\i- -'
Die
Litteraturen des Ostens
in Einzeldarstellungen
Bearbeitet
von
Dr. G. Alexici, Budapest; Prof. D. A. Bertholet, Basel;
Prof. Dr. C. Brockelmann, Königsberg; Prof. Dr. A. Brückner, Berlin;
Prof. Dr. K. Budde, .Marburg; Privatdozent Dr. K. Dieterich, Leipzig;
Prof. Dr. F. N. Finck, Berlin; Prof. Dr. K. Rorenz, Tokyo; Prof. Dr. W.
Grube (f), Berlin; Prof. Dr. P. Hom (f), StrafJburg; Privatdozent Dr. J.
Jokubec, Prag; Prof. Dr. L Kont, Poris; Privatdozent Dr. Jobs. Leipoldt,
Halle; Prof. Dr. Enno Littmann, StrojSburg i. E.; Prof. Dr. M. Murko, (iroz;
Privotdozent Dr. A. Novdk, Prag; Prof. Dr. M. Winternitz, Prag
Neunter Band
Gesdiidite der indisdien Litteratur
Dr. M. Wintetnitz
Prof6i9or an der dentaohen UniTersitüt in Prag
Erster Band
Zweite Ausgabe
Leipzig
C. F. Amelangs Verlag
1909
Gesdiidite
der
indisdien Litteratur
Von
Dr. M. Winternitz
a. 3. Professor an der deutsdien Universit&t in Prag
Erster Band
Einleitung — Der Veda — Die volkstümlidien
Epen und die Purönas
Zweite Ausgabe
Leipzig
C. F. Amelangs Verlog
1909
Herrn
Dr. Leopold von Schroeder,
Professor an der Wiener Universität,
wirklichem Mitglied der kaiserl. Akademie der Wissenschaften
in Wien etc. etc
in aufrichtiger Verehrung und Dankbarkeit
gewidmet
vom Verfasser.
Vorwort.
»Nicht an gelehrte Kreise, sondern an die Gebildeten der
Nation« wendet sich, wie es in einer Ankündigung des Verlags
heilst, die Sammlung, in welcher der vorliegende, dem ältesten
Zeitraum der indischen Litteratur gewidmete Band erscheint.
Diesem Plane gemäls hat mir im Verlaufe meiner Arbeit stets
der Leser vorgeschwebt, der von der indischen Litteratur noch
gar nichts weifs und keinerlei indologische Fachkenntnisse be-
sitzt; — allerdings nicht derjenige, der nur in einer flüchtigen
Stunde auch einmal etwas über indische Litteratur erfahren
möchte, sondern derjenige, der sich mit ihr so gründlich vertraut
machen will, als es ohne Kenntnis der indischen Sprachen über-
haupt möglich ist. Eine Geschichte der indischen Litteratur
kann aber nicht wie eine deutsche, englische oder französische
Litteraturgeschichte eine blofse Darstellung des Entwicklungs-
ganges eines al? bekannt vorauszusetzenden Schrifttums sein,
sondern sie mufs den deutschen Leser in allen Fällen, wo es
keine deutschen Übersetzungen gibt — und leider ist dies die
Mehrzahl der Fälle — , auch über den Inhalt der Litteratur-
erscheinungen durch Auszüge und Inhaltsangaben so weit als
möglich unterrichten. Mit anderen Worten: Die Litteratur-
geschichte mufs auch zugleich Litteratur besc hreibung
sein. Gerade von den volkstümlichen Epen und den Puränas,
mit denen sich die zweite Hälfte des vorliegenden Bandes be-
schäftigt, sind bisher nur sehr wenige Stücke in deutschen Über-
setzungen bekannt geworden. Hier mufsten umfängliche Inhalts-
angaben und Auszüge gegeben werden, wenn der Leser irgend-
eine Vorstellung von den behandelten Werken gewinnen sollte.
Dadurch schwoll nun freilich der Band zu einem grölseren
Umfange an, als ursprünglich vorgesehen war. Und noch ein
- VIII —
zweiter Umstand trug hierzu bei. Gerade die in diesem Bande
behandelte älteste indische Litteratur schwebt in chronologischer
Beziehung gewissermafsen in der Luft. Kein einziges von
den vielen imd umfangreichen Werken, welche zum Veda, zur
volksttiralichen Epik oder zu den Puränas gehören, kann mit
Sicherheit auch nur diesem oder jenem Jahrhundert zu-
geschrieben werden. Es ist aber einfach unmöglich, in einem
Satz oder in wenigen Zeilen über das Alter des Veda, des
Mahäbhärata, des Ramäyaija und selbst der Puranas
Aufschluis zu geben. Atich für den Laien genügt es da Jiicht,
wenn man ihm sagt, dafs wir über die Zeit dieser Werke nichts
Sicheres wissen. Es ist notwendig, die Grenzen abzustecken,
innerhalb deren sich unser — Nichtwissen bewegt, und die
Gründe anzugeben, auf welche sich eine annähernde, wenn auch
nur vermutungsweise gegebene Zeitbestimmimg dieser Werke
stützt. Darum mufsten den Fragen nach dem Alter des Veda,
der Epen und der Puränas gröfsere Abschnitte gewidmet werden.
Ich betone ausdrücklich, dafs auch diese Kapitel nicht etwa nur
für den Fachmann, sondern in erster Linie für den oben gekenn-
zeichneten Laien, den ich als Leser im Auge hatte, geschrieben
sind. Wenn sie trotzdem auch für den Fachmann manches
Neue — und wohl auch manches, was zum Widerspruch heraus-
fordern dürfte — enthalten sollten, so liegt dies daran, dafs es
sich hier um Fragen handelt, die gerade erst in den letzten
Jahren Gegenstand von neuen Untersuchungen, neuen Ent-
deckungen und vielfachen Kontroversen gewesen sind.
Die in den Anmerkungen gegebenen Litteraturnachweise
sind zum Teil für den Fachmann berechnet, dem gegenüber sie
den Standpimkt des Verfassers in den wichtigsten Streitfragen
rechtfertigen sollen. Es ist ja selbstverständlich, dafs ein Buch,
das sich an die »Gebildeten der Nation« wendet, auch vor dem
Urteil des Fachmannes bestehen und sich diesem vollständig
unterwerfen mufs. Andrerseits habe ich aber auch Gewicht
darauf gelegt, in den für den Nichtf achmann bestimmten An-
merkungen auf alle nur irgendwie zugänglichen deutschen —
und wo diese fehlen, auch auf die englischen und französischen —
Übersetzungen hinzuweisen. Benutzt habe ich diese Über-
setzungen nur in wenigen Fällen, wo sie mir das Original in
besonders vortrefflicher Weise wiederzugeben schienen. Wo
-- IX —
kein anderer Übersetzer genannt Ist, rühren die Übersetzungen
von mir selbst her.
Dafs der ursprünglich bestimmte Rahmen eines Bandes
sich für diese indische Litteraturgeschichte als zu eng erwies,
wird nach dem Gesagten nicht tiberraschen. Und ich bin dem
Herrn Verleger aufrichtig dankbar, dafs er sich den für die Er-
weiterung des ursprünglich geplanten Rahmens geltend gemachten
Gründen nicht verschlofs und zu emem zweiten Band seine Zu-
stimmung gab. Diest Erweiterung entspricht auch durchaus dem
Umfang und der Bedeutung der indischen Litteratur — wofür
ich wohl auf die Einleitung (S. 1 ff.) verweisen darf. Behandelt
der vorliegende Band in gewissem Sinne die »vorgeschichtliche«
Zeit der indischen Litteratur — wenigstens in ihren An-
fängen reichen ja sowohl der Veda als auch die Volksepen in
nebelhafte, durch keine Jahreszahlen festzuhaltende Fernen zu-
rück — , so soll der zweite Band mit der buddhistischen Litteratur
beginnen und den Leser in die Litteratur der eigentlich ge-
schichtlichen Zeit Indiens einführen.
Über die Werke, aus denen ich geschöpft habe, und denen
ich zu Danke verpflichtet bin, geben die Anmerkungen zu den
einzelnen Abschnitten Aufschlufs. Was ich den grundlegenden
i Akademischen Vorlesungen über indische Literaturgeschichte«
von Albrecht Weber (2. Aufl., Berlin 1876) und den so überaus
anregenden und wertvollen Vorlesungen über »Indiens Literatur
imd Kultur in historischer Entwicklung« von Leopold v. Schroeder
(Leipzig 1887) verdanke, konnte natürlich nicht in jedem ein-
zelnen Falle verzeichnet werden. Manches verdanke ich auch,
ohne dafs es immer besonders erwähnt wäre, den wertvollen
»Bulletins des Religions de l'Inde« von A. Barth (in der Revue
de l'Histoire des Religions, t. I, III, V, XI, XIV, XXVIII f., XLI f.,
und XLV (1880—1902). Die geistvollen Essays von H. Olden-
berg, »Die LiWatur des alten Indien« (Stuttgart und Berlin
1903), haben es mehr mit einer ästhetischen Betrachtung und
Würdigung der indischen Litteratur zu tun, die meinen Ab-
sichten femer lag. Die für ihre Zwecke ganz nützlichen Werke
von A. Baum g artner (Geschichte der Weltliteratur IL Die
Literaturen Indiens und Ostasiens, 3. und 4. Aufl., Freiburg i. B.
1902), A. A. Macdonell (A History of Sanskrit Literature,
London 1900) und V. Henry (Les Litt^ratures de linde, Paris
— X —
1904) boten mir kaum etwas Neues. Die überaus kurze, in ihrer
Kürze aber ganz vortreffliche Übersicht über die indische
Litteratur von Richard Pischel in Teil I, Abteilung VII (»Die
orientalischen Literaturen«) des Sammelwerkes »Die Kultur der
Gegenwart« (Berlin und Leipzig 1906), erschien erst, als mein
Manuskript bereits fertig und zum Teil gedruckt war. Nicht
unerwähnt möchte ich die Dienste lassen, welche mir die für
jeden Orientalisten so unentbehrliche > Orientalische Bibliographie«
von Lucian Scherman geleistet. Schliefslich sei noch allen
jenen, welche den ersten, vor zwei Jahren erschienenen Halb-
band einer wohlwollenden Besprechung oder einer sachlichen
Kritik unterzogen, mein inniger Dank ausgesprochen.
Prag-Kgl. Weinberge, den 15. Oktober 1907.
M. Winternitz.
Inhalt.
Seite
Vorwort VII
, In den Anmerkungen gebrauchte Abkürzungen XII
Über die Aussprache indischer Namen und Ausdrücke . . XIII
Einleitung ^ . . . 1
Umfang und Bedeutung der indischen Litteratur .... 1
Die Anfänge des Studiums der indischen Litteratur in Europa 8
Die Chronologie der indischen Litteratur 23
Die Schrift und die Überlieferung der indischen Litteratur 28
Die indischen Sprachen in ihrem Verhältnis zur Litteratur 37
I. Abschnitt.
Der Veda oder die vedi^che Litteratur 47
Was ist der Veda? 47
Die Rigveda-Samhitä 51
Die Atharvaveda-Samhitä 103
Das altindische Opfer und die vedischen Samhitäs .... 138
Die Sämaveda-Samhitä 142
Die Samhitäs des Yajurveda 147
Die BrähQiai?ias 163
Ara^yakas und Upanisads 196
Die Grundlehren der Upanisads 210
Die Vedängas 229
Die Rituallitteratur 232
Die exegetischen Vedäfigas 240
Das Alter des Veda 246
IL Abschnitt.
Die volkstümlichen Epen und die Puräqas 259
Die Anfänge der epischen Dichtung in Indien 259
Was ist das Mahäbhärata? 263
Die Haupterzählung des Mahäbhärata 273
Alte Heldendichtung im Mahäbhärata 319
— XII —
Seit«
Brahmanische Mythen- und Legendendichtung im Mahä-
bhärata ^^0
Fabeln, Parabeln und moralische Erzählungen im Mahä-
bhärata 348
Die lehrhaften Abschnitte des Mahäbhärata 362
Der Harivamsa, ein Anhang zum Mahäbhärata 378
Das Alter und die Geschichte des Mahäbhärata 389
Das Rämäyana, Volksepos und Kunstdichtung zugleich . . 404
Inhalt des Rämäyana 407
E^chtes und Unechtes im Rämäyana 423
Das Alter des Rämäyana . 427
Die Puränas und ihre Stellung in der indischen Litteratur 440
Übersicht über die Puräna-Litteratur 450
Index 484
In den Anmerkungen gebrauchte Abkürzungen.
Bibl. Ind. = Bibliotheca Indica (Kalkutta).
Grundrifs = Grundrifs der indo-arischen Philologie und Altertums-
kunde, begründet von Georg Bühler, fortgesetzt von F. Kielhorn
(Strafsburg, Triibner).
Ind. Ant. = Indian Antiquary (Bombay).
JRAS == Journal of the Royal Asiatic Society of Great Britain and
Ireland.
SBE = Sacred Books of the East, edited by F. Max Müller.
WZKM = Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes.
ZDMG = Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft.
über die Aussprache indischer Namen und
Ausdrücke.
Vokale. Man spreche rals vokalischen r-Laut wie das tschechische
vokalisierte r oder wie r in »Bäck'r «. Im Sanskrit (nicht im Präkrit)
sind e und o immer lang wie in »beten« und »Sohn« zu sprechen.
Palatale. Man spreche c ungefähr wie tsch in »klatschen« oder
wie ch im englischen »child«; j wie dsch oder wie englisches j in »just«.
Die Zerebralen t, th, d, dh, n werden wie t, th, d, dh, n im
Englischen gesprochen, indem die Zungenspitze nach dem Gaumendach
auf- und zurückgebogen wird.
Halbvokale. Man spreche y wie deutsches j in »jeder», und
V wie w in »wissen'.
Zischlaute. Man spreche s palatal wie slavisches s oder wie
französisches j in »jeu«, s zerebral wie seh im deutschen »schon«.
Nasale. Man spreche gutturales n wie n in »kliagen«, palatales
n wie das mouillierte n im französischen »montagne«^ und rp wie aus-
lautendes französisches n in »Jean».
Die Aspiraten kh, gh, ch, jh u. s. w. sind mit nachstürzendem
Hauch zu spVechen, z. B. kh wie in * Backhuhn «, ph wie in »Klapphorn«,
th wie in »Bethaus« u. s. w.
Der Hauchlaut h ist wie ein deutsches h mit leisem Nachklang
des vorausgehenden Vokals zu sprechen, z. B. devalj wie devah(a}.
\
Einleitung.
Umfang und Bedeutung der indischen Litteratur.
Die Geschichte der indischen Litteratur ist die Geschichte
der in Sprache und Schrift zum Ausdruck gebrachten Geistes-
arbeit von mindestens drei Jahrtausenden. Und die Stätte dieser
durch Jahrtausende hindurch fast ununterbrochen fortgesetzten
Geistesarbeit ist ein Land, weiches A'^om Hindukusch bis zum Kap
Komorin reicht und einen Flächenraum von anderthalb Millionen
englischen Quadratmeilen bedeckt, an Umfang sonach dem ganzen
Europa mit Ausschlufs von Rufsland gleichkommt, — ein Land,
das sich vom achten bis zum fünfunddreilsigsten Grad nördlicher
Breite, also von den heifsesten Gegenden des Äquators bis weit
in die gemäfsigte Zone hinein erstreckt. Der Einflufs aber, den
diese Litteratur schon in alter Zeit auf das geistige Leben
anderer Völker geübt hat, reicht weit über die Grenzen Indiens
hinaus nach Hinterindien, nach Tibet, bis China, Japan und
Korea und im Süden über Ceylon und die malaiische Halbinsel
hinweg weithin über die Inselwelt des Indischen und des Stillen
Ozeans, während nach dem Westen hin sich die Spuren indischen
Geisteslebens bis tief in Zentralasien hinein nach Ostturkestan
verfolgen lassen, wo im Wüstensande vergraben indische Hand-
schriften gefunden worden sind.
Ihrem Inhalte nach umfafst die indische Litteratur alles,
was das Wort »Litteratur^- im weitesten Sinne einschliefst: reli-
giöse und weltliche, epische, lyrische, dramatische und didaktische
Poesie sowie auch erzählende und fachwissenschaftliche Prosa.
Im Vorder gründe steht die religiöse Litteratur. Nicht
nur die Brahmanen in ihrem Veda und die Buddhisten in ihrem
Tipitaka, sondern auch viele andere der zahlreichen religiösen
Wiuternitz, Geschichte der indischen Litteratur. 1
_ 2 —
Sekten, welche in Indien aufgetaucht sind, haben eine Unmasse
von Litteraturwerken — Hymnen, Opferlieder, Zaubergesänge,
Mythen und Legenden, Predigten, theologische Abhandlungen
und Streitschriften, Lehrbücher des Rituals und der religiösen
Ordnung — aufzuweisen. In dieser Litteratur ist für die Religions-
geschichte ein geradezu unschätzbares Material aufgehäuft, an
dem kein Religionsforscher achtlos vorübergehen kann. Neben
dieser Jahrtausende zurückreichenden und bis zum heutigen Tage
immer noch fortgesetzten Tätigkeit auf dem Gebiete der reli-
giösen Litteratur hat es in Indien schon seit ältester Zeit auch
Heldengesänge gegeben, welche im Laufe der Jahrhunderte sich
zu zwei grofsen Volksepen — dem Mahäbhärata und dem
Rämäyana — verdichteten. Aus den Sagenstoffen dieser beiden
Epen schöpften Jahrhunderte hindurch die Dichter des indischen
Mittelalters, und es entstanden epische Dichtungen, die man im
Gegensatz zu jenen Volksepen als Kunstepen bezeichnet.
Wenn aber diese Kunstdichtungen wegen ihrer oft alles Mafs
überschreitenden Künstelei unserem Geschmack keineswegs immer
entsprechen, haben uns indische Dichter Werke der Lyrik und
der Dramatik hinterlassen, die sich an Zartheit \md Innigkeit?
zum Teil auch an dramatischer Gestaltungskraft mit den schönsten
Schöpfungen der modernen europäischen Litteratur vergleichen
lassen. Und auf einem Gebiete der schönen Litteratur, auf dem
der Spruchdichtung, haben es die Inder zu einer Meister-
schaft gebracht, die von keinem anderen Volke je erreicht
worden ist. Indien ist auch das Land der Märchen- und
Fabeldichtung. Die indischen Sammlungen von Märchen,
Fabeln und Prosaerzählungen haben in der Geschichte der Welt-
litteratur keine geringe Rolle gespielt. Ja, die Märchenforschur g
— das so anziehende Studium der Märchen und der Verfolgung
der Märchenmotive auf ihren Wanderungen von Volk zu Volk —
ist erst im Anschlufs an Benfeys grundlegendes Werk über die
indische Fabelsammlung PaÄcatantra zu einem eigenen Wissens-
zweig geworden.
Es gehört aber zu den Merkwürdigkeiten des indischen
Geistes, dass derselbe zwischen dem rein künstlerischen Schaffen
und der wissenschaftlichen Betätigung nie eine strenge Grenz-
linie gezogen hat, so dass eine Scheidung zwischen »schöner
Litteratur c und »fachwissenschaftlicher Litteratur« in Indien
— 3 —
eigentlich nicht möglich ist. Was uns als eine Sammlung von
Märchen und Fabeln erscheint,, gilt den Indern als ein Lehrbuch
der Politik und der Moral. Anderseits sind Geschichte und
Biographie in Indien nie anders als von Dichtem und als eine
Abart der epischen Dichtung behandelt worden. Eine Scheidung
zwischen den Formen der Poesie und der Prosa gibt es in Indien
eigentlich auch nicht. Jeder Gegenstand kann ebensogut in
Versen als in Prosaform behandelt werden. Wir finden Romane,
die sich von den Kunstepen nur dadurch unterscheiden, dass
ihnen die metrische Form fehlt. Eine besondere Vorliebe finden
wir seit der ältesten Zeit für die Mischung von Prosa und Vers.
Und für das, was wir fachwissenschaftliche Litteratur nennen,
ist in Indien nur zum kleinen Teil die Prosaform, in weit
gröfserem Umfange aber der Vers verwendet worden. Dies gilt
von W^erken über Philosophie und Recht ebenso wie von solchen
über Medizin, Astronomie, Architektur usw. Ja, selbst Gramma-
tiken und Wörterbücher haben die Inder in metrischer Form
abgefafst. Und es ist vielleicht nichts charakteristischer, als dafs
es ein grofses Kunstepos in 22 Gesängen gibt, welches den aus-
gesprochenen Zweck verfolgt, die Regeln der Grammatik zu
illustrieren und einzuschärfen. Die Philosophie ist in Indien
frühzeitig — und zwar zuerst im Anschlufs an die religiöse
Litteratur, später aber auch unabhängig von derselben — Gegen-
stand litterarischer Betätigung gewesen. Desgleichen ist schon
in sehr alter Zeit Recht und Sitte — und zwar gleichfalls zuerst
im Zusammenhang mit der Religion — zum Gegenstand einer
eigenen, teils in Versen, teils in Prosa abgefafsten Rechts-
litteratur gemacht worden. Die Bedeutung dieser Rechts-
litteratur für die vergleichende Rechtsforschung und die Ge-
sellsv,lic.(t3wissenschaft wird heute auch von hervorragenden
Juristen und Soziologen vollauf gewürdigt. Jahrhunderte vor
Christi Geburt ist in Indien auch schon Grammatik getrieben
worden, eine Wissenschaft, in welcher die Inder alle \^ölker des
Altertums weit überragen. Auch die Lexikographie reicht
in ein hohes Alter hinauf. Die indischen Kunstdicbter der
späteren Zeit haben nicht gesungen, was ihnen ein Gott gegeben,
sondern sie studierten die Regeln der Grammatik und suchten
in Wörterbüchern nach seltenen und poetischen Ausdrücken;
sie dichteten nach den Lehren und Regeln, welche in wissen-
1*
__ 4 —
schartlichen Werken über Metrik und Poetik niedergelegt
waren. Von jeher hatte der indische Geist eine besondere Vor-
liebe für das Schematisieren nnd für die pedantische wissen-
schaftliche Behandlung aller möglichen Gegenstände. Wir finden
daher in Indien nicht allein eine reiche und zum Teil alte
Litteratur über Medizin, Astrologie und Astronomie,
Arithmetik und Geometrie, sondern auch Musik, Ge-
sang, Tanz und Schauspielkunst, Zauberei und Mantik,
ja, selbst die Erotik sind in wissenschaftliche S3^steme gebracht
und in eigenen Lehrbüchern behandelt worden.
In jedem einzelnen der hier aufgezählten Litteraturzweige
hat sich aber im Laufe der Jahrhunderte eine schier unüberseh-
bare Menge von litterarischen Erzeugnissen angehäuft-, nicht
zum wenigsten auch dadurch, dafs auf fast allen Gebieten der
religiösen Litteratur sowohl wie der Dichtung und der Wissen-
schaft die Kommentatoren eine überaus eifrige Tätigkeit ent-
falteten. So sind namentlich einige der bedeutendsten und
umfangreichsten Werke über Grammatik, Philosophie und Recht
nur Kommentare zu älteren Werken. Und zu diesen Kom-
mentaren sind gar oft wieder Kommentare verfafst worden. Ja, es
ist in Indien nichts Seltenes, dafs ein Autor seinem eigenen Werke
einen Kommentar beigegeben hat. So ist es denn kein Wunder,
dafs die Gesamtmasse der indischen Litteratur nahezu über-
wältigend ist. Und trotzdem die Verzeichnisse indischer Hand-
schriften, die in indischen und europäischen Bibliotheken vor-
handen sind, viele Tausende von Büchertiteln und Verfassemamen
enthalten, sind doch auch zahllose Werke der indischen Litteratur
verloren gegangen, und viele Namen alter Autoren sind nur
durch Zitate bei späteren Schriftstellern bekannt oder auch ganz
verschollen.
Alle diese Tatsachen — das Alter, die weite geographische
Verbreitung, der Umfang und die Reichhaltigkeit, der ästhetische
und noch mehr der kulturgeschichtliche Wert der indischen
Litteratur — würden vollauf genügen, um unser Interesse für
diese grofse, eigenartige und alte Litteratur gerechtfertigt er-
scheinen zu lassen. Es kommt aber noch etwas hinzu, was
gerade der indischen Litteratur ein ganz besonderes Interesse
verleiht. Die indo-arischen Sprachen bilden zusammen mit den
iranischen den östlichsten Zweig jener grofsen Sprachenfamilie,
— 5 —
zu welcher auch unsere Sprache und überhaupt die meisten
Sprachen Europas gehören, und die man als indogermanisch
bezeichnet. Gerade die indische Litteratur war es ja, deren
Erforschung zur Entdeckung dieser Sprachenverwandtschaft ge-
führt hat, — einer Entdeckung, die darum so wahrhaft epoche-
machend war, weil sie auf die vorgeschichtlichen Völkerbeziehungen
ein so überraschend neues Licht warf. Denn von der Verwandt--
Schaft der Sprachen mufste man auf eine ehemalige Sprachen-
einheit und von dieser wieder auf eine engere Zusammengehörig-
keit der diese indogermanischen Sprachen redenden Völker
schliefsen. Wohl sind über diese Verwandtschaft der indo-
germanischen Völker noch heute bedenkliche Irrtümer verbreitet.
Man spricht von einer indogermanischen »Rasse«, die es gar
nicht gibt und nie gegeben hat. Man hört noch zuweilen, da(s
Inder, Perser, Griechen, Römer, Germanen und Slawen eines und
desselben Blutes, Abkömmlinge eines und desselben indo-
germanischen *Urvolkes« sind. Das waren allzu voreilige
Schlufsfolgerungen. Wenn es aber auch mehr als zweifelhaft
ist, ob die Völker, welche indogermanische Sprachen reden, alle
von denselben Urahnen abstammen, so darf doch das nicht be-
zweifelt werden, dafs die Gemeinsamkeit der Sprache, dieses
wichtigsten Werkzeuges aller geistigen Betätigung, eine Geistes-
verwandtschaft und eine Kulturgemeinschaft voraus-
setzt. Wenn auch die Inder nicht Fleisch von unserem Fleisch
und Blut von unserem Blut sind, so können wir doch in der
indischen Gedankenwelt Geist von unserem Geist entdecken. Um
aber zur Erkenntnis des »indogermanischen Geistes«, d. h. dessen
zu gelangen, was man als indogermanische Eigenart im Denken
und Shinen und Dichten dieser Völker ansprechen kann, ist es
durchaus notwendig, dafs unsere einseitige Kenntnis indo-
germanischen Wesens, wie wir sie durch das Studium euro-
päischer Litteraturen erlangt haben, durch die Bekanntschaft
mit dem indogermanischen Geist, wie er sich im fernen Osten
betätigt hat, ergänzt wird. Darum bildet gerade die indische
Litteratur eine notwendige Ergänzung zur klassischen
Litteratur Altgriechenlands und Roms für jeden, der sich vor
einer einseitigen Betrachtung indogermanischen Wesens be-
wahren will. Wohl kann sich die indische Litteratur an künst-
lerischem Wert nicht mit der griechischen vergleichen; gewifs
— 6 —
hat die indische Gedankenwelt auf das moderne europäische Geistes-
leben nicht im entferntesten einen solchen Einflufs geübt wie
die griechische und römische Kultur. Aber wenn wir die An-
fänge unserer eigenen Kultur, wenn wir die älteste indo-
germanische Kultur verstehen lernen wollen, so müssen wir
nach Indien gehen, wo uns die älteste Litteratur eines indo-
germanischen Volkes erhalten ist. Denn wie immer die Frage
nach dem Alter der indischen Litteratur entschieden werden mag,
so viel dürfte doch sicher sein, dafs das älteste Litteraturdenkmal
der Inder zugleich das älteste indogermanische Litteratur-
denkmal ist, das wir besitzen.
Aber auch der unmittelbare Einflufs, welchen die Litteratur
Indiens auf unsere eigene Litteratur ausgeübt hat, ist nicht gar
zu gering anzuschlagen. Wir werden sehen, dafs die erzählende
Litteratur Europas in nicht geringem Grade von der indischen
Märchenlitteratur abhängig ist. Und gerade die deutsche Litteratur
und die deutsche Philosophie ist seit dem Beginn des neunzehnten
Jahrhunderts von indischen Gedankenkreisen vielfach beeinflufst
worden-, und es ist durchaus wahrscheinlich, dafs dieser Einflufs
noch in Zunahme begriffen ist und sich im Laufe unseres Jahr-
hunderts noch steigern wird.
Denn jene Geistesverwandtschaft, welche aus der indo-
germanischen Spracheneinheit erschlossen wird , ist auch noch
heute deutlich erkennbar und nirgends so sehr als zwischen
Indern und Deutschen. Auf die auffallenden Übereinstimmungen
zwischen deutschem und indischem Geist ist schon öfter hin-
gewiesen worden'). >Die Inder«, sagt Leopold von Schroeder,
ssind da^' Volk der Romantik im Altertum; die Deutschen sind
es in der neueren Zeit.« Auf den Hang zur beschaulichen Be-
trachtung und zur abstrakten Spekulation sowie auf die Hin-
neigung zum Pantheismus bei Deutschen und Indern hat bereits
G. Brandes hingewiesen. Aber auch in vielen anderen Be-
ziehungen berühren sich deutsches und indisches Wesen in auf-
fallender Weise. Nicht nur deutsche Dichter haben vom »Welt-
schmerz« gesungen. Der »Weltschmerz« ist auch der Grund-
') So namentlich von G. Brandes (Hauptströmungen der Literatur
des neunzehnten Jahrhunderts. Berlin 1872. I, S. 270) und Leopold
V. Schroeder (Indiens Literatur und Cultur. Leipzig 1887. S. 6 f.).
gedanke, auf dem die Lehre des Buddha aufgebaut ist ; und mehr
als ein indischer Dichter hat über das Leid und Weh der Welt,'
tiber die Vergänglichkeit und Nichtigkeit alles Irdischen in
Worten geklagt, die merkwürdig an die Verse unseres grofsen
Weltschmerzdichters Nikolaus Lenau erinnern. Und wenn
Heine sagt:
"Suis ist der Schlaf, der Tod ist besser,
Am besten war' es, nie geboren sein,«
so drückt er damit denselben Gedanken aus wie jene indischen
Philosophen, die kein heifseres Streben kennen als den
Tod , auf den kein Wiedergeborenwerden folgt. Auch die
Sentimentalität und das Naturgefühl sind der deutschen und der
indischen Dichtung gleich eigentümlich, während sie z. B. der
hebräischen oder der griechischen Poesie fremd sind. Deutsche
und Inder lieben Naturschilderungen; und indische ebenso wie
deutsche Dichter lieben es, die Leiden und Freuden der Menschen
mit der sie umgebenden Natur in Beziehung zu bringen. Und
noch auf einem ganz anderen Gebiete tritt uns die Ähnlichkeit
zwischen Deutschen und Indern entgegen. Von der Neigung der
Inder zur Ausbildung wissenschaftlicher Systeme war schon die
Rede; und wir können mit Recht sagen, dafs die Inder das
Gelehrtenvolk des Altertums waren, wie es die Deutschen in
der Gegenwart sind. Wie die Inder schon im grauesten
Altertum ihre uralten heiligen Schriften philologisch zergliederten,
die sprachlichen Erscheinungen in ein wissenschaftliches System
einordneten und es in der Grammatik so weit brachten, dafs die
moderne Sprachwissenschaft noch heute an ihre Leistungen an-
knüpfen kann, so sind die Deutschen heutigen Tages unbestritten
die Führer auf allen Gebieten der Philologie und Sprach-
wissenschaft.
Auch auf dem Gebiete der indischen Philologie und in der
Erforschung der indischen Litteratur sind die Deutschen die
Führer und Bahnbrecher gewesen. So viel wir auch den Eng-
ländern verdanken, die als Beherrscher Indiens durch praktische
Bedürfnisse zu dem Studium der indischen Sprache und Litteratur
veranlafst wurden, so viel auch einige hervorragende französische,
italienische, holländische, dänische, amerikanische, russische und
— nicht zu vergessen — eingeborene indische Gelehrte für die
Erforschung der indischen Litteratur und Kultur getan haben, —
— 8 -
den Löwenanteil an der Herausgabe von Texten, an der Er-
klärung und Durchforschung derselben, an der Ausarbeitung von
Wörterbüchern und Grammatiken haben unstreitig die Deutschen
gehabt. Dies mag ein kurzer Überblick Über die Geschichte der
indologischen Studien lehren.
Die Anfänge des Studiums der indischen Litteratur
in Europa.
Die ungeheure Masse von indischen Litteraturwerken , die
heute kaum n;iehr von e i n e m Forscher zu übersehen ist, ist erst
im Laufe voii wenig mehr als hundert Jahren d»ir Forschung
zugänglich gemacht worden.
Wohl haben sich schon im siebzehnten und noch mehr im
achtzehnten Jahrhundert einzelne Reisende und Missionäre eine
gewisse Kenntnis indischer Sprachen angeeignet und sich mit
einem oder dem anderen Werk der indischen Litteratur bekannt
gemacht. Aber ihre Anregungen sind nicht auf fruchtbaren
Boden gefallen. So berichtete im Jahre 1651 der Holländer
Abraham Roger, der als Prediger in Paliacatta (Puliat)
nördlich von Madras gelebt hatte, in seinem Werk »Offene Thür
zu dem verborgenen Heidentum c ') über die alte brahmanische
Litteratur der Inder und veröffentlichte einige von einem Brah-
manen für ihn ins Portugiesische übersetzte Sprüche des
Bhartrhari, aus denen später Herder für seine »Stimmen
der Völker in Liedeni« schöpfte. Im Jahre 1699 ging der Jesuit
Pater Johann Ernst Hanxleden nach Indien und wirkte dort
über dreifsig Jahre in der malabarischen Mission. Er bediente
sich selber indischer Sprachen, und seine ^Grammatica Granthamia
seu Samscrdumica« war die erste Sanskritgrammatik, die ein
Europäer geschrieben hat. Sie ist nie gedruckt worden, wurde
aber von Fra Paolino de St. Bartholomeo benutzt. Dieser
Fra Paolino — ein österreichischer Karmelit, dessen eigentlicher
Name J. Ph. Wefsdin war — ist unstreitig der bedeutendste unter
') Das Werk erschien holländisch 1651 und in deutscher Über-
setzung in Nürnberg 1663.
den Missionären, welche an der frühesten Erschliefsung der
indischen Litteratur arbeiteten. Er war von 1776 — 1789 Missionar
an der Küste von Malabar und starb im Jahre 1805 in Rom. Er
schrieb zwei Sanskritgrammatiken und mehrere gelehrte Ab-
handlungen und Bücher. Sein »Systema Brahmanicum« (Rom
1792) und seine »Reise nach Ostindien« (deutsch von J- R. Forster.
Berlin 1798) beweisen eine grolse Kenntnis von Indien und der
brahmanischen Litteratur, sowie ein eingehendes Studium der
indischen Sprachen und insbesondere des indischen Religions-
wesens. Doch hat auch sein Wirken nur geringe Spuren hinter-
lassen.
Um dieselbe Zeit aber hatten auch bereits die Englander
begonnen, sich um die Sprache und Litteratur der Inder zu
kümmern. Kein Geringerer als War ren Hastings, der eigent-
liche Begründer der englischen Herrschaft in Indien, war es, von
dem die erste fruchtbare Anregung zu einem seither nie wieder
unterbrochenen Studium der indischen Litteratur ausging. Er
hatte erkannt, was die Engländer seitdem nie vergessen haben,
dafs die Herrschaft Englands in Indien nur dann gesichert sei,
wenn die Beherrscher es verstünden, die sozialen und religiösen
Vorurteile der Eingeborenen nach Möglichkeit zu schonen. Auf
seine Veranlassung wurde daher in das Gesetz, welches die Ver-
waltung Indiens regeln sollte, die Bestimmung aufgenommen,
dafs einheimische Gelehrte den Rechts Verhandlungen beiwohnen
sollten, um es den englischen Richtern in Indien zu ermöglichen,
die Satzungen der indischen Rechtsbücher bei der Abfassung
ihrer Urteile zu berücksichtigen. Und als Warren Hastings im
Jahre 1773 zum Generalgouverneur von Bengalen ernannt und
mit den höchsten Gewalten über sämtliche englische Besitzungen
in Indien betraut worden war, liefs er von einer Anzahl rechts-
kundiger Brahmanen aus den alten indischen Rechtsbüchern ein
Werk zusammenstellen, welches unter dem Titel Vivädärnavasetu
(»Brücke über den Ozean der Streitigkeiten«) alles Wichtige über
indisches Erbrecht, P'araiHenrecht u. dgl. enthielt. Als das Werk
fertig war, fand sich aber niemand, der imstande gewesen wäre,
dasselbe unmittelbar aus dem Sanskrit ins Englische zu über-
setzen. Es mufste daher zuerst aus dem Sanskrit ins Persische
übertragen werden, aus welchem es Nathaniel Brassey Halhed
ins Englische übersetzte. Diese Übersetzung wurde unter dem
— 10 —
Titel >A Code of Gentoo ') Law< im Jahre 1776 auf Kosten der
Ostindischen Gesellschaft gedruckt. Eine deutsche Übersetzung
dieses Rechtsbuches erschien im Jahre 1778 in Hamburg unter
dem Titel: »Gesetzbuch der Gentoos oder Sammlung der Ge-
setze der Pundits, nach einer persianischen Übersetzung des
in der Shanskritsprache geschriebenen Originales. Aus dem
Englischen von Rud. Erich Raspe.«
Der erste Engländer, der sich eine Kenntnis des Sanskrit
aneignete, war Charles Wilkins, der durch Warren Hastings
dazu angeregt worden war, bei den Pandits in Benares, dem
Hauptsitz der indischen Gelehrsamkeit, Unterricht zu nehmen.
Als die erste Frucht seiner Sanskritstudien veröffentlichte er im
Jahre 1785 eine englische Übersetzung des philosophischen Gedichtes
Bhagavadgitä, womit zum erstenmal ein Sanskritwerk direkt
in eine europäische Sprache übersetzt war. Zwei Jahre später
folgte eine Übersetzung des Fabel Werkes Hitopadesa und
1795 eine Übersetzung der Sakuntalä-Episode aus dem M a h ä -
bhärata. Für seine 1808 erschienene Sanskritgrammatik wurden
zum erstenmal in Europa Sanskrittypen benutzt, die er selbst
geschnitten und gegossen hatte. Er war auch der erste, der
sich mit indischen Inschriften befafst und einige derselben ins
Englische übersetzt hat.
Noch wichtiger aber für die Erschlielsung grofser Gebiete
der indischen Litteratur war die Tätigkeit des berühmten eng-
lischen Orientalisten William Jones (geb. 1746, gest. 1794),
der sich im Jahre 1783 nach Indien begab, um den Posten eines
Oberrichters im Fort William zu übernehmen. Jones hatte sich
schon in jungen Jahren mit orientalischer Poesie beschäftigt und
arabische und persische Gedichte ins Englische übertragen. Kein
Wunder, dafs er, in Indien angelangt, sich mit Eifer auf das
Studium des Sanskrit und der indischen Litteratur verlegte.
Gleich ein Jahr nach seiner Ankunft in Indien wurde er der
Begründer der Asiatic Society of Bengal, welche bald durch die
Herausgabe von Zeitschriften und insbesondere durch den Druck
zahlreicher indischer Textausgaben eine ungemein nützliche Tätig-
keit entfaltete. Im Jahre 1789 veröffentlichte er seine englische
Übersetzung des berühmten Dramas »^akuntalä« von Kälidäsa.
') Portugiesisch für »Hindu*.
— 11 —
Diese englische Übersetzung wurde im Jahre 1791 von Georg
Forster ins Deutsche tibertragen und erweckte im höchsten Grade
die Begeisterung von Männern wie Herder und Goethe. Ein
anderes Werk desselben Dichters Kälidäsa, das tyrische Gedicht
Rtusamhära, wurde von Jones in Kalkutta im Jahre 1792 im
Urtext herausgegeben, und es war dies der erste Sanskrittext^
der im Druck erschien. Von noch gröf serer Bedeutung war es,
dafs W. Jones das berühmteste und in Indien angesehenste Werk
der indischen Rechtslitteratur , das Gesetzbuch des Manu, ins
Englische übertrug. Diese Übersetzung erschien in Kalkutta
1794 unter dem Titel »Institutes of Hindu Law, or the Ordinnances
of Menü«. Eine deutsche Übersetzung dieses Werkes erschien
1797 in Weimar'). W. Jones war endlich auch der erste, der
den genealogischen Zusammenhang des Sanskrit mit dem
Griechischen und Lateinischeil mit voller Bestimmtheit und den
mit dem Deutschen, Keltischen und Persischen vermutungsweise
aussprach. Er hat auch bereits auf die Ähnlichkeiten zwischen
der altindischen und der griechisch-römischen Mythologie hin-
gewiesen.
Wahrend der schwärmerische W. Jones durch die Be-
geisterung, mit der er die indischen Litteraturschätze ans Licht
zog , vor allem anregend wirkte , wurde der nüchterne Henry
Thomas Colebrooke, der das Werk von W. Jones fortsetzte,
zum eigentlichen Begründer der indischen Philologie und Alter-
tumskunde. Colebrooke hatte im Jahre 1782 als siebzehnjähriger
Jüngling seine Beamtenlaufbahn in Kalkutta angetreten, ohne
sich während der ersten elf Jahre seines Aufenthalts in Indien
um das Sanskrit und dessen Litteratur zu kümmern. Als aber
W. Jones 1794 starb, hatte Colebrooke eben das Sanskrit erlernt
und es übernommen, eine unter Jones' Leitung von eingeborenen
Gelehrten gemachte Zusammenstellung der Lehren der indischen
Rechtsbücher über Erbrecht und Kontrakte aus dem Sanskrit
ins Englische zu übersetzen. Diese Übersetzung erschien 1797
0 »Hindu's Gesetzgebung, oder Menirs Verordnungen nach
Culluca's Erläuterung, ein Inbegriff des indischen Systems religiöser
und bürgerlicher Pflichten. Aus der Sanskritsprache wörtlich ins
Englische übersetzt von W. Jones, und verdeutscht nach der Cal-
cuttischen- Ausgabe, und mit einem Glossar und Anmerkungen be-
gleitet von Joh. Christ. Hüttner. •
— 12 —
und 1798 unter dem Titel »A Digest of Hindu Law on Con-
tracts and Successions« in vier Foliobänden. Von da an widmete
er sich mit unermtidlichem Eifer der Erforschung der indischen
Litteratur. Und zwar interessierte ihn — im Gegensatz zu
Jones — nicht so sehr die poetische als die fachwissenschaftliche
Litteratur. Ihm verdanken wir daher nicht nur noch weitere
Arbeiten über indisches Recht, sondern auch bahnbrechende
Aufsätze über die Philosophie und das Religionswesen , über
Grammatik, Astronomie und Arithmetik der Inder. Er war
es auch, der im Jahre 1805 in dem berühmt gewordenen Auf-
satze über die Vedas zum erstenmal genaue und zuverlässige
Mitteilungen über die alten heiligen Bücher der Inder gab ').
Auch ist er der Herausgeber des Amarakosa und anderer indischer
Wörterbücher, der berühmten Grammatik des Pänini, der Fabel-
sammlung Hitopade^a und des Kunstepos Kirätärjunlya. Er ist
ferner der Verfasser einer Sanskritgraminatik und hat eine An-
zahl von Inschriften bearbeitet und übersetzt. Endlich hat er
eine ungemein reichhaltige Sammlung von indischen Handschriften
zusammengebracht, die ihn gegen 10 000 Pfund Sterling gekostet
haben soll, und die er bei seiner Rückkehr nach England der
Ostindischen Gesellschaft zum Geschenk machte. Diese Hand-
schriftensammlung gehört heute zu den kostbarsten Schätzen der
Bibliothek des India Office in London.
Unter den Engländern, welche ebenso wie Jones und Cole-
brooke um die Wende des achtzehnten Jahrhunderts in Indien
Sanskrit lernten, war auch Alexander Hamilton. Dieser kehrte
1802 nach Europa zurück und hielt sich, über Frankreich reisend,
kurze Zeit in Paris auf. Da fügte es ein für ihn selbst un-
') Die im Jahre 1778 unter dem Titel »Ezour-Vedam« französisch
und 1779 auch deutsch erschienene angebliche Übersetzung des
Yajurveda ist eine Fälschung, eine pia fraus, welche wahrscheinlich
von dem Missionar Robertus de Nobilibus herrührt. Voltaire empfing
aus den Händen eines von Pondichery zurückkehrenden Beamten diese
angebliche Übersetzung und übergab sie 1761 der königlichen Biblio-
thek in Paris. Voltaire hielt das Werk für einen alten Kommentar
zum Veda, der von einem ehrwürdigen, hundertjährigen Branmanen
ins Französische übersetzt worden sei, und er beruft sich auf den
''Ezour-Veda"' öfters als Quelle für indische Altertümer. Schon im
Jahre 1 782 erklärte Sonnerat das Werk für eine Fälschung. (A. W.
Schlegel, Indische Bibliothek. II, S. 50 ff.)
— 13 —
angenehmer, für die Wissenschaft aber aufserordentlich günstiger
Zufall, dafs gerade damals die durch den Frieden von Amiens
nur auf kurze Zeit unterbrochenen Feindseligkeiten zwischen
England und Frankreich aufs neue ausbrachen und Napoleon
den Befehl ergehen liefs, dafs alle Engländer, die sich zur Zeit
des Ausbruchs des Krieges in Frankreich aufhielten, an der
Rückkehr in ihre Heimat verhindert und in Paris zurückgehalten
werden sollten. Unter diesen Engländern befand sich auch
Alexander Hamilton. Im Jahre 1802 war aber gerade auch der
deutsche Dichter Friedrich Schlegel nach Paris gekommen,
um sich dort mit einigen Unterbrechungen bis zum Jahre 1807
aufzuhalten, — gerade während der Zeit des unfreiwilligen Auf-
enthalts von A. Hamilton, In Deutschland war man ja schon
längst auf die Arbeiten der Engländer aufmerksam geworden.
Namentlich hatte die bereits erwähnte Übersetzung der »Öakun-
talä« durch W. Jones grofses Aufsehen gemacht und war auch
sofort (1791) ins Deutsche übersetzt worden. In den Jahren
1795 — 97 waren auch schon die Abhandlungen von William
Jones in deutscher Übersetzung erschienen ""). Auch die Jonessche
Übersetzung von Manus Gesetzbuch war schon im Jahre 1797
ins Deutsche tibertragen worden. Die Werke des Fra Paolino
de St. Bartholomeo sind in Deutschland gewifs auch nicht un-
beachtet geblieben. Vor allem aber war es die romantische
Schule, an deren Spitze die Brüder Schlegel standen, für welche
die indische Litteratur eine besondere Anziehungskraft hatte.
Es .war ja die Zeit, wo man sich für fremde Litteraturen zu be-
geistern begann. Herder hatte schon durch seine »Stimmen der
Völker in Liedern« (1778) und durch seine »Ideen zur Geschichte
der Menschheit« (1784—91) die Aufmerksamkeit der Deutschen
vielfach auf den Orient gelenkt. Die Romantiker aber waren
es, die sich mit höchster Begeisterung auf alles Fremde und
Feme warfen und sich von Indien ganz besonders angezogen
fühlten. V^on Indien her erwartete man, wie Friedrich Schlegel
sagte, nichts weniger als »Aufschlufs über die bis jetzt so dunkle
Geschichte der Urwelt; und die Freunde der Poesie hofften be-
sonders seit der Erscheinung der Sokuntola von daher noch
') W. Jones, Abhandlungen über die Geschichte, Altertümer usw.
Asiens. Riga 1795—97. 4 Bde.
— 14 —
manches ähnliche schöne Gebilde des asiatischen Geistes zu sehen,
wie dieses von Anmut und Liebe beseelt«. Kein Wunder daher, dals
Friedrich Schlegel, als er in Paris die Bekanntschaft des Alexander
Hamilton machte, sofort die Gelegenheit ergriff, von demselben
Sanskrit zu lernen. In den Jahren 1803 und 1804 genofs er
■dessen Unterricht, und die weiteren Jahre seines Pariser Aufent-
haltes benutzte er zu Studien in der dortigen Bibliothek, welche
damals bereits gegen 200 indische Handschriften besafs')- Als
Frucht dieser Studien erschien im Jahre 1808 jene Schrift, durch
welche Friedrich Schlegel zum Begründer der indischen Philo-
logie in Deutschland wurde: Ȇber die Sprache und Weisheit
der Indien Ein Beitrag zur Begründung der AltCi-tumskunde.«
Dieses Buch war mit Begeisterung geschrieben und geeignet,
Begeisterung zu erwecken. Es enthielt auch Übersetzungen
einiger Stücke aus dem Rämäyana , aus Manus Gesetzbuch , aus
der Bhagavadgitä und aus der Sakuntalä - Episode des Mahä-
bhärata. Es waren dies die ersten direkten Übersetzungen aus
dem Sanskrit ins Deutsche; denn was vorher von indischer
Litteratur in Deutschland bekannt geworden war, war aus dem
Englischen übersetzt.
Während aber Friedrich Schlegel vor allem anregend wirkte,
war sein Bruder August W^ilhelm von Schlegel der erste,
der in Deutschland durch Textausgaben, Übersetzungen und
andere philologische Arbeiten eine ausgedehnte Tätigkeit als
Sanskritgelehrter entfaltete. Er war auch der erste Professor
des Sanskrit in Deutschland, und zwar wurde er als solcher im
Jahre 1818 an die eben begründete Universität Bonn berufen.
Gleichwie sein Bruder hatte auch er in Paris — und zwar im
Jahre 1814 — seine Sanskritstudien begonnen. Sein Lehrer war
aber ein Franzose, A. L. Chezy, der erste französische Gelehrte,
der Sanskrit lernte und lehrte; er war auch der erste Sanskrit-
Professor am College de France und hat sich als Herausgeber
und Übersetzer indischer Werke verdient gemacht. Im Jahre
1823 erschien der erste Band der von Aug. Wilh. von Schlegel
begründeten und fast ausschliefslich von ihm geschriebenen Zeit-
0 Einen Katalog derselben veröffentlichte Alexander Hamilton
(im Verein mit L. Langles, der Hamiltons englische Notizen ins Fran-
zösische übertrug) Paris 1807
— 15 —
Schrift >Indische Bibliothek« , welche zahlreiche Aufsätze zur
indischen Philologie enthält. Im selben Jahre veröffentlichte er
auch eine gute Ausgabe der Bhagavadgitä mit lateinischer Über-
setzung, während im Jahre 1829 der erste Teil der bedeutendsten
Arbeit Schlegels, seiner xm vollendet gebliebenen Ausgabe des
Rämäyana, erschien.
Ein Zeitgenosse Aug. Wilh. von Schlegels war der 1791
geborene Franz Bopp, der im Jahre 1812 nach Paris ging,
um sich mit orientalischen Sprachen zu beschäftigen , und dort
zusammen mit Schlegel bei Ch^zy Sanskrit lernte. Während aber
die Brüder Schlegel als die Dichter der Romantik für Indien
schwärmten und die Beschäftigung mit der indischen Litteratur
als eine Art > Abenteuer « ^) auffafsten, trat Bopp als durchaus
nüchterner Forscher an diese Studien heran, und er war es, der
durch seine im Jahre 1816 erschienene Schrift »Ueber das Con-
jugationssystem der Sanskritsprache in Vergleichung mit jenem
der griechischen, lateinischen, persischen und germanischen
Sprache« zmn Begründer einer neuen Wissenschaft wurde, der
vergleichenden Sprachwissenschaft, der eine so grofse Zukunft
beschieden sein sollte. Aber auch um die Erforschung der
indischen Litteratur hat sich Bopp aufserordentlich verdient ge-
macht. Schon in seinem »Conjugationssystem« gab er als An-
hang einige Episoden aus dem Rämäyana und Mahäbhärata in
metrischen Übersetzungen aus dem Originaltext, sowie einige
Proben aus dem Veda nach Colebrookes englischer Übersetzung.
Mit seltenem Geschick hat er dann aus dem Riesenepos Mahä-
bhärata die wunderbare Geschichte vom König Nala und seiner
treuen Gattin Damayanti herausgegriffen und durch eine gute
kritische Ausgabe mit lateinischer Übersetzung allgemein zu-
') So schreibt Friedrich Schlegel in einem Briefe an Goethe, er
habe es sich zur Aufgabe gemacht, »das Vergessene und Verkannte
ans Licht zu ziehen«, und sich darum von Dante zu Shakespeare, zu
Petrarca und Calderon, zu den altdeutschen Heldenliedern gewandt.
»Solchergestalt hatte ich die europäische Literatur gewissermafsen er-
schöpft und wandte mich nach Asien , um ein neues Abenteuer auf-
zusuchen.« (A. Hillebrandt, Alt-Indien. Breslau 1899. S. 37.) [Jnd
Aug. Wilh. von Schlegel schreibt (Indische Bibliothek I, S. 8), er wolle
mit seinen Aufsätzen denen unter seinen Landsleuten, »welche das
Abenteuer bestehen wollen (denn ein Abenteuer bleibt es noch immer)»,
einigermafsen den Weg weisen.
— 16 —
gänglich gemacht^). Es war dies gerade diejenige von den zahl-
losen Episoden des Mahäbhärata, welche am meisten ein ab-
geschlossenes Ganzes bildet und nicht nur zu den schönsten
Stücken des grofsen Epos gehört, sondern auch als eine der
reizendsten Schöpfungen indischer Dichtkunst ganz besonders
geeignet ist, Begeisterung ftir die indische Litteratur und Liebe
zum Sanskritstudiura zu erwecken. Es ist denn auch geradezu
traditionell geworden, an allen Universitäten, wo Sanskrit gelehrt
wird, die Nala-Episode als erste Lektüre für die Studierenden zu
wählen , wozu sie sich auch wegen der Einfachheit der Sprache
ganz besonders eignet. Noch eine Reihe von anderen Episoden aus
dem Mahäbhärata hat Bopp zum erstenmal herausgegeben und
ins Deutsche übersetzt. Seine Sanskritgrammatiken (1827, 1832
und 1834) und sein »Glossarium Sanscritum« (Berlin 1830) haben
das Studium des Sanskrit in Deutschland mächtig gefördert.
Ein Glück für die junge Sprachwissenschaft und das damals
und noch auf lange mit ihr verbundene Sanskritstudium war es,
dals der geistvolle, vielseitige und einflufsreiche W i 1 h e 1 m von
Humboldt sich für diese Wissenschaften begeisterte. Im Jahre
1821 begann er Sanskrit zu lernen, da er — wie er einmal in
einem Briefe an Aug. Wilh. von Schlegel *) schrieb — eingesehen
hatte, »dafs ohne möglichst gründliches Studium des Sanskrit
weder in der Sprachkunde noch in derjenigen Art Geschichte,
die damit zusammenhängt, das mindeste auszurichten sei«. Und
als Schlegel im Jahre 1828 einen Rückblick auf die indischen
Studien warf, hob er es als ein besonderes Glück für die neue
Wissenschaft hervor, dafs dieselbe »an Herrn Wilhelm von
Humboldt einen warmen EVeund und Gönner gefunden«. Schlegels
Ausgabe der Bhagavadgitä hatte Humboldts Aufmerksamkeit
auf dieses theosophische Gedicht gelenkt. Er widmete demselben
eigene Abhandlungen, und an Fr. von Gentz schrieb er damals
(1827): »Es ist wohl das Tiefste und Erhabenste, das die Welt
aufzuweisen hat.« Und als er später (1828) dem Freund seine
mittlerweile von Hegel rezensierte Schrift über die Bhaga-
vadgitä zusandte, schrieb er, so gleichgültig ihn die Beurteilung
") Nalus, Carmen Sanscritum e Mahabharato, edidit, latine vertit
et adnotationibus illustravit Franciscus Bopp. London 1819.
») Indische Bibliothek I, S. 433.
_ 17 —
von Seiten Hegels lasse, so grolsen Wert lege er auf die indische
philobophische Dichtung. »Ich las das indische Gedicht«, schreibt
er, .zum erstenmal m Schlesien auf dem Lande, und mein be-
ständiges Gefühl dabei war Dank gegen das Geschick, dafs es
mich habe leben lassen, dieses Werk noch kemien zu lernen«.')
Und noch eiai grofser Heros der deutschen Litteratur ist
zu nennen , der zum j Glück für unsere Wissenschaft sich für
indische Dichtung begeistert hat. Das ist der deutsche Dichter
Friedrich Rückert, der unvergleichliche Meister der Über-
setzungskunst. Von den schönsten Perlen indischer Epik und
Lj'^rik ist gar manches,
»Was vor Jahrtausenden gerauscht
Im Wipfel ind 'scher Palmen",
durch ihn zum Gemeingut des deutschen Volkes geworden.
Bis zum Jahre 1830 war es fast ausschhefslich die sogenannte
»klassische Sanskritlitteratur« , der sich die Aufmerksamkeit
europäischer Forscher zuwandte. Das Drama »hakuntalä«, das
philosophische Gedicht »BhHgavadgitä< , das Gesetzbuch des
Manu, die Sprüche des Bhartrhari, die P'abelsammlung »Hitopa-
deSa« und einzelne Stücke aus den gröfsen Epen — das waren
so ungefähr die Hauptwerke, mit denen man sich beschäftigte,
und die man für den Grundstock der indischen T^itteratur ansah.
Das grofse und allerwichtigste Gebiet der indischen Fitteratur
— der Veda — war beinahe ganz unbekannt, und von der
ganzen grofsen b'jddhisti sehen Litteratur wufste man noch
gar nichts.
Das Wenige, was bis zum Jahre 1830 vom Veda bekannt
war, beschränkte sich auf kärgliche und ungenaue Angaben bei
den älteren Schriftstellern über Indien. Die ersten zuverlässigen
Mitteilungen gab Colebrooke in der schon erwähnten Abhandlung
über die Vedas (1805)^). Verhältnismäfsig am meisten wufste
man noch von den üpanisads, den zum Veda gehörigen philo-
sophischen Abhandlungen. Diese Üpanisads wurden nämlich im
') Schriften von Friedrich von Gentz. Herausgegeben von Gustav
Schlesier. Mannheim 1840. Bd. V, S 2^1 u. 300.
^) Eine deutsche Übersetzung erschien viele Jahre später: H. Th.
Colebrookes Abhandlung über die heiligen Schriften der Indier. Aus
dem Englischen tibersetzt von Ludwig Poley. Nebst Fragmenten der
ältesten religiösen Dichtungen der Indier. Leipzig 1847
Winternitz, Geschichte der indischen Litteratur. 2
— 18 —
siebzehnten Jahrhundert von dem Bruder Aurengzebs, dem un-
glücklichen Prinzen Mohammed Dara Schakoh ^), dem Sohn des
Grofsmoguls Schah Dschehan, ins Persische übersetzt. Aus dem
Persischen hat sie am Anlange des neunzehnten Jahrhunderts
der französische Gelehrte Anquetil Duperron unter dem Titel
»Oupnek'hat« ^) ins Lateinische übersetzt. So unvollkommen und
von Mifsverständnissen voll auch die lateinische Übersetzung war,
so ist sie doch für die Geschichte der Wissenschaft dadurch von
Wichtigkeit geworden, dafs die deutschen Philosophen Schellin g
und insbesondere Schopenhauer sich auf Grund derselben für
die indische Philosophie begeisterten. Nicht die Upanisads, wie
wir sie mit allen uns heute zu Gebote stehenden Mitteln der
indischen Philologie und unserer genaueien Kenntnis der ganzen
Philosophie der Inder verstehen und erklären, sondern das
*Oupnek'hat« , die ganz und gar unvollkommene persisch-
lateinische Übersetzung des Anquetil Duperron war es, welche
Schopenhauer für ^>die Ausgeburt der höchsten menschlichen
Weisheit« erklarte. Und um dieselbe Zeit, als in Deutschland
Schopenhauer in die Upanisads der Inder seine tigenen philo-
sophischen Gedanken mehr hineindachte, als er sie herauszulesen
vermochte, lebte in Indien einer der weisesten und edelsten
Männer, welche dieses Land hervorgebracht hat, Rämmohun
Roy, der Begründer der »Brahmo Samäj« (einer neuen vSekte,
') Das Schicksal dieses Prinzen bildet den Gegenstand eines
schönen, leider viel zu wenig bekannten Trauerspiels von L. von
Schroeder: 'Dara oder Schah Dschehan und seine Söhne" (Mitau 1891).
*) Der vollständijie Titel lautet: ^^Oupnek'hat, i e. secretum
tegendiim, opus ipsa in India rarissimum, continens antiquam et arcanani
s. theologicam et philosopliicam doctrinam c quatuor sa^ris ! .idoruin
libris, Rak Beid, Djedir Beid, Sam Beid, Athrban Beid excerptam; ad
verbum e pcrsico idiomate, Sansci'eticis vocabulis interniixto in latinum
conversum . . . studio et opera Anquetil du Perron . . . Parisiis
1801 — 18ü2. 4. 2 vol." Teilweise ins Deutsche, übersetzt unter dem
Titel: »V^ersuch einer neuen Darstellung der uralten indischen All-
Eins-Lehre: oder der berühmten Sammlung »u}»- Oupuekharwr erstes
Stück: Oupnek'hat Tschehandouk genannt. Nach dem lateinischen der
persischen Uebersetzung wörtlich getreuen Texte des Hrn. Anquetil
du Perron frey ins Deutsche übersetzt und mit Anmerkungen versehen
von Th. A. Rixner, Nürnberg 1808.» »Oupnek'hat ist eine Verstümme-
lung von »Upanisad«^ und 'Rak Beid« usw. sind Verballhornungen
von »Rg-veda'<, »Yajur-vedas "Säma-veda* und "Atharva-veda«^.
— 19 —
welche das Beste der Religionen Europas mit dem Glauben der
Hindus zu vereinigen suchte), — ein Inder, der aus denselben
Upanisads den reinsten Gottesglauben herauslas und aus den-
selben seinen Landsleuten zu beweisen suchte, dals zwar der
Götzendienst der jetzigen indischen Religionen verwerflich sei,
dafs aber die Inder darum doch nicht das Christentum anzunehmen
brauchten, sondern in ihren heiligen Schriften, in den alten
\"edas, wenn sie dieselben nur verstünden, eine reine Gotteslehre
finden könnten. Mit der Absicht, diese neue, wenngleich schon
in den alten heiligen Schriften enthaltene Lehre zu verkünden
und durch die von ihm begründete Sekte, der Brahmo Samäj
oder der »Kirche Gottes« , verbreiten zu lassen, und zugleich in
der Absicht, den von ihm hochgeschätzten christlichen Theologen
und Missionären zu beweisen, dafs das Beste von dem, was sie
lehrten, Schon in den Upani.sads enthalten sei, übersetzte er in den
Jahren 1816 — 1819 eine grölsere Anzahl von Upanisads ins
Englische und gab einige derselben im Urtexte heraus').
Die eigentliche philologische Erforschung des Veda begann
jedoch erst mit der im Jahre 1838 in Calcutta erschienenen Aus-
gabe des ersten Achtels des Rigveda von Friedrich Rosen,
der nur durch einen vorzeitigen Tod an der Vollendung seiner
Ausgabe verhindert wurde. Insbesondere aber war es der grofse
französische Orientalist Eugene Burnouf, der im Anfang der
vierziger Jahre am College de France lehrte und, indem er
einen Kreis von Schülern um sich versammelte, welche später
hervorragende Vedagelehrte wurden , den Grund zum Veda-
studium in Europa legte. Einer dieser Schüler war Rudolph
Roth, der mit seiner im Jahre 1846 erschienenen Schrift »Zur
Lifcter.itur und Geschichte des Weda« das Studium des Veda in
Deutschland begründete. Roth selbst und eine stattliche Anzahl
seiner Schüler widmeten sich in den folgenden Jahren und Jahr-
zehnten mit Feuereifer der Erforschung der verschiedenen Zweige
dieser ältesten Litteratur Indiens. Ein anderer berühmter Schüler
Burnoufs war F. . M a x Müll er , der gleichzeitig mit Roth durch
Burnouf in das Vedastudium eingeführt worden war. Von
') Kleinere Bruchstücke der Upanisads erschienen auch in Othmar
Franks »Chrestomathia Sanscrita* (1820 — 1821) und in desselben
'Vväsa, über Philosophie, Mj^thologie. Literatur und Sprache der
Hindu« (1826-1830).
2*
- 20 —
Lurnouf dazu angeregt, falste Max Müller den Plan, die Hymnen
des Rigveda mit dem grofsen Kommentar des Sayana heraus-
zugeben. Diese für alle weiteren Forschungen unentbehrliche
Ausgabe erschien in den Jahren 1849 1875'). Noch ehe dieselbe
vollendet war, machte sich Th. Auf recht durch seine handliche
Ausgabe des vollständigen Textes der Hjmnen des Rigveda
(1861 und 1863) um diese Forschungen auf serordentlich verdient.
Derselbe Eugene Burnouf, der an der Wiege des Veda-
studiums gestanden, hat auch durch den im Verein mit Chr.
Lassen 1826 veröffentlichten i-Essai sur le Pälis und durch seine
1844 erschienene »Introduction ä l'histoire du Bouddhisme Indien«
zum Pälistudium und zur Erforschung der buddhistischen Litteratur
den Grund gelegt.
Mit der Erobei'ung des grofsen Gebietes der Vedalitteratur
und mit der Erschlielsung der Litteratur des Buddhismus hat
aber die Kindheitsgeschichte der indischen Philologie ihr Ende
erreicht. Sie ist zu einem grofsen Wissensgebiete erstarkt, auf
dem die Mitarbeiter sich von Jahr zu Jahr mehren. Nun er-
scheinen Schlag auf Schlag die kritischen Ausgaben der wichtig-
sten Texte, und Gelehrte aller Länder bemühen sich im edlen
Wetteifer =") um die Interpretation derselben. Was aber in den
letzten sechzig Jahren für die einzelnen Gebiete der indischen
Litteratur geleistet worden ist, wird zum grofsen Teil in den
einzelnen Kapiteln dieser Litteraturgeschichte zu erwähnen sein.
Hier seien nur noch die Hauptetappen auf dem W^ege der Indo-
logie, die allerwichtigsten Ereignisse in der Geschichte derselben
kurz gestreift
Da ist vor allem ein Schüler Aug. Wilh. von- Schlegels,
Christian Lassen, zu nennen, der in seiner grois angelegten
»Indischen Altertumskunde«, welche im Jahre 1843 zu erscheinen
begann und vier dicke Bände umfafste, von denen der letzte 1862
erschien, das gesamte Wissen seiner Zeit über Indien zusammen-
zufassen suchte. Dafs dieses Werk heute bereits veraltei ist,
') Eine zweite, verbesserte Ausgabe erschien 1890—1892.
») Schon 1823 hatte A. W. v, Schlegel sehr hübsch gesagt:
»Sollten die Engländer etwan auf ein Monopol mit der Indischen
Litteratur Anspruch machen? Das wäre zu spät. Der Zimmet und
die Gewürznelken mögen ihnen bleiben; diese geistigen Schätze sind
ein Gemeingut der gebildeten Welt.« (Ind. Bibl. .1, 15.)
- 21 -
ist nicht die Schuld seines Verfassers^ sondern nur ein glänzender
Beweis für die ungeheuren Fortschritte, welche unsere Wissenschaft
in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts gemacht hat.
Der mächtigste Hebel aber für diese Fortschritte imd
vielleicht das Hauptereignis in der Geschichte der Sanskrit-
forschung war das Erscheinen des von Otto Böhlüngk und
Rudolph Roth bearbeiteten »Sanskrit- Wörterbuchs , heraus-
gegeben von der Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg.
Der erste Teil desselben erschien im Jahre 1852, und im Jahre
1875 lag das Werk — ein glänzendes Denkmal deutschen
Fleifses — in sieben Foliobänden vollendet vor.
Und in demselben Jahre 1852, wo das grofse »Petersburger
Wörterbuch« zu erscheinen begann, machte Albrecht Weber
zum erstenmal den Versuch, eine vollständige Geschichte der
indischen Litteratur zu schreiben. Das Werk erschien unter dem
Titel .»Akademische Vorlesungen über indische Litteratur-
geschichte« — eine zweite Auflage erschien 1876 — , und es
bezeichnet nicht nur einen Markstein in der Geschichte der
Indologie, sondern es ist auch heute noch - ungeachtet seiner
stilistischen Mängel, die es für den Laien unverdaulich machen —
das zuverlässigste und vollständigste Handbuch der indischen
Litteratur, das wir besitzen.
Wenn man aber eme Vorstellung gewinnen will von den
geradezu erstaunlichen Fortschritten, welche die Erforschung der
indischen Litteratur in der v^erhältnismäfsig kurzen Zeit ihres
Bestandes gemacht hat, so lese man den im Jahre 1819 von
Aug. WMlh. von Schlegel geschriebenen Aufsatz »Ueber den
gegenwärtigen Zustand der Indischen Philologie« , in welchem
wenig mehr als ein Dutzend Sanskrit werke als durch Ausgaben
oder Übersetzungen bekannt aufgezählt werden. Man werfe dann
einen Blick in das im Jahre 1830 in St. Petersburg erschienene
Buch von Friedrich Adelung: »Versuch einer Literatur der
Sanskrit-Sprache-^*), in welchem bereits die Titel von über
350 Sanskritwerken angeführt werden. Maa vergleiche damit
Webers /; Indische Literaturgeschichte», welche im Jahre 1852
(nach einer ungefähren Schätzung) nahe an 500 Werke der
indischen Litteratur bespricht. Und dann sehe man sich den in
^) Es Jst dies mehr eine Bibliogrraphie als eine Litteratargeschichte.
— 22 —
den Jahren 1891, 1896 und 1903 von Theodor Aufrecht
herausgegebenen >;Catalogus Catalogorum« an, welcher
ein alphabetisches Verzeichnis aller Sanskritwerke und Autoren
auf Grund der Durchforschung sämtlicher vorhandener Hand-
schriftenverzeichnisse enthalt. In diesem monumentalen Werke,
an welchem Aufrecht über vierzig Jahre gearbeitet hat, sind die
Kataloge der Sanskrithandschriften von allen gröfseren Biblio-
theken in Indien und Europa verarbeitet, und die Zahl der vor-
handenen Sanskritwerke beläuft sich nach diesem ^Catalogus
Catalogorum« auf viele Tausende. Und dabei schliefst dieser
Katalog die ganze buddhistische Litteratur und alle nicht im
Sanskrit, sondern in anderen' indischen Sprachen abgefalsten
Litteraturwerke nicht ein.
Die Erforschung der buddhistischen Litteratur ist durch die
im Jahre 1882 von T. W. Rhys Davids begründete »Päli
Text Society« mächtig? gefördert worden. Und Albrecht
Weber hat mit seiner grofsen Abhandlung »Ueber die heiligen
Schriften der Jaina«'=) (1883 und 1885) noch einen neuen grofsen
Litteraturzweig , das Schrifttum der dem Buddhismus an Alter
nicht nachstehenden Sekte der Jainas, für die Wissenschaft
erschlossen.
So rehr ist aber die nach und nach bekannt gewordene
indische Litteratur angewachsen, dafs es heutzutage kaum mehr
möglich ist, dafs ein Gelehrter alle Gebiete derselben beherrscht,
und dafs sich schon vor einigen Jahren -die Notwendigkeit heraus-
gestellt hat, in einem zusammenfassenden Werk einen Gesamt-
überblick über alles zu geben, was in den einzelnen Zweigen der
Indologie bisher geleistet worden ist. Der Plan zu diesem Werke,
welches unter dem Titel »Grundrifs der indo-arischen
Philologie und Altertumskunde« seit dem Jahre 1897»)
erscheint, wurde von Georg Bühler, dem bedeutendsten und
vielseitigsten Sanskritforscher der letzten Jahrzehnte, entworfen.
Dreifsig Gelehrte aus Deutschland, Österreich, England, Holland,
Indien und Amerika haben sich unter Bühlers Leitung — und
nach dessen allzu frühem Tode unter der von Franz Kiel hörn —
zusammen getan , um die einzelnen Teile dieses Werkes zu be-
•) Indische Studien, Bd. 16 u. 17.
*) Bei Karl J. Trübner in Strafsburj
— 23 -
arbeiten. Das Erscheinen dieses »Grundrisses« ist zugleich das
jüngste und erfreulichste Hauptereignis in der Entwicklungs-
geschichte der Indologie. Wenn wir das Wissen über Indien
und dessen Litteratur, welches in den fünfzehn Heften dieses
»Grundrisses« , welche bis jetzt erschienen sind und noch nicht
einmal die Hälfte des Ganzen ausmachen, niedergelegt sind, etwa
mit dem vergleichen, was nvir wenige Jahrzehnte vorher Lassen
in seiner »Indischen Altertumskunde« über Indien zu sagen im-
stande war, so können wir mit berechtigtem Stolz auf die Fort-
schritte blicken, welche die Wissenschaft in einem verhältnismäfsig
kurzen Zeitraum gemacht hat.
Die Chronologie der indischen Litteratur.
So viel aber auch in bezug auf die Erschliefsung
der indischen Litteratur geleistet worden ist, so ist doch
die eigentliche Geschichte derselben noch vielfach dunkel
und unerforscht. Vor allem ist die Chronologie der
indischen Litteraturgeschichte in ein geradezu beängstigendes
Dunkel gehüllt, und es bleiben der Forschung hier noch die
meisten Rätsel zu lösen. Es wäre ja so schön, so bequem und
namentlich für ein Handbuch so erwünscht, wenn man die indische
Litteratur in drei oder vier grofse, durch bestimmte Jahreszahlen
abgegrenzte Perioden einteilen und die verschiedenen litterarischen
Erzeugnisse in der einen oder der anderen dieser Perioden unter-
bringen könnte. Aber jeder derartige Versuch müfste bei dem
gegenwärtigen Stande der Wissenschaft scheitern, und die An-
führung von hypothetischen Jahreszahlen wäre nur ein Blendwerk,
welches mehr schaden als nützen würde. Es ist viel besser, sich
über die Tatsache klar zu sein, dafs wir für den ältesten Zeit-
raum der indischen Litteraturgeschichte gar keine und für die
späteren Perioden nur wenig sichere Zeitangaben machen können.
Vor Jahren hat der berühmte amerikanische Sanskritforscher
W. D. Whitney den seither oft wiederholten Satz ausgesprochen :
»Alle in der indischen Litteraturgeschichte gegebenen Daten sind
gleichsam wieder zum Umwerfen aufgesetzte Kegel.« Und zum
grofsen Teil ist dies noch heute der Fall. Noch heute gehen
die Ansichten der bedeutendsten P'orscher in bezug auf das Alter
— 24 -
der wichtigsten indischen Litteraturwerke nicht etwa um jähre
und Jahrzehnte, sondern gleich um Jahrhunderte — wenn nicht
gar um ein bis zwei Jahrtausende — auseinander. Was sich mit
einiger Sicherheit feststellen läfst, ist meist nur eine Art relativer
Chronologie. Wir können oft sagen : dieses oder jenes Werk, diese
oder jene Litteraturgattung ist älter als irgendeine andere ; allein,
über das wirkliche Alter derselben lassen sich blofs Vermutungen
aufstellen. Das sicherste Unterscheidungsmerkmal für diese relative
Chrojioiogie iist immer noch die Sprache. Weniger zuverlässig
sind schon stilistische Eigentümlichkeiten; denn es ist in Indien
oft vorgekommen, dafs jüngere Werke den Stil einer älteren
Litteraturgattung nachgeahmt haben, um sich den Anschein von
Alter türalichkeit zu geben. Gar oft wird aber auch die relative
Chronologie dadurch zuschanden, dafs viele Werke der indischen
Litteratur — und gerade diejenigen, welche die volkstümlichsten
waren und darum auch für uns am wichtigsten sind — mannig-
fache Überarbeitungen erfahren haben und in verschiedenen
Umgestaltungen auf uns gekommen sind. Finden wir z. B. in
einem halbwegs datierbaren Werke das Rämäyana oder das
Mahäbhärata zitiert, so erhebt sich immer erst die Frjige, ob
sich dieses Zitat auf die Epen bezieht, wie sie uns vorliegen,
oder auf ältere Gestalten derselben. Noch gröfser wird aber die
Unsicherheit dadurch, dals uns für die grofse Mehrzahl von
Werken der älteren Litteratur die Namen der Verfasser so gut
wie unbekannt sind. Sie werden uns als die Werke von Familien,
von Schulen oder Mönchsgemeinden überliefert, oder aber es wird
ein sagenhafter Seher der Vorzeit als Verfasser genannt. Und
wenn wir endlich zu einer Zeit kommen, wo wir es mit Werken
ganz besitimmter individueller Schriftsteller zu tun haben, da
werden dieselben in der Regel nur mit ihren Familiennamen
angeführt, mit denen der Litterarhistoriker Indiens ebensowenig
anzufangen weifs wie etwa ein deutscher Litterarhistoriker mit
den Namen Meier, Schultze oder Müller, wenn dieselben ohne
Vornamen gegeben werden. Erscheint z. B. ein Werk unter
. dem Namen des Kälidäsa, oder wird der Name Kälidäsa irgendwo
erwähnt, so ist es noch keineswegs sicher, dafs der grofse
Dichter dieses Namens gemeint ist, — es kfinn ebensogut ein
anderer Kälidjisa sein.
In diesem Meer von Unsicherheit gibt es nur einige feste
— 25 -
Punkte, die ich hier am den Leser nicht allzusehr zu erschrecken,
anführen möchte.
Da ist vor allem das Zeugnis der Sprache, weiches beweist,
dafs die Lieder und Gesänge, Gebete und Zauberformeln des
Veda unstreitig das Älteste sind, was wir von indischer Litteratur
besitzeh. Sicher ist ferner, dafs um 500 vor Christo der Buddhis-
mus in Indien erstanden ist^), und dafs derselbe die ganze
vedische Litteratur ihren Hauptwerken nach als im wesentlichen
abgeschlossen voraussetzt , so dafs man behaupten kann : Die
vedische Litteratur ist, abgesehen von ihren letzten Ausläufern,
im grofsen und ganzen vorbuddhistisch, d. h. sie war vor
500 V, Chr. abgeschlossen. Auch ist die Chronologie der
buddhistischen und der jainistischen Litteratur glück-
licherweise nicht gar so unsicher wie die der brahmanischen.
Die Überlieferungen der Buddhisten und der Jainas in bezug auf
die Entstehung beziehungsweise Sammlung ihrer kanonischen
Werke haben sich als ziemlich zuverlässig erwiesen. Und In-
schriften auf den uns erhaltenen Ruinen von Tempeln und
Thopen dievSer religiösen Sekten geben uns dankenswerte Hin-
weise auf die Geschichte ihrer Litteratur.
Die sichersten Daten der indischen Geschichte sind aber jene,
welche wir nicht von den Indern selbst haben. So ist der Einfall
Alexanders des Grofsen in Indien im Jahre 326 v. Chr.
ein gesichertes Datum, welches auch für die indische Litteratur-
geschichte von Wichtigkeit ist, namentlich wenn es sich darum
handelt, zu entscheiden, ob in irgendeinem Litteraturwerk oder
einer Litteraturgattung griechischer Einflufs anzunehmen sei.
Von den Griechen wissen wir auch, dafs um 315 v. Chr. Can-
dragupta, der Sandrakottos der griechischen Schriftsteller, die
Empörung gegen die Präfekten Alexanders mit Erfolg leitete,
sich des Thrones bemächtigte und der Begründer der Maurya-
dynastie in Pätaliputra (dem Palibothra der Griechen, dem
heutigen Patna) wurde. Um dieselbe Zeit oder wenige Jahre
später war es, dafs der Grieche Megasthenes von Seleukos
als Gesandter an den Hof des Candragupta geschickt wurde.
Die uns erhaltenen Bruchstücke der von ihm verfafsten Be-
') Das Jahr 477 v. Chr. gilt mit ziemlicher Sicherheit als das
Todesjahr des Buddha.
— 26 —
Schreibung Indiens (ra 'Ivdind) geben uns ein Bild von dem
Stand der indischen Kultur zu jener Zeit und gestatten uns auch
Schlüsse auf die Datierung mancher indischer Litteraturwerke.
Ein Enkel des Candragupta ist der berühmte König A § o k a , der
um 259 (oder 269) v. Chr. gekrönt wurde, und von dem die
ältesten datierbaren indischen Inschriften herrühren, die bis jetzt
gefunden worden sind. Diese teils auf Felsen, teils auf Säulen ge-
schriebenen Inschriften sind zugleich die ältesten Zeugnisse indischer
Schrift, die wir besitzen. Sie zeigen uns diesen mächtigen König als
einen Gönner und Schützer des Buddhismus, der seine von dem
äufsersten Norden bis zum äufsersten Süden Indiens reichende
Herrschaft dazu benutzte, tiberall die Lehre des Buddha zu ver-
breiten, und der in seinen Felsen- imd Säulenedikten nicht, wie
es andere Herrscher getan haben, von seinen Siegen und Ruhmes-
taten erzählte, sondern das Volk zu tugendhaftem Wandel auf-
forderte, vor den Gefahren der Sünde warnte, Nächstenliebe und
Duldsamkeit predigte. Diese einzigartigen Edikte des Königs
Agoka sind selbst kostbare, in Stein gehauene Litteraturdenkmäler,
sie sind aber auch durch ihre Schrift und ihre Sprache sowie durch
ihre religionsgeschichtlichen Hinweise für die Litteraturgeschichte
von Wichtigkeit. Im Jahre 178 v. Chr. — l37 Jahre nach
Candraguptas Krönung — wurde der letzte Sprofs der Maurya-
dynastie von einem König Pusyamitra vom Throne gestürzt.
Die Erwähnung dieses Pusyamitra — z. B. in einem Drama des
Kälidäsa — ist ein wichtiger Anhaltspunkt für die Zeit-
bestimmung mancher Werke der indischen Litteratur. Das
gleiche gilt von dem gräko-baktrischen König Men ander, der
um 144 V. Chr. regierte. Er erscheint unter dem Namen Milinda
in dem berühmten buddhistischen Werk »Milindapanha«.
Nächst den Griechen sind es die Chinesen, denen wir
einige der wichtigsten Zeitbestimmungen für die indische Litteratur-
geschichte verdanken. Vom ersten Jahrhundert n. Chr. an-
gefangen hören wir von buddhistischen Missionären, welche nach
China gehen und buddhistische Werke ins Chinesische übersetzen,
von indischen Gesandtschaften in China •■ und von chinesischen
Pilgern, welche nach Indien wallfahrten, um die heiligen Stätten
des Buddhismus aufzusuchen. Werke der indischen Litteratur
werden ins Chinesische übersetzt, und die Chinesen geben uns
die genauen Daten, wann diese Übersetzungen gemacht wurden.
— 27 -
Drei chinesische Pilger sind es namentlich — Fa-hian, der im
Jahre 399 nach Indien ging, Hiuen-Tsiang, der von 630 — 645
grofse Reisen in Indien machte, und I-tsing, der sich von
671-695 in Indien aufhielt — , deren Reiseberichte uns erhalten
sind und manche lehrreiche Aufschlüsse über indische Altertümer
und Litteraturwerke geben. Die chronologischen Angaben der
Chinesen sind im Gegensatz zu denen der Inder merkwürdig-
genau und zuverlässig. Von den Indern gilt nur zu sehr, was
schon der arabische Reisende Alberuni, der im Jahre 1030
ein für uns ebenfalls sehr wichtiges Werk über Indien schrieb, von
ihnen gesagt hat: »Die Inder schenken leider der historischen
Folge der Dinge nicht viel Aufmerksamkeit ; sie sind sehr nach-
lässig in der Aufzählung der chronologischen Reihenfolge ihrer
Könige, und wenn man sie zu einer Aufklärung drängt und sie
nicht wissen, was sie sagen sollen, so sind sie gleich bereit,
Märchen zu erzählen. ^
Dennoch darf man nicht glauben, dafs den Indern, wie so
oft behauptet worden ist, der historische Sinn ganz und gar
mangelt. Es hat auch in Indien , wie wir sehen werden , eine
Geschichtschreibung gegeben ; und jedenfalls finden wir in Indien
zahlreiche genau datierte Inschriften, — was doch kaum der Fall
wäre, wenn die Inder gar keinen Sinn für Geschichte gehabt
hätten. Richtig ist nur, dafs die Inder bei ihrer Geschicht-
schreibung Dichtung und Wahrheit nie streng auseinanderzu-
halten wufsten, dafs ihnen die Dinge selbst stets wichtiger
waren als die chronologische Folge derselben, und dafs sie
namentlich in litterarischen Dingen auf das Früher oder Später
gar kein Gewicht legten. Was immer dem Inder gut, wahr und
richtig scheint, das rückt er in ein möglichst hohes Alter hinauf ;
und wenn er irgendeiner Lehre eine besondere Weihe geben
will, oder wenn er wünscht, dafs sein Werk möglichst verbreitet
werde und zu Ansehen gelange, so hüllt er seinen Namen in ein
bescheidenes Inkognito und gibt irgendeinen uralten Weisen als
Verfasser des Werkes an. Das geschieht noch heutigen Tages,
und das war schon in verflossenen Jahrhunderten nicht anders.
Daher kommt es auch, dafs so viele ganz moderne Werke unter
den ciltehrwürdigen Namen von »Upanisads« oder »Puränas«
gehen, — neuer, saurer Wein in alte Schläuche gegossen. Die
Absicht eines Betruges ist aber dabei in der Regel ausgeschlossen.
— 28 -
Es herrscht nur die äufserste Gleichgültigkeit in bczug auf
litterarisches Eigentumsrecht und die Geltendmachung desselben.
Erst in den späteren Jahrhunderten kommt es vor, dafs Autoren
ihren Namen mit greiser Umständlichkeit unter Anführung ihrer
Eltern, Grofseltern, Lehrer und Patrone angeben und einige
dürftige biographische Angaben über sich selbst macheni Die
Verfasser astronomischer Werke pflegen dann wohl auch das
genaue Datum des Tages, an welchem sie ihr Werk vollendet,
anzugeben. Vom fünften Jahrhundert n. Chr. an geben uns
endlich über die Zeit mancher Schriftsteller auch schon die In-
schriften Aufschlufs. Und die Inschriften, mit deren Ent-
zifferung in den letzten zwanzig Jahren grofse Fortschritte ge-
macht worden sind') — ein »Corpus Inscriptionum Indicarum« und
die Zeitschrift «Epigraphia Indica« legen davon Zeugnis ab — ,
sind es, denen wir nicht nur bisher die sichersten Daten der
indischen Litte rat Urgeschichte verdanken, sondern von denen auch
noch die meisten Aufschlüsse über die bis jetzt ungelösten
chronologischen Rätsel derselben zu erhoffen sind.
Die Schrift und die Überlieferung der indischen Utieratur.
Die Inschriften sind auch deshalb für uns von so grol'ser
Bedeutung, weil sie uns über die für die Litteraturgescbichte
immerhin nicht unwichtige Frage nach dem Alter der Schrift in
Indien Aufschlufs geben. Die Geschichte der indischen Litteratur
beginnt zwar, wie wir gleich sehen w^erden, keineswegs mit ge-
schriebener Litteratur, und in die ältesten Perioden der indischen
Litteraturgeschichte gehören nicht eigentliche Schriftwerke,
sondern nur mündlich überlieferte Texte. Dennoch ist es klar, dafs
die Frage, seit wann litterarische Erzeugnisse niedergeschrieben
und schriftlich überliefert wurden, für die Geschichte der Litteratur
durchaus nicht gleichgültig sein kann. Die ältesten datierbaren
indischen Inschriften nun, die man bisher aufgefunden hat, sind
die bereits erwähnten Edikte des Königs Agoka aus dem dritten
vorchristlichen Jahrhundert. Es wäre aber ganz falsch, wenn man
daraus — wie dies noch ?vlax Müller getan hat — den Schlufs ziehen
') Um die Inschriftenforschung haben sich G. Bühler, F. Kielhora,
E. Hultzsch und J. F. Fleet die grölsteji Verdienste erworben.
— 29 —
. wollte, dals der Gebrauch der Schrift in Indien nicht in ein höheres
Alter zurückreiche. Paläographische Tatsachen beweisen unwider-
leglich, dafs zur Zeit des A§oka die Schrift unmöglich erst eine neue
Erfindung gewesen sein kann, sondern bereits eine lange Geschichte
/linter sich gehabt haben mufs. Die älteste indische Schrift, von
welcher die in Europa .am besten bekannte Nägarf-Schrift und alle
die zahlreichen in indischen. Handschriften verwendeten Alphabete
abzuleiten sind, wird »Brahma-Schrift« genannt, weil sie nach
indischer Sage von dem Schöpfer, Gott Brahman selbst, erfunden
worden sein soll. Nach G. Btihlers eingehenden Untersuchungen^)
geht diese Schrift atif eine semitische Quelle zurück, und zwar
auf die ältesten nordsemitischen Schriftzeichen, wie sie sich in
phönizischen Inschriften und auf dem vSteine Mesas um 890 v. Chr.
finden. Wahrscheinlich waren es Kaufleute, welche — vielleicht
schon um 800 v. Chr. — die Schrift in Indien ieingeführt haben.
Lange Zeit wird . sie aber ausschliefslich für kaufmännische
Zwecke, Urkunden, Korrespondenzen, Rechnungen u. dgl., ver-
wendet v/orden sein. Als man dann anfing, sich in den könig-
lichen 'Kanzleien der Schrift auch zur Aufzeichnung von Bot-
schaften, Erlassen, Urkunden u. dergi. zu bedienen, da müssen
die Könige auch gelehrte Grammatiker, Brahmanen, herangezogen
haben, welche das fremde Alphabet mehr und mehr den Bedürf-
nissen der indischen Phonetik anpafsten und aus den 22 semitischen
Schriftzeichen ein vollständiges Alphabet von 44 Buchstaben aus-
arbeiteten, wie es unfe bereits die ältesten Inschriften zeigen. Seit
wann aber die Schrift in Indien auch zur Aufzeichnung von
litterarischen Erzeugnissen verwendet worden ist, das ist eine
vielumstrittene Frage, die sich schwer beantworten läfst.
Denn sichere Nachweise der Existenz von Handschriften
oder auch nur verbürgte Nachrichten über das Niederschreiben
von Texten gibt es aus alter Zeit nicht. In der ganzen vedischen
Litteratur hat man bis jetzt kein Zeugnis für die Kenntnis der
Schrift nachweisen können. .In dem buddhistischen Kanon, welcher
wahrscheinlich um 400 v. Chr. abgeschlossen war, findet sich
noch keine Erwähnung von Frir.dschriften, trotzdem in demselben
sich zahlreiche Beweise von der Bekanntschaft mit der Kunst
') Tndische Palaeogräphie' im »Grundriss'' I, 2 und 'On tlie
Origin of the bidian Brahma Alphabet» 2nd Ed. Stralsburg 1898.
— 30 —
des Schreibens und von dem ausgedehnten Gebrauche der Schrift zu
jener Zeit finden. Es wird dort von dem Schreiben als einem aus-
gezeichneten Wissenszweig gesprochen; den buddhistischen Nonnen
wird ausdrückhch gestattet, sich mit der Schreibekunst zu be-
schäftigen ; wir hören von Mönchen, die durch .schriftliche Anpreisung
des rehgiösen Selbstmords den Tod anderer veranlassen; es heifst,
dafs ein »eingeschriebener« Dieb (d. h. ein Dieb, dessen Name im
Palast des Königs aufgeschrieben ist) nicht als Mönch in den Orden
aufgenommen werden darf; ein Buchstabenspiel') kommt vor; und
es ist davon die Rede, dafs Eltern ihre Kinder im Schreiben und
Rechnen unterrichten lassen. Dennoch findet sich in den heiligen
Büchern des Buddhismus nicht die geringste Andeutung davon,
dafs man die Bücher selbst abgeschrieben oder gelesen hätte.
Es ist dies um so auffälliger, als wir in den heiligen Texten des
Buddhismus alle möglichen, noch so unbedeutend scheinenden
Züge aus dem Leben der Mönche erfahren. »Vom Morgen bis
zum Abend können wir die Mönche in ihrem täglichen Leben
verfolgen, auf ihren Wanderungen und während der Rast,, im
Alleinsein und im Verkehr mit andern Mönchen oder mit Laien ;
wir kennen die Ausstattung der von ihnen bewohnten Räume,
ihre Gerätschaften, den Inhalt ihrer Vorratskammern; aber
nirgends hören wir. dafs sie ihre heiligen Texte lasen oder ab-
schrieben, nirgends, dafs man in den Mörichshäusern solche Dinge
wie Schreibutensilien oder Manuskripte besafs. Das Gedächtnis
der »an Hören reichen« geistlichen Brüder — was wir heute
belesen nennen, hiefs damals reich an Hören — vertrat die Stelle
von Klosterbibliotheken; und drohte unter einer Gemeinde die
Kenntnis eines unentbehrlichen Textes — z. B. des Beicht-
formulars, das an jedem Vollmond oder Neumond in den Ver-
sammlungen der Brüder vorgetragen werden mufste — ab-
zureifsen, so verfuhr man, wie es in einer alten buddhistischen
Gemeindeordnung vorgeschrieben wird: >Von jenen Mönchen
soll unverzüglich ein Mönch nach der benachbarten Gemeinde
abgesandt werden. Zu dem soll man sprechen: Geh, Bruder,
und wenn du die Beichtordnung auswendig gelernt hast, die volle
oder die verkürzte, so kehre zu uns zurück '< ^). Und wo immer
') Dies besteht in dem Erraten von Buchstaben, die mau in der
Luft oder auf dem Rücken eines Spielkameraden zeichnet.
') H. Oldenberg, Aus Indien und Iran. Berlin 1899. S. 22 f.
— 31 —
von der Erhaltung der Lehren des Meisters und dem Bestände
der heiHgen Texte die Rede ist, wird immer nur vom Hören und
Auswendiglernen, nirgends vom Schreiben und Lesen gesprochen.
Man möchte aus solchen Tatsachen schlielsen, dals man
damals — also im fünften Jahrhundert v. Chr. — auf die Idee,
dafs man auch Bücher schreiben könne, noch gar nicht ver-
fallen war. Doch wäre ein solcher Schlufs voreilig. Denn es
ist eine merkwürdige Erscheinung, dafs in Indien von den ältesten
Zeiten bis auf den heutigen Tag für die ganze litterarische und
wissenschaftliche Tätigkeit das gesprochene Wort und nicht die
Schritt mafsgebend war. Noch heute, wo die Inder seit Jahr-
hunderten die Kunst des Schreibens kennen , wo es unzählige
Manuskripte gibt und diesen Manuskripten sogar eine gewisse
Heiligkeit und Verehrung zukommt, wo die wichtigsten Texte
auch in Indien in billigen L)rucken zugänglich sind, — noch heute
gründet sich der ganze litterarische und wissenschaftliche Ver-
kehr in Indien auf das mündliche Wort, Nicht aus Manuskripten
oder Büchern lernt man die Texte, sondern nur aus dem Munde
des Lehrers — heute w^ie vor Jahrtausenden. Der geschriebene
Text kann höchstens als Hilfsmittel beim Lernen, als eine Ge-
dächtnisstütze benutzt werden, aber es kornnst ihm keine Autorität
zu. Autorität besitzt nur das gesprochene Wort des Lehrers.
Und wf.nn heute alle Handschriften und Drucke verloren gingen,
so würde damit die indische Litteratur noch keineswegs vom
Erdböden verschwinden, sondern ein grofser Teil derselben könnte
aus dem Gedächtnis der Gelehrten und Rezitatoren wieder zu-
tage gefördert werden. Denn auch die Werke der Dichter sind
in Indien nie für Leser, sondern immer nur für Hörer bestimmt
gewesen. Und selbst moderne Dichter wünschen nicht gelesen
zu werden, sondern ihr Wunsch ist, dafs ihre Dichtungen »ein
Schmuck für die Kehlen der Kenner <■'■ werden mögen')-
Es ist daher der Umstand , dafs in den älteren Litteratur-
vverken nirgends von Handschriften die Rede ist, für das Nicht-
vorhandensein derselben nicht absolut beweisend. Sie sind viel-
leicht nur deshalb nicht erwähnt, weil das Schreiben und Lesen
derselben keine Rolle spielte, da alles Lehren und Lernen münd-
hch vor sich ging. Deshalb wäre es immerhin möglich, dafs
') G. Bühler, Indische Palaeographie (»Grundriss« I, 2). S. 3 f.
— 32 -
schon in sehr alter Zeit auch Bücher abgeschrieben und wie jetzt
als Hilfsmittel beim Unterricht verwendet wurden. Das ist die
Ansicht mancher Forscher. Doch scheint es mir bemerkenswert,
dafs in der späteren Litteratur — in jüngeren Puränas, in
buddhistischen Mahäyänatexten und in modernen Zusätzen zum
alten Epos — häufig das Abschreiben von Büchern und das
Verschenken derselben als religiöses V^erdienst gepriesen wird,
während in der ganzen älteren Litteratur davon keine Spur zu
finden ist. Bezeichnend ist es auch, dafs die alten Werke über
Phonetik und Grammatik, selbst noch das Mahäbhäs5^a des
Patanjali im zweiten Jahrhundert v. Chr., keinerlei Rücksicht
auf die Schrift nehmen, dafs sie immer nur von gesprochenen
Lauten und nie von geschriebenen Buchstaben handeln, und dafs
die ganze grammatische Terminologie stets nur das gesprochene
Wort und nie geschriebene Texte im Auge hat. Es ist nach all
dem doch wahrscheinlich, dafs es in alter Zeit keine ge-
schriebenen Bücher in Indien gegeben hat.
Für diese merkwürdige Erscheinung, dafs man die Schrift
jahrhundertelang kannte, ohne sich derselben für litterarische
Zwecke zu bedienen, lassen sich verschiedene Gründe denken.
Zunächst hat es wohl an geeignetem Schreibmaterial gefehlt.
Das hätte sich aber gefunden, wenn ein starkes Bedürfnis danach
vorhanden gewiesen wäre. Ein solches Bedürfnis war aber nicht
nur nicht vorhanden, sondern es lag im Interesse der Priester,
welche die Träger der ältesten Litteratur waren, dafs die heiligen
Texte, welche sie in ihren Schulen lehrten, nicht aufgezeichnet
wurden. Sie behielten dadurch ein sehr einträgliches Monopol
fest in Ihren Händen. Wer etwas lernen wollte, mufste zu ihnen
kommen und sie reichlich belohnen ; und sie hatten es in der
Hand, jenen Kreisen, die sie vom heiligen Wissen ausschliefsen
wollten, ihre Texte vorzuenthalten. Wie wichtig ihnen das
letztere war, das lehren uns die brahmanischen Gesetzbücher,
die wiederholt das Gesetz einschärfen, dafs die Angehörigen der
niedrigsten Kasten (die Siidras und Candälas) die heiligen Texte
nicht lernen dürfen: denn unrein wie ein Leichnam, wie eine
Leichenstätte sei der Südra, darum dürfe in seiner Nähe der
Veda nicht rezitiert werden. Und in dem alten Gesetzbuch des
Gautama heifst es'): »Wenn ein Sndra den Veda anhört, sollen
') XII, 4-6.
— 33 —
ihm- die Ohren mit geschmolzenem Zinn Öder Lack verstopft,
wenn er die heiligen Texte aufsagt, soll ihm die Zunge aus-
geschnitten, wenn er sie irn Gedächtnis behält, soll sein Körper
entzweigehauen werden.« Wie hätten sie da ihre Texte nieder-
schreiben und sich so der Gefahr aussetzen sollen, dafs sie von
Unberufenen gelesen würden ? Und überhaupt war ja die Über-
lieferung der Texte durch den Mund des Lehrers eine alt-
bewährte Methode für die Erhaltung derselben, — wamm sollte
man diese neumodische Erfindung, die Schrift, an ihre Stelle
setzen ? Und der Hauptgrund davon '), dafs die Schrift so lange
nicht für litterarische Zwecke verwendet wurde, ist doch wohl
darin zu sehen, dafs die Inder mit der Schreibekunst erst zu einer
Zeit bekannt wurden, als sie schon längst eine reiche, nur auf
mündlichem Wege fortgepflanzte Litteratur besafsen.
Sicher ist, dafs die ganze älteste Litteratur der Inder, so-
wohl die brahmanische als die buddhistische, ohne die Schreibe-
kunst entstanden und jahrhundertelang ohne dieselbe fort-
überliefert worden ist. Wer einen Text kennen lernen wollte,
der mufste zu einem Lehrer gehen , um ihn von ihm zu hören.
Darum lesen wir oft und oft in der älteren Litteratur, dafs ein
Krieger oder Brahmane, der irgendein Wissen erwerben will,
zu einem berühmten Lehrer wandert und unsägliche Mühen und
Opfer auf sich nimmt, um der Lehre teilhaftig zu werden, die
auf keine andere Weise zu erwerben ist. Darum gebührt dem
Lehrer als dem Träger und Bewahrer des heiligen Wissens nach
altindischem Recht die höchste V^erehrung — er wird als der
geistige Vater dem leiblichen Erzeuger bald gleich-, bald über-
gestellt, er gilt als ein Abbild des Gottes Brahman, und wer
dem Lehrer treu ergeben dient, dem ist Brahmans Himmel sicher.
Darum ist auch die Einführung des Schülers beim Lehrer, der
ihn die heiligen Texte lehren soll, eine der heiligsten Zeremonien,
der sich kein arischer Inder entziehen durfte, wenn er nicht der
Kaste verlustig gehen wollte. Ein Buch existierte nur dann und
nur so lange, als es Lehrer und Schüler gab, die dasselbe lehrten
und lernten. Was wir verschiedene Litteraturzweige, verschiedene
theologische und philosophische Systeme, verschiedene Redaktionen
') Vgl. besonders T. W- Khys Davids, Buddhist India. London
1903. S 112 f.
Wjnternitz, Geschichte der indischen Litteratur. 3
- 34 —
oder Rezensionen eines Werkes nennen, das waren im alten
Indien in "Wirklichkeit verschiedene Schulen, in denen be-
stimmte Texte von Geschlecht zu Geschlecht fortgelchrt, gehört
und gelernt wurden. Nur wenn wir dies im Auge behalten,
können wir die ganze Entwicklung der ältesten indischen Littera-
tur verstehen.
Auch das mufs stets berücksichtigt werden, dals die Art der
Überlieferung bei den religiösen Texten eine andere war als bei
den profanen. Die religiösen Texte galten als heilig, und die
Genauigkeit des Lernens war bei denselben ein strenges Er-
fordernis der Religion. Wort für Wort, mit sorgfältiger Ver-
meidung jedes Fehlers in der Aussprache, m der Betonung, in
der Rezitationsweise mufste der Schüler sie dem Lehrer nach-
sagen und seinem Gedächtnis einprägen. Und es kann kein
Zweifei sein, dafs diese Art der mündlichen Überlieferung eine
gröfsere Gewähr für die I^ihaltung des ursprünglichen Textes
gibt als das Abschreiben und Wiederabschreiben von Hand-
schriften. Ja, wir haben — wie wir später sehen werden —
direkte Beweise, dafs z. R. der Text der Lieder des Rigveda,
so, v^ie wir ihn heute in unseren gedruckten Ausgaben lesen,
Wort für Wort, Silbe für Silbe, Akzent für Akzent seit dem
fünften Jahrhundert v. Chr. fast unverändert geblieben ist.
Anders war es freilich bei öcn profanen Werken, namentlich bei
den epischen (Jedichten. Da waren die Texte allerdings zahl-
reichen Entstellungen ausgesetzt, da hielt sich jeder Lehrer, jeder
Rezitator für berechtigt, nach Belieben zu ändern und zu ver-
bessern, auszulassen und hinzuzufügen, — unü die Kritik steht
hier vor einer .schwierigen, oft unlösbaren Aufgabe, wenn sie
.solche Texte in ihrer ältesten unc\ tirspri.;n:i:;lichsten Fi rm her-
stellen will.
Und doch ist die mündliche Überlieferung, wo es noch
möglich ist, auf sie zurückzugreifen — und dies ist bei den
ältesten Vedatexten mit Hilfe der alten phonetischen Lehrbücher
(Prätif^akhya.s) und .sonst oft mit }Iilfe dtr Kommentare der
1^'all — , das wertvollste Hilfsmittel zur Herstellung un.serer Texte.
Denn die Handschriften , aus denen wir die meisten unserer
Texte gewinnen, reichen nur sehr selten in ein hohes Alter
hinauf. Das älteste Schreibmaterial, auf dem die Inder ge-
schrieben haben, .sind Palmblätter, — und es ist bezeichnend für
— 35 -
den konservativen Sinn der Inder, dafs iioch heute, trotz der
Bekanntschaft mit dem so viel bequemeren i^apier und trotz dem
allgemeinen Gebrauche des Druckes, Manuski ipte auf Palmblättern
geschrieben werden — und Streifen von Birkenrinde. Beide
Materialien sind sehr gebrechlich und bei dem indischen Klima
rasch vergänglich. So kommt es, dafs die grofse Mehrzahl der
Manuskripte, die wir besitzen, und nach denen so ziemlich alle
unsere Textausgaben, gemacht sind, nur aus den letzten Jahr-
hunderten stammt. Handschriften aus dem vierzehnten Jahrhundort
gehören bereits zu den gröfsteii Seltenheiten. Bühler hat in Indien
einige Manuskripte entdeckt, die bis zum zwölften Jahrhundert
zurückreichen. Die ältesten indischen J-Iandschriften hat man
aber in Nepal, Japan und Ostturkestan gefunden. Die in Nepal
gefundenen Manuskripte gehen bis ins zehnte Jahrhundert zurück,
und in Japan hat man Handschriften auf Palmblättern entdeckt,
die aus der ersten Hälfte des sechsten Jahrhunderts stammen.
Seit dem Jahre 1889 hat man in Kashgar und Umgegend
Handschriftenfunde gemacht, die uns bis ins fünfte Jahrhundert
zurückführen; und M. A. Stein hat im Jahre 1900 in der Nähe
von Khotan in der Taklamakän-Wüste über 500 beschriebene
Holztäfelchcn aus dem Wüstensand herausgegraben, welche
bis ins vierte Jahrhundert zurückreichen und vielleicht noch
älter sind. Merkwürdigerweise aber hat sich gerade in diesen
ältesten Manuskripten bis jetzt wenigstens kein einziger wichtiger
alter Text gefunden, der nicht sonst schon bekannt wäre; und
diese paläographisch so kostbaren Funde haben unsere Kenntnis
der indischen IJtteratur bisher nicht erweitert.
Holz als Schreibmaterial wird übrigens schon in den
buddhistischen Schriften erwähnt, und es mufs die Verwendung
desselben sehr alt sein. Doch läfst sich auch der Gebrauch von
Palmblättern bis ins erste Jahrhundert n. Chr. zurückverfolgen.
Selten wurden in Indien Baumwollenzeug, Leder, Metalle und
Steine als Schreibmaterialien verwendet. Die Buddhisten ge-
denken hie und da der Aufzeichnung von Dokumenten, aber
aach von Versen und Sentenzen auf goldenen Platten. Eine
Goldplatte mit einer Votivinschrift ist uns auch erhalten. Ur-
kunden und selbst kleinere Manuskripte auf silbernen Platten sind
mehrfach in Indien gefunden worden. Ungemein häufig aber
wurden Kupferplatten zifr Aufzeichnung von Dokumenten, ins-
— 36 —
besondere Schenkungsurkunden, verwendet, und solche sind uns
in grofser Anzahl erhalten. Und der chinesische Pilger Hiuen-
Tsiang berichtet, dafs der 78 n. Chr. gekrönte König Kaniska
die heiligen Schriften der Buddhisten auf Kupfertafeln ein-
gravieren liefs. Ob dies auf Wahrheit beruht, wissen wir nicht;
glaublich aber ist es gewifs. Denn man hat in der Tat auch
schon litterarische Werke auf Kupfertafeln gefunden. Kaum
glaublich würde es sein, dafs man in Indien htterarische Werke
auch in Felsen eingehauen hat , wenn nicht vor, einigen Jahren
in Ajmir Felst^ninschriften gefanden worden wären, welche ganze
dramatische Dithtungen — allerdings die Dramen eines Königs
und seines Hofdichters — enthalten.
Die grofse Mehrzahl der indischen Handschriften jedoch, auf
denen unsere Texte beruhen, ist auf Papier geschrieben. Papier
ist aber erst durch die Mohammedaner in Indien eingeführt
worden, und die älteste Papierhandschrift soll 1223/4 n. Chr.
geschrieben sein.
Trotz der oben erwähnten Vorliebe der Inder für mündliches
Lehren und Lernen begannen sie doch schon vor vielen Jahr-
hunderten, Handschriften zu sammeln und in Bibliotheken auf-
zubewahren. Solche Bibliotheken — »Schatzhäuser der (röttin
der Rede« nennen sie die Inder — gab es imd gibt es vielfach
noch jetzt in Klöstern und l'empein, in den Palästen der Fürsten
und selbst in den Privathäusern der Reichen. Von dem Dichter
Bäna (um 620 n. Chr.) wird uns berichtet, dafs er sich einen
eigenen Vorleser hielt; er mufs also wohl eine bedeutende
Frivatbibliothek besessen haben. Im elften Jahrhundert hatte >
König Bhoja von Dhär eine berühmte Bibliothek. Im Laufe der
Jahrhunderte wurden diese Bibliotheken ungemein reichhaltig.
So fand Bühler in Khambay in zwei Jaina-Bibliotheken über
30000 Handschriften, und die Pala'stbibliothek von Tanjore in
Südindien enthält über 12000 Manuskripte. Die systematische
Durchforschung dieser indischen Bibliotheken und die giündliche,
über ganz Indien sich erstreckende HandvSchriftensucne begannen
im Jahre 1868. Wohl hatten schon früher Colebrooke und
andere Engländer ziemlich grofse Sammlungen von Manuskripten
nach Europa gebracht. Aber im Jahre 1868 regte der verdiente
Keltist Whitley Stokes, damals Sekretär des indischfen Rats
in Simla , eine vollständige Katalogisierung aller Sanskrit-Hand-
— 37 —
Schriften an, und seitdem hat die indische Regierung jährlich eine
grofse Summe (24000 Rupien) zum Zweck handschriftlicher
Forschungen (»Search of Sanskrit Manuscripts«) in das indische
Jahresbudget eingestellt. So ist es durch die Opferwilligkeit der
anglo-indischen Regierung und durch den unermüdlichen Fleifs
englischer, deutscher und indischer Gelehrter dahin gekommen,
dafs wir jetzt so ziemlich eine Übersicht über die ganze un-
geheure Masse der • indischen Litteratur, soweit sie in Hand-
schriften zugänglich ist, besitzen.
Die indischen Sprachen in ihrem Verhältnis zur
Litteratur.
Diese ganze grofse Litteratur, die uns so überliefert ist, ist
gröfstenteils im Sanskrit abgefalst. Dennoch decken sich die
Begriffe »indische Litteratur« und »Sanskritlitteratur« keineswegs.
Die Geschichte der indischen Litteratur im umfassendsten Sinne
des Wortes ist die Geschichte nicht nur einer über grofse Zeit-
läufte und über einen ungeheuren Flächenraum sich erstreckenden,
sondern auch einer vielsprachigen Litteratur.
Die zur indogermanischen Sprachenfamilie gehörigen
Sprachen Indiens haben drei grofse, zum Teil zeitlich aufeinander-
folgende, aber zum Teil auch parallel nebeneinander herlaufende
Entwicklungsphasen durchgemacht. Es sind dies; L das Alt-
indische, II. die mittelindischen und III. die neu-
indischen Sprachen und Dialekte.
I. Das Altindische.
Die Sprache der ältesten indischen Litteraturdenkmäler, der
Lieder, Gebete und Zauberformeln des Veda, bezeichnet man
zuweilen als »Altindisch« im engeren Sinne, zuweilen
auch als »Vedisch« (unpassend wohl auch als .>vedisches
Sanskrit«). »Althochindisch«: ') wäre vielleicht die beste
Bezeichnung für diese Sprache, welche zwar auf einem ge-
sprochenen Dialekt beruht, aber doch schon nicht mehr eine
•) >Ancient High Indian« nenut sie Rhys Davids, Buddhist ludia.
S. 153.
— 38 —
eigentliche Volkssprache , sondern eine im Kieise priesteriicher
Sänger von Geschlecht zu Geschlecht vererbte und absichtlich in
ihrer Altertümlichkeit erhaltene Litteratursprache ist. Der diesem
Althochindischen zugrundeliegende Dialekt, wie er von den
arischen Einwanderern im nordwestlichen Indien gesprochen
wurde, war dem Altpersischen und Altbaktrischen sehr nahe
verwandt und von der indo-iranischen Grundsprache ') nicht allzu
weit entfernt. Ja, der Abstand zwischen der Sprache des Veda
und dieser indo-iranischen Grundsprache scheint geringer zu sein,
als etwa der zwischen den indischen Sprachen Sanskrit und Päli.
Vom Sanskrit unterscheidet sich das Vedische fast gar nicht in
seinem Lautbestand, sondern nur durch eine viel gröfsere Alter-
tümlichkeit, insbesondere durch einen reicheren Formenschatz. So
besitzt z. B. das Althochindische einen Konjunktiv, der dem
Sanskrit fehlt ; es hat ein Dutzend verschiedener Infinitivendungen,
von denen im Sanskrit eine einzige übriggeblieben ist. Die in
der vedischen Sprache sehr zahlreich vertretenen Aoriste ver-
schwinden im Sanskrit mehr und mehr. Auch die Kasus- und
Personalendungen sind in der ältesten Sprache noch viel voll-
kommener als im späteren Sanskrit.
Eine jüngere Phase des Althochindischen erscheint bereits
in den H3^mnen des X. Buches des Rigveda und in manchen
Teilen des Atharvaveda und der Sammlungen des Vajurveda.
Hingegen hat die Sprache der vedischen Prosawerke, der Bräh-
manas, Äranyakas und Upanisads, nur noch einzelne Altertüm-
lichkeiten des Althochindischen bew^ahrt; im grofsen und ganzen
ist die Sprache dieser Werke bereits das, was man »Sanskrit«
nennt, während die Sprache der zu den Vedangas gehörigen
Sntras nur noch ganz ausnahmsweise vedische Formen darbietet,
im wesenthchen aber reines Sanskrit ist. Nur die zahlreichen,
den alten vedischen Hymnen entnommenen Mantras, d. h.
Verse, Gebete. Sprüche und Zauberformeln, die wir in den
vedischen Prosawerken und den Sütras zitiert linden, gehören
der Sprache nach zum Althochindischen.
Das Sanskrit dieser ältesten Prosalitteratur — der Brähmanas,
'; Das ist die aus der Vergleichimg der Sprache des Veda mit
dein Altpersischen der Keilinschriften und dem Altbaktrischen des
Avesta zu erschlief sende Grundsprache.
— 39 -
Aranyakas, Upanisads und der Sütras — ist wenig verschieden
von dem Sanskrit, welches in der berühmten Grammatik des
P ä n i n i (der nach der Ansicht der meisten Forscher ungefähr um
350 V. Chr. anzusetzen wäre) gelehrt wird. Man kann es
vielleicht am besten als »altes Sanskrit« bezeichnen. Es ist die
Sprache, welche zu Päninis Zeit ujid gewifs auch schon früher von
den Gebildeten, nam.entlich in den Kreisen der Priester und Ge-
lehrten, gesprochen .wurde. Es ist das Sanskrit, von welchem
noch Patanjali, ein Grammatiker des zweiten vorchristlichen
Jahrhunderts , sagt , dafs man es , um es richtig zu lernen . von
den »Sistas«, d. h. von den gelehrten und in der Litteratur be-
wanderten Brahmanen, hören müsse. Dafs sich aber der Kreis
der Sanskritsprechenden viel weiter — auf alle .Gebildeten« über-
haupt — erstreckte, erfahren wir von demselben Patanjali, der
uns eine Anekdote erzählt, in welcher ein Grammatiker sich mit
einem Wagenlenker im Sanskrit unterhält und die beiden über
Et3'^mologien disputieren. Und wenn in den indischen Dramen
die Sprachen so verteilt sind, dals der König, die Brahmanen
imd vornehme Leute Sanskrit sprechen, während die Frauen und
alle Leute aus dem Volk sich der Volkssprachen bedienen, nur
mit der beachtenswerten Ausnahme, dafs einige gebildete Frauen
(Nonnen und Hetären) gelegentlich auch Sanskrit sprechen, un-
gebildete Brahmanen hingegen Volksdialekte redend eingeführt
werden, so spiegelt sich darin gewifs der Gebrauch der Sprachen
im wirklichen Leben — und nicht nur der nachchristlichen Zeit,
aus welcher diese Dramen stammen, sondern auch schon früherer
Jahrhunderte — wider. Eine eigentliche Volkssprache war das
Sanskrit gewifs nicht, aber es war eine in weiten Kreisen der
Gebildeten gesprochene und in noch weiteren Kreisen verstan-
dene Hochsprache. Denn so wie im Drama Dialoge zwischen
Sanskritsprechenden und Präkritsprechenden vorkommen, so muss
auch im wirklichen Leben das Sanskrit von jenen , die es selbst
nicht sprachen, verstanden worden sein'). Auch die Rhapsoden,
') Die sprachlichen Verhältnisse im alten Indien , von denen uns
die Dramen eine so gute Vorstellung geben, haben sich bis heute wenig
veränd» rl. Noch heute kommt es vor. dafs in einem vornehmen Hause
mit zahlreicher Dienerschaft, die aus verschiedenen Gegenden zu-
sammengewürfelt ist, ein Dutzend verschiedener Sprachen und Dialekte
gesprochen und allgemein verstanden wird. G. A- Grierson
- 40 — •
welche die volkstümlichen Epen in den Palästen der Könige und
in den Häusern der Reichen und \'ornehnien zum Vortrage
brachten^ müssen verstanden worden sein. Und die Sprache der
Epen ist ebenfalls Sanskrit. Wir nennen es »episches Sanskrit <;!,
und es unterscheidet sich vom »klassischen Sanskrit« nur wenig,
teils, indem es manches Altertümliche bewahrt hat, noch mehr
aber dadurch, daXs es sich weniger streng an die Regeln der
Grammatik hält und sich mehr der Sprache des Volkes nähert,
so dafs man es als eine volkstümlichere Form des Sanskrit be-
zeichnen kann. Nie aber hätte es im Sanskrit gedichtete Volks-
epen gegeben '), wenn nicht das Sanskrit einmal eine in weiten
Kreisen verstandene Sprache gewesen wäre, — etwa so, -wie
bei uns heutzutage das Neuhochdeutsche allgemein verstanden
wird, obwohl es von allen gesprochenen Dialekten wesentlich
abweicht.
Dafs das Sanskrit eine > Hochsprache r oder » Standessprache '<
oder »Litteratursprache« ist — wie immer wir es im Gegensatz
zur eigentlichen Volkssprache nennen mögen — , drücken die
Inder selbst durch den Namen » Sanskrit« aus, denn »Sanskrit«
— samskrta, so viel wie i zurechtgemacht, geordnet, präpariert,
vollkommen, rein, heilig« — bedeutet die vornehme oder heilige
Sprache, im Gegensatz zu *Präkrit« — prakrta,so viel wie »lu:-
schildert einen ihm bekannten Fall, wo in einem Hause in Bengalen
nicht weniger als dreizehn verschiedene Sprachen und Dialekte ge-
sprochen werden. Der Herr des Hauses spricht mit Europäern in der
vornehmen bengalischen Hochsprache, während er im gewöhnlichen
Leben das von der Litteratursprache stark abweichende Bengali der
Umgangssprache gebraucht. Seine Frau stammt aus einem hundert
englische Meilen entfernten Ort und spricht den eigentümlichen Fraueo-
dialekt jener Gegend. Seine Nebenfrau, deren gewöhnliche Umgangs-
sprache das Urdu von Lucknow ist, verfällt in Jargon, wenn sie sich
ärgert. Sein Geschäftsführer spricht Dhäkl, während von den Dienern
die einen Uriyä, andere Bhojpun, Awadhi, Maithili, Ahiri und Chat
gaiyä sprechen. Alle verständigen sich vollkommen untereinander,
obwohl jeder nur seinen eigenen Dialekt spricht. Dafs einer den Dia-
lekt der von ihm angesprochenen Person gebraucht, kommt selten vor
(Indian Antiquary XXX. 1901. S. 556).
') Dafs die \^olksepen urprünglich im Dialekt gedichtet und erst
später ins Sankrit übersetzt worden seien, ist vermuiet worden. Diese
Vermutung entbehrt aber jeder tatsächlichen Stütze, wie H. Jacobi
(ZDMG 48, 407 ff.) dargetan hat.
— 41 —
sprtinglich, natürlich, gewöhnlich, gemein« — , welches die »gemeine
Volkssprache« bedeutet.
Dennoch darf man vom Sanskrit nicht als einer »toten«
Sprache reden. Eher als einer »gefesselten«: Sprache, insofern
ihre natürliche Entwicklung dadurch gehemmt wurde, dafs sie
durch die Regeln der Grammatiker auf einer gewissen Stufe
festgehalten worden ist. Denn durch die Grammatik des Pänini
wurde im vierten Jahrhundert v. Chr. oder schon früher eine feste
Norm geschaffen, welche für alle künftigen Zeiten für die Sanskrit-
sprache mafsgebend blieb. Was wir »klassisches Sanskrit«
nennen, bedeutet Päninisches Sanskrit, d. h. das Sanskrit, welches
nach den Regeln der Grammatik des Pänini allein richtig ist'). In
den »Fesseln« dieser Grammatik lebte aber die Sprache doch
tort. Ist doch die grofse Masse der poetischen und wissen-
schaftlichen Litteratur durch ein Jahrtausend hindurch in dieser
Sprache, dem »klassischen Sanskrit«, geschaffen worden. Eine
„tote** Sprache ist aber das Sanskrit auch heute noch nicht. Es
gibt noch heute mehrere Sanskritzeitschriften in Indien, und
Tagesfragen werden in Sanskritflugschriften erörtert. Auch das
Mahäbhärata wird noch heute öffentlich vorgelesen, was doch
wenigstens ein teilweises Verständnis voraussetzt. Man dichtet
und schreibt noch heute im Sanskrit, und es ist die Sprache, in
welcher sich die indischen Gelehrten noch heute über wissen-
schaftliche Fragen unterhalten. Sanskrit spielt mindestens noch
dieselbe Rolle in Indien wie das Lateinische während des Mittel-
alters in Europa oder wie das Hebräische bei den Juden ^).
0 Die Inder bezeichnen als »Sanskrit« nur diese durch die indischen
Grammatiker fixierte Litteratursprache. Wenn man, wie dies oft ge-
schieht, von »vedischem Sanskrit» spricht, so dehnt man den Begriff
Sanskrit auf das Altindische überhaupt aus.
*) Interessante Aufschlüsse über die weite' Verbreitung des Sans-
krit im heutigen Indien gibt Paul Deussen in seinem schönen
Buche 'Erinnerungen an Indien« (Kiel 1904. S. 2 f.): ^Nicht nur die
Gelehrten von Fach, wie namentlich die einheimischen Sanskrit-
professoren der indischen Universitäten, sprechen Sanskrit mit grofser
Eleganz, nicht nur ihre Zuhörer wissen dasselbe ebensogut zu hand-
haben wie bei uns ein Studierender der klassischen Philologie das
Lateinische, auch die zahlreichen Privatgelehrten, Heiligen, Asketen,
ja selbst weitere Kreise sprechen und schreiben Sanskrit mit Leichtig-
keit; mit dem M häräja von Benares habe ich mich wiederholt stunden-
- 42 -
Zusammenfassend möchte ich also das Altindische in seinem
Verliältnis zuf Litteratnr folgendermafsen einteilen:
1 . Althochindisch :
a) Sprache der ältesten Hymnen und Mantras, insbesondere
der des Rigveda.
b) Sprache der jüngeren Hymnen und Mantras, insbesondere
der der anderen Vedas, sowie der in den Brähmanas
und Satras enthaltenen Mantras.
2. Sanskrit :
a) Altes Sanskrit, die Sprache der vedischen Prosawerke
(mit Ausschluß der Mantras) und des Pänini.
b) Episches Sanskrit, die Sprache der volkstümlichen
Epen.
c) Klassisches Sanskrit, die Sprache der klassischen Sans-
kritlitteratur nach Pänini.
H. Die miüelindischen Sprachen und Dialekte.
Gleichzeitig und parallel mit der Entwicklung des Sanskrit
ging auch die mehr natürhche Weiterentwicklung der von den
arischen Indern gesprochenen Volksdialekte vor sich. Und die
Sprachen und Dialekte, die man als s Mittelindisch ^. bezeichnet,
sind nicht etwa direkt vom Sanskrit abzuleiten, sondern vielmehr
von den dem AI thochindischen und dem Sanskrit zu-
lang darin unterhalten: Fabrikanten, Industrielle, Kaufleute sprechen
es zum Teil oder verstehen doch das Gesprochene; in jedem kleinen
Dorfe war meine erste Frage nach einem, der Sanskrit spreche, worauf
sich d<inn alsbald der eine oder andere einstellte, der gewöhnlich mein
Führer, ja, nicht selten mein Freund wurde.« Wenn er Vorträge in
englischer Sprache hielt, wurde er oft aufgefordert, das Gesagte noch-
mals in Sanskrit zu wiederholen. 'Nachdem dies geschehen, folgte
eine Diskussion, bei der die einen Englisch, die andern vSanskrit, noch
andere Hindi sprachen, welches sich den?i auch der Hauptsache nach
verstehen liefs, da das reine Hindi sich vom Sanskrit kaum durch viel
mehr als durch den Verlust der Flexionsendungen unterscheidet. Da-
her versteht ieder Hindu vom Sanskrit ungefähr ebensoviel wie ein
Italiener vom Lateinischen, namentlich da im eigentlichen Hindostan
die Schrift die nämliche geblieben ist: und ein Anflug des Sanskrit
läfst sich bis hinab in die Kreise der Dienerschaft und des geringen
Volkes antreffen, daher auch ein Brief nach Benares mit blofser
Sanskritadresse durch jeden Postboten ohne Schwierigkeit [seine Be-
stellung findet."
— 43 —
grundeliegcnden oder denselben nahestehenden indo-arischen
Volkssprachen. Bei der Grüfse Indiens ist es nicht zu ver-
wundern, dafs mit der allmählichen i^ u-sbreitung der arischen
Einwanderer vom Westen nach dem Osten und Süden eine grofse
Anzahl voneinander abweichender Dialekte sich bildete. Von der
Mannigfaltigkeit dieser Dialekte geben uns die ältesten Inschriften,
die sämtlich in Mittel'indisch und nicht im Sanskrit geschrieben
sind, eine Vorstellung. Eine ganze Reihe von solchen Volks-
sprachen ist aber auch zum Range von Litteratursprachen erhoben
worden. Nur diese sollen hier kurz aufgezählt werden :
1. Die wichtigste der mittelindischen Litteratursprachen ist
dasPäli, die KirchenspracKe der Buddhisten von Ceylon, Birma
und SJam, die Sprache, in welcher die älteste Sanmilung der uns
erhaltenen heiligen Schriften des Buddhismus abgefafst ist. Die
Buddhisten selbst erzählen uns, dafs der Buddha nicht wie die
Brahmanen in dem gelehrten Sanskrit gepredigt, sondern in der
Sprache des Volkes zum Volke selbst geredet iiabe. Und da der
Buddha in dem Lande Magadha (dem südlichen Bihär) zuerst
gepredigt und dort seine vorzüglichste Wirksamkeit entfaltet hat,
so sagen uns die Buddhisten, Päli sei dasselbe wie Mägadhi, die
Sprache der Provinz Magadha. Das kann aber nicht richtig sein,
da der uns anderweitig bekannte Dialekt von Magadha mit dem
Pilli nicht übereinstimmt. Wahrscheinlicher ist es, dafs der
Dialekt von Ujjayini (Ujjein) dem Päli zugrunde liegt. Wie
immer dem auch sein mag, sicher ist, dafs der im Pali abgefafste
buddhistische Kanon die zuverlässigste Quelle für unsere Kennt-
niss des alten Buddhismus, der ursprünglichen Lehre des Buddha
bildet. Das Wort »Päli< bedeutet eigentlich i' Reihe « , dann
»Ordnung, Anordnung, Regel«, dabei- auch »heiliger Text« und
schliefslich die Sprache der heiligen Texte, im Gegensatz zum
Altsinghalesisrhen, der Sprache, in welcher die Kommentare zu
diesen Texten abgefafst waren.
2. Neben der Palüitteratur gibt es aber auch eine buddhi-
stische Sanskritlitteratur. In diesen buddhistischen Werken ist
nun häufig nur die Prosa Sanskrit, während die eingestreuten
metrischen Stücke, die sogenannten ^^Gathäs« (d. h. /Lieder« oder
»Verse«), In einem mittelindischen Dialekt abgefafst sind. Man
hat daher diesen Dialekt »G äthädialekt« genannt. Die Be-
zeichnung ist jedoch nicht ganz zutreffend, da derselbe Dialekt
_ 44 —
sich auch in Prosastücken findet und auch ganze Prosawerke
denselben aufweisen. Es ist dies ein alter mittelindischer Dialekt,
welcher durch Einfügung von Sanskritendungen und sonstige
Sanskritismen in ziemlich unbeholfener Weise dem. Sanskrit an-
genähert worden ist, weshalb Senart für denselben die Be-
zeichnung »gemischtes Sanskrit« vorgeschlagen hat.
3. Ähnlich wie die Buddhisten so haben auch die Jainas
für ihre heiligen Schriften nicht das Sanskrit, sondern mittel-
indische Dialekte verwendet, und zwar zwei verschiedene
Präkrits'):
a) das Jaina-Präkrit (auch Ardhamägadhi oder Arsa
genannt), die Sprache der älteren Werke des Jaina-Kanons, und
b) die Jaina-Mahäräslri. die Sprache, in welcher die
Kommentare zum Jaina-Kanon und die nichtreligiösen poetischen
Werke der Jainas abgefasst sind. Dieser Dialekt ist sehr nahe
verwandt mit jenem Präkrit, welches am häufigsten als Litteratur-
sprache für weltliche Dichtung verwendet worden ist, nämlich
4. der Maiiärfistri, der Sprache von Mahärä^tra, dem
Lande der Maräthen. Diese gilt allgemein als das beste Präkrit,
und wenn die Inder von Präkrit schlechthin sprechen, so meinen
sie die Mahärästri. Sie wurde hauptsächlich für lyrische Dichtung
verwendet, insbesondere auch für die lyrischen Partien in den
Dramen. Es gibt aber auch epische Gedichte in Mahärästri.
Andere wichtige Präkritdialekte, die im Drama verwendet werden,
sind:
5. Die §auraseni, welche in der Prosa der Dramen haupt-
sächlich von vornehmen Frauen gesprochen wird. Ihre Grundlage
bildet der Dialekt des Snrasenalandes , dessen Hauptstadt
Mathurä ist.
6. Leute niedrigen Standes sprechen in den Dramen
Mägadhi, den Dialekt von Magadha, und
7. Paisäci wird im Drama von den Angehörigen der
niedrigsten V'oiksklassen gesprochen. Das Wort bezeichnet wahr-
scheinlich ursprünglich den Dialekt eines Volksstammes der Pisäcas,
obwohl es die Inder als die Sprache der Pisäcas genannten Dä-
') Mit dem Ausdruck »Präkrit« bezeichnen die Inder nicht die
Volkssprachen schlechthin, sondern nur die in der Litteratur ver-
wendeten Volkssprachen. Vgl. zu diesem ganzen Abschnitt R. Pischel,
Grammatik der Präkrit-Sprachen (im »Grundrisse I, 8), Einleitung.
— 45 —
monen erklären. In diesem Paisäoidialekt ist auch ein berühmtes
Werk der Erzählungslitteratur — Gunädhyas Brhatkathä — ab-
gefaist.
8. Endlich wird noch unter dem Namen »Apabhramäa«
eine Anzahl von Präkritdialekten , die im Drama gelegentlich
vorkommen, zusammengefafst. Das Wort Apabhramsa bezeichnet
ursprünglich alles, was vom Sanskrit abweicht, dann insbesondere
die lebenden Volkssprachen, und in letzter Linie gewisse Präkrit-
dialekte.
III. Die neaindischen Sprachen und Dialekte.
Vom zehnten Jahrhundert an beginnt sich die dritte Ent-
wicklungsstufe des Indischen, die der neuindischen Sprachen, be-
merkbar zu machen, und vom zwölften Jahrhundert an haben
auch diese Sprachen eine eigene Litteratur aufzuweisen, die zum
Teil selbständig, zum Teil von der Sanskritlitteratur abhängig
ist. Die wichtigsten der lebenden neuindischen Sprachen, die sich
aus den mittelindischen Dialekten entwickelt baten, sind die
folgenden :
Sindhi, Gujaräti,Panjäbi und West-Hindi im west-
lichen Indien 5 Garhwäli (gesprochen zwischen dem Satlaj und
Ganges), Kumaöni (zw^ischen Ganges und Gogari), KaSmiri
und Naipäli (Sprache von Nepal) in Nordindien; Maräthi in
Südindien und Bihäri, Bengali, Uriyä und Asämi im
östlichen Indien. Dazu kommt noch das Urdu oder Hindustäni,
ein mit persisch-arabischen Elementen ') stark versetztes Hindi,
Es entstand im zwölften Jahrhundert in der Gegend von Delhi,
dem damaligen Mittelpunkt der mohammedanischen Macht, in den
Lagern (urdu) der Soldaten (daher >^Urdu«, d. h. /)Lagersprache«;).
Im 16. Jahrhundert begann es auch eine Litteratur hervor-
zubringen. Es ist heutzutage die allgemeine Verkehrssprache
Indiens.
Ein aus dem Mittelindischen hervorgegangener indogermani-
scher Dialekt ist endlich auch das Singhalesische, die
Sprache von Ceylon. Durch die Einführung des Buddhismus
und der buddhistischen rälilitteratur auf Ceylon begann hier
schon früh eine litterarische Tätigkeit, die sich zunächst auf die
0 Auch die Schrift ist persisch -arabisch.
— 46 —
Erklärung der religiösen Texte beschränkte. In den späteren
Jahrhunderten finden wir auch eine von der vSanskritpoesie be-
einflufste weltliche Litteratur').
Alle bisher erwähnten indischen Sprachen gehören zur indo-
germanischen Sprachenfamilie. Aufserdcm aber haben wir in
Südindien ^) auch eine Anzahl von nichtindogermanischen
Sprachen. Diese Sprachen bezeichnet man als dravidische,
und sie bilden eine eigene Sprachengruppe. Wenigstens ist es
der Sprachwissenschaft bis jetzt noch nicht gelungen, eine Ver-
wandtschaft der dravidischen Sprachen mit irgendeiner andern
der grolsen Sprachenfamilien nachzuweisen. Die wichtigsten
dieser Sprachen sind: Tamil, Telugu, Malayalam und
Kanaresisch. Obwohl diese Sprachen nicht indogermanisch
sind, so sind doch zahlreiche Sanskritismen in dieselben ein-
gedrungen, und auch die nicht unbedeutende Litteratur dieser
Sprachen ist von der Sanskritlitteratur in hohem Mafse abhängig.
In diesem Buche werden wir uns im wesentlichen auf die
Sanskrit-, Päli- und Prakritlitteratur beschränken müssen. Auf
die neuindische Litteratur einzugehen, wird höchstens nur anhangs-
weise möglich sein.
') Vgl. Wilhelm Geiger, Literatur und Sprache der Singhalesen,
im »Grundriss« I. 10.
') Auch im äufsersten Nordwesten Indiens haben sich einige
dravidische Dialekte (von etwa 2 Millionen Menschen gesprochen) er-
halten.
I. Abschnitt.
Der Veda oder die vedische Litteratur.
Was Ut der Veda?
Als dem ältesten indischen und zugleich ältesten indo-
germanischen Litteraturdenkmal gebührt dem V^eda ein hervor-
ragender Platz in der Geschichte der Weltlitteratur. Er gebührt
ihm auch, wenn wir bedenken, dafs mindestens 3000 Jahre
hindurch Millionen von Hindus das Wort des Veda für das Wort
Gottes gehalten haben, und lür ihr Denken und Fühlen der
Veda mafsgebend gewesen ist. Und wie der Veda um seines
Alters willen an der Spitze der indischen Litteratur steht, so
kann auch niemand das Geistesleben und die Kultur der Inder
verstehen, der nicht einen Einblick in die vedische Litteratur
gewonnen hat. Auch der Buddhismus, dessen Geburtsstiitte
Indien ist, bleibt ewig unverständlich für den, der den Veda
nicht kennt. Denn die Lehre des Buddha verhält sich zum Veda
wie das Neue zum Alten Testament. Keiner kann «den neuen
Glauben verstehen, ohne den alten, von dem der Veda uns Kunde
gibt, kennen gelernt zu haben.
Was ist nun eigentlich der Veda?
Das Wort »Veda« bedeutet »Wissen« , dann »das Wissen
par excellenccv , d. h. »das heilige, das religiöse Wissen«, und
es bezeichnet nicht ein einzelnes litterarisches Werk, wie etwa
das Wort v Koran <^ , auch nicht eine zu irgendeiner Zeit ver-
anstaltete, in sich abgeschlossene Sammlung einer bestimmten
Anzahl von Büchern, wie das Wort »Bibel« ''das »Buch, par
excellence«) oder wie das Wort »Tipitaka« , die »Bibel« der
Buddhisten, sondern eine ganze grofse Litteratur, welche
im Laufe von vielen Jahrhunderten entstanden und Jahrhunderte-
— 48 —
lang durch mündliche Überlieferung von Geschlecht zu Geschlecht
fortgepflanzt worden ist, bis sie schliefslich von einem jüngeren
Geschlecht — aber auch schon in grauer Vorzeit — ebensowohl
wegen ihres hohen Alters wie wegen ihres Inhaltes als »heiliges
Wissen«, als »göttliche Offenbarung« erklärt wurde. Es ist hier
nicht von einem »Kanon« die Rede, der auf irgendeinem Konzil
festgestellt worden wäre, sondern der Glaube an die »Heiligkeit«
dieser Litteratur ergab sich gewissermafsen von selbst und
wurde nur selten ernstlich bestritten.
Was man nun aber »V^eda« oder »vedische Litteratur« nennt,
besteht aus drei verschiedenen Klassen von Litteratur werken;
und zu jeder dieser drei Klassen gehört eine gröfsere oder
geringere Anzahl von einzelnen Werken, von denen uns manche
erhalten, viele aber auch verloren gegangen sind. Diese drei
Klassen sind:
L Samhitäs, d. h. »Sammlungen«, nämlich Sammlimgen
von Hymnen, Gebeten, Zauberliedern, Segenssprüchen, Opfer-
formeln und Litaneien.
II. Brähmanas, umfangreiche Prosatexte, welche theo-
logische Erörterungen, insbesondere Betrachtungen über das
Opfer und die praktische oder mystische Bedeutung der einzelnen
Opferriten und Zeremonien, enthalten.
III. Äranyakas (»Waldtexte«) und Upanisads (j-Ge-
heimlehren«), welche zum Teil in den Brähmanas selbst ein-
geschlossen oder denselben angehängt sind, zum Teil aber auch
als selbständige Werke gelten. Sie enthalten die Meditationen
der Waldemsiedler und Asketen . über Gott , Welt und Mensch-
heit , und in ihnen steckt ein gut Stück ältester indischer Philo-
sophie.
Es mufs einmal eine ziemlich grofse Anzahl von Samhitäs
gegeben haben, die in verschiedenen Priester- und Sängerschulen
entstanden und in denselben weiter überliefert worden sind. \'iele
dieser »Sammlungen« waren aber nichts anderes als wenig ab-
weichende Rezensionen — Säkhäs, »Zweige«, wie die Inder
sagen — • einer und derselben, Samhitä. Vier Sarphitäs aber
gibt es, die sich scharf voneinander unterscheiden, und die uns
auch in einer oder mehreren Rezensionen erhalten sind. Es
sind dies:
1. Die Rigveda-Samhitä, die Sammlung des Rigveda.
-- 49 —
»Rlg-veda« (eigentlich rg-veda) ist »der Veda oder das Wissen
von den Preisliedern« (fC, plur. rcas).
2. Die Athat'Vä vedä-Samhitä, die Sammlung des
Atharva-veda, d. h. *des Wissens von den Zaubersprüchen«
(atharvan).
3. Die SämavedaSamhitä, die Sammlung des Säma-
veda, d. h. »des Wissens von den Melodien« (säman).
4. Die Yajurveda-Samhitä, die Sammkmg des Yajur-
veda, d, h. »des Wissens von den Opfersprllchen< (yajus, plur.
yajumsi), von welcher es zwei voneinander ziemlich stark ab-
weichende Texte gibt, nämlich:
a ) die Samhitä des schwarzen Yajurveda , welche uns in
mehreren Rezensionen erhalten ist, von denen die Taittiriya-
Samhitä und die Maiträyani-Samhitä am wichtigsten
sind; und
b) die Samhitä des weifsen Yajurveda, die uns in der
Vajasancyi-Samhitä erhalten ist.
Auf Grund dieser vier verschiedenen Samhitäs unterscheiden
die Inder vier verschiedene Vedas — und darum spricht man
auch häufig von den »Vedas« oder den »Veden« in der Mehr-
zahl — , nämlich: Rigveda,Atharvaveda, Sämaveda und
(schwarzen und weifsen) Yajurveda. Und jedes der zur
Klasse der Brühmanas, der Äranyakas, oder der Upanisads ge-
hörigen Werke schliefst sich an eine der aufgezählten Samhitäs
an und »gehört«, wie man zu sagen pflegt, zu einem der vier
Vedas. Rs gibt daher nicht nur Samhitäs, sondern auch Bräh-
maoa.s^ Äranyakas und Upanisads dfes Rigveda, ebenso wie des
Atharvaveda, des Sämaveda und des Yajurveda. So gehört
2. B. das Aitareya - Brähmana zum Rigveda, das Öatapatha-
Brähmana zum weissen Yajurveda, die Chandogya - Upani^ad
zum Sämaveda u. s. w.
Jedes Werk, welches zu einer der drei obengenannten Klassen
und zu einem der vier Vedas gehört, raufs als »vedisch' bezeichnet
werden-, und die ganze vedische Litteratur stellt sich uns somit
dar als eine grofse Reihe von Werken religiösen Inhalts —
Liedersammlungen, Gebetbüchern, theologischen und theosophischen
Abhandlungen, — welche verschiedenen, aufeinanderfolgenden Zeit-
perioden angehören, welche aber insofern eine Einheit dar-
stellen, als sie alle zusammen die Grundlage für das brahma-
Wioternitz, Gcschicbte der indischer» Litteratur. 4
— 50 —
nische Religionssystem bilden und für den Brahmanis-
mus dieselbe Bedeutung haben wie das Alte Testament für das
Judentum oder das Neue TevStament für das Christentum. Und
wie Juden und Christen ihre »Heilige Schrift<? , so halten die
brahmanischen Inder ihren Veda in seinem ganzen Umfange für
göttliche Offenbarung. Dem Ausdruck »Heilige Schrift« entspricht
aber bei den Indern in bezeichnender Weise der Ausdruck
»Sruti«, »das Hören«, weil die offenbarten Texte nicht geschrieben
und gelesen, sondern nur gesprochen und gehört wurden. Dafs
aber nicht nur die uralten Hymnen des Rigveda als von Gott
Brahman »ausgehaucht« und von den alten Sehern nur geschaut
galten, sondern dafs auch jedes Wort in den Upanisads, den
spätesten Erzeugnissen der vedischen Litteratur, als von Gott
Brahman selbst herrührend für unanfechtbare Wahrheit angesehen
wurde, davon zeugt die ganze Cieschichte der indischen Philosophie.
So sehr auch die verschiedenen Systeme indischer Philosophie
auseinandergehen, so stimmen sie doch fast alle darin überein,
dafs sie den Veda für offenbart halten, und dafs sie sich alle
auf den Veda, insbesondere die Upanisads, berufen; freilich
herrscht grofse Freiheit und Willkür in bezug auf die Erklärung
dieser Texte, und jeder Philosoph liest aus denselben gerade das
heraus, was er finden will. Höchst bezeichnend ist es, dafs
selbst die Buddhisten, welche die Autorität des Veda leugnen,
doch zugeben, dafs derselbe ursprünglich von Gott Brahman
verkündet (oder ^geschaffen«) worden sei; nur, fügen sie hinzu,
sei er durch die Brahmanen verfälscht worden und enthalte darum
so viele Ii'rtümer.
Nur für diese als offenbart angesehene Litteratur ist der
Ausdruck »Veda« h^rechtigt. Es gibt aber noch tine KlasLc "on
Werken, die sich aufs engste an die vedische Litteratur an-
schliefsen, aber doch nicht als zum Veda gehörig bezeichnet
werden können. Es sind dies die sogenannten Kalpasntras
(zuweilen auch kurz »Sütras^' genannt) oder Lehrbücher des
Rituals, welche in einem eigentümlichen, aphoristischen Prosastil
abgefafst sind. Zu ihnen gehören:
1. Die Srautasutras, welche die Regeln für die Voll-
ziehung der grofsen, oft viele Tage lang dauernden Opfer ent-
halten, bei welchen mehrere heilige Feuer brennen und eine grofse
Anzahl von Priestern verwendet werden mufs;
— 51 -
2. die Grhyasatras, welche Vorschriften über die ein-
fachen Zeremonien und Opferhandlungen des täglichen Lebens
(bei Geburt, Hochzeit, Todesfällen u. dgl.) enthalten , und
3. die Dharmasatras, Lehrbücher des geistlichen und
weltlichen Rechts — die. ältesten Rechtsbücher der Inder.
Ebenso wie Brähmaiias, Aranyakas und Upanisads schliefsen
sich auch diese Werke an einen der vier Vedas an; und es gibt
Srauta-, Grhya-, und Dharmasatras, welche zum Rigveda, andere,
welche zum Säraaveda, zum Yajurveda oder zum Atharvaveda
gehören. Sie sind nämlich aus bestimmten vedischen Schulen
hervorgegangen, die sich das Studium irgendeines Veda zur
Aufgabe gemacht haben. Doch gelten alle diese Lehrbücher als
Menschenwerk und nicht mehr als göttliche Offenbarung ; sie ge-
hören nicht zum Veda, sondern zu den »»Vedähgas«, den
»Gliedern«, d. h. den »Hilfswissenschaften des Veda«.
Zu diesen »Vedangas« gehören aufser den Werken über
Ritual auch eine Anzahl von Werken über Phonetik, Grammatik,
Etymologie, Metrik und Astronomie. Auch auf diese werden wir
am Ende dieses Abschnittes zu sprechen kommen.
Nach diesem allgemeinen Überblick über die vedische und die
mit ihr zusammenhängende Litteratur wenden wir uns zur Be-
sprechung der wichtigsten zum Veda gehörigen Werke, vor allem
der Samhitäs.
Die Rig^'eda'^Samhitä.
Unstreitig das älteste und wichtigste von allen Werken der
vedischen Litteratur iSt die Rigveda-Samhitä, gewöhnlich schlecht-
hin »der Rigveda« genannt. Von den verschiedenen Rezensionen
{^K.-.o- Si-nbitji ^ die es einmal gegeben hat, ist uns nur eine
einzige erhalten. Diese^) besteht in dem uns überlieferten Text
aus einer Sammlung von 1028 H)'^mnen (Süktas), welche in zehn
Bücher (Mandalas, »Kreise«) eingeteilt sind^).
0 Es ist die Rezension der Säkalaka-Schule. Über Ausgaben des
Textes siehe oben S. 19 f.
*) Daneben gibt es noch eine rein äufserliche Einteilung, welche
den Umfang allein berücksichtigt, nämlich in acht Astakas oder »Achtel»,
deren jedes in acht Adhyäyas oder «Lektionen« zerfällt, die ihrerseits
wieder in kleinere Vargas oder »Abschnitte«, gewöhnlich zu je fünf
Strophen, eingeteilt sind.
4*
— 52 —
Dafs diese Hymnensammlung das Älteste ist oder wenigstens
das Älteste enthält , was wir von indischer" Litteratur besitzen,
beweist die Sprache der Hymnen unwiderleglich. Die Sprache
beweist aber auch, dafs die Sammlung kein einheitliches Werk
ist, sondern aus älteren und jüngeren Stücken besteht. Wie in
dem hebräischen Buch der Psalmen, so wurden auch hier Lieder,
die in weit auseinanderliegenden Zeiträumen gedichtet worden
sind, zu irgendeiner Zeit in einer Sammlung vereinigt und be-
rühmten Persönlichkeiten der Vorzeit zugeschrieben, am liebsten
den Urahnen jener Familien, in denen die betreffenden Lieder
überliefert wurden. Die Mehrzahl der ältesten Hymnen findet
sich in den Büchern II bis VII, welche man als die »Familien-
bücher? zu bezeichnen pflegt, weil sie von der Überlieferung je
einer bestimmten Sängerfamilie zugeschrieben werden. Die Namen
der Sänger oder Rsis (d.h. »Seher, Propheten«), welche, wie
die luder sagen, diese Hymnen ? geschaut x haben, werden uns
teils in den Brähmanas, teils in eigenen, der Vedängalitteratur
sich anschlie [senden Verfasserlisten (Anukramanis) genannt. Sie
heifsen: Grtsamada, Visvämitra, Vämadeva, Atri, Bharadväja
und Vasistha. Diese und ihre Nachkommen galten den Indem
als die Räis oder »Erschauer«' — wir würden sagen: v Verfasser«
— der Hymnen von Mandalas II bis VIT. Das VIII. Buch ent-
hält Hymnen, welche dem Säugergesrhlecht der Kaiivas und dem
der ÄAgiras zugeschrieben werden. Die Anukramanis geben
uns aber auch die Namen der Rsis oder * Verfasser« von jedem
einzelnen Hymnus der übrigen Bücher (I, IX, X), und es ist be-
merkenswert, dafs auch Frauennamen sich darunter befinden.
Leid<;r haben alle diese Namenlisten so gut wie gar keinen Wert,
und in Wirklichkeit sind uns die Verfassei- der vedischen Hyuinen
ganz unbekannt. Denn wie längst nachgewiesen worden ist\),
steht die Überlieferung, welche Grtsamada, ViSvämitra u. s. w.
und einzelne von deren Nachkommeji als die Rsis der Hymnen
nennt, mit den Angaben der Hymnen selbst in Widerspruch. In
diesen werden nämlich nur Nachkommen jener alten I^sis als
Verfasser der Hymnen genannt: die Rsis aber, Grtsamada, Vigvä-
') Oldenberg, '-Über die Liedverfasser des Rigveda«, in ZDMG
Bd. 42, S. 19^^ ff. Schon vorher A. Ludwig, Der Rigveda, Bd. III,
S. XIII und 100 ff.
- 53 —
mitra. Vasi^tha, und wie sie alle heifsen — ihre Namen sind als
die Helden zahlloser Mythen und Legenden in der ganzen indischen
Litteratur wohlbekannt — sind bereits in den Hymnen des Rigvcda
die Seher einer längst vergangenen Vorzeit und werden blof.s
als die Stammväter der" Sängerfamilien genannt, in denen die
Hymnen tiberliefert wurden. Das IX. Buch gewinnt dadurch
einen einheitlichen Charakter, dafs es ausschliefslich Hymnen ent-
hält, welche den Somatrank verherrlichen und dem Gott Soma
gewidmet sind. Soma ist der Name einer Pflanze, aus welcher
ein berauschender Saft geprefst wurde, welcher schon in der
indo-iranischen Vorzeit als ein den Göttern willkommener Trank
galt und daher bei den Opfern sowohl der Inder wie der alten
Iranier — er heifst hier Haöma — eine hervorragende Rolle
spielt. In der altindischen Mythologie wird aber der Somatrank
mit dem Unsterblichkeitstrank der Götter gleichgesetzt, und der
Sitz dieses "Göttertrankes ist der Mond, der goldglänzende
»Tropfen« ') am Himmel. Daher wird im IX. Buche der Rigveda-
Sambitä Soma nicht nur als der den Göttern liebe Opfertrank,
sondern auch als der Mond, der König des Himmels, gefeiert.
Da der Somakult in die indo-iranische Zeit zurückreicht, dürfen
wir auch für die mit dem Somaopfer aufs engste zusaramen-
hänge'nden Lieder des IX. Buches ein ziemlich hohes Alter an-
nehmen. Die jüngsten Bestandteile unserer Hymnensammlung
finden sich aber in den aus sehr verschiedenartigen Stücken zu-
sammengesetzten Büchern I und X. Damit soll aber nicht ge-
sagt sein, dafs sich nicht auch manche sehr alte Stücke in
diesen Büchern erhalten haben, während umgekehrt einige jüngere
Hymnen auch in den »Familienbüchern« zerstreut sind. Über-
haupt ist die Frage, welche Hymnen »älter« und welche »jünger«
sind, nicht leicht zu entscheiden. Denn die Spniche, auf welche
sich diese Unterscheidung hauptsächlich stützt, ist nicht nur nach
dem Alter der Hymnen vei-schieden , sondern auch nach dem
Ursprung und Zweck derselben , je nachdem sie mehr zum
priesterlichen Kult oder zur volkstümlichen Rehgion in
') .Sanskrit Inda heifst »Tropfen« und »Mond'. Es ist das Ver-
dienst A. Hillebrandts, in seiner «Vedischen Mythologie» (Breslau
1891 ff.) nachgewiesen zu haben, dafs Soma schon im Rigvcda nicht
nur die Pflanze, sondern auch den Mond bedeutet. In der ganzen
späteren Litteratur ist Soma der Mond.
— 54 —
Beziehimg stehen. Ein Zauberlied z. B. kann sich in der Sprache
von einem Lobgesang auf Soma oder Indra unterscheiden,
braucht aber deshalb noch nicht jünger zu sein*).
Die Frage aber, was wir unter »alten« und was wir unter
> jüngeren« Hymnen des Rigveda zu verstehen haben, können
wir erst am Schlüsse dieses Abschnittes behandeln, wo wir auf
die Frage nach dem Alter des Veda überhaupt eingehen müssen.
Hier mufs es genügen, dafs die allgemeine Ansicht von dem
hohen Alter des Rigveda, selbst der »jüngeren« Bestandteile des-
selben, schon dadurch vollauf gerechtfertigt ist, dafs — wie
Alfred Ludwig^) sagt — »der Rigveda nichts von dem voraus-
setzt, was wir in der indischen Litteratur kennen, während um-
gekehrt die gesamte indische Litteratur, das gesamte indische
Leben den Veda voraussetzt«.
Nächst der Sprache beweist aber namentlich auch die Metrik
das hohe Alter der vedischen Hymnendichtung. Denn einerseits
scheint die vedische Metrik geradezu durch eine Kluft von
der der klassischen Sanskritdichtung getrennt, indem es in der
vedischen Poesie zahlreiche Metren gibt, von denen in der
späteren Dichtung keine Spur zu finden ist, während umgekehrt
zahlreiche Metren der klassischen Sanskritpoesie kein Vorbild im
Veda haben. Anderseits erscheinen einige Metren der vedischen
Poesie zwar in der späteren Dichtung wieder, aber mit einem viel
fester ausgeprägten Rhythmus als im Rigveda.
In der aitindischen Metrik steht nur die Silbenzahl fest,
•Während die Quantität der Silben nur teilweise bestimmt ist.
Die vedischen Verse sind aus Zeilen von 8, 11 oder 12, seltener
von 5 Silben gebildet. Diese Zeilen, Pädas^) genannt, sind die
') Vgl. M. Bloomfield, On the relative Chronology of the Vedic
Hymns (Journal of the American Oriental Society, Vol. XXI, 1900,
pp. 42—49).
') Der Rigveda III, S. 183. Vgl. auch ebda. S. 3: »Der Anspruch
auf höchstes Alter ist nicht nur innerlich durch den Gehalt sowie durch
die sprachliche Form erwiesen, sondern äufserlich dadurch, dafs der
Veda die Grundlage der Litteratur, des geistigen und religiösen
Lebens bildete und innerhalb des Veda wieder die poetischen
.Stücke die Voraussetzung für das übrige sind, selberaber
nichts voraussetzen.'
3) Päda bedeutet »Fuls«, aber auch »Viertel«. Letztere Bedeutung
ist hier anzunehmen, da in der Regel vier Padas eine Strophe aus-
— 55 —
Einheiten in der altindischen Metrik, und nur die vier (oder fünf)
letzten Silben sind in bezug auf den Rhythmus bestimmt, wobei
aber wieder die letzte Silbe eine syllaba anceps ist. Die regel-
mäfsige Form des achtsilbigen Päda ist also:
0000\y — <J —
Drei solche Zeilen bilden die Gäyatri und vier solche Zeilen
die Anustubh genannte Strophe. In der älteren Poesie steht die
Anustubh an Beliebtheit weit hinter der Gäyatri zurück. Später
ist es umgekehrt : die Anustubh wird der gewöhnliche Vers, und
aus ihr entwickelt sich der Sloka, das eigentliche Versmafs der
epischen Dichtung. Seltener vorkommende Metren sind die aus
ftinf achtsilbigen Zeilen bestehende Pankti und die aus sechs
solchen Pädas bestehende Mahäpankti.
Die elfsilbige Zeile hat eine Zäsur nach der vierten oder
fünften Silbe, und ihre regelmäfsige Form ist die folgende
OOOO IjOCO-v.---
oder ooooo||oo-v^-^
Vier solche Pädas bilden die Tristubh genannte Strophe.
Die zwölfsilbige Zeile unterscheidet sich von der elfsilbigen
nur dadurch, dafs sie eine Silbe mehr hat-, im übrigen sind die
beiden Metren ganz gleich gebaut. Die regelmäfsige Form des
zwölfsilbigen Päda ist also:
0000||-00 0-vj-^-
oder oooooll oo— v^ — v^ —
Vier solche zwölfsilbige Pädas ergeben eine Strophe, welche
Jagati genannt wird.
Die regelmäfsige Form der fünfsilbigen Zeile, von welcher
vier oder acht zusammen die Dvipadä Viräi genannte Strophe
ergeben, lautet :
v^ — _ ^^
Durch Kombinationen verschiedenartiger Pädas zu einer
Strophe entsteht noch eine Anzahl kunstvollerer Metren, wie
die aus acht- und zwölfsilbigen Reihen zusammengesetzten Usnih-
und B r h a t i - Strophen.
machen. Mit dem "Fufs* der griechischen Metrik hat das Wort Päda
nichts zu tun. Ein Zurückgehen auf so kleine Einheiten wie die
griechischen »Versfüfse» ist in der altindischen Metrik unmöglich.
— 56 ~-
Wie sehr es bei den altindischen Metren auf die Silbenzahl
und wie wenig auf den Rhythmus ankonimt, beweisen noch die
in den Brähmanas und Upanisads vielfach vorkommenden Spekula-
tionen über die mystische Bedeutung der . Metren , wobei die
Zahlenmj'stik im Spiele ist, — wenn es z. B. mit seltsamer Logik
heilst: >Die Wörter bhami (Erde), antariksa (Luftraum) und
dyu (Himmel) bilden acht Silben. Ein Gäyatri-Pada besteht aus
acht Silben. Daher gewinnt derjenige, der die Gäyatri kennt,
die drei Welten« '). Dafs aber die Metren in der Mystik des
Rituals eine so ungeheure Rolle spielen, dafs sie, als göttliche
Wesen gedacht, sogar Opfer empfangen"), dafs sich die Mytho-
logie mit ihnen beschäftigt, so insbesondere mit der Gäyatri, die
in Vogelgestalt den Soma vom Himmel holt, dafs sie wie andere
Wesen von Prajäpati geschaffen werden 3), — alles das deutet
auf das hohe Alter dieser Metren hin, die man sich als in un-
vordenklicher Zeit entstanden dachte. So ist das Alter der Metren
auch ein Beweis für das Alter der Hymnen selbst.
Die beste Vorstellung aber von dem hohen Alter dieser
Hymnen gewährt uns ein Blick auf die geographischen und
kulturellen Verhältnisse der Zeit, von welcher sie uns Kunde
geben. Da sehen wir vor allem, dafs die arischen Inder zur Zeit,
wo die Hymnen des Rigveda entstanden, sich noch lange nicht über
ganz Indien aasgebreitet hatten. Wir finden sie noch im Strom-
gebiet des Indus (Sindhu), dem heutigen Pandschab, ansässig*).
Vom Westen her, über die Pässe des Hindukusch, waren arische
Stämme in das F'Unfstromland eingedrungen, und in den Liedern
des Rigveda hören wir noch von den Kämpfen, welche die Arier s)
0 Brh:tdäranyaka-Upani?ad V, 15. Dyu ist diu zu sprechen.
*) Väsistha-Dbannasutra XIII, 3 und sonst.
5) Z.B. Satapatha Brahmaria VIII, 1, 1-2.
■<) Nach den Ausführungen von E, W. Hopkins (The Panjäb and
the Rig-Veda, im Journal of the Amer. Or. Soc. XIX, 19-28) würen
die Wohnsitze der arischen Inder zur Zeit, wo die Mehrzahl der
Hymne» gedichtet wuide, in der Gegend der heutigen Stadt AmbalJa,
zwischen den Flüssen Sarasouti und Ghuggar zu suchen.
5) Ssk. ärya =^ altbaktr. airya--=altpers. ariya, *die Treuergebenen,
die Leute des eigenen Stammes '. Herodot (VII, 62) sagt, dafs sich
die Meder"V{»«>* nannten. »Arier» ist also die gemeinsame Bezeichnung
von Indern und Iraniern. Über die nahe Verwandtschaft der Sprache
des Veda mit dem Altiranischen s. oben S. 38.
- 57 --
mit den Dnsyu oder der »schwarzen Haut«, wie die dunkelfarbigen
Ureinwohner genannt wurden, auszufecbten hatten. Nur langsam
j ringen sie unter fort wahrenden Kämpfen gegen die verhafsten
»Nichtarier« (anärya) — die Dasyus oder Däsas,'die keine Gutter,
keine Gesetze und keine Opfer kennen — gegen Westen bis an
den Ganges vor. Und es ist bezeichnend, dafs dieser Strom,
L>hne den wir uns das Indien aller späteren Zeit kaum denken
künnen, und der bis auf den heutigen Tag in der Dichtung wie
im Volksglauben d^r Inder eine so hervorragende Rolle spielt,
im Rigveda kaum erwHhnt wird. Das Heinesche Stimmungsbild :
»Ani Ganges duftet's und leuchtet's,
Und Riesenbäume bltlhn,
XJöd schöne, still« Menschen
Vor Lotosblumen knien,-
das uns Gestalten und Bilder aus Kiilidäsas Zeiten vors Auge
zaubert, pafst durchaus nicht zu den Zeiten des Rigveda. Selbst
die Lotosblume, die gewissermafsen zum Grundbestaiid der spateren
indischen Poesie gehört, gibt den vedischen Süngern noch nicht
Anlafs zu Vergleichen. Überhaupt sind Tier- und Pflanzenwelt
im Rigveda wesentlich verschieden von denen der späteren Zeit.
Der indische Feigenbaum (Nyagrodha, Ficus indica) fehlt im
Rigveda. Das gefUrchtetste Raubtier des heutigen Indiens, der
Tiger, wird in den Hymnen noch nicht erwähnt, — seine Heimat
ist Bengalen, wohin die arischen Inder damals noch nicht vor-
gedrungen waren. Der Reis — später die Haupttrucht des Land-
baues und das Hauptnahrungsmittel der Inder — ist dem Rigveda
noch ganz unbekannt. Gepflanzt wird nur die Gerste, und der
Ackerbau spielte zur Zeit der Hymnen nur erst eine geringe
Rolle. Die Haupterwerbsquelle war die Viehzucht, und Haupt-
zuchttier war das Rind. Hochgeschätzt war auch das Rofs, das,
vor den Streitwagen gespannt, den Krieger ins Feld trug und
bei dem beliebten Wageni*ennen dem Sieger Preis und Ruhm
einbrachte. Immer kehrt in den Liedern und Anrufungen an die
Götter die Bitte um Ritider und Rosse wieder. Um Rinderbesitz
dreht sich auch der Kampf mit den feindlichen Ureinwohnern,
Dai-um heilst auch das alte Woi t fttr »Krieg« oder »Kampf*
ursprunglich »Verlangen nach" Rindern <? (gavisti). In den über-
schwenglichsten Ausdrücken werden die Rinder als der köstlichste
— 58 —
Besitz gepriesen'). Das Brüllen der Kühe, die dem Kalbe zu-
eilen, gilt dem alten Inder als die lieblichste Musik. »Die Sänger
jauchzten dem Gott Indra zu,- sagt ein Dichter, »wie Mutterkühe
dem Kalbe zubrüllen.« Götter werden gerne mit Stieren, Göttinnen
mit Kühen verglichen. Die Milch der Kuh war nicht nur ein
Hauptnahrungsm itiel, sondern Milch und Butter bildeten auch
einen wesentlichen Bestandteil der Opfer an die Götter. Die Milch
wurde gern warm genossen, wie sie von der Kuh kam, und
vedische Dichter staunen über das Wunder, dafs die rohe Kuh
gekochte Milch spende. Und wie es im deutschen Kinderliede
heilst :
»O sagre mir, wie geht es zu,
Gibt weilse MiJch die rote Kuh — ,«
so preist ein vedischer Sänger den Gott Indra ob des Wunders,
dals er die glänzendweifse Milch in die roten und schwarzen
Kühe gelegt habe. Die hohe Wertschätzung des Rindes "hinderte
aber nicht, dafs man Kühe und besonders Stiere bei den Opfern
schlachtete; auch ihr Fleisch wurde gegessen. Ein Verbot der
Kuhtötung gab es in der ältesten Zeit nicht. Auch das Fell der
Rinder wurde verwendet. Der Gerber verarbeitete es ?;u Schläuchen,
Bogensehnen und Riemen. Es gab auch sonst schon mancherlei
Gewerbe. Da war vor allem der Holzarbeiter — zugleich Zimmer-
mann, Wagner und Schreiner — , der namentlich den Wagen
zimmerte. Es gab Metallarbeiter, Schmiede, die sich eines Vogel-
fittichs als Blasebalgs bedienten. Die Schiffahrt war noch in den
ersten Anfängen. Ein mit Rudern versehener Kahn, wohl nur
aus einem ausgehöhlten Baumstamm bestehend, diente zum Be-
fahren der Flüsse. Das Meer haben die vedischen Inder wohl
gekannt, ob es aber schon einen ausgedehnten_Seehandel ge-
geben hat, ist zum mindesten höchst zweifelhaft '). Hingegen ist
es sicher, dafs es Händler gab und ein ausgedehnter Handel ge-
') Ganz ähnlich ist es bei den Dinka und Kaffern in Afrika, deren
gegenwärtige Wirtschaftsform mit der der vedischen Arier ziemlich
übereinstimmen dürfte.
*) Es ist gewifs kein Zufall, dafs in den Liedern des Kigveda un-
zählige Bilder und Vergleiche von der Viehzucht hergenommen sind,
während nur selten einmal ein Bild auf die Schiffahrt Bezug nimmt.
Man vergleiche dagegen den Reichtum Homers an Gleichnissen und
Bildern, die sich auf Schiffahrt beziehen.
-^ 59 —
trieben wurde, wobei Rinder und Schmuckgegenstände von Gold
die Stelle des Geldes vertraten. Nebst Rindern und Rossen ist
es hauptsächlich Gold, was die vedischen Sänger von den Göttern
erflehen und von reichen Opferherren als Spenden erhoffen.
Während wir aber von -Viehzucht und Ackerbau, von Handel
und Gewerbe ebenso wie von Kriegstaten und von Opfern im
Rigveda hören, läfst sich in den Hymnen noch nicht jene Kasten-
einteilung nachweisen, welche dem ganzen gesellschaftlichen
Leben der Inder der späteren Zeit ein eigenartiges Gepräge ver-
leiht, und welche bis zum heutigen Tage der Fluch Indiens ge-
blieben ist. Nur in einem einzigen, nachweislich späten Hymnus
werden die vier Kasten — Brähmana, Ksatriya, Vaisya und
Sndra — erwähnt. Wohl gab es Krieger und Priester, aber von
einer geschlossenen Kriegerkaste ist im Rigveda so wenig die
Rede wie von einer oder mehreren tief erstehenden Kasten von
Ackerbauern, Viehzüchtern, Kaufleuten, Handwerkern und
Arbeitern. W^ie in späterer Zeit so war es allerdings schon im
Rigveda Sitte, dafs dem König ein Hauspriester (Purohita) zur
Seite stand, der die Opfer für ihn darbrachte. Aber wir hören
noch oft genug — auch noch in späterer vedischer Zeit — ' von
Opfern und Zeremonien, die der Hausvater allein ohne priester-
lichen Beistand vollzieht. Die Hausfrau nimmt an diesen Opfern
teil; ja, es gilt geradezu als wesentlich, dafs Mann und Frau
vereint die heiligen Zeremonien vollziehen. Diese Teilnahme der
Frau an den Opfern beweist immerhin, dafs die Stellung der
Frau in der ältesten Zeit des Rigveda noch nicht so niedrig war
wie später, wo die Gesetzbücher es den Frauen geradezu ver-
bieten, zu opfern und heilige Sprüche zu sagen. Im Rigveda
(VIII, 31) lesen wir von dem Ehepaar (dampati, »Hausherr und
Hausfrau«), das »einträchtigen Sinnes den Soma preist, abspült
und mit Milch mischt« und den Göttern V^erehrung darbringt.
Manu aber erklärt in seinem Gesetzbuch, dafs es den Göttern
unangenehm ist, wenn Frauen opfern (IV, 206), und dafs Frauen,
die das Feueropfer (Agnihotra) darbringen, in die Hölle sinken
(XI, 37). Und wenn wir noch in den Upanisads hören, dafs sich
Frauen auch an den Disputationen der Philosophen lebhaft be-
teiligten, so darf es uns nicht wundernehmen, dafs in den
Hymnen des Rigveda die Frauen uneingeschränkt — bei F'esten,
Tänzen u. dgl. — sich öffentlich zeigen konnten. Und es ist
— 60 -.
keineswegs notwendig, wie es einige Gelehrte tun, an Hetären
zu denken, wenn es heilst, dafs schöne Frauen zu den Fest-
versammlungen strömen. Damit soll nicht geleugnet werden, dats
auch schon zur Zeit des Rigveda manche alleinstehende, schutzlose
Frauen — »bruderlose Mädchens nennt sie ein Dichter — sich
der Prostitution ergaben; dafs es aber schon damals »ein grofs-
artiges Hetärenwesen^r gegeben habe, wie zur Zeit des Buddha
in \^esHli oder zur Zeit des Perikles in Athen, haben Pischel und
Gt^ldner') trotz aller Mühe, die sie sich diesbezüglich gegeben
haben, iiicht bewiesen.
Immerhin dürfen wir uns von den sittlichen Zuständen im
alten Indien keine allzu hohe Vorstellung machen und uns die-
selben nicht so idyllisch ausmalen, wie es wohl Max Müller
zuweilen getan hat Wir hören in den Hymnen des Rigveda
von Blutschande, Verführung, ehelicher Untreue, Abtreibung der
Leibesfrucht ebenso wie von Betrug, Diebstahl und Raub. Aber
alles dies beweist nichts gegen die Altertümlichkejt des Rigveda.
Die heutige Völkerkunde weils nichts von »unverdorbenen Natur-
menschen/ , ebensowenig , wie ihr alle Naturvölker rohe Wilde,
menschenfressende Ungeheuer sind. Der Ethnologe weifs, dafs
eine Stufenleiter von unendlichen Abstufungen der verschieden-
artigsten Kulturverhültnisse von den Naturvölkern zu den Halb-
kulturvölkern bis hinauf zu den Kulturvölkern führt. Wir brauchen
uns daher das Volk des Rigveda weder als ein uns«7huldiges
Hirtenvolk noch als eine Horde roher Wilder, aber auch nicht
als ein Volk von verfeinerter Kultur zu denken. Das Kulturbild,
welches sich uns in diesen Liedern entrollt, und welches uns
Heinrich Zimmer in seinem schönen und noch immer wert-
vollen Buch: »Altindisches Leben« ^) so meisterhaft geschildert hat,
zeigt uns die arischen Inder als ein tätiges, lebensfrohes und
kampflustiges Volk von einfachen, zum Teil noch rohen Sitten.
Die vedisohen Sanger flehen zu den Göttern um Hilfe gegen den
Feind, um Sieg in der Schlacht, um Ruhm und reiche Beute-,
sie beten um Reichtum, Haufen Goldes und ungezählte Vieh-
herden, um Regen für ihre Felder, um Kindersegen und langes
Leben. Noch finden wir in den Liedern des Rigveda nicht jenen
«) Vedische Studien I, S. XXV.
') Berlin 1879.
— 61 —
weichlichen, weltfremden und weltschmerzlichen Zug des indischen
Wesens, der uns in der späteren indischen Litteratur immer
wieder begegnen wird.
Es hat nun Forscher gegeben, welche die Hymnen des Rig-
veda für so ungeheuer alt hielten, dafs sie in denselben nicht so
sehr indisches als arisches oder indogermanisches Geistesleben
zu sehen glaubten; sie hielten dafür, dafs die Epoche dieser
Hymnen der indogermanischen »Urzeit« noch so nahe stehe, dafs
wir es in denselben noch viel mehr mit * Ariern« als mit eigent-
lichen Indern zu tun hätten. Dagegen haben andere Forscher
geltendgeraacht , dafs der Rigveda vor allem ein Erzeugnis des
indischen Geistes ist, und dafs für die Erklärung desselben
nicht andere Grundsätze mafsgebend sein dürfen als für die
irgendeines anderen Textes der indischen Litteratur. Dies ist
einer der vielen Punkte, in denen die Erklärer des Rigveda
ziemlich weit auseinandergehen.
Wir müssen nämlich hier der wichtigen Tatsache gedenken,
dafs der Rigveda noch keineswegs vollständig erklärt ist. Es
gibt wohl eine grofse Anzahl von Hymnen, deren Erklärung
ebenso sicher steht wie die irgendeines anderen indischen Textes.
Aber es gibt anderseits viele Hymnen und sehr viele Verse
und einzelne Stellen des Rigveda, deren richtige Deutung noch
im höchsten Grade zweifelhaft ist. Dies ist auch für die gerechte
Würdigung dieser alten Dichtungen von grofser Wichtigkeit.
Der Laie, der eine Übersetzung des Rigveda in die Hand nimmt,
wundert sich oft darüber, wie so vieles in diesen Hymnen un-
poetisch, ja, unverständlich und unsinnig ist. Der Grund ist aber
häufig nur der, dafs die Übersetzer sich nicht damit begnügen,
das Verständliche zu übersetzen, sondern dafs sie glauben, alles
übersetzen zu müssen, selbst das, was bis jetzt noch nicht
richtig gedeutet ist.
Dafs wir aber den Rigveda noch nicht richtig verstehen,
vmd dafs eine vollständige Übersetzung desselben notwendiger-
weise Unrichtiges enthalten mufs, ist nicht ganz unsere Schuld.
Der Grund ist eben gerade das hohe Alter dieser Hymnen,
welche den Indern selbst schon in sehr früher Zeit unverständ-
lich geworden sind. Innerhalb der vedischen Litteratur finden
wii bereits manche Verse des Rigveda mifsverstanden und falsch
aufgefafst. Und schon frühzeitig haben sich indische Gelehrte
— 62 -
mit der Auslegung des Rigveda abgegeben. Es wurden Samm-
lungen von seltenen und dunklen Wörtern, welche in den Hymnen
vorkommen, veranstaltet, sogenannte Nighantus oder »Glossare? .
Und der erste Exeget des Rigveda, dessen Werk uns erhalten
ist, war Yäska, der auf Grundlage der Nighantus in seinem
Werk Nirukta (d. h. »Etymologie«) eine grofse Anzahl vedischer
Verse erklärt. Dieser Yäska, welcher jedenfalls älter als Pänini
ist, zitiert bereits nicht weniger als siebzehn Vorgänger, deren
Meinungen einander oft widersprechen. Ja, einer der von Yäska
zitierten Gelehrten behauptete geradezu, dafs die ganze Veden-
exegese nichts tauge, da die Hymnen dunkel, sinnlos und ein-
ander widersprechend seien, — wozu Yäska allerdings bemerkt,
es sei nicht die Schuld des Balkens, wenn der Blinde ihn nicht
sehe. Yäska selbst verläfst sich bei der Erklärung schwieriger
Wörter vielfach auf die Etymologie (die selbstverständlich den
wifsenschaftlichen Anforderungen der modernen Philologie nicht
entspricht) und gibt oft zwei oder mehrere verschiedene Deutungen
für ein und dasselbe Wort. Es folgt daraus, dafs schon zu
Yäskas Zeit der Sinn vieler Wörter und Stellen des Rigveda
nicht mehr durch eine ununterbrochene Überlieferung feststand.
Von den vielen Nachfolgern nun, welche dieser Yäska gehabt
hat, ist uns ebenso wie von seinen Vorgängern nichts erhalten.
Erst aus dem 14. Jahrhundert nach Christi Geburt besitzen wir
einen ausführlichen Kommentar, welcher den Text des Rigveda
Wort für Wort erklärt. Es ist dies der berühmte Kommentar
des Säyana. Einige der älteren europäischen Erklärer des
Rigveda — so der englische Gelehrte H. H. Wilson, der
eine vollständige englische Übersetzung des Rigveda ver-
öffentlicht hat, die ganz dem indischen Kommentar folgt —
verliefsen sich durchaus auf Säyanas Kommentar, indem sie
von der Ansicht ausgingen, dafs derselbe auf einer zuver-
lässigen Tradition beruhe. Hingegen kümmerten sich andere
Vedaforscher um die einheimische Interpretation gar nicht. Sie
leugneten, dafs ein Kommentator, der mehr als zwei Jahrtausende
nach dem Entstehen des von ihm erklärten Werkes gelebt habe,
irgend etwas wissen könne, was wir Europäer mit unserer philo-
logischen Kritik und mit den modernen Mitteln der Sprach-
wissenschaft nicht besser ergründen und verstehen könnten. Zu
d'.esen Forschern gehörte namenthch Rudolf Roth. Einer seiner
~ 63 —
Schüler und Anhänger war H. Grafsmann, der eine voll-
ständige metrische Übersetzung der Hymnen des Rigveda in zwei
Bänden veröffentlichte ' ). Die meisten Forscher nehmen heut-
zutage eine vermittelnde Stellung ein. Sie geben zwar zu, dafs
wir den einheimischen Erklärern nicht blindlings folgen dürfen,
glauben aber, dafs dieselben doch teilweise wenigstens aus
einer ununterbrochenen Überlieferung schöpften und darum Be-
achtung verdienen, dafs sie aber auch schon deshalb, weil sie
Inder sind und sich in der indischen Atmosphäre gewissermafsen
besser auskennen als wir Europäer, oft das Richtige treffen. Zu
diesen Erklärern gehört Alfred Ludwig, der iii seiner voll-
ständigen deutschen Übersetzung des Rigveda, der ein ausführ-
licher, höchst wertvoller Kommentar beigegeben ist =), zum ersten-
mal die Erklärungen des Säyana gründlich verwertet hat, ohne
dabei auf andere Hilfsmittel der Erklärung zu verzichten. Er ist
ein Vorläufer von R. Pischel und K. F. Geldner, die sich
durch ihre »Vedischen vStudien« ^) um die Aufklärung vieler dunkler
Stellen des Rigveda aufscrordentlich verdient gemacht haben.
Sie haben auch am schärfsten — freilich nicht ohne Übertreibung
— den Grundsatz festgehalten, dafs der Rigveda vor allem als
ein indisches Geisteserzeugnis erklärt werden mufs, für dessen
richtiges Verständnis die indische Litteratur späterer Perioden
den besten Schlüssel liefert.
Zu all dem koöimt noch eine andere vielumstrittene Frage,
welche für die Erklärung der vedischen Hymnen von nicht ge-
ringem Belange i.st: nämlich die, ob diese Hymnen unabhängig
von allem Opferrituell als die naiven Äufserungen eines frommen
Götterglaiibens , als die Herzensergüsse gottbegeisterter Sänger
entstanden, oder aber, ob sie vori Pri .' : :: Mofs mit der Absicht,
•) Leipzig 1876 und 1877'. Viel mehr zu empfehlen als diese
Übersetzung ist die gleichfalls aus der Schule Roths hervorgegangene
Auswahl «Siebenzig Lieder des Rigveda übersetzt von Karl Geldner
und Adolf Kaegi. Mit Beiträgen von R. Roth«. Tübingen 1875.
') Prag 1876—1888 in sechs Bänden. Trotz ihrer abschreckenden
äufseren Form ist die Prosaübersetzung Ludwigs in bezug auf Ge-
nauigkeit und Zuverlässigkeit den gefälligen Versen Grafsmanns unbe-
dingt vorzuziehen. Zu empfehlen sind auch die englischen Übersetzungen
ausgewählter Hymnen des Rigveda von F. Max Müller und H. Olden-
berg in den ».Sacred Books of the East», vols. 32 und 46.
3) Stuttgart 1889—1901, drei Bände.
~ 64 —
zu gewissen Opfern und Zeremonien verwendet zu werden, band-
werksmäfsig verfafst worden sind.
Wie verschieden aber die Beurteilung dieser Lieder ist, je
nachdem ein Forscher aul dem einen oder dem anderen der eben
aufgezählten Standpunkte der Auslegung steht, das mag eine
Gegenüberstellung der Urteile zweier bedeutender Forscher zeigen.
In seinem schönen und noch immer empfehlenswerten Buch : »Der
Rigveda, die älteste Litteratur der Inder« ') sagt Ad. Kaegi
von den Hymnen desRigveda: »Die grofse Mehrzahl der Lieder
sind Annifungen und Verherrlichungen der jeweilen angeredeten
Gottheiten; ihr Grundton ist durchweg ein einfacher Ergufs des
rierzens, ein Gebet zu den Ewigen, eine Einladung, die fromm
geweihte Gabe günstig entgegenzunehmen . , . Was ein Gott in
seme Seele legte und ihm zu fühlen gab: dem Drang seines
Herzens will der Sänger beredten Ausdruck geben.«- Er gibt zu,
dafs auch minderwertige Stücke sich in der Sammlung befinden,
»aber es weht in ihnen allen ein frischer Hauch urkruftiger, natur-
wüchsiger Poesie: wer immer sich die Mühe gibt, sich hinein-
zuversetzen in das religiöse und sittliche E'enken und Handeln,
das Dichten und Schaffen eines Volkes und Zeitalters, welches
die erste Geistesentwicklung unseres eigenen Stammes uns am
besten vor Augen stellt, der wird sich durch viele dieser Lieder,
hier durch die kindliche Einfalt, dort durch die Frische oder
Zartheit der Empfindung, anderwärts durch die Küh'nheit der
Bilder, durch den Schwung der Phantasie mannigfach angezogen
fühlen« . Und nun höre man , was H. Oldenberg, der geist-
volle und feinsinnige Kenner indischer Litteratur, in seiner
»Religion des Veda'? -) über diese Lieder sagt. Er sieht schon
in diesem iältesten Dokument der indischen Litteratur und Religion«
;»die deutlichen Spuren eines immer mehr überhandnehmenden
geistigen Erschlaf fens« . Er spricht von den »Opfergesängen und
Litaneien, mit welchen die Priester der vedischen Arier auf
tempellosem Opterplatz, an den rasenumstreuten Opferfeuern ihre
Götter anriefen, — Barbarenpriester die Barbarengötter, die mit
Rossen und Wagen durch Himmel und Luftreich gefahren kamen,
um den Opferkuchen, Butter und Fleisch zu schmausen und im
') Zweite Auflage, Leipzig 1881.
*) Berlin 1894.
— 65 —
berauschenden Somasaft sich Mut und Götterkraft zu trinken.
Die Sänger des Rigveda, in altererbter Weise dichtend für das
grofse und prunkvolle . . . Somaopfer, wollen nicht von dem
Gott, welchen sie feiern, erzählen, sondern sie wollen diesen Gott
loben ... So häufen sie auf ihn alle verherrlichenden Beiworte,
welche der schmeichlerisch-plumpen Redseligkeit einer das Helle
und Grelle liebenden Phantasie zu Gebote stehen.« »Nur in den
abgeschlossenen Kreisen priesterlicher Opfertechniker« konnte,
meint Oldenberg, eine solche Poesie entstanden sein.
Mir scheinen diese Urteile beide tibertrieben, und die Wahr-
heit liegt meiner Ansicht nach hier wie bei allen die Rigveda-
Erklärung betreffenden Streitfragen in der Mitte. Erinnern wir
uns, dals die Hymnensammlung des Rigveda aus älteren und
jüngeren Stücken zusammengesetzt ist. Und so wie es Hymnen
in der Samhitä gibt, die verschiedenen Zeitaltern angehören, so
sind auch die Hymnen inhaltlich von sehr verschiedenem Wert
und verschiedenen Ursprungs. Kein Zweifel, dafs eine grofse
Anzahl derselben unabhängig von allem Opferrituell entstanden
ist, und dafs in ihnen der Hauch echter, urwüchsiger religiöser
Poesie weht '). Wenn viele dieser Hymnen auch späterhin
für Opferzwecke verwendet wurden, so beweist das durchaus
nicht, dafs sie von Anfang an für diesen Zweck gedichtet
worden sind. Anderseits ist es ebenso unzweifelhaft, dafs sehr
viele Stücke der Rigveda-Samhitä von vornherein nichts anderes'
als Opfergesänge und Litaneien sein sollten und von priester-
lichen Sängern recht handwerksmäfsig zusammengeleimt worden
sind. Übertrieben ist es gewifs auch, wenn W. D. Whitney
sagt: »Nicht ein indisches, sondern eher ein indogermanisches
Buch scheinen die Vedas zu sein.« Aber ebenso entschieden ist
es eine Übertreibung, wenn Pischel und Geldner (mit H. H. Wilson)
behaupten, dafs die Inder zur Zeit des Rigveda bereits eine
Kulturstufe erreicht hatten, die wenig versfchieden war von der,
') Nur darf man nicht mit solchen Übertreibungen kommen wie
H. Brunnhof er (Über den Geist der indischen Lyrik, Leipzig 1882),
der den Verfasser einer der späteren philosophischen Hymnen des Rig-
veda zu einem »aus den Nebeln der Urzeit emporrag:enden Dichter-
fürsten-' macht (S. 15) und sich zu dem Satz hinreifsen läfst: »Der Veda
ist gleichsam der Morgenlerchentriller der zum Bewufstsein ihrer
Grofse erwachenden Menschheit. < (S. 41 .) Das ist der Veda gewifs nicht !
Winternitr, Gejctiichte dor iadischeti Litteratur. 5
— 66 —
welche Alexander der Grofse bei seinem Einfall in Indien
vorfand')-
Mag die Kluft, welche die Hymnen des Rigveda von der
übrigen indischen Litteratur trennt, auch nicht so grofs sein,
wie manche ältere Forscher angenommen haben, — eine KJuft
ist doch vorhanden *). Dies beweist die Sprache , dies beweisen
die oben angedeuteten Kulturverhältnisse, und dies beweist ganz
besonders auch die Stufe der Religionsentwicklung^ welche
uns in den Hymnen entgegentritt. Und so viel ist sicher : Was
auch immer der dichterische Gehalt der Lieder des Rigveda sein
mag, es gibt keine wichtigere Quelle für die Erforschung der
frühesten Stufen in der Entwicklung der indischen Religion, keine
wichtigere litterarische Quelle für die Erforschung der Mythologie
der indogermanischen Völker, ja, der Völker überhaupt als diese
Lieder des Rigveda.
