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Full text of "Geschichte der Malerei im XIX Jahrhundert"

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I 


Geschichte  der  Malerei 


IM 


NEUNZEHNTEN  JAHRHUNDERT 


GESCHICHTE 

DER 


MALEREI 

IM 


XIX.  JAHRHUNDERT 

VON 

RICHARD  MUTHER 


ZWEITER  BAND 

MIT  453  ILLUSTRATIONEN 


MÜNCHEN 

G.  HIRTH’s  KUNSTVERLAG 


1893 


DRUCK  VON’  KNORR  & H1RTH,  MÜNCHEN.  — AUTOTYPIEN  VON 
OSCAR  CONStE,  MÜNCHEN. 


Inhalt. 


Einleitung. 

Ein  Vorspiel.  Philipp  Otto  Runge. 

III.  Die  Eroberung  des  Modernen. 

17.  Die  Zeichner. 

Die  allgemeine  Weltentfremdung  der  Malerei  in  der  ersten  Hälfte  des 
19.  Jahrhunderts.  Die  Zeichner  und  Caricaturisten  die  ersten,  die  das 
moderne  Leben  in  den  Kreis  der  Kunst  hereinzogen.  England:  Gillray, 
Rowlandson,  George  Cruikshank,  Der  Punch,  John  Leech,  George  Du 
Maurier,  Charles  Keene.  — Deutschland:  Johann  Adam  Klein,  Johann 
Christian  Erhard,  Ludwig  Richter,  Oscar  Pietsch,  Albert  Hendschel,  Eugen 
Neureuther.  Die  Fliegenden  Blätter.  Wilhelm  Busch,  Adolf  Oberländer. 
— Frankreich:  Louis  Philibert  Debucourt,  Carle  Vernet,  Bosio,  Henri 
Monnier,  Honore  Daumier,  Gavarni,  Guys,  Gustave  Don!:,  Cham,  Marcelin, 
Randon,  Gill,  Hadol,  Draner,  L£once  Petit,  Gr6vin.  — Nothwendigkeit, 
dass  auch  von  den  Malern  die  Welt  wieder  entdeckt  werde.  Anregung 
dazu  durch  die  Engländer. 

18.  Die  englische  Malerei  bis  1850. 

England  von  der  retrospectiven  Strömung  des  Continents  wenig  berührt. 
James  Barry,  James  Northcote,  Heinr.  Füssli,  William  Etty,  Benjamin 
Robert  Haydon.  Die  Malerei  schreitet  auf  den  von  Hogarth  und 
Reynolds  betretenen  Bahnen  weiter.  Die  Porträtmaler:  George  Romney, 
Thomas  Lawrence,  John  Hoppner,  William  Beechey,  John  Russell,  John 
Jackson,  Henri  Raeburn.  — Benjamin  West  und  John  Singleton  Coplev  treten 
mit  Geschichtsbildern  aus  ihrer  eigenen  Zeit  auf.  Daniel  MacliSe.  — Die 
Thiermalerei:  John  Wootton,  George  Stubbs,  George  Morland,  James  Ward, 
Edwin  Landseer.  — Die  Genremalerei:  David  Wilkie,  W.  Collins,  Gilbert 
Stuart  Newton,  Charles  Robert  Leslie,  W.  Mulready,  Thomas  Webster, 
W.  Frith.  Der  Einfluss  dieser  Genrebilder  auf  die  Malerei  des  Continents. 

19.  Das  Militärbild. 

Weshalb  die  Eroberung  des  Modernen  auf  dem  Continent  nur  stückweise 
erfolgte.  Die  romantischen  Anschauungen,  die  aesthetischen  Theorien 
und  die  Kostümfrage.  An  der  Uniform  lernt  die  Malerei  das  moderne 
Zeitkostüm  behandeln.  Frankreich:  Gros,  Horace  Vernet,  Hippolyte 

Bellange,  Isidor  Pils,  Alexandre  Protais,  Charlet,  Raffet,  Ernest  Meissonier, 
Guillnume  Regamey,  Alphonse  de  Neuville,  Aimd  Morot,  Edouard  Detaillc. 
— Deutschland : Älbrecht  Adam,  Peter  Hess,  Franz  Krüger,  Karl  Steffeck, 
Th.  Horschelt,  Franz  Adam,  Joseph  v.  Brandt,  Heinr.  Lang. 

20.  Das  ethnographische  Genre. 

Weshalb  die  Maler,  wenn  sie  nicht  in  die  Vergangenheit  untertauchten, 
ihr  Ideal  zunächst  in  der  Ferne  suchten.  Italien  durch  Leopold  Robert 
entdeckt.  Victor  Schnetz,  Ernest  Hubert,  August  Riedel.  — Der  Orient 
war  für  die  Romantiker  dasselbe,  was  für  die  Classicisten  Italien  gewesen. 
Frankreich;  Delacroix,  Decamps,  Prosper  Marilhat,  Eugene  Fromentin, 


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VI 


Inhalt 


Gustave  Guillaumet.  — Deutschland:  H.  Kretzschmer,  Wilhelm  Gentz,  Seite 
Adolf  Schreyer  u.  A.  — England:  William  Müller,  Frederick  Goodall, 

F.  J.  Lewis.  — Italien:  Alberto  Pasini. 

21.  Das  humoristische  Anekdotenbild.  146 

Die  ins  Exotische  entlaufene  Malerei  kehrt  in  der  Heimath  ein  und  findet 
beim  Bauern  eine  stehengebliebene  Vergangenheit,  die  malerische  Kleidung 
bewahrt  hat.  München:  Uebergang  von  der  Militärmalerei  zur  Bauern- 
malerei. Peter  Hess,  Heinrich  Bürkel,  Carl  Spitzweg.  Hamburg:  Hermann 
Kauflmann.  Berlin:  Fr.  Ed.  Meyerheim.  Einfluss  Wilkies  und  des Dorfromans. 
München:  Johann  Kirner,  Carl  Enhuber.  Düsseldorf:  Adolf  Schroedter, 

Peter  Hasenclever,  Jacob  Becker,  Rudolf  Jordan,  Henry  Ritter,  Adolf  Tide- 
mand.  Wien : Peter  Klafft,  J.  Danhauser,  Ferd.  Waldmüller.  — Belgien : 
Einfluss  von  Teniers.  Ignatius  van  Regemorter,  Ferdinand  de  Braekeleer, 

Henri  Coene,  Madou,  Adolf  Dillens.  — Frankreich:  Francois  Biard. 

22.  Das  socialistische  Tendenzbild.  186 

Weshalb  das  moderne  Leben  zunächst  in  allen  Ländern  nur  unter  der 
Form  der  humoristischen  Anekdote  in  die  Kunst  Eingang  fand.  Der 
conventioneile  Optimismus  dieser  Bilder  geräth  in  Conllict  mit  der 
revolutionären  Stimmung  des  Zeitalters.  Frankreich:  Delacroix'  Freiheit, 
Jeanron,  Antigua,  Adolphe  Leletix,  Meissonier's  Barrikade,  Octave  Tassaert. 

— Deutschland:  Gisbert  Flüggen,  Carl  Hübner.  — Belgien:  Eugene 
de  Block,  Antoine  Wiertz. 

23.  Die  Dorfnovelle.  212 

Deutschland:  Louis  Knaus,  Benjamin  Vautier,  Franz  Defregger,  Math. 
Schmidt,  Alois  Gabi,  Ed.  Kurzbauer,  Hugo  Kauflmann,  Willi.  Riefstahl. 

Die  Mönchshumoreske:  Ed.  Grützner.  Die  Börsen-  und  Fabrikgeschichte : 
Ludwig  Bokelmann , Ferd.  Brütt.  Deutschland  gibt  die  Principien  der 
Genremalerei  an  andere  Länder  weiter.  Frankreich  : Gustav  Brion,  Charles 
Marchal,  Jules  Breton.  — Mit  Düsseldorf  steht  Schweden  und  Norwegen 

in  Verbindung.  Karl  D'Uncker,  Wilhelm  Wallander,  Anders  Koskull, 
Kilian  Zoll,  Peter  Eskilson , August  Jernberg,  Ferdinand  Fagerlin, 

V.  Stoltenberg  Lerche , Hans  Dahl.  — Von  München  wird  Ungarn  be- 
fruchtet : Ludwig  Ebner,  Paul  Boelmi,  Otto  von  Baditz,  Koloman  Dery, 
Julius  Agghäzi,  Alexander  Biliari,  Ignaz  Roskovics,  Johann  Jankö,  Tihamer 
Margitay,  Paul  Vagö,  Arpad  Fessty,  Otto  Koroknyai,  D.  Skuteczky.  — 
Unterschied  dieser  Bilder  von  denen  der  alten  Holländer.  Von  Hogarth 
zu  Knaus.  Warum  Hogarth  überwunden  und  die  »Genremalerei«  zur 
»Malerei«  werden  musste.  Diese  Basis  durch  die  Landschafter  geschaffen. 

24.  Die  Landschaftsmalerei  in  Deutschland.  2|8 

Bedeutung  der  Landschaft  für  die  Kunst  des  19.  Jahrhunderts.  Der 
Classicismus : Joseph  Anton  Koch,  Leopold  Rottmann,  Friedrich  Preller 
und  seine  Nachfolger.  — Die  Romantik:  Karl  Friedrich  Lessing,  Karl 
Blechen,  W.  Schirmer,  Valentin  Ruths.  — Die  Entdeckung  Ruysdaels  und 
Everdingens.  Die  Vermittlerrolle,  die  dabei  einige  aus  Dänemark  und 
Norwegen  gekommene  Künstler  spielten.  J.  C.  Dahl,  Christian  Morgen- 
stern, Ludwig  Gurlitt.  — Andreas  Achenbach,  Eduard  Schleich.  — Die 
deutschen  Landschafter  ziehen  in  alle  Welt.  Einfluss  Calames.  H.  Gude, 

Niels  Björnson  Möller,  August  Cappelen,  Morten- Müller,  Erik  Bodom, 

L.  Munthe,  E.  A.  Normann.  Ludw.  Willroider,  Louis  Douzette,  Hermann 
Eschke.  Carl  Ludwig,  Otto  v.  Kameke,  Graf  Stanislaus  Kalkreuth.  Oswald 
Achenbach,  Albert  Flamm,  Asc.  Lutteroth.  Ferd.  Belleimann,  Ed.  Hilde- 
brandt, Eugen  Bracht.  Weshalb  viele  ihrer  Bilder  gegenüber  denen  der 
alten  Holländer  mehr  eine  Erweiterung  des  geographischen  Horizontes 
als  eine  Verfeinerung  des  Geschmacks  bezeichnen.  Ueberwindung  des 
Stoffinteresses  und  des  Knalleffekts  durch  den  Paysage  intime. 


Inhalt  VII 

25.  Die  Anfänge  des  Paysage  intime. 

Die  classicistisclie  Landschaftsmalerei  in  Frankreich:  Hubert  Robert,  Henri 
Valencienncs,  Victor  Benin,  Xavier  ßidault,  Michallon,  Jules  Coignet, 
Watelet,  Th.  Aligny,  Edouard  Benin,  Paul  Flandrin,  Achille  Benouville, 
J.  Bellel.  — Der  Romantismus  und  die  Einkehr  in  Frankreich:  Victor 
Hugo.  Georges  Michel,  der  lluysdael  des  Montmartre.  Charles  de  la 
Berge,  Camille  Roqueplan,  Camille  Flers,  Louis  Cabat,  Paul  Huet.  — 
Die  Engländer  die  ersten,  die  sich  von  der  Composition  und  dem  Galerie- 
ton befreien.  Turner.  — John  Crome,  der  englische  Hobbema  und  die 
Schule  von  Norwich:  Cotman,  Crome  jr.,  Stark,  Vincent.  — Die  Aqua- 
rellisten: John  Robert  Cozens,  Tom  Girtin,  Edridge,  Prout,  Sam.  Owen, 
Luke  Clennel,  Howitt,  Robert  Hills.  Einfluss  des  Aquarells  auf  die  eng- 
lische Farbenanschauung.  — John  Constable  und  die  Freiluftmalerei. 
David  Cox,  William  Müller,  Peter  de  Wint,  Creswick,  Peter  Graham, 
Henri  Dawson,  John  Linnell.  Richard  Parkes  Bonington  als  Verbindungs- 
glied zwischen  England  und  Frankreich. 

26.  Die  Landschaft  von  1850. 

Constable  im  Louvre  und  sein  Einfluss  auf  die  Schöpfer  des  französischen 
Paysage  intime.  Theodore  Rousseau,  Corot,  Jules  Dupr£,  Diaz,  Dau- 
bigny  und  ihre  Nachfolger.  Chintreuil,  Jean  Desbrosses,  Achard,  Frangais, 
Harpignies,  Emile  Breton  u.  A.  — Die  Thiermalerei:  Carle  Vernet,  Gericault, 
R.  Brascassat,  Troyon,  Rosa  Bonheur,  Jadin,  Eug.  Lambert,  Palizzi,  Aug. 
Langon,  Charles  Jacque. 

27.  Jean-Frangois  Mi  11  et. 

Seine  Bedeutung  und  die  Aufgabe  der  Folgenden.  Millets  Prinzip  »le  beau 
c’est  le  vrai«  von  der  Bauernmalerei  auf  das  moderne  Leben  überhaupt,  von 
Barbizon  nach  Paris  zu  übertragen. 

28.  Der  Realismus  in  Frankreich. 

G.  Courbet  und  das  moderne  Arbeitcrbild.  Alfred  Stevens  und  die  Ge- 
sellschaft.« Seine  Nachfolger  Auguste  Toulmouche,  James  Tissot  u.  A. 
Im  Gegensatz  zum  Cinquecento  tritt  jetzt  das  Studium  der  alten  Deutschen, 
der  Lombarden,  der  Spanier,  der  Vlaamen  und  der  Rococomeister  schul- 
bildend auf.  Gustave  Ricard,  Charles  Chaplin,  Gaillard,  Paul  Dubois,  Carolus 
Duran,  Lüon  Bonnat,  Roybet,  Blaise  Desgoffe,  Philippe  Rousseau,  Antoine 
Vollon,  Frangois  Bonvin,  Thüodule  Ribot. 

29.  Der  Realismus  in  England. 

Der  Manierismus  der  englischen  Historienmalerei.  J.  C.  Horsley,  J.  R.  Her- 
bert, J.  Tenniel,  E.  M.  Ward,  Eastlake,  Edw.  Armitage  u.  A.  — Die  Be- 
deutung Ruskins.  — Beginn  der  Reformbestrebungen  mit  William  Dyce 
und  Joseph  Noel  Paton.  — Die  Praerafaeliten.  Ihr  Kampf  gegen  die 
schöne  Form  und  den  schönen  Ton.  Holman  Hunt.  Ford  Madox  Brown. 
John  Everett  Millais  und  Velazquez.  Ihre  Bilder  aus  dem  modernen  Leben 
im  Gegensatz  zu  den  Anekdotenbildern  der  älteren  Genremaler.  — Der 
Schotte  John  Phillip. 

30.  Der  Realismus  in  Deutschland. 

Weshalb  Historienmalerei  und  Anekdotenbild  nach  den  Umwälzungen  von 
1870  nicht  mehr  im  Mittelpunkt  des  deutschen  Kunstlebens  stehen  konnten. 
Berlin:  Adolf  Menzel,  A.  v.  Werner,  Carl  Gussow,  Max  Michael.  — 
Wien:  Aug.  v.  Pettenkofen.  — München  tritt  wieder  schulbildend  auf. 
Bedeutung  der  kunstgewerblichen  Strömung  der  70er  Jahre,  die  den  An- 
stoss  zu  eingehendem  Studium  der  alten  Coloristen  gibt.  Lorenz  Gedon, 
W.  Diez,  Edm.  Harburger,  W.  Loefftz,  Claus  Meyer,  A.  Holmberg,  Fr.  Aug. 
Kaulbach.  An  die  Stelle  der  gut  erzählten  Anekdote  tritt  gute  Malerei. 
Uebergang  von  diesem  Kostümbild  zur  rein  malerischen  Behandlung  auch 
des  modernen  Lebens.  Franz  Lenbach.  Die  Rambergschule.  Victor  Müller 
vermittelt  die  Kenntniss  Courbets.  Wilhelm  Leibi,  Wilhelm  Trübner. 


Seite 

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VIII 


Inhalt 


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31.  Das  Problem  der  modernen  Farbenanschauung,  566 

Der  Realismus,  in  Stoffen  und  Formenbehandlung  selbständig,  ist  in  der 
Farbenanschauung  entweder  noch  nicht  zur  Freiheit  von  den  alten  Meistern 
oder  noch  nicht  zu  rein  künstlerischer  Harmonie  gekommen.  Courbet, 
Stevens,  Ribot,  Lenbach.  — Die  Praerafaeliten  und  Menzel.  — Leibi. 

32.  Die  Japaner.  5S3 

Die  Pariser  Weltausstellung  1867  vermittelt  Europa  die  Kenntniss  der  Japaner. 
Uebersicht  über  die  Geschichte  der  Japanischen  Malerei.  Der  »Verein  vom 
Jinglar«  und  der  Einfluss  der  Japaner  auf  die  Begründer  des  Impressionismus. 

33.  Die  Impressionisten.  610 

Der  Impressionismus  ist  Realismus,  erweitert  durch  das  Studium  des 
Milieus.  Edouard  Manet,  Degas,  Renoir,  Camille  Pissarro,  Alfred  Sisley, 
Claude  Monet.  Die  impressionistische  Bewegung  als  Schlusswort  im 
grossen  Befreiungskampf  der  modernen  Kunst. 

Literatur.  647 


0X© 


Philipp  Otto  Runge:  Kinderporträt.  ( Federzeichnung .) 


WALTET  Logik  in  der  Geschichte?  Sind  diejenigen,  die  als 
historische  Persönlichkeiten  gefeiert  werden,  immer  die 
nämlichen,  die  wirklich  Geschichte  »machten«?  Jede  Ent- 
wicklung bedeutet  einen  Kampf.  Alte  Dogmen  weichen,  neue  Prin- 
cipien  erobern  die  Position.  Denen,  die  mit  jauchzendem  Hurrahruf 
die  vom  Gegner  besetzte  Höhe  nehmen,  fällt  der  Lorbeer  des  Sieges 
zu.  Die  Unglücklichen  aber,  die  unterwegs  zu  Ealle  kamen,  werden 
klanglos  begraben.  Und  oft  sind  sie  es,  die  das  Signal  zur  Attake 
gegeben  hatten  und  als  die  Kühnsten  den  nachfolgenden  Genossen 
voranstürmten.  Nicht  Genie  und  Talent  allein  ist  in  der  Kunst  ent- 
scheidend. Selbst  der  Begabteste  geht  zu  Grunde,  der  neben  seinem 
Künstlerthum  nicht  auch  die  eigenartige  Complication  von  Fähig- 
keiten besitzt,  die  von  der  »Gesellschaft«  verlangt  werden,  die  Eli- 

Muther,  Moderne  Malerei  II.  I 


2 


Ein  Vorspiel 


bogen  kraft,  die  dazu  gehört,  der  Welt  sich  aufzudrängen.  Solche 
Charaktere  werden  — wenigstens  zeitlebens  — fitst  regelmässig  von 
den  mehr  oder  weniger  geschickten  Mittclmässigkciten  besiegt,  in 
denen  das  grosse  Publikum  Fleisch  von  seinem  Fleisch  und  Blut  von 
seinem  Blut  erkennt.  Andere,  und  die  Schlechtesten  nicht,  sterben 
jung.  Das  Schicksal  gab  ihnen  nur  die  Zeit,  mit  muthiger  Hand  an- 
zudeuten, was  sie  wollten,  und  ein  Nachfolgender,  dem  längeres 
Leben  gegönnt  war,  errichtete  auf  den  fest  gezogenen  Linien  des 
Grundrisses  das  ragende  Gebäude.  Wieder  Andere  scheitern,  weil 
das  Losungswort,  das  sie  ausgaben,  um  Jahrzehnte  zu  früh  kam. 
Keine  Kraft  im  Weltall  geht  verloren;  sie  setzt,  obzwar  lange  latent, 
später  von  Neuem  ein.  So  fliegt  auch  von  den  Werken  solcher 
Neuerer  gleichsam  ein  feiner  Blüthenstaub  aut,  der  durch  etwas  wie 
Keime  in  der  Luft  über  die  Länder  getragen  wird  und  schliesslich 
irgendwo  auf  fruchtbares  Erdreich  fällt.  Doch  die  Stätte,  von  wo  er 
ausflog,  ist  vergessen. 

In  der  Hamburger  Kunsthalle  hängt  ein  merkwürdiges  Bild. 
Drei  Kinder  sind  im  Freien  unter  vollem  Sonnenlicht  dargestellt. 
Ein  etwa  achtjähriger  Knabe  und  ein  älteres  Mädchen  halten  mit 
einem  kleinen  Wagen,  in  dem  ein  kräftiges  Baby  sitzt,  an  der  Ecke 
eines  graugestrichenen  Zaunes.  Sic  sind  im  Begriff  weiter  zu  fahren. 
Der  Junge  erhebt  mit  der  Rechten  seine  Peitsche,  das  vorsorgliche 
Mädchen  wendet  sich  noch  einmal  zu  dem  Kleinen  um,  das  mit 
grossen  hellen  Augen  kindlich  träumerisch  in’s  Leere  starrt.  Jen- 
seits des  Zaunes,  durch  den  sich  die  zierlichen  Stengel  einer  dichten 
Ligusterhecke  drängen,  liegt  eine  weite  Wiese,  umrahmt  von  den 
Gärten  der  Landhäuser.  Weiter  hinten  erheben  sich  über  Baum  und 
Busch  die  hohen  Thtirme  eines  Hamburger  Vorortes.  Das  Licht 
eines  milden  Sommertages  liegt  weich  und  voll  auf  der  Gruppe,  eine 
warme  Luft  zittert  über  die  Fluren,  in  duftiger  liebkosender  Atmo- 
sphäre baden  sich  die  Blättchen  der  Bäume.  Alles  ist  Sonne,  Licht- 
aufzucken,  Luftigkeit.  Nur  über  das  rothe  Röckchen  des  im  Wagen 
sitzenden  Kindes,  über  seine  nackten,  spielenden  Füsschcn  und  das 
blaue  weissgestreifte  Kissen  fällt  der  Schatten  einer  grossen  am  Wege 
stehenden  Sonnenblumenstaude,  von  der  die  kleine  Hand  des  Kindes 
mechanisch  einen  Blattstiel  gepackt  hat.  Und  wie  klar,  wie  durch- 
sichtig sind  diese  Schatten ! Seit  der  Renaissance  hatten  die  Künstler 
dem  malerischen  Effekt  zu  Liebe  systematisch  die  Intensität  der 
Schatten  gesteigert.  Hier  ist  einer  der  Hauptparagraphen  der  neuen 


Hin  Vorspiel 


3 


Kunst  formulirt:  Je  mehr  Licht  — nicht  desto  dunkler  — sondern 
desto  schwächer  sind  die  Schatten.  Ucber  das  weissc  Gewand  des 
Mädchens  und  über  die  Linien  ihres  Halses  wirft  der  grüne  Anzug 
des  Knaben  leichte  grünliche  Reflexe.  Unten  auf  den  Falten  des 
Kleides  spielt  der  kalte  Widerschein  des  hellbraunen  Weges,  auf  dem 
die  gelben  Schuhe  des  Knaben  und  die  grünen  des  Mädchens  stehen. 
Der  Meister  des  Bildes  hat  nicht  im  Sinne  der  Alten  nur  Farben 
und  Formen  mit  Lichtern  und  Schlagschatten,  sondern  das  durch- 
scheinende leuchtende  Licht  gemalt,  wie  es  sich  auf  die  Formen  und 
Farben  ergiesst  und  von  ihnen  aufgesogen  und  rückgeschleudert  wird. 
Jene  verbannten  im  Wesentlichen  das  Licht  an  die  Oberfläche,  dieser 
glaubte  an  dessen  Allgegenwart,  er  sah  in  ihm  den  Vater  alles  Lebens 
und  aller  Manigfaltigkeit  der  Erscheinung,  also  auch  der  Farbe. 

Es  ist  ein  sehr  merkwürdiges  Bild.  Der  Einklang  der  Luft  und 
des  Lichtes  mit  dem,  was  sie  leben  lassen,  — das  grosse  Problem 
der  modernen  Malerei  ist  darin  nicht  nur  aufgeworfen,  sondern 
meisterhaft  gelöst.  Und  doch  steht  die  Jahrzahl  1805  darauf.  Die 
Arbeit  dreier  folgenden  Generationen  hat  die  Kunst  kaum  weiter 
gebracht. 

Waltet  Logik  in  der  Geschichte?  Darf  der  Historiker  hoffen, 
künstlerischer  Schaffenskraft,  künstlerischem  Gedanken  und  künstler- 
ischer Phantasie  auf  ihren  seltsam  verschlungenen  Wegen  mit  der 
Sonde  des  Philologen  zu  folgen?  Gibt  ihm  der  ungreifbare  Factor, 
den  man  Zeitgeist  nennt,  je  die  Handhabe,  Persönlichkeiten  zu  er- 
klären? Der  Zeitgeist  erzeugt  die  Dutzendmenschen,  die  das  ver- 
körpern. was  die  breite  Strömung  ihnen  zuführt;  die  wirklich 
grossen  Naturen  stehen  zwar  auch  in  der  allgemeinen  Strömung, 
aber  es  ist,  als  ob  ihnen  noch  aus  unbekannten  Quellen  neue  Kräfte 
zuflössen,  so  seltsam  wachsen  sie  über  ihre  Umgebung  empor  und 
stehen  plötzlich  da  als  etwas  g;mz  Neues,  den  Zeitgeist  verkörpernd 
und  doch  verschieden  von  Allem,  was  vor  und  neben  ihnen  lebt. 
Nachträglich  versucht  man  wohl,  diese  Quellen  archivalisch  aufzu- 
spüren, man  bildet  sich  ein  zu  wissen,  warum  dies  und  jenes  so 
kommen  musste,  wie  es  gekommen  ist  — aber  schliesslich  bleibt 
doch  ein  grosses  Fragezeichen  und  das  weite  Gebiet  des  Unberechen- 
baren beginnt,  in  das  jene  Macht  hineingreift,  die  Friedrich  der 
Grosse  den  gewaltigsten  Schlachtenlenker  nannte  — Sa  Majeste  le 
hasard  — der  Zufall.  Man  kann  auf  den  ersten  Seiten  von  »Wahr- 
heit und  Dichtung«  nicht  ohne  Erregung  die  Stelle  lesen,  wo  Goethe 


4 


Ein  Vorspiel 


erzählt : »Durch  Ungeschicklichkeit  der  Hebamme  kam  ich  für  todt 
auf  die  Welt  und  nur  durch  vielfache  Bemühungen  brachte  man  cs 
dahin,  dass  ich  das  Licht  erblickte«.  Wenn  er  in  der  Geburt  ge- 
storben wäre!  Wie  anders  hätte  sich  die  Entwicklung  der  deutschen 
Literatur  gestaltet ! Oder  die  der  deutschen  Kunst,  wenn  Asmus  Jakob 
Carstens  nicht  gekommen  und  Philipp  Otto  Runge  die  Führung  über- 
nommen hätte!  Carstens  war  der  Mann  der  Epoche,  er  verkörperte 
den  Zeitgeist.  Runges  Werken  gegenüber  ahnte  Niemand,  dass  von 
dieser  Saat  etwas  aufspriessen  und  neuen  Samen  geben  könne.  Was 
er  ausstreute,  barg  die  Keime  des  Kommenden. 

Nicht  in  Rom  und  nicht  in  München  sind  die  Anfänge  der 
modernen  Malerei  zu  suchen,  überhaupt  in  keiner  der  Städte,  deren 
Kunst  sich  auf  dem  Fundament  von  Akademien  und  Gemäldegalerien 
erhob.  Die  Akademien  und  Gemäldegalerien  züchteten  die  Fach- 
leute, die  sich  der  alten  Kunst  bedienten,  um  die  Bedürfnisse  des 
Tages  zu  decken.  Die  Individualitäten,  die  der  Kunst  dienten,  indem 
sie  Neues  schufen,  wurden  abseits  der  herrschenden  Centren  gross. 
Ihre  Werke  schlummern  noch  in  Magazinen,  aber  eine  kommende 
Zeit  wird  sie  hervorziehen  und  an  ihrer  Hand  die  Geschichte  der 
Kunstbewegung  vom  Anfang  unsers  Jahrhunderts  schreiben. 

Philipp  Otto  Runge  wurde  1777  den  23.  Juni  in  Wolgast  ge- 
boren und  arbeitete,  nachdem  er  die  Akademien  von  Kopenhagen 
und  Dresden  besucht  hatte,  in  Hamburg.  In  den  kunstgeschicht- 
lichcn  Handbüchern  fehlt  sein  Name.  Er  konnte  nicht  aufgezählt 
werden,  da  er  sich  keiner  herrschenden  Gruppe  einfügte,  und  hätte, 
selbst  wenn  von  ihm  Notiz  genommen  wäre,  in  seiner  geschicht- 
lichen Bedeutung  nicht  gewürdigt  werden  können,  da  seine  besten 
Werke  in  Privatbesitz  vergraben  lagen  und  die  Beurtheilung  im  Wesent- 
lichen auf  eine  Leistung  angewiesen  war,  den  Cyklus  der  »Tages- 
zeiten . die  bei  ihrem  Erscheinen  im  Kupferstich  vielfache  Commen- 
tare  hervorriefen  und  auch  auf  die  Entwicklung  des  ornamentalen 
Stils  dauernden  Einfluss  hatten,  aber  doch  — in  den  Umrissstichen 
der  Publication  — keine  Vorstellung  von  dem  Umfang  seiner  Be- 
gabung und  der  Neuheit  seiner  Ziele  geben. 

Philipp  Otto  Runge  war  der  erste  deutsche  Künstler  des  Jahr- 
hunderts, der  mit  allen  eklektisch-akademischen  Dogmen  brach  und 
in  vollem  Bewusstsein  der  Xothwendigkeit  dieses  Schrittes  auf  ein 
unbefangenes  Studium  der  Natur  drängte.  Seine  künstlerische  Pro- 
duction kannte  kein  abgesondertes  Fach.  Wie  ein  wiedererstandener 


Ein  Vorspiiii. 


5 


Renaissancemeister,  aber  in  unserer  Zeit  wurzelnd,  voll  Selbstständig- 
keit und  Grösse,  packte  er  alle  Aufgaben  an;  die  höchsten,  wie  die 
bescheidensten.  Entwürfe  für  Wandmalereien  wechselten  mit  Orna- 
menten für  Sophakissen,  Genrebilder  mit  Porträts,  Heiligendarstell- 
ungen mit  Illustrationen.  Und  überall  bot  er  Neues.  Die  stolze 
Einseitigkeit  der  Cornelius  und  Carstens,  für  die  der  Künstler  beim 
»Historienmaler«  anfing,  wäre  seinem  universellem  Geist  ein  un- 
begreifliches Ding  gewesen.  Was  der  Maler  sieht,  muss  er  auch 
malen  können. 

Hamburg  ist  der  grosse  Blumengarten  Norddeutschlands,  und  von 
der  Garten-  und  Blumenliebhaberei,  nicht  vom  Studium  der  Antiken- 
cabinete  und  Gemäldegalerien  kam  Runge  her.  Eine  seiner  Lieblings- 
beschäftigungen war  das  Silhouettenschneiden.  Mit  einer  Scheere 
und  einem  Stück  weissen  Papier  ausgerüstet,  schnitt  er  Pflanzen 
und  Blumen  von  einer  Frische,  Zartheit  und  feinsinnigen  Natur- 
versenkung, die  in  der  abendländischen  Kunst  nicht  ihres  Gleichen 
hat.  Sonst  fühlt  man  Erzeugnissen  der  Menschenhand  Ort  und 
Zeit  ihrer  Entstehung  an , hier  schweigt  jede  Schätzung.  Die 
schwierigsten  Probleme  sind  spielend  gelöst,  ein  paar  Aehren, 
eine  Veilchenstaude,  eine  Molmbliithe,  ein  Nelkenzweig  genügen 
ihm,  kleine  Meisterwerke  von  so  duftiger  Poesie  und  Grazie  zu 
schaffen,  dass  man  — ohne  Kenntniss  ihres  Ursprungs  — die  Hand 
eines  Japaners  vermuthen  oder  an  die  grossen  kunstgewerblichen 
Zeichner  der  englischen  Praeraphaelitengruppe  — Walter  Crane  und 
William  Morris  — denken  würde.  Das  Jahrhundert  hat  in  Deutsch- 
land auf  ornamentalem  Gebiet  nichts  hervorgebracht,  das  so  fein- 
fühlige Naturempfindung  mit  gleich  starkem  Stilgefühl  vereinte. 

Auch  in  den  vier  Compositionen,  die  er  selbst  als  Tageszeiten 
oder  Lebensalter  bezeichnete,  bilden  Kinder  und  Pflanzen  die  ße- 
standtheile,  aus  denen  der  originelle  Aufbau  sich  zusammensetzt.  Er 
erscheint  in  ihnen  als  Begründer  jenes  ornamentalen  Stils,  als  dessen 
Schöpfer  gewöhnlich  Eugen  Neureuther  genannt  wird.  Ueberall 
spielen  Pflanzenformen,  in  neuem  Geist  nach  der  Natur  studiert 
und  ohne  jede  Verwandtschaft  mit  dem  herrschenden  Classicismus, 
die  Hauptrolle.  Die  ganze  Bewegung  der  Pflanze  ist  nach  Art  der 
Japaner  in  feinsinnigster  Weise  gekennzeichnet.  Auch  der  philo- 
sophische Gedankeninhalt  des  Cyklus,  der  sich  vielfach  mit  der 
symbolistischen  Richtung  der  Gegenwart  berührt,  ist  nicht  interesse- 
los. Doch  erst  die  farbige  Ausführung  einer  der  Compositionen,  des 


6 


Ein  Vorspiel 


Morgens»,  (Hamburger  Galerie)  gibt  eine  Vorstellung  von  den  Zielen 
des  Künstlers.  Was  in  den  leeren  Linien  der  Umrisse  unverständlich 
bleibt,  gewinnt  hier  Leben  und  Bedeutung.  Alles  ist  Farbe,  Licht, 
Luft  und  Raum  geworden.  Nicht  als  trockene  Kupferstiche,  sondern 
als  monumentale  Wandbilder  hatte  sich  Runge  den  Cyklus  gedacht, 
und  keine  philosophischen  Gedanken,  — auf  die  seine  Commen- 
tatoren  allein  Gewicht  legten  — sondern  glänzend  phantastische 
Lichterscheinungen  wollte  er  darin  ausdriicken.  Sein  »Nachtigallen- 
unterricht« muthet  an,  wie  eine  Vorahnung  Boccklins:  wirkliches 
Fleisch  mit  grünen  Reflexen  der  Blätter,  moderne  Stimmungsland- 
schaft und  sattgrüne  Zweige,  die  kühn  gegen  tiefblauen  Himmel 
gesetzt  sind. 

Selbst  in  seinen  Bildnissen  hat  ihn  das  Studium  der  atmosphär- 
ischen Einwirkungen  ebensosehr  wie  das  des  Charakters  beschäftigt. 
Sic  sind  nicht  zahlreich  — nur  Menschen , die  seinem  Geist  oder 
seinem  Herzen  nahe  standen,  malte  er  — aber  sic  gehören  zum 
Originellsten,  was  damals,  nicht  in  Deutschland,  sondern  in  Europa 
entstand.  Charakteristisch  bis  in  die  Fingerspitzen,  dabei  von  grossem 
Stil , haben  sie  zugleich  eine  Intimität , die  in  jener  Zeit  einzig  ist. 
Wie  ein  alter  Deutscher,  doch  ohne  Anlehnung,  versuchte  Runge, 
die  Menschen  in  ihrer  täglichen  Umgebung  zu  schildern,  ein  Bild 
ihrer  ganzen  häuslichen  Existenz  zu  entwerfen.  Und  mit  merkwür- 
diger Sicherheit  hat  er  dabei  die  Klippe  genrehafter  Zurechtstutzung 
vermieden.  Die  Poesie  der  Gewohnheit  webt  in  seinen  Bildern,  so 
dass  sie  wie  die  Erinnerung  an  etwas  Trautes,  Familiäres  wirken: 
empfunden  und  erlebt,  nicht  gestellt  und  gemalt.  Ein  Gruppen- 
bildniss  seiner  Familie,  1800  in  Kopenhagen  entworfen,  macht  den 
Anfang.  Sie  sitzen  im  Garten , vor  der  Veranda , beim  Thectisch, 
von  hohen  Bäumen  beschattet,  und  Runge  im  Reisemantel,  auf  Ferien- 
besuch von  der  Akademie  zurückkehrend,  eilt  in  herzlicher  Begrüssung 
dem  Vater  in  die  Arme.  Auf  einem  zweiten,  von  1805,  steht  er 
mit  seinem  Bruder  plaudernd  im  Garten,  seine  junge  Frau  lehnt  sich 
an  ihn , die  zarte  Dämmerstimmung  eines  schönen  Sommerabends 
liegt  darüber.  Von  1806  ist  das  Bild  seiner  Eltern.  Sie  treten,  von 
einem  Spaziergang  kommend , in,  den  Garten  ein.  Zwei  Knaben, 
ihre  Enkel,  sind  ihnen  vorangesprungen,  der  eine  möchte  eine  Lilie 
pflücken,  der  andere,  ältere,  sieht  deshalb  fragend  zu  den  Grosseltern 
auf.  Ein  kalter  grauer  Tageston  breitet  sich  ringsum  aus.  Runge 
kannte  keine  traditionelle  braune  Abtönung.  Sein  Ziel  war,  »treu  und 


Ein  Vorspiei. 


7 


wahr  das  Gesehene  so  wiederzugeben , wie  ein  Spiegel  es  von  der 
Natur  zurückstrahlen  würde,«  und  er  bezeichnete  seine  Arbeiten  als 
misslungen,  wenn  er  »unter  dem  Einfluss  verschiedener,  bald  heller 
bald  trüber  Erleuchtung  an  der  ursprünglich  beabsichtigten  atmo- 
sphärischen Stimmung  nicht  consequent  hatte festhalten  können«.  Die 
coloristische  Haltung  hat  sich  genau  zu  decken  mit  Ort  und  Zeit 
des  dargestellten  Vorganges  — er  hat  dieses  Princip  des  Pleinair 
ebenso  klar  in  seinen  Werken , wie  in  seinen  Schriften  formulirt. 

Denn  Philipp  Runge  war  nicht  nur  Maler,  er  war  auch  Schrift- 
steller: ein  ebenso  liebenswürdiger  Mensch,  wie  bedeutender  Geist,  den 
die  Besten  seiner  Zeit  in  ihre  Kreise  zogen.  Tieck  steht  ihm  nahe 
und  Goethe  wechselt  mit  ihm  Briefe.  Gedichte  von  ihm  werden 
componirt.  Zu  Grimms  Märchen  steuert  er  die  schöne  Erzählung 
vom  Machandelbaum  bei,  die  in  Schwind  einen  so  liebenswürdigen 
Illustrator  fand.  Seine  »Farbentheorie«  fesselt  Goethes  Denken.  Und 
seine  »Hinterlassenen  Schriften«,  1842  von  seinem  Bruder  heraus- 
gegeben, enthalten  von  Seite  zu  Seite  ganz  seltsame  Zeugnisse 
dafür,  wie  weit  er  in  Allem  seiner  Epoche  voraus  war.  Die  ver- 
schiedenartigsten Probleme,  die  erst  viel  später  die  Künstler  be- 
schäftigten, tauchen  auf  und  werden  erörtert.  In  einer  Zeit,  da 
überall  die  alten  Meister  als  Vorbilder  und  Leitsterne  eines  class- 
ischen  oder  romantischen  Eklekticismus  dienten,  verwahrt  er  sich  aus- 
drücklich gegen  die  Lehre,  dass  durch  Copiren  der  Alten  lebendige 
Werke  erzeugt  werden  könnten,  und  weist  mit  klaren  Worten  auf 
den  Inhalt  der  kommenden  Kunst  hin.  Die  grossen  Ideen  und  die 
Reize  der  Form  seien  durch  die  Alten  erschöpft,  dagegen  sei  das 
Studium  des  Lichtes  und  der  Farbe  innerhalb  der  ältern  Schulen 
noch  nicht  ernstlich  unternommen  worden.  Das  müsse  für  die 
Neuen  den  Ausgangspunkt  des  Schaffens  bilden,  und  innerhalb  der 
Landschaftsmalerei  werde  dieser  Umschwung  zunächst  sich  voll- 
ziehen. Sie  werde,  da  das  19.  Jahrhundert  keine  andern  Stoffe 
mehr  auszugestalten  vorfinde,  den  wesentlichen  Inhalt  der  neuen 
Kunst  bilden. 

»Wir  sehen  in  den  Kunstwerken  aller  Zeiten  es  am  deutlichsten, 
wie  das  Menschengeschlecht  sich  verändert  hat,  wie  niemals  dieselbe 
Zeit  wieder  gekommen  ist,  die  einmal  war;  wie  können  wir  auf  den 
unseligen  Hinfall  kommen,  die  alte  Kunst  wieder  zurückrufen  zu 
wollen?  Wir  stehen  am  Rande  aller  Religionen,  die  Abstractionen 
gehen  zu  Grunde,  Alles  ist  luftiger  und  leichter  als  das  Bisherige. 


8 


Ein  Vorspiel 


Hs  drängt  sich  Alles  zur  Landschaft,  sucht  etwas  Bestimmtes  in 
dieser  Unbestimmtheit.  Doch  unsere  Künstler  greifen  wieder  zur 
Historie  und  verwirren  sich.  Ist  denn  in  dieser  neuen  Kunst  — der 
Landschafterei,  wenn  man  so  will  — nicht  auch  ein  höchster  Punkt 
zu  erreichen?  der  vielleicht  noch  schöner  sein  wird  wie  die  vorigen? 
Man  soll  nach  Italien  gehen!  Ist  nicht  anzunehmen,  dass  die  grossen 
Kunstwerke,  die  man  dort  sieht,  den  Nachgeborenen  nur  von  seinen 
eigenen  Ideen  ablenken  und  das,  was  lebendig  vor  seiner  Einbildungs- 
kraft steht,  ersticken  ? Es  ist  wc  i t b esse  r,  d i e Ku  n s t zu  n ä h re  n, 
als  sich  von  ihr  ernähren  zu  lassen.  . . Kinder  müssen 
wir  werden,  wenn  wir  das  Beste  erreichen  wollen«. 

Das  ist  deutlich  gesprochen.  Runge  will  neue  Kunst  schaffen 
nicht  durch  Wiederholung  derer,  die  schon  einmal  da  war,  sondern 
durch  selbständige  Versenkung  in  die  Natur;  aber  auch  nicht  durch 
mechanisches  Zurechtstutzen  der  von  der  Natur  gegebenen  Elemente, 
sondern  durch  den  Ausdruck  einer  selbständigen  starken  Empfindung. 
Im  Princip  ist  bei  dieser  Anschauung  sowohl  die  leere  akademische 
Kunst,  die  keine  Empfindung  kennt,  das  rückläufige  Nazarenerthum 
mit  seiner  Verleugnung  eigener  Naturanschauung  wie  die  folgende 
Epoche,  die  im  Geschichtsbild,  dem  Genre  und  der  Landschaft  nur 
den  interessanten  Stoff  suchte,  überwunden. 

»Ueber  Kunstansicht  und  Bestrebungen  dieses  Mannes,  der  wie 
ein  Meteor  in  unserer  Welt  schnell  aufging  und  — will’s  Gott  nicht 
ohne  Einfluss  — schnell  wieder  verschwand,  einige  Worte  zu  geben, 
sei  hier  verstauet.  In  der  Kunstentwicklung  seiner  selbst  wurde  es 
ihm  klar  und  gewiss,  dass  seit  dem  Blüthenalter  der  Griechen  die 
Kunst  der  Formen  sowie  in  Richtigkeit  und  Strenge,  so  auch  in 
Leben  und  Schönheit  der  Umrisse  von  den  Florentinern  und  Rafael 
fast  erschöpft,  abgeschlossen  und  der  Vollendung  nahe  gebracht  sei, 
— dass  dagegen  Licht  und  Farbe  und  bewegendes  Leben 
wohl  von  vielen  tief  empfunden  und  erhascht,  von  manchen  lebendig 
geahnt  und  empfangen,  von  Correggio  und  einigen  klar  eingesehen, 
erkannt  und  ergriffen,  aber  bis  jetzt  noch  von  keinem  als  reine 
Erkcnntniss  in  Wort  und  Gesetz,  durch  Rede  und  That 
ausgesprochen  sei«. 

Als  Michael  Speckter  1815  im  Niederelbischen  Merkur  diese 
Worte  schrieb,  war  Runge  schon  5 Jahre  todt.  Er  war  am  2.  De- 
zember 1810  in  Hamburg  einem  Brustleiden  erlegen.  33  Jahre  alt. 
Sein  Name  wurde  vergessen.  Denn  er  gehörte  keiner  Richtung  an, 


Ein  Vorspiel 


9 


um  die  sich  die  Kunstkritik  ernsthaft  kümmerte.  Erst  Alfred  Licht- 
wark  rief  ihn  aus  dem  Grabe  und  errichtete  ihm  ein  Denkmal.  Seit 
jenes  Kinderporträt  aus  dem  Magazin  der  Hamburger  Kunsthalle  auf- 
tauchte, erfuhr  die  Welt,  was  für  ein  grosser  Genius,  ehe  er  seine 
Schwingen  hatte  entfalten  können,  mit  diesem  Manne  vernichtet 
ward.  Nun  wird  ihn  die  Kunstgeschichte  nicht  mehr  vergessen. 

Licht  und  Farbe  und  bewegendes  Leben«,  das  ist  das  grosse 
Problem,  das  grosse  Geheimniss  und  die  grosse  Eroberung  der  modernen 
Kunst,  der  Inhalt  aller  Bestrebungen  der  neuschaffenden  Geister  des 
Jahrhunderts  geworden.  Drei  Generationen  von  Akademikern  mühten 
sich  ab,  erst  an  die  Zeichner,  dann  an  die  Coloristen  aller  Epochen 
der  Vergangenheit  anzuknüpfen,  in  der  Meinung,  damit  neue  Kunst 
zu  schaffen.  In  der  glänzenden  und  sinnlosen  Anstrengung,  den 
Alten  erst  ihre  Formen,  dann  ihre  Farben  zu  nehmen,  erschöpften 
sich  die  Grössten  und  starben  dahin.  Und  nachdem  dieser  Kreislauf 
beendet  war,  ohne  dass  die  Kunstgeschichte  vorwärts  kam,  erstand 
die  »neue  Kunst«  dadurch,  dass  sie  systematisch  in  die  Bahnen  ein- 
lenkte, die  Runge  vorgezeichnet.  In  Worten  und  Werken  hat  er 
die  Entwicklung  der  europäischen  Malerei  vorausverkündet,  und  die 
Schilderung  der  manigfachen  Etappen,  die  sie  zu  durchlaufen  hatte, 
bis  sie  1865  mit  den  Erstlingswerken  Manets  das  Ziel  erreichte, 
worauf  jenes  Kinderporträt  von  1805  prophetisch  hinwies  — diese 
Schilderung  wird  den  Inhalt  des  vorliegenden  Bandes  bilden. 


XVII. 


Die  Zeichner. 

INDEM  die  moderne  Kunst  im  Beginne  ihrer  Laufbahn  fast  aus- 
schliesslich mit  abgeschiedenen  Geistern  der  Vergangenheit  ver- 
kehrte, hatte  sie  sich  in  Gegensatz  zu  allen  älteren,  grossen 
Epochen  gestellt.  Alle  Werke  der  Kunstgeschichte  vom  Dombilde 
Stephan  Lochners  bis  zu  den  Arbeiten  der  Nachfolger  Watteaus  stehen 
im  engsten  Zusammenhang  mit  ihrem  Volk  und  ihrer  Zeit.  Wer 
Dürers  Werke  studirt,  kennt  zugleich  sein  Heim,  seine  Familie,  das 
Nürnberg  des  16.  Jahrhunderts  mit  seinen  kleinen  Gässchen  und 
Giebelhäusern,  es  spiegelt  in  dem  Griffel  dieses  einen  Künstlers  die 
ganze  Zeit  sich  mit  einer  Treue  und  Deutlichkeit  wider,  die  des 
peinlichsten  Historikers  spottet.  Dürer  wie  seine  Zeitgenossen  in 
Italien  waren  in  so  inniger  Verbindung  mit  der  Wirklichkeit,  dass 
sie  sich  in  ihren  religiösen  Bildern  sogar  über  die  historische  Wahr- 
scheinlichkeit hinwegsetzten  und  die  Wundergeschichten  heiliger  Ueber- 
lieferung  wie  alltägliche  Vorgänge  des  1 5.  Jahrhunderts  behandelten. 
Oder  in  welch  greifbarer  Realität  ist  in  den  Werken  Ostades,  Brouwers 
und  Steens  die  ganze  Epoche,  aus  der  diese  grossen  Künstler  Kraft 
und  Nahrung  sogen,  in  ihrem  Geist,  ihrer  Gefühlsweise,  ihren  Sitten 
und  Kostümen  lebendig  geblieben.  Jeder,  dessen  Name  auf  die  Nach- 
welt überging,  stand  fest  und  unverrückt  auf  dem  Boden  seiner  Zeit; 
gleich  einem  Baume  ruhte  er  mit  allen  Wurzeln  seines  Stammes  in 
der  heimischen  Erde;  seine  Zweige  rauschten  in  der  Luft  des  Hei- 
mathlandes,  und  die  Sonne,  die  auf  seine  Blüthen  fiel  und  seine 
Früchte  reifte,  war  die  Italiens  oder  Deutschlands,  Spaniens  oder 
der  Niederlande  in  der  und  der  Zeit,  nie  das  schwache  Reflexlicht 
eines  Gestirns,  das  ehedem  in  andern  Zonen  geleuchtet. 

Nur  im  Beginne  des  19.  Jahrhunderts  ging  der  Malerei  dieser 
Zusammenhang  mit  dem  Leben  der  Gegenwart  und  dem  Boden  der 
Heimath  verloren.  Es  ist  nicht  anzunehmen,  dass  spätere  Genera- 
tionen sich  aus  diesen  Bildern  eine  Vorstellung  vom  Leben  des 


XVII.  Die  Zeichner 


1 1 


19.  Jahrhunderts  werden  bilden 
können  und  dass  sie  für  dieses 
annähernd  solche  Documente  sein 
werden,  wie  sie  das  16.  und  17.  Jahr- 
hundert in  den  Werken  Dürers, 

Bellinis,  Rubens’  oder  Rembrandts 
besitzt.  Die  alten  Meister  waren 
Kinder  ihrer  Zeit  bis  in  die  Finger- 
spitzen. Sie  waren  durchdrungen 
von  dem  ganzen  Inhalt,  den  Idea- 
len, den  Zielen  ihrer  Zeit,  und  sie 
durchdrangen  sie  mit  ihrem  Inhalt, 
ihren  Zielen,  ihren  Idealen.  Tritt 
man  dagegen  in  eine  moderne 
Gemäldegalerie  ein  und  sucht  die  Martin  Drol/mg. 

bis  1850  entstandenen  Bilder  zu- 
sammen, so  hat  man  oft  den  Eindruck,  als  ob  sie  frühem  Jahr- 
hunderten angehörten.  Sie  sind  gefühllos  für  die  umgebende  Welt 
und  scheinen  sie  nicht  zu  kennen. 

Schon  David,  der  erste  der  Neugekommenen,  hat  ausser  seinem 
Marat  kein  Werk  hinterlassen,  das  mit  dem  Blute  der  französischen 
Revolution  getauft  ist.  Um  das  Pathos  der  kämpfenden  Freiheit  aus- 
zudrücken, bediente  er  sich  römischer  Heldenfiguren.  Die  neuer- 
rungene politische  Freiheit  des  Volkes  erläuterte  er  durch  Beispiele 
aus  der  römischen  Historie.  Und  später,  als  die  Alliirten  nach  der 
Besiegung  Napoleons  in  Paris  einzogen,  erzählte  er  die  Geschichte 
des  Leonidas  bei  den  Thermopylen.  Nur  als  Porträt  wurde  von  den 
»Grossmalern«  dem  modernen  Leben  eine  Berechtigung  zugestanden. 
Zwar  lebten  damals  noch  einige  Kleinmeister,  die  verstohlen  im 
Dienste  des  Kunsthandels  unscheinbare  Bildchen  aus  dem  umgeben- 
den Leben,  Küchen-  und  Architekturstücke  in  die  Welt  setzten.  Der 
arme  elsässische  Maler  Martin  Drolling.  von  der  Kritik  verächtlich 
der  Schüsselmaler  genannt,  zeigte  in  seinen  Küchenbildern,  dass  trotz 
David  noch  etwas  vom  Geiste  Chardins  und  der  grossen  Holländer  in 
der  französischen  Kunst  lebte.  Er  hat  den  Menschen,  den  Geräthen, 
dem  Gemüse  die  Pose  und  den  harten  Linienzug  des  Classicismus  ge- 
geben. Besser  und  zarter  sind  ein  paar  Porträts,  besonders  das  des 
Schauspielers  Baptiste  mit  seinem  feinen  Diplomatenkopf,  das  auf 
der  Ausstellung  1889  in  seiner  sachlichen,  sicher  hingeschriebenen 


XVII.  Die  Zeichner 


Boilly:  Das  Marionettentheater. 

Charakteristik  wie  ein  Holbein  von  1802  anmuthete.  Ein  anderer 
Kleinmeister,  Grauet,  malte  pittoreske  Ruinen,  niedrige  Säle  und 
Kirchenwölbungen,  studirte  aufmerksam  das  Problem  des  Lichtes  in 
Innenräumen  und  zog  sich  dadurch  von  David  den  Vorwurf  zu, 
dass  »seine  Zeichnung  nach  Farbe  schmecke«.  In  Leopold  Boilly 
fand  das  noch  recht  kleinstädtische  Pariser  Leben , die  Ankunft  der 
Post,  das  Markt-  und  Strassentreiben  einen  chronistisch  treuen,  frei- 
lich spießbürgerlichen  Interpreten.  In  der  Revolutionszeit  malte  er 
einen  Triumph  Marats«,  den  Volkstribun,  der  nach  einer  zündenden 
Rede  von  seinen  Zuhörern  auf  den  Schultern  aus  dem  Pariser  Justiz- 
palast getragen  wird.  1807,  als  die  Ausstellung  von  Davids  Krönungs- 
bild ganz  Paris  in  Aufregung  brachte,  hatte  er  den  Einfall,  den  Aus- 
stellungssaal mit  dem  Bild  und  der  davor  sich  drängenden  Menge  in 
einer  Momentaufnahme  festzuhalten.  Seine  Specialität  waren  kleine 
Porträtgruppenbilder  biederer  Bourgeois  in  steifem  Sonntagsstaat. 
Boilly  kannte  genau  die  Toiletten  seiner  Zeit,  die  Roben  und 
Frisuren  der  Schauspielerinnen , er  fragte  nicht  nach  ästhetischen 
Paragraphen,  sondern  stellte  den  Vorgang  dar,  so  treu  er  konnte. 


XVII.  Dir:  Zeichner 


!3 


so  ehrlich  und  sachlich,  wie 
es  nur  möglich  war.  Des- 
halb hat  er  hervorragenden 
culturhistorischen  Werth,  ist 
nur  nicht  Maler  genug,  um 
künstlerisch  grosses  Interesse 
zu  beanspruchen.  Die  Aus- 
lührung seiner  Bilder  ist  ängst- 
lich und  kleinlich,  seine 
reinliche,  philisterhafte  Ma- 
lerei hat  etwas  von  Porzellan 
und  Emaille  ohne  eine  Spur 
jener  geistvollen  Leichtigkeit, 
mit  der  das  18.  Jahrhundert 
über  solche  Dinge  schwirrte. 

Die  Köpfe  seiner  Frauen  sind 
Puppenköpfchen  und  seine 
Seide  sieht  aus  wie  Stahl. 

Nicht  die  Holländer  der  guten 
Epoche,  Terborg  und  Metsu,  sondern  van  der  Werffs  Zeitgenossen 
sind  seine  Almen.  Er  sowohl  wie  Drolling  und  Grauet  waren  mehr 
Ausläufer  der  alten,  grossen,  holländischen  Schule,  mehr  Epigonen 
Chardins  als  Anreger,  und  von  den  Jüngern  wagte  zunächst  keiner 
das  vom  Classicismus  ausgerodete  Gebiet  neu  zu  besäen.  Gericault 
wurde  zu  seinem  Schiffbruch  der  Medusa  zwar  nicht  durch  Livius 
oder  Plutarch,  sondern  durch  eine  Begebenheit  aus  der  Gegenwart, 
einen  Zeitungsbericht  angeregt,  wagte,  einen  gewöhnlichen  Schiff- 
bruch an  die  Stelle  der  Sündfluth  oder  einer  Seeschlacht,  unbekannte 
Menschen  an  die  Stelle  griechischer  Heroen  zu  setzen.  Doch  sein 
Bild  steht  unter  den  Werken  der  Romantiker  vereinzelt  da  und  ist 
zu  stark  in  den  Classicismus  transponirt,  um  als  Darstellung  aus 
dem  modernen  Leben  zu  zählen. 

In  seinem  Streben  nach  Bewegung  und  Farbe  setzte  der  Ro- 
mantismus  das  leidenschaftliche,  malerische  Mittelalter  dem  steifen, 
kalten,  neugriechischen  und  neurömischen  Ideal  entgegen,  vereinigte 
sich  aber  mit  dem  Classicismus  in  der  Verachtung  der  Gegenwart. 
Selbst  die  politische  Bewegung  am  Ende  der  Restauration  und  die 
Julirevolution  hatte  auf  die  führenden  Geister  geringen  Einfluss.  Ge- 
wohnt, die  Elemente  malerischer  Erfindung  in  den  religiösen  Mythen, 


1 1 


XVII.  Die  Zeichner 


den  Erzählungen  der  Dichter 
und  den  Ereignissen  der  altern 
Geschichte  zu  suchen , be- 
merkten sie  nichts  von  dem 
gewaltigen,  socialen  Drama, 
das  in  ihrer  unmittelbarsten 
Nähe  sich  abspielte.  Der 
Feuergeist  Delacroix’  malte 
zwar  sein  Barrikadenbild,  Hess 
sich  aber  dazu  von  einem 
Dichter,  einer  Ode  Auguste 
Barbiers  an  regen  und  gab  dem 
Ganzen  einen  allegorisch  ro- 
mantischen Anstrich,  indem 
er  die  Figur  der  Freiheit  bei- 
fügte. Er  lebte  in  einer  Welt 
glühender  Leidenschaften,  ne- 
ben denen  alle  Kämpfe  der 
Gegenwart  doch  nur  ein  klein- 
liches, materielles  Interesse  zu 
haben  schienen.  Deshalb  hat  er  aus  dem,  was  er  um  sich  sah,  weder 
direct,  noch  indircct  geschöpft.  Er  malte  die  Seele,  nicht  das  Leben 
seiner  Epoche.  Die  germanischen  Dichter  und  das  Mittelalter  zogen 
ihn  an.  Er  befreite  die  Kunst  von  den  griechischen  Stoffen  und  italien- 
ischen Formen,  um  dafür  die  Ideen  den  Engländern  und  Deutschen, 
die  Farben  den  Vlaamen  zu  entlehnen.  Ueber  die  französische  Ge- 
sellschaft des  19.  Jahrhunderts  herrscht  bei  ihm  tiefes  Schweigen. 

Noch  mehr  tritt  diese  Weltentfremdung  bei  Ingres  hervor.  Die 
Messe  Pius  VII.  in  der  sixtinischen  Kapelle  ist  unter  seinen  vielen 
Werken  das  einzige,  das  einen  Stoff  aus  dem  zeitgenössischen  Leben 
behandelt  und  wurde  von  der  Kritik  getadelt,  weil  es  sich  so  weit 
vom  grossen  Stil  entferne.  Historienmaler  und  in  seinen  guten 
Stunden  Porträtist,  hat  Ingres  das  ganze  Lebensmark  der  Vergangen- 
heit in  seinen  eisigen  Werken  crystallisirt  und  erscheint  in  der  Mitte 
des  Jahrhunderts  wie  eine  wunderbare  aber  unfruchtbare  Sphinx. 
Man  hört  bei  ihm  nichts  von  den  Bedürfnissen,  Leidenschaften  und 
Interessen  der  Lebenden.  Sein  Jahrhundert  hat  sich  quälen,  hat 
leiden  und  kämpfen  und  neue  Ideen  erzeugen  können,  er  bemerkte 
nichts  davon  oder  lässt  nichts  davon  merken. 


Boilly:  Der  Zeihingsverkäufer. 


XVII.  Die  Zeichner 


15 


Rowlundson:  Der  Streit  im  Wirtbsbaus. 


Delaroche  näherte  sich  der  Gegenwart  etwas  mehr,  indem  er  aus 
der  Antike  und  dem  Mittelalter  bis  zum  17.  Jahrhundert  vorwärts 
schritt,  und  das  von  ihm  erfundene  Historienbild  beherrschte  im 
Verein  mit  dem  absterbenden  Classicismus  im  Wesentlichen  noch 
unter  Napoleon  III.  die  französische  Kunst.  Auch  damals  wagte  noch 
kein  Maler,  die  Sitten  und  Typen  seiner  Zeit  mit  dem  frischen  Blick 
und  der  unerbittlichen  Beobachtung  Balzacs  zu  schildern.  All  die 
Scenen  aus  dem  grossstädtischen  Leben,  seiner  Eleganz  und  seinem 
Elend,  die  damals  anfingen  Drama  und  Roman  zu  beherrschen,  hatten 
in  der  Malerei  noch  kein  Gegenstück. 

In  gleiches  Stillschweigen  hüllen  sich  die  Belgier.  Während  der 
ganzen  classicistischen  Verfallzeit  von  1800  bis  1830  beherrschten  die 
Francois,  Padinck,  van  Hansekere,  Odevaere,  de  Roi,  Duvivier  u.  A. 
mit  ihren  gemalten  griechischen  Statuen  als  unbeschränkte  Dictatorcn 
das  Figurenbild,  und  von  den  darauffolgenden  Historienmalern  zog 
auch  nur  Wappers  in  seiner  »Episode«  das  moderne  Leben  in  den 
Kreis  der  Darstellung.  Man  wollte  Rubens  erneuern.  Dceaisne, 
Wappers,  de  Keyzer,  Riefve,  Gallait  zündeten  ihr  Licht  an  seiner 
Sonne  an  und  wurden  als  die  heilige  Schaar  begrüsst,  die  Belgiens 


XVII.  Die  Zeichner 


16 


Kunst  zu  ruhmreichem  Siege  führe. 
Doch  ihre  anfangs  nationale  Rich- 
tung führte  statt  in's  Leben  immer 
mehr  davon  ab.  Nur  um  Kürasse 
und  Helme  zu  malen,  zogen  sie 
die  dunkelsten  Nationalhelden  an  s 
Tageslicht,  ganz  wie  es  die  Classi- 
cisten  mit  Griechen  und  Römern 
gethan.  Die  deutsche  Malerei  irrte 
noch  planloser  in  der  Vergangen- 
heit umher,  indem  sie  ihre  Stoffe 
nicht  einmal  der  heimischen,  son- 
dern mehr  noch  der  französischen, 
englischen  und  vlämischen  Ge- 
schichte entnahm.  Von  Carstens 
bis  herauf  zu  Makart  verschlossen  unsere  tonangebenden  Maler  die 
Augen  ängstlich  vor  der  Wirklichkeit,  zogen  die  Jalousien  zu  vor 
dem  Leben,  das  unten  auf  der  Strasse  sich  abspiclt,  mit  seinem 
Koth  und  seinem  Glanz,  seinem  Lachen  und  Elend,  seiner  Gemein- 
heit und  edlen  Menschlichkeit.  Und  diese  Weltentfremdung  erklärt 
sich  culturgeschichtlich  sehr  wohl. 

Zunächst  bedeutete  — für  Frankreich  wie  für  alle  übrigen  Länder 
das  Ende  des  ancien  Regime,  der  Sturm  der  Revolution  und  die 
damit  verbundene  Umbildung  des  ganzen  Lebens,  — der  Gefühle, 
Gewohnheiten,  Anschauungen,  der  Kleidung  und  gesellschaftlichen 
Zustände  — eine  so  plötzliche  Veränderung  des  Gesichtskreises,  dass 
die  Künstler  nothwendig  in  Verwirrung,  kamen.  Die  Ueberlebenden 
aus  der  Zeit  Ludwigs  XVI.,  die  liebenswürdigen  Kleinmeister,  welche 
die  grossen  Meister  jener  graziösen  leichtlebigen  Epoche  gewesen 
waren,  als  die  Monarchie  lachend  den  Todeskampf  kämpfte,  waren 
plötzlich  Zeugen  einer  Umwälzung,  wie  sie  gleich  jäh  die  Welt  noch 
nicht  gesehen.  Wilde  Banden  drangen  in  die  Gärten,  die  Paläste, 
die  Salons  ein,  den  Spiess  in  der  Hand,  die  rothe  Mütze  auf  dem 
Kopf.  Von  roher  Sprache  hallten  die  Wände  wider,  plebejische 
Redner  orakelten  wie  altrömische  Volkstribunen  von  Freiheit  und 
Brüderlichkeit.  Man  sah  nicht  mehr,  was  gestern  da  war,  dicker 
Pulverqualm  hatte  sich  zwischen  Vergangenheit  und  Gegenwart  ge- 
lagert. Und  diese  selbst  hatte  noch  keine  feste  Form  gewonnen,  sie 
hielt  sich  in  unfertiger  Mitte  zwischen  vergangenen  und  neuen  Kultur- 


Jobn  Leech:  Cbildren  of  tbe  mobililx. 


XVII.  Die  Zeichner 


17 


John  Leech:  Children  of  the  mobility. 

formen.  Die  Revolutionsstürme  machten  der  Behaglichkeit  des  Privat- 
lebens ein  Ende.  Daher  dünkten  der  Kunst  die  fertigen,  leichter 
greifbaren  Gestalten  und  Formen  einer  längst  begrabenen  Welt,  der 
man  sich  wahlverwandt  glaubte,  zunächst  unendlich  werthvoller  als 
das  erst  werdende  Neue.  Die  Maler  wurden  Classicisten,  da  sie  noch 
nicht  wagten,  das  Feld  zu  betreten,  auf  dem  das  Jahrhundert  selbst 
seinen  Gährungsprocess  durchmachte. 

Die  Romantiker  verschmähten  es,  denn  der  gährende  Most 
hatte  nicht  feurigen  Wein,  sondern  zahme  Limonade  ergeben.  Der 
Künstler  muss  Kunst  erleben,  um  Kunst  schaffen  zu  können.  Je 
schöner,  reicher  und  glanzvoller  das  Leben  der  Völker  war,  desto  mehr 
Stoff  und  Nahrung  hat  die  Kunst  daraus  gezogen.  Die  Romantiker 
aber  fanden  bei  ihrem  Auftreten  — in  Frankreich  wie  in  Deutschland 
— Alles,  nur  nicht  eine  Wirklichkeit,  die  sie  des  Abgemaltwerdens 
für  werth  hielten.  Das  ganze  Dasein  erschien  dieser  Generation  so 
kahl  und  armselig,  die  Kleidung  so  caricaturhaft  unkünstlerisch,  die 
Zustände  so  trostlos  und  kleinlich,  dass  sie  eine  Schilderung  ihrer 
selbst  weder  in  der  Poesie  noch  in  der  Kunst  vertragen  konnte.  Es 
war  die  Zeit  des  sehnsüchtig  gesuchten  Idols,  das  man  nur  in  der 
Vergangenheit  zu  finden  glaubte.  Einer  schlaffen,  thatlosen  Epoche 
setzte  man  die  gewaltigen  Leidenschaften  des  Mittelalters  gegenüber. 

Dazu  kam  der  überwältigende  Druck  der  alten  Meister.  Es  war 
nach  der  durch  David  und  Carstens  verursachten  coloristischen  Hill- 


Mnther,  Moderne  Malerei  II. 


