhavisyaparvan,  d.  h.  »Abschnitt  von  der  Zukunft«, 
bezieht  sich  blofs  auf  die  ersten  Gesänge  dieses  Buches,  welche 
Prophezeiungen  über  die  kommenden  Weltzeitalter  enthalten. 
Hier  wird  nämlich  von  einem  Pferdeopfer  erzählt,  welches 
Janamejaya  darbringen  wollte;  aber  Vyäsa  sagt  ihm  voraus, 
dafs  dieses  Opfer  nicht  gelingen  werde,  denn  es  werde  das  gott- 
lose Kalizeitalter  heranbrechen,  auf  welches  erst  spät  wieder  das 
Krtazeitalter  der  Tugend  ujod  Frömmigkeit  kommen  werde. 
Dieser  Abschnitt  2)  bildet  ein  abgeschlossenes  Ganzes  und  wird 
auch  geradezu  als  selbständiges  Gedicht  bezeichnet.  Darauf 
folgen  ohne  jeden  Zusammenhang  zwei  verschiedene  Schöpfungs- 
berichte ^).  Ein  dritter  Abschnitt  behandelt  höchst  ausführlich 
die  Inkarnationen  des  Visnu  als  Eber,  Mannlöwe  und  Zwerg*). 
Dann  folgt  ein  Abschnitt,  welcher  wie  der  letzte  des  IL  Buches 
die  Tendenz  verfolgt,  Visnu-  und  »^iva- Verehrung  miteinander  in 
Einklang  zu   bringen.    Abwechselnd  singt  Visnu  auf  Siva  und 


^j  Wie  sehr-  der  Hari vamsa  als  religiöses  Buch  gilt ,  beweist  der 
Qmstand,  dals  es  in  Nepal  in  den  Gerichtshöfen  Sitte  ist,  dem  Zeugen, 
wenn  er  ein  Hindu  ist,  ein  Exemplar  des  Harivamsa  auf  den  Kopf  zu 
legen,  wie  dem  Mohammedaner  der  Koran  auf  den  Kopf  gelegt  wird. 
(A.  Barth,  Religions  of  India  p.  156  note.) 

^)  Adhy.  191-196  =  vss.  11063— 11278.  Das  Stück  wird  11 270  ff. 
als  ein  grofses  Kunstgedicht  (mahäkävyam)  gepriesen.  Aber  schon  die 
Verse  11 082 ff.  sagen  deutlich,  da(s  der  Harivamsa  beendigt  ist, 
und  die  Geschichte  von  Janamejayas  Pferdeopfer  nur  einen  Nach- 
trag zum  Harivamsa  bildet.  Die  noch  weiter  folgenden  Abschnitte 
sind  gewifs  nur  spätere  Zusätze. 

»)  Pauskaraprädurbhäva,  Adhy.  197—222  ==  vss.  11279 
bis  12277. 

*)  Adhy.  223-263=  vss.  12278—14390.  Einen  Hymnus  auf 
Vis^^u  (Visi^ustotra)  stimmt  12  880  ff.  (Adhy.  238)  Brahman  an.  Einen 
Hymnus  in  Prosa  auf  den  »Grofsen  Geist«  (Mahäpurusastava)  spricht 
Kasyapa  UlUff.  (Adhy.  259). 

WiQternitz,  Geschiebte  der  indischen  Litteratur.  26 


~    388    — 

Siva  auf  Visnu  einen  Hymnus  i).  Das  nächste  Stück  handelt 
wieder  von  einer  Heldentat  des  Krsna,  nämlich  der  Tötung  des 
Königs  Paundra,  der  sich  gegen  Krsna  auflehnt 2).  Der  letzte 
gröfsere  Abschnitt  des  Harivamsa  ist  die  Legende  (upäkhyäna) 
von  den  beiden  §iva -Verehrern  Hamsa  und  Dimbhaka, 
welche  von  Krsna-Visnu  gedemütigt  werden^). 

Angehängt  ist  noch  ein  langer  Gesang,  der  in  überschweng- 
lichster Weise  von  dem  religiösen  Verdienst  des  Lesens  des 
Mahäbhärata  und  dem  Himmelslohn  spricht,  der  den  Leser  er- 
wartet, ferner  die  Geschenke  vorschreibt,  die  man  den  Vorlesern 
(väcaka)  nach  Beendigung  eines  jeden  Parvan  geben  soll,  und 
schlielslich  in  ein  Loblied  auf  das  Mahäbhärata  als  das  heiligste 
und  erhabenste  aller  »Lehrbücher«  (§ästra)  ausklingt*).  Vor 
allem  aber  wird  dem  Werke  nachgerühmt,  dafs  es  der  Ver- 
herrlichung des  Visnu  dient,  denn:  »Im  Veda,  im  Rämäyana 
und  im  heiligen  Bhärata ,  o  tapferster  Bharataspröfsling,  wird 
überall,  im  Anfang,  am  Ende  und  in  der  Mitte  Hari  besungen.« «') 

Sonderbarerweise  folgt  nach  all  den  Verherrlichungen  des 
Visnu,  und  nachdem  das  Buch  eigentlich  schon  beendet  ist,  noch 
ein  Gesang^),  in  welchem  der  Gott  ^iva  zu  Ehren  kommt  und 
erzählt  wird,  wie  er  die  drei  Burgen  (Tripura)  der  Dämonen 
vernichtet  hat.  Doch  wird  selbst  hier  ein  Schlufsvers  zum  Lob 
des  »grofsen  Yogins«  Visnu  angehängt. 

Mit  einer  kurzen  Zusammenfassung  des  Inhalts  des  Hari- 
vamsa und  einer  Aufzählung  der  religiösen  Verdienste,  die 
man  sich  durch  Anhören  dieses  »Puränas«  erwirbt,  schliefst  das 
Buch  endgültig  ab, 

Dafs  der  Harivamsa  ganz  und  gar  ein  Puräna  ist,  zeigen 
auch    die    zahlreichen,    oft    wörtlichen    Übereinstimmungen    mit 

')  Kailäsayäträ,Adhy.  264-281  =vss.l4391-1503L  Adhy. 
278:  Isvarastuti.    Adhy.  279  und  281:  Visnustotra. 

2)  Paundrakavadha,  Adhy.  282-293  =  vss.   15032-15375. 

«)  Harasadimbhakopäkhyäna,  Adhy.  294—322  =  vss.  15376 
bis  16 139.  * 

*)  Adhy.  323  =  vss.  16140—16238:  Sarvaparvänukirttana. 
Die  Aufzählung  der  Parvans  enthält  zum  Teil  andere  Namen  als 
unsere  Ausgaben.  Der  Inhalt  dieses  Adhyäya  berührt  sich  mit  ähn- 
lichen Lobgesängen  im  I.  Buch  des  Mahäbhärata.   Vgl.  oben  S.  271  f. 

»)  Vers  16232. 

«)  Tripuravadha,  Adhy.  324  =  vss.  16  239-16324. 


—    389    — 

mehreren  der  wichtigsten  Puränas  ^).  Dennoch  war  es  notwendig, 
vom  Harivamsa  hier  und  nicht  erst  in  dem  Kapitel  über  die 
Puränas  zu  sprechen,  nicht  nur  weil  dieses  Werk  von  den 
Indern  als  zum  Mahäbhärata  gehörig  angesehen  wird,  sondern 
auch  weil  gerade  dieser  Nachtrag  und  dessen  Anfügung  be- 
sonders geeignet  ist  auf  die  Geschichte  des  Mahäbhärata  selbst 
Licht  zu  werfen.    Dieser  Geschichte  wenden  wir  uns  nunmehr  zu. 

Das  Alter  und  die  Geschichte  des  Mahäbhärata. 

Wir  haben  nun  eine  Übersicht  über  alles  das  gegeben,  was 
uns  in  Handschriften  und  Ausgaben  als  »Mahäbhärata«  über- 
liefert ist,  und  stehen  mm  vor  der  Frage:  Wie  und  wann  ist 
dieses  Riesenwerk  entstanden? 

Schon  in  der  kurzien  Inhaltsangabe  des  eigentlichen  Helden- 
gedichtes (S.  275 — 319)  mufs  dem  Leser  ein  Widerspruch  auf- 
gefallen sein,  der  beim  Lesen  des  Mahäbhärata  selbst  noch  mehr 
hervortritt.  Während  das  Gedicht  in  seiner  jetzigen  Gestalt 
durchaus  die  Partei  der  Päncjavas  ergreift  und  die  Pän4ava- 
helden  nicht  nur  als  über  alle  Mafsen  tapfer,  sondern  auch  als 
edel  und  gut  schildert,  die  Kauravas  hingegen  als  falsch  und 
boshaft  hinstellt,  —  erzählt  uns  doch  das  Gedicht  in  merk- 
würdigem Widerspruch  mit  sich  selbst,  dafs  alle  Helden  der 
Kauravas  durch  Verrat  oder  in  unehrlichem  Kampfe  fallen^). 
Noch  auffälliger  ist  es,  dafs  aller  Verrat  von  Krsna  ausgeht, 
dafs  er  immer  der  Anstifter  aller  Falschheit  ist  und  das  Be- 
nehmen der  Pändavas  verteidigt.  Und  dies  ist  derselbe  Krsna, 
der  in  vielen  Teilen  des  Mahäbhärata  und  insbesondere  im 
Harivamsa  als  eine  Inkarnation  des  höchsten  Gottes  Visnu  und 
als  ein  wahres  Ideal  und  Vorbild  aller  Tugend  gepriesen  und 
verherrlicht  wird. 

Wie  erklären  sich  diese  merkwürdigen  Widersprüche? 
Darüber  lassen  sich  nur  Vermutungen  aufstellen.  Zunächst  ist 
wohl  die  Annahme  berechtigt,   obgleich  sie  uns  nur  durch  das 


*)  Brahma-,  Padma-,  Vis^u-,  Bhägavata-  und  insbesondere  Väyu- 
Puräi^.  Das  Garuda-Puräna  teilt  den  Inhalt  des  Mahäbhärata  und 
des  Harivamsa  im  Auszuge  mit.  Siehe  A.  Holtzmann,  Das 
Mahäbhärata,  IV,  S.  32,  35,  37  ff.,  40,  42  ff.,  47  ff.,  56. 

«)  Oben  S.  305  f.,  309,  310,  311. 

26* 


—    390    — 

Mahäbhärata  selbst  verbürgt  ist,  dals  tatsächlich  einmal  im  nord- 
westlichen Indien  als  Ergebnis  eines  gewaltigen  Kampfes  ein 
Dynastiewechsel  stattgefunden  hat,  und  dals  diese  quasi- 
historischen  Ereignisse  die  Grundlage  des  eigentlichen  Epos 
bilden^).  Davon  ausgehend,  können  wir  uns  nvm  wohl  denken, 
dals  die  ursprünglichen  Heldenlieder,  die  vom  Kampfe  der  feind- 
lichen Vettern  handelten,  in  den  Kreisen  von  Barden  gesungen 
wurden,  die  dem  Duryodhana  selbst  oder  doch  dem  Hause  der 
Kauravas  noch  nahe  standen;  dafs  aber  im  Laufe  der  Zeit,  als 
die  Herrschaft  der  siegreichen  Pändavas  sich  mehr  und  mehr 
festigte,  diese  Lieder  auf  Barden  übergingen,  welche  im  Dienste 
des  neuen  Herrschergeschlechtes  standen.  Im  Munde  dieser 
Barden  wurden  dann  jene  Veränderungen  vorgenommen,  welche 
die  Pändavas  in  einem  günstigen  und  die  Kauravas  in  einem 
ungünstigen  Lichte  erscheinen  liefsen,  ohne  dafs  die  ursprüng- 
liche Tendenz  der  Lieder  ganz  verwischt  werden  konnte.  In 
unserem  Mahäbhärata  wird  der  Kern  des  Epos,  die  Schilderung 
des  grofsen  Kampfes,  dem  Safijaya,  dem  Wagenlenker  des 
'Dhrtarästra ,  also  einem  Barden  der  Kauravas,  in  den  Mund 
gelegt.  Gerade  in  diesen  Kampfszenen  erscheinen  aber  die 
Kauravas  im  günstigsten  Licht.  Das  ganze  Mahäbhärata  selbst 
wird  andererseits  nach  der  im  ersten  Buch  enthaltenen  Rahmen- 
erzählung von  Vyäsas  Schüler  Vaisampäyana  bei  dem  Schlangen- 
opfer des  Janamejaya  vorgetragen.  Dieser  Janamejaya  gilt  aber 
als  ein  Urenkel  des  Pä^dava  Arjuna,  was  damit  gut  über- 
einstimmt, dals  im  Mahäbhärata  als  Ganzem  die  Päpciavas  den 
Kauravas  vorgezogen  werden. 

Was  Krsna  anbelangt,  so  wird  das  Geschlecht  der  Yädaves, 
dem  er  angehört,  an  mehreren  Stellen  des  Mahäbhärata  als  ein 
Hirtenstamm  von  rohen  Sitten  geschildert,  und  er  selbst  wird 
von  feindlichen  Helden  wiederholt  als  »Hirtec  und  »Sklave«  ge- 
schmäht. Gewifs  war  er  im  alten  Heldengedicht  nur  ein  hervor- 
ragender Anführer  jenes  Hirtenstammes  und  hatte  nichts  Gött- 

')  Auch  diejenigen,  -welche  einen  mythologischen  Kern  in  der 
dem  Epos  zugrunde  liegenden  Sage  finden,  geben  doch  zu,  dafs  auch 
historische  Elemente  in  ihr  stecken.  So  A.  Ludwig,  Über  das  Ver- 
hältnis des  mythischen  Elementes  zu  der  historischen  Grundlage  des 
Mahäbhärata  (Abhandlungen  der  k,  böhmischen  Ges.  d.  Wissensch. 
VI,  12),  Prag  1884. 


—    391     — 

liches  an  sich.  Selbst  den  K^sna-Legenden  des  HarivamSa 
scheinen  ältere  Sagen  zugrunde  zu  liegen,  in  denen  Krsna  noch 
nicht  ein  Gott,  sondern  der  Heros  eines  rohen  Hirtenvolkes  war. 
Möglich,  Idals  die  Sage  mehrere  Krsnas  kannte,  die  später  in 
einen  zusammengeflossen  sind;  oder  dafs  —  wie  man  vermutet 
hat  ^)  —  der  Krsna  des  Heldengedichtes  und  der  Legende  auch 
ein  Religionsstifter  oder  Begründer  einer  Sekte  war,  deren  Haupt- 
lehren in  den  ältesten  Bestandteilen  der  BhagavadgTtä  vorliegen, 
und  dafs  dieser  dann  zu  einer  Inkarnation  des  von  seinen  An- 
hängern verehrten  Gottes  Visnu  gemacht  wiirde.  Jedenfalls  ist 
ein  langer  Weg  von  Krsna,  dem  Freund  der  Pändavas,  zu  dem 
Krsna  des  Harivam§a  imd  dem  erhabenen  Gott  Visnu. 

Es  setzt  also  schon,  die  politische  xmd  religiöse  Entwicklung, 
welche  sich  in  den  auf  den  grofsen  Kampf  bezüglichen  Gesängen 
des  Mahäbhärata  widerspiegelt  —  der  Übergang  der  Herrschaft 
von  den  Kauravas  auf  die  Pändavas  und  die  Vergöttlichung  des 
Krsna  —  eine  längere  Zeitperiode  voraus ;  und  es  ist  nicht  denk- 
bar, dafs  auch  nur  diese  Gesänge,  welche  den  Kern  des  Werkes 
bilden,  von  einem  einzigen  Dichter  herrühren.  Noch  unmöglicher 
wird  eine  solche  Annahme,  wenn  wir  die  zahllosen  Wider- 
sprüche in  Betracht  ziehen,  die  in  den  Einzelheiten  der 
Haupterzählung  vorkommen^  Ich  erinnere  nur  an  die  Erzählungen 
von  der  Heirat  der  Pändavas  (oben  S.  282  f.)  und  den  Abenteuern 
des  Arjuna  (S.  285).  Im  vierten  Buch  finden  wir  eine  Dublette 
des  ganzen  Kampfes  im  Kuruf elde :  Bhisma  und  alle  die  anderen 
Helden  der  Kauravas  werden  von  Arjuna  im  Handumdrehen  in 
die  Flticht  geschlagen;  was  schlecht  dazu  stimmt,  dafs  es  später 
nur  in  achtzehn  Tagen  und  nui^  durch  Anwendung  von  List  den 
Pändavas  möglich  ist,  die  Kauravas  zu  besiegen.  Es  kann  kaum 
einem  Zweifel  unterliegen,  dafs  das  ganze  vierte  Buch  (Viräta- 
parvan)  ein  jüngeres  Erzeugnis  ist  2)  als  die  grofsartigen  Kampfes- 
schilderungen in  den  folgenden  Büchern.  Aber  auch  in  jenen 
Büchern,  welche  unzweifelhaft  die  ältesten  Bestandteile  des  Epos 
enthalten,   finden  sich  fortwährend   Widersprüche,    welche   un- 

')  Siehe  Garbe,  Die  BhagavadgTtä,  S.  19 ff.  Schon  in  der 
Chändogya-Upani§ad.  wird  Krsna,  Sohn  der  Devaki,  in  Verbindung 
mit  philosophischen  Lehren  genannt. 

*)  So  schon  Holtzmann,  Mahäbhärata  II,  S.  98  und  Hopkins, 
The  Great  Epic  of  India,  S.  382  f. 


—    392    — 

möglich  durch  die  j> geniale  Sorglosigkeit«  irgend  eines  Dichter» 
erklärt  werden  können  ^).  Auch  finden  sich  neben  den  prächtig- 
sten Schilderungen  voll  urwüchsiger  Kraft  ganze  lange  Ge- 
sänge, in  denen  mit  geistloser  Eintönigkeit  und  unter  fort- 
währenden Wiederholungen  die  Schilderung  der  achtzehntägigen 
Schlacht  niir  möglichst  ausgesponnen  wird. 

So  ist  denn  schon  das,  was  wir  als  das  »eigentliche  Epos« 
bezeichnen  können,  so  wie  es  avif  uns  gekommen  ist,  gewifs  nicht 
das  Werk  eines  Dichters.  Auch  dieser  »Kern«  des  Mahä- 
bhärata  ist  nicht  mehr  die  alte  Heldendichtung;  sondern  diese 
ist  in  ihm  —  in  vielfach  verwässertem  Zustand  —  enthalten. 

Nun  haben  wir  aber  gesehen,  dals  um  diesen  Kern  herum 
sich  eine  Unmasse  der  verschiedenartigsten  Dichtungen  angehäuft 
hat:  Heldenlieder  aus  verschiedenen  Sagenkreisen,  brahmanische 
Mythen-  und  Legendendichtung,  Asketenpoesie  und  Lehrgedichte 
aller  Art  von  den  einfachsten  Sittensprtichen  bis  zu  umfang- 
reichen philosophischen  Gedichten,  förmlichen  Rechtsbtichem  und 
ganzen  Puränas.  Wer  mit  den  strenggläubigen  Indern  oder  mit 
Da  hl  mann")  glauben  wollte,  dafs  unser  Mahäbhärata  das 
Werk  eines  einzelnen  Mannes  sei,  der  müfste  annehmen,  dafs 
dieser  Mann  zu  gleicher  Zeit  ein  grofser  Dichter  und  ein 
erbärmlicher  Stümper,  ein  Weiser  und  ein  Schwachkopf,  ein 
genialer  Künstler  imd   ein  lächerlicher  Pedant  gewesen  sei  — 


^)  VrI.  oben  Anm.  auf  S.  305,  306  f.,  310,  314. 

*)  Joseph  Dahlmann,  Das  Mahäbhärata  als  Epos  und  Rechts- 
buch (Berlin  1895) spricht  zwar  nur  von  einer  »einheitlichen  Diaskeuase», 
aber  er  schreibt  doch  dem  "Diaskeuasten«  eine  Tätigkeit  zu,  die  ihn 
unbedingt  zu  einem  Dichter  stempeln  würde ;  und  zum  Schluls  (S.  302) 
spricht  er  doch  vom  Mahäbhärata  als  dem  Werk  « einer  einzelnen 
dichterisch  schaffenden  Kraft«.  In  seinem  Buch  »Genesis  des  Mahä- 
bhärata» (Berlin  1899)  sagt  er  geradezu:  »Der  Dichter  war  Diaskeuast, 
der  Diaskeuast  Dichter.«  Es  ist  übrigens  bemerkenswert,  dafs  selbst 
ein  so  naiver  und  ziemlich  strenggläubiger  Inder,  wie  C.  V.  Vaidya 
(The  Mahäbhärata:  A  Criticism.  Bombay  1905),  der  mit  Ehrfurcht 
von  Vyäsa,  dem  Zeitgenossen  des  Krsna,  als  dem  »Dichter«  des  Mahä- 
bhärata spricht  (er  stellt  ihn  hoch  über  Homer,  Milton  und  Shakespeare) 
und  allen  Ernstes  berechnet,  dafs  Vyäsa  und  Krsna  zur  Zeit  des 
Mahäbhärata-Kampfes  um  3101  v.  Chr.  gelebt  hätten,  doch  unumwunden 
zugesteht,  dafs  das  Mahäbhärata  in  seiner  gegenwärtigen  Form  die 
Erweiterung  eines  ursprünglich  viel  kleineren  Werkes  ist  und  zahl- 
reiche Zusätze  und  Interpolationen  enthält. 


—    393    — 

abgesehen  davon,  dafs  dieser  Wundermann  ein  Kenner  und  Be- 
kenner  der  entgegengesetztesten  religiösen  Anschauungen  und  der 
widersprechendsten  philosophischen  Lehren  gewesen  sein  mükte. 
Auch  in  bezug  auf  Sprache,  Stil  und  Metrik  zeigen 
die  Bestandteile  des  Mahäbhärata  durchaus  keine  Einheitlichkeit. 
Nur  ganz  im  allgemeinen  kann  man  vom  »epischen  Sanskrit« 
als  der  Sprache  der  volkstümlichen  Epen  sprechen*).  In  Wirk- 
lichkeit ist  die  Sprache  des  Epos  in  manchen  Teilen  alter- 
tümlicher, d.  h.  dem  Altindischen  der  vedischen  Prosawerke 
näher  verwandt  als  in  anderen.  Und  neben  sprachlichen  Er- 
scheinungen, die  an  das  Päli  anklingen  und  die  man  als  volks- 
tümlich bezeichnen  kann,  gibt  e^  andere,  die  man  einfach  als 
Sprachunrichtigkeiten  erklären  mufs,  wie  sie  sich  un- 
gebildete und  minderwertige  Schriftsteller  von  der  Art  der 
Puränaverfasser  oft  zuschulden  kommen  lassen.  Auch  in  bezug 
auf  den  Stil  läfst  sich, nur  im  allgemeinen  sagen,  dafs  er  von 
dem  sogenannten  »Kävyastil«,  d.  h.  dem  durch  ein  Über  mal  s 
in  der  Verwendung  von  Kunstmitteln  (Alamkäras)  gekenn- 
zeichneten Stil  der  späteren  Kimstdichtung ,  noch  weit  entfernt 
ist.  Es  fehlt  aber  nicht  an  Stellen  im  Mahäbhärata,  die  uns 
bereits  an  diesen  Kävyastil  erinnern ").  Daneben  finden  wir 
auch  Stücke,  die  ganz  in  dem  naiven  Stil  der  alten  ItihSsas  ge- 
halten sind,  wie  sie  in  den  Brähmanas  und  Upanisads  erzählt 
werden,  während  wieder  an  zahlreichen  anderen  Stellen  der 
saloppste  Puränastil  vorwaltet.  Was  die  Metrik  anbelangt»), 
so  ist  wohl  der  aus  der  alten  Anustubh  hervorgegangene  §  I  o  k  a 
das  epische  Metrum  par  excellence.  Aber  von  diesem  Sloka 
gibt  es  altertümlichere  und  jüngere  Formen,  die  alle  im  Mahä- 
bhärata vertreten  sind..    Es  gibt  ferner  in   unserem  Epos  auch 


»)  Über  die  epische  Sprache  handelt  H.  Jacob i,  Das  Ramäyaqia, 
S.  112  ff.  Vgl.  auch  oben  S.  40  und  Hopkins,  The  Great  Epic  of 
India,  S.  262. 

2)  Vgl.  oben  S.  308.  Zahlreich  sind  aber  diese  Stellen  nicht, 
jedenfalls  lange  nicht  so  zahlreich  wie  im  Rämäya^ia. 

")  Ausführlich  handelt  über  die  Metrik  des  Mahäbhärata  Hop- 
kins a.  a.  O.  S.  191  ff.  Vgl.  auch  Jacobi.  Ȇber  den  Sloka  im 
Mahäbhärata«  (in  »Gurupüjäkaumudi ,  Festgabe  zum  50  jährigen 
Doktoriubiläum  Albrecht  Weber  dargebr.*.  Leipzig  1896,  S.  50ff.) 
und  oben  S.  55. 


—    394    — 

alte  Prosastticke,  deren  Prosa  zuweilen  rhythmisch  ist,  zuweilen 
mit  Strophen  abwechselt  i).  Auch  von  dem  Tristubhmetrum, 
welches  im  Mahäbhärata  öfters  verwendet  wird  —  der  ^oka 
ist  allerdings  ungefähr  zwanzigmal  so  häufig  wie  die  Tristubh  — , 
findet  sich  sowohl  die  altertümliche  der  vedischen  noch  ähnliche 
Form  als  auch  jüngere  Formen;  und  sogar  die  kunstvollen 
Versmafse  der  klassischen  Sanskritdichtung  begegnen  uns  ver- 
einzelt schon  im  Mahäbhärata. 

So  weist  alles  darauf  hin,  dals  das  Mahäbhärata  nicht  ein- 
heitlichen Ursprungs  ist,  sondern  aus  älteren  und  jüngeren 
Stücken  besteht,  die  verschiedenen  Jahrhunderten  angehören. 
Inhalt  und  Form  bestätigen  gleichermaßen,  dafs  manche  Teile 
des  Mahäbhärata  bis  in  die  Zeiten  des  Veda  zurückreichen, 
während  andere  mit  den  späten  Erzeugnissen  der  Puräna- 
litteratur  gleichzeitig  sein  müssen. 

Nun  ist  vielfach  —  so  insbesondere  von  A.  Holtzmann  — 
angenommen  worden,  dafs  es  ein  altes  Heldengedicht  der  Kauravas 
gegeben  habe,  welches  das  s ursprüngliche  Mahäbhärata«  ge- 
wesen  sei,  dafs  dieses  nachher  zugunsten  der  Pändavas  eine 
»tendenziöse  Umarbeitung«  erfahren  habe;  und  dals  es  dann 
noch  mehrmals  nacheinander  —  erst  von  Buddhisten,  dann 
von  Brahmanen  —  »tendenziös  umgearbeitete  worden  sei.  Die 
»zweite  puranenmäfsige  Umarbeitung«  hätte  nach  Holtzmann 
etwa  um  900 — 1100  n.  Chr.  stattgefimden ,  »der  dann  einige 
Jahrhunderte  später  die  definitive  Festsetzung  und  Abschlielsung 
des  Textes  nachfolgte«  ^). 

Es  ist  wichtig  festzustellen,  dafs  diese  letztere  Annahme, 
wonach  das  Mahäbhärata  seine  jetzige  Gestalt  erst  im  15.  oder 
16.  Jahrhundert  erhalten  hätte,  ganz  imd  gar  falsch  ist.  Denn  es 
ist  durch  litterarische  und  inschriftliche  Zeugnisse  bewiesen^), 
dafs   das    Mahäbhärata  schon   um   500   n.  Chr.   nicht  mehr   ein 


»)  Vgl.  Hopkins  a.  a.  O.  S-  266  ff.  und  oben  S.  89. 

")  Holtzmann,  Das  Mahäbhärata  I,  194. 

•)  Diesen  Beweis  erbracht  zu  haben,  ist  das  Verdienst  G.  Bühlers. 
(Indian  Studies.  By  G.  Bühler  and  J.  Kirste,  No.  II.  Contributions 
to  the  History  of  the  Mahäbhärata.  Sitzungsberichte  der  k.  Akademie 
der  Wiss.  in  Wien.  Phil.-histor.  Cl.,  Bd.  CXXVII.  Wien  1892.)  Auf 
einiges  hatten  schon  früher  die  indischen  Gelehrten  R.  G.  Bhandarkar 
und  K.  T.  Telang  hingewiesen. 


—    395    — 

eigentliches  Epos,  sondern  ein  heiliges  Lehr-  und  Erbauungs- 
buch und  im  grofsen  und  ganzen  an  Umfang  und  Inhalt  von 
dem  Werk,  wie  es  uns  jetzt  vorliegt,  nicht  wesentlich  verschieden 
war.  Der  Dichter  ßäna,  der  um  600  n.  Chr.  lebte,  erzählt  in 
seinem  Roman  »Kädambari« ,  dafs  die  Königin  ViläsavatT  zu 
Ujjein  an  einem  Feste  in  einem  Tempel  einer  Rezitation  des 
Mahäbhärata  beiwohnte.  Solche  öffentliche  Vorlesungen  des 
Mahäbhärata  finden  noch  heutigen  Tages  in  Indien  bei  festlichen 
Gelegenheiten  in  Tempeln  statt  —  und  selbstverständlich  mehr 
zur  Erbauung  und  religiösen  Unterweisung  als  zur  Unterhaltung. 
Um  600  n.  Chr.  bezeugt  aber  auch  schon  eine  Inschrift  von 
Kambodscha  ähnliche  öffentliche  Vorlesungen  des  Mahäbhärata, 
und  zwar  mit  Benutzung  von  eben  für  diesen  Zweck  gestifteten 
Handschriften,  in  dieser  fernen  indischen  Kolonie  in  Hinterr 
indien.  Wir  besitzen  endlich  auch  Landschenkungsurkunden  aus 
dem  5.  imd  6.  Jahrhundert,  in  denen  die  über  die  Moral  des 
Schenkens  (dänadharma)  handelnden  Abschnitte  des  XIII.  Buches 
(oben  S.  365)  als  heilige  Texte  zitiert  werden;  und  in  einer 
derartigen  Inschrift  wird  das  Mahäbhärata  bereits  als  die  »Samm- 
lung von  hunderttausend  Versen«  bezeichnet.  Die  Zahl  von 
hunderttausend  Versen  wird  aber  ni^t  einmal  annähernd  er- 
reicht, wenn  nicht  die  Bücher  XII  und  XIII  und  selbst  ein  Teil 
des  Harivarasa  hinzugerechnet  werden  *).  Wenn  aber  das  Mahä- 
bhärata bereits  im  5.  Jahrhundert  die  unzweifelhaft  jüngsten  Be- 
standteile wie  Buch  XIII  und  Harivamsa  enthielt ,  wenn  es 
damals  bereits  ein  religiöses  Lehr-  und  Erbauungsbuch  war,  und 


^)  Von  den  »hunderttausend«  Versen  des  Mahäbhärata  ist  schon 
in  diesem  selbst  die  Rede  fl,  1,  107;  XII,  343,  11;  vgl.  oben  S.  271 
und  Hopkins  a.  a.  O.  S.  9).  Die  18  Bücher  des  Mahäbhärata  haben 
in  der  Kalkuttaer  Ausgabe  90  092  Verse,  von  denen  13  935  auf 
Buch  XII  und  7759  auf  Buch  XIII  entfallen.  Mit  dem  ganzen 
Harivamsa  beträgt  die  Zahl  der  Verse  106  466.  Läfst  man  den 
Bhavisyaparvan  (siehe  oben  S.  387)  hinweg,  so  ergibt  sich  eine  Zahl 
von  101  154  Versen,  die  am  besten  zu  der  runden  Zahl  »Hundert- 
tausend« stimmt.  Allein  die  verschiedenen  Rezensionen  des  Mahä- 
bhärata, die  oft  in  der  Weise  voneinander  abweichen,  dafs  die  eine 
Rezension  eine  Anzahl  Verse  ausläfst,  die  in  der  anderen  enthalten 
sind,  aber  dafür  wieder  anderswo  ebensoviele  \'^erse  einfügt,  die  der 
letzteren  fehlen,  beweisen,  dals  sich  der  Inhalt  des  Mahäbhärata 
auch  ändern  konnte,  ohne  dafs  der  Umfang  sich  änderte. 


—    396    — 

wenn  hundert  Jahre  später  Handschriften  des  Mahäbhärata 
bereits  bis  nach  Hinterindien  gelangt  waren  und  dort  in  Tempeln 
vorgelesen  wurden,  so  können  wir  mit  gutem  Rechte  schliefsen, 
dafs  es  mindestens  schon  ein  oder  zwei  Jahrhunderte  früher, 
also  im  3.  oder  4.  Jahrhvmdert  n.  Chr.  die  Gestalt  erhalten 
haben  mufs,  die  es  heute  noch  hat.  Andererseits ")  kann  es  aber 
diese  Gestalt  erst  nach  dem  Entstehen  und  der  Ausbreitung  des 
Buddhismus,  auf  den  es  viele  Anspielungen  enthält,  und  sogar 
erst  nach  Alexanders  Einfall  in  Indien  erhalten  haben,  da  die 
Yavanas,  d.  h.  die  Griechen  (lonier)  oft  erwähnt  werden  und  auch 
von  steinernen  Bauten  die  Rede  ist,  während  vor  der  Griechenzeit 
in  Indien  nur  Holzbauten  bekannt  waren.  Das  Mahäbhärata 
kann  demnach  seine  jetzige  Gestalt  nicht  früher 
als  im  4.  Jahrhundert  v.  Chr.  und  nicht  später  als 
im  4.  Jahrhundert  n.  Chr.  erhalten  haben. 

Eine  gröfsere  Umarbeitung  des  Mahäbhärata  oder  auch 
nur  die  Hinzufügung  eines  der  gröfseren  Bücher  kann  also 
nach  dem  4.  Jahrhundert  n.  Chr.  nicht  mehr  stattgefunden  haben. 
Die  Hypothese  einer  oder  gar  mehrerer  Umarbeitungen  kann  ich 
aber  überhaupt  weder  für  notwendig  noch  für  wahrscheinlich 
halten  2).  Sowie  in  späterer  Zeit  die  Abschreiber  mit  ihrem 
Text  ziemlich  willkürlich  verfuhren,  so  gestatteten  sich  in  älterer 
Zeit  gewifs  auch  die  Rhapsoden,  unter  denen  die  Heldenlieder 
jahrhundertelang  nur  mündlich  fortgepflanzt  worden  sein  müssen, 
jede  mögliche  Freiheit  bei  dem  Vortrag  ihrer  Gesänge:  sie 
dehnten  Szenen,  die  ihren  Zuhörern  gefielen,  in  die  Länge  und 
kürzten  andere,  die  weniger  Eindruck  machten,  ab.  Die  gröfsten 
Veränderungen  aber ,  durch  welche  die  alte  Heldendichtung 
allmählich  zu  einem  Sammelwerk  wurde,  das  »Vieles«  vmd 
danmi  »jedem  etwas«  brachte, »sind  wohl  damit  zu  erklären,  dafs 
die  Überlieferung  und  die  Pflege  des  alten  Heldensanges  von 
den  ursprünglichen  Sängern  auf  andere  Kreise   überging,   dafs 

*)  Siehe  Hopkins  a.  a.  O.  S.  391  ff.  Den  weitergehenden 
Folgerungen  Hopkins'  aus  der  Nichterwähnung  des  römischen  Denars 
(S.  387)  und  der  Kupfertafeln  als  Schenkungsurkunden  (S.  388)  möchte 
ich  mich  nicht  anschliefsen. 

^)  Es  soll  aber  damit  nicht  gesagt  sein,  dafs  nicht  einzelne  Teile, 
wie  z.  B.  der  Viräta-Parvan ,  umgearbeitet  worden  sind.  Vgl.  Hop- 
kins im  J.  Am.  O.  S.  Vol.  XXIV,  1903,  p.  54, 


—    397     — 

die  Gesänge  selbst  in  aridere  Gegenden  verpflanzt,  anderen 
Zeiten  und  einem  wechselnden  Publikum  angepafst  wurden. 
Schon  in  sehr  alter  Zeit  müssen,  wie  wir  sahen,  die  Lieder  von 
Barden,  die  dem  Kurugeschlecht  nahestanden,  auf  solche  über- 
gegangen sein,  welche  zum  Pändavageschlecht  Beziehungen 
hatten.  Sie  verbreiteten  sich  aus  Gegenden,  wo  der  Vi§nukult 
vorherrschte,  in  solche,  wo  Siva  als  höchste  Gottheit  verehrt 
wurde.  Auch  die  Phasen,  welche  der  Krsnakult  durchmachte, 
liefsen  ihre  Spuren  in  der  epischen  Dichtung  zurück.  Wie  bei 
anderen  Völkern,  so  mufs  aber  auch  bei  den  Indern  eine  Zeit 
gekommen  sein,  wo  sich  die  schaffende  Dichterkraft  nicht  mehr 
auf  dem  Gebiete  der  Heldendichtung  betätigte  und  diese  als 
lebendige  Poesie  erlosch,  und  wo  nur  mehr  die  alten  Lieder 
von  Barden  noch  immer  gesungen  wurden  ^).  Auch  die  alte 
Heldenzeit  hörte  auf,  wo  die  Barden  mit  den  Kriegern  als 
Wagenlenker  in  die  Schlacht  zogen,  um  nach  gewonnenem 
Sieg  —  etwa  bei  einem  grofsen  Opferfeste  —  die  glorreichen 
Taten  der  Helden  zu  besingen.  Die  Epigonen  dieser  Barden 
waren  eine  minderwertige  Klasse  von  Litteraten  —  dieselben, 
welche  sich  auch  mit  der  Überlieferung  der  Puränas  befafsten. 
Diese  Leute  waren  wohl  weder  rechte  Krieger  noch  rechte 
Brahmanen  —  nicht  umsonst  werden  die  Sütas  in  den  Rechts- 
büchem  als  Bastarde  bezeichnet,  die  aus  der  Vermischung  von 
Kriegern  mit  Brahmanenfrauen  oder  von  Brahmanen  mit 
Ksatriyafrauen  hervorgegangen  sein  sollen.  Und  gerade  das  ist 
auch  das  Eigentümliche  des  Mahäbhärata  in  seiner  jetzigen  Ge- 
stalt, dals  es  weder  rechte  Kriegerpoesie  noch  rechte  geistliche 
Dichtung  ist ;  es  ist  kein  Epos  mehr,  aber  auch  noch  kein  eigent- 
liches Puräna. 

Eine  Art  Abschlufs  dürfte  das  Mahäbhärata  erst  bekommen 
haben,  als  es  —  nach  jahrhundertelanger  mündlicher  Über- 
lieferung —  niedergeschrieben  wurde.  An  dieser  Redaktion 
und  Niederschrift  werden  sich  wohl  nur  Brahmanen,  Pan^its, 
beteiligt  haben.  Wenn  wir  aber  sagen  müssen,  dafs  das  Mahä- 
bhärata schon  im  4.  Jahrhundert  ij.  Chr.  oder  noch  früher  von 
dem  Werk,  wie  es  uns  jetzt  vorliegt,  im  grofsen  und  ganzen 
in  bezug  auf  Umfang  und  Inhalt  nicht  wesentlich  verschieden 


')  Vgl.  H.  Jacobi  in  d^n  Götting.  gel.  Anz.  1892,  S.  632. 


—    398    — 

war,  so  müssen  die  Worte  »im  grofsen  und  ganzen«  und  »nicht 
wesentlich«  sehr  stark  betont  werden.  Denn  Zusätze  und  Ver- 
änderungen, und  zwar  Zusätze  nicht  nur  von  einzelnen  Versen, 
sondern  auch  von  ganzen  Gesängen  (wie  Hymnen  auf  Durgä 
u.  dgl.),  sind  bis  in  die  neueste  Zeit  hinein  gemacht  worden, 
und  einen  feststehenden  Text  des  Mahäbhärata  gibt 
es  überhaupt  nicht. 

Wenn  man  vom  Mahäbhärata.  spricht,  so  meint  man  daoiit 
in  der  Regel  eine  der  beiden  groisen  in  Indien  von  einheimischen 
Gelehrten  besorgten  Ausgaben,  die  »Kalkuttaer  Ausgabe«  (1834 
bis  1839)  in  vier  Quartbänden,  deren  letzter  den  Harivamsa  ent- 
hält, oder  die  «Bombayer  Ausgabe«  mit  dem  Kommentar  des 
Nllakantha.  Letztere  ist  seit  1862  in  mehreren  Auflagen  er- 
schienen. Sie  enthält  den  Harivam=a  nicht.  Keine  der  beiden 
Ausgaben  kann  im  Sinne  der  europäischen  Philologie  als  eine 
»kritische«  bezeichnet  werden ').  Von  dem  Text,  welchen  unsere 
Ausgaben  bieten,  und  der  im  grofsen  und  ganzen  dem  der  nord- 
indischen Handschriften  entspricht,  weicht  der  Text  der  süd- 
indischen Handschriften  nicht  unwesentlich  ab,  so  dafs  man  von 
einer    »nordindischen«    und   einer    »südindischen   Rezension«*) 


')  Über  diese  und  die  anderen  indischen  Ausgaben  vgl.  A.  Holtz- 
mann,  Das  Mahäbhärata,  III,  S  2  ff.  Über  das  Verhältnis  der  beiden 
Ausgaben  zueinander  ebendas.  S.  9  ff .  Erwähnung  verdient  auch  die 
unter  der  Redaktion  von  Pratapa  Chandra  Roy  (Kalkutta  1882 ff.) 
erschienene  überaus  handliche  Ausgabe  in  Oktavbänden,  die  nur  leider 
nicht  druckfehlerfrei  ist.  Diese  Ausgabe  ist  ein  Werk  echt  indischer 
Frömmigkeit  und  Wohltätigkeit;  sie  wurde  mit  Hilfe  der  von  dem 
Herausgeber  veranstalteten  Sammlungen  zum  Zweck  der  Gratis- 
verteilung gedruckt  und  in  10  000  Exemplaren  verschenkt.  Die  Ver- 
anstaltung einer  den  Anforderungen  der  Wissenschaft  genügenden 
kritischen  Ausgabe  des  Mahäbhärata  ist  von  der  Inter- 
nationalen Assoziation  der  Akademien  im  Jahre  1905  be- 
schlossen worden, 

2)  Doch  nur  mit  Vorbehalten.  Denn  es  ist  möglich,  dafs  eine 
genauere  Untersuchung  der  Handschriften  mehrere  nordindische 
und  mehrere  stidindische  Rezensionen  ergeben  wird.  Auch  ist  die 
Überlieferung  mancher  Bücher  einheitlicher  als  die  anderer.  Vgl. 
M.  Winternitz,  'On  the  South-Indian  Recension  of  the  Mahäbhärata' 
(Indian  Antiquary  1898,  March,  April,  May)  und  H.  Luders,  Ȇber 
die  Grantharecension  des  Mahäbhärata«  (Abhandlungen  der  k.  Ge- 
sellschaft d.  Wissenschaften  zu  Göttingen,  Phil.-hist.  Kl.,  N.  F.  Bd.  IV 


—    399    — 

sprechen  kann.  Diese  beiden  Rezensionen  weichen  oft  in  der 
Weise  voneinander  ab,  dafs  die  eine  Verse  und  auch  ganze 
Gesänge  enthält,  die  in  der  anderen  fehlen,  oder  dafs  Verse  in 
verschiedener  Reihenfolge  erscheinen  u.  dgl.  mehr. 

Es  folgt  aus  all  dem  die  wichtige  Lehre,  dafs  in  Wirk- 
lichkeit das  Alter  eines  jeden  Stückes  des  Mahä- 
bhärata,  ja  eines  jeden  einzelnen  Verses  für  sich 
bestimmt  werden  mufs,  und  dafs  Aussprüche  wie  »Das 
kommt  schon  im  Mahäbhärata  vorc  keinerlei  Berechtigung  und 
in  chronologischer  Beziehung  gar  keinen  Sinn  haben.  Um  so 
weniger  Berechtigung  hat  es,  mit  dem  Mahäbhärata  als  Ganzem 
bestimmte  Zeitangaben  zu  verbinden,  als  nicht  nur  in  entschieden 
»alten«  Partien  jüngere  Einschiebungen  stattgefunden  haben, 
sondern  auch  ebenso  oft  in  »jüngeren«  Partien  sich  sehr  alte 
Stücke  finden.  So  ist  das  ganze  erste  Buch  des  Mahäbhärata 
gewifs  nicht  »alte;  das  hindert  aber  nicht,  dafs  viele  in  dem- 
selben vorkommende  Sagen,  Legenden  und  genealogische  Verse 
sehr  alt  sind.  Selbst  in  dem  gewifs  erst  spät  angefügten 
Harivam§a  finden  sich  sehr  alte  Verse  und  Legenden.  Doch 
sind  die  Ausdrücke  »alt«  und  »jung«  auf  ganze  Bücher  und 
gröfsere  Stücke  des  Mahäbhärata  immer  nur  mit  Vorsicht  und 
Vorbehalten  anzuwenden. 

Und  dies  führt  uns  zu  der  schwierigsten  Frage :  Was 
verstehen  wir  darunter,  wenn  wir  von  »alten«  und  »ältesten« 
Teilen  des  Mahäbhärata  sprechen?  Mit  anderen  Worten:  Bis 
in   welche  Zeit  reichen  die  Anfänge   des  Mahäbhärata   zurück? 

Halten  wir  uns  an  die  Tatsachen.  In  der  ganzen  vedischen 
Litteratur  ist  von  einem  Mahäbhärata  nicht  die  Rede,  so  oft 
auch  in  Brähmanas  und  Upanisads  von  Äkhyäna,  Itihäsa, 
Puräna  und  Gäthä  Näräsamsl  (oben  S.  260  f.)  gesprochen  wird. 
Auch  von  dem  grofsen  doch  wohl  historischen  Ereignis,  das  im 
Mittelpunkte  des  Epos  steht  —  der  blutigen  Schlacht  im  Kuru- 
felde  — ,  weifs  der  Veda  nichts,  trotzdem  in  den  Brähmanas 
gerade  dieses  Kurufeld  als  ein  Ort,  wo  Götter  \md  Menschen 
grofse  Opferfeste  feierten,   so  oft  genannt  wird,   dafs  dieses  Er- 


Nr.  6,  Berlin  1901).  Eine  hauptsächlich  auf  südindischen  Manuskripten 
beruhende  Ausgabe  ist  gegenwärtig  in  Bombay  (Nirnayasagara  Press) 
im  Erscheinen  begriffen 


—     400     - 

eignis,  wenn  es  schon  stattgefunden  hätte,  unbedingt  erwähnt 
worden  wäre^).  Wohl  kommen  Janamejaya,  der  Sohn  des 
Pariksit,  und  Bharata,  der  Sohn  des  Du^santa  und  der  Sakuntalä, 
in  den  Brähmanas  vor;  und  schon  in  einem  Kuntäpalied  des 
Atharvaveda  wird  Pariksit  als  ein  friedliebender  König  gepriesen, 
unter  dessen  Herrschaft  das  Kuruland  gedieh.  In  den  zum 
Yajurveda  gehörigen  Werken  ist  oft  von  Kurus  und  Paflcälas 
oder  Kurupancälas  die  Rede;  und  in  Verbindung  mit  einem 
Opferfeste  der  Kurupancälas  wird  im  Käthaka  (X,  6)  eine 
Anekdote  von  Dhrtarästra,  dem  Sohne  des  Vicitravirya,  erzählt. 
Hingegen  ist  nirgends  im  ganzen  Veda  der  Name  des  Päntju 
oder  seiner  Söhne,  der  Pän(Javas,  nirgends  sind  Namen  wie 
Duryodhana,  Duhsäsana,  Karna  usw.  zu  finden.  Der  Name 
Arjuna  kommt  zwar  in  einem  Brähmana  vor,  aber  als  Geheim- 
name des  Gottes  Indra.  Erst  in  den  zur  Vedähgalitteratur  ge- 
hörigen Sütrawerken,  im  Asvaläyana-Grhyasütra,  im  Öänkhäyana- 
Srautasütra  und  in  den  grammatischen  Sütras  des  Pänini  finden 
v/ir  die  ersten  Spuren  eines  Epos  Mahäbhärata ''). 

Wie  steht  es  mit  der  buddhistischen  Litteratur?  Im 
Tipitaka,  dem  Pälikanon  der  Buddhisten,  wird  das  Mahäbhärata 
nicht  erwähnt.  Hingegen  finden  wir  in  den  ältesten  Texten  des 
Tipitaka  Dichtungen  von  der  Art  der  Akhyänas,  die  wir  als 
eine   Vorstufe   der    Epik    in   den    Brähmanas  kennen  lernten^). 

')  Siehe  A.  Ludwig,  Über  das  Verhältnis  des  mythischen 
Elementes  zu^der  historischen  Grundlage  des  Mahäbhärata,  S.  6. 

*)  Aus  Asvaläyana-Grhyasütra  (III,  4),  wo  blols  die  Titel 
»Öhärata«  und  "> Mahäbhärata*  vorkommen,  läfst  sich  eigentlich  gar 
nichts  scbliefsen.  Legt  man  der  Stelle  irgendeine  Beweiskraft  bei,  so 
wüide  sie  nur  beweisen,  dafs  es  in  der  (übrigens  unbekannten)  Zeit 
dieses  Sütra  ein  längeres  »Mahäbhärata«  neben  einem  ktirzeren 
»Bhärata  gegeben  habe.  (Vgl.  Hopkins  a.  a.  O.  S.  389 f.  und 
M.  Winternitz  in  WZKM.  XIV,  S.  55 f.  und  oben  S.  271.)  Im 
bankhäyana-ärautasütra(XV,  16)  finden  wir  die  erste  Erwähnung 
e-nes  für  die  Kauravas  unglücklichen  Krieges  im  Kuiufelde  (A.  Lud- 
wig a.  a.  O.  S.  5).  Pänini  kannte  nicht  nur  den  Titel  »Mahäbhärata«, 
sondern  auch  die  Namen  der  Haupthelden  des  Epos ;  aber  es  ist  nicht 
möglich,  irgendwelche  Schlüsse  auf  den  Umfang  und  Inhalt  des  dem 
Pänini  bekannten  Mahäbhärata  aus  den  kärglichen  Andeutungen  zu 
ziehen. 

')  Siehe  oben  S.  259.  E.  Windisch,  Mära  und  Buddha  (XV.  Bd. 
der  Abhandlungen  der  phil.-hist.  Ci.  d.  k.  sächs.  Ges.  d.  Wiss.,  Leipzig 


-.    401     — 

Die  Jätakas,  deren  metrische  Bestandteile  (die  Gäthäs)  zum 
Tipitaka  gehören,  verraten  eine  Bekanntschaft  mit  der  Krsna- 
Sage,  aber  nicht  mit  dem  Harivamsa  und  dem  Mausalaparvan 
des  Mahäbhärata  *).  Die  im  Jätakabuch  vorkommenden  Namen 
Pändava,  Dhananjaya  (im  Mahäbhärata  ein  gewöhnlicher  Bei- 
name des  Arjuna),  Yudhitthila  (Päliform  für  Yudhisthira), 
Dhatarattha  (Päliform  für  Dhrtarästra),  Vidhura  oder  Vidhüra 
(der  Vidura  des  Mahäbhärata),  ja  selbst  die  in  demselben  vor- 
kommende Erzählung  von  der  Gattenselbstwahl  und  Fünfmänner- 
ehe  der  Draupadr  bezeugen  nicht  nur  keine  Bekanntschaft  mit 
dem  Mahäbhärata,  sondern  eher  das  Gegenteil.  Denn  Pändava 
erscheint  im  Jätaka  als  Name  eines  Pferdes,  Dhrtarästra  als 
Name  eines  Flamingos,  Dhananjaya  und  Yudhisthira  werden  nur 
als  Kurukönige  genannt,  die  in  Tndraprastha  residierten,  und 
Vidura  ist  ein  weiser  Mann,  der  bald  als  Hauspriester,  bald  als 
Minister  am  Hofe  des  Dhananjaya  oder  des  Yudhisthira  auftritt. 
DraupadI  aber,  eine  der  herrlichsten  Frauengestalten  des  Epos, 
erscheint  im  Jätaka  als  Beispiel  weiblicher  Verworfenheit,  da  sie 
sich  mit  ihren  fünf  Männern  nicht  begnügt,  sondern  noch  mit 
einem  buckligen  Diener  Ehebruch  treibt. 

Aus  diesen  Tatsachen  muls  man  wohl  schliefsen,  dafs  es 
ein  Epos  Mahäbhärata,  d.  h.  ein  episches  Gedicht,  welches  von 
dem  Kampf  der  Kauravas   und  Pändavas   und  von  der  Schlacht 

1895)  S.  222  ff.  und  T.  W.  Rhys  Davids,  Buddhist  India,  London 
1903,  S.  180  ff.  Rezitationen  von  Akhyänas  werden  im  Brahmajäla- 
sutta  (Dialogues  of  the  Buddha,  translated  from  the  Päli  by  T.  W. 
RhysDavids,  London  1899,  S.  8)  neben  Unterhaltungen  und  Schau- 
stellungen, die  der  Mönch  vermeiden  soll,  aufgeführt.  Wären,  wie 
der  Kommentator  sagt,  darunter  Rezitationen  des  Mahäbhärata  und 
des  Rämäya^a  zu  verstehen,  so  hätte  der  Verfasser  diese  gewifs  mit 
Namen  genannt. 

')  Das  hat  H.  Lüders  in  ZDMG,  Bd.  58,  S.  687  ff.  nachgewiesen. 
Vgl.  auch  E.  Hardy  in  ZDMG,  Bd.  53,  S.  25 ff.  Die  Krsi;ia-Sage  wird 
im  Ghatajätaka  (Nr.  451^  erzählt ;  eine  Anspielung  auf  sie  enthält  auch 
das  Jätaka  Nr.  512.  Die  Jainas  haben  —  nach  Jacob i  (Berichte  des 
VII.  Internat.  Orientalistenkongresses  in  Wien  .1886,  S.  75  ff .  und 
ZDMG,  Bd.  42,  1888,  S.  493  ff .)  —  die  Krs^a-Sage  night  nur  gekannt, 
sondern  bereits  im  3.  oder  2.  Jahrhundert  v.  Chr.  den  Krs^a-Kult  in 
ihre  Religion  auf genonamen ,  indem  sie  den  Krsija  in  die  Zahl  ihrer 
Heiligen  einreihten.  Das  beweist  aber  nichts  für  das  Alter  des 
Mahäbhärata. 


—    402    — 

im  Kurufelde  handelte  iind  den  Titel  »Bhärata«  oder  >Mahä- 
bhärata«  führte,  vor  dem  Abschlufs  des  Veda  nicht  gegeben 
haben  könne;  dafs  hingegen  ein  solches  Gedicht  im  4.  Jahr- 
hundert V.  Chr.  schon  existiert  haben  mufs,  da  die  Sütrawerke  von 
Sänkhäyana,  Äsvaläyana  und  Pänini  vor  diese  Zeit  gesetzt  werden 
müssen.  Da  aber  der  im  3.  und  4.  Jahrhundert  v.  Chr.  ent- 
standene Pälikanon  der  Buddhisten  nur  eine  ganz  oberflächliche, 
wenn  irgendeine  Kenntnis  des  Mahäbhärata  verrät,  dürfte  es 
damals  im  östlichen  Indien,  wo  die  buddhistische  Litteratur 
entstand,  noch  wenig  bekannt  gewesen  sein. 

Wir  haben  aber  gesehen,  dals  manche  Elemente  unseres 
jetzigen  Mahäbhärata  bis  in  die  vedische  Zeit  zurückreichen, 
und  dafs  vieles,  namentlich  in  den  lehrhaften  Abschnitten,  aus 
einem  litterarischen  Gemeinbesitz  geschöpft  ist,  aus 
welchem  auch  Buddhisten  und  Jainas  (wohl  schon  im  5.  Jahr- 
hundert V.  Chr.)  geschöpft  haben  ^). 

Endlich  mufs  noch  erwähnt  werden,  dafs  nicht  nur  die  in 
dem  Epos  geschüderten  Ereignisse,  sondern  auch  die  zahllosen 
Namen  von  Königen  und  Königsgeschlechtern  —  so  sehr  auch 
manche  der  Ereignisse  und  viele  der  Namen  den  Anschein  des 
Geschichtlichen  erwecken  —  doch  im  wahren  Sinne  des  Wortes 
der  indischen  Geschichte  nicht  angehören.  Die  politische 
Geschichte  Indiens  beginnt  mit  den  Königen  Bimbisära  und 
Ajätasattu,  die  uns  als  Zeitgenossen  des  Buddha  verbürgt  sind. 
Allenfalls  kann  man  noch  den  in  den  Puränas  erwähnten 
Königen  der  f^aisunäga-  und  Nandadynastien  geschichtlichen 
Charakter   zuschreiben  2).    Mit  dem  grofsen  König  Candragupta 


»)  Siehe  oben  S.  261,  352  f.,  358,  360.  Über  die  Rsyasrnga- 
Legende  im  Jätaka  vgl.  oben  S.  342  ff.  und  H.  L-tiders  in  der  dort  an- 
geführten Abhandlung.  Eine  andere  Legende,  welche  das  Mahäbhärata 
(I,  107  1.)  mit  dem  Jätaka  (Nr  444)  geraeir  hat,  ist  die  von  Mändavya, 
der  zur  Strafe  dafür,  dafs  er  einmal  als  Kind  eine  Fliege  mit  einem 
Dom  aufgespiefst  hat,  für  einen  Räuber  gehalten  und  gepfählt  wird. 
(Vgl.  L.  Scherman,  Materialien  zur  Geschichte  der  indischen  Visions- 
litteratur,  Leipzig  1892,  S.  53  f.)  Im  Jätaka  ist  dieser  Mändavya  ein 
•Freund  des  Ka^adipäyana  (d.  h.  des  Krsija  Dvaipäyana  Vyäsa). 

2)  Nach  V.  A.  Smith,  The  Early  History  of  India  .Oxford  1904) 
S.  41  wäre  die  Begründung  der  Saisunägadynastie  um  600  v.  Chr., 
der  Regierungsantritt  Bimbisäras  um  519  v.  Chr.  und  die  Begründung 
der  Nandadynastie  um  361  v.  Chr.  anzusetzen. 


—     403    — 

(321  V.  Chr.),  dem  Begründer  der  Mauryadynastie,  betreten  wir 
dann  festen  geschichtlichen  Boden  in  Indien.  Von  allen  diesen 
geschichtlichen  Persönlichkeiten  ist  im  Mahäbhärata  keine  Spur 
zu  finden  ^).  Dieser  »vorgeschichtliche«  Charakter  der  Erzählung 
und  der  Helden  weist  doch  auf  ein  hohes  Alter  des  Epos  hin. 
Zusammenfassend  können  wir  also  über  das  Alter  des  Mahä- 
bhärata folgendes  sagen: 

1.  Einzelne  Sagen,  Legenden  und  Dichtungen,  welche  in 
das  Mahäbhärata  aufgenommen  wurden,  gehen  bis  in  die  Zeit 
des  Veda  zurück. 

2.  Ein  Epos  »Bhärata«  oder  > Mahäbhärata«  hat  es  aber  in 
vedischer  Zeit  nicht  gegeben. 

3.  Viele  moralische  Erzählungen  und  Sprüche,  welche  unser 
Mahäbhärata  enthält,  gehören  der  Asketendichtung  an,  aas 
welcher  vom  6.  Jahrhundert  v.  Chr.  an  auch  Buddhisten  und 
Jainas  geschöpft  haben. 