Um es mit einem Worte zu sagen: Was diesen Hymnen
ihren Wert verleiht, ist der Umstand, dafs wir in denselben eine
Mythologie im Werde ri vor uns sehen. Wir sehen Götter
gewissermafsen vor unseren Augen entstehen. Viele der Hymnen
gelten nicht einem Sonnengott, nicht einem Mondgott, nicht einem
Feuergott, nicht einem Himmelsgott, nicht Sturmgöttern und
Wassergottheiten , nicht einer Göttin der Morgenröte und einer
Erdgöttin, sondern die leuchtende Sonne selbst, der strahlende
Mond am nächtlichen Firmament, das auf dem Herde oder dem
Altar lodernde Feuer oder auch der aus der Wolke zuckende
Blitz, der helle Tageshimmel oder der gestirnte Nachthiinmel, die
brausenden Stürme, die strömenden Wasser der Wolken und der
Flüsse, die erglühende Morgenröte und die weithin sich aus-
breitende, fruchtbare Erde — alle diese Naturerscheinungen werden
als solche verherrlicht, angebetet und angerufen. Und erst all-
mählich vollzieht sich in den Liedern des Rigveda selbst die Um-
wandlung dieser Naturerscheinungen in mythologische Gestalten,
in Götter und Göttinnen, wie Sürya (Sonne), Soma (Mond), Agni
(Feuer), Dyaus (Himmel), Maruts (Stürme), Väyu (Wind), Äpas
(Gewässer), Usas (Morgenröte) und Ptthivi (Erde), deren Namen
auch noch unzweifelhaft andeuten, was sie ursprünglich gewesen
0 Vedische Studien I, S. XXVI.
») So auch A. Hillebrandt, Vedische Mythologie II, 8.
— 67 — •
sind. Und so beweisen die Lieder des Rigveda unwiderleglich,
dafs die hervorragendsten Gestalten der Mythologie aus Personi-
fikationen der aufCälligöten Naturerscheinungen hervorgegangen
sind. Der mythologischen Forschung aber ist es gelungen, auch bei
anderen Gottheiten, deren Namen nicht mehr so durchsichtig sind,
nachzuweisen, dafs sie ursprünglich nichts anderes waren als eben-
solche Naturerscheinungen wie Sonne, Mond u. s. w. Solche mytho-
logische Gestalten, deren ursprüngliche Natur in den Hymnen
schon halb und halb vergessen ist, und die nur mehr als mächtige,
erhabene und durch allerlei Wundertaten ausgezeichnete Wesen
gefeiert werden, sind Indra, Varuna, Mitra, Aditi, Visnu, Püsan,
die beiden Asvins, Rudra und Parjanya. Auch diese Götternamen
bezeichneten ursprünglich Naturerscheinungen und Naturwesen.
Beiwörter, welche zunächst eine besonders wichtige Seite eines
Naturwesens hervorhoben, wurden zu eigenen Göttemamen und
zu neuen Göttern. So waren Savitar, der »Erreger«, der »Beieber«,
und Vivasvat, sder Leuchtende«, zuerst Beiwörter, dann Namen
der Sonne, und schlielslich wurden sie zu selbständigen Sonnen-
göttern neben Sürya. Auch die Götter verschiedener Stämme
imd verschiedener Zeiten sind vielfach in dem Polytheismus der
vedischen Inder vertreten'). So kommt es, dafs auch Mitra,
Visnu und Püsan im Rigveda als Sonnengötter erscheinen. Pusan
war vermutlich ursprünglich der Sonnengott eines kleinen Hirten-
stammes, ehe er als der »Herr der Wege«, der Schützer der
Reisenden, der Gott, der alle Pfade kennt und auch das verlaufene
Vieh wieder auf den richtigen Weg bringt, in das vedische
Pantheon aufgenommen wurde. Mitra, der identisch ist mit dem
Mithra des Avesta, gibt sich schon dadurch als ein alter arischer
Sonnenaott zu erkennen, der noch aus der Zeit stammt, wo
Inder und Iranicr ein Volk bildeten. Nicht bei allen Göttern ist
es so leicht, zu ergründen, welcher Naturerscheinung sie ihren
Urspning verdanken. Noch gehen die Ansichten der Forscher
in der Erklärung von Göttern wie Indra, Varuna, Rudra, der
Aditi und den A§vrns — um nur die wichtigsten zu nennen —
weit auseinander. So ist Indra dem einen ein Gewittergott, dem
andern ein alter Sonnengott. Varuna gilt den einen als ein
Himmelsgott, während andere in ihm einen Mondgott sehen.
') Vgl A. Hillebrandt. Vedische Mythologie II, U iL
5'
— 68 —
Rudra, der gewöhnlich für einen Sturmgott gehalten wird , weil
er der Vater der Sturmgötter (der »Maruts«) ist, wäre nach
Oldenberg ein Berg- und Waldgott, nach Hillebrandt »ein Gott
der Schrecken des tropischen Klimas s. Aditi ist nach der einen
Ansicht der weite Himmelsraum, nach der anderen die endlos
sich ausbreitende Erde. Die beiden Asvins, ein Götterpaar,
welches mit den griechischen Dioskuren zweifellos verwandt ist
und sich auch in der germanischen und lettischen Mythologie
wiederfindet, waren schon vor Yäska den alten indischen Exegeten
ein Rätsel; die einen hielten sie für Himmel und Erde, andere
für Tag und Nacht, und heute noch sehen manche Forscher in
ihnen die beiden Dämmerungen, andere Sonne und Mond, wieder
andere den Morgen- und Abendstern und noch andere das Stern-
bild der Gemini \). Was aber das wichtigste ist: darin stimmen
die meisten M)i.hologen heute überein , dafs die weitaus gröfste
Mehrzahl der vedischen Götter aus Naturerscheinungen oder
Naturwesen hervorgegangen ist. Wohl hat es auch einige Gott-
heiten gegeben , welche aus Abstraktionen zu göttlichen Wesen
geworden sind , aber sie treten fast alle erst in den spätesten
Hymnen des X. Buches auf ; so Visvakarman, »der Weltbaumeister« ,
Prajäpati, »der Herr der Geschöpfe«, oder Sraddhä, »Glaube«,
Manyu, »Zorn«, und einige ähnliche Personifikationen. Wichtiger
sind einzelne Götter der sogenannten »niederen« Mythologie,
') Es ist hier nicht der Ort, zu all den Streitfragen, welche die
vedische Mythologie betreffen, vStellung" zu nehmen. Die Tatsachen
der vedischen Mythologie findet man am besten zusammengestellt bei
A. A. Macdonell, Vedic Mythology (im "Grundrifs III, lA) Wer sich
in bezug auf die Erklärung der Mythen und des Götterglaubens
der alten Inder orientieren will, mufs unbedingt sowohl H. Oidenbergs
'Religion des Veda (Berlin 18^4) als auch A. Hillebrandts »Vedische
Mythologie^ (drei Bände, Breslau 1891 — 1902j zu Rate ziehen. So
verschieden auch die Resultate sind, zu denen di-i beiden Forscher ge-
langen, so haben doch beide zur Erweiterung UT:d Vertiefung unserer
Kenntnis der vedischen Religion unendlich viel beigetragen. Dals aber
bei den hier in Betracht kommenden Fragen absolute Sicherheit nie
zu erreichen ist, dafs man der Wahrheit immer nur mehr oder weniger
nahekommen kann, darüber mufs sich auch der Laie klar werden. Grolse
Verdienste um die Erforschung der vedischen Religion und noch mehr
um die Exegese der Hymnen des Rigveda hat sich auch der französische
Gelehrte Abel Bergaigne (La religion v^dique d'apres les hymnes
du Rig-Veda, drei Bände, Paris 187^-1883) erworben.
— 69 —
welche auch im Rigveda vorkommen: die Rbhus, welche den
Elfen, die Apsaras, welche den Nymphen entsprechen, und die
Gandharvas, welche eine Art Wald- und Feldgeister sind. Auch
zahlreiche Dämonen und böse Geister erscheinen in den Hymnen
als Götterfeinde, welche von den Devas oder Göttern gehafst und
bekämpft werden. Der Name Asura aber, mit welchem in den
späteren vedischen Werken diese Götterfeinde bezeichnet werden,
kommt im Rigvcda noch in der alten Bedeutung >Gott^ vor,
welche das entsprechende Wort xAhura« im Avesta hat, und
nur an wenigen Stellen auch in der Bedeutung von Dämonen.
Im Rigveda ist Däsa oder Dasyu — so bezeichnete man auch
die nicht-arischen Ureinwohner — der gewöhnliche Name für die
bösen Dämonen, daneben auch Raksas oder Räksasas, womit im
Rigveda ebenso wie in der ganzen späteren indischen Litteratur
alle Arten von unheilbringenden, gespenstischen Wesen bezeichnet
werden. Auch die Pitaras, die »Väter« oder Ahnengeister, emp-
fangen schon im Rigveda göttliche Verehrung. Und der König
dieser Ahnengeister, der im Reiche der Verstorbenen hoch oben
im höchsten Himmel herrscht, ist Yama, ein Gott, der schon der
indo-iranischen Vorzeit angehört-, denn er ist identisch mit Yima,
der im Avesta der erste Mensch, der Urahn des Menschen-
geschlechts ist. Als der erste Dahingeschiedene — vielleicht ur-
sprünglich die täglich untersinkende Sonne oder der allmonatlich
hinsterbende Mond — wurde er zum König im Reiche der Toten.
Aber dieses Totenreich ist im Himmel, und den Sterbenden tröstet
der Glaube, dafs er nach dem Tode im höchsten Himmel bei
König Yama weilen werde. Von dem düsteren Glauben an eine
Seelenwanderung und ein ewiges Wiedergeborenwerden — dem
Glauben, welcher das ganze philosophische Denken der Inder
in späteren Jahrhunderten beherrscht — ist im Rigveda noch
keine Spur zu finden. So sehen wir auch hier, wie doch in diesen
Hymnen ein ganz anderer Geist weht als in der gesamten
späteren indischen Litteratur.
Gerade diese bedeutenden Unterschiede zwischen den religiösen
Anschauungen, die in den Liedern des Rigveda zutage treten,
imd denen der Folgezeit beweisen aber auch, dafs diese Lieder
tatsächlich den Volksglauben der alten arischen Inder wider-
spiegeln. Und wenn es auch richtig ist. dafs die Lieder des
Rigveda iiicht eigentlich > Volksdichtung <: zu nennen sind, dafs
— 70 —
sie — zum grofsen Teile wenigstens — in gewissen Sängerfamilien,
in engen priesterlichen Kreisen entstanden sind, so dürfen wir doch
nicht glauben, dafs diese Priester und Sänger die Mythologie und
das Religionswesen ohne Rücksicht auf den Volksglauben ge-
schaffen haben. Wohl mag manches, was uns von den Göttern
berichtet wird , nur auf »momentanen Einfällen der einzelnen
Dichter« beruhen, aber im grofsen und ganzen müssen wir an-
nehmen, dafs diese Priester und Sänger an Volkstümliches an-
geknüpft haben, dafs sie — wie Hillebrandt treffend sagt —
»über, aber nicht aufser dem Volke« standen»).
So sind uns denn diese Lieder als Zeugnisse für den ältesten
Götterglauben der arischen Inder von unschätzbarem Wert. Aber
auch als Werke der Dichtkunst verdienen sie einen hervor-
ragenden Platz in der Weltlitteratur. Wohl erheben sich die
Dichter dieser Hymnen nur äufserst selten zu dem erhabenen
Schwung und der tiefen Inbrunst etwa der religiösen Poesie der
Hebräer. Der vedische Sänger blickt zu dem Gott, den er be-
singt, nicht mit jener erschauernden Ehrfurcht und nicht mit
jenem felsenfesten Glauben empor wie der Psaimist zu Jehovah.
Und nicht, wie bei diesem, steigen die Gebete der priesterlichen
Sänger Altindiens aus dem Tiefinnersten der Seele zu den
Himmlischen empor. Diese Dichter stehen mit den Göttern, die
sie besingen, auf mehr vertrautem Fufse. Wenn sie einem Gott
ein Loblied singen, so erwarten sie von ihm, dafs er ihnen dafür
auch Reichtümer an Kühen und Heldensöhnen schenkt, und sie
scheuen sich auch nicht, dem Gotte das zu sagen. »Do, ut desc
ist der Standpunkt, auf dem sie stehen. So sagt ein vedischer
Sänger zu dem Gott Indra (Rv. VIII, 14, L 2):
'•Wenn ich, o Indra, so wie du,
Allein der Herr der Güter war',
Dann würde mein Lobsänger nie
Ganz ohne Rinder sein;
Ihm helfen würd' ich, schenken ihm,
Dem weisen Sänger, — tat' es «ern,
Wenn ich, o hilfereicher Gott.
Der Herr der Rinder war'."
') Vgl. Oldenberg, Aus Indien und Iran, S. 19. Religion des
Veda, S. 13. Hillebrandt. Vedische Mythologie IL 4.
— 71 —
Und ein anderer Sänger wendet sich an Gott Agni mit den
Worten (Rv. VIII, 19, 25. 26):
»Wenn, Agni, du der Sterbliche wärest und der Unsterbliche ich,
O du dem Mitra gleicher Sohn der Kraft, dem unser Opfer gilt —
Nicht würd' dem Fluche ich, dem Unheil preis dich geben, guter Gott !
Nicht würde mein Lobpreiser arm und elend, nicht im Unglück sein.«
Doch ist der Charakter der Hymnen ~ und ich spreche zu-
nächst von jenen, welche Anrufungen und Lobpreisungen
der Götter enthalten, ohne für bestimmte Opferzwecke verfafst
zu sein — sehr verschieden, je nach den Gottheiten, welchen sie
gewidmet sind. Zu den erhabensten und schwungvollsten Ge-
dichten gehören unstreitig die Lieder an Varuna. Es sind
ihrer allerdings nicht viele. Varuna aber ist der einzige unter
den vedischen Göttern, der hocherhaben über den Sterblichen
dasteht, dem sich der Sänger nur jiiit Zittern und Bangen und
in demutsvoller Ehrfurcht zu nahen wagt. Varuna ist es auch,
der mehr als irgendein anderer Gott des vedischen Pantheons
sich um den sittlichen Wandel der Menschen kümmert und die
Sünder bestraft. Zerknirscht naht ihm deshalb der Sänger und
bittet um Vergebung seiner Sünden. Danmfi sind die an Varuna
gerichteten Hymnen auch die einzigen, die sich einigermalsen
mit der Poesie der Psalmen etwa vergleichen lassen. Als Probe
gebe ich den Hymnus Rv. V, 85 in der Übersetzung von
K. Geldner'):-
»Das Lied stimm an bald laut, bald leiser tönend
Dem Varuna, dem Herrn des Alls, das liebe
Ihm, der die Erde spannte, wie der Schlächter
Die Stierhaut in dem Sonnenscheine spreitet
Die Lüfte hat mit Wolken er durchwoben*).
Ins Rofs den Mut gelegt, die Milch in Kühe,
Verstand ins Herz, in Wasserfluten Feuer ^),
Die Sonn' am Himmel, auf den Fels den Soma.
') »Siebenzig Lieder des Rigveda«, Nr. 2.
') Im Text heilst es aber: "Über die Wälder hat er den Luftraum
ausgespannt.«
3) Nämlich den Blitz in die Wolke.
- 72 -
Die Wolkentonne stürzt er um und lätst sie
Zerrinnen in die Luft, nach Erd' und Himmel.
So tränket er, der König alles Lebens,
Die "Wesen, wie des Feldes Frucht der Regen.
Er netzt der Erde Boden und den Himmel,
Sobald er jene Milch will melken lassen,
So hüllen Berge sich in Wetterwolken,
Und rüstige Männer bringen sie zum Schmelzen')-
Auch dies gewaltige Wunderwerk Varunas,
Des hochgerühmten Gottes, will ich künden:
In Lüften stehend mifst er mit der Sonne
Die Erdetiräume wie mit einem Mafse.
Auch dies gewaltige Wunderwerk des Gottes,
Des höchsten Weisen, tastet keine Hand an,
Dafs aller Ströme blinkende Gewässer
In eine See gegossen sie nicht füllen.
Wenn wir den nah befreundeten und lieben
Genossen oder Bruder oder Nachbarn,
Wenn wir den Landsmann oder Fremden jemals,
O \'aruna, verletzten, so vergib das.
Wenn wir wie Schelme bei dem Spiel betrogen.
Wenn wissentlich wir fehlten oder anders.
So löse alle diese Schuld wie Flocken ;
Dir lieb und wert zu sein, ist unser Streben.«
Varuna ist auch .schon im Rigveda, wie er in der späteren
Mythologie der Gott des Meeres ist, ein Gott der Gewässer, und
darum bestraft er auch die Menschen, die sich versündigt haben,
vornehmlich durch die Wassersucht. Ein schlichtes Gebet eines
an der Wassersucht Erkrankten ist Rv. VII, 89. Ich gebe es in
wörtlicher Prosaübersetzung :
»O möcht" ich doch noch nicht ins irdene Haus*) eingehen,
o König Varuija! Sei gnädig, Herrscher, hab Erbarmen!
') Die Milch ist das Wasser der (mit Kühen verglichenen) Wolken.
Die »rüstigen Männer« sind die Sturmgötter (Maruts), welche beim
Gewitter die »Milch- der Wolken zum Fliefsen bringen.
') Das Grab oder die tönerne Urne, in welcher die Asche des ver-
brannten Leichnams aufbewahrt wird, kann gemeint sein. Über die
Bestattungs weisen der alten Inder siehe unten S. 84 f.
— 73 —
Wenn ich. wie ein aufgeblasener Schlauch, schwankend einhergehe,
o Steinbewehrter, — sei gnädig, Herrscher, hab Erbarmen!
Durch die Schwäche meines Verstandes bin ich — ich weifs nicht,
wie — irre gegangen; - sei gnädig, Herrscher, hab Erbarmen!
Obgleich dein Sänger mitten im Wasser steht, hat ihn doch Durst
heimgesucht; — sei gnädig, Herrscher, hab Erbarmen.
Was immer wir, o Varuna, Menschen, die wir sind, für Unrecht
gegen, das Göttervclk begangen, wenn wir auch aus Unverstand deine
Gesetze übertreten haben, — o Gott, füge uns kein Leid zu um dieser
Sünde willen!«
Ein ganz anderer Tön ist es, welcher in den Liedern an den
Gott Indra angeschlagen wird. Indra kann als der eigentliche
Nationalgott der vedischen Inder bezeichnet werden. Da aber
die Inder zur Zeit des Rigveda noch ein kämpfendes und
ringendes A'^olk waren, so ist auch Indra ein durchaus kriegerischer
Gott. Seine ungeheure Kraft und Rauflust wird immer wieder
geschildert, und mit Liebe verweilen die vedischen Sänger bei
den Kämpfen des Indra rm't den Dämonen, die er mit seinem
Donnerkeil vernichtet. Namentlich wird der Kampf des Indra
mit dem Vrtra in zahlreichen Hymnen besungen. Immer wieder
ist von dem grofsartigen Sieg die Rede, welchen der Gott über
den Dämon errungen; unzählige Male wird Indra jubelnd ge-
priesen, dafs er den Vrtra mit seinem Donnerkeil erschlagen.
Vrtra (wahrscheinlich »der Hemmer«) ist ein Dämon in Schlangen-
oder Drachengestalt, der die Wasser in einem Berge eingeschlossen
oder gefangen halt. Indra will die Wasser befreien. Er trinkt
sich mit Soma Mut, eilt zum Kampf und erschlägt das Ungeheuer;
— nun strömen die befreiten Wasser über den Leichnam des
Vrtra in raschem Laufe dahin. Sehr anschaulich wird uns diese
grolse Tat des Indra in dem Liede Rv. I, 32 geschildert, das mit
den Versen beginnt:
"Indras Heldentaten will ich verkünden, die ersten, die des Donner-
keils Herr getan hat. Die Schlange hat er geschlagen, den Wassern
hat er Bahn gemacht, der Berge Bauch hat er gespalten.
Die Schlange hat er geschlagen, die auf dem Berge lag. Tvas^ar
hat ihm den sausenden Donnerkeil geschmiedet. Wie brüllende Kühe
eilten die Wasser; stracks gingen sie hinab zum Meer.«')
') Nach Oldenberg, der den ganzen Hymnus übersetzt hat in
seiner »Religion des Veda*. S. 136 ff.
_ 74 —
Die Lieder lassen keinen Zweifel darüber, dafs es sich bei
dem Mythos vora Drachenkampf des Indra um ein gewaltiges
Naturphänomen handelt. Himmel und Erde erzittern, wenn Indra
den Vitra erschlägt. Er vernichtet den Drachen nicht nur ein-
mal, sondern wiederholt, und er wird aufgefordert, auch in der
Zukunft immer den Vrtra zu töten und die Wasser zu befreien.
vSchon die alten indischen Veda-Erklärer sagen uns, dafs Indra
ein Gewittergott ist, dafs wir unter den Bergen, in welchen die
Wasser eingeschlossen sind, die Wolken zu verstehen haben, in
denen Vitra — der Dämon der Dürre — die Wasser eingekerkert
hält. Und die meisten europäischen Mythologen schlössen sich
dieser Meinung an und sahen in dem donnerkeilbewehrten Indra
ein Gegenstück des gei-nianischen Thunar, der den Donnerhammer
Mjölnir schwingt, einen in die indogermanische Vorzeit zurück-
reichenden Gewittergott, und in dem Drachenkampf eine mytho-
logische DarstelluDg des Gewitters. Neuerdings hat aber Hille-
brandt zu beweisen gesucht, dafs Vitra nicht ein Wolkendämon
und nicht ein Dämon der Dürre, sondern ein Winterriese ist,
dessen Macht durch den Sonnengott Indra gebrochen wird; die
»Ströme« , v/elche von Vrtra gefangengebalten und von Indra
befreit werden, sind nach ihm nicht die Regengüsse, sondern die
Ströme des nordwestlichen Indiens, welche im Winter versiegen
und sich erst füllen, wenn die Sonne die Schneemassen der
Berge des Himalaja zum Schmelzen bringt.
Wie immer dem sein mag, sicher ist, dafs die vedischen
Sänger selbst kein klares Bewufstsein mehr von der ursprüng-
lichen Naturbedeutung des Indra sowie des Vrtra hatten.
Für sie war Indra ein gewaltiger Kämpe, ein Riese von un-
geheurer Stärke, Vrtra aber der gefürchtetste unter den Dämonen,
welche man in den schwarzen Ureinwohnern des Landes ver-
körpert glaubte. Indra kämpft ja nicht nur mit Vrtra, sondern
mit zahlreichen anderen Dämonen. Und seine Dämonenkämpfe
sind nur ein Abbild der Kämpfe, welche die arischen Einwanderer
auszufechten hatten. Darum ist auch Indra vor allem ein Gott
der Krieger. Und von keinem der Götter des vedischen Pan-
theons werden uns so viele individuelle Züge mitgeteilt, keiner
wird so »lebenswahre — wenn man den Ausdruck von einer
Gottheit gebrauchen kann — gezeichnet wie dieser kriegerische
Gott in den 250 Hymnen, die ihm gewidmet sind. Grofs vmd
- 75 —
stark sind seine Arme. Mit Schönen Lippen schlürft er den
Somatrank , und wenn er getrunken , bewegt er vergnügt die
Kinnbacken und schüttelt den blonden Bart. Goldblond ist auch
sein Haar und seine ganze Erscheinung. Er ist ein Riese von
Gestalt, — Himmel und Erde wären nicht grofs genug, um ihm
als Gürtel zu dienen. An Stärke und Kraft kommt ihm kein
Himmlischer und kein Irdischer gleich. Als er die zwei endlosen
Welten erfafste, da waren sie für ihn blofs eine Handvoll. Mit
Vorliebe wird er ein Stier genannt. Grenzenlos wie seine Stärke
ist auch seine Trinkfähigkeit, die in den Liedern oft nicht ohne
Humor geschildert wird. Bevor er den Vrtra schlug, trank er
drei Teiche voll Soma aus ; und einmal heifst es gar, er habe auf
einen Schluck dreifsig Teiche Somasaft getrunken. Kaum dafs
er geboren war — und seine Geburt war keine gewöhnliche,
denn noch im Mutterschofse sagte er; »Hier will ich nicht
hinausgehen; das ist ein schlechter Weg; querdurch aus der Seite
will ich hinaus« (Rv. IV, 18, "2) — , trank er auch schon den
Soma becherweise. Manchmal hat er auch des guten zuviel
getan. In dem Lied Rv. X, 119 führt uns ein Sänger den
trmikenen Indra vor, wie er einen Monolog hält und überlegt,
was er machen soll — 5»So will ich's machen, nein, so,«, »ich will
die Erde hier, nein, ich will sie dortbin setzen« u. s. w. — , wobei
jede Strophe mit dem vielsagenden Refrain endet: »Habe ich
denn vom Soma getrunken?«
Dieser kriegerische Nationalgott eignete sich viel mehr als
irgendein anderer zum Götter fürsten. Und obwohl im Rigveda
fast jeder der Götter gelegentlich einmal als der erste und höchste
aller Götter gepriesen wird — es ist dies eine Art der Schmeichelei,
durch welche man sich den Gott gewogen machen will, ähnlich
wie spätere Hofdichter manches kleine Fürstchen als Welt-
beherrscher gefeiert haben — , so ist doch Indra in den ältesten
Zeiten unzweifelhaft ein König unter den Göttern, ähnlich wie
der Zeus des griechischen Olymps.
Als Götterfürst wird er gefeiert in dem Liede Rv. II, 12,
dys als Probe eines Indraliedes hier in wörtlicher Prosaübersetzung
gegeben sei :
»Der verständige Gott, der, kaum dafs er geboren war. die Götter
alle schon an Einsicht übertraf, vor dessen ungestümer Kraft Himmel
und Erde erbebten, ob der Gröfse seiner Mannhaftigkeit, — das, ihr
Leute, ist Indra.
- 76 —
Der die wankende Erde festigte, der die taumelnden Berge zur
Ruhe brachte, der den Luftraum weithin ausmafs, der den Himmel ge-
stützt hat, — das, ihr Leute, ist Indra.
Der die Schlange getötet und die sieben Ströme freigemacht, der
die Kühe aus dem Versteck des Vala herausgetrieben'), der zwischen
zwei Steinen (Wolken ?) den Agni erzeugte, der Zermalmer in Schlachten
— das, ihr Leute, ist Indra.
Der diese ganze Welt zum Wanken bringt, der die Sklavenrasse
gedemütigt und ins Versteck getrieben, der die Reichtümer des Feindes
an sich gerissen hat, gleichwie ein Spieler, wenn er gewonnen, den Preis
einzieht, — das, ihr Leute, ist Indra.
Der so gewaltig ist, und von dem die Leute fragen ,Woister?',
und von dem sie sagen: ,Er ist ja gar nicht,' der die Schätze des Feindes
vermindert, wie der Gewinner beim Spiel die Einsätze, an den glaubet,
— das, ihr Leute, ist Indra.
Der ein Förderer des Frommen, ein Helfer des Armen, des Priesters,
des flehenden .Sängers, der ein Helfer dessen ist, der die Prefssteine
herrichtet und den Soma preist, der mit schönen Lippen trinkt — das,
ihr Leute, ist Indra.
Unter dessen Botmäfsigkeit alle Rosse und Rinder, Menschen und
Streitwagen stehen, der die Sonne, der die Morgenröte hervorgebracht,
der die Wasser lenkt, - das, ihr Leute, ist Indra.
Den die beiden Schlachtreihen, wenn sie zusammcnstofsen , jede
einzeln anrufen — die beiden feindlichen Kämpfer, die stärkeren sowohl
wie die schwächeren — , und den auch die beiden, welche denselben
Streitwagen bestiegen*), jeder für sich anrufen, — das, ihr Leute, ist Indra.
Ohne den die Menschen nicht siegen, den die Kämpfenden zu
Hilfe rufen, der jedem Feind ein ebenbürtiger Gegner ist, der das Un-
erschütterliche erschüttert, — das, ihr Leute, ist Indra.
Der immer noch diejenigen, welche grofse Schuld auf sich geladen,
mit seinem Pfeil getötet hat, eh dafs sie es gedacht, der dem Trotzigen
an Trotz nicht nachgibt , der Töter des Dasyu ^) — das, ihr Leute, ist
Indra.
Der den in den Bergen hausenden Sambara^) im vierzigsten Herbste
aufgefunden, der den Drachen Danu t), obgleich dieser all seine Kraft
anwandte, getötet hat, so dafs er hingestreckt dalag, — das, ihr Leute,
ist Indra.
') Nächst der Vrtratötung ist diese Befreiung der Kühe die gröfste
Heldentat des Indra. Man vergleicht damit — ich glaube, mit Recht —
die Tat des Herakles, der den dreiköpfigen Geryoneus tötet und die
von ihm geraubten Rinderherden wegführt. Ebenso Hercules und
Cacus. Vgl. Oldeuberg, Rel. d. Veda, S. 143 fg. Hillebrandt, Ved. Myth.
111, 260 ff,
0 Nämlich der Kämpfer und der Wagenlenker.
?) Namen von Dämonen.
— 77 —
Der kraftvolle Stier, der mit sieben Zögein einherfährt ')i der die
iieben Ströme freigelassen hat, so dafs sie dahinfliefsen , der den zum
Himmel hinaufklimmenden Rauhina*) hinabgeschleudert hat, mit dem
Donnerkeil in der Hand, — das, ihr Leute, ist Indra.
Ja, Himmel und Erde beugen sich vor ihm; vor seiner ungestümen
Evraft erzittern die Berge. Er,' der als Somatrinker berühmt ist, der
ien Donnerkeil im Arme hält, der den Donnerkeil mit der Hand
schwingt, — das, ihr Leute, ist Indra.
Der den Somapresser und den Speisenkocher, der den Lobsänger
]nd den Opferdarbringer ') mit seiner Hilfe fördert für den das Opfer-
ied, für den der Soma, für den diese Opferspende hier eine Stärkung
st, — das, ihr Leute, ist Indra.
Der du unaufhaltsam dem Somapresser und dem Speisenkocher
eiche Speise erschliefsest , der wahrlich bist du, der wahrhaftige!
Vfögen wir, o Indra, immerdar als deine lieben Freunde reich an
rfelden in der Opfer Versammlung gebieten l-^*)
Wenn un.s die Hymnen an Varuna und Indra zeigen, dafs
DS den vedischen Dichtem nicht an Pathos, Kraft und Urwiichsig-
ceit fehlt, so zeigen uns die Lieder an Agni, das Feuer oder
Ien Feuergott, dafs diese Dichter auch oft den schlichten, warmen
iierzenston zu finden wissen. Agni — als das Opferfeuer und
ils das Feuer, das auf dem Herde flammt — gilt als der Freund
ler Menschen; er ist der Vermittler zwischen ihnen und den
j^öttem, und zu ihm spricht der Dichter wie zu einem lieben
^reund. Er betet zu ihm, dafs er ihn segne, »wie der Vater
Ien Sohn«, und er setzt voraus, dafs der Gott an seinem Liede
lieh freut und dem Sänger seinen Wunsch erfüllt. Wenn Tndra
ler Gott des Kriegers ist, so ist Agni der Gott des Familien-
vaters, der ihm W^eib und Kinder beschützt und ihm Haus und
üof gedeihen läfst. Er heilst selbst oft »Hausherrc (grhapati).
ir ist der »Gast« jedes Hauses, »der erste aller Gäste«. Als
unsterblicher hat er unter den Sterblichen seine Wohnung
Lufgeschlagen ; und unter seinem Schutze steht das Gedeihen
ier Familie. Seit uralter Zeit wurde die Braut, wenn sie ins
') Indra hat einen mit sieben Zügeln versehenen Wagen (Rv. II,
:8, 1; VI, 44, 24), d.h.; viele Pferde — »sieben« bedeutet im Rigveda
)i\ »viele — sind an seinen Wagen gespannt
*) Name eines Dämons.
3) Das sind die vier Opferpriester der älteren Zeit.
*) Die letzte Strophe dürfte ein späterer Zusatz sein aus der Zeil,
NO der Hymnus in ein Opferlied umgewandelt wurde.
— 78 —
neue Heim einzog, um das heilige Feuer herumgeiühit , —
und darum heilst Agni auch »der Buhle der Mädchen, der
Gatte der Weiber« (Rv. I, 66, 8), und in einem Hochzeitsspruch
wird gesagt, dafs Agni der Gatte der Mädchen ist, und dafs der
Bräutigum die Braut von Agni empfängt. Schlichte Gebete
richtete man an ihn bei der Hochzeit, bei der Geburt von Kindern
und ähnlichen Familienereignissen. Während des Hochzeitsopters
betete man für die Braut : »Möge Agni, der Hausherr, sie schlitzen !
Möge er ihre Nachkommen zu hohem Alter führen; gesegneten
Scholses sei sie, Mutter lebender Kinder. Möge sie Freude
ihrer Söhne schauen!« Als das Opferfeuer ist Agni »der Bote«
zwischen Göttern und Menschen; und bald heifst es, dals er als
solcher die Opferspeisen zu den Göttern emporträgt, bald auch,
dafs er die Götter zum Opfer herabbringt. Darum heifst er der
Priester, der Weise, der Brahmane, der Purohita (Hauspriester),
und mit Vorliebe wird ihm der Titel Hotar — So heifst der vor-
i^ehmste der Priester — beigelegt. Werdende Mythologie und
Dichtung sind gerade in den Liedern an Agni kaum zu trennen.
Durch reichliche Giissfe von zerlassener Butter wurde das Opfer-
feuer in heller Glut strahlend erhalten, und der Dichter sagt:
Agnis Antlitz glänzt, oder sein Rücken, seine Haare triefen von
Butterschmalz. Und wenn er als fjamraenhaarig oder rothaarig, rot-
bärtig, als mit scharfen Kinnbacken und goldenglänzenden Zähnen
versehen geschildert wird ; wenn von den Flammen des Feuers
als von Agnis Zungen die Rede ist; wenn der Dichter, an das
helle, nach allen Seiten strahlende Feuer denkend, den Agni
vieräugig oder tausendäugig. nennt ; so kann man das alles ebenso-
gut Poesie als Mythologie nennen. So wird auch das Prasseln
und Knistern des Feuers mit dem Brüllen des .Stieres ') verglichen,
— und Agni w^ird als Stier bezeichnet. Die spitz aufsteigenden
Flammen werden als Hörner gedacht, und ein Sänger nennt den
Agni »mit tausend Hörnern versehen^, während ein anderer sagt,
dafs er seine Hörner wetzt und im Zorne schüttelt. Ebenso
häufig wird aber Agni auch mit einem lustig wiehernden Pferde,
einem »feurigen Renner« , verglichen, — und in der Mythologie
wie im Kult steht Agni zum Pferd in enger Beziehung. Wenn
'j Auch im Englischen spricht man vom roaring fire'. dem
»brüllenden Feuer«.
~ 79 —
aber Agni auch als der Vogel, der Himmelsadler, bezeichnet
wird, der mit raschem Fluge zwischen Himmel und Erde dahin-
eilt, so haben wir an die vom Himmel herabfabrende Blitzesflamme
zu denken. Wieder an eine andere Erscheinung des Feuers denkt
der Dichter, wenn er sagt (Rv. I, 143, 5): »Agni frifst mit seinen
Scharfen Kinnbacken die Wälder; er zerkaut sie, er streckt sie
nieder wie der Krieger seine Feinde.« Und ähnlich ein anderer
Dichter (Rv. I, 65, 8): »Wenn Agni, vom Winde entfacht, sich
durch die Wälder ausbreitet, schert er ab das Haar der Erde«
(d. h. Gras und Kräuter).
Selbst die eigentlichen Agnimythen sind nur aus der dichte-
rischen Bilder- und Rätselsprache hervorgegangen. Agni hat
drei Geburten oder drei Geburtsstätten. Am Himmel glüht er als
das Feuer der Sonne, auf Erden wird er von den Menschen aus
den beiden Reibhölzern erzeugt, und als der Blitz wird er im
Wasser geboren. Da er mit Hilfe von zwei Reibhötzern (Aranis)
erzeugt wird, heifst es, dafs er zwei Mütter hat, — imd >kaum
ist das Kind geboren, frifst es die beiden Mütter auf* (Rv. X.
79, 4). Ein älterer Dichter aber sagt: j-Zehn unermüdliche Jung-
frauen haben dies Kind des Tvastar (d.h. den Agni) hervorgebracht«
(Rv. l, 95, 2), womit die zehn Finger gemeint sind, welche beim
Feuerquirlen verwendet werden mufsten; und da es nur durch
grofse Kraftanstrengung möglich war, das Feuer durch das
Quirlen aus den Hölzern herauszubringen, heilst Agni im ganzen
Rigveda »der Sohn der Kraft«.
Bei dem ausgedehnten Umfang, welchen der Feuerkult bei
den alten Indern spielte, ist es nicht zu verwundern, dafs von
den zahlreichen Liedern im Rigveda, welche dem Agni gewidmet
sind — es sind deren gegen zweihundert — die meisten als
Opferlieder verwendet, viele auch nur für Opferzwecke gedichtet
worden sind. Dennoch finden wir unter diesen Liedern viele
einfache , Schlichte Gebete , die ja vielleicht das Werk von
Priestern, jedenfalls aber das Werk von Dichtem sind. Als
Beispiel gebe ich den ersten Hymnus unserer Rigveda Sarnhita
in der Übersetzung von Ernst Meier'), welche den Charakter
des Originals sehr gut wiedergibt :
V Die klassischen Dichtungen der Inder III. 32 ig.
— 80 —
'^Ich preise den Agni '),
Den göttlichen Opferer,
Den Priester, den Sänger,
Den Schätzereichsten.
Gepriesen von alten
Und neuen Weisen,
Führe Agni
Die Götter hieher!
Durch ihn erhalte der Opfrer
Täglich sich mehrenden,
Ruhmvollen Reichtum
Und kräftige Kinder l
O, Agni, das Opfer,
Das du umfassest
Ungestört,
Das kommt zu den Göttern.
Er, der heilige Sänger,
Der das Opfer leitet,
Der wahrhaftig und ruhmvoll,
Er, der Gott, nahe mit den Göttern.
O, Agni, das Heil,
Das du dem Opfrer gewährst,
Das kommt auch wahrlich
Dir zugut
Wir nahen dir täglich
Bei Nacht und am Tage,
Mit frommen Werken
Dich verehrend,
Wir nahen dir,
Dem Beschützer der Opfer,
Dfm Strahlenden,
Der du wächst in der Wohnung.
Sei uns freundlich, o Agni,
Wie der Vater dem Sohn!
Sei du mit uns
Zu unserm Heile!«
') E. Meier schreibt immer den Nominativ Agnis statt Agni,
— 81 —
Manche Perlen lyrischer Dichtung, die uns ebenso durch das
feine Verständnis für Naturschönheiten, wie durch ihre bilderreiche
Sprache anmuten, finden sich unter den Liedern an Sürya (die
Sonne), an Parjanya (den Regengott), an die Maruts (die
wSturmgötter) und vor allem an Usas (die Morgenröte), in den
an die letztere gerichteten Hymnen überbieten sich die Sänger
an prachtvollen Bildern, welche die Herrlichkeit der aufleuchtenden
Morgenröte schildern sollen. Strahlend naht sie wie eine von
der Mutter geschmückte Jungfrau, die stolz ist auf ihren Leib.
Sie zieht prächtige Gewänder an, wie eine Tänzerin, und enthüllt
dem Sterblichen ihren Busen. In Licht gekleidet erscheint die
Jungfraii im Osten und entschleiert ihre Reize. Sie öffnet die
Tore des Himmels und tritt strahlend aus denselben hervor.
Immer wieder werden ihre Reize mit denen eines zur Liebe
lockenden Weibes verglichen.
«Als wäre nach dem Bad der Schönheit ihres Leibs
Sie sich bewufst, steht sie hoch aufgerichtet da,
Dafs wir sie schau'n. Den Feind, das Dun kr], hat verscheucht
Die Himmelsto^^ter, die mit Licht fiekoinmen ist.
Gleich einem schönen Weib enthüllt die Himmelstochter
Den Männern ihre Brnst. Sie breitet Schätze aus,
Die sich der Fromme wünscht, und wie von Alters her,
Hat wieder uns die Juniie heut' das Licht gebracht.«')
Den folgenden Hymnus an die Morgenröte (Rv. VI, 64) gebe
ich in der Übersetzung von H. Brunnhofer ■') :
"In Majestät aufstrahlt die Morgenröte,
Weilsgiänzend wie der Wasser Silberwogen.
Sie macht die Pfade schön und h.>icht zu wandeln
Und ist so mild und gut und reich an Gaben.
Ja, du bist gut. du leuchtest weil, zum Himmel
Sind deines Lichtes Strahlen aufgeflogen.
Du schmückest dich und prangst mit deinem Busen
Und strahlst voll Hoheit, Göttin Morgenröte.
Es führt dich ein Gespann von roten Kühen,
Du sel'ge, die du weil und breit dich ausdehnst.
Sie scheucht die Feinde wne ein Held mit Schleudern,
Und schlägt das Dunkel wie ein Wagenkämpfer,
^) Rv. V, 80, 5—6.
*) Geist der indischen Lyrik, S. 8 f.
Winteruitz, Geschichte der indisctien Litterauir.
— 82 —
Bequeme Pfade hast du selbst auf Bergen
Und schreitest, selberleuchtend, durch die Wolken.
So bring uns, Hohe, denn auf breiten Bahnen
Gedeih'n und Reichtum, Göttin Morgenröte!
Ja bring uns doth, die du mit deinen Rindern
Das Beste führest, Reichtum nach Gefallen!
Ja, Himmelstochter, die du dich als Göttin
Beim Morgensegen noch so mild gezeigt hast!
Die Vögel haben sich bereits erhoben
Und auch die Männer, die beim Frühlicht speisen.
Doch bringst du auch dem Sterblichen viel Schönes,
Der dich daheim ehrt, Göttin Morgenröte!«
An Vata, den Wind, als den Führer der Maruts, der Sturm-
götter, ist der folgende Hymnus (Rv. X, 168) gerichtet, den ich
gleichfalls in der Übersetzung von H. Bninnhofer ') anführe :
»Der Wucht von Vätas Wagen Preis und Ehre!
Mit Donnerhall fährt er dahin zerschmetternd.
Bald streift den Himmel er und färbt ihn rötlich,
Bald stürmt er erdenwärts und wühlt den Staub auf.
So stürmen Vätas Scharen durch die Lande,
Wie Bräute zu des Bräutigams Empfange.
Mit seinen Freunden auf demselben Wagen
Saust er dahin, des Weltenalls Beherrscher.
Er fährt dahin auf luftig hohen Bahnen
Und kommt nicht einen Tag zu Rast und Ruhe.
Der Wolken Freund, der Fromme, Erstgeborne,
Wo stammt er her, von wannen mag er kommen?
Der Götter Hauch, dem Weltenall entsprossen,
Er fährt dahin, wohin es ihn gelüstet.
Man hört sein Brausen wohl, doch niemand sieht ihn.
Auf, lafst uns Väta hoch mit Opfern ehren!«
Neben diesen Liedern, welche als Werke der Dichtkunst
geschätzt zu werden verdienen, gibt es allerdings eine zweite
Klasse von Hymnen im Rigveda, welche nur als Opfergesänge
und Litaneien für ganz bestimmte rituelle Zwecke verfalst
worden sind. Eine strenge Scheidung ist hier allerdings nicht
möglich. Ob wir ein Lied als die spontane Äulserung eines
') Geist der indischen Lyrik, S. 11.
~- 83 —
frommen Glaubens, als das Werk eines gottbegeisterten Dichters
oder aber als ein handwerksmälsig zusammengestelltes Opfergebet
auffassen wollen, ist oft nur Geschmacksache, Charakteristisch für
diese Gebete und Opfergesänge ist immerhin die aufserordentliche
Eintönigkeit, die ihnen anhaftet. Es sind immer dieselben Rede-
wendungen, mit denen ein Gott wie der andere als grofs imd ge-
waltig gepriesen wird; immer dieselben Formeln, mit denen der
Opferpriester um Rinderschätze und Reichtümer zu den Göttern
fleht. Viele dieser Opfergesänge sind schon daran erkennbar,
dafs in einem und demselben Hymnus mehrere Götter, mitunter
sogar sämtliche Götter des vedischen Pantheons nacheinander
angerufen werden. Denn bei dem grofsen .Somaopfer mufs jeder
Gott seinen Teil bekommen, und jede Opferspende mufs von
emem Vers begleitet sein. Man vergleiche z. B. mit den oben
zitierten Liedern an Varuna, Indrä und Agni eine Opferlitanei
wie die folgende (Rv. VII, 35):
»Zum Heile seien uns Indra und Agni mit ihren Gnaden, zum
Heile Indra und Varuna, denen Opferspeise dargebracht wird; zum
Heile Indra und Soma, zur Wohlfahrt, zu Heil und Segen! Zum Heile
seien uns Indra und Püsan beim Gewinnen der Beute.
Zum Heile sei uns Bhaga, zum Heile sei uns unser Lobgesang
zum Heile sei uns Purandhi, zum Heile seien uns die Reichtümer . . .
Zum Heile sei uns Dhälar, zum Heile Dhartar, zum Heile sei uns
die "Weitausgebreitete') mit ihren Labungen; zum Heile seien uns die
beiden grofsen Weltenräume*), zum Heile sei uns der Berg, zum Heile
seien uns die günstirren Anrufungen der Götter.
Zum Heile sei uns dt^i lichtanilitzige Agni, zum Heile Mitra und
Varuna, zum Heile die beiden Asvins ; zum Heile seien uns die guten
\yerke der Frommen! Heil wehe uns der kräftige Windgott zu!»
Und so geht ^s fort durch fünfzehn lange Strophen.
Zu diesen Opferliedern gehören unter anderen auch die
sogenannten Äprisüktas > Beschwichtigungshymnen« (d. h.
Hymnen zur Beschwichtigung oder V^ersöhnung bestimmter
Gottheiten, Dämonen und gewisser persönlich gedachter, mit dem
Opfer verbundener Gegenstände). Diese Hymnen^ deren es zehn
in der Rigveda Sarnhi*^ ^^bt. haben eine ganz bestimmte Ver-
wendung beim Tieropfer. Sie bestehen alle aus eU oder zwölf
Versen, und Agni wird in denselben unter verschiedenen Namen
') D. h. die Erde
*) Himmel und Erde,
„ 84 -
angerufen, dafs er die Götter zum Opfer herbeibringe. Im vierten
oder fünften Vers werden die Priester aulgefordert, das heilige
Gras hinzustreuen, auf dem die Götter sich niederlassen sollen,
um die Üpfergaben entgegenzunehmen. Auch gewisse Göttinnen
werden in diesen Hymnen regelmäfsig angerufen, und der vorletzte
Vers enthält gewöhnlich eine Anrufung an den Pfosten, welcher
zum Anbinden des Opfertieres dient, z. B.: »O göttlicher Baum,
lasse die Opferspeise zu den Göttern gehen«.
Durchweg Opfergesänge sind die schon erw'ähnten Hymnen
des IX. Buches, welche alle an Soma gerichtet sind imd bei dem
grofsen Somaopfer Verwendung finden. In schier endloser Ein-
tönigkeit werden hier immer wieder dieselben Vorgänge, das
Pressen des' Soma, das Mischen und Läutern desselben, das Ein
giefsen in die Kufen u s. w. besungen, immer wieder wird Indra
zum Somatrank herbeigerufen, Soma und Indra vereint werden
gepriesen und um Reichtümer angefleht, oder um den Regen,
von dem der durch das Sieb herabträufelnde Somasaft ein Symbol
ist. Nur selten einmal stofsen wir in diesen eintönigen Litaneien
auf ein hübsches Bild, wie etwa, wenn es vom Somy heifst (Rv.
IX, 16, 6):
Geläutert in dem Schafhaarsieb
Erhebt er sich zu voller Pracht
Und stehet da, wie nach der Schlacht
Der Held bei den geraubten Kühn.«
Dals aber Verse für rituelle Zwecke verfafst und doch von
hoher dichterischer Schönheit sein können, das beweisen die
Totenbestattungslieder, von denen uns einige im X. Buch
des Rigveda erhalten sind. Die Leichen wurden im alten Indien
in der Regel verbrannt, doch war in der ältesten Zeit wahr-
scheinlich bei den Indern, wie bei anderen indogermanischen
Völkern, das Begraben üblich. Auf ein Begräbnis beziehen sich
die schönen Verse (Rv. X, 18, 10—13):
»Geh hin zur Mutter, gehe hin zur Erde,
Der weitgestreckten, breiten, segensreichen —
])em Frommen eine wollig- weiche Jungirau —
Sie halte dich vom Rande des Verderbens!
Öffne dich, Erde, tu ihm nichts zu Leide,
Empfang ihn freundlich und mit liebem Grulse.
UmhüU ihn, Erde, wie den Sohn
Die Mutter hüllt in ihr Gewand.
— 85 —
Nun stehe fest die aufgeworfne Erde,
Und tau55endfacher Staub mög' drüber fallen.
Mög' dieses Haus von fetten Spenden triefen
Und ifim ein Obdach sein zu allen Zeiten.
Ich stemme dir die Erde ab und lege,
Ohn' dafs du's fühlst, aufs Haupt dir diesen Deckel.
Die Väter mögen deinen Hügel wahren,
Und Yama dort dir eine Stätte schaffen').*
Es ist wohl möglich, diese Verse — wie Oldenberg ^) meint —
auch in das Leichenverbrennungsrituell einzufügen. Es wurden
nümlich, wie uns die Ritualbücher lehren, im alten Indien nach
der Verbrennung die Knochen gesammelt und in eine Urne ge-
legt, und diese wurde begraben. Demnach könnten diese Verse
beim Begraben dieser Knochenurne gesprochen worden .sein. Ich
halte das aber nicht für wahrscheinlich. Die Worte: > Öffne dich,
Erde, tu ihm nichts zu Leide < u. s. w. sch(Mnen mir doch nur bei
Errichtung eines Grabhügels über dem wirklichen Leichnam einen
Sinn zu haben. Die Sitte des Begrabens der Knochen halte ich
für ein Überlebsel einer älteren. Sitte des Begrabens der
Leichen, auf welche unsere Verse sich beziehen 3),
Hingegen ist das Lied Rv. X, 16, l — 6, vermutlich aus
jüngerer Zeit stammend, für die Zeremonie der Leichenverbrennung
bestimmt. Wenn der Holzstofs errichtet ist, wird der Leichnam
daraufgelegt und das Feuer entzündet. b'^nd während die
Flammen über denselben zusammenschlagen, beten die Priester:
• Verbrenn ihn nicht, verseng ihn nicht, o Agni,
Zerstückle nicht dif Haut und seine Glieder;
Wenn du ihn gar gekocht, o J.ätavedas*),
Magst du ihn hin zu unsern Vätern senden.
') Übersetzt von F. Max Müller, Anthropologische Religion,
aus dem Englischen übersetzt von M. Winternitz (Leipzig 1894),
S. 250. (Die Übersetzung erschien zuerst im, IX. Bd. der ZDMG.)
Der letzte Vers heilst wörtlich übersetzt: »Ich werfe rings um dich die
Erde auf. Mög' ich dich nicht verletzen, indem ich diese Steinplatte
niederlege. Die X'äter mögen diese Säule fest bewahren, und Yama
hier dir Sitze bereiten.»
*) Religion des Veda, S. .ö71.
3) Zur Zijit, als die Leichenverbrennung schon allgemein Sitte war,
wurden noch Kinder und Aszeten begraben. Doch deutet nichts in
den obigen Versen darauf hin, dafs es sich um das Begräbnis eines
Kindes oder eines Aszeten handelt.
«) Ein Name des Gottes Agni.
-So-
ja, wenn du ihn gekocht, o Jätavedas,
Magst du ihn unsern Vätern übergeben-,
Ist er in jenes Leben eingetreten.
So wird er treu der Götter Dienst verrichten.
Zur Sonne geh dein Aug', zum Wind die Seele,
Wie's recht dir, geh zum Himmel, geh zur Erde,
Geh zu den Wassern, wenn es dir genehm ist;
Des Leibes Glieder ruhen bei den Kräutern.
Das ew'ge Teil — wärm es mit deiner Wärme,
Wärm es mit deinem Glanz, mit deinen Gluten,
O Gott des Feuers, nimm freundliche Gestalt an.
Und trag es sanft hinweg zur Welt der Frommen')».
Hier spielen bereits philosophische Anschauungen über das
Leben nach dem Tode und über das Schicksal der Seele in die
mythologischen Vorstellungen von Agni und den Vätern hinein.
Diese Anspielungen stehen nicht vereinzelt da, sondern es gibt
ungefähr ein Dutzend Hymnen im Rigveda, die wk als philo-
sophische Hymnen bezeichnen können, in denen neben
Spekulationen über das Weltall und die Weltschöpfung zum
ersten Male jener grofse pantheistische Gedanke von der Welt-
seele auftaucht , die mit dem Weltall eins ist — ein Gedanke,
welcher von da an die ganze indische Philosophie beherrscht hat.
Schon früh regten sich bei den Indem Zweifel an der Macht,
ja an dem Dasein der Götter. Bereits in dem oben übersetzten
Liede Rv. II, 12, welches die Macht und die Krafttaten des Indra
so zuversichtlich preist und dessen einzelne Strophen in den so
glaubensinnig ausgestofsenen Refrain: »Das, ihr Leute, ist Indra«
ausklingen, selbst da hören wir schon, dafs es Leute gab, die
an Indra nicht glaubten: *»Von dem die Leute fragen ,wo ist er?'
und von dem sie sagen ,er ist ja gar nicht' ... an den glaubet
— das, ihr Leute, ist Indra«. Ähnlichen Zweifeln begegnen wir
in dem merkwürdigen Hymnus Rv. VIII, 100, wo die Priester
aufgefordert werden, ein Loblied auf Indra vorzutragen, »ein
wahrhaftiges, wenn er in Wahrheit ist; denn so mancher sagt:
,Es gibt keinen Indra, wer hat ihn je gesehen? An wen sollen
wir das Loblied richten?'« Worauf dann Indra persönlich auf-
tritt, um sein Dasein und seine Gröfse zu versichern: »Da bin
') Übersetzung von Max Müller a. a. O., S. 248 f.
— 87 —
ich, Sänger, schau mich an hier, alle Wesen überrage ich an
Gröfse u. s. w.«
Hatte raan aber einmal begonnen, an Indra selbst zu zweifeln,
der doch der höchste und mächtigste aller Götter war, so regten
sich umsomehr Bedenken gegen die Vielheit der Götter überhaupt,
und Zweifel begannen sich zu regen, ob es denn einen Wert habe,
den Göttern zu opfern. So in dem Hymnus Rv. X, 121, in
welchem Prajäpati als Schöpfer und Erhalter der Welt und als
einziger Gott gepriesen wird, und wo in dem von Vers zu Vers
wiederkehrenden Refrain : »Welchen Gott sollen wir durch Opfer
ehren?« der Gedanke verborgen liegt, dafs es eigentlich mit all
der Vielheit von Göttern nichts ist, und dals nur der eine und
einzige, der Schöpfer Prajäpati, Verehrung verdient. Und
schliefslich hat diese Zweifelsucht in dem tiefsinnigen Gedicht
von der Schöpfung (Rv. X, 129) ihren gewaltigsten Ausdruck
gefunden. Es beginnt mit einer Schilderung der Zeit vor der
Schöpfung :
"Damals war nicht das Nichtsein, noch das Sein,
Kein Luftraum war, kein Himmel drtlber her. —
Wer hielt in Hut die Welt; wer schlofs sie ein?
Wo war der tiefe Abgrund, wo das Meer?
Nicht Tod war damals noch Unsterblichkeit,
Nicht war die Nacht, der Tag nicht offenbar. —
Es hauchte windlos in Ursprünglichkeit
Das Eine, aufser dem kein andres war.«-
Nur ganz schüchtern wagt der Dichter eine Antwort auf die
Frage nach dem Ursprung der Welt. Er denkt sich den Zustand
vor der Schöpfung als »Finsternis von Finsternis umhüllt«, weithin
nichts alseine undurchdringliche Wasserflut, bis durch die Macht des
Tapas, der Hitze (wohl einer Art »Bruthitze«), »das Eine« entstand.
Dieses »Eine« war bereits ein intellektuelles Wesen; und als das
erste Erzeugnis seines Geistes — »des Geistes erster Same«, wie
der Dichter sagt — entstand Käma. d. h. »Begierde, Sinnenlust« '),
und in diesem Räma »haben die Weisen , im Herzen forschend,
*) Nicht der Schopenhauersche »Wille«, wie Deussen und andere
annehmen Wie die sinnliche Liebe zur Zeugung und Entstehung
der Wesen führt, so dachten sich diese alten Denker die Sinnenlust als
den Urquell alles Seins. Tapas kann auch »Askese» bedeuten.
— 88 ^
durch Nachdenken den Zusammenhang des Seienden mit dem
NichtSeienden gefunden«. Doch nur leise Andeutungen wagt
der Dichter zu geben, bald regen sich wieder Zweifel , und er
schliefst mit den bangen Fragen:
»Doch, wem ist auvszuforschen es gelungen,
Wer hat, woher die Schöpfung stammt, vernommen?
Die Götter sind diesseits von ihr entsprungen!
Wer sagt es also, wo sie hergekommen')?
Er, der die Schöpfung hat hervorgebracht,
Der auf sie schaut im höchsten Himmelslicht,
Der sie gemacht bat oder nicht gemacht.
Der weifs es! — oder weifs auch er es nicht?')«
Wohl tritt in den meisten philosophischen Hymnen des Rigveda
der Gedanke an einen Weltschöpfer hervor, der bald Prajäpati,
bald Brahma^aspati oder Brhaspati, bald Vigvakarman heilst, der
aber immer noch als ein persönlicher Gott gedacht ist. Aber
schon in dem eben zitierten Vers scheint es dem Dichter zweifel-
haft, ob die Schöpfung »gemacht« oder auf andere Weise ent-
standen ist, und das schöpferische Prinzip erhält in dem Gedicht
keinen Namen, sondern es heifst »das Eine«. So bereitet sich
schon in den Hynnien der grofse Gedanke von der Alleinheit
vor, der Gedanke, dafs alles, was wir in der Natur sehen und
was der volkstümliche (ilaube als »Götter« bezeichnet, in Wirklich-
keit nur der Ausflufs des Einen und Einzigseienden, dafs alle
Vielheit nur Schein ist — ein Gedanke, der eigentlich schon klar
und deutlich in dem Vers Rv. I, 164, 46 ausgesprochen ist-:
»Man nennt es Indra, Varuna und Mitra,
Agni, den schönbeschwLngten Himmelsvogel;
Vielfach benennen, was nur eins, die Dichter;
Man nennt es Agni, Yama, MätarisvanJ)«.
Während diese philosophischen Hyumen gleichsam eine Brücke
zu den philosophischen Spekulationen der Upanisads bilden, gibt
') D- h. die Götter sind selber geschaffen, sie können uns also
nicht sagen, woher die Welt entstanden ist.
*) Die Verse übersetzt von Paul Deussen, der in dem ersten
Teil des ersten Bandes seiner »Allgemeinen Geschichte der Philosophie»
alle philosophischen Hymnen des Rigveda übersetzt und eingehend be-
handelt hat.
3) Übersetzt von Deussen a. a. 0. 118.
— 89 —
es auch eine Anzahl von Gedichten in der Rigveda-Samhitä —
es dürften ihrer gegen zwanzig sein — , die uns zur epischen
Dichtung hinüberführen. Es sind dies Bruchstücke von Er-
zählungen in Form von Dialogen, die man jetzt mit Oldenberg,
der sich mit dem Studium dieser Klasse von vedischen Hymnen
zuerst eingehend beschäftigt hat, als Akhyänahymnen zu
bezeichnen pflegt ^). Oldenberg hat gezeigt, dafs die älteste Form
epischer Dichtung in Indien =') in einem Gemisch von Prosa und
Versen bestand, und zwar in der Weise, dafs die Verse meistens 3)
nur die Reden und Gegenreden der auftretenden Personen ent-
hielten, während die Begebenheiten, welche zu den poetischen
Wechselreden Anlafs gaben, in Prosa erzählt wurden. Es wurden
aber ursprünglich nur die Verse in bestimmter Form dem Ge-
dächtnis eingeprägt und überliefert, während die Prosa von jedem
Erzähler nach Belieben mit seinen eigenen Worten erzählt werden
konnte. In den Akhyänahymnen des Rigveda nun sind uns
nur die poetischen Wechselreden der in der Erzählung auf-
tretenden Personen erhalten, während uns die Prosateile der Er-
zählung verloren gegangen sind. Nur manche dieser Erzählungen
können wir uns mit Hilfe der Brähmanas oder der späteren
epischen Litteratur oder auch aus Kommentaren zum Teil
wenigstens ergänzen.
') »Das altindische Äkhyäna« in ZDMG 37 (1883), 54 ff. und
»Akhyänahymnen im Rigveda« in ZDMG 39 (1885), 52 ff. Äkhyäna
bedeutet «Erzählung«.
») Ernst Windisch hatte bereits im Jahre 1878 in einem auf der
33. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner in Gera
gehaltenen Vortrag auf die Bedeutung der ganz ähnlichen Erscheinungen
in der altirischen Sagendichtung hingewiesen und bei dieser Ge-
legenheit auch schon auf die verwandten Erscheinungen in der indischen
Litteratur aufmerksam gemacht.
3) Aufser diesen Wechselreden wurden auch die Hauptmomente
einer Erzählung manchmal in Versen vorgetragen. Umgekehrt hat man
ganz kurze Reden gewifs in der Prosaerzählung gegeben. -Wie es
von vornherein wahrscheinlich ist, dafs in den alten Erzählungen
kürzere untergeordnete Wechselreden in Prosa und nur der spannendste
Moment, der Hauptdialog, in dem das Ganze gleichsam gipfelt, poetisch
gefalst war, so scheint umgekehrt die meist trockene einförmige Er-
zählung an gewissen Halt- und Schlufspunkten zur pathetischeu Höhe
gebundener Diktion sich aufgeschwungen zu haben*. Geldner in
den Vedischen Studien I, 291 f.
- 90 —
So finden wir im Rv. X, 95 ein Cedicht von 18 Strophen,
aus Wechselreden zwischen Purüravas und UrvasI bestehend.
PurOravas ist ein Sterblicher, Urvasi eine Nymphe (Apsaras).
Vier Jahre lang weilte die göttliche Schöne als des Purüravas
Gattin auf Erden, bis sie von ihm schwanger ward. Dann ent-
schwand sie, »wie die erste der Morgenröten«. Darauf ging er
aus, sie zu suchen; endlich findet er sie, wie sie zusammen mit
anderen Wasserfrauen auf einem See ihr Spiel treibt. Das ist
so ziemlich alles, was wir aus den dunklen, oft ganz unverständ-
lichen Versen — den V/echselreden des Verlassenen und der im
Teiche mit ihren Qespielinnen sich tummelnden Göttin — ent-
nehmen können. Glücklicherweise ist uns dies uralte Märchen
von der Liebe eines sterblichen Königs zu einem Göttermädchen
in der indischen Litteratur auch sonst noch aufbewahrt und wir
können so einigermafsen das Gedicht des Rigveda ergänzen.
Schon in einem Brähmana') wird uns die Sage von Purtiravas
und UrvaSi erzählt, und die Verse des Rigveda sind in die Er-
zählung eingeflochten. Es heifst da, dafs die Nymphe, als sie
einwilligte , des Purüravas Gattin zu werden , drei Bedingungen
gestellt habe, darunter die, dafs sie ihn nie nackt sehen dürfe.
Die Gandharvas — Halbgötter desselben Reiches, dem die
Apsaras angehören — wollen die Urvasi wieder zurückerlangen.
Darum rauben sie des Nachts zwei iJmmchen, die sie wie
Kinder liebt und die an ihrem Bette angebunden sind. Und da
Urvasi sich bitter beklagt, dafs man sie beraube, als wäre kein
Mann da, springt Purüravas — »nackt wie er war, denn es deuchte
ihm zu lange, wenn er erst ein Kleid anlegen sollte« — auf,
die Diebe zu verfolgen. Im selben Augenblicke aber lassen die
Gandharvas einen Blitz erscheinen, so dafs es taghell wird und
Urvasi den König nackt erblickt. Da verschwand sie; und als
Purüravas wiederkam, war sie fort. Vor Gram wahnsinnig,
wanderte darauf der König im I^ande umher, bis er eines Tages
zu einem Teiche kam, in welchem. Nymphen in Gestalt von
Schwänen herumschwammen. Und hier entspinnt sich das
Gespräch, das uns im Rigveda erbalten ist, und das im Brähmana ^)
') Satapatha-Brähinana XI, 5, 1.
') Das Satapatha-Brähmaija hat blofs 15 von den 18 Versen des
Rigveda.
— 91 —
mit erklärenden Zusätzen wiedergegeben wird. E>och vergebens
sind alle Bitten des Purüravas, dafs sie zu ihm zurückkehre.
Selbst da er verzweifelt von Selbstmord spricht — er will sich
vom Felsen stürzen, den grimmen Wölfen zum Frafs — , hat sie
nur die Antwort:
»Stirb nicht, Purüravas, stürz nicht hinab
Vom Felsen dich, zum Frais den wilden Wölfen —
Es gibt ja keine Freundschaft mit den Weibern,
Sie haben Herzen wie Hyänen«.
Ob und wie Purüravas mit der Geliebten wieder vereint
wird, ist weder aus dem Rigveda noch aus dem Satapatha-
Brähmana ganz klar. Es scheint, dafs er in einen Gandharva
verwandelt wird und in den Himmel gelangt, wo ihm erst die
SeUgkeit der Wiedervereinigung zuteil wird. Die Geschichte
von Purüravas und Urvasi ist in Indien oft wiedererzählt worden ;
sie wird in dem zum schwarzen Yajurveda gehörigen Käthaka
kurz angedeutet, sie wird in vedaexegetischen Werken, in dem
Harivamsa, einem. Anhang zum Mahäbhärata, im Visnu-Puräna
und in dem Märchenbuch Kathäsaritsagara wiedererzählt, und
kein geringerer als Kälidäsa hat aus ihr eines seiner unsterblichen
Dramen geschaffen. Wie weit aber der Rigveda zeitlich hinter
allem, was wir von indischer Litteratur besitzen, zurückliegt,
beweist der Umstand, dafs trotz aller Bemühungen, die Verse
des Rigveda mit den späteren Erzählungen in Einklang zu
bringen und letztere zur Erklärung des rigvedischen Gedichtes
zu verwenden*), in diesen Versen noch vieles dunkel und un-
aufgeklärt bleibt.
Ein anderes kostbares Bruchstück alter Erzählungskunst ist
uns in dem Zwiegespräch von Yama und Yami (Rv. X, 10)
erhalten. Ein alter Mythos vom Ursprung des Menschen-
geschlechtes von einem ersten Zwillingspaar liegt dem Gespräch
zugrunde '). Yami sucht ihren Bruder Yama zur Blutschande zu
0 S. besonders Geldner in den Vedischen Studien, I, 243—295.
Anders Oldenberg, ZDMG 39, 72 ff. und *Die Literatur des alten
Indien«, S. 53 ff.
») Yama bedeutet »Zwilling« , und Yami ist eine Femininbildung
zu Yama. Eine mythologische Deutung des Mythos hat A. Winter in
dem Aufsatz: »Mein Bruder freit um mich« (Zeitschrift des Vereins
— 92 —
verleiten, damit das Menschengeschlecht nicht aussterbe. In
leidenschaftlichen, liebeglUhenden Worten lockt die Schwester
den Bruder zur Liebe — in ruhiger, gelassener Rede, hinweisend
auf die ewigen Gesetze der Götter, welche die Vereinigung von
Blutsverwandten verbieten, wehrt Yama ab. Voll dramatischer
Kraft sind diese Reden, in denen nur leider noch vieles unklar
ist. Yami spricht zuerst.:
•Zur Freundschaft will den Freund ich an mich locken.
Und hätt' er selbst. das weite Meer durchquert.
Von ihm als Vater leg' ein Kind in mich
Der Schöpfer, denkend an der Erde Zukunft!«
Yama erwidert darauf:
»Nicht Solche Freundschaft wünscht dein Freund, wo die
Von gleichem Blut zu einer Fremden wird.
Es spähen weit umher des Himmels Ordner
Des Rrofsen Gottes heldenhafte Söhne.«
Yami aber sucht den Bruder zu überreden, dafs die Qötter
selbst es wünschen, dafs er mit ihr sich vereine, um sein Geschlecht
fortzupflanzen. Da er aber nicht hören will, wird sie immer
dringender, immer leidenschaftlicher:
-Die Liebe treibt zu Yama mich, die Yami,
Mit ihm zu ruhn auf gleicher Lagerstätte.
Als Weib dem Gatten geh' ich ganz mich hin dir,
La(s uns verbunden sein wie Rad und Wagen!
Yama aber wehrt wieder ab mit den Worten:
»Sie stehn nicht still, sie schliefsen nicht die Augen,
Der Götter Späher, die die Erd' durchstreifen.
Gesell' dich. Dreiste, rasch zu einem andern,
Mit ihm verbunden sei wie Rad und Wagen!«
Aber immer stlirmischer wird die Schwester, immer heilser
begehrt sie nach des Y^ina Umarmung, bis sie — auf seine wieder-
holte Weigerung — in die Worte ausbricht:
»Was bist du, V'ama, für ein Schwächling doch!
Dein Herz und deinen Sinn begreif ich nimmer.
Vielleicht dals eine andre dich umschlingt.
Gleichwie der Gurt das Rofs, den Baum die Ranke!»
für Volkskunde VII, 1897, S. 172 ff.) versucht, indem er Rv. X, 10 mit
einem lettischen Volkslied vergleicht, in welchem der Bruder die
Schwester zur Blutschande zu verleiten sucht.
— 93 — •
Worauf Yama das Zwiegespräch mit den Worten beschliefst;
»Auch du umschlinge, Yami, einen andern
— Und dich der andre — wie den Baum die Ranke!
Sein Herz gewinne du, und er das deine:
So leb' mit ihm in wunderschöner Eintracht!"
Wie die Geschichte von Yama und Yami geendet hat, wissen
wir nicht; auch keine spätere Quelle gibt darüber Aufschlufs.
So ist das Gedicht des Rigveda leider nur ein Torso, — aber
ein Torso, der auf ein herrliches Kimstwerk schlieLsen läfst.
Zu den Äkhyänahymnen möchte ich auch das Süryäsükta,
Rv. X, 85, stellen. Dieser Hymnus schildert nämlich die Hochzeit
der Söryä (der S inentochter, wie die Morgenröte hier genannt
wird) mit Soma (dem Mond), wobei die beiden Asvins die Braut-
werber waren. Dieser Hymnus besteht aus 47 Versen, die
ziemlich lose zusammenhängen. Die Verse beziehen sich fast
alle auf das Hochzeitsrituell, und die meisten derselben wurden,
wie wir aus den Grhyasütras, den Lehrbüchern des häuslichen
Rituals, wissen, auch bei der Hochzeit gewöhnlicher Sterblicher
verwendet. Doch glaube ich nicht, dafs diese Verse — wie das
zum Teil bei den Totenbestattungshyranen der Fall ist — blo/s
aus dem Rituell zusammengestellt wurden; so dafs sie etwa so
anzusehen wären, wie wenn in einem Gebetbuch alle bei den
Hochzeitsriten zu verwendenden Sprüche in einem Kapitel ver-
einigt sind. Ich glaube vielmehr, wir haben es hier mit einem
epischen Stück zu tun, welches die Heirat der Süryä erzählte.
Wie bei anderen Äkhyänahymnen, ist auch hier die Prosa der
eigentlichen Erzählung verloren gegangen, und erhalten sind blofs
die Reden der Priester, die Sprüche und Gebetformeln, wie sie
bei der Hochzeit vorkamen, nebst einigen Versen, in denen die
Hauptmomente der Erzählung kurz zusammengefafst sind*).
Unter den Hochzeitssprüchen aber, die wir in diesem Süryäsükta
finden, gibt es viele, die uns durch den schlichten, warmen
Herzenston, der aus ihnen spricht, an die oben besprochenen
Totenbestattungslieder erinnern. So wird das Brautpaar mit
den schönen Worten beglückwünscht:
') Siehe oben S. 89.
— 94 -^
»Es mög' dir Liebes hier gedeihn durch Kindersegen l .
In diesem Hause wache als des Hauses Herrin!
Mit diesem Gatten hier vereinig' deinen Leib!
Und noch als Greise sollt im Hause ihr gebieten!«
Und den Zuschauem, an denen der Hochzeitszug vorbeizieht,
wird zugerufen:
»Wie schön geschmückt ist diese junge Frau hier!
Kommt her, ihr alle, schauet sie euch an!
Und wenn ihr Glück und Segen ihr gewünscht habt,
So kehret wieder um und geht nach Haus \«
Und wenn der Bräutigam nach uraltem indogermanischem
Hochzeitsbrauch die Hand der Braut erfalst, so sagt er den Spruch :
*Zu Glück und Segen fafs' ich deine Hand,
Dafs du mit mir als Mann zur Greisin werdest.
Die Götter Bhaga, Aryaman, Savitar
Und Püsan gaben dich als Hausfrau mir.^
Wenn endlich das Brautpaar das neue Heim betritt, wird es
mit den Worten empfangen:
»Hier sollt ihr bleiben, nie euch trennen,
Ein Lebensalter voll geniefsen,
Mit Söhnen und mit Enkeln spielend,.
Euch freuend in dem eignen Heim!«
Und über die Braut spricht man den Segen:
»O gabenreicher Indra, mach sie
An Söhnen reich und reich an Glück!
Zehn Söhne leg' in ihren Schols,
Den Gatten mach zum elften ihr!«
Manche von diesen Hochzeitssprüchen haben aber mehr den
Charakter von Zauberformeln. Wir finden unter ihnen sowohl
Beschwörungen gegen das böse Auge und sonstigen unheilvollen
Zauber , durch welchen die Braut dem künftigen Gatten schaden
könnte, als auch Zaubersprüche, durch welche Dämonen, die der Braut
nachstellen, verscheucht werden sollen. Und diese Zaubersprüche
stehen keineswegs vereinzelt, sondern es gibt im Rigveda auch gegen
dreilsig Zauberlieder. Und zwar finden wir Sprüche und
Formeln zur Heilung verschiedener Krankheiten, zur Behütung
der Leibesfrucht, zur Abwehr böser Träume und ungünstiger
Vorzeichen, zur Verscheuchung von Unholdinnen, zur Ver-
nichtung von Feinden und übelwollenden Zauberern, Zauber-
— 95 —
formein gegen Gift und Gewürm, Sprüche zur Verdrängung einer
Nebenbuhlerin; wir finden einen Ackersegen, einen Rindersegen,
einen Schlachtsegen, einen Spruch zur Einschläferung u. dgl.
mehr. Hierher gehört auch das sehr merkwürdige »Froschlied«,
Rv. VII, 103. Hier werden die Frösche mit Brahmanen ver-
glichen. In der trockenen Zeit liegen sie da wie Brahmanen,
die das Gelübde des Schweigens auf sich genommen. Wenn
dann der Regen kommt, begrüfsen sie einander mit lustigem
Gequake »wie der Sohn den Vater«. Und der eine wiederholt
das Quaken des anderen, wie in einer Brahmanenschule beim Veda-
lernen die Schüler die Worte des Lehrers nachsagen. In mannig-
facher Weise modulieren sie ihre Stimmen. Wie Priester beim
Somaopfer singend um die gefüllte Kufe sitzen, so feiern die
Frösche den Eintritt der Regenzeit mit ihrem Gesang. Zum
Schlüsse folgt ein Gebet um Reichtum:
»Der Brüller spende Reichtum und der Meckrer,
Es spende uns der Bunte und der Grüne.
Viel hundert Kühe soll'n die Frösche spenden,
Zu tausend Opfern uns das Leben schenken.»
Das alles klingt ungemein komisch, und ziemlich allgemein
wurde das Lied für eine Parodie auf die Opferlieder und eine
böse Satire gegen die Brahmanen gehalten '). Bloomfield hat
aber endgültig nachgewiesen »), dafs wir es hier mit einem Zauber-
lied zu tun haben, welches für einen Regenzauber verwendet
wurde, tmd dafs die Frösche, die nach altindischem Volksglauben
Wasser hervorbringen können, als Regenbringer gepriesen und
angerufen werden. Der Vergleich mit den Brahmanen soll keine
Satire auf die letzteren sein, sondern nur eine Schmeichelei —
eine captatio benevolentiae — für die Frösche. Möglich wäre
') So noch Paul Deussen, Allg. Geschichte der Philosophie I, 1,
S. 100 ff.
») Journal of the American Oriental Society, vol. XVII, 1896,
pp. 173 ff. Vorher hatte schon M. Hau g (Brahma und die Brahmanen.
München 1871, S. 12) das Lied ebenso autgefafst und daran die folgende
interessante Mitteilung geknüpft : "Das Lied wird in Verbindung mit
dem vorhergehenden , an den Regengott (Parjanya) gerichteten , jetzt
noch zur Zeit grofser Dürre gebraucht, wenn der heifsersehntg Regen
nicht kommen will. Zwanzig bis dreilsig Brahmanen gehen an einen
Flufs und rezitieren diese beiden Hymnen, um den Regen herab-
zulocken.«
— 96 —
es immerhin, dafs hier ein ursprünglich als Satire gemeintes
Gedicht später in ein Zauberlied verarbeitet wurde. Ähnlich
dürfte auch das Lied Rv. VI, 75 ursprünglich ein Schlachtgesang
gewesen sein, den man in einen Schlachtsegen umgewandelt hat.
Während nämlich einzelne Verse dieses Liedes von grofser
dichterischer Schönheit und namentlich durch kühne Bilder aus-
gezeichnet sind, bewegen sich andere Verse ganz in der trockenen,
kunstlosen Sprache der Zauberlieder. Nicht wie ein Zauberlied,
sondern wie ein Schlachtgesang klingen die ersten drei Verse:
»Wie eine Wetterwolke anzuschauen,
So stürzt der Panzerheld ins Schlachtgewühle.
Heil dir und Sieg und unverletzten Körper!
O, dafs des Panzers Stärke fest dich schirme!
Mit unserm Bogen wollen wir uns Herden,
Mit unserm Bogen Schlacht um Schlacht ersiegen!
Mit unserm Bogen, aller Feinde Schauder,
Getraun wir uns die Erde zu erobern.
Als ob sie ihren lieben Freund umhalsend.
Ins Ohr ihm etwas sagen wollte, raunt sie
Wie eine Braut, die Sehne, wenn vom Bogen
Sie losgeschnellt den Pfeil ins Karapfgetümmel ') «
Im grofsen und ganzen aber unterscheiden sich die Zauber-
lieder des Rigveda in nichts von denen des Atharvaveda, auf
die wir bald zu sprechen kommen "). Es ist aber sehr bedeutsam,
dafs neben den Hymnen an die grofsen Götter und den Opfer-
gesängen auch solche Zauberlieder in die Rigveda-Samhitä — und
keineswegs blofs in das X. Buch derselben — aufgenommen
worden sind.
Und noch bedeutsamer ist es, dafs sich auch einige ganz
weltliche Gedichte unter die heiligen Lieder und Opfer-
gesänge des Rigveda gemischt haben. So finden wir z. B.
Rv. IX, 112 mitten unter den Somaliedern ein satirisches Gedicht,
welches über die mannigfachen Wünsche der Menschen spottet.
Möglich, dafs es nur dadurch Aufnahme in die Rigveda-Samhitä
gefunden hat, weil ein witziger Diaskeuast darauf verfallen ist.
') Übersetzt von H. Brunnhof er. Über den Geist der indischen
Lyrik, S. 12 f.
') Unten S. 103 ff^
— 97 —
jedem Vers den höchst unpassenden Refrain : iDem Indra ströme
Soma zu« anzuhangen. Ich gebe das merkwürdige Gedicht in
der Übersetzung von P. Deussen"):
"Gar mannigfach ist unser Sinn,
Verschieden, was der Mensch sich wünscht:
Radbruch der Wagner, Beinbruch der Arzt,
Der Priester den, der Soma preist, —
Dem Indra ströme Soma zu!
Der Schmied mit dürrem Reiserwerk
Mit Flederwisch als Blasebalg,
Mit Ambosstein und Feuersglut
Wünscht einen, der das Geld nicht spart, ~
Dem Indra ströme Soma zu!
Ich bin Poet, Papa ist Arzt,
Die Küehenmühle dreht Mama,
vSo jagen vielfach wir nach Geld,
Wie Hirten hinter Kühen her, —
Dem Indra ströme vSoma zu!
Das Streitrofs wünscht den Wagen leicht,
Zulächehi, wer Anträge stellt,
HirstLtam viilvam mentula,
Es wüiischt der hrosch den Wasserpfuhl, —
Dem Indra ströme Soma zu!«
Das schönste aber unter den nicht -religiösen Gedichten der
Rigvedasammhmg ist das Lied vom Spieler, Rv. X, 34. Es ist
das Selbstgespräch eines reuigen Sünders, der durch seinen un-
widerstehlichen Hang zum Würfelspiel sein Lebensglück zerstört
hat. In ergreifenden \'ersen schüdert der Spieler, wie ihn die
Würfel um sein FamilienglUck gebracht haben:
"Mein Weib hat nie mich aufgereizt, gescholten,
Sie meint' es gut mit mir und meinen PVeunden;
Obschon sie treu war, sltefs ich sie doch von mir
Dem Würfel, der mir alles gilt, zuliebe.
Nun halst die Schwieger, weist mich ab die Gattin,
Des Spielers Klagen finden kein Erbarmen-,
Ich weifs auch nicht, wozu ein Spieler gut war'.
So wenig als ein teurer Gaul im Alter.
') Allgemeine Geschichte der Philosophie I, 1, 98.
Winternitz, üeschicbte Jet iiidiscbsn I.itteratur.
— 98 —
Nach seinem Weibe greifen fremde Hände,
Indes mit Würfeln er auf Beute auszieht.
Der Vater, Bruder und die Mutter rufen:
Wer ist der Mensch? Nur fort mit ihm in Banden!«
Aber auch die unheimliche Macht der Würfel wird in
kräftigen Worten geschildert:
•Und sag' ich mir: ich will nun nicht mehr spielen,
So lassen mich im Stich die Freunde alle;
Doch hör' ich wieder braune Würfel fallen,
So eil' ich wie zum Stelldichein die Buhle,«
Und von den Würfeln heilst es:
»Sie sind wie Angeln, die sich bohren in das Fleisch,
Betrüger sind sie, brennen, quälen, peinigen;
Nach kurzem Glücke rauben sie den Sieger aus,
Dem Spieler sind sie dennoch süfse Herzenslust.
Sie rollen nieder, hüpfen in die Höhe,
Und ohne Hände zwingen sie die Fäuste.
Die zauberhaften Kohlen auf dem Plane
Versengen jedes Herz, obwohl sie tot sind.<
Und so sehr er auch sein Schicksal bejammert, so fällt er
doch immer wieder in die Gewalt der Würfel:
»Verlassen grämt des Spielers Weib sich einsam,
Die Mutter, weil der Sohn — wer weifs, wo — umirrt.
Er selbst verschuldet geht voll Angst auf Diebstahl,
Verbirgt zur Nacht sich unter fremdem Dache.
Ein Weh ergreift ihn, wenn er sieht die Gattin
Und wohlbestellte Heimat- eines andern.
Am frühen Morgen schirrt er schon die Braunen*);
Erlischt das Feuer, sinkt der Wicht zusammen.«*)
Zum Schlüsse besinnt er sich doch eines Besseren: er fleht
die Würfel an, ihn freizulassen, da er, dem Gebot des Savitar
folgend, das Spiel aufgeben wolle, um seinen Acker zu bestellen
und seiner Familie zu leben.
Eine Art Mittelstellung zwischen religiöser und weltlicher
0 D. h. er beginnt mit den braunen Würfeln zu spielen.
*) Übersetzung von K. Geldner in »Siebenzig Lieder des Rigveda«,
S. 158 ff.
— 99 —
Dichtung nehmen schliefslich noch diejenigen Hymnen ein, welche
mit sogenannten Dänastutis, »Preisliedern auf die Freigebig-
keit« (nämlich der Fürsten und Opferherren, für welche die Lieder
gedichtet wurden) verbunden sind. Es gibt ungefähr vierzig
solcher Hymnen\). Einige derselben sind Siegeslieder, in denen
Gott Indra gepriesen wird, weil er irgendeinem König zum
Sieg über seine Feinde verhelfen hat. Mit dem Lob des Gotteis
verbindet sich die Verherrlichung des siegreichen Königs. Zuni
Schlufs aber preist der Sänger seinen Herrn, der ihm Rinder,
Rosse und schöne Sklavinnen aus der Kriegsbeute geschenkt hat,
wobei gelegentlich auch mit einigen derben Zoten des Ver-
gnügens gedacht wird, das die Sklavinnen dem Sänger bereiten.
Andere sind sehr umfangreiche Opferlieder^), auch meist an Indra
gerichtet, welche offenbar für ganz bestimmte Gelegenheiten auf
Bestellung eines Fürsten oder eines reichen Herrn verfafst und
beim Opfer rezitiert wurden; zum Schlüsse aber folgen wieder
einige Verse, in denen der Opferherr dafür belobt wird, dafs er
dem Sänger reichlichen Priesterlohn gegeben. Immer aber wird
in den Dänastutis der volle Name des frommen Spenders ge-
nannt, und sie beziehen sich unzweifelhaft auf historische Ereig-
nisse oder doch auf tatsächliche Vorfälle. Darum sind sie auch
nicht unwichtig. Als Dichtungen freilich Isind sie ganz wertlos;
sie sind von handwerksmäfsig schaffenden Versemachern auf
Bestellung oder im Hinblick auf den zu erwartenden Lohn ver-
fertigt. Gewifs sind gar manche Hymnen des Rigveda, auch
wenn sie mit keiner Dänastuti verbunden sind, ebenso handwerks-
mäfsig für gute Belohnung »zusammengezimmert« worden. Ver-
gleichen doch vedische Sänger zuweilen selbst ihre Arbeit mit
der des Zimmermanns. 3) Immerhin ist es bemerkenswert, dafs
es unter aeujenigen Hymnen, die als Werke der Dichtkunst
') Blofs ein Hymnus (Rv. 1, 126) ist ganz eine Dänastuti. Sonst
sind es gewöhnlich nur drei bis fünf Verse am Schlüsse der Hymnen,
welche die Dänastuti enthalten.
*) Man hat den Eindruck, dafs das Honorar um so gröfser war,
je länger das Gedicht ausfiel.
3) Rv. I, 130, 6: "Diese Rede haben dir die Menschen, nach Gütern
verlangend, gezimmert, wie ein geschickter Meister einen Wagen.«
Rv. I, 61, 4: "Ihm (dem Indra) schicke ich dieses Loblied zu, wie einen
Wagen der Zimmermann dem Besteller.«
7*
— 100 -
irgendwie hervorragen, keinen einzigen gibt, der in eine Dänastuti
ausläuft. Wenn daher H. Oldenberg') über die Rigvcda-Poesie
im allgemeinen sagt: 2 Diese Poesie steht nicht im Dienst
der Schönheit, wie diese Religion nicht im Dienst der Aufgabe
s-teht, die Seelen zu läutern und zu erheben; sondern beides steht
im Dienst des Standesinteresses, des persönlichen InterevSses, des
Honorars,« — so vergifst er doch wohl, dafs es unter den 1028
Hymnen des Rigveda nur etwa 40 gibt, die in Dänastutis aus-
laufen. Ich meine, es hat unter den Verfassern vedischer Hymnen
gewils H a n d w e V k e r , aber ebenso gewifs auch Dichter ge-
geben.
Einen Hytnnus gibt es im Rigveda, der in einem höheren
Sinne eine Dänastuti, ein »Lob der Freigebigkeit«, ist. Es ist
der Hymnus Rv. X, 117, der auch darum Erw^ähnung verdient,
weil in demselben eine dem Rigveda sonst ganz fremde, morali-
sierende Tonart angeschlagen wird. Alles ist der Rigveda, nur
kein Lehrbuch der Moral. Und der Hymnus, von dem ich eine
wörtliche Prosaübersetzung folgen lasse, steht im Rigveda als
etwas ganz Vereinzeltes da:
'Wahrlich, die Götter haben den Hunger nicht als Todesstrafe
bestimmt; auch dem, der sich saltgegessen, naht der Tod in vielerlei
Gestalt^). Und (kr Reichtum dessen, der- da spendet, nimmt nicht ab-,
wer aber nicht spendet, der findet keinen Erbarmer.
Der mit Speise Gesegnete, der dem heruntergekommenen
Armen, \veni> er um I_abung flehend zu ihm kommt, sein Herz ver-
härtet, sogar wenn ihm dieser vorher Dienste erwiesen, der findet
keinen Erbarraer.
Der ist ein rechter Spender, der dem Bettler gibt, dem dtirftigen,
der Speise verlangend daherkommt; auf seinen Hilferuf steht er ihm
zu Diensten und ma<:ht ihn zum Freund sich für alle Zukunft.
Nicht der ist ein F'reund, der niciil Labung uarreichl d?m Freund
') Die Literatur des alten Indien, S. 2U.
') Sehr gut erklärt von A. Ludwig (Der Rigveda V, 561): "Man
greilt dadurch nicht in das Walten der Götter ein, dafs man dem, der
dem Hungertode nahe ist, Nahrung reicht; es ist dii^s mit bitterer Ironie
gegen die Heuchler gesagt, die ihre Hartherzigkeit dadurch zu recht-
fertigen suchten, dafs den Dürftigen ihr Los ja von den (Göttern be-
stimmt worden sei. Die Ironie oder der Sarkasmus wird unzweifelhaft
durch das tolgende, der Dichter schliefst weiter, dafs, wenn die Armen
von den Göttern dem Hungertode bestimmt wären, die Reichen, die
zu essen hätten, ewig leben niüfsten.«
- 101 --
und treuen Gefährten. Weg- von dem soll er sieh wenden — das ist
keine WohnstJitte — lieber suche er sich einen, selbst einen Fremden,
der spendet.
Spenden soll der Reichere dem Atmen, den ganzer», langen Lebens-
pfad entlang- blickend; denn wie Wagenräder sich drehen, so wendet
der Reichtum sich von einem zum andern ')■
Vergeblich gelangt der Tor in den Besitz von Speise; die Wahr-
heit spreche ich: sie ist nnr sein Verderben! Er nährt nicht den treuen
Gefährten, nicht den Freund; er ifst allein, und allein ist er schuld-
beladen.
Pflügend schafft die Pflugschar Nahrung. Gehend legt der
Wanderer seinen Weg zurück. Ein sprechender (d. h. Sprüche sagender)
Priester gewinnt mehr als einer, der nicht spricht. Ein Freund, der
spendet, überragt wohl den, der nicht spendet.
Der Einfuls ist weiter ausgeschritten als der Zweifufs; der Zwei-
fufs holt den Dreifufs ein; der Vierfufs geht hinter den Zweifüfslern
einher, herantretend und die Reihen überschauend.»)
Die zwei gleichen Hände leisten doch nicht das gleiche; Kühe
von derselben Mutter geben nicht die gleiche Milch. Selbst Zwillinge
sind nicht von gleicher Stärke, und selbst zwei Nah verwandte spenden
nicht das gleiche.«f5)
Die vorletzte Strophe ist ein Beispiel von der bei den alten
Indern ebenso wie bei anderen alten Völkern sehr beliebten
Rätseldichtung. Eine grolse Anzahl solcher — für uns
leider meist unverständlicher — Ratsei findet sich in dem Hymnus
Rv. I, 164. Da heilst es z. B. :
"Sieben bespannen einen einrädrigen Wagen; ihn zieht ein Rofs
mit sieben Namen; drei Naben hat das unvergängliche, unaufhaltsame
Rad, auf welchem alle diese Wesen stehen.«
Das kann bedeuten: Die sieben Opferpriester bespannen
(mittels des Opfers) den Sonnenwagen, der von sieben Ro.ssen
oder einem siebengestaltigen Rofs gezogen wird; dieses unver-
gängliche Sonnenrad hat drei Naben, nämlich die drei Jahres-
') Geldner (,*Siebenzig- Lieder«, S. 156) übersetzt hübsch:
«Wer's kann, der soll dem Hilfsbedürftigen spenden.
Den fernem Weg des Lebens wohl bedenken!
Das Glück rollt hin und her wie Wagenräder,
Bald kehrt es ein bei diesem, bald bei jenem."
^) Die Übersetzung ist kaum zweifelhaft, um so mehr der Sinn.
Man vermutet, dals mit dem -Einfufs« der «einfüfsige Bock«-, ein
Sturmgott, gemeint, und dafs der '- Dreifufs« der auf den Stock gestützte
Greis und der »VierfuiS" der Hund sei. Sicher ist das keineswegs.
3) Vgl. Deussen, Allg. Geschichte der Philosophie I, 1, S. 93 f.
— 102 —
Zeiten (Sommer , Regenzeit und Winter) , in welchen das Leben
aller Menschen dahingeht. Aber auch andere V ,'Utungen des
Rätsels sind möglich.
In den Sinn folgender Rätsel eindringen zu wollen, würde
sich wohl kaum lohnen:
"Drei Mütter und drei Väter tragend steht der Eine aufrecht
da, und nicht ermüden sie ihn; auf dem Rücken des Himmels dortbe-'
ratschlagen sie mit der allwissenden, aber nicht allumfassenden Väc
(Göttin der Rede).
Wer ihn gemacht hat, der weifs nichts von ihm; wer ihn geschaut
hat, dem ist er verborgen; er liegt eingehüllt im Schofs der Mutter;
viele Kinder hat er und ist doch zur Nirrti eingegangen ')•
Der Himmel ist mein Vater und mein Erzeuger, da ist der Nabel ;
meine mir angehörige Mutter ist diese grofse Erde. Zwischen den
zwei ausgebreiteten Somagef äfsen ist der Mutterschofs ; da hinein legte
der Vater den Keim in die Tochter.«
Hingegen ist es klar, dafs die Sonne gemeint ist, wenn es
heifst :
»Einen Hirten sah ich, der nicht herunterfällt, der hin und wieder
wandelt auf seinen Pfaden; sich kleidend in die Zusammenlaufenden
und die Auseinanderlaufenden») kreist er in den Welten umher.«
Ebenso klar ist die Deutung des Rätsels:
»Zwölf Radkränze, ein Rad, drei Naben: wer kennt das? Darin
sind zusammen etwa dreihundert und sechzig bewegliche Pflöcke ein-
geschlagen.«
Gemeint ist das Jahr mit den 12 Monaten, 3 Jahreszeiten
und rund 360 Tagend).
Solche Rätselfragen und Rätselspiele gehörten zu den be-
liebtesten Unterhaltungen im alten Indien; sie bildeten bei manchen
Opfern geradezu einen Bestandteil des Rituals. Und wir be-
gegnen denselben sowohl im Atharvaveda wie im Yajurveda
wieder.
0 Nirrti ist die Göttin des Todes und Verderbens. >Zur Nirrti
eingehen« heifst: ganz zugrunde gehen, ins Nichts versinken.
*) Die Strahlen sind gemeint.
3) Die Rätsel von Rv. I, 164 sind eingehend behandelt worden
von Martin Haug, Vedische Rätselfragen und Rätselsprüche (Sitzungs-
berichte der philos.-philol. Klasse der bayer. Akademie der Wissen-
schaften, München 1875) und von P. Deussen, Allgemeine Geschichte
der Philosophie, I, 1, S. 105-119.
— 103 —
Überblicken wir nun den bunten Inhalt der Rigveda-SamhitS,
von dem ich hier eine Vorstellung zu geben versuchte, so drängt
sich uns die Überzeugung auf, dafs wir in dieser Sammlung die
Bruchstücke ältester indischer Dichtung überhaupt zu sehen
haben, dals die uns erhaltenen Lieder, Hymnen und Gedichte
des Rigveda nur ein Bruchteil einer viel umfangreicheren —
religiösen und weltlichen — Poesie sind, von der wohl das meiste
unwiederbringlich verloren ist. Da aber diese Hymnen ihrer
grofsen Mehrzahl nach entweder Opfergesänge sind oder als
Gebete und Opferlieder verwendet wurden oder doch verwendet
werden konnten, so dürfen wir annehmen, dafs eben diese
Hymnen den eigentlichen Anlafs zur Sammlung und Vereinigung
derselben in einem »Buch« gegeben haben. Doch haben die Samm-
ler, die neben dem religiösen auch ein rein litterarisches Interesse
an der Sammlung gehabt haben werden, sich nicht gescheut, in die-
selbe auch unheilige Dichtungen aufzunehmen, welche sich durch
Sprache und Metrum als ebenso alt und altehrwürdig erwiesen
wie jene Opfergesänge. Nur dadurch, dafs sie in ein »Buch«
— d. h. einen zum Auswendiglernen bestimmten Schultext —
Aufnahme fanden, konnten sie vor dem Vergessenwerden be-
wahrt bleiben. Gewifs hat es aber auch Vieles gegeben, was für
sie als zu unheilig galt, um in die Rigveda-Samhitä aufgenommen
zu werden. Von diesem ist wieder manches dadurch für uns
gerettet worden, dafs es später in eine andere Sammlung — die
Atharvaveda-Samhitä — Aufnahme fand.
Die Atharvaveda-Samhitä.')
»Atharva-veda« bedeutet so viel wie »der Veda der Athar-
vans« oder »das Wissen von den Zaubersprüchen.« Ursprünglich
bezeichnet aber das Wort Atharvan einen Feuerpriester, und
es ist wohl der älteste indische Name für »Priv-Ster« überhaupt,
0 Eine vollständige deutsche Übersetzung des Atharvaveda- gibt
es nicht, wohl aber Übersetzungen einzelner Bücher und ausgewählter
Hymnen. Eine grofse Auswahl von Hymnen ist übersetzt von Alfred
Ludwig im dritten Band seines »Rigveda« (Prag 1878), S. 428—551.
Eine Auswahl metrischer Übersetzungen gibt Julius Grill, »Hundert
Lieder des Atharva- Veda« (zweite Aufl., Stuttgart 1888). A.Weber
hat übersetzt: die Bücher I bis V und XIV im 4., 13., 17., 18- und
5. Band der »Indischen Studien« resp. , ferner Buch XVIII in den
— 104 -
denn das Wort geht in die indo-iranische Zeit zurück. Den
indischen x\tharvans entsprechen nämlich die Äthravans oder
»Feuerleute«- des Avesta"). Der Feuerkult spielte im täglichen
Leben der alten Inder keine geringere Rolle als bei den so oft
als » Feueranbetern f bezei<hneten alten Persern; die Priester
dieses urallen Feuerkultes waren aber noch — wie die Scha-
manen Nordasiens und die Medizinmanner der. Indianer —
V Zauberpriester « , d. h. Priester und Zauberer in einer Person,
wie ja auch in dem Worte »Magier« — wie die Äthravans in
Medien genannt wurden — die Begriffe Zauberer und Priester
iiieinanderfliefsen. So erklärt es sich , dafs mit dem Worte
atharvan auch die i- Sprüche der Atharvans oder der Zaiiber-
pnester« , also die Zaubersprüche und Zauberformeln selbst be-
zeichnet wurden. Der älteste Name aber, unter dem dieser Veda.
in der indischen Litteratur bekannt ibt, lautet Atharvan
girasah, d. h. »die Atharvans und die Angiras«r. Die Angiras
sind ebenfalls eine Klasse von Feuerpriestern der Vorzeit, und
das Wort erlangte ebenso wie atharvan die Bedeutung von
»Zauberformeln und Zaubersprüchen«. Die beiden Ausdrücke
atharvan und a rt g i r a s bezeichnen aber zwei verschiedene
Gattungen von Zauberformeln: atharvan ist »heiliger, glück-
bringender Zauber« , während angiras »feindlichen Zauber,
schwarze Magie« bedeutet. Zu den Atharvans gehören 2. B. die
zur Heilung von Krankheiten dienenden Zauberformeln, während
zu den Angiras die Verfluchungen von Feinden, Nebenbuhlern,
Sitzungsberichten der Berliner Akademie der Wissenschaften 1895 und
1896. Das XV. Buch hat Th. A u f r e c h t im ersten Band der «Indischen
Studien« und die ersten 50 Hymnen des VI. Buches C. A. Florenz
(Gottingen 1887, Doktordissertation) ins Deutsche übersetzt. Viktor
Henry tibersetzte die Bücher Vll bis XIII ins Französische (Paris
1891—96). Eine vollständige euürlische Übersetzung gibt es von
R. T. H. Griffith (Benares 1895-6). Die beste Auswahl in vorzüg-
licher englischer Übersetzung ist die von M. Bloomfield (Sacred
Book's of the-East, vol. 4'J). Derselbe Gelehrte hat auch im »Grundrifs"
(Bd. ü, erstes Heft, B) selir eingehend über den Atharvaveda gehandelt,
und diesem vortrefflichen Werke ist der Verfas.ser für die folgende
Darstellung, namentlich auch für die Klassifikation der Hymnen, z«
besonderem Danke verpflichtet.
') Auch im alten Rom gehören die flaraines, welche da.s Brand-
opfer zu vollziehen hatten, zu den ältesten Priestern. (Th. Mommsen,
Römische Geschichte, 4. Aufl. l. S 170 f.)
— 105 —
bösen Zauberern u. dgl. gehören. Der alte Name Atharväii-
girasah bezeichnet also diese beiden Arten von Zauberformeln,-
welche den Hauptinhalt des Atharvaveda bilden. Der spätere
Name Atharvaveda ist blofs eine Abkürzung für »V^eda der
AtharA^ans und Angiras-?.
Die Atharvaveda-Samhitä nun — gewöhnlich schlechthin
»der Atharvaveda« genannt — ist in der Rezension, welche uns
am besten erhalten ist'), eine Siimmlung von 731 Myrtinen,
welche ungefähr 60Ö0 Verse enthalten. Sie ist in 20 Bücher
eingeteilt. Von diesen ist das XX. Buch erst sehr spät hinzu-
gefügt worden, und auch das XIX. Buch gehörte ursprünglich
der Sarahitä nicht an'. Das XX. Buch ist fast ganz aus Hymnen
zusammengesetzt, welche wörtlich der Rigveda-Samhitä ent-
nommen sind. Aufserdem ist noch ungefähr ein Siebentel der
Atharvaveda-Samhitä dem Rigveda entnommen; und zwar findet
sich mehr als die Hälfte der Verse, welche der Atharvaveda
mit dem Rigveda gemeinsam hat, im X. Buch, die meisten der
übrigen Verse im 1. und VIII. Buch des Rigveda. Die An-
ordnung der Hymnen in den 18 echten Büchern folgt einem ge-
wissen Plan und verrät eine ziemlich sorgfältige redaktionelle
Tätigkeit. Die ersten sieben Bücher bestehen aus zahlreichen
kurzen Hymnen, und zwar haben die Hymnen in Buch I in
der Regel vier, in Buch II fünf, in Buch III sechs, in Buch IV
sieben Verse. Die Hymnen des V. Buches haben mindestens
acht und höchstens achtzehn Verse. Das VI. Buch besteht aus
142 Hymnen von zumeist nur drei Versen und das VII. Buch
aus 118 Hymnen, von denen die meisten nur einen oder zwei
Verse enthalten. Die Bücher VIII-XIV, XVII und XVITI
bestehen durchwegs aus sehr langen Hymnen, und zwar steht
der kürzeste Hymnus (mit 21 Versen; am Anfang dieser Reihe
(VllI, l) und der längste (mit 89 Versen) am Ende dersdben
(XVIIl, 4). Buch XV und der grofste Teil von Buch XVI,
welche die Reihe unterbrechen, sind in Prosa abgefafst und deni
Stil und der Sprache nach den Brähmanas ähnlich Trotzdem
') Es ist die baunaka- Rezension oder der zur Saunaka- Schule
geh(>riKe Samhitatext. Nur durch eine einzige, ung^eriaue Handschrift
bekannt ist die Paippaläda Rezension. Der Text der Saunaka-Rezension
ist herausgegeben von R. Roth und W. D. Whitney, Berlin 1856.
— 106 —
bei dieser Anordnung in erster Linie etwas rein Äufserliches
— die Verszahl — in Betracht gezogen ist, wird doch auch
auf den Inhalt einige Rücksicht genommen. Zwei, drei, vier
und auch mehr Hjmmen, die denselben Gegenstand behandeln,
stehen oft beisammen. Zuweilen ist der erste Hynmus eines
Buches mit Rücksicht auf seinen Inhalt an den Anfang gestellt;
so beginnen die Bücher II, IV, V und VII mit theosophischen
Hymnen, was gewifs absichtlich ist. Die Bücher XIII— XVIII
sind ihrem Inhalte nach fast ganz einheitlich ; so enthält Buch XIV
nur Hochzeitssprüche und Buch XVIII nur Totenbestattungs-
verse.
Sprache und Metrik der Hymnen des Atharvaveda sind im
wesentlichen dieselben wie die der Rigveda-Samhitä. Doch finden
sich in der Sprache des Atharvaveda zum Teil entschieden jüngere
und zum Teil mehr volkstümliche Bildungen, und auch die Metrik
wird bei weitem nicht so streng gehandhabt wie im Rigveda.
Abgesehen von Buch XV, das ganz, und Buch XVI, das gröfsten-
teils in Prosa abgefafst ist, finden wir auch sonst gelegentlich
prosaische Stücke unter den Versen; und es ist oft nicht leicht,
zu entscheiden, ob ein Stück in gehobener Prosa oder in schlecht-
gebauten Versen verfafst ist. Auch das kommt vor, dafs ein
ursprünglich richtiges Metrum durch eine Einschiebung oder
Textverderbnis gestört wird. In einzelnen Fällen weisen wohl
die sprachlichen und metrischen Tatsachen darauf hin, dafs wir es
mit jüngeren Stücken zu tun haben. Im allgemeinen aber lassen
sich aus der Sprache und dem Metrum keine Schlüsse auf die
Abfassungszeit der Hymnen, noch weniger auf das Alter der
Redaktion unserer Samhitä ziehen. Denn es bleibt immer eine
offene Frage, ob die sprachlichen Eigentümlichkeiten und die
metrischen Freiheiten, durch welche sich die Zaubersprüche des
Atharvaveda von der Hymnendichtung des Rigveda unterscheiden,
auf einem Unterschied in der Entstehungszeit oder auf der Ver-
schiedenheit -.wischen volkstümlicher und priesterlicher
Dichtung beruhen. (Vgl. oben S. 53 f.)
Hingegen gibt es andere Tatsachen, welche unwiderleglich
beweisen, dafs unsere Redaktion der Atharvaveda-Samhitä jünger
ist als die der Rigveda-Samhitä. Zunächst führen uns die geo-
graphischen und kulturellen Verhältnisse, wie sie sich im Atharva-
veda widerspiegeln, in eine jüngere Zeit. Die vedischen Arier
— 107 —
sind nun bereits weiter nach Südosten vorgedrungen und schon
im Gangeslande ansässig. Der in den Sumpfwaldungen Bengalens
einheimische und daher im Rigveda noch unbekannte Tiger er-
scheint im Atharvaveda schon als das mächtigste und gefürchtetste
aller Raubtiere, und bei der Königsweihe tritt der König auf ein
Tigerfell, das Symbol königlicher Macht. Der Atharvaveda
kennt nicht nur die vier Kasten — Brähraanas, Ksatriyas, Vaisyas
und Öüdras — , sondern in einer Reihe von Hymnen werden
schon (wie das später mehr und mehr der Fall ist) von der
Priesterkaste die höchsten Ansprüche erhoben, und die Brah-
manen werden bereits oft als die »Götter« *) dieser Erde be-
zeichnet. Die Zauberlieder des Atharvaveda, die ja gewifs ihren
Hauptbestandteilen nach volkstümlich und uralt sind, haben auch
in der Samhitä nicht mehr ihre ursprüngliche Gestalt, sondern
sie sind brahmanisiert. Diese alten Sprüche und Formeln,
deren Verfasser ebenso unbekannt sind wie die der Zauber-
sprüche und Zauberlieder anderer Völker, und die ursprünglich
ebensosehr »Volksdichtung« waren, wie die Zauberpoesie es ja
überall ist, haben in der Atharvaveda -Samhitä ihren volkstüm-
lichen Charakter zum Teil schon eingebülst. Wir sehen auf
Schritt und Tritt, dafs die Sammlung von Priestern zusammen-
gestellt worden ist , und dafs auch viele der Hymnen von
Priestern verfafst sind. Dieser priesterliche Horizont der Re-
dakteure und zum Teil auch der Verfasser der Hymnen des
Atharvaveda verrät sich in gelegentlichen Vergleichungen und
Beiworten, wie etwa, wenn es in einem Spruch gegen Feld-
ungeziefer heifst, es solle das Getreide unberührt lassen »wie
der 'Brahmane unfertige Opferspeise«. Eine ganze Klasse von
Hymnen des Atharvaveda — wir kommen unten auf sie zu
sprechen — beschäftigt sich nur mit den Interessen der Brah-
manen, der Priesterspeisung, der Opferlöhnung u. dgl., und sie
sind selbstverständlich das Wer^ von Priestern.
So wie aber diese Brahmanisierung der alten Zauberpoesie
auf eine jüngere Zeit der Redaktion hinweist, so zeugt auch die
Rolle, welche die vedischen Götter im Atharvaveda spielen, für
') Einmal kommt der Ausdruck »Götter« für »Priester^ auch
im Rigveda vor (Rv. I, 128, 8). Vgl. Zimmer, Altindisches Leben,
S. 205 ff.
— 108 —
die Spätere Entstehungszeit der Samhitä. Wir begegnen hier den-
selben Göttern Avie im Rigveda — Agni, Indra u. s. w. — , aber
sie sind ihrem Charakter nach ganz verblafst, sie unterscheiden
sich kaum einer von dem andern, ihre ursprüngliche Bedeutung
als Naturwesen ist zum grofsen Teil vergessen: und da es sich ja
in den Zauberliedern hauptsächlich um Vertreibung und Ver-
nichtung von DJimonen handelt, werden auch die Götter nur zu
diesem Zwecke angerufen, — sie sind alle zu Däraonentötem ge-
worden. Auf eine jüngere Zeit weisen endlich auch diejenigen
Hymnen des Atharvaveda hin, welche theosophische und kosmo-
gonische Spekulationen enthalten. Wir finden in diesen Hymnen
bereits eine ziemlich ausgebildete philosophische Termino-
logie und eine mit der Philosophie der Upanisads auf gleicher
Stufe stehende Entwicklung des Pantheismus. Dafs aber selbst
diese philosophischen Hymnen zu Zauberzwecken verwendet
werden, dafs z, ß, ein philosophischer Begriff wie Asat, »das
Nichtseiende« , als ein Mittel zur Vernichtung von Feindeii,
Dämonen und Zauberern verwendet wird'), zeigt, dafs wir hier
bereits eine künstliche und sehr moderne Entwicklung des alten
Zauberwesens vor uns haben.
Kein Zeichen jüngeren Datums ist es, dafs die Heiligkeit
des Atharvaveda von den Indern selbst lange nicht anerkannt
wurde und vielfach noch heute bestritten wird. Der Grund hier-
für ist in dem Charakter dieses Veda zu suchen. Zweck des
-Atharvaveda ist es, wie die Inder sagen, »zu besänftigen^ zu
segnen und zu fluchen« '). Jene zahlreichen Zauberformeln aber,
welche Flüche und Beschwörungen eiUhalten. gehören in daJ5
Gebiet des ^unheiligen Zaubers« , von dem das Priestertum und
die priesterliche Religion sich mehr und mehr loszusagen bemüht
waren. Im Grunde it<t ja zwischen Kult und Zauber kein wesenl
lieber Unterschied: durch beide sucht der Mensch auf die über-
sinnliche Welt einzuwirken. ,\uch Priester und Zauberer sind
ursprünglich ein und dasselbe. Aber in der Geschichte aller
Völker beginnt eine Zeit, wo Götterkult und Zauberwerk aus-
einanderzugehen streben (was niemals ganz gelingt), wo der mit
') Ath. IV. 19, 6.
Ö D. h. die DämoTien zu besänftigen, die Freunde zu segnen und
den Feinden zu fluchen.
— 109 —
den Göttern befreundete Priester sich von dem mit der unheim-
lichen Dämonenwelt im Bunde stehenden Zauberer lossagt und
auf ihn von oben herabblickt. Dieser Gegensatz zwischen Zauberer
und Priester bildete sich auch in Indien heraus. Nicht nur 6i;n
buddhistischen und jainistischeh Mönchen ist es verboten, sich mit
den Beschwörungen des Atharvaveda und mit Zauberwerk zu
beschUftigen, sondern auch die brahmanischen Gesetzbücher er-
klären die Zauberei für eine Sünde, stellen die Zauberer mit
Betrügern und Spitzbuben in eine Linie und fordern den König
auf, mit Strafen gegen sie vorzugehen '). . Freilich wird an
anderen Stellen der Gesetzbücher den Brahmanen ausdrücklich
gestattet, sich der Beschwörungen des Atharvaveda gegen ihre
Feinde zu bedienen^), und die rituellen Texte, welche uns die
grofsen Opfer schildern, enthalten zahllose Beschwörungsformeln
tmd Beschreibungen von Zauberriten, durch welche der Priester
;>den, der uns hafst, und den, den wir hassen«, — so lautet die
stehejide Formel — vernichten kann. Dennoch entstand in
priesterlichen Kreisen eine gewisse Abneigung gegen den Veda.
der Zaubersprüche- er galt nicht als orthodox genug und wurde
vielfach vom Kanon der heiligen Texte ausgeschlossen. Eine
Sonderstellung in der heiligen Litteratur nahm er von Anfang an
ein. Wo immer in älteren Werken von heiligem Wissen die
Rede ist, da wird immer zuerst die trajM vidyä, :^das drei-
fache Wissen<' , d. h. R ig veda, Yajurveda und Sämaveda, er-
wähnt-, der Athaiva veda folgt immer erst nach der trayi vidyä
und wird oft auch ganz übergangen. Es kommt sogar vor, dafs
die Vedängas und die epischen Erzählungen (itihäsapuräna) als
heilige Texte aufgeführt werden, während der Atharvaveda un-
erwähnt bleibt. So wird in einem Grhy^sntra"') eine Zeremonie
beschrieben, durch welche in das neugeborene Kiiid die Vedas
»hineingelegt<' werden sollen. Dies geschieht mittels eines
Spruches, in welchem es heifst : »Den Rigveda lege ich in dich;
den Yajurveda lege ich in dich, den Sämaveda lege ich in dich,
die Wechselreden (väkoväkya» lege ich in dich, die Sagen und
M Sacred Bocks of the Hast X, II , S. 176. XLV, S. 105, 1.S3,
363. Manu IX, 258, 290. XI, 64. Visnu-Sinrti 54, 25.
») Siehe unten S. 129.
3) Sänkhäyana-Grhyasütra I, 24, 8.
- 110 —
Legenden (itihäsapuräna) lege ich in dich, alle Vedas lege ich in
dich.« Hier ist also der Atharvaveda absichtlich übergangen.
Selbst in alten buddhistischen Texten wird von gelehrten Brah-
manen gesagt, dafs sie in den drei Vedas bewandert sind. ^) Dafs
aber diese Nichterwähnung des Atharvaveda kein Beweis für die
späte Entstehung der Samhitä ist, geht schon daraus hervor,
dals bereits in einer Samhitä des schwarzen Yajurveda*) und
auch sonst gelegentlich in alten Brähmanas und Upanisads der
Atharvaveda neben den drei anderen Vedas genannt wird.
Wenn es aber auch feststeht, dafs unsere Redaktion der
Atharvaveda-Samhitä jünger ist als die der Rigveda-Samhitä, so
folgt daraus keineswegs, dals die Hymnen selbst jünger sind als
die Rigvedahymnen. Es folgt nur, dafs die jüngsten Hymnen
des Atharvaveda jünger sind als die jüngsten Hymnen des Rig-
veda. Aber so gewifs es ist, dafs es unter den Hymnen des
Atharvaveda viele gibt, welche jünger sind als die grofse Mehr-
zahl der Rigvedahymnen, so gewifs ist es, dafs die Zauberpoesie
des Atharvaveda an sich mindestens ebenso alt, wenn nicht älter
ist als die Opferpoesie des Rigveda, dafs zahlreiche Stücke des
Atharvaveda in dieselbe graue Vorzeit zurückreichen wie die
ältesten Lieder des Rigveda. Denn es geht durchaus nicht an,
etwa von einer »Periode des Atharvaveda« zu sprechen. Wie
die Rigveda- Samhitä so enthält auch die Sammlung des Athar-
vaveda Stücke, welche durch Jahrhunderte voneinander getrennt
sind. Und nur VQn den jüngeren Bestandteilen der Atharvaveda-
Samhitä kann man sagen, dafs manche derselben erst nach dem
Vorbild der Rigvedahymnen gedichtet worden sind. Für un-
richtig halte ich aber die Ansicht von Oldenberg^), dafs die
älteste Gestalt der Zauberformeln in Indien die prosaische ge-
wesen, und dafs die ganze Litteratur von Zauberversen imd
Zauberliedern erst nach dem »Vorbild ihrer älteren Schwester,
der Poesie der Opferhymnen« geschaffen worden sei.
') Besonders merkwürdig ist Suttanipäta, Selasutta, wo von dem
Brahmanen Sela gesagt wird, dafs er in den drei Vedas, den Vedängas
und dem Itihäsa als fünftem bewandert ist (ed. Fausböll, p. 101). Auch
in Suttanipäta 1019 heilst es von Bhävari, dafs er die drei Vedas be-
meistert hat. (Sacred Books of the Hast, vol. X, II, pp. 98 und 189.)
*) Taittiryla-Satphitä VII, 5, 11, 2, wo der Plural von Angiras im
Sinne von »Atharvaveda» steht. S. oben S. 104 f.
3) Literatur des alten Indien, S. 41.
— 111 —
Aus den Zauberliedern des Atharvaveda spricht doch ein
ganz anderer Geist als aus den Hymnen des Rigveda. Es ist
eine ganz andere Welt, in der wir uns hier bewegen. Dort die
grolsen Götter des Himmels, welche die gewaltigen Natur-
erscheinungen verkörpern, die der Sänger verherrlicht und lob-
preist, denen er opfert, und zu denen er betet, starke, hilfreiche,
zum Teil erhabene Wesen, freundliche Lichtgottheiten zumeist, —
hier die finsteren , dämonischen Mächte , welche Krankheit und
Unglück über die Menschen bringen, gespenstische Wesen, gegen
die der Zauberer seine wilden Flüche schleudert, oder die er
durch Schmeichelreden besänftigen und bannen will. Viele dieser
Zauberlieder gehören ja gerade so wie die dazugehörigen
Zauberriten einem Kreise von Vorstellungen an, ^^Jlche, über
die ganze Erde verbreitet, bei den verschiedensten Völkern aller
Länder mit überraschender Ähnlichkeit immer wiederkehren.
Wir finden genau dieselben Anschauungen, genau dieselben selt-
samen Gedankensprünge in den Zauberliedem und Zauberriten,
wie sie uns der Atharvaveda von den alten Indern aufbewahrt
hat, auch bei den Indianern Nordamerikas, bei den Negervölkem
Afrikas, bei Malaien und Mongolen, bei den alten Griechen und
Römern und vielfach noch bei dem Landvolk im heutigen Europa
wieder. Es finden sich denn auch zahlreiche Verse im Athar-
vaveda, welche ihrem Charakter und oft auch ihrem Inhalte nach
von den Zaubersprüchen der indianischen Medizinmänner und
der tatarischen Schamanen ebensowenig verschieden sind wie
von den Merseburger Zaubersprüchen, die zu den kärglichen
Überresten ältester deutscher Poesie gehören. So lesen wir z. B.
in einem der Merseburger Zaubersprüche, dafs »Wodan, der es
wohl verstand«, die Bein Verrenkung von Balders Fohlen mit der
Formel besprach:
»Bein zu Beine,
Blut zu Blute,
Glied zu Gliedern,
Als wenn sie geleimet wären.«
Und ganz ähnlich heilst es im Atharvaveda IV, 12 in einem
Spruch gegen Beinbruch:
»Mark mit Mark füg' sich zusammen,
Glied mit Glied füg' sich zusammen.
Was vom Fleisch dir abgefallen.
Und der Knochen wachs' zusammen.
— 112 —
Mark mit Mark soll sich vereinen,
Haut mit Haut zusammenwachsen,
Blut und Knochen soll verwachsen,
r'leisch mit Fleisch zusammenwachsen!
Haar mit Haar brinj? du ') zusammen,
Haut mit Haut brinpf du zusammen, —
Blut und Knochen soll verwachsen. —
Kraut, vereinig' das Gespalt'ne.«
Gerade darin liegt die grolse Bedeutung der Atharvaveda-
Samhitä, dafs sie für uns eine unschätzbare Quelle ist für die
Kenntnis des eigentlichen , von der Priesterreiigion noch unbe-
einflufsten Volksglaubens, des CMaubens an zahllose Geister,
Kobolde, Gespenster und Dämonen aller Art, und des ethnologisch
und religionsgeschicbtlich so überaus wichtigen Zauberwesens.
Wie wichtig gerade für den Ethnologen der Atharvaveda ist,
das mag die folgende Übersicht über die verschiedenen Klassen
von Hymnen, welche die Sammlung enthält, zeigen.
Einen Hauptbestandteil der Atharvaveda-Samhitä bilden die
Lieder und Spruche zur Heilung von Krankheiten,
welche zu den Heilzauberriten (bhaisajyäni) gehören. Sie sind
entweder an die als persönliche Wesen , als Dämonen gedachten
Krankheiten ^) selbst gerichtet oder aber an ganze Klassen von
Dämonen, welche nls Verursacher von Krankheiten gelten. Und
wie bei anderen Völkern herrscht auch in Indien der Glaube,
dafs diese Dämonen den Kranken entweder von aufsen be-
drängen und quälen, oder dafs der Kranke von ihnen besessen
ist. Manche dieser Sprüche sind auch Anrufungen und Lob-
preisungen des Heilkrautes, w(iiches zur Heilung der Krankheit
dienen soll; andere wieder sind Gebete an das Wasser, dem be-
sondere Heilkraft zugeschrieben vvird, oder an das Feuer, welches
den Indern als der kräftigste Dämonenverscheucher gilt. Diese
Zauberlieder bilden zusammen mit den dazugehörigen Zauber-
riten, von denen wit: aus dem später zu nennenden Kausikasütra
Kunde haben, das älteste System der indischen medizinischen
') Das Heil kraut ist angesprochen.
*) Der Nam(; der Ivranklieit i>,t zugleich der Name des l^ämons.
Genau so ist es z. B. bei den Malaien: So viele Krankheiten sie kennen,
so viele Namen von Kraakheitsgeistern besitzen sie.
— 113 —
Wissenschaft, Mit grofser Anschaulichkeit werden in den Liedern
oft die Symptome der verschiedenen Krankheiten geschildert,
und sie sind daher auch für die Geschichte der Medizin nicht
uninteressant. Dies gilt besonders von den Sprüchen gegen das
Fieber. Wegen ceiner Häufigkeit und Heftigkeit wird das Fieber
noch in den späteren Lehrbüchern der Medizin »der König der
Krankheiten« genannt. Und an den Takman — dies ist der
Name des als Dämon gedachten Fiebers im Atharvaveda — sind
zahlreiche Sprüche gerichtet. So z. B. der Hymnus Ath. V, 22,
von dem einige Verse hier angeführt seien:
• Der du alle Menschen gelb machst,
Sie versengst wie lodernd Feuer,
Jetzt, o Takman, werde kraftlos,
Jetzt geh fort, hinab, hinunter! (2)
Ihn, der fleckig ist, gesprenkelt.
Der wie roter Staub, den Takman —
Jag ihn fort, allkräftig Kraut du,
Weg, hinunter in die Tiefe! (3)
Geh zu Müjavants, zu Baihiks'),
Takman, fort, in ferne Lande;
Such ein üppig Südraweib dir.
Schüttle sie gehörig, Takman! (7)
Wenn du, kalt und wieder heifs gleich,
Wenn, vereint mit Husten, Takman,
Du den Kranken schüttelst, schrecklich
Sind dann deine Pfeile; — schon uns! (10)
Mit dem Husten, deinem Bruder,
Und der Schwindsucht, deiner Schwester,
Mit dem Vetter Aussatz, Takman,
Geh hinweg zu fremden Leuten!« (12)
Dieser fromme Wunsch, dafs die Krankheit zu anderen
Völkern gehen, andere Länder heimsuchen möge, kehrt in den
Liedern des Atharvaveda nicht selten wieder. In ähnlicher
Weise schickt man den Husten von dem Kranken fort in weite
Ferne mit dem Spruch Ath. VI, 105:
^) Namen von Völkerstämmen,
Winternitr, Geschichte der indischen Litteratur.
— 114 —
»Wie der Geist mit seinen Wünschen rasch in weite Fernen fliegt,
So flieg, Husten, fort von hier mit des Geistes raschem Flug.
Wie der Pfeil, der wohlgeschärfte, rasch in weite Fernen fliegt,
So flieg, Husten, fort A-^on hier längs der Erde weitem Raum!
Wie des Sonnengottes Strahlen rasch in weite Fernen flieg'n,
So flieg, Husten, fort von hier längs des Meeres Wogenschwall!«
Um ihrer bilderreichen , schwungvollen Sprache willen ver-
dienen manche dieser Zauberlieder auch als Erzeugnisse lyrischer
Dichtung geschätzt zu werden. Zu hohe Anforderungen darf
man freilich nicht an diese Poesie stellen; man mufs sich damit
begnügen, hie und da durch ein hübsches Bild überrascht zu
werden, wie wenn in einem Spruch gegen Blutung der Zauberer
die Adern als rotgekleidete Mädchen anspricht (Ath. I, 17):
»Die Mädchen, die einher dort ziehn, die Adern, rötlich angetan,
Sie sollen kraftlos stillestehn, wie Schwestern, wenn ein Bruder fehlt.
Steh still, du Untre, Obre auch, und auch du Mittlere, steh still;
Die winzig kleine steht, so komm' das grofse Blutgefäfs zum Stehn!
Von hundert Blutgefäfsen hier, von all den tausend Adern da
Stehn jetzt die in der Mitte hier, und auch die Enden ruhen aus.
Als dämmte euch ein Uferrand, ein hoher Wall von Sand und Kies,
So steht fein still und ruhet nun!«')
Aber nicht immer sind diese Sprüche so poetisch. Gar oft
smd sie recht eintönig, und vjele derselben haben mit den
Dichtungen der Naturvölker das geraeinsam, dafs gerade die ein-
tönige Wiederholung derselben Worte und Sätze es haupt-
sächlich ist, was die dichterische Form bei ihnen ausmacht').
Nicht selten ist auch, wie dies ja bei den Zaubersprüchen aller
Völker der Fall zu sein pflegt, ihr Sinn absichtlich rätselhaft
und dunkel. Ein solcher eintöniger und zugleich dunkler Spruch
ist z. B. der gegen skrofulöse Geschwüre (Ath. VI, 25):
"Die fünfundfünfzig, die auf dem Genick zusammenkommen,
sollen alle von hier verschwinden, wie die Blasen des Aussatzes.
'I Übersetzt von Grill, Hundert Lieder des Atharvaveda, S. 16 f.
') Über die Wiederholung als die roheste Anfangsform der
Dichtung vgl. H. Schurtz, Uigeschichte der Kultur, Leipzig und
Wien 1900, S 523 ff.
- 115 —
Die siebenundsiebenzig, die auf dem Hals zusammenkommen,
sollen alle von hier verschwinden, wie die Blasen des Aussatzes.
Die neunundneunzig, die auf den Schultern zusammenkommen,
sollen alle von hier verschwinden, wie die Blasen des^ Aussatzes.«
Eine merkwürdige Übereinstimmung herrscht aber auch hier
zwischen indischen und deutschen Zaubersprüchen. Gerade so
wie der Atharvaveda von 55, 77, 99 Krankheiten spricht, so ist
auch in deutschen Zaubersprüchen gern von 77 oder 99 Krank-
heiten die Rede. So lautet ein deutscher Spruch gegen das Fieber :
»Dies Wasser und Christi Blut
Ist für das siebenundsiebzigerlei Fieber gut.«
Eine Vorstellung, welche die alten Inder nicht nur mit den
Deutschen, sondern auch mit vielen anderen Völkern gemeinsam
haben, ist die,- dafs viele Krankheiten durch Würmer verursacht
werden. Es gibt daher eine Reihe von Zauberliedern, die zur
Beschwörung und Vertreibung von allerlei Würmern dienen
sollen. So lesen wir Ath. II, 31 :
>Den Wurm., der in den Eingeweiden, den, der im Kopfe, und
den, der in den Rippen ist. . . . die Würmer zermalmen wir mit diesem
Spruch. (4)
Die Würmer, die in den Bergen, in den Wäldern, in den Pflanzen,
in dem Vieh, in den Gewässern, und die, welche sich in unseren Leibern
niedergelassen haben, dieses ganze Würmergezücht zerschmettere
ich.« (5)
Man denkt sich diese Würmer wie dämonische Wesen, spricht
von ihrem König und Statthalter, von männlichen und weiblichen,
von verschiedenfarbigen und phantastisch gestalteten Würmern
u. dgl. , so z. B. in dem Spruch gegen Würmer bei Kindern
(Ath. V, 23):
»Erschlag die Würmer in diesem Knaben, o Indra, Herr der
Schätze! Erschlagen sind alle feindlichen Mächte durch meine wilde
Beschwörung. (2)
Den, der um die Augen herumkriecht, den, der um die Nase
herumkriecht, den, der mitten unter die Zähne geht, — den Wurm zer-
malmen wir. (3)
Die zwei gleichfarbigen und die zwei verschiedenfarbigen, die
zwei schwarzen und die zwei roten, der braune und der braunohrige,
der Geier und der Kuckuck — erschlagen sind sie. (4)
Die Würmer mit weilsea Schultern, die schwarzen mit weifsen
Armen und die bunten Würmer, die alle zermalmen wir. (5)
8*
— 116 —
Erschlagen ist der König der Würmer, erschlagen ist der Statt
halter der Würmer, erschlagen'ist der Wurm; mit ihm ist seine Muttei
erschlagen, sein Bruder erschlagen, seine Schwester erschlagen. (11)
Erschlagen , sind seine Mannen, erschlagen sind seine Nachbarn
und auch alle die ganz kleinwinzigen Würmchen sind erschlagen. (12
Allen männlichen Würmern und allen weiblichen Würmern zer
schmettere ich den Kopf mit dem Steine, verbrenne ich das Gesich
mit dem Feuer.« (13)
Ganz ähnlich sind auch deutsche Zaubersprliche gegei
»Wurm und Würmin« gerichtet, und auch von verschieden
farbigen Würmern ist in dem deutschen Zauberspruch gegen da;
Zahnweh die Rede:
"Birnbaum, ich klage dir.
Drei Würmer stechen mir, ^
Der eine ist grau,
Der andre ist blau,
Der dritte ist rot, —
Ich wollt' wünschen, sie wären alle drei tot.»')
Sehr zahlreich sind auch die Zauberlieder, welche geger
ganze Klassen von Dämonen gerichtet sind, die als die Ver
ursacher von Krankheiten gelten, so besonders gegen di(
Pisäcas (Kobolde) und Räksasas (Teufel). Der Zweck diese!
Sprüche ist die Vertreibung oder Bannuhg dieser dämonischer
Wesen. Ein Beispiel ist das Lied Ath. IV,, 36 gegen die Pisäcas
dem die folgenden, hier in Prosa wiedergegebenen Verse ent
nommen sind , die von einem grenzenlosen Selbstbewufstsein de:
Zauberers zeugen:
»Eine Plage bin ich den Pisäcas, wie der Tiger den Rinder
besitzern. Wie Hunde, wenn sie den Löwen erblickt haben, findei
sie keinen Schlupfwinkel. (6'
Mit den Pisäcas sollt' ich nicht fertig werden, nicht mit Diebei
und Wegelagerern? Vorn Dorfe, das mein Fuls betritt, verschwinde!
die Pisäcas. (7)
') Der Glaube, dafs das Zahnweh von Würmern herrührt, is
nicht nur in Indien, Deutschland, England und Frankreich verbreitet
Auch in Madagaskar sagt man von einem, der Zahnweh hat: »Er is
krank durch den Wurm.« Und die Tschiroki-Indianer (Cherokees) habei
einen Spruch gegen das Zahnweh, in dem es heifst: »Der Eindringlini
in, dem Zahn hat gesprochen, und es ist nur ein Wurm." (James Moone]
im 7th Annual Report of the Bureau of Ethnology 1885—86
Washington 1891, S. 357 f.)
— 117 —
Vom Dorfe, das meine ungestüme Kraft betritt, verschwinden
die Pisäcas; nichts Böses führen sie mehr im Schilde.« (8)
Neben diesem Glauben an teuflische Wesen, welche Krank-
heiten über die Menschen bringen, finden wir in Indien auch den
weltweit verbreiteten Glauben an männliche und weibliche
Dämonen (Incubi und Succubi), welche sterbliche Frauen und
Männer des Nachts heimsuchen. Dies sind die Apsaras und
Gandharvas des altindischen Volksglaubens, welche in jeder
Beziehung und in geradezu überraschender Weise den Nixen und
Elfen oder Mahren des deutschen Volksglaubens entsprechen.
Sie sind eigentlich Naturgeister, Flufs- und Waldgottheiten.
Flüsse und Bäume sind ihre Wohnstätten, die sie nur verlassen,
um die Sterblichen anzulocken und durch unnatürlichen Beischlaf
zu schädigen. Um diese Geister zu vertreiben, bedienten sich
die altindischen Zauberer einer wohlriechenden Pflanze, Ajasrfigi
(»Bockshorn«, Odina pinnata) genannt, und sprachen dabei das
Lied Ath. IV, 37, dem ich folgende Verse entnehme:
»Mit dir vertreiben wir die Apsaras und die Gandharvas.
O Ajasrhgl, jage (aja) die Räksasas fort, verscheuche sie mit deinem
Duft! (2)
Die Apsaras Guggulü, Pilä, NaladT, Auksamandhi und Pramändani
sollen zum Flusse gehen, zur Furt der Gewässer, wie weggeblasen.
Dorthin machet euch fort, ihr Apsaras, denn ihr seid erkannt.') (3)
Wo die Feigenbäume wachsen und die Bananen, die grofsen
Bäume mit hohen Wipfeln, — wo eure goldenen und silbernen
Schaukeln sind, wo Zimbeln und Lauten zusammenklingen, — dorthin
machet euch fort, ihr Apsaras, denn ihr seid erkannt. (4)
Dem haarbuschgeschmückten Gandharva, dem Gemahl der Apsaras,
der tanzend daherkommt, dem zermalme ich die Testikeln, dem spalte
ich den Penis. (7)
Wie ein Hund ist der eine, wie ein Affe der andere. Wie ein
Jüngling mit langem Haupthaar, lieblich anzuschauen, hängt sich der
Gandharva an das Weib. Ihn verscheuchen wir von hier mit unserem
mächtigen Zauberspruch. (11)
Die Apsaras sind ja eure Weiber; ihr, die Gandharvas, seid deren
Gatten. Hinweg mit euch, ihr Unsterblichen; stellet nicht den Sterb-
lichen nach!« (12)
0 Nach dem Zauberglauben der Inder wie anderer Völker werden
Geister und Gespenster dadurch machtlos, dafs man sie erkennt und
beim Namen ruft. GuggulQ u. s. w. sind Namen bestimmter Apsaras.
— 118 ~
Genau so wie in diesem Liede des Atharvaveda wird ir
deutschen Zaubersprüchen der Mahr aufgefordert, die Häusei
der Sterblichen zu verlassen und zu den Flüssen und Bäumer
zu gehen. Und wie die Apsaras und Gandharvas so lieben aucl
die germanischen Nixen und Elfen Musik und Tanz, womit sie
sterbliche Männer und Frauen anlocken. Wie im altindischer
Zauberliede der Gandharva bald als Hund, bald als Affe unc
bald als schöngelockter Jüngling erscheint, so pflegt auch ir
deutschen Sagen der Mahr in allerlei Verwandlungen aufzutreten
Und wie die Apsaras der Inder in den Zweigen der Bananen
und Feigenbäume ihre Schaukeln haben, so schaukeln sich aucl
nach deutschem Volksglauben die Nixen in den Wipfeln unc
Ästen der Bäume. Und gerade so wie hier im Atharvavedi
eine wohlriechende Pflanze zum Vertreiben der Dämonen dient
so gelten auch nach deutschem Geisterglauben wohlriechende
Kräuter (wie Thj^mian) als vorzügliche Mittel, um Elfen unc
anderen Geisterspuk zu verscheuchen. Das sind schwerlich zu
fällige Übereinstimmungen, sondern wir dürfen wohl mit^Adalber
Kuhn, der schon vor vierzig Jahren indische und germanisch«
Zaubersprüche vergli.-hen hat'), annehmen, dafs nicht blofs ge
wisse Erscheinungen des Zauberglaubens, sondern auch geradezi
bestimmt ausgeprägte Formen von Zauberliedern und Zauber
Sprüchen in die indogermanische Vorzeit zurückreichen, dafs wii
also aus den deutschen und indischen Zauberliedern eine Ar
vorgeschichtlicher Poesie der Indogerraanen erschliefsen können
Wenig verschieden von den Heilzaubersprüchen sind di(
Gebete um Gesundheit und langes Leben, von der
Indern äyusyäni süktäni, d. h. >langes Leben bewirkende Hymnenc
genannt, welche die zweite Klasse von Hymnen des Atharvavedi
bilden. Es sind dies Gebete, wie sie hauptsächlich bei Familien
festen, wie dem ersten Haarscheren des Knaben, dem Bart
scheren des Jünglings und der Schülerweihe , in Verwendung
kamen. In ziemlich eintöniger Weise kehrt hier die Bitte un
hohes Alter, um ein Leben von »hundert Herbsten oder »hunder
Wintern«, um Befreiung von den 100 oder 101 Todesarten unc
um Schutz gegen allerlei Krankheiten immer wieder. Das aui
') Im XIII. Band der Zeitschrift für vergleichende Sprachwissen
Schaft (1864). "S. 49 ff., 113 ff.
— 119 —
einem einzigen Hymnus von 30 Strophen bestehende Buch XVII
gehört auch hierher. So wie in den Heilzaubersprüchen oft das
Heilkraut angerufen wird, welches der Zauberdoktor verwendet,
so sind manche dieser Gebete um langes Leben an Amulette ge-
richtet, die dem, der sie trägt, Gesundheit und langes Leben
sichern sollen.
Und mit diesen Gebeten berühren sich wieder aufs engste
die tmgemein zahlreichen Segenssprüche (paustikäni) , durch
die der Landmann, der Hirte, der Kaufmann Glück und Ge-
deihen in ihren Unternehmungen zu gewinnen hoffen. Da finden
wir ein Gebet, welches beim Hausbau verwendet wird, Segens-
sprtiche beim Pflügen, beim Säen, für das Wachstum des Ge-
treides und Beschwörungen gegen Feldungeziefer, Sprüche gegen
Feuersgefahr, beim Regenzauber verwendete Gebete um Regen,
zahlreiche Segenssprüche für das Gedeihen der Viehherden, Be-
schwörungen eines Hirten gegen wilde Tiere und Räuber, Gebete
eines Kaufmanns um gute Geschäfte und Glück auf der Reise,
eines Spielers um Glück mit den Würfeln, Bannsprüche und
Beschwörungsformeln gegen die' Schlangen u. dgl. mehr. Nur
wenige von diesen Liedern und Sprüchen sind als Dichtungen
bedeutend, öfters aber kommt es vor, dafs wir in einem sehr
mittelmäfsigen längeren Gedicht einzelne Verse von grofser
Schönheit finden. Am schönsten ist vielleicht das Regenlied
Ath. IV , 15. Vom Winde getrieben — heilst es da — mögen
die Wolken dahinziehen, und »während der grofse, wolken-
umhüllte Stier \) brüllt, mögen die rauschenden Wasser die Erde
erquicken«. Parjanya selbst wird mit den Worten angerufen:
»Schrei nur zu, Parjanya, donnre, peitsch den Ozean!
Salbe du mit deinem Nafs die Erde! Und von dir gesandt
Soll der Regen reichlich fliefsen! Obdach suchend
Soll der Hirt mit seinen magern Kühen heimkehr'n.«*)
Am wenigsten poetischen Gehalt besitzen diejenigen Segens-
sprüche, welche nur ganz allgemeine Bitten um Glück und Segen
') Der Regengütt Parjanya.
*) In der Zeit der Dürre sind die Kühe wegen des kärglichen
P'utters mager geworden Nun mufs der Hirt vor dem Regen flüchten,
und für das Vieh werden bessere Zeiten kommen. (Weber, Indische
Studien, Bd. 18, S. 62.)
~ 120 -- •
oder um Schutz vor Gefahr und Unheil enthalten. Zu den
letzteren gehören die sogenannten »mrgärasüktäni« (Ath. IV,
23 — 29), eine aus sieben Hymnen zu je sieben Versen bestehende
Litanei. Sie sind der Reihe nach an Agni (1), Indra (2), Väyu
und Savitar (3), Himmel und Erde (4), die Maruts (5), Bhava
und Sarva ') (6), Mitra und Varuna (7) gerichtet, und jeder Vers
schliefst mit der refrainartigen Bitte um Befreiung von Drangsal.
Das Wort amhas aber, welches wir hier durch »Drangsal«
übersetzen, vereinigt in sich die Bedeutungen »Not, Bedrängnis«
einerseits und »Schuld, Sünde« anderseits. Daher kann die eben
erwähnte Litanei auch zu jener Klasse von Hymnen des Athar-
vaveda gerechnet werden, die mit Sühnzereraonien (präyascittäni)
in Verbindung stehen. Diese Entsühnungsf ormeln und
Sprüche zur Reinigung von Schuld und Sünde sind
von den Heilzaubersprüchen weniger verschieden, als man glauben
möchte. Denn nach indischen Begriffen ist eine Entsühnung,
ein präyascitta, nicht nur für »Sünden« in unserem Sinne, d. h.
Vergehen gegen das Sittengebot oder Verstöfse gegen die Re-
ligion, erforderlich, sondern neben Entsühnungsformeln für mangel-
haft vollzogene Opfer und Zeremonien, für wissentlich und un-
wissentlich begangene Verbrechen, für Gedankensünden, für Nicht-
bezahlung von Schulden, insbesondere Spielschulden, für die im
Gesetz verbotene Verheiratung eines jüngeren Bruders vor dem
älteren und neben allgemein gehaltenen Gebeten um Befreiung
von Schuld und Sünde und deren Folgen finden wir auch Sühn-
formeln und mit Sühnzeremonien verbundene Lieder und Sprüche,
durch welche geistige und körperliche Gebrechen, unglück-
bedeutende Vorzeichen (z. B. durch Vogelflug oder die Geburt
von Zwillingen oder die Geburt eines Kindes unter einem un-
glücklichen Stern), böse Träume und plötzliche Unglücksfälle
»entsühnt«, d. h. abgewehrt oder in ihrer Wirkung abgeschwächt
werden sollen. Die. Begriffe »Schuld«, »Sünde«, »Unheil«, »Un-
glück« gehen fortwährend ineinander über. Es gilfeben alles
Böse — Krankheit und Unglück ebenso wie Schuld und Sünde —
als von übelwollenden Dämonen, von bösen Geistern veranlafst.
') Namen oder Formen des Rudra, eines Gottes, der im Zauber-
wesen und in den Zauberliedern des Atharvaveda eine Hauptrolle
spielt, während er in den Hymnen des Rigveda mehr zurücktritt.
— 121 -
Wie der Kranke, der Wahnsinnige so ist auch der Übeltäter,
der Sündige von einem bösen Dämon besessen. Und dieselbeh
menschenfeindhchen Wesen, welche Krankheiten bringen, senden
auch die unglücklichen Vorzeichen imd die Unglücksfälle selbst.
So wird z. B. Ath. X, 3 ein Amulett, das man sich umbindet, in
25 Versen überschwenglich gepriesen und verherrlicht als ein
mächtiger Schutz gegen Feinde und Nebenbuhler, gegen Ge-
fahren und Übel aller Art, gegen bösen Zauber, gegen böse
Träume und unglückliche Vorzeichen, gegen »die Sünde, die
meine Mutter, die mein Vater, die meine Brüder und meine
Schwester und die wir selbst begangen haben« , und zugleich
auch als ein Universalmittel gegen alle Krankheiten.
Durch den Einflufs böser Dämonen oder böswilliger Zauberer
entsteht auch Familienzwist. Daher finden wir im Atharvaveda
auch eine Anzahl von Zaubersprüchen zur Herstellung
von Eintracht, die zwischen den Entsühnungsformeln und
den Segenssprüchen in der Mitte stehen. Denn hierher gehören
nicht nur die Sprüche, durch welche Friede und Eintracht in
der Familie hergestellt werden sollen, sondern auch Formeln, durch
welche man den Zorn eines grofsen Herrn besänftigen oder
durch die man Einflufs in einer Versammlung, Überredungskunst
im Gerichtshof u. dgl. erlangen will. Eines der ansprechendsten
unter den hierhergehörigen Liedern ist Ath. III, 30, das mit
den Worten beginnt:
»Eines Herzens, eines Sinnes,
Frei von Hasse mache ich euch.
Freut euch einer an dern andern,
Wie am neugebornen Kalb die Kuh.
Folgsam sei der Sohn dem. Vater,
Mit der Mutter eines Sinnes;
Süfs und friedvoll sei die Rede,
Die zum Gatten spricht die Gattin!
Bruder hasse nicht den Bruder,
Und die Schwester nicht die Schwester:
Gleichgesinnt und gleichgestimmet,
Redet Worte voller Liebe!«
Es ist begreiflich, dafs manche von diesen Versöhnungs-
sprüchen auch zur Herstellung von Eintracht zwischen Ehegatten
— 122 -
verwendet werden konnten. Doch bilden die auf Ehe und
Liebe bezüglichen Zauberlieder eine eigene greise
Klasse von Hymnen des Atharvaveda ; und aus dem Kausikasütra
lernen wir die mannigfachen Arten des Liebeszaubers und aller
der Zauberriten kennen, welche die Inder als strlkarmäni oder
»Frauenriten« bezeichnen, und für welche diese Lieder und Sprüche
verwendet wurden. Es gibt aber zwei Gattungen von hier-
hergehörigen Sprüchen. Die einen haben einen gemütlichen
und friedlichen Charakter und beziehen sich auf Ehe und Kinder-
erzeugung. Es sind fromme, mit harmlosen Zauberriten verbundene
Sprüche, durch welche ein junges Mädchen zu einem Bräutigam
oder ein junger Mann zu einer Braut zu kommen sucht, Segens-
sprüche über das Brautpaar und die Neuvermählten, Zauberlieder
und Sprüche, durch welche die Empfängnis befördert und die
Geburt eines männlichen Kindes erzielt werden soll , Gebete um
Schutz für die Schwangere sowohl wie für das ungeborene und das
neugeborene Kind u. dgl. Hierher gehört das ganze XIV. Buch,
welches eine Sammlung von Hochzeitssprüchen enthält und im
wesentlichen eine zweite, stark vermehrte Auflage der Hochzeits-
sprüche des Rigveda'^) ist. Zahlreicher ist die zweite Gattung
der hierhergehörigen Sprüche, aus wilden Beschwörungen und
Flüchen bestehend, die sich auf Buhlschaft und Störungen des
Ehelebens beziehen. Ziemlich harmlos sind ja noch die Zauber-
sprüche, durch welche eine Frau die Eifersucht ihres Mannes
beruhigen will, oder die Verse, welche einem Mann die unge-
treue Gattin wieder zurückbringen sollen, oder der Einschläferungs-
zauber (Ath. IV, 5), in welchem der Vers: »Es schlafe die
Mutter, es schlafe der Vater, es schlafe der Hund, es schlafe der
Hausälteste, ihre Verwandten mögen schlafen, es schlafe ringsimi
alles Volk,« beweist, dafs das Lied von einem Buhlen verwendet
wird, der sich zum Liebchen schleicht. Minder harmlos und zum
Teil von urwüchsiger Wildheit sind die Zaubersprüche, durch
welche eine Person gegen ihren Willen zur Liebe gezwungen
werden soll. Der in der ganzen Welt verbreitete Glaube, dafs
') Siehe oben S. 93 f. .Sowohl die Hochzeitssprüche des Rigveda als
auch des Atharvaveda ebenso wie die Liebeszauber lieder des Atharva-
veda sind von A, Weber im V. Band der »Indischen Studien* über-
setzt und erklärt worden.
— 123 —
man vermittelst eines Bildes einer Person schaden oder Gewalt
über sie erlangen könne, findet sich auch im alten Indien. Wenn
ein Mann sich die Liebe einer Frau verschaffen wollte, so machte
er ein Bild aus Ton, nahm einen Bogen mit einer Sehne von
Hanf, einen Pfeil, dessen Widerhaken ein Dorn war, dessen Feder
von einer Eule stammte, dessen Schaft aus schwarzem Holz ge-
macht war, und begann mit dem Pfeile das Herz des Bildes zu
durchbohren — eine symbolische Durchbohrung des Herzens der
Geliebten mit dem Pfeile des Liebesgottes Käma — , wobei er
die Verse des Zauberliedes Ath. III, 25 rezitierte:
»Käma, der Aufstachler, stachle dich auf! Nicht aushalten sollst
du es auf deiner Lagerstätte! Mit des Käma schrecklichem Pfeile
durchbohre ich dir das Herz.
Mit dem Pfeil, dessen Feder die Sehnsucht, dessen Dom die Liebe,
dessen Schaft das Verlangen, — mit diesem Pfeile, wohlgezielt, durchbohre
Kam? dir das Herz.
Mit dem wohlgezielten Pfeil des Käma, dem versengenden, der
die Milz verdorren macht, dessen Feder vorwärtsfliegt, — mit dem
durchbohre ich dir das Herz.
Von heilser Glut verzehrt, lechzenden Mundes komm zu mir ge-
schlichen! Sanft, des, Stolzes bar, freundlich redend, treu ergeben,
sei ganz mein eigen!
Mit der Peitsche peitsch' ich fort dich von der Mutter, von dem
Vater, auf dafs du in meiner Gewalt seiest, meinem Wunsch willfahrest.
Vertreibet, o Mitra und Varu^a, ihre eigenen Gedanken aus ihrem
Herzen! Und wenn ihr sie willenlos gemacht, gebet sie in meine
Gewalt!«
In ähnlicher Weise verfährt eine Frau, wenn sie die Liebe
eines Mannes erringen will. Sie macht sich ein Bild von dem
Manne, stellt es vor sich hin und schleudert heifsgemachte Pfeil-
spitzen gegen das Bild, indem sie die Lieder Ath. VI, 130 und
131 mit dem Refrain: »Sendet, Göttei', Liebessehnsucht] Jener
soll nach mir entbrennen!« dazu sagt, wo es z. B. heilst:
»Macht ihn liebestrunken. Stürme!
Macht ihn liebestrunken, Lüfte!
Feuer, mach ihn liebestrunken!
Jener sqU nach mir entbrennen! (130, 4)
Liebesqual bring' ich hernieder
Dir vom Kopf bis auf die Fülse;
Sendet, Götter, Liebessehnsucht!
Jener soll nach mir entbrennen! (131, 1)
-^ 124 —
Rennst du gleich drei Meilen oder fünf,
Rennst du auch, soweit ein Rols läuft,
Sollst zurtlck doch wieder kommen,
Meiner Söhne Vater werden." (131, 3)
Die wildesten und förmlich von Hafs sprühenden Zauber-
lieder sind diejenigen, mit welchen Frauen ihre Nebenbuhlerinnen
zu verdrängen suchen. Ein Beispiel ist Ath. I, 14:
»Ihr I i'^besglück und ihren Glanz hab' ich an mich gerissen, wie
einen Kranz vom Baume. Wie ein Berg auf festem Grunde soll lange
sie im Elternhause sitzen!
Dies Mädchen, König Yama'), soll dir als deine Braut hingeworfen
werden; jetzt aber soll sie an der Mutter, an des Bruders, an des
Vaters Haus gefesselt sein!
Dies Weib soll deine Hausfrau sein, König Yama; dir über-
geben wir sie. Lang soll sie im Elternhause sitzen, bis ihr das Haar
vom Haupte fällt.
Mit dem Zauberspruch des Asita, des Kasyapa und des Gaya*)
verschlielse ich dein Liebesglück, wie Frauen (ihre Kleinodien) im
Kasten.« 5)
Eine unzweideutige Sprache von ungezügelter Wildheit
führen auch die Lieder, d,urch welche eine Frau unfruchtbar ge-
macht (Ath. VII, 35) oder ein Mann der Zeugung.skraft beraubt
werden soll (Ath. VI, 138. VII, 90).
Diese Liebeszauberlieder gehören eigentlich schon zu jener
Klasse von Hymnen, die mit dem alten Namen »Angiras« "*) be-
zeichnet werden, zur Klasse der Flücheund Beschwörungen
gegen Dämonen, Zauberer und Feinde (äbhicärikäni).
Auch manche von den Heilzaubersprüchen können ebensogut
zu dieser Klasse gerechnet werden, insofern sie Beschwörungen
gegen die Krankheitsdämonen enthalten. Hierher gehört unter
anderen auch die zweite Hälfte des XVI. Buches, welche eine
Beschwörung gegen den Mahr oder Alp (das Alpdrücken) ent-
hält, indem dieser Dämon aufgefordert wird, die Feinde heim-
zusuchen. Zwischen Dämonen und übelwollenden Zauberern
') Der Todesgott!
*) Wohl Namen berühmter Zauberer.
3) Dieses schwierige Lied ist zuerst von M. Bloomfield (Sacred
Books of the East XLII, S. 107, 252 ff) richtig erklärt worden.
♦) Siehe oben S. 104 f.
_ 125 —
und Hexen wird in diesen Beschworungen kein Unterschied ge-
macht, und gegen sie wird namentlich Agni — das Feuer als
Dämonenvernichter — zu Hilfe gerufen. Zahlreiche volksttim-
liche Namen von Dämonen, sonst ganz unbekannt, finden sich
in diesen Hymnen, in denen uns überhaupt mehr als sonst echt
volkstümliche Vorstellungen auf Schritt und Tritt begegnen.- So
stofsen wir hier auf die tief im V^olksglauben — und zwar aller
Völker — wurzelnde Anschauung, dafs Krankheit und Unglück
nicht nur von Dämonen, sondern auch von bösen, mit Zauber-
macht ausgestatteten Menschen verursacht werden können. Der
Zauber, durch den diese bösen Menschen Übel stiften, wird in
den Liedern oft personifiziert und ihm ein Gegenzauber — ein
Heilkraut, ein Amulett, ein Talisman — gegenübergestellt. Die
mit diesem feindlichen Zauber und Gegenzauber verbundenen
Sprüche und Lieder zeichnen sich oft durch eine urwüchsige
Kraft und Wildheit aus, die eines gewissen Reizes nicht entbehrt.
Und jedenfalls steckt in manchen dieser Flüche und Beschwörungen
des Atharvaveda mehr gute volkstümliche Poesie als in den
meisten Opferliedern und Gebeten des Rigveda. Ein Beispiel ist
das zur Abwehr eines bösen Zaubers dienende Lied Ath. V, 14,
von dem einige Verse hier angeführt seien:
»Aufgefunden hat der Adler, ausgegraben dich der Eber,
Pflanze, schädig du den Schädling, nieder schlag den Zauberstifter! (1)
Nieder schlag die Hexenmeister, nieder schlag die Zauberstifter!
Wer uns schaden will, den töte, tot ihn, Kraut, und schon ihn
nimmer ! (2)
Schneidet, wie ein Stück aus einem Antilopenfelle, Götter,
Weg den Zauber, hängt ihn um dem Zauberstifter, wie ein Kleinod! (3)
Nimm den Zauber bei der Hand und führ ihn hin zum Zauberstifter,
Stell ihn vor sein Angesichte, dafs er tot' den Zauberstifter! (4)
Fluch treff den, der flucht, zum Zauberstifter soll der Zauber gehen.
Wie ein Wagen leicht dahinrollt, roll' zum Zaubrer hin der Zauber. (5)
Ob ein Weib, ein Mann den bösen Unglückszauber hat bereitet, —
Wie ein Pferd am Halfter führen wir zu ihm zurück den Zauber. (6)
Geh wie der Sohn zum Vater, Zauber! Beifs wie die Viper, die
getreten!
Kehre zurück zum Zauberstifter, wie der befreite Flüchtling
heimeilt!« (10)
— 126 —
In ähnlicher Weise wird in dem Lied Ath. VI, 37 der Fluch
personifiziert und dem Fluchenden zurückgeschickt mit den
kräftigen Versen:
"Hergekommen ist der tausendäugige Fluch aut seinem Wagen,
Den zu suchen, der uns fluchet, wie der Wolf das Haus des Schäfers.
Geh, o Fluch, an uns vorüber, wie an dem Teich ein lodernd Feuer!
Schlage den, der uns gefluchet, wie des Himmels Blitz den Baum
schlägt!
Wer uns flucht, wenn wir ihm fluchen, wer uns flucht, dem wir nicht
fluchen, —
Beide werf' ich sie dem Tod zu, Avie dem Hunde einen Knochen.«
Hierher gehört auch der grofsartige Hymnus an Varuna
(Ath. IV, 16), dessen erste Hälfte die Allmacht und Allwissenheit
Gottes in einer Sprache feiert, die uns aus den Psalmen geläufig
ist, die aber in Indien nur äufserst selten gehört wird, während
die zweite nichts anderes ist als eine kräftige Beschwörungs-
formel gegen Lügner und Verleumder, wie sie im Atharvaveda
nicht selten sind. Ich gebe das merkwürdige Gedicht in der
Übersetzung von R. Roth *) :
«Aus der Höhe schaut ein Wächter, wie einer, der daneben steht;
Verstohlen meint man es zu tun: und alles ist den Göttern kund.
Wenn einer steht und geht, wenn einer schleichet.
Zu Versteck und Schlupfwinkel sich zurückzieht.
Wo zwei zusamraensitzeud sich bereden:
Das weils der König Varuna als Dritter.
Diese Erde gehört dem König Varuna,
Sein ist der hohe, unendliche Himmel ;
Seine Lenden sind Luftmeer und Ozean;
Auch dieses Wässerchen ist seine Wohnstatt.
Wer über den Himmel eilte zur Ferne,
Nicht kam' er los von Varu^ia, dem König.
Vom Himmel steigen seine Späher nieder;
Tausend äugig überschauen sie die Erde.
Alles sieht der königliche Varuj^a,
Was zwischen Himmel und Erd' ist, was jenseits;
Das Blinzen des menschlichen Auges zählt er:
Es liegt vor ihm wie W^ürfel vor dem Spieler.
') Abhandlung über den Atharva Veda, Tübingen 1856, S. 29 f.
— 127 —
Ausgespannt sind deine glänzenden Stricke
Dreifach, o Varuija, siebenmal sieben;
Sie alle sollen umwinden den Lügner,
Freilassen aber, wer die Wahrheit redet.
Mit hundert Stricken, Varu^a, umstricke ihn!
Lafs nicht los, Menschenwächter, den Verleumder!
Mit hängendem Bauch sitze der Gemeine da,
Umwunden wie ein Fafs, das aus dem Bande geht!
Der Schadenbringer Varu^a, der Schadenlöser — der Gebieter Varu^a,
der V erbieter —
Der göttliche Varu^ia, der menschliche — ')
Ich binde dich mit allen diesen Fesseln,
Du N. N., Nachkomme des N. N., Sohn der N. N.,
Dir Sprech' ich alle diese Fesseln zu.»
Roth bemerkt zu diesem Lied : »Es gibt kein anderes Lied
in der ganzen vedischen Litteratur, welches die göttliche All-
wissenheit in so nachdrücklichen Worten ausspräche, und dennoch
ist diese schöne Ausführung zum Exordium einer Beschwörung
herabgewürdigt worden. Doch liegt hier, wie bei vielen anderen
Stucken dieses Veda, die Vermutung nahe, dafs vorhandene
Bruchstücke älterer Hymnen dazu benutzt wurden, Zauberformeln
aufzuputzen. Als ein Bruchstück dieser Art wären die fünf oder
auch sechs ersten Verse unseres Liedes zu betrachten.« Ich kann
diesen Worten nur zustimmen; die Annahme Bloomfields ^), dafs
tlas ganze Gedicht so, wie es ist, von Anfang an für Zauber-
zwecke verfafst worden sei, scheint mir nicht gut denkbar.
Teils aus Beschwörungsformeln gegen Feinde, teils aus Segens-
sprücben besteht eine ziemlich grofse Klasse von Zauberliedern,
welche für die Bedürfnisse der Könige berechnet
sind. Jeder König mufste in Indien von alters her seinen
Purohita oder Hauspriester haben, und dieser Hauspriester mufste
in den auf das Leben eines Königs bezüglichen Zauberriten
(räjakarmäni , »Königsriten«) Bescheid wissen und in den zu
diesen Riten gehörigen Liedern und Sprüchen bewandert sein.
') Die Übersetzung dieses Verses ist sehr zweifelhaft. Es ist einer
der vielen Verse im Atharvaveda, deren Sprache eine Art Kauder-
wels»:h ist, wie es in den Zaubersprüchen aller Völker sich findet.
') Sacred Boüks of the Hast, XLII, S. 389.
- 128 —
Daher steht auch der Atharvaveda in engster Beziehung zur
Kriegerkaste. So finde« wir denn hier die Lieder, die sich auf
die Königsweihe beziehen, wobei der König mit dem heiligen
Weihwasser besprengt wird und auf ein Tigerfell tritt ^ wir
finden Zaubersprüche, welche einem Könige Herrschaft über
andere Fürsten, überhaupt Macht und Ruhm sichern sollen,
Gebete für den König, wenn er die Rüstung anlegt, wenn er
den Kriegswagen besteigt, u. dgl. Interessant ist ein Gebet
(Ath. III, 4) bei der Königswahl, wo der himmlische König
Varuna , indem der Name des Gottes mit dem Zeitwort var
»wählen« in etymologische Verbindung gebracht wird, als der-
jenige erscheint, welcher den König wählt. Merkwürdig ist auch
Ath. III, 3, eine Zauberformel für die Wiedereinsetzung eines
verbannten Königs. Zu den schönsten Hymnen dieser Klasse
gehören aber die Schlachtgesänge und Kriegszauberlieder, so
insbesondere die zwei Lieder an die Trommel, welche die Kämpfer
zur Schlacht und zum Sieg rufen sollen (Ath. V, 20 und 21).
Als Beispiel folgen einige Verse von V, 20:
»Laut erdröhnt die Trommel, die von Holz gemacht, mit Kuhhaut
überzogen ;
Wie ein Krieger sich gebärdend wetzt die Stimme sie und zwingt
die Feinde.
Siegessicher, wie der Löwe, lafs den Donnerruf erschallen! (1)
Wie ein Löwe donnert die von Holz gemachte, hautbespannte Trommel,
Wie ein Stier der geilen Kuh entgegenbrüllt. Ein Stier, o Trommel,
bist du,
Und die Feinde sind Verschnittne. Dein ist Indras feindezwingend
Feuer. (2)
Wie der brünst'ge Stier voll Macht inmitten der Herde, brülle»
Beutegewinner,
Laut dem Feind entgegen. Und mit Feuersglut durchbohr das Herz
der Gegner!
Auseinanderstieben sollen gleich die Feinde mit wankenden Schlacht-
reihn! (3)
Wenn die Frau des Feinds der Trommel weithinschallende Stimme
hört, so flieh' sie
Hilfe suchend, aufgeschreckt vom Kriegslärm, an der Hand ihr
Söhnlein führend,
Eiligst, furchtbeklommen beim Zusammenstofs der Todeswaffen!« (5)
— 129 —
Die Brahmanen waren aber von jeher viel zu praktische
Leute, als dafs sie die Zaubersprüche immer nur im Interesse der
Könige oder anderer Leute und nicht auch für sich selbst benutzt
hätten. Schon unter den zu den »Königsriten« gehörigen Zauber-
Hedem finden sich einige, welche sich mehr mit dem Purohita^
dem unentbehrlichen Hauspriester des Königs, als mit dem letzteren
selbst beschäftigen. Und wenn es auch in der brahmanischen
Litteratur nicht an Ausfällen gegen Zauberwerk und Beschwö-
rungen fehlt'), so sagt doch das Gesetzbuch des Manu (XI, 33)
klar und deutlich: »Ohne Bedenken soll der Brahraane sich der
heiligen Texte des Atharvaveda bedienen; das Wort fürwahr
ist die Waffe des Brahmanen; damit töte er seine Feinde.« So
finden wir denn auch im Atharvaveda eine ganze Reihe von
Zauberliedern und Beschwörungen im Interesse der
Brahmanen. In den stärksten Ausdrücken wird in diesen
Hymnen immer wieder die Unverletzlichkeit der Brahmanen und
die Unantastbarkeit ihres Besitzes eingeschärft, und die schwersten
Flüche werden gegen jene ausgesprochen , welche sich an Gut
und Leben der Brahmanen vergreifen. Daneben wird die
mystische Bedeutung der Daksinä, d. h. des Opferlohns, in den
überschwenglichsten Ausdrücken hervorgehoben. Brahmanen zu
unterdrücken, ist die schwerste aller vSünden ; ihnen reichlichen
Opferlohn zu geben, ist der höchste Gipfel der Frömmigkeit : das
sind die Grundgedanken, die sich durch alle diese Lieder ziehen,
die zu den unerquicklichsten des ganzen Atharvaveda gehören.
Nur einige wenige der besseren dieser Hymnen enthalten Gebete
um Einsicht, Weisheit, Ansehen und theologisches Wissen. Alle
zu dieser Klasse gehörigen Lieder darf man wohl unbedenklich
zu den jüngsten Bestandteilen der Atharvaveda-Sammlung rechnen.
Zu den jüngeren Bestandteilen der Samhitä gehören auch
die für Opferzwecke verfafsten Lieder und Sprüche,
welche wahrscheinlich nur deshalb in den Atharvaveda auf-
genommen wurden , damit derselbe ebenso wie die drei anderen
"^/"edas zum Opfer in Beziehung gebracht und als wirklicher
j Veda« anerkannt werde. So finden wir z. B. zwei Äprihymnen ')
und andere den Opfergesängen des Rigveda entsprechende Lieder.
0 Siehe oben S. 109.
») Siehe oben S. 83 f.
Winternitz, Geschichte der indischen Litteratur.
- 130 -
Auch Prosaformeln, die denen des Yajurveda entsprechen, finden
wir, z. B. im XVI. Buch, dessen ganze erste Hälfte aus Formeln
besteht, in denen das Wasser verherrlicht wird, und die zu irgend-
einem Lustrationsrituell in Beziehung stehen. Hierher gehört
auch das XVIII. Buch, welches die zum Totenrituell und zur
Ahnenverehrung gehörigen Sprüche enthält. Die Bestattungs-
lieder aus dem X. Buch des Rigveda') kehren hier wörtlich
wieder und sind nur durch viele Zusätze vermehrt. Auch das
ganz spät hinzugefügte XX. Buch, dessen Hymnen mit wenigen
Ausnahmen sämtlich aus dem Rigveda entlehnt sind, steht zum
Somaopfer in Beziehung. Neu sind in diesem Buch nur die sehr
merkwürdigen »Kuntäpahymnen« -), Ath. XX, 127 — 136. Auch
sie fügen sich als Liturgien in das Opferritual ein, berühren sich
aber ihrem Inhalte nach zum Teil mit den Dänastutis des
Rigveda 3), indem sie die Freigebigkeit gewisser Fürsten preisen ;
zum Teil sind es Rätselfragen und deren Auflösungen ^), zum Teil
aber auch — obszöne Lieder und derbe Zoten. Bei gewissen
Opfern, die viele Tage lang dauerten, bildeten Hymnen von
dieser Art die vorschriftsmäfsige Unterhaltung der Priester,
welche schliefslich — nach dem treffenden Ausdruck von
M. Bloomfield — in eine Art liturgischer »Saukneipe« ausartete.
Rituellen Ursprungs ist wahrscheinlich auch das in Prosa
abgefalste XV. Buch. Es ist dies eine mystisch verworrene
Verherrlichung des Vrätya, d. h. des in die Brahmanenkaste
aufgenommenen Nichtariers ; und die Sprüche wurden wohl bei
einer Zeremonie verwendet, mittelst welcher diese Aufnahme
vollzogen wurde.
Wegen seines mystischen und halb philosophischen Inhalts
kann man aber dieses Buch auch zur letzten Klasse von Hymnen
des Atharvaveda, die noch zu erwähnen ist, rechnen, nämlich zu
den Hymnen theosophi sehen und ko smog o n i sehen
Inhalts, die wohl ohne Zweifel auch zu den jüngsten Bestand-
teilen des Atharvaveda gehören. Nichts scheint ja dem Zauber-
wesen ferner zu stehen als die Philosophie, und man könnte sich
') Siehe oben S. 84 ff.
*) Was der Name »Kuntäpa« bedeutet, ist nicht bekannt.
5) Siehe oben S. 99 f.
<) Gleich denen des Rigveda. S. oben S. 101 f.
— 131 —
darüber wundern, dafs die Atharvaveda-Samhitä neben Zauber-
liedern, Flüchen und Segenssprüchen auch Hymnen philosophischen
Inhalts enthält. Wenn wir uns aber diese Hymnen näher an-
sehen, so wefden wir bald finden, dafs sie ebenso wie die Zauber-
lieder zum grofsen Teil auch nur praktischen Zwecken dienen.
Es ist nicht das Sehnen und Suchen nach Wahrheit, nach der
Lösung dunkler Welträtsel, das in ihnen zum Ausdruck kommt,
sondern auch hier sind es nur Zauberkünstler, die sich als
Philosophen gebärden, indem sie die geläufigen philosophischen
Ausdrücke zu einem künstlichen, besser gesagt: gekünstelten
Gewebe von aberwitzigen und überwitzigen Phantastereien mifs-
brauchen, um den Eindruck des Mystischen, des Geheimnisvollen
hervorzurufen. Was uns auf den ersten Blick als Tiefsinn er-
scheint, ist oft in Wirklichkeit nichts als leere Geheimtuerei,
hinter der mehr Unsinn als Tiefsinn steckt ; und für den Zauber-
meister gehört ja die Geheimtuerei, das Verhüllen des Wirklichen
unter einem mystischen Schleier, zum Handwerk. Doch setzen
diese philosophischen Hymnen eine ziemlich hohe Entwicklung des
metaphysischen Denkens voraus. Die Hauptgedanken der Upanisads,
die Vorstellung von einem höchsten Gott als Schöpfer und
Erhalter der Welt (Prajäpati), und selbst die von einem unpersön-
lichen schöpferischen Prinzip sowie eine Reihe von philosophischen
Kunstausdrücken, wie brahman, tapas, asat, präna, manas, müssen
zur Zeit, als diese Hymnen entstanden, bereits Gemeingut weiter
Kreise gewesen sein. Darum dürfen wir auch in den theo-
sophischen und kosmogonischen Hymnen des Atharvaveda nicht
etwa eine Entwicklungsstufe der indischen Philosophie sehen.
Die fruchtbaren Gedanken der wahrhaft philosophischen Hymnen
des Rigveda haben ihre weitere Ausbildung erst in den Upanisads
erfahren , und die philosophischen Hymnen des Atharvaveda
können durchaus nicht als eine Ubergangsstufe von der ältesten
Philosophie zu der der Upanisads aufgefafst werden. »Sie stehen«,
wie Deussen sagt, »nicht sowohl innerhalb des grofsen Ent-
wicklungsganges als vielmehr ihm zur Seite.« ')
Manch tiefer und wahrhaft philosophischer Gedanke blitzt
zuweilen in diesen Hymnen aus dem mystischen Nebel hervor,
aber wohl in den meisten Fällen wird man sagen können, dafs
') Deussen, Allgemeine Geschichte der Philosophie I, 1, S. 209.
9 *
— 132 —
nicht der Atharvandichter der Urheber dieser Gedanken ist,
sondern dafs er nur fremden Geist seinen Zwecken dienstbar
gemacht hat. So ist es gewifs ein eines Philosophen würdiger.
Gedanke, dals Kala, die Zeit, der Urgrund alles Seins ist.
Allein, es ist die Sprache des Mystikers und nicht des Philosophen,
wenn wir Ath. XIX, 53 lesen:
»Kala fährt dahin, ein Rofs mit sieben Zügeln, mit tausend Augen,
nimmer alternd, reich an Samen; ihn besteigen die weisen Sänger;
seine Räder sind alle Wesen.
Mit sieben Rädern fährt Kala, sieben Naben hat er, Unsterblich-
keit ist seine Achse. Her führt Kala alle diese Wesen. Als der erste
der Götter eilt Kala dahin.
Ein voller Krug ist auf Kala gesetzt; den sehen wir vielfach ge-
staltet. Weg führt er alle diese Wesen. Kala nennt man ihn im
höchsten Himmel« u. s. w.
Wohl findet der Gedanke, dafs Kala, die Zeit, alles hervor-
gebracht hat, einen würdigen Ausdruck in den beiden Versen
5 und 6:
»Kala hat den Himmel dort geschaffen, Kala diese Erden hier.
Was war, und was sein wird, entfaltet sich, von Kala angetrieben.
Kala hat die Erde geschaffen, in Kala glüht die So^ne; in Kala
sind alle Wesen, in Kala blickt das Auge um sich.«
Aber gleich in den folgenden Versen und im folgenden
H)'^mnus (Ath. XIX, 54) wird dann in ganz mechanischer Weise
alles mögliche als aus der Zeit entspringend aufgezählt, und
namentlich werden der Reihe nach die verschiedenen Namen
des Göttlichen, die zu jener Zeit bekannt waren, als von Kala
geschaffen erklärt, so Prajäpati, so das Brabman, das Tapas
(Askese), der Präna (Lebensodem) u. s. w.
Mehr Geheimniskrämerei als wahre Philosophie findet sich
auch in den langen Rohitahymnen, aus denen das XIII. Buch
des Atharvaveda besteht, in denen überdies allerlei nicht Zu-
sammengehöriges bunt durcheinandergewürfelt erscheint. Da
wird z. B. in dem ersten Hymnus Rohita, »der Rote«, d. i. die
Sonne oder ein Genius der Sonne, als schöpferisches Prinzip ge-
feiert — »er schuf den Himmel und die Erde«, »er hat mit
Kraft befestigt Erd' und Himmel« — ; zu gleicher Zeit wird aber
ein irdischer' König verherrlicht und der himmlische König
Rohita mit dem irdischen König in absichtlich verworrener Weise
— 133 —
in Zusammenhang gebracht. Mitten darinnen finden wir aber
auch Verwünschungen gegen Feinde und Nebenbuhler und gegen
denjenigen, der eine Kuh mit dem Fufse stölst oder gegen
die Sonne sein Wasser abschlägt'). Und wieder in dem
Hymnus XIII, 3 wird in einigen Versen, deren Pathos an den
oben zitierten Varunahymnus erinnert, Rohita als höchstes Wesen
gepriesen, daran aber ein Refrain gehängt, in welchem derselbe
Rohita aufgefordert wird, denjenigen in seinem Zorn zu zermalmen,
der einen Brahmanen quält. Es heilst da z. B. :
»Der Himmel hier und Erde hat erschaffen,
Der in die Dinge sich wie in ein Kleid hüllt.
In dem die Pole, die sechs Weiten ruhen,
Durch die er wie ein Vogel hoch hindurchblickt, —
Ihm, dem zornmtit'gen Gott, sei der ein Greuel,
Wer den dies wissenden Brahmanen schindet;
Erschüttre ihn, o Rohita, zermalm ihn.
Leg ihn in Fesseln, den Brahmanenschinder !
Durch den zu ihrer Zeit die Winde brausen.
Von dem herab die Meere sich ergiefsen, —
Ihm, dem zornmüt'gen Gott u. s. w.
Der sterben läfst und leben läfst, von dem
Ihr Leben die Geschöpfe alle haben, —
Ihm, dem zornraüt'gen Gott u. s. w.
Der, wenn er einhaucht, Erd' und Himmel sättigt,
Durch seinen Aushauch füllt den Bauch des Meeres, —
Ihm, dem zornmüt'gen Gott« u. s. w. )
Neben solchen schwungvollen Verherrlichungen des Rohita
finden sich aber mystische Gedankenspiele, wie wenn es
heifst, dafs die beiden Opfermelodien Brhat und Rathantara den
Rohita erzeugt haben, oder Nvenn das Versmafs Gäyatri als »der
Unsterblichkeit Schofs« bezeichnet wird. Es wäre wohl vergebens,
das mystische Halbdunkel, welches solche und ähnliche Verse
umgibt, aufhellen zu wollen. Und so glaube ich auch nicht, dafs
') Bloomfield vergleicht hierzu Hesiod: />»j<T' arr' riflCov jsTQaufxivog
oQ&og ofit^ttv CEqyu y.ttl rj/n^Qai 725). Vgl. Protagoras (Diog. Laert. VIII,
l. 19): Trpcf rjhov jfTgafjfxiiov firj ouixitr.
*) Übersetzt von P. Deussen, Allgemeine Geschichte der Philo-
sophie I, 1, S. 227.
— 134 ~
wir grofse philosophische Wahrheiten in einem Hymnus wie
Ath. IV, 11 vermuten dürfen, wo der Ochs als Schöpfer und
Erhalter der Welt gepriesen wird:
«Der Ochse trägt die Erde und den Himmel,
Der Ochse trägt den weiten Luftraum.
Der Ochs trägt die sechs weiten Himmelsräume,
Der Ochs durchdringt das ganze Weltall.«
Es kann uns auch nicht imponieren, dals dieser Ochs mit
Indra und anderen höchsten Göltern gleichgesetzt wird, noch
weniger, dafs er Milch gibt — »seine Milch ist das Opfer, dei
Opferlohn seine Melkung < — , und wir glauben es gerne, dafs,
»wer die sieben unversieglichen Melkungen des Och.seh kennt
Nachkommenschaft und den Himmel erlangt«. Es ist mit diesen:
Ochseri nicht viel weiter her als mit dem Stier, der in Ath. IX, A
überschwenglich gefeiert wird — er trägt alle Gestalten ir
seinen Weichen, er war im Anfang ein Abbild des Urwassen
u. dgl. — , und von dem sich schliefslich herausstellt, dafs er nui
ein gewöhnlicher Opferstier ist, der geschlachtet werden soll
Dafs aber diese Schein philosophie und Geheimniskrämerei im Grunde
einen recht praktischen Zweck verfolgt, beweist ein Hymnus wie
Ath. X, 10, Hier wird das grofse Mysterium von der Kuh ver-
kündet: Himmel und Erde und die Wasser sind von der Kuli
behütet. Hundert Eimer, hundert Melker, hundert Hüter sind
auf ihrem Rücken. Die Götter, die in der Kuh atmen, die kenner
auch die Kuh . . . Die Kuh ist die Mutter des Kriegers, das
Opfer ist die Waffe der Kuh, ans ihr entstand der Gedanke,
In dieser Weise geht es fort, bis diese Geheimlehre ihren Höhe
punkt erreicht in den Worten: Die Kuh allein nennt man Un
Sterblichkeit, die Kuh allein verehrt man als den Tod; die Kufc
ward dieses Weltall, Götter, Menschen, Asuras, Manen und Sehet
(sie alle sind die Kuhj.; Nun aber folgt die Nutzanwendung;
Nur wer dieses grofse Geheimnis weifs, darf eine Kuh als Geschenk
annehmen; und wer den ßrahmanen eine Kuh .schenkt, der er-
ringt sich alle Welten, denn in der Kuh ist alles Höchste — Rta
(die Weltordnung), Brahmau (die Weltseele) und Tapas (die
Askese) — eingeschlossen, und:
»Die Götter leben von der Kuh und auch die Menschen von der Kuh:
Die Kuh ist diese ganze Welt, soweit die Sonne niederschaut.'
— 135 -
Deussen^) hat sich unendliche Mühe gegeben, in den »philo-
sophischen« Hymnen des Atharvaveda Sinn und Verstand zu ent-
decken und einen gewissen Zusammenhang herzustellen. Er findet
z. B. in Ath. X, 2 und XI, 8 den Gedanken der »Verwirklichung
des Brahman im Menschen« behandelt, und zwar in X, 2 »mehr
von der physischen, teleologischen«, in XI, 8 »mehr von der
psychischen Seite her« ^). Ich kann so viel Philosophie in diesen
Hymnen nicht entdecken ; ich glaube vielmehr, dafs wir es auch
hier nur mit Pseudophilosophen zu tun haben, die nicht eine neue
Lehre von der Weltseele im Menschen verkündeten, sondern die
diese Lehre bereits fertig vorfanden und in mystisch verworrener
Zusaminenhangslosigkeit vortrugen. Während in einem berühmten
Hymnus des Rigveda (X, 121) ein tiefer Denker und ein wahrer
Dichter in kühnen Worten auf die Grofsartigkeit des Kosmos
hinweist und zweifelnd nach dem Schöpfer fragt, zählt uns im
Atharvaveda X, 2 ein Versifex alle Glieder des Menschen der
Reihe nach auf und fragt, wer sie geschaffen:
»Von wem sind des Menschen Fersen geschaffen? Von wem das
Fleisch, von wem die Knöchel, von wem die wohlgeformten Finger?
Von wem die Öffnungen? . . . Warum haben sie des Menschen Fufs-
knöchel unten und oberhalb die Kniescheiben gemacht? Warum die
Beine voneinander getrennt niedergesetzt, und wo sind die Angeln
der Kniee? Wer hat wohl das ersonnen?« u. s. w.
So geht es acht Verse hindurch fort. Dann folgen neun
Verse, in denen nach allem möglichen gefragt wird, was zum
menschlichen Organismus und zum Menschenleben überhaupt
gehört: »Woher sta'mmt Lust und Unlust, woher der Schlaf, die
Angst, die Mattigkeit, woher alle Freuden und Wonnen des
Menschen? Woher Not und Elend ?•«; u. s. w. Durcheinander wird
in demselben Tone gefragt, wer das Wasser in den Körper, das
Blut in die Adern gelegt, woher der Mensch Gestalt, Gröfse und
Namen bekommen, wer ihm Gang, Verstand, Atem, Wahrheit
und Unwahrheit, Unsterblichkeit und Tod, Kleidung, langes
') Allgemeine Geschichte der Philosophie, I, 1, S. 209 ff. Vgl.
auch Lucian Scherman, Philosophische Hymnen aus der Rig- und
Atharva-Veda-Samhitä, verglichen mit den Philosophemen der älteren
Upanishads. Strafsburg 1887.
') Deussen a. a. O. S. 264 ff.
— 136 —
Leben, Kraft und Schnelligkeit verliehen hat, u. s. w. Es wird dann
weiter gefragt, woher der Mensch seine Herrschaft über die
Natur erlange, und alle diese Fragen werden dahin beantwortet,
dafs der Mensch als Brahman (Weltseele) das geworden, was er
ist, und all seine Macht erreicht habe. So weit ist der Hymnus
nicht gerade schön, aber wenigstens ziemlich klar. Nun folgt
aber der gewöhnliche mystische Schwindel in den Schlufsversen
26—33, wo es z. B. heifst:
»Als der Atharvan ihm sein Herz und sein Haupt zusammen-
genäht hatte, da regte er ihn oberhalb des Gehirns vom Haupte her
als Läuterer an.
Dem Atharvan gehört dies Haupt, ein festgeschlossener Götter-
kasten, und dieses Haupt schützt der Atem, die Speise und der
Verstand.«
Man tut , glaube ich , solchen Versen zuviel Ehre an , wenn
man tiefsinnige Weisheit in ihnen sucht. Darum kann ich auch
in dem Hymnus Ath. XI, 8, der nach Deussen >die ursprüng-
liche Entstehung des Menschen durch ein Zusammenfahren
psychischer und physischer, übrigens insgesamt von Brahman
abhängiger Faktoren« schildern soll, nicht so viel Tiefsinn finden.
So wie der Lügner manchmal die Wahrheit sprechen mufs, damit
man ihm seine Lügen glaube, so mufs auch der Mystiker hier
und dg. einen wirklich philosophischen Gedanken, den er irgendwo
aufgegriffen, in sein Machwerk hineinbringen, damit man auch
seinen Unsinn für höhere Weisheit halte. So liegt ja dem
Hymnus XI, 8 der Gedanke von dem Brahman als" dem Urquell
alles Seins und von der Einheit des Menschen mit der Weltseele
zugrunde. Aber ich glaube nicht, dafs sich der Verfasser irgend
etwas bei den Worten gedacht hat:
»Woraus ward Indra, woraus Soma, woraus Agni geboren? Woher
entstand Tvastar (»der Bildner«)? Woraus ist Dhätar (»der Schöpfer«)
geboren?
Aus Indra ward Indra, aus Soma ward Soma, und aus Agni ward
Agni geboren. Tvastar ist aus Tvastar geworden, und aus Dhätar ist
Dhätar geboren.»
Himmelhoch über dieser Versemacherei, die weder Philosophie
noch Poesie ist, steht ein Hymnus des Atharvaveda, den man
um einiger Verse willen, die sich auf die Entstehung der Erde
beziehen, zu den kosmogonischen Hymnen zu rechnen pflegt, der
— 137 —
aber frei von aller und jeder Mystik ist und eigentlich auch recht
wenig Philosophie enthält, — dafür aber um so mehr wahre
Poesie. Es ist der herrliche Hj'mnus an die Erde, Ath. XII, 1.
In 63 Versen wird hier Mutter Erde als die Trägerin und Er-
halterin alles Irdischen gepriesen und um Glück und Segen- und
Schutz vor allem Bösen angerufen. Einige wenige Verse in
wörtlicher Prosaübersetzung müssen genügen, um eine Vorstellung
von einem der schönsten Erzeugnisse der religiösen Dichtung
Altindiens zu geben:
»Die erhabene Wahrheit, die gewaltige Ordnung, die Opferweihe
und die Bufse, das Gebet und das Opfer erhalten die Erde. Sie ist
die Herrin von allem, was da ist, und was sein wird. (1)
Die Erde, die im Anfang Wasser auf dem Ozean war, und die
weise Männer durch ihres Geistes Wunderkraft gefunden; die Erde,
deren Herz im höchsten Himmel ist, unsterblich und von Wahrheit
umgeben, — sie verleihe uns Glanz und Stärke, sie setze uns in die
höchste Herrschaft ein. (8) • •
Die Erde, die die Asvins ausgemessen, auf der Visijiu ausgeschritten,
die Indra, der Herr der Kraft, sich von Feinden befreit hat, — sie, die
Mutter, spende mir, ihrem Sohn, reichlich Milch. (10)
Mir zum Heile seien deine schneebedeckten Bergeshöhen und
deine Wälder, o Erde! Auf der braunen, der schwarzen, der roten,
der buntfarbigen festen Erde, der von Indra beschützten — unbesiegt,
unverletzt, unverwundet stehe ich auf dieser Erde da. (11)
Von dir geboren, leben auf dir die Sterblichen. Du erhältst die
Zweifüfsler und die Vierfüfsler; dir, o Erde, gehören die fünf Ge-
schlechter der Menschen, über welche die aufgehende Sonne mit ihren
Strahlen unsterbliches Licht ausbreitet. (15)
Auf der Erde geben die Götter den Menschen das Opfer, die
wohlbereitete Spende; auf der Erde leben die Sterblichen von Trank
und Speise. Möge diese Erde uns Odem und Leben spenden, uns ein
hohes Alter erreichen lassen! (22)
Was ich aus dir, o Erde, ausgrabe, das möge schnell wieder nach-
wachsen! Möge ich, du Reine, nicht deine wunde Stelle, nicht dein
Herz durchbohren! (35)
Die Erde, auf der die Sterblichen jauchzen, singen und tanzen,
auf der sie kämpfen, auf der die Trommel laut ertönt, — diese Erde
stofse meine Nebenbuhler fort, mache mich frei von Nebenbuhlern. (41)
Den Toren trägt sie wie den ehrwürdigen Weisen, den Guten
läfst sie und den Bösen auf sich wohnen; mit dem Eber gesellt sich
die Erde, der Wildsau macht sie Platz. (48)
O Mutter Erde, setze gnädig mich an eine festgegründete Stelle!