2 


i8 


XVII.  Die  Zeichner 


ilu  Männer:  Die  Tanzstunde. 

losigkeit  so  dringend  nöthig.  die  Kunstlehre  und  Maltechnik  der  Alten 
wiederherzustcllen,  dass  man  zunächst  auch  die  alten  Stoße,  nament- 
lich die  prunkvollen  Gewänder  der  Lagunenstadt  nöthig  zu  haben 
glaubte,  um  daran  die  neu  erworbenen  Kunstgriffe  der  Palette  zu 
erproben.  Unsicher  zwischen  altmeisterlichen  Einflüssen  schwankend, 
meinte  die  Malerei  mit  den  neuen  Elementen,  die  das  Jahrhundert 
ihr  bot,  noch  keine  stilvollen  Kunstwerke  schaffen  zu  können.  Sie 
bedurfte  noch  einer  venezianischen  oder  vlämischen  Amme,  um  sich 
tragen  zu  lassen. 

Und  die  Aesthetik  ertheilte  diesen  Bestrebungen  ihren  Segen. 
Waren  die  Romantiker  aus  Ekel  vor  der  farblos  grauen  Gegenwart 
in  die  Vergötterung  der  Vergangenheit  und  zur  Behandlung  der  Ge- 
schichte geführt  worden,  so  wurde  die  jüngere  Generation  noch  lange 
nachher  durch  die  ästhetischen  Ansichten  über  den  Rang  der  Historien- 
malerei auf  diesem  Gebiet  festgehalten.  Die  eigene  Zeit  zu  malen 
galt  als  Verbrechen.  Man  musste  die  Zeit  der  Andern  malen.  Zu 
diesem  Zwecke  wurde  der  Prix  de  Rome  gestiltct.  Der  Geist,  aus 
dem  Cabancls  und  Bouguereaus  Bilder  hervorgingen,  war  noch  immer 
derselbe,  der  einst  David  an  Gros  schreiben  liess,  dass  die  Schlachten 
des  Kaiserreichs  doch  nur  zufällige  Gelegenheitsbilder,  nicht  ernste, 
grosse,  eines  Historienmalers  würdige  Kunstwerke  ergeben  könnten. 


XVII.  Die  Zeichner 


19 


du  Maurier:  Am  Strande. 


Hs  herrschte  noch  immer  jene  Acsthetik,  welche  lehrte:  Was  auch 
immer  der  Stoil'  sein  mag  und  welche  Personen  vorgeführt  werden, 
— sobald  sie  der  Gegenwart  angehören,  ist  das  Bild  nur  ein  Genre- 
bild. Während  die  Welt  lachte  und  weinte,  amüsirte  sich  der  Maler, 
mit  colossalem  Können  Alles  zu  thun,  um  nicht  als  Kind  seiner  Zeit 
zu  erscheinen.  Keiner  sah  die  Feinheit  und  Grazie,  Corruption  und 
Ausgelassenheit  des  modernen  grossstädtischen  Lebens.  Keiner  berührte 
die  gewaltigen  socialen  Probleme,  die  das  werdende  Jahrhundert  in 
gährendem  Zeugungsdrang  aufwarf.  Wer  erfahren  will,  wie  die 
Menschen  damals  lebten  und  sich  bewegten,  mit  welchen  Hoffnungen 
und  Sorgen  sic  sich  trugen,  wer  nach  Werken  sucht,  worin  der  Puls- 
schlag des  Jahrhunderts  klopft,  ist  auf  die  Arbeiten  der  Zeichner,  die 
Illustrationen  einzelner  Journale  gewiesen.  Hs  war  im  19.  Jahrhundert 
wie  im  Mittelalter.  Wie  damals,  als  die  Malerei  noch  kirchlich  war, 
das  langsam  erwachende  Naturgefühl,  die  Freude  am  Leben  zuerst 
in  Miniaturen,  Holzschnitten  und  Kupferstichen  zum  Ausdruck  kam, 
so  waren  auch  im  19.  Jahrhundert  die  grossen  Zeichner  die  ersten, 
die  mit  aller  Energie  darangingen,  das  moderne  Leben  und  dessen 
Inhalt  ernst  und  sachlich  in  den  Kreis  der  Kunst  zu  ziehen,  die 
ersten,  die  ihrer  Zeit  den  Spiegel  vorhieltcn  und  die  abgekürzte 
Chronik  ihres  Zeitalters  schrieben.  Ihr  Beruf  als  Caricaturistcn  führte 


20 


XVII.  Dif.  Zeichner 


sie  zur  dirccten  Beobachtung  der 
Welt  und  gab  ihnen  zu  einer  Zeit, 
da  sonst  noch  allenthalben  die  aka- 
demische Physiognomik  herrschte, 
das  Geschick,  mit  Leichtigkeit  den 
Ausdruck  für  die  empfangenen  Ein- 
drücke zu  finden.  Er  nöthigte  sie, 
Gegenstände  zur  Darstellung  zu 
bringen,  denen  sie  sich  sonst  nach 
den  ästhetischen  Anschauungen  der 
Epoche  nicht  zugewandt  hätten;  er 
leitete  sie  an,  in  Lebenssphären,  die 
ihnen  sonst  abstosscnd  gewesen 
wären,  Schönheiten  zu  entdecken. 
London,  die  Hauptstadt  eines 
weltbeherrschenden,  freien  Volkes,  die  Millionenstadt,  deren  ver- 
worrene, alte  Gässchen  und  Winkel  auch  alten,  übrig  gebliebenen 
Originalen,  wunderlichen  Käuzen  und  höhern  Charlatanen  aller  Art 
mehr  Platz  als  andere  Städte  Hessen,  gewährte  der  Caricatur  be- 
sonders günstigen  Boden.  England  nimmt  daher  auf  diesem  Gebiete 
den  unbestrittenen  ersten  Platz  ein. 

Direct  von  Hogarth  leitet  sich  die  Gruppe  der  politischen  Cari 
caturisten  her.  in  denen  das  gallige,  verbitterte  Temperament  John 
Bulls  in  neuer,  verbesserter  Auflage  fortlebt.  Männer  wie  Gillray 
waren  eine  Macht  in  den  politischen  Kämpfen  ihrer  Zeit,  kühne 
Liberale,  die  mit  heiligem  Zorn  und  schneidender  Ironie  für  die 
Sache  der  Freiheit  kämpften , zugleich  meisterhafte  Zeichner  von 
derbem,  kraftvollen  Stil.  Nur  ist  das  Interesse,  das  politische  Cari- 
caturcn  bieten,  immer  sehr  ephemerer  Natur.  Pitt  gegen  Eox,  Shcl- 
burne  gegen  Burke,  der  Geiz  und  die  Dummheit  Georgs  II.,  die 
irische  Union,  die  ehelichen  Trübungen  des  Prinzen  von  Wales,  der 
englisch-französische  Krieg  erscheinen  heute  als  sehr  gleichgültige 
Dinge.  Dagegen  spricht  R&wlandson,  da  er  nicht  nur  Politiker  war, 
auch  nach  hundert  Jahren  noch  eine  verständliche  Sprache. 

Er  war  gleich  Hogarth  das  Gegentheil  des  Humoristen.  Etwas 
Bitteres,  düster  Pessimistisches  geht  durch  Alles,  worauf  er  den 
Finger  legt.  Er  ist  brutal,  von  urwüchsiger  Kraft  und  unanständiger 
Derbheit.  Sein  Lachen  ist  breit,  sein  Fluchen  roh.  Ohrenzerreissende 
Klänge  entströmen  den  weit  aufgerissenen  Lippen  seiner  Sängerinnen, 


XVII.  Die  Zeichner 


21 


dicke  Thränen  den 
Augen  der  sentimen- 
talen alten  Damen,  die 
denDeclamationen  der 
Tragödin  lauschen. 

Die  Komik  arbeitet 
mit  den  einfachsten 
Mitteln.  Gewöhnlich 
genügen  schon  die 
Gegensätze:  dick  und 
dünn,  gross  und  klein, 
junge  Frau  und  alter 
Mann,  junger  Mann 
und  alte  Frau,  scheuendes  Pferd  und  lnilfloser  Sonntagsreiter.  Oder 
er  bringt  die  physischen  und  moralischen  Eigenschaften  seiner  Per- 
sonen in  lächerlichen  Contrast  zu  ihrem  Alter,  Beruf  und  Benehmen: 
Musikanten  sind  taub,  Tanzlehrer  krummbeinig,  Bedichte  tragen  den 
Frack  und  die  Orden  des  Lords,  hässliche  alte  Jungfern  spielen  die 
Kokette,  Geistliche  betrinken  sich  und  ernste  Staatswürdenträger  tanzen 
Cancan.  Wenn  dann  der  Bediente  geprügelt  wird,  die  Kokette  einen 
Korb  bekommt,  der  Diplomat  beim  Fallen  die  Orden  verliert,  so  ist 
das  die  Strafe  dafür,  dass  sie  aus  ihrer  Sphäre  heraustraten.  Es  sind 
noch  immer  »Lebensläufe  auf  schiefer  Ebene«,  dieselben  Chätiments, 
die  Hogarth  liebte.  Ein  anderer  aber  wurde  Rowlandson,  wenn  er 
daran  ging,  das  Leben  des  Volkes  zu  schildern. 

Er  war  im  Juli  1756  in  einer  engen  Gasse  des  alten  London 
geboren  und  wuchs  inmitten  des  Volkslebens  auf.  Als  junger  Mann 
sah  er  Paris,  Deutschland,  die  Niederlande.  In  allen  Clubs,  wo  hoch 
gespielt  wurde,  war  er  regelmässiger  Gast.  Er  stand  mitten  im  Leben, 
als  Mensch  wie  als  Maler  und  Zeichner.  Strassenscenen  aus  Paris 
und  London  beschäftigten  seinen  Pinsel : solche  aus  dem  Concert- 
garten  Vauxhall  besonders,  dem  Stelldichein  der  Londoner  vornehmen 
Welt,  und  es  ist  oft  etwas  Menzel’sches  in  dem  zuckenden  Leben 
dieser  Bilder,  in  diesen  Lords,  Ladies,  Bänkelsängern  und  Gigerln,  die 
sich  in  wogendem  Strom  durch  die  Anlagen  des  Gartens  drängen. 
Seine  Illustrationen  umfassen  Alles:  Soldaten,  Strassenarbeiter,  das 
Leben  zu  Haus  und  in  der  Kneipe,  in  Stadt  und  Dorf,  auf  dem 
Theater  und  hinter  den  Coulissen,  auf  den  Maskenbällen  und  im 
Parlament.  Als  er  am  22.  April  1827,  70  Jahre  alt,  starb,  konnten 


du  Maurier : Soiree. 


22 


XVII.  Die  Zeichner 


die  Nekrologe  mit 
Recht  von  ihm  sagen, 
dass  er  in  den  Jahren 
1774  bis  1809  ganz 
England  gezeichnet 
habe.  Und  alle  diese 
Blätter  aus  dem  Ma- 
trosen- und  Bauern- 
leben , diese  Messen 
und  Märkte,  Bettler, 
Jäger,  Schmiede,  Ar- 
beiter und  Taglöhner 
sind  keine  Caricaturen, 
sondern  scharf  beob- 
achtete schneidig  hingeschriebene  Momentaufnahmen  aus  dem  Leben. 
Seine  Landleute  haben  manchmal  eine  grosse,  michelangeleske  Be- 
wegung, die  fitst  auf  Millet  weist.  Gern  hielt  er  sich  in  den  Mode- 
bädern auf  und  kam  mit  hübschen  Scenen  aus  dem  Highlife  zurück. 
Sein  eigentliches  Beobachtungsfeld  war  das  Armen  viertel  von  London. 
Da  sind  die  englischen  Arbeiter  — lebendige  Maschinen.  Ausdauer, 
Beharrlichkeit,  Resignation  sind  auf  ihren  langen,  knochigen,  düsteren 
Gesichtern  zu  lesen.  Da  sind  die  Frauen  aus  dem  Volke  — mager, 
hektisch.  Die  Augen  liegen  tief  in  ihren  Höhlen,  die  Nase  ist  spitz, 
die  Haut  von  rothen  Flecken  durchzogen.  Sic  haben  viel  gelitten, 
viel  Kinder  gehabt,  sie  haben  ein  mattes,  gedrücktes,  stoisch  un- 
empfindliches Aussehen,  man  fühlt,  dass  sic  viel  ertragen  haben  und 
noch  mehr  tragen  können.  Dann  die  verheerenden  Wirkungen  des 
Gin.  Jene  langen  Reihen  elender  Frauengestalten , die  sich  des 
Abends  am  Strand  prostituiren  um  ihre  Miethe  zu  zahlen,  jene  gräss- 
lichen Strassen  in  London,  wo  bleiche  Kinder  betteln  und  zerlumpte, 
finstere  oder  berauschte  Gespenster  sich  in  den  Branntweinläden 
herumtreiben,  mit  ihrer  zerfetzten  Wäsche  und  ihren  an  Stricken 
hängenden  Lumpen.  Der  Schrei  des  Elends,  der  vom  Pflaster  grosser 
Städte  aufsteigt,  ist  von  Rowlandson  zuerst  gehört  worden,  und 
die  Blätter  von  ihm,  in  denen  er  die  Armen  Londons  zeichnete, 
sind  ein  Todtentanz  des  Lebens  von  fürchterlicher  Wahrheit.  Selt- 
samerweise aber  hat  derselbe  Mann,  der  als  Beobachter  so  rück- 
sichtslos düster,  als  Caricaturist  so  grob  und  brutal  sein  konnte,  auch 
einen  überaus  zarten  Sinn  für  weibliche  Liebenswürdigkeit  gehabt. 


XVII.  Die  Zeichner 


23 


In  seinen  Blättern  über  den  deut- 
schen Walzer  lebt  die  ritterliche 
Eleganz  der  Wertherzeit  und  jene 
echt  englische  Grazie,  die  an  Gains- 
borough  fesselt.  Seine  jungen  Mäd- 
chen sind  appetitlich  und  graziös 
unter  ihren  runden  Strohhüten  mit 
breiten  Bändern ; seine  niedlichen 
Hausfrauen  mit  ihren  weissen  Schür- 
zen und  koketten  Häubchen  lassen 
an  Chardin  denken.  Man  fühlt, 
dass  er  Paris  gesehen  und  dort 
von  dem  feinen  Duft  Watteau’scher 
Bilder  berührt  wurde.  In  diese 
ästhetischen  Bahnen  lenkten  die  Charles  Keene. 

Folgenden  ein. 

George  Cmikshank  hat  als  politischer  Caricaturist  für  England 
dieselbe  Bedeutung  wie  für  Frankreich  Henri  Monnier,  dessen  Zeich- 
nungen vielfach  direct  auf  den  grossen,  englischen  Künstler  zurück- 
gehen. Aber  seine  ersten  Arbeiten  1815  waren  Kinderbücher,  und 
solche  einfache  Schilderungen  aus  der  Kinderwelt  und  dem  Leben 
der  Gesellschaft  haben  mehr  als  die  politischen  Caricaturen  seinen 
Namen  erhalten.  Ihr  satirischer  Anstrich  ist  nur  noch  ein  ganz  leiser. 
Cruikshanks  Damen,  die  unter  schweren  Chignons  keuchen,  seine 
ernsten,  sehr  langweiligen  Ladies,  die  ernsten,  nicht  weniger  cere- 
moniellen  Herren  den  Thee  serviren,  während  die  jungen  Mädchen 
auf  stolzem  Vollbluthengst  durch  den  Hydepark  sprengen,  von  einer 
glänzenden  Suite  vornehmer  junger  Herren  geleitet  — das  Alles  sind 
weniger  Caricaturen  als  frische  Bilder  aus  dem  Leben.  Er  hatte  viel 
Sinn  für  Toiletten , Soireen  und  Bälle.  Lallende  Kinderlippen  und 
glänzende  Kinderaugen,  die  scheue  Zutraulichkeit,  zaghafte  Neugier 
und  täppische  Freundlichkeit  der  Kleinen  wusste  er  mit  künstler- 
ischer Beobachtung  und  zarter  Empfindung  zu  zeichnen.  Damit 
eröffnete  er  den  Weg,  auf  dem  die  Jüngern  sich  mit  solchem  Er- 
folg bewegten. 

Die  Illustration  passte  sich  dem  veränderten  Charakter  des  eng- 
lischen Lebens  an.  Was  in  der  ersten  Zeit  die  Originalität  der  eng- 
lischen Caricaturisten  ausmachte,  war  das  Beisscndc  der  Satire.  Alles, 
ist  in  sehr  starken  Farben  aufgetragen.  Was  immer  geeignet  schien, 


24 


XVII.  Die  Zeichner 


Keetie:  Aus  dem  Werke  » Our  People. « 

dem  Gedanken  ein  komisches  oder  brutales  Relief  zu  geben  — grosse 
Köpfe  auf  kleinen  Körpern , die  lächerliche  Aehnlichkeit  von  Per- 
sonen und  Thieren,  die  Auswüchse  des  Kostüms  — wurde  gern  heran- 
gezogen. Man  kämpfte  für  die  Mühseligen  und  Beladenen  und  geisselte 
ohne  Mitleid  die  Halsabschneider  und  Charlatans.  Man  liebte  saftige 
Zoten,  überschäumende  Kraft  und  unverhüllte  Derbheit.  Ein  breites, 
aristophanisches  Lachen  durchschüttelt  die  Menschen , so  dass  sie 
wie  Epileptiker  aussehen.  In  der  Zeit , als  die  Empiremode  nach 
England  kam,  konnte  Gillray  wagen,  einige  der  bekanntesten  Lon- 
doner Schönheiten  unter  voller  Porträtähnlichkeit  in  einer  Toilette 
darzustellen,  wie  sie  ungenirter  die  schöngewachsene  Madame  Tallien 
nicht  hätte  tragen  dürfen.  Solche  Dinge  waren,  seitdem  England 
aus  den  Flegeljahren  herausgetreten , nicht  mehr  möglich.  Seit 
Gillray  hat  sich  eine  vollständige  Umbildung  der  englischen  Cari- 
catur  vollzogen.  Alles  Brutale,  persönlich  Zugespitzte  trat  zurück. 
Der  Clown  zog  Frack  und  weisse  Handschuhe  an,  John  Bull  wurde 
zum  Gentleman.  Schon  unter  Cruikshanks  Händen  war  die  Cari- 
catur  ernst  und  wohlerzogen  geworden.  Und  die  Jüngern  waren 
überhaupt  keine  Caricaturisten  mehr,  sondern  gingen  lediglich  auf  die 
zart  poetische  Darstellung  der  Dinge  aus.  Sie  kennen  weder  Row- 


XVII.  Die  Zeichner 


2> 


Keene:  Aus  dem  Werke  > Our  People «. 


landsons  urwüchsige  Kraft 
und  bitteres  Lachen,  noch 
den  Galgenhumor  und  die 
Wildheit  Hogarths;  sie  sind 
liebenswürdige,  weich  eleg- 
ische Beobachter,  ihre  Zeich- 
nungen keine  Satiren,  son- 
dern reizende  Sittenbilder. 

Der  1841  gegründete 
Punch  hat  künstlerisch  wohl 
am  feinsten  die  sociale  und 
politische  Physiognomie  Eng- 
lands um  die  Mitte  des  19. 

Jahrhunderts  fixirt.  Er  ist 
ein  Familienblatt,  eine  Zeit- 
schrift, die  von  den  jüngsten 
Töchtern  gelesen  wird.  Alles 
Pikante,  womit  die  Pariser 
Blätter  sich  füllen,  ist  also  vollkommen  ausgeschlossen.  Er  ignorirt 
ängstlich  die  Richtung,  der  das  Journal  amüsant  Dreiviertel  seines 
Materials  verdankt.  Jede  Nummer  enthält  eine  grosse  politische  Cari- 
catur,  bewegt  sich  aber  sonst  ausschliesslich  auf  dem  Boden  des 
Familienlebens.  Studenten,  die  einer  hübschen  Buffetdame  den  Hof 
machen,  niedliche  Modistinnen,  die  einen  schweren  Carton  mit  Hüten 
wegtragen  und  dabei  von  alten  Herren  verfolgt  werden  — sind 
Scenen,  die  schon  ein  wenig  den  vornehmen  Saloncharakter  des 
Blattes  überschreiten. 

Nächst  Cruikshank,  dem  Nestor  der  Caricatur,  ist  in  den  Jahren 
1841  — 64  John  Leecli  der  Hauptmeister  des  Punch  gewesen.  In 
seinen  Zeichnungen  lebt  schon  die  vornehm  duftige  Delicatesse  der 
englischen  Malerei  von  heute.  Sie  verhalten  sich  zu  den  phantast- 
ischen, energischen  Arbeiten  Rowlandsons  wie  der  feine  Esprit  eines 
Rococo- Abbes  zu  dem  derb  gesunden  Witz  Rabelais’.  Es  spiegelt 
sich  in  seinen  Blättern  das  Sanfte  seines  eigenen  Temperaments. 
Andere  haben  mehr  als  er  lachen  machen ; er  liebte  die  Schönheit 
und  Reinheit.  Männer  kommen  bei  ihm  selten  vor,  oder  wenn  er 
sie  zeichnet,  sind  es  immer  nur  »schöne  Männer«,  die  geborenen 
Gentlemen.  Seine  jungen  Frauen  sind  nicht  kokett  und  chic,  aber 
sauber,  einfach,  natürlich.  Die  alte  englische  Brutalität  und  Derbheit 


26 


XVII.  Die  Zeichner 


].  A.  Klein:  Der  Landschafter  auf  Reisen. 


ist  mit  John  Leech  liebenswürdig,  subtil,  raffinirt,  sanft,  verführerisch 
geworden.  Hin  feiner  delicater  Geist,  sehr  ätherisch  neben  den  rost- 
beefgenährten  Colossen  Hogarth  und  Rowlandson,  beschäftigt  er  sich 
gern  mit  Sport-  und  Ruderfreuden,  der  Saison  und  ihren  Moden, 
ist  in  den  öffentlichen  Gärten,  auf  Bällen  und  im  Theater  zu  Hause. 
Da  wird  ein  graziöses  Baby  von  seiner  niedlichen  Bonne  im  Hyde- 
park  spazieren  geführt,  dort  geht  ein  allerliebster  Backfisch  am  Arm 
der  Mama,  von  hübschen  Gymnasiasten  schwärmerisch  begrüsst,  da 
sitzt  eine  junge  Frau  mit  dem  Roman  am  Kamin,  hat  das  Pantöffel- 
chen abgestreift  und  blickt  träumerisch  in  die  glimmenden  Flammen. 
Dort  steht  ein  junges  Mädchen  in  grossem  Strohhut  am  Strand,  die 
Hand  vor  den  Augen,  und  der  Wind  spielt  kosend  mit  ihren  Kleidern. 
Selbst  seine  »children  of  the  mobility«  sind  trotz  ihrer  ärmlichen 
Hetzen  Engelchen  von  Grazie  und  Reinheit.  Die  Umgebung 
Zimmer,  Strasse  oder  Landschaft  — ist  nur  mit  wenigen  Strichen 
gegeben,  doch  ungemein  reizend.  Jedes  Blatt  von  Leech  hat  etwas 
Duftiges,  Hingehauchtes,  eine  Delicatesse  der  Linien,  die  nur  Fre- 
derick  Walker  wieder  erreichte.  Die  Einfachheit  seines  Strichs  lässt 
an  altvenezianische  Holzschnitte  denken.  Kein  Bleistiftzug  ist  un- 
nütz, Alles  sitzt,  Alles  hat  Bedeutung. 


XVII.  Dik  Zeichner 


27 


George  du  Maurier,  Leechs  Nach- 
folger, ist  weniger  fein,  d.  h.  nicht 
ganz  so  ästhetisch.  Er  geht  nicht 
mehr  ausschliesslich  in  der  Poesie 
auf,  sondern  lebt  mehr  im  Leben, 
wird  von  der  rauhen  Luft  der  Wirk- 
lichkeit weniger  afficirt.  Zugleich 
ist  seine  Zeichnung  markiger,  schnei- 
diger, man  merkt  die  französische 
Schulung.  Du  Maurier  war  1857 
Schüler  von  Gleyre  gewesen  und 
gerade  nach  England  zurückgekehrt, 
als  durch  Leechs  Tod  die  Stelle 
beim  Punch  frei  wurde.  Seitdem 
war  er  das  Haupt  der  englischen 
Zeichnerschule,  der  Tagebuchführer 
der  Gesellschaft,  die  sich  während  der  Season  im  Hyde  Park  zeigt, 
die  in  Londoner  Theatern  und  Speisesälen,  in  wohlgepflegten,  eng- 
lischen Gärten  zur  Zeit  der  Gartenfeste  und  Lawntennispartien  zu 
finden  ist,  der  Herrscher  in  Club  und  Salon.  Seine  Snobs  wetteifern 
mit  denen  Thackerays,  doch  besondere  Vorliebe  hat  auch  er  für 
das  schöne  Geschlecht:  Liebliche  Frauen  und  junge  Mädchen,  die 
beim  Ballspiel  in  hellen  Kleidern  und  grossen  Hüten  auf  dem  Rasen 
sich  tummeln,  in  eleganten  Zimmern  am  Kaminfeuer  sitzen  oder  in 
luftigen  Tüllroben  walzend  durch  den  Saal  schweben.  Ganz  reizend 
ist  die  Koketterie  seiner  Babys  oder  die  komisch  vornehme  Exclu- 
sivität  ästhetisch  erzogener  Kinder,  die  nur  mit  ästhetischen  Kindern 
verkehren  wollen. 

Doch  die  englischsten  Arbeiten  von  allen  sind  die  Charles 
Keenes.  Die  Engländer  leben  hier  in  ihrer  ganzen  Eigenart,  die  sie 
von  allen  andern  Sterblichen  unterscheidet.  Als  Zeichner  wie  als 
Humorist  steht  Kcene  neben  den  Grössten  des  Jahrhunderts,  auf  gleicher 
Stufe  mit  Daumier  und  Hokusai.  Ein  alter  Junggeselle,  ein  Original, 
ein  Kleinstädter  in  der  Millionenstadt,  that  er  nichts  lieber,  als  sich 
in’s  kleine  Volk  zu  mischen,  auf  den  Omnibus  neben  den  Kutscher 
zu  steigen,  beim  armen  Hausirer  einzutreten,  in  den  verräucherten 
Kneipen  der  Vorstadt  zu  sitzen.  Er  führte  ein  Bohemeleben  und  war 
trotzdem  ein  sehr  ehrenwerther , ökonomischer,  ängstlicher  Herr. 
Sein  grösstes  Vergnügen  bildeten  Ausflüge  auf’s  Land  und  beschei- 


Joh.  Christ.  Erhard. 


28 


XVII.  Die  Zeichner 


Erhard:  Bauernfamilie. 


dcnc  Soupers  mit  Freunden.  Er  war  Mitglied  mehrerer  Sängervereine 
und  blies,  wenn  er  zu  Hause  sass,  zum  Schrecken  aller  Nachbarn  den 
schottischen  Dudelsack.  In  seinen  letzten  Jahren  war  seine  einzige 
Gesellschaft  ein  alter  Hund,  an  dem  er,  wie  der  arme  Tassaert,  mit 
rührender  Zärtlichkeit  hing.  Um  so  weniger  liebte  er  die  »Welt«. 
Eleganz  und  Schönheit  darf  man  in  seinen  Zeichnungen  nicht  suchen. 
Die  »Gesellschaft«  existirte  für  ihn  nicht.  Wie  du  Maurier  der 
Schilderer  des  Salons,  ist  Keene  der  feine,  unübertroffene  Beobachter 
des  Volkes  und  der  kleinen  Londoner  Bürgerschaft,  der  er  eine 
brüderliche  Sympathie,  einen  freundlichen  Optimismus  entgegen- 
brachte. Eine  unendliche  Reihe  der  verschiedensten,  wahrsten,  leben- 
digsten Typen  ist  in  seinem  »Werk«  enthalten:  die  gewaltigen  Garde- 
soldaten, die  gravitätisch,  stramm,  mit  dem  Stückchen  in  der  Hand 
daherstolziren , die  Droschken-  und  Omnibuskutscher,  die  Spiess- 
biirger,  die  Bedienten,  die  Barbiere  aus  der  Vorstadt,  die  Bürger- 
garde, die  Cafekellner,  die  muskulösen  Hochländer,  die  dicken,  em- 
porgekommenen Krämer  der  City,  die  catilinarischen  Existenzen 
von  Whitechapel,  dazwischen  unvergleichliche,  alte  Kaufmannsfrauen 


XVII.  Die  Zeichner 


29 


Erhard:  Bauernscene. 

und  derbknochige  Dorfwirthinnen  aus  dem  Hochland.  Kccne  hat  in 
seiner  ganzen  Art  sich  auszudrücken  etwas  so  Natürliches,  Selbst- 
verständliches, dass  gar  nicht  mehr  zum  Bewusstsein  kommt,  welche 
Kunst  dazu  gehörte,  so  zu  zeichnen.  Nur  Menzel  unter  den  Leben- 
den reicht  als  Zeichner  an  ihn  heran , und  es  ist  kein  Zufall,  dass 
die  beiden  trotz  ihrer  Temperamentsverschiedenheiten  sich  sehr  be- 
wunderten. Keene  kaufte  jedes  Blatt,  das  er  von  Menzel  bekommen 
konnte,  und  Menzel  besitzt  noch  heute  eine  grosse  Sammlung  von 
Skizzen  Keenes. 

Deutschland  hatte  im  Beginne  des  Jahrhunderts  keinen  Zeichner, 
der  an  realistischer  Wucht  sich  mit  Rowlandson  messen  könnte. 
Zu  einer  Zeit,  da  unsere  grosse  Kunst  so  völlig  in  den  Fesseln  der 
classicistischen  Schule  lag,  trat  auch  die  Zeichnung  nur  in  tradi- 
tionellen Formen  auf.  Man  durfte  ebensowenig  zeichnen  wie  man 
wollte,  als  man  etwas  malen  durfte,  wie  man  es  sah ; für  Beides  gab 
es  Regeln  und  Zwangsjacken.  Fast  Alles,  was  in  jenen  Jahren  ent- 
stand, sieht  heute  schwach  und  stumpf  aus,  gezwungen  in  der  Com- 
position,  dilettantisch  in  der  Zeichnung.  Da  wo  Rowlandson  mit 


XVII.  Die  Zeichner 


30 


L.  Richter:  Frühling. 


seinen  brüsken  nervösen  Strichen  an  Michelangelo  oder  Rembrandt 
denken  lässt,  haben  die  Deutschen  etwas  Mühseliges,  Verwaschenes, 
Schüchternes.  Doch  heben  sich  auch  hier  aus  der  langweiligen  Oede 
academischer  Production  als  freundliche,  überraschende  Erscheinungen 
zwei  bescheidene  Malerradirer  ab,  die  von  ihren  Zeitgenossen  wenig 
beachtet  wurden,  aber  in  ihren  schlichten  Blättern  classischer  ge- 
blieben sind  als  jene,  die  sich  selbst  das  classische  Gewand  gleich 
für  die  Ewigkeit  anzogen.  Was  die  Maler  nicht  malen  und  die 
nach  Ideen  verlangenden  Kunstfreunde  als  Bild  nicht  gelten  lassen 
wollten,  weil  der  Inhalt  ihnen  zu  dürftig,  die  Form  zu  würdelos 
und  gewöhnlich  schien  — heimische  und  fremde  Militärscencn,  tvp- 
ische  Soldatengestalten  aus  der  grossen  Zeit  der  Befreiungskriege,  das 
\ olksleben,  die  täglichen  Ereignisse  — das  haben  die  beiden  Nürn- 
berger freunde  Johann  Adam  Klein  und  Johann  Christian  Erhard  mit 
theilnahmvoller  Aufmerksamkeit  fleissig  in  das  Kupfer  geritzt  und 
damit  der  Nachwelt  ein  Bild  vom  deutschen  Leben  des  beginnenden 
Jahrhunderts  hinterlassen,  das  um  so  ernster  und  aufrichtiger  er- 


XVII.  Die  Zeichner 


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L.  Richter:  Daheim. 


scheint,  weil  sie  dabei  weder  dem  Compositionsstil  noch  dem  Ideal- 
ismus einen  Zoll  entrichteten.  Der  treffliche  Klein  war  ein  gesunder, 
ehrlicher  Realist,  an  dem  die  aesthetischen  Theorien  der  Zeit  wirkungs- 
los abprallten  und  der  nichts  Anderes  wollte,  als  Gesehenes  treu 
wiedergeben.  Schon  in  Wien,  wohin  er  1 8 1 1 als  junger  Mensch 
gekommen,  regen  ihn  nicht  die  Gemäldegalerien,  sondern  die  maler- 
ischen Nationalcostüme  der  Walachen,  Ungarn  und  Polen,  ihre  ori- 
ginellen Fuhrwerke  und  Pferde  zu  seinen  ersten  Studien  an.  Ein 
Aufenthalt  auf  steyerischen  Rittergütern  gibt  ihm  zu  zahlreichen 
hübschen  Skizzen  aus  dem  Landleben  Gelegenheit.  In  den  krieger- 
ischen Jahren  1813  und  1814  mit  ihren  Truppenmärschen  und  Bi- 
waks treibt  er  sich  tagelang  zeichnend  unter  den  Soldaten  umher. 
Selbst  in  Rom  fesselten  ihn  nicht  die  Statuen,  sondern  die  bunten 
Strassenscenen,  die  kirchlichen  Feierlichkeiten,  die  malerischen  Cara- 
wanen  der  Landleute.  Und  als  er  sich  später  wieder  in  Nürnberg, 
dann  in  München  niedergelassen , hörte  er  nicht  auf,  für  alle  Ein- 
drücke empfänglich  zu  sein,  die  sich  in  wechselnder  Fülle  ihm 


32 


XVII.  Die  Zeichner 


aufdrängten.  Die  Basis 
seiner  Kunst  war  die 
treue,  liebevolle  Be- 
obachtung des  Lebens, 
wie  es  sich  um  ihn 
in  der  Welt  abspieltc, 
die  naive  Freude  des 
echtenKünstlers,  alles, 
was  das  Auge  sieht, 
zum  Bilde  zu  machen. 

Der  arme,  mit  26 
Jahren  durch  Selbst- 
mord aus  dem  Leben 
geschiedene  Erhard 
war  noch  eine  sen- 
siblere, feinere  Natur. 
Auch  ihn  haben  die 
Durchmärsche  russi- 
scher Truppen  durch 
seine  Vaterstadt  zu  den 
ersten  Arbeiten  ange- 
regt, und  schon  in 
diesen  Militär-  und  Marketcnderscenen  zeigt  er  sich  als  ungewöhn- 
lich sachlichen , scharfen  Beobachter.  Genau  und  bestimmt  sind 
die  Trachten,  die  Uniformen,  das  Geschirr  und  die  Gespanne  ge- 
zeichnet. Von  Wien  aus  machte  er  Fussreisen  nach  den  malerischen 
Gegenden  des  Schneeberges,  durchwanderte  Salzburg  und  den  Pinz- 
gau, betrachtete  verwundert  die  idyllische  Lieblichkeit  dieser  Natur, 
die  anheimelnden  Bauernstuben  mit  den  grossen  Kachelöfen  und 
die  wettergebräunten  Gestalten  der  Landleute.  Er  hatte  ein  Herz 
für  die  Natur,  eine  innige,  poetisch  gemüthvolle  Liebe  für  das  Kleine 
und  Trauliche:  für  heimatliche  Wiesen,  Bäume  und  Bächlein,  für 
Lauben  und  Hecken,  stille  Gärtchen  und  lauschige  Plätzchen.  Mit 
kindlich  ehrlicher  Beobachtung  trat  er  an  Alles  heran.  Er  und 
Klein  strebten  danach,  einen  Ausschnitt  de^Natur  ohne  jede  Um- 
bildung und  Verallgemeinerung  deutlich  zu  erfassen;  und  dieser 
ungeschminkte,  frische,  echt  deutsche  Natursinn  gibt  ihnen  mehr 
als  Mengs  und  Carstens  das  Anrecht,  als  Ahnen  der  neueren  deut- 
schen Kunst  zu  gelten. 


L.  Richter:  Nach  der  Arbeit  ist  gut  ruh’n. 


XVII.  Die  Zeichner 


33 


Nachdem  Klein  und  Er- 
hard vorausgegangen,  mach- 
ten Andere,  wie  Haller  von 
Hallerstein,  L.  C.  Wagner,  F. 

Rechberger,  J.  Moessmcr,  K. 

Wagner,  E.  A.  Lebschee  und 
August  Geist,  jeder  auf  seine 
Art,  kleine  Entdeckungsreisen 
in  die  heimische  Naturwelt. 

Doch  seinen  wahlverwandten 
grössten  Nachfolger  hat  der 
1822  verstorbene  Erhard  erst 
in  einem  jüngeren  Dresdener 
Meister  gefunden,  dessen 
Name  traulich  wie  ein  altes 
Wiegenlied  anmuthet , das 
plötzlich  im  Getriebe  der 
Welt  das  Ohr  trifft  — in 
Ludwig  Richter,  unserm  lie- 
ben, alten  Hausfreund.  Cho- 
dowiecki , Gessner  und  Er- 
hard hat  Richter  selbst  als 
diejenigen  bezeichnet,  deren 
sinnige  Natürliche  ihn  in  seine  eigenen  Bahnen  lenkte.  Was  Lcech, 
der  liebenswürdige  Zeichner  der  Kinderwelt,  den  Engländern  war, 
wurde  Ludwig  Richter  den  Deutschen.  Nicht,  dass  er  an  künst- 
lerischen Qualitäten  mit  jenem  verglichen  werden  könnte.  Seine 
Arbeiten  erscheinen  neben  denen  des  Briten  wie  Uebungen  eines 
begabten  Dilettanten:  von  kleinlicher  Correctheit  und  bourgoisie- 
mässiger  Reinlichkeit  der  Linien.  Aber  der  Deutsche  verliert  bei 
seinem  Ludwig  Richter  gern  den  artistischen  Standpunkt  aus  den 
Augen.  Wir  haben  ihn,  den  sonnig  kindlichen,  als  Menschen  zu 
lieb,  als  dass  wir  seine  künstlerischen  Mängel  sehen  möchten.  Jenes 
berühmte  »deutsche  Gemüth«,  mit  dem  Andere  so  viel  Missbrauch 
trieben,  hier  ist  es  wirklich. 

»Ich  wohne  zwar  etwas  beschränkt,  aber  sehr  freundlich  vor 
der  Stadt  und  schreibe  Dir  diesen  Brief  (es  ist  Sonntag  Nachmittag) 
in  der  schattigen  Laube,  eine  lange  Reihe  blühender  Rosenbüsche 
vor  mir,  in  welchen  dann  und  wann  ein  lieblicher  Wind  wühlt, 

Muther,  Moderne  Malerei  II.  2 


L.  Richter:  Feierabend. 


34 


XVII.  Die  Zeichner 


welcher  auch  Ursache  ist,  dass 
eben  auf  diesem  Bogen  ein  grosser 
Tintenklecks  entstanden,  indem  er 
mir  das  Blatt  umwarf«.  Diese  eine 
Briefstelle  enthält  den  ganzen  Mann. 
Kann  man  sich  Ludwig  Richter  in 
einer  anderen  ütadt  leben  denken, 
als  in  Dresden,  ihn  anders  sich 
vorstellen  als  im  Schlafrock,  am 
Sonntag  Nachmittag  in  der  schatt- 
igen Laube  mit  den  blühenden 
Rosenbüschen,  und  von  lachenden 
Kindern  umgeben?  Jener  tiefe  Fa- 
miliensinn. der  biblisch  treuherzig 
in  seinen  Werken  webt,  er  spiegelt 
sich  in  der  eigenen  Häuslichkeit 
des  Künstlers,  der  selbst  zeitlebens 
ein  grosses,  unerfahrenes  Kind  blieb  und  dessen  Selbstbiographie  in 
ihrer  patriarchalischen  Schlichtheit  wie  ein  Labetrunk  aus  reiner 
Gebirgsquelle  mundet.  Richter  lebte  in  die  Gegenwart  wie  ein 
Original  aus  längst  entschwundener  Zeit  herüber.  Was  für  altvater- 
ische Figuren  sah  er  als  Knabe  um  sich , wenn  er  sich  neugierig 
herumtrieb  bei  seinem  Grossvater,  dem  Kupferdrucker,  der  in  seinen 
Mussestunden  Alchemie  und  Goldmacherkunst  trieb  und  in  seinem 
dunkeln  Arbeitsraum  von  einer  Unzahl  tickender,  schlagender,  kukuk- 
rufender Uhren  umgeben  war.  — oder  wenn  er  der  blinden,  ge- 
sprächslustigen Grossmutter  lauschte,  um  die  sich  die  Kinder  und 
alten  Weiber  der  Nachbarschaft  beim  Märchenerzählen  versammelten. 
Das  war  1810,  und  zwei  Menschenalter  später  fand  er  als  Greis  in- 
mitten der  Enkel  das  alte  frohe  Kinderleben  des  eigenen  Hauses 
wieder.  Auch  das  war  noch  ein  Stück  gute  alte  Zeit,  wenn  jubelnd 
am  Weihnachtsabend  die  kleine  Schaar  das  Pfefferkuchenhaus  aus 
»Hansel  und  Grctel«  umringte,  das  Grossvater  nach  seiner  Zeichnung 
aus  wirklichen  Pfefferkuchen  erbaute. 

»Kam  meine  Kunst  nicht  unter  die  Lilien  und  Rosen  auf  dem 
Gipfel  des  Parnass,  so  blühte  sie  doch  an  den  Wegen  und  Hängen, 
an  den  Hecken  und  Wiesen,  und  die  Wanderer  freuten  sich  darüber, 
wenn  sie  am  Wege  ausruhten,  die  Kindlein  machten  sich  Sträusse 
und  Kränze  davon  und  der  einsame  Naturfreund  erquickte  sich  in 


Ludwig  Richter. 


XVII.  Die  Zeichner 


ihrer  Farbe  und  ihrem  Duft,  wel- 
cher wie  ein  Gebet  zum  Himmel 
stieg«.  Richter  hatte  das  Recht,  an 
seinem  80.  Geburtstag  diese  Worte 
in  sein  Tagebuch  zu  schreiben. 

Es  klingt  durch  seine  Werke  ein 
Summen  und  Klingen  wie  Kinder- 
jubcl  und  Vogelgezwitscher.  Selbst 
seine  Landschaften  sind  erfüllt  von 
jener  wonnig  feierlichen  Stimmung, 
die  Frühling  und  Sonntag  zusam- 
men auf  einsamem  Gang  über  Feld 
und  Flur  erzeugen.  Die  Gernüth- 
lichkeit  deutschen  Familienlebens, 
durchweht  von  einem  sinnig  roman- 
tischen Zug,  sie  konnte  nur  in  ihm, 
dem  alten  Mann  im  Schlafrock  mit  dem  spiessbürgerlichen  Dorf- 
schullehrergesicht,  einen  so  liebenswürdigen  Schilderer  finden.  Nur 
er,  der  sich  selbst  bis  in’s  Alter  jenen  Kindersinn  bewahrte,  dem 
auch  in  der  Kunst  das  Himmelreich  verliehen  ist,  konnte  der  wahre 
Herzenskündiger  der  Kinderwelt  werden , die  in  Deutschland  auch 
später  nicht  holdseliger  und  naiver  gezeichnet  wurde. 

Ein  fast  erschöpfendes  Bild  deutschen  Volkslebens  in  Haus  und 
Welt,  in  Arbeit  und  Genuss,  in  Freude  und  Schmerz  stellen  seine 
Illustrationen  dar.  Durch  alle  Lebensstufen  und  Jahreszeiten  verfolgt 
er  es.  Das  Kind,  das  in  der  Badewanne  plätschert,  der  Bube,  der 
die  ersten  Schneeflocken  jauchzend  im  Hut  auffängt;  das  Liebcs- 
pärchen,  das  flüsternd  im  trauten  Kämmerlein  sitzt  oder  Arm  in 
Arm  auf  der  »Heimkehr  durch’s  Korn«  durch  die  goldene  Abend- 
landschaft wandelt;  das  Mädchen  am  Spinnrad  und  der  Jäger  im 
Wald,  der  Wanderbursch,  der  Bettler,  der  behäbige  Philister 
Alles  ist  wahr  und  echt,  Alles  aus  dem  vollen  Leben  gegriffen.  Der 
Schauplatz  ist  die  Wohn-  und  Kinderstube,  die  rebenumrankte  Laube 
vor  der  Hausthür,  die  Strasse  mit  alterthümlichen  Erkern  und 
Thürmchen,  Feld  und  Wald  mit  prächtigen  Aussichten  in  die  duftige 
Ferne.  Kinder  spielen  um  den  grossen  Baum,  Arbeiter  kehren  vom 
Feld  zurück  oder  die  Familie  ruht  in  der  Feierstunde  aus.  Eine 
friedliche  Stille  und  keusche  Reinheit  ist  über  Alles  gebreitet.  Auch 
Richters  Zeichnung  hat  etwas  Pedantisches,  Accentloses,  jene 


XVII.  Die  Zeichner 


schwächliche , verallgemein- 
ernde Rundheit,  die  gegen- 
über dem  brüsken,  nervösen 
Strich  der  Alten  wie  Ge- 
nialität des  Zeichenlehrers 
wirkt.  Aber  was  er  gibt,  ist 
doch  immer  aus  feinfühliger, 
liebevoller  Beobachtung  her- 
geleitet und  steht  niemals  im 
Widerspruch  zur  Wahrheit. 
Er  gibt  nie  die  ganze  Natur, 
doch  auch  nie  die  Unnatur: 
einer  der  ersten  bei  uns,  dessen 
Kunst  nicht  von  einer  Nega- 
tion und  willkürlichen  Syste- 
matisirung  der  Wirklichkeit 
ausging,  sondern  auf  zarter 
Versenkung  und  poetischer 
Verklärung  derselben  beruhte. 
Als  er  in  den  50er  Jahren  in 
dem  anmuthigen  Loschwitz  Sommeraufenthalt  genommen,  schrieb 
er  in  sein  Tagebuch:  »O  Gott,  wie  herrlich  ist  hier  von  meinem 
Plätzchen  auf  dem  Berge  die  weite  Gegend.  So  himmlisch  schön, 
so  sinnlich  schön.  Der  blaue,  tiefe  Himmel,  die  weite,  grüne  Welt, 
die  schöne,  helle  Mailandschaft  mit  tausend  Stimmen  belebt. 

In  jener  ganzen  Generation,  der  das  Dasein  so  trüb  schien,  ist 
Ludwig  Richter  einer  der  wenigen , die  sich  wirklich  erdenwohl 
fühlten  und  das  umgebende  Leben  für  die  beste,  gesundeste  Kost  des 
Künstlers  hielten.  Das  ist  der  Inhalt  des  Blattes,  dem  er  den  Titel 
Kunstregel«  gab.  Eine  weite  Landschaft  dehnt  sich  aus,  mit  mäch- 
tigen Eichen  am  Abhang,  einem  rieselnden  Quell,  aus  dem  ein  frisches 
Mädchen  schöpft,  einer  Landstrasse,  die,  von  Wanderern  alt  und  jung 
belebt,  sich  über  Thal  und  Hügel  in  die  sonnige  Ferne  zieht.  Mitten 
in  dieser  lebensfrohen,  freien  Welt  sitzt  der  Maler  mit  dem  Zeichen- 
stilt.  Als  Wahlspruch  aber  steht  von  Richters  Hand  darüber: 

»Und  die  Sonne  Homers,  siehe  sie  lächelt  auch  uns.« 

Durch  den  Erfolg  Richters  wurden  einige  Jüngere  angeregt,  dos 
gleiche  Gebiet  zu  betreten,  ohne  dass  jedoch  einer  an  liebenswürdig 


Adolf  Oberländer. 


XVII.  Die  Zeichner 


37 


menschlichen  Quali- 
täten Richter  gleich- 
käme. Am  wenigsten 
Oskar  Pietsch,  dessen 
süffisantes  Lächeln 
bald  in  seiner  Hohl- 
heit erkannt  wurde. 

Bei  ihm  ist  Alles  er- 
klügelt, flach  und  zu- 
rechtgestellt, was  bei 
Richter  ursprünglich 
und  echt  war.  Die 
Landschaften,  die  zum 
Theil  sehr  hübsch 
sind,  rühren  gewöhnlich  von  R.  Schuster  her;  was  an  den  Kindern 
gut  scheint,  ist  Richters  Eigenthum , und  was  Pietsch  hinzugab,  ist 
Schablone.  Albert  Hendschel  stand  auch  auf  Richters  Schultern, 
aber  seine  Beliebtheit  ist  berechtigter.  Noch  heute  freut  man  sich 
an  seinen  entzückenden  Skizzenbüchern,  worin  er  Freud  und  Leid 
der  Jugend  in  so  köstlicher  Weise  verewigte. 

In  München  arbeitete  Eugen  Ncureuther,  der  sich  als  Radirer 
in  dem  reizvollen  Spiel  von  Arabesken  und  ornamentalen  Umrahm- 
ungen gefiel  und  in  seinen  hübschen  Schnaderhüpfeln  niedliche  Scenen 
aus  dem  bayerischen  Volksleben  erzählte. 

Der  Aufschwung  der  Caricatur  datirt  in  Deutschland  erst 
seit  dem  Jahre  1848.  Während  aus  dem  ersten  Drittel  des  Jahr- 
hunderts nur  ein  paar  Gelcgenhcitsblätter  ohne  künstlerische  Bedeut- 
ung vorhanden  sind,  begannen  damals  unter  den  politischen  Er- 
schütterungen der  Zeit  periodische  Publikationen  zu  erscheinen,  die 
bald  eine  grosse  Anzahl  tüchtiger  Caricaturisten  emporbrachten. 
In  Berlin  trat  der  Kladderadatsch  auf,  in  München  wurden  die 
Fliegenden  Blätter  und  Hand  in  Hand  mit  ihnen  die  Münchener 
Bilderbogen  begründet.  Auf  die  »Fliegenden«  werden  spätere  Genera- 
tionen wohl  in  erster  Linie  angewiesen  sein,  um  sich  ein  Bild  vom 
deutschen  Leben  des  19.  Jahrhunderts  zu  entwerfen.  Hier  ist  nieder- 
gelegt, was  die  Maler  jener  Jahre  zu  überliefern  vergassen,  eine  Ge- 
schichte unserer  Sitten,  wie  sic  genauer  und  erschöpfender  nicht 
gedacht  werden  kann.  Gleich  vom  ersten  Tag  vereinigten  sic  in 
der  Schaar  ihrer  Mitarbeiter  ziemlich  die  bedeutendsten  Namen  ihres 


XVII.  Din  Zeichner 


38 


Fachs.  Schwind,  Spitz- 
weg, der  gemüthvolle 
Humorist  und  viele 
Andere,  die  das  deut- 
sche Volk  nicht  ver- 
gessen wird,  holten 
sich  hier  ihre  Sporen 
und  waren  unerschöpf- 
lich in  hübschen  The- 
aterscenen,  Satiren  auf 
den  deutschen  und 
italienischen  Gesang, 
in  Denkmalentwürfen 
für  Fanny  Eisler,  für 
den  Erfinder  desFracks 
u.  s.  w.,  die  damals  die  ganze  civilisirte  Welt  belustigten.  Von  stereo- 
typen Figuren  waren  auch  diese  ältesten  Zeichner  der  Fliegenden 
noch  nicht  frei.  Der  reisende  Engländer,  der  polnische  Jude,  der 
Ladenschwengel,  der  junge  Maler,  der  reiche  Protz,  die  Schwieger- 
mutter, das  Dienstmädchen  und  die  nervöse  Gräfin  sehen  sich  in 
den  ersten  Bänden  überall  ähnlich,  man  arbeitete  wie  in  der  »grossen 
Kunst«  auch  in  der  Caricatur  noch  ein  wenig  nach  Regeln  und 
Schablonen.  Das  Leben  mit  objectiv  unbefangenem  Blick  zu  be- 
trachten und  in  seiner  ganzen  zuckenden  Bewegung  festzunageln, 
blieb  den  Neueren  Vorbehalten. 

Zwei  der  grössten  Bilderhumoristen  der  Welt,  Wilhelm  Busch 
und  Adolf  Oberländer,  stehen  an  der  Spitze  derer,  die  diese  Blüthe- 
periode  der  deutschen  Caricatur  einleiten.  Meister  wie  sie  über- 
schauen mit  ihrem  Blick  die  ganze  gesellschaftliche  Welt  unserer  Zeit 
und  haben  in  ihren  geistreichen  Blättern  eine  Culturgeschichte  der 
Epoche  geschaffen,  die  für  die  Nachwelt  lebendiger  und  lehrreicher 
sein  wird,  als  die  bändereichsten  Werke  der  grössten  Historiker. 
Man  kennt  ihre  Köpfe  aus  dem  Lenbach-Werk.  Der  eine  hat  ein 
ausnehmend  kluges , ausdrucksvolles  Gesicht , einen  echten  Maler- 
kopf. Der  Humorist  zeigt  sich  in  dem  einen  eigenthümlich  zuge- 
kniffenen Auge,  dem  bekannten  Humoristenauge,  das  Alles  sieht. 
Alles  prüft  und  jede  Lächerlichkeit  in  der  Bewegung,  jede  Absonder- 
lichkeit in  den  Mienen  des  lieben  Nächsten  festhält.  Das  ist  Wil- 
helm Busch. 


Oberländer:  Variationen  über  das  Thema  > Küsst. 

Rethcl. 


XVII.  Die  Zeichner 


39 


Oberländer ; Variationen  über  das  Thema  > Kuss« . 

Makart. 

In  den  grossen  Augen  des  Anderen,  die  sich  hei 
längerem  Hinsehen  seltsam  zu  erweitern  scheinen, 
lächelt  keine  überlegene  Schalkhaftigkeit  und  es 
ist  nicht  leicht,  mit  diesem  griesgrämigen,  eigen- 
tümlich verschüchtert  blickenden  runden  Gesicht 
den  Namen  Oberländer  zu  verbinden.  Man  denkt 
an  die  Definition  des  Humors  als  »Lächeln  unter 
Thränen«. 

Schon  damals,  als  er  alljährlich  nach  München 
kam  und  in  Lenbach’s  Atelier  malte,  thaute  Busch, 
der  menschenscheue  verdrossene  Mann,  nur  im 
engsten  Freundeskreis  auf;  heute  hat  er  sich  in 
einem  Marktflecken  der  Provinz  Hannover  ver- 
graben, in  Wiedensahl,  das  nach  Ritters  geo- 
graphischem Lexikon  828  Einwohner  zählt.  Er 
lebt  im  Hause  seines  Schwagers,  des  Ortsgeist- 
lichen, und  züchtet  Bienen.  Sein  Lachen  ist  ver- 
stummt; nur  die  Bienenzeitung  erhält  noch  von 
ihm  Beiträge.  Aber  was  für  Werke  hat  dieser  Ein- 
sicdler  von  Wiedensahl  damals  geschaffen,  als  er 
von  Düsseldorf  und  Antwerpen  nach  München 
übersiedelte  und  dort  1859  für  die  Fliegenden 
Blätter  die  Folge  seiner  Bilderbogen  begann.  Die 
ersten  waren  noch  plump  und  ungefüge,  der  Text 
in  Prosa  und  nicht  sehr  witzig.  Doch  schon 
die  erste  Arbeit  mit  versificirtem  Text,  »Der  Bauer  und  der  Wind- 
müller« enthielt  im  Keime  all  die  Eigenschaften,  die  später  in  »Max 


Oberländer : Varia- 
tionen über  das  Thema 
*Kuss « 

Alma  Tadema. 


40 


XVII.  Die  Zeichner 


und  Moritz«,  im  »heiligen 
Antonius«,  der  »frommen  • 
Helene«,  den  »Erlebnissen 
Knopps,  des  Junggesellen 
ihren  glänzenden  Ausdruck 
fanden  und  Busch’s  Werke 
zum  unerschöpflichen  Wun- 
derhorn heiteren  Genusses 
machen. 

Busch  vereinigt  ein  un- 
gewöhnlich scharfes  Auge 
und  eine  seltsam  gefügige 
Hand.  So  bunt  es  gewöhn- 
lich bei  ihm  hergeht,  mit 
so  spielender  Leichtigkeit  sind 
die  grössten  Schwierigkeiten 
gelöst.  Seine  Helden  sind  in 
Situationen  drangvollster  Art. 

Oberländer : Variationen  über  das  Thema  »Kuss*.  dic  ihren  Körperteilen  ge- 
Gabriei  Max.  waltsame  und  höchst  unbe- 

queme  Stellungen  anweisen ; 
sie  prügeln  oder  werden  geprügelt,  stolpern  oder  fallen  — und  wie 
meisterlich  sind  alle  diese  Anomalien,  dic  kecksten  Verkürzungen 
und  flüchtigsten  Bewegungen  erfasst.  Unkünstlerische  Augen  er- 
kennen nur  ein  Gekritzel,  für  solche,  die  zu  sehen  gewohnt  sind,  ist 
eine  Zeichnung  von  Busch  das  Leben  selbst,  von  allem  indifferenten 
Detail  befreit  und  in  grossen  charakteristischen  Linien  hingeschrieben. 
Bei  diesen  Vereinfachungen  — was  für  ein  Wissen,  unter  der  an- 
scheinenden Nachlässigkeit  — wieviel  feine  Berechnung.  Busch  ist 
zugleich  einfacher  und  erfinderischer  als  dic  Briten.  Aus  einem 
Gewirr  halbtoller  Schnörkel,  wenigen  Punkten  und  Klecksen  bringt 
er  ein  sprühendes  Bild  zusammen.  Mit  möglichst  Wenigem  triilt 
er  das  Wesentliche  und  wird  deshalb  von  Grand  Carteret  mit  Recht 
der  Classikcr  der  Caricaturisten , le  roi  de  la  Charge  et  de  la  bouf- 
fonerie  genannt. 

Oberländer,  ohne  den  sich  die  Fliegenden  nicht  mehr  denken 
lassen,  ist  nicht  verstummt-;  frisch  und  herrlich  wie  am  ersten  Tag 
schafft  er  weiter.  Eine  geniale  Natur  wie  Busch,  besitzt  er  zugleich 
jene  Fruchtbarkeit,  von  der  Dürer  sagte:  »Ein  guter  Maler  ist  in- 


XVII.  Dif.  Zeichner 


41 


Debucourt:  Les  Cotirses  du  Mutiu  ou  la  horte  d’un  riebe. 

wendig  voller  Figur,  und  wenn  es  möglich  wäre,  dass  er  ewiglich 
lebte,  so  hätte  er  vermöge  der  innern  Ideen,  von  denen  Plato  schreibt, 
allewege  etwas  Neues  durch  seine  Werke  auszugiessen«.  Es  ist  jetzt 
30  Jahre  her,  dass  er  seine  Thätigkeit  für  die  Fliegenden  Blätter 
begann,  und  seitdem  ist  fast  jede  Woche  eine  Zeichnung  von  ihm 
erschienen,  die  alle  Welt  mit  Gaudium  erfüllte.  Kant  sagte,  die 
Vorsehung  habe  den  Menschen  drei  Dinge  zum  Trost  in  den  Müh- 
seligkeiten des  Lebens  gegeben:  die  Hoffnung,  den  Schlaf  und 
das  Lachen.  Hat  er  Recht,  so  gehört  Oberländer  zu  den  grössten 
Wohlthätern  der  Menschheit.  Jedes  seiner  neuen  Blätter  bewährt 
die  alten  köstlichen  Eigenschaften.  Man  möchte  sagen,  neben  dem 
Komiker  Busch  erscheint  Oberländer  als  ernster  Psycholog.  Wilhelm 
Busch  legt  allen  Nachdruck  in  die  Komik,  der  Einfachheit : er  weiss 
mit  Meisterschaft  eine  Erscheinung  auf  ihre  tSrundlinien  zurückzu- 
führen, die  in  ihrer  epigrammatischen  Prägnanz  an  sich  schon  komisch 
sind.  Er  erregt  ein  schallendes  Gelächter  durch  die  Possenhaftigkeit 
seiner  Erfindungen  und  die  Kühnheit,  mit  der  er  seine  Charaktere  zur 
Absurdität  treibt.  Zugleich  ist  er  der  Dichter  seiner  Texte.  Seine  Zeich- 
nungen sind  undenkbar  ohne  die  Verse,  ohne  das  geschickt  berech- 
nete dramatische  Nacheinander  der  sich  zur  Katastrophe  steigernden 
Situationen.  Oberländer  wirkt  lediglich  durch  die  bildnerischen  Ele- 
mente seiner  Darstellung  und  erreicht  die  Komik  weder  durch  fratzen- 


42 


XVn.  Die  Zeichner 


hatte  Uebertreibung  einer 
äusserlichen  Lächerlichkeit 
noch  durch  elementare  Ver- 
einfachung, sondern  durch 
feine  Zuspitzung  des  Charak- 
ters. Ls  ist  unheimlich,  was 
für  Augen  er  im  Kopf  hat : 
fast  seherhaft , wie  er  aus 
Jedem  den  Grundzug  seines 
Wesens  herausfühlt;  und  in- 
dem er  das  Charakteristische 
leise  übertreibt  und  verdeut- 
licht, erhält  sein  Bild  eine 
Eindringlichkeit  und  Ueber- 
zeugungskraft.  die  auf  so  dis- 
cretem  Wege  keinem  früheren 
Caricaturisten  gelang.  Keiner 
erreicht  die  Komik  von  Ober- 
länders  Menschen , Thiercn 
und  — Pflanzen.  Er  zeichnet 
ä la  Max,  ä la  Makart,  Rethel,  Genelli  oder  Piloty,  Jagden  in  der 
Wüste  und  Theatervorstellungen,  wahnsinnig  gewordene  Renaissance- 
architektur und  modernste  europäische  Gigerln;  Kamerun  ist  ihm 
ebenso  geläufig-  wie  München,  und  im  Uebertragen  der  drolligen 
Scenen  des  menschlichen  Lebens  auf  die  Thierwelt  ist  er  Classiker. 
Er  spielt  mit  Hühnern,  Häringen,  Hunden,  Enten,  Raben,  Bären 
und  Elephanten  wie  Hokusai  mit  seinen  Fröschen.  Alle  Reineke- 
blätter Wilhelm  Kaulbachs  wirken  gegenüber  solchen  Thieren  wie 
»Zeichnungen  aus  dem  Schreibheft  des  kleinen  Moritz  . Und  den 
Hintergrund  dieser  Wesen  bilden  manchmal  Landschaften,  die  in  ihrer 
zarten  Intimität  wie  Vorahnungen  Cazins  erscheinen.  Man  irrt  kaum 
in  der  Annahme,  dass  die  Nachwelt  einzelne  Blätter  aus  dem  Oeuvre 
dieses  liebenswürdig  stillen  Mannes  dem  Besten  an  die  Seite  stellen 
wird,  was  die  Geschichte  der  zeichnenden  Künste  überhaupt  aufweist. 

Zum  Punch  und  den  Fliegenden  Blättern  gesellt  sich  der 
Charivari. 

Auch  im  Lande  Rabelais’  hat  die  Caricatur  seit  dem  Beginne 
des  Jahrhunderts  geblüht,  trotz  der  officiellen  Meister,  die  ihr  den 
Vorwurf  machten,  dass  sie  den  heiligen  Tempel  der  Kunst  entweihe 


XVII.  Die  Zeichner 


4 i 


und  trotz  der  Gendarmen, 
die  sie  in’s  Gefängniss  sperr- 
ten. Auch  hier  waren  es 
die  Zeichner,  die  zuerst  mit 
den  ästhetischen  Vorurtheilen 
brachen  und  die  lachenden 
und  weinenden  Schauspiele 
des  Lebens  mit  unvorein- 
genommenem Blick  betrach- 
teten. 

Gleich  die  Beiden,  die  un- 
mittelbar nach  den  Stürmen 
der  Revolution  auftraten,  De- 
bucourt  und  Garle  Vernet, 
sind  geistreiche,  liebenswür- 
dige Künstler,  die  in  elegan- 
tem Stil  die  Vergnügungen 
des  Salons  beschrieben  und 

Zeichnung  mit  den  grossen  Satirikern  jenseits  des  Canals  wetteifern, 
denen  sie  sogar  durch  den  Reiz  der  Farbe  oft  überlegen  sind. 

Carle  Vernet,  erst  Historienmaler,  erinnerte  sich,  dass  er  die 
Tochter  des  jüngeren  Moreau  geheirathet,  und  machte  sich  daran, 
in  seinen  Incroyables  und  Merveilleusen  das  Treiben  der  jeunesse 
doree  vom  Ausgang  des  1 8.  Jahrhunderts  zu  schildern.  Ueberspannt, 
verrückt  und  abergläubisch,  theilte  er  später  seine  Zeit  zwischen 
Weibern  und  Clubbrüdern,  Pferden  und  Hunden.  Als  der  Historiker 
des  Sports,  der  Jagd,  der  Pferderennen,  Salon-  und  Cafescenen  lebt 
er  in  der  Kunstgeschichte  fort. 

Louis  Philibert  Debucourt  war  Schüler  von  Vien  und  hatte  Genre- 
bilder im  Sinne  Greuzes  gemalt,  bevor  er  1785  sich  dem  Farben- 
kupferstich zuwandte.  In  diesem  Jahr  erschien  das  hübsche  »Menuet 
de  la  Mariee«  mit  den  tanzenden  Bauernpaaren  und  der  niedlichen 
Schlossherrin,  die  lachend  den  Ball  mit  dem  jungen  Ehemann  eröffnet. 
Seitdem  hatte  er  seine  Spezialität  gefunden  und  gab  im  letzten  Jahr- 
zehnt des  18.  Jahrhunderts  seine  feinsten  Farbenkupfer  heraus.  Da 
ist  von  1792  die  wunderbare  Promenade  in  der  Galerie  des  Palais 
Royal  mit  dem  wimmelnden  Leben  junger  Offiziere,  Priester,  Stu- 
denten, Cocotten  und  Ladnerinnen;  von  1797  Grossmutters  Geburts- 


durch  die  Schneidigkeit  ihrer 


Henr\  Mounier. 


44 


XVII.  Die  Zeichner 


tag,  der  Freitag  Vormittag  an  der 
Pariser  Börse  und  vieles  Andere. 
Die  technische  Wirkung,  die  er 
mittels  Farbenkupferstichs  erreichte, 
ist  staunenswerth.  Eine  aquarell- 
artige Frische  liegt  auf  diesen  gel- 
ben Strohhüten,  leichtgeschminkten 
Wangen  und  rosigen  Schultern. 
Weisse,  pelzbesetzte  Seidenmäntel 
lässt  er  wie  ein  Kleid  von  Netscher 
schillern.  Wäre  von  der  ganzen 
Kunst  des  18.  Jahrhunderts  nichts 
übrig  als  Debucourt,  so  würde  er 
allein  genügen , eine  Idee  vom 
ganzen  Geist  der  Zeit  zu  vermit- 
teln. Nur  eine  Note,  die  intime 
Einfachheit  Chardins,  würde  feh- 
len. Greuzes  lächelnde  Grazie  wie 
Watteaus  Eleganz  und  Bouchers  Sinnlichkeit  — er  hat  sie,  wenn 
auch  abgeschwächt,  ebenfalls  und  ist  gerade  in  seiner  Affectirtheit 
ein  echtes  Kind  der  Epoche.  Die  Menge,  die  1792  unter  den  Bäumen 
des  Palais  Royal  promenirt,  ist  nicht  mehr  die  nämliche,  die  auf 
Cochins  Blättern  die  Salons  von  Versailles  und  Petit  Trianon  füllt. 
Roher  und  plebejischer  sind  die  Gesichter.  Rothe  Westen  mit 
faustdicken  Breloques,  dicke  Stöcke  mit  handgrossen  Goldknöpfen 
lassen  die  Toilette  der  Herren  protzenhaft,  extravagante  Hüte,  breite 
Schärpen  und  hohe  Frisuren  die  der  Damen  mehr  aufgedonnert  als 
elegant  erscheinen.  Aber  Debucourt  gibt  gleichwohl  dieser  Demo- 
kratie noch  aristokratische  Allüren.  Die  öffentlichen  Mädchen  sehen 
aus  wie  Herzoginnen.  Seine  Kunst  ist  ein  abgeschwächtes  Echo  des 
Rococo.  In  ihm  verkörperte  sich  die  Decadence,  sammelte  sich  noch 
einmal,  wenn  auch  bürgerlicher  geworden,  die  ganze  Grazie  und 
Eleganz  des  Jahrhunderts. 