4.  Wenn  zwischen  dem  6.  und  4.  Jahrhundert  v.  Chr.  ein 
Epos  Mahäbhärata  schon  bestanden  hat,  so  war  es  im  Heimat- 
land des  Buddhismus  noch  nicht  bekannt. 

5.  Sicher  bezeugt  ist  ein  Epos  Mahäbhärata  vor  dem 
4.  Jahrhundert  v.  Chr.  nicht. 

6.  Zwischen  dem  4.  Jahrhundert  v.  Chr.  und  dem  4.  Jahr- 
hundert n.  Chr.  hat  sich  —  wahrscheinlich  allmählich  —  die  Um- 
wandlung des  Epos  Mahäbhärata  in  unser  jetziges  Sammelwerk 
vollzogen. 

7.  Im  4.  Jahrhundert  n.  Chr.  hatte  das  Werk  im  grofsen 
und  ganzen  schon  seinen  gegenwärtigen  Umfang,  Inhalt  und 
Charakter. 

8.  Aber  kleinere  Änderungen  und  Zusätze  sind  auch  in 
den  späteren  Jahrhunderten  imn^er  noch  gemacht  worden. 

9.  Ein  Zeitalter  des  Mahäbhärata  gibt  es  nicht,  sondern 
das  Alter   eines  jeden  Stückes  mufs   für  sich  bestimmt  werden. 


')  E.  W.  Hopkins  (im  'Album  Kern«,  S.  249  ff.)  glaubt  aller- 
dings Anspielungen  auf  die  Maur5^as,  Asoka  und  Candragupta  im 
Mahäbhärata  zu  finden.    Aber  warum  sollten  diese  so  versteckt  sein? 

Winternitz^  Geschichte  der  indischen  Litteratur.  27 


404 


Das  Rämäyana^),  Volksepos  und  Kunstdichtung  zugleich. 

In  mehr  als  einer  Beziehung  unterscheidet  sich  das  Rämäyana 
wesentlich  vom  Mahäbhärata.  Vor  allem  hat  es  einen  viel  ge- 
ringeren Umfang  und  eine  viel  grölsere  Einheitlichkeit.  Während 
das  Mahäbhärata  in  seiner  jetzigen  Gestalt  kaum  noch  als  ein 
eigentliches  Epos  bezeichnet  werden  kann,  ist  das  Rämäyana 
auch  in  der  Form,  in  der  es  uns  heute  vorliegt,  noch  ein  ziemlich 
einheitliches  Heldengedicht.  Während  ferner  die  einheimische 
Überlieferung  den  Vyäsa,  einen  ganz  mythischen  Seher  der 
Vorzeit,  der  zugleich  der  Sammler  der  Vedas  und  der  Puränas 
gewesen  sein  soll , "  zum  Verfasser  oder  Herausgeber  des  Mahä- 
bhärata macht,  bezeichnet  sie  einen  Dichter  namens  Vllmiki 
als  den  Verfasser  des  Rämä)'ana;  und  wir  haben  keinen  Grund, 
daran  zu  zweifeln,  dafs  ein  Dichter  dieses  Namens  wirklich  ge- 
lebt und  die  im  Munde  der  Barden  verstreut  lebenden  Gesänge 
von  Räma  zuerst  in  die  Form  eines  einheitlichen  Gedichtes  ge- 
gossen hat.  Diesen  Välmrki  nennen  die  Inder  »den  ersten 
Kunstdichter«  (ädikavi),  sowie  .sie  das  Rämäyana  gerne  als 
»das  erste  Kunstgedicht«  (ädikävya)  bezeichnen.  In  der  Tat 
führen  die  Anfänge  der  epischen  Kunstdichtung  auf  das  Rämäyana 
zurück,  und  Välmlki  ist  stets  das  Vorbild  geblieben,  dem  alle 
späteren  indischen  Kunstdichter  bewundernd  nachstrebten.  Das 
Wesentliche  der  indischen  kunstdichtung ,  des  sogenannten 
Kävya,  besteht  darin,  dafs  in  ihr  auf  die  Form  gröfseres  Ge- 
wicht gelegt  wird  als  auf  Stoff  und  Inhalt  der  Dichtung,  dafs 
sogenannte  Alamkäras,  d.  h.  »Schmuckmittel « ,  wie  Vergleiche, 
poetische  Figuren,  Wortspiele  usw.  in  grofsem  Mafse,  ja  im 
Übermafse  verwendet  werden.  Da  werden  Vergleiche  über 
Vergleiche    gehäuft;    und    Schilderungen,    insbesondere    Natur- 

*)  Die  Probleme  des  Rämäyana  hat  zuerst  eingehend  behandelt 
Albrecht  Weber,  >'Über  das  Rämäyana«  (Abhandlungen  der  BerUner 
Akademie  aus  dem  Jahre  1870,  S.  1—88).  Grundlegend  und  zum 
Teil  auch  den  folgenden  Kapiteln  zugrunde  liegend  ist  Hermann 
Jacobi,  Das  Rämä3'^aaa.  Geschichte  und  Inhalt.  Bonn  1893.  Einen 
guten  Überblick  über  die  ganze  Rämalitteratur  gibt  AI.  Baum- 
gariner  S.  J.,  Das  Rämäyana  und  die  Rämalitteratur  der  Inder. 
Freiburg  i.  B.  1894.  Manche  gute  Bemerkungen  hat  auch  C.  V. 
Vaidya,  Tbe  Riddle  of  the  Ramayana,   Bombay  und  London  19Ö6. 


—     405    — 

Schilderungen,  werden  mit  immer  neuen  Bildern  und  Gleich- 
nissen unendlich  ausgesponnen.  Von  diesen  und  anderen  Eigen- 
tümlichkeiten der  klassischen  Kunstpoesie  finden  wir  im  Rämäyana 
bereits  die  ersten  Anfänge.  Während  wir  also  im  Mahäbhärata 
eine  Mischung  von  volkstümlicher  Epik  und  theologischer  Lehr- 
dichtimg  (Puräna)  sehen  konnten,  stellt  sich  uns  das  Rämäyana 
als  ein  Mittelding  zwischen  Volksepos  und  Kunstdichtung  dar. 
Ein  wahres  Volksepos  ist  es,  ebenso  wie  das  Mahäbhärata, 
weil  es  gleich  diesem  Eigentum  des  ganzen  indischen  Volkes 
geworden  ist  und  —  wie  kaum  ein  zweites  Gedicht  der  gesamten 
Weltlitteratur  —  Jahrhunderte  hindurch  das  ganze  Denken  und 
Dichten  des  Volkes  beeinflufst  hat.  In  der  (später  hinzu- 
gedichteten) Einleitung  zu  dem  Epos  wird  erzählt,  dafs  Gott 
Brahman  selbst  den  Dichter  Välmiki  aufgefordert  habe,  die 
Taten  des  Räma  in  Versen  zu  besingen-,  und  der  Gott  habe 
ihm  das  Versprechen  gegeben: 

»So  lang'  die  Berge  stehn,  so  lang' 
Die  Flüsse  auf  der  Erde  sind: 
So  lange  wird  in  dieser  Welt 
Das  Lied  von  Räma  weiter  leben'. 

Dieses  Wort  hat  sich  bis  zum  heutigen  Tage  als  ein  wahr- 
haft prophetisches  erwiesen.  Seit  mehr  als  zweitausend  Jahren 
hat  sich  das  Gedicht  von  Räma  in  Indien  lebendig  erhalten,  und 
es  lebt  fort  in  allen  Schichten  und  Klassen  des  Volkes.  Hoch 
und  niedrig,  Fürst  und  Bauer,  der  Landedelmann  wie  der  Kauf- 
mann und  der  Handwerker,  Prinzessinnen  und  Hirtenmädchen 
sind  wohlvertraut  mit  den  Gestalten  und  Geschichten  des  grofsen 
Epos.  Die  Männer  erheben  sich  an  den  ruhmreichen  Taten  und 
erbauen  sich  an  den  weisen  Reden  des  Räma ;  die  Frauen  lieben 
und  preisen  Sita  als  das  Ideal .  der  Gattentreue,  der  höchsten 
Frauentugend.  Jung  und  alt  aber  ergötzt  sich  an  den  Wunder- 
taten des  treuherzigen  Affen  Hanumat  und  nicht  minder  an  den/ 
schaurigen  Märchen  von  menschenfressenden  Riesen  und  zauber- 
kräftigen Dämonen.  Volkstümliche  Redensarten  und  Sprich- 
wörter geben  Zeugnis  von  der  Vertrautheit  des  Volkes  mit 
den  Geschichten  des  Rämäyana.  Aber  auch  die  Lehrer  und 
Meister  der  verschiedenen  religiösen  Sekten  berufen  sich  auf 
das  Rämäyana  und  schöpfen  aus  ihm,  wenn  sie  religiöse  und 
moralische  Lehren  im  Volke  verbreiten  wollen.    Und  die  Dichter 

27* 


—     406    — 

aller  späteren  Zeit,  von  Kälidäsa  bis  auf  Bhavabhuti,  haben  immer 
wieder  aus  dem  Rämäyana  ihre  Stoffe  geschöpft  und  sie  neu 
bearbeitet.  Wenn  wir  zur  neuindischen  Litteratur  der  Volks- 
sprachen kommen,  so  finden  wir  schon  im  Anfang  des  12.  Jahr- 
hunderts eine  Tamilübersetzung  des  Sanskritepos,  und  bald  folgen 
Nachdichtungen  und  Übersetzungen  in  den  Volkssprachen  vom 
Norden  bis  zum  Süden  Indiens.  Das  auf  dem  alten  Epos  be- 
ruhende religiös-philosophische  Hindigedicht  Räm-carit-manäs, 
um  1631  von  dem  berühmten  Tulsl  Das  verfafst,  ist  für 
Millionen  von  Indern  geradezu  ein  Evangelium  geworden. 
Generationen  von  Hindus  in  allen  Teilen  Indiens  haben  die  alte 
Sage  von  Räma  in  solchen  modernen  Übersetzungen  kennen 
gelernt.  In  den  Häusern  der  Reichen  werden  noch  in  unseren 
Tagen  Rezitationen  des  Gedichtes  veranstaltet.  Auch  dramatische 
Bearbeitungen  der  Geschichte  von  Räma,  wie  solche  schon  im 
Harivamsa  erwähnt  werden  (oben  S.  386  A.),  kann  man  in  Dörfern 
und  Städten  Indiens  bei  religiösen  Festen  noch  heute  aufgeführt 
sehen.  So  wird  im  nördlichen  Indien,  z.  B.  in  Labore,  all- 
jährlich das  Dasahrafest  durch  das  »Rämaspiel«  (Räm  Lila)  ge- 
feiert, bei  welchem  die  beliebtesten  Szenen  aus  dem  Rämäyana 
vor  einer  ungeheuren  Zuschauermenge  zur  Aufführung  gelangen  ^). 
Ob  die  weit  über  Indien  verbreitete  Verehrung  des  Affenkönigs 
Hanumat  als  einer  Lokalgottheit  und  die  Affenverehrung  über- 
haupt auf  die  Volkstümlichkeit  des  Rämäyana  zurückzuführen 
ist,  oder  ob  umgekehrt  die  hervorragende  Rolle,  welche  die 
Affen  in  der  Rämasage  spielen,  aus  einem  älteren  Affenkult 
erklärt  werden  mufs,  mag  dahingestellt  bleiben.  Sicher  ist,  dafs 
ein  Bild  des  Affenkönigs  Hanumat  in  keinem  gröfseren  Dorfe 
Indiens  fehlt,  und  dafs  es  in  vielen  Tempeln  von  Affen  wimmelt, 
die  mit  grofser  Schonung  und  Liebe  behandelt  werden.  Dies 
ist  namentlich  in  Oude,  der  alten  Residenzstadt  des  Räma,  der 
Fall  2). 


^)  Eine  lebendige  Schilderung  dieses  Festes  nach  eigener  An- 
schauung gibt  J.  C.  Oman,  The  Great  Indian  Epics,  the  Stories  of 
the  Ramayana  and  the  Mahabharata.  London  1899,  S-  75  ff.  Ziemlich 
verworren  ist  die  Schilderung  von  F.  Reuleaux,  Eine  Reise  quer 
durch  Indien  im  Jahre  1881.    Berlin  1884,  S.  68  f.,  231. 

2)  Vgl.  W.  Crooke,  Popukr  Religion  and  Folklore  of  Northern 
India,  Allahabad,  1894,  S.  51  ff.   W.  J.  Wilkins,  Hindu  Mythology 


—    407     — 

Räma  selbst,  der  Held  des  Rämäyana,  wurde  gewifs  erst 
nachträglich  zu  einer  Inkarnation  des  Gottes  Visnu  gemacht  und 
dann  als  Halbgott  verehrt.  Dafs  dann  auch  das  von  diesem, 
halbgöttlichen  Räma  handelnde  Epos  den  Charakter  eines  heiligen 
Buches  annahm,  kann  uns  nicht  überraschen.  So, heilst  es  denn 
gleich  in  dem  (natürlich  nicht  von  VälmTki  herrührenden)  ersten 
Gesang : 

»Wer  diese  reine,  Sünden  vernichtende ,  heilige,  mit  den  Vedas 
vergleichbare  Geschichte  von  Räma  liest,  wird  von  allen  Sünden 
befreit. 

Der  Mann,  der  dieses  lebenspendende  Erzählungswerk  (äkhyäna), 
das  Rämäyana,  liest,  wird  nach  seinem  Hinscheiden  samt  Kindern  und 
Kindeskindern  und  seinem  ganzen  Anhang  im  Himmel  selig  werden. 

Ein  Brahmane,  der  es  liest,  wird  redegewaltig,  ein  König  erlangt 
Herrschaft  über  die  Erde,  ein  Kaufmann  macht  mit  seinen  Waren 
gute  Geschäfte  und  ein  Südra  selbst  gelangt  zu  Gröfse.« 

Bezeichnend  ist  auch  die  Sage  von  Dämodara  IL,  einem 
König  von  Kaschmir,  der  durch  einen  Fluch  in  eine  Schlange 
verwandelt  wurde  und  nicht  früher  von  dem  Fluche  befreit 
werden  kann,  bis  er  das  ganze  Rämäyana  an  einem  einzigen 
Tage  sich  hat  vorlesen  lassen^). 

Aber  gerade  die  Volkstümlichkeit  des  Rämäyana  ist,  wie 
beim  Mahäbhärata,  wieder  nur  ein  Grund  dafür,  dafs  uns  das 
Gedicht  nicht  in  seiner  ursprünglichen  Gestalt,  sondern  durch 
Zusätze  imd  Änderungen  vermehrt  und  vielfach  entstellt  über- 
liefert ist.  Das  Werk,  so  wie  es  uns  vorliegt,  besteht  aus 
7  Büchern  und  enthält  ungefähr  24000  Doppelverse  (§lokas): 
was  aber  von  diesen  alt  oder  jung  bezw.  echt  oder  imecht  ist, 
werden  wir  erst  entscheiden  können,  wenn  wir  einen  kurzen 
Überblick  über  den  Inhalt  des  Gedichtes  gegeben  haben. 

Inhalt  des  Rämäyana^). 

Das  erste  Buch,  Bälakän4a  (»Abschnitt  von  der 
Kindheit e)    genannt,     beginnt    mit    einer   Einleitung    über    die 

2nd.  ed.  Calcutta  1882,  S.  405.  Paul  Deussen,  Erinnerungen  an 
Indien,  Kiel  1904,  S.  128. 

')  Kalha^ias  Räjatarangi^i  I,  166. 

•)  Eine  vollständige  deutsche  Übersetzung  gibt  es  nicht.  Es  gibt 
eine  italienische  Übersetzung  von  Gaspare  Gorresio,  Parigi 
1847—1858  (5  Bände),  eine  französische  von  H.  Fauche,  Paris 


—     408    — 

Entstehung  des  Gedichtes  und  erzählt  die  Jugendgescbichte 
des  Räma*).  Aber  genau  so  wie  im  Mahäbhärata  wird  auch 
in  diesem  Buche  der  Gang  der  Erzählung  durch  die  Ein- 
fügung zahlreicher  brahmanischer  Mythen  und  Legenden  unter- 
brochen; und  manche  von  diesen  sind  dieselben,  die  in  ver- 
schiedenen Versionen  auch  im  Mahäbhärata  vorkommen.  So 
genügt  eine  Erwähnung  des  Rsyasrnga,  um  die  uns  schon 
bekannte  Legende  zu  erzählen 2).  Das  Auftreten  von  V^asistha 
und  Vi§vämitra  gibt  Anlafs  zur  Erzählung  von  zahlreichen 
auf  diese  altberühmten  Rsis  bezüglichen  Sagen.  So  wird  nament- 
lich die  Geschichte  von  Visvämitras  Bufsübungen,  die  er  volkog, 
um  Brahmane  zu  werden,  sowie  von  den  Versuchungen  dieses 
Rsi  durch  die  Apsaras  Menakä  und  Rambhä  ausführlich  erzählt^). 
Zum  Visvämitra -Sagenkreis  gehört  auch  die  alte  Säge  von 
^unahsepa^).  Von  anderen  Mythen  und  Sagen  seien  noch 
erwähnt  die  von  der  Zwerginkarnation  des  Gottes 
Visnu  (I,  29),  von  der  Geburt  des  Kriegsgottes  Kumära  oder 
Kärttikeya   (I,  35—37),   von   den  60000  Söhnen   des  Sagara 


1854—1858  (9  Bände),  eine  englische  in  Versen  von  Ralph  T.  H. 
Griffith,  Benares  und  London  1870—1874  (5  Bände),  neu  gedruckt 
in  1  Bd.  Benares  1895,  und  eine  englische  Prosaübersetzung  von  Man- 
mathaNathDutt,  Calcutta  1892—94  (7  Bände).  Eine  abgekürzte 
Widergabe  des  ganzen  Gedichtes  in  schönen  englischen  Versen  ist 
Romesh  Dutts  prächtiges  Buch  Ramayana,  The  Epic  of  Rama, 
Prince  of  India,  Condensed  into  English  Verse',  London  1900.  Inhalts- 
angaben in  den  (oben  S.  404  A.)  genannten  Werken  von  Jacobi  und 
Baumgartner.  In  gedrängtester  Kürze  hat  F.  Rückert  in  dem 
Gedicht  »Ramas  Ruhm  und  Sitas  Liebesleid«  (Ges.  poetische  Werke 
in  12  Bänden,  Frankfurt  a.  M.  1868,  III,  268  ff.)  den  Inhalt  wieder- 
gegeben. 

^)  Nur  dieses  erste  Buch  ist  vollständig  in  deutsche  Prosa  über- 
tragen von  J.  Menrad,  »Rämäyana,  das  Lied  vom  König  Räma,  ein 
altindisches  Heldengedicht  des  Välmiki«  usw.,  München  1897. 

2)  I,  9— 11.  Übersetzt  von  Otto  Wilmans  in  »Polyglotte  der 
Orientalischen  Poesie«  von  H.  Jolowicz,  2.  Ausg.  Leipzig  1856, 
S.  83 ff.  Vgl.  H.  Lüders  in  den  Nachrichten  der  K.  Ges.  der  Wiss. 
zu  Göttingen,  phil.-hist.  Kl.  1897,  Heft  1,  S.  18  ff.  und  oben  S.  342  ff. 

^)  I,  51—65.  Übersetzt  von  Franz  Bopp,  über  das  Conjugations- 
system  der  Sanskritsprache  usw.  Frankfurt  a.  M.  1816,  S.  159  ff. 
Aus  dieser  Übersetzung  lernte  Heine  die  Sage  kennen,  oben  S.  346. 

*)  1,  62,  vgl.  oben  S.  183  ff. 


—     409     — 

(des  Ozeans)  und  der  Herabkunft  der  Gahgä  vom  Himmel ^) 
und  von  der  Quirlung  des  Ozeans  durch  die  Götter  und 
Dämonen  *). 

Aus  der  Einleitung  sei  nur  die  hübsche  Geschichte  von .  der 
Erfindung  des  Sloka^)  hervorgehoben: 

Välmiki  wandelt  am  Ufer  eines  Flusses  durch  den  Wald.  Da 
bemerkt  er  ein  Brachvogelpärchen,  welches  lieblich  singend  im  Grase 
umherhüpft.  Plötzlich  kommt  ein  böser  Jäger  daher  und  tötet  das 
Männchen  mit  seinem  Pfeile.  Wie  nun  der  Vogel  sich  in  seinem 
Blute  wälzt  und  das  Weibchen  in  kläglichen  Tönen  um  ihn  jammert, 
wird  Välmiki  von  tiefstem  Mitleid  ergriffen,  und  seiner  Brust  entringt 
sich  ein  Fluch  gegen  den  Jäger.  Die  Worte  des  Fluches  aber  nehmen 
von  selbst  die  Form  eines  t^loka  an,  und  Gott  Brahman  beauftragt 
den  Dichter,  die  Taten  des  Räma  eben  in  diesem  Versmafse  zu  besingen. 

Über  die  Jugendgeschichte  des  Räma  wird  im  ersten  Buch 
folgendes  erzählt: 

Im  Lande  der  Kosala  (nördlich  vom  Ganges)  in  der  Stadt  Ayodhyä 
(dem  heutigen  Oude)  herrschte  ein  mächtiger  und  weiser  König, 
namens  Dasaratha.  Dieser  war  lange  Zeit  kinderlos.  Da  entschlofs 
er  sich,  ein  Pferdeopfer  darzubringen.  Der  Seher  Rsyasrnga  ward 
als  Opferleiter  für  dieses  grofse  Opfer  gewonnen,  und  er  bringt  eine 
besonders  zauberkräftige,  die  Erzeugung  von  Söhnen  bewirkende  Opfer- 
spende dar.  Gerade  zu  der  Zeit  hatten  die  Götter  im  Himmel  von 
dem  Dämon  Rävana  viel  zu  leiden.  Sie  wenden  sich  daher  an  Visnu 
mit  der  Bitte,  er  möge  Mensch  werden,  um  als  solcher  den  Rävana 
zu  töten.  Vis];;iu  willigt  ein  und  entschliefst  sich,  als  Sohn  des 
Dasaratha  auf  der  Erde  geboren  zu  werden.  Nachdem  also  das  Pferde- 
opfer vollendet  war,  gebaren  dem  König  Dasaratha  seine  drei  Frauen 
vier  Söhne:  Kausalyä  gebar  den  Räma  (in  welchem  Visnu  sich 
verkörpert  hatte),  Kaikeyi  den  Bharata,  Sumiträ  den  Laks- 
ma^a  und  den  Öatrughna.  Von  diesen  vier  Prinzen  war  Räma, 
der  Älteste,  der  erklärte  Liebling  des  Vaters.  Von  Jugend  auf  aber 
war  Laksma^  dem  älteren  Bruder  aufs  innigste  zugetan.  Er  war 
wie  sein  zweites  Leben  und  tat  alles,  was  er  ihm  nur  an  den  Augen 
absehen  konnte. 


')  I,  38—44.  Dieses  Stück  hat  schon  A.  W.  von  Schlegel  in 
seiner  indischen  Bibliothek«  I  (Bonn  1823),  S.  50  ff .  übersetzt 
Auch  A.  Hoefer,  Indische  Gedichte  II,  33  ff. 

«)  I,  45.    Vgl.  oben  S.  332. 

^)  I,  2.  Übersetzt  von  F.  von  Schlegel,  Über  die  Sprache  und 
Weisheit  der  Indier,  S.  266.  H.  Jacobi  (Das  Rämäyaija,  S.  80  f.) 
vermutet,  dafs  dieser  Sage  das  Tatsächliche  zugrunde  liege,  dafs  der 
epische  Sloka  in  seiner  endgültigen  Form  auf  Välmiki  zurückgehe. 


—    410    — 

Als  die  Söhne  herangewachsen  waren,  kam  der  grofse  Rsi 
Visvämitra  an  den  Hof  des  Dasaratha.  Mit  ihm  zogen  Räma  und 
Laksma^ia  aus,  um  Dämonen  zu  töten,  wofür  sie  von  dem  Rsi  mit 
Zauberwaffen  belohnt  wurden.  Visvämitra  geleitet  die  Prinzen  auch 
an  den  Hof  des  Königs  Janaka  von  Videha.  Dieser  hatte  eine 
Tochter,  namens  Sita.  Sie  war  kein  gewöhnliches  Menschenkind, 
sondern  als  der  König  einst  den  Acker  pflügte,  war  sie  aus  der  Erde 
hervorgekommen  —  daher  ihr  Name  Sita,  «die  Ackerfurche«  —  und 
Janaka  hatte  sie  als  Tochter  aufgezogen.  Der  König  besafs  aber  einen 
wunderbaren  Bogen  und  hatte  verkünden  lassen,  dafs  er  seine  Tochter 
Sita  nur  demjenigen  zur  Frau  geben  werde,  der  diesen  Bogen  zu 
spannen  vermöchte.  Viele  Fürsten  hatten  es  bereits  vergebens  ver- 
sucht. Da  kam  Räma  und  spannte  den  Bogen,  so  dafs  er  mit  Donner- 
getöse entzweibrach.  Hocherfreut  gibt  ihm  der  König  seine  Tochter 
zur  Frau.  Dasaratha  wird  benachrichtigt  und  herbeigeholt,  worauf 
unter  grofsem  Jubel  die  Hochzeit  von  Räma  und  Sita  gefeiert  wird. 
Und  viele  Jahre  lebten  die  beiden  in  Glück  und  Wonne. 

Die  eigentliche  Verwicklung  beginnt  mit  dem  zweiten 
Buch,  welches  die  Ereignisse  am  Königshofe  von  Ayodhyä 
schildert  und  daher  Ayodhyä-Kän(ia  betitelt  ist^): 

Als  Dasaratha  sein  Alter  herannahen  fühlte,  beschlofs  er,  seinen 
Lieblingssphn  Räma  zum  Thronnachfolger  einzusetzen  und  liefs  durch 
seinen  Hauspriester  Vasistha  alle  zur  Weihe  nötigen  Vorbereitungen 
treffen.  Das  bemerkt  die  bucklige  Zofe  der  Königin  Kaikeyl,  und 
diese  stiftet  ihre  Herrin  an,  dafs  sie  beim  König  die  Einsetzung  ihres 
eigenen  Sohnes  Bharata  zum  Thronnachfolger  durchsetze.  Der  König 
hatte  ihr  einmal  zwei  Wünsche  freigestellt,  die  sie  sich  bisher  noch 
vorbehalten  hat.  Nun  verlangt  sie  von  dem  König,  dafs  er  den  Räma 
auf  vierzehn  Jahre  verbanne  und  ihren  Sohn  Bharata  zum  Thron- 
folger bestimme.  Der  König  ist  niedergeschmettert,  aber  Räma  selbst, 
sobald  er  von  der  Sache  erfährt,  zögert  keinen  Augenblick,  in  die 
Verbannung  zu  gehen,  damit  nur  sein  Vater  keinen  Wortbruch  be- 
gehe. Vergebens  suchen  seine  Mutter  Kausalyä  und  sein  Bruder 
Laksmana  ihn  zurückzuhalten.  Er  besteht  darauf,  dafs  es  seine 
höciiste  JPflicht  sei,  dem  Vater  zur  Erfüllung  seines  Versprechens  be- 
hilflich zu  sein.  Alsbald  teilt  er  auch  seiner  Gemahlin  Sita  mit,  dafs 
er  entschlossen  sei,  als  Verbannter  in  den  Wald  zu  gehen.  Sie  aber 
fordert  er  auf,  dem  Bharata  gegenüber  freundlich  zu  sein,  am  Hofe 
des  Dasaratha  fromm  und  enthaltsam  zu  leben  und  dem  Vater  und 
den  Müttern")  gehorsam  zu  dienen.    Sita  aber  antwortet  ihm  in  einer 


')  Eine  freie  und  gekürzte  poetische  Bearbeitung  dieses  Buches 
ist  »Rama,  ein  indisches  Gedicht  nach  Walmiki«,  deutsch  von  Adolf 
Holtzmann.    2.  Aufl.,  Karlsruhe  1843. 

')  Es  ist  interessant,  dafs  Räma  stets  von  allen  Frauen  seines 
Vaters  als  seinen  »Müttern«  spricht. 


—    411     — 

herrlichen  Rede  über  die  Pflichten  der  Ehefrau,  dafs  nichts  sie  ab- 
halten werde,  ihm  in  den  Wald  zu  folgen: 

»Denn  nicht  dem  Vater,  nicht  dem  Sohn,  der  Mutter  nicht  und 

nicht  sich  selbst, 
Nur  dem  Gemahle  soll  das  Weib  im  Leben  folgen  und  im  Tod. 
Wenn  heute  du,  o  Raghaver  '),  zum  wilden  Walde  wandern  willst. 
So  brech'  ich  vor  dir  her  ^as  Gras,  dafs  nicht  sein  scharfer  Halm 

dich  sticht  .  .  . 
Jahrhunderte  verschwinden  mir,  wenn  ich  bei  dir  bin,  wie  ein  Tag. 
Im   Himmel  selbst-  vermocht'   ich  nicht  zu   leben,    Rama,  fern 

von  dir; 
Und  ohne  dich  kenn'  ich  kein  Glück,  und  keinen  Himmel  ohne 

dich.«^) 

Räma  schildert  ihr  alle  Schrecken  und  Gefahren  des  Waldes, 
um  sie  von  ihrem  Entschlüsse  abzubringen.  Sie  aber  bleibt  fest  und 
will  von  einer  Trennung  nichts  wissen  •,  wie  Sävitri  einst  dem  Satyavat 
folgte,  so  wolle  sie  von  ihm  nicht  weichen. 

Da  willigt  Räma  endlich  ein,  dafs  Sita  mit  ihm  in  den  Wald 
ziehe.  Der  treue  Laksmaaa  lälst  sich  selbstverständlich  auch  nicht 
davon  abbringen,  dem  Btuder  in  die  Verbannung  zu  folgen.  Nur  in 
Bastgewänder  gehüllt,  ziehen  die  Verbannten  unter  der  Teilnahme 
der  ganzen  Bevölkerung  in  den  Wald> 

König  Dasaratha  aber  kann  den  Schmerz  um  den  Verlust  des 
Sohnes  nicht  verwinden.  Wenige  Tage,  nachdem  Räma  in  die  Ver- 
bannung gezogen  war,  erwacht  um  Mitternacht  der  König  aus  un- 
ruhigem Schlafe.  Da  erinnert  er  sich  eines  in  seiner  Jugend  be- 
gangenen Frevels;  er  erzählt  der  Kausalyä,  wie  er  einst  auf  der  Jagd 
aus  Versehen  einen  jungen  Einsiedler  getötet,  und  wie  dessen  blinder 
Vater  ihm  geflucht  habe,  er  solle  aus  Kummer  über  den  Verlust 
seines  Sohnes  sterben.    Nun  geht  dieser  Fluch  in  Erfüllung: 

»,Mein  Gedächtnis  schwindet  und  ich  sehe 

Schon  des  Todesgottes  Boten,  wie  sie 

An  mein  Lager  treten:  o  wenn  Räma 

Mich  nur  einmal  noch  mit  seiner  lieben 

Hand  berührte,  wenn  ich  nur  noch  einmal 

Des  Zurückgekehrten  Stimme  hörte. 

Neues  Leben  würde  das  mir  schenken, 

Wie  wenn  halb  Verschmachteten  nun  auf  einmal 

Himmelsfrucht  gereicht  wird:  aber  sage. 

Gibt  es  einen  herbern  Schmerz  als  diesen, 

Dafs  ich  in  den  letzten  Augenblicken 

Rämas  teures  Angesicht  nicht  sehe?  .  .  .' 


')  Räghava,  »Nachkomme  des  Raghu',  d.  i.  Räma. 
2)  11,  27.    Nach  Holtzmann,  -Rama«,  815ft. 


—     412     — 

Also,  des  verbannten  Sohns  gedenkend. 

Nach  dem  Fernen  schmachtend,  lag  der  König 

Im  Verscheiden,  gleich  den  Nachtgestirnen, 

Wenn  sie  in  dem  Morgenstrahl  erblassen. 

Auf  dem  Lager  da.    '0  Räma!  Räma!'  — 

Seufzt'  er  nochmals  —  'o  mein  Sohn!'    Stets  matter 

Werdend,  haucht'  er  den  geliebten  Namen, 

Und  Kausalyä,  seine  Gattin,  lauschte 

Angstvoll  seinen  letzten  Atemzügen  .  .  . 

Nach  dem  Fluche  jenes  frommen  Büfsers, 

Dem  er  einst  den  Sohn  getötet  hatte. 

War  der  König  Dasaratha  also 

Selbst  im  Kummer  um  den  Sohn  verschieden.«') 

Nach  dem  Tode  des  Königs  wird  Bharata,  der  in  Räjagrha 
weilt,  herbeigeholt  und  von  seiner  Mutter  Kaikeyi  sowie  von  den 
Räten  aufgefordert,  den  Thron  zu  besteigen.  Bharata  aber  will  davon 
nichts  wissen,  sondern  erklärt  ganz  entschieden,  dafs  die  Herrschaft 
dem  Räma  zukomme  und  er  ihn  zurückbringen  wolle.  Mit  grofsem 
Gefolge  macht  er  sich  auf,  den  Bruder  abzuholen.  Währenddessen 
weilt  Räma  im  Citrakütagebirge  und  schildert  eben  der  Sita  die 
Schönheiten  der  Landschaft ^K  ^Is  man  Staubwolken  aufwirbeln  sieht 
und  den  Lärm  eines  nahenden  Heeres  vernimmt.  Laksma^a  steigt 
auf  einen  Baum  und  sieht  das  Heer  des  Bharata  herankommen.  Er 
glaubt,  es  handle  sich  um  einen  feindlichen  Angriff  und  gerät  in 
mächtigen  Zorn.  Aber  bald  bemerkt  er,  dafs  Bharata  sein  Heer 
zurücklälst  und  allein  herankommt.  Er  nähert  sich  dem  Räma,  wirft 
sich  ihm  zu  Füfsen,  und  die  Brüder  umarmen  einander.  Nun  be- 
richtet Bharata  mit  vielen  Tränen  und  Anklagen  gegen  sich  selbst 
und  seine  Mutter  Kaikeyi  dem  Räma  den  Tod  des  Vaters  und  fordert 
ihn  auf,  zurückzukehren  und  die  Herrschaft  anzutreten.  Räma  sagt, 
er  könne  weder  ihm  noch  seiner  Mutter  einen  Vorwurf  machen;  was 
aber  der  Vater  angeordnet,  das  müsse  ihm  auch  jetzt  noch  teuer  sein, 
und  von  seinem  Entschlüsse,  vierzehn  Jahre  im  Walde  zu  verbringen, 
werde  er  nie  und  nimmer  abgehen.  Vergebens  sind  alle  Bitten  des 
Bharata,  der  ihn  an  den  Hingang  des  Vaters  erinnert.  Räma  bringt 
unter  vielen  Wehklagen  die  Totenspenden  für  den  Dahingeschiedenen 
dar,  bleibt  aber  in  seinem  Entschlüsse  fest  Den  wehklagenden  Btuder 
tröstet  Räma  mit  einer  herrlichen  Rede  über  die  naturnotwendige 
Vergänglichkeit  des  Daseins  und  die  Unvermeidlichkeit  des  Todes, 
die  jede  Klage  als  unvernünftig  erscheinen  lasse. 


-  V)  Übersetzt  von  Ad.  Friedr.  Grafen  von  Schack,  Stimmen  vom 
Ganges  (Stuttgart  1877)  S.  106—119:  »Der  Tod  des  Dasaraüia«. 

*)  II,  94.   Eine  prächtige  Naturschilderung,  wie  sie  im  Ramäya^a 
nicht  selten  sind. 


—     413    — 

»Zerrinnen  raufs,  was  aufgehäuft,  und  sinken,  was  erhaben  ist; 
Sich  trennen,  was  verbunden  ist,  und  sterben,  was  da  Leben  hat. 
Wie  jede  Frucht,  indem  sie  reift,  dem  sichern  Fall  entgegengeht. 
So  kommt  der  Mensch  von  der  Geburt  dem  Tode  näher  jeden  Tag ; 
Und  wie  ein  festgestütztes  Haus  doch  endlich  morsch  zusammenstürzt, 
So  schwindet  auch  der  Mensch  dahin,  dem  Tod  und  Alter  Untertan. 
...  Im  weiten  Meere  treffen  sich  zwei  Splitter  Holz  •,  für  kurze  Zfeit 
Sind  sie  beisammen,  bis  die  Flut  sie  wieder  auseinandertreibt. 
So  Gattinnen  und  Kinder  auch.  Verwandte,  Freunde,  Hab  .und  Gut; 
Sie  kommen  und  sind  wieder  fern,  urplötzlich  trifft  uns  ihr  Verlust .  .  . 
Da  unsre  Lebenszeit  vers<^reicht,  wie  Wasser,  das  zurück  nicht  fliefst, 
So  suche  man  das  eig'ne  Heil  und  seiner  Untergeb'nen  Glück."  ^ 

/  Auch  die  Räte  kommen  herbei,  um  den  Räma  aufzufordern,  dafs 
er  die  Herrschaft  antrete.  Einer  von  diesen,  Jäbäli,  ein  arger  Ketzer 
und  Vertreter  nihilistischer  Ansichten ,  sucht  ihm  seine  moralischen 
Bedenken  auszureden.  Jeder  lebe  nur  für  sich,  um  Vater  und  Mutter 
brauche  man  sich  nicht  zu  kümmern,  mit  dem  Tode  sei  alles  aus,  das 
Gerede  von  einem  Jenseits  werde  nur  von  schlauen  Priestern  ver- 
breitet, um  Geschenke  zu  erhalten,  —  darum  möge  er  nur  seinen 
Verstand  zu  Rate  ziehen  und  den  Thron  besteigen.  Entschieden 
weist  Räma  diese  Lehren  des  Nihilisten'^)  zurück.  Aber  auch  die 
Vorstellungen  des  fromtnen  Priesters  Vasistha  vermögen  ihn  nicht 
umzustimmen.  Und  schliefslich  mufs  sich  Bharata  dazu  bequemen, 
die  Herrschaft  für  Räma  zu  führen.  Räma  übergibt  ihm  seine  Sandalen 
als  Symbol  der  Herrschaft^),  und  Bharata  kehrt  nach  Ayodhyä  zurück, 
wo  Rämas  Sandalen  als  Vertreter  des  Königs  feierlich  auf  den  Thron 
gesetzt  werden,  während  er  selbst  nach  Nandigräma  übersiedelt,  um 


^)  II,  105,  16fi.  nach  Holtzmann,  -Raraa«,  1930ff.  Sprüche 
dieser  Art  gehören  zu  dem  schon  öfter  erwähnten  Gemeinbesitz 
indischer  Dichter.  Sie  begegnen  uns  fast  wörtlich  wieder  im  Mahä- 
bhärata,  in  Puräijas,  in  der  Rechtslitteratur  (z.  B.  Visnusmrti  XX,  32), 
in  der  buddhistischen  Spruchweisheit,  in  den  Sprüchen  des.Bhartrhari 
usw.  Die  Trostrede  des  Räma  bildet  auch  den  Kern  des  Dasaratha- 
Jätaka-,  vgl.  unten  S.  433. 

-)  Der  Ausdruck  entspricht  genau  dem  Sanskrit  nästika  »einer 
der  lehrt,  dafs  es  nichts  gibt  (nästi)«.  Hier  werden  dem  Räma  die 
Worte  in  den  Mund  gelegt:  »Wie  ein  Dieb  ist  der  Buddha,  und 
der  Tathägata,  wisse,  ist  ein  Nästika.«  Dieser  nicht  einmal  in  allen 
Rezensionen  vorkommende  Vers  ist  längst  als  entschieden  unecht  er- 
wiesen (Jacobi  a.  a.  O.  S.  88 f.). 

')  Über  den  Schuh  als  Rechtssymbol  im  altnordischen  und  alt- 
deutschen Recht  vgl.  Jacob  Grimm,  Deutsche  Rechtsaltertümer, 
4.  Aufl.,  1899,  I,  213 ff.  Schon  A.  Holtzmann  vergleicht  die  auf- 
fallend ähnliche  hebräische  Sitte,  Ruth  4.  7. 


—    414    - 

von  dort   aus   für   Räma    als  dessen  Stellvertreter  die   Regierangs - 
geschäfte  zu  besorgen. 

Mit  dem  dritten  Buche,  welches  das  Waldleben  der 
Verbannten  schildert  und  daher  Aranya-Kända,  »Wald- 
abschnitt«, heilst,  treten  wir  gewissermalsen  aus  der  Welt  der 
Wirklichkeit  in  eine  bunte  Märchenwelt,  die  wir  bis  zum  Ende 
des  Gedichtes  nicht  mehr  verlassen.  Während  uns  das  zweite 
Buch  das  Leben  und  Treiben  an  einem  indischen  Fürstenhof 
vorführt  und  von  einer  Hofintrige  ausgeht,  wie  solche  mehr 
als  einmal  in  Indien  wirklich  vorgekommen  sind  —  märchenhaft 
ist  dabei  höchstens  der  übertriebene  Edelmut  der  beiden  Brüder 
Räraa  und  Bharata  — ,  beginnen  mit  dem  dritten  Buche  die 
Kämpfe  und  Abenteuer  des  Räma,  welche  dieser  mit  märchen- 
haften Gestalten  und  dämonischen  Wesen  zu  bestehen  hat. 

Als  die  Verbannten  längere  Zeit  in  dem  Dandakawalde  gelebt 
hatten,  baten  die  dort  lebenden  Waldeinsiedler  den  Räma  um  Schutz 
gegen  die  Räksasas.  Räma  verspricht  diesen  Schutz  und  beschäftigt 
sich  von  da  an  fortwährend  mit  Kämpfen  gegen  diese  teuflischen  Un- 
geheuer. Der  menschenfressende  Riese  Virädha  ist  der  erste,  dem 
der  Garaus  gemacht  wird').  Verhängnisvoll  für  die  Verbannten  ist 
das  Zusammentreffen  mit  Öürpanakhä  ("Krallen  so  grofs  wie  Worf- 
schaufeln habend«),  der  Schwester  des  Rävana.  Diese  Teufelin  verliebt 
sich  in  Räma  und  macht  ihm  Liebesanträge.  Er  aber  verweist  sie 
auf  seinen  Bruder  Laksma^a,  der  noch  nicht  verheiratet  sei  -).  Laksmana 
verbittet  sich  höhnisch  ihre  Annäherungen.  Zornentbrannt  will  sie 
die  Sita  verschlingen.  Da  schneidet  ihr  Laksmana  Ohren  und  Nase 
ab.  Heulend  flieht  sie  zu  ihrem  Bruder  Khara.  Dieser  zieht  zuerst 
mit  14,  dann  mit  14  000  Räksasas  gegen  Räma  zu  Felde,  aber  dieser 
macht  sie  alle  nieder.  Nachdem  auch  Khara  gefallen  ist,  eilt  Öürpanakhä 
nach  Lanka,  einem  fabelhaften  Lande  jenseits  des  Ozeans"),  und 
stachelt  ihten  Bruder  Rävana,  ein  zehnköpfiges  Ungeheuer  und  Be- 
herrscher von  Lanka,  zur  Rache  gegen  Räma  auf.  Zugleich  schildert 
sie  ihm   die  wunderbare  Schönheit  der   Sita   in   den   verlockendsten 


^)  Hier  folgen  {in  den  Gesängen  8-14)  wieder  allerlei  Legenden, 
z.  B.  von  dem  Rsi  Agastya  u.  a.  ganz  wie  in  Buch  I  und  im  Mahä- 
bhärata. 

'^)  Diese  Stelle  ist  einer  der  vielen  Beweise  für  die  Unechtheit 
des  ersten  Buches,  in  welchem  erzählt  wird,  dafs  die  Brüder  des  Räma 
sich  zugleich  mit  diesem  verehelichten.., 

^)  Nicht,  wie  man  gewöhnlich  anzunehmen  pflegt,  Ceylon.  Erst 
eine  viel  spätere  Zeit  hat  Lanka  mit  Ceylon  gleichgesetzt.  Siehe 
Jacobi,  Rämäya^a,  S   90  ff. 


—     415    — 

Farben  und  reizt  ihn,  ^ich  ihrer  zu  bemächtigen  und  sie  zu  seiner 
Gattin  zu  machen  Da  macht  sich  Rävaqia  auf,  fährt  mit  seinem 
goldenen  Wagen  durch  die  Lüfte  über  den  Ozean  hinüber  und  trifft 
dort  den  als  Büfscr  lebenden  Märfca,  einen  ihm  befreundeten  Dämon, 
mit  dessen  Hilfe  es  ihm  gelingt,  Sita  von  ihren  Beschützern  zu  trennen 
und  zu  rauben.  Er  entführt  sie  auf  seinem  Wagen  durch  die  Lüfte. 
Sita  ruft  laut  um  Hilfe.  Der  Geier  Jatäyus,  ein  alter  Freund  des 
Dasaratha,  kommt  hcrbeigeflogen ,  es  gelingt  ihm,  den  Wagen  des 
Rävapa  zu  zerschmettern,  aber  schliefslich  wird  er  doch  selbst  von 
Rävana  niedergemacht.  Der  Dämon  ergreift  Sita  abermals  mit  seinen 
Krallen  und  fliegt  mit  ihr  fort.  Wie  sie  im  Fluge  durch  die  Lüfte 
getragen  wird,  fallen  die  Blumen  aus  ihrem  Haar,  und  die  edelstein- 
geschmückten Bänder  gleiten  von  ihren  Füfsen  auf  die  Erde.  Die 
Bäume,  in  deren  Zweigen  der  Wind  rauscht,  scheinen  ihr  zuzurufen: 
«Fürchte  dich  nicht!«;  die  Lotusse  lassen  ihre  Blütenköpfe  hängen, 
als  trauerten  sie  um  die  geliebte  Freundin;  Löwen,  Tiger  und  andere 
wilde  Tiere  laufen  wie  im  Zorn  hinter  dem  Schatten  der  Sita  her; 
mit  tränenüberströmten  Gesichtern  —  den  Wasserfällen  —  und  empor- 
gestreckten Händen  —  den  ragenden  Gipfeln  —  scheinen  die  Berge 
um  Sita  zu  jammern.  Die  erhabene  Sonne  selbst,  indem  beim  Anblick 
der  geraubten  Sita  ihre  Strahlen  sich  verdunkeln  und  ihre  Scheibe 
verblafst,  scheint  zu  klagen:  »Kein  Recht  gibt  es  mehr,  keine  Wahr- 
heit, keine  Rechtschaffenheit,  keine  Unschuld,  wenn  Rävana  die  Ge- 
mahlin des  Räma,  die  Sita,  raubt«  (III,  52,  34—39).  Rävaija  aber 
fliegt  mit  der  Geraubten  über  den  Ozean  hinüber  nach  Lanka,  wo  er 
sie  in  seinem  Frauenhaus  unterbringt.  Er  führt  sie  in  seinem  Palaste 
herum,  zeigt  ihr  all  seine  Herrlichkeiten  und  schildert  ihr  die  un- 
ermefslichen  Reichtümer  und  Wunderwerke,  über  die  er  gebietet. 
Mit  schmeichelnden  Worten  sucht  er  sie  zu  überreden,  seine  Gattin 
zu  werden.  Sita  aber  antwortet  ihm  voll  Zorn,  dafs  sie  dem  Räma 
nie  die  Treue  brechen  und  sich  nie  von  ihm  berühren  lassen  werde. 
Da  droht  ihr  Rävana,  er  werde  sie,  wenn  sie  ihm  nicht  binnen  zwölf 
Monaten  zu  Willen  sei,  von  den  Köchen  in  Stücke  schneiden  lassen 
und  zum  Frühstück  verzehren.  Darauf  läfst  er  sie  in  eine  Grotte 
führen  und  übergibt  sie  Räksasafrauen  zur  strengen  Bewachung. 

Mittlerweile  sind  Räma  und  Laksma^  zurückgekehrt  und  finden 
zu  ihrem  Entsetzen  die  Hütte  leer.  Vergeblich  suchen  sie  Sita  im 
Walde.  Räma  erhebt  bittere  Klage,  er  befragt  die  Bäume,  die  Flüsse» 
die  Berge  und  die  Tiere  —  aber  keines  kann  ihm  von  Sita  Kunde 
geben.  Endlich  finden  sie  die  Blumen  und  Schmucksachen,  welche 
Sita  auf  ihrem  Fluge  fallen  gelassen,  bald  auch  die  Trümmer  von 
Räva^as  Wagen,  herumliegende  Waffen  und  andere  Spuren  eines 
Kampfes.  Räma  glaubt  nicht  anders,  als  dafs  Sita  von  Räksasas  ge- 
tötet sei,  und  in  wahnsinniger  Wut  erklärt  er,  die  ganze  Welt  ver- 
nichten zu  wollen:  Er  wolle  den  Luftraum  mit  seinen  Pfeilen  füllen, 
den  Lauf  des  Windes  hemmen,  die  Strahlen  der  Sonne  vernichten  und 
die  Erde  in  Dunkel  hüllen,  die  Gipfel  der  Berge  herabschleudern,  die 


—     416     — 

Teiche  austrocknen,  den  Ozean  zertrümmern,  die  Bäume  entwurzeln-, 
ja  die  Götter  selbst,  wenn  sie  ihm  seine  Sita  nicht  zurückgeben,  werde 
er  vernichten.  Nur  mit  Mühe  gelingt  es  dem  Laksraa^a,  den  Rasenden 
zu  beruhigen  und  ihn  zu  weiterem  Suchen  zu  veranlassen.  Da  finden 
sie  den  Geier  Jatäyus,  der  sich  in  seinem  Blute  wälzt.  Sterbend  er- 
zählt er  ihnen  noch,  was  vorgefallen  ist,  stirbt  aber  mitten  in  seiner 
Erzählung.  Gen  Süden  wandernd  stolsen  die  Brüder  auf  ein  brüllendes, 
kopfloses  Ungeheuer,  den  Kabandha,  den  sie  von  einem  auf  ihm 
lastenden  Fluche  befreien.  Zum  Danke  hierfür  gibt  er  Räma  den 
Rat,  er  solle  sich  mit  dem  Affenkönig  Sugriva  verbünden,  der  ihm 
zur  Wiedergewinnung  der  Sita  behilflich  sein  werde. 

Das  vierte  Buch  —  das  Kiskindhä-Kända — erzählt 
von  dem  Bündnis,  welches  Räma  mit  den  Affen  schliefst,  um 
die  Sita  wiederzugewinnen. 

Die  Brüder  gelangen  zum  Teiche  Pampa,  dessen  Anblick  Räma 
wehmütig  stimmt.  -Denn  es  ist  Frühling,  und  der  Anblick  der  er- 
wachenden Natur  erweckt  in  ihm  die  Sehnsucht  nach  der  fernen  Ge- 
liebten *).  Hier  treffen  sie  bald  mit  dem  Affenkönig  Sugriva  zusammen. 
Er  erzählt  ihaen,  dafs  er  von  seinem  Bruder  Välin  der  Gattin  und 
der  Herrschaft  beraubt  und  aus  dem  Reiche  verjagt  worden  Siei.  Räma 
und  Sugriva  schliefsen  nun  ein  enges  Freundschaftsbündnis.  Räma 
verspricht  dem  Sugriva  Hilfe  gegen  Välin,  während  Sugriva  ver- 
spricht, dem  Räma  bei  der  Wiedergewinnung  der  Sita  beizustehen. 
Vor  Kiskindhä^),  der  Residenz  des  Välin,  kommt  es  zu  einem 
Kampfe  zwischen  den  feindlichen  Affenbrüdern,  Räma  kommt  dem 
Sugriva  zu  Hilfe  und  tötet  den  Välin.  Der  Affe  Sugriva  wird  zum 
König  und  Ahgada,  der  Sohn  des  Välin,  zum  Thronfolger  geweiht. 

Unter  den  Räten  des  Sugriva  ist  aber  Hanumat^),  der  Sohn 
des  Windgottes,  der  weiseste.  Ihm  schenkt  Sugriva  das  gröfste  Ver- 
trauen, und  er  beauftragt  ihn  mit  der  Auffindung  der  Sita.  Von 
einer  Affenschar  unter  der  Führung  des  Angada  begleitet,  macht  sich 
der  kluge  Hanumat  auf  den  Weg  nach  dem  Süden.  Nach  mannig- 
fachen Abenteuern  treffen  sie  mit  Sampäti,  einem  Bruder  des  Geiers 
Jatäyus,  zusammen.  Dieser  erzälilt  ihnen,  wie  ihm  einst,  als  er  mit 
seinem  Bruder  um  die  Wette  zur  Sonne  fliegen  wollte*),  die  Flügel 

*)  Der  ganze  erste  Gesang  ist  eine  Elegie,  die  man  i' Sehnsucht 
nach  der  Geliebten  im  Frühling«  betiteln  könnte,  ganz  im  Stile  der 
späteren  Kunstpoesie. 

")  Daher  der  Titel  des  IV.  Buches. 

^)  Auch  Hanumat.  Der  Name  .bedeutet:  »Der  mit  den  Kinn- 
backen«. Nach  IV,  66,  24  heilst  er  so,  weil  ihm  Indra  mit  dem 
Donnerkeil  die  Kinnbacken  zerschlagen  hat. 

*)  Gleich  dem  Ikarus  Dieser  Mythos  wird  erst  (IV,  58)  nur  kurz 
berührt,  dann  (IV,  59—63)  in  einer  puränaartigen  Erweiterung  erzählt. 


—    417     — 

versengt  worden  seien,  so  dafs  er  nun  hilflos  auf  dem  Vindhyagebirge 
weilen  müsse.  Er  habe  aber  gesehen,  wie  Räva^a  die  Sita  nach 
Lanka  entführt  habe  Er  beschreibt  ihnen  die  Lage  von  Lanka,  und 
die  Atfen  steigen  zum  Ozean  hinab.  Als  sie  aber  die  unermefsliche 
wogende  See  vor  sich  sahen,  da  verzweitelten  sie  schier,  wie  sie 
hinüberkomraen  könnten.  Angada  aber  heifst  sie  nicht  verzagen, 
»denn  die  Verzagtheit  tötet  den  Menschen,  wie  die  wütende  Schlange 
einen  Knaben»  (iV.  64,  9).  Da  beraten  sie,  wer  am  weitesten  springen 
könne,  und  es  zeigt  sich,  dafs  keiner  so  weit  zu  springen  vermag  als 
Hanumat.  Dieser  besteigt  also  den  Berg  Mahendra  und  schickt  sich 
an,  über  den  Ozean  zu  springen. 

Das  fünfte  Buch  schildert  die  wutiderbare  Insel  Lanka, 
die  Residenzstadt,  den  herrlichen  Palast  und  das  Frauenhaus  des 
Rävana,  und  erzählt,  wie  Hanumat  der  Sita  Nachricht  von  ihrem 
geliebten  Räma  gibt  und  dabei  die  Stärke  des  Feindes  aus- 
kundschaftet. Den  Titel  Sundara-Kända,  »der  schöne  Ab- 
schnitte, mag  das  Buch  von  den  vielen  poetischen  Beschreibungen 
haben ') ,  oder  weil  es  noch  mehr  als  alle  anderen  Bücher  des 
Märchenhaften  enthält.  Ist  schon  die  ganze  zweite  Hälfte  des 
Rämäyana  ein  »romantisches«  Epos,  so  ist  dieses  fünfte  Buch 
ganz  besonders  »romantisch«  —  und  das  Romantische  ist  für 
den  indischen  Geschmack  immer  das  Schönste. 

Mit  einem  gewaltigen  Sprunge,  der  den  Berg  Mahendra  in  seine 
Tiefen  erzittern  macht  und  alle  auf  dem  Berg  lebenden  Wesen  in 
Angst  und  Schrecken  versetzt,  erhebt  sich  der  Affe  Hanumat  in  die 
Lüfte  und  fliegt  über  den  Ozean  dahin.  Nach  einem  viertägigen 
Fluge,  auf  dem  er  verschiedene  Abenteuer  erlebt  und  Wundertaten 
verrichtet,  erreicht  er  endlich  Lanka.  Von  einem  Berge  aus  be- 
trachtet er  die  Stadt,  die  ihm  fast  uneinnehmbar  erscheint.  Er  macht 
sich  so  klein  wie  eine  Katze  ^)  und  dringt  nach  Sonnenuntergang*in 
die  Stadt  ein  Er  besichtigt  die  ganze  Dämonenstadt,  den  Palast  des 
'Rävana  und  den  wunderbaren  Wagen,  Puspaka  genannt,  auf  dem  der 
Räksasa  durch  die  Luft  zu  fahren  pflegt.  Er  dringt  auch  in  Rävaijas 
Frauenhaus  ein,  wo  er  den  mächtigen  Dämonenfürsten  inmitten  seiner 
Schönen  ruhend  erblickt^).    Nach  langem  vergeblichem  Suchen  findet 


^)  So  nach  Jacobi,  Rämäyana,  S.  124. 

2)  Nach  anderer  Erklärung:  '»wie  eine  Bremse.  Hanumat  kann 
seine  Gestalt  nach  Belieben  verändern; 

^)  Diese  nächtliche  Serailszene  wird  (V,  9—11)  im  Stile  der  Kunst- 
poesie lebendig  geschildert  und  erinnert  sehr  an  die  Schilderung  in 
der  Buddha-Legende,  wo  der  Prinz  Siddhärtha,  von  seinen  Frauen 
umgeben,  zu  mittemächtiger  Stunde  erwacht  und  von  Ekel  an  der 


—     418    — 

er  endlich  Sita,  von  Gram  verzehrt,  im  Asokahain.  Er  gibt  sich  als 
Freund  und  Bote  des  Räma  zu  erkennen.  Sie  erzählt  ihm,  dafs 
Rävana  gedroht  habe,  sie  aufzufressen,  und  dafs  sie  nach  zwei  Monaten 
sterben  müsse,  wenn  Räma  sie  nicht  vorher  befreie.  Hanumat  aber 
gibt  ihr  die  bestimmte  Zusicherung,  dafs  Räma  kommen  werde,  sie 
zu  befreien'). 

Darauf  begibt  sich  Hanumat  wieder  auf  den  Berg,  fliegt  über 
den  Ozean  hinüber  und  erzählt  den  dort  auf  ihn  wartenden  Affen 
seine  Erlebnisse  auf  Lanka.  Dann  geht  er  zu  Räma,  berichtet  ihm, 
wie  er  die  Sita  angetroffen,  und  überbringt  ihm  ihre  Botschaft. 

Das  sechste  Buch,  welches  den  grolsen  Kampf  zwischen 
Räma  und  Rävana  schildert  —  daher  Yuddha-Kända, 
»Kampfabschnitt«,   genannt  —  ist  das  umfangreichste  von  allen. 