Vereint mit dem Himmel, versetze du, o W^eise, mich in Glück und
Wohlfahrt!« (63).
— 138 —
Dieser Hymnus, der ebensogut in der Rigveda - Samhitä
stehen könnte, beweist, dafs auch in der Samhitä des Atharva-
veda, obgleich dieselbe mehr als die des Rigveda einen einheitlichen
Zweck verfolgt, mannigfache Bruchstücke alter Poesie ein-
gesprengt sind. Auch in dieser Sammlung, wie in der des
Rigveda, finden sich neben manchem Minderwertigen und völlig
Wertlosen köstliche Perlen ältester indischer Dichtkunst. Und
nur beide Werke zusammen geben uns eine richtige Vor-
stellung von der ältesten Poesie der arischen Inder.
Das altindische Opfer und die vediscben Samhitäs.
Die beiden bisher besprochenen Samhitäs haben auch das
gemeinsam, dafs sie nicht für besondere liturgische Zwecke zu-
sammengestellt worden sind. Wenn auch die meisten Hymnen
des Rigveda für Opferzwecke verwendet werden konnten und
tatsächlich verwendet wurden und ebenso die Lieder und Sprüche
des Atharvaveda fast durchweg zu Ritual- und Zauberzwecken
Verwendung fanden, so hat doch die Zusammenstellung und
Anordnung der Hymnen in diesen Samhitäs nichts mit den ver-
schiedenen liturgischen und rituellen Zwecken zu tun. Die
Hymnen wurden um ihrer selbst willen gesammelt und mit
Rücksicht auf die angeblichen Verfasser oder die Sängerschulen,
denen sie angehörten, zum Teil auch mit Rücksicht auf ihren
Inhalt und noch mehr auf ihre äufsere Form — Zahl der Verse
u. dgl. — in diesen beiden Sammlungen angeordnet und zusammen-
gestellt. Es sind Liedersammlungen, können wir sagen, welche
einen litterarischen Zweck verfolgen.
Ganz anders verhält es sich mit den Samhitäs der beiden
anderen Vedas, des Sämaveda und des Yajurveda. In diesen
Sammlungen finden wir die Lieder, Verse und Sprüche mit
Rücksicht auf ihre praktischen Zwecke angeordnet, genau in der
Reihenfolge, wie sie beim Opfer verwendet wurden. Es sind dies
also in der Tat nichts weiter als Gebetbücher und Gesangbücher
zum praktischen Gebrauch für bestimmte Opferpriester — aller-
dings nicht etwa geschriebene Bücher, sondern Texte, die nur
im Kopfe von Lehrern und Priestern existierten und durch münd-
liches Lehren und Lernen in den Priesterschulen erhalten blieben *).
■) Vgl. oben S. 33.
- 139 ~
Um aber die Entstehung dieser Samhitäs zu erklären, ist es not-
wendig, einige Worte über den Kult der arischen Inder hier
einzufügen. Es wird sich dies um so mehr empfehlen, als ein
volles Verständnis der vedischen Litteratur überhaupt ohne einen
gewissen Einblick in das altindische Opferwesen kaum möglich ist.
Soweit wir die vedisch - brahmanische Religion zurück-
verfolgen können, hat es immer zwei Arten des Kultes gegeben.
Wir haben gesehen'), dafs einzelne Hymnen des Rigveda und
eine grolse Anzahl von Liedern und Sprüchen des Atharvaveda
als Segenssprüche und Gebete bei Geburt und Hochzeit und
anderen Anlässen des täglichen Lebens, bei der Totenbestattung
und Ahnenverehrung sowie bei den verschiedenen Zeremonien,
die der Hirte für das Gedeihen des Viehes und der Landmann
für das Wachstum der Feldfrucht zu vollziehen hatte, verwendet
wurden. Die Inder nennen diese, meist auch mit Opfern ver-
bundenen Zeremonien grhyakarmäni, d. h. »häusliche Zere-
monien«. Über sie geben uns die später zu erwähnenden
Grhyasütras ausführliche Nachricht. Bei den Opfern, welche
dieser häusliche Kult erforderte, versah der Hausherr selbst, dem
höchstens noch ein einzelner Priester, der »Brahman«, zur
Seite stand, das Amt des Opferpriesters*). Und soweit diese
Opfer Brandopfer waren, diente das einePeuer des häuslichen
Herdes als Altar für die Darbringung derselben. Neben diesen
Opfern, die jeder fromme Arier, ob arm oder reich, ob vornehm
oder gering, nach altem Brauche vollzog, gab es aber auch
grofse Opferfeste — namentlich in Verbindung mit dem z,u Indra,
dem Gott der Krieger, in Beziehung stehenden Somakult — ,
welche nur von den Vornehmen und Reichen, in erster Linie
von den Königen, gefeiert" werden konnten. Auf einem weiten,
nach festen Regeln hergestellten Opferplatze wvirden Altäre für
die drei heiligen Feuer errichtet, welche bei jedem solchen
Opfer notwendig waren, und eine Schar von Priestern, an deren
Spitze vier Hauptpriester standen, war mit dem Vollzug
■) Oben S. 84 ff., 93 ff., 118 f.
*) Asvaläyana-Grhyasütra I, 3, 6: Die Anstellung eines B.rahmanen
ist bei häuslichen Opfern beliebig:. Gobhila-Grhyasütra I, 9, 8 f . : Der
Brahman ist der einzige Priester bei den Päkayajnas (d. h. den »einfachen
Opfern« des häuslichen Kultes); der Opferer selbst ist der Hotar ider
Priester, der die Verse rezitiert).
— 140 —
der unzähligen, aufserordentlich verwickelten Riten und Zeremonien,
die ein solches Opfer erforderte, beschäftigt. Der Yajamäna oder
»Opferer« — der Fürst oder grofse Herr, der das Opfer dar-
brachte — hatte nur wenig dabei zu tun ; seine Hauptpflicht war
es, den Priestern reichlichen Opferlohn (daksinä) zu geben. Kein
Wunder, dafs die Brahmanen gerade diese Opferzeremonien,
welche ihnen am meisten einbrachten, zum Gegenstand eifrigen
Studiums machten, dafs sie eine förmliche Opferwissenschaft aus-
bildeten, welche in jenen Texten niedergelegt ist, die wir als
Brähmanas kennen lernen werden, und welche einen wesentliche»
Bestandteil der Sruti, der »Offenbarung« , d. h. derjenigen Litte-
ratur bilden, welcher im Laufe der Zeit göttlicher Ursprung zu-
geschrieben wurde. Diese Opfer nannte man daher srauta-
karmäni, >^auf der Öruti beruhende Zeremonien«, im Gegensatz
zu den häuslichen (grhya) Zeremonien, welche nur auf der Smrti,
der » Erinnerung '< , d. h, dem Herkommen beruhen, und keine
göttliche Autorität besitzen.
Die vier Hauptpriester nun, welche bei den Srautaopfern be-
schäftigt waren, sind: 1. der Hotar oder »Rufer«, welcher die
Verse (rcas) der Hymnen rezitiert, um die Götter zu preisen und
zum Opfer einzuladen; 2. der Udgätar oder »Sänger«, welcher
die Bereitung und Darbringung der Opfer, insbesondere der
Somalibationen, mit Gesängen (säman) begleitet; 3! der Adhvaryu
oder »Opfer verrichter«, welcher alle Opferhandlungen vollzieht
und dabei die prosaischen Gebete und Opferformeln (yajus)
murmelt, und 4. der Brahman oder * Oberpriester , dessen Amt
es ist, das Opfer vor Schaden zu bewahren. Denn jede heilige
Handlung, so auch jedes Opfer, ist nach indischer Anschauung
mit einer gewissen Gefahr verbunden ; wird eine Handlung nicht
genau nach der rituellen Vorschrift vollzogen, ein Spruch oder
eine Gebetformel nicht richtig gesprochen oder eine Melodie
falsch gesungen, so kann. die heilige Handlung dem Veranstalter
des Opfers zum Verderben gereichen. Daher sitzt im Süden des
Opferplatzes — der Süden ist die Gegend des Todesgottes und
die Gegend, aus welcher die dem Opfer feindlichen Dämonen
den Menschen bedrohen — der Brahman, um das Opfer zu be-
schützen. Er verfolgt den Verlauf des ganzen Opfers im Geiste,
und sobald er den geringsten Fehler in einer Opferhandlung,
einer Rezitation oder einem Gesang bemerkt, mufs er durch das
— 141 —
Aussprechen heiliger Worte den Schaden wieder gutmachen.
Darum heilst der Brahman in einem alten Text »der beste Arzt
unter den Opf erpriestern« '), Um aber dieses Amt versehen zu
können, muls der Brahman *vom Veda voll« sein; er versieht
sein Amt als Opferpriester »mit dem dreifachen Wissem, d. h.
vermöge seiner Kenntnis aller drei Vedas, die ihn in stand setzt,
jeden Fehler sogleich zu entdecken ^).
Hingegen brauchen die drei anderen Priester jeder nur einen
Veda zu kennen. Die V^erse, mit welchen der Hotar die Götter
zum Opfer ruft, die sogenannten :» Einladungsverse« (Anuväkyäs),
und die Verse, mit welchen er die Spenden begleitet, die so-
genannten » Opferverse f (Yäjyäs), entnimmt der Hotar dem Rig-
veda. Er mufs auch ein Kenner der Rigveda-Samhitä sein, d. h.
er muls sie auswendig gelernt haben, um sich aus derselben die
sogenannten Sastras oder »Preislieder*, die er beim Somaopfer
zu rezitieren hatte, zusammenzustellen. So steht die Rigveda-
Samhitä zu dem Hotar in einer gewissen Beziehung, wenngleich
dieselbe keineswegs für die Zwecke dieses Priesters gesammelt
oder angecHrdnet ist.
Zum Somaopfer gehören aber nicht nur die vom Hotar re-
zitierten Preislieder, sondern auch sogenannte Stotras oder
» Lobgesänge «^, welche vomUdgätar und seinen Gehilfen gesungen
wurden '')- Solche Stotras bestehen aus Gesangstrophen, d. h.
aus Versen (rcas), die zu Trägern bestimmter Melodien (säman)
gemacht worden waren. Diese Melodien sowohl wie die Gesang-
') Öatapatha-Brähma^a XIV, 2, 2, 19. Vgl. Chändogya-Upanisad
IV, 17, 8 f.
-) Aitareya-Ära^yaka III, 2, 3, 6. Satapatha-Brähmana XI, 5, 8, 7.
Erst eine spätere Zeit hat den Brahman zum Atharvaveda in Be-
ziehung gebracht, so dals »Brahma veda« oder »der Veda des Brahman«
geradezu eine Bezeichnung des Atharvaveda wurde : und die Anhänger
des Atharvaveda erklärten, dafs der Brahman ein Kenner der Atharva-
veda-Samhitä sein müsse. In Wirklichkeit hat das Amt des Brahman
beim Srautaopfer mit dem Atharvaveda nichts zu tun. Begreiflich ist
es aber, dafs man die beiden in Zusammenhang bringen konnte. Denn
wenn der Brahman, wie oben b^-aei Kt, als einzigei Priester bei Grhya-
oplern amtierte, mulste er allerdings mit den zum grölsten Teil im
A harvaveda vorkommenden Segenssprüchen vertraut sein.
^) Und zwar kommen zuerst die Gesänge (Stotras), dann erst die
Rezitationen (Sascras).
— 142 —
Strophen, mit denen sie verbunden waren, lernten die Udgätar-
priester in den Schulen des Säraaveda, und die Sämaveda-
Samhitäs sind nichts anderes als Sammlungen von Texten, die
nicht um ihrer selbst willen, sondern wegen der Sangweisen,
deren Träger sie waren, für die Zwecke der Udgätars zusammen-
gestellt worden sind.
Der Adhvaryupriester endlich hat bei seinen zahllosen Opfer-
verrichtungen fortwährend teils kurze Prosaformeln, teils längere
Gebete in Prosa und Vers — die prosaischen Formeln und Gebete
heifsen yajus (plur. yajümsi), die Verse rc (plur. rcas) ~ leise
zu sprechen'). In den Samhitäs des Yajurveda sind alle diese
Prosaformeln und Gebete — meist auch zusammen mit Regeln
und Erörterungen über die Opferhandlungen, bei denen sie zu
murmeln sind -- für die Zwecke der Adhvaryupriester in der
Reihenfolge, wie sie eben bei den Opfe/n verwendet wurden,
zusammengestellt.
Wir wenden uns nun zur Besprechung der liturgischen
Samhitäs. wie wir nach den vorstehenden Ausführungen die
Samhitäs des Sämaveda und des Yajurveda im Gegensatz zu denen
des Rigveda und des Atharvaveda nennen können.
Die Sämaveda-Samhitä.
Von den vielen Samhitäs des Sämaveda. die es einmal ge-
geben haben soll — die Puränas sprechen gar von tausend
Samhitäs-') — , ist nur eine auf uns gekommen. Diese uns er-
haltene Sämaveda-Samhitä -^) besteht aus zwei Teilen, dem Ärcika
oder der »Strophensaramlung« und demUttarärcika, der »zweiten
) Der Hotar rezitiert die Hymnen, d. h. er sagt sie in einer
A rt Singsang laut her, der Udgätar s i n <r t die Proislieder nach bestimmten
Melodien, der Adhvaryu murmelt die Gebete. Pdofs die sogenannten
«Nigadas«, eine Abart der Yajusformeln, welche den Zweck haben, die
anderen Priester zu ihren verschiedenen Verrichtungen aufzufordern,
mufsten vom ;\dhvaryu natürlicherweise laut t^esprochen werden.
*) Auch von tausend .Schulen des Sämaveda ist bei späteren
Schriftstellern die Rede Vgl. R. Simon, Beiträge zur Kenntnis der
vedischen Schulen iKiel 1889) S. 27, 30 1.
3) Es ist dies die erste von allen vedischen Samhitäs, die heraus-
gegeben und vollständig übersetzt worden ist: Die Hymnen des Säma-
Veda, herausgegeben, übersetzt und mit (jlossar versehen von Theodor
Renfey. Leipzig 1848.
— 143 —
Ströphensammlung«. Beide Teile bestehen aus Versen, die fast
alle im Rigveda wiederkehren. Von den 1810 — oder, wenn
man die Wiederholungen abrechnet, 1549 — Versen, welche
beide Teile zusammen enthalten, stehen alle bis auf 75 auch in
der Rigveda -Samhitä, und zwar gröfstenteils im VIII. und
IX. Buche derselben. Die meisten dieser Verse sind im Gäyatrl-
metrum oder in den aus GäyatrI- und Jagatizeilen zusammen-
gesetzten Pragäthastrophen abgefafst, und ohne Zweifel waren
die in diesen Versmafsen gedichteten Strophen und Lieder von
Anfang an für den Gesang bestimmt ^). Die 75 Verse, die nicht
im Rigveda vorkommen, finden sich zum Teil in anderen
.Samhitäs, zum Teil in verschiedenen Ritualwerken; einige mögen
aus einer uns unbekannten Rezension stammen, manche sind aber
auch blofs aus verschiedenen Versen des Rigveda zusammen-
gestöppelt, ohne einen rechten Sinn zu geben. Die Verse des
Rigveda begegnen uns im Sämaveda zum Teil auch mit ab-
weichenden Lesarten, und man hat geglaubt, in denselben einen
altertümlicheren Text sehen zu dürfen. Doch hat schon Theodor
Aufrecht') nachgewiesen, dafs die abweichenden Lesarten des
Sämaveda blofs auf willkürlichen, absichtlichen oder auffälligen
Änderungen beruhen, — Änderungen, wie sie auch sonst
vorkommen; wo Worte für Musik zurechtgemacht werden.
Der Text ist ja beim Sämaveda — sowohl beim Ärcika, wie
beim Uttarärcika — nur Mittel zum Zweck. Das Wesentliche ist
immer die Melodie, und der Zweck beider Teile ist es, die
Melodien zu lehren. Der Schüler, der sich in den Schulen des
Sämaveda zum Udgätarpriester ausbilden wollte, mufste zuerst die
Sangweisen lernen: dies geschah mit Hilfe des Ärcika; dann
erst konnte er die Stotras, wie sie beim Opfer gesungen wurden,
auswendig lernen, wozu das Uttarärcika diente.
Der erste Teil unserer Säraaveda-Samhitä, das Ärcika, be-
steht nämlich aus 585 Einzelstrophen (rc), zu welchen die ver-
') Dies beweisen schon die Namen »GäyatrI« und »Pragätha«, die
von dem Zeitwort gä (resp. pragä) «singen« abgeleitet sind. Vgl. darüber
und au dem Folgenden die wichtige Abhandlung von H. Oldenberg,
»Rigveda-Samhitä und Sämavedärcika« in ZDMG XXXVIII, 1884,
S. 439 ff., 464 ff.
*) In der Vorrede zu seiner Ausgabe der Hymnen des Rigveda
(zweite Aufl., Bonn 1877) II, S. XXXVIII ff.
— 144 —
schiedenen Sangweisen (säman) gehören, welche beim Opfer ver-
wendet wurden. Das Wort säman, wenn auch oft zur Be-
zeichnung des für den Gesang hergerichteten oder bestimmten
Textes gebraucht, bedeutet ja ursprünglich nur * Sangweise« oder"
»Melodie«. Wie wir sagen, dafs eine Strophe »nach einer be-
stimmten Melodie« gesungen wird, so sagen die Inder umgekehrt:
Diese oder jene Melodie (säman) wird »auf einer gewissen Strophe sc
gesungen. Die vedischen Theologen fassen aber das Verhältnis
von Melodie und Strophe so auf, dafs sie sagen, die Melodie sei
aus der Strophe entstanden. Die Strophe (rc) wird daher als
die Yoni, d. h. »der Mutterschofss;, bezeichnet, woraus die Sang-
weise entsprungen sei. Und obwohl natürlich eine Strophe nach
verschiedenen Melodien und eine Melodie zu verschiedenen
Strophen gesungen werden kann, so gibt es doch gewisse
Strophen, die in der Regel als die Texte — die »Yonis«, wie
der indische Kunstausdruck lautet — zu bestimmten Melodien
gelten können. Es ist etwa so, wie wir bei den Worten:
»Stimmt an mit hellem, hohem Klarig<' oder ^Es steht ein Baum
im Odenwald« u. s. w. an bestimmte Melodien denken. Das
Ärcika ist also nichts anderes als eine Sammlung von 585
>Yonis« oder Einzelstropben, welche nach ebenso vielen ver-
schiedenen Melodien gesungen werden. Man denke sich etwa
ein Liedertextbuch, in welchem von jedem Lied blofs der Text
der ersten Strophe als Gedächtnisstütze für die Melodie ge-
geben wäre.
Das Uttarärcika, der zweite Teil der Sämaveda-Samhitä^
besteht aus 400 Gesängen , gröfstenteils zu je drei Strophen ^),
aus denen die bei den Hauptopfern gesungenen Stotras gebildet
werden. Während im Arcika die Strophen teils nach den Vers-
mafsen, teils nach den Göttern, an die sie gerichtet sind — und
zwar in der Reihenfolge Agni, Indra, Soma — , angeordnet er-
scheinen, sind die Gesänge im Uttarärcika nach der Folge der
hauptsächlichen Opfer angeordnet^). Ein Stotra besteht also aus
') 287 Gesänge bestehen aus je 3 Versen, 66 aus je 2, 13 aus je
1 Vers, 10 aus je 6, 9 aus je 4, 4 aus je 5, 3 aus je 9, ebenso viele
aus je 10, 2 aus je 7 und ebenso viele aus je 12, und 1 Gesang be-
steht aus 8 Versen.
*) Über die Stotras des Sämaveda und deren Verwendung beim
Opfer vgl. A. Hillebrandt, Rituallitteratur, S. 99 ff. im 'Grund-
rifs« III, 2.
— 145 —
mehreren, gewöhnlich dr&i Strophen, die alle nach derselben
Melodie gesungen werden, und zwar nach einer der Melodien,
welche das Arcika lehrt. Wir können das Uttarärcika mit
einem Liedertextbuch vergleichen, in welchem der Text der
Lieder vollständig gegeben ist, während die Melodien als
bekannt vorausgesetzt werden. Man nimmt gewöhnlich an,
dafs das Uttarärcika späteren Ursprungs sei als das Ärcika.
Für diese Annahme spricht der Umstand, dafs das Ärcika viele
lYonis«, also auch viele Sangweisen kennt, die in den Gesängen
des Uttarärcika gar nicht vorkommen, und dafs auch das Uttar-
ärcika manche Gesänge enthält, für die das Ärcika keine Sang-
weise lehrt. Anderseits ist doch das Uttarärcika eine notwendige
Ergänzung des Ärcika: dieses ist gleichsam der erste, jenes der
zweite Kurs in dem Unterricht des Udgätar.
Beide Teile der Sarnhitä geben uns nur die Texte, wie sie
gesprochen werden. Die Sangweisen selbst wurden in
ältester Zeit jedenfalls nur durch den mündlichen und wohl auch
instrumentalen Vortrag gelehrt. Erst aus späterer Zeit stammen
die sogenannten Gänas oder eigentlichen j Gesangbücher« (von
gä »singen«), welche die Melodien durch Noten bezeichnen, und
in denen die Texte in der Gestalt aufgezeichnet sind, welche sie
beim Gesang haben, d. h. mit allen Silbendehnungen, Wieder-
holxmgen und Einschiebungen von Silben und selbst von ganzen
Wörtern — den sogenannten >Stobhas«, wie hoyj, huvä, höi u. s. w.,
die zum Teil unseren Jauchzern und Jodlern nicht unähnlich sind.
Die älteste Notenbezeichnung ist wahrscheinlich die vermittelst
Silben, wie ta, co, na u. s. w. Häufiger aber ist die Bezeichnung
der sieben Noten mittelst der Ziffern 1, 2, 3, 4, 5, 6 und 1, denen
F, E, D, C, B, A, G unserer Tonleiter entsprechen. Beim
Singen markieren die Priester diese verschiedenen Noten durch
Bewegungen der Hand und der Finger"). Es scheint, dafs die
Sangweisen bei den im Dorf gefeierten Somaopfern andere waren
als bei den Opfern der Waldeinsiedler, denn es gibt zum Ärcika
ein Grämageyagäna (»Dorfgesangbuch«) und ein Äranyagäna
(> Waldgesangbuch«). Yv'^enn wir die Ärcikas mit Liedertext-
') Näheres über diese älteste Musik der Inder findet man bei
A. C. Burneil, The Ärsheya Brähmai?a . . . of the Säma Veda
(Mangalore X876) Introd. p. XX^:^III, XLI-XLVIII.
Wintemitz, Geschichte der indischen Litte.ratur. 10
— 146 —
büchern verglichen haben, so k(3nnert wir die Gänas mit Noten-
büchern vergleichen, in denen die \Vorie mit allen Dehnungen,
Silbenwiederholungen u. dgl., wie sie der Gesang erfordert, unter
die Noten geschrieben sind.
Die Zahl der bekannten Sangweisen mufs eine sehr grofse
gewesen sein'), und schon in sehr alter Zeit hatte jede Melodie
einen besonderen Namen. Unter diesen Namen werden sie nicht
nur in den Ritualbüchern oft genannt , sondern es werden ihnen
auch verschiedene symbolische Bedeutungen zugeschrieben, und
sie spielen in der Symbolik und Mystik der Brähmanas, Äranyakas
und Upanisads keine geringe Rolle, namentlich einige derselben,
wie die beiden schon im Rigveda vorkommenden Sangweisen
iBrhat< und v Rathantara«. Gewifs haben auch die Priester und
Theologen diese Melodien nicht alle selbst erfunden. Die ältesten
derselben waren vermutlich volkstümliche Weisen, nach denen
in uralter Zeit bei Sonnwendfeiern und anderen Volksfesten
halbreligiöse Lieder gesungen wurden , und noch andere mögen
bis auf jene lärmende Musik zurückgehen . mit welcher vor-
brahmanische Zauberpriester — den Zauberern, Schamanen und
Medizinmännern der Naturvölker nicht unähnlich — ihre wilden
Lieder und Riten begleiteten ^). Spuren dieses volkstümlichen
Ursprungs der Sämanweisen zeigen sich schon in den oben er-
wähnten Stobhas oder Jauchzern, und besonders darin , dafs die
Melodien des Sämaveda noch in brahmanischer Zeit als zauber-
kräftig galten ^), Und es gibt ein zum Sämaveda gehöriges
') Ein späterer Schriftsteller o:ibt die Zahl der Sämans auf 8000
an! (R. Simon a. a. O. S. 31.)
*) Vgl. A. Hillebrandt, Die Sonnwendfeste in Alt -Indien.
(Sep. aus der Festschrift für Konrad Hofmann), Erlangen 1889, S. 22 ff.
34 ff. M. Bloom fiel d, The god Indra and the Säma-veda, in WZKM
XVII, 1903, S. 156 ff.
') Wahrscheinlich ist die Grundbedeutung von sä man »Be-
sänftigungslied« , >ein Mittel zur Beschwichtigung von Göttern und
Dämonen". Das Wort säman kommt auch in der Bedeutung 'Milde,
freundliches Entgegenkommen" vor. Wenn in der älteren Litteratur
der Sämaveda zitiert wird, so geschieht dies gewöhnlich mit den Worten:
»DieChandogas sagen. ' Chandoga heifst "Chandassänger-, und chandas
vereinigt in sich die Bedeutungen ^Zauberlied , 'heiliger Text« und
»Metrum^. Es mufs also etwa »die rhythmisch bewegte Rede« die
Grundbedeutung des Wortes s«in: es dürfte mit der Wurzel chand
— 147 —
Ritualbuch — es nennt sich Sämavidhäna-Brähmuna — , dessen
zweiter Teil geradezu ein Handbuch der Zauberei ist, in
welchem die Verwendung verschiedener Sämans zu Zauberzwecken
gelehrt wird. Auch darin kann man noch eine Erinnerung
an den Zusammenhang der Sämanweisen mit dem vorbrahmanischen
Volksglauben und Zauberwesen sehen, dafs die brahmanischen
Gesetzbücher lehren, dafs man die Rezitation des Rigveda und
des Yajurveda unterbrechen müsse, sobald man den Klang eines
Säman hört. Besonders deutlich ist Äpastambas Gesetzbuch ^),
wo Hundegebell, Eselgeschrei, das Heulen von Wölfen und
Schakalen, das Schreien der Eule, der Klang von Musik-
instr-umenten, Weinen und der Ton von .Sämans als
Geräusche aufgezählt werden, bei denen das Vedastudium unter-
brochen werden mufs.
So ist denn die Sämaveda-Samhitä für die Geschichte des
indischen Opfer- und Zauberwesens nicht ohne Wert, und die zu
ihr gehörigen Gänas sind gewifs für die Geschichte der indischen
Musik sehr wichtig, wenn auch noch keineswegs für diesen Zweck
ausgebeutet, — als litterarisches Erzeugnis aber ist diese Sarphitä
für uns so gut wie wertlos.
Die Samhitäs des Yajurveda.
So wie die Sämaveda-Samhitä das Liedertextbuch des Udgätar
ist, so sind die Yajurv^eda-Samhitäs die Gebetbücher für den
Adhvaryupriester. Der Grammatiker Pataiijali ") spricht von
»101 Schulen des Veda der Adhvaryuss und es ist begreiflich,
dafs gerade von diesem Veda viele Schulen existierten ; denn in bezug
auf die einzelnen Opferhandlungen, wie sie der Adhvaryu zu ver-
richten und mit seinen Gebeten zu begleiten hatte, konnten sich
leicht Meinungsverschiedenheiten und sektarische Gliederungen
bilden, welche zur Schaffung eigener Handbücher und Gebet-
bücher führten. Zur Bildung einer neuen vedischen Schule ge-
nügte ja schon die kleinste Abweichung im Zeremoniell oder in
der Liturgie. W'ir kennen bis jetzt die folgenden fünf vSarrihitäs
und Schulen des Yajurveda:
»gefallen, befriedigen oder gefallen machen^ (vgl. chanda »gefällig, ver-
lockend, einladend«) zusammenhängen.
') I, 3, 10, 19.
*j In der Einleitung zu seinem Mahäbhäsya.
10 *
— 148 —
1. Das Käthakaj die Yajurveda-Sainhitä in der Rezension
der Katha - Schule , welche lange Zeit nur in einer Handschrift
der Berliner Bibliothek bekannt war, jetzt aber von L. von Schroeder
herausgegeben wird ').
2. Die Kapisthala-Katha-Samhitä, die nur in wenigen
handschriftlichen Fragmenten erhalten ist.
3. Die Maiträyani-Samhitä, d. h. die Yajurveda-SarnhitS
in der Rezension der Maiträyaniya-Schule, welche L. von Schroeder
herausgegeben hat=).
4. Die Taittiriya-Samhitä, d.h. die Yajurveda-Samhitä
in der Rezension der Taittiriya-Schule , nach der Apastamba-
Schule, einer der Hauptschulen, in welcher dieser Text gelehrt
wurde, auch »Äpastamba-Samhitä« genannt. Herausgegeben
wurde dieselbe von A. Weber 3).
Diese vier Rezensionen sind untereinander näher verwandt
und werden als zum »schwarzen Yajurveda« gehörig be-
zeichnet. Von ihnen unterscheidet sich
5. die Väjasaneyi-Samhitä oder die Samhitä des
»weifsen Yajurveda«, welche ihren Namen von Yäjiia-
valkya Väjasaneya, dem Hauptlehrer dieses Veda, hat.
Von dieser Väjasaneyi-Samhitä gibt es zwei Rezensionen, die der
Känva- und die der Mädhy and i na -Schule, die aber nur ganz
unbedeutend voneinander abweichen. Herausgegeben wurde auch
diese Samhitä von A. Weber'').
Der Hauptunterschied zwischen den Samhitäs des » schwarzen c
und des »weifsen« Yajurveda besteht darin, dafs die Väjasaneyi-
Samhitä blofs die Mantras, d. h. die Gebete und Opferformeln,
enthält, welche der Adhvaryupriester zu sagen hat, während die
•) Käthakam. Die Samhitä der Katha-(päkhä, herausgegeben von
Leopold von Schroeder. I. Buch. Leipzig 1900.
») Leipzig 1881—1886. Zahlreiche Zitate aus dieser Samhitä in
deutscher Übersetzung findet man bei L. von Schroeder, Indiens
Literatur und Kultur (Leipzig 1887), S. 110—162.
3) Im 11. und 12. Band seiner »Indischen Studien«, 1871 und 1872.
♦) The White Yajurveda, Part I, The Väjasaneyi-Samhitä . . .
with the Commentary of Mahidhara. Berlin - London 1852. Eine
englische Übersetzung derselben gibt es von R. T. H. Griffith (The
Texts of the White Yajurveda, translated with a populär Commentary.
Benares 1899).
— 149 —
Samhitäs des schwarzen Yajurveda aufser den Mantras auch zu-
gleich eine Darstellung der zu denselben gehörigen Opferriten
nebst Erörterungen über dieselben enthalten. Es ist also in den
Samhitäs des schwarzen Yajurveda das, was man »Brähmana«
oder ^theologische Erörterung« nennt, und was den Inhalt der
im nächsten Kapitel zu besprechenden Brähmanas bildet, mit
den Mantras vermischt. Es ist aber leicht begreiflich, dafs in
den ftir den Gebrauch der Adhvaryus bestimmten Gebetbüchern
auch die Opferverrichtungen selbst besprochen wurden, denn diese
Priester hatten vor allem die einzelnen Opferhandlungen zu voll-
ziehen, imd das Murmeln von Gebeten und Formeln im engsten
Zusammenhang mit diesen Handlungen bildete blols einen kleinen
Teil ihrer Verpflichtungen. Es kann daher kaum zweifelhaft
sein, dafs die Samhitäs des schwarzen Yajurveda älter sind als
die Väjasaneyi - Samhitä. Erst spätere Systematiker unter den
Yajurveda-Theologen fühlten wohl das Bedürfnis, analog den
anderen Vedas eine nur aus Mantras bestehende Samhitä nebst
einem davon getrennten Brähmana zu haben*).
So bedeutungsvoll aber auch die Unterschiede zwischen den
einzelnen Samhitäs des Yajurveda für die Priester und Theologen
Altindiens sein mochten, für uns sind sie ganz unwesentlich ; und
auch der Zeit nach dürften die verschiedenen Samhitäs des
schwarzen und weifsen Yajurveda nicht allzu weit voneinander
entfernt sein. Wenn ich daher im folgenden eine kurze Be-
schreibung des Inhalts der Väjasaneyi -Samhitä gebe, so
genügt dies vollkommen, um dem Leser eine Vorstellung von
0 Man nimmt gewöhnlich an, dafs der Name »weifser« Yajurveda
so viel bedeute wie »klarer, geordneter« Yajurveda und auf die reinliche
Scheidung zwischen Opferspruch und Ritualerläuterung in demselben
hinweise, während »schwarzer» Yajurveda so viel wie »ungeordneter«
Yajurveda bedeute. Mir kommt diese schon auf indische Kommenta-
toren zurückgehende Erklärung sehr unwahrscheinlich vor. Aber
schon Öatap. Br. XIV, 9, 4, 33 (vgl. IV, 4, 5, 19^ werden die »weifsen
Opfersprüche« (sukläniyajümsi) als ädityäni, »von derSonne offenbart«
bezeichnet; und auch die Purä^as erzählen, dafs Yäjnavalkj'a neue
Opfersprüche von der Sonne erhalten habe (Vis^u-Purä^a III, 5). Ich
glaube, dafs der »weif se Yajurveda« seinen Namen diesem Zusammen-
hang mit der Sonne verdankt. Im Gegensatz dazu nannte man dann
den älteren Yajurveda den »schwarzen«.
-^ 150 —
dem Inhalt und Charakter d^^r S^mhitäs des Yajurveda überhaupt
zu geben.
Die Väjasaneyi-Samhitä besteht aus 40 Abschnitten, von denen
aber die letzten 15 (vielleicht sogar die letzten 22) Abschnitte
jüngeren Datums sind. Die ersten 25 Abschnitte enthalten die
Gebete für die wichtigsten grofsen Opfer. Und zwar geben die
beiden ersten Abschnitte die Gebete für die Neu- und Voll-
mondsopfer (Darsapürnamäsa) mit dem dazugehörigen
Manenopfer (Pindapitryajna). Im dritten Abschnitt folgen
die Gebete für den täglichen Feuerkult, die Anlegung des Feuers
und die jeden Morgen und Abend darzubringenden Feueropfer
(Agnihotra) und für die alle vier Monate stattfindenden Jahres-
Zeitenopfer (Cäturmäsya). Die Gebete für das Somaopfer
im allgemeinen T) mit Einschlufs des dazugehörigen Tier opfers
finden sich in den Abschnitten IV bis VIII. Unter den Soraa-
opfern gibt es solche, die eine;i Tag, und solche, die mehrere
Tage dauern. Zu den Eintagsopfern gehört der Vjijapeya
oder >Wettkampftrunkc., ein ursprünglich wohl nur von Kriegern
und Königen dargebrachtes Opfer, welches mit einem Wagen-
wettrennen verbunden war, und bei welchem aufser deni Soraa
der nach brahmanischem Gesetz sonst verpönte Branntwein
(surä)'") gespendet wurde. Ausschliefslich für Könige bestimmt
ist das :^Königsweiheüpfer« oder Ra jasüya. ein mit mancherlei
volkstümlichen Bräuchen — einem symbolischen Kriegszug, einem
Würfelspiel und allerlei Zauberriten — verbundenes Opferfest.
Die Gebete für diese beiden Arten von Somaopfern enthalten die
Abschnitte IX und X. Es folgen dann in den Abschnitten
XI bis XVIII die zahlreichen Gebete und Opferformeln für das
•} Die Opfer der alten Inder zertallen in zwei grofse Unter-
abteilungen: Speiseopfer (bei denen hauptsächlich Milch, Butter,
Kuchen, Mus und Körner geopfert werden) und Somaopfer (deren
Hauptbestandteil die Somalibationen bilden). Unter diese beiden Haupt-
arten gruppieren sich die einzelnen Opfer Das Tieropfer verbindet
sieb sowohl mit Opfern der ersten als auch mit solchen der zweiten Ab-
teilung. Mit allen Arten von Opfern verbindet sich der Feuerkult,
der gewissermafsen die Vorbedingung für jede Art von Götter-
verehrung ist.
») Nach den Gesetzbüchern ist das Trinken von Branntwein eine
dem Brahmanenmord gleiche grofse Sünde
— 151 —
Agnicayana oder die »Feueraltarschichtung«, eine Zeremonie^
die sich über ein ganzes Jahr erstreckt, und der in den Brähmanas
eine tiefe mystisch -symbolische Bedeutung zugeschrieben wird.
Der Feueraltar heilst nicht anders als »Agni« und gilt durchaus
als identisch mit dem Feuergott. Er wird aus 10800 Backsteinen
in der Form eines grofsen Vogels mit ausgebreiteten Flügeln
gebaut. Jn die unterste Schichtung des Altars werden die
Köpfe von fünf Opfertieren eingemauert, und die Leiber der Tiere
werden in d;is Wasser geworfen, aus dem der Ton für die An-
fertigung der Backsteine und der Feuerschüssel entnommen wird.
Das Formen und Backen der P>uerschüssel und der einzelnen
Backsteine, von denen viele besondere Namen und eine eigene
symbolische Bedeutung haben, geschieht mit grofser Umständ-
lichkeit und unter fortwährendem Hersagen von Sprüchen und
Gebetformeln. Die folgenden Abschnitte XIX bis XXI geben
die Gebete für die Sauträmanifeier, eine merkwürdige Opfer-
zeremonie, bei welcher wieder statt des Somatranks der Brannt-
wein verwendet und den Asvins, der Göttin Sarasvati und dem
Indra geopfert wird. Die Zeremonie wird empfohlen für einen,
der zuviel Soma getrunken hat oder denselben nicht vertragen
kann — und das dürfte der ursprüngliche Zweck derselben sein — ,
aber auch für einen Brahmanen, der sich Erfolg wünscht, für
einen vertriebenen König, der seinen Thron wiedergewinnen, für
einen Krieger, der Sieg erringen, und einen Vais3^a, der grofse
Reichtümer erlangen will. Die zu diesem Opfer gehörigen
Sprüche nehmen vielfach Bezug auf die Sage von Indra, der
sich durch übermäfsigen Genuls des Soma einen Katzenjammer
zugezogen hatte und von den Asvins und der Sarasvati geheilt
werden mufste ')• Die Abschnitte XXil bis XXV endlich, mit
welchen der alte Teil der Väjasaneyi-Samhitä endet, enthalten
die Gebete für das grofse Pferdeopfer (Asvamedha),
welches nur ein mächtiger König, ein gewaltiger Eroberer oder
> Weltherrscher« darbringen durfte. Alte Sagen und epische
Gedichte berichten von Königen der Vorzeit , die dieses Opfer
vollzogen, und es gilt als der höchste Ruhm für einen Herrscher,
wenn man von ihm sagen kann: »Er hat das Pferdeopfer dar-
') Vgl. oben S. 75.
— 152 —
gebracht.« Der Zweck dieses grofsen Opfers ist sehr schön in
dem Gebet Väj.-Samh. XXII, 22 ausgesprochen:
"O Brahman! Möge in diesem Königreich der Brahmane geboren
werden, der durch heiUges Wissen glänzt! Möge der Krieger, der
ein Held, ein tüchtiger Schütze, ein guter Treffer und gewaltiger
Wagenkämpfer ist, hier geboren werden ! Auch die Kuh, die gut milcht,
der Ochse, der gut zieht, das rasche Pferd, die wackere Hausfrau!
Möge diesem Opferer ein Heldensohn geboren werden, der siegreich,
ein tüchtiger Wagenkämpfer und in der Versammlung beredt ist!
Möge Parjanya uns Regen senden nach Wunsch! Mögen unsere
fruchttragenden Pflanzen reifen! Möge uns Glück und Wohlfahrt
zuteil werden!"
Dafs die letzten fünfzehn Abschnitte späteren Ursprungs sind,
ist nicht zweifelhaft. Die Abschnitte XXVI bis XXXV werden
von der indischen Überlieferung selbst als Khilas, d. h. >Nachträge«,
1 Supplemente«, bezeichnet. Tatsächlich enthalten XXVI bis XXIX
blofs Nachträge zu den Gebeten der vorhergehenden Abschnitte.
Der XXX. Abschnitt erweist sich schon dadurch als Zusatz, dafs
er keine Gebete enthält, sondern nur eine Aufzählung der Menschen,
welche beim Purusamedha oder »Menschenopfer« an die
verschiedensten göttlichen oder für den Augenblick zu Gottheiten
erhobenen Wesen und Mächte geopfert werden sollen. Nicht
weniger als 184 Menschen sollen bei diesem Purusamedha
hingeschlachtet werden; und zwar opfert man, um nur einige
Beispiele zu geben, »der Priesterwürde einen Brahmanen,
der Königswürde einen Krieger, den Maruts einen VaiSya,
der Askese einen Südra, der Finsternis einen Dieb, der Hölle
einen Mörder, dem Übel einen Eunuchen . . . der Lust eine Hure,
dem Lärm einen Sänger, dem Tanz einen Barden, dem Gesang
einen Schauspieler . . . dem Tod einen Jäger . . . den Würfeln
einen Spieler . . . dem Schlaf einen Blinden, der Ungerechtigkeit
einen Tauben . . . dem Glanz einen Feueranzünder . . . dem
Opfer eine Waschfrau, der Begierde eine Färberin . . . dem Yama
eine unfruchtbare Frau . . . der Festfreude einen Lautenspieler,
dem Geschrei einen Flötenbläser . . . der Erde einen Krüppel . . .
dem Himmel einen Kahlkopf« u. s. w. Dafs alle diese Gattungen
von Menschea zusammengebracht und getötet worden sein sollen,
ist gewifs nicht gut denkbar. Es handelt sich hier wahrscheinlich
nur uhi eine symbolische Handlimg, die eine Art »Menschenopfer«,
— 153 —
durch welche das grofse Pferdeopfer noch übertrumpft werden
soll, darstellt, die aber wohl nur als ein Bestandteil der Opfer-
mystik und Opfertheorie existierte, in Wirklichkeit aber kaum
vorkam'). Dazu stimmt auch, dafs der XXXI. Abschnitt eine
Version des aus dem Rigveda bekannten Purusasükta — d. i. des
Hymnus Rv. X, 90, in welchem die Entstehung der Welt durch
die Opferung des Purusa und die Identifizierung der Welt mit
dem Purusa gelehrt wird, wobei Purusa, »der Mensch«, zugleich
als höchstes Wesen gedacht ist — enthält, und dafs dieser Ab-
schnitt, den der Brahman beim Purusamedha rezitieren soll, auch
als Upanisad, d. h. als Geheimlehre, bezeichnet wird. Auch der
XXXII. Abschnitt ist nach Form und Inhalt nichts anderes als
eine Upanisad : Der Schöpfer Prajäpati wird hier mit dem Purusa
und dem Brahman gleichgesetzt. Die ersten sechs Verse des
XXXIV. Abschnittes werden ebenfalls zu den Upanisads gerechnet,
und zwar unter dem Titel Sivasamkalpa- Upanisad. Verwendet
werden sollen die Sprüche der Abschnitte XXXII bis XXXIV
bei dem sogenannten Sarvamedha oder »Allopfer«. Es
ist dies das höchste Opfer, das es überhaupt gibt, und das
damit endet, dafs der Opferer sein ganzes Hab und Gut den
Priestern als Opferlohn schenkt und sich dann als Einsiedler
in den Wald zurückzieht, um dort den Rest seiner Tage zu
verbringen. Der XXXV. Abschnitt enthält einige zur
Totenbestattung gehörige Verse, die zumeist dem Rigveda
entnommen sind. Die Abschnitte XXXVI bis XXXIX enthalten
die Gebete für die Pravargya genannte Zeremonie, bei welcher
ein Kessel auf dem Opferfeuer glühend gemacht wird, um sym-
bolisch die Sonne darzustellen; in diesem Kessel wird dann Milch
gekocht und den Asvins geopfert. Die ganze Feier gilt als ein
grofses Mysterium. Zum Schlufs derselben werden die Opfer-
geräte so aufgestellt, dafs sie einen Menschen darstellen: Die
Milchtöpfe sind der Kopf, auf welchem ein Büschel von heiligem
Gras die Haarlocke darstellt; zwei Melkkübel vertreten die Ohren,
') Ähnlich Oldenberg, Religion des Veda, S. 365 f. Anders
Hillebrandt, Rituallitteratur (»Grundrifs' III, 2), S. 153. Menschenopfer
hat es ja gewif s im alten Indien gegeben, wie ja bis in die neueste Zeit
die grausamsten Menschenopfer bei einigen indischen Sekten vor-
gekommen sind. Daraus folgt aber nicht, dafs der Purusamedha ein
solches Menschenopfer gewesen ist.
- 154 —
zwei Goldblättchen die Augen, zwei Schalen die Fersen, das über
das Ganze ausgestreute Mehl das Mark, ein Gemisch von Milch
und Honig das Blut u. s. w. Den geheimnisvollen Zeremonien ent-
sprechen natürlich auch die Gebete und Formeln'). Der XL.
und letzte Abschnitt der Väjasaneyi-Sanihitä enthält wieder eine
Upanisad, und zwar die in allen Upanisadsammlungen vorkommende,
sehr wichtige l§ä - Upanisad , auf die wir ira Kapitel über die
Upanisads noch zurückkommen müssen.
Ist es so schon Jius dem Inhalt der letzten Abschnitte
klar, dafs dieselben jüngeren Datums sind, so wird dies noch
dadurch bestätigt, dals die in den Sarnhitäs des schwarzen
Yajurveda enthaltenen Gebete nur denen der ersten Hälfte
der Väjasaneyi-Samhitä entsprechen ^).
Was nun die Gebete und Opferformeln selbst anbelangt, welche
den Hauptinhalt der Yajurveda-Samhiläs bilden, so bestehen die-
selben zum Teil aus Versen (rc), zum Teil aus Prosasprüchen.
Die letzteren sind es, welche als »Yajus? bezeichnet werden, und
von welchen der Yajurveda seinen Namen hat. Die Prosa dieser
Sprüche ist zuweilen aijch eine gemessene und erhebt sich hier
und da sogar zu rhythmischem Schwung, Die Verse, welche
vorkommen, finden sich gröfstenteils auch in der Rigveda-Samhitä.
Die abweichenden Lesarten aber, welche der Yajurveda oft bietet,
siAd nicht etwa altertümlicher als der im Rigveda vorliegende
Text, sondern es sind zumeist absichtliche Veränderungen, welche
mit den Versen vorgenommen wurden, um sie mit den Opfer-
handlungen mehr in Zusammenhang zu bringen. Nur selten
sind ganze Hymnen des Rigveda in die Yajurveda-Samhitäs auf-
genommen worden; meist sind es blofs einzelne, aus dem Zu-
sammenhang gerissene Verse, welche gerade zu irgendeiner
Opferzeremonie passend schienen und darum in den Veda der
Gebete Aufnahme fanden. Es haben daher auch diese Verse
0 Näheres über alle diese «Opfer und Feste findet man bei
A. Hillebrandt, "Rituallitteratur. Vedische Opfer und Zauber" (Grund-
rifs III, 2), S. 97-166. H. Oldenberg. Religion des Veda, S- 4:-i8-475.
E. Hardv, Die vedisch brahmanische Periode der Religion des alten
Indiens, Münster i. W. 1893, S 154 ff.
') Nur die ersten 18 Adhyäyas der Väjasaneyi-Samhitä werden
m dem zum weifsen Yajurveda gehörigen 5atapatha-Brähma^ia voll
ständig Wort für Wort aufgeführt und erläutert.
— 155 —
für uns weniger Interesse. Das Charakteristische für den Yajur-
veda sind die prosaischen Formeln und Gebete ').
Das einfachste Gebet, das wir uns denken können, ist die
Widmung einer Opfergabe mit der blofsen Nennung des Namens
der Gottheit, der sie gespendet wird. Formeln der Art sind im
Yajurveda sehr zahlreich. -e^Dich für Agni«, »dich für Indra«,
oder »dies für Agnie , oder auch nur »dem Agni Heil«, »dem
Indra Heil« u. s. w., — mit solchen Worten legt man die Spende
hin oder wirft sie ins heilige Feuer. Und ein kürzeres und
schlichteres Loblied auf einen Gott kann man sich kaum denken
als die Worte, mit denen jeden Morgen und jeden Abend das
aus Milch bestehende Feueropfer (Agnihotra) dargebracht wird:
>Agni ist Licht, Licht ist Agni, Heil!« (am Abend) und »Sürya
ist Licht, Licht ist Sürya, Heil!'- (am Morgen). In ebenso kurzen
Worten wird häufig der Zweck einer heiligen Handlung an-
gedeutet, wenn z. B. der Opferpriester den Zweig abschneidet,
mit welchem die Kälber von den Kühen getrieben werden, und
dabei sagt: *Dich zum Saft, dich zur Kraft!« Oder es wird der
Gegenstand, der zu einer heiligen Handlung dient, kurz bezeichnet
und daran ein Wunsch geknüpft, wenn z. B. der Holzspan, mit
dem das Opferfeuer entzündet werden soll, mit den Worten ge-
weiht wird: ;Dies, Agni, ist dein Anzünder^ durch ihn sollst
du wachsen und gedeihen. Mögen auch wir wachsen und ge-
deihen!« Fürchtet man von einem beim Opfer verwendeten
Gegenstand Unheil oder bösen Zauber, so dient ein kurzer Spruch
zur Abwehr desselben. So sagt man zum Halfter, mit dem
das Opfertier an den Pfahl gebunden wird : AVerde keine Schlange,
werde keine Viper !x Zum Rasiermesser, mit dem der Opterer,
wenn er zum Opfer geweiht wird, sich den Bart rasieren läfst,
sagt der Priester-. iO Messer, verletze ihn nicht!« Bei der
Königsweihe blickt der König auf die Erde herab und betet-
»Mutter Erde, mögest du mich nicht verletzen, noch ich dich!« ')
Die Gottheiten werden in diesen Opferformeln nicht immer
angerufen oder gepriesen, sondern auf die verschiedensten Arten
') Auch von den brähmaijaartigen theologischen Erörterungen,
welche die Samhitäs des schwarzen Yajurveda neben den Gebeten
und Formeln enthalten, sehen wir hier ganz ab. Denn für sie gilt
dasselbe, was im folgenden Kapitel über die Brähmanas gesagt wird.
V Väj. IV, 1. VI, 12. II, 14. I, 1. III, 9. X, 23.
— 156 —
werden Opfergeräte und Opferhandlungen zu Gottheiten in Be-
ziehung gebracht. So umgürtet z. B. der Priester die am Opfer
teilnehmende Gattin des Opferers mit einem Seil, indem er sagt :
»Ein Gürtel bist du für Aditi.c Bei der Weihe zum Somaopfer
umgürtet sich der Opferer mit einem Gürtel aus Hanf und Schilf-
gras mit den Worten: »Du bist die Kraft der Angiras'), weich
wie Wolle; verleihe mir Kraft!« Dann macht er einen Knoten
in sein Unter gewand und sagt: »Der Knoten des Soma bist du.«
Hierauf umhüllt er sein Haupt mit einem Turban (oder mit seinem
Obergewand), indem er murmelt: Du bist Visnus Schirm, der
Schirm des Opferers . Und zu dem Hom einer schwarzen Anti-
lope, welches er in den Saum seines Gewandes wickelt, spricht
er: Du bist Indras Mutterschofs.« Die Opferspeisen nimmt der
Priester vom Wagen mit den Worten: »Du bist der Leib des
Agni, dich für Visnu, Du bist der Leib des Soma, dich für
Visnu.» Wenn der Priester irgendein Opfergerät in die Hand
nimmt, so tut er dies mit der oft wiederkehrenden Formel: »Auf
Gott Savitars Anregung nehme ich dich mit den Armen der
A§vins, mit den Händen des Püsan.« ')
Das heilige Opferfeuer mufs nach uralter Weise mit dem
Feuerbohrer 3) gequirlt werden; und die Hervorbringung des
Feueis wird schon im Rigveda mit dem Zeugungsvorgang ver-
glichen, indem das untere Brettchen als die Mutter, der obere
Reibstock als der Vater des Kindes Agni (des Feuers) angesehen
wird-*). So erklären sich die Formeln, mit denen die Feuer-
quirlung beim Somaopfer vollzogen wird, in welchen die beiden
Reibhölzer als das uns schon bekannte Liebespaar Purüravas und
') Die alten Feuer- und Zauberpriester, als halbgöttliche Wesen
gedacht.
') Väj. I, 30. IV, 10. V, 1. VI, 30.
5) Derselbe besteht aus den zwei » Ara^is« oder Reibhölzern, von
denen das eine ein Brettchen ist, das andere ein zugespitzter Stock,
welcher in dem Brettchen so lange herumgedreht wird, bis eine Flamme
entsteht. Es ist dies das bei vielen Naturvölkern, z. B. den Eskimos,
noch heute gebrauchte Feuerzeug, ohne Zweifel eines der primitivsten
Geräte der Menschheit.
♦) Die Malaien in Indonesien bezeichnen noch heute das Holz-
brettchen, in welchem der Feuerquirl herumgedreht wird, als " Mutter«
oder »Weib«, während sie den Quirl selbst -Mann« nennen. Auch
die alten Araber hatten zum Feuerreiben zwei Hölzer, von denen das
eine weiblich, das andere männlich gedacht wurde.
-r 157 —
Urva§i *), welche den Äyu erzeugen, angesprochen werden. Der
Priester nimmt das untere Reibholz mit den Worten: »Du bist
Agnis Geburtsstätte,« legt zwei Halme von heiligem Gras
darüber und sagt: »Ihr seid die beiden Samenergiefser (testiculi).«
Dann legt er das Brettchen hin mit den Worten: »Du bist
Urvasi,« berührt die Schmalzpfanne mit dem Quirlstock, indem
er sagt: »Du bist Äyu,« und steckt mit den Worten: »Du bist
Purüravas,« den Quirlstock in das untere Reibholz. Darauf quirlt
er mit den Sprüchen: »Ich quirle dich mit dem Gäyatrimetrum,
ich quirle dich mit dem Tristubhmetrum, ich quirle dich mit dem
Jagatimetrum.« ")
Man darf in der Erwähnung der Metren in den letzten
Sprüchen nicht etwa eine tiefe Symbolik suchen. Es sind Worte,
nichts als Worte, die ihren Zweck ebensogut erfüllen, wie es
irgendwelche andere Worte tun würden. Und formelhafte
Wendungen der Art, die wenig oder gar keinen Sinn geben,
sind im Yajurveda überaus zahlreich. Verhältnismäfsig selten
stofsen wir auf lange Prosagebete, in denen der Opferer in
schlichten Worten der Gottheit seine Wünsche kundgibt, wie in
dem bereits oben angeführten schönen Gebet, welches beim Pferde-
opfer gesprochen wurde. Häufiger sind schon formelhafte Gebete,
die aber immerhin noch einen guten Sinn geben, wie die folgenden :
»Du, Agni, bist der Schützer der Leiber; schütze meinen LeibI
Du, Agni, bist der Spender des Lebens; spende mir Leben! Du,
Agni, bist der Geber der Kraft; gib mir Kraft! Du, Agni, mache ganz,
was an meinem Körper mangelhaft ist.« (Väj. III, 17.)
»Es gedeihe das Leben durch das Opfer! Es gedeihe der Atem
durch das Opfer! Es gedeihe das Auge durch das Opfer! Es gedeihe
das Ohr durch das Opfer! Es gedeihe der Rücken durch das Opfer!
Es gedeihe das Opfer durch das Opfer!« (Väj. IX, 21.)
Aber noch häufiger finden wir endlose Formeln, bei denen
der Sinn schon mehr nebensächlich ist, z. B. :
»Agni hat mit dem einsilbigen (Wort) den Atem gewonnen; möge
ich iixn gewinnen! Die Asvins haben mit dem zweisilbigen die zwei-
füfsigen Menschen gewonnen, möge ich sie gewinnen! Vis^u hat mit
dem dreisilbigen die drei Welten gewonnen, möge ich sie gewinnen!
Soma hat mit dem viersilbigen das vierfüfsige Vieh gewonnen; möge
ich es gewinnen! Püsan hat mit dem fünfsilbigen die fünf Weltgegenden
•) S oben S. 90 f.
») Väj. V, 2. Satapatha-Brähmaija III, 4, 1, 20 ff.
— 158 —
gewonnen ; möge ich sie gewinnen ! Savitar hat mit dem sechssilbigeu
die sechs Jahreszeiten gewonnen; möge ich sie gewinnen! Die Maruts
haben 'mit dem sieben silbigen die sieben gezähmten Ti^re gewonnen;
möge ich sie gewinnen! Brhaspati hat mit dem achtsilbigen die
GäyatrI gewonnen; möge ich sie gewinnen! . . . Aditi hat mit dem
sechzehnsilbigen den sechzehnfachen Stoma gewonnen; möge ich ihn
gewinnen! Prajäpati hat mit dem siebzehnsilbigen den siebzehnfachen
Stoma gewonnen; möge ich ihn gewinnen!« (Väj. IX, 31—34.)
Was aber ganz besonders dazu beiträgt , dafs uns diese
Gebete und Opferformeln oft nur als eine sinnlose Anhäufung
von Worten erscheinen, ist die im Yajurveda so sehr beliebte
Gleichsctzung und Zusammenstellung von Dingeti, die gar nichts
miteinander zu tun haben. Da wird z, B. ein Kochtopf mit den
Worten aufs Feuer gesetzt:
Du bist der Himmel, du bist die Erde, du bist der Kessel des
Mätarisvan.«') (Vaj. I, 2.)
Oder die Kuh, mit welcher der Soma gekauft wird, spricht
der Priester mit den Worten an:
»Du bist der tiedanke, du bist der Geist, du bist der Verstand,
du bist der Opferlohn, du bist zur Herrschaft geeignet, du bist zum
Opfer geeignet, du bist die doppelköpfige Aditi.' (Vaj. IV, 19.)
An das Feuer, welches bei der Feueraltarschichtung in der
Pfanne herumgetragen wird, ist folgendes Gebet gerichtet:
»Du bist der schönbeschwingte Vogel, der Preisgesang Trivrt ist
dein Kopf, die Gäyatramelodie dein Auge, die beiden Melodien Brhat
und Rathantara sind deine Flügel, der Preisgesang ist deine Seele, die
Metren sind deine Glieder, die Yajusformeln dein Name, die Väma-
devyamelodie dein Körper, die Yajnäyajniyamelodie dein Schwanz, die
Feuerherde sind deine Hufe ; du bist der schönbeschwingte Vogel, geh
zum Himmel, flieg zum Licht !< (Väj. XII, 4 )
Dann macht der Priester mit der Feuefpfanne drei Schritte
und spricht:
'Du bist der die Nebenbuhler vernichtende Scliritt des Visiju; be-
steige das Gäyatrimetrum, schreite die Erde entlang! Du bist der die
Nachsteller vernichtende Schritt des Visiju; besteige dasTristubhmetrum,
schreite die Luft entlang! Du bist der die Gehässigen vernichtende
Schritt des Visnu; besteige das JagatImetrum , schreite den Himmel
') Mätarisvan ist hier der Windgott, daher ^der Kessel des M." so
viel wie »Luftraum.
- 159 —
entlang ! Du bist der die Feindseligen vernichtende Schritt des Visiyu ;
besteige das Anustubhmetrum , schreite die Weltgegenden entlangl«
(Vaj. XII, 5.)
Mit Bezug auf diese Art von Gebeten sagt Leopold
von Schroeder: »Man möchte oft geradezu daran zweifeln, ob
man es noch mit verständigen Menschen zu tun hat, und es ist
in dieser Hinsicht recht interessant, zu beobachten, dals in den
schriftlichen Aufzeichnungen von Personen im Stadium des
Schwachsinns gerade die öden und einförmigen Variationen
ein und desselben Gedankens besonders charakteristisch sind.«
Er gibt dann einige von Irrenärzten aufbewahrte Aufzeichnungen
von Geisteskranken, die in der Tat eine auffallende Ähnlichkeit
mit vielen der Gebete des Yajurveda zeigen'). Wir dürfen eben
nicht vergessen, dafs wir es hier nicht mit uralten, volkstümlichen
Zauberformeln zu tun haben, wie wir sie im Atharvaveda und
teilweise ja auch noch im Yajurveda finden, sondern mit den
Machwerken von Priestern, welche die von ihnen ausgeklügelten
unzähligen Opferriten mit ebenso zahllosen Sprüchen und Formeln
ausstatten mufsten.
Manche Gebetformeln des Yajurveda sind allerdings nichts
anderes als Zaubersprüche in Prosa. Selbst Beschwörungen und
Flüche, ganz ähnlich denen, die wir im Atharvaveda kennen ge-
lernt haben, begegnen uns auch unter den Gebeten des Yajurveda.
Denn es gibt auch Opferhandlungen, durch die man einem Feinde
schaden kann. So sagt der Priester zu dem Joch des Wagens,
auf dem die Opfergeräte sich befinden: »Ein Joch bist du; unter-
joche den Unterjochenden, unterjoche den, der uns unterjocht,
unterjoche den, den wir unterjochen.« (Väj. I, 8.) '') Folgende
Beispiele von solchen Opfergebeten gibt L. von Schroeder 3) aus
der Maiträyanl-Samhitä :
"Welcher Mensch uns feindlich ist, und welcher uns hafst, welcher
uns schmäht und schadi^n will, alle die sollst du zu Staub zerreiben!«
»O Agni, mit deiner Glut glühe los gegen den, welcher uns hafst,
und welchen wir hassen! O Agni, mit deiner Flamme brenne los gegen
') L. V. Schroeder, Indiens Literatur und Kultur, S. 113 f.
*) Zugleich ein Beispiel der in den Yajusformeln sehr beliebten
Wortspiele. Der Text lautet: dhür asi, dhürva dhürvantam, dhürva
tarn yo 'smän dhürvati, tarn dhüi-va yarn dhürvämah.
5) Indiens Literatur und Kultur, S. 122.
— 160 —
den, welcher uns halst, und welchen wir hassen O Agni, mit deinem
Strahl strahle gegen den, welcher uns hafst, und welchen wir hassen!
O Agni, mit deiner packenden Kraft packe den. welcher uns hafst, und
welchen wir hassen!«
»Der Todesgott, das Verderben soll die Nebenbuhler ergreifen!«
So wie diese Beschwörungsformeln etwas Urwüchsiges und
Volkstümliches an sich haben, so finden wir auch unter den
Rätseln, die uns im Yajurveda erhalten sind, neben echt
theologischen Rätseln, die den technischen Namen »Brahmodya«
wohl verdienen, da sie eine Bekanntschaft mit dem Brahman
oder dem heiligen "Wissen voraussetzen, auch einige alte volks-
tümliche Rätsel. Wir haben diese gewifs sehr alte Litteratur-
gattung bereits im Rigveda und im Atharvaveda kennen gelernt.
Im Yajurveda lernen wir auch die Gelegenheiten kennen, bei
denen die Rätselspiele üblich waren, ja, sogar einen Teil des
Kultes bildeten. So finden wir in der Väjasaneyi - Samhitä im
XXIII. Abschnitt') eine Anzahl von Rätseln, mit denen sich die
Priester bei dem altberühmten Pferdeopfer unterhielten. Einige
derselben erinnern an unsere Kinderrätsel, während andere sich
auf die Opfermystik der Brähmanas und die Philosophie der
Upanisads beziehen. Als Beispiele seien die Rätsel von
Väj. XXIIl, 45-48, 51 ff. angeführt:
Der Hotar: "Wer wandelt einsam seinen Weg?
Wer wird von neuem stets geboren?
Was ist für Kälte die Arznei?
Wie heifst das grolse Korngefäfs?«
Der Adhvaryu: »Die Sonne wandelt einsam ihren Weg,
Der Mond wird immer wieder neu geboren.
Das Feuer ist für Kälte die Arznei,
Die Erde ist das grofse Korngefäfs.«^
Der Adhvaryu: »Was ist das sonnengleiche Licht?
Wie he'ifst die Flut, die gleich dem Meere?
Und was ist grölser als die Erde?
Was ist's, wovon kein Mafs man kennt?«
Der Hotar: »Das Brahman') ist das sonnengleiche Licht,
Der Himmel ist die Flut, die gleich dem Meere,
Und grölser als die Erde ist Gott Indra,
Doch ist's die Kuh, von der kein Mafs man kennt.«
') Ähnlich auch in der Taittiriya- Samhitä VII, 4, 18.
*) Dieses vieldeutige Wort bedeutet hier wahrscheinlich »das
Priestertum«, vielleicht »das heilige Wissen-
-^ 161 ~
Der Udgätar: »^In welche Dinge ist der Purusa gedrungen?
Und welche Dinge sind im Purusa enthalten?
Dies Rätsel, Brahman, gebe ich dir auf zur Lösung;
Was hast du nun zur Antwort drauf zu sagen?
Der Brahman: »Die Fünfe sind's, in die der Purusa gedrungen,
Und ebendiese sind im Purusa enthalten ).
Das ist's, was ich als Antwort dir ersonnen habe;
An Wunderkraft des Wissens bist du mir nicht über.«.
Diese Rätselspiele bilden einen ebenso wichtigen Bestandteil
der Götterverehrung wie die Gebete und Opferformeln. Freilich
ist mit dem Worte »Götterverehrung« der Zw6ck der Gebete
und Formeln, ja, der Opfer selbst nur ungenügend bezeichnet.
Die Mehrzahl der- Opferzeremonien wie der Yajusformeln hat
nicht den Zweck, die Götter zu »verehren«, sondern sie zu beein-
flussen, sie zu zwingen, dafs sie die Wünsche des Opferers er-
füllen. Und auch die Götter lieben »panem et circenses« , auch
sie wollen nicht nur gespeist, sondern auch unterhalten werden;
dafs aber die Götter an dem Geheimnisvollen, dem Rätselhaften,
dem blofs Angedeuteten ein besonderes Vergnügen finden, ver-
sichern uns die vedischen Texte sehr oft ^).
Im Yajurveda finden wir auch schon eine Art der Götter-
beeinflussung, die in spätierer Zeit ungemein überhandgenommen
hat, und die darin besteht, dafs man, um von einem Gott etwas
zu erlangen, möglichst viele Namen und Beiwörter des Gottes
aneinanderreiht und ihm unter allen diesen Namen seine Ver-
ehrung bezeigt. So finden wir in der späteren Litteratur Texte,
welche tausend Namen des Visnu oder tausend Namen des Siva
aufzählen, und deren Rezitation als ein besonders wirkungsvolles
und verdienstliches Andachtswerk gilt. Die ersten Anfänge dieser
Art von Gebeten finden wir im fi a t a r u d r i y a . der Aufzählung
') Purusa bedeutet »Mensch«, »Person« und auch «Geist«, »Welt-
geist». >Die Fünfe" sind die fünf Sinne, welche im Purusa, d. h. »im
Menschen^, enthalten und vom Purusa, d.h. »dem Weltgeist«, durch-
drungen sind.
*) »Die Götter lieben das Angedeutete, das Geheimnisvolle«, ist
ein in den Brähma^as oft wiederkehrender Satz, z. B. Satapatha-Bräh-
mana VI, 1, 1, 2; 11; 2, 3; 7, 1, 23. VIT, 4, 1, 10 etc Brhadaraijyaka-
Upanisad IV, 2, 2: "Die Götter lieben das versteckt- Angedeutete und
hassen das direkt Gesagte.«
Winternitz, Geschichte der indischen L ittt-ratur. 11
— 162 -
der hundert Namen des Gottes Rudra, im XVI. Abschnitt der
Väjasaneyi-Samhitä und in der Taittirlya-Samhitä IV, 5.
. Endlich gibt es noch eine Art von »Gebeten« — wie man
sie doch wohl nennen mufs — , die uns schon im Yajurveda be-
gegnen, und mit denen gleichfalls in späterer Zeit viel Unfug
getrieben wurde. Es sind das nämlich einzelne Silben oder Worte,
die gar keinen Sinn geben, oder deren Sinn abhanden gekommen
ist , die an gewissen Stellen der Opferhandlung in feierlichster
Weise ausgesprochen werden und für ungemein heilig gelten.
Da ist vor allem der Opferruf svähä, den wir gewöhnlich mit
»Heil« übersetzen, mit dem man jede Spende für die Götter ins
Feuer wirft, während der Ruf s v a d h ä bei Opferspenden für die
Manen verwendet wird. Andere ganz unverständliche Ausrufe
der Art sind vasat, vet, vät, vor allem aber die hochheilige
Silbe om. Diese Silbe, ursprünglich nichts anderes als eine Be-
jahung '), galt den Indern Jahrtausende hindurch und gilt noch
bis zum heutigen Tage als ungemein heilig und voll von mystischer
Bedeutung. In den Upanisads wird sie mit dem Brahman, der
Weltseele, gleichgesetzt und dem Weisen als höchster Gegenstand
der Meditation empfohlen; die Katha-Upanisad (II, 16) sagt von
ihr: »Diese Silbe ist ja das Brahman, diese Silbe ist das Höchste;
denn wer Miese Silbe kennt, dem geht in Erfüllung, was immer
er sich wünscht.« Und an diese Silbe om schliefsen sich die
drei »grofsen Worte« (mahä-vyährti) an, nämlich bhür, bhuvah,
svar (von den Indern als »Erde, Luft, Himmel« ei-klärt, was
aber zweifelhaft ist), von denen es in einem alten Text '^) heilst :
»Dies fürwahr ist das Brahman, dies die Wahrheit, dies das
Recht; ohne diese gibt es kein Opfer.«
Jahrhunderte später hat in den Tantras, den religiösen
Büchern neuerer indischer Sekten, der Gebrauch solcher mystischer
Silben und Worte so überhandgenommen , dafs wir oft seiten-
') Nach Aitareya-Brähraana VII, 18 bedeutet om in der für die
Götter gebrauchten Sprache dasselbe, was mit tathä, »so sei es«, »ja-s
unter den Menschen ausgedrückt wird. Ebenso heifst es Chändogya-
Upanisad I, 1, 8: * Diese Silbe om drückt Zustimmung aus, denn wenn
einer zu etwas zustimmt, sagt er: ,om'.'' Mit dem hebräischen »amen«
stimmt die Silbe om wohl nur i^ein zufällig dem Sinne wie dem Laute
nach ein wenig überein.
^) Maiträyani-Samhitä I, 8, 5.
-- 163 -
lang nichts als unartikulierte Laute, wie um, am, hrim, üni, eni,
krom, pbat, ah u. s, w. finden. Bezeichnend ist es auch, dafs das
Wort M antra, welches ursprünglich die Verse und Gebete (rc
und yajus) der vedischen Samhitäs bezeichnete, späterhin nur
mehr die Bedeutung »Zauberformel« hatte. Wir können im Yajur-
veda bereits diesen Übergang vom Gebet zur Zauberformel — streng
geschieden waren ja die beiden niemals — sehr gut verfolgen.
Und so öde und langweilig, so unerquicklich die Yaiurveda-
Samhitäs sind, wenn man sie als Litteraturwcrke lesen will, so
überaus wichtig, ja, interessant sind sie für den Religionsforschcr,
der sie als Quellenwerke nicht nur für die indische, sondern auch
für die allgemeine Religionswissenschaft studiert. Wer den
Ursprung, die Entwicklung und die religionsgeschichtliche Be-
deutung des Gebetes ergründen will — und es gehört dies zu
den interessantesten Kapiteln der Religionsgeschichte — , der sollte
auf keinen Fall versäumen, sich mit den Gebeten des Yajurveda
bekannt zu machen.
Aber auch für das Verständnis der ganzen späteren religiösen
und philosophischen Litteratur der Inder sind diese Samhitäs un-
entbehrlich. Ohne den Yajurveda können wir nicht die Brähmanas
und ohne diese nicht die Upanisads verstehen.
Die Brähmanas ^).
Von den Bnähmanas, der zweiten grofsen Klasse von \\ crken,
die zum V\'da gehören, sagt Max Müller einmal: *So interessant
auch die Brähmanas für den Forscher auf dem Felde der indischen
Litteratur sein mögen, von so geringem Interesse sind dieselben
für das allgemein gebildete Publikum. Der Hauptinhalt derselben
ist einfach Gefasel und — was noch weit .schlimmer — theologisches
Gefasel. Niemand , der nicht von vornherein die .Stelle kennt,
welche die Brähnrmnas in der Geschichte des mdischen Geistes
einnehmen, könnte über zehn Seiten hinauslesen, ohne das Buch
zuzuschlagen.« ''^) In der Tat gilt von diesen Werken noch mehr
als vom Yajurveda, dafs sie als Lektüre ungeniefsbar, aber zum
') Vgl. L. von Schrot-der, Indiens Literatur und Kultur, Leipzii?
1S87, S. 127-167, 179-1*^0. Sylvaiii L('vi, La doctrine du sacritice
dans les Brähmanas i'Bibliotheque de l'ecole di-s hautes etudes),
Paris 1898.
*) Essays von Max MülKr 1 (Leipzig 1869) 'S. 105.
11*
- 164 —
Verständnis der ganzen späteren religiösen und philosophischen
Litteratur der Inder unentbehrUch und ftir die allgemeine Religions-
wissenschaft von höchstem Interesse sind. Wie die Sarnhitäs des
Yajurveda für die Geschichte des Gebetes so sind die Brähmanas
für die Geschichte des Opferwesens und des Priest er tu ms
dem Religionsforscher ganz unschätzbare Quellen.
Das Wort Brähmana") (neutr.) bedeutet zunächst eine
einzelne »Erklärung oder Äufserung eines gelehrten Priesters,
eines Doktors der Opferwissenschaft über irgendeinen Punkt des
Rituals«, Kojlektivisch gebraucht, bezeichnet das Wort dann
eine Sammlung von solchen Aussprüchen und Erörterungen der
Priester über die Opferwissenschaft. Denn wenn auch die Bräh-
manas glücklicherweise mancherlei enthalten, was zum Opferdienst
nur eine entfernte Beziehung hat, wie kosmogonische Mythen,
alte Sagen und Erzählungen, so ist doch das Opfer das eine und
einzige Thema, von welchem alle Erörterungen ausgehen, um
welches sich alles dreht. Und zwar behandeln die Brähmanas
der Reihe nach die grofsen Opfer, die wir oben nach dem Inhalt
der Väjasaneyi-Samhitä kennen gelernt haben ), geben Vorschriften
über die einzelnen Riten und Zeremonien, knüpfen daran Be-
trachtungen über die Beziehungen der einzelnen Opferhandlungen
zueinander und zu den teils im Wortlaut, teils abgekürzt an-
geführten Sprüchen und Gebeten^). Daran schliefsen sich
symbolische Deutungen und spekulative Begründungen der Zere-
monien und ihrer Verbindung mit den Gebetformeln. Wo, wie
das oft der Fall ist, die Ansichten der Gelehrten über Einzel-'
heilen des Rituals auseinandergehen, wird die eine Ansicht ver-
teidigt, die andere verworfen. Auch von Verschiedenheit der
Zeremonien in verschiedenen Gegenden ist zuweilen die Rede,
') Die Ableitung des Wortes ist zweifelhaft. Es kann entweder
von brähman (neutr.J in dem Sinne »heilige Rede, Gebet, heiliges
Wissen« oder von brahmän (masc.) »Priester« überhaupt oder »Brah-
manpriester« oder auch von brähina^a (masc.) »der Brahmane, der
Angehörige der Priesterkaste, der Theologe« abgeleitet werden.
>) S. 150-154.
5) Der älteste Name für »Brähmana« ist bandhu "Verbindung»,
was darauf hindeutet, dafs der Hauptzweck der Erörterungen der
Brähmanas ursprünglich der war, die Verbindung zwischen Opfer-
handlung und Gebet zu erklären. (A. Weber, Indische Literatur-
geschichte, zweite Aufl., S. 12.)
— 165 —
ebenso von Modifikationen gewisser Opferriten unter besonderen
Umständen. Es wird nie versäumt, bei jeder Opferhandlung
genau anzugeben, worin der Priesterlohn, die Dafcsinä, zu bestehen
hat. Ebenso wird dem Opferer auseinandergesetzt, was für
Vorteile, sei es in diesem Leben oder im Jenseits, er durch die
verschiedenen Opferriten erringen kann. Kurz, wenn es gestattet
ist, das\y"ort »Wissenschaft« auf theologisches Wissen anzuwenden,
so können wir die Brähmanas am besten als Texte bezeichnen,
welche die »Opferwissenschaft? behandeln.
Es mufs sehr viele solche Texte gegeben haben. Das ver-
sichern uns die Inder selbst, und das bestätigen auch die vielen
Zitate aus verloren gegangenen Brähmanas, die wir in unseren
Texten finden. Aber auch die Zahl der noch erhaltenen Bräh-
manas ist keineswegs gering, und sie gehören fast alle zu den
umfangreicheren Werken der indischen Litteratur. Nach den
vier vedischen Samhitäs, die wir kennen gelernt haben, unterschied
man, wie wir wissen, die vier Vedas, und zu jedem derselben
gehören gewöhnlich mehrere Brähmanas, die aus verschiedenen
Schtden (Säkbäs) hervorgegangen sind. Wir haben gesehen,
dafs schon die Samhitäs des schwarzen Yajurveda neben den
Mantras oder Gebeten auch Aussprüche und Erörterungen über
Zweck und Sinn des Opfers enthielten. In diesen Brähmana-
artigen Bestandteilen der Yajurveda - Samhitäs werden wir den
Anfang der Brähmanalitteratur zu sehen haben. Ebendiese
Anleitungen zur \'oüziehung der Opferzeremonien und die Er-
örterungen über den Sinn des Rituals, weiche in den Samhitäs
des schwarzen Yajurveda unmittelbar an die Mantras selbst an-
geknüpft wurden, machte eine vedische Schule nach der andern
zum Gegenstand eigener Werke. Und bald galt es als Regel,
dafs jede vedische Schule auch ein Brähmana besitzen müsse.
Daher erklärt sich einerseits die grofse Zahl der Brähmanas und
anderseits der Umstand, dafs manche Werke als Brähmanas be-
zeichnet wurden, die weder nach ihrem Inhalt noch nach ihrem
Umfang diesen Namen verdienen, und die zu den spätesten Er-
zeugnissen der vedischen Litteratur gehören. Von der Art sind
viele sogenannte » Brähmanas c des Sämaveda, die nichts anderes
als Vedähgas') sind, ebenso das zum Atharvaveda gehörige
') Vgl über diese S. 229 ff.
— 166 —
Gopatha-Brähmana, Das letztere ist eines der spätesten
Werke der ganzen vedischen Litteratur. Es hat offenbar zum
Atharvaveda in alter Zeit gar kein Brähmana gegeben. Erst
eine spätere Zeit, die sich einen Veda ohne ein Brähmana nicht
denken konnte, hat dann diese Lücke auszufüllen versucht').
\''oa den alten Brähmanas seien die wichtigsten hier auf-
gezählt.
Zum Rigveda gehört das iVitareya-Brähmäna. Es be-
steht aus- 40 Adhyäyas oder »Lektionen <, die in acht Paficakas
oder »Fünftel« eingeteilt s-nd. Die Überlieferung bezeichnet
Mahidäsa Aitareya als den Verfasser des Werkes. In Wirklichkeit
war er Vv'ohl nui der Ordner oder Herausgeber desselben. Dieses
Brähmana behandelt hauptsächlich das Somaopfer, daneben nur
noch das Feueropfer (Agnihotra) und das Fest der Königsweihe
(Rajasüya). Man vermutet, dafs die letzten zehn Abschnitte
jüngeren Ursprungs sind^.
Mit diesem Brähmana aufs engste verwandt ist das ebenfalls
zum Rigveda gehörige Kausitaki- oder Sänkhäy a na-Bräh-
mana, aus 30 Adhyäyas oder -^Lektionen« bestehend. Die
ersten sechs Adh)^äyas behandeln die Speiseopfer (Feueranlegung,
Feueropfer, Neu- und \ ollmond-^opfer und die Jahreszeitenopfer),
während die Abschnitte VII bis XXX in ziemlicher Überein-
stimmung mit dem Aitareya- Brähmana das Somaopfer behandeln').
Zum Sämaveda gehört das Tändya-Mahä Brähmana.
auch Pancavimsa, d. h. *das aus fünfundzwanzig Büchern be-
stehende Brähmana«, genannt. Es ist dies eines der ältesten
Brähmanas und enthält manche wichtige alte Sagen, Von be-
sonderem Interesse sind die in demselben vorkommenden Vrätya-
stomas. Opferzeremonien, durch welche Angehörige wildlebender,
vermutlich nicht-arischer Stämme in die Brahmanenkaste auf-
genommen wurden''). Das Sad vimsa-ßrähmana, d.h. ^das
') Ausführlich handelt über das Gopatha- Brahma^ M. Bloomfield,
The Atharvaveda ('Grundrifs« II, 1 B) S. lOL-124.
') Herausgegeben und ins Englische übersetzt von Martin Haug,
Bombay 1863. Eine viel bessere Ausgabe mit Auszügen aus Säyapa 's
Kommentar '/on Th. Aufrecht, Bonu 1879.
5) Herausgegeben ist das Kausitaki Brähmana von B. Lindner.
Jena 1887.
*) Weber, Indische Literaturgeschichte, S. 73 f., beziehfdiese
— 167 —
sechsundzwanzigste Brähmana«, ist blofs eine Ergänzung zu dem
aus fünfundzwanzig Büchern bestehenden Tändya. Der letzte Teil
des Sadvimsa ist das sogenannte »Adbhuta - Brähmana« , ein
Vedängatext über Wunder und Vorzeichen. Das zum Sämaveda
gehörige JaiminTya-Brähmana ist nur teilweise bekannt').
Das Taittiriya-Brähmana, das zum schwarzen Yajur-
veda gehört, ist nichts and.eres als eine Fortsetzung der Taittirlya-
Samhitä"). In den Samhitäs des schwarzen Yajurveda waren ja
die Brähmanas schon eingeschlossen. Das Taittiriya-Brähmana
enthält daher nur spätere Nachträge zur Samhitä. Wir finden
hier erst den Purusamedha, das symbolische »Menschenopfer«^),
beschrieben ; und dafs dieses Opfer in der Samhitä fehlt, ist einer
der vielen Beweise dafür, dafs dasselbe erst ein ziemlich spätes
Erzeugnis der Opferwissenschaft ist.
Zum weifsen Yajurveda gehört das Öatapatha-Brähmana,
»das Brähmana der hundert Pfade«, so genannt, weil es aus
hundert Adhyäyas oder »Lektionen« besteht. Es ist dies das
bekannteste, umfangreichste und ohne Zweifel auch durch seinen
Inhalt bedeutendste aller Brähmanas ♦). Wie von der Väjasaneyi-
Samhitä gibt es auch von diesem Brähmana zwei Rezensionen,
Opfer auf '^ arische, aber nicht brahmanisch lebende Inder«. Die Be-
schreibung der Vrätyas pafst aber besser auf nicht-arische Stämme,
Vgl. auch oben S. 130 und Aufrecht, Indische Studien I, 138 f.
') Eine Ausgabe des Tändya -Mahä- Brähmana erschien in der
Bibliotheca Indica, Calcutta 1870—1874. Ein Stück des Sa^virnsa hat
Kurt Klemm herausgegeben und übersetzt (Das Sadvim^abrähraaija,
mit Proben aus Säyaijas Kommentar nebst einer Übersetzung, I,
Gütersloh 1894). Das Adbhuta -Brähmaija hat A. Weber heraus-
gegeben und übersetzt in der Abhandlung «Zwei vedische Texte über
Omina und Portenta« (Abhandlungen der Berliner Akademie der
Wissenschaften, 1858). Teile des Jaiminiya-Brähmana hat Hans Oe r tel
im XIV., XV. und XVIII. Band des Journal of the American Oriental
Society bekannt gemacht.
^) Eine Ausgabe erschien in der Bibliotheca Indica, Calcutta
1855-1890.
3) S. oben S. 152 f.
*) Herausgegeben wurde der Text von A. Weber (The White
Yajurveda. Part IL The Qatapatha- Brähmana. Berlin and London
1855). Eine ausgezeichnete englische Übersetzung mit wichtigen Ein-
leitungen und Anmerkungen hat Julius Eggeling in fünf Bänden
gegeben (Sacred Books of the East, Vols. 12, 26, 41, 43 und 44).
— 168 — .
die der Känvas und die der Mädhyandinas. In der letzteren
sind die hundert Adhyäyas auf XIV Bücher (Kändas) verteilt.
Die ersten neun Bücher sind geradezu ein fortlaufender Kommentar
zu den ersten achtzehn Abschnitten der Väjasaneyi-Samhitä. Sie
sind entschieden älter als die fünf letzten Bücher. Wahrschein-
lich gehören auch die Bücher I bis V enger zusanunen. In ihnen
wird Yäjnavalkya, der am Ende des XIV. Buches als der
Verkünder des ganzen Satapatha-Brähmana bezeichnet wird, oft
als der Lehrer genannt, dessen Autorität mafsgebend ist. Hin-
gegen wird in den Büchern VI bis IX, welche die Feueraltar-
schichtung (Agnicayana) behandeln, Yäjfiavalkya gar nicht genannt.
Statt dessen wird ein anderer Lehrer, Sändilya, als Autorität
angeführt; -und derselbe Sändilya gilt auch als der Verkünder
des Agnirahasya, d, h. des »Feueraltarmysteriums«:, welches den
Inhalt des X. Buches bildet. Die Bücher XI bis XIV enthalten
aufser Nachträgen zu den vorhergehenden Büchern auch einige
interessante Abschnitte über Gegenstände, die sonst nicht in den
Brähmanas behandelt werden, so über das Upanayana, die
Schülerweihe oder die Einführung des Schülers beim Lehrer, der
ihn in den heiligen Texten unterrichten soll (XI, 5, 4), über das
tägliche Vedastudium (svädhyä5^a) ') , welches als ein Opfer
an Gott Brahman aufgefafst wird (XI, 5, 6 — 8), und über die
Leichenzeremonien und die Errichtung eines Grabhügels
(XIII, 8). Das Pferdeopfer (Asvamedha), das »Menschenopfer«
(Purusamedha) und das >. Allopfer« (Sarvamedha) werden im
XIII. und die Pravargya Zeremonie im XIV. Buche behandelt.
Den Schlufs dieses umfangreichen Werkes bildet die alte und
wichtige Brhadäranyaka-Upanisad , die wir im nächsten Kapitel
kennen lernen werden.
Der Unterschied zwischen den Brähmanas, die zu den ein-
zelnen Vedas gehören, besteht hauptsächlich darin, dafs die Bräh-
manas des Rigveda bei der Darstellung des Rituals das hervor-
heben, was für den Hotarpriester, der die Verse und Hymnen des
Rigveda zu rezitieren hat, von Wichtigkeit ist, während
die Brähmanas des Sämaveda sich vor allem mit den Obliegen-
') Das "Lernen« oder Rezitieren des Veda als eine religiöse
Pflicht bei den Indern hat eine genaue Parallele in dem Thoralesen
oder »Lernen* der Juden.
- 169 -
heilen des Udgätar und die des Yajurveda mit den vom Adhvaryu
zu vollziehenden Opferhandlungen beschäftigen. Ihrem wesent-
lichen Inhalte nach stimmen aber die Brähmanas so ziemlich alle
miteinander überein. Es sind im Grunde immer dieselben Gegen-
stände, welche da behandelt werden; und der Charakter aller
dieser Werke trägt ein und dasselbe Gepräge. Es ist dies um
so auffälliger, als wir doch gezwungen sind, einen Zeitraum von
mehreren Jahrhunderten für die Entstehung und Ausbreitung
dieser Litteratur anzunehmen. Wenn wir der Überlieferung
glauben dürften, welche in den sogenannten Vamsas*) oder
»Genealogien« Lehrerstammbäume mit 50 bis 6Ö Namen aufführt,
so würde nicht einmal ein Jahrtausend genügen, um alle die
Generationen von Lehrern, deren Namen genannt werden, unter-
zubringen. Diese Genealogien haben zwar den Zweck, den Ur-
sprung der Opferlehre auf irgendeine Gottheit — Brahman, Prajä-
pati oder die Sonne — zurückzuführen, aber sie enthalten auch
so viele Namen, welche durchaus den Anschein von echten
Familiennamen haben, dafs es schwer ist, sie für ganz und gar
erfunden zu halten. Aber selbst wenn wir von diesen Lehrer-
listen ganz absehen, so bleiben doch noch immer die zahlreichen
Namen von Lehrern, welche in den Brähmanas selbst als Autori-
täten angeführt werden, und es bleibt die Tatsache, dafs die
Sammler und Ordner der Brähmanas die Anfänge der in ihnen
niedergelegten Opferwissenschaft in eine unendlich ferne Ver-
gangenheit verlegen. Aber auch diese Opferwissenschaft selbst
erfordert Jahrhunderte zu ihrer Entwicklung.
Wenn wir aber fragen, in welche Zeit wir diese Jahrhunderte
') Zum Sämaveda gibt es ein eigenes sogenanntes »Brähma^a',
das Vamsa-Brähmana , welches nur eine solche Liste von 53 Lehrern
enthält, deren letzter, Kasyapa, die Tradition von Gott Agni erhalten
haben soll. Im Satapatha-Brähma^a gibt es vier verschiedene Vamsas.
Die am Schlüsse des Werkes gegebene beginnt mit den Worten: »Wir
haben dies vom Sohn der Bhäradväjl, der Sohn der Bhäradväji vom
Sohn der Vätsimändavl" u. s. w. Es folgen dann noch 40 Lehrer, alle
nur mit ihren Mutternamen. Erst als der 45. in der Liste erscheint
Yäjfiavalkya, als dessen Lehrer der aus den Upanisads bekannte
Uddälaka genannt wird. Der letzte (55.) menschliche Lehrer ist
Kasyapa Naidhfuvi, welchem das Brähraaija von der Väc (der Göttin
der Rede) offenbart worden sein soll. Diese soll es von Ambhrni (der
l>)nnerstimme) und diese von Aditya (der Sonne) erhalten haben.
— 170 —
der Entwicklung der Brähmanalitteratur zu versetzen haben, so
kann von irgendwelchen bestimmten Jahreszahlen ebensowenig
die Rede sein wie bei der Bestimmung der Zeit der Samhitäs.
Sicher ist nur, dafs die Samhitä des Rigveda bereits abgeschlossen
war und die Hymnendichtung schon einer längst vergangenen
Vorzeit angehörte, als man begann, die Gebete und Opfer zum
Gegenstand einer besonderen »Wissenschaft« zu machen. Sicher
ist es wohl auch , dafs die grofse Mehrzahl der Zauberlieder,
Sprüche und Formeln des Atharvaveda und des Yajurveda
sowie die Sangweisen des Sämaveda um vieles älter sind als die
Spekulationen der Brähmanas. Hingegen ist es wahrscheinlich,
dafs die endgültige Zusammenstellung der Samhitä des
Atharvaveda und der liturgischen -Samhitäs mit den Anfängen
der Brähmanalitteratur ungefähr gleichzeitig war, so dafs die
jüngsten Bestandteile dieser Sarnhitäs mit den ältesten Bestand-
teilen der Brähmanas der Zeit nach zusammenfallen dürften.
Wenigstens deuten darauf die geographischen und kulturellen
Verhältnisse hin, wie sie sich uns in den Samhitäs des Atharvaveda,
Sämaveda und Yajurveda einerseits und den Brähmanas ander-
seits im Vergleich zu denen des Rigveda darstellen. Wir haben
gesehen, wie sich schon in der Zeit der Atharvaveda -Sarnhitä
die arischen Stämme vom Induslande, der Heimat des Rigveda,
weiter nach Osten in das Gebiet des Ganges und der Jamnä
ausgebreitet hatten. Das Gebiet, auf welches uns die Samhitäs
des Yajurveda sowohl wie alle Brähmanas hinweisen, ist das
Land der Kurus und Paiicälas, jener beiden Volksstämme,
deren gewaltige Kämpfe den Kern des grofsen indischen Epos,
des Mahäbhärata, bilden. Insbesondere gilt Kur uksetra, »das
Land der Kurus< , als ein heiliges Land , in welchem — wie es
oft heifst — die Götter selbst ihre Opferfeste feierten. Dieses
Land Kijruksetra lag zwischen den beiden kleinen Flüssen Sara-
svati und Drsadvati in der Ebene westlich von Ganges und Jamnä;
und das benachbarte Gebiet der Paficälas zog sich von Nordwesten
nach Südosten zwischen Ganges und Jamnä hin. Dieser Teil
Indiens, das Doab zwischen Ganges und Jamnä von der Gegend
von Delhi bis nach Mathurä, gilt noch in späterer Zeit als das
eigentliche »Brahmanenland« (Brahmävarta) , dessen Sitten und
Bräuche nach den brahmanischen Gesetzbüchern für ganz Indien
mafsgebend sein sollen. Es ist dies Gebiet nicht nur das Entstehungs-
~ 171 —
land der. Samhitäs des Yajurveda und der Biähmanas, sondern
auch das Stammland der ganzen brahmanischen Kultur, die sich
von hier aus erst ttber ganz Indien verbreitet hat.
Die religiösen und sozialen Verhältnisse haben sich seit der
Zeit des Rigveda sehr verändert. Wie im Atharvaveda so er-
scheinen wohl auch noch in den Yajurveda-Samhitäs und in den
Brähmanas die allen Götter des Rigveda. Aber in ihrer Bedeutung
sind sie ganz verblafsl, und alle Macht, die sie besitzen, ver-
danken sie einzig und allein dem Opfer. Auch treten manche
Götter, die im Rigveda noch eine untergeordnete Rolle spielen, in den
liturgischen Sarnhitäs und in den Brähmanas viel stärker hervor,
so Visnu und insbesondere Rudra oder §iva. Von gröfster
Bedeutung ist nun auch Prajäpati, .; der Herr der Geschöpfe <;,
der als der Vater sowohl der Götter (Devas) als der Dämonen
(Asuras) gilt. Das Wort Asura, welches im Rigveda noch,
dem avestischen Ahura entsprechend, d»e Bedeutung ;>Gott« hat
und oft als Beiname des Gottes Varuna vorkommt, hat nunmehr
die Bedeutung »Dämon«, die es im späteren Sanskrit immer hat,
und von den Kämpfen zwischen Devas und Asuras ist in den
Brähmanas oft und oft die Rede. Doch haben diese Kämpfe
nichts Titanenhaftes an sich, wie etwa der Kampf zwischen
Indra imd Vrtra im Rigveda, sondern die Götter und Asuras
bemühen sich, durch Opfer einander zu übertrumpfen. Denn in
diesen Brähmanas müssen tatsächlich auch die Götter opfern,
wenn sie es zu etwas bringen wollen. Und nichts ist bezeichnender
für die Brähmanas als die ungeheure Bedeutung, welche dem
Opfer zugeschrieben wird. Das Opfer ist hier nicht mehr ein
Mittel zum Zweck, sondern es ist Selbstzweck, ja, der höchste
Zweck des Daseins. Das Opfer ist auch eine alles überwältigende
Macht, ja, eine schöpferische Naturkraft. Darum ist das Opfer
auch mit Prajäpati, dem Schöpfer, identrsch. »Prajäpati ist das
Opfer,« lautet ein oft wiederholter Satz der Brähmanas. »Die
Seele aller W^sen, aller Götter ist dies, das Opfer.« »Wahrlich,
wer sich zum Opfer weiht, der weiht sich für das All. denn erst auf
das Opfer folgt das AU; indem er die Vorbereitungen zu dem
Opfer trifft, für weiches er sich weiht, schafft er aus sich heraus
das All« ■) Und ebenso wunderkräftig und bedeutungsvoll ist
') §at. XIV. 3. 2, 1. III, 6, 3. 1.
— 172 —
alles, was mit dem Opfer zusammenhängt, die Opfergeräte nicht
minder als die Gebete und F'ormeln, die Verse und ihre Metren,
die Gesänge und ihre Melodien. Jede einzelne Opferhandlung
wird mit gröfster Umständlichkeit behandelt ; den geringfügigsten
Umständen, den nebensächlichsten Details wird eine ungeheure
Wichtigkeit zugeschrieben. Ob eine Handlung nach links oder
nach rechts hin zu geschehen hat, ob ein Topf an diese oder
jene Stelle des Opferplatzes gestellt wird, ob ein Grashalm mit
der Spitze nach Norden oder nach Nordosten hingelegt werden
soll, ob der Priester vor oder hinter das Feuer tritt, nach welcher
Himmelsgegend er das Gesicht gewandt haben mufs, in wie viele
Teile der Opferkuchen zu zerlegen ist, ob die Butter in die
nördliche oder in die südliche Hälfte oder in die Mitte des Feuers
gegossen werden soll, in welchem Augenblick die Hersagung
irgendeines Spruches, die Absingung irgendeines Liedes zu er-
folgen hat ^), — das sind Fragen, über welche Generationen von
Meistern der Opferkunst nachgedacht haben, und die in den
Brähmanas aufs eingehendste behandelt werden. Und von der
richtigen Kenntnis all dieser Details hängt das Wohl und Wehe
des Opferers ab. »Das, ja das sind die Wälder und Wüsteneien
des Opfers, die Hunderte und Hunderte von Wagentagereisen er-
fordern; und die sich als Unwissende in sie hineinbegeben, denen
ergeht es wie törichten Leuten, die, in der Wildnis umherirrend,
von Hunger und Durst geplagt, von Bösewichten und Unholden
verfolgt werden. Die Wissenden aber begeben sich, gleichwie
v.on einem Flufslauf zum andern, von einer gefahrlosen Stelle
zur andern, von Gottheit zu Gottheit; sie erlangen das Heil, die
Himmelswelt.«'') »Die Wissenden« aber, die Führer durch die
') Eggeling (Sacred Books of the East, Vol. XII, p. X) erinnert
daran, dafs auch bei den alten Römern die Pontifices gerade dadurch
zu Macht und Einflufs gelangten, dafs sie allein sich auf alle die kleineu
und doch für ungeheuer wichtig erklärten Details des Opferzeremoniells
verstanden. Es ist im alten Rom vorgekommen, dafs ein Opfer dreifsig-
mal wiederholt werden mufste, weil irgendein kleiner Fehler bei einer
Zeremonie begangen ward ; und auch im alten Rom galt eine Zeremonie
für null und nichtig, wenn ein Wort falsch ausgesprochen oder eine
Handlung nicht ganz richtig vollzogen war, oder wenn die Musik nicht
im richtigen Moment zu spielen aufhörte. Vgl. Marquardt-Mommsen,
Handbuch der römischen Altertümer, VI, S. 172, 174, 213.
') Sat. XII, 2, 3, 12.
- 173 —
Wildnis der Opferkunst, sind die Priester, und es ist kein Wunder,
dafs die Ansprüche der Priesterkaste — denn von einer
solchen müssen wir jetzt sprechen, da das Kastenwesen bereits
vollständig ausgebildet ist — in den Brähmanas (wie ja schon
in einigen Teilen des Atharvaveda) alles Mafs übersteigen. Nun-
werden die Brahmanen offen für Götter erklärt. >Ja, die leib-
haftigen Götter sind sie, die Brahmanen.« ') Und deutlich genug
drückt sich ein Brähmana aus:
»Zweierlei Götter gibt es fürwahr, nämlich die Götter sind die
Götter, und die gelehrten und lernenden*) Brahmanen sind die Menschen-
götter. Zwischen diesen beiden ist das Opfer geteilt: die Opferspendea
sind für die Götter, die Geschenke (Daksii?äs) für die Menschengötter,
die gelehrten und lernenden Brahmanen; durch Opferspenden erfreut
er die Götter, durch Geschenke die Menschengötter, die gelehrten und
lernenden Brahmanen ; diese beiden Arten von Göttern versetzen ihn,
wenn sie befriedigt sind, in die Seligkeit des Himmels.« ^)
Vier Pflichten hat der Brahmane: brahmanische Abkunft,
dementsprechendes Betragen, Ruhm (durch Gelehrsamkeit) und
»Reifmachung der Menschen« (d. h. Darbringung von Opfern,
durch welche ,die Menschen für das Jenseits reif gemacht werden).
Aber auch die 3>reifgemachten^ Menschen haben vier Pflichten
gegen die Brahmanen : Sie müssen ihnen Ehre bezeigen, Geschenke
geben, dürfen sie nicht bedrücken und nicht töten. Das Eigentum
eines Brahmanen darf vom König unter keinen Un^ständen an-
getastet werden; und wenn ein König sein ganzes Land mit allem,
was darin ist, als Opferlohn an die Priester verschenkt, so ist
doch immer das Eigentum von Brahmanen eo ipso ausgenommen.
Wohl kann der König auch einen Brahmanen unterdrücken, aber
wenn er es tut, ergeht es ihm schlecht. Bei der Königsweihe
sagt der Priester : »Dieser Mann, ihr Leute, ist euer König ; Soma
ist der König von uns Brahmanen,« wozu das Satapatha-Brähmana
bemerkt: »Durch diese Formel macht er dieses ganze Volk zur
Speise für den König ••) ; den Brahmanen allein nimmt er aus : darum
darf der Brahmane nicht zur Speise ausgenützt werden; denn er
') Taittirlya-Samhitä 1, 7, 3, 1.
*) Wörtlich: »die gehört haben, und die (das Gehörte) nachsagen«
(rezitieren).
^) ^at. II, 2, 2, 6; IV, 3, 4, 4.
♦) D. h. der König lebt vom Volk, das ihm Steuern geben mufs.
— 174 —
hat den Soma zum König. c ') Nur ein Brahmanenmord ist
wirklicher Mord. In einem Streit zwischen einem Brahmanen
und einem Nichtbrahmanen mufs der Schiedsrichter immer dem
Brahmanen rechtgeben, denn dem Brahmanen darf nicht wider-
sprochen werden '). Alles, was aus irgendeinem Cirunde tabu ist,
was man nicht anrühren darf, sonst nicht verwenden kann, wie
z. B. die steinernen und irdenen Gefäfse eines Verstorbenen oder
eine für die Agnihotramilch bestimmte Kuh, die störrisch oder
krank wird, mufs dem Brahmanen gegeben werden, namentlich
auch Opferreste und Speisen, die für andere tabu sind, denn »dem
Bauch eines Brahmanen schadet nichts« ^).
So kommt es schliefslich dahin, dafs der Brahmane nicht
mehr ein »Menschengott« neben den himmlischen Göttern ist,
sondern dafs er sich über die Götter erhebt. Schon im Satapatha-
Brähmana") heifst es: vDer von einem Ksi stammende Brahmane
fürwahr ist alle Gottheiten,« d.h. in ihm sind alle Gottheiten
verkörpert. Diese Überhebung der Priester, die ims in den
Brähmanas in ihren Anfängen entgegentritt, ist nicht nur kultur-
historisch als ein Beispiel von Priesterüberhebung von gröfstem
Interesse, sondern sie ist auch die Vorstufe einer Erscheinung,
die wir durch das ganze indische Altertum verfolgen können, und
die — meine ich — tief im Wesen des indogermanischen Geistes
begründet ist. Während z. B. der hebräische Dichter .sagt : >Was
ist der Mensch, dafs du sein gedenkest, und der Menschensohn,
dafs du dich seiner annimmst! und hinzufügt: »Der Mensch
gleicht dem Nichts,^' hat ein griech i scher Dichter das grofse
Wort gesprochen: > Viel des Gewaltigen gibt's, doch das Ge-
waltigste ist der' Mensch.«- Und ein deutscher Dichter — der-
selbe, der den Übermenschen 5) Faust geschaffen, der ungestüm
') Öat. XI, 5, 7, 1. XIII, 5, 4. 24. XIII, 1, 5, 4. V, 4, 2, 3.
») Sat. XIII, 3, 5, 3. Taittirlya-Samhitä II, 5, 11, 9.
3) Taittiriya-Samhitä II, 6, 8, 7. Vgl. Goethe, Faust:
"Die Kirche hat einen guten Magen,
Hat ganze Länder aufgefressen
Und doch noch nie sich übergessen.'^
^) XII, 4, 4, 6. Später heifsl es im Gesetzbuch des Manu: »Ein
Brahmane, sei er gelehrt oder ungelehrt, ist eine grofse Gottheit,» und
gleich darauf: »Der Brahmane ist die höchste Gottheit.« (Manu IX,
317, 319.)
5) »Welch f-rbärmbch Grauen fafst Übermenschen dich!«
— 175 —
an die Tore der Geisterwelt pocht — hat das Lied von Prometheus
gesungen, der den Göttern zuruft:
»Ich kenne nichts Ärmeres
Unter der Sonn', als euch. Götter!'
Und in Indien sehen wir, wie schon in den Brähmanas der
Priester sich durch das Opfer über die Götter erhebt; in den
Epen lesen wir zahllose Geschichten von Asketen, die durch
Askese solche Übermacht erlangen, dafs die Götter auf ihren
Thronen erzittern. Und im Buddhismus gar sind die Himmlischen
samt dem Götterfürsten Indra zu recht imbedeutenden Wesen
zusammengeschrumpft, die sich von gewöhnlichen Sterblichen
nur dadurch unterscheiden, dafs sie etwas besser situiert sind, —
aber auch nur so lange, als sie fromme Buddhisten bleiben ; und un-
endlich hoch über diesen Göttern steht nicht nur der Buddha selbst,
sondern jeder Mensch, der durch Liebe zu allen Wesen und
durch Weltentsagung zum Arhat oder Heiligen geworden.
So bereitet sich schon in den Brähmanas jene grofse Be-
wegung vor, welcher der Buddhismus seinen Ursprung verdankt.
Denn daran ist nicht zu zweifeln, dafs die alten und echten
Brähmanas der vorbuddhistischen Zeit angehören. Während sich
in den Brähmanas nicht die geringste Spur einer Bekanntschaft
mit dem Buddhismus zeigt '), setzen die buddhistischen Texte das
Vorhandensein einer Brähmanalitteratur voraus. Wir können
daher mit gutem Grunde sagen, dafs die Jahrhunderte, in denen
die liturgischen Sarnhitäs und die Brähmanas entstanden sind, in
die Zeit nach dem Abschlufs der Hymnendichtung und der
Rigveda-Sarnhitä und vor dem Auftreten des Buddhismus fallen
müssen.
Was nun den eigentlichen Inhalt dieser Werke anbelangt,
so werden einige Beispiele dem Leser am besten eine Vorstellung
davon geben. Die Inder selbst pflegen den Inhalt der Brähmanas
unter zwei Hauptkategorien unterzubringen, die sie Vidhi und
Arthaväda nennen. Vidhi heifst »Regel, Vorschrift«, Artha-
väda > Sinneserklärung«. Die Brähmanas geben nämlich zuerst
') Es ist bezeichnend, dafs in der Liste von Menschenopfern in
der Väjasaneyi-Samhitä XXX (vgl. oben S. 152) weder von Mönchen
oder Nonnen noch überhaupt von Buddhisten die Rede ist. Und doch
ist diese Liste wahrscheinlich jünger als die ältesten Brähmanas.
— 176 —
Regeln für die Vollziehung der einzelnen Zeremonien, und daran
knüpfen sich dann die Erklärungen und Auseinandersetzungen
über den Zweck und Sinn der Opferhandlungeii und Gebete. So
beginnt z. B. das Satapatha-Brähmana mit den ^^oröchriften über
das Enthaltsamkeitsgelübde , welches der Opferer am Tage vor
dem Neu- und .Vollmondsopfer auf sich nehmen mufs. Da heifst
es (Öat. I, 1, 1, .1):
«Derjenige, welcher ein Gelübde auf sich zu nehmen im Begriff
ist, taucht seine Hand in Wasser, indem er mit dem Gesicht gegen
Osten gewandt zwischen dem Opferfeuer und dem Hausfeuer steht.
Der Grund, weshalb er^ die Hand in Wasser taucht, ist folgender:
Unrein ist ja der Mensch, weil er Unwahrheit spricht; darum vollzieht
er eine innerliche Reinigung; opferrein ist ja das W^asser. Er denkt:
, Nachdem ich opferrein geworden, will ich das Gelübde auf mich
nehmen.' Ein Reinigungsmittel aber ist ja das Wasser. ,Mit dem
Reinigungsmittel gereinigt, will ich das Gelübde auf mich nehmen,'
denkt er; und darum taucht er seine Hand in Wasser."
An solche einfache Erklärungen knüpfen sich oft Erörterungen
der Ansichten verschiedener Lehrer über irgendeine Frage des
Rituells. So wird hier die vStreitfrage aufgeworfen, ob man bei
Übernahme des in Rede stehenden Gelübdes fasten solle oder
nicht, und es heifst (.^at. I, 1, 1, 7—9):
»Nun, was das Essen oder Fasten anbelangt, so ist Äsädha
Sävayasa der Meinung, dafs das Gelübde eben im Fasten bestehe.
Denn, sagt er, die Götter kennen ja doch die Absicht des Menschen.
Sie wissen, dafs derjenige, welcher dieses Gelübde auf sich nimmt,
ihnen am nächsten Morgen opfern wird. So begeben sich denn alle
Götter in sein Haus; sie wohne"n bei ihm (upa vasanti) in seinem Hause;
darum ist dieser Tag ein Upavasatha (d. h. »Fasttag«). Nun wäre
es doch gewifs unpassend, wenn einer essen würde, bevor die Menschen
(die als Gäste in sein Haus gekommen sind)') gegessen haben; um
wie viel mehr (wäre es unpassend), v/enn er essen würde, bevor die
Götter (die in seinem Hause als Gäste wohnen) gegessen haben. DarQm
soll er keinesfalls essen. Anderseits aber sagt Yäjüavalkya: Wenn er
nicht ifst, so benimmt er sich als ein Manenverehrer-); wenn er aber ifst, so
') Die eingeklammerten Sätze sind aus dem Zusammenhange er-
gänzt. Es ist unmöglich, im Deutschen das Original genau wieder-
zugeben, ohne solche Ergänzungen einzufügen. Die Brähmanas sind
nämlich nicht für Leser geschrieben, sondern zu Hörern ge-
sprochen, daher vieles ausgelassen ist, was der Sprechende durch
Betonung einzelner Worte, Handbewegungen u. dgi. ausdrücken kann.
-) Weil bei Manenopfern Fasten vorgeschrieben ist.
-__ 177 --
beleidigt er die Götter durch das Vorheressen-, darum soll er etwas essen
was, wenn es gegessen wird, als nicht gegessen gilt. Das aber, wovon
man keine Opferspeise nimmt, gilt, selbst wenn es gegessen wird, als
nicht gegessen. Durch solche Speise wird er einerseits nicht ein
Manen Verehrer, und anderseits beleidigt er, wenn er etwas ifst, wovon
man keine Opterspeise nimmt, nicht die Götter durch das Vorheressen.
Darum esse er nur, was im Walde wächst, sei es VVaJdkiäuter oder
Raumfrucht.«
Etymologien, wie die von Upavasjitha in der eben
zitierten Stelle, sind in den Brähmanas ungemein häufig. Dabei
gilt es als ein besonderer Vorzug, wenn eine Etymologie nicht
ganz genau stimmt, deiut »die Götter lieben das Versteckte«,
So wird z. B. der Name des Gottes Indra von indh, »anzünden c^,
abgeleitet und gesagt: er heilst also eigentlich Indh a, und man
nennt ihn »Indra« blofs deshalb, weil die Götter das Versteckte
lieben. Oder es wird das Wort ulükhala, welches .^) Mörser <;
bedeutet, von uru karat, »er mache weit«, abgeleitet und ulü-
khala als eine mystische Bezeichnung für urukara erklärt').
Ebenso wie das Etymologisieren spielt in den Brähmanas noch
mehr als in den Yajurveda-Samhitäs^) das Identifizieren
und Symbolisieren eine grofse Rolle, wobei die ungleich-
artig.sten Dinge zusammengestellt und zuemander in Beziehung
gebracht weiden. Auf jeder Seite der Brähmanas finden wir Aus-
einandersetzungen wie die folgenden:
»Paarweise holt er die Opfergeräte herbei, und zwar: Sieb und
Feueropferlöffel, Holzmesser und Schüsselchen, Keil und Antilopenfell,
Mörser und Stöfsel, grofsen und kleinen Mahlstein Das sind zehn.
r>enn aus zehn Silben besteht das Metrum Viräj; viräj (d h. »glän-
zend«) ist aber auch das Opier; dadurch eben macht er das Opfer der
Viräj ähnlich. Paarweise aber holt er sie deshalb, weil ja doch ein
Paar Kraft bedeutet; wo zwei etwas unternehmen, ua ist nämlich Kraft
dabei. Ein Paar stellt aber auch Paarung und Fortpflanzung dar; so
wird also (durch das paarweise Herbeiholen der Opfergeräte) Paarung
und Fortpflanzung befördert.« (Sal. 1, 1, 1, 22.)
"Das Opfer fürwahr ist der Men.sch. Und zwar ist das Opfer
deshalb der Mensch, weil der Mensch es (auf dem Opferplatze) aus-
breitet-, und indem es ausgebreitet wird, wird es genau so grofs ge-
macht , wie der Mensch ist '). Darum ist das Opfer der Mensch. Zu
') Sat. VI, 1, 1, 2. VIl, 5, 1, 22. Vgl. oben S. 161.
») Siehe oben S. 158.
3) Weil beim Ausmessen des Opferplalzes solche Mafse wie »Mannes-
länge-, »Armlänge", »Spanne« u. dgl. verwendet werden.
Wirlcrnit/ , (»esihirbte der indisrhen Litteratur. 12
-• 178 —
diesem (menschengleichen Opfer) gehört die J u h ü ') (als der rechte
Arm) und die Upabhrt') (als der linke Arm); die Dhruvä') aber ist
der Rumpf. Nun gehen aber aus dem Rumpfe alle Gliedmafsen hervor«
daium geht da?= ganze Opfer aus der Dhruvä hervor. Der Schmalz-
löffel') ist aber der Atem. Der Atem des Menschen geht durch alle
Glieder, und darum geht der Schmalzlöffel von einem Opferlötfel zum
andern. Von diesem (Menschen) 3) ist die Juhü jener Himmel dort,
und die Upabhrt ist der Luftraum hier; die Dhruvä aber ist
diese da (d. h. die Erde). Wahrlich aber, von dieser da (der Erde)
entspringen alle Welten; darum entspringt das ganze Opfer aus
der Dhruvä, Dieser Schmalzlöffel hier ist aber der, der dort weht
(d. h. der W^iijd) — er ist es, der durch alle Welten dahinweht — , und
darum geht der Schmalzlöffel von einem Opferlöffel zum andern."
(äat. I, 3, 2, 1-5.)
An zahllosen Stellen der Brahma nas wird dks Opfer mit
dem Gott Visnu und ebenso häufig mit dem Schöpfer Prajäpati
gleichgesetzt. Aber auch das Jahr wird unzähligemal mit
Prajäpati identifiziert, während anderseits Agni, als der Feuer-
altar, weil der Bau desselben ein ganzes Jahr dauert, ebenfalls
gleich dem Jahre gilt. So lesen wir: »Agni ist das Jahr, und
das Jahr ist diese Welten,« und gleich darauf: »Agni ist Prajäpati,
und Prajäpati ist das Jahr.« Oder: »Prajäpati fürwahr ist das
Opfer und das Jahr, die Neumondsnacht ist sein Tor, und der
Mond ist der Riegel des Tores.« *) Eine grofse Rolle spielt hier
wieder die Symbolik der Zahlen. So lesen wir z. B.:
' Mit V i e r (Versen) nimmt er (etwas Asche) weg; dadurch versieht
er ihn mit dem, was es an vierfüfsigem Vieh gibt. Nun ist aber doch
das Vieh Nahrung; mit Nahrung versieht er ihn also. Mit drei (Versen)
bringt er (die Asche zum Wasser). Das macht sieben, denn aus
sieben Schichten besteht der Feueraltar (Agni). Sieben Jahreszeiten
sind ein Jahr, und das Jahr ist Agni; soigrofs Agni ist, so grofs ist
das Mafs des Jahres, so grofs wird dieses (All)." (Sat. VI, 8, 2, 7.)
") Namen verschiedener Opferlöffel.
») Mit diesem Löffel (Sruva) wird die zerlassene Butter aus dem
Schmalztopf herausgenommen und in die Opferlöffel gegossen, mit
welchen gespendet wird.
3) »Mensch» heilst Pur usa. Purusa heifst aber auch »Geist« und
bezeichnet auch den «Grofsen Geist«, der mit Prajäpati, dem Weltschöpfer,
eins i.st. Das Opfer wird daher nicht nur mit dem Menschen (dem
Opferer), sondern auch mit dem Weltgeist und Prajäpati identifiziert.
Vgl. oben S. 161, Anm. 1.
*) ÖHt. Vm, 2, 1, 17-18. XI, 1, 1, 1.
— 179 —
Hier und da erhalten diese unfruchtbaren Auseinander-
setzungen dadurch einiges Interesse, dafs sie ein Streiflicht auf
die sittlichen Anschauungen vind gesellschaftlichen Verhältnisse
der Zeit werfen, der die Brähmanas angehören. So wird z. B.
beim Somaopfer eine der Somaspenden dem Agni Patnivat, d. h.
»Agni dem Bew^eibten« '), geweiht. Diese Libation tmterscheidet
sich durch gewisse Einzelheiten von anderen Somaspenden, und
diese Abweichungen bei der Darbringung derselben werden mit
dem Hinweis auf die Schwäche und Rechtlosigkeit des weiblichen
Geschlechtes erklärt:
»Mit den im Opferlöffel übriggebliebenen Schmalzresten mischt
er (den Soma). Andere Somalibationen macht er kräftig, indem er sie
mischt; diese aber schwächt er; denn Schmalz ist ja ein Donnerkeil,
und mit dem Donnerkeil, dem Schmalz, haben die Götter ihre Weiber
geschlagen und entkräftet; und also geschlagen und entkräftet, hatten
sie weder irgendein Recht auf ihren eigenen Körper noch auf ein Erbe.
Und ebenso schlägt und entkräftet er jetzt mit dem Donnerkeil, dem
Schmalz, die Weiber; und also geschlagen und entkräftet, haben sie
weder irgendein Recht auf ihren eigenen Körper noch auf ein Erbe.«
(Öat. IV, 4, 2, 13.)
Das wäre also eine rituelle Begründung der Hörigkeit des
Weibes. In etwas freundlicherem Licht erscheint das Verhältnis
der Frau zum Gatten an einer anderen Stelle. Beim Väjapeya-
opfer nämlich kommt folgende Zeremonie vor. An den Opferpfosten
wird eine Leiter gelehnt, und der Opferer mit seiner Frau steigt
hinauf :
»Indem er im Begriffe ist, hinaufzusteigen, redet er seine Frau
mit den Worten an: ,Frau, wir wollen zum Himmel hinaufsteigen,' und
die Frau erwidert : , Ja, wir wollen hmaufsteigen.' Der Grund, weshalb
er seine Frau so anredet, ist der: Sie, die Frau, — das ist ja fürwahr
seine eigene Half te ; solange er daher keine Frau hat, so lange pflanzt
er sich nicht fort, so lange ist er kein ganzer Mensch; wenn er aber
eine Frau hat, dann pflanzt er sich fort, dann ist er ganz. ,Als
ein ganzer Mensch will ich diesen Weg (zum Himmel) gehen,' denkt
er; darum redet er seine Frau so an.« (§at. V, 2, 1, 10.)
Die Opferstätte oder der Altar (Vedi, fem.) wird in der
Symbolik der Brähmanas als eine Frau dargestellt. Und folgende
0 Vgl. oben S- 78.
12
— 180 —
Vorschrift über die Herstellung des Altars gibt uns über das
altindische Ideal von Frauenschönheit Autschlufs:
"Sie') soll gegen Westen zu sehr breit sein, eingebogen in der
Mitte und wiederum breit im Osten. So nämlich lobt man ein Weib:
.Breit um die Hüften, ein wenig schmäler zwischen den Schultern und
in der Mitte zu umfassen.' Auf diese Weise eben macht er sie den
Göttern anRenehm.' (^Sat. I, 2, .5, 16.)
Ein grelles Licht auf die Geschlechtsmoial jener Zeit wirft
ein brutaler Opferbrauch, der bei einem der Jahreszeitenopfer
vorkommt und folgendermafsen geschildert wird:
»Dann kehrt der Pratipra.sthätar') (zu dem Ort, wo die Gattin des
Opferers sitzt) zurück; und indem er im Begriffe ist, die Gattin hinauf •
zuführen^), fragt er sie: ,Mit wem hältst du es?' Denn fürwahr, eine
Frau begeht eine Sünde gegen Varuna,' wenn sie, während sie dem
einen gehört, es mit einem anderen hält. Weil er denkt; ,Dafs sie mir
nur nicht mit ein<'m Stachel im Herzen opferti' deshalb fragt er sie. Da-
durch, dafö man eine Sünde bekennt,, wird sie ja geringer; denn sie
^T.ird zur Wahrheit. Deshalb eben fragt er sie. Was sie aber nicht
eingesteht, das gereicht ihren Verwandten zum Unheil.« 'Sat. II, 5, 2, 20.)
Dies ist übrigens eine der wenigen Stellen in den Brähmanas,
wo der Moral gedacht wird. Sonst ist es für diese Texte un-
gemein bezeichnend, dafs in ihnen so gut wie gar nicht von Moral
die Rede ist. Die Brähmatias sind ein glänzender Beweis daftjr,
dals ungeheuer viel Religioij mit unendlich wenig Moral ver-
bunden sein kann. Religiöse Handlungen, Opfer und Zeremonien,
sind das eine und einzige Thema aller dieser umfangreichen
Werke. — aber mit der Moral haben diese Handlungen nichts
zu tun^). Im Gegenteil. Opferhandlungen werden nicht nur
') Nämlich die Vedi oder Opferstätte.
^) Einer der Priester, ein Gehilfe des Adhvaryu.
^) Nämlich zum Altar, wo sie eine Spende au Varuija opfern soll.
*) " La morale n'a pas trou ve de place dans ce Systeme : le sacrif ice
qui regle les rapports de Ihomme avec les divinites est une Operation
mecanique qui agit par son energie intime; cache au sein de la nature,
il ne vS'en degage que sous i'action magique du pretre« .... »En
tait il est difficüe de concevoir rien de plus brutal et de plus matdriel
que la theologie des Brähmaijas; les notions que lusage a lentement
atfinees et qu'il a revetues d'un aspect moral, surprenneut par leur
realisme sau vage." Svlvain Levi, La doctrine du sacrif ice, p. 9;
vgl. Iü4 ff.
— 181 —
vollzogen, damit die Götter die sehr materiellen Wünsche des
Opferers erfüllen, sondern sehr oft auch, um einem Feinde zu
schaden. Ja, die Brähmanas geben Anweisungen für die Priester,
wie sie mittelst des Opfers dem Opferer selbst, von dem sie an-
gestellt sind, schaden k()nnen, wenn er ihnen z. B. nicht genug
Geschenke gibt. Sie brauchen blols die vorgeschriebenen Zere-
monien in verkehrter Reihenfolge zu vollziehen oder Sprüche an
einer unrichtigen Stelle anzuwenden , — und das Schicksal des
Opferers ist besiegelt.
Doch genug von dieser krausen Opferwissenschaft, welche
den Hauptinhalt der Brähmanas ausmacht. Glücklicherweise
bilden aber einen Bestandteil des Arthaväda oder der »Sinnes-
erklärung« auch die sogenannten Itihäsas, Äkhyänas und
Puränas, d.h. Geschichten, Sagen und Legenden, welche er-
zahlt werden, um irgendeine rituelle Handlung zu begründen.
Wie im Talmud, mit dem die Brähmanas manche Ähnlichkeit
haben, neben der theologischen Spiegelfechterei der Halacha der
von Heine so schön besungene blühende Garten der Hagada
steht, so wird auch in den Brähmanas die Wüstenei öder theo-
logischer Spekulation ab und zu durch eine Oase, in der die
Blume der Poesie blüht — eine poetische Erzählung oder eine
gedankentiefe Schöpfungslegende — , angenehm unterbrochen.
Eine solche Oase in der Wüste ist das im Öatapatha-Bräh-
mana') erzählte uralte Märchen von Purüravasund Urvasi,
das bereits den Sängern des Rigveda bekannt war. Da wird
erzählt, wie die Nymphe (Apsaras) Urvasi den König Purüravas
liebte, wie sie ihre Bedingungen stellte, als sie sein Weib wurde,
und wie die Gandharvas bewirkten, dafs er eine dieser Be-
dingungen verletzen mufste. Da entschwindet sie ihm, und
Purüravas durchstreift jammernd und klagend ganz Kuruksetra,
bis er zu einem Lotosteich kommt, wo Nymphen in Gestalt von
Schwänen herumschwimmen. Unter ihnen ist Urvasi, und da ent-
spinnt sich das Gespräch, das uns bereits aus den Äkhyänü-
Strophen des Rigveda bekannt ist.
»Da tat er ihr leid im Herzen. Und sie sprach: ,Heute übers
Jahr sollst du kommen; dann magst du eine Nacht bei mir ruhen; bis
') XI, 5, 1. Eine gute deutsche Übersetzung des Stückes hat
K. Geldner (in den »Vedischen Studien" I, 244 ff.) gegeben. Vgl. oben
S. 90 f.
- 182 —
dahin wird dein Sohn, den ich im Schoofse trage '), geboren sein.' Und
in der Nacht, als das Jahr um war, kam er wieder. Ei, da stand ein
goldener Palast! Dann sprachen sie zvl ihm allein: ,Tritt ein hier!*
Darauf schickten sie die Urvasi zu ihm. Sie aber sprach: ,Die Gan-
dharvas werden dir morgen einen Wunsch freistellen, wähle dir einen !'
,Wähle du ihn für mich!' ,Ich will einer der Euren werden, sollst du
sagen.' Ihm stellten am nächsten Morgen die Gandharvas einen Wunsch
frei. Er aber sprach: ,Ich will einer der Euren werden.'«
Darauf lehrten ihn die Gandharvas eine besondere Form des
Feueropfers, durch welches ein Sterblicher in einen Gandharva
verwandelt wird. Der Beschreibung dieses Opfers verdanken
wir die Einfügung des uralten Wundermärchens, von dem nicht
einmal die Doktoren der Opferkunst allen poetischen Zauber ab-
zustreifen vermochten, in das Brähmana.
Im Satapatha-Brähmana ^) finden wir auch die indische
Flut sage, die aller Wahrscheinlichkeit nach auf eine semitische
Quelle zurückgeht, in ihrer ältesten Gestalt:
»Dem Manu brachten sie des Morgens Wasser zum Waschen, so
wie man noch heutzutage einem Menschen Wasser zum Händewaschen
zu bringen pflegt. Während er sich wusch, kam ihm ein Fisch in die
Hände. Und der sprach zu ihm die Worte: ,Erhalte mich am Leben,
und ich werde dich retten.' , Wovon wirst du mich retten?' ,Eine
Flut wird alle diese Wesen hinwegraffen. Von dieser werde ich dich
retten.' ,Wie soll ich dich am Leben erhalten?' Jener sprach: ,So-
lange wir ganz klein sind, droht uns viel Todesgefahr; ein Fisch ver-
schlingt den andern. Du sollst mich zuerst in einem Topfe erhalten,
und wenn ich tiber diesen hinausgewachsen bin , dann sollst du eine
Grube graben und mich in dieser erhalten, und wenn ich über diese
hinausgewachsen sein werde, dann sollst du mich zum Meere bringen,
denn dann werde ich über alle Todesgefahr hinaus sein.' Und bald
war er ein Jhasafisch; der wird nämlich am gröfsten. Da sprach er:
') Wörtlich: »Dieser dein Sohn hier«. Einer der vielen Ausdrücke,
die nur beim mündlichen Vortrag erklärlich sind. Ähnlich bedeutet
in den Brähma^s oft »diese hier« so viel wie »Erde«, »jener dort« so
viel wie »Himmel« u. dgl; mehr.
') I, 8, 1. Ins Deutsche übersetzt von A. Weber, Indische
Streifen I, Berlin 1868, S. 9 f. In demselben Band hat Weber auch
einige andere Legenden (Sage von der Weiterwanderung der Arier
nach Osten. Legende von dem Verjüngungsborn, die Sage von Purü-
ravas und Urvasi und eine Legende über die strafende Vergeltung
nach dem Tode) sowie den ganzen ersten Adhyäya des Satapatha-Bräh-
mana übersetzt.
— 183 —
Im soundsovielten Jahre wird eine Flut kommen. Darum mache dir
ein Schiff und warte auf mich. Und wenn die Flut sich erhoben hat,
dann sollst du dich in das Schiff begeben, und ich werde dich retten.'
Nachdem er ihn nun auf diese Weise am Leben erhalten hatte, brachte
er ihn zum Meere. Und in dem Jahre, welches ihm der Fisch an-
gedeutet hatte, machte er sich ein Schiff und wartete. Als aber die
Flut sich erhob, begab er sich in das Schiff, und der Fisch schwamm
heran zu ihm. Er aber band das Tau an das Hörn des Fisches; und
mit ihm segelte er rasch über diesen nördlichen Berg da hinüber. Da
sprach der Fisch: ,Ich habe dich gerettet. Binde das Schiff an einen
Baum. Dals dich aber nicht, während du auf dem Berge bist, das
Wasser von der Erde abschneide! Steige also ganz allmählich hinab,
so wie das Wasser abfliefst.' Ganz allmählich stieg er hinab. Und
ebendiese Stelle des nördlichen Gebirges heilst noch heute ,Manu's
Abstieg*. Die Flut aber raffte alle Wesen dahin ; Manu allein blieb übrig.«
So weit geht die alte Sage, welche weiter berichtet "haben
mufs, wie das Menschengeschlecht durch Manu wieder erneut
wurde. Das Brähmana aber erzählt, dafs Manu, um Nachkommen-
schaft zu erlangen, fein Opfer darbrachte; aus diesem Opfer sei
ein weibliches Wesen entstanden, und durch sie sei das Menschen-
geschlecht fortgepflanzt worden. Diese Tochter des Manu heilst
I^ä — und die Erzählung ist nur eingefügt, um die Bedeutung
einer mit dem Namen Idä bezeichneten Opferspende zu erläutern.
Diese Erzählungen sind uns auch von Wichtigkeit als die
ältesten Beispiele einer erzählenden Prosa, die wir von den Indern
besitzen. Dafs diese Prosa der ältesten epischen Dichtung häufig
mit Versen abwechselte, ist schon oben') ausgeführt worden.
Während aber in der Erzählung von Puröravas und UrvasT die
Verse nicht nur in der Rigveda-Sammlung erscheinen, .sondern
auch der Sprache und dem Metrum nach zur ältesten vedischen
Dichtung gehören, finden wir im Aitareya-Brähmana ein Äkhyäna,
in welchem die in die Prosa eingestreuten Gäthäs oder Strophen
sich sowohl in der Sprache wie in dem Versmafs dem Epos
nähern. Es ist dies die in mehr als einer Beziehung interessante
Sage von Sunahsepa'-'). Sie beginnt, wie folgt:
•) Seite 89.
») Aitareya-Brähmana VII, 13—18. Eine deutsche Übersetzung
des Stückes gibt es von R. Roth in Webers Indischen Studien 1 (1850),
S. 457-464.
-. 184 —
"Hariscandra, Sohn des V^edhas. ein König- aus derp Geschlechte
der Iksväkus, war kinderlos. Er hatte hundert Frauen, bekam aber
von ihnen keinen Sohn. Einst kehrten Parvata und NäradaM bei ihm
ein, und er fragte den Närada:
,Da alle Menschen einen Sohn sich wünschen, Weise so wie Toren,
So sage mir, o Närada, was durch den Sohn man denn erlangt.'
Also mit einer Strophe gefragt, antwortete ihm dieser mit zehn:
,Der Vater, der das Antlitz schaut des Sohns, der lebend ihm geboren,
Bezahlet seine Schuld in ihm, erlangt Unsterblichkeit durch ihn;').
Von allen Freuden, die es gibt für die Geschöpfe auf der Erde,
Im Feuer und im Wasser, ist des Vaters Freud' am Sohn die gröfste.
Stets haben durch den Sohn die Väter alle Finsternis besiegt;
Er selbst ist wieder neu gezeugt, der Sohn ist ihm ein rettend Boot.
Was soll der Schmutz, was soll das Fell, was soll der Bart, was soll
Askese ! ")
Brahmanen, wünscht euch einen Sohn : in ihm habt ihr die Himmelswelt.
Speise ist Leben, Obdach ist Schutz, und Gold schmuck ist Schönheit:
Heirat bringt Vieh''); ein Freund 5) ist die Gattin, ein Jammer die
Tochter''),
Licht in der höchsten Himmelswelt ist der Sohn für den Vater.
') Zwei Rsis oder Heilige, die bald im Himmel, bald auf der Erde
wohnen und öfters den Göttern als Boten dienen.
^) Die beste Erklärung zu diesem Verse geben die zwei Brähma^a-
stellen Taittiriya-Samhitä VI, 3, 10, 5: »Von dem Augenblick seiner
Geburt an ist der Brahmane mit drei Schulden beladen: den Rsis
schuldet er das Gelübde des Vcdalernens, den Göttern das Opfer und
den Manen Nachkommenschaft; der wird seiner Schulden ledig,
der einen Sohn erzeugt, Opfer darbringt und das Gelübde des Veda-
lernens hält;' und Taittiriya - Brähma^a I, 5, 5, 6: »In Nachkommen
pflanzest du dich fort; das, Sterblicher, ist deine Unsterblichkeit.« Schon
im Rigveda V, 4, 10 heilst es: «Möge ich, o Agni, durch Nachkommen-
schaft Unsterblichkeit erlangen!«
^) Der Vers ist gegen die Waldeinsiedler und Asketen gerichtet.
*) Weil der Kaufpreis für die Tochter bei den alten Indern ebenso
wie bei den alten Griechen — vergleiche die »Rinder einbringenden
Jungfrauen* bei Homer — in Kühen bezahlt wurde.
5) Bei der Hochzeit machten im alten Indien Braut und Bräutigam
sieben Schritte miteinander, worauf der Bräutigam sagte: »Freund sei
mit dem siebenten Schritt.«
*>) Erst unter der Herrschaft der Engländer ist es gelungen, die
in Indien tief eingewurzelte Sitte der Tötung weiblicher Kinder aus-
— 185 —
Der Mann geht ein In seine Frau und wird zum Keim in ihrem Schofs;
Von ihr wird er als neuer Mensch im zehnten Mond zur Welt gebracht.'
. . . ') Nachdem er die Verse gesprochen, sagte er zu ihm : ,Wende
dich an König Varuna und sprich: Es werde mir ein Sohn geboren;
den will ich dir opfern.' ,Das will ich,' sagte er und flüchtete zu König
Varuna, betend: ,Es werde mir ein Sohn geboren; den will ich dir
opfern.' ,So sei es' (sprach Varuna). Da ward ihm ein Sohn geboren,
Rohita mit Namen. Und Varuna sprach zu ihm: ,Nun ist dir ja ein
Sohn geboren worden; opfere ihn mir.' Er aber sagte: »Wenn ein
Tier über zehn Tage alt ist, dann ist es ja erst zum Opfer geeignet.
Lafs ihn über zehn Tage alt werden ; dann will ich ihn dir opfern.' ,So
sei es.' Und er wurde über zehn Tage alt. Jener sprach zu ihm: ,Nun
ist er über zehn Tage alt geworden ; opfere ihn mir.' Der aber sagte :
,Wenn ein Tier Zähne bekommen hat, dann ist es ja erst zum Opfer
geeignet. Lafs ihn Zähne bekommen; dann will ich ihn dir opfern.'
,So sei es.'«
In ähnlicher Weise hält Hariscandra den Gott Varuna hin,
bis Rohita das Mannesalter erreicht hat. Da will er ihn endlich
opfern, aber Rohita entflieht in den Wald, wo er ein Jahr lang
umherwandert. Darauf wird Hariscandra von der Wassersucht,
der von Varuna als Strafe gesandten Krankheit, ergriffen. Rohita
hört davon und will zurückkehren, aber Indra tritt ihm in Gestalt
eines Brahmanen entgegen, preist das Glück des Wanderers und
heilst ihn weiterwandem. Und ein zweites, ein drittes, ein viertes,
ein fünftes Jahr wandert der Jüngling im Walde umher, immer
wieder will er zurückkehren, und immer wieder tritt ihm Indra
entgegen und treibt ihn zu weiterer Wanderschaft an. Als er
nun das sechste Jahr im Walde umherirrte, da traf r den Rsi
Ajigarta, der, von Hunger gequält, sich im Walde umhertrieb.
Dieser hatte drei Söhne, Sunahpuccha, Sunahsepa, Sunolähgüla *)
mit Namen. Rohita bietet ihm hundert Kühe für einen seiner
zurotten, — eine Sitte, die in der ganzen Welt sehr verbreitet ist,
ebenso wie die Anschauung, dafs die Tochter »ein Jammer« ist. »Wenn
eine Tochter geboren wird, weinen alle vier Wände.«
') Es folgen noch vier Verse, in denen dieselben Gedanken variiert
werden.
*) Diese merkwürdigen Namen, welche »Hundeschweif«, "Hunde-
rute«, »Hundeschwanz« bedeuten, sind wohl absichtlich gewählt, um
den Rsi Ajigarta — der Name bedeutet: »der nichts zu fressen hat» —
in möglichst schlechtem Licht erscheinen zu lassen. Immerhin beweisen
auch diese Namen den mehr volkstümlichen als priesterlichen Charakter
der Erzählung.
— 186 —
Söhne an, um sich durch denselben loszukaufen, und erhält —
da der Vater nicht den ältesten und die Mutter nicht den
jüngsten Sohn hergeben will — den mittleren, §unah§epa. Mit
diesem geht Rohita zu seinem Vater. Und da Varuna damit
einverstanden ist, dafs ihm der Sunahsepa geopfert werde — denn
»ein Brahmane ist mehr wert als ein Krieger, sagte Varuna« — ,
soll derselbe an Stelle des Opfertieres beim Königsweiheopfer
(Rajasüya) dargebracht werden. Alles ist zum Opfer vorbereitet,
aber es findet sich niemand, der das Anbinden des Schlachtopfers
Übernehmen will. Da sagt Ajigarta: »Gebt mir ein zweites
Hundert, und ich will ihn anbinden.« Und für ein zweites Hundert
Kühe bindet er seinen Sohn Sunahsepa an den Opferpfahl; für
ein drittes Hundert aber erbietet er sich, ihn zu schlachten. Man
gibt ihm die weiteren hundert Kühe, und er tritt mit geschärftem
Messer auf seinen Sohn zu. Da dachte dieser: »Man will mich
schlachten, als wäre ich kein Mensch; wohlan! ich will zu den
Göttern meine Zuflucht nehmen.«; Und er pries der Reihe nach
alle die hervorragendsten Götter des vedischen Pantheons in einer
Anzahl von Hymnen, die in unserer Rigveda - Samhitä stehen-
Als er aber zuletzt Usas, die Morgenröte, in drei Versen pries,
da fiel eine Fessel nach der andern von ihm, und des Hariscandra
Wasserbauch wurde kleiner, und mit dem letzten Vers war er
der Fesseln ledig, und Hariscandra war gesund. Darauf nahmen
ihn die Priester in die Opferversammlung auf, und bunahsepa
erschaute eine besondere Art des Somaopfers. Visvämitra aber,
der sagenumwobene Rsi, der bei dem Opfer des Hariscandra das
Amt des Hotar versah, nahm den Sunahsepa an Sohnes Statt an
und setzte ihn in feierlicher Weise mit Hintansetzung seiner
eigenen hundert Söhne zum Erben ein. Zum Schlüsse heifst es:
»Das ist die Erzählung (äkhyäna) von Sunahsepa, welche über
hundert Rigvedaverse und noch dazu Strophen •) enthält. Diese erzählt
der Hotar dem König, nachdem er beim Rajasüya mit Weihwasser be-
sprengt worden. Auf einem goldenen Kissen sitzend erzählt er. Auf
einem goldenen Kissen sitzend gibt (der Adhvaryu) die Antwortrufe.
Gold bedeutet ja Ruhm. An Ruhm macht er ihn dadurch ge-
deihen. ,0m' ist der Antwortruf auf einen Rigvers, ,ja' der auf eine
Gäthä'). ,0m' ist nämlich göttlich und ,ja' ist menschlich. Auf diese
') »Gathas», epische Strophen, wie die oben zitierten.
j ') D.h. immer, wenn der Hotar einen Rigvers rezitiert, ruft der
— 187 —
Weise befreit er ihn durch göttliches und menschliches Wort von
Unglück und Sünde. Es kann daher ein König, der siegreich sein
will, auch wenn er nicht ein Opferer ist, sich die Sunah§epalegende
erzählen lassen; dann bleibt auch nicht die geringste Sünde an ihm
haften. Tausend Kühe soll er dem Erzähler geben, hundert dem Priester,
der die Antwortrufe gibt, und jedem von beiden das goldene Kissen,
auf dem er gesessen; aufserdem gebührt dem Hotar ein silberner W^agen
mit einem Maultiergespann. Auch diejenigen, weiche sich einen Sohn
wünschen, sollen sich die Legende erzählen lassen; dann erlangen sie
bestimmt einen Sohn.«
Wenn aber diese Bunahsepalegende für die Verfasser oder
Ordner des Aitareya-Brähmana bereits eine ehrwürdige alte Sage
war, deren Erzählung beim Königsweiheopfer geradezu einen
Bestandteil des Rituals bildete, wie alt mufs die Sage selbst sein !
Sehr alt mufs sie auch deshalb sein, weil sich in ihr die Erinnerung
an Menschenopfer erhalten hat, die in vorgeschichtlicher Zeit
beim Räjasüya dargebracht worden sein müssen, obwohl sonst
weder in den Brähmanas noch in den Rituallehrbüchern (Srauta-
sütras) irgendwo von Menschenopfern bei der Königsweihe die
Rede ist. Und dennoch ist die Öunahsepalegende jung im Ver.
gleich zum Rigveda. Denn die Hymnen'), welche nach dem
Aitareya-Brähmana Sunahsepa »erschaut« haben soll , sind zum
Teil solche, welche allenfalls ein Rsi gunahsepa ebcinsogut gedichtet
haben kann wie irgendein anderer Rsi, obwohl in ihnen nicht das
geringste enthalten ist, was zu unserer Sage in Beziehung stünde .
zum Teil aber sind es Hymnen, welche in den Mund des gunahsepa
der Sage gar nicht passen, wie etwa das Lied Rigveda I, 29
mit dem Refrain : »Lafs uns hoffen, o reichlich spendender Indra,
auf. tausend glänzende Rinder und Pferde,« oder welche sogar,
wie Rv. I, 24, Verse enthalten, die unmöglich von dem Sunah§epa
des Aitareya-Brähmana gedichtet sein können. Denn es heilst
hier : »Er, den Sunahsepa anrief, als er ergriffen ward, der König
Varuna möge uns erlösen!« und: »Sunahsepa rief nämlich, als
er ergriffen und an drei Pfosten gebunden war, den Aditya an.«
Das sind Verse, die sich auf eine andere viel ältere Sunahsepa-
legende beziehen müssen. Wenn das Aitareya-Brähmana diese
Adhvaryu am Schluls desselben: 'Om«; wenn er eine epische Strophe
rezitiert hat, ruft er: »Ja». Vgl. oben S. 162, Anm. 1.
') Nämlich Rv. I, 24—30 und IX, 3.
— 188 —
Hymnen dem Sunahsepa in den Mund legt, so kann das nur darin
seinen Grund haben, dafs dieselbe keineswegs zuverlässig-e Tradition,
welche in unseren Anukrarnanls vorliegt^), schon zur Zeit des
Aitareya-Brähmana jene Hymnen einem Rsi Sunahsepa zuschrieb.
Wir haben hier wieder einen Beweis dafür, wie weit die Rigveda-
hymnen der Zeit nach hinter allem anderen, was zum V^eda ge-
hört, zurückliegen.
Leider sind uns nur wenige Erzählungen so vollständig in
den Brahma nas erhalten wie die von Sunahsepa. Meistens sind
die Geschichten für den Zweck, dem sie dienen sollen, nämlich
der Erklärung oder Begründimg einer Opferzeremonie, zurecht-
gemacht, und es ist manchmal nicht leicht, aus ihnen den Kern
einer alten Sage oder eines alten Mythos herauszuschälen. Es
gehen auch durchaus nicht alle Erzählungen, die wir in den
Brähmanas finden, auf alte Mythen und Legenden zurück, sondern
sie sind oft nur zur Erklärung irgendeiner Opferzeremonie er-
funden. Manchmal sind aber auch diese erfundenen Geschichten
nicht ohne Interesse, Um z. B, zu erklären, warum bei Opfer-
spenden, die dem Prajäpati geweiht sind, die Gebete nur leise
gesprochen werden sollen, wird folgende hübsche Allegorie erzählt :
"Es brach einmal ein Streit aus zwischen dem Geist und der Rede,
wer von beiden besser sei. ,Ich bin der Bessere,' so sprachen sie beide,
der Geist und die Rede. Der Geist sagte: ,Wahrlich, ich bin besser
als du, denn du sprichst nichts, was ich nicht vorher gedacht habe;
und da du nur ein Nachahmer meiner Taten, nur ein Nachtrcter von
mir bist, so bin ich jedenfalls besser als du.' Da sprach aber die Rede:
,Ich bin doch besser als du; denn was du weifst, das mache ich erst
bekannt, das teile ich mit.' Sie begaben sich zu Prajäpati, dafs er den
Streit schlichte. Prajäpati aber cnt.schied zugunsten des Geistes, indem
er zur Rode sagte: ,Der Geist ist besser als du, denn wahrlich du bist
nur ein Nachahmer seiner Taten, nur sein Nachtreter; und niedriger
ist jedenfalls der, der nur ein Nachahmer der Taten eines Besseren,
nur sein Nachtreter ist.' Darüber nun, dals die Entscheidung gegen
sie ausgefallen war, war die Rede sehr bestüizt. (Infolge der Aufregung)
machte sie eine Fehlgeburt. Sie aber, die Rede, sprach zu Prajäpati:
,Nie soll ich deine Opferbringerin sein, weil du gegen mich entschieden
hast.' Daher wird beim Opfer jede dem Prajäpati gewidmete Zeremonie
leise vollzogen ; denn die Rede wollte für Praiäpati keine Opferbringerin
sein.« (äat. I, 4, 5, 8-12.)
') Siehe oben S. 52 f. und unten S. 24.3.
— 189 -
Väc, die Rede, bildet auch den Gegenstand mancher Er-
zählungen, in denen sie als das Urbild des Weibes hingestellt
wird. So begegnet sie uns z. B. in der in den Brahmanas öfters
vorkommenden Sage vom Somadiebslahl. Der Soma war im
Himmel, und Gä3^atri, in der Gestalt eines Vogels, holte ihn
herab. Als sie ihn aber forttrug, wurde er ihr von einem Gan-
dharva geraubt. Nun beratschlagten die Götter, wie sie den ge-
stohlenen Soma wiederbekommen könnten.
"Die Götter sprachen: , Die Gatidharvas sind nach Weibern lüstern;
wir wollen die Väc 7U ihnen senden, und sie wird mit dem Soma zu
uns zurückkehren.' Und sie sandten die Väc zu ihnen, und sie kehrte
mit dem Soma wieder zurück. Die Gandharvas aber iolgten ihr nach
und .sprachen: , Der Soma gehöre euch, die Väc aber soll uns gehören.'
,Gut,' sagten die Götter-, .aber wenn sie lieber zu uns herkommen wollte,
.sollt ihr sie nicht mit Gewalt fortführen: wir wollen im Wettstreit
um sie werben.' Da warben sie also um die Väc im Wettstreit. Die
Gandharvas sagten ihr die Vedas vor und sprachen: ,So, ja, so wissen
wir, so wissen wir').' Die Götter aber schufen die Laute und setzten
sich spielend und singend zur Väc hin, indem sie sagten: ,So wollen
wir dir vorsingen, so wollen wir dich ergötzen.* Da wandte sie sich
den Göttern zu-, ]a, so wandte sie sich dem, was eitel ist, zu, indem sie
von den Preisenden und Lobsingenden hinweg sich zu Tanz und
Gesang wandte. Darum sind noch bis zum heutigen Tage die Weiber
nur eitlem Tand ergeben. So wandte sich nämlich Väc dem zu, und
andere Weiber folgen ihr nach. Daher kommt es, dafs dem, der singt,
und dem, der tanzt, die Weiber sich am liebsten anhängen.« »)
So wie dieses Geschichtchen erfunden ist, um eine Eigen-
schaft der Frauen zu er klaren, so gibt es zahlreiche Er-
zählungen in den Brahmanas, die sich mit dem Ursprung
irgendeiner Sache oder einer Einrichtung beschäftigen. Solche
Ursprungssagen, zu denen auch die Schöpfungslegenden gehören,
bezeichnen die Inder, zum Unterschiede von den Itihäsas (oder
Äkhyänas), wie die Erzählungen von Göttern und Menschen
genannt werden, als Pu ränas "). Auch unter diesen Erzählungen
') Da der Veda das Wissen par excellence ist. Siehe oben
S. 47.
^j Sat. III, 2, 4, 2-6. Vgl. auch Sat. ül, 2, 1, 19 ff.
3) Puräna bedeutet 'ah«, dann 'alte Sage^, alte Geschichtei,
insbesondere kosmogonische und kosmologische Mythen. In späterer
Zeit bezeichnete man als f^u ränas eine eigene Klasse von Werken,
über welche wir in einem späteren Abschnitt zu sprechen haben werden.
— 190 —
gibt es solche, welche blofs von den Brähmanatheologen erfvinden
sind, während andere auf alte, volkstümliche Mythen und Sagen
zurückgehen oder doch auf einer von der Opfer Wissenschaft un-
abhängigen Überlieferung beruhen. So wird in den Brähmanas
öfters die Entstehung der vier Kasten erzählt. Schon in einem
der philosophischen Hymnen des Rigveda, dem Purusasükta ^),
wird berichtet, wie der Brahmane aus dem Munde, der Krieger
aus den Armen, der Vaisya aus den Schenkeln imd der Südra
aus den Füfsen des von den Göttern geopferten Purusa entstanden
ist. In den Brähmanas ist es Prajäpati, der aus seinem Munde
den Brahmanen zusammen mit dem Gott Agni, aus seiner Brust und
den beiden Armen den Krieger nebst Indra, aus der Mitte seines
Körpers den Vaisya und die Allgötter, aus seinen Fülsen aber
den Südra hervorgehen liefs. Mit dem Südra wurde keine Gott-
heit geschaffen; darum ist dieser zum Opfer unfähig. Infolge
dieser Art der Entstehung verrichtet der Brahmane sein Werk
mit dem Munde, der Krieger mit den Armen ;^ der Vaisya geht
nicht unter, so sehr er auch von Priestern und Kriegern »ver-
zehrt«, d. h. ausgenutzt wird, denn er ist aus der Mitte des
Körpers, wo die Zeugungskraft ruht, geschaffen ; der Südra aber
kann von religiösen Zeremonien nur das Fufswaschen von Mit-
gliedern der höheren Kasten vollziehen , denn er ist aus dem
Fufse entstanden'). Ansprechender sind die zwei sinnigen Er-
zählungen von der Erschaffung der Nacht und von den geflügelten
Bergen, welche L. von Schroeder3) aus der MaiträyanlS amhitä
herausgehoben hat:
»Yama war gestorben. Die Götter suchten der Yami*) den Yama
aus dem Sinne zu reden. Wenn sie dieselbe fragten, sapjte sie; ,Heute
erst ist er gestorben.' Da äpracHeh die Götter; ,So wird sie ihn ja
niemals vergessen; wir wollen die Nacht schaffen!' Damals war nämlich
.iur der Tag und keine Nacht. Die Götter schufen die Nacht; da ent-
stand ein morgender Tag; darauf vergafs sie ihn. Darum sagt man:
,Tag und Nacht fürwahr lassen das Leid vergessen.'" (Maitr. I, 5, 12.)
') X, 90, 12. Vgl. oben S. 153. Deussen, Allgemeine Geschichte
der Philosophie I, 1, S. 150 ff.
*) Taittiriya-Samhitä VII, 1, 1, 4—6. Tändya - Brähmana VI, 1,
6-11. Vgl. Weber," Indische Studien X, 7-10*.*
^) Indiens Literatur und Kultur, S. 142.
*) ^willingsschwester des Yama. Vgl- oben S. 91 ff.
— 191 —
»Die ältesten Kinder des Prajäpati, das waren die Berge, und sie
waren geflügi'lt. Sie flogen hinweg und setzten sich nieder, wo sie
gerade wollten. Die Erde aber schwankte damals noch hin und her.
Da schnitt liidra den Bergen die Flügel ab und machte die Erde mit
ihnen fest. Die Flügel aber, die wurden zu Gewitterwolken; darum
schweben diese immer zum Gebirge hin.« (Maitr. I, 10, 13.)')
Sehr zahlreich sind in den Brähmanas die Schöpfungs-
legenden. Wie sich hier metaphysisches Denken mit spielen-
den Erklärungen von Opfervorschriften vereinigt, mag ein Bei-
spiel zeigen. Zu den wichtigsten Opfern gehört das tägliche
Feueropfer (Agnihotra) ") , darin bestehend , dafs jeden Morgen
und jeden Abend dem Feuer eine Milchspende dargebracht wird.
Über Ursprung und Bedeutung dieses Opfers äufsert sich ein
Brähmana^) folgendermalsen:
»Im Anfange war hier nur Prajäpati allein. Er dachte bei sich:
,Wie kann ich mich fortpflanzen?' Er quälte sich ab, er kasteite sich*).
Er erzeugte aus seinem Munde den Agni. Und weil er ihn aus seinem
Munde erzeugte, darum ist Agni ein Verzehrcr von Speise. Und
wahrlich, derjenige, welcher weifs, dafs Agni ein Speisen verzehrer ist,
wird selbst ein Verzehrer von Speise. Ihn erzeugte er also zuerst
agre) unter den Göttern, und darum heilst er Agni, denn der Name
') Die Sage von den geflügelten Bergen ist schon den Sängern
des Rigveda bekannt und noch bei späteren Dichtern ein beliebtes
Thema. Vgl. Pischel, Vedische Studien I, 174.
») Siehe oben S. 150.
3) §at. II, 2, 4.
♦) In derselben Weise beginnen fast alle Schöpfungssagen in den
Brähmanas. Wie der Zauberer für sein Zauberwerk und der Priester
für das Opfer sich durch Selbstquälerei und Kasteiung vorbereiten
müssen, so mufs sich auch Prajäpati auf dieselbe Weise für das grofse
Werk der Schöpfung vorbereiten. Von der Wurzel sr am, »sich abmühen«,
»sich abquälen« ist das später, besonders in der buddhistischen Litteratur,
oft vorkommende Wort Srama^a, »der Asket«, abgeleitet. Das Wort
Tapas bedeutet eigentlich »Hitze, dann die Erhitzung zum Zweck
der Askese, dann die Askese selbst »In der Tat steht, wenn unter
der Bezeichnung Tapas die mannigfachsten Formen der Kasteiüng be-
griffen werden, doch namentlich in der älteren Zeit die Beziehung auf
die Hitze als das Vehikel der Kasteiung im Vordergrunde.« Vgl. die
vortrefflichen Ausführungen über das Tapas von Oldenberg, Religion
des Veda, S. 402 ff. Nach dem §at. X, 4, 4, 1 f. kasteite sich Prajä-
pati einmal tausend Jahre lang, bis infolge der »Hitze« der Kasteiung
Lichter aus seinen Poren drangen, — daraus wurden die Sterne.
— 192 —
Agni lautet eigentlich Agri') . . . Nun dachte Prajäpati bei sich:
, Diesen Agni, den habe ich mir als einen Speiseverzehrer erzeugt.
Aber es gibt ia doch hier keine andere Speise als mich selbst, — dals
er nur nicht mich auffrilst!' Zu jener Zeit war nämlich diese Erde
ganz kahl; es gab da weder Pflanzen noch Bäume. Darüber machte
sich Prajäpati Sorgen. Hierauf wandte sich Agni gegen ihn mit offenem
(Munde), und von dem (Prajäpati), da er sich fürchtete, wich die eigene
Gröfse. Seine eigene Gröfse. das war aber seine Rede, und diese seine
Rede wich von ihm.« (Es wird dann weiter erzählt, dafs Prajäpati für
sich selbst ein Opfer wünscht und durch Reiben der Hände eine Butter-
oder Milchspende erlangt, woraus die Pflanzen entstehen. Infolge
einer zweiten Butter- oder Milchspende entstehen dann Sürya, die
Sonne, und Väyu, der Wind.) 'Und indem Prajäpati Opf(>r darbrachte,
pflanzte er sich einerseits fort und rettete sich anderseits auch vor Agni,
dem Tode, da dieser im Begriffe war, ihn zu verzehren. Und derjenige,
welcher, dieses wissend, das Feueropfer darbringt, der pflanzt sich einer-
seits durch Nachkommenschaft fort, so wie Prajäpati sich fortgepflanzt
hat, und anderseits rettet er sich vor Agni, dem Tode, wenn dieser im
Begiiff ist, ihn zu verzehren. Und wenn er stirbt, und wenn man ihn
aufs Feuer legt, so wird er aus dem Feuer wiedergeboren , das Feuer
aber verzehrt nur seinen Körper '). Und wie wenn er von sein<;m Vater
und seine!- Mutter geboren würde, gerade so wird er aus dem Feuer
geboren. Derjenige aber, der nicht das Feueropfer darbringt, ersteht
nie wieder zu neuem Ueben.' Darum muls man unbedingt das Feuer-
opfer darbringen.« (Es wird dann weiter sehr umständlich erzählt, wie
die von Prajäpati hervorgebrachten Götter Agni, Väyu und Sürya
selbst wieder Opfer darbringen, und wie die Kuh geschaffen wurde. "I
* Diese Kuh aber begehrte Agni, indem er dachte: ich möchte mich
mit ihr paaren. Er vereinigte sich mit ihr und ergofs seinen Samen
in sie. Dieser wurde zur Milch. Darum ist dieselbe gekocht, während
die Kuh roh ist. denn die Milch ist Agnis Same: und darum ist auch
die Milch, ob sie nun in einer schwarzen oder in einer roten Kuh ist,
immer weifs und glänzend wie Feuer, weil sie eben Agnis Same ist.
Und darum ist sie auch gleich beim Melken warm, denn sie ist der
Same des Agni.-^)
So -wie diese Schöpfungssagen in der Regel damit beginnen,
dafs Praiäpati sich »abquält und kasteit«, so lesen wir auch oft,
dafs er, nachdem die Schöpfung vollendet war, schlaff, erschöpft und
ermattet gewesen sei, — worauf dann irgendein Opfer beschrieben
\) Vgl. oben S. 177.
') Eine der wenigen Stellen in den Brähmanas. wo vom Leben
nach dem Tode die Rede ist.
=») Vgl. oben S. 58.
— 193 —
wirdj dmxh welches er wieder gestärkt werden mufste. Einmal
sind es die Götter, welche dieses Opfer darbringen, ein anderes
Mal erweist Agni allein dem Prajäpati diesen Gefallen, und wieder
an einer anderen Stelle kommt er dadurch wieder zu Kräften^
dafs er, »nachdem er Hymnen gesungen und sich abgequält«,
die Opfertiere erschafft und dieselben opfert" ). Es ist überhaupt
merkwürdig, dafs dieser Weltschöpfer Prajäpati, der doch eigent-
lich der höchste Gott in den Brähmanas ist, so gar nichts Er-
habenes an sich hat und oft eine ziemlich klägliche Rolle spielt.
Wird er ja sogar einmal von den Göttern selbst als Opfer dar-
gebracht^)! In einer mehrfach erwähnten Sage wird er der
Blutschande bezichtigt, die er mit seiner Tochter Dyaus (Himmel)
oder Usas (Morgenröte) begangen. Um ihn für diese Sünde zu
strafen, bildeten die Götter aus ihren schrecklichsten Formen den
Gott Rudra. Dieser durchbohrte mit seinem Pfeil den Prajäpati,
wobei Orion und andere Sternbilder entstanden 3). Sehr be-
achtenswert ist es auch, dafs es in den Brähmanas (und im Veda
überhaupt) nicht eine indische Schöpfungssage gibt, welche —
etwa wie die biblische Sage in Europa — mehr oder weniger
aligemeine Anerkennung in Indien gefunden hätte, sondern dafs
wir eine Unzahl von vSchöpfungslegenden finden, welche die ver-
schiedenartigsten Einfälle und Spekulationen enthalten, die sich
durchaus nicht miteinander in Einklang bringen lassen. So finden
wir z. B. im Satapalha-Brähmana kurz nach der eben angeführten
Legende einen ganz anderen Schöpfungsbericht. Prajäpati, heilst
es auch hier^), quälte sich ab und kasteite sich, um Wesen zu
erzeugen. Er brachte Geschöpfe hervor, zuerst die Vögel, dann die
kleinen Kriechtiere, dann die Schlangen, — aber kaum dafs sie ge-
schaffen waren, schwanden sie alle wieder dahin, und Prajäpati war
wieder aliein. Er dachte eifrig darüber nach, woher das komme,
und endlich fiel ihm ein, dafs die Geschöpfe aus Mangel an Nahrung
\imkämen. Da schuf er neue Wesen, aus deren Brüsten er Milch
hervorquellen liefs, und diese blieben am Leben. Wieder an einer
') §at. IV, 6, 4, 1. VII, 4, 1, 16 und öfters. VI, 1, 2, 12 ff.
III, 9, 1.
-) Sat. X, 2, 2.
^) Aitareya Brähmaija IIL 33. Vgl. Sat. I, 7, 4, 1. II, 1, 2, 8,
VI, 1, 3, 8.
^) Sat. II, 5, 1, 1—3.
Winternitz, Geschichte de. indischen Litteratur. 13
— 194 —
anderen Stelle desselben Werkes') erschafft Prajäpati die Tiere
aus seinen Lebensorganen, und zwar: aus seinem Geist den
Menschen, aus seinem Auge das Pferd, aus seinem Atem die
Kuh, aus seinem Ohr das Schaf, aus seiner Stimme die Ziege.
Weil der Mensch aus Prajäpatis Geiste geschaffen und der Geist
das erste der Lebensorgane ist, darum ist der Mensch das erste
und stärkste aller Tiere ^).
In der Mehrzahl der Legenden ist allerdings Prajäpati der
emzige Schöpfer, von dem die Welt und die Wesen ihren Ur-
sprung nehmen. Aber es gibt auch schon in den Brähmanas
Stellen, wo Prajäpati selbst als geschaffen gilt und die Schöpfung
mit dem Urwasser oder mit dem Nichtseienden oder mit dem
Brahman beginnt. So lautet die Schöpfungssage Sat. XI, 1, 6:
"Im Anfange gab es hier nichts als Wasser, ein Wassermeer.
Diese Wasser wünschten sigh fortzupflanzen. .Sie quäUen sich ab, sie
kasteiten sich. Und als sie sich kasteit hatten^), entstand in ihnen ein
goldenes Ei. Das Jahr gab es damals noch nicht; aber solange eben
ein Jahr währt, schwamm dieses goldene Ei herum. Nach einem Jahr
entstand daraus ein Mann, das war Prajäpati. Darum gebiert eine
Frau oder eine Kuh oder eine Stute innerhalb eines Jahres; denn
Prajäpati wurde nach einem Jahre geboren. Er brach das goldene Ei
auf. Damals gab es aber noch gar keinen Standort. So schwamm
denn dieses goldene Ei, welches ihn trug, so lange herum, als ein Jahr
währt. Nach einem Jahr suchte er zu sprechen, und er sprach: ,bhöh'^
und dieses (Wort) wurde die Erde hier; (er sprach:) ,bhuvah', und
dieses wurde der Luftraum da, ,su var'*), und dieses wurde der Himmel
dort. Darum versucht ein Kind nach einem Jahr, zu sprechen, denn
nach einem Jahr hat Prajäpati gesprochen. Als Prajäpati zuerst sprach,
sprach er ein- und zweisilbige Wöjter, darum spricht ein Kind, wenn,
es zuerst spricht, ein- und zweisilbige Wörter. Jene (drei Wörter)
bilden fünf Silben. Aus diesen machte er die fünf Jahreszeiten, — so
gibt es hier fünf Jahreszeiten 5). Dieser Prajäpati erhob sich über die
') Sat. VII, 5, 2, 6.
^) Es ist hier speziell von den Opfertieren die Rede.
3) Da der Ausdruck Tapas nicht nur Kasteiung, sondern auch
Hitze bedeutet, ist es möglich, bei den Worten "als sie sich kasteit
hattens die auch "als sie sich erhitzt hatten" bedeuten können, an die
Bruthitze zu denken, und es ist leicht möglich, dafs ein beabsichtigter
Doppelsinn in den Sanskritworten liegt. Vgl. oben S. 87 und 191, Anm 4.
Deussen, AUg. Geschichte der Philosophie I, 1, S. 182, 2, S. 60 ff.
^) Vgl. oben S. 162 über die drei heiligen Worte bhüh. bhuvah.
suvar (oder svar).
5) Nämlich: Frühling, Sommer, Regenzeit, Herbst und Winter.
— 195 —
so geschaffenen Welten nach einem Jahr; darum versucht ein Kind nach
einem Jahr, zu stehen, denn nach einem Jahre hat sich Prajapati er-
hoben. Er wurde geboren mit einem Leben von tausend Jahren. Wie
man das andere Ufer eines Musses von ferne sieht, so erblicktti er das
andere Ufer seines Lebens')- Und lobsingend und sich abquälend
lebte er dahin, da er sich fortzupflanzen wünschte. Er leg:te Zeugungs-
kraft in sich hinein, und mit dem Munde schuf er die Götter . . .
Nachdem er sie geschaffen, war es für ihn gleichsam taghell (divä),
und das ist der Götter (deva) Gottheit, dafs es für ihn, nachdem er
sie geschaffen, gleichsam taghell war. Nun schuf er mit dem Lebens
hauch, welcher unjen ist, die Asuras (Dämonen) . . . Und nachdem sie
geschaffen waren, da war es für ihn gleichsam dunkel. Er wufste:
Wahrlich, Unheil habe ich mir da geschaffen, da es gleichsam dunkel
für mich -var, nachdem ich sie geschaffen.' Und damals schon schlug
er sie mit Unheil, und mit ihnen war es schon damals aus. Darum
sagt manf ,Nicht wahr ist das von den Kämpfen zwischen Göttern und
Asuras, was teils in Erzählungen (anväkhyäna), teils in Legenden
(itihäsa) berichtet wird '), denn schon damals hat sie Prajapati mit Unheil
geschlagen, schon damals war es aus mit ihnen' . . . Was für ihn, als
er die Götter geschaffen hatte, gleichsam taghell war, daraus machte
er den Tag; und was für ihn, als er die Asuras geschaffen hatte,
gleichsam dunkel war, daraus machte er die Nacht. So gab es nun
Tag und Nacht." (Sat. XI, 1, 6, 1—11.)
Noch merkwürdiger, freilich auch viel unklarer ist eine
andere Schöpfungslegende (Sat. VI, 1, 1), die mit den Worten
beginnt: x>Im Anfange war hier nur das Nichtseiende (Asat).«
Doch wird gleich hinzugefügt, dafs dieses Nichtseiende eigentlich
die Rsis waren, denn diese haben durch Selbstqual und Kasteiung
alles hervorgebracht. Diese Rsis waren aber die Pränas oder
Lebensgeister, und diese schufen — wie sie das anstellten, ist
ganz unklar — erst sieben Purusas oder x Menschen« und ver-
einigten dann diese zu einem einzigen Purusa, dem Prajapati.
»Dieser Purusa (Menschl Prajapati wünschte, sich zu vermehren,
sich fortzupflanzen. Er quälte sich ab, er kasteite sich. Nachdem er
sich abgequält und kasteit hatte, schuf er als erstes das Brahman,
nämlich die dreifache Wissenschaft (trayi vidyä). Dies war für ihn die
Grundlage. Darum sagt man: ,Das Brahman ist die Grundlage des
Alls.' Darum steht man fest, wenn man den Veda gelernt hat; denn
dieses, das Brahman (d. h. der Veda), ist die Grundlage.«
') Da Prajapati geboren ist, mufs er auch sterblich sein.
*) Damit werden alle die zahlreichen Legenden der Brähmanas,
die von Kämpfen zwischen Göttern und Asuras erzählen, als Lügen
erklärt 1
13*
— 1% —
Es wird dann weiter erzählt, wie Prajäpati, »feststehend auf
dieser Grundlage«, sich kasteite und dann erst das Wasser schuf.
Mit Hilfe des Veda brachte er ein Ei hervor; aus dem Ei ent-
stand Agni, und die Eierschale ward die Erde u. s. w. Es ist ein
sehr weitschweifiger und verworrener Bericht. Aber wichtig ist
es, zu sehen, dafs das B rahm an, ursprlinglich Gebet oder
Zauberspruch, dann beiliges Wissen oder Veda bedeutend, hier
bereits zur Grundlage alles Seins gemacht wird. Von da war
nur mehr ein Schritt zu der Lehre von dem Brahman selbst als
einem schöpferischen Prinzip. Auch diese Lehre findet sich schon
im Satapatha Brcähraana (XI, 2, 3, 1), wo es heifst:
»Im Anfange war hier nur das Brahman. Dieses schuf die Götter^
und nachdem es die Götter geschaffen, gab es ihnen diese Welten als
Wohnsitze"), (nämlich) diese Erden-weit hier dem Agni, den Luftraum
dem Väyu und den Himmel dem Sürya."
So sehen wir, wie sich in den Brähnianas — und darin liegt
ihre grolse Bedeutung für die Geschichte des indischen Denkens
— bereits alle jene Ideen vorbereiten, welche erst in den
Äranyakas und Upanisads zur vollen Entfaltung gekommen sind.
Findet sich doch selbst die Grundlehre der Upanisads, wie sie
äändilya verkündete, schon in dem Öatapatha-ßrähmajia ^).
Äranyakas und Upanisads.
Wenn R. Garbe 3) die Opferwissenschaft der Brähmanas als
»das einzige litterarische Erzeugnis dieser geistesarmen Jahr-
hunderte vor dem Erwachen der philosophischen Spekulation«
bezeichnet, so gibt er damit einer allgemein verbreiteten, aber
meiner Ansicht nach irrigen Anschauung Ausdruck. Es wäre
ja schrecklich, zu denken, dafs bei einem so begabten Volk, wie
es die Inder schon nach dem Zeugnis der Rigvedahymnen ge-
wesen sein müssen, die unfruchtbaren Difteleien über Zweck und
Sinn von Opferzeremonien das ganze Denken auch nur der
Priester, geschweige denn der Krieger und der übrigen Volks-
klassen ausgefüllt haben sollten. In Wirklichkeit finden wir ja
in den Brähmanas selbst, wie schon Säyana hervorgehoben hat,
•) Wörtlich: »machte es sie diese Welten besteigen".
>) X,.6, 3. Vgl. unten S. 212.
■) Beiträge zur indischen Kulturgeschichte (Berlin 1903), S- 6
— 197 —
und wie wir zum Teile oben gesehen haben, neben Ritual -
Vorschriften (Kalpa) und den Erläuterungen zu denselben auch
Sagen und Legenden (Itihäsa), kosmogonische Mythen (Puräna),
epische Gesangstrophen (Gäthäj und Heldenpreislieder (Närä-
samsT) '). Mit anderen Worten : die Anfänge der epischen Dich-
tung reichen in die Zeit der Brähmanas hinein. Es ist ja selbst-
verständlich, dafs die grofsen und kostspieligen Opfer, von denen
die Brähmanas handeln, nur möglich waren unter der Voraus-
setzung eines tätigen und erwerbenden Volkes; und undenkbar
ist es, dafs die Krieger und Kaufleute, die Bauern und Herden-
besitzer, die Handwerker und Arbeiter jener Zeit keine Lieder
gesungen, keine Geschichten erzählt hätten. Von dem aber,
was schon damals in Indien gesungen und erzählt wurde , ist
einiges in den vedischen Texten selbst (so z. B. die Legende von
Sunahsepa), vieles aber in den späteren Epen und Puränas er-
halten. Die Brähmanas setzen ferner schon die Anfänge der
Grammatik, der Phonetik, der Astronomie, d. h. jener Wissen-
schaften voraus, welche dann später als Vedängas mehr selb-
ständig betrieben wurden =). Aber auch das »Erwachen der
philosophischen Spekulation« fällt nicht nach der Zeit der
Brähmanas, sondern v.or diese Zeit. Wir haben ja gesehen, wie
schon in einigen Hymnen des Rigveda Zweifel und Bedenken
gegen den volkstümlichen Götterglauben und den priesterlichen
Kult auftauchten.' Diese Zweifler und Denker, diese ersten
Philosophen Altindiens blieben gewifs nicht vereinzelt. Dafs
auch sie »Schule gemacht« , dafs auch ihre Lehren sich ver-
breitet haben, beweisen ja die »philosophischen« Hymnen des
Atharvaveda und einzelne Stücke der Yajurveda-Samhitäs, in denen
freilich die Lehren der Philosophen oft nur in einem Zerrbild er-
scheinen 3). Aber selbst diese Zerrbilder beweisen, dafs die philo-
sophische Spekulation auch während der Jahrhunderte, in welchen
die Opferwissenschaft der Brähmanas blühte, weitergepflegt wurde,
') Max Müller, History of Ancient Sanskrit Literature. 2"^ Ed.
London 1860^5. 344. Vgl. Öat. XI, 5, 6, 8-, 7, 9, -Kenner der Er-
zählungen" (Akhyänavidas) werden in dem äänk4iäyana-Srautasötra als
eine eigene Klasse von Litteraten genannt. (Indische Studien II, S. 313.)
*) Über die Anfänge der Vedängas in den Brähmanas vgl. Max
Müller, History of Ancient Sanskrit Literature, S. 110 ff.
3) Vgl. oben S. 86 ff., 130 ff., 160 f.
— 198 —
Freilich ist es niciit wahrscheinlich^ da fs diese ältesten Philo-
sophen Altindiens dem Priesterstande angehörten. Denn ihre
Lehren, die sich gegen die Vielheit der Götter wandten, standen
mit den Lebensinteressen der Priester in offenbarem Widerspruch.
Es ist nicht gut denkbar, dafs die Brahmanen, die von den
Opfern lebten, unter sich Männer hatten, die das Dasein des
Indra selbst bezweifelten und die Frage aufwarfen, ob es einen
Sinn habe, den Göttern zu opfern '). Viel wahrscheinlicher ist
es, dafs sich solche Zweifler und Denker unter denjenigen fanden,
welche den Priestern am meisten verhafst waren, unter den
»Geizigen«, die nicht glaubten, d. h. die nicht opferten und
den Priestern keine Geschenke gaben.
Dafs die Knegerkaste dem geistigen Leben und dem litte-
rarischen Treiben der alten Zeit nicht ferne stand, beweisen zahl-
reiche Stellen der Upanisads, aber auch schon der Brähmanas. Im
Kausitaki-Brähmana (XXVI, 5). unterhält sich ein König Pratar-
dana mit den Priestern über die Opferwissenschaft. Und im
XI. Buch des Satapatha-Brähmana ist wiederholt von dem König
Janaka von Videha die Rede, der alle Priester durch sein Wissen
beschämt. Besonders lehrreich ist die Stelle, wo Janaka die
Priester Svetaketu, Somasusma und Yäjuavalkya befragt, wie sie
das Feueropfer (Agnihotra) vollziehen. Keiner gibt eine be-
friedigende Antwort. Yäjfiavalkya aber erhält ein Geschenk von
hundert Kühen, weil er über den Sinn des Opfers am meisten
geforscht hat, obwohl, wie König Janaka bemerkt, auch ihm der
wahre Sinn des Agnihotra noch nicht aufgegangen ist. Nach-
dem der König sich entfernt hat, sagen die Priester zueinander:
»Wahrhaftig, dieser Krieger da hat uns durch seine Rede be-
schämt. Wohlan! Wir wollen ihn zu einem Redewettstreit
(Brahmodya) herausfordern. «; Yäjfiavalkya aber rät davon ab,
indem er sagt: »Wir sind Brahmanen, er aber ist nur ein Krieger.
Wenn wir ihn besiegen, wen sollen wir sagen, dafs wir besiegt
haben? Wenn aber er uns besiegen sollte, würden die Leute
von uns sagen: ,Ein Krieger hat die Brahmanen besiegt;' denkt
nicht daran!' Die beiden anderen Priester stimmten ihm bei,
Yäjfiavalkya aber begibt sich zum König Janaka und läfst sich
') Vpl oben S. 86.
— 199 -
von ihm belehren'). — Auch Ayasthüna, der Opferveranstalter,
der seinen Priester Saulväyana belehrt ') , ist schwerlich ein
Brahmane, trotzdem Säyana ihn für einen Rsi erklärt. Auch
die Rsis oder Verfasser der Hymnen des Rigveda waren ja nach
der Tradition durchaus nicht immer Angehörige des Priester-
standes, So wird von einem Rsi Kavasa er2ählt, er sei der Sohn
einer Sklavin, em Nichtbrahmane gewesen. Als er an einem
grofsen Opfer teilnehmen wollte, jagten ihn die Priester davon,
damit er in der Wüste verhungere und verdurste. Die Wasser
und die Göttin Sarasvati aber nehmen sich seiner an, er »erschaut«
einen Hymnus, worauf die Priester ihn als Rsi anerkennen und
wieder aufnehmen ^).
In den Upanisads aber finden wir nicht nur Könige, sondern
auch J^rauen und selbst Leute niedrigen Standes, die sich an
den litterarischen und philosophischen Bestrebungen lebhaft be-
teiligen und oft im Besitze des höchsten Wissens sind. So fragt
in der Brhadäranyaka-üpanisad GärgT, die Tochter des Vacaknu,
den Y.äjnavalkya so lange über den Urgrund alles Seins, bis
dieser sagt: »Frage nicht zuviel, GärgT! Dafs dir nicht der
Kopf zerspringe. Wahrlich, über die Gottheit darf man nicht
zuviel fragen. Du fragst zuviel, Gärgi; frage nicht zuviel!«
Und an einer anderen Stelle tritt dieselbe GärgT inmitten einer
Versammlung von disputierlustigen Weisen dem berühmten Lehrer
Yäjfiavalkya mit den Worten entgegen: »Ich erhebe mich gegen
dich. Yäjnavalkya! Wie ein Heldensohn aus Benares oder aus
Videha den abgespannten Bogen mit der Sehne bespannt und
mit zwei feindedurchbohrenden Pfeilen m der Hand sich erhebt,
gerade so erhebe ich mich gegen dich mit zwei Fragen, — die
beantworte mir!« In derselben Upanisad belehrt Yäjnavalkya
seine Gattin MaitreyT über die höchste Wissenschaft vom Atman *).
Wie wenig dieses höchste Wissen ein Vorrecht der Brahmanen
ist, beweist auch die köstliche Geschichte von Raikva mit
dem Zjehkarren, der unter seinem Wagen sitzt und sich den
Aussatz schabt, aber im Besitz der höchsten Weisheit stolz wie
') Sat. XI, 6, 2. Vjrl. XL 3, 1, 2-4. XL 6, 3.
') Sat. XL 4, 2, 17-20.
^) Aitareya Brähmana IL 19.
') Brhadäranyaka Upanisad IT, 6; III, 8; H, 4 und IV, 5.
— 200 —
ein König ist. Demütig naht ihm der reiche Spender Jänasruti,
um von ihm belehrt zu werden. Einen Südra nennt ihn Raikva
und lacht über die Geschenke, die ihm der reiche Mann anbietet.
Erst als dieser ihm seine schöne Tochter zur Frau gibt, läfst
er sich herbei, ihn zu belehren^). Von reizender Naivität ist
auch die folgende Geschichte:
»Satyakäma Jäbäla sprach zu seiner Mutter Jabälä- ,Ich will,
Verehrliche, als Brahmanschüler eintreten; sage mir, aus welcher
Familie ich bin'. — Sie sprach zu ihm: ,Das weifs ich nicht, mein Junge,
aus welcher Familie du bist; in meiner Jugend kam ich viel herum
als Magd: da habe ich dich bekommen; ich weifs es selbst nicht, aus
welcher Familie da bist; ich heifse Jabälä, und du heifsest Satyakäma;
so nenne ich dich denn [statt nach dem Vater] Satyakäma, Sohn der
Jabälä.' Da ging er zu Häridrumata, dem Gautamer, und sprach ; ,Ich
möchte bei Ew. Ehrwürden als Brahmacärin eintreten; Ew. Ehrwürden
wollen mich aufnehmen.' — Er sprach zu ihm: ,Aus welcher Familie
bist Du, mein Lieber'? — Er sprach: ,Das weifs ich nicht, Herr Lehrer,
aus welcher Familie ich bin; ich habe die Mutter gefragt; die hat
mir geantwortet: In meiner Jugend kam ich viel herum als Magd; da
habe ich dich bekommen; ich weifs es selbst nicht, aus welcher Familie
du bist; ich heifse Jabälä, und du heifsest Satyakäma. So nenne ich
mich denn vSatyakäma, den Sohn der Jabälä, Herr Lehrer.' — Er
sprach zu ihm: ,Nur ein Brahmane kann so offen sprechen; hole das
Brennholz herbei, mein Lieber [das zur Zeremonie erforderlich ist]; ich
werde dich aufnehmen, weil du nicht von der Wahrheit abgegangen
bist.'^)
Die Stelle beweist, wie leicht man es in jener alten Zeit mit
der brahmanischen Abstammung nahm, während doch später
— in den Gesetzbüchern — immer wieder betont wird, dafs nur
der Brahmane den X'^eda lehren und nur ein Mitglied der drei
höchsten Kasten im Veda unterrichtet werden darf. In den
Upanisads aber wird uns auch wiederholt erzählt, dafs Könige
oder Krieger im Besitze des höchsten Wissens sind, und dafs Brah-
manen zu ihnen in die Lehre gehen. So geht der Brahmane
Gautama, Vater des Svetaketu, zum König FVavähana, um sich
') Chändogya-Upanisad IV, 1—3.
*) Chändogya-Upanisad IV, 4. Übersetzt von Paul Deussen,
Sechzig Upanishads des Veda, S. 121 f. In den Vamsas oder Lehrer-
listen des öatapatha - Brähmana werden zahlreiche Lehrer nur mit
Mutternamen genannt. Vgl. oben S. 169, Anm. Satyakäma be-
deutet: »wahrheitsliebend«.
— 201 —
von ihm über das Jenseits belehren zu lassen. Und es wird er-
zählt, dals dem König das Verlangen des Gautama sehr peinlich
gewesen sei. Denn die Lehre, die er zu verkünden hatte, war
vorher nie zu den ßrahmanen gednangen, »und darum eben ist
in allen Welten die Herrschajt dem Krieget stände zugefallen'.
Schliefslich teilt ihm aber der König doch die Lehre mit, — und
zwar ist es die Lehre von der Seelen Wanderung, die hier,
wo sie zuerst klar und deutlich auftritt, sich als eine der brah-
tnanischen Theologie ursprünglich fremde, aus dem Kriegerstande
hervorgegangene Lehre erweist'). Dafs aber auch die Haupt-
lehre der Upanisads, die Lehre vom Ätman, dem AU-Eiuen,
in nicht-brahmanischen Kreisen entstanden ist, beweist eine andere
Steile, wo fünf hochgelehrte Brahmanen sich zu dem weisen
Uddälaka Aruni begeben, um von ihm die Lehre vom Atman
zu erfahren. Der aber überlegte bei sich : »Diese grofsen Herren
und grofsen Gelehrten werden mich fragen, und ich werde ihnen
nicht auf alles antworten können. Wohlan! Ich will sie auf
einen anderen hinweisen.« Und er verweist sie auf den König
Asvapati Kaikeya, zu dem sie dann tatsächlich in die Lehre
gehen *).
Während also die Brahmanen ihre unfruchtbare Opfer-
wissenschaft betrieben, beschäftigten sich bereits andere Kreise
mit jenen höchsten Fragen, welche schliefslich in den Upanisads
in so bewunderungswürdiger Weise behandelt worden sind. Aus
diesen der Priesterkaste ursprünglich fernstehenden Kreisen
gingen die Waldeinsiedler und wandernden , Asketen hervor,
welche nicht nur der Welt und ihren Genüssen entsagten,
sondern sich auch von den Opfern und Zeremonien der Brah-
manen fernhielten. Aus diesen selben Kreisen bildeten sich auch
bald verschiedene, dem Brahmanismus mehr oder weniger feind-
liche Sekten, von denen die der Buddhisten zu so grofser Be-
') Chändogya-Up. V, 3. Brhadäragiyaka-Up. VI, 2. In der KausI
taki-Up. I, 1 belehrt der Ksatrija Citra den '< Ersten der Priester-,
Äruni, über das Jenseits.
') Chändogya-Up. V, 11 ff. Eine Version dieser Erzählung findet
sich schon im §at. X, 6, 1. Vgl. Deussen, System des Vedänta
(Leipzig 1883), S. 18 f. Allgemeine Geschichte der Philosophie I, 1, S.
166. I, 2, S. 17 ff. R. Garbe, Beiträge zur indischen Kulturgeschichte
(Berlin 1903). S. 1 ff.: »Die Weisheit des Brahmanen oder des Kriegers?«
— 202 --
rtihmtheit gelangt ist. Die grofse Verbreitung dieser Sekten,
namentlich des Buddhismus, beweist aber, auf wie fruchtbaren
Boden die Lehren jener alten Philosophen gefallen sein müssen,
und wie sehr die mit dem Opferwesen in Widerspruch stehenden
Lehren im Volke Anklang fanden.
Die Brahmanen aber waren von jeher viel zu kluge Leute,
um nicht von diesen Strömungen Notiz zu nehmen, ja, sie für
ihre Zwecke auszunutzen. Sie taten dies, indem sie die Lehre
von den vier Asramas (Lebensstufen) entwickelten, wodurch
das Asketen- und Einsiedlerleben zu einem wesentlichen Bestand-
teil des brahmanischen Religionssystems gemacht wurde. Diese
Lehre besteht darin, dafs man erklärte, jeder > Ariern , d. h. jeder
zu einer der drei höheren Kasten gehörige Mann , der ein
ideales Leben führen wolle, müsse vier Lebensstufen durch-
laufen. Er solle zunächst als Schüler (Brahmacärin) bei
einem Lehrer wohnen und den Veda lernen; nach vollendeter
Lehrzeit solle er einen Hausstand gründen und als Hausherr
(Ct r h a s t h a) Kinder erzeugen und den Göttern die vor-
geschriebenen Opfer darbringen oder darbringen lassen. Bei
herannahendem Greisenalter aber möge er sein Haus ver-
lassen und als Waldeinsiedler (V^änaprastha) nur mehr einen
beschränkten Opferdienst verrichten, umsomehr aber über die
mystische und symbolische Bedeutung des Opfers nachsinnen-
Aber erst wenn er sein Ende herannahen fühlt, soll er auch
diese Opfer und Meditationen aufgeben, aller Werkefrömmigkeit
entsagen und als weltfluchtiger Asket (Sannyäsin) nur • mehr
über das Brahman, das höchste Weltprinzip, nachdenken und der
Vereinigung mit demselben zustreben.