Das  Kaiserthum  war  der  Caricatur  wieder  weniger  günstig. 
Nicht,  dass  es  an  Stoff  gefehlt  hätte,  aber  die  Gensur  wachte  streng 
über  das  Heil  Frankreichs.  Anderntheils  lebten  die  nach  David  auf- 
tretenden Künstler  im  Olymp  und  mischten  sich  nicht  in  die  Baga- 
tellen des  Lebens.  Weder  Zeichner  noch  Stecher  konnten  etwas 
leisten,  so  lange  sie,  auf  ihr  Papier  oder  ihre  Kupferplatte  gebeugt, 


Monnier : Monsieur  Proudboinvie. 


XVII.  Dir  Zeichner 


45 


sich  immer  vom  griechisch- 
römischen  Phantom  überwacht 
sahen  und  stets  die  Verpflicht- 
ung fühlten,  unter  dem  Falten- 
wurf moderner  Costüme  die 
starre  Zeichnung  antiker  Sta- 
tuen anzudeuten. 

Bosio  war  das  echte  Pro- 
dukt dieses  Stils.  Alle  seine 
Blätter  sind  langweilig  gewor- 
den durch  einen  falschen  Classi- 
cismus,  an  dem  er  mit  unbeug- 
samer Consequcnz  festhielt. 

Kr  kann  keine  Grisette  zeich- 
nen, ohne  sie  mit  den  Augen 
Davids  zu  sehen.  Das  nimmt 
seinen  Gestalten  Wahrheit  und 
Interesse.  Etwas  von  der  Cor- 
reetheit  der  Institutsvorsteherin 
ist  ihnen  eigen.  Seine  Grazie  ist  zu  classisch,  seine  Lustigkeit  zu 
wohlerzogen,  alles  zu  componirt,  als  dass  an  flink  hingeschriebene 
Scenen  aus  dem  Leben  zu  denken  wäre.  Schöne  Linien  sollten  die 
Unmittelbarkeit  der  Beobachtung  ersetzen,  und  selbst  der  Charakter 
der  Zeichnung  verlor  sich  in  einer  pedantischen  Eleganz,  die  Alles 
mit  dem  einförmig  zierlichen  Gespinnst  einer  flauen  Wellenlinie 
überzog. 

Erst  als  der  Romantismus  mit  dem  classicistischen  Formensystem 
gebrochen,  traten  auch  in  Frankreich  neue  grosse  Zeichner  hervor, 
die  nun  kühn,  von  ästhetischen  Formeln  unbeengt,  in’s  moderne 
Leben  griffen.  Henri  Moimier,  der  älteste  von  ihnen,  war  ein  Jahr 
nach  der  Proclamation  des  Kaiserthums  geboren.  Federbüsche,  Säbel- 
taschen und  Dolmans  waren  die  ersten  Eindrücke  seiner  Jugend : Er 
sah  die  Heimkehr  triumphirender  Armeen  und  hörte  siegreiche  Trom- 
peten schmettern.  Die  alte  Garde  blieb  sein  Ideal,  das  rühmlose 
Königthum  der  Restauration  sein  Greuel.  Er  war  überzähliger  Schreiber 
im  Justizministerium,  als  sein  erstes  1828  erschienenes  Heft  »Moeurs 
administratives  dessinees  d’apres  nature  par  Henri  Monnier«  den  Vor- 
gesetzten zeigte,  dass  die  Augen  dieses  armen  jungen  Menschen  im 
Ministerium  mehr  bemerkt  hatten,  als  sie  dort  sehen  sollten.  Seines 


Monnier : Kreidezeichnung. 


XVII.  Die  Zeichner 


46 


Postens  enthoben,  musste  er 
sich  als  Zeichner  weiterhelfen 
und  wurde  der  Chronist  der 
Epoche.  In  Monniers  Blättern 
athmet  das  glückliche  Paris 
der  guten  alten  Zeit,  ein  Paris, 
das  heute  kaum  mehr  in  der 
Provinz  nachlebt.  Sein  Jo- 
seph Proudhomme  < ist  unsterb- 
lich wie  Eisele  und  Beiscle. 
Schulze  und  Müller  oder  Mo- 
lieres  Bourgeois  Gentilhomme 
— von  der  Schuhschnalle  bis 
zu  den  Vatermördern,  der 
weissen  Cravatte  und  blauen 
Brille.  Monnier  ist  selbst  sein 
Proudhomme,  ein  Philister  in 
der  Riesenstadt,  der  die  Pa- 
riser Kleinstädteridyllen  mit 
spiessbürgerlichem  Behagen  geniesst.  Bei  ihm  gibt  es  keinen  Unter- 
schied zwischen  schön  und  hässlich : er  findet  in  der  Natur  Alles  ver- 
wendbar. Wie  sind  in  seinen  »Quartiers  de  Paris«  die  verschiedenen 
Welten  der  Pariser  Gesellschaft  gekennzeichnet.  Wie  fein  hat  er  in 
seinen  »Moeurs  Parisiennes«  die  Grisette  von  damals  mit  ihrer  Um- 
gebung von  jungen  Kaufleuten  und  armen  Studenten  geschildert: 
noch  nicht  die  grosse  Dame,  das  üppige  blasirte  Weib  der  nächsten 
Generation,  sondern  die  bescheidene  Modistin  oder  Schneiderin,  von 
deren  Landpartien  Paul  de  Kock  erzählt,  ein  hübsches  Kind  in  kurzem 
Kleidchen,  das  in  einer  Mansarde  wohnt  und  sich  nur  putzt,  wenn 
es  Sonntags  in  s Theater  oder  auf’s  Land  geht.  Monnier  gibt  ihr 
etwas  Gutmiithiges,  reizend  Kindliches.  Sie  begnügt  sich  in  der  Ge- 
sellschaft ihrer  Anbeter  mit  sehr  billigen  Vergnügungen,  trinkt  Apfel 
wein  und  isst  Honigkuchen,  reitet  auf  dem  Esel  oder  frühstückt  im 
Grünen  und  kokettirt  kaum,  wenn  ihr  auf  den  Boulevards  ein  alter 
dicker  Herr  nachgeht.  Man  denkt  bei  diesen  unschuldigen  Liebeleien 
ebensowenig  an  die  späteren  Loretten  Gavarnis,  wie  diese  die  be- 
trunkenen Strassendirnen  ahnen  lassen,  die  Kops  später  sah. 

Unter  Louis  Philipp  begann  für  die  französische  Caricatur  die 
wahrhaft  moderne  Periode,  die  glänzende  Zeit,  wo  wirklich  grosse 


XVII.  Die  Zeichner 


47 


Künstler  sich  ihr  weihten. 

Nie  erhob  sie  ihr  Haupt 
mächtiger  als  unter  dem 
Bürgerkönig,  dessen  Zwiebcl- 
kopfdem  unerbittlichen  Phi 
lippon  stets  zur  Zielscheibe 
des  Witzes  diente.  Nie  war 
sie  fürchterlicher  bewaffnet, 
nie  führte  sie  schrecklichere 
Streiche.  Das  famose  Journal 
Charles  Philippons  »La  Ca- 
ricature«  war  der  stärkste 
Hebel,  dessen  sich  die  Repu- 
blikaner gegen  die  Juliregier- 
ung bedienten : gleich  ge- 
fürchtet vom  Ministerium, 
der  Bourgeoisie,  dem  Throne. 

Erst  als  1832  auf  die  Cari- 
cature  der  Charivari  folgte, 
gingen  die  politischen  Cari- 
caturen  mehr  in  einfache 
Sittenschilderungen  aus  dem  französischen  Leben  über.  Die  schweren 
Geschütze explodirten  in  leicht  spielendem,  improvisirendem  Feuerwerk. 

Daumier  und  Gavarni,  den  Männern,  die  man  gewöhnlich  Cari- 
caturisten  nennt,  während  sie  in  Wahrheit  grosse  Geschichtschreiber 
ihrer  Zeit  waren,  hat  cs  die  französische  Gesellschaft  des  19.  Jahr- 
hunderts hauptsächlich  zu  danken,  wenn  sie  allmählich  in  den  Kreis 
künstlerischer  Darstellung  gezogen  ward.  Lange  Jahre  hindurch,  jede 
Woche,  fast  jeden  Tag  haben  sic  an  ihrem  grossen,  Tausende  von 
Capiteln  umfassenden  Geschichtswerk,  einer  wahren  Zoologie  der 
menschlichen  Species  gearbeitet,  und  ihr  Werk  in  Schwarz  und  Weiss, 
auf  Stein  gezeichnet  und  in  den  Journalen  zerstreut,  zeigt  sie  nicht 
nur  als  treue  Historiker,  sondern  als  wahrhaft  grosse  Künstler,  die 
ihren  Platz  neben  den  grössten  verdienen. 

Als  Daubigny  in  jungen  Jahren  die  Sixtinische  Kapelle  in  Rom 
betrat,  soll  er  erstaunt  gesagt  haben:  »Das  sieht  aus  wie  von 
Daumier«,  und  Daumier  wurde  seitdem  treffend  der  Michelangelo 
der  Caricatur  genannt.  Es  liegt  in  seinem  Stil,  selbst  wenn  er  lacht, 
ein  florcntinisches  Terribile,  eine  groteske  Grösse  und  Buonarottische 


48 


XVir.  Die  Zeichner 


Macht.  In  der  Zeit  vor  1848 
hat  er  mit  seinem  Bleistift  zer- 
malmende Schläge  gegen  das 
constitutionelle  Königthum 
geführt.  »Le  Ventre  legis- 
latit«  bezeichnet  den  Gipfel 
dessen , was  sich  jemals  die 
politische  Caricatur  in  Frank- 
reich erlaubte.  Aber  wenn 
er  sich  von  Philippon  befreite 
und  die  Politik  bei  Seite  Hess, 
hat  derselbe  Mann  auch  die 
wunderbarsten  Zeichnungen 
aus  dem  Leben  angefertigt. 
Sein  »Robert  Macaire«,  wie  er 
als  Krämer  seinen  Commis 
Instructionen  gibt,  als  Armenarzt  den  Patienten  gepfefferte  Rechnungen 
schickt,  als  Bankier  die  Börse  beherrscht,  als  Geschworener  sich  be- 
stechen lässt,  als  Agent  den  Bauer  aussaugt,  ist  die  Incarnation  des 
Bürgerkönigthums,  eine  grandiose  Kritik  des  Jahrhunderts  des  Geldes. 
Politiker,  Beamte,  Künstler,  Komödianten,  ehrsame  Bürger,  Trödler, 
Zeitungsjungen,  verarmte  Maler,  die  verschiedensten  catilinarischen 
Kxistenzen  gingen  durch  seinen  Stift  und  wurden  aufgezeichnet  in 
Blättern,  die  oft  erschrecken  durch  die  Wahrheit  und  l iefe  der  Be- 
obachtung. Das  Zeitalter  Louis  Philipps  lebt  genau  porträtirt  in  diesen 
Lithographien,  von  denen  jede  ein  Blatt  ist  im  grossen  Buch  der  mensch- 
lichen Tragikomödie.  In  seinen  »Kmotions  parisiennes«  imd  Bohe- 
miens de  Paris«  behandelt  er  das  Unglück,  den  Hunger,  die  Frechheit 
des  Lasters  und  die  Schrecken  des  Klends.  Seine  Histoire  ancienne 
verspottete  die  Lächerlichkeit  des  Davidschen  Classicismus  zu  einer 
Zeit,  als  an  dieses  Heiligthum  zu  rühren  noch  als  Majestätsverbrechen 
galt.  Diese  modernen  Menschen  mit  den  classischen  Posen,  zum  Theil 
David’sche  Bilder  parodirend,  haben  wohl  zuerst  den  Zeitgenossen 
das  Geschraubte,  Unwahre  der  Richtung  zum  Bewusstsein  gebracht, 
nebenbei  auch  Offenbach  später  seine  besten  Ideen  geliefert.  Daumier 
war  ausserdem  ein  Landschafter  ersten  Ranges.  Keiner  hat  besser 
die  Physiognomie  der  Brücken  und  Häuser,  der  Quais,  verregneter 
Strassen,  der  armen  Natur  im  Weichbild  von  Paris  gegeben.  Kr  war 
ein  Momentphotograph  ohne  Gleichen,  ein  Physiognomikcr,  wie  es 


Daumier:  Amateurs  de  lableaux. 


XVII.  Dif.  Zeichner 


49 


im  1 6.  Jahrhundert  Brucghel, 
im  17.  Jan  Steen  und  Brou- 
\ver,im  vorigen  Chodowieeki 
war,  mit  dem  Unterschiede, 
dass  er  ebenso  breit  und 
mächtig  zeichnete,  wie  jener 
zart  und  fein.  Diese  ur- 
wüchsige, jordaens'sche  Kraft 
des  Striches  stellt  seine  Blätter 
als  Kunstwerke  ebenso  hoch, 
wie  sic  als  historische  Do- 
kumente unschätzbar  sind. 

So  summarisch  die  Behand- 
lung, so  vereinfacht  der  Con- 
tur,  — die  Mimik,  Gestikula- 
tion und  Stellung  ist  stets 
ausdrucksvoll,  und  Daumicrs 
Einfluss  auf  viele  Maler  steht 
ausser  Zweifel.  Namentlich 
Millet,  der  grosse  Bauernmaler,  hat  dem  Zeichner  der  Bourgeois  viel 
zu  danken.  Gerade  das,  was  seinen  »Stil«  ausmacht:  die  grosse  Linie, 
die  Vereinfachung,  das  geistreiche  Abstrahiren  vom  anekdotisch  Gleich- 
gültigen der  Form  sind  Dinge,  die  er  von  Daumier  lernte. 

Gavarni  war  — in  den  Jahren  als  er  mit  für  den  Charivari 
zeichnete,  das  gerade  Gegentheil  Daumicrs.  Dort  kraftvolle  Stärke, 
hier  feine  Grazie.  Dort  brüske  brutale  Beobachtung  und  fast  drohender 
Sarkasmus,  hier  die  übermüthige  Laune  des  Schmetterlings,  der  leicht- 
fertig von  Blume  zu  Blume  fliegt.  Man  könnte  Daumier  mit  Rabe- 
lais; Gavarni,  den  geistreichen  Journalisten  der  Welt  und"  der  Halb- 
welt, den  Zeichner  der  Eleganz,  der  Rou6s  und  Loretten,  mit  Moliere 
vergleichen.  1801  von  armen  Eltern  in  Paris  geboren  und  in  seiner 
Jugend  Mechaniker,  hatte  er  seit  1835  sich  durch  Modeblätter  und 
Costümzeichnungen  den  Unterhalt  verdient.  Er  übernahm  die  Leit- 
ung  des  Modcjournals  »les  Gens  du  monde«  und  eröffnete  es  mit 
Lithographien  aus  dem  Leben  der  Jeunesse  doree:  les  Lorettes,  les 
Actrices,  les  Fashionables,  les  Artistes,  les  Etudiants  de  Paris,  les  Bals 
masques,  les  Souvenirs  du  carnaval,  la  Vie  des  jeunes  hommes.  Eine 
neue  Welt  war  darin  mit  kecken  Zügen  erschlossen.  Die  Frauen  bei 
Daumier  sind  gute  dicke  Mütter,  immer  sehr  beschäftigt,  von  beneidens- 

Muther,  Moderne  Malerei  II. 


Daumier : Gerichtsscene. 


XVII.  Dif.  Zeichner 


weither  Constitution  und 
schlagfertigem  Witz,  Wei- 
ber, die  ihren  Haushalt 
ordentlich  führen,  auf  den 
Markt  gehen  und  wenn 
nöthig,  ihren  Mann  im 
Bureau  vertreten.  Bei  Ga- 
varni  sind  sie  pikant  und 
schmollend,  in  Seide  ge- 
schnürt und  von  weichen 
Sammetmänteln  umflossen . 
Sie  lieben  im  Cabinet  par- 
ticulicr  zu  speisen  und  auf 
krystallene  Spiegelplatten 
den  Namen  des  jeweiligen 
Geliebten  zu  ritzen. Gavarni 
war  der  Erste,  der  die  welt- 
männische Form  des  mo- 
dernen Lebens  packte,  ele- 
gante Menschen  mit  vollem 
Chic  auf  die  Füsse  stellte 
und  ihnen  das  Gewand 
auf  den  Leib  goss.  Fr  selbst 
liebte  in  seiner  Kleidung  das  Gigerlhafte  und  badete  sich  wollüstig  im 
Pariser  Leben,  das  im  Genuss  um  sich  selber  wirbelt.  Das  heutige  Ge- 
schlecht fühlt  den  Duft  solch’  älterer  Modeblätter  schwer.  In  jedem 
Kunstwerk  ist,  neben  dem  was  bleibt,  ein  feines  Parfüm,  das  sich  nach 
einigen  Jahren  verflüchtigt  und  von  Späteren  nicht  mehr  bemerkt  wird. 
Was  heute  frisch  und  modern  ist,  hat  morgen  das  Aussehen  ver- 
trockneter Blumen,  die  der  Historiker  im  Herbarium  einschliesst.  Und 
dieses  schnelle  Welkwerden  erleben  besonders  die,  welche  die  Moden 
ihrer  Zeit  zeichnen.  Auch  von  Gavarni’s  Lithographien  wirken 
viele  schon  wie  die  blassen  Bilder  einer  entschwundenen  Welt. 

. Die  Generation  von  1830  aber  feierte  in  ihm  denselben  Charmeur, 
denselben  Meister  verliebter  Eleganz,  den  die  von  1730  in  Watteau 
gehabt.  Fr  war  der  gesuchte  Costumier,  den  der  Schneider  Humann, 
der  Worth  des  Julikönigthums,  als  seinen  Rivalen  betrachtete,  der 
Erfinder  all'  der  Feerien,  die  den  Hauptanziehungspunkt  der  Theater 
und  Maskenbälle  bildeten,  der  feine  Gourme  des  ewig  Weiblichen. 


SO 


Daumier:  Minelas  vainquetir. 

Sur  les  remparts  fumants  de  la  superbe  Troie 
Menelas,  fils  des  Dieux,  corame  une  riche  proie, 
Revit  sa  blonde  Helene  et  l'emm£ne  ä sa  cour 
Plus  belle  que  jamais  de  pudeur  et  d'amour. 


XVII.  Die  Zeichner 


Daumier:  La  voilä  . . . Ma  rnaison  de  Campagne. 

der.  nachdem  er  den  Frauen  viel  nachgegangen,  das  Wehen  eines  Unter- 
rockes, den  verführerischen  Reiz  eines  feingeformten  Beines,  die  Ko- 
ketterie einer  neuen  Frisur  mit  intimer  Kennerschaft  zu  geben  wusste. 
Den  Balzac  der  Zeichner  hat  man  ihn  genannt.  Ebenso  i'ibermüthig 
wie  die  Bilder  sind  die  — ebenfalls  von  ihm  selbst  herrührenden 
Unterschriften.  So,  wenn  in  der  Folge  »La  vie  des  jeunes  hommes« 
der  junge  Elegant  mit  seinem  »Verhältniss«  im  anthropologischen 
Museum  vor  einem  Skelett  steht  und  die  Kleine  schaudernd  meint : 
»Wenn  man  denkt,  dass  das  ein  Mann  ist  und  dass  die  Damen 
das  lieben«  — oder  wenn  ein  Bekannter  dem  Andern  sagt:  »Ja, 

wenn  du  dich  mit  allen  Liebhabern  deiner  Frau  zankst,  wirst  du  nie 
einen  Freund  haben.« 

Aber  das  ist  nur  die  eine  Seite  der  Sphinx.  Man  kennt  ihn 
halb,  wenn  man  nur  an  den  Zeichner  von  feinen  Damenmoden 
denkt,  der  in  seinen  Loretten-  und  Carnevalsblättern  die  leichtfertige 
Anmuth  der  Dcmimondc,  den  tollen  Uebermuth  der  Faschingslust 
feierte.  Im  Grunde  war  Gavarni  kein  leichtfertiger  Schmetterling, 
sondern  ein  Künstler  von  unheimlich  düsterer  Phantasie,  ein  tief- 


XVII.  Die  Zeichner 


>2 


sinniger  melancholischer  Phi- 
losoph, der  alle  Mysterien  des 
Lebens  ahnte.  All’  die  ge- 
waltigen Probleme,  die  das 
Jahrhundert  aufwarf,  tanzten 
als  gespenstische  Fragezeichen 
vor  seinem  Geiste. 

Der  Uebergang  war,  dass  er. 
älter  geworden , auch  schil- 
derte, welch  kaltes  nüch- 
ternes Erwachen  der  tollen 
Nacht  folgt.  Auf  diesen  Bahnen 
war  schon  Constantia  Guys 
gegangen,  der  unglückliche 
kranke  Mann,  der,  wie  Ver- 
laine, sein  Dasein  im  Hospital 
verlebte  und  im  Armenhaus 
starb.  Guys  hat  nicht  viel 
hinterlassen,  aber  in  dem  weni- 
gen erscheint  er  als  wahrer 
Vorläufer  der  Modernen,  und 
es  ist  kein  Zufall,  dass  Baudelaire,  der  Ahn  der  Decadence,  Guvs’ 
Denkmal  errichtete.  Diese  Weiber  mit  den  gelangweilten  Bewegungen 
und  matten,  absynthgetödteten  Augen,  die  unstet  durch  die  Gassen 
irren  und  wie  Fledermäuse  durch  den  Ballsaal  flattern,  haben  nichts 
mehr  von  dem  unschuldigen  Reize  Monnier’scher  Grisctten,  sie  sind 
unheimliche  Todbringerinnen,  dämonische  Bräute  des  Satans.  Und 
Guys  übte  auf  Gavarni  sehr  grossen  Einfluss.  Es  entstanden  seine 
Invalides  du  sentiment  , seine  »Lorettes  vieillies«  und  seine  Four- 
beries  des  femmes«.  Die  Wollust  der  Creaturen  ist  gemenget  mit 
Bitterkeit  . Aus  dem  leichtsinnigen  Kind  der  Welt  wurde  ein  Misan- 
throp. dem  kein  Geheimniss  der  Kothstadt  fremd  blieb,  ein  Pessimist, 
der  anfing,  in  der  Dirne  der  Gosse  wie  in  der  Herrscherin  des  Salons 
die  Sumpfblüthe  der  Uebercultur,  die  menschliche  Bestie  zu  sehen, 
die  »bittere  Frucht,  die  innen  voll  Asche  ist  . Er  kennt  nur  noch 
eine  Liebe,  deren  Genüsse  man  mit  den  Schauern  des  Todes 
zahlt.  Seine  Werke  können  keiner  Dame  gezeigt  werden  und  sind 
doch  durchaus  nicht  frivol  — sie  sind  puritanisch  und  schreck- 
lich. Welch  dämonischer  Gedanke,  wenn  in  den  Lorettes  vieillies 


Gavarni. 


XVII.  Dif.  Zeichner 


das  hässliche,  mit  Ge- 
schwüren bedeckte 
Weib  einem  alten 
Herrn,  der  ihr  ein  Al- 
mosen gegeben,  mit 
den  Worten  dankt: 

Viel  Dank,  guter  Herr, 
möge  Gott  ihre  Söhne 
vor  meinen  Töchtern 
schützen ! Hatte  Dau- 
miervorzugsweise  den 
Mann,  so  hat  Gavarni 
wie  kein  Anderer  das 
Weib  »gekonnt«.  Er 
ist  nicht  der  mächtige 
Zeichner  wie  Dau- 
mier,  hat  nicht  das 
Gefühl  für  grosse  Be- 
wegungen,  aber  mit 
welch  schrecklicher 
Unmittelbarkeit  ana- 
lysirt  er  die  Köpfe. 

Durch  alle  Altersstufen  und  durch  jeden  Stand,  von  der  Jugend  bis 
zum  Verfall , vom  glänzenden  Reichthum  bis  zum  schmutzigen 
Elend  hat  er  das  Weib  begleitet  und  in  monumentalen  Strophen 
das  hohe  Lied  der  Lorette  geschrieben:  Dingltangl,  Villa  in  den 
Champs  Elysecs.  Equipage,  Grooms,  Bois  de  Boulogne,  Kupplerin, 
Mansarde,  Rettigweib , jene  letzte  Incarnation , die  Victor  Hugo  das 
Strafgericht  nannte. 

Auf  diesem  Wege  ging  Gavarni  weiter.  Immer  mehr  schärfte 
sich  sein  Blick,  der  Ernst  der  Betrachtung  siegte  über  die  Heiterkeit, 
und  er  studirte  seine  Zeit  mit  dem  unerbittlichen  Messer  des  Vivi- 
sectors.  Das  Schicksal  hatte  ihm  selbst  gelehrt,  was  es  bedeutet,  den 
Kampf  um’s  Dasein  zu  kämpfen.  Ein  Blatt,  das  er  in  den  30  er 
Jahren  gründete,  überhäufte  ihn  mit  Schulden.  Er  sass  1835  im  Ge- 
fängniss  von  Clichy  und  betrachtete  seit  dieser  Zeit  die  elenden  zer- 
lumpten Geschöpfe,  die  er  um  sich  sah,  mit  anderen  Augen.  Er 
studierte  das  arbeitende  Volk,  trieb  sich  in  Kellern  und  Spelunken  zwi- 
schen Taschendieben  und  Zuhältern  umher.  Und  was  ihm  Paris  noch 


Gavarni:  Phedre  au  Thedtre-Franfais. 


54 


XVII.  Die  Zeichner 


nicht  gezeigt,  lernte  er  1849 
in  London  kennen.  Auch 
dorthin  kam  er  nicht  als  der 
Erste.  Den  Weg  wies  Geri- 
cault,  der  schon  1821  in 
einer  Serie  von  lithograph- 
ischen Blättern  in  das  Elend 
der  Weltstadt  eintauchte. 
Bettler,  die  halbtodt  vor  Er- 
schöpfung an  der  Thür  eines 
Bäckerladens  kauern ; zer- 
lumpte Dudelsackpfeifer,  die 
men  sc  h en  1 eere  Gegen  den 

schlotternd  durchirren ; arme 
gelähmte  Frauen,  die  von 
hohläugigen  Menschen  im 
Schubkarren  gefahren  wer- 
den, an  Prachtpalästen  vor- 
bei und  vom  Gewühl  glän- 
zender Carossen  umgeben, 
sind  einige  der  Scenen,  die 
er  aus  London  heimbrachte. 
Doch  Gavarni  übertrifft  ihn 
an  schneidender  Schärfe.  »Was  man  in  London  ganz  umsonst 
sieht«,  lautet  die  Aufschrift  einer  Reihe  von  Blättern,  in  denen  er 
die  neuen  Schrecken  dieser  neuen  Zeit  furchtbar  auf’s  Papier  be- 
schwor: den  Hunger,  die  Noth,  das  unermessliche  Leid,  das  sich 
zähneklappernd  in  den  Höhlen  der  Grossstadt  birgt.  Er  durchlief 
Whitechapel  von  einem  Ende  zum  andern,  studirte  die  Trunkenheit 
und  das  Laster.  Wie  viel  drastischer  sind  seine  Bettlerfiguren  als 
die  Callots.  Besonders  die  grandiose  Serie  des  Thomas  Vireloque  ist 
ein  Todtcntanz  des  Lebens,  in  dem  schon  alle  Probleme  sich  an- 
kündigen, die  später  unsere  Epoche  bewegten.  Durch  dieses  Werk  ist 
Gavarni  unser  Zeitgenosse  geblieben,  durch  dieses  ist  er  ein  Vorläufer 
geworden.  Auf  Schritt  und  Tritt  taucht  heute  die  räthselhafte  Figur 
des  Vireloque  auf,  des  Gassenphilosophen,  des  zerlumpten  Kerls,  der 
Dynamit  in  der  Tasche  hat,  die  Verkörperung  der  Bete  lnimaine, 
des  menschlichen  Elends  und  des  menschlichen  Lasters.  Hier  steht 
Gavarni  weit  über  Hogarth  und  hoch  über  Callot.  Die  socialpoli- 


Guys;  Frauenstudie. 


XVII.  Die  Zeichner 


5 ) 


tischen  Ideen  der 
ersten  Hälfte  des  Jahr- 
hunderts haben  sich 
im  Thomas  Vireloque 
condensirt. 

Selbstverständlich 
bezeichnctc  der  Re- 
gierungsantritt Napo- 
leons III.  auch  für  die 
französische  Caricatur 
eine  neue  Phase.  Sie 
wurde  ebenfalls  gross- 
städtischer und  welt- 
männischer. All’  das 
Pikante  und  Glän- 
zende , Muthwillige 
und  Verdorbene,  Aus- 
schweifende und  Lie- 
benswürdige, Heitere 
und  Affektirte  dieses 
feinen  grossstädtischen 
Lebens,  das  damals  sei- 
nen blendenden  Glanz 
über  Europa  warf,  fand  in  den  jungen  Zeichnern  raffinirt  verständ- 
nisvolle Interpreten.  Als  Hauptblatt  kommt  das  1848  gegründete 
Journal  pour  rire  in  Frage,  das  1856  den  Titel  Journal  amüsant  an- 
nahm, unter  dem  es  noch  heute  besteht. 

Gustave  Dore  hat  sich  zum  Nachtheil  seiner  Bedeutung  nur  in 
seiner  allerersten  Zeit  auf  diesem  Boden  bewegt.  Er  war  noch  im 
Gymnasium  seines  Heimatstädtchens  Burg  im  Eisass  und  kaum 
16  Jahre  alt,  als  er  mit  Philippon  einen  Vertrag  schloss,  der  ihn 
auf  drei  Jahre  für  das  »Journal  pour  rire«  engagirte.  Seit  1844  ent- 
standen seine  ersten  Zeichnungen : »les  animaux  socialistes«,  die  sehr 
an  Grandville  streiften,  und  > Desagrements  d'un  voyage  d’agrement 
deutsch  etwa  »Herr  und  Frau  Buchholz  in  der  Schweiz«  — , 
die  in  ihrem  grotesken  Witz  viel  Aufsehen  machten.  In  seinen 
Cyklen  »les  differents  publics  de  Paris«  und  »la  Menagerie  Pari- 
sienne« schilderte  er  schneidig  die  Oper,  das  Theatre  des  Italiens, 
den  Circus,  das  Odeon,  den  Jardin  des  Plantes.  Aber  seitdem  Hessen 


Gavarui:  Ce  qui  me  manque  11  moi?  wie  l'ite  tue  re 
comme  (a,  qu’aurait  sein  de  mon  linge. 


XVII.  Die  Zeichner 


ihn  die  Lorbeern  des 
Historienmalers  nicht 
schlafen.  Er  kehrte  so- 
wohl der  Caricatur  wie 
der  Gegenwart  den 
Rücken,  machte  Aus- 
flüge in  alle  Zonen 
und  Zeiten,  besuchte 
mit  Dante  das  Inferno, 
verweilte  mit  den  alt- 
testamentlichen  Patri- 
archen in  Palästina  und 
durchlief  mit  Perrault 
die  Welt  des  Wun- 
ders. Staunenswerth 
war  die  Leichtigkeit 
seiner  Erfindung,  die 
Geschicklichkeit,  mit 
der  er  aus  allen  Schrift- 
stellern die  packendsten 
Scenen  zur  Illustra- 
tion herausgrifif.  Nur 
steckte  ihm  zuviel  Clas- 
sicismus  im  Leibe,  als 
dass  er  auf  die  Dauer 
sehr  fesseln  könnte. 
Seine  Compositionen  bestechen  durch  einen  scheinbar  grossen  Stil, 
erreichen  aber  nur  eine  äusserlich  decorative  Wirkung.  Die  Ge- 
stalten  sind  akademische  Variationen  der  durch  die  Griechen  und 
Cinquecentisten  festgestellten  Typen.  Er  forcirte  sein  Talent,  als  er 
sich  in  Regionen  erhob,  in  denen  er  ohne  Anlehnung  an  seine  Vor- 
gänger doch  nicht  stehen  konnte.  Selbst  im  Don  Quichotte  verlieren 
die  Figuren  an  Charakter,  je  grösser  sie  werden.  Alles  ist  bei  ihm  calli- 
graphisch,  verständig,  ohne  Individualität,  ohne  Bewegung  und  Leben, 
nach  bekannten  Regeln  componirt.  Es  steckte  etwas  von  Wiertz  in  ihm 
sowohl  nach  der  Seite  der  Phantasie  wie  nach  der  des  Schemas  hin. 
und  seine  Jugendwerke,  wie  die  Schweizerreise,  in  denen  er  noch 
ohne  stilistische  Prätentionen  einfach  Beobachtetes  niederzeichnete, 
bleiben  wohl  am  längsten  bestehen. 


Gavarni:  Thomas  Vireloque. 


XVII.  Die  Zeichner 


57 

Am  erschöpfendsten  hat  Chain  während  der  Periode  1848 — 78 
in  breiten  Lithographien  und  reizenden  Holzschnitten  die  Tageschronik 
des  modernen  Pariser  Lebens  geführt.  Der  berühmte  Caricaturist 
man  hat  ihn  den  geistreichsten  Mann  Frankreichs  unter  Napoleon  III. 
genannt  — hatte  gleichzeitig  mit  Jean  Francois  Millet  bei  Delaroche 
gearbeitet.  Seit  1842  trat  er  als  Cham  (eigentlich  nannte  er  sich 
Graf  Amadee  de  Noe)  mit  Zeichnungen  hervor,  die  ihn  bald  zum 
gesuchtesten  Mitarbeiter  des  Charivari  machten.  Weniger  tief,  weniger 
ernst  als  Gavarni,  ist  er  doch  immer  lebensprühend,  ein  Zeichner 
von  wunderbarer  Verve.  In  seinen  Monats-  und  Jahres-Revuen 
detilirt  Alles,  was  auf  dem  Gebiete  der  Erfindung  und  Mode,  der 
Literatur  und  Kunst,  der  Wissenschaft  und  des  Theaters  Paris  in- 
teressirte:  die  Omnibusse  mit  der  hohen  Imperiale,  Tischrücken 
und  Klopfgeister,  die  Eröffnung  der  Grands  Magasins  du  Louvre. 
Frau  Ristori,  die  Vollendung  des  Canals  von  Suez,  die  ersten 
Zeitungskioske,  Paris  am  Neujahrstag,  die  Erfindung  der  Panzer- 
schiffe, die  Durchbrechung  des  Mont  Cenis,  der  Faust  von  Gou- 
nod,  die  Patti  und  die  Nilson,  der  Streik  der  Schneider  und  Hut- 
macher, die  Jockeys  und  Pferderennen.  Alles,  was  die  öffentliche 
Aufmerksamkeit  erregte,  hatte  in  Cham  seinen  feinen  Beobachter. 
Seine  Caricaturen  auf  Kunstwerke  des  Salons  waren  voll  von  Geist, 
und  die  Weltausstellung  1867  fand  in  ihm  den  classischen  Chron- 
isten. Hier  lebt  das  ganze  mysteriöse  Paris  des  dritten  Napoleon. 
Kaiser  und  Könige  defiliren,  die  Strauss’sche  Kapelle  spielt,  Zigeu- 
nerinnen tanzen,  Equipagen  rollen,  Alles  lebt,  liebt,  kokettirt,  ver- 
schwendet und  dreht  sich  im  Strudel.  Doch  das  Ende  der  Aus- 
stellung bedeutete  auch  das  Ende  alles  Glanzes.  Man  fühlt  aus 
Cham’s  folgenden  Blättern  heraus,  dass  ein  Gewitter  in  der  Luft  lag. 
Weder  Moden  noch  Theater,  Weiber  und  Vergnügungen  konnten 
verhindern,  dass  die  Politik  mehr  und  mehr  vorherrschte:  der  Sturz 
Napoleons  bereitet  sich  vor. 

Die  nach  ihm  Auftretenden  führten  eine  grössere  Arbeitstheilung 
durch,  indem  sich  der  eine  die  kleinen  Frauen,  der  das  Theater, 
der  das  High-life  als  Specialität  erwählte.  Nadar  nahm,  durch  die 
Photographie  unterstützt,  die  seit  Daumier  vernachlässigte  Porträt- 
charge wieder  auf  und  hatte  mit  seiner  Folge  »Les  Contemporains 
de  Nadar«  grossen  Erfolg.  Marcellin  ist  der  erste,  der  über  seine 
Blätter  aus  der  Welt  der  Moden  und  des  Theaters  all’  den  Chic 
und  eleganten  Flimmer  breitete,  der  in  den  Romanen  jener  Jahre 


5» 


XVII.  Die  Zeichner 


lebt.  Er  ist  der  Chronist  der  grossen  Welt,  der  Bälle  und  Soireen, 
er  zeigt  die  Oper  und  das  Theatre  des  Italiens,  erzählt  von  Jagden 
und  Rennen,  wohnt  den  Corsofahrten  bei  und  verlässt,  sobald  der 
gute  Ton  es  verlangt,  das  Pflaster  von  Paris,  Umschau  zu  halten 
in  den  Schlössern  und  Landhäusern,  den  französischen  Seebädern 
und  kleinen  Badeorten  Deutschlands,  deren  Spielsäle  damals  den 
Sammelpunkt  des  vornehmen  Paris  bildeten.  Besonders  Baden-Baden, 
wo  sich  im  Juli  alle  Löwen  des  Tages,  Männer  der  Politik  und 
Kunst  und  alle  Schönheiten  des  Pariser  Salons  vereinten,  bot  dem 
Zeichner  ein  weites  Feld  für  Studien  über  Mode  und  Chic.  Hier 
entstand  die  Folge  Histoire  des  variations  de  la  mode  depuis  le 
XVI.  siecle  jusqu’ä  nos  jours«.  In  einem  Ort.  wo  alle  Gesellschafts- 
klassen, Welt  und  Halbwelt,  sich  begegneten,  konnte  auch  Mar- 
cellin  die  Demimonde  nicht  umgehen,  wusste  jedoch,  selbst  wenn 
er  dieses  Gebiet  streifte,  stets  seine  distinguirte,  correcte  Haltung 
zu  wahren.  Er  war  der  eigentliche  Zeichner  der  »Gesellschaft«,  der 
glänzenden,  lebenslustigen,  angefaultcn  und  doch  so  vornehmen  Ge- 
sellschaft des  zweiten  Kaiserreichs,  die  aus  Paris  einen  grossen  Ball- 
saal machte. 

Randon  ist  ebenso  plebejisch,  wie  Marcellin  aristokratisch.  Seine 
Specialität  ist  der  dumme  Rekrut,  der  truppweise  durch  die  Strassen 
geführt  wird,  der  kleine  Privatier,  wie  ihn  Daudet  im  Monsieur  Chebe 
flxirte,  der  alte  Herr,  der  im  Bois  de  Boulogne  auf  der  Bank  sitzt: 
Lasset  die  Kindlein  zu  mir  kommen  mit  ihren  Bonnen«.  Sein  Ge- 
biet umfasst  alles,  was  nicht  mit  Chic  zu  thun  hat.  Das  ganze  Volks- 
leben von  Paris,  die  Pferdemärkte,  die  Rennen  in  Poissy,  jedes  wich- 
tigere Vorkommniss,  wodurch  das  Aeussere  der  Stadt  sich  veränderte, 
lässt  sich  in  seinen  Zeichnungen  verfolgen.  Wenn  er  reiste,  ging 
er  nicht  in  die  Seebäder,  sondern  in  die  Provinz,  nach  Cherbourg 
und  Toulon  oder  in  die  Fabrikstädte  Belgiens  und  Englands,  wo 
er  das  Leben  auf  den  Bahnhöfen  und  in  den  Zollhäusern,  auf  dem 
Markt  und  in  den  Kasernen,  in  den  Häfen  und  auf  der  Strasse  be- 
obachtete. Waaren,  die  man  aufstapelt,  Säcke,  die  man  aufwindet, 
Schiffe,  die  man  vor  Anker  legt,  Lagerhäuser,  Werfte,  Docks,  - 
überall  lebt  es  wie  in  einem  geschäftigen  Bienenstock.  Die  Natur  ist 
eine  grosse  Fabrik,  der  Mensch  eine  wandelnde  Maschine.  Die  Welt 
gleicht  einem  Ameisenhaufen,  der  Wohnstätte  seltsamer  Insekten, 
die  mit  Zähnen,  Fühlern,  unermüdlichen  Füssen,  bewunderungs- 
würdigen, zum  Graben,  Sägen,  Bauen,  zu  allen  möglichen  Dingen 


XVII.  Die  Zeichner 


59 

geeigneten  Organen  ausgerüstet,  aber  auch  mit  unaufhörlichem 
Hunger  versehen  sind. 

Bald  darauf  kam  Hadol,  der  1855  mit  seinen  ersten  Modebildern 
debütirte,  Stop,  der  damals  besonders  die  Provinz  und  Italien  schilderte. 
Draner,  der  sich  mit  dem  Pariser  Ballet  beschäftigte  und  für  die  kleinen 
Tänzerinnen  reizende  Militäruniformen  entwarf.  Leoncc  Petit  wurde 
der  Bauernzeichner,  der  intim  und  einfach  von  den  Reizen  des 
Landes  erzählte;  von  der  todten  Langweile  kleiner  Städte,  von  armen 
Dörfchen  und  primitiven  Gasthäusern,  von  der  Klatschstunde  der 
Dorfhexen  vor  der  Hausthür,  von  der  gespreizten  Würde  des  Dorf- 
schulzen oder  des  Obristen  der  Feuerwehr.  Er  ist  namentlich  als 
Landschafter  bemerkenswert^.  Die  Bäume  der  eintönig  geradlinigen 
Fahrwege  stehen  weich  und  zart  in  der  Luft,  die  schläfrige  Mono- 
tonie winkliger  Dorfgässchen  ist  mit  wenig  Bleistiftstrichen  sehr 
prägnant  gegeben.  Die  Flur  ist  ein  grosser  Küchengarten.  Die 
Felder  und  Accker  mit  ihrem  staubigen,  mageren  Boden  erzählen 
ein  grosses  Lied  von  harter  Arbeit,  vom  ernsten,  mühseligen  Da- 
sein der  Bauern. 

Andrieux  und  Morland  entdeckten  die  femme  entretenue,  deren 
bekanntester  Schilderer  später  Grevin  wurde,  der  geistreiche,  ori- 
ginelle, leichte  und  pikante  Zeichner,  den  Einige  — freilich  über- 
treibend — den  direkten  Nachfolger  Gavarnis  nannten.  Grevins  Frauen 
sind  ein  wenig  eintönig  mit  ihrem  lockigen  Chignon , ihren  nichts- 
sagenden Augen,  die  gern  gross  scheinen  möchten*  ihrem  schmoll- 
enden Naschen,  den  trotzig  aufgeworfenen  Lippen  und  der  billigen 
Toilette,  die  sie  so  chic  tragen.  Sie  sind  auch  schon  in’s  Grab  gestiegen 
wie  die  Grisetten  Monniers  und  Gavarnis,  und  haben  den  Weibern 
von  Mars  und  Forain  das  Feld  gelassen.  Grevins  Werk  erscheint 
heute  veraltet,  da  es  nicht  mehr  modern  und  noch  nicht  historisch 
ist,  aber  es  bezeichnet  trotzdem,  wie  das  Gavarnis,  eine  Epoche.  Die 
Bals  publics,  die  Bals  des  l’Opera,  der  Jardin  Mabille,  die  Closerie 
des  Lilas,  die  Rennen,  die  Promenaden  im  Bois  de  Vincennes,  die 
Seebäder,  alle  Orte,  wo  die  Cocottenwelt  unter  Napoleon  III.  ihr 
Zelt  aufschlug,  waren  auch  das  Heim  des  Zeichners.  »Wie  man  in 
Paris  liebt«  und  »der  Winter  in  Paris«  nannten  sich  seine  ersten 
Cyclen.  1867  im  Ausstellungsjahr  erschienen  seine  grössten  und 
feinsten  Blätter,  die  Scenen  aus  den  Pariser  Hotels  und  »die  Eng- 
länder in  Paris«.  Seine  späteren,  in  Albums  herausgegebenen  Folgen: 
Les  filles  d’Eve,  le  monde  amüsant,  Fantaisies  parisienncs,  Paris 


6o 


XVII.  Die  Zeichner 


vicieux,  La  Chaine  des  Daraes  sind  ein  hohes  Lied  auf  die  Raf- 
finements des  Lebens. 

Hs  liegt  nicht  im  Plane  dieses  Buches,  die  Geschichte  der  zeich- 
nenden Künste  weiter  zu  verfolgen.  Nur  das  war  zu  zeigen,  dass  auf 
dem  Wege,  den  Rowlandson  und  Cruikshank,  Erhard  und  Richter, 
Daumier  und  Gavarni  betrat,  auch  die  Malerei  folgen  musste,  wenn 
sie  die  Kunst  des  19.  Jahrhunderts  sein  und  nicht  immer  abhängig 
von  den  Alten  bleiben  wollte.  Das  absolute  Schöne  ist  keine  zu- 
trägliche Nahrung  für  die  Kunst,  sie  hat  sich,  um  lebenskräftig  zu 
sein,  von  den  Ideen  des  Jahrhunderts  zu  nähren.  Erst  wenn  man 
aufgehört  hatte,  sich  nur  an  den  Meisterwerken  der  Vergangenheit 
zu  begeistern,  um  mit  ihrer  Hilfe  Scenen  aus  längst  begrabenen  Zeiten 
darzustellen,  erst  dann  war  Aussicht  vorhanden,  dass  das  Epigonen- 
thum überwunden  werde  und  sich  an  der  Hand  selbständigen  frischen 
Naturstudiums  eine  neue,  originelle  Malerei  entwickle.  Es  musste  die 
leidenschaftliche  Begierde  der  Zeit  werden,  sich  häuslich  einzurichten 
auf  der  Erde,  in  dieser  so  lange  verschmähten  Wirklichkeit,  die  un- 
geahnte Schätze  lebendiger  Kunstwerke  birgt.  Die  aufgehende  Sonne 
ist  noch  ebenso  schön  als  am  ersten  Tage,  die  Flüsse  strömen,  die 
Wiesen  grünen,  die  vibrirenden  Leidenschaften  kämpfen  wie  einst, 
das  unsterbliche  Herz  der  Natur  schlägt  noch  unter  seiner  rauhen 
Hülle,  und  seine  Schläge  hallen  wider  im  Herzen  des  Menschen. 
Es  musste  die  Wendung  vom  Denken  auf  das  Sein  erfolgen  und 
auch  von  den  Malern  die  Welt  wieder  entdeckt  werden,  wie  in  den 
Tagen  der  ersten  Renaissance.  Es  handelte  sich  darum,  mit  allen 
Hilfsmitteln  der  Farbe  die  vielgestaltigen  Formen  der  menschlichen 
Thätigkeit  darzustellen:  alle  Phasen  und  alle  Bedingungen  des  Da- 
seins, die  Eleganz  wie  das  Elend,  Vergnügen  und  Arbeit,  den  Salon 
und  die  Strasse,  das  wimmelnde  Treiben  der  Städte  wie  die  stille 
Arbeit  des  Bauern.  Es  galt  die  ganze  Naturgeschichte  der  Zeit  zu 
schreiben  — und  dieser  Weg,  der  aus  den  Museen  in  die  Natur,  aus 
der  Vergangenheit  zu  lebenden  Menschen  führte,  wurde  den  fran- 
zösischen und  deutschen  Malern  von  England  gewiesen. 


Sx© 


XVIII 


Die  englische  Malerei  bis  1850. 

DIE  englische  Schule  hat  über  die  andern  den  Vortheil,  dass 
sie  jung  ist,  dass  ihre  Tradition  kaum  ein  Jahrhundert  alt 
ist,  dass  sie  nicht  wie  die  des  Continents  mit  alten  griechisch- 
lateinischen Theorien  durchsetzt  ist.  Welche  glücklichen  Bedingungen, 
sich  in  einem  modernen  Sinn  abzuheben , während  bei  den  andern 
Völkern  der  Druck  der  Tradition  auf  den  kühnsten  Neuerern  lastet. 
Die  Engländer  schauen  nicht  zurück,  sondern  um  sich  in’s  umgebende 
Leben.«  So  hat  Bürger- Thore  1867  in  einem  seiner  ; Salons«  ge- 
schrieben. 

Auch  England  war  von  der  retrospectiven  Strömung  des  Con- 
tinents nicht  unberührt  geblieben.  Vielleicht  würde  sich  sogar  nach- 
weisen  lassen,  dass  diese  ganze  Bewegung  hier  ihren  Ausgang  nahm. 
England  hatte  in  der  Architektur  seinen  »Empirstil«,  50  Jahre  bevor 
es  in  Frankreich  ein  Kaiserreich  gab;  es  hatte  in  der  Malerei  seinen 
Classicismus , schon  als  David  bei  Boucher  Amoretten  malte,  und 
es  schenkte  der  Welt  einen  Romantiker  zur  selben  Zeit,  als  die  Li- 
teratur des  Continents  »classisch  wurde.  The  Lady  of  the  Lake, 
Marmion.  The  Lord  of  the  Isles,  The  fair  Maid  of  Perth,  Old  Mor- 
tality,  Ivanhoe,  Quentin  Durward,  wer  weis  nicht  diese  Namen  aus- 
wendig: Bei  Walter  Scott  haben  wir  Geschichte  gelernt,  und  jenes 

kunstgewerbliche  Programm,  das  Lorenz  Gedon  1876  entwarf,  als 
er  in  der  Münchener  Ausstellung  die  Abtheilung  »Unserer  Väter 
Werke«  einrichtete  — es  wurde  von  Scott  schon  1816  verkündet. 
Alle  Summen,  die  er  für  seine  Romane  einnahm,  verwendete  er  da- 
rauf, sich  ein  Schloss  nach  Art  der  alten  Ritterburgen  zu  bauen. 
Thürme  und  Thürmchen,  die  alle  irgend  einem  schottischen  Königs- 
bau  nachgebildet,  Giebel  und  Fenster,  die  mit  den  Wappeninsignien  der 
Clans,  mit  kriechenden  Löwen  bemalt  waren«,  Zimmer  mit  hohen 
Schenktischen  und  geschnitzten  Truhen  angefüllt,  und  mit  Tartschen, 
Plaids,  grossen  Schwertern  der  Highlander,  Hellebarden,  Rüstungen 


Gl 


XVIII.  Die  englische  Malerei  bis  1850 


und  trophaicnartig  aufgehängten  Hirschgeweihen  geschmückt«.  Das 
war  ein  Makartsches  Atelier  70  Jahre  vor  Makart. 

Auch  unter  den  Malern  gab  es  Classicisten  und  Romantiker, 
doch  sind  sie  weder  zahlreich  noch  bedeutend.  Was  England  im 
Beginne  des  Jahrhunderts  an  »grosser  Kunst«  hervorbrachte,  könnte 
aus  dem  Gesammtbild  der  britischen  Malerei  gestrichen  werden, 
ohne  dass  in  deren  Entwicklungsgang  eine  wesentliche  Lücke  ent- 
stünde. Schon  Reynolds  hatte  in  seinem  Ugolino,  Macbeth  und 
jungen  Hercules  die  Annäherung  an  die  Italiener  theuer  zahlen 
müssen.  Und  einem  noch  unerquicklicheren  Manierismus  verfielen 
alle  Andern,  die  ihm  auf  dem  Wege  nach  Italien  folgten.  Da  war 
der  gigantisch  nichtige  James  Barry,  der  sich  nach  mehrjährigen 
italienischen  Studien  1771  mit  der  ausgesprochenen  Absicht,  Eng- 
land eine  klassische  Kunst  zu  geben,  in  London  niederliess  und 
mit  den  sechs  gespreizten  Darstellungen  zur  »Geschichte  der  mensch- 
lichen Cultur«,  die  er  1783  in  einem  Saal  der  Society  of  Arts  vol- 
lendete, seine  eigenen  Vorbilder,  die  italienischen  Classiker,  iiber- 
troffen  zu  haben  glaubte.  Der  vielseitige,  in  allem  gleich  mittel- 
mässige  James  Northcote  lebt  mehr  durch  seine  Biographien  von 
Reynolds  und  Tizian  als  durch  die  grossen  Bilder  fort,  die  er  für 
Boydclls  Shakespearegalerie  malte  und  unter  denen  die  Ermordung 
der  Kinder  Eduards  IV.  durch  den  Stich  am  bekanntesten  wurde. 
Der  schriftstellerisch  ebenfalls  sehr  thätige  und  als  Präceptor  Britannhv 
von  seinen  zahlreichen  Schülern  stets  mit  Hochachtung  genannte 
I leinrich  Eiissli  schuf,  von  Klopstock  und  Lavater  angeregt,  eine 
Reihe  sehr  gedankenvoller,  phantastisch  angehauchter  Werke,  in  denen 
er  mit  Vorliebe  Milton  und  Shakespeare  illustrirte  und  von  denen 
die  Titania  mit  dem  Esel  aus  Shakespeares  Sommernachtstraum  in 
der  Londoner  Nationalgalerie  wohl  das  beste  ist.  Sein  Schüler  William 
Etty  lebte  in  den  Traditionen  der  venezianischen  Schule.  Der 
britische  Makart,  ging  er  ein  wenig  schwerfällig  und  mühevoll  die 
Bahnen  Tizians,  durchforschte  das  Reich  der  nackten  Schönheit  und 
mühte  sich  ab,  das  Gcheimniss  der  blühenden  Farbe  zu  finden,  die 
leuchtend  von  venezianischen  Weiberkörpern  strahlt.  Der  fleissige 
Benjamin  Robert  Haydon,  ein  immer  suchender,  reflectirender,  ring- 
ender Geist,  wurde,  wie  Gros  in  Frankreich,  der  Märtyrer  dieses  grossen 
Stils.  Er  hätte  gern  Anderes,  Einfacheres  gemalt.  Die  Nationalgalerie 
besitzt  von  ihm  ein  liebenswürdiges  Londoner  Strassenbild : die  New 
Road  mit  wimmelndem  Volk,  das  neugierig  vor  dem  Expeditions- 


XVIII.  Du:  englische  Malerei  his  1850 


6 


lokal  des  Punch  wartet.  Doch  sich 
mit  solchen  Dingen  zu  beschäft- 
igen, hielt  er  wie  Gros  für  eine 
Sünde  gegen  den  edlen  Stil.  Nur 
religiöse  Stoffe  und  solche  aus  der 
alten  Geschichte  glaubte  er  auf 
grossen  Leinwandflächen  compo- 
niren  zu  dürfen,  grübelte  sich  im- 
mer mehr  in  seine  Theorien  hinein 
und  erreichte  den  Höhepunkt  ab- 
strakter Wissenschaftlichkeit,  als  er 
in  emsigen  anatomischen  Studien 
die  Muskeln  der  Löwen  untersuchte, 
um  danach  die  heroischen  Körper 
von  Kriegern  zu  bilden.  Sein  Ende 
- am  26.  Juni  1846  — war  das  Romney:  Lady  Hamilton. 

Gleiche  wie  das  des  Franzosen. 

Man  fand  bei  seinem  Leichnam  ein  Papier,  auf  das  er  geschrieben 
hatte:  »God  forgive  me  Amen  Finis«,  nebst  einem  Citat  aus  Shakes- 
peares Lear:  »Stretch  me  no  longer  on  the  rack  of  this  rough 

world«.  Alle  diese  Meister  interessiren  mehr  durch  ihre  mensch- 
lichen Eigenschaften  als  durch  ihre  Werke,  die  mit  ihren  extra- 
vaganten Farben,  outrirten  Gesten  und  Thorheitcn  aller  Art  kein 
neues  entwicklungsfähiges  Moment  enthielten.  Selbst  wenn  sie 
Leistungen  des  Continents  direct  zu  copiren  versuchten,  erreichten 
sie  den  eleganten  Schwung  ihrer  Vorbilder  nicht,  sondern  machten 
die  Feinheiten,  die  sic  nachahmten,  schwerfällig  und  plump;  sie 
blieben  halb  bürgerlich  und  halb  barbarisch. 

Nicht  auf  dem  Gebiete  der  grossen  Malerei  liegt  die  bahn- 
brechende Bedeutung  der  englischen  Kunst,  und  es  ist  vielleicht  kein 
Zufall,  dass  die  Wenigen,  die  deren  Import  versuchten,  an  diesem 
Experimente  zu  Grunde  gingen.  Ohne  Zweifel  widerstrebt  solche 
Art  von  Idealismus  dem  englischen  Naturell  noch  mehr  als  dem 
der  andern  Völker.  Die  Engländer  hatten  schon  in  den  Tagen  der 
Scholastik  die  Lehre  zur  Geltung  gebracht,  dass  es  in  der  Natur  nur 
Individuen  gebe.  Von  England  aus  wurde  im  Beginne  der  modernen 
Zeit  ein  neues  Weltalter  auf  Grund  der  Beobachtung  der  Natur  ver- 
kündigt. Bacon  hat  wenig  über  »Schönheit«  zu  sagen  gewusst,  er 
spricht  gegen  die  Proportionen  und  gegen  die  Wahl  in  der  Kunst, 


64 


XVIII.  Die  englische  Malerei  bis  1850 


also  gegen  das  »Ideal « . Schöne 
Menschen,  sagt  er,  besässen 
selten  grosse  Vorzüge.  Eben- 
sowenig hatte  das  englische 
Theater  je  Yerständniss  für 
die  feierlich  rhythmische 
Grösse  der  classischen  Litera- 
tur. Garrick  hat.  wenn  er 
Polonius  todtstach , nie  da- 
ran gedacht,  im  Sinne  ßoi- 
leaus  sich  zu  bewegen  und 
war  von  einem  griechischen 
Chorführer  gewiss  ebenso  ver- 
schieden wie  Hogarth  von 
David.  Die  eigenthümlichcn 
Vorzüge  englischer  Literatur 
und  Wissenschaft  wurzelten 
seit  ihrem  Bestehen  in  ihrer 
Begabung  für  Beobachtung. 
Sie  offenbart  die  Verachtung  der  Regelmässigkeit  in  Shakespeare, 
die  Kenntniss  des  Realen  in  Bacon.  Ihre  Philosophie  ist  positiv,  exact, 
nützlich  und  sehr  moralisch.  Hobbes  und  Locke,  Stuart  Mill  und 
Buckle  heisst  jenseits  des  Canals,  was  auf  dem  Continent  sich  Des- 
cartes,  Spinoza,  Leibniz  und  Kant  nennt.  Unter  den  Historikern  ist 
Carlyle  der  einzige  Poet:  alle  andern  sind  gelehrte  Prosaiker,  die 
Beobachtungen  sammeln.  Erfahrungen  combiniren,  Zahlen  aneinander 
reihen,  Möglichkeiten  abwägen,  Thatsachen  vereinbaren,  Gesetze 
auffinden,  positive  Kenntnisse  aufspeichern  und  vermehren.  Das 
18.  Jahrhundert  hatte  den  Roman  als  Gemälde  des  Lebens  der  Gegen- 
wart dort  entstehen  sehen ; in  Hogarth  war  dieser  nationale  Geist 
erstmals  in  der  Malerei  zur  Geltung  gekommen.  Auch  im  Beginne 
des  19.  Jahrhunderts  bestanden  die  guten  Eigenschaften  englischer 
Kunst  nicht  in  idealem  Schwung,  sondern  in  Schärfe  der  Beobacht- 
ung, Nüchternheit  und  Beweglichkeit  des  Geistes. 

Ihre  eigentliche  Domäne  blieb  nach  wie  vor  das  Porträt,  und 
wenn  von  den  neu  auftretenden  Bildnissmalern  keiner  mit  den  grossen 
Ahnen  der  englischen  Kunst  verglichen  werden  kann,  so  sind  sie 
doch  allen  gleichzeitigen  Porträtisten  des  Continents  überlegen.  George 
Romney,  der  noch  mehr  dem  18.  Jahrhundert  angehört,  hält  etwa  die 


Lawrence:  Mrs.  Siddons. 


XVI 1 1.  Du  ENGLISCHE  MALEREI  BIS  1850 


6) 


Mitte  zwischen  der  raffinirt 
classischen  Kunst  Sir  Jo- 
shuas und  der  phantastisch 
poetischen  Thomas  Gains- 
boroughs.  Weniger  persön- 
lich, weniger  tiefgehend  in 
der  Charakteristik  als  jene, 
war  er  dafür  der  geschick- 
teste Robenmaler  seiner  Zeit, 
ein  Mann,  der  alle  Geheim- 
nisse des  Handwerks  kannte 
und  zugleich  die  an  Porträ- 
tisten  sehr  geschätzte  Kunst 
besass,  seine  Modelle  zu  ver- 
schönern, ohne  sie  unähn- 
lich erscheinen  zu  lassen. 

Die  professional  beauties 
sahen  sich  in  ihrem  Abbild 
ganz  so,  wie  sie  zu  sein 
wünschten,  und  widmeten 
ihm  deshalb  eine  glühende 
Verehrung.  Namentlich  seit 
seiner  Rückkehr  aus  Italien, 

1775,  hat  er  einen  Weltruf 
besessen,  der  den  Gainsboroughs  überflügelte  und  dem  von  Rey- 
nolds gleichkam.  Die  schönen  Damen  des  Hofes,  die  berühmten 
Schauspielerinnen  verschmähten  kein  Mittel,  von  ihm  die  Aufnahme 
ihres  Porträts  in  eine  seiner  »Compositionen«  zu  erlangen.  Denn 
Romney  schloss  sich  gern  der  von  Reynolds  aufgebrachten  Mode 
der  allegorischen  Bildnisse  an,  welche  die  Personen  mit  dem  Emblem 
eines  Gottes,  einer  Muse  u.  s.  w.  darstellten,  und  hat  allein  die  be- 
rühmte Lady  Hamilton  als  Magdalena,  Jeanne  d’Arc,  Bacchantin  und 
Odaliske  gemalt. 

So  gross  sein  Ruf  am  Ende  des  1 8.  Jahrhunderts  gewesen  war, 
er  wurde  20  Jahre  später  noch  überstrahlt  von  dem  Sir  Thomas 
Lawrences  der,  1769  in  Bristol  geboren,  kaum  den  Schauspielerberuf 
aufgegeben  hatte,  als  er  ganz  England  für  sein  Malergenie  schwärmen 
sah.  Der  Katalog  seiner  Porträts  bedeutet  die  vollständige  Liste  alles 
dessen,  was  in  England  damals  an  Geist  oder  Schönheit  hervorragte. 

Mutlier,  Moderne  Malerei  II.  c 


66 


XVIII.  Die  englische  Malerei  bis  1850 


Er  nahm  fabelhafte  Summen 
ein,  die  er  mit  ebenso  welt- 
männischer Eleganz  wieder 
ausgab.  1815  wurde  er  be- 
auftragt, für  die  Galerie  von 
Windsor  die  Porträts  aller 
»Sieger  von  Waterloo«  zu 
malen , vom  Herzog  von 
Wellington  bis  zum  Kaiser 
Alexander.  Der  Aachener 
Congress  gab  ihm  Gelegen- 
heit, die  Porträts  der  Ver- 
treter der  verschiedenen  Höfe 
anzufertigen.  Alle  Haupt- 
städte Europas,  die  er  zu 
diesem  Zweck  besuchte,  em- 
pfingen ihn  mit  fürstlichen 
Ehren.  Er  war  Mitglied  aller 
Akademien  unterdem  Monde 
und  Präsident  derjenigen  von  London,  und  heute  ist  als  natürliche  Re- 
action  auf  diese  frühere  Ueberschätzung  eine  ebenfalls  unverdiente  Ge- 
ringschätzung seiner  Arbeiten  gefolgt.  Unter  der  vornehmen  Hülle 
seiner  Repräscntationsbilder  fehlt  häufig  Natürlichkeit-  und  Einfachheit, 
die  tiefere  Charakteristik,  die  feste  Zeichnung  und  richtige  Lebenskraft. 
Eine  weibliche  Gefallsucht  ist  an  Stelle  des  Charakters  getreten,  seine 
Zeichnung  wirkt  banal,  sein  Colorit  monoton  im  Vergleich  zu 
Reynolds’  altmeisterlichem  Realismus.  Man  verwechselt  die  Mehr- 
zahl seiner  Cercmonienstücke  leicht  mit  solchen  Winterhalters,  seine 
kleineren  Porträts  mit  hübschen  Modebildern,  kann  aber  doch  nicht 
umhin,  noch  immer  die  Leichtigkeit  der  Ausführung,  die  Noblesse 
der  Anordnung  zu  bewundern.  Namentlich  über  manchen  Damen- 
bildern liegt  eine  leichte  Grazie,  ein  feiner  Reiz  poetischer  Sinnlich- 
keit, der  ihn  Gainsborough  nähert.  Nicht  viele  haben  damals  so 
hübsche  Kinderköpfchen  malen  können  und  jungen  Frauen  ein  so 
liebenswürdig  familiäres  Leben  gegeben.  Mit  wie  unschuldigem 
melancholischem  Mädchenblick  schaut  Mistress  Siddons  auf  Law- 
rences Bilde  in  die  Welt,  wie  pikant  ist  dieses  weisse  griechische 
Gewand  mit  dem  schwarzen  Gürtel  und  dem  weissen  Kopftuch 
geordnet.  Oder  von  welch  subtiler  Delicatesse  ist  Miss  Farren,  die 


Raebum:  Lord  Newton. 


XVIII.  Die  englische  Malerei  bis  1850 


67 


West:  Tod  des  Generals  Wolfe  175 9. 

in  Pelzmantel  und  Muff  eine  hellgrüne  Sommerlandschaft  durcheilt. 
Lawrences  Schätzung  wird  wieder  steigen,  wenn  seine  leeren  Re- 
präsentationsstücke in  die  Magazine  gewandert  und  mehr  solche 
mysteriös  duftige  Damenbilder  aus  dem  Privatbesitz  in  die  öffentlichen 
Sammlungen  übergegangen  sind. 

Als  kleinere  Sterne  theilten  sich  mit  ihm  der  sanfte,  zarte  John 
Hoppner,  der  liebenswürdig  oberflächliche  William  Beechey,  der 
berühmte  Pastellist  John  Russell  und  der  kräftig  energische  John 
Jackson  in  die  Gunst  des  Publikums,  während  oben  in  Schottland 
als  Stern  erster  Grösse  Henri  Raeburn  strahlte. 

Das  war  ein  geborener  Maler.  Wilkie  sagt  einmal  in  seinen 
Briefen  aus  Madrid,  die  Bilder  von  Velazquez  hätten  ihn  an  R;vburn 
erinnert,  und  einzelne  Arbeiten  des  Schotten,  wie  das  Porträt  Lord 
Newtons,  des  berühmten  Bonvivants  und  mächtigen  Trinkers,  sind 
in  der  That  Werke  von  so  grosser  Mache,  dass  das  Heranziehen 
dieses  gewaltigen  Namens  hier  keine  Profanation  bedeutet.  In  einer 
Zeit,  als  unter  Lawrences  Händen  das  Porträt  in  flache  Schönmalerei 
überzugehen  drohte,  stand  Rteburn  durch  die  Einfachheit  und  natural- 


68 


XVIII.  Die  englische  Malerei  bis  1850 


istische  Wucht  seiner  Bildnisse  einzig  da.  Die  325,  die  1876  in  der 
R.  Suotish  Academy  von  ihm  vereint  waren,  gaben  ein  ebenso  er- 
schöpfendes Bild  vom  Leben  Edinbdrghs  am  Schlüsse  des  Jahr- 
hunderts, wie  die  Sir  Joshuas  vom  Leben  Londons.  Was  damals  an 
berühmten  Schotten  lebte  — Robertson,  Hume,  Ferguson,  Scott  - 
hat  er  gemalt,  im  Ganzen  über  600  Bildnisse.  Und  wenn  diese 
Anzahl  gegen  die  2000  von  Reynolds  gering  erscheint,  so  sind  doch 
Rajburns  künstlerische  Qualitäten  fast  grösser.  Das  Geheimniss  seines 
Erfolges  liegt  in  seiner  markigen  Gesundheit,  in  der  unbeschreib- 
lichen Furia  seines  Pinsels,  in  der  Harmonie  und  Wahrheit  seiner 
Valeurs.  Ein  schreckliches  intensives  Leben  geht  durch  seine  Gestalten. 
Besonders  seine  alten  Invaliden  und  Matrosen  haben  etwas  König- 
liches in  dem  grossen  Stil  ihrer  vornehm  ruhigen  Gesichter.  Arm- 
strong hat  ihm  eine  Stelle  zwischen  Frans  Hals  und  Velazquez  ange- 
wiesen, manchmal  lässt  seine  Earbenanschauung  auch  an  die  modernen 
Franzosen,  etwa  an  die  Hals-Periode  Manets,  denken.  Er  malt  seine 
Modelle,  wie  sie  ihm  im  Leben  entgegentreten,  im  einfachen  Tages- 
licht, ohne  jedes  Streben  nach  altmeisterlichem  Halbdunkel,  gibt  von 
den  Kleidern  nur  so  viel,  als  das  Verständniss  erfordert,  und  schreibt 
in  einfachen,  grossen  Zügen  den  Charakter  hin. 