Räma  preist  den  Hanumat  wegen  der  erfolgreichen  Erfüllung 
seiner  Sendung  und  umarmt  ihn  herzlich.  Doch  verzweifelt  er  bei 
dem  Gedanken  an  die  Schwierigkeit,  über  den  Ozean  zu  gelangen. 
Sugriva  rät,  eine  Brücke  nach  Lanka  zu  vschlagen.  Hanumat  gibt  eine 
genaue  Beschreibung  der  Stadt  des  Rävana  und  ihrer  Befestigung 
und   erklärt,    dafs   die   Haupthelden    des   Affenheeres    imstande    sein 


Weltlust  ergriffen  wird.  Die  Ähnlichkeit  der  Situation  und  der 
Schilderung  ist  auffallend  genug,  um  die  Annahme  zu  rechtfertigen, 
dafs  sie  der  Schilderung  des  Asvaghosa  im  Buddhacarita 
V,  47  ff.)  nachgeahmt  ist.  Denn  wie  E.  B.  Cowell  un  der  Vorrede 
zu  seiner  Ausgabe  des  Buddhacarita)  richtig  bemerkt,  bildet  diese 
Szene  einen  wesentlichen  Bestandteil  der  Buddha-l,egende,  während 
sie  im  Rämfiyaria  nur  eine  ganz  unnötige  Ausschmückung  ist. 
Natürlich  dürfen  wir  das  Stück  nicht  dem  Välmlki  selbst  zuschreiben, 
sondern  die  Nachahmung  fällt  einem  «Välmikiden«  (wie  Jacobi  die 
Nachfolger  Välmlkis,  die  sein  Werk  erweitert  haben,  nennt)  zur  Last. 
-  ')  Hanumats  Mission  ist  damit  erfüllt,  und  die  folgende  Erzählung 
(41 — 55)  ist  ohne  .Zweifel  ein  späterer  Einschub:  Um  die  Stärke  des 
Feindes  zu  erproben,  zettelt  Hanumat  durch  Zerstörung  des  Asokahain^ 
einen  Streit  an.  In  gewaltigen  Kämpfen  mit  Tausenden  von  Räksasas 
bleibt  er  allein  Sieger.  Schliefslich  wird  er  aber  gefesselt  und  vor 
den  Dämoneukönig  geführt.  Hanumat  gibt  sich  als  Bote  des  Räma 
zu  erkennen  und  fordert  die  Zurückgabe  der  Sita.  Rävana  will  ihn 
töten,  läfst  sich  jedoch  überreden,  ihn  als  Gesandten  zu  schonen.  Um 
ihn  aber  zu  strafen,  läfst  er  dem  Affen  in  Öl  getränkte  Baumwoll- 
lappen um  den  Schwanz  wickeln  und  diese  anzünden.  Sita  hört 
davon  und  betet  zu  Agni,  dem  Feuergott,  er  möge  den  Hanumat 
nicht  verbrennen.  Der  Affe  springt  nun  mit  dem  brennenden  Schwanz 
von  Haus  zu  Haus  und  setzt  die  ganze  Stadt  in  Brand,  während  er 
selbst  unversehrt  entkommt.  Die  Unechtheit  dieses  Stückes  hat 
Jacobi  a.  a.  O.  S.  31  ff.  unwiderleglich  bewiesen. 


—    419    — 

würden,  sie  zu  bezwingen.  Räma  gibt  daher  den  Befehl,  das  Heer 
in  Marschordnung  aufzustellen,  und  bald  bricht  das  ungeheure  Affen- 
heer gegen  Süden  auf,  dem  Meeresstrande  zu. 

Als  die  Nachricht  von  dem  heranrückenden  Affenheere  nach  Lanka 
gedrungen  war,  berief  Räva^a  seine  Räte  —  lauter  grolse  und  mäch- 
tige Räksasas  —  zu  einer  Beratung.  Während  nun  alle  anderen 
Verwandten  und  Räte  mit  prahlerischen  Reden  den  Räva^ia  zum 
Kampfe  anspornen,  weist  Vibhisaija,  Rävaijias  Bruder,  auf  un- 
günstige Vorzeichen  hin  und  rät,  Sita  zurückzugeben.  Rävana  ist 
darüber  sehr  aufgebracht  und  beschuldigt  ihn  des  Neides  und  der  Mifs- 
gunst;  Verwandte,  sagt  er,  seien  ja  immer  die  ärgsten  Feinde  eines 
Königs  und  Helden.  Von  seinem  Bruder  aufs  tiefste  gekränkt,  sagt 
sich  Vibhisana  von  ihm  los,  fliegt  mit  vier  anderen  Räksasas  über 
den  Ozean  hinüber  und  verbündet  sich  mit  Räma.  Auf  den  Rat  des 
Vibhisana  wendet  sich  Räma  an  den  Meergott  selbst  mit  der  Bitte, 
ihm  beim  Überschreiten  des  Ozeans  behilflich  zu  sein.  Dieser  ruft 
den  Affen  Nala,  den  Sohn  des  göttlichen  Baumeisters  Visvakarman, 
herbei  und  beauftragt  ihn,  eine  Brücke  über  den  Ozean  zu  schlagen. 
Auf  Rämas  Befehl  schleppen  die  Affen  Felsen  und  Bäume  herbei, 
in  wenigen  Tagen  wird  eine  Brücke  über  den  Ozean  gebaut,  und  das 
ganze  grofse  Heer  zieht  hinüber  nach  Lanka. 

Nun  wird  die  Residenzstadt  des  Rävana  von  dem  Affenheer  um- 
zingelt. Rävana  gibt  den  Befehl  zu  einem  allgemeinen  Ausfall.  Es 
kommt  zu  einer  Schlacht  und  zu  zahlreichen  Einzelkämpfen  zwischen 
den  Haupthelden  der  beiden  kämpfenden  Heere.  Laksmana,  Hanuraat, 
Angada  und  der  Bärenkönig  Jämbavat  sind  die  hervorragendsten 
Mitstreiter  des  Räma.  während  auf  Seite  des  Rävana  sich  insbesondere 
dessen  Sohn  Indrajit  hervortut.  Der  letztere  ist  in  allen  Zauberkünsten 
bewandert  und  versteht  es,  sich  jeden  Augenblick  unsichtbar  zu 
machen. 

So  bringt  er  auch  einmal  dem  Räma  und  dem  Laksmana  lebens- 
gefährliche Wunden  bei.  In  der  Nacht  aber  fliegt  auf  den  Rat  des 
Bärenkünigs  Jämbavat  der  Affe  Hanumat  zum  Berge  Kailäsa,  um 
von  dort  vier  besonders  kräftige  Heilkräuter  zu  holen.  Da  sich  diese 
Kräuter  verstecken,  nimmt  der  Affe  einfach  den  ganzen  Berggipfel 
mit  und  trägt  ihn  zum  Schlachtfeld,  wo  durch  den  Duft  der  Heil- 
kräuter Räma,  Laksmana  und  alle  Verwundeten  sofort  geheilt  werden. 
Hierauf  befördert  Hanumat  den  Berg  wieder  an  seine  Stelle  zurück. 

Ein  andermal  kommt  der  zauberkundige  Indrajit  aus  der  Stadt 
heraus,  indem  er  auf  seinem  Streitwagen  ein  von  ihm  hervorgezaubertes 
Scheinbild  der  Sita  mitführt,  um  es  vor  den  Augen  des  Hanumat, 
des  Laksmana  und  der  Affen  zu  mifshandeln  und  zu  enthaupten. 
Entsetzt  bringt  Hanumat  dem  Räma  die  Nachricht,  dafs  Sita  getötet 
sei;  Räma  fällt  in  Ohnmacht.  Laksmana  bricht  in  Klagen  aus  und 
hält  eine  gotteslästerliche  Rede  mit  bitteren  Anklagen  gegen  das 
Schicksa%  das  sich  um  Tugend  nicht  kümmere  (VI,  83,  14  ff.)  —  wird 

W 'iit  ernitz,  Geschichte  der  indischen  Litteratur.  2o 


-     420    - 

aber  bald  von  Vibhisa^a  darüber  aufgeklärt,  dafs  das  Ganze  nur  ein 
Blendwerk  des  Indrajit  gewesen  sei.  Schlielslich  wird  auch  Indrajit 
nach  einem  heftigen  Zweikampf  von  Laksma^  getötet. 

Wütend  über  den  Tod  seines  Sohnes  erscheint  nun  Räva^a  selbst 
auf  dem  Kampfplatz.  Ein  furchtbarer  Zweikampf  zwischen  Räma  und 
Rävana  findet  statt,  der  Tag  und  Nacht  fortdauert.  Die  Götter  selbst 
kommen  dem  Räma  zu  Hilfe,  insbesondere  Indra  mit  seinem  Wagen 
und  seinen  Geschossen.  So  oft  aber  auch  Räma  dem  Rävaija  die 
Köpfe  abschlägt,  immer  wächst  ihm  ein  neuer  Kopf  nach.  Endlich 
gelingt  es  ihm,  mit  einer  von  Gott  Brahman  selbst  geschaffenen  Waffe 
Rävanas  Herz  zu  durchbohren.  Grolser  Jubel  im  Heere  der  Affen, 
wilde  Flucht  der  Räksasas. 

Nun  wird  Räva^  feierlich  bestattet  und  Vibhisai^a  wird  von 
Räma  als  König  in  Lanka  eingesetzt. 

Jetzt  ferst  läfst  Räma  die  Sita  herbeirufen,  verkündet  ihr  die 
frohe  Botschaft  von  dem  errungenen  Sieg,  —  vcrstöfst  sie  aber  dann 
in  Gegenwart  aller  Affen  und  Räksasas.  Er  habe  (so  erklärt  er) 
Rache  genommen  für  die  ihm"  angetane  Schmach,  aber  mit  ihr  vrolle 
er  nichts  mehr  zu  tun  haben;  denn  ein  Weib,  das  auf  dem  Schofse 
eines  anderen  Mannes  gesessen  und  das  ein  anderer  mit  lüsternen 
Augen  betrachtet  habe,  könne  ein  Räma  nicht  mehr  als  Gemahlin 
aufnehmen.  Da  erhebt  Sita  bittere  Wehklage  über  den  ungerechten 
Verdacht  des  Räma  und  beauftragt  den  Laksmana,  einen  Scheiter- 
haufen zu  errichten;  denn  ihr  bleibe  jetzt  nichts  übrig,  als  ins  Feuer 
zu  gehen.  Räma  gibt  seine  Zustimmung,  der  Scheiterhaufen  wird 
errichtet  und  entzündet,  und  indem  Sita  das  Feuer  zum  Zeugen  ihrer 
Unschuld  anruft,  stürzt  sie  sich  in  die  Flammen.  Da  erhebt  sich  der 
Gott  Agni  aus  dem  brennenden  Scheiterhaufen  mit  der  unversehrten 
Sita  im  Arme  und  übergibt  sie  dem  Räma,  indem  er  in  feierlicher 
Rede  versichert,  dafs  sie  ihm  stets  die  Treue  gewahrt  und  liuch  im 
Palaste  des  Räksasa  rein  und  unschuldig  geblieben  sei.  Hierauf  er- 
klärt Räma,  dafs  er  selbst  nie  an  Sitäs  Unschuld  gezweifelt  habe, 
doch  sei  es  notwendig  gewesen,  ihre  Reinheit  auch  vor  den  Augen 
des  Volkes  zu  erweisen. 

Nun  kehren  Räma  und  die  Seinen,  von  Hanumat  und  den  Affen 
begleitet,  nach  Ayodhyä  zurück,  wo  sie  von  Bharata,  Satrughna  und 
den  Müttern  mit  offenen  Armen  empfangen  werden.  Unter  dem  Jubel 
der  Bevölkerung  ziehen  sie  ein,  Räma  wird  zum  König  geweiht  und 
hciTscht  glücklich  und  zum  Segen  seiner  Untertanen. 

Damit  ist  die  Geschichte  von  Räma  eigentlich  zu  Ende, 
und  es  kann  auch  gar  kein  Zweifel  darüber  sein,  dafs  mit  dem 
sechsten  Buch  das  ursprtingliche  Gedicht  geendet  hat,  imd  dafs 
das  noch  folgende  siebente  Buch  eine  spätere  Hinzudichtung 
ist.  Dieses  siebente  Buch  —  es  heilst  Uttara-Kända^  »letzter 
Abschnitt«  —  enthält   wieder  zahlreiche  Sagen   und   Legenden, 


—    421     — 

wie  sie  ähnlich  auch  im  Mahäbhärata  und  in  den  Puränas  vor- 
kommen, die  mit  der  Räma-Sage  gar  nichts  zu  tun  haben.  Die 
ersten  Gesänge  handeln  über  die  Entstehung  der  Räksasas  und 
die  Kämpfe  des  Indra  mit  R  ä  v  a  n  a  *) ,  worauf  die  Jugend- 
geschichte des  Hanumat  erzählt  wird  (VII,  35 f.).  Nur  etwa 
ein  Drittel  des  Buches  beschäftigt  sich  mit  Räma  und  Sita,  und 
zwar  wird  noch  folgendes  erzählt: 

Eines  Tages  wird  dem  Räma  mitgeteilt,  dals  die  Leute  sich 
darüber  abfällig  äufsern,  dafs  er  die  Sita,  nachdem  sie  (bei  der 
Entführung)  auf  dem  Schofse  des  Räva^a  gesessen,  doch  noch 
bei  sich  aufgenommen  habe^  es  werde  das,  so  fürchtet  man,  auf  die 
Sitten  der  Frauen  im  Lande  einen  schlechten  Einflufs  haben. 
Darüber  ist  nun  der  Musterkönig  Räma  sehr  betrübt,  er  kann  den 
Vorwurf  nicht  ertragen,  dafs  er  dem  Volke  ein  schlechtes  Beispiel 
gebe,  und  gibt  seinem  Bruder  Laksma^  den  Auftrag,  die  Sita 
fortzuführen  und  auszusetzen.  Schweren  Herzens  nimmt  Laksma^a 
sie  auf  seinen  Wagen,  führt  sie  zum  Ganges  und  bringt  sie  ans 
jenseitige  Ufer  des  Flusses,  wo  er  ihr  eröffnet,  dafs  Räma  sie  wegen 
der  Verdächtigungen  der  Leute  verstofsen  habe.  In  tiefem  Schmerz, 
aber  doch  voll  Ergebung  in  ihr  Schicksal  sendet  Sita  dem  Räma  nur 
freundliche  Grüfse.  Bald  darauf  finden  Einsiedlerknaben  die  weinende 
Sita  im  Walde  und  führen  sie  in  die  Einsiedelei  des  Asketen  Välmiki. 
Dieser  übergibt  sie  Einsiedlerfrauen  zum  Schutze.  In  der  Einsiedelei 
gebiert  sie  nach  einiger  Zeit  die  Zwillinge  Kusa  und  Lava. 

Es  vergeben  mehrere  Jahre.  Die  Kinder  sind  herangewachsen  und 
Schüler  des  Asketen  und  Sängers  Välmiki  geworden.  Da  veranstaltet 
Räma  ein  grofses  Pferdeopfer.  Zu  diesem  kommt  auch  Välmiki  mit  seinen 
Schülern.  Er  beauftragt  zwei  von  ihnen,  das  von  ihm  gedichtete  Rämä- 
yana  in  der  Opferversammlung  vorzutragen.  Alle  lauschen  entzückt 
dem  wunderbaren  Vortrag.  Räma  aber  erfährt  bald,  dafs  die  beiden 
jugendlichen  Sänger  Kusa  und  Lava-),  die  das  Gedicht  zur  Laute 
vorgetragen.  Söhne  der  Sita  seien.  Da  schickt  er  Boten  zu  Välmiki 
und  läfst  ihn  bitten,  er  möge  veranlassen,  dafs  Sita  sich  vor  der 
Opferversammlung  durch  einen  Schwur  reinige.  Am  nächsten  Morgen 
bringt  Välmiki  die  Sita  herbei,  und  in  feierlicher  Rede  erklärt  der 
grofse  Asket  selbst,  dafs  sie  rein  und  unschuldig  und  ihre  Kinder, 
die  Zwillingsbrüder  Kusa  und  Lava,  die  leiblichen  Söhne  des  Räma 
seien.    Räma  erklärt  darauf,  er  sei  zwar  schon  durch  die  Worte  des 


')  VII,  1 — 34.    Jacobi  nennt  das  Stück  »Rävaneis«. 

■-)  Berufsmäfsige  »fahrende  Sänger«,  welche  episcJie  Gesänge  zur 
Laute  vortrugen,  hiefsen  Kusilava;  die  Namen  Kusa  und  Lava  sind 
als  eine  Art  etymologischer  Deutung  des  Wortes  Kusilava  erfunden. 
Jacobi,  S.  62 f.,  67 f. 

28* 


—     422    — 

Välmiki  befriedig:!,  aber  er  wünsche  dennoch,  dals  sich  vSitä  auch  durch 
einen  Eid  reinige.  Da  kamen  alle  Götter  vom  Himmel  herab.  Sita 
aber  sprach  gesenkten  Blickes  und  mit  gefalteten  Händen:  »So  wahr  ich 
auch  nicht  mit  einem  Gedanken  je  an  einen  anderen  als  den  Räma 
gedacht,  —  so  möge  Göttin  Erde  mir  ihren  Schofs  öffnen!  So  wahr 
ich  mit  Gedanken,  Worten  und  Taten  stets  nur  den  Räma  verehrt, — 
so  möje  Göttin  Erde  mir  ihren  Schofs  öffnen!  So  wie  ich  hier  die 
Wahrheit  gesagt  und  ich  nie  einen  anderen  als  Räma  erkannt  habe,  — 
so  möge  Göttin  Erde  mir  ihren  Schofs  öffnen!«  Kaum  war  dieser 
Schwur  getan,  da  erhob  sich  aus  der  Erde  ein  himmlischer  Thron, 
von  Schlangendämonen  auf  den  Köpfen  getragen,  und  Mutter  Erde, 
auf  dem  Throne  sitzend,  umarmte  Sita  und  verschwand  mit  ihr  in  die 
Tiefe.  Vergebens  beschwört  nun  Räma  die  Göttin  Erde,  ihm  seine 
Sita  zurückzugeben.  Nur  Gott  Brahman  erscheint  und  tröstet  ihn  mit 
der  Hoffnung  auf  Wiedervereinigung  im  Himmel.  Bald  nachher 
Übergibt  denn  auch  Räma  seinen  beiden  Söhnen  Kusa  und  Lava  die 
Herrschaft  und  geht  selbst  in  den  Himmel  ein,  wo  er  wieder  zu 
Vis^u  wird. 

Der  Faden  dieser  Erzählung  im  siebenten  Buch  wird  durch 
die  Einschiebung  zahlreicher  Mythen  und  Legenden  fortwährend 
unterbrochen.  Da  finden  wir  wieder  die  bekannten  Sagen  von 
Yayäti  und  Nahusa  (VIT,  58f.),  von  der  Tötung  des 
Vrtra  durch  Indra,  der  sich  dadurch  des  Brahn^anenmordes 
schuldig  macht  (VII,  84—87),  von  UrvasI,  der  Geliebten  der 
Götter  Mitra  und  Varuna,  die  auf  wunderjjare  Weise  die  Rsis 
Vasistha  und  Agastya  erzeugen  (VII,  56 f.),  n^om  König 
IIa,  der  als  Weib  IIa  den  Purüravas  gebiert  (VII,  87—90) 
und  dergl.  mehr.  Manche  echt  brahmanische  Legenden  mit  dick 
aufgetragener  Tendenz  stellen  sich  ähnlichen  Geschichten  des 
XIII.  Buches  des  Mahäbhärata  würdig  an  die  Seite.  So  die 
Geschichte  von  dem  zur  Südr^kaste  gehörigen  Asketen  Sam- 
biika,  dem  Räma  das  Haupt  abschlägt,  wofür  er  von  den 
Göttern  belobigt  wird,  weil  ein  Öüdra  sich  nicht  erlauben  soll, 
Askese  zu  üben;  oder  von  dem  Gott,  der  sein  eigenes  Fleisch 
verzehren  mufs,  weil  er  in  einem  früheren  Dasein  Askese  geübt, 
aber  es  versäumt  hat,  den  Brahmanen  Geschenke  zu  machen 
(VII,  73 — 81),  und  ähnliche  erbauliche  Legenden,  Das  ganze 
Buch  trägt  durchaus  den  Charakter  der  spätesten  Teile  des 
Mahäbhärata. 


—     423     — 

Echtes  und  Unechtes  im  Rämäyana. 

Dafs  das  ganze  siebente  Buch  des  Rämäyana  dem  Werke 
erst  später  angehängt  worden  ist,  darüber  kann  kein  Zweifel 
sein.  Man  hat  aber  auch  schon  längst  erkannt,  dafs  das  ganze 
erste  Buch  dem  ursprünglichen  Werke  des  Välmlki  nicht  an- 
gehört haben  kann.  Nicht  ntir  finden  sich  zahlreiche  innere 
Widersprüche  in  dem  Buch,  sondern  auch  Sprache  und  Stil 
heben  sich  als  minderwertig  gegenüber  denen  der  Bücher  II 
bis  VI  ab.  Es  wird  auch  nie  in  den  echten  Teilen  des  Ge- 
dichtes auf  die  Ereignisse  des  ersten  Buches  Bezug  genommen, 
ja  es  finden  sich  Einzelheiten  in  diesem  Buche,  welche  den  An- 
gaben späterer  Bücher  geradezu  widersprechen^). 

Nur  im  ersten  und  siebenten  Buch  ist  Räma  durchaus  als 
ein  göttliches  Wesen,  eine  Verkörperung  des  Gottes  Visnu, 
aufgefafst.  In  den  Büchern  II  bis  VI  ist  er,  von  einigen 
wenigen,  gewifs  eingeschobenen  Stellen  ^)  abgesehen,  stets  nur  ein 
menschlicher  Held,  und  es  fehlt  in  allen  unzweifelhaft  echten 
Teilen  des  Epos  auch  jede  Spur  davon,  dafs  er  als  eine  In- 
karnation des  Visnu  gedacht  wäre.  Wo  in  den  echten  Teilen 
der  Dichtung  die  Mythologie  hineinspielt ,  ist  es  nicht  Visiju, 
sondern  der  Gott  Indra,  der  wie  im  Veda  als  höchster  Gott  gilt. 

Für  die  beiden  Bücher  I  und  VII  ist  es  auch  bezeichnend, 
dals  in  ihnen,  wie  wir  gesehen  haben,  der  Faden  der  Erzählung 
oft  unterbrochen  wird  und  nach  Art  des  Mahäbhärata  und  der 
Puränas  zahlreiche  brahmanische  Mythen  und  Legenden  ein- 
gefügt werden.  Nur  an  sehr  wenigen  Stellen  (z.  B.  am  Anfang 
des  III.  Buches)  kommt  dergleichen  auch  in  den  Büchern  II  bis  VI 
vor.  Die  Zusätze  und  Erweiterungen  in  diesen  Büchern  — 
und  sie  sind  zahlreich  genug  —  sind  gan2  anderer  Art.  Sie 
bestehen  hauptsächlich  darin,  dafs  gerade  '^ie  schönsten  und  be- 
liebtesten Stellen,  von  den  Sängern  nach  Möglichkeit  aus- 
gesponnen,  durch  eigene  Hinzufügungen  erweitert  wurden. 
Wir  müssen  uns  ja  die  Überlieferung  des  Rämäyana  in  der 
Weise  denken,  dafs  es  im  Kreise  von  fahrenden  Sängern  —  nach 

*)  Z.  B.  die  Verheiratung  des  LaksmasjA,  oben  S.  414  A.  2. 

")  So  z.  B.  am  Ende  des  VI.  Buches,  wo  in  dem  Augenblicke, 
da  Sita  den  Scheiterhaufen  besteigt,  alle  Götter  herbeikommen  und 
den  Räma  als  Gott  Visnu  preisen. 


—     424    — 

Art  der  Brüder  Kusa  und  Lava  im  Uttara-Kän(ia  —  lange  Zeit 
(vielleicht  durch  Jahrhunderte)  mündlich  überliefert  wurde. 
Diese  Sänger  tmd  Spielleute  betrachteten  die  epischen  Gesänge 
als  ihr  Eigentum ,  mit  dem  sie  sich  jede  Art  von  Freiheit  ge- 
statteten. Bemerkten  sie  nun,  dafs  die  Zuhörerschaft  von  den 
rührenden  Klagen  der  Sita,  des  Dasaratha  oder  der  Kausalyä 
tief  ergriffen  war,  so  dichteten  sie  noch  eine  Anzahl  von  Versen 
hinzu,  um  dabei  länger  zu  verweilen;  fanden  die  Kampfszenen 
bei  einem  mehr  kriegerischen  Publikum  besonderen  Anklang, 
so  war  es  dem  Sänger  ein  leichtes,  immer  neue  Helden  zu 
einem  Zweikampf  zusammenzubringen,  immer  noch  em  paar 
Tausende  oder  Zehntausende  von  Affen  oder  Räksasas  hin- 
morden zu  lassen,  oder  auch  eine  schon  einmal  erzählte 
Heldentat  mit  einer  kleinen  Variante  noch  einmal  zu  erzählen; 
ergötzten  sich  die  Zuhörer  an  komischen  Szenen,  namentlich 
wo  die  Affen  auftreten,  so  war  es  verlockend  für  den  Sänger, 
nicht  nur  solche  Szenen  auszuspinnen ,  sondern  auch  noch  neue 
ähnliche  hinzuzudichten ;  hatte  er  eine  gelehrte  Zuhörerschaft  von 
Brahmanen  vor  sich,  so  suchte  er  sich  deren  Gimst  durch  Aus- 
spinnung  der  lehrhaften  Stücke,  Hinzudichtung  von  neuen 
moralischen  Versen  oder  Einfügimg  von  anderswoher  ent- 
nommenen Sittensprüchen  zu  gewinnen;  von  besonders  ehr- 
geizigen Rhapsoden  wurden  endlich  auch  die  gewifs  schon  in 
der  alten  und  echten  Dichtung  beliebten  Naturschilderungen  durch 
Zusätze  im  Stile  der  höfischen  Kunstdichtung  erweitert*).  Eine 
einigermafsen  feste  Gestalt  erhielt  aber  das  Rämäyana  —  ebenso 
wie  das  Mahäbhärata  —  wohl  erst,  als  es  niedergeschrieben 
wurde 2).  Das  mufs  aber  zu  einer  Zeit  geschehen  sein,  wo  das 
Gedicht  schon  so  berühmt  und  beliebt  war,  dafs  es  bereits  als 
ein  religiöses  Verdienst  galt,  es  zu  lesen  unä  zu  hören,  und  dafs 
dem,  der  es  abschrieb,  der  Himmel  verheifsen  wurde  ^).    Je  mehr 

*)  Günstig  für  die  Erweiterungen  und  ungünstig  für  die  Erhaltung 
des  Echten  war  es,  dafs  der  Öloka  ein  leicht  zu  handhabendes  Vers- 
mals ist.  Slokas  gleichsam  aus  dem  Ärmel  zu  schütteln,  ist  für  jeden 
halbwegs^  gebildeten  und  des  Sanskrit  kundigen  Inder  ein  leichtes. 

')  Die  Tätigkeit  der  Kommentatoren,  durch  welche  der  Text 
noch  mehr  gesichert  wurde,  begann  jedenfalls  noch,  viel  später 

')  VI,  128,  120:  »Diejenigen  Männer,  welche  voll  Liebe  zu  Räma 
diese  von  dem  Rsi  verfafste  Sammlung  (samhitä)  niederschreiben,  er- 
langen eine  Wohnung  in  Indras  Himmel.« 


—     425    — 

man  aber  von  einem  so  herrlichen  und  heilsamen  Gedicht,  >das 
langes  Leben,  Gesundheit,  Ruhm,  gute  Brüder  und  Verstand 
verleiht«  ^),  abschrieb,  desto  sicherer  gelangte  man  in  den  Himmel. 
Darum  sahen  es  die  ersten  Sammler  und  Ordner,  welche  das 
Gedicht  schrifthch  festhielten,  nicht  als  ihre  Aufgabe  an,  das 
Überlieferte  kritisch  zu  sichten.  Echtes  vom  Unechten  zu  scheiden, 
sondern  ihnen  war  vielmehr  alles  willkommen,  was  sich  ihnen 
unter  dem  Titel  >Rämäyana«  darbot. 

Aber  nur  von  einer  »einigermafsen«  festen  Gestalt  des 
Rämäyana  kö.  .en  wir  sprechen,  denn  die  Handschriften,  in  denen 
das  Epos  auf  uns  gekommen  ist,  weichen  stark  voneinander  ab, 
und  es  gibt  mindestens  drei  verschiedene  Rezensionen 
des  Textes,  welche  die  Überlieferung  in  verschiedenen  Gegenden 
Indiens  darstellen.  Diese  Rezensionen  unterscheiden  sich  von- 
einander nicht  nur  in  bezug  auf  einzelne  Lesarten,  sondern  auch 
darin,  dafs  in  jeder  von  ihnen  Verse,  längere  Stellen  und  selbst 
ganze  Gesänge  vorkommen,  die  in  den  anderen  fehlen ',  auch  die 
Reihenfolge  der  Verse  ist  in  den  verschiedenen  Rezensionen  sehr 
oft  verschieden.  Die  (sowohl  im  nördlichen  wie  im  südlichen 
Indien)  verbreitetste  und  wahrscheinlich  auch  älteste  Rezension 
ist  diejenige,  welche  mehrmals  in  Bombay  gedruckt  ist*).  Die 
einzige  in  Europa  erschienene  vollständige  Ausgabe  von 
G.  Gorresio^)  enthält  die  bengalische  Rezension,  während 
eine  dritte,  die  westindische,  bisher  nur  in  Handschriften 
bekannt  ist*).  Diese  Verschiedenheit  der  Rezensionen  bestätigt 
nur  die  Annahme  von  der  mündlichen  Überlieferung  des  Textes. 
Es  ist  begreiflich,  dafs  sich  die  Reihenfolge  der  Verse  im  Ge- 
dächtnis der  Rhapsoden  verschieben,  dafs  der  Wortlaut  oft  be- 
deutende Veränderung  erleiden  mufste,  und  dafs  die  Sänger 
verschiedener  Gegenden  je  andere  Zusätze  und  Erweiterungen 
machten. 


')  VI,  128,  122.    Siehe  auch  oben  S.  407. 

*)  Ich  zitiere  nach  dieser  Rezension  in  der  Ausgabe  der  »Nirnaya 
Sägara  Press«  von  K.  P.  Parab,  2nd  Ed.,  Bombay  1902. 

«)  Turin  1843—1867.  Die  von  A.  W.  von  Schlegel  begonnene 
Ausgabe  ist  nie  vollendet  worden. 

*)  Vgl.  Hans  Wirtz,  Die  westliche  Rezension  des  Rämäyana. 
Inaug.-Diss.    Bonn  J.894. 


~    426    — 

Aber  darin  stimmen  alle  drei  Rezensionen  überein,  dafs  sie 
sämtliche  sieben  Bücher  enthalten,  und  dafs  in  jeder  unechte 
Stellen  neben  echten  vorkommen.  Einen  *  Urtext«  des  RämSyana 
besitzen  wir  daher  in  keiner  der  Rezensionen.  Doch  ist  das 
Fehlen  einer  Stelle  in  einer  der  Rezensionen  immer  ein  berech- 
tigter Verdachtsgrund  gegen  ihre  Echtheit.  Und  es  ist  über- 
haupt im  einzelnen  beim  Rämäyana  jedenfalls  leichter  als  beim 
Mahäbhärata,  das  Unechte  und  Jüngere  auszuscheiden.  »Wie 
an  manchem  unserer  alten  ehrwürdigen  Dome«,  sagt  Jacobi*), 
»jede  kommende  Generation  Neues  hinzugefügt  und  Altes  aus- 
gebessert hat,  ohne  dafs  die  ursprüngliche  Anlage  trotz  aller 
angebauten  Kapellchen  und  Türmchen  verwischt  worden  wäre: 
so  sind  auch  an  dem  Rämäyana  viele  Generationen  von  Sängern 
tätig  gewesen  ^  aber  der  alte  Kern,  um  den  so  vieles  angewachsen 
ist,  ist  dem  nachprüfenden  Auge  des  Forschers,  wenn  auch  nicht 
in  allen  Einzelheiten,  so  doch  in  den  Hauptzügen  unschwer  er- 
kennbar«. Jacob i  selbst  hat  in  seinem  Werk  »Das  Rämäyana* 
eine  grofse  Anzahl  von,  Zusätzen  und  Erweiterungen  unwider- 
leglich als  solche  nachgewiesen.  Dafs  bei  dem  Versuche  einer 
kritischen  Herstellung  des  Textes  sich  vielleicht  nur  ein  V^iertel 
von  den  überlieferten  24000  Versen  des  Rämäyana  als  »echt«  er- 
weisen würden,  spricht  nicht  gegen  die  Berechtigung  der  Kritik  ^). 
Nur  der  grofsen  Menge  des  »Unechten«  in  den  indischen 
Epen  ist  es  zuzuschreiben,  dafs  wir  bei  deren  Lektüre,  die  uns 
oft  zur  gröfsten  Bewunderung  hinreifst,  doch  noch  viel  öfter 
enttäuscht  sind.  Und  wenn  eine  Vergleichimg  der  indischen  mit 
den  griechischen  Epen  in  bezug  auf  künstlerischen  Wert  not- 
wendig zuungunsten  der  ersteren  ausfallen  mufs,  so  sind  daran 
weit  mehr  als  die  alten  indischen  Dichter  jene  Dichterlinge 
schuld,  welche  die  alten  Gesänge  durch  ihre  eigenen  Zusätze 
und  Änderungen  vermehrt  und  verunstaltet  haben.  Der  »formlos 
gärende  Wortschwall«,  den  Friedrich  Rückert  dem  Rämäyana 
vorwirft,  ist  gewifs  öfter  auf  Rechnung  der  »Välmlkiden«  als 
des  Välmlki  selbst  zu  setzen.    Im  ganzen  aber  hat  der  deutsche 

')  Das  Rämäyana,  S.  60. 

«)  Im  51.  Band  der  ZDMG  (1897)  S.  605  ff.  hat  Jacobi  den  Ver- 
such gemacht,  ein  grölseres  zusammenhängendes  Stück  des  Rämäyana 
kritisch  zu  behandeln,  wobei  von  600  Versen  nicht  ganz  ein  Viertel 
übrig  geblieben  ist.  w 


—     427     — 

Dichter  gewils  recht,  wenn  er  die  Schönheit  der  indischen 
Dichtung  anderswo  sucht  als  die  der  griechischen ,  indem 
er  sagt: 

»So  phantastische  Fratzen,  so  formlos  gärenden  Wortschwall, 
Wie  Rämäyapa  dir  bietet,  das  hat  dich  Homer 

Freilich  verachten  gelehrt;  doch  auch  so  hohe  Gesinnung 
Und  so  tiefes  Gemüt  zeigt  dir  die  Ilias  nicht.«  M    • 

Das  Alter  des  Rämäyana. 

Mit  der  Frage  nach  dem  Echten  und  Unechten  im  Rämäyana 
hängt  die  nach  dem  Alter  des  Gedichtes  —  leider  sind  wir  da 
wieder  nur  auf  Vermutungen  angewiesen  —  enge  zusammen. 
Ist  es  doch  für  die  Beantwoi-t\mg  dieser  Frage  gewifs  nicht 
gleichgültig,  wenn  wir  uns  wenigstens  eine  Vorstellung  davon 
machen  können,  welcher  Zeitraum  etwa  zwischen  dem  urspi-üng- 
lichen  Gedicht,  dessen  echte  Bestandteile  in  den  Büchern  II— VI 
zu  suchen  sind,  und  den  beiden  hinzugefügten  Büchern  I  und  VII 
verflossen  sein  mag.  Da  sind  denn  die  folgenden  Erwägungen 
Jacob is  sehr  beachtenswert.  Räma,  ursprünglich  ohne  Zweifel 
ein  Stammesheros,  wurde  erst  durch  das  Rämäyana  selbst  zu 
einem  Nationalheros.  Dieser  Nationalheros  wurde  als  Dämonen 
besiegender  Halbgott  in  den  Büchern  I  und  VII  (und  in  wenigen 
eingeschobenen  Stellen)  auch  zu  einer  A'^erkörperung  des  Gottes 
Visnu.  Diese  Umwandlung  des  Räma  vom  Menschen  zum  Halb- 
gott und  schliefslich  zimi  menschgewordenen  Allgott  Visnu  kann 
sich  nur  innerhalb  eines  längeren  Zeitraums  vollzogen  haben. 
Zweitens  erscheint  in  dem  ersten  und  letzten  Buch  des  Rämäyana 
der  Dichter  Välmlki  als  ein  frommer  Waldeinsiedler  und  Rsi 
und  als  ein  Zeitgenosse  des  Helden  Räma.  > Beides  war  aber 
erst  dann  möglich,  als  Välmlki  in  eine  solche  zeitliche  Ent- 
fernung von  den  späteren  Dichtern  gerückt  war,  dafs  schon  die 
Nebel  der  Sagenbildung  seine  Person  ihren  Augen  undeutlich 
machen  konnten.  Die  Zeit,  die  dazu  nötig  war,  können  wir 
auch  nicht  annähernd  schätzen;  sicher  ist  nur,  dafs  sie  eher 
nach  Jahrhunderten  als  nach  Jahrzehnten  zu  bemessen  sein 
wird.«  ^) 


»)  F.  Rückert,  Poetisches  Tagebuch,  Frankfurt  a.  M.  1888,  S  99 
«)  Jacobi  S.  65. 


—     428    — 

Nun  müssen  wir  aber  gleich  hinzufügen,  dafs  auch  in 
unserem  Mahäbhärata,  welches  nicht  nur  die  Räma-Sage, 
sondern  das  Rämäyana  des  Välmlki  kennt,  Räma  als  eine  Ver- 
körperung des  Visnu  gilt  und  Välmlki  als  ein  alter  Rsi  genannt 
wird.  Es  wurde  schon  oben  (S.  328)  erwähnt,  dafs  das 
Rämopäkhyäna  des  Mahäbhärata  aller  Wahrscheinlichkeit 
nach  nur  eine  freie  abgekürzte  Wiedergabe  des  Rämäyana  ist  — 
wir  können  hinzufügen:  des  Rämäyana  in  einer  sehr  jungen, 
der  jetzigen  ziemlich  nahekommenden  Form.  Denn  für  den 
Verfasser  des  Rämopäkhyäna  ist  Räma  bereits  der  mensch- 
gewordene Visnu  *),  er  weifs  davon,  dafs  Hanumat  »Lanka  ver- 
brannt« habe  —  eine  als  unecht  erwiesene  Stelle  3)  —  und  er 
kennt  bereits  den  auf  Rävana  bezüglichen  Teil  des  siebenten 
Buches  3).  Die  Geschichte  von  Räma  wird  im  Mahäbhärata 
erzälilt,  um  den  Yudhisthira  über  den  Raub  der  DraupadT  zu 
trösten.  Diese  ganze  Episode  vom  Raub  der  DraupadT  ist  aber 
sicherlich  nur  eine  Dublette  zum  Raub  der  Sita  ini  Rämäyana. 
In  letzterem  ist  ja  dieser  Raub  der  Kernpunkt  der  Sage  und 
des  Gedichtes,  während  im  Mahäbhärata  der  Raub  der  DraupadT 
für  den  Gang  der  Erzählung  so  gut  wie  gar  keine  Bedeutung 
hat.  Man  hat  noch  auf  andere  auffällige  Übereinstimmungen  in 
einzelnen  Zügen  zwischen  den  beiden  Epen,  insbesondere  auf  die 
Ähnlichkeit  zwischen  den  Helden  Arjuna  und  Räma  hingewiesen. 
Die  Verbannung  in  den  Wald  auf  zwölf  bis  vierzehn  Jahre,  die 
Bogenspannung ,  die  Ausstattung  der  Helden  mit  himmlischen 
Waffen,  die  sie  sich  von  den  Göttern  holen*)  —  das  sind  Punkte, 
wo  eine  Beeinflussung  des  einen  Epos  durch  das  andere  mög- 
lich, aber  kaum  zu  erweisen  ist.  Immerhin  besteht  eine 
gröfsere  Wahrscheinlichkeit  dafür,  dafs  das  Mahäbhärata  Züge 
aus  dem  Rämäj'^ana  entlehnt  habe,  als  umgekehrt.    Denn  während 


')  Mahäbh.  III,  147,  31;  275,  5  ff. 

")  Mahäbh.  III,  148,  9.    Vgl.  oben  S.  418  A.  1. 

3)  Jacobi  S.  73f.'  Auch  Mahäbh.  VII,  59  und  XII,  29,  51  ff. 
wird  die  Räma-Sage  kurz  gestreift  und  in  einigen,  zum  Teil  mit  Räm. 
VI,  128,  95  ff.  übereinstimmenden  Versen  des  paradiesischen  Zustandes 
gedacht,  in  dem  die  Untertanen  des  Räma  lebten,  "der  zehntausend 
und  zehnhundert  Jahre  die  Herrschaft  führte«. 

*)  Vgl.  A.  Holtzmann,  Das  Mahäbhärata  IV,  68 f.  E.  Win- 
disch im  Literar.  Centralbl.  1879,  Nr.  52,  Sp.  1709. 


—    429    — 

das  Rämäyana  keinerlei  Bekanntschaft  mit  der  Pän^ava-Sage 
oder  den  Helden  des  Mahäbhärata  zeigt*),  kennt  das  Mahä- 
bhärata,  wie  wir  gesehen  haben,  nicht  nur  die  Räma-Sage, 
sondern  auch  das  Rämäyana  selbst.  Im  Harivamäa  ist  sogar 
schon  von  einer  dramatischen  Aufführung  des  Rämäyana  die 
Rede  (oben  S.  386  A.).  Noch  wichtiger  aber  ist  es,  dafs  im  Mahä- 
bhärata (VII,  143,  66)  »ein  vor  Zeiten  von  Välmlki  gesungener 
Slokac  zitiert  wird,  der  sich  tatsächlich  in  unserem  Rämäyana 
(VI,  81,  28)  findet.  Als  ein  »grofser  ßtifserc  und  ehrwürdiger 
?,si  wird  Välmlki  an  mehreren  Stellen  des  Mahäbhärata  neben 
Vasistha  und  anderen  Rsis  der  Vorzeit  genannt").  Einmal  er- 
zählt er  dem  Yudhisthira,  dafs  er  im  Verlauf  einer  Disputation 
einst  von  heiligen  Munis  »Brahmanenmörder«  gescholten  worden 
und  dals  durch  dieses  Scheltwort  die  Sünde  des  Brahmanen- 
mörder über  ihn  gekommen  sei,  von  der  er  sich  nur  durch  An- 
betung des  Siva  reinigen  konnte^).  Alle  diese  Tatsachen  be- 
rechtigen uns,  dem  Satze  Jacob is  (a.  a.  O.  S.  71)  zuzustimmen, 
dafs  das  Rämäyana  »schon  als  ein  altes  Werk  allgemein  be- 
kannt« gewesen  sein  muls,  >ehe  das  Mahäbhärata  zum  Abschluls 
gekommen  war«.  Damit  steht  es  ganz  gut  in  Einklang,  dals 
der  »Degenerationsprozefs«,  wenn  man  so  sagen  darf,  d.  h.  die 
Verdrängung  des  Echten  durch  Unechtes  und  die  Durchdringung 
des  Alten  mit  jüngeren  Bestandteilen,  beim  Mahäbhärata  so  weit 
vorgeschritten  ist,  dafs  er  das  ganze  Werk  durchzieht,  während 
er  beim  Rämäyana  im  Beginne  stehen  geblieben  ist  und  sich 
nur  auf  das  erste  und  siebente  Buch  und  wenige  Teile  der 
übrigen  Bücher  erstreckt. 


^)  Wenn  Sita  erklärt,  dem  Räma  so  treu  bleiben  zu  wollen,  wie 
Sävitri  dem  Satyavat  (II,  30,  6)  oder  wie  DamayantI  dem  Nala  (V, 
24,  12),  so  beweist  das  nicht,  dafs  der  Dichter  das  Sävitrigedicht 
und  das  Nalalied  aus  dem  Mahäbhärata  gekannt  haben  mufs  (wie 
Hopkins,  The  Great  Epic,  p.  78  n.  annimmt). 

«)  Mahäbh.  I,  2,  18;  II,  7,  16;  V,  83,  27;  XII,  207,  4;  Hariv 
268,  14  539. 

')  Mahäbh.  XIII,  18,  8.  Vielleicht  ist  hier  schon  an  die  allerdings 
erst  sehr  spät  auftauchende  Sage  gedacht,  nach  der  Välmiki  als  junger 
Mann  ein  Räuber  oder  Jäger  gewesen  sein  soll.  (Jacobi  a.  a.  O.  S.  66 
Anm.  Vgl.  auch  Ind.  Ant.  XXIV,  1895,  S.  220  und  XXXI,  1902, 
S.  351). 


—     430    — 

Wenn  aber  das  Mahäbhärata  im  4.  Jahrhundert  n.  Chr.  im 
grolsen  und  ganzen  bereits  seine  gegenwärtige  Gestalt  hatte 
(oben  S.  396),  so  mufs»  das  Rämäyana  schon  mindestens  ein  oder 
zwei  Jahrhunderte  früher  »abgeschlossen«  —  das  Wort  ist  cum 
grano  salis  zu  nehmen  —  gewesen  sein  *). 

Damit  ist  nun  aber  die  Frage,  welches  von  den  beiden 
grolsen  Epen  das  ältere  sei,  noch  keineswegs  beantwortet.  Nach 
allem,  was  wir  über  die  Geschichte  des  Mahäbhärata  sowohl  wie 
des  Rämäyana  gesagt  haben,  ist  es  ja  klar,  dafs  diese  Frage  an  und 
für  sich  keinen  Sinn  hat,  sondern  sich  naturgemäfs  in  drei  ver- 
schiedene Fragen  auflöst,  und  zwar:  1.  Welches  von  den  beiden 
Werken  in  der  Form,  in  der  sie  uns  jetzt  vorliegen, 
ist  das  ältere?  2.  Wie  verhält  sich  die  Zeitperiode,  in  welcher 
ein  ursprüngliches  Epos  Mahäbhärata  allmählich  zu  dem 
grofsen,  Heldengesang  und  Lehrdichtung  vereinigenden  Sammel- 
werk wurde,  zu  der  Zeitperiode,  in  welcher  das  alte  Gedicht 
des  Välmlki  durch  gröfsere  oder  kleinere  Zusätze  in  den 
älteren  Büchern  und  schliefslich  durch  Hinzufügung  der  Bücher  I 
und  VII  zu  dem  jetzigen  Rämäyana  erweitert  wurde '? 
3.  Hat  es  überhaupt  früher  ein  Epos  Mahäbhärata  oder  ein 
Epos  Rämäyana  gegeben? 

Nur  die  erste  dieser  drei  Fragen  konnten  wir  dahin  beant- 
worten, dafs  unser  jetziges  Rämäyana  älter  ist  als  das  Mahä- 
bhärata in  seiner  jetzigen  Form.  Was  die  zweite  Frage  betrifft, 
so  darf  man  wohl  annehmen,  dafs  das  so  viel  kleinere  Rämäyana 
für  sein  allmähliches  Anwachsen  einer  kürzeren  Zeit  bedurfte 
als  das  Mahäbhärata.  Nun  wurde  schon  darauf  hingewiesen, 
dafs  der  Charakter  der  beiden  unechten  Bücher  des  Rämäyana 
dem  des  Mahäbhärata  auffallend  ähnlich  ist,  und  dafs  oft  die- 
selben brahmanischen  Mythen  und  Legenden  hier  wie  dort 
wiederkehren.  Diese  den  beiden  Werken  gemeinsamen  Ge- 
schichten werden  aber  doch  mit  solchen  Varianten  erzählt,  dafs 
wir  nicht  an  eine  Entlehnung  zu  denken  haben,  sondern  an- 
nehmen müssen,  dafs  sie  aus  derselben  Quelle  —  der  in  Brah- 
manenkreisen  mündlich  überlieferten  Itihäsalitteratur  —  stammen. 


*)  Übrigens  wissen  wir  aus  chinesischen  Quellen,  dafs  dasRämäyai^ 
im  4.  und  5.  Jahrhundert  n.  Chr.  bereits  ein  bekanntes  und  populäres 
Gedicht  in  Indien  war.   (K.  Watanabe  im  JRAS  1907,  S.  99 ff.) 


—    431     — 

Femer  haben  alle  Bücher  des  Rämäyana  und  des  MahäbhSrata 
zahlreiche  Redensarten,  Halbverse,  sprichwörtliche  Wendungen 
und  ganze  Sprtiche  gemeinsam^),  und  es  herrscht  überhaupt 
in  bezug  auf  Sprache,  Stil  und  Metrum  zwischen  den  beiden 
Werken  eine  weitgehende  Übereinstimmung^).  Aus  diesen  Tat- 
sachen schlielsen  wir,  dals  die  Zeit  des  Wachstums  des  Rämäyana 
in  die  längere  Periode  des  Anwachsens  des  Mahäbhärata 
hineinfällt. 

Die  dritte  Frage,  welches  von  den  beiden  ursprünglichen 
Epen  das  ältere  sei ,  wird  sich  schwerlich  beantworten  lassen. 
Jacobi  hält  das  Rämäyana  so  unbedingt  für  das  ältere  Gedicht, 
dafs  er  sogar  annimmt,  das  Mahäbhärata  sei  überhaupt  erst 
unter  dem  Einfluls  der  Dichtkunst  des  Välmiki  zu  einem  Epos 
geworden^).  Diese  Ansicht  scheint  mir  weit  über  das  hinaus- 
zugehen, was  uns  durch  Tatsachen  verbürgt  ist,  ja  mit  manchen 
Tatsachen  in  Widerspruch  zu  stehen.  In  mehr  als  einer  Be- 
ziehung bezeichnet  das  Rämäyana  einen  Fortschritt  in  der  epischen 
Dichtkunst  gegenüber  dem  Mahäbhärata.  Erinnern  wir  uns  daran, 
dafs  das  Epos  sich  aus  einer  Mischung  von  Prosa  und  Versen  ent- 
wickelte. Im  Mahäbhärata  haben  wir  noch  ein  deutliches  Über- 
lebsel  dieser  primitiven  Epik  darin,  dafs  in  der  Regel  die  Reden 
der  auftretenden  Personen  durch  Prosa'formeln,  wie  »Yu- 
dhisthira  sprach«,  »Kunti  sprach«,  »Duryodhana  sprach«  usw. 
eingeleitet  sind,  während  im  Rämäyana  durchwegs  die  redenden 
Personen  in  Versen  eingeführt  werden*).  Es  wurde  auch  schon 
darauf  hingewiesen,  wie  sehr  das  Rämäyana  bereits  die  Eigen- 
tümlichkeiten des  Stils  der  höfischen  Kunstdichtung,  des  Kävya, 
zeigt  ^).    Freilich  ist  es  schwer  zu  sagen,  was  davon  alt  ist,  imd 

')  Dies  hat  insbesondere  E.  W.  Hopkins  im  » American  Journal 
of  Philology  Vol.  XIX,  S.  138  ff.  und  XX,  S.  22  ff.  und  in  seinem 
Buch  'The  Great  Epic  of  India«,  S.  58  (f.,  403  ff.  nachgewiesen. 

2)  Über  das  Metrum  in  den  beiden  Epen  siehe  Jacobi,  «Das 
Rämäyana»,  S.  24  ff.  und  in  »Gurupüjäkaumudl«,  Festgabe  für  Albrecht 
Weber  (Leipzig  1896),  S.  50  ff, 

3)  Jacobi  S.  78,  81  ff. 

*)  Oben  S.  270  und  E.  Windisch,  Mära  und  Buddha,  S-  224 f. 
Auch  einzelne  Prosaerzälilungen  mit  Reden  in  Versen  finden  sich 
noch  im  Mahäbhärata.  Die  Puräijas  haben  diese  Prosaformeln  stets 
beibehalten,  um  den  Schein  der  Altertümlichkeit  zu  bewahren. 

^)  Oben  S.  404  f.,  416  A.  1,  417  und  vgl.  S.  393. 


—     432     — 

was  jüngere  Zusätze  sind.  Aber  immerhin  mufs  uns  diese  Eigen- 
tümlichkeit des  R£:mäyana,  wodurch  es  sich  vom  Mahäbhärata 
ziemlich  weit  entf^nt  und  sich  den  Epen  des  Kälidäsa  nähert, 
gegen  die  Annahme  eines  höheren  Alters  für  das  Rämäyana 
bedenklich  machen. 

Noch  in  einem  zweiten  Punkt  macht  das  Mahäbhärata  einen 
viel  altertümlicheren  Eindruck  als  das  Rämäj^ana.  Im  Malm- 
bhärata  —  wenigstens  in  dem  Kern  des  Gedichtes,  der  die  Päricjava- 
Sage  und  die  Kuruschiacht  behandelt  —  treten  uns  durchwegs 
rohere  Sitten  und  ein  mehr  kriegerischer  Geist  entgegen  als  im 
Rämäyana.  Die  Kampfszenen  des  Mahäbhärata  lesen  sich  ganz 
anders  als  die  im  Rämäyana  geschilderten.  Die  des  Mahäbhärata 
machen  den  Eindruck,  als  ob  der  Dichter  einem  rauhen  Krieger- 
volk angehört  und  selbst  blutige  Schlachtfelder  gesehen  hätte, 
während  die  des  Rämäyana  mehr  den  Eindruck  hen'^orrufen, 
wie  wenn  ein  Märchenerzähler  von  Kämpfen  berichten  würde, 
von  denen  er  nur  vom  Hörensagen  etwas  weils.  Zwischen  Räma 
und  Rävana,  Laksmana  und  Indrajit  herrscht  nicht  dieser  er- 
bitterte Hafs,  dieser  wilde  Ingrimm,  wie  wenn  wir  im  Mahä- 
bhärata von  den  Kämpfen  zwischen  Arjuna  und  Karna  oder 
Bhnna  und  Duryodhana  lesen.  Die  Sita  des  Rämä5'^ana,  wie 
sie  von  Rävana  geraubt,  entführt,  verfolgt  oder  wie  sie  von 
Räma  verstofsen  wird,  bewahrt  in  ihren  Anklagen  und  Weh- 
klagen immer  eine  gewisse  Ruhe  und  Sanftmut,  und  es  findet 
sich  in  ihren  Reden  keine  Spur  von  der  wilden  Leidenschaft, 
die  wir  so  oft  bei  Draupadi  im  Mahäbhärata  finden.  Auch 
Kuntl  und  Gändhäri  sind  echte  Heldenmütter  eines  kriegerischen 
Geschlechts,  während  Kausalyä  und  Kaikeyl  im  Rämäyana  mehr 
den  schablonenhaften  Königinnen  der  klassischen  Dramen  ver- 
gleichbar sind.  Das  scheint  doch  darauf  hinzudeuten,  dafs  das 
Mahäbhärata  einem  roheren,  kriegerischeren  Zeitalter  angehöre, 
während  das  Rämä3^,ana  die  Spuren  einer  verfeinerten  Kultur 
zeigt.  \Mr  müfsten  denn,  um  diesen  scharf  hervortretenden 
Unterschied  zwischen  den  beiden  Epen  zu  erklären,  annehmen, 
dafs  das  Mahäbhärata  eine  rohere  Kultur  des  westlichen, 
das  Rämäyana  hingegen  eine  verfeinerte  I^ultur  des  östlichen 
Indiens  widerspiegelt,  imd  dafs  die  beiden  Epen  nicht  die  Dich- 
tungen verschiedener  Zeiten,  sondern  verschiedener  Gegenden 
Indiens  darstellen.    Doch  ist  es  auch  unter  diesem  Gesichtspunkte 


—     433    — 

schwer  denkbar,    dafs  das  Mahäbhärata  erst  unter  dem  Einflufs 
von  Välmlkis  Dichtkunst  ein  Epos  geworden  sein  soll. 

Dafs  das  Mahäbhärata  dem  Westen,  das  Rämäyana  dem 
Osten  Indiens  angehört,  darüber  kann  kein  Zweifel  sein.  West- 
liche Völker  spielen  die  Hauptrolle  im  Mahäbhärata,  während 
sich  die  Hauptereignisse  des  Rämäyana  im  Lande  der  Kosala 
abspielen,  wo  nach  der  Tradition  auch  Välmiki  gelebt  haben 
soll  und  aller  AVahrscheinlichkeit  nach  wirklich  gelebt  hat  *).  Im 
östlichen  Indien  ist  aber  auch  der  Buddhismus  entstanden, 
und  in  Magadha  wie  in  dem  benachbarten  Kosalalande  hat  er 
sich  zuerst  ausgebreitet.  Um  so  wichtiger  ist  die  Frage:  Wie 
verhält  sich  das  Rämäyana  zum  Buddhismus? 

Es  wurde  schon  oben  (S.  400)  darauf  hingewiesen,  dafs  wir 
in  der  ältesten  buddhistischen  Litteratur  noch  Beispiele  von 
der  Äkhyäna-Dichtung  finden,  in  welcher  wir  mit  W indisch 
imd  Oldenberg  eine  Vorstufe  des  Epos  erkannt  haben.  Rhys 
Davids^)  hat  daraus  geschlossen,  dafs  das  Rämäyana  als  Epos 
zur  Zeit  der  Entstehung  jener  Buddha-Balladen  noch  nicht  existiert 
haben  könne.  Nun  liefse  sich  dagegen  einwenden,  dafs  ja  viel- 
leicht die  alte  Äkhyäna-  oder  Balladendichtung  neben  der  aus 
ihr  entwickelten  neuen  Kimstform  des  Epos  weiter  bestanden 
haben  könnte.  Die  Älöglichkeit  möchte  ich  nicht  bestreiten. 
Wie  aber,  wenn  wir  Spuren  von  Äkhyänas,  die  sich  auf  Räma 
beziehen,  noch  innerhalb  der  buddhistischen  Litteratur  fänden? 
Ich  möchte  glauben,  dafs  das  viel  besprochene  Dasaratha- 
Jätaka^)  nichts  anderes  als  ein  solches  Äkhyäna  ist.  Die 
Verse  dieses  Jätaka,  die  eine  Trostrede  des  Räma  enthalten, 
mit  der  er  seine  Geschwister  über  den  Tod  des  Vaters  tröstet, 
sind  Äkhyäna- Verse,  zu  denen  offenbar  eine  Erzählung  in  Prosa 
gehörte.     Was   für   eine  Erzählung  dies  war,   wissen  wir  nicht; 

')  Jacobi  S.  66  ff.,  69. 

')  Buddhist  India,  London  1903,  S.  183. 

')  Eine  deutsche  Übersetzung  dieses  zuerst  von  V.  Fausböll 
(Kopenhagen  1871)  im  Pälitext  mit  englischer  Übersetzung  heraus- 
gegebenen Jätaka  (Nr.  461)  gibt  A.  Baumgartner,  Das  Rämäyana. 
S.  85  ff.  Ausführlich  handelten  darüber  Weber  und  Jacooi  in  den 
zitierten  Monographien  und  H.  Lüders  in  den  Nachrichten  der 
k.  Ges.  der  Wissensch.  zu  Göttingen,  phil.-hist.  Kl.  1897,  Heft  1, 
S.  40  ff. 