Mit dieser Lehre vom brahmanischen Lebensideal hängt es
zusammen, dals wir in den Brähmanas bereits auch Abschnitte
finden, welche als Äranyakas oder > Waldbücher ^^ d. h. im
Walde von den Einsiedlern (Vänaprasthas) zu studierende Texte'),
') So heifst es in. der Äru^eya-Upanisad 2 (Deussen, Sechzig:
Upanishads des Veda, S. 693), dafs der Waldeinsiedler von allen Veden
nur das Aranyaka und die Upanisad hersaj^en soll. Auch Rämänuja
(Sacred Books of the East, Vol. 48, p. 645; erklärt die Erwähnung-
von Opferzeremonien in den Äragyaka-artigen Anfängen der Upanisads
damit, dafs sie im Walde studiert weiden mufsten. Vgl. auch Max
— 203 —
von dem übrigen Lehrstoffe der Brahmanenschulen abgesondert,
zum Teil auch demselben hinzugefügt wurden. Den Hauptinhalt
dieser Äranyakas bilden nicht mehr Regeln über die Vollziehung
der Opfer und die Erklärung der Zeremonien, sondern Opfer-
mystik, Opfersymbolik und die priesterliche Philosophie. Mit
dieser Priesterphilosophie, welche wir in den Brähmanas
und den zu ihnen gehörigen Äranyakas verfolgen können, und
welche teils das Opfer, teils das von demselben unzertrennliche
heilige Wort (das Brahman) zum höchsten Prinzip erhob und
zum Urquell alles Seins machte, wurde die aufserhalb der
Priesterkreise entstandene und der priesterlichen
Religion eigentlich zuwiderlaufende Lehre von
dem inneren Selbst (dem Ä t m a n) als dem Allein-
seienden verquickt. Das R<!;sultat dieser unnatürlichen imd
gewaltsamen Verquickxmg sind die Upanisads. Die Lehre
von den vier Lebensstufen aber war es wieder, welche es er-
möglichte, diese Upanisads zu einem Bestandteil des Veda zu
machen. Wir finden nämlich die ältesten Upanisads teils in
den Äranyakas eingebettet, teils denselben angehängt, als die-
jenigen Texte, welche von den im letzten Asrama befindlichen
Asketen (Sannyäsins) studiert werden sollen. Sie bildeten in
mehr als einem Sinne den Vedänta, d. h. »das Ende des
Veda« '). Zunächst sind ja die meisten dieser Texte späteren
Ursprungs und fallen chronologisch in das Ende der vedischen
Periode, Ferner dürfen wir nie vergessen, dafs diese ganze
vedische Litteratur nicht aus geschriebenen Büchern bestand,
sondern nur mündlich überliefert wurde. Was wir also in den
einzelnen Brähmanas finden und als * Werke« oder »Bücher« zu
bezeichnen pflegen, ist nichts anderes, als der Lehrstoff ver-
schiedener Priesterschulen. Dieser Lehrstoff wurde innerhalb
Müller, History of Ancient Sanskrit Literature, p. 313 ff. Nach
H. Oldenberg (Die Hymnen des Rigveda I, Berlin 1888, S. 291)
freilich wären die Äranyakas so genannt, weil sie »um ihrer höheren
mystischen Heiligkeit willen vom Lehrer dem Schüler im Walde statt
im DoT-f« mitgeteilt wurden. Möglich ist es ja, dafs auch der Unter-
richt in diesen Texten im Walde stattfand (was man aus Sänkhäyana-
Grhyasütra II, 12, il f. vielleicht schlielsen darf).
') »Vedänta« bezeichnet ursprünglich nur die Upanisads. Später
erst wurde das Wort zur Bezeichnung des auf die Upanisads sich
gründenden Systems der Philosophie verwendet.
— 204 —
einer gewissen Lehrzeit — sie imifafste eine Reihe von Jahren,
während welcher der Schüler beim Lehrer wohnen und ihm
dienen mufste — den Schülern beigebracht. In das Ende dieser
Lehrzeit mufsten natürlich die Unterweisungen über das fallen,
was am schwierigsten zu verstehen war, — die Mysterien, die
mystischen und philosophischen Lehren, wie sie in den Aran-
yakas und Upanisads enthalten sind. Auch bei der Vedarezitation
als einer heiligen Handlung und religiösen Pflicht bildeten diese
Texte das Ende. Die späteren Philosophen endlich sahen in
den Lehren der Upanisads nicht das Ende, sondern das Endziel
des Veda'),
Als Vedänta oder »Veda-Ende« gehören also die Äranyakas
sowie die älteren Upanisads zu den verschiedenen - vedischen
Schulen ; ja, sie bilden geradezu nur Bestandteile der Brähmanas.
So schliefst sich an das zum Rigveda gehörige Aitareya-Bräh
mana ein Aitarey a-Aranyaka an, in welchem die Aitarey a-
U p a n i s a d ehigeschlossen ist. Das ebenfalls zum Rigveda gehörige
KausTtaki-ßrähmana endet mit djem KausTtaki-Aranyaka,
von welchem die Kausitaki-Upanisad nur einen Teil bildet.
Im schwarzen Yajurveda ist das Taittiriy a-Aranyaka nur
eine Fortsetzung des TaittirTya-Brähmana , und den Schlufs des
Äranyaka bilden die TaittirTya-Upanisad und die Mahä-
Näräyana-Upanisad. In dem grofsen, zum weilsen Yajur-
veda gehörigen Satapatha-Brähmana ist das erste Drittel des
XIV. Buches ein Äranyaka, während den Schlufs des Buches
die gröfste und bedeutendste aller Upanisads, die Brhadära-
nyaka-Upanisad, bildet. Zu einem Brähmana des Sämaveda
— wahrscheinlich zum Tändya-Mahä-Brähmana — gehört die
Chändogya-Upanisad, deren erster Abschnitt nichts anderes
als ein Äranyaka ist. Das sogenannte JaiminTya-Upanisad-
Brähmana^) ist ein Äranyaka der zum Sämaveda gehörigen
Jaiminlya- oder Talavakära-Schule , und einen Teil desselben
bildet die Kena-Upanisad, auch Talavakära-Upanisad ge-
nannt.
') Vgl. F. Deussen, System des Vedänta, S. 3 f. Allgemeine
Geschichte der Philosophie I, 2, S. 5.
') The Jaiminiya or Talavakära opanisad Brähmana, Text,
Translation, and Notes by Hanns Oertel, im Journal of the American
Oriental Society, Vol. XVI, 1896.
— 205 —
Mit Ausnahme der Mahä-Näräyana-Upanisad, welche erst in
späterer Zeit zum Taittiri\'^a Aranyaka hinzugefügt worden ist,
gehören alle die genannten Upanisads zu den ältesten Werken
dieser Art. Sie sind in .Sprache und Stil von den Brähmanas,
zu denen sie als Bestandteile gehören, oder denen sie sich un-
mittelbar anschliefsen, nicht verschieden. Es ist dieselbe schlichte,
etwas unbeholfene, aber — namentlich in den erzählenden Stücken
— keineswegs der Schönheit entbehrende Prosa. Nur die Keria-
Upanisad ist ziir Hälfte metrisch, und sie ist die jüngste von den
aufgezählten Upanisads. Zwar enthält jede der grofsen Upa-
nisads, wie Deussen') sagt, »ältere und jüngere Texte neben-
einander, daher das Alter jedes einzelnen Stückes für sich be-
stimmt werden muls«. Aber im grofsen und ganzen lassen? sich
dtxib vier zeitlich aufeinanderfolgende Perioden unterscheiden,
und es lassen sich die einzelnen Upanisads mit ziemlicher Sicher-
heit in eine von diesen Perioden einordnen. In die erste und
älteste von diesen Perioden gehören die bisher genannten Up?
nisads, und zv/ar ist nach DeuSvSen"^), dessen Führung v^'
uns hier ganz anvertrauen können, ihre chronologische Reihen-
folge die nachstehende:
1 . Brhadäranya ka-Upanisad,
2. Chändogya-Upanisad,
3. Taittirlya-Upanisad,
4. Aitareya-Upanisad,
5. Kausrtaki-Upanisad,
6. Kena-Upanisad.
An diese ältesten Upanisads schliefst sich eine zweite Klasse
von Texten an, welche zwar von den Indern gleichfalls be-
stimmten vedischen Schulen zugeschrieben werden, bei denen
aber der Zusammenhang mit den betreffenden Schulen sehr lose
und in der Tat sehr zweifelhaft ist. Diese Upanisads sind fast
durchwegs metrisch; es findet sich in ihnen nichts mehr von
der Opfermystik der Äranyakas, — sie gehören einer jüngeren
Periode an. Es sind dies — wieder nach der chronologischen
Anordnung von Deussen — die folgenden Texte:
7. Käthaka-Upanisad, zum schwarzen Yajurveda ge-
rechnet ;
') Allgemeine Geschichte der Philosophie 1, 2, S. 22.
') A. a. O., S. 23 ff.
— 206 —
8. Isä-Upanisad, zum weifsen Yajurveda gezählt, weil
sie in die Väjasaneyi-Samhitä aufgenommen worden ist^;
^K Svetäsvatara-Upanisad, als zum schwarzen Yajur-
veda,
10. Mundaka-Upanisad, als zum Atharvaveda, und
11. Mahä-Näräyana-Upanisad, als zum schwarzen
Yajurveda (Taittirrya-Aranyaka) gehörig bezeichnet
Auf diese folgt eine dritte Klasse von Upanisads, welche
wieder in Prosa abgefalst sind. Aber Sprache, Stil und Inhalt
weisen sie einer jüngeren Periode zu, obwohl auch sie noch be-
stimmten vedischen Schulen zugerechnet werden, und zwar:
12. die Prasna-Upanisad zum Atharvaveda,
13. die M a i t r ä y a n i y a - U p a n i s a d zum schwarzen Yajur-
veda und
14. die M ändükya-Upanisad zum Atharvaveda.
Diese vierzehn Upanisads sind es, welche — wenn auch ver-
schiedenen Perioden angehörig — immer noch die älteste Ent-
wicklungsstufe der Upanisadlitteratur darstellen. Sie sind es, an
welche man, wenn von der ältesten indischen Philosophie die
Rede ist, vor allem denkt und welche allein ge wisser mafsen ein
kanonisches Ansehen geniefsen. Die sogenannte Vedänta-Lehre
ist nur in diesen Upanisads in ihrer reinen, ursprünglichen Form
enthalten.
Es gibt nun noch eine vierte Klasse von Upanisads. Wenn
aber schon bei den Upanisads der beiden vorhergehenden Klassen
die Zugehörigkeit zu bestimmten vedischen Schulen sehr zweifel-
haft ist, so steht die grofse Masse von Texten, welche dieser
Klasse angehören, eigentlich zu den vedischen Schulen ,in keiner
Beziehung mehr, man kann sie kaum mehr zum Veda überhaupt
rechnen. Die Inder allerdings bezeichnen alle diese Upanisads
als zum Atharvaveda gehörig. In Wirklichkeit aber ent-
halten diese sogenannten »Upanisads des Atharvaveda < die
Lehren und Anschauungen von Philosophenschulen und sektari-
schen Gemeinschaften, welche au [serhalb des Veda stehen und
einer viel jüngeren Zeit angehöien. Man zählte sie zum Athar-
vaveda, weil dieser Veda schon von Anfang an kein kanonisches
Ansehen« genofs und es nahe lag, alles, was nicht orthodox-
•) S. oben S. 154.
— 207 —
brahmanisch war, a!s zum Atharvaveda gehörig zu bezeichnen.
Ferner war ja der Atharvaveda, wie wir gesehen haben, vor
allem der Veda der Zauberei und der damit verbundenen Ge-
heimniskrämerei ^). Die eigentliche Bedeutung von »Upanisad«
— und man hat diese Bedeutung nie vergessen — war aber
»Geheimlehre«. Was war natürlicher, als dals man eine greise
Klasse von Werken, die als Upanisads oder Geheimlehren galten,
dem Atharvaveda, der ja selbst nichts anderes war als eine
Summe von Geheimiehren, angliederte ') !
Das Wort IJpanisad ist nämlich von dem Zeitwort upa-
ni-sad, »sich zu jemand nahe hinsetzen« abzuleiten, und es be-
deutet ursprünglich das Sich -hinsetzen des Schülers zum Lehrer
-) Siehe oben S 131.
0 Die sogenannten »Atharvaveda-Upanisadsf waren es vermutlich,
von welchen zuerst eigene Upanisad -Sammlungen angelegt wurden.
Solche Sammlungen sind nicht alt. Denn der Philosoph Sankara. der
um 800 n. Chr. gelebt haben dürfte, zitiert die Upanisads noch als
Bestandteile der Brähmanas, zu denen sie gehören, und weifs von einer
Sammlung derselben nichts. Er spricht entweder von den Upanisads
als der Sruti oder »Offenbarung« schlechthin, oder er nennt die
vedischen Schulen, zv. denen sie gehören. Selbst Rämlnuja, der im
zwölften Jahrhundert n. Chr. gt-lebt haben soll, spricht von den
Chandogas, den Väjasaneyins oder den Kausitakins, wenn er die
Upanisads der betreffenden Schulen zitiert, d. h. sie sind auch für ihn
nur Bestandteile des Veda, nicht Werke, die in eigenen Sammlungen
existierten. In der ohne Zweifel ganz modernen MuktikärUpanisad wird
eine Liste von 108 Upanisads aufgezählt, die jedenfalls in einer
Sammlung bestanden. (Deussen, Sechzig Upanishads, S. 532 f.) Die
im Jahre 1656 ins Persische übersetzte Sammlung, das Oupnek'hat
(s. oben S. 18), enthält 50 Upanisads. Die Texte der Upanisads sind
in Indien sehr oft herausgegeben worden. Die Brhadäranyaka und die
Chändog>-a - Upanisads sind von O. Böhtlingk (St. Petersburg resp.
Leipzig 1889) kritisch herausgegebeu und ins Deutsche über-
setzt worden. Derselbe Gelehrte hat die Katha-, Aitareya- und Prasna-
Upanisads kritisch bearbeitet und ins Deutsche übersetzt (Berichte
der kgl. sächs. Gesellschaft der Wissenschaften, 1890). Die wichtigsten
Upanisads sind auch im I. und XV. Band der Sacred Books of the
East von Max Müller ins Englische übersetzt worden (1879 und 1884).
Am besten zugänglich sind jetzt die Upanisads in der vortrefflichen
deutschen Übersetzung von Paul Deussen, Sechzig Upanishads
des Veda, Leipzig 1897. Derselbe Forscher hat im zweiten Teil des
ersten Bandes seiner »Allgemeinen Gescliichte der Philosophie" (I>eipzig
1899) eingehend über die Philosophie der Upanisads gehandelt.
— 208 ~
zum Zweck einer vertraulichen Mitteilung, also eine »vertrau-
liche« oder »Geheimsitzung«. Aus diesem Begriff der »Cieheim-
sitzung« hat sich dann die Bedeutung »Geheiralehre« — das,
was in einer solchen vertraulichen Sitzung mitgeteilt wird —
entwickelt^). Die Inder geben als Synonym des Wortes upani-
sad in der Regel das Wort rahas5'^am an, welches »Mysterium,
Geheimnis'< bedeutet. In den Upanisadtexten selbst werden
öfters die Ausdrücke i t i rahasyam und ity upanisad neben-
einander in defti Sinne von »so lautet die Geheimlehre« ge-
braucht. Oft genug finden wir auch in den Upänisads selbst die
Warnung, irgendeine Lehre einem Unwürdigen mitzuteilen.
»Diese Lehre vom Brahman,« heifst es z. B. ^), verkünde ein
Vater seinem ältesten Sohne oder einem vertrauten Schüler,
nicht aber einem anderen, wer es auch sei, selbst wenn ihm
dieser die ganze vom Wasser umschlossene , mit Schätzen ge-
füllte Erde geben sollte.« Sehr häufig wird in den Upanisads
auch erzählt, wie ein Lehrer um Mitteilung irgendeines Wissens
gebeten wird, aber erst auf wiederholtes Bitten und Drängen des
Schülers nachgibt und ihm seine Lehre offenbart 3).
Dieser ursprünglichen Bedeutung des Wortes Upanisad
entsprechend, enthalten schon die ältesten Upanisads sehr ver-
schiederartige Dinge. Upanisad war nun einmal vor allem anderen
ein »Mysterium«, und jede Lehre, die nicht für die grofse Menge
bestimmt, sondern nur in einem engen Kreise von bevorzugten
Personen mitgeteilt wurde — sei es eine tiefsinnige philosophische
') Deussen (Allgemeine Geschichte .der Philosophie I, 2, S. 14)
erinnert sehr passend daran, daf s das Wort Kollegium ursprünglich
^Versammlung" bedeutet, dann aber das, was in dem Kollegium oder
der Versammlung vorgetragen Avird, wenn wir Ausdrücke wie »ein
Kolleg lesen*, »ein Kolleg hören« gebrauchen. Die Ansicht von
Oldenberg (ZDMG Bd. 50, 1896, S. 458 ff.), dafs upanisad ursprüng-
lich "Verehrung" bedeute, ist von Deussen mit den besten Gründen
widerlegt worden.
*) Chändogya-Upanisad III, Jl, 5 f. Vgl. Denissen a. a. O., S. 12 f.
?) Das Wort upanisad kommt in den Upanisads selbst in drei
Bedeutungen vor; es bedeutet 1. «Geheimsinn«, z. B. die geheimnisvolle
Bedeutung der Silbe Gm; 2. « Geheim wort « , gewisse Ausdrücke und
Formeln, die nur dem Eingeweihten verständlich sind, wie taijalän,
*in ihm werdend, vergehend, atmend", oder satyasya satyam, »das V/ahre
des Wahren', als Bezeichnung des höchsten Wesens; 3. *Geheimtext",
d. h, »Geheimlchre" und > Geheimwissen ^. Vgl. Deussen a. a. O., S. 16 f.
— 209 —
Lehre oder irgendeine nichtssagende Symbolik oder Allegorie,
ein von einem Brahmanen ausgeklügeltes, als Zauber dienendes
symbolisches Opfer oder irgendeine als Zauberformel dienende
Aberweisheit — , bezeichnete man als Upanisad. Alles das finden
wir in der Tat schon in den alten Upanisads nebeneinander
und durcheinander, und ganz besonders ist dies in den Athar-
vaveda-Upanisads der Fall ').
So enthält die Kausitaki-Upanisad aufser psychologi-
schen und metaphysischen Auseinandersetzungen und einer aus-
führlichen Eschatologie auch Beschreibungen von Opferriten,
durch die man irgendein Gut erlangen oder einen Liebeszauber
bewirken kann, Zeremonien zur Verhinderung des Sterbens von
Kindern, und sogar eine »Upanisad«, d. h. eine Geheimlehre,
deren Kenntnis als ein Zauber zur Vernichtung von Feinden
dient. Desgleichen enthält die Chändogya-Upanisad zwar
tiefe philosophische Gedanken über die Weltschöpfung, das Welt-
all und die Seele, mitten darunter aber auch mystische Speku-
lationen über die Silbe Om, geheimnisvolle Riten zur Heilung
von Krankheiten und dergleichen. In den Atharvaveda- Upani-
sads aber finden wir z, B. eine ganze Upanisad — die Gäruda-
Upanisad'^) — , die nichts anderes ist als ein Schlangenzauber
und ebensogut in der Atharvaveda-Samhitä stehen könnte.
Dies ist im Auge zu behalten, wenn von einer »Philosophie
der Upanisads« oder gar von einem »System der Upanisads -< ge-
sprochen wird» Eine Philosophie der Upanisads gibt es nur in-
sofern, als in "diese Sammelwerke von allerlei Mysterien auch
die Lehren der Philosophen aufgenommen worden sind. Und
ein System der Upanisad - Philosophie gibt es nur in einem sehr
beschränkten Sinne. Denn es sind nicht die Gedanken eines
einzelnen Philosophen oder einer einheitlichen, etwa auf einen
einzigen Lehrer zurückgehenden Philosophen schule, die uns in
den Upanisads vorliegen , sondern es sind die " Lehren ver-
schiedener Männer, ja verschiedener Zeiten, welche in den
einzelnen Abschnitten der Upanisads vorgetragen werden. Aller-
') In den Lehrbüchern der Erotik werden unter dem Titel
»Upanisad« allerlei auf Kosmetik und Geschlechtsverkehr bezügliche
Geheimraittel gelehrt (Rieh. Schmidt, Beiträge zur indischen Erotik,
Leipzig 1902, S. 817 ff.). Ähnlich schon Asvaläyana-Grhyasütra I, 13. 1.
') Deussen, Sechzig Upanishads des Veda, S. 627 f.
Winternitr, Geschichte der indischen Litteratur. 14-
— 210 —
dings gibt es einige Griindlehren, welche den philosophischen
Gedanken, die in den Upanisads hervortreten, etwas Einheitliches
verleihen; und nur mit Rücksicht auf diese Grundlehren kann
man (wie es üeussen tut) — aber immer mit Vorbehalten —
^on einem »System der Upanisads« sprechen. Wir dürfen daher
auch nicht in jedem Kapitel der Upanisads eine tiefe Weisheit
suchen und in jeder Upanisad einen platonischen Dialog erwarten.
Es ist ja merkwürdig genug, dafs wir gerade in den ältesten und
schönsten Stücken der Upanisads dieselbe Form des Dialogs finden
wie bei dem grofsen griechischen Philosophen. Und wie uns
Piatos Dialoge ein wunderbar lebendiges Bild von dem Leben
und Treiben der alten Griechen entrollen, so gestatten uns auch
die Dialoge der älteren Upanisads oft einen überraschenden Ein-
blick in das Leben an den altindischen Fürstenhöfen, wo Priester
und berühmte Wanderlehrer — auch gelehrte Frauen darunter
- zusammenströmten, um ihre Redeturniere vor dem König
aufzuführen, der sich nicht selten in die theologischen und philo-
sophischen Unterhaltungen mischte und die gelehrten Brahmanen
durch sein Wissen beschämte; — und einen Einblick auch in
das Schulleben jener alten Zeiten, wo fahrende Schtiler weite Reisen
unternahmen, um irgendeinen berühmten Lehrer zu »hören«, einen
Lehrer, zu dem die Schüler von allen Seiten herzugelaufen kamen,
»wie Wasser in den Abgrund stürzen und Monde in das Jahr
versinken« ^). Aber neben Abschnitten von tiefem philosophischem
Gehalt und neben Stücken, die den Vergleich mit den Dialogen
Piatos sehr wohl aushalten, finden wir. in den Upanisads auch
vieles, was philosophisch und litterarisch ganz wertlos ist.
Die Qrundlehren der Upanisads.
Das Wertvollste aber in den Upanisads sind jene Grund-
gedanken, um derentwillen wir von einer »Philosophie der Upani-
sads« sprechen können, vor allem die Grundlehre, die sich durch
alle echten Upanisads hindurchzieht, und welche sich in dem Satze
zusammenfassen läfst: ^Das Weltall ist das Brahman,
das Brahman aber ist der Ätman'j, was in unserer philo
sophischen Ausdrucks weise so viel heifsen würde wie: »Die
W'elt ist Gott, und Gott ist meine Seele.«
') Taittirlya-Upanisad J, 3.
~ 211 -
Um die beiden Begriffe B r a h m a n und Ät man dreht sich
das ganze Denken der Upanisad - Philosophen ; und es ist not-
wendig, sich über diese Begriffe klar zu sein, um die Philosophie
der Upanisads verstehen zu können. Die Etymologie des Wortes
B rahm an ist zweifelhaft. Schlagen wir das Petersburger
Sauskrit-Wörterbuch auf, so finden wir Brahman erklärt als »die
als Drang und Fülle des Gemüts auftretende und den Göttern
zustrebende Andacht«, während nach Deussen') das Brahman
»der zum Heiligen, Göttlichen emporstrebende Wille des Men-
schen« sein soll. Diese Erklärungen mögen jüdisch -christlichen
Vorstellungen von der Gottheit entsprechen, der indischen
Auffassung von dem Verhältnis zwischen Göttern und Menschen,
wie wir sie in den Samhitäs und Brähmanas kennen gelernt
haben ^), laufen sie schnurstracks zuwider. Was das Wort ety-
mologisch bedeutet, wissen wir einfach nicht. Aber im Veda
selbst kommt Brahman unzählige Male in der Bedeutung von
»Gebet« oder »Zauberformel« vor, wobei aber nirgends von
einer Andacht oder einer Erhebung zum Göttlichen die Rede ist,
sondern es sind damit immer nur Formeln und Verse gemeint,
durch welche der Mensch auf göttliche Wesen einwirken, von
ihnen etwas erreichen, ja erzwingen will. Als eine spätere Zeit
diese Zauberformeln und Gebete in den drei Vedas zu »Büchern«
oder Schultexten vereinigte, nannte man diese trayi vidyä
oder »dreifache Wissenschaft« auch kurzweg das Brahman. Da
man aber diesem Veda oder Brahman — die beiden Worte
wurden ganz gleichbedeutend gebraucht — göttlichen Ursprung
zuschrieb, und da das Opfer, welches, wie wir gesehen haben,
selbst als eine göttliche Macht aufgefafst wurde, nach indischer
Auffassung vom Veda stammte oder im Veda enthalten war'),
so gelangte man schliefslich dazu, dieses Brahman — das »Wort
Gottes«, das heilige Wissen — als das zuerst Geschaffene (brahma
prathamajam) zu bezeichnen und es am Ende gar zum schöpfe-
rischen Prinzip, zum Urgrund alles Seins (brahma svayambhu)
') System des Vedänta, S. 128. Allgemeine Geschichte der
Philosophie I, 1, S. 241 f.
») Vgl. oben S. 70 f., 174 f., 193.
3) Öat. V, 5, 5, 10: »Das ganze Opfer ist so grofs als der dreifache
Veda.« Nach Chändogya-Up. VII, 4, 1, sind »in den Mantras (d. h. im
Veda) die Opferhandlungen enthalten«.
14*
— 212 —
zu machen. So ist das Brahman als göttliches Prinzip ein Be-
griff der Priesterphilosophie und aus den brahmanischen An-
schauungen über Gebet und Opfer durchaus erklärlich ').
Einfacher ist die Geschichte des Wortes Ätman. Die Ety-
mologie ist auch bei diesem Worte unsicher. Die einen leiten
es von der Wurzel an »atmen« ab und erklären es als »Hauch,
Atem, Seele, Selbst«. Andere, wie Deussen^"), wollen es von
zwei Pronominalstämmen ableiten, so dafs es ursprünglich be-
deuten würde: »Dieses Ich«. Wie dem auch sein mag, Atman
ist nicht blofs ein philosophischer Begriff, sondern ein im
Sanskrit häufig vorkommendes Wort, dessen Bedeutung völlig
klar ist. Es heifst so viel wie »selbst?, wird oft als Reflexiv-
pronomen gebraucht und bedeutet als Substantiv die eigene
Person, den eigenen Leib im Gegensatz zur Aufsenwelt, zuweilen
den Rumpf im Gegensatz zu den Gliedmafsen, am häufigsten
aber die Seele, das eigentliche Selbst, im Gegensatz zum
Leibe 3).
Diese beiden Begriffe Brahman und Atman sind in der
Philosophie der Upanisads zusammengeflossen. So beginnt die
berühmte Lehre des Sändilya mit den Worten: »Wahrlich,
dies AU hier ist Brahman« , und endet nach einer Beschreibung
des Atman mit der Erklärung, dafs Brahman und Atman eins
sind:
»Dieser mein Atman im Innern des Herzens ist kleiner als ein
Reiskorn, oder ein Gerstenkorn, oder ein Senfkorn, oder ein Hirse-
korn . . . Dieser mein Ätman im Innern des Herzens ist grölser als
die Erde, gröfser als der Luftraum, gröfser als der Himmel, gröfser
als diese Weltcnräume. Jn ihm sind alle Handlungen, alle Wünsche,
') Vgl. oben S. 195 f. Schon A. Weber hat das Brahman mit
der Logosidee im Neuplatonismus und im Christentum verglichen. So
auch Deussen, System des Vedänta, S. 51, und Max F. Heck er,
Schopenhauer und die indische Philosophie (Köln 1897), S. 3. Deussen
will das Brahman auch mit dem Schopenhauerschen »Willen« in Ein-
klang bringen, mufs aber, wie Hecker '.a. a. 0., S. 82) sich milde aus-
drückt, dabei »dem Begriff des Brahman einige Gewalt antun«.
') Allg. Geschichte der Philosophie 1, 1. S. 285^
5) Schopenhauer nannte seinen weifsen Pudel »Atman«, 'wodurch
er, der vedäntistischen Lehre folgend, das innere Wesen in Mensch
und Tier als das gleiche anerkennen wollte«. (Hecker a. a. O., S. 8.)
— 213 —
alle Gerüche, alle Geschmäcke-, er hält dies All in sich eingeschlossen ;
er redet nicht, er kümmert sich um nichts; — dieser mein Atman
im Innern des Herzens ist dieses Brahman. Mit diesem
werde ich, wenn ich aus diesem Leben scheide, vereinigt sein. Wem
solche Erkenntnis ward, für den, fürwahr, gibt es keinen Zweifel.
Also sprach Sä^cjib'a — Sändilya.«')
Kurz und treffend drückt Deussen diesen Grundgedanken
der Upanisads Tiiit den Worten aus: »Das Brahman, die Kraft,
welche in allen Wesen verkörpert vor uns steht, welche alle
Welten schafft, trägt, erhält und wieder in sich zurücknimmt,
diese ewige, unendliche, göttliche Kraft ist identisch mit dem
Atman, mit demjenigen, was wir nach Abzug alles Äufser-
lichen als unser innerstes und wahres Wesen, als unser eigent-
liches Selbst, als die Seele in uns finden '^).« Diese Lehre hat
ihren schärfsten und kühnsten Ausdruck in dem Upanisad- Worte
gefunden, welches später zum Glaubensbekenntnis von Millionen
von Indern geworden ist, in dem (von Schopenhauer so oft
zitierten) tat tvam asi, »das bist du«, d. h. das Weltall und
das Brahman, das bist du selbst, oder mit anderen Worten : Die
Welt ist nur insofern, als sie in deinem eigenen Innern zur Er-
scheinung kommt. Hören wir, in welcher Weise die Dichter-
philosophen der Upanisads diese Lehre von der Wesenseinheit der
Welt mit dem Brahman und des Brahman mit dem Atman an-
schaulich zu machen suchen'):
»hvetaketu war der Sohn des Uddälaka Aruni. Zu ihm sprach
sein Vater: ,bvetaketu, begib dich als Vedaschüler /u einem Lehrer.
Denn, mein Lieber, in unserer Familie ist es nicht üblich, dafs man,
ohne den Veda gelernt zu haben, nur so dem Namen nach ein
Brahmane ist.' Da nahm er denn, zwölf Jahre alt, die Schülerweihe.
Und nachdem er mit vierundzwanzig Jahren alle Vedas ausgelernt
hatte, kam er nach Hause — hochmütig, aufgeblasen und sich für
einen Gelehrten haltend. Da sprach zu ihm sein Vater: ,Da du nun,
mein lieber Svetaketu, so hochmütig und aufgeblasen bist, dich für
einen Gelehrten hältst, sage mir, hast du denn auch jene Lehre er-
fragt, durch welche das Ungehörte zu Gehörtem, das Ungedachte zu
Gedachtem, das Unerkannte zu Erkanntem wird?' , Ehrwürdiger, wie
lautet denn diese Lehre?' ,Gleichwie, mein Lieber, durch einen
') Chändogya-Upanisad III, 14. Vgl. oben S. 196.
*) Allgemeine Geschichte der Philosophie 1, 2, S. 37.
5) Chändogya-Upanisad VI, 1 ff.
— 214 —
Tonklumpen alles Tönerne erkannt wird und die Verschiedenheit
blofs im Worte liegt, blofs ein Name ist — in Wahrheit aber ist es
Ton — ; und gleichwie, mein Lieber, durch ein kupfernes Kleinod
alles Kupferne erkannt wird und die ''Verschiedenheit blofs im Worte
liegt, blofs ein Name ist — in Wahrheit aber ist es Kupfer — -, und
gleichwie, mein Lieber, durch e i n e Nagelschere alles Eiserne erkannt
wird und die \''erschiedenheit blofs im Worte liegt, blofs ein Name
ist — in Wahrheit aber ist es Eisen: so, mein Lieber, verhält es sich
mit dieser Lehre.' , Sicherlich haben meine ehrwürdigen Lehrer dies
nicht gewufst; denn wenn sie es gewufst hätten, warum hätten sie cs
mir nicht mitgeteilt? So mögest denn du, Ehrwürdiger, es mir
erklären.' ,Gut, mein Lieber,' sagte der, Vater.
.Nur das Seiende, mein Lieber, war hier im Anfang, und zwar
nur als Eines ohne ein Zweites. Es haben wohl manche gesagt: Nur
das Nichtseiende war hier im Anfang, und zwar nur als Eines ohne
ein Zweites, und aus diesem Nichtseienden ist das Seiende entstanden.
Wie könnte sich aber, mein Lieber, dies also verhalten? Wie sollte
aus dem Nichtseienden das Seiende entstehen ? Nur das Seiende, mein
Lieber, war hier im Anfang, und zwar nur als Eines ohne ein Zweites.'«
(Er führt dann weiter aus, wie dieses Seiende die Glut, diese das
Wasser und dieses die Nahrung geschaffen; und wie das Seiende,
indem es jene drei Elemente durchdrang, die Sinnenwelt aus sich ent-
wickelt Habe. An den Erscheinungen des Schlafes, des Hungers und
des Durstes erläutert er dann, wie alles auf die drei Elemente, Glut,
Wasser, Nahrung — oder, wie wir sagen würdeit: Feuer, Wasser,
Erde — , zurückgeht, während diese drei Elem.ente wieder nur auf dem
Seienden beruhen. Da aber dieses Seiende mit dem Atman, seiner
Seele, in alle Wesen eingedrungen ist, so ist es eben auch die Seele
in uns. Wenn daher ein Mensch stirbt, so wird er wieder zu dem,
was er ursprünglich war; er vereinigt sich wieder mit dem Seienden,
aus welchem er hervorgegangen ist. Nun folgt eine Reihe von Bildern,
welche alle die Lehre von der Einheit der Welt mit dem Allein-
seienden und der menschlichen Seele erläutern sollen). »,So wie, mein
Lieber, die Bienen, wenn sie Honig bereiten, die Säfte der ver-
schiedensten Bäume sammeln und dann den Saft zu einer Einheit
zusammentragen ; — so wie in dieser Einheit jene Säfte keinen Unter-
schied beibehalten, so dafs sie sagen könnten: ich bin der Saft dieses
Baumes, ich bin der Saft jenes Baumes, — also, mein Lieber, haben
auch alle diese Geschöpfe hier, wenn sie in dem Seienden aufge-
gangen sind , kein Bewufstsein davon , dafs sie in dem Seienden auf-
gegangen. Was sie auch immer hier sein mögen, ob Tiger oder Löwe,
Wolf oder Eber, Wurm oder Vogel, Bremse oder Mücke, — zu
diesem (nämlich dem Seienden) werden sie. Und dieses Feine eben
ist es_, was das Wesen des Alls ausmacht, das ist das Wahre, das ist
der Atman, das bist du, o Svetaketu!' ,Ehrv*ürdiger, belehre mich
noch weiter.' ,Gut, mein Lieber . . .'
,Hole mir eine Frucht von dem Feigenbaume dort.' ,Hier ist sie.
— 215 —
Ehrwürdiger.' ,Spalte sie' ,Sie ist gespalten, Ehrwürdiger.' ,Was
siehst du darin ?' ,Ganz kleinwinzige Körnchen, Ehrwürdiger!' ,SpaUe
eines von diesen.' ,Es ist gespalten.' ,Was siehst du darin?' ', Nichts,
Ehrwürdiger.' Da sprach jener zu ihm: ,Mein Lieber, jenes ganz
Feine, was du nicht wahrnimmst, ist es, infolge dessen dieser grofse
Feigenbaum dasteht. Glaube mir, mein Lieber, dieses Feine eben ist
es, was das Wesen des Alls ausmacht, das ist das Wahre, das ist
der Atman, das bist du, o t^vetaketu.' ,Ehrwtirdiger , belehre mich
noch weiter.' ,Gut, mein Lieber.'
,Lege dieses Stück Salz ins Wasser und komme morgen früh
wieder zu mir.' Jener tat also. Da sprach der Vater zu ihm ; ,Bringe
mir doch das Salz, welches du gestern abend ins Wasser gelegt hast.'
Er griff danach, fand es aber nicht; wie verschwunden war es. ,Koste
doch einmal von der einen Seite des Wassers. Wie schmeckt es?'
jSalzig.' ,Koste von der Mitte. Wie schmeckt es?' ,Salzig.' ,Koste
von der andern Seite. Wie schmeckt es?' ,Salzig.' ,Ifs etwas dazu
und komme dann wieder zu mir.' Er tat also, aber der Salzgeschmack
blieb immer noch. Da sprach der Vater zu ihm: ,W^ahrlich, mein
Lieber, auch hier (in diesem Leib) nimmst du das Seiende nicht ge-
wahr, und doch ist es da. Und dieses Feine eben ist es, was das Wesen
des Alls ausmacht, das ist das Wahre, das ist der Atman, das bist
du, o Svetaketu.'«
Was uns vor diesen alten Denkern Indiens die höchste
Achtung einflölsen mufs, das ist der Ernst und der Eifer, mit
dem sie das göttliche Prinzip oder was Kant das Ding-an-sich
nennen würde — ob sie es nun »das Eine« oder i>das Seiende«,
ob sie es das Brahman oder den Atman nannten — zu er-
gründen suchten. So lesen wir in einem Dialog, der in zwei
üpanisads in zwei verschiedenen Versionen wiederkehrt*), wie
Gärgya Bäläki, ein stolzer und gelehrter Brahmane zu AjätaSatru,
dem König von Benareh, kommt und sich anheischig macht, ihm
das Brahman zu erklären. Der Reihe nach erklärt er den
Purusa, d. h. den persönlichen Geist, in der Sonne, im Monde,
im Blitze, im Äther, im Winde, im Feuer, im Wasser, sodann
den Geist, der als Spiegelbild oder Schatten, der im Echo, im
Tone, im Traume, im menschlichen Körper oder im Auge er-
scheint, für das Brahman. Ajätasatru ist aber von keiner dieser
Erklärungen befriedigt, so dafs schliefslich der gelehrte Brah-
mane zum König selbst in die Lehre geht, der ihm dann aus-
einandersetzt, dafs das wahre Brahman nur in dem erken-
') Kau§itaki-Up. IV und Brhadaranyaka-Up. II, 1.
— 216 ~
nenden Geist (Purusa) im Menschen, d. h. im Atman, im Selbst,
zu suchen sei. »Wie eine Spinne mit ihrem Gewebe aus sich
herausgeht, wie von einem Feuer die kleinen Fünkchen nach
allen Richtungen auseinanderfliegen, so gehen aus diesem Ätman
alle Lebensgeister, alle Welten, alle Götter und alle Wesen hervor.«
In ähnlicher Weise wird in einer berühmten Upanisadstelle
der Unterschied zwischen dem wahren und dem falschen Ätman
dargetan. Da lesen wir:
»,Der Ätman, von dem alles Böse gewichen, der frei vom Alter,
frei vom Tode und frei vom Kummer, der ohne Hunger und ohne
Durst ist, dessen Wünsche wahrhaft, dessen Entschlüsse wahrhaft sind,
den soll man erforschen, den soll man zu erkennen, suchen; der erlangt
alle Welten und die Erfüllung aller Wünsche, wer diesen Ätman ge-
funden und erkannt hat.' Also sprach Prajäpati. Das vernahmen
sowohl die Götter als auch die Dämonen, und sie sprachen: ,Wohlan,
wir wollen diesen Atman erforschen, — den Atman, durch dessen Er-
forschung man alle Welten und die Erfüllung aller Wünsche erlangt.
Und Indra machte sich auf von den Göttern, Virocana aber von den
Dämonen, und beide kamen, ohne dafs sie sich verabredet hätten, mit
Brennholz in der Hand zu Prajäpati ')• Sie verweilten als Schüler
zweiunddreifsig Jahre bei ihm. Da sprach zu ihnen Prajäpati : ,Wonac.h
ist euer Verlangen, dafs ihr als Schüler hier gewohnt habt?' Und sie
sprachen: ,Der Atman y von dem alles Böse gewichen, der frei vom
Alter, frei vom Tode und frei vom Kummer, der ohne Hunger und
ohne Durst ist, dessen Wünsche wahrhaft, dessen Entschlüsse wahr-
haft sind, den soll man erforschen, den soll man zu erkennen suchen,
der erlangt alle Welten und die Erfüllung aller Wünsche, wer diesen
Ätman gefunden und erkannt hat. Diese deine Rede, Ehrwürdiger, hat
man vernommen. Nach diesem ( A tman) ist unser Verlangen ; darum haben
wir hier als Schüler bei dir gewohnt.'» (Prajäpati erklärt ihnen nun
zuerst, dafs der Purusa im Auge oder im Schattenbild der Atman sei.
Virocana gibt sich damit zufrieden, kehrt zu den Dämonen zurück
und verkündet ihnen die Lehre, dafs der Leib der Atman sei, und
dafs man nur den Leib zu erfreuen und zu pflegen brauche, um alle
Welten zu erlangen. Indra aber sieht bald ein, dafs die von Prajäpati
gegebene Erklärung nicht ernst gemeint sein könne. Unbefriedigt
kehrt er zurück und weilt abermals zweiunddreifsig Jahre als Schüler
bei Prajäpati.) »Da sprach dieser zu ihm: ,Der (Geist), der im Traume*)
') Der Schüler mufs beim Lehrer wohnen und ihm dienen, ins-
besondere für das heilige Feuer sorgen. »Mit Brennholz in der Hand
kommen« heilst daher so viel-, wie »als Schüler zu jemand in die
Lehre gehen«.
*) So wie in den Upanisads die Entwicklung des Ätmanbegriffes
durch die Vorstufen des Purusa im Auge, im Spiegelbild, im Schatten
- 217 --
froh umherschweiit, der ist der Atman, das ist das Unsterbliche, das
Gefahrlose, das ist das Brahman.' Da zog Indra beruhigten Herzens
von dannen.« (Ehe er aber noch zu den Göttern gelangt war.
begriff er, dafs auch das Traumbild noch nicht der wahre Ätman sein
könne. Abermals kehrt er zu Prajäpati zurück und weilt zweiund-
dreifsig Jahre als Schüler bei ihm. Nun erklärt Prajäpati die Seele im
traumlosen Tiefschlaf für den wahren Ätman. Indra ist auch damit noch
nicht zufrieden, er kfehrt zurück, und Prajäpati läfst ihn noch fünf
Jahre bei sich wohnen, worauf er ihm endlich die Lehre vom wahren
Atman eröffnet.) »,0 Indra, sterblich fürwahr ist dieser Leib, vom
Tode in Besitz genommen. Er ist die Wohnstätte jenes unsterb-
lichen, körperlosen Atman. Von Lust und Unlust in Besitz genommen
ist der mit dem Körper verbundene (Äiman), denn solange er mit dem
Körper verbunden ist, gibt es für ihn keine Abwehr von Lust und
Unlust. Wenn er aber körperlos ist, dann freilich berühren ihn Lust
und Unlust nicht . . , Wenn nun das Auge auf den Äther dort ge-
richtet ist, so ist e r der Gejst (Purusa) im Auge, das Auge dient aber
nur zum Sehen. Und der Atman ist es. der da weifs: „dies will ich
riechen"; das Geruchsorgan dient nur zum Riechen. Und der Ätman
ist es, der da weifs: ,^dies will ich sprechen'; die Stimme dient nur zum
Sprechen. Und der Atman ist es, der da weifs: ,4ies will ich hören" ;
das Gehörorgan dient nur zum Hören. Und der Atman ist es, der da
weifs: „dies will ich denken"; das Denkorgan ist sein göttliches
Auge. Er aber ist es, der sich freut, wenn er mit dem Denk
organ, diesem göttlichen Auge, die Gegenstände seiner Wünsche sieht.
Ihn fürwahr, diesen Atman, verehren die Götter in der Brahman-
welt ; darum sind alle Welten von ihnen in Besitz genommen und alle
ihre Wünsche erfüllt. Und der erlangt alle Welten und die Erfüllung
aller Wünsche, der diesen Atman gefunden hat und erkennt.' Also
sprach Prajäpati, so sprach Prajäpati.*^)
So wird also auch hier wieder der wahre Atman als der
wissende und erkennende Geist im Menschep erklärt. Dafs aber
dieser Atman mit dem Weltall eins ist und alles nur existiert,
und im Traumbild, wozu oft noch der Präi^a oder Lebensodem kommt,
bis zum wahren Atman verfolgt wird, so finden wir in merkwürdiger
Übereinstimmung auch bei den Naturvölkern den Atem, das Augen-
männchen, das Spiegelbild, den Schatten und die Traumbilder als
Vorstufen des Seelenglaubens. (Vgl. E. B. Tylor, Die Anfänge
der Kultur, Leipzig 1873, I, S. 422 ff. Fritz Schnitze, Psychologie
der Naturvölker, Leipzig 1900, S. 247 ff.)
') Chändogya-Upanisad VIII, 7 — 12. Eine sehr freie poetische Be-
arbeitung dieses Stückes findet sich unter dem Titel »Die Belehrung
der Götter^ bei Luise Hitz, Ganga Wellen, München 1893.
— 218 —
insofern es in dem erkennenden Selbst ist, lehrt das schöne Ge-
spräch zwischen Yäjnavalkya und Maitreyi. Yäjnavalkya ist im
Begriffe, sein Haus zu verlassen, um sein Leben als Einsiedler
im Walde zu beschliefsen. Da will er zwischen seinen beiden
Frauen die Teilung machen und teilt dies der einen, der Mai-
treyi, mit.
»Da sprach Maitreyi: ,Wenn mir nun, o Herr, diese ganze Erde
mit allem ihrem Reichtume angehörte, würde ich wohl dadurch un-
sterblich sein?' — ,Mit nichten!' sprach Yäjnavalkya, ,sondern wie das
Leben der Wohlhabenden also würde dein Leben sein-, auf Unsterb-
lichkeit aber ist keine Hoffnung durch Reichtum* — Da sprach Maitreyi:
»Wodurch ich nicht unsterblich werde, was soll ich damit tun? Teile mir
lieber, o Herr, das Wissen mit, welches du besitzest.' — Yäjnavalkya
sprach: ,Lirb, fürwahr, bist du uns, und Liebes redest du; komm, setze
dich, ich werde es dir erklären; du aber merke auf das, was ich dir
sage.' Und er sprach: ,Fürwahr, nicht um des Gatten willen ist der
Gatte lieb, sondern um des Selbstes willen ist der Gatte lieb; fürwahr,
nicht um der Gattin will' .- ist die Gattin lieb, sondern um des Selbstes
willen ist die Gattin lieb; fürwahr, nicht um der Söhne willen sind
die Söhne lieb, sondern um des Selbstes willen sind die Söhne lieb . . .;
fürwahr, nicht um der Götter willen sind die Götter lieb, sondern iim
des Selbstes wilkn sind die Götter lieb; fürwahr, nicht um der Wesen
willen sind die Wesen lieb, sondern um des Selbstes willen sind die
Wesen lieb; fürwahr, nicht um des Weltalls willen ist das Weltall
lieb, sondern um des Selbstes willen ist das Weltall lieb. Das Selbst,
fürwahr, soll man sehen, soll man hören, soll man verstehen, soll man
überdenken, o Maitreyi; fürwahr, wer das Selbst gesehen, gehört,
verstanden und erkannt hat, von dem wird diese ganze Welt ge-
wufst'» »)
Eine der häufigsten Benennungen des Atman in den Upa-
ni?ads ist das Wort Präna, d. h. ? Lebensodem, Leben, Lebens-
prinzip ;<. Und zahlreiche Stellen der Upanisads beschäftigen
sich mit diesem Präna, welcher mit dem erkennenden Selbst eins
ist ; oder auch mit dem Verhältnis desselben zu den Organen der
Seele, den sogenannten Pränas (präuäh, Plural von präna).
Diesen Organen — Sprache, Atem, Gesicht, Gehör und Denk-
organ - entsprechen im Weltall fünf Naturkräfte: das Feuer,
der Wind , die Sonne , die Weltgegenden und der Mond. Und
von der Wechselwirkung zwischen den Organen und den Natiir-
') Brhadäranyaka-Up. II, 4. Übersetzung von P. Deussen, Sechzig
Upanishads, S. 416 ff.
— 219 —
kräften ist in den Upanisads oft die Rede. Es ist das gewisser-
mafsen die von der Metaphysik allerdings nicht zu trennende
Psychologie der Upanisads. Sehr beliebt ist das oft erzählte
»psychologische Märchen« vom " Rangstreit der Lebensorgane.
Da wird erzählt , wie die Pränas oder Lebensorgane einst um
den Vorrang stritten. Sie gingen inm Vater Prajäpati, dafs er
ihren Streit schlichte.
»Er aber sprach zu ihnen: »Derjenige ist der Beste von euch, nach
dessen Wegprang sich der Körper am schlechtesten befindet.' Da zog
die Sprache aus, und nachdem sie ein Jahr lang in der Fremde geweilt,
kehrte sie zurück und sprach: ,Wie habt ihr ohne mich leben können ?'
»Gerade so', sagten sie, ,wie Stumme, die nicht reden, aber mit dem
Atem atmen, mit dem Gesicht sehen, mit dem Gehör hören und mit dem
Denkorgan denken.' Und die Sprache begab sich wieder (in den Körper)
hinein. Da zog das Gesicht aus, und nachdem es ein Jahr lang in der
Fremde geweilt, kehrte es zurück und sprach : ,Wie habt ihr ohne mich
leben können?' ,Gerade so', sagten sie, .wie die Blinden, die nicht sehen,
aber mit dem Atem atmen, mit der Sprache reden, mit dem Gehör
hören und mit dem Denkorgan denken.' Und das Gesicht begab sich
wieder hinein. Da zog das Gehör aus, und nachdem es ein Jahr lang
in der Fremde geweilt, kehrte es zurück und sprach: ,Wie habt ihr
ohne mich leben können?' ,Gerade so', sagten sie, ,wie Taube, die
nicht hören, aber riiit dem Atem atmen, mit der Sprache reden, mit
dem Gesichte sehen und mit dem Denkorgan denken.' Und das Gehör
begab sich wieder hinein. Da zog das Denkorgan aus, und nachdem
es ein Jahr lang in der Fremde geweilt, kehrte es zurück und sprach:
,Wie habt ihr ohne mich leben können?' ,Gerade so,', sagten sie, ,wie
Einfältige, die nicht denken, aber mit dem Atem atmen, mit der
Sprache reden, mit dem Gesichte sehen und mit dem Gehöre hören.'
Und das Denkorgan begab sich wieder hinein. Als aber nun der Atem
(Prä^a) ausziehen wollte, da rils er die anderen Lebensorgane mit
heraus, gerade so, wie ein edles Rofs die Pflöcke der Fufsfesseln mit
herausreifst. Da kamen sie alle zu ihm und sprachen: ,Ehrwürdiger,
komm, du bist der Beste von uns. Ziehe nicht aus!' . . . Darum
nennt man sie nicht die Sprachen, nicht die Gesichte, nicht die Ge-
höre, nicht die Denkorgane, sondern man nennt sie die Pränas, denn
eben der Prä^a ist sie alle.«^)
Sowie die Lehre vom Präna und den Pränas mit der Grund-
lehre vom Atman zusaninienhängt , so gibt dieselbe Lehre den
Dichterphilosophen der Upanisads auch Anlafs zu grofsartigen
philosophischen Dichtungen , wie man sie wohl am beslen be-
') Chändogya-Up. V. 1. Vgl. Brhadäranyaka-Up. VI, 1, 7-14.
_ 220 —
zeichnen kann, über die Schicksale des individuellen Atman,
d. h. der menschlichen Seele, in den Zuständen des Wachens
und des Träumens, des Schlafes und des Sterbens, und auf ihren
Wanderungen ins Jenseits bis zu ihrer endlichen »Erlösung«,
d. h. ihrem völligen Aufgehen in dem Brahman. So entwirft
vor allem die Brhadäranyaka-Upanisad (IV, 3—4) von den Schick-
salen der Seele ein Bild, welches, wie Deijssen') mit Recht be-
merkt, »an Reichtum und Wärme der Darstellung wohl einzig
in der indischen Litteratur und vielleicht in der Litteratur aller
Völker dasteht.« Hier finden wir auch die Lehre von der
Seelenwanderung und die mit ihr aufs engste zusammen-
hängende ethische Lehre vom Karman, der Tat, die mit
der Sicherheit eines Naturgesetzes ihre Folgen haben rnufs, zum
erstenmal klar und deutlich entwickelt. Diese grofse, später
— namentlich im Buddhismus — auf allen Gassen und Strafsen
gepredigte Lehre von der Tat ist in den Upanisads noch ein
grofses Mysterium. Artabhäga fragt den Yäjftavalkya:
»,Yä)navalkya,' sagte er, ,wenn nach dem Tode dieses Menschen
hier seine Stimme in das Feuer eingeht, sein Atem in den Wind, sein
Gesicht in die Sonne, sein Denkorgau in den Mond, sein Gehör in die
Weltgegenden, sein Leib in die Erde, seine Seele (Ätman) in den
Äther, seine Leibhaare in die Kräuter, seine Haupthaare in die Bäume
und sein Blut und Samen im Wasser niedergelegt wird , — wo ist
dann dieser Mensch?' ,Nimm mich bei der Hand, mein Lieber!' sprach
Yäjnavalkya. , Artabhäga, wir beide wollen davon wissen ; nicht gehört
diese unsere Angelegenheit unter die Leute.' Und die beiden gingen
hinaus und beredeten sich miteinander; und die Tat war es, wovon
sie sprachen-, die Tat war es, die sie priesen. Gut, fürwahr, wird er
durch gute Tat, böse durch böse Tat < ^).
Ausführlicher wird diese Lehre dann im Anschlufs an die
grofsartige Schilderung vom Auszug der Seele aus dem Körper
behandelt. Da heilst es:
»Die Spitze seines Herzens beginnt zu leuchten, und bei dieser
Leuchte zieht der Ätmän aus, sei es aus dem Auge, oder aus dem
Kopfe, oder aus anderen Ivcrperstellen. Und indem er auszieht, folgt
ihm der Lebensodem (Präna) nach; und hinter dem ausziehenden
Lebensodem her ziehen alle Lebensorgane hinaus, und auch das Be-
wufstsein folgt ihnen nach. Er aber, der Erkennende (der Atman), ist
0 Sechzig Upauishads, S. 463.
») Brhadäranyaka-Up. III, 2, 13 f.
— 221 —
mit Erkenntnis ausjjestattet. An ihm bleiben das Wissen und die
Taten, die Erfahrungen des früheren Lebens, haften. Gleichwie eine
Raupe, wenn sie an das Ende eines Grashalms g:elangt ist, sich in sich
selbst zusammenzieht, ebenso zieht sich der Mensch, wenn er den
Körper abgestreift hat und das Nichtwissen losgeworden ist, in sein
Selbst f Atraan^ zusammen. Gleichwie eine Stickerin von einer Stickerei
ein Teilchen abtrennt und daraus eine aridere, ganz neue und schönere
Form schafft, ebenso schafft sich der Mensch hier, nachdem er diesen
Körper abgestreift hat und das Nichtwissen losgeworden ist, eine
andere, ganz neue und schönere Form, die eines Ahnengeistes oder
eines Gandharva, eines Brahman oder eines Prajäpati, eines Gottes oder
eines Menschen oder die irgendeines anderen Wesens. . . . Wie er
gehandelt, wie er gewandelt, so wird er; wer Gutes getan, wird als
Guter, wer Böses getan, als Böser wiedergeboren. Gut wird er durch
gute Tat, böse durch böse Tat. Darum sagt «lan ja. »Der Mensch
hier ist ganz aus Begierde gebildet, und je nachdem seine Begierde
ist, danach ist sein Entschlufs, und je nachdem sein Entschlufs ist,
danach vollzieht er die Tat, und je nachdem er die Tat vollzieht, danach
ist sein Geschick.'« ')
Infolge dieser Lehre vom Karman spielt das moi-alische
Element in den Upani.sads eine weit grölsere Rolle als in den
Bruhmanas. Viel Raum für eine eigentliche Sittenlehre ist jedoch
auch in den Upanisads nicht übrig, Verhältnismäfsig selten be-
gegnen uns sittliche Vorschriften, wie sie z. B. in der Taittiriya-
Upanisad (I, 11) der Lehrer dem scheidenden Schüler mit auf
den Lebensweg gibt:
»Sprich die Wahrheit, tue deine Pflicht, vernachlässige nicht das
Vedastudium. Nachdem du dem Lehrer (nach Beendigung der Lehr-
zeit) die liebe Gabe gebracht hast, sorge dafür, dafs der Faden deines
Geschlechts nicht abreifse . . . Vernachlässige nicht die Zeremonien
für die Götter und Manen. Ein Gott sei dir die Mutter, ein Gott sei
dir der Vater, ein Gott sei dir der Lehrer, ein Gott sei dir der Gast«
u, s. w.
Interessanter und viel mehr upanisad-artig als diese Moral-
vorschriften ist eine andere auf die Ethik bezügliche Stelle, die
- wir in der Brhadäranyaka-Upanisad (V, 2) finden:
»Dreierlei Söhne des Prajäpati, die Götter, die Menschen und die
Dämonen, weilten bei ihrem Vater Prajäpati als Schüler. Nachdem
die Götter als Schüler da geweilt hatten, sprachen sie; ,Sage uns etwas,
Herr!' Und er sprach zu ihnen die Silbe ,da' und sagte: ,Habt ihr
') Brhadäranyaka-Up. IV, 4, 2—5
— 222 —
das verstanden?' ,Wir haben es verstanden,' sagten sie; ,du hast uns
gesagt: dam y ata (bezähmet euch).' Jawohl,' sprach er; ,ihr habt
es verstanden.' — Da sprachen zu ihm die Menschen: ,Sage uns etwas,
Herr!' Und er sprach zu ihnen ebendiese Silbe ,da' und sagte: ,Habt
ihr das verstanden V ,Wir haben es verstanden', sagten sie, ,du hast zu uns
gesagt: datta (spendet).' , Ja wohl,' sprach er, ,ihr habt es verstanden.' —
Da sprachen zu ihm dieDämonen : ,Sage uns etwas, Herr !' Und er sprach
zu ihnen ebendiese Silbe ,(fa' und sagte: ,Habt ihr das verstanden?'
,Wir haben es verstanden,' sagten sie; ,du hast uns gesagt: dayadhvam
(habet Mitleid).* , Ja wohl,' sprach er; ,ihr habt es verstanden.' — Und
ebendieses ist es, was jene göttliche Stimme, der Donner, verkündet:
da-da-da, das heilst : dämyata, datta, dayadhvam. Darum lerne er diese
drei Dinge: Selbstbezähmung, Freigebigkeit und Mitleid.«
Dafs uns aber solche ethische Lehren in den Upanisads
nur selten begegnen, ist begreiflich genug. Nach der Lehre
der Upanisads ist das höchste zu erstrebende Ziel die
Vereinigung mit dem Brahraan, und diese Vereinigung ist nur
zu erreichen durch Aufgeben des Nichtwissens , durch Er-
kenntnis. Nur wer die Einheit des Atman mit dem Brahman,
die Einheit der Seele mit Gott erkannt hat, wird der Erlösung,
d. h. der völligen Vereinigung mit dem Brahman, teilhaftig.
Um aber dieses höchste Ziel zu erreichen, ist es notwendig, alle
Werke, sowohl gute wie böse, aufzugeben. Opfer und fromme
Werke führen ja immer nur zu neuen Wiedergeburten, das
Wissen allein führt hinaus aus diesem Irrsal zum Einzigen
und Ewigwahren. »Wie an dem Lotosblütenblatt das Wasser
nicht haftet, so haftet keine böse Tat an dem, der solches weifs^).«
Schon in den Brähmanas und Aranyakas ist oft und oft von den
Vorteilen die Rede, die demjenigen zuteil werden, der irgendeine
Geheimlehre der Opferwissenschaft kennt, — »der dieses weifsc
Für die Upanisads aber ist nichts bezeichnender, als die unzählige
Male wiederkehrende Verheifsung von Glück und Seligkeit, von
irdischen Gütern und himmlischen Wonnen als Lohn für den,
»der dieses weils«. Der Gedanke, dafs Wissen nicht blofs Macht,
sondern das höchste zu erstrebende Ziel sei, zieht sich durch
alle Upanisads. Nicht nur Indra dient dem Prajäpati 101 Jahre
als Schüler, sondern auch von Menschen wird oft berichtet, dafs
sie jahrelang als Schüler einem Lehrer dienen, um von ihm
') Chändogya-Up. IV, 14, 3. Vgl. Kausitaki-Up. I, 4; III, 8.
- 223 —
irgendein Wissen überliefert zu erhalten. Könige sind bereit,
Tausende von Kühen und Haufen Goldes dem Brahmanen zu
schenken, der ihnen die Lehre vom wahren Atman oder Brah-
man zu verkünden weifs. Aber auch Brahmanen demütigen sich
vor Königen, Reiche vor Bettlern, wenn diese, wie das nicht
selten der Fall ist , im Besitze höherer Weisheit sind ^). Ihren
ergreifendsten Ausdruck hat aber diese Sehnsucht nach Wissen
in der herrlichen Dichtung von Naciketas gefimden , welche
uns die Käthaka-Upanisad überliefert hat.
Der Jüngling Naciketas ist in die Unterwelt hinabgestiegen
und der Todesgott hat ihm drei Wünsche freigestellt. Naciketas
wünscht sich als erstes, dafs er wieder lebend zu seinem Vater
zurückkehren möge, als zweites wünscht er sich himmlische
Seligkeit. Da er aber den dritten Wunsch aussprechen soll,
sagt er:
»Ein Zweifel waltet, wenn der Mensch dahin ist:
,Er ist,' sagt dieser; ,er ist nicht/ sagt jener.
Das möchte ich, von dir belehrt, ergründen,
Das sei die dritte Gabe, die ich wähle!'
Darauf erwidert Yama, dafs diese Frage, was mit dem
Menschen nach dem Tode geschehe, so schwer zu ergründen
sei, dafs selbst die Götter einst darüber in Zweifel gewesen; und
er bittet den Jüngling auf diesen seinen Wunsch zu verzichten :
»Wähl hundertjährige Kinder dir und Enkel,
Viel Herden, Elefanten, Gold und Rosse,
Erwähle grolsen Grundbesitz an Land dir.
Und lebe selbst, soviel du willst der Herbste !
Wenn dies als Wunsch du schätzest gleich an Werte,
So wähle Reichtum dir und langes Leben,
Ein Grofser, Naciketas, sei auf Erden,
Ich mache zum Geniefser aller Lust dich.
Was schwer erlangbar ist an Lust hienieden,
Erbitte nach Belieben alle Lust dir, —
Schau hier auf Wagen holde Frau'n mit Harfen,
Wie solche nicht von Menschen zu erlangen.
Ich schenke dir sie, dafs sie dich bedienen, — :
Nur frag nicht. Naciketas, nach dem Sterben!«
') Vgl. oben S. 198 ff.
^ 224 —
Naciketas aber läfst sich durch diese Verheifsungen irdischer
Güter von seinem Wunsch nicht abbringen:
»Was uns, o Tod, gegönnt an Kraft der Sinne,
Die Sorge für das Morgen macht es welken.
Auch ganz gelebt, ist doch nur kurz das Leben. —
Behalte deine Wagen, Tanz und Spiele.
Durch Reichtum ist der Mensch nicht froh zu machen!
Wen lockte Reichtum, der dir sah ins Auge?
Lafs leben uns, solang es dir genehm ist!
Als Gabe aber wähle ich nur jene, . . .
Worüber jener Zweifel herrscht hienieden.
Was bei dem giofsen Hingang wird, das sag uns;
Der Wunsch, der forschend diingt in dies Geheimnis,
Den wählt, und keinen andern, Naciketas.«
Da preist Yanaa, der Todesgott, den Naciketas, dals er das
Wissen und nicht die Lüste gewählt, und teilt ihm endlich die
Lehre von der Unsterblichkeit des Ätman mit').
Wie aber diese Hochschätzung des Wissens nicht nur zur
Abkehr von irdischen Genüssen, sondern zur Welt Verachtung
überhaupt führt, das zeigt uns eine andere üpanisad, in welcher
zum erstenmal jener pessimistische Grundzug des indischen
Denkens zutage tritt, der uns in der späteren indischen Litte-
ratur immer wieder begegnen wird. Da lesen wir^):
»Es begab sich, dafs ein König mit Namen Brhadratha, nachdem
er seinen Sohn in die Herrschaft eingesetzt hatte, in der Erkenntnis^
dafs dieser Leib vergänglich ist, sich der Ent.sagung zuwandte und in
den Wald hinauszog. Dort gab er sich der höchsten Kasteiung hin,
indem er in die Sonne schauend und mit emporgereckten Armen
dastand. .Nach Ablauf von eintausend Tagen nahte sich ihm . . . der
des Ätman kundige, verehrungswürdige Säkäyanya. ,Stehe auf, stehe
auf und wähle dir einen Wunsch !' so sprach er zu dem Könige. Der
') Die obigen Verse in der Übersetzung von Deu.ssen, Sechzig
Upanishads , S. 270 f. Eine sehr freie poetische Bearbeitung des Ge-
dichtes gibt Luise Hitz, Ganga-Wellen, München 1893. Ohne gegen
den Geist der Üpanisad zu verstofsen, hat die Dichterin die im Original
etwas fragmentarische und zerfahrene Darstellung zusammengedrängt
und 7u einem Ganzen abgerundet.
*) Maiträya^a Up. 1, 2-4 in der Übersetzung von Deussen, Sechzig
Upanishads, S. 315 ff.
— 225 -
bezeugte ihm seine Verehrung und sprach: ,0 Ehrwürdiger! ich bin
nicht des Ätman kundij?. Du kennst Seine Wesenheit, wie wir ver-
nommen; diese wollest du uns erklären!' ■ (Der Brahmane will ihm
diesen Wunsch ausreden und fordert ihn auf, sich etwas anderes zu
wünschen Da bricht der König in die Worte aus:) »O Ehrwürdiger!
In diesem aus Knochen, Haut, Sehnen, Mark, Fleisch, Same, Blut,
Schleim, Tränen, Augenbutter, Kot, Harn, Galle und Phlegma zu-
sammengeschütteten, übelriechenden, kernlosen Leibe, — wie mag man
nur Freude geniefsen! In diesem mit Leidenschaft, Zorn, Begierde.
Wahn, Furcht, Verzagtheit, Neid, Trennung von Liebem, Bindung an
Unliebes, Hunger, Durst, Alter, Tod, Krankheit, Kummer und der-
gleichen behafteten Leibe, — wie mag mau nur Freude geniefsen!
Auch sehen wir, dafs diese ganze Welt vergänglich ist, so wie diese
Bremsen, Stechfliegen und dergleichen, diese Krä^iter und Bäume,
welche entstehen und wieder verfallen." (Es folgt dann eine Auf-
zählung von Königen und Helden der V^orzeit, die zugrunde gehen
mufsten, sowie von Göttern und Halbgöttern, die alle der Vernichtung
anheimfallen.) »Aber was rede ich von diesen! Gibt es doch noch
andere Dinge, ~- Vcrtrocknung grofser Meere, Einstürzen der Berge,
Wanken des Polarsterns, . . . Versinken der Erde, Stürzung der
Götter aus ihrer Stelle, - in einem Weltlaufe, wo derartiges vorkommt,
wie mag man da nur Freude geniefsen! Zumal auch, wer ihrer satt
ist, doch immer wieder und wieder zurückkehren mufs! Darum errette
mich! Denn ich fühle mich in diesem Weltlaufe wie der Frosch in
einem blinden (was.serlosen) Brunnenloche. Du, o Ehrwürdiger, bist
unsere Zuflucht.«
Es ist aber bemerkenswert, dafs diese Stelle, zu der sich so-
wohl in der buddhistischen wie in der späteren Sanskritlitteratur
zahlreiche Parallelen finden liefsen, einer der späteren Upa-
nisads angehört. Denn die Maiträyana - Üpanisad steht durch
Sprache und Stil der klassischen Sanskritlitteratur näher als dem
Veda und ist entschieden nachbuddhistisch '). In den alten
vedischen Upanisads finden sich nur erst die Keime des
Pessimismus in der Lehre von der NichtWirklichkeit der Welt.
Wirklich ist ja nur das Brahman, und die.ses ist der Atman, die
Seele, »welche übt;r den Hunger und den Durst, den Schmerz
und den W^ahn, das Alter und den Tod erhaben ist«. »Was da-
von verschieden ist, das ist voll von Leiden«, — ato'nyad ärtam ^).
') Maitr.-Up. VIl, 8 f. enthält deutliche Anspielungen aut die
Buddhisten als Ketzer.
^) Brhadf4rai?yaka-Up. III, 5.
Winternitz, Geschichte der indischen Litteratur. |f>
~ 226 —
Aber »was davon verschieden ist« , existiert ja gar nicht in
Wirklichkeit, und darum ist auch das Leid und Weh der Welt
nicht wirklich. Der Wissende, der die Lehre von der Einheit
begriffen hat, kennt keine Furcht, keinen Schmer/. »Der die
Wonne des Brahman kennt, für den gibt es keine Furcht.«
»Wo wäre Wahn, wo Kummer für den, der die Einheit kennt?«
»Wonne« (Snanda) ist ein Name des Brahman. »Aus Wonne
bestehend« (änandama)'^a) ist der Atman. Und wie ein Triumph-
gesang des Optimismus klingen die Worte einer Upanisad :
»Wonne ist das Brahman, Denn wahrlich, aus der Wonne ent-
stehen alle diese V-^en, durch die Wonne leben sie, nachdem
sie entstanden, und in die Wonne gehen sie, wenn sie dahin-
scheiden, wieder ein.« ')
So ist die Lehre der Upanisads im Grunde nicht pessimistisch.
Freilich ist nur ein kleiner Schritt von dem Glauben an die
Nichlwirklichkeit der Welt zur Weltverachtung. Je überschweng-
licher die Wonne des Brahman gepriesen wurde, desto nichtiger,
desto wertloser erschien das irdische Dasein^), Darum hat auch
der Pessimismus der späteren indischen Philosophie seine Wurzeln
doch in den Upanisads.
In der Tat wurzelt ja die ganze spätere Philosophie der
Inder in den Upanisads. Ihre Lehren bildeten die Grundlage für
die Vedänta-Sütras des Bädaräyana, ein Werk, von
welchem ein späterer Schriftsteller') sagt: »Dieses Lehrbuch ist
das hauptsächlichste von allen Lehrbüchern. Alle anderen Lehr-
bücher dienen nur zu seiner Ergänzung. Darum sollen es alle,
die nach Erlösung streben, hochhalten.« Auf diesem Lehrbuch
sind die theologisch-philosophischen Systeme des Sankara und
des Ra manu ja aufgebaut, deren Anhänger noch heute nach
Millionen zählen. Aber auch alle anderen philosophischen Systeme
und Religionsbekenntnisse, die im Laufe der Jahrhunderte in
Indien erstanden sind, der ketzerische Buddhismus nicht minder
als die orthodox -brahmanische Religion der nachbuddhistischen
Zeit, sind auf dem Boden der Upanisadlehren erwachsen.
') Taittirlya-Up. II. 9. III, 6. Isä-Up. 7.
*) Vgl. M. F. Hecker, Schopenhauer und die indische Philosophie,
S. 116-120.
') Madhusüdana vSarasvati (in Webers »Indischen Studien« I, S. 9
und 20).
— 227 —
Was aber diesen philosophischen Dichtungen — man kann
sie kaum besser bezeichnen — eine so ungeheure Macht über die
(ieraüter verheben hat, das war nicht der Glaube an ihre gött-
liche Offenbarung — galten doch auch die einfältigsten Hymnen
und die blödsinnigsten Brähmanastellen als von der Gottheit ver-
kündet — , sondern vielmehr der Umstand, dafs sie in die Sprache
der Poesie gekleidet, sich ebensosehr an die Herzen, als an
die Geister wandten. Und nicht darum haben die Upanisads
über den Zeitraum von Jahrtausenden hinweg auch uns noch
vieles zu sagen, weil sie, wie Schopenhauer behauptet, die »Frucht
der höchsten menschlichen Erkenntnis und Weisheit« darstellen
und »fast übermenschliche Konzeptionen s enthalten, »deren Ur-
heber kaum als blofse Menschen denkbar sind«'); nicht darum,
weil, wie Deussen meint, diesen Denkern »wenn nicht der
wissenschaftlichste, so doch der innigste und unmittelbarste Auf-
schlufs über das letzte Geheimnis des Seins geworden«, und weil
— womit Deussen den Offenbarungsglauben der Inder zu recht-
fertigen sucht — in den Upanisads »philosophische Konzeptionen
vorliegen, wie sie weder in Indien noch vielleicht sonst irgendwo
in der Welt ihresgleichen haben« ^); .sondern darum, weil diese
alten Denker so ernstlich um die Wahrheit ringen, weil in
ihren philosophischen Dichtungen das ewig unbefriedigte mensch-
liche Sehnen nach Wissen so innigen Ausdruck gefunden hat.
Nicht »übermenschliche Konzeptionen« enthalten die Upanisads,
sondern — das ist es gerade, was sie uns so wertvoll macht —
menschliche, ganz und gar menschliche Versuche, der Wahrheit
näherzukommen.
Für den Geschichtsforscher aber, der die Geschichte des
menschlichen Denkens verfolgt, haben die Upanisads noch eine
weit gröfsere Bedeutung. Von den mystischen Lehren der Upa-
nisads zieht sich ein Gedankenstrom zur Mystik des persischen
Sufiismus, zur mystisch-theosophischen Logoslehre der Neuplatoniker
und der alexandrinischen Christen bis zu den Lehren der christ-
liehen Mj^^stiker Eckhart und Tauler und endlich zur Philosophie
des grofsen deutschen Mystikers des neunzehnten Jahrhunderts
') Hecker a. a. 0., S. 7.
') Deussen, System des Vedänta, S. 50, 99 f. Welche Über-
treibungen
15*
~ 228 —
— Schopenhauers'). Was Schopenhauer den Indern verdankte,
hat er uns selbst oft genug gesagt. Tlato, Kant und »die Veden«.
(worunter bei Schopenhauer immer die Upanisads zu verstehen
sind) nennt er selbst seine Lehrer. In seinem für die akademische
Vorlesung bestimmten Manuskript schrieb er: »Die Resultate
dessen, was ich Ihnen vorzutragen gedenke, stimmen überein mit
der ältesten aller Weltansichten, nämlich den Vedas.« Die Er-
schlief sung der Sanskritlitteratur bezeichnet er als »das gröfste
Geschenk unseres Jahrhunderts« , und er prophezeit , dafs der
indische Pantheismus zum Volksglauben auch im Okzident werden
dürfte. Geradezu wundervoll erscheint ihm die Übereinstimmung
seines eigenen Systems mit dem der Upanisads, und er sagt uns,
»dafs jeder von den einzelnen und abgerissenen Aussprüchen,
welche die Upanischaden ausmachen, sich als Folgesatz aus dem
von ihm mitgeteilten Gedanken ableiten liefse, obgleich keineswegs
auch umgekehrt diese schon dort zu finden sei«. Es ist ja be-
kannt, dafs auf seinem Tisch das Oupnek'hat aufgeschlagen lag
und er darin vor dem Schiafengehcn seine » Andacht« verrichtete.
Und er sagt von diesem Buche: »Es ist die belohnendste und
erhebendste Lektüre, die (den Urtext ausgenommen) auf der Welt
möglich ist; sie ist der Trost meines Lebens gewesen und wird
der meines Sterbens sein.« ") Die Grundlehre der Upanisads aber
ist dieselbe, welche nach Schopenhauer »zu allen Zeiten der
Spott der Toren und die endlose Meditation der Weisen war«,
nämlich die Einbeitslehre, d. h. die Lehre, »dafs alle Vielheit
nur scheinbar sei, dafs in allen Individuen dieser Welt, in so
unendlicher Zahl sie auch, nach- und nebeneinander, sich darstellen,
doch nur eines und dasselbe, in ihnen allen gegenwärtige und
identische, wahrhaft seiende Wesen sich manifestiert« 3). Und
wenn Ludwig Stein recht hat, der unlängst sagte: »Die Philo-
sophie der Gegenwart ist der Monismus, das heilst die Einheits-
deutung alles Weltgeschehens,«'') — dann ist diese »Philo-
sophie der Gegenwart« vor drei Jahrtausenden schon die Philo-
sophie der alten Inder gewesen.
') Über Schopenhauer als Mystiker vgl. Hecker a. a. O., S. 85 f.
^) Parerga und Paralipomena , herausg. von |. Frauenstädt , II,
S. 427 (§ 185). Hecker a. a. O., S. 6 ff.
^) Schopenhauer, Grundlage der Moral, § 22. (Werke, herausg
von J. Frauenstädt, IV, S. 268 ff.)
'•) Beilage der > Neuen freien Presse, 10. Juli 1904.
_ 229 —
Die Vedäng^as.
In einer der Upanisads wird uns gesagt, dals es zweierlei
Wissenschaften gibt, eine höhere und eine niedrigere. Die höhere
ist die, durch welche das unvergängliche Brahman erkannt wird,
die niedrigere aber besteht aus »Rigveda, Yajuryeda, Sämaveda,
Atharvaveda, Phonetik, Ritual, Grammatik, Etymologie,
Metrik und Astronomie« '). Dies ist die älteste Aufzählung
der sogenannten sechs Vedähgas, d.h. der sechs y Glieder <
oder Hilfswissenschaften des Veda"). Ursprünghch sind damit
weder eigene Bücher noch eigene Schulen gemeint, sondern nur
Lehrgegenstände, welche in den vedischen Schulen selbst gelernt
werden mufsten, um die vedischen Texte zu verstehen. Wir finden
daher die Anfänge der Vedähgas bereits in den Brähmanas und
Aranyakas, wo wir neben den Erklärungen des Opferrituals auch
bereits gelegentlich phonetische, grammatische, etymologische,
metrische und astronomische Auseinandersetzungen finden. Im
Laufe der Zeit wurden aber diese Gegenstände mehr systematisch
behandelt, und es entstanden — immer noch innerhalb der vedischen
Schulen — besondere Fachschulen für jede der sechs Hilfs-
wissenschaften des Veda. Aus diesen sind dann eigene Lehrtexte,
»Lehrbücher«, hervorgegangen, die in einem eigentümlichen, zum
Auswendiglernen bestimmten Prosastil abgefafsten Sütras.
Das Wort sütra bed^putet ursprünglich »Faden«, dann eine
»kurze Regel«, einen in wenigen Worten zusammengedrängten
Lehrsatz. Wie nämlich — dies dürfte die Erklärung des Be-
deutungsüberganges sein — aus mehreren Fäden ein Gewebe
gemacht wird, so wird aus solchen kurzen Lehrsätzen ein Lehr-
system ^) zusammengewoben. Ein gröfseres Werk, welches aus
einer Aneinanderreihung solcher Sütras besteht, heifst dann eben-
falls Sütra*). Der Zweck dieser Werke ist ein rein praktischer.
^) Mu^cJakaUp. I, 1, 5: rgvedo yajurvedab sämavedo tharvavedab |
siksä kalpo vyäkara^am niruktam chando jyotisam ||
' '■) Vgl. oben S. 5l' und Ludwig, Der Rigveda III, S. 74 ff.
'^) Ähnlich bedeutet das Wort tantra ursprünglich »Gewebe«,
dann ein Lehrsystem, ein litterarisches Werk, eiu Buch.
1) Man vergleiche das Wort brähmaija, welches ursprünglich
»Ausspruch eines Theologen« bedeutet, dann kollektivisch für die Samm-
lungen solcher Aussprüche gebraucht wird, und das Wort upanisad,
welches izuerst eine Geheimlehre, dann aber ein gröfseres Werk, eine
Sammlung von Geheimlehren bezeichnet. (Oben S. 164 und 207 f.)
— 230 -^
Es soll in denselben irgendein Wissen systematisch in gedrängter
Kürze dargestellt werden, so dals es der Schüler leicht auswendig
lernen kann. Es gibt w^ohl in der ganzen Litteratur der Welt
nichts Ähnliches wie diese Sütras der Inder. Dem Verfasser eines
solchen Werkes ist es darum zu tun, in möglichst wenigen Worten
— selbst auf Kosten der Klarheit und Verständlichkeit — möglichst
viel zu sagen. Der Grammatiker Patafijali hat den oft zitierten
Ausspruch getan, dafs ein Sütraverfasser sich über die Ersparnis
eines halben kurzen Vokals ebenso freue wie über die Geburt
eines Sohnes. Nur durch Beispiele ist es möglich, eine Vor-
stellung von der ganz eigenartigen aphoristischen Prosa dieser
Werke, dem Sütrastil, zu geben. Was in den beiden folgenden
Stellen in unserer Übersetzung in Klammern gegeben ist, mufs
ergänzt werden, um den Sinn der abgerissenen Worte verständ-
lich zu machen:
Apastambiya-Dharmasütra I, 1, 1, 4—8:
Siitra 4: (Es gibt) vier Kasten: Brahmanen, Ksatriyas, Vaisyas und
§üdras.
Sjitra 5: Von diesen (ist) immer die vorhergehende der Geburt nach
besser (als jede folgende).
Sütra 6: Für (diejenigen, welche) nicht Sudras (sind) und nicht böse
Handlungen begangen haben, (ist vorgeschrieben:) Schülerweihe,
Vedastudium, Feueranlegung; und (diese heiligen) Handlungen (sind)
fruchtbringend (in dieser Welt und in der nächsten).
Siitra 7 : Gehorsam gegen die anderen Kasten (ist die Pflicht) der §üdras.
Sütra 8: Bei jeder vorhergehenden Kaste (ist) das Heil gröfser (d. h,
je höher die Kaste ist, welcher ein Südra dient, desto gröfser ist das
Heil, welches ihm dafür im Jenseits zuteil wird).
Gobhila-Grhyasütra I, 5, 1—5; 8—9:
Sütra 1: Nun beim Neu- und Vollmond (d. h. am Neumondstag und
am Vollmondstag sind die folgenden Zeremonien zu verrichten):
Sütra 3: An dem Vollmondstag (wo der Mond) zur (Zeit der Abend-)
Dämmerung (aufgeht) soll er fasten.
Sütra 3: Einige (JLehrer sagen): an dem (darauf)folgenden (Tag, d.h.
wenn der Mond kurz nach Sonnenuntergang aufgeht, soll er fasten).
Sütra 4: Ferner (soll er fasten) an dem Tage, an welchem der Mond
nicht gesehen wird, (indem er) diesen als den Neumondstag (ansieht).
Sütra 5: Am Ende der Monatshälften soll man fasten, am Anfang der
Monatshälften soll man opfern (d. h, den Opfern am Neumondstag
'sder am Vollmondstag soll immer ein Fasttag vorhergehen).
Siitra 8: An welchem Tage aber der Mond nicht gesehen wird, den
- 231 —
mache man zum Neumondstage (d. h. den soll man als den Neumorids-
tag feiern).
Sütra 9: Auch wenn (der Mond) nur einmal (des Tages gerade noch
ein wenig) gesehen wird, (kann man diesen Tag als Neumondstag feiern ;
dann sagt man nämlich,) dafs (der Mond bereits) seinen Weg zurück-
gelegt hat.
. Der Sanskrittext enthält also nur die nicht-eingeklammerten
Worte. Der Schüler lernte nur diese aphoristischen Sätze aus-
wendig; die notwendigen Erklärungen erhielt er vom Lehrer. In
späteren Zeiten wurden diese Erklärungen der Lehrer auch
niedergeschrieben, und sie sind uns in den umfangreichen Kommen-
taren erhalten, die es zu allen Sütratexten gibt, und ohne welche
die Sütras ftir uns zumeist unverständlich sein würden. Hervor-
gegangen ist dieser eigentümliche Sütrastil aus der Prosa der
Brähmanas. Diese aus fast lauter kurzen Sätzen bestehende Prosa
der Brähmanas, welcher die indirekte Rede ganz fehlt, in welcher
die Aufeinanderfolge von Hauptsätzen nur selten durch einen
Relativsatz oder Konditionalsatz unterbrochen wird , und deren
Eintönigkeit blofs durch Partizipiajkonstruktionen eine gewisse
Abwechslung erfährt; in denen fef'ner — trotz einer gewissen
Weitschweifigkeit, die sich namentlich in unbeholfenen Wieder-
holungen zeigt — vieles ungesagt bleibt , was sich beim münd-
lichen Vortrag und Unterricht von selbst versteht, während wir
es in unseren Übersetzungen ergänzen müssen '), — diese Prosa
konnte leicht durch eine mehr und mehr übertriebene Ver-
einfachung zu solchen lapidarischen, abgehackten, blofs durch die
allernotwendigsten Partikeln aneinandergereihten Sätzen um-
gemodelt werden, wie sie uns in den Sütras vorliegen. Zum
Zweck der gröfseren Silbenersparnis und einer noch knapperen
Zusammenfassung trat nur noch ein neues Element hinzu: die
Bildung langer Komposita, denen wir in den Sütras zum ersten-
mal begegnen, und die dann für die klassische Sanskritlitteratur
besonders charakteristisch geworden ist und in späterer Zeit
immer ' mehr überhandgenommen hat. Dafs der Sütrastil sich
aus der Prosa der Brähmanas entwickelt hat, kann man noch
deutlich daraus ersehen, dafs in den ältesten Sütratexten häufig
Zitate aus den Brähmanas vorkommen und öfters auch, ohne
') Vgl. oben S. 176 Anm. 1.
— 232 —
da(s zitiert wird, brähmanaartige Stellen sich mitten unter den
Sütras finden '),
Die Ritualiitteratur.
Die ältesten Sütrawerke sind denn auch in der Tat diejenigen,
welche sich auch inhaltlich unmittelbar an die Brähmanas
und Äranyakas anschliefsen. Ja, in dem Aitareya-Äranyaka
finden sich tatsächlich Stücke, welche nicht;? anderes als Sütras
sind und von der Überlieferung selbst den Sütraverfassern
Äsvaläyana und §aunaka zugeschrieben und als nicht - offenbart
bezeichnet werden^). Auch zum Sämaveda gehören einige nur
zu Unrecht als »Brähmanas« bezeichnete Werke, die in Wirklich-
keit Sütras sind und ihrem Inhalte nach zur Vedähgalitteratur
gezählt werden müssen. Das Ritual (k a 1 p a) , welches ja den
Hauptinhalt der Brähmanas ausmacht, ist denn auch dasjenige
Vedänga, welches zuerst eine systematische Behandlung in eigenen
Lehrbüchern, den sogenannten Kalpasütras, erfahren hat. Sie
entsprangen dem Bedürfnis, die Regeln für das Opferritual in
einer kürzeren, mehr übersMitlichen und zusammenhängenden
Form für die praktischen Zwecke der Priester zusammenzustellen.
Je nachdem sich diese Kalpasütras mit den in den Brähmanas
gelehrten Srauta opfern oder mit den häuslichen Zeremonien und
Opfern des täglichen Lebens, den Gihyariten, beschäftigen, 'hejfsen
sie Srautasütras und Grhy asütras?).
Die Srautasütras enthalten demnach die V^orschriften
über die Anlegung der drei heiligen Opferfeuer, über das Feuer-
opfer (Agnihotra), die Neu- und Vollmondsopfer, die Jahreszeiten-
Opfer, das Tieropfer und namentlich über das Somaopfer mit
seinen zahlreichen Abarten-»). Sic sind für uns die wichtigste
Quelle für das Verständnis des indischen Opferkultes, und ihre
') So sind einzelne Abschnitte des Sänkhäyana-Srautasütra in Stil
und Charakter den Brähraaijias ähnlich (Weber, Indische Litteratur-
geschichte, S. 59. Hillebrandt in der Vorrede zu seiner Ausgabe des
Öänkhä^ana-Hrautasülra). Auch in dem Baudhäyana-Kalpasütra gibt
es zahlreiche Stellen, die sich ganz wie Brähmanas lesen.
') Vtil. Max Müller, History of Ancient Sanskrit Literatare,
S. 314 f., 339.
3) Vgl. oben S. 50 f. und 139 f.
*) Vgl. oben S. 150 ff.
— 233 —
Bedeutung als religionsgeschichtiiche Quellen kann nicht hoch
genug veranschlagt werdeti ' ).
Noch mannigfaltiger und in mancher Hinsicht interessanter
ist der Inhalt der Grhyasütras^). Sie enthalten namlirh die
Vorschriften über alle Gebräuche, Zeremonien und Opfer, duixh
welche das Leben des Inders von dem x\ugenblick an, wo er im
Mutterschofse empfangen wird , bis zu seiner Todesstunde und
noch da.rüber hinaus durch die Totenzeremonien und den Seelen-
kult eine höhere »Weiber — was die Inder samskära nennen
— empfängt. Wir finden demna^'h in diesen Werken eine grofse
Menge von echt volkstümlichen Sitten und Gebräuchen ausführ-
lich behandelt, die sich auf die Empfängnis, die Geburt, die
Wöchnerin und das neugeborene Kind, die Namengebung, den
ersten Ausgang und die erste Speisung des Kindes beziehen ; wir
finden genaue Vorschriften über da^ Haarscheren des Knaben,
die Einführung des Schülers beim Lehrer (upanayana oder
»Schülerweihe«), die Lebensweise des Brahmacärin oder Veda-
') Von einem Srautasutra }>ibt es bis jetzt keine Übersetzunt?.
Jedoch ist der Inhalt dieser Werkf zum Teil in den Werken von
A. H i 1 1 e b r a n d t , Das altindische Neu- und Vollmondsopfer, Jena 1 879,
und Julius Schwab, Das altindische Tieropfer, Erlangen 1886. ver-
arbeitet. Die gesamte Rituallitteratur, sowie die Hauptztige des
Rituals selbst, sowohl der Srauta wie der Grhyazeremonien , hat
A. Hillebrandt im 'Grundrifs«, Bd. III, Hett 2 (Rituallitteratur.
Vedische Opfer und Zauber, Strafsburg 1897) ausführlich behandelt.
Die Bedeutung der Srautasütras für die allgemeine Religionswissen-
schaft haben zuerst H. Hubert und M. Maufs in ihrem »Essai sur
la nature et la fonction du sacrificc" (Annee Sociologique, Paris
1897—1898, pp 29—138) vollauf gewürdigt.
^) Die Grhyasütras sind leicht zugänglich in folgenden Ausgaben
und Übersetzungen: Indische Hausregeln. Sanskrit und deutsch
herausgegeben von A. F. Stenzler. I. A<;valäyana. Leipzig 1864—65.
II. Päraskara. L-eipzig 1876 und 1878 (Abhandlungen für die Kunde
des Morgenlandes III, IV und VI.) Das (^änkhäyanagrihyam (Sanskrit
und deutsch) von H. Ol den b er g lim 15. Band der »Indischen Studien-).
Das Gobhilagrhyasötra, herausgegeben unJ über-setzt von Friedrich
Knauer. Dorpat 1884 und 1886. Vgl. auch M. Bloomfield, Das
Grhyasamgrahaparicishta des Gobhilaputra (in ZDMG., Bd. XXX VO,
und P. V. Bradke, Über das Mänava-Grhya-Sütra (in ZDMG..
Bd. XXXVI). Eine englische Übersetzung der wichtigsten Grhya-
sütras hat H. Oldenberg in den S.acred Books of the East, Vols. 29
und 30, veröffentlicht.
— 234 —
Schülers, das Verhältnis zwischen Schüler und Lehrer und die
Entlassung des Schülers aus dem Dienste des Lehrers. In aus-
führlichster Weise werden dann namentlich die Gebräuche bei
der Werbung, Verlobung und Hochzeit dargestellt. Hier in den
Grhyasütras werden auch die schon im hatapatha-Brähmana
(XI, 5, 6) erwähnten »fünf grofsen Opfer« ausführlich beschrieben.
»Das sind in der Tat grofse Opferfeste,« heilst es emphatisch in
dem Brähmana, urid »grofse Opfere werden sie genannt, weil die
Vollziehung derselben zu den wichtigsten religiösen Pflichten
eines jeden Hausvaters gehört, obgleich sie in Wirklichkeit nur
aus kleinen Spenden und wenigen, einfachen Zeremonien bestehen.
Es sind dies die täglichen Opfer an die Götter, Dämonen
und Manen, die nur in dem andächtigen Auflegen eines Holz-
scheites auf das heilige Feuer des Herdes, einigen Speiseresten,
einer W^asserspende zu bestehen brauchen, ferner die Bewirtung
eines Gastes (als »Opfer an die Menschen« bezeichnet) und
fünftens das als »Opfer an das Brahman (oder die Rsis)< ge-
dachte tägliche Lesen eines Veda-Abschnittes. Die einfachen
Abend- und Morgenopfer, Neu- und Vollmondsopfer und die mit
Opfern verbundenen Jahresfeste (aus denen die zu den Örauta-
opfern gehörigen Agnihotra-, Dansapürnamäsa- und Cäturmäsya-
opfer hervorgegangen sein dürften) finden wir ebenfalls in den
Grhyasütras dargestellt. Ferner werden uns die Bräuche und
Zeremonien geschildert, die sich auf den Hausbau, die Viehzucht
und die Landwirtschaft beziehen, desgleichen die Zauberriten,
welche zur Abwehr von Krankheiten und unglückbedeutenden
Vorzeichen dienen sollen, wie auch Beschwörungen und Riten
für Liebeszauber u. dgl. Endlich behandeln die Grhyasütras auch
die Totengebräuche und die Manenopfer (Sräddhas), die aber ftir
so wichtig galten, dafs sie bald in eigenen Texten (Öräddhakalpas)
mit grofser Umständlichkeit behandelt worden sind ').
So gewähren uns denn diese Grhyasütras, so unbedeutend sie
auch als Litteraturwerke sein mögen, einen tiefen Einblick in das
') Um die Erforschung der Toten^ebräuche und des Ahnenkults
auf Grund der indischen Rituallitteratur hat sich namentlich W. Caland
verdient gemacht durch die Werke : Über Totenverehrung bei einigen
der indogermanischen Völker. Amsterdam 1888. Altindischer Ahnen-
kult. Leiden 1893. Die altindischen Todten- und Bestattungsgebräuche.
Amsterdam 1896.
— 235 —
Leben der alten Inder. Sie sind in der Tat für den Kultur-
forscher ein wahrer Schatz. Man denke nur, wie mühsam sich
der Altertumsforscher die Nachrichten über das tägliche Leben
der alten Griechen und Römer aus den verschiedensten Werken
zusammensuchen mufs. Hier in Indien haben wir nun in diesen
unscheinbaren Sütratexten in der Form von Regeln und Vor-
schriften die zuverlässigsten Nachrichten — wir können sagen :
von Augenzeugen — über das tägliche Leben der alten Inder. Sie
sind gleichsam die ^Folklore-Journals« des alten Indiens. Zwar
schildern sie das Leben des indischen Hausvaters nur von der
religiösen Seite, da aber die Religion bei den alten Indern das
ganze Dasein durchdrang, so sehr, dals eigentlich nichts geschehen
konnte, ohne dafs auch zugleich eine religiöse Zeremonie statt-
fand, sind sie für den Völkerforscher ganz unschätzbare Quellen
für die volkstümlichen Sitten und Bräuche jener alten Zeit, um
so wichtiger sind sie, da sich, wie man längst entdeckt hat, zu
den in den Grhyasütras geschilderten Bräuchen zahlreiche
Parallelen in den Sitten und Gebräuchen anderer indogermanischer
Völker finden. Insbesondere hat die Vergleichung der griechischen,
römischen, germanischen und slavischen Hochzeitsbräuche mit den
in den Grhyasütras enthaltenen Vorschriften gelehrt, dafs die
Verwandtschaft der indogermanischen Völker sich nicht auf die
Sprache beschränkt, sondern dafs diese sprachverwandten Völker
auch in ihren Sitten und Bräuchen viele gemeinsame Züge aus
vorgeschichtlicher Zeit bewahrt haben').
') Vgl. E. Haas und A. Weber, Die Heiratsgebräuche der
alten Inder, nach den Grihyasütra (im fünften Band der "Indischen
Studien"). L. v. Schroeder, Die Hochzeitsgebräuche der Esten und
einiger anderer finnisch-ugrischer Völkerschaften in Vergleichung
mit denen der indogermanischen Völker, Berlin 1888. B. W. Lei st,
Altarisches Jus gentium. Jena 1889. M. Winternitz, Das altindische
Hochzeitsrituell nach dem Äpastamblya-Grhyasütra und einigen anderen
verwandten Werken. Mit Vergleichung der Hochzeitsgebräuche bei
den übrigen indogermanischen Völkern. (Denkschriften der kais.
Akademie der Wissenschaften in Wien, phil.-hist. Kl., Bd. XL.
Wien 1892.) M. Winternitz, On a Comparative Study of Indo-European
Customs, with special reference to the Marriage Customs (The Inter-
national Folk-Lore Congress 1891, Papers and Transactions , London
1892, pp. 267 — 291.) O. Schrader, Reallexikon der indogermanischen
Altertumskunde, Strafsburg 1901, S. ?>53 ff. Th. Zachariae, Zum
— 236 -
Nicht minder wichtig ist eine dritte Klasse von Lehrbüchern,
die sich unmittelbar an die Grhyasütras anschhefst und wohl nur
als F'ortsctzung derselben entstanden ist, nämlich die Dharma-
sütras, d. h. Lehrbücher, welche über den Dharma handeln.
Dharma bedeutet aber sowohl »Recht, Pflicht, Gesetz« als auch
»Religion, Sitte, Brauch*. Diese Werke behandeln daher sowohl
das weltliche als das religiöse Recht,, die ja in Indien gar nicht
zu trennen smd. Sie geben Regeln und Vorschriften über die
Pflichten der Kasten und der Lebensstufen (Äsramas), Durch
diese Werke gelang es den Brahmanen, das altindische Gewohn-
heitsrecht zu ihren Gunsten umzugestalten und ihren Einflufs nach
allen Seiten geltendzumachen. Wir werden auf diese Dharma-
sütras in dem Abschnitt über die Rechtslitteratur noch eingehen-
der zu sprechen kommen. Hier mufsten sie nur erwähnt werden,
weil sie ebenso wie die i'^rauta- und Grhyasütras in den vedischen
Schulen entstanden sind und mit diesen einen Bestandteil der
Kalpasutras oder Lehrbücher des Rituals bilden.
Zu diesen Kalpasutras gehören schliefslich auch noch die
i'^ul vasütras, die sich unmittelbar an die §rautasütras anschlieisen.
Sie enthalten genaue Regeln über die Ausmessung — sulva be-
deutet »Mefsschnurc — und den Bau des Opferplatzes und der
Feueraltäre und sind als die ältesten Werke über die indische
Geometrie für die Geschichte der Wissenschaft von nicht ge-
ringer Bedeutung,
Von grofser Wichtigkeit sind die Srauta- und Grhyasütras
auch für die Vedaerklärung. Sie enthalten nämlich nicht nui
die Regeln für das Ritual, sondern auch für die Verwendung
(viniyoga) der Munt ras, d. h. der Gebete und Formeln. Es
sind dies zumeist Verse oder Yajussprüche, welche in den vedischen
Samhitäs vorkommen; und für die richtige Erklärung derselben
ist ihre Verwendung bei den Opferriten keineswegs gleichgültig.
Oft genug haben zwar die Mantras mit den Opferhandhmgen,
für welche sie vorgeschrieben werden, nichts zu tun — und es
ist religionsgeschichtlich ungemein interessant, zu sehen, wie oft
Gebete für Zwecke verwendet werden, zu denen sie gar nicht
passen, und wie sie oft ganz mi fsverstanden , falsch aufgefafst
altindischeu Hochzeitsritual (in der Wiener Zeitschrift für die Kunde
des Morgenlandes, Bd. XVII, S. 135 ff., 211 ff.
-- 237 -
oder auch willkürlich verändert worden sind — . aber zuweilen
gibt doch ihre rituelle Verwendung den Schlüssel zur Erklärung
einer schwierigen Vedastelle. In der Regel sind die Mantras in
den Sütras eingeschlossen und werden in denselben teils voll-
ständig, teils nur mit den Anfangsworten der als bekannt voraus-
gesetzten Verse angeführt.
Die Mantras sind es avich, durch welche die Kalpasütras ihre
Zugehörigkeit zu bestimmten vedtschen Schulen am deutlichsten
zum x\usdruck bringen. So geben z. B. die zum schwarzen
Yajurveda gehörigen Srauta- und Grhyasötras die Gebete in der
Form , welche sie in den Samhitäs des schwarzen Yajurveda
haben ; und sie geben die Verse oder Yajussprüche, welche wört-
lich der Sarnhitä, zu welcher sie gehören, entnommen sind, nur
mit den Anfangsworten, d. h. sie setzen sie als bekannt voraus,
wahrend sie andere Mantras, z. B. solche aus dem Rigveda oder
Atharvaveda, vollständig geben. Es gibt übrigens in allen Sütras
auch eine Anzahl von Mantras, welche in den Samhitäs nicht
vorkommen. Und zwei Grhyasütras gibt es, bei denen die Mantras
überhaupt von dem Sutratexte getrennt und in eigenen Gebet-
büchern vereinigt sind; es sind dies das Mantrabrähmana ^),
welches die Gebete für das Gobhila-Grhyasütra enthält, und der
zum Apastambiya-Grhyasutra gehörige M a n t r a p ä t h a ^).
Blofs bei den zum schwarzen Yajurveda gehörigen Schulen
des Baudhäyana und des Äpastamba finden wir Kalpa-
sütras, welche alle vier Arten von Sütra texten — Srauta-, Grhya-,
Dharma- und Sulvasütras — enthalten, wobei es sich auch nach-
weisen lafst, dafs diese Werke in der Tat so zusammenhängen,
dafs sie gewissermafsen als die vier Bände eines einheitlichen
Werkes angesehen werden können. Wenn nicht — was auch
möglich ist — Baudhäyana und Äpastamba tatsächlich die Ver-
fasser von vollständigen, alle vier Arten von Texten umfassenden
Kalpasütras waren, so sind doch jedenfalls die zur Baudhäyana-
beziehungsweise Äpastambaschule gehörigen Srauta-, Grhya-,
Dharma- und Sulvasütras die in jedem von beiden Fällen nach
') Das Mantra - Brähmapa. 1. Prapäthaka (Sanskrit und deutsch)
von Heinrich Stönner. Halle a. S. 1901 (Inauguraldissertation).
*) The Mantrapätha, or the Prayer Book of the Äpastambins.
Edited by M. Winternitz. Oxford (Anecdota Oxoniensia) 1897.
— 238 —
einem einheitlichen Plane verfafsten Werke dieser zwei zum
Yajurveda gehörigen Schulen').
Eng verwandt mit den Sütras der Apastambaschule sind die
der Hiranyakesins. Doch gibt es hier nur ein Srauta- und ein
Grhyasütra "=) , während das Hiranyakesi-Dharmasütra von dem
ApastambTya-Dharmasütra fast gar nicht verschieden ist.
Alle diese Sütras ' — ebenso wie die bisher noch nicht heraus-
gegebenen Texte der Bhäradväjas — stehen in enger Beziehung
zur TaittirTya-Samhitä. Aulserdem gehören zum schwarzen
Yajurveda noch die zur MaiträyanT-Samhitä in Beziehung stehen-
den Srauta-, Grhya- und Sulvasütras der Mäna vaschule ^) sowie
das mit dem Mänava-Grhyasütra verwandte Käthaka-Grhya-
sütra.
Ob es auch in jeder anderen vedischen Schule immer ein
Kalpasötra gegeben hat, welches alle vier Arten von Sütras um-
fafste, wie es bei den Schulen des Baudhäyana und des Äpastamba
der Fall ist, läfst sich nicht entscheiden. Tatsächlich besitzen wir
von den nicht zum schwarzen Yajurveda gehörigen Schulen bald
nur ein Srautasütra, bald nur ein Grhyasütra, während der Zu-
sammenhang einiger Dharmasütras mit Schulen des Rigveda
oder des weifsen Yajurveda überhaupt sehr lose ist. Es gehören
zum weifsen Yajurveda ein Kätyäyana-Srautasütra*), ein
Pära skara-Grhyasütra und ein Kätyäy ana- Sulva-
sütra; zum Rigveda ein Asvaläyana-8rautasütra s),
■) Herausgegeben wurde das Apastambiya - brautasütra von
R. Garbe in der »Bibliotheca Indica«, Calcutta 1882 ff., das Apastam-
biya-Grhyasütra von M. Winternitz, Wien 1887, das Apastambiya-
Dharmasütra von G^ Bühler, zweite Aufl. (Bombay Sanskrit Series
1892 und 1894), das Apastambiya-Sulvasütra mit deutscher Übersetzung
von Albert Bürk (in ZDMG Bd. .55 und 56, 1901-2). Das Sulvasütra
des Baudhäyana hat G. Thibaut herausgegeben und ins Englische
übersetzt (im »Pandit«, voL IX ff). Eine Ausgabe des Baudhäyaoa-
Srautasütra hat W. Caland eben erst begonnen.
*) Das Hiranyakesi-GrhyasQtra hat J. Kirste (Wien 1889) heraus-
gegeben.
^) Das Mänava-Grhya-vSütra, herausg. von F. Knauer, St. Peters-
burg 1897. Das Mänava-C^rauta-Sütra, herausg. von F. Knauer, I bis
V, St. Petersburg 1900 ff.
■*) Herausg. von A. Weber als dritter Bd. seines »White Yajurveda^.
'') Herausgegeben in der ßibliotheca Indica s Calcutta.
— 239 —
Asvaläyana-Grhyasatra,Sänkhäyana-§rautasütra'>
und Sänkhäyana-Grhyasütra; zum Sämaveda einLtäyä-
yana-Öraut.asütra =), ein Gobhila-Grhyasütra und ein
Khädira-Grhjasütra^). Zum Atharvaveda endlich gehören
ein Vaitäna-Srautasütra''), ein sehr spät entstandenes
Werk, welches dem Atharvaveda beigegeben wurde, um ihn den
übrigen drei Vedas gleichwertig zu machen, und das viel ältere
und wichtigere Kausikasütra^). Dieses ist nur zum Teil ein
Grhyasütra, welches ebenso wie die anderen Grhyasütras das
häusliche Rituell behandelt; es ist aber viel umfangreicher und
enthält auch die ausführlichsten Anweisungen zur V^oUziehung
jener Zauberriten, für welche die Lieder und Sprüche des
Atharvaveda verwendet wurden. So ist dieses Kausikasütra eine
höchst wertvolle Ergänzung zur Atharvaveda-Samhitä und eine
unschätzbare Quelle für unsere Kenntnis des altindischen Zauber-
wesens. Ein interessantes Zauberbuch ist auch das zum Sämaveda
gehörige Sämavidhäna-Brähmana^), das trotz seines Titels
zur Sütralitteratur gehört.
Mit den Sütratexten ist die Litteratur über das Opferritual
keineswegs erschöpft. So wie sich an die Upanisads des Veda
eine nachvedische Upanisadlitteratur anschliefst, so schliefst sich
an die vedische Rituallitteratur eine bis in die neueste Zeit fort-
gesetzte litterarische Tätigkeit auf dem Gebiete des Rituals. Zu-
') Herausg. von A. Hillebrandt in der »Bibliotheca Indica«,
Calcutta 1888 ff.
^) Herausg. in der "Bibliotheca Indica", Calcutta.
') Herausg. von H. Oldenberg in Sacred Books of the East, Vol. 29.
Die Ausgaben der übrigen Grhyasütras siehe oben S. 233 Anm. 2.
■») Herausgegeben und ins Deutsche übersetzt von R. Garbe»
London resp. Strafsburg 1878.
5) Herausgegeben von M. Bloomf ield, New Haven 1890. Zahl-
reiche Auszüge aus diesem Sütra hat derselbe Gelehrte in den An-
merkungen zu seiner englischen Übersetzung ausgewählter Hymnen
des Atharvaveda (Sacred Books of the East, Vol. XLII) gegeben. Die
wichtigsten auf Zauberei bezüglichen Absfchnitte des Kausikasütra
hat auch W. Caland in seinem Werke: Altindisches Zauberrifual»
Amsterdam 1900, ins Deutsche übersetzt.
*'} Herausgegeben von A. C. Burneil, London 1873. Ins Deutsche
übersetzt von Sten Kon o w , Das Sämavidhänabrähmäna, ein altindisches
Handbuch der Zauberei, Halle a, S, 1893.
— 240 —
nächst folgen auf die Örauta- und Grhyasutras die PariSistas
oder »Nachträge* , in welchen ein'zeine in den Sötras nur kurz
angedeutete Dinge ausführlicher behandelt werden. Später folgen
diePrayogas, i> praktische Handbücher«, die Paddhatis,
'Grundrisse«, und die Kärikäs, versifizierte Darstellungen' des
Rituals. Alle diese Werke behandeln entweder das ganze Ritual
irgendeiner vedischen Schule oder — w^as häufiger der Fall
ist - einzelne Abschnitte desselben. Von Wichtigkeit sind
insbesondere die Spezialwerke über Hochzeitsgebräuche, Toten-
bo^stattung und Manenopfer (Sräddhas), von denen freilich die
meisten nur durch Handschriften und indische Drucke bekannt sind.
Die exegetischen Vedängas.
Mindestens ebenso alt wie die Kalpasütras sind diejenigen
Sütratexte, welche sich mit der Siksä oder »Phonetik« beschäftigen.
Während die Kalpasütras Hilfswerke zum Brelhmanateile des
Veda sind, stehen die zum Vedänga f^iksä gehörigen Sütras in
engster Beziehung zu den Samhitäs der Vedas.
Siksä heifst eigentlich »Unterricht«, dann im besonderen
»Unterricht im Rezitieren«, d. h. in der richtigen Aussprache,
Betonung u. s. w. der Samhitätexte. Die älteste Plrwähnung dieses
Vedänga findet sich in der TaittiriyaUpanisad (I, 2), wo die
Lehre von den Buchstaben und der Betonung , dem .Silbenmafs
(Quantität) und der Lautstärke, der Melodie und der Wort-
verbindung bei der fortlaufenden Rezitation als die sechs Kapitel
der Siksä aufgezählt werden. Ebenso wie die Lehre vom Ritual
entsprang auch die Siksä einem religiösen Bedürfnis. Denn um
eine Opferhandlung richtig zu vollziehen, war es nicht nur not-
wendig , das Ritual zu kennen , sondern man mufste auch die
heiligen Texte genau aussprechen und ohne Fehler rezitieren
können, — und zw^ar so, wie sie in den Samhitäs überliefert
waren. Dies setzt aber voraus, dafs zur Zeit, wo die Lehrbücher
der biksä entstanden , die vedischen Samhitäs bereits als heilige
Texte fixiert waren, dafs sie durch phonetisch geschulte Redaktoren
eine feste Gestalt bekommen hatten. In der Tat läfst sich nach-
weisen, dafs z. B. die Rigveda-Samhitä die Hymnen nicht in der
Gestalt gibt, wie sie von den alten Sängern gedichtet worden
sind. Zwar haben die Redaktoren an den W^orten selbst nichts
- 241 —
geändert; abef- sie liefsen sich in bezug auf die Aussprache, den
Auslaut und Anlaut der Wörter, die Vermeidung des Hiatus u. dgl.
durch phonetische Theorien dazu verleiten , von der ursprüng-
lichen Rezitationsweise abzuweichen. So lesen wir z. B. in unserer
Samhitä tvam hyagne, können aber (auf Grund des Metrums)
beweisen, dafs die alten Sänger tuain hi agne gesprochen
hatten. Es sind also die vedischen wSarnhitäs .selbst bereits das
Werk von Phonetikern. Aber neben den Samhitä-Pä thas,
d. h. den Sarnhitätexten, wie sie nach den Lehren der Siksä
rezitiert werden muisten, gibt es auch die sogenannten Pada-
Päthas oder »Worttexte«, in denen die einzelnen Worte aus
der phonetischen Verbindung, in welcher sie der Sarnhitätext
bietet, losgetrennt erscheinen. Ein Beispiel wird genügen, um
den Unterschied zwischen Samhitä-Pätha und Pada-Päiha klar zu
machen. Ein Vers lautet in unserer Rigveda-Samhitä ;
agnih pürvebhirrsibhirl^yo nötanairuta 1 sa deväm eha vaksati ||
Im Pada-Pätha lautet dieser Vers:
agnih | pürvebhih | rsi-bhib ! I(Jyab I nütanaih | uta | sa i devän i ä |
iha I vaksati ||
/
Diese Pada-Päthas sind natürlich das Werk von phonetisch
geschulten Theologen, ja von Grammatikern •, denn sie bieten den
Text der Verse in einer vollständigen grammatischen Analyse.
Dennoch müssen sie ziemlich alt sein. Der Pada-Pätha des Rig-
veda wird dem Säkalya zugeschrieben, einem Lehrer, der schon
im Aitareya-Äranyaka erwähnt wird.
Samhitä-Päthas und Pada-Päthas sind also die ältesten Er-
zeugnisse der Öiksä-Scbulen. Die ältesten uns erhaltenen Lehr-
bücher aber, welche zu diesem Vedänga gehören, sind die
Prätisäkhyäs, welche die Regeln enthalten, mit Hilfe deren
man aus dem Pada-Pätha den Samhitä-Pätha bilden kann. Daher
enthalten sie Belehrungen über die Aussprache, die Betonung,
die euphonischen Veränderungen der Laute in der Wortzusammen-
setzung sowie im Auslaut und Anlaut der Wörter im Satze, über
Verlängerung von Vokal'en, kurz : über die ganze Rezitationsweise
der Sarnhitä. Zu jeder Öäkhä oder Rezension einer Saiphitä hat
es ein solches Lehrbuch gegeben — daher der Name Prätisä-
khyäs, d. h. jje für eine Häkhä bestimmte Lehrbücher«. Erhalten
Wintetnitz, Geschiebte der indischen Litteratur. 16
— 242 —
ist uns zunächst ein Rigveda-PrätiSäkhya^), welches dem
Saunaka, der ein Lehrer des Asvaläyana gewesen sein soll,
zugeschrieben wird. Dieses Werk ist in Versen abgefafst und
wahrscheinlich eine jüngere Überarbeitung eines älteren Sütra-
textes; es wird sogar in Manuskripten und Zitaten als »Sütra<-
bezeichnet. Zur Taittiriya-Samhitä gehört das Taittirlya-
Präti§äkhya-Sütra='); zur Väjasaneyi-Samhitä ein dem
Kätyäyana zugeschriebenes Väjasaneyi-Prätisäkhya-
Sütra3), und zur Atharyaveda-Samhitä ein Atharvaveda-
Prätisäkhya-Sütra*), welches zur Schule der §aunakas
gehören soll.
Von Wichtigkeit sind diese Werke ftir uns in zweifacher
Beziehung. Erstens für die Geschichte des grammatischen
Studiums in Indien, welche für ims mit diesen PrätiSäkhyas be-
ginnt. Wenn sie auch nicht selbst eigentlich grammatische Werke
sind, so behandeln sie doch Gegenstände, welche zur Grammatik
gehören. Sie beweisen auch dadurch, dafs sie viele Grammatiker
zitieren, dafs zu ihrer Zeit das grammatische Studium bereits in
voller Blüte stand. Noch wichtiger sind sie aber zweitens da-
durch, dafs sie uns eine Bürgschaft dafür abgeben, dafs die Texte
der Samhitäs so, wie sie uns heute vorliegen, sich durch alle Jahr-
hunderte seit der Zeit der Prätisäkhyas imverändert erhalten
haben. So setzen die Regeln des Rigveda-Prätisäkhya voraus,
dafs zur Zeit desselben die Rigveda-Samhitä nicht nur bereits
mit ihrer Einteilung in zehn Mandalas feststand, sondern dafs
auch die Reihenfolge der Hymnen in jedem Mandala dieselbe
war wie jetzt. Ja, die minutiösen Regeln des Saunaka lassen
keinen Zweifel darüber, dafs zu seiner "Zeit der Text der Rigveda-
Samhitä nahezu Wort für Wort und Silbe für Silbe genau so
•) Rig-V^da-Pratisakhya, das älteste Lehrbuch der vedischen
Phonetik. Sanskrittext mit Übersetzung und Anmerkungen heraus-
gegeben von Max Müller, Leipzig 1856 — 69.
*) The Taittiriya-Prätigäkhya. Text, Translation and Notes by
W. D. Whitney. New Haven 1871. (Journal of the American
Oriental Society, Vol. IX.)
^) Kätyäyana's Pratisakhya of the White Yajur-Veda, ed. bv
P. Y. Pathaka. Benares 1883-88.
*) The Atharva- Veda Präti<;äkhya or (^aunakiyä Caturädhyäyikä :
Text, Translation and Notes- By W. D. Whitney. New Haven 1862.
(Journal of the American Oriental Society, Vol. VII.)
- 243 —
feststand, wie wir denselben heutzutage in unseren gedruckten
Ausgaben vorfinden.
Diese Prätisäkhyas sind die ältesten Vertreter des Vedänga
Siksä. Es gibt daneben noch mehr moderne Werke, kleine Ab-
handlungen über Phonetik, die sich 8 i k s ä s nennen und berühmte
alte Namen, wie Bhäradväja, Vyäsa, Väsi^tha, Yäjiiavalkya u. s.w.
als ihre Verfasser angeben. Sie schliefsen sich an die Prätisäkhyas
ungefähr ebenso an, wie auf die alten vedischen Dharmasütras
in späterer Zeit versifizierte Rechtsbücher folgten, die ebenfalls
altberühmte Namen als ihre Verfasser nennen. Manche dieser
Öiksäs sind verhältnismäfsig alt und schliefsen sich mehr un-
mittelbar an irgendein Prätisäkhya an — z. B. die Vyäsa -
Siksä') an das Taittirlya-Prätisäkhya — , während andere viel
jüngeren Ursprungs und weder für die Grammatik noch für die
Geschichte der vedischen Texte von Belang sind.
S a u n a k a und K ätyäyana, welche als Verfasser von
Prätisäkhyas genannt werden, gelten auch als die Verfasser von
Werken, die der Vedähgalitteratur sehr nahe stehen, weil sie
sich ebenfalls mit den Texten der vedischen Samhitäs beschäftigen,
die man aber doch nicht als Vedängas bezeichnet. Es sind dies
die Anukramanis, d. h. »Verzeichnisse«, »Listen«, »Indices«,
welche den Inhalt der vedischen Samhitäs nach verschiedenen
Richtungen angeben. So verfafste Saunaka eine AnukramanI
oder ein Verzeichnis von den Rsis der Rigvedabymnen , ein
V^erzeichnis von den Metren, eines von den Gottheiten und eines
von den Hymnen. Von Kätj^äyana besitzen wir eine Sarvänu-
kramani^), d.h. ein »Verzeichnis von allen Dingen«, zum Rig-
veda. Dieses Werk gibt in der Form von Sütras die Anfangs-
worte eines jeden Hvmnus, dann die Zahl der Verse, den Namen
und das Geschlecht des Rsi, dem derselbe zugeschrieben wird, der
Gottheiten, an welche die einzelnen V^erse gerichtet sind, und des
Metrums oder der Metren, in welchen der Hymnus abgefafst ist. Dem
baunaka werden auch die beiden metrischen Werke Brhaddevatä
') Vgl. H. Lüders, Die \'yäsa-^ikshä besonders in ihrem Ver-
hältnis zum Tatttiriya-Prätipäkhya. Kiel 1895.
-) Herausgegeben von A. A. Macdonell, Oxford (Anecdota
Oxoniensia) 1886.
16*
— 244 —
und Rgvidhäna zugeschrieben. Die Brhaddevatä \) ist ein er-
weitertes Verzeichnis der in den einzelnen Hymnen des Rigveda
verehrten Gottheiten; sie enthält nämlich auch Mythen und
Legenden, die sich auf diese Gottheiten beziehen, und ist darum zu-
gleich ein für die indische Erzählungslitteratur wichtiges Werk.
Das Rgvidhäna ^j gibt — gleichfalls in Form eines der Einteilung
unserer Rigveda-Samhitä folgenden Verzeichnisses — für jeden
Hymnus oder auch für einzelne Verse die Zauberwirkung an,
welche durch Rezitation derselben erreicht werden kann. Es
berührt sich zum Teil mit dem obenerwähnten Sämavidhäna-
Brähmana.
Die Wichtigkeit der Anukramanis und der verwandten
Werke beruht darauf, dafs auch sie beweisen, dafs schon in sehr
alter Zeit die Texte der vedischen vSamhitäs fast genau in der-
selben Gestalt, in derselben Einteilung, mit derselben Verszahl u.s. w.
vorhanden waren, wie sie uns jetzt vorliegen.
Das gleiche gilt auch für das schon hei anderer Gelegenheit
erwähnte Nirukta des Yäska'). Auch dieses Werk, das
einzige, welches wir als Überrest des Vedänga Nirukta besitzen,
setzt die Rigveda-Samhitä in wesentlich demselben Zustande
voraus, in welchem wir sie heute kennen. Die Überlieferung
schreibt fälschlicherweise auch die Nighantus oder »Wortlisten«
dem Yäska zu. In Wirklichkeit ist aber das Werk des Yäska
nur ein Kommentar zu diesen Wortlisten, von denen Yäska selbst
^agt, dafs sie von den Nachkommen der alten Weisen zum
leichteren Verständnis der überlieferten Texte zusammengestellt
worden seien. Die Nighantus sind nämlich fünf Listen von
Wörtern, welche in drei Abschnitte eingeteilt sind. Der erste
Abschnitt (Naighantukakända) besteht aus drei Listen, in welchen
vedische Wörter unter bestimmten Hauptbegriffen zusammen-
gestellt sind. Es werden z. B. 21 Namen für »Erde« , 15 für
»Gold«, 16 für vLuft«, 101 für »Wasser«, 122 Zeitwörter für
■') Herausgegeben von Rajendralala Mitra in der »Bibliotheca
Indica«, Calcutta 1892.
') Rgvidhäiiani edidit cum praefatione Rudolf Meyer, ßerolini 1878
i) Vgl. oben S. 62. Herausgegeben wurde das Nirukta zuerst
von R. Roth. Göttingen 1852, Eine mit Kommentaren und Indices
reich ausgestattete Ausgabe von S. Sämasrami erschien in der Biblio-
theca Indica«, Calcutta 1882-91.
— 245 —
>gehen«, 26 Adjektiva und Adverbia für »schnell«, 12 für »viel«
u. s. w. aufgeführt. Der zweite Abschnitt (Naigamakända oder
Aikapadika) enthält eine Liste von einzelnen vieldeutigen und
besonders schwierigen Wörtern des Veda, während der dritte
Abschnitt (Daivatakända) eine Klassifizierung der Gottheiten nach
den drei Gebieten Erde, Luftraum und Himmel gibt*). Mit der
Zusammenstellung solcher Glossare hat die Vedaexegese wahr-
scheinlich begonnen, und erst eine weitere Stufe der Entwicklung
war es, als man zu diesen Glossaren Kommentare nach Art
unseres Nirukta verfafste, in welche die Erklärungen schwieriger
Vedaverse eingeflochten waren, bis dann in noch späterer Zeit
ausführliche und fortlaufende Kommentare zu den vedischen Texten
geschrieben worden sind. Sicher ist, dafs Yäska viele Vorgänger
hatte, und dafs sein Werk, obgleich es gewifs sehr alt imd für
uns das älteste vedaexegetische Werk überhaupt ist, doch nur als
das letzte, vielleicht auch vollkommenste Erzeugnis der zum
Vedänga Nirukta gehörigen Litteratur angesehen werden kann.
Auch von den Vedängas der Metrik und der Astronomie
sind uns nur die letzten Ausläufer einer älteren wissenschaftlichen
Litteratur in je einem Werk erhalten. Das Lehrbuch des
Pingala über Metrik, obgleich es von den Indern als ein zum
Rigveda beziehungsweise Yajurveda — es ist nämlich in zwei
Rezensionen überliefert — gehöriges Vedänga angesehen wird,
ist doch das Werk einer späteren Zeit; denn es behandelt auch
Versmafse, welche erst der späteren Sanskritdichtung angehören =*).
Das Jyotisa-Vedänga ist ein kleines, in Versen abgefafstes
astronomisches Lehrbuch — es enthält in der Rezension des
Yajurveda 43, in der des Rigveda 36 Verse — , welches
hauptsächlich die Stellen von Mond und Sonne an den
Solstizien sowie der Neu- und Vollmonde im Kreise der
27 Naksatras oder Sterne des Tierkreises angibt oder Regeln zu
deren Berechnung aufstellt 3). Schon der Umstand, dafs es nicht
') Über diese Nighai?tus als die Anfänge der indischen Lexiko-
graphie vgl. Th. Zachariae, Die indischen Wörterbtlcher (»Grund-
rils« I, 3 B.), Strafsburg 1897, S. 2 f.
*) Das Sütra des Pingala hat A. Weber im 8. Bande der »Indischen
Studien« herausgegeben und erklärt. Vgl. auch A. Weber, Indische
Literaturgeschichte, S- 66.
') Vgl. A. Weber, Über den Vedakalender namens Jyotisham
— 246 —
in Sütras abgefafst ist, weist das Werkchen, welches übrigens
noch nicht genügend erklärt ist, einer späteren Zeit zu.
Ganz verloren gegangen sind uns die alten Vedängatexte
über Grammatik. Gewifs ist auch diese Wissenschaft im Zu-
sammenhang mit der Vedaexegese entstanden und aus den Veda-
schulen hervorgegangen. Finden wir doch schon in den
Äranyakas einzelne grammatische Kunstausdrücke. Aber das
älteste und bedeutendste Lehrbuch der Grammatik, das uns er-
halten ist, das des Pänini, behandelt die vedische Sprache
nur mehr nebenbei; es steht zu keiner Vedaschule mehr in
engerer Beziehung und gehört überhaupt einer Zeit an, wo
die Wissenschaft der Grammatik bereits in eigenen, von der
Theologie unabhängigen Fachschulen betrieben wurde. Denn
auch in Indien hat sich, wie wir noch in dem Abschnitt über die
wissenschaftliche Litteratur sehen werden, die Wissenschaft von
der Theologie, in der sie ursprünglich fast ganz eingeschlossen
war, mehr und mehr losgelöst.
Das Alter des Veda.
Wir haben die ganze vedische Litteratur bis zu ihren letzten
Ausläufern und Nachzüglern verfolgt und können nun der Frage
nach dem Alter dieser ganzen grofsen Litteratur nicht mehr
ausweichen. Wenn es möglich wäre, auch nur innerhalb einiger
Jahrhunderte anzugeben, in welche Zejt die ältesten Hymnen
des Rigveda und des Atharvaveda zurückreichen, so wäre es
unnötig, dieser Frage ein besonderes Kapitel zu widmen. Es würde
genügen, mit ein paar Worten das ungefähre Alter des Veda
anzugeben. Leider ist es aber eine Tatsache — und es ist
geradezu peinlich, diese Tatsache gestehen zu müssen — , dafs
die Ansichten der besten Forscher in bezug auf das Alter des
Rigveda nicht um Jahrhunderte, sondern um Jahrtausende aus-
einandergehen, dafs die einen das Jahr 1000 v. Chr. als unterste
Grenze für die rigvedischen Hymnen ansetzen, während andere
dieselben zwischen 3000 und 2500 v. Chr. entstehen lassen. Wo
die Ansichten der Fachgelehrten so sehr auseinandergehen,
genügt es nicht, selbst in einem für Laien bestimmten Handbuch,
(Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1862)
und G. Thibaut, Astronomie (im »Grundrifs« III, 9), S. 17, 20 und 28.
— 247 —
irgendein ungefähres Datum anzugeben, sondern es mufs auch
der Laie eine Vorstellung davon haben, worauf sich die ver-
schiedenen Ansichten über das höhere oder niedrigere Alter des
Veda stützen. Es ist dies um so notwendiger, als ja die Frage
nach dem Zeitalter der ältesten indischen Litteratur mit der Frage
nach dem Beginn der indo - arischen Kultur zusammenfällt, eine
Frage, die für jeden Historiker, Altertumsforscher und Philologen
von grölster Wichtigkeit ist. Denn nur wenn wir die ältesten
Zeugnisse arischer Kultur in Indien zeitlich fixieren können,
lassen sich von da aus Rückschlüsse auf die Periode der indo-
iranischen und weiterhin der indogermanischen Kulturentwicklung
machen. Aber auch für den Historiker, der sich mit der Geschichte
der alten Welt beschäftigt und die mannigfachen Beziehungen
zwischen den Kulturvölkern des Altertums verfolgen will, ist es
von Wichtigkeit, zu wissen, wie sich Indien in bezug auf den
Ausgangspunkt seiner ältesten Kulturepoche zu den drei anderen
grofsen Kulturzentren des Orients — Babylonien, Ägypten und
China — verhält.
Unter solchen Umständen scheint es mir unumgänglich not-
wendig , auch dem Nichtfachmann von dem Stand der Frage
Rechenschaft zu geben und unser Nichtwissen sowohl wie unser
Wissen, so weit es möglich ist, zu begrenzen und zu begründen.
Als man zuerst mit der indischen Litteratur bekannt wurde,
war man geneigt, allen indischen Litteraturwerken ein ungeheuer
hohes Alter zuzuschreiben. Erwartete doch Friedrich Schlegel
von Indien her nichts weniger als »Aufschlufs über die bis jetzt
so dunkle Geschichte der Urwelt« '). A. Weber schrieb noch
1852 in seiner »Indischen Litteraturgeschichte« : »Die indische
Litteratur gilt allgemein für die älteste, von der wir schriftliche
Dokumente besitzen, und das mit Recht« und fügte erst 1876 in
der zweiten Auflage hinzu: »soweit nicht etwa jetzt doch die
monumentalen Schriftstücke und die Papyros - Rollen Ägyptens,
oder gar etwa auch die erst jüngst neuerstandene assyrische
Litteratur, Einspruch hiergegen einlegen.« Die Gründe, aus
welchen man nach Weber »mit Fug und Recht die indische
Litteratur als die älteste zu betrachten hat, von der uns um-
fassende schriftliche Denkmäler überliefert sind« , wären teils
•) Vgl. oben S. 13.
— 248 —
geographische, teils religionsgeschichtliche. In den älteren Teilen
des Rigveda erscheint uns das indische Volk als sefshaft im
Pendschab. Die allmähliche Ausbreitung von da nach Osten
über Hindostan nach dem Ganges zu läfst sich in den späteren
Teilen der vedischen I.itteratur verfolgen. Die epische Litteratur
zeigt uns dann weiter die Ausbreitung des Brahmanismus nach
dem Süden. Es mufs Jahrhunderte gedauert haben, ehe jine so
ungeheure Länderstrecke, »bewohnt von wilden, kräftigen Völker-
stämmenc, brahmanisiert werden konnte. Auch die religions-
geschichtliche Entwicklung vom einfachen Naturdienst der Rig-
vedahymnen bis zu den theosophisch-philosophischen Spekulationen
der Upanisads und wieder bis zu jenen Phasen des Götterglaubens
und Kultes, wie sie Megasthenes um 300 v. Chr. in Indien vor-
fand, mufs viele Jahrhunderte erfordert haben. Eine genauere
Bestimmung des vedischen Zeitalters hat Weber gar nicht ver-
sucht; ja, er erklärt ausdrücklich jeden derartigen Versuch für
ganz fi-uchtlos \),
Der erste, der diesen Versuch doch machte und eine Art
Chronologie der ältesten indischen Litteratur herzustellen suchte,
war Max M ü 1 1 e r in seiner 1859 erschienenen »History of Ancient
Sanskrit Literature«. Ausgehend von den wenigen festen An-
haltspunkten, die wir für die indische Chronologie besitzen, dem
Einfall Alexanders und dem Auftreten des Buddhismus ^), schlofs
er folgendermafsen weiter. Der Buddhismus ist nichts anderes
als eine Reaktion gegen den Brahmanismus, und er hat das Be-
stehen des ganzen Veda, d. h. der aus den Hymnen, den Bräh-
manas, Aranyakas und Upanisads bestehenden Litteratur, zur Vor-
aussetzung. Diese ganze Litteratur mufs also vorbuddhistisch,
d. h. sie mufs vor 500 v. Chr. entstanden sein. Ungefähr gleichzeitig
mit dem Entstehen und der ersten Ausbreitung des Buddhismus
dürfte die Vedänga- oder Sütralitteratur sein. Diese Sütrawerke,
deren Entstehen ungefähr in die Zeit von 600 bis 200 v. Chr.
fällt — mit der Aufstellung dieser rein willkürlichen Jahreszahlen
beginnt das Unhaltbare der Max Müllerschen Berechnungen —
sind aber so beschaffen, dafs sie die Brähmanalitteratur zur not-
wendigen Voraussetzung haben. Die Brahma nas aber, von denen
') Weber, Indische Literaturgeschichte. S. 2 ff., 7.
*) Vgl. oben S. 25 f.
— 249 —
es jüngere und ältere gibt, in denen lange Listen von Lehrern,
■welche ältere Brähmanas überlieferten, enthalten sind, können
unmöglich in weniger als 200 Jahren untergebracht werden.
Man wird daher, meinte Max Müller, die Zeit von 800 bis 600
V. Chr. für die Periode der Entstehung dieser Prosa werke an-
nehmen müssen. Die Brähmanas aber setzen ihrerseits wieder
die vedischen Samhitäs voraus. Mindestens 200 Jahre waren
aber notwendig, um alle diese Sammlungen von Liedern und
Gebeten zusammenzustellen; daher dürfte der Zeitraum von un-
gefähr 1000 bis 800 v. Chr. als das Zeitalter anzusehen sein, in
welchem diese Sammlungen veranstaltet wurden. Dieser Ver-
anstaltimg von Sammlungen aber, weiche bereits als heilige
Opferdichtung und autorisierte Gebetbücher galten, mufs eine
Zeit vorausgegangen sein, in welcher die in ihnen enthaltenen
Lieder und Gesänge als volkstümliche oder religiöse Dichtungen
entstanden sind. Diese Zeit, schlofs Max Müller, mufs vor
1000 V. Chr. zurückliegen. Und da er schon einmal 200 Jahre
für die »Brähmanaperiode« und 200 Jahre für die von ihm so
genannte »Mantraperiode« angenommen hatte, so nahm er auch
— allerdings ohne auf diese Zahl viel Gewicht zu legen —
200 Jahre für das Entstehen dieser Poesie an und kam so
auf 1200 bis 1000 v. Chr. als die Anfangszeit der vedischen
Dichtung.
Es ist nun klar, dafs die Annahme von je 200 Jahren für
die verschiedenen litterarischen Epochen in der Entstehung des
Veda rein willkürlich ist. Und Max Müller selbst wollte eigent-
lich nicht mehr sagen, als dafs man mindestens einen solchen
Zeitraum annehmen müsse, und dafs mindestens um 1000 v. Chr.
unsere Rigveda-Samhitä schon vollendet gewesen sei. Er hat
seine Datierung von 1200—1000 v. Chr. immer nur als termi-
nus ad quem verstanden, und in seinen 1890 erschienenen
Vorlesungen über »Physische Religion« hat er. ausdrücklich ge-
sagt, »dafs wir nicht hoffen dürfen, einen terminus a quo
aufstellen zu können. Ob die vedischen Hymnen«, sagt er, »1000
oder 1500 oder 2000 oder 3000 Jahre v. Chr. verfafst wurden,
wird keine Macht der Erde jemals bestimmen können«. ') Es ist
') Physische Religion. Gifford- Vorlesungen von F. Max Müller.
Aus dem Englischen übersetzt von R. O. Franke, Leipzig 1892, S. 86 f.
%
— 250 -
aber merkwürdig, wie stark auch in der Wissenschaft die Macht
der Suggestion ist. Die rein hypothetische und eigentlich ganz
willkürliche chronologische Fixierung der vedischen Epochen
durch Max Müller erhielt, ohne dafs irgendwelche neue Argu-
mente oder tatsächliche Beweise dazugekommen wären, im
Laufe der Jahre mehr und mehr das Ansehen und den Charakter
einer wissenschaftlich erwiesenen Tatsache. Man gewöhnte sich
— und schon W. D.Whitney*) hat diese Gewohnheit gertigt —
zu sagen, Max Müller habe 1200—1000 v. Chr. als das Datum
des Rigveda nachgewiesen. Nur - schüchtern wagten es einige
Forscher, wie L. von Schroeder •'), bis 1500 oder gar 2000 v. Chr.
hinaufzugehen. Und als vor einigen Jahren H. Jacob i auf
Grund von astronomischen Berechnungen die vedische Litteratur
bis ins dritte Jahrtausend v. Chr. zurückzudatieren versuchte,
da entstand ein grofses Geschrei unter den Gelehrten über solch
ketzerisches Vorgehen, und noch heute schütteln die meisten
Forscher die Köpfe darüber, wie nur Jacobi eine so überspannte
Ansicht über das Alter des Veda habe aufstellen können. i4an
hat merkwürdigerweise ganz vergessen, auf wie schwachen Füfsen
»die bisher herrschende Ansicht«, die man so eifrig zu verteidigen
suchte, eigentlich stand.
Der Gedanke, mit Hilfe von astronomischen Daten aus
der Geschichte des Sternenhimmels Schlüsse auf die Chronologie
der ältesten indischen Litteratur zu ziehen, ist kein neuer. Schon
A. Ludwig hat auf Grund der Sonnenfinsternisse einen solchen Ver-
such unternommen 3). Die Priester Altindiens, welche die Opferzeiten
zu bestimmen hatten, waren ja ebenso wie die Pontifices im alten
Rom zugleich die Kalendermacher. Sie mufsten den Sternen-
himmel beobachten, um die Opferzeiten zu regeln und vorher-
zubestimmen. Und so finden wir denn auch in den Brähmanas
und Sütras zahlreiche astronomische und kalendarische Angaben.
In diesen spielen namentlich die sogenannten Naksatras oder
>Mondhäuser« eine grofse Rolle. Die alten Inder haben nämlich
1
*) Orieotal and Linguistic Studies. First Series. New York 1872.
S. 78.
») Indiens Literatur und Kultur, S. 291 f.
3) Über die Erwähnung von Sonnenfinsternissen im Rigveda.
(Sitzungsberichte der Königl. böhmischen Gesellschaft der Wissen-
schaften, Prag 1885.)
— 251 —
bemerkt, dals der Mond zu seinem siderischen Umlaufe ungefähr
27 Tagnächte brauche und jede Nacht des siderischen Monats
in einem anderen Sternbilde weile. Diese Sterne oder Konstel-
lationen, welche sämtlich nicht weit von der Ekliptik liegen,
wurden zu einer Art Zodiak, einer die Sphäre umfassenden Reihe
von 27 Naksatras, vereinigt, und dieser lunare Zodiak wurde dazu
verwendet, die Stellung des Mondes zu einer bestimmten Zeit
anzugeben'). So gibt es sehr viele Stellen in der vedischen
Litteratur, wo es heifst, dafs eine Opferhandlung »unter dem und
dem Naksatra« stattfinden soll, d. h. »wenn der Mond mit diesem
Naksatra in Konjunktion steht«. Noch zahlreicher sind Stellen,
in denen die Naksatras in bestimmte Beziehung zu Vollmond
und Neumond gebracht werden. Und schon in der älteren
Litteratur erscheinen oft nur zwölf von den 27 Naksatras mit
dem Vollmond verbunden, woraus sich die aus den zwölf Naksatras
abgeleiteten Monatsnamen erklären. Diese Monatsnamen wurden
ursprünglich nur auf lunare Monate angewandt, später aber auch
auf die Zwölfteile des Sonnenjahres übertragen. Da man aber
schon in vedischer Zeit auf irgendeine Weise Sonnen- und Mond-
jahr in Einklang zu bringen suchte, erhebt sich die Frage, ob
sich nicht aus der Verbindung bestimmter Vollmond-Naksatras
mit den Jahreszeiten und dem Beginn des Jahres Rückschlüsse
auf die Zeit machen lassen, welcher die betreffenden kalendarischen
Angaben entstammen. Solche Schlüsse, welche zu überraschen-
den Resultaten führten, haben nun im Jahre 1899 gleichzeitig
und unabhängig voneinander H. Jacobi in Bonn und der Inder
Bäl Gangädhar Tilak in Bombay zu machen gesucht^). Beide
0 Der lunare Zodiak hat sich in Indien neben dem solaren Zodiak,
der wahrscheinlich erst mit den Lehren der griechischen Astronomen
im ersten Jahrhundert n. Chr. in Indien Eingang gefunden hat, bis
zum heutigen Tage erhalten. Die PVage nach dem Ursprünge dieses
lunaren Zodiaks und dem Verhältnis zwischen den indischen Naksatras,
den Menäzil der Araber und den Sieou der Chinesen ist noch immer
unentschieden.
*) B. G. Tilak, The Orion or Researches into the Antiquity of
the Vedas, Bombay 1893, und H. Jacobi, Über das Alter des Rig-
Veda (im »Festgrufs an Rudolf von Roth s Stuttgart 1893, S. 68-73);
Beiträge zur Kenntnis der vedischen Chronologie (in den Nachrichten
von der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, phil-
hist. Kl., 1894, S. 105—116); Beiträge zu unserer Kenntnis der
— 252 -
Forscher sind auf verschiedenen Wegen zu der Ansicht gelangt,
dafs in der Zeit der Brähmanas die Plejaden (Krttikäs), welche
damals den Anfangspunkt der Naksatrareihe bildeten, mit dem
Frühlingsäquinox zusammenfielen, dafs sich aber in den vedischen
Texten auch Spuren eines älteren Kalenders finden, in welchem
das Frühlingsäquinox in den Orion (Mrgasiras) fiel. Aus einer
Berechnung des Wertes der Präzession ergibt sich aber, dafs
gegen 2500 v. Chr. das Frühlingsäquinox in den Plejaden und
gegen 4500 im Orion lag. Während aber Tilak so weit geht,
manche vedische Texte bis zum Jahre 6000 v. Chr. zurück-
zuführen, begnügt sich Jacobi damit, »die Anfänge der Kultur-
periode, als deren reifes, vielleicht sogar spätes Erzeugnis die
Lieder des Rigveda auf uns gekommen sind« , in die Zeit von
etwa 4500 v. Chr. zurückzuverlegen. Diese Kulturperiode er-
streckte sich nach ihm ungefähr von 4500—2500 v. Chr., und
er ist geneigt, »die uns erhaltene Sammlung von Hymnen der
zweiten Hälfte dieser Periode« zuzuschreiben"). In dieser An-
sicht wurde Jacobi noch durch eine zweite astronomische Be-
trachtung bestärkt. Die Grhyasütras berichten uns nämlich von
einem Hochzeitsbrauch in Altindien, welcher darin bestand, dafs
Braut und Bräutigam, nachdem sie im neuen Heim angekommen
waren, schweigend auf einem Stierfell sitzen mufsten, bis die
Sterne sichtbar geworden, worauf der Bräutigam seiner Braut
den Polarstern — dhruva, »der F'este-ä. , genannt — zeigte
und einen Spruch dazu sagte, wie z. B. : »Fest sei, gedeihend
bei mir«, worauf sie antwortete: *Fest bist, du, fest möge ich im
Hause meines Gatten sein«. Von Wichtigkeit ist der Name
Indischen Chronologie (Actes du dixieme Congres international des
Orientalistes, Session de Geneve, 1894, X, I, S. 103-108). Vgl.
W. D. Whitney in den Proceedings of the American Grien tal Society,
March 18*^)4 (wiederabgedruckt im Indian Antiquary, Bd. 24, 1895,
S. 361 ff.); A. Barth im Journal Asiatique, 1894, S. 156 ff.; H.Olden-
berg in ZDMG, Bd. 48, S. 629 ff., Bd. 49, S. 470 ff., Bd. 50, S. 450 ff.;
H. Jacobi m ZDMG, Bd. 49, S. 218 ff., Bd. 50. S. 69 ff.; G. Bühler
im Indian Antiquarv, Bd. 23, 1894, S. 238 ff.; G. Thibaut im Indian
Antiquary, Bd. 24, S. 85 ff. (vgl. auch -Grundrifs« III, 9, S. 18 f.);
S. B. Dikshit im Indian Antiquary, Bd. 24, S. 245 f. E.W.Hopkins,
The Religions of India. Boston and London 1895, S. 4 ff.; A. A. Mac-
donell, ilistory of Sanskrit Literature, London 1900, S. 12.
') Festgrufs an Roth, .S. 71 f.
— 253 -
Dhruva, »der Feste.;, unter welchem dieser Stern im Hochzeits-
rituell erscheint, und die ganze Zeremonie, bei welcher der Stern
geradezu als Symbol der F'estigkeit, der unveränderlichen Treue,
erscheint, beruht darauf, dafs man diesen Polarstern für unbeweg-
lich hielt oder seine Bewegung nicht wahrnahm. Diese Be-
zeichnung sowie die Zeremonie kann also nur aus einer Zeit
stammen, in der ein hellerer Stern dem Himmelspol so nahe
stand , dafs er für die damaligen Beobachter stillzustehen
schien. Nun ist es wieder eine Folge der Präzession, dafs mit
der allmählichen Veränderung des himmlischen Äquators auch
sein Nordpol sich fortbewegt, und zwar beschreibt er in beiläufig
26000 Jahren einen Kreis von 23', 2 Graden Radms um den festen
Pol der Ekliptik. Dadurch rückt langsam ein Stern nach dem
anderen dem Nordpol näher und wird Nordstern oder Polarstern ;
aber nur zuweilen nähert sich ein hellerer Stern dem Pol so
sehr, dafs er für alle praktischen Zwecke als »ein F'esterc
(dhruva) gelten kann. Gegenwärtig ist der Stern zweiter Gröfse
Alpha im Kleinen Bären der Polarstern auf der nördlichen Halb-
kugel. Dieser Stern kann natürlich nicht gemeint sein , wenn
vom Polarstern in vedischer Zeit die Rede ist, weil derselbe noch
vor 2000 Jahren vom Pole so weit entfernt war, dafs er unmög-
lich als der »Feste« hätte bezeichnet werden können. Einem
anderen Polarstern, der diese Bezeichnung verdiente, begegnen
wir aber erst 2780 v. Chr. Damals stand Alpha Draconis über
ein halbes Jahrtausend dem Pole so nahe, dafs er der Beobachtung
mit blofsem Auge als unbeweglich erscheinen mufste. Wir
müssen also die Entstehung des Namens Dhruva sowie des
Brauches, den »festen« Stern der Braut als Sinnbild der Festig-
keit am Hochzeitsabend zu zeigen , in eine Zeit setzen , in der
Alpha Draconis Polarstern v/ar, also in die erste Hälfte des dritten
Jahrtausends v. Chr. In den Hochzeitssprüchen des Rigveda
wird aber dieses Gebrauches noch nicht gedacht, weshalb Jacobi
es für wahrscheinlich hält, -dafs die Verwendung des Dhruva
im Hochzeitszeremoniell nicht der Zeit des Rigveda, sondern der
folgenden Periode angehört, urid dafs also die rigvedische Kultur-
periode vor dem dritten vorchristlichen Jahi-tausend liegt '< ').
Die Aufstellungen Jacobis sind , wie bemerkt, heftig an-
gegriffen worden. Die Angriffe richteten sich namentlich gegen
') ZDMG, Bd. f)0, S. 71.
— 254 —
den ersten Teil der astronomischen Beweisführung. In der Tat
handelt es sich dabei um höchst verwickelte Fragen über den
Jahresanfang in verschiedenen Jahrtausenden, und diese Fragen
sind um so schwieriger zu entscheiden, weil es seit jeher in Indien
mehrere Jahresanfänge gegeben hat, indem man das Jahr bald
mit dem Frühling, bald mit dem Winter, bald mit der Regenzeit
beginnen liefs'). Ernstlich ist auch bestritten worden, dafs die
Inder in alter Zeit sich schon um die Äquinoktien gekümmert
hätten. Anderseits ist gegen den zweiten Teil der Beweisführung,
der sich auf den Polarstern stützt, wenig Stichhaltiges vorgebracht
worden. Man kann aber nicht behaupten, dafs die Frage in der
einen oder der anderen Weise bereits endgültig entschieden wäre.
Es wird sich darum handeln, ob weitere Forschungen über die
altindische Astronomie und den Vedakalender die Aufstellungen
von Jacobi bestätigen werden oder nicht. Eines aber kann man
schon jetzt sagen. Vom Standpunkt der indischen Geschichte
spricht nichts gegen die Annahme, dafs die vedische Litteratur
bis ins dritte und die altindische Kultur bis ins vierte Jahrtausend
zurückreicht, während sich der auf Max Müller zurückgehende
Ansatz von 1200 oder selbst 1500 v. Chr. für den Beginn der
vedischen Periode mit dem heutigen Stande unseres Wissens
über die politische Geschichte sowohl als auch über die Litteratur-
und Religionsgeschichte Altindiens nicht mehr verträgt. Das hat
namentlich G. Bühler ^), wie ich glaube, überzeugend nach-
gewiesen.
Inschriften beweisen, dafs im dritten Jahrhundert v. Chr.
Südindien von den arischen Indern erobert und von der brahma-
nischen Kultur überzogen war. Die Tatsache aber, dafs einige
vedische Schulen, wie die des Baudhäyana und Äpastamba, im
Süden Indiens entstanden sind, macht es wahrscheinlich, dafs die
Eroberung des Südens durch die Arier schon viel früher — viel-
leicht schon im 7. oder 8. Jahrhundert v. Chr. — stattgefunden
habe. Denn unmittelbar nach der Eroberung kann doch nicht
gleich das ganze Land so kolonisiert und brahmanisiert worden
sein, dafs vedische Schulen im fernen Süden entstehen konnten.
') Im Satapatha-Brahmaija XII, 8, 2, 35 heifst es: »Alle Jahres-
zeiten sind die ersten, alle sind die mittleren, alle sind die letzten.«
0 Indian Antiquary XXIII, 1894, S. 245 ff.
— 255 —
Mit der Eroberung des südlichen Indiens um 700 oder 600 v. Chr.
verträgt sich aber durchaus nicht die Annahme, dafs die Indo-
Arier um 1200 oder selbst um 1500 v. Chr. noch im nordwest-
lichsten Winkel Indiens und im östlichen Afghanistan gesessen
haben sollen. »Die Vorstellung,« sagt Bühler, »dafs das indo-
arische Volk der vedischen Zeit mit seinen vielen Spaltungen in
Sippen und den fortwährenden inneren Kämpfen innerhalb fünf,
sechs oder selbst acht Jahrhunderten die 123000 Quadratmeilen
des eigentlichen Indiens (mit Ausschlufs des Pendschab, Assams
und Birmas) erobert, Staaten gegründet und nach einem und dem-
selben Muster organisiert haben sollte, erscheint einfach lächerlich ;
insbesondere wenn man bedenkt, dafs dieses Gebiet nicht blofs
von Waldstämmen, sondern zum Teil von Völkern bewohnt war,
welche eine nicht viel geringere Kultur besafsen als die Eroberer.«
Man könnte nun sagen — imd es ist von Oldenberg gesagt
worden — : siebenhundert Jahre sind eine gute Spanne Zeit, in
der sich viel ereignen kann. »Man bedenke,« sagt Oldenberg'),
»was 400 Jahre für die ungeheueren Flächen des nördlichen und
südlichen Amerika bedeutet haben.« Das ist nun allerdings ein
schlechter Vergleich. Die Völker und Kulturen, welche in
Amerika aufeinanderstiefsen , waren doch recht verschieden von
denen, mit welchen wir es in Indien zu tun haben. Was die
politischen Verhältnisse Altindiens betrifft, so erfahren wir aus
einigen Liedern des Rigveda und aus den Epen, dafs genau so,
wie es uns die spätere Geschichte Indiens zeigt , auch in alter
und ältester Zeit fortwährend Kämpfe zwischen den einzelnen
arischen Stämmen untereinander stattfanden. Unter solchen Um-
ständen konnte die Eroberung Indiens nur Schritt vor Schritt,
nur äulserst langsam vor sich gehen. Tatsächlich sehep wir auch,
wenn wir die beiden ältesten Schichten der indischen Litteratur
miteinander vergleichen, dafs das Vordringen der Arier gegen
Osten und Süden nur ganz langsam vor sich ging. Wir finden
in den Hymnen des Rigveda das indoarische Volk noch aus-
schliefslich im äufsersten Nordwesten Indiens und im östlichen
Afghanistan ansässig. Und doch mufs sich die Periode, in welcher
die Hymnen des Rigveda entstanden sind, über Jahrhunderte er-
streckt haben. Das beweisen die vielen verschiedenen Schichten
') ZDMG, Bd. 49, S. 479.
— 256 —
von Ulteren und jüngeren Bestandteilen, die wir in diesen Hymnen
finden- das beweist der Umstand, dafs die Rsis, welche nicht nur
in den AnukramanTs, sondern schon in den Brähmanas fälsch-
lich als V Erschauer« oder Verfasser der Hymnen bezeichnet
werden, in den Hymnen selbst als Seher der Vorzeit gelten').
Und die Verfasser der Hymnen sprechen auch gar oft von
»alten Liedern«, von »Liedern, nach alter Weise gedichtet«,
als ob diese Dichtung seit unvordenklicher Zeit geübt worden
wäre '). Wir haben aber in diesem Abschnitt wiederholt gesehen,
wie weit doch der Rigveda hinter allen anderen zum Veda ge-
hörigen Litteraturwerken zurückliegt. Schon di? Sprache der
Hymnen ist viel altertümlicher als die der vedischen Prosawerke.
Die religiösen Anschauungen und die Kulturverbältnisse sind
ganz andere. Die Brähmanas, Aranyakas und Upanisads setzen
nicht nur die Hymnen des Rigveda, sondern auch die Sprüche
und Gebete der übrigen Samhitäs als uralte heilige Texte vor-
aus. Ja, diese alten Hymnen und Sprüche wurden vielfach nicht
mehr verstanden. Die alten Legenden waren in Vergessenheit
geraten. Ich erinnere nur an den Abstand , welcher die
iSunahsepalegende des Aitareya-Brähmana von den Hymnen des
Rigveda trennt').
Die mündliche Überlieferung setzt ja auch längere Zeit-
räume voraus, als wenn diese Texte niedergeschrieben worden
wären. Generationen von Schülern und Lehrern müssen dahin-
gegangen sein, ehe alle die vorhandenen und die vielen verloren
gegangenen Texte in den vedischen Schulen festfe Gestalt ge-
wonnen hatten*). Aus sprachlichen, litterarischen und kultur-
geschichtlichen Gründen müssen wir daher annehmen, da£s
zwischen der Zeit der ältesten Hymnen und der schliefslichen
Vereinigung der Hymnen zu einer Samhitä oder »Sammlung«
•) Vgl. oben S. 52 f.
0 Vgl. Ludwig, Der Rigveda, III, S. 180 f.
^) Vgl. oben S. 52, 54, 56 ff., 61 f., 66, 69 f., 91, 170 ff., 187 f.
*) Dals die Texte niedergeschrieben worden sind, als man sie
nicht mehr völHg verstand und ein Rifs in die Überlieferung gekommen
war, erklärt uns auch die Tatsache, dafs so vielfach Stücke ver-
schiedenen Inhalts und vcrschit^dener Zeiten ' in allen vedischen
Texu>n vorkommen, dals z, B. manche Upanisads in den Sarnhitäs und
Brähmanas stehen. Vgl, oben S. 108, 130 ff., 197.
— 257 -
— denn die Rigveda-Samhitä bezeichnet ja doch nur den Ab-
schluls einer langen vorausgehenden Periode') — und wieder
zwischen der Rigveda-Samhitä und den Brähmanas viele Jahr-
hunderte verflossen sind. Die Brähmanas selbst aber mit ihren
zahlreichen Schulen und Abzweigungen von Schulen, mit ihren
unendlichen Lehrerlisten und den zahlreichen Hinweisen auf
Lehrer der Vorzeit erfordern einen Zeitraum von mehreren Jahr-
hunderten zu ihrer Entstehung ^), Sowohl diese Litteratur selbst
als auch die damit Hand in Hand gehende Ausbreitung brahma-
nischer Kultur, theologischen Wissens und nicht zuletzt priester-
licher Oberherrschaft mufs Jahrhunderte gebraucht haben. Und
wenn wir zu den Upanisads kommen, so sehen wir, dafs auch
sie verschiedenen Zeitperioden angehören, dafs auch sie Gene-
rationen von Lehrern und eine lange Überlieferung voraussetzen ^).
Und doch sehen wir, dafs während dieser ganzen Zeit, welche
von den ersten Anfängen bis zu den letzten Ausläufern der
vedischen Litteratur gedauert hat, das indoarische Volk blofs die-
verhältnismäfsig kleine Strecke vom Indus bis zum Ganges, das
eigentliche Hindostan, erobert hat. Wenn schon dieses Vor-
dringen vom äufsersten Nordwesten bis ins östliche Gangesland
so lange Zeit in Anspruch genommen hat, wie viele Jahrhunderte
mufs die Eroberung von ganz Zentral- und Südindien gedauert
haben ! Wenn wir dies erwägen , werden uns 700 Jahre nicht
mehr als ein grofser Zeitraum erscheinen.
Dazu kommen noch andere Erwägungen. Es ist Max Müllers
unbestreitbares Verdienst, gezeigt zu haben, dafs der Buddhismus
um 500 V. Chr. unbedingt das Bestehen der ganzen vedischen
Litteratur voraussetzt. Die buddhistische Litteratur aber, die wir ja
jetzt viel genauer kennen, setzt nicht nur den Veda, sondern auch
die Vedängas'») und überhaupt eine hohe Entwicklung brahma-
nischer Litteratur und Wissenschaft voraus. Ferner sind wir
') Schon das Aitareya - Ara^yaka setzt die Rigveda-Samhitä mit
ihrer Einteilung in zehn Bücher voraus. (Max Müller, History of
Ancient Sanskrit Literature, S. 340 f.)
») Vgl. oben S. 169.
") Vgl. oben S. 205 ff.
*) Beachtenswert ist, dafs die Buddhisten ihre Lehrteite ebenfalls
»Sütras' nennen, obwohl diese durchaus nicht in dem oben S. 229 ff.
gekennzeichneten Sütrastil abgefalst sind. Für sie bedeutete »Sütra«
nur mehr »Lehrtext«.
Winternitz, Geschichte der indischen Litteratur. 17
• — 258 —
auch heute über die religionsgeschichtlichen Verhältnisse im alten
Indien viel besser unterrichtet, als dies vor dreifsig oder vierzig
Jahren der Fall war, wo man die ganze religionsgeschichtliche
Entwicklung Indiens bis zum Auftrete- des Buddhismus in 700
Jahre einzwängen zu können glaubte. Schon vor dem Auftreten
des Buddhismus hat es, wie Bühler hervorgehoben hat, in Indien
Sekten gegeben, welche die Heiligkeit des Veda leugneten. Die
• Tradition einer dieser Sekten , der Jainas , hat sich bis jetzt in
chronologischer Beziehung als so zuverlässig erwiesen, dafs wir
einer Nachricht, welche den ersten Gründer dieser Sekte um 750
V. Chr. leben läfst, einiges Vertrauen entgegenbringen dürfen.
Bühler glaubte auch noch von anderen dem Veda und dem
Brahmanismus feindlich gegenüberstehenden Sekten beweisen ^.n
können, dafs sie in ein viel höheres Alter hinaufreichen, als man
bisher anzunehmen gewohnt war '). Leider war es ihm nicht mehr
gegönnt, diesen Beweis zu führen.
Fassen wir das Gesagte zusammen, so steht die Frage nach
dem Alter des Veda nicht so, wie man es in letzter Zeit öfters
dargestellt hat, als wären Tilak und Jacobi gegen das erwiesene
Datum von 1200 oder 1500 v, Chr. für die ältesten Hymnen des
Veda aufgetreten. Sondern in Wirklichkeit hat man nie mehr
gewufst, als dafs die vedische Periode sich von einer ganz
unbestimmten Vergangenheit bis 500 v. Chr. erstreckt.
Weder die Zahlen 1200-500 noch 1500-500, noch 2000—500,
die man in populären Berichten über das Alter der vedischen
Litteratur öfters findet, haben irgendwelche Berechtigung. Be-
rechtigt ist nur das Datum: x bis 500 v. Chr. Und als Er-
gebnis der Forschungen des letzten Jahrzehnts darf man hinzu-
fügen: Es ist wahrscheinlich, dafs man an die Stelle von
500 V. Chr. das Datum 800 v. Chr. wird setzen müssen ; und es
ist wahrscheinlicher, dafs das Anfangsdatum x in das
dritte, als dafs es in das zweite Jahrtausend v. Chr. fällt. Aber
hüten wir uns vor bestimmten Zahlenangaben, wo die Möglich-
keit von solchen der Natur der Sache nach ansgeschlossen ist.
') Auch R. Garbe (Beiträge zur indischen Kultur „ iiichte,
S. 27 ff.) ist geneigt, die Entstehung der Sekte der Bhägavatas oder
Päncarätras in vorbuddhistische Zeit hinaut'zutücken
II. Abschnitt
Die valkstümlichen Epen und die Puränas.
Die Anfinge der epischen Dichtung in Indien.
Die ersten Spuren epischer Dichtung in Indien konnten wir
bereits in der vedischen Litjteratur — in den Akhyänahymnen
des Rigveda, sowie in den Äkhyänas, Itihäsas und Puränas der
Brähmaiiasi) — nachweisen. Aus den Bräbmanas und aus der
Rituallitteratur wissen wir auch, dafs der Vortrag \on solchen
erzählenden Dichtungen einen Teil der religiösen Zeremonien bei
Opferfeiern und Familienfesten bildete.
So gehörte zu der ein Jahr lang wahrenden Vorfeier des
grofsen Pferdeopfers der tägliche Vortrag von Götter- und Helden-
sagen. In einer alle zehn Tage sich immer wiederholenden
Reihenfolge wurden Geschichten von bestimmten Göttern und
Heroen erzählt •, und auch zwei Lautenspieler, ein Brahmane und
ein Krieger waren anwesend, welche in selbstgedichteten Versen
(gäthäs) der eine die Freigebigkeit, der andere die Kriegstaten
') Vgl. oben S. 89 ff., 181 ff., 197. Die Inder sind in dem Ge-
brauch der Ausdrücke äkhyäna, itihäsa und purä^a nicht kon-
sequent, indem sie diese bald als gleichbedeutend verwenden, bald
aber auch verschiedene Arten von Erzählungen mit ihnen bezeichnen.
Das Epos »Mahäbhärata' bezeichnet sich selbst in der Einleitung ab-
wechselnd als itihäsa, purä^a und äkhyäna. Vgl. über diese
termini auch Emil Sieg, Die Sagenstofle des Rgveda und die indische
Itihäsa tradition I, Stuttgart 1902, Einleitung. Dafs die alte Äkhyäna-
dichtung der Form nach aus einer Mischung von Versen und Prosa
bestand (oben S. 89), ist mir trotz der scharfsinnigen Ausführungen
von Joh. Hertel in der WZKM XVIIL 1904, S. 59 ff., 137 ff. noch
immer wahrscheinlich.
Winternitz, Geschichte der indischen Litte\at«r. i"
— 260 —
des Fürsten, der das Opfer feierte, verherrlichten. Die Lauten-
Spieler, welche zur Laute einen wirklichen König oder den Soma
als den König der Brahmanen besangen, durften auch bei der
Zeremonie der Haarscheitelung nicht fehlen, welche im vierten
Monate der Schwangerschaft mit einem Opfer für das Gedeihen
der Leibesfrucht an der hoffenden Mutter vollzogen wurde. Auch
nach dem Leichenbegängnis war es alte Sitte, deren Bestehen
aber noch der Dichter Bäna im 7. Jahrhundert n. Chr. bezeugt,
dafs die Leidtragenden aufserhalb des Hauses sich auf einen
schattigen Platz niederliefsen und durch den Vortrag alter
Itihäsas oder Puränas zerstreut und getröstet wurden. Und wenn
nach einem Todesfall oder einem sonstigen schweren Verlust zur
Abwehr weiteren Unglücks das alte Herdfeuer hinausgetragen
und ein neues Feuer im Hause durch Reiben von Hölzern ent-
zündet worden war, da safsen die Mitglieder der Familie, das
Feuer in Glut erhaltend, bis in d»e stille Nacht hinein, indem sie
sich Geschichten von altgewordenen Leuten und Itihäsas und
Puränas von glücklicher Vorbedeutung erzählen liefsen ').
Nicht selten werden auch in den alten Texten 1 1 i h ä s a und
Puräna neben den Vedas und anderen Wissenszweigen auf-
gezählt, ihr Studium gilt als ein die Götter erfreuendes Werk,
ja es wird sogar Itihäsapuränaals »fünfter Veda« bezeichnet ^).
Dafs ihnen aber ein mehr volkstümlicher Charakter zujiommt,
beweist die enge Beziehung, in welche sie zum Atharvaveda ge-
bracht werden^). Den Inhalt dieser Itihäsas und Puränas bildeten
hauptsächlich Göttersagen und Erzählungen von Dämonen,
Schlangengottheiten, alten Weisen (Rsis) und Königen der Vor-
zeit. Manchmal aber werden als Texte, durch deren Rezitation
die Götter erfreut werden, neben Itihäsas und Puränas auch die
*)^atapatha-Brähmaaa XIII, 4, 3. ^^änkhäyana-Grhyasütra I, 22,
11 f. Asvaläyana-Grhyasütra I, 14, 6 f., IV, 6, 6. Färaskara-Grhyasütra
I, 15, 7 f. Apastambiya-Grhyasütra 14, 4 f. Vgl. auch A. Weber,
Episches im vedischen Ritual (Sitzungsberichte der Berliner Akademie
der Wissenschaften 1891) und H. Lud er s in ZDMG, Bd. 58, S. 707 ff.
*) So Chändogya-Upanisad VII, 1 und 7 und im Suttanipäta III, 7
(Selasutta). Vgl. auch Joseph Dahlmann, Das Mahäbhärata als Epos
und Rechtsbuch, Berlin 1895, S. 281 ff., dessen Schlufsfolgeruhgen
aber viel zu weit gehen.
^) Chändog3'a-Upanisad III, 4: »Die Bienen sind der Atharvaveda,
das Itihasapuräi;ia die Blume."
— 261 -
» Männer preisHe der« (gäthä näräsamsT) erwähnt*) und diese
dürfen wir als die eigentlichen Vorläufer eines Heldenepos
ansprechen. Wenn man aber, wie das einige Gelehrte tun 2),
aus den eben angeführten Stellen schliefsen wollte, dafs es in
vedischer Zeit schon ein Sammelwerk von erzählenden Dichtungen
unter dem Titel »Itihäsa« oder >Itihäsapuräna« gegeben habe,
so müfste man auch annehmen, dafs ebenso unter dem Titel
»Gäthä Näräsamsl« eine Sammlung von Heldenliedern als Buch
vorhanden gewesen sei.
Erwiesen ist das Vorhandensein solcher Sammelwerke oder
> Bücher« für die vedische Zeit jedenfalls nicht, auch gar nicht
wahrscheinlich*). Dafs es aber berufsmäfsige Geschichtenerzähler
(Aitihäsikas, Pauränikas) schon in sehr alter Zeit gegeben hat,
wird nicht zu bezweifeln sein. Sicher ist auch, dafs es um die
Zeit des Buddha (also im 5. Jahrhundert v. Chr.) bereits einen
unerschöpflichen Vorrat von Erzählungen in Prosa und Versen —
Äkhyänas, Itihäsas, Puränas und Gäthäs — als eine Art litte-
rariscbes Gemeingut gegeben haben mufs, aus welchem die
Buddhisten und Jainas ebenso wie die epischen Dichter geschöpft
haben.
Neben dieser Itihäsalitteratur, wie wir den für die vedische Zeit
bezeugten litterarischen Gemeinbesitz an erzählenden Dichtungen
kurz bezeichnen können, mufs es aber auch schon eigentliche
epische Gedichte, Heldengesänge, und wohl auch Zyklen
epischer Lieder in alter Zeit gegeben haben. Denn die beiden
uns allein erhaltenen Epen Mahäbhärata und Rämäyana
stellen doch nur den Niederschlag einer langen vorausgehenden
Periode epischen Dichtens dar. Lange bevor es diese beiden
Epen als solche gegeben hat , müssen Lieder von der grofsen
Völkerschlacht, welche den Gegenstand des Mahäbhärata bildet,
^) Satapatha-Brahmaaa XI, 5, 6, 8. Asvalayana-Grhyasutra III, 3.
2) K. F. Geldner, Vedische Studien I, S. 290 f. E. Sieg, Die
Sagenstoffe des Rgveda und die indische Itihäsatradition I, S. 33.
Dagegen H. Oldcnberg in Götting. Gel. Anz. 18S>0, S. 419.
") Indische Werke haben in der Regel Spezialtitel. Es gibt kein
W^erk, welches »Brähmana' oder »Upanisad« heilst, sondern eine grofse
Anzahl einzelner Werke, welche.' nach Schulen oder Lehrern benannt
sind. Es ist daher unwahrscheinlich, dals man bestimmte Bücher nur
als »Erzählungen« bezeichnet hätte,
18*
— 262 —
und von den Taten des Räma, des Helden des Rämäyana, ge-
sungen worden sein. Es ist aber auch nicht gut denkbar, dafs
die Kämpfe der Kauravas und Pändavas und die Abenteuer des
Räma die einzigen Gegenstände der Dichtung gewesen seien.
Gewifs sind auch viele andere Helden und grofse Ereignisse in
manch anderen Ftirstengeschlechtern besungen worden. Nicht
alles von diesem alten Heldengesang, dessen Vorhandensein wir
annehmen müssen, ist spurlos verschwunden; in Trümmern und
Resten hat sich manches in unseren beiden Epen erhalten^).
Die Träger dieser Heldendichtung waren die Barden, ge-
wöhnlich Sütas genannt, welche an den Höfen der Könige
lebten und bei grofsen Festen ihre Lieder vortrugen oder sangen,
um den Ruhm der Fürsten zu verkünden. Sie zogen auch mit
in die Schlacht, um die Heldentaten der Krieger aus eigener
Anschauung besingen zu können. So ist es im Mahäbhärata
selbst der Süta Sanjaya, welcher dem König Dhitarästra die
Vorgänge auf dem Schlachtfelde schildert. Diese Hofsänger
bildeten eine besondere Kaste ^), in welcher die epischen Lieder
von Geschlecht zu Geschlecht vererbt wurden. In den Kreisen
solcher dem Kriegerstande jedenfalls sehr nahestehenden
Barden wird die epische Dichtung entstanden sein. Für die
Verbreitung der Heldenlieder im Volke sorgten dann auch
fahrende Sänger, Kusllavas genannt, welche die Lieder aus-
wendig lernten und öffentlich zur Laute sangen^). So wird
im Rämäyana — allerdings in einem spät eingeschobenen Ge-
sang*) — erzählt, wie die beiden Söhne des Räma, Kusa and
Lava, als wandernde Sänger umherzogen und das von dem
Dichter Välmlki gelernte Gedicht in öffentlicher Versammlung
vortragen.
') Vgl. H. Jacob i, Über ein verlorenes Heldengedicht der Sindhu-
Sauvlra in den M^langes Kern, Leide 1903, S. 53 ff.
2) Nach dem Gesetzbuch des Manu (X, 11 und 17) sind die Sütas
eine aus der Vermischung von Kriegern mit Brahmanentöchtern her-
vorgegangene Mischkaste, während die Mägadhas, welche gewöhnlich
auch neben den Sütas als Sänger genannt zu werden pflegen, aus der
Vermischung von Vaisyas mit Ksatriyatöchtern hervorgegangen sein
sollen. Im Kriege sind die Sütas auch die "Wagenlenker der Fürsten.
») Vgl. A. Holtzmann, Das Mahäbhärata I, S. 54f., 65f.
H. Jacobi, Das Rämävana, S. 67.
*) I, 4.
— 263 —
Was wir aber als die Volksepen der Inder kennen —
Mahäbhärata und Rämäyana — sind nicht die alten Helden-
lieder, wie sie jene Hofbarden und jene fahrenden Spielleute
Altindiens gesungen haben, von grofsen Dichtern oder wenigstens
von geschickten, dichterisch begabten Sammlern zu einheitlichen
Dichtungen verarbeitet, sondern es sind Ansammlungen sehr ver-
schiedenartiger und ungleichwertiger Gedichte, die im Laufe ^»"on
Jahrhunderten durch fortwährende Einschiebungen und Ände-
rungen entstanden sind. Alte Heldenlieder bilden zwar den Kern
der beiden Werke , aber im grofsen Umfange ist auch die mehr
religiöse Itihäsalitteratur in sie aufgenommen worden, und durch
die Einfügung umfangreicher, religiös belehrender Stücke hat
namentlich das Mahäbhärata den Charakter eines Epos fast ganz
eingebüfst.
Was ist das Mahäbhärata?^)
In der Tat kann man nur in einem sehr beschränkten Sinne
vom Mahäbhärata als einem »Epos« und einem »Gedichte sprechen.
Ja, in gewissem Sinne ist das Mahäbhärata überhaupt nicht e i n
') Zur Orientierung über den Inhalt des Epos dient am besten
H. Jacobi, Mahäbhärata, Inhaltsangabe, Index und Konkordanz der
Kalkuttaer und Borabayer Ausgaben. Bonn 1903. Über die Probleme
des Mahäbhärata orientiert am besten E. W. Hopkins, The Great
Epic of India, its Character and Origin. New York 1901, Eine reiche
Materialiensammlung — leider zu wenig übersichtlich — enthält
A. Holtzmann, Das Mahäbhärata und seine Teile. In 4 Bänden.
Kiel 1892—95. Der Wert dieses grofsen Werkes ist durch die un-
haltbaren Theorien des Verfassers über die Umarbeitungen des
Mahäbhärata wesentlich beeinträchtigt. Unhaltbar sind auch die ent-
gegengesetzten Theorien über die einheitliche Entstehung des Epos,
welche Joseph Da hl mann in den Büchern »Das Mahäbhärata als
Epos und Rechtsbuchs Berlin 1895, »Genesis des Mahäbhärata»,
Berlin 1899, und »Die Sämkhja-Philosophie als Naturlehre und Er-
lösungslehre, nach dem Mahäbhärata«, Berlin 1902, vertreten hat.
Das erste dieser Bücher hat aber das grofse Verdienst, die epischen
Studien neu belebt zu haben; es hat zu einer förmlichen »Dahlmann-
Litteratur» Anlafs gegeben. Vgl. H. Jacobi in Götting. Gel. Anz
1896 Nr. 1 und 1899 Nr. 11; A. Ludwig in Sitzungsber. der kgl.
böhmischen Ges. der Wiss., Gl. f. Phil., Prag 1896; A. Barth im
Journal des savants, avril, juin, juillet 1897 und Revue de Thistoire
des religions, t 45, 1902, S. 191 ff.; M. Winternitz im JRAS 1897,
S. 713 ff. und WZKM XIV, 1900, S. 53 ff.; E. W. Hopkins im
— 264 —
dichterisches Erzeugnis, sondern vielmehr — eine ganze
L i 1 1 e r a t u r.
Mahäbh ärata*) bedeutet »die Erzählung von dem grofsen
Kampf der Bharatas«. Die Bharatas werden bereits im Rig-
veda als ein kriegerischer Volksstamm erwähnt, und Bharata,
der Sohn des Duljsanta und der Sakuntalä, der als Ahnherr des
Fürstengeschlechts der Bharatas gilt, begegnet uns schon in den
Brähmanas. Die Wohnsitze dieser Bharatas oder Bharatas waren
das Land am oberen Ganges und an der Jamnä. Unter den
Nachkommen 4es Bharata ragte ein Herrscher namens Kuru
hervor, und dessen Nachkommen, die Kauravas (Kuruiden,
Kuruinge) waren so lange das Herrschergeschlecht der Bharatas,
dals der Name Kuru oder Kaurava sich im Laufe der Zeit auch
als Bezeichnung für den Volksstamm der Bharatas einbürgerte,
und ihr Land ist das uns bereits aus dem Yajurveda und den
Brähmanas bekannte Kuruksetra oder »Kuruland« 2). Durch
einen Familienzwist in dem Fürstenhause der Kauravas kommt
es zu einem blutigen Kampfe, einem wahren Vemichtungskarapfe,
in welchem das alte Kurugeschlecht und damit die Familie der
Bharatas fast ganz zugrunde geht. Die Geschichte dieses blutigen
Kampfes — in dem wir wohl ein geschichtliches Ereignis sehen
dürfen , obgleich wir . von demselben nur aus dem Mahäbhärata
Kunde haben — wurde in Liedern besungen, und irgend ein.
grofser Dichter, dessen Name verschollen ist, hat diese Lieder
American Journal of Philology, 1898, XIX, Nr. 1; W. Cartellieri
in WZKM XIII, 1899, S. 57 ff.; J. Kirste im Ind. Ant. XXXI,
1902, S. 5 ff. Aus der älteren Litteratur über das Mahäbhärata (sie
ist zusammengestellt bei Holtzmann a. a. O. IV, S. 165 ff.) verdienen
noch hervorgehoben zu werden: Monier Williams, Indian Wisdom,
4. Aufl., London 1893; Sören Sörensen, Om Mahäbhärata's stilling
i den Indiske literatur (mit einem »Summarium« in lateinischer Sprache),
Kopenhagen 1893; A. Ludwig, Über das Rämäyana und die Be-
ziehungen desselben zum Mahäbhärata (II. Jahresbericht des wiss.
Vereins f. Volkskunde und Linguistik in Prag 1894).
^) Bharata bedeutet »Kampf der Bharatas« (bhäratah samgrämah,
Pänini IV, 2, 56). Im Mahäbhärata selbst finden wir raahäbhärata-
y uddha (XIV, 81,8)»diegrofse Bharataschlacht», und mahäbhäratä-
khyänam (1,-62, 39) »die Erzählung von der grofsen Bharataschlacht«,
von welch letzterem der Titel '> Mahäbhärata« eine Abkürzung ist.
2) S. oben S. 170.
— 265 —
zu einem Heldengedicht von der grofsen Schlacht im Kurufelde
vereinigt. So bildet, wie in der Ilias und wie im Nibelungen-
liede, die Tragik eines furchtbaren Vernichtungskampfes deo
eigentlichen Gegenstand der Heldendichtung. Dieses alte Helden-
gedicht bildet den Kern des Mahäbhärata.
Um diesen Kern herum hat sich aber im Laufe von
Jahrhunderten eine Unmasse der verschiedenartigsten Dichtungen
angesammelt. Zunächst wurden zahlreiche Sagen, welche mit
dem alten Heldengedicht in mehr oder weniger losem Zusammen-
hang stehen — Sagen, die sich auf die Vorgeschichte der Helden
beziehen oder von allerlei Abenteuern derselben berichten, ohne
dafs sie zu dem. grofsen Kampf irgend einen Bezug haben —
in das Gedicht aufgenommen. Aber auch Bruchstücke anderer
Heldensagen und vSagenzyklen , die sich auf irgendwelche be-
rühmte Könige und Helden der Vorzeit beziehen, fanden in das
Gedicht Eingang, wenn sie auch mit dem Liede von der grofsen
Kuruschiacht gar nichts zu tun hatten. Was von dieser alten
Bardendichtung bereits dem ursprünglichen Gedicht als Neben-
handlungen (Episoden) angehörte und was erst später hinzu-
gefügt wurde, wird sich schwerlich jemals entscheiden lassen.
Jedenfalls ist unser Mahäbhärata nicht blofs das Heldengedicht
vom Kampfe der Bhäratas, sondern zugleich auch ein Reper-
torium der alten Bardendichtung überhaupt.
Es ist aber noch viel, viel mehi". Wir wissen, dafs die
litterarische Tätigkeit im alten Indien zumeist in den Händen
der Priester, der ßiahmanen, lag; und wir haben ja gesehen,
wie sie die alten, volkstümlichen Zauberlieder des Atharvaveda
brahmanisiert, und wie sie die dem Priestertum eigentlich fremde,
ja feindliche Philosophie der Upanisads mit ihrer Priesterweisheit
v^ermengt habend. Je beliebter und volkstümlicher aber nun die
Heldenlieder wurden , desto, mehr mufste den Brahmanen daran
gelegen sein, sich auch dieser epischen Dichtung zu bemächtigen ;
uiid sie verstanden es, diese ihrem ganzen Wesen nach ursprüng-
lich rein weltliche Poesie mit ihren eigenen religiösen
Dichtungen und mit theologisch - priesterlichem Wissenskram zu
vermengen. So kommt es, dafs auch Göttersagen, mytho-
logische Erzählungen brahmanischen Ursprungs,
') Vgl oben S. 107 und 'iül ff.
— 266 —
aber auch im grofsen Umfange lehrhafte Stücke, auf brah-
manische Philosophie und Sittenlehre und brah-
manisches Recht bezüglich, in das Mahäbhärata Aufnahme
fanden. Für diese Priesterkaste war gerade das volkstümliche
Epos ein willkommenes Mittel, um ihre eigenen Lehren zu ver-
breiten und so ihre Macht und ihren Einflufs zu verstärken und
zu befestigen. Sie waren es, welche alle die zahlreichen Sagen
und Legenden (Itihäsas) in das Epos einfügten, in denen von
den berühmten Sehern der Vorzeit, den Rsis, den Urvätern der
Brahmanen, Wunder erzählt werden — wie sie durch Opfer und
Askese ungeheure Macht nicht nur über die Menschen, sondern
selbst über die Götter erlangen, und wie sie, wenn sie gekränkt
werden, durch ihren Fluch Fürsten und Grofse, ja selbst Götter-
könige zu Falle bringen.
Das Mahäbhärata war aber zu sehr ein Volksbuch, zu sehr
Eigentum weiterer Volkskreise, insbesondere der Kriegerkaste,
als dafs es je hätte ein eigentlich brahmanisches Werk oder das
Eigentum irgendeiner vedischen Schule werden können. Es
waren auch nicht so sehr die vedakundigen und gelehrten
Brahmanen, welche sich an dem Ausbau des Mahäbhärata be-
teiligten — daher die auffällig geringe Kenntnis der eigentlich
brahmanischen Theologie und Opferwissenschaft , die wir selbst
in jenen Teilen des Epos finden, in denen brahmanischer Emflufs
unverkennbar ist — als die Purohitas, die Priester, welche
ebenso wie die Sütas (Barden) im Dienste der Könige standen
und schon dadurch mit der epischen Dichtung mehr in Berühnmg
kamen. Diese weniger gelehrte Priesterklasse war es auch,
welche später als Tempelpriester an berühmten zumeist den
Göttern Visnu oder äiva geweihten Kultstätten und Wallfahrts-
orten den Dienst versah und sich litterarisch mit der Pflege der
Lokalsagen, die sich an solche heilige Orte knüpften, sowie mit
den auf die Götter Visnu und Siva bezüglichen Legenden be-
schäftigte. Das geschah, wie wir sehen werden, hauptsächlich
in den Puränas, aber auch im Mahäbhärata, in welches zahl-
reiche ganz im Stile der Puränas gehaltene Lokal-
sagen, Visnu- und Sivamythen, sowie puränaartige
Kosmologien, geographische Listen und Genealogien
Eingang gefunden haben.
Da aber die epische Dichtung mehr in jenen Gegenden
— 267 —
Indiens gepflegt winde, wo die Verehrung des Visnu als höchster
Gottheit verbreitet war, ist es erklärlich, dafs in den religiös-
lehrhaften Teilen des Mahäbhärata dieser Gott so sehr im
Vordergrunde steht, dafs das Werk zuweilen den Eindruck
eines der Visnu Verehrung gewidmeten Erbauungs-
buches macht. Daneben fehlt es freilich auch nicht an Siva-
legenden und dem l^ivakult gewidmeten Einlagen, welche
aber überall leicht als späte Zusätze erkennbar sind. Sie wurden
eingefügt, als das Epos sich auch über Gegenden, wo die Siva-
verehrung zu Hause war, verbreitete^).
Aber noch andere geistliche Kreise gab es in Indien, welche
schon in alter Zeit eine litterarische Tätigkeit entfalteten und
zum Teil noch mehr als die Brahmanen die grofsen Massen des
Volkes für sich zu gewinnen suchten. Das waren die Asketen,
Waldeinsiedler und Bettelmönche, die Begründer von Sekten
und Mönchsorden, welche zur Zeit des Buddha in Indien bereits
sehr zahlreich waren. Auch diese hatten ihre eigenen Dichtungen:
Heiligenlegenden, Weisheitssprüche, in denen sie
ihre Lehren von Entsagung und Weltverachtung, von Selbst-
aufopferung und Liebe zu allen Wesen predigten, aber auch
Fabeln, Parabeln, Märchen und moralische Er-
zählungen, welche die Weisheits- und Sittenlehren der Asketen
durch Beispiele erläutern sollten. Auch diese Asketendichtung
ist in ziemlich grofsem Umfange in das Mahäbhärata aufgenommen
worden.
So finden wir denn in diesem merkwürdigsten aller Litteratur-
erzeugnisse nebeneinander und durcheinander kriegerische Helden-
'lieder mit farbenreichen Schilderungen blutiger Kampfesszenen,
fromme Priesterpoesie mit oft recht langweiligen Auseinander-
setzungen über Philosophie, Religion und Recht, und milde
Asketendichtung voll erbaulicher Weisheit und voll über-
strömender Liebe zu Mensch und Tier.
Darum betrachten auch die Inder selbst das Mahäbhärata
zwar immer als ein Epos, als ein Werk der Dichtkunst (k ä v y a),
aber zugleich auch als ein auf uralter Überlieferung (smrti)
beruhendes und daher mit unanfechtbarer Autorität ausgestattetes
Lehrbuch (sästra) der Moral, des Rechts und der Philosophie;
') Vgl. H. Jacobi in Götting. Gel. Anzeigen 1892, S. 629 f.
— 268 ~
und seit mehr als 1500 Jahren diente es den Indern ebenso sehr
zur Unterhaltung wie zur Belehrung und Erbauung.
Vor mindestens 1500 Jahren') war dieses Mahäbhärata auch
schon so — oder wenigstens so ähnlich — wie wir es heute in
unseren Handschriften und Ausgaben besitzen, ein Werk,
welches auch ungefähr denselben Umfang wie unser heutiges
Epos hatte. So wie dieses, enthielt es bereits eine lange Ein-
leitung mit einer Rahmenerzählung, einer Geschichte des sagen-
haften Ursprungs des Gedichtes und einer Verherrlichung des-
selben als eines Lehr- und Erbauungsbuches-, war in achtzehn
Bücher, Parva ns genannt, eingeteilt, zu denen auch schon ein
neunzehntes Buch Harivamsa als »Ergänzung« (Khila) hinzu-
gefügt war; und erreichte emen Umfang von beiläufig 100000
Strophen (Slokas). Und bis zum heutigen Tage gilt dieses Riesen-
werk trotz all der verschiedenartigen Elemente, aus denen es besteht,
den Indern als ein einheitliches, in sich abgeschlossenes Werk^),
welches den altehrwürdigen Rsi Krsna Dvaipäyana, auch
Vyäsa genannt, zum Verfasser hat. Dieser selbe Rsi soll auch
der Ordner der vier Vedas^) und der Verfasser der Puränas
sein. Er war nach der Sage nicht nur ein Zeitgenosse, sondern
ein naher Verwandter der Helden des Mahäbhärata und greift
gelegentlich auch in die Handlung des Gedichtes ein. Seine
Geschichte wird uns im Mahäbhärata sehr ausführlich erzählt.
Er ist der Sohn eines berühmten Asketen, des Rsi Paräsara.
Dieser grofse Heilige erblickt eines Tages die in einem Fische
zur Welt gekommene und von Fischerleuten aufgezogene Satyavati
und ist von ihrer Schönheit so entzückt, dafs er ihre Liebe be-
gehrt. Sie will ihm aber nur unter der Bedingung zu willen
sein, dals sie, nachdem sie ihm einen Sohn geboren, wieder ihre
Jungfernschaft zurückerlange. Der grofse Heilige gewährt ihr
diesen Wunsch, sowie auch den, dafs sie ihren Fischgeruch ver-
liere und einen wunderbaren Duft ausströme. Unmittelbar nach-
') Siehe weiter unten das Kapitel über das Alter und die Ge-
schichte des Mahäbhärata.