Die  Bedeutung  zweier  in  England  thätiger  Amerikaner.  Wests 
und  Copleys,  beruht  darin,  dass  sic  diese  Errungenschaften  des  eng- 
lischen Bildnisses  zuerst  für  das  Massengemälde  verwertheten. 

Benjamin  West  ist  gewiss  von  seinen  Zeitgenossen  sehr  überschätzt 
und  von  einem  heutigen  Kritiker  nicht  mit  Unrecht  der  König  der 
Mittelmässigkeit  genannt  worden.  Er  interessirte  bei  seinem  Auf- 
treten die  Europäer  schon  als  anthropologische  Merkwürdigkeit:  als 
erster  Sohn  des  barbarischen  Amerika,  der  einen  Pinsel  in  die  Hand 
nahm.  Eine  echt  amerikanische  Rcclame  war  seinem  Einzug  in  die 
ewige  Stadt  1760  vorausgegangen.  Man  erzählte  sich  von  ihm, 
dass  er  als  der  Sohn  eines  Quäkers  und  Farmers  in  der  unmittel- 
baren Nähe  der  Indianer  zwischen  den  Sclavcn  seines  Vaters  auf- 
gewachsen sei  und  in  Philadelphia  und  Xew-York,  ohne  je  ein  Kunst- 
werk gesehen  zu  haben,  gute  Bildnisse  gemalt  hätte.  Man  war  später 
entzückt  davon,  als  er,  in  den  Vatikan  geführt,  den  Apoll  von 
Belvedere  händeklatschend  mit  einem  Indianerhäuptling  verglich,  ln 
der  Kunst,  sich  interessant  zu  machen,  war  der  junge  Wilde  allen 
seinen  Gönnern  überlegen,  und  da  er  sich  mit  grosser  Geschicklich- 
keit der  herrschenden  classicistischen  Richtung  anschmiegte,  wurde 


XVIII.  Dir  I ngusche  Malerei  bis  1850 


69 


er  binnen  Jahresfrist  von  den  Akademien  von  Parma,  Bologna  mul 
Florenz  zum  Ehrenmitglied  gemacht  und  von  den  römischen  Kritikern 
als  erster  Maler  neben  Mengs  gepriesen.  1763,  in  der  Zeit,  als 
Hogarth  und  Reynolds,  Wilson  und  Gainsborough  in  ihrer  vollen 
Blüthe  standen,  ging  er  nach  London,  und  da  die  Menschen,  was  sie 
nicht  haben,  immer  am  höchsten  zu  schätzen  pflegen,  errang  er  sich 
sogar  neben  diesen  Meistern  bald  einen  wichtigen  Platz.  Von 
Hogarth  gab  es  nur  »Genrebilder«,  von  Wilson  Landschaften,  von 
Reynolds  und  Gainsborough  Bildnisse,  — West  brachte  den  Eng- 
ländern. was  sie  noch  nicht  besassen  — eine  »grosse  Kunst«.  Sein 
erstes  in  der  Londoner  Nationalgalerie  befindliches  Bild  »Orestes 
und  Pylades  als  Geiseln  vor  Iphigenie  gebracht«,  ist  ein  langweiliges 
Erzeugniss  jenes  Classicismus,  der  auf  dem  Continent  in  Mengs 
und  David  seine  Hauptvertreter  hatte  — von  starrer  Zeichnung, 
reliefartiger  Composition  und  classich-academischer,  kaltgrauer  Färb- 
ung. Seine  anderen  Bilder  aus  der  antiken  und  heiligen  Geschichte 
stehen  kunstgeschichtlich  etwa  auf  der  Höhe  Wilhelm  Kaulbachs, 
mit  dessen  Werken  sie  die  gespreizte  Würde,  den  systematisch- 
philologischen Aufbau  und  das  mechanische  Zusammenstellen  geist- 
los den  Cinquecentisten  entlehnter  Formen  theilen. 

Zum  Glück  bleibt  jedoch  von  West  noch  etwas  Anderes  übrig, 
als  diese  ehrgeizigen  Versuche,  und  wenn  er  zuweilen  dem  grossen 
Stil  den  Rücken  kehrte,  hat  er  Werke  von  bleibender  Bedeutung 
geschaffen.  Das  gilt  namentlich  von  einigen  grossen  Geschichts- 
bildern aus  seiner  eigenen  Zeit,  die  seinen  Namen  für  immer  er- 
halten werden.  Der  Tod  des  Generals  Wolfe  in  der  Schlacht  bei 
Quebeck  am  13.  September  1759«  — 1768  bei  Eröffnung  der 

Royal  Academy  ausgestellt  — ist  gerade  in  seiner  Nüchternheit 
ein  wahres,  ehrliches,  vernünftiges  Bild,  das  als  kulturgeschichtliche 
Urkunde  seinen  Werth  nicht  verlieren  wird.  Es  war  die  Zeit,  als 
die  Costiimfrage  eine  so  grosse  Rolle  spielte,  und  West  stiess  bei 
der  Behandlung  des  Stoffes  auf  die  gleichen  Schwierigkeiten,  denen 
Gottfried  Schadow  begegnete,  als  er  Ziethen  und  den  alten  Dessauer 
im  Zeitcostüm  darstellte.  Die  Kunstkenner  meinten,  ein  so  erhabener 
Gegenstand  könne  nur  antike  Gewandung  vertragen , und  wenn 
West  trotzdem  den  General  und  seine  Soldaten  in  ihrer  vorschrifts- 
mässigen  Uniform  darstellte,  so  erscheint  das  heute  zwar  nur  als  Er- 
gebniss  gesunden  Menschenverstandes,  ist  damals  aber  eine  kunstge- 
schichtliche  That  von  grosser  Bedeutung  gewesen,  eine  That,  deren 


yo 


XVIII.  Die  englische  Malerei  bis  1850 


Durchführung  in  Frankreich  die  Arbeit  mehrerer  Jahrzehnte  verlangte. 
Noch  Gerard  und  Girodet  glaubten  dort,  das  Militärbild  nur  da- 
durch in  die  Malerei  grossen  Stiles  einführen  zu  können,  dass  sie 
den  Soldaten  des  Kaiserreichs  das  Aussehen  griechischer  und  röm- 
ischer Statuen  gaben.  Gros  wird  als  derjenige  gefeiert,  der  zuerst 
aufhörte,  moderne  Soldaten  in’s  Antike  zu  transponiren.  Der  ameri- 
kanische Engländer  ging  ihm  darin  um  40  Jahre  voraus.  Aehn- 
lich  wie  in  Gericaults  Floss  der  Medusa  verräth  auch  in  Wests  Bilde 
nur  der  pyramidale  Aufbau  noch  die  Zugehörigkeit  des  Malers  zur 
classicistischcn  Schule,  im  Uebrigen  entwarf  es  das  realistische  Pro- 
gramm für  Jahrzehnte  und  deutet  sogar  schon  die  Entwicklung 
an,  die  über  Gros  hinausführt.  Sind  bei  jenem  die  Menschen 
noch  ausschliesslich  Staffage  für  einen  Heros,  so  treten  sie  bei  West 
handelnd  hervor.  Sie  wirken  wie  im  Leben  auch  im  Bilde  selbst- 
thätig  mit.  Das  heisst,  es  ist  in  Wests  1768  entstandenem  Werke 
schon  das  enthalten,  wodurch  sich  die  1830  gemalten  Bilder  Horace 
Yernets  von  denen  Gros'  unterscheiden. 

Mit  noch  grösserer  Consequenz  wurde  dieses  realistische  Pro- 
gramm von  Wests  jüngerem  Landsmann  John  Singleton  Copley  durch- 
geführt, der  nach  kurzem  Aufenthalt  in  Italien  1775  nach  England 
übersiedelte.  Seine  Hauptwerke  in  der  Londoner  Nationalgalerie 
behandeln  ebenfalls  Ereignisse  aus  der  zeitgenössischen  Geschichte, 
den  »Tod  des  Grafen  von  Chatam,  7.  April  1778«,  und  den  »Tod 
des  Majors  Pierson,  6.  Januar  1781«,  und  es  ist  nicht  ausgeschlossen, 
dass  schon  David,  als  er  innerhalb  der  antikisirenden  Tendenzen 
seiner  Zeit  plötzlich  den  »Tod  des  Marat«  und  »Tod  des  Lepeletier« 
zu  malen  wagte,  die  Anregung  dazu  durch  Stiche  nach  Copley  erhielt. 
Andere  Maler  dieser  Epoche  hätten  bei  der  Darstellung  solcher  Dinge 
den  Figuren  antikes  Gostüm  angezogen,  Genien  und  Flussgötter  in  Be- 
wegung gesetzt,  das  Ganze  ins  Römische  übertragen.  Copley  gibt 
gleich  West  eine  schlicht  sachliche  Darstellung  des  Vorgangs  ohne 
alles  rhetorische  Pathos.  Und  was  ihn  über  West  hebt,  ist  die 
saftige,  altmeisterlich  wuchtige  Farbe.  West  konnte  sich  in  keinem 
seiner  Werke  von  der  todten  grauen  Farbe  des  Classicismus  befreien, 
während  Copleys  Tod  des  William  Pitt  auf  eingehenden  Studien 
Tizians  und  der  Holländer  beruht.  Die  Art,  wie  das  Licht  auf  den 
Perücken  der  Männer  und  den  braungetäfelten  Wänden  spielt,  lässt 
last  an  Rembrandts  anatomische  Vorlesung  denken.  Statt  einer 
pathetischen  Theaterscene  hat  er  eine  Sammlung  guter  Porträts  im 


XVIII.  Die  englische  Malerei  bis  1850 


71 


Morland : Stall-Interieur. 

Sinne  der  holländischen  Schützcnstückc  gegeben.  Dass  diese  frische 
Auffassung  der  Tagesgeschichte  gerade  in  England  ihren  Boden  hat, 
beweist  ferner  das  Schaffen  Daniel  Maclise’s  der,  ein  Mittelding 
zwischen  Horace  Vernet  und  Anton  von  Werner,  auf  quadratmeter- 
grossen Mauer-  und  Leinwandflächen  mit  erschreckender  Faustfertig- 
keit, Energie  und  Muskelkraft  das  Zusammentreffen  Wellingtons  und 
Blüchers,  den  Tod  Nelsons  und  andere  patriotische  Gegenstände 
niederschrieb,  durch  die  er  gewiss  mehr  der  Vaterlandsliebe,  als  der 
Kunst  diente,  die  sich  aber  in  ihrem  kräftigen,  gesunden  Realismus 
doch  vortheilhaft  von  den  gleichzeitigen,  in  die  antike  Götterlehre 
entlaufenen  Erzeugnissen  des  Continents  unterscheiden. 

Neben  den  Porträtisten  der  Menschen  standen  die  Porträtisten 
der  Thiere.  Auf  dem  Continent  war  die  Thiermalerei  seit  den 
Tagen  Elias  Riedingers  einer  allgemeinen  Missachtung  verfallen. 
Thorwaldsen,  der  erste  der  Classicisten,  der  — in  seinem  Alexander- 
fries — Thiere  auftreten  Hess,  begnügte  sich,  sie  ohne  alle  selbst- 
ständigen Naturstudien , den  stilisirten  Mustern  des  Parthenonfrieses 
nachzubilden  oder  in  Ermangelung  eines  griechischen  Vorbildes  ein- 
fach aus  der  Tiefe  seines  Gemüths  zu  schöpfen.  Besonders  auffällig 


- 2 XVIII.  Die  englische  Malerei  bis  1850 

ist  die  souveräne  Nicht- 
achtung, mit  der  er 
selbst  die  vertrautesten 
Hausthiere  behandelte. 
Die  deutsche  I Iistorien- 
malerei  wusste  mit  den 
Thieren  noch  weniger 
anzufangen . weil  sie 
in  der  Gedankentiefe 
allein  die  Schönheit 
sah , Gedanken  aber 
nicht  Sache  des  Viehs 
sind.  Ihre  Vierfüssler 
haben  philosophischen 
Tiefblick  und  schlech- 
tesNaturstudium.  Kaul- 
bachs  Reineke,  die 
Neigung,  menschliche 
Stimmungen  in  die 
Bestie  zu  verlegen,  ver- 
hinderte bis  in  die  60er 
Jahre  ein  hingebendes 
Studium  der  Thier- 
seele. Frankreich  hatte  vor  den  Tagen  Troyons  ebenfalls  nichts 
Nennenswerthes  aufzuweisen.  In  England,  dem  Lande  des  Sports, 
entwickelte  sich  die  Thiermalerei,  ohne  durch  den  Classicismus  aus 
der  Bahn  gelenkt  zu  werden,  unmittelbar  aus  der  alten  Sportmalerei 
heraus.  Seit  der  Zeit  Karls  I.  waren  die  englischen  Fuchsjagden  be- 
rühmt. Die  Pferderennen  begannen  nicht  viel  später,  und  mit  den 
Pferderennen  jene  Kennerschaft  des  Pferdes,  die  in  England  mehr  als 
irgendwo  entwickelt  ist.  Rothwild  wurde  seit  dem  17.  Jahrhundert 
in  den  englischen  Parkanlagen  gehalten.  Es  ist  daher  erklärlich,  dass 
sich  auch  die  englische  Kunst  frühzeitig  mit  diesen  Thieren  beschäf- 
tigte, und  da  cs  die  Sportsmen  waren,  die  hauptsächlich  daran  Ge- 
fallen fanden,  so  war  der  Maler  zunächst  der  Diener  des  Sportsman. 
Er  hatte  weniger  Bilder,  als  Jagd-  und  Sporterinnerungen  zu  malen. 
Ein  gemaltes  Pferd  sollte  in  erster  Linie  ein  schönes  Pferd  und 
brauchte  erst  in  zweiter  Linie  ein  schönes  Bild  zu  sein.  Solche 
Porträtisten  von  Raccpferden  waren  John  Wootton  und  George 


Morland:  Vor  dem  Bauernhaus. 


XVIII.  Diu  unguschi:  Mau.kui  bis  1850 


/ } 


Morland:  Der  Tbeegarlen. 


Stubbs.  Der  letztere  emancipirte  sich  gelegentlich  schon  von  seinen 
Patronen,  indem  er  das  edle  Thier  nicht  mehr  in  der  Ruhe,  an  der 
Krippe  stehend,  mit  dem  Groom  auf  dem  Rücken  und  im  Bewusst- 
sein seiner  Schönheit,  sondern  in  Aktion  und  malerischer  Umgebung 
darstellte. 

Bald  darauf  trat  George  Morland  auf,  der  Specialist  alter  Gaule 
und  vielleicht  der  bedeutendste  Meister  des  Pinsels,  den  die  eng- 
lische Schule  überhaupt  sah.  Seine  Bilder  haben  denselben  Zauber 
wie  die  Landschaften  Gainsboroughs.  Er  malte  das  Leben  auf  der 
Landstrasse  und  vor  kleinen  Dorfschenken,  ähnliche  Scenen,  wie  sie 
ein  Jahrhundert  vorher  Isaak  Ostadc  geschildert  hatte:  Alte  Gäule, 
die  in  sonnigen  Dünenlandschaften  zur  Tränke  geführt  werden. 
Marktkarren,  die  schwer  durch  holperige  Hohlwege  rumpeln,  Last- 
pferde, die  am  Feierabend  müde  in  den  Stall  zurückkommen,  Reiter, 
die  vor  einer  Dorfschenke  Rast  machen  oder  mit  der  hübschen 
Wirthin  plaudern.  Und  er  hat  diese  Dinge  mit  der  Feinheit  eines 
alten  Niederländers  gemalt.  Man  weiss  nicht,  ob  Morland  je  Bilder 


74 


XVIII.  Die  englische  Malerei  bis  1850 


Adriaen  Brouwers  gesehen,  aber  dieser  grösste  Techniker  unter  den 
Vlaamen,  dem  er  auch  in  seinem  abenteuerlichen  Leben  und  dem 
Geschick  seines  frühen  Todes  ähnelt,  ist  in  seiner  malerischen 
Vielseitigkeit  und  Verve  allein  mit  Morland  zu  vergleichen.  Der 
geistreichen  Flüchtigkeit  Brouwers  gesellt  er  das  Raffinement  Gains- 
boroughs  in  der  Landschaft  und  — in  seinen  Figuren  — das  feine 
Gefühl  für  weibliche  Schönheit,  wie  es  Rowlandson  hatte.  Fr  malte 
keine  vornehmen  Ladies,  sondern  die  Frau  im  Hauskleid,  doch  von 
Chardin’scher  Grazie  umwoben:  Junge  Mütter,  die  ihr  Kind  bei 
der  Amme  besuchen , schmucke  Wirthinnen  in  weisser  Schürze 
und  kokettem  Häubchen,  die  stillgeschäftig  dem  Reitersmann  den 
Trunk  credenzen,  reizende  Bürgerfrauen  in  hellem  Sommerkleid, 
die  Sonntagnachmittags  mit  ihren  Kindern  im  »Theegarten«  sitzen. 
Es  liegt  über  Morlands  Werken  die  ganze  ritterliche  Eleganz  der 
Wertherzeit,  und  jenes  feine  angelsächsische  Aroma,  das  heute 
wieder  duftig  aus  den  Werken  der  englischen  Maler  strömt.  Eines 
so  rechtmässigen  Rufes  er  sich  als  Thiermaler  erfreut,  diese  kleinen 
Gesellschaftsscenen  zeigen  ihn  von  seiner  feinsten  Seite,  und  nur 
der  Farbenkupferstich,  die  in  England  damals  hochentwickelte 
Technik,  gibt  einen  Begriff  von  der  coloristischen  Delicatesse  der 
Originale. 

Morlands  Schwager,  der  Maler  und  Kupferstecher  James  Ward, 
1769  geboren  und  erst  1859  gestorben,  leitet  diese  alte  englische 
Schule  in  die  moderne  über.  Das  Porträt,  das  den  Nekrolog  des  Art 
Journal  begleitet,  zeigt  einen  uralten  Herrn  mit  grauem  Bart  und 
dickem  weissen  Haar,  das  wie  Schweinsborsten  in  die  Höhe  steht. 
Die  Bilder,  die  er  malte,  als  er  so  aussah  — und  sie  sind  am 
meisten  verbreitet  — waren  sehr  schwache,  nichtssagende  Arbeiten. 
Gegenüber  Morlands  saftiger,  breiter,  harmonischer  Malerei  erscheint 
die  Wards  glänzend,  perlend,  bunt,  anekdotisch,  kleinlich.  Aber  James 
Ward  ist  nicht  immer  old  James  Ward  gewesen.  In  seiner  ersten 
Zeit  war  er  einer  der  grössten  und  männlichsten  Künstler  der  eng- 
lischen Schule,  mit  dem  von  Modernen  nur  Briton  Riviere  ver- 
glichen werden  kann.  Als  in  der  Ausstellung  der  Royal  Academy 
1816  seine  Löwin  erschien,  wurde  er  mit  Recht  als  bester  Thier- 
maler nach  Snyders  begriisst,  und  seitdem  folgte  zehn  Jahre  lang 
ein  Meisterwerk  dem  andern.  Welche  Eleganz  und  Kraft  in  seinen 
Pferden  und  Hunden ! Stubbs  war  in  solchen  Bildern  elegant  und 
fein,  Ward  malte  dasselbe  Pferd  gleich  sportgerecht  und  mit  derselben 


XVIII.  Die  englische  Malerei  bis  1850 


75 


Sachkenntniss,  aber  zugleich  mit  einer  künstlerischen  Wucht,  wie  sie 
keiner  vor  ihm  hatte.  Sein  Thätigkeitsfeld  war  weit  umfassend.  Er 
malte  kleine  Mädchen  mit  der  ganzen  Englishness  von  Morland,  und 
hatte  die  gesammte  Thierwelt  zur  Domäne.  Löwen,  Schlangen, 
Katzen,  Schweine,  Ochsen,  Kühe,  Schafe,  Schwäne,  Hühner,  Frösche 
sind  die  Charaktere  seiner  Bilder.  Charaktere,  denn  er  vermensch- 
lichte nie  die  Blicke  seiner  vierfi'issigen  Modelle,  wie  cs  spätere  thaten. 
Seine  Thiere  sind  nicht  im  Salon,  sondern  in  den  Wäldern,  Wiesen, 
in  der  Luft  und  in  Gärten  zu  Hause.  Seine  breite,  wuchtige  Mache 
ging  erst  in  den  letzten  30  Jahren,  als  er  geistesschwach  geworden, 
zunächst  in  extravagantes  Virtuosenthum,  dann  in  Kleinlichkeit  über. 
Durch  den  Stern  des  weltberühmten  Landsecr  ward  sein  Andenken 
mehr,  als  er  es  verdiente,  verdunkelt. 

Edwin  Landseer  war  wohl  der  populärste  Thiermaler  nicht  bloss 
Englands,  sondern  des  Jahrhunderts.  50  Jahre  lang  bildeten  seine 
Werke  die  Hauptanziehungspunkte  der  Royal  Academy.  Stiche  da- 
nach fanden  im  Lande  solche  Verbreitung,  dass  es  in  den  60  er  Jahren 
kaum  ein  Haus  gab,  in  dem  nicht  eines  seiner  Hunde-,  Pferde-  oder 
Hirschstücke  hing.  Auch  der  Kontinent  wurde  von  Kupferstichen 
überschwemmt,  und  Landseer  hat  unter  dieser  Popularität  sehr 
gelitten.  Er  ist  viel  besser,  als  die  Rcproductionen  in  ihrer  geleckten 
Manier  vermuthen  lassen,  und  kann  aus  ihnen  ebenso  wenig  wie 
Rafaels  Schule  von  Athen  aus  dem  Stich  Jacobis  beurtheilt  werden. 

Edwin  Landseer  stammte  aus  einer  Künstlerfamile.  Sein  Vater, 
ein  Kupferstecher,  schickte  ihn  schon  als  Buben  hinaus  in  die  freie 
Natur  und  Hess  ihn  Ziegen,  Esel  und  Schafe  skizziren.  Mit  14  Jahren 
kam  er  zu  Haydon , dem  Kunstpropheten,  studierte  auf  den  Rath 
dieses  sonderbaren  Kauzes  die  Parthenonsculpturen,  zergliederte,  wie 
Haydon  schreibt,  — »Thiere  unter  meinen  Augen,  copirte  meine 
anatomischen  Zeichnungen  und  übertrug  meine  Unterrichtsprincipien 
auf  die  Thiermalerei;  sein  in  dieser  Weise  geleitetes  Genie  hat  in  der 
That  befriedigende  Resultate  erzielt.«  Landseer  war  das  verzogene 
Kind  des  Glückes.  Mit  24  Jahren  Mitglied  der  Royal  Academy 
geworden  zu  sein,  kann  kein  anderer  Maler  Englands  sich  rühmen. 
Bei  Hofe  in  hoher  Gunst,  von  der  fashionablen  Welt  gefeiert  und 
von  der  Kritik  auf  den  Händen  getragen,  ging  er  wie  ein  Trium- 
phator seinen  Weg.  Das  Gebiet,  das  er  beherrschte,  war  ein  eng- 
begrenztes, auf  ihm  aber  ragte  er,  wie  im  Leben  hervor,  gewaltig, 
gebietend.  Die  nach  seinem  Tode  1873  veranstaltete  Ausstellung 


XVIII.  Die  englische  Malerei  bis  1850 


seiner  Werke  wies  3 1 4 
Oelgemäldc,  146  Skiz- 
zen und  2 Sculpturen 
auf. Seine  Hinterlassen- 
schaft betrug  1 60,000 
Pfd.;  weitere  55,000 
Pfd.  wurden  aus  dem 
Nachlass  gelöst.  Selbst 
Meissonier,  der  best- 
bezahlte Maler  desjahr- 
lumderts,  hat  nicht 
viereinhalb  Millionen 
Mark  hinterlassen. 

Hin  Grund  dieser 
künstlerischen  Erfolge 
Landseers  liegt  viel- 
leicht in  dem,  was 
unkünstlerisch  an  ihm 
war:  in  seinem  Streben,  die  Thiere  schöner  zu  machen  als  sie 
sind,  und  menschliche  Empfindungen  in  ihnen  zum  Ausdruck  zu 
bringen.  Alle  Hunde,  Pferde  und  Hirsche,  die  er  seit  1855  malte  und 
durch  die  er  dem  grossen  Publikum  besonders  bekannt  ward,  stehen 
in  ihren  Sonntagskleidern  da,  in  ihrem  glänzendsten  Fell,  mit  ihren 
prächtigsten  Hörnern.  Zugleich  darwinisirt  er  in  ihnen,  d.  h.  er  strebt 
danach,  aus  Thieren  mehr  als  Thiere  zu  machen,  verleiht  dem  Thier- 
charakter einen  menschlich  gefühlvollen  Zug,  was  ihn  von  wirklich 
grossen  Thicrmalern,  wie  Potter,  Snyders,  Troyon,  Jadin  und  Rosa 
Bonheur  unvortheilhaft  unterscheidet.  Er  malt  die  menschlichen  Tem- 
peramente unter  der  Thiermaske.  Seine  Hirsche  sind  ausdrucksvoll 
und  seine  Hunde  scheinen  mit  Verstand,  selbst  mit  Sprache  begabt 
zu  sein.  Es  ist  bald  philosophische  Würde  in  ihrem  Betragen,  bald 
Frivolität  in  ihren  Vergnügungen.  Landseer  erfand  die  Sentimenta- 
lität der  Hunde  oder  behandelte  sie  als  gelehrige  Hunde.  Sein  be- 
rühmtes Bild  Jack  als  Schildwache«  ist  von  fast  beleidigender  Cha- 
rakteristik: Jack  der  Gendarm,  die  alte  Hündin  die  verschämte  Arme, 
der  Windhund  der  Professionsbettler  u.  s.  f.  Und  dieser  Hang, 
Thiere  als  Schauspieler  tragischer,  melodramatischer  oder  possen- 
hafter Scenen  aultreten  zu  lassen,  machte  ihn  namentlich  bei  der 
Menge  beliebt.  Nicht  nur  gut  ablesen  Hessen  sich  seine  Bilderge- 


Landseer : Brüllender  Hirsch. 


XVI [I.  Du:  enguschi  Malerei  ms  1850 


/ / 


schichten,  auch  die  genre- 
haften Benennungen,  die  er 
für  jede  ausfindig  machte  — 

Alexander  und  Diogenes,  ein 
ausgezeichnetes  Mitglied  der 
menschlichen  Gesellschaft  u. 
dgl.  — , erregten  die  Neu- 
gierde wie  der  bestgewählte 
Romantitel.  Doch  diese  Sucht 
nach  Pointen  und  sentimen- 
talen Anekdoten  trat  erst  in 
seiner  letzten  Zeit  hervor,  als 
er  technisch  in  geleckte  Glätte 
und  gesuchte  Zierlichkeit  verfallen  war  und  deshalb  für  ausserartist- 
ische  Beigaben  sorgen  musste.  Seine  Popularität  würde  geringer, 
doch  seine  künstlerische  Bedeutung  die  gleiche  sein,  wären  diese 
letzten  Bilder  überhaupt  nicht  vorhanden. 

Allein  die  mittlere  Periode  Landseers  von  1840  bis  1850  umfasst 
Meisterwerke,  die  ihn  den  besten  Thiermalern  aller  Zeiten  und  Völker 
zur  Seite  setzen  Das  bekannte  Porträt  einer  neufundländischen 
Dogge  von  1838,  das  des  Lieblingswindhundes  des  Prinzgemahls 
Albert  von  1841.  die  Otterjagd  von  1844  mit  der  keuchenden  Meute, 
die  kläffend  unter  hoher  Felswand  Halt  macht,  die  todte  Hirschkuh 
von  1848,  der  ein  Rehkalb  ahnungslos  sich  nähert,  das  verlorene 
Schaf  von  1850.  das  ängstlich  blökend  durch  weite  einsame  Schnee- 
landschaft irrt,  und  viele  andere  Bilder  geben  in  ihrer  Lebendigkeit 
und  einfachen  Natürlichkeit  kostbare  Beispiele  der  frischen  feinen 
Beobachtung,  die  ihm  damals  eigen  war.  Landseers  Porträt  zeigt 
einen  strammen,  gravitätischen  Herrn  mit  wettergebräuntem  Gesicht, 
kurzem,  weissen  Kinnbart  und  stumpfer  Buldoggennase.  Sechs  küss 
hoch,  mit  dem  derben  und  grossen  Wuchs  eines  Germanen,  der  aus 
seinem  Wald  heraustritt,  glich  er  mehr  einem  Landedelmann,  als 
einem  Londoner  Maler.  Er  war  selbst  ein  Jäger,  der,  die  Flinte  im 
Arm,  tagelang  im  Freien  umherstreifte,  und  er  malte  seine  1 hier- 
bilder aus  der  Liebe  und  Freude  des  Naturmenschen  heraus.  Darin 
beruht  ihre  Stärke,  ihre  Glaubhaftigkeit  und  Lebenskraft.  Es  ist. 
als  wäre  er  im  Besitz  einer  Tarnkappe  gewesen,  um  sich  den 
Thieren  unbemerkt  zu  nahen,  ihre  Seele  und  ihr  intimes  Leben 
zu  belauschen. 


XVIII.  Die  englische  Malerei  bis  1850 


Durch  die  genann- 
ten Werke  ist  gleich- 
zeitig Landseers  Auf- 
fassung und  Stoftkreis 
gekennzeichnet.  Alte 
Meister,  wie  Snyders 
und  Rubens  hatten  in 
ihren  Eber-  und  Löwen- 
jagden den  Gegensatz 
zwischen  Thier  und 
Menschen  dargestellt. 

Landseer  schilderte 
nicht  die  wilde,  sondern 
die  gezähmte  Natur. 
Rubens,  Snyders  und 
Delacroix  zeigten  ihre 
Pferde,  Hunde,  Löwen  und  Tiger  in  der  Kühnheit  der  Bewegung, 
im  Feuer  der  Leidenschaft.  Landseer  führte  seine  Thiere  gewöhn- 
lich in  ruhigen  Situationen  vor,  harmlos  und  furchtlos,  in  ihrem 
Alltagsleben. 

Das  Pferd,  mit  dem  sich  Leonardo,  Rubens,  Velazquez,  Wou- 
werman  und  die  älteren  Engländer  so  gern  beschäftigten,  malte  er 
selten,  oder  wenn  er  es  malte,  mit  weniger  eindringendem  Ver- 
ständniss.  Der  Löwe,  den  die  Künstler  von  Rubens  bis  Decamps  in 
wilder  Leidenschaft  und  ruhiger  Würde  dargestellt,  bildete  auch 
für  ihn  lange  den  Gegenstand  eingehender  Studien,  die  ihren  Ab- 
schluss in  den  vier  colossalen  Löwen  der  Nelsonsäule  auf  Trafalgar 
Square  erreichten.  Der  Engländer  bezeichnet  hier  einen  grossen 
Fortschritt  über  Thorwaldsen  hinaus,  der  das  Modell  für  das  Monu- 
ment in  Luzern  entwarf,  ohne  vorher  einen  Löwen  gesehen  zu  haben. 
Landseers  Thiere,  sowohl  die  gemalten,  wie  die  in  Bronze  gegossenen, 
sind  echte  Löwen,  grausam  und  katzenartig,  aber  doch  an  Wildheit 
und  kühner  Leidenschaft  weder  mit  denen  Delacroix’  noch  denen 
seines  älteren  Landsmannes  Ward  zu  vergleichen.  Dagegen  wurden 
Hirsche  und  Rehe  überhaupt  erst  von  Landseer  in  die  Malerei  ein- 
geführt. Die  von  Robert  Hills,  der  vorher  als  bester  Hirschmaler 
galt,  sind  ängstliche  argwöhnische  Geschöpfe,  die  immer  Gefahr 
fürchten,  die  Landseers  sind  wahre  Könige  der  Wälder,  auf  die  zu 
schiessen  als  Attentat  bestraft  werden  müsste.  Sein  Hauptstudienrevier 


Landseer:  Der  Letzte  an  des  Schäfers  Grab. 


XVIII.  Die  englische  Malerei  bis  1850 


79 


Laiidseer : Hühnerhund. 

war  das  schottische  Hochland.  Hier  malte  er  jene  stolzen  Thiere, 
die  bald  an  Berghängen  kämpfen,  bald  einen  See  durchschwimmen 
oder  aufspähend  in  ruhiger  Schönheit  dastehen.  Mit  welch  kühnem 
Muth  erheben  sie  das  Haupt,  um  Bergluft  zu  athmen,  während  ihr 
Geweih  auf  Kampfeslust  und  Siegesfreude  deutet.  Oder  wie  sanlt 
und  furchtsam  zugleich  erscheint  in  seinen  Bildern  das  edle,  schutz- 
lose Reh. 

Im  Schneetreiben  verirrte  Schafe  malte  er  ausserdem  gern.  Doch 
seine  eigentliche  Spezialität  war  der  Hund.  Landsecr  hat  den  Hund 
entdeckt.  Der  von  Snyders  war  ein  knurrender,  hinterlistiger  Köter, 
der  von  Bewick  ein  Räuber  und  Dieb.  Landseer  hat  ihn  zum  Be- 
gleiter des  Menschen,  zu  einem  Glied  der  menschlichen  Gesellschaft, 
zum  gemüthvollen  Freunde  und  treuen  Genossen  gemacht,  der  als 
letzter  auf  des  Schäfers  Grab  trauert;  er  hat  zum  ersten  Mal  in 
dieses  edle  Gesicht,  in  diese  gedankenvollen  Augen  geschaut  und 
damit  der  Kunst  ein  neues  Feld  eröffnet,  auf  dem  später  Briton 
Riviere  weiterging. 


XVIII.  Dif.  englische  Malerei  bis  1S50 


80 


Landseer : ]ack  als  Schildwache. 


Hin  noch  weiteres  Feld  wurde  durch  die  englische  Kunst  den 
Nationen  des  Contincnts  erschlossen.  Sie  brachte  in  einer  Epoche 
archäologischer  Ausgrabungen  und  romantischen  Riickwärtsschauens 
den  französischen  und  deutschen  Malern  zum  Bewusstsein,  dass  auch 
der  Mensch  des  19.  Jahrhunderts,  das  zeitgenössische  Alltagsleben  ein 
vollgültiger  Gegenstand  der  Kunst  sein  könnte.  Im  Empfangszimmer 
von  Louis  Knaus  in  Berlin  hängen  Stiche  nach  Wilkie’s  besten  Bildern 
an  den  Wänden.  Darin  spricht  sich  ein  Stück  Kunstgeschichte  aus.  Den 
Malern,  die  das  deutsche  Volk  in  dem  Geiste  schilderten,  in  dem  es 
Immermann,  Auerbach,  Gustav  Freytag  und  Fritz  Reuter  beschrieben, 
gingen  um  ein  Menschenalter  die  voraus,  die  das  englische  Volk 
mit  den  Augen  Walter  Scott  s,  Fieldings,  Goldsmiths  und  Dickens’ 
betrachteten.  Während  auf  dem  Contincnt  das  19.  Jahrhundert  fast  die 
Hälfte  seines  Laufes  vollendete,  ohne  dass  die  Kunst  etwas  hinterliess, 
was  künftigen  Generationen  gestatten  wird,  die  Menschen  des  19.  Jahr- 
hunderts darin  zu  sehen,  schritten  die  Engländer  ruhig  auf  dem  Wege 
weiter,  den  im  18.  Jahrhundert  Hogarth  betrat.  Der  Sittenroman 


XVIII.  Die  englische  Malerei  bis  1850 


81 


IVilkie:  Das  Blindekuhspiel. 


hatte  seit  den  Tagen  Fieldings  und  Goldsiniths  immer  mehr  an 
Ausdehnung  gewonnen.  Burns,  der  Sänger  hinterm  Pfluge,  und 
Wordsworth,  der  Schilderer  der  Landbewohner,  hatten  jene  Bauern- 
poesie und  Dorfgeschichte  in  Schwung  gebracht,  die  seitdem  ihre 
Runde  durch  Europa  machte.  England  begann  damals  das  reichste 
Land  der  Welt  zu  werden;  grosse  Vermögen  wurden  gemacht.  Die 
Maler  hatten  für  die  Bedürfnisse  einer  neuen  reichen  Bourgeoisie  zu 
sorgen.  Daraus  erklären  sich  die  Eigenthümlichkeiten  der  englischen 
Genremalerei  im  guten  und  im  schlimmen  Sinn. 

David  IVilkie,  der  englische  Knaus,  ist  im  ersten  Viertel  des 
19.  Jahrhunderts  der  bedeutendste  Genremaler  der  Welt  gewesen. 
1785  in  Gults,  einem  kleinen  schottischen  Dorf  geboren,  wo  sein 
Vater  Geistlicher  war,  verlebte  er  eine  glückliche  Kindheit  und 
verdankt  diesen  Jugendeindrücken  vielleicht  die  beständige  Heiter- 
keit, die  freundlich  gutmüthig  aus  seinen  Bildern  lächelt  und  in 
schroffem  Gegensatz  steht  zu  Hogarths  bitterer  Schärfe.  Mit  vier- 
zehn Jahren  trat  er  in  die  Kunstgewerbeschule  in  Edinburgh  ein,  wo 
er  vier  Jahre  lang  unter  dem  Historienmaler  John  Graham  arbeitete. 
Nach  Cults  zurückgekehrt,  malte  er  seine  Landsleute.  Ein  Jahrmarkt, 

Muther,  Moderne  Malerei  II.  6 


82 


XVIII.  Die  englische  Malerei  bis  1850 


IVilkie:  Die  Pfändung. 


den  er  auf  einem  der  benachbarten  Dörfer  sah,  regte  ihn  zu  seinem 
ersten  Bild  aus  dem  Landleben  an:  »Der  Markt  von  Pitlessie«.  Er 
verkaufte  es  für  25  Pfund  und  entschloss  sich  1805,  mit  dieser 
Summe  sein  Glück  in  London  zu  versuchen.  Gleich  im  nächsten 
)ah r erregten  in  der  Ausstellung  seine  »Dorfpolitiker«  Aufsehen.  Seit- 
dem war  er  ein  populärer  Meister.  Jedes  seiner  zahlreichen  Bilder: 
Der  blinde  Geiger,  Die  Kartenspieler,  Der  Zinstag,  Der  abgeschnittene 
Finger,  Das  Dorffest  erregte  einen  Sturm  des  Beifalls.  Nach  kurzem 
Aufenthalt  in  Paris,  wo  ihm  der  Louvre  eine  noch  intimere  Bekannt- 
schaft mit  den  Holländern  vermittelte,  entstanden  seine  Hauptwerke: 
Das  Blindekuhspiel,  Die  Pfändung,  Die  Testamentseröffnung,  Der 
Hase  auf  der  Mauer,  Die  Hochzeit  bei  armen  Leuten,  Der  Whisky, 
Die  Invaliden  von  Chelsea  u.  dgl.  Audi  als  er  später  ordentliches  Mit- 
glied der  Akademie  geworden  war,  hielt  er  an  dem  schlichten  Stoff- 
kreis fest,  trotz  der  Vorwürfe  seiner  Collegen,  dass  die  Kunst  durch 
die  Behandlung  so  wenig  würdiger  Gegenstände  in’s  Ordinäre  ge- 
zogen werde.  Erst  am  Schlüsse  seines  Lebens  wurde  er  sich  un- 
treu. Seine  Verehrung  für  Teniers  und  Ostadc  reichte  nicht  aus, 
dem  grossen  Eindruck  das  Gegengewicht  zu  halten,  den  auf  einer 


XVIII.  Die  englische  Malerei,  bis  1850 


*3 


Wilkie : Die  Testament  seröjjnung. 


1825  unternommenen  Reise  nach  Italien,  Spanien,  Holland  und 
Deutschland  die  Kunstschätze  des  Continents,  besonders  Murillo 
und  Velazquez  auf  ihn  machten.  »Ich  habe  lange  im  Finstern  ge- 
lebt, aber  von  jetzt  an  kann  ich  mit  dem  grossen  Correggio  sagen : 
»Auch’  io  sono  pittore«.  Er  schwört  Alles  ab,  was  er  vorher  ge- 
schaffen und  was  ihn  berühmt  gemacht:  einer  der  vielen  grossen 
Künstler  jener  Jahre,  die  keine  Individualität  hatten  oder  keine 
zu  haben  wagten.  Er  würde  ein  Burns  der  Malerei  sein,  wäre  er 
der  Alte  geblieben.  So  liefert  er  einen  weiteren  Beleg,  dass  Mu- 
seen und  Musen  widerstreitende  Begriffe  sind  und  dass  der  moderne 
Maler  stets  Gefahr  läuft,  hilflos  von  einem  Einfluss  in  den  andern  zu 
zu  fallen,  will  er  den  Kunsthistoriker  mit  dem  Künstler  vereinen. 
Von  den  Bildern,  die  er  1829  nach  seiner  Rückkehr  ausstcllte,  be- 
handelten zwei  italienische,  drei  spanische  Stoffe.  Die  Kritiker  rühmten, 
er  hätte  seinem  Kranz  einen  neuen  Lorbeerzweig  beigefügt.  Geschicht- 
lich würde  er  auf  höherem  Piedestal  stehen,  hätte  er  nie  in  seinem 
Leben  mehr  als  ein  Dutzend  gute  Tcniers,  Ostade,  Mctsu,  Jan 
Steen  und  Brouwer  gesehen.  Er  copirte  jetzt  in  geistloser  Wiederhol- 
ung seine  Reiseskizzen,  schilderte  nur  Pifferari,  Schleichhändler  und 

6* 


84 


XVIII.  Du-  ENGLISCHE  MALEREI  BIS  1850 


Mönche,  die,  jeder  Origi- 
nalität haar,  auch  von  einem 
Düsseldorfer  gemalt  sein 
könnten.  Selbst  die  Predigt 
des  John  Knox  1559  , wohl 
das  beste  Bild  seiner  letzten 
Zeit,  macht  keine  Ausnahme. 
Kr  schien  mir« , schreibt 
. Delacroix,  der  ihn  bei  seiner 
Rückkehr  von  Spanien  in 
Paris  sah,  »vollständig  ausser 
Rand  und  Band  gebracht 
durch  die  Bilder,  die  er  ge- 
sehen hatte.  Wie  kann  ein 
Mann  in  seinem  Alter  noch 
dermassen  durch  Werke  be- 
einflusst werden . die  so 
IVilkit : Der  Hase  an  der  Mauer.  grundsätzlich  von  den  seinen 

' verschieden  sind.  Uebrigens 
starb  er  bald  darauf  in  einer,  wie  man  mir  gesagt  hat.  sehr  getrübten 
Geistesverfassung-  . Der  Tod  ereilte  ihn  1841  auf  Bord  des  Dampf- 
schiffes Oriental«,  als  er  eben  von  einer  Reise  aus  der  Türkei  heim- 
kehrte Halb  9 Uhr  Abends  machte  man  Halt,  und  als  das  Licht 
der  Leuchtthürme  mit  dem  der  Sterne  sich  mischte,  schlug  die  See 
zusammen  über  David  Wilkies  Leiche. 

Für  die  Kunstgeschichte  kommen  bei  seiner  Beurtheilung  nur 
die  Werke  in  Betracht,  die  er  vor  jener  Reise  von  1825  schuf.  Da 
zeichnete  er  mit  Liebe  die  intimen  Scenen  am  häuslichen  Herd,  die 
kleinen  Dramen  und  komischen  oder  rührenden  Episoden,  die  sich 
im  Dorfe  ereignen,  die  Feste,  den  Tanz,  die  Spiele  der  Bauern, 
ihre  Zusammenkunft  in  der  Kneipe,  ln  dieser  Zeit,  da  er  als  junger 
Maler,  unbekannt  mit  den  Bestrebungen  der  continentalen  Malerei, 
nur  sich  selber  gab.  war  er  ein  eigenartiger  Künstler.  Auf  dem 
Dorf  wurde  er  gross,  hier  entschied  sich  sein  Beruf:  er  malte 
Bauern.  Selbst  als  er  das  erstemal  die  alten  Meister  in  der  Lon- 
doner Galerie  gesehen,  wirkten  sie  zunächst  nur  technisch  auf 
ihn  ein.  Und  Wilkie  hat  sich  an  ihrer  Hand  allmählich  zu  einem 
schätzcnswerthcn  Techniker  entwickelt.  Sein  erstes  Bild,  Der  Markt 
von  Pitlessie-  . erinnerte  in  seiner  harten  Farbengebung  an  einen 


XVIII.  Die  englische  Malerei  bis  1850 


8) 


Holländer  vom  Schlage  des  Jan  Molenaer,  doch  seitdem  war  seine 
Laufbahn  ein  fortwährender  Fortschritt.  In  den  Dorfpolitikern  ist 
zum  ersten  Mal  der  Einfluss  von  Teniers  bemerkbar,  der  dann  bis 
1816  vorherrschte.  In  diesem  Jahre,  als  er  die  hübsche  Skizze  zum 
Blindekuhspiel  malte,  trat  an  die  Stelle  des  kühlen  Silbertons  ein 
warmer  Goldton:  statt  Teniers  war  Ostade  sein  Vorbild  geworden. 
Die  Werke  dieser  Ostade-Manier  sind  reich  in  der  Farbe,  tief  und 
klar  im  Ton.  Zum  Schluss  kam  Rembrandt  als  Leitstern  für  ihn 
an  die  Reihe  und  »Der  Polizeidiener«  — eine  Verhaftungsscene  von 
1822  in  der  Londoner  Nationalgalerie  — zeigt  deutlich,  mit  welch 
durchschlagendem  Erfolg  er  sich  im  duftigen  Rembrandt’schen  Hell- 
dunkel versuchte.  Erst  in  der  letzten  Zeit  hat  er  auch  diese  tech- 
nischen Qualitäten  wieder  alle  verloren.  Sein  Knox  von  1832  ist  hart 
und  kalt,  ganz  unzusammenhängend  in  der  Farbe. 

Kunst  war  für  ihn,  so  lange  er  nicht  der  Historienmalerei  nach- 
lief, gleichbedeutend  mit  Schilderung  des  häuslichen  Lebens.  Die 
Malerei«,  sagte  er,  »hat  keinen  andern  Zweck,  als  die  Natur  zu  repro- 
duciren  und  die  Wahrheit  zu  suchen«.  Freilich  will  auch  das  bei 
Wilkie  mit  grosser  Einschränkung  verstanden  sein.  Wilkie  malte 
ebensowenig  wie  Hogarth  Naturausschnitte,  sondern  er  erfand  Scenen. 
Er  war  nicht  einmal  mit  viel  Erfindungskraft  begabt,  aber  er  besass 
einen  unschuldigen  Humor,  der  freilich  zuweilen  an  s allzu  Kindliche 
streift.  Das  Blindekuhspiel,  die  Dorfpolitiker,  das  Dorffest,  jene  durch 
den  Kupferstich  so  populär  gewordenen  Bilder  enthalten  alle  Züge 
seiner  neckischen  Beobachtung.  Er  wollte  nicht  wie  Hogarth  Moralist 
sein,  aber  er  malte  ebensowenig  den  Bauer,  wie  er  ist.  Nur  die 
Lächerlichkeiten  und  kleinen  Unfälle  des  Lebens  wurden  verzeichnet. 
Eine  jener  glücklichen  Naturen,  die  weder  träumen,  noch  trauern, 
noch  sich  aufregen,  sondern  alles  von  der  komischen  Seite  nehmen, 
freute  er  sich  selbst  über  seine  Scherze,  sah  das  Leben  als  reine 
Komödie  an,  die  ernsten  Seiten  entgingen  ihm  vollständig.  Für  seine 
Bauern  gibt  es  keine  sociale  Frage,  keine  Noth,  keine  Arbeit,  sie 
tändeln  nur  und  amiisiren  sich  nur  — sich  und  die  Besucher  der 
Ausstellung,  vor  denen  sie  im  Bilde  Theater  spielen.  War  Hogarth 
beissend,  zersetzend,  sarkastisch,  geisselnd,  so  gehört  Wilkie  zu  den 
auf  die  Dauer  nicht  sehr  anregenden  Leuten,  die  immer  witzig  sein 
wollen  und  selbstzufrieden  über  ihre  eigenen  Scherze  lachen. 

Das  ist  überhaupt  der  Grundton  dieses  englischen  Genre.  Alles, 
was  es  in  den  nächsten  Jahren  leistete,  liegt  mehr  oder  weniger  in 


86 


XVIII.  Die  englische  Malerei  bis  1850 


den  Werken  des  schottischen  Kleinmeisters  beschlossen  und  deckt 
sich  andererseits  mit  den  Erzeugnissen  der  englischen  Literatur,  die 
ebenfalls  immer  an  guten  Erzählern,  Anekdotenschreibern  und  Humor- 
isten reich  war.  Wie  in  ihrer  Literatur  neigen  die  Engländer  auch  in 
der  Malerei  zum  Detail,  das  dramatisch,  anekdotisch  und  humoristisch 
zugespitzt  als  kleine  Novelle  unterhalten  soll.  Oder  besser:  Als  Neu- 
linge in  die  Malerei  eintretend,  fingen  sie  tastend  wieder  auf  jener 
Elementarstufe  an,  auf  der  die  Kunst  in  früheren  Jahrhunderten,  so 
lange  sie  noch  eine  »Fibel  für  das  Volk«  war,  gestanden  hatte  - 
eine  typische  Entwicklung,  die  sicli  stets  wiederholt.  Alle  Malerei 
beginnt  mit  der  Erzählung.  Zuerst  fesselt  der  Stoff  den  Künstler 
und  er  durch  diesen  das  Publikum.  Die  Vereinfachung  der  Motive, 
die  Fähigkeit,  einen  Vorgang  mit  einem  Blick  zu  erfassen  und  sich 
an  dessen  intimer  malerischer  Durchbildung  zu  freuen,  stellt  sich 
erst  später  ein.  Selbst  bei  den  Holländern,  dem  so  eminent  malerisch 
angelegten  Volk,  war  das  Sittenbild  zuerst  episch.  Kirchweihfeste 
mit  zahllosen  Figuren,  Eisvergnügungen  und  ähnliche  Dinge,  die  sich 
breit  und  ausführlich  erzählen  Hessen,  bildeten  den  Ursprung  des 
Genrebildes,  das  sich  später  begnügen  lernte,  eine  von  den  un- 
zähligen Gruppen  rein  künstlerisch  zu  vertiefen.  Diese  Lehrzeit  für 
Künstler  und  Publikum,  die  sich  als  die  Zeit  des  interessanten  Stoffes 
bezeichnen  lässt,  machte  jetzt  England  durch,  und  musste  sie  durch- 
machen, da  die  kulturgeschichtliche  Grundlage  die  gleiche  war.  Wie 
die  ersten  Genrebilder  der  flandrischen  Schule  das  Auftreten  einer 
Bourgeoisie  verkündeten,  so  hatte  in  England  zu  Beginn  des  Jahr- 
hunderts eine  neue  bürgerliche,  plebejische  Welt  den  Platz  der  früheren 
Amateure  eingenommen  und  prägte  den  Sitten  ihre  Formen , den 
Bildern  ihren  Geist  auf.  Wohlstand,  Müsse,  Bildung,  Lectiire,  Reisen, 
Alles,  was  das  Privilegium  Einzelner  gewesen,  ward  Gemeingut  der 
grossen  Menge.  Man  schätzte  die  Kunst,  aber  verlangte  von  ihr  sub- 
stantielle Nahrung.  Dass  zwei  Farben  in  Verbindung  mit  der  geraden 
und  krummen  Linie  genügen,  unermessliche  Harmonien  zu  bilden, 
war  noch  eine  verschlossene  Welt.  Ihr  dürft  Maler  sein,  sagte  man 
den  Künstlern,  doch  nur  unter  der  Bedingung,  dass  ihr  unterhaltet 
und  belehrt;  wenn  ihr  keine  Geschichten  zu  berichten  habt,  werden 
wir  gähnen.  Diesen  Forderungen  entsprechend  sind  die  Maler  Lieb- 
haber moralischer  Dissertationen,  Rathgeber  des  Publikums,  eine  Art 
Laienprediger.  Man  erzählt  und  lässt  sich  erzählen.  Wilkie  verhält  sich 
zu  Morland,  dem  letzten  der  alten  Zeit,  wie  unter  den  Niederländern 


XVIII.  Die  englische  Malerei  bis  1850 


87 


Teniers  zu  Brouwer.  Er  malt  als  Bürger  für  Bürger,  d.  h.  für  solide, 
in  ihrem  Beruf  aufgehende  Leute,  deren  Phantasie  sich  nicht  über  das 
Alltägliche  erhebt.  Niemand  vor  ihm  hatte  einen  so  volksthümlichen 
Ton,  Niemand  erklärte  ausführlicher  und  besser.  Es  scheint,  als 
mache  er  mit  dem  Betrachter  eine  Wette:  Du  magst  noch  so  dumm 
sein,  du  wirst  begreifen.  Ich  werde  dieselbe  Idee  unter  soviel  ver- 
schiedenen Formen  wiederholen , durch  so  bekannte  Beispiele  ver- 
deutlichen, durch  die  Unterschrift  so  klar  ankündigen,  in  den  Cha- 
rakteren so  anschaulich  unterstreichen,  auch  die  Eintheilung  der 
Composition  so  klar  markiren,  dass  du  nicht  umhin  kannst  zu  ver- 
stehen. Zu  diesem  Zwecke  verliert  er  sich  in  die  minutiöse  und 
leidenschaftliche  Beobachtung  der  geringfügigsten  Dinge.  Der  Schau- 
platz sei  das  Wohnzimmer,  die  Küche,  der  alte  Schulhof  — Wilkie 
zählt  zur  Charakteristik  dieser  Räumlichkeiten  geduldig  ein  Detail 
nach  dem  andern  auf;  er  malt  genau  die  grünlichen  zerbrochenen 
Kacheln  des  Ofens,  die  Risse  in  den  getünchten  Mauern,  er  liest 
sorgsam  die  in  das  Thor  eingekritzelten  Schülernamen,  und  studirt 
voll  Hingebung  die  Form  der  Buchstaben,  die  der  Lehrer  mit  Kreide 
an  die  Tafel  geschrieben.  Nichts  Angenehmeres  für  ihn , als  die 
Auslage  einer  Trödlerbude,  ein  Wirthshausschild , ein  öffentlicher 
Ausrufer.  Wenn  er  Hochzeiten  malt,  verweilt  er  unendlich  lange 
bei  der  anmuthigen  Verwirrung  der  Bräute,  bei  den  Thränen  der 
Mütter,  dem  Weinen  der  Gäste,  den  erheiternden  und  rührenden 
Scenen  des  Mahles,  er  entwirft  eine  Menge  Familienbilder,  die 
alle  ergreifend  und  fast  ebenso  anmuthig  zu  lesen  sind  wie  die 
entsprechenden  Stellen  bei  Dickens.  Dabei  gewann  das  Publikum, 
und  die  Kunst  hatte  darunter  zu  leiden.  Wilkies  Erzählermanie 
gibt  seinen  Bildern  nicht  nur  ihren  vulgären,  auch  ihren  unricht- 
igen Anstrich. 

Denn  man  lässt  sich , soll  das  Ziel  der  Malerei  in  der  Er- 
zählung liegen , naturgemäss  erfreuliche  Dinge  lieber  als  unerfreu- 
liche erzählen,  woraus  dann  der  einseitige  Charakter  dieser  Genre- 
malerei folgt.  Alles,  was  nichts  Auffälliges  und  Besonderes  bietet, 
die  Poesie  der  Gewohnheit,  bleibt  unerörtert.  Wilkie  malt  den 
Bauer,  doch  nur  bei  besonderen  Anlässen,  bei  Festen  und  feierlichen 
Angelegenheiten,  und  schildert  ihn  als  ein  Wesen  anderer  Art  als 
den  Städter,  indem  er  die  Wirkung  meist  durch  humoristische  Zu- 
gaben erstrebt  und  auf  novellistisch  angelegte  Situationen  ausgeht. 
Kindtaufe,  Tanzvergnügen,  Begräbniss,  Hochzeit,  Festmahl,  Braut- 


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XVIII.  Die  englische  Malerei  bis  1850 


schau  sind  seine  Lieblingsstoffe,  zu  denen  sich  die  manigfaltigen  Con- 
trastmotive  der  Bauernwelt  in  Berührung  mit  der  Stadtmenschheit 
gesellen  — der  Vetter  vom  Lande,  der  in  die  Stadt  kommt,  der 
Bauer  beim  Advocaten  u.  dgl.  Eine  stete  Schalkhaftigkeit  belebt 
seine  Bilder  und  macht  die  meisten  dieser  guten  Leute  zu  kom- 
ischen Figuren.  Er  amüsirt  sich  auf  ihre  Kosten,  zeigt  ihre  kleinen 
Lügen,  ihre  Sparsamkeit,  ihre  Thorheit,  ihre  Anmassungen  und 
die  für  den  Städter  komischen  Lächerlichkeiten,  mit  denen  ihre  be- 
schränkte Lebenssphäre  sie  ausstattet.  Er  ist  spöttisch,  witzelnd  und 
possenhaft.  Das  in  harter,  schwerer  Arbeit  hinfliessende  bäuerliche 
Alltagsleben  wird  bei  Seite  gelassen,  da  es  für  Humor  und  Novellen 
keine  Unterlage  bietet. 

Durch  diese  Beschränkung  des  Stoffgebietes  aber  entzog  sich 
die  Malerei  den  besten  Theil  ihrer  Kraft.  Für  den,  der  malerisch 
sehen  gelernt  hat,  ist  die  Natur  ein  Museum  prächtiger  Bilder  - 
weit  und  gross  wie  die  Welt.  Doch  wer  in  der  Erzählung  das 
Heil  sucht,  hat  bald  seinen  Stoffkreis  erschöpft.  Es  gibt  im  Leben 
eines  jeden  Menschen  nur  drei  oder  vier  Begebenheiten,  deren  Er- 
zählung der  Mühe  lohnt ; Wilkie  erzählte  mehr  und  der  Erfolg  ist 
Langeweile.  Wir  halten  diese  Anekdoten  für  wahr,  aber  abge- 
droschen. Man  findet  ähnliche  Dinge  in  den  vergoldeten  Büchern 
mit  buntem  Einband,  die  auf  dem  Weihnachtstisch  der  Kinder  liegen. 
Man  ist  nicht  erfreut  zu  erfahren , dass  Convenienzheirathen  ihre 
Inconvenienzen  haben,  dass  man  in  Abwesenheit  seines  Freundes 
ihm  gern  Böses  nachredet,  dass  ein  Sohn  durch  seine  Ausschweif- 
ungen die  Mutter  betrübt  oder  dass  der  Egoismus  ein  hässlicher  Fehler 
ist.  Das  Alles  ist  wahr,  aber  zu  wahr.  Wir  sind  übel  gelaunt  über 
dieses  Eindringen  der  Pädagogik.  Die  Hälfte  seiner  Bilder  ist  kind- 
isch, fast  albern.  Er  malt  fade  Ereignisse,  Lappalie  auf  Lappalie,  hat 
aus  der  ganzen  Malerei  ein  Spielzeug  für  artige  Kinder  gemacht. 

Artige  Kinder  spielen  darin  auch  die  hauptsächlichste  Rolle. 
England  ist  das  Land  des  Familienlebens.  Wenn  um  5 Uhr  der 
Beamte  oder  Kaufmann  sein  Bureau  verlässt,  eilt  er  so  schnell  als 
möglich  zum  kleinen  Landhaus  zurück,  wo  seine  Kinder  den  Tag 
über  auf  dem  Rasenplatz  spielten.  Der  traute  Familienkreis,  in 
dem  er  den  Abend  verbringt,  ist  sein  Heiligthum ; das  herzliche 
Familienleben  die  Poesie  seines  Daseins.  Dickens  hat  von  diesem 
Kinderleben  in  10  Bänden  erzählt  und  zuletzt  die  Geschichte  des 
David  Copperfield  geschrieben.  Als  Maler  setzte  William  Collius, 


XVIII.  Die  englische  Malerei  bis  1850 


89 


Collins:  Der  Abschied  des  Fischers. 

ein  Schüler  George  Morlands,  durch  Kinderdarstellungen  die  Welt 
in  Entzücken.  Von  den  121,  die  er  im  Laufe  von  40  Jahren  in  der 
Akademie  ausstellte,  waren  die  hauptsächlichsten:  Der  kleine  Flöten- 
bläser, der  Verkauf  des  Lieblingslammes,  die  Kinder,  die  ein  Vogel- 
nest ausnehmen,  die  Abfahrt  des  Fischers,  die  Hopfenernte,  die  Rück- 
kehr der  Schwalben.  Die  weiteste  Verbreitung  fanden  »Glücklich 
wie  ein  König«  — der  kleine  Junge,  den  seine  älteren  Geschwister 
auf  einen  Gartenzaun  gesetzt,  von  dem  er  nun  stolz  lachend  herunter- 
blickt — und  »ländliche  Höflichkeit«  — die  Kinder,  die  sich  mili- 
tärisch an  einem  Zaun  aufgestellt  haben,  um  einen  herankommenden 
Reiter  zu  begrüssen.  Doch  schon  aus  den  Titeln  erhellt,  dass  auch 
auf  diesem  Gebiete  die  englische  Genremalerei  nicht  über  das  Episoden- 
hafte hinauskam.  Collins  war  ideenreicher  als  Meyer  von  Bremen. 
Das  Kind  bekommt  Ohrringe,  es  sitzt  auf  den  Knieen  der  Mutter, 
spielt  mit  ihr  im  Garten , sieht  ihr  beim  Nähen  zu , liest  ihr  aus 
der  Fibel  vor,  lernt  seine  Lectionen,  fürchtet  sich  vor  den  Hühnern 
und  Gänsen , die  auf  dem  Hofe  in  furchterregender  Weise  einher- 
stolziren.  Er  schildert  ausgezeichnet  die  Kinder  am  Familientisch,  die 
gemüthlichen  Plaudereien  der  Kleinen,  den  Vater,  der  des  Abends  beim 


90 


XVIII.  Die  englische  Malerei  bis  1850 


Lichte  der  Lampe  ne- 
ben seinem  eingeschlaf- 
enen  Kinde  wacht,  das 
Herz  voller  Freude  und 
Muth,  weil  er  das  Be- 
wusstsein hat,  für  die 
Seinigen  zu  arbeiten. 
Auch  als  Mensch  ein 
grosser  Kinderfreund, 
hat  er  das  Leben  der 
kleinen  Leute  mit 
Wohlgefallen  in  allen 
Variationen  gemalt, 
doch  ebenfalls  nicht  so, 
dass  man  ihm  glaubte. 
Chardin  malte  die  Poe- 
sie des  Kinderlebens. 
Seine  Kleinen  wissen 
nichts  von  der  Nähe 
des  Malers.  Sie  sind 
harmlos,  mit  sich  selbst 
beschäftigt , in  ihrer 
Haustoilette.  Die  von 
Collins  geben  sich  , als  sagten  sie  ein  Sprüchlein  in  der  Schulprüf- 
ung her.  Sie  fühlen  das  Auge  vieler  Ausstellungsbesucher  auf  sich 
ruhen  und  bemühen  sich  deshalb  möglichst  artig  zu  sein.  Die  Un- 
befangenheit ist  ihnen  genommen.  Man  hat  Lust,  ihnen  zu  sagen : 
Ihr  guten  Kinderchen,  bleibt  immer  hübsch  artig,  aber  man  dankt 
es  dem  Maler  nicht,  dass  er  den  Kindern  das  Kindliche  nahm  und 
jene  Gemüthsverzärtelung  in  Schwung  brachte,  die  seitdem  so  lange 
in  Kinderdarstellungen  ihr  Wesen  trieb. 

Gilbert  Steward  Newton,  ein  geborener  Amerikaner,  der  von  1820 
bis  1835  in  London  lebte,  wendete  sich  zur  Illustration  der  englischen 
Dichter  und  hat  gleich  Wilkie  dadurch  eine  gewisse  geschichtliche 
Bedeutung,  dass  er  mit  grossem  Eifer  das  Studium  der  Holländer 
des  17.  und  der  Franzosen  des  18.  Jahrhunderts  betrieb,  zu  einer 
Zeit,  als  diese  Meister  auf  dem  Continent  gänzlich  aus  der  Mode  und 
nur  als  Vertreter  des  »tiefsten  Verfalls  der  Kunst«  bespöttelt  waren. 
Namentlich  Dow  und  Terborg  waren  seine  Ideale,  und  die  Farbe 


XVIII.  Die  englische  Malerei  bis  1850 


91 


seiner  Bilder  ist  zwar 
imVergleich  zu  der  sei- 
ner Vorbilder  schwer 
und  spiessbürgerlich, 
aber  künstlerisch  und 
geschult,  wenn  man 
an  die  gleichzeitigen 
Erzeugnisse  des  Con- 
tinents  denkt.  Seine 
Werke  (Cordelia  pflegt 
den  König  Lear,  der 
Vikar  von  Wakefield 
mit  seiner  Familie,  der 
Prinz  von  Spanien  be- 
sucht Catalina  nach 
Gil  Blas,  Yorick  und 
die  Handschuhmach- 
erin nach  Sterne  u. 
dgl.)  hätten  wie  die 
gleichzeitigen  Erzeug- 
nisse der  Düsseldorfer 
ohne  das  Vorgefun- 
dene Interesse  der 
Dichterstelle  gewiss 

, Leslie:  Onkel  Tobias  und  die  IVittive  Wadmann. 

sehr  an  Actuahtat 
verloren , unterschei- 
den sich  aber  von  den  Düsseldorfer  Dichter- Illustrationen  vortheil- 
haft  durch  das  Fehlen  jedes  Idealismus.  Während  die  Maler  des 
Continents  bei  ähnlichen  Bildern  fitst  stets  in  verallgemeinernde, 
rundliche  Schönheit  fielen,  liess  Newton  sich  die  Scene  genau  von 
Schauspielern  vormimen  und  malte  diese  Schauspieler  realistisch  ab. 
Theaterrealismus  war  das  Ergebniss,  doch  die  Art,  wie  die  theatral- 
ischen Artecte  und  handgreiflichen  Schauspielergesten  studirt  sind,  ist 
so  überzeugend  naturwahr,  dass  seine  Bilder  wie  Urkunden  über  die 
Londoner  Schauspielkunst  um  1830  wirken. 

Charles  Robert  Leslie,  als  Schriftsteller  durch  sein  hübsches  Buch 
über  Constable  und  ein  sehr  conservativ  gehaltenes  »Handbook 
for  young  painters«  bekannt,  hatte  ein  ähnliches  Repertoir  und  wusste 
Shakespeare,  Cervantes,  Fielding,  Sterne,  Goldsmith  und  Moliere 


( )2  XVIII.  Die  englische  Malerei  bis  1850 

mehr  oder  weniger 
geistreich  in  Oel  zu 
übersetzen.  Die  Na- 
tionalgalerie besitzt 
von  ihm  einen  »San- 
cho  Pansa  und  die 
Herzogin«,  ein  sehr 
prosaisches,  farbloses 
Bild.  Besser  sind  einige 

r> 

im  South-Kensington- 
Museum,  »Katharina 
und  Petruchio,  die 
lustigen  Weiber  von 
Windsor  und  Sir  Ro- 
ger Coverley«.  Sein 
schönstes  und  be- 
kanntestes ist  »Onkel 
Tobias  und  die  Witt 
weWadman « , das  sehr 
niedlich  die  hübsche 
Scene  aus  Tristram 
Shandy  illustrirt:  »Ich 
versichere  Sie,  gnädige  Frau,  sagte  mein  Onkel  Tobias,  dass  ich 
nichts  in  Ihrem  Auge  sehe.«  »Ist  es  nicht  im  Weissen?«  fragte  Frau 
Wadman.  Mein  Onkel  schaute  mit  aller  Kraft  in  ihre  Pupille«.  Wie 
in  Newtons  Arbeiten  ist  in  denen  Leslies  eine  so  kräftige  Dosis  von 
Realismus,  dass  seine  Bilder  ihren  Werth  als  kulturgeschichtliche 
Documente  — nicht  für  die  Zeit  um  1630,  aber  für  die  um  1830 
stets  behalten  werden.  Coloristisch  — wenigstens  in  seinen  späteren 
Werken  — ein  feiner  Nachahmer  des  holländischen  Clairobscur, 
nimmt  er  kunstgeschichtlich  eine  ähnliche  Stelle  ein.  wie  in  Deutsch- 
land Diez  und  blieb  gleich  diesem  auch  später  noch  in  Achtung,  als 
längst  die  junge  Praeraphaelitenschule  ihren  erbitterten  Kampf  gegen 
die  braune  Sauce«  begonnen  hatte,  den  nämlichen  Krieg,  den  bei 
uns  ein  Menschenalter  später  Liebermann  und  die  Seinen  gegen  die 
Diezschule  führten. 