—     434     - 

denn  die  uns  zum  Jätaka  überlieferte  Prosaerzählung  ist  das 
Werk  eines  singhalesischen  Kommentators,  der  vermutlich  im 
5.  Jahrhundert  n.  Chr.  schrieb  ^).  Dafs  aber  von  den  zwölf  alten 
Versen  des  Jätaka  nur  einer  sich  in  unserem  Rämäyana  findet  ^), 
beweist,  glaube  ich,  dafs  unser  Epos  nicht  die  Quelle  der  alten 
Jätakä-Gäthäs  sein  kann,  sondern  dafs  diese  auf  ein  altes, 
auf  Räma  bezügliches  Akhyäna  zurückgehen.  Dafs  wir  im 
ganzen  Jätaka,  welches  so  viele  Märchenstoffe  enthält  und  gerade 
von  Dämonen,  Yaksas  und  Räksasas  viel  erzählt,  nichts  von 
dem  Räksasa  Rävana  und  seinem  Anhang  und  nichts  von 
Hanumat  und  den  Affen  hören,  scheint  mir  auch  beachtenswert. 
Ebenso,  dafs  in  der  ganzen  ältesten  buddhistischen  Litteratur, 
dem  Päli  Tipitaka,  unser  Epos  nicht  erwähnt  wird^). 

Eine  andere  Frage  ist  die,  ob  sich  im  Rämäyana  Spuren 
des  Buddhismus  nachweisen  lassen.  Darauf  kann  man  wohl  mit 
einem  unbedingten  Nein  antworten.  Denn  die  einzige  Stelle,  in 
welcher  der  Buddha  erwähnt  wird  (oben  S.  413  Anm.  2)  ist  ent- 
schieden unecht.  Es  ist  aber  durchaus  nicht  abzusehen,  wo  im 
Rämäyana  Anspielungen  auf  Buddha  oder  buddhistische  Lehren 
zu  erwarten  sein  sollten.  So  auffällig  das  Fehlen  eines  Hin- 
weises auf  das  Rämäyana,  wenn  es  bekannt  gewesen  wäre,  im 
buddhistischen  Tipitaka  erscheinen  müfste,  so  wenig  läfst  sich 
aus  dem  Fehlen  buddhistischer  Spuren  im  Epos  etwas  schliefsen. 
Und  eine,  wenn  auch  sehr  entfernte,  Beziehung  zum  Buddhismus 
ist  vielleicht  doch  vorhanden.     Weber   hatte  ja  noch  geglaubt. 


^)  Dafs  diese  Erzählung  eines  buddhistischen  Mönchs  aus  so 
später  Zeit  keine  ältere  Form  der  Räma-Sage  darstellt,  wie  Weber 
glaubte,  sondern  nur  eine  sehr  ungenaue  und  ungeschickte  Wiedergabe 
unseres  Rämäyana  ist,  hat  Jacobi  (S.  84 ff.)  gezeigt.  Doch  beweisen 
die  Ausführungen  Jacobis  nichts  für  das  Alter  des  Räraäyaija,  da  er 
nur  die  späte  Prosaerzählung  und  nicht  die  alten  Gäthäs  in  Betracht 
gezogen  hat.    Vgl.  Lüders  a.  a.  O. 

*)  Parallelen  zu  den  drei  anderen  Versen  aus  Rämas  Trostrede 
(siehe  oben  S.  413)  finden  sich  im  Jätaka  Nr.  328,  2—4,  siehe  Lüders, 
ZDMG  58,  1904,  S.  713  f. 

^)  Ich  kann  dies  mit  solcher  Bestimmtheit  behaupten,  da  einer 
der  genauesten  Kenner  des  Tipitaka,  Professor  Rhys  Davids,  mir 
auf  eine  diesbezügliche  Anfrage  schreibt:  "Apart  Irom  the  Dasaratha 
Jätaka  .  .  .  there  is  no  mention  of,  and  no  proof  of  knowledge  of  the 
Rämäyana  in  the  whole  of  the  three  Pitakas«. 


—    435    — 

dafs  dem  Rämäyana  eine  »alte  buddhistische  Sage  von  dem 
frommen  Königssohn  Räma ,  in  welchem  dieselbe  ein  Ideal 
buddhistischen  Gleichmuts  verherrlichte«,  zugrunde  liege  ^).  Das 
ist  gewils  nicht  der  Fall.  Aber  der  Gedanke  wird  vielleicht 
doch  nicht  abzuweisen  sein,  dafs  die  aufserordentliche  Milde, 
Sanftmut  und  Seelenruhe,  welche  dem  Räma  zugeschrieben  wird, 
aus  buddhistischen  Unterströmungen  zu  erklären  ist.  Zum  min- 
desten ist  es  durchaus  begreiflich,  dafs  in  einem  vom  Buddbis- 
mus stark  beeinflufsten  Lande  auch  von  einem  Nichtbuddhisten 
ein  Epos  gedichtet  wurde,  dessen  Held  trotz  aller  seiner  grofs- 
artigen  Dämonenkämpfe  mehr  ein  Weiser  nach  dem  Geschraacke 
des  Buddha  als  ein  Kriegsheld  ist.  Nehmen  wir  noch  hinzu,  dafs  nach 
OldenbergS)  auch  die  Metrik  des  Rämäyana  eine  jüngere  Ent- 
wicklungsstufe darstellt  als  die  der  buddhistischen  Pälidichtung,  so 
deutet  doch  alles  darauf  hin,  dafs  unser  Epos  erst  nach  dem  Auftreten 
des  Buddha  und  nach  dem  Entstehen  der  ältesten  Pälilitteratur  — 
also  nach  dem  5.  Jahrhundert  v.  Chr.  —  gedichtet  wurde. 

Nun  hat  man  aber  aus  der  Sprache  des  Epos  auf  dessen 
vorbuddhistische  Entstehungszeit  schliefsen  zu  können  geglaubt. 
Diese  epische  Sprache  ist  ein  volkstümliches  Sanskrit.  Um 
260  V.  Chr.  aber  verwendet  König  Asoka  für  seine  an  das  Volk 
gerichteten  Inschriften  nicht  Sanskrit,  sondern  dem  Fäli  ähnliche 
Dialekte.  Auch  Buddha  predigte  schon  im  6.  und  5.  Jahrhundert 
V.  Chr.  nicht  im  Sanskrit,  sondern  in  der  Volkssprache.  Volks- 
tümliche Epen  aber  —  so  sagte  man »)  —  können  nicht  in  einer 
schon  »abgestorbenen«  Sprache,  sondern  sie  müssen  in  der 
lebenden  Sprache  des  Volkes  gedichtet  sein.  Da  nun  zu  Asokas 
und  selbst  schon  zu  Buddhas  Zeit  Sanskrit  nicht  mehr  die  Sprache 
des  Volkes  gewesen  ist,  müssen  die  volkstümlichen  Epen  (in 
ihrer  ursprünglichen  Gestalt)  einer  älteren,  vorbuddhistischen 
Zeit  angehören,  in  welcher  das  Sanskrit  noch  eine  lebende 
Sprache  war.  Darauf  ist  zu  erwidern,  dafs  das  Sanskrit  in 
Indien  immer  neben  den  Volksdialekten  als  Litteratursprache 
»gelebt«  hat  und  auch  in  weiten  Kreisen,  die  es  nicht  sprachen, 


*)  "Über  das  Rämäyana«,  S   6  f . 

»)  «GurupüjäkaumudT,    Festgabe   für    Albrecht    Weber,    S.    9ii. 
Anders  Jacobi,  S.  93. 
3)  Jacobi,  S.  116  ff. 

Winteroitz,  Getchichte  der  indischen  Litteratur.  29 


—    436    — 

verstanden  worden  ist.  Dafs  zur  selben  Zeit,  wo  buddhistische 
und  Jinistische  Mönche  in  Volksdialekten  dichteten  und  predigten, 
auch  Sanskritepen  gedichtet  und  gehört  wurden,  hat  nichts  Be- 
fremdliches an  sich.  Es  ist  bis  zum  heutigen  Tage  in  Indien 
durchaus  nicht  ungewöhnlich,  dafs  in  einer  und  derselben  Gegend 
zwei  oder  mehrere  Sprachen  nebeneinander  in  Gebrauch  sind. 
Und  in  einem  grofsen  Teile  des  nördlichen  Indiens  ist  auch  heute 
noch  (aufser  dem  Sanskrit)  eine  neuindische  Litteratursprache 
in  Gebrauch ,  die  von  der  Umgangssprache  stark  abweicht  *). 
Wenn  uns  daher  auch  hier  und  da  dieselben  Verse,  die  wir  im 
Rämäyana  oder  im  Mahäbhärata  finden,  im  Pali  oder  Präkrit 
in  buddhistischen  oder  jinistischen  Texten  begegnen,  so  folgt 
durchaus  nicht  immer,  dafs  diese  Sanskritverse  aus  den  Volks- 
sprachen übersetzt  sein  müfsten.  Noch  weniger  Berechtigung 
hat  die  Ansicht  einiger  hervorragender  Gelehrter,  dafs  die  ganzen 
Epen  ursprünglich  in  Volksdialekten  verfafst  vmd  erst  später  in 
Sanskrit  umgedichtet  worden  seien.  Dafs  eine  solche  Umdichtung 
stattgefunden  hätte,  ohne  dafs  uns  irgendwo  die  geringste  Nach- 
richt darüber  erhalten  wäre,  ist  an  und  für  sich  schon  höchst 
bedenklich.  Wie  unannehmbar  diese  Hypothese  auch  sonst  ist, 
hat  J  a  c  o  b  i  ^j  überzeugend  dargetan.  Wenn  er  aber  hier  gegen- 
über der  Ansicht,  dafs  »ein  Volksepos  in  der  Sprache  des 
Volkes  vorgetragen«  werden  müsse,  daran  erinnert,  »dafs  auch 
die  Gesänge  der  llias  und  Odyssee  in  der  homerischen  Sprache 
vorgetragen  wrurden,  obschon  die  Sprache  der  Zuhörer  sich  von 
jener  nicht  unbedeutend  unterschiede  ,  und  wenn  er  hervorhebt, 
dafs  der  Begriff  »Volk«  in  Indien  nie  die  Bedeutung  haben 
könne,  die  wir  mit  dem  Worte  verbinden,  so  widerlegt  er  damit 
auch  seine  eigene  Anschauung,  dafs  das  Rämäyana  gedichtet 
worden  sein  müsse,  als  Sanskrit  noch  »Volkssprache«  war,  und 
dafs  es  deshalb  vorbuddhistisch  sei^). 


»)  Vgl.  oben  S.  39  Anm.  1  undGriersonin  JRAS  1906,  S.  441  f. 

-)  ZDMG  48,  1894,  S.  407  ff.  Die  Ansicht,  dafs  die  Epen  ur- 
sprünglich im  Präkrit  abgefafst  worden  seien,  hat  zuerst  A.  Barth 
(Revue  Critique,  5  avril  1886)  ausgesprochen  und  später  (Revue  de 
l'histoire  des  religions,  t.  27,  1893,  p.  288  ff.  und  t.  45,  1902,  p.  195  f.) 
eingehend  verteidigt.  Vgl.  auch  Grierson  im  Ind.  Ant.  XXIII, 
1894,  p.  55. 

')  Die  Frage,  ob  und  inwieweit  Sanskrit  eine  "lebende»  Sprache 
war,  in  Verbindung  mit  der  Frage  nach  dem  Alter  der  Epen,  ist  in 


—     437     — 

Auch  die  Buddhisten  haben  sich  ja  später  des  Sanskrit  be- 
dient, und  eines  der  ältesten  buddhistischen  Sanskritwerke,  das 
Buddhacarita  des  Asvaghosa,  ist  gerade  für  die  Zeit- 
bestimmung des  Rämäyana  nicht  unwichtig.  Das  Buddhacarita 
ist  nämlich  ein  Kunstepos  (Kävya),  für  das  sicherlich  die  Dichtung 
des  Välmlki  bereits  als  Vorbild  gedient  hat.  Andererseits  finden 
wir  in  einem  unechten  Stück  des  Rämäyana  eine  Szene  *),  die 
höchst  wahrscheinlich  einer  Szene  des  Buddhacarita  nachgeahmt 
ist.  Da  nun  Asvaghosa  ein  Zeitgenosse  des  Kaniska  ist,  so 
dürfen  wir  schliefsen,  dafs  im  Anfang  des  2.  Jahrhunderts  n.  Chr., 
wenn  nicht  früher  "j^  das  Rämäyana  bereits  als  Musterepos  galt, 
dafs  es  aber  noch  nicht  so  weit  abgeschlossen  war,  dafs  nicht  noch 
EinSchiebungen  stattgefunden  hätten.  Gegen  Ende  des  2.  Jahr- 
hunderts mufs  es  jedoch  schon  abgeschlossen  gewesen  sein,    wie 


den  letzten  Jahren  viel  erörtert  worden.  R.  Otto  Franke,  Pali  und 
Sanskrit  (Strafsburg  1902)  hat  ein  grofses  Tatsachenmaterial  zu- 
sammengetragen, welches  zeigt,  dafs  alle  unsere  alten  Inschriften  (von 
ca.  300  V.  Chr.  angefangen)  in  Volksdialekten  und  erst  Inschriften 
aus  nachchristlicher  Zeit  auch  in  Sanskrit  geschrieben  sind.  T.  W. 
Rhys  Davids,  Buddhist  India,  London  1903,  zieht  (unabhängig  von 
Franke)  aus  dieser  Tatsache  weitgehende  litterarhistorische  Schlüsse. 
Aber  die  Inschriften  beweisen  nur,  dafs  in  jenen  vorchristlichen  Jahr- 
hunderten Sanskrit  noch  nicht  als  Kanzleisprache  verwendet 
wurde,  sie  beweisen  nichts  gegen  dessen  Gebrauch  ajs  Litteratur- 
sprache.  Ich  kann  den  Ausführungen  von  E.  J.  Rapson.  und 
F.  W.  Thomas  (JRAS  1904,  S.  435 ff.  und  460 ff.)  nur  beistimmen. 
Die  Einwände  von  Rhys  Davids  (ib.  457  ff.\  Grierson  (ib.  471  ff.) 
und  Fleet  (ib.  481  ff. ^  besagen  nur,  was  jedermann  zugibt,  dafs 
Sanskrit  kein  gesprochener  Volksdialekt  war,  als  die  Epen  gedichtet 
wurden,  aber  sie  beweisen  nichts  dagegen,  dafs  es  als  Litteratursprache 
gebraucht,  teilweise  gesprochen  und  w e i t h i n  verstanden  wurde. 
Vgl.  auch  A.  B.  Keith  und  Grierson  im  JRAS  1906,  S.  1  ff.  und 
441  f.  Über  Alterttimlichkeiten  in  der  Sprache  des  Rämäyana  handelt 
T.  Michelson  im  Journal  of  the  American  Oriental  Society, 
Vol.  XXV,  1904,  89  ff.  Dafs  die  Sütas  im  Drama  nur  Sanskrit 
sprechen,  deutet  ebenfalls» darauf  hin,  dafs  die  Sütapoesie,  d.  h.  das 
Epos,  in  Sanskrit  gedichtet  wurde. 

')  Die  Serailszene  oben  S.  417  f.  Anm.  3. 

")  Leider  gehen  die  Ansichten  der  Forscher  in  bezug  auf  die  Zeit 
des  Kaniska  sehr  auseinander.  V.  A.  Smith,  Early  Historv  of  India, 
Oxford  1904,  S.  224  ff.  (vgl.  JRAS  1903,  S.  1  ff.  und  ZDMG  1907, 
S.  406)  setzt  seine  Thronbesteigung  um  120  n.  Chr.  an,  J.  F.  Fleet 
(JRAS  1906,  S.  979  ff.)  um  82  v.  Chr.,  andere  78  n.  Chr. 

29  * 


—     438     — 

aus  dem  oben  über  das  Verhältnis  des  Rämäyana  zum  Mahä- 
bhärata  Gesagten  folgt. 

Dals  das  alte  Gedicht  schon  dem  Asvaghosa  als  Muster 
diente,  also  schon  lange  vor  dessen  Zeit  gedichtet  worder  sein 
mufs,  stimmt  gut  dazu,  dafs  wir  im  alten  und  echten  Rämäyana 
keine  Spuren  griechischen  Einflusses  oder  einer  Bekannt- 
schaft mit  den  Griechen  finden.  Denn  zwei  Stellen,  in  denen 
die  Yavanas  (Jonier,  Griechen)  erwähnt  werden,  sind  nach- 
weislich unecht.  Dafs  aber  die  homerischen  Gedichte  irgend- 
welchen Einflufs  auf  V^älmikis  Dichtung  gehabt  haben  sollen, 
wie  Weber  meinte,  davon  kann  wirklich  gar  keine  Rede  sein. 
Zwischen  dem  Raub  der  Sita  und  dem  der  Helena,  zwischen 
dem  Zug  nach  Lanka  und  dem  nach  Troja  besteht  nicht  einmal 
eine  entfernte,  zwischen  der  Bogenspannung  des  Räma  und  der 
des  Odysseus  nur  eine  ganz  entfernte  Ähnlichkeit  des  Motivs  ^). 

Vom  Veda  ist  das  Rämäyana  als  Epos  sehr  weit  entfernt, 
und  selbst  die  Räma -'Sage  ist  nur  durch  sehr  dünne  Fäden 
mit  der  vedischen  Litteratur  verbunden.  Ob  der  in  den 
Upanisads^)  öfters  erwähnte  König  Janaka  von  Videha  der- 
selbe ist  wie  der  Vater  der  Sita,  mufs  dahingestellt  bleiben. 
Einige  schwache  Beziehungen  zwischen  Rämäyana  und  Yajurveda 
hat  Weber^)  hervorgehoben.  Zum  ältesten  Bestand  der  Räma- 
Sage  dürfte  Sita,  die  Heldin  des  Epos,  gehören.  Ihr  Name 
bedeutet  »Ackerfurche«,  aus  der  Erde  ist  sie  hervorgekommen, 
und  Mutter  Erde  nimmt  sie  wieder  in  ihren  Schofs  auf.  Obwohl 
der  letztere  Zug  der  Sage  nur  im  späten  VII.  Buche  vorkommt, 
dürfte  er  doch  sehr  alt  sein.  Uralt  und  tief  in  die  vedische  Zeit 
hineinreichend  ist  jedenfalls  die  Vorstellung  von  einer  Ackerbau- 
göttin Sita,  die  schon  in  einem  Ackersegen  des  Rigveda  (IV, 
57,  6)  angerufen  wird.  Die  Grhyasütras  haben  uns  Gebetformeln 
aufbewahrt,  in  denen  sie  in  ungemein  lebendiger  Personifikation  — 
»lotusbekränzt,   an   allen  Gliedern  strahlend  .  .  .   schwarzäugig« 


»)  Siehe  Jacobi,  S.  94  ff. 

*)  Räma  kommt  in  den  alten  Upanisads  nicht  vor.  Die  Räma- 
piirvatäpaniyaUpanisad  u.  die  Rämottaratäpaniya-Upanisad  (Deussen, 
Sechzig  Upaniühads,  S.  802  ff.,  818  ff.)  sind  sehr  späte  Machwerke,  die 
nur  den  Namen  »Upanisad«  tragen;  in  ihnen  wird  Räma  als  Inkarnation 
des  Gottes  Vis^u  gefeiert. 

*)  Über  das  Rämäyana,  S.  8  f. 


—    439    — 

usw.*)  —  auftritt.  Doch  hat  Weber 2)  gewifs  recht,  wenn  er 
bemerkt,  dals  diese  vedische  Vorstellung  von  Sita  als  der  Göttin 
Ackerfurche  »durch  eine  breite  Kluft  von  ihrer  Aus- 
gestaltung in  der  Räma-Sage  getrennt«  ist.  Und  nichts  weist 
darauf  hin,  dafs  es  epische  Lieder  von  Räma  und  Sita  schon  in 
vedischer  Zeit  gegeben  habe').  Auch  wenn  wir  mit  Jacobi 
in  der  Sage  vom  Kampf  des  Räma  mit  Rävana  den  alten  Mythos 
vom  Kampf  des  Indra  mit  Vrtra  wiederfinden  wollen*),  bleibt 
die  »breite  Kluft«,  welche  Veda  und  Epos  voneinander  trennt, 
bestehen. 

Fassen  wir  die  Ergebnisse  xmserer  Untersuchungen  über  das 
Alter  des  Rämäyana  kurz  zusammen,  so  können  wir  folgendes 
sagen : 

1.  Die  jüngeren  Teile  des  Rämäyana,  insbesondere  die 
Bücher  I  und  VII,  sind  von  dem  echten  Rämäyana  der  Bücher  II 
bis  VI  durch  einen  langen  Zeitraum  getrennt. 

2.  Das  ganze  Rämäyana  samt  den  jüngeren  Bestandteilen 
war  schon  ein  altberühmtes  Werk,  als  das  Mahäbhärata  noch 
nicht  seine  jetzige  Gestalt  erlangt  hatte. 

3.  Es  ist  wahrscheinlich,  dafs  das  Rämäyana  in  der 
zweiten  Hälfte  des  2.  Jahrhunderts  n.  Chr.  bereits  seinen  jetzigen 
Umfang  und  Inhalt  hatte. 

4.  Aber  der  älteste  Kern  des  Mahäbhärata  ist  vermutlich 
älter  als  das  alte  Rämäyana. 

5.  Im  Veda  finden  wir  keine  Spur  eines  Räma-Epos  und 
nur  ganz  schwache  Spuren  einer  Räma-Sage. 

6.  Die  altbuddhistischen  Texte  des  Tipitaka  verraten  keine 
Kenntnis  des  Rämäyana,  enthalten  aber  Spuren  von  Akhyänas, 
in  welchen  die  Räma-Sage  besungen  wurde. 

')  Kausikasütra  106.  Siehe  A.  Weber,  »Omina  und  Portenta* 
(Abhandlungen  der  Berliner  Akademie  d.  W.  vom  Jahre  1858) 
S.  368  ff. 

^)  »Episches  im  vedischen  Ritual«  (Sitzungsber.  der  Berliner  Ak. 
d.  W.  vom  Jahre  1891),  S.  818. 

^)  Den  phantasievollen  Ausführungen  von  Julius  v.  Negelein, 
der  den  »Grundzug  der  Räma-Sitä-Legende"  im  Veda  entdecken  zu 
können  glaubt  (WZKM  XVI,  1902,  S.  226  ff.),  vermag  ich  nicht  zu 
folgen. 

«)  Jacobi,  S.  131. 


_    440    — 

7.  Offenbare  Spuren  des  Buddhismus  zeigen  sich  im  Rämäyana 
nicht,  möglicherweise  ist  aber  die  Charakterzeichnung  des  Räma 
auf  entfernte  buddhistische  Einfltisse  zurückzuführen. 

8.  Von  griechischen  Einflüssen  kann  im  Rämäyana  keine 
Rede  sein,  und  da«;  echte  Rämä)^ana  verrät  auch  keine  Bekannt- 
schaft mit  den  Griechen. 

9.  Es  ist  wahrscheinlich,  dafs  das  Rämäyana  im 
4.  oder  3.  Jahrhundert  v.  Chr.  von  Välmlki  unter  Benutzung 
alter  Äkhyänas  gedichtet  wurde. 

Die  Puränas   und   ihre  Stellung   in   der  indischen  Litteratur. 

Sowohl  inhaltlich  als  auch  chronologisch  ist  es  schwer,  die 
Puränas  in  die  Geschichte  der  indischen  Litteratur  einzureihen. 
Sie  gehören  eigentlich  zur  religiösen  Litteratur  imd  sind  für 
die  spätere  indische  Religion,  die  man  zuweilen  als  »Hinduis- 
mus« ^)  bezeichnet,  imd  die  in  der  Verehrung  des  Visnu  xmd 
des  v^iva  gipfelt,  ungefähr  das,  was  der  Veda  für  die  älteste 
Religion,  den  Brahmanismus,  bedeutet.  Wie  nahe  sich  aber 
andererseits  die  Puränas  mit  den  epischen  Dichtungen  be- 
rühren, geht  schon  daraus  zur  Genüge  hervor,  dafs  wir  in  den 
vorhergehenden  Kapiteln  wiederholt  von  ihnen  sprechen  mulsten. 
Ist  ja  das  Mahäbhärata  zum  grofsen  Teil,  der  Harivamsa-  fast 
ganz  nichts  anderes  als  ein  Puräna,  und  auch  die  jüngeren 
Bücher  und  Abschnitte  des  Rämäyana  nehmen  an  dem  Charakter 
der  Puränas  teil.  Die  Puränas  reichen  ferner  unzweifelhaft  in 
ein  sehr  hohes  Alter  hinauf  und  gehören  mit  ihren  Wurzeln  der 
vedischen  Litteratur  an;  aber  ebenso  unzw^eifelhaft  sind  die  uns 
unter  dem  Titel  »Puräna«  erhaltenen  Werke  jüngeren  Datums, 
und  bis  in  unsere  Tage  hinein  werden  Bücher  fabriziert,  die  sich 
den  stolzen  Titel  »Puräna«  beilegen  oder  sich  als  Bestandteile 
alter  Puränas  ausgeben.  Von  diesen  Werken  gilt  ganz  besonders, 
was  in  der  Einleitung  (oben  S.  27)  über  »neuen  Wein  in  alten 
Schläuchen«  gesagt  worden  ist.  Selbst  die  jüngsten  Erzeugnisse 
dieser  Litteratur  haben  die  äuisere  Form  und  die  altertümliche 
Einkleidung  der  ältesten  Puränas. 

')  Über  diese  Religion  vgl.  A.  Barth,  Religions  of  India,  2nd 
ed.  London  1889,  S.  153 ff.  und  E.  W.  Hopkins,  Religions  of  India, 
Boston  1895,  S.  434  ff.  Ganz  kurz  Edm.  Hardy,  Indische  Religions- 
geschichte, Leipzig  1898  (GöschenX  S.  108  ff. 


—    441     — 

Das  Wort  tPuräna«  bedeutet  wohl  ursprtinglich  nichts 
anderes  als  puräijam  äkhyänam,  d.  h.  »alte  ErzUhlungt. 
In  der  älteren  Litteratur,  in  Brähmanas,  Upanisads  und  alt- 
buddhistischen Texten  begegnet  uns  das  Wort  gewöhnlich  in 
Verbindung  mitltihäsa.  Es  wurde  aber  schon  bemerkt  (oben 
S.  261),  dafs  wir  bei  den  in  alter  Zeit  so  oft  erwähnten  »Itihäsas 
und  Puränas«  oder  »Itihäsapuräna«  nicht  an  eigentliche  Bticher, 
geschweige  denn  an  die  uns  erhaltenen  Epen  oder  Puränas  zu 
denken  haben.  Hingegen  ist  möglicherweise  schon  an  bestimmte 
Werke  gedacht,  wenn  im  Atharvaveda^)  neben  den  vier 
Vedas  auch  »das  Puräna«  aufgezählt  wird.  Sicher  bezeugt  ist 
aber  das  Vorhandensein  von  wirklichen  Puränas,  d.h.  von 
Werken,  deren  Inhalt  ungefähr  mit  dem  der  uns  erhaltenen 
Puränatexte  übereinstimmte,  erst  in  der  Sütralitteratur.  In  dem 
Gautama-Dharmasütra^),  welches  als  das  älteste  der  uns 
erhaltenen  Rechtsbücher  gilt,  wird  gelehrt,  dafs  dem  König  für 
seine  Rechtspflege  der  Veda,  die  Gesetzbücher,  die  Vedähgas 
und  »das  Puräna«  mafsgebend  sein  sollen.  Hier  kann  der  Aus- 
druck »das  Puräna«,  ähnlich  wie  »der  Veda«,  nur  eine  Litteratur- 
gattimg  bezeichnen.  Noch  wichtiger  ist  es,  dafs  ein  anderes 
Rechtsbuch,  das  Äpastamblya-Dharmasütra,  das  wahr- 
scheinlich dem  4.  oder  5.  Jahrhundert  v.  Chr.  angehört,  nicht 
nur  zwei  Zitate  aus  »dem  Puräna« ,  sondern  noch  ein  drittes 
Zitat  aus  einem  »Bhavisyat-Puräna«  enthält.  Zwar  findet  sich 
das    letztere    Zitat    in    dem    uns    unter    diesem  Titel  erhaltenen 


1)  XI,  7,  24.  In  dem  Vers  Ath.  V,  19,  9  wird  der  Rsi  Närada 
in  einer  Weise  angesprochen,  dafs  man  glauben  könnte,  der  Vers  sei 
einem  Puräi?a-Dialog  entnommen.  Vgl.  M.  Bloomfield,  SBE, 
Vol.  42,  S.  435. 

■■')  XI,  19.  So  auch  in  den  viele  Jahrhunderte  jüngeren  Gesetz- 
büchern des  ßrhaspati  (SBE,  Vol.  33,  S.  280)  und  Yäjftavalkya 
I,  3.  In  noch  jüngeren  Rechtsbüchern  werden  dann  ganz  allgemein 
die  Puränas  nicht  nur  unter  den  Rechtsquellen  aufgezählt,  sondern 
auch  an  zahllosen  Stellen  als  solche  zitiert.  Vgl.  Jolly,  Recht  und 
Sitte  (Grundrils  II,  8\  S.  30  f.  Der  Jurist  Kullüka  (zu  Manu  I,  1) 
zitiert  '■aus  dem  Mahäbhärata«  den  Vers:  »Das  Puräna,  Manus  Ge- 
setzbuch,, der  Veda  mit  den  Vedängas  und  die  Heilmittellehre  sind 
vier  Dinge,  die  durch  Befehl  feststehen;  sie  sind  nicht  mit  Gründen 
zu  widerlegen.«  In  unseren  Mahäbhärata- Ausgaben  kommt  der  Vers, 
soviel  ich  sehen  kann,  nicht  vor. 


—    442     — 

Puräna  nicht,  und  auch  die  beiden  anderen  Zitate  sind  in  unseren 
Purä^as  nicht  wörtlich  nachweisbar.  Wohl  aber  gibt  es  ähnliche 
Stellen  in  unseren  Texten  *),  und  es  ist  mehr  als  wahrscheinlich, 
dafs  unsere  Puränas  nur  Rezensionen  von  älteren  Werken  der- 
selben Gattung  sind,  nämlich  von  Werken  religiös-lehrhaften 
Inhalts,  in  denen  alte  Überlieferungen  über  die  Weltschöpfung, 
die  Taten  der  Gotter,  Heroen,  Heiligen  und  Urväter  des 
Menschengeschlechts,  die  Anfänge  der  berühmten  Königs- 
geschlechter u.  dgl.,  gesammelt  waren. 

Auch  das  Verhältnis  des  Mahäbhärata  zu  den  Puränas ^) 
weist  darauf  hin ,  dafs  die  letzteren  in  ein  hohes  Alter  hinauf- 
reichen und  dafs  es  jedenfalls  schon  lange  vor  dem  Abschlufs 
des  Mahäbhärata  Puränas  gegeben  hat.  Unser  Mahäbhärata 
nennt  sich  nicht  nur  selbst  ein  Puräna,  sondern  es  beginnt  auch 
ganz  so,  wie  die  Puränatexte  in  der  Regel  beginnen,  indem 
UgraSravas,  der  Sohn  des  Süta  Lomaharsana,  als  Erzähler  auf- 
tritt. Dieser  Ugrasravas  wird  als  »Puränakundigerc  bezeichnet, 
und  zu  ihm  sagt  Saunaka,  indem  er  ihn  auffordert,  zu  erzählen : 
»Dein  Vater  hat  dereinst  das  ganze  Puräna  gelernt;  ...  in  dem 
Puräna  werden  nämlich  die  Geschichten  von  Göttern  und  die 
Genealogien  der  Weisen  erzählt,  und  die  haben  wir  vorzeiten 
einmal  von  deinem  Vater  gehört.«  Ungemein  häufig  werden  im 
Mahäbhärata  Legenden  mit  den  Worten  »Es  wird  im  Puräna 
gehört«  eingeleitet;  »von  Puränakundigen  gesungene«  Gäthäs 
und  Slokas,  insbesondere  genealogische  Verse,  werden  an- 
geführt ;  ein  in  Prosa  abgef afster  Schöpfungsbericht  (Mbhär.  XII, 
342)  wird  als  »ein  Puräna«  bezeichnet;  das  Schlangenopfer  des 
Janamejaya  ^  wird  »im  Puräna«  gelehrt  und  Puränakundige 
empfehlen  es;  »in  Erinnerung  an  das  von  Väyu  verkündete 
Puräna«  3)  werden  die  vergangenen  und  zukünftigen  Weltzeitalter 
geschildert,  und  der  Harivamsa  zitiert  nicht  nur  ein  Väyu-Puräna, 
sondern  stimmt  an  vielen  Stellen  mit  dem  uns  erhaltenen  Väyu- 


')  Vgl.  G.  Bühler,  Ind.  Ant.  XXV,  1896,  S.  323  ff.  und  SBE  II, 
2nd  ed.,  1897,  S.  XXIX  ff. 

^)  Vgl.  A.  Holtzmann,  D^s  Mahäbhärata  IV,  S.  29 ff.  und 
E.  W.  Hopkins,  The  Great  Epic  of  India,  S.  47  ff . 

«)  Mbhär.  III,  191,  16.  Nach  Hopkins  a.  a.  O.  S.  48  f.  ist  die 
Schilderung  in  unserem  Väyu-Puräna  altertümlicher  als  die  im  Mahä- 
bhärata gegebene. 


—     443    ~ 

Puräna  wörtlich  überein.  Zahlreiche  Sagen,  Legenden  und  lehr- 
hafte Stücke  sind  den  Puränas  mit  den  Epen  gemeinsam.  Von 
der  R§ya§rnga-Legende  hat  Luders^)  nachgewiesen,  dafs  sie 
im  Padma-Puräna  eine  altertümlichere  Form  hat  als  in  unserem 
Mahäbhärata.  In  einem  allerdings  sehr  spät  hinzugefügten  Vers 
des  Mahäbhärata'')  werden  auch  schon  die  > achtzehn  Puränas« 
erwähnt.  Es  geht  aus  all  dem  hervor,  dafs  es  lange  vor  dem 
Abschlufs  des  Mahäbhärata  schon  Puränas  als  Litteraturgattung 
gegeben  hat,  und  dafs  auch  in  den  uns  erhaltenen  Puränas  vieles 
älter  ist  als  imser  jetziges  Mahäbhärata. 

Es  ist  aber  nur  scheinbar  paradox,  wfenn  wir  sagen,  dafs 
das  Mahäbhärata  älter  ist  als  die  Puränas,  und  die  Puränas 
älter  sind  als  das  Mahäbhärata.  Denn  die  Puränas  sind  eben- 
sowenig wie  das  Epos  einheitliche  Werke,  sondern  auch  in  ihnen 
findet  sich  altes  und  junges  nebeneinander.  Und  in  den  zahl- 
reichen Fällen,  wo  die  Puränas  imtereinander  und  mit  dem  Mahä- 
bhärata mehr  oder  weniger  wörtlich  übereinstimmen,  ist  es  wahr- 
scheinlicher, dafs  sie  alle  auf  eine  und  dieselbe  sehr  alte  Quelle 
zurückgehen,  als  dafs  ein  Werk  von  dem  anderen  abhängig  ist. 
Dafs  aber  imsere  jetzigen  Puränas  nicht  die  alten  Werke  selbst 
sind,  welche  diesen  Titel  trugen,  geht  schon  daraus  hervor,  dafs 
keines  von  ihnen  in  bezug  auf  seinen  Inhalt  mit  der  in  ihnen 
selbst  gegebenen  Definition  des  Begriffes  Puräna  übereinstimmt. 
Nach  dieser  gewifs  sehr  alten  Definition^)  soll  jedes  Puräna 
»fünf  Merkmale«  (pancalaksana)  haben,  d.  h.  fünf  Gegenstände 
behandeln:  1.  Sarga,  »die  Schöpfung«,  2.  Pratisarga,  »die  Wieder- 
schöpfung«, d.  h.  die  periodische  Vernichtung  und  Erneuerung 
der  Welten,  3.  Vam§a,  >die  Geschlechtsfolge«,  d.  h.  die  Genealogie 
der  Götter  und  Rsis,  4.  Manvantaräni,  »die  Manu- Zeiträume«, 
d.  h.  die  grofscn  Perioden,  deren  jede  einen  Manu  oder  Urvater 
des  Menschengeschlechts  hat,  und  5.  Vamsänucarita ,  »die  Ge- 
schichte der  Geschlechter« ,  nämlich  der  alten  und  neueren 
Königsgeschlechter,    deren    Ursprung    auf    die    Sonne   (Sonnen- 


')  Nachrichten  der  K.  Ges.  d.  Wissensch,  zu  Göttingen,  Phiiol.- 
hist.  Kl.,  1897,  Heft  1,  S.  8  ff. 

«)  XVIII,  6,  95.  Ein  anderer  Vers  XVIII,  5,  46  steht  nicht  in 
allen  Ausgaben. 

*)  Sie  findet  sich  in  allen  wichtigen  Puränas  und  ist  auch  durch 
das  angesehenste  alte  indische  Wörterbuch  Amarako§a  verbürgt. 


—     444     — 

dynastie)  und  den  Mond  (Monddynastie)  zurückgeführt  wird. 
Nur  zum  Teile  bilden  diese  fünf  Dinge  auch  den  Inhalt 
der  uns  erhaltenen  Puräiias;  die  einen  enthalten  viel  mehr 
als  das,  was  in  den  »fünf  Merkmalen«  eingeschlossen  ist, 
während  die  anderen  diese  Gegenstände  überhaupt  kaum  be- 
rühren, dafür  aber  ganz  andere  Dinge  behandeln.  Was  aber 
für  nahezu  alle  unsere  Puränas  ganz  besonders  bezeichnend  ist, 
ihr  sektarischer  Charakter,  d.  h.  dafs  sie  dem  Kult  irgend- 
eines Gottes,  des  Visnu  oder  des  §iva,  gewidmet  sind,  davon 
sagt  jene  alte  Definition  nichts  ^).  In  den  meisten  dieser  Werke 
finden  sich  auch  gröfsere  Abschnitte  über  die  Rechte  und 
Pflichten  der  Kasten  und  der  Asramas,  über  die  allgemein 
brahmanischen  Riten,  namentlich  die  Totenopfer  (Sräddhas)'), 
sowie  über  besondere  Zeremonien  und  Feste  (Vratas)  zu  Ehren 
des  Visnu  oder  des  §iva,  und  oft  auch  Abschnitte  über  Sähkhya- 
und  Yoga-Philosophie. 

Von  grofser  Wichtigkeit  für  die  Zeitbestimmung  der  wich» 
tigeren  Puränas  in  ihrer  jetzigen  Gestalt  sind  die  in  ihnen  ent- 
haltenen Königslisten  ^).  Sie  werden  in  der  R^el  in  der  Form 
von  Prophezeiungen  über  die  »künftigen«  Weltzeitalter  gegeben 
und  enden  mit  einer  Schilderung  des  Kaliyuga,  des  bösen  Zeit- 
alters, in  welchem  grausame  Barbaren  herrschen  und  alle  Religion 
\md  Moral  untergehen  werden.  Wir  begegnen  hier  den  aus  der  Ge- 
schichte bekannten  Djniastien  der  Nandas,  Mauryas,  Andhras  und 
Guptas,  und  nach  den  neuesten  Forschungen  sind  die  Angaben 
über  die  Regierungszeiten  der  aufgezählten  Herrscher  durchaus 

')  In  dem  Brahmavaivarta-Purä^a  heifst  es  allerdings,  dafs  die 
»fünf  Merkmale«  nur  für  die  Upapuräi^as  gelten,  während  die 
Mahäpuräijas  («die  grofsen  Puränas«)  zehn  »Merkmale«  haben, 
darunter  auch  »Lobpreis  des  Vis^u  und  der  Götter  im  einzelnen«. 
Das  Bhägavata-Puräna  gibt  ebenfalls  an  zwei  Stellen  {II,  10,  1  und 
XII,  7,  8 ff.)  »zehn  Merkmale«  des  »Puräna«  an.  (Vgl.  E.  Burnouf, 
le  BhÄgavata  Puräna,  t.  I,  Pr6f.  p.  XL  VI  ff.).  Aber  auch  diese 
Definitionen  entsprechen  nur  zum  Teil  dem  Inhalt  der  tatsächlich 
vorhandenen  Puränas. 

*)  Hier  stimmen  die  Puränas  oft  wörtlich  mit  jüngeren  Gesetz- 
büchern überein.  Vgl.  W.  Caland,  Altindischer  Ahnenkult,  S.  68, 
79,  U2. 

^)  Väyu-,  Matsya-,  Visnu-,  Brahmända-  und  Bhägavata-Puräna 
enthalten  solche  Listen. 


—     445    — 

nicht  so  unzuverlässig,  wie  man  früher  oft  geglaubt  hat  *).  Nach 
V.  A.  Smith  ist  das  Visnu-Puräna  die  beste  Quelle  für  die 
Mauryadynastie  (326 — 184  v.  Chr.)  und  das  Matsya-Puräna  für 
die  (236  n.  Chr.  endende)  Andhradynastie ;  während  das  Väyu- 
Puräna  die  Herrschaft  der  Guptas  so  beschreibt,  wie  sie  unter 
Candragupta  I.  (320 — 326  n.  Chr.)  gewesen  ist*).  Jedenfalls  ist 
es  bemerkenswert,  dafs  diese  Königslisten  nach  der  Gupta- 
dynastie  nur  mehr  einzelne  Namen  und  keine  Dynastien  mehr 
nennen.  Nun  starb  Skandagupta  I.  um  480  n.  Chr. ;  und  obwohl 
die  Guptadynastie  mit  ihm  noch  nicht  erlosch,  ging  doch  das 
Reich  der  Guptas  zugrunde  und  wurde  ein  Opfer  der  Einfälle 
der  weifsen  Hunnen^).  Um  5(X)  n.  Chr.  herrschte  der 
Hunnenhäuptling  Toramäna  in  Zentralindien;  ihm  folgte  515  sein 
Sohn  Mihirakula ,  der  —  nach  den  Worten  des  Geschichts- 
schreibers Kalhana*) —  »in  dem  von  Barbarenhorden  über- 
fluteten Reiche  wie  der  Todesgott«  herrschte,  Tag  und  Nacht 
von  Tausenden  von  Mördern  umgeben  war  und  selbst  gegen 
Kinder  und  Frauen  kein  Mitleid  kannte.  Die  Vermutung  liegt 
nahe,  dals  die  Schilderungen  des  Kaliyuga  in  den  Puränas  durch 
die  grausame  Hunnenherrschaft  eingegeben  sind.  Es  würde 
daraus  folgen,  dafs  die  bedeutenderen  Puränas  im  Anfang  des 
6.  Jahrhtmderts  n.  Chr.  ihre  jetzige  Gestalt  erhielten  5).  Das 
hindert  nicht,  dafs  ihre  erste  Zusammenstellung  schon  einige 
Jahrhxmderte  früher  stattgefunden  haben  kann,  imd  dafs  die  in 
ihnen  enthaltenen  Überlieferungen  zum  Teil  um  viele  Jahr- 
hunderte älter  sein  können.  Andererseits  soll  nicht  geleugnet 
werden,  dafs  manche  Puränatexte  viel  jüngeren  Urspnmgs  sind, 
und  dafs  auch  in  den  älteren  Werken  noch  in  späteren  Jahr- 
hunderten Zusätze  und  Änderungen  gemacht  wurden. 


0  V.  A.  Smith,  The  Early  History  of  India,  Oxford  1904,  S.  9 f. 
und  in  ZDMG  Bd.  56,  1902,  S.  672  f.  und  Bd.  57,  1903,  S.  607  f. 

«)  ZDMG  Bd.  56,  1902,  S.  654. 

»)  Smith,  Early  History,  S.  270 ff. 

*)  Räjatarangi^i  I,  289  ff. 

')  Wenn  man  mit  V.  A.  Smith  a.  a.  O.  S-  267  annimmt,  dafs  die 
wichtigeren  Puränas  im  »goldenen  Zeitalter  der  Guptas«  (330 — 455 
n.  Chr.)  ihre  gegenwärtige  Gestalt  erhalten  hätten,  versteht  man  nicht, 
warum  in  ihnen  gleich  nach  den  Guptas  die  Schilderung  des  schreck- 
lichen Kaliyuga  folgt. 


—     446    — 

Keinesfalls  aber  ist  die  früher  allgemeine  und  noch  immer  weit- 
verbreitete Ansicht  haltbar,  wonach  alle  unsere  Puränas  zu  den 
jtingsten  Erzeugnissen  der  Sanskritlitteratur  gehören  und  erst  in 
den  letzten  tausend  Jahren  entstanden  sein  würden  ^).  Denn  schon 
der  Dichter  Bäna  (um  625  n.  Chr.)  kennt  die  Puränas  genau 
und  erzählt  in  seinem  historischen  Roman  Harsacarita,  wie  er  in 
seinem  Heimatsdorf  einer  Vorlesung  des  Väyn-Puräna  beigewohnt 
habe.  Der  Philosoph  Kumärila  (um  750  n.  Chr.)  stützt  sich 
auf  die  Puränas  als  Rechtsquellen,  während  S  a  n  k  a  r  a  (9.  Jahr- 
hundert) und  Rämänuja  (12.  Jahrhundert)  sich  auf  sie  als 
heilige  Texte  zur  Stütze  ihrer  philosophischen  Lehren  berufen. 
Wichtig  ist  es  auch,  dafs  der  arabische  Reisende  Alberünl 
(um  1030  n.  Chr.)  mit  den  Puränas  sehr  vertraut  ist,  eine  Liste 
der  »achtzehn  Puränas«  gibt  und  nicht  nur  Aditya-,  Väyu-, 
Matsya-  und  Visnu-Puräna  zitiert,  sondern  auch  einen  der  ent- 
schieden jtingeren  Puränatexte,  das  Visnudharmottara,  sehr  genau 
studiert  hat^).  Die  irrige  Meinung,  dafs  die  Puränas  »ganz 
modern«  sein  müfsten,  hängt  auch  damit  zusammen,  dafs  man 
früher  immer  glaubte,  dafs  die  Puränareligion,  die  Visnu-  imd 
Siva- Verehrung,  jungen  Datums  sei.  Neuere  Forschungen  haben 
aber  bewiesen,  dafs  die  Sekten  der  Visnu-  und  Siva  Verehrer 
jedenfalls  in  die  vorchristliche  und  vielleicht  in  vorbuddhistische 
Zeit  zurückreichen  2). 

Die  gläubigen  Hindus  selbst  halten  die  Puränas  für  uralt. 
Sie  glauben,  dafs  derselbe  Vyäsa,  welcher  die  Vedas  geordnet 


')  Diese  Ansicht  wurde  zuerst  vob  H.  H.  Wilson  ausgesprcx;hen 
und  nach  ihm  oft  wiederholt.  Er  glaubte  in  den  Schilderungen  des 
Kaliyuga  Anspielungen  auf  die  mohammedanische  Eroberung  zu  sehen. 
Schon  Vans  Kennedy  (siehe  Wilson,  Works  X,  257  ff.)  ist  lebhaft 
für  ein  höheres  Alter  der  Puränas  eingetreten. 

")  Vgl.  G.  Bühler,  Ind.  Änt.  XIX,  1890,  S.  382 ff.  und  XXV, 
1896,  S.  328ff.  P.  Deussen,  System  des  Vedänta,  Leipzig  1883, 
S.  36.  V.  A.  Smith  a.  a.  O.  S.  18f.  Eine  Handschrift  des  Skanda- 
Purana  soll  nach  der  Schrift  aus  dem  7.  Jahrhundert  stammen.  (JRAS 
1903,  S.  193.)  Pargiter  (MärkandeyaPuränatransl.,  Introd.  p.  XI\1 
sucht  aus  den  Schriften  der  Jainas  das  hohe  Alter  der  Puränas  zu 
beweisen. 

")  Vgl.  G.  Bühler,  Epigraphia  Indica  II,  1894,  S.  ^5.  KadphisesII 
(um  -85  n.  Chr.)  war  ein  solcher  Öiva-Verehrer ,  dafs  er  auf  seine 
Münzen  ein  Bild  des  «iva  prägen  liefs  (V.  A.  Smith  a.  a.  O.  S.  264). 


—     447     — 

und  das  Mahäbhärata  verfalst,  auch  im  Beginne  des  Kaliyuga  ^). 
der  jetzigen  Weltperiode,  der  Verfasser  der  achtzehn  Puränas 
gewesen  sei.  Dieser  V3'äsa  ist  aber  eine  Form  des  erhabenen 
Gottes  Visnu  selbst,  »denn«  (sagt  das  Visnu-Puräna) '  »wer  anders 
hätte  das  Mahäbhärata  verfassen  können?«  Sein  Schüler  war 
der  Süta  Lomaharsana,  und  ihm  hat  er  die  Puränas  mitgeteilt  ^). 
So  haben  die  Puränas  göttlichen  Ursprung.  Und  der  Vedänta- 
philosoph  S  a  fi  k  a  r  a  beruft  sich  zum  Beweise  für  das  persönliche 
Dasein  der  Götter  auf  Itihäsas  und  Puränas,  weil  diese,  wie  er 
sagt,  nicht  nur  auf  dem  Veda,  sondern  auch  auf  sinnlicher  Wahr- 
nehmung beruhen,  —  nämlich  auf  der  Wahrnehmung  von  Leuten 
wie  Vyäsa,  die  persönlich  mit  den  Göttern  gesprochen  haben  ^)» 
Mit  der  Autorität  des  Veda  läfst  sich  allerdings  die  der  Puränas 
nicht  vergleichen.  Itihäsa  und  Puräna  sind  gewissermafsen  nur 
eine  Ergänzung  zum  Veda,  hauptsächlich  bestimmt  für  die  Be- 
lehrung der  zum  Vedastudium  nicht,  berechtigten  Frauen  imd 
Öüdras.  So  sagt  schon  ein  alter  Vers:  »Durch  Itihäsas  und 
Puränas  soll  man  den  Veda  stärken:  denn  der  Veda  fürchtet 
sich  vor  einem  Ungelehrten,  dals  dieser  ihm  schaden  könnte.«*) 
Zur  Erlangung  der  höchsten  Erkenntnis,  des  Wissens  vom 
Brahman,  dient  ausschliefslich  der  Veda,  sagt  Rämänuja^), 
während  Itihäsa  und  Puräna  nur  zur  Reinigung  von  Sünden 
führen.    Die  Puränas  sind  also  heilige  Bücher  zweiten  Grades*). 

')  So  nach  Mahäbh.  XII,  349  und  Sankara  in  seinem  Kommentar 
zu  den  Vedänta-Sütras  III,  3,  32. 

^)  Visnu -Puräija  III,  4  und  6.  Der  Name  Lomaharsana  (oder 
Romaharsana)  wird  im  Väyu-Puräna  I,  16  etymologisch  erklärt  als 
»einer,  der  durch  seine  schönen  Erzählungen  bewirkt,  dafs  sich  die 
Härchen  (loman)  am  Körper  der  Zuhörer  vor  Freude  sträuben 
(harsa^a)« . 

')  Ved-Sü.  I,  3,  33.  SEE,  Vol.  34,  S.  222.  Sankara  fügt  hinzu: 
Daraus,  dals  die  Menschen  heute  nicht  mehr  mit  den  Göttern  sprechen, 
folge  doch  keineswegs,  dafs  dies  in  alten  Zeiten  nicht  der  Fall  ge- 
wesen sei. 

*)  Der  Vers  wird  von  Rämänuja  (SEE,  Vol.  48,  S.  91)  al» 
»Puränatext«  zitiert.  Er  findet  sich  Väyu-Pur.  I,  201;  Mahäbhär.  L 
1,  267  und  Väsistha-Dharmas.  27,  6. 

")  SEE,  Vol.  48,  S.  338  f. 

*)  Am  deutlichsten*  drückt  dies  Rämänuja  (zu  Ved.-Sü.  II,  t,  3, 
SEE,  Vol.  48,  S.  413)  aus,  wenn  er  sagt,  dafs  die  Puränas  zwar  vom 
Schöpfer  Hiranyagarbha  verkündet  sind,  dafs  sie  aber  (ebensowenig 


—     448     — 

Und  das  ist  auch  leicht  erklärlich.  Denn  ursprünglich  waren 
die  Puränas  überhaupt  keine  Priesterlitteratur»  Die  Sütas  oder 
Barden  waren  ohne  Zweifel  ebenso  die  Schöpfer  und  Träger  der 
ältesten  Puränadichtung  wie  der  Epik.  Darauf  deutet  noch  der 
Umstand  hin,  dals  in  fast  allen  Puränas  der  S  ü  t  a  Lomaharsana 
oder  sein  Sohn  Ugrasravas,  »der  Sauti«,  d.  h.  »des  Süta  Sohn«, 
als  Erzähler  auftritt.  So  sehr  ist  dies  der  Fall,  dafs  Süta  und 
Sauti  in  den  Puränas  fast  wie  Eigennamen  gebraucht  werden. 
Der  Süta  aber  war  sicherlich  kein  Brahmane,  und  er  hatte  mit 
dem  Veda  nichts  zu  schaffen  *).  Als  aber  das  alte  Bardentum  — 
wir  wissen  nicht,  wann  —  aufhörte,  ging  diese  Litteratur  nicht 
in  die  Hände  der  gelehrten  Brahmanen,  der  Vedakenner, 
über,  sondern  die  niedrigere  Priesterschaft,  die  in  Tempeln  und 
Wallfahrtsorten  sich  ansammelte,  bemächtigte  sich  ihrer;  und 
diese  ziemlich  ungebildeten  Tempelpriester  benutzten  sie  zur 
Verherrlichung  der  Gottheiten,  denen  sie  dienten,  und  in  späterer 
Zeit  immer  mehr  zur  Anpreisung  der  Tempel  und  Wallfahrts- 
orte, in  denen  sie  ihren  Unterhalt  fanden  und  sich  oft  be- 
reicherten 2).  Wie  sehr  aber  trotzdem  die  Inder  bis  zimi  heutigen 
Tage  an  die  Heiligkeit  der  Puränas  glauben,  das  zeigt  am  besten 
ein  Vortrag,  den  Manilal  N.  Dvivedi  auf  dem  Orientalisten- 
kongrefs  in  Stockholm  (1889)»)  gehalten  hat.  Als  ein  Mann 
von  europäischer  Bildung  spricht  er  von  Anthropologie  und 
Geologie,  von  Darwin,   Haeckel,  Spencer  und  Quatrefages,   aber 


wie  Hiranyagarbha  selbst)  von  den  Eigenschaften  der  Leidenschaft 
(rajas)  und  der  Finsternis  (tamas)  frei  und  daher  dem  Irrtum  unter- 
worfen sind. 

')  »Für  den  Süta  gibt  es  gar  keine  Berechtigung  in  bezug  auf 
den  Veda«,  sagt  das  Väyu-Puräija  I,  33,  und  auch  nach  Bhäg.-Pur. 

I,  4,  13  ist  der  Süta  »im  ganzen  Bereiche  der  Reden«  d.  h.  in  der 
ganzen  Litteratur  bewandert  »mit  Ausnahme  des  Veda«.  Vgl. 
E.  Burnouf,  Le  Bhägavata-Puräija  I,  p.  XXIX  und  Llllff. 

')  Mit  unverhohlener  Verachtung  spricht  der  Geschichtschreiber 
Kai  ha  9a  von  diesen  Priestern.  Vgl.  M.  A.  Stein,  Kalha^as 
RäjataranginI  .  .  translated  .  .  .  (Westminster  1900),  Vol.  I,  Intro- 
duction,  p.  19  f.  Sowohl  die  Epen  als  auch  die  Puränas  werden  heut- 
zutage von  eigenen  zur  Brahmanenkaste  gehörigen  »Rezitatoren« 
(Päthakasj  oder  »Erzählern«  (Kathakas)  vorgetragen. 

^)  Actes  du  86me  Congres  Internat,  des  Orientalistes  (Leiden  1893) 

II,  S.  199  ff. 


_    449    — 

nur  um  zu  beweisen,  dafs  die  Weltanschauung  der  Puränas  und 
deren  Lehren  über  die  Weltschöpfung  wissenschaftliche  Wahr- 
heiten sind,  wie  er  denn  überhaupt  in  ihnen  überall  nur  höchste 
Wahrheit  und  tiefste  Weisheit  erblickt  —  wenn  man  nur  alles 
richtig,  d.  h.  symbolisch,  auffafst. 

Für  uns  sind  die  Puränas  als  Geschichtsquellen,  insbesondere 
für  die  Religionsgeschichte,  unschätzbar  und  verdienen  ein  viel 
eingehenderes  Studium,  als  sie  bisher  erfahren  haben.  Als 
litterarische  Erzeugnisse  sind  sie  durchaus  keine  erfreuliche  Er- 
scheinung. Sie  sind  in  jeder  Beziehung  formlos  und  mafslos. 
Die  saloppe  Sprache  und  die  kunstlosen  Verse,  in  denen  um  des 
Metrums  .willen  oft  die  Grammatik  vergewaltigt  wird ,  sind  für 
diese  Werke  ebenso  charakteristisch  wie  das  wirre  Durch- 
einander des  Inhalts  und  die  mafslosen  Übertreibungen.  Nur 
ein  paar  Beispiele  für  die  letzteren.  Während  Urvaäi  im  Rigveda 
vier  Jahre  bei  Purüravas  weilt,  verleben  die  beiden  Liebenden 
im  Visnu-PuüEna  61000  Jahre  in  Lust  und  Wonne.  Während 
selbst  die  älteren  Puränas  nur  sieben  Höllen  kennen,  spricht 
das  BhSgavata-Puräna  von  »Hundert  und  Tausenden!  von  Höllen, 
imd  das  Garucja-Puräna  zählt  deren  nicht  weniger  als  8  400  000*). 
Je  jünger  ein  Puräna  ist  —  das  kann  als  allgemeine  Regel 
gelten  — ,  desto  mafsloser  sind  die  Übertreibungen.  Auch  dies 
deutet  darauf  hin,  dafs  es  eine  minderwertige  Klasse  von 
Litteraten,  der  niedrigeren,  ungebildeten  Priesterschaft  angehörig, 
war,  die  sich  mit  der  Überlieferung  der  Puränas  befafste.  Doch 
haben  sich  auch  viele  alte  Königssagen  imd  manche  Sehr  alte 
genealogische  Verse  (anuvaipsasloka)  und  Gesangsstrophen 
(gäthäs)  aus  der  ursprünglichen  Barde ndichtung  in  die 
jüngeren,  uns  erhaltenen  Texte  hinübergerettet.  Und  glücklicher- 
weise haben  die  Zusammensteller  der  Puränas,  die  ganz  wahllos 
verfuhren,  auch  das  Gute  nicht  verschmäht,  und  manche  in  Form 
und  Inhalt  an  die  Upanisads  erinnernde  Dialoge  sowie  einzelne 
gedankentiefe,  der  alten  Asketendichtung  entnommene  Legenden 
und  Sprüche  in  ihre  Texte  aufgenommen.  So  wird  die  folgende 
kurze  Übersicht  über  die  wichtigsten  Puränas  und  ihren  Inhalt 
zeigen,  dafs  es  auch  in  der  Wüste  der  Puräna litteratur  an  Oasen 
nicht  fehlt. 


')  Scherman,  VisionsütterÄtur,  S.  32 f. 


—     450     — 

Übersicht  über  die  Puräna-Litteratur  ^). 