^) Darum wird es auch als eine S am h it ä , d.h. »eine (abgeschlossene)
Zusammenstellung«, »ein zusammenhängender Text« bezeichnet, so
Mahäbh. I, 1, 21
*) Daher sein Name Vyäsa oder Vedavyäsa, d. h. »Ordner«,
»Ordner des Veda».
_ 269 —
dem er ihr beigewohnt, gebiert sie auf einer Insel in der Jamnä
einen Sohn, welcher Dvaipäyana, »der Inselgeborene«, genannt
wird. Der Knabe wächst heran und ergibt sich bald der Askese,
Indem er sich von der Mutter verabschiedet, sagt er ihr, dals
er jederzeit sofort erscheinen werde, sobald sie nur, wenn sie
seiner bedürfe, an ihn denke. SatyavatT aber, wieder zur Jung-
frau geworden, wurde später die Gemahlin des Kurukönigs
Öäntanu und gebar diesem zwei Söhne, Citrängada und Vici-
travirya. Nachdem Säntanu und Citrängada gestorben waren,
wurde Vicitravirya zum Thronnachfolger bestimmt. Dieser
starb jung und kinderlos, hinterliefs aber zwei Frauen. Damit
nun das Geschlecht nicht aussterbe, beschliefst SatyavatI, ihren
unehelichen Sohn Dvaipäyana zu berufen, damit er — auf Grund
der Rechtssitte des Levirats — seinen Schwägerinnen Nachkommen-
schaft erwecke. Nun ist aber dieser Dvaipäyana zwar ein grofser
Büfser und Heiliger, aber ein überaus häfslicher Mann mit
struppigem Haar und Bart und finster rollenden Augen, dunkel
von Gesicht (daher wohl auch sein Name Krsna, >der Schwarze«)
und ein übler Geruch geht von ihm aus. Als er daher der einen
Prinzessin naht, kann sie seinen Anblick nicht ertragen und
schliefst die Augen: die Folge davon ist, dafs ihr Sohn blind
zur Welt kommt. Es ist dies der nachmalige König Dhrta-
rästra. Darauf naht der Heilige der zweiten Frau, und diese
erbleicht bei seinem Anblick. Infolgedessen gebiert sie einen
Sohn, welcher bleich ist und daher Pändu, »der Bleiche«, ge-
nannt wird. Er ist der Vater der fünf Haupthelden des Epos.
Noch einmal soll Dvaipäyana der ersten Frau nahen ; aber klüger
geworden, schickt sie dem Heiligen, der nichts von der Unter-
schiebung merkt, ihre Magd, und mit dieser erzeugt er den
Vi dura, dem im Epos die Rolle eines weisen und wohl-
wollenden Freundes des Dhrtarästra sowohl wie der Söhne des
Pändu zuerteilt wird^).
Dieser häfsliche übelriechende Heilige, Krsna Dvaipäyana
Vyäsa, den die Legende zu einer Art Grofsvater 2) der Helden
des Epos gemacht bat, gilt also den Indem bis zum heutigen
«) Mahäbh. I, 63; lOGff.
*) Nach dem Gesetz des Levirats ist Vyäsa nur der Erzeuger,
nicht der Vater des Dhrtarästra und des Päigtdu. Als ihr Vater gilt
der verstorbene Gatte der beiden Witwen.
— 270 —
Tage als der Verfasser des ganzen Mahäbhärata. Erst nachdem
seine drei »Söhne« gestorben waren — so erzählt die Einleitung
zum Mahäbhärata ^) — hat Vyäsa das von ihm verfafste Gedicht
unter den Menschen bekannt gemacht. Und zwar hat er es
seinem Schüler Vais am päy an a mitgeteilt, und dieser trug das
ganze Gedicht in den Zwischenpausen des grofsen Schlangen-
opfers des Königs Janamejaya vor. Bei dieser Gelegenheit hörte
es der Süta Ugrasravas, Lomaharsanas Sohn; und unser Mahä-
bhärata beginnt damit, dafs die Ksis, welche bei dem zwölfjährigen
Opfer des Saunaka im Naimisawalde versammelt sind, den Süta
Ugrasravas ersuchen, ihnen die Geschichte des Mahäbhärata, wie
er sie von Vaisampäyana gehört, zu erzählen. Der Süta erklärt
sich hierzu bereit und erzählt die Geschichte von dem Schlangen-
opfer des Janamejaya, um dann erst zur Wiedergabe der Er-
zählung des Vaisampäyana zu schreiten.
Es ist gewifs ein altertümlicher Zug des Mahäbhärata, dafs
es fast durchwegs nur Reden enthäh^). Ugrasravas ist der
Vortragende der Rahmenerzählung, und in dem Gedicht selbst
ist Vaisampäyana der Sprechende. Innerhalb der Erzählung
des Vaisampäyana werden wieder zahllose eingeschaltete Ge-
schichten — und diese Einschachtelimg von Erzählungen in Er-
zählungen ist in der indischen Litteratur überhaupt sehr beliebt —
verschiedenen Personen in den Mund gelegt. In den meisten
Fällen werden sowohl die Erzählungen, als auch die Reden der
auftretenden Personen nur mit den Prosaformeln »Vaisampäyana
sprach«, »Yudhisthira sprach«, »DraupadT sprach« usw. ein-
geleitet;
So phantastisch auch alles ist, was uns die Einleitung zum
Mahäbhärata über dessen angeblichen Verfasser mitteilt, so finden
') I, 1, 95 ff.
2) "Dafs die alten Epen überall sehr viel Rede und Gegenrede
enthalten, kann man auch an der Dias beobachten; erst in den
späteren Epen tritt dieses dramatische Element mehr zurück . . . Das
epische Gedicht aber wird erst dadurch vollendet, dafs zu den Reden
nun auch die Rahmenerzählung in metrische Form gefafst wird. Eine
letzte Stufe ist es, dafs die Reden zurücktreten und nur Ereignisse in
Versform erzählt werden.' Ernst Windisch, Mära und Buddha
(Abhaudl. der philolog.-histor. Klasse der K. sächsischen Ges. der Wiss.
Leipzig 1895), S. 222 ff. Von jener »letzten Stufe» ist das Mahäbhärata
noch weit entfernt
— 271 —
wir in ihr doch auch einige bemerkenswerte Angaben. So heifst
es, dafs der Rsi Vyäsa sein Werk sowohl in einer kurzen
Zusammenfassung als auch in einer ausführlichen Darstellung
erzählt habe; ferner, dafs verschiedene Rezitatoren das Gedicht
an drei verschiedenen Stellen anfangen, und dafs sein Umfang
nicht immer der gleiche war. Ugrasravas sagt, er kenne das
Gedicht in dem Umfange von 8800 Strophen, während Vyäsa er-
klärt, dafs er die Samhitä des Bhäratagedichtes in 24 000 Strophen
verfafst habe, »und ohne die Nebenerzählungen wird das Bhärata
in diesem Umfange von den Verständigen vorgetragen«. Phan-
tastisch genug heifst es gleich darauf, dafs Vyäsa auch ein
Epos von 60 hunderttausend Strophen verfafst habe, und zwar
30 hunderttausend für die Götter, 15 für die Manen, 14 für
die Gandharvas und ein Hunderttausend für die Menschen*).
Natürlich soll damit nur der gegenwärtige Umfang des Mahä-
bhärata angedeutet sein, der ihm auch die Bezeichnung sata-
sähasri samhitä, »Sammlung von hunderttausend Versen«,
eingetragen hat. Man ersieht aus diesen Angaben, dafs die
Inder selbst trotz ihrem festen Glauben an die Einheitlichkeit
des Werkes doch wenigstens eine Erinnerung daran behalten
haben, dafs das Mahäbhärata aus einem ursprünglich kleineren
Gedicht erst allmählich zu Seinem jetzigen Umfang heran-
gewachsen ist.
Was das Mahäbhärata den Indern ist, sagt uns in über-
schwenglichster Weise die Einleitung zu dem Werke. Da heifst
es z. B. :
»Wie die Butter unter allen Arten saurer Milch, wie der Brah-
mane unter den Ariern, wie die Arauyakas unter den Vedas, wie der
Unsterblichkeitstrank unter den Arzneien, der Ozean unter allen Ge-
wässern und die Kuh unter den Vierfüfslern am besten ist, so ist
von allen Erzählungswerken (Itihäsas) das Mahäbhärata das beste.«
»Wer einmal diese Erzählung gehört hat, dem gefällt nichts
anderes Hörens wertes mehr: wie dem, der den Gesang des Kokila-
männcheus-) gehört, der Krähe rauhe Stimme nicht gefällt.»
»Aus diesem vortrefflichsten aller Erzählungswerke entstehen die
Gedanken der Dichter, wie die drei Weltenräume aus den fünf
Elementen.«
') Mahäbh. 1. 1, 51 ff.; 81; lOlff.
'-) Der Kokila, der indische Kuckuck, ist für indische Dichter
dasselbe, was bei unseren Dichtern die Nachtigall ist.
— 272 —
»Wer einem vedakundigen, hochgelehrten ßrahmanen einhundert
Kühe mit vergoldeten Hörnern schenkt, und wer täglich die heiligen
Erzählungen des Bhäratagedichtes hört — die beiden erwerben sich
gleiches (religiöses) Verdienst.«'
"Ein Siegesspruch ist ja dieses Erzählungswerk: ein König, der
zu siegen wünscht, soll es hören, und er wird die Erde erobern und
die Feinde besiegen."
«Dies ist ein heiliges Lehrbuch der Moral (dharma); dies ist das
beste Lehrbuch des praktischen Lebens (artha), und auch als ein Lehr-
buch der Erlösung (moksa) ^) ist es von dem unermelslich weisen Vyäsa
vorgetragen worden.«
»Jegliche Sünde, sei sie in Taten, Gedanken oder Worten be-
gangen, weicht alsbald von dem Mann, der dieses Gedicht anhört.*
»In drei Jahren hat der Asket Krsna Dvaipäyana, täglich (zur
Verrichtung seiner Andachts- und Butsübungen) sich erhebend, diese
wunderbare Erzählung, das Mahäbhärata, verfalst. Was in bezug auf
M o r a 1 , in bezug auf das praktische Leben, in bezug auf S i n n e n -
genufs und in bezug auf die Erlösung') in diesem Buche steht —
das gibt es anderswo; was hier nicht steht, das gibt es nirgends in
der Welt.*
Für uns aber, die wir das Mahäbhärata nicht als gläubige
Hindus, sondern als kritische Litterarhistoriker betrachten, ist es
nichts weniger als ein Kunstwerk; und auf keinen Fall können
wir in ihm das Werk eines Verfassers, ja auch nicht einmal
das eines geschickten Sammlers und Ordners sehen. Das Mahä-
bhärata als Ganzes ist ein litterarisches Unding. Nie hat eine
Künstlerhand versucht — und es wäre ja auch kaum möglich
gewesen — , die widerstrebenden Elemente zu einem einheitlichen
Gedicht zu vereinigen. Nur poesielose Theologen und Kom-
mentatoren und ungeschickte Abschreiber haben die tatsächtlich
unvereinbaren und aus verschiedenen Jahrhunderten stammenden
Teile schliefslich zu einer ungeordneten Masse zusamraen-
geschweifst. Aber in diesem Urwald von Dichtungen, den die
Wissenschaft eben erst zu lichten begonnen hat, grünt und
spriefst, unter wildem Gestrüpp verborgen, viel wahre und echte
Poesie. Aus der ungefügen Masse leuchten die köstlichsten
') Dharma, »Recht und .Sitte« oder »Moral«, artha »Nutzen«.
»Vorteile«, »das praktische Leben» und käma, »Sinnengenufs« sind
die drei- Ziele des Lebens, gewissermafsen das Um und Auf des
menschlichen Daseins, nach der indischen Ethik. Das Endziel alles
Strebens aber ist moksa, »die Erlösung", zu welcher die verschiedenen
Sekten und philosophischen Systeme verschiedene Wege weisen.
— 273 —
Blüten unsterblicher Dichtkunst und v, tiefgründiger Weisheit
hervor. Und gerade weil das Mahäbhärata mehr eine ganze
Litteratur als ein einziges und einheitliches Werk darstellt
und so vieles und so vielerlei enthält, ist es mehr als irgendein
anderes Buch geeignet, uns einen Einblick in die tiefsten Tiefen
der indischen Volksseele zu gewähren.
Das mag die folgende Übersicht über den Inhalt des Mahä-
bhcärata und<seiner verschiedenen Bestandteile zeigen*).
Die Haupterzählung des iVIahabhärata.
Vor Jahren hat Adolf Holtzmann (der Ältere) den
kühnen Versuch unternommen, »den Grundstoff des Mahäbhärata,
das alte indische Nationalepos selbst, deutschen Freunden der
*) Eine vollständige deutsche Übersetzung des Mahäbhärata gibt
es nicht; Übersetzungen und Bearbeitungen einzelner Stücke sind in
den Anmerkungen zu der folgenden Inhaltsübersicht genannt. Die
französische Übersetzung von H. Fauche (Paris 1863 — 1870) reicht
nur bis zum Ende des zehnten Buches. Englische Prosaübersetzungen
des ganzen Mahäbhärata gibt es von Protap Chandra Roy (Kalkutta
1884-1896) und Manmatha Nath Dutt (Kalkutta 1895—1905).
Eine schöne poetisc|ie Wiedergabe, teils in metrischen Übersetzungen,
teils in Prosa-luhaltsangaben ist »> Maha-Bharata, the Epic of Ancient
India Condensed into English Verse*, byRomeshDutt. London 1899.
Gröfsere und kleinere Auszüge aus dem Mahäbhärata findet man
auch in John Muirs 'Original Sanskrit Texts», 5 Vols., 1858—1872,
Vol. I, 3. Aufl. 1890, und in desselben "Metrical Translations from
Sanskrit Writers". London 1879, sowie in Monier Williams' »Indian
Wisdom« 4'h ed. London 1893. Eine Sammlung von gröfseren Stücken
aus dem Mahäbhärata in französischer Übersetzung gab Ph.E.Fouc aux,
Le Mahäbhärata, onze episodes tires de ce poeme epique, Paris 1862.
Einzelne Episoden in italienischer Übersetzung gibt P. E. Pavolini,
Mahäbhärata, Episodi scelti e tradotti coli. col. racconto dell' interno
poema (Bibliotheca dei popoli I) 1902. Einige Fragmente aus den letzten
Büchern des Mahäbhärata, von Friedrich Rückert übersetzt, sind
herausgegeben in den »Rückert-Studien« von Robert Boxberge r,
Gotha 1878, S. 84 — 122. Eine Sammlung der wichtigsten philosophi-
schen Texte des Mahäbhärata in guter deutscher Übersetzung kommt
mir eben noch knapp vor dem Drucke zu: »Vier philosophische
Texte des Mahäbhäratam: Sanatsujäta-Parvan-Bhagavadgitä-Mok-
shadharma-Anugltä«. In Gemeinschaft mit Dr. Otto Strauss aus
dem Sanskrit übersetzt von Paul Deussen (Leipzig 1906).
— 274 —
Poesie zum erstenmal zu erschliefsen« ^). Er ging von der un-
zweifelhaft richtigen Ansicht aus, dafs das MahäbhSrata nicht
>das indische Epos« sei, sondern dafs vielmehr nur »die Über-
reste, die Trümmer der alten indischen Heldengesänge im Mahä-
bhärata . .• * in vielfacher Überarbeitung, Erweiterung und Ent-
stellung enthalten seien«. Aber mit beneidenswertem Selbst-
bewufstsein traute er sich die Fähigkeit zu, aus diesen über-
arbeiteten und entstellten »Trümmern« das alte, ursprüng-
liche Heldengedicht wiederherstellen zu können. Er glaubte,
durch Auslassungen, Kürzungen und. Veränderungen ein
indisches Heldengedicht in deutschen Versen geschaffen zu haben,
welches von dem eigentlichen Mahäbhärata, wie es die alten
indischen Barden gesungen, eine bessere Vorstellung gebe, als
es etwa eine wörtliche Übersetzung des uns vorliegenden Urtextes
tun würde. Nun hat Holtzmann gewifs mit genialem Blick und
tiefem dichterischem Gefühl oft das Richtige getroffen; er hat
sich aber auch mit so grenzenloser Willkür von dem Sanskrit-
text entfernt, dafs sein Werk doch nur als eine sehr freie Um-
dichtung des alten Mahäbhärata, aber keinesfalls als ein treues
Abbild desselben gelten kann. In der Tat ist das, was Holtzmann
^rersucht hat, ein Ding der Unmöglichkeit, jedem Versuch, »das
alte indische Nationalepos selbst« in seiner Ursprünglichkeit
wiederherzustellen, wird immer so viel Willkürliches an-
haften, dafs er nur einen rein subjektiven Wert haben kann.
Hingegen ist es verhältnismäfsig leicht, aus der ungeheueren
Masse von Gesängen des Mahäbhärata einen Kern heraus-
zuschälen, nämlich die Erzählung vom Kampfe der
Kauravas und der Pändavas, welche jedenfalls den Vor-
wurf des eigentlichen Epos bildete. Das soll in dem nach-
folgenden, notwendigerweise kurzen Auszuge geschehen. Wir
verfolgen die Geschichte von. dem grofsen Kampfe , indem wir
auch die wichtigsten auf die Hauptheiden bezüglichen Neben-
erzählungen nach Möglichkeit berücksichtigen. Dabei wollen wir
uns nicht auf zweifelhafte Hypothesen über das »ursprüngliche«
Epos einlassen, sondern getreu unserem jetzt vorhandenen
Mahäbhäratatexte folgen, indem wir nur vorläufig alles
beiseite- lassen, was nicht auf die Haupterzählung bezug hat.
') Indische Sagen. 2. Teil: Die Kuruinge. Karlsrahe 1846.
— 275 —
Die Herkunft der Kauravas und der Pä^cjavas.
Im Lande der Bharatas herrschte einmal ein König aus dem
Kurugeschlecht, Säntanu mit Namen. Dieser hatte von der zu einem
Menschenweibe gewordenen Gangä') einen Sohn, Namens Bhisma,
welchen er zum Thronnachfolger bestimmt hatte. Eines Tages, als
dieser bereits zu einem trefflichen, mit allen Kriegertugenden aus-
gestatteten Helden herangewachsen war, traf Säntanu die schöne
Fischerstochter Satyavati, verliebte sich in sie und begehrte sie zum
Weibe. Ihr Vater aber, der König der Fischersleute, wollte sie
ihm nur unter der Bedingung geben, dals der von seiner Tochter ge-
borene Sohn den Thron erben solle. Darauf wollte Säntanu nicht ein-
gehen, so schwer es ihm wurde, auf die Geliebte zu verzichten,
Bhisma aber merkte bald die Niedergeschlagenheit seines Vaters, imd
als er den Grund derselben erfahren hatte, begab er sich selbst zu
dem Fischerkönig, um für seinen Vater um Satyavati zu werben. Er
erklärt nicht nur, auf den Thron verzichten zu wollen, sondern nimmt
auch das Gelübde der Keuschheit auf sich, damit nicht etwa ein Sohn
von ihm als Thronnachfolger in Frage käme, worauf ihm der Fischer
gern seine Tochter gibt. Säntanu heiratet also Satyavati und erzeugt
mit ihr zwei Söhne, Citrängada und Vicitravirya. Nachdem
Säntanu bald darauf gestorben war und den jungen Citrängada ein
Gandharva im Kampfe getötet hatte, weihte Bhisma, als der Senior
der Familie, den Vicitravirya zum König. Dieser aber starb jung und
kinderlos, obgleich er zwei Frauen hatte. Damit nun das Geschlecht
nicht aussterbe, bittet Satyavati den Bhisma, nach dem alten Rechts-
brauche des Levirats mit den hinterbliebenen Witwen des Vicitravirya
Nachkommenschaft zu erzeugen. Bhisma aber weist auf sein Gelübde
der* Keuschheit hin und erklärt, dals wohl die Sonne ihren Glanz, das
Feuer seine Hitze, der Mond die Kühle seiner Strahlen, Gott Indra
seine Tapferkeit, Gott Dharma^) seine Gerechtigkeit aufgeben, er aber
nie und nimmer sein gegebenes Wort brechen könne. Da erinnert sich
Satyavati ihres unehelichen Sohnes Vyäsa und fordert mit Zu-
stimmung des Bhisma ihn auf, für die Erhaltung des Geschlechtes
Sorge zu tragen. Und der heilige Vyäsa erzeugt, wie wir schon ge-
sehen haben'), den Dhrtarästra, den Päijdu und den Vidura. Da
Dhftarästra blind geboren war, wurde der jüngere Bruder Pä^du zum
König eingesetzt. Dhrtarästra heiratete Gändhärl, die Tochter des
Gändhärakönigs, und sie gebar ihm hundert Söhne, von denen der
älteste Duryodhana hiefs. Pändu aber hatte zwei Frauen, Prihä
oder Kunti, die Tochter eines Königs der Yädavas, und Mädri, die
Schwester des Salya, des Königs der Madras. KuntI gebar ihm drei
Söhne: Yudhisthira, den ältesten, Arjuna und Bhima, der am
') Göttin des Flusses Ganges.
^) Der Todesgott und zugleich der Gott der Gerechtigkeit.
"; Oben S. 269.
Winternitr, Geschichte der indischen Litteratur iO
— 276 —
selben Tage wie Duryodhana geboren wurde, während MädrI die
Mutter der beiden Zwillinge Nakula und Sahade va wurde.
Eine sehr phantastische (schwerlich dem alten Gedichte an-
gehörige) Geschichte wird erzählt, wonach diese fü#f Haupthelden des
Epos nicht von Pä^ciu, sondern f ü r Pä^du gezeugt worden sein sollen.
Pändu — so wird erzählt — hat auf der Jagd ein Antilopenpärchexi
bei der Begattung getötet. In Wirklichkeit ist es aber ein Rsi, der
Antilopengestalt angenommen bat, um der Liebe zu pflegen. Dieser
Rsi spricht nun tlber Pändu den Fluch aus, dals er beim Liebesgenu[s
sterben solle. Daraufhin beschliefst Pändu. ein Asketenleben zu lübrec
und auf den Geschlechtsgenuls zu verzichten. Damit er aber doch
Nachkommenschaft erhalte, werden von KuntI die Götter herbeigerufen,
damit sie ihr Kinder erzeugen. Dharma, der Gott der Gerechtigkeit,
erzeugt mit ihr den Yudhisthira, der Windgott Väyu den starken
Bhlma und der Götterfürst Indra den Arjuia. Auf Bitten der KuntT
wohnen die beiden Asvins der MädrI bei und erzeugen mit ihr die
Zwillinge Nakula und Sahade va.
Die Pä^davas und Kauravas am Hofe des Dhrtarästra.
Nachdem Pändu bald darauf gestorben war, übernahm der blinde
Dhrtarästra die Regierung. Die fünf Söhne des Päijidu zogen mit
ihrer Mutter Kunti — Pändus zweite Frau MädrI hatte sich mit ihm
als Witwe verbrennen lassen — an den Hof des Königs Dhrtarästra
nach Hastinäpura und wurden dort zusammen mit den Prinzen, ihren
Vettern, erzogen.
Schon in den Kinderspielen zeichneten sich die Söhne des Pändu
vor denen des Dhrtarästra aus und erregten die Eifersucht der letzteren.
Bhima insbesondere war äufserst übermütig und gab manche Proben
unbändiger Kraft, die den Kindern des Dhrtarästra recht unangenehm
waren. Wenn die Kinder z. B. auf einen Baum stiegen, schüttelte
er ihn so, dafs die Vettern samt den Früchten heruntergepurzelt
kamen- Duryodhana war daher dem Bhlma sehr gehässig und machte
auch mehrere Anschläge gegen sein Leben, ohne ihm aber etwas an-
haben zu können. Die Knaben wuchsen heran und erhielten zwei be-
rühmte, waffenkundige Brahmanen, Krpa und Dro^a, zu Lehrern im
Waffenhandwerk. Zu ihren Schülern gehörten aufser den Söhnen des
Dhrtarästra und des Pändu auch Asvatthäman, ein Sohn des Drona.
und Kar na, der Sohn eines Süta oder Wagenlenkers. Duryodhana
und'Bhima wurden bald die besten Schüler des Drona im Keulen-
kampf, Asvatthäman in Zauberkünsten, Nakula und Sahadeva im
Schwertkampf und Yudhisthira im Wagenkampf. Arjuna aber war
nicht nur der tüchtigste Bogenschütze, sondern übertraf alle andern
in jeder Beziehung. Daher waren die Söhne des Dhrtarästra überaus
eifersüchtig auf ihn.
Als die Prinzen ihre Lehrzeit beendet hatten, veranstaltete Drona
einen Wettkarapf, bei dem seine Schüler ihre Künste zeigen sollten.
— 277 —
Es ist eine glänzende Festversammlung; der König, die Königinnen
und zahlreiche Helden sind anwesend. Bhlma und Duryodhana führen
einen Keulenkampf auf, der so ernst zu werden droht, dafs die Kämpfen-
den getrennt werden müssen. Arjuna erntet allgemeinen Beifall durch
seine Kunst im Bogenschiefsen. Aber auch Kar^a tritt in die Arena
und vollführt dieselben Künste wie Arjuna, worüber dieser sehr er-
zürnt ist, während Duryodhana den Kar^ freudig umarmt und ihn
seiner ewigen Freundschaft versichert. Karna fordert den Arjuna zum
Zweikampf heraus, wird aber als Abkömmling eines Wagenlenkers
von den Pändavas verhöhnt.
Yudhisthira wird Thronfolger. Verschwörung gegen
ihn und seine Brüder. (Das Lackhaus.)
Ein Jahr darauf setzte Dhrtarästra den durch Tapferkeit wie
durch alle andern Tugenden gleich ausgezeichneten Yudhisthira (als
den Erstgeborenen der Kurufamilie) zum Thronfolger ein. Die übrigen
Pändavas bildeten sich noch weiter in den Waffen aus und unter-
nahmen auch auf eigene Faust siegreiche Eroberungszüge. Als Dhyta-
räsfra von diesen Waffentaten der immer mächtiger werdenden Päijdavas
hörte, wurde er um die Zukunft seiner eigenen Linie einigermafsen
besorgt. Als daher Dur3'odhana, sein jüngerer Bruder Dussäsana,
sein Freund Kan^a und sein mütterlicher Oheim Sakuni eine Ver-
schwörung gegen die Pändavas anzettelten, fanden sie bei dem alten König
bereitwillige Unterstützung. Sie überredeten Dhrtarästra, die Pändavas
unter irgend einem Vorwand nach Vära^ävata zu entfernen. Dort liefs
Duryodhana durch einen geschickten Baumeister ein Haus aus Lack
und andern leicht entzündlichen Stoffen bauen, in welchem die Pändavas
wohnen sollten. In nachtschlafender Zeit sollte dann das Haus an-
gezündet werden, damit die Pändavas ihren Untergang fänden. Vidura
aber teilt dem Yudhisthira insgeheim — er bedient sich dabei einer
Mlecchasprache , d. h. einer den übrigen nicht verständlichen Sprache
eines nichtindischen Volksstammes — den heimtückischen Plan mit.
Um aber keinen Verdacht zu erregen, da sie fürchteten, Duryodhana
würde sie sonst auf andere Weise durch Meuchelmörder töten lassen,
gehen sie scheinbar auf den Plan ein, begeben" sich nach Väranävata
und beziehen das Lackhaus. Durch einen unterirdischen Gang aber,
den sie heimlich anlegen liefsen, entfliehen sie in den Wald, nachdem
sie das Haus, in welchem nebst dem Baumeister nur noch ein be-
trunkenes Weib niedriger Kaste nut fünf Söhnen Schläft, selbst an-
gezündet haben. Während alle Leute glauben, die Pändavas mit ihrer
Mutter KuntI seien verbrannt, und am Hofe des Dhrtarästra die Toten-
feier abgehalten wird, irren die fünf Brüder mit ihrer Mutter im Walde
jenseits des Ganges umher. In finsterer Nacht befinden sie sich mitten
im dichten Walde — müde, hungrig und durstig. KuntI klagt über
Durst, und Bhlma bringt die Mutter und seine vier Brüder zu einem
Bananenbaum, wo sie sich ausruhen sollen, während er Wasser suchen
19*
— 278 —
•will. Den Wasservögeln folgend, kommt er zu einem Teich, wo er
badet und trinkt und die Oberkleider ins Wasser taucht, um den
übrigen Wasser zu bringen. Eiligst kehrt er zurück, findet aber die
Seinen alle unter dem Baume eingeschlafen. Wie er die Mutter und
die Brüder so schlafend liegen sieht, beklagt er in bitteren Worten ihr
trauriges Schicksal.
Hidimba, der Riese, und seine Schwester.
In der Nähe dieses Bananenbaumes haust ein gräulicher, menscheu-
fressender Riese, der RäksasaHidim b a. Er riecht Menschenfieisch,
und von einem hohen Baume aus sieht er die Schlafenden. Ihm
wässert der Mund nach dem lang entbehrten Genüsse und er fordert
seine Schwester, die Riesin Hidirabä, auf, nachzusehen, was es für
Leute seien; dann wollten sie zusammen sich an der Menschen frischem
Fleisch und Blut gütlich tun und nachher fröhlich tanzen und singen.
Die Riesin geht hin; aber kaum hat sie den Bhlma erblickt, so wird
sie von heftiger Liebe zu dem kräftigen Heldenjüngling ergriffen. Sie
verwandelt sich daher in ein schönes menschliches Weib und geht
lächelnd auf Bhlma zu, erzählt ihm, dafs dieser Wald von dem
menschenfressenden Räksasa, ihrem Bruder, heimgesucht sei, der sie
hergeschickt habe; dafs sie ihn aber liebe und keinen andern Mann
zum Gatten haben wolle, als ihn ; er möge sich ihrer freuen, sie werde
ihn retten. Bhima antwortet, er denke nicht daran, sich der Lust hin-
zugeben und Mutter und Brüder im Stiche zu lassen. Hidimbä er-
widert, er möge nur seine Angehörigen aufwecken, sie werde sie alle
retten. BhTma aber erklärt, es werde ihm nie einfallen, seine Mutter
und seine Brüder aus süfsem Schlummer zu wecken; vor Räksasas,
Yaksas (Elfen), Gandharvas und dergleichen Gelichter habe er keine
Angst, er werde auch mit dem Menschenfresser fertig werden. Da
kommt auch schon der Riese Hidimba. dem seine Schwester zu lange
ausbleibt, selbst daher und will die verliebte Hidimbä im Zorne töten.
Bhlma aber stellt sich ihm entgegen und fordert ihn zum Kampfe
heraus. Nach furchtbarem Ringen, während dessen die Brüder er
wachen, erschlägt er den Riesen. Nun will er auch die Hidimbä dem
Bruder nachsenden, aber Yudhisthira ermahnt ihn, doch nicht ein Weib
zu töten. Auf ihr flehentliches Bitten läfst er sich schliefslich herbei,
sich mit ihr so lange zu vereinigen, bis sie einen Sohn geboren habe.
Yudhisthira ordnet an, dafs Bhima tagsiiber bei der Riesin weilen möge,
aber vor Sonnenuntergang stets zurückkehren müsse. So fliegt denn
Hidimbä mit Bhlma dui-ch die Luft auf liebliche Bergeshöhen, wo sie
sich dem Liebesspiel hingeben, bis sie empfängt und einen Sohn
gebiert, der auch ein mächtiger Räksasa ist. Sie nennen ihn G hatot-
kaca. Dieser hat später den Panda vas in der grofsen Schlacht gute
Dienste geleistet').
*) Eine sehr freie Bearbeitung der Hidimba-Episode hat Friedrich
Rückert gegeben. (Werke, herausg. von C.Beyer, Bd. 6, S. 426 ff.)
— 279 —
Der Riese Baka und die Brahmanenf amilie.
Die Päi^davas ziehen nun, als Büfser verkleidet, unter mancherlei
andern Abenteuern, von Wald zu Wald und kommen schhelslich in
eine Stadt Ekacakrä, wo sie unerkannt im Hause eines Brahmanen
Aufenthalt nehmen. Bei Tage erbetteln sie sich ihre Speise und bringen
sie abends nach Hause, wo KuntI das ganze Essen in zwei Hälften
teilt — die eine für-Bhima, die andere für alle übrigen. Eines Tages
ist Kunti mit Bhima allein zu Hause. Da dringt aus den Gemächern
des Brahmanen, bei dem sie Gastfreundschaft geniefsen, lautes Jammern
und Wehklagen. Und sie hören, wie erst der Brahmane unter bitteren
Klagen über das Menschenlos überhaupt erklärt, dals es am besten
sei, wenn er samt seiner Familie in den Tod ginge. Denn er könnte
es nie über sich gewinnen, die treue Gattin, die geliebte Tochter oder
gar das Söhnchen zu opfern, und anderseits müfste er, wenn er allein
stürbe, die Seinen sicherem Elend überlassen. Darauf ergreift die
Frau des Brahmanen das Wort und sagt: Er müsse am Leben bleiben,
um für seine Kinder zu sorgen und das Geschlecht zu erhalten. Sie
aber habe, nachdem sie ihm einen Sohn und eine Tochter geboren,
den Zweck ihres Daseins erfüllt und könne ruhig sterben. Wenn er
stürbe, so könnte ja sie allein nie ihre beiden Kinder ernähren und
beschützen; sie könnte weder ihre Tochter vor unwürdigen Männern
bewahren , noch ihrem Sohne die eines Brahmanen würdige Erziehung
geben. Er könne ja auch wieder eine zweite Frau nehmen, während
sie als Witwe doch nur ein bedauernswertes Los hätte. »Wie Vögel
sich gierig auf ein weggeworfenes Stück Fleisch stürzen, so die Männer
auf eine des Gatten beraubte Frau«. Darum werde sie ihr Leben
opfern. Nun beginnt die Tochter, welche die Reden ihrer Eltern
gehört hat, zu sprechen und sucht zu beweisen, dafs es ihr allein zu-
komme, für die Familie zu sterben. »Sagt man doch: das eigene Selbst
ist der .Sohn, ein Freund die Gattin, ein Elend aber die Tochter. Be-
freie dich selbst von diesem Elend und lafs mich meine Pflicht er-
füllen". Während diese drei so miteinander reden und schlieislich
alle zusammen in Weinen ausbrechen, tritt das kleine Söhnchen mit
weitgeöffneten Augen auf jeden einzelnen zu und spricht lächelnd mit
süfser, kindlicher Stimme : «Weine nicht, Vater! Weine nicht, Mutter !
Weine nicht, Schwester!" Und frohgemut • nimmt der Kleine einen
Grashalm vom Boden und spricht: »Mit dem werde ich den menschen-
fressenden Räksasa töten!« Und so tiefbetrübt sie auch alle waren —
als sie des Knaben süfse Stinmie hörten, ward ihr Herz von Freude
erfüllt. Diesen Augenblick benützt Kunti, die Mutter der Panda vas,
um einzutreten und sich zu erkundigen, was denn eigentlich los sei.
Da erfährt sie denn, dafs in der Nähe der Stadt ein menschenfressen-
der Räksasa, der Riese Baka, hause, dem die Einwohner der Stadt in
gewissen Zeiträumen eine Wagenladung Reis, zwei Büffel und einen
Menschen als Tribut bringen müssen. Abwechselnd komme immer
eine andere Familie daran, und jetzt sei gerade die Reihe an ihnen.
— 280 —
Darauf tröstet KuntI den Brahmanen und schlägt vor, dafs einer ihrer
fünf Söhne dem Räksasa seinen Tribut bringe. Der Brahmane aber
will nichts davon wissen, dafs ein Brahmane, und noch dazu ein Gast,
für ihn das Leben opfere. Da erklärt ihm Kunti, dafs ihr Sohn ein
grofser Held sei — was er aber niemand verraten dürfe — , der den
Räksasa gewifs töten werde. Bhima ist sofort bereit, der Aufforderung
der Mutter Folge zu leisten und fährt am nächsten Morgen mit dem
Wagen, der die für den Räksasa bestimmten Speisen enthält, in den
Wald, wo der Unhold haust. Sobald er in den Wald ko^nmt, beginnt
er — dies wird mit grofsem Humor geschildert — die Speisen selbst
zu essen und läfst sich auch durch den heranstürmenden Riesen nicht
irre machen. Selbst als der wutentbrannte Räksasa mit beiden Händen
auf ihn losschlägt, ifst er ruhig weiter. Erst nachdem er alles auf-
gegessen hat, rüstet er sich zum Kampfe. Die mächtigsten Bäume des
Waldes reifsen sie aus und schleudern sie aufeinander. Dann aber be-
ginnt ein gewaltiges Ringen, welches damit endet, dafs Bhlma den
Riesen über seinem Knie entzwei bricht. Den übrigen Räksasas, den
Verwandten und Untergebenen des Baka, nimmt Bhima das Ver-
sprechen ab, keinen Menschen mehr zu töten und kehrt zu den Brüdern
zurück. In der Stadt herrscht grofse Freude. Aber das Inkognito der
Pändavas wird gewahrt.
Gattenselbstwahl und Heirat der Draupadi.
Nach einiger Zeit entschliefsen sich die Pändavas, die Stadt
Ekacakrä zu verlassen und ins Pancälaland zu wandern. Auf dem
Wege dahin erfahren sie, dafsDrupada, der König der Pancälas, so-
eben im Begriffe sei, die Gattenselbstwahl') seiner Tochter zu ver-
anstalten. Die Brüder beschlielsen, sich auch an dem Feste zu be-
teiligen und begeben sich, als Brahmanen verkleidet, in die Residenz-
stadt des Drupada, wo sie im Hause eines Töpfers unerkannt leben,
indem sie sich als Brahmanen ihren Unterhalt erbetteln. Drupada aber
hatte einen sehr festen Bogen machen , mittels einer künstlichen Vor-
richtung hoch in der Luft ein Ziel aufrichten und verkünden lassen»
dafs nur derjenige Held seine Tochter Krs^ä beim Svayamvara er-
ringen könne, der den Bogen spannen und das aufgesteckte Ziel treffen
würde. Fürsten aller Länder, darunter auch die Kauravas, Duryo-
') Svayamvara, d. h. »Selbst wähl«, ist eine Form der Ehe-
gründung oder Verlobung, welche darin besteht, dafs die Königs-
tochter sich unter den versammelten Fürsten und Helden (nachdem
der Vater eine feierliche Einladung hat ergehen lassen) den Gatten
selber auswählt, indem sie dem Erwählten einen Kranz um den Hais
hängt, worauf dann die Hochzeit stattfindet. Während der Svayamvara
in der epischen Dichtung sehr häufig geschildert wird, erwähnen
die brahmanischen Gesetzbücher, die sonst die verschiedenen Arten
der Ehegründung sehr ausführlich behandeln, diese Sitte gar nicht.
— 281 —
dhana und seine Brüder, nebst Karna folgen der Einladung des Königs
Drupada und versammeln sich in der festlich geschmückten Halle, in
welcher die Gattenselbstwahl stattfinden soll. Auch zahllose Brah-
manen strömen als Zuschauer herbei, unter ihnen die fünf Pändavas.
Mehrere Tage hindurch finden glänzende Festlichkeiten statt, und die
fremden Könige und Brahmanen werden als Gäste grofsartig bewirtet.
Endlich am sechzehnten Tage tritt unter den üblichen Zeremonien
die wunderschöne Krsijä, herrlich gekleidet und geschmückt, in den
Saal, den Blumenkranz in der Hand. Ihr Bruder Dhrstadyumna
verkündet mit lauter Stimme: »Höret, all ihr Fürsten insgesamt!
Hier ist der Bogen, hier sind die Pfeile, dort ist das Ziel. Treffet es
durch das Loch der Vorrichtung mit den fünf scharfen ; luftdurch-
schwirrenden Pfeilen. Wer, mit edler Geburt, Schönheit und Kraft
ausgestattet, diese grofse Tat vollbringt, dessen Gemahlin soll meine
Schwester Krsnä heute sein — nicht eitel ist meine Rede." Darauf
nennt er seiner Schwester die Namen aller anwesenden Könige, mit
Duryodhana beginnend. Alle verlieben sich sofort in die reizende
Krs^ä, einer ist auf den andern eifersüchtig und jeder einzelne hofft,
sie zu gewinnen. Einer nach dem andern versucht nun, den Bogen
zu spannen, aber keinem will es gelingen. Da tritt Karna vor; schon
hat er den Bogen gespannt und ist bereit, das Ziel zu treffen , da ruft
Krsnä mit lauter Stimme: »Einen Wagenlenker wähle ich nicht.«
Mit bitterem Lachen und einem Blick zur Sonne wirft Karija den
Bogen wieder hin. Vergeblich versuchen noch die mächtigen Könige
Sisupäla, Jaräsandha und Salya den Bogen zu spannen. Da erhebt
sich Arjuna aus der Mitte der Brahmanen. Unter lautem Gemurmel
des Beifalls derjenigen, die den stattlichen Jüngling bewundern,
und des Widerspruchs jener, die sich darüber ärgern, dafs ein Brah-
mane mit Kriegern in die Schranken zu treten wage, schreitet er auf
den Bogen zu, spannt ihn im Nu und schiefst das Ziel herab. Da Krsnä
den göttergleichen Jüngling sieht, reicht sie ihm erfreut den Kranz,
und Arjuna verläfst, von der Königstochter gefolgt, die Halle.
Da aber die versammelten Könige merken, dafs Drupada wirklich
seine Tochter dem Brahmanen geben wolle, sehen sie dies für eine
Beleidigung an ; denn eine Gattenselbstwahl sei nur für Krieger, nicht
für Brahmanen bestimmt. Sie wollen den Drupada töten. Aber
Bhlma und Arjuna eilen ihm zu Hilfe. Bhlma reifst einen mächtigen
Baum aus und steht furchtbar wie der Todesgott da. Arjuna stellt
sich mit gespanntem Bogen neben ihn. Kar^a kämpft mit Arjuna,
äaiya mit Bhlma. Nach hartem Kampfe erklären sich Kardia und
Salya für besiegt. Die Könige geben den Kampf auf und kehren in
ihre Heimat zurück. Die Pändavas aber ziehen mit Krsnä ab und
begeben sich zum Töpferhaus, wo KuntI bereits besorgt auf sie wartet.
Hier nun erklärt Arjuna vor der Mutter und den Brüdern, dafs er
die von ihm gewonnene Krsnä, die Tochter des Drupada, nicht alleih
heiraten werde, sondern dafs sie nach altem Familienbrauch die ge-
meinsame Gattin aller fünf Brüder werden müsse.
— 282 —
Uuter denjenigen, welche bei der Gattenselbstwahi zugegen waren,
befand sich auch Krs^a, der Häuptling eines Clans der Yädavas und
der Vetter der Panda vas (denn Vasudeva, Krs^as Vater, war der
Bruder der KuntI). Er war der einzige, welcher die Päudavas trotz
ihrer Verkleidung erkannt hatte. Er folgte daher, begleitet von seinem
Bruder Baladeva, den Pändavas, besuchte sie im Töpferhaus und
gab sich ihnen als ihr Verwandter zu erkennen. Die Pändavas waren
darüber sehr erfreut. Damit diese aber nicht erkannt würden, ent-
fernten sich Krs^a und Baladeva bald wieder.
Auch Prinz Dhrstadyumna war den Pändavas heimlich gefolgt,
um zu erfahren, wer denn eigentlich der Held sei, der seine Schwester
zur Gemahlin gewonnen. Er verbirgt sich im Töpferhaus und be-
obachtet, wie die Brüder heimkehren und ihre Mutter ehrfurchtsvoll
begrüfsen, wie KuntI die Draupadi') in bezug auf die Zubereitung
und Verteilung der Speisen unterweist, wie sie sich dann nach dem
Abendessen zur Ruhe begeben, indem der jüngste der Brüder ein Lager
von Kusagras ausbreitet, auf welchem sich die fünf Brüder der Reihe
nach jeder auf seinem Antilopenfell hinstrecken, während die Mutter
zu ihren tiäuptern und Draupadi zu ihren Füfsen ihr Nachtlager
aufschlagen; und er hört, wie sich die Brüder vor dem Einschlafen
noch mit allerlei Gesprächen über Waffen und Kriegstaten unter-
halten. Darauf eilt Dhrstadyumna zu seinem Vater zurück, um ihm
zu berichten, dafs die angeblichen Brahmanen, nach ihren Gesprächen
zu schliefsen, Krieger sein müfsten, worüber der König hocherfreut
ist. Am nächsten Morgen läfst Drupada die Pändavas in den Palast
einladen, um die Hochzeit .seiner Tochter in feierlicher Weise zu be-
gehen. Nun erst teilt ihm Yudhisthira mit, dafs sie die totgeglaubten
Söhne des Pä^du seien, worüber Drupada sehr froh ist; denn es war
immer sein Wunsch gewesen, den tapferen Arjuna zum Schwiegersohn
zu haben. Da er aber die feierliche Vermählung seiner Tochter mit
Arjuna vornehmen will, ist er einigermafsen erstaunt und wenig er-
freut, als ihm Yudhisthira die Mitteilung macht, dafs Krsnä die ge-
meinsame Gattin aller fünf Brüder werden müsse. Die Bedenken, die
er äufsert, werden aber durch den Hinweis auf den alten Familien-
brauch der Pändavas beschwichtigt, und Draupadi wird zuerst dem
Yudhisthira als dem Ältesten, dann in der Reihenfolge des Alters den
vier andern Brüdern vor dem heiligen Feuer als Gattin angetraut^).
*) Krsnä, >die Schwarze«, wird gewöhnlich Draupadi, d. h. »Tochter
des Drupada», genannt.
^) Das Epos hat in dieser Fünfmännerehe unzweifelhaft einen
alten Zug der Sage treu bewahrt. Denn die Polyandrie oder vielmehr
die Gruppenehe, von welcher die Ehe der Pändavas ein Beispiel bietet,
kommt zwar in einzelnen Gegenden Indiens auch heute noch vor, ist
aber sonst im alten Indien durchaus nicht als rechtmäfsige Eheform
bezeugt und widerspricht ganz und gar den brahmanischen An-
schauungen. Wenn Drupada sagt (I, 197, 27): »Das Gesetz lehrt,
— 283 —
KuntI segnet ihre Schwiegertochter. Den Neuvermählten aber sendet
Krsi^a reiche und tlberaus kostbare Hochzeitsgeschenke.
dafs ein Mann viele Frauen hat; aber man hat nie gehört, dafs eine
Frau viele Männer zu Gatten habe, so gibt er damit nur der all-
gemein indischen Anschauung Ausdruck. Wenn trotzdem im Epos
die fünf Haapthelden nur eine Gattin haben, so ist dies ein Beweis
dafür, dafs dieser Zug so enge mit der ganzen Sage und dem alten
Epos verwoben war, dafs selbst in späterer Zeit, als das Mahäbhärata
mehr und mehr einen brahmanischen Charakter erhielt und zu einem
religiösen Lehrbuch wurde, nicht daran gedacht werden konnte, diesen
Zug zu beseitigen. Man bemühte sich nur, durch mehrere ziemlich
ungeschickt eingefügte Erzählungen die Fünfmännerehe zu recht-
fertigen. Einmal erzählt V3'äsa die alberne Geschiebte von einer
Jungfrau, die keinen Mann bekommen konnte und den Gott Sfva an-
flehte, dafs er ihr einen Gatten besorge. Weil sie nun fünfmal ge-
rufen hatte; »Gib mir einen Gatten«, verspricht ihr Sivä fünf Gatten —
in einer späteren Geburt. Diese Jungfrau ist als K|-s^, Drupadas
Tochter, wiedergeboren und erhält daher die fünf Päijdavas zu Gatten,
Nicht viel geistreicher ist eine zweite Geschichte. Die Pändavas, die
im Töpferhaus als bettelnde Brahmanec leben, kommen mit Draupadi
nach Hause und melden ihrer Mutter, dafs sie »die Almosen«, die sie
auf ihrem Bettelgang gesammelt, gebracht haben. Ohne aufzusehen,
sagt Kunti gewohnheitsmäf sig : »Geniefset es alle miteinander«. Dann
erst bemerkt sie, dafs »das Almosen« eine Frau ist, und ist sehr be-
stürzt; aber das Wort einer Mutter darf nicht unwahr gemacht werden,
und es mufs dabei sein Bewenden haben, dafs die fünf Brüder die
Draupadi gemeinsam geniefsen. Eine dritte Geschichte, welche wieder
Vyäsa dem Drupada erzählt, ist die sivaitische »Fünf-Indra-Erzählung«
(pancendropäkhyänam), ein höchst phantastischer und verworrener Be-
richt, nach welchem Indra zur Strafe dafür, weil er den §iva beleidigt
hat, fünffach geteilt auf der Erde wiedergeboren und eine Inkarnation
der LaksmT oder §rl (Qöttin des Glückes und der Schönheit) z\i seiner
Frau bestimmt wird. Die fünf Pändavas sind Inkarnationen des einen
Indra, Draupadi ist eine Inkarnation der Laksmi; so hat Draupadi
eigentlich nur einen Gemahl! Es wird nicht einmal der Versuch
gemacht, diese drei Rechtfertigungsg*;schichten miteinander oder mit
der Haupterzählung in Einklang zu bringen. Hingegen wird wieder-
holt deutlich ausgesprochen, dafs wir es mit einer alten Familien-
sitte — nicht etwa mit einem allgemein indischen, sondern mit einem
speziellen Familienbrauch der Pän4avas — zu tun haben. In Er-
zählungen der Buddhisten und Jainas wird die Gattenselbstwahl der
Draupadi in der Weise geschildert, dafs sie nicht den Arjuna, sondern
gleich alle fünf Pändavas auf einmal wählt. Sonderbarerweise haben
auch einige europäische Forscher- die Fünfmännerehe mythologisch,
allegorisch und symbolisch zu deuten und zu rechtfertigen ge-
— 284 —
Die Pändavas erhalten ihr Reich zurück.
Bald verbreitet sich die Nachricht, dafs die Pändavas noch anni
Leben sind und dafs Arjuna es war, der die Draupadl bei der Gatten-
selbstwahl gewonnen. Duryodhana und seine Genossen kehren betrübt
nach Hastinäpura zurück, und es macht ihnen grofse Sorge, dals die
Pändavas jetzt durch ihre Heirat zwei mächtige Bundesgenossen —
Drupada und die Pancälas, Krsna und die Yädav?s — gewonnen
haben. Durj'odhana meint, man müsse nun vor den Pändavas auf der
Hut sein; und schlägt vor, sie durch Verräterei zu beseitigen. Hin.
gegen rät Karna zum offenen Kampfe. BbTsma aber, dem auch Vidura
und Drona zustimmen, rät dem Dhrtarästra, den Pändavas das halbe
Königreich abzutreten und mit ihnen in Frieden zu leben. Dhrtarästra
geht auf diesen Vorschlag ein und tritt den Pändavas die Hälfte seines
Reiches ab, und zwar sollen sie sich in der Wüste Khändavaprastha
niederlassen. Yudhis^hira nimmt das Anerbieten bereitwillig an, und
die Pändavas begeben sich, von Krsija begleitet, nach Khändavaprastha.
Dort gründen sie sich als Residenz die grofse Stadt und Festung
Indraprastha (in der Nähe des heutigen Delhi).
Arjunas Verbannung und Abenteuer.
Glücklich und zufrieden lebten die Pändavas mit ihrer gemein-
samen Gattin in Indraprastha. Damit keine Eifersucht zwischen ihnen
entstehe, hatten sie (auf den Rat des himmlischen Weisen Närada) ver-
einbart, dafs derienige von den Brüdern, welcher einen der andern bei
einem traulichen Zusammensein mit Draupadl überrasche, auf zwölf
Jahre in die Verbannung gehen und ein Leben der Keuschheit führen
müsse. Infolge dieser Vereinbarung leben sie stets in Frieden mit-
einander.
Eines Tages stehlen Räuber einem Brahmanen sein Vieh, und
dieser kommt mit heftigen Vorwürfen, dafs der König seine Unter-
tanen nicht genügend schütze, in den Palast gelaufen- Arjuna will
ihm sofort zu Hilfe eilen. Zufälligerweise aber hängen die Waffen
in einem Zimmer, in welchem Yudhisthira gerade mit Draupadl bei-
sammen ist. Arjuna ist in einem Dilemma: Soll er die Kriegerpflicht
gegenüber dem Brahmanen üben und die Regel in bezug auf die ge-
meinsame Gattin durchbrechea, oder soll er die erstere verletzen, um
die letztere einzuhalten? Er entschliefst sich dafür, in die Kammer
zu gehen, um die Waffen zu holen, verfolgt die Räuber und gibt dem
. Brahmanen sein Vieh zurück. Darauf kehrt er heim und erklärt dem
Yudhisthira, dafs er nun der Vereinbarung gemäfs auf zwölf Jahre in
die Verbannung !gehen werde. Obwohl Yudhisthira ihn zurückzuhalten
sucht, da er sich gar nicht beleidigt fühle, zieht sich doch Arjuna
sucht, anstatt sie als ethnologisches Faktum hinzunehmen. (Vgl, meine
»Notes on the Mahäbhärata« im JRAS, 1897, S. 733 ff.)
— 285 ~
nach dem Grundsatz, dafs Recht Recht bleiben müsse, in den Wald
zurück.
Hier erlebt er nun mancherlei Abenteuer. So badet er einmal
im Ganges und will eben, nachdem er den Manen geopfert, heraus-
steigen, als ihn Ulüpi. die Tochter eines Nägakönigs, in das Reich
der Nägas (Schlangendämonen) hinabzieht. Sie erklärt ihm, dafs sie
sich in ihn verliebt habe, und bittet ihn, sich ihrer zu erfreuen. Arjuna
antwortet, dafs er dies nicht tun könne, weil er das Gelübde der
Keuschheit auf sich genommen. Aber die Schlangenjungfrau wendet
ihm ein, dafs sich dieses Gelübde doch nur auf Draupadi beziehen
könne; übrigens sei es seine Kriegerpflicht, Unglücklichen zu helfen;
wenn er ihr ihren Wunsch nicht erfülle, werde sie sich umbringen — er
müsse ihr also das Leben retten. Diesen Argumenten kann Arjuna
nichts mehr entgegensetzen, und »seine Pflicht im Auge habend« er-
füllt er den Wunsch der schönen UlüpT und verbringt eine Nacht
mit ihr.
Ein andermal kommt er auf seinen Wanderungen zu Citravähana,
dem König von Manipüra, und verliebt sich in dessen schöne Tochter
Citrähgadä Sie ist aber eine Sohnestochter'), und der König gibt
sie ihm nur unter der Bedingung, dafs ein von ihr geborener Sohn
als sein (Citravähanas) Sohn zu gelten habe. Arjuna ist damit ein-
verstanden und lebt mit ihr drei Jahre in Manipüra^), Nachdem sie
einen Sohn geboren hat, verabschiedet er sich und setzt seine Wande-
rung fort.
Nachdem er verschiedene heilige Orte besucht und noch mancherlei
Abenteuer erlebt hat , kommt er mit Kfsna zusammen und besucht
diesen in seiner Stadt Dvärakä, wo er ungemein festlich empfangen
wird. Einige Tage nachher fand auf dem Berge Raivataka ein grofses
Fest der Vr.snis und Andhakas — Clans der Yädavas — statt. Mit
Musik, Gesang und Tanz ziehen Edle und Bürger hinaus, und es
geht recht lustig zu. Raladeva, Krsnas Bruder, betrinkt sich mit seiner
Frau Revati; Ugrasena, König der Vrsnis, kommt mit seinen tausend
Weibern, und zahlreiche andere Fürsten mit ihren Frauen. Bei dieser
Gelegenheit sieht Arjuna die schöne Schwester des Krsna, Subhadrä,
und verliebt sich in sie. Er fragt den Krsna, wie er sie bekommen
könne, und dieser rät ihm, sie nach Kriegerart gewaltsam zu entführen,
denn eine Gattenselbstwahl sei immer eine unsichere Sache ^). Da schickt
') Eine putrikä oder * Sohnestochter« ist eine Tochter, deren Sohn
"fiicht dem Gatten, sondern dem Vater des Mädchens gehört. Wenn
nämlich ein Mann keinen Sohn hat, so kann er seine Tochter als
putrikä einsetzen, wodurch ein von ihr geborener Sohn zum Fort-
setzer des Geschlechts ihres Vf ters wird, d. h. er ist zum Toten-
opfer verpflichtet und zum Erbe berechtigt.
2) Von dem Keuschheitsgelübde ist jetzt nicht mehr die Rede.
*) Offenbar waren die Yädavas ein wilder Hirtenstamm, bei dem
die Raubehe noch zu Recht bestand.
— 286 —
Arjuna einen Boten zu Yudhis^hira , um dessen Erlaubnis zur Ent-
führung der Subhadrä einzuholen. Yudhisthira gibt seine Zustimnaung,
und Arjuna zieht in voller Kriegsrüstung auf seinem Streitwagen aus,
■wie wenn er auf die Jagd ginge. Subhadrä ergeht sich auf dem Raivataka,
und wie sie eben nach Dvärakä zurückkehren will, ergreift sie Arjuna,
nimmt sie auf seinen Wagen und fährt mit ihr in der Richtung nach
Indraprastha. In Dvärakä herrscht grolse Aufregung; der betrunkene
Baladeva ist wütend, dafs Arjuna das Gastrecht verletzt habe. Aber
Krs^ia beruhigt seine Verwandten: Arjuna habe sie gar nicht beleidigt.
Im Gegenteil, er habe die Yädavat. nicht für so geldgierig gehalten, dafs
sie ein Mädchen wie ein Stück Vieh verkaufen würden, und auf eine
unsichere Gattenselbstwahl habe er sich nicht einlassen wollen, so sei
ihm nichts übrig geblieben, als die Subhadrä zu rauben. Gegen die
Ehe sei ja nichts einzuwenden. Man solle nur den Arjuna zurück-
bringen und sich mit ihm versöhnen. Das geschieht denn auch, und
Subhadrä wird mit Arjuna vermählt. Er verweilt dann noch ein Jahr
in Dvärakä, sich mit Subhadrä vergnügend. Den Rest der zwölf
Jahre verbringt er in dem heiligen Orte Puskara, worauf er nach
Indraprastha zurückkehrt. Draupadl macht ihm wegen seiner Heirat
mit Subhadrä Vorwürfe, beruhigt sich aber, da sich Subhadrä ihr als
Magd unterwirft. Und Draupadi, Subhadrä und KuntI leben von da
an glücklich miteinander. Subhadrä gebar dem Arjuna einen Sohn,
Abhimanyu, der ein Liebling seines Vaters und seiner Onkel wurde.
Draupadl aber gebar jedem der fünf Panda vas je einen Sohn.
Yudhisthira wird Weltherrscher.
Gerecht und fromm regierte König Yudhisthira in seinem Reiche,
nnd seine Untertanen, die ihm in Liebe zugetan waren, lebten glück-
lich und zufrieden. Ein glückliches Dasein führten auch die Brüder
des Königs. Den Arjuna aber verband nun noch innigere Freund-
schaft mit Krsna. Als sich die beiden Freunde einst in den Hainen
an der Jamnä (wo sie mit vielen schönen Frauen wahre Orgien
feierten, an denen sich selbst Draupadl und Subhadrä beteiligten) mit-
einander unterhielten, kam der Gott Agni in Brahmanengestalt auf sie
zu und ersuchte sie, ihm beim Verbrennen des Khändavawaldes be-
hilflich zu sein. Der Gott hatte sich nämlich bei einem grofsen Opfer
durch das Verzehren der vielen Opferspeisen den Magen verdorben,
und Brahman hatte ihm gesagt, er müsse den Khändavawald ver-
brennen, um wieder zu genesen. So oft er aber versucht, den Wald
in Brand zu stecken, löschen die Waldtiere das Feuer immer wieder
aus. Das sollen Arjuna und Krsna verhindern, und zu dem Zweck
verschafft ihnen Agni himmlische Waffen : dem Arjuna den gewaltigen
Bogen Gäijdlva mit zwei unerschöpflichen Köchern und einen prächtigen,
mit silberweifsen Pferden bespannten und durch ein Affenbanner weit-
hin kenntlichen Streitwagen; dem. Krsna aber eine sichertreffende
Wurfscheibe und eine unwiderstehliche Keule. Mit diesen Waffen
— 287 —
stehen sie dem Agni zur Seite und töten alle Wesen, welche aus dem
brennenden Walde zu entfliehen suchen. Nur den Dämon Maya, der
ein grofser Künstler unter den Himmlischen ist, verschonen sie').
Zum Dank dafür, dals ihm das Leben geschenkt ward, baut der
Dämon Maya dem Yudhisthira einen wunderbaren Palast mit höchst
kunstvollen Einrichtungen. Nach einiger Zeit beschliefst Yudhisthira
im Einvernehmen mit Krsna, das grofse Königsweiheopfer (räjasüya)
darzubringen. Zur Darbringung dieses Opfers ist aber nur ein Welt-
herrscher, ein grolser Eroberer, berechtigt. Da aber zurzeit Jaräsandha,
König von Magadha, der "mächtigste Herrscher ist, muts erst dieser
beseitigt werden. In einem Zweikampf mit Bhima .wird er getötet.
Dann erst unternehmen Arjuna im Norden, Bhima im Osten, Sahadeva
im Süden und Nakula im Westen siegreiche Eroberungszüge, durch
welche Yudhisthira zum Besitzer eines Weltreiches wird. Nun kann
das Königs weiheopf er vollzogen werden, das mit grofsem Prunk ge-
feiert wird. Zahlreiche Könige, auch die Kauravas, sind dazu ein-
geladen. Zum Schlufs des Opfers werden Ehrengaben verteilt. Auf
Vorschlag des Bhlsma soll Krs^a die erste Ehrengabe erhalten. Da-
gegen lehnt sich Sisupäla, König von Cedi, auf. Infolgedessen kommt
es zu einem Streite, der damit endet, dafs Öisupäla von Krs^a ge-
tötet wird.
Nach beendetem Opfer verabschieden sich die fremden Könige.
Auch Krsija kehrt wieder in seine Heimat zurück. Nur Duryodhana
und sein Oheim Sakuni verweilen noch einige Zeit im Palaste der
Pändavas. Bei der Besichtigung des wunderbaren Gebäudes wider-
fährt dem Duryodhana allerlei Mifsgeschick. So hält er eine Kristall-
fläche für einen Teich und zieht sich aus, um zu baden, während er
einen künstlichen Teich für festes Land halt und zu einem unfrei-
willigen Bad kommt, worüber Bhima und Arjuna in lautes Lachen
ausbrechen. Dieser Spott kränkte den ohnehin von Neid erfüllten
Duryodhana aufs tiefste. Mit den bittersten Gefühlen des Neides und
des Hasses verabschiedet er sich von seinen Vettern und kehrt nach
Hastinäpura zurück.
Das Würfelspiel.
In bitteren Worten klagt Duryodhana dem Oheim Sakuni sein
Leid. Nicht ertragen könne er die Schmach, seine Feinde solche
Triumphe feiern zu sehen ; und da er keine Mittel und Wege sehe, den
Pändavas beizukommen, werde er durch Feuer, Gift oder Wasser
seinem Leben ein Ende machen. Da macht ^akuni den Vorschlag, es
solle ein Würfelspiel veranstaltet und Yudhisthira dazu eingeladen
werden; er, §akuni, der ein gewandter Spieler sei, werde dem Yudhi-
sthira leicht sein ganzes Reich abgewinnen. Sogleich begeben sie sich
zu dem alten König Dhftarästra, um dessen Zustimmung zu. dem Plane
') Hier endet das Adiparvan oder das erste Buch des Mahä-
bhärata.
— 288 —
zu erlangen. Dieser will zwar anfangs nichts davon wissen und will
sich jedenfalls erst mit seinem weisen Bruder Vidura beraten; aber
da Duryodhana ihm vorhält, dafs Vidura immer nur die Partei der
Pändavas ergreife, läfst sich schliefslich der alte, schwache König iäber-
reden und ordnet das Würfelspiel an. Den Vidura selbst schickt er als
Boten zu Yudhisthira, um diesen zum Spiele einzuladen. Vidura warnt
den König und verhehlt ihm nicht, dafs er befürchte, es werde grofses
Unheil aus diesem Würfelspiel entstehen. Diese Besorgnis hat auch
Dhrtarästra selbst, aber er glaubt, dem Schicksal seinen Lauf lassen
zu müssen. So begibt sich denn Vidura an den Hof des Königs
Yudhisthira, um die Einladung zum Würfelspiel zu überbringen. Auch
dieser beruft sich auf die unwiderstehliche Macht des Schicksals, in-
dem er der Einladung, wenn auch widerwillig, Folge leistet. Und be-
gleitet von seinen Brüdern und DraupadI mit den übrigen Frauen des
Haushaltes, macht er sich auf den Weg nach Hastinäpura. Im Palaste
des Dhrtarästra werden die Gäste von den Verwandten freundlich be-
grüfst und mit grofsen Ehren aufgenommen.
Am nächsten Morgen begeben sich Yudhisthira und seine Brüder
in die Spielhalle, wo bereits die Kauravas versammelt sind, l^akuni
fordert den Yudhisthira zum Spiel heraus, dieser macht einen Einsatz —
und verliert. Und nacheinander setzt er alle seine Schätze und Reich-
tümer an Gold und Edelsteinen ein, seinen Prachtwagen, seine
Sklavinnen und Sklaven, Elefanten, Wagen und Rosse — und jedesmal
verliert er. Da wendet sich Vidura au Dhrtarästra und rät ihm, sich
von seinem Sohn Duryodhana. der den Untergang der ganzen Familie
herbeiführen werde, loszusagen und die Fortsetzung des Spieles zu
verbieten. Nun fällt Duryodhana mit den heftigsten Schmähungen
über Vidura her, den er einen Verräter schilt — eine Schlange, welche
die Kauravas an ihrem Busen genährt — , denn stets spreche er nur
zugunsten ihrer Feinde. Vidura wendet sich vergebens an Dhrtarästra.
Sakuni aber fragt den Yudhisthira mit Hohn, ob er noch etwas ein-
zusetzen habe. Yudhisthira ist nun von wilder Spielleidenschaft er-
griffen und setzt seine ganze Habe, seine Rinder und all sein Vieh
ein, seine Stadt, sein Land und sein ganzes Reich - und v<-rspielt
alles. Auch die Prinzen, dann die Brüder Nakula und Sahadeva
setzt er ein und verliert sie. Von Sakuni gereizt, läfst er sich auch
verleiten, Arjuna und Bhlma einzusetzen und auch diese verliert er.
Endlich macht er sich selbst zum Einsatz, und wieder gewinnt
Sakuni. Höhnend bemerkt Sakuni, Yudhisthira habe schlecht daran
getan, sich selbst zum Einsatz zu- machen, er habe ja noch einen
Schatz, um den er spielen könne — DraupadI, die Paficalakönigs-
tochter. Und zum Entsetzen aller anwesenden Alten •) — des Bhlsma,
') Es ist sehr beachtenswert, dafs diese Unparteiischen und Wohl-
gesinnten es ruhig hixmehmen, dafs Yudhisthira seine Brüder und
sich selbst verspielt, während es ihnen als etwas Ungeheuerliches
erscheint, dafs er die gemeinsame Gattin einsetzt.
— 289 -
des Dro^a, des Krpa und des Vidura — erklärt Yudhisthira, um die
schöne Draupadl als Einsatz spielen zu wollen. Unter allgemeiner
Aufregung fallen die Würfel — und abermals hat §akuni gewonnen.
Lachend fordert Duryodhana den Vidura auf, die Draupadl herbei-
Äubringen, damit sie die Zimmer fege und sich zu den Mägden ge-
selle. Vidura weist ihn zurecht und warnt ihn, dafs er durch sein
Benehmen nur den Untergang der Kauravas heraufbeschwöre;
Draupadl sei auch gar nicht zur Sklavin geworden, denn Yudhisthira
habe sie erst eingesetzt, als er schon nicht mehr Herr über sich selbst
gewesen. Da sendet Duryodhana einen Süta als Boten zu Draupadi,
um sie zu holen. Diese läfst fragen, ob Yudhisthira zuerst sich
selbst oder sie verspielt habe. Duryodhana sendet die Antwort: sie
möge in die Spielhalle kommen und selbst diese Frage stellen. Da
sie sich weigert und den Boten immer wieder unverrichteter Sache
zurückschickt, fordert Duryodhana seinen Bruder Dussäsana auf, sie
mit Gewalt herbeizubringen. Dieser begibt sich in das Frauengemach,
und bald bringt er die sich sträubende Draupadi — die unwohl und
daher nur mit dürftigem Gewände begleitet ist — bei den Haaren in
die Versammlung geschleppt. Bitter klagt sie, dals keiner, nicht
einmal Bhisma und Drona, sich ihrer annehme, und einen ver-
zweifelten Blick wirft sie auf die Pä^davas. Diesen aber bereitete
der Verlust ihrer Habe und ihrer Herrschaft nicht solchen Schmerz,
wie dieser von Scham und Zorn erfüllte Blick der Draupa^Ai. Da
kann Bhima nicht länger an sich halten, er macht dem Yudhisthira
heftige Vorwürfe, dafs er die Draupadi eingesetzt, und will sich schon
an ihm vergreifen. Arjuna aber weist ihn zurecht: Yudhisthira müsse
immer als der Älteste anerkannt und geachtet werden. Nun fordert
Vikarija, einer der jüngsten Brüder des Duryodhana, die Versammelten
auf, die Frage der Draupadi, ob sie rechtens verspielt sei, zu beant-
worten. Und da alle schweigen, verneint er selbst die Frage.
Kari?a aber erklärt dagegen, die Kauravas hätten alles gewonnen,
und deshalb gehöre ihnen auch die Gattin der Pä^ijavas. Sogar die
Kleider müsse man den Pä^davas sowohl als auch der Draupadi ab-
nehmen, denn auch diese seien ihnen abgewonnen. Und die Panda vas
legen ihre Oberkleider ab, während Dussäsana, dem Winke des Karna
folgend, sich daran macht, der Draupadi ihr Gewand vom Leibe zu
reifsen. Sie aber betet zu Gott Vis^u, der bewirkt, dafs sie immer
bekleidet bleibt, so oft ihr auch Dussäsana die Hülle ertreilst. Bhima
aber spricht den fürchterlichen Eid aus:
»Höret dieses mein Wort, ihr Krieger aller Welt, ein V/ort, wie
es nie vorher von Männern gesprochen worden, wie es nie wieder ein
Mann sprechen wird. Nie möge ich zur Stätte meiner Ahnen ge-
langen, wenn ich nicht erfülle, was ich gesprochen, — wenn ich nicht
im Kampfe aufreifse die Brust und trinke das Blut dieses bösen,
törichten Auswürflings der Bhäratas.«
Entsetzen ergreift alle Krieger und Helden bei diesen fürchter-
lichen Worten. Doch vergebens mahnt Vidura die Anwesenden an
— 290 —
ihre Pflicht, die Rechtsfrage zu iftitscheiden, ob Draupadi von den
Kauravas gewonnen sei oder nicht. Vergebens iammert und weint
Draupadi und fordert ihre Verwandten auf, ihre Frage zu beant-
worten. Selbst der fromme und rechtskundige Bhlsraa weifs nichts
weiter zu sagen, als dafs das Recht eine heikle Sache sei, und dafs in
dieser Welt Macht vor Recht gehe. Yudhisthira sei ja ein Muster
von Gerechtigkeit, er möge selbst entscheiden. Höhnisch fordert auch
Duryodhana den Yudhisthira auf, seine Meinung zu sagen, ob er
Draupadi für gewonnen erachte oder nicht. Und da Yudhisthira wie
geistesabwesend dasitzt und nichts antwortet, lälst sich Duryodhana
zu der unerhörtesten Schmähung der Pändavas hinreifsen: er entblöfst
seinen linken Schenkel vor den Augen der Draupadi. Da spricht
Bhima die schrecklichen Worte: »Nie soll Bhima mit seinen Vätern
vereinigt werden, wenn ich dir nicht in der Schlacht diesen Schenkel
mit der Keule zerschmettere.«
W^ährend noch weitere Reden gewechselt werden, hört man im
Hause des Dhrtarästra das laute Schreien eines Schakals und andere
unheilverkündende Vorzeichen. Durch diese erschreckt, fühlt sich
endlich der alte König Dhrtarästra veranlafst, einzugreifen. In heftigen
Worten tadelt er den Duryodhana. Dann besänftigt er die Draupadi
und stellt ihr einen Wunsch frei. Sie wählt sich die Freiheit ihres
Gatten 'Yudhisthira. Er gewährt ihr einen zweiten Wunsch, und sie
wählt die Freilassung der übrigen vier Pändavas. Als er ihr aber noch
einen dritten Wunsch freistellt, sagt sie, dafs sie nun nichts mehr zu
wünschen habe, denn die Pändavas würden, sobald sie nur frei ge-
worden, selbst gewinnen, was sie brauchten. Karna aber spottet nun:
Draupadi sei das Boot geworden, auf welchem die Pändavas sich aus
der Gefahr gerettet hätten. Bhima entbrennt in Wut und zweifelt,
ob er nicht die Kauravas auf der Stelle niederschlagen soll. Arjuna
aber besänftigt ihn, und Yudhisthira verbietet jeden Streit. Der König
Dhrtarästra aber gibt dem Yudhisthira sein Königreich zurück und
ermahnt ihn, alles Vergangene vergessen sein zu lassen. So kehren
sie denn beruhigt wieder nach Indraprastha zurück.
Das zweite W^ürfelspiel und die Verbannung
der Pändavas.
Kaum aber haben sich die Pändavas entfernt, so besiürmen
Duryodhana, Dussäsana und Sakuni wieder den alten König, halten
ihm vor, welche Gefahr den Kauravas von Seiten der nun so schwer
beleidigten Pändavas drohe, und überreden ihn, zu einem neuen
Würfelspiel seine Zustimmung zu geben. Diesmal soll derjenige,
welcher verliert, auf zwölf Jahre in die Verbannung in den Wald
gehen, sich im dreizehnten Jahre irgendwo unter Menschen unerkannt
aufhalten und erst im vierzehnten Jahre wieder zurückkehren dürfen.
Sollte er aber im dreizehnten Jahre erkannt werden, so müfste er
abermals auf zwölf Jahre in die Verbannung gehen. Vergebens be-
— 291 —
müht sich Gändhän, des Königs Gattin, diesen zu überreden, dafs er
sich von seinem bösen Sohne Duryodhana lossage, um nicht an dem
Untergange aller Kauravas schuldig zu werden. Verblendet gibt er
seine Zustimmung; und ein Bote wird abgeschickt, der die Pändavas
noch auf ihrem Heimwege trifft Vom Schicksal verwirrt, leistet
Yudhisthira der Aufforderung zum abermaligen Würfelspiel Folge.
Alle kehren sie wieder zurück, das Spiel beginnt von neuem, und er
verliert wieder. Nun müssen sie auf dreizehn Jahre in die Verbannung
ziehen.
In Antilopenfelle gekleidet, schicken sich die Pändavas an, in
den Wald zu gehen. Duryodhana und Dussäsana triumphieren und
machen sich über sie lustig. Bhlraa aber schleudert ihnen beiden furcht-
bare Drohworte zu. Wie Duryodhana ihre Herzen mit spitzen Worten
durchbohre, so werde er dessen Herz in der Schlacht durchbohren.
Und noch einmal schwört er, das Blut des Dussäsana zu trinken.
Arjuna verspricht den Karna, Sahadeva, den Sakuni, und Nakula, die
übrigen Söhne des Dhrtarästra zu töten. Yudhisthira aber nimmt
von Dhrtarästra, BhTsma und den übrigen Kauravas, am herzlichsten
aber von dem weisen und guten Vidura Abschied. Die Mutter der
Pändavas, KuntI, bleibt im Hause des Vidura zurück. Draupadl aber
folgt den Gatten in die Verbannung, und rührend ist der Abschied,
den sie von ihrer Schwiegermutter nimmt. Mit tränenvollen Klagen
sieht KuntI ihre Kinder in die Verbannung ziehen. Diese aber, mit
Ausnahme des sanften Yudhisthira, geloben alle, im vierzehnten Jahre^
blutige Rache an den Kauravas zu nehmen. Unglück bedeutende
Vorzeichen und die prophetischen Worte des Himmelsboteh Närada
künden dem König Dhrtarästra den Untergang seines Geschlechtes an,
und er empfindet bittere Reue darüber, dafs er seine Zustimmung zum
Würfelspiel und zur Verbannung gegeben').
Das zwölfjährige Waldleben der Pändavas*).
Zahlreiche Bürger von Hastinäpura gaben den Pändavas das
Geleite in den Wald, und es kostete dem Yudhisthira einige Mühe,
sie zur Rückkehr zu bewegen. Mehrere Brahmanen aber blieben
längere Zeit bei ihm. Um sie ernähren zu können, übte er Askese
und betete zu dem Sonnengott, worauf er von diesem einen kupfernen
Kochtopf erhielt, der sich auf Wunsch von selbst füllte. Damit speiste
er die Brahmanen und zog dann weiter nach Norden zu in den
Kämyakawald. Dem menschenfressenden Räksasa Kirmira, einem
Bruder Bakas und Freund Hidimbas, der diesen Wald unsicher machte,
wurde von Bhlma bald der Garaus gemacht.
Mittlerweile hatte Dhrtarästra eine Unterredung mit Vidura. Dieser
') Hier endet das Sabhäparvan. das zweite Buch.
^) Dieses bildet den Inhalt des umfangreichen dritten Buches,
Vanaparvan (»Waldabschnitt«) genannt.
Wintcrnit«, Geschichte Jcr indischen Litteratur. 20
__ 292
rät dem König, die Pä^davas aus der Verbannung zurückzurufen und
sich mit ihnen zu versöhnen. Dhrtarästra ist erzürnt darüber, dafs
Vidura stets die Partei der Pä^davas ergreife, und entläfst ihn un-
gnädig mit den Worten, er möge hingehen, wohin er wolle. Vidura
begibt sich zu den Pä^davas in den Kämyakawald und erzählt ihnen
das Vorgefallene. Sehr bald aber bereut der alte König seine Heftig-
keit, und er sendet den Wagenlenker Sanjaya, um seinen Bruder
Vidura wieder zurückrufen zu lassen. Dieser kehrt denn auch alsbald
zurück, und es findet wieder eine völlige Versöhnung zwischen den
beiden Brüdern statt.
Als die Freunde und Verwandten der Pä^davas von deren Ver-
bannung hörten, kamen sie zu ihnen in den Wald, um sie zu be-
suchen. Einer der ersten war natürlich Krsna. Als das W^ürfeJspiel
stattfand, war er gerade in einen Krieg verwickelt gewesen, weshalb
er seinen Freunden nicht beistehen konnte. Wäre er bei ihnen ge-
wesen, so hätte er das Spiel gewils verhindert. Auf den Vorschlag
des Krsna aber, den Duryodhana zu bekriegen und den Yudhisthira
wieder in die Herrschaft einzusetzen, will Yudhisthira nicht eingehen,
trotzdem Draupadi in bitteren Worten über die ihr von den Kauravas
angetane Schmach klagt. Wiederholt bestürmen auch später Draupadi
und Bhlma den Yudhisthira, er möge sich aufraffen und sich mit
Gewalt seines Thrones wieder bemächtigen. Yudhisthira erklärt aber
immer wieder, er müsse seinem gegebenen Worte treu bleiben und
zwölf Jahre im Walde zubringen, ßhlma wirft ihm Unmännlichkeit
vor; des Kriegers erste Pflicht sei der Kampf. Dreizehn Monate seien
bereits verflossen, Yudhisthira möge sie für dreizehn Jahre ansehen,
oder er könne den Wortbruch auch durch ein Sühneopfer wieder gut
machen. Da wendet Yudhisthira auch ein, dafs Duryodhana an
Bhisma, Droija, Krpa und Kari^a mächtige und unüberwindliche Bundes-
genossen habe. In dem Augenblicke erscheint wieder einmal der alte
Rsi Vyäsa und verleiht dem Yudhisthira einen Zauber, mit Hilfe dessen
Ärjuna von den Göttern himmlische Waffen erlangen werde, die ihnen
zum Sieg über die Kauravas helfen würden. So sendet denn bald
darauf Yudhisthira den Arjuna zu Indra, damit er sich die himm-
lischen Waffen verschaffe. Arjuna wandert in den Himälaya. wo ihm
Indra in Gestalt eines Asketen begegnet. Dieser schickt ihn zu Siva,
der erst die Erlaubnis zur Ausfolgung der Waffen an Arjuna geben
müsse. Da übt Arjuna grofse Askese, worauf ihm §iva in Gestalt
eines Kiräta, eines wilden Bergbewohners, erscheint. Arjuna lälst sich
in einen heftigen Kampf mit dem vermeintlichen Kiräta ein, bis dieser
sich als Gott Siva entpuppt und ihn mit unwiderstehlichen Waffen be-
schenkt. Auch die Welthüter Yama, V^armia und Kubera erscheinen
alsbald und verleihen ihm ihre Waffen. Mätali aber, Indras Wagen
lenker, führt ihn in die himmlische Stadt des Indra, wo er noch mehr
Waffen erhält. In Indras Himmel lebt er fünf Jahre lang sehr ver-
gnügt. Ein Gandharva gibt ihm hier auf Indras Befehl Unterricht in
Gesang und Tanz.
— 293 —
Unterdessen leben die übrigen Panda vas im Walde von der Jagd
und ernähren sich kümmerlich von wilden Tieren, Wurzeln und Früchten
Da Arjuna so lange fem bleibt, sind sie sehr besorgt um ihn. Wohl
kommt der Rsi Lomaäa, der zufällig in Indras Himmel einen Besuch
gemacht hat! zu ihnen und tröstet sie, dafs Arjuna wohlbehalten bei
Indra weile. Aber sie sind doch nicht beruhigt und machen sich auf,
Arjuna zu suchen. Sie wandern in das Gandhamädanagebirre, wo sie
durch einen furchtbaren Sturm und ein gewaltiges Gewitter sehr er-
schreckt werden. Draupadi wird vor Schrecken und Müdigkeit ohn-
mächtig. Da denkt Bhlma an seinen Sohn Ghatotkaca, den er mit der
Riesin Hi<Jimbä gezeugt; und dieser Räksasa erscheii.t sofort und
nimmt Draupadi auf den Rücken; er ruft auch andere Räksasas herbei,
welche die Pändavas auf den Rücken nehmen, und so werden sie alle
bis zu einer Einsiedelei an dem Ganges in der Nähe des Götterberges
Kailäsa getragen, wo sie unter einem mächtigen Badaribaum Aufent-
halt nehmen.
Da Draupadi ein Verlangen nach himmlischen Lotusblumen hat,
durchstreift Bhima die Bergeswildnis — zum Schrecken der wilden
Tiere. Denn er erschlägt einen wilden Elefanten mit dem andern,
einen Löwen mit dem andern , wenn er sie nicht einfach mit einem
Schlage seiner Faust tötet. Hier trifft er auch den Affenkönig
Hanumat, der ihm den Weg versperrt und ihn warnt, nicht weiter
2u gehen, wo nur die Unsterblichen gehen könnten. Bhima aber sagt
ihm, mit wem er es zu tun habe, und heifst ihn aus dem Wege gehen.
Der Affe rührt sich nicht, gibt vor, krank zu sein und sagt, Bhima
möge nur seinen Schwanz beiseite schieben, um vorbeizukommen.
Vergebens versucht nun Bhima, den Schwanz des Affen aufzuheben.
Da gibt sich ihm dieser lächelnd als der »aus dem Ramäyana rühm-«
liehst bekannte« ') Hanumat zu erkennen. Bhima ist nun sehr erfreut,
seinen Bruder — beide sind nämlich Söhne des Windgottes .— zu
sehen und läfst sich mit ihm in eine Unterhaltung ein. Schliefshch zeigt
Hanumat dem Bhima den Weg zu Kuberas Garten , warnt ihn aber,
dort Blumen zu pflücken, worauf sie herzlichen Abschied voneinander
nehmen. Bald darauf kommt Bhima zum Lotusteiche und Garten des
Kubera. wo die himmlischen Lotusse wachsen. Räksasas stellen sich
ihm entgegen und verbieten ihm, Blumen zu nehmen; er müsse jeden-
falls den Kubera erst um Erlaubnis bitten. Bhima erwidert: Ein
Krieger bittet nicht, sondern nimmt sich, was er will. Er kämpft mit
den Räksasas, schlägt sie in die Flucht und pflückt die Blumen.
Unter verschiedenen Abenteuern und Kämpfen mit Räksasas
kommt das fünfte Jahr heran, in welchem Arjuna vom Himmel zurück-
kehren soll. Um ihn zu treffen, begeben sich die Brüder auf den .weifsen
Berg, (den Götterberg Kailäsa). Wieder gerät Bhima in einen Kampf
mit Yaksas und Räksasas, Wächtern von Kuberas Garten, und er-
^')l»7Tpricht von ihm Bhima Mahäbh. HI, 147. 11. Hanumat gibt
hier einen kurzen Auszug aus dem Ramäyana.
mV
— 294 —
schlägt viele von ihnen, unter anderen auch den Manimat, der einmal
dem heiligen Rsi Agastya auf den Köpf gespuckt hatte, wofür Kubera
von dem Rsi verflucht wurde. Durch die Tat des Bhlma ist nun
Kubera von dem Fluche befreit. Darum ist er dem Bhlma wegen
des unter den Dämonen angerichteten Blutbades auch gar nicht böse,
sondern begrüfst ihn und seine Brüder sehr freundlich.
Auf dem herrlichen Berge treffen sie endlich wieder mit Arjuua
z\isammen, der in Indras Wagen, den Mätali lenkt, herangefahren
kommt. Nach herzlichster Begrüfsung erzählt ihnen Arjuna alle seine
Erlebnisse und Abenteuer, insbesondere auch, wie er mit den am
Meere wohnenden Nivätakavaca- Dämonen und den Bewohnern de'r
durch die Luft fliegenden Stadt Hiranyapura siegreich gekämpft hat.
Die Päncjavas leben nun vergnügt in den Lusthainen des Kubera
und verbringen vier Jahre wie eine einzige Nacht. Um aber nicht
von ihren irdischen Sorgen und Kämpfen abgelenkt zu werden, be-
schliefsen sie, die himmlischen Regionen zu verlassen. Nachdem sie
vom Kailäsa herabgestiegen, begeben sie sich in die Berge und Wälder
an der Jamnä.
Hier erlebte Bhlma ein unangenehmes Abenteuer, wobei ihm
Yudhisthira das Leben rettete. Im Walde herumstreifend, erblickt er
eine ungeheuere Schlange, welche sich wütend auf ihn stürzt und ihn
fest umschlingt, so dafs er sich nicht losmachen kann. So findet ihn
sein Bruder Yudhisthira. Die Schlange aber ist niemand anders als
der berühmte alte König Nahusa, der infolge eines Fluche? des
Agasi. a aus dem Himmel hinausgeworfen und in eine Schlange ver-
wandelt worden ist. Von dem Fluche aber soll er nicht früher befreit
werden, bis er jemand findet, der alle von ihm gestellten Fragen be-
*antwortet. Yudhisthira beantwortet ihm seine philosophischen Fragen
zur Zufriedenheit, worauf er den Bhlma losläfst und selbst, vom
Schlangenzustand bei reit, wieder in den Himmel zurückkehrt.
Bald darauf begeben sie sich wieder in den Kämyakawald. Hier
empfangen sie abermals den Besuch des Krsna. Er bringt der
DraupadT erwünschte Nachricht über ihre Kinder und fordert den
Yudhisthira auf, sich Bundesgenossen für den Kampf mit den Kauravas
zu sichern und sonstige Vorbereitungen für den Krieg zu treffen,
Yudhisthira aber versichert wie immer, dafs er seinem gegebenen Wort
treu bleiben und vor Ablauf des dreizehnten Jahres nicht an Kampf
denken wolle.
Häufig erhalten die Pändavas im Walde auch Besuche von
frommen Brahmanen. Einer von diesen begibt sich von den Pändavas
an den Hof des Königs Dhrtarästra und erzählt dort, wie sehr schlecht
es den Pändavas und besonders der Draupadi im Kampfe mit Wind
und Wetter in der Wildnis ergehe. Während der alte König darüber
voll Reue jammert, freut sich sein Sohn Duryodhana herzlich. Und
von Sakuni und Karna angestachelt, beschliefst er, die Pändavas im
Walde zu besuchen, um sich an ihrem Elend zu weiden. Dem
Dhrtarästra gegenüber wird die Ausrede gebraucht, dafs sie die in
— 295 —
der Nähe des Waldes befindlichen Viehstationen besuchen milfsten,
um die Herden zu besichtigen, das Vieh zu zählen und die jungen
Kälber zu bezeichnen. Mit grofseni Trofs ziehen sie aus, besorgen
die Besichtigung der Rinder und ergeben sich dem Vergnügen der
Jagd. Wie sie aber in die Nähe des Aufenthaltsortes der Pä94avas
gelangen wollen, werden sie von Gandharvas aufgehalten. Es kommt
zu einem Kampfe, in welchem Duryodhana vom Gandharvakönig
schmählich gefangen genommen wird. Die Kauravas eilen zu den
Pändavas um Hilfe, die der edle Yudhisthira nicht versagt. Nach
heftigem Kampfe wird Duryodhana durch die Pändavas aus der Ge-
fangenschaft des Gandharvakönigs befreit. Voll Scham und Schmerz
über diese Demütigung will sich Durj'odhana das Leben nehmen.
Nur mit Mühe gelingt es seinen Freunden, ihn von seinen Selbstmord-
gedanken abzubringen.
Karna hat nun einen neuen Plan, um die Pändavas zu ärgern.
Er unternimmt einen grofsen Eroberungszug in alle vier Welt-
gegenden, um für Duryodhana die Weltherrschaft zu erringen, damit
auch er ein grofses Königsopfer feiern könne. Nach dem siegreich
vollendeten Eroberungszug wird in der Tat ein grofses Opfer ge-
feiert; da aber ein Räjasuyaopfer in einer und derselben Familie nur
einmal dargebracht werden kann und Yudhisthira schon ein solches
vollzogen hat, ist es ein anderes Opfer, Vaisijava genannt, welches
nur der Gott Visnu selbst dargebracht haben soll. Um die Pändavas
zu kränken, lädt Duryodhana sie zu diesem grofsen Opferfeste ein.
Yudhisthira lehnt höflich ab, während Bhima durch den Boten sagen
läfst, die Pändavas würden nach dem dreizehnten Jahre im Opfer der
Schlacht das Opferschmalz ihres Zornes über die Kauravas ausgiefsen.
Im letzten Jahre ihres Waldaufenthaltes drohte den Pändavas
noch ein grofser Verlust. Als eines Tages sämtliche Brüder auf der
Jagd waren, wurde ihre Gattin Draupadl, die allein zurückgeblieben
war, von dem vorüberkommenden König der Sindhus, Jayadratha,
geraubt. Die Pändavas verfolgen ihn .alsbald, er wird besiegt und von
Arjuna und Bhima gezüchtigt und gedemütigt. Bhlma hätte ihn
gerne getötet, aber Yudhisthira schenkt ihm, da er ein Schwiegersohn
des Dhrtarästra ist, das Leben.
Über den Raub der Draupadl sind die Pändavas sehr betrübt.
Sie fühlen sich, trotzdem Jayadratha bestraft worden ist, doch ge-
demütigt. Yudhisthira namentlich ist oft in trüber Stimmung, macht
sich wohl auch Vorwürfe wegen des von ihm verschuldeten Unglücks
und beklagt insbesondere das traurige Los der Draupadl. Von den
Kauravas aber fürchtet Yudhisthira keinen so sehr als den Karna,
der mit einem natürlichen Panzer und mit Ohrringen, die ihn un-
verletzlich machen, auf die Welt gekommen ist. Um den Yudhisthira
von seiner Angst vor Kar^a zu befreien, erscheint Indra in Gestalt
eines Brahmanen vor Kar^a und bettelt ihm den Panzer und die Ohr-
ringe ab. Kar^a, der einem Brahmanen nichts abschlagen kann, gibt
ihm Panzer und Ohrringe, die er sich, ohne mit einer Wimper zu
— 296 —
zucken, vom Leibe schneidet. Als Gegengabe schenkt ihm Indra einen
nie fehlenden Speer, den er aber nur gegen einen einzigen Feind und
nur bei höchster Gefahr gebrauchen darf.
Mifsnu+!iT wegen des Raubes der Draupadi verliefsen die Pä^davas
den Käniyakawald und begaben sich in den Dvaitavana. Dort erlebten
sie ihr letztes Waldabenteuer. Eine im Walde herumstreifende Anti-
lope fängt zufällig mit ihrem Geweih die Feuerreibbölzer eines Brah-
manen auf und eilt davon. Der Brahmane, der die Hölzer zum Opfer
braucht, bittet die Panda vas, sie ihm zu verschaffen, und diese ver-
folgen das Tier in heifser Jagd, können es aber nicht eria.?en, und zu-
letzt verschwindet es. Sie klagen über ihr Mifsgeschick. Matt von
der erfolglosen Jagd und vom Durst gequält, sehen sie sich nach
Wasser um. Nakula steigt auf einen Baum und sieht einen Teich in
der Ferne, Von Yudhisthira aufgefordert, begibt er sich dahin, um in
den Köchern Wasser zu holen. Er kommt zu einem lieblichen, von
Kranichen umgebenen Teich mit schönem, klarem Wasser. Wie er
aber trinken will, spricht _^ein unsichtbarer Geist (Yaksa) aus den
Lüften: * Verübe keine Gewalttat, Freund, dies ist mein Besitz; erst
beantworte meine Fragen, dann trink und nimm Wasser!« Nakula
aber kehrt sich nicht an diese Worte, trinkt und sinkt leblos zu Boden.
Da er so lange nicht zurückkommt, geht Sahadeva, ihn zu suchen;
ihm aber ergeht es ebenso. Nun schickt Yudhisthira den Arjuna, dem
es nicht besser ergeht, und schliefslich den Bhima, der vergebens mit
dem unsichtbaren Yaksa kämpfen will. Auch er trinkt aus dem Teiche
und fällt leblos hin. Nichts Gutes ahnend, geht endlich Yudhisthira
hin, um nach den Brüdern zu sehen. Entsetzt sieht er sie alle tot da=
liegen und bricht in Klagen und Jammern aus. Wie er aber auf den
Teich zugeht, hört er auch schon die Stimme des Geistes, der ihn warnt
zu trinken, bevor er seine Fragen beantwortet. Yudhisthira erklärt
sich bereit, die Fragen zu beantworten, und es folgt nun ein höchst
interessantes Frage- und Antwortspiel, in welchem — von einigen
Rätseln im Stile der alten vedischen Brahmodyas ') abgesehen — fast
die ganze indische Sittenlehre vorgetragen wird. Nur ein paar Proben
seien hier angeführt:
Der Yaksa: Was wiegt mehr als die Erde? Was ist höher als
der Himmel? Was ist schneller als der Wind? Was ist zahlreicher
als das Gras?
Yudhisthira: Die Mutter wiegt mehr als die Erde. Der Vater
ist höher als der Himmel. Der Geist ist schneller als der Wind. Die
Gedanken sind zahlreicher als das Gras «
'Der Yaksa: Wer ist des Reisenden Freund? Wer ist der
Freund des zu Hause Weilenden? Wer ist der Freund des Kranken?
W^er ist des Sterbenden Freund?
M Vgl. oben S. 160 f. Das dort aus Vajasaneyi-Samhita XXIII,
4.^ f. zitierte Rätsel kehrt hier (Mahäbh. III, 313, 65 f.) wieder.
— 297 —
Yudhisthira: Eine Karawane ist der Freund des Reisenden. Die
Gattin ist der Freund des zu Hause Weilenden. Der Arzt ist der Freund
des Kranken. Mildtätigkeit ist der Freund des Sterbenden.«
»Der Yaksa: Wer ist der schwer zu besiegende Feind und
welches die endlose Krankheit? Welcher Mensch gilt für gut, und
welcher für schlecht?
Yudhisthira: Der Zorn ist der schwer zu besiegende Feind.
Gier ist die endlose Krankheit. Wer gegen alle Wesen freundlich
ist, der gilt als gut; als böse, wer kein Erbarmen kennt.«
»Der Yaksa: Was wird, o König, Verblendung genannt, und
was heifst Stolz? Was versteht man unter Trägheit, und was heilst
Leid?
Yudhisthira: Verblendetsein in bezug auf Moral') ist Ver-
blendung; das Stolzsein auf sich selbst heifst Stolz. Untätigkeit in
bezug auf Moral ist Trägheit, und wahres Leid ist die Unwissen-
heit.«
»Der Yaksa: W^as wird von den Rsis Festigkeit genannt, und
was wird als Tapferkeit bezeichnet? Was nennt man das beste Bad?
Was heifst Mildtätigkeit?
Yudhisthira: Festsein in der Erfüllung seiner Pflicht ist Festig-
keit; Tapferkeit heifst Bezähmung der Sinne. Das beste Bad ist Be-
freiung vom Geistesschmutz ; Mildtätigkeit aber besteht darin, dafs man
allen Wesen Schutz gewährt.«
»Der Yaksa: Sage mir, o König, worin, wenn man's recht be-
denkt, besteht die Brahmanenschaft, in der Abstammung, im Lebens-
wandel, im Vedalesen oder in der Gelehrsamkeit?
Yudhisthira: Höre, mein lieber Yaksa! Weder die Abstammung,
noch das Vedalesen, noch die Gelehrsamkeit sind der Grund der
Brahmanenschaft, sondern nur ein guter Lebenswandel -- darüber
kann kein Zweifel sein. Mehr als auf alles andere mufs der Brahmane
streng auf seinen Lebenswandel achten; solange sein guter Lebens-
wandel ungeschwächt ist, ist er selber ungeschwächt; ist es mit seinem
guten Lebenswandel aus, so ist es mit ihm aus. Die da lernen und
die da lehren und die über die Wissenschaften nachsinnen — Toren
sind sie alle, wenn sie den Leidenschaften frönen. Wer seine Pflicht
tut, der ist ein Weiser. Ein Bösewicht, wenn er auch alle vier Vedas
kennt, überragt einen ^üdra nicht. Wer auch nur das Feueropfer
darbringt, aber seine Sinne bezähmt, der gilt als ein Brahmane« *).
') Es gibt im Deutschen kein Wort, welches sich mit dem Sanskrit-
wort Dbarma ganz decken würde. Dharma bedeutet 'die Norm
des Handelns«, und schliefst die Begriffe »Recht und Sitte, Moral
und Religion, Pflicht und Tugend« ein. Es ist daher unmöglich,
das Wort überall in gleicher Weise zu übersetzen. Vgl. oben S. 272.
») in, 313. Ähnliche Definitionen des »Brahmanen« sind in
buddhistischen Texten häufig. Vgl z. B. Vinayapitaka, Mahävagga
I, 2, 2 f. Suttanipäta, Väsetthasutta und Milindapafiha IV, 5, 26.
— 298 —
Der Yaksa ist von den Antworten des Yudhisthira so befriedigt,
dafs er einen von seinen Brüdern wieder zum Leben zurückrufen will.
Yudhisthira möge sich wählen, welcher von den vier Brüdern wieder
lebendig werden solle. Er wählt den Nakula und begründet dies damit,
dafs sein Vater zwei Frauen gehabt habe und es nur recht und billig
sei, dafs auch ein Sohn der Mädri, der zweiten Frau, lebe. Die Ant-
wort befriedigt den Yaksa so sehr, dafs er ihm alle seine Brüder wieder
lebendig macht. Der Yaksa ist aber in Wirklichkeit niemand anders
als Gott Dharma selbst, der » Vater ' ') des Yudhisthira, der Gott des
Rechts und der Moral. Bevor er verschwindet, gewährt er den
Pä^davas noch die Gnade, dafs sie im dreizehnten Jahre unerkannt
bleiben sollen. Denn die zwölf Jahre des Waldlebens sind jetzt vor-
über, und sie müssen nun noch der Verabredung gemäfs das drei-
zehnte Jahr unerkannt unter Menschen verleben.
Die Pändavas am Hofe des Königs Viräta*).
Die Pändavas beschliefsen, an den Hof des Viräta, des Königs
der Matsyas, zu gehen und sich dort unter falschen Namen in an-
gemessenen Verkleidungen einzuführen. Ihre Waffen verbergen sie in
der Nähe des Friedhofes vor der Stadt auf einem Baum, auf welchen sie
einen Leichnam hängen, damit niemand sich in die Nähe wage; den
Hirten, welche ihnen dabei zusehen, sagen sie, das sei ihre hundert-
achtzig Jahre alte Mutter, welche sie nach Vätersitte in der Weise
bestatteten. Yudhisthira geht nun zuerst zu Viräta, gibt sich für einen
ausgezeichneten Würfelspieler aus und wird von diesem zu seinem
Gesellschafter und Vertrauten gemacht. Dann kommen der Reihe
nach die andern. Bhlma verdingt sich als Koch. Arjuna unter dem
weiblichen Namen Brhannalä, gibt sich als Eunuch aus und wird als
Tanzmeister der Königstochter Uttarä angestellt. Nakula wird als
Rossezähmer, Sahadeva als Rinderaufseher aufgenommen, während
DraupadI von der Königin zu ihrer Kammerzofe gemacht wird.
Die Pändavas machen sich bald bei Viräta sehr beliebt, namentlich
da sich Bhlma einmal durch Tötung des weitberühmten Athleten
Jimüta in einem zu Ehren des Gottes Brahman veranstalteten Ring-
kampfe ausgezeichnet hat.
Ein unliebsames Abenteuer erlebte aber DraupadI. Der Feldherr
Klcaka, ein Schwager des Königs, verliebt sich in die schöne Kammer-
zofe und stellt ihr nach. DraupadI hatte aber gleich, als sie von der
Königin aufgenommen wurde, vorgegeben, sie sei die Gemahlin von
fünf Gandharvas, welche sie im Notfalle beschützen würden. Durch
das Versprechen eines Stelldicheins lockt nun DraupadI ihren Ver-
folger in finsterer Nacht in den Tanzsaal, wo Bhlma- auf ihn lauert
») Siehe oben S. 276.
") Die Erlebnisse am Hofe des Viräta bilden den Inhalt des
vierten Buches, Virätaparvan genannt.
— 299 —
und ihn nach gewaltigem Ringen erwürgt. Darauf ruft Draupadl die
Wächter herbei und erzählt, dafs einer ihrer Gandharvas den Kicaka,
weil er sie mit Liebesao trägen verfolgt, getötet habe. Die mächtigen
Verwandten des Kicaka wollen mit dem Leichnam desselben die Zofe
verbrennen; aber wieder kommt Bhlma zu Hilfe, tötet, für einen
Gandharva gehalten, 105 Sütas (Kicaka ist nämlich ein Süta) und be-
freit Draupadl. Da verlangen die Bürger der Stadt, dafs die durch
ihre Gandharvas so gefährliche Kammerzofe weggeschickt werde, wozu
denn auch der König den Auftrag gibt. Draupadl aber bittet die
Königin, noch dreizehn Tage bleiben zu dürfen, dann würden die
Gandharvas sie abholen. (In dreizehn Tagen ist nämlich das dreizehnte
Jahr abgelaufen.)
Vergebens hat Duryodhana Spione ausgeschickt, um den Aufent-
haltsort der Pändavas ausfindig zu machen. Die Spione bringen nur die
Nachricht, dals Kicaka von Gandharvas erschlagen worden sei, was dem
Duryodhana immerhin ganz angenehm ist, da die Matsyas ein feind-
liches Volk sind. Kicaka hatte auch oft den König der Trigartas,
Susarman, bedrängt. Nun verabreden sich die Trigartas mit den
Kauravas, gemeinsam einen Einfall in das Land der Matsyas zu unter-
nehmen. Gerade wie das dreizehnte Jahr der Verbannung zu Ende
geht, kommt die Nachricht, dafs die Trigartas eingefallen sind und das
Vieh des Königs Viräta geraubt haben. Viräta rüstet zum Kampfe,
stattet auch Yudhisthira, Bhlma, Nakula und Sahadeva mit Waffen
aus und zieht gegen die Trigartas zu Felde. Es kommt zu einer ge-
waltigen Schlacht. Viräta wird gefangen genommen, aber alsbald von
Bhima befreit, und schliefslich werden die Trigartas — dank der
Beihilfe der Pändavas, die trotzdem unerkannt bleiben — geschlagen.
Während Viräta mit den Trigartas kämpft, machen die Kauravas
von einer andern Seite her einen Einfall ins Matsyaland und rauben
viel Vieh. Die Kuhhirten kommen zu dem jungen Prinzen Uttara,
der in der Stadt zurückgeblieben ist, und fordern ihn auf, gegen die
Kauravas zu Felde zu ziehen. Er hat aber keinen Wagenlenker. Da
veranlafst ihn Draupadl durch Vermittlung der Prinzessin, den Arjuna
zum Wagenlenker 2U nehmen. Er bekommt eine Rüstung, und sie
ziehen in den Kampf. Als Uttara die gewaltigen Scharen der Kauravas
sieht, bekommt er Angst, springt vom Wagen und will fliehen. Arjuna
aber fängt ihn wieder ein, schleppt ihn bei den Haaren auf den Wagen
und spricht ihm Mut zu. Dann fahren sie zu dem Baum, auf welchem
die Waffen verborgen sind, und Arjuna holt sich seine Waffen. Da
er sich dem Uttara schliefslich als der gewaltige Held Arjuna zu er-
kennen gibt, fafst dieser wieder Mut. Uttara wird jetzt der Wagen-
lenker des Arjuoa. Nun kommt es zu einer gewaltigen Schlacht, in
welcher Arjuna mit Duryodhana, Karna, Bhlsma und den übrigen
Helden der Kauravas kämpft und natürlich einen glänzenden Sieg
davonträgt. Die Kauravas schöpften zwar Verdacht, dafs sie es mit
Arjuna zu tun hätten, haben ihn aber doch nicht erkannt.
Nach gewonnenem Sieg schafft Anuna die Waffen wieder zu
-- 300 —
dem Baum zurück und kommt als Tanzmeister Brhannalä und Uttaras
Wagrenlenker in die Stadt, nachdem er dem Uttara eingeschärft hat,
dafs er ihn nicht verraten dürfe. Mittlerweile sind Viräta und die
Pandavas nach Besiegung der Trigartas zurückgekehrt. Der König
ist sehr besorgt, da er hört, sein Sohn sei gegen die Kauravas gezogen.
Aber bald kommt die Nachricht von dem Siege, Im Triumph wird
Uttara empfangen. Dieser erzählt, nicht er habe die Kauravas ge-
schlagen, sondern ein Gott in Gestalt eines schönen Jünglings habe
ihm geholfen. Drei Tage später ist das dreizehnte Jahr zu Ende. Zur
Überraschung des Königs erscheinen die fünf Pandavas in ihrer wahren
Gestalt in der Halle und geben sich zu erkennen. Viräta ist sehr er-
freut und bietet sogleich dem Arjuna seine Tochter als Gemahlin an.
Dieser aber nimmt sie nicht für sich, sondern für seinen Sohn
Abhimanyu an. Denn dadurch, dafs er sie zu seiner Schwieger-
tochter mache, bezeuge er, dafs sie, trotzdem er ein Jahr lang mit ihr
in so naher Berührung gelebt habe, rein geblieben sei. Mit grofsem
Pomp wird bald auch die Hochzeit des Abhimanyu mit der Uttara
gefeiert, zu welcher zahlreiche Könige, selbstverständlich auch Dru-
pada und Kjrsna, mit reichen Geschenken herbeikommen.
Friedensverhandlungen und Kriegsvorbereitungen').
Bei diesem Hochzeitsfeste beraten die Pandavas und ihre Freunde
darüber, wie man sich nun gegenüber den Kauravas verhalten solle.
Kr?na macht den Vorschlag, man möge einen Gesandten zu Duryo-
dhana schicken, um ihn aufzufordern, dafs er den Pandavas wieder ihr
halbes Königreich zurückgebe. In längerer Beratung wird denn auch
beschlossen, den alten Familienpriester des Königs Drupada als Ge-
sandten zu den Kauravas zu senden.
Ehe aber noch die Verhandlungen beginnen, trachten sowohl die
Pandavas als auch die Kauravas möglichst viele Bundesgenossen zu
werben. Und um einige mächtige Könige bemühen sich beide Parteien
zugleich. So sucht Duryodhana selbst den Krsna, den wir bisher
nur als intimen Kreund der Pandavas kennen gelernt haben, auf seine
Seite zu bhngen. Ein Zufall fügt es, dafs Duryodhana zu Krsi?a
kommt, während dieser gerade schläft, und dafs unmittelbar nach ihm
Arjuna eintrifft. Als Krsna erwacht, fällt sein Blick zuerst auf Arjuna.
Da also Duryodhana zuerst gekommen, Arjuna aber zuerst von ihm er-
blickt worden ist, glaubt Krs^, keinen von beiden abschlägig bescheiden
zu dürfen, und er erklärt, dafs er dem einen von ihnen mit seinem Rat
beistehen, dem andern eine Armee von Hirten zur Verfügung stellen
wolle. Duryodhana wählt das letztere, Arjuna das erstere. Darum
verspricht Krsijia, sich am Kampfe nicht direkt zu beteiligen, sondern
nur als Wagenlenker des Arjuna den Pandavas als Berater zur Seite
') Diese bilden den Inhalt des fünften Buches (Udyoga-
p a r V a n).
— 301 —
zu stehen. Auch Salya, der König der Madras, der sich, von einer
Kriegerschar begleitet, schon auf dem Wege zu Yudhis|hira befindet,
um sich ihm anzuschliefsen , wird von Duryodhana aufgefordert, sich
auf die Seite der Kauravas zu schlagen, i^alya geht darauf ein, begibt
sich aber dennoch zu Yudhisthira. Und dieser, der sonst stets als ein
wahrer Tugendbold dargestellt wird, verabredet mit Salya eine schänd-
liche Verräterei. §alya soll nämlich auf Seiten der Kauravas kämpfen,
aber als Wagenlenker des Karna, wenn es zum Zweikampf zv»ischen
diesem und Arjuna kommt, den Wagen schlecht lenken und den Karna
dadurch zu Falle bringen.
Während so auf beiden Seiten schon an den Krieg gedacht wird,
kommt Drupadas hochbetagter Priester als Gesandter zum König
Dhjrtarästra , dem er die Friedensbedingungen der Pä^davas tiber-
bringt. Der König empfängt ihn sehr würdig, gibt ihm aber keine
entscheidende Antwort, sondern sagt, er werde selbst seinen Wagen-
lenker Safijaya als Gesandten zu Yudhisthira senden. Das tut er in
einigen Tagen-, doch bringt Safijaya nur die Botschaft, dafs Dhrtarästra
den Frieden wolle, ohne den Pändavas etwas anzubieten. Darauf
sendet Yudhisthira die Antwort zurück: Entweder müsse er Indra-
prastha und das halbe Königreich zurückbekommen, oder es solle der
Kampf beginnen. Ja, er erklärt sich sogar bereit, um nur das Blut-
vergiefsen zwischen Verwandten zu vermeiden, den Frieden an-
zunehmen, wenn ihm Duryodhana nur fünf Dörfer zur Verfügung
stelle. Über diese von Safijaya überbrachte Antwort verhandeln nun
die Kauravas. Bhisma, Drona und Vidura bemühen sich vergebens, den
Duryodhana zur Nachgiebigkeit und zum Frieden zu überreden. Da
Dhrtarästra sich ganz schwach und machtlos zeigt, wird auch diese
Beratung resultatlos abgebrochen.
Auch die Pändavas beraten noch einmal über den Frieden, und
Krsna macht sich erbötig, noch einen Versuch zu machen und selbst
als Friedensbote zu dm Kauravas zu gehen. Die Pä^cjavas nehmen
dieses Anerbieten dankbar an. Selbst der trotzige Bhima «spricht in
Worten, deren Milde so überraschend ist, -wie wenn die Berge leicht
und das Feuer kalt geworden wäre«, für den Frieden, so dafs selbst
Krs^a erstaunt ist. Hingegen wollen einige der Helden, insbesondere
aber die Heldengattin DraupadT, von Friedensverhandlungen nichts
wissen, sondern möchten am liebsten sofort den Krieg ankündigen.
Yudhisthira aber besteht auf der Friedenssendung. Er gedenkt in zärt-
lichen Worten der Mutter KuntI und bittet den Krsna, sie, die ja bei
Vidura am Hofe der Kauravas wohnt, zu besuchen und nach ihrem
Wohlergehen zu befragen.
Von Segenswünschen begleitet, begibt sich Krsna zu den Kauravas.
Er wird von Dhrtarästra glänzend empfangen, nimmt aber nur die
Gastfreundschaft des Vidura an. Er besucht auch sogleich Kunti und
bestellt die Grülse von Yudhisthira. In bitteren Worten klagt die
Heldenmutter über die Trennung von ihren Söhnen. Aber noch
schmerzlicher empfindet sie die Schmach, die man der DraupadT an-
— 302 —
getan, und sie wirft dem Yudhisthira Schwäche vor. Sie trägt dem Krs^a
auf, ihren Söhnen zu sagen, dafs sie ihrer Kriegerpflicht nicht vergessen
und nicht zögern sollten, ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Der Zeitpunkt
sei jetzt gekommen, »um dessen willen eine Kriegerfrau Kinder zur Welt
bringt*. Am nächsten Morgen geht nun Krs^^a in festlichem Aufzuge
in die Versammlung der Kauravaftirsten und hält dort eine Friedens-
rede Dhrtarästra erklärt, dafs er selber zwar nur den Frieden wolle,
aber gegen seinen Sohn Duryodhana nichts auszurichten vermöge. Da
richtet Krsna seine Friedensmahnungen an Duryodhana, und auch
Bhlsma, Drona und Vidura tun ihr möglichstes, um Duryodhana zur
Annahme der Friedensbedingungen zu bewegen. Dieser erklärt aber,
nicht einmal so viel Land, als einer Nadel Spitze bedeckt, den Pä^davas
abtreten zu wollen. Nachdem er zornig die Versammlung verlassen,
macht Krsna den Vorschlag, die Wohlgesinnten unter den Kauravas
sollten Duryodhana und seine Genossen den Pändavas gefangen aus-
liefern. Darauf geht Dhrtarästra gar nicht ein; aber er schickt um
seine Frau Gändhärl, damit diese den Versuch mache, den wider-
spenstigen Sohn zum Frieden zu bewegen. Gändhärl kommt und
macht dem alten König heftige Vorwürfe, dafs er die Herrschaft seinem
Sohne abgetreten. Die Ermahnungen aber, die sie an Duryodhana
richtet, sind ebenso fruchtlos wie die der andern. Im Gegenteile,
Duryodhana und seine Genossen hecken den Plan aus, den Krsqia ge-
fangen zu nehmen, um sich so eines mächtigen Feindes zu entledigen.
Der Plan bleibt aber nicht verborgen, und Duryodhana wird von
Dhrtarästra und Vidura wegen dieser geplanten Verletzung des Ge-
sandtenrechts scharf zurechtgewiesen. Nachdem noch Bhlsma und
Drona vergebens zum Frieden gemahnt, mufs auch diese Friedens-
gesandtschaft des Krsna als mifsglückt angesehen werden.
Ehe Krsna abreist, hat er noch eine geheime Unterredung mit
Kar^a. Dieser tapfere Held gilt allgemein als der Sohn eines Wagen-
lenkers (Süta). Es wird aber erzählt, daLs er in Wirklichkeit von
Sürya, dem Sonnengott, mit der Kuntl. als diese noch eine Jungfrau
war, auf wunderbare Weise, ohne dafs ihre Jungfernschaft dabei zu
Schaden gekommen wäre, gezeugt worden sei. Nachdem sie aber den
Karna geboren, schämte sie sich und setzte den Knaben in einem
wasserdichten Körbchen im Flu.sse aus. Dort fand ihn ein Wagen-
lenker und zog ihn auf. So ist Karna eigentlich ein älterer Bruder
der Pändavas. Darauf weist Krs^a hin und sucht ihn zu überreden,
dafs er sich des Thrones bemächtige und den Yudhisthira als jüngeren
Bruder zum Thronfolger einsetze, womit die Pändavas einverstanden
sein würden. Karna will aber von einem solchen Verrat an seinem
Freund Duryodhana nichts wissen. Auch fls Kuntl, unterstützt von
Sürya selbst, ihm in ähnlicher Weise zuredest, zu den Pändavas tiber-
zugehen, antwortet ihr Karna nur mit harten Worten: sie sei ihm nie
eine gute Mutter gewesen, so wolle er auch jetzt nicht ihr Sohn sein.
Unverrichteter Sache kehrt also Krsna wieder zu den Pändavas
zurück und berichtet über seine vergeblichea Versuche, den Frieden
— 303 —
herzustellen. Wildes Kampf geschrei ertönt, da Krsna erzählt, dafs
man ihn sogar gefangen nehmen -wollte. Auf beiden Seiten werden
nun eifrig Kriegsvorbereitungen getroffen. Die Pändavas wählen den
Dhrstadyumna, Sohn des Königs Drupada, die Kauravas den Bhlsma
zum Oberfeldherrn. Die Schlachtreihen werden aufgestellt und ge-
ordnet, Bhlsma zählt dem Duryodhana die Helden nach ihrem Range
als Wagenkämpfer auf, wobei er den Karna niedriger stellt als alle
andern Helden und ihn dadurch tödlich beleidigt. Kar^a schwört, er
werde an dem Kampfe nicht früher teilnehmen, als bis Bhlsma gefallen
sei. Darauf zählt Bhlsma die' Haupthelden der Pändavas auf und er-
klärt, dafs er mit allen kämpfen wolle, nur nicht mit Sikhandin.
Dieser ist nämlich als Mädchen, als Tochter des Drupada, zur Welt
gekommen und erst später dadurch, dafs ein Yaksa sein Geschlecht
mit ihr tauschte, in einen Mann verwandelt worden'). Bhlsma sieht
aber in diesem Krieger noch immer das Weib, und mit einem Weibe
kämpft er nicht.
Nach Beendigung der Kriegsvorbereitungen wird Ulüka, der
Sohn eines Spielers, von den Kauravas mit einer Kriegserklärung in
Form von Schmähreden in das Lager der Pändavas geschickt, welche
ihn mit nicht minder schmähenden und trotzigen Worten zurück-
senden. Darauf marschieren die beiden Heere nach Kuruksetra.
Die grofse achtzehntägige Schlacht*).
In unendlichen Reihen scharen sich die beiden Heere mit ihren
Hilfstruppen zu beiden Seiten des grofsen Kurufeldes. Losungsworte
und Abzeichen werden festgesetzt, durch welche der Freund vom Feind
unterschieden werden kann. Sodann werden zwischen den Kämpfen-
den völkerrechtliche Vereinbarungen getroffen: Nur ebenbürtige
Gegner und solche von derselben Waffengattung sollen miteinander
kämpfen ; Wagenkämpfer nur mit Wagenkämpfem, Elefantenkämpfer
mit Elefantenkämpfern, Reiter mit Reitern, Fufssoldaten mit Fufs-
soldaten : niemand soll kämpfen, ohne den Gegner vorher zum Kampfe
herausgefordert zu haben; diejenigen, welche sich ergeben haben oder
kampfunfähig* sind, ebenso die Flüchtlinge sollen nicht getötet werden •,
Kutscher, Lasttiere, Waffenträger und Musikanten sollen ebenfalls
verschont werden.
V^or Beginn der Schlacht erscheint noch der heilige Vyäsa und
verleiht Saftjaya, dem Wagenlenker des Königs Dhrtarästra, die
Gabe, alle Vorgänge auf dem Schlachtfelde zu schauen. Er macht ihn
auch unverwundbar, so dafs er dem alten blinden Könige täglich Bericht
erstatten könne. Und dadurch, dafs die nun folgenden Kampf-
') Über diese und ähnliche Geschlechtsverwandlungen in der
Märchenlitteratur vgl. Th. Benfey, Das Pantschatantra. I, S- 41 ff.
^) Das sechste Buch (Bhismaparvan) beginnt hier und endet
mit dem Fall des Feldherrn Bhlsma.
— 304 —
Schilderungen dem Sanjaya in den Mund gelegt werden , der sie wie
ein Augenzeuge berichtet, erhalten sie etwas ungemein Lebendiges.
Der greise Bhisma, der Grofsonkel sowohl der Kauravas als
der Pä^idavas, befehligt die Heere der Kauravas an den ersten zehn
Schlacht(agen. In feuriger Rede fordert er die Krieger zum tapferen
Kampfe auf: »Das grofse Tor zum Himmel steht heute weit offen, ihr
Krieger! Zieht ein durch dieses Tor zur Welt des Indra und des
Brahraan! . . . Unrecht ist es für den Krieger, zu Hause an einer
Krankheit zu sterben; in der Schlacht den Tod zu finden, das ist des
Kriegers ewige Pflicht.«') So ziehen sie mutig in die Schlacht, und
in glänzendem Schmuck der Waffen und der Rüstungen stehen die
beiden Heere einander gegenüber.
Donnerndes Kriegsgeschrei und dröhnende Schlachtmusik geben
das Zeichen zum Beginn des Kampfes. Und in furchtbarem Ringen
begegnen sich Kauravas und Pändavas — ohne jede Rücksicht
auf Verwandtschaft : Der Vater kennt nicht den Sohn, der Bruder nicht
den Bruder, der Oheim nicht den Schwestersohn, der Freund nicht
den Freund. Elefanten richten schreckliche Verheerungen an und ein
blutiges Gemetzel findet statt. Bald dieser, bald jener Held tut sich
im Einzeikampf hervor; bald ist der Sieg auf Seite der Pän4avas, bald
auf der der Kauravas. Wenn aber die Nacht hereinbricht, ziehen sich
die Kämpfenden zurück, und erst am folgenden Morgen werden die
Heere in neuer Schlachtordnung aufgestellt, und der Kampf beginnt
von neuem. Wiederholt stofsen Bhisma und Arjuna aufeinander, und
beide kämpfen so tapfer, dafs Götter und Dämonen verwundert dem
Kampfe zusehen. So oft es aber den Kauravas schlecht geht, macht
Duryodhana dem Bhisma Vorwürfe, dafs er zu rücksichtsvoll gegen
die Päij^avas kämpfe; und wenn die Pändavas Verluste erleiden, wirft
Krs^ dem Ariuna vor, dafs er sein Geschofs nicht gegen Bhisma richte.
Zahlreiche Brüder des Duryodhana sind schon ins Kampfe gefallen. Da
erhebt wieder Duryodhana gegen Bhisma den Vorwurf, dafs er den Pän-
davas gegenüber zu viel Erbarmen zeige. Er solle die Feinde besiegen
oder den Oberbefehl an Kar^ abtreten. Von Schmerz und Zorn über-
mannt, verspricht Bhisma, am nächsten Tage schonungslos gegen alle
— Sikbai^dir. , der ein Weib gewesen, ausgenommen — zu kämpfen.
»Schlaf ruhig. Sohn derGändhäri% sagt er*), »morgen werde ich eine
grofse Schlacht schlagen, von der die Menschen erzählen werden, so-
lange die Erde steht ' Und in der Tat erleiden am neunten Tage der
Schlacht die Pändavas grofse Verluste. Bhisma wütet wie der Todes-
gott im Heere der Feinde, während Ariuna, der den Bhisma immer
noch als »Grofsvater« ") verehrt, allzu rücksichtsvoll kämpft. Da Krsi^a
') VI, 17, 8 ff.
*) VI, 99, 23.
®) So wird der Grofsonkel Bhisma von den Pändusöhnen meistens
genannt.
— 305 —
dies bemerkt, stürzt er sich selbst auf Bhlsma, um ihn zu töten, aber
Arjuna hält ihn gewaltsam zurück, indem er ihn an sein Gelöbnis,
nicht kämpfen zu wollen, erinnert. Von Bhlsma in wilde Flucht ge-
schlagen, kehren die Krieger der Pän4avas bei hereinbrechender Nacht
ins Lager zurück.
Die Nacht benutzen die Päij^avas zu einer Beratung. Da sie
wissen, dafs ßhisma gegen Öikha^din nicht kämpfen wolle, beschlicfsen
sie'), am nächsten Tage diesen dem Bhlsma gegenüberzustellen;
hinter dem Öikhandin verborgen, solle aber Arjuna auf Bhlsma
seine Pfeile richten. Nur ungern entschliefst sich Arjuna zu diesem
Verrat, und mit Schmerz und Scham denkt er daran, dafs er als
Knabe auf dem Schofse des Bhlsma gespielt und ihn A^äterchen« ge-
heifsen. Aber Krsna weiis ihn zu überreden , dafs nur er allein den
Bhlsma überwinden könne, und dafs er nur seine Kriegerpflicht er-
fülle, wenn er den mächtigen Gegner töte.
So bricht der Morgen des zehnten Schlachttages heran, und
Sikha94in wird von den Pändavas ins Vordertreffen gestellt, während
die Kauravas mit Bhlsma an der Spitze heranrücken. Den ganzen
Tag wogt um Bhlsma herum der Kampf zwischen Pän4a-vas und
Kauravas. Tausende und Tausende sinken auf beiden Seiten in den
Staub. Endlich gelingt es Sikhandin , hinter dem Arjuna sich ver-
borgen hält, an Bhlsma heranzukommen. Lächelnd erwartet dieser
die Pfeile des äikhandin, ohne sich gegen ihn zu verteidigen. So
wütend aber auch der letztere seine Geschosse auf Bhisma richtet —
sie können diesem nichts anhaben. Bald aber beginnt Arjuna, hinter
Sikhandin verborgen, Pfeil auf Pfeil gegen den Heldengreis zu
schiefsen. Und zu dem neben ihm kämpfenden Dussäsana gewandt,
sagt Bhisma: «»Diese Pfeile, die wie Vamas Boten meine Lebens-
geister schier vernichten, sind nicht Öikhandins Pfeile; diese Pfeile,
die wie wütende, giftstrotzende Schlangen züngelnd in meine Glieder
fahren — sind nicht Sikhandins Pfeile, sie sind Arjunas Geschofs«^).
Noch rafft er sich auf und sendet einen Pfeil gegen Arjuna, den dieser
>) Im alten Gedicht ist es wahrscheinlich Krsna gewesen, der
diesen Rat gegeben hat. Die Darstellung in unserem jetzigen Mahä-
bhärata ist geradezu absurd. Die Pä^dusöhne begeben sich nämlich
in nachtschlafenden Zeit ins feindliche Lager zu Bhlsma und fragen
ihn ganz naiv, wie sie ihn am besten umbringen könnten. Bhisma
gibt ihnen dam selbst den Rat, ihm den §ikhai;i4in . hinter dem
Arjuna kämpfen soll, gegenüberzustellen. So wird am Anfang des
Gesanges VI, 107 erzählt; in der Mitte desselben Gesanges stehen die
schönen Reden, in denen Arjuna voll Zärtlichkeit seines »Grofsvaters«
Bhlsma gedenkt, der ihn als Kind auf den Knien geschaukelt; und
am Ende desselben Gesanges, ist es derselbe Arjuna, der mit dem Plane
hervortritt, den Bhlsma auf so unehrliche Weise zu töten. Vgl.
Ad. Holtzmann, Das Mahäbhärata II, 172 f,
2) VI, 119, 63 f.
— 306 —
aber auffängt und in drei Stücke zersplittert. Dann nimmt er Schwert
und Schild, um sich lu wehren. Arjuna aber zerschmettert ihm den
Schild in hundert Stücke. Da gibt Yudhisthira den Seinen Befehl,
gegen Bhlsma loszugehen, und von allen Seiten stürzen sich die
Pändavas auf den allein stehenden Krieger, bis er endlich, aus unzäh-
ligen Wunden blutend — kurz vor Sonnenuntergang — vom Wagen
stürzt^). So viele Pfeile aber stecken von allen Seiten in seinem Körper,
dals er im Falle den Boden nicht berührt, sondern auf einem Bett von
Pfeilen ruht.
Laut ist der Jubel unter den Pändavas, grenzenlos der Jammer
im Lager der Kauravas. Zu Ehren des gefallenen Helden, der beiden
kämpfenden Parteien so nahe gestanden, wird aber ein Waffenstillstand
vereinbart. Und sowohl Pändavas als Kauravas stehen, von Bewunderung
und Trauer erfüllt, um den sterbenden Helden. Er begrüfst die Krieger
und will zu ihnen sprechen. Matt hängt das Haupt des Sterbenden
-herunter. Er bittet um ein Polster. Man eilt, feine Polster herbei-
zuholen. Lächelnd weist er sie zurück. Da nimmt Arjuna drei Pfeile
aus seinem Köcher und stützt mit ihnen das Haupt des Bhisma, der
zufrieden erklärt, das habe er gewollt, das sei ein rechtes Helden-
lager. Der Sterbende richtet in eindringlichen Worten an Duryodhana
die Mahnung, Frieden zu schlieisen: »Lais diese Schlacht mit meinem
Tode enden, mein Sohn,» mahnt er, »mache Frieden mit den Pän-
davas.« Aber gleich einem Todkranken, der die Medizin verweigert,
weist Durj-odhana des Bhlsraa weisen Rat zurück.
Auch der trotzige, aber edle Karna kommt herbei, um dem
sterbenden Helden seine Verehrung zu bezeigen. Mit brechendem
Auge umarmt ihn der Greis mit einer Hand und mahnt auch ihn zum
Frieden mit den Pändavas, um so mehr, da er ja als Sohn der KuntI
deren Bruder sei. Aber Karna erklärt, dem Duryodhana die Treue
wahren und seiner Kriegorpflicht im Kampfe gegen die Pändavas ge-
nügen zu müssen. Er könne nicht anders. Und versöhnt gibt Bhlsma
dem tapferen Krieger die Erlaubnis zu kämpfen, so schmerzlich es
ihm auch ist, daf s all sein Bemühen um den Frieden vergebens gewesen *).
■) Mit dieser Schilderung (VI, 120, 58 ff.) steht die alberne Er-
zählung (VI, 1 1 6), wo Bhisma dem Yudhisthira mitten in der Schlacht
erklärt, er sei lebensmüde, worauf dieser — mit billigem Mut — die
Seinen zum Kampf gegen den Helden auffordert, ebenso in Wider-
spruch wie das kindische Märchen (VI, 120, 32 ff.), welches erzählt,
wie Vasus. (göttliche , W^esen) und Rsis am Himmel erscheinen und
Bhlsmas Entschlufs, zu sterben, gutheilsen. Das sind spätere Ein-
fügungen, die den doppelten Zweck verfolgen, die Pändavas rein-
zuwaschen und den Bhisma selbst zu einem Halbgott zu machen. Im
alten Gedicht war Bhisma gewifs nur ein gewaltiger Held, den die
Pändavas auf wenig ritterliche Art zu Falle gebracht haben.
*) Im alten Gedicht hat Bhisma nach seinem Fall gewifs nicht
länger gelebt, als nötig war, um noch einige Worte an Duryodhana
— 307 —
Nun da Bhisma gefallen ist, nimmt Karna wieder an dem Kampfe
teil , und auf seinen Vorschlag wird der alte Lehrer D r o n a zum
Oberfeldherrn geweiht'). Unter seiner Feldherrnschaft wird vom elften
bis zr.m fttnfzehnten Tage gekämpft.
Der dreizehnte Schlachttag bringt ein trauriges Ereignis für die
Pändavas. Der jugendliche, aber tapfere Sohn des Arjuna, Abhi-
manyu, wagt sich zu weit in die Reihen der Feinde vor, wird durch
den Sindhukönig Jayadratha von seinen Beschützern getrennt und von
Dussäsanas Sohn getötet. Arjuna schwört, furchtbare Rache an dem
Mörder seines Sohnes, als den er den Jayadratha bezeichnet, zu
nehmen. Das Hauptereignis des vierzehnten Schlachttages ist denn
auch der Kampf des Arjuna mit Jayadratha, der sich den ganzen Tag
hinzieht und mit des letzteien Tod endet. Er fällt, wie es Arjuna ge-
schworen, bevor die Sonne untergegangen ist Zu gleicher Zeit hat
Bhlma im Heere der Kauravas gewütet und zahlreiche Söhne des
Dhrtarästra getötet.
Aber nicht wie sonst wird an diesem Tage mit dem Untergange
der Sonne der Kampf unterbrochen. So erbittert sind die Kämpfenden
auf beiden Seiten, dafs sie trotz der hereinbrechenden Finsternis keine
Pause eintx-eten lassen. Beim Scheine von Fackeln und Lampen wird
weiter gekämpft. Erstaunliche Kämpfe werden von einzelnen Helden
ausgefochten. Karna aber bedrängt die Pändavas besonders hart, und
auf Anraten des Krsija wird der Räksasa Ghatotkaca gegen Karna
ausgesandt. Gewaltig ringt der Held mit dem Riesenungetüm, und
furchtbaren Schaden richtet der Räksasa im Heere der Kauravas an,
bis er endlich von Karna getötet wird. Noch im Falle reifst aber der
Riese Ghatotkaca eine ganze Armee der Kauravas zu Boden und er-
drückt sie. Die Pändavas sind über den Tod von Bhimas Sohn Gha-
totkaca sehr betrübt — nur Krsna jubelt. Karna hat nämlich den ihm
und Karna zu richten. Unser Mahäbhärata erzählt die wunderliche
Geschichte, dafs Bhisma beim südlichen Gang der Sonne, d. h. im
Halbjahr vor dem Wintersolstitium, gefallen sei, aber seinen Tod bis
zum nördlichen Gang der Sonne (uttaräyana), d. h. zum Halbjahr
vor dem Sommersolstitium , verschoben habe. Die Upanisads lehren
nämlich, dafs die Seele, welche auf dem Götterpfad zur Brahmanwelt
geht, das uttaräyaija passieren mufs (Chänd. Up. V, 10, 1: Brh. Up.
VI, 2, 15). Daraus haben die Theologen herausgeklügelt, dafs ein
Heiliger oder Yogin, der mit Brahman vereint sein will, imuttaräyana
sterben müsse. (So Bhagavadgitä VIII, 24.) Der Philosoph Sankara
(zu Vedänta-sütra IV, 2, 20 f.) spricht bereits davon, dafs Bhisma sich
das uttaräyana zum Sterben ausgewählt habe. Damals (8. Jahrh. n.
Chr.) mufs also bereits die Geschichte von Bhlsmas Tod so wie in
unserem jetzigen Mahäbhärata erzählt worden sein.
*) Der Kampf unter der Feldherrnschaft des Dro^a bildet den In-
halt des siebenten Buches (Dronaparvan).
Winternitz, Geschichte der indischen Litteratur. 21
— 308 ~
von Indra geschenkten Speer, den er für Arjuna aufbewahrt hatte*),
gegen den Räksasa verwendet. Das hatte eben Krsna beabsichtigt.
Fort wütet der Kampf, bis die Krieger beider Heere vom Schlaf
übermannt werden. Nur mit Mühe halten sich die pflichtgetreuesten
Krieger aufrecht. Gar manche sinken aber müde und schlaftrunken
auf ihren Elefanten, Wagen und Pferden bin, während andere gar blind
vor Schlaf herumtaumeln und ihre eigenen Freunde erschlagen. Da
erbarmt sich Arjuna der Krieger und gibt mit weithin schallender
Stimme die Erlaubnis, eine Weile dem Schlafe zu widmen. Freudig
begrüfsen auch die Feinde den Vorschlag, und Götter und Menschen
segnen Arjuna für dieses Wort. Und mitten auf dem Schlachtfelde
legen sich Rosse, Elefanten und Krieger zum Schlummer niedei".
Von der dichterischen Schönheit der hier geschilderten
Nachtszene — der Stil erinnert zuweilen an die Lyrik eines
Kälidäsa ^) — kann die folgende wörtliche Prosaübersetzung einiger
Verse nur eine schwache Vorstellung geben.
»Von Schlaf übermannt, verstummten da alle die grofsen Wagen-
kämpfer. Und sie legten sich hin — die einen auf dem Rücken ihrer
Pferde, andere im Wagenkasten, wieder andere auf dem Nacken ihrer
Elefanten, und viele auch streckten sich auf den Erdboden hin. Mit
ihren Waffen, mit Keulen, Schwertern, Streitäxten und Lanzen, in
voller Rüstung legten sie sich hin zum Schlaf, die eiaen hier, die
andern dort . . . Die Elefanten, die schwer atmend auf der Erde lagen,
sahen aus wie Bergeshügel, über welche Riesenschlangen dahin-
zischten . . . Und dieses schlummernde Heer, wie es in Schlaf ver-
senkt bewufstlos dalag, glich einem wunderbaren Bilde, von einem ge-
schickten Künstler auf die Leinwand gemalt . . . Da liefs plötzlich im
Osten der erhabene Mond sein rötliches Licht erstrahlen ... Im Nu
war die Erde von Licht erfüllt, und hinweg floh rasch die tiefe, un-
ergründliche Finsternis . . . Vof den Strahlen des Mondes aber er-
wachte dieses Kriegerheer, wie ein Hain von hundertblättrigen Tag-
lotosblumen vor der Sonne Strahlen. Und wie die Meeresflut sich
erhebt beim Leuchten des Mondes, also erwachte diese See von
Truppen beim Aufgang des Gestirns der Nacht. Dann aber, o König,
begann von neuem der Kampf zur Vernichtung der Welt unter diesen
Menschen, welche die höchste Himmelswelt ersehnten,»')
Und das blutige Ringen dauert ununterbrochen fort bis zum
Morgengrauen. Der fünfzehnte Schlachttag bricht heran. Die Sonne
zieht vom Osten herauf, und die Krieger beider Heere steigen von
ihren Rossen, Elefanten und Wagen; zum Sonnengott emporblickend,
') Er durfte ihn nur einmal anwenden, oben S. 296.
ä) Auch abgesehen von einigen yon einem späteren Kunstdichter
eingefügten Versen.
3) VII, 185, 37 ff.
— 309 —
verrichten sie mit gefalteten Händen ihre Morgenandacht. Doch nur
einen Augenblick währt diese Unterbrechung, und weiter wütet der
Kampf. Zwei der hervorragendsten Helden, die Könige Drupada und
Viräta, fallen von Dronas Hand. Vergebens bemühen sich die
Pändavahelden, diesen Recken zu Falle zu bringen. Ein erstaun-
licher Zweikampf zwischen Drona und Arjuna — Lehrer und Schüler — ,
dem die Himmlischen selbst bewundernd zusehen, führt zu keinem Er-
gebnis, da der Schüler dem Lehrer in keiner seiner Waffenkünste
nachsteht. Da ist es wieder Krsua, der eine teuflische List ersinnt.
Von ihm angestiftet, tötet Bhima einen Elefanten, der zufällig auf
den Namen Asvatthäman hört, und ruft dann laut, auf Drona zu-
gehend, dafs Asvatthäman — so heilst auch der Sohn des Drona —
getötet sei. Dropa erschrickt, glaubt aber die Nachricht noch nicht.
Erst, da auch der durch seine Wahrheitsliebe berühmte Yudhisthira,
von Kisna überredet, die Lüge wiederholt, muls Drona sie glauben.
Von Schmerz überwältigt, legt er die Waffen beiseite und bleibt
in tiefes Sinnen versunken stehen. EHesen Augenblick benutzt
Drupadas Sohn Dhrstadyumna. um dem fünfundachtzigjährigen Drona
den Kopf abzuschneiden. Umsonst ruft Arjuna, der greise Lehrer
düiffe nicht getötet werden. Dhrstadyumna hat die Tat vollbracht
und den Kopf des Feldherrn unter die Kauravas geworfen, die ent-
setzt die Flucht ergreifen. Nun erst erfährt Asvatthäman die Nach-
richt vom Tode seines Vaters, und er schwört den PaAcälas und den
Fändavas blutige Rache.
Nach dem Falle des Drona wird Kar na zum Oberfeldherrn der
Kauravas gewählt. Unter ihm wird nur zwei Tage gekämpft'). Am
sechzehnten Tage der Schlacht verrichten Bhima und Asvatthäman,
Arjuna und Karna Wunder der Tapferkeit, aber es kommt zu keiner
Entscheidung. Am Morgen des siebzehnten Scblachttages verlangt
Karna, dafs ihm Salya, der König der Madras, als Wagenlenker ge-
geben werde, denn nur dann würde er dem Arjuna, der an Krsna
einen so vortrefflichen Wagenlenker habe, gewachsen sein. . balya
sträubt sich anfangs dagegen, dafs er einem Niedrigeren Dienste
leisten solle, willigt aber schliefslich unter der Bedingung ein, dafs es
ihm gestattet sein müsse, vor Karna zu reden, was er wolle. Von
dieser Bedingung macht er nun weidlich Gebrauch. Während er den
Wagen des Karna lenkt, überschüttet er diesen mit Spott und Hohn.
Karna bleibt ihm allerdings nichts schuldig, sondern zieht in beifsen-
den Worten gegen die Madras, das Volk des Salya, los, die er als
falsch, heuchlerisch, trunksüchtig, der Unzucht und der Blutschande
ergeben schildert, ^^alya wirft dagegen dem Karna vor, dafs die
Ahgas, über welche er herrsche, ihre Weiber und Kinder ver-
^) Dieser Kampf bildet den Inhalt des achten Buches (Kar^a-
p a r V a n).
21*
— 310 ~
kauften '). Endlich stellt Duryodhana den Frieden zwischen den beiden
wieder her, und sie ziehen in die Schlacht.
Während Arjuna an Kar^a heranzukommen sucht, richtet Bhlma
ein furchtbares Blutbad unter den Söhnen des Dhrtarästra an, von
denen er wieder viele tötet. Mit seiner wuchtigen Keule schleudert
er den DusSäsana vom Wagen herab, stürzt sich auf ihn, reifst ihm
die Brust auf und trinkt sein warmes Herzblut — wie er es einst ge-
schworen^). Schaudernd weichen bei diesem Anblick die Feinde zu-
rück. Mittlerweile sind Arjuna und Karna aneinander geraten, und
es kommt zu einem furchtbaren Zweikampf, bei welchem auch die
Götter Partei ergreifen: Indra für Arjuna, Sürj^a für Karjja. Wie
zwei wilde Elefanten, die einander mit ihren Hauzähnen bearbeiten,
überschütten die beiden Helden einander mit ihren Pfeilen. Vergeb-
lich bemüht sich Arjuna, den Kar^a zu Falle zu bringen. Da be-
ginnt der Streitwagen des Karna mit einem Rade in die Erde zu
sinken'). Karija bemüht sich nun, den Wagen wieder herau.szuziehen,
und fordert den Arjuna auf, mit Rücksicht auf das Kriegsrecht den
Kampf zu unterbrechen. Krsi;ia aber überredet den Arjuna, keine
Rücksicht zu nehmen. Und Arjuna, sonst das Muster der Ritterlich-
keit, tötet den Karija meuchlings, während dieser noch mit seinem
Wagen beschäftigt ist. Vom Körper des Gefallenen strahlt ein Licht
aus, und er behält auch im Tode seine Schönheit.
Grofser Jubel herrscht im Lager der Panda vas, die Kauravas aber
fliehen voll Angst.
Nur mit Mühe gelingt es dem Duryodhana, seine Truppen zu
neuem Kampfe zu sammeln und aufzumuntern, balya ist der Ober-
feldherr am achtzehnten Tage der Schlacht*). Yudbisthira ist dazu
ausersehen, den Zweikampf mit fealya aufzunehmen. Nach langem und
heftigem Ringen wird um die Mittagzeit Salya von Yudhisthira ge-
tötet. Die Kauravas fliehen. Nur Duryodhana und Sakuni mit einer
kleinen Schar leisten noch verzweifelten Widerstand. Sahadeva tötet
den Sakuni. Arjuna und BhTma richten ein furchtbares Gemetzel an.
Das Heer der Kauravas ist nun gänzlich vernichtet.
Duryodhana flieht allein zu einem Teich, wo er sich verbirgt
Aufser ihm leben nur noch drei Helden: Krtavarman, Krpa und
Asvatthäman. Die Sonne ist bereits untergegangen. Ode und leer
') Der ganze sehr merkwürdige Abschnitt (VIII, 33— 4!^) ist kultur-
geschichtlich und ethnographisch äufserst interessant.
^\ Oben S. 289.
') Obwohl wir bereits wissen (oben S. 301), dafs dies infolge einer
Verräterei des Salya geschieht, wird die Sache hier so dargestellt, als
ob dem Karija dieser Unfall infolge des Fluches eines von ihm be-
leidigten Brahmanen zugestofsen wäre (VIII, 42, 41 und 90, 81).
*) Dieser Schlachttag bildet den Inhalt des neunten Buches
(Salyaparvan),
— 311 —
liegt das Lager der Kauravas da. Die Päipidavas suchen den ent-
flohenen Duryodhana und finden ihn endlich. Yudhisthira fordert ihn
zum Zweikampf heraus. Duryodhana erklärt, erst am nächsten Morgen
kämpfen zu wollen: aus Müdigkeit, nicht aus Furcht sei er zum Teiche
geflohen. Yudhisthira aber besteht darauf, dafs sogleich gekämpft
werden müsse, und verspricht ihm, dafs er König bleiben solle, wenn
er auch nur einen von ihnen töte. Bhima ist es, mit dem Duryodhaaa
den Zweikampf aufnehmen soll. Mit dem üblichen Wortgefecht v/ird
der Keulenkaij^pf eingeleitet. Aus weiter Ferne kommt Baiadeva, der
Bruder des Krs^a, der sich an dem Kampfe nicht beteiligt hatte, her-
bei, um dem Keulenkampf als Zuschauer beizuwohnen. Auch die
Götter blicken dem Schauspiel staunend und bewundernd zu. Wie
zwei Stiere mit ihren Hörnern aufeinander losgehen, so schlagen die
beiden Helden mit ihren Keulen aufeinander los. Blutüberströmt
kämpfen sie beide immer noch fort. Sie zerfleischen einander mit
ihren Keulen, wie zwei Katzen, die sich um ein Stück Fleisch balgen .
Beide verrichten Wunder der Tapferkeit, und der Kampf bleibt un-
entschieden. Da sagt Krsna zu Arjuna, Bhlma werde nie imstande
sein, den Duryodhana im ehrlichen Kampfe zu besiegen; denn Bhlma
sei zwar der stärkere, Duryodhana aber der geschicktere Kämpfer.
Er erinnert ihn aber an die Worte des Bhlma, wie dieser damals, als
Draupadi beschimpft wurde'), gelobt habe, des Duryodhana Schenkel
zu zertrümmern. Da schlägt sich Arjuna vor den Augen des Bhlma
mit den Händen auf den Schenkel. Bhlma versteht diesen Wink —
und während der Gegner einen Sprung macht, um zum Streiche aus-
zuholen, zerschmettert ihm Bhlma die Schenkel, dafs er zusammen-
bricht wie ein vom Sturm entwurzelter Baum. Baiadeva aber, der
dem Kampfe zugesehen, schleudert zornige Worte gegen Bhlma, da
er unehrlich gekämpft, denn im ehrlichen Keulenkampf e sei es ver-
boten, den Gegner unterhalb des Nabels zu treffen. Mit Mühe hält
ihn sein Bruder Krsna davon ab, den Bhima zu züchtigen. Vergebens
sucht aber Krs^a durch seine Sophistereien den Bruder zu über-
zeugen, dafs BhTma recht gehandelt habe. Der ehrliche Baiadeva be-
steigt erzürnt seinen Wagen und fährt hinweg, indem er verheifst.
dafs Bhima stets als unehrlicher, Duryodhana als ehrlicher Kämpfer in
der Welt bekannt sein werde.
Yudhisthira sendet hierauf den Krsna nach Hastinäpura, damit er den
Dhrtarästra und die Gändhärl tröstq und besänftige, was dieser so gut
als möglich besorgt. Die Pändavas beschliefsen, die Nacht aufserhalb
des Lagers am Ufer eines Flusses zuzubringen.
Sobald Asvatthäman und seine beiden Genossen die Nachricht
vom Falle des Duryodhana gehört haben, eilen sie zum Kampfplatz
und beklagen den Helden, der mit zerschmetterten Schenkeln daliegt.
Asvatthäman aber schwört, dafs er alle Paäcälas vernichten werde,
') Oben S. 290.
— 312 —
worauf ihn der sterbende Duryodhana noch feierlich zum Oberfeldherm
(man weifs nicht recht, wovon) weiht.
Das nächtliche Blutbad im Pä^idavalager').
Die drei überlebenden Helden der Kauravas haben sich, nachdem
sie von Duryodhana Abschied genommen, in einiger Entfernung vom
Schlachtfeld unter einen Baum begeben, um die Nacht hier zuzubringen.
Krpa und Krtavarman sind eingeschlafen, Asvatthämän aber wird vom
Zorn und Rachedurst wachgehalten. Da sieht er, wie ia den Zweigen
des Baumes, unter dem sie ruhen, eine Schar von Krähen nistet, und
wie plötzlich mitten in der Nacht eine fürchterlich aussehende Eule
daherkommt und alle die schlafenden Vögel tötet*). Dieser Anblick
bringt ihn auf den Gedanken, die Feinde im Schlafe zu überfallen und
hinzumorden. Er weckt die beiden andern Helden und trägt ihnen seinen
Plan vor. Krpa sucht ihn davon abzubringen, denn es sei unrecht.
Schlafende und Wehrlose zu überfallen. Asvatthämän aber erwidert,
die Pä^idavas hätten längst »die Brücke des Rechts in hundert Stücke
gebrochen«; jetzt gelte nur das Gebot der Rache, und kein Mensch
werde ihn hindern, seinen Vorsatz auszuführen. »Töten will ich die
Paftcälas, die Mörder meines Vaters, im Schlafe der Nacht — mag ich
auch dann als Wurm oder geflügeltes Insekt Wiedergeburt erlangen ' ')
So entschlossen, besteigt er seinen Streitwagen und fährt zum feind-
lichen Lager. Wie ein Dieb schleicht er sich hinein, während die
beiden andern Helden am Tore des Lagers Wache halten, um jeden,
der etwa entfliehen wolle, zu töten. Er dringt in das Zelt des
Dhfstadyumna (der ihm den Vater getötet), weckt ihn mit einem Fuls-
tritt auf und erwürgt ihn wie ein Stück Vieh. Dann geht er wie der
Todesgott von Zelt zu Zelt, von Lagerstätte zu Lagerstätte und mordet
einen nach dem andern von den schlafenden und schlaftrunkenen
Helden unbarmherzig hin, darunter auch die fünf Söhne der Draupadi
und den Öikhandin. Noch vor Mitternacht sind alle Krieger des feind-
lichen Heeres getötet. Tausende wälzen sich in ihrem Blute. Räksasas
und Pisä':as, die nachtschwärmenden, fleischfressenden Dämonen,
kommen scharenweise ins Lager gezogen, um in dem Fleisch und Blut
der Gemordeten zu schwelgen. Als der Morgen graut, herrscht wieder
Totenstille weit über dem Lager.
Die drei Helden aber begeben sich eiligst zur Stelle, wo noch
immer der sterbende Duryodhana liegt, um ihm die Nachricht von der
Hinmetzelung der feindlichen Krieger zu bringen. Und nachd-ra dieser
vernommen, was für ihn eine Freudenbotschaft ist, gibt er dankbar
und {glücklich seinen Geist auf.
'■^Dieses bildet den Inhalt des zehnten Buches (Sauptika-
parvan).
') Vgl. zu dieser Szene Th Benfey, E)3s Pantschatantra I.
S. 336 ff.
') X, 5. 18-27.
— 313 —
Mittlerweile hat Dhrstadyumnas Wagenlenker, der einzige Über-
lebende, den Päi?<Javas die Schreckensnachricht hinterbracht, dafs ihre
und Drupadas Söhne ermordet und das ganze Heer vernichtet sei.
Yudhisthira fällt in Ohnmacht und wird nur mit Mtihe von den Brüdern
aufrecht erhalten. Dann sendet er um Draupadi und die andern Frauen
der Verwandtschaft. Er begibt sich zum Lager und bricht bei dem An-
blick, der sich ihm darbietet, fast zusammen. Da kommt auch schon
Draupadi, und im ungeheueren Schmerz um ihre hingemordeten Söhne
und Brüder beglückwünscht sie in Worten bitterster Ironie ihren
Gemahl Yudhisthira zu seinem herrlichen Sieg. Grenzenlos wie ihr
Jammer ist aber auch ihr Ingrimm gegen den Mörder Asvatthäman
und nicht früher will sie Nahrung zu sich nehmen, als bis diese furcht-
bare Tat gerächt ist.
Ob und wie aber im ursprünglichen Epos die Tat des
A§vatthäman gerächt wurde, ist aus unserem Mahäbhärata in-
folge von EinSchiebungen und Entstellungen nicht mehr ersicht-
lich. In sehr unklarer und verworrener Weise wird nämlich das
Folgende erzählt:
BhTma verfolgt den Asvatthäman, kämpft mit ihm, zieht aber
eigentlich den Kürzeren. Jedenfalls tötet er ihn nicht, sondern
Asvatthäman gibt ihm freiwillig ein von Draupadi gewünschtes Juwel,
das ihm am Kopfe angewachsen ist. (Von diesem sonderbaren Kopf-
schmuck war vorher nie die Rede.) Er ist ferner im Besitze einer
wunderbaren Waffe, mit welcher er den letzten Sprofs des Kuru-
geschlechtes , der noch als Embryo im Schofse der Uttarä, der
Schwiegertochter Arjunas, ruht, vernichtet; infolge dessen bringt
Uttarä später ein totes Kind zur Welt, welches aber von Krsna
lebendig gemacht wird- Es ist dies Pariksit, der Vater jenes J'ana-
mejaya, bei dessen wSchlangenopfer das Mahäbhärata zuerst vor-
getragen worden sein soll- Krsna aber verflucht den Asvatthäman,
dafs er dreitausend Jahre lang — eine Art Ahasver — allein, von allen
Menschen gemieden, auf der Erde herumwandern solle, Blut- und Eiter-
geruch verbreitend und mit allen Krankheiten beladen.
Ob etwas von all dem zu dem alten Gedicht gehört, ist
schwer zu sagen. Sicher gehörte wohl noch die Totenklage
dazu.
Die Totenklage der Frauen')-
Vergeblich bemühen sich Saöjaya und Vidura, den blinden alten
König Dhrtarästra in seinem namenlosen Schmerze zu trösten. Immer
wieder bricht er zusammen, und sohliefslich kommt auch noch Vyäsa,
ihm Trost zuzusprechen. Nun müssen aber die Totenzeremonien für
') Sie bildet den Inhalt des elften Buches (Strtparvan).
— 314 —
die Getallenen vollzogen werden. Darum lälst der König seine Ge-
mahlin Gändhäri und die andern Frauen des Hofes holen, und unter
lautem Wehklagen fahren sie zur Stadt hinaus dem Schlachtfelde zu.
Auf dem Wege begegnen sie den drei überlebenden Kauravahelden,
die ihnen von dem fürchterlichen Blutbad erzählen, das sie nächtlicher-
weile im Feindeslager angerichtet. Sie verweilen aber nicht, sondern
machen sich aus Furcht vor der Rache der Päijdavas alsbald aus dem
Staube. In der Tat kommen auch gleich darauf die fünf Pändusöhne
mit Krsna des Weges und treffen mit dem Zug der Trauernden zu-
sammen. Mit Mühe gelingt es dem Krsna, eine Art V^ersöhnung
zwischen den Pändavas und dem alten Herrscherpaar herzustellen, so
schwer es auch der Gändhäri fällt, dem Bhlma zu verzeihen, der ihr
von ihren hundert Söhnen auch nicht einen am Lebe*i gelassen. Doch
auch Draupadi hat alle ihre Söhne verloren, und die Gemeinsamkeit
des Schmerzes trägt zur Versöhnung bei.
Es folgt nun die Klage der Gändhäri. die sowohl als
ein Meisterwerk elegischer Dichtung als auch durch die an-
schaulichen, an die Bilder eines Wereschagin erinnernden Schilde-
rungen des Schlachtfeldes zu den schönsten Teilen des ganzen
Epos gehört. Dadurch, dafs der Dichter nicht selbst erzählt,
sondern die greise Heldinnenmutter berichten läfst, was sie mit
eigenen Augen schaut ^), wird das Ganze um so wirkungsvoller.
Der Zug der Trauernden gelangt zum Schlachtfeld. Entsetzlich
ist der Anblick der zerstückelten Leichname, um welche Raubvögel,
Schakale und fleischfressende Dämonen herumschwärmen, während
Mütter und Gattinen der gefallenen Helden jammernd zwischen den
Leichen umherirren. All das sit^ht Gändhäri, als sie ihre Klage, die
sie an Krsua richtet, beginnt. Sie erblickt auch den Duryodhana, und
sie erinnert sich mit Wehmut daran, wie er am Vorabend der Schlacht
von ihr Abschied genommen. »Ihm, dem einst schöne Frauen mit
ihren Fächern Kühlung zugefächelt, fächeln jetzt nur die Raubvögel
mit ihren Fittigen.« Mehr aber noch als der Anblick ihres tapferen
Sohnes, mehr als der Anblick aller ihrer hundert Söhne, die im Staube
liegen, denen aber der Himmel gewifs ist, jammern sie ihre Schwieger-
töchter, die in wilder Verzweiflung mit fliegenden Haaren zwischen
^) Trotzdem ausdrücklich gesagt wird (XI, 16, 10 f.\ dafs Dhrtarä.stra
und die Frauen im Kuruksetra angelangt sind und das blutige Schlacht-
feld vor sich sehen, wird doch am Anfange des Gesanges erzählt, dafs
Gändhäri wegen ihrer frommen Bufsübungen durch die Gnade des
Vyäsa ein himmlisches Seherauge bekommen habe, mit dem sie schon
aus weiter Ferne das Schlachtfeld überblicken konnte. Es ist das gewifs
ein der alten Dichtung fremder Zug — der ungeschickte Einfall eines
späteren Pedanten.
— 315 —
der Leichen ihrer Gatten und Söhne hin und her laufen. Mit zer
stückelten Gliedern sieht sie ihren klugen SohnVikar^a mitten untor
erschlagenen Elefanten liegen — "wie wenn am herbstlichen Himmel
der Mond von dunklem Gewölk umgeben ist'. Dann sieht &*ie den
jugendlichen Abhimanyu, Arjunas Sohn, dessen Schönheit auch der
Tod nicht ganz zu zerstören vermocht hat. Seine unglückliche junge
Gattin tritt auf ihn zu, streichelt ihn, nimmt ihm den schweren Panzer
ab, fafst die blutigen Locken zusammen, legt sein Haupt in ihren
Schofs und redet in zärtlichsten Worten zu dem Toten ; sie bittet ihn,
wenn er im Himmel mit schönen Götterfrauen sich erfreue, auch
manchmal ihrer zu gedenken. Dann fällt ihr Blick auf Kardia, den
Helden, den alle einst so gefürchtet, und der jetzt da liegt wie ein
vom Sturme geknickter Baum- Daraul sieht sie ihren Schwiegersohn,
den Sindhukönig Jayadratha, dessen Frauen vergebens die gierigen
Raubvögel von dem Leichnam 2U verscheuchen suchen, während ihre
eigene Tochter Dussalä jammernd den Kopf ihres Gemahls sucht.
Dort wieder sieht sie den Madrakönig '^sdja. Hegen, dessen Zunge ge-
rade von Geiern zerfressen wird, während um ihn herum seine
jammernden Frauen sitzen, »wie brünstige Elefantenweibchen um den
im Sumpf versunkenen Elefanten«. Auch BhTsma sieht sie auf seinem
Pfeilbett liegen — »diese Sonne unter den Menschen geht zur Rüste,
wie die Sonne am Himmel untergeht«- Und nachdem sie noch Drona
und Drupada und alle die grofsen Helden, die da gefallen sind, be-
klagt hat, wendet sie sich mit zornigen Worten an Krsna und macht
ihm Vorwürfe, dafs er die V^ernichtung der Päncjavas und Kauravas
nicht verhindert habe. Und sie spricht den Fluch über ihn aus, dafs
er sechsunddreifsig Jahre später die Vernichtung seines eigenen Ge-
schlechtes verursachen und selbst elend in der Wildnis zugrunde
gehen solle.
Darauf gibt Yudhisthira den Befehl zum Vollzug der Leichen-
zeremonien für sämtliche Gefallene. Scheiterhaufen werden errichtet,
Butter und Öl darauf gegossen. Wohlriechende Hölzer und kostbare
Seidenkleider, zerbrochene Wagen und Waffen werden mit den
Leichen verbrannt. Nach Vollzug der Riten und Totenklagen, wobei
auch der Fremden und Freundlosen nicht vergessen wird, begeben sich
alle zum Ufer des Ganges, um den Toten die üblichen Wasserspe-nden
darzubringen.
Hier w^ird wohl das alte Gedicht geendet haben. Unser
Mahäbhärata verfolgt die Geschichte der Helden noch weiter.
Das Pf erdeopfer M-
Gelegentlich der Darbringung der Totenspenden hat Kunti ihrem
Sohn Yudhisthira erst mitgeteilt, dafs auch Karna ein Sohn von ihr
') Dieses bildet den Inhalt des vierzehnten Buches (As\ra-
medhikapar van). Über die Bücher XII u. XIII siehe weiter unten
— 316 —
gewesen sei, und fordert ihn auf, ihm als dem ältesten Bruder auch
Wasserspenden zu weihen. Yudhisthira ist nun sehr betrübt, dafs er
nicht nur den Untergang so vieler Verwandten und Freunde ver-
schuldet, sondern an Karna sogar einen Brudermord begangen habe.
Ganz untröstlich, gibt er die Absicht kund, in den Wald zu gehen
und Asket zu werden. Vergebens reden ihm seine Brüder und
Krsna zu , die Regierung zu übernehmen — er beharrt auf seinem
Entschlüsse, bis endlich Vyäsa kommt und ihm den Rat erteilt, ein
Pferdeopfer darzubringen und sich dadurch von seinen Sünden zu
reinigen. Diesen Rat befolgt Yudhisthira. Die Vorbereitungen zu
dem grofsen Opfer werden getroffen. Wie es das Ritual verlangt,
wird das Opferpferd freigelassen, um ein Jahr lang nach Belieben
herumzustreifen. Arjuna ist dazu ausersehen, das Pferd zu begleiten
und zu beschützen. Von Land zu Land folgt er dem Rosse über die
ganze Erde hin. Auf dieser Wanderung hat er viele Kämpfe zu be-
stehen, denn allenthalben trifft er auf Stämme, deren Krieger in der
Kuruschiacht besiegt worden sind, und die sich ihm nun feindlich ent-
gegenstellen. Er vollführt grofse Heldentaten, vermeidet aber soviel
als möglich unnützes Blutvergiefsen und lädt alle unterworfenen Könige
zum Rofsopfer ein. Nach einem Jahr kehrt er mit dem Opferrofs nach
Hastinäpura zurück, wo er mit Jubel empfangen wird. Nun beginnt
das Opferfest, zu dem von allen Seiten die geladenen Könige herbei-
strömen. Das Pferd wird unter genauer Beobachtung aller Ritual-
vorschriften geschlachtet und im Feuer geopfert. Die Pändavas atmen
den Rauch des verbrannten Markes ein, wodurch alle ihre Sünden
getilgt werden. Nach Vollendung des Opfers schenkt Yudhisthira dem
V^yäsa "die ganze Erde«. Grolsmütig gibt dieser sie ihm wieder zu-
rück und fordert ihn auf, den Priestern nur recht viel GoM zu
schenken. Nachdem Yudhisthira dem entsprechend Unmassen Goldes
an die Priester verschenkt hat, ist er von Sünden rein und herrscht
von da an als ein guter und frommer König in seinem Reich.
Dhrta rast ras Ende.
Der alte König Dhrtarästra ') wird aber immer noch als Haupt
der Familie in allen Angel<?genheiten um Rat gefragt, und er und
seine Gemahlin Gändhärl werden stets hoch in Ehren gehalten. So
lebt der alte König noch fünfzehn Jahre lang am Hofe des Yudhisthira
im besten Einvernehmen mit den Pändavas, welches nur durch das
Verhältnis zu Bhima einigermalsen gestört wird. Ihm, der ihn aller
seiner Söhne beraubt hatte, konnte der König nie ganz vergeben, und
auch der trotzige Bhlma kränkte nur zu oft seinen greisen Onkel
durch unziemliche Rede. So falste denn nach fünfzehn Jahren der
alte König den Entschlufs, sich als Einsiedler in den Wald zurück-
') Hier beginnt das fünfzehnte Buch (Ä s r a ra a v ä s i k a -
parvan)
— 317 —
2uziehen. Nur ungern gibt Yudhistbira seine Einwilligung dazu. Aber
Krsna sagt, es sei von jeher die Sitte frommer Könige gewesen, ent-
weder als Krieger auf dem Schlachtfeld oder als Einsiedler im Walde
zu sterben. So ziehen denn Dhrtarästra und GändhärT in den "Wald,
und ihnen schlielsen sich anch Kuntf, Sanjaya und Vidura an. Nach
einiger Zeit besuchen die Pändavas ihre Verwandten in der Wald-
einsiedelei, da stirbt gerade der weise Vidura. Zwei Jahre später ge-
langt zu den Pändavas die Nachricht, dafs Dhrtarästra, Gändhäri und
Kuntl bei einem Waldbrande umgekommen sind, während Saftjaya sich
in den Himälaya begeben hat.
Untergang des Krsna und seines Volkes').
Sechsunddreifsig Jahre nach der grofsen Schlacht im Kurufelde
kommt den Pändavas die traurige Nachricht zu, dafs der Fluch der
Gändhäri •') in Erf tiliung gegangen und Krsna samt seinem Geschlecht
zugrunde gegangen ist. Bei einem Trinkgelage geraten zwei Sippen-
häuptlinge miteinander in Streit, in den sich bald andere mischen
Ein allgemeiner Keulenkampf entsteht — Riedgräser werden von
Krsna in Keulen verwandelt -, und die Männer der Yädavasippen
bringen einander um. Krs^ sieht sich nach seinem Bruder Baladeva
um, kommt aber gerade zu dessen Sterbestunde. Eine weifse Schlange
läuft aus Baladevas Munde und eilt zum Ozean'), wo sie von den be-
rühmtesten Schlangendämonen empfangen wird. Da legt sich Krs^a
im öden Walde hin und versinkt in tiefes Nachdenken. Hier wird er
von einem Jäger namens Jarä (d. h. »Alter«) für eine Antilope ge-
halten und mit seinem Pfeile in die Fufssohle — der einzigen Stelle,
wo er verwundbar ist — getroffen und getötet.
Der Pändavas letzte Reise.
Über den Tod ihres treuen Freundes sind die Pändavas untröst-
lich, und bald nachher beschliefsen .sie, ihre letzte Reise anzutreten*).
Yudhistbira setzt den Pariksit zum König ein und nimmt von den
Untertanen Abschied. Darauf wandern die fünf Brüder mit ihrer
Gemahlin Draupadi, alle in Bastgewänder gekleidet, nur von einem
Hunde gefolgt, in den Himälaya, übersteigen denselben und gelangen
') Erzählt im sechzehnten Buche (Mausalaparvan).
•') S. oben S. 315.
') Ein schönes Beispiel von der bei so vielen Völkern verbreiteten
Vorstellung der Seele in Form einer Schlange. Auch in der deutschen
Sage von König Guntram läuft die Seele in Form einer Schlange aus
dem Munde des schlafenden Königs in einen Berg.
*) Damit beginnt das siebzehnte Buch (Mahäprasthänika-
parvan).
- 318 —
zum Götterberg Meru. Auf dem Weg zum Himmel fällt zuefst
Draiipadi tot hin, dann Sahadeva, hierauf Nakula, bald auch Arjuna
und zuletzt Bhima. Dann kommt Indra auf seinem Götterwagen ein*
hergefahren, um den Yudhisthira in den Himmel zu holen ^). Dieser
will aber nicht mitkommen, da er ohne seine Brüder nicht im Himmel
sein wolle. Da verspricht ihm Indra, dafs er die Brüder sowohl als
auch DraupadT im Himmel wiedersehen werde. Yudhisthira besteht
aber darauf, dafs auch sein Hund in den Himmel mitkommen müsse,
was Indra durchaus nicht zugeben will. Endlich gibt sich der Hund
als Gott Dharma zu erkennen und zeigt seine grofse Befriedigung
über die Treue des Yudhisthira. So kommen sie denn in den Himmel,
wo aber Yudhisthira durchaus nicht bleiben will, da er weder seine
Brüder noch Draupadi dort sieht. Da er nun gar 2) den Duryodhana
auf einem himmlischen Thron sitzend und von allen geehrt erblickt,
will er von dem Himmel schon gar nichts mehr wissen und verlangt
in die Welten geführt zu werden, wo seine Brüder und Helden wie
Karna sich befänden. Da geben ihm die Götter einen Boten mit, der
ihn in die Hölle führt, wo er die entsetzlichen Qualen der Verdammten
sieht- Schon will er sich von dem schauderhaften Anblick abwenden,
da hört er Stimmen, die ihn anflehen, zu verweilen, da ein wohltuen-
der Lufthauch von ihm ausgehe. Voll Mitleid fragt er die Gequälten,
wer sie seien, und erfährt, dafs es seine Brüder und Freunde sind,
Da erfafst ihn Schmerz und Zorn über die Ungerechtigkeit des
Schicksals, und er schickt den Boten zu den Göttern mit der Er-
klärung zurück, dafs er nicht in den Himmel gehen, sondern in der
Hölle bleiben wolle. Bald aber kommen die Götter zu ihm herab,
und Indra erklärt ihm, dafs diejenigen, welche am meisten gesündigt
haben, erst in den Himmel kommen und dann in die Hölle geschickt
werden, während diejenigen, welche nur wenige Sünden begangen
haben, diese zuerst in der Hölle rasch abbüCsen, um dann zur ewigen
Seligkeit in den Himmel einzugehen. Er selbst habe wegen seiner
Täuschung des Drona die Hölle besuchen müssen, und ebenso hätten
seine Brüder und Freunde ihre Sünden in der Hölle abzubüfsen ge-
') In einem Aufsatze »Points de contact entre Mahäbhärata et le
Shäh-nämah" (Journal Asiatique, Serie 8«™«, t. X, 1887, p. 38 ff.) hat
J. Darmesteter die Himmelfahrt des Yudhisthira mit dem Ver-
schwinden des Kai Khosru im persischen Heldenepos verglichen.
Auch Kai Khosru steigt auf einen hohen Berg, um lebendigen Leibes
in den Himmel zu gelangen. Sowie Yudhisthiras Brüder, so gehen
auch die den Kai Khosru begleitenden Pehlewanen auf dem Wege zu-
grunde. Dennoch sind die beiden Episoden so grundverschieden, dafs
ich an einen Zusammenhang nicht glaube. (Vgl. auch Barth in
Revue de l'Histoire des Religions.t. 19, 1889, p. 162 ff.).
'■') Hier beginnt das achtzehnte (letzte) Buch (Svargäroha^a -
parvan).
— 319 ~
habt. Alsbald verschwindet aber der ganze Höllen«räuel ; sie befinden
sich alle im Himmel und nehmen Göttergestalt an').
Diese hier kurz skizzierte Haupterzählung macht ungefähr die
Hälfte der achtzehn Bücher des Mahäbhärata aus ^). Die andere
Hälfte entfällt auf jene teils erzählenden, teils belehrenden Be-
standteile des Werkes, welche zum Kampf der Kauravas und der
Pän^avas in gar keiner oder nur ganz loser Beziehung stehen.
Über diese soll in den folgenden Kapiteln berichtet werden.
Alte Heldcndichtung im Mahäbhärata.
Zu den Aufgaben der altindischen Barden gehörte es auch,
die Stammbäume der Könige zu verfolgen oder — wenn es nötig
war — solche zu erdichten. Genealogische Verse (anuvamsa-
sloka) bilden daher einen wesentlichen Bestandteil der alten
Heldendichtung. Und das erste Buch des Mahäbhärata enthält
einen ganzen Abschnitt, Sambhavaparvan, »Abschnitt von
den Ursprüngen«, betitelt, in welchem die Genealogie der Helden
bis auf ihre ersten, von den Göttern abstammenden Urahnen
zurückverfolgt wird, wobei manche interessante Sagen von diesen
alten Königen der Vorzeit erzählt werden. Selbstverständlich
kann unter diesen Vorfahren der zum Bhäratageschlecht ge-
hörigen Kauravas und Panda vas jener Bharata nicht fehlen, von
dem das Mahäbhärata selbst seinen Namen hat. Bharata ist
aber der Sohn des Königs Dusyanta und der durch Kälidäsas
Drama so berühmt gewordenen Sakuntalä, deren Geschichte
denn auch im Sambhavaparvan erzählt wird.
Leider ist uns aber gerade die ^akuntalä-Episode des
Mahäbhärata ^) in einer priesterlich verballhornten und wohl auch
') Vgl. zu dieser Episode auch Lucian Scherman, Materialien
zur Geschichte der indischen Visionslitteratur, Leipzig 1892, S. 48 ff.
*) Die achtzehn Parvans odi/r Bücher des Mahäbhftrata enthalten
zusammen 2109 Adhyäyas oder Gesänge: von diesen entfallen 1070
auf die Haupterzählung.
^) I, 68-~7f). Eine vollständige Übersetzung gab B. Hirzel im
Anhange zu seiner Übersetzung von Kälidäsas »i^akuntalä« (Zürich
1833, 2. Aufl. 1849). Eine vorteilhaft gekürzte, dichterische Be-
arbeitung gab Ad. Friedr. Graf von Schack, vStimmen vom Ganges
(Stuttgart 1877) S. 32 ff.
— 320 —
verstümmelten Form tiberliefert, welche nur wenige Züge der
alten Heldendichtung bewahrt und auch schwerlich die Vorlage
für Kälidäsas Dichtung gebildet haben dürfte. Die Schildemngen
des Waldes, der Jagd und der Einsiedeleien sind nicht mit
»epischer«, sondern mit pedantischer Breite ausgesponnen, zum
Teil nach der Schablone der späteren höfischen Kunstdichtung.
Die Erzählung selbst ist reizlos und unktinstlerisch begründet.
Dafs Sakuntalä von dem König nicht anerkannt wird, ist nicht
wie bei Kälidäsa durch einen Fluch und durch die Geschichte
von dem verlorenen Ring motiviert, sondern damit, dals der
König seinen Höflingen gegenüber jeden Zweifel an der Echt-
heit der königlichen Geburt seines Sohnes beseitigen will. Des-
halb provoziert er gewissermafsen ein Gottesurteil. Er gibt vor,
Sakuntalä nicht zu kennen, und will von dem Sohne nichts
wissen, bis eine himmlische Stimme vor dem ganzen Hofe ver-
kündet, dafs Sakuntalä die Wahrheit gesprochen und ihr Kind
wirklich der Sohn des Königs Dusyanta sei. Hier begegnen
uns die zwei Verse, von denen wir bestimmt wissen, dafs sie
zum ältesten Bestand des Äakuntalägedichtes gehören und der
alten Bardendichtung entnommen sind *) :
»Die Mutter ist nur der Schlauch (zum Aufbewahren des Samens),
dem Vater gehört das Kind-, der Sohn, den er gezeugt, ist er selbst*).
Erhalte") deinen Sohn, Dusyanta, verschmähe nicht Sakuntalä!
Die Väter (Manen), o König, rettet der Sohn aus des Yama (des
Todesgottes) Behausung. Du aber bist dieses Sprosses Schöpfer, die
Wahrheit sprach Sakuntalä.»
Auch in dem Dialog zwischen Sakuntalä, die ihre und ihres
Sohnes Rechte vertritt, und dem König, der sie nicht anerkennen
will, haben sich gewifs manche alte und echte Verse erhalten.
Jedenfalls mufs ein solches Zwiegespräch einen Hauptbestandteil
der alten Erzählung gebildet haben, und es mögen in der Rede
der Sakuntalä moralisierende Sprüche vorgekommen sein, wie
die schönen Verse:
') Wir finden nämlich dieselben Verse (I, 74, 109 f.) im Mahäbhä-
rata (I, 95, 29 f.) noch einmal als ? genealogische Verse» (anuvamsa-
slokau) zitiert, und sie kehren im Harivamsa (32, 10 ff.), im Visnu-
Purä^a (IV, 19) und im Bbägavata-Puräna (IX, 20, 21 f.) wieder.
2) Vgl. die oben S. 184 übersetzten Verse.
«) Wegen dieses Wortes »erhalte« (bhara) bekam der Knabe den
Namen Bharata.
— 321 —
»Wenn du denkst ,Ich bin allein', dann kennst du den alten
"Weisen nicht, der im Herzen wohnt und der von jeder bösen Tat weifs.
In seiner Gegenwart begehst du deine Sünde.
»Es glaubt wohl mancher, der Böses getan, dafs niemand ihn ge-
sehen habe; aber die Götter haben ihn gesehen und der Geist, der in
seinem Herzen wohnt.« ')
Auch wird gewifs Sakuntalä von denn Glück und Segen
gesprochen haben, welchen ein Sohn dem Vater bringt, wie in
den Versen:
=,Er selbst hat sich durch sich selbst als Sohn wieder erzeugt'*),
pflegen die Weisen zu sagen. Darum soll der Mann auf seine
Gattin, die Mutter seiner Söhne, wie auf seine eigene Mutter blicken.«
»Gibt es ein höheres Glück, als das, wenn das Söhnchen, mit Staub
bedeckt, vom Spiele heimkehrt und des Vaters Glieder umfängt?«
» Aus deinen Gliedern ist dieser entsprossen, aus einer Seele eine
zweite Seele. Siehe hier deinen Sohn, wie dein zv/eites Selbst im
spiegelklaren See ! ' ^)
Doch ist es nicht wahrscheinlich , dals alle die schönen
Sprüche, welche der i^^akuntalä in den Mund gelegt werden —
Sprüche, welche vom Glück der Ehe und den Pflichten der
Ehegatten, von den Vaterpflichten und der Wahrhaftigkeit
handeln — , wirklich der alten Heldendichtung angehörten. Viel-
mehr deuten einige auf Eherecht und Erbfolge bezügliche Verse,
welche geradezu der Rechtslitteratur entnommen sind, darauf
hin, dafs brahmanische G e 1 e h r t e die Reden der Sakuntalä dazu
benutzt haben, möglichst viele Sprüche über Moral und Recht
anzubringen. Das hindert nicht, dafs wir gerade in diesen
Reden einige der herrlichsten Proben indischer Spruchdichtung
finden, wie die folgenden:
»Die Gattin ist des Mannes Hälfte, die Gattin ist der beste Freund.
Die Gattin ist die Wurzel der drei Lebensziele, die Gattin ist die
Wurzel des höchsten Heils.«
»Sie, die sanftredenden Frauen, sind Freunde in der Einsamkeit,
Väter beim Vollzug heiliger Handlungen, Mütter für den Unglück-
lichen.«
»Von Seelenschmerz gepeinigt und "on Krankheiten heimgesucht,
erquicken Männer sich an ihren Frauen wie die von Hitze Gequälten
an frischem Wasser.»*)
1)1, 74, 16 f.
■2) Ähnlich Aitareya-Brähmapa VII, 13; vgl. oben S. 184.
«) I, 74. 47; 52; 64.
*) I, 74, 40; 42; 49.
— 322 —
Unter den Vorfahren der Helden des Mabäbhärata wird
auch ein König Yayäti aufgeführt, dessen Geschichte ebenfalls
im Sarabhavaparvan, dem Abschnitt der genealogischen Barden-
dichtung, erzählt wird ^). So wie aber die alte Sakuntalädichtung
dazu benutzt wurde, brahmanische Lehren über Recht und Sitte
vorzutragen, so hat man die alte Yayätisage, die ursprünglich
eine Art Titanensage gewesen sein mufs, in eine moralische Er-
zählung umgewandelt, M^odurch sie zu einem beliebten Gegenstand
der Asketendichtung wurde. Doch sind keineswegs die Spuren
der alten Heldendichtung ganz verwischt, sie zeigen sich nament-
lich in einem gewissen urwüchsigen Humor, mit dem die Ge-
schichte von den beiden Frauen des Königs erzählt wird. Aus
dem Inhalt der Yayati-Episode sei nur folgendes hervorgehoben :
Devayäm, die Tochter des Asurapriesters §ukra, ist von Sarniisthä,
der Tochter des Asurakönigs, beleidigt worden. Deshalb will der Priester
den König verlassen Letzterer aber, um den Priester zu versöhnen,
jribt seine Tochter der Devayänl als Dienerin. Bald darauf wird
Devayänl die Frau des Königs Yayäti, der versprechen mufs, mit ihrer
»Dienerin« , der Königstochter Sarmisthä, keinen Umgang zu haben.
Der König aber bricht sein gegebenes Wort und erzeugt in heim-
licher Ehe mit Sarmisthä drei Söhne. Die eifersüchtige Devayäni
kommt dahinter und bekls>!:t sich bei ihrem Vater Sukra. Dieser
spricht über Yayäti den Fluch aus, dafs er sofort seine Jugend ein-
büfsen und alt und gebrechlich werden solle, mildert aber auf Yayätis
Bitten den Fluch dahin, dafs er sein Alter auf jemand anderen über-
tragen dürfe.
Nun forderte Yayäti, nachdem er plötzlich alt und runzlig und
grau gevrorden war, einen nach dem andern von seinen Söhnen auf,
dafs sie ihm sein Alter abnehmen und ihm ihre Jugend geben sollten,
da er des Lebens noch nicht genug froh geworden sei. Keiner von
' den älteren Söhnen will auf diesen Tausch eingehen , worauf sie vom
Vater verflucht werden. Nur der Jüngste, Püru, erklärt sich dazu
bereit. Er nimmt dem Vater das Alter ab 'und gibt ihm dafür seine
eigene Jik^end. Darauf erfreute sich Yayäti noch tausend Jahre der
') Die Geschichte wird zuerst I, 75 kurz erzählt, dann I, 76—93
mit vielen Details wiederholt. Der letzte Teil der Sage wird V, 120
bis 123 mit einigen Zusätzen noch einmal erzählt. Eine freie dichte-
rische Bearbeitung der Yayäti -Episode findet sich bei Ad. Holtzmann,
Indische Sagen I (Karlsruhe 1845), S. 139—188. Eine mythologische
Deutung der Sage hat A. Ludwig, Die Geschichte von Yaj'ati
Nahusya, Analyse und Rolle derselben im Mahäbhärata, Prag LS98
(Sitzungsber. der k. böhm. Ges. d. Wiss.) versucht.
— 323 -
blühendsten Jugend und genofs das Leben in vollen Zügen. Er er-
götzte sich nicht nur mit seinen beiden Frauen, sondern auch mit
einer himmlischen Nymphe, der schönen Apsaras Visväci (»Allgeneigt»).
Aber so viel er auch genofs, so bekam er doch nie genug. Und als
die tausend Jahre um waren, da kam er zu der Erkenntnis, die er in
den Versen aussprach:
* Wahrlich nicht durch die Befriedigung der Lüste wird die Lust
gestillt ;
Nein, sie wächst nur und wird stärker, wie das Feuer durch das
Opferschmalz.
Die mit Schätzen vollgefüllte Erde, Gold und Vieh und Weiber
auch.
Nicht für Einen ist's genug: —bedenke das und suche Seelenruh !
Nur wer nie und nimmer irgendeinem Wesen Böses zugefügt,
Sei's mit Taten, mit Gedanker oder Worten, der geht ein zum
Brahman.
Wer nichts fürchtet und vor dem kein Wesen Furcht je hegt.
Wer nichts wünscht und keinen Hals kennt, der geht ein zum
Brahman.« ')
Da gab er denn seinem Sohne Püru die Jugend wieder zurück,
nahm sein eigenes Alter auf sich, und nachdem er dem Püru die
Herrschaft übergeben, ging er in den Wald, lebte dort als Einsiedler
und übte tausend Jahre lang die strengsten Bufsübungen. Infolge-
dessen kam er in den Himmel, wo er lange Zeit, von allen Göttern
und Heiligen geehrt, wohnte. Eines Tages aber überhob er sich im
Gespräche mit Indra und wurde deshalb aus dem Himmel hinaus-
geworfen. Er fährt aber später mit seinen vier frommen Enkeln
wieder in den Himmel.
') 1, 75, 49—52. Nur der erste Vers kehrt an allen anderen Stellen,
wo die Yayätisage erzählt wird, wörtlich wieder. (Er kommt auch bei
Manu II, 94 vor.) Die übrigen Verse finden sich 1, 85, 12—16, Hari-
vamsa 30, 1639—1645, Visnu-Puräna IV, 10, Bhägavata-Purä^a IX,
19, 13—15 mit Varianten wieder. Aber nur I, 75, 51—52 und Hari-
varasa 30, 1642 ist von der Vereinigung mit dem Brahman im
Sinne der Vedäntaphilosophie die Rede. An allen anderen Stellen
ist in den entsprechenden Versen stets nur von der Bezähmung der
Begierden als dem erstrebenswerten Ziel der Asketenmoral die Rede,
und diese Moral ist für Buddhisten und Jainas wie für die brah-
manischen und visnuitischen Asketen dieselbe. Daher finden wir ganz
ähnliche Sprüche bei allen indischen Sekten, welche ein Asketentum
kennen.
Winterniti. Geschichte der indischen Litter »tur. 22 ■
— 324 —
Eine Art Titanensage, die mit einem Sturz aus dem Himmel
endet, ist auch die von N a h u s a , dem Vater des Yayäti, welche
im Mahäbhärata öfters erzählt wird *) :
N a h u s a , ein Enkel des aus dem Veda bekannten Purüravas ^), war
ein mächtiger König, der die Räuberbanden (dasyusamghätän) ver-
nichtete. Er legte aber auch den Rsis Steuern auf und liefs sich von
ihnen wie von Lasttieren auf dem Rücken tragen. Er überwältigte
sogar die Götter und führte lange Zeit an Steile des Indra die Herr-
schaft im Himmel. Er begehrte die Sacl, des Indra Ehefrau, zur Ge-
mahlin und wurde so übermütig, dafs er die himmlischen Rsis vor
seinen Wagen spannte und dabei dem Agastya auf den Kopf trat.
Das war diesem grofsen Heiligen doch zu stark, und er verfluchte den
Nahusa, so dafs er aus dem Himmel herausfiel und zehntausend Jahre
als Schlange auf der Erde leben mufste^).
Manche von den in das Mahäbhärata aufgenommenen Ge-
dichten nehmen einen solchen Umfang ein und. bilden so sehr ein
in sich abgeschlossenes Ganzes, dafs man sie geradezu als Epen
im Epos bezeichnen kann. Von der Art ist vor allem das mit
Recht berühmte Gedicht vonNala und Damayantr*j. Wäh-
rend die Pändavas sich im Walde in der Verbannung befinden,
erhalten sie den Besuch des Rsi Brhadasva. Yudhisthira klagt
ihm sein und der Seinen Unglück und richtet an ihn die Frage,
ob es einen unglücklicheren König je gegeben habe als ihn
selbst. Darauf erzählt Brhadasva die Geschichte von dem un-
glücklichen König Nala, der im Würfelspiel mit seinem Bruder
Puskara Hab und Gut und sein Königreich verliert und dann
mit seiner schönen, treuen Gattin DamayantI als Verbannter in
den Wald zieht; von dem f)ösen Spieldämon noch weiter ver-
folgt und verblendet, verläfst er mitten im Walde die getreue
Gattin, während sie vom Wege müde in tiefem Schlummer
') Zuerst I, 75 als Einleitung zur Yayätiepisode , dann ausführ-
licher V, 11—17; in kürzerem Auszug auch XII, 342 und XIII,
100. Eine freie dichterische Bearbeitung bei Ad. Holtzmann, In-
dische Sagen, I, S. 9—30.