Mnlready,  von  dem  das  South  - Kensington  - Museum  32  Bilder 
bewahrt,  ist  technisch  fast  noch  feiner  als  Leslie  und  hat  nament- 
lich von  Metsu  viel  gelernt.  Mit  Vorliebe  entnahm  er  Goldsmith 


XVItl.  Die  englische  Malerei  bis  1850 


93 


Webster : Schuhtube. 

seine  Stoffe.  Die  Auswahl  der  Hochzeitsrobe  und  die  Discussion 
über  die  Prineipien  des  Doctor  Whiston  würden  als  hübsche  Illu- 
strationen in  eine  Prachtausgabe  des  Vicar  of  Wakefield  passen. 
Sonst  hat  auch  er  gerne  Kinder,  faul  oder  brav,  vespernd  oder  am 
Wasser  spielend  verewigt. 

Thomas  Webster,  der  vierte  dieser  freundlich  kindlichen  Meister, 
lehrt  noch  erfreulichere  Dinge.  Man  hört  von  ihm,  dass  eine  noch 
nicht  fernliegende  Periode  der  englischen  Geschichte  nur  Knechte 
kannte,  die  ganz  zufrieden  mit  ihrem  Loos  waren.  Keiner  hadert 
mit  seinem  Gutsherrn,  sitzt  im  Wirthshaus  und  lässt  seine  Familie 
hungern.  Ihr  höchstes  Glück  ist,  schön  zu  Hause  zu  bleiben  und 
beim  Schein  des  Wachslichtes  mit  ihren  Kindern  zu  spielen.  Websters 
Bauern,  Kinder  und  Schulmeister  sind  Bürger  eines  idealen  Planeten, 
aber  das  Ländchen  ist  eine  hübsche  Welt.  Seine  Bilder  sind  so 
harmlos  in  der  Gesinnung,  reinlich  und  präcis  in  der  Zeichnung, 
leuchtend  und  klar  in  der  Farbe,  dass  man  sie  noch  heute  mit  Ver- 
gnügen betrachtet.  Manche,  wie  »die  Schulstube«,  könnten  von 
Claus  Meyer  gemalt  sein. 

Der  letzte  der  Gruppe,  Früh,  hat  die  Nachwelt  am  ausgiebigsten 
über  die  Manieren  und  Kostüme  seiner  Zeitgenossen  unterrichtet  und 
würde  noch  authentischer  sein,  wäre  ihm  das  Leben  nicht  ebenfalls  so 


94 


XVIII.  Die  englische  Malerei  bis  1850 


liebenswürdig  rosarotli  erschienen.  Seine  Bilder  schildern  Scenen  des 
19.  Jahrhunderts,  die  aber  wie  Geschehnisse  der  guten  alten  Zeit 
wirken.  Damals  waren  die  Leute  ohne  Zweifel  gut,  unschuldig  und 
glücklich.  Sie  kannten  keine  Einkommensteuer,  keine  Sorgen  und 
Laster,  kamen  alle  in  den  Himmel  und  fühlten  sich  sehr  wohl.  Das 
tlnm  sie  auch  auf  Friths  Bildern,  nur  nicht  mit  der  Natürlichkeit  wie 
bei  Ostade  und  Beham.  Bald  führt  er  an  den  Strand  eines  englischen 
Modebades  im  Juli  oder  August  während  der  Season.  Der  Humor, 
der  hier  herrscht,  ist  ausserordentlich.  Die  Kinder  plätschern  in  der 
See,  junge  Frauen  lassen  sich  den  Hof  machen,  Neger  spielen  Dreh- 
orgel und  Weiber  singen  Balladen  dazu,  die  Menschen  bemühen  sich 
alle  möglichst  schön  zu  sein,  und  ein  paar  Bettler,  die  zum  C011- 
trast  da  sind,  haben  sich  ebenfalls  längst  mit  ihrem  Schicksal  ver- 
söhnt. Auf  seinen  Rennbildern  ist  alles  zusammengestellt , was  bei 
solchen  Gelegenheiten  das  Londoner  Leben  kennzeichnet:  alle  Typen 
vom  Baronet  bis  zum  Lumpensammler,  alle  Schönheiten  von  der 
Lady  bis  zur  Strassendirne.  Ein  Bauer  muss  sein  Geld  verlieren 
oder  ein  hungernder  Akrobat  seine  Taschen  umkehren,  um  sich  zu 
überzeugen,  dass  er  wirklich  nichts  hat.  Seine  »Spielbank  in  Hom- 
burg« ist  fast  noch  reicher  an  solch  trockenen  Beobachtungen  und 
geistreichen  humoristischen  Beigaben. 

England  ist  das  Vaterland  der  »Genremalerei«. 

Wie  sich  einestheils  in  einer  Periode  allgemeiner  Weltentfremd- 
ung ein  Stückchen  von  der  naiven  Lebensfreudigkeit  der  Holländer 
zu  diesen  Malern  herübergerettet  hatte,  so  unterscheiden  sie  sich 
von  ihren  grossen  Vorfahren  Jan  Steen,  Terborg  und  Metsu  prin- 
cipiell  wieder  dadurch,  dass  sie  eigentlich  nicht  Maler,  sondern  Er- 
zähler sind.  Sie  ergingen  sich  nicht  in  grossen  Prunkdecorationen 
wie  ihre  Genossen  auf  dem  Continent,  sondern  schlugen  gleich  den 
Holländern  im  Bürgerhause  ihr  Zelt  auf.  Aber  während  bei  jenen 
die  Malerei  Alpha  und  Omega  war,  ist  den  Engländern  die  wahre, 
die  pittoreske  Malerei  Terra  incognita  geblieben ; den  rein  künstler- 
ischen Genuss,  Formen,  Farben  und  Töne  harmonisch  zu  ordnen, 
haben  sie  nie  gekannt.  Ihr  Vater  war  noch  immer  Hogarth,  nur  dass 
an  die  Stelle  jener  erschreckenden,  erbarmungslosen,  niederschlagenden 
Satire  hier  ein  schelmisches  Lächeln  trat.  Gleich  Hogarth  zwischen 
realistischen  und  moralisirenden  Tendenzen  schwankend , haben  sie 
dieselben  Vorzüge  und  Mängel  wie  dieer.  Ihnen  allen  ist  eigen, 
was  auch  die  englische  Familienliteratur,  was  Richardson,  Sterne, 


96 


XVIIf.  Dif.  englische  Malerei  ris  1850 


Dickens,  Eliot,  Thackeray  anziehend  macht:  die  liebevolle  Klein- 
malcrei,  das  behagliche  Antheilnehmen  an  der  Welt,  die  Versenkung 
in  die  Ausgestaltung  der  Fabel,  der  novellistische  Reichthum.  Eine 
seelische  Reinheit,  etwas  Unschuldiges,  Harmloses,  Kindliches,  gemüth- 
voll  Humoristisches  geht  durch  ihre  Bilder,  dasselbe  Element,  das  in 
»Sir  Roger  de  Coverley«  im  Tristram  Shandy,  im  Tom  Jones,  im 
trefflichen  Vicar  von  Wakefield  oder  in  Peregrine  Pickle  erfreut. 
Nicht  Farbe  und  Licht,  sondern  das  heiter  Novellistische,  das  Anek- 
dotische, die  Komödie  war  die  Basis  ihres  Schaffens,  und  nicht  an ’s 
Auge,  nur  an’s  Herz  wendeten  sich  ihre  Werke.  Das  Ziel,  das  der 
Maler  sich  gesteckt  hatte,  war  erreicht,  wenn  es  ihm  gelungen  war, 
seinen  Gedanken  deutlich  niederzuschreiben.  Das  Bild  sollte  in  erster 
Linie  die  Darstellung  eines  hübschen  Gedankens  und  brauchte  erst 
in  zweiter  Reihe  ein  gutes  Stück  Malerei  zu  sein.  Und  diese  Ge- 
danken waren  obendrein  oft  derart,  dass  Voltaire,  damals  noch  in 
England  lebend,  seine  Worte:  »Was  zu  dumm  ist,  um  gesprochen 
zu  werden,  das  singt  man«,  vielleicht  nicht  an  die  Oper,  sondern 
an  das  englische  Genre  gerichtet  hätte.  Die  Menschen,  die  darin  ihr 
Wesen  treiben,  haben  den  gleichen  Fehler  wie  die  Thicrc  Landseers : 
zu  viel  — oder  manchmal  zu  wenig  — Geist.  Mehr  die  Wirkung 
eines  satirischen  Buchs,  als  einer  Gemäldegalerie,  macht  der  Saal  des 
South-Kensington-Museums,  in  dem  die  Genrebilder  dieser  Jahre 
hängen.  Die  Natur  ist  durch  das  Medium  eines  conventionellen 
Gefühls  gesehen.  Die  Maler  malten  noch  das  Merry  England  der 
guten  alten  Zeit  zu  einer  Zeit,  als  England  weder  mehr  heiter 
noch  gut  war.  Wilkie  machte  seine  Bauern  weit  lustiger  und  zu- 
friedener, als  sie  es  in  Wirklichkeit  waren.  Mulreadv  war  sehr  nach- 
sichtig mit  den  Fehlern  seiner  Schuljungen  und  entdeckte  in  ihren 
grössten  Unarten  Stoff  zu  freundlichem  Lächeln.  Die  Menschen 
waren  — auf  den  Bildern  wenigstens  — in  diesem  goldenen  Zeit- 
alter nur  lustig.  Alle  thun  gerade  das,  was  wohlerzogenen  Leuten 
gut  ansteht,  doch  keiner  thut  es  unbefangen  und  ehrlich.  Ihre  Un- 
eigennützigkeit und  Geldverachtung  ist  nicht  aufrichtiger  wie  in  der 
komischen  Oper.  Die  alltäglichsten  Ereignisse  gehen  mit  der  Feier- 
lichkeit von  Haupt-  und  Staatsactionen  von  Statten.  Kinder  springen, 
alte  Leute  tanzen  und  Mädchen  werden  geküsst,  mit  Mass  und  An- 
stand — wie  solche  Dinge  im  Atelier  auf  Anordnung  des  Malers 
geschehen.  Das  Repertoir  an  Gestalten  ist  ein  sehr  ausgedehntes, 
aber  in  Wahrheit  sind  es  nur  wechselnde  Marionetten.  Man  steht 


XVIII.  Die  englische  Malerei  bis  1850 


97 


immer  Schauspielern  gegenüber,  deren  Worte  niedergeschrieben,  deren 
Gesten  angegeben  sind.  Die  Kinder  sind  stets  artig  und  die  Leute 
aus  dem  Volke  wie  Kinder.  Die  Charaktere  haben  ein  affectirtcs, 
angenommenes,  nicht  ein  natürliches  Wesen.  Und  diese  gesuchte 
Kindlichkeit,  dieser  conventionelle  Optimismus  und  triviale  Humor 
trägt  mehr  noch  wie  die  mittelmässige  Technik  die  Schuld  an  dem 
schnellen  Welkwerden  der  Bilder.  Sie  gleichen  vertrockneten  Blumen 
eines  Herbariums,  nicht  Immortellen. 


6*© 


Muther,  Moderne  Malerei  11. 


7 


Das  Militärbild. 


WÄHREND  die  englische  Malerei  seit  Hogarths  und  Wilkies 
Tagen  das  Bauern-  und  Bürgerleben  umspannte,  konnte 
sich  auf  dem  Continent  die  Eroberung  des  Modernen 
nur  langsam  und  stückweise  vollziehen.  Die  Costümfrage  spielte 
eine  wichtige  Rolle  dabei.  »Künstler  lieben  das  alte  Costüme,  weil 
cs  ihnen,  wie  sie  sagen,  mehr  Freyheit  und  Schwung  erlaubet.  Aber 
in  historischen  Vorstellungen  ihrer  Zeit,  möchte  ich  sagen,  sollte  mehr 
auf  richtige  Darstellung  als  auf  Freyheit  und  Schwung  gesehen  werden, 
sonst  könnte  man  dem  Geschichtschreiber  ebenso  leicht  zugeben, 
dass  er  uns  anstatt  der  Bataillone,  Schwadronen,  Grenadiere,  Küras- 
siere u.  s.  f.  mit  Phalangen.  Thürmen,  Triaricrn,  Argyraspiden  unter- 
hielte. Besonders  sollten  die  Vorsteller  heutiger  grosser  Begebenheiten 
der  Wahrheit  getreuer  sein  und  z.  B.  auf  Schlachtengemälden  nicht 
mehr  Reiter  in  ledernen  Kollern,  mit  runden  befiederten  Hüten  und 
ungeheuren  Stiefeln,  die  nirgend  sind,  herumhauen  und  herumschiessen 
lassen.  Die  Alten  zeichneten,  stachen  und  malten  so,  weil  man  sich 
damal  so  trug.  Sagt  man:  unsere  Tracht  sey  nicht  malerisch,  warum 
wählten  wir  sie?  Die  Nachwelt  wird  doch  einmal  auch  begierig 
seyn  zu  wissen,  wie  wir  uns  kleideten,  und  keine  Lücke  vom  Ende 
des  iS.  Jahrhunderts  bis  auf  sich  haben  wollen?«  Diese  Worte,  die 
der  bekannte  Wiener  Bibliothekar  M.  Denis  1797  in  seinen  »Lese- 
früchten« schrieb,  bezeugen,  wie  früh  das  Problem  aultauchte,  das 
seitdem  ein  Menschenalter  lang  in  Fluss  blieb.  Modern  konnte  die 
Malerei  des  19.  Jahrhunderts  erst  werden,  als  es  ihr  gelang,  die 
charakteristische  Seite  des  modernen  Costüms  zu  erkennen  und 
nachzubilden.  Dazu  hat  sie  aber  länger  als  ein  halbes  Jahrhundert 
gebraucht.  Es  war  natürlich,  dass  den  Leuten,  die  noch  die  eleganten 
Formen  und  zarten  Farben  des  Rococo  gesehen,  die  Tracht  der  ersten 
Hälfte  des  Jahrhunderts  als  die  unglücklichste,  am  wenigsten  beneidens- 
werthe  der  ganzen  Costümgeschichte  erschien.  Welcher  künstlerisch 


XIX.  Das  Militärbild 


99 


Gebildete  ist  nicht  überzeugt«,  heisst  es  noch  in  Püttmann’s  Buch  über 
die  Düsseldorfer  Schule  1835,  »dass  die  heutige  Kleidung  geschmack- 
los, abscheulich  und  affenmässig  ist?  Kann  sich  überhaupt  der  echte 
Stil  mit  Reifröcken,  Fräcken  u.  dgl.  Wunderlichkeiten  vertragen?  Des- 
halb sucht  in  unserer  Zeit  die  Kunst  mit  Recht  die  schönen  Formen  der 
Vergangenheit  hervor,  um  die  sich  die  Schneider  so  wenig  kümmern. 
Wie  lange  sollen  wir  noch  als  unmalerische  Wesen , als  schwarze 
hässliche  Fledermäuse  in  Frack  und  weiten  Hosen  umherlaufen?  Nur 
der  Bauernkittel  muss  als  eine  der  wenigen  malerischen  Kleidungen 
anerkannt  werden,  die  wir  noch  in  Deutschland  vor  der  Ungunst  der 
Zeiten  gerettet  haben«.  Dasselbe  Klagelied  singt  Hotho  in  seiner 
Geschichte  der  deutschen  und  niederländischen  Malerei:  das  Gostüm 
der  heutigen  Zeit  sei  durchweg  prosaisch  und  langweilig.  Hs  stosse 
den  Maler  ab  und  verletze  jedes  gebildete  Auge.  Die  Kunst  müsse 
nothwendig  in  der  Vergangenheit  Rettung  suchen,  wenn  sie  nicht 
bis  dahin  warten,  Pinsel  und  Palette  bis  zu  jenem  glücklichen  Zeit- 
punkt feiern  lassen  wolle,  an  dem  die  Trachten  der  Völker  ihre 
malerische  Wiedergeburt  begehen.  Nur  eine  Zone  sei  ausserhalb  des 
Bereichs  von  Frack  und  Beinkleidern  vorhanden,  die  der  Kunst 
noch  reichen  Gestaltungsstoff  biete:  die  Welt  des  Bauernkittels  und 
der  militärischen  Uniform. 

Wie  es  die  Uniform  war,  an  der  die  Plastiker  das  Zeitcostüm 
behandeln  lernten,  so  war  es  daher  das  Militärbild,  das  sich  im  Kreise 
der  Malerei  zuerst  hervorwagte.  Hier  Hess  sich  obendrein  schon  in 
den  Zeiten  David’s  und  Carstens’  ein  gewisser  Zusammenhang  mit 
den  herrschenden  classicistischen  Anschauungen  vermitteln,  indem 
man  den  Soldaten  zum  Krieger  und  vom  Krieger  zum  Heros  empor- 
schraubte. Gerard,  Girodet  — selbst  Gros  noch  ein  wenig  — machten 
ausgiebigen  Gebrauch  von  der  Maske  des  griechischen  oder  römischen 
Kriegers,  um  dem  Schlachtenbild  in  der  Malerei  grossen  Stils  Hin- 
gang zu  schaffen.  Die  wirklichen  Helden  der  napoleonischen  Epoche 
hatten  nicht  diese  plastische  Erscheinung  und  epischen  Attitüden. 
Der  Classicismus  veränderte  ihre  Physiognomien  und  gab  ihnen  un- 
logisch das  Aeussere  alter  Marmorstatuen.  Die  Schlachtenmalerei  aus 
diesem  Banne  erlöst  zu  haben,  ist  das  Verdienst  Horace  Vernets  - 
sein  einziges  freilich. 

Horace  Verriet  war  neben  seinem  Schwiegersohn  Paul  Delaroche 
das  echteste  Produkt  der  Periode  des  Juste-milieu.  Der  König  mit 
dem  Regenschirm  gründete  das  Museum  von  Versailles,  jenes  ä toutes 


7 


100 


XIX.  Das  Militärbild 


les  gloires  de  la  France  gewidmete  ungeheuerliche  Depot  bemalter 
Leinwand,  das  jedem,  der  sich  hinein  verirrte,  in  schrecklicher 
Erinnerung  ^bleibt.  In  wenigen  Jahren  wurde  eine  Reihenfolge  von 
Sälen,  deren  blosse  Durchwanderung  fast  zwei  Stunden  beansprucht, 
mit  Gemälden  aller  Formate  gefüllt,  die  die  Geschichte  des  Landes 
von  Carl  dem  Grossen  bis  zum  afrikanischen  Feldzug  Louis  Philipps 
in  allen  irgendwie  dem  französischen  Nationalstolz  schmeichelnden 
Momenten  zu  Herzen  führen.  Zahllose  Bilderfabrikanten  bramar- 
basiren  2‘/a  Meile  lang  von  den  Wänden  herunter.  Horace  Yernet  als 
Pictor  celerrimus  hatte  das  Oberkommando  und  wurde  durch  seine 
Chronik  der  Eroberung  Algiers  so  berühmt,  dass  er  dem  troupier, 
dem  epicier  und  allen  Königen  und  Kaisern  ganz  Europas  lange  Zeit 
als  der  grösste  Maler  Frankreichs  galt. 

Als  letzter  Ausläufer  der  berühmten  Künstlerdynastie  hatte  er 
den  Pinsel  in  die  Hand  genommen  in  dem  Moment,  wo  er  die 
Kinderklapper  wegwarf.  Es  war  ihm  in  die  Wiege  viel  Talent  ge- 
legt worden : Sicherheit  des  Auges,  Leichtigkeit  der  Hand  und  ein 
beneidenswerthes  Gedächtniss.  Er  sah  richtig , wenn  auch  nicht 
tief,  malte  ohne  Zaudern  seine  Bilder  herunter  und  unterscheidet 
sich  von  vielen  seiner  Zeitgenossen  sehr  vortheilhaft  dadurch,  dass 
er  selbständig  ist.  Niemandem  etwas  dankt,  seine  eigenen  Qualitäten 
zeigt  und  sich  nicht  mit  denen  Anderer  brüstet.  Nur  sind  diese 
Qualitäten  nicht  derart,  seinen  Bildern  künstlerisches  Interesse  zu 
geben.  Der  Funken  von  dem  Genie  Gericaults,  der  sich  anfangs  zu  ihm 
herübergerettet  zu  haben  schien,  ist  in  seinen  späteren  Arbeiten  gänz- 
lich erloschen.  Rasch  populär  geworden  durch  die  Lithographie,  die 
seinen  Mazeppa  durch  die  ganze  Welt  verbreitete,  wurde  er  später 
ein  schlechter  vulgärer  Maler,  ohne  Poesie,  ohne  Farbe  und  Licht, 
ein  Reporter,  der  nur  in  banaler  Prosa  sprach  und  alle  feinen  Geister 
verwundete.  »Ich  hasse  diesen  Mann«,  sagte  Baudelaire  schon  1846. 
Ohne  jede  Empfindung  für  das  Tragische  des  Krieges,  die  Gros  in 
so  hohem  Maasse  besass,  behandelte  Yernet  die  Schlachten,  wie  Aul 
führungen  im  Circus.  Seine  Bilder  haben  Bewegung  ohne  Leiden- 
schaft, Grösse  ohne  Grossheit.  Er  hätte,  wenn  nöthig,  die  ganzen 
Boulevards  bemalt;  sein  Bild  der  Smala  ist  zwar  nicht  so  lang,  aber 
es  hätte  kein  ernstes  Hinderniss  Vorgelegen,  es  um  eine  halbe  Meile 
zu  verlängern.  Dieses  unglaubliche  Stenographentalent  verschaffte 
ihm  seine  Volksthümlichkeit.  Er  war  decorirt  mit  allen  Orden 
der  Welt.  Der  Bourgeois  fühlte  sich  bei  ihm  zu  Hause,  und  der 


XIX.  Das  Mtutärbild 


IOI 


Familienvater  versprach  sei- 
nem kleinen  Buben,  ein  Pferd 
zu  kaufen.  Die  Soldaten 
nannten  ihn  »mon  Colonel« 
und  hätten  sich  nicht  ge- 
wundert, wäre  er  Marschall 
von  Frankreich  geworden. 

Der  Kunstfreund  geht  an 
Vernets  Bildern  mit  dem 
gleichen  Gefühl  vorbei,  zu 
dem  sich  jener  alte  Oberst 
gegenüber  der  Musik  be- 
kannte. »Lieben  Sie  die  Mu- 
sik, Herr  Oberst?«  »Gnädige 
Frau,  ich  fürchte  sie  nicht!« 

Die  trivial  - realistische 
Mache  wirkt  ebenso  uner- 
quicklich wie  der  unwahre 
Heroismus  seiner  Soldaten. 

In  der  Art,  wie  er  den 
troupier  auffasste,  steht  Vernet  etwa  zwischen  Classicisten  und  Mo- 
dernen. Fr  malte  nicht  mehr  antike  Krieger,  sondern  französische 
Soldaten ; er  kannte  sie  wie  der  Unteroffizier  seine  Korporalschaft, 
und  wurde  durch  diese  Ehrfurcht  vor  dem  Vorschriftsmässigen  daran 
verhindert,  sie  in’s  Römische  zu  übersetzen.  Aber  wenn  er  vom 
Classicismus  der  äussern  Erscheinung  absah , so  Hess  er  doch  das 
Heroische  noch  nicht  fallen.  Er  fasste  den  Soldaten  noch  immer 
als  kühnen  Vertheidiger  des  Vaterlandes,  als  Krieger,  der  muthige 
Handlungen,  wie  in  der  Alexanderschlacht  vollführte,  und  gab  da- 
durch seinen  Bildern  ihren  unangenehm  bramarbasirenden  Ton. 
Denn  weder  die  neue  Taktik  noch  die  neuen  Kanonen  gestatten 
mehr  jenes  Vortreten  des  Einzelnen,  wie  es  in  Vernets  Bildern  zu 
sehen.  Der  Soldat  des  19.  Jahrhunderts  ist  kein  Krieger  mehr,  son- 
dern eine  Nummer  der  M;jsse;  was  ihm  befohlen  wird,  thut  er  und 
hat  dazu  nicht  antiken  Heldenmuth  nöthig:  er  tödtet  oder  wird  ge- 
tödtet,  ohne  dass  er  den  Feind  oder  sein  Feind  ihn  sieht.  Der  Gang 
einer  Schlacht  bewegt  sich  Zug  um  Zug  nach  mathematischer  Berech- 
nung. Es  ist  also  falsch,  die  Soldaten  in  heroischen  Attitüden  darzu- 
stellen oder  gar  den  Commandeuren  Heldenthaten  zu  suggeriren.  Ein 


Cbarlet:  Vor  der  Cant  ine. 


102 


XIX.  Das  Militärbild 


Rajjel:  *i8o/<. 


General  hat,  um  eine  Schlacht  zu  leiten  und  seine  Befehle  zu  geben, 
sich  nicht  viel  anders  zu  verhalten,  wie  zu  Haus  vor  dem  Schreib- 
tisch. Und  er  ist  nie  mit  im  Kampf,  wie  bei  Horace  Vernet,  sondern 
sehr  weit  davon  entfernt.  Das  exakte  Porträt  einer  modernen  Schlacht 
kann  daher  selbst  bei  Vernetschen  Dimensionen  überhaupt  nicht 
Sache  des  Tafelbildes  sein,  sondern  ausschliesslich  des  Panoramas.  Das 
Tafelbild  muss  sich  darauf  beschränken,  entweder  den  von  Weitem, 
auf  einem  Hügel  mit  seinem  Generalstab  die  Schlacht  leitenden  Feld- 
herrn oder  kleine  malerische  Episoden  aus  dem  Einzelleben  des 
Soldaten  darzustellen.  Diese  allmähliche  Entwicklung  vom  unwahren 
Schlachtengemälde  zum  einfachen  Episodenbild  lässt  sich  in  den 
nächsten  Werken  stufenweise  verfolgen. 

Was  im  Anschluss  an  die  Waffenthaten  des  Krimkrieges  und 
des  italienischen  Feldzuges  weiter  für  das  Museum  von  Versailles 
gemalt  wurde,  hielt  sich  mehr  oder  weniger  in  dem  officiellen  Bra- 
marbasstil Horace  Vernets.  Von  Hippolyte  Bellange  sieht  man  in 
den  Versailer  Sälen  die  Schlachten  von  Wagram,  Loano,  Alten- 
kirchen ( 1 837/39)  und  eine  Episode  aus  dem  Rückzug  von  Russland 
(1851)  — grosse  Oeldrucke  von  sehr  sorgfältiger  Ausführung.  Adolphe 
Yvon,  von  dem  die  Einnahme  des  Malakoff,  die  Schlacht  von  Magenta 


XIX.  Das  Militärbild 


103 


Raffet:  Die  Parade. 

und  die  von  Solferino  herrühren,  ist  ein  noch  langweiligerer  Maler, 
der  zeitlebens  Schüler  von  Delaroche  blieb : er  legte  das  Hauptge- 
wicht auf  regelrecht  abgerundete  Composition  und  gab  seinen  Sol- 
daten gerade  soviel  Lebensfähigkeit,  als  sich  in  die  überkommene 
akademische  Schablone  zwängen  Hess.  Der  Ruhm  Isidor  Pils’,  der 
die  Ausschiffung  der  französischen  Truppen  in  der  Krim,  die  Schlacht 
an  der  Alma  und  den  Empfang  arabischer  Chefs  durch  Napoleon  III. 
verewigte,  ist  ebenfalls  schnell  verblasst.  Er  konnte  Soldaten,  aber 
keine  Schlachten  malen  und  setzte  wie  Yvon  seine  Bilder  ängstlich 
zusammen,  die  daher  stets  im  Arrangement  wie  in  der  Farbe  gequält 
wirken.  Es  fehlte  ihm  alles  Spontane  und  Sichere.  Nur  seine  Aqua- 
relle fesseln  trotz  schwerer,  trüber  Farbe  wenigstens  durch  phrasen- 
lose Sachlichkeit.  Alexandre  Protais  streifte  mehr  an's  Sentimentale. 
Er  liebte  den  Soldaten  und  deshalb  um  so  weniger  den  Krieg,  der 
die  hübschen  Jungen  wegfegt.  Zwei  Pendants,  der  Morgen  vor  dem 
Angriff  und  der  Abend  nach  dem  Kampfe  von  1863,  begründeten 
seinen  Ruf.  Das  eine  zeigte  eine  Gruppe  Jäger,  die  gespannt  auf 
die  ersten  Kugeln  des  Feindes  warten ; das  andere  dieselben  Leute 


104 


XIX.  Das  Militärbild 


Raffet:  Die  nächtliche  Heerschau. 

C’est  la  grande  revue  A l’heure  de  minuit 

Qu'aux  Champs-Elysees  Tient  C£sar  dec£d£. 


am  Abend,  wie  sieTsich  des  Sieges  freuen,  zugleich  aber,  und  das  ist 
Protais’  Note,  über  den  Verlust  ihrer  Kameraden  sehr  melancholisch 
gestimmt  sind.  Die  Gefangenen  und  die  Trennung,  von  1872,  ver- 
dankten ihren  Erfolg  der  gleichen  melodramatisch  weinerlichen  Em- 
pfindsamkeit. 

Zwei  einfache  Lithographen,  Soldatenkinder,  in  denen  noch  das 
Heimweh  nach  dem  Napoleonismus  nachklang,  waren  die  ersten 
grossen  Militärmaler  des  modernen  Frankreich.  »Charlet  und  Raffet, 
schrieb  Bürger -Thore  in  seinem  Salon  von  1845,  sind  die  zwei 
Künstler,  die  sich  am  besten  auf  die  Darstellung  des  Troupiers  des 
Kaiserreichs,  dieses  heute  fast  verschwundenen  Typus  verstehen,  und 
sie  werden  sicher  nächst  Gros  die  hauptsächlichsten  Geschichtschreiber 
dieser  kriegerischen  Epoche  bleiben«. 

Umriet,  den  Maler  der  alten  Brummbären  Napoleons  I.,  möchte 
man  den  Beranger  der  Malerei  nennen.  Ohne  Unterlass  kehrt  in 
seinen  Bildern  und  Zeichnungen  der  »kleine  Corporal«,  der  »grosse 


XIX.  Das  Miutärbild 


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Kaiser«  wieder;  sein  Werk  ist 
ein  gezeichnetes  Epos  vom  grauen 
Rock  und  dem  kleinen  Hut.  \ on 
Jugend  auf  beschäftigte  er  sich 
mit  militärischen  Studien,  die  im 
Atelier  Gros’,  in  das  er  1817  ein- 
trat. gefördert  wurden.  Das  graeco- 
romanische  Ideal  existirte  für  ihn 
nicht  und  die  Schönheit  der  For- 
men war  ihm  gleichgültig.  Er  war 
ein  auf  das  Sachliche  angelegter 
Geist,  ein  Charakteristiker,  dem  in 
seinen  vielen  Lithographien  und 
Aquarellen  nur  daran  lag,  seine 
Gedanken  richtig  auszudrücken. 

Wie  es  kam,  dass  Delacroix  so 
grosse  Achtung  vor  ihm  hatte,  er- 
hellte trotzdem  erst,  als  auf  der 
Weltausstellung  1889  seine  »Epi- 
sode vom  Rückzug  aus  Russland« 
aus  der  Abgeschiedenheit  des  Ly- 
oner Museums  auftauchte,  wohl 
sein  bedeutendstes  und  bestes  Bild.  Als  es  im  Salon  von  1836  er- 
schienen war,  schrieb  Alfred  de  Müsset,  das  sei  »keine  Episode, 
sondern  ein  ganzes  Gedicht«,  die  »Verzweiflung  in  der  Einöde« 
habe  der  Künstler  gemalt,  das  Bild  gebe  mit  seinem  düstern  Himmel 
und  trostlosen  Horizont  den  Eindruck  eines  unendlichen  Unglücks. 
Es  hatte  nach  50  Jahren  nichts  an  seinem  Werthe  verloren.  Seit 
dem  Wiederbekanntwerden  dieses  Bildes  wusste  man,  dass  Charlet 
nicht  nur  der  Specialist  der  alten  Grauköpfe  mit  der  schnapsgerötheten 
Nase  war,  der  Moliere  der  Casernen  und  Cantinen,  sondern  dass  er 
auch  die  ganze  tragische  Grösse  des  Krieges  begriff,  aus  dem  Horace 
Vernet  nur  triviale  Anekdoten  herausschälte. 

Neben  ihm  war  Raffet,  sein  Schüler,  der  eigentliche  Sänger  der 
grossen  Armee.  Er  bemächtigte  sich  der  glänzenden  Figur  Napoleons 
und  verliess  sie  nicht,  bis  er  Alles  über  sie  gesagt  hatte,  von  Ajaccio 
bis  auf  St.  Helena.  Er  zeigte  den  »kleinen  Gorsen«,  den  gespenstisch 
bleichen,  ehrgeizverzehrten  General  des  italienischen  Feldzugs,  den 
Bonaparte  der  Pyramiden  und  von  Cairo , den  Kaiser  Napoleon, 


io6 


XIX.  Das  Militärbild 


Ei  nest  Meisionier. 


wie  er  Parademarsch  ab- 
nimmt und  seine  Grenadiere 
besichtigt,  den  Triumphator 
von  1807,  an  dem  mit  Hur- 
rahruf,  die  Säbel  schwingend, 
die  Kürassiere  vorbeisausen, 
den  Titanen  der  Beresina. 
der  langsam  über  die  Schnee- 
wüste  reitet  und  mitten  im 
Unglück  nach  neuen  Glück- 
sternen  späht,  den  Kriegsgott 
von  1813,  den  grossen  Hvp- 
notiseur.  der  noch  von  Ster- 
benden mit  dem  Schrei  » Hs 
lebe  der  Kaiser«  begrüsst 
wird,  den  Abenteurer  von 
1814,  der  nachdenklich  an  der 
Spitze  zersprengter  Truppen 
über  wüste  Einöden  reitet,  den 


geschlagenen  Helden  von  1815,  der  in  seinem  letzten  Carre,  inmitten 
des  heiligen  Bataillons  noch  einmal  das  tückische  Schicksal  in  die 
Schranken  ruft,  den  gefangenen  Löwen,  der  von  der  Brücke  des 
Schiffes  einen  letzten  Blick  auf  die  im  Nebel  verschwindende  Küste 
Frankreichs  wirft.  Er  hat  den  Kaiser  aus  dem  Grabe  erweckt  als 
gespenstischen  Dämon,  der  um  Mitternacht  die  Revue  der  grossen 
Armee  abnimmt.  Und  er  hat  mit  Liebe,  Leidenschaft  und  Enthusias- 
mus auch  das  Werkzeug  dieser  Siege,  den  französischen  Soldaten, 
den  sieben  Jahre  dienenden  Haudegen  in  Biwack  und  Gefecht, 
auf  Märsche  und  Paraden,  Vorposten  und  Patrouillen  begleitet.  Die 
zerlumpten,  unbeschuhten  Truppen  des  Kaiserthums  in  Sturz  und 
Sieg  sind  in  seinen  Blättern  mit  einem  Anflug  wahrhafter  Grösse 
geschildert.  Jede  phrasenhafte  Ausdrucksform  kriegerischer  Begeister- 
ung ist  vermieden ; alles  ist  ernst  und  sachlich.  Meisterhaft  ver- 
stand er,  Soldaten  in  Massen  operiren  zu  lassen.  Keiner  hat  so 
den  Eindruck  der  Zahl  einer  Armee  zu  geben  gewusst,  den 
Eindruck  des  »Schulter  an  Schulter«,  des  Zusammengehörens 
Tausender  von  Individuen  zu  einem  Ganzen.  Das  Regiment  ist  bei 
Raffet  ein  vielhundertköpfiges,  lebendiges  Wesen,  das  eine  Seele, 
einen  moralischen  Geist,  einen  Muth,  eine  Opferfreudigkeit,  eine 


XIX.  Das  Militärbild 


107 


Meisscmier:  »i8oy<. 

Heldenmüthigkeit  hat.  Abenteuerlich  wie  sein  Leben,  war  sein  Tod: 
er  starb  in  einem  Hotel  von  Genua  und  wurde  als  Gepäckstück 
eines  Kauffahrteischiffs  zurückgebracht  auf  französischen  Boden. 
Sein  Ruhm  war  lange  Zeit,  erst  durch  den  Horace  Vernets,  dann 
durch  Meissoniers  Triumphe  ungebührlich  verdunkelt,  bis  ihm  sein 
Sohn  Auguste  pietätvoll  ein  Denkmal  setzte. 

Ernest  Meissonier  hatte  nie  über  Verkennung  zu  klagen.  Nach- 
dem schon  seine  Rococobilder  mit  Gold  aufgewogen  worden,  er- 
klomm er  den  Höhepunkt  seines  Ruhmes,  seiner  universellen  Be- 
rühmtheit und  seiner  Volkstümlichkeit  in  Frankreich,  als  er  seit 
den  60  er  Jahren  sich  der  Schilderung  der  französischen  Kriegsge- 
schichte zuwandte.  Das  Jahr  1859  führte  ihn  im  Gefolge  Napoleons  III. 
nach  Italien.  Meissonier  war  ausersehen,  den  Schlachtenruhm  des 
Kaisers  zu  verbreiten,  und  da  es  der  Neffe  liebte,  Parallelen  zwischen 
sich  und  seinem  grossen  Oheim  zu  ziehen,  sollte  Meissonier  zugleich 
entsprechende  Momente  aus  dem  Leben  des  ersten  Napoleon  dar- 
stellen. Seine  Bewunderer  waren  sehr  neugierig,  wie  sich  der  grosse 
Kleinmaler  mit  den  monumentalen  Aufgaben  abfinden  werde.  Der 
erste  Auftrag  war  die  Schlacht  von  Solferino,  jenes  Bild  des  Musee 
Luxembourg,  das  Napoleon  III.  darstcllt,  wie  er  mit  seinem  General- 
stab von  einer  Anhöhe  die  Schlacht  übersieht.  Fs  erschien  nach 
langen  Vorbereitungen  im  Salon  von  1864  und  zeigte,  dass  der  Maler 


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XIX.  Das  Militärbild 


sich  nicht  untreu  geworden : er  hatte  die  minutiöse  Technik  seiner 
Rococobilder  einfach  auf  das  Kriegsbild  übertragen  und  blieb  der 
niederländische  Feinmaler  auch  in  allen  übrigen  Schlachtenbildern, 
die  später  folgten. 

Napoleon  III.  hatte  keine  weiteren  Waffenthatcn  zu  verzeichnen, 
der  beabsichtigte  Parallelcyklus  kam  also  nicht  zu  Stande.  Zwar 
hatte  er  den  Maler  auch  1870  mit  zur  Armee  genommen;  aber  nach 
der  ersten  verlorenen  Schlacht  ging  Meissonier  nach  Hause:  Rück- 
zugsgefechte wolle  er  nicht  verewigen.  Sein  Pinsel  blieb  fortan  dem 
ersten  Napoleon  geweiht.  »1805«  schildert  den  Triumphzug  zur 
Höhe  des  Ruhmes;  »1807«  ist  der  Gipfel  erreicht,  die  Soldaten  jubeln 
begeistert  ihrem  Abgott  zu;  1814«  ist  der  Niedergang,  der  Glück- 
stern  ist  erloschen,  der  Sieg,  dem  Gewaltigen  so  lange  treu,  ist  von 
seinen  Fahnen  gewichen,  und  auf  dem  bleichen  Gesicht  des  Kaisers, 
dessen  Auge  müde,  dessen  Mund  krampfhaft  verzerrt,  dessen  Züge 
wie  vom  Fieber  verwüstet  sind,  liegt  doch  noch  der  Ausdruck  unbeug- 
samer Energie,  die  sich  anschickt,  die  letzte  Patrone  im  äussersten 
Verzweiflungskampf  gegen  das  vcrrätherische  Schicksal  zu  verschicssen. 

Meissonier  ist  in  allen  diesen  Werken  mit  derselben  Peinlichkeit 
wie  bei  den  Miniaturrococobildchen  verfahren.  Um  die  Stiefel  des 
ersten  Napoleon  historisch  treu  darzustellen,  begnügte  er  sich  nicht, 
sie  aus  dem  Museum  zu  leihen  und  abzumalen,  sondern  hat  selbst 
Monate  lang  zu  Fuss  und  zu  Pferd  — er  war  ein  leidenschaftlicher 
Reiter  — Stiefel  von  der  gleichen  Form  und  dem  gleichen  Schnitt 
wie  die  des  kleinen  Corporals  getragen.  Um  die  Farbe  der  Pferde 
des  Kaisers  und  seiner  Marschälle  im  Winterhaar  und  so  wie  sic 
nach  den  Strapazen  und  bei  der  schlechten  Pflege  während  der  Feld- 
züge ausgesehen  haben  müssen,  naturwahr  zu  reproduciren , kaufte 
er  selbst  Pferde  von  derselben  Race  und  Farbe,  wie,  der  Ucberliefer- 
ung  nach,  Kaiser  und  Generale  sie  geritten  und  Hess  sic  wochenlang 
bei  Schnee  und  Regen  im  Freien  campiren.  Seine  Modelle  mussten  die 
Uniformen,  bevor  er  sie  malte,  am  eigenen  Leib,  in  Sonne  und  Un- 
wetter abnützen;  Sattelzeug  und  Waffen  kaufte  er  zu  höchsten 
Preisen,  soweit  er  sie  nicht  aus  Museen  geliehen  erhielt.  Dass  er, 
bevor  er  an  seinen  Napoleoncyklus  ging,  sämmtliche  erreichbare 
Porträts  Napoleons,  Neys,  Soults  und  der  andern  Generale  eigen- 
händig copirte,  dass  er  ganze  Bibliotheken  durchlas,  versteht  sich 
von  selbst.  Um  das  Bild  »1814«  zu  malen,  das  gewöhnlich  für 
seine  grösste  Leistung  gilt  — Napoleon , der  an  der  Spitze  seines 


Meissonier : > 1814 «. 


I IO 


XIX.  Das  Militärbild 


Stabes  durch  eine  schneebedeckte  Winterlandschaft  zieht.  — hat  er 
sich  ähnlich,  wie  er  es  früher  mit  seinen  Interieurs  aus  der  Rococo- 
zeit  that,  vorher  die  Scenerie  an  einem  der  ursprünglichen  Localität 
entsprechenden  Punkt  auf  der  Ebene  der  Champagne  künstlich  hcr- 
stellcn,  selbst  den  Weg,  auf  dem  er  den  Kaiser  daherziehend  malen 
wollte,  in  natura  anlegen  lassen;  hat  dann  gewartet,  bis  der  erste 
Winterschnee  fiel,  hat  Artillerie,  Cavallerie,  Infanterie  auf  der  so  ge- 
schaffenen, mit  Schnee  bedeckten  Strasse  marschiren  lassen  und  sogar 
die  umgestürzten  Munitionswagen , die  fortgeworfenen  Waffen  und 
Gepäckstücke  decorativ  in  der  Landschaft  angebracht. 

Aus  diesen  mühevollen  Vorbereitungen  erklärt  sich,  dass  er 
für  seine  Bilder  fast  ebenso  viel  Millionen  ausgab,  wie  er  einnahm. 
In  seinem  Aufsatz:  »Was  ist  ein  altes  Kunstwerk  werth?«  hat  Julius 
Lessing  in  feiner  Weise  darüber  gehandelt,  welche  verborgenen  Wege 
Kunstgeschmack  und  Kunsthandel  gehen.  Unter  allen  Malern  der 
Neuzeit  ist  Mcissonier,  obwohl  er  nie  an  Kunsthändler,  sondern 
immer  direct  von  der  Staffelei  an  die  Liebhaber  verkaufte,  der  einzige, 
dessen  Bilder  schon  bei  seinen  Lebzeiten  mit  Preisen  bezahlt  wurden, 
die  sonst  nur  Werke  altberühmter  Meister  der  grössten  Epochen  im 
Handel  erzielen.  Meissonier  hat  sich  für  die  Entbehrungen  seiner 
Jugendzeit  glänzend  gerächt.  1832,  als  er  seine  Lehrlingsstelle  bei  dem 
grossen  Chocoladenmann  Meunier  aufgab,  um  Maler  zu  werden,  hatte 
er  monatlich  15  Francs  zu  verzehren.  Für  5 oder  10  Francs  be- 
mühte er  sich,  seine  Zeichnungen  und  Illustrationen  an  den  Mann  zu 
bringen,  oft  genöthigt,  sich  mit  einer  Semmel  für  das  mangelnde 
Mittagessen  zu  trösten.  Schon  zehn  Jahre  später  konnte  er  sich 
ein  kleines  Anwesen  in  Poissy  bei  St.  Germain  erwerben,  wohin  er 
1850  ganz  übersiedelte,  um  ungestörter  der  Arbeit  zu  leben.  All- 
mählich wurde  aus  diesem  Anwesen  ein  behaglicher  Landsitz,  zu  dem 
mit  der  Zeit  in  Paris  das  stattliche  Haus  auf  dem  Boulevard  Males- 
herbes hinzukam.  Sein  »Napoleon  1814«,  für  den  der  Maler  selbst 
300,000  Francs  erhielt,  wurde  von  einem  der  Besitzer  der  »Grands 
Magasins  du  Louvre«  für  850,000  Francs  erstanden;  Napoleon  III. 
bei  Solferino  brachte  ihm  200,000,  die  »Charge  des  Cuirassiers 
300,000  Francs.  Seit  1850  malte  er  überhaupt  nur  noch  für  ähn- 
liche Summen.  Er  hatte,  wie  ausgerechnet  wurde,  einen  ungefähren 
Curs  von  5000  Francs  per  Centimeter  gemalter  Leinwand  und  hinter- 
liess  einen  Kaufwerth  an  Bildern,  der  nach  heutigem  Curs  mehr  als 
20  Millionen  beträgt  — ohne  indessen,  da  ihn  jedes  Bild  meist  selbst 


XIX.  Das  Militärbild 


I 1 1 


viele  Tausende  kostete,  eigentlich  ein  reicher  Mann  geworden  zu 
sein.  Meissonier  fiel  nie  dem  Geschäftsgeist,  nie  dem  Kunsthandel 
zum  Opfer,  gab  nie  einen  Strich  aus  der  Hand,  bevor  er  der  Uebcr- 
zeugung  war,  ihn  nicht  besser  machen  zu  können,  und  wegen  dieses 
künstlerischen  Ernstes  war  er  auch  im  Kreise  seiner  Collegen  bis 
zu  seinem  Tode  allgemein  geachtet.  Er  liess  als  unbestrittener  Meister 
am  Fenster  seines  einsamen  Ateliers  die  Classicisten , Romantiker, 
Impressionisten  und  Symbolisten  vorbeiziehen  und  blieb  immer  der 
Gleiche.  Ein  kleiner  Mann  mit  festem  Gang,  schneidiger  Taille, 
zwei  Augen,  die  wie  Kohlen  leuchteten,  kurzgeschorenem  dichten 
Haar  und  einem  Elussgottbart,  der  immer  länger  wurde,  war  er  mit 
achtzig  Jahren  noch  ebenso  lebhaft  und  beweglich,  wie  mit  dreissig. 
Systematische  Trainirung  hielt  seinen  Körper  frisch  und  ermöglichte 
ihm  allein  die  rastlose  Thätigkeit,  unter  der  ein  Anderer  zusammen- 
gebrochen wäre.  Lange  Jahre  hindurch  legte  Meissonier  sich  um 
8 Uhr  Abends  zur  Ruhe,  schlief  bis  Mitternacht  und  arbeitete  bis 
zum  Morgen  bei  der  Lampe  an  seinen  Zeichnungen.  Im  Laufe  des 
Tages  machte  er  seine  Studien  nach  der  Natur  und  malte.  Schüchtern 
im  Verkehr  und  schwer  zugänglich , liess  er  sich  durch  keine  Ge- 
selligkeit in  seinem  unermüdlichen  Fleisse  stören.  Ein  scharfer  Ritt, 
Schwimmen  und  Rudern  bildete  die  einzige  Erholung.  Schon  1848 
hatte  er  als  Hauptmann  der  Nationalgarde  am  Strassen-  und  Barri- 
kadenkampf theilgenommen.  und  noch  1871  klapperte  er,  66  Jahre 
alt,  das  gallonirte  Käppi  unternehmend  auf  die  Seite  gerückt,  als 
koketter  Stabsofficier  mit  dem  Schleppsäbel , den  er  so  oft  gemalt, 
durch  die  Strassen  der  Hauptstadt.  Selbst  die  Werke  seines  Greisen- 
alters  zeigten  keine  Erschöpfung,  und  es  ist  schon  etwas  Grosses, 
zu  Jahren  zu  kommen  und  sich  nicht  zu  überleben.  Noch  im  Früh- 
ling 1890,  kurz  vor  seinem  Tode,  war  er  der  Führer  der  Jugend, 
als  diese  aus  dem  Palais  der  Champs  Elvsees  in  den  Champ  de  Mars 
übersiedelte,  und  hatte  in  diesem  neuen  Salon  den  »Oktober  1806« 
ausgestellt,  mit  dem  er  sein  Napoleonisches  Epos  und  seine  rhätig- 
keit  überhaupt  beschloss.  Auf  einem  Hügel  hielt  der  Kaiser  im  histor- 
ischen grauen  Ueberzieher  auf  einem  kräftigen  Schimmel,  gedanken- 
voll dem  Gange  der  Schlacht  folgend,  unbekümmert  um  die  unter 
ihm  vorbeistürmenden,  ihm  zujubelnden  Kürassiere  und  um  den 
bunten  Stab,  der  hinter  ihm  Aufstellung  genommen.  Keine  Miene  in 
dem  kameenartig  geschnittenen,  fahlen  Korsengesicht  zuckt.  I rüb 
und  wolkenschwer  war  der  Himmel.  Im  Vordergrund  lagen  ein 


I 12 


XIX.  Das  Militärbild 


paar  todte  Soldaten,  an  denen  jeder  Uniformknopf  noch  mit  derselben 
peinlichen  Gewissenhaftigkeit  gemalt  war,  wie  die  Knöpfe  an  den 
llococofräcken  50  Jahre  vorher. 

Ausser  dieser  unendlichen  Correctheit  sehe  ich  freilich  nichts, 
was  zu  Meissoniers  Künstlerruhm  gesagt  werden  könnte.  Kr,  dessen 
Name  auf  beiden  Hemisphären  gefeiert  ist,  war  recht  eigentlich  der 
Sohn  seiner  Arbeit.  Kr  hat  sich  seinen  Ruhm  ersessen  und  seinem 
Sitzfleisch  gebührt  der  Lorbeer.  Das  Genie  des  unendlichen  Kleinen 
ist  niemals  weiter  gegangen.  Alles,  was  man  lernen  kann,  weiss 
er.  Die  Bewegungen  sind  richtig,  die  Physiognomien  interessant, 
die  Finessen  der  Ausführung  unbeschreiblich,  die  Pferde  so  genau 
studirt.  dass  sie  der  Nachprobe  der  Momentphotographie  Stand  halten. 
Aber  Maler  im  eigentlichen  Sinn  ist  er  nie  gewesen.  Gerade  in  ihrer 
wunderbaren  Miniaturausführung,  die  im  Grunde  doch  nur  als  Ge- 
duldspiel,  als  die  höchste  Probe  dessen,  was  der  Pinsel  leisten  kann, 
fesselt,  entbehren  seine  Bilder  der  Gesammtanschauung  und  lassen 
kalt  wegen  der  Härte  der  Conturen,  der  TrocPbnheit  der  Farbe  und 
der  Abwesenheit  aller  Nervosität.  Wer  denkt  bei  einer  Reiterattake, 
wenn  der  Staub  aufwirbelt  und  die  Nüstern  der  Rosse  schnauben, 
an  Costüme,  und  wer  denkt  an  etwas  anderes,  wenn  Meissonier 
eine  Attake  malt.  Dort  Leben  und  Bewegung,  hier  ein  Museum 
militärischer  Uniformen.  Als  Manet  die  Kürassiere  Meissoniers  sah, 
meinte  er:  »Alles  ist  hier  von  Kisen,  nur  die  Kürasse  nicht.«  Die 
Rococobildchen  sind  wohl  seine  besten  Leistungen,  es  ist  sogar  ein 
wenig  Temperament  darin.  Seine  Soldatenbilder  machen  frösteln. 
Sie  sind,  in  Holzschnitten  reproducirt,  gute  Illustrationen  zu  Ge- 
schichtswerken,  aber  als  Bilder  dem  Auge  antipathisch,  weil  sie  geist- 
los sind  und  der  Luft,  des  Lichtes  ermangeln.  Sie  erwecken  keinen 
anderen  Gedanken,  als  Staunen  über  die  Geduld  und  den  unglaub- 
lichen Fleiss,  der  dazu  gehörte,  sie  zu  machen.  Man  sieht  Alles, 
Alles,  was  der  Maler  nur  irgend  gesehen  hat,  keine  Kleinigkeit  wird 
einem  erspart,  nur  dem  Künstler  selbst  begegnet  man  nicht  recht. 
Seine  Schlachtenbilder  stehen  hoch  über  den  Decorationsstücken 
Horace  Vernets  und  Hippolyte  Behanges,  aber  sie  haben  auch  nichts 
von  der  Wärme  Raft'ets  und  dem  zuckenden  Leben  Neuvilles.  Kine 
mittheilsame  Stimmung,  etwas,  das  mit  lortreisst  und  das  Herz  füllt, 
entwickelt  sich  aus  ihnen  nicht.  Die  Geduld  ist  eine  Tugend,  das 
Genie  ein  Geschenk.  Kostbar  ohne  Originalität,  geistreich  ohne 
Phantasie,  geschickt  ohne  Verve,  elegant  ohne  Reiz,  subtil  und  fein 


XIX.  Das  Militärbild 


ohne  Delicatesse,  hat  Meissonier  alle  Qualitäten, 
die  interessiren,  aber  keine,  die  packt.  Er  war 
ein  Maler  der  Deutlichkeit,  den  man  anstaunt, 
aber  nicht  bewundert,  ein  Künstler  für  Fein- 
schmecker, doch  für  solche  zweiten  Ranges, 
die  Kunstwerke  um  so  höher  bezahlen,  je  mehr 
sie  darin  das  Kunststück  schätzen.  Man  wird 
vor  seinen  Bildern  an  das  Compliment  erinnert, 
das  Charles  Blanc  unpassender  Weise  Ingres 
machte:  »Cher  maitre,  vous  avez  dcvine  la 
photographie  trente  ans  avant  qu’il  y eut  des 
photographes«  oder  an  die  boshafte  Geschichte, 
die  Jules  Dupre  einmal  erzählte.  »Stellen  Sie 
sich  vor,  meinte  er,  Sie  seien  ein  grosser  Herr, 
der  heute  einen  Meissonier  gekauft  hat.  Da 
kommt  Ihr  Kammerdiener  in  den  Salon , wo 
er  hängt.  Ah  Monsieur,  ruft  er  aus,  was  haben 
Sie  da  für  ein  schönes  Bild  gekauft ! Das  ist 
ein  Meisterstück!  Ein  andermal  kauft  nun  der  grosse  Herr  einen 
Rembrandt  und  zeigt  ihn  seinem  Kammerdiener  in  der  Erwartung, 
dieser  werde  darüber  wenigstens  in  das  nämliche  Entzücken  gerathen. 
Mais  non ! Diesmal  macht  der  Mann  ein  verlegenes  Gesicht.  Ah 
Monsieur I il  faut  s’y  connaitre,  sagt  er  und  geht  davon«. 

Guillaume  Regamey,  der  viel  weniger  bekannt  ist,  bildet  zu  Meissonier 
die  Ergänzung.  Nervös,  temperamentvoll  und  skizzenhaft,  war  er  nicht 
für  den  Kunsthandel  geeignet,  während  die  Kunstgeschichte  ihn  nächst 
Gericault  und  Raffet  als  den  geistreichsten  Zeichner  des  französischen 
Soldaten  feiert.  Er  malte  ihn  nicht  im  Paradeanzug,  geschniegelt  und 
gebügelt,  sondern  in  der  schlechtesten  Garnitur.  Syrien,  die  Krim, 
Italien,  der  Orient  mischen  sich  mit  der  Verschiedenheit  ihrer  Typen, 
dem  Glanz  ihrer  exotischen  Costüme  darunter.  Sehr  liebte  er  das  Katzen- 
artige, beweglich  Ritterliche  der  Turcos  und  Spahis,  doch  ganz  beson- 
ders die  Cavallerie.  Seine  Chasseurs  d'Afrique  sind  mit  dem  Pferd  ver- 
wachsen wie  fabelhafte  Centauren,  und  manche  seiner  Reitergruppen 
lassen  an  den  Parthenon-Fries  denken.  Leider  starb  er,  38  Jahre  alt,  kurz 
vor  Ausbruch  des  Krieges  von  1870,  dessen  Geschichtschreiber  dann 
die  jüngeren,  im  Schatten  Meissoniers  aufgewachsenen  Maler  wurden. 

Alphonse  de  Neuville,  der  bedeutendste  der  Gruppe,  hatte  als 
Officier  während  der  Belagerung  von  Paris,  den  Krieg  sehr  aus  der 

Muther,  Moderne  Malerei  II.  $ 


113 


A.  de  Neuville. 


XIX.  Das  Militärbild 


1 14 


A.  de  Neuville:  Le  Bourget. 


Nähe  gesehen  und  bildete  sich  dabei  zu  einem  feinen  Illustrator,  der 
in  seinen  anekdotischen  Bildern  die  Vehemenz  der  Salve  und  den 
Pulverrauch  vorzüglich  zu  malen  wusste.  Das  »Biwak  vor  Le  Bourget 
brachte  ihm  den  ersten  Erfolg.  »Die  letzten  Patronen«,  »Le  Bourget 
und  der  »Friedhof  von  Saint-Privat«  machten  ihn  zum  populären 
Meister.  Neuville  ist  der  eigentliche  französische  Gefechtsmaler.  Er 
kannte  nicht  wie  Charlet  den  Soldaten  in  der  Ruhe,  den  Bauernjungen 
von  gestern,  der  nur  an  seinen  Magen  denkt  und  für  kampflustige 
Abenteuer  wenig  Sinn  hat.  Der  Soldat  ist  bei  ihm  ein  eleganter, 
begeisterter,  jugendlicher  Held.  Er  vernachlässigte  sogar  die  Linien- 
truppen, seine  Vorliebe  galt  dem  Chasseur,  dessen  Käppi  koketter  auf 
dem  Kopfe  sitzt  und  dessen  Hosen  besser  fallen.  Er  liebte  die  Eeder- 
büsche,  die  eleganten  hohen  Stiefel  der  Officiere,  die  Porte-epees, 
Spazierstöcke  und  Monocles.  Alles  nahm  unter  seiner  geschickten 
Hand  eine  gewisse  Grazie  an,  selbst  im  Troupier  sah  er  ein  ritter- 
liches, zierliches  Bibelot,  das  er  mit  chevaleresker  Verve  malte. 

Aim£  Morot,  der  Maler  der  Charge  des  cuirassiers,  ist  derjenige, 
dessen  Bilder  vielleicht  am  meisten  nach  Pulver  schmecken.  Neuvilles 
vielfach  überschätzter  Rivale,  Meissoniers  Lieblingsschüler  Edouard 
Detaille  eins,  nachdem  er  mit  kleinen  zierlichen  Costümbildern  aus 


XIX.  Das  Militärbild 


H) 


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■ Detaille:  Salut  aux  blesses. 


der  Directoirzeit  begonnen,  den  Weg  seines  Lehrers  mit  weniger 
Mühseligkeit  und  mehr  Leichtigkeit,  weniger  Klügeln  und  mehr 
Wahrheit  weiter.  Das  beste  seiner  Werke  war  »Salut  au  blesses«,  die 
Schilderung,  wie  ein  Trupp  verwundeter  preussischer  Offiziere  und 
Soldaten  auf  einer  Landstrasse  an  einem  französischen  General  vor- 
beizieht, der  in  eleganter  Ritterlichkeit  sein  Käppi  lüftend  mit  seinem 
Stabe  vor  den  Verwundeten  salutirt.  Detailles  grosse  Bilder,  wie  die 
Fahnenvertheilung  und  die  Panoramen  waren  ebenso  correct  wie 
trocken  langweilig,  wenn  auch  hoch  über  dem  Meisten  stehend,  was 
auf  deutscher  Seite  künstlerisch  aus  dem  Krieg  von  1870  gezogen 
wurde.  — 

Bei  uns  hatten  die  grossen  Jahre  der  Befreiungskriege  den  ersten 
Anlass  gegeben,  dass  eine  Gruppe  von  Malern  es  wagte,  das  von 
ihren  classicistischen  Gollegen  sehr  von  oben  herab  behandelte  Ge- 
biet der  Schlachtenschilderung  zu  betreten.  Deutschland  hatte  sich 
damals  in  ein  grosses  Heerlager  verwandelt.  Nach  einander  kamen 
preussische,  russische,  französische,  österreichische  und  bayerische 
Truppen  durch  die  Städte  und  Dörfer,  lange  Züge  von  Kanonen 
und  Transportwagen  folgten,  Freunde  und  Feinde  wurden  einquartiert; 
das  napoleonische  Epos  spielte  sich  ab.  Diese  Dinge,  die  wie  bunte 
Laternamagicabilder  vorbeizogen , öffneten  zuerst  wieder  einigen 

8* 


XIX.  Das  Militärbild 


I 16 

jungen  Leuten  den  Blick  für  die  Aussenwelt  und  erweckten  in  ihnen 
die  Anlage,  Eindrücke  der  Wirklichkeit  in  sich  aufzunehmen  und 
rasch  zu  Papier  zu  bringen.  Ganz  ebenso  hatte  sich  200  Jahre 
vorher  die  Befreiung  der  holländischen  Kunst  aus  den  Banden  des 
Italianismus  vollzogen.  Der  holländische  Befreiungskampf  und  der 
30  jährige  Krieg  hatten  Holland  mit  zahlreicher  Soldateska  gefüllt. 
Das  Treiben  dieser  Söldner,  das  sich  täglich  in  reicher  Tracht  und 
bunter  Mannigfaltigkeit  vor  ihnen  abspielte,  fesselte  den  malerischen 
Sinn  der  Künstler.  Nachklänge  des  Krieges,  Kampfscenen,  Schar- 
mützel und  Getümmel,  Vorgänge  des  Lagerlebens,  Ausrüstungen, 
Einquartierungen  und  Marodierscenen  sind  die  ersten  selbständigen 
Erzeugnisse  der  holländischen  Schule.  Dann  wird  das  friedliche 
Treiben  der  Soldaten  geschildert.  In  Harlem  in  der  Nähe  des  Frans 
Hals  sammeln  sich  die  Maler  der  sogenannten  Gesellschaftsstücke,  in 
denen  kecke  Landsknechte,  flotte  Offiziere  sich  mit  galanten  Mädchen 
bei  Wein,  Spiel  und  Liebe  erlustigen.  Erst  von  hier  aus  geht  man 
zur  Schilderung  des  in  gleich  zwangloser,  freier  Derbheit  lebenden 
Bauernstandes  und  von  da  in  weiterer  Folge  zur  Darstellung  der 
städtischen  Kreise  über.  Die  deutsche  Malerei  des  19.  Jahrhunderts 
machte  den  gleichen  Gang.  Auch  vor  80  Jahren  gaben  die  fremden 
Truppen,  die  höchst  »pitoresken,  oft  zerlumpten  Anzüge  der  repu- 
blikanischen Armee,  die  charakteristischen , oft  ganz  verwilderten 
Physiognomien  der  französischen  Soldaten«,  den  Künstlern  die  ersten 
frischen,  buntfarbigen  Eindrücke.  Nicht  in  der  Antikenklasse  der 
Akademie,  sondern  auf  dem  Exerzierplatz  und  im  Lager  machten  die 
Soldatenmaler  ihre  Studien,  gingen  später,  als  die  kriegerischen  Zeiten 
vorüber,  von  der  Schilderung  des  Soldaten  zu  der  des  Bauern  über 
und  schufen  so  die  Grundlage,  auf  der  die  Folgenden  weiterbauten. 

Franz  Krüger  in  Berlin,  Albrecht  Adam  und  Peter  Hess  in 
München  waren  eigenartige,  in  die  geistige  Familie  der  Chodowiecki 
und  Gottfried  Schadow  gehörige  Charakterfiguren,  die  gänzlich  un- 
berührt von  classicistischen  Theorien  und  romantischen  Träumereien 
mit  klarem,  scharfem  Blick  in’s  Leben  hinausschauten.  Ihnen  fehlte 
jedes  Organ  zum  Verständniss  sowohl  der  hohen  poetischen  Ten- 
denzen der  Altmünchener,  wie  der  sentimentalen  Gefühlsschwärmerei 
der  Altdüsseldorfer  Schule.  Dafür  waren  sie  frische,  den  Dingen 
vollkommen  unbefangen  gegenübertretende  Menschen,  die  durchaus 
auf  sich  selbst  ruhten,  sich  an  keinem  Beispiel  der  alten  Meister 
herangebildet,  nie  einen  Lehrer  gehabt,  nie  akademischen  Unterricht 


XIX.  Das  Militärbild 


117 


Albrechl  Adam  mit  seinen  Söhnen. 


genossen  hatten.  Dieses  naive  Drauflosgehen  lässt  ihre  Malerei  wie 
ein  wildgewachsenes,  halbbarbarisches  Produkt,  zugleich  aber  in  einer 
Periode  archaeologischer  Ausgrabungen,  gelehrten  Rückwärtsschauens 
und  sclavischer  Nachahmung  der  Alten  auch  als  erstes  selbständiges 
Erzeugniss  des  19.  Jahrhunderts  erscheinen.  Tüchtige,  trockene  Re- 
alisten, kannten  sie  keine  feineren  Reize,  aber  sie  stellten  die  Sache 
dar,  so  treu  es  ging,  so  ehrlich  und  pflichtgemäss,  wie  es  nur  mög- 
lich war.  Sie  entbehren  des  eigentlich  malerischen  Charakters,  aber 
sie  sind  auch  vom  Classicismus  der  Epoche  unberührt.  Es  fällt  ihnen 
nicht  ein,  die  Uniformen  ihrer  Krieger  über  antike  Statuen  zu  ziehen. 
Und  diese  treue  Ehrlichkeit  macht  ihre  Bilder  nicht  nur  als  Documente 
für  die  Culturgeschichte  unersetzlich,  sondern  verleiht  ihnen  trotz 
ihrer  beispiellosen  Kälte,  Härte  und  Buntheit  auch  künstlerisch  einen 
gewissen  bahnbrechenden  Werth. 

Albrecht  Adam,  ein  harter,  in  der  Schule  des  Lebens  gebildeter 
Charakter,  hat  selbst  in  einer  hübschen  Biographie  das  Getriebe  der 
geschichtlichen  Ereignisse,  die  ihn  zum  Schlachtenmaler  machten,  ge- 


i iS 


XI X.  Das  Militäkbild 


Albrecht  Adam:  Rückzug  der  französischen  Armee  aus  Russland. 


schildert.  Er  war  Conditorlehrling  in  Nördlingen,  als  dort  i.  J.  1800  die 
französischen  Heeresdurchzüge  ihren  Anfang  nahmen.  Im  Wirthshaus 
beginnt  er  Grenadiere  und  Unteroffiziere  zu  zeichnen  und  geht  stolz 
mit  den  dafür  erhaltenen  Kreuzern  nach  Hause.  »Adam,  wenn’s  Krieg 
gibt,  nehme  ich  Sie  mit  in’s  Feld«,  hatte  ihm  der  Abnehmer  seiner 
ersten  Arbeiten,  ein  alter  Generalmajor,  gesagt.  Das  erfüllte  sich  1809, 
als  die  Baiern  mit  Napoleon  gegen  Oesterreich  zogen.  Nach  wenigen 
Wochen  ist  er  mitten  im  Schlachtgewühl.  Er  sieht  Napoleon,  den 
Kronprinzen  Ludwig,  den  General  Wrede,  erlebt  die  Schlachten  von 
Abensberg,  Eckmühl  und  Wagram  und  kommt  mit  Mappen  voll 
Skizzen  nach  Wien.  Dort  finden  seine  Kriegsbilder  und  Porträts  in 
Offizierskreisen  Beifall,  und  Eugene  Beauharnais,  der  Yicekönig  von 
Italien,  nimmt  ihn  nach  Oberitalien,  dann  nach  Russland  mit  sich. 
Er  ist  Augenzeuge  der  Schlachten  bei  Borodino  und  an  der  Moskwa 
und  rettet  sich  mit  Lebensgefahr  aus  dem  brennenden  Moskau. 
Eine  echte  Landsknechtsnatur,  setzte  er  sich  noch  als  62 jähriger 
auf’s  Pferd,  um  1848  dem  italienischen  Feldzug  der  österreichischen 
Armee  unter  Radetzky  beizuwohnen.  Seine  Schlachtenbilder  gehen 
also  sämmtlich  auf  persönliche  Erlebnisse  zurück.  Er  führte  auf  den 


XIX.  Das  Militärbild 


Peter  Hess:  Empfang  des  Königs  Otto  in  Nauplia. 