Einstimmig  wird  in  den  uns  erhaltenen  Puränas  selbst  die 
Zahl  der  vorhandenen,  »von  Vyäsa  verfafsten«  Puränas  als 
achtzehn  angegeben ;  und  auch  in  bezug  auf  ihre  Titel  herrscht 
fast  vollständige  Übereinstimmung.  Eigentümlich  ist  es,  dafs  eine 
und  dieselbe  Liste  von  »achtzehn  Puränas«  in  jedem  einzelnen 
von  ihnen  selbst  gegeben  wird,  als  ob  keines  das  erste  und  keines 
das  letzte  wäre,  sondern  alle  schon  bestanden  hätten,  als  jedes 
einzelne  verfafst  wurde.  Es  ist  dies  wieder  nur  ein  Beweis,  dafs 
keines  der  Puränas  uns  in  seiner  ursprünglichen  Form  er- 
halten ist. 

Aufserdem  werden  auch  schon  in  manchen  Puränas  selbst 
sogenannte  :>Upapuränas«  oder  »Neben-Puränas«  erwähnt, 
deren  Zahl  ebenfalls  zuweilen  als  achtzehn  angegeben  wird  2). 
Während  aber  in  den  Aufzählungen  der  Puränas  eine  fast  voll- 
ständige Übereinstimmung  in  bezug  auf  die  Titel  herrscht,  ist 
dies  bei  den  Titeln  der-  Upapuränas  keineswegs  der  Fall.  Offenbar 
gab  es  eine  bestimmte  Tradition  über  das  Vorhandensein  von 
achtzehn  Puränas,  während  sich  jeder  beliebige  moderne  religiöse 
Text  den  Titel  eines  »Upapuräna«  beilegen  konnte,  sofern  es  der 
Verfasser  nicht  vorzog,  sein  Werk  als  einen  Bestandteil  eines 
der  »achtzehn  Puränas«  auszugeben.    Das  letztere  ist  namentlich 


')  Am  eingehendsten  hat  sich  H.  H.  Wilson  mit  den  Puränas 
beschäftigt  in  seinen  zuerst  1832  ff.  erschienenen  »Essays  on  Sanskrit 
Literature«  und  in  der  Einleitung  und  den  Anmerkungen  zu  seiner 
Übersetzung  des  Visnu-Puräna  (s.  Works  by  the  late  H.  H.'  Wilson, 
ed.  by  R.  Rost  and  Fitzedward  Hall,  Vol.  III,  S.  1—155  und  Vol.  VI, 
Preface).  Einen  Vorgänger  hatte  er  an  V ans  Kennedy,  Researches 
into  the  Nature  and  Affinity  of  Ancient  and  Hindu  Mythology,  London 
1831.  Aufserdem  haben  sich  noch  Eugene  Burnouf  (Vorrede  zu 
seiner  Ausgabe  und  Übersetzung  des  Bhägavata-Purä^a)  und  die 
Herausgeber  der  grofsen  Handschriftenkataloge,  insbesondere  Th.  Auf- 
recht (Catalogus  codd.  MSS.  Sanscriticorum  ...  in  Bibliotheca  Bod- 
leiana.  Oxonii  1859,  S.  7  ff)  und  Julius  Eg geling  (Catalogue  of  the 
Sanskrit  Manuscripts  in  the  Library  of  the  India  Office,  Part  VI, 
London  1899)  um  die  Erforschung  der  Purä^a-Litteratur  verdient 
gemacht. 

-)  Das  Matsya-Puräna  erwähnt  aber  nur  vier  Upapuräj^as.  Das 
Brahnmvaivarta-P.  sagt,  dafs  es  achtzehn  Upap.  gebe,  ohne  sie  auf- 
zuzählen.   Das  Kürma-Pur.  zählt  sie  auf. 


—    451     — 

der  Fall  bei  den  aufserordentlich  zahlreichen  Mähätmyas, 
d.  h.  > Verherrlichungen«  von  heiligen  Stätten  (Wallfahrtsorten, 
Tlrthas)*).  Aber  auch  viele  Stotras,  d.  h.  »Lobgesänge« 
(gewöhnlich  auf  Visnu  oder  §iva,  aber  auchauf  andere  Gott- 
heiten), Kaipas,  d.  h.  »Ritualien«  und  Akhyänas  oder 
Upäkhyänas,  d.  h.  »Legenden«  geben  sich  als  zu  diesem  oder 
jenem  alten  Puräna  gehörig  aus. 

Wir  geben  nun  eine  kurze  Übersicht  über  den  Inhalt  der 
achtzehn  Puränas,  wobei  wir  nur  bei  den  wichtigsten  etwas 
länger  verweilen  können.  Die  Reihenfolge  ist  die,  wie  sie  im 
Visnu-  und  Bhägavata-Puräna  gegeben  ist. 

I.  Das  Brahma-  oder  Brahma  Puräna*).  Dieses  wird 
in  allen  Listen  als  das  erste  aufgeführt  und  daher  auch  zuweilen 
Ädi- Puräna,  d.  h.  »das  erste  Puräna«  genannt.  In  der  Ein- 
leitung wird  erzählt,  dals  die  Rsis  im  Naimi§a- Walde  von  Loma- 
harsana,  dem  Süta,  besucht  werden  und  sie  ihn  auffordern,  ihnen 
vom  Ursprung  und  Ende  der  Welt  zu  erzählen.  Darauf  erklärt 
der  Süta  sich  bereit,  ihnen  das  Puräna  mit2Uteilen,  welches  einst 
der  Schöpfer  Brahman  dem  Daksa,  einem  der  Urväter  des 
Menschengeschlechts,  offenbart  habe.  Es  folgen  dann  die  allen 
Puränas  mehr  oder  weniger  gemeinsamen  Sagen  über  die  Welt- 
schöpfung, die  Geburt  des  Urmenschen  Manu  und  seiner  Nach- 
kommen, die  Entstehung  der  Götter,  Halbgötter  und  anderer 
Wesen  sowie  eine  Beschreibung  der  Erde  mit  ihren  verschiedenen 
Abteilungen,  der  Höllen  und  der  Himmel.  Daran  schliefst  sich 
eine  Aufzählung  einzelner  heiliger  Wallfahrtsorte  (Tirthas).  Diese 
gipfelt  in  der  Verherrlichung  des  heiligen  Ortes  Utkala  (des 
heutigen  Orissa),  welche  einen  grofsen  Teil  des  ganzen  Werkes 
einnimmt.  Da  Utkala  seine  Heiligkeit  der  Sonnenverehrung  ver- 
dankt, finden  wir  hier  auch  Mythen  vom  Ursprung  der  Adityas 
(der  Lichtgötter)  und  vom  Sonnengott  Sürya.  Die  Beschreibung 
eines  dem  Siva  heiligen  Waldes  in  Utkala  gibt  Anlafs  zu  Er- 
zählungen von  der  Geburt  der  Umä,  der  Tochter  des  Himälaya, 
und    ihrer    Vermählung    mit   §iva,    sowie  anderer   .^iva-Mythen. 


»)  Nicht  so  zahlreich  sind  die  »Mähätmyas«  von  heiligen  Texten 
oder  von  Riten  und  Festen. 

")  D.  h.  »Das  brahmische  Puräna«  oder  »Das  Puräna  des  Brah- 
man«; ebenso  erklären  sich  alle  anderen  Doppeltitel,  z.  B.  Vaisnava- 
(»das  vis^uitische«)  oder  Visnu-Purä^  (»das  Puräipa  des  Visnu«). 

Winternitz,  Geschichte  der  indischen  Litteratur.  o\i 


—    452     — 

Wieder  ein  anderes  Gebiet  von  Utkaia  ist  dem  Visnu  heilig, 
und  in  die  Beschreibung  des  Ortes  werden  Sagen  zur  Ver- 
herrlichung des  Visnu  eingeflochten.  Hier  wird  auch  die  reizende 
Legende  von  dem.  Büfser  Kandu*)  erzählt,  der  mit  einer 
schönen  Apsaras  viele  hundert  Jahre  in  süfsem  Liebesgetändel 
verbringt  und,  endlich  aus  seinem  Liebestaumel  erwachend, 
glaubt,  es  seien  nur  wenige  Stunden  eines  einzigen  Tages  ver- 
flossen. Auf  einen  kurzen  Bericht  über  die  Verkörperungen 
(Avatäi*as)  des  Visnu  folgen  die  gewöhnlichen  Legenden  von 
Xrsna  in  genauer,  oft  wörtlicher  Übereinstimmung  mit  dem 
Visnu-Puräna.  Dann  folgt  eine  Reihe  von  Kapiteln  über 
^räddhas  (Manenopfer)  und  andere,  insbesondere  visnuitiscKe 
Zeremonien,  Ausführungen  über  die  Zeiteinteilung,  die  Welt- 
perioden (Yugas),  die  Entartung  der  Menschheit  im  Kaliyuga 
und  die  periodische  Zerstörung  der  Welt  und  zum  Schluls  eine 
Darstellung  der  Yoga-  und  Särikhya-Philosophie. 

Auf  Gnmd  der  Daten,  die  wir  über  die  Gründung  der  Tempel 
von  Orissa  haben,  nimmt  Wilson  an,  dafs  dieses  Puräna,  das 
zum  grofsen  Teil  ein  Mähätmya  von  Orissa  ist,  erst  im  13. 
oder  14.  Jahrhundert  verfalst  worden  sei.  Der  Schlufs  ist  aber 
nicht  zwingend.  Es  können  die  auf  die  betreffenden  Heiligtümer 
bezüglichen  Abschnitte  auö  jener  Zeit  stammen,  aber  in  ein 
viel  älteres  Werk  eingefügt  worden  sein. 

Der  sogenannte  Uttarakhanda  (d.  h.  »letzter  Abschnitt«) 
des  Brahma-Puräna  hat  mit  diesem  Puräna  selbst  gar  nichts 
gemein,  sondern  ist  wesentlich  nur  das  Mähätmya  irgendeines 
heiligen  Flusses. 

n.  Das  Pädma-  oder  Padma-Puräna,  Von  diesem 
umfangreichen  Werke  —  es  enthält  mehr  als  50  000  i^lokas  — 
gibt  es  zwei  verschiedene  Rezensionen.  Die  ältere,  die  man  als  »die 
bengalische«  bezeichnen  kann,  da  sie  uns  in  bengalischen  Hand- 
schriften überliefert  ist,  besteht  aus -fünf  Büchern  oder  Khandas^). 


^)  A.  L.  Ch^zy  hat  diese  Legende  im  1.  Bande  des  Journal 
Asiatique,  1822,  S.  1—16,  übersetzt.  Danach  deutsch  in  Schlegels 
»Indischer  Bibliothek«,  I  (1822,\  S.  257 ff.  Eine  poetische  Über- 
tragung gibt  A.  Hoefer,  Indische  Gedichte,  I,  S.  43ff.  Die  Legende 
wird  auch  im  Visjju-Puräna  I,  15  erzählt. 

'■')  Die  zweite  Rezension,  vertreten  durch  die  1894  in  der 
Anandäsrama   Sanskrit    Series   in   Poona  erschienene   Ausgabe   von 


—     453     — 

Das  erste  Buch,  Srstikhancja,  d.  h.  »Abschnitt  von  der 
Schöpfung«,  beginnt  mit  der  Beschreibung  des  Lotus  (padma), 
in  welchem  der  Gott  Brahman  bei  der  Schöpfung  erscheint.  Die 
kosmologischen  imd  kosmogonischen  Mythen  werden  auch  hier 
ähnlich  wie  in  den  anderen  Puränas  erzählt.  Als  erste  Ursache 
wird  aber  in  diesem  Buch  nicht  Visnu,  sondern  das  höchste 
Brahman  in  der  Form  des  persönlichen  Gottes  Brahman  an- 
genommen. Trotzdem  trägt  auch  dieses  Buch  visnuitischen 
Charakter  und  enthält  M)rthen  und  Legenden  zur  Verherrlichung 
des  Visnu.  Einen  Hauptteil  des  Buches  bildet  aber  die  Be- 
schreibung des  dem  Brahman  heiligen  Teiches  Puskara  (Pokher 
in  Ajmir),   der  als  Wallfahrtsort  empfohlen  und  gepriesen  wird. 

Das  zweite  Buch,  Bhümikhan(}a,  d.  h.  > Abschnitt  von 
der  Erde«,  beginnt  mit  der  Geschichte  des  bertihmten  Visnu- 
Verehrers  Prahläda,  die  wir  im  Visnu-Puräna  kennen  lernen 
werden.  Aufser  einer  Beschreibung  der  Erde  enthält  dieses 
Buch  zahlreiche  Legenden,  welche  die  Heiligkeit  verschiedener 
Tlrthas  oder  heiliger  Stätten  beweisen  sollen.  Als  Tirthas 
gelten  aber  nicht  nur  heilige  Orte,  sondern  auch  Personen, 
wie  der  Lehrer,  der  Vater  oder  die  Gattin.  Als  Beweis  dafür, 
wie  eine  Gattin  »ein  Tirthac  sein  kann,  wird  z.  B.  die  Geschichte 
der  Svikalä  erzählt,  deren  Gemahl  eine  Wallfahrt  unternimmt 
und  sie  in  Not  und  Elend  zurückläfst;  trotzdem  bemühen 
sich  der  Liebesgott  Käma  und  der  Götterkönig  Indra  vergebens, 
sie  zvL  verführen;  sie  bleibt  ihrem  Gatten  treu,  und  als  er  von 
fler  Wallfahrt  zurückkehrt,  empfängt  er  (!)  himmlischen  Lohn 
um  der  Tugenden  seiner  Gemahlin  willen.  Hier  wird  auch,  um 
zu  beweisen,  dals  ein  Sohn  »ein  Tirtha«  sein  kann,  die  uns  schon 
aus  dem  Mahäbhärata  bekannte  Geschichte  von  Yayäti  und  seinem 
Sohn  Püru  erzählt. 

Das  dritte  Buch,  Svargakhan^a,  d.  h.  »Abschnitt  von 
den  Himmeln«,  gibt  eine  Beschreibung  der  verschiedenen  Götter- 
welten, der  Welten  des  Sürya,  Indra,  Agni,  Yama  usw.,  in  welche 
zahlreiche  Mythen    und   Legenden   eingeflochten  sind.     Eine  Er'- 


N.  N.  Mandlick  in  5  Bänden,  besteht  aus  6  Kha^das:  Ädi-,  Bhümi-, 
Brahma-,  Pätäla-.  Srsti-  und  Uttara-Khanda.  Dafs  dies  eine  jüngere 
Rezension  ist,  hat  Lüders  (Nachrichten  der  K.  Ges.  d.  Wiss.  zu 
Göttingen,  phil.-hist.  Kl.  1897,  Heft  1,  S.  8)  bewiesen. 

30* 

5 


—    454    — 

wähnung  des  Königs  Bharata  gibt  den  Anlafs  zur  Erzählung 
der  Geschichte  der  Sakuntalä ,  die  hier  nicht  so  wie  im  Mahä- 
bhärata,  sondern  mehr  in  Übereinstimmung  mit  dem  Drama  des 
Kalidäsa  erzählt  wird ').  Eine  Schilderung  der  Welt  der  Apsaras 
veranlafst^  die  Erzählung  der  Sage  von  Purüravas  und  Urvasl. 
Auch  zahlreiche  andere  Legenden,  die  aus  den  Epen  bekannt 
sind,  kehren  in  diesem  Buche  wieder.  Ferner  enthält  es  Be- 
lehrungen über  die  Pflichten  der  Kasten  und  der  Asramas,  über 
die  Arten  der  Visnu- Verehrung  und  allerlei  über  Ritual  und  Moral. 

Das  vierte  Buch,  Pätälakhanda,  d.  h.  »Abschnitt  von 
der  Unterwelt«,  schildert  zunächst  die  unterirdischen  Regionen, 
insbesondere  die  Wohnungen  der  Nägas  oder  Schlangengottheiten. 
Eine  Erwähnung  des  Rävana  ist  der  Anlafs  zur  Erzählung  der 
ganzen  Räma-Sage,  die  hier  zum  Teil  in  Übereinstimmung  mit 
dem  Rämäyana,  zum  Teil  aber  auch  in  oft  wörtlicher  Über- 
einstimmung mit  Kälidäsas  Epos  Raghuvarnsa  gegeben  wird. 
Hier  finden  wir  auch  die  Rsyasrnga-Legende  in  einer  Version, 
die  altertümlicher  ist  als  die  in  imserem  Mahäbhärata  ^).  Der 
eigentlichen  Räma-Sage  geht  eine  Geschichte  der  Vorfahren  des 
Räma  voraus,  die  mit  Manu,  dem  Sohn  des  Sonnengottes,  und 
seiner  Errettung  aus  der  Sintflut  beginnt.  Den  Schlufs  des 
Pätälakhanda  bildet  eine  ausführliche  Belehrung  über  die  achtzehn 
Puränas.  Hier  hei f st  es,  dafs  Vyäsa  zuerst  das  Pädma-Puräna 
verkündet  habe,  dann  sechzehn  andere,  zuletzt  aber  das 
Bhägavata-Puräna ,  welches  als  das  heiligste  Buch  der  Visnu- 
Verehrer  verherrlicht  wird. 

Ein  streng  visnuitischer  Text  ist  das  fünfte  Buch,  der 
Uttarakhanda.  Hier  wird  in  eingehender  und  geradezu  in- 
toleranter Weise  der  Kult  des  Visnu  gelehrt.  Bezeichnend  ist 
die  folgende  Legende: 

Der  Heilige  Bhrgu  wird  von  den  Rsis  ausgesandt,  um  zu  sehen, 
welcher  Gott  am  meisten  die  Eigenschaft  der  Güte  besitze  und  daher 
die  höchste  Verehrung  verdiene.    Bhrgu  kommt  zu  Siva,  der  aber  mit 


')  Soweit  ich  diesen  Abschnitt  aus  der  Oxforder  Handschrift  des 
Padma-Puräna  kenne,  scheint  es  mir  wahrscheinlicher,  dafs  Kalidäsa 
das  Padma-Purä^a  benutzt  hat,  als  umgekehrt.  Doch  müfsten,  um 
die  Frage  zu  entscheiden,  die  Versionen  des  Mahäbhärata,  des  Padma- 
Purä^a  und  des  Dramas  von  Kalidäsa  erst  genau  verglichen  werden. 

^)  Siehe  Lüders  a.  a.  O.  und  oben  S-  342  ff. 

I 


—     455     — 

seiner  Gattin  gerade  dem  Liebesgenufs  frönt  und  den  Heiligen  gar 
nicht  vorlälst.  Er  kommt  zu  Brahman,  der,  von  den  Rsis  umgeben, 
80  von  sich  eingenommen  und  so  aufgeblasen  ist,  dafs  er  des  Weisen 
gar  nicht  achtet.  Nun  begibt  sich  Bhrgu  zu  Vis^u,  der  eben  schläft. 
Mit  einem  Fufstritt  auf  die  Brust  weckt  er  den  Gott  auf.  Visnu  wacht 
auf  —  streichelt  sanft  den  Fufs  des  Weisen  und  erklärt,  er  fühle 
sich  durch  die  Berührung  hochgeehrt  und  beglückt.  Über  diese 
Liebenswürdigkeit  ist  Bhrgu  so  entzückt,  dafs  er  erklärt,  nur  Visnu 
allein  sei  geeignet,  als  höchster  Gott  verehrt  zu  werden. 

In  diesem  Buch  findet  sich  auch  eine  Verherrlichung  der 
Bhagavadgltä ,  indem  das  Verdienst  der  Lesung  jedes  ein2elnen 
Gesanges  durch  Legenden  illustriert  wird.  Eine  Art  Anhang 
zum  Uttarakhancja  ist  der  Kriyäyogasära^)  (»die  Essenz  der 
praktischen  Andacht«),  ein  Text,  in  welchem  gelehrt  wird,  wie 
Visnu  nicht  durch  Nachdenken  (dhyänayoga),  sondern  durch 
heilige  Handlungen  zu  verehren  sei,  so  durch  Wallfahrten  zum 
Ganges"),  durch  Opfer,  Zeremonien  und  Gebete,  durch  Feiern 
der  dem  Vi§nu  geweihten  Feste  u.  dgl. 

Wahrscheinlich  sind  alle  diese  Bücher  nichts  anderes  als 
fünf  verschiedene  Werke,  die  sich  alle  den  Titel  eines  Padma- 
Puräna  beigelegt  und  von  denen  wohl  nur  die  ersten  drei, 
hauptsächlich  aber  der  Srstikhanda ,  Bestandteile  eines  älteren 
Padma-Puräi^a  in  sich  aufgenommen  haben.  Zahlreiche  andere 
moderne  Werke,  Mähätmyas  und  Stotras,  geben  sich  als  Teile 
des  Padma-Puräna  aus®). 

IIL  Das  Vaisnava-  oder  Vi§nu-Puräna.  Dieses  ist 
das  Hauptwerk  der  Vaisnavas  oder  Visnu- Verehrer  und  wird 
von  dem  Philosophen  Rämänuja,  dem  Begründer  der  visnuitischen 
Sekte  der  Rämänujas,  in  seinem  Kommentar  zu  den  Vedänta- 
sütras  oft  als  gewichtige  Autorität  zitiert.  Visnu  wird  in  diesem 
Werk  als   höchstes  Wesen ,   als  der  eine  und  einzige  Gott ,   mit 


')  Mehrere  Auszüge  aus  diesem  Buch  finden  sich  übersetzt  bei 
A.  E.  Wollheim  da  Fonseca,  Mythologie  des  alten  Indien.  Berlin 
o.  J.  Eine  Übersicht  über  den  Inhalt  gibt  derselbe  Gelehrte  im 
»Jahresbericht  der  D.  M.  G.«'  für  das  Jahr  1846,  S.  153-159. 

2)  Die  schöne  Liebesgeschichte  von  Mädhava  und  Sulocanä,  welche 
Schack  (Stimmen  vom  Ganges,  S.  156  ff.)  so  schön  wiedergegeben 
hat,  wird  hier  zum  Beweis  der  Heiligkeit  des  Zusammenflusses  von 
Ganges  und  Jamna  erzählt. 

»)  Vgl.  Th.  Aufrecht,  Catalogus  Catalogorum  I,  S.  322  f. 


—  456    — 

dem  auch  Brahman  und  l§iva  eins  sind,  sowie  als  Schöpfer  und 
Erhalter  der  Welt  gepriesen  vind  verherrlicht  Dennoch  fehlen 
gerade  in  diesem  Puräna  alle  Hinweise  auf  besondere  dem  Visnu 
geweihte  Feste,  Opfer  und  Zeremonien;  njcht  einmal  Vis^u- 
Tempel  werden  erwähnt,  noch  auch  dem  Visnu  heilige  Orte. 
Schon  dies  läfst  auf  ein  hohes  Alter  des  Werkes  schliefsen. 
Auch  der  alten  Definition  des  Begriffes  Puräiia  (oben  S.  443) 
kommt  das  Visnu-Puräna  am  nächsten,  indem  es  nur  wenig  ent- 
hält, was  in  jenen  »fünf  Merkmalen«  nicht  eingeschlossen  ist. 
Dafs  der  Titel  >Visnü-Puräna«  fast  gar  nicht  für  jüngere  Werke, 
Mähätmyas  u.  dgl.,  in  Anspruch  genommen  worden  ist*),  deutet 
ebenfalls  darauf  hm,  dafs  wir  es  hier  mit  einem  Werke  der 
älteren  Purä^-Litteratur  zu  tun  haben,  das  wenigstens  im 
grofsen  und  ganzen  in  seiner  ursprünglichen  Gestalt  erhalten  ist'). 

Eine  etwas  ausführlichere  Übersicht  über  den  Inhalt  gerade 
dieses  Puräna  wird  dem  Leser  auch  am  besten  einen  Begriff 
von  dem  Inhalt  und  der  Bedeutimg  der  Puränas  überhaupt  geben. 

Das  Werk,  das  aus  sechs  Abschnitten  besteht,  beginnt  mit 
einem  Dialog  zwischen  Paräsara,  dem  Enkel  des  Vasistha,  und 
dessen  Schüler  Maitreya.  Letzterer  fragt  seinen  Lehrer  nach 
dem  Urspnmg  und  der  Beschaffenheit  des  Weltalls.  Darauf  ant- 
wortet Parägara,  dafs  ihn  diese  Frage  an  das  erinnere,  was  er 
einmal  von  seinem  Grofsvater  Vasistha  gehört  habe;  und  er 
schickt  sich  an,  das  Gehörte  zu  wiederholen.  In  Widerspruch 
mit  der  (übrigens  auch  im  Visnu-Puräna  selbst  vorkommenden) 
Überlieferung,  welche  alle  Puränas  dem  Vyäsa  zuschreibt,  wird  hier 
Paräsara  geradezu  als  V  e  r  f  a  s  s  e  r  des  Werkes  bezeichnet.  Nach- 
dem er  zunächst  den  Visnu  in  einem  Hymnus  verherrlicht,  gibt  er 

')  Aufrechts  »Catalogus Catalogorum«  I,  591 -,  II,  140;  III,  124 
erwähnt  nur  einige  Stotras  und  kleinere  Texte,  die  sich  als  Teile  des 
Vis^u-Purä^a  ausgeben.  Bemerkenswert  ist  immerhin,  dafs  Matsya- 
tind  Bhägavata-Purä^a  die  Zahl  der  Slokas  des  Visnu-Puräijia  mit 
23  000  angeben ,  während  es  in  Wirklichkeit  nicht  ganz  7000  Verse 
hat,  und  dafs  auch  ein  »Grofses  Visiju-Puräipa»  (Brhadvisnupurä^a, 
Aufrecht,  Catalogus  Catalogorum  I,  591)  zitiert  A^rd. 

")  Die  schon  <*en  erwähnte  englische  Übersetzung  (The  Vishnu 
Pur4na,  a  System  of  Hindu  Mythology  and  Tradition,  translated  .  .  . 
by  H.  H.  Wilson)  erschien  zuerst  London  1840,  dann  in  den  »Works*^, 
Vols.  VI — X.  Eine  englische  Übersetzung  von  Manmatha  Nath  Dutt 
erschien  Kalkutta  1894. 


—    457    — 

einen  Bericht  über  die  Weltschöpfung,  wie  er  ziemlich  tiber- 
einstimmend in  den  meisten  Purä^ias  wiederkehrt').  In  merk- 
würdiger Weise  vermischen  sich  hier  philosophische  —  im 
wesentlichen  der  Sänkhya-Philosophie  zugehörige  —  Anschauungen 
mit  volksttlmlichen  mythischen  Vorstellimgen ,  ftir  die  wir  bei 
den  Naturvölkern  manche  Parallelen  finden  können. 

An  den  Bericht  über  die  Erschaffung  der  Götter  und 
Dämonen,  der  Heroen  und  der  Urväter  des  Menschengeschlechts 
knüpfen  sich  zahlreiche  mythologische  Erzählungen,  Allegorien 
und  Sagen  von  alten  Königen  und  Weisen  der  Vorzeit  Vi^le 
dieser  Erzählungen  haben  wir  bereits  im  Mahäbhärata  kennen 
gelernt;  so  die  von  der  Quirlung  des  Ozeans*).  Besonders 
schwungvoll  wird  hier  geschildert,  wie  die  Glücksgöttin  Sri 
sich  in  strahlender  Schönheit  aus  dem  gequirlten  Milchozean 
erhebt  und  sich  dem  Visnu  an  die  Brust  wirft.  In  einem  präch- 
tigen Hymnus  wird  sie  von  Indra  als  die  Mutter  aller  Wesen, 
als  die  Quelle  alles  Guten  und  Schönen  und  als  die  •  Spenderin 
alles  Glückes  gepriesen  imd  angerufen.  Sowie  dieses  Stück  vor 
allem  der  Verherrlichung  des  Visnu,  dessen  Gemahlin  die  Ön 
ist,  dient,  so  ist  es  auch  in  allen  anderen  Erzählimgen  stets 
Visnu,  dessen  Lob  in  überschwänglicher  AVeise  gesungen  wird. 
In  der  Schilderung  der  Macht ,  die  man  durch  Verehrung  des 
Vi§nu  zu  gewinnen  vermag,  kennt  die  indische  Phantasie  keine 
Grenzen.  Ein  Beispiel  ist  der  Mythos  von  dem  Königssohn 
Dhruva,  der,  aus  Kränkung  über  die  Bevorzugung  seines 
Bruders,  sich  noch  als  Knabe  ganz  der  Bufse  und  der  Visnu- 
Verehrung  hingibt,  so  dafs  Visnu  sich  genötigt  sieht,  ihm  seinen 
Wunsch,  etwas  Höheres  zu  werden  als  sein  Bruder  und  selbst 
sein  Vater,  zu  erfüllen;  —  er  macht  ihn  zum  Polarstem,  der 
höher  und  von  festerer  Dauer  ist  als  alle  anderen  Sterne  des 
Himmels*).     In   der   grofsartigsten  Weise   aber  wird  die  Macht 

')  Eine  Übersicht  über  die  Schöpfungsberichte  der  Puräi^s  gibt 
Wilhelm  Jahn,  Über  die  kosmogonischen  Grundanschauungen  im 
Mänava-Dharma-Sästram.    Inaug.-Diss.  Leipzig  1904. 

•)  Oben  S.  332.  Eine  Zusammenstellung  aller  Stücke,  die  dem 
Vis^u-Puräna  mit  dem  Mahäbhärata  gemeinsam  sind,  findet  man  bei 
A.  Holtzmann,  Mahäbhärata  IV,  36 ff. 

^)  I,  11  f.  Eine  ausführlichere  Version  des  Mythos  findet  sich 
im  Bhägavata-Purä^a  (IV,  8 f.);  auf  dieser  beruht  das  Gedicht  von 
Sc  hack,  Stimmen  vom  Ganges,  S.  189  ff. 


—    458    — 

des  Visnu-Glaubens  in  der  Sage  von  dem  Knaben  Prahläda 
(I,  17 — 20)  geschildert,  den  sein  Vater,  der  stolze  Dämonen- 
könig, vergebens  von  seiner  Visnu- Verehrung  abzubringen  sucht. 
Keine  Waffe  vermag  ihn  zu  töten,  weder  Schlangen  noch  wilde 
Elefanten,  weder  Feuer  noch  Gift  noch  Zaubersprüche  vermögen 
ihm  etwas  anzuhaben.  Vom  Söller  des  Palastes  herabgeschleudertj 
fällt  er  sanft  auf  den  Schofs  der  Erde.  Gefesselt  wird  er  in  den 
Ozean  geworfen  und  Berge  auf  ihn  gehäuft  —  aber  auf  dem  Grunde 
des  Meeres  singt  er  einen  Hymnus  auf  Visnu,  seine  Fesseln  fallen 
ab,  und  er  schleudert  die  mächtigen  Berge  von  sich.  »Meine  Macht«, 
sagt  er  dem  Vater,  »besteht  darin,  dafs  Visnu  in  meinem  Herzen 
wohnt.  Wer  da  weifs,  dafs  Visnu  in  allen  Dingen  ist,  der  tut 
nichts  Böses  und  dem  kann  nichts  Böses  widerfahren.«  ^) 

Das  zweite  Buch  des  Vi§nu-Puräna  gibt  zunächst 
(Kap.  1 — 12)  eine  phantastische  Weltbeschreibung.  Die  sieben 
Erdteile  und  die  sieben  Ozeane  werden  geschildert,  in  deren 
Mitte  sich  JambudvTpa  mit  dem  goldenen  Berg  Meru  —  dem 
Wohnsitz  der  Gkitter  —  befindet.  In  Jambudvipa  liegt  Bharata- 
varsa,  d.  h.  »Indien«,  dessen  Länder,  Berge  und  Flüsse  auf- 
gezählt werden.  Auf  diese  Erdbeschreibung  folgt  eine  Schilderung 
von  Pätäla,  der  Unterwelt,  in  der  die  Schlangengötter  wohnen; 
hierauf  eine  Aufzählung  und  Beschreibung  der  noch  tiefer  ge- 
legenen Narakas  oder  Höllen.  Als  Gegenstück  folgt  dann  eine 
Beschreibung  der  Himmelssphären,  der  Sonne,  des  Sonnenwagens 
und  der  Sonnenpferde  nebst  astronomischen  Auseinandersetzungen 
über  den  Sonnenlauf,  das  Planetensystem  und  die  Sonne  als 
Regenspender  und  Erhalter  der  Wesen.  Darauf  folgt  eine  Be- 
schreibung des  Mondes,  seines  Wagens,  seiner  Pferde,  seines 
Umlaufs  und  seines  Verhältnisses  zur  Sonne  und  zu  den  Planeten. 
Der  Abschnitt  schliefst  mit  der  Erklärung,  dafs  die  ganze  Welt 
doch  nur  Visnu  und  nur  er  allein  das  einzig  Wirkliche  sei. 

Anknüpfend  an  den  Namen  Bharatavarsa  wird  dann  (Kap.  13 
bis  16)  eine  Legende  von  dem  alten  König  Bharata^)  erzählt, 


')  Nach  der  Version  des  Bhagavata-Pur.  hat  Schack,  Stimmen 
vom  Ganges,  S.  1  ff.,  diese  Legende  frei  bearbeitet. 

'^)  Vgl.  E.  Leumann,  »Die  Bharata-Sage«,  ZDMG  48,  1894, 
S.  65 ff.,  und  August  Blau,  Das  Bharatopäkhyäna  des  Visnu-Puräna 
(Beiträge  zur  Bücherkunde  und  Philologie  August  Wilmanns  zum 
25.  März  1903^gewidmet.    Leipzig  1903,  S.  205  ff.). 


-     459    — 

die  aber  nur  als  Einleitung  zu  einem  philosophischen  Dialog 
dient,  in  welchem  die  alte,  aus  den  Upanisads  bekannte  Alleins- 
lehre  von  visnuitischem  Standpunkte  vorgetragen  wird.  Der 
Stil  des  ganzen  Abschnittes  erinnert  vielfach  an  die  Upanisads. 
Der  Inhalt  der  Legende  ist  folgender: 

König  Bharata  war  ein  frommer  Verehrer  des  Visnu.  Eines 
Tages  ging  er  im  Flusse  baden.  Während  er  badete,  kam  eine 
trächtige  Antilope  aus  dem  Walde,  um  Wasser  zu  trinken.  In  dem- 
selben Augenblicke  erschallt  aus  der  Nähe  das  laute  Brüllen  eines 
Löwen.  Die  Antilope  erschrickt  und  jagt  mit  einem  gewaltigen 
Sprunge  davon.  Infolge  des  Sprunges  wird  ihr  Junges  geboren,  und 
sie  selbst  stirbt.  Bharata  nahm  das  Junge  mit  sich  und  zog  es  in 
seiner  Einsiedelei  auf.  Von  da  an  kümmerte  er  sich  um  nichts  mehr 
als  die  Antilope.  Sie  war  sein  einziger  Gedanke,  seine  einzige  Sorge. 
Und  als  er  schliefslich ,  immer  nur  an  die  Antilope  denkend,  starb, 
wurde  er  bald  nachher  als  Antilope  wiedergeboren'),  jedoch  mit  der 
Erinnerung  an  sein  früheres  Dasein.  Auch  in  diesem  Antilopendasein 
verehrte  er  den  Vis^u  und.  gab  sich  Bufsübungen  hin,  so  dafs  er  in 
der  nächsten  Geburt  als  Sohn  eines  frommen  Brahmanen  wieder  zur 
Welt  kam.  Obwohl  er  als  solcher  sich  das  höchste  Wissen,  die 
Alleinslehre,  angeeignet  hatte,  kümmerte  er  sich  doch  um  kein  Veda- 
studium,  vollzog  keine  brahraanischen  Riten,  sprach  unzusammen- 
hängend und  ungrammatisch,  ging  schmutzig  und  in  abgerissenen 
Kleidern  einher  —  kurz,  benahm  sich  ganz  und  gar  wie  ein  Tölpel. 
Man  nannte  ihn  nicht  anders  als  Jadabharata,  »der  dumme  Bharata«  *), 
er  wurde  allgemein  verachtet  und  zu  niedriger  Sklavenarbeit  ver- 
wendet. So  geschah  es,  dafs  er  auch  einmal  von  einem  Diener  des 
Königs  Sauvira  als  Sänftenträger  des  Königs  verwendet  wurde.  Bei 
dieser  Gelegenheit  entspinnt  sich  zwischen  dem  scheinbaren  Idioten 
und  dem  König  ein  Gespräch,  in  welchem  Bharata  sich  bald  als  ein 
grofser  Weiser  entpuppt  und  dem  König  zu  seiner  grofsen  Freude 
die  Alleinslehre  verkündet.  Zu  deren  Erläuterung  erzählt  er  ihm  die 
Geschichte  von  Rbhu  und  Nidägha: 


')  Bis  hierher  ist  die  Legende  (nach  der  Version  des  Bhäg.-Pur. 
V,  8)  in  dem  Gedicht  von  Schack,  Stimmen  vom  Ganges,  S.  56  ff. 
bearbeitet. 

*)  Jadabharata  wird  neben  Durväsas,  Rbhu,  Nidägha  und  anderen 
Heiligen,  die  "vrie  Unsinnige  sich  benehmend,  doch  nicht  unsinnig» 
sind,  in  der  Jäbäla-Upanisad  genannt.  (Deussen,  Sechzig  Upanishads 
des  Veda,  S.  710.)  Vis^u-Pur.  I.  9  wird  von  einem  Büfser  Durväsas 
(d.  h.  »Schlechtgekleidet-')  erzählt,  der  nach  dem  »Gelübde  eines  Wahn- 
sinnigen« lebt.  Vgl.  auch  die  treffenden  Bemerkungen  von  A.  Barth, 
Religions  of  India,  S.  83  über  den  engen  Zusammenhang  zwischen 
Yogaprazis  und  Narrheit. 


—     460    — 

Der  weise  und  heilige  Rbhu,  Sohn  des  Schöpfers  Brahman,  war 
der  Lehrer  des  Nidägha  gewesen.  Nach  tausend  Jahren  besuchte  er 
einmal  seinen  Schüler,  wurde  von  ihm  gastfreundlich  bewirtet  und 
gefragt,  wo  er  wohne,  woher  er  komme  und  wohin  er  gehe.  Rbhu 
antwortet  ihm,  dafs  dies  ganz  unvernünftige  Fragen  seien,  denn  der 
Mensch  (nämlich  der  Atman)  sei  tiberall,  für  ihn  gebe  es  kein  Gehen 
und  kein  Kommen,  und  er  macht  ihm  die  Lehre  von  der  Einheit  so  klar, 
dafs  Nidägha  ihm  entzückt  zu  Füfsen  fällt  und  fragt,  wer  er  sei.  Nun 
erst  erfährt  er,  dafs  es  sein  alter  Lehrer  Rbhu  ist,  der  gekommen  war, 
ihm  noch  einmal  die  wahre  Weisheit  beizubringen.  Nach  abermals 
tausend  Jahren  kommt  ^^bhu  wieder  zur  Stadt,  wo  Nidägha  wohnt. 
Da  bemerkt  er  eine  grofse  Menschenmenge  und  einen  König,  der  mit 
grofsem  Gefolge  in  die  Stadt  einzieht.  Fern  ab  von  der  Menge  steht 
sein  ehemaliger  Schüler  Nidägha.  Rbhu  nähert  sich  ihm  und  fragt 
ihn,  warum  er  so  beiseite  stehe.  Darauf  antwortet  Nidägha :  *  Ein  König 
zieht  hier  in  die  Stadt  ein,  es  ist  ein  grofses  Gedränge,  darum  weiche 
ich  aus."  Rbhu  fragt:  »Welcher  ist  denn  der  König?«  Nidägha: 
»Der  König  ist  derjenige,  welcher  auf  dem  grofsen,  stattlichen  Elefanten 
sitzt."  »Schön,«  sagt  Rbhu,  »wer  ist  denn  aber  der  Elefant,  und  wer 
ist  der  König?«  Nidägha:  »Unten  ist  der  Elefant  und  oben  ist  der 
König.«  Rbhu:  »Was  heifst  denn  nun  unten,  und  was  heifst  oben?« 
Da  springt  Nidägha  dem  Rbhu  auf  den  Rücken  und  sagt:  »Ich  bin 
oben  wie  der  König,  du  bist  unten  wie  der  Elefant.«  »Sehr  schön,« 
sagt  Rbhu,  »aber  sage  mir  nur,  mein  Lieber,  wer  von  uns  zweien 
bist  denn  du,  und  wer  bin  ich?«  Nun  erst  erkennt  Nidägha 
seinen  alten  Lehrer  Rbhu,  denn  niemand  sei  so  wie  er  von  der  Ein- 
heitslehre  durchdrungen.  Da  prägte  sich  denn  auch  die  Lehre  von 
der  Einheit  des  Alls  dem  Nidägha  so  ein,  dafs  er  von  nun  an  alle 
Wesen  für  eins  mit  sich  selbst  hielt  und  vollständige  Erlösung  erlangte. 

Das  dritte  Buch  des  Visnu-Purä^a  beginftt  mit  einem 
Bericht  tiber  die  Manus  (Urväter  des  Menschengeschlechtes)  und 
die  von  ihnen  beherrschten  Zeitalter  (Manvantaras).  Dann  folgt 
eine  Erörterung  tiber  die  vier  Vedas,  über  die  Einteilung  der- 
selben durch  Vyäsa  und  seine  Schüler  und  über  die  Entstehung 
der  verschiedenen  vedischen  Schulen.  Daran  schliefst  sich  eine 
Aufzählung  der  achtzehn  Puränas  und  eine  Liste  sämtlicher 
Wissenschaften. 

Dann  wird  die  Frage  aufgeworfen  und  erörtert ,  wie  man 
als  frommer  Visnu- Verehrer  Erlösung  erlangen  könne.  In  einem 
schönen  Dialog  (Kap.  7)  zwischen  dem  Todesgott  Yama  und 
einem  seiner  Diener  wird  auseinandergesetzt,  dafs  derjenige,  der 
reinen  Herzens  ist  und  einen  tugendhaften  Wandel  führt  und 
seinen  Geist  auf  Visnu  gerichtet  hat,  ein  wahrer  Visnu- Verehrer 


—    461     — 

und  darum  von  den  Barfden  des  Todesgottes  frei  ist.  Daran 
schliefst  sich  eine  Auseinandersetzung  über  die  Pflichten  der 
Kasten  und  ASramas,  über  Geburts-  und  Hochzeitszeremonien, 
rituelle  Waschungen,  die  täglichen  Opfer,  die  Pflichten  der  Gast- 
freundschaft, das  Benehmen,  bei  den  Mahlzeiten  u.  dgl.  Eine  lange 
Abhandlung  (Kap.  13 — 17)  über  die  Totenopfer  und  sonstigen 
Zeremonien  zur  Verehrung  der  Ahnengeister  (Sräddhas)  beschliefst 
diesen  Abschnitt,  in  welchem  die  vedisch-brahmanischen  Religions- 
bräuche als  die  richtige  Art  der  Vi§nu- Verehrung  hingestellt 
werden.  Die  beiden  letzten  Kapitel  des  Buches  schildern  die 
Entstehimg  der  vedafeindlichen  ketzerischen  Sekten,  deren  An- 
hänger —  Buddhisten  und  Jainas  sind  gemeint  —  als  die 
schlimmsten  Missetäter  hingestellt  werden.  Um  zu  zeigen,  wie 
sündhaft  es  sei,  mit  solchen  Ketzern  auch  nur  irgendwelchen 
Umgang  zu  pflegen ,  wird  die  Geschichte  des  alten  Königs 
Satadhanu  erzählt  (Kap.  18),  der  sonst  ein  frommer  Verehrer 
des  Visnu  war,  aber  einmal  aus  blofser  Höflichkeit  ein  paar 
Worte  mit  einem  Ketzer  wechselte  und  infolgedessen  nach- 
einander als  Hund,  Schakal,  Wolf,  Geier,  Krähe  und  Pfau  wieder- 
geboren wurde,  bis  er  endlich  —  dank  der  standhaften  Treue 
und  Frömmigkeit  seiner  Gemahlin  S  a  i  b  y  ä  —  wieder  als  König 
zur  Welt  kam. 

Das  vierte  Buch  des  Visnu-Puräna  enthält  hauptsächlich 
genealogische  Listen  der  alten  Königsgeschlechter,  der  Sonnen- 
dynastie,  die  ihren  Ursprung  auf  den  Sonnengott,  und  der  Mond- 
dynastie, die  ihn  auf  den  Mondgott  zurückführt.  Lange  Listen 
von  alten  Königen  —  viele  von  ihnen  rein  mythisch,  manche 
wohl  auch  historisch  —  werden  nur  gelegentlich  unterbrochen, 
um  von  dem  einen  oder  dem  anderen  irgendeine  Sage  zu  er- 
zählen. Das  Wunderbare  spielt  in  allen  diesen  Sagen  eine  grofse 
Rolle.  Da  ist  Daksa ,  der  aus  Brahmans  rechtem  Daumen  ge- 
boren ist;  Manus  Tochter  IIa,  die  in  einen  Mann  verwandelt 
wird;  Iksväku,  der  dem  Niesen  des  Manu  sein  Dasein  verdankt; 
König  Raivata,  der  mit  seiner  Tochter  RevatI  in  den  Himmel 
geht,  um  sich  von  Gott  Brahman  einen  Gemahl  für  die  Tochter 
empfehlen  zu  lassen  ^) ;  oder  gar  König  Yuvanasva,  der  schwanger 
wird  und  einen  Sohn  zur  Welt  bringt,  welchen  Indra  mit  Unsterb- 


^)  Von  Schack,  Stimmen  vom  Ganges,  S,  120 ff.  bearbeitet. 


—    462     — 

lichkeitstrank  säugt,  indem  das-Kind  seinen  Finger  in  des  Gottes 
Mund  steckt  und  daran  saugt.  Weil  Indra  sagte:  »Er  wird  von 
mir  gesäugt  werden«  (man  dhäsyati),  erhält  das  Kind  den  Namen 
Mändhätr.  Dieser  wurde  ein  mächtiger  König  und  der  Vater 
von  drei  Söhnen  und  fünfzig  Töchtern.  Wie  er  zu  einem 
Schwiegersohn  kam,  erzählt  mit  jenem  eigenartigen  Humor,  der 
in  den  indischen  Heiligenlegenden  den  in  der  Regel  vorwaltenden 
tiefen  Ernst  zuweilen  angenehm  unterbricht,  die  Sage  von  dem 
frommen  Büfser  S  a  u  b  h  a  r  i ,  der  zwölf  Jahre  im  Wasser  Askese 
übt,  bis  ihm  der  Anblick  des  sich  mit  seinen  Jungen  ergötzenden 
Fischkönigs  den  W^unsch  nach  Vaterfreuden  erregt^). 

Viele  der  aus  den  Epen  bekannten  Sagen  begegnen  uns  in 
diesem  Buche  wieder,  so  die  von  Purüravas  und  UrvasI^),  von 
Yayäti  u.  a.  Auch  eine  kurze  Zusammenfassung  der  Räma-Sage 
findet  sich  hier.  Über  die  Geburt  der  Pändavas  und  des  Krsna 
wird  ebenfalls  berichtet  und  die  Sage  des  Mahäbhärata  kurz  be- 
rührt. Den  Schlufs  dieses  umfangreichen  genealogischen  Buches 
bilden  die  Prophezeiungen  über  die  » zukünftigen c  Könige  von 
Magadha,  die  Saisunägas,  Nandas,  Mauryas,  Sungas,  Känväyanas 
und  Andhrabhrtyas  (siehe  oben  S.  444  f.),  über  die  auf  sie  folgenden 
barbarischen  Fremdherrscher  und  das  durch  sie  herbeigeführte 
schreckliche  Zeitalter  ohne  Religion  und  ohne  Moral,  dem  erst 
Visnu  in  seiner  Inkarnation  als  Kalki  ein  Ende  machen  wird. 

Ein  in  sich  abgeschlossenes  Ganzes  bildet  das  fünfte 
Buch.  Es  enthält  nämlich  eine  ausführliche  Lebensbeschreibung 
des  göttlichen  Hirten  Krsna,  in  der  so  ziemlich  dieselben 
Abenteuer  in  derselben  Reihenfolge  erzählt  werden  wie  im 
Harivamsa  ^). 

Ganz  kurz  ist  das  sechste  Buch.  Noch  einmal  wird  der 
vier  aufeinanderfolgenden  Weltzeitalter  (Yugas)  —  Krta,  Tretä, 
Dväpara  und  Kali  —  gedacht  und  in  Form  einer  Prophezeiung 
das  böse  Kali>aiga  beschrieben,  woran  sich  eine  Darstellung 
der  verschiedenen    Arten   der  iVuflösung  (pralaya)   des  Weltalls 

')  IV,  2.  Sehr  hübsch  bearbeitet  von  Sc  hack,  Stimmen  vom 
Ganges,  S.  87  ff. 

-)  Übersetzt  von  Geldner,  Vedische  Studien  I,  S.  253 ff. 

')  Siehe  oben  S.-  381  ff.  Dieser  Abschnitt  ist  ins  Deutsche  über- 
tragen von  A.  Paul,  Krischnas  Weltengang,  ein  indischer  Mythos  . . . 
aus  dei  \  Vischnupuränam.    München  1905, 


—     463     — 

schliefst.  In  pessimistischer  Weise  werden  dann  (Kap.  5)  die 
Übel  des  Daseins,  der  Schmerz  des  Geborenwerdens,  der  Kindheit, 
des  Mannes-  imd  Greisenalters  und  des  Sterbens,  die  Qualen  der 
Hölle  und  die  Unvollkommenheit  der  Seligkeit  im  Himmel  ge- 
schildert, und  es  wird  daraus  der  Schlufs  gezogen,  dafs  nur  Er- 
lösung vom  Dasein,  Befreiung  von  der  Wiedergeburt  das  höchste 
Glück  sei.  Dazu  ist  es  aber  nötig,  das  Wesen  Gottes  zu  er- 
kennen ;  denn  nur  d  i  e  Weisheit  ist  vollkommen ,  durch  welche 
Gott  geschaut  wird,  alles  andere  ist  Unwissenheit.  Das  Mittel 
zur  Erlangung  dieser  Weisheit  ist  aber  Yoga,  die  Meditation 
tiber  Visnu.  Über  dieses  Mittel  geben  die  beiden  vorletzten 
Kapitel  des  Werkes  Aufschlug.  Das  letzte  Kapitel  enthält  noch 
eine  kurze  Wiederholung  des  ganzen  Puränas  und  endet  mit 
einem  Lob  des  Visnu  und  einem  Schluisgebet. 

IV.  Das  Väyava-  oder  Väyu-Puräna.  Dieses  erscheint 
in  manchen  Listen  unter  dem  Namen  h  a  i  v  a  -  oder  S  i  v  a  - 
Puräna*),  ein  Titel,  der  dem  Werk  zukommt,  weil  es  der 
Verehrung  des  Gottes  Siva  gewidmet  ist.  Ein  »vom  Windgott 
verkündetes  Puräna«,  d.  h.  ein  Väyu-Puräna,  wird  sowohl  im 
Mahäbhärata  als  auch  im  Harivamsa  zitiert,  und  der  Harivamsa 
stimmt  vielfach  mit  unserem  Väyu-Puräna  wörtlich  überein  2). 
Es  wurde  schon  (oben  S.  446)  erwähnt,  dafs  der  Dichter  Bäna 
(um  625  n.  Chr.)  sich  ein  Vä}'^u-Puräna  vorlesen  liefs,  und  dafs 
in  diesem  Puräna  die  Guptaherrschaft  geschildert  wird,  wie  sie 
im  4.  Jahrhundert  n.  Chr.  bestand.  Sicher  hat  es  ein  altes 
Puräna  unter  diesem  Namen  gegeben,  und  ohne  Zweifel  ist  auch 
in  unseren  Texten  noch  viel  altes  erhalten.  Es  werden  auch  in 
diesem  Werke  dieselben,  für  die  alten  Puränas  charakteristischen 
Gegenstände  —  Weltschöpfung,  Genealogien  usw.  —  behandelt 
wie  im  Visnu-Puräna.  Nur  dienen  die  hier  erzählten  Legenden 
zur  Verherrlichung  des  $iva,  nicht  des  Visnu.  Wie  das  Visnu- 
Puräna  gibt  auch  das  Väyu-Puräna  in  seinem  letzten  Teile  eine 
Beschreibung  des  Weltendes  und  behandelt  die  Wirksamkeit  des 


')  So  im  Vis^u-  und  Bhägavata-Pur.  Es  gibt  aber  auch  ein  äiva- 
Puräna,  welches  ein  ganz  anderes  Werk  ist  und  zu  den  Upapuränas 
gehört.  Vgl.  Eggeling,  Catalogue  of  Sanskrit  MSS.  in  the  India 
Office  Library,  S.  i;Ulff. 

2)  Vgl.  Hopkins,  Great  Epic,  S.  49.  Holtzmann,  Das  Mahä- 
bhärata IV,  S.  40  f.  und  oben  S-  442  f. 


—    464     — 

Yoga,  endet  aber  mit  einer  Schilderung  der  Herrlichkeit  von 
Sivapura,  »der  Stadt  des  Öivaa,  wohin  der  Yogin  gelangt,  der 
sich  ganz  in  Meditation  über  Siva  versenkt  hat.  Doch  gibt  es 
auch  viele  Mähätmyas  und  andere  jüngere  Werke,  die  sich  als 
Bestandteile  des  Väyu-Puräna  ausgeben;  und  da  diese  zum  Teil 
auch  in  unsere  Ausgaben  aufgenommen  worden  sind*),  kann 
man  nicht  das  ganze  Vä3ru-Puräna ,  so  wie  es  uns  vorliegt, 
ohne  weiteres  als  »alt«  bezeichnen. 

Sehr  ausführlich  handelt  dieses  Puräna  über  die  Ahnengeister 
(Pitrs)  und  deren  Kult  (Sräddhas)*).  Ein  gröfserer  Abschnitt 
über  Visnu  fehlt  aber  auch  in  diesem  sivaitischen  Werke  nicht 
(Adhy.  96  und  97). 

V.  Das  Bhägavata-Puräna.  Dies  ist  unstreitig  das  in 
Indien  berühmteste  Werk  der  Puräna-Litteratur.  Es  übt  noch 
heute  auf  das  Leben  imd  Denken  der  zahllosen  Anhänger  der 
Sekte  der  Bhägavatas  (Verehrer  des  Visnu  unter  dem  Namen 
»Bhagavat«)  einen  gewaltigen  Einflufs  aus.  Die  ungemein  zahl- 
reichen Handschriften  und  Drucke  von  dem  Texte  selbst  sowie 
von  vielen  Kommentaren  zu  dem  ganzen  Werke  und  von  ein- 
zelnen Erläuterungsschriften  zu  Teilen  desselben  legen  Zeugnis 
ab  von  der  ungeheuren  Verbreitung  imd  dem  aufserofdentlichen 
Ansehen  des  Werkes  in  Indien.  Dieser  seiner  Bedeutung  ent- 
sprechend, hat  es  auch  zuerst  einen  Herausgeber  und  Übersetzer 
in  Europa  gefunden*).  Dennoch  gehört  es  zu  den  jüngeren  Er- 
-  Zeugnissen  der  Puräna-Litteratur.    Es  schliefst  sich  seinem  Inhalte 


')  So  steht  in  den  Ausgaben  ein  Gayamahatmya,  das  in 
manchen  Handschriften  fehlt,  andererseits  als  selbständiges  Werk  in 
Handschriften  erscheint.  Vgl.  Eggeling  a.  a.  O.  S.  1299 ff.,  1301  ff. 
Ausgaben  des  Väyu-Puräna  erschienen  in  der  »Bibliotheca  Indica«, 
Kalkutta  1880—89  und  in  der  »Anandäsrama  Sanskrit  Series«,  Poona 
1905.  Letztere  enthält  aufser  der  gewöhnlichen  Einteilung  in  vier 
Pädas  oder  »Viertel«  auch  eine  in  112  Adhyäyas  oder  »Lektionen«. 
Die  Adhyäyas  104-^112  sind  jedenfalls  spätere  Hinzufügungen. 

*)  Sräddhaprakriyärambha  und  Sräddhakalpa,  Adhy.  71—86. 

')  Le  Bhägavata  Puräna  ou  histoire  poetique  de  Krtchna,  traduit 
et  publik  par  M.  Eugene  Burnouf,  T.  I— III,  Paris  1840—47. 
T.  IV  u.  V  publik  par  M.  Hauvette-Besnault  et  P.  Roussel.  Paris  1884 
et  1898.  Einige  Legenden  aus  dem  Bhäg.-Pur.  sind  französisch  über- 
setzt von  A.  Roussel,  Legendes  Morales  de  l'Inde,  Paris  1900,  I, 
Iff.  und  II,  215  ff. 


—    465    — 

nach  enge  an  das  Visnu-Puräna  an,  mit  dem  es  oft  auch  wörtlich 
übereinstimmt,  und  ist  zweifellos  von  diesem  abhängig.  Über 
die  »Echtheit«  des  Bhägavata  als  eines  der  alten  »von  Vyäsa 
verfafsten«  achtzehn  '^ränas  sind  schon  in  Indien  selbst  Be- 
denken geäufsert  won  .n,  und  es  gibt  Streitschriften^),  in  denen 
die  Frage  erörtert  wird,  ob  das  Bhägavata-  oder  das  Devl- 
bhägavata-Puräna,  ein  si vaitisches  Werk,  zu  den  » achtzehn 
Puränas«  gehöre.  Dabei  wird  auch  die  Frage  aufgeworfen  und 
erörtert,  ob  der  Grammatiker  Vopadeva  der  Verfasser  des 
Bhägavata-Puräna  sei*).  Allzu  voreilig,  wie  mir  scheint,  haben 
Colebrooke,  Burnouf  und  Wilson  darausgeschlossen,  dafs 
Vopadeva  wirklich  der  Verfasser  des  Puräna  und  dieses  daher 
erst  im  13.  Jahrhundert^)  entstanden  sei.  Für  so  jung  möchte 
ich  das  Werk  nicht  halten,  wenn  es  auch  auffällig  ist,  dafs  der 
den  Bhägavatas  sehr  nahestehende  Philosoph  R  ä  m  ä  n  u  j  a 
(12.  Jahrhundert)  das  Werk  gar  nicht  erwähnt,  sondern  aus- 
schliefslich  nur  das  Visnu-Puräna  zitiert.  Wenn  es  aber  auch 
so  jung  sein  sollte,  wie  jene  Forscher  meinen,  so  hat  es  doch 
jedenfalls  sehr  alte  Materialien  benutzt. 

Das  Werk  jst  in  12  Bücher  (Skandhas)  eingeteilt  und  hat 
einen  Umfang  von  ungefähr  18000  81okas.  Die  kosmogonischen 
Mythen  stimmen  im  ganzen  mit  denen  des  Visnu-Puräna  über- 
ein, weichen  aber  in  manchen  interessanten  Einzelheiten  auch 
von  diesem  ab*).  Ausführlich  werden  die  Inkarnationen  des 
Visnu  ^),  insbesondere  die  als  Eber,  geschildert.    Merkwürdig  ist, 

^)  So  die  »Ohrfeige  für  die  Bösewichte«  (durjanaiDukhacapetikäJ, 
die  »grofse  Ohrfeige  für  die  Bösewichte«  (durjanamukhamahäcapetikä) 
und  der  »Pantoffel  ins  Gesicht  der  Bösewichte'<  (durianainukhapadmapä- 
duka).  Sie  sind  übersetzt  von  Burnouf  a.  a.  O.  I,  Pixface  p.  LlXff. 
Es  sind  dies  ganz  moderne  Schriften. 