^) Auch Purüravas (vgl. oben S. 90 f., 181 f.) war wie Nahusa
nach dem Mahäbhärata (I, 75 , 20 ff.) ein Priesterfeind , der die Rsis
unterdrückte und durch ihren Fluch vernichtet wurde.
') Er wurde dann durch Yudhisthira erlöst (III, 179 f.), oben
S. 294.
*) III, 52-79: Nalopäkhyäna.
— 325 —
liegt. Die Abenteuer des Königs Nala und der von ihrem Ge-
mahl verlassenen Damayanti, wie sie getrennt voneinander durch
den Wald irren, wie Damayanti nach vielem Leid und Ungemach
bei der > Königin - Mutter von Cedi freundliche Aufnahme findet,
wie Nala, nachdem der Schlangenkönig Karkotaka ihn unkennt-
lich gemacht hat, als Rosselenker und Koch dem König Rtuparna
dient, bis schliefslich die beiden Gatten nach langer schmerz-
licher Trennung wieder in Liebe vereint werden — das alles
wird in dem rührend schlichten, echt volkstümlichen, zuweilen
auch des Humors nicht entbehrenden Tone des Märchens er-
zählt.
Seitdem Franz B o p p im Jahre 1819 dieses Gedicht vom
König Nala zum ersten Male, mit einer lateinischen Übersetzung
versehen, herausgegeben hat, gehört es anerkanntermafsen zu
den Perlen der indischen, ja zu den Perlen der Weltlitteratur,
und es ist auch mehrfach ins Deutsche übersetzt und umgedichtet
worden. Die Boppsche Ausgabe und Übersetzung des Gedichtes
begrüfste A.W. v. SchlegeP) mit den Worten: »Hier will ich
nur so viel sagen, dafs nach meinem Gefühl dieses Gedicht an
Pathos und Ethos, an hinreifsender Gewalt und Zartheit der
Gesinnungen schwerlich übertroffen' werden kann. Es ist ganz
dazu gemacht, alt und jung anzusprechen, vornehm und ge-
ring, die Kenner der Kunst und die, welche sich blofs ihrem
natürlichen Sinne überlassen. Auch ist das Märchen in Indien
unendlich volksmälsig, . , . dort ist die heldenmütige Treue und
Ergebenheit der Damayanti ebenso berühmt als die der Penelope
unter uns; und in Europa, dem Sammel platze der Erzeugnisse
aller Weltteile und Zeitalter, verdient sie es ebenfalls zu werden. <
Und sie ist es wohl geworden. Friedrich Rücker t, der geniale
Übersetzungskünstler, hat das Gedicht im Jahre 1828 -) mit
seiner unvergleichlichen Virtuosität ins Deutsche übertragen,
freilich mit einer Kühnheit in der Handhabung der deutschtn
Sprache, namentlich was die dem Sanskrit nachgebildeten Wort-
zusammensetzungen anbelangt, die — so bewunderungswürdig
sie oft ist — doch der grofsartigen Einfachheit und epischen
') Indische Bibliothek 1, 98 f.
2) Neuauflagen erschienen 1838, 1845, 1862 und 1873
22 *
— 326 —
Würde des Originals ebensowenig gerecht wird ^), wie die Knittel-
verse mit ihren hervorsprudelnden und sich überstürzenden Reimen
den Eindruck des ruhigen Flusses der indischen Slokas wieder-
geben. Eine bessere Vorstellung von der indischen Dichtung
wird man wohl doch durch die poetische Übersetzung von Ernst
Meier 2) bekommen, der sich mit grofsem Geschick und Glück
der Nibelungenstrophe bedient hat; eine noch bessere vielleicht
durch die sehr genaue und sorgfältige, sinngetreue Prosa-
übersetzung von Hermann Camillo Kellner^). Man urteile
selbst aus der Übersetzung der beiden ersten Verse:
Rückert. 1 Meier.
»Es war ein Fürst, mit Ruhm »Es war ein König Nala,
bekannt, Des Virasena Sprofs,
Nala der Sohn Wirasens genannt, Schön , hochbegabt und mächtig,
Begabt mit jeglicher Tugend, Vertraut mit Wagen und Rofs;
Tapferkeit, Schönheit und Jugend; | Die Herrscher überragend,
Der ragt' in der Menschenfürsten | Wie Indra die Götterwelt,
Mitte, j Und alle überstrahlend
Dem Götterkönige gleich an Sitte, | Wie die Sonn' am Himmelszelt.«
Überstrahlend das ganze |
Land wie die Sonn' im Glänze.« i
Kellner: "Es war einmal ein König, Nala war er geheifsen,
König Heldenheers (Virasena) starker Sohn Selbiger war aus
gestattet mit begehrenswerten Tugenden, schön gestaltet und em
tüchtiger Rossetummler. Weit, weit überragte er alle Menschen
fürsten, wie der Götterkönig die Götter überragt; seinem Glänze nach
war er der Sonne vergleichbar. «
Nala Naisadha, der Held der Erzählung, ist gewifs kein
anderer als der im Öatapatha-Brähmana-*) erwähnte Nada
Naisidha, von dem es dort heilst, dafs er »Tag für Tag den
') Rückert hat auch manchmal Bilder und Gedanken, die im
Originale gar nicht vorkommen^ selbst hinzugedichtet. Im Gegensatz
hierzu ist die freie Bearbeitung von Ad. Holtzmann (Indische
Sagen III) stark gekürzt. Dieser meint allerdings »nicht das Gedicht
selbst abgekürzt, sondern nur von verunzierendem unechtem Beiwerk
gereinigt zuhaben«. Er ist aber dabei ebenso willkürlich vorgegangen
wie in den »Kuruingen«. Siehe oben S. 274.
2) Die klassischen Dichtungen der Inder (Stuttgart 1847), I. Teil.
Auch E. Lobedanz hat Leipzig 1863 eine mevrische Bearbeitung
veröffentlicht.
^) In Reclams Universalbibliothek.
*) II, 3, 2, 1 f.
— 327 —
(Todesgott) Yama nach dem Süden trägt t. Er mufs also wohl
zu jener Zeit gelebt und Kriegszüge nach dem Süden unter-
nommen haben. Der Name des Helden weist also auf ein hohes
Alter zurück. Auch das Gedicht selbst dürfte zu den älteren,
wenn auch nicht zu den ältesten Bestandteilen des Mahäbhärata
gehören. Es ist jedenfalls frei von allem puränaartigem Beiwerk,
und nur die alten vedischen Götter, wie Varuna und Indra,
werden erwähnt, nicht aber Visnu oder Siva. Auch die in dem
Gedicht geschilderten Kulturverhältnisse sind im ganzen recht
einfach und akertümUch. Andererseits finden wir in der ältesten
Poesie kaum irgendwo eine solche Zartheit und so viel Romantik
in der Darstellung des Liebeswerbens und der Liebe überhaupt,
wie namentlich in den ersten Gesängen des Nalagedichtes. Nur
das uralte Gedicht von der Liebe des Purüravas und der Urvasi
läfst uns ahnen, dafs die Liebesromantik auch dem ältesten Indien
nicht fremd, war. Wie sehr aber das Romantische dem indischen
Geiste überhaupt zusagt, davon zeugt die ungeheure Beliebtheit
dieser Dichtung, die von späteren Dichtern immer wieder — so-
wohl im Sanskrit als auch in neuindischen Sprachen und Dia-
lekten — nachgedichtet worden ist*). Wenige indische Dich-
tungen entsprechen aber auch so sehr dem europäischen Geschmack
als das Nalalied. Es ist so ziemlich in alle Sprachen Europas
übersetzt worden^), und eine dramatische Bearbeitung von
A. de Gubernatis ging in Florenz (1869) sogar über die
Bretter^). Und seit langem ist es an fast allen abendländischen
Universitäten Sitte, das Sanskritstudium mit der Lektüre dieses
Gedichtes zu beginnen, wozu es sich sowohl durch seine Sprache
als auch durch seinen Inhalt vorzüglich eignet*).
^) Vgl. die Aufzählung bei A. Holtzmann, Das Mahäbhärata
II, 69 ff.
^) A. Holtzmann a. a. O. II, 73 ff. weist Übersetzungen ins
Deutsche, Englische, Französische, Italienische, Schwedische, Tschechi-
sche, Polnische, Russische, Neugriechische und Ungarische nach.
') Auch eine deutsche Dichterin, Luise Hitz, hat den (wie mir
scheint) nicht sehr glücklichen Versuch gemacht, das alte Gedicht für
die moderne Bühne zu bearbeiten (Damayanti, Lyrisches Drama in
drei Aufzügen und einem Vorspiel. München 1897).
*) Für die Bedürfnisse von Anfängern im Sanskrit berechnet ist
die reichlich mit Anmerkungen versehene Ausgabe von H. C Kel Iner ,
Das Lied vom Könige Nala. Leipzig 1885.
— 328 —
Eine Art Epos im Epos ist auch die R am a- Episode*).
Während aber das Nalalied (trotz mancher verunstaltender Zu-
sätze und EinSchiebungen, von denen ja kein Teil des Mahä-
bhärata ganz frei ist) ein Kunstwerk und ein kostbarer Überrest der
alten Bardendichtung ist, hat die Erzählung von Räma für uns
nur eine rein litterarhistorische Bedeutung für die Geschichte
des zweiten grofsen Epos der Inder, des Rämäyana. Denn die
Räma-Episode ist schwerlich etwas anderes als eine ziemlich
kunstlos abgekürzte Wiedergabe entweder des Rämäyana selbst^)
oder jener Heldengesänge, aus welchen Välmiki seine grofse
Dichtung geschöpft hat. Auf keinen Fall sind es diese ältesten
Rämaheldenlieder selbst, die uns etwa das Mahäbhärata erhalten
hätte. Erzählt wird die Räma-Episode von dem Rsi Märkandeya,
um den Yudhisthira, der wegen des Raubes der Draupadi
sehr verstimmt ist*''), zu trösten; de'nn auch Rämas Gemahlin
Sita wurde entführt und war lange in der Gefangenschaft des
Dämons Rävana. Anspielungen auf die Rämasage sind auch
sonst im Mahäbhärata nicht selten. Ich erinnere nur an die Be-
gegnung des Bhima mit dem Affen Hanumat*).
Ein viel wertvollerer, leider nur als Bruchstück erhaltener
Rest der altindischen Bardendichtung sei noch aus dem fünften
Buch des Mahäbhärata hervorgehoben. Es ist das Stück von
der Heldenmutter Vidulä"^). Kunti läfst durch Kfsna ihren
Söhnen, den Panda vas, sagen, dafs sie ihrer Kriegerpflicht nicht'
vergessen sollen^), und erzählt bei dieser Gelegenheit, wie einst
') III 273—290: Rämopäkhyäna.
^) Für diese Auffassung hat H. Jacobi, Das Rämäyana (Bonn
1893), S. 71 ff. so starke Beweisgründe angeführt, dafs sie mir trotz
der Einwendungen von A. Ludwig, Über das Rämäyana und die
Beziehungen desselben zum Mahäbhärata, S. 30 ff. und Hopkins,
The Great Epic of India, S. 63 f. noch immer am wahrscheinlichsten
ist. Vgl. auch A. Weber, Über das Rämäyana, S. 34 ff.
. ') S. oben S. 295. Wahrscheinlich ist diese Geschichte von der
Entführung der Draupadi selbst nur eine plumpe Nachahmung des
Raubes der Sita im Rämäyana.
*) Oben S. 293.
'') V. 133— 136: Viduläputränusäsana. Vgl. H. Jacobi, Über ein
verlorenes Heldengedicht der Sindhu-SauvTra (in den Melanges Kern,
Leide 1903, S. 53 ff.).
«) Oben S. 302.
— 329 —
die .Kriegersfrau Vidulä ihren Sohn Sanjaya zum Kampf auf-
stachelte. Dieser war nach einer schmählichen Niederlage, die
ihm der König der Sindhus beigebracht hatte, ganz verzagt und
lebte mit seiner Frau und seiner Mutter Vidulä im Elend. Da
wirft ihm Vidulä in ungemein kräftigen Worten seine Feigheit
und Untätigkeit vor und spornt ihn in feuriger Rede zu neuen
Heldentaten an. Um von der urwüchsigen Kraft der Sprache
dieses Bruchstückes alter Heldendichtung eine Vorstellung zu
geben, seien wenigstens ein paar Verse aus dieser Rede übersetzt;
»Auf, Feigling! Liege nicht so träge da, nachdem du besiegt
worden, den Feinden zur Freude, den Freunden zum Leid!«
»Bald gefüllt ist ein seichtes Bächlein, leicht zu ftillen ist die
Faust einer Maus. Bald befriedigt ist der Feigling, mit Kleinstem
schon begnügt er sich.^
»Stirb nicht wie ein Hund, sondern nachdem du wenigstens der
Schlange den Fangzahn ausgebrochen! Tapferkeit zeige, und wenn
es auch ums Leben geht!«
»Was Hegst du da wie ein Toter, wie ein vom Blitz Getroffener?
Auf, Feigling! Schlafe nicht, nachdem du vom Feinde besiegt bist!«
»Flamme auf wie eine Fackel von Tindukaholz '), wenn auch nur
für einen Augenblick, aber qualme nicht wie ein flammenloses Spreu-
feuer, nur um weiter zu leben!"
»Besser aufgeflammt einen Augenblick, als lange Zeit nur
qualmen! 0 dafs doch in eines. Königs Hause nicht ein sanfter Esel
geboren würde!«
»Von dessen Taten die Menschen nicht Wunder erzählen, der
dient nur zur Mehrung des grofsen Haufens, der ist kein Weib, der
ist kein Mann*).«
Auf alle Ermahnungen und Vorwürfe der Mutter weifs der
durch seine kurzen Reden scharf charakterisierte Sohn nur zu
erwidern , dafs es ihm an den Mitteln zu einem siegreichen
Kampfe fehle, und dafs ihr doch sein Sterben nichts nützen würde:
»Aus Stahl gehämmert ist dein Herz, o meine heldenmütige
Mutter, die du kein Mitleid, kein Erbarmen kennst.
Wehe über das Leben des Kriegers, dafs du mich so zum Kample
antreibst, als wärest du eines anderen Mutter und ich dir ein Fremder -, —
dafs du zu deinem einzigen Sohn solche W^orte sprichst. Was nützte
dir aber auch die ganze Erde, wenn du' mich nicht mehr sähest")?«
') Tinduka, der Baum Diospyros embryopteris.
») V, 132, 8-10, 12, 15, 22.
') V, 134, 1-3.
— 330 —
Die Mutter antwortet ihm aber immer nur mit neuen Er-
mahnungen, dafs der Krieger keine Furcht kennen dürfe und
auf jeden Fall nur seiner Kriegerpflicht genügen müsse. Und
endlich gelingt es ihr, den Sohn, »wenn er auch wenig Verstand
hatte«, aufzurütteln:
»Wie ein edles Pferd, wenn es gescholten wird, so tat der Sohn,
durch die Wortpfeile der Mutter aufgestachelt, alles, wie sie es von
ihm verlangte ')."
Dieser Torso eines Heldengedichtes ist eines der wenigen
Stücke im Mahäbhärata, die von brahmanischem Einflufs ganz
unberührt geblieben sind. Nur allzu oft ist die vom Krieger-
geist beseelte alte Bardendichtung unter dem Einflufs der brah-
manischen Gelehrten in Form und Inhalt ganz verwässert
worden. So finden wir — dies ist eines von vielen Beispielen —
im zwölften Buch des Mahäbhärata einen »alten Itihäsa« zitiert,
welchen Närada dem Srfijaya erzählt, um ihn über den Verlust
seines Sohnes zu trösten. Da werden viele Könige der Vorzeit
genannt, welche alle, trotzdem sie berühmte Helden waren,
sterben mufsten. Worin bestehen aber die »Heldentaten« dieser
Könige? Darin, dafs sie zahllose Opfer darbrachten und, was
noch wichtiger, den Priestern ungeheure Geschenke machten.
Ein König z. B. schenkt den Priestern als Opferlohn »tausend-
mal tausend« goldgeschmückte Jungfrauen, von denen jede auf
einem vierspännigen Wagen sitzt; jeder Wagen ist von hundert
goldbekränzten Elefanten begleitet ; hinter jedem Elefanten folgen
tausend Pferde, hinter jedem Pferde tausend Kühe, hinter jeder
Kuh tausend Ziegen und Schafe ^). Oft ist es schwer zu sagen,
ob wir es mit Überresten alter Heldendichtung in priesterlicher
Verballhornung oder mit selbständigen brahmanischen Dichtungen
zu tun haben.
Brahmanische Mythen- und Legendendichtung im
Mahäbhärata.
Dem Umstände, dafs die Brahmanen sich des Mahäbhärata
bemächtigt haben, ist es zuzuschreiben, dafs die altindische
Bardendichtung uns nicht in ihrer reinen Ursprünglichkeit er-
') V, 135, 12; 16.
*) XII, 29. Eine ähnliche Liste von alten Königen, die durch
ihre Freigebigkeit berühmt waren, findet sich auch VII, 56—71.
— 331 —
halten geblieben ist. Demselben Umstände aber verdanken wir
es, dafs uns im Mahäbhärata nicht nur zahlreiche, für Mythologie
und Sagengeschichte wichtige Göttersagen und Legenden, sondern
auch bedeutende Schöpfungen brahmanischer Dichtkunst und
wertvolle Zeugnisse brahmanischer Weisheit erhalten sind.
Mythologisch und sagengeschichtlich interessant ist die
Rahmenerzählung vom Schlangenopfer des Janamejaya^),
in welche selbst wieder ein förmlicher Knäuel von Erzählungen —
Schlangensagen, Mythen vom Vogel Garu<jla u. a. m. — ein-
geflochten ist. Was aber hier »Schlangenopf er« genannt wird,
ist in Wirklichkeit ein Schlangen z a u b e r , d. h. ein Bannzauber
zur Vernichtung der Schlangen. Janamejayas Vater Pariksit
war nämlich von dem Schlangenkönig Taksaka zu Tode gebissen
worden. Um den Tod des Vaters zu rächen, veranstaltet König
Janamejaya ein grofses Opfer ^), bei welchem alle Schlangen der
Erde, von den Beschwörungen der Priester bezwungen, aus nah
und fern herbeikommen und sich ins F"euer stürzen. Mit grofser
Anschaulichkeit wird dies in unserem Epos geschildert:
»Da begann nun die Opferhandlung^ nach des Schlangenopfers
vorgeschriebener Weise. Hin und her wandelten die Priester, jeder
eifrig bei seinem Werke In schwarze Gewänder gehüllt, die Augen
vom Rauche gerötet, gössen sie mit Sprüchen Opferschmalz in das
flammende Feuer. Sic machten die Herzen aller Schlangen erbeben
und riefen sie alle herbei in den Rachen des Feuers. Da fielen die
Schlangen in die flammende Glut, sich krümmend und jämmerlich
einander zurufend. Zappelnd und zischend, mit Schwänzen und
Köpfen einander umschlingend, stürzten sie sich in Massen in das
hellglänzende Feuer . . Grofse und kleine, viele, von vielerlei Farben,
von Gift strotzende, schreckliche keulengleiche Beifser von gewaltiger
Kraft — vom Fluch der Mutter getrieben, fielen die Schlangen ins
Feuer.'''')
') I, 3, 13—58-, XV, 35 Eine freie dichterische Bearbeitung
unter dem Titel »Das Schlangenopfer« gibt A. Holtzmann, Indische
Sagen, Bd. III. Ähnliche Sagen gibt es auch in Europa, namentlich
in Tirol, vgl. meint? Abhandlung, Das Schlangenopfer des Mahäbhärata
(in der Festschrift »Kulturgeschichtliches aus der Tierwelt« des Vereins
für Volkskunde und Linguistik in Prag 1904).
-) In den Pausen dieses Opfers soll eben das Mahäbhärata vor-
getragen worden sein, siehe oben S. 270.
') I, 52.
— 332 —
Mit dieser Schlangenopfersage wird hier auch der alte, schon
in vedischen Texten*) vorkommende Mythos von Kadrü und
Vinatä verquickt. Kadrü, »die Rotbraunec, ist die Erde und
die Mutter der Schlangen, Vinatä, »die Gebogene«, ist das
Himmelsgewölbe und die Mutter des mythischen Vogels Garuda.
Und hier wird ferner der Mythos von der Quirlung des
Ozeans^) eirtgeflochten , der auch im Räraäyana und in den
Puränas vorkommt und von Dichtern späterer Zeit immer wieder
erzählt oder doch zu Bildern und Vergleichen verwendet wird.
Wie Götter und Dämonen in heifser Arbeit vereint den Ozean
quirlen, um den Unsterblichkeitstrank zu gewinnen, wobei der
Berg Mandara als Quirlstock und der Schlangenfürst Väsuki als
Strick dient, wie sich dann aus der schäumenden Masse der
Mond, hierauf Laksml, die Göttin des Glücks und der Schönheit,
der Rauschtrank Surä und andere Kostbarkeiten erheben, bis
zuletzt der schöne Gott Dhanvantari, den Unsterblichkeitstrank
in glänzend weifser Schale haltend, aus dem Ozean emportaucht —
wird mit lebendiger a Anschaulichkeit«, wenn man so sagen darf,
geschildert.
Noch eine von den in die Rahmenerzählung eingeflochtenen
Schlangensagen verdient hervorgehoben zu werden — die Ge-
schichte von Ruru,. zum Teil nur eine Dublette zur .Sage vom
Schlangenopfer selbst, denn so wie Janamejaya gelobt auch Ruru,
alle Schlangen zu vernichten. Das kam aber so:
Der Brahmanensohn Ruru erblickte einst die wunderschöne
Jungfrau Pramadvarä, Tochter einer Apsaras, und wurde von Liebe
zu ihr erfafst. Sie wird seine Braut, aber wenige Tage vor der Hoch-
zeit wird sie beim Spiele von einer Giftschlange gebissen. Leblos
liegt sie da, wie eine Schlafende, schöner noch denn je. Alle frommen
Waldeinsiedler kommen herbei und brechen, von Mitleid ergriffen,
in Tränen aus. Ruru aber geht mit seinem Schmerz hinaus in das
Dickicht des Waldes. Laut jammernd ruft er die Götter unter Be-
rufung auf seine Bufse und seinen frommen Wandel an, ihm die Ge-
') äatapatha-Brähmana III, 6, 2. Taittiriya-Samhitä VI, 1, 6, L
Käthaka 23, 10. Der Su parnädhyäya (herausg. von E. Grube,
Berlin 1875 und wieder abgedruckt in ^Indische Studien« Bd. 14),
eiij spätvediscber Text, in welchem Oldenberg (ZDMG Bd. 37,
1883, S. 54 ff.) eine der ältesten Vorstufen der indischen Epik erkannt
hat, berührt sich zum Teil mit der Erzählung des Mahäbhärata.
*) I, 17-19.
— 333 —
liebte wiederzuffeben. Da erscheint ein Götterbote und verkündet
ihm, dafs Pramadvarä nur dann wieder ins Leben zurückgerufen
werden könne, wenn er selbst die Hälfte seines Lebens für sie hin-
gebe. Ruru ist sofort dazu bereit, und der König des Rechtes, d. i.
der Todesgott, gibt seine Zustimmung, dafs Pramadvarä wieder zum
Leben erwache. An einem glücklichen Tage werden bald darauf die
beiden vermählt. Ruru aber gelobte, alle Schlangen der Erde zu
vernichten, und wo immer er von da an eine Schlange sah, tötete er
sie. Eines Tages aber stiefs er auf eine giftlose Schlange, die ihn um
Schonung bat. Es war in Wirklichkeit ein Rsi' der infolge eines
Fluches als Schlange leben mufste und durch das Zusammentreffen
mit Ruru vom Fluche befreit wurde. In seiner menschlichen Gestalt
ermahnt er ihn, das Töten lebender Wesen aufzugeben')-
Ruru, der Held dieser Sage, ist ein Enkel jenes Cyavana,
von dem schon im Rigveda ^) erzählt wird, dafs" die Asvins ihn
wieder jung gemacht haben. Die Geschichte dieser Verjüngung
wird in den Brähmanas^) ausführlich erzählt, und eine Version
der Sage findet sich auch im Mahäbhärata *). Es ist lehrreich,
die vedische Form der Sage mit der im Epos zu vergleichen.
Ich gebe daher im folgenden den Inhalt nach dem Mahäbhärata
und verweise in Anmerkungen auf die wichtigsten Abweichungen
der Bräbmana-Erzählungen :
Cyavana, ein Sohn des Bhrgu, gab sich am Ufer eines Teiches
gewaltigen Bufsübungen hin. So lange stand er unbeweglich wie
ein Pfosten, dafs sich über ihm ein ganzer Erdhügel bildete, auf
welchem die Ameisen herumkrochen, und er selbst wie ein Ameisen-
haufen erschien"). In d'e Nähe dieses Teiches kam einst der König
Saryäti mit grofsem Gefolge, Seine jugendliche Tochter Sukanyä,
mit ihren Gespielinnen im Walde herumtollend, stiefs auf den Ameisen-
haufen, in dem nur die beiden Augen des Asketen wie Glühwürmchen
^) Auszug aus I, 8— 1 2.
'^) Rigveda I, 116, 10, wo er Cyavana heilst.
') ^atapatha-Brähmana IV, 1, 5, ins Deutsche übersetzt von
A. Weber, Indische Streifen I (Berlin 1868), S. 13 ff. Jaiminiya-
Brähmana III, 120 f. Vgl. die interessante Studie von E. W. Hop-
kins, 'The Fountain of Youth' (im Journal of the American Oriental
Society, Vol. XXVI, 1905, pp. 1-67 und 411 ff.), welche die Sage
vom Jungbrunnen nicht nur bei den Indern, sondern auch bei
anderen Völkern verfolgt.
*) III, 122—125. Anspielungen aut den letzten Teil der Erzählung
auch XII, 342; XIII, 156 und XIV, 9.
^) Von diesen Bufsübungen wissen die Brähmauas nichts. Cyavana
ist dort nur ein -alter, gespenstisch aussehender« Heiliger,
— 334 —
sichtbar waren. Aus Übermut und Neugier bohrte das junge Mädchen
mit einem Dorn in 1en beiden leuchtenden Dingern herum und —
stach dem Asketen die Augen aus ')■ Von Zorn erftillt, verursachte
der Heilige Harnverhaltung und Stuhlverstopfung im Heere des
Saryäti"^). Der König forschte lange nach der Ursache des Unglücks,
und als es sich herausstellte, dafs der grolse Büfser beleidigt worden
war, begab er sich zu diesem, um seine Verzeihung zu erlangen. Der
läfst sich nur dadurch versöhnen, dafs der König ihm seine Tochter
zur Frau gibt. So wird das junge Mädchen die Gattin des alten ge-
brechlichen Greises. Eines Tages sehen die beiden Asvins die junge
Frau, wie sie eben aus dem Bade steigt, und wollen sie dazu be-
wegen, statt des hätslichen Alten einen von ihnen zum Gatten zu wählen.
Sie aber erklärt, ihrem Manne treu bleiben zu wollen. Da machen
ihr die beiden Götterärzte den Vorschlag, sie würden ihren Gemahl
jung machen, dann solle sie zwischen ihnen beiden und dem verjüngten
Cyavana wählen. Da Cyavana dazu einverstanden ist, willigt auch
sie ein. Die Asvins lassen hierauf den alten Asketen in den Teich
steigen und tauchen auch selbst im Wasser unter, worauf sie alle drei
ganz gleich und in blendender Jugendschönheit herauskommen. Nun
soll Sukanyä wählen und entscheidet sich nach reiflicher Überlegung
für ihren eigenen Gatten Cyavana'). Dieser aber verspricht den
Asvins zum Dank dafür, dafs sie ihn verjüngt haben, sie zu Soma-
trinkern zu machen. Bei einem grofsen Opfer, welches er für Saryäta
vollzieht, bringt er den Asvins Soma dar. Der Götterkönig Indra
aber will nicht zugeben, dafs die Asvins, die sich als Ärzte unter den
Menschen herumtreiben, des Soma würdig sein sollen. Cyavana aber
kümmert sich nicht um die Einwände des Indra und opfert weiter den
Asvins. Da will der erzürnte Indra den Donnerkeil auf ihn schleudern.
In dem Augenblicke aber lähmt der Heiljge den Arm des Gottes ; und
;im ihn gründlich zu demütigen *), erschafft er kraft seiner Askese ein
^) In den ßrähmapas sind es die jungen Burschen im Gefolge des
Königs, welche den alten Rsi beschimpfen, indem sie ihn mit Erd-
schollen bewerfen.
*) Nach den Brähma^as bestand die Strafe darin, dafs Uneinig-
keit im Gefolge des Königs entstand: »Der Vater kämpfte mit dem
Sohne, der Bruder mit dem Bruder «(§at. Br.). »Die Mutter kannte
nicht den Sohn, der Sohn nicht die Mutter« (Jaim. ßr.).
") Das Sat. Br. weifs nichts davon, dafs die Asvins gleichfalls in
den Teich steigen. Das Jaim. Br. aber berichtet, dafs Cyavana der
Sukanyä schon vorher ein Zeichen bekannt gegeben habe, woran sie
ihn erkennen würde.
*) Im bat. Br. ist von einer Demütigung des Gottes gar keine
Rede, sondern Cyavana gibt den Asvins nur ein Mittel an die Hand,
wodurch sie von Indra und den anderen Göttern freiwillig zu Teil-
nehmern am Somatrank gjmacht werden. Im Jaim. Br. kommt es
— 335 —
fürchterliches Riesenungeheuer— Mada. den Rausch. Mit seinem
Riesenmaul (der eine Kieler befindet sich auf der Erde, während der
andere bis zum Himmel reicht) geht er auf Indra los und droht ihn
zu verschlingen. Zitternd vor Angst bittet der (iötterfürst den Heiligen
um Gnade, und dieser läfst befriedigt den Rausch wieder ver-
schwinden, indem er ihn auf den Rauschtrank Surä, die Weiber, die
Würfel und die Jagd verteilt').
Es zeigt sich hier, wie in vielen anderen Fällen, deutlich,
dafs die brahmanische Dichtung, die im Epos enthalten ist, eine
viel jüngere Phase der Entwicklung darstellt als die der vedischen
Litteratur. Das Charakteristische dieser jüngeren brahmanischen
Dichtung ist aber die Übertreibung, die Mafslosigkeit überhaupt
und insbesondere die malslose Überhebung der Heiligen —
ßrahmanen und Büfser — über die Götter. Selbst in den eigent-
lichen Indra-Mythen, welche an die alten vedischen Götter-
sagen anknüpfen, ist Indra nicht mehr der gewaltige Kämpe und
Dämonenbesieger, als den wir ihn in den Hymnen des Rigveda
kennen gelernt haben 2). Wohl lebt noch die alte Sage vom
Kampfe des Indra mit Vrtra fort, sie wird im Mahäbhärata
sogar zweimal mit ziemlicher Ausführlichkeit erzählt^), aber das
Hauptgewicht wird dabei auf den Umstand gelegt, dafs Indra
durch Tötung des Vrtra die Schuld des Brahmanenmordes auf
sich geladen haben soll. "Wie er sich von dieser furchtbaren
Schuld erst befreien und dabei mancherlei Demütigungen auf
sich nehmen mufste, das wird sehr eingehend berichtet. Wir
haben ja gesehen, dafs er sogar eine Zeitlang seines himmlischen
Thrones beraubt wurde und Nahusa seine Stelle einnahm *). Dafs
allerdings bereits zu einer Kraftprobe zwischen Rsis und Göttern, und
die Rsis erschaffen den Mada zu ihrem Beistand. Da aber Indra
und die Götter vor dem Ungeheuer fliehen, droht das Opfer ein indra-
loses und götterloses zu werden, und der Rsi bittet den Indra mit
Gebeten und Anrufungen recht höflich, wieder zurückzukehren. Erst
in der Darstellung des Mahäbhärata wird der Gott von dem Heiligen
ganz und gar gedemütigt.
') Im Jaim. Er. wird der Dämon Rausch nur auf die Surä
(Branntwein) übertragen.
•■) Vgl. oben S. 73 ff.
») III, 100 f. V, 9-18. Zahlreich sind die Anspielungen auf
diesen Kampf, Eine Dublette der Sage vom Vrtrakampf ist die vom
Kampfe des Indra mit Namuci, IX, 43.
*) Oben S. 324.
— 336 —
durch die Bufsübungen frommer Brahmanen Indras Herrschaft
erschüttert wird, geht aus zahlreichen Sagen hervor. Reifst es
doch geradezu^), dafs Busse selbst den Indra zwingen kann,
zum Sitze des Yama (des Todesgottes) einzugehen. Und gar
oft greift Indra zu dem probaten Mittel, dafs er einen Heihgen,
der durch strenge Bufsübungen den Göttern gefähriich zu werden
droht, durch eine schöne Apsaras verführen läfst^).
Auch Agni, der Freund des Indra, hat in den Mythen des
Mahäbhärata viel von seiner alten Gottesherrlichkeit eingebüfst.
Zwar knüpfen die Mythen, welche von ihm erzählt werden,
immer noch an die vedischen Vorstellungen von dem Feuer und
dem Gott des Feuers an. Schon im Rigveda heilst er »der Buhle
der Mädchen, der Gatte der Weiber« ^). Aber das Mahäbhärata
weifs förmliche Liebeshändel von Agni zu erzählen. So verliebte
er sich einst in die schöne Tochter des Königs Nila, und das
heilige Feuer im Palast des Königs wollte nur brennen, wenn es
von den schönen Lippen und dem süfsen Atem der Königstochter
angefacht wurde. Dem König blieb nichts übrig, als seine
Tochter dem Agni zur Frau zu geben. Zum Dank dafür ge-
währt ihm der Gott die Gnade, dafs er unbesiegbar wird und
dafs die Frauen seiner Stadt vollständige Freiheit in bezug auf
Geschlechtsverkehr geniefsen*). Auch von der Gefräfsigkeit des
Agni ist schon im Veda die Rede. Die Sagen des Mahäbhärata
erzählen aber, dafs er infolge eines Fluches des Rsi B h r g u zum
»AUesesser« geworden ist. Dafs Agni mehrere Brüder hat und
dafs er sich im Wasser oder in den Reibhölzern versteckt, sind
ebenfalls vedische Vorstellungen, welche schon in den Brähmanas')
zur Mythenbildung führten; aber erst im Mahäbhärata werden
ausführliche Geschichten darüber erzählt, warum Agni sich, ver-
steckt habe, und wie ihn die Götter wiedergefunden*).
Zu den Sagen, welche bereits im Veda bekannt sind und im
Mahäbhärata wiederkehren, gehört auch die Flut sage von
1) III 126, 21.
-) Vgl. A. Holtzmann, Indra nach den Vorstellungen des Mahä-
bhärata, in ZDMG Bd. 32, S. 290 ff.
■") Oben S. 78.
*} II, 31. Eine ähnliche Liebesgeschichte von Agni XIII, 2.
») Z. B. Satapatha-Br. I, 2, 3, 1; Taittirlya-Samhitä II, 6, 6.
*) Vgl. A. Holtzmann, Agni nach den Vorstellungen des Mahä-
bhärata. Strafsburg 1878.
— 337 —
Manu und dem Fisch, die wir oben^) nach dem hatapatha-
Brähmana kennen gelernt haben. Die Erzählung des Mahä-
bhärata, die »Fischepisode« ^), wie sie genannt wird, unterscheidet
sich von der Legende, wie sie das Brähmana erzählt, durch ihre
weit gröfsere Ausführlichkeit und die dichterische Darstellung,
der es auch nicht an Schwung fehlt — so wenn geschildert wird,
wie das Schiff »wie eine trunkene Dirne« auf dem aufgeregten
Ozean hin und her taumelt. In bezug auf den Inhalt ist von Wichtig-
keit, dafs im Mahäbhärata, genau so wie in den semitischen
Sintflutsagen, das Mitnehmen von Samen in dem Schiffe er-
wähnt wird^). Ich sehe darin eines der stärksten Zeugnisse
dafür, dafs die indische Flutsage von der semitischen entlehnt
ist*). Anders als im Brähmana ist der Schlufs der Sage im
Mahäbhärata. Hier erklärt der Fisch, dafs er der Gott Brahman
sei, und fordert den Manu auf, die Welt neu zu erschaffen, was
dieser tut, indem er sich schweren Bufsübungen unterzieht-^).
Weniger bekannt ist der tiefsinnige, schöne Mythos von
der Göttin Tod, der im Mahäbhärata zweimal erzählt wird ^).
»Wessen Kind ist der Tod? Woher kommt der Tod? Warum
rafft der Tod die Geschöpfe dieser W^elt dahin?« So fragt
Yudhisthira, betrübt über den Hingang so vieler Helden, die in
der Schlacht gefallen sind. Da erzählt ihm Bhlsraa [bzw. Vyäsa^')]
n S. 182 f.
2) Matsyopäkhyäna , III, 187. Oft überset/t, zuerst von Franz
Bopp, Die Sündflut nebst drei anderen der wichtigsten Episoden des
Mahä Bhärata. Berlin 1829. Eine neuere Übersetzung (von H. Jacobi)
bei H. Usener, Die Sintflutsagen. Bonn 1899, S. 28 ff.
') Ebenso im Matsya-Purä^a und im Bhägavata-Puräna , wo die
Sage wiederkehrt.
*) Vgl. meine Abhandlung »Die Flutsagen des Altertums und
der Naturvölker« im XXXI. Band der Mitteilungen der Anthro-
pologischen Gesellschaft in Wien, 1901, besonders S. 324 f. und
327 ff. Ich .weifs nicht, wie diejenigen, welche wie R. Pischel, Der
Ursprung des christlichen Fischsymbols (Sitzungsberichte der Berliner
Akademie der Wissenschaften XXV, 1905) den Zusammenhang
zwischen indischen und semitischen Flutsagen leugnen, diese gewifs
auffällige Übereinstimmung erklären.
^) Von den »Samen«, die er mitgenommen, ist bei der Neu
Schaffung der Welt nicht mehr die Rede!
®) VII, 52—54, wo Vyäsa den Yudhisthira, welcher über den Tod
des Abhimanyu (oben S. 307) in Schmerz versunken ist, mit der Ge-
— 338 —
die Geschichte, welche einst Närada dem König Anukampaka er-
zählte, als dieser über den Tod seines Sohnes untröstlich war.
Der Inhalt der Erzählung ist kurz folgender:
Als der Urvater Brahman die Wesen erschaffen hatte, vermehrten
sie sich unablässig und starben nicht. Die Welten wurden über und
über voll, und die Erde beklagte sich bei Brahman, dals sie ihre
Last nicht mehr ertragen könne. Da dachte der Urvater darüber
nach, wie er die Wesen vermindern könnte, es fiel ihm aber kein
Mittel ein. Darob geriet er in Zorn, und das Feuer seines Zornes
drang aus allen Poren seines Leibes hervor, Flammen schlugen über
die Welt zusanjmen und drohten alles zu vernichten. Gott Siva aber
empfand Mitleid mit den Wesen, und auf seine Fürbitte zog Brahm^n
das aus seinem Zorn entstandene Feuer wieder in sich zurück und
ordnete das Entstehen und Vergehen der Wesen an; dabei kam aber
aus den Poren seines Leibes eine dunkeläugige, in dunkelrotes Gewand
gehüllte, schön geschmückte Frau hervor. Sie wollte nach Süden zu
ihres Weges gehen, aber Brahman rief sie an und sprach: »Tod. töte
die Wesen dieser Welt! Du bist ja aus meinem Gedanken Welt'
Vernichtung und meinem Zorn hervorgegangen, darum vernichte die
Geschöpfe, die Toren und die Weisen, alle insgesamt!« Da weinte die
lotusbekränzte Göttin Tod laut, der Herr der Geschöpfe aber fing
ihre Tränen in seinen Händen auf. Sie aber flehte ihn an, ihr das
grausame Amt zu erlassen:
A'^erehrung sei dir, o Herr der Wesen, sei mir gnädig, dafs ich
nicht unschuldige Geschöpfe — Kinder, Greise und Menschen im besten
Lebensalter — hinwegraffen mufs: geliebte Kinder, traute Freunde^
Brüder,- Mütter und Väter! Schelten wird man mich, wenn sie so
dahinsterben. Davor fürchte ich mich. Und der Unglücklichen
Tränen fürchte ich, deren Nafs mich brennen wird in alle Ewigkeit."
Aber ein Beschlufs des Brahman ist unabänderlich. Sie mufs sich
darein fügen; doch gewährt ihr der Urvater die Gnade, dafs Habsucht,
Zorn, Neid, Eifersucht, Hals,- Verblendung und Schamlosigkeit die
Menschen verderben, und dafs die Tränen, die die Göttin vergossen
und die er in der Hand hält, zu Krankheiten werden, welche die Ge-
schichte tröstet; und XII. 256—258, wo Bhlsma dem Yudhisthira, da
er über den Hingang der vif.len in der grofsen Schlacht gefallenen
Helden klagt, dieselbe Trostgeschichte noch einmal erzählt. Wahr-
scheinlich stand aber die Geschichte ursprünglich nur im XII. Buch,
denn die Verse XII, 256, 1--6, in denen von den vielen Gefallenen
in der Mehrzahl die Rede ist, finden sich VII, 52, 12—18 wörtlich
wieder, trotzdem hier eigentlich nur die Klage um Abhimanyu den
Anlafs zur Erzählung bietet. Das Stück ist übersetzt von Friedrich
Rückert (in Rob. Boxbergers «Rückert- Studien » , Gotha 1878,
S. 114 ff.) und von Deussen, ^-Vier philosophische Texte des Mahä-
bhäratam«, S. 404—413.
— 339 —
schöpfe töten. So trifft sie keine Schuld an dem Tode der Wesen.
Im Gegenteil. Die Sünder gehen durch ihre eigene Sünde unter
Sie aber, die Göttin Tod, ist die Gerechtigkeit selbst und die Herrin
der Gerechtigkeit '), indem sie, frei von Liebe und frei von Hafs, die
Lebewesen dahinrafft.
Ein Beweis für das ziemlich hohe Alter, welches diesem
Mythos ebenso wie dem von Manu und der Flut zugeschrieben
werden mufs, ist die erhabene Stellung, welche dem Gott
Brahman in ihnen zuerteilt wird. Der Gott ^iva ist in
dem Mythos von der Göttin Tod dem Brahman, der ihn als
>Söhnchen« anredet, untergeordnet. Mythen, in denen der Gott
§iva eine alle Götter überragende Stellung einnimmt, bezeichnen
eine viel spätere Schicht brahmanischer Dichtung im Mahäbhärata.
Das gleiche gilt auch von den Mythen, in denen der Gott
V i s n u die Hauptrolle spielt. Oft sind ältere brahmanische
Mythen und Legenden im Sinne der Vi§nu- oder Siva- Verehrung
umgearbeitet worden, was zumeist unschwer zu erkennen ist.
Derlei visnuitische und insbesondere sivaitische Zutaten nehmen
sich oft wie Kleckse auf einem Gemälde aus, Sic sind leicht
auszuscheiden, und deren Entfernung erhöht nur den Wert der
Dichtung. Als dichterische Erzeugnisse sind die Erzählungen,
welche der Verherrlichung der Götter Visnu und Siva gewidmet
sind, durchaus minderwertig^).
Eine Göttin Tod spielt in der indischen Mythologie sonst
keine Rolle 3). Sowie aber in dem oben erzählten Mythos die
Todesgöttin zur Göttin der Gerechtigkeit wird, so ist im ganzen
Mahäbhärata die Vorstellung geläufig, dafs Yama, der Todes-
gott, mit Dharma, dem personifizierten Recht, eins sei^).
Nirgends aber kommt diese Gleichsetzung des Königs der Toten-
welt mit dem Herrn des Rechts und der Gerechtigkeit so schön
') Vn, 54, 41.
2) Ausschliefslich dem sektarischen Kult gewidmet sind Stücke,
wie das Visnusahasranämakathana (XIII, 149), die Aufzählung
der tausend Namen des Visnu, das Satarudriya {VII, 202), »die
hundert Namen des Öiva«, und das ^^i vasahasranämastotra fXII,
284, 16 ff.), »Preis des Siva in tausend Namen«. Vgl. oben S. 161 f.
^) Meines Wissens kommt sie nur noch im Brahmavaivartta-
Puräua einmal neben Yama vor (Th. Aufrecht, Catalogus codicum
MSS. Sanscriticorum in Bibl. Bodleiaua, p. 22 a).
*) Über den Gott Dharma siehe auch schon oben S. 276 und 318.
Winternitz, Geschichte der indiscfaeii Litteratur 23
— 340 —
zum Ausdruck, wie in der herrlichsten aller brahmanischen
Dichtungen, die uns das Epos aufbewahrt hat, d6m wunderbaren
Gedicht von der gattentreuen Sävitrl^), Der zum Teil religiöse
Charakter der Dichtung, das Hineinspielen der Mythologie —
und zwar der alten brahmanischen Mythologie, in der Brahman,
der Urvater, die Geschicke der Menschen bestimmt und weder
Siva noch Visnu eine Rolle spielen — und die Szenerie des
Büfserhains, in welchem die Handlung grölstenteils vor sich geht,
bestimmen mich , die Sävitri-Episode in die brahmanische
Legendendichtung einzureihen. Doch ist es mir nicht ganz un-
zweifelhaft, ob wir es nicht vielmehr mit einem frommen Stück
aus der alten Bardendichtung zu tun haben. Denn das selb-
ständige Auftreten der Königstochter Sävitrl, die auszieht, sich
einen Gemahl zu suchen, und auf ihrer Wahl beharrt, trotzdem
der Heilige und der Vater warnenden Einspruch erheben; die
Selbständigkeit, mit der sie Bufse übt, Opfer darbringt und (Ge-
lübde auf sich nimmt 2); und vor allem ihr mutiges Eintreten
für das Leben des Gemahls sowie ihre Kenntnis weiser Sprüche,
durch die sie selbst auf den Todesgott Eindruck macht — alles
das erinnert mehr an die Frauen der Heldendichtung, wie
Draupadi, KuntI und Vidulä, als an das brahmanische Frauj^n-
ideaP). Wer immer es aber war, der das Lied von der Sävitri
gesungen, ob ein Süta oder ein Brahmane, jedenfalls war er
einer der gröfsten Dichter aller Zeiten. Nur ein grofser Dichter
war imstande, diese herrliche Frauengestalt so lebendig vor uns
hinzustellen, dafs wir sie vor Augen zu sehen meinen. Nur
') III, 293~299: Sävitryupäkhyäna, »Episode von der Sävitri«
oder Pativratämähätmya »das Hohelied von der gatten treuen
Frau». Die Geschichte erzählt der vieltausendjährige, aber ewig junge
Seher Märkandeya dem Yudhisthira, um ihn über das Schicksal
der Draupadi zu trösten.
*) Nach brahmanischer Vorschrift ist eine Frau als solche (ge-
trennt von ihrem Gatten) zur Vollziehung von Opfern sowie zur
Übernahme von Fasten und anderen Gelübden nicht berechtigt (Manu
V, 155).
') Dieses Ideal ist, kurz gesagt, das »Griseldis- Ideal« — das un-
bedingt gehorchende, untertänige Weib, von dem Manu V, lö4 lehrt:
»Selbst wenn ein Gatte aller Tugenden bar ist, nur den Lüsten fröhnt
und keinerlei gute Eigenschaften besitzt, mufs er von einer tugend-
haften Frau stets wie ein Gott geehrt werden."
— 341 —
ein wahrer Dichter vermochte den Sieg der Liebe und Treue
der Güte und Weisheit über Schicksal und Tod in so ergreifender
und sittlich erhebender Weise zu schildern, ohne auch nur einen
Augenblick in den Ton des trockenen Sittenpredigers zu verfallen *).
Und nur ein begnadeter Künstler konnte so wunderbare Bilder vor
uns hinzaubern. Da sehen wir die schwer geängstigte Frau an
der Seite des dem Tode verfallenen Gatten mutig dahinschreiten ;
den todkranken Mann, der sein Haupt müde in den Schofs der
Gattin legt; die furchtbare Gestalt des Todesgottes, der die
Seele des Mannes in Fesseln schlägt und fortführt; die mit dem
Todesgott um das Leben des Mannes ringende Frau; und endlich
das glücklich wiedervereinte Ehepaar, das armuraschlungen im
Mondschein heimwärts wandelt. Und wir sehen alle diese
Bilder in dem prächtigen Rahmen eines indischen Urwaldes,
dessen tiefe Ruhe wir zu verspüren, dessen köstlichen Duft wir
zu atmen vermeinen, indem wir uns dem Zauber dieser un-
vergleichlichen Dichtung hingeben.
Wie sehr die Inder selbst den Schatz, den sie an dieser un-
sterblichen Dichtung besitzen, zu würdigen wissen, das zeigen
die Schlufsworte, welche in unserem Mahäbliärata dem Gedichte
angehängt worden sind :
»Wer die herrliche Geschichte von der Sävitri mit gläubigem
Gemüte anhört, der Mann ist glücklich, um seine Sache ist es wohl-
bestellt, und nie wird ihm ein- Leid widerfahren.«
Noch heute feiern indische Frauen alljährlich ein Fest
( Sävitri vrata) in Erinnerung an die gattentreue Sävitri, um sich
') Das Gespräch zwischen Sävitri und dem Todesgott Yama, der
zugleich Dharma ist. bildet den Kern des Gedichtes. Manche der
Verse mögen schlecht überliefert sein. Doch ist der Grundgedanke
aller der Sinnsprüche, durch welche Sävitri den Gott so erfreut
und bezwingt, deutlich genug erkennbar; es ist die Lehre von
der Weisheit, die mit Liebe und Güte eins ist. Das ist keine
besondere brahmanische Weisheit, sowenig wie Sävitri «ein mit allem
brahmanischen Wissen ausgestattetes, frommes Idealweib nach dem
Herzen der Priester ist, wie Paul Hörn («Der dumme Tod im Sävitrl-
Liedes Beilage zur Allg. Zeitung 1902. Nr. 55, S. 438) meint. Es
ist auch gar nicht daran zu denken, dafs dieses Gespräch ein »Ein-
schub« und «spezielles Priesterwerk < sei. Ebensowenig kann ich mit
Paul Hörn in der SävitrI-Legende eine Parallele zu den deutschen
Sagen vom »dummen Tod« sehen.
23*
— 342 —
eheliches Glück zu sichern, wobei der Vortrag des Gedichtes
aus dem Mahäbhärata einen wesentlichen Bestandteil der Feier
bildet »).
Oft ist das Gedicht in europäische Sprachen und auch ins
Deutsche übersetzt worden. Eine schlichte Prosaübersetzung gab
schon Franz Bopp^); die erste dichterische Bearbeitung Friedrich
Rückert^), Doch alle Übersetzungen, Umdichtungen und Nach-
dichtungen vermögen nur eine schwache Vorstellung von dem
unvergleichlichen Reiz des indischen Gedichtes zu geben.
Nicht alle brahmanischen Legenden sind so fromm und
moralisch wie die von Sävitri. Ja, es liefse sich mit Leichtig-
keit ein ganzer Band von schmutzigen und unflätigen Geschichten,
an denen die Brahmanen Gefallen fanden, aus dem Mahäbhärata
zusammensteilen — Geschichten, welche in wortgetreuer deutscher
Übersetzung mit der Etikette »nur für Gelehrte« veröffentlicht
werden müfsten. Eine dieser Geschichten ist aber zu einer ge-
wissen Berühmtheit gelangt und auch für die Kritik des Mahä-
bhärata selbst von nicht geringer Wichtigkeit. Es ist dies die
Legende von Rsyasrnga^), dem Rsi, der nie ein Weib ge-
') Vgl. ShibChunderBose, The Hindoos as they are, 2nd Ed.,
Calcutta 1883, S. 293 ff.
^) ^'Die Sündflut nebst drei anderen der wichtigsten Episoden des
Mahä-Bhärata., Berlin 1829, S. 11-70.
*) In den »Brahmanischen Legenden« 1836. Werke, herausg. von
C. Beyer, Bd. VI, S. 412 ff. Allzu freie Bearbeitungen mit willkür-
lichen und unnötigen Änderungen geben A. Holtzmann in den
»Indischen Sagen« I (Karlsruhe 1845, 2. Aufl. 1854) und Luise Hitz
in den 'Gangä- Wellen« (München 1893). Ganz geschmacklos ist die
Übertragung von Albert Höfer, Indische Dichtungen (Leipzig 1844).
Die Übersetzungen von J. Merkel (Aschaffenburg 1839) und von
Ernst Meier (im '-Morgenblatt für gebildete Leser« 1854) kenne ich
nicht. Eine gute Vorstellung von dem Original gibt die genaue Über-
setzung (in Prosa, nur die Sinnsprüche sind in Versen) von Hermann
Camillo Kellner (in Reclams Universalbibliothek Nr. 3504, Leipzig
1895).
*) III, 110—113. Vgl. Heinrich Lüde rs, Die Sage von Rsyasrnga
(Nachrichten der k. Gesellschaft der Wiss. zu Göttingen. Philol-
histor. Kl. 1897 Heft 1 und 1901 Heft 1.) Eine dichterische Bearbeitung
des Stückes gab A. Holtzmann, Indische Sagen I, 109—119. In
sehr freier Weise umgedichtet ist die Sage von J. V. Widmann,
»Buddhac (Bern 1869) im IX. Gesang, S. 101 ff.
— 343 —
sehen. Der Inhalt dieses altindischen Schwankes ist kurz
folgender :
Rsyasrnga ') ist der auf wunderbare Weise von einer Gazelle ge-
borene Sohn eines Heiligen, der in der Einsiedelei im Walde auf-
wächst, ohne irgendeinen Menschen aufser seinem Vater je gesehen
zu haben. Vor allem hat er nie ein Weib erblickt. Einst entstand
nun im Reiche des Königs Lomapäda eine grofse Dürre, und die
Weisen erklärten: die Götter seien erzürnt, und es werde nur dann
regnen, wenn es dem König gelinge, Rsyasrnga in sein Land zu
bringen. Des Königs Tochter Santa 2) übernimmt die Aufgabe, den
jungen Heiligen in das Land zu locken. Aus künstlichen Bäumen
und Sträuchern wird eine schwimmende Einsiedelei hergestellt, in
welcher Santa zum Wohnsitz des Rsyasrnga segelt. In der Nähe der
Waldeinsiedelei angekommen, steigt die Königstochter ans Land und
benutzt die Abwesenheit des Vaters des Rsyasrnga, um sich dem
jugendlichen Büfser zu nähern. Sie gibt ihm herrliche Früchte und
köstlichen Wein, spielt kokett mit einem Ball und schmiegt sich in
zärtlicher Umarmung an den Jüngling, der glaubt, einen Einsiedler-
knaben gleich ihm selber vor sich zu haben. Darauf kehrt das
Mädchen wieder auf das Schiff zurück, da der Vater des Rsyasrnga
der Einsiedelei naht. Der Alte bemerkt die Aufregung seines Sohnes
und ftagt ihn, was geschehen sei. Dieser schildert sein Erlebnis mit
folgenden Worten: ^
'Ein Schüler mit geflochtenen Haaren
war hier, ganz weifs von Angesicht,
Mit schwarzen Augen und lächelndem Munde,
mit schmalem Leibe und hoher Brust.
Wie wenn im Mai der Kuckuck singt,
so lieblich klang es, wenn er sprach.
*) Der Name bedeutet »Gazellenhorn«. Da er ein Hörn auf dem
Kopfe hat, heifst er in buddhistischen Versionen auch Ekasrnga,
d. h. »Einhorn«.
*) In unserem Mahäbhärata ist es nicht Santa, sondern eine
Hetäre, welche den Heiligen verführt. Lüders (a. a. O.) hat aber
sehr schön nachgewiesen, dals nicht nur in der ursprünglichen Form
der Sage, wie sie uns noch in dem zum buddhistischen Tipitaka ge-
hörigen Jätaka -Buche erhalten ist, sondern. auch in einer ursprüng-
licheren Gestalt des Mahäbhärata selbst die Königstochter Santa die
Verführerin gewesen ist. Erst irgendein späterer Rhapsode oder
Abschreiber hat daran Anstofs genommen, dals eine Königstochter
den Rsyasrnga verführt haben soll, und bat eine Hetäre an ihre Stelle
gesetzt, so dals man nicht weifs, warum der König zuletzt dem Heiligen
seine Tochter zur Frau gibt. Übrigens hat schon Holtzmann in
seiner freien Bearbeitung (a. a O.) die Prinzessin Santa zur Verführerin
des Rsyasrnga gemacht.
~ 344 —
Und um ihn schwebte köstlicher Duft,
wie wenn der "Wind im Lenze weht.
Von unseren Früchten wollte er nicht
und trank aus unserem Brunnen nicht.
Er gab mir andere Früchte, die schmeckten
so herrlich; und von seinem Tiank,
Wie ich ihn kostete, ward mir so wohl,
der Boden fing zu wanken an.
Dann fafste mich der Knabe am Haar
Und zog mein Haupt zu sich hinab
Und setzte seinen lieblichen Mund
auf- meinen Mund und machte da
Ein klein Geräusch; das machte, dafs mir
ein Schauder durch die Glieder fuhr.
Nach diesem Schüler sehne ich mich;
wo er ist, möchte ich immer sein;
Mir ist so übel, im Herzen so weh,
seit ich ihn nicht mehr sehen kann.
Die Bufse, die der Knabe gelernt,
die möcht' ich lernen, die gefällt
Mir besser, als die Bufse, die du,
mein Vater, mich gelehrt hast.«
/
Drauf der Vater:
»Mein Sohn, in. also schöner Gestalt
gehen Teufel in den Wäldern um,
Um frommer Leute Bufse und Heil
zu stören; traue ihnen nicht!«')
Kaum ist aber der Vater wieder fortgegangen, so begibt sich
Rsyasrnga auf die Suche nach seinem jungen »Freunde«. Bald hat
er die schöne Santa gefunden, wird von ihr auf die schwimmende Ein-
siedelei gelockt und in Lomapädas Reich entführt.* In dem Augen-
blick, wo der junge Heilige das Land betritt, beginnt es in Strömen
zu regnen. Der König aber macht ihn zu seinem Schwiegersohn,
nachdem er den alten Vater durch reiche Geschenke versöhnt hat.
Verschiedene Versionen dieser Legende finden sich auch in
anderen indischen Litteraturw'erken, insbesondere im Rämäyana,
im Padma-Puräna und in buddhistischen Märchensammlungen.
Es läfst sich unschwer erkennen, dals die Geschichte ursprünglich
ein ebenso lustiger wie derber Schwank war, dessen Unanständig-
keiten die verschiedenen Überarbeiter zu mildern suchten. Die
Szene, in welcher der Büfsersohn, der nie ein Weib gesehen,
*) Die Verse nach A. Holtzmann a. a. O.
— 345 —
das schöne Mädchen erblickt, das er für einen Asketen hält,
während ihn doch die Reize der Schönen nicht kalt lassen, stand
in der ursprünglichen Fassung jedenfalls im Mittelpunkt der Er-
zählung und wurde mit einem derben Humor geschildert, von
dessen Urwüchsigkeit uns noch in dem buddhistischen Jätaka-
Buche ^) Proben erhalten sind. Wie beliebt aber dieser Schwank
war, das zeigt der Umstand, dafs er in verschiedenen Versionen
auch in Tibet, China und Japan bekannt ist und selbst in der
Einhomsage des Abendlandes Spuren hinterlassen hat^).
Die Rsyasrhga-Legende findet sich in dem sogenannten
Tlrthayäträ- Abschnitt^). Der Rsi Lomasa nämlich, der ge-
kommen ist; die Brüder des Arjuna zu trösten*), macht mit
ihnen eine Wallfahrt. Bei jedem heiligen Orte (Tirtha), welchen
sie besuchen, erzählt der Rsi eine auf denselben bezügliche
Geschichte. So sind in diesem (gewifs nicht zum ältesten Be-
stände des Mahäbhärata gehörigen) Abschnitte zahlreiche brah-
manische Legenden vereinigt. Hier findet sich z. B. auch die
schon oben erzählte Legende von Cyavana ^), desgleichen die
Gagen von dem berühmten Rsi Agastya. Dieser grofse Heilige
wird unter anderem von den Göttern gebeten, den Ozean trocken
zu legen, damit sie gewisse Dämonen, die auf dessen Grunde
hausen, bekämpfen können. Der Heilige besorgt dies ganz ein-
fach dadurch, dafs er den ganzen Ozean austrinkt. Er ist
auch der Held zahlreicher anderer brahmanischer Legenden*).
Während diese Agastya-Legenden die ungeheure Übermacht
des brahmanischen Heiligen über Menschen und Götter dartun
') In den Gäthäs der Jätakas Nr. 523 und 526. Diese Gäthäs
sind nach Lü'ders fa. a. 0.1897, S. 38) »die ältesten Reste einer
Htterarischen Fassung der Rsyasrnga-Sage«, »und diese Strophen hat
der Verfasser der Mahäbhärata- Version wenigstens teilweise gekannt
und, ins Sanskrit übersetzt und mehr^oder minder umgestaltet, in sein
Werk autgenommen«.
-) Vgl. F. W. K. Müller, Ikkaku seunin, eine mittelalterliche
japanische Oper transskribiert und übersetzt. Nebst einem Exkurs
zur Einhornsage (in der Festschrift für Adolf Bastian zu seinem
70. Geburtstage. Berlin 1896, S. 513-538).
') D. h. »Abschnitt der Wallfahrten", III, 80-156. Heilige Orte,
zu welchen Wallfahrten (yäträ) unternommen werden, heifsen Tlrthas.
*) S. oben S. 293.
">) S. 333 f.
«) III, 96-109.
— 346 —
sollen, finden wir im Mahäbhärata auch einen ganzen Sagenkreis,
dessen Helden die berühmten Rsis Vasistha und Visvämitra
sind »), der zwar auch schliefslich zur Verherrlichung der Brah-
manen dient, in dem sich aber noch deutliche Spuren eines
Kampfes um die Vorherrschaft zwischen Priestern und Kriegern
wahrnehmen lassen. Diese Sagen reichen mit ihren Wurzeln
tief in die vedische Zeit hinein, und sie kehren in verschiedenen
Versionen auch im Epos Rämäyana und in den Puränas wieder.
Die bekannteste dieser Sagen ist die von Vasisthas Kuh, welche
Heine zu den Versen begeistert hat:
*0 König Wischwamitra,
O welch ein Ochs bist du,
Dafs du so viel kämpfest und hülsest
Und alles für eine Kuh.'»
Der Inhalt der Sage nach dem Mahäbhärata ist kurz
folgender :
Visvämitra war ein Krieger, der Sohn des Königs Gädhin von
Kanyäkubja (Kanauj). Einst kam er auf der Jagd zur Einsiedelei des
Rsi Vasistha. Dieser hatte eine wunderbare Kuh , die ihm alle
Wünsche erfüllte. Wenn er irgend etwas begehrte, sei es Speisen
oder Getränke, Edelsteine oder iCleider, oder was auch immer, so
brauchte er nur zu sagen: »Gib*, und die Kuh Nandini gewährte es
ihm. Als Visvämitra die vortreffliche Kuh sah, wollte er sie gerne
haben und bot dem Vasistha zehntausend gewöhnliche Kühe für sie
an. Dieser wollte sie, die ihm alles bot, was er nur für Opferzwecke
brauchte, nicht hergeben. Visvämitra aber wollte sie nun »nach
Kriegerbrauch« rauben. Vasistha, als sanfter Brahmane, hinderte ihn
zwar nicht daran, aber die Wunderkuh selbst brachte aus ihrem Körper
gewaltige Kriegerscharen hervor, durch welche die Truppen des
Visvämitra in wilde Flucht geschlagen wurden. Da sieht der stolze
König, dafs Brahmanen macht doch grölser sei als Kriegermacht; er
gibt sein Königreich auf und tut gewaltige Bufse, um ein Brahmane zu
werden, was ihm nach unsäglichen Anstrengungen gelingt.
Noch eine merkwürdige- Legende aus diesem Sagenkreis
möchte ich hervorheben, weil sie an manche Züge der Ahasver-
sage erinnert:
Auch nachdem Visvämitra schon Brahmane geworden, besteht
noch immer seine Feindschaft gegen Vasistha fort. Von Visvämitra
») I, 177-182; V, 106-119; IX, 39f., 42f.; XII, 141; XIII, 3f.
Vgl. J. Muir, Original Sanskrit Texts. Vol. I, 3rd Ed. (London
1890) S. 388 ff., 411 ff.
— 347 —
angestiftet, tötet der von einem Räksasa besessene Kalmäsapäda die
Söhne des Vasistha. Dieser ist aber so voll Milde, dafs er lieber
sterben will, als daJs er seinem Zorn freien Lauf liefse. Er will seinem
Leben ein Ende machen und stürzt sich vom Berg Meru herab, fällt
aber wie auf einen Haufen Wolle. Er geht ins Feuer, aber es ver-
brennt ihn nicht. Mit einem Stein um den Hals wirft er sich ins
Meer, wird aber lebend wieder ausgeworfen. Da kehrt er betrübten
Herzens in seine Einsiedelei zurück. Wie er aber sein Heim leer
von Kindern erblickt, bringt ihn der Schmerz von neuem auf Selbst-
mordgedanken. Er stürzt sich in einen angeschwollenen Bergstrom,
nachdem er seine Glieder mit Stricken festgebunden, aber die Strömung
zerreifst seine Fesseln und wirft ihn ans Ufer. Er kommt, weiter
wandernd, zu einem Flufs, der voll von Krokodilen und greulichen
Ungeheuern ist; er stürzt sich hinein, aber die wilden Tiere weichen
scheu vor ihm zurück- Da er sieht, dafs er von eigener Hand nicht
stet ben kann , kehrt er , nachdem er Berge und Länder durchstreift,
wieder zu seiner Einsiedelei zurück. Auf dem Wege begegnet ihm
seine Schwiegertochter Adrsyantl, und er hört eine Stimme gleich der
seines Sohnes Vedahymnen singen. Es ist die Stimme seines noch
ungeborenen Enkels, der schon im Mutterleibe — Adrsyantl ist seit
zwölf Jahren mit ihm schwanger — alle Vedas gelernt hat. Sobald
er nun weifs, dafs ihm noch Nachkommenschaft beschieden ist, gibt er
seine Selbstmordgedanken auf.
Während dieser Art von brahmanischen Legenden ein
litterariscber Wert nicht abgesprochen werden kann, gibt es
auch zahlreiche Geschichten im Mahäbhärata, die ganz tendenziös
blofs zur Verherrlichung der Brahmanen oder zur Einprägung
irgendeiner brahmanischen Lehre erfunden sind. Da haben wir
z. B. Erzählungen von Schülern, die im Gehorsam gegen ihren
Lehrer bis zum äufsersten gehen, wie jener Uddälaka Aruni,
der von seinem Lehrer den Auftrag erhält, einen lecken Damm
zu verstopfen, und dies, da ihm kein anderes Mittel zu Gebote
steht, mit seinem eigenen Leibe tut. Oder es wird die Geschichte
von einem König erzählt, der zur Strafe dafür, dafs er die Kuh
eines Brahmanen einem anderen geschenkt hat, in eine Eidechse
verwandelt wurde *). Andere Geschichten sollen beweisen, dafs
es kein gröfseres Verdienst gebe, als den Brahmanen Kühe zu
schenken. In einer berühmten Upani?ad benutzt der nach Wissen
dürstende Jüngling Naciketas seinen Aufenthalt in der Unter-
welt, um den Todesgott mit Fragen nach dem Jenseits zu be-
stürmen. Im Mahäbhärata läfst sich der Jüngling — er heifst
»)I, 3; XIII, 70 f.
— 348 —
hier Näciketa — das Paradies der Kühespender zeigen, und
Yama beglückt ihn mit einem langen V^ortrag über das Ver-
dienst, das man sich durch das Schenken von Kühen erwirbt ').
Um zu beweisen, dafs es verdienstlich sei, Sonnenschirme und
Schuhe zu schenken, wird erzählt, dafs der Rsi Jamadagni einst
über die Sonne erbost war und sie gerade vom Himmel herab-
schiefsen wollte, als ihn der Sonnengott noch rechtzeitig dadurch
besänftigte, dafs er ihm einen Sonnenschirm und ein Paar Schuhe
schenkte 2). Derlei Geschichten sind insbesondere i.i den lehr-
haften Abschnitten und Büchern (XII und XIII) durchaus nicht
selten. In diesen lehrhaften Teilen des Mahäbhärata finden wir end-
lich auch zahlreiche als »Itihäsas« bezeichnete Rahmenerzählungen,
die nur dazu dienen, Gespräche über Recht, Moral oder Philosophie
einzuleiten und einzukleiden. Es ist beachtenswert, dafs wir in
diesen Itihäsas gelegentlich denselben Persönlichkeiten als Wort-
führern begegnen, die wir in den Upanisads kennen gelernt haben,
z. B. Yäjftavalkya und Janaka^). Und wie in den Upanisads
und den buddhistischen Dialogen, so begegnen wir auch in den
didaktischen Itihäsas des Mahäbhärata neben Königen und
Weisen *) auch gelehrten Frauen ^).
Fabeln, Parabeln und moralische Erzählungen im
Mahäbhärata ^).
Diese Itihäsa-Samvädas, wie wir die in Erzählungen ein-
gekleideten Gespräche (samväda) nennen können, gehören aber
zum grofsen Teil nicht mehr zur brahmanischen Legenden-
dichtung, sondern zu dem, was wir in Ermangelung eines
') XIII, 71. Vgl. oben S. 223 f.
•-) XIII, 95 f.
') XII, 18; 290; 310-320.
^) Gelegentlich auch Göttern, z. B. Indra und Brhaspati, XII, 11;
21; 68; 84; 103; XIII, 111-113.
^) KönifiT Janaka disputiert mit der Nonne Sulabhä, XII, 320.
König Senajit wird mit den Versen der Hetäre Pingalä getröstet,
XII, 174.
®) Eine Auswahl von moralischen Erzählungen, namentlich aus
dem XII. Buch, des Mahäbhärata gibt in französischer Übersetzung
A. Roussel, Legendes Morales de linde empruntees au Bhagavata
Purana et au Mahäbhärata traduites du Sanskri*. (Les litteratures
populaires t. 38 et 39.) Paris 1900.
— 349 —
besseren Ausdrucks als Asketendichtung bezeichnet haben.
Diese hebt sich von der brahmanischen Poesie, die an die alten,
im Volke doch schon ziemlich vergessenen Göttersagen anknüpft,
deutlich ab; sie hängt viel enger mit der volkstümlichen
Litteratur der Fabeln und Märchen zusammen, teils indem sie
aus dieser schöpft, teils indem sie sich ihr möglichst annähert.
Und während die brahmanischen Legenden sowie die brah-
manischen Itihäsa-Samvädas den priesterlichen Sonderinteressen
dienen und eine beschränkte Priestermoral lehren, welche im
Opferdienst und in der Verehrung der Brahmanen (mehr als der
Götter) gipfelt, erhebt sich die Asketendichtung zu einer all-
gemein menschlichen Moral, welche vor allem Liebe zu allen
Wesen und Weltentsagung lehrt. Niederschläge dieser Litteratur
finden sich zuerst in den Upanisads, dann aber ebensosehr im
Mahäbhärata und in manchen Puränas . wie in den heiligen
Texten der Buddhisten und der J?inas. Darum ist es nicht zu
verwundem, dafs wir denselben Heiligenlegenden und denselben
Weisheits- und Sittensprüchen oft wörtlich in diesen verschiedenen
Litteraturen begegnen.
Die ältesten indischen Fabeln finden sich allerdings bereits
im eigentlichen Epos, und sie dienen zur Einschärfung von Regeln
sowohl der Niti, d. h. der Lebensklugheit, als auch des Dharma
oder der Moral. So rät ein Minister dem Dhrtarästra, es mit
den Pändavas ähnlich zu machen, wie ein gewisser Schakal, der
seine vier Freunde, einen Tiger, eine Maus, einen Wolf und ein
Ichneumon, zur Gewinnung einer Beute auszunutzeri wufste, sich
ihrer aber dann schlau entledigte, so dafs ihm allein der Frafs
blieb'). An einer anderen Stelle vergleicht Sisupäla den Bhisma
mit jenem alten scheinheiligen Flamingo, der immer nur von
Moral redete und das Vertrauen aller seiner Mitvögel genofs,
so dafs diese bei ihm ihre Eier aufbewahrten, bis sie zu spät
entdecken, dals der Flamingo die Eier auffrifst. Köstlich ist
auch die Fabel von dem falschen Kater, welche Ulüka im Namen
des Duryodhana dem Yudhisthira, auf den sie gemünzt ist, er-
zählen soll. Mit erhobenen Armen vollzieht der Kater am Ufer
') I, 140, übersetzt von Albert Hoefer, Indische Gedichte II,
187 — 192, Über ähnliche Fabeln vgl. Th. Benfey, Pantschatantra
I, S. 472 f.
— 350 —
des Ganges strenge Bulsübungen ; und so fromm und gut
weifs er sich zu stellen, dafs nicht nur die Vögel ihn ver-
ehren, sondern selbst die Mäuse sich in seinen Schutz begeben.
Er erklärt sich gern bereit, sie zu beschützen, doch sei er infolge
der Askese so schwach, dafs er sich nicht bewegen könne. Die
Mäuse müssen ihn daher zum Flusse hintragen — wo er sie auf-
frifst und dick und fett wird ^). Der kluge Vidura, dem viele
weise Sprüche in den Mund gelegt werden, ist auch ein Kenner
von Fabeln. So rät er dem Dhrtarästra, nicht aus Eigennutz
die Pändavas zu verfolgen, damit es ihm nicht ergehe, wie jenem
König, der die goldspeienden Vögel aus Habgier totschlug, so
dafs er dann weder Gold noch Vögel hatte **). Er erzählt auch,
um zum Frieden zu mahnen, die Fabel von den Vögeln, die mit
dem vom Jäger ausgeworfenen Netz aufflogen, aber schliefslich
dadurch, dafs sie miteinander in Streit gerieten, doch dem Jäger
in die Hände fielen^).
Die meisten Fabeln aber sowie wohl alle Parabeln und
moralischen Erzählungen finden sich in den lehrhaften Ab-
schnitten und in den Büchern XII und XIII. Viele von diesen
kehren in den buddhistischen und späteren Fabel- und Märchen-
sammlungen wieder, und manche sind in die europäische Er-
zählungslitteratur übergegangen. So hat Benfey eine Reihe
von Fabeln, welche alle das Thema von der Unmöglichkeit der
Freundschaft zwischen Katze und Maus behandeln, durch die
Weltlitteratur verfolgt*).
') II, 41; V, 160. Solche Fabeln, in denen Tiere als scheinheilige
Asketen auftreten, sind in der indischen Fabellitteratur durchaus nicht
selten. Vgl. Th. Benfey a. a. O. I, S. 177 f., 352.
■^) II, 62. Verwandt ist das Märchen von Suvar^asthivin (d. h.
»Goldspeier«), dem Sohn des Königs Srfijaya. Dieser hatte sich einen
Sohn gewünscht, dessen sämtliche Entleerungen Gold sein sollen. Der
Wunsch geht in Erfüllung, und in seinem Palaste häuft sich das Gold.
Aber schliefslich wird der Sohn von Räubern (Dasyus) entführt und
gemordet, und alles Gold verschwindet. VII, 55. Vgl. Benfey
a. a. O. I, 379.
') V, 64. Vgl. auch die Fabel von der Krähe, die mit dem
Flamingo um die Wette fliegen will, VIII, 41, übersetzt von Benfey
a. a. O. I, S. 312 ffy wo auch auf verwandte Fabeln hingewiesen ist.
*) XII, 1 1 iT 438 . 139 (auch Harivamsa 20, 1117 ff.) übersetzt und
in' anderen Litteraturen nachgewiesen voa Benfey a. a. O. I, 575 ff.,
545 ff., 560 ff. Andere Fabeln des Mahäbhäräta, welche der Welt-
— 351 —
Auch manche hübsche Parabel findet sich in den lehr-
haften Teilen des Mahäbhärata. So wird »der alte Itihäsa, das
Gespräch zwischen dem Flusse und dem Ozean« ^) erzählt, um die
weise Streberlehre einzuprägen, dafs es gut sei, sich zu ducken:
Der Ozean fragt die Flüsse, wie es komme, dafs sie starke mäch-
tige Bäume entwurzeln und ihm zuführen, während sie nie das dünne,
schwache Schilfrohr bringen. Die Gangä antwortet ihm: »Es stehen
die Bäume jeder an seinem Ort, festgewurzelt an einer Stelle. Weil
sie der Strömung sich widersetzen, müssen sie von ihrer Stätte
weichen. Nicht so d^s Rohr. Das Rohr beugt sich, sobald es die
Strömung herankommen sieht — nicht so die Bäume — , und wenn
des Stromes Gewalt vorübergegangen ist, richtet es sich wieder auf.«
Zu grofser Berühmtheit und geradezu weltweiter Verbreitung
ist die Parabel vom »Mann im Brunnen« gelangt, welche
der weise Vidura dem König Dhrtarästra erzählt ^). Sowohl um
ihrer selbst willen als auch wegen ihrer Bedeutung für die
Weltlitteratur verdient sie hier im Auszug und in teilweiser
Übersetzung wiedergegeben zu werden :
Ein Brahmane verirrt sich in einem dichten, von Raubtieren er-
füllten Walde. In höchster Angst rennt er hin und her, vergebens
nach einem Ausweg spähend. »Da sieht er, dafs der schreckliche Wald
von allen Seiten mit Fallstricken umgeben ist und von einem "fürchter-
lich aussehenden Weibe mit beiden Armen umspannt wird. Grofse
und schreckliche fünfköpfige Drachen, die wie Felsen bis zum Himmel
emporragen, umgeben diesen grolsen Wald." Und mitten in diesem
Walde befindet sich, von Gestrüpp und Schlinggewächsen überdeckt, ein
Brunnen. Der Brahmane fällt hinein und bleibt in dem verschlungenen
Geäst einer Liane hängen. »Wie die grofse Frucht eines Brotfrucht-
baumes, an dem Stengel befestigt, herabhängt, so hing er dort, die Füfse
nach oben, den Kopf nach unten. Und wieder eine andere noch gröfsere
Gefahr drohte ihm da. Mitten im Brunnen erblickte er einen grofsen,
gewaltigen Drachen, und an des Brunnendeckels Rande sah er einen
schwarzen, sechsmäuligen und zwölffülsigen Riesenelefanten langsam
berankonunen.« In den Zweigen des Baumes aber, der den Brunneu
bedeckte, schwärmten allerlei furchtbar aussehende Bienen und be-
litteratur angehören, sind die von den drei Fischen XII, 137 (Benf ey
a a O. I, 243 f.) und die von dem Hund des Heiligen, der nacheinander
in einen Leoparden, einen Tiger, einen Elefanten, einen Löwen, einen
Sarabha und schliefsHch wieder in einen Hund verwandelt wird, XII.
116 f. (Benfek'^. a. 0. I, 374 f.).
') XII, lia.'
2) XI, 5.
— 352 —
reitetea Honig. Der Honig träufelt herab und wird von dem im Brunnen
hängenden Manne gierig getrunken. Denn er war des Daseins nicht
überdrüssig und gab die Lebenshoffnung nicht auf, trotzdem auch
weifse und schwarze Mäuse den Baum, an dem er hing, benagten. —
Der Wald — so erklärt Vidura dem von Mitleid ergriffenen König
das Gleichnis — ist der Samsära, das Dasein in der Welt: die Raub-
tiere sind die Krankheiten, das gräfsliche Riesenweib ist das Alter,
der Brünnen ist der Leib der Wesen, der Drache auf dem Grunde des
Brunnens die Zeit, das Schlinggewächs, in dem der Mann hängen ge-
blieben, die Lebenshoffnung, der sechsmäulige zwölfftifsige Elefant
das Jahr mit den sechs Jahreszeiten und zwölf Monaten, die Mäuse
aber sind die Tage und Nächte und die Honigtropfen die Sinnen-
genüsse.
Dafs diese Parabel ein echt indisches, der Asketenpoesie
angehöriges Erzeugnis ist, kann nicht zweifelhaft sein. Man
hat sie als ursprünglich »buddhistisch« bezeichnet*), aber sie
entspricht nicht mehr der Lebensanschauung der Buddhisten als
der der Jainas und anderer indischen Asketensekten. Die buddhi-
stischen Fassungen der Parabel werden es allerdings gewesen
sein, welche ihr den Weg nach dem Westen vermittelten. Denn
sie ist hauptsächlich mit jenem Litteraturström , welcher durch
die aus Indien stammenden, dann aber durchaus international
gewordenen Volksbücher »Barlaam und Joasaph« und »Kalilah
und Dimnah« nach dem Abendland geflossen ist, in die Littera-
turen des Westens eingedrungen. In Deutschland aber ist sie
uns durch Rückerts schönes Gedicht »Es war ein Mann im
Syrerland , dessen unmittelbare Quelle ein persisches Gedicht
von Jeläl-ed-dln Rümt ist, am vertrautesten ^). Den ganzen
»Kreislauf dieses wahrhaft konfessionslosen Gleichnisses, welches
Brahmanen, Jaina, Buddhisten, Mnhammedanern, Christen und
Juden in gleichem Maf=e zur Erbauung gedient hat«, hat zuletzt
Ernst Kuhn durch die Weltlitteratur verfolgt").
Sowie bei dieser Parabel, könnte man bei vielen moralischen
1) So Benfey a. a. O. I, S. 80 ff . und M. Haberlandt, Der
altindische Geist (Leipzig 1887), S. 209 ff.
^) Friedrich Rückerts Werke, herausg. von C. Beyer. Bd. I,
S. 104 f. Das persische Gedicht aus dem zweiten Diware Jeläl-ed-din
Rümis übersetzt von Joseph v. Hammer, Geschichte der schönen
Redekünste Persiens, Wien 1818, S. 183. Vgl. auch R. Boxberger,
Rückert-Studien, S. 85 f., 94 ff.
») Im »Festgrufs an 0. v. Böhtlingks Stuttgart 1888, S. 68-76.
— 353 —
Erzählungen des Mahäbhärata zunächst geneigt sein, sie auf
buddhistische Quellen zurückzuführen. Bei näherem Zu-
sehen aber können sie ebensogut aus jenem Born volkstümlicher
Erzählungen geschöpft sein, welcher Brahmanen, Buddhisten und
anderen Sekten gleichermafsen zu Gebote stand. So sehen z. B.
die Geschichten vom König ^ i b i nicht nur sehr buddhistisch
aus, sondern es wird auch tatsächlich bereits in einem der zum
Tipitaka gehörigen Texte ^) die Legende erzählt, wie dieser opfer-
willige König sich beide Augen ausreifst, um sie einem Bettler
hinzugeben. Im Mahäbhärata wird in drei verschiedenen
Versionen ^) die Geschichte erzählt, wie dieser König sich Stück
für Stück sein eigenes Fleisch vom Leibe schneidet und sein
Leben hingibt, um einer von einem Habicht verfolgten Taube
das Leben zu retten. Dieser selbe König Sibi spielt aber schon
in den alten Heldensagen von Yayäti eine Rolle. Er ist einer
der vier frommen Enkel dieses Königs, die ihm ihre Plätze im
Himmel anbieten und schliefslich mit ihm zusammen in den
Himmel fahren^). Und entschieden brahmanisch gefärbt ist
die Schilderung von den unermefslichen Reichtümern und der
ungeheuren Freigebigkeit des Sibi an eine; anderen Stelle, wo
er als ein frommer Opferer gefeiert wird, der den Brahmanen
so viele Rinder schenkt, als Regentropfen auf die Erde fallen,
als es Sterne am Himmel und Sandkörner im Bette des Ganges
gibt^).
Zu den in der Asketenpoesie so beliebten Geschichten von
Selbstaufopferung gehört auch die rührende Erzählung vom
^) Cariyäpitaka I, 8. Vgl. auch das Sivi-Jataka (Jätakas ed.
V. Fausböll,'lV, 401 ff. Nr. 499) und Benfey a. a. O. I, 388 ff.
3)111, 130 f.; 197; XIII, 32.
3) I, 86 und 93. Vgl. oben S. 323.
*) Vll, 58. Ganz brahmanisch ist auch die III, 198 erzählte
Legende von äibi. Hier schlachtet er auf Wunsch eines Brahmanen
ohne weiteres seinen eigenen Sohn und — ifst ihn sogar selber auf,
weil der Brahmane es befiehlt. Hingegen sieht die Erzählung von
König Suhotra und Sibi (III, 194) wieder mehr buddhistisch aus und
kehrt auch in der Tat, wenn auch nicht mehr auf §ibi bezogen, in der
buddhistischen Litteratur (Jätaka Nr. 151) wieder. Vgl. T. W. Rhys
Davids, Buddhist Birth Stories, London 1880, p. XXII— XXVIII:
R, O. Franke, WZKM, XX, 1906, S. 320 ff.
— 354 —
Jäger und den Tauben^), welche auch in die Fabelsammlung
Pancatantra ^) aufgenommen worden ist. Feindesliebe und Selbst-
verleugnung können kaum weiter getrieben werden als in diesem
»heiligen, sündenvertilgenden Itihäsa«, welcher erzählt, wie der
Täuberich sich für den bösen Jäger, der ihm sein geliebtes Weib
gefangen, im Feuer verbrennt, weil er dem »Gast« keine andere
Speise anbieten kann; wie die Taube ihrem Gatten in den Tod
folgt, und wie der böse Jäger, von all der Liebe und Selbst-
aufopferung des Taubenpaares tief erschüttert, sein wildes Leben
aufgibt, Asket wird und schliefslich auch den Tod im Feuer
sucht ^).
Eine andere Seite der Asketenmoral beleuchtet die Ge-
schichte von dem frommen Asketen Mudgala, der nicht in
den Himmel kommen will:
Da Mudgala so weise und fromm ist, erscheint ein Götterbote,
um ihn in den Himmel hinaufzuführen. Mudgala aber ist so vor-
sichtig, dafs er sich erst erkundigt, was es mit diesem himmlischen
Dasein für eine Bewandtnis habe. Der Gctterbote schildert ihm darauf
alle Herrlichkeiten des Himmels und all die Seligkeit, welche die
Frommen dort erwartet. Freilich kann er nicht verschweigen, dafs
diese Seligkeit nicht von ewiger Dauer ist. Jeder muls die Früchte
seiner Taten ernten. Ist einmal das Karman erschöpft, so heilst es
wieder vom Himmel herabsteigen und ein neues Dasein beginnen.
Da will Mudgala von einem solchen Himmel nichts wissen ; er gibt
sich aufs neue strengen asketischen Übungen hin und erlangt schliefs-
lich durch tiefe Meditation (dhyänayoga) und völlige Gleichgültigkeit
gegen die Sinnenwelt jene höchste Stätte des Visnu, in der allein die
ewige Seligkeit des Niryäna zu finden ist*).
Die Lehre vom Karman, der Tat, welche das Schicksal
des Menschen ist, deren erstes Auftreten wir in den Upanisads ^)
beobachten konnten, bildet den Gegenstand mancher tiefsinniger
Erzählungen des Mahäbhärata. E-ne der schönsten ist die von
') XII, 143-149.
^) Wenigstens in eine Rezension derselben. Siehe B e n f e y a. a. O.
I, S. 365 f. § 152, übersetzt II, 247 ff. Eine poetische Bearbeitung
gab M. Haberlandt, Indische Legenden. Leipzig 1885, S. 1 ff.
') Die Geschichte kann kaum buddhistisch sein, da der Buddhismus
den religiösen Selbstmord nicht empfiehlt. Andere Sekten, z. B. die
Jainas, empfehlen ihn.
*) III, 260 f.
«) Oben S. 220 f.
— 355 —
der Schlange, dem Tode, dem Schicksal und der
Tat. Der Inhalt ist kurz folgender:
GautamI, eine alte und fromme Brahmanenfrau, ficdet eines Tages
ihren Sohn tot. Eine Schlangre bat ihn gebissen. Der grimme Jäger
Ariunaka bringt die Schlange an einem Strick herbeigeschleppt und
fragt GautamI, wie er die böse Mörderin ihres Sohnes töten solle.
GautamI erwidert: Durch das Töten der Schlange werde ihr Kind
nicht mehr lebendig werden, und auch sonst würde nichts Gutes
daraus entstehen ; durch Tötung eines lebenden Wesens lade man nur
Schuld auf sich. Der Jäger wendet ein, dafs es gut sei. Feinde zu
töten, wie ja auch Indra den Vrtra getötet habe. Aber GautamI kann
nichts Gutes darin sehen, dals man Feinde quäle und töte. Da mischt
sich auch die Schlange in das Gespräch. Sie sei ja gar nicht schuld
an dem Tode des Knaben. Mrtyu, der Tod, sei es gewesen, der sich
ihrer nur als Werkzeug bedient habe. Während nun die Schlange
und der Jäger heftig darüber streiten, ob die Schlange den Tod des
Kindes verschuldet habe oder nicht, erscheint der Todesgott Mrtyu
selbst und erklärt, dafs weder die Schlange noch er selbst, sondern
das Schicksal (Kala, '-die Zeit«) an des Knaben Tod schuld sei:
denn alles, was geschieht, geschieht durch Kala: alles, was besteht,
besteht durch Kala. »Wie die Wolken vom Winde hin und her ge-
trieben werden«, so steht auch der Tod unter der Botmälsigkeit des
Schicksals. Während der Jäger auf dem Standpunkt beharrt, dafs
sowohl die Schlange als auch Mrtyu des Kindes Tod verschuldet
haben, erscheint Kala, das Schicksal, selbst und erklärt: »Weder ich
noch der Tod (Mrtyu) da noch diese Schlange hier sind schuld an
dem Sterben irgendeines Wesens, o Jäger, wir siua nicht die Ver-
ursacher. Die Tat (Kar man) ist es, welche uns duzu getrieben hat;
keine andere Ursache seines Unterganges gibt es, nur durch die eigene
Tat ward er getötet. . . . Wie der Töpfer aus einem Tonklumpen
alles formt, was er nur will, so erlangt der Mensch nur das Geschick,
das er durch seine Tat sich selber bereitet hat. Wie Licht und
Schatten stets aufs engste miteinander verbunden sind, so sind auch
die Tat und der Täter eng verbunden durch alles, was er selbst ge-
tan.» Da tröstet sich auch GautamI mit dem Gedanken, dafs der
Tod ihres Sohnes die notwendige Folge seines und ihres eigenen
Karman sei').
Wie die Menschen sich dem Tode gegenüber verhalten
sollen, das ist eine Frage, welche indische Denker und Dichter
in zahllosen Weisheitssprüchen, aber auch in mancherlei Trosl-
geschichten 2) oft und oft behandelt haben. Eine der schönsten
') XIII, 1.
2) Siehe oben S. 260 und Lüders in ZDMG. Bd. 58, S. 707 ff.
Winternitz, Geschichte der inditcbeo Litteratur. 24
— 356 —
dieser Geschichten ist die vom Geier und Schakal und dem
toten Kindj deren Inhalt wieder nur kurz angedeutet sei:
Einem Brahmanen war sein einziges Söhneben gestorben.
Jammernd und weinend tragen die Verwandten den Leichnam des
kleinen Kindes zur Leichenstätte hinaus. In ihrem Schmerz können
sie sich von dem toten Liebling gar nicht trennen. Durch das Jammer-
geschrei herbeigelockt, kommt ein Geier dahergeflogen und setzt
ihnen auseinander, wie nutzlos alles Klagen um die Toten sei. Kein
Sterblicher kehre wieder zum Leben zurück, wenn er einmal dem
Käla'j verfallen; darum sollten sie unverzüglich heimkehren. Einiger-
mafsen beruhigt, treten die Leidtragenden den Heimweg an. Da tritt
ihnen, ein Schakal entgegen und wirft ihnen Lieblosigkeit vor, weil
sie ihr eigenes Kind so rasch verlassen. Traurig kehren sie wieder
um. Hier erwartet sie der Geier und tadelt sie ob ihrer Schwäche.
Nicht um die Toten soll man trauern, sondern um sein eigenes Selbst.
Dieses soll man vor allem von Sünden reinigen, nicht um Tote jammern.
Hängt doch alles Wohl und Wehe der Menschen nur vom Karman
ab. »Der Weise wie der Tor, der Reiche wie der Arme, sie alle
kommen in Kälas Gewalt, mit ihren guten und bösen Taten. Was
wollt ihr mit eurem Trauern? Was klagt ihr dem Tode nach?« usw.
Wieder wenden sich die Leidtragenden heimwärts. Und wieder er-
mahnt sie der Schakal, die Liebe zu ihrem Sprölsling nicht aufzugeben ;
man müsse sich dem Schicksal gegenüber bemühen, denn es sei viel-
leicht doch noch möglich, das Kind wieder zum Leben zu bringen.
Wogegen der Geier bemerkt: Schier tausend Jahre bin ich alt, habe
aber nie gesehen, dafs ein Toter wieder lebendig geworden wäre.
»Diejenigen, welche sich um Mutter und Vater, um Verwandte und
Freunde, so lange sie leben, nicht kümmern, vergehen sich gegen
die Moral. Was soll aber euer Weinen dem helfen, der mit seinen
Augen nicht sieht, der sich nicht bewegt und ganz und gar tot ist?«
Und immer wieder treibt der Geier die Leidtragenden zur Heimkehr
an, während der Schakal sie zum Friedhof zurückkehren heifst. Das
wiederholt sich mehrmals. Geier und Schakal verfolgen dabei ihre
eigenen Zwecke, denn sie sind beide hungrig und nach dem Leichnam
gierig. Schliefslich erbarmt sich Gott äiva, von seiner Gemahlin Umä
angeregt, der armen Verwandten und läfst das Kind wieder lebendig
werden'^).
Aber nicht nur die Asketenmoral kommt in den moralischen
Erzählungen des Mahäbhärata zu Worte. Viele von ihnen
sprechen uns gerade deshalb an, weil sie mehr die in der Liebe
zwischen Gatten, Eitern und Kindern w^urzelnde Alltagsmoral
*) Kala ist nicht nur »Zeit« und »Schicksal«, sondern auch
•'Todesverhängnis«.
2) XII, 153.
— 357 —
lehren. Eine der hübschesten dieser Erzählungen ist die von
Cirakärin oder dem Jüngling Langbedacht'), der von
seinem Vater den Auftrag erhält, die Mutter zu töten, die sich
schwer vergangen hat. Da er von Natur aus langsam ist und
alles lange überlegt, zögert er mit der Ausführung des Befehls
und überlegt lange hin und her, ob er den Befehl des Vaters
ausführen und einen Muttermord auf sich laden oder die Pflicht
gegen den Vater versäumen solle. Während er so lange überlegt,
kehrt der Vater zurück und, da sein Zoni mittlerweile verraucht ist,
freut er sich innig darüber, dafs sein Sohn Langbedacht seinem
Namen getreu die Sache so lange bedacht hat. Im Mittelpunkte
der in schlichtem volkstümlichem Tone mit einem gewissen
Humor vorgetragenen Erzählung steht das Selbstgespräch des
Jünglings. In schönen Worten spricht er von der Vaterliebe
und den Sohnespflichten, in noch schöneren von der Mutterliebe :
»So lange man eine Mutter hat, ist man wohl behütet; hat man
sie verloren, ist man schutzlos Den drückt kein Kummer, den reibt
das Alter nicht auf, der — und war' er auch all seines Reichtums be-
raubt — mit dem Rufe «Mütterchen!" sein Haus betritt. Hat einer
auch Söhne und Enkel und kommt er zur Mutter, selbst wenn er
volle hundert Jahre alt ist, — so benimmt er sich wie ein zweijähriges
Kind . . . Dann wird der Mensch alt, dann wird er unglücklich, dann
ist die Welt leer für ihn, wenn er die Mutter verloren hat. Es gibt
keinen kühlenden Schatten gleich der Mutter, es gibt keine Zuflucht
gleich der Mutter, es gibt keine Geliebte gleich der Mutter« . . .
Der Schwerpunkt aller dieser Erzählungen liegt in den
Reden der auftretenden Personen. Ich habe aber schon erwähnt,
dafs viele sogenannte 1 1 i h ä s a s eigentlich nur kurze Einleitungen
und Einkleidungen von lehrhaften Dialogen sind, so dafs wir
sie als Itihäsa-samvädas bezeichnen können. Manche von
diesen Dialogen stellen sich den besten ähnlichen Erzeugnissen
der Upanisad- und der buddhistischen Litteratur ebenbürtig an
die Seite. Wie aus einer Upanisad heraus liest sich der Aus-
.spruch des Königs Janaka von Videha, nachdem er die Seelen-
ruhe gewonnen: ^O, unermefslich ist mein Reichtum, da ich
nichts besitze. Wenn ganz Mithilä verbrennt, mir verbrennt
*) XII, 265, übersetzt von Deussen, »Vier philosophische Texte
dos Mahäbhäratams S. 437—444.
24*
— 358 —
nichts.* \) Und an die buddhistischen Nonnenlieder (Therigäthä)
erinnern die Verse der Hetäre Pihgala, die beim Stelldichein
ihres Liebsten beraubt wird und nach Überwindung ihres
Schmerzes jene tiefe Seelenruhe erringt, die stets das höchste
Ziel aller indischen Asketenweisheit gewesen ist — Verse,
welche in die Worte ausklingen: »Ruhig schläft Pingalä, nach-
dem sie Wunschlosigkeit an Stelle der V/ünsche und Hoffnungen
gesetzt.:^) Wie zuweilen in den Upanisads^), so sind es auch
in den Dialogen des Mahäbhärata oft Leute verachteter Kaste
und niedrigen Standes, welche im Besitze höchster Weisheit
sind. So wird der Brahmane Kausika von dem Dharma
vySdha, dem frommen Jäger und Fleischhändler, über Philo-
sophie und Moral belehrt, und insbesondere darüber, dafs nicht
die Geburt, sondern tugendhafter Lebenswandel einen zum Brah-
manen mache*). So tritt auch der Krämer Tulädhära als
Lehrer des brahmanischen Asketen JäjaH auf 5). Dieser Itihäsa-
Dialog ist für die Geschichte der indischen Ethik so wichtig,
dafs er verdient, hier im Auszug wiedergegeben zu werden:
Der Brahmane Jäjali lebte als Einsiedler im Walde und gab sich
den schrecklichsten Bufsübungen hin. In Lumpen und Felle ge-
kleidet, von Schmutz starrend, streifte er in Regen und Sturm durch
den Wald, hielt strenge Fasten und trotzte jeder Unbill der Witterung.
Einst stand er, in Yoga versunken, wie ein Holzpfosten, ohne sich zu
rühren, im Walde. Da kam ein Vogelpärchen auf ihn zugeflogen
und baute sich in seinem vom Sturm zerzausten und durch Schmutz
und Nässe verknoteten Haupthaar ein Nest. Als der Yogin dies
merkte, rührte er sich nicht, sondern blieb unbeweglich wie eine Säule
stehen, bis das Vogel weibchen in das Nest auf seinem Haupte Eier
gelegt hatte, bis die Eier ausgebrütet und die jungen Vögel flügge
geworden und hinweggeflogen waren. Nach dieser gewaltigen Askese
rief Jäjali, von Stolz erfüllt, jubelnd in den Wald hinaus: *Den In-
begriff aller Frömmigkeit habe ich erreicht.» Da antwortete ihm eine
') XII, 178. Mithilä ist die Residenzstadt des Janaka. Vgl.Jätaka
(ed. Fausböll) Bd. V, S. 252 (Vers 16 des Sonakajätaka Nr. 529) und
Bd. VI, S. 54 (Nr. 539). R. 0. Franke, WZKM. XX, 1906, S. 352 f.
2) XII, 174; 178, 7 f. Buddhistische Parallelen bringt R. O.
Franke, WZKM. XX, 1906, S. 346 f. bei.
3) Siehe oben S. 199 f. '
*) III, 207-216.
^) XII, 261—264, Jetzt vollständig übersetzt von Deussen,
»Vier philosophische Texte des Mahäbhäratam«, S. 418—435.
— 359 —
himmlische Stimme aus den Lüften: »Du bist an Frömmigkeit nicht
einmal dem Tulädhära gleich, o Jäjali, und nicht einmal dieser hoch-
weise Tulädhära, der in Benares lebt, darf so von sich sprechen, wie
du da redest.« Da wurde Jäjali sehr niedergeschlagen und begab sich
zu .Tulädhära nach Benares, um zu sehen, wieso es dieser in der
Frömmigkeit so weit gebracht habe. Tulädhära aber ist ein Krämer
in Benares, wo er einen offenen Laden hält und allerlei Gewürze,
Heilkräuter u. dgl. verkauft. Auf Befragen des Brahmanen Jäjali,
worin denn seine vielgerühmte Frömmigkeit bestehe, antwortet er mit
einer langen Rede über Moral, welche mit den Worten beginnt:
»Ich kenne, o Jäjali, das ewige Gesetz mit allen seinen Creheim-
nissen: es ist unter den Menschen bekannt als die allen Wesen heil-
same alte Lehre von der Liebe'). Eine Lebensweise, welche mit
vollständiger Harmlosigkeit oder doch nur mit geringem Harm für
alle Wesen verbunden ist — das ist die höchste Frömmigkeit; nach
dieser lebe ich, o Jäjali. Mit Holz und Gras, welches andere ab-
geschnitten haben, habe ich mir diese Hütte gebaut. Rotlack, Lotus-
wurzel, Lotusfasern, alle Arten von Wohlgertichen , vielerlei Säfte
und Tränke — mit Ausnahme von berauschenden Getränken — kaufe
und verkaufe ich ohne Betrug. Derjenige, o Jäjali, der ein Freund
aller Wesen ist und sich stets an dem Wohl aller erfreut in Ge-
danken, V/orten und Taten, der kennt das Sittengesetz. Ich kenne
weder Gunst noch Ungunst, weder Liebe noch Hafs. Ich bin gleich
gegen alle Wesen : siehe, Jäjali, das ist mein Gelübde. Ich habe gleiche
Wage^) für alle Wesen, o Jäjali . . , Wenn einer sich vor keinem
Wesen fürchtet, und kein Wesen sich vor ihm fürchtet, wenn einer
für niemand Vorliebe hat und niemand hafst, dann wird er mit dem
Brahman vereinigt . . .'
Es folgt dann eine lange Auseinandersetzung über Ahimsä,
das Gebot des Nichtverletzens. Es gibt kein höheres Gesetz als
die Schonung aller Lebewesen. Darum ist auch die Viehzucht
grausam, weil sie das Quälen und Töten von Tieren im Gefolge
hat Grausam ist auch das Halten von Sklaven und der Handel mit
lebenden Geschöpfen. Selbst der Ackerbau ist voll Sünde, denn der
Pflug verwundet die Erde und tötet viele unschuldige Tiere Jäjali
wendet ein. dafs ohne Ackerbau und Viehzucht die Menschen nicht
bestehen und nicht Nahrung finden könnten, und dals auch Opfer un-
möglich wären, wenn nicht Tiere getötet und Pflanzen vernichtet
werden dürften. Darauf antwortet Tulädhära mit einer langen Er-
örterung über das wahre Opfer, welches ohne Verlangen nach Lohn,
^) Maitra (im Päli der Buddhisten metta) heilst »Freundschaft«
und ist der technische Ausdruck für die Liebe zu allen Wesen,
die sich von der christlichen Nächstenliebe dadurch unterscheidet, dafs
sie sich über die Menschen hinaus auch auf die Tiere erstreckt.
*) Der Name des Krämers, Tulädhära, bedeutet: »Der die
Wage hält.«
— 360 -
ohne Priesterbetrug und ohne die Tötung lebender Wesen dargebracht
werden müsse. Schliefslich ruft Tulädhära auch die Vögel, welche
in Jäialis Haupthaar genistet hatten, als Zeugen für seine Lehre auf,
und auch sie bestätigen, dals die wahre Religion in der Schonung
aller Lebewesen bestehe.
Den scharfen Gegensatz zwischen der brahmanischen Moral
und der des indischen Asketentums können wir aber nirgends
so schön beobachten wie in dem Zwiegespräch zwischen
Vater und Sohn*), in welchem der Vater den Standpunkt
des Brahmanen, der vSohn den des Asketen, der mit der Priester-
religion gebrochen hat, vertritt. Die von dem Sohne vertretene
Lebensanschauung ist die der Buddhisten und der Jainas ^), ohne
aber auf diese beschränkt zu sein. Es wäre voreilig, wenn man
den Dialog, von dem hier eine teilweise Übersetzung folgt, oder
auch nur einzelne Verse desselben für »buddhistisch« oder »von
den Buddhisten entlehnt« erklären würde:
Ein Brahmane, der am Lernen des Veda seine Freude fand,
hatte einen verständigen Sohn, Verständig (Medhävin) mit Namen.
Dieser Sohn, welcher in allem, was auf die Erlösung, die Moral und
das praktische Leben Bezug hat, bewandert war und das wahre Wesen
der Welt durchschaute, redete zu dem Vater, der am Vedalernen
seine Freude fand.
Der Sohn sprach: »Was soll denn, o Väterchen, der Weise und
Verständige tun? Schnell schwindet ja das Leben der Menschen
dahin. Sag mir doch das, o Vater, eins nach dem andern in zweck-
entsprechender Ordnung, damit ich tue, was gut und recht.«
Der Vater sprach: »Mein Sohn! Als Brahmanenschüler soll er
zuerst die Vedas studieren Dann trachte er nach Söhnen, damit er
die Manen der Väter von Schuld reinige. Und nachdem er der Vor-
schrift gemäfs die heiligen Feuer angelegt und Opfer dargebracht
hat, soll er sich in den Wald begeben und als Asket zu leben suchen.- ^)
') XII, 175, in wenig abweichender Fassung XII, 277 wiederholt.
Jetzt übersetzt von Deussen, >^Vier philosophische Texte des Mahä-
bhäratams S. 118—122.
*) Fast jeder Vers, den hier im Mahäbhärata der Sohn spricht
könnte ebenso gut in einem buddhistischen oder jinistischen Text vor-
komn^en. Tatsächlich findet sich XIL 174, 7—9 in dem Uttarädhyayana-
vSütra (14, 21—23} der Jainas wieder, und XII, 174, 13 entspricht fast
Wörtlich den Versen des buddhistischen Dhaminapada. 47 f.
') Das ist die brahmanische Lehre von den Asramas, siehe oben
S. 202.
— 361 —
Der Sohn sprach: «Wie kannst du als Weiser so sprechen? Wo
doch die Welt schwer heimgesucht und ringsum bedroht ist, während
die Unentrinnbaren rastlos dahingleiten.«
Der \''ater sprach: '■W^ie so ist die Welt schwer heimgesucht?
Von wem ist sie ringsum bedroht? Wer sind die Unentrinnbaren,
die rastlos dahingleiten? Warum erschreckst du mich denn so?«
Der Sohn sprach: »Vom Tode ist die Welt schwer heimgesucht,
vom Alter ist sie ringsum bedroht. Und die unentrinnbaren
Nächte') kommen und gehen immerdar. Wenn ich also weifs, dafs
der Tod nicht Halt macht, wie kann ich da noch geduldig warten?
Wie kann ich dahinleben, von solcher Erkenntnis durchdrungen?
Wenn das Leben immer kürzer wird, wie Nacht um Nacht ent-
schwindet, mufs doch der Weise erkennen, dals unsere Tage nutzlos
sind. Wie ein Fisch im seichten W^asser — wer könnte sich da noch
glücklich fühlen ? Ehe noch seine Wünsche erfüllt sind, tritt der Tod
an den Menschen heran. Während er gleichsam Blumen pflückt, den
Sinn auf anderes gerichtet, überfällt ihn der Tod, wie die Wölfin das
Lämmlein, und geht mit ihm fort. . . . Was morgen zu tun ist, tue
heute; am Morgen tue, was am Abend zu tun ist. Denn nicht w^artet
der Tod, ob du dein Werk vollendet oder nicht. Und wer weifs,
wessen Todesstunde heute kommen wird? Schon als Jüngling tue
daher, was recht und gut ist; flüchtig ist ja das Leben. Hast du das
Rechte getan, so wirst du Ruhm in diesem Leben und Glückseligkeit
im Jenseits erlangen . . . Kaum geboren, folgen dem Sterblichen Tod
und Alter bis ans Ende; behaftet mit diesen beiden sind alle Wesen,
bewegliche und unbewegliche 'M Wahrlich, nur der Anfang des Todes
ist diese Sinnenlust des im Dorfe lebenden (Hausvaters); der Wald
aber (in dem der Einsiedler wohnt) ist, wie der Veda lehrt, ein
Sammelplatz für Götter. Diese Sinnenlust des im Dorfe Lebenden, —
sie ist ein fesselndes Band; die Guten reifsen es gleich entzwei, die
Bösen zerreifsen es nimmer. Wer kein lebendes Wesen verletzt mit
Gedanken, Worten oder Taten, der wird nicht durch Handlungen,
welche des Lebens Endzweck verdrängen, gefesselt. . . . Wie sollte
ein Mensch wie ich mörderische Tieropfer darbringen? Wie sollte
ein Weiser, als wäre er ein Pisäca, gleichsam totbringende Kriegeropfer
veranstalten? ... Es gibt kein Auge gleich dem des Wissens; es gibt
keine Askese gleich der der Wahrheit; es gibt kein Unglück gleich
dem der Leidenschaft; es gibt kein Glück gleich dem der Entsagung.
Im Selbst (Atman) vom Selbst gezeugt, festgewurzelt im Selbst, werde
ich auch ohne Nachkommenschaft im Selbst allein leben; — mich
braucht keine Nachkommenschaft zu erretten. Es gibt keinen gröfseren
Schatz für den Brahmanen, als Einsamkeit, Gleichmut, Wahrheit,
') Die Inder rechnen die Zeit gewöhnlich nach Nächten und
nicht nach Tagen.
■') Die »unbeweglichen« Wesen sind die Pflanzen.
— 362 —
Tugend, Standhaftigrkeit , Milde, Geradheit und Aufgeben aller Ge-
schäfte. Was sollen dir Schätze, was sollen dir \^erwandte, was soll
dir ein Weib, o Brahmane, da du doch sterben wirst? Suche das in
deinem Innern verborgene Selbst (den Atman)! Wohin sind deine
Ahnen, wohin ist dein Vater gegangen?«
So klingt dieser, scheinbar ganz in buddhistischen Gedanken-
kreisen sich bewegende Dialog in die Atman-Lehre des Vedänta
aus, die wir in den Upanisads kennen gelernt haben ^). Und
es ist dies durchaus nicht auffällig. Die alten indischen Asketen-
sekten unterschieden sich kaum schärfer voneinander, als etwa
die verschiedenen protestantischen Sekten im heutigen Grofs-
britannien. Es ist daher auch kein Wunder, dafs sich in den
erbaulichen Geschichten, Dialogen und Weisheitssprüchen der in
das Mahäbhärata aufgenommenen Asketendichtung so viele An-
klänge an die Upanisads, ebenso wie an die heiligen Texte der
Buddhisten und der Jainas finden.
Die lehrhaften Abschnitte des Mahäbhärata.
Die meisten der im vorhergehenden Kapitel besprochenen
Itihäsas und Itihäsa-Samvädas finden sich in den zahlreichen und
umfangreichen lehrhaften Abschnitten des Mahäbhärata. Solche
bald kürzere, bald längere Abschnitte finden sich verstreut in
fast allen Büchern des Mahäbhärata, und sie handeln über die
drei Dinge, welche die Inder mit den Namen Niti, d. h. Lebens-
klugheit, insbesondere für Könige, daher auch »Politik«, Dharma,
d. h. sowohl systematisches Recht als auch allgemeine Moral,
und Moksa, d. h. »Erlösung« als das Endziel aller Philosophie,
bezeichnen. Aber nicht immer werden diese Dinge in der Form
von anmutigen Erzählungen und schönen Sprüchen vorgetragen,
sondern wir finden auch lange Abschnitte, welche die trockensten
Auseinandersetzungen — namentlich über Philosophie im XII.
und über Recht im XIII. Buche — enthalten.
Schon aus unserer Inhaltsangabe 2) ist ersichtlich, dals die
Bücher Xtl und XIII mit dem eigentlichen Epos gar nichts zu
tun haben, sondern dafs die im XIV. Buche erzählten Begeben-
heiten unmittelbar an den Schlufs des XI. Buches anknüpfen.
Die Einfügung dieser beiden umfangreichen Bücher ist aber
') Oben S. 210 ff.
*) Vgl. oben S. 315.
— 363 —
durch die sonderbare Legende ermöglicht, deren wir schon oben
gedacht haben. Bhlsma, von unzähligen Pfeilen durchbohrt, liegt
auf dem Schlachtfelde, beschliefst aber, da er sich die Todes-
stunde selbst bestimmen kann, erst ein halbes Jahr später zu
sterben*). Diese Zwischenzeit benützt der auf den Tod ver-
wundete Held, der zugleich Rechtsgelehrter, Theologe und Yogin
ist, dm dem Yudhisthira v^orträge über Philosophie, Moral und
Recht zu halten. Und zwar beginnt das XII. Buch damit, dafs
Yudhisthira ganz verzweifelt darüber ist, dals so viele wackere
Krieger und nahe \^erwandte hingemordet worden sind. Er er-
geht sich in Selbstanklagen und beschliefst in seiner Verzweiflung,
sich von der Welt zurückzuziehen und als Waldeinsiedler sein
Leben zu beschlief sen. Die Brüder suchen ihn davon abzubringen,
und dies gibt Anlafs zu langen Auseinandersetzungen darüber,
ob Entsagung und W^eltflucht das richtige seien oder aber die
Ausübung der Pflichten als Hausvater und König. Auch der
weise Vyäsa ist zugegen und erklärt, dafs ein König zuerst alle
seine Pflichten erfüllen und sich erst am Abend seines Lebens
in den Wald zurückziehen solle. Er verweist aber den Yudhisthira
auf BhTsma, der ihm alle Belehrung über die Pflichten eines
Königs erteilen werde. vSo begibt sich denn in der Tat Yudhisthira,
nachdem er sich hat zum König weihen lassen, mit grofsem
CJefolge zu dem noch immer auf dem Schlachtfeld liegenden
BhTsma, um ihn zunächst über die Pflichten eines Königs und
weiterhin über andere Dinge zu befragen. Die Reden des
BhTsma über Recht, Moral und Philosophie füllen die Bücher XII
und XIIL
Die erste Hälfte des XIL Buches (^änti-Parvan), aus
den zwei Abschnitten »Belehrung über die Königspflichten <' und
»Belehrung über das Gesetz in Fällen von Not und Gefahr« ^)
bestehend, handelt vor allem über die Würde und die Pflichten
eines Königs, wobei gelegentlich Lehren der Politik (nTti) ein-
geschaltet werden, des weiteren aber auch über die Pflichten
der vier Kasten und der vier Lebensstufen (Asramas) überhaupt,
über Pflichten gegen Eltern und Lehrer, über das richtige Ver-
') Siehe oben S. 307 Amn.
*) Räjadharmänusäsana-par van (1—130) und äpaddharmänusäsana-
parvan (131—173).
— 364 —
halten in Not und Gefahr, über Selbstbezähmung, Askese und
Wahrheitsliebe, über das Verhältnis der drei Lebensziele^)
u. dgl. mehr. Die zweite Hälfte des Buches, den Abschnitt der
»Belehrung über die Pflichten, welche zur Erlösung führen«^),
enthaltend, ist hauptsächlich philosophischen Inhalts. Doch finden
wir auch hier neben langen, trockenen und oft verworrenen
Auseinandersetzungen über die Kosmogonie, die Psychologie,
die Grundlagen der Ethik oder die Erlösungslehre auch viele
der schönsten Legenden , Parabeln , Dialoge und moralischen
Sentenzen, von denen einige bereits im vorhergehenden Kapitel
besprochen worden sind. Und während dieses XII. Buch als
Ganges nur ein kunstlos zusammengewürfeltes Sammelsurium
darstellt, enthält es doch viele kostbare Perlen derjpoesie und
der Weisheit. Auch als Quelle für die Geschichte der indischen
Philosophie ist dieses Buch von unschätzbarem Wert.
Während das XII. Buch in gewissem Sinne als ein »Lehr-
buch der Philosophie« bezeichnet werden kann, ist das XIII. Buch
(Anusäsana-Parvan) im wesentlichen nichts anderes als ein
Lehrbuch des Rechts. Ja, es gibt ganze grofse Stücke in diesem
Buch, welche entweder Zitate aus oder genaue Parallelstellen zu
bekannten Rechtsbüchern — z. B. dem des Manu — enthalten.
Wir werden in einem folgenden Abschnitte sehen, dafs auch die
indische Rechtslitteratur zum grofsen Teil aus metrischen Lehr-
büchern besteht und zur didaktischen Poesie gehört. Das
XIII. Buch des Mahäbhärata unterscheidet sich von anderen
Rechtsbüchern (Dharmasästras) nur dadurch, dals die trockene
Darstellung oft durch die Erzählung vcm — meist höchst ein-
fältigen und geschmacklosen — Legenden^) unterbrochen wird.
Während das XII. Buch, wenn es auch nicht zum ursprünglichen
Epos gehörte, doch schon in verhältnismäfsig früher Zeit ein-
gefügt worden sein dürfte , kann in bezug auf das XIII. Buch
kaum ein Zweifel darüber herrschen, dafs es noch viel später
zu einem Bestandteil des Mahäbhärata gemacht worden ist. Es
trägt alle Spuren eines recht modernen Machwerkes an sich.
Nirgends im Mahäbhärata werden, um nur eines zu erwähnen,
') Dharma, artha und käma, vgl. oben S. 272 Anm.
'O Moksadharmänusäsana (174 ff.), vollständig übersetzt in
Deussens »Vier philosophische Texte des Mahäbhäratam«.
^) Von der Art, wie die oben S. 347 f. angeführten.
~ 365 —
die Ansprüche der Brahmanen auf Vorherrschaft über alle
anderen Gesellschaftsschichten in so anmafsender und über-
triebener Weise geltend gemacht als im XIII. Buch. Ein grofser
Teil des Buches beschäftigt sich mit dem Dänadharma, d. h. den
Gesetzen und Vorschriften über die Freigebigkeit. Unter »Frei-
gebigkeit« ist aber stets nur das Beschenken von Brahmanen zu
verstehen.
Aufser in diesen beiden Büchern finden wir, wenn wir von
kleineren über ein oder zwei Gesänge nicht hinausgehenden
Stücken absehen, gröfsere lehrhafte Abschnitte noch im III., V.,
VI., XI. und XIV. Buche. Wir finden da im III. Buch (28—33)
eine lange Unterhaltung zwischen Draupadi, Yudhisthira und
Bhlma über ethische Fragen, wobei Draupadi ein Zwiegespräch
zwischen Bali imd Prahläda und eine »Nlti des Brhaspati« *)
zitiert. In demselben Buche finden wir (205 — 216) die Aus-
einandersetzungen des Märkandeya über die Tugenden der
Frauen (205 f.), über die Schonung der Lebewesen (Ahimsä,
206 — 208), über die Macht des Schicksals, Weltentsagung und
Erlösung, über Lehren der Sähkhyaphilosophie (210) und des
Vedänta (211), über die Pflichten gegen die Eitern (214 ff.) u. a.
Das V. Buch enthält lange Vorträge des Vi dura über Moral
und Lebensklugheit (33-40) und die philosophischen Lehren
des ewig jungen Sanatsujäta (.41 — 46). Im VI. Buche
(25—42) begegnet uns die berühmte Bhagavadgitä, zu
welcher die im XIV, Buche (16--51)-enthaltene Anugltä eine
Art Fortsetzung oder Ergänzung bildet ^j. Die Trostreden des
Vidura im XI. Buche (2—7) bewegen sich wieder auf dem Ge-
biete der Ethik,
Von allen diesen lehrhaften Stücken des Mahäbhärata ist
keines zu solcher Beliebtheit und Berühmheit gelangt als die
Bhagavadgitä 8) oder das »Gotteslied«. In Indien selbst gibt
') III, 32, 61.
■♦) Die drei philosophischen Gedichte BJiagavadgltä, Sanatsujätiya
und Anugitä sind von Käshinäth Trimbak Telang im 8. Band der
'Sacred Books of the East« ins Englische übersetzt wordev, jetzt auch
ins Deutsche von Deussen, »Vier philosophische Texte des Mahä-
bhäratam".
^) Der vollständige Titel ist Bhagavadgitä upanisadah, »die
von dem Erhabenen vorgetragenen Geheimlehren«, ßhagavat »der
— 366 —
€s kaum ein Buch, welches so viel gelesen und so hoch geachtet
wird wie die Bhagavadgltä. Es ist das heilige Buch der
Bhägavatas, einer visnuitischen Sekte, es ist aber ein Andachts-
und Erbauungsbuch für jeden Inder, welcher Sekte immer er
angehören mag. Von einem König von Kaschmir, dem 883
n. Chr. gestorbenen Avantivarman, erzählt der Geschichtschreiber
Kalhana '), dafs er in seiner Todesstunde sich die Bhagavadgttä
vom Anfang bis zum Ende habe vorlesen lassen , worauf er,
an Visnus Himmelssitz denkend, frohgemut seinen Geist aufgab.
Und er ist nicht der einzige Inder gewesen, der in seiner Todes-
stunde in diesem Buche Trost gefunden. Viele gebildete Hindus
gibt es noch heute, welche das ganze Gedicht auswendig wissen.
Zahllos sind die Handschriften, die von demselben erhalten
sind. Und seitdem es im Jahre 1809 zum erstenmal in Kalkutta
gedruckt worden ist, vergeht kaum ein Jahr, wo nicht irgendein
Neudruck des Werkes in Indien erscheint. Zahlreich sind auch
die Übertragungen in neuindische Sprachen.
In Europa wurde das Gedicht zuerst durch die englische Über-
setzung von Chas. Wilk ins (London 1785) bekannt. Von grofser
Wichtigkeit war die kritische Textausgabe durch August Wil-
helm von Schlegel 2), welcher eine lateinische Übersetzung bei-
gegeben war. Durch diese Arbeit wurde Wilhelm von Humboldt
mit dem Gedichte bekannt, und es wurde bereits erwähnt *), wie
sehr er sich für dasselbe begeistert hat. Er stellte die BhagavudgTtä
hoch über Lnkrez und selbst über Parmenides und Empedokies
und erklärte, »dafs diese Episode des Mahäbhärata das schönste,
ja vielleicht das einzige wahrhaft philosophische Gedicht ist, das
alle uns bekannten Litteraturen aufzuweisen haben«. In einer
grofsen Abhandlung der Berliner Akademie (1825 — 26) »Über
Erhabene, der Verehrungswürdige» ist der Beiname des als Krs^a
verkörperten Gottes Visnu, der die in dem Gedicht enthaltenen Lehren
dem Arjuna vorträgt. Aufser »Bhagavadgltä« ist in Indien auch der
kurze Titel »Gitä« (d. h. »das Lied« par excellence) sehr geläufig.
') Räjatarahgi^I V, 125.
*) Vgl. oben S. 10 oi." 15. Die englische Übersetzung von Wil-
kins hat Fr. Majer in Jul. Klaproths »Asiat. Magazin« Bd. I. u. II
(Weimar 1802) ins Deutsche übertragen. Einige Verse der Bhagavadgltä
hat auch Herder in den "Gedanken einiger Brahmanen« übersetzt.
») Oben S. 16 f. Vgl. Ges. Werke von W. v. Humboldt I, S. 96
und 111.
— 367 —
die unter dem Namen Bhagavadgltä bekannte Episode des
Mahäbhärata« ^) und in einer ausführlichen Besprechung der
Schlegelschen Ausgabe und Übersetzung 2) beschäftigte sich
Wilhelm von Humboldt eingehend mit dem Gedicht. Es
wurde mehrfach ins Deutsche übersetzt, 1834 von C. R. S.
Peiper, 1869 von Fr. Lorinser und 1870 von R. Box-
berg er ä). Die genauesten und zuverlässigsten Übersetzungen
sind aber jetzt die von R. Garbe*) und P. Deussen^).
/ Das Gedicht findet sich an einer Stelle, wo man es am aller-
wenigsten vermuten würde — am Anfange des VI. Buches, wo
die grofsen Kampfschilderungen beginnen. Alle Vorbereitungen
zur Schlacht sind getroffen. Die beiden Heere stehen einander
kampfbereit gegenüber. Da läfst Arjuna den Streitwagen
zwischen den beiden Heeren Halt machen und überschaut die
zum Kampfe gerüsteten Scharen der Kauravas und Pändavas.
Und wie er da auf beiden Seiten »Väter und Grolsväter, Lehrer,
Oheime und Brüder, Söhne und Einkel, Freunde, Schwäher und
Genossen« sieht, da übermannt ihn ein Gefühl des tiefsten Mit-
leids; Entsetzen ergreift ihn bei dem Gedanken, dafs er gegen
V^erwandte und Freunde kämpfen solle; Sünde und Wahnsinn
scheint es ihm, diejenigen morden zu wollen, um derentwillen
man sonst in den Kampf zieht. Da ihm aber Krsna Schwäche
und weichliche Gesinnung vorwirft, erklärt Arjuna, da(s er ganz
') Auch Ges. W^Tke 1, 26-109.
2) In Schlegels «Indisciier Bibliothek« Bd. II, 1824, S. 218 ff.,
328 ff. Auch Ges. Werke 1, 110-184.
*) Sehr wertvoll ist die oben S. 365 Anm. 2 erwähnte englische
Übersetzung von Telang. Hingeg^^n ist die deutsche Übersetzung
von Franz Hartmann (Braunschweig 1892) für moderne Theosopheu,
welche sie »im Sonnenlichte des göttlichen Geistes* (Vorrede des
Übers.) zu lesen imstande sind, gemacht, kann daher gewöhnlichen
Sterblichen nicht empfohlen werden.
*) Die Bhagavadgltä, aus dem Sanskrit übersetzt. Mit einer Ein-
leitung über ihre ursprüngliche Gestalt, ihre Lehren und ihr Alter
Leipzig 1905. Diese Übersetzung ist philologisch genau und gibt den
philosophischen Inhalt der Dichtung zuverlässig wieder. Von deren
dichterischem Gehalt gibt sie allerdings keine Vorstellung und
beabsichtigt das auch nicht. Von den poetischen Übersetzungen
ziehe ich die reimlose Peipers den gereimten Versen Boxbergers vor.
Lorinsers t)bersetzung ist ebenso undichterisch wie undeutsch.
<^) Siehe oben S. 273 Anm.
— 368 —
ratlos dastehe, dafs er nicht wisse, ob es besser sei, zu siegen
oder sich besiegen zu lassen, und er bittet schliefslich den Krsna,
ihn darüber zu belehren, was er denn eigentlich in diesem Zwie-
spalt der Pflichten tun solle. Darauf antwortet ihm Krsna mit
einer eingehenden philosophischen Auseinandersetzung, deren
unmittelbarer Zweck der ist, den Arjuna zu überzeugen, dafs es
seine Pflicht als Krieger sei, zu kämpfen, was auch immer die
Folgen sein mögen. So sagt er:
»Du beklagst diejenigen, welche nicht zu beklagen sind, wenn du
gleich verständige. Worte redest. Der Weise klagt nicht um die
Lebenden und nicht um die Toten. Niemals hat es eine Zeit gegeben,
wo ich nicht war, niemals eine Zeit , wo du nicht warst, niemals eine
Zeit, wo diese Könige hier nicht waren: und keiner von uns wird je-
mals aufhören zu sein. Wie der Mensch in diesem seinem Körper
Kindheit, Jugend und Alter erlangt, so erlangt er auch (nach dem
Tode) einen anderen Körper: der Weise wird daran nicht irre . . .
Vergänglich sind nur diese Leiber an dem ewigen, unvergänglichen,
unvernichtbaren Menschen; darum kämpfe nur, o, Bharatasprofs!
Wer da den einen für den Töter erklärt und den anderen für getötet
hält, — die wissen beide nichts. Denn der Mensch tötet nicht und
wird nicht getötet. Er wird nicht geboren und stirbt niemals und
niemals wird er, wenn er einmal entstanden ist, aufhören zu sein.
Ungeboren, beständig, ewig und uranfänglich, wird er nicht getötet,
wenn der Leib getötet wird . - . Wie ein Mann alte Kleider abwirft
und andere neue anzieht, so wirft der Mensch die alten Leiber ab
und nimmt andere neue an. Ihn verwundet kein Schwert, ihn brennt
kein Feuer, ihn netzt kein Wasser, ihn dörrt kein Wind aus . . .
Wenn du dies alles erkannt hast, sollst du um ihn nicht klagen . . .«
Krsna sagt also: Es ist kein Grund zur Klage über das
bevorstehende Morden, denn der Mensch selbst, d. h. der
Geist, ist ewig und unvemichtbar, nur die Leiber sind es.
welche vernichtet werden. Und daran knüpft er die Mahnung
an Arjuna, er möge seiner Pflicht als Krieger eingedenk in den
gerechten Kampf ziehen. Glücklich der Krieger, dem ein solcher
Kampf zuteil wird, der ihm die Tore zum Himmel öffnet! Wenn
er nicht kämpfe, so lade er Schande auf sich, die schlimmer sei
als der Tod. Wenn er in der Schlacht falle, sei ihm der Himmel
gewifs; siege er, so werde er die Erde beherrschen. Darum
müsse er auf jeden Fall kämpfen. Mit dieser Rede des Helden
Krsna stehen aber alle folgenden Auseinandersetzungen des
Weisen Krsna und später des Gottes — denn im Verlaufe
— 369 —
der Dichtung ist es mehr und mehr der Gott Krsna, welcher
zu Arjuna spricht — in unvereinbarem Widerspruche. Denn
alle weiteren Erörterungen der Bhagavadgltä über die Ethik
des Handelns gipfeln in der Lehre, dafs der Mensch zwar seiner
Pflicht gemäfs handeln solle, jedoch ohne alle Rücksicht auf
Erfolg oder Mifserfolg, ohne sich um den zu erwartenden Lohn
zu kümmern. Denn nur ein solches wunschloses Handeln
läfst sich mit dem eigentlichen Sittlichkeitsideal, welches in dem
Aufgeben aller Werke, im Nichthandeln, in der völligen Welt-
entsagtmg besteht, einigerraafsen vereinigen. Und eigentlich
zieht sich trotzdem noch durch das ganze Gedicht ein ungelöster
Widerspruch zwischen der quietistischen Asketenmoral,
welcher die in Weltabgeschiedenheit gepflogene Meditation und
das Streben nach höchster Erkenntnis als Weg zum Heil er-
scheint, und der in Indien unter den Philosophen wenigstens nie
recht anerkannten Moral des Handelns. Zwar lehrt Krsna,
dafs es zwei Wege zum Heile gebe, den Weg der Erkenntnis
und den Weg des Handelns. Solange aber der Geist an den
Körper gebunden ist, wäre es nur Heuchelei zu sagen, dafs der
Mensch, ohne zu handeln, leben könne. Denn mit der Materie
sind stets die drei »Qualitäten« [Gunas*)] — Güte, Leidenschaft
und Finsternis — verbunden, durch welche notwendigerweise
Handlungen entstehen. Was der Mensch tun kann, ist also nur
das, dafs er ohne Wünsche, ohne Begierden seine Pflicht tue.
Denn »wie das Feuer vom Rauch, wie der Spiegel vom Schmutz
verdeckt wird, wie die Frucht im Mutterleibe von der Eihaut
umhüllt ist, so ist die Erkenntnis von der Begierde, dieser ewigen
Feindin des Erkennenden, umhüllt« 2). Wer also wunschlos
handelt , der kommt dem eigentlichen Ideal , welches doch auf
dem Wege der Erkenntnis liegt, am nächsten. Wie hoch die
Bhagavadgltä die Erkenntnis als Heilsweg stellt, das zeigen
die Verse (IV, 36 f.):
»Und wärest du auch der S'indigste unter allen Sündigen, mit
dem Boote der Erkenntnis wirst du über alle Sünden hinwegkommen.
Wie das Feuer, sobald es entflammt ist, das Brennholz in Asche ver-
') Die Lehre von den drei Gunas gehört zum System der Sankhya-
Philosophie.
2) Bhag. III, 38 f.
— 370 —
wandelt, o Arjuna, so verwandelt das Feuer der Erkenntnis alle Hand-
lungen zu Asche.»
Und auch nach der Bhagavadgitä ist derjenige ein Yogin —
das Ideal des Heiligen und Weisen — , der, von allem Irdischen
völlig abgewandt, nur sinnend nach Erkenntnis strebt. Der
Yogin bewahrt seine Seelenruhe »in Kälte und Hitze, in Freud
und Leid, in Ehre und Unehre«. Eine Erdscholle, ein Stein
und ein Goldklumpen gelten ihm gleich. Er ist ein und der-
selbe gegen Freunde und Feinde, gegen Fremde und Verwandte,
gegen Gute und Böse. An einsamem Orte in Versenkung
sitzend, »blickt er, ohne sich zu rühren, auf seine Nasenspitz?«.
»'Wie ein Licht an einem windstillen Orte nicht flackert': das
ist das altbekannte Gleichnis für den Yogin, der sein Denken
im Zaume hält" und sich ganz der Versenkung (Yoga) hingibt« *).
Während aber doch in den Upanisads *) das Sinnen und Denken
als der einzige Weg zum Erkennen und zum Heil gilt , kennt
die Bhagavadgitä noch einen anderen Weg, den der Bhakti,
d. h. der Liebe zu Gott"). Auf die Frage des Arjuna, ob denn
*) VI, 7—19. In einem Brief an Gentz schreibt Wilh. v. Hum-
boldt, jener werde begreifen, wie sehr das indische Gedicht auf ihn
wirken mufste. »^Denn ich bin den Vertieften (d. i. den Yogins),
von denen darin die Rede ist, so unähnlich nicht.« (Schriften von
Friedrich von Gentz, herausg. von G. Schlesier. Mannheim 1840.
V, S. 300.)
2) Vgl. oben S. 222.
') Diese Idee der Bhakti oder Gottesliebe ist es, welche uns mehr
als irgend etwas anderes in der Bhagavadgitä an christliche Ge-
dankenkreise erinnert. Auch sonst sind die Anklänge an christliche Vor-
stellungen so stark, dals der Versuch F. Lorin sers in dem Anhange
zu seiner Übersetzung (Breslau 1869), christliche Einflüsse in der Bhaga-
vadgitä nachzuweisen, von vornherein nicht abzulehnen ist. Aber
gerade die eingehende Untersuchung Lorinsers beweist, dafs wir es hier
mit einem religionsgeschichtlich hoch interessanten Parallelismus der
Entwicklung und nicht mit einem Fall von Entlehnung zu tun haben.
Lorinser ist überzeugt, »dafs der Verfasser der Bhagavadgitä nicht
nur die Schriften des Neuen Testaments gekannt und vielfach be-
nützt, sondern auch in sein System überhaupt christliche Ideen und
Anschauungen verwoben hat«, und er will beweisen, »dafs dieses viel-
bewunderte Denkmal altindischen Geistes, dieses schönste und er-
habenste didaktische Gedicht, welches als eine der edelsten Blüten
heidnischer Weltweisheit betrachtet werden kann, gerade seine reinsten
und am meisten gepriesenen Lehren zum grofsen Teil« christlichen
— 371 —
derjenige, welcher nicht imstande sei, seinen Geist ganz und aus-
schliefslich auf die Versenkung zu lenken, verloren sei, antwortet
Krsna: »Keiner, der Gutes getan hat, ist ganz verloren.« Wer
in dieser Welt seine Pflicht getan hat, wird nach dem Tode,
seinem Verdienste entsprechend, in einer guten frommen Familie
wiedergeboren und erlangt nach mehreren Wiedergeburten all-
mählich die Fähigkeit, ein Yogin zu werden. »Unter allen
Yogins,« sagt Krsna ^), »wird derjenige von mir für den Er-
gebensten erachtet, welcher mit seinem auf mich gerichteten
inneren Selbst glaubensvoll mich liebt.« Aus der Gottes-
liebe entspringt erst die Gotteserkenntnis und die wahre Er-
lösung. Das lehrt Krs^a immer wieder:
»Ja selbst wenn, ein sehr schlechter Mensch mich und keinen
anderen verehrt, so mufs er für gut erachtet werden; denn er hat
die richtige Überzeugung. Aläbald wird er rechtschaffenen Herzens
und gelangt auf immerdar zur Seelenruhe. Sei überzeugt, o Sohn der
Kunti: Keiner, der mich liebt, ist verloren! Selbst diejenigen,
o Arjuna, welche von schlechter Geburt sind, selbst die Krauen, die
Vaisyas und die ^Bdras, wenn sie zu mir ihre Zuflucht nehmen, er-
reichen das höchste Ziel — um wie viel mehr denn heilige Brahmanen
und königliche Weise, die mich lieben . . .« *).
Auch das sittliche Handeln und alle Tugenden des Yogin
erhalten ihren Hauptwert erst durch die Gottesliebe:
Quellen verdankt. Von solchen Tendenzen geleitet, hat Lorinser
alles verglichen, was sich nur halbwegs vergleichen läfst. Aber von
den mehr als hundert Parallelstellen aus den Evangelien, welche
Lorinser zu Stellen der Bhagavadgitä anführt, sind höchstens 25 von
der Art, dafs eine Entlehnung denkbar wäre. In keinem einzigen
Fall jedoch ist die Ähnlichkeit eine solche, dafs die Annahme einer
Entlehnung wahrscheinlicher wäre als die einer zufälligen Über-
einstimmung. Auch die Gottesliebe ist ja nicht auf das Christentum
beschränkt. Ich erinnere nur an den Sufiismus, in welchem sie keine
geringere Rolle spielt als bei den christUchen Mystikern. Die Aus-
führungen Lorinsers haben auch bisher keinen Indologen überzeugt.
Selbst A. Weber, der («Griechen in Indien«, Sitzungsber. der Berliner
Akademie 1890, S. 930) die Bhakti auf christliche Einflüsse zurück-
führt, meint doch, dafs Lorinser zu weit gehe. Vgl. auch A. Barth,
The Religions of India, transl. by J. Wood, London 1889, p. 220 f.
und Garbe a. a. O. S. 32 f. u. 55 ff.
1) VI, 47.
«) IX, 30-33.
Wioternitz, Geschichte der indtscben Litteratur. 25
— 372 -
»Derjenige Verehrer von mir, der keinen Hals hegt gegen irgend-
ein Wesen, sondern nur voll Liebe und Erbarmen ist, der uneigen-
nützig und selbstlos, in Glück und Unglück gleich, nachsichtig, zu-
frieden, stets der Betrachtung ergeben sich selbst bezähmt und un-
erschütterlich seinen Geist und seinen Verstand auf mich gerichtet
hat, — der ist mir lieb. Vor wem die Menschen nicht zittern, und
wer vor den Menschen nicht zittert, wer von Freude und Zorn, von
Angst und Aufregung frei ist, — der ist mir lieb. Der Verehrer von
mir, der sich um diese Welt nicht kümmert, der rein, klug, gleich-
mütig und gegen Schmerz unempfindlich ist und alles Handeln auf-
gegeben hat, — der ist mir lieb.«^)
Der Kern aller eth'schen Lehren der Bhagavadgitä ist aber
in dem Verse enthalten, welchen die Kommentatoren mit Recht
als den »Quintessenz-Vers« bezeichnen 2) :
»Wer alle seine Werke um meinetwillen tut, wer mir ganz
ergeben ist, wer mich liebt, vom Haften am Irdischen frei und ohne
Hafs gegen irgendein Wesen ist, der geht zu mir ein, o Päigi4n-
sprols.«
Hier ist auch ausgesprochen, worin nach der Bhagavadgitä
die Erlösimg oder das höchste Heil besteht: in dem Eingehen
zu Gott. Dieses aber ist zu verstehen »als Erhebung der Seele
zu gottähnlichem Dasein, als individuelle Fortdauer in der Gegen-
wart Gottes«^).
Es sind also drei Wege, welche zu diesem Ziele führen:
der Weg des pflichtgemälsen Handelns, der Weg der Erkenntnis
und der Weg der Gottesliebe. Und es wird wenigstens ver-
sucht — wenn auch der Versuch nicht immer glücklich ist — ,
die drei Wege miteinander in Einklang zu bringen. Der erste
Weg lälst sich ja mit dem dritten vereinigen, und die Gottes-
liebe führt zur Gotteserkenntnis, trifft also mit dem zweiten
Wege zusammen. So kann man über die Widersprüche in bezug
auf die ethischen Lehren der Bhagavadgitä einigermafsen hinweg-
kommen. Viel ernster ist aber ein anderer Widerspruch, der
sich durch das ganze Gedicht hindurchzieht, und der jedem
Leser, der nicht ein gläubiger Hindu oder ein schwärmerischer
Theosoph ist, auffallen mufs. Alles, was wir bisher angeführt
haben, insbesondere aber die so sehr hervorgehobene Bhakti
') XII, 13-16.
2) XI, 55.
'') Garbe a. a. O. S. 54.
— 373 —
oder Gottesliebe, Weist auf den Glauben an einen persönlicheo
Gott hin. Neben diesen streng theistischen Anschauungen
werden nun sehr oft auch rein pantheistische Ausführungen
im Sinne der Brahman-Atman-Lehre der Upanisads vorgetragen.
Dies geschieht aber nicht etwa in der Weise (wie das in Indien
öfters vorgekommen ist), dafs die Lehre vom persönlichen Gott
als eine niedrigere für das Volk (exoterische), die pantheistische
Lehre von der Weltseele hingegen als eine höhere für die Weisen
(esoterische) hingestellt würde-, auch nicht in der Weise (wofür
es gleichfalls in Indien Beispiele gibt), dals man Theismus imd
Pantheismus absichtlich verbunden und die Weltseele mit dem
persönlichen Gott identifiziert hätte ; sondern in der Bhagavadgitä
stehen die Widersprüche ganz unvermittelt nebeneinander. Es
folgen Verse auf Verse, in denen Krsna von sich als dem
höchsten Gott und Schöpfer spricht, und mitten darunter wieder
Verse, in denen das Brahman, die Weltseele, ganz im Stile der
Upanisads und der Vedäntaphilosophie als das einzige und höchste
Weltprinzip erklärt wird. Man hat daher früher vielfach an-
genommen, dafs die Bhagavadgltä ursprünglich ein pantheistisches
Gedicht gewesen sei, das in späterer Zeit von den Verehrern des
Gottes Visnu in ein theistisches Gedicht umgearbeitet worden
wäre.
Es ist aber, glaube ich, Garbe vollständig gelungen
nachzuweisen, dals sich die Sache umgekehrt verhält. Die
Bhagavadgltä ist ihrer ganzen Anlage nach durchaus theistisch,
und die pantheistischen Stellen lassen sich verhältnismäfsig leicht
ausscheiden. Von den 700 Versen des Gedichtes hat Garbe
170 als unecht, d. h. als vom Standpunkte der Vedäntaphilosophie
und der orthodox-brahmanischen Religion später eingeschoben,
nachgewiesen. Wenn wir das Gedicht mit Auslassung der von
Garbe in seiner Übersetzung kleingedruckten Stellen lesen, so
ergibt sich, dafs dadurch keine Lücke entsteht, und dafs sogar
an vielen Stellen durch Weglassung der so bezeichneten Verse
ein unterbrochener Zusanamenhang wiederhergestellt wird. Es
spricht auch durchaus für die Richtigkeit der Garbeschen Auf-
fassung, dafs unter den 170 von ihm ausgeschiedenen Versen
höchstens etwa zehn oder zwölf genannt werden können, die
irgendwelche poetische Schönheiten aufweisen. Es ist dies um
so bemerkenswerter, als Garbe selbst die Bhagavadgltä als
25*
— 374 —
dichterische Schöpfimg nicht sehr hoch einschätzt und daher
diese ästhetische Erwägung gar nicht beibringt.
Wenn wir das Gedicht, so wie es uns vorliegt, un-
befangen und kritisch lesen, müssen wir uns in der Tat darüber
fast wundern, dafs es im Osten wie im Westen so viel Be-
geisterung erregt hat. Denn O. Böhtlingk») hat gewifs
nicht unrecht, wenn er sagt, dafs unser Gedicht »neben vielen
hohen und schönen Gedanken auch nicht wenige Schwächen, Wider-
sprüche . . ., Wiederholungen, Übertreibungen, Abgeschmackt-
heiten und Widerlichkeiten *! enthalte. Es ist aber zum mindesten
fraglich, ob nicht gerade d i e Stellen, für welche dieser Vorwurf
zutrifft, auch aus anderen Gründen als unecht auszuscheiden sein
werden. Ich glaube dies um so mehr annehmen zu müssen,
als ich die alte und echte Bhagavadgltä für das Werk eines
wahren und grofsen Dichters halte.
Nicht die Gedankentiefe, nicht die unergründliche Weisheit,
die nach der Ansicht der meisten indischen und so «vieler
europäischer Gelehrten in dieser Dichtung stecken soll, ist es,
was die Bhagavadgltä sowohl in Indien als auch in Europa so
berühmt und beliebt gemacht hat •, sondern durch ihren dichterischen
Gehalt — die Gewalt der Sprache, die Pracht der Bilder und
Vergleiche, den Hauch des Weihe- und Stimmungsvollen, der
über die Dichtung ausgebreitet ist — hat sie zu allen Zeiten
auf empfängliche Gemüter einen so tiefen Eindruck gemacht.
.Dafs aber die Bhagavadgltä in ihrer jetzigen Gestalt (welche
sie übrigens wahrscheinlich schon in den ersten Jahrhunderten
nach Chr. hatte) in Indien selbst das beliebteste rehgiöse
Erbauungsbuch geworden und bis heute geblieben ist, wird nicht
zum wenigsten gerade dem Umstand zuzuschreiben sein, dafs in
ihr die einander widersprechendsten philosophischen Lehren und
religiösen Anschauungen zu einem Mischmasch vereinigt sind.
Die alte Bhagavadgltä stand ohne Zweifel — das hat Garbe
bewiesen — in philosophischer Beziehung auf dem Standpunkt der
Sänkhya-Philosophie^). Dieses System lehrt die absolute
^) »Bemerkungen zur Bhagavadgltä" in den Berichten der phü.-
hist. Klasse der König!. Sachs. Gesellschaft der Wissenschaften, 1897.
*) Garbe a. a. O- S. 42. Kapila, der Begründer des Sänkhya-
Systems, wird X, 26 als erster der Heiligen (Munis) genannt. Das
Wort Sänkhya bedeutet nach Garbe »Auf Zählungslehre« (von
sankhyä, »Zahl«), nach anderen etwa »Unterscheidungslehre«.
— 375 —
Verschiedenheit des geistigen und ungeistigen Prinzips, behauptet
eine Vielheit von Seelen und die Unabhängigkeit und Ewigkeit
der Materie, es erklärt die Schöpfung als eine Entfaltung der
Welt aus der Urmaterie ; und wenn es gleich den Üpanisads die
Erlösung von der Erkenntnis abhängig macht, so versteht es
doch unter »Erkenntnis« das Wissen von der Verschiedenheit
von Geist und Materie *). Alle diese Lehren sind der Einheits-
lehre, die wir in den Üpanisads kennen gelernt haben, schnur-
stracks entgegengesetzt. Und doch findet der Veaänta-Philosoph
in unserer Bhagavadgltä auch seine eigenen Lehren wieder.
Mit dem Sänkhya-System enge verbunden ist aber das System
des Yoga; die Grundanschauungen beider Systeme sind die-
selben, nur dafs das Sähkhya mehr Psychologie, Erkenntnis-
lehre und Metaphysik ist, während der Yoga ein System der
»praktischen Philosophie« darstellt. In der Bhagavadgltä ist
Yoga geradezu die Lehre vom pflichtgemäfsen Handeln, Sähkhya
die Theorie von der richtigen Erkenntnis 2) ; das Gedicht wird
wohl auch als ein »Lehrbuch des Yoga« bezeichnet, und
»Sänkhya-Yoga« gilt in der Bhagavadgltä wie im ganzen Mahä-
bhärata als die Philosophie par excellence. Nun ist zwar Yoga
an manchen Stellen der Bhagavadgltä nichts anderes als »Ethik«,
meistens aber ist damit das gemeint, was Yoga in der indischen
Litteratur gewöhnlich bedeutet, nämlich die Lehre von der »Ver-
senkung« oder »Vertiefung« : die verschiedenen Methoden, durch
welche der Mensch sich vom Körperlichen und Irdischen befreien
und sich ganz in die Weltseele oder in die Gottheit vertiefen kann.
Diese Yoga-Lehren lassen sich daher zum Vedänta ebensogut
wie zum Sähkhya in Beziehung bringen, und für die Anhänger
aller religiösen Sekten ist der Yogin (ob er nun so oder anders
genannt wird) das Ideal des Heiligen. Trotzdem endlich vedische
Opfer und Zeremonien in den alten und echten Teilen der
') Über dieses philosophische System unterrichtet am besten und
zuverlässigsten Rieh. Garbe, Die Sämkhya-Philosophie , eine Dar-
stellung des indischen Realismus. Leipzig 1894.
-) Garbe, Bhagavadgltä S. 44. Über das Yogasystem und dessen
enger Verbindung mit dem Sänkhya-System vgl. R. Garbe, Sämkhya
und Yoga, im »Grundrifs der indo-arischen Philologie« III, 4. Strafs-
burg 1896. Das Wort Yoga bedeutet »Ausübung, Anstrengung,
Praxis«.
— 376 —
Bhagavadgltä als nicht zum Heile führend geradezu verworfen
werden, sind doch zugleich mit den Vedähta-Lehren auch Verse
in das Gedicht eingeschmuggelt worden, in denen brahmanische
Opfer empfohlen sind. So wird es verständlich, dafs sich alle
philosophischen Schulen und religiösen Sekten auf die Bhaga-
vadgltä berufen, und dafs sich der strenggläubigste Brahmane
an ihr ebenso erbaut wie der Anhänger der Brahmo SamEj oder
der gläubige Theosoph im Gefolge der Annie Besant.
Was aber von der Bhagavadgltä gesagt worden ist, das gilt
im grofsen und ganzen von allen philosophischen Abschnitten
des Mahäbhärata. Wohl stehen Sänkhya und Yoga im Vorder-
grunde, ihre Lehren werden am häufigsten und ausführlichsten
vorgetragen und als höchste Weisheit empfohlen. Doch sind
allenthalben auch Stellen eingeschoben, in denen der Vedänta
zu Worte kommt, und gröfsere Stücke, wie das Sanatsujätiya
(V, 41 — 46), sind ganz vom Standpunkte der Vedänta-Lehre ein-
gefügt worden, während die Anugitä (XIV, 16 — 51) wohl nur
eine späte Nachahmung der Bhagavadgltä ist und noch mehr
als diese ein buntes Allerlei von Lehren enthält'). An dichte-
rischem Gehalt aber kann sich keiner der eigentlich philosophischen
Abschnitte auch nur entfernt mit der Bhagavadgltä vergleichen.
Hingegen finden sich manche kostbare Blüten indischer Dicht-
kunst in jenen lehrhaften Stücken, welche sich mit ethischen
Fragen, z. B. der oft erörterten Frage nach dem Verhältnis von
Schicksal und Menschentat (karman), beschäftigen oder allgemeine
Sittenlehren — ohne alle Rücksicht auf irgendwelche philosophische
oder religiöse Anschauungen — enthalten. Von der Fülle der
') Anugitä bedeutet «Nachgesang'. Eine übersichtliche Zu-
sammenstellung der philosophischen Lehren, die im Mahäbhärata
enthalten sind, gibt E. W. Hopkins, The Great Epic of India.
S. 85—190. Joseph Dahlmann, Die Särakhya-Philosophie als Natur-
lehre und Erlösungslehre, nach dem Mahäbhärata, Berlin 1902, hat
mit viel Beredsamkeit aus dem Mischmasch der philosophischen Lehren
des Mahäbhärata ein einheitliches System herauszukonstruieren ver-
sucht. Auch De ussen deutet in dem Vorwort zu den »Vier philosoph.
Texten des M.« an, dafs er in der Philosophie des Mahäbhärata nicht
eine »Mischphilosophie«, sondern ein^ > Übergangsphilosophie» sieht.
Man mufs abwarten, ob ihm der versprochene Beweis hierfür ge-
lingen wird. Vorläufig glaube ich nur »Mischphilosophie« im Mahä-
bhärata zu finden.
— 377 —
Schönheit und Weisheit, welche in diesen Sprüchen des Mahä-
bhärata verborgen ist, mögen die folgenden Übersetzungen
wenigstens eine kleine Probe geben;
»Es vernarbt eine von Pfeilen verursachte Wunde, ein von der
Axt gefällter Wald wächst wieder; aber eine durch die Rede ge-
schlagene Wunde — eine garstige böse Rede — heilt nicht wieder.«
*Dem Menschen, welchem die Götter eine Niederlage bereiten
wollen, rauben sie den Verstand, dann sieht er alles verkehrt.«
'Die Götter schützen nicht wie der Hirte mit dem Stock in der
Hand, sondern wen sie beschützen wollen, dem verleihen sie Verstand.«
»Wer verletzende Rede nicht spricht, noch sprechen läfst; wer,
wenn er geschlagen wird, nicht zurückschlägt, noch schlagen läfst,
wer selbst den Bösewicht nicht zu schlagen sucht, nach dessen An-
kunft sehnen sich die Götter.«
»Ein anderer geniefst den Reichtum des Dahingegangenen,
Vögel und Feuer verzehren die Bestandteile seines Leibes; nur mit
zweien geht er ins Jenseits hinüber, mit seinen guten und seinen bösen
Taten, die ihn stets begleiten.
Freunde, V^erwandte und Söhne verlassen den Toten und kehren
heim, wie die Vögel sich von bluten- und früchtelosen Bäumen ab-
wenden. Aber die Tat, die er selbst getan, folgt ihm nach, wenn er
ins Feuer geworfen wird. Darum soll der Mensch nach Kräften all-
mählich gute Werke sammeln.«
»Gut ist's, die Wahrheit zu sprechen; es gibt nichts Höheres als
die Wahrheit. Durch die Wahrheit wird alles in Ordnung gehalten,
auf die Wahrheit ist alles gegründet.
Selbst verbrecherische Räuber verpflichten sich untereinander
zur Wahrheit und vermeiden, auf sie gestützt, Verrat und Streit;
wenn sie nicht gegeneinander Treue übten, würden sie ohne Zweifel
zugrunde gehen.«
»Von allen Seiten fürchtet der Dieb Gefahr, wie ein Wild, das
ins Dorf gekommen; da er selbst so viel Böses tut, erwartet er es
auch von anderen.
Immer und überall geht der Reine heiter und furchtlos einher,
denn wie er selbst nichts Schlechtes tut, so gewärtigt er auch bei
anderen nichts Böses.«
»Was ein Mensch nicht wünscht, dafs es ihm von anderen ge-
schehe, das füge er auch anderen nicht zu, da er weifs, wie es ihm
selbst unlieb ist.«^)
') V, 33, 77; 80: 34, 41; 35, 11; 39, 16-18; XII, 258, 10 f.;
15 f.; 19. Siehe auch oben S. 296 f., 320 f., 323, 357, 359-362.
378
O^r Harivamsa, ein Anhang zum Mahäbhärata ^).
Die Ausführungen der vorausgehenden Kapitel müssen ge-
nügen, um einen Begriff von dem mannigfachen Inhalt der
achtzehn Bücher (Parvans) des Mahäbhärata zu geben. Die
Inder betrachten aber auch den HarivamSa, ein Werk, welches
in Wirklichkeit ein Puräna ist und auch gelegentlich »Harivan^a-
Puräna« genannt wird, als einen Bestandteil des Mahäbhärata.
Doch wird das Buch auch von den Indern nicht als ein neun-
zehntes »Parvan«, sondern als ein Khila, d. h. ein Nachtrag
oder Anhang, zum Mahäbhärata bezeichnet. Dieser »Anhang«
ist nun freilich ein Werk von 16 374 Doppelversen (§lokas),
also länger als Ilias und Odyssee zusammengenommen. Doch
steht die litterarische Bedeutung desselben keineswegs in ge-
radem Verhältnis zu dem Umfang. Es ist vor allem keine
»Dichtung«, in keinem Sinne das Werk irgend eines Dichters,
sondern eine Zusammenhäufung oder ganz lose Aneinanderreihung
von Texten — Legenden, Mythen, Hymnen — , welche der Ver-
herrlichung des Gottes Visnu dienen. Der Harivamsa ist aber
nicht einmal das Werk ei,nes Kompilators. Das letzte Drittel
desselben ist gewifs erst ein späterer Anhang zum Anhang, und
auch in den übrigen Teilen des Werkes sind viele Stücke wahr-
scheinlich zu ganz verschiedenen Zeiten eingeschoben worden.
Der Zusammenhang des Harivamsa mit dem Mahäbhärata
selbst ist ein ganz äufserlicher imd beschränkt sich im wesent-
lichen darauf, dafs derselbe Vaisampäyana , welcher dem Jana-
mejaya das ganze Mahäbhärata vorgetragen haben soll ^), auch
als der Vortragende des Harivamsa gilt. Anknüpfend an die
Rahmenerzählung des Mahäbhärata bittet zu Beginn des An-
hangs Saunaka den Ugrasravas, er möge ihm, nachdem er alle
die schönen Geschichten von den Bhäratas erzählt, nun auch
noch etwas von den Vrsnis und Andhakas — den Familien, zu
welchen Krsna gehört — berichten. Darauf bemerkt Ugra§ravas,
') Vgl. A. Holtzmann, Das Mahäbhärata, II, S. 272-298. Es
gibt nur eine französische Übersetzung dieses Anhangs von S. A.
Langlois, Harivamsa ou histoire de la famille de Hari, Paris
1834-35.
«) Siehe oben S. 270.
— 379 —
ganz dieselbe Bitte habe Janamejaya nach dem Vortrage des
MahSbharata an Vaisampäyana gerichtet, und dieser habe sodann
alles das erzählt, was er selbst jetzt wiederholen wolle. So
wird denn alles folgende dem Vaisampäyana in den Mund ge-
legt. Aufserdem wird in einigen Versen am Anfange und einem
ganzen langen Gesang am Ende des Anhangs*) in über-
schwenglichen Versen das Lob des Mahäbhärata mit Einschluls
des Harivamäa gesungen und das religiöse Verdienst hervor-
gehoben, das man sich durch das Rezitieren und Anhören der
ganzen Dichtung erwirbt. Damit ist eigentlich alles erschöpft,
wodurch sich der Harivamsa selbst als zum Mahäbhärata ge-
hörig kennzeichnet. Inhaltlich hat der Harivamäa mit dem
Mahäbhärata nicht mehr gemein als die Puränas. Es finden
sich nämlich viele Sagen, insbesondere brahmanische Legenden
und Mythen, welche im Mahäbhärata vorkommen, in ver-
schiedenen Versionen sowohl im Harivamsa als auch in den
Puränas wieder.
Der Hafivam§a besteht aus drei grofsen Abschnitten, von
denen der erste Harivamsaparvan betitelt ist. Der Titel
> Harivamsa <, d. i. »Geschlechtsfolge des Hari« ^), welcher dem
ganzen Anhang gegeben wurde, pafst eigentlich nur auf dieses
erfete Buch. Es beginnt nach Art der Puränas mit einem ziem-
lich verworrenen Schöpfungsbericht u)id allerlei mythologischen
Erzählungen, so von Dhruva, der zum Polarstem wurde (62 ff.),
von Daksa^und seinen Töchtern, den Ahnfrauen der Götter und
Dämonen (101 ff.) u. a. Ausführlich wird die- Geschichte von
dem veda- und opferfeindlichen Titanen Vena und dessen Sohn
Prthu, dem ersten König der Menschen, erzählt*). In die
Genealogie der Sonnendynastie (545 ff.) d. h. des Königs Iksväku
und seiner Nachkommen, die ihren Ursprung auf den Sonnengott
zurückfuhren, fügen sich zahlreiche Legenden, z. B. von Vi-
Svämitra und Vasistha (706 ff.) ein. Aufser allem Zusammenhang
mit dieser Genealogie wird dann ein rituelles Stück über die
») Adhyäya 323, siehe unten S- 838.
^) Von den unzähligen Namen des Gottes Vis^u ist Hari einer
der gewöhnlichsten.
. «) Prthüpäkhyäna, Adhy. 4—6, vss. 257—405.
— 380 —
Manen und den ihnen gebührenden Opferdienst eingefügt i). Es
folgt dann (1312 ff.) die Genealogie der Monddynastie, die von
Atri, dem Sohn des Mondgottes (Soma), gegründet wurde. Ein
Enkel des Soma war der berühmte Purüravas, dessen Liebes-
abenteuer mit UrvasI in sehr altertümlicher, dem Satapatha-
Brähmana sich ziemlich enge anschliefsender Form erzählt
werden^). Zu den Nachkommen des Purüravas gehören Nahusa
und Yayäti. Des letzteren Sohn Yadu ist der Ahnherr der Yädavas,
zu denen Vasudeva gehört, als dessen Sohn Krsna der Gott
Visnu auf Erden geboren wird. Nachdem so die Genealogie des
menschlichen Krsna gegeben worden ist, folgt eine Reihe von
Gesängen (2131 ff.), die sich ganz mit dem Gotte Visnu be-
schäftigen und so gewissermafsen die göttliche Vorgeschichte
des Krs^a enthalten.
Der zweite grolse Abschnitt des Harivamsa, Visnuparvan
betitelt 8), beschäftigt sich fast ausschlief such mit Krsna, dem
Mensch gewordenen Gotte Visnu. Mit grofser Breite werden
hier alle die Geschichten von der Geburt und Kindheit , den
Heldentaten und Liebesabenteuern des menschlichen, oft allzu
menschlichen Hirtengottes erzählt, welche mit grölserer oder
geringerer Ausführlichkeit auch in einigen der Puränas berichtet
werden, und welche den Namen Krsna zu einem der ver-
trautesten für jeden Hindu gemacht haben. Während die Besten
und Weisesten unter den Visnu- Verehrern den Krsna vor allem
als den Verkünder der frommen Lehren der BhagavadgltS
feiern, ist es der Krsna der Legenden, wie sie im Harivam§a
und in den Puränas erzählt werden, welcher von den Millionen
des eigentlichen Volkes in ganz Indien bis zum heutigen Tage
bald als ein erhabener Gott verehrt und angebetet, bald als ein
Ideal vollkommensten Menschentums hochgehalten wird. Und
eben dieser Gott der Legenden, nicht aber der Krsna des Mahä-
bhärata, der hinterlistige Freund der Pändavas, ist es auch, von
')Pitrkalpa, »Manenritual., Adhy. 16—24, vss. 835—1311.
Eingefügt ist die Geschichte von Brahmadatta, der die Tiersprachen
versteht, Adhy. 21, vss. 1185 ff., übersetzt und besprochen von
Th. Benfey in »Orient und Occident«, Bd. II, 1862, S. 133-171.
2) Adhy. 26, vss. 1363—1414, übersetzt von K.Geldnerinden
» Vedischen Studien« I, S. 249 ff. Vgl. oben S. 181 f.
•) Adhy. 57 ff. = vss. 3180 ff.
— 381 —
welchem schon der Grieche Megasthenes als dem »indischen
Heraklesf zu erzählen weifs. Um wenigstens eine Idee von
diesen litterargeschichtlich wie religionsgeschichtlich gleich wich-
tigen Krsna-Legenden zu geben, sei hier der Inhalt dieses
zweiten Abschnittes des Harivamsa ganz kurz skizziert^).
In der Stadt Mathurä") herrschte ein böser König Kamsa.
Diesem verkündete Närada, dafs ihm von dem achten Sohne der
Devakl, der Schwester seines Vaters und der Gemahlin des
Vasudeva, der Tod bevorstehe. Da beschliefst Kamsa, alle Kinder
der Devakl zu töten. Er lälst DevakT durch seine Diener strenge be-
wachen, und sechs ihrer Kinder werden gleich nach der Geburt ver-
nichtet. Das siebente Kind — es ist der später als »Räma mit der
Pflugschar«, »Balaräma« oder »Baladeva« bekannte Bruder des Krs^a-
wird von Nidrä^), der Schlafgöttin, dadurch gerettet, dafs sie den
Knaben, ehe er noch geboren ist, aus dem Mutterschofs der DevakT
in den der Rohini, einer anderen Gemahlin Vasudevas, überträgt.
Den achten Sohn aber r- und dies war Krs^a — vertauschte Vasudeva
selbst, um ihn vor Kamsa zu retten, gleich nach der Geburt mit der
zur selben Zeit geborenen Tochter des Hirten Nanda und der
Yasodä. So wird das Töchterchen der letzteren von Kamsa an einem
Felsen zerschmettert, während Krsna als Sohn eines Hirten gilt und
unter den Hirten aufwächst. Der Obhut der Hirtenfamilie wird von
Vasudeva auch Räma anvertraut, und die beiden Knaben wachsen zu-
sammen in der Hirtenstation auf. Schon als Säugling verrichtet K^sna
erstaunliche Wundertaten. Da ihn eines Tages seine Ziehmutter
Yasodä, nachdem sie ihn schlafend unter einen Wagen gelegt, zu lagge
auf Nahrung warten läfst, beginnt er ungeduldig mit Händen und
Ftifsen zu strampeln und wirft schlielslich mit einem Fufse den ganzen
grofsen Wagen um. In tollem Übermut streifen später die Knaben Krs^a
und Räma durch Wald und Feld und geben der schlichten Hirtenfrau
Yasodä nicht wenig zu schaffen. Einmal weifs sie sich schon gar
nicht mehr zu helfen, da bindet sie dem kleinen Krs^a einen Strick
um den Leib und knüpft ihn an einen schweren Mörser fest, indem
') Vgl. E. W^ indisch, Über das Drama Mrcchakatikä und die
Krsh]^a-Legende , in den »Berichten über die Verhandl. der Kgl.
Sächsischen Gesellschaft der Wiss. zu Leipzig, phil.-histor. Cl.«r
37. Bd., 1885, S. 439 ff., 456 ff.
") Noch heute sind die Tempel von Mathurä voll von Statuen,
die sich auf die Krsna-Legende beziehen. Vgl. P. Deussen, Er-
innerungen an Indien (Kiel u. Leipzig 1904) S. 112.
") Vielleicht veranlafste der Umstand, dafs Nidrä auch als Name
der Durgä gilt, die Einschiebung eines Hymnus auf diese Göttin:
Äryästava (Adhy. 59 = vss. 3268-3303). Doch ist die Einschiebung
derartiger Hymnen (Stotras) für alle Purä^as charakteristisch.
~ 382 -r
sie zornig sagt: »Jetzt lauf, wenn du kannst." Der Knabe aber
zieht nicht nur den Mörser mit sich fort, sondern da dieser zwischen
zwei Riesenbäumen hängen bleibt, reifst er die mächtigen Bäume
samt den Wurzeln aus. Entsetzt sehen die Hirten und die Zieh-
mutter, wie der Knabe lachend zwischen den Ästen der Bäume sitzt.
Er aber ist unversehrt.
Nachdem sieben Jahre verflossen waren, wurde es den Knaben
in der Hirtenstation zu langweilig. Da liefs Krsija aus seinem Körper
zahllose Wölfe hervorgehen, welche die Hirten so erschreckten, dafs
sie beschlossen, weiter zu wandern. Sie zogen mit ihren Herden nach
dem Vrndäwalde. Hier streifen nun die Knaben fröhlich durch den
Wald. Eines Tages aber ergeht sich Krsijia allein — bald singend,
bald spielend, bald auf einem Blatte pfeifend, bald auf der Hirtenflöte
blasend — am Ufer des Jamnäflusses und gelangt bis zu einem tiefen
See, in dem der Schlangenkönig Käliya haust, der mit seinem Ge-
folge das Wasser der Jamnä vergiftet und die ganze Gegend unsicher
macht. Rasch entschlossen stürzt sich Krsna in den See, um den
fürchterlichen Drachen zu bezwingen. Alsbald kommt das fünf-
köpfige, feuerschnaubende Ungeheuer zum Vorschein, und ein Heer
von Schlangen stürzt sich wütend auf den jungen Helden, ihn um-
schlingend und beilsend. Er aber macht sich rasch los, drückt die
Köpfe des Ungetüms zu Boden und springt mit Wucht auf den mitt-
leren Kopf, so dafs der Drache sich für besiegt erklärt und mit der
ganzen Schlangenbrut ins Meer zurückweicht.
Bald nachher tötet er auch den Dämon Dhenuka, der in Ge-
stalt eines Esels den Berg Govardhana bewacht. Ein anderer Dämon,
der Riese Pralamba, läfst sich mit Krs^a nicht erst ein, wird aber
von dessen Bruder Räma getötet.
Im Herbste wollen die Hirten, wie sie es gewohnt sind, ein grolses
Fest zu Ehren des Regengottes Indra veranstalten. Kjrsna will von
dieser Verehrung des Indra nichts wissen. »Wir sind walddurch-
wandernde Hirten, die stets vom Reichtum der Kühe leben, die Kühe
sind unsere Gottheit, die Berge und die Wälder« (3808). Mit solchen
Reden fordert er die Hirten auf, statt der Indrafeier ein Bergopfer zu
veranstalten, was diese auch tun. Darüber ist Indra so erzürnt, dafs
er ein fürchterliches Unwetter herabsendet. Aber Krsna hebt den
Berg Govardhana in die Höhe und hält ihn wie einen Regenschirm
über die Hirten mit ihren Herden, so dafs diese völlig geschützt
sind. "Nach sieben Tagen hört das Unwetter auf, Krs^a stellt den
Berg wieder auf seinen Platz zurück, und Indra erkennt demütig in
Krsna den erhabenen Gott Vis^u.
Da preisen und verehren ihn die Hirten als einen Gott, er aber
erklärt lächelnd, er wolle nur ihr Verwandter sein; die Zeit werde
erst kommen, wo sie sein wahres Wesen erkennen würden. Und als
Hirte unter Hirten lebt er in jugendlichem Frohsinn dahin. Er ver-
anstaltet Stiergefechte und Wettkämpfe mit den Stärksten unter den
Hirten. In den lieblichen Kerbstnächten aber erfreut sich sein Herz
— 383 -
an den Reigentänzen'), welche die schönen Hirtenmädchen, die alle
in^den Heldenjüngling verliebt sind, im Mondschein aufführen, indem
sie seine Taten besingen und sein Tun und Treiben — sein Spiel,
seinen heiteren Blick, seinen Gang, seinen Tanz und seinen Gesang —
scherzend nachahmen.
Einst als Krs^a sich mit den Hirtinnen vergnügte, erschien
Arista, ein Dämon in Stiergestalt. Kps^a reifst ihm ein Hörn aus
und erschlägt ihn damit.
Der Ruhm aller der Heldentaten des Krsi^a dringt zu den Ohren
des Kamsa und erregt dessen Besorgnis. Um ihn unschädlich zu
machen, läfst er die beiden jugendlichen Helden nach Mathurä kommen,
wo sie bei einem Feste mit seinen besten Ringern kämpfen sollen.
Aber kaum in der Stadt angelangt, verrichtet Krsna erstaunliche
Wunder- und, Krafttaten. So spannt er des Königs grofsen Bogen,
den selbst die Götter nicht zu spannen vermögen, so kräftig, dafs er
mit mächtigem Gretöse entzweibricht. Einem Elefanten, den Kamsa
auf die Jünglinge losläfst, reifst Krsija den Stofszahn aus und er-
schlägt ihn damit. Aber auch die zwei gewaltigen Ringkämpfer,
welche Kamsa d^n Jünglingen entgegenstellt, werden von diesen ge-
tötet. Zornentbrannt befiehlt nun der König, die Hirtenjünglinge und
alle Hirten aus seinem Reiche zu verjagen. Da stürzt sich Krsna wie
ein Löwe auf Kamsa, schleppt ihn bei den Haaren in die Mitte der
Arena und tötet ihn.
Nach einiger Zeit begeben sich die beiden Brüder nach Ujjein,
um dort bei einem berühmten Lehrer die Kunst des Bogenschiefsens
zu lernen. Diesem Lehrer ist ein Sohn im Meere umgekommen, und er
verlangt als Lehrlohn, dafs ihm Krs^a diesen Sohn wiederbringe. Da
steigt Kfsna in die Unterwelt hinab, bezwingt den Todesgott Yama
tmd bringt den Knaben seinem Vater zurück.
Um den Tod des Kamsa zu rächen, zieht sein Schwiegervater
Jaräsandha mit vielen verbündeten Fürsten gegen die Yädavas in
Felde, belagert Mathurä, wird wiederholt von Krsigia zurückgeschlagen,
erneuert aber seine Angriffe immer wieder, bis er endlich doch zurück-
weichen mufs. Diese Kämpfe mit Jaräsandha werden in einer langen
Reihe von Gesängen geschildert.
Ebenso wird die folgende Erzählung von dem Raub der Rukmi?^!
lange ausgesponnen *). Der König Bhismaka von Vidarbha hat seine
'> Es sind dies die Rasa oder Hallisa genannten, von mimischen
Darstellungen begleiteten Tänze, welche in manchen Gegenden Indiens
noch heute vorkommen und z. B. in Kathiavad noch unter einem dem
Sanskrit »Hallßa« entsprechenden Namen bekannt sind. (Vgl. die
indische Monatsschrift 'East & West", Vol. I, 748 f., May 1902.)
^ In die alte Sage, in der Krs^a als VLe\d auftritt, sind hier
jüngere Stücke eingeschoben, in denen er als Gott Visi?u in seiner
ganzen Göttlichkeit erscheint.
— 384 —
Tochter Rukmiigii dem König §isupäla zur Ehe versprochen, und die
Hochzeit sollte gefeiert werden. Da kommt Krsi^a mit seinem Bruder
Räma zur Hochzeitsfeier und raubt die Braut, Die schwer be-
leidigten Fürsten jagen ihm nach, werden aber von Räma zurück-
geschlagen. Rukmin, der Bruder der Geraubten, schwört, er wolle
nicht mehr nach seiner Vaterstadt zurückkehren, wenn er nicht Krsna
getötet habe und seine Schwester zurückbringe. Es kommt zu einem
heftigen Kampfe, in welchem Rukmin besiegt wird; auf Bitten der
Rukmi^i aber schenkt ihm Krsna das Leben. Um seinen Eid nicht
zu brechen, gründet sich Rukmin eine neue Stadt. In Dvärakä findet
die Hx>chzeit des Krsna mit RukminI statt. Er erzeugt mit ihr zehn
Söhne, heiratet aber dann noch sieben Königinnen und sechzehn-
tausend andere Frauen, mit denen er Tausende von Söhnen erzeugt.
Pradyumna, ein Sohn des Krsna und der RukminI 'X heiratet später
eine Tochter des Rukmin, und deren Sohn Aniruddha heiratet eine
Enkelin des Rukmin. Bei der Hochzeit des Aniruddha geraten Räma
und Rukmin beim Würfelspiel in Streit, und letzterer wird von Räma
erschlagen. Daran schliefst sich eine Verherrlichung der Taten des
Räma 2).
Es folgt dann die Geschichte von der Tötung des Naraka*).
Dieser Naraka ist ein Dämon, der die Ohrringe der Aditi geraubt
hat und auch sonst den Göttern viel zu schaffen gibt. Auf Bitten des
Indra kämpft Krs^a gegen ihn und tötet ihn.
Die nächste Erzählung*) zeigt uns Krsna im Kampfe gegen Indra.
Der Seher Närada brachte einmal dem Krs^a eine Blüte vom Himmels-
baum Pärijäta, welche dieser seiner geliebten RukminI schenkte.
Da wird Satyabhämä, eine seiner anderen Gemahünaen, furchtbar
eifersüchtig und schmollt so lange, bis ihr Krsna verspricht, ihr den
ganzen Pärijätabaum vom Himmel zu bringen. Da aber Indra den
Baum nicht gutwillig abtreten will, fordert ihn Krs^a zum Kampfe
heraus. Dies führt zu einem langen und heftigen Kampfe zwischen
den beiden Göttern, der aber schliefslich von der Göttermutter Aditi
friedlich geschlichtet wird.
Mit diesem langen Abschnitt nur ganz lose verknüpft, folgt ein
ziemlich umfangreiches lehrhaftes Stück ^), welches eigentlich der
wissenschaftlichen Erotik, dem Kämasästra, angehört. Es ist eine
Belehrung (in Form eines Gespräches zwischen den Frauen des Krsi?a
und dem weisen Närada, der sich aber auf Umä, die Gemahlin des
^) Er ist eine Inkarnation des Liebesgottes.
*) Baladevamähätmyakathana, Adhy. 120, 6766—6786.
»jNarakavadha, Adhyäyas 121—123 == 6787—6988.
*) Pärijätaharana, Adhy. 124—140 = 6989—7956. Eingefügt
ist ein Hymnus auf Siva (Mahädevastavana), Adhy. 131 = 7415
bis 7455.
^) Punyakavidhi, Adhy. 136—140 = vss. 7722—7956.
— 385 -
äiva, als Autorität beruft) über Punyakas und Vratakas, d. h.
Zeremonien, Feierlichkeiten und Gelübde, mittels deren eine Frau
ihren Leib dem Gatten angenehm machen und sich dessen Gunst
sichern kann. Da aber diese Zeremonien nur für tugendhafte Frauen
von Erfolg sind, werden einige Belehrungen über die Pflichten der
Frauen (7754 ff.) vorausgeschickt.
Der nächste Abschnitt \) erzählt wieder von Kämpfen des Krs^a
mit den Dämonen. Die Asuras der »sechs Städte» (Satpura) rauben
dem frommen Brahmadatta seine Töchter. Krsna kommt ihm zu
Hilfe, besiegt und tötet Nikumbha, den König der Asuras, und gibt
dem Brahmanen seine Töchter zurück.
Dann folgt ein ganz sivaitisches Stück "), das mit Krsna gar nichts
zu tun hat und erzählt, wie der tausendköpfige Dämon Andhaka
von äiva getötet wird.
Der folgende Abschnitt^) kehrt wieder zu Krs^a zurück und er-
zählt eine andere Geschichte von der Tötung des Asura Nikumbha.
Die Yädavas. mit Krs^a und Räma an der Spitze, unternehmen eine
Wallfahrt zur See nach einem heiligen Badeorte, um dort ein grolses
Freudenfest zu feiern. Krsna mit seinen sechzehntausend Frauen,
Räma mit seiner einzigen Gemahlin Revatl und die Jünglinge der
Yädavas mit Tausenden von Buhldirnen geben sich unter Spiel und
Gesang, Schmausen und Trinken allerlei Lustbarkeiten im Wasser
und am Meeresstrande hin*). Während dieser Festlichkeiten raubt
der Dämon Nikumbha die BhänunäatI, eine Tochter des Yädava
Bhänu. Krs^as Sohn Pradyumna verfolgt den Asura und bringt die
Geraubte wieder zurück, währei d Krsna selbst den Naraka tötet.
Die folgenden Gesänge^) beschäftigen sich fast ausschliefslich
mit Pradyumna, dem Sohn des Krsija. Es wird zuerst die Ge-
schichte von der Heirat des Pradyumna mit Prabhävati, der Tochter
des Asura Vajranäbha, erzählt, wobei die himmlischen Flamingos
den Liebesbund vermitteln — geradeso wie im Nalalied Flamingos die
Liebesboten zwischen Nala und DamayantI sind. Um Prabhävati zu
gewinnen, kommt Pradyumna als Schauspieler verkleidet mit einer
ganzen Schauspielertruppe an den Hof des Vajranäbha. Da werden
allerlei Schauspiele aufgeführt*^), von denen die Asuras ganz entzückt
') Satouravadh?, Adhy. 141—144 = vss. 7957-8198.
') Andhaka vadha, Adhy. 145 f. = vss. 8199—8300.
«) Bhänumatlharana, Adhy. 147— W9 = vss. 8301—8549.
*) Die glanzvolle Schilderung dieser üppigen Szenen füllt zwei
Gesänge (147 f. = 8301-8470).
*) Adhy. 150 ff. = vss. 8550 ff. Frei wiedergegeben in dem schönen
Gedicht »Pradyumna«' von Schack, Stimmen vom Ganges, S. 67 ff .
«) Es ist dies (8672 ff.) vielleicht eine der ältesten, jedenfalls
eine der interessantesten Erwähnungen von Dramen und dramatischen
Aufführungen in der indischen Litteratur. Es werden hier nicht nur
— 386 —
sind. Die lauschigen Nächte aber benutzt Pradyumna, um sich mit
PrabhävatI dem Liebesgenufs hinzugeben. Schlief slich hört Vajranäbha
von dem Liebesverhältnis, erzürnt will er den Pradyumna in Fesseln
schlagen lassen. Dieser aber tötet die heransttlrmenden Krieger und
den Asurakönig selbst. Darauf zieht er mit der Geliebten in
Dvärakä ein.
Die zweite Erzählung*) behandelt die Jugendliebe des Pra-
dyumna: wie er sieben Tage nach seiner Geburt von Asuras geraubt
wird und im Hause des Dämons Sambara aufwächst; wie dessen Ge-
mahlin Mäyävati in Liebe zu dem schönen Jüngling entbrennt und
ihn darüber aufklärt, dafs er nicht ihr Sohn, sondern der des Krsna
und der RukminT sei; wie dann Pradyumna den Öambara nach einem
verzweifelten Kampfe") tötet und schliefslich mit Mäyävati vereint
in seine Vaterstadt zurückkehrt, wo er von seinen Eltern freudig
empfangen wird.
Ganz ohne jeden Anlafs ist hier das tägliche Gebet des Räma'X
eine aus einer Aufzählung göttlicher Wesen bestehende Litanei, ein-
geschoben.
Nach einigen kleineren Stücken — Legenden und Reden — ,
welche der Verherrlichung des K^sna dienen, schliefst das Buch mit
der Geschichte von dem »Kampf mit Bäna« *) und dem Liebesverhältnis
des Aniruddha, des Sohnes des Pradyumna, mit Usä, der Tochter
des Asurakönigs Bä^. Der letztere ist ein Günstling des Gottes
Siva. Dem Aniruddha, der von Bäna hart bedrängt wird, kommt
Krsija zu Hilfe; und die Bekämpfung des ßä^a führt zu einem heftigen
Kampfe zwischen Siva und Visiju, wodurch die ganze Welt arg be-
droht ist. Aber Brahman kommt der Erde zu Hilfe und stiftet Frieden
zwischen den beiden Göttern, indem er erklärt, dafs Siva und Visnu
eins seien. Daran schliefst sich ein Hymnus (Stotra) zur Verherr-
lichung dieser beiden als identischen Gottheiten'^) Mit der Hochzeit
des Aniruddha und der Üsä, welche in Dväravati grofsartig gefeiert
wird, endet das Buch.
Szenen aus dem Leben des KfSija aufgeführt, sondern auch Dramati-
sierungen des grofsen Epos Rämäya^a und der Geschichte von
Rsyasrnga (vgl. oben S. 342 ff.) werden ausdrücklich erwähnt. Leider
ist das Alter dieses »Pradyumnottara« genannten Stückes ganz un-
bestimmt. Vgl. Sylvain Levi, le th^atre indien, Paris 1890, S. 327 ff.
>) Öambaravadha, Adhy. 163—167 = vss. 9208—9487.
^) Dabei hilft ihm Dufgä, die er mit einem Hymnus (Pradyumna-
krta-Durgästava, Adhy. 166 = 9423—9430) anruft.
8) Baladevähnika, Adhy. 168 = vss. 9488-9591.
^)Bä9ayuddha, Adhy. 175-190 = 9806-11062.
"*) Hariharätmakastava, Adhy. 184 = vss. 10660-10697.
Es ist dies eine der wenigen Stellen in der indischen Litteratur,
wo von der Trimürti die Rede ist. Denn Hari (Vis^u) und Hara
(Siva) sind nicht nur miteinander, sondern auch mit Brahman identisch.
— 387 -
Die Einflechtung von Stotras (Hymnen), wie hier das auf
Visnu-^iva, zeigt ganz besonders, wie sehr der HarivamSa eine
Sammlung von Texten für religiöse Zwecke und nicht eine
epische Dichtung ist*).
Während aber in dem zweiten Buche doch noch Überreste
eines Krsna-Epos, das es jedenfalls einmal gegeben haben
dürfte, erhalten sind, ist das dritte Buch, Bhavisyaparvan
(11 063 ff.) genannt, nur eine lose Sammlung von Puränatexten.
Der Titel Bhavisyaparvan, d. h. »Abschnitt von der Zukunft«,
bezieht sich blofs auf die ersten Gesänge dieses Buches, welche
Prophezeiungen über die kommenden Weltzeitalter enthalten.
Hier wird nämlich von einem Pferdeopfer erzählt, welches
Janamejaya darbringen wollte; aber Vyäsa sagt ihm voraus,
dafs dieses Opfer nicht gelingen werde, denn es werde das gott-
lose Kalizeitalter heranbrechen, auf welches erst spät wieder das
Krtazeitalter der Tugend ujod Frömmigkeit kommen werde.
Dieser Abschnitt 2) bildet ein abgeschlossenes Ganzes und wird
auch geradezu als selbständiges Gedicht bezeichnet. Darauf
folgen ohne jeden Zusammenhang zwei verschiedene Schöpfungs-
berichte ^). Ein dritter Abschnitt behandelt höchst ausführlich
die Inkarnationen des Visnu als Eber, Mannlöwe und Zwerg*).
Dann folgt ein Abschnitt, welcher wie der letzte des IL Buches
die Tendenz verfolgt, Visnu- und »^iva- Verehrung miteinander in
Einklang zu bringen. Abwechselnd singt Visnu auf Siva und
^j Wie sehr- der Hari vamsa als religiöses Buch gilt , beweist der
Qmstand, dals es in Nepal in den Gerichtshöfen Sitte ist, dem Zeugen,
wenn er ein Hindu ist, ein Exemplar des Harivamsa auf den Kopf zu
legen, wie dem Mohammedaner der Koran auf den Kopf gelegt wird.
(A. Barth, Religions of India p. 156 note.)
^) Adhy. 191-196 = vss. 11063— 11278. Das Stück wird 11 270 ff.
als ein grofses Kunstgedicht (mahäkävyam) gepriesen. Aber schon die
Verse 11 082 ff. sagen deutlich, da(s der Harivamsa beendigt ist,
und die Geschichte von Janamejayas Pferdeopfer nur einen Nach-
trag zum Harivamsa bildet. Die noch weiter folgenden Abschnitte
sind gewifs nur spätere Zusätze.
») Pauskaraprädurbhäva, Adhy. 197—222 == vss. 11279
bis 12277.
*) Adhy. 223-263= vss. 12278—14390. Einen Hymnus auf
Vis^^u (Visi^ustotra) stimmt 12 880 ff. (Adhy. 238) Brahman an. Einen
Hymnus in Prosa auf den »Grofsen Geist« (Mahäpurusastava) spricht
Kasyapa UlUff. (Adhy. 259).
WiQternitz, Geschiebte der indischen Litteratur. 26
~ 388 —
Siva auf Visnu einen Hymnus i). Das nächste Stück handelt
wieder von einer Heldentat des Krsna, nämlich der Tötung des
Königs Paundra, der sich gegen Krsna auflehnt 2). Der letzte
gröfsere Abschnitt des Harivamsa ist die Legende (upäkhyäna)
von den beiden §iva -Verehrern Hamsa und Dimbhaka,
welche von Krsna-Visnu gedemütigt werden^).
Angehängt ist noch ein langer Gesang, der in überschweng-
lichster Weise von dem religiösen Verdienst des Lesens des
Mahäbhärata und dem Himmelslohn spricht, der den Leser er-
wartet, ferner die Geschenke vorschreibt, die man den Vorlesern
(väcaka) nach Beendigung eines jeden Parvan geben soll, und
schlielslich in ein Loblied auf das Mahäbhärata als das heiligste
und erhabenste aller »Lehrbücher« (§ästra) ausklingt*). Vor
allem aber wird dem Werke nachgerühmt, dafs es der Ver-
herrlichung des Visnu dient, denn: »Im Veda, im Rämäyana
und im heiligen Bhärata , o tapferster Bharataspröfsling, wird
überall, im Anfang, am Ende und in der Mitte Hari besungen.« «')
Sonderbarerweise folgt nach all den Verherrlichungen des
Visnu, und nachdem das Buch eigentlich schon beendet ist, noch
ein Gesang^), in welchem der Gott ^iva zu Ehren kommt und
erzählt wird, wie er die drei Burgen (Tripura) der Dämonen
vernichtet hat. Doch wird selbst hier ein Schlufsvers zum Lob
des »grofsen Yogins« Visnu angehängt.