Kri;gszügen  das  Leben  der  Soldaten,  die  er  schilderte,  und  da  er  bei 
dieser  Schilderung  mit  der  objectiven  Ruhe  und  Wahrheit  des  Historikers 
verfuhr,  sind  seine  Kunstschöpfungen  als  Documente  unschätzbar. 
Selbst  wenn  er  nicht  als  Augenzeuge  sprechen  konnte,  machte  er 
stets  nachträglich  an  Ort  und  Stelle  seine  Studien , immer  bestrebt, 
ein  möglichst  zuverlässiges  Quellenmaterial  zu  erhalten , das  er  mit 
äusserster  Gewissenhaftigkeit  verarbeitete.  Das  Terrain,  der  Auf- 
marsch der  Truppenkörper,  der  Massenkampf  mit  den  in’s  Kleinste 
gehenden  Episoden  ist  mit  Einfachheit  und  Sachlichkeit  dargestellt.  In 
der  Schilderung  des  friedlichen  Soldatenlebens  war  er  unerschöpflich, 
ebenso  lebendig  wusste  er  die  Pferde  zu  geben : in  der  angestrengten 
Kraftäusserung  des  Marsches,  im  Schlachtengewühl  wie  im  Stall,  den 
Ackergaul  des  Trains  wie  das  edle  Paradethier.  Dass  seine  Farbe 
streng  und  hart  blieb  und  seinen  Bildern  deshalb  jede  »Stimmung« 
fehlt,  erklärt  sich  aus  der  coloristischen  Hülflosigkcit  des  Zeitalters. 
Nur  die  letzten,  wie  die  Schlacht  an  der  Moskwa,  haben  eine  gewisse 
farbige  Gesammthaltung,  die  freilich  mehr  auf  Rechnung  seines  Sohnes 
Franz  zu  setzen  ist. 

Nach  Adam,  dem  Vater  der  deutschen  Schlachtenmaler,  machte 
Peter  Hess  durch  den  Ernst  und  die  Sachlichkeit  seiner  Bilder  Epoche. 
Auch  er  hatte  die  Feldzüge  von  1813 — 15  im  Hauptquartier  des 


I 20 


XIX.  Das  Militärbild 


Generals  Wrede  mitgemacht  und  hat  aus  dieser  Zeit  sehr  gesunde, 
nüchtern  objectiv  gesehene  Kosakenscenen,  Biwaks  und  dergleichen 
hinterlassen,  während  er  in  seinen  grossen  Bildern  so  wenig  wie 
Adam  je  irgendwelche  Totalwirkung  erzielte.  Durch  die  Fülle  ver- 
wirrt, wagte  er  sich  nur  an  die  Einzelheiten  heran,  und  setzte  diese 
dann  auf  der  Leinwand  mosaikartig  zusammen,  indem  er,  um  das 
Wesentliche  der  Action  möglichst  deutlich  zu  geben,  den  Standpunkt 
wie  aus  der  Vogelperspective  annahm.  Selbstverständlich  machen 
die  auf  diesem  Wege  erzeugten  Bilder  als  Kunstwerke  einen  recht 
kindlichen  Eindruck,  doch  als  Incunabeln  moderner  deutscher  Malerei 
werden  sie  bleiben.  Am  bekanntesten  wurden  diejenigen,  zu  denen 
ihm  die  Erwählung  des  Prinzen  Otto  von  Bayern  zum  König  von 
Griechenland  Gelegenheit  gab,  namentlich  der  in  der  Münchener 
Neuen  Pinakothek  befindliche  »Empfang  des  Königs  Otto  in  Nauplia«, 
ein  Bild,  das  trotz  der  harten,  bunten,  ganz  unmöglichen  Färbung  und 
kleinlichen  Pedanterie  der  Ausführung  den  Werth  einer  kulturgeschicht- 
lichen Urkunde  nicht  verlieren  wird. 

Der  energische  Franz  Krüger  in  Berlin  war  schon  lange  durch 
seine  famosen  Pferdebilder  bekannt,  als  ihm  1829  der  Kaiser  von 
Russland  den  Auftrag  gab,  die  grosse  Parade  auf  dem  Opernplatz 
in  Berlin,  bei  der  er  dem  König  von  Preussen  sein  Kürassierregiment 
vorgeführt  hatte,  auf  einer  grossen  Leinwand  zu  fixiren.  Solche 
Paradebilder  wurden  seitdem  Krügers  Specialität,  namentlich  berühmt 
ist  die  grosse  Parade  von  1839  mit  den  Bildnissen  aller  derer,  die 
damals  in  Berlin  politisch  und  literarisch  eine  Rolle  spielten.  Er  hat 
in  diesen  Arbeiten,  besonders  auch  in  seinen  merkwürdig  objectiv 
gesehenen,  aquarellirten  Bildnissköpfen , ein  treues  Spiegelbild  des 
alten  Berlin  hinterlassen  und  die  Brücke  von  Chodowiecki  zu  Menzel 
geschlagen.  Als  Schüler  Krügeis  ist  Karl  Steffeck,  als  solcher  Adams 
ausser  Franz  Adam  — Th.  Horschelt  zu  nennen.  Von  Steffeck, 
einem  gesunden  kräftigen  Realisten,  werden  einige  gut  gemalte  Pferde- 
porträts, von  Th.  Horschelt,  der  1858  im  Kaukasus  an  den  Gefechten 
der  Russen  gegen  die  Tscherkcssen  thcilnahm,  einige  der  meister- 
haften, geistreichen  Federzeichnungen  fortleben,  die  er  in  seinen 
»Erinnerungsblättern  aus  dem  Kaukasus«  gesammelt  herausgab.  Franz 
Adam,  der  zuerst  im  Anschluss  an  Raffet  ein  lithographisches  Werk 
über  den  italienischen  Feldzug  von  1848  veröffentlichte  und  im  italie- 
nischen Krieg  von  1859  sein  erstes  Hauptwerk,  eine  Scene  aus  der 
Schlacht  bei  Solferino  malte,  verdankt  seine  schönsten  Erfolge  — ob- 


XIX.  Das  MiutArbild 


1 2 1 


wohl  er  ihn  nicht  mitgemacht  hatte  — dem  Kriege  von  1870  und  ist, 
wenigstens  hinsichtlich  der  coloristischen  Gesammthaltung  seiner  Ar- 
beiten, wohl  der  beste  deutsche  Schlachtenmaler  gewesen.  Da  mir 
später  die  Gelegenheit  fehlen  würde,  erwähne  ich  an  dieser  Stelle 
auch  die  mit  Verve  und  Ritterlichkeit  gemalten  Werke  Josef  Brandts, 
des  besten  Schülers,  den  Franz  Adam  heranbildete.  Es  lodert  und 
sprüht  in  seinen  Bildern  altpolnischer  Reiterkämpfe,  in  den  Gestalten 
der  Krieger  wie  der  Pferde.  Alles  ist  aristokratisch:  das  distinguirte 
graue  Colorit  wie  die  geschmeidige,  chevalereske  Zeichnung.  Alles 
athmet  Leben,  Kraft,  Feuer  und  Frische:  der  Orient  Eugene  Fromen- 
tins,  in’s  Polnische  übersetzt.  Heinrich  Lang,  ein  geistreicher  Zeichner, 
der  die  schwierigsten  Stellungen  und  Bewegungen  des  Pferdes  mit 
ausserordentlicher  Sicherheit  zu  erfassen  wusste,  hielt  das  wilde  Ge- 
tümmel von  Cavallerieattaken  (Attake  der  Brigade  Bredow,  Attake 
bei  Floing  u.  dgl.)  in  schneidigen  Momentbildern  fest,  während  sonst 
die  deutschen  Heldenthaten  von  1870  künstlerisch  wenig  Helden- 
thaten  im  Gefolge  hatten. 


G*8) 


XX. 


Italien  und  der  Orient. 

SOFERN  er  nicht  Uniform  trug,  war  der  Mensch  im  Beginne 
des  Jahrhunderts  nur  kunstfähig,  wenn  er  als  Bauer  oder  Räuber 
in  Italien  lebte.  Das  heisst : die  Maler  waren  entweder  Archäo- 
logen oder  Touristen;  sobald  sie  nicht  in  die  Vergangenheit  unter- 
tauchten, suchten  sie  ihr  romantisches  Ideal  in  der  Ferne.  Italien, 
wo  die  Monumentalmalerei  Erleuchtung  geholt,  bot  sich  als  erstes 
Reiseziel  dar  und  entsprach  ihren  Wünschen  auch  deshalb,  weil  es 
für  die  übrige  Welt  noch  vom  Schleier  poetischen  Geheimnisses  um- 
hüllt war.  Nur  im  Kirchenstaat,  in  NeapJ  und  Toskana  glaubte 
man  menschliche  Wesen  anzutreffen,  die  unter  dem  Einfluss  der 
Civilisation  noch  nicht  vulgär  und  hässlich  geworden,  sondern  einen 
Abglanz  der  Schönheit  griechischer  Statuen  bewahrten.  Hier  fürchtete 
man  weniger  durch  das  Studium  der  Natur  vom  absoluten  Schönen 
abgelenkt  zu  werden,  und  damit  war  ein  wichtiges  Princip  erobert. 
Statt  wie  David  und  Mengs  noch  direct  antike  Statuen  zu  copiren, 
fingen  diese  Maler  an,  die  Nachkommen  der  Menschen  zu  betrachten, 
die  jenen  römischen  Bildhauern  als  Modelle  gedient,  und  lenkten  so, 
fitst  gegen  ihren  Willen,  die  Blicke  wieder  ein  wenig  mehr  aus  den 
Museen  in  die  Natur,  aus  der  Vergangenheit  in  die  Gegenwart  herüber. 

Der  in  den  engen  Rahmen  des  Classicismus  eingezwängten  Kunst 
dies  neue  Stoffgebiet  erschlossen  zu  haben,  ist  das  Verdienst  Leopold 
Roberts.  Nur  dem  Umstand,  dass  er  als  der  Ersten  einer  sich  trotz 
streng  classicistischcr  Erziehung  auch  ein  wenig  für  die  Aeusser- 
ungen  des  zeitgenössischen  Lebens  interessirte,  verdankt  er  seinen 
Erfolg  beim  Publikum  der  20er  Jahre  und  seine  Stellung  in  der 
Kunstgeschichte.  Hunderte  von  Künstlern  waren  vor  ihm  nach 
Italien  gewandert  und  keiner  hatte  anderes  als  die  Antiken  gesehen, 
bis  1818  dieser  junge  Mann  aus  Neufchätel  kam  und  der  Maler  des 
italienischen  Volkes  wurde.  Auf  den  ersten  Blick  frappirtc  ihn  der 
»Charakter  der  italienischen  Gestalten  mit  ihren  seltsamen  Sitten 


XX.  Italien  und  der  Orient 


123 


und  Gebräuchen , ihren  maler- 
ischen und  rauhen  Kleidungen« ; 
und  er  wollte  dies  mit  aller  Wahr- 
heit wiedergeben,  vor  allem  aber 
»den  ganzen  Adel  jenes  Volkes 
feiern,  das  noch  einen  Zug  von  der 
heroischen  Grösse  seiner  Vorfahren 
bewahrt«.  Besonders  glaubte  er 
dieses  Phänomen  des  Atavismus  bei 
den  Räubern  zu  bemerken,-  und  da 
bald  nach  seiner  Ankunft  ein  altes 
Brigantennest  Sonnino  aufgehoben 
und  seine  Einwohnerschaft  in  die 
Engelsburg  gebracht  worden  war,  bot 
sich  ihm  bequeme  Gelegenheit,  hier 
seine  Studien  zu  machen.  Die  Bilder  aus  dem  Brigantenleben,  die  er 
Anfangs  der  20er  Jahre  componirte,  fanden  bald  beneidenswerthen  Ab- 
satz. »Lieber  Herr  Robert»,  sagten  die  vornehmen  Fremden,  die  zu 
Dutzenden  sein  Atelier  besuchten,  »einen  kleinen  Banditen,  wcnn’s  ge- 
fällig ist«.  Räuber  mit  sentimentalen  Anwandlungen  waren  besonders 
geschätzt,  etwa  in  dem  Moment,  wo  sie  sanft  mit  ihrer  Gattin  kosen, 
reuig  zu  Gott  beten  oder  am  Bett  des  kranken  Kindes  wachen.  Von 
den  Briganten  ging  er  zu  den  Mädchen  von  Sorrent,  Frascati,  Capri  und 
Procida,  zu  Hirtenknaben,  Fischern,  Pilgern,  Eremiten  und  PifFerari 
über.  Die  Ausstellung,  die  er  mit  einer  Anzahl  dieser  kleinen  Bilder 
Anfangs  der  20er  Jahre  in  Rom  veranstaltete,  arbeitete  seinem  Rufe 
erfolgreich  vor,  und  als  er  1824 — 31  eine  Reihe  grösserer  Gemälde 
in  den  Pariser  Salon  schickte,  ward  er  einer  der  glänzendsten  Meister 
der  französischen  Schule,  dem  die  Romantiker  gleichen  Beifall  wie 
die  Classicisten  zollten.  In  dem  ersten  von  1824  hatte  er  eine  An- 
zahl Landleute  dargestellt,  die  den  von  den  Klängen  einer  Harmonika 
begleiteten  Improvisationen  eines  neapolitanischen  Fischers  lauschten. 
Die  »Rückkehr  von  der  Pilgerfahrt  zur  Madonna  dell  Arco«  1827 
zeigte  einen  mit  Ochsen  bespannten  Triumphwagen,  auf  dem  laub- 
geschmückte Burschen  und  Mädchen  in  bunten  sonntäglichen  Ge- 
wändern sassen.  Ein  alter  Lazzaronc  spielte  die  Mandoline,  Mädchen 
tanzten  zum  Tamburin,  ein  Bursche  schlug  hüpfend  die  Castagnettcn, 
zwei  Knaben,  um  die  Lebensalter  voll  zu  machen,  eröffneten  den  Zug. 
Sein  drittes  Bild,  die  »Ankunft  der  Schnitter  in  den  pontinischen 


124 


XX.  Italien  und  der  Orient 


Robert:  Rückkehr  von  der  Pilgerfahrt  \ur  Madonna  dell'  Arco. 


Sümpfen«  war  neben  Delacroix’  »Freiheit«  das  Hauptwerk  des  Sa- 
lons von  1831.  Heine  widmete  ihm  eine  classische  Beschreibung 
und  die  orthodox  academische  Kritik  spendete  das  unverdienteste 
Lob,  indem  sie  den  Maler  als  gefährlichen  Revolutionär  behandelte, 
der  die  Kunst  in  die  unwürdigen  naturalistischen  Bahnen  eines  Ri- 
bera und  Caravaggio  zurückleite.  Robert,  den  braven,  lammfrommen 
Mann,  der  heute  nur  als  gewissenhafter  Ausläufer  der  Davidschule 
erscheint! 

Wie  wenig  decken  sich  die  Kunstprincipien,  die  er  in  seinen 
Briefen  niedergelegte,  mit  seinen  Bildern!  »Ich  suche«,  schrieb  er 
1819  einem  Freund,  »in  Allem  der  Natur  zu  folgen.  Das  ist  der 
einzige  Meister,  den  man  hören  darf.  Sie  allein  inspirirt  und  be- 
wegt mich,  sie  allein  spricht  mich  an,  sie  ist  es,  die  ich  zu  er- 
gründen suche  und  bei  der  ich  immer  eigcnthümliche  Anregungen 
zu  finden  hoffe«.  Sie  ist  ihm  ein  Wunder,  grösser  als  alle  anderen, 
ein  Buch,  worin  die  »Einfältigen  wie  die  Grossen  lesen«;  er  begriff 
es  nicht,  »wie  sich  die  Maler  die  alten  Meister  zum  Muster  nehmen 
mochten,  statt  jener,  die  doch  allein  das  echte  Vorbild  seil«  Was 
man  in  seinen  Bildern  sicht,  ist  nur  ungeschickte  Uebertragung 
der  David’schen  Anschauungs-  und  Darstellungsweise  auf  den  ita- 


XX.  Italien  und  der  Orient 


125 


Robert:  Die  Ankunft  der  Schnitter  in  den  pontinischen  Sümpfen. 


Herrischen  Bauern,  eine  ängstliche  Anpassung  classischer  Regeln  auf 
romantische  Gegenstände.  Er  betrachtete  die  modernen  Italiener 
lediglich  durch  das  Prisma  der  antiken  Statue  und  führt  auf  diese 
Weise  in  ein  Italien  ein,  das  man  nur  Leopold  Roberts  Italien  nennen 
kann,  da  es  nie  auf  einer  andern  als  Roberts  Landkarte  existirte. 
Alle  seine  Personen  haben  das  Bewegungsmotiv  irgend  eines  bekannten 
Werks  der  antiken  Plastik  und  im  Gesicht  den  Ausdruck  jener  be- 
liebten Melancholie,  über  die  seit  Ary  Scheffer  die  Mode  längst  hin- 
weg schritt.  Nirgends  eine  zufällige,  naiv  frische,  der  Situation  ent- 
sprechende Bewegung.  Man  glaubt,  er  habe  antiken  Statuen  oder 
Davids  Horaziern  und  Sabinerinnen  italienische  Volkstrachten  an- 
gezogen und  sie  nach  den  in  Paris  erlernten  Compositionsregeln  vor 
einem  Coulissenhintergrund  zum  lebenden  Bilde  aufgebaut.  Seine 
Bauern  und  Fischer  machen  sämmtlich  schöne,  edle  oft  grossartige 
Stellungen.  Aber  man  kann  genau  angeben,  welch  akademischer 
Regel  zu  Liebe  diese  Figur  hier  und  nicht  dort,  so  und  nicht  anders 
steht.  Seine  Bilder  affektiren  viel  zu  officiell  und  aufdringlich  die 
beliebte  Compositionsform  der  Pyramide.  Und  da  sie  italienische 
Sittenbilder  sein  sollen,  tritt  der  Contrast  zwischen  der  Natur  und 
dem  künstlichen  Aufbau  fast  noch  störender  als  bei  Davids  mytho- 


XX.  Italien  und  der  Orient 


i 2 6 


Schnell:  Gelübde  an  die  Madonna. 


logischen  Darstellungen  hervor.  Hs  ist,  als  habe  Robert  überhaupt  nie 
italienische  Bauern  gesehen,  deren  Leben  er  zu  schildern  behauptet. 
Die  harten  Silhouetten  und  der  scharfe  Bronzeton  seiner  Werke  sind 
ein  erschreckender  Beleg  dafür,  bis  zu  welchem  Grade  in  der  David- 
schule der  coloristische  Sinn  erstarb.  Nur  die  Form  zog  ihn  an;  die 
Sonne  Italiens  Hess  ihn  gleichgültig.  Die  Abwesenheit  aller  Luft  gibt 
seinen  Figuren  das  Aussehen,  als  seien  sie  aus  Bilderbogen  geschnitten. 
O grosse  Künstler  von  Holland,  Meister  der  liebkosenden  Atmosphäre 
und  des  in  Luft  gebadeten  Conturs,  was  hättet  ihr  zu  so  herzlosen 
Ausschnitten  gesagt.  Robert  war  in  seiner  Jugend  Linienkupferstecher 
gewesen  und  hat  die  prosaische  Technik  des  Linienkupferstichs  auch 
auf  die  Malerei  übertragen.  Er  war  ein  Uebergangsmaler,  der  als 
solcher  historisches  Interesse  hat,  ein  moderner  'I’asso,  der  wegen 
seines  abenteuerlichen  Verhältnisses  zur  Prinzessin  Charlotte  Napoleon, 
das  ihn  schliesslich  zum  Selbstmord  trieb,  als  Romanfigur  gut  zu  ver- 
wenden wäre.  Sein  Künstlerstern  ist  mit  dem  Sturz  der  Davidschule 
verblasst  — ein  neuer  Beweis  für  die  alte  Lehre  der  Kunstgeschichte, 
dass  nur  die  Natur  ewig  ist,  die  conventioneile  Malerei  aber  in  Ver- 
gessenheit geräth  mit  der  Zeit,  die  sie  hat  entstehen  sehen.  »Ich 
habe  ein  Genre  suchen  wollen , das  man  noch  nicht  kannte,  und 
dieses  Genre  hat  gefallen.  Hs  ist  immer  ein  Vortheil  der  erste  zu 
sein«;  mit  diesen  Worten  hat  er  selbst  ebenso  bescheiden  wie  richtig 


XX.  Italien  und  der  Orient 


127 


Hebett:  Malaria. 


bezeichnet,  worauf  sich  sein  Ruf  bei  seinen  Zeitgenossen  gründete  und 
weshalb  auch  die  Kunstgeschichte  ihn  nicht  ganz  vergessen  darf. 

Aus  dem  grossen  Schwarm  derer,  die  durch  Roberts  glänzende 
Erfolge  angeregt,  nun  die  spanische  Treppe  in  Rom  zur  Basis 
ihrer  Kunst  machten,  wusste  besonders  Victor  Schnctz  durch  sein 
»Madonnengelübde«  von  1831  die  Gunst  des  Publikums  zu  erringen. 
Seine  späteren  Lieblingsthemen  waren  Kinderbegräbnisse,  Ueber- 
schwemmungen  und  dergleichen,  zu  deren  sentimental  melanchol- 
ischem Inhalt  die  trockene  Art  seiner  Malerei  einen  wenig  angenehmen 
Contrast  bildet.  Erst  Ernest  Hebert  sah  Italien  mit  den  Augen  des 
Malers.  Man  möchte  ihn  den  Perugino  dieser  Gruppe  nennen.  Er 
war  der  romantischste  unter  den  Schülern  Delaroches,  ihm  verdankte 
er  seine  coloristische  Anschauung.  Sein  geistiger  Vater  war  Ary 
Scheffer.  Jener  hat  die  Poesie  der  Sentimentalität,  Hebert  die  Poesie 
der  Krankheit  erfunden.  Seine  Bilder  sind  stets  technisch  von  grosser 
Feinheit.  Sein  Stil  hat  etwas  weiblich  Graziöses,  fast  Weichliches,  sein 
Colorit  etwas  fein  Duftiges,  zart  Verschwommenes.  Er  ist  ein  delicater 
Künstler,  der  einen  Platz  für  sich  einnimmt,  so  manierirt  die  Melan- 
cholie und  Krankhaftigkeit  seiner  Gestalten  sein  mag.  In  der  Malaria« 


128 


XX.  Italien  und  der  Orient 


von  1850  war  sic 
durch  den  Stoff  mo- 
tivirt.  Diese  Barke, 
die  mit  Männern, 
Weibern  undKindern 
über  die  Gewässer  der 
pontinischen  Sümpfe 
segelt,  erscheint  wie 
ein  düsteres  Symbol 
der  Lebensreise;  die 
Trauer  der  Dahin- 
fahrenden ist  die  der 
Ergebung,  sterbend 
wie  welkende  Blumen 
neigen  die  Menschen 
das  Haupt.  Aber  spä- 
ter wurde  das  Fieber 
bei  Hebert  epide- 
misch. Die  interes- 
sante Kränklichkeit 
kehrte,  auch  wo  sie 
gar  nicht  hinpasste, 
selbst  noch  in  den 
Bildern  seiner  Nachfolger  wieder.  Es  erging  den  Italienmalern  wie 
den  Touristen.  Was  Robert  als  der  Erste  in  dem  Lande  gesehen, 
sahen  ganze  Generationen  nach  ihm,  nicht  mehr  noch  weniger.  Die 
Bilder  waren  immer  Variationen  über  das  alte  Thema,  bis  in  den 
60er  Jahren  Bonnat  mit  eigenen  realistischen  Augen  kam. 

ln  Deutschland,  wo  sich  die  »Sehnsucht  nach  Italien  ebenfalls 
seit  Wackenroders  » Herzcnsergiessungen « in  einer  Unmasse  lyrischer 
Gedichte  Luft  machte,  vertritt  August  Riedel  diese  Phase  der  modernen 
Malerei,  und  da  Leopold  Robert  noch  berühmt  ist.  darf  auch  Riedel 
nicht  vergessen  werden.  Riedel  lebte  zu  lange  (von  1800 — 1883) 
und  da  er  in  seinen  letzten  30  Jahren  nur  noch  schlechte  Bilder 
malte,  vergass  man,  was  er  in  seiner  Jugend  geleistet.  Damals  war 
er  der  erste  Apostel  Leopold  Roberts  in  Deutschland  und  als  solcher 
von  bahnbrechender  Bedeutung.  Als  er  1819  seine  Laufbahn  an 
der  Münchener  Akademie  begann , war  dort  noch  Peter  Langer, 
der  Classicist  Mengs’scher  Marke,  Director.  Auch  Riedel  malte 


XX.  Italien  und  der  Orient 


129 


classicistische  Histo- 
rien und  Kirchen- 
bilder, einen  Chri- 
stus auf  dem  Oel- 
berg, eine  Auferweck- 
ung des  Lazarus,  Pe- 
trus und  Paulus,  die 
den  Lahmen  heilen. 

Doch  als  er  1823 
nach  Italien  gekom- 
men, machte  er  den 
entgegengesetzten 
Weg  als  die  Andern : 
das  classische  Land 
befreite  ihn  vom 
Classicismus  und  er- 
schloss ihm  das  Auge 
für  die  Schönheit  des 
Lebens.  Statt  Lang- 
er’ scher  Heiligen  mal- 
te er  schöne  Frauen 
in  der  malerischen 
Tracht  des  modernen 
Italien.  Seine  neapolitanische  Fischerfamilie  war  für  Deutschland  eine 
ähnliche  Offenbarung,  wie  Roberts  neapolitanischer  Improvisator  für 
Frankreich.  Der  Marinaro,  ein  wenig  theatralisch  drapirt,  sitzt  auf 
der  Erde,  Frau  und  Töchterchen  lauschen  seinem  Zitherspiel.  Das 
blaue  Meer  mit  den  weissen  Segeln,  das  ferne  Ischia  und  Cap  Missenc 
bilden  den  Hintergrund ; ein  von  weissen  Wölkchen  belebter  Azur- 
himmel wölbt  sich  darüber.  Alles  war  von  sehr  conventioneller 
Schönheit,  doch  gegenüber  Robert  ein  Fortschritt.  Es  kündigte 
sich  schon  jenes' Suchen  nach  glänzenden  Lichtwirkungen  an,  das 
seitdem  für  Riedel  bezeichnend  wurde  und  ihm  eine  Sonderstellung 
innerhalb  seiner  Zeit  an  weist.  »Selbst  erfahrene  Kenner,  schrieb  da- 
mals Emil  Braun  aus  Rom,  standen  rathlos  vor  diesen  coloristischen 
Zaubereien.  Es  dauerte  oft  lange,  bis  sie  sich  überzeugen  konnten, 
dass  eine  solche  Farbenpracht  auf  dem  Wege  der  Allen  bekannten 
Oelmalerei  und  mit  denselben  Stoffen  hervorgebracht  sei,  die  jeder 
beim  Farbenhändler  käuflich  erhalten  kann«.  Riedel  berührte,  ob- 


Riedel:  Badende  Mädchen. 


Muthcr,  Moderne  Malerei  II. 


9 


XX.  Italien  und  der  Orient 


I 30 

wohl  schüchtern , ein  Problem,  das  in  seinem  ganzen  Umfang  erst 
viel  später  aufgenommen  wurde,  und  wenn  Cornelius  ihm  sagte: 
»Sie  haben  vollkommen  erreicht,  was  ich  mein  Leben  lang  mit 
grösster  Anstrengung  vermieden  habe« , so  sind  Riedels  sonnen- 
lichtumsponnene Italienerinnen  trotz  ihres  stereotypen  Sichel’schen 
Lächelns  doch  galeriefähiger  als  die  Bilder  des  Münchener  Michel- 
angelo geblieben.  Vor  seiner  »Neapolitanischen  Fischerfamilic«,  die 
wie  eine  Melodie  aus  Aubers  »Stumme  von  Portici  die  Runde  durch 
die  Welt  machte,  vor  seiner  Judith,  die  im  hellsten  Morgenlicht  das 
Haupt  des  Holofernes  trägt,  vor  seinen  Badenden  Mädchen  im  Waldes- 
dunkel und  vor  seiner  »mit  raffinirten  Lichteffekten«  gemalten  Sakun- 
tala  schmollten,  grollten  und  zeterten  die  Cartonmaler  über  Ent- 
weihung der  deutschen  Kunst  in  denselben  hohen  Tonlagen,  als 
Riedels  Freunde  dessen  Farbenhexereien,  den  »südlichen  Sonnenglanz, 
den  er  auf  die  Palette  genommen  unbegreiflich  herrlich  fanden. 
Heute  wird  es  auch  bei  ihm  schwer,  seinen  einstigen  Ruhm  als 
»coloristischer  Feuerwerker«  zu  verstehen.  Immerhin  sichern  ihm 
seine  lange  vor  dem  Auftreten  der  Belgier  in  Deutschland  selbständig 
gewonnenen  coloristischen  Resultate  eine  feste  Stelle  in  der  Ge- 
schichte der  deutschen  Kunst  und  vererbten  sich  unvermerkt  auf  seine 
Nachfolger,  ohne  dass  sie  ferner  des  Bahnbrechers  und  Urhebers 
gedachten. 

Diesen  Italienern  stehen  als  zweite  Gruppe  der  Reisenden  die 
gegenüber,  die  den  Orient  mit  seiner  klaren  Lichtfülle,  seinen  inter- 
essanten Menschen  und  malerischen  Ocrtlichkciten  schilderten.  Schon 
Gros  hatte  der  französischen  Kunst  den  Ausblick  in  das  ferne 
Wunderreich  eröffnet,  aber  keine  direkten  Nachfolger  gefunden.  Die 
Maler  waren  noch  zu  sehr  in  classicistischen  Neigungen  befangen, 
als  dass  Napoleons  ägyptische  Expedition  ihnen  Anregungen  hätte 
geben  können.  Erst  die  Reisen  Chateaubriands  und  die  Verse  Byrons, 
dann  der  griechische  Befreiungskampf  und  besonders  die  Eroberung 
Algiers  lenkten  von  Neuem  das  Interesse  auf  diese  Gegenden  und 
wiesen  nun,  nachdem  die  Revolution  der  Romantiker  vorausgegangen, 
der  Kunst  in  das  Morgenland  den  Weg.  Buchdrucker,  Journalisten 
und  Maler  befanden  sich  bei  der  Armee.  Der  erste  Anblick  der 
Männer  und  Frauen  am  Strande  in  ihren  prächtigen  Trachten,  mit 
hohen  Filzhüten  oder  Turbans,  mit  schwarzen  Sklaven,  auf  kost- 
bar gesattelten  Pferden,  bei  Trommelwirbel  und  Muezzinrufen  von 
den  Minarets,  wirkte  wie  ein  Schauspiel  aus  Tausend  und  Eine 


XX.  Italien  und  der  Orient 


I 31 


Nacht«.  Man  besuchte  die  Bazare, 
die  Harems,  die  Kasernen  der  Jani- 
tscharen  und  die  dunkeln  Kerker. 

Man  sah  die  verschleierten  Frauen 
und  die  geheimnissvoll  schweig- 
samen Häuser.  Die  Mauren,  durch 
die  strengen  Vorschriften  des  Ko- 
ran gebunden,  flohen  Anfangs  vor 
den  Malern,  wie  vor  bösen  Geistern, 
aber  die  maurischen  Frauen  öffneten 
den  Siegern  um  so  freudiger  die 
Arme.  Die  Künstler  stürzten  sich 
voll  Begeisterung  in  die  neue  Welt, 
wuschen  sich  mit  Rosenöl  und  kosteten  die  Süssigkeit  des  horizontalen 
Lebens  in  allen  seinen  Consequcnzcn.  Der  Orient  wurde  für  die  byron- 
ischen  Geister  von  1830,  was  Italien  für  den  Classicismus  gewesen. 
Was  Hess  sich  Romantischeres  denken!  Man  stieg  in  ein  Dampfschiff 
mit  allem  modernen  Comfort,  mit  allen  Mechanismen  des  19.  Jahr- 
hunderts, fuhr  durch  den  Golf  der  Jahrtausende  und  setzte  seinen  Fuss 
auf  ein  Erdreich,  wo  es  das  Wort  Fortschritt  nicht  gab,  in  ein  Land, 
dessen  Einwohner  wie  festgenagelt  noch  in  denselben  Costiimen  in 
der  Sonne  sassen,  wo  ihre  Vorfahren  vor  2000  Jahren  gesessen. 
Hier  fanden  die  Romantiker  nicht  nur  eine  farbenprangende  Natur, 
die  ihrer  coloristischen  Begierde  entgegenkam,  sie  entdeckten  auch 
einen  Menschenschlag  von  derselben  Schönheit,  die  nach  der  Lehre 
der  Classicisten  nur  noch  der  italienische  Bauer  besass.  Sie  sahen 
»Menschen  von  angeborener  Würde  und  merkwürdigem  Adel  in 
Stellungen  und  Gesten«.  Damit  war  ein  weiteres  Stück  Leben  ge- 
wonnen. Und  der  Orient,  wo  Pracht  und  Einfachheit,  Schönheit 
und  Grausamkeit,  sanfte  Stimmung  und  wilder  Ernst,  glänzende 
Farbe  und  blendendes  Licht  inniger  als  irgendwo  sich  mengen,  wo 
aus  Schmutz  und  Elend  der  Reichthum  an  Ton,  aus  verkommenen 
Sitten  der  Glanz  früherer  Tage,  aus  verfallenden  Dörfern  versunkene 
Künstlerherrlichkeit  lacht,  er  war  so  gross,  so  unergründlich  und 
märchenhaft,  dass  er  Jedem  Gelegenheit  gab,  andere  Eigenschaften 
in  ihm  zu  entdecken. 

Für  Delacroix,  den  Byron  der  Malerei,  war  er  eine  prächtige 
Dccoration  für  die  Leidenschaft  in  ihrer  Rücksichtslosigkeit  und  unge- 
fesselten  Wildheit.  Er,  der  bisher  ausschliesslich  in  der  Vergangen- 


/ 


Alexandre  Decamps. 


1 32 


XX.  Italien  und  der  Orient 


De camps:  Die  Schweinehirlin. 

heit  gelebt,  ging  nun  — in  seinen  »Frauen  von  Algier«,  seiner 
»jüdischen  Hochzeit«,  dem  »Kaiser  von  Marokko«  und  den  »Con- 
vulsionären  von  Tanger«  — dazu  über,  seine  Beobachtungen  an 
lebenden  Menschen  zu  machen.  Auch  bei  diesen  Orientalen  fand 
er  die  heisslodernde  Sinnlichkeit  und  urwüchsige  Wildheit,  die  seiner 
nach  Pathos  lechzenden  Phantasie  vorschwebte. 

Decamps,  der  grosse  Charmeur,  der  Meister  der  malerischen 
Caprice,  fand  im  Orient  seine  Welt,  weil  hier  die  Sonnenstrahlen 
so  leuchtend,  die  Figuren  so  malerisch,  die  Costümc  so  bunt  sind. 
War  Delacroix  ein  gewaltiger  Künstler,  so  war  Decamps  nur  Maler, 
ein  Maler  aber  bis  in  die  Fingerspitzen.  Nichts  war  ihm  gleichgültig 
in  der  Natur  und  Geschichte : er  begeisterte  sich  ebenso  an  zwei 
braunen  Betteljungen,  die  an  der  Ecke  einer  Mauer  im  Sonnenschein 
spielten,  wie  an  antiken  Epen  und  den  Gestalten  der  Bibel.  Er  hat 
auf  dem  Mist  pickende  Hühner  gemalt,  Hunde  auf  der  Jagd  und 
Hunde  im  Stall,  Affen  als  Gelehrte  und  Affen  als  Musiker  in  allen 
Situationen,  die  "Feniers  und  Chardin  liebten.  Seine  Schlacht  von 
Taillebourg  von  1837  ist  treffend  das  einzige  Schlachtenbild  des 
Versailler  Museums  genannt  worden.  Alles  war  ihm  Stoff  für  ein 
Bild,  nie  kümmerte  er  sich  darum,  wie  ein  anderer  Künstler  den 
Gegenstand  würde  aufgefasst  haben.  Aus  jedem  seiner  Werke  spricht 
eine  Individualität,  nicht  ersten  Ranges,  aber  sehr  liebenswürdig,  und 
das  weist  ihm  unter  seinen  Zeitgenossen  eine  sehr  hohe  Stellung  an. 


XX.  Italien  und  der  Orient 


1 33 


Decamps:  Die  Schule  ist  aus. 

Nachdem  er  1829  mit  einem  Phantasiebild  aus  dem  Orient  Er- 
folg gehabt,  wollte  er  sich  überzeugen,  inwieweit  die  Wirklichkeit 
seinem  Phantasietürkenthum  entspreche  und  unternahm  noch  in  dem- 
selben Jahr  — also  vor  Delacroix  — jene  Reise  nach  dem  griech- 
ischen Archipel,  nach  Constantinopel  und  Kleinasien,  die  für  die  fran- 
zösische Malerei  eine  Entdeckungsfahrt  wurde.  Der  Salon  von  1831 
brachte  seine  »Runde  von  Smyrna«,  die  ihn  mit  einem  Schlag  zu 
einem  Lieblingsmaler  des  damaligen  Frankreich  machte.  Bald  darauf 
folgte  der  Rundritt  des  Pascha  mit  den  magern,  keuchenden,  rennen- 
den Trabanten,  der  grosse  türkische  Bazar,  auf  dem  er  das  bunte, 
lärmende  Treiben  eines  orientalischen  Marktes  so  hübsch  schilderte, 
das  türkische  Kaffeehaus,  der  Halt  arabischer  Reiter,  die  türkische 
Schule,  der  türkische  Fleischerladen.  In  allem,  was  er  seitdem  schuf, 
auch  in  seinen  biblischen  Bildern , hatte  er  den  modernen  Orient 
vor  Augen.  Wie  Horacc  Vernet  malte  er  die  Figuren  im  Costüm 
moderner  Araber  und  Egypter  und  stellte  sie  in  Landschaften  mit 
modernen  arabischen  Bauten.  Aber  aus  den  grossen  Linien  dieser 
Landschaften  spricht  zugleich  etwas  so  Biblisches,  Patriarchalisches, 
eine  so  träumerisch  mystische  Poesie , dass  die  Gestalten  trotz  des 


134 


XX.  Italien'  und  der  Orient 


Marilbat:  Ruinen  der  Moschee  von  Kairo. 


modernen  Gewandes  wie  Visionen  aus  weiter  Ferne  erscheinen. 
Decamps’  Malerei  wurde  nie  trivial.  Alle  seine  Bilder  schmeicheln 
und  nehmen  das  Auge  ein,  so  sehr  sie  auf  den  ersten  Blick  die  Er- 
wartung täuschen,  welche  ältere  Beschreibungen  erweckten.  Dela- 
croix, sagte  man  vor  50  Jahren,  malt  mit  Farbe,  Decamps  mit  Licht, 
man  ist  bei  ihm  wie  in  einem  Sonnenbad.  Diese  Transparenz  der 
Atmosphäre,  das  Vibriren  des  Lichts,  das  die  Zeitgenossen  bewunder- 
ten, sucht  man  an  Decamps’  Bildern  vergeblich.  Man  bewundert  die 
Bravour  der  Mache,  aber  ein  Lichtmaler  war  er  nicht.  Die  Welt 
des  Sonnenscheins,  in  den  alles  getaucht  ist,  das  Schimmern  und 
Glühen  der  Dinge  in  flüssiger,  glänzender,  zitternder  Luft  lernte 
erst  ein  Menschenalter  später  Gustave  Guillaumet  malen,  Decamps  er- 
reichte die  Lichtwirkung  seiner  Bilder  noch  im  Sinne  der  alten 
Schule  durch  Verdunkeln  der  Schatten.  Damit  der  Himmel  hell 
erscheine,  hüllte  er  den  Vordergrund  in  undurchsichtige  Schwere, 
und  da  in  Folge  des  Bolusgrundes,  den  er  zur  Erzielung  seiner 
schönen  rothen  Töne  anwendete,  die  dunkeln  Partien  seiner  Bilder 
allmählig  pechschwarz,  die  hellen  fleckig  und  todt  wurden,  will 
er  weit  mehr  als  Zeitgenosse  Albert  Cuyps  wie  als  solcher  Manets 
erscheinen. 


XX.  Italien  und  der  Orient 


HS 


Marilliat,  der  dritte  der 
Orientalisten,  war  als  Zeichner 
eines  deutschen  Barons,  der  eine 
wissenschaftliche  Reise  nach  dem 
Orient  machte , früh  in  diese 
Laufbahn  gekommen.  Er  besuchte 
Griechenland,  Kleinasien,  Aegypten 
und  kehrte  berauscht  von  all  den 
Schönheiten  dieser  Länder  1833 
nach  Paris  zurück.  Aegypten  be- 
sonders lag  ihm  am  Herzen , so 
dass  er  sich  in  seinen  Bildern 
»der  Aegypter  Marilhat«  nannte. 

Decamps  ward  in  der  oriental- 
ischen Natur  von  dem  scharfen 
Contrast  der  Lichter  und  Schatten, 
von  der  gewaltsamen  Farbenpracht  der  Vegetation  und  der  tropischen 
Gluth  des  südlichen  Himmels  geblendet.  Marilhat  sah  das  Neue  mit 
ruhigerem  Auge  und  näherte  sich  der  schlichten  Wirklichkeit.  Er 
ist  weniger  virtuos,  weniger  kühn  coloristisch  als  Decamps,  aber 
vielleicht  poetischer,  und  wurde  deshalb  in  den  Jahren  1833— 44  fast 
mehr  als  jener  geschätzt.  Die  Ausstellung  von  1844,  auf  der  er  mit 
acht  Bildern  erschien,  bedeutete  zugleich  das  Ende  seiner  Laufbahn. 
Er  hatte  das  Kreuz  der  Ehrenlegion  erhofft  und  bekam  es  nicht,  was 
den  ehrgeizigen  Mann  erst  zur  Melancholie,  dann  zum  Wahnsinn 
führte.  Sein  früher  Tod  — er  starb  im  Alter  von  36  Jahren 
befreite  Decamps  von  einem  tüchtigen  Rivalen. 

Auf  Marilhats  Wege  ging  Eugene  Fromentin  weiter.  Bei  ihm  ist 
von  der  Vorliebe  für  die  glühenden  Farben  der  Tropen  und  von 
dem  phantastischen  Colorit  der  Romantiker  gar  nichts  mehr  übrig. 
Er  malte  im  Geist  einer  verfeinerten  gesellschaftlichen  Periode,  in 
der  man  kein  lautes  Schreien , nur  noch  leichte  Causerien  vertrug. 
Seine  Eleganz  gab  ihm  der  Orient ; die  stolze  und  feurige  Natur  des 
arabischen  Pferdes  enthüllte  sich  ihm.  Fromentin  sieht  in  seinen 
Porträts  wie  ein  Cavallerieoffizier  aus.  Juristische  Studien  hatten 
ihn  in  seiner  Jugend  beschäftigt,  bevor  ihm  der  Verkehr  mit  dem 
Landschafter  Cabat  seinen  Beruf  entdeckte  und  ein  dreimaliger  Auf- 
enthalt an  den  Grenzen  Marokkos  1845,  1848  und  1852  seine 
Specialität  bestimmte.  Durch  die  in  der  Revue  des  deux  inondes 


Eugene  Fromentin. 


XX.  Italien  und  der  Orient 


erschienenen  Reiseschilder- 
ungen »Ein  Jahr  in  Sahel«, 
wurde  er  als  Schriftsteller, 
erst  später  — seit  1857  — als 
Maler  bekannt.  Fromentins 
Orient  ist  Algier.  Während 
Marilhat  die  wunderbare 
Klarheit  des  südlichen  Lich- 
tes zu  fassen  suchte,  Decamps 
die  glühende  Hitze  des  Mor- 
genlandes, das  finstere  Brü- 
ten seines  Himmels  in  den 
schwülen  Stunden  des  Som- 
mers und  die  grandiosen  Sil- 
houetten seiner  Landschaft 
schilderte,  hat  L'romentin 
mit  vielleicht  zu  viel  System 
die  Grazie  und  den  Esprit 
des  Orients  gesucht.  Ge- 
schmack, Feinheit,  distin- 
guirtes  Colorit , geschmei- 
dige, elegante  Zeichnung  sind  seine  Eigenschaften.  Seine  galoppir- 
enden  Araber  auf  ihren  schönen  Schimmeln  sind  von  unnachahm- 
licher Noblesse,  wahre  Fürsten  in  jeder  Bewegung  und  Stellung. 
Dabei  ist  die  Ausführung  seiner  Bilder  stets  geistreich,  leicht  und 
chevaleresk.  Was  er  gibt,  wirkt  nervös  wie  eine  Skizze  und  hat 
doch  jenen  Grad  der  Vollendung,  die  den  Amateur  befriedigt.  Immer 
sieht  man  ein  kokettes  Farbenbouquet  und  feine,  leichte,  wenn  auch 
nicht  tiefe  Töne.  Seine  kleinen  arabischen  Reiter  wirken  in  der 
Landschaft  wie  Blumen  auf  einem  Teppich. 

Fromentin  wurde  wegen  dieser  Koketterie  später,  als  der  Natural- 
ismus im  Zenith  stand,  sehr  angegriffen.  Man  warf  ihm  vor,  dass  er 
nur  die  Augen  kitzle,  dass  man  Alles  bei  ihm,  nur  keine  Wahrheit 
finde.  Und  an  Wahrheitsgehalt  ist  Fromentins  Orient  gewiss  nicht 
sehr  ernst  zu  nehmen.  Ein  feingebildeter  Mann,  hatte  er  schon  in 
seiner  Jugend  weniger  die  Natur  als  die  alten  Holländer  studirt  und 
sah  auch  das  Licht  des  Orients  in  holländischem  Helldunkel.  Seine 
Bilder,  raffinirte  Kunststücke  von  nervöser  Zeichnung  und  blendender, 
geistreicher  Mache,  sind  mehr  hingewischt  als  gemalt,  mehr  gefärbt 


136 


Fromentin:  Falkenbeize  in  ^Algier. 


XX.  Italien  und  der  Orient 


als  farbig.  Er  selbst  spricht 
in  seinem  Buch  von  den 
grauen,  kühlen  Schatten  des 
Orients.  In  seinen  Bildern 
werden  sie  zu  röthlichen 
oder  braunen.  Ein  Suchen 
nach  dem  schönen  Ton  ver- 
weichlichte vielfach  seine 
arabischen  Scenen.  Er  be- 
trachtete die  Menschen  des 
Orients  mit  zu  pariserischen 
Augen.  Je  mehr  seine  Reise- 
erinnerungen verblassten, 
um  so  mehr  begann  er,  sich 
eine  Art  Phantasieafrika  zu 
schaffen.  Er  malte  graue 
Himmel,  nur  weil  er  der 
blauen  müde,  malte  Schim- 
mel mit  rosa,  Füchse  mit 
lila,  Apfelschimmel  mit  vio- 
letten Reflexen.  Es  kam 
immer  mehr  gesuchte  Gra- 
zie in  seine  Werke,  bis 
sie  schliesslich  statt  orientalischen  Bildern  Pariser  Galanteriewaaren 
glichen,  die  nur  daran  erinnerten,  dass  Algier  eine  französische  Stadt 
geworden. 

Aber  was  liegt  daran,  ob  Bilder  aus  dem  Orient  authentisch 
sind;  solche  Documente  können  Andere  liefern,  die  nicht  Eromentin 
heissen.  Fromentin  hat  in  seinen  Werken  sich  selbst  gegeben,  das 
ist  genügend.  Man  nehme  sein  erstes  Buch  »L'ete  dans  la  Sahara« 
zur  Hand  — es  behauptet  an  Eleganz  des  Stils  einen  Platz  in  der 
französischen  Literatur.  Man  lese  sein  classisches  Hauptwerk  »Les 
maitres  d’autrefois«,  das  er  1876  nach  einer  Reise  durch  Belgien  und 
Holland  veröffentlichte  — es  wird  immer  eines  der  feinsten,  je  über 
Kunst  geschriebenen  Bücher  bleiben.  Ein  so  feinsinniger  Amateur, 
ein  Kritiker,  der  sich  mit  solcher  Delicatesse  in  die  Kunstwerke  Belgiens 
und  Hollands  versenkte,  wurde  nothwendig  auch  in  seiner  Malerei  ein 
Gourmd  schöner  Töne.  Dieser  Mann,  der  nie  eine  plumpe  Bewegung 
gemacht  oder  ein  brutales  Wort  gesprochen,  dieser  sensitive,  vornehme 


07 


Fromentin:  Kämpfende  Araber. 


XX.  Italien  und  der  Orient 


Geist  konnte  auch  als 
Maler,  wollte  er  wahr 
sein,  nur  ein  raffinir- 
ter  Künstler  werden, 
in  dessen  Auge  sich 
allein  das  Aristokra- 
tische des  Orients 
spiegelte.  Seine  aus 
Grazie  und  Vornehm- 
heit zusammengesetz- 
te Kunst  war  das  Pro- 
dukt seiner  selbst.  Kr 
ist  ein  Nachkomme 
jener  zart  weiblichen, 
verführerisch  geistrei- 
chen, leicht  improvi- 
sirenden,  reizend  witz- 
igen Maler,  die  im  18. 
Jahrhundert  peintres 
des  fetes  galantes  ge- 
nannt wurden.  Er  ist 
der  Watteau  des  Orients  und  in  dieser  Eigenart  eine  der  bestrick- 
endsten, liebenswürdigsten  Erscheinungen  der  französischen  Kunst. 

Guillaumet  endlich,  der  jüngste  und  letzte  der  Gruppe,  fand  im 
Orient  die  Ruhe:  ein  Ausläufer  der  Romantiker  und  zugleich  ihr 
Antipode.  Während  jene  als  Söhne  einer  schlaffen,  thatlosen  Zeit 
sich  an  der  Leidenschaft  und  Wildheit  des  Orients  begeisterten, 
suchte  Guillaumet  als  Kind  einer  hastenden,  nervös  schaffenden 
Epoche  hier  Beruhigung  für  seine  Nerven.  Wo  jene  Contraste  sahen, 
fand  er  die  Harmonie,  nicht  mehr  wie  Fromentin  im  Sinne  des 
Chicismus:  die  Earbenanschauung  Manets  hatte  ihm  gelehrt,  dass 
die  Natur  selbst  überall  stimmt  und  harmonisch  fein  ist.  »Je  com- 
menee  ä distinguer  quelques  formes;  des  silhouettes  indecises  bougent 
le  long  des  murs  enfumes  sous  des  poutres  luisantes  de  sui.  Les 
details  sortent  du  demi  jour,  s’animent  graduellement  avec  la  magie 
des  Rembrandt.  Meine  mystere  des  ombres,  meines  ors  dans  les 
reflets  — c’est  l’aube  . . . Des  terrains  poudreux  inondes  de  soleil;  un 
amoncellement  de  murailles  grises  sous  un  ciel  sans  nuage;  une 
eite  somnolente  baign£e  d’une  lumiere  egale,  et,  dans  le  fnhnisscment 


XX.  Italien  und  der  Orient 


139 


Fromentin:  ^Arabisches  Lager. 


visible  des  atomes  aeriens  quelques  ombres  venant  ca  et  la  detacher 
une  forme,  accuser  un  geste  parmi  les  groupes  en  burnous  qui 
se  meuvent  sur  les  places  . . . tel  m’apparait  le  ksar,  vers  dix  heures 
du  matin  .... 

»L’oeil  interroge:  rien  ne  bouge.  L’oreille  ecoute:  aucun  bruit. 
Pas  un  souffle,  si  ce  n’est  le  fremissement  presque  imperceptible  de 
l’air  au  dessus  du  sol  embrase.  La  vie  semble  avoir  disparu,  absorbee 
par  la  lumiere.  C’est  le  milieu  du  jour  . . . Mais  le  soir  approche  . . . 
Les  troupeaux  rentrent  dans  les  douars;  ils  se  pressent  autour  des 
tentes,  ä peinc  visibles,  confondus  sous  cette  teinte  neutre  du  cre- 
puscule,  faite  avec  les  gris  de  la  nuit  qui  vient  et  les  violets  tendres 
du  soir  qui  s'en  va.  C’est  l’heure  mysterieuse,  oü  les  couleurs  se 
melent , oü  les  conturs  se  noient,  oü  toute  chose  s’assombrit,  oü 
toute  voix  se  tait,  oü  l’homme,  ä la  fln  du  jour,  laisse  flotter  sa 
pens6e  devant  ce  qui  s’eteint,  s’efface  et  s’evanouit«.  Diese  Be- 
schreibung eines  Tages  in  Algier  in  Guillaumets  »Tableaux  algeriens« 
erklärt  den  Maler  Guillaumet  besser,  als  kritische  Würdigung  es 
könnte.  Bei  ihm  ist  der  Orient  das  Land  des  Traumes  und  der 
Weichheit,  eine  weltentrückte  Villegiatur  für  Nervenkranke,  wo 


I-jO 


XX.  Italien  und  der  Orient 


man  behaglich  in  der 
Sonne  liegt  und  die 
Aufregungen  von  Pa- 
ris vergisst.  Nicht  das 
Glänzende,  Malerische 
funkelnder  Geschmei- 
de und  bunter  Costiime 
— das  Schweigen,  die 
hypnotische  Narkose 
des  Orients  zog  ihn 
an,  die  Weite  des  un- 
endlichen Horizonts, 
die  imposante  Majestät 
der  Wüste  und  gran- 
diose tiefe  Ruhe  der 
afrikanischen  Nächte. 
»Abendgebet  in  der  Wüste«  nannte  sich  das  erste  Bild,  das  er 
1863  mitbrachte.  Eine  weite,  unendliche  Ebene.  — Die  gerade 
Linie  des  Horizontes  nur  unterbrochen  von  den  Silhouetten  einiger 
Berge  und  den  Angehörigen  einer  Carawane,  deren  betend  hin- 
gekauerte Gestalten  sich  kaum  merklich  über  den  Boden  erheben. 
Wie  eine  Säule  steigt  der  Rauch  vom  Lagerplatz  in  die  Luft.  Man 
fühlt,  dass  die  Monotonie  des  Ortes  sich  nach  rechts  und  links  in  s 
Unendliche  ausdehnt,  ein  grossartig  ernstes,  den  menschlichen  Geist 
mit  religiöser  Betäubung  schlagendes  Nirwana.  Für  Decamps  und 
Marilhat  war  der  Orient  ein  grosser,  rother  Kupferblock  unter  blauer 
Stahlkuppel,  ein  schönes  Ungeheuer,  etwas  glitzernd  Glänzendes. 
Guillaumet  will  nicht  mehr  blenden.  Seine  Bilder  geben  den  Eindruck 
einer  grossen,  drückenden  Schwüle.  Das  Licht  ist  wirklich  bei  ihm 
»le  fremissement  visible  des  atomes  aeriens«.  Auch  nicht  mehr  wie 
Fromentin  das  Vornehme  des  Orients  sah  er.  Jenen  fesselte  der  No- 
made, der  Racearaber,  der  im  Zelt  und  auf  dem  Pferde  lebt,  auf  weissem 
Zelter  in  schönen,  blauen  und  grünen  Landschaften  Löwen  jagt  — der 
Adel  der  Wüste.  Arme  Leute,  die  nie  ein  Pferd  besessen  haben,  sind 
Guillaumets  Modelle.  Mit  ihren  Hunden,  wildlebenden,  bedürfnisslosen 
Thieren  kauern  sie  wie  mit  Verwandten  in  der  Sonne  — die  niedere, 
primitive  Bevölkerung,  die  Parias  der  Wüste:  zerlumpte  Männer,  deren 
lebenslange  Siesta  nur  der  Todeskampf  unterbricht,  animalische  Weiber, 
deren  Dasein  unnütz,  wie  im  Opiumrausch  hinfliesst. 


Guillaumet : Wohnung  in  der  Sahara. 


XX.  Italien  und  der  Orient 


I4I 


Guillaumel:  Orientalische  Strasse. 


Nachdem  die  französischen  Romantiker  vorausgegangen,  stellten 
dann  auch  die  andern  Nationen  ihr  Contingent  zu  den  Orientmalern. 
Auch  in  Deutschland  hatte  die  Poesie  den  Osten  entdeckt.  Rückert 
bewegte  sich  in  dem  Strophen  - und  Gedankenmaass  orientalischer 
Lyrik,  und  der  Freiheitskrieg  der  Griechen  erregte  die  ganze  leiden- 
schaftliche Liebe,  welche  in  der  Seele  des  Deutschen  für  den  Boden 
des  alten  Hellas  wohnt.  Wilhelm  Müller  sang  seine  Griechenlieder, 
Leopold  Schefer  liess  1825  seine  Novelle  »die  Persierin«  erscheinen. 
Aber  wie  die  orientalische  Novelle  in  unserer  Literatur  eine  Epi- 
sode blieb,  ein  fremdes  Reis  am  deutschen  Stamm,  so  sah  auch  die 
Orientmalerei  hier  keinen  führenden  Geist  erstehen , nur  eine  An- 
zahl guter  Soldaten,  die  mit  Pflichteifer  in  den  Schaaren  der  fremden 
Heerführer  dienten.  Mit  ethnographischen  Schilderungen  eröffnete 
der  Berliner  Kretzschmer  den  Reigen,  dem  später  der  Berliner  Wilhelm 
Gentz  und  der  Frankfurter  Adolf  Schreyer  sich  anschlossen.  Gentz, 
ein  sehr  geschickter  Maler  und  coloristisch  vielleicht  der  Begabteste 
unter  den  Berlinern  der  60er  Jahre,  erscheint  gegenüber  den  grossen 
Orientschilderern  Frankreichs  doch  als  recht  trockener  Realist,  der 
eine  gewisse  Derbknochigkeit  und  unruhige  Buntheit,  norddeutsche 


I42 


XX.  Italien  und  der  Orient 


Nüchternheit  und  Berliner  Witz  in  den  Orient  hineintrug.  Schreyer, 
noch  heute  in  Paris  lebend,  gehört  in  Fromentins  Nähe.  Auch  ihn 
interessirte  der  Araber  und  sein  Pferd.  Alles  spitzt  sich  in  seinen 
Bildern  zu  einem  blühenden,  das  Auge  bestechenden  Farbenbouquet 
zu.  Weisse  Pferde  bäumen  sich,  sträuben  die  Mähne,  blähen  die 
Nüstern,  Araber  in  reicher,  malerischer  Tracht  sitzen  darauf  oder 
liegen  am  Boden.  Rings  breitet  sich  in  wogenden  Sandwellen  die 
Wüste  aus,  bald  von  einem  bleichen  Horizont  umwölkt,  bald  von 
weicher  Abendsonne  bestrichen,  deren  Strahlen  golden  auf  den  Furchen 
der  Erde  spielen.  Schreyer  ist  — für  einen  Deutschen  — ein  ausser- 
ordentlicher Techniker  und  namentlich  in  seinen  Skizzen  von  packen- 
dem, sprühendem  Leben.  Erst  später  — nachdem  er  1875  mit  Lenbach 
und  Makart  in  Kairo  gewesen  — fand  der  Wiener  Leopold  Müller  unter 
dem  lichten  Himmel,  in  der  farbigen  Welt  des  Nillandes  die  Domäne 
seiner  Kunst.  Auch  seine  Skizzen  sind  oft  von  coloristischer  Deli- 
catesse,  und  die  ethnographische  Genauigkeit,  die  er  damit  verband, 
hat  ihn  lange  Zeit  zum  gesuchtesten  Schilderer  orientalischen  Lebens 
und  zu  einem  beliebten  Illustrator  ägyptologischer  Werke  gemacht. 
Mit  Geröme  theilt  er  das  Lehrhafte,  ein  wenig  Pedantische  seiner  Bilder, 
während  er  sich  durch  grösseren  farbigen  Reiz  mehr  Fromentin  nähert. 

Den  Engländern  wurde  durch  die  farbenglühenden  Landschaften 
William  Müllers  der  Weg  in  den  Orient  gewiesen,  doch  fand  sich  unter 
den  Malern  ebenfalls  kein  Bvron.  Frederick  GoQdall  studirte  dort 
das  classische  Element  und  suchte  aus  der  Gegenwart  die  Vergangen- 
heit zu  reconstruiren.  Am  bekanntesten  wurde  der  1876  verstorbene, 
früher  vielbesprochene  J.  F.  Lewis,  der  lange  Jahre  Kleinasien  durch- 
wandert und  dort  seine  Mappen  mit  Skizzen,  seine  Koffer  mit  oriental- 
ischen Gewändern  und  Waffen  gefüllt  hatte.  Als  er  zurückkam,  riss 
man  sich  um  seine  Bilder,  die  damals  den  Engländern  eine  neue  Welt 
erschlossen,  — heute  thut  man  es  nicht  mehr.  John  Lewis  war  sehr 
Heissig  und  gewissenhaft;  er  studirte  die  Geräthe,  Costüme  und  Yolks- 
typen  des  Orients  mit  unglaublichem  Fleiss.  In  seinen  Harembildern 
wie  in  seinen  Darstellungen  des  arabischen  Lagerlebens  ist  Alles  ge- 
malt bis  auf  die  Muster  der  Stickereien,  die  Ornamente  der  Turbans 
und  die  Kiesel  des  Sandes.  Selbst  seine  Aquarelle  sind  Triumphe  der 
Ausdauer  — nur  genügen  Geduld  und  Ausdauer  nicht,  einen  inter- 
essanten Künstler  zu  machen.  John  Lewis  steht,  auch  in  colorist- 
ischer Hinsicht,  etwa  auf  dem  Niveau  von  Gentz.  Er  hat  weder 
die  Würde  des  Muselmannes,  noch  die  Grazie  des  Beduinen  erfasst. 


XX.  Italien  und  der  Orient 


*43 


sondern  ist  bei  der  treuen , ein  wenig  schreienden  Wiedergabe  der 
Nebendinge  geblieben.  Erst  Houghton,  etwa  mit  Guillaumet  parallel 
gehend,  hat  die  grosse  Ruhe,  das  mystische  Schweigen  des  Orients 
zart  interpretirt. 

Von  Italienern  ist  Alberto  Pasini  zu  nennen,  der,  obwohl  in 
Verdis  Heimathsort  Busseto  bei  Parma  geboren,  sich  als  Künstler  voll- 
ständig der  Gruppe  der  französischen  Orientalisten  anschliesst.  1852 
nach  Paris  gekommen , ist  er  dort  geblieben  und  verlässt  es  nur, 
wenn  er  im  Sommer  das  hübsche  Landhaus  in  Moncalieri  bezieht, 
das  ihm  sein  Pinsel  in  der  Nähe  von  Turin  erworben.  Pasini  ist 
heute  ein  Veteran  der  italienischen  Malerei,  den  schon  die  Welt- 
ausstellung 1867  zum  Inhaber  der  grossen  Medaille  machte.  Er  ist 
ein  Stern  des  Kunsthandels,  aber  hat  sich  nie  vom  Erfolg  blenden 
lassen,  ist  stets  frisch  mitgegangen.  Man  hat  ihn  oft  mit  Fromentin 
verglichen,  doch  steht  er  auch  diesem  selbständig  gegenüber.  Algier, 
die  französische  Colonie,  die  Heimath  Fromentins,  ist  seine  Sache 
nicht.  Auch  nicht  Aegypten,  das  er  Geröme  und  dessen  Nachahmern 
überlässt.  Die  europäische  Türkei  und  Kleinasien  sind  seine  Domäne. 
Und  er  ist  in  diesen  türkischen  Bildern  weniger  Ethnograph  als 
Geröme,  auch  kein  so  eleganter  Figurenmaler  wie  Fromentin.  Die 
Landschaft  gibt  den  Grundton  seiner  Bilder.  Aus  weissen  Marmor- 
palästen, die  sich  schimmernd  in  der  Sonne  baden,  aus  den  prunk- 
vollen Sätteln  arabischer  Pferde,  den  eingelegten  Waffen  und  edelstein- 
geschmückten Turbanen  der  Orientalen,  aus  den  Silhouetten  weiter 
Moscheen  und  spitzer  Minarets,  die  breit  hingelagert  die  fleckenlose 
Reinheit  des  Horizonts  umsäumen  oder  sich  kokett  zum  blauen 
Himmel  emporstrecken,  aus  wandernden  Carawanen,  die  in  der  Ferne 
über  gelbe  Sandwüsten  langsam  dahinziehen,  arrangirt  er  seine  exqui- 
siten, eleganten  Bilder.  Die  kleinen  Figürchen,  mit  denen  er  sie  staffirt, 
sind  sehr  niedlich,  doch  seine  Hauptsorge  ist  das  Studium  der  zarten, 
transparenten  Luft,  der  subtilen  Veränderungen  des  Lichtes.  Nament- 
lich in  seinen  Aquarellen  bindet  er  oft  flimmernd  feine  Farbenbouquets 
zusammen.  Eine  Reihe  von  Ansichten  aus  Konstantinopel  enthält 
wohl  das  Gapriciöseste,  was  sein  geistreicher  Pinsel  geschaffen. 

Auch  der  Orient  war  somit  nach  allen  Richtungen  durchkreuzt. 
Die  Erstgekommenen,  die  ihn  mit  fieberhaft  erregten  Augen  sahen, 
hatten  gigantische  Legenden  da  gesammelt,  Träume  aufgehäuft,  ihm 
ein  grossartig  phantastisches  Leben  verliehen.  Sonnenbeglänzte  Wüsten 
und  sturmgepeitschte  Wogen,  nackte  Weiberkörper  und  alle  asiatische 


144 


XX.  Italien  und  der  Orient 


Pracht  des  Ostens:  dunkelrother  Atlas,  Gold,  Crystall  und  Marmor 
wurden  durcheinander  geworfen  und  in  schrecklichen  Farbenvisionen 
mitten  unter  Finsterniss  und  Blitzen  vorgeführt.  Nachdem  diese 
Generation  wie  ein  Gewittersturm  vorübergegangen,  fand  man  den 
Chicismus  Fromentins  köstlich.  Er  genoss  das,  was  die  andern  er- 
regt hatte.  Die  Maler  aller  Nationen  durchstreiften  den  Orient,  ohne 
Zweck  und  Ziel,  ohne  wilde  Leidenschaft,  bereit,  überall  exotische 
Blumen  zu  pflücken  und  kokett  ein  paar  Strahlen  vom  unbestimmten 
Flimmer  der  östlichen  Welt  zu  erhaschen.  Die  grossen  Dramen  ver- 
wandelten sich  in  Elegien,  in  Schäfergedichte,  Idyllen,  auch  trocken 
ethnographische  Schilderungen  gingen  nebenher.  Guillaumet  voll- 
endete das  Zeitalter.  Seine  träumerisch  zarte  Malerei  glich  den 
schönen  Sommerabenden.  Der  Glanz  des  blendenden  Himmelsdomes 
hat  sich  gemildert,  und  eine  ruhige  Sonne  am  Horizont  hüllt  die 
Sandflächen,  die  sie  Anfangs  mit  ihrer  Gluth  versengte,  harmonisch 
in  ein  Netz  rosiger  Strahlen  ein. 

Ausläufer  des  Romantismus  waren  sie  Alle.  Der  Drang  in  die 
Ferne,  der  die  Gemüther  erfüllte,  war  nur  ein  anderes  Symptom 
ihrer  Unzufriedenheit  mit  der  Gegenwart. 