-)  Diese  Vermutung  scheint  sich  nur  darauf  zu  stützen,  dafs 
Vopadeva  der  Verfasser  eines  auf -dem  Bhägavata  fufsenden  Werkes 
Muktäphala  und  der  HarilTlä,  einer  Anukrama^i- (Inhaltsverzeich- 
nis) zum  Bhägavata  ist. 

^)  Vopadeva  war  ein  Zeitgenosse  des  Hemädri,  der  «wischen  1260 
und  1309  lebte.   (J.  Jelly,  »Recht  und  Sitte  %  im  »GrundriLs«,  S.  35.) 

*)  Siehe  A.  Roussel,  Cosmologie  hindoue  d'apr^s  1e  Bhägavata 
Puräi;ia,  Paris  1898. 

*)  »Die  Verkörperungen  des  Wischnu«  hat  schon  Fr.  Majer  nach 
dem  Bhägavata  in  J.  Klaproths  -Asiatischem  Magazin«  I  u.  II  (Weimar 
1802)  erzählt. 


—     466     — 

dafs  auch  Kapila,  der  Begründer  der  Sänkhyaphilosophie ,  als 
eine  Verkörperung  des  Visnu  aufgeführt  wird  und  (am  Ende  des 
dritten  Buches)  selbst  eine  lange  Auseinandersetzung  über  Yoga 
vorträgt.  Zahlreich  sind  die  Legenden,  die  zur  Verherrlichung 
des  Visnu  erzählt  werden.  Die  meisten  von  ihnen,  wie  die  von 
Dhru'ja,  Prahläda  usw.,  haben  wir  bereits  im  Visnu -Puräna 
kennen  gelernt.  Auch  mit  dem  Mahäbhärata  hat  das  Werk 
vieles  gemeinsam;  einige  Verse  aus  der  Bhagavadgitä  werden 
wörtlich  angeführt*).  Sehr  altertümlich  ist  die  kurze  Erzählung 
der  Öakuntalä-Episode  (IX,  20).  Das  zehnte  Buch  ist  das  be- 
liebteste und  meistgelesene  von  allen.  Es  enthält  die  Lebens- 
beschreibung des  Krsna,  die  hier  viel'  ausführlicher  als  im 
Visiju-Puräna  und  im  Harivamsa  gegeben  wird.  Insbesondere 
nehmen  die  Liebesszenen  mit  den  Hirtinnen  (GopTs)  einen  viel 
gröfseren  Raum  ein  2).  Dieses  Buch  ist  in  fast  alle  indische 
Volkssprachen  übersetzt  und  ist  ein  Lieblingsbuch  all<i?r  Klassen 
des  indischen  Volkes.  Die  Vernichtung  der  Yädavas  und  den 
Tod  des  Krsna  erzählt  das  elfte  Buch,  während  das  letzte  Buch 
die  gewöhnlichen  Prophezeiungen  über  das  Kaliyuga  und  den 
Weltuntergang  enthält. 

VI.  Das  Närada-  oder  Näradiya-  oder  Brhannä- 
radiya-Puräna  (»das  grofse  Puräna  des  Närada«)^).  Dies 
ist  ein  rein  sektarischer  Text,  der  im  Namen  des  alten  Weisen 
Närada  den  Visnuglauben  (Bhakti)  verkündet.  Die  eigentlichen 
Gegenstände  der  Puränas,  Weltschöpfung  usw.,  werden  nicht 
berührt,  sondern  nur  Legenden  erzählt,  Hymnen  vorgetragen  und 
Zeremonien  beschrieben,  die  der  Verehrung  des  Visnu  dienen. 
Auch  über  Sräddhas  und  besonders  über  Sühnzeremonien  (Präya§- 
cittas)  handelt  ein  grolser  Abschnitt.  Bezeichnend  für  den 
Charakter  des  Werkes  ist  aber  eine  Legende,  in  der  von  einem, 
König  die  Rede  ist,  der  seiner  Tochter  versprochen  hat,  ihr 
einen  Wunsch  zu  erfüllen,  was  immer  es  auch  sei,  worauf  ihm 
diese  freistellt,  entweder  das  Fasten  an  einem  dem  Visiiu  heiligen 


')  Siehe  Holtzmann,  Das  Mahäbhärata  IV,  41—49  und  J.  E. 
Abbott  im  Ind.  Ant.  XXI,  1892,  S.  94. 

2)  Es  erscheint  hier  auch  Rädhä  als  Geliebte  des  Krsi^,  während 
von  ihr  weder  im  Vispu-Pur.  noch  im  Mahäbhärata  und  Harivarpsa 
die  Rede  ist. 

")  Herausgegeben  in  der  Bibl.  Ind.,  Kalkutta  1891. 


•—     467    — 

Fasttage  zu  brechen  oder  seinen  Sohn  zu  töten;  der  König  ent- 
schliefst sich  für  das  letztere,  weil  dies  die  kleinere  von  den 
beiden  Sünden  sei. 

Es  gibt  auch  ein  Närada-Upapurä^a  und  verschiedene 
MShStmyas  und  ähnliche  Texte,  die  sich  als  zum  Närada-Puräna 
gehörig  ausgeben. 

VII.  Das  Märkandeya-Puräna^).  Dies  ist  eines  der 
wichtigsten,  interessantesten  und  wahrscheinlich  auch  ältesten 
Werke  der  ganzen  Puräna-Litteratur.  Doch  ist  auch  dieses 
Puräna  kein  einheitliches  Werk,  sondern  es  besteht  aus  Teilen, 
die  verschieden  an  Wert  sind  und  auch  gewifs  verschiedenen 
Zeiten  angehören. 

Das  Werk  hat  seinen  Namen  von  dem  alten,  sich  ewiger  Jugend 
erfreuenden  Weisen  Märkandeya,  der  auch  im  Mahäbhärata 
(siehe  oben  S.  340  A.  und  365)  in  einem  grofsen  Abschnitt 
als  Erzähler  auftritt.  Und  als  den  ältesten  Bestandteil  dürfen 
wir  wohl  jene  Abschnitte 2)  ansehen,  in  welchen  Märkandieya 
tatsächlich  der  Sprecher  ist  und  seinen  Schüler  Kraustuki  über 
die  Weltschöpfxmg ,  die  Weltzeitalter,  die  Genealogien  und  die 
anderen  den  Puränas  eigentümlichen  Gegenstände  unterrichtet. 
Für  ein  hohes  Alter  dieser  das  alte  Puräna  enthaltenden  Ab- 
schnitte spricht  besonders  der  Umstand,  dafs  in  ihnen  weder 
Visnu  noch  Siva  eine  hervorragende  Stellung  einnimmt,  dafs  viel- 
Tiehr  Indra  imd  Brahman  stark  hervortreten  und  die  uralten 
Gottheiten  des  Veda  Agni  (Feuer)  imd  Sürya  (Sonne)  in  einigen 
Gesängen  durch  Hymnen  gefeiert  und  eine  grofse  Anzahl  von 
Sonnennjythen  erzählt  werden  ^).    Dieser  älteste  Teil  des  Puräna 


')  Es  ist  herausgegeben  von  K.  M.  Banerjea  in  der  »Bibliotheca 
Indica«  (Kalkutta  1862)  und  ins  Englische  übersetzt  (ebendas.  1888  bis 
1905)  von  F.  Eden  Pargiter. 

«)  Es  sind  dies  die  Abschnitte  45—81  und  93—136  (Schlafs). 
Vgl.  Pargiter,  Introd.  p  IV.  Der  Vers  45,  64  wird  von  Öankara 
zweimal  (Vedänta-Sütras  I,  2,  23  und  III,  3,  16,  siehe  P.  Deussen, 
Die  Sütras  des  Vedänta  aus  dem  Sanskrit  übersetzt,  Leipzig  1887, 
S.  119  u.  570)  zitiert;  es  ist  aber  keineswegs  sicher,  dafs  ^aäkara  den 
Vers  aus  dem  Märka^ideya-Puräna  kannte,  denn  er  nennt  es  nicht, 
sondern  sagt  nur:  »Es  heilst  in  der  Smrti.« 

^)  Abschnitte  99—1 10.  Einen  sehr  altertümlichen  Eindruck  macht 
auch  die  Erzählung  von  Dama,  der,  um  den  Tod  seines  Vaters  zu 
rächen,  den  Vapusmat  grausam  tötet  und  dessen   Fleisch  und   Blut 

Winternitz,  Geschichte  der  indischen  Litteratur.  31 


—     468    — 

mag,  wie  Pargiter  meint,  aus  dem  3.  Jahrhundert  n.  Chr. 
stammen,  kann  aber  auch  älter  sein.  Einen  starken  Einschlag 
bilden  auch  in  diesem  Teil  moralische  und  erbauliche  Erzählungen. 
Noch  mehr  ist  dies  der  Fall  in  den  ei*sten  Abschnitten  des 
Werkes,  die  sich  aufs  engste  an  das  Mahäbhärata  anschlielsen 
und  mit  dem  Charakter  des  XII.  Buches  des  Epos  sehr  viel 
gemein  haben.  Das  Puräna  beginnt  geradezu  damit,  dals  Jai- 
mini,  ein  Schüler  des  Vyäsa,  sich  an  Märkancjeya  wendet  und 
nach  einigen  Lobsprüchen  aui  das  Mahäbhärata*)  ihn  um  die 
Beantwortung  von  vier  Fragen  bittet,  die  das  grofse  Epos  un- 
beantwortet lasse.  Die  erste  Frage  ist  die,  wieso  DraupadI  die 
gemeinsame  Gemahlin  der  fünf  Päncjavas  werden  konnte,  die 
letzte,  warum  die  Kinder  der  DraupadI  in  jugendlichem  Alter 
getötet  wurden.  Märkandeya  beantwortet  diese  Fragen  nicht 
selbst,  sondern  verweist  ihn  an  vier  weise  Vögel  —  eigentlich 
Brahmanen,  die  infolge  eines  Fluches  als  Vögel  geboren  wurden  ^). 
Diese  erzählen  d^m  Jaimini  eine  Reihe  von  Legenden  zur  Beant- 
wortung der  gestellten  Fragen.  Zur  Beantwortung  der  letzten 
Frage  wird  erzählt,  wie  fünf  Engel  (Visve  Deväs)  sich  einst 
erlaubten,  den  grofsen  Heiligen  Visvämitra  zu  tadeln,  als  er  den 
König  Hariscandra  grausam  behandelte,  wofür  sie  von  dem 
Heiligen  verflucht  wurden,  als  Menschen  wiedergeboren  zu  werden, 
welchen  Fluch  er  dahin  abschwächte,  dafs  sie  jung  und  unver- 
ehelicht sterben  würden.  Die  fünf  Söhne  der  DraupadI  waren 
eben  jene  Engel.  Hieran  anknüpfend  wird  die  rührende,  aber 
echt  brahmanische  Legende  von  dem  König  Hariscandra  er- 
zählt, der  aus  Furcht  vor  dem  Zorne  und  Fluche  des  ViSyämitra 


den  Manen  des  Vaters  mit  den  Totenopferkuchen  darbringt  (136), 
Dafs  in  den  bengalischen  Handschriften  die  Erzählung  abbricht,  ohne 
dafs  des  kannibalischen  Opfers  Erwähnung  geschieht,  ist  gerade  ein 
Beweis  für  das  hohe  .^Iter  jener  Überlieferungen,  die  sich  mit  den 
Anschauungen  einer  späteren  Zeit  nicht  mehr  vertrugen.  (Vgl 
Pargiter  p.  VII.) 

*)  Diese  stimmen  zum  Teil  wörtlich  mit  den  Lobpreisungen  am 
Anfange  und  am  Ende  des  Mahäbhärata  selbst  (vgl.  oben  S.  27 lt. 
und  388)  überein. 

')  Dies  ist  wieder  eine  Dublette  einer  auch  im  Mahäbhärata  vor 
kommenden  Sage  (I,  229  ff.),  wo  aber  einer  der  Vögel  Dro^a  heilst, 
während  im  Mark.- Pur.  die  vier  Vögel  Söhne  des  Droi?a  sind. 


—    469     — 

unendliche   Leiden  und   Demütigungen   erduldet,   bis  er   endlich 
durch  Indra  selbst  in  den  Himmel  geführt  wird*). 

Nach  Beantwortung  der  vier  Fragen  beginnt  ein  neuer  Ab- 
schnitt (Kap.  10 — 44),  in  welchem  ein  Gespräch  zwischen  einem 
Vater  und  seinem  Sohne*  mitgeteilt  wird;  es  ist  dies  eine  sehr 
umfängliche  Ausspinnung  des  Zwiegesprächs  zwischen  Vater  und 
Sohn,  das  wir  im  Mahäbhärata  (oben  S.  360  ff.)  kennen  lernten. 
Bezeichnender  Weise  heifst  der  Sohn  im  Mahäblßrata  »Verständige 
(Medhävin),  während  er  im  Pxiräna  den  Beinamen  Jatja,  >der 
Tort  führt*).  Ähnlich  wie  im  Mahäbhärata  verschmäht  auch 
hier  der  Sohn  den  Lebensgang  des  frommen  Brahmanen,  wie 
ihn  der  Vater  als  Ideal  aufstellt,  er  eiinnert  sich  aller  seiner 
früheren  Geburten  und  sieht  das  Heil  nur  im  Entfliehen  aus  dem 
Sainsära.  Daran  anknüpfend  gibt  der  »Tor«  eine  Schilderung 
des  Samsära  und  der  Folgen  der  Sünden  in  verschiedenen 
Wiedergeburten,  insbesondere  aber  der  Höllen  und  der  Höllen- 
strafen, welche  den  Sünder  erwarten.  Mitten  in  dieser  in  ihrer 
Art  grofsartigen ,  wenn  auch  wenig  erquicklichen  Höllen- 
schilderung*) steht  eine  der  Perlen  der  indischen  Legenden- 
dichtung, die  Geschichte  von  dem  edlen  König  Vipascit  (»der 
Weise«)*),  die  es  wohl  verdient,  hier  kurz  wiedergegeben  zu 
werden: 


.  ')  Abschnitte  7  und  8.  Diese  berühmte  Legende  ist  mehrfach 
übersetzt  worden,  ins  Deutsche  von  Friedrich  Rückert  in  ZDMG 
XIII,  1859,  S.  103—133,  ins  Englische' von  J.  Muir,  Original  Sanskrit 
Texts  P,  379 ff.  Der  Dichter  KsemTsvara  hat  die  Sage  in  einem 
Drama  bearbeitet,  das  Ludwig  Fritze  unter  dem  Titel  »Kausikas 
Zorn«  (Leipzig,  Reclam,  Universal-Bibl.)  Übersetzt  hat.  Im  Vorwort 
bespricht  Fritze  auch  die  Sage,  die  wohl  nur  ein  sehr  später  Ab- 
kömmling der  alten  Sunahsepa-Legende  (oben  S.  183  ff.)  ist  und  in 
einer  noch  späteren  Version  selbst  zur  Hiob-Sage  in  Beziehung  ge- 
bracht worden  ist.  Vgl.  Weber,  Episches  im  Vedischen  Ritual,  S.  779; 
Indische  Studien  XV,  413—7. 

■-)  Auch  dieser  »weise  Tor»  ist  wie  Jacjabharata  (oben  S.  459)  ein 
Verkünder  des  Yoga. 

')  Es  ist  dies  die  ausführlichste  Höllenschilderxmg  in  der  Puräna- 
Litteratur,  aber  ähnliche  Schilderungen  kommen  auch  in  anderen 
Puränas  vor.  Sie  sind  besprochen  von  L.  Seh  er  man,  Visions- 
litteratur,  S.  23  ff.,  45  H. 

*)  Abschnitt  15.  Die  Verse  47—79  hat  Fr.  Rückert  im  12.  Band 
der   ZDMG   (1858)  S.   336  ff.   ins   Deutsche   übersetzt.      Auf   einer 

31* 


—     470    — 

Der  überaus  fromme  und  tugendhafte  König  Vipascit  wird 
nach  seinem  Tode  von  einem  Diener  des  Yama  in  die  Hölle  geftihrt. 
Auf  seine  verwunderte  Frage,  wieso  er  dazu  komme,  erklärt  ihm 
Yamas  Diener;  er  habe  es  einmal  versäumt,  in  der  zur  Konzeption 
geeigneten  Zeit  seiner  Gemahlin  beizuwohnen,  dieses  kleine  Vergehen 
gegen  die  religiösen  Vorschriften  müsse  er  wenigstens  durch  einen 
ganz  kurzen  Aufenthalt  in  der  Hölle  büfsen.  Darauf  gibt  er  dem 
König  eine  Belehrung  über  die  guten  und  bösen  Taten  (Karman),  die 
unbedingt  ihre  Fojgen  haben  müssen,  und  die  Höllenstrafen,  die  für 
jede  einzelne  Sünde  bestimmt  sind.  Nach  diesen  Erklärungen  will 
ihn  der  Diener  des  Todesgottes  wieder  aus  der  Hölle  hinausführen. 
Der  König  wendet  sich  zum  Gehen;  —  da  dringt  entsetzliches  Weh- 
geschrei an  sein  Ohr,  und  die  Höllenbewohner  bestürmen  ihn,  nur 
noch  einen  Augenblick  zu  verweilen,  denn  ein  unendlich  angenehmer 
Hauch  gehe  von  ihm  aus,  der  ihre  Höllenqualen  lindere.  Auf  seine 
verwunderte  Frage  gibt  ihm  Yamas  Diener  die  Erklärung,  dafs  von 
den  guten  Werken  eines  frommen  Mannes  ein  Hauch  der  Erquickung 
die  Höllenbewohner  anwehe  und  deren  Qualen  lindere.  Da  spricht 
der  König: 

»Nicht  im  Himmel,  noch  in  Brahmans  Welt  —  so  denk'  ich  — 
Findet  solche  Seligkeit  ein  Mensch,  wie  wenn  er 
Wesen,  die  gequält  sind,  Labung  spenden  kann. 

Wird  durch  meine  Gegenwart  gelindert  dieser 
Armen  Folterqual,  dann  bleib'  ich  hier,  mein  Freund, 
Wie  ein  Pfosten  rühr'  ich  von  der  Stell  mich  nicht.» 

Yamas  Diener  sprach: 
»Komm',  o  König,  lass'  uns  geh'n,  geniefs'  die  Früchte 
Deiner  guten  Taten  du,  und  lafs'  die  Qualen 
Denen,  die  durch  böse  Werke  sie  verdient.« 

Der  König  sprach: 
»Nein,  nicht  werde  ich  von  hinnen  geh'n,  so  lange  diese 
Armen  HöUenwohner  glücklich  sind  durch  meine  Nähe. 
Schmach  und  Schande  ist  das  Leben  eines  Menschen, 
Der  nicht  fühlt  Erbarmen  mit  Gequälten,  Armen, 
Die  um  Schutz  ihn  anfleh'n  —  selbst  mit  bitt'ren  Feinden. 
Opfer,  Spenden,  Bufsen  dienen  weder  hier  noch  jenseits 
Dem  zum  Heile,  der  kein  Herz  hat  für  den  Schutz  Gequälter. 
Wefs  Gemüt  verhärtet  ist  für  Kinder,  Greise,  Schwache, 
Nicht  für  einen  Menschen  halt'  ich  den,  —  ein  Teufel  ist  er. 
Wenn  ich  gleich  durch  dieser  HöUenwohner  Nähe 


buddhistischen  Version  der  Legende  beruht  das  schöne  Gedicht  von 
Betty  Paoli,  »Der  gute  König  in  der  Hölle«  (Gedichte,  Auswahl  und 
Nachlafs,  Stuttgart  1895,  S.  217  ff.). 


—    471     — 

Fegefeuersqual  erdulde,  der  Gestank  der  Hölle 
Und  die  Pein  des  Hungers  und  des  Durstes  meiner  Sinne 
Mich  berauben,  —  dünkt's  mich  süfser  doch  als  Himmelswonne, 
Ihnen,  den  Gequälten,  Schutz  und  Hilfe  zu  gewähren. 
Wenn  durch  meine  Leiden  viele  Arme  gltlcklich  werden. 
Was  will  ich  dann  mehr  noch?  —  Säume   nicht,   geh  fort  und 

lafs  mich!« 
Yamas  Diener  sprach: 
»Sieh  hier!   Dharma')  kommt  und  Sakra,  dich  hinwegzuholen. 
Du  mufst  wirklich  gehen,  König;  auf  denn,  fort  von  hier!« 

Dharma  sprach: 
«Lafs  mich  in  den  Himmel  dich  geleiten,  den  du  wohl  verdient-, 
Steig'  in  die's^n  Götterwagen  ohne  Zögern  —  fort  von  hier!« 

Der  König  sprach: 
»Hier  in  dieser  Hölle,   Dharma,   werden  Menschen   tausendfach 

gequält; 
.Schtitz'  uns!'  rufen  sie  voll  Qual  zu  mir;  —  ich  weiche  von  der 

Stelle  nicht.« 
J^akra  sprach: 

»Ihrer  Taten  Lohn  empfangen  diese  Bösen  in  der  Hölle; 

D  u  mufst,  Fürst,  für  deine  gute  Tat  hinauf  zum  Himmel  wandern.« 

Für  den  König  aber  sind  die  Höllenbewohner  nicht  die  Sünder, 
sondern  nur  die  Leidenden.  Und  da  ihm  auf  seine  Frage,  wie  grofs 
seine  guten  Werke  seien,  Dharma  selbst  die  Antwort  erteilt,  sie  seien 
so  zahlreich  »wie  die  Wassertropfen  im  Meere,  die  Sterne  am 
Himmel,  .  .  .  die  Sandkörner  im  Ganges«,  so  hat  er  nur  den  einen 
Wunsch,  es  möchten  durch  diese  seine  guten  Werke  die  Höllenbewohner 
von  ihren  Qualen  befreit  werden.  Der  Götterkönig  gewährt  ihm 
diesen  Wunsch,  und  während  er  zum  Himmel  hinaufsteigt,  werden 
alle  Insassen  der  Hölle  von  ihrer  Pein  erlöst*). 


^)  Über  Dharma  als  Name  des  Todesgottes  siehe  oben  S.  339 
Sakra  ist  ein  Name  des  Götterkönigs  Indra.  In  echtem  altem 
Äkhyäna-Stil  wird  nicht  erzählt,  dafs  die  beiden  Götter  herbei- 
kamen, sondern  ihr  Kommen  wird  im  Gespräch  mitgeteilt,  und  sie 
treten  dann  sofort  sprechend  auf. 

")  Die  Geschichte  von  Yndhis^hiras  Höllenbesuch  und  Himmel- 
fahrt im  18.  Buche  des  Mahäbhärata  (oben  S.  318  f.)  ist  eine  Dublette 
und,  wie  mir  scheint,  nur  ein  schwacher  Abklatsch  der  Vipascit- 
Legende.  Schon  dafs  Yudhisthira  nur  eine  Vision  (mäyä)  der  Hölle 
hat,  ist  eine  wesentliche  Abschwächung.  Im  Padma-Purä^a  kommt 
König  Janaka  zur  Strafe  für  Kuhtötung  der  Form  halber  in  die  Hölle 
und  erlöst  ebenfalls  die  Verdammten.    (Wilson,  Works,  III,  p.  49 f.) 


—     472     — 

In  Sprache  und  Stil  erinnert  dieser  herrliche  Dialog  vielfach 
an  das  SävitrT-Gedicht  des  Mahäbhärata,  So  wie  aber  in  dem 
grofsen  Epos  neben  den  schönsten  Dichtungen  die  abgeschmackte- 
sten Erzeugnisse  der  Priesterlitteratur  stehen,  so  auch  in  unserem 
Puräna.  Unmittelbar  auf  die  eben  erzählte  Legende  folgt  die 
von  Anasüyä,  die  sich  wie  eine  Karikatur  auf  die  SävitrT-Sage 
ausnimmt : 

Anasüyä^)  ist  die  überaus  treue  Gemahlin  eines  ekligen,  mit 
Aussatz  behafteten,  rohen  und  gemeinen  Brahmanen.  Nach  dem 
brahmanischen  Grundsatz  »Der  Gatte  ist  des  Weibes  Gottheit«  betreut 
die  Frau  ihn  mit  grölster  Liebe  und  Sorgfalt  und  erträgt  seine  Roh- 
heiten  mit  Geduld.  Eines  Tages  äufsert  der  gute  Mann,  der  auch  ein 
Wüstling  ist,  den  dringenden  Wunsch,  —  eine  Hetäre  aufzusuchen, 
die  sein  Wohlgefallen  erregt  hat.  Da  er  selbst  zu  krank  ist,  um  zu 
gehen,  nimmt  ihn  sein  treues  Weib  auf  den  Rücken,  um  ihn  dahin- 
zutragen.  Dabei  stöfst  er  zufällig  einen  Heiligen  mit  dem  Fufse, 
und  dieser  verflucht  ihn,  er  solle  sterben,  ehe  die  Sonne  aufgeht.  Da 
spricht  Anasüyä:  »Die  Sonne  soll  nicht  aufgehen.«  Infolge  ihrer 
Frömmigkeit  geht  die  Sonne  tatsächlich  nicht  auf,  wodurch  die  Götter 
in  grofse  Verlegenheit  geraten,  da  sie  keine  Opfer  bekommen.  Es 
bleibt  ihnen  nichts  Übrig,  als  dafür  zu  sorgen,  dafs  der  anmutige 
Gemahl  der  Anasüyä  am  Leben  bleibt. 

Ganz  v/ie  im  Mahäbhärata  so  finden  sich  femer  auch  hier 
neben  Legenden  rein  lehrhafte  Dialoge  über  die  Pflichten  des 
Hausvaters,  über  .^räddhas,  über  das  Benehmen  im  täglichen 
Leben,  über  die  regelmäfsigen  Opfer,  Feste  und  Zeremonien,') 
sowie  auch  (Kap.  36—43)  eine  Abhandlung  über  Yoga. 

Ein  in  sich  abgeschlossenes  Werk,  welches  jedenfalls  erst 
nachträglich  in  das  Märkandeya-Puräna  eingeschoben  wurde,  ist 
das   Devimähätmya,^)   eine    Verherrlichung    der   bis   in   die 

')  Der  Name  bedeutet  die  "Nichteifersüchtige*. 

'-^)  Abschnitte  29—35.  Das  Kapitel  über  Öräddhas  stimmt  zum 
Teil  wörtlich  mit  der  Gautamasmrti  tiberein,  nach  W.  Caland, 
Altindischer  Ahnenkult,  Leiden  1893,  S.  112. 

')  Abschnitte  81—93.  Es  kommt  auch  unter  den  Titeln  Can4i. 
Candimähätmya,  Durgämähätmya  und  SaptaSatl  vor  und 
existiert  in  unzähligen  Handschriften  als  selbständiges  Werk.  Es  gibt 
auch  zahlreiche  Kommentare  zu  dem  Text.  Ein  Manuskript  des  Devimä- 
hätmya  ist  998  n.  Chr.  datiert.  Es  ist  auszugsweise  ins  Französische  von 
B  urnouf  (Journal  Asiatique  IV,  1824,  S.  24  ff.),  ganz  ins  Englische  von 
Wortham  (JRAS  XIII,  1881,"  S.  355 ff.)  übersetzt.    Bänas  Gedicht 


—    473     — 

jüngste  Zeit  hinein ,  durch  Menschenopfer  verehrten  Göttin  Durgä. 
In  den  Tempeln  dieser  furchtbaren  Göttin  wird  das  Devimähätmya 
täglich  gelesen,  und  an  dem  grofsen  Feste  der  Durgä  (Durgä- 
püjä)  *)  in  Bengalen  wird  es  mit  gröfster  Feierlichkeit  vorgetragen. 

VIII.  Das  Agneya-  oder  Agni-Puräna^),  so  genannt, 
weil  es  von  Agni  dem  Vasistha  mitgeteilt  worden  sein  soll. 
Es  beschreibt  die  Verkörperungen  (Avatäras)  des  Visnu,  darunter 
auch  die  als  Räma  und  Krsna,  wo  es  zugestandene'rmafsen  dem 
RimSyana,  Mahäbhärata  und  Harivamsa  folgt.  Obgleich  es  aber 
mit  Visnu  beginnt,  ist  es  doch  im  wesentlichen  ein  äivaitisches 
Werk  und  behandelt  ausführlich  den  mystischen  Kult  des  Linga 
(Phallus)  und  der  Durgä.  Doch  fehlen  auch  nicht  die  den 
Puränas  eigentümlichen  kosmologischen,  genealogischen  und  geo- 
graphischen Abschnitte.  Was  aber  dieses  Puräna  ganz  besonders 
kennzeichnet,  das  ist  sein  enzyklopädischer  Charakter.  Es  handelt 
tatsächlich  über  alles  und  jedes.  Wir  finden  da  Abschnitte  über 
Astronomie  und  Astrologie,  Über  Hochzeits-  und  Totengebräuche, 
über  Omina  und  Portenta,  Hausbau  und  andere  Gebräuche  des 
täglichen  Lebens,  aber  auch  über  Politik  (nrti)  und  Kriegsktmst, 
über  Recht  (wobei  es  sich  enge  an  das  Gesetzbuch  des  Yäjna- 
valkya  anschliefst),  über  Medizin,  Metrik,  Poetik  und  sogar  über 
Grammatik. 

Welchem  Zeitalter  diese  merkwürdige  Enzyklopädie  oder 
ihre  einzelnen  Teile  angehören,  ist  unmöglich  zu  sagen.  Trotz- 
dem aber  das  Werk  selbst  so  Verschiedenartiges  enthält,  gibt  es 
doch  noch  viele  Mähätmyas  und  ähnliche  Texte,  die  sich  als  zum 
Agni-Puräna  gehörig  ausgeben,  aber  in  den  Handschriften  des 
Werkes  selbst  nicht  vorkommen. 

IX.  Das  Bhavisya-  oder  Bhavisyat-Puräna.  Der 
Titel  bezeichnet  ein  Werk,  das  Prophezeiungen  über  die  Zukunft 

»CaijdiSataka*  und  ßhavabhütis  Drama  ^Mälatlmädhava'  setzen 
wahrscheinlich  das  Devimähätmya  voraus,  so  dafs  dieser  späte  Ein- 
schub  im  Märk.-Pur.  schon  vor  dem  7.  Jahrhundert  existiert  haben 
müfste.    (Vgl.  Pargiter  p.  XII  und  XX.) 

')  Über  dieses  volkstümlichste  aller  religiösen  Feste  in  Bengalen 
vgl.  Shib  Chunder  ßose,  The  Hindoos  as  they  are,  S.  92  ff 

*)  Herausg.  in  der  Bibl.  Ind.,  Kalkutta  1873-79.  Ein  unter  dem 
Titel  Vahni-Purä^a  vorkommendes  Werk  wird  auch  Agni-  und 
Ägneya-Purä^a  genannt,  ist  aber  ein  anderes  als  das  oben  beschriebene 
Werk.    (Eggeling,  Catalogue,  S    1294 ff.) 


—     474     — 

(bhavi§ya)  enthält.  Der  uns  unter  diesem  Titel  handschriftlich 
erhaltene  Text  ist  aber  gewils  nicht  das  alte  Werk ,  welches  im 
Äpastamblya-Dharmasütra  zitiert  wird  ^).  Der  Schöpfungsbericht, 
den  es  enthält,  ist  dem  Gesetzbuch  des  Manu  entlehnt,  das 
auch  sonst  mehrfach  benutzt  ist  ^).  Der  gröfste  Teil  des  Werkes 
behandelt  die  brahmanischen  Zeremonien  und  Feste,  die  Pflichten 
der  Kasten  u.  dgl.  Nur  wenige  Legenden  werden  erzählt.  Eine 
Beschreibung  des  der  Schlangenverehrung  gewidmeten  Nägapaft- 
camlfestes  gibt  Anlafs  zu  einer  Aufzählung  der  Schlangen- 
dämonen und  zur  Erzählung  einiger  Schlangenmythen.  Merkwürdig 
ist  ein  gröfserer  Abschnitt,  der  sich  mit  der  Sonnenverehrung  in 
»^äkadvipa«  (Land  der  Skythen?)  beschäftigt,  wobei  von 
B  h  o  j  a  k  a  und  M  a  g  a  genannten  Sonnenpriestern  die  Rede  ist, 
was  sich  unzweifelhaft  auf  zoroastrischen  Sonnen-  und  Feuerkult 
bezieht  ^). 

Eine  Art  Fortsetzung  dieses  Puräi^ia  ist  das  Bhavisyottara- 
Puräna,  welches  zwar  einige  alte  Mythen  und  Legenden  ent- 
hält, aber  doch  mehr  ein  Handbuch  religiöser  Riten  ist. 

Sehr  zahlreich  sind  die  Mähätmyas  und  andere  moderne 
Texte,  die  sich  als  Bestandteile  des  Bhavisya-  und  insbesondere 
des  Bhavisyottara-Puräna  ausgeben. 

X.  Das  Brahmavaivarta-  oder  Brahmakaivarta- 
Puräna.  Letzteres  ist  der  in  Stidindien  gebräuchliche  Name. 
Das  umfängliche  Werk  ist  in  vier  Bücher  eingeteilt.  Das 
erste  Buch,  der  Brahma-Khanda,  behandelt  die  Schöpfung  durch 
Brahman,  das  uranfängliche  Wesen,  welches  aber  niemand 
anderer  ist  als  der  Gott  Krsna  *).  Das  zweite  Buch,  der  Prakrti- 
Khancja,  handelt  von  Prakrti,  der  Urmaterie,  die  aber  hier  ganz 


')  Siehe  oben  S.  441  f..  Noch  weniger  Anspruch  auf  Echtheit  hat 
die  in  Bombay  erschienene  Ausgabe  des  Bhavisya-Purä^a,  die 
Th.  Aufrecht  (ZDMG  Bd.  57,  1903,  S.  276 ff.)  als  einen  »littera- 
rischen Betrug«  entlarvt  hat. 

2)  Vgl.  G.  Bübler,  SBE  Vol.  25,  p.  CXf.  und  78  note.  Wilhelm 
Jahn  a.  a.  O.  S.  38 ff.  und  schon  Wilson,  Works  VI,  p.  LXIII. 

^)  Vgl.  Aufrecht,  Catalogus  Codd.  MSS.  Sanscrit.  Bibl.  Bodl., 
S.  31  ff.    Wilson,  Works  X,  p.  381  ff. 

*)  Darauf  bezieht  sich  wohl  der  Titel  Brahmavaivarta-P. ,  was 
man  »Purä^a  der  Verwandlungen  des  Brahman»  übersetzen  kann. 
Der  südindische  Titel  ist  mir  nicht  verständlich. 


—     475     — 

mythologisch  aufgefafst  erscheint,  indem  sie  sich  auf  Befehl  des 
Krsna  in  fünf  Göttinnen  (Durgä,  Laksml,  Sarasvati,  SävitrI  und 
Rädhä)  auflöst.  Das  dritte  Buch,  der  Ganesa-Khancia,  erzählt 
Legenden  von  dem  elefantcnköpfigen  Gott  Ganesa,  der  dem 
ältesten  indischen  Pantheon  fehlt,  aber  zu  den  volkstümlichsten 
neueren  indischen  Gottheiten  gehört.  Das  letzte  imd  umfang- 
reichste Buch,  der  Krsnajanma-Khanda,  »Abschnitt  von  der  Ge- 
burt des  Krsna« ,  behandelt  nicht  nur  die  Geburt ,  sondern  das 
ganze  Leben  des  Krsna,  insbesondere  seine  Kämpfe  und  seine 
Liebesabenteuer  mit  den  Hirtinnen  (GopTs).  Es  ist  der  Haupt- 
teil des  ganzen  Puräna,  das  durchaus  keinen  anderen  Zweck 
verfolgt,  als  durch  Mythen,  Legenden  und  Hymnen  den  Gott 
Krsna  und  seine  Lieblingsgemahlin  Rädhä  zu  verherrlichen. 
So  sehr  ist  nach  diesem  Puräna  Krsna  der  Gott  über  allen 
Göttern,  dafs  Legenden  erzählt  werden,  in  denen  nicht  nur  Brah- 
man  und  Siva,  sondern  sogar  Visnu  selbst  von  Krsna  gedemütigt 
wird*). 

Eine  grofse  Anzahl  von  Mähätmyas  geben  sich  als  zu  diesem 
Puräria  gehörig  aus. 

XI.  Das  Lainga-  oder  Linga-Puräna.  Das  Werk  hat 
seinen  Namen  von  dem  Linga,  das  hier  als  ein  mystisches  Symbol 
des  Gottes  Siva  in  der  Schöpfungslegende  erscheint^).  Und  so 
wie  in  dem  Bericht  über  die  Schöpfung  Siva  die  Stelle  einnimmt, 
die  sonst  dem  Visnu  zugeschrieben  wird,  so  werden  auch 
Legenden  von  Verkörperungen  (Avatäras)  des  Siva  erzählt. 
tJberhaupt  ist  das  Werk  nichts  anderes  als  ein  Religionsbuch  der 
Siva- Verehrer. 

XII-  Das  Väräha-  oder  Varäha-Puräna.  Auch  dies 
ist  kein  Puräna  im  alten  Sinne  des  Wortes.  Es  enthält  nur  zer- 
streute Anspielungen  auf  die  Schöpfung,  die  Genealogien  usw. 
Eigentlich  ist  es  nichts  anderes  als  ein  Handbuch  von  Gebeten 
und    Regeln    für   die    Visnu -Verehrer.     Von    den   wenigen    ein- 

\)  Eine  Ausgabe  des  Werkes  erschien  in  Kalkutta  1888. 

-)  Eine  so  grolse  Rolle  das  Linga  (der  Phallus)  auch  in  der  Religion 
der  Siva- Verehrer  spielt,  so  ist  hier  doch  nicht  an  einen  Phalluskult 
mit  irgendwelchen  Orgien,  obszönen  Charakters  zu  denken.  Es  ist  nur 
ein  Symbol  des  in  Siva  verkörperten  zeugenden  und  schaffenden 
Prinzips.  (Vgl.  Moni  er -Williams,  Brähmanism  and  Hinduism. 
4th  Ed.,  London  1891,  S.  83  und  90  f.)  Das  Werk  ist  in  Indien  mehr- 
mals gedruckt  worden. 


_    476    — 

gestreuten  Legenden  beziehen  sich  einige  —  trotz  des  visnuitischen 
Charakters  des  Werkes  —  auf  Siva  und  Durgä.  Ein  grofser 
Abschnitt  von  20  Kapiteln  (193—212)  erzählt  die  Legende  von 
Naciketas^),  wobei  aber  Schilderungen  von  Himmel  und  Hölle 
die  Hauptsache  bilden.  Seinen  Titel  hat  dieses  Puräna  davon, 
dafs  es  vonVisiju  in  seiner  Verkörperung  als  Eber  (varäha)  der 
Göttin  Erde  (PrthivI)  mitgeteilt  wird*). 

XIIL  Das  Skända-  oder  Skanda-PurS^a.  Das  alte 
nach  dein  Kriegsgott  Skanda,  einem  Sohn  des  Siva,  benannte 
Werk  ist  wahrscheinlich  ganz  verloren  gegangen.  Denn  es  ist 
uns  kein  einzelnes  Werk  erhalten,  das  sich  >Skanda> Puräna« 
nennt.  Hingegen  gibt  es  eine  geradezu  täberwältigende  Masse 
von  zum  Teil  sehr  umfangrexhen  Werken  —  Mähätmyas, 
Stotras,  Kaipas  (Ritualien)  u.  dergl.  — ,  die  sich  als  Bestandteile 
des  Skanda-Puräna  ausgeben.  Nach  einer  Angabe  soll  das 
ganze  Puräna  81 100  Verse  enthalten ;  nach  einer  andern  soll  es 
aus  sechs  Samhitäs,  500  Khancjas  (Abschnitten)  und  500  000  Versen 
bestehen.  Noch  viel  gröfser  wäre  die  Zahl  der  Verse,  die  sich 
ergeben  würde,  wenn  alles,  was  als  zum  Skanda  gehörig  über- 
liefert wird,  wirklich  dazu  gehörte.  Eine  Agastyasamhitä  des 
Skanda-Puräna  in  23  Kapiteln  lehrt  den  Kult  des  Visnu  in  seinen 
verschiedenen  Formen,  insbesondere  der  des  Räma.  Eine  Sanat- 
kumärasamhitä  wird  oft  genannt.  Eine  Sütasamhitä  ist  heraus- 
gegeben *)-      Ein    Kägikhan^a  *)    beschäftigt    sich   in    ungefähr 

')  Oben  S.  223  f.  Vgl.  L.  Scherman,  Visionslitteratur,  S.  11  f. 
Der  Name  ist  hier  Näciketa. 

*)  Eine  Ausgabe  des  Varäha-Purä^a  von  H|-slkesa  Sästri  ist  in 
der  »Bibliotheca  Indica«  (Kalkutta  1893)  erschienen.  Nach  dem  ersten 
Vers  des  letzten  (218.)  Kapitels  in  dieser  Ausgabe  ist  das  Puräi^  von 
Mädhava  Bhatta  und  Vlreävara  in  Benares  im  Jahre  1621  der 
Vikrama-Ära  (1564  n.  Chr.)  »geschrieben«  worden.  Es  mufs  aber 
dahingestellt  bleiben,  ob  sich  dies  auf  die  Abfassung  oder  nur  auf 
eine  AbschriH  des  Werkes  bezieht. 

")  In  der  AnandäSrama  Sanskrit  Series,  mit  einem  Kommentar 
von  Mädhava.  Ins  Englische  übersetzt  ist  die  Rsya§rnga-Legende 
nach  dem  Skanda-Puräija  Gnd.  Ant.  II,  1873,  S.  140  ff.)  und  Proben 
aus  einem  »Mafijuni-Puräna«  (moderne  Tlrtha-Legenden),  das  zum 
Sahyädri-Khantja  des  Skanda-P.  gehören  soll  (Ind.  Ant.  XXIV,  1895, 
S.  231  ff.).  Ein  Sahyädri-Khanda  ist  berausg.  von  J.  G.  da  Cunha, 
Bombay  1877. 

*)  In  Benares  (1868)  und  Bombay  (1881)  gedruckt. 


—     477     — 

15000  Versen  mit  den  8iva-TempeIn  in  der  Umgebung  von 
ßenares  und  mit  der  Heiligkeit  dieser  Stadt  selbst.  Zu  dem- 
selben Abschnitt  gehört  ein  Gangäsahasranäman ,  eine  Litanei 
der  »tausend  Namen  der  Gangä«.  Das  sind  nur  einige  wenige 
von  den  zahlreichen  Texten,  die  zu  diesem  PurSna  gehören  Sollen. 

XIV.  Das  Vämana-Puräna.  Es  erzählt  von  der  Ver- 
körpenmg  des  V^isnu  als  Zwerg  (vämana)  und  gilt  als  ein  Werk 
der  Visnu -Verehrer.  Trotzdem  handelt  ein  grofser  Abschnitt 
auch  tiber  die  zur  Öiva  -  Religion  gehörige  Linga -Verehrung. 
Einen  grolsen  Umfang  nehmen  Schilderungen  heiliger  Orte 
(Tlrthas)  ein;  die  eigentlichen  Gegenstände  der  Puränas  wie 
Schöpfung  usw.  werden  kaum  erwähnt*). 

XV.  Das  Kaurma-  oder  Kürma  -  Puräna.  Es  heilst  so, 
weil  es  von  Visiiu  in  seiner  Verkörperung  als  Schildkröte 
(kürma)  den  Rsis,  die  ihn  bei  der  Quirlung  des  Ozeans  gepriesen 
hatten,  mitgeteilt  worden  sein  soll.  Die  »fünf  Gegenstände«  der 
4*uräiias  werden  kurz  behandelt,  zum  Teil  in  wörtlicher  Überein- 
stimmung mit  dem  Visiiu-Puräna.  Auch  die  Mythen  von  den 
Verkörperungen  des  Visnu  werden  erzählt;  doch  sind  auf  ^iva 
beztigliche  Hymnen  und  Mythen  mehrfach  eingeflochten.  Und  den 
Schlufs  des  ersten  Teiles  —  das  Puräna  besteht  aus  zwei 
Teilen  —  bildet  eine  Darstellung  der  26  Verkörperungen  des 
^iva.  Überhaupt  ist  das  Werk  nicht,  wie  man  nach  dem  Titel 
und  Anfang  glauben  möchte,  visnu itisch,  sondern  vielmehr  der 
Verehnmg  des  l§iva  und  der  Durgä  gewidmet.  Auf  ein  nicht 
sehr  hohes  Alter  des  Werkes  in  seiner  jetzigen  Gestalt  weist 
der  Umstand  hin,  dafs  es  auf  die  Verehrung  der  Saktis,  der 
als  weibliche  Gottheiten  gedachten  »Kräfte«  des  j^iva,  Bezug 
nimmt  und  unter  anderen  ketzerischen  Sekten  auch  die  »Linken« 
(Väma)*),    d.   h.   die   ausschliefslichen   Verehrer  des   weiblichen 


')  Der  Text  gedruckt  in  Kalkutta  1885. 

*)  äiva  teilte  sich  (vgl.  Kürma-Puräi^  I,  11)  in  zwei  Hälften,  eine 
männliche  und  eine  weibliche,  aus  letzterer  entstanden  die  Saktis. 
§akti  heifst  »Kraft,  Energie«  und  bezeichnet  die  einem  Gotte  ent- 
sprechende weibliche  Gottheit.  Schon  im  §atapatha-Brähmai;ia  (VIII, 
4,  4,  11)  heifst  es,  dafs  «der  Platz  der  Frau  zur  Linken«  des  Mannes 
ist  Daher  bis  zum  heutigen  Tage  die  Unterscheidung  von  »Rechts- 
verehrern«, d.  h.  Verehrern  der  männlichen  Gottheiten,  insbesondere 
des  Siva  und  des  Linga,  und  "Links Verehrern«,  d.  h.  Verehrern  der 
weiblichen    Gottheiten,    insbesondere    der   Durgä    und    der    Yoni 


; 


—    478    — 

Prinzips  und  der  weiblichen  Gottheiten,  erwähnt  und  selbst  ein 
Yämalatantra ,  ein  Religionsbuch  dieser  Sekte ,  kennt.  Einen 
ziemlich  grofsen  Abschnitt  des  ersten  Teils  bildet  eine  Beschreibung 
und  Verherrlichung  der  heiligen  Plätze  von  Benares  (Käsimä- 
hätmya)  und  Allahabad  (Prayägamähätmya).  Der  zweite  Teil 
beginnt  mit  einer  Isvaragitä  (einem  Seitenstück  zur  Bhaga- 
vadgltä),  in  der  die  Erkenntnis  Gottes,  d.  i.  Sivas,  durch  Geistes- 
versenkung gelehrt  wird.  Diesem  Stück  folgt  eine  Vyäsagftä, 
ein  gröfserer  Abschnitt,  in  dem  Vyäsa  die  Erlangung  der  höchsten 
Erkenntnis  durch  fromme  Werke  und  Zeremonien  lehrt  und  da- 
her einen  Vortrag  über  die  Pflichten  des  Hausvaters,  des  Wald- 
einsiedlers und  des  Asketen  hält.  Einige  Kapitel  handeln  von 
Sühnezeremonien  für  allerlei  Vergehen,  wobei  auch  von  der 
Keuschheit  die  Rede  ist.  Dies  gibt  Anlafs  zur  Erzählung  einer 
(nicht  im  Rämäyana  vorkommenden)  Geschichte  von  Sita,  wie 
diese  durch  den  Feuergott  aus  den  Händen  des  Rävana  gerettet 
wird. 

In  den!  Werke  selbst  wird  gesagt,  dals  es  aus  vier  Samhitäs 
(Brähml,  Bhägavati,  Sauri  und  VaisnavT)  bestehe.  Vorhanden 
ist  aber  nur  die  Brähml-Samhitä,  die  einen  Umfang  von  ungefähr 
60000  Versen  hat\). 

XVI.  Das  Mätsya-  oder  Matsya-P  uräna.  Dies  ist 
wieder  eines  der  älteren  Werke  der  Puräna-Litteratur,  oder  doch 
eines  von  denen,  welche  am  meisten  Altes  erhalten  haben  und 
der  Definition  des  s>Puräna«  ziemlich  gerecht  werden.  Es  beginnt 
mit  der  Erzählung  von  der  grofsen  Flut,  aus  welcher  Visnu  in 
Gestalt  eines  Fisches  (matsya)  den  Manu  allein  rettet.  Während 
das  Schiff,  in  welchem  Manu  dahinfährt,  von  dem  Fisch  durch 
die  Flut  gezogen  wird,  findet  zwischen  ihm  und  dem  als  Fisch 
verkörperten  Visnu  das  Gespräch  statt,  welches  den  Inhalt  des 
Puräna  bildet.  Die  Schöpfung  wird  eingehend  behandelt,  dann 
folgen  die  Genealogien,  in  welche  ein  Abschnitt  über  die  Manen 
und  deren  Kult  (Kap.  14 — 22)  eingeschoben  ist.    Es  fehlen  auch 


(vulva).  Diese  «Linken«,  die  Sakti -Verehrer  oder  Säktas,  sind  es,  deren 
Kult  zum  Teil  in  orgiastischen  Festen  und  geschlechtlicher  Zügel- 
losigkeit  besteht. 

0  Sie  ist  herausgegeben  von  Nilmani  Mukhopädhyäya  in  der 
Bibl.  Ind.,  Kalkutta  1890.  Nach  dem  Bhägavata-Puräna  soll  das 
Kürma-Puräna  17000  Verse  enthalten,  nach  dem  Matsya-Puräna  18000. 


—     479    — 

nicht  die  gewöhnlichen  geographischen,  astronomischen  und 
chronologischen  Abschnitte,  und  die  Königslisten  sind  gerade  in 
diesem  Puräna  —  nach  V.  A.  Smith  (oben  S.  445)  —  besonders 
zuverlässig  für  die  Andhradynastie.  Sehr  viel  hat  es  mit  dem 
Mahäbhärata  und  dem  Harivamsa  gemein,  so  die  Sagen  von 
Yayäti  (Kap.  25—42),  von  Sävitri  (Kap.  195-201),  von  den 
Verkörperungen  des  Visnu  (Kap.  231 — 235)  u.  a.,  und  die  Über- 
einstimmung ist  vielfach  eine  wörtliche.  Jüngere  Zusätze  und 
Einschübe  sind  aber  recht  zahlreich.  Da  finden  wir  einen  grofsen 
Abschnitt  über  allerlei  Feste  und  Riten  (Vratas,  Kap.  53—91), 
eine  Verherrlichung  der  heiligen  Orte  von  Allahabad  (Prayäga- 
mähätmya,  Kap.  92—101),  Benares  (Käsimähätmya ,  Kap.  167 
bis  172)  und  am  Narmadäflusse  (Kap.  173 — 181),  ferner  Ab- 
schnitte über  die  Pf  hebten  eines  Königs  (202—214),  über  Omina 
und  Portenta  (215 — 230),  über  Zeremonien  beim  Hausbau  (239 
bis  244),  über  Errichtung  und  Einweihung  von  Götterstatuen 
und  Tempeln  (245—257),  über  16  Arten  frommer  Schenkungen 
(261—276)»)  u.  a.  m.  Nach  Wilson  2)  ist  das  Puräna  givaitisch, 
aber  nach  der  von  Aufrecht  gegebenen  Inhaltsübersicht  könnte 
es  ebenso  gut  visnuitisch  sein. 

XVII.  Das  Gäruda-  oder  Garucia  -  Puräna.  Dies  ist 
ein  vi§nuitisches  Werk,  in  dem  der  mythische  Vogel  Garuda  im  Auf- 
trage des  Visnu  die  Lehre  von  der  Gröfse  dieses  Gottes  ver- 
kündet. Es  behandelt  die  Schöpfung,  die  Verehrung  des  Visnu 
als  Sonne,  die  mystische  Verehrung  von  Visnu,  Siva  und 
anderen  Gottheiten,  allerlei  Zeremonien  (z.  B.  bei  der  Haus- 
einweihung), gibt  die  Genealogien  der  Sonnen-  und  Monddynastien  ^ 
erzählt  den  Inhalt  des  Rämäyana,  Mahäbhärata  und  Harivamsa, 
handelt  aber  auch  über  so  verschiedenartige  Dinge,  wie  Medizin, 
Metrik,  Grammatik  u.  a.  Allerlei  Mähätmyas  —  darunter  ein 
Gayämähätmya  (Verherrlichung  des  Wallfahrtsortes  Gayä, 
wo  es  besonders  verdienstlich  ist,  Manenopfer  darzubringen)  — 
und    auch    ein   Pretakalpa    (Ritual   für   die   Geister   der  Ab- 


^)  Diese  Kapitel  sind  nach  Aufrecht  aus  dem  Bhavisya-Puräoa 
entlehnt.    Mehrere  Drucke  des  Matsya-P.  sind  in  Indien  erschienen. 

8)  Works  VI,  p.  LXXXIII:  »Although  a  Saiva  work,  it  is  not 
exclusively  so.»  Aufrecht  (Catalogus  Codd.  Sanscrit.  Bodl.  p.  43): 
»Princeps  numen  in  hoc  puräna  Visnu-Krsna  colitur,  Krsna  tarnen 
antiquior  quam  mollis  ille  et  imbecillus  Brahma vaivartae  deus.« 


—     480     - 

geschiedenen)  gelten  als  Bestandteile  dieses  Puräna.  Auch  das 
Visnudharmottara,  das  schon  im  7.  Jahrhundert  zitiert 
wird  und  von  Alberünl  (um  1030  n,  Chr.)  genau  studiert  worden 
ist^),  wird  als  ein  Teil  des  Garuda-Puräna  ausgegeben. 

XVIII.  Das  Brahmända- Puräna.  Mit  diesem  Werke, 
welches  nach  einer  Angabe  des  Matsya-Puräna  das  Brahman- 
Ei  (brahmäncja)  verherrlichen  soll,  verhält  es  sich  nicht  viel 
anders  als  mit  dem  Skanda-Puräna.  Es  gibt  wohl  einige  Hand- 
schriften, die  ein  einzelnes  Werk  mit  diesem  Titel  enthalten 
sollen,  und  fem  von  Indien  auf  der  Insel  Bali  ist  ein  Brahmäncia- 
Puräija  das  einzige  heilige  Buch  der\  dortigen  sivaitischen  Sekte  ^). 
Die  meisten  unserer  Handschriften  enthalten  aber  nur  Mähätmyas 
(und  diese  in  grofser  Anzahl),  Stotras  und  Legenden  (Upäkhyänas), 
die  sich  als  Bestandteile  des  Brahmända-Puräna  ausgeben.  Als 
ein  Teil  dieses  Puräna  gilt  auch  das  Adhyätmarämäyana, 
eine  mystisch-philosophische  Bearbeitung  der  Räma-Sage.  Es  ist, 
wie  das  Werk  des  Välmiki,  in  sieben  Bücher  eingeteilt,  die  die- 
selben Titel  haben  wie  das  alte  Epos.  Räma  wird  hier  durch- 
aus als  Vi§nu,  Sita  als  die  Glücksgöttin  Laksmi  gefeiert^).  Das 
Näsiketopäkhyäna,  eine  recht  abgeschmackte  Erweiterung 
und  Verballhornung  der  schönen  alten  Naciketas-Sage  *) ,  wird 
ebenfalls  zum  Brahmända-Purjina  gerechnet. 

Der  Charakter  der  U  p  a  p  u  r  ä  n  a  s  ist  von  dem  der  Puränas 
nicht  wesentlich  verschieden,  höchstens  dafs  sie  noch  ausschliels- 
licher  den  Zwecken  lokalen  Kultes  und  den  religiösen  Bedürf- 
nissen einzelner  Sekten  dienen.  Nur  wenige  dieser  zahlreichen 
und  umfangreichen  Werke  sind  herausgegeben,  und  es  ist 
fraglich,  ob  sich  eine  nähere  Bekanntschaft  mit  ihnen  lohnen  würde. 
Doch  ist   z.   B.  das    Nilaraata-Puräna  ein   wichtiges  Werk 

')  Siehe  JoUy,  Recht  und  Sitte  (Grundrifs  II,  8)  S.  30 f.  und 
Bühler  im  Ind.  Ant.  XIX,  1890,  S.  382 ff.,  wo  der  Inhalt  dieses  der 
Verherrlichung  des  Visnu  gewidmeten  Werkes  beschrieben  ist.  Vgl. 
auch  Eggeling  a.  a:  O.  S.  1308  f. 

"")  Weber,  Indische  Studien  II,  S.  131  f. 

^)  Eine  schöne  Ausgabe  des  Adhyätmarämäyana  ist  in  Bombay 
(Nirnaya  Sagara  Press)  1891  erschienen.  Unter  den  Kommentaren, 
die  es  zu  dem  Werke  gibt,  wird  einer  auch  dem  Sankara  zu 
geschrieben.  Nach  Nllmaui  Mukhopädhyäya  (Kürma  Puräna  ed.,  Preface 
P-  XIV  n.)  soll  Sankara  der  Verfasser  des  Werkes  selbst  sein. 

*)  Eg geling  a.  a.  O.  S.  1252  ff.  und  oben  S.  223 f.,  347 f. 


—     481     — 

für  die  Geschichte  und  Geographie  von  Kaschmir,  wie  denn 
überhaupt  selbst  die  modernsten  Mahätmyas  für  die  Topographie 
Indiens  oft  nicht  unwichtig  sind  ^j.  Manche  von  den  Upapuränas, 
wie  das  Krilikä-Puräna^),  sind  dem  Dienste  der  Durgä  ge- 
widmet und  gehören  zu  den  heiligen  Texten  der  {^äktas,  der 
Verehrer  der  schon  oben  (S.  477)  erwähnten  weiblichen  Gott- 
heiten (l^aktis). 

Die  Sekten  der  Säktas  besitzen  auch  eine  eigene  grofse  und 
umfangreiche  religiöse  Litteratur  in  den  nach  dem  Muster  der 
Puränas  verfafsten  Tantras.  Diese  »Bücher««)  gelten  ihren 
Gläubigen  als  Offenbarungen  des  Gottes  i^iva  und  haben  meistens 
die  Form  von  Zwiegesprächen  zwischen  F^iva  und  seiner  'Ge- 
mahlin Durga.  Gleich  den  Puränas  sollen  auch  sie  »fünf 
Gegenstände«  behandeln,  und  zwar:  die  Schöpf img,  die  Ver- 
nichtung der  Welt,  die  Götterverehrung,  die  Erlangung  über- 
menschlicher Kräfte  und  die  Vereinigung  mit  dem  höchsten 
Wesen.  In  Wirklichkeit  bilden  aber  Mystik  und  Magie  den 
Hauptinhalt  dieser  Bücher.  Grofse  Kompendien  wie  Rudra- 
^^ämalatantra,  Kulärnavatantra,  Tantrasära,  Sära- 
dätilaka  u.a.  ergehen  sich  in  mystischen  Betrachtungen  nach 
Art  des  Yoga,  geben  eingehende  Vorschriften  für  die  mit  dem 
Kult  der  Durgä,  der  Sakti  des  Siva,  verbundenen  Zeremonien, 
zu  denen  auch  geschlechtliche  Ausschweifimgen  und  Trinkgelage 
gehören,  und  enthalten  zahllose  Zauberformeln  (Mantras),  deren 
Anwendung  sie  lehren,  sei  es,  dafs  sie  zur  Verehrung  der  Durgä 
in  der  einen  oder  anderen  ihrer  unzähligen  Formen  dienen  oder 

')  Siehe  M.  A.  Stein,  Kalhaijas  Räjataranginl,  Translated, 
London  1900,  Vol.  II,  p.  376  ff. 