Mit einer kurzen Zusammenfassung des Inhalts des Hari-
vamsa und einer Aufzählung der religiösen Verdienste, die
man sich durch Anhören dieses »Puränas« erwirbt, schliefst das
Buch endgültig ab,
Dafs der Harivamsa ganz und gar ein Puräna ist, zeigen
auch die zahlreichen, oft wörtlichen Übereinstimmungen mit
') Kailäsayäträ,Adhy. 264-281 =vss.l4391-1503L Adhy.
278: Isvarastuti. Adhy. 279 und 281: Visnustotra.
2) Paundrakavadha, Adhy. 282-293 = vss. 15032-15375.
«) Harasadimbhakopäkhyäna, Adhy. 294—322 = vss. 15376
bis 16 139. *
*) Adhy. 323 = vss. 16140—16238: Sarvaparvänukirttana.
Die Aufzählung der Parvans enthält zum Teil andere Namen als
unsere Ausgaben. Der Inhalt dieses Adhyäya berührt sich mit ähn-
lichen Lobgesängen im I. Buch des Mahäbhärata. Vgl. oben S. 271 f.
») Vers 16232.
«) Tripuravadha, Adhy. 324 = vss. 16 239-16324.
— 389 —
mehreren der wichtigsten Puränas ^). Dennoch war es notwendig,
vom Harivamsa hier und nicht erst in dem Kapitel über die
Puränas zu sprechen, nicht nur weil dieses Werk von den
Indern als zum Mahäbhärata gehörig angesehen wird, sondern
auch weil gerade dieser Nachtrag und dessen Anfügung be-
sonders geeignet ist auf die Geschichte des Mahäbhärata selbst
Licht zu werfen. Dieser Geschichte wenden wir uns nunmehr zu.
Das Alter und die Geschichte des Mahäbhärata.
Wir haben nun eine Übersicht über alles das gegeben, was
uns in Handschriften und Ausgaben als »Mahäbhärata« über-
liefert ist, und stehen mm vor der Frage: Wie und wann ist
dieses Riesenwerk entstanden?
Schon in der kurzien Inhaltsangabe des eigentlichen Helden-
gedichtes (S. 275 — 319) mufs dem Leser ein Widerspruch auf-
gefallen sein, der beim Lesen des Mahäbhärata selbst noch mehr
hervortritt. Während das Gedicht in seiner jetzigen Gestalt
durchaus die Partei der Päncjavas ergreift und die Pän4ava-
helden nicht nur als über alle Mafsen tapfer, sondern auch als
edel und gut schildert, die Kauravas hingegen als falsch und
boshaft hinstellt, — erzählt uns doch das Gedicht in merk-
würdigem Widerspruch mit sich selbst, dafs alle Helden der
Kauravas durch Verrat oder in unehrlichem Kampfe fallen^).
Noch auffälliger ist es, dafs aller Verrat von Krsna ausgeht,
dafs er immer der Anstifter aller Falschheit ist und das Be-
nehmen der Pändavas verteidigt. Und dies ist derselbe Krsna,
der in vielen Teilen des Mahäbhärata und insbesondere im
Harivamsa als eine Inkarnation des höchsten Gottes Visnu und
als ein wahres Ideal und Vorbild aller Tugend gepriesen und
verherrlicht wird.
Wie erklären sich diese merkwürdigen Widersprüche?
Darüber lassen sich nur Vermutungen aufstellen. Zunächst ist
wohl die Annahme berechtigt, obgleich sie uns nur durch das
*) Brahma-, Padma-, Vis^u-, Bhägavata- und insbesondere Väyu-
Puräi^. Das Garuda-Puräna teilt den Inhalt des Mahäbhärata und
des Harivamsa im Auszuge mit. Siehe A. Holtzmann, Das
Mahäbhärata, IV, S. 32, 35, 37 ff., 40, 42 ff., 47 ff., 56.
«) Oben S. 305 f., 309, 310, 311.
26*
— 390 —
Mahäbhärata selbst verbürgt ist, dals tatsächlich einmal im nord-
westlichen Indien als Ergebnis eines gewaltigen Kampfes ein
Dynastiewechsel stattgefunden hat, und dals diese quasi-
historischen Ereignisse die Grundlage des eigentlichen Epos
bilden^). Davon ausgehend, können wir uns nvm wohl denken,
dals die ursprünglichen Heldenlieder, die vom Kampfe der feind-
lichen Vettern handelten, in den Kreisen von Barden gesungen
wurden, die dem Duryodhana selbst oder doch dem Hause der
Kauravas noch nahe standen; dafs aber im Laufe der Zeit, als
die Herrschaft der siegreichen Pändavas sich mehr und mehr
festigte, diese Lieder auf Barden übergingen, welche im Dienste
des neuen Herrschergeschlechtes standen. Im Munde dieser
Barden wurden dann jene Veränderungen vorgenommen, welche
die Pändavas in einem günstigen und die Kauravas in einem
ungünstigen Lichte erscheinen liefsen, ohne dafs die ursprüng-
liche Tendenz der Lieder ganz verwischt werden konnte. In
unserem Mahäbhärata wird der Kern des Epos, die Schilderung
des grofsen Kampfes, dem Safijaya, dem Wagenlenker des
'Dhrtarästra , also einem Barden der Kauravas, in den Mund
gelegt. Gerade in diesen Kampfszenen erscheinen aber die
Kauravas im günstigsten Licht. Das ganze Mahäbhärata selbst
wird andererseits nach der im ersten Buch enthaltenen Rahmen-
erzählung von Vyäsas Schüler Vaisampäyana bei dem Schlangen-
opfer des Janamejaya vorgetragen. Dieser Janamejaya gilt aber
als ein Urenkel des Pä^dava Arjuna, was damit gut über-
einstimmt, dals im Mahäbhärata als Ganzem die Päpciavas den
Kauravas vorgezogen werden.
Was Krsna anbelangt, so wird das Geschlecht der Yädaves,
dem er angehört, an mehreren Stellen des Mahäbhärata als ein
Hirtenstamm von rohen Sitten geschildert, und er selbst wird
von feindlichen Helden wiederholt als »Hirtec und »Sklave« ge-
schmäht. Gewifs war er im alten Heldengedicht nur ein hervor-
ragender Anführer jenes Hirtenstammes und hatte nichts Gött-
') Auch diejenigen, -welche einen mythologischen Kern in der
dem Epos zugrunde liegenden Sage finden, geben doch zu, dafs auch
historische Elemente in ihr stecken. So A. Ludwig, Über das Ver-
hältnis des mythischen Elementes zu der historischen Grundlage des
Mahäbhärata (Abhandlungen der k, böhmischen Ges. d. Wissensch.
VI, 12), Prag 1884.
— 391 —
liches an sich. Selbst den K^sna-Legenden des HarivamSa
scheinen ältere Sagen zugrunde zu liegen, in denen Krsna noch
nicht ein Gott, sondern der Heros eines rohen Hirtenvolkes war.
Möglich, Idals die Sage mehrere Krsnas kannte, die später in
einen zusammengeflossen sind; oder dafs — wie man vermutet
hat ^) — der Krsna des Heldengedichtes und der Legende auch
ein Religionsstifter oder Begründer einer Sekte war, deren Haupt-
lehren in den ältesten Bestandteilen der BhagavadgTtä vorliegen,
und dafs dieser dann zu einer Inkarnation des von seinen An-
hängern verehrten Gottes Visnu gemacht wiirde. Jedenfalls ist
ein langer Weg von Krsna, dem Freund der Pändavas, zu dem
Krsna des Harivam§a imd dem erhabenen Gott Visnu.
Es setzt also schon, die politische xmd religiöse Entwicklung,
welche sich in den auf den grofsen Kampf bezüglichen Gesängen
des Mahäbhärata widerspiegelt — der Übergang der Herrschaft
von den Kauravas auf die Pändavas und die Vergöttlichung des
Krsna — eine längere Zeitperiode voraus ; und es ist nicht denk-
bar, dafs auch nur diese Gesänge, welche den Kern des Werkes
bilden, von einem einzigen Dichter herrühren. Noch unmöglicher
wird eine solche Annahme, wenn wir die zahllosen Wider-
sprüche in Betracht ziehen, die in den Einzelheiten der
Haupterzählung vorkommen^ Ich erinnere nur an die Erzählungen
von der Heirat der Pändavas (oben S. 282 f.) und den Abenteuern
des Arjuna (S. 285). Im vierten Buch finden wir eine Dublette
des ganzen Kampfes im Kuruf elde : Bhisma und alle die anderen
Helden der Kauravas werden von Arjuna im Handumdrehen in
die Flticht geschlagen; was schlecht dazu stimmt, dafs es später
nur in achtzehn Tagen und nui^ durch Anwendung von List den
Pändavas möglich ist, die Kauravas zu besiegen. Es kann kaum
einem Zweifel unterliegen, dafs das ganze vierte Buch (Viräta-
parvan) ein jüngeres Erzeugnis ist 2) als die grofsartigen Kampfes-
schilderungen in den folgenden Büchern. Aber auch in jenen
Büchern, welche unzweifelhaft die ältesten Bestandteile des Epos
enthalten, finden sich fortwährend Widersprüche, welche un-
') Siehe Garbe, Die BhagavadgTtä, S. 19 ff. Schon in der
Chändogya-Upani§ad. wird Krsna, Sohn der Devaki, in Verbindung
mit philosophischen Lehren genannt.
*) So schon Holtzmann, Mahäbhärata II, S. 98 und Hopkins,
The Great Epic of India, S. 382 f.
— 392 —
möglich durch die j> geniale Sorglosigkeit« irgend eines Dichter»
erklärt werden können ^). Auch finden sich neben den prächtig-
sten Schilderungen voll urwüchsiger Kraft ganze lange Ge-
sänge, in denen mit geistloser Eintönigkeit und unter fort-
währenden Wiederholungen die Schilderung der achtzehntägigen
Schlacht niir möglichst ausgesponnen wird.
So ist denn schon das, was wir als das »eigentliche Epos«
bezeichnen können, so wie es avif uns gekommen ist, gewifs nicht
das Werk eines Dichters. Auch dieser »Kern« des Mahä-
bhärata ist nicht mehr die alte Heldendichtung; sondern diese
ist in ihm — in vielfach verwässertem Zustand — enthalten.
Nun haben wir aber gesehen, dals um diesen Kern herum
sich eine Unmasse der verschiedenartigsten Dichtungen angehäuft
hat: Heldenlieder aus verschiedenen Sagenkreisen, brahmanische
Mythen- und Legendendichtung, Asketenpoesie und Lehrgedichte
aller Art von den einfachsten Sittensprtichen bis zu umfang-
reichen philosophischen Gedichten, förmlichen Rechtsbtichem und
ganzen Puränas. Wer mit den strenggläubigen Indern oder mit
Da hl mann") glauben wollte, dafs unser Mahäbhärata das
Werk eines einzelnen Mannes sei, der müfste annehmen, dafs
dieser Mann zu gleicher Zeit ein grofser Dichter und ein
erbärmlicher Stümper, ein Weiser und ein Schwachkopf, ein
genialer Künstler imd ein lächerlicher Pedant gewesen sei —
^) VrI. oben Anm. auf S. 305, 306 f., 310, 314.
*) Joseph Dahlmann, Das Mahäbhärata als Epos und Rechts-
buch (Berlin 1895) spricht zwar nur von einer »einheitlichen Diaskeuase»,
aber er schreibt doch dem "Diaskeuasten« eine Tätigkeit zu, die ihn
unbedingt zu einem Dichter stempeln würde ; und zum Schluls (S. 302)
spricht er doch vom Mahäbhärata als dem Werk « einer einzelnen
dichterisch schaffenden Kraft«. In seinem Buch »Genesis des Mahä-
bhärata» (Berlin 1899) sagt er geradezu: »Der Dichter war Diaskeuast,
der Diaskeuast Dichter.« Es ist übrigens bemerkenswert, dafs selbst
ein so naiver und ziemlich strenggläubiger Inder, wie C. V. Vaidya
(The Mahäbhärata: A Criticism. Bombay 1905), der mit Ehrfurcht
von Vyäsa, dem Zeitgenossen des Krsna, als dem »Dichter« des Mahä-
bhärata spricht (er stellt ihn hoch über Homer, Milton und Shakespeare)
und allen Ernstes berechnet, dafs Vyäsa und Krsna zur Zeit des
Mahäbhärata-Kampfes um 3101 v. Chr. gelebt hätten, doch unumwunden
zugesteht, dafs das Mahäbhärata in seiner gegenwärtigen Form die
Erweiterung eines ursprünglich viel kleineren Werkes ist und zahl-
reiche Zusätze und Interpolationen enthält.
— 393 —
abgesehen davon, dafs dieser Wundermann ein Kenner und Be-
kenner der entgegengesetztesten religiösen Anschauungen und der
widersprechendsten philosophischen Lehren gewesen sein mükte.
Auch in bezug auf Sprache, Stil und Metrik zeigen
die Bestandteile des Mahäbhärata durchaus keine Einheitlichkeit.
Nur ganz im allgemeinen kann man vom »epischen Sanskrit«
als der Sprache der volkstümlichen Epen sprechen*). In Wirk-
lichkeit ist die Sprache des Epos in manchen Teilen alter-
tümlicher, d. h. dem Altindischen der vedischen Prosawerke
näher verwandt als in anderen. Und neben sprachlichen Er-
scheinungen, die an das Päli anklingen und die man als volks-
tümlich bezeichnen kann, gibt e^ andere, die man einfach als
Sprachunrichtigkeiten erklären mufs, wie sie sich un-
gebildete und minderwertige Schriftsteller von der Art der
Puränaverfasser oft zuschulden kommen lassen. Auch in bezug
auf den Stil läfst sich, nur im allgemeinen sagen, dafs er von
dem sogenannten »Kävyastil«, d. h. dem durch ein Über mal s
in der Verwendung von Kunstmitteln (Alamkäras) gekenn-
zeichneten Stil der späteren Kimstdichtung , noch weit entfernt
ist. Es fehlt aber nicht an Stellen im Mahäbhärata, die uns
bereits an diesen Kävyastil erinnern "). Daneben finden wir
auch Stücke, die ganz in dem naiven Stil der alten ItihSsas ge-
halten sind, wie sie in den Brähmanas und Upanisads erzählt
werden, während wieder an zahlreichen anderen Stellen der
saloppste Puränastil vorwaltet. Was die Metrik anbelangt»),
so ist wohl der aus der alten Anustubh hervorgegangene § I o k a
das epische Metrum par excellence. Aber von diesem Sloka
gibt es altertümlichere und jüngere Formen, die alle im Mahä-
bhärata vertreten sind.. Es gibt ferner in unserem Epos auch
») Über die epische Sprache handelt H. Jacob i, Das Ramäyaqia,
S. 112 ff. Vgl. auch oben S. 40 und Hopkins, The Great Epic of
India, S. 262.
2) Vgl. oben S. 308. Zahlreich sind aber diese Stellen nicht,
jedenfalls lange nicht so zahlreich wie im Rämäya^ia.
") Ausführlich handelt über die Metrik des Mahäbhärata Hop-
kins a. a. O. S. 191 ff. Vgl. auch Jacobi. Ȇber den Sloka im
Mahäbhärata« (in »Gurupüjäkaumudi , Festgabe zum 50 jährigen
Doktoriubiläum Albrecht Weber dargebr.*. Leipzig 1896, S. 50ff.)
und oben S. 55.
— 394 —
alte Prosastticke, deren Prosa zuweilen rhythmisch ist, zuweilen
mit Strophen abwechselt i). Auch von dem Tristubhmetrum,
welches im Mahäbhärata öfters verwendet wird — der ^oka
ist allerdings ungefähr zwanzigmal so häufig wie die Tristubh — ,
findet sich sowohl die altertümliche der vedischen noch ähnliche
Form als auch jüngere Formen; und sogar die kunstvollen
Versmafse der klassischen Sanskritdichtung begegnen uns ver-
einzelt schon im Mahäbhärata.
So weist alles darauf hin, dals das Mahäbhärata nicht ein-
heitlichen Ursprungs ist, sondern aus älteren und jüngeren
Stücken besteht, die verschiedenen Jahrhunderten angehören.
Inhalt und Form bestätigen gleichermaßen, dafs manche Teile
des Mahäbhärata bis in die Zeiten des Veda zurückreichen,
während andere mit den späten Erzeugnissen der Puräna-
litteratur gleichzeitig sein müssen.
Nun ist vielfach — so insbesondere von A. Holtzmann —
angenommen worden, dafs es ein altes Heldengedicht der Kauravas
gegeben habe, welches das s ursprüngliche Mahäbhärata« ge-
wesen sei, dafs dieses nachher zugunsten der Pändavas eine
»tendenziöse Umarbeitung« erfahren habe; und dals es dann
noch mehrmals nacheinander — erst von Buddhisten, dann
von Brahmanen — »tendenziös umgearbeitete worden sei. Die
»zweite puranenmäfsige Umarbeitung« hätte nach Holtzmann
etwa um 900 — 1100 n. Chr. stattgefimden , »der dann einige
Jahrhunderte später die definitive Festsetzung und Abschlielsung
des Textes nachfolgte« ^).
Es ist wichtig festzustellen, dafs diese letztere Annahme,
wonach das Mahäbhärata seine jetzige Gestalt erst im 15. oder
16. Jahrhundert erhalten hätte, ganz imd gar falsch ist. Denn es
ist durch litterarische und inschriftliche Zeugnisse bewiesen^),
dafs das Mahäbhärata schon um 500 n. Chr. nicht mehr ein
») Vgl. Hopkins a. a. O. S- 266 ff. und oben S. 89.
") Holtzmann, Das Mahäbhärata I, 194.
•) Diesen Beweis erbracht zu haben, ist das Verdienst G. Bühlers.
(Indian Studies. By G. Bühler and J. Kirste, No. II. Contributions
to the History of the Mahäbhärata. Sitzungsberichte der k. Akademie
der Wiss. in Wien. Phil.-histor. Cl., Bd. CXXVII. Wien 1892.) Auf
einiges hatten schon früher die indischen Gelehrten R. G. Bhandarkar
und K. T. Telang hingewiesen.
— 395 —
eigentliches Epos, sondern ein heiliges Lehr- und Erbauungs-
buch und im grofsen und ganzen an Umfang und Inhalt von
dem Werk, wie es uns jetzt vorliegt, nicht wesentlich verschieden
war. Der Dichter ßäna, der um 600 n. Chr. lebte, erzählt in
seinem Roman »Kädambari« , dafs die Königin ViläsavatT zu
Ujjein an einem Feste in einem Tempel einer Rezitation des
Mahäbhärata beiwohnte. Solche öffentliche Vorlesungen des
Mahäbhärata finden noch heutigen Tages in Indien bei festlichen
Gelegenheiten in Tempeln statt — und selbstverständlich mehr
zur Erbauung und religiösen Unterweisung als zur Unterhaltung.
Um 600 n. Chr. bezeugt aber auch schon eine Inschrift von
Kambodscha ähnliche öffentliche Vorlesungen des Mahäbhärata,
und zwar mit Benutzung von eben für diesen Zweck gestifteten
Handschriften, in dieser fernen indischen Kolonie in Hinterr
indien. Wir besitzen endlich auch Landschenkungsurkunden aus
dem 5. imd 6. Jahrhundert, in denen die über die Moral des
Schenkens (dänadharma) handelnden Abschnitte des XIII. Buches
(oben S. 365) als heilige Texte zitiert werden; und in einer
derartigen Inschrift wird das Mahäbhärata bereits als die »Samm-
lung von hunderttausend Versen« bezeichnet. Die Zahl von
hunderttausend Versen wird aber ni^t einmal annähernd er-
reicht, wenn nicht die Bücher XII und XIII und selbst ein Teil
des Harivarasa hinzugerechnet werden *). Wenn aber das Mahä-
bhärata bereits im 5. Jahrhundert die unzweifelhaft jüngsten Be-
standteile wie Buch XIII und Harivamsa enthielt , wenn es
damals bereits ein religiöses Lehr- und Erbauungsbuch war, und
^) Von den »hunderttausend« Versen des Mahäbhärata ist schon
in diesem selbst die Rede fl, 1, 107; XII, 343, 11; vgl. oben S. 271
und Hopkins a. a. O. S. 9). Die 18 Bücher des Mahäbhärata haben
in der Kalkuttaer Ausgabe 90 092 Verse, von denen 13 935 auf
Buch XII und 7759 auf Buch XIII entfallen. Mit dem ganzen
Harivamsa beträgt die Zahl der Verse 106 466. Läfst man den
Bhavisyaparvan (siehe oben S. 387) hinweg, so ergibt sich eine Zahl
von 101 154 Versen, die am besten zu der runden Zahl »Hundert-
tausend« stimmt. Allein die verschiedenen Rezensionen des Mahä-
bhärata, die oft in der Weise voneinander abweichen, dafs die eine
Rezension eine Anzahl Verse ausläfst, die in der anderen enthalten
sind, aber dafür wieder anderswo ebensoviele \'^erse einfügt, die der
letzteren fehlen, beweisen, dals sich der Inhalt des Mahäbhärata
auch ändern konnte, ohne dafs der Umfang sich änderte.
— 396 —
wenn hundert Jahre später Handschriften des Mahäbhärata
bereits bis nach Hinterindien gelangt waren und dort in Tempeln
vorgelesen wurden, so können wir mit gutem Rechte schliefsen,
dafs es mindestens schon ein oder zwei Jahrhunderte früher,
also im 3. oder 4. Jahrhvmdert n. Chr. die Gestalt erhalten
haben mufs, die es heute noch hat. Andererseits ") kann es aber
diese Gestalt erst nach dem Entstehen und der Ausbreitung des
Buddhismus, auf den es viele Anspielungen enthält, und sogar
erst nach Alexanders Einfall in Indien erhalten haben, da die
Yavanas, d. h. die Griechen (lonier) oft erwähnt werden und auch
von steinernen Bauten die Rede ist, während vor der Griechenzeit
in Indien nur Holzbauten bekannt waren. Das Mahäbhärata
kann demnach seine jetzige Gestalt nicht früher
als im 4. Jahrhundert v. Chr. und nicht später als
im 4. Jahrhundert n. Chr. erhalten haben.
Eine gröfsere Umarbeitung des Mahäbhärata oder auch
nur die Hinzufügung eines der gröfseren Bücher kann also
nach dem 4. Jahrhundert n. Chr. nicht mehr stattgefunden haben.
Die Hypothese einer oder gar mehrerer Umarbeitungen kann ich
aber überhaupt weder für notwendig noch für wahrscheinlich
halten 2). Sowie in späterer Zeit die Abschreiber mit ihrem
Text ziemlich willkürlich verfuhren, so gestatteten sich in älterer
Zeit gewifs auch die Rhapsoden, unter denen die Heldenlieder
jahrhundertelang nur mündlich fortgepflanzt worden sein müssen,
jede mögliche Freiheit bei dem Vortrag ihrer Gesänge: sie
dehnten Szenen, die ihren Zuhörern gefielen, in die Länge und
kürzten andere, die weniger Eindruck machten, ab. Die gröfsten
Veränderungen aber , durch welche die alte Heldendichtung
allmählich zu einem Sammelwerk wurde, das »Vieles« vmd
danmi »jedem etwas« brachte, »sind wohl damit zu erklären, dafs
die Überlieferung und die Pflege des alten Heldensanges von
den ursprünglichen Sängern auf andere Kreise überging, dafs
*) Siehe Hopkins a. a. O. S. 391 ff. Den weitergehenden
Folgerungen Hopkins' aus der Nichterwähnung des römischen Denars
(S. 387) und der Kupfertafeln als Schenkungsurkunden (S. 388) möchte
ich mich nicht anschliefsen.
^) Es soll aber damit nicht gesagt sein, dafs nicht einzelne Teile,
wie z. B. der Viräta-Parvan , umgearbeitet worden sind. Vgl. Hop-
kins im J. Am. O. S. Vol. XXIV, 1903, p. 54,
— 397 —
die Gesänge selbst in aridere Gegenden verpflanzt, anderen
Zeiten und einem wechselnden Publikum angepafst wurden.
Schon in sehr alter Zeit müssen, wie wir sahen, die Lieder von
Barden, die dem Kurugeschlecht nahestanden, auf solche über-
gegangen sein, welche zum Pändavageschlecht Beziehungen
hatten. Sie verbreiteten sich aus Gegenden, wo der Vi§nukult
vorherrschte, in solche, wo Siva als höchste Gottheit verehrt
wurde. Auch die Phasen, welche der Krsnakult durchmachte,
liefsen ihre Spuren in der epischen Dichtung zurück. Wie bei
anderen Völkern, so mufs aber auch bei den Indern eine Zeit
gekommen sein, wo sich die schaffende Dichterkraft nicht mehr
auf dem Gebiete der Heldendichtung betätigte und diese als
lebendige Poesie erlosch, und wo nur mehr die alten Lieder
von Barden noch immer gesungen wurden ^). Auch die alte
Heldenzeit hörte auf, wo die Barden mit den Kriegern als
Wagenlenker in die Schlacht zogen, um nach gewonnenem
Sieg — etwa bei einem grofsen Opferfeste — die glorreichen
Taten der Helden zu besingen. Die Epigonen dieser Barden
waren eine minderwertige Klasse von Litteraten — dieselben,
welche sich auch mit der Überlieferung der Puränas befafsten.
Diese Leute waren wohl weder rechte Krieger noch rechte
Brahmanen — nicht umsonst werden die Sütas in den Rechts-
büchem als Bastarde bezeichnet, die aus der Vermischung von
Kriegern mit Brahmanenfrauen oder von Brahmanen mit
Ksatriyafrauen hervorgegangen sein sollen. Und gerade das ist
auch das Eigentümliche des Mahäbhärata in seiner jetzigen Ge-
stalt, dals es weder rechte Kriegerpoesie noch rechte geistliche
Dichtung ist ; es ist kein Epos mehr, aber auch noch kein eigent-
liches Puräna.
Eine Art Abschlufs dürfte das Mahäbhärata erst bekommen
haben, als es — nach jahrhundertelanger mündlicher Über-
lieferung — niedergeschrieben wurde. An dieser Redaktion
und Niederschrift werden sich wohl nur Brahmanen, Pan^its,
beteiligt haben. Wenn wir aber sagen müssen, dafs das Mahä-
bhärata schon im 4. Jahrhundert ij. Chr. oder noch früher von
dem Werk, wie es uns jetzt vorliegt, im grofsen und ganzen
in bezug auf Umfang und Inhalt nicht wesentlich verschieden
') Vgl. H. Jacobi in d^n Götting. gel. Anz. 1892, S. 632.
— 398 —
war, so müssen die Worte »im grofsen und ganzen« und »nicht
wesentlich« sehr stark betont werden. Denn Zusätze und Ver-
änderungen, und zwar Zusätze nicht nur von einzelnen Versen,
sondern auch von ganzen Gesängen (wie Hymnen auf Durgä
u. dgl.), sind bis in die neueste Zeit hinein gemacht worden,
und einen feststehenden Text des Mahäbhärata gibt
es überhaupt nicht.
Wenn man vom Mahäbhärata. spricht, so meint man daoiit
in der Regel eine der beiden groisen in Indien von einheimischen
Gelehrten besorgten Ausgaben, die »Kalkuttaer Ausgabe« (1834
bis 1839) in vier Quartbänden, deren letzter den Harivamsa ent-
hält, oder die «Bombayer Ausgabe« mit dem Kommentar des
Nllakantha. Letztere ist seit 1862 in mehreren Auflagen er-
schienen. Sie enthält den Harivam=a nicht. Keine der beiden
Ausgaben kann im Sinne der europäischen Philologie als eine
»kritische« bezeichnet werden '). Von dem Text, welchen unsere
Ausgaben bieten, und der im grofsen und ganzen dem der nord-
indischen Handschriften entspricht, weicht der Text der süd-
indischen Handschriften nicht unwesentlich ab, so dafs man von
einer »nordindischen« und einer »südindischen Rezension«*)
') Über diese und die anderen indischen Ausgaben vgl. A. Holtz-
mann, Das Mahäbhärata, III, S 2 ff. Über das Verhältnis der beiden
Ausgaben zueinander ebendas. S. 9 ff . Erwähnung verdient auch die
unter der Redaktion von Pratapa Chandra Roy (Kalkutta 1882 ff.)
erschienene überaus handliche Ausgabe in Oktavbänden, die nur leider
nicht druckfehlerfrei ist. Diese Ausgabe ist ein Werk echt indischer
Frömmigkeit und Wohltätigkeit; sie wurde mit Hilfe der von dem
Herausgeber veranstalteten Sammlungen zum Zweck der Gratis-
verteilung gedruckt und in 10 000 Exemplaren verschenkt. Die Ver-
anstaltung einer den Anforderungen der Wissenschaft genügenden
kritischen Ausgabe des Mahäbhärata ist von der Inter-
nationalen Assoziation der Akademien im Jahre 1905 be-
schlossen worden,
2) Doch nur mit Vorbehalten. Denn es ist möglich, dafs eine
genauere Untersuchung der Handschriften mehrere nordindische
und mehrere stidindische Rezensionen ergeben wird. Auch ist die
Überlieferung mancher Bücher einheitlicher als die anderer. Vgl.
M. Winternitz, 'On the South-Indian Recension of the Mahäbhärata'
(Indian Antiquary 1898, March, April, May) und H. Luders, Ȇber
die Grantharecension des Mahäbhärata« (Abhandlungen der k. Ge-
sellschaft d. Wissenschaften zu Göttingen, Phil.-hist. Kl., N. F. Bd. IV
— 399 —
sprechen kann. Diese beiden Rezensionen weichen oft in der
Weise voneinander ab, dafs die eine Verse und auch ganze
Gesänge enthält, die in der anderen fehlen, oder dafs Verse in
verschiedener Reihenfolge erscheinen u. dgl. mehr.
Es folgt aus all dem die wichtige Lehre, dafs in Wirk-
lichkeit das Alter eines jeden Stückes des Mahä-
bhärata, ja eines jeden einzelnen Verses für sich
bestimmt werden mufs, und dafs Aussprüche wie »Das
kommt schon im Mahäbhärata vorc keinerlei Berechtigung und
in chronologischer Beziehung gar keinen Sinn haben. Um so
weniger Berechtigung hat es, mit dem Mahäbhärata als Ganzem
bestimmte Zeitangaben zu verbinden, als nicht nur in entschieden
»alten« Partien jüngere Einschiebungen stattgefunden haben,
sondern auch ebenso oft in »jüngeren« Partien sich sehr alte
Stücke finden. So ist das ganze erste Buch des Mahäbhärata
gewifs nicht »alte; das hindert aber nicht, dafs viele in dem-
selben vorkommende Sagen, Legenden und genealogische Verse
sehr alt sind. Selbst in dem gewifs erst spät angefügten
Harivam§a finden sich sehr alte Verse und Legenden. Doch
sind die Ausdrücke »alt« und »jung« auf ganze Bücher und
gröfsere Stücke des Mahäbhärata immer nur mit Vorsicht und
Vorbehalten anzuwenden.
Und dies führt uns zu der schwierigsten Frage : Was
verstehen wir darunter, wenn wir von »alten« und »ältesten«
Teilen des Mahäbhärata sprechen? Mit anderen Worten: Bis
in welche Zeit reichen die Anfänge des Mahäbhärata zurück?
Halten wir uns an die Tatsachen. In der ganzen vedischen
Litteratur ist von einem Mahäbhärata nicht die Rede, so oft
auch in Brähmanas und Upanisads von Äkhyäna, Itihäsa,
Puräna und Gäthä Näräsamsl (oben S. 260 f.) gesprochen wird.
Auch von dem grofsen doch wohl historischen Ereignis, das im
Mittelpunkte des Epos steht — der blutigen Schlacht im Kuru-
felde — , weifs der Veda nichts, trotzdem in den Brähmanas
gerade dieses Kurufeld als ein Ort, wo Götter \md Menschen
grofse Opferfeste feierten, so oft genannt wird, dafs dieses Er-
Nr. 6, Berlin 1901). Eine hauptsächlich auf südindischen Manuskripten
beruhende Ausgabe ist gegenwärtig in Bombay (Nirnayasagara Press)
im Erscheinen begriffen
— 400 -
eignis, wenn es schon stattgefunden hätte, unbedingt erwähnt
worden wäre^). Wohl kommen Janamejaya, der Sohn des
Pariksit, und Bharata, der Sohn des Du^santa und der Sakuntalä,
in den Brähmanas vor; und schon in einem Kuntäpalied des
Atharvaveda wird Pariksit als ein friedliebender König gepriesen,
unter dessen Herrschaft das Kuruland gedieh. In den zum
Yajurveda gehörigen Werken ist oft von Kurus und Paflcälas
oder Kurupancälas die Rede; und in Verbindung mit einem
Opferfeste der Kurupancälas wird im Käthaka (X, 6) eine
Anekdote von Dhrtarästra, dem Sohne des Vicitravirya, erzählt.
Hingegen ist nirgends im ganzen Veda der Name des Päntju
oder seiner Söhne, der Pän(Javas, nirgends sind Namen wie
Duryodhana, Duhsäsana, Karna usw. zu finden. Der Name
Arjuna kommt zwar in einem Brähmana vor, aber als Geheim-
name des Gottes Indra. Erst in den zur Vedähgalitteratur ge-
hörigen Sütrawerken, im Asvaläyana-Grhyasütra, im Öänkhäyana-
Srautasütra und in den grammatischen Sütras des Pänini finden
v/ir die ersten Spuren eines Epos Mahäbhärata '').
Wie steht es mit der buddhistischen Litteratur? Im
Tipitaka, dem Pälikanon der Buddhisten, wird das Mahäbhärata
nicht erwähnt. Hingegen finden wir in den ältesten Texten des
Tipitaka Dichtungen von der Art der Akhyänas, die wir als
eine Vorstufe der Epik in den Brähmanas kennen lernten^).
') Siehe A. Ludwig, Über das Verhältnis des mythischen
Elementes zu^der historischen Grundlage des Mahäbhärata, S. 6.
*) Aus Asvaläyana-Grhyasütra (III, 4), wo blols die Titel
»Öhärata« und "> Mahäbhärata* vorkommen, läfst sich eigentlich gar
nichts scbliefsen. Legt man der Stelle irgendeine Beweiskraft bei, so
wüide sie nur beweisen, dafs es in der (übrigens unbekannten) Zeit
dieses Sütra ein längeres »Mahäbhärata« neben einem ktirzeren
»Bhärata gegeben habe. (Vgl. Hopkins a. a. O. S. 389 f. und
M. Winternitz in WZKM. XIV, S. 55 f. und oben S. 271.) Im
bankhäyana-ärautasütra(XV, 16) finden wir die erste Erwähnung
e-nes für die Kauravas unglücklichen Krieges im Kuiufelde (A. Lud-
wig a. a. O. S. 5). Pänini kannte nicht nur den Titel »Mahäbhärata«,
sondern auch die Namen der Haupthelden des Epos ; aber es ist nicht
möglich, irgendwelche Schlüsse auf den Umfang und Inhalt des dem
Pänini bekannten Mahäbhärata aus den kärglichen Andeutungen zu
ziehen.
') Siehe oben S. 259. E. Windisch, Mära und Buddha (XV. Bd.
der Abhandlungen der phil.-hist. Ci. d. k. sächs. Ges. d. Wiss., Leipzig
-. 401 —
Die Jätakas, deren metrische Bestandteile (die Gäthäs) zum
Tipitaka gehören, verraten eine Bekanntschaft mit der Krsna-
Sage, aber nicht mit dem Harivamsa und dem Mausalaparvan
des Mahäbhärata *). Die im Jätakabuch vorkommenden Namen
Pändava, Dhananjaya (im Mahäbhärata ein gewöhnlicher Bei-
name des Arjuna), Yudhitthila (Päliform für Yudhisthira),
Dhatarattha (Päliform für Dhrtarästra), Vidhura oder Vidhüra
(der Vidura des Mahäbhärata), ja selbst die in demselben vor-
kommende Erzählung von der Gattenselbstwahl und Fünfmänner-
ehe der Draupadr bezeugen nicht nur keine Bekanntschaft mit
dem Mahäbhärata, sondern eher das Gegenteil. Denn Pändava
erscheint im Jätaka als Name eines Pferdes, Dhrtarästra als
Name eines Flamingos, Dhananjaya und Yudhisthira werden nur
als Kurukönige genannt, die in Tndraprastha residierten, und
Vidura ist ein weiser Mann, der bald als Hauspriester, bald als
Minister am Hofe des Dhananjaya oder des Yudhisthira auftritt.
DraupadI aber, eine der herrlichsten Frauengestalten des Epos,
erscheint im Jätaka als Beispiel weiblicher Verworfenheit, da sie
sich mit ihren fünf Männern nicht begnügt, sondern noch mit
einem buckligen Diener Ehebruch treibt.
Aus diesen Tatsachen muls man wohl schliefsen, dafs es
ein Epos Mahäbhärata, d. h. ein episches Gedicht, welches von
dem Kampf der Kauravas und Pändavas und von der Schlacht
1895) S. 222 ff. und T. W. Rhys Davids, Buddhist India, London
1903, S. 180 ff. Rezitationen von Akhyänas werden im Brahmajäla-
sutta (Dialogues of the Buddha, translated from the Päli by T. W.
RhysDavids, London 1899, S. 8) neben Unterhaltungen und Schau-
stellungen, die der Mönch vermeiden soll, aufgeführt. Wären, wie
der Kommentator sagt, darunter Rezitationen des Mahäbhärata und
des Rämäya^a zu verstehen, so hätte der Verfasser diese gewifs mit
Namen genannt.
') Das hat H. Lüders in ZDMG, Bd. 58, S. 687 ff. nachgewiesen.
Vgl. auch E. Hardy in ZDMG, Bd. 53, S. 25 ff. Die Krsi;ia-Sage wird
im Ghatajätaka (Nr. 451^ erzählt ; eine Anspielung auf sie enthält auch
das Jätaka Nr. 512. Die Jainas haben — nach Jacob i (Berichte des
VII. Internat. Orientalistenkongresses in Wien .1886, S. 75 ff . und
ZDMG, Bd. 42, 1888, S. 493 ff .) — die Krs^a-Sage night nur gekannt,
sondern bereits im 3. oder 2. Jahrhundert v. Chr. den Krs^a-Kult in
ihre Religion auf genonamen , indem sie den Krsija in die Zahl ihrer
Heiligen einreihten. Das beweist aber nichts für das Alter des
Mahäbhärata.
— 402 —
im Kurufelde handelte iind den Titel »Bhärata« oder >Mahä-
bhärata« führte, vor dem Abschlufs des Veda nicht gegeben
haben könne; dafs hingegen ein solches Gedicht im 4. Jahr-
hundert V. Chr. schon existiert haben mufs, da die Sütrawerke von
Sänkhäyana, Äsvaläyana und Pänini vor diese Zeit gesetzt werden
müssen. Da aber der im 3. und 4. Jahrhundert v. Chr. ent-
standene Pälikanon der Buddhisten nur eine ganz oberflächliche,
wenn irgendeine Kenntnis des Mahäbhärata verrät, dürfte es
damals im östlichen Indien, wo die buddhistische Litteratur
entstand, noch wenig bekannt gewesen sein.
Wir haben aber gesehen, dals manche Elemente unseres
jetzigen Mahäbhärata bis in die vedische Zeit zurückreichen,
und dafs vieles, namentlich in den lehrhaften Abschnitten, aus
einem litterarischen Gemeinbesitz geschöpft ist, aus
welchem auch Buddhisten und Jainas (wohl schon im 5. Jahr-
hundert V. Chr.) geschöpft haben ^).
Endlich mufs noch erwähnt werden, dafs nicht nur die in
dem Epos geschüderten Ereignisse, sondern auch die zahllosen
Namen von Königen und Königsgeschlechtern — so sehr auch
manche der Ereignisse und viele der Namen den Anschein des
Geschichtlichen erwecken — doch im wahren Sinne des Wortes
der indischen Geschichte nicht angehören. Die politische
Geschichte Indiens beginnt mit den Königen Bimbisära und
Ajätasattu, die uns als Zeitgenossen des Buddha verbürgt sind.
Allenfalls kann man noch den in den Puränas erwähnten
Königen der f^aisunäga- und Nandadynastien geschichtlichen
Charakter zuschreiben 2). Mit dem grofsen König Candragupta
») Siehe oben S. 261, 352 f., 358, 360. Über die Rsyasrnga-
Legende im Jätaka vgl. oben S. 342 ff. und H. L-tiders in der dort an-
geführten Abhandlung. Eine andere Legende, welche das Mahäbhärata
(I, 107 1.) mit dem Jätaka (Nr 444) geraeir hat, ist die von Mändavya,
der zur Strafe dafür, dafs er einmal als Kind eine Fliege mit einem
Dom aufgespiefst hat, für einen Räuber gehalten und gepfählt wird.
(Vgl. L. Scherman, Materialien zur Geschichte der indischen Visions-
litteratur, Leipzig 1892, S. 53 f.) Im Jätaka ist dieser Mändavya ein
•Freund des Ka^adipäyana (d. h. des Krsija Dvaipäyana Vyäsa).
2) Nach V. A. Smith, The Early History of India .Oxford 1904)
S. 41 wäre die Begründung der Saisunägadynastie um 600 v. Chr.,
der Regierungsantritt Bimbisäras um 519 v. Chr. und die Begründung
der Nandadynastie um 361 v. Chr. anzusetzen.
— 403 —
(321 V. Chr.), dem Begründer der Mauryadynastie, betreten wir
dann festen geschichtlichen Boden in Indien. Von allen diesen
geschichtlichen Persönlichkeiten ist im Mahäbhärata keine Spur
zu finden ^). Dieser »vorgeschichtliche« Charakter der Erzählung
und der Helden weist doch auf ein hohes Alter des Epos hin.
Zusammenfassend können wir also über das Alter des Mahä-
bhärata folgendes sagen:
1. Einzelne Sagen, Legenden und Dichtungen, welche in
das Mahäbhärata aufgenommen wurden, gehen bis in die Zeit
des Veda zurück.
2. Ein Epos »Bhärata« oder > Mahäbhärata« hat es aber in
vedischer Zeit nicht gegeben.
3. Viele moralische Erzählungen und Sprüche, welche unser
Mahäbhärata enthält, gehören der Asketendichtung an, aas
welcher vom 6. Jahrhundert v. Chr. an auch Buddhisten und
Jainas geschöpft haben.
4. Wenn zwischen dem 6. und 4. Jahrhundert v. Chr. ein
Epos Mahäbhärata schon bestanden hat, so war es im Heimat-
land des Buddhismus noch nicht bekannt.
5. Sicher bezeugt ist ein Epos Mahäbhärata vor dem
4. Jahrhundert v. Chr. nicht.
6. Zwischen dem 4. Jahrhundert v. Chr. und dem 4. Jahr-
hundert n. Chr. hat sich — wahrscheinlich allmählich — die Um-
wandlung des Epos Mahäbhärata in unser jetziges Sammelwerk
vollzogen.
7. Im 4. Jahrhundert n. Chr. hatte das Werk im grofsen
und ganzen schon seinen gegenwärtigen Umfang, Inhalt und
Charakter.
8. Aber kleinere Änderungen und Zusätze sind auch in
den späteren Jahrhunderten imn^er noch gemacht worden.
9. Ein Zeitalter des Mahäbhärata gibt es nicht, sondern
das Alter eines jeden Stückes mufs für sich bestimmt werden.
') E. W. Hopkins (im 'Album Kern«, S. 249 ff.) glaubt aller-
dings Anspielungen auf die Maur5^as, Asoka und Candragupta im
Mahäbhärata zu finden. Aber warum sollten diese so versteckt sein?
Winternitz^ Geschichte der indischen Litteratur. 27
404
Das Rämäyana^), Volksepos und Kunstdichtung zugleich.
In mehr als einer Beziehung unterscheidet sich das Rämäyana
wesentlich vom Mahäbhärata. Vor allem hat es einen viel ge-
ringeren Umfang und eine viel grölsere Einheitlichkeit. Während
das Mahäbhärata in seiner jetzigen Gestalt kaum noch als ein
eigentliches Epos bezeichnet werden kann, ist das Rämäyana
auch in der Form, in der es uns heute vorliegt, noch ein ziemlich
einheitliches Heldengedicht. Während ferner die einheimische
Überlieferung den Vyäsa, einen ganz mythischen Seher der
Vorzeit, der zugleich der Sammler der Vedas und der Puränas
gewesen sein soll , " zum Verfasser oder Herausgeber des Mahä-
bhärata macht, bezeichnet sie einen Dichter namens Vllmiki
als den Verfasser des Rämä)'ana; und wir haben keinen Grund,
daran zu zweifeln, dafs ein Dichter dieses Namens wirklich ge-
lebt und die im Munde der Barden verstreut lebenden Gesänge
von Räma zuerst in die Form eines einheitlichen Gedichtes ge-
gossen hat. Diesen Välmrki nennen die Inder »den ersten
Kunstdichter« (ädikavi), sowie .sie das Rämäyana gerne als
»das erste Kunstgedicht« (ädikävya) bezeichnen. In der Tat
führen die Anfänge der epischen Kunstdichtung auf das Rämäyana
zurück, und Välmlki ist stets das Vorbild geblieben, dem alle
späteren indischen Kunstdichter bewundernd nachstrebten. Das
Wesentliche der indischen kunstdichtung , des sogenannten
Kävya, besteht darin, dafs in ihr auf die Form gröfseres Ge-
wicht gelegt wird als auf Stoff und Inhalt der Dichtung, dafs
sogenannte Alamkäras, d. h. »Schmuckmittel « , wie Vergleiche,
poetische Figuren, Wortspiele usw. in grofsem Mafse, ja im
Übermafse verwendet werden. Da werden Vergleiche über
Vergleiche gehäuft; und Schilderungen, insbesondere Natur-
*) Die Probleme des Rämäyana hat zuerst eingehend behandelt
Albrecht Weber, >'Über das Rämäyana« (Abhandlungen der BerUner
Akademie aus dem Jahre 1870, S. 1—88). Grundlegend und zum
Teil auch den folgenden Kapiteln zugrunde liegend ist Hermann
Jacobi, Das Rämä3'^aaa. Geschichte und Inhalt. Bonn 1893. Einen
guten Überblick über die ganze Rämalitteratur gibt AI. Baum-
gariner S. J., Das Rämäyana und die Rämalitteratur der Inder.
Freiburg i. B. 1894. Manche gute Bemerkungen hat auch C. V.
Vaidya, Tbe Riddle of the Ramayana, Bombay und London 19Ö6.
— 405 —
Schilderungen, werden mit immer neuen Bildern und Gleich-
nissen unendlich ausgesponnen. Von diesen und anderen Eigen-
tümlichkeiten der klassischen Kunstpoesie finden wir im Rämäyana
bereits die ersten Anfänge. Während wir also im Mahäbhärata
eine Mischung von volkstümlicher Epik und theologischer Lehr-
dichtimg (Puräna) sehen konnten, stellt sich uns das Rämäyana
als ein Mittelding zwischen Volksepos und Kunstdichtung dar.
Ein wahres Volksepos ist es, ebenso wie das Mahäbhärata,
weil es gleich diesem Eigentum des ganzen indischen Volkes
geworden ist und — wie kaum ein zweites Gedicht der gesamten
Weltlitteratur — Jahrhunderte hindurch das ganze Denken und
Dichten des Volkes beeinflufst hat. In der (später hinzu-
gedichteten) Einleitung zu dem Epos wird erzählt, dafs Gott
Brahman selbst den Dichter Välmiki aufgefordert habe, die
Taten des Räma in Versen zu besingen-, und der Gott habe
ihm das Versprechen gegeben:
»So lang' die Berge stehn, so lang'
Die Flüsse auf der Erde sind:
So lange wird in dieser Welt
Das Lied von Räma weiter leben'.
Dieses Wort hat sich bis zum heutigen Tage als ein wahr-
haft prophetisches erwiesen. Seit mehr als zweitausend Jahren
hat sich das Gedicht von Räma in Indien lebendig erhalten, und
es lebt fort in allen Schichten und Klassen des Volkes. Hoch
und niedrig, Fürst und Bauer, der Landedelmann wie der Kauf-
mann und der Handwerker, Prinzessinnen und Hirtenmädchen
sind wohlvertraut mit den Gestalten und Geschichten des grofsen
Epos. Die Männer erheben sich an den ruhmreichen Taten und
erbauen sich an den weisen Reden des Räma ; die Frauen lieben
und preisen Sita als das Ideal . der Gattentreue, der höchsten
Frauentugend. Jung und alt aber ergötzt sich an den Wunder-
taten des treuherzigen Affen Hanumat und nicht minder an den/
schaurigen Märchen von menschenfressenden Riesen und zauber-
kräftigen Dämonen. Volkstümliche Redensarten und Sprich-
wörter geben Zeugnis von der Vertrautheit des Volkes mit
den Geschichten des Rämäyana. Aber auch die Lehrer und
Meister der verschiedenen religiösen Sekten berufen sich auf
das Rämäyana und schöpfen aus ihm, wenn sie religiöse und
moralische Lehren im Volke verbreiten wollen. Und die Dichter
27*
— 406 —
aller späteren Zeit, von Kälidäsa bis auf Bhavabhuti, haben immer
wieder aus dem Rämäyana ihre Stoffe geschöpft und sie neu
bearbeitet. Wenn wir zur neuindischen Litteratur der Volks-
sprachen kommen, so finden wir schon im Anfang des 12. Jahr-
hunderts eine Tamilübersetzung des Sanskritepos, und bald folgen
Nachdichtungen und Übersetzungen in den Volkssprachen vom
Norden bis zum Süden Indiens. Das auf dem alten Epos be-
ruhende religiös-philosophische Hindigedicht Räm-carit-manäs,
um 1631 von dem berühmten Tulsl Das verfafst, ist für
Millionen von Indern geradezu ein Evangelium geworden.
Generationen von Hindus in allen Teilen Indiens haben die alte
Sage von Räma in solchen modernen Übersetzungen kennen
gelernt. In den Häusern der Reichen werden noch in unseren
Tagen Rezitationen des Gedichtes veranstaltet. Auch dramatische
Bearbeitungen der Geschichte von Räma, wie solche schon im
Harivamsa erwähnt werden (oben S. 386 A.), kann man in Dörfern
und Städten Indiens bei religiösen Festen noch heute aufgeführt
sehen. So wird im nördlichen Indien, z. B. in Labore, all-
jährlich das Dasahrafest durch das »Rämaspiel« (Räm Lila) ge-
feiert, bei welchem die beliebtesten Szenen aus dem Rämäyana
vor einer ungeheuren Zuschauermenge zur Aufführung gelangen ^).
Ob die weit über Indien verbreitete Verehrung des Affenkönigs
Hanumat als einer Lokalgottheit und die Affenverehrung über-
haupt auf die Volkstümlichkeit des Rämäyana zurückzuführen
ist, oder ob umgekehrt die hervorragende Rolle, welche die
Affen in der Rämasage spielen, aus einem älteren Affenkult
erklärt werden mufs, mag dahingestellt bleiben. Sicher ist, dafs
ein Bild des Affenkönigs Hanumat in keinem gröfseren Dorfe
Indiens fehlt, und dafs es in vielen Tempeln von Affen wimmelt,
die mit grofser Schonung und Liebe behandelt werden. Dies
ist namentlich in Oude, der alten Residenzstadt des Räma, der
Fall 2).
^) Eine lebendige Schilderung dieses Festes nach eigener An-
schauung gibt J. C. Oman, The Great Indian Epics, the Stories of
the Ramayana and the Mahabharata. London 1899, S- 75 ff. Ziemlich
verworren ist die Schilderung von F. Reuleaux, Eine Reise quer
durch Indien im Jahre 1881. Berlin 1884, S. 68 f., 231.
2) Vgl. W. Crooke, Popukr Religion and Folklore of Northern
India, Allahabad, 1894, S. 51 ff. W. J. Wilkins, Hindu Mythology
— 407 —
Räma selbst, der Held des Rämäyana, wurde gewifs erst
nachträglich zu einer Inkarnation des Gottes Visnu gemacht und
dann als Halbgott verehrt. Dafs dann auch das von diesem,
halbgöttlichen Räma handelnde Epos den Charakter eines heiligen
Buches annahm, kann uns nicht überraschen. So, heilst es denn
gleich in dem (natürlich nicht von VälmTki herrührenden) ersten
Gesang :
»Wer diese reine, Sünden vernichtende , heilige, mit den Vedas
vergleichbare Geschichte von Räma liest, wird von allen Sünden
befreit.
Der Mann, der dieses lebenspendende Erzählungswerk (äkhyäna),
das Rämäyana, liest, wird nach seinem Hinscheiden samt Kindern und
Kindeskindern und seinem ganzen Anhang im Himmel selig werden.
Ein Brahmane, der es liest, wird redegewaltig, ein König erlangt
Herrschaft über die Erde, ein Kaufmann macht mit seinen Waren
gute Geschäfte und ein Südra selbst gelangt zu Gröfse.«
Bezeichnend ist auch die Sage von Dämodara IL, einem
König von Kaschmir, der durch einen Fluch in eine Schlange
verwandelt wurde und nicht früher von dem Fluche befreit
werden kann, bis er das ganze Rämäyana an einem einzigen
Tage sich hat vorlesen lassen^).
Aber gerade die Volkstümlichkeit des Rämäyana ist, wie
beim Mahäbhärata, wieder nur ein Grund dafür, dafs uns das
Gedicht nicht in seiner ursprünglichen Gestalt, sondern durch
Zusätze imd Änderungen vermehrt und vielfach entstellt über-
liefert ist. Das Werk, so wie es uns vorliegt, besteht aus
7 Büchern und enthält ungefähr 24000 Doppelverse (§lokas):
was aber von diesen alt oder jung bezw. echt oder imecht ist,
werden wir erst entscheiden können, wenn wir einen kurzen
Überblick über den Inhalt des Gedichtes gegeben haben.
Inhalt des Rämäyana^).
Das erste Buch, Bälakän4a (»Abschnitt von der
Kindheit e) genannt, beginnt mit einer Einleitung über die
2nd. ed. Calcutta 1882, S. 405. Paul Deussen, Erinnerungen an
Indien, Kiel 1904, S. 128.
') Kalha^ias Räjatarangi^i I, 166.
•) Eine vollständige deutsche Übersetzung gibt es nicht. Es gibt
eine italienische Übersetzung von Gaspare Gorresio, Parigi
1847—1858 (5 Bände), eine französische von H. Fauche, Paris
— 408 —
Entstehung des Gedichtes und erzählt die Jugendgescbichte
des Räma*). Aber genau so wie im Mahäbhärata wird auch
in diesem Buche der Gang der Erzählung durch die Ein-
fügung zahlreicher brahmanischer Mythen und Legenden unter-
brochen; und manche von diesen sind dieselben, die in ver-
schiedenen Versionen auch im Mahäbhärata vorkommen. So
genügt eine Erwähnung des Rsyasrnga, um die uns schon
bekannte Legende zu erzählen 2). Das Auftreten von V^asistha
und Vi§vämitra gibt Anlafs zur Erzählung von zahlreichen
auf diese altberühmten Rsis bezüglichen Sagen. So wird nament-
lich die Geschichte von Visvämitras Bufsübungen, die er volkog,
um Brahmane zu werden, sowie von den Versuchungen dieses
Rsi durch die Apsaras Menakä und Rambhä ausführlich erzählt^).
Zum Visvämitra -Sagenkreis gehört auch die alte Säge von
^unahsepa^). Von anderen Mythen und Sagen seien noch
erwähnt die von der Zwerginkarnation des Gottes
Visnu (I, 29), von der Geburt des Kriegsgottes Kumära oder
Kärttikeya (I, 35—37), von den 60000 Söhnen des Sagara
1854—1858 (9 Bände), eine englische in Versen von Ralph T. H.
Griffith, Benares und London 1870—1874 (5 Bände), neu gedruckt
in 1 Bd. Benares 1895, und eine englische Prosaübersetzung von Man-
mathaNathDutt, Calcutta 1892—94 (7 Bände). Eine abgekürzte
Widergabe des ganzen Gedichtes in schönen englischen Versen ist
Romesh Dutts prächtiges Buch Ramayana, The Epic of Rama,
Prince of India, Condensed into English Verse', London 1900. Inhalts-
angaben in den (oben S. 404 A.) genannten Werken von Jacobi und
Baumgartner. In gedrängtester Kürze hat F. Rückert in dem
Gedicht »Ramas Ruhm und Sitas Liebesleid« (Ges. poetische Werke
in 12 Bänden, Frankfurt a. M. 1868, III, 268 ff.) den Inhalt wieder-
gegeben.
^) Nur dieses erste Buch ist vollständig in deutsche Prosa über-
tragen von J. Menrad, »Rämäyana, das Lied vom König Räma, ein
altindisches Heldengedicht des Välmiki« usw., München 1897.
2) I, 9— 11. Übersetzt von Otto Wilmans in »Polyglotte der
Orientalischen Poesie« von H. Jolowicz, 2. Ausg. Leipzig 1856,
S. 83 ff. Vgl. H. Lüders in den Nachrichten der K. Ges. der Wiss.
zu Göttingen, phil.-hist. Kl. 1897, Heft 1, S. 18 ff. und oben S. 342 ff.
^) I, 51—65. Übersetzt von Franz Bopp, über das Conjugations-
system der Sanskritsprache usw. Frankfurt a. M. 1816, S. 159 ff.
Aus dieser Übersetzung lernte Heine die Sage kennen, oben S. 346.
*) 1, 62, vgl. oben S. 183 ff.
— 409 —
(des Ozeans) und der Herabkunft der Gahgä vom Himmel ^)
und von der Quirlung des Ozeans durch die Götter und
Dämonen *).
Aus der Einleitung sei nur die hübsche Geschichte von . der
Erfindung des Sloka^) hervorgehoben:
Välmiki wandelt am Ufer eines Flusses durch den Wald. Da
bemerkt er ein Brachvogelpärchen, welches lieblich singend im Grase
umherhüpft. Plötzlich kommt ein böser Jäger daher und tötet das
Männchen mit seinem Pfeile. Wie nun der Vogel sich in seinem
Blute wälzt und das Weibchen in kläglichen Tönen um ihn jammert,
wird Välmiki von tiefstem Mitleid ergriffen, und seiner Brust entringt
sich ein Fluch gegen den Jäger. Die Worte des Fluches aber nehmen
von selbst die Form eines t^loka an, und Gott Brahman beauftragt
den Dichter, die Taten des Räma eben in diesem Versmafse zu besingen.
Über die Jugendgeschichte des Räma wird im ersten Buch
folgendes erzählt:
Im Lande der Kosala (nördlich vom Ganges) in der Stadt Ayodhyä
(dem heutigen Oude) herrschte ein mächtiger und weiser König,
namens Dasaratha. Dieser war lange Zeit kinderlos. Da entschlofs
er sich, ein Pferdeopfer darzubringen. Der Seher Rsyasrnga ward
als Opferleiter für dieses grofse Opfer gewonnen, und er bringt eine
besonders zauberkräftige, die Erzeugung von Söhnen bewirkende Opfer-
spende dar. Gerade zu der Zeit hatten die Götter im Himmel von
dem Dämon Rävana viel zu leiden. Sie wenden sich daher an Visnu
mit der Bitte, er möge Mensch werden, um als solcher den Rävana
zu töten. Vis];;iu willigt ein und entschliefst sich, als Sohn des
Dasaratha auf der Erde geboren zu werden. Nachdem also das Pferde-
opfer vollendet war, gebaren dem König Dasaratha seine drei Frauen
vier Söhne: Kausalyä gebar den Räma (in welchem Visnu sich
verkörpert hatte), Kaikeyi den Bharata, Sumiträ den Laks-
ma^a und den Öatrughna. Von diesen vier Prinzen war Räma,
der Älteste, der erklärte Liebling des Vaters. Von Jugend auf aber
war Laksma^ dem älteren Bruder aufs innigste zugetan. Er war
wie sein zweites Leben und tat alles, was er ihm nur an den Augen
absehen konnte.
') I, 38—44. Dieses Stück hat schon A. W. von Schlegel in
seiner indischen Bibliothek« I (Bonn 1823), S. 50 ff . übersetzt
Auch A. Hoefer, Indische Gedichte II, 33 ff.
«) I, 45. Vgl. oben S. 332.
^) I, 2. Übersetzt von F. von Schlegel, Über die Sprache und
Weisheit der Indier, S. 266. H. Jacobi (Das Rämäyaija, S. 80 f.)
vermutet, dafs dieser Sage das Tatsächliche zugrunde liege, dafs der
epische Sloka in seiner endgültigen Form auf Välmiki zurückgehe.
— 410 —
Als die Söhne herangewachsen waren, kam der grofse Rsi
Visvämitra an den Hof des Dasaratha. Mit ihm zogen Räma und
Laksma^ia aus, um Dämonen zu töten, wofür sie von dem Rsi mit
Zauberwaffen belohnt wurden. Visvämitra geleitet die Prinzen auch
an den Hof des Königs Janaka von Videha. Dieser hatte eine
Tochter, namens Sita. Sie war kein gewöhnliches Menschenkind,
sondern als der König einst den Acker pflügte, war sie aus der Erde
hervorgekommen — daher ihr Name Sita, «die Ackerfurche« — und
Janaka hatte sie als Tochter aufgezogen. Der König besafs aber einen
wunderbaren Bogen und hatte verkünden lassen, dafs er seine Tochter
Sita nur demjenigen zur Frau geben werde, der diesen Bogen zu
spannen vermöchte. Viele Fürsten hatten es bereits vergebens ver-
sucht. Da kam Räma und spannte den Bogen, so dafs er mit Donner-
getöse entzweibrach. Hocherfreut gibt ihm der König seine Tochter
zur Frau. Dasaratha wird benachrichtigt und herbeigeholt, worauf
unter grofsem Jubel die Hochzeit von Räma und Sita gefeiert wird.
Und viele Jahre lebten die beiden in Glück und Wonne.
Die eigentliche Verwicklung beginnt mit dem zweiten
Buch, welches die Ereignisse am Königshofe von Ayodhyä
schildert und daher Ayodhyä-Kän(ia betitelt ist^):
Als Dasaratha sein Alter herannahen fühlte, beschlofs er, seinen
Lieblingssphn Räma zum Thronnachfolger einzusetzen und liefs durch
seinen Hauspriester Vasistha alle zur Weihe nötigen Vorbereitungen
treffen. Das bemerkt die bucklige Zofe der Königin Kaikeyl, und
diese stiftet ihre Herrin an, dafs sie beim König die Einsetzung ihres
eigenen Sohnes Bharata zum Thronnachfolger durchsetze. Der König
hatte ihr einmal zwei Wünsche freigestellt, die sie sich bisher noch
vorbehalten hat. Nun verlangt sie von dem König, dafs er den Räma
auf vierzehn Jahre verbanne und ihren Sohn Bharata zum Thron-
folger bestimme. Der König ist niedergeschmettert, aber Räma selbst,
sobald er von der Sache erfährt, zögert keinen Augenblick, in die
Verbannung zu gehen, damit nur sein Vater keinen Wortbruch be-
gehe. Vergebens suchen seine Mutter Kausalyä und sein Bruder
Laksmana ihn zurückzuhalten. Er besteht darauf, dafs es seine
höciiste JPflicht sei, dem Vater zur Erfüllung seines Versprechens be-
hilflich zu sein. Alsbald teilt er auch seiner Gemahlin Sita mit, dafs
er entschlossen sei, als Verbannter in den Wald zu gehen. Sie aber
fordert er auf, dem Bharata gegenüber freundlich zu sein, am Hofe
des Dasaratha fromm und enthaltsam zu leben und dem Vater und
den Müttern") gehorsam zu dienen. Sita aber antwortet ihm in einer
') Eine freie und gekürzte poetische Bearbeitung dieses Buches
ist »Rama, ein indisches Gedicht nach Walmiki«, deutsch von Adolf
Holtzmann. 2. Aufl., Karlsruhe 1843.
') Es ist interessant, dafs Räma stets von allen Frauen seines
Vaters als seinen »Müttern« spricht.
— 411 —
herrlichen Rede über die Pflichten der Ehefrau, dafs nichts sie ab-
halten werde, ihm in den Wald zu folgen:
»Denn nicht dem Vater, nicht dem Sohn, der Mutter nicht und
nicht sich selbst,
Nur dem Gemahle soll das Weib im Leben folgen und im Tod.
Wenn heute du, o Raghaver '), zum wilden Walde wandern willst.
So brech' ich vor dir her ^as Gras, dafs nicht sein scharfer Halm
dich sticht . . .
Jahrhunderte verschwinden mir, wenn ich bei dir bin, wie ein Tag.
Im Himmel selbst- vermocht' ich nicht zu leben, Rama, fern
von dir;
Und ohne dich kenn' ich kein Glück, und keinen Himmel ohne
dich.«^)
Räma schildert ihr alle Schrecken und Gefahren des Waldes,
um sie von ihrem Entschlüsse abzubringen. Sie aber bleibt fest und
will von einer Trennung nichts wissen •, wie Sävitri einst dem Satyavat
folgte, so wolle sie von ihm nicht weichen.
Da willigt Räma endlich ein, dafs Sita mit ihm in den Wald
ziehe. Der treue Laksmaaa lälst sich selbstverständlich auch nicht
davon abbringen, dem Btuder in die Verbannung zu folgen. Nur in
Bastgewänder gehüllt, ziehen die Verbannten unter der Teilnahme
der ganzen Bevölkerung in den Wald>
König Dasaratha aber kann den Schmerz um den Verlust des
Sohnes nicht verwinden. Wenige Tage, nachdem Räma in die Ver-
bannung gezogen war, erwacht um Mitternacht der König aus un-
ruhigem Schlafe. Da erinnert er sich eines in seiner Jugend be-
gangenen Frevels; er erzählt der Kausalyä, wie er einst auf der Jagd
aus Versehen einen jungen Einsiedler getötet, und wie dessen blinder
Vater ihm geflucht habe, er solle aus Kummer über den Verlust
seines Sohnes sterben. Nun geht dieser Fluch in Erfüllung:
»,Mein Gedächtnis schwindet und ich sehe
Schon des Todesgottes Boten, wie sie
An mein Lager treten: o wenn Räma
Mich nur einmal noch mit seiner lieben
Hand berührte, wenn ich nur noch einmal
Des Zurückgekehrten Stimme hörte.
Neues Leben würde das mir schenken,
Wie wenn halb Verschmachteten nun auf einmal
Himmelsfrucht gereicht wird: aber sage.
Gibt es einen herbern Schmerz als diesen,
Dafs ich in den letzten Augenblicken
Rämas teures Angesicht nicht sehe? . . .'
') Räghava, »Nachkomme des Raghu', d. i. Räma.
2) 11, 27. Nach Holtzmann, -Rama«, 815ft.
— 412 —
Also, des verbannten Sohns gedenkend.
Nach dem Fernen schmachtend, lag der König
Im Verscheiden, gleich den Nachtgestirnen,
Wenn sie in dem Morgenstrahl erblassen.
Auf dem Lager da. '0 Räma! Räma!' —
Seufzt' er nochmals — 'o mein Sohn!' Stets matter
Werdend, haucht' er den geliebten Namen,
Und Kausalyä, seine Gattin, lauschte
Angstvoll seinen letzten Atemzügen . . .
Nach dem Fluche jenes frommen Büfsers,
Dem er einst den Sohn getötet hatte.
War der König Dasaratha also
Selbst im Kummer um den Sohn verschieden.«')
Nach dem Tode des Königs wird Bharata, der in Räjagrha
weilt, herbeigeholt und von seiner Mutter Kaikeyi sowie von den
Räten aufgefordert, den Thron zu besteigen. Bharata aber will davon
nichts wissen, sondern erklärt ganz entschieden, dafs die Herrschaft
dem Räma zukomme und er ihn zurückbringen wolle. Mit grofsem
Gefolge macht er sich auf, den Bruder abzuholen. Währenddessen
weilt Räma im Citrakütagebirge und schildert eben der Sita die
Schönheiten der Landschaft ^K ^Is man Staubwolken aufwirbeln sieht
und den Lärm eines nahenden Heeres vernimmt. Laksma^a steigt
auf einen Baum und sieht das Heer des Bharata herankommen. Er
glaubt, es handle sich um einen feindlichen Angriff und gerät in
mächtigen Zorn. Aber bald bemerkt er, dafs Bharata sein Heer
zurücklälst und allein herankommt. Er nähert sich dem Räma, wirft
sich ihm zu Füfsen, und die Brüder umarmen einander. Nun be-
richtet Bharata mit vielen Tränen und Anklagen gegen sich selbst
und seine Mutter Kaikeyi dem Räma den Tod des Vaters und fordert
ihn auf, zurückzukehren und die Herrschaft anzutreten. Räma sagt,
er könne weder ihm noch seiner Mutter einen Vorwurf machen; was
aber der Vater angeordnet, das müsse ihm auch jetzt noch teuer sein,
und von seinem Entschlüsse, vierzehn Jahre im Walde zu verbringen,
werde er nie und nimmer abgehen. Vergebens sind alle Bitten des
Bharata, der ihn an den Hingang des Vaters erinnert. Räma bringt
unter vielen Wehklagen die Totenspenden für den Dahingeschiedenen
dar, bleibt aber in seinem Entschlüsse fest Den wehklagenden Btuder
tröstet Räma mit einer herrlichen Rede über die naturnotwendige
Vergänglichkeit des Daseins und die Unvermeidlichkeit des Todes,
die jede Klage als unvernünftig erscheinen lasse.
- V) Übersetzt von Ad. Friedr. Grafen von Schack, Stimmen vom
Ganges (Stuttgart 1877) S. 106—119: »Der Tod des Dasaraüia«.
*) II, 94. Eine prächtige Naturschilderung, wie sie im Ramäya^a
nicht selten sind.
— 413 —
»Zerrinnen raufs, was aufgehäuft, und sinken, was erhaben ist;
Sich trennen, was verbunden ist, und sterben, was da Leben hat.
Wie jede Frucht, indem sie reift, dem sichern Fall entgegengeht.
So kommt der Mensch von der Geburt dem Tode näher jeden Tag ;
Und wie ein festgestütztes Haus doch endlich morsch zusammenstürzt,
So schwindet auch der Mensch dahin, dem Tod und Alter Untertan.
... Im weiten Meere treffen sich zwei Splitter Holz •, für kurze Zfeit
Sind sie beisammen, bis die Flut sie wieder auseinandertreibt.
So Gattinnen und Kinder auch. Verwandte, Freunde, Hab .und Gut;
Sie kommen und sind wieder fern, urplötzlich trifft uns ihr Verlust . . .
Da unsre Lebenszeit vers<^reicht, wie Wasser, das zurück nicht fliefst,
So suche man das eig'ne Heil und seiner Untergeb'nen Glück." ^
/ Auch die Räte kommen herbei, um den Räma aufzufordern, dafs
er die Herrschaft antrete. Einer von diesen, Jäbäli, ein arger Ketzer
und Vertreter nihilistischer Ansichten , sucht ihm seine moralischen
Bedenken auszureden. Jeder lebe nur für sich, um Vater und Mutter
brauche man sich nicht zu kümmern, mit dem Tode sei alles aus, das
Gerede von einem Jenseits werde nur von schlauen Priestern ver-
breitet, um Geschenke zu erhalten, — darum möge er nur seinen
Verstand zu Rate ziehen und den Thron besteigen. Entschieden
weist Räma diese Lehren des Nihilisten'^) zurück. Aber auch die
Vorstellungen des fromtnen Priesters Vasistha vermögen ihn nicht
umzustimmen. Und schliefslich mufs sich Bharata dazu bequemen,
die Herrschaft für Räma zu führen. Räma übergibt ihm seine Sandalen
als Symbol der Herrschaft^), und Bharata kehrt nach Ayodhyä zurück,
wo Rämas Sandalen als Vertreter des Königs feierlich auf den Thron
gesetzt werden, während er selbst nach Nandigräma übersiedelt, um
^) II, 105, 16fi. nach Holtzmann, -Raraa«, 1930ff. Sprüche
dieser Art gehören zu dem schon öfter erwähnten Gemeinbesitz
indischer Dichter. Sie begegnen uns fast wörtlich wieder im Mahä-
bhärata, in Puräijas, in der Rechtslitteratur (z. B. Visnusmrti XX, 32),
in der buddhistischen Spruchweisheit, in den Sprüchen des.Bhartrhari
usw. Die Trostrede des Räma bildet auch den Kern des Dasaratha-
Jätaka-, vgl. unten S. 433.
-) Der Ausdruck entspricht genau dem Sanskrit nästika »einer
der lehrt, dafs es nichts gibt (nästi)«. Hier werden dem Räma die
Worte in den Mund gelegt: »Wie ein Dieb ist der Buddha, und
der Tathägata, wisse, ist ein Nästika.« Dieser nicht einmal in allen
Rezensionen vorkommende Vers ist längst als entschieden unecht er-
wiesen (Jacobi a. a. O. S. 88 f.).
') Über den Schuh als Rechtssymbol im altnordischen und alt-
deutschen Recht vgl. Jacob Grimm, Deutsche Rechtsaltertümer,
4. Aufl., 1899, I, 213 ff. Schon A. Holtzmann vergleicht die auf-
fallend ähnliche hebräische Sitte, Ruth 4. 7.
— 414 -
von dort aus für Räma als dessen Stellvertreter die Regierangs -
geschäfte zu besorgen.
Mit dem dritten Buche, welches das Waldleben der
Verbannten schildert und daher Aranya-Kända, »Wald-
abschnitt«, heilst, treten wir gewissermalsen aus der Welt der
Wirklichkeit in eine bunte Märchenwelt, die wir bis zum Ende
des Gedichtes nicht mehr verlassen. Während uns das zweite
Buch das Leben und Treiben an einem indischen Fürstenhof
vorführt und von einer Hofintrige ausgeht, wie solche mehr
als einmal in Indien wirklich vorgekommen sind — märchenhaft
ist dabei höchstens der übertriebene Edelmut der beiden Brüder
Räraa und Bharata — , beginnen mit dem dritten Buche die
Kämpfe und Abenteuer des Räma, welche dieser mit märchen-
haften Gestalten und dämonischen Wesen zu bestehen hat.
Als die Verbannten längere Zeit in dem Dandakawalde gelebt
hatten, baten die dort lebenden Waldeinsiedler den Räma um Schutz
gegen die Räksasas. Räma verspricht diesen Schutz und beschäftigt
sich von da an fortwährend mit Kämpfen gegen diese teuflischen Un-
geheuer. Der menschenfressende Riese Virädha ist der erste, dem
der Garaus gemacht wird'). Verhängnisvoll für die Verbannten ist
das Zusammentreffen mit Öürpanakhä ("Krallen so grofs wie Worf-
schaufeln habend«), der Schwester des Rävana. Diese Teufelin verliebt
sich in Räma und macht ihm Liebesanträge. Er aber verweist sie
auf seinen Bruder Laksma^a, der noch nicht verheiratet sei -). Laksmana
verbittet sich höhnisch ihre Annäherungen. Zornentbrannt will sie
die Sita verschlingen. Da schneidet ihr Laksmana Ohren und Nase
ab. Heulend flieht sie zu ihrem Bruder Khara. Dieser zieht zuerst
mit 14, dann mit 14 000 Räksasas gegen Räma zu Felde, aber dieser
macht sie alle nieder. Nachdem auch Khara gefallen ist, eilt Öürpanakhä
nach Lanka, einem fabelhaften Lande jenseits des Ozeans"), und
stachelt ihten Bruder Rävana, ein zehnköpfiges Ungeheuer und Be-
herrscher von Lanka, zur Rache gegen Räma auf. Zugleich schildert
sie ihm die wunderbare Schönheit der Sita in den verlockendsten
^) Hier folgen {in den Gesängen 8-14) wieder allerlei Legenden,
z. B. von dem Rsi Agastya u. a. ganz wie in Buch I und im Mahä-
bhärata.
'^) Diese Stelle ist einer der vielen Beweise für die Unechtheit
des ersten Buches, in welchem erzählt wird, dafs die Brüder des Räma
sich zugleich mit diesem verehelichten..,
^) Nicht, wie man gewöhnlich anzunehmen pflegt, Ceylon. Erst
eine viel spätere Zeit hat Lanka mit Ceylon gleichgesetzt. Siehe
Jacobi, Rämäya^a, S 90 ff.
— 415 —
Farben und reizt ihn, ^ich ihrer zu bemächtigen und sie zu seiner
Gattin zu machen Da macht sich Rävaqia auf, fährt mit seinem
goldenen Wagen durch die Lüfte über den Ozean hinüber und trifft
dort den als Büfscr lebenden Märfca, einen ihm befreundeten Dämon,
mit dessen Hilfe es ihm gelingt, Sita von ihren Beschützern zu trennen
und zu rauben. Er entführt sie auf seinem Wagen durch die Lüfte.
Sita ruft laut um Hilfe. Der Geier Jatäyus, ein alter Freund des
Dasaratha, kommt hcrbeigeflogen , es gelingt ihm, den Wagen des
Rävapa zu zerschmettern, aber schliefslich wird er doch selbst von
Rävana niedergemacht. Der Dämon ergreift Sita abermals mit seinen
Krallen und fliegt mit ihr fort. Wie sie im Fluge durch die Lüfte
getragen wird, fallen die Blumen aus ihrem Haar, und die edelstein-
geschmückten Bänder gleiten von ihren Füfsen auf die Erde. Die
Bäume, in deren Zweigen der Wind rauscht, scheinen ihr zuzurufen:
«Fürchte dich nicht!«; die Lotusse lassen ihre Blütenköpfe hängen,
als trauerten sie um die geliebte Freundin; Löwen, Tiger und andere
wilde Tiere laufen wie im Zorn hinter dem Schatten der Sita her;
mit tränenüberströmten Gesichtern — den Wasserfällen — und empor-
gestreckten Händen — den ragenden Gipfeln — scheinen die Berge
um Sita zu jammern. Die erhabene Sonne selbst, indem beim Anblick
der geraubten Sita ihre Strahlen sich verdunkeln und ihre Scheibe
verblafst, scheint zu klagen: »Kein Recht gibt es mehr, keine Wahr-
heit, keine Rechtschaffenheit, keine Unschuld, wenn Rävana die Ge-
mahlin des Räma, die Sita, raubt« (III, 52, 34—39). Rävaija aber
fliegt mit der Geraubten über den Ozean hinüber nach Lanka, wo er
sie in seinem Frauenhaus unterbringt. Er führt sie in seinem Palaste
herum, zeigt ihr all seine Herrlichkeiten und schildert ihr die un-
ermefslichen Reichtümer und Wunderwerke, über die er gebietet.
Mit schmeichelnden Worten sucht er sie zu überreden, seine Gattin
zu werden. Sita aber antwortet ihm voll Zorn, dafs sie dem Räma
nie die Treue brechen und sich nie von ihm berühren lassen werde.
Da droht ihr Rävana, er werde sie, wenn sie ihm nicht binnen zwölf
Monaten zu Willen sei, von den Köchen in Stücke schneiden lassen
und zum Frühstück verzehren. Darauf läfst er sie in eine Grotte
führen und übergibt sie Räksasafrauen zur strengen Bewachung.
Mittlerweile sind Räma und Laksma^ zurückgekehrt und finden
zu ihrem Entsetzen die Hütte leer. Vergeblich suchen sie Sita im
Walde. Räma erhebt bittere Klage, er befragt die Bäume, die Flüsse»
die Berge und die Tiere — aber keines kann ihm von Sita Kunde
geben. Endlich finden sie die Blumen und Schmucksachen, welche
Sita auf ihrem Fluge fallen gelassen, bald auch die Trümmer von
Räva^as Wagen, herumliegende Waffen und andere Spuren eines
Kampfes. Räma glaubt nicht anders, als dafs Sita von Räksasas ge-
tötet sei, und in wahnsinniger Wut erklärt er, die ganze Welt ver-
nichten zu wollen: Er wolle den Luftraum mit seinen Pfeilen füllen,
den Lauf des Windes hemmen, die Strahlen der Sonne vernichten und
die Erde in Dunkel hüllen, die Gipfel der Berge herabschleudern, die
— 416 —
Teiche austrocknen, den Ozean zertrümmern, die Bäume entwurzeln-,
ja die Götter selbst, wenn sie ihm seine Sita nicht zurückgeben, werde
er vernichten. Nur mit Mühe gelingt es dem Laksraa^a, den Rasenden
zu beruhigen und ihn zu weiterem Suchen zu veranlassen. Da finden
sie den Geier Jatäyus, der sich in seinem Blute wälzt. Sterbend er-
zählt er ihnen noch, was vorgefallen ist, stirbt aber mitten in seiner
Erzählung. Gen Süden wandernd stolsen die Brüder auf ein brüllendes,
kopfloses Ungeheuer, den Kabandha, den sie von einem auf ihm
lastenden Fluche befreien. Zum Danke hierfür gibt er Räma den
Rat, er solle sich mit dem Affenkönig Sugriva verbünden, der ihm
zur Wiedergewinnung der Sita behilflich sein werde.
Das vierte Buch — das Kiskindhä-Kända — erzählt
von dem Bündnis, welches Räma mit den Affen schliefst, um
die Sita wiederzugewinnen.
Die Brüder gelangen zum Teiche Pampa, dessen Anblick Räma
wehmütig stimmt. -Denn es ist Frühling, und der Anblick der er-
wachenden Natur erweckt in ihm die Sehnsucht nach der fernen Ge-
liebten *). Hier treffen sie bald mit dem Affenkönig Sugriva zusammen.
Er erzählt ihaen, dafs er von seinem Bruder Välin der Gattin und
der Herrschaft beraubt und aus dem Reiche verjagt worden Siei. Räma
und Sugriva schliefsen nun ein enges Freundschaftsbündnis. Räma
verspricht dem Sugriva Hilfe gegen Välin, während Sugriva ver-
spricht, dem Räma bei der Wiedergewinnung der Sita beizustehen.
Vor Kiskindhä^), der Residenz des Välin, kommt es zu einem
Kampfe zwischen den feindlichen Affenbrüdern, Räma kommt dem
Sugriva zu Hilfe und tötet den Välin. Der Affe Sugriva wird zum
König und Ahgada, der Sohn des Välin, zum Thronfolger geweiht.
Unter den Räten des Sugriva ist aber Hanumat^), der Sohn
des Windgottes, der weiseste. Ihm schenkt Sugriva das gröfste Ver-
trauen, und er beauftragt ihn mit der Auffindung der Sita. Von
einer Affenschar unter der Führung des Angada begleitet, macht sich
der kluge Hanumat auf den Weg nach dem Süden. Nach mannig-
fachen Abenteuern treffen sie mit Sampäti, einem Bruder des Geiers
Jatäyus, zusammen. Dieser erzälilt ihnen, wie ihm einst, als er mit
seinem Bruder um die Wette zur Sonne fliegen wollte*), die Flügel
*) Der ganze erste Gesang ist eine Elegie, die man i' Sehnsucht
nach der Geliebten im Frühling« betiteln könnte, ganz im Stile der
späteren Kunstpoesie.
") Daher der Titel des IV. Buches.
^) Auch Hanumat. Der Name .bedeutet: »Der mit den Kinn-
backen«. Nach IV, 66, 24 heilst er so, weil ihm Indra mit dem
Donnerkeil die Kinnbacken zerschlagen hat.
*) Gleich dem Ikarus Dieser Mythos wird erst (IV, 58) nur kurz
berührt, dann (IV, 59—63) in einer puränaartigen Erweiterung erzählt.
— 417 —
versengt worden seien, so dafs er nun hilflos auf dem Vindhyagebirge
weilen müsse. Er habe aber gesehen, wie Räva^a die Sita nach
Lanka entführt habe Er beschreibt ihnen die Lage von Lanka, und
die Atfen steigen zum Ozean hinab. Als sie aber die unermefsliche
wogende See vor sich sahen, da verzweitelten sie schier, wie sie
hinüberkomraen könnten. Angada aber heifst sie nicht verzagen,
»denn die Verzagtheit tötet den Menschen, wie die wütende Schlange
einen Knaben» (iV. 64, 9). Da beraten sie, wer am weitesten springen
könne, und es zeigt sich, dafs keiner so weit zu springen vermag als
Hanumat. Dieser besteigt also den Berg Mahendra und schickt sich
an, über den Ozean zu springen.
Das fünfte Buch schildert die wutiderbare Insel Lanka,
die Residenzstadt, den herrlichen Palast und das Frauenhaus des
Rävana, und erzählt, wie Hanumat der Sita Nachricht von ihrem
geliebten Räma gibt und dabei die Stärke des Feindes aus-
kundschaftet. Den Titel Sundara-Kända, »der schöne Ab-
schnitte, mag das Buch von den vielen poetischen Beschreibungen
haben ') , oder weil es noch mehr als alle anderen Bücher des
Märchenhaften enthält. Ist schon die ganze zweite Hälfte des
Rämäyana ein »romantisches« Epos, so ist dieses fünfte Buch
ganz besonders »romantisch« — und das Romantische ist für
den indischen Geschmack immer das Schönste.
Mit einem gewaltigen Sprunge, der den Berg Mahendra in seine
Tiefen erzittern macht und alle auf dem Berg lebenden Wesen in
Angst und Schrecken versetzt, erhebt sich der Affe Hanumat in die
Lüfte und fliegt über den Ozean dahin. Nach einem viertägigen
Fluge, auf dem er verschiedene Abenteuer erlebt und Wundertaten
verrichtet, erreicht er endlich Lanka. Von einem Berge aus be-
trachtet er die Stadt, die ihm fast uneinnehmbar erscheint. Er macht
sich so klein wie eine Katze ^) und dringt nach Sonnenuntergang*in
die Stadt ein Er besichtigt die ganze Dämonenstadt, den Palast des
'Rävana und den wunderbaren Wagen, Puspaka genannt, auf dem der
Räksasa durch die Luft zu fahren pflegt. Er dringt auch in Rävaijas
Frauenhaus ein, wo er den mächtigen Dämonenfürsten inmitten seiner
Schönen ruhend erblickt^). Nach langem vergeblichem Suchen findet
^) So nach Jacobi, Rämäyana, S. 124.
2) Nach anderer Erklärung: '»wie eine Bremse. Hanumat kann
seine Gestalt nach Belieben verändern;
^) Diese nächtliche Serailszene wird (V, 9—11) im Stile der Kunst-
poesie lebendig geschildert und erinnert sehr an die Schilderung in
der Buddha-Legende, wo der Prinz Siddhärtha, von seinen Frauen
umgeben, zu mittemächtiger Stunde erwacht und von Ekel an der
— 418 —
er endlich Sita, von Gram verzehrt, im Asokahain. Er gibt sich als
Freund und Bote des Räma zu erkennen. Sie erzählt ihm, dafs
Rävana gedroht habe, sie aufzufressen, und dafs sie nach zwei Monaten
sterben müsse, wenn Räma sie nicht vorher befreie. Hanumat aber
gibt ihr die bestimmte Zusicherung, dafs Räma kommen werde, sie
zu befreien').
Darauf begibt sich Hanumat wieder auf den Berg, fliegt über
den Ozean hinüber und erzählt den dort auf ihn wartenden Affen
seine Erlebnisse auf Lanka. Dann geht er zu Räma, berichtet ihm,
wie er die Sita angetroffen, und überbringt ihm ihre Botschaft.
Das sechste Buch, welches den grolsen Kampf zwischen
Räma und Rävana schildert — daher Yuddha-Kända,
»Kampfabschnitt«, genannt — ist das umfangreichste von allen.
Räma preist den Hanumat wegen der erfolgreichen Erfüllung
seiner Sendung und umarmt ihn herzlich. Doch verzweifelt er bei
dem Gedanken an die Schwierigkeit, über den Ozean zu gelangen.
Sugriva rät, eine Brücke nach Lanka zu vschlagen. Hanumat gibt eine
genaue Beschreibung der Stadt des Rävana und ihrer Befestigung
und erklärt, dafs die Haupthelden des Affenheeres imstande sein
Weltlust ergriffen wird. Die Ähnlichkeit der Situation und der
Schilderung ist auffallend genug, um die Annahme zu rechtfertigen,
dafs sie der Schilderung des Asvaghosa im Buddhacarita
V, 47 ff.) nachgeahmt ist. Denn wie E. B. Cowell un der Vorrede
zu seiner Ausgabe des Buddhacarita) richtig bemerkt, bildet diese
Szene einen wesentlichen Bestandteil der Buddha-l,egende, während
sie im Rämfiyaria nur eine ganz unnötige Ausschmückung ist.
Natürlich dürfen wir das Stück nicht dem Välmlki selbst zuschreiben,
sondern die Nachahmung fällt einem «Välmikiden« (wie Jacobi die
Nachfolger Välmlkis, die sein Werk erweitert haben, nennt) zur Last.
- ') Hanumats Mission ist damit erfüllt, und die folgende Erzählung
(41 — 55) ist ohne .Zweifel ein späterer Einschub: Um die Stärke des
Feindes zu erproben, zettelt Hanumat durch Zerstörung des Asokahain^
einen Streit an. In gewaltigen Kämpfen mit Tausenden von Räksasas
bleibt er allein Sieger. Schliefslich wird er aber gefesselt und vor
den Dämoneukönig geführt. Hanumat gibt sich als Bote des Räma
zu erkennen und fordert die Zurückgabe der Sita. Rävana will ihn
töten, läfst sich jedoch überreden, ihn als Gesandten zu schonen. Um
ihn aber zu strafen, läfst er dem Affen in Öl getränkte Baumwoll-
lappen um den Schwanz wickeln und diese anzünden. Sita hört
davon und betet zu Agni, dem Feuergott, er möge den Hanumat
nicht verbrennen. Der Affe springt nun mit dem brennenden Schwanz
von Haus zu Haus und setzt die ganze Stadt in Brand, während er
selbst unversehrt entkommt. Die Unechtheit dieses Stückes hat
Jacobi a. a. O. S. 31 ff. unwiderleglich bewiesen.
— 419 —
würden, sie zu bezwingen. Räma gibt daher den Befehl, das Heer
in Marschordnung aufzustellen, und bald bricht das ungeheure Affen-
heer gegen Süden auf, dem Meeresstrande zu.
Als die Nachricht von dem heranrückenden Affenheere nach Lanka
gedrungen war, berief Räva^a seine Räte — lauter grolse und mäch-
tige Räksasas — zu einer Beratung. Während nun alle anderen
Verwandten und Räte mit prahlerischen Reden den Räva^ia zum
Kampfe anspornen, weist Vibhisaija, Rävaijias Bruder, auf un-
günstige Vorzeichen hin und rät, Sita zurückzugeben. Rävana ist
darüber sehr aufgebracht und beschuldigt ihn des Neides und der Mifs-
gunst; Verwandte, sagt er, seien ja immer die ärgsten Feinde eines
Königs und Helden. Von seinem Bruder aufs tiefste gekränkt, sagt
sich Vibhisana von ihm los, fliegt mit vier anderen Räksasas über
den Ozean hinüber und verbündet sich mit Räma. Auf den Rat des
Vibhisana wendet sich Räma an den Meergott selbst mit der Bitte,
ihm beim Überschreiten des Ozeans behilflich zu sein. Dieser ruft
den Affen Nala, den Sohn des göttlichen Baumeisters Visvakarman,
herbei und beauftragt ihn, eine Brücke über den Ozean zu schlagen.
Auf Rämas Befehl schleppen die Affen Felsen und Bäume herbei,
in wenigen Tagen wird eine Brücke über den Ozean gebaut, und das
ganze grofse Heer zieht hinüber nach Lanka.
Nun wird die Residenzstadt des Rävana von dem Affenheer um-
zingelt. Rävana gibt den Befehl zu einem allgemeinen Ausfall. Es
kommt zu einer Schlacht und zu zahlreichen Einzelkämpfen zwischen
den Haupthelden der beiden kämpfenden Heere. Laksmana, Hanuraat,
Angada und der Bärenkönig Jämbavat sind die hervorragendsten
Mitstreiter des Räma. während auf Seite des Rävana sich insbesondere
dessen Sohn Indrajit hervortut. Der letztere ist in allen Zauberkünsten
bewandert und versteht es, sich jeden Augenblick unsichtbar zu
machen.
So bringt er auch einmal dem Räma und dem Laksmana lebens-
gefährliche Wunden bei. In der Nacht aber fliegt auf den Rat des
Bärenkünigs Jämbavat der Affe Hanumat zum Berge Kailäsa, um
von dort vier besonders kräftige Heilkräuter zu holen. Da sich diese
Kräuter verstecken, nimmt der Affe einfach den ganzen Berggipfel
mit und trägt ihn zum Schlachtfeld, wo durch den Duft der Heil-
kräuter Räma, Laksmana und alle Verwundeten sofort geheilt werden.
Hierauf befördert Hanumat den Berg wieder an seine Stelle zurück.
Ein andermal kommt der zauberkundige Indrajit aus der Stadt
heraus, indem er auf seinem Streitwagen ein von ihm hervorgezaubertes
Scheinbild der Sita mitführt, um es vor den Augen des Hanumat,
des Laksmana und der Affen zu mifshandeln und zu enthaupten.
Entsetzt bringt Hanumat dem Räma die Nachricht, dafs Sita getötet
sei; Räma fällt in Ohnmacht. Laksmana bricht in Klagen aus und
hält eine gotteslästerliche Rede mit bitteren Anklagen gegen das
Schicksa% das sich um Tugend nicht kümmere (VI, 83, 14 ff.) — wird
W 'iit ernitz, Geschichte der indischen Litteratur. 2o
- 420 -
aber bald von Vibhisa^a darüber aufgeklärt, dafs das Ganze nur ein
Blendwerk des Indrajit gewesen sei. Schlielslich wird auch Indrajit
nach einem heftigen Zweikampf von Laksma^ getötet.
Wütend über den Tod seines Sohnes erscheint nun Räva^a selbst
auf dem Kampfplatz. Ein furchtbarer Zweikampf zwischen Räma und
Rävana findet statt, der Tag und Nacht fortdauert. Die Götter selbst
kommen dem Räma zu Hilfe, insbesondere Indra mit seinem Wagen
und seinen Geschossen. So oft aber auch Räma dem Rävaija die
Köpfe abschlägt, immer wächst ihm ein neuer Kopf nach. Endlich
gelingt es ihm, mit einer von Gott Brahman selbst geschaffenen Waffe
Rävanas Herz zu durchbohren. Grolser Jubel im Heere der Affen,
wilde Flucht der Räksasas.
Nun wird Räva^ feierlich bestattet und Vibhisai^a wird von
Räma als König in Lanka eingesetzt.
Jetzt ferst läfst Räma die Sita herbeirufen, verkündet ihr die
frohe Botschaft von dem errungenen Sieg, — vcrstöfst sie aber dann
in Gegenwart aller Affen und Räksasas. Er habe (so erklärt er)
Rache genommen für die ihm" angetane Schmach, aber mit ihr vrolle
er nichts mehr zu tun haben; denn ein Weib, das auf dem Schofse
eines anderen Mannes gesessen und das ein anderer mit lüsternen
Augen betrachtet habe, könne ein Räma nicht mehr als Gemahlin
aufnehmen. Da erhebt Sita bittere Wehklage über den ungerechten
Verdacht des Räma und beauftragt den Laksmana, einen Scheiter-
haufen zu errichten; denn ihr bleibe jetzt nichts übrig, als ins Feuer
zu gehen. Räma gibt seine Zustimmung, der Scheiterhaufen wird
errichtet und entzündet, und indem Sita das Feuer zum Zeugen ihrer
Unschuld anruft, stürzt sie sich in die Flammen. Da erhebt sich der
Gott Agni aus dem brennenden Scheiterhaufen mit der unversehrten
Sita im Arme und übergibt sie dem Räma, indem er in feierlicher
Rede versichert, dafs sie ihm stets die Treue gewahrt und liuch im
Palaste des Räksasa rein und unschuldig geblieben sei. Hierauf er-
klärt Räma, dafs er selbst nie an Sitäs Unschuld gezweifelt habe,
doch sei es notwendig gewesen, ihre Reinheit auch vor den Augen
des Volkes zu erweisen.
Nun kehren Räma und die Seinen, von Hanumat und den Affen
begleitet, nach Ayodhyä zurück, wo sie von Bharata, Satrughna und
den Müttern mit offenen Armen empfangen werden. Unter dem Jubel
der Bevölkerung ziehen sie ein, Räma wird zum König geweiht und
hciTscht glücklich und zum Segen seiner Untertanen.
Damit ist die Geschichte von Räma eigentlich zu Ende,
und es kann auch gar kein Zweifel darüber sein, dafs mit dem
sechsten Buch das ursprtingliche Gedicht geendet hat, imd dafs
das noch folgende siebente Buch eine spätere Hinzudichtung
ist. Dieses siebente Buch — es heilst Uttara-Kända^ »letzter
Abschnitt« — enthält wieder zahlreiche Sagen und Legenden,
— 421 —
wie sie ähnlich auch im Mahäbhärata und in den Puränas vor-
kommen, die mit der Räma-Sage gar nichts zu tun haben. Die
ersten Gesänge handeln über die Entstehung der Räksasas und
die Kämpfe des Indra mit R ä v a n a *) , worauf die Jugend-
geschichte des Hanumat erzählt wird (VII, 35 f.). Nur etwa
ein Drittel des Buches beschäftigt sich mit Räma und Sita, und
zwar wird noch folgendes erzählt:
Eines Tages wird dem Räma mitgeteilt, dals die Leute sich
darüber abfällig äufsern, dafs er die Sita, nachdem sie (bei der
Entführung) auf dem Schofse des Räva^a gesessen, doch noch
bei sich aufgenommen habe^ es werde das, so fürchtet man, auf die
Sitten der Frauen im Lande einen schlechten Einflufs haben.
Darüber ist nun der Musterkönig Räma sehr betrübt, er kann den
Vorwurf nicht ertragen, dafs er dem Volke ein schlechtes Beispiel
gebe, und gibt seinem Bruder Laksma^ den Auftrag, die Sita
fortzuführen und auszusetzen. Schweren Herzens nimmt Laksma^a
sie auf seinen Wagen, führt sie zum Ganges und bringt sie ans
jenseitige Ufer des Flusses, wo er ihr eröffnet, dafs Räma sie wegen
der Verdächtigungen der Leute verstofsen habe. In tiefem Schmerz,
aber doch voll Ergebung in ihr Schicksal sendet Sita dem Räma nur
freundliche Grüfse. Bald darauf finden Einsiedlerknaben die weinende
Sita im Walde und führen sie in die Einsiedelei des Asketen Välmiki.
Dieser übergibt sie Einsiedlerfrauen zum Schutze. In der Einsiedelei
gebiert sie nach einiger Zeit die Zwillinge Kusa und Lava.
Es vergeben mehrere Jahre. Die Kinder sind herangewachsen und
Schüler des Asketen und Sängers Välmiki geworden. Da veranstaltet
Räma ein grofses Pferdeopfer. Zu diesem kommt auch Välmiki mit seinen
Schülern. Er beauftragt zwei von ihnen, das von ihm gedichtete Rämä-
yana in der Opferversammlung vorzutragen. Alle lauschen entzückt
dem wunderbaren Vortrag. Räma aber erfährt bald, dafs die beiden
jugendlichen Sänger Kusa und Lava-), die das Gedicht zur Laute
vorgetragen. Söhne der Sita seien. Da schickt er Boten zu Välmiki
und läfst ihn bitten, er möge veranlassen, dafs Sita sich vor der
Opferversammlung durch einen Schwur reinige. Am nächsten Morgen
bringt Välmiki die Sita herbei, und in feierlicher Rede erklärt der
grofse Asket selbst, dafs sie rein und unschuldig und ihre Kinder,
die Zwillingsbrüder Kusa und Lava, die leiblichen Söhne des Räma
seien. Räma erklärt darauf, er sei zwar schon durch die Worte des
') VII, 1 — 34. Jacobi nennt das Stück »Rävaneis«.
■-) Berufsmäfsige »fahrende Sänger«, welche episcJie Gesänge zur
Laute vortrugen, hiefsen Kusilava; die Namen Kusa und Lava sind
als eine Art etymologischer Deutung des Wortes Kusilava erfunden.
Jacobi, S. 62 f., 67 f.
28*
— 422 —
Välmiki befriedig:!, aber er wünsche dennoch, dals sich vSitä auch durch
einen Eid reinige. Da kamen alle Götter vom Himmel herab. Sita
aber sprach gesenkten Blickes und mit gefalteten Händen: »So wahr ich
auch nicht mit einem Gedanken je an einen anderen als den Räma
gedacht, — so möge Göttin Erde mir ihren Schofs öffnen! So wahr
ich mit Gedanken, Worten und Taten stets nur den Räma verehrt, —
so möje Göttin Erde mir ihren Schofs öffnen! So wie ich hier die
Wahrheit gesagt und ich nie einen anderen als Räma erkannt habe, —
so möge Göttin Erde mir ihren Schofs öffnen!« Kaum war dieser
Schwur getan, da erhob sich aus der Erde ein himmlischer Thron,
von Schlangendämonen auf den Köpfen getragen, und Mutter Erde,
auf dem Throne sitzend, umarmte Sita und verschwand mit ihr in die
Tiefe. Vergebens beschwört nun Räma die Göttin Erde, ihm seine
Sita zurückzugeben. Nur Gott Brahman erscheint und tröstet ihn mit
der Hoffnung auf Wiedervereinigung im Himmel. Bald nachher
Übergibt denn auch Räma seinen beiden Söhnen Kusa und Lava die
Herrschaft und geht selbst in den Himmel ein, wo er wieder zu
Vis^u wird.
Der Faden dieser Erzählung im siebenten Buch wird durch
die Einschiebung zahlreicher Mythen und Legenden fortwährend
unterbrochen. Da finden wir wieder die bekannten Sagen von
Yayäti und Nahusa (VIT, 58f.), von der Tötung des
Vrtra durch Indra, der sich dadurch des Brahn^anenmordes
schuldig macht (VII, 84—87), von UrvasI, der Geliebten der
Götter Mitra und Varuna, die auf wunderjjare Weise die Rsis
Vasistha und Agastya erzeugen (VII, 56 f.), n^om König
IIa, der als Weib IIa den Purüravas gebiert (VII, 87—90)
und dergl. mehr. Manche echt brahmanische Legenden mit dick
aufgetragener Tendenz stellen sich ähnlichen Geschichten des
XIII. Buches des Mahäbhärata würdig an die Seite. So die
Geschichte von dem zur Südr^kaste gehörigen Asketen Sam-
biika, dem Räma das Haupt abschlägt, wofür er von den
Göttern belobigt wird, weil ein Öüdra sich nicht erlauben soll,
Askese zu üben; oder von dem Gott, der sein eigenes Fleisch
verzehren mufs, weil er in einem früheren Dasein Askese geübt,
aber es versäumt hat, den Brahmanen Geschenke zu machen
(VII, 73 — 81), und ähnliche erbauliche Legenden, Das ganze
Buch trägt durchaus den Charakter der spätesten Teile des
Mahäbhärata.
— 423 —
Echtes und Unechtes im Rämäyana.
Dafs das ganze siebente Buch des Rämäyana dem Werke
erst später angehängt worden ist, darüber kann kein Zweifel
sein. Man hat aber auch schon längst erkannt, dafs das ganze
erste Buch dem ursprünglichen Werke des Välmlki nicht an-
gehört haben kann. Nicht ntir finden sich zahlreiche innere
Widersprüche in dem Buch, sondern auch Sprache und Stil
heben sich als minderwertig gegenüber denen der Bücher II
bis VI ab. Es wird auch nie in den echten Teilen des Ge-
dichtes auf die Ereignisse des ersten Buches Bezug genommen,
ja es finden sich Einzelheiten in diesem Buche, welche den An-
gaben späterer Bücher geradezu widersprechen^).
Nur im ersten und siebenten Buch ist Räma durchaus als
ein göttliches Wesen, eine Verkörperung des Gottes Visnu,
aufgefafst. In den Büchern II bis VI ist er, von einigen
wenigen, gewifs eingeschobenen Stellen ^) abgesehen, stets nur ein
menschlicher Held, und es fehlt in allen unzweifelhaft echten
Teilen des Epos auch jede Spur davon, dafs er als eine In-
karnation des Visnu gedacht wäre. Wo in den echten Teilen
der Dichtung die Mythologie hineinspielt , ist es nicht Visiju,
sondern der Gott Indra, der wie im Veda als höchster Gott gilt.
Für die beiden Bücher I und VII ist es auch bezeichnend,
dals in ihnen, wie wir gesehen haben, der Faden der Erzählung
oft unterbrochen wird und nach Art des Mahäbhärata und der
Puränas zahlreiche brahmanische Mythen und Legenden ein-
gefügt werden. Nur an sehr wenigen Stellen (z. B. am Anfang
des III. Buches) kommt dergleichen auch in den Büchern II bis VI
vor. Die Zusätze und Erweiterungen in diesen Büchern —
und sie sind zahlreich genug — sind gan2 anderer Art. Sie
bestehen hauptsächlich darin, dafs gerade '^ie schönsten und be-
liebtesten Stellen, von den Sängern nach Möglichkeit aus-
gesponnen, durch eigene Hinzufügungen erweitert wurden.
Wir müssen uns ja die Überlieferung des Rämäyana in der
Weise denken, dafs es im Kreise von fahrenden Sängern — nach
*) Z. B. die Verheiratung des LaksmasjA, oben S. 414 A. 2.
") So z. B. am Ende des VI. Buches, wo in dem Augenblicke,
da Sita den Scheiterhaufen besteigt, alle Götter herbeikommen und
den Räma als Gott Visnu preisen.
— 424 —
Art der Brüder Kusa und Lava im Uttara-Kän(ia — lange Zeit
(vielleicht durch Jahrhunderte) mündlich überliefert wurde.
Diese Sänger tmd Spielleute betrachteten die epischen Gesänge
als ihr Eigentum , mit dem sie sich jede Art von Freiheit ge-
statteten. Bemerkten sie nun, dafs die Zuhörerschaft von den
rührenden Klagen der Sita, des Dasaratha oder der Kausalyä
tief ergriffen war, so dichteten sie noch eine Anzahl von Versen
hinzu, um dabei länger zu verweilen; fanden die Kampfszenen
bei einem mehr kriegerischen Publikum besonderen Anklang,
so war es dem Sänger ein leichtes, immer neue Helden zu
einem Zweikampf zusammenzubringen, immer noch em paar
Tausende oder Zehntausende von Affen oder Räksasas hin-
morden zu lassen, oder auch eine schon einmal erzählte
Heldentat mit einer kleinen Variante noch einmal zu erzählen;
ergötzten sich die Zuhörer an komischen Szenen, namentlich
wo die Affen auftreten, so war es verlockend für den Sänger,
nicht nur solche Szenen auszuspinnen , sondern auch noch neue
ähnliche hinzuzudichten ; hatte er eine gelehrte Zuhörerschaft von
Brahmanen vor sich, so suchte er sich deren Gimst durch Aus-
spinnung der lehrhaften Stücke, Hinzudichtung von neuen
moralischen Versen oder Einfügimg von anderswoher ent-
nommenen Sittensprüchen zu gewinnen; von besonders ehr-
geizigen Rhapsoden wurden endlich auch die gewifs schon in
der alten und echten Dichtung beliebten Naturschilderungen durch
Zusätze im Stile der höfischen Kunstdichtung erweitert*). Eine
einigermafsen feste Gestalt erhielt aber das Rämäyana — ebenso
wie das Mahäbhärata — wohl erst, als es niedergeschrieben
wurde 2). Das mufs aber zu einer Zeit geschehen sein, wo das
Gedicht schon so berühmt und beliebt war, dafs es bereits als
ein religiöses Verdienst galt, es zu lesen unä zu hören, und dafs
dem, der es abschrieb, der Himmel verheifsen wurde ^). Je mehr
*) Günstig für die Erweiterungen und ungünstig für die Erhaltung
des Echten war es, dafs der Öloka ein leicht zu handhabendes Vers-
mals ist. Slokas gleichsam aus dem Ärmel zu schütteln, ist für jeden
halbwegs^ gebildeten und des Sanskrit kundigen Inder ein leichtes.
') Die Tätigkeit der Kommentatoren, durch welche der Text
noch mehr gesichert wurde, begann jedenfalls noch, viel später
') VI, 128, 120: »Diejenigen Männer, welche voll Liebe zu Räma
diese von dem Rsi verfafste Sammlung (samhitä) niederschreiben, er-
langen eine Wohnung in Indras Himmel.«
— 425 —
man aber von einem so herrlichen und heilsamen Gedicht, >das
langes Leben, Gesundheit, Ruhm, gute Brüder und Verstand
verleiht« ^), abschrieb, desto sicherer gelangte man in den Himmel.
Darum sahen es die ersten Sammler und Ordner, welche das
Gedicht schrifthch festhielten, nicht als ihre Aufgabe an, das
Überlieferte kritisch zu sichten. Echtes vom Unechten zu scheiden,
sondern ihnen war vielmehr alles willkommen, was sich ihnen
unter dem Titel >Rämäyana« darbot.
Aber nur von einer »einigermafsen« festen Gestalt des
Rämäyana kö. .en wir sprechen, denn die Handschriften, in denen
das Epos auf uns gekommen ist, weichen stark voneinander ab,
und es gibt mindestens drei verschiedene Rezensionen
des Textes, welche die Überlieferung in verschiedenen Gegenden
Indiens darstellen. Diese Rezensionen unterscheiden sich von-
einander nicht nur in bezug auf einzelne Lesarten, sondern auch
darin, dafs in jeder von ihnen Verse, längere Stellen und selbst
ganze Gesänge vorkommen, die in den anderen fehlen ', auch die
Reihenfolge der Verse ist in den verschiedenen Rezensionen sehr
oft verschieden. Die (sowohl im nördlichen wie im südlichen
Indien) verbreitetste und wahrscheinlich auch älteste Rezension
ist diejenige, welche mehrmals in Bombay gedruckt ist*). Die
einzige in Europa erschienene vollständige Ausgabe von
G. Gorresio^) enthält die bengalische Rezension, während
eine dritte, die westindische, bisher nur in Handschriften
bekannt ist*). Diese Verschiedenheit der Rezensionen bestätigt
nur die Annahme von der mündlichen Überlieferung des Textes.
Es ist begreiflich, dafs sich die Reihenfolge der Verse im Ge-
dächtnis der Rhapsoden verschieben, dafs der Wortlaut oft be-
deutende Veränderung erleiden mufste, und dafs die Sänger
verschiedener Gegenden je andere Zusätze und Erweiterungen
machten.
') VI, 128, 122. Siehe auch oben S. 407.
*) Ich zitiere nach dieser Rezension in der Ausgabe der »Nirnaya
Sägara Press« von K. P. Parab, 2nd Ed., Bombay 1902.
«) Turin 1843—1867. Die von A. W. von Schlegel begonnene
Ausgabe ist nie vollendet worden.
*) Vgl. Hans Wirtz, Die westliche Rezension des Rämäyana.
Inaug.-Diss. Bonn J.894.
~ 426 —
Aber darin stimmen alle drei Rezensionen überein, dafs sie
sämtliche sieben Bücher enthalten, und dafs in jeder unechte
Stellen neben echten vorkommen. Einen * Urtext« des RämSyana
besitzen wir daher in keiner der Rezensionen. Doch ist das
Fehlen einer Stelle in einer der Rezensionen immer ein berech-
tigter Verdachtsgrund gegen ihre Echtheit. Und es ist über-
haupt im einzelnen beim Rämäyana jedenfalls leichter als beim
Mahäbhärata, das Unechte und Jüngere auszuscheiden. »Wie
an manchem unserer alten ehrwürdigen Dome«, sagt Jacobi*),
»jede kommende Generation Neues hinzugefügt und Altes aus-
gebessert hat, ohne dafs die ursprüngliche Anlage trotz aller
angebauten Kapellchen und Türmchen verwischt worden wäre:
so sind auch an dem Rämäyana viele Generationen von Sängern
tätig gewesen ^ aber der alte Kern, um den so vieles angewachsen
ist, ist dem nachprüfenden Auge des Forschers, wenn auch nicht
in allen Einzelheiten, so doch in den Hauptzügen unschwer er-
kennbar«. Jacob i selbst hat in seinem Werk »Das Rämäyana*
eine grofse Anzahl von, Zusätzen und Erweiterungen unwider-
leglich als solche nachgewiesen. Dafs bei dem Versuche einer
kritischen Herstellung des Textes sich vielleicht nur ein V^iertel
von den überlieferten 24000 Versen des Rämäyana als »echt« er-
weisen würden, spricht nicht gegen die Berechtigung der Kritik ^).
Nur der grofsen Menge des »Unechten« in den indischen
Epen ist es zuzuschreiben, dafs wir bei deren Lektüre, die uns
oft zur gröfsten Bewunderung hinreifst, doch noch viel öfter
enttäuscht sind. Und wenn eine Vergleichimg der indischen mit
den griechischen Epen in bezug auf künstlerischen Wert not-
wendig zuungunsten der ersteren ausfallen mufs, so sind daran
weit mehr als die alten indischen Dichter jene Dichterlinge
schuld, welche die alten Gesänge durch ihre eigenen Zusätze
und Änderungen vermehrt und verunstaltet haben. Der »formlos
gärende Wortschwall«, den Friedrich Rückert dem Rämäyana
vorwirft, ist gewifs öfter auf Rechnung der »Välmlkiden« als
des Välmlki selbst zu setzen. Im ganzen aber hat der deutsche
') Das Rämäyana, S. 60.
«) Im 51. Band der ZDMG (1897) S. 605 ff. hat Jacobi den Ver-
such gemacht, ein grölseres zusammenhängendes Stück des Rämäyana
kritisch zu behandeln, wobei von 600 Versen nicht ganz ein Viertel
übrig geblieben ist. w
— 427 —
Dichter gewils recht, wenn er die Schönheit der indischen
Dichtung anderswo sucht als die der griechischen , indem
er sagt:
»So phantastische Fratzen, so formlos gärenden Wortschwall,
Wie Rämäyapa dir bietet, das hat dich Homer
Freilich verachten gelehrt; doch auch so hohe Gesinnung
Und so tiefes Gemüt zeigt dir die Ilias nicht.« M •
Das Alter des Rämäyana.
Mit der Frage nach dem Echten und Unechten im Rämäyana
hängt die nach dem Alter des Gedichtes — leider sind wir da
wieder nur auf Vermutungen angewiesen — enge zusammen.
Ist es doch für die Beantwoi-t\mg dieser Frage gewifs nicht
gleichgültig, wenn wir uns wenigstens eine Vorstellung davon
machen können, welcher Zeitraum etwa zwischen dem urspi-üng-
lichen Gedicht, dessen echte Bestandteile in den Büchern II— VI
zu suchen sind, und den beiden hinzugefügten Büchern I und VII
verflossen sein mag. Da sind denn die folgenden Erwägungen
Jacob is sehr beachtenswert. Räma, ursprünglich ohne Zweifel
ein Stammesheros, wurde erst durch das Rämäyana selbst zu
einem Nationalheros. Dieser Nationalheros wurde als Dämonen
besiegender Halbgott in den Büchern I und VII (und in wenigen
eingeschobenen Stellen) auch zu einer A'^erkörperung des Gottes
Visnu. Diese Umwandlung des Räma vom Menschen zum Halb-
gott und schliefslich zimi menschgewordenen Allgott Visnu kann
sich nur innerhalb eines längeren Zeitraums vollzogen haben.
Zweitens erscheint in dem ersten und letzten Buch des Rämäyana
der Dichter Välmlki als ein frommer Waldeinsiedler und Rsi
und als ein Zeitgenosse des Helden Räma. > Beides war aber
erst dann möglich, als Välmlki in eine solche zeitliche Ent-
fernung von den späteren Dichtern gerückt war, dafs schon die
Nebel der Sagenbildung seine Person ihren Augen undeutlich
machen konnten. Die Zeit, die dazu nötig war, können wir
auch nicht annähernd schätzen; sicher ist nur, dafs sie eher
nach Jahrhunderten als nach Jahrzehnten zu bemessen sein
wird.« ^)
») F. Rückert, Poetisches Tagebuch, Frankfurt a. M. 1888, S 99
«) Jacobi S. 65.
— 428 —
Nun müssen wir aber gleich hinzufügen, dafs auch in
unserem Mahäbhärata, welches nicht nur die Räma-Sage,
sondern das Rämäyana des Välmlki kennt, Räma als eine Ver-
körperung des Visnu gilt und Välmlki als ein alter Rsi genannt
wird. Es wurde schon oben (S. 328) erwähnt, dafs das
Rämopäkhyäna des Mahäbhärata aller Wahrscheinlichkeit
nach nur eine freie abgekürzte Wiedergabe des Rämäyana ist —
wir können hinzufügen: des Rämäyana in einer sehr jungen,
der jetzigen ziemlich nahekommenden Form. Denn für den
Verfasser des Rämopäkhyäna ist Räma bereits der mensch-
gewordene Visnu *), er weifs davon, dafs Hanumat »Lanka ver-
brannt« habe — eine als unecht erwiesene Stelle 3) — und er
kennt bereits den auf Rävana bezüglichen Teil des siebenten
Buches 3). Die Geschichte von Räma wird im Mahäbhärata
erzälilt, um den Yudhisthira über den Raub der DraupadT zu
trösten. Diese ganze Episode vom Raub der DraupadT ist aber
sicherlich nur eine Dublette zum Raub der Sita ini Rämäyana.
In letzterem ist ja dieser Raub der Kernpunkt der Sage und
des Gedichtes, während im Mahäbhärata der Raub der DraupadT
für den Gang der Erzählung so gut wie gar keine Bedeutung
hat. Man hat noch auf andere auffällige Übereinstimmungen in
einzelnen Zügen zwischen den beiden Epen, insbesondere auf die
Ähnlichkeit zwischen den Helden Arjuna und Räma hingewiesen.
Die Verbannung in den Wald auf zwölf bis vierzehn Jahre, die
Bogenspannung , die Ausstattung der Helden mit himmlischen
Waffen, die sie sich von den Göttern holen*) — das sind Punkte,
wo eine Beeinflussung des einen Epos durch das andere mög-
lich, aber kaum zu erweisen ist. Immerhin besteht eine
gröfsere Wahrscheinlichkeit dafür, dafs das Mahäbhärata Züge
aus dem Rämäj'^ana entlehnt habe, als umgekehrt. Denn während
') Mahäbh. III, 147, 31; 275, 5 ff.
") Mahäbh. III, 148, 9. Vgl. oben S. 418 A. 1.
3) Jacobi S. 73f.' Auch Mahäbh. VII, 59 und XII, 29, 51 ff.
wird die Räma-Sage kurz gestreift und in einigen, zum Teil mit Räm.
VI, 128, 95 ff. übereinstimmenden Versen des paradiesischen Zustandes
gedacht, in dem die Untertanen des Räma lebten, "der zehntausend
und zehnhundert Jahre die Herrschaft führte«.
*) Vgl. A. Holtzmann, Das Mahäbhärata IV, 68 f. E. Win-
disch im Literar. Centralbl. 1879, Nr. 52, Sp. 1709.
— 429 —
das Rämäyana keinerlei Bekanntschaft mit der Pän^ava-Sage
oder den Helden des Mahäbhärata zeigt*), kennt das Mahä-
bhärata, wie wir gesehen haben, nicht nur die Räma-Sage,
sondern auch das Rämäyana selbst. Im Harivamäa ist sogar
schon von einer dramatischen Aufführung des Rämäyana die
Rede (oben S. 386 A.). Noch wichtiger aber ist es, dafs im Mahä-
bhärata (VII, 143, 66) »ein vor Zeiten von Välmlki gesungener
Slokac zitiert wird, der sich tatsächlich in unserem Rämäyana
(VI, 81, 28) findet. Als ein »grofser ßtifserc und ehrwürdiger
?,si wird Välmlki an mehreren Stellen des Mahäbhärata neben
Vasistha und anderen Rsis der Vorzeit genannt"). Einmal er-
zählt er dem Yudhisthira, dafs er im Verlauf einer Disputation
einst von heiligen Munis »Brahmanenmörder« gescholten worden
und dals durch dieses Scheltwort die Sünde des Brahmanen-
mörder über ihn gekommen sei, von der er sich nur durch An-
betung des Siva reinigen konnte^). Alle diese Tatsachen be-
rechtigen uns, dem Satze Jacob is (a. a. O. S. 71) zuzustimmen,
dafs das Rämäyana »schon als ein altes Werk allgemein be-
kannt« gewesen sein muls, >ehe das Mahäbhärata zum Abschluls
gekommen war«. Damit steht es ganz gut in Einklang, dals
der »Degenerationsprozefs«, wenn man so sagen darf, d. h. die
Verdrängung des Echten durch Unechtes und die Durchdringung
des Alten mit jüngeren Bestandteilen, beim Mahäbhärata so weit
vorgeschritten ist, dafs er das ganze Werk durchzieht, während
er beim Rämäyana im Beginne stehen geblieben ist und sich
nur auf das erste und siebente Buch und wenige Teile der
übrigen Bücher erstreckt.
^) Wenn Sita erklärt, dem Räma so treu bleiben zu wollen, wie
Sävitri dem Satyavat (II, 30, 6) oder wie DamayantI dem Nala (V,
24, 12), so beweist das nicht, dafs der Dichter das Sävitrigedicht
und das Nalalied aus dem Mahäbhärata gekannt haben mufs (wie
Hopkins, The Great Epic, p. 78 n. annimmt).
«) Mahäbh. I, 2, 18; II, 7, 16; V, 83, 27; XII, 207, 4; Hariv
268, 14 539.
') Mahäbh. XIII, 18, 8. Vielleicht ist hier schon an die allerdings
erst sehr spät auftauchende Sage gedacht, nach der Välmiki als junger
Mann ein Räuber oder Jäger gewesen sein soll. (Jacobi a. a. O. S. 66
Anm. Vgl. auch Ind. Ant. XXIV, 1895, S. 220 und XXXI, 1902,
S. 351).
— 430 —
Wenn aber das Mahäbhärata im 4. Jahrhundert n. Chr. im
grolsen und ganzen bereits seine gegenwärtige Gestalt hatte
(oben S. 396), so mufs» das Rämäyana schon mindestens ein oder
zwei Jahrhunderte früher »abgeschlossen« — das Wort ist cum
grano salis zu nehmen — gewesen sein *).
Damit ist nun aber die Frage, welches von den beiden
grolsen Epen das ältere sei, noch keineswegs beantwortet. Nach
allem, was wir über die Geschichte des Mahäbhärata sowohl wie
des Rämäyana gesagt haben, ist es ja klar, dafs diese Frage an und
für sich keinen Sinn hat, sondern sich naturgemäfs in drei ver-
schiedene Fragen auflöst, und zwar: 1. Welches von den beiden
Werken in der Form, in der sie uns jetzt vorliegen,
ist das ältere? 2. Wie verhält sich die Zeitperiode, in welcher
ein ursprüngliches Epos Mahäbhärata allmählich zu dem
grofsen, Heldengesang und Lehrdichtung vereinigenden Sammel-
werk wurde, zu der Zeitperiode, in welcher das alte Gedicht
des Välmlki durch gröfsere oder kleinere Zusätze in den
älteren Büchern und schliefslich durch Hinzufügung der Bücher I
und VII zu dem jetzigen Rämäyana erweitert wurde '?
3. Hat es überhaupt früher ein Epos Mahäbhärata oder ein
Epos Rämäyana gegeben?
Nur die erste dieser drei Fragen konnten wir dahin beant-
worten, dafs unser jetziges Rämäyana älter ist als das Mahä-
bhärata in seiner jetzigen Form. Was die zweite Frage betrifft,
so darf man wohl annehmen, dafs das so viel kleinere Rämäyana
für sein allmähliches Anwachsen einer kürzeren Zeit bedurfte
als das Mahäbhärata. Nun wurde schon darauf hingewiesen,
dafs der Charakter der beiden unechten Bücher des Rämäyana
dem des Mahäbhärata auffallend ähnlich ist, und dafs oft die-
selben brahmanischen Mythen und Legenden hier wie dort
wiederkehren. Diese den beiden Werken gemeinsamen Ge-
schichten werden aber doch mit solchen Varianten erzählt, dafs
wir nicht an eine Entlehnung zu denken haben, sondern an-
nehmen müssen, dafs sie aus derselben Quelle — der in Brah-
manenkreisen mündlich überlieferten Itihäsalitteratur — stammen.
*) Übrigens wissen wir aus chinesischen Quellen, dafs dasRämäyai^
im 4. und 5. Jahrhundert n. Chr. bereits ein bekanntes und populäres
Gedicht in Indien war. (K. Watanabe im JRAS 1907, S. 99 ff.)
— 431 —
Femer haben alle Bücher des Rämäyana und des MahäbhSrata
zahlreiche Redensarten, Halbverse, sprichwörtliche Wendungen
und ganze Sprtiche gemeinsam^), und es herrscht überhaupt
in bezug auf Sprache, Stil und Metrum zwischen den beiden
Werken eine weitgehende Übereinstimmung^). Aus diesen Tat-
sachen schlielsen wir, dals die Zeit des Wachstums des Rämäyana
in die längere Periode des Anwachsens des Mahäbhärata
hineinfällt.
Die dritte Frage, welches von den beiden ursprünglichen
Epen das ältere sei , wird sich schwerlich beantworten lassen.
Jacobi hält das Rämäyana so unbedingt für das ältere Gedicht,
dafs er sogar annimmt, das Mahäbhärata sei überhaupt erst
unter dem Einfluls der Dichtkunst des Välmiki zu einem Epos
geworden^). Diese Ansicht scheint mir weit über das hinaus-
zugehen, was uns durch Tatsachen verbürgt ist, ja mit manchen
Tatsachen in Widerspruch zu stehen. In mehr als einer Be-
ziehung bezeichnet das Rämäyana einen Fortschritt in der epischen
Dichtkunst gegenüber dem Mahäbhärata. Erinnern wir uns daran,
dafs das Epos sich aus einer Mischung von Prosa und Versen ent-
wickelte. Im Mahäbhärata haben wir noch ein deutliches Über-
lebsel dieser primitiven Epik darin, dafs in der Regel die Reden
der auftretenden Personen durch Prosa'formeln, wie »Yu-
dhisthira sprach«, »Kunti sprach«, »Duryodhana sprach« usw.
eingeleitet sind, während im Rämäyana durchwegs die redenden
Personen in Versen eingeführt werden*). Es wurde auch schon
darauf hingewiesen, wie sehr das Rämäyana bereits die Eigen-
tümlichkeiten des Stils der höfischen Kunstdichtung, des Kävya,
zeigt ^). Freilich ist es schwer zu sagen, was davon alt ist, imd
') Dies hat insbesondere E. W. Hopkins im » American Journal
of Philology Vol. XIX, S. 138 ff. und XX, S. 22 ff. und in seinem
Buch 'The Great Epic of India«, S. 58 (f., 403 ff. nachgewiesen.
2) Über das Metrum in den beiden Epen siehe Jacobi, «Das
Rämäyana», S. 24 ff. und in »Gurupüjäkaumudl«, Festgabe für Albrecht
Weber (Leipzig 1896), S. 50 ff,
3) Jacobi S. 78, 81 ff.
*) Oben S. 270 und E. Windisch, Mära und Buddha, S- 224 f.
Auch einzelne Prosaerzälilungen mit Reden in Versen finden sich
noch im Mahäbhärata. Die Puräijas haben diese Prosaformeln stets
beibehalten, um den Schein der Altertümlichkeit zu bewahren.
^) Oben S. 404 f., 416 A. 1, 417 und vgl. S. 393.
— 432 —
was jüngere Zusätze sind. Aber immerhin mufs uns diese Eigen-
tümlichkeit des R£:mäyana, wodurch es sich vom Mahäbhärata
ziemlich weit entf^nt und sich den Epen des Kälidäsa nähert,
gegen die Annahme eines höheren Alters für das Rämäyana
bedenklich machen.
Noch in einem zweiten Punkt macht das Mahäbhärata einen
viel altertümlicheren Eindruck als das Rämäj^ana. Im Malm-
bhärata — wenigstens in dem Kern des Gedichtes, der die Päricjava-
Sage und die Kuruschiacht behandelt — treten uns durchwegs
rohere Sitten und ein mehr kriegerischer Geist entgegen als im
Rämäyana. Die Kampfszenen des Mahäbhärata lesen sich ganz
anders als die im Rämäyana geschilderten. Die des Mahäbhärata
machen den Eindruck, als ob der Dichter einem rauhen Krieger-
volk angehört und selbst blutige Schlachtfelder gesehen hätte,
während die des Rämäyana mehr den Eindruck hen'^orrufen,
wie wenn ein Märchenerzähler von Kämpfen berichten würde,
von denen er nur vom Hörensagen etwas weils. Zwischen Räma
und Rävana, Laksmana und Indrajit herrscht nicht dieser er-
bitterte Hafs, dieser wilde Ingrimm, wie wenn wir im Mahä-
bhärata von den Kämpfen zwischen Arjuna und Karna oder
Bhnna und Duryodhana lesen. Die Sita des Rämä5'^ana, wie
sie von Rävana geraubt, entführt, verfolgt oder wie sie von
Räma verstofsen wird, bewahrt in ihren Anklagen und Weh-
klagen immer eine gewisse Ruhe und Sanftmut, und es findet
sich in ihren Reden keine Spur von der wilden Leidenschaft,
die wir so oft bei Draupadi im Mahäbhärata finden. Auch
Kuntl und Gändhäri sind echte Heldenmütter eines kriegerischen
Geschlechts, während Kausalyä und Kaikeyl im Rämäyana mehr
den schablonenhaften Königinnen der klassischen Dramen ver-
gleichbar sind. Das scheint doch darauf hinzudeuten, dafs das
Mahäbhärata einem roheren, kriegerischeren Zeitalter angehöre,
während das Rämä3^,ana die Spuren einer verfeinerten Kultur
zeigt. \Mr müfsten denn, um diesen scharf hervortretenden
Unterschied zwischen den beiden Epen zu erklären, annehmen,
dafs das Mahäbhärata eine rohere Kultur des westlichen,
das Rämäyana hingegen eine verfeinerte I^ultur des östlichen
Indiens widerspiegelt, imd dafs die beiden Epen nicht die Dich-
tungen verschiedener Zeiten, sondern verschiedener Gegenden
Indiens darstellen. Doch ist es auch unter diesem Gesichtspunkte
— 433 —
schwer denkbar, dafs das Mahäbhärata erst unter dem Einflufs
von Välmlkis Dichtkunst ein Epos geworden sein soll.
Dafs das Mahäbhärata dem Westen, das Rämäyana dem
Osten Indiens angehört, darüber kann kein Zweifel sein. West-
liche Völker spielen die Hauptrolle im Mahäbhärata, während
sich die Hauptereignisse des Rämäyana im Lande der Kosala
abspielen, wo nach der Tradition auch Välmiki gelebt haben
soll und aller AVahrscheinlichkeit nach wirklich gelebt hat *). Im
östlichen Indien ist aber auch der Buddhismus entstanden,
und in Magadha wie in dem benachbarten Kosalalande hat er
sich zuerst ausgebreitet. Um so wichtiger ist die Frage: Wie
verhält sich das Rämäyana zum Buddhismus?
Es wurde schon oben (S. 400) darauf hingewiesen, dafs wir
in der ältesten buddhistischen Litteratur noch Beispiele von
der Äkhyäna-Dichtung finden, in welcher wir mit W indisch
imd Oldenberg eine Vorstufe des Epos erkannt haben. Rhys
Davids^) hat daraus geschlossen, dafs das Rämäyana als Epos
zur Zeit der Entstehung jener Buddha-Balladen noch nicht existiert
haben könne. Nun liefse sich dagegen einwenden, dafs ja viel-
leicht die alte Äkhyäna- oder Balladendichtung neben der aus
ihr entwickelten neuen Kimstform des Epos weiter bestanden
haben könnte. Die Älöglichkeit möchte ich nicht bestreiten.
Wie aber, wenn wir Spuren von Äkhyänas, die sich auf Räma
beziehen, noch innerhalb der buddhistischen Litteratur fänden?
Ich möchte glauben, dafs das viel besprochene Dasaratha-
Jätaka^) nichts anderes als ein solches Äkhyäna ist. Die
Verse dieses Jätaka, die eine Trostrede des Räma enthalten,
mit der er seine Geschwister über den Tod des Vaters tröstet,
sind Äkhyäna- Verse, zu denen offenbar eine Erzählung in Prosa
gehörte. Was für eine Erzählung dies war, wissen wir nicht;
') Jacobi S. 66 ff., 69.
') Buddhist India, London 1903, S. 183.
') Eine deutsche Übersetzung dieses zuerst von V. Fausböll
(Kopenhagen 1871) im Pälitext mit englischer Übersetzung heraus-
gegebenen Jätaka (Nr. 461) gibt A. Baumgartner, Das Rämäyana.
S. 85 ff. Ausführlich handelten darüber Weber und Jacooi in den
zitierten Monographien und H. Lüders in den Nachrichten der
k. Ges. der Wissensch. zu Göttingen, phil.-hist. Kl. 1897, Heft 1,
S. 40 ff.
— 434 -
denn die uns zum Jätaka überlieferte Prosaerzählung ist das
Werk eines singhalesischen Kommentators, der vermutlich im
5. Jahrhundert n. Chr. schrieb ^). Dafs aber von den zwölf alten
Versen des Jätaka nur einer sich in unserem Rämäyana findet ^),
beweist, glaube ich, dafs unser Epos nicht die Quelle der alten
Jätakä-Gäthäs sein kann, sondern dafs diese auf ein altes,
auf Räma bezügliches Akhyäna zurückgehen. Dafs wir im
ganzen Jätaka, welches so viele Märchenstoffe enthält und gerade
von Dämonen, Yaksas und Räksasas viel erzählt, nichts von
dem Räksasa Rävana und seinem Anhang und nichts von
Hanumat und den Affen hören, scheint mir auch beachtenswert.
Ebenso, dafs in der ganzen ältesten buddhistischen Litteratur,
dem Päli Tipitaka, unser Epos nicht erwähnt wird^).
Eine andere Frage ist die, ob sich im Rämäyana Spuren
des Buddhismus nachweisen lassen. Darauf kann man wohl mit
einem unbedingten Nein antworten. Denn die einzige Stelle, in
welcher der Buddha erwähnt wird (oben S. 413 Anm. 2) ist ent-
schieden unecht. Es ist aber durchaus nicht abzusehen, wo im
Rämäyana Anspielungen auf Buddha oder buddhistische Lehren
zu erwarten sein sollten. So auffällig das Fehlen eines Hin-
weises auf das Rämäyana, wenn es bekannt gewesen wäre, im
buddhistischen Tipitaka erscheinen müfste, so wenig läfst sich
aus dem Fehlen buddhistischer Spuren im Epos etwas schliefsen.
Und eine, wenn auch sehr entfernte, Beziehung zum Buddhismus
ist vielleicht doch vorhanden. Weber hatte ja noch geglaubt.
^) Dafs diese Erzählung eines buddhistischen Mönchs aus so
später Zeit keine ältere Form der Räma-Sage darstellt, wie Weber
glaubte, sondern nur eine sehr ungenaue und ungeschickte Wiedergabe
unseres Rämäyana ist, hat Jacobi (S. 84 ff.) gezeigt. Doch beweisen
die Ausführungen Jacobis nichts für das Alter des Räraäyaija, da er
nur die späte Prosaerzählung und nicht die alten Gäthäs in Betracht
gezogen hat. Vgl. Lüders a. a. O.
*) Parallelen zu den drei anderen Versen aus Rämas Trostrede
(siehe oben S. 413) finden sich im Jätaka Nr. 328, 2—4, siehe Lüders,
ZDMG 58, 1904, S. 713 f.
^) Ich kann dies mit solcher Bestimmtheit behaupten, da einer
der genauesten Kenner des Tipitaka, Professor Rhys Davids, mir
auf eine diesbezügliche Anfrage schreibt: "Apart Irom the Dasaratha
Jätaka . . . there is no mention of, and no proof of knowledge of the
Rämäyana in the whole of the three Pitakas«.
— 435 —
dafs dem Rämäyana eine »alte buddhistische Sage von dem
frommen Königssohn Räma , in welchem dieselbe ein Ideal
buddhistischen Gleichmuts verherrlichte«, zugrunde liege ^). Das
ist gewils nicht der Fall. Aber der Gedanke wird vielleicht
doch nicht abzuweisen sein, dafs die aufserordentliche Milde,
Sanftmut und Seelenruhe, welche dem Räma zugeschrieben wird,
aus buddhistischen Unterströmungen zu erklären ist. Zum min-
desten ist es durchaus begreiflich, dafs in einem vom Buddbis-
mus stark beeinflufsten Lande auch von einem Nichtbuddhisten
ein Epos gedichtet wurde, dessen Held trotz aller seiner grofs-
artigen Dämonenkämpfe mehr ein Weiser nach dem Geschraacke
des Buddha als ein Kriegsheld ist. Nehmen wir noch hinzu, dafs nach
OldenbergS) auch die Metrik des Rämäyana eine jüngere Ent-
wicklungsstufe darstellt als die der buddhistischen Pälidichtung, so
deutet doch alles darauf hin, dafs unser Epos erst nach dem Auftreten
des Buddha und nach dem Entstehen der ältesten Pälilitteratur —
also nach dem 5. Jahrhundert v. Chr. — gedichtet wurde.
Nun hat man aber aus der Sprache des Epos auf dessen
vorbuddhistische Entstehungszeit schliefsen zu können geglaubt.
Diese epische Sprache ist ein volkstümliches Sanskrit. Um
260 V. Chr. aber verwendet König Asoka für seine an das Volk
gerichteten Inschriften nicht Sanskrit, sondern dem Fäli ähnliche
Dialekte. Auch Buddha predigte schon im 6. und 5. Jahrhundert
V. Chr. nicht im Sanskrit, sondern in der Volkssprache. Volks-
tümliche Epen aber — so sagte man ») — können nicht in einer
schon »abgestorbenen« Sprache, sondern sie müssen in der
lebenden Sprache des Volkes gedichtet sein. Da nun zu Asokas
und selbst schon zu Buddhas Zeit Sanskrit nicht mehr die Sprache
des Volkes gewesen ist, müssen die volkstümlichen Epen (in
ihrer ursprünglichen Gestalt) einer älteren, vorbuddhistischen
Zeit angehören, in welcher das Sanskrit noch eine lebende
Sprache war. Darauf ist zu erwidern, dafs das Sanskrit in
Indien immer neben den Volksdialekten als Litteratursprache
»gelebt« hat und auch in weiten Kreisen, die es nicht sprachen,
*) "Über das Rämäyana«, S 6 f .
») «GurupüjäkaumudT, Festgabe für Albrecht Weber, S. 9ii.
Anders Jacobi, S. 93.
3) Jacobi, S. 116 ff.
Winteroitz, Getchichte der indischen Litteratur. 29
— 436 —
verstanden worden ist. Dafs zur selben Zeit, wo buddhistische
und Jinistische Mönche in Volksdialekten dichteten und predigten,
auch Sanskritepen gedichtet und gehört wurden, hat nichts Be-
fremdliches an sich. Es ist bis zum heutigen Tage in Indien
durchaus nicht ungewöhnlich, dafs in einer und derselben Gegend
zwei oder mehrere Sprachen nebeneinander in Gebrauch sind.
Und in einem grofsen Teile des nördlichen Indiens ist auch heute
noch (aufser dem Sanskrit) eine neuindische Litteratursprache
in Gebrauch , die von der Umgangssprache stark abweicht *).
Wenn uns daher auch hier und da dieselben Verse, die wir im
Rämäyana oder im Mahäbhärata finden, im Pali oder Präkrit
in buddhistischen oder jinistischen Texten begegnen, so folgt
durchaus nicht immer, dafs diese Sanskritverse aus den Volks-
sprachen übersetzt sein müfsten. Noch weniger Berechtigung
hat die Ansicht einiger hervorragender Gelehrter, dafs die ganzen
Epen ursprünglich in Volksdialekten verfafst vmd erst später in
Sanskrit umgedichtet worden seien. Dafs eine solche Umdichtung
stattgefunden hätte, ohne dafs uns irgendwo die geringste Nach-
richt darüber erhalten wäre, ist an und für sich schon höchst
bedenklich. Wie unannehmbar diese Hypothese auch sonst ist,
hat J a c o b i ^j überzeugend dargetan. Wenn er aber hier gegen-
über der Ansicht, dafs »ein Volksepos in der Sprache des
Volkes vorgetragen« werden müsse, daran erinnert, »dafs auch
die Gesänge der llias und Odyssee in der homerischen Sprache
vorgetragen wrurden, obschon die Sprache der Zuhörer sich von
jener nicht unbedeutend unterschiede , und wenn er hervorhebt,
dafs der Begriff »Volk« in Indien nie die Bedeutung haben
könne, die wir mit dem Worte verbinden, so widerlegt er damit
auch seine eigene Anschauung, dafs das Rämäyana gedichtet
worden sein müsse, als Sanskrit noch »Volkssprache« war, und
dafs es deshalb vorbuddhistisch sei^).
») Vgl. oben S. 39 Anm. 1 undGriersonin JRAS 1906, S. 441 f.
-) ZDMG 48, 1894, S. 407 ff. Die Ansicht, dafs die Epen ur-
sprünglich im Präkrit abgefafst worden seien, hat zuerst A. Barth
(Revue Critique, 5 avril 1886) ausgesprochen und später (Revue de
l'histoire des religions, t. 27, 1893, p. 288 ff. und t. 45, 1902, p. 195 f.)
eingehend verteidigt. Vgl. auch Grierson im Ind. Ant. XXIII,
1894, p. 55.
') Die Frage, ob und inwieweit Sanskrit eine "lebende» Sprache
war, in Verbindung mit der Frage nach dem Alter der Epen, ist in
— 437 —
Auch die Buddhisten haben sich ja später des Sanskrit be-
dient, und eines der ältesten buddhistischen Sanskritwerke, das
Buddhacarita des Asvaghosa, ist gerade für die Zeit-
bestimmung des Rämäyana nicht unwichtig. Das Buddhacarita
ist nämlich ein Kunstepos (Kävya), für das sicherlich die Dichtung
des Välmlki bereits als Vorbild gedient hat. Andererseits finden
wir in einem unechten Stück des Rämäyana eine Szene *), die
höchst wahrscheinlich einer Szene des Buddhacarita nachgeahmt
ist. Da nun Asvaghosa ein Zeitgenosse des Kaniska ist, so
dürfen wir schliefsen, dafs im Anfang des 2. Jahrhunderts n. Chr.,
wenn nicht früher "j^ das Rämäyana bereits als Musterepos galt,
dafs es aber noch nicht so weit abgeschlossen war, dafs nicht noch
EinSchiebungen stattgefunden hätten. Gegen Ende des 2. Jahr-
hunderts mufs es jedoch schon abgeschlossen gewesen sein, wie
den letzten Jahren viel erörtert worden. R. Otto Franke, Pali und
Sanskrit (Strafsburg 1902) hat ein grofses Tatsachenmaterial zu-
sammengetragen, welches zeigt, dafs alle unsere alten Inschriften (von
ca. 300 V. Chr. angefangen) in Volksdialekten und erst Inschriften
aus nachchristlicher Zeit auch in Sanskrit geschrieben sind. T. W.
Rhys Davids, Buddhist India, London 1903, zieht (unabhängig von
Franke) aus dieser Tatsache weitgehende litterarhistorische Schlüsse.
Aber die Inschriften beweisen nur, dafs in jenen vorchristlichen Jahr-
hunderten Sanskrit noch nicht als Kanzleisprache verwendet
wurde, sie beweisen nichts gegen dessen Gebrauch ajs Litteratur-
sprache. Ich kann den Ausführungen von E. J. Rapson. und
F. W. Thomas (JRAS 1904, S. 435 ff. und 460 ff.) nur beistimmen.
Die Einwände von Rhys Davids (ib. 457 ff.\ Grierson (ib. 471 ff.)
und Fleet (ib. 481 ff. ^ besagen nur, was jedermann zugibt, dafs
Sanskrit kein gesprochener Volksdialekt war, als die Epen gedichtet
wurden, aber sie beweisen nichts dagegen, dafs es als Litteratursprache
gebraucht, teilweise gesprochen und w e i t h i n verstanden wurde.
Vgl. auch A. B. Keith und Grierson im JRAS 1906, S. 1 ff. und
441 f. Über Alterttimlichkeiten in der Sprache des Rämäyana handelt
T. Michelson im Journal of the American Oriental Society,
Vol. XXV, 1904, 89 ff. Dafs die Sütas im Drama nur Sanskrit
sprechen, deutet ebenfalls» darauf hin, dafs die Sütapoesie, d. h. das
Epos, in Sanskrit gedichtet wurde.
') Die Serailszene oben S. 417 f. Anm. 3.
") Leider gehen die Ansichten der Forscher in bezug auf die Zeit
des Kaniska sehr auseinander. V. A. Smith, Early Historv of India,
Oxford 1904, S. 224 ff. (vgl. JRAS 1903, S. 1 ff. und ZDMG 1907,
S. 406) setzt seine Thronbesteigung um 120 n. Chr. an, J. F. Fleet
(JRAS 1906, S. 979 ff.) um 82 v. Chr., andere 78 n. Chr.
29 *
— 438 —
aus dem oben über das Verhältnis des Rämäyana zum Mahä-
bhärata Gesagten folgt.
Dals das alte Gedicht schon dem Asvaghosa als Muster
diente, also schon lange vor dessen Zeit gedichtet worder sein
mufs, stimmt gut dazu, dafs wir im alten und echten Rämäyana
keine Spuren griechischen Einflusses oder einer Bekannt-
schaft mit den Griechen finden. Denn zwei Stellen, in denen
die Yavanas (Jonier, Griechen) erwähnt werden, sind nach-
weislich unecht. Dafs aber die homerischen Gedichte irgend-
welchen Einflufs auf V^älmikis Dichtung gehabt haben sollen,
wie Weber meinte, davon kann wirklich gar keine Rede sein.
Zwischen dem Raub der Sita und dem der Helena, zwischen
dem Zug nach Lanka und dem nach Troja besteht nicht einmal
eine entfernte, zwischen der Bogenspannung des Räma und der
des Odysseus nur eine ganz entfernte Ähnlichkeit des Motivs ^).
Vom Veda ist das Rämäyana als Epos sehr weit entfernt,
und selbst die Räma -'Sage ist nur durch sehr dünne Fäden
mit der vedischen Litteratur verbunden. Ob der in den
Upanisads^) öfters erwähnte König Janaka von Videha der-
selbe ist wie der Vater der Sita, mufs dahingestellt bleiben.
Einige schwache Beziehungen zwischen Rämäyana und Yajurveda
hat Weber^) hervorgehoben. Zum ältesten Bestand der Räma-
Sage dürfte Sita, die Heldin des Epos, gehören. Ihr Name
bedeutet »Ackerfurche«, aus der Erde ist sie hervorgekommen,
und Mutter Erde nimmt sie wieder in ihren Schofs auf. Obwohl
der letztere Zug der Sage nur im späten VII. Buche vorkommt,
dürfte er doch sehr alt sein. Uralt und tief in die vedische Zeit
hineinreichend ist jedenfalls die Vorstellung von einer Ackerbau-
göttin Sita, die schon in einem Ackersegen des Rigveda (IV,
57, 6) angerufen wird. Die Grhyasütras haben uns Gebetformeln
aufbewahrt, in denen sie in ungemein lebendiger Personifikation —
»lotusbekränzt, an allen Gliedern strahlend . . . schwarzäugig«
») Siehe Jacobi, S. 94 ff.
*) Räma kommt in den alten Upanisads nicht vor. Die Räma-
piirvatäpaniyaUpanisad u. die Rämottaratäpaniya-Upanisad (Deussen,
Sechzig Upaniühads, S. 802 ff., 818 ff.) sind sehr späte Machwerke, die
nur den Namen »Upanisad« tragen; in ihnen wird Räma als Inkarnation
des Gottes Vis^u gefeiert.
*) Über das Rämäyana, S. 8 f.
— 439 —
usw.*) — auftritt. Doch hat Weber 2) gewifs recht, wenn er
bemerkt, dals diese vedische Vorstellung von Sita als der Göttin
Ackerfurche »durch eine breite Kluft von ihrer Aus-
gestaltung in der Räma-Sage getrennt« ist. Und nichts weist
darauf hin, dafs es epische Lieder von Räma und Sita schon in
vedischer Zeit gegeben habe'). Auch wenn wir mit Jacobi
in der Sage vom Kampf des Räma mit Rävana den alten Mythos
vom Kampf des Indra mit Vrtra wiederfinden wollen*), bleibt
die »breite Kluft«, welche Veda und Epos voneinander trennt,
bestehen.
Fassen wir die Ergebnisse xmserer Untersuchungen über das
Alter des Rämäyana kurz zusammen, so können wir folgendes
sagen :
1. Die jüngeren Teile des Rämäyana, insbesondere die
Bücher I und VII, sind von dem echten Rämäyana der Bücher II
bis VI durch einen langen Zeitraum getrennt.
2. Das ganze Rämäyana samt den jüngeren Bestandteilen
war schon ein altberühmtes Werk, als das Mahäbhärata noch
nicht seine jetzige Gestalt erlangt hatte.
3. Es ist wahrscheinlich, dafs das Rämäyana in der
zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts n. Chr. bereits seinen jetzigen
Umfang und Inhalt hatte.
4. Aber der älteste Kern des Mahäbhärata ist vermutlich
älter als das alte Rämäyana.
5. Im Veda finden wir keine Spur eines Räma-Epos und
nur ganz schwache Spuren einer Räma-Sage.
6. Die altbuddhistischen Texte des Tipitaka verraten keine
Kenntnis des Rämäyana, enthalten aber Spuren von Akhyänas,
in welchen die Räma-Sage besungen wurde.
') Kausikasütra 106. Siehe A. Weber, »Omina und Portenta*
(Abhandlungen der Berliner Akademie d. W. vom Jahre 1858)
S. 368 ff.
^) »Episches im vedischen Ritual« (Sitzungsber. der Berliner Ak.
d. W. vom Jahre 1891), S. 818.
^) Den phantasievollen Ausführungen von Julius v. Negelein,
der den »Grundzug der Räma-Sitä-Legende" im Veda entdecken zu
können glaubt (WZKM XVI, 1902, S. 226 ff.), vermag ich nicht zu
folgen.
«) Jacobi, S. 131.
_ 440 —
7. Offenbare Spuren des Buddhismus zeigen sich im Rämäyana
nicht, möglicherweise ist aber die Charakterzeichnung des Räma
auf entfernte buddhistische Einfltisse zurückzuführen.
8. Von griechischen Einflüssen kann im Rämäyana keine
Rede sein, und da«; echte Rämä)^ana verrät auch keine Bekannt-
schaft mit den Griechen.
9. Es ist wahrscheinlich, dafs das Rämäyana im
4. oder 3. Jahrhundert v. Chr. von Välmlki unter Benutzung
alter Äkhyänas gedichtet wurde.
Die Puränas und ihre Stellung in der indischen Litteratur.
Sowohl inhaltlich als auch chronologisch ist es schwer, die
Puränas in die Geschichte der indischen Litteratur einzureihen.
Sie gehören eigentlich zur religiösen Litteratur imd sind für
die spätere indische Religion, die man zuweilen als »Hinduis-
mus« ^) bezeichnet, imd die in der Verehrung des Visnu xmd
des v^iva gipfelt, ungefähr das, was der Veda für die älteste
Religion, den Brahmanismus, bedeutet. Wie nahe sich aber
andererseits die Puränas mit den epischen Dichtungen be-
rühren, geht schon daraus zur Genüge hervor, dafs wir in den
vorhergehenden Kapiteln wiederholt von ihnen sprechen mulsten.
Ist ja das Mahäbhärata zum grofsen Teil, der Harivamsa- fast
ganz nichts anderes als ein Puräna, und auch die jüngeren
Bücher und Abschnitte des Rämäyana nehmen an dem Charakter
der Puränas teil. Die Puränas reichen ferner unzweifelhaft in
ein sehr hohes Alter hinauf und gehören mit ihren Wurzeln der
vedischen Litteratur an; aber ebenso unzw^eifelhaft sind die uns
unter dem Titel »Puräna« erhaltenen Werke jüngeren Datums,
und bis in unsere Tage hinein werden Bücher fabriziert, die sich
den stolzen Titel »Puräna« beilegen oder sich als Bestandteile
alter Puränas ausgeben. Von diesen Werken gilt ganz besonders,
was in der Einleitung (oben S. 27) über »neuen Wein in alten
Schläuchen« gesagt worden ist. Selbst die jüngsten Erzeugnisse
dieser Litteratur haben die äuisere Form und die altertümliche
Einkleidung der ältesten Puränas.
') Über diese Religion vgl. A. Barth, Religions of India, 2nd
ed. London 1889, S. 153 ff. und E. W. Hopkins, Religions of India,
Boston 1895, S. 434 ff. Ganz kurz Edm. Hardy, Indische Religions-
geschichte, Leipzig 1898 (GöschenX S. 108 ff.
— 441 —
Das Wort tPuräna« bedeutet wohl ursprtinglich nichts
anderes als puräijam äkhyänam, d. h. »alte ErzUhlungt.
In der älteren Litteratur, in Brähmanas, Upanisads und alt-
buddhistischen Texten begegnet uns das Wort gewöhnlich in
Verbindung mitltihäsa. Es wurde aber schon bemerkt (oben
S. 261), dafs wir bei den in alter Zeit so oft erwähnten »Itihäsas
und Puränas« oder »Itihäsapuräna« nicht an eigentliche Bticher,
geschweige denn an die uns erhaltenen Epen oder Puränas zu
denken haben. Hingegen ist möglicherweise schon an bestimmte
Werke gedacht, wenn im Atharvaveda^) neben den vier
Vedas auch »das Puräna« aufgezählt wird. Sicher bezeugt ist
aber das Vorhandensein von wirklichen Puränas, d.h. von
Werken, deren Inhalt ungefähr mit dem der uns erhaltenen
Puränatexte übereinstimmte, erst in der Sütralitteratur. In dem
Gautama-Dharmasütra^), welches als das älteste der uns
erhaltenen Rechtsbücher gilt, wird gelehrt, dafs dem König für
seine Rechtspflege der Veda, die Gesetzbücher, die Vedähgas
und »das Puräna« mafsgebend sein sollen. Hier kann der Aus-
druck »das Puräna«, ähnlich wie »der Veda«, nur eine Litteratur-
gattimg bezeichnen. Noch wichtiger ist es, dafs ein anderes
Rechtsbuch, das Äpastamblya-Dharmasütra, das wahr-
scheinlich dem 4. oder 5. Jahrhundert v. Chr. angehört, nicht
nur zwei Zitate aus »dem Puräna« , sondern noch ein drittes
Zitat aus einem »Bhavisyat-Puräna« enthält. Zwar findet sich
das letztere Zitat in dem uns unter diesem Titel erhaltenen
1) XI, 7, 24. In dem Vers Ath. V, 19, 9 wird der Rsi Närada
in einer Weise angesprochen, dafs man glauben könnte, der Vers sei
einem Puräi?a-Dialog entnommen. Vgl. M. Bloomfield, SBE,
Vol. 42, S. 435.
■■') XI, 19. So auch in den viele Jahrhunderte jüngeren Gesetz-
büchern des ßrhaspati (SBE, Vol. 33, S. 280) und Yäjftavalkya
I, 3. In noch jüngeren Rechtsbüchern werden dann ganz allgemein
die Puränas nicht nur unter den Rechtsquellen aufgezählt, sondern
auch an zahllosen Stellen als solche zitiert. Vgl. Jolly, Recht und
Sitte (Grundrils II, 8\ S. 30 f. Der Jurist Kullüka (zu Manu I, 1)
zitiert '■aus dem Mahäbhärata« den Vers: »Das Puräna, Manus Ge-
setzbuch,, der Veda mit den Vedängas und die Heilmittellehre sind
vier Dinge, die durch Befehl feststehen; sie sind nicht mit Gründen
zu widerlegen.« In unseren Mahäbhärata- Ausgaben kommt der Vers,
soviel ich sehen kann, nicht vor.
— 442 —
Puräna nicht, und auch die beiden anderen Zitate sind in unseren
Purä^as nicht wörtlich nachweisbar. Wohl aber gibt es ähnliche
Stellen in unseren Texten *), und es ist mehr als wahrscheinlich,
dafs unsere Puränas nur Rezensionen von älteren Werken der-
selben Gattung sind, nämlich von Werken religiös-lehrhaften
Inhalts, in denen alte Überlieferungen über die Weltschöpfung,
die Taten der Gotter, Heroen, Heiligen und Urväter des
Menschengeschlechts, die Anfänge der berühmten Königs-
geschlechter u. dgl., gesammelt waren.
Auch das Verhältnis des Mahäbhärata zu den Puränas ^)
weist darauf hin , dafs die letzteren in ein hohes Alter hinauf-
reichen und dafs es jedenfalls schon lange vor dem Abschlufs
des Mahäbhärata Puränas gegeben hat. Unser Mahäbhärata
nennt sich nicht nur selbst ein Puräna, sondern es beginnt auch
ganz so, wie die Puränatexte in der Regel beginnen, indem
UgraSravas, der Sohn des Süta Lomaharsana, als Erzähler auf-
tritt. Dieser Ugrasravas wird als »Puränakundigerc bezeichnet,
und zu ihm sagt Saunaka, indem er ihn auffordert, zu erzählen :
»Dein Vater hat dereinst das ganze Puräna gelernt; ... in dem
Puräna werden nämlich die Geschichten von Göttern und die
Genealogien der Weisen erzählt, und die haben wir vorzeiten
einmal von deinem Vater gehört.« Ungemein häufig werden im
Mahäbhärata Legenden mit den Worten »Es wird im Puräna
gehört« eingeleitet; »von Puränakundigen gesungene« Gäthäs
und Slokas, insbesondere genealogische Verse, werden an-
geführt ; ein in Prosa abgef afster Schöpfungsbericht (Mbhär. XII,
342) wird als »ein Puräna« bezeichnet; das Schlangenopfer des
Janamejaya ^ wird »im Puräna« gelehrt und Puränakundige
empfehlen es; »in Erinnerung an das von Väyu verkündete
Puräna« 3) werden die vergangenen und zukünftigen Weltzeitalter
geschildert, und der Harivamsa zitiert nicht nur ein Väyu-Puräna,
sondern stimmt an vielen Stellen mit dem uns erhaltenen Väyu-
') Vgl. G. Bühler, Ind. Ant. XXV, 1896, S. 323 ff. und SBE II,
2nd ed., 1897, S. XXIX ff.
^) Vgl. A. Holtzmann, D^s Mahäbhärata IV, S. 29 ff. und
E. W. Hopkins, The Great Epic of India, S. 47 ff .
«) Mbhär. III, 191, 16. Nach Hopkins a. a. O. S. 48 f. ist die
Schilderung in unserem Väyu-Puräna altertümlicher als die im Mahä-
bhärata gegebene.
— 443 ~
Puräna wörtlich überein. Zahlreiche Sagen, Legenden und lehr-
hafte Stücke sind den Puränas mit den Epen gemeinsam. Von
der R§ya§rnga-Legende hat Luders^) nachgewiesen, dafs sie
im Padma-Puräna eine altertümlichere Form hat als in unserem
Mahäbhärata. In einem allerdings sehr spät hinzugefügten Vers
des Mahäbhärata'') werden auch schon die > achtzehn Puränas«
erwähnt. Es geht aus all dem hervor, dafs es lange vor dem
Abschlufs des Mahäbhärata schon Puränas als Litteraturgattung
gegeben hat, und dafs auch in den uns erhaltenen Puränas vieles
älter ist als imser jetziges Mahäbhärata.
Es ist aber nur scheinbar paradox, wfenn wir sagen, dafs
das Mahäbhärata älter ist als die Puränas, und die Puränas
älter sind als das Mahäbhärata. Denn die Puränas sind eben-
sowenig wie das Epos einheitliche Werke, sondern auch in ihnen
findet sich altes und junges nebeneinander. Und in den zahl-
reichen Fällen, wo die Puränas imtereinander und mit dem Mahä-
bhärata mehr oder weniger wörtlich übereinstimmen, ist es wahr-
scheinlicher, dafs sie alle auf eine und dieselbe sehr alte Quelle
zurückgehen, als dafs ein Werk von dem anderen abhängig ist.
Dafs aber imsere jetzigen Puränas nicht die alten Werke selbst
sind, welche diesen Titel trugen, geht schon daraus hervor, dafs
keines von ihnen in bezug auf seinen Inhalt mit der in ihnen
selbst gegebenen Definition des Begriffes Puräna übereinstimmt.
Nach dieser gewifs sehr alten Definition^) soll jedes Puräna
»fünf Merkmale« (pancalaksana) haben, d. h. fünf Gegenstände
behandeln: 1. Sarga, »die Schöpfung«, 2. Pratisarga, »die Wieder-
schöpfung«, d. h. die periodische Vernichtung und Erneuerung
der Welten, 3. Vam§a, >die Geschlechtsfolge«, d. h. die Genealogie
der Götter und Rsis, 4. Manvantaräni, »die Manu- Zeiträume«,
d. h. die grofscn Perioden, deren jede einen Manu oder Urvater
des Menschengeschlechts hat, und 5. Vamsänucarita , »die Ge-
schichte der Geschlechter« , nämlich der alten und neueren
Königsgeschlechter, deren Ursprung auf die Sonne (Sonnen-
') Nachrichten der K. Ges. d. Wissensch, zu Göttingen, Phiiol.-
hist. Kl., 1897, Heft 1, S. 8 ff.
«) XVIII, 6, 95. Ein anderer Vers XVIII, 5, 46 steht nicht in
allen Ausgaben.
*) Sie findet sich in allen wichtigen Puränas und ist auch durch
das angesehenste alte indische Wörterbuch Amarako§a verbürgt.
— 444 —
dynastie) und den Mond (Monddynastie) zurückgeführt wird.
Nur zum Teile bilden diese fünf Dinge auch den Inhalt
der uns erhaltenen Puräiias; die einen enthalten viel mehr
als das, was in den »fünf Merkmalen« eingeschlossen ist,
während die anderen diese Gegenstände überhaupt kaum be-
rühren, dafür aber ganz andere Dinge behandeln. Was aber
für nahezu alle unsere Puränas ganz besonders bezeichnend ist,
ihr sektarischer Charakter, d. h. dafs sie dem Kult irgend-
eines Gottes, des Visnu oder des §iva, gewidmet sind, davon
sagt jene alte Definition nichts ^). In den meisten dieser Werke
finden sich auch gröfsere Abschnitte über die Rechte und
Pflichten der Kasten und der Asramas, über die allgemein
brahmanischen Riten, namentlich die Totenopfer (Sräddhas)'),
sowie über besondere Zeremonien und Feste (Vratas) zu Ehren
des Visnu oder des §iva, und oft auch Abschnitte über Sähkhya-
und Yoga-Philosophie.
Von grofser Wichtigkeit für die Zeitbestimmung der wich»
tigeren Puränas in ihrer jetzigen Gestalt sind die in ihnen ent-
haltenen Königslisten ^). Sie werden in der R^el in der Form
von Prophezeiungen über die »künftigen« Weltzeitalter gegeben
und enden mit einer Schilderung des Kaliyuga, des bösen Zeit-
alters, in welchem grausame Barbaren herrschen und alle Religion
\md Moral untergehen werden. Wir begegnen hier den aus der Ge-
schichte bekannten Djniastien der Nandas, Mauryas, Andhras und
Guptas, und nach den neuesten Forschungen sind die Angaben
über die Regierungszeiten der aufgezählten Herrscher durchaus
') In dem Brahmavaivarta-Purä^a heifst es allerdings, dafs die
»fünf Merkmale« nur für die Upapuräi^as gelten, während die
Mahäpuräijas («die grofsen Puränas«) zehn »Merkmale« haben,
darunter auch »Lobpreis des Vis^u und der Götter im einzelnen«.
Das Bhägavata-Puräna gibt ebenfalls an zwei Stellen {II, 10, 1 und
XII, 7, 8 ff.) »zehn Merkmale« des »Puräna« an. (Vgl. E. Burnouf,
le BhÄgavata Puräna, t. I, Pr6f. p. XL VI ff.). Aber auch diese
Definitionen entsprechen nur zum Teil dem Inhalt der tatsächlich
vorhandenen Puränas.
*) Hier stimmen die Puränas oft wörtlich mit jüngeren Gesetz-
büchern überein. Vgl. W. Caland, Altindischer Ahnenkult, S. 68,
79, U2.
^) Väyu-, Matsya-, Visnu-, Brahmända- und Bhägavata-Puräna
enthalten solche Listen.
— 445 —
nicht so unzuverlässig, wie man früher oft geglaubt hat *). Nach
V. A. Smith ist das Visnu-Puräna die beste Quelle für die
Mauryadynastie (326 — 184 v. Chr.) und das Matsya-Puräna für
die (236 n. Chr. endende) Andhradynastie ; während das Väyu-
Puräna die Herrschaft der Guptas so beschreibt, wie sie unter
Candragupta I. (320 — 326 n. Chr.) gewesen ist*). Jedenfalls ist
es bemerkenswert, dafs diese Königslisten nach der Gupta-
dynastie nur mehr einzelne Namen und keine Dynastien mehr
nennen. Nun starb Skandagupta I. um 480 n. Chr. ; und obwohl
die Guptadynastie mit ihm noch nicht erlosch, ging doch das
Reich der Guptas zugrunde und wurde ein Opfer der Einfälle
der weifsen Hunnen^). Um 5(X) n. Chr. herrschte der
Hunnenhäuptling Toramäna in Zentralindien; ihm folgte 515 sein
Sohn Mihirakula , der — nach den Worten des Geschichts-
schreibers Kalhana*) — »in dem von Barbarenhorden über-
fluteten Reiche wie der Todesgott« herrschte, Tag und Nacht
von Tausenden von Mördern umgeben war und selbst gegen
Kinder und Frauen kein Mitleid kannte. Die Vermutung liegt
nahe, dals die Schilderungen des Kaliyuga in den Puränas durch
die grausame Hunnenherrschaft eingegeben sind. Es würde
daraus folgen, dafs die bedeutenderen Puränas im Anfang des
6. Jahrhtmderts n. Chr. ihre jetzige Gestalt erhielten 5). Das
hindert nicht, dafs ihre erste Zusammenstellung schon einige
Jahrhxmderte früher stattgefunden haben kann, imd dafs die in
ihnen enthaltenen Überlieferungen zum Teil um viele Jahr-
hunderte älter sein können. Andererseits soll nicht geleugnet
werden, dafs manche Puränatexte viel jüngeren Urspnmgs sind,
und dafs auch in den älteren Werken noch in späteren Jahr-
hunderten Zusätze und Änderungen gemacht wurden.
0 V. A. Smith, The Early History of India, Oxford 1904, S. 9 f.
und in ZDMG Bd. 56, 1902, S. 672 f. und Bd. 57, 1903, S. 607 f.
«) ZDMG Bd. 56, 1902, S. 654.
») Smith, Early History, S. 270 ff.
*) Räjatarangi^i I, 289 ff.
') Wenn man mit V. A. Smith a. a. O. S- 267 annimmt, dafs die
wichtigeren Puränas im »goldenen Zeitalter der Guptas« (330 — 455
n. Chr.) ihre gegenwärtige Gestalt erhalten hätten, versteht man nicht,
warum in ihnen gleich nach den Guptas die Schilderung des schreck-
lichen Kaliyuga folgt.
— 446 —
Keinesfalls aber ist die früher allgemeine und noch immer weit-
verbreitete Ansicht haltbar, wonach alle unsere Puränas zu den
jtingsten Erzeugnissen der Sanskritlitteratur gehören und erst in
den letzten tausend Jahren entstanden sein würden ^). Denn schon
der Dichter Bäna (um 625 n. Chr.) kennt die Puränas genau
und erzählt in seinem historischen Roman Harsacarita, wie er in
seinem Heimatsdorf einer Vorlesung des Väyn-Puräna beigewohnt
habe. Der Philosoph Kumärila (um 750 n. Chr.) stützt sich
auf die Puränas als Rechtsquellen, während S a n k a r a (9. Jahr-
hundert) und Rämänuja (12. Jahrhundert) sich auf sie als
heilige Texte zur Stütze ihrer philosophischen Lehren berufen.
Wichtig ist es auch, dafs der arabische Reisende Alberünl
(um 1030 n. Chr.) mit den Puränas sehr vertraut ist, eine Liste
der »achtzehn Puränas« gibt und nicht nur Aditya-, Väyu-,
Matsya- und Visnu-Puräna zitiert, sondern auch einen der ent-
schieden jtingeren Puränatexte, das Visnudharmottara, sehr genau
studiert hat^). Die irrige Meinung, dafs die Puränas »ganz
modern« sein müfsten, hängt auch damit zusammen, dafs man
früher immer glaubte, dafs die Puränareligion, die Visnu- imd
Siva- Verehrung, jungen Datums sei. Neuere Forschungen haben
aber bewiesen, dafs die Sekten der Visnu- und Siva Verehrer
jedenfalls in die vorchristliche und vielleicht in vorbuddhistische
Zeit zurückreichen 2).
Die gläubigen Hindus selbst halten die Puränas für uralt.
Sie glauben, dafs derselbe Vyäsa, welcher die Vedas geordnet
') Diese Ansicht wurde zuerst vob H. H. Wilson ausgesprcx;hen
und nach ihm oft wiederholt. Er glaubte in den Schilderungen des
Kaliyuga Anspielungen auf die mohammedanische Eroberung zu sehen.
Schon Vans Kennedy (siehe Wilson, Works X, 257 ff.) ist lebhaft
für ein höheres Alter der Puränas eingetreten.
") Vgl. G. Bühler, Ind. Änt. XIX, 1890, S. 382 ff. und XXV,
1896, S. 328ff. P. Deussen, System des Vedänta, Leipzig 1883,
S. 36. V. A. Smith a. a. O. S. 18f. Eine Handschrift des Skanda-
Purana soll nach der Schrift aus dem 7. Jahrhundert stammen. (JRAS
1903, S. 193.) Pargiter (MärkandeyaPuränatransl., Introd. p. XI\1
sucht aus den Schriften der Jainas das hohe Alter der Puränas zu
beweisen.
") Vgl. G. Bühler, Epigraphia Indica II, 1894, S. ^5. KadphisesII
(um -85 n. Chr.) war ein solcher Öiva-Verehrer , dafs er auf seine
Münzen ein Bild des «iva prägen liefs (V. A. Smith a. a. O. S. 264).
— 447 —
und das Mahäbhärata verfalst, auch im Beginne des Kaliyuga ^).
der jetzigen Weltperiode, der Verfasser der achtzehn Puränas
gewesen sei. Dieser V3'äsa ist aber eine Form des erhabenen
Gottes Visnu selbst, »denn« (sagt das Visnu-Puräna) ' »wer anders
hätte das Mahäbhärata verfassen können?« Sein Schüler war
der Süta Lomaharsana, und ihm hat er die Puränas mitgeteilt ^).
So haben die Puränas göttlichen Ursprung. Und der Vedänta-
philosoph S a fi k a r a beruft sich zum Beweise für das persönliche
Dasein der Götter auf Itihäsas und Puränas, weil diese, wie er
sagt, nicht nur auf dem Veda, sondern auch auf sinnlicher Wahr-
nehmung beruhen, — nämlich auf der Wahrnehmung von Leuten
wie Vyäsa, die persönlich mit den Göttern gesprochen haben ^)»
Mit der Autorität des Veda läfst sich allerdings die der Puränas
nicht vergleichen. Itihäsa und Puräna sind gewissermafsen nur
eine Ergänzung zum Veda, hauptsächlich bestimmt für die Be-
lehrung der zum Vedastudium nicht, berechtigten Frauen imd
Öüdras. So sagt schon ein alter Vers: »Durch Itihäsas und
Puränas soll man den Veda stärken: denn der Veda fürchtet
sich vor einem Ungelehrten, dals dieser ihm schaden könnte.«*)
Zur Erlangung der höchsten Erkenntnis, des Wissens vom
Brahman, dient ausschliefslich der Veda, sagt Rämänuja^),
während Itihäsa und Puräna nur zur Reinigung von Sünden
führen. Die Puränas sind also heilige Bücher zweiten Grades*).
') So nach Mahäbh. XII, 349 und Sankara in seinem Kommentar
zu den Vedänta-Sütras III, 3, 32.
^) Visnu -Puräija III, 4 und 6. Der Name Lomaharsana (oder
Romaharsana) wird im Väyu-Puräna I, 16 etymologisch erklärt als
»einer, der durch seine schönen Erzählungen bewirkt, dafs sich die
Härchen (loman) am Körper der Zuhörer vor Freude sträuben
(harsa^a)« .
') Ved-Sü. I, 3, 33. SEE, Vol. 34, S. 222. Sankara fügt hinzu:
Daraus, dals die Menschen heute nicht mehr mit den Göttern sprechen,
folge doch keineswegs, dafs dies in alten Zeiten nicht der Fall ge-
wesen sei.
*) Der Vers wird von Rämänuja (SEE, Vol. 48, S. 91) al»
»Puränatext« zitiert. Er findet sich Väyu-Pur. I, 201; Mahäbhär. L
1, 267 und Väsistha-Dharmas. 27, 6.
") SEE, Vol. 48, S. 338 f.
*) Am deutlichsten* drückt dies Rämänuja (zu Ved.-Sü. II, t, 3,
SEE, Vol. 48, S. 413) aus, wenn er sagt, dafs die Puränas zwar vom
Schöpfer Hiranyagarbha verkündet sind, dafs sie aber (ebensowenig
— 448 —
Und das ist auch leicht erklärlich. Denn ursprünglich waren
die Puränas überhaupt keine Priesterlitteratur» Die Sütas oder
Barden waren ohne Zweifel ebenso die Schöpfer und Träger der
ältesten Puränadichtung wie der Epik. Darauf deutet noch der
Umstand hin, dals in fast allen Puränas der S ü t a Lomaharsana
oder sein Sohn Ugrasravas, »der Sauti«, d. h. »des Süta Sohn«,
als Erzähler auftritt. So sehr ist dies der Fall, dafs Süta und
Sauti in den Puränas fast wie Eigennamen gebraucht werden.
Der Süta aber war sicherlich kein Brahmane, und er hatte mit
dem Veda nichts zu schaffen *). Als aber das alte Bardentum —
wir wissen nicht, wann — aufhörte, ging diese Litteratur nicht
in die Hände der gelehrten Brahmanen, der Vedakenner,
über, sondern die niedrigere Priesterschaft, die in Tempeln und
Wallfahrtsorten sich ansammelte, bemächtigte sich ihrer; und
diese ziemlich ungebildeten Tempelpriester benutzten sie zur
Verherrlichung der Gottheiten, denen sie dienten, und in späterer
Zeit immer mehr zur Anpreisung der Tempel und Wallfahrts-
orte, in denen sie ihren Unterhalt fanden und sich oft be-
reicherten 2). Wie sehr aber trotzdem die Inder bis zimi heutigen
Tage an die Heiligkeit der Puränas glauben, das zeigt am besten
ein Vortrag, den Manilal N. Dvivedi auf dem Orientalisten-
kongrefs in Stockholm (1889)») gehalten hat. Als ein Mann
von europäischer Bildung spricht er von Anthropologie und
Geologie, von Darwin, Haeckel, Spencer und Quatrefages, aber
wie Hiranyagarbha selbst) von den Eigenschaften der Leidenschaft
(rajas) und der Finsternis (tamas) frei und daher dem Irrtum unter-
worfen sind.
') »Für den Süta gibt es gar keine Berechtigung in bezug auf
den Veda«, sagt das Väyu-Puräija I, 33, und auch nach Bhäg.-Pur.
I, 4, 13 ist der Süta »im ganzen Bereiche der Reden« d. h. in der
ganzen Litteratur bewandert »mit Ausnahme des Veda«. Vgl.
E. Burnouf, Le Bhägavata-Puräija I, p. XXIX und Llllff.
') Mit unverhohlener Verachtung spricht der Geschichtschreiber
Kai ha 9a von diesen Priestern. Vgl. M. A. Stein, Kalha^as
RäjataranginI . . translated . . . (Westminster 1900), Vol. I, Intro-
duction, p. 19 f. Sowohl die Epen als auch die Puränas werden heut-
zutage von eigenen zur Brahmanenkaste gehörigen »Rezitatoren«
(Päthakasj oder »Erzählern« (Kathakas) vorgetragen.
^) Actes du 86me Congres Internat, des Orientalistes (Leiden 1893)
II, S. 199 ff.
_ 449 —
nur um zu beweisen, dafs die Weltanschauung der Puränas und
deren Lehren über die Weltschöpfung wissenschaftliche Wahr-
heiten sind, wie er denn überhaupt in ihnen überall nur höchste
Wahrheit und tiefste Weisheit erblickt — wenn man nur alles
richtig, d. h. symbolisch, auffafst.
Für uns sind die Puränas als Geschichtsquellen, insbesondere
für die Religionsgeschichte, unschätzbar und verdienen ein viel
eingehenderes Studium, als sie bisher erfahren haben. Als
litterarische Erzeugnisse sind sie durchaus keine erfreuliche Er-
scheinung. Sie sind in jeder Beziehung formlos und mafslos.
Die saloppe Sprache und die kunstlosen Verse, in denen um des
Metrums .willen oft die Grammatik vergewaltigt wird , sind für
diese Werke ebenso charakteristisch wie das wirre Durch-
einander des Inhalts und die mafslosen Übertreibungen. Nur
ein paar Beispiele für die letzteren. Während Urvaäi im Rigveda
vier Jahre bei Purüravas weilt, verleben die beiden Liebenden
im Visnu-PuüEna 61000 Jahre in Lust und Wonne. Während
selbst die älteren Puränas nur sieben Höllen kennen, spricht
das BhSgavata-Puräna von »Hundert und Tausenden! von Höllen,
imd das Garucja-Puräna zählt deren nicht weniger als 8 400 000*).
Je jünger ein Puräna ist — das kann als allgemeine Regel
gelten — , desto mafsloser sind die Übertreibungen. Auch dies
deutet darauf hin, dafs es eine minderwertige Klasse von
Litteraten, der niedrigeren, ungebildeten Priesterschaft angehörig,
war, die sich mit der Überlieferung der Puränas befafste. Doch
haben sich auch viele alte Königssagen imd manche Sehr alte
genealogische Verse (anuvaipsasloka) und Gesangsstrophen
(gäthäs) aus der ursprünglichen Barde ndichtung in die
jüngeren, uns erhaltenen Texte hinübergerettet. Und glücklicher-
weise haben die Zusammensteller der Puränas, die ganz wahllos
verfuhren, auch das Gute nicht verschmäht, und manche in Form
und Inhalt an die Upanisads erinnernde Dialoge sowie einzelne
gedankentiefe, der alten Asketendichtung entnommene Legenden
und Sprüche in ihre Texte aufgenommen. So wird die folgende
kurze Übersicht über die wichtigsten Puränas und ihren Inhalt
zeigen, dafs es auch in der Wüste der Puräna litteratur an Oasen
nicht fehlt.
') Scherman, VisionsütterÄtur, S. 32 f.
— 450 —
Übersicht über die Puräna-Litteratur ^).
Einstimmig wird in den uns erhaltenen Puränas selbst die
Zahl der vorhandenen, »von Vyäsa verfafsten« Puränas als
achtzehn angegeben ; und auch in bezug auf ihre Titel herrscht
fast vollständige Übereinstimmung. Eigentümlich ist es, dafs eine
und dieselbe Liste von »achtzehn Puränas« in jedem einzelnen
von ihnen selbst gegeben wird, als ob keines das erste und keines
das letzte wäre, sondern alle schon bestanden hätten, als jedes
einzelne verfafst wurde. Es ist dies wieder nur ein Beweis, dafs
keines der Puränas uns in seiner ursprünglichen Form er-
halten ist.
Aufserdem werden auch schon in manchen Puränas selbst
sogenannte :>Upapuränas« oder »Neben-Puränas« erwähnt,
deren Zahl ebenfalls zuweilen als achtzehn angegeben wird 2).
Während aber in den Aufzählungen der Puränas eine fast voll-
ständige Übereinstimmung in bezug auf die Titel herrscht, ist
dies bei den Titeln der- Upapuränas keineswegs der Fall. Offenbar
gab es eine bestimmte Tradition über das Vorhandensein von
achtzehn Puränas, während sich jeder beliebige moderne religiöse
Text den Titel eines »Upapuräna« beilegen konnte, sofern es der
Verfasser nicht vorzog, sein Werk als einen Bestandteil eines
der »achtzehn Puränas« auszugeben. Das letztere ist namentlich
') Am eingehendsten hat sich H. H. Wilson mit den Puränas
beschäftigt in seinen zuerst 1832 ff. erschienenen »Essays on Sanskrit
Literature« und in der Einleitung und den Anmerkungen zu seiner
Übersetzung des Visnu-Puräna (s. Works by the late H. H.' Wilson,
ed. by R. Rost and Fitzedward Hall, Vol. III, S. 1—155 und Vol. VI,
Preface). Einen Vorgänger hatte er an V ans Kennedy, Researches
into the Nature and Affinity of Ancient and Hindu Mythology, London
1831. Aufserdem haben sich noch Eugene Burnouf (Vorrede zu
seiner Ausgabe und Übersetzung des Bhägavata-Purä^a) und die
Herausgeber der grofsen Handschriftenkataloge, insbesondere Th. Auf-
recht (Catalogus codd. MSS. Sanscriticorum ... in Bibliotheca Bod-
leiana. Oxonii 1859, S. 7 ff) und Julius Eg geling (Catalogue of the
Sanskrit Manuscripts in the Library of the India Office, Part VI,
London 1899) um die Erforschung der Purä^a-Litteratur verdient
gemacht.
-) Das Matsya-Puräna erwähnt aber nur vier Upapuräj^as. Das
Brahnmvaivarta-P. sagt, dafs es achtzehn Upap. gebe, ohne sie auf-
zuzählen. Das Kürma-Pur. zählt sie auf.
— 451 —
der Fall bei den aufserordentlich zahlreichen Mähätmyas,
d. h. > Verherrlichungen« von heiligen Stätten (Wallfahrtsorten,
Tlrthas)*). Aber auch viele Stotras, d. h. »Lobgesänge«
(gewöhnlich auf Visnu oder §iva, aber auchauf andere Gott-
heiten), Kaipas, d. h. »Ritualien« und Akhyänas oder
Upäkhyänas, d. h. »Legenden« geben sich als zu diesem oder
jenem alten Puräna gehörig aus.
Wir geben nun eine kurze Übersicht über den Inhalt der
achtzehn Puränas, wobei wir nur bei den wichtigsten etwas
länger verweilen können. Die Reihenfolge ist die, wie sie im
Visnu- und Bhägavata-Puräna gegeben ist.
I. Das Brahma- oder Brahma Puräna*). Dieses wird
in allen Listen als das erste aufgeführt und daher auch zuweilen
Ädi- Puräna, d. h. »das erste Puräna« genannt. In der Ein-
leitung wird erzählt, dals die Rsis im Naimi§a- Walde von Loma-
harsana, dem Süta, besucht werden und sie ihn auffordern, ihnen
vom Ursprung und Ende der Welt zu erzählen. Darauf erklärt
der Süta sich bereit, ihnen das Puräna mit2Uteilen, welches einst
der Schöpfer Brahman dem Daksa, einem der Urväter des
Menschengeschlechts, offenbart habe. Es folgen dann die allen
Puränas mehr oder weniger gemeinsamen Sagen über die Welt-
schöpfung, die Geburt des Urmenschen Manu und seiner Nach-
kommen, die Entstehung der Götter, Halbgötter und anderer
Wesen sowie eine Beschreibung der Erde mit ihren verschiedenen
Abteilungen, der Höllen und der Himmel. Daran schliefst sich
eine Aufzählung einzelner heiliger Wallfahrtsorte (Tirthas). Diese
gipfelt in der Verherrlichung des heiligen Ortes Utkala (des
heutigen Orissa), welche einen grofsen Teil des ganzen Werkes
einnimmt. Da Utkala seine Heiligkeit der Sonnenverehrung ver-
dankt, finden wir hier auch Mythen vom Ursprung der Adityas
(der Lichtgötter) und vom Sonnengott Sürya. Die Beschreibung
eines dem Siva heiligen Waldes in Utkala gibt Anlafs zu Er-
zählungen von der Geburt der Umä, der Tochter des Himälaya,
und ihrer Vermählung mit §iva, sowie anderer .^iva-Mythen.
») Nicht so zahlreich sind die »Mähätmyas« von heiligen Texten
oder von Riten und Festen.
") D. h. »Das brahmische Puräna« oder »Das Puräna des Brah-
man«; ebenso erklären sich alle anderen Doppeltitel, z. B. Vaisnava-
(»das vis^uitische«) oder Visnu-Purä^ (»das Puräipa des Visnu«).
Winternitz, Geschichte der indischen Litteratur. o\i
— 452 —
Wieder ein anderes Gebiet von Utkaia ist dem Visnu heilig,
und in die Beschreibung des Ortes werden Sagen zur Ver-
herrlichung des Visnu eingeflochten. Hier wird auch die reizende
Legende von dem. Büfser Kandu*) erzählt, der mit einer
schönen Apsaras viele hundert Jahre in süfsem Liebesgetändel
verbringt und, endlich aus seinem Liebestaumel erwachend,
glaubt, es seien nur wenige Stunden eines einzigen Tages ver-
flossen. Auf einen kurzen Bericht über die Verkörperungen
(Avatäi*as) des Visnu folgen die gewöhnlichen Legenden von
Xrsna in genauer, oft wörtlicher Übereinstimmung mit dem
Visnu-Puräna. Dann folgt eine Reihe von Kapiteln über
^räddhas (Manenopfer) und andere, insbesondere visnuitiscKe
Zeremonien, Ausführungen über die Zeiteinteilung, die Welt-
perioden (Yugas), die Entartung der Menschheit im Kaliyuga
und die periodische Zerstörung der Welt und zum Schluls eine
Darstellung der Yoga- und Särikhya-Philosophie.
Auf Gnmd der Daten, die wir über die Gründung der Tempel
von Orissa haben, nimmt Wilson an, dafs dieses Puräna, das
zum grofsen Teil ein Mähätmya von Orissa ist, erst im 13.
oder 14. Jahrhundert verfalst worden sei. Der Schlufs ist aber
nicht zwingend. Es können die auf die betreffenden Heiligtümer
bezüglichen Abschnitte auö jener Zeit stammen, aber in ein
viel älteres Werk eingefügt worden sein.
Der sogenannte Uttarakhanda (d. h. »letzter Abschnitt«)
des Brahma-Puräna hat mit diesem Puräna selbst gar nichts
gemein, sondern ist wesentlich nur das Mähätmya irgendeines
heiligen Flusses.
n. Das Pädma- oder Padma-Puräna, Von diesem
umfangreichen Werke — es enthält mehr als 50 000 i^lokas —
gibt es zwei verschiedene Rezensionen. Die ältere, die man als »die
bengalische« bezeichnen kann, da sie uns in bengalischen Hand-
schriften überliefert ist, besteht aus -fünf Büchern oder Khandas^).
^) A. L. Ch^zy hat diese Legende im 1. Bande des Journal
Asiatique, 1822, S. 1—16, übersetzt. Danach deutsch in Schlegels
»Indischer Bibliothek«, I (1822,\ S. 257 ff. Eine poetische Über-
tragung gibt A. Hoefer, Indische Gedichte, I, S. 43ff. Die Legende
wird auch im Visjju-Puräna I, 15 erzählt.