Nachdem  der  Classicismus  mit  Hülfe  der  antiken  Statuen  die 
griechisch-römische  Geschichte  und  das  italienische  Bauernleben  be- 
handelt,  der  Romantismus  mit  den  Farben  der  Ylaamcn  das  bunte 
Mittelalter  und  den  farbigen  Orient  angebahnt,  beide  aber  von  der 
heimathlichen  Umgebung,  den  politischen  und  socialen  Verhältnissen 
der  Zeitgenossen  sich  ängstlich  ferngehalten,  musste  der  nächste 
Schritt  der  Kunst  dahin  gehen,  das  bisher  im  Aether  Roms  oder  in 
der  Sonne  des  Orients  schwebende  Ideal  resolut  zur  heimischen  Erde 
herniederzuziehen.  Ah  la  vic,  la  viel  le  monde  est  lä,  il  rit,  crie, 
souffre,  s’amuse  et  on  ne  le  rend  pas,  mit  diesen  Worten  hat 
Fromentin  selbst  die  Nothwendigkeit  des  Schrittes  gekennzeichnet. 
Die  glückliche  Entbindung  der  modernen  Kunst  war  erst  erfolgt,  das 
durch  1789  gestellte  Problem  erst  dann  gelöst,  wenn  die  umstürzende 
Erhebung  des  dritten  Standes,  die  sich  seit  der  Revolution  immer  ge- 
bieterischer vollzogen  hatte,  auch  in  der  Malerei  ihren  klaren  Ausdruck 
fand.  Die  Kunst  geht  immer  parallel  mit  den  religiösen  Anschau- 
ungen, der  Politik,  den  Sitten.  Im  Mittelalter  lebten  die  Menschen 
im  Jenseits,  darum  waren  die  Gegenstände  der  Malerei  Madonnen 
und  Heilige.  Ludwig  XIY.  sagte:  Alles  kommt  vom  König  wie  das 
Licht  von  der  Sonne,  darum  spiegelt  sich  auch  in  der  Kunst  seiner 


XX.  Italien  und  der  Orient 


MS 


Epoche  das  Königthum  von  Gottes  Gnaden.  Seit  der  Revolution  hatte 
der  Plebejer  die  Sonne  des  grossen  Königs  ergriffen,  und  unter  dieser 
mächtigen  Culturwandlung  musste  eine  neue  Umbildung  der  Kunst 
sich  vollziehen.  Auf  das  1789  der  Politik  musste  das  1789  der  Malerei 
folgen,  die  Proclamation  der  Freiheit  und  Gleichheit  aller  Individuen. 
Erst  eine  Malerei,  die  keine  bevorrechtete  Glasse  von  Göttern  und 
Helden,  Italienern  und  Orientalen  mehr  kannte,  sondern  den  frei- 
gewordenen Menschen  selbst,  den  tiers  etat  als  würdigen  Gegenstand 
der  Kunst  ausrief,  konnte  das  eigentliche  Kind  der  Revolution,  die 
Kunst  der  neuen  Zeit  sein.  Belgien  und  Deutschland  machten  auf 
diesem  Wege  die  ersten  schüchternen  Schritte. 


©K© 


Mmher,  Moderne  Malerei  II. 


IO 


XXL 


Das  humoristische  Anekdotenbild. 

UR  selben  Zeit,  als  den  französischen  Romantikern  sich  der 


Orient  öffnete,  entdeckten  die  deutschen  und  belgischen  Maler 


den  Landmann.  Die  Romantik,  die  der  Ekel  vor  der  unrühm- 
lichen, farblosen,  thatschlaffen  Zeit  bisher  in  das  Tropische  und  Exot- 
ische getrieben,  fasste  festen  Fuss  in  der  Heimat.  Auch  bei  den 
Bauern  fand  man  eine  stehengebliebene  Vergangenheit,  die  feste  Lebens- 
gewohnheit und  malerische  Kleidung  bewahrte. 

Dem  Amateur  ist  es  schwer,  zu  diesen  ältesten  Bauernbildern 
in  ein  anregendes  Yerhältniss  zu  treten.  Ihre  Farbe  ist  dem  sen- 
siblen Auge  ebenso  unangenehm  wie  dem  Ohr  Musik  auf  ver- 
stimmtem Clavier.  Sie  sind  geleckt  und  bunt  im  Ton,  blechern  in 
ihrer  Glätte,  die  Figuren  stehen  hart  in  der  Luft  wie  aus  Bilder- 
bogen geschnitten.  Doch  der  Historiker  darf  nicht  nur  Amateur 
sein.  Fr  wäre  ungerecht,  wollte  er  zur  Abschätzung  der  Vergangen- 
heit die  Anschauung  der  Gegenwart  zum  ausschliesslichen  Massstab 
nehmen.  Auch  an  dem,  was  mit  ihm  gleichzeitig  war,  ist  das  Ver- 
gangene zu  messen,  und  sobald  man  sich  erinnert,  welche  Bedeutung 
diese  bescheidenen  Kleinmeister  für  ihre  Zeit  hatten,  ist  es  nicht 
schwer,  ihnen  kunstgeschichtlich  gerecht  zu  werden.  In  einer  Epoche, 
da  auf  dem  Gebiete  der  »grossen  Malerei«  nur  unzulängliches,  plan- 
loses Wollen  auf  dem  theoretisch  bereiteten  Boden  der  Nachahmung 
herrschte,  blüht  hier  zum  ersten  Mal  geistige  Eigenart.  Während 
Cornelius,  Kaulbach  und  ihre  Genossen  aus  dem,  was  zur  Zeit  für 
das  Vollkommene  galt,  einen  convcntionell-idcalen  Stil  zogen,  die 
Kunst  der  grossen  Meister  in  einen  Auszug  und  auf  Anweisungen 
brachten,  griffen  diese  Genremaler  zum  ersten  Mal  wieder  in  das 
unendlich  Mannigfaltige  der  Natur  und  machten  nach  einer  langen 
Periode  rein  reproductiver  Malerei  den  ersten  schüchternen  Yorstoss, 
die  Kunst  aus  dem  Banne  des  Schemas,  vom  leblosen  Nachbeten 
alter  Formen  zu  befreien. 


XXI.  Das  humoristische  Axekdotenbild 


147 


Selbst  coloristisch  haben  sie  den  Ruhm,  erstmals  wieder  eine 
Restauration  der  Maltechnik  angebahnt  zu  haben.  Ihre  technische 
Mangelhaftigkeit  war  nicht  ihre  Schuld,  sondern  die  Folge  jenes 
verhängnisvollen  Eingriffes  von  Winckelmann,  durch  den  die  neuere 
Kunst  die  technischen  Traditionen  verlor.  Als  sie  auftraten,  genossen 
sie  nicht  die  Vorzüge,  die  mit  der  Entwicklung  aus  langer  Ahnenreihe 
verknüpft  sind.  Sie  mussten  gewissermassen  die  Kunstgeschichte  bei 
sich  selbst  anfangen,  trafen  zwischen  sich  und  der  älteren  deutschen 
Malerei  nur  Männer  an,  die  das  Malenkönnen  für  eine  Schande  hielten. 

Es  handelte  sich  darum,  an  der  Hand  der  alten  Niederländer  das  Band 
wieder  zu  knüpfen,  das  jene  durchschnitten  hatten,  und  schon  dieser 
Hinweis  auf  die  Niederländer  war  in  Anbetracht  der  ästhetischen 
Anschauungen  der  Epoche  eine  That  von  revolutionärer  Bedeutung. 
Theils  mag  dabei  der  Einfluss  Wilkies  mitgewirkt  haben,  der  1825 
seine  Reise  durch  Deutschland  machte  und  dessen  Bilder  durch 
den  Kupferstich  weite  Verbreitung  fanden.  Anderntheils  ward  durch 
Schnaases  Niederländische  Briefe  1834  die  Aufmerksamkeit  auf  die 
alten  Holländer  gelenkt.  Während  die  ganze  von  Winckelmann  aus- 
gegangene kunsthistorische  Schule  in  leerem  formalen  Idealismus  nur 
das  classische  Alterthum  und  das  Cinquecento  zu  würdigen  wusste 
und  deren  Massstab  auf  alle  andern  Perioden  übertrug,  regte  Schnaasc 
zum  ersten  Mal  die  geschichtliche  Kunstbetrachtung  an  und  erschloss 
damit  auch  dem  modernen  Schaffen  weite  bisher  unbeachtete  Gebiete. 
Die  Folge  seines  Buches  war,  dass  seitdem  die  Niederländer  nicht  mehr 
als  »Affen  der  gemeinen  Natur«,  sondern  als  sehr  feine  Künstler 
galten,  an  denen  der  moderne  Maler  viel  lernen  könne. 

In  München  waren  die  Vorbedingungen  für  eine  volksthiimliche 
Kunst  schon  durch  die  Lage  der  Stadt  gegeben.  München  war  im 
Beginne  des  Jahrhunderts  der  durchaus  eigenartige  Typus  einer  Bauern- 
metropole, die  Hauptstadt  eines  Bauernstaates,  und  dieses  Bauernthum 
strotzte  von  alterthümlicher  Eigenart,  buntem  Wesen  in  Lebenweise 
und  Tracht,  von  behaglich  lebensfroher  Gutmüthigkeit  und  bajuwar- 
ischer  Urkraft.  Hier  hat  sich  daher  die  »Einkehr  in’s  Volksthum  < 
am  frühesten  vollzogen , und  wenn  die  Bauernmalerei  in  der  Folge 
mancherlei  Auswüchse  zeitigte,  so  blieb  sie  doch  während  des  ganzen  . 
Jahrhunderts  auch  die  starke  Quelle,  aus  der  die  Münchener  Kunst 
immer  wieder  frische  Lebenskraft  holte. 

Schon  in  den  20er  Jahren  gab  es  in  München  eine  boden- 
wüchsige Kunst , die  durch  die  Treibhauspflanze  Cornelianischer 

10* 


14B 


XXI.  Das  humoristische  Anekdotexbild 


Malerei  zwar  eine  zeit- 
lang in  ihrer  Weiter- 
entwicklunggehemmt 
wurde,  später  aber  um 
so  kräftiger  empor- 
schoss. Sie  war  von 
der  tonangebenden  Hi- 
storienmalerei so  ver- 
schieden , wie  die 
magots«  des  Teniers 
von  den  mytholog- 
ischen Maschinen  Le- 
bruns  und  wurde  von 
der  officiellen  Welt 
auch  mit  gleicher  Ge- 
ringschätzung behan- 
delt. Cornelius  und 
seine  Schule  lenkten 
die  Blicke  der  Gebil- 
deten so  ausschliess- 
lich auf  sich  und  zogen  die  Tagesliteratur  so  gänzlich  in  ihren 
Bann,  dass  von  dem,  was  ausserhalb  ihrer  Kreise  in  München  ge- 
schah, nicht  viel  gesprochen  ward.  Kritikern,  die  ihr  Wissen  in 
der  Zerpfliickung  von  Historienbildern,  in  der  Ausdeutung  philo- 
sophischer Gartons  und  in  Aufweisung  stilistischer  Aehnlichkeiten 
zwischen  Cornelius  und  Michelangelo  glänzen  lassen  wollten,  hatte 
die  energische  Gruppe  der  Naturalisten  wenig  zu  bieten,  h.rst  dem 
historischen  Blick,  der  in  der  Vergangenheit  die  Keime  des  Gegen- 
wärtigen sucht,  treten  sie  als  achtunggebietende  Gestalten  entgegen, 
die.  dem  Kklecticismus  der  Grossmaler  ihre  eigene  ehrliche  Natur- 
anschauung entgegensetzend,  die  Basis  einer  selbständigen  modernen 
Kunst  schufen. 

Die  höfisch  - akademische  Malerei  des  Cornelius  hatte  ihren 
Boden  in  der  Sixtinischen  Capelle,  der  Naturalismus  dieser  Genre- 
* maler  wurzelte  im  bayerischen  Volksleben.  Jene  Grossmaler  hausten 
einsam  in  weiten  Monumentalbauten,  die  Naturalisten,  die  unbe- 
kümmert um  antike  und  romantische  Stoffe  ihre  Anregung  im  Le- 
ben der  Bauern , in  der  Landschaft  und  im  Kriegsleben  suchten, 
brachten  das  Material  für  die  ersten  Sammlungen  moderner  Kunst 


XXI.  Das  humoristische  Anekdotenbild 


T49 


hervor.  Wie  als  Künstler 
waren  sie  auch  als  Men- 
schen ganz  verschiedene  We- 
sen. Cornelius  und  seine 
Schule  gebildet,  hochfahrend, 
sich  im  Besitz  aller  echten 
Kunst  wähnend,  schroff  ab- 
lehnend gegen  Alle,  die  nicht 
zu  ihrer  Fahne  schwuren,  die 
Naturalisten  frische,  fröhliche 
Menschen,  derb,  aber  kern- 
gesund, mit  scharfem  Blick 
für  Natur  und  Leben.  Die  Mo- 
numentalmalerei verdankte 
ihre  Entstehung  den  persön- 
lichen Liebhabereien  des  Kö- 
nigs und  zufällig  gebotenen 
grossen  Aufgaben;  die  rea- 
listische Kunst  fand  von  der 
Fürstengunst  unabhängig  in  den  Kreisen  des  süddeutschen  Adels 
und  später  des  Münchener  Kunstvereins  ihre  Förderer  und  erscheint 
als  logische  Fortsetzung  jener  Militärmalerei,  die  am  Anfang  des 
Jahrhunderts  in  Nürnberg,  Augsburg  und  München  ihre  Vertreter 
hatte.  Das  bunte  Gewimmel  fremder  Kriegsvölker,  die  über  den 
deutschen  Boden  gejagt  wurden,  hatte  damals  Albrecht  Adam,  Peter 
Hess,  Johann  Adam  Klein  und  andere  angeregt,  in  trockener,  aber 
ehrlich  naiver  Weise  darzustellen,  was  sie  sahen.  Den  Stechern 
diente  Dürer  als  Leitstern,  den  Malern  gab  der  vielseitige  Dar- 
steller des  Soldatenlebens  im  30jährigen  Krieg,  Philips  Wouwer- 
man,  das  Vorbild.  Und  als  die  kriegerischen  Zeiten  vorüber  waren, 
wandte  sich  ein  Theil  der  im  Kriegslager  aufgewachsenen  Meister 
ganz  naturgemäss  auf  die  Darstellung  des  Bauernlebens,  wo  sie  ja 
auch  noch  bunte  malerische  Costüme  fanden.  Wilhelm  Kobell, 
dessen  Radirungen  aus  dem  bayerischen  Volksleben  werthvoller  sind, 
als  seine  Schlachtenbilder,  machte  als  einer  der  ersten  diesen  Ueber- 
gang.  Der  wackere  Peter  Hess  malte  1820  seinen  »Morgen  in 
Partenkirchen«,  worin  er  eine  einfache  Scene  aus  dem  Hochgebirgs- 
leben  — Mädchen  am  Brunnen  inmitten  einer  sonnigen  Land- 
schaft — schlicht  und  poetisch  schilderte.  Nachdem  diese  Bresche 


Heinrich  Bür  hei. 


1)0 


XXL  Das  humoristische  Anekdotenbild 


Bürkel:  Brigantentransport. 


geschlagen  war,  konnte  Bürkel  das  Haupt  der  Münchener  Bauern- 
maler werden. 

Heinrich  Bürkels  Porträt  zeigt  einen  vierschrötigen  Riesen,  dessen 
Aeusseres  seltsam  von  dem  seiner  berühmten  Zeitgenossen  absticht. 
Jene  Akademiker  strichen  die  langen  Haare  zurück  und  richteten  die 
Blicke  begeistert  nach  oben.  Bürkel  schaut  mit  scharfem  Auge  auf  den 
Boden,  auf  die  harte,  rauhe,  gesteinte  Erde.  Jene  Hessen  sich  einen 
grossen  Mantel  — den  Rauch’schen  Statuenmantel  — malerisch  um  die 
Schultern  drapiren,  Bürkel  ist  angezogen  wie  Jedermann.  Kein  Attribut 
ist  beigefügt,  um  den  Maler  anzudeuten:  keine  Palette,  kein  Pinsel,  kein 
Bild;  auf  dem  Tisch  neben  ihm  steht  — ein  Maasskrug.  Ohne  jede  Pose 
sitzt  er  da,  die  Hand  auf  das  Knie  gestemmt,  athletisch,  ungeschlacht, 
kampfbereit,  als  ob  er  sich  seiner  Sonderart  voll  bewusst  sei.  Selbst 
der  Aufforderung  des  Photographen:  Bitte  recht  freundlich,  gab  er 
nicht  Folge.  Schon  dieses  Porträt  erklärt  Bürkels  Kunst.  Er  war  eine 
kerngesunde,  ganz  auf  sich  gestellte  Natur,  ohne  jede  Spur  von  Ro- 
mantik, ohne  Sentimentalität,  witzelnden  Humor  und  zuckersüssen  Op- 
timismus — von  allen  seinen  Münchener  Zeitgenossen  der  am  wenig- 
sten akademische  nach  seiner  ganzen  Art  zu  empfinden  und  zu  denken. 


XXI.  Das  humoristische  Anekdotenbild 


I)'1 


Bürkel:  Platzregen  im  Gebirge.  r 

Aus  dem  Volke  hervorgegangen,  wurde  er  der  Maler  des  Volkes. 
Er  war  am  29.  Mai  1802  in  Pirmasens  geboren,  wo  sein  Vater  eine 
kleine  Oekonomie  mit  Schenkwirthschaft,  seine  Mutter  eine  Krämerei 
betrieb,  und  war  erst  Lehrling  bei  einem  Krämer,  dann  Gehilfe  des 
Gerichtsschreibers  gewesen,  bevor  er  1822  nach  München  kam. 
Hier  wies  ihn  die  Akademie  als  talentlos  zurück,  und  indem  sie 
dem  Lehrling  die  Thore  verschloss,  erschloss  sich  dem  Meister  das 
Leben.  Er  ging  in  die  Schleissheimer  Galerie,  sass  copirend  vor  den 
Bildern  von  Wouwerman,  Ostade,  Brouwer  und  ßerghem  und  ent- 
wickelte sich  im  Studium  dieser  Niederländer  ungemein  rasch.  Seine 
ersten  Arbeiten  — Schlachten,  Scharmützel  und  andere  kriegerische 
Scenen,  wie  er  sie  in  seinen  Kinderjahren  sah  — sind  dilettantische, 
unsichere  Versuche;  man  merkt,  dass  ihm  jegliche  Führung  und 
Anleitung  fehlte.  Um  so  bewundernswerther  ist  die  Schnelligkeit, 
mit  der  er  sich  ein  sattelfestes,  für  seine  Zeit  achtbares  Können  er- 
warb, die  trotzige  Selbständigkeit,  mit  der  er,  kaum  im  Besitz  der 
nöthigen  Ausdrucksmittel,  sofort  von  den  Bildern  in  die  Natur  ging. 
Er  malt  und  zeichnet  die  ganze  neue  Welt,  die  sich  ihm  aufgethan: 


1)2 


XXI.  Das  humoristische  Anekdotenbild 


Biirkel:  Ein  Dorf  im  IV inte r. 

Weite  Blicke  über  die  Landschaft,  bemooste  Steine  im  Sonnenlicht, 
Wolkenbilder  in  grosser  Zahl,  Bauernhäuser  mit  ihrer  Umgebung, 
Waldwege,  Bergsteige,  Figürliches  aller  Art,  Pferde.  Ueberall  gibt 
ihm  das  Menschen-  und  Thierleben  Anlass,  es  in  charakteristischen 
Situationen  zu  schildern.  Und  als  er  sich  später  wieder  in  München 
niedergelassen,  hörte  er  nicht  auf,  die  süddeutsche  Gebirgswelt  mit 
frischem  Sinn  zu  durchstreifen.  Bis  in’s  Alter  machte  er  im  Sommer 
und  Winter  kleine  Reisen  in’s  Bayerische  Hochland.  Tegernsee, 
Rottach,  Prien,  Berchtesgaden,  Südtirol,  Partenkirchen  wurden  in 
Wochen-  und  Tagesausflügen  immer  wieder  besucht,  und  von  über- 
allher kam  er  mit  energischen  Studien  heim,  aus  denen  ebenso 
energische  Bilder  entstanden. 

Denn  wie  jeder  Künstler  das  Produkt  zweier  Faktoren  ist,  von 
denen  einer  in  ihm  selbst,  der  andere  ausser  ihm  in  seiner  Um- 
gebung und  Zeit  liegt,  so  müssen  auch  die  Leistungen  Bürkels  nicht 
nur  nach  den  Anforderungen  der  Gegenwart,  sondern  nach  den 
Bedingungen,  unter  denen  er  producirte,  beurtheilt  werden.  Was 
schwach  an  ihm  ist,  tlieilt  er  mit  den  Zeitgenossen;  was  er  Neues 
hinzubrachte,  ist  sein  eigenstes  unbestreitbares  Verdienst.  In  einer 
Periode  des  im  Museum  grossgezogenen  Pseudoidealismus,  der  dem 


XXI.  Das  humoristische  Anekdotenbild 


*53 


Bürkel:  Schmiede  in  Oberbayern. 

echten  vortrefflich  abgeguckt  hatte,  wie  man  sich  räuspert,  besass 
er  den  Muth,  lieber  dürftig  zu  sein,  als  sich  mit  fremden  Federn  zu 
schmücken,  in  einer  Zeit,  die  ihren  Stolz  darein  setzte,  mit  Pinsel 
und  Farbe  Dinge  darzustellen,  deren  Material  besser  Feder  und  Tinte 
ist,  stellte  er  sich  frisch  in’s  Leben,  in  einer  Zeit,  wo  ganz  Deutschland 
ziellos  ferne  Zonen  durchirrte,  brachte  er  ohne  einen  Anflug  roman- 
tischer Sentimentalität  Allem  eine  gleich  redliche,  objective  Treue 
entgegen,  und  durch  diese  frisch  realistischen  Eigenschaften  ist  er 
der  Ahne  der  späteren  Münchener  Kunst  geworden.  Positiv  und 
exact,  zu  ehrlich,  um  sich  durch  äusserliche  Nachahmung  scheinbar 
auf  gleiche  Höhe  mit  den  grossen  Alten  zu  schwingen,  desto  emsiger 
bestrebt,  in  den  Geist  der  Natur  einzudringen  und  Alles  bis  auf's 
Kleinste  lieb  zu  gewinnen,  schwach  in  der  Farbenempfindung,  aber 
gross  im  Naturgefühl  — so  war  Heinrich  Bürkel,  und  hierin  hatten 
ihn  die  Jüngern  zu  ergänzen  — nicht  zu  bekämpfen. 

Das  Eigentümliche  aller  seiner  Arbeiten  ist  wie  bei  den  frühen 
Niederländern  die  gleichwertige  Behandlung  von  Figuren  und  Land- 


1)4 


XXI.  Das  humoristische  Anekdotenbild 


Bürkel:  Pferde  an  der  Tränke. 


schaft.  Das  Menschenleben  erscheint  ihm  als  Theil  eines  grösseren 
Ganzen;  Thier  und  Landschaft  werden  mit  derselben  Liebe  studirt.  und 
seine  glücklichsten  Bilder  geben  eine  Verschmelzung  dieser  Elemente, 
in  der  keins  auf  Kosten  des  andern  vorherrscht.  Interieurbilder  sind 
selten,  fast  immer  bewegt  er  sich  in  freier  Natur.  Hier  aber  ist  sein 
Stoffgebiet  ungemein  weit. 

Eine  Gruppe  für  sich  bilden  die  Arbeiten,  in  denen  er  italienische 
Stoffe  behandelt.  Bürkel  war  1829 — 1832  in  Rom,  gerade  in  den 
Jahren,  als  Leopold  Robert  dort  seine  Triumphe  feierte,  und  es  ist 
ein  seltsamer  Unterschied  zwischen  den  Arbeiten  des  Münchener  und 
denen  des  Schweizer  Malers.  Dort  schöne  Posen,  poetische  Ideen  und 
akademischer  Formelkram,  hier  ungeschminkte  naturalistische  Derb- 
heit. Selbst  in  Italien  blieb  ihm  die  Romantik,  das  Akademische 
fern.  Sie  hatten  keinerlei  Macht  über  die  kerngesunde,  rauh  ehr- 
liche Natur  des  Künstlers.  Er  sah  in  Italien  nichts  Anderes,  als 
was  ihm  die  Heimath  bot,  und  schilderte  es  ohne  Verschönerung, 
rechtschaffen,  wie  er  es  sah. 

Bürkel  brauchte  nicht  weit  zu  reisen,  um  Stoffe  zu  finden.  Man 
stelle  sich  einen  Menschen  vor,  .der  mit  stiller,  gedankenvoller  Miene 


XXI.  Das  humoristische  Anekdotenbild 


i>5 


die  Ufer  der  Isar  entlang  wandert  und  schaut.  Eine  frische  Bauern- 
dirne mit  ihrem  Korb,  ein  Pflug  in  der  Ferne,  der  langsam  hinter 
schwitzendem  Gespanne  herzieht  — das  genügt,  ihn  mit  Empfind- 
ungen und  Gedanken  zu  erfüllen. 

Seine  eigentliche  Domäne  war  die  Landstrasse,  die  in  den  dreissiger 
und  vierziger  Jahren,  bevor  ihr  die  Eisenbahnen  den  Verkehr  entzogen, 
von  weit  mannigfaltigerem  Leben  als  heute  erfüllt  war.  Vor  allen 
alten  Thoren  zogen  Last-  und  Postwagen  hin.  Wirthshäuser  in  jedem 
Dorf  luden  zur  Rast,  Schmiede  an  der  Strasse  warteten  auf  Kund- 
schaft. Wagen  aller  Art  und  Pferde  auf  der  Fahrt,  Pferde  vor  der 
Schmiede,  Gespann  Wechsel,  Ausspann,  das  Aussteigen  und  Einsteigen 
der  Fahrgäste,  der  Aufbruch  der  Marktleute  — das  sind  die  Dinge, 
die  er  auf  der  Landstrasse  fand.  Da  werden  die  Pferde  getränkt 
und  zwischen  Passanten  und  Kutscher  gibt  es  Anlass  zu  kurzer 
Zwiesprache.  Dort  eilen  die  Fahrgäste  bei  Regenwetter,  mit  Schirmen 
bewaffnet,  in’s  Wirthshaus.  Oder  sie  harren  in  Pelze  gewickelt,  im 
Winter  ungeduldig,  bis  der  Hufbeschlag  vollzogen. 

Kleine  ausgefahrene  Feldsteige  und  Waldwege  bieten  mancherlei 
Aehnliches.  Bauern  fahren  mit  einer  Holzladung  zu  Markte.  Pferde 
stehen  ausgespannt  am  Troge  und  der  Fuhrmann,  eine  knorrige 
sehnige  Gestalt  raucht  gemächlich  die  Pfeife.  Ein  Gespann  nähert 
sich  auf  dunkeim  Waldpfad  einer  Schmiede  oder  einsamen  Köhler- 
hütte, in  der  Licht  flimmert  und  über  der  sich  kahle,  schneebedeckte 
Berggipfel  erheben. 

Solche  Schneebilder  waren  eine  besondere  Specialität  des  Malers 
und  gehören  an  Einfachheit  und  Harmonie  zum  Besten,  was  er  ge- 
schaffen. Schwere  Holzfuhren,  die  eine  Schneewehe  passiren,  im 
Schnee  stecken  gebliebene  Lastwagen , derbknochige  Holzknechte, 
die  im  winterlichen  Wald  beim  Aufladen  schwitzen,  bilden  die 
figürliche  Staffage. 

Doch  auch  das  Leben  auf  dem  Feld  beschäftigte  ihn.  Da  er 
gern  Thiere  darstellte,  ging  er  den  Aehrenlesern,  Mähern  und  Sich- 
lern aus  dem  Wege.  Sein  Lieblingsthema  ist  die  Heu-,  Korn-  oder 
Kartoffelernte,  die  er  gern  ausführlich  mit  grossem  Apparat  erzählt. 
Mägde  und  Knechte,  Alte  und  Junge  sind  fieberhaft  thätig,  Getreide- 
schober aufzurichten  oder  bei  drohendem  Gewitter  immer  neue 
Bündel  auf  haushoch  beladene  Wagen  zu  packen. 

In  dieser  Aufzählung  ist  das  ganze  Landleben  Bayerns  um- 
schrieben. Nur  die  Sonntagsthemata,  die  eigentlich  genrehaften 


156 


XXI.  Das  humoristische  Anekdotenbild 


Motive  fehlen.  Und  damit  ist  zugleich  gekennzeichnet,  was  Bürkel 
eine  eigenartige  Sonderstellung  anweist. 

Seine  Werke  fallen  in  der  Conception  aus  Allem  heraus,  was  die 
gleichzeitige  Generation  der  Grossmaler  und  die  jüngere  der  Genre- 
maler anstrebte.  Die  Grossmaler  hausten  in  den  Museen,  Bürkel  lebte 
in  der  Natur.  Die  von  Wilkie  beeinflussten  Genremaler  liebten, 
im  Sinne  der  Engländer  das  Motiv  auf  das  Novellistische  auszu- 
spielen. Frohe  Nachricht,  traurige  Botschaft,  ländliche  Begräbnisse, 
Kindtaufen,  Zweckessen  boten  Anlass,  verschiedene  Grade  derselben 
Gemüthsbewegung  zu  schildern.  Ihr  Ausgangspunkt  war  eine  Illu- 
stratoridee, sehr  nett  an  sich,  doch  zu  lustig  oder  weinerlich  für 
Bilder.  Bürkels  Werke  haben  keinen  literarischen  Hintergrund, 
sind  nicht  als  Geschichten  aufgebaut,  weder  humoristisch  noch  sen- 
timental gefärbt,  sondern  schildern  intim  die  einfachsten  Vorgänge 
des  Lebens.  Weder  bot  er  dem  Publikum  süssliche  Kost,  noch 
suchte  er  zu  rühren  und  durch  romanhaft  auszuspinnende  Stoffe 
zu  reizen.  Er  nahte  dem  Menschen,  dem  Thier  und  der  Land- 
schaft als  strenger  Charakteristiker,  der  keine  Sentimentalität,  Schwär- 
merei und  Romantik  kannte.  Im  Gegensatz  zu  allen  jüngeren 
Bauernmalern  ging  er  dem  Auffälligen,  Aussergewöhnlichen,  Beson- 
dern , genrehaft  Interessanten  schroff'  aus  dem  Wege  und  suchte 
das  tägliche  Leben  in  Haus  und  Hof,  auf  dem  Felde  und  der  Land- 
strasse einfach  und  sachlich  zu  schildern.  Fast  alle  englischen  Genre- 
bilder jener  Jahre  brauchten  eine  Unterschrift  und  wendeten  sich 
an  ein  Publikum,  das  erst  lesen  will,  dann  sehen.  Bürkel  schil- 
dert die  einfachsten  Vorgänge,  die  keinen  interessanten  Katalogtitel 
brauchen.  Seine  Bilder  erklären  sich  selbst:  schlichte  Schilderungen 
des  Menschen-  und  Thierlebens  in  der  Landschaft.  Anfangs  glaubte 
er,  seiner  Zeit  wenigstens  dadurch  entgegenkommcn  zu  müssen,  dass 
er  in  breiter,  epischer  Weise  componirte.  Die  öffentlichen  Samm- 
lungen besitzen  hauptsächlich  solche  vielfigurige  Bilder:  den  Abzug 
von  der  Alm,  die  Heimkehr  von  der  Bärenjagd,  der  Thierschau 
und  vom  Jahrmarkt,  Scenen  vor  dem  Wirthshaus  an  Festtagen, 
den  Aufbruch  der  Fuhrleute  und  dergleichen  — Werke,  denen  das 
Schema  der  Composition  und  die  Menge  der  Figuren  etwas  alter- 
thümlich  Ueberladenes  gibt.  Aber  in  den  Privatsammlungen  sind 
Bilder  von  einer  damals  unerhörten  Einfachheit  zerstreut:  Staubige 
Landstrassen  mit  mühsam  ziehenden  Pferden,  einsame  Köhler- 
hütten im  Waldesdunkel,  verregnete  oder  verschneite  Dörfer  mit 


XXI.  Das  humoristische  Anekdotexbild 


r57 


kleinen  Figürchen,  die  vor  Frost 
und  Nässe  schauernd  über  die  Strasse 
huschen.  Vom  genrehaft  Novellist- 
ischen, dem  Suchen  nach  inter- 
essantem Stoff,  von  Anfang  an  frei, 
hat  er  hier  sogar  auf  die  epische 
Erzählung  eines  complicirten  Vor- 
gangsverzichtet und  malt  gleich  den 
Modernen  Dinge,  die  mit  einem  Blick 
zu  erfassen  und  zu  verstehen  sind. 

Bürkel  nimmt  nach  alledem 
eine  sonderbare  Mittelstellung  ein. 

Seine  Farbe  weist  ihn  durchaus 
dem  Beginne  des  Jahrhunderts  zu. 

Er  war  sich  der  coloristischen 
Schwäche  seiner  Zeit  bewusst  ge- 
worden und  steht  erheblich  über 
dem  coloristischen  Maximum  der 
Corneliusschule.  Aber  er  ist  trotz  emsigsten  Studiums  der  Nieder- 
länder doch  hart  und  unkünstlerisch  geblieben.  Viel  zu  schonend 
gegen  den  gezeichneten  Umriss,  verfährt  er  nicht  leicht  genug  mit 
Leichtem,  nicht  flüchtig  genug  mit  Flüchtigem.  Was  die  Modernen 
nur  undeutlich  ahnen  lassen,  zeichnet  er  spitz  und  handgreiflich. 
Was  flüchtige  Form  hat,  wie  Wolken,  rundet  er  ab  und  putzt  er. 
Seine  Farbe  ist  bunt,  seine  Vortragsweise  temperamentlos  und  ohne 
malerischen  Witz.  Aber  obwohl  in  der  Technik  ungeschickter, 
sind  seine  Arbeiten  doch  im  Inhalt  moderner,  als  alles  was  die 
nächste  Generation  hervorbrachte.  Es  ist  ein  Element  der  Intimität 
darin,  das  über  die  herkömmliche  Genremalerei  hinausgeht.  Wie 
er  in  seinen  ungemein  frischen,  naiv  unmittelbaren  Landschafts- 
studien nicht  blendende  Ausnahmseffekte  festhielt,  sondern  dem 
Werktagscharakter  der  Natur  gerecht  zu  werden  suchte,  so  strebte 
er  auch  in  seinen  Figuren  nur  die  schlichte  Reproduction  des  von 
der  Natur  Gegebenen  an.  Die  Hände  seiner  Bauern  sind  rechte, 
echte  Arbeitshände,  schwerfällig,  plump  und  wettergebräunt.  Ein- 
fach und  sachlich  sind  alle  Bewegungen.  Andere  haben  Lustigeres 
erzählt  — Bürkel  entrollt  ein  treues  Bild  des  Milieu,  in  dem  sich 
das  Leben  der  Landleute  abspielt.  Andere  haben  ihre  Bauern 
salonfähig  gemacht  und  ihnen  die  Nägel  gereinigt  — Bürkel 


Carl  Spit^weg. 


158 


XXI.  Das  humoristische  Anekdotenbild 


predigt  ein  ernstes,  strenges, 
pietätvolles  Studium  der  Na- 
tur. Eine  ganz  neue  Zeit 
wirft  ihren  Schatten  in  dieser 
innigen  Hingabe  an  das  Le- 
ben voraus.  Seine  Bilder  ent- 
halten in  ihrer  Intimität  und 
Einfachheit  schon  den  Keim 
dessen,  was  später  die  Auf- 
gabe der  Modernen  wurde. 
Alle  Folgenden  in  Deutsch- 
land waren  Kinder  Wilkies, 
erst  Wilhelm  Leibi  setzte, 
mit  besseren  technischen  In- 
strumenten versehen,  gei- 
stig da  wieder  ein,  wo  Bi'irkel 
aufhört. 

Carl  Spitzweg,  in  des- 
Spiifweg : Die  Dachstube.  sen  liebenswürdigen  Bild- 

chen sich  zarte  discrete  Em- 
pfindung originell  mit  realistischer  Detailarbeit  vereinigt,  zählt  gleich- 
falls zu  den  Wenigen,  die,  abseits  von  der  herrschenden  Strömung 
im  Stillen  wirkten  und  schufen,  bis  ihre  Stunde  schlug.  Ganz 
auf  sich  angewiesen,  ohne  Lehrer,  arbeitete  auch  er  sich  unter 
dem  Einfluss  der  Alten  empor.  Durch  Copiren  kam  er  hinter  ihre 
coloristischen  Geheimnisse  und  wusste  seinen  poesievollen  Werken 
ein  merkwürdiges  Cachet  ansprechender  altmeisterlicher  Feinheit  zu 
geben.  Man  blättert  im  Spitzweg- Album  wie  in  einem  Märchen- 
buch aus  den  Zeiten  der  Romantik  und  ist  doch  gleichzeitig  über 
das  Malenkönnen  des  Meisters  erstaunt.  Ein  Genie,  vereinigte  er 
drei  scheinbar  widersprechende  Eigenschaften  in  sich:  Realismus, 
Phantasie  und  Humor.  Mit  Schwind  wäre  er  am  ehesten  zu  ver- 
gleichen, nur  dass  jener  mehr  Romantiker  war  als  Realist,  Spitz- 
weg mehr  Realist  als  Romantiker.  Jenen  trägt  die  Sehnsucht  in 
weltentrückte,  vorzeitliche  Ferne,  diesen  hält  ein  ausgeprägter  Wirk- 
lichkeitssinn fest  auf  der  Erde.  Er  besitzt  wie  Jean  Paul  die  un- 
begrenzte Phantasie,  die  mit  luftigen  Träumereien  ihr  neckisches 
Spiel  treibt,  doch  er  hat  auch  wie  dieser  das  frohe  Behagen  des 
Kleinstädters  an  den  Bildern  seiner  engumgrenzten  Welt.  Er  liebt 


XXI.  Das  humoristische  Anekdotenbild 


1)9 


Spit^weg:  Der  Nachtwächter. 


wie  Schwind  Klausner  und  Waldbrüder,  Hexen-,  Nymphen-  und 
Zauberspuk,  spielt  wie  Boecklin  mit  Drachen  und  Kobolden,  aber 
er  nistet  sich  auch  mit  liebenswürdiger  Behaglichkeit  beim  biederen 
Schulmeisterlein,  bei  der  armen  Näherin  fest  und  gibt  seinen  eigenen 
kleinen  Leiden  und  Freuden  mit  beschaulicher  Laune  Gestalt.  Seine 
Drachen  sind  behaglich  philisterhafte  Drachen,  und  seine  Troglo- 
dyten , die  sich  in  weltabgeschiedener  Felseneinöde  kasteien,  ver- 
richten ihre  Busse  mit  gemüthlicher  Ironie.  Ein  feiner  Humor  ist 
bei  Spitzweg  das  Bindeglied  zwischen  Phantasie  und  Wirklichkeit. 
Die  kleinen,  zart  empfundenen  Bildchen  schildern  das  Deutschland 
der  40  er  Jahre  und  liegen  ab  vom  rauschenden  Leben  unserer 
Zeit,  wie  ein  idyllisches,  in  Sonntagsstille  schlummerndes  Dörf- 
chen. Sein  armer  Poet,  das  alte,  magere  Männchen  mit  der 
spitzen  Nase  und  Zipfelmütze,  der,  die  Decke  bis  an’s  Kinn  ge- 
zogen und  durch  einen  grossen  rotlien  Regenschirm  gegen  die 
Unbilden  der  Witterung  geschützt,  in  seiner  armseligen  Dach- 
1 ucke  sitzt  und  mit  erfrorenen  Fingern  Verse  skandirt;  — der  im 
Aktenstaub  grau  gewordene  Schreiber,  der  mit  blöden  Augen 
seinen  Gänsekiel  spitzt  und  sich  dabei  als  Theil  der  weltregie- 
renden Bureaukratie  fühlt;  — der  Bücherwurm,  der,  Bücher  in 
der  Hand,  Bücher  in  den  Taschen,  Bücher  unter  den  Armen, 
Bücher  zwischen  die  Beine  geklemmt , auf  der  höchsten  Leiter  der 
Bibliothek  steht  und  in  seinem  stillen  Glück  die  Stunde  des  Mittag- 


1 6o 


XXI.  Das  humoristische  Anekdotexbild 


essens  versäumt,  bis  sich  der 
Haushälterin  zorniger  Rede- 
fluss keifend  über  sein  armes 
Haupt  ergiesst;  — der  alte 
Herr,  der  andachtsvoll  den 
Duft  der  seit  Jahren  erhoff- 
ten Kaktusblüthe  einsaugt; 

— das  kleine  Männchen, 
das  sein  Vögelchen  mit  einem 
Stück  Zucker  lockt;  — der 
Wittwer,  der  über  das  Me- 
daillonporträt seiner  besseren 
Hälfte  nach  zwei  nied- 
lichen, im  Park  spazieren 
gehenden  Mädchen  schielt; 

— der  Polizeidiener,  der 
sich  am  Stadtthor  die  Zeit 
mit  Fliegenfangen  vertreibt ; 

— der  alterthümlich  be- 
frackte Hagestolz,  der  einer 
am  Marktbrunnen  scheuern- 
den Küchenfee  feierlich  einen 

Blumenstrauss  darbietet, 
zum  Vergnügen  aller  aus  den 
sf>itiweg : Der  Briefträger.  Fenstern  lauernden  Klatsch- 

schwestern; — das  Liebes- 
pärchen,  das  in  glücklicher  Vergessenheit  durch  ein  enges  Gässchen 
streicht,  an  der  Bude  eines  Antiquars  vorüber,  wo  zwischen  Urväter- 
hausrath eine  vergoldete  Venusstatuette  in  wackliger  Wiege  liegt;  - 
die  Kinderchen,  die  mit  aufgehobener  Schürze  einen  vorüberfliegenden 
Storch  um  ein  Brüderchen  ansingen  — all  diese  Bildchen  muthen  an 
wie  ein  Gruss  aus  längst  vergangener  Zeit.  Spitzweg  wirkt  wie  Jean 
Paul  lustig  und  wehmüthig,  spiessbürgerlich  und  idyllisch  zugleich. 
Der  Postillon  gibt  mit  seinem  Horn  das  Zeichen,  dass  die  Stunde 
der  Abfahrt  gekommen ; Sennerinnen  schauen  von  grüner  Berg- 
kuppe ins  weite  Land  hinaus;  Einsiedler  sitzen  weltvergessen  vor 
ihrer  Klause;  alte  Freunde  eilen  sich  nach  Jahren  der  Trennung  in 
die  Arme;  Dachauer  Mädchen  in  weissem  Festgewand  beten  an 
Waldkapellen ; Schulkinder  ziehen  singend  durch  ein  stilles  Bergthal ; 


XXI.  Das  humoristische  Anekdotenbild 


i 6 1 


Mägde  plaudern  Abends  beim 
Wasserholen  am  moosbe- 
wachsenen Marktbrunnen, 
oder  ein  Briefträger  in  der 
gelben  thurn-  und  taxis’- 
schen  Uniform  lockt  durch 
sein  Erscheinen  die  ganze 
Einwohnerschaft  des  alten 
Landstädtchens  ans  Fenster. 

Das  kleine  Männchen  mit 
der  ärmlichen  Schneider- 
figur, der  bis  zum  30.  Jahre 
Apotheker  gewesen,  war  eine 
selbständige,  eigenartige 
Künstlernatur,  die  sich  dem 
Gedächtniss  unvergesslich 
einprägt.  Man  braucht  nur 
sein  Porträt  zu  sehen,  wie 
er  in  langem  Schlafrock, 
mit  dürftigem  Bart,  langer 
Nase  und  einem  neckischen 
Zug  um  die  Augenwinkel 
an  der  Staffelei  sitzt,  so  ge- 
winnt man  ihn  lieb,  ehe  man 
seine  Ai  beiten  kennt.  Spitz-  Spii^weg:  Morgenconcert. 

weg  erzählt  in  ihnen  sein 

eigenes  Leben,  Mensch  und  Maler  decken  sich  bei  ihm.  Es  gibt  ein 
kleines  hübsches  Bildchen , wie  er  als  alter  Knabe  früh  Morgens 
zum  Fenster  hinausblickt  und  über  die  Dächer  hinweg  einer  alten 
Näherin  zunickt,  die  die  ganze  Nacht  durchgearbeitet  und  gar  nicht 
bemerkt  hat,  dass  es  Tag  geworden:  das  ist  die  Welt,  in  der  er 
lebte  und  die  Welt,  die  er  gemalt  hat.  Selbst  ein  herzensguter, 
hartgesottener  Junggeselle  mit  drolligen  Wunderlichkeiten,  hauste  er 
im  ältesten  Stadttheil  Münchens  in  einer  vier  Treppen  hoch  gelegenen 
kleinen  Wohnung,  zu  der  nur  Moritz  Schwind  zuweilen  hinaufkletterte 
und  wo  man  über  Dächer,  Giebel  und  Zinnen  auf  ferne,  rauchige 
1 hürme  blickte.  Sein  Atelier  war  ein  krauses  Durcheinander  von 
nüchterner  Ungemüthlichkeit  und  biedermaierisch  poetischer  Traulich- 
keit. Hier  sass  er,  selbst  ein  verknöcherter  Anachoret,  Spiessbürger 

Muihcr,  Moderne  Malerei  II.  . . 


XXI.  Das  humoristische  Anekdotenbild 


162 


und  Bücherwurm , eingewoben 
wie  in  ein  Spinnennetz,  und  malte 
hinter  einem  bescheidenen  Fenster 
seine  köstlichen  Bildchen.  Hier 
nahm  er  seine  einfache  Mahl- 
zeit an  einem  kleinen,  wackligen 
Tischchen,  an  dem  er  auch  Abends, 
allein,  in  Bücher  vergraben,  zu 
sitzen  pflegte.  Ueber  seiner  dicken 
Nase  funkelte  eine  schwere,  sil- 
berne Brille  mit  scharfen  Gläsern, 
der  grosse  Kopf  mit  den  ironisch 
zwinkernden  Augen  ruhte  auf 
mächtiger,  durch  spitze  Vater- 
mörder erhöhter  Cravatte.  Seine 
Redeweise  war,  wenn  er  von  Frem- 
den gestört  wurde,  langsam  und 
unbeholfen;  wenn  Schwind  bei  ihm  war,  geistreich  satirisch.  Da 
wurde  er  beweglich  wie  Quecksilber,  durchlief  mit  grossen  Schritten 
das  Atelier,  gestikulirte  und  führte  ganze  Komödien  auf,  wenn 
er  die  Personen,  von  denen  er  sprach,  in  drastischer  Mimik  paro- 
dirte.  Sein  Charakter  hat  dieselbe  Mischung  von  philiströser  Be- 
haglichkeit und  gemüthlicher  Komik,  die  so  thaufrisch  aus  seinen 
Arbeiten  lacht.  Ein  Stück  von  der  biederen  Philisterhaftigkeit 
Eichendorf  s lebt  in  diesen  deutschen  Kleinstädter-Idyllen,  zugleich 
aber  ein  Können,  das  noch  heute  zur  Achtung  zwingt.  Im  Spitz- 
weg-Album summt  und  klingt  die  ganze  Romantik  wie  in  einen 
Käfig  eingeschlossen.  Hier  ist  Alles  vereint:  Waldesduft  und  Vogel- 
sang, Reiselust  und  kleinstädtisches  Stillleben,  Sonntagsstimmung 
und  Mondschein,  Landstreicher,  Bürgerwehr  und  wandernde  Musi- 
kanten, Studenten,  die  Studentenlieder  singen.  Gelehrte,  Bürgermeister 
und  Rathsväter,  langhaarige  Maler  und  fahrende  Schauspieler,  rothe 
Schlafröcke,  grüne  Pantoffeln,  Schlafmützen  und  Pfeifen  mit  langen 
Rohren,  Serenaden  und  Nachtwächter,  rauschende  Brunnen  und 
schlagende  Nachtigallen,  wehende  Sommerlüfte  und  hübsche  Dirnen, 
die  aus  den  Erkern  des  Morgens  halbverschlafen  auf  die  Wanderer 
grüssend  herabblicken  und  sich  dazu  die  Haare  strählen.  Mit  Schwind 
theilt  er  zugleich  die  merkwürdige  Fähigkeit,  die  passende  Umgeb- 
ung für  seine  Figuren  zu  erfinden.  All  diese  Plätze,  Gässchen  und 


Hermann  Kauffmann. 


XXI.  Das  humoristische  Anekdotenbild 


Winkelchen,  die  den 
Rahmen  seiner  Klein- 
städtereien  bilden, 
scheinen  in  ihrer  mi- 
nutiös treuen  Durch- 
führung bestimmten 
Oertlichkeiten  zu  ent- 
sprechen und  sind 
doch  frei  aus  dem 
Gedächtniss  gemalt. 

Wie  er  keine  der  ori- 
ginellen Figuren  ver- 
gass,  die  er  in  seiner 
Jugend  gesehen,  so 
hielterauch  die  grillig 
wunderlichen  Bau- 
lichkeiten, der  ober 
baierischen  und 
schwäbischen  Land- 
städtchen, die  er  auf 
seinen  Studienreisen 
besuchte,  mit  solcher 
Sicherheit  im  Ge- 
dächtniss fest , dass 
er  sie  jederzeit  als 
passende  Begleitung 

für  die  Melodie  seiner  Figuren  zur  Verfügung  hatte.  Es  ist,  als  ob 
man  an  einem  sonnigen  Sonntagmorgen  durch  die  blühenden  Gärten 
und  krummen  holperigen  Gässchen  eines  alten  deutschen  Städtchens 
wanderte.  Mitunter  auch,  als  ob  Spitzweg  nicht  der  Biedermeierzeit, 
sondern  der  Gegenwart  angehörte.  Erst  spät,  nachdem  er  an  der  Uni- 
versität studirt  und  das  pharmaceutische  Examen  bestanden,  war  er 
zur  Malerei  gekommen.  Trotzdem  gelang  es  ihm,  sich  zu  einer  colorist- 
ischen  Feinfühligkeit  durchzuarbeiten,  die  in  jenen  Jahren  ohne  Gleichen 
ist.  Er  hat  Burnets  Principien  der  Malerkunst  durchgenommen,  Italien 
besucht,  mit  Eduard  Schleich  1851  eine  Studienreise  nach  Paris.  London 
und  Antwerpen  gemacht;  er  hat  in  der  Galerie  von  Pommersfelden 
Berghem,  Gonzales  Coquez,  Ostade  und  Poelenburg  meisterhaft  copirt. 
später  Pilotys  Auftreten  erlebt  — aber  so  sehr  er  aus  den  jeweilig 


Kaufmann : Holzfuhre  im  Schnee. 


164 


XXI.  Das  humoristische  Anekdotenbild 


Hermann  Kaufmann:  Sandweg. 

herrschenden  coloristischen  Strömungen  Nutzen  zog,  ist  er  doch 
keinem  seiner  Zeitgenossen  ähnlich  und  von  der  kalten  Härte  der  altern 
Genremaler  gleichweit  wie  von  Pilotys  brauner  Sauce  entfernt.  Kr  hat 
als  einer  der  ersten  in  Deutschland,  wirklich  die  Wollust  des  Malens 
empfunden  und  weiche,  üppige,  schmelzende  Farben  gemischt.  Es 
gibt  Landschaften  von  ihm,  die  in  ihrer  reizenden  Frische  direkt 
an  die  Schule  von  Fontainebleau  streifen.  Bald  flüchtet  er  sich  in 
den  deutschen  Wald , malt  wunderbar  die  träumerische  Stimmung 
alter  Eichen : am  schönsten,  wenn  über  den  flüsternden  Bäumen  die 
stille  Nacht  steht,  die  Bäche  verschlafen  rauschen  und  der  frische 
Duft  einer  lauschig  einsamen  Welt  geheimnissvoll  die  Luft  durch- 
zittert. Oder  auf  dem  Flachland  wogt  das  goldene  Korn,  in  dessen 
Schatten  die  Wachtel  schlägt ; wie  klingt  und  summt  es  auf  seinem 
Grunde  von  gcheimnissvollen  Stimmen.  Oder  es  dehnt  sich  die 
Haide  mit  ihren  braunen  Stämmen  ernst  und  finster  aus,  der  Boden 
raunt  dem  Wanderer  im  Dunkel  des  Abends  seltsame  Geschichten 
zu,  die  sich  einstmals  hier  abgespielt  und  nun  aus  der  Vergangen- 
heit flüstern.  Spitzweg  hat  hellgrüne  Wiesen  gemalt,  in  denen  wie 
bei  Daubigny  als  leuchtende,  helle  Farbenflecken  nur  die  rothen 
Figürchen  kleiner  Bäuerinnen  auftauchen.  Er  gibt  sonnedurchblitzte 
Waldlichtungen,  von  einer  prickelnd  coloristischen  -Pikanterie,  wie 
sie  sonst  nur  bei  Diaz  sich  findet.  Und  er  hat,  wenn  er  seine 
öden  Bergthäler  und  steilragenden  Felswände  mit  phantastischen 


XXI.  Das  humoristische  Anekdotenbild 


165 


Hermann  Kauffmann:  Heimkehr  vom  Felde. 


Drachenhöhlen  und  seltsamen  Anachoreten  belebte,  dabei  manchmal 
so  kühne  Farbensymphonien  von  saphirblau,  smaragdgrün  und  roth 
erklingen  lassen,  dass  seine  Bildchen  wie  Vorahnungen  Boecklins 
erscheinen.  Spitzweg  war  ein  Maler  für  Amateurs.  Seine  vornehmen 
Cabinetsstücke  gehören  zu  den  wenigen  deutschen  Erzeugnissen 
jener  Jahre,  die  zu  besitzen  ein  Genuss  ist,  und  erfreuen  wie  seltene 
Leckerbissen,  wenn  man  in  der  trostlosen  Oede  öffentlicher  Galerien 
auf  sie  stösst. 

Bürkels  realistisches  Programm  wurde  mit  fast  noch  grösserer 
Energie  von  Hermann  Kauffmann  aufgenommen,  der  von  1827 — 33 
dem  Münchener  Kreise  angehörte  und  dann  bis  zu  seinem  Tode  1888 
in  seiner  Vaterstadt  Hamburg  malte.  Sein  Stoffgebiet  war  im  All- 
gemeinen das  Bürkels:  Bauern  auf  dem  Felde,  Fuhrleute  auf  der 
Landstrasse,  Holzfäller  bei  der  Arbeit  und  Jäger  im  verschneiten 
Wald.  In  den  ersten  Jahren  nach  seiner  Heimkehr  verwendete  er 
für  seine  Bilder  noch  vorwiegend  Motive  aus  der  süddeutschen  Ge- 
birgswelt.  Ein  Ausflug  nach  Norwegen  1843  regte  ihn  zu  einer 
Reihe  norwegischer  Landschaftsstudien  von  ungemeiner  Frische  und 
naiver  Unmittelbarkeit  an.  In  der  Probstei  in  Holstein  studirte  er 
das  Fischerleben.  Sonst  bildet  fast  immer  die  Umgebung  Hamburgs 


1 66 


XXI.  Das  humoristische  Anekdotenbild 


den  Hintergrund  seiner  Bil- 
der: Harburg,  Kellinghusen, 
Wandsbeck,  das  Alsterthal. 
Und  Lichtwark  betont  mit 
Recht,  dass  in  diesen  Werken 
oft  eine  Einfachheit  der 
Mache,  eine  Grösse  der  Auf- 
fassung ist,  die  direct  an  Jean 
Francois  Millet  streift.  Na- 
mentlich gilt  dies  von  den 
zahlreichen  Studien,  die  aus 
dem  Nachlass  des  Malers  in 
den  Besitz  der  Hamburger 
Kunsthalle  kamen.  Kauff- 
mann  pflegte  seine  Bilder- 
motive in  Cartons  vorzube- 
reiten, die  bald  nur  in  Blei- 
stift, bald  in  Kreide,  gelegent- 
lich auch  in  Buntstift  oder 
leichten  Aquarellfarben  aus- 
geführt wurden,  und  diese 
frischen  Vorarbeiten  gewähren 
einen  viel  ungetrübteren  Genuss  als  die  vollendeten  Bilder.  Bei 
jenen  wird  die  Freude  an  den  originellen  Eigenschaften  durch  die 
Buntheit  des  Colorits  beeinträchtigt;  hier,  wo  die  zurückhaltend  an- 
gewandte Farbe  nicht  stört,  wird  das  Auge  desto  mehr  auf  die 
breite  originelle  Mache,  die  freie  Grösse  der  Anschauung  gelenkt. 
Hätte  er  besser  malen  können  und  nicht  in  dem  abgelegenen  Ham- 
burg gelebt,  wäre  er  vielleicht  als  einer  der  epochemachenden  Maler 
des  Jahrhunderts  zu  feiern. 

In  Berlin  ging  mit  diesen  Meistern  der  gute  Eduard  Meyerheim 
parallel,  dem  ein  altes  Herkommen  den  Ruhm  gibt,  das  Bauern- 
und  Kinderbild  in  die  deutsche  Malerei  eingeführt  zu  haben.  An 
künstlerischer  Kraft  kann  er  weder  mit  Bürkel  noch  mit  Kauff- 
mann  verglichen  werden.  Jene  sind  energische,  gesundheitstrotzende 
Realisten,  die  in  Allem,  was  sie  zeichneten,  nur  von  der  ernsten  Ab- 
sicht ausgingen,  das  Leben  in  seinen  charakteristischen  Aeusserungen 
zu  packen.  Der  kindliche,  freundlich  lächelnde  Meyerheim  neigt  be- 
denklich einer  sentimental-rührseligen  Umhüllung  der  Wirklichkeit 


XXI.  Das  humoristische  Anekdotenbild 


167 


Meyerheim:  Der  Schützenkönig. 


zu.  Für  Berlin  bleibt  ihm  seine  Bedeutung  gleichwohl  unbestritten. 
Bisher  waren  auch  an  der  Spree  Zigeuner,  Schmuggler  und  Räuber 
die  einzigen  Menschengattungen,  die  der  Kunst  neben  Rittern,  Mönchen, 
Edelfräulein  und  Italienerinnen  als  darstellungsfähig  galten.  Friedrich 
Eduard  Meyerheim  suchte  die  Bauern  auf,  noch  bevor  die  Literatur 
diesen  Schritt  gethan,  und  eröffnete  1836  mit  seinem  »Schützenkönig« 
die  Reihe  der  bescheidenen  Bildchen,  in  denen  er  nicht  müde  wurde, 
die  kleinen  Feste  des  Landmannes,  das  Glück  der  Eltern  und  die 
Spiele  der  Kinder  in  treuherzig  braver  Weise  zu  schildern. 

ln  dem  alten  Danzig  war  er  emporgewachsen,  in  den  wink- 
ligen Gässchen  der  alten  freien  Reichsstadt  zwischen  Trödelbuden, 
Krämern  und  Handwerkern  trieb  er  sich  als  Knabe  herum.  Und  als 
er  sich  später  in  Berlin  niedergelassen,  malte  er,  was  ihn  in  seiner 
Jugend  erfreute.  Seine  Studienreisen  waren  wenig  ausgedehnt,  sie 
führten  ihn  ausserhalb  der  Mark  kaum  weiter  als  nach  Hessen, 
dem  Harz,  nach  Thüringen,  Altenburg,  Westphalen.  Hier  zeich- 
nete er  mit  unermüdlichem  Fleiss  die  traulichen  Dorfhäuser  und 
baumumschatteten  Kirchen,  die  Hütten,  Höfe  und  Gässchen,  die 


1 68 


XXI.  Das  humoristische  Anekdotenbild 


Meyerheim:  Die  Strickstunde. 


verwitterten  Stadtwälle 
mit  ihrem  morschen 
Gemäuer,  die  beschei- 
denen Landschaften 
Norddeutschlands, 
liebliche  Thäler,  busch- 
ige Hügel  und  Blei- 
chen, von  stillen  Flüss- 
chen unter  alten  Wei- 
den durchzogen  und 
belebt  von  den  Fi- 
guren der  Bauern,  die 
noch  so  manches  Stück 
ihrer  alten  Volkstrach- 
ten bewahrten.  Einen 
Begriff  vom  deutschen 
Volk  jener  Zeit  können 
seine  Bilder  gewiss 
nicht  geben.  Denn  nur 
in  der  besten  Kirch- 
weihstimmung mit 


Sonntagstoilette  und 

reingewaschener  Seele  hat  das  Landvolk  Meyerheim  gesessen.  Klarheit, 
Sauberkeit,  Nettigkeit  herrschen  durchaus  vor.  Aber  so  wenig  seine 
Bilder  der  Wahrheit  entsprechen,  so  wenig  wirken  sie  affectirt  unwahr, 
da  ihr  Idealismus  keiner  Schulschablone,  sondern  dem  harmlos  heiteren 
Naturell  des  Malers  entsprang.  Eine  gemiithlich  idyllische  Poesie  liegt 
über  seinen  Figuren  und  Wohnstuben.  Keusch  und  anmuthig  sind 
seine  Frauen  und  Mädchen ; man  fühlt,  dass  Meyerheim  den  Leiden  ' 
und  Freuden  der  kleinen  Leute  ein  warmes  Mitgefühl  entgegenbrachte, 
dass  er  Verständniss  hatte  für  dies  glückliche  Familienleben,  sich 
selbst  gern  an  den  lustigen  Volksfesten  betheiligte,  dass  er  die  Welt 
nicht  nach  Schönheitsregeln  idealisirte,  sondern  sie  so  schön  zu 
sehen  glaubte.  Sein  Schützenfest  auf  dem  Lande  von  1836  (Ber- 
liner Nationalgalerie)  hat  als  Hintergrund  eine  weite,  freundliche 
Hügellandschaft  mit  blauen  Höhenzügen  in  der  Ferne,  über  denen 
freundlicher  Sommersonnenschein  liegt.  Vorn  bewegt  sich  eine  Menge 
sauber  nach  Studien  zusammengestellter  Figürchen.  Der  bekränzte, 
festlich  geschmückte  Schützenkönig  steht,  die  Büchse  in  der  Rechten, 


XXI.  Das  humoristische  Anekdotenbild 


169 


stolz  am  Wege,  auf 
dem , von  der  Dorf- 
musik begleitet,  der 
Schützenzug  naht.  Ein 
alter  Bauer  beglück- 
wünscht ihn,  die  hüb- 
schen Dorfdirnen  und 
Bauernfrauen  in  ihrer 
schmucken  Volks- 
tracht kichern  und 
schauen;  die  Nachbarn 
trinken  ihm  lustig  zu. 

Die  »Morgenstunde« 
im  Hause  des  Tisch- 
lers, wo  der  Gross- 
vater dem  Enkelchen 
die  Schulaufgabe  über- 
hört; das  Versteckspiel 
der  Buben  hinter  den 
Bäumen;  der  Strick- 
unterricht der  Gross- 
mutter; die  junge  Frau 
am  Bett  ihres  nackten  Knaben,  der  die  Decke  abgeworfen  hat  und  mit 
seinen  rosigen  Füsschen  spielt ; der  Kirchgang  im  hessischen  Dorf, 
mit  dem  lindenbeschatteten  Marktplatz  und  den  frischen  Mädchen- 
gestalten in  der  festlichen  Volkstracht  — das  alles  sind  Bilder,  die 
einst  in  Kupferstich  und  Lithographie  ganz  Deutschland  über- 
schwemmten und  das  Entzücken  jedes  Kunstvereinsgastes  waren. 

Allgemeine  Verbreitung  fand  das  deutsche  Bauerngenre  erst, 
nachdem  seit  dem  Ende  der  30er  Jahre  der  Dorfroman  in  Schwung 
gekommen.  Walter  Scott,  der  Romantiker,  war  zugleich  der  Be- 
gründer der  Bauernnovelle:  er  studirte  zuerst  das  Leben  und  den 
menschlichen  Charakter  am  Bauernthum  seiner  Heimath : dessen 
derbe,  gesunde  Fröhlichkeit,  seine  humoristischen  Sonderheiten,  seine 
hitzige  Streitlust,  und  führte  die  romantischen  Geister  aus  ihrer  idyll- 
ischen oder  düstern  Traumwelt  so  der  Wirklichkeit  und  deren  Poesie 
näher.  Bei  uns  gab  ein  Menschenalter  später  Immermann  mit  der 
Oberhof-Episode  seines  Münchhausen  dieser  Gattung  Existenz.  Der 
»Dorfschulze«  ward  rasch  eine  jener  typischen  Gestalten,  nach  denen 


XXI.  Das  humoristische  Anekdotenbild 


von  der  Poesie  hundert 
andere  gebildet  wur- 
den. Jeremias  Gotthelf 
begann  iSjjmitseinem 
»Bauernspiegel«  die 
Schilderungen  aus  dem 
Berner  Landleben,  die 
durch  ihren  derben 
Hausverstand  allgemei- 
nen Beifall  fanden.  Ber- 
thold  Auerbach,  Otto 
Ludwig,  Gottfried  Kel- 
ler begannen  ihre  Thä- 
tigkeit,  und  Fritz  Reuter 
fand  für  seine  humorist- 
ischen Schilderungen  im 
Dialekt  die  noch  schär- 
fer zugeschnitteneForm. 

Der  Einfluss  dieser 
Schriftsteller  auf  die 
Malerei  war  ungeheuer. 
Allenthalben  beginnt  sie  jetzt  in’s  Volk  zu  gehen,  sich  mit  Lust  und 
Freude  in  d>e  Wirklichkeit  zu  versenken.  Der  Bauer  war  bald  eine 
im  Kunsthandel  gesuchte  und  beliebte  Figur.  Anderntheils  brachte 
diese  Anlehnung  an  die  Dichtung  den  Nachtheil  mit  sich,  dass  nun 
auch  in  Deutschland  jene  »Genremalerei-  in  Schwung  kam,  die 
nicht  mehr  auf  die  einfach  sachliche  Schilderung  von  Gesehenem, 
sondern  auf  die  kunstgerechte  Composition  von  Erfundenem,  auf  die 
weitläufige  Erzählung  von  Humoresken,  Novellen  und  Rührstücken 
ausging.  Bürkel  und  Fiermann  Kauffmann  wussten  noch  nichts  von 
Genrehumor.  Sie  versenkten  sich  in  die  Wirklichkeit,  statt  von  oben 
herab  darüber  zu  witzeln,  und  indem  sie  jede  forcirte  Drolligkeit,  alles 
aufdringliche  Unterstreichen  der  Charaktere  vermieden,  näherten  sie 
sich  trotz  ihrer  technischen  Mängel  ein  wenig  der  stillen  Poesie,  die 
an  den  alten  Holländern  freut.  Gleich  diesen  haben  sie  treu  nach 
der  Natur  gearbeitet,  in  tiefer,  achtungsvoller  Liebe  zu  dieser  nichts 
anderes  geben  wollen  als  die  Natur  selbst  in  einfacher,  wahrheits- 
getreuer, persönlicher  Auffassung.  Und  wegen  dieser  frischen  natura- 
listischen Elemente  sind  sie,  obzwar  altmodisch,  doch  nicht  veraltet, 


170 


Meyerheim:  Spielende  Kinder. 


XXI.  Das  humoristische  Anekdotenbild  17  i 

ja  beherrschen  in  ihrer  Grundanschauung  noch  die  lebende  deutsche 
Kunst.  Die  weitausgesponnenen  Erzählungen  der  Folgenden  sind  wegen 
ihres  Figurenreichthums  und  der  Verschiedenheit  ihrer  Charaktere 
zwar  äusserlich  imposanter.  Viele  sind  ausgezeichnete  Beobachter 
des  moralischen  Ausdrucks,  es  gelingt  ihnen  vortrefflich  an  dem  Ge- 
sichte den  Charakter  darzustellen,  es  ist  belehrend  sie  zu  betrachten, 
man  macht  bei  ihnen  psychologische  Studien,  sie  können  einen 
Roman  illustriren.  Aber  das  Element  der  Intimität,  die  Poesie  des 
Schlichten , die  Wahrheit  ist  aus  ihren  Werken  gewichen.  Dort 
einfache  Ausschnitte  aus  dem  Alltagsleben  von  naiver  Unmittelbarkeit, 
hier  durchcomponirte,  für  die  gute  Stube  bestimmte  Bilder.  Wie 
Immermann  in  seinem  Münchhausen  Dorf  und  Stadt  in  satirischen 
Vergleich  stellte,  so  kommt  es  auch  diesen  Malern  nicht  mehr  darauf 
an,  sachlich  herauszuheben,  was  an  einfacher  Lebenspoesie  im  Bauern- 
dasein liegt;  sie  arbeiten  ebenfalls  mit  Contrasten.  Ethnographische 
Belehrung,  novellistische  Unterhaltung  und  belustigende  Komik  wird 
ihr  Arbeitsfeld. 

In  Karlsruhe  lenkte  Johann  Kirner  zuerst  in  diese  humoristischen 
Bahnen  ein,  indem  er  das  schwäbische  Bauernleben  zu  lächerlichen 
Anekdoten  verarbeitete.  In  München  war  Carl  Enhuber  im  Erfinden 
komischer  Episoden  aus  dem  Hochlandsleben  besonders  fruchtbar  und 
wegen  seiner  faustdick  aufgetragenen  Drolligkeit  einer  der  beliebtesten 
Helden  des  Kunstvereins.  Man  war  entzückt  über  den  Partenkirchener 
Jahrmarkt,  diesen  Wunderdoktor,  der  im  Sinne  Gerhard  Dows  vor  dem 
Dorfwirthshaus  der  erstaunten  Menge  die  fabelhaften  Eigenschaften 
seiner  Fleckseife  mit  hoher  Beredsamkeit  zu  Gemüthe  führt,  über 
diese  Bauernversammlung,  die  dem  Maler  Gelegenheit  gegeben  hatte, 
alle  stehenden  Figuren  eines  kleinen  Städtchens  vom  Herrn  Land- 
gerichtsassessor und  Bezirksarzt  bis  zum  Nachtwächter  herunter  für 
Jeden  deutlich  erkennbar  anzubringen.  Sein  zweiter  Treffer  war  die 
unterbrochene  Kartenpartie:  der  Schmied,  der  Müller,  der  Schneider 
und  andere  Honoratioren  des  Dorfes  werden  in  ihrer  geselligen  Ver- 
einigung durch  die  sehr  unliebenswürdige  Gattin  des  Schneiders  so 
unerwünscht  gestört,  dass  der  glückliche  Gatte  unterm  Tisch  seine 
Rettung  sucht.  Der  Hausknecht  hält  die  blaue  Schürze  vor,  der 
Müller  und  der  Schmied  machen  die  gleichgültigsten  Gesichter,  aber 
ein  kleiner  Junge,  der  die  Mutter  mit  dem  Masskruge  begleitet,  entdeckt 
den  Verborgenen  dennoch,  da  ihn  sein  verlorener  Pantoffel  verräth. 
Eine  noch  grössere  Fülle  drolliger  Typen  enthielt  der  »Gerichtstag«: 


I?2 


XXI.  Das  humoristische  Anekdotenbild 


Enhuber:  Die  unterbrochene  Kartenpartie. 


der  Vorhof  eines  oberbayerischen  Landgerichts,  wo  die  Parteien 
theils  warten,  theils  niedergeschlagen  oder  befriedigt  die  Amtsstube 
verlassen.  Sehr  befriedigt  natürlich  ein  gebirglcrisches  Brautpaar, 
ein  dicker  Bauernbursch  und  eine  dralle  Maid,  die  sich  den  amtlichen 
Consens  zur  Heirath  holten.  Auch  «verunglückte  Landpartien 
— Städter,  die  bei  der  Ankunft  im  Gebirge  vom  Regen  überfallen 
werden  — ergaben  sehr  komische  Situationen. 

In  Düsseldorf  musste  schon  die  Reaktion  gegen  die  herrschende 
Sentimentalität  der  Historienmaler  in  diese  humoristischen  Bahnen 
lenken.  Als  das  Trauern  in  den  30er  Jahren  gar  kein  Ende  nehmen 
wollte,  sprach  Adolf  Schroedter,  der  Satyr  im  Malerchor  der  älteren 
Düsseldorfer,  dort  das  erlösende  Wort,  indem  er  anfing,  die  Werke 
der  Grossmaler  zu  parodiren.  Als  Lessing  das  trauernde  Königspaar 
geschaffen,  malte  Schroedter  den  Triumphzug  des  Königs  Wein;  als 
Hermann  Stilke  seine  stilvollen  Kreuzfahrer  und  Ritter  vorführte, 
illustrirte  Schroedter  als  warnendes  Beispiel  den  Don  Quixote;  als 
Bendemann  den  trauernden  Jeremias  und  die  trauernden  Juden  in 


XXI.  Das  humoristische  Anekdotenbild 


Enhubtr : Gerichtstag  in  Oberbayern. 

die  Welt  setzte,  schuf  Schroedter  das  lustige  Bild  »Die  betrübten 
Lohgerber«,  die  jämmerlich  einem  weggeschwommenen  Felle  nach- 
blicken. Da  er  witzig  war  und  Witz  weniger  Sache  der  Malerei 
als  der  Zeichnung  ist,  so  haben  als  seine  besten  Leistungen  wohl  die 
hübschen  Lithographien  »Thaten  und  Meinungen  des  Abgeordneten 
Piepmeyer«  zu  gelten,  die  er  zusammen  mit  dem  hannoverschen 
Advokaten  Detmold,  dem  Verfasser  der  »Anleitung  zur  Kunstkenner- 
schaft«, herausgab.  An  den  geistreichen  Dilettanten  Schroedter 
schloss  sich  der  hausbackenere  Hasenclever,  der  mit  wenig  Witz  und 
viel  Behagen  Bilder  zu  Kortums  Jobsiade  malte.  Auf  diesem  Um- 
weg über  die  Illustration  kam  man  allmählich  dazu , directer  auf 
das  Leben  loszugehen,  neben  melodramatischen  Briganten  das  Land- 
volk oder  den  Bruder  Studio  vor  der  rheinischen  Kneipe,  lächerliche 
Zeitungslcser,  komisch  niesende  Männer  oder  den  schmunzelnden 
Philister  bei  der  Weinprobe  zu  malen. 

Jacob  Becker  ging  in  den  Westerwald,  um  dort  kleine  Dorf- 
tragödien zu  entwerfen  und  errang  mit  seinem  »vom  Blitz  erschlagenen 
Schäfer«  eine  solche  Popularität,  dass  bis  auf  den  heutigen  Tag  sich 


174 


XXI.  Das  humoristische  Anekdotenbild 


Henry  Ritter:  Die  Predigt  des  Seekadetlni. 


schem  Eifer  drei  entgegentaumelnde  Matrosen 


das  Interesse  des  Publi- 
kums an  der  Kunst- 
sammlung des  Staedel- 
schen  Instituts  häutig 
auf  dieses  Bild  con- 
centrirt.  Der  Berliner 
Rudolf  Jordan  setzte 
sich  auf  Helgoland 
fest  und  wurde  1834 
durch  seinen  »Hei- 
rathsantrag  auf  Helgo- 
land« einer  der  ge- 
feiertsten Maler  Düs- 
seldorfs. Seinem  Schü- 
ler, dem  frühverstor- 
benen  Henry  Ritter, 
brachte  1852  seine  Hu- 
moreske »Middys  Pre- 
digt«  einen  gleichen 
Erfolg  — ein  kleiner 
Seekadett,  der  in  komi- 
zur  Massigkeit  zu  be- 


kehren sucht.  Ein  Norweger,  ^Adolf  Tidemand,  wurde  der  Leopold 
Robert  des  Nordens  und  erzielte  gleich  diesem  einen  internationalen 

O 


Erfolg,  als  er  seit  1845  seine  Landsleute,  die  Bauern,  Fischer  und  See- 
leute vom  Nordseestrande  dem  europäischen  Publikum  präsentirte. 
War  doch  aus  seinen  Bildern  wie  aus  denen  Roberts  oder  den  Orient- 
schilderungen Yernets  eine  ethnographisch  treue  Belehrung  über  das 
Leben  eines  der  europäischen  Welt  bis  dahin  unbekannten,  fernen 
Yolksstammes  zu  entnehmen.  Die  Deutschen  lernten  durch  Tidemands 
Bilder  die  norwegische  Weihnachtssitte  kennen,  begleiteten  den  Sohn 
des  Nordens  auf  den  nächtlichen  Fischfang,  wohnten  der  Brautfahrt  auf 
dem  Hardangerfjord  oder  dem  Religionsunterricht  des  Küsters  bei, 
fuhren  mit  den  Fischermädchen  im  Kahn  nach  dem  Nachbardorf 
zum  Besuch  oder  sahen  am  Sonntag  Nachmittag  Grossmutter  und 
Enkel  nach  der  Geige  des  Yaters  tanzen.  Das  norwegische  Bauern- 
leben war  eine  so  romantische  Terra  incognita,  das  Kostüm  so  neu, 
dass  auch  Tidemands  Kunst  wie  eine  neue  Entdeckung  begrüsst 
wurde.  Dass  sich  die  Wahrheit  der  Tidemandschen  Bilder  nur  auf 


XXI.  Das  humoristische  Anekdotenbild 


175 


Tidemaiid:  Grossmutters  Brautkran 1. 


dies  KostümHche  erstreckte,  kam  erst  später  zum  Bewusstsein.  Wie 
Robert  Italien,  sah  Tidemand  seine  Heimath  mit  den  Augen  des 
Romantikers  an,  suchte  ebenfalls  das  Volk  in  einseitiger  Weise  nur 
bei  festlichen  Vorkommnissen  auf.  Auch  er,  obwohl  geborener 
Norweger,  war  Fremder.  Ein  Mann,  der  nie  vertraut  wurde  mit 
dem  Leben  seiner  Landsleute , der  niemals  während  des  rauhen 
Herbstes  und  langen  Winters  in  der  Heimath  lebte , sondern  nur 
als  Sommergast  kam,  wenn  die  Natur  im  Brautgewand  prangte, 
nahm  selbstverständlich  nur  Touristeneindrücke  mit  sich.  Wie  er 
selbst  zur  Erholung  nach  Norwegen  ging,  so  ist  auch  auf  seinen 
Bildern  immer  Sonntagsfriede,  immer  Feiertag.  Er  repräsentirt  den- 
selben idyllischen  Optimismus,  dieselbe  freundliche  Auffassung  vom 
Volk«,  wie  sie  Björnson  in  seinen  ersten  Werken  hatte,  und  es  ist 
bezeichnend,  dass  dieser  selbst  sich  damals  so  in  Uebereinstimmung 
mit  Tidemand  fühlte,  dass  er  eine  seiner  Novellen,  den  »Brautmarsch« 
als  Text  zu  Tidemands  Bilde  Der  Brautkranz  der  Grossmutter 


XXI.  Das  humoristische  Anekdotf.xbild 


176 


Tidemand : Die  Haugianer. 


schrieb.  Die  intime  Poesie  im  einförmigen  Leben  des  Bauern  zu 
suchen,  ihn  auf  seinem  Kampf  ums  Dasein  zu  begleiten,  lag  nicht 
in  Tidemands  Art;  er  lebte  nicht  lange  genug  unter  dem  Volke, 
um  in  die  l iefe  zu  dringen.  Die  auf  seinen  Sommerreisen  ent- 
standenen Zeichnungen,  verrathen  oft  einen  scharfen  Blick  für  das 
Pittoreske  wie  für  das  Seelenleben  dieser  Leute,  aber  wenn  er  später 
in  Düsseldorf  mit  Hülfe  deutscher  Berufsmodelle  die  Studien  zu 
Bildern  componirte,  wurde  das  scharf  Charakteristische  verwaschen. 
Was  auf  Norwegisch  hätte  gesagt  werden  sollen,  kam  in  accent- 
loser  deutscher  Uebersetzung  heraus.  Seine  Kunst  ist  düsseldorfische 
Kunst  mit  norwegischen  Landschaften  und  Kostümen,  ein  für  deutsche 
Beschauer  abgefasster  Lehrkurs  über  die  Sitten  und  Gebräuche  in  den 
norwegischen  Dörfern.  Das  Einzige,  was  Tidemand  zu  seinem  Yortheil 
von  den  deutschen  Düsseldorfern  unterscheidet,  ist,  dass  er  weniger 
humoristisch  und  sentimental  gestimmt  ist  als  diese.  Bilder  von  ihm 
wie  die  einsamen  Alten . die  Katechisation,  der  verwundete  Bären- 
jäger, des  Grossvaters  Segen,  die  Haugianer  u.  A.  berühren  wohl- 
thuend  durch  eine  gewisse,  sachliche  Schlichtheit.  Andere  hätten 


XXI.  Das  humoristische  Anekdotenbild 


177 


aus  dem  »Abschied  des  Emigranten«  (Nationalgalerie  in  Christiania) 
ein  ganzes  Melodrama  gemacht.  Tidemand  erzählt  den  Vorgang 
ohne  alle  Emphase , weiss  sich  fein  auf  der  Grenzscheide  zwischen 
Sentiment  und  Sentimentalität  zu  halten.  Es  ist  nichts  Hysterisches, 
Unechtes  im  Pathos  dieses  Mannes,  der  sich  fürs  Leben  verab- 
schiedet, in  diesen  Leuten,  die  ihm  ernst  das  Geleite  geben. 

In  Wien  scheinen  die  Genremaler  namentlich  dem  Theater  ihre 
Anregungen  zu  verdanken.  Was  dort  auf  dem  Gebiete  der  grossen 
Kunst  in  der  ersten  Hallte  des  Jahrhunderts  entstand,  ist  nicht  besser 
und  nicht  schlechter  als  allerwärts.  Den  Mengs-David’schen  Classi- 
cismus  vertrat  mit  noch  schärferem  Stich  in’s  Opernhafte  Heinrich 
Füger.  Der  Hauptrepräsentant  des  Nazarenerthums  war  Josef 
Führich,  dessen  Fresken  in  der  Altlerchenfelder  Kirche  coloristisch 
vielleicht  besser  als  die  entsprechenden  Münchener  Arbeiten,  aber 
formell  gleich  abhängig  von  den  Italienern  sind.  Seinen  Wilhelm 
Kaulbach  hatte  Wien  in  Carl  Kahl,  seinen  Piloty  in  Christian  Kuben, 
der  gleich  dem  Münchener  mit  Vorliebe  Columbuse  malte  und  sich 
als  Lehrer  Verdienst  erwarb.  Nur  durch  die  Bildnissmalerei  wurden 
Classicismus  und  Romantik  ein  wenig  mit  dem  Leben  verknüpft, 
und  die  Wiener  Porträtisten  der  vormärzlichen  Zeit  sind  sogar  besser 
als  die  gleichzeitigen  Deutschlands,  da  sie  dem  herrschenden  Idealis- 
mus weniger  Zugeständnisse  machten.  Auf  die  Arbeiten  Lampis 
folgten  die  zarten  Miniaturbildnisse  Moritz  Daffingers.  Der  hauptsäch- 
lichste war  Friedrich  Amerling,  der  in  London  bei  Lawrence,  in 
Paris  bei  Horace  Vernet  gearbeitet  hatte  und  von  dort  mit  tüchtigen 
coloristischen  Kenntnissen  zurückkehrte.  Sie  sicherten  ihm  in  der 
ersten  Hälfte  des  Jahrhunderts  ein  entschiedenes  Uebergewicht  über 
seine  deutschen  Collegen.  Erst  als  er  später  der  gesuchte  Modemaler 
aller  gekrönten  Häupter  geworden,  ging  seine  Kunst  in  theatralische 
Pose  und  unangenehme  Weichlichkeit  über. 

Das  Genrebild  entwickelte  sich  wie  anderwärts  aus  der  Soldaten- 
malerei heraus.  Schon  1813  hatte  Peter  Krafft,  ein  Akademiker 
David’scher  Schule,  ein  grosses  Oelgemälde,  Abschied  des  Landwehr- 
mannes«, ausgestellt:  das  Innere  einer  Dorfstube  mit  einer  in  Lebens- 
grösse entworfenen  Gruppe.  Der  Sohn  des  Hauses  in  grauem 
Soldatenrock,  das  Gewehr  in  der  Hand,  reisst  sich  von  seiner  jungen 
Frau  los,  die,  einen  Säugling  auf  dem  Arm,  unter  Thränen  ihn 
zurückhalten  möchte.  Der  alte  Vater  sitzt  mit  gefalteten  Händen  in 
einer  Ecke  neben  der  Mutter,  die  ebenfalls  weinend  ihr  Gesicht  birgt. 

Muther,  Moderne  Malerei  II. 


I 2 


i?8 


XXI.  Das  humoristische  Anekdotenbild 


1820  fügte  Krafft  diesem  Bild  als  Gegenstück  die  »Heimkehr  des 

Landwehrmannes«  hinzu,  d.  h.  die  Schilderung  der  Veränderungen, 

die  sich  während  der  Abwesenheit  des  Kriegers  in  der  Familie 
vollzogen:  die  alte  Mutter  ruht  schon  unter  der  Erde;  der  greise 
Vater  ist  noch  älter  geworden,  das  Töchterchen  herangewachsen  und 
der  Säugling  trägt  dem  Vater  das  Gewehr  nach.  Es  sind  zwei 
sehr  langweilige  Bilder  — classicistische  Maschinen  mit  modernem 
Costiim,  kalt  und  grau  in  der  Farbe,  falsch  pathetisch  im  Inhalt. 
Trotzdem  spricht  sich  in  ihnen  ein  neues  Kunstprincip  aus.  Krafft 
war  der  erste  in  Oesterreich,  der  erkannte,  an  welch  reichem  Stoff- 
gebiet die  Malerei  bisher  achtungslos  vorüber  gegangen.  Er  warnte 
seine  Schüler  vor  den  Stoffen  der  Romantiker  — diese  seien  er- 
schöpft, »da  es  keinem  gelingen  werde,  Besseres  zu  machen,  als  das 

Abendmahl  von  Leonardo  da  Vinci  oder  die  Madonnen  von  Rafael 
- und  trat  warm  für  die  Ueberzeugung  ein,  dass  der  Historien- 
malerei nicht  aufzuhelfen  wäre,  wenn  sic  nicht  Gegenstände  aus  dem 
modernen  Leben  zu  ihren  Vorwürfen  nehme«.  Krafft  war  ein  aus- 
gezeichneter Lehrer  von  nüchternem,  klaren  Verstand,  der  seine 
Schüler  immer  wieder  auf  die  Natur  und  das  unmittelbare  Leben 
verwies.  Die  Folge  seines  Auftretens  war,  dass  Carl  Schindler, 
Friedrich  Trend,  Fritz  L’Allemand  u.  A.  darangingen,  das  öster- 
reichische Soldatenleben  von  der  Rekrutirung  bis  zum  Kampf,  vom 
Abschied  des  Kriegers  bis  zur  Rückkehr  in’s  Vaterhaus  zu  episodischen 
Bildern  zu  verarbeiten.  Des  Weiteren,  dass  auch  das  Wiener  Genre- 
bild sich  von  der  akademisch-historischen  Kunst  abzweigte. 

Tschischka  und  Schottky  fingen  damals  gerade  an,  die  Wiener 
Volkslieder  zu  sammeln.  Castelli  im  Gebiete  der  poetischen  Schilder- 
ung, Ferdinand  Raimund  in  seinen  Dramen  führten  das  bürgerliche 
Leben  auf  den  Schauplatz.  Bauern  fei  ds  Typen  aus  dem  Volks- 
leben wurden  rasch  populär.  Parallel  mit  diesen  Schriftstellern  gingen 
Josef  Danhauser,  Peter  Fendi  und  Ferdinand  Waldmüller,  die  in 
ihren  Genrebildern  das  österreichische  Volk  in  seinen  Freuden  und 
Leiden,  seiner  Heiterkeit,  Herzlichkeit  und  Gutmüthigkeit  schilderten: 
das  Volk,  das  in  Raimunds  Volkspossen,  nicht  das,  welches  auf 
dem  Pflaster  von  Wien  sich  bewegt. 

Josef  Danhauser,  ein  Wiener  Tischlerssohn,  trieb  sich  in 
Handwerker-  und  Bürgerkreisen  umher.  David  Wilkie  gab  ihm 
die  Form , Ferdinand  Raimund  die  Ideen.  Seine  Atelierscenen 
mit  lustigen  Maljüngern,  die  in  dem  Moment,  wo  sie  den  ärgsten 


XXI.  Das  humoristische  Axekdotenisild 


179 


Schabernack  treiben . von 
ihrem  griesgrämigen  Meister 
überrascht  werden,  gefielen 
denselben  Kunstfreunden,  die 
später  Emanuel  Spitzer  lieb- 
ten. Sein  Prasser«  ist  ein 
Seitenstück  zu  Raimunds 
Verschwender,  und  wenn 
auf  dem  Gegenstück  der 
Schlemmer  verachtet  und 
verarmt  die  Klostersuppe 
neben  Bettlern  schlürft,  sein 
früherer  Lakai  aber  selbst 
im  Unglück  ihm  treu  bleibt, 
so  hat  für  diesen  Typus 
Grillparzers  »treuer  Diener 
seines  Herrn  , die  Vorlage 
gegeben.  Eine  »Testaments- 
eröffnung« geht  auf  das  ent- 
sprechende Bild  Wilkies  zurück.  Mädchen,  die  den  Eltern  ihren  Fehl- 
tritt bekennen , waren  von  Greuze  gemalt.  Eines  der  am  meisten 
belachten  Bilder  schilderte  die  Verheerung,  die  ein  hereinstürmender 
Fleischerhund  in  einem  Atelier  anrichtete.  In  seiner  letzten  Zeit 
kehrte  er  mit  Collins  in  der  Kinderstube  ein  oder  durchwanderte 
mit  dem  Skizzenbuch  die  Vorstädte,  wo  er  das  Strassenleben  der 
Kinder,  die  Charakterköpfe  des  Schullehrers,  des  Stammgastes,  des 
Lotteriespielers  verewigte. 

Das  ist  das  Stoffgebiet,  auf  dem  sich  Waldmi'iller  bewegte.  Paus- 
backige Bauernkinder  sind  die  Helden  fitst  aller  seiner  Bilder.  Der 
Säugling  zappelt  vor  Lust  auf  dem  Schoosse  der  Mutter  und  wird 
vom  Vater  mit  stolzer  Befriedigung  betrachtet,  oder  er  schlummert, 
vom  Schwesterchen  behütet,  dann  wandert  er  den  rauhen  Pfad  zur 
Schule,  bringt  verklärten  oder  zerknirschten  Angesichts  den  Lohn 
seines  Thuns  nach  Hause,  oder  stottert  dem  Grosspapa  den  Glück- 
wunsch zum  Namenstag.  Waldmüller  zeigt  den  »ersten  Schritt  , 
die  Freude  der  »Ghristbescheerung«,  die  Preisvertheilung  an  arme 
Schulkinder«,  er  eilt  mit  der  schaulustigen  Jugend  zum  Guckkasten- 
mann, man  trifft  ihn  bei  der  »Abholung  der  Braut  und  bei  der 
Hochzeit  ; er  führt  in  die  einfache  Bauernstube  und  zeigt  die 


i8o 


XXI.  Das  humoristische  Anekdotenbild 


Wohlthat  des  »Almosens«.  Seine  Kunst  hiess  früher  »veredelter 
Realismus«  , da  er  alle  seine  Bauernbilder  wie  heilige  Familien  auf- 
baute. Selbst  die  Klostersuppe  mit  den  blühenden,  reingewaschenen 
armen  Leuten,  die  in  der  Vorhalle  eines  Klosters  gespeist  werden, 
ähnelt  einer  santa  conversazione  in  ihrer  tadellosen,  wohlabgewogenen 
Composition. 

Friedrich  Gauermann  schweifte  in  der  Gebirgswelt  der  österreich- 
ischen Alpen,  in  Steiermark,  dem  Salzkammergut  umher,  um  dort 
die  Natur  mit  ihren  Bewohnern  und  ihrer  Thierwelt  zu  schildern. 
Er  strebte  im  Gegensatz  zu  dem  Idylliker  Waldmüller  und  dem 
Humoristen  Danhauser  in  erster  Linie  ethnographische  Genauigkeit 
an.  Die  lokalen  Eigenthümlichkeiten  der  Bauern,  verschieden  nach 
den  einzelnen  Thälern,  das  Leben  auf  der  Senne  und  dem  Markte, 
wenn  eine  feierliche  Gelegenheit,  ein  Scheibenschiessen,  eine  Kirch- 
weih, eine  Sonntagsfeier  die  zerstreuten  Alpenbewohner  vereint 
das  ist  in  Gauermanns  Bildern  mit  trocken  ehrlicher  Beobachtung 
geschildert. 

Die  Genremalerei  des  Auslandes  arbeitete  mit  den  gleichen  Typen. 
Nur  die  Toilette  wechselt,  der  Inhalt  der  Bilder  bleibt  der  gleiche. 
Altholländische  Lustigkeit  vereinigt  sich  mit  Hogarths  steifleinener 
Moralität  und  Collins'  Kindlichkeit. 

In  Belgien  war  der  Weg  zum  Volk  schon  durch  Leys  angedeutet 
worden.  Denn  wenn  dieser  auch  noch  Menschen  des  16.  Jahr- 
hunderts malte,  so  waren  sie  doch  nicht  mehr  idealisirt,  sondern 
rauh  und  hässlich  wie  in  der  Wirklichkeit.  Als  dann  in  den  nächsten 
Jahren  die  Liebe  zur  Wahrheit  noch  mehr  zunahm,  kam  ein  Moment, 
wo  auch  die  altdeutsche  Tradition,  unter  deren  Schutze  Leys  noch 
stand,  abgeschüttelt  wurde  und  man  direct,  ohne  Vermittlung  eines 
alten  Stils,  auf  die  Natur  losging.  Belgien  war  damals  eines  der 
wohlhabendsten  und  aufstrebendsten  Länder  Europas.  Die  Privat- 
sammlungen zählten  nach  Hunderten.  Die  reichen  Kaufleute  wett- 
eiferten in  dem  Stolz,  Arbeiten  ihrer  berühmten  Maler  zu  besitzen. 
Das  übte  nothwendig  einen  Einfluss  auf  die  Produktion.  Hübsche 
Genrebilder  aus  dem  Leben  der  Bauern  wurden  bald  die  bevor- 
zugte Waare : man  konnte  zu  ihrer  kunstgeschichtlichen  Sanctionir- 
ung  hier  obendrein  auf  die  grossen  nationalen  Muster  Brouwer  und 
Teniers  hinweisen. 

Die  Maler  arbeiteten  also  zunächst  mit  denselben  Elementen  wie 
Teniers.  Die  Yersatzstücke  ihrer  Bilder  waren  die  Kneipe  mit  dem 


XXI.  Das  humoristische  Anekdotenbild 


i 8 r 


Strohdach,  der  alte  Musikant  mit  der  Violine,  der  Quacksalber,  um 
den  sich  ein  Kreis  gebildet  hat,  verliebte  Paare  oder  Zecher,  die 
sich  mit  Zinnkrügen  schlagen.  Nur  das  Costüm  hat  sich  verän- 
dert und  alles  Ausgelassene,  Urwüchsige  oder  Unanständige  ist  ad 
usum  Delphini  sorgfältig  ausgemerzt.  Dass  die  tiefe  Farbe  der 
Alten  bunt  und  kleinlich  geworden,  war  auch  in  Belgien  eine  noth- 
wendige  Folge  der  durch  den  Classicismus  verursachten  coloristischen 
Hülflosigkeit.  Die  malerische  Furia  Adriaen  Brouwers  hat  einer 
polirten  Porzellanmalerei  Platz  gemacht,  die  fast  nichts  von  Hand- 
arbeit verräth.  Bunte,  harte,  rothe  und  grüne  Farben  waren  be- 
sonders beliebt. 

Ignatius  van  Kegemorter  erüffnete  sich  als  Erster  auf  diesem 
Wege  eine  bescheidene  Bahn.  Wie  man  die  Bilder  Wouwermans 
am  Apfelschimmel  erkennt,  erkennt  man  die  Regemorters  an  der 
Violine.  Jedes  Jahr  stellte  er  eines  aus,  auf  dem  Musik  gemacht 
und  mit  etwas  erzwungener  Heiterkeit  getanzt  wurde.  Dann  kam 
Ferdinand  de  Braekeleer,  der  alte  Leute  Jubiläen  feiern  oder  lachende 
Kinder  und  gute  alte  Frauen  sich  auf  Volksfesten  amüsiren  liess. 
'Feniers  war  sein  hauptsächlichstes  Vorbild , nur  hat  sich  dessen 
mächtige  Jovialität  in  wohltemperirte  Heiterkeit,  sein  breites  Lachen 
in  discretes  Lächeln  verwandelt.  Braekeleers  Bauern  und  Prole- 
tarier sind  alle  von  idyllischer  Milde,  schöne  ehrbare  Seelen  und  bei 
aller  Armuth  doch  ebenso  moralisch  wie  glücklich.  Henri  Coene 
hatte  Gedanken  wie:  »O  die  hübschen  Trauben!«  oder  »Eine  Prise 
gefällig,  Herr  Pfarrer!«  Das  belgische  Genre  ein  wenig  aus  diesem 
engen  Raum  herausgezogen  und  an  die  Stelle  des  ewigen  guten 
Kerls  Ferdinand  de  Braekeleer’s  eine  grössere  Mannigfaltigkeit  mehr 
an  die  Wirklichkeit  streifender  Typen  gesetzt  zu  haben,  ist  das  Ver- 
dienst Madou’s.  Madou  war  Brüsseler.  Er  ward  hier  1796  geboren 
und  starb  1877.  Als  er  auftrat,  war  eben  Wappers  erschienen. 
Madou  erlebte  dessen  Erfolge,  fühlte  sich  aber  nicht  versucht,  ihm 
zu  folgen.  Während  jener  in  grossen  monumentalen  Bildern  ein 
Rubens  redivivus  sein  wollte,  legte  Madou  in  flüchtigen  Bleistift- 
skizzen  seine  Erfindungen  nieder.  Eine  grosse  Anzahl  von  Litho- 
graphien mit  Scenen  der  Vergangenheit  gab  Zeugniss  von  seiner 
Auffassung  der  Geschichte.  Da  war  nichts  in’s  Edle  Emporge- 
schraubtes, kein  Idealismus,  keine  Schönheit,  die  Figuren  bewegten 
sich  unter  ihren  Waffenröcken  und  Helmen  mit  dem  natürlichen 
Gebahren  gewöhnlicher  Menschen.  Neben  grossen  Herren,  Fürsten 


182 


XXI.  Das  humoristische  Anekdotenbild 


Madou:  In  der  Kneipe. 

und  Rittern,  zwischen  Helmen  und  Tricots  tauchten  Trunkenbolde, 
Wirthshauspolitiker,  Dorfcretins  u.  dgl.  auf,  schnitten  Grimassen, 
tanzten  und  rauften.  Die  Blätter  nehmen  in  Belgien  eine  ähnliche 
Stelle  ein,  wie  in  Deutschland  die  ersten  Lithographien  Menzels. 
Doch  Madou  verharrte  noch  kürzere  Zeit  im  Pantheon  der  Geschichte, 
die  Kneipe  übte  grössere  Anziehungskraft.  Erst  die  humoristischen 
Bücher,  die  er  in  Paris  und  Brüssel  herausgab,  zeigten  ihn  in  seinem 
wahren  Lichte.  Und  nachdem  er  sich  mehrere  Jahre  ausschliesslich 
mit  Zeichnungen  beschäftigt,  feierte  er  1842  sein  Debüt  als  Maler. 
Es  ist  schwer  festzustellen,  wie  viel  Madou  seitdem  producirte.  Die 
lange  Zeit  von  1842 — 1877  ist  mit  Arbeiten  gefüllt,  noch  in  den 
70  er  Jahren  zeigte  er  sich  so  frisch  wie  anfangs,  und  war  er  während 
seines  Lebens  als  Spassmacher  gern  gesehen , so  wurde  er  nach 
seinem  I ode  sogar  als  grosser  Maler  gefeiert.  Auf  der  Auction 
seines  Nachlasses  wurden  Bilder  zu  22,000  Eres.,  Skizzen  für  3200 
Eres.,  Aquarelle  für  2150  Frcs.,  Zeichnungen  für  750  Eres,  verkauft. 
Die  Gegenwart  führt  diese  Ueberschätzung  auf  das  richtige  Maass 
zurück,  ohne  jedoch  an  Madou ’s  historischer  Bedeutung  zu  rütteln. 
Er  hat  seine  feste  Stellung  als  derjenige,  der  für  die  belgische  Kunst 
das  moderne  Leben  eroberte,  und  ist  für  die  Genremalerei  jener 


XXL  Das  humoristische  Anekdotenbii.d 


183 


Madou:  Der  Betrunkene. 


Jahre  um  so  mehr  bezeichnend,  als  er  an  Unerschöpflichkeit  der 
Erfindung  alle  seine  Genossen,  auch  in  Deutschland  und  England 
überragte. 

Es  geht  äusserst  lustig  zu  auf  seinen  Bildern.  Eine  der  be- 
liebtesten Figuren  ist  der  Feldwächter,  ein  alter  schlauer  Fuchs  mit 
kupferrothem  faltigen  Gesicht  und  grossen  Ohren,  der  mehr  zum 
Schrecken  der  Liebespärchen  als  der  Wilderer  sich  am  Waldessaum 
herumtreibt  und  nie  auf  Jemanden  zielt  als  zum  Scherz  auf  den 
Herrn  Landrichter,  den  dicken  Herrn  mit  der  bunten  Weste,  der  be- 
häbig am  Ende  des  Weges  auftaucht.  Prahlhänse,  arme  Teufel,  alte 
Grenadiere,  die  mit  Dienstmädchen  scherzen,  alte  Marquis,  die  mit 
gezierter  Grandezza  den  Tabak  aus  ihrer  Schnupftabakdose  nehmen, 
Charlatans  in  ihrer  Bude,  taubstumme  Flötenbläser,  gelehrige  Hunde, 
Jungen,  die  an  der  »ersten  Pfeife«  krank  werden,  folgen  in  bunter 
Reihe.  Dazwischen  tauchen  Politiker  auf,  superkluge  und  dumme, 
die  mit  gespreizten  Beinen,  den  Zwicker  auf  der  Nase,  mit  Wichtig- 
keit die  frisch  gedruckte  Zeitung  aufschlagen.  Ganz  besonders  liebte 
er  die  Betrunkenen , und  da  war  die  Heiterkeit  unwiderstehlich. 


»8-4 


XXI  Das  humoristisch!:  Anekdotenbild 


Kerle  mit  Silenbäuchen  und  blauen  Schnapsnasen  waren  am  Tisch 
eingeschlafen  und  amüsirten  durch  ihr  Schnarchen  die  übrigen  Kneip- 
gäste.  Zuweilen  öffnete  sich  die  Thür,  und,  einen  Besen  in  der 
Hand,  keifend,  erschien  ein  weibliches  Wesen.  Es  war  nun  sehr 
lustig,  die  Miene  des  Betrunkenen  zu  sehen.  Er  versuchte  sich  beim 
Klang  der  geliebten  Stimme  zu  erheben  und  klammerte  sich  wankend 
an  den  Tisch,  ängstlich  die  Bewegungen  seiner  Ehehälfte  verfolgend, 
oder  er  setzte  sich  fester  im  Stuhl  zurecht  mit  einem  resignirt 
muthigen  »j’y  suis  j’y  reste«. 

Adolf  Dillens  wirkt,  weil  er  weniger  witzig  sein  will,  sym- 
pathischer. Auch  er  hatte  mit  forcirten  Anekdoten  begonnen,  legte 
jedoch,  seit  ihm  eine  Reise  nach  Seeland  den  Blick  für  die  Natur 
eröffnet,  das  Burleske  ab  und  schilderte  in  frischen  Bildern,  was 
er  gesehen  hatte:  gesunde  Menschen  von  patriarchalischen  Sitten. 
Selbst  seine  Malweise  wurde  einfacher  und  natürlicher,  das  bisher 
den  Alten  abgesehene  Colorit  frischer  und  heller.  Er  befreite  sich 
vom  Rembrändt’schen  Clairobscur  und  fing  an , ohne  Brille  in 
die  Natur  zu  sehen.  Seine  Beobachtung  hat  etwas  Poetisches,  er 
liebte  die  guten  Leute  und  malte  sie  in  der  schlichten  Einfachheit 
ihrer  Existenz:  ein  heiteres  Greisenalter , das  keine  Runzeln,  eine 
lachende  Jugend,  die  keine  Sorgen  kennt.  Auch  er  ist  einseitig,  da 
von  seiner  glücklichen  Welt  eine  gütige  Fee  allen  Kummer  fernhält, 
aber  seine  Bilder  sind  Erzeugnisse  eines  liebenswürdigen,  frischen 
Temperaments.  Ein  gemüthliches  Zusammensitzen  in  der  Kneipe, 
ein  Gespräch  unter  der  Thür,  Schlittschuhfahren,  Scenen  in  Schuster- 
werkstätten, Begegnungen  auf  Brücken,  ein  Windstoss,  der  den  Regen- 
schirm umstülpt,  sind  seine  gewöhnlichen  Themen,  und  wenn  er 
sie  mit  kleinen  episodischen  Details  verbrämt  wie  schüchternen  Lieb- 
hahern,  die  Blumensträusse  bringen,  hübschen  jungen  Mädchen,  die 
ein  Liebesgcständuiss  anhören  und  dabei  erröthend  die  Schürze 
streichen,  verliebten  Schustern,  die  ihren  Besucherinnen  ein  wenig 
zu  hoch  über  dem  Knöchel  Mass  nehmen,  so  ist  dieses  Vergnügen 
so  unschuldig,  dass  Niemand  ihm  darob  zürnen  kann. 

In  Frankreich  brachte  es  durch  humoristische  Anekdoten  in  den 
30er  Jahren  hauptsächlich  Francois  Biard,  der  Paul  de  Kock  der 
französischen  Malerei  zu  Ansehen,  der  sein  ganzes  Leben  der  kom- 
ischen Schilderung  der  kleinen  Gebrechen  und  Unfälle  des  Spiess- 
bürgerthums  widmete.  Er  wusste  seine  Spässe  sehr  geschickt  in 
Scene  zu  setzen,  die  lächerlichen  Eigenheiten  des  Philisters  mit 


XXI.  Das  humoristische  Axekdotekbild 


185 

handgreiflicher  Derbheit  zu  verspotten.  Vor  seinen  Bildern  drängte 
sich  daher  die  Masse,  obwohl  oder  weil  sein  Esprit  der  gewöhn- 
lichsten Art  war.  Wandernde  Komödianten  mussten  sich  bei  ihrer 
Toilette  komisch  betragen.  Knaben  badeten  und  ein  Gendarm  trug 
unterdessen  die  Kleider  weg.  Ein  Posten  salutirte  vor  einem  deco- 
rirten  Veteranen  und  dessen  Frau  machte  dankend  einen  Knix.  Der 
Dorfschulze  nahm  mit  feierlicher  Grandezza  die  Revue  der  freiwilligen 
Bürgerwehr  ab.  Ein  Kind  producirte  sich  am  Klavier  unter  der  Be- 
wunderung gähnender  Verwandten.  Eines  seiner  Hauptbilder  nannte 
sich  »Posada  espagnol«.  Der  Held  war  ein  Mönch,  der  sich  rasircn 
Hess  und  dabei  einer  vorübergehenden  40jährigen  Schönheit  zu- 
zwinkerte. Andere  Weiber  standen  und  sassen  ringsum.  Da  brach  eine 
Schweineheerde  ein,  warf  Alles  durcheinander,  setzte  die  Waden  der 
Damen  dem  Tageslicht  aus  und  rief  einen  jener  komischen  Schreckens- 
effekte hervor,  wie  sie  Paul  de  Kock  liebte.  Biard  war  an  solchen 
geistreichen  Reizmitteln  für  die  Lachlust  unerschöpflich,  und  da  er 
auch  weite  Reisen  gemacht,  so  hatte  er,  wenn  es  nichts  zu  lachen 
gab,  doch  immer  einen  Sklavenmarkt,  einen  Urwald,  eine  Eisregion 
in  Vorrath,  um  damit  die  Neugier  seiner  Verehrer  zu  befriedigen. 
Er  war  von  deutschem  Standpunkt  ein  nicht  unbedeutender  Künstler, 
dessen  sprudelnde  Einfälle  zehn  Genremaler  ernährt  hätten,  und  wenn 
er  in  Frankreich  der  einzige  Vertreter  des  humoristischen  Anek- 
dotenbildes  blieb,  so  ist  dies  wohl  darin  begründet,  dass  dort  die 
Kunst  früher  als  anderwärts  durch  die  socialpolitische  Ideenbewegung 
in  ernstere  Bahnen  gelenkt  ward. 


QXg) 


XXII. 


Das  socialistischc  Tendenzbild. 

DASS  das  moderne  Leben,  in  allen  Ländern  gleich  massig,  zu- 
| nächst  nur  unter  der  Form  der  humoristischen  Anekdote  in 
die  Kunst  Eingang  fand,  hängt  zum  Theil  mit  den  ein- 
seitigen ästhetischen  Anschauungen  jener  Jahre  zusammen.  Man  er- 
innerte sich  in  einer  vom  Idealismus  beherrschten  Zeit  nicht,  dass 
Murillo  in  der  Sonne  sitzende  lahme  Bettler,  Velazquez  Krüppel 
und  Trunkenbolde,  der  alte  I lolbein  Aussätzige  malte,  dass  Rembrandt 
eine  solche  Vorliebe  für  die  kleinen  Leute  hatte  und  der  alte  Brueghel 
in  unheimlich  düsterem  Pessimismus  die  ganze  Welt  in  eine  schreck- 
liche Klinik  verwandelte.  Der  moderne  Mensch  war  hässlich,  während 
die  Kunst  das  »absolute  Schöne«  verlangte.  Wollte  man  trotz 
mangelnder  beaute  supreme  ihn  einführen  in  die  Malerei,  so  war 
das  einzige  Mittel,  ihn  als  humoristischen  Gegenstand  zu  behandeln, 
gegen  den  die  Kunst  sich  ironisch  zu  verhalten  hätte.  Andererseits 
war  für  diese  Form  der  Humoreske  auch  die  Rücksicht  auf  den 
Consumentenkreis  massgebend.  In  einer  Zeit,  als  sich  die  Malerei 
in  erster  Linie  an  ein  Publikum  wenden  musste,  das  zur  Kunst 
selbst  noch  nicht  erzogen  war  und  nur  Geschiclitchen  ablesen 
konnte,  hatten  solche  Scherze  die  meiste  Aussicht  auf  Beifall  und  Ab- 
satz. Es  galt  Lachen  hervorzurufen  um  jeden  Preis  durch  die 
Dummheit  der  Typen,  die  Drolligkeit  der  Mienen  und  das  Komische 
der  Situationen.  Nach  ihrer  grösseren  oder  geringeren  Verwend- 
barkeit für  Witze  richtete  sich  im  Wesentlichen  die  Auswahl  der 
Figuren.  Kinder,  Bauern  und  kleinstädtische  Philister  schienen  da- 
für am  meisten  geeignet.  Der  Maler  benutzte  sie  als  fremdartige 
naive  Wesen  und  führte  sie  dem  Ausstellungsbesucher  wie  eine  Art 
gelehrter  Pudel  vor,  die  merkwürdige  Dinge  machten,  ganz  wie  die 
Menschen.  Und  die  Kunstvereinsbesucher  lachten  über  die  höchst 
komischen  Käuze  aus  einer  andern  Welt,  wie  ein  paar  Jahrhunderte 
vorher  die  Höflinge  Ludwigs  XIV.  in  Versailles  gelacht  hatten,  wenn 


XXII.  Das  socialistische  Tendenzbild 


187 

die  Abenteuer  der  Bourgeois  Jourdain  und  Monsieur  Dimanche  auf 
der  Bühne  Molieres  von  den  Komödianten  des  Königs  agirt  wurden. 

Allmählich  bemerkten  die  Maler  indessen,  dass  dieser  Humor  ä 
l’huile  künstlerisch  zu  theuer  erkauft  war.  Der  Witz,  der  wie  eine 
Seifenblase  ist,  kann  auch  nur  leichte  Darstellungsweise  vertragen, 
so  wie  Hokusai  zeichnete  oder  Brouwcr  malte,  wirkt  aber  unerträg- 
lich, wenn  er  sich  als  mühsame  Composition  mit  peinlicher  Wirklich- 
keitsabschilderung  zum  Besten  gibt.  Und  neben  diesen  künstlerischen 
machten  sich  auch  ethische  Gründe  dagegen  geltend. 

Die  Drolligkeit  dieser  Bilder  entsprang  nicht  den  Charakteren, 
sondern  dem  Bestreben,  die  Besucher  der  Ausstellung  auf  Kosten  der 
abgemalten  Figuren  zu  amüsiren.  Ein  Bauer  ist  in  der  Regel  ein 
ernster,  vierschrötiger,  eckiger  Gesell.  Er  kämpft  mit  dem  Boden 
um  seine  Existenz;  sein  Leben  ist  kein  Vergnügen,  sondern  harte 
Arbeit.  In  diesen  Bildern  aber  erschien  er  als  Figur  ohne  Zweck 
und  Inhalt,  in  deren  Hirn  sich  der  Ernst  des  Lebens  in  läppisches 
Spiel  verkehrte.  Die  Maler  lachten  über  die  kleine  Welt,  die  sie  vor- 
führten. Sie  waren  nicht  Freunde  des  Menschen,  sondern  sie  paro- 
dirten  ihn,  indem  sic  seine  Welt  in  ein  Kasperltheater  verwandelten. 

Oder  wenn  sie  nicht  mit  überlegen  maliciöser  Ironie  an  ihre 
Figuren  herantraten,  so  dachten  sie  doch  nicht  daran,  mit  ernster 
Wahrheitsliebe  in  die  Tiefen  des  modernen  Lebens  zu  tauchen, 
Sie  malten  Modernes,  ohne  daran  Theil  zu  haben,  wie  gute 
Kinder,  die  nichts  wissen  von  all  dem  Bitteren,  was  in  der  Welt 
vorgeht.  Wenn  die  alten  Holländer  lachten,  so  war  dieses  Lachen 
culturgeschichtlich  begründet.  Es  sprach  sich  in  Ostades  und  Dirk 
Hals’  Bildern  die  ganze  urwüchsige  Ausgelassenheit  und  wildbewegte 
Lebenslust  eines  Volkes  aus,  das  eben  seine  Selbständigkeit  errungen 
hatte,  sich  nach  langen  Kriegsjahren  mit  Wollust  den  Freuden  des 
Daseins  hingab.  Das  Lächeln  dieser  modernen  Genremaler  aber 
war  ein  erzwungenes,  conventioneiles,  künstlich  hervorgerufenes 
Lächeln,  ein  Epigonenlächeln,  das  sich  nur  in  Unkosten  stürzte, 
weil  die  alten  Holländer  gelacht.  Sie  nahmen  ein  rosarothes  Glas 
vor's  Auge  und  sahen  durch  diese  bunte  Brille  vom  Leben  nur  ein 
heiteres  Maskenspiel,  einen  schönen,  aber  inhaltlosen  Schein.  Sie 
Hessen  ihre  Helden  so  viel  Lustiges  erleben,  dass  die  Frage,  wovon 
sie  lebten,  nie  gestreift  ward.  Wenn  sie  ihre  Kneipenbilder  malten, 
vermieden  sie  ängstlich,  den  Gedanken  aufkommen  zu  lassen,  dass 
diese  Leute,  die  so  zwecklos  grosse  Krüge  leerten,  vielleicht  zu 


1 88 


XXII.  Das  socialistische  Tendenzbild 


Hause  kranke  Kinder  hatten,  die  hungernd  in  ungeheiztem  Zimmer 
froren.  Ihre  Bauern  sind  Kinder  des  Glückes,  die  nicht  säen  noch 
ernten  und  von  ihrem  himmlischen  Vater  ernährt  werden.  Laster 
und  Armuth  präsentirten  sich  nur  als  liebenswürdige  Schwächen, 
nicht  als  grosse  moderne  Probleme. 

Gerade  damals  bereitete  sich  nun  die  Revolution  von  1848  vor. 
das  Volk  litt  und  kämpfte,  und  die  Literatur  hatte  sich  schon  seit 
Jahren  an  diesen  Kämpfen  betheiligt.  Vor  der  Revolution  bestand 
der  Kampf  zwischen  Adel  und  Bürgerthum ; jetzt,  wo  dieses  zum 
Theil  den  Platz  des  frühem  Adels  eingenommen,  erhob  sich  das 
ungeheure  Problem  des  Zwiespaltes  zwischen  Unproductiven  und 
Productiven,  zwischen  Besitzenden  und  Armen. 

In  England,  der  Geburtsstätte  des  modernen  Capitalismus,  dem 
Lande,  wo  Grossindustrie  und  Grossgrundbesitz  zuerst  die  unab- 
hängigen Mittelclassen  verdrängten  und  eine  immer  schroffere  Scheid- 
ung zwischen  Allesbesitzenden  und  Nichtsbesitzenden  hervorriefen, 
kam  diese  Sphinxfrage  des  19.  Jahrhunderts  am  frühesten  zu  Worte. 
Schon  vor  60  Jahren,  im  Todesjahr  Goethes,  begann  dort  eine  neue 
Literatur,  die  sociale.  Mit  Ebenezer  Elliot,  der  in  jungen  Jahren 
selbst  schlichter  Fabrikarbeiter  gewesen,  hielt  der  vierte  Stand  seinen 
Einzug  in  die  Literatur,  ein  Arbeiter  cröffnetc  die  Reihe  der  socialen 
Dichter.  Thomas  Hrod  schrieb  seinen  Song  of  the  shirt  , jenes 
Lied  von  der  armen  Näherin,  das  bald  seine  Runde  durch  den  Con- 
tinent  machte.  Carlyle,  der  Freund  und  Bewunderer  Goethes,  trat 
1843  in  seiner  Schrift  »Past  and  present  als  glühender  Sachwalter 
der  Armen  und  Elenden  auf.  »Diese  Welt  ist  für  die  Proletarier 
kein  heimathliches  Haus,  sondern  ein  dumpfes  Gefängniss  voll  toller, 
fruchtloser  Plagen«.  Das  war  ein  Satz,  der  wie  eine  Bombe  die  Welt 
erschütterte;  1845  folgte  Benjamin  Disraelis  Sybil  : als  Roman  eine 
sonderbare  Mischung  aus  romantischen  und  naturalistischen  Capiteln. 
in  diesen  letztem  aber  wie  eine  prophetische  Ankündigung  von  Zolas 
Germinal  wirkend.  Charles  Dickens  hatte  in  seiner  Jugend  als 
Zeitungsreporter  Gelegenheit,  das  Elend  der  Londoner  \ olksmassen 
kennen  zu  lernen,  auch  wo  es  sich  scheu  in  lichtlosen  Schlupf- 
winkeln barg,  und  stellte  in  seinen  Londoner  Skizzen  und  Weih- 
nachtsmärchen solche  Scenen  socialer  Noth  zu  erschütternden  Bildern 
zusammen.  Der  gemeine  Mann,  dessen  Leben  nur  saure  Wochen 
und  spärliche  Feste  kennt,  erhielt  in  der  englischen  Romanliteratur 
das  Bürgerrecht. 


XXII.  Das  socialistische  Tendenzbild 


189 


Für  Frankreich  bedeutete  das  Jahr  1830  zugleich  ein  Ende  und 
einen  Anfang:  den  Abschluss  der  Kämpfe,  die  1789  begannen,  und  den 
Anfang  derer,  die  zur  Entscheidungsschlacht  von  1848  führten.  Mit 
dem  Bürgerkönig,  den  Lafayette  die  »beste  der  Republiken«  nannte, 
kam  der  dritte  Stand  in  den  Besitz  der  lange  erstrebten  Stellung, 
stieg  aus  den  Reihen  der  Benachtheiligtcn  in  die  der  Privilegirten 
empor.  Als  neue  dirigirende  Classe  wucherte  er  mit  den  Früchten 
der  Julirevolution  so  ausgiebig,  dass  Börne  schon  1830  von  Paris 
aus  schrieb:  »Die  Menschen,  die  15  Jahre  lang  gegen  alle  Aristo- 
kratie gekämpft  — kaum  haben  sie  gesiegt,  noch  haben  sie  ihren 
Schweiss  nicht  abgetrocknet,  und  schon  wollen  sie  für  sich  selbst 
eine  neue  Aristokratie  bilden,  eine  Geldaristokratie,  einen  Glücks- 
ritterstand.« In  gleichem  Sinne  1837  Heine:  »Die  Männer  des  Ge- 
dankens, die  im  18.  Jahrhundert  die  Revolution  so  unermüdlich  vor- 
bereitet, sie  würden  erröthen , wenn  sie  sähen,  wie  der  Eigennutz 
seine  kläglichen  Hütten  baut  an  die  Stelle  der  niedergebrochenen 
Paläste  und  wie  aus  diesen  Hütten  eine  neue  Aristokratie  hervor/* 
wuchert,  die,  noch  unerfreulicher  als  die  ältere,  nur  im  Gelderwerb 
ihre  letzten  Gründe  findet.  Damit  waren  die  Grundgedanken  des 
modernen  Socialismus  berührt.  Das  Proletariat,  das  Elend  wurden 
seitdem  die  Stoffe  der  französischen  Dichtung,  obgleich  man  sie  noch 
nicht  im  Sinne  naturalistischer  Wahrheitsliebe,  sondern  nach  den 
romantischen  Gesichtspunkten  des  Contrastes  betrachtete.  Beranger. 
der  populäre  Sänger  der  Chansons,  dichtete  seinen  »vieux  vagabond  . 
das  Lied  vom  alten  Bettler,  der  in  der  Gosse  endet;  Auguste  Barbier 
seine  Ode  an  die  Freiheit,  worin  er  »la  sainte  Canaille«  als  unsterb- 
liche Helden  feiert  und  voll  juvenalischem  Hohn  die  »Ausbeuter  der 
Revolution,  jene  Bourgeois  in  feinen  Handschuhen  geisselt,  die  sich 
gemächlich  die  blutigen  Strassenschlachten  vom  Fenster  aus  ansehen  . 
1842/43  veröffentlichte  Eugene  Sue  seine  »Mysterien  von  Paris«,  ein 
abstossendes,  unsinniges  Buch,  das  aber  gerade  durch  die  ekelerregende 
Offenheit,  mit  der  es  den  Schleier  vom  Leben  der  untern  Volks- 
schichten zog,  ein  ungeheures  Aufsehen  erregte.  Selbst  die  grossen 
Geister  der  romantischen  Schule  begannen  mit  tiefer  Bewegung  und 
inniger  Theilnahme  dem  socialen  und  politischen  Streben  des  Zeit- 
alters zu  folgen.  Schon  im  Laufe  der  30er  Jahre  brachen  von  allen 
Seiten  socialistische  Ideen  über  die  romantische  Schule  herein.  Ihre 
Quelle  war  Saint-Simon , dessen  Lehren  erst  unter  Louis  Philipp 
weitere  Verbreitung  fanden. 


190 


XXII.  Das  socialistische  Tendenzbild 


Nach  ihm  bestand 
die  Aufgabe  des  nou- 
veau Christianismc 
darin , das  Schicksal 
der  ärmsten  und 
gleichzeitig  zahlreich- 
sten Classe  möglichst 
rasch  zu  verbessern. 
Seine  Schüler  be- 
trachteten ihn  als  den 
Messias  der  neuen 
Zeit  und  zogen  als 
dessen  Jünger  hinaus 
in  die  Welt.  George 
Sand , der  kühnste, 
weibliche  Genius  der 
Weltliteratur,  be- 
mächtigte sich  der 
gährendcn  Ideen  und 
begründete  mit  ihrem 
Compagnon  du 
Tour  de  France«  den 
Arbeiterroman.  Es  ist 
das  erste  Buch,  das 
wirklich  von  Liebe 

Leleux:  Mot  d’ordre.  z 11111  »Volk  g«« 

gen  : zum  Volke,  wie 

es  ist,  zu  dem.  das  trinkt  und  Gewaltthaten  begeht,  wie  zu  dem. 
das  arbeitet  und  geistige  Fortschritte  macht.  In  ihrer  Zeitschrift 
L’eclaireur  de  l’Indre«  verficht  sie  bald  die  Sache  der  hauptstädt- 
ischen, bald  die  der  ländlichen  Arbeiter;  1844  erklärt  sie  sich  in  dem 
grossen  Aufsatz  Politik  und  Socialismus«  unbedingt  als  Socialistin, 
1848  gab  sie  die  berühmten  Briefe  an  das  Volk«  heraus. 

Zu  Victor  Hugo  kam  der  demokratische  Ideenstrom  besonders 
durch  den  religiösen  Apostel  Lamenais,  dessen  im  Gefängniss  ge- 
schriebenes Buch  De  l’esclavage  moderne«  der  Revolution  von  1848 
ähnlichen  Zündstoff  gab,  wie  der  von  1789  die  Werke  Rousseaus. 

Der  Bauer  trägt  die  ganze  Wucht  des  Tages,  setzt  sich  dem  Regen, 
der  Sonne  dem  Winde  aus,  um  durch  seine  Arbeit  die  Ernte  vor- 


XXII  Das  socialistische  Tendenzbild 


191 


zubereiten,  die  im 
Spätherbst  unsere 
Scheunen  füllt. 

Wenn  es  ein  Volk 
gibt,  das  ihn  des- 
halb geringer  schätzt 
und  ihm  nicht  Ge- 
rechtigkeit und  Frei- 
heit gibt,  so  bauet 
eine  hohe  Mauer 
um  dieses  Volk,  da- 
mit nicht  sein  stin- 
kender Athem  die 
Luft  in  Europa  ver- 
peste. « In  Hugos  Ge- 
dichten dröhnt  seit 
dem  Beginn  der  40er 
Jahre  der  dumpfe 
Lärm  der  Revolu- 
tion, die  bald  ihren 
Krater  in  Paris  öff- 
nen sollte  und  von 
da  als  grollendes  Ge- 
witter über  Europa  zog.  Statt  der  Tricolore,  unter  der  18  Jahre 
vorher  Bürgerthum  und  Arbeiterschaft  vereint  fochten,  erhob  sich 
blutigroth  das  Banner  der  Arbeiter  gegen  die  herrschende  Bourgeoisie. 

Dieser  ernst  gewordene  Zeitgeist  musste  auch  die  Kunst  in 
andere  Bahnen  lenken  : der  gemalte  Humor  und  kindliche  Optimis- 
mus der  ersten  Genrebilder  fing  an,  eine  Lüge  zu  werden.  Die  Kunst 
kann  trotz  Schiller  nicht  aufrichtig  heiter  sein,  wenn  das  Leben  ernst 
ist.  Sie  kann  mit  den  Gesichtsmuskeln  lachen,  aber  das  Lachen  bleibt 
tonlos;  sie  kann  sich  stolz  für  einen  geweihten  Bezirk  erklären,  in 
dem  nichts  widertönen  dürfe  von  dem  Kämpfen  und  Ringen  da 
draussen  — die  rauhe  Wirklichkeit  fordert  doch  ihr  Recht.  Das 
illustrirt  jenes  bescheidene  Bildchen  Josef  Danhausers  von  1836  Der 
Prasser«.  In  einem  behäbig  ausgestatteten  Saal  sitzt  eine  Gesellschaft 
wohlsituirter  Honoratioren  beim  Mahl.  Fische,  Geflügel,  Torten  und 
Weinflaschen  bedecken  den  Tisch.  Der  Hausherr,  ein  feister  kleiner 
Mann,  kaut  mit  vollen  Backen,  ein  junger  Herr  gibt  ein  Lied  auf  der 


Meissonier : Barrikade. 


XXII.  Das  socialistische  Tendenzbild 


i 92 

Harte  /um  Besten.  Da  erfolgt  eine  unliebe  Störung.  An  der  Thür 
zeigt  sich,  den  fettigen  Hut  in  der  Hand,  in  Lumpen  gehüllt,  die 
Gestalt  eines  Bettlers.  Die  Damen  kreischen,  unter  dem  Stuhl  fährt 
bellend  ein  Hund  hervor,  der  bedienende  Lakai  schickt  entrüstet 
sich  an,  den  frechen  Eindringling  zu  entfernen.  Das  war  die  Halt- 
ung, welche  die  Kunst  bisher  gegenüber  der  socialen  Frage  einnahm. 
Sie  fuhr  ärgerlich  zurück,  sobald  ein  Stück  grober,  brutaler  Wirklich- 
keit ihre  friedlichen  Kreise  störte.  Nur  fröhliche  Lebensbilder  wollte 
man  um  sich  sehen.  Darum  wurden  die  Bauern  stets  in  reinlicher, 
netter  Gewandung  gemalt,  mit  heiter  strahlenden  Blicken,  den  Segen 
der  Arbeit,  die  Freuden  des  Landlebens  verkörpernd.  Selbst  die  Bettler 
waren  harmlose,  still  vergnügte  Menschen,  in  Gesundheit  und  Schön- 
heit prangend  und  von  ästhetischen  Lumpen  umflossen.  Aber  wie 
zu  jeder  Zeit  politische,  religiöse  und  sociale  Bewegungen  lebhaft 
und  nachdrücklich  auf  die  Künstler  wirkten . so  konnten  sich  auch 
im  19.  Jahrhundert  die  Maler  auf  die. Dauer  diesem  Einfluss  nicht 
fern  halten.  Dumpf  grollend,  mit  immer  verstärkterer  Macht  Hess  sich 
die  Stimme  des  Enterbten  hören.  Das  im  Lucas-Evangelium  erzählte 
Gleiclmiss  vom  armen  Lazarus,  der  vor  der  Schwelle  des  Reichen  lag, 
war  zur  entsetzlichen  Wirklichkeit  geworden.  Ueberall  sah  man 
Kampf,  und  es  wäre  eine  Herzensrohheit  gewesen , dieses  leidende 
Volk  noch  länger  als  angenehmes  Belustigungsobject  zu  benutzen. 
Eine  höhere  Auffassung,  die  man  vom  Menschen  bekam,  die  ganze 
philanthropische  Stimmung  des  Zeitalters  Hess  die  Scherze,  über  die 
man  gelacht,  nun  fad  und  erzwungen  erscheinen.  Das  moderne 
Leben  musste  aufhören,  für  die  Kunst  eine  humoristische  Episode  zu 
sein,  es  war  durch  und  durch  ernste  Wirklichkeit  geworden.  Die 
Malerei  durfte  nicht  mehr  witzeln,  sie  musste  mitsprechen,  reden 
von  dem,  was  vor  sich  ging.  Sie  musste  mitkämpfen  für  wirklich 
in  der  Zeit  liegende  Ziele. 

Unter  dem  gewaltigen  Eindruck  der  Julirevolution  machte  sie 
den  ersten  Yorstoss.  Die  Regierung  war  in  blutigem  Ringen  nieder- 
geworfen. das  befreite  Volk  jubelte  auf,  und  der  nächste  Salon 
brachte  mehr  als  40  Darstellungen  des  Ereignisses,  unter  denen  die 
von  Delacroix  an  künstlerischer  Wucht  obenan  stand.  Die  Haupt- 
figur des  Bildes  ist  »ein  jugendliches  Weib,  mit  einer  rothen  phrvg- 
ischen  Mütze,  eine  Flinte  in  der  einen  Hand,  in  der  andern  eine  drei- 
farbige Fahne.  Sie  schreitet  dahin  über  Leichen,  zum  Kampf  auf- 
fordernd, entblösst  bis  zur  Hüfte,  ein  schöner  ungestümer  Leib,  das 


XXII.  Das  socialistische  Tendenzbild 


193 


Gesicht  ein  kühnes  Profil, 
frecher  Schmerz  in  den  Zü- 
gen, eine  seltsame  Mischung 
von  Phryne,  Poissarde  und 
Freiheitsgöttin«.  So  hat  Hein- 
rich Heine  unter  dem  frischen 
Eindruck  des  Ereignisses  das 
Werk  beschrieben.  Mitten 
im  Pulverdampf  steht  »die 
Freiheit«  auf  der  Barrikade, 
rechts  neben  ihr  ein  Pariser 
Gamin,  eine  Pistole  in  der 
Hand,  noch  ein  Kind  und 
doch  schon  ein  Held,  links 
ein  Arbeiter,  ein  Gewehr  im 
Arm  — es  ist  das  Volk,  das 
jubelnd  herbeieilt,  den  Tod 
für  die  grossen  Ideen  der 
Freiheit  und  Gleichheit  zu 
sterben. 

Der  Maler  selbst  war  eine  ganz  unpolitische  Natur.  Er  hatte 
die  Anregung  zu  dem  Bilde  nicht  aus  dem,  was  er  erlebte,  sondern  aus 
den  zornsprühenden  Versen  Auguste  Barbiers  »La  curee«  geschöpft: 

C’est  que  la  Liberty  n’est  pas  une  comtesse 
Du  noble  faubourg  Saint-Germain 
Une  femme  qu’un  cri  fait  tomber  en  faiblesse 
Qui  met  du  blanc  et  du  carmin  ; 

C’est  une  forte  femme  aux  puissantes  mamelles, 

A la  voix  rauquc,  aux  durs  appas, 

Qui,  du  brun  sur  la  peau,  du  feu  dans  les  prunellcs 
Agile  et  marchant  ä grands  pas 
Se  plait  aux  cris  du  peuple,  aux  sanglantes  meines 
Aux  longs  roulements  des  tambours 
A l'odeur  de  la  poudre,  aux  lointaines  volles 
Des  cloches  et  des  canons  sourds. 

Und  er  hat  durch  diese  allegorische  Figur  dem  Bild  gewiss  ein 
Stück  seiner  packenden  Unmittelbarkeit  genommen  — eine  kühne 
naturalistische  That  war  es  trotzdem.  Durch  dieses  Werk  ist  der 
grosse  Romantiker  auch  der  Vater  der  naturalistischen  Bewegung  ge- 
worden, die  nun,  von  der  revolutionär  demokratischen  Presse  unter- 

Mmher,  Moderne  Malerei  II. 


D 


194 


XX.II.  Das  socialistische  Tendenzbild 


stützt,  seit  der  Julire- 
volution immer  mehr 
sich  ausbreitete. 

Die  Kritiker  dieser 
Blätter  fingen  an,  den 
Malern  vorzuwerfen, 
dass  sie  zu  wenig  um 
politische  und  sociale 
Dinge  sich  kümmer- 
ten.  »Die  Actualität 
und  die  sociale  Be- 
deutung der  Kunst 
ist  das,  worauf  es  in 
erster  Linie  ankommt, 
was  heisst  »Schön- 
heit?« Wir  verlangen 
von  der  Malerei,  dass 
sie  auf  die  Gesell- 
schaft wirke  und  am 
Fortschritt  mit- 
arbeite. Alles  andere 
gehört  in  die  Domäne 
der  Utopien  und  Ab- 
stractionen.«  An  die 
Stelle  der  Humo- 
resken treten  sentimentale  und  melodramatische  Scenen  aus  dem 
Leben  der  Armen.  Begeistert  vom  Siege  des  Volkes  und  von  demo- 
kratischen Gefühlen  beseelt,  glaubten  einige  Maler,  dass  auch  die 
Leiden  des  Proletariers  darstellbar  seien  und  dass  es  nichts  Edleres 
gebe,  als  die  Arbeit.  Jeanroti  gab  als  einer  der  Ersten  das  Beispiel. 
Sein  im  Anschluss  an  die  Julirevolution  entstandenes  Bild  der  »kleinen 
Patrioten«  war  eine  Verherrlichung  des  Kampfes  um  die  Freiheit; 
seine  »Scene  aus  Paris«  ein  Protest  gegen  die  Leiden  des  Volkes. 
Fr  suchte  seine  Modelle  unter  den  Armen  der  Vorstadt,  malte  ohne 
Idealisirung  ihre  zerlumpten  Kleider  und  ihre  hässlichen  Köpfe.  Das 
Ziel  der  Kunst  war  ihm  nicht  die  Schönheit,  sondern  der  Ausdruck  der 
Wahrheit  — eine  Wahrheit  freilich,  die  politisch  Propaganda  machte. 
Socialistisch  zu  wirken,  war  Jeanrons  Zweck:  in  seinen  Schmieden, 
seinen  Bauern  oder  jener  Rast  des  Arbeiters«,  die  1847  Thore  zu 


XXII.  Das  socialistische  Tendenzbied 


195 


den  Worten  veranlasste:  »Es  ist 
die  Landschaft  aus  der  Umgegend 
von  Paris,  traurig  und  nackt,  eine 
plebejische  Landschaft,  die  nicht 
sich  selbst  gehört,  die  auf  alle 
Schönheit  verzichtet,  nur  um  im 
Dienste  des  Menschen  zu  arbeiten