')  Darüber  Eggeling  a.  a.  O.  S.  1189  ff.  Ein  Kapitel  aus  diesem 
W^erk,  den  sehr  interessanten  »Blutabschnitt«  (rudhirädhyäya),  der  aus- 
führlich über  die  der  Durgä  darzubringenden  Tier-  und  Menschen- 
opfer handelt,  hat  W.  C.  Blaquiere  (in  den  Asiatick  Researches, 
vol.  5,  4'^  ed.,  London  1807.  p.  371  ff.)  ins  Englische  tibersetzt. 

3)  Das  Wort  Tantra-'  bedeutet  -Buch«,  also  »Bibel  <.  Über  die 
Tantras,  »die  Bibel  des  Säktismus%  handeln  H  H.Wilson,  Works  I, 
248  ff.,  II,  77  ff.;  Th.  Aufrecht,  Catalogus  Bodl.  S.  88ff.;  Eggeling 
a.  a.  O.,  Part  IV,  S.  844  ff.;  Barth,  Religions  of  India,  S-  200  ff.; 
Monier  Monier- Williams,  Brähmanism  and  Hindüism,  4^''  Ed., 
S.  180  ff.,  205  ff.  Der  Philosoph  Sankara  (bei  Aufrecht,  Catalogus 
Bodl.  S.  108  f.)  zählt  die  Titel  von  64  Tantnis  auf. 


—     482     — 

für  allerlei  Zauberriten  verwendet  werden.  Diese  Mantras  lehnen 
sich  zum  Teil  an  vedische  Gebete  und  Formeln  an,  hauptsächlich 
aber  sind  es  Anrufungen  an  die  weiblichen  Gottheiten.  Einen 
grofsen  Raum  nehmen  in  ihnen  die  schon  oben  (S.  162  f.)  er- 
wähnten geheimnisvollen  Silben  und  Laute  om,  am,  im,  um, 
phet  usw.  ein,  und  gerade  in  diesen  steckt  nach  der  Ansicht 
der  Zauberdoktoren  der  Tantras  der  eigentliche  Kern  (bija)  oder 
die  Wunderkraft  des  Mantra.  Es  gibt  auch  eigene  Werke,  die 
sich  mit  der  Erklärung  der  geheimnisvollen  Bedeutung  der 
Buchstaben  des  Alphabets  beschäftigen.  Andere  Texte  geben 
Beschreibungen  von  zauberkräftigen  Amuletten  (kavaca)  imd  Dia- 
grammen (j^antra),  lehren  geheimnisvolle  Fingerverschlingungen 
(mudrä),  die.  Herstellung  von  Zauberkreisen  (sricakra)  u.  dgl.  mehr. 
Es  ist  dies  gewifs  keine  aus  dem  Volksglauben  geschöpfte  oder 
auf  volkstümlicher  Überlieferung  beruhende  Litteratur,  wie  es 
die  des  Atharvaveda  wenigstens  zum  grofsen  Teile  ist,  sondern 
vielmehr  die  gelehrte  Litteratur  einer  raffinierten  Geheim  Wissen- 
schaft, die  allerdings  durch  Massensuggestion  in  weite  Volks- 
kreise eingedrungen  ist.  Auf  hohes  Alter  können  diese  Werke 
kaum  Anspruch  machen ' ).  Ihr  Hauptverbreitungsgebiet  scheint 
Bengalen  zu  sein.  Von  da  sind  sie  nach  Nepal  (und  auch  nach 
Tibet)  gedrungen,  wo  sie  die  buddhistische  Litteratur  so  stark 
beeinflufst  haben,  dafs  es  in  dieser  auch  eine  eigene  Klasse 
von  »Tantras«  genannten  Werken  gibt,  die  sich  von  den  Tantras 
der  Säktas  kaum  imterscheiden  ^^j. 

Auch  die  Puränas  haben  bei  den  Buddhisten  sowohl  wie 
bei  den  Jainas  Nachahmung  gefunden.  So  gibt  es  ein  bud- 
dhistisches Svayambhü-Puräna,  welches  ein  Mähätmya  von 


^}  Wenn  wir  bedenken,  dafs  im  Mahäbhärata  die  Tantras  nirgends 
erwähnt  werden,  dafs  im  Wörterbuch  Amarakosa  das  Wort  Tantra 
im  Sinne  eines  religiösen  Lehrbuches  noch  nicht  angeführt  wird 
(Wilson,  Works  I,  250),  und  endlich  dafs  die  chinesischen  Pilger 
über  diese  Werke  schweigen,  so  werden  wir  die  Blütezeit  der  Tantras 
mit  H.  Kern  (Der  Buddhismus,  Leipzig  1884,  II,  525  f.)  «nicht  gut 
vor  700  n.  Chr.«  ansetzen  können. 

*)  Vgl.  Barth  a.  a-  O.  S.  201;  H.  Kern,  Manual  of  Indian 
Buddhism  (Grundrils  III,  8),  S.  6  und  133 f.;  Louis  de  La  Vall^e 
Po  US  sin,  Bouddhisme,  Etudes  et  Materiaux  (Memoires  Courounes 
et  Moni,  des  Savants  etrangers  publ.  par  TAcademie  roy.  des  sciences  .  . 
de  Belgique  t.  LV,  Bruxelles  1896),  S.  130  ff.,  168  ff. 


—    483    — 

Nepal  und  dessen  Heiligtümern  ist^).  Bei  den  Jainas  finden 
wir  ein  Padma-Puräna,  das  im  siebenten,  und  ein  Ädi- 
Puräna,  das  im  achten  Jahrhundert  geschrieben  worden  sein 
solf,  und  aufserdem  noch  einige  andere  Puränas  und  Mähä- 
trayas^). 

So  langweilig  und  unerquicklich  auch  diese  ganze  grofse 
Puräna-Litteratur  für  uns  sein  mag,  kann  sie  doch  der  Litterar- 
historiker  ebensowenig  wie  der  Religionsforscher  mit  Still- 
schweigen übergehen.  Denn  diese  Schriften  waren  jahrhunderte- 
lang und  sind  noch  heutigen  Tages  die  geistige  Nahrung  von 
Millionen  von  Indern.  »Die  Puränas«,  sagt  ein  gelehrter  Hindu 3), 
»bilden  einen  wichtigen  Bestandteil  der  religiösen  Litteratur  der 
Inder;  zusammen  mit  den  Dharmasästras  und  den  Tantras  be- 
herrschen sie  ihre  Lebensführung  und  regeln  sie  ihre  religiösen 
Gebräuche  bis  zum  heutigen  Tage.  Die  Vedas  werden  vom 
Altertumsforscher,  die  Upanisads  vom  Philosophen  studiert;  aber 
jeder  strenggläubige  Hindu  muls  —  mittelbar  oder  unmittelbar  — 
irgendeine  Kenntnis  von  den  Puränas  haben,  um  seine  Lebens- 
führung nach  ihnen  einrichten  und  alle  für  seine  weltliche  und 
geistliche  Wohlfahrt  wesentlichen  Pflichten  vollziehen  zu  können.« 

1)  Es  ist  herausgegeben  in  der  Bibl.  Ind.  (Kalkutta  1894—1900) 
von  Haraprasäd  Sästri.  Derselbe  hat  auch  über  den  Inhalt  des 
Werkes  (im  Journal  of  the  Buddhist  Text  Society  of  India,  II,  1894,  2 
S.  33  ff.)  berichtet.  Das  darin  enthaltene  Manicü4ävadäna  hat  Louis 
de  La  Vall<§e  Poussin  (im  JRAS  1894,  S.  297  ff.)  übersetzt. 

2)  Vgl.  E.  Leumann  in  WZKM  XI,  1897,  S.  299 ff.  Pargiter, 
Märkandeya-Puräjja,  Transl.,  Pref.  p.  XIV.  M.  Winternitz  and 
A.  B.  keith,  Catalogue  of  Sanskrit  Manuscripts  in  the  Bodleian 
Library,  II,  Oxford  1905,  S.  229  ff.,  232  f.,  239  ff. 

^-)  Nilmani  Mukhopädhy  äya  in  der  Vorrede  zu  seiner  Aus 
gäbe  des  Kürma-Puräna,  p.  XV. 


Winr.ern>tz,  Geschiebte  der  indischea  Litteratur. 


32 


Index. 


Abbott,  J.  E.  466  A. 

Abhicärikä^i  124. 

Abhimanyu.  Sohn  des  Arjuna  286, 

300,  307,  315,  337  A.  6. 
Ackersegen  95. 
Adbhuta-Brähmana  167. 
Adelung,  Friedrich  21. 
Adhvaryu,  Priester  140,  142,  147 

bis  149,  169,  186  f. 
Adhyatmaramayana  480. 
Adikavi,  ädikävya  404. 
Ädiparvan  287  A. 
Adi-Puräi;a  451;  der  Jainas  483. 
Aditi,  Göttin  67  f.,  156,  158,  384. 
Äditya,  Sonnengott  169  A. 
Aditya-Puräna  446. 
Adityas,  Lichtgötter  451. 
Affen    419  f.,   424;   s.   Hanumat; 

Affen  Verehrung  406. 
Agastya,  ein  Rsi  294.  324,  345, 

414  A  ,  422.'  ■ 
Agastyasamhita  476. 
Ägneya-Puräna  473. 
Agni,  Feuergött,  im  Veda  66,  71, 

76,   77-«0.    83,  85,    88,    108, 

120,  125,  136,  144,  151,  155  bis 

157,  159f.,  178f.,  190-193, 196; 

im  Mahäbhärata  286  f.,  336 ;  im 

Raniavana  418  A.,  420:  in  den 

Puränas  467,  473. 

Agnicayaua,  Feueraltarschichtung 

151,  168. 
Agnihotra,    Feueropfer  59,    150, 

155,  166,  191  f,  198,  232,  234. 
Agni-Puräna  473. 
Agnirahasya,Feuermysterium  168. 
Aliasver  313,  346. 
Ahimsa,  »das  Nichtverletzen»,  d.  h. 

die  Schonung   aller  Lebewesen 

333,  355,  359-361,  365. 
Ahnenverehrung     130,     139;     s. 

Sräddhas. 
Ahura  69. 

Aitareya-Äraijivaka  141  A.,  204, 

232,  241,  257  A. 
Aitareya-Brähma^a  49,   162- A., 


166,  183--188,  193  A.,  199  A., 

204,  256,  321  A. 
Aitareya-Upanisad  204  f.,  207  A. 
Aitihäsikas  261. 
Ajätasatru   oder  Ajatasattu    215, 

402. 
Ajigarta,  Rsi  185  f. 
Äkhyäna,   Erzählung,  Ballade  89 

A.,  181,  183,  186,  189,  2.59,  261, 

399  f.,  401  A.,  407,  433  f.,  439  f., 

451,  471  A. 
Akhyänahymnen  89-93,  259. 
Äkhvänavidas  197  A. 
Alaüikäras  393,  404. 
Albt^rüni  27,  446,  480. 
Alexander  der  Grofse  25, 248,  396. 
Alleinslehre  88,    136,  210—218, 

222,  226,  228,  459  f. 
Allgötter  190;  s.  Visve  Deväs. 
Allopfer  (sarvamedha)  153,  168. 
Alphabete  2<) 
Althochindisch  37  f.,  42. 
Altindische  Sprache  37—42. 
Amarakosa  12,  443  A.,  482  A. 
Amulette  119,  121,  125,  482. 
Anasuya,  Legende  von  472. 
Andhakavadha  385  A. 
Andhrabhrtyas  462. 
Andhradyiiastie  444  f.,  479. 
Ahgada,  ein  Affenprinz  416  f.,  419. 
Angiras  52,  104  f.,  156;  — Athar- 

vaveda  HO  A.,  124. 
Aniruddha  384,  386. 
Anugitä  365,  376. 
Anukramanis  52,  188,  243  f.,  256. 
Anusäsanaparvan  364. 
Anustubh,  Metrum  55. 
Anuvakyäs  141. 
Anuvamsaslokas,      genealogische 

Verse  319,  320  A.,  442,  449. 
Anvakhyana  195. 
Apabhranisa  45. 
Apaddharmänusäsanaparvan    363 

Äpastamba  237  f.,  254. 
Äpastamba-Samhitä  148. 


—    485 


Apastamblya-Dharmasutra     147, 

230,  238  A.,  441  f.^  474. 
Apastamblya-Grhvasutra  235  A., 
_^237,  238  A.,'260  A. 
Apastamblya-§rautasutra  238  A. 
Äpastambfya-Sulvasütra  238  A. 
Äpnsüktas  83  f.,  129. 
Apsaras,  Nymphe  69,   117  f.;  als 

Verführerin  von  Heiligen  336, 

452;  Welt  der  A.  454;  s.  Ur- 

vasi. 
Ära^yaffäna  145. 
Ara^ya-Kända  414. 
Ärajjyakas  38f.,  48  f..  146,  196  bis 

210,  222,  229,  232,  246,   256, 

271;  «Waldbücher.  202  f. 
Ärcika  142-145. 
Ardhamäe^adht  44. 
Arhat,  »Heilieer'  175. 
Arier  56  f.,  61. 
Arithmetik  4,  12. 
Arjuna,    Held    des    Mahäbhärata 

275-277,    281-296,    299  f., 

390  f.;    und    Krsna     366     A., 

367  f.;    Name   des    Indra    400; 
_A.  und  Räma  428. 
Ärsa  (Sprache)  44. 
Artha  272  A 
Arthaväda  175,  181. 
Äru^eya-Upanisad  202  A. 
Aruni,  ein  Priester  201  A. 
Aryästava  381  A. 
Asädha  Sävavasa  176. 
AsamI  (Sprache)  45. 
Asat,  das  Nichtseiende  108,   131, 

194  f,  214. 
Asiatic  Society  of  ßengal  10. 
Askese  175,  184,  191.  A. 
Asketen  48,  184  A.,  201—203. 
Asketendichtung  267,  322,  349. 

352  f ,  362,  403,  449. 
Asketenmoral  323  A.,  354,  356, 

360,  369 
Asoka  26,  28  f.,  403  A.,  435. 
Asramas,  Lebensstufen  202  f.,  236, 

360  A.^363,  444,  454,  461. 
Asramaväsikaparvan  316  A. 
Astrologie  4,  473. 
Astronomie  4,  12,  28.  197,  229, 

245  f.,  250-254,  458,  473. 
Asura  (Ahura),    'Gott«  69,    171: 

Asuras,  die  Dämonen  69,   171, 

195. 
Asvaghosa  418  A.,  437  f. 
Asvaläyana  232,  242. 


Asvalayana  -  Grhva.süira    139   A- 

209  A.,  233  Ä.,  239,  260  A., 
_261  A.,  400,  402. 
ASvaläyana-Örautasütra  238. 
Asvamedha  s.  Pferdeopfer. 
Äsvamedhikaparvan  315  A. 
Asvapati  Kaikeya  201. 

Asvatthäman,  Sohn  des  Drona276, 
309,  312  f. 

Asvins,  ein  Götterpaar  67 f.,  83, 
93,  137,  151,  153,  156  f.,  276, 
333  f. 

Atharvan,  Zauberspruch  49,  104, 
136;  Feuerpriester  103  f. 

Atharvängirasah  104  f. 

Atharvaveda,  die  Samhitä  38,  49, 
96,  103-m,  141  A',  159  f.,  242, 
260,  265,  400, 441,  482;  Sprache 
und  Metrik  38,  106;  Über- 
setzungen 103  f.  A.;  Titel  103 
bis  105;  Einteilung  105  f.;  Alter 
106-112,  170,  246;  Kultur- 
verhältnisse 106 f..  Religion  und 
Mythologie  107  f.;  Heiligkeit 
108 f.;  Lieder  zur  Heilung  von 
Krankheiten  112-118;  Segens- 
sprücbe  118-120,  139;  Ent- 
sühnungsformeln  120  f.;  Zauber- 
sprüche zur  Herstellung  von  Ein- 
tracht 121;  auf  Ehe  und  Liebe 
bezügliche  Zauberlieder  122  bis 
124 ;  Flüche  und  Beschwörungen 
124—127;  Zauberlieder  für  den 
König  127  f.;  für  die  Brahmanen 
129, 173;  für  Opferzwecke  129  f.; 
philosophische  Hymnen  1 30  bis 
137,  197;  Brahma^as  des  A. 
165 f.;  Upanisads  des  A.  206  f.; 
und  Kausikas'utra  239. 

Atharvaveda  -  Prätisäkhva  -  Sötra 

242. 
Atharvaveda-Upanisads  206— 209. 
Athravan  104. 
Atman    199,    201.    203,    216  f., 

225f ,  361  f.,  460;  und  Brahman 

210  ff ;  Etymologie  und  Bedeu- 
tung 212.  ' 

Atri,  Rsi  52,  380. 

Aufrecht,  Theodor  20,  22,  104  A., 
143,  166  A.,  450  A.,  455  A., 
456_  A.,  474  A..  479,  481  A. 

Avataras  s.  Visnn  und  §iva. 

Avesta  38  A.,  '69,  104. 

Ayasthüna  199. 

Ayodhyä-Kä^da  410. 

Ayusyäni  süktäni  118. 

32* 


—     486    — 


Badaraya^a  226. 

Baka,  der  Riese  279  f. 

Baladeva  oder  Balaräma  oder 
i-Räma  mit  der  Pflugschar»  282, 
285  f.,  311,  317,  381  f.,  384 
bis  386. 

Baladevahnika  386  A. 

Baladevamähätm.yakathana  384  A. 

Bäla-Kända  407." 

Balaramä  s.  Baladeva. 

Bali  und  Prahläda  365- 

Bäna  36, 260,  395,  446,  463, 472  A. 

Banayuddha  386  A. 

Bandhu  =  BrähmaijLa  164  A. 

Banen'ea,  K.  M.  467  A. 

Bardendichtung  265,  320,  322, 
340,  449. 

Barlaam  und  Joasaph  352. 

Barth,  A.  IX,  252  A.,  263  A., 
318  A.,  371  A.,  387  A.,  436  A., 
440  A.,  459  A.,  481  A.,  482  A. 

Baudhäyana  237  f.,  254. 

Baudhayana-Kalpasutra  232  A. 

Baudhäyana-Srautasütra  238  A. 

ßaudhäyana-Sulvasütra  238  A. 

Baumgartner,  A.  IX,  404  A., 
408  A.,  433  A. 

Beichtformular  30. 

Benfey,  Theodor  2, 142  A.,  303  A., 
312  A.,  349  A.,  350,  .351  A., 
,352_A.,  353  A.,  354  A.,  380  A. 

Bengali  45. 

Bergaigne.  Abel  68  A. 

Berge,  geflügelte  190  f. 

ßergopfer  382. 

Besant,  Annie  376. 

Beschwörungen  und  Flüche  94, 
108  f.,  119,  122-127,  129,  133, 
159  f.,  331. 

Bestattungsweisen  s.  Totenbestat- 
tung. 

Bhaga,  ein  Gott  83;  94. 

Bhagavadgltä  10, 14- 1 7, 365—376, 
380,  391,  455,  466,  478. 

Bhagavat  -=  Visnu  365  A. 

Bhägavata-Puräiia  320  A.,  323  A., 
337  A .  389  A.,  444  A.,  448  A., 
449,  451,  454,  456  A.,  457  A., 
458  A .  459  A.,  463  A.,  464  bis 
466,  478  A. 

Bhägavatas,  Sekte  258  A.,  366, 
464  f. 

Bhagavatl-Sainhitä  478. 

Bhaisajyäni  ll2. 

Bhakti,  «Verehrung'  (des  Visnu), 
Gottesliebe  370—372,  371' A., 
466. 

Bhandarkar,  R.  G.  394  A. 


Bhanumatiharaijia  385  A. 

ßharadväja,  Rsi  52.  ^ 

Bhäradväja  238;  —  Öiksä  243. 

Bharata,  der  König  264,  319  f., 
400,  454;  Legenden  459. 

Bharata,  Bruder  des  Räma  409  f., 
412-414,  420. 

Bharata  und  Mahabhärata  264  A., 
271,  400  A. 

Bhäratas  oder  Bharatas  264. 

ßharatavarsa  458. 

Bhartrhari  8,  17,  413  A. 

Bhavabhüti  406,  473  A. 

Bhavisyaparvan  387,  395  A. 

Bhavisva(t)-Puräna  441  f.,  473  f., 
479 'A. 

Bhavisyottara- Purana  474. 

Bhima275ff.,  287 ff.,  365,  432; 
und  Hidimba  278;  und  Hanumat 
293,  328;  trinkt  DussäsanasBlut 
310;  tötet  Duryodhana  311. 

Bhisma  275,  284,  288  ff.,  304  ff., 
337,  363. 

Bhlsmaparvan  303  A. 

Bhrgu,  ein  ßsi  336,  454  f. 

Bhumikhagida  453. 

Bhür  bhuvah  svar  162,  194. 

Bibliotheken,  indische  36. 

Bihäri  45. 

Bimbisära  402. 

Biographie  3. 

Blaquiere,  W.  C.  481  A. 

Blau,  August  458  A. 

Bloomfield,  Maurice  54  A.,  95, 
104  A.,  124  A.,  127,  130, 
133  A.,  146  A.,  166  A.,  233  A., 
239  A.,  441  A. 

Blutschande  91  f. 

Bogenspannung  280  f. ,  383,  410, 
428,  438. 

Böhtlingk,  Otto  21,  207  A.,  374. 

Bopp,  Franz  15  f.,  325,  337  A., 
342,  408  A. 

Böse,  Shib  Chunder  342  A.,  473  A. 

Boxberger,  Robert  273  A.,  352  A., 
367. 

Bradke,  P.  von  233  A. 

Brahmacarin  202,  233. 

Brahmadatta  380  A. 

Brahmajalasutta  401  A. 

Brahmakaivarta-Puräna  474. 

Brahmakhanda  453  A ,  474. 

Brahman,  das,  schöpferisches  Prin- 
zip, Weltseele  131  f.,  134—136, 
153,  162,  194—196,  202;  das 
heihge  Wort  160,  196,  203; 
Lehre  von  dem  mit  Atman  iden- 


—    487     — 


tischen  B.  208,  210  ff.,  225  1, 
373;  Etymologrie  und  Grund 
bedeutune  211  f.;  Opfer  an  das 
B.  234;  Vereinigung  mit  dem  B. 
323. 

Brahman,  der  Gott  und  Schöpfer 
29,  33,  50,  152,  168,  221,  337 
bis  340,  386,  387  A.,  405,  409, 
420,  422,  451,  453,  455  f.,  460  f., 
467,  474  f. 

— ,  Oberpriester  139—141,  161. 

Brähmaiias  des  Veda  38,  42,  48  f., 
89,  105,  140,  146,  149,  151,  160, 
163—196;  Bedeutung  des  Wortes 
164,  229  A.;  Aufzählung  166 ff.; 
ihre  Zeit  169  f.,  175,  248-250, 
252,  256  f. ;  religiöse  und  soziale 
Verhältnissen  1  ff. ;  Opferwissen- 
schaft 175  ff.,  196-198;  ihr  In- 
halt 175  ff.;  Erzählungen  und 
Legenden  181  ff.,  259,  264,  336, 
393,  399  f.,  441;  Schöpfungs- 
legenden 191  ff.;  und  Araijyakas 
202  f.,  205,  222,  229;  und  Sütras 
231  ff.;  Upanisads  in  B.  256  A. 

Brahmanaspati,  Gott  88. 

Brahmända-Puräna  444  A.,  480. 

Brahmanen  (Priesterkaste)  29,  39, 
95,  236,  265;  die  Götter  der 
Erde  107,  173 f.;  Zauberlieder 
im  Interesse  der  B.  107,  129; 
Geschenke  an  B.  134,  272,  348, 
365,  422;  B.  und  Könige  bzw. 
Kriegerkaste  186, 198-201,210, 
280  f.,  284,346  f. ;  Verherrlichung 
der  B.  271,  346-349,  365. 

Brahmanenmord  335. 

Brahmanenschaft  297. 

Brahmanenschinder  133. 

Brahmanische  Mythen  und  Le- 
genden 265  f.,  330-348,  353, 
379,  403,  408,  422  f.,  430. 

Brahmanismus  50,  248,  258,  440 ; 
seine  Moral  360;  Riten  und 
Bräuche  444,  461,  472-474, 
478. 

Brahma-Puräna  389  A.,  451  f. 

Brähma-Schrift  29. 

Brahraavaivarta  -  Purana  339  A., 
444  A.,  450  A.,  474  f.,  479  A. 

Brahmävarta  170. 

Brahma  veda  141  A.- 

Brähml-Samhitä  478. 

Brahmodyas  160.  198,  296. 

Brahmo  Samäj  18  f.,  376. 

Brandes,  G.  6  A. 

Brautraub  285  f.,  384. 

Brhadaranyaka-Upanisad  56,    161 


A.,    168,    199,  201   A.,  204 f., 

207  A.,  215  A.,  218,  219  A., 

220  f,  225  A. 
Brhadasva  324. 
Bi-haddevatä  243  f. 
Brhadvisijupuräna  456  A. 
Brhannäradlya-Puräna  466 1 
ßi-haspati,  Gott  88,  158. 
—,Niti  des  365;  Gesetzbuch  441  A. 
Brhat  und  Rathan tara,  Melodien 

133,  146,  158. 
Brhatkathä  45. 

Brunnhofer,  H.  65  A.,  81t,  96. 
Bücher,  geschriebene  31  f. 
Buchstabenspiel  30. 
Buddha  25  A-,  175,  261,  267,  402, 

413  A.,  434  f. 
Buddha-Balladen  433. 
Buddhacarita  418  A.,  437. 
Buddha-Legende  417  A. 
Buddhismus  25  f,  45,  47,  175, 202, 

220,  226,  248,  257  f.,  396,  433  f., 

435,  440. 
Buddhisten  43  f.,  201,  261,  323  A., 

349,   352 f.,   360,   362,  402 f., 

437;    Missionäre   in  China  26; 

über  den  Veda  50;  sind  Ketzer 

225  A.,  461. 
Buddhistische  Litteratur  IX,    17, 

20,  22,  25,  45,  225,  257,  441; 

Kanon  29  f.,  43 ;  Mahayanatexte 

32;  und  die  Epen  297  A.,  357  f., 

400—402,  436;  b.  Märchen  und 

Erzählungen 283  A.,  343  A., 344, 

352  f.,  354  A.;  b.  Dialoge  348; 

b.  Sprüche  413  A.;  b.  Akhyänas 

433  f.;  b.  Tantras  und  Puraijas 

482  f. 
Bühler,  Georg  22, 28  A.,  29, 31  A., 

35  f.,  238  A.,   252  A.,   254  f., 

258,  394  A.,  442  A.,  446  A., 

474  A.,  480  A. 
Bürk,  Albert,  238  A. 
Burnell,  A.  C.  145  A.,  239  A. 
Burnouf,   Eugene    19  f.,   444   A., 

448  A.,  450  A.,  464  A.,  465, 

472  A. 

Caland,  Wilhelm  234  A.,  238  A., 
239  A,  444  _A.,  472  A. 

Candi,  Candlmahätmya  472  A. 

Candisataka  473  A. 

Candragupta,  Gründer  der  Maur5'a- 
dynastie  25  f.,  402,  403  A. 

—  I.  (Gupta)  445. 

Cariyapitaka  353  A. 

Cartellieri,  W.  264  A. 

Cäturmasya  s.  Jahreszeitenopfer. 


488  — 


Chandas  146  A.,  229  A. 

Chandogas  146  Ä. 

Chändogya-Upanisad  49,  141  A-, 
162  A.,  200  A:,  201  A.,  2041, 
207  A.,  209,  211  A.,  213-217, 
219,  222  A.,  260  A.,  391  A. 

Ch6zy,  A.  L.  14  f.,  452  A. 

Chinesische  Pilger  26  f.,  482  A. 

Christliche  Einflüsse  370  A-,  37 1 A. 

Chronologie  der  indischen  Littera- 
tur  VIII  f.,  23-28,  248  f. 

Cirakärin,  Geschichte  von  357. 

Citrängada  269,  275. 

Citrängadä  u.  Arjuna  285. 

Code  o{  Gentoo  Law  10. 

Colebrooke,  H.  Th.  11  f.,  15,  17, 
36,  465. 

Cowell,  E.  B.  418  A. 

Crooke,  W.  406  A. 

Cyavana,  Legende  von  333—335, 
345. 

Dahlmann,  Joseph  260  A.,  263  A., 
376  A.,  392. 

Daksa,  ein  Urvater  des  Menschen- 
geschlechts 379,  451,  461. 

Daksinä.  "Opferlohn,  Priesterlohn« 
99;  129,  153,  158,  165,  173. 

DamayantI  324—327,  429  A. 

Dämodara  II.  von  Kaschmir  407. 

Dämonen  69,  108,  1201,  124  f., 
216  f. 

Danadharma  365,  395. 

Dänastutis  99  f.,  130. 

Dara  Schakoh  18. 

Darmesteter,  J.  318  A. 

Däsa  57   69. 

Dasaratha  409-412,  415,  424. 

Dasaratha-Tätaka  413  A.,  433  f. 

Dasyu  57,  69,  76. 

Davids  s.  Rhys  Davids. 

Denkorgan  s.  Manas. 

Deussen,  Paul  41  A.,  87  A.,  88  A., 
95  A.,  97,  101  A.,  102  A.,  131, 
133  A.,  135  f.,  190  A.,  194  A., 
200  A.,  201  A.,  202  A.,  205, 
207  A.,  208  A.,  209  A.,  210  bis 
213,  218  A.,  220,  224  A.,  227, 
273  A.,  338  A.,  357  A.,  358  A., 
360  A.,  364  A.,  365  A.,  367, 
376  A.,  381  A.,  407  A.,  438  A., 
446  A.,  459  A.,  467  A. 

Deutsche  und  Inder  6  f.,  1 15—1 18. 

Devas,  »Götter«  69;  und  Asuras 
171. 

Devlbhagavata-Purä^a  465. 

Devimahatmya  472  f. 

Dhammapada  360  A. 


Dhanaftiaya  =  Arjuna  401. 
Dharma,  "Recht  und  Moral«  236, 

272,  297  A.,  349,  362;  Gott  der 

Gerechtigkeit  u.  Todesgott  275  f., 

298,  333,  339—341,  471. 
Dharmasastras  364,  483, 
Dharmasütras  51,  236—238,  243. 
Dharma vyadha  358. 
Dhartar,  "Erhalter«,  ein  Gott  83. 
Dhätar,  -Schöpfer?  83,  136. 
Dhrstadyumna  281  f ,  303. 
Dhrtarästra  262,  269,  275-277, 

287  f.,  290  ff.,  301  f.,  400  f.;  sein 

Ende  316  f. 
Dhruva,    Polarstern    252  f.:    Le- 
gende 379,  457,  466. 
Dhyanayoga  455. 
Diagramme  482. 
Dialoge  210,  357  f.,  360  ff.,  459  f., 

469  ff.;  s.  Itihasasamväda. 
Dichter  und  Zimmermann  99. 
Dikshit,  S.  B.  252  A. 
Ding-an-sich  215. 
Dioskuren  68. 
Drachenkampf  73  f. 
Dramen  2,  36,  39,  44  f.,  385  A., 

406,  432. 
Draupadi,  Gemahlin  der  fünf  Pän- 

davas  280  ff.,  298  f.,  301,  340, 

365,  401,  432,  468:  Raub  der 

D.  295  f.,  328,  428. 
Dravi<Jische  Sprachen  46. 
Droija  276,  284,  289.  292,  307, 

309,  468  A. 
Dronaparvan  307  A. 
Drupada  280  ff.,  300. 
Dubletten  332,  335  A.,  391,  428, 

468  A.,  471  A. 
Duhsanta  (=  Dusyantä)  264,  400. 
Duperron,  Anquetil  18. 
Durgä  381  A.,  386  A.,  398,  473, 

475^  477,  481. 
Durgamahätmya  472  A. 
Durgäpüjä  473. 
Durjanamukhacapetikä,    -mahäca- 

petikä,  -padmapädukä  465  A. 
Durvodhana  275  ff.,  280  ff.,  290  ff., 

301  f.,  311,  432. 
Dussäsana  277,  289.  291. 
Dusyantä  319 f.;  s.  Duhsanta. 
Dutt,  s.  Manmatha  Nath  D.  und 

Romesh  D. 
Dvaipäyana  268 f.;  s.  Vyäsa. 
Dvipadä  Viräj,  Metrum  55. 
Dvivedi,  M.  N.  448. 
Dyaus  66,  193. 

Eckhart,  Mystiker  227. 
Eggeling,  Julius  167  A.,  172  A., 


489 


450  A.,  463  A.,  464  A.,  473  A., 
480  A.,  481  A. 

Ehe,  Zaubersprüche  bezüglich  auf 
122—124;  Sprüche  über  die  E. 
321;  E.  der  Draupadi  282 f.; 
s.  Brautraub,  Gattenselbstwahl, 
Kaufehe. 

Ei,  das  goldene  194,  196;  Brah- 
man-Ei  480. 

Einheitslehre  s.  Alleinslehre. 

Einhornsage  343  A.,  345. 

Einladungsverse  141. 

Einschachtelung  von  Erzählungen 
270. 

Einschläferungszauber  122. 

Einsiedler  s.  Waldeinsiedler. 

Ekasrnga  343  A. 

Elternliebe  356  f. 

Entsühnungsformeln  120. 

Epen,  epische  Dichtung  2,  17,  32, 
34,  44,  197,  248,  255;  mündlich 
überliefert  40,  424 ;  ihre  Sprache 
40,  42,  435 f.;  deren  Anfänge 
89,  197,  259ff.,  270  A.,  431; 
Episches  in  den  Brahmanas  181 
bis  189;  indische  und  griechische 
E.  426 f.;  ihr  Alter  436  A. 

Erdbeschreibung  451,  458. 

Erde  (Prthivi),  Mutter,  Göttin  66, 
136  f.,  155, 422, 438, 476;  Rätsel 
von  der  E.  160. 

Erkenntnis  als  Heilsweg  222  ff., 
369  f. 

Erlösung  362,  365.  371  f.;  Er- 
lösungslehre 364. 

Erotik  (Kämasästra)  4,  209  A.,  384. 

Erzählungslitteratur  244,  270. 

Eschatologie  209;  s.  Himmel,  Hölle. 

Ethik  221  f.,  266,  296  f.,  358-362, 
364 f.,  369,  376  f.;  s.  Moral. 

Etymologie  62,  128,  176  f.,  191  f., 
229. 

Evangelien  371  A. 

Ezour-Vedam  12  A 

Fabeln  2,  267,  348-350. 

Fachschulen  229,  246. 

Fachwissenschaftliche  Litteratur 
2f,  12. 

Fa-hian  27. 

Fasten  176.  ^ 

Fauche,  H.  273  A.,  407  A. 

Fausböll,  V.  433  A. 

Feuer,  heilige  139,  158;  Rätsel 
vom  F.  160;  s.  Agni. 

Feueranlegung  166,  230. 

Feueraltarschichtung,  Feueraltar- 
mysterium  151,   158,   168,  178. 


Feuerbohrer  und  Feuerquirlung 
156  f. 

Feuerkult  79.  104,  150. 

Feueropfer  182;  s.  Agnihotra. 

Feuerpriester  104. 

Fleet,  J.  F.  28  A.,  437  A. 

Florenz,  C.  A.  104  A. 

Fluch,  personifiziert  126;  F.  eines 
Rsi  266,  276,  294,  31.3,  315, 
3 17,  320,  322,  324,  333  f.,  336, 
407,  409,  411,  468,  472;  s.  Be- 
schwörungen. 

Flutsage  182  f.,  336  f.,  454,  478. 

Forster,  Georg  11. 

Foucaux,  Ph.  E.  273  A. 

Frank,  Othmar  19. 

Franke,  R.  Otto  353  A.,  358  A., 
437  A. 

Frauen,  sprechen  Dialekt  in  den 
Dramen  39,  44 ;  litterarische  und 
gelehrte  F.  52,  199,  210,  348; 
Stellung  und  Wertung  der  F. 
.59  f.,  179  f.,  184  f.,  189,  279, 
288  A.,  321,  421,  472;  wie  Hyä- 
nen 91;  Frau  die  Hälfte  des 
Mannes  179;  die  Tochter  ein 
Jammer  184,  279;  freier  Ge- 
schlechtsverkehr 336;  in  den 
Epen  340,  432;  Tagenden  und 
Pflichten  der  F.  365,  385,  411; 
Rämas  »Mütter«  410  A.;  vom 
Veda  ausgeschlossen  447;  zur 
Linken  des  Mannes  477  A. 

Frauenriten  122. 

Frauenschönheit  180. 

Freigebigkeit,  Lob  der  100  f.,  365. 

Fritze,  Ludwig  469  A. 

Froschlied  95  f. 

Fünf-Indra-Erzählüng  283  A. 

Gänas  145  f. 

Gändhäri  275,  291,  302.  314,  432. 

Gandharvas  69,  90,  117  f..  181  f.. 

189,  221,  292,  295,  298  f. 
Gaijesa-Khanda  475. 
Gangä  (Ganges)  275;  Herabkunft 

der  G.  409;  tausend  Namen  477. 
Gangäsahasranaman  477. 
Ganges  57,  107,  455;  s.  Ganga. 
Garbe,   R.    196,   201  A.,   238  A., 

239  A.,  258  A.,  367,  371  A., 

372  A.,  .373  f.,  375  A.,  391  A. 
Gargi,  Philosophin  199. 
Gärgya  Bäläki  215. 
Garhwäli  45. 
Garuda,    mythischer    Vogel    331, 

479'. 
Garuda-Puräna  389  A.,  449,  479  f. 


—    490    — 


Gäruda-Upanisad  209. 

Gastfreundschaft  234,  461. 

Gäthä,  (epische)  »Gesangstrophen« 
43,  183,  186,  197,  259,  261,  401, 
449;G.naräsamsi  »Männerpreis- 
lieder«  197,  26h  399. 

Gäthadialekt  43. 

Gattenselbstwahl  (svayamvara) 
280  f.,  285  f. 

Gattin  184,  321;  s.  Frauen. 

Gautama,  Vater  des  Övetaketu  200  f. 

Gautama-Dharmasutra  32,  441. 

Gautamasmrti  472  A. 

Gayämähatmya  464  A.,  479. 

Gäyatri,  Metrum  55  f.,  133,  143, 
158,  189. 

Gebetbücher  138,  147,  149,  249. 

Gebete  118  f.,  122,  128  f.,  139, 
142,  148-163,  211f.,  236 f.;  s. 
Manilas. 

Geheimlehren  207—209,  222. 

Geheimmittel  209  A. 

Geier,  Schakal  und  totes  Kind, 
Fabel  356. 

Geiger,  Wilhelm  46  A 

Geist  und  Rede  188. 

Geldner,  Karl  F.  60,  63,  65,  71, 
89  A.,  91  A.,  98  A.,  101  A., 
181  A.,  261  A.,  380  A.,  462  A. 

Genealogien  26"),  46  Ij  463,  467, 
475,  478;  genealogische  Verse 
s.  Anuvamsallokas. 

Geographie  des  Veda  56  f.,  106  f., 
170  f.,  254  f.;  der  Epen  432  f.; 
der  Purä^as  266,  451,  458,  473, 
479,  481. 

Geometrie  4,  236. 

Gesandtenrecht  302. 

Gesang  4,  141  ff. 

Gesangbücher  138,  145. 

Gesangstrophen  141  f.;  s.  Gäthäs. 

Geschichtschreibung  3,  27. 

Geschlechtsmoral  180,  309,  336. 

Geschlechtsverwandlung.  303. 

Gesetzbücher  s.  Rechtslitteratur. 

Ghatajätaka  401  A. 

Ghatotkaca  278,  293,  307. 

Gita  366  A. ;  s.  Bhagavadgitä. 

Gleichnisse  404  f. 

Gobhila-Grhyasütra  139  A.,  230, 
233  A.,  237,  239. 

Goethe  11,  174  f. 

Gopatha-Brähmaoa  166. 

Gorresio,  Gaspare  407  A.,  425. 

Götter,  des  Rigveda  66  f. ;  ihre  Ver- 
ehrung 161. 184A.;indenBräh- 
maijas  170  f.,  176  f.;  wurden  er- 
schaffen 1 95  f. ;  und  Asuras  2 1 6  f . ; 


vergehen  225;  alte  und  neue  327 ; 
und  Heilige  334  f. 

Gotteserkenntnis  371. 

Gottesliebe  370-373. 

Grämageyagana  145. 

Grammatik  3,  4,  7,  12,  32.  197, 
229,  242,  246,  473,  479. 

Grammatiker  29,  241. 

Grassmann,  H.  63. 

Grhastha,  »Hausherr,  Familien- 
vater« 202. 

Grhyakarma^i ,  "häusliche  Opfer 
und  Zeremonien»  139,  141  A. 

Grhyasamgrahaparisista  233  A. 

Grhyasütras  51.  93,  ■l'39,  232  bis 
240,  252,  438;  Ausgaben  und 
Übersetzungen  233  A. 

Griechen  in  Indien  25  f.,  381,  396, 
438,  440. 

Grierson,  G.  A.  39  A.,  436  A., 
437  A. 

Griffith,  Ralph  T.  H.  104  A., 
148  A-,  408  A. 

Grill,  Julius  103  A.,  114  A. 

Grimm,  Jacob,  413  Ä. 

Grtsamada,  l^si  52. 

Girube,  E.  332'  A. 

Grundrifs  der  indo-arischen  Philo- 
logie 22  f. 

Gruppenehe  s.  Polyandrie. 

Gubernatis,  A.  de  327. 

Gujaräti  45. 

Gu^ädhya  45. 

Gu^as,  die  drei  369. 

Guptas,  Dynastie  444  f.,  463. 

Haas,  E.  235  A. 

Haberlandt,  M.  352  A.,  354  A. 
Halhed,  N.  B.  9  f. 
Hallisa,  ein  Tanz  383  A. 
Hamilton,  AI.  12-14. 
Hammer,  Joseph  v.  352  A. 
Hamsadimbhakopäkhyana  388  A. 
Handschriften  12,  14,  29—31,  35  f. 
Hanumat,  Affenkönig  293,    328, 

405  f.,  416  ff.,  421,  428,  434. 
Hanxleden,  Pater  J.  E.  8. 
Hara  =  äiva^  386  A. 
Karaprasäd  äästri  483  A. 
Hardy,  Edmund  154  A.,  401  A., 

440  A. 
Hari  =  Vis9u  379  A.,  386  A.,  388. 
Hariharatmakastava  386  A. 
HarilTlä  465  A. 
Hanscandra  184—186,  468  f. 
Harivamsa  91, 268,  320  A.,  323  A., 

350  Ä.,  378-389,  391,  395,  398, 

401,    406,   429;   ein   religiöses 


—    491     — 


Buch  387;  ein  Puräna  378  f., 
388  f.;  H.  und  Puränas  440, 
442,  462  f.,  466,  473,  479. 

Harivamsaparvan  379. 

Harsacarita  446. 

Hartmann.  Franz  367  A. 

Hastingfs,  Warren  9  f. 

Haug,  Martin  95,  102  A.,  166  A. 

Hauvette-Besnault  464  A. 

Hecker.  Max  F.  212  A.,  226  A., 
227  A.,  228  A 

Hegel  16  f.     .. 

Heilige,  ihre  Übermacht  175,  335, 
345 

Heiligenlegenden  267,  342  ff.,  354. 

Heilzauberriten  112. 

Heilzaubersprüche  112  ff..  119 f., 
124. 

Heine  7,  57,  346,  408  A.    i 

Heldengesänge     261  ff.,     265  f., 

319  ff: 

Hemädri  465  A. 

Henrv,  Victor  IX,  104  A. 

Herakles,  der  indische  381. 

Herder  8,  11,  13.  366  A. 

Hertel,  Joh.  259  A- 

Hesiod  133  A. 

Hetären  39,  60,  343  A.,  472. 

Hidimbä  278,  293. 

Hillebrandt,  Alfred  53  A.,  66  A., 

67  A.,  68,  70,  74,  76  A.,  144  A., 

146  A.,  153  A.,  154  A.,  232  A., 

233  A.,  239  A. 
Himmel,    Gott    120;    im    Rätsel 

160;  Himmelswelten  451,  453, 

458,  476. 
Hindi  45. 
Hinduismus  440. 
Hindustänl  45. 
Hiob-Sage  469  A. 
Hiranyagarbha  =  Brahman  447  A. 
Hiraijyakesi-Dharmasutra  238. 
Hira^yakesi-Grhyasütra  238  A. 
Hiranyakesin  238. 
Hirzel,  B.  319  A. 
Hitopadesa  10,  12,  17. 
Hitz,  Luise  217  A.,  224  A.,  327  A., 

342  A. 
Hiuen-Tsiang  27,  36. 
Hochzeitsrituell  93,  184  A.,  234  f., 

240.  252  f.,  461,  473. 
Hochzeitssprüche  78,    93 f.,    106, 

122    139  253 
Hoefei-,  Albert  342  A.,  349  A., 

409  A.,  452  A. 
Höllen  318,    449,  451,  458,  469 

bis  471,  476. 
Holtzmann,  Adolf  (der  ältere)273  f.. 


322  A.,  324  A.,  326  A.,  331  A.. 
342  A.,  343  A ,  344  A.,  410  A.. 
411  A.,  413  A. 

Holtzmann,  Adolf  (Neffe  des  vor- 
hergehenden) 262  A.,  263  A., 
264  A.,  305  A.,  327  A.,  336  A., 
378  A.,  389  A  ,  391  A.,  394, 
398  A.,  428  A.,  442  A.,  457  A.. 
463  A.,  466  A. 

Homer  427,  438. 

Hopkins,  E.  Washburn  56  A., 
252  A.,  263  A.,  328  A.,  333  A., 
376  A.,  391  A.,  393  A.,  394  A, 
395  A.,  396  A.,  400  A.,  403  A, 
429  A.,  431  A.,  440  A.,  442  A^ 
463  A. 

Hörn,  Paul  341  A. 

Hotar,  Priester  78,  139  A.,  140  L 
142  A.,  168,  186  f.  . 

Hrsikesa  SästrI  476  A. 

Hubert,  H.  233  A. 

Hultzsch,  Eugen,  28  A. 

Humboldt,  Wilhelm  von  16  f.,  366t, 
370  A. 

Humor  322,  325,  343  ff. 

Hunnen  445. 

Idä,  Manus  Tochter  183;  s.  H.a. 

Identifizieren  177. 

Ikarus  416  A. 

Iksväku,  König  379,  461. 

Uä  (IIa,  Hä)  =  Idä  422,  461. 

Incubi  und  Succubi  117. 

Indogermanisch  4 — 6,  37,  46  f.,  61, 
66,  74,  84,  94,  118,  174,  235, 
247. 

Indo-iranische  Grundsprache  38. 

Indra,  im  Veda  67,  70,  73  ff.,  84, 
86  f.,  97,  99,  191,  198,  216  f.. 
222  u.  ö. ;  sein  Kampf  mit  Vrtra 
73  f.,  335,  355,  422,  439;  gröfser 
als  die  Erde  160;  sein  Name 
177;  im  Epos  276,  283  A., 
292  ff.,  323  f.,  334  ff.,  416  A., 
420  f.,  423;  in  der  Krsna- Le- 
gende 382,  384;  I.s' Himmel 
424  A.;  in  den  Puränas  453, 
457,  461  f.,  467,  469,  471  A. 

Indrajit  419  f.,  432. 

Inschriften  10,  12,  26  ff.,  43, 
394  f.,  437  A. 

riä-Upanisad  154,  206,  226  A. 

Isvaragitä  478. 

Isvarastuti  388  A. 

Itihäsa  HO  A.,  181,  189,  195,  197, 
259  ff.,  266,  271,  348,354,  357, 
362,  393,  399,  441,  447. 

Itihäsalitteratur  261,  263,  430. 


492 


Itihäsapuräna  109  f ,  260  f. 
Itihäsa-Samväda  348  f.,  351, 357  f., 

362. 
I-tsing  27. 

Jabälä  200. 

Jäbäla-Upanisad  459  A. 

Jäbäli,  Ketzer  413. 

Jacobi,  Hermann  40  A.,  250  ff., 
258,  262  A.,  263  A.,  267  A., 
328  A.,  337  A.,  393  A.,  397  A., 
401  A.,  404  A.,  408  A.,  409  A., 
413  A.,  414  A.,  417  A.,  418  A., 
421  A.,  426  f.,  428  A.,  429, 
431,  433  A.,  434  A.,  435  A., 
436,  438  A.,  439. 

Ja^abharata  459,  469  A. 

Jäger  und  Tauben,  Fabel  354. 

Jahn,  Wilhelm  457  A.,  474  A. 

Jahr,  Rätsel  vom  102:  =  Prajä- 
pati  178. 

Jahresanfang  254. 

Jahreszeiten,  fünf  194. 

Jahreszeitenopfer  (Cätunnäsya) 
150,  166,  180,  232,  234. 

Jaimini  468. 

Jaiminiya  -  (Upanisad-)  Brähmana 
167,  204,  333—335  A. 

Jaina-Mahärastri  44. 

Jaina-Präkrit  44. 

Jainas,  Sekte  22,  44,  258,  323  A., 
352, 354  A.,  360, 401 A.,  461 ;  ihre 
Litteratur22, 25,44, 261,283  A-, 
349,  362,  402  f.,  436,  446  A.; 
Purä];ias  482  f. 

Jäjali  und  Tulädhära  358  ff. 

Jamadagni,  Rsi  348. 

Jambudvipa  458. 

Janaka,  König  198,  348,  357,  410, 
438,  471  A. 

Tanamejaya  270,  313,  331,  378  f., 

*  387,  390,  400,  442. 

Japan,  Handschriften  in  35. 

Jätakas.buddhistischeErzählungen 
343  A.,  345,  353  A.,  358  A., 
401,  402  A.,  433  f. 

Jeläl-ed-din  Rümi  352. , 

Jinistische  Litteratur  s.  Jainas. 

Jelly,  JuUus  441  A.,  465  A.,  480  A. 

Jones,  William  10  f.,  13. 

Jungbrunnen  182  A.,  333  A. 

Jyotisa-Vedänga  229  A.,  245  f. 

Kadrü  und  Vinatä  332. 
Kaegi,  Adolf  63  A.,  64 
Kaikeyi  409  f.,  412,  432. 


Kailäsa,  Götterberg  293  f. 
Kailasayätra  388  A. 
Kala,  »Zeit«  132;  Schicksal  355  f. 
Kalhanas       Räjatarangini      366, 

407  A.,  445,  448  A. 
Kälidäsa  10  f.,  24,  26,  57,  91,  308, 

319  f..  406,  432.  454. 
Kälikä-Puräna  481. 
Kalilah  und  Dimnah  352. 
Kaliyuga  444  f.,  446  A.,  452,  462, 

466. 
Kalpa,  .Ritual.    197,   229,   232, 

451,  476. 
Kalpasütras  50,  232,  236  ff. 
Käma,  »Begierde,  Sinnenlust«  87, 

272  A.;  Liebesgott  123,  384  A., 

453. 
Kämasästra  s.  Erotik. 
Kamsa  381,  383. 
Kaiiaresisch  46. 
Ka^du,  Legende  von  452. 
Kaniska  36,  437. 
Ka^Va,  Rsi  52. 
Känva-Schule  148,  168. 
Kanväyanas  462. 
Kapila  374  A..  466 
Kapisthala-Katha-Samhitä  148. 
Kärikäs  240. 
Karman,  »Tat,  Schicksal«  220  f., 

354  ff.,  376  f.,  470  f. 
Karna  276  f.,  281,  289  ff.,  294  f., 

30'2,  306,  309  f.,  315,  432. 
Kar^aparvan  309  A- 
Kärttikeya,  Kriegsgott  408. 
Käslkha^da  476. 
Käsimähätmya  478  f. 
Kasmirl  45. 
Kasten  59,  107,   173,  190,  230, 

236,  363,  444,  454,  461. 
KaSyapa  124, 387  A. ;  K.  Naidhruvi 

169  A. 
Käthaka  91,  148^  332  A.,  400. 
Käthaka-Grhyasutra  238 
Käthaka-oderKatha-Upanisad  162, 

205,  207  A.,  223. 
Kathakas  448  A. 
Kathasaritsägara  91. 
Katha-Upanisad  s.  Käthaka-U. 
Kätyäyana  242  f. 
Kätyäyana-ärautasütra  238. 
Kätyäyana-Sulvasütra  238. 
Kaufehe  184  A.,  286. 
Kauravas  264,  274  ff..  280,  287  f., 

389  ff.,  397. 
Kaurma-Purana  477  f. 
Kausalyä  409  ff.,  424,  432. 
Kausikasütra  112, 122,  239,439  A. 


—    493 


Kausitaki-Ärai?yaka  204. 

KausIUki-Brähmaija  166, 198,204. 

Kausitaki-Upanisad  201  A.,  204  {., 
209,  215  A.,  222  A. 

Kavasa,  ^si  von  niedriger  Her- 
kunft 199*. 

Kavya,  »Gedicht«  267;  höfische 
Kunstdichtung  393,  404,  431, 
437;  s.  Kunstdichtunjr. 

Keith,  A.  B.  437  A.,  483  A. 

Kellner.  H.  C  326,  327  A.,  342  A. 

Kena-Upanisad  204  f. 

Kern,  H.  482  A. 

Keulenkampf  311,  317. 

Keuschheitsgelübde  275  f.,  284  f. 

Khädira-Grhyasütra  239. 

Khila  152,'  378. 

Kicaka  298  f. 

Kielhorn,  Franz  22,  28  A. 

Kind  und  Eltern  184,  320  f.,  360. 

Kindertötung  184  A. 

Kirata,  Ariunas  Kampf  mit  dem 
292. 

Kirätärjunlya  12. 

Kirste,  J.  238  A.,  264  A. 

Kiskindhä-Kända  416. 

Klemm,  Kurt  167  A. 

Knauer,  Friedrich  233  A.,  238  A. 

Kommentare  4,  34,  231,  424  A. 

Komposita  231. 

Könige,  Zauberlieder  für  127 f.; 
Opfer  der  K.  150 f.;  K.  und  Brah- 
manen  223,  330;  Pflichten  des 
K.  363,  479. 

Königslisten  444  f.,  461,  479. 

Königsriten  129. 

Königswahl  128. 

Königsweihe  (Räjasüya)  107,  128, 
150,  155,  166,  186  f.,  287,  295. 

Konow,  Sten  239  A. 

Kosmologische  u.  kosmogonische 
Mythen  266,  364,  453 ;  s.  Schöp- 
fungslegenden. 

Krankheiten  u.  Heilzauber  94, 
112-118,  121,  209,  234. 

Krankheitsdämonen  112  ff. 

Kriegerkaste  59,  128,  186,  198  ff. 

Kriegerpflicht  285. 

Kriegskunst  473. 

Kriegszauberlieder  128. 

Kriyäyogasära  455. 

Krpa  276,  289,  292^  310,  312. 

Ki-sna,  Freund  der  Pandavas  282  ff., 
292,  294,  300  ff..  367  f.,  389  ff., 
397;  von  Gändharl  verflucht, 
sein  Untergang  315,  317;  In- 
karnation des  Visuu  366  A., 
378,    380,    391,    473,    479  A-; 


Held,  Weiser  und  Gott  368  ff- 
391;  Legenden  von  K.  380  bis 
386,  388,  391,  401,  452.  462, 
466,  475;  Schöpfer  474  f.;  K.- 
Epos 387;  K.-Kult  397,  401  A., 
474  f. 

Krs^a  Dvaipäyana  Vyäsa  s.  Vyasa. 

Krsnä,  Name  der  Draupadi  280  f., 
2'8'3  A. 

Krsnajanma-Khaijda  475. 

Ksemisvara  469  A. 

Kübera,  Gott  292-294. 

Kuh,  57  f,  192;  heilig  58,  133, 
160;  Mysterium  der  K.  134:  K. 
schenken  158,  347  f. 

Kuhn,  Adalbert  118. 

Kuhn,  Ernst  352. 

Kuiarnavatantra  481. 

KuUüta  441  A. 

Kalt  u.  Zauber  108  f.,  139;  s. 
Opfer. 

Kumaöni  45. 

Kumära,  Kriegsgott  408. 

Kumärila  446. 

Kunstdichtung,  Kunstepos  2  f., 
308  A.,  320,^87  A.,  404  f.,  416  A, 
417  A.,  424,  431;  s.  Kävya. 

Kuntapahymnen  130,  400. 

Kunti  275  ff.,  286,  291,  301  f.,  317, 
340,  432. 

Kürma-Puräna  450  A.,  477  f. 

Kuni  264.     "     * 

Kuruiden,  Kuruinge,  s.  Kauravas. 

Kuruksetra  170,  181,  264,  303. 

Kurupäficälas  oder  Kurus  u.  i*an- 
cälas  170,  400. 

Kusa  und  Lava  262,  421  f.,  424. 

Kusilavas,  fahrende  Sänger  262, 
421  A. 

Lainga-Puräna  475. 
Laksmana  409  ff..  419  ff.,  423  A... 
•432.    ■ 
LaksmT    oder    Sri,    Glücksgöttin 

283  A.,  332,  457,  475,  480.^^ 
Langbedacht,  der  Jüngling  357. 
Langlois,  S.  A.  378  A. 
Lankcä  414  ff. 
Lassen.  Christian  20,  23. 
Lätyäyana-Srautasutra  239. 
Laütenspieler  259  f. 
La  Vallee  Poussin,  Louis  de  482  A., 

4«3A. 
Lebensorgane  s.  Prä^a. 
Lebensstufen  s    Äsramas. 
Lebensziele,  drei  272  A.,  364. 
Legenden  364;  s.  ßrahmanische  L. 
Lehrer  und  Schüler  33,  203 f.,  208, 


—    494 


210,  216  A.,  221  ff.,  231,  233  f., 
347,  460. 

Lehrerstammbäume  (Vamsas)  169, 
200  A.,  249,  257. 

Leichenzeremonien  s.  Totenbestat- 
tung. 

Leist,  B.  W.  235  A. 

Lenau,  Nikolaus  7. 

Leumann,  E.  458  A.,  483  A. 

L6vi,  Sylvain  163  A.,  180  A., 
386  A. 

Levirat  269,  275. 

Lexikographie  3,  245  A. 

Liebe  zu  allen  Wesen  175,  359. 

Liebesgott  s.  Käraa. 

Liebeszauber  122,  209,  234. 

Liebeszauberlieder  122 — 124. 

Lindner,  B.  166  A. 

Linga  (Phallus)  473,  475,  477. 

Linga-Purajpa  475. 

Litterarisches  Gemeingut  26 1, 402, 
413  A. 

Liturgische  Samhitas  142. 

Lobedanz,  E.  326  A. 

Logos  212  A.,  227. 

Lomaharsana  270,  442,  447  f.,  451. 

Lomasa,  Rsi  293,  345. 

Lorinser,  *F'r.  367,  370  A. 

Lotosblume  57. 

Lüders,  Heinrich  243  A.,  260  A., 
342  A.,  343  A.,  345  A.,  355  A., 
398  A.,  401  A.,  402  A.,  408  A., 
433  A.,  434  A.,  443,  453  A., 
454  A. 

Ludwig,  Alfred  52  A.,  54,  63, 
100  A.,    103  A.,   229  A.,  250, 

,  256  A-,  263  A.,  264  A.,  322  A., 
328  A.,  390  A.,  400  A. 

Lustrationsrituell  130. 

Lyrik  2,  44. 

Macdonell,  A.  A.  IX,  68  A.,  243  A.^. 
252  A. 

Mada,  der  Rausch  335. 

Mädhava  476  A. 

Mädhava  u.  Sulocana  455  A. 

Madhusudana  SarasvatT  226  A. 

Mädhyandina-Scbule  148,  168. 

Mädri  275  f.,  298. 

Magadhas,  Sänger  262  A. 

MägadhI  43  f. 

Mahäbhärata  2,  10,  14-16,  24, 
259  A.,  261-^3,  441  A.,  482  A.; 
öffentlich  vorgelesen  41,  395  f., 
401  A.;  ist  eine  ganze  Litteratur 
263  ff.,  272  f.:  Litteratur  über  M. 
263  f.  A. ;  alte  Heldendichtung 
im  M.  265,  319  ff  ;  brahmanische 


Mythen  und  Legenden  im  M. 
265,  330-348;  Abschnitte  über 
Recht  und  Philosophie  266,  362 
bis  377;  M.  und  Puränas  266 
440,  442  f.,  453  f.,  457',  462  f. 
466-469,  471  A.,  472  A.,  479 
Visnu  und  Siva  im  M.  266  f. 
As'k'etendichtung  im  M.  267 
ist  Dichtung  und  Lehrbuch 
267  f.,  388,  430  f.;  die  Parvans 
des  M.  268,  287  A.,  291  A., 
298  A.,  300  A.,  303  A.,  307  A., 
309  A.,  310  A..  312  A.,  313  A., 
315  A.,  316  A.,  317  A.,  318  A., 
363  f. ;  Alter  u.  Geschichte  des 
M.  VIII,  268,  389—403;  Um- 
fang  268,  271,  319  A.,  395; 
Vyasa  der  Verfasser  268  ff., 
447;  enthält  fast  durchwegs 
Reden  270;  Rahmenerzählung 
270;  Lob  des  M.,  Heiligkeit 
271  f.,  379,  388,  468;  Haupt- 
erzählung 273—319;  Überset- 
zungen 273  A.,  274  A.;  Zusätze 
u.  Einschiebungen  274,  283  A., 
305  A.,  306  f.  A.,  308  A.,  310  A., 
314  A.,  328, 341  A.,  373  f^  398  f., 
403;  schmutzige  Geschichten  im 
M.  342;  aus  dem  Päli  Übersetzt? 
345  A.;  die  Bücher  XII  u.  XIII 
348, 350, 362-365, 395;  Fabeln, 
Parabeln  und  moralische  Erzäh- 
lungen 348— 362;  M.  u.  Hari- 
vamsa  378 f.;  seine  historische 
Grundlage  390,  399 f.;  Wider- 
sprüche 391  f.;  Sprache,  Stil  u. 
Metrik  393 f.;  angebliche  Um- 
arbeitungen 394,  396;  Hand- 
schriften 395  f.;  Rezensionen 
395  A.,  398 f.;  Ausgaben  398; 
M.  und  Rämäyana  404  f.,  408, 
413  A.,  414  A.,  421-424,  426, 
428—433,  438 f.;  gehört  dem 
Westen  Indiens  an  432  f. 

Mahäbhäsya  32,  147  A. 

Mahadevästavana  384  A. 

Mahäkävya  387  A. 

Maha-Naraya^a-Upanisad  204  f. 

Mahäprasthänikaparvan  317  A. 

Mahäpurä^as  444  A. 

Mahäpurusastava  387  A. 

Mahärästri  44. 

Mähätmyas  451  f.,  455  f.,  464,  467, 
473-483. 

Mahavyahrti  162. 

Mahidäsa  Aitareya  166. 

Maiträyana-Upanisad  s.  Maitraya- 
9iya-Up. 


—     495    — 


Maiträvanl-Samhitä  49,  148,  159, 

162  A.;  1901,  238. 
Maiträyaaiya-Upanisad  206,  224  i. 
Maitreya  '456. 
Maitieyi  1^)9,  218. 
Majer,  Fr.  360  A.,  465  A. 
Malatimadhava  473  A. 
Malayalam  46. 

Manas,  »Denkorgan«  131,  219. 
Mänava-Grhyasütra  233  A.,  238. 
Mänava-§rautasutra  238  A. 
Mandalas  des  Rigveda  51  f.,  242. 
Ma^davya,  Legende  von  402  A. 
Mändhätr,  Geburt  des  462. 
Mandlick,  N.  N.  .453  A. 
Mäi;idukya-Tjpanisad  206. 
Manen    (Pitaras,    »Väter«)    85  f., 

184  A.,  320,  380,  478. 
Manenopfer  s.  Sraddhas. 
Maijicüdävadäna  483  A. 
Maftjuni-Puräjga  476  A. 
Manmatha    Nath    Dutt    273  A., 

408  A.,  456  A. 
Mann  im  Brunnen  351  f. 
Männerpreislieder  261;   s.  Gäthä. 
Mantik  4. 

Mantrabrahma^a  237. 
Mantrapätha  237. 
'Mantraperiode«'  249. 
Mantras  38,  42,  148  f.,  163,  165, 

236  f,  481  f.;  s.  Gebete. 
Manu,  erster  Mensch  182  f.,  337, 

339,  443,  451,  454,  4601. 
Manus  Gesetzbuch    11,   13  f.,   17, 

59,  129,  174  A.,  262  A.,  323  A., 

340  A.,  364,  441  A.,  474. 
Manvantaras  443,  460. 
Maräthl  45. 
Märchen  2,  6,  267. 
Märkandeya    328.    340  A.,    365, 

467  f."  ■ 
Märkandeva-Purä^  467—473. 
Maruts,  Sturmgötter  66,  68,  72  A., 

81  f.,  120,  158. 
Mätarisvan,  Windgott  88,  158. 
Matsya-Puräija    337  A..    444  A., 

445  f.,  450  A.,  456  A.,478f.,  480. 
Matsvopäkhyana  337  A. 
Maurya-Dvnastie  25  f.,  403,  444  f., 

462. 
Mausalaparvan  317  A.,  401. 
Mauss,  Marcel  233  A 
Medizin  4,  113,  473,  479. 
Me^asthenes  25,  248,  381. 
Meier,  Ernst  79  f.,  326,  342  A. 
Melodien  s.  Saugweisen. 
Menander  26. 
Menrad,  J.  408  A. 


Mensch  und  Gott  174 f.;  M.  ge- 
schaffen 194;  M.  =  Geist  368; 
s.  Purusa. 

Menschenopfer      (Purusamedha) 
152  f.,  167  f.,  175  A.,  185  ff.,  473. 

Merkel,  J.  342  A. 

Merseburger  Zauberspruch  111. 

Meru,  Götterberg  458. 

Metren  55  f.,  157  ff.,  243. 

Metrik  4,  54-56,  229,  245,  393, 
435,  473,  479. 

Mettä  359  A. 

Mey^r,  Rudolf  244  A. 

Michelson,  T.  437  A. 

Mihirakula  445. 

Milch,  Wunder  der  58,  192. 

Milinda  26. 

Milindapafiha  26,  297  A. 

Mithra  67. 

Mitra  67,  71,  83,  88,  120,  123, 
422. 

Mittelindische  Sprachen  37,  42 
bis  45. 

Mlecchasprache  277. 

Moksa,  »Erlösung.  272,  362. 

Moksadharmanusäsana  364  A. 

Mommsen,  Th.  104  A. 

Mönche,  buddhistische  30. 

Mond  53,  160,  230  f. 

Monddynastie  380,  444,  461,  479. 

Monier- Williams,  Monier  264  A., 
273  A.,  475  A.,  481  A. 

Monismus  228. 

Moral,  im  Rigveda  100  f.;  in  den 
Brähma^s  180  f.;  in  den  Upa- 
nisads  221  f.;  s.  Ethik,  Spruch- 
dichtung. 

Moralische  Erzählungen  267,  348, 
350,  352-362,  468-472. 

Morgenröte  81  f.,  90,  93. 

Mrgärasuktäni  120. 

Mrtvu,  »Tod»  355. 

Müdgala,  der  Asket  354. 

Muir,  John,  273  A.,  346  A-,  469  A. 

Mukhopädhyäya,  Nilmaiji  478  A., 
480  A.,  483  A. 

Muktäphala  465  A. 

Muktikä-Upanisad  207  A. 

Müller,  F.  Maxl9  f.,  28,  60,  63  A., 
85  A.,  86  A.,  1 63, 197  A.,  203  A., 
207  A.,  232  A.,  242  A.,  248  bis 
250,  254,  257. 

Müller,  F.  W.  K.  345  A. 

Mundaka-Upanisad  206,  229  A. 

Mündliche  Überlieferung  28,  30  f-, 
182  A.,  203  f.,  231,  256,  262, 
397,  424. 

Musik  4,  147. 


496    - 


Mutter  283  A.,  296,  320. 
Mutterliebe  357. 
Mutternamen  169  A.,  200  A, 
Mystik    131  ff.,    146,    151,    153, 

162  f.,  204,  227. 
Mythologie,  vergleichende  1 1 ;  des 

Veda  66  ff. 

Nacht,  Erschaffung  der  190. 
Naciketas  223  f.,  347  f.,  476,,  480. 
Nada  Naisidha  326. 
Nägapaficämffest  474. 
Nägari-Schrift  29. 
Nagas,    Schlangendämonen    285, 

325,  382,  42C  454,  458. 
Nahusa  294,  324,  335,  380,  422. 
Naipa'li  45. 
Naksatras  250  f. 
Nakula  276,  287  f.,  291,  296. 
Mala  u.  Damayanti,  Nalalied  15  f., 

324-328,  385,  429  A. 
Nala,  ein  Affe  419. 
Nalopäkhväna  324  A. 
Nanda-Dynastie  402,  444,  462. 
Närada   184,  284,  291,  330,  338, 

381,  384,  441  A.,  466. 
Närada-Purana  466  f. 
Närada-Upapüräna  467. 
Narakas  458;  s.  Höllen. 
Narakavadha  384  A. 
Narä^amsi  s.  Gäthä  N. 
Näsiketöpäkhyäna  480. 
Nästika,  »Nihilist«  413  A. 
Naturgefühl  7. 
Naturschilderungen  404  f.,  412  A., 

416  f.,  424. 
Negelein,  Julius  von  439  A. 
Nepal,Handschrif  ten  in  35 ;  Sprache 

45. 
Neuindische  Sprachen  37,  45  f. 
Neu-  und  Vollmondsopfer  150, 166, 

176,  232,  234. 
Nichtseiende,  das,  s   Asat. 
Nigadas  142  A. 
Nighantus  62,  244  f. 
Nihilist'  413. 
Nilakantha  398. 
Nilamata-Puräna  480  f. 
Nirukta  62,  22"9  A.,  244  f. 
Nirvana  354. 
Niti,  >- Lebensklugheit,  Politik*  349, 

362  f.,  365,  473. 
Nonnen,  buddhistische  30,  39. 
Nötenbezeichnung  145. 

Ochs  als  Schöpfer  134. 
Oertel,  Hanns  167  A.,  204  A. 
Offenbarung  48,  50  f.,  227,  447. 


Oldenberg,  Hermann  IX,  30  A., 
52  A.,  63  A.,  64  f.,  68,  70  A., 
73  A..  76  A.,  85,  89,  91  A., 
100,  1 10.  143  A.,  153  A.,  154  A., 
191  A.,  203  A.,  208  A.,  233  A., 
239  A.,  252  A.,  255,  261  A- 
332  A.,  433,  435. 

Om,  heilige  Silbe  162,  186.  208  A., 
209. 

Oman,  J.  C.  406  A. 

Omina  und  Portenta  120  f.,  234, 
290,  419,  473,  479. 

Opfer  58  f.,  63  f.,  147,  232  ff.,  360  f., 
375  f.,  46 1 ,  472 ;  und  die  vedischen 
Samhitäs  138-142,  148 f.-,  und 
die  Priester  140  f.-,  Einteilung 
u.  Aufzählung  150  A.,  150  bis 
160;  Speiseopfer  150  A..  166; 
ungeheure  Bedeutung  der  O. 
171—173,  17.5,  177  f.,  211;  für 
Zauberzwecke  181,  209;  fünf 
grofse  O.,  häusliche  O  234;  das 
wahre  O.  359  f. 

Opferfeuer  77  f. 

Opferformcln  u.  Opferrufe  155  ff., 
162. 

Opfergesänge  65,  79,  82-84,  95, 
<-)9,  103,  110,  129  f.,  249. 

Opferlohn  s.  Daksinä. 

Opfermystik  153,'  l60,  203;  205, 
209.  " 

Opferpriester  77,  139  ff. 

Opferverse  (väjyäs)  141. 

Opferwissenschaft  140,  164  f.,  169, 
181,  196-198,  201,  222. 

Ostturkestan,  Handschriften  in  1^ 
35. 

Oupnek'hat  18.  207  A.,  228. 

Ozean-Quiflung  332,  409,  457, 
477. 

Pada-Päthas  241. 

Padas,  »Vers viertel'  54  f. 

Paddhatis  240. 

Padma-Puräna  344,  389  A-,  443, 

452—455,  471  A.,  ^83. 
Paippaläda-Rezension   des-  Athar- 

vaveda  105  A. 
Paisäci  44  f. 
Päli  38,  43,  435  f. 
Pälilitteratur  20,  435. 
Päli  Text  Society  22. 
Palmblätter  3,^  f. 
Paficälas  170,  280,  284. 
Pancaratras,  Sekte  258  A. 
Pancatantra  2,  354. 
Paficavirasa-Brähmaua  166  f 
Paficendi'opäkhyäna  283  A. 


—     497     — 


Pän(Javas  274  ff.  passim,  389  ff., 
397,  400  f.:  ihre  Herkunft  275 f., 
462;  ihre  Heirat  282  f.,  391,  468; 
ihre  Verbannung  290  f.;  ihr 
Waldlebeu  291-298;  am  Hofe 
des  Viräta  298  ff.;  im  Kampfe 
mit  den  Kauravas  303 ff.;  ihre 
letzte  Reise  317  f. 

Panda va-Sage  429,  432. 

Pä^du  269,  275  f.,  400. 

Pänini  12,  39,  41 1.,  62.  246.  400. 
4*02. 

Panjabl  45. 

Pantheismus  6,  108,  228,  373. 

Paoli,  Betty  470  A. 

Paoliao  de  St.  Bartholomeo  8  f.,  13. 

Papier  in  Indien  36. 

Parab.  K.  P.  425  A. 

Parabeln  267,  348,  350-352,  364. 

Paräsara  268,  456. 

Paraskara-Grhvasütra  233  A.,  238, 
260  A. 

Pargiter,  F.  Eden  446  A.,  467  A., 
468,  473  A.,  483  A. 

Pärijataharana  384  A. 

Pariksit  313,'  331,  400. 

Parisistas  240. 

Parjariya.  Regengott  67,  81, 95  A., 
119,  152. 

Parvans  s,  Mahäbharata. 

Paui^drakavadha  388  A. 

Pätäla,  Unterwelt  458. 

Pätälakhanda  453  A.,  454. 

Pataftiali  :i%  39,  147,  230. 

Pathaka.  P.  Y.  242  A. 

Päthakas  448  A. 

Pativratämahätmya  340  A. 

Paul,  A.  462  A. 

Pauranikas  261. 

Pauskäraprädurbhäva  387  A. 

Pauslikäni  1 19. 

Pavoiini,  P.  E.  273  A. 

Peiper,  C.  R.  S.  367 

Pessimismus  224  ff.,  463. 

Pferdeopfer  (asvamedha)  1 5 1  L,  1 60, 
168,  259,  315  f..  409,  421. 

Phallus  s.  Linga. 

Philosophenschulen  206. 

Philosophie  31,  12.  50,  226;  im 
Rigveda  86—88:  im  Atharva- 
veda  130"  137.  197;  der  Upani- 
sads  206,  207  A.,  209 ff.;  im 
Mahäbharata  266,  364  ff.,  376. 

Phonetik  32,  197,  229,  240-243. 

Pingala  245. 

Pingalä,  die  Hetäre  348  A.,  358. 

Pisäcas  44,  116  f..  361. 


Pischel,  Richard  X,  44  A.,  60,  63, 

65.  191  A.,  337  A. 
Pitaras  69;  s.  Manen. 
Pitrkalpa  380 -A. 
Plato  210. 
Poetik  4,  473. 
Polarstern    225.   252  f.,    254;    s. 

Dhruva. 
Politik  s.  Niti. 
Polyandrie  281-283. 
Polytheismus  67;  s.  Götter. 
Pradyumna  384—386. 
Pradyuranakrta  -  Durgästava    386 

A. 
Pradyumnottara  386  A. 
Pragätha  143. 

Prahläda  365,  453,  458,  466. 
Prajäpati  56,  68,  87  f.,  131  f.,  153, 

158,    171,  178,   188.   190-196, 

216  f.,  219,  221  f. 
Präkrit  40,  44,  436. 
Prakrti,  Urmaterie  474. 
Prakrti-Kha^da  474  f. 
Pramadvarä  u.  Ruru  332  f. 
Prä^a,    »Lebensodem«   u.   Prä^as, 

»Lebensgeister«,  philosoph.  ter- 

mini    131  f.,   195,  217  A.,  220; 

Rangstreit  der  P.  218  f. 
Prasna-Upanisad  206,  207  A, 
Pratardana.  König  198. 
Prätisäkhyas,  34,  241-243. 
Pravargya  153  f.,  168. 
Prayägamähätmya  478  f. 
Prävascittas  s.  Sühnezeremonien. 
Prayogas  240. 
Pretakalpa  479. 
Priester  32,  59,  139-142,  160  f., 

181;     und     Sänger     70;     und 

Zauberer    1 08  f . ;    und    Krieger 

(Könige)    198—201,    210,   346; 

Geschenke  an  P.  330;  s.  Brah- 

maxien, 
Priesterherrschaft  257. 
Priesterkaste  173  ff. 
Priesterlohn  s.  Daksina. 
Priestermoral  349. 
Friesterphilosophie  203,  212. 
Priesterschulen  203  i. 
Prophezeiungen  462,  466,  473. 
Prosa  und  Vers  3,   142,   183;  P. 

der  Upanisads  205  f.;  der  Sütras 

230-232;'  der  Brahmanas  231  f. 
Prosaerzählungen  2. 
Prosaformeln  142,  431. 
Protagoras  133  A. 
Protap  Chandra  Rov  273  A.,  398  A. 
Prthä  =  Kunti  275. 
PrtbivT  s.  Erde. 


—    498 


Prthu,  erster  Könie  379. 
Prthüpäkhyana  379  A. 
Psychologie  219,  364. 
Punyakavidhi  384  A. 
Pufänas  27,  32,  142,  149  A.  332, 
346',  349,  381  A.,  402,  413  A-, 
416  A.,    421,   423,    431  A.;  in 
den   Brähmax?as  181,   189,   197, 
259  ff.,    399;     Bedeutung     des 
Wortes  P.   189  A.,  441-,  P.   u 
Mahäbhärata  266,  392  f.,   405 
Vyäsa  der  Verfasser  268,  404 
Harivamsa  u.  P.  378  ff.,  388  f 
Sprache,    Stil    u.    Metrik    393 
449;  vonSütas  überliefert  397, 
ihre  Stellung  in  der  Litteratur 
440-449;  ihr  Alter  VIII,  440  ff. - 
ihr  sektarischer  Charakter  440 
444;  ihr  Inhalt  442;  achtzehn  P 
443,  446  f.,  450  f.,  454,  460,  465 
Definition   443  f.,   456,    477  f. 
göttlichen  Ursprungs  447—449 , 
Übersicht  über  die  P.-Litteratur 
450-483. 
Purandhi,  Göttin  der  Ftille  83. 
Purohitas  59,  78,   127,   129,  266. 
Püru,  Yayätis  Sohn  322  f.,  453. 
Purüravas  324,  422;  und  Urvasi 
90  f.,    156  f.,    181  f.,    380,    449, 
454,  462.  ,      ^  ^^ 

Purusa   153,    161,    178  A.,    190, 

195,  215-217. 
Purusamedha  s.  Menschenopfer. 
Purusasükta  153,  190. 
Püsan,  Gott  67,  83,  94,  156  f. 
Pusyamitra  26. 
Putrikä,  -Sohnestochter«  285  A. 


Rädhä  466  A.,  475. 

Räghava  =  Räma  411  A. 

Raghuvamsa  454. 

Raikva,  der  weise  199  f. 

Raivata,  ein  König  461. 

Räjadharmänusäsanaparvan  36oA. 

Räiakarmäni  127. 

Räjasüya  s.  Königsweihe. 

Räjatarangiijii  s   Kalhana. 

Räjeudraläla  Mitra  244  A. 

Räksasas  (Raksas),  teufl.  Wesen, 
meist  auch  Riesen  69,  116  f., 
278  f.,  293,  414  f.,  418  A.,  419  ff., 

'     424,  434. 

Räma,  Held  des  Ramaya^  262, 
404  ff  passim,  438  f.;  im  Mahä- 
bhärata 328, 428;  Inkarnation  des 
Visnu  407,  409,  422  f.,  427  f., 
473;  476,  480;  im  Jätaka  433  f.; 
seih  Charakter  435. 


Räma  mit  der  Pflugschar  s.  Bala- 

deva. 
Räma-Sage  428  f.,  438  f.,  454,  480. 
Rämänuja   202  A.,   207  A.,   226, 

446  f.,  455,  465. 
Rämänujas,  Sekte  455. 
Rämapürvatapaniya-Upanisad 

438  A. 
Rämäyana  2,  14  f.,  24,  261-263, 
332,  344,  346, 404-^440;  und  Ma- 
häbhärata 293,  328,  404  f.,  408; 
dramatisiert  386  A.,  406 ;  dient  der 
Verehrung  des  Vis^u  266,  388 ; 
Sprache,  Stil  und  Metrum  393  A., 
423,  431,  435,  437  A.;  Rezita- 
tionen desR.  401  A.,  406,  421; 
Volksepos    und   Kunstdichtung 
404—407;  Heiligkeit,  Verdienst 
des    Lesens    und   Abschreibens 
des  R.  407,   424  f.;  Inhalt  407 
bis  422;  ein  romantisches  Epos 
417;    Echtes  und  Unechtes  im 
R.  414  A.,  423-427,  439;  Kom- 
mentatoren 424  A.;  Rezensionen 
und  Ausgaben  425 f.;   Rückert 
über  R  426  f.:  Alter  des  R.  VIII, 
427—440;  gehört  dem  östlichen 
Indien  an  432  f.;  R.  und  Buddhis- 
mus 433-435;  und  Veda  438 f.; 
und  Puränas  440,  454,  473,  478 
bis  480. 
Räm-carit-manäs  406. 
Räm  Lila  406. 
Rammohun  Roy  18  f. 
Rämopäkhyäna  328  A.,  428. 
Rämottaratapaniya-Upanisad    438 

A. 
Rapson,  E.  J.  437. 
Rasa,  ein  Tanz  383  A. 
Rätsel  101  f..  130,  160  f..  296  f. 
Raubehe  s.  Brautraub. 
Rävana  409,  414  ff.,  428,  432, 434, 

439;  454,  478. 
Rävaneis  421  A. 
Rbhu  u.  Nidägha  459  f. 
Rbhus,  Elfen  69. 
Rc,  plur.   rcas,^  «Preislieder«   49, 
■  140-144',  154. 
Recht,   brahmanisches  266,    364, 

473. 
Rechtslitteratur  3f.,  9,   11  f.,  51, 
236,  280  A,  321,  364,  413  A.. 
441  A..  444  A.,  473. 
Rede  und  Geist  188. 
Regenlied  119. 
Regenzauber  95,  119. 
Reigentänze  383. 


499 


Religionsgeschichte  2,  163  f.;  indi- 
sche 12. 

Religiöse  Litteratur  1  f. 

Reuleaux,  F.  406  A. 

Rgveda  s.  Rigveda. 

Rgvidhäna  244. 

Rhys  Davids,  T.  W.  22,  33  A., 
37  A.,  353  A.,  401  A.,  433, 
434  A.,  437  A. 

Rigveda,  die  Samhitä  48  ff.,  51  bis 
103,  141,  156',  184  A.,  1861, 
191  A.,  264, 333, 336, 438;  Aus- 

faben  19 f.;  Überlieferung  34; 
prache  38,  42,  52-54;  offen- 
bart 50;  Alter  der  Hymnen 
52  ff.,  56,  60  f.,  65  f.,  170  f.,  175, 
187  f.,  246,  248 ff.,  255  ff.;  die 
IJsis  oder  Verfasser  der  Hymnen 
52',  199,  256;  die  'Familien- 
bücher« 52  f.;  Metrik  54  ff.; 
Kulturverhältnisse  im  R.  56  bis 
61;  Übersetzungen  61—63;  In- 
terpretation u.  Beurteilung  des 
R.  61—66;  Mythologie  und  Re- 
ligion 66—71,  171;  Anrufungen 
und  Lobpreisungen  der  Götter 
7 1  ff . ;  Opfergesänge  und  Lita- 
neien 82  ff.;  Totenbestattungs- 
lieder 84  ff.,  139;  philosophische 
Hymnen  86-88,  135,  153,  197; 
Akhyänahymnen  89  ff.,  181, 259, 
449;  Hochzeitslieder  93  f.,  122, 
139,  253 ;  Zauberlieder  94  ff.; 
weltliche  Gedichte  96  ff.;  Däna- 
stutis  99 ff.;  Rätsel  101  f,  160; 
R.ünd  Atharvavedal05f.,  108ff„ 
122,  129  f.,  138;  und  Sämaveda 
143,  147;  und  Y^urveda  154; 
Brähma^as  des  K.  166  —  168; 
Aranvakas  und  Upanisads  des 
R.  2'04;  Vedängas  zum'  R.  238 
bis  245. 

Rigveda-Prätisäkhya  242. 

Rindersegen  95. 

Ritual  s.  Kalpa. 

Rituallitteratur  232-240,  259. 

Roeer,  Abraham  8. 

Ronita,  Hymnen  an  132  f. 

— ,  Hariscandras  Sohn  185  f. 

Romane  3. 

Romantik  327,  417. 

Romantische  Schule  13. 

Romesh  Dutt  273  A.,  408  A. 

Rosen,  Friedrich  19. 

Roth,  Rudolph  19,  21,  62,  63  A., 
105  A.,   126  f.,  183  A.,  244  A. 

Roussel,  A.  348  A.,  464  A.,  465  A. 


Roy  s.  Protap  Chandra  R.  und 
Rämmohun  R 

Rsis,  Seher,  Heilige,  die  Vorfahren 
■  der  Brahmanen  52,  184  A.,  195, 
199,  243,  256,  266,  306  A.,  324, 
334  f.,  421  f.,  427-429. 

Rsyasrnga,  Legende  von  342  bis 
•  345,'  386  A.,  402  A.,  408  f.,  443, 
454,  476  A. 

Rtusamhära  11. 

Rückert,  Friedrich  17,  273  A., 
278  A.,  325 f.,  338  A.,  342, 
352,  408  A.,  426  f.,  469  A. 

Rudra  67  f.,  120  A.,  162,  171, 193. 

Rudrayamalatantra  481. 

RukminI  383  f. 

Ruru,  Legende  von  332  f. 

Ruth  413  A. 

Sabhäparvan_291  A. 

Sadvimsa- Brahma^  166  f. 

Sahade va  276,  287  f.,  291,  296. 

Sahyädri-KhAijda  476  A. 

Saisunäga,  Dynastie  402,  462. 

Öaiva-Puräna  463. 

Öäkadvipa  474. 

Säkalaka-Schule  des  Rigveda  51  A. 

ääkalya  241. 

ääkäyanya  224. 

Öäkhäs,  vedische  Schulen  oder  Re- 
zensionen  48,  165,  241. 

Sakra  =  Indra  471. 

SlÄtas  477  f.,  481. 

äaktis  477  f.,  481. 

Sakuni.  Duryodhanas  Oheim  277, 
'287^1,294. 

Sakuntalä  264,  319  ff.,  400,  454. 

Sakuntalä-Drama  10  f.,  13, 17,  454. 

Sakuntalä-Episode  10,   14,  319  ff, 

,  454,  466. 

äalya  275,  281,  301,  310. 

Salyaparvan  310  A. 

Säman,  Melodie  49,  140 f.,  144, 
146  f. 

Sämasrami,  S.  244  A. 

Sämaveda,  die  Samhitä  49,  109, 
138,  142-147, 170';  die  sog.  Bräh- 
ma^as  des  S.  165—169;  Upani- 
sads des  S.  204 ;  Vedängas  232, 
239. 

Sämavidhana-Brähmana  147,  239, 

,  244.  ^^ 

bambara,  Dämon  76,  386. 

Sambaravadha  386  A. 

Sambhavaparvan,  319,  322. 

Sambüka,  Südra-Asket  422. 


Winternitt,  Geschichte  der  iodi»ch«D  Litterttur. 


33 


500    — 


Samhitä-Päthas  241. 

Samhitäs  des  Veda  48  f.,  170.  240 
bis  242,  249,  256;  des  Mahä- 
bhärata,  des  Ramäyaaa  und  von 
Puräi;ias  268  A.,  424  A.,  476, 
478. 

Samsära,  Kreislauf  der  Wieder- 
geburten 352,  469. 

Samskara,  "Weihe«  233. 

Sanatkumärasanihita  476. 

Sanatsujätlya,  Lehren  des  Sanatsu- 
jäta  365,  376. 

äändilya  168,  196,  2 12  f. 

Sandrakottos  25. 

Sän-er  262  A.,  421  A.,  423 f.;  s. 
Udgatar. 

Sangweisen  141  ff.,  158. 

Sanjkya  262,  292,  301,  303  f.,  390. 

gankara  207  A.,  226,  446  f.,  467  A., 
480  A.,  481  A. 

Sänkhayana-Brahma^a  166. 

Sänkhäyana  -  Grhyasütra  109  A.» 
203  A.,  233 'A.,  239,  260  A. 

Sänkhäyana-Srautasütra  197  A., 
232  A,  239,  400,  402. 

Sankhya-Philosophie  365,  369  A., 
374  ff.,  444,  452,  457,  466. 

Sankhya-Yoga  375. 

Sannyäsin  202  f. 

Sanskrit  11,37— 42, 45;  klassisches 
41  f.,  231;  »gemischtes«  44;  und 
Päli  435  f 

Sanskrit- Wörterbuch  21. 

Öäntä,  Prinzessin  343  f. 

Säntanu  269,  275. 

Säntiparvan  363  f. 

Saptasati  472  A. 

Säradätilaka  481. 

SarasvatI,  Göttin  151,  199,  475. 

Sarvamedha  s.  Allopfer. 

Sarvänukramanl  243. 

Sarvaparvänuk'irttana  388  A. 

äaryäti  und  Cj'avana  333  f. 

|astra,  » Preislied"  141. 

Sästra.  »Lehrbuch«  267. 

hatadhanu,  Legende  von  461. 

äatapatha  Brähmana  49,  56  A., 
90  £.,  141  A.,  149  A.,  154  A., 
157  A,  161  A.,  167  f.,  169  A., 
171  A.,  172  A.,  173  f.,  176  bis 
183, 182  A.,  188, 189  A.,  191  A., 

■  193  A.,  194-196,  198,  199  A., 
200  A.,  201  A.,  204,  211  A., 
234,  254  A.,  260  A.,  261  A., 
326,  332  A.,   333  A.,  334  A., 

^  336  A.,  337,  380,  477  A. 

Satarudriya  161,  339  A. 


Satasähasri  Samhitä  271,  395. 
Satire  95  f. 
Satpuravadha  385  A. 
Satrughna  409,  420. 
Satyakanaa  Jabala  200. 
Satyavat,  Gemahl  der  Sävitrl  411j 

429  A. 
SatyavatI  268  f.,  275. 
Saubhari,  Sage  von  462. 
äaunaka  u.  §.-Schule  105  A ,  232, 

242  f.,  270,  378,  442. 
Sauptikaparvan  312  A. 

äauraseni  44. 

Sauri-Samhitä  478. 

Sauti  448'. 

Sauträmanlfeier  151. 

Savitar,  Gott  67,  94,  120,  156  f. 

Sävitri,   Legende   von  340—342, 

411,  429  A.,  472,  475,  479. 
Savitrivrata  341. 
Sävitryupäkhyäna  340  A. 
Säyana  20,  62  f.,  196,  199. 
Schack,  Adolf  Friedrich  Graf  von 

319  A.,  385  A.,  412  A.,  455  A., 

457  A.,  458  A.,  459  A.,  461  A., 

462  A. 
Schah  nämah  318  A. 
Schauspiele  aufgeführt  385  f. 
Schauspielkunst  4. 
Schelling  18. 
Scherman,    Lucian    X,    135    A., 

319  A.,  402  A.,  449  A.,  469  A., 

476  A. 
Schicksal  288,  355, 365,  376  f.,  419. 
Schiffahrt  im  Veda  58. 
Schlachtsegen  u.  Schlachtgesänge 

95  f,  128.. 
Schlange  in  Mythos  u.  Kult  73, 

76,    119,    155,  294,  317,  324, 

331-333,   355,   382,   474;    s. 

Nagas. 
Schlangenopfer  270,  313, 331,  442. 
Schlangenzauber  209. 
Schlegel,    August   Wilhelm   von 

14-16,  20  f.,  325,  366  f.,  409  A, 

425  A. 
— ,  Friedrich  13-15,  247,  409  A. 
Schmidt,  Richard  209  A. 
Schopenhauer  18,  87  A,  212  A., 

213,2271 
Schöpfungsmythen  87,   189,  191 

bis  196,  209,  379,  387,  442, 

449,  451,  453,  457,  463,  465, 

467,  474  f,  478,  481. 
Schrader,  O.  235  A. 
Schreibmaterial  34  ff. 
Schrift  in  Indien  26,  28-37. 


—     501     — 


Schroeder,    Leopold    von   IX,    6, 

18  A.,  148,  159,   163  A.,   190, 

235  A ,  250. 
Schuh  als  Rechtssymbol  413  A. 
Schulden,  drei  184  A. 
Schulen  34;  s.  Säkhäs. 
Schülerweihe  (upanayana)  33,  168, 

230,  233. 
Schultze,  Fritz  217  A. 
Schurtz,  H.  114 
Schwab,  Julius  233  A. 
Search  of  Sanskrit  MSS.  37. 
Seele  209,  212  ff.,  216 f.  A.,  220; 

s.  Ätman. 
Seelenkult  233 ;  s.  Manen,  Sräddhafi. 
Seelenwanderunff  69,  201,  220  f.-, 

s.  Wiedergeburt. 
Segenssprüche  119-122,  139. 
Seiende,  das  214  f. 
Sekten  20  i  f.,  258,  362,  444,  446, 

477  f.,  481. 
Selbstaufopferungsgeschichten 

Selbstmord,  religiöser  30,  354  A. 

Semitische  Alphabete29 ;  sem.  Flut- 
sage 337. 

Senart,  E.  44. 

Sentimentalität  7. 

äibi,  Legenden  von  353. 

Sieg,  Emil,  259  A.,  261  A. 

Siegeslieder  99. 

Sikhandin  303  ff. 

Siksä,  'Phonetik«  229  A.,  240—243. 

Simon,  R.  142  A. 

Sindhi  45. 

Singhalesisch  45. 

Sintflut  s.  Flutsage. 

Sisupäla  281,  287,  384. 

Sita  328,  405,  410 ff.  passim, 
419  ff.,  424,  428,  429  A.,  432, 
438  f.,  478,  480. 

Sitten  und  Gebräuche  233  ff. 

Sittenlehre  s.  Ethik. 

Sittensprüche  s  .Spruchdichtung. 

Siva  161,  171,266f.,  283  A.,  292, 
339  f.,  356,  384  A.,  385  f.,  388, 
429,  440,  444,  451,  454  ff.,  467, 
475ff.;  Avatäras  475,  477. 

Sivapura  464. 

Siva-Purä^a  463. 

Sivasahasranämastotra  339  A. 

Sivasamkalpa-Upanisad  153. 

Siva- Tempel  477. 

äiva- Verehrung  387 f.,  397,  446, 
463  f,  478,  481. 

Sivi-Jätaka  353  A. 


Skandagupta  I.  (Gupta)  445. 
Skanda-Puräna  476  f.,  480. 
Öloka,  Metrum  55,  393  f.,  424  A.; 

Erfindung  des  S.  409. 
Smith,  Vincent  A.  402  A.,  437  A., 

445,  446  A.,  479. 
Smrti  140,  267. 
Soma  53,  56,  59,  66,  73,  75,  83  f., 

93,  97,  136,  144,  150  f.,  156  ff., 

173  f.,  189,  334,  380. 
Somakult  139. 
Somalieder  53,  96. 
Somaopfer  83  f.,  95,  130,  145,  150, 

156,  166,  179,  186,  232. 
Sonne  102,  133,  149  A.,  153,  160. 
Sonnendynastie   379,   443  f.,   461, 

479. 
Sonnengötter  66  f 
Sonnenmythen  467. 
Sonnenverehrung  451,  474. 
Sonnen  wagen  101. 
Sonnwendfeiern  146 
Sörensen,  Sören  264  A. 
Spieler,  Lied  vom  97 f.;   Segens- 
spruch des  S.  119. 
Sprachen,  indische  37—46. 
Sprachwissenschaft  16. 
Spruchdichtung  2,  267,  320  f.,  323, 

341  A.,  349,  359 ff,  364,  377, 

413.  424,  431,  449. 
Sräddhakalpas  234,  464  A. 
äräddhaprakriyärambha  464  A. 
Sräddhas,  Manenopfer,  Totenopfer 

150.  176  f.,  234,  240,  444,  452, 

461,  464,  466,  472. 
Sramaija,  »Asket«  191  A. 
Srautakarmäni  140. 
Srauta-Opferl41  A.,  234. 
Srautasütras    50  f.,    187,    232  f., 
^  233  A.,  236  ff. 
bri  s.  LaksmI. 
Srsti-Khanda  453. 
Sruti,  »Offenbarung«  50, 140, 207  A. 
Stein,  Ludwig  228. 
Stein,  M.  A.  35,  448  A.,  481  A. 
Stenzler,  A.  F.  233  A. 
Sterne,  wie  sie  entstanden  191  A. 
Stier  in  der  Mystik  134. 
Stobhas  145  f. 
Stokes,  Whitley  36. 
Stomas  158. 

Stönner,  Heinrich  237  A. 
Stotris  141,  144  f.,  381  A.,  386  f.. 

451,  455,  456  A.,  476,  480. 
Straufs,  Otto  273  A. 
Strikarmäni  122. 
Subhadrä  285  f. 

33* 


502     — 


äüdras,  niedrige   Kaste   32,  422, 

447. 
Sufiismus  227,  371  A. 
SuffTiva  416,  418. 
Sühnzeremonien  (prayaScitta)  120, 

466,  478., 
Suhotra  u.  Sibi  353  A. 
Sukalä,  Geschichte  der  453. 
Süktas,  »Hymnen»  51. 
Sulabhä,  die  Nonne  348  A. 
Sulvasütras  236-238. 
Sunahsepa,  Legende  von  183  bis 

18Ö,  197,  256,  408,  469  A. 
Sundara-Kända  417. 
Sünde  120,  180. 
äunga,  Dynastie  462. 
Supar^ädnyäya  332  A. 
Sürya,    »Sonne*   (Gott)  66  f..   81, 

155,  192,  196,  302,  451,  467. 
Süryä,» Sonnentochter«  93. 
Soryäsükta  93  f. 
Sütas,  Barden  und  Wagenlenker, 

eine  Mischkaste  262,  266,  270, 

299,  397,  437  A.,  442,  448. 
Sütasamhitä  476. 
Sütra  3'8f.,  42,  50,  229-232,  250, 

257  A. 
Sütralitteratur   229—243,   245  f., 

248,  441. 
Suttanipäta  HO  A.,  260  A.,  297  A. 
Suvar9asthlvin,»Goldspeier«350A. 
Svädhyäya  168- 
Svarga-Khai^dA  453. 
Svargäroha^^parvan  318  A. 
Svayambhü-Puräi^a  482  f. 
Svayamvara   280  A.,    s.  Gatten- 
^  selbstwahl. 

ävetaketu  198,  200,  213-215. 
ävetäsvatara-Upanisad  206. 
Symbolik  146,  17 7' ff.,  449. 

Tag  und  Nacht  geschaffen  195. 
Taittiriya-Ära^yaka  204  ff. 
Taittiriya-Brahmana  167,  .184  A., 

204. 
Taittiriya-Prätisakhya-Sutra  242  f. 
Taittirlya-Samhitä  49, 1 10  A.,  148, 

160  A.,  162,  167,  173  A.,  174  A., 

184  A.,  190  A.,  238, 242,  332  A., 

336  A. 
Taittirlya-Upanisad  204  f.,  210  A., 

221,  226  Ä.,  2f40. 
Takman,  »Fieber«  113. 
Talavakära-Upanisad  204. 
Tairfil  46. 
Tandya-Mahä-Brähmana    166  f., 

190  A.,  204. 


Tantra,   »Buch«    229  A.;  heilige 

Bücher  der  Säktas  162,  481  bis 

483. 
Tantrasära  481. 
Tanz  4,  383. 
Tapas,    »Hitze"    u.   »Askese«    87, 

131  f,  134,  191  A.,  194  A. 
Tat,  die,  s.  Karman. 
Tat  tvam  asi  213—215. 
Tauler  227. 
Telang,  K.  T.  365  A.,  367  A., 

394  A. 
Telugu  46. 
Tempel  479. 
Tempelpriester  448. 
Theismus  373. 
Theosophische  Hymnen  106,  108, 

130-137. 
Therigätha  358. 

Thibaut,  G.  238  A ,  246  A.,  252  A. 
Thomas,  F.  W.  437  A. 
Tiere  erschaffen  194. 
Tieropfer  83,  150,  232. 
Tiersprachen  380  A. 
Tiger  im  Veda  57,  107. 
Tifak,  B.  G.  251  f.,  258. 
Tipitaka  1,  353,  400  f.,  434,  439. 
Tirthas,    »heilige    Stätten«    345, 

451,  453,  476  A.,  477. 
Tirthayäträ-Abschnitt  des  Maha- 

bhärata  345. 
Titanensagen  322,  324,  379. 
Tod,   Leben    nach    dem    182  A., 

192;  Göttin  T.,  337-339;  Ge- 
danken über  den  T.  355  f.,  361  f., 

412  f. 
Todesgott  333,  355;  s.  Dharma, 

Yama. 
Toramäna  445. 
Totenbestattung ,  Totengebräuche 

72  A.,  84  f.,  130,  139,  153,  168, 

233  f.,  240,  260.  473. 
Toteübestattungsheder  84—86, 93, 

106,  130. 
Totenklage  313  ff. 
Totenopfer,    blutige    467   A.;    s. 

Sräddhas. 
Totenreich  69. 
Träume,  böse  120  f. 
Trayi  vidyä  109,  195,  211. 
Trimürti  386  A. 
Tripuravadha  388  A. 
Tristubh,  Metrum  55,  394. 
Trommel,  Lieder  an  die  128. 
Trostgeschichten  337 — 339,  355  f. 
Tulädhära  u.  Jäjali  358  ff. 
Tulsl  Das  406. 


503    — 


Tvastar,  Gott   »Bildner«   73,  79, 

13'6. 
Tylor.  E    B.  217  A. 

Uddälaka  Ärui^  169  A.,  201,  213, 
347. 

Udgätar,  »Sänger«  (Priester)  1 40  ff., 
145,  147,  161,  169. 

Udyogaparvan  300  A. 

Ugrasravas  270  f.,  378,  442,  448. 

Ulüpl  u.  Arjuna  285. 

Umä,  äivas  Gemahlin  384,  451. 

Unsterblichkeit  184,  218,  224. 

Unsterblichkeitstrank  332. 

Upäkhj'änas  451,  480. 

Upanayana  s.  Schülerweihe. 

Upanisad,  »Geheimlehre«  153, 
207  it.,  208  A.,  229  A.,  365  A. 

Upanisads  17-19,  27,  38  f.,  48  bis 
50,  59^146,  154,  162  f.,  169  A., 
196-210,  239,  248,  256  f.,  347  ff., 
357  f.,  362,  393,  399,  438,  441, 
449,  483;  Ausgaben  u.  Über- 
setzungen 18  f.,  207  A.:  Philo- 
sophie der  U.  88,  108,  131,  160, 
201,  203,  207  A.,  209-228,  265, 
354,  370,  373,  375,  459;  Auf- 
zählung 204  ff.,  256  A. 

Upapuränas  444  A.,  450,  463  A., 
480  f. 

Urdu  45. 

Uriya  45. 

Ursprun^slegenden  189 — 191. 

UrvasI,  eine  Apsaras  422;  s.  Puru- 
f^väs 

Urwasser  194,  196. 

Usas,  Göttin  »Morgenröte«  66, 
81  f.,  186,  193. 

Usener,  H.  337  A. 

Uttarä,  Virätas  Tochter  298,  300, 
313. 

Uttaradhyayana-Sütra  360  A. 

Uttara-Kända  des  Rämäyana  420, 
423  f. 

Uttara-Khanda  des  Padma-Purä^a 
453  A.,  454  f.;  des  Brahma-Purä^a 
452. 

Uttarärcika  142—145. 

Väc,  Göttin  »Rede«  102,  169  A., 

189. 
Vacaka,  »Vorleser«  388. 
Vahni-Puräna  473  A. 
Vaidya,  C.  V.  392  A.,  404  A. 
Vaisampäyana  270,  378  f.,  390. 
Vaisi?ava  (Opfer)  295. 
Vai^ava-Puräna    451    A.,    455; 

s.  vis^u-P. 


Vaisnavas,  «Vis^u- Verehrer«  373, 

Vaisijavi-Samhitä  478. 
Vaitäna-Srautasütra  239. 
Väjapeya  {Opier)  150,  179. 
Väjasaneyi-rrätisakhyaSutra  242. 
Väiasaneyi-Samhitä  49,   148—162, 

168,   175  A.,*  206,  242,  296  A, 
Vala,  ein  Dämon  76- 
Välmlki  262,  328,  404  f.,  407,  409, 

418   A.,    421—423,    426-431, 

437  f.,    440;    ein    Räuber   oder 

Jäger  429  A. 
Valmlkiden  418  A.,  426. 
Väma,    »die    Linken«,    Verehrer 

weiblicher  Gottheiten  477  f. 
Vämadeva,  l^si  52. 
Vämana-Purä^a  477. 
Vamsa,  »Genealogie«   443;   siehe 

Lehrerstammbäume. 
Vamsa- Brähmana  169  A. 
Vanaparvan  29i  A. 
Vänaprastha,       »Waldeinsiedler« 

202f. 
Vans  Kennedy  446  A.,  450  A. 
Varäha-Puräija  475  f. 
Varuna,  Gott  67,  83,  88,  120,  128, 

1717  180,    185  ff.,   292,   422; 

Hymnen  an  V.,  71-73,   126  L, 

133 
Vasistha,  Rsi  52,  410,  413,  422, 

429;  456,  473;  V.  und  ViSvä- 

mitra  346  f.,  379^  408. 
Väsistha-Dharmasutra  56  A.,  447 

A.  ■      , 
Väsistha-§iksä  243. 
Vasudeva,    Krs^as    Vater    282, 

380  ff. 
Väta,  »Wind«,  Hymnus  an  82. 
Vater    296,    320  f.,    357;    Zwie- 
gespräch zwischen  V.  und  Sohn 

§60-362,  469. 
Väter  s.  Manen. 
Vävu,   Windgott   66,   120,    192, 

196,  276. 
Väy  u-Puräi?a  389  A.,  442  f.,  444  A., 

445  f.,  447  A.,  448  A.,  463  f. 
Veda  1,  12,  15, 17,  19f.,  271,  361, 

407,   483;   Alter  des  V.  VIII. 

25,  54,  246—258;  Frauen  und 

äüdras   vom  V.  ausgeschlossen 

32  f.,  200,  447 ;  Sprache  des  V. 

25,  37  f.,   42;  was  ist  der  V.? 

47  ff.;    offenbart    48;    V.    und 

Brahmanismus  49  f.,  440}  vier 

V.  49,  460;  religiöse  Pflicht  des 

Lernens  und  Rezitierens  des  V. 

95,  147,  168,  184  A.,  189,  202, 


504 


204,  221,  230,  234,  360;  drei 
V.  109  f.,  141,  211;  hilft  bei  der 
Schöpfung  mit  195  f.;  nur  Brah- 
mane  darf  V.  lehren  200 ;  Heilig- 
keit des  V.  geläugnet  258;  Epi- 
sches im  V.  259  ff.;  von  Vyasa 
geordnet  268,  404,  460;  dient 
zur  Verehrung  des  Vis^u  388; 
V.  und  Epen  399  f.,  4Ö3,  438  f. 

Vedaexegese  245  f. 

Vedakalender  254. 

Vedängas  38,  51,  109,  110  A-, 
165,  167,  197,  229-246,  248, 
257;  exegetische  240  ff. 

Vedänta  203  f.,  206,  323  A.,  362, 
365,  373,  375  f. 

Vedänta-Sütras  226,  455. 

Vedastudium  s.  Veda. 

Vedavyäsa  268  A.;  s.  Vyäsa. 

Vedische  Litteratur  47  ff.  passim, 

Vedische  Schulen  51,204  ff.,  207  A., 
229,  237  ff.,  246,  254,  256,  460. 

Vedische  Sprache  37  f. 

Vena.  Titane  379. 

Vergleichende  Rechtsforschung  3. 

Vergleichende  Sprachwissenschaft 
15. 

Versenkung  s.  Yoga. 

Versöhnungssprüche  121. 

Vicitravirya  269,  275,  400. 

Vidhi  175. 

Vidulä  328-330,  340. 

Vidulaputränusasana  328  A. 

Vidura  269,  275,  277,  284,  288  f., 
291  f.,  301  f.,  350  ff.,  365,  401. 

Vinayapitaka  297  A. 

Vipascit,  Legende  von  469  ff. 

Virä),  Metrum  55,  177. 

Viräta,  König  298  ff. 

Virätaparvan  298  A.;  391,  396  A. 

Viresvara  476  A. 

Visau,  im  Veda  67,  137,  156  ff., 
171,  178;  tausend  Namen  des 
V.  161,  339  A.;  V.-Mythen  u. 
V.-Kult  in  Epen  und  >  Puranas 
266  f ,  289,  295,  339  f.,  378,  388, 
440,  444,  451  ff.,  457,  467,  475, 
479;  Himmel  des  V.  354,  366; 
=  Hari  379  A. ;  als  Krsna  ver- 
körpert 380  ff.,  391,  479"  A.;  V. 
und  äiva  386  ff. ;  Inkarnationen 
(Avatäras)  des  V.  387,  408,  452, 
462,  465  f.,  473,  476-479;  als 
Rama  verkörpert  407,  422  f., 
427  f.,  438  A.;  als  Vyäsa  447. 

Visjjudharmottara  446,  480. 

Vis!;iuparvan  380. 

Visiju-Puräna  91,  149  A.,  320  A., 


323  A.,  389  A.,  444  A.,  445 
bis  447,  449,  451,  452  A.,  453, 
455-463,  465_f.,  477. 

Vis^usahasranamakathana  339  A. 

Visnusmrti  413  A. 

Vis^ustotra  387  A ,  388  A. 

Visnu-Verehrung  373,  397,  446, 
454-467,  475  f. 

Visvakarman,  Gott  68,  88.  419. 

Visvämitra,  Rsi  52,  186,  410,  468; 
s.  Vasistha. 

Visve  Deväs,  *  Allgötter,  Engel« 
190,  468. 

Vivadar^avasetu  9. 

Völkerrecht  303;  Gesandte  302. 

Volksepen  s.  Epen. 

Volksglaube  112,  482. 

Voltaire  12  A. 

Vopadeva  465. 

Vorzeichen  s.  Omina 

Vratas  444,  479. 

Vrätyas  130,  167  A. 

Vratyastomas  166. 

Vrtra  s.  Indra. 

Vyäkarana,  »Grammatik«  229  A. 

Vyäsa,  Krsna  Dvaipäyana  243, 
268  ff.,  272,  275,  283  A.,  292, 
303,  314  A.,316,  337,  363,  387, 
392  A.,  402  A.,  404,  446  f.,  450, 
454,  456,  460,  465,  468,  478. 

Vyasagita  478. 

Vyäsa-äiksä  243. 

Waffen,  himmlische  286,  292, 
296,  308,  428;  Zauberwaffen 
410 

Wagenwettrennen  57,  150. 

Waldeinsiedler  48,  145,  153,  184 
A.,  201  ff.,  218. 

Wanderlehrer  210. 

Watanabe,  K.  430  A. 

Weber,  Albrecht  IX,  21  f.,  103  A., 
119  A,  122  A.,  148,  166  A., 
167  A.,  182  A.,  190  A.,  212  A., 
232  A.,  235  A.,  238  A.,  245  A., 
247  f.,  260  A.,  328  A.,  333  A., 
371  A.,  404  A.,  433  A.,  434, 
438  f.,  469  A.,_480  A. 

Wechselreden  (vakovakya)  109. 

Welt  nicht  wirklich  225  f. 

Weltentsagung  363,  365,  369. 

Weltlitteratur  325,  350  f 

Weltschmerz  6  f. 

Weltschöpfung  s.  Schöpfungs- 
mythen. 

Weltuntergang  (pralaya)  462  f., 
466,  481. 

Weltverachtung  224  ff.,  363. 


~    505 


Weltzeitalter  s.  Yugas. 

Wefsdin,  J.  Ph.  8. 

West-Hindi  45. 

Whitney,  W.  D.  23,  65,  105  A., 
242  A.,  250,  252  A. 

Widmaun,  J.  V.  342  A. 

Wiedergeburt  371,  459,  461,  463, 
468  f. ;  s.  Samsära,  Seelenwande- 
rung. 

Wiederholung  in  der  Poesie  114. 

Wilkins,  Charles  10,  366. 

Wilkins,  W.  J.  406  A. 

Williams  s.  Monier-WiUianas. 

Wilmans,  Otto  408  A. 

Wilson,  H.  H.  62,  65,  446  A., 
450  A.,  452,  456  A..  465,  471 A., 
474  A.,  479,  481  Ä.,  482  A. 

Windisch,  Ernst  89  A.,  381  A., 
400  A.,  428  A.,  431  A.,  433. 

Winter,  A.  91  A 

Winternitz,  M.  235  A.,  237  A., 
238  A.,  263  A.,  284  A.,  331  A., 
337  A.,  398  A-,  400  A.,  483  A. 

Wirtz,  Hans  425  A. 

Wissenschaften  2—4,  246,  460. 

Witwe,  verbrannt  276;  Los  der 
W.  279. 

Wollheim  da  Fonseca,  A.  E.  455  A. 

Wörterbücher  3,  12. 

Wortham,  B.  H.  472  A. 

Wortspiele  159  A. 

Würfelspiel  97  f.,  150,  287-291, 
298,  324,  384. 

Yädavas,  Volksstamm  275,  282, 
284  ff.,  380,  383,  385,  390,  466. 

Yäifiavalkya  148.  149  A.,  168, 
169  A.,  176,  198  f.,  220,  243, 
348;  und  Maitreyi  218;  Gesetz- 
buch des  Y.  441  A.,  473. 

Yajurveda  12  A.,  109,  245,  400; 
Samhitäs  des  Y.  38,  49,  138, 
142,147-163, 165,  l97;schwarzer 
und  weifser  Y.  49,  148  f.;  Bräh- 
manas  des  Y.  167  ff.;  Upanisads 
desY.  204  ff.;  Sütrasdes  Y.  2i^7  ff. 

Yajus  plur.  yajümsi,  »Opferspruch« 
49,  140,  142,  '154,  158. 

Yajyäs  141 

Yaksas,  Geister,  Unholde  293, 
290-298. 

Yama,  erster  Mensch  69;  König 
des  Totenreiches,  Todesgott  69, 
85,  88,    124,  223  f ,  292,  327, 


336,  339—341,  347  f.,  383, 460  f., 
470 f.;  Y.  u.  Yami  91  ff.,  190. 

Yämalatantra  478. 

YamI  91-93,  190. 

Yäska  62,  68,  244  f. 

Yavanas,  * Jonier«,  Griechen  396, 
438. 

Yayäti,  Sage  von  322  ff.,  353,  380, 
422,  453,  462,  479. 

Yima  69. 

Yoga,  Versenkung,  Meditation 
358,  370,  459  A,  463  f.,  466, 
469  A.,  472,  481 ;  philosophisches 
System  375  f.,  444.  452;  Bedeu- 
tung des  Wortes  375  A. 

Yogin  358,  363,  370  f.,  375,  464. 

Yonis  144  f. 

Yuddha-Käi;i4a  418. 

Yudhisthira  275  ff.  passim;  324, 
328, 337,  340  A.,  363, 365, 428 f.; 
wird  Thronfolger  277  f.;  wird 
Weltherrscher  286  f.;  Würfel- 
spieler 287  ff.,  298;  Y.  und  der 
Yaksa  296  ff.;  in  der  Hölle  und 
im  Himmel  3 1 8  f.,  47 1  A. ;  Yudh- 
itthila  im  Päli  401. 

Yugas,  "Weltzeitalter*  452,  462, 
467. 

Yuvanasva,  König,  wird  schwanger 
461. 

Zachariae,  Th.  235  A.,  245  A. 

Zahlensymbolik  56,  178. 

Zauber,  Zauberei  4,  147,  205, 
207,  239;  Z.  und  Kult  108  f.; 
verboten  109;  Zauberriten  112, 
122  f.,  127,  150,  234,  481  f.:  Z. 
und  Gegenzauber  125;  mit  Rig- 
versen  147,  244 ;  mit  Upanisads 
209. 

Zauberer  104,  108  f.,  124  f. 

Zauberformeln,  -Sprüche,  -lieder 
94  ff.,  104,  107,  110  ff.  passim, 
159, 163, 209, 211;  gegen  Fieber 
113,  115;  gegen  Würmer  115 f.; 

fegen  Zahnweh  116;  für  Könige 
27  f.;  für  Brahmanen  129. 
Zauberpriester  146- 
Zeit  s.  Kala.  '^ 

Zeiteinteilung  452. 
Zimmer,  Heinrich  60,  107  A. 
Zodiak  251. 

Zoroastrischer  Kult  474. 
Zoten  97,  99,  130,  342. 
Zyklen  epischer  Lieder  261. 


Verbesserungen. 


S.  36,  Z.  9:  lies  »Stein«  statt  »Felsen'. 

S.  36,  Z.  10:  lies  »Steinplatten«  statt  »Felseninscbriften«. 

S.  42,  Z.  7:  lies  »sowie  der  nur  in  den  Brähmaijas«. 

S.  45,  Z.  2:  lies  »Gunädhyas«  statt  »Gu^ädhyas", 

S.  57,  Z.  5:  lies  »Osten«  statt  »Westen«. 

S.  91,  Z.  19:  lies  »Kathäsaritsägara«. 


Wlnternltz,  Indische  Lltteratar. 


Anastatischer  Druck  v.  Frommhold  u.  Wendler  LeipziO' 


rK 
2903 

1909 
Jd.l 


Wintemitz,  Moriz 

Geschichte  der  indischen 
Litteratur 


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