'■') Die zweite Rezension, vertreten durch die 1894 in der
Anandäsrama Sanskrit Series in Poona erschienene Ausgabe von
— 453 —
Das erste Buch, Srstikhancja, d. h. »Abschnitt von der
Schöpfung«, beginnt mit der Beschreibung des Lotus (padma),
in welchem der Gott Brahman bei der Schöpfung erscheint. Die
kosmologischen imd kosmogonischen Mythen werden auch hier
ähnlich wie in den anderen Puränas erzählt. Als erste Ursache
wird aber in diesem Buch nicht Visnu, sondern das höchste
Brahman in der Form des persönlichen Gottes Brahman an-
genommen. Trotzdem trägt auch dieses Buch visnuitischen
Charakter und enthält M)rthen und Legenden zur Verherrlichung
des Visnu. Einen Hauptteil des Buches bildet aber die Be-
schreibung des dem Brahman heiligen Teiches Puskara (Pokher
in Ajmir), der als Wallfahrtsort empfohlen und gepriesen wird.
Das zweite Buch, Bhümikhan(}a, d. h. > Abschnitt von
der Erde«, beginnt mit der Geschichte des bertihmten Visnu-
Verehrers Prahläda, die wir im Visnu-Puräna kennen lernen
werden. Aufser einer Beschreibung der Erde enthält dieses
Buch zahlreiche Legenden, welche die Heiligkeit verschiedener
Tlrthas oder heiliger Stätten beweisen sollen. Als Tirthas
gelten aber nicht nur heilige Orte, sondern auch Personen,
wie der Lehrer, der Vater oder die Gattin. Als Beweis dafür,
wie eine Gattin »ein Tirthac sein kann, wird z. B. die Geschichte
der Svikalä erzählt, deren Gemahl eine Wallfahrt unternimmt
und sie in Not und Elend zurückläfst; trotzdem bemühen
sich der Liebesgott Käma und der Götterkönig Indra vergebens,
sie zvL verführen; sie bleibt ihrem Gatten treu, und als er von
fler Wallfahrt zurückkehrt, empfängt er (!) himmlischen Lohn
um der Tugenden seiner Gemahlin willen. Hier wird auch, um
zu beweisen, dals ein Sohn »ein Tirtha« sein kann, die uns schon
aus dem Mahäbhärata bekannte Geschichte von Yayäti und seinem
Sohn Püru erzählt.
Das dritte Buch, Svargakhan^a, d. h. »Abschnitt von
den Himmeln«, gibt eine Beschreibung der verschiedenen Götter-
welten, der Welten des Sürya, Indra, Agni, Yama usw., in welche
zahlreiche Mythen und Legenden eingeflochten sind. Eine Er'-
N. N. Mandlick in 5 Bänden, besteht aus 6 Kha^das: Ädi-, Bhümi-,
Brahma-, Pätäla-. Srsti- und Uttara-Khanda. Dafs dies eine jüngere
Rezension ist, hat Lüders (Nachrichten der K. Ges. d. Wiss. zu
Göttingen, phil.-hist. Kl. 1897, Heft 1, S. 8) bewiesen.
30*
5
— 454 —
wähnung des Königs Bharata gibt den Anlafs zur Erzählung
der Geschichte der Sakuntalä , die hier nicht so wie im Mahä-
bhärata, sondern mehr in Übereinstimmung mit dem Drama des
Kalidäsa erzählt wird '). Eine Schilderung der Welt der Apsaras
veranlafst^ die Erzählung der Sage von Purüravas und Urvasl.
Auch zahlreiche andere Legenden, die aus den Epen bekannt
sind, kehren in diesem Buche wieder. Ferner enthält es Be-
lehrungen über die Pflichten der Kasten und der Asramas, über
die Arten der Visnu- Verehrung und allerlei über Ritual und Moral.
Das vierte Buch, Pätälakhanda, d. h. »Abschnitt von
der Unterwelt«, schildert zunächst die unterirdischen Regionen,
insbesondere die Wohnungen der Nägas oder Schlangengottheiten.
Eine Erwähnung des Rävana ist der Anlafs zur Erzählung der
ganzen Räma-Sage, die hier zum Teil in Übereinstimmung mit
dem Rämäyana, zum Teil aber auch in oft wörtlicher Über-
einstimmung mit Kälidäsas Epos Raghuvarnsa gegeben wird.
Hier finden wir auch die Rsyasrnga-Legende in einer Version,
die altertümlicher ist als die in imserem Mahäbhärata ^). Der
eigentlichen Räma-Sage geht eine Geschichte der Vorfahren des
Räma voraus, die mit Manu, dem Sohn des Sonnengottes, und
seiner Errettung aus der Sintflut beginnt. Den Schlufs des
Pätälakhanda bildet eine ausführliche Belehrung über die achtzehn
Puränas. Hier hei f st es, dafs Vyäsa zuerst das Pädma-Puräna
verkündet habe, dann sechzehn andere, zuletzt aber das
Bhägavata-Puräna , welches als das heiligste Buch der Visnu-
Verehrer verherrlicht wird.
Ein streng visnuitischer Text ist das fünfte Buch, der
Uttarakhanda. Hier wird in eingehender und geradezu in-
toleranter Weise der Kult des Visnu gelehrt. Bezeichnend ist
die folgende Legende:
Der Heilige Bhrgu wird von den Rsis ausgesandt, um zu sehen,
welcher Gott am meisten die Eigenschaft der Güte besitze und daher
die höchste Verehrung verdiene. Bhrgu kommt zu Siva, der aber mit
') Soweit ich diesen Abschnitt aus der Oxforder Handschrift des
Padma-Puräna kenne, scheint es mir wahrscheinlicher, dafs Kalidäsa
das Padma-Purä^a benutzt hat, als umgekehrt. Doch müfsten, um
die Frage zu entscheiden, die Versionen des Mahäbhärata, des Padma-
Purä^a und des Dramas von Kalidäsa erst genau verglichen werden.
^) Siehe Lüders a. a. O. und oben S- 342 ff.
I
— 455 —
seiner Gattin gerade dem Liebesgenufs frönt und den Heiligen gar
nicht vorlälst. Er kommt zu Brahman, der, von den Rsis umgeben,
80 von sich eingenommen und so aufgeblasen ist, dafs er des Weisen
gar nicht achtet. Nun begibt sich Bhrgu zu Vis^u, der eben schläft.
Mit einem Fufstritt auf die Brust weckt er den Gott auf. Visnu wacht
auf — streichelt sanft den Fufs des Weisen und erklärt, er fühle
sich durch die Berührung hochgeehrt und beglückt. Über diese
Liebenswürdigkeit ist Bhrgu so entzückt, dafs er erklärt, nur Visnu
allein sei geeignet, als höchster Gott verehrt zu werden.
In diesem Buch findet sich auch eine Verherrlichung der
Bhagavadgltä , indem das Verdienst der Lesung jedes ein2elnen
Gesanges durch Legenden illustriert wird. Eine Art Anhang
zum Uttarakhancja ist der Kriyäyogasära^) (»die Essenz der
praktischen Andacht«), ein Text, in welchem gelehrt wird, wie
Visnu nicht durch Nachdenken (dhyänayoga), sondern durch
heilige Handlungen zu verehren sei, so durch Wallfahrten zum
Ganges"), durch Opfer, Zeremonien und Gebete, durch Feiern
der dem Vi§nu geweihten Feste u. dgl.
Wahrscheinlich sind alle diese Bücher nichts anderes als
fünf verschiedene Werke, die sich alle den Titel eines Padma-
Puräna beigelegt und von denen wohl nur die ersten drei,
hauptsächlich aber der Srstikhanda , Bestandteile eines älteren
Padma-Puräi^a in sich aufgenommen haben. Zahlreiche andere
moderne Werke, Mähätmyas und Stotras, geben sich als Teile
des Padma-Puräna aus®).
IIL Das Vaisnava- oder Vi§nu-Puräna. Dieses ist
das Hauptwerk der Vaisnavas oder Visnu- Verehrer und wird
von dem Philosophen Rämänuja, dem Begründer der visnuitischen
Sekte der Rämänujas, in seinem Kommentar zu den Vedänta-
sütras oft als gewichtige Autorität zitiert. Visnu wird in diesem
Werk als höchstes Wesen , als der eine und einzige Gott , mit
') Mehrere Auszüge aus diesem Buch finden sich übersetzt bei
A. E. Wollheim da Fonseca, Mythologie des alten Indien. Berlin
o. J. Eine Übersicht über den Inhalt gibt derselbe Gelehrte im
»Jahresbericht der D. M. G.«' für das Jahr 1846, S. 153-159.
2) Die schöne Liebesgeschichte von Mädhava und Sulocanä, welche
Schack (Stimmen vom Ganges, S. 156 ff.) so schön wiedergegeben
hat, wird hier zum Beweis der Heiligkeit des Zusammenflusses von
Ganges und Jamna erzählt.
») Vgl. Th. Aufrecht, Catalogus Catalogorum I, S. 322 f.
— 456 —
dem auch Brahman und l§iva eins sind, sowie als Schöpfer und
Erhalter der Welt gepriesen vind verherrlicht Dennoch fehlen
gerade in diesem Puräna alle Hinweise auf besondere dem Visnu
geweihte Feste, Opfer und Zeremonien; njcht einmal Vis^u-
Tempel werden erwähnt, noch auch dem Visnu heilige Orte.
Schon dies läfst auf ein hohes Alter des Werkes schliefsen.
Auch der alten Definition des Begriffes Puräiia (oben S. 443)
kommt das Visnu-Puräna am nächsten, indem es nur wenig ent-
hält, was in jenen »fünf Merkmalen« nicht eingeschlossen ist.
Dafs der Titel >Visnü-Puräna« fast gar nicht für jüngere Werke,
Mähätmyas u. dgl., in Anspruch genommen worden ist*), deutet
ebenfalls darauf hm, dafs wir es hier mit einem Werke der
älteren Purä^-Litteratur zu tun haben, das wenigstens im
grofsen und ganzen in seiner ursprünglichen Gestalt erhalten ist').
Eine etwas ausführlichere Übersicht über den Inhalt gerade
dieses Puräna wird dem Leser auch am besten einen Begriff
von dem Inhalt und der Bedeutimg der Puränas überhaupt geben.
Das Werk, das aus sechs Abschnitten besteht, beginnt mit
einem Dialog zwischen Paräsara, dem Enkel des Vasistha, und
dessen Schüler Maitreya. Letzterer fragt seinen Lehrer nach
dem Urspnmg und der Beschaffenheit des Weltalls. Darauf ant-
wortet Parägara, dafs ihn diese Frage an das erinnere, was er
einmal von seinem Grofsvater Vasistha gehört habe; und er
schickt sich an, das Gehörte zu wiederholen. In Widerspruch
mit der (übrigens auch im Visnu-Puräna selbst vorkommenden)
Überlieferung, welche alle Puränas dem Vyäsa zuschreibt, wird hier
Paräsara geradezu als V e r f a s s e r des Werkes bezeichnet. Nach-
dem er zunächst den Visnu in einem Hymnus verherrlicht, gibt er
') Aufrechts »Catalogus Catalogorum« I, 591 -, II, 140; III, 124
erwähnt nur einige Stotras und kleinere Texte, die sich als Teile des
Vis^u-Purä^a ausgeben. Bemerkenswert ist immerhin, dafs Matsya-
tind Bhägavata-Purä^a die Zahl der Slokas des Visnu-Puräijia mit
23 000 angeben , während es in Wirklichkeit nicht ganz 7000 Verse
hat, und dafs auch ein »Grofses Visiju-Puräipa» (Brhadvisnupurä^a,
Aufrecht, Catalogus Catalogorum I, 591) zitiert A^rd.
") Die schon <*en erwähnte englische Übersetzung (The Vishnu
Pur4na, a System of Hindu Mythology and Tradition, translated . . .
by H. H. Wilson) erschien zuerst London 1840, dann in den »Works*^,
Vols. VI — X. Eine englische Übersetzung von Manmatha Nath Dutt
erschien Kalkutta 1894.
— 457 —
einen Bericht über die Weltschöpfung, wie er ziemlich tiber-
einstimmend in den meisten Purä^ias wiederkehrt'). In merk-
würdiger Weise vermischen sich hier philosophische — im
wesentlichen der Sänkhya-Philosophie zugehörige — Anschauungen
mit volksttlmlichen mythischen Vorstellimgen , ftir die wir bei
den Naturvölkern manche Parallelen finden können.
An den Bericht über die Erschaffung der Götter und
Dämonen, der Heroen und der Urväter des Menschengeschlechts
knüpfen sich zahlreiche mythologische Erzählungen, Allegorien
und Sagen von alten Königen und Weisen der Vorzeit Vi^le
dieser Erzählungen haben wir bereits im Mahäbhärata kennen
gelernt; so die von der Quirlung des Ozeans*). Besonders
schwungvoll wird hier geschildert, wie die Glücksgöttin Sri
sich in strahlender Schönheit aus dem gequirlten Milchozean
erhebt und sich dem Visnu an die Brust wirft. In einem präch-
tigen Hymnus wird sie von Indra als die Mutter aller Wesen,
als die Quelle alles Guten und Schönen und als die • Spenderin
alles Glückes gepriesen imd angerufen. Sowie dieses Stück vor
allem der Verherrlichung des Visnu, dessen Gemahlin die Ön
ist, dient, so ist es auch in allen anderen Erzählimgen stets
Visnu, dessen Lob in überschwänglicher AVeise gesungen wird.
In der Schilderung der Macht , die man durch Verehrung des
Vi§nu zu gewinnen vermag, kennt die indische Phantasie keine
Grenzen. Ein Beispiel ist der Mythos von dem Königssohn
Dhruva, der, aus Kränkung über die Bevorzugung seines
Bruders, sich noch als Knabe ganz der Bufse und der Visnu-
Verehrung hingibt, so dafs Visnu sich genötigt sieht, ihm seinen
Wunsch, etwas Höheres zu werden als sein Bruder und selbst
sein Vater, zu erfüllen; — er macht ihn zum Polarstem, der
höher und von festerer Dauer ist als alle anderen Sterne des
Himmels*). In der grofsartigsten Weise aber wird die Macht
') Eine Übersicht über die Schöpfungsberichte der Puräi^s gibt
Wilhelm Jahn, Über die kosmogonischen Grundanschauungen im
Mänava-Dharma-Sästram. Inaug.-Diss. Leipzig 1904.
•) Oben S. 332. Eine Zusammenstellung aller Stücke, die dem
Vis^u-Puräna mit dem Mahäbhärata gemeinsam sind, findet man bei
A. Holtzmann, Mahäbhärata IV, 36 ff.
^) I, 11 f. Eine ausführlichere Version des Mythos findet sich
im Bhägavata-Purä^a (IV, 8 f.); auf dieser beruht das Gedicht von
Sc hack, Stimmen vom Ganges, S. 189 ff.
— 458 —
des Visnu-Glaubens in der Sage von dem Knaben Prahläda
(I, 17 — 20) geschildert, den sein Vater, der stolze Dämonen-
könig, vergebens von seiner Visnu- Verehrung abzubringen sucht.
Keine Waffe vermag ihn zu töten, weder Schlangen noch wilde
Elefanten, weder Feuer noch Gift noch Zaubersprüche vermögen
ihm etwas anzuhaben. Vom Söller des Palastes herabgeschleudertj
fällt er sanft auf den Schofs der Erde. Gefesselt wird er in den
Ozean geworfen und Berge auf ihn gehäuft — aber auf dem Grunde
des Meeres singt er einen Hymnus auf Visnu, seine Fesseln fallen
ab, und er schleudert die mächtigen Berge von sich. »Meine Macht«,
sagt er dem Vater, »besteht darin, dafs Visnu in meinem Herzen
wohnt. Wer da weifs, dafs Visnu in allen Dingen ist, der tut
nichts Böses und dem kann nichts Böses widerfahren.« ^)
Das zweite Buch des Vi§nu-Puräna gibt zunächst
(Kap. 1 — 12) eine phantastische Weltbeschreibung. Die sieben
Erdteile und die sieben Ozeane werden geschildert, in deren
Mitte sich JambudvTpa mit dem goldenen Berg Meru — dem
Wohnsitz der Gkitter — befindet. In Jambudvipa liegt Bharata-
varsa, d. h. »Indien«, dessen Länder, Berge und Flüsse auf-
gezählt werden. Auf diese Erdbeschreibung folgt eine Schilderung
von Pätäla, der Unterwelt, in der die Schlangengötter wohnen;
hierauf eine Aufzählung und Beschreibung der noch tiefer ge-
legenen Narakas oder Höllen. Als Gegenstück folgt dann eine
Beschreibung der Himmelssphären, der Sonne, des Sonnenwagens
und der Sonnenpferde nebst astronomischen Auseinandersetzungen
über den Sonnenlauf, das Planetensystem und die Sonne als
Regenspender und Erhalter der Wesen. Darauf folgt eine Be-
schreibung des Mondes, seines Wagens, seiner Pferde, seines
Umlaufs und seines Verhältnisses zur Sonne und zu den Planeten.
Der Abschnitt schliefst mit der Erklärung, dafs die ganze Welt
doch nur Visnu und nur er allein das einzig Wirkliche sei.
Anknüpfend an den Namen Bharatavarsa wird dann (Kap. 13
bis 16) eine Legende von dem alten König Bharata^) erzählt,
') Nach der Version des Bhagavata-Pur. hat Schack, Stimmen
vom Ganges, S. 1 ff., diese Legende frei bearbeitet.
'^) Vgl. E. Leumann, »Die Bharata-Sage«, ZDMG 48, 1894,
S. 65 ff., und August Blau, Das Bharatopäkhyäna des Visnu-Puräna
(Beiträge zur Bücherkunde und Philologie August Wilmanns zum
25. März 1903^gewidmet. Leipzig 1903, S. 205 ff.).
- 459 —
die aber nur als Einleitung zu einem philosophischen Dialog
dient, in welchem die alte, aus den Upanisads bekannte Alleins-
lehre von visnuitischem Standpunkte vorgetragen wird. Der
Stil des ganzen Abschnittes erinnert vielfach an die Upanisads.
Der Inhalt der Legende ist folgender:
König Bharata war ein frommer Verehrer des Visnu. Eines
Tages ging er im Flusse baden. Während er badete, kam eine
trächtige Antilope aus dem Walde, um Wasser zu trinken. In dem-
selben Augenblicke erschallt aus der Nähe das laute Brüllen eines
Löwen. Die Antilope erschrickt und jagt mit einem gewaltigen
Sprunge davon. Infolge des Sprunges wird ihr Junges geboren, und
sie selbst stirbt. Bharata nahm das Junge mit sich und zog es in
seiner Einsiedelei auf. Von da an kümmerte er sich um nichts mehr
als die Antilope. Sie war sein einziger Gedanke, seine einzige Sorge.
Und als er schliefslich , immer nur an die Antilope denkend, starb,
wurde er bald nachher als Antilope wiedergeboren'), jedoch mit der
Erinnerung an sein früheres Dasein. Auch in diesem Antilopendasein
verehrte er den Vis^u und. gab sich Bufsübungen hin, so dafs er in
der nächsten Geburt als Sohn eines frommen Brahmanen wieder zur
Welt kam. Obwohl er als solcher sich das höchste Wissen, die
Alleinslehre, angeeignet hatte, kümmerte er sich doch um kein Veda-
studium, vollzog keine brahraanischen Riten, sprach unzusammen-
hängend und ungrammatisch, ging schmutzig und in abgerissenen
Kleidern einher — kurz, benahm sich ganz und gar wie ein Tölpel.
Man nannte ihn nicht anders als Jadabharata, »der dumme Bharata« *),
er wurde allgemein verachtet und zu niedriger Sklavenarbeit ver-
wendet. So geschah es, dafs er auch einmal von einem Diener des
Königs Sauvira als Sänftenträger des Königs verwendet wurde. Bei
dieser Gelegenheit entspinnt sich zwischen dem scheinbaren Idioten
und dem König ein Gespräch, in welchem Bharata sich bald als ein
grofser Weiser entpuppt und dem König zu seiner grofsen Freude
die Alleinslehre verkündet. Zu deren Erläuterung erzählt er ihm die
Geschichte von Rbhu und Nidägha:
') Bis hierher ist die Legende (nach der Version des Bhäg.-Pur.
V, 8) in dem Gedicht von Schack, Stimmen vom Ganges, S. 56 ff.
bearbeitet.
*) Jadabharata wird neben Durväsas, Rbhu, Nidägha und anderen
Heiligen, die "vrie Unsinnige sich benehmend, doch nicht unsinnig»
sind, in der Jäbäla-Upanisad genannt. (Deussen, Sechzig Upanishads
des Veda, S. 710.) Vis^u-Pur. I. 9 wird von einem Büfser Durväsas
(d. h. »Schlechtgekleidet-') erzählt, der nach dem »Gelübde eines Wahn-
sinnigen« lebt. Vgl. auch die treffenden Bemerkungen von A. Barth,
Religions of India, S. 83 über den engen Zusammenhang zwischen
Yogaprazis und Narrheit.
— 460 —
Der weise und heilige Rbhu, Sohn des Schöpfers Brahman, war
der Lehrer des Nidägha gewesen. Nach tausend Jahren besuchte er
einmal seinen Schüler, wurde von ihm gastfreundlich bewirtet und
gefragt, wo er wohne, woher er komme und wohin er gehe. Rbhu
antwortet ihm, dafs dies ganz unvernünftige Fragen seien, denn der
Mensch (nämlich der Atman) sei tiberall, für ihn gebe es kein Gehen
und kein Kommen, und er macht ihm die Lehre von der Einheit so klar,
dafs Nidägha ihm entzückt zu Füfsen fällt und fragt, wer er sei. Nun
erst erfährt er, dafs es sein alter Lehrer Rbhu ist, der gekommen war,
ihm noch einmal die wahre Weisheit beizubringen. Nach abermals
tausend Jahren kommt ^^bhu wieder zur Stadt, wo Nidägha wohnt.
Da bemerkt er eine grofse Menschenmenge und einen König, der mit
grofsem Gefolge in die Stadt einzieht. Fern ab von der Menge steht
sein ehemaliger Schüler Nidägha. Rbhu nähert sich ihm und fragt
ihn, warum er so beiseite stehe. Darauf antwortet Nidägha : * Ein König
zieht hier in die Stadt ein, es ist ein grofses Gedränge, darum weiche
ich aus." Rbhu fragt: »Welcher ist denn der König?« Nidägha:
»Der König ist derjenige, welcher auf dem grofsen, stattlichen Elefanten
sitzt." »Schön,« sagt Rbhu, »wer ist denn aber der Elefant, und wer
ist der König?« Nidägha: »Unten ist der Elefant und oben ist der
König.« Rbhu: »Was heifst denn nun unten, und was heifst oben?«
Da springt Nidägha dem Rbhu auf den Rücken und sagt: »Ich bin
oben wie der König, du bist unten wie der Elefant.« »Sehr schön,«
sagt Rbhu, »aber sage mir nur, mein Lieber, wer von uns zweien
bist denn du, und wer bin ich?« Nun erst erkennt Nidägha
seinen alten Lehrer Rbhu, denn niemand sei so wie er von der Ein-
heitslehre durchdrungen. Da prägte sich denn auch die Lehre von
der Einheit des Alls dem Nidägha so ein, dafs er von nun an alle
Wesen für eins mit sich selbst hielt und vollständige Erlösung erlangte.
Das dritte Buch des Visnu-Purä^a beginftt mit einem
Bericht tiber die Manus (Urväter des Menschengeschlechtes) und
die von ihnen beherrschten Zeitalter (Manvantaras). Dann folgt
eine Erörterung tiber die vier Vedas, über die Einteilung der-
selben durch Vyäsa und seine Schüler und über die Entstehung
der verschiedenen vedischen Schulen. Daran schliefst sich eine
Aufzählung der achtzehn Puränas und eine Liste sämtlicher
Wissenschaften.
Dann wird die Frage aufgeworfen und erörtert , wie man
als frommer Visnu- Verehrer Erlösung erlangen könne. In einem
schönen Dialog (Kap. 7) zwischen dem Todesgott Yama und
einem seiner Diener wird auseinandergesetzt, dafs derjenige, der
reinen Herzens ist und einen tugendhaften Wandel führt und
seinen Geist auf Visnu gerichtet hat, ein wahrer Visnu- Verehrer
— 461 —
und darum von den Barfden des Todesgottes frei ist. Daran
schliefst sich eine Auseinandersetzung über die Pflichten der
Kasten und ASramas, über Geburts- und Hochzeitszeremonien,
rituelle Waschungen, die täglichen Opfer, die Pflichten der Gast-
freundschaft, das Benehmen, bei den Mahlzeiten u. dgl. Eine lange
Abhandlung (Kap. 13 — 17) über die Totenopfer und sonstigen
Zeremonien zur Verehrung der Ahnengeister (Sräddhas) beschliefst
diesen Abschnitt, in welchem die vedisch-brahmanischen Religions-
bräuche als die richtige Art der Vi§nu- Verehrung hingestellt
werden. Die beiden letzten Kapitel des Buches schildern die
Entstehimg der vedafeindlichen ketzerischen Sekten, deren An-
hänger — Buddhisten und Jainas sind gemeint — als die
schlimmsten Missetäter hingestellt werden. Um zu zeigen, wie
sündhaft es sei, mit solchen Ketzern auch nur irgendwelchen
Umgang zu pflegen , wird die Geschichte des alten Königs
Satadhanu erzählt (Kap. 18), der sonst ein frommer Verehrer
des Visnu war, aber einmal aus blofser Höflichkeit ein paar
Worte mit einem Ketzer wechselte und infolgedessen nach-
einander als Hund, Schakal, Wolf, Geier, Krähe und Pfau wieder-
geboren wurde, bis er endlich — dank der standhaften Treue
und Frömmigkeit seiner Gemahlin S a i b y ä — wieder als König
zur Welt kam.
Das vierte Buch des Visnu-Puräna enthält hauptsächlich
genealogische Listen der alten Königsgeschlechter, der Sonnen-
dynastie, die ihren Ursprung auf den Sonnengott, und der Mond-
dynastie, die ihn auf den Mondgott zurückführt. Lange Listen
von alten Königen — viele von ihnen rein mythisch, manche
wohl auch historisch — werden nur gelegentlich unterbrochen,
um von dem einen oder dem anderen irgendeine Sage zu er-
zählen. Das Wunderbare spielt in allen diesen Sagen eine grofse
Rolle. Da ist Daksa , der aus Brahmans rechtem Daumen ge-
boren ist; Manus Tochter IIa, die in einen Mann verwandelt
wird; Iksväku, der dem Niesen des Manu sein Dasein verdankt;
König Raivata, der mit seiner Tochter RevatI in den Himmel
geht, um sich von Gott Brahman einen Gemahl für die Tochter
empfehlen zu lassen ^) ; oder gar König Yuvanasva, der schwanger
wird und einen Sohn zur Welt bringt, welchen Indra mit Unsterb-
^) Von Schack, Stimmen vom Ganges, S, 120 ff. bearbeitet.
— 462 —
lichkeitstrank säugt, indem das-Kind seinen Finger in des Gottes
Mund steckt und daran saugt. Weil Indra sagte: »Er wird von
mir gesäugt werden« (man dhäsyati), erhält das Kind den Namen
Mändhätr. Dieser wurde ein mächtiger König und der Vater
von drei Söhnen und fünfzig Töchtern. Wie er zu einem
Schwiegersohn kam, erzählt mit jenem eigenartigen Humor, der
in den indischen Heiligenlegenden den in der Regel vorwaltenden
tiefen Ernst zuweilen angenehm unterbricht, die Sage von dem
frommen Büfser S a u b h a r i , der zwölf Jahre im Wasser Askese
übt, bis ihm der Anblick des sich mit seinen Jungen ergötzenden
Fischkönigs den W^unsch nach Vaterfreuden erregt^).
Viele der aus den Epen bekannten Sagen begegnen uns in
diesem Buche wieder, so die von Purüravas und UrvasI^), von
Yayäti u. a. Auch eine kurze Zusammenfassung der Räma-Sage
findet sich hier. Über die Geburt der Pändavas und des Krsna
wird ebenfalls berichtet und die Sage des Mahäbhärata kurz be-
rührt. Den Schlufs dieses umfangreichen genealogischen Buches
bilden die Prophezeiungen über die » zukünftigen c Könige von
Magadha, die Saisunägas, Nandas, Mauryas, Sungas, Känväyanas
und Andhrabhrtyas (siehe oben S. 444 f.), über die auf sie folgenden
barbarischen Fremdherrscher und das durch sie herbeigeführte
schreckliche Zeitalter ohne Religion und ohne Moral, dem erst
Visnu in seiner Inkarnation als Kalki ein Ende machen wird.
Ein in sich abgeschlossenes Ganzes bildet das fünfte
Buch. Es enthält nämlich eine ausführliche Lebensbeschreibung
des göttlichen Hirten Krsna, in der so ziemlich dieselben
Abenteuer in derselben Reihenfolge erzählt werden wie im
Harivamsa ^).
Ganz kurz ist das sechste Buch. Noch einmal wird der
vier aufeinanderfolgenden Weltzeitalter (Yugas) — Krta, Tretä,
Dväpara und Kali — gedacht und in Form einer Prophezeiung
das böse Kali>aiga beschrieben, woran sich eine Darstellung
der verschiedenen Arten der iVuflösung (pralaya) des Weltalls
') IV, 2. Sehr hübsch bearbeitet von Sc hack, Stimmen vom
Ganges, S. 87 ff.
-) Übersetzt von Geldner, Vedische Studien I, S. 253 ff.
') Siehe oben S.- 381 ff. Dieser Abschnitt ist ins Deutsche über-
tragen von A. Paul, Krischnas Weltengang, ein indischer Mythos . . .
aus dei \ Vischnupuränam. München 1905,
— 463 —
schliefst. In pessimistischer Weise werden dann (Kap. 5) die
Übel des Daseins, der Schmerz des Geborenwerdens, der Kindheit,
des Mannes- imd Greisenalters und des Sterbens, die Qualen der
Hölle und die Unvollkommenheit der Seligkeit im Himmel ge-
schildert, und es wird daraus der Schlufs gezogen, dafs nur Er-
lösung vom Dasein, Befreiung von der Wiedergeburt das höchste
Glück sei. Dazu ist es aber nötig, das Wesen Gottes zu er-
kennen ; denn nur d i e Weisheit ist vollkommen , durch welche
Gott geschaut wird, alles andere ist Unwissenheit. Das Mittel
zur Erlangung dieser Weisheit ist aber Yoga, die Meditation
tiber Visnu. Über dieses Mittel geben die beiden vorletzten
Kapitel des Werkes Aufschlug. Das letzte Kapitel enthält noch
eine kurze Wiederholung des ganzen Puränas und endet mit
einem Lob des Visnu und einem Schluisgebet.
IV. Das Väyava- oder Väyu-Puräna. Dieses erscheint
in manchen Listen unter dem Namen h a i v a - oder S i v a -
Puräna*), ein Titel, der dem Werk zukommt, weil es der
Verehrung des Gottes Siva gewidmet ist. Ein »vom Windgott
verkündetes Puräna«, d. h. ein Väyu-Puräna, wird sowohl im
Mahäbhärata als auch im Harivamsa zitiert, und der Harivamsa
stimmt vielfach mit unserem Väyu-Puräna wörtlich überein 2).
Es wurde schon (oben S. 446) erwähnt, dafs der Dichter Bäna
(um 625 n. Chr.) sich ein Vä}'^u-Puräna vorlesen liefs, und dafs
in diesem Puräna die Guptaherrschaft geschildert wird, wie sie
im 4. Jahrhundert n. Chr. bestand. Sicher hat es ein altes
Puräna unter diesem Namen gegeben, und ohne Zweifel ist auch
in unseren Texten noch viel altes erhalten. Es werden auch in
diesem Werke dieselben, für die alten Puränas charakteristischen
Gegenstände — Weltschöpfung, Genealogien usw. — behandelt
wie im Visnu-Puräna. Nur dienen die hier erzählten Legenden
zur Verherrlichung des $iva, nicht des Visnu. Wie das Visnu-
Puräna gibt auch das Väyu-Puräna in seinem letzten Teile eine
Beschreibung des Weltendes und behandelt die Wirksamkeit des
') So im Vis^u- und Bhägavata-Pur. Es gibt aber auch ein äiva-
Puräna, welches ein ganz anderes Werk ist und zu den Upapuränas
gehört. Vgl. Eggeling, Catalogue of Sanskrit MSS. in the India
Office Library, S. i;Ulff.
2) Vgl. Hopkins, Great Epic, S. 49. Holtzmann, Das Mahä-
bhärata IV, S. 40 f. und oben S- 442 f.
— 464 —
Yoga, endet aber mit einer Schilderung der Herrlichkeit von
Sivapura, »der Stadt des Öivaa, wohin der Yogin gelangt, der
sich ganz in Meditation über Siva versenkt hat. Doch gibt es
auch viele Mähätmyas und andere jüngere Werke, die sich als
Bestandteile des Väyu-Puräna ausgeben; und da diese zum Teil
auch in unsere Ausgaben aufgenommen worden sind*), kann
man nicht das ganze Vä3ru-Puräna , so wie es uns vorliegt,
ohne weiteres als »alt« bezeichnen.
Sehr ausführlich handelt dieses Puräna über die Ahnengeister
(Pitrs) und deren Kult (Sräddhas)*). Ein gröfserer Abschnitt
über Visnu fehlt aber auch in diesem sivaitischen Werke nicht
(Adhy. 96 und 97).
V. Das Bhägavata-Puräna. Dies ist unstreitig das in
Indien berühmteste Werk der Puräna-Litteratur. Es übt noch
heute auf das Leben imd Denken der zahllosen Anhänger der
Sekte der Bhägavatas (Verehrer des Visnu unter dem Namen
»Bhagavat«) einen gewaltigen Einflufs aus. Die ungemein zahl-
reichen Handschriften und Drucke von dem Texte selbst sowie
von vielen Kommentaren zu dem ganzen Werke und von ein-
zelnen Erläuterungsschriften zu Teilen desselben legen Zeugnis
ab von der ungeheuren Verbreitung imd dem aufserofdentlichen
Ansehen des Werkes in Indien. Dieser seiner Bedeutung ent-
sprechend, hat es auch zuerst einen Herausgeber und Übersetzer
in Europa gefunden*). Dennoch gehört es zu den jüngeren Er-
- Zeugnissen der Puräna-Litteratur. Es schliefst sich seinem Inhalte
') So steht in den Ausgaben ein Gayamahatmya, das in
manchen Handschriften fehlt, andererseits als selbständiges Werk in
Handschriften erscheint. Vgl. Eggeling a. a. O. S. 1299 ff., 1301 ff.
Ausgaben des Väyu-Puräna erschienen in der »Bibliotheca Indica«,
Kalkutta 1880—89 und in der »Anandäsrama Sanskrit Series«, Poona
1905. Letztere enthält aufser der gewöhnlichen Einteilung in vier
Pädas oder »Viertel« auch eine in 112 Adhyäyas oder »Lektionen«.
Die Adhyäyas 104-^112 sind jedenfalls spätere Hinzufügungen.
*) Sräddhaprakriyärambha und Sräddhakalpa, Adhy. 71—86.
') Le Bhägavata Puräna ou histoire poetique de Krtchna, traduit
et publik par M. Eugene Burnouf, T. I— III, Paris 1840—47.
T. IV u. V publik par M. Hauvette-Besnault et P. Roussel. Paris 1884
et 1898. Einige Legenden aus dem Bhäg.-Pur. sind französisch über-
setzt von A. Roussel, Legendes Morales de l'Inde, Paris 1900, I,
Iff. und II, 215 ff.
— 465 —
nach enge an das Visnu-Puräna an, mit dem es oft auch wörtlich
übereinstimmt, und ist zweifellos von diesem abhängig. Über
die »Echtheit« des Bhägavata als eines der alten »von Vyäsa
verfafsten« achtzehn '^ränas sind schon in Indien selbst Be-
denken geäufsert won .n, und es gibt Streitschriften^), in denen
die Frage erörtert wird, ob das Bhägavata- oder das Devl-
bhägavata-Puräna, ein si vaitisches Werk, zu den » achtzehn
Puränas« gehöre. Dabei wird auch die Frage aufgeworfen und
erörtert, ob der Grammatiker Vopadeva der Verfasser des
Bhägavata-Puräna sei*). Allzu voreilig, wie mir scheint, haben
Colebrooke, Burnouf und Wilson darausgeschlossen, dafs
Vopadeva wirklich der Verfasser des Puräna und dieses daher
erst im 13. Jahrhundert^) entstanden sei. Für so jung möchte
ich das Werk nicht halten, wenn es auch auffällig ist, dafs der
den Bhägavatas sehr nahestehende Philosoph R ä m ä n u j a
(12. Jahrhundert) das Werk gar nicht erwähnt, sondern aus-
schliefslich nur das Visnu-Puräna zitiert. Wenn es aber auch
so jung sein sollte, wie jene Forscher meinen, so hat es doch
jedenfalls sehr alte Materialien benutzt.
Das Werk jst in 12 Bücher (Skandhas) eingeteilt und hat
einen Umfang von ungefähr 18000 81okas. Die kosmogonischen
Mythen stimmen im ganzen mit denen des Visnu-Puräna über-
ein, weichen aber in manchen interessanten Einzelheiten auch
von diesem ab*). Ausführlich werden die Inkarnationen des
Visnu ^), insbesondere die als Eber, geschildert. Merkwürdig ist,
^) So die »Ohrfeige für die Bösewichte« (durjanaiDukhacapetikäJ,
die »grofse Ohrfeige für die Bösewichte« (durjanamukhamahäcapetikä)
und der »Pantoffel ins Gesicht der Bösewichte'< (durianainukhapadmapä-
duka). Sie sind übersetzt von Burnouf a. a. O. I, Pixface p. LlXff.
Es sind dies ganz moderne Schriften.
-) Diese Vermutung scheint sich nur darauf zu stützen, dafs
Vopadeva der Verfasser eines auf -dem Bhägavata fufsenden Werkes
Muktäphala und der HarilTlä, einer Anukrama^i- (Inhaltsverzeich-
nis) zum Bhägavata ist.
^) Vopadeva war ein Zeitgenosse des Hemädri, der «wischen 1260
und 1309 lebte. (J. Jelly, »Recht und Sitte % im »GrundriLs«, S. 35.)
*) Siehe A. Roussel, Cosmologie hindoue d'apr^s 1e Bhägavata
Puräi;ia, Paris 1898.
*) »Die Verkörperungen des Wischnu« hat schon Fr. Majer nach
dem Bhägavata in J. Klaproths -Asiatischem Magazin« I u. II (Weimar
1802) erzählt.
— 466 —
dafs auch Kapila, der Begründer der Sänkhyaphilosophie , als
eine Verkörperung des Visnu aufgeführt wird und (am Ende des
dritten Buches) selbst eine lange Auseinandersetzung über Yoga
vorträgt. Zahlreich sind die Legenden, die zur Verherrlichung
des Visnu erzählt werden. Die meisten von ihnen, wie die von
Dhru'ja, Prahläda usw., haben wir bereits im Visnu -Puräna
kennen gelernt. Auch mit dem Mahäbhärata hat das Werk
vieles gemeinsam; einige Verse aus der Bhagavadgitä werden
wörtlich angeführt*). Sehr altertümlich ist die kurze Erzählung
der Öakuntalä-Episode (IX, 20). Das zehnte Buch ist das be-
liebteste und meistgelesene von allen. Es enthält die Lebens-
beschreibung des Krsna, die hier viel' ausführlicher als im
Visiju-Puräna und im Harivamsa gegeben wird. Insbesondere
nehmen die Liebesszenen mit den Hirtinnen (GopTs) einen viel
gröfseren Raum ein 2). Dieses Buch ist in fast alle indische
Volkssprachen übersetzt und ist ein Lieblingsbuch all<i?r Klassen
des indischen Volkes. Die Vernichtung der Yädavas und den
Tod des Krsna erzählt das elfte Buch, während das letzte Buch
die gewöhnlichen Prophezeiungen über das Kaliyuga und den
Weltuntergang enthält.
VI. Das Närada- oder Näradiya- oder Brhannä-
radiya-Puräna (»das grofse Puräna des Närada«)^). Dies
ist ein rein sektarischer Text, der im Namen des alten Weisen
Närada den Visnuglauben (Bhakti) verkündet. Die eigentlichen
Gegenstände der Puränas, Weltschöpfung usw., werden nicht
berührt, sondern nur Legenden erzählt, Hymnen vorgetragen und
Zeremonien beschrieben, die der Verehrung des Visnu dienen.
Auch über Sräddhas und besonders über Sühnzeremonien (Präya§-
cittas) handelt ein grolser Abschnitt. Bezeichnend für den
Charakter des Werkes ist aber eine Legende, in der von einem,
König die Rede ist, der seiner Tochter versprochen hat, ihr
einen Wunsch zu erfüllen, was immer es auch sei, worauf ihm
diese freistellt, entweder das Fasten an einem dem Visiiu heiligen
') Siehe Holtzmann, Das Mahäbhärata IV, 41—49 und J. E.
Abbott im Ind. Ant. XXI, 1892, S. 94.
2) Es erscheint hier auch Rädhä als Geliebte des Krsi^, während
von ihr weder im Vispu-Pur. noch im Mahäbhärata und Harivarpsa
die Rede ist.
") Herausgegeben in der Bibl. Ind., Kalkutta 1891.
•— 467 —
Fasttage zu brechen oder seinen Sohn zu töten; der König ent-
schliefst sich für das letztere, weil dies die kleinere von den
beiden Sünden sei.
Es gibt auch ein Närada-Upapurä^a und verschiedene
MShStmyas und ähnliche Texte, die sich als zum Närada-Puräna
gehörig ausgeben.
VII. Das Märkandeya-Puräna^). Dies ist eines der
wichtigsten, interessantesten und wahrscheinlich auch ältesten
Werke der ganzen Puräna-Litteratur. Doch ist auch dieses
Puräna kein einheitliches Werk, sondern es besteht aus Teilen,
die verschieden an Wert sind und auch gewifs verschiedenen
Zeiten angehören.
Das Werk hat seinen Namen von dem alten, sich ewiger Jugend
erfreuenden Weisen Märkandeya, der auch im Mahäbhärata
(siehe oben S. 340 A. und 365) in einem grofsen Abschnitt
als Erzähler auftritt. Und als den ältesten Bestandteil dürfen
wir wohl jene Abschnitte 2) ansehen, in welchen Märkandieya
tatsächlich der Sprecher ist und seinen Schüler Kraustuki über
die Weltschöpfxmg , die Weltzeitalter, die Genealogien und die
anderen den Puränas eigentümlichen Gegenstände unterrichtet.
Für ein hohes Alter dieser das alte Puräna enthaltenden Ab-
schnitte spricht besonders der Umstand, dafs in ihnen weder
Visnu noch Siva eine hervorragende Stellung einnimmt, dafs viel-
Tiehr Indra imd Brahman stark hervortreten und die uralten
Gottheiten des Veda Agni (Feuer) imd Sürya (Sonne) in einigen
Gesängen durch Hymnen gefeiert und eine grofse Anzahl von
Sonnennjythen erzählt werden ^). Dieser älteste Teil des Puräna
') Es ist herausgegeben von K. M. Banerjea in der »Bibliotheca
Indica« (Kalkutta 1862) und ins Englische übersetzt (ebendas. 1888 bis
1905) von F. Eden Pargiter.
«) Es sind dies die Abschnitte 45—81 und 93—136 (Schlafs).
Vgl. Pargiter, Introd. p IV. Der Vers 45, 64 wird von Öankara
zweimal (Vedänta-Sütras I, 2, 23 und III, 3, 16, siehe P. Deussen,
Die Sütras des Vedänta aus dem Sanskrit übersetzt, Leipzig 1887,
S. 119 u. 570) zitiert; es ist aber keineswegs sicher, dafs ^aäkara den
Vers aus dem Märka^ideya-Puräna kannte, denn er nennt es nicht,
sondern sagt nur: »Es heilst in der Smrti.«
^) Abschnitte 99—1 10. Einen sehr altertümlichen Eindruck macht
auch die Erzählung von Dama, der, um den Tod seines Vaters zu
rächen, den Vapusmat grausam tötet und dessen Fleisch und Blut
Winternitz, Geschichte der indischen Litteratur. 31
— 468 —
mag, wie Pargiter meint, aus dem 3. Jahrhundert n. Chr.
stammen, kann aber auch älter sein. Einen starken Einschlag
bilden auch in diesem Teil moralische und erbauliche Erzählungen.
Noch mehr ist dies der Fall in den ei*sten Abschnitten des
Werkes, die sich aufs engste an das Mahäbhärata anschlielsen
und mit dem Charakter des XII. Buches des Epos sehr viel
gemein haben. Das Puräna beginnt geradezu damit, dals Jai-
mini, ein Schüler des Vyäsa, sich an Märkancjeya wendet und
nach einigen Lobsprüchen aui das Mahäbhärata*) ihn um die
Beantwortung von vier Fragen bittet, die das grofse Epos un-
beantwortet lasse. Die erste Frage ist die, wieso DraupadI die
gemeinsame Gemahlin der fünf Päncjavas werden konnte, die
letzte, warum die Kinder der DraupadI in jugendlichem Alter
getötet wurden. Märkandeya beantwortet diese Fragen nicht
selbst, sondern verweist ihn an vier weise Vögel — eigentlich
Brahmanen, die infolge eines Fluches als Vögel geboren wurden ^).
Diese erzählen d^m Jaimini eine Reihe von Legenden zur Beant-
wortung der gestellten Fragen. Zur Beantwortung der letzten
Frage wird erzählt, wie fünf Engel (Visve Deväs) sich einst
erlaubten, den grofsen Heiligen Visvämitra zu tadeln, als er den
König Hariscandra grausam behandelte, wofür sie von dem
Heiligen verflucht wurden, als Menschen wiedergeboren zu werden,
welchen Fluch er dahin abschwächte, dafs sie jung und unver-
ehelicht sterben würden. Die fünf Söhne der DraupadI waren
eben jene Engel. Hieran anknüpfend wird die rührende, aber
echt brahmanische Legende von dem König Hariscandra er-
zählt, der aus Furcht vor dem Zorne und Fluche des ViSyämitra
den Manen des Vaters mit den Totenopferkuchen darbringt (136),
Dafs in den bengalischen Handschriften die Erzählung abbricht, ohne
dafs des kannibalischen Opfers Erwähnung geschieht, ist gerade ein
Beweis für das hohe .^Iter jener Überlieferungen, die sich mit den
Anschauungen einer späteren Zeit nicht mehr vertrugen. (Vgl
Pargiter p. VII.)
*) Diese stimmen zum Teil wörtlich mit den Lobpreisungen am
Anfange und am Ende des Mahäbhärata selbst (vgl. oben S. 27 lt.
und 388) überein.
') Dies ist wieder eine Dublette einer auch im Mahäbhärata vor
kommenden Sage (I, 229 ff.), wo aber einer der Vögel Dro^a heilst,
während im Mark.- Pur. die vier Vögel Söhne des Droi?a sind.
— 469 —
unendliche Leiden und Demütigungen erduldet, bis er endlich
durch Indra selbst in den Himmel geführt wird*).
Nach Beantwortung der vier Fragen beginnt ein neuer Ab-
schnitt (Kap. 10 — 44), in welchem ein Gespräch zwischen einem
Vater und seinem Sohne* mitgeteilt wird; es ist dies eine sehr
umfängliche Ausspinnung des Zwiegesprächs zwischen Vater und
Sohn, das wir im Mahäbhärata (oben S. 360 ff.) kennen lernten.
Bezeichnender Weise heifst der Sohn im Mahäblßrata »Verständige
(Medhävin), während er im Pxiräna den Beinamen Jatja, >der
Tort führt*). Ähnlich wie im Mahäbhärata verschmäht auch
hier der Sohn den Lebensgang des frommen Brahmanen, wie
ihn der Vater als Ideal aufstellt, er eiinnert sich aller seiner
früheren Geburten und sieht das Heil nur im Entfliehen aus dem
Sainsära. Daran anknüpfend gibt der »Tor« eine Schilderung
des Samsära und der Folgen der Sünden in verschiedenen
Wiedergeburten, insbesondere aber der Höllen und der Höllen-
strafen, welche den Sünder erwarten. Mitten in dieser in ihrer
Art grofsartigen , wenn auch wenig erquicklichen Höllen-
schilderung*) steht eine der Perlen der indischen Legenden-
dichtung, die Geschichte von dem edlen König Vipascit (»der
Weise«)*), die es wohl verdient, hier kurz wiedergegeben zu
werden:
. ') Abschnitte 7 und 8. Diese berühmte Legende ist mehrfach
übersetzt worden, ins Deutsche von Friedrich Rückert in ZDMG
XIII, 1859, S. 103—133, ins Englische' von J. Muir, Original Sanskrit
Texts P, 379 ff. Der Dichter KsemTsvara hat die Sage in einem
Drama bearbeitet, das Ludwig Fritze unter dem Titel »Kausikas
Zorn« (Leipzig, Reclam, Universal-Bibl.) Übersetzt hat. Im Vorwort
bespricht Fritze auch die Sage, die wohl nur ein sehr später Ab-
kömmling der alten Sunahsepa-Legende (oben S. 183 ff.) ist und in
einer noch späteren Version selbst zur Hiob-Sage in Beziehung ge-
bracht worden ist. Vgl. Weber, Episches im Vedischen Ritual, S. 779;
Indische Studien XV, 413—7.
■-) Auch dieser »weise Tor» ist wie Jacjabharata (oben S. 459) ein
Verkünder des Yoga.
') Es ist dies die ausführlichste Höllenschilderxmg in der Puräna-
Litteratur, aber ähnliche Schilderungen kommen auch in anderen
Puränas vor. Sie sind besprochen von L. Seh er man, Visions-
litteratur, S. 23 ff., 45 H.
*) Abschnitt 15. Die Verse 47—79 hat Fr. Rückert im 12. Band
der ZDMG (1858) S. 336 ff. ins Deutsche übersetzt. Auf einer
31*
— 470 —
Der überaus fromme und tugendhafte König Vipascit wird
nach seinem Tode von einem Diener des Yama in die Hölle geftihrt.
Auf seine verwunderte Frage, wieso er dazu komme, erklärt ihm
Yamas Diener; er habe es einmal versäumt, in der zur Konzeption
geeigneten Zeit seiner Gemahlin beizuwohnen, dieses kleine Vergehen
gegen die religiösen Vorschriften müsse er wenigstens durch einen
ganz kurzen Aufenthalt in der Hölle büfsen. Darauf gibt er dem
König eine Belehrung über die guten und bösen Taten (Karman), die
unbedingt ihre Fojgen haben müssen, und die Höllenstrafen, die für
jede einzelne Sünde bestimmt sind. Nach diesen Erklärungen will
ihn der Diener des Todesgottes wieder aus der Hölle hinausführen.
Der König wendet sich zum Gehen; — da dringt entsetzliches Weh-
geschrei an sein Ohr, und die Höllenbewohner bestürmen ihn, nur
noch einen Augenblick zu verweilen, denn ein unendlich angenehmer
Hauch gehe von ihm aus, der ihre Höllenqualen lindere. Auf seine
verwunderte Frage gibt ihm Yamas Diener die Erklärung, dafs von
den guten Werken eines frommen Mannes ein Hauch der Erquickung
die Höllenbewohner anwehe und deren Qualen lindere. Da spricht
der König:
»Nicht im Himmel, noch in Brahmans Welt — so denk' ich —
Findet solche Seligkeit ein Mensch, wie wenn er
Wesen, die gequält sind, Labung spenden kann.
Wird durch meine Gegenwart gelindert dieser
Armen Folterqual, dann bleib' ich hier, mein Freund,
Wie ein Pfosten rühr' ich von der Stell mich nicht.»
Yamas Diener sprach:
»Komm', o König, lass' uns geh'n, geniefs' die Früchte
Deiner guten Taten du, und lafs' die Qualen
Denen, die durch böse Werke sie verdient.«
Der König sprach:
»Nein, nicht werde ich von hinnen geh'n, so lange diese
Armen HöUenwohner glücklich sind durch meine Nähe.
Schmach und Schande ist das Leben eines Menschen,
Der nicht fühlt Erbarmen mit Gequälten, Armen,
Die um Schutz ihn anfleh'n — selbst mit bitt'ren Feinden.
Opfer, Spenden, Bufsen dienen weder hier noch jenseits
Dem zum Heile, der kein Herz hat für den Schutz Gequälter.
Wefs Gemüt verhärtet ist für Kinder, Greise, Schwache,
Nicht für einen Menschen halt' ich den, — ein Teufel ist er.
Wenn ich gleich durch dieser HöUenwohner Nähe
buddhistischen Version der Legende beruht das schöne Gedicht von
Betty Paoli, »Der gute König in der Hölle« (Gedichte, Auswahl und
Nachlafs, Stuttgart 1895, S. 217 ff.).
— 471 —
Fegefeuersqual erdulde, der Gestank der Hölle
Und die Pein des Hungers und des Durstes meiner Sinne
Mich berauben, — dünkt's mich süfser doch als Himmelswonne,
Ihnen, den Gequälten, Schutz und Hilfe zu gewähren.
Wenn durch meine Leiden viele Arme gltlcklich werden.
Was will ich dann mehr noch? — Säume nicht, geh fort und
lafs mich!«
Yamas Diener sprach:
»Sieh hier! Dharma') kommt und Sakra, dich hinwegzuholen.
Du mufst wirklich gehen, König; auf denn, fort von hier!«
Dharma sprach:
«Lafs mich in den Himmel dich geleiten, den du wohl verdient-,
Steig' in die's^n Götterwagen ohne Zögern — fort von hier!«
Der König sprach:
»Hier in dieser Hölle, Dharma, werden Menschen tausendfach
gequält;
.Schtitz' uns!' rufen sie voll Qual zu mir; — ich weiche von der
Stelle nicht.«
J^akra sprach:
»Ihrer Taten Lohn empfangen diese Bösen in der Hölle;
D u mufst, Fürst, für deine gute Tat hinauf zum Himmel wandern.«
Für den König aber sind die Höllenbewohner nicht die Sünder,
sondern nur die Leidenden. Und da ihm auf seine Frage, wie grofs
seine guten Werke seien, Dharma selbst die Antwort erteilt, sie seien
so zahlreich »wie die Wassertropfen im Meere, die Sterne am
Himmel, . . . die Sandkörner im Ganges«, so hat er nur den einen
Wunsch, es möchten durch diese seine guten Werke die Höllenbewohner
von ihren Qualen befreit werden. Der Götterkönig gewährt ihm
diesen Wunsch, und während er zum Himmel hinaufsteigt, werden
alle Insassen der Hölle von ihrer Pein erlöst*).
^) Über Dharma als Name des Todesgottes siehe oben S. 339
Sakra ist ein Name des Götterkönigs Indra. In echtem altem
Äkhyäna-Stil wird nicht erzählt, dafs die beiden Götter herbei-
kamen, sondern ihr Kommen wird im Gespräch mitgeteilt, und sie
treten dann sofort sprechend auf.
") Die Geschichte von Yndhis^hiras Höllenbesuch und Himmel-
fahrt im 18. Buche des Mahäbhärata (oben S. 318 f.) ist eine Dublette
und, wie mir scheint, nur ein schwacher Abklatsch der Vipascit-
Legende. Schon dafs Yudhisthira nur eine Vision (mäyä) der Hölle
hat, ist eine wesentliche Abschwächung. Im Padma-Purä^a kommt
König Janaka zur Strafe für Kuhtötung der Form halber in die Hölle
und erlöst ebenfalls die Verdammten. (Wilson, Works, III, p. 49 f.)
— 472 —
In Sprache und Stil erinnert dieser herrliche Dialog vielfach
an das SävitrT-Gedicht des Mahäbhärata, So wie aber in dem
grofsen Epos neben den schönsten Dichtungen die abgeschmackte-
sten Erzeugnisse der Priesterlitteratur stehen, so auch in unserem
Puräna. Unmittelbar auf die eben erzählte Legende folgt die
von Anasüyä, die sich wie eine Karikatur auf die SävitrT-Sage
ausnimmt :
Anasüyä^) ist die überaus treue Gemahlin eines ekligen, mit
Aussatz behafteten, rohen und gemeinen Brahmanen. Nach dem
brahmanischen Grundsatz »Der Gatte ist des Weibes Gottheit« betreut
die Frau ihn mit grölster Liebe und Sorgfalt und erträgt seine Roh-
heiten mit Geduld. Eines Tages äufsert der gute Mann, der auch ein
Wüstling ist, den dringenden Wunsch, — eine Hetäre aufzusuchen,
die sein Wohlgefallen erregt hat. Da er selbst zu krank ist, um zu
gehen, nimmt ihn sein treues Weib auf den Rücken, um ihn dahin-
zutragen. Dabei stöfst er zufällig einen Heiligen mit dem Fufse,
und dieser verflucht ihn, er solle sterben, ehe die Sonne aufgeht. Da
spricht Anasüyä: »Die Sonne soll nicht aufgehen.« Infolge ihrer
Frömmigkeit geht die Sonne tatsächlich nicht auf, wodurch die Götter
in grofse Verlegenheit geraten, da sie keine Opfer bekommen. Es
bleibt ihnen nichts Übrig, als dafür zu sorgen, dafs der anmutige
Gemahl der Anasüyä am Leben bleibt.
Ganz v/ie im Mahäbhärata so finden sich femer auch hier
neben Legenden rein lehrhafte Dialoge über die Pflichten des
Hausvaters, über .^räddhas, über das Benehmen im täglichen
Leben, über die regelmäfsigen Opfer, Feste und Zeremonien,')
sowie auch (Kap. 36—43) eine Abhandlung über Yoga.
Ein in sich abgeschlossenes Werk, welches jedenfalls erst
nachträglich in das Märkandeya-Puräna eingeschoben wurde, ist
das Devimähätmya,^) eine Verherrlichung der bis in die
') Der Name bedeutet die "Nichteifersüchtige*.
'-^) Abschnitte 29—35. Das Kapitel über Öräddhas stimmt zum
Teil wörtlich mit der Gautamasmrti tiberein, nach W. Caland,
Altindischer Ahnenkult, Leiden 1893, S. 112.
') Abschnitte 81—93. Es kommt auch unter den Titeln Can4i.
Candimähätmya, Durgämähätmya und SaptaSatl vor und
existiert in unzähligen Handschriften als selbständiges Werk. Es gibt
auch zahlreiche Kommentare zu dem Text. Ein Manuskript des Devimä-
hätmya ist 998 n. Chr. datiert. Es ist auszugsweise ins Französische von
B urnouf (Journal Asiatique IV, 1824, S. 24 ff.), ganz ins Englische von
Wortham (JRAS XIII, 1881," S. 355 ff.) übersetzt. Bänas Gedicht
— 473 —
jüngste Zeit hinein , durch Menschenopfer verehrten Göttin Durgä.
In den Tempeln dieser furchtbaren Göttin wird das Devimähätmya
täglich gelesen, und an dem grofsen Feste der Durgä (Durgä-
püjä) *) in Bengalen wird es mit gröfster Feierlichkeit vorgetragen.
VIII. Das Agneya- oder Agni-Puräna^), so genannt,
weil es von Agni dem Vasistha mitgeteilt worden sein soll.
Es beschreibt die Verkörperungen (Avatäras) des Visnu, darunter
auch die als Räma und Krsna, wo es zugestandene'rmafsen dem
RimSyana, Mahäbhärata und Harivamsa folgt. Obgleich es aber
mit Visnu beginnt, ist es doch im wesentlichen ein äivaitisches
Werk und behandelt ausführlich den mystischen Kult des Linga
(Phallus) und der Durgä. Doch fehlen auch nicht die den
Puränas eigentümlichen kosmologischen, genealogischen und geo-
graphischen Abschnitte. Was aber dieses Puräna ganz besonders
kennzeichnet, das ist sein enzyklopädischer Charakter. Es handelt
tatsächlich über alles und jedes. Wir finden da Abschnitte über
Astronomie und Astrologie, Über Hochzeits- und Totengebräuche,
über Omina und Portenta, Hausbau und andere Gebräuche des
täglichen Lebens, aber auch über Politik (nrti) und Kriegsktmst,
über Recht (wobei es sich enge an das Gesetzbuch des Yäjna-
valkya anschliefst), über Medizin, Metrik, Poetik und sogar über
Grammatik.
Welchem Zeitalter diese merkwürdige Enzyklopädie oder
ihre einzelnen Teile angehören, ist unmöglich zu sagen. Trotz-
dem aber das Werk selbst so Verschiedenartiges enthält, gibt es
doch noch viele Mähätmyas und ähnliche Texte, die sich als zum
Agni-Puräna gehörig ausgeben, aber in den Handschriften des
Werkes selbst nicht vorkommen.
IX. Das Bhavisya- oder Bhavisyat-Puräna. Der
Titel bezeichnet ein Werk, das Prophezeiungen über die Zukunft
»CaijdiSataka* und ßhavabhütis Drama ^Mälatlmädhava' setzen
wahrscheinlich das Devimähätmya voraus, so dafs dieser späte Ein-
schub im Märk.-Pur. schon vor dem 7. Jahrhundert existiert haben
müfste. (Vgl. Pargiter p. XII und XX.)
') Über dieses volkstümlichste aller religiösen Feste in Bengalen
vgl. Shib Chunder ßose, The Hindoos as they are, S. 92 ff
*) Herausg. in der Bibl. Ind., Kalkutta 1873-79. Ein unter dem
Titel Vahni-Purä^a vorkommendes Werk wird auch Agni- und
Ägneya-Purä^a genannt, ist aber ein anderes als das oben beschriebene
Werk. (Eggeling, Catalogue, S 1294 ff.)
— 474 —
(bhavi§ya) enthält. Der uns unter diesem Titel handschriftlich
erhaltene Text ist aber gewils nicht das alte Werk , welches im
Äpastamblya-Dharmasütra zitiert wird ^). Der Schöpfungsbericht,
den es enthält, ist dem Gesetzbuch des Manu entlehnt, das
auch sonst mehrfach benutzt ist ^). Der gröfste Teil des Werkes
behandelt die brahmanischen Zeremonien und Feste, die Pflichten
der Kasten u. dgl. Nur wenige Legenden werden erzählt. Eine
Beschreibung des der Schlangenverehrung gewidmeten Nägapaft-
camlfestes gibt Anlafs zu einer Aufzählung der Schlangen-
dämonen und zur Erzählung einiger Schlangenmythen. Merkwürdig
ist ein gröfserer Abschnitt, der sich mit der Sonnenverehrung in
»^äkadvipa« (Land der Skythen?) beschäftigt, wobei von
B h o j a k a und M a g a genannten Sonnenpriestern die Rede ist,
was sich unzweifelhaft auf zoroastrischen Sonnen- und Feuerkult
bezieht ^).
Eine Art Fortsetzung dieses Puräi^ia ist das Bhavisyottara-
Puräna, welches zwar einige alte Mythen und Legenden ent-
hält, aber doch mehr ein Handbuch religiöser Riten ist.
Sehr zahlreich sind die Mähätmyas und andere moderne
Texte, die sich als Bestandteile des Bhavisya- und insbesondere
des Bhavisyottara-Puräna ausgeben.
X. Das Brahmavaivarta- oder Brahmakaivarta-
Puräna. Letzteres ist der in Stidindien gebräuchliche Name.
Das umfängliche Werk ist in vier Bücher eingeteilt. Das
erste Buch, der Brahma-Khanda, behandelt die Schöpfung durch
Brahman, das uranfängliche Wesen, welches aber niemand
anderer ist als der Gott Krsna *). Das zweite Buch, der Prakrti-
Khancja, handelt von Prakrti, der Urmaterie, die aber hier ganz
') Siehe oben S. 441 f.. Noch weniger Anspruch auf Echtheit hat
die in Bombay erschienene Ausgabe des Bhavisya-Purä^a, die
Th. Aufrecht (ZDMG Bd. 57, 1903, S. 276 ff.) als einen »littera-
rischen Betrug« entlarvt hat.
2) Vgl. G. Bübler, SBE Vol. 25, p. CXf. und 78 note. Wilhelm
Jahn a. a. O. S. 38 ff. und schon Wilson, Works VI, p. LXIII.
^) Vgl. Aufrecht, Catalogus Codd. MSS. Sanscrit. Bibl. Bodl.,
S. 31 ff. Wilson, Works X, p. 381 ff.
*) Darauf bezieht sich wohl der Titel Brahmavaivarta-P. , was
man »Purä^a der Verwandlungen des Brahman» übersetzen kann.
Der südindische Titel ist mir nicht verständlich.
— 475 —
mythologisch aufgefafst erscheint, indem sie sich auf Befehl des
Krsna in fünf Göttinnen (Durgä, Laksml, Sarasvati, SävitrI und
Rädhä) auflöst. Das dritte Buch, der Ganesa-Khancia, erzählt
Legenden von dem elefantcnköpfigen Gott Ganesa, der dem
ältesten indischen Pantheon fehlt, aber zu den volkstümlichsten
neueren indischen Gottheiten gehört. Das letzte imd umfang-
reichste Buch, der Krsnajanma-Khanda, »Abschnitt von der Ge-
burt des Krsna« , behandelt nicht nur die Geburt , sondern das
ganze Leben des Krsna, insbesondere seine Kämpfe und seine
Liebesabenteuer mit den Hirtinnen (GopTs). Es ist der Haupt-
teil des ganzen Puräna, das durchaus keinen anderen Zweck
verfolgt, als durch Mythen, Legenden und Hymnen den Gott
Krsna und seine Lieblingsgemahlin Rädhä zu verherrlichen.
So sehr ist nach diesem Puräna Krsna der Gott über allen
Göttern, dafs Legenden erzählt werden, in denen nicht nur Brah-
man und Siva, sondern sogar Visnu selbst von Krsna gedemütigt
wird*).
Eine grofse Anzahl von Mähätmyas geben sich als zu diesem
Puräria gehörig aus.
XI. Das Lainga- oder Linga-Puräna. Das Werk hat
seinen Namen von dem Linga, das hier als ein mystisches Symbol
des Gottes Siva in der Schöpfungslegende erscheint^). Und so
wie in dem Bericht über die Schöpfung Siva die Stelle einnimmt,
die sonst dem Visnu zugeschrieben wird, so werden auch
Legenden von Verkörperungen (Avatäras) des Siva erzählt.
tJberhaupt ist das Werk nichts anderes als ein Religionsbuch der
Siva- Verehrer.
XII- Das Väräha- oder Varäha-Puräna. Auch dies
ist kein Puräna im alten Sinne des Wortes. Es enthält nur zer-
streute Anspielungen auf die Schöpfung, die Genealogien usw.
Eigentlich ist es nichts anderes als ein Handbuch von Gebeten
und Regeln für die Visnu -Verehrer. Von den wenigen ein-
\) Eine Ausgabe des Werkes erschien in Kalkutta 1888.
-) Eine so grolse Rolle das Linga (der Phallus) auch in der Religion
der Siva- Verehrer spielt, so ist hier doch nicht an einen Phalluskult
mit irgendwelchen Orgien, obszönen Charakters zu denken. Es ist nur
ein Symbol des in Siva verkörperten zeugenden und schaffenden
Prinzips. (Vgl. Moni er -Williams, Brähmanism and Hinduism.
4th Ed., London 1891, S. 83 und 90 f.) Das Werk ist in Indien mehr-
mals gedruckt worden.
_ 476 —
gestreuten Legenden beziehen sich einige — trotz des visnuitischen
Charakters des Werkes — auf Siva und Durgä. Ein grofser
Abschnitt von 20 Kapiteln (193—212) erzählt die Legende von
Naciketas^), wobei aber Schilderungen von Himmel und Hölle
die Hauptsache bilden. Seinen Titel hat dieses Puräna davon,
dafs es vonVisiju in seiner Verkörperung als Eber (varäha) der
Göttin Erde (PrthivI) mitgeteilt wird*).
XIIL Das Skända- oder Skanda-PurS^a. Das alte
nach dein Kriegsgott Skanda, einem Sohn des Siva, benannte
Werk ist wahrscheinlich ganz verloren gegangen. Denn es ist
uns kein einzelnes Werk erhalten, das sich >Skanda> Puräna«
nennt. Hingegen gibt es eine geradezu täberwältigende Masse
von zum Teil sehr umfangrexhen Werken — Mähätmyas,
Stotras, Kaipas (Ritualien) u. dergl. — , die sich als Bestandteile
des Skanda-Puräna ausgeben. Nach einer Angabe soll das
ganze Puräna 81 100 Verse enthalten ; nach einer andern soll es
aus sechs Samhitäs, 500 Khancjas (Abschnitten) und 500 000 Versen
bestehen. Noch viel gröfser wäre die Zahl der Verse, die sich
ergeben würde, wenn alles, was als zum Skanda gehörig über-
liefert wird, wirklich dazu gehörte. Eine Agastyasamhitä des
Skanda-Puräna in 23 Kapiteln lehrt den Kult des Visnu in seinen
verschiedenen Formen, insbesondere der des Räma. Eine Sanat-
kumärasamhitä wird oft genannt. Eine Sütasamhitä ist heraus-
gegeben *)- Ein Kägikhan^a *) beschäftigt sich in ungefähr
') Oben S. 223 f. Vgl. L. Scherman, Visionslitteratur, S. 11 f.
Der Name ist hier Näciketa.
*) Eine Ausgabe des Varäha-Purä^a von H|-slkesa Sästri ist in
der »Bibliotheca Indica« (Kalkutta 1893) erschienen. Nach dem ersten
Vers des letzten (218.) Kapitels in dieser Ausgabe ist das Puräi^ von
Mädhava Bhatta und Vlreävara in Benares im Jahre 1621 der
Vikrama-Ära (1564 n. Chr.) »geschrieben« worden. Es mufs aber
dahingestellt bleiben, ob sich dies auf die Abfassung oder nur auf
eine AbschriH des Werkes bezieht.
") In der AnandäSrama Sanskrit Series, mit einem Kommentar
von Mädhava. Ins Englische übersetzt ist die Rsya§rnga-Legende
nach dem Skanda-Puräija Gnd. Ant. II, 1873, S. 140 ff.) und Proben
aus einem »Mafijuni-Puräna« (moderne Tlrtha-Legenden), das zum
Sahyädri-Khantja des Skanda-P. gehören soll (Ind. Ant. XXIV, 1895,
S. 231 ff.). Ein Sahyädri-Khanda ist berausg. von J. G. da Cunha,
Bombay 1877.
*) In Benares (1868) und Bombay (1881) gedruckt.
— 477 —
15000 Versen mit den 8iva-TempeIn in der Umgebung von
ßenares und mit der Heiligkeit dieser Stadt selbst. Zu dem-
selben Abschnitt gehört ein Gangäsahasranäman , eine Litanei
der »tausend Namen der Gangä«. Das sind nur einige wenige
von den zahlreichen Texten, die zu diesem PurSna gehören Sollen.
XIV. Das Vämana-Puräna. Es erzählt von der Ver-
körpenmg des V^isnu als Zwerg (vämana) und gilt als ein Werk
der Visnu -Verehrer. Trotzdem handelt ein grofser Abschnitt
auch tiber die zur Öiva - Religion gehörige Linga -Verehrung.
Einen grolsen Umfang nehmen Schilderungen heiliger Orte
(Tlrthas) ein; die eigentlichen Gegenstände der Puränas wie
Schöpfung usw. werden kaum erwähnt*).
XV. Das Kaurma- oder Kürma - Puräna. Es heilst so,
weil es von Visiiu in seiner Verkörperung als Schildkröte
(kürma) den Rsis, die ihn bei der Quirlung des Ozeans gepriesen
hatten, mitgeteilt worden sein soll. Die »fünf Gegenstände« der
4*uräiias werden kurz behandelt, zum Teil in wörtlicher Überein-
stimmung mit dem Visiiu-Puräna. Auch die Mythen von den
Verkörperungen des Visnu werden erzählt; doch sind auf ^iva
beztigliche Hymnen und Mythen mehrfach eingeflochten. Und den
Schlufs des ersten Teiles — das Puräna besteht aus zwei
Teilen — bildet eine Darstellung der 26 Verkörperungen des
^iva. Überhaupt ist das Werk nicht, wie man nach dem Titel
und Anfang glauben möchte, visnu itisch, sondern vielmehr der
Verehnmg des l§iva und der Durgä gewidmet. Auf ein nicht
sehr hohes Alter des Werkes in seiner jetzigen Gestalt weist
der Umstand hin, dafs es auf die Verehrung der Saktis, der
als weibliche Gottheiten gedachten »Kräfte« des j^iva, Bezug
nimmt und unter anderen ketzerischen Sekten auch die »Linken«
(Väma)*), d. h. die ausschliefslichen Verehrer des weiblichen
') Der Text gedruckt in Kalkutta 1885.
*) äiva teilte sich (vgl. Kürma-Puräi^ I, 11) in zwei Hälften, eine
männliche und eine weibliche, aus letzterer entstanden die Saktis.
§akti heifst »Kraft, Energie« und bezeichnet die einem Gotte ent-
sprechende weibliche Gottheit. Schon im §atapatha-Brähmai;ia (VIII,
4, 4, 11) heifst es, dafs «der Platz der Frau zur Linken« des Mannes
ist Daher bis zum heutigen Tage die Unterscheidung von »Rechts-
verehrern«, d. h. Verehrern der männlichen Gottheiten, insbesondere
des Siva und des Linga, und "Links Verehrern«, d. h. Verehrern der
weiblichen Gottheiten, insbesondere der Durgä und der Yoni
;
— 478 —
Prinzips und der weiblichen Gottheiten, erwähnt und selbst ein
Yämalatantra , ein Religionsbuch dieser Sekte , kennt. Einen
ziemlich grofsen Abschnitt des ersten Teils bildet eine Beschreibung
und Verherrlichung der heiligen Plätze von Benares (Käsimä-
hätmya) und Allahabad (Prayägamähätmya). Der zweite Teil
beginnt mit einer Isvaragitä (einem Seitenstück zur Bhaga-
vadgltä), in der die Erkenntnis Gottes, d. i. Sivas, durch Geistes-
versenkung gelehrt wird. Diesem Stück folgt eine Vyäsagftä,
ein gröfserer Abschnitt, in dem Vyäsa die Erlangung der höchsten
Erkenntnis durch fromme Werke und Zeremonien lehrt und da-
her einen Vortrag über die Pflichten des Hausvaters, des Wald-
einsiedlers und des Asketen hält. Einige Kapitel handeln von
Sühnezeremonien für allerlei Vergehen, wobei auch von der
Keuschheit die Rede ist. Dies gibt Anlafs zur Erzählung einer
(nicht im Rämäyana vorkommenden) Geschichte von Sita, wie
diese durch den Feuergott aus den Händen des Rävana gerettet
wird.
In den! Werke selbst wird gesagt, dals es aus vier Samhitäs
(Brähml, Bhägavati, Sauri und VaisnavT) bestehe. Vorhanden
ist aber nur die Brähml-Samhitä, die einen Umfang von ungefähr
60000 Versen hat\).
XVI. Das Mätsya- oder Matsya-P uräna. Dies ist
wieder eines der älteren Werke der Puräna-Litteratur, oder doch
eines von denen, welche am meisten Altes erhalten haben und
der Definition des s>Puräna« ziemlich gerecht werden. Es beginnt
mit der Erzählung von der grofsen Flut, aus welcher Visnu in
Gestalt eines Fisches (matsya) den Manu allein rettet. Während
das Schiff, in welchem Manu dahinfährt, von dem Fisch durch
die Flut gezogen wird, findet zwischen ihm und dem als Fisch
verkörperten Visnu das Gespräch statt, welches den Inhalt des
Puräna bildet. Die Schöpfung wird eingehend behandelt, dann
folgen die Genealogien, in welche ein Abschnitt über die Manen
und deren Kult (Kap. 14 — 22) eingeschoben ist. Es fehlen auch
(vulva). Diese «Linken«, die Sakti -Verehrer oder Säktas, sind es, deren
Kult zum Teil in orgiastischen Festen und geschlechtlicher Zügel-
losigkeit besteht.
0 Sie ist herausgegeben von Nilmani Mukhopädhyäya in der
Bibl. Ind., Kalkutta 1890. Nach dem Bhägavata-Puräna soll das
Kürma-Puräna 17000 Verse enthalten, nach dem Matsya-Puräna 18000.
— 479 —
nicht die gewöhnlichen geographischen, astronomischen und
chronologischen Abschnitte, und die Königslisten sind gerade in
diesem Puräna — nach V. A. Smith (oben S. 445) — besonders
zuverlässig für die Andhradynastie. Sehr viel hat es mit dem
Mahäbhärata und dem Harivamsa gemein, so die Sagen von
Yayäti (Kap. 25—42), von Sävitri (Kap. 195-201), von den
Verkörperungen des Visnu (Kap. 231 — 235) u. a., und die Über-
einstimmung ist vielfach eine wörtliche. Jüngere Zusätze und
Einschübe sind aber recht zahlreich. Da finden wir einen grofsen
Abschnitt über allerlei Feste und Riten (Vratas, Kap. 53—91),
eine Verherrlichung der heiligen Orte von Allahabad (Prayäga-
mähätmya, Kap. 92—101), Benares (Käsimähätmya , Kap. 167
bis 172) und am Narmadäflusse (Kap. 173 — 181), ferner Ab-
schnitte über die Pf hebten eines Königs (202—214), über Omina
und Portenta (215 — 230), über Zeremonien beim Hausbau (239
bis 244), über Errichtung und Einweihung von Götterstatuen
und Tempeln (245—257), über 16 Arten frommer Schenkungen
(261—276)») u. a. m. Nach Wilson 2) ist das Puräna givaitisch,
aber nach der von Aufrecht gegebenen Inhaltsübersicht könnte
es ebenso gut visnuitisch sein.
XVII. Das Gäruda- oder Garucia - Puräna. Dies ist
ein vi§nuitisches Werk, in dem der mythische Vogel Garuda im Auf-
trage des Visnu die Lehre von der Gröfse dieses Gottes ver-
kündet. Es behandelt die Schöpfung, die Verehrung des Visnu
als Sonne, die mystische Verehrung von Visnu, Siva und
anderen Gottheiten, allerlei Zeremonien (z. B. bei der Haus-
einweihung), gibt die Genealogien der Sonnen- und Monddynastien ^
erzählt den Inhalt des Rämäyana, Mahäbhärata und Harivamsa,
handelt aber auch über so verschiedenartige Dinge, wie Medizin,
Metrik, Grammatik u. a. Allerlei Mähätmyas — darunter ein
Gayämähätmya (Verherrlichung des Wallfahrtsortes Gayä,
wo es besonders verdienstlich ist, Manenopfer darzubringen) —
und auch ein Pretakalpa (Ritual für die Geister der Ab-
^) Diese Kapitel sind nach Aufrecht aus dem Bhavisya-Puräoa
entlehnt. Mehrere Drucke des Matsya-P. sind in Indien erschienen.
8) Works VI, p. LXXXIII: »Although a Saiva work, it is not
exclusively so.» Aufrecht (Catalogus Codd. Sanscrit. Bodl. p. 43):
»Princeps numen in hoc puräna Visnu-Krsna colitur, Krsna tarnen
antiquior quam mollis ille et imbecillus Brahma vaivartae deus.«
— 480 -
geschiedenen) gelten als Bestandteile dieses Puräna. Auch das
Visnudharmottara, das schon im 7. Jahrhundert zitiert
wird und von Alberünl (um 1030 n, Chr.) genau studiert worden
ist^), wird als ein Teil des Garuda-Puräna ausgegeben.
XVIII. Das Brahmända- Puräna. Mit diesem Werke,
welches nach einer Angabe des Matsya-Puräna das Brahman-
Ei (brahmäncja) verherrlichen soll, verhält es sich nicht viel
anders als mit dem Skanda-Puräna. Es gibt wohl einige Hand-
schriften, die ein einzelnes Werk mit diesem Titel enthalten
sollen, und fem von Indien auf der Insel Bali ist ein Brahmäncia-
Puräija das einzige heilige Buch der\ dortigen sivaitischen Sekte ^).
Die meisten unserer Handschriften enthalten aber nur Mähätmyas
(und diese in grofser Anzahl), Stotras und Legenden (Upäkhyänas),
die sich als Bestandteile des Brahmända-Puräna ausgeben. Als
ein Teil dieses Puräna gilt auch das Adhyätmarämäyana,
eine mystisch-philosophische Bearbeitung der Räma-Sage. Es ist,
wie das Werk des Välmiki, in sieben Bücher eingeteilt, die die-
selben Titel haben wie das alte Epos. Räma wird hier durch-
aus als Vi§nu, Sita als die Glücksgöttin Laksmi gefeiert^). Das
Näsiketopäkhyäna, eine recht abgeschmackte Erweiterung
und Verballhornung der schönen alten Naciketas-Sage *) , wird
ebenfalls zum Brahmända-Purjina gerechnet.
Der Charakter der U p a p u r ä n a s ist von dem der Puränas
nicht wesentlich verschieden, höchstens dafs sie noch ausschliels-
licher den Zwecken lokalen Kultes und den religiösen Bedürf-
nissen einzelner Sekten dienen. Nur wenige dieser zahlreichen
und umfangreichen Werke sind herausgegeben, und es ist
fraglich, ob sich eine nähere Bekanntschaft mit ihnen lohnen würde.
Doch ist z. B. das Nilaraata-Puräna ein wichtiges Werk
') Siehe JoUy, Recht und Sitte (Grundrifs II, 8) S. 30 f. und
Bühler im Ind. Ant. XIX, 1890, S. 382 ff., wo der Inhalt dieses der
Verherrlichung des Visnu gewidmeten Werkes beschrieben ist. Vgl.
auch Eggeling a. a: O. S. 1308 f.
"") Weber, Indische Studien II, S. 131 f.
^) Eine schöne Ausgabe des Adhyätmarämäyana ist in Bombay
(Nirnaya Sagara Press) 1891 erschienen. Unter den Kommentaren,
die es zu dem Werke gibt, wird einer auch dem Sankara zu
geschrieben. Nach Nllmaui Mukhopädhyäya (Kürma Puräna ed., Preface
P- XIV n.) soll Sankara der Verfasser des Werkes selbst sein.
*) Eg geling a. a. O. S. 1252 ff. und oben S. 223 f., 347 f.
— 481 —
für die Geschichte und Geographie von Kaschmir, wie denn
überhaupt selbst die modernsten Mahätmyas für die Topographie
Indiens oft nicht unwichtig sind ^j. Manche von den Upapuränas,
wie das Krilikä-Puräna^), sind dem Dienste der Durgä ge-
widmet und gehören zu den heiligen Texten der {^äktas, der
Verehrer der schon oben (S. 477) erwähnten weiblichen Gott-
heiten (l^aktis).
Die Sekten der Säktas besitzen auch eine eigene grofse und
umfangreiche religiöse Litteratur in den nach dem Muster der
Puränas verfafsten Tantras. Diese »Bücher««) gelten ihren
Gläubigen als Offenbarungen des Gottes i^iva und haben meistens
die Form von Zwiegesprächen zwischen F^iva und seiner 'Ge-
mahlin Durga. Gleich den Puränas sollen auch sie »fünf
Gegenstände« behandeln, und zwar: die Schöpf img, die Ver-
nichtung der Welt, die Götterverehrung, die Erlangung über-
menschlicher Kräfte und die Vereinigung mit dem höchsten
Wesen. In Wirklichkeit bilden aber Mystik und Magie den
Hauptinhalt dieser Bücher. Grofse Kompendien wie Rudra-
^^ämalatantra, Kulärnavatantra, Tantrasära, Sära-
dätilaka u.a. ergehen sich in mystischen Betrachtungen nach
Art des Yoga, geben eingehende Vorschriften für die mit dem
Kult der Durgä, der Sakti des Siva, verbundenen Zeremonien,
zu denen auch geschlechtliche Ausschweifimgen und Trinkgelage
gehören, und enthalten zahllose Zauberformeln (Mantras), deren
Anwendung sie lehren, sei es, dafs sie zur Verehrung der Durgä
in der einen oder anderen ihrer unzähligen Formen dienen oder
') Siehe M. A. Stein, Kalhaijas Räjataranginl, Translated,
London 1900, Vol. II, p. 376 ff.
') Darüber Eggeling a. a. O. S. 1189 ff. Ein Kapitel aus diesem
W^erk, den sehr interessanten »Blutabschnitt« (rudhirädhyäya), der aus-
führlich über die der Durgä darzubringenden Tier- und Menschen-
opfer handelt, hat W. C. Blaquiere (in den Asiatick Researches,
vol. 5, 4'^ ed., London 1807. p. 371 ff.) ins Englische tibersetzt.
3) Das Wort Tantra-' bedeutet -Buch«, also »Bibel <. Über die
Tantras, »die Bibel des Säktismus% handeln H H.Wilson, Works I,
248 ff., II, 77 ff.; Th. Aufrecht, Catalogus Bodl. S. 88ff.; Eggeling
a. a. O., Part IV, S. 844 ff.; Barth, Religions of India, S- 200 ff.;
Monier Monier- Williams, Brähmanism and Hindüism, 4^'' Ed.,
S. 180 ff., 205 ff. Der Philosoph Sankara (bei Aufrecht, Catalogus
Bodl. S. 108 f.) zählt die Titel von 64 Tantnis auf.
— 482 —
für allerlei Zauberriten verwendet werden. Diese Mantras lehnen
sich zum Teil an vedische Gebete und Formeln an, hauptsächlich
aber sind es Anrufungen an die weiblichen Gottheiten. Einen
grofsen Raum nehmen in ihnen die schon oben (S. 162 f.) er-
wähnten geheimnisvollen Silben und Laute om, am, im, um,
phet usw. ein, und gerade in diesen steckt nach der Ansicht
der Zauberdoktoren der Tantras der eigentliche Kern (bija) oder
die Wunderkraft des Mantra. Es gibt auch eigene Werke, die
sich mit der Erklärung der geheimnisvollen Bedeutung der
Buchstaben des Alphabets beschäftigen. Andere Texte geben
Beschreibungen von zauberkräftigen Amuletten (kavaca) imd Dia-
grammen (j^antra), lehren geheimnisvolle Fingerverschlingungen
(mudrä), die. Herstellung von Zauberkreisen (sricakra) u. dgl. mehr.
Es ist dies gewifs keine aus dem Volksglauben geschöpfte oder
auf volkstümlicher Überlieferung beruhende Litteratur, wie es
die des Atharvaveda wenigstens zum grofsen Teile ist, sondern
vielmehr die gelehrte Litteratur einer raffinierten Geheim Wissen-
schaft, die allerdings durch Massensuggestion in weite Volks-
kreise eingedrungen ist. Auf hohes Alter können diese Werke
kaum Anspruch machen ' ). Ihr Hauptverbreitungsgebiet scheint
Bengalen zu sein. Von da sind sie nach Nepal (und auch nach
Tibet) gedrungen, wo sie die buddhistische Litteratur so stark
beeinflufst haben, dafs es in dieser auch eine eigene Klasse
von »Tantras« genannten Werken gibt, die sich von den Tantras
der Säktas kaum imterscheiden ^^j.
Auch die Puränas haben bei den Buddhisten sowohl wie
bei den Jainas Nachahmung gefunden. So gibt es ein bud-
dhistisches Svayambhü-Puräna, welches ein Mähätmya von
^} Wenn wir bedenken, dafs im Mahäbhärata die Tantras nirgends
erwähnt werden, dafs im Wörterbuch Amarakosa das Wort Tantra
im Sinne eines religiösen Lehrbuches noch nicht angeführt wird
(Wilson, Works I, 250), und endlich dafs die chinesischen Pilger
über diese Werke schweigen, so werden wir die Blütezeit der Tantras
mit H. Kern (Der Buddhismus, Leipzig 1884, II, 525 f.) «nicht gut
vor 700 n. Chr.« ansetzen können.
*) Vgl. Barth a. a- O. S. 201; H. Kern, Manual of Indian
Buddhism (Grundrils III, 8), S. 6 und 133 f.; Louis de La Vall^e
Po US sin, Bouddhisme, Etudes et Materiaux (Memoires Courounes
et Moni, des Savants etrangers publ. par TAcademie roy. des sciences . .
de Belgique t. LV, Bruxelles 1896), S. 130 ff., 168 ff.
— 483 —
Nepal und dessen Heiligtümern ist^). Bei den Jainas finden
wir ein Padma-Puräna, das im siebenten, und ein Ädi-
Puräna, das im achten Jahrhundert geschrieben worden sein
solf, und aufserdem noch einige andere Puränas und Mähä-
trayas^).
So langweilig und unerquicklich auch diese ganze grofse
Puräna-Litteratur für uns sein mag, kann sie doch der Litterar-
historiker ebensowenig wie der Religionsforscher mit Still-
schweigen übergehen. Denn diese Schriften waren jahrhunderte-
lang und sind noch heutigen Tages die geistige Nahrung von
Millionen von Indern. »Die Puränas«, sagt ein gelehrter Hindu 3),
»bilden einen wichtigen Bestandteil der religiösen Litteratur der
Inder; zusammen mit den Dharmasästras und den Tantras be-
herrschen sie ihre Lebensführung und regeln sie ihre religiösen
Gebräuche bis zum heutigen Tage. Die Vedas werden vom
Altertumsforscher, die Upanisads vom Philosophen studiert; aber
jeder strenggläubige Hindu muls — mittelbar oder unmittelbar —
irgendeine Kenntnis von den Puränas haben, um seine Lebens-
führung nach ihnen einrichten und alle für seine weltliche und
geistliche Wohlfahrt wesentlichen Pflichten vollziehen zu können.«
1) Es ist herausgegeben in der Bibl. Ind. (Kalkutta 1894—1900)
von Haraprasäd Sästri. Derselbe hat auch über den Inhalt des
Werkes (im Journal of the Buddhist Text Society of India, II, 1894, 2
S. 33 ff.) berichtet. Das darin enthaltene Manicü4ävadäna hat Louis
de La Vall<§e Poussin (im JRAS 1894, S. 297 ff.) übersetzt.
2) Vgl. E. Leumann in WZKM XI, 1897, S. 299 ff. Pargiter,
Märkandeya-Puräjja, Transl., Pref. p. XIV. M. Winternitz and
A. B. keith, Catalogue of Sanskrit Manuscripts in the Bodleian
Library, II, Oxford 1905, S. 229 ff., 232 f., 239 ff.
^-) Nilmani Mukhopädhy äya in der Vorrede zu seiner Aus
gäbe des Kürma-Puräna, p. XV.
Winr.ern>tz, Geschiebte der indischea Litteratur.
32
Index.
Abbott, J. E. 466 A.
Abhicärikä^i 124.
Abhimanyu. Sohn des Arjuna 286,
300, 307, 315, 337 A. 6.
Ackersegen 95.
Adbhuta-Brähmana 167.
Adelung, Friedrich 21.
Adhvaryu, Priester 140, 142, 147
bis 149, 169, 186 f.
Adhyatmaramayana 480.
Adikavi, ädikävya 404.
Ädiparvan 287 A.
Adi-Puräi;a 451; der Jainas 483.
Aditi, Göttin 67 f., 156, 158, 384.
Äditya, Sonnengott 169 A.
Aditya-Puräna 446.
Adityas, Lichtgötter 451.
Affen 419 f., 424; s. Hanumat;
Affen Verehrung 406.
Agastya, ein Rsi 294. 324, 345,
414 A , 422.' ■
Agastyasamhita 476.
Ägneya-Puräna 473.
Agni, Feuergött, im Veda 66, 71,
76, 77-«0. 83, 85, 88, 108,
120, 125, 136, 144, 151, 155 bis
157, 159f., 178f., 190-193, 196;
im Mahäbhärata 286 f., 336 ; im
Raniavana 418 A., 420: in den
Puränas 467, 473.
Agnicayaua, Feueraltarschichtung
151, 168.
Agnihotra, Feueropfer 59, 150,
155, 166, 191 f, 198, 232, 234.
Agni-Puräna 473.
Agnirahasya,Feuermysterium 168.
Aliasver 313, 346.
Ahimsa, »das Nichtverletzen», d. h.
die Schonung aller Lebewesen
333, 355, 359-361, 365.
Ahnenverehrung 130, 139; s.
Sräddhas.
Ahura 69.
Aitareya-Äraijivaka 141 A., 204,
232, 241, 257 A.
Aitareya-Brähma^a 49, 162- A.,
166, 183--188, 193 A., 199 A.,
204, 256, 321 A.
Aitareya-Upanisad 204 f., 207 A.
Aitihäsikas 261.
Ajätasatru oder Ajatasattu 215,
402.
Ajigarta, Rsi 185 f.
Äkhyäna, Erzählung, Ballade 89
A., 181, 183, 186, 189, 2.59, 261,
399 f., 401 A., 407, 433 f., 439 f.,
451, 471 A.
Akhyänahymnen 89-93, 259.
Äkhvänavidas 197 A.
Alaüikäras 393, 404.
Albt^rüni 27, 446, 480.
Alexander der Grofse 25, 248, 396.
Alleinslehre 88, 136, 210—218,
222, 226, 228, 459 f.
Allgötter 190; s. Visve Deväs.
Allopfer (sarvamedha) 153, 168.
Alphabete 2<)
Althochindisch 37 f., 42.
Altindische Sprache 37—42.
Amarakosa 12, 443 A., 482 A.
Amulette 119, 121, 125, 482.
Anasuya, Legende von 472.
Andhakavadha 385 A.
Andhrabhrtyas 462.
Andhradyiiastie 444 f., 479.
Ahgada, ein Affenprinz 416 f., 419.
Angiras 52, 104 f., 156; — Athar-
vaveda HO A., 124.
Aniruddha 384, 386.
Anugitä 365, 376.
Anukramanis 52, 188, 243 f., 256.
Anusäsanaparvan 364.
Anustubh, Metrum 55.
Anuvakyäs 141.
Anuvamsaslokas, genealogische
Verse 319, 320 A., 442, 449.
Anvakhyana 195.
Apabhranisa 45.
Apaddharmänusäsanaparvan 363
Äpastamba 237 f., 254.
Äpastamba-Samhitä 148.
— 485
Apastamblya-Dharmasutra 147,
230, 238 A., 441 f.^ 474.
Apastamblya-Grhvasutra 235 A.,
_^237, 238 A.,'260 A.
Apastamblya-§rautasutra 238 A.
Äpastambfya-Sulvasütra 238 A.
Äpnsüktas 83 f., 129.
Apsaras, Nymphe 69, 117 f.; als
Verführerin von Heiligen 336,
452; Welt der A. 454; s. Ur-
vasi.
Ära^yaffäna 145.
Ara^ya-Kända 414.
Ärajjyakas 38f., 48 f.. 146, 196 bis
210, 222, 229, 232, 246, 256,
271; «Waldbücher. 202 f.
Ärcika 142-145.
Ardhamäe^adht 44.
Arhat, »Heilieer' 175.
Arier 56 f., 61.
Arithmetik 4, 12.
Arjuna, Held des Mahäbhärata
275-277, 281-296, 299 f.,
390 f.; und Krsna 366 A.,
367 f.; Name des Indra 400;
_A. und Räma 428.
Ärsa (Sprache) 44.
Artha 272 A
Arthaväda 175, 181.
Äru^eya-Upanisad 202 A.
Aruni, ein Priester 201 A.
Aryästava 381 A.
Asädha Sävavasa 176.
AsamI (Sprache) 45.
Asat, das Nichtseiende 108, 131,
194 f, 214.
Asiatic Society of ßengal 10.
Askese 175, 184, 191. A.
Asketen 48, 184 A., 201—203.
Asketendichtung 267, 322, 349.
352 f , 362, 403, 449.
Asketenmoral 323 A., 354, 356,
360, 369
Asoka 26, 28 f., 403 A., 435.
Asramas, Lebensstufen 202 f., 236,
360 A.^363, 444, 454, 461.
Asramaväsikaparvan 316 A.
Astrologie 4, 473.
Astronomie 4, 12, 28. 197, 229,
245 f., 250-254, 458, 473.
Asura (Ahura), 'Gott« 69, 171:
Asuras, die Dämonen 69, 171,
195.
Asvaghosa 418 A., 437 f.
Asvaläyana 232, 242.
Asvalayana - Grhva.süira 139 A-
209 A., 233 Ä., 239, 260 A.,
_261 A., 400, 402.
ASvaläyana-Örautasütra 238.
Asvamedha s. Pferdeopfer.
Äsvamedhikaparvan 315 A.
Asvapati Kaikeya 201.
Asvatthäman, Sohn des Drona276,
309, 312 f.
Asvins, ein Götterpaar 67 f., 83,
93, 137, 151, 153, 156 f., 276,
333 f.
Atharvan, Zauberspruch 49, 104,
136; Feuerpriester 103 f.
Atharvängirasah 104 f.
Atharvaveda, die Samhitä 38, 49,
96, 103-m, 141 A', 159 f., 242,
260, 265, 400, 441, 482; Sprache
und Metrik 38, 106; Über-
setzungen 103 f. A.; Titel 103
bis 105; Einteilung 105 f.; Alter
106-112, 170, 246; Kultur-
verhältnisse 106 f.. Religion und
Mythologie 107 f.; Heiligkeit
108 f.; Lieder zur Heilung von
Krankheiten 112-118; Segens-
sprücbe 118-120, 139; Ent-
sühnungsformeln 120 f.; Zauber-
sprüche zur Herstellung von Ein-
tracht 121; auf Ehe und Liebe
bezügliche Zauberlieder 122 bis
124 ; Flüche und Beschwörungen
124—127; Zauberlieder für den
König 127 f.; für die Brahmanen
129, 173; für Opferzwecke 129 f.;
philosophische Hymnen 1 30 bis
137, 197; Brahma^as des A.
165 f.; Upanisads des A. 206 f.;
und Kausikas'utra 239.
Atharvaveda - Prätisäkhva - Sötra
242.
Atharvaveda-Upanisads 206— 209.
Athravan 104.
Atman 199, 201. 203, 216 f.,
225f , 361 f., 460; und Brahman
210 ff ; Etymologie und Bedeu-
tung 212. '
Atri, Rsi 52, 380.
Aufrecht, Theodor 20, 22, 104 A.,
143, 166 A., 450 A., 455 A.,
456_ A., 474 A.. 479, 481 A.
Avataras s. Visnn und §iva.
Avesta 38 A., '69, 104.
Ayasthüna 199.
Ayodhyä-Kä^da 410.
Ayusyäni süktäni 118.
32*
— 486 —
Badaraya^a 226.
Baka, der Riese 279 f.
Baladeva oder Balaräma oder
i-Räma mit der Pflugschar» 282,
285 f., 311, 317, 381 f., 384
bis 386.
Baladevahnika 386 A.
Baladevamähätm.yakathana 384 A.
Bäla-Kända 407."
Balaramä s. Baladeva.
Bali und Prahläda 365-
Bäna 36, 260, 395, 446, 463, 472 A.
Banayuddha 386 A.
Bandhu = BrähmaijLa 164 A.
Banen'ea, K. M. 467 A.
Bardendichtung 265, 320, 322,
340, 449.
Barlaam und Joasaph 352.
Barth, A. IX, 252 A., 263 A.,
318 A., 371 A., 387 A., 436 A.,
440 A., 459 A., 481 A., 482 A.
Baudhäyana 237 f., 254.
Baudhayana-Kalpasutra 232 A.
Baudhäyana-Srautasütra 238 A.
ßaudhäyana-Sulvasütra 238 A.
Baumgartner, A. IX, 404 A.,
408 A., 433 A.
Beichtformular 30.
Benfey, Theodor 2, 142 A., 303 A.,
312 A., 349 A., 350, .351 A.,
,352_A., 353 A., 354 A., 380 A.
Bengali 45.
Bergaigne. Abel 68 A.
Berge, geflügelte 190 f.
ßergopfer 382.
Besant, Annie 376.
Beschwörungen und Flüche 94,
108 f., 119, 122-127, 129, 133,
159 f., 331.
Bestattungsweisen s. Totenbestat-
tung.
Bhaga, ein Gott 83; 94.
Bhagavadgltä 10, 14- 1 7, 365—376,
380, 391, 455, 466, 478.
Bhagavat -= Visnu 365 A.
Bhägavata-Puräiia 320 A., 323 A.,
337 A . 389 A., 444 A., 448 A.,
449, 451, 454, 456 A., 457 A.,
458 A . 459 A., 463 A., 464 bis
466, 478 A.
Bhägavatas, Sekte 258 A., 366,
464 f.
Bhagavatl-Sainhitä 478.
Bhaisajyäni ll2.
Bhakti, «Verehrung' (des Visnu),
Gottesliebe 370—372, 371' A.,
466.
Bhandarkar, R. G. 394 A.
Bhanumatiharaijia 385 A.
ßharadväja, Rsi 52. ^
Bhäradväja 238; — Öiksä 243.
Bharata, der König 264, 319 f.,
400, 454; Legenden 459.
Bharata, Bruder des Räma 409 f.,
412-414, 420.
Bharata und Mahabhärata 264 A.,
271, 400 A.
Bhäratas oder Bharatas 264.
ßharatavarsa 458.
Bhartrhari 8, 17, 413 A.
Bhavabhüti 406, 473 A.
Bhavisyaparvan 387, 395 A.
Bhavisva(t)-Puräna 441 f., 473 f.,
479 'A.
Bhavisyottara- Purana 474.
Bhima275ff., 287 ff., 365, 432;
und Hidimba 278; und Hanumat
293, 328; trinkt DussäsanasBlut
310; tötet Duryodhana 311.
Bhisma 275, 284, 288 ff., 304 ff.,
337, 363.
Bhlsmaparvan 303 A.
Bhrgu, ein ßsi 336, 454 f.
Bhumikhagida 453.
Bhür bhuvah svar 162, 194.
Bibliotheken, indische 36.
Bihäri 45.
Bimbisära 402.
Biographie 3.
Blaquiere, W. C. 481 A.
Blau, August 458 A.
Bloomfield, Maurice 54 A., 95,
104 A., 124 A., 127, 130,
133 A., 146 A., 166 A., 233 A.,
239 A., 441 A.
Blutschande 91 f.
Bogenspannung 280 f. , 383, 410,
428, 438.
Böhtlingk, Otto 21, 207 A., 374.
Bopp, Franz 15 f., 325, 337 A.,
342, 408 A.
Böse, Shib Chunder 342 A., 473 A.
Boxberger, Robert 273 A., 352 A.,
367.
Bradke, P. von 233 A.
Brahmacarin 202, 233.
Brahmadatta 380 A.
Brahmajalasutta 401 A.
Brahmakaivarta-Puräna 474.
Brahmakhanda 453 A , 474.
Brahman, das, schöpferisches Prin-
zip, Weltseele 131 f., 134—136,
153, 162, 194—196, 202; das
heihge Wort 160, 196, 203;
Lehre von dem mit Atman iden-
— 487 —
tischen B. 208, 210 ff., 225 1,
373; Etymologrie und Grund
bedeutune 211 f.; Opfer an das
B. 234; Vereinigung mit dem B.
323.
Brahman, der Gott und Schöpfer
29, 33, 50, 152, 168, 221, 337
bis 340, 386, 387 A., 405, 409,
420, 422, 451, 453, 455 f., 460 f.,
467, 474 f.
— , Oberpriester 139—141, 161.
Brähmaiias des Veda 38, 42, 48 f.,
89, 105, 140, 146, 149, 151, 160,
163—196; Bedeutung des Wortes
164, 229 A.; Aufzählung 166 ff.;
ihre Zeit 169 f., 175, 248-250,
252, 256 f. ; religiöse und soziale
Verhältnissen 1 ff. ; Opferwissen-
schaft 175 ff., 196-198; ihr In-
halt 175 ff.; Erzählungen und
Legenden 181 ff., 259, 264, 336,
393, 399 f., 441; Schöpfungs-
legenden 191 ff.; und Araijyakas
202 f., 205, 222, 229; und Sütras
231 ff.; Upanisads in B. 256 A.
Brahmanaspati, Gott 88.
Brahmända-Puräna 444 A., 480.
Brahmanen (Priesterkaste) 29, 39,
95, 236, 265; die Götter der
Erde 107, 173 f.; Zauberlieder
im Interesse der B. 107, 129;
Geschenke an B. 134, 272, 348,
365, 422; B. und Könige bzw.
Kriegerkaste 186, 198-201,210,
280 f., 284,346 f. ; Verherrlichung
der B. 271, 346-349, 365.
Brahmanenmord 335.
Brahmanenschaft 297.
Brahmanenschinder 133.
Brahmanische Mythen und Le-
genden 265 f., 330-348, 353,
379, 403, 408, 422 f., 430.
Brahmanismus 50, 248, 258, 440 ;
seine Moral 360; Riten und
Bräuche 444, 461, 472-474,
478.
Brahma-Puräna 389 A., 451 f.
Brähma-Schrift 29.
Brahraavaivarta - Purana 339 A.,
444 A., 450 A., 474 f., 479 A.
Brahmävarta 170.
Brahma veda 141 A.-
Brähml-Samhitä 478.
Brahmodyas 160. 198, 296.
Brahmo Samäj 18 f., 376.
Brandes, G. 6 A.
Brautraub 285 f., 384.
Brhadaranyaka-Upanisad 56, 161
A., 168, 199, 201 A., 204 f.,
207 A., 215 A., 218, 219 A.,
220 f, 225 A.
Brhadasva 324.
Bi-haddevatä 243 f.
Brhadvisijupuräna 456 A.
Brhannäradlya-Puräna 466 1
ßi-haspati, Gott 88, 158.
—,Niti des 365; Gesetzbuch 441 A.
Brhat und Rathan tara, Melodien
133, 146, 158.
Brhatkathä 45.
Brunnhofer, H. 65 A., 81t, 96.
Bücher, geschriebene 31 f.
Buchstabenspiel 30.
Buddha 25 A-, 175, 261, 267, 402,
413 A., 434 f.
Buddha-Balladen 433.
Buddhacarita 418 A., 437.
Buddha-Legende 417 A.
Buddhismus 25 f, 45, 47, 175, 202,
220, 226, 248, 257 f., 396, 433 f.,
435, 440.
Buddhisten 43 f., 201, 261, 323 A.,
349, 352 f., 360, 362, 402 f.,
437; Missionäre in China 26;
über den Veda 50; sind Ketzer
225 A., 461.
Buddhistische Litteratur IX, 17,
20, 22, 25, 45, 225, 257, 441;
Kanon 29 f., 43 ; Mahayanatexte
32; und die Epen 297 A., 357 f.,
400—402, 436; b. Märchen und
Erzählungen 283 A., 343 A., 344,
352 f., 354 A.; b. Dialoge 348;
b. Sprüche 413 A.; b. Akhyänas
433 f.; b. Tantras und Puraijas
482 f.
Bühler, Georg 22, 28 A., 29, 31 A.,
35 f., 238 A., 252 A., 254 f.,
258, 394 A., 442 A., 446 A.,
474 A., 480 A.
Bürk, Albert, 238 A.
Burnell, A. C. 145 A., 239 A.
Burnouf, Eugene 19 f., 444 A.,
448 A., 450 A., 464 A., 465,
472 A.
Caland, Wilhelm 234 A., 238 A.,
239 A, 444 _A., 472 A.
Candi, Candlmahätmya 472 A.
Candisataka 473 A.
Candragupta, Gründer der Maur5'a-
dynastie 25 f., 402, 403 A.
— I. (Gupta) 445.
Cariyapitaka 353 A.
Cartellieri, W. 264 A.
Cäturmasya s. Jahreszeitenopfer.
488 —
Chandas 146 A., 229 A.
Chandogas 146 Ä.
Chändogya-Upanisad 49, 141 A-,
162 A., 200 A:, 201 A., 2041,
207 A., 209, 211 A., 213-217,
219, 222 A., 260 A., 391 A.
Ch6zy, A. L. 14 f., 452 A.
Chinesische Pilger 26 f., 482 A.
Christliche Einflüsse 370 A-, 37 1 A.
Chronologie der indischen Littera-
tur VIII f., 23-28, 248 f.
Cirakärin, Geschichte von 357.
Citrängada 269, 275.
Citrängadä u. Arjuna 285.
Code o{ Gentoo Law 10.
Colebrooke, H. Th. 11 f., 15, 17,
36, 465.
Cowell, E. B. 418 A.
Crooke, W. 406 A.
Cyavana, Legende von 333—335,
345.
Dahlmann, Joseph 260 A., 263 A.,
376 A., 392.
Daksa, ein Urvater des Menschen-
geschlechts 379, 451, 461.
Daksinä. "Opferlohn, Priesterlohn«
99; 129, 153, 158, 165, 173.
DamayantI 324—327, 429 A.
Dämodara II. von Kaschmir 407.
Dämonen 69, 108, 1201, 124 f.,
216 f.
Danadharma 365, 395.
Dänastutis 99 f., 130.
Dara Schakoh 18.
Darmesteter, J. 318 A.
Däsa 57 69.
Dasaratha 409-412, 415, 424.
Dasaratha-Tätaka 413 A., 433 f.
Dasyu 57, 69, 76.
Davids s. Rhys Davids.
Denkorgan s. Manas.
Deussen, Paul 41 A., 87 A., 88 A.,
95 A., 97, 101 A., 102 A., 131,
133 A., 135 f., 190 A., 194 A.,
200 A., 201 A., 202 A., 205,
207 A., 208 A., 209 A., 210 bis
213, 218 A., 220, 224 A., 227,
273 A., 338 A., 357 A., 358 A.,
360 A., 364 A., 365 A., 367,
376 A., 381 A., 407 A., 438 A.,
446 A., 459 A., 467 A.
Deutsche und Inder 6 f., 1 15—1 18.
Devas, »Götter« 69; und Asuras
171.
Devlbhagavata-Purä^a 465.
Devimahatmya 472 f.
Dhammapada 360 A.
Dhanaftiaya = Arjuna 401.
Dharma, "Recht und Moral« 236,
272, 297 A., 349, 362; Gott der
Gerechtigkeit u. Todesgott 275 f.,
298, 333, 339—341, 471.
Dharmasastras 364, 483,
Dharmasütras 51, 236—238, 243.
Dharma vyadha 358.
Dhartar, "Erhalter«, ein Gott 83.
Dhätar, -Schöpfer? 83, 136.
Dhrstadyumna 281 f , 303.
Dhrtarästra 262, 269, 275-277,
287 f., 290 ff., 301 f., 400 f.; sein
Ende 316 f.
Dhruva, Polarstern 252 f.: Le-
gende 379, 457, 466.
Dhyanayoga 455.
Diagramme 482.
Dialoge 210, 357 f., 360 ff., 459 f.,
469 ff.; s. Itihasasamväda.
Dichter und Zimmermann 99.
Dikshit, S. B. 252 A.
Ding-an-sich 215.
Dioskuren 68.
Drachenkampf 73 f.
Dramen 2, 36, 39, 44 f., 385 A.,
406, 432.
Draupadi, Gemahlin der fünf Pän-
davas 280 ff., 298 f., 301, 340,
365, 401, 432, 468: Raub der
D. 295 f., 328, 428.
Dravi<Jische Sprachen 46.
Droija 276, 284, 289. 292, 307,
309, 468 A.
Dronaparvan 307 A.
Drupada 280 ff., 300.
Dubletten 332, 335 A., 391, 428,
468 A., 471 A.
Duhsanta (= Dusyantä) 264, 400.
Duperron, Anquetil 18.
Durgä 381 A., 386 A., 398, 473,
475^ 477, 481.
Durgamahätmya 472 A.
Durgäpüjä 473.
Durjanamukhacapetikä, -mahäca-
petikä, -padmapädukä 465 A.
Durvodhana 275 ff., 280 ff., 290 ff.,
301 f., 311, 432.
Dussäsana 277, 289. 291.
Dusyantä 319 f.; s. Duhsanta.
Dutt, s. Manmatha Nath D. und
Romesh D.
Dvaipäyana 268 f.; s. Vyäsa.
Dvipadä Viräj, Metrum 55.
Dvivedi, M. N. 448.
Dyaus 66, 193.
Eckhart, Mystiker 227.
Eggeling, Julius 167 A., 172 A.,
489
450 A., 463 A., 464 A., 473 A.,
480 A., 481 A.
Ehe, Zaubersprüche bezüglich auf
122—124; Sprüche über die E.
321; E. der Draupadi 282 f.;
s. Brautraub, Gattenselbstwahl,
Kaufehe.
Ei, das goldene 194, 196; Brah-
man-Ei 480.
Einheitslehre s. Alleinslehre.
Einhornsage 343 A., 345.
Einladungsverse 141.
Einschachtelung von Erzählungen
270.
Einschläferungszauber 122.
Einsiedler s. Waldeinsiedler.
Ekasrnga 343 A.
Elternliebe 356 f.
Entsühnungsformeln 120.
Epen, epische Dichtung 2, 17, 32,
34, 44, 197, 248, 255; mündlich
überliefert 40, 424 ; ihre Sprache
40, 42, 435 f.; deren Anfänge
89, 197, 259ff., 270 A., 431;
Episches in den Brahmanas 181
bis 189; indische und griechische
E. 426 f.; ihr Alter 436 A.
Erdbeschreibung 451, 458.
Erde (Prthivi), Mutter, Göttin 66,
136 f., 155, 422, 438, 476; Rätsel
von der E. 160.
Erkenntnis als Heilsweg 222 ff.,
369 f.
Erlösung 362, 365. 371 f.; Er-
lösungslehre 364.
Erotik (Kämasästra) 4, 209 A., 384.
Erzählungslitteratur 244, 270.
Eschatologie 209; s. Himmel, Hölle.
Ethik 221 f., 266, 296 f., 358-362,
364 f., 369, 376 f.; s. Moral.
Etymologie 62, 128, 176 f., 191 f.,
229.
Evangelien 371 A.
Ezour-Vedam 12 A
Fabeln 2, 267, 348-350.
Fachschulen 229, 246.
Fachwissenschaftliche Litteratur
2f, 12.
Fa-hian 27.
Fasten 176. ^
Fauche, H. 273 A., 407 A.
Fausböll, V. 433 A.
Feuer, heilige 139, 158; Rätsel
vom F. 160; s. Agni.
Feueranlegung 166, 230.
Feueraltarschichtung, Feueraltar-
mysterium 151, 158, 168, 178.
Feuerbohrer und Feuerquirlung
156 f.
Feuerkult 79. 104, 150.
Feueropfer 182; s. Agnihotra.
Feuerpriester 104.
Fleet, J. F. 28 A., 437 A.
Florenz, C. A. 104 A.
Fluch, personifiziert 126; F. eines
Rsi 266, 276, 294, 31.3, 315,
3 17, 320, 322, 324, 333 f., 336,
407, 409, 411, 468, 472; s. Be-
schwörungen.
Flutsage 182 f., 336 f., 454, 478.
Forster, Georg 11.
Foucaux, Ph. E. 273 A.
Frank, Othmar 19.
Franke, R. Otto 353 A., 358 A.,
437 A.
Frauen, sprechen Dialekt in den
Dramen 39, 44 ; litterarische und
gelehrte F. 52, 199, 210, 348;
Stellung und Wertung der F.
.59 f., 179 f., 184 f., 189, 279,
288 A., 321, 421, 472; wie Hyä-
nen 91; Frau die Hälfte des
Mannes 179; die Tochter ein
Jammer 184, 279; freier Ge-
schlechtsverkehr 336; in den
Epen 340, 432; Tagenden und
Pflichten der F. 365, 385, 411;
Rämas »Mütter« 410 A.; vom
Veda ausgeschlossen 447; zur
Linken des Mannes 477 A.
Frauenriten 122.
Frauenschönheit 180.
Freigebigkeit, Lob der 100 f., 365.
Fritze, Ludwig 469 A.
Froschlied 95 f.
Fünf-Indra-Erzählüng 283 A.
Gänas 145 f.
Gändhäri 275, 291, 302. 314, 432.
Gandharvas 69, 90, 117 f.. 181 f..
189, 221, 292, 295, 298 f.
Gaijesa-Khanda 475.
Gangä (Ganges) 275; Herabkunft
der G. 409; tausend Namen 477.
Gangäsahasranaman 477.
Ganges 57, 107, 455; s. Ganga.
Garbe, R. 196, 201 A., 238 A.,
239 A., 258 A., 367, 371 A.,
372 A., .373 f., 375 A., 391 A.
Gargi, Philosophin 199.
Gärgya Bäläki 215.
Garhwäli 45.
Garuda, mythischer Vogel 331,
479'.
Garuda-Puräna 389 A., 449, 479 f.
— 490 —
Gäruda-Upanisad 209.
Gastfreundschaft 234, 461.
Gäthä, (epische) »Gesangstrophen«
43, 183, 186, 197, 259, 261, 401,
449;G.naräsamsi »Männerpreis-
lieder« 197, 26h 399.
Gäthadialekt 43.
Gattenselbstwahl (svayamvara)
280 f., 285 f.
Gattin 184, 321; s. Frauen.
Gautama, Vater des Övetaketu 200 f.
Gautama-Dharmasutra 32, 441.
Gautamasmrti 472 A.
Gayämähatmya 464 A., 479.
Gäyatri, Metrum 55 f., 133, 143,
158, 189.
Gebetbücher 138, 147, 149, 249.
Gebete 118 f., 122, 128 f., 139,
142, 148-163, 211f., 236 f.; s.
Manilas.
Geheimlehren 207—209, 222.
Geheimmittel 209 A.
Geier, Schakal und totes Kind,
Fabel 356.
Geiger, Wilhelm 46 A
Geist und Rede 188.
Geldner, Karl F. 60, 63, 65, 71,
89 A., 91 A., 98 A., 101 A.,
181 A., 261 A., 380 A., 462 A.
Genealogien 26"), 46 Ij 463, 467,
475, 478; genealogische Verse
s. Anuvamsallokas.
Geographie des Veda 56 f., 106 f.,
170 f., 254 f.; der Epen 432 f.;
der Purä^as 266, 451, 458, 473,
479, 481.
Geometrie 4, 236.
Gesandtenrecht 302.
Gesang 4, 141 ff.
Gesangbücher 138, 145.
Gesangstrophen 141 f.; s. Gäthäs.
Geschichtschreibung 3, 27.
Geschlechtsmoral 180, 309, 336.
Geschlechtsverwandlung. 303.
Gesetzbücher s. Rechtslitteratur.
Ghatajätaka 401 A.
Ghatotkaca 278, 293, 307.
Gita 366 A. ; s. Bhagavadgitä.
Gleichnisse 404 f.
Gobhila-Grhyasütra 139 A., 230,
233 A., 237, 239.
Goethe 11, 174 f.
Gopatha-Brähmaoa 166.
Gorresio, Gaspare 407 A., 425.
Götter, des Rigveda 66 f. ; ihre Ver-
ehrung 161. 184A.;indenBräh-
maijas 170 f., 176 f.; wurden er-
schaffen 1 95 f. ; und Asuras 2 1 6 f . ;
vergehen 225; alte und neue 327 ;
und Heilige 334 f.
Gotteserkenntnis 371.
Gottesliebe 370-373.
Grämageyagana 145.
Grammatik 3, 4, 7, 12, 32. 197,
229, 242, 246, 473, 479.
Grammatiker 29, 241.
Grassmann, H. 63.
Grhastha, »Hausherr, Familien-
vater« 202.
Grhyakarma^i , "häusliche Opfer
und Zeremonien» 139, 141 A.
Grhyasamgrahaparisista 233 A.
Grhyasütras 51. 93, ■l'39, 232 bis
240, 252, 438; Ausgaben und
Übersetzungen 233 A.
Griechen in Indien 25 f., 381, 396,
438, 440.
Grierson, G. A. 39 A., 436 A.,
437 A.
Griffith, Ralph T. H. 104 A.,
148 A-, 408 A.
Grill, Julius 103 A., 114 A.
Grimm, Jacob, 413 Ä.
Grtsamada, l^si 52.
Girube, E. 332' A.
Grundrifs der indo-arischen Philo-
logie 22 f.
Gruppenehe s. Polyandrie.
Gubernatis, A. de 327.
Gujaräti 45.
Gu^ädhya 45.
Gu^as, die drei 369.
Guptas, Dynastie 444 f., 463.
Haas, E. 235 A.
Haberlandt, M. 352 A., 354 A.
Halhed, N. B. 9 f.
Hallisa, ein Tanz 383 A.
Hamilton, AI. 12-14.
Hammer, Joseph v. 352 A.
Hamsadimbhakopäkhyana 388 A.
Handschriften 12, 14, 29—31, 35 f.
Hanumat, Affenkönig 293, 328,
405 f., 416 ff., 421, 428, 434.
Hanxleden, Pater J. E. 8.
Hara = äiva^ 386 A.
Karaprasäd äästri 483 A.
Hardy, Edmund 154 A., 401 A.,
440 A.
Hari = Vis9u 379 A., 386 A., 388.
Hariharatmakastava 386 A.
HarilTlä 465 A.
Hanscandra 184—186, 468 f.
Harivamsa 91, 268, 320 A., 323 A.,
350 Ä., 378-389, 391, 395, 398,
401, 406, 429; ein religiöses
— 491 —
Buch 387; ein Puräna 378 f.,
388 f.; H. und Puränas 440,
442, 462 f., 466, 473, 479.
Harivamsaparvan 379.
Harsacarita 446.
Hartmann. Franz 367 A.
Hastingfs, Warren 9 f.
Haug, Martin 95, 102 A., 166 A.
Hauvette-Besnault 464 A.
Hecker. Max F. 212 A., 226 A.,
227 A., 228 A
Hegel 16 f. ..
Heilige, ihre Übermacht 175, 335,
345
Heiligenlegenden 267, 342 ff., 354.
Heilzauberriten 112.
Heilzaubersprüche 112 ff.. 119 f.,
124.
Heine 7, 57, 346, 408 A. i
Heldengesänge 261 ff., 265 f.,
319 ff:
Hemädri 465 A.
Henrv, Victor IX, 104 A.
Herakles, der indische 381.
Herder 8, 11, 13. 366 A.
Hertel, Joh. 259 A-
Hesiod 133 A.
Hetären 39, 60, 343 A., 472.
Hidimbä 278, 293.
Hillebrandt, Alfred 53 A., 66 A.,
67 A., 68, 70, 74, 76 A., 144 A.,
146 A., 153 A., 154 A., 232 A.,
233 A., 239 A.
Himmel, Gott 120; im Rätsel
160; Himmelswelten 451, 453,
458, 476.
Hindi 45.
Hinduismus 440.
Hindustänl 45.
Hiob-Sage 469 A.
Hiranyagarbha = Brahman 447 A.
Hiraijyakesi-Dharmasutra 238.
Hira^yakesi-Grhyasütra 238 A.
Hiranyakesin 238.
Hirzel, B. 319 A.
Hitopadesa 10, 12, 17.
Hitz, Luise 217 A., 224 A., 327 A.,
342 A.
Hiuen-Tsiang 27, 36.
Hochzeitsrituell 93, 184 A., 234 f.,
240. 252 f., 461, 473.
Hochzeitssprüche 78, 93 f., 106,
122 139 253
Hoefei-, Albert 342 A., 349 A.,
409 A., 452 A.
Höllen 318, 449, 451, 458, 469
bis 471, 476.
Holtzmann, Adolf (der ältere)273 f..
322 A., 324 A., 326 A., 331 A..
342 A., 343 A , 344 A., 410 A..
411 A., 413 A.
Holtzmann, Adolf (Neffe des vor-
hergehenden) 262 A., 263 A.,
264 A., 305 A., 327 A., 336 A.,
378 A., 389 A , 391 A., 394,
398 A., 428 A., 442 A., 457 A..
463 A., 466 A.
Homer 427, 438.
Hopkins, E. Washburn 56 A.,
252 A., 263 A., 328 A., 333 A.,
376 A., 391 A., 393 A., 394 A,
395 A., 396 A., 400 A., 403 A,
429 A., 431 A., 440 A., 442 A^
463 A.
Hörn, Paul 341 A.
Hotar, Priester 78, 139 A., 140 L
142 A., 168, 186 f. .
Hrsikesa SästrI 476 A.
Hubert, H. 233 A.
Hultzsch, Eugen, 28 A.
Humboldt, Wilhelm von 16 f., 366t,
370 A.
Humor 322, 325, 343 ff.
Hunnen 445.
Idä, Manus Tochter 183; s. H.a.
Identifizieren 177.
Ikarus 416 A.
Iksväku, König 379, 461.
Uä (IIa, Hä) = Idä 422, 461.
Incubi und Succubi 117.
Indogermanisch 4 — 6, 37, 46 f., 61,
66, 74, 84, 94, 118, 174, 235,
247.
Indo-iranische Grundsprache 38.
Indra, im Veda 67, 70, 73 ff., 84,
86 f., 97, 99, 191, 198, 216 f..
222 u. ö. ; sein Kampf mit Vrtra
73 f., 335, 355, 422, 439; gröfser
als die Erde 160; sein Name
177; im Epos 276, 283 A.,
292 ff., 323 f., 334 ff., 416 A.,
420 f., 423; in der Krsna- Le-
gende 382, 384; I.s' Himmel
424 A.; in den Puränas 453,
457, 461 f., 467, 469, 471 A.
Indrajit 419 f., 432.
Inschriften 10, 12, 26 ff., 43,
394 f., 437 A.
riä-Upanisad 154, 206, 226 A.
Isvaragitä 478.
Isvarastuti 388 A.
Itihäsa HO A., 181, 189, 195, 197,
259 ff., 266, 271, 348,354, 357,
362, 393, 399, 441, 447.
Itihäsalitteratur 261, 263, 430.
492
Itihäsapuräna 109 f , 260 f.
Itihäsa-Samväda 348 f., 351, 357 f.,
362.
I-tsing 27.
Jabälä 200.
Jäbäla-Upanisad 459 A.
Jäbäli, Ketzer 413.
Jacobi, Hermann 40 A., 250 ff.,
258, 262 A., 263 A., 267 A.,
328 A., 337 A., 393 A., 397 A.,
401 A., 404 A., 408 A., 409 A.,
413 A., 414 A., 417 A., 418 A.,
421 A., 426 f., 428 A., 429,
431, 433 A., 434 A., 435 A.,
436, 438 A., 439.
Ja^abharata 459, 469 A.
Jäger und Tauben, Fabel 354.
Jahn, Wilhelm 457 A., 474 A.
Jahr, Rätsel vom 102: = Prajä-
pati 178.
Jahresanfang 254.
Jahreszeiten, fünf 194.
Jahreszeitenopfer (Cätunnäsya)
150, 166, 180, 232, 234.
Jaimini 468.
Jaiminiya - (Upanisad-) Brähmana
167, 204, 333—335 A.
Jaina-Mahärastri 44.
Jaina-Präkrit 44.
Jainas, Sekte 22, 44, 258, 323 A.,
352, 354 A., 360, 401 A., 461 ; ihre
Litteratur22, 25,44, 261,283 A-,
349, 362, 402 f., 436, 446 A.;
Purä];ias 482 f.
Jäjali und Tulädhära 358 ff.
Jamadagni, Rsi 348.
Jambudvipa 458.
Janaka, König 198, 348, 357, 410,
438, 471 A.
Tanamejaya 270, 313, 331, 378 f.,
* 387, 390, 400, 442.
Japan, Handschriften in 35.
Jätakas.buddhistischeErzählungen
343 A., 345, 353 A., 358 A.,
401, 402 A., 433 f.
Jeläl-ed-din Rümi 352. ,
Jinistische Litteratur s. Jainas.
Jelly, JuUus 441 A., 465 A., 480 A.
Jones, William 10 f., 13.
Jungbrunnen 182 A., 333 A.
Jyotisa-Vedänga 229 A., 245 f.
Kadrü und Vinatä 332.
Kaegi, Adolf 63 A., 64
Kaikeyi 409 f., 412, 432.
Kailäsa, Götterberg 293 f.
Kailasayätra 388 A.
Kala, »Zeit« 132; Schicksal 355 f.
Kalhanas Räjatarangini 366,
407 A., 445, 448 A.
Kälidäsa 10 f., 24, 26, 57, 91, 308,
319 f.. 406, 432. 454.
Kälikä-Puräna 481.
Kalilah und Dimnah 352.
Kaliyuga 444 f., 446 A., 452, 462,
466.
Kalpa, .Ritual. 197, 229, 232,
451, 476.
Kalpasütras 50, 232, 236 ff.
Käma, »Begierde, Sinnenlust« 87,
272 A.; Liebesgott 123, 384 A.,
453.
Kämasästra s. Erotik.
Kamsa 381, 383.
Kaiiaresisch 46.
Ka^du, Legende von 452.
Kaniska 36, 437.
Ka^Va, Rsi 52.
Känva-Schule 148, 168.
Kanväyanas 462.
Kapila 374 A.. 466
Kapisthala-Katha-Samhitä 148.
Kärikäs 240.
Karman, »Tat, Schicksal« 220 f.,
354 ff., 376 f., 470 f.
Karna 276 f., 281, 289 ff., 294 f.,
30'2, 306, 309 f., 315, 432.
Kar^aparvan 309 A-
Kärttikeya, Kriegsgott 408.
Käslkha^da 476.
Käsimähätmya 478 f.
Kasmirl 45.
Kasten 59, 107, 173, 190, 230,
236, 363, 444, 454, 461.
KaSyapa 124, 387 A. ; K. Naidhruvi
169 A.
Käthaka 91, 148^ 332 A., 400.
Käthaka-Grhyasutra 238
Käthaka-oderKatha-Upanisad 162,
205, 207 A., 223.
Kathakas 448 A.
Kathasaritsägara 91.
Katha-Upanisad s. Käthaka-U.
Kätyäyana 242 f.
Kätyäyana-ärautasütra 238.
Kätyäyana-Sulvasütra 238.
Kaufehe 184 A., 286.
Kauravas 264, 274 ff.. 280, 287 f.,
389 ff., 397.
Kaurma-Purana 477 f.
Kausalyä 409 ff., 424, 432.
Kausikasütra 112, 122, 239,439 A.
— 493
Kausitaki-Ärai?yaka 204.
KausIUki-Brähmaija 166, 198,204.
Kausitaki-Upanisad 201 A., 204 {.,
209, 215 A., 222 A.
Kavasa, ^si von niedriger Her-
kunft 199*.
Kavya, »Gedicht« 267; höfische
Kunstdichtung 393, 404, 431,
437; s. Kunstdichtunjr.
Keith, A. B. 437 A., 483 A.
Kellner. H. C 326, 327 A., 342 A.
Kena-Upanisad 204 f.
Kern, H. 482 A.
Keulenkampf 311, 317.
Keuschheitsgelübde 275 f., 284 f.
Khädira-Grhyasütra 239.
Khila 152,' 378.
Kicaka 298 f.
Kielhorn, Franz 22, 28 A.
Kind und Eltern 184, 320 f., 360.
Kindertötung 184 A.
Kirata, Ariunas Kampf mit dem
292.
Kirätärjunlya 12.
Kirste, J. 238 A., 264 A.
Kiskindhä-Kända 416.
Klemm, Kurt 167 A.
Knauer, Friedrich 233 A., 238 A.
Kommentare 4, 34, 231, 424 A.
Komposita 231.
Könige, Zauberlieder für 127 f.;
Opfer der K. 150 f.; K. und Brah-
manen 223, 330; Pflichten des
K. 363, 479.
Königslisten 444 f., 461, 479.
Königsriten 129.
Königswahl 128.
Königsweihe (Räjasüya) 107, 128,
150, 155, 166, 186 f., 287, 295.
Konow, Sten 239 A.
Kosmologische u. kosmogonische
Mythen 266, 364, 453 ; s. Schöp-
fungslegenden.
Krankheiten u. Heilzauber 94,
112-118, 121, 209, 234.
Krankheitsdämonen 112 ff.
Kriegerkaste 59, 128, 186, 198 ff.
Kriegerpflicht 285.
Kriegskunst 473.
Kriegszauberlieder 128.
Kriyäyogasära 455.
Krpa 276, 289, 292^ 310, 312.
Ki-sna, Freund der Pandavas 282 ff.,
292, 294, 300 ff.. 367 f., 389 ff.,
397; von Gändharl verflucht,
sein Untergang 315, 317; In-
karnation des Visuu 366 A.,
378, 380, 391, 473, 479 A-;
Held, Weiser und Gott 368 ff-
391; Legenden von K. 380 bis
386, 388, 391, 401, 452. 462,
466, 475; Schöpfer 474 f.; K.-
Epos 387; K.-Kult 397, 401 A.,
474 f.
Krs^a Dvaipäyana Vyäsa s. Vyasa.
Krsnä, Name der Draupadi 280 f.,
2'8'3 A.
Krsnajanma-Khaijda 475.
Ksemisvara 469 A.
Kübera, Gott 292-294.
Kuh, 57 f, 192; heilig 58, 133,
160; Mysterium der K. 134: K.
schenken 158, 347 f.
Kuhn, Adalbert 118.
Kuhn, Ernst 352.
Kuiarnavatantra 481.
KuUüta 441 A.
Kalt u. Zauber 108 f., 139; s.
Opfer.
Kumaöni 45.
Kumära, Kriegsgott 408.
Kumärila 446.
Kunstdichtung, Kunstepos 2 f.,
308 A., 320,^87 A., 404 f., 416 A,
417 A., 424, 431; s. Kävya.
Kuntapahymnen 130, 400.
Kunti 275 ff., 286, 291, 301 f., 317,
340, 432.
Kürma-Puräna 450 A., 477 f.
Kuni 264. " *
Kuruiden, Kuruinge, s. Kauravas.
Kuruksetra 170, 181, 264, 303.
Kurupäficälas oder Kurus u. i*an-
cälas 170, 400.
Kusa und Lava 262, 421 f., 424.
Kusilavas, fahrende Sänger 262,
421 A.
Lainga-Puräna 475.
Laksmana 409 ff.. 419 ff., 423 A...
•432. ■
LaksmT oder Sri, Glücksgöttin
283 A., 332, 457, 475, 480.^^
Langbedacht, der Jüngling 357.
Langlois, S. A. 378 A.
Lankcä 414 ff.
Lassen. Christian 20, 23.
Lätyäyana-Srautasutra 239.
Laütenspieler 259 f.
La Vallee Poussin, Louis de 482 A.,
4«3A.
Lebensorgane s. Prä^a.
Lebensstufen s Äsramas.
Lebensziele, drei 272 A., 364.
Legenden 364; s. ßrahmanische L.
Lehrer und Schüler 33, 203 f., 208,
— 494
210, 216 A., 221 ff., 231, 233 f.,
347, 460.
Lehrerstammbäume (Vamsas) 169,
200 A., 249, 257.
Leichenzeremonien s. Totenbestat-
tung.
Leist, B. W. 235 A.
Lenau, Nikolaus 7.
Leumann, E. 458 A., 483 A.
L6vi, Sylvain 163 A., 180 A.,
386 A.
Levirat 269, 275.
Lexikographie 3, 245 A.
Liebe zu allen Wesen 175, 359.
Liebesgott s. Käraa.
Liebeszauber 122, 209, 234.
Liebeszauberlieder 122 — 124.
Lindner, B. 166 A.
Linga (Phallus) 473, 475, 477.
Linga-Purajpa 475.
Litterarisches Gemeingut 26 1, 402,
413 A.
Liturgische Samhitas 142.
Lobedanz, E. 326 A.
Logos 212 A., 227.
Lomaharsana 270, 442, 447 f., 451.
Lomasa, Rsi 293, 345.
Lorinser, *F'r. 367, 370 A.
Lotosblume 57.
Lüders, Heinrich 243 A., 260 A.,
342 A., 343 A., 345 A., 355 A.,
398 A., 401 A., 402 A., 408 A.,
433 A., 434 A., 443, 453 A.,
454 A.
Ludwig, Alfred 52 A., 54, 63,
100 A., 103 A., 229 A., 250,
, 256 A-, 263 A., 264 A., 322 A.,
328 A., 390 A., 400 A.
Lustrationsrituell 130.
Lyrik 2, 44.
Macdonell, A. A. IX, 68 A., 243 A.^.
252 A.
Mada, der Rausch 335.
Mädhava 476 A.
Mädhava u. Sulocana 455 A.
Madhusudana SarasvatT 226 A.
Mädhyandina-Scbule 148, 168.
Mädri 275 f., 298.
Magadhas, Sänger 262 A.
MägadhI 43 f.
Mahäbhärata 2, 10, 14-16, 24,
259 A., 261-^3, 441 A., 482 A.;
öffentlich vorgelesen 41, 395 f.,
401 A.; ist eine ganze Litteratur
263 ff., 272 f.: Litteratur über M.
263 f. A. ; alte Heldendichtung
im M. 265, 319 ff ; brahmanische
Mythen und Legenden im M.
265, 330-348; Abschnitte über
Recht und Philosophie 266, 362
bis 377; M. und Puränas 266
440, 442 f., 453 f., 457', 462 f.
466-469, 471 A., 472 A., 479
Visnu und Siva im M. 266 f.
As'k'etendichtung im M. 267
ist Dichtung und Lehrbuch
267 f., 388, 430 f.; die Parvans
des M. 268, 287 A., 291 A.,
298 A., 300 A., 303 A., 307 A.,
309 A., 310 A.. 312 A., 313 A.,
315 A., 316 A., 317 A., 318 A.,
363 f. ; Alter u. Geschichte des
M. VIII, 268, 389—403; Um-
fang 268, 271, 319 A., 395;
Vyasa der Verfasser 268 ff.,
447; enthält fast durchwegs
Reden 270; Rahmenerzählung
270; Lob des M., Heiligkeit
271 f., 379, 388, 468; Haupt-
erzählung 273—319; Überset-
zungen 273 A., 274 A.; Zusätze
u. Einschiebungen 274, 283 A.,
305 A., 306 f. A., 308 A., 310 A.,
314 A., 328, 341 A., 373 f^ 398 f.,
403; schmutzige Geschichten im
M. 342; aus dem Päli Übersetzt?
345 A.; die Bücher XII u. XIII
348, 350, 362-365, 395; Fabeln,
Parabeln und moralische Erzäh-
lungen 348— 362; M. u. Hari-
vamsa 378 f.; seine historische
Grundlage 390, 399 f.; Wider-
sprüche 391 f.; Sprache, Stil u.
Metrik 393 f.; angebliche Um-
arbeitungen 394, 396; Hand-
schriften 395 f.; Rezensionen
395 A., 398 f.; Ausgaben 398;
M. und Rämäyana 404 f., 408,
413 A., 414 A., 421-424, 426,
428—433, 438 f.; gehört dem
Westen Indiens an 432 f.
Mahäbhäsya 32, 147 A.
Mahadevästavana 384 A.
Mahäkävya 387 A.
Maha-Naraya^a-Upanisad 204 f.
Mahäprasthänikaparvan 317 A.
Mahäpurä^as 444 A.
Mahäpurusastava 387 A.
Mahärästri 44.
Mähätmyas 451 f., 455 f., 464, 467,
473-483.
Mahavyahrti 162.
Mahidäsa Aitareya 166.
Maiträyana-Upanisad s. Maitraya-
9iya-Up.
— 495 —
Maiträvanl-Samhitä 49, 148, 159,
162 A.; 1901, 238.
Maiträyaaiya-Upanisad 206, 224 i.
Maitreya '456.
Maitieyi 1^)9, 218.
Majer, Fr. 360 A., 465 A.
Malatimadhava 473 A.
Malayalam 46.
Manas, »Denkorgan« 131, 219.
Mänava-Grhyasütra 233 A., 238.
Mänava-§rautasutra 238 A.
Mandalas des Rigveda 51 f., 242.
Ma^davya, Legende von 402 A.
Mändhätr, Geburt des 462.
Mandlick, N. N. .453 A.
Mäi;idukya-Tjpanisad 206.
Manen (Pitaras, »Väter«) 85 f.,
184 A., 320, 380, 478.
Manenopfer s. Sraddhas.
Maijicüdävadäna 483 A.
Maftjuni-Puräjga 476 A.
Manmatha Nath Dutt 273 A.,
408 A., 456 A.
Mann im Brunnen 351 f.
Männerpreislieder 261; s. Gäthä.
Mantik 4.
Mantrabrahma^a 237.
Mantrapätha 237.
'Mantraperiode«' 249.
Mantras 38, 42, 148 f., 163, 165,
236 f, 481 f.; s. Gebete.
Manu, erster Mensch 182 f., 337,
339, 443, 451, 454, 4601.
Manus Gesetzbuch 11, 13 f., 17,
59, 129, 174 A., 262 A., 323 A.,
340 A., 364, 441 A., 474.
Manvantaras 443, 460.
Maräthl 45.
Märchen 2, 6, 267.
Märkandeya 328. 340 A., 365,
467 f." ■
Märkandeva-Purä^ 467—473.
Maruts, Sturmgötter 66, 68, 72 A.,
81 f., 120, 158.
Mätarisvan, Windgott 88, 158.
Matsya-Puräija 337 A.. 444 A.,
445 f., 450 A., 456 A.,478f., 480.
Matsvopäkhyana 337 A.
Maurya-Dvnastie 25 f., 403, 444 f.,
462.
Mausalaparvan 317 A., 401.
Mauss, Marcel 233 A
Medizin 4, 113, 473, 479.
Me^asthenes 25, 248, 381.
Meier, Ernst 79 f., 326, 342 A.
Melodien s. Saugweisen.
Menander 26.
Menrad, J. 408 A.
Mensch und Gott 174 f.; M. ge-
schaffen 194; M. = Geist 368;
s. Purusa.
Menschenopfer (Purusamedha)
152 f., 167 f., 175 A., 185 ff., 473.
Merkel, J. 342 A.
Merseburger Zauberspruch 111.
Meru, Götterberg 458.
Metren 55 f., 157 ff., 243.
Metrik 4, 54-56, 229, 245, 393,
435, 473, 479.
Mettä 359 A.
Mey^r, Rudolf 244 A.
Michelson, T. 437 A.
Mihirakula 445.
Milch, Wunder der 58, 192.
Milinda 26.
Milindapafiha 26, 297 A.
Mithra 67.
Mitra 67, 71, 83, 88, 120, 123,
422.
Mittelindische Sprachen 37, 42
bis 45.
Mlecchasprache 277.
Moksa, »Erlösung. 272, 362.
Moksadharmanusäsana 364 A.
Mommsen, Th. 104 A.
Mönche, buddhistische 30.
Mond 53, 160, 230 f.
Monddynastie 380, 444, 461, 479.
Monier- Williams, Monier 264 A.,
273 A., 475 A., 481 A.
Monismus 228.
Moral, im Rigveda 100 f.; in den
Brähma^s 180 f.; in den Upa-
nisads 221 f.; s. Ethik, Spruch-
dichtung.
Moralische Erzählungen 267, 348,
350, 352-362, 468-472.
Morgenröte 81 f., 90, 93.
Mrgärasuktäni 120.
Mrtvu, »Tod» 355.
Müdgala, der Asket 354.
Muir, John, 273 A., 346 A-, 469 A.
Mukhopädhyäya, Nilmaiji 478 A.,
480 A., 483 A.
Muktäphala 465 A.
Muktikä-Upanisad 207 A.
Müller, F. Maxl9 f., 28, 60, 63 A.,
85 A., 86 A., 1 63, 197 A., 203 A.,
207 A., 232 A., 242 A., 248 bis
250, 254, 257.
Müller, F. W. K. 345 A.
Mundaka-Upanisad 206, 229 A.
Mündliche Überlieferung 28, 30 f-,
182 A., 203 f., 231, 256, 262,
397, 424.
Musik 4, 147.
496 -
Mutter 283 A., 296, 320.
Mutterliebe 357.
Mutternamen 169 A., 200 A,
Mystik 131 ff., 146, 151, 153,
162 f., 204, 227.
Mythologie, vergleichende 1 1 ; des
Veda 66 ff.
Nacht, Erschaffung der 190.
Naciketas 223 f., 347 f., 476,, 480.
Nada Naisidha 326.
Nägapaficämffest 474.
Nägari-Schrift 29.
Nagas, Schlangendämonen 285,
325, 382, 42C 454, 458.
Nahusa 294, 324, 335, 380, 422.
Naipa'li 45.
Naksatras 250 f.
Nakula 276, 287 f., 291, 296.
Mala u. Damayanti, Nalalied 15 f.,
324-328, 385, 429 A.
Nala, ein Affe 419.
Nalopäkhväna 324 A.
Nanda-Dynastie 402, 444, 462.
Närada 184, 284, 291, 330, 338,
381, 384, 441 A., 466.
Närada-Purana 466 f.
Närada-Upapüräna 467.
Narakas 458; s. Höllen.
Narakavadha 384 A.
Narä^amsi s. Gäthä N.
Näsiketöpäkhyäna 480.
Nästika, »Nihilist« 413 A.
Naturgefühl 7.
Naturschilderungen 404 f., 412 A.,
416 f., 424.
Negelein, Julius von 439 A.
Nepal,Handschrif ten in 35 ; Sprache
45.
Neuindische Sprachen 37, 45 f.
Neu- und Vollmondsopfer 150, 166,
176, 232, 234.
Nichtseiende, das, s Asat.
Nigadas 142 A.
Nighantus 62, 244 f.
Nihilist' 413.
Nilakantha 398.
Nilamata-Puräna 480 f.
Nirukta 62, 22"9 A., 244 f.
Nirvana 354.
Niti, >- Lebensklugheit, Politik* 349,
362 f., 365, 473.
Nonnen, buddhistische 30, 39.
Nötenbezeichnung 145.
Ochs als Schöpfer 134.
Oertel, Hanns 167 A., 204 A.
Offenbarung 48, 50 f., 227, 447.
Oldenberg, Hermann IX, 30 A.,
52 A., 63 A., 64 f., 68, 70 A.,
73 A.. 76 A., 85, 89, 91 A.,
100, 1 10. 143 A., 153 A., 154 A.,
191 A., 203 A., 208 A., 233 A.,
239 A., 252 A., 255, 261 A-
332 A., 433, 435.
Om, heilige Silbe 162, 186. 208 A.,
209.
Oman, J. C. 406 A.
Omina und Portenta 120 f., 234,
290, 419, 473, 479.
Opfer 58 f., 63 f., 147, 232 ff., 360 f.,
375 f., 46 1 , 472 ; und die vedischen
Samhitäs 138-142, 148 f.-, und
die Priester 140 f.-, Einteilung
u. Aufzählung 150 A., 150 bis
160; Speiseopfer 150 A.. 166;
ungeheure Bedeutung der O.
171—173, 17.5, 177 f., 211; für
Zauberzwecke 181, 209; fünf
grofse O., häusliche O 234; das
wahre O. 359 f.
Opferfeuer 77 f.
Opferformcln u. Opferrufe 155 ff.,
162.
Opfergesänge 65, 79, 82-84, 95,
<-)9, 103, 110, 129 f., 249.
Opferlohn s. Daksinä.
Opfermystik 153,' l60, 203; 205,
209. "
Opferpriester 77, 139 ff.
Opferverse (väjyäs) 141.
Opferwissenschaft 140, 164 f., 169,
181, 196-198, 201, 222.
Ostturkestan, Handschriften in 1^
35.
Oupnek'hat 18. 207 A., 228.
Ozean-Quiflung 332, 409, 457,
477.
Pada-Päthas 241.
Padas, »Vers viertel' 54 f.
Paddhatis 240.
Padma-Puräna 344, 389 A-, 443,
452—455, 471 A., ^83.
Paippaläda-Rezension des- Athar-
vaveda 105 A.
Paisäci 44 f.
Päli 38, 43, 435 f.
Pälilitteratur 20, 435.
Päli Text Society 22.
Palmblätter 3,^ f.
Paficälas 170, 280, 284.
Pancaratras, Sekte 258 A.
Pancatantra 2, 354.
Paficavirasa-Brähmaua 166 f
Paficendi'opäkhyäna 283 A.
— 497 —
Pän(Javas 274 ff. passim, 389 ff.,
397, 400 f.: ihre Herkunft 275 f.,
462; ihre Heirat 282 f., 391, 468;
ihre Verbannung 290 f.; ihr
Waldlebeu 291-298; am Hofe
des Viräta 298 ff.; im Kampfe
mit den Kauravas 303 ff.; ihre
letzte Reise 317 f.
Panda va-Sage 429, 432.
Pä^du 269, 275 f., 400.
Pänini 12, 39, 41 1., 62. 246. 400.
4*02.
Panjabl 45.
Pantheismus 6, 108, 228, 373.
Paoli, Betty 470 A.
Paoliao de St. Bartholomeo 8 f., 13.
Papier in Indien 36.
Parab. K. P. 425 A.
Parabeln 267, 348, 350-352, 364.
Paräsara 268, 456.
Paraskara-Grhvasütra 233 A., 238,
260 A.
Pargiter, F. Eden 446 A., 467 A.,
468, 473 A., 483 A.
Pärijataharana 384 A.
Pariksit 313,' 331, 400.
Parisistas 240.
Parjariya. Regengott 67, 81, 95 A.,
119, 152.
Parvans s, Mahäbharata.
Paui^drakavadha 388 A.
Pätäla, Unterwelt 458.
Pätälakhanda 453 A., 454.
Pataftiali :i% 39, 147, 230.
Pathaka. P. Y. 242 A.
Päthakas 448 A.
Pativratämahätmya 340 A.
Paul, A. 462 A.
Pauranikas 261.
Pauskäraprädurbhäva 387 A.
Pauslikäni 1 19.
Pavoiini, P. E. 273 A.
Peiper, C. R. S. 367
Pessimismus 224 ff., 463.
Pferdeopfer (asvamedha) 1 5 1 L, 1 60,
168, 259, 315 f.. 409, 421.
Phallus s. Linga.
Philosophenschulen 206.
Philosophie 31, 12. 50, 226; im
Rigveda 86—88: im Atharva-
veda 130" 137. 197; der Upani-
sads 206, 207 A., 209 ff.; im
Mahäbharata 266, 364 ff., 376.
Phonetik 32, 197, 229, 240-243.
Pingala 245.
Pingalä, die Hetäre 348 A., 358.
Pisäcas 44, 116 f.. 361.
Pischel, Richard X, 44 A., 60, 63,
65. 191 A., 337 A.
Pitaras 69; s. Manen.
Pitrkalpa 380 -A.
Plato 210.
Poetik 4, 473.
Polarstern 225. 252 f., 254; s.
Dhruva.
Politik s. Niti.
Polyandrie 281-283.
Polytheismus 67; s. Götter.
Pradyumna 384—386.
Pradyuranakrta - Durgästava 386
A.
Pradyumnottara 386 A.
Pragätha 143.
Prahläda 365, 453, 458, 466.
Prajäpati 56, 68, 87 f., 131 f., 153,
158, 171, 178, 188. 190-196,
216 f., 219, 221 f.
Präkrit 40, 44, 436.
Prakrti, Urmaterie 474.
Prakrti-Kha^da 474 f.
Pramadvarä u. Ruru 332 f.
Prä^a, »Lebensodem« u. Prä^as,
»Lebensgeister«, philosoph. ter-
mini 131 f., 195, 217 A., 220;
Rangstreit der P. 218 f.
Prasna-Upanisad 206, 207 A,
Pratardana. König 198.
Prätisäkhyas, 34, 241-243.
Pravargya 153 f., 168.
Prayägamähätmya 478 f.
Prävascittas s. Sühnezeremonien.
Prayogas 240.
Pretakalpa 479.
Priester 32, 59, 139-142, 160 f.,
181; und Sänger 70; und
Zauberer 1 08 f . ; und Krieger
(Könige) 198—201, 210, 346;
Geschenke an P. 330; s. Brah-
maxien,
Priesterherrschaft 257.
Priesterkaste 173 ff.
Priesterlohn s. Daksina.
Priestermoral 349.
Friesterphilosophie 203, 212.
Priesterschulen 203 i.
Prophezeiungen 462, 466, 473.
Prosa und Vers 3, 142, 183; P.
der Upanisads 205 f.; der Sütras
230-232;' der Brahmanas 231 f.
Prosaerzählungen 2.
Prosaformeln 142, 431.
Protagoras 133 A.
Protap Chandra Rov 273 A., 398 A.
Prthä = Kunti 275.
PrtbivT s. Erde.
— 498
Prthu, erster Könie 379.
Prthüpäkhyana 379 A.
Psychologie 219, 364.
Punyakavidhi 384 A.
Pufänas 27, 32, 142, 149 A. 332,
346', 349, 381 A., 402, 413 A-,
416 A., 421, 423, 431 A.; in
den Brähmax?as 181, 189, 197,
259 ff., 399; Bedeutung des
Wortes P. 189 A., 441-, P. u
Mahäbhärata 266, 392 f., 405
Vyäsa der Verfasser 268, 404
Harivamsa u. P. 378 ff., 388 f
Sprache, Stil u. Metrik 393
449; vonSütas überliefert 397,
ihre Stellung in der Litteratur
440-449; ihr Alter VIII, 440 ff. -
ihr sektarischer Charakter 440
444; ihr Inhalt 442; achtzehn P
443, 446 f., 450 f., 454, 460, 465
Definition 443 f., 456, 477 f.
göttlichen Ursprungs 447—449 ,
Übersicht über die P.-Litteratur
450-483.
Purandhi, Göttin der Ftille 83.
Purohitas 59, 78, 127, 129, 266.
Püru, Yayätis Sohn 322 f., 453.
Purüravas 324, 422; und Urvasi
90 f., 156 f., 181 f., 380, 449,
454, 462. , ^ ^^
Purusa 153, 161, 178 A., 190,
195, 215-217.
Purusamedha s. Menschenopfer.
Purusasükta 153, 190.
Püsan, Gott 67, 83, 94, 156 f.
Pusyamitra 26.
Putrikä, -Sohnestochter« 285 A.
Rädhä 466 A., 475.
Räghava = Räma 411 A.
Raghuvamsa 454.
Raikva, der weise 199 f.
Raivata, ein König 461.
Räjadharmänusäsanaparvan 36oA.
Räiakarmäni 127.
Räjasüya s. Königsweihe.
Räjatarangiijii s Kalhana.
Räjeudraläla Mitra 244 A.
Räksasas (Raksas), teufl. Wesen,
meist auch Riesen 69, 116 f.,
278 f., 293, 414 f., 418 A., 419 ff.,
' 424, 434.
Räma, Held des Ramaya^ 262,
404 ff passim, 438 f.; im Mahä-
bhärata 328, 428; Inkarnation des
Visnu 407, 409, 422 f., 427 f.,
473; 476, 480; im Jätaka 433 f.;
seih Charakter 435.
Räma mit der Pflugschar s. Bala-
deva.
Räma-Sage 428 f., 438 f., 454, 480.
Rämänuja 202 A., 207 A., 226,
446 f., 455, 465.
Rämänujas, Sekte 455.
Rämapürvatapaniya-Upanisad
438 A.
Rämäyana 2, 14 f., 24, 261-263,
332, 344, 346, 404-^440; und Ma-
häbhärata 293, 328, 404 f., 408;
dramatisiert 386 A., 406 ; dient der
Verehrung des Vis^u 266, 388 ;
Sprache, Stil und Metrum 393 A.,
423, 431, 435, 437 A.; Rezita-
tionen desR. 401 A., 406, 421;
Volksepos und Kunstdichtung
404—407; Heiligkeit, Verdienst
des Lesens und Abschreibens
des R. 407, 424 f.; Inhalt 407
bis 422; ein romantisches Epos
417; Echtes und Unechtes im
R. 414 A., 423-427, 439; Kom-
mentatoren 424 A.; Rezensionen
und Ausgaben 425 f.; Rückert
über R 426 f.: Alter des R. VIII,
427—440; gehört dem östlichen
Indien an 432 f.; R. und Buddhis-
mus 433-435; und Veda 438 f.;
und Puränas 440, 454, 473, 478
bis 480.
Räm-carit-manäs 406.
Räm Lila 406.
Rammohun Roy 18 f.
Rämopäkhyäna 328 A., 428.
Rämottaratapaniya-Upanisad 438
A.
Rapson, E. J. 437.
Rasa, ein Tanz 383 A.
Rätsel 101 f.. 130, 160 f.. 296 f.
Raubehe s. Brautraub.
Rävana 409, 414 ff., 428, 432, 434,
439; 454, 478.
Rävaneis 421 A.
Rbhu u. Nidägha 459 f.
Rbhus, Elfen 69.
Rc, plur. rcas,^ «Preislieder« 49,
■ 140-144', 154.
Recht, brahmanisches 266, 364,
473.
Rechtslitteratur 3f., 9, 11 f., 51,
236, 280 A, 321, 364, 413 A..
441 A.. 444 A., 473.
Rede und Geist 188.
Regenlied 119.
Regenzauber 95, 119.
Reigentänze 383.
499
Religionsgeschichte 2, 163 f.; indi-
sche 12.
Religiöse Litteratur 1 f.
Reuleaux, F. 406 A.
Rgveda s. Rigveda.
Rgvidhäna 244.
Rhys Davids, T. W. 22, 33 A.,
37 A., 353 A., 401 A., 433,
434 A., 437 A.
Rigveda, die Samhitä 48 ff., 51 bis
103, 141, 156', 184 A., 1861,
191 A., 264, 333, 336, 438; Aus-
faben 19 f.; Überlieferung 34;
prache 38, 42, 52-54; offen-
bart 50; Alter der Hymnen
52 ff., 56, 60 f., 65 f., 170 f., 175,
187 f., 246, 248 ff., 255 ff.; die
IJsis oder Verfasser der Hymnen
52', 199, 256; die 'Familien-
bücher« 52 f.; Metrik 54 ff.;
Kulturverhältnisse im R. 56 bis
61; Übersetzungen 61—63; In-
terpretation u. Beurteilung des
R. 61—66; Mythologie und Re-
ligion 66—71, 171; Anrufungen
und Lobpreisungen der Götter
7 1 ff . ; Opfergesänge und Lita-
neien 82 ff.; Totenbestattungs-
lieder 84 ff., 139; philosophische
Hymnen 86-88, 135, 153, 197;
Akhyänahymnen 89 ff., 181, 259,
449; Hochzeitslieder 93 f., 122,
139, 253 ; Zauberlieder 94 ff.;
weltliche Gedichte 96 ff.; Däna-
stutis 99 ff.; Rätsel 101 f, 160;
R.ünd Atharvavedal05f., 108ff„
122, 129 f., 138; und Sämaveda
143, 147; und Y^urveda 154;
Brähma^as des K. 166 — 168;
Aranvakas und Upanisads des
R. 2'04; Vedängas zum' R. 238
bis 245.
Rigveda-Prätisäkhya 242.
Rindersegen 95.
Ritual s. Kalpa.
Rituallitteratur 232-240, 259.
Roeer, Abraham 8.
Ronita, Hymnen an 132 f.
— , Hariscandras Sohn 185 f.
Romane 3.
Romantik 327, 417.
Romantische Schule 13.
Romesh Dutt 273 A., 408 A.
Rosen, Friedrich 19.
Roth, Rudolph 19, 21, 62, 63 A.,
105 A., 126 f., 183 A., 244 A.
Roussel, A. 348 A., 464 A., 465 A.
Roy s. Protap Chandra R. und
Rämmohun R
Rsis, Seher, Heilige, die Vorfahren
■ der Brahmanen 52, 184 A., 195,
199, 243, 256, 266, 306 A., 324,
334 f., 421 f., 427-429.
Rsyasrnga, Legende von 342 bis
• 345,' 386 A., 402 A., 408 f., 443,
454, 476 A.
Rtusamhära 11.
Rückert, Friedrich 17, 273 A.,
278 A., 325 f., 338 A., 342,
352, 408 A., 426 f., 469 A.
Rudra 67 f., 120 A., 162, 171, 193.
Rudrayamalatantra 481.
RukminI 383 f.
Ruru, Legende von 332 f.
Ruth 413 A.
Sabhäparvan_291 A.
Sadvimsa- Brahma^ 166 f.
Sahade va 276, 287 f., 291, 296.
Sahyädri-KhAijda 476 A.
Saisunäga, Dynastie 402, 462.
Öaiva-Puräna 463.
Öäkadvipa 474.
Säkalaka-Schule des Rigveda 51 A.
ääkalya 241.
ääkäyanya 224.
Öäkhäs, vedische Schulen oder Re-
zensionen 48, 165, 241.
Sakra = Indra 471.
SlÄtas 477 f., 481.
äaktis 477 f., 481.
Sakuni. Duryodhanas Oheim 277,
'287^1,294.
Sakuntalä 264, 319 ff., 400, 454.
Sakuntalä-Drama 10 f., 13, 17, 454.
Sakuntalä-Episode 10, 14, 319 ff,
, 454, 466.
äalya 275, 281, 301, 310.
Salyaparvan 310 A.
Säman, Melodie 49, 140 f., 144,
146 f.
Sämasrami, S. 244 A.
Sämaveda, die Samhitä 49, 109,
138, 142-147, 170'; die sog. Bräh-
ma^as des S. 165—169; Upani-
sads des S. 204 ; Vedängas 232,
239.
Sämavidhana-Brähmana 147, 239,
, 244. ^^
bambara, Dämon 76, 386.
Sambaravadha 386 A.
Sambhavaparvan, 319, 322.
Sambüka, Südra-Asket 422.
Winternitt, Geschichte der iodi»ch«D Litterttur.
33
500 —
Samhitä-Päthas 241.
Samhitäs des Veda 48 f., 170. 240
bis 242, 249, 256; des Mahä-
bhärata, des Ramäyaaa und von
Puräi;ias 268 A., 424 A., 476,
478.
Samsära, Kreislauf der Wieder-
geburten 352, 469.
Samskara, "Weihe« 233.
Sanatkumärasanihita 476.
Sanatsujätlya, Lehren des Sanatsu-
jäta 365, 376.
äändilya 168, 196, 2 12 f.
Sandrakottos 25.
Sän-er 262 A., 421 A., 423 f.; s.
Udgatar.
Sangweisen 141 ff., 158.
Sanjkya 262, 292, 301, 303 f., 390.
gankara 207 A., 226, 446 f., 467 A.,
480 A., 481 A.
Sänkhayana-Brahma^a 166.
Sänkhäyana - Grhyasütra 109 A.»
203 A., 233 'A., 239, 260 A.
Sänkhäyana-Srautasütra 197 A.,
232 A, 239, 400, 402.
Sankhya-Philosophie 365, 369 A.,
374 ff., 444, 452, 457, 466.
Sankhya-Yoga 375.
Sannyäsin 202 f.
Sanskrit 11,37— 42, 45; klassisches
41 f., 231; »gemischtes« 44; und
Päli 435 f
Sanskrit- Wörterbuch 21.
Öäntä, Prinzessin 343 f.
Säntanu 269, 275.
Säntiparvan 363 f.
Saptasati 472 A.
Säradätilaka 481.
SarasvatI, Göttin 151, 199, 475.
Sarvamedha s. Allopfer.
Sarvänukramanl 243.
Sarvaparvänuk'irttana 388 A.
äaryäti und Cj'avana 333 f.
|astra, » Preislied" 141.
Sästra. »Lehrbuch« 267.
hatadhanu, Legende von 461.
äatapatha Brähmana 49, 56 A.,
90 £., 141 A., 149 A., 154 A.,
157 A, 161 A., 167 f., 169 A.,
171 A., 172 A., 173 f., 176 bis
183, 182 A., 188, 189 A., 191 A.,
■ 193 A., 194-196, 198, 199 A.,
200 A., 201 A., 204, 211 A.,
234, 254 A., 260 A., 261 A.,
326, 332 A., 333 A., 334 A.,
^ 336 A., 337, 380, 477 A.
Satarudriya 161, 339 A.
Satasähasri Samhitä 271, 395.
Satire 95 f.
Satpuravadha 385 A.
Satrughna 409, 420.
Satyakanaa Jabala 200.
Satyavat, Gemahl der Sävitrl 411j
429 A.
SatyavatI 268 f., 275.
Saubhari, Sage von 462.
äaunaka u. §.-Schule 105 A , 232,
242 f., 270, 378, 442.
Sauptikaparvan 312 A.
äauraseni 44.
Sauri-Samhitä 478.
Sauti 448'.
Sauträmanlfeier 151.
Savitar, Gott 67, 94, 120, 156 f.
Sävitri, Legende von 340—342,
411, 429 A., 472, 475, 479.
Savitrivrata 341.
Sävitryupäkhyäna 340 A.
Säyana 20, 62 f., 196, 199.
Schack, Adolf Friedrich Graf von
319 A., 385 A., 412 A., 455 A.,
457 A., 458 A., 459 A., 461 A.,
462 A.
Schah nämah 318 A.
Schauspiele aufgeführt 385 f.
Schauspielkunst 4.
Schelling 18.
Scherman, Lucian X, 135 A.,
319 A., 402 A., 449 A., 469 A.,
476 A.
Schicksal 288, 355, 365, 376 f., 419.
Schiffahrt im Veda 58.
Schlachtsegen u. Schlachtgesänge
95 f, 128..
Schlange in Mythos u. Kult 73,
76, 119, 155, 294, 317, 324,
331-333, 355, 382, 474; s.
Nagas.
Schlangenopfer 270, 313, 331, 442.
Schlangenzauber 209.
Schlegel, August Wilhelm von
14-16, 20 f., 325, 366 f., 409 A,
425 A.
— , Friedrich 13-15, 247, 409 A.
Schmidt, Richard 209 A.
Schopenhauer 18, 87 A, 212 A.,
213,2271
Schöpfungsmythen 87, 189, 191
bis 196, 209, 379, 387, 442,
449, 451, 453, 457, 463, 465,
467, 474 f, 478, 481.
Schrader, O. 235 A.
Schreibmaterial 34 ff.
Schrift in Indien 26, 28-37.
— 501 —
Schroeder, Leopold von IX, 6,
18 A., 148, 159, 163 A., 190,
235 A , 250.
Schuh als Rechtssymbol 413 A.
Schulden, drei 184 A.
Schulen 34; s. Säkhäs.
Schülerweihe (upanayana) 33, 168,
230, 233.
Schultze, Fritz 217 A.
Schurtz, H. 114
Schwab, Julius 233 A.
Search of Sanskrit MSS. 37.
Seele 209, 212 ff., 216 f. A., 220;
s. Ätman.
Seelenkult 233 ; s. Manen, Sräddhafi.
Seelenwanderunff 69, 201, 220 f.-,
s. Wiedergeburt.
Segenssprüche 119-122, 139.
Seiende, das 214 f.
Sekten 20 i f., 258, 362, 444, 446,
477 f., 481.
Selbstaufopferungsgeschichten
Selbstmord, religiöser 30, 354 A.
Semitische Alphabete29 ; sem. Flut-
sage 337.
Senart, E. 44.
Sentimentalität 7.
äibi, Legenden von 353.
Sieg, Emil, 259 A., 261 A.
Siegeslieder 99.
Sikhandin 303 ff.
Siksä, 'Phonetik« 229 A., 240—243.
Simon, R. 142 A.
Sindhi 45.
Singhalesisch 45.
Sintflut s. Flutsage.
Sisupäla 281, 287, 384.
Sita 328, 405, 410 ff. passim,
419 ff., 424, 428, 429 A., 432,
438 f., 478, 480.
Sitten und Gebräuche 233 ff.
Sittenlehre s. Ethik.
Sittensprüche s .Spruchdichtung.
Siva 161, 171,266f., 283 A., 292,
339 f., 356, 384 A., 385 f., 388,
429, 440, 444, 451, 454 ff., 467,
475ff.; Avatäras 475, 477.
Sivapura 464.
Siva-Purä^a 463.
Sivasahasranämastotra 339 A.
Sivasamkalpa-Upanisad 153.
Siva- Tempel 477.
äiva- Verehrung 387 f., 397, 446,
463 f, 478, 481.
Sivi-Jätaka 353 A.
Skandagupta I. (Gupta) 445.
Skanda-Puräna 476 f., 480.
Öloka, Metrum 55, 393 f., 424 A.;
Erfindung des S. 409.
Smith, Vincent A. 402 A., 437 A.,
445, 446 A., 479.
Smrti 140, 267.
Soma 53, 56, 59, 66, 73, 75, 83 f.,
93, 97, 136, 144, 150 f., 156 ff.,
173 f., 189, 334, 380.
Somakult 139.
Somalieder 53, 96.
Somaopfer 83 f., 95, 130, 145, 150,
156, 166, 179, 186, 232.
Sonne 102, 133, 149 A., 153, 160.
Sonnendynastie 379, 443 f., 461,
479.
Sonnengötter 66 f
Sonnenmythen 467.
Sonnenverehrung 451, 474.
Sonnen wagen 101.
Sonnwendfeiern 146
Sörensen, Sören 264 A.
Spieler, Lied vom 97 f.; Segens-
spruch des S. 119.
Sprachen, indische 37—46.
Sprachwissenschaft 16.
Spruchdichtung 2, 267, 320 f., 323,
341 A., 349, 359 ff, 364, 377,
413. 424, 431, 449.
Sräddhakalpas 234, 464 A.
äräddhaprakriyärambha 464 A.
Sräddhas, Manenopfer, Totenopfer
150. 176 f., 234, 240, 444, 452,
461, 464, 466, 472.
Sramaija, »Asket« 191 A.
Srautakarmäni 140.
Srauta-Opferl41 A., 234.
Srautasütras 50 f., 187, 232 f.,
^ 233 A., 236 ff.
bri s. LaksmI.
Srsti-Khanda 453.
Sruti, »Offenbarung« 50, 140, 207 A.
Stein, Ludwig 228.
Stein, M. A. 35, 448 A., 481 A.
Stenzler, A. F. 233 A.
Sterne, wie sie entstanden 191 A.
Stier in der Mystik 134.
Stobhas 145 f.
Stokes, Whitley 36.
Stomas 158.
Stönner, Heinrich 237 A.
Stotris 141, 144 f., 381 A., 386 f..
451, 455, 456 A., 476, 480.
Straufs, Otto 273 A.
Strikarmäni 122.
Subhadrä 285 f.
33*
502 —
äüdras, niedrige Kaste 32, 422,
447.
Sufiismus 227, 371 A.
SuffTiva 416, 418.
Sühnzeremonien (prayaScitta) 120,
466, 478.,
Suhotra u. Sibi 353 A.
Sukalä, Geschichte der 453.
Süktas, »Hymnen» 51.
Sulabhä, die Nonne 348 A.
Sulvasütras 236-238.
Sunahsepa, Legende von 183 bis
18Ö, 197, 256, 408, 469 A.
Sundara-Kända 417.
Sünde 120, 180.
äunga, Dynastie 462.
Supar^ädnyäya 332 A.
Sürya, »Sonne* (Gott) 66 f.. 81,
155, 192, 196, 302, 451, 467.
Süryä,» Sonnentochter« 93.
Soryäsükta 93 f.
Sütas, Barden und Wagenlenker,
eine Mischkaste 262, 266, 270,
299, 397, 437 A., 442, 448.
Sütasamhitä 476.
Sütra 3'8f., 42, 50, 229-232, 250,
257 A.
Sütralitteratur 229—243, 245 f.,
248, 441.
Suttanipäta HO A., 260 A., 297 A.
Suvar9asthlvin,»Goldspeier«350A.
Svädhyäya 168-
Svarga-Khai^dA 453.
Svargäroha^^parvan 318 A.
Svayambhü-Puräi^a 482 f.
Svayamvara 280 A., s. Gatten-
^ selbstwahl.
ävetaketu 198, 200, 213-215.
ävetäsvatara-Upanisad 206.
Symbolik 146, 17 7' ff., 449.
Tag und Nacht geschaffen 195.
Taittiriya-Ära^yaka 204 ff.
Taittiriya-Brahmana 167, .184 A.,
204.
Taittiriya-Prätisakhya-Sutra 242 f.
Taittirlya-Samhitä 49, 1 10 A., 148,
160 A., 162, 167, 173 A., 174 A.,
184 A., 190 A., 238, 242, 332 A.,
336 A.
Taittirlya-Upanisad 204 f., 210 A.,
221, 226 Ä., 2f40.
Takman, »Fieber« 113.
Talavakära-Upanisad 204.
Tairfil 46.
Tandya-Mahä-Brähmana 166 f.,
190 A., 204.
Tantra, »Buch« 229 A.; heilige
Bücher der Säktas 162, 481 bis
483.
Tantrasära 481.
Tanz 4, 383.
Tapas, »Hitze" u. »Askese« 87,
131 f, 134, 191 A., 194 A.
Tat, die, s. Karman.
Tat tvam asi 213—215.
Tauler 227.
Telang, K. T. 365 A., 367 A.,
394 A.
Telugu 46.
Tempel 479.
Tempelpriester 448.
Theismus 373.
Theosophische Hymnen 106, 108,
130-137.
Therigätha 358.
Thibaut, G. 238 A , 246 A., 252 A.
Thomas, F. W. 437 A.
Tiere erschaffen 194.
Tieropfer 83, 150, 232.
Tiersprachen 380 A.
Tiger im Veda 57, 107.
Tifak, B. G. 251 f., 258.
Tipitaka 1, 353, 400 f., 434, 439.
Tirthas, »heilige Stätten« 345,
451, 453, 476 A., 477.
Tirthayäträ-Abschnitt des Maha-
bhärata 345.
Titanensagen 322, 324, 379.
Tod, Leben nach dem 182 A.,
192; Göttin T., 337-339; Ge-
danken über den T. 355 f., 361 f.,
412 f.
Todesgott 333, 355; s. Dharma,
Yama.
Toramäna 445.
Totenbestattung , Totengebräuche
72 A., 84 f., 130, 139, 153, 168,
233 f., 240, 260. 473.
Toteübestattungsheder 84—86, 93,
106, 130.
Totenklage 313 ff.
Totenopfer, blutige 467 A.; s.
Sräddhas.
Totenreich 69.
Träume, böse 120 f.
Trayi vidyä 109, 195, 211.
Trimürti 386 A.
Tripuravadha 388 A.
Tristubh, Metrum 55, 394.
Trommel, Lieder an die 128.
Trostgeschichten 337 — 339, 355 f.
Tulädhära u. Jäjali 358 ff.
Tulsl Das 406.
503 —
Tvastar, Gott »Bildner« 73, 79,
13'6.
Tylor. E B. 217 A.
Uddälaka Ärui^ 169 A., 201, 213,
347.
Udgätar, »Sänger« (Priester) 1 40 ff.,
145, 147, 161, 169.
Udyogaparvan 300 A.
Ugrasravas 270 f., 378, 442, 448.
Ulüpl u. Arjuna 285.
Umä, äivas Gemahlin 384, 451.
Unsterblichkeit 184, 218, 224.
Unsterblichkeitstrank 332.
Upäkhj'änas 451, 480.
Upanayana s. Schülerweihe.
Upanisad, »Geheimlehre« 153,
207 it., 208 A., 229 A., 365 A.
Upanisads 17-19, 27, 38 f., 48 bis
50, 59^146, 154, 162 f., 169 A.,
196-210, 239, 248, 256 f., 347 ff.,
357 f., 362, 393, 399, 438, 441,
449, 483; Ausgaben u. Über-
setzungen 18 f., 207 A.: Philo-
sophie der U. 88, 108, 131, 160,
201, 203, 207 A., 209-228, 265,
354, 370, 373, 375, 459; Auf-
zählung 204 ff., 256 A.
Upapuränas 444 A., 450, 463 A.,
480 f.
Urdu 45.
Uriya 45.
Ursprun^slegenden 189 — 191.
UrvasI, eine Apsaras 422; s. Puru-
f^väs
Urwasser 194, 196.
Usas, Göttin »Morgenröte« 66,
81 f., 186, 193.
Usener, H. 337 A.
Uttarä, Virätas Tochter 298, 300,
313.
Uttaradhyayana-Sütra 360 A.
Uttara-Kända des Rämäyana 420,
423 f.
Uttara-Khanda des Padma-Purä^a
453 A., 454 f.; des Brahma-Purä^a
452.
Uttarärcika 142—145.
Väc, Göttin »Rede« 102, 169 A.,
189.
Vacaka, »Vorleser« 388.
Vahni-Puräna 473 A.
Vaidya, C. V. 392 A., 404 A.
Vaisampäyana 270, 378 f., 390.
Vaisi?ava (Opfer) 295.
Vai^ava-Puräna 451 A., 455;
s. vis^u-P.
Vaisnavas, «Vis^u- Verehrer« 373,
Vaisijavi-Samhitä 478.
Vaitäna-Srautasütra 239.
Väjapeya {Opier) 150, 179.
Väjasaneyi-rrätisakhyaSutra 242.
Väiasaneyi-Samhitä 49, 148—162,
168, 175 A.,* 206, 242, 296 A,
Vala, ein Dämon 76-
Välmlki 262, 328, 404 f., 407, 409,
418 A., 421—423, 426-431,
437 f., 440; ein Räuber oder
Jäger 429 A.
Valmlkiden 418 A., 426.
Väma, »die Linken«, Verehrer
weiblicher Gottheiten 477 f.
Vämadeva, l^si 52.
Vämana-Purä^a 477.
Vamsa, »Genealogie« 443; siehe
Lehrerstammbäume.
Vamsa- Brähmana 169 A.
Vanaparvan 29i A.
Vänaprastha, »Waldeinsiedler«
202f.
Vans Kennedy 446 A., 450 A.
Varäha-Puräija 475 f.
Varuna, Gott 67, 83, 88, 120, 128,
1717 180, 185 ff., 292, 422;
Hymnen an V., 71-73, 126 L,
133
Vasistha, Rsi 52, 410, 413, 422,
429; 456, 473; V. und ViSvä-
mitra 346 f., 379^ 408.
Väsistha-Dharmasutra 56 A., 447
A. ■ ,
Väsistha-§iksä 243.
Vasudeva, Krs^as Vater 282,
380 ff.
Väta, »Wind«, Hymnus an 82.
Vater 296, 320 f., 357; Zwie-
gespräch zwischen V. und Sohn
§60-362, 469.
Väter s. Manen.
Vävu, Windgott 66, 120, 192,
196, 276.
Väy u-Puräi?a 389 A., 442 f., 444 A.,
445 f., 447 A., 448 A., 463 f.
Veda 1, 12, 15, 17, 19f., 271, 361,
407, 483; Alter des V. VIII.
25, 54, 246—258; Frauen und
äüdras vom V. ausgeschlossen
32 f., 200, 447 ; Sprache des V.
25, 37 f., 42; was ist der V.?
47 ff.; offenbart 48; V. und
Brahmanismus 49 f., 440} vier
V. 49, 460; religiöse Pflicht des
Lernens und Rezitierens des V.
95, 147, 168, 184 A., 189, 202,
504
204, 221, 230, 234, 360; drei
V. 109 f., 141, 211; hilft bei der
Schöpfung mit 195 f.; nur Brah-
mane darf V. lehren 200 ; Heilig-
keit des V. geläugnet 258; Epi-
sches im V. 259 ff.; von Vyasa
geordnet 268, 404, 460; dient
zur Verehrung des Vis^u 388;
V. und Epen 399 f., 4Ö3, 438 f.
Vedaexegese 245 f.
Vedakalender 254.
Vedängas 38, 51, 109, 110 A-,
165, 167, 197, 229-246, 248,
257; exegetische 240 ff.
Vedänta 203 f., 206, 323 A., 362,
365, 373, 375 f.
Vedänta-Sütras 226, 455.
Vedastudium s. Veda.
Vedavyäsa 268 A.; s. Vyäsa.
Vedische Litteratur 47 ff. passim,
Vedische Schulen 51,204 ff., 207 A.,
229, 237 ff., 246, 254, 256, 460.
Vedische Sprache 37 f.
Vena. Titane 379.
Vergleichende Rechtsforschung 3.
Vergleichende Sprachwissenschaft
15.
Versenkung s. Yoga.
Versöhnungssprüche 121.
Vicitravirya 269, 275, 400.
Vidhi 175.
Vidulä 328-330, 340.
Vidulaputränusasana 328 A.
Vidura 269, 275, 277, 284, 288 f.,
291 f., 301 f., 350 ff., 365, 401.
Vinayapitaka 297 A.
Vipascit, Legende von 469 ff.
Virä), Metrum 55, 177.
Viräta, König 298 ff.
Virätaparvan 298 A.; 391, 396 A.
Viresvara 476 A.
Visau, im Veda 67, 137, 156 ff.,
171, 178; tausend Namen des
V. 161, 339 A.; V.-Mythen u.
V.-Kult in Epen und > Puranas
266 f , 289, 295, 339 f., 378, 388,
440, 444, 451 ff., 457, 467, 475,
479; Himmel des V. 354, 366;
= Hari 379 A. ; als Krsna ver-
körpert 380 ff., 391, 479" A.; V.
und äiva 386 ff. ; Inkarnationen
(Avatäras) des V. 387, 408, 452,
462, 465 f., 473, 476-479; als
Rama verkörpert 407, 422 f.,
427 f., 438 A.; als Vyäsa 447.
Visjjudharmottara 446, 480.
Vis!;iuparvan 380.
Visiju-Puräna 91, 149 A., 320 A.,
323 A., 389 A., 444 A., 445
bis 447, 449, 451, 452 A., 453,
455-463, 465_f., 477.
Vis^usahasranamakathana 339 A.
Visnusmrti 413 A.
Vis^ustotra 387 A , 388 A.
Visnu-Verehrung 373, 397, 446,
454-467, 475 f.
Visvakarman, Gott 68, 88. 419.
Visvämitra, Rsi 52, 186, 410, 468;
s. Vasistha.
Visve Deväs, * Allgötter, Engel«
190, 468.
Vivadar^avasetu 9.
Völkerrecht 303; Gesandte 302.
Volksepen s. Epen.
Volksglaube 112, 482.
Voltaire 12 A.
Vopadeva 465.
Vorzeichen s. Omina
Vratas 444, 479.
Vrätyas 130, 167 A.
Vratyastomas 166.
Vrtra s. Indra.
Vyäkarana, »Grammatik« 229 A.
Vyäsa, Krsna Dvaipäyana 243,
268 ff., 272, 275, 283 A., 292,
303, 314 A.,316, 337, 363, 387,
392 A., 402 A., 404, 446 f., 450,
454, 456, 460, 465, 468, 478.
Vyasagita 478.
Vyäsa-äiksä 243.
Waffen, himmlische 286, 292,
296, 308, 428; Zauberwaffen
410
Wagenwettrennen 57, 150.
Waldeinsiedler 48, 145, 153, 184
A., 201 ff., 218.
Wanderlehrer 210.
Watanabe, K. 430 A.
Weber, Albrecht IX, 21 f., 103 A.,
119 A, 122 A., 148, 166 A.,
167 A., 182 A., 190 A., 212 A.,
232 A., 235 A., 238 A., 245 A.,
247 f., 260 A., 328 A., 333 A.,
371 A., 404 A., 433 A., 434,
438 f., 469 A.,_480 A.
Wechselreden (vakovakya) 109.
Welt nicht wirklich 225 f.
Weltentsagung 363, 365, 369.
Weltlitteratur 325, 350 f
Weltschmerz 6 f.
Weltschöpfung s. Schöpfungs-
mythen.
Weltuntergang (pralaya) 462 f.,
466, 481.
Weltverachtung 224 ff., 363.
~ 505
Weltzeitalter s. Yugas.
Wefsdin, J. Ph. 8.
West-Hindi 45.
Whitney, W. D. 23, 65, 105 A.,
242 A., 250, 252 A.
Widmaun, J. V. 342 A.
Wiedergeburt 371, 459, 461, 463,
468 f. ; s. Samsära, Seelenwande-
rung.
Wiederholung in der Poesie 114.
Wilkins, Charles 10, 366.
Wilkins, W. J. 406 A.
Williams s. Monier-WiUianas.
Wilmans, Otto 408 A.
Wilson, H. H. 62, 65, 446 A.,
450 A., 452, 456 A.. 465, 471 A.,
474 A., 479, 481 Ä., 482 A.
Windisch, Ernst 89 A., 381 A.,
400 A., 428 A., 431 A., 433.
Winter, A. 91 A
Winternitz, M. 235 A., 237 A.,
238 A., 263 A., 284 A., 331 A.,
337 A., 398 A-, 400 A., 483 A.
Wirtz, Hans 425 A.
Wissenschaften 2—4, 246, 460.
Witwe, verbrannt 276; Los der
W. 279.
Wollheim da Fonseca, A. E. 455 A.
Wörterbücher 3, 12.
Wortham, B. H. 472 A.
Wortspiele 159 A.
Würfelspiel 97 f., 150, 287-291,
298, 324, 384.
Yädavas, Volksstamm 275, 282,
284 ff., 380, 383, 385, 390, 466.
Yäifiavalkya 148. 149 A., 168,
169 A., 176, 198 f., 220, 243,
348; und Maitreyi 218; Gesetz-
buch des Y. 441 A., 473.
Yajurveda 12 A., 109, 245, 400;
Samhitäs des Y. 38, 49, 138,
142,147-163, 165, l97;schwarzer
und weifser Y. 49, 148 f.; Bräh-
manas des Y. 167 ff.; Upanisads
desY. 204 ff.; Sütrasdes Y. 2i^7 ff.
Yajus plur. yajümsi, »Opferspruch«
49, 140, 142, '154, 158.
Yajyäs 141
Yaksas, Geister, Unholde 293,
290-298.
Yama, erster Mensch 69; König
des Totenreiches, Todesgott 69,
85, 88, 124, 223 f , 292, 327,
336, 339—341, 347 f., 383, 460 f.,
470 f.; Y. u. Yami 91 ff., 190.
Yämalatantra 478.
YamI 91-93, 190.
Yäska 62, 68, 244 f.
Yavanas, * Jonier«, Griechen 396,
438.
Yayäti, Sage von 322 ff., 353, 380,
422, 453, 462, 479.
Yima 69.
Yoga, Versenkung, Meditation
358, 370, 459 A, 463 f., 466,
469 A., 472, 481 ; philosophisches
System 375 f., 444. 452; Bedeu-
tung des Wortes 375 A.
Yogin 358, 363, 370 f., 375, 464.
Yonis 144 f.
Yuddha-Käi;i4a 418.
Yudhisthira 275 ff. passim; 324,
328, 337, 340 A., 363, 365, 428 f.;
wird Thronfolger 277 f.; wird
Weltherrscher 286 f.; Würfel-
spieler 287 ff., 298; Y. und der
Yaksa 296 ff.; in der Hölle und
im Himmel 3 1 8 f., 47 1 A. ; Yudh-
itthila im Päli 401.
Yugas, "Weltzeitalter* 452, 462,
467.
Yuvanasva, König, wird schwanger
461.
Zachariae, Th. 235 A., 245 A.
Zahlensymbolik 56, 178.
Zauber, Zauberei 4, 147, 205,
207, 239; Z. und Kult 108 f.;
verboten 109; Zauberriten 112,
122 f., 127, 150, 234, 481 f.: Z.
und Gegenzauber 125; mit Rig-
versen 147, 244 ; mit Upanisads
209.
Zauberer 104, 108 f., 124 f.
Zauberformeln, -Sprüche, -lieder
94 ff., 104, 107, 110 ff. passim,
159, 163, 209, 211; gegen Fieber
113, 115; gegen Würmer 115 f.;
fegen Zahnweh 116; für Könige
27 f.; für Brahmanen 129.
Zauberpriester 146-
Zeit s. Kala. '^
Zeiteinteilung 452.
Zimmer, Heinrich 60, 107 A.
Zodiak 251.
Zoroastrischer Kult 474.
Zoten 97, 99, 130, 342.
Zyklen epischer Lieder 261.
Verbesserungen.
S. 36, Z. 9: lies »Stein« statt »Felsen'.
S. 36, Z. 10: lies »Steinplatten« statt »Felseninscbriften«.
S. 42, Z. 7: lies »sowie der nur in den Brähmaijas«.
S. 45, Z. 2: lies »Gunädhyas« statt »Gu^ädhyas",
S. 57, Z. 5: lies »Osten« statt »Westen«.
S. 91, Z. 19: lies »Kathäsaritsägara«.
Wlnternltz, Indische Lltteratar.
Anastatischer Druck v. Frommhold u. Wendler LeipziO'
rK
2903
1909
Jd.l
Wintemitz, Moriz
Geschichte der indischen
Litteratur
PLEASE DO NOT REMOVE
CARDS OR SLIPS FROM THIS POCKET
UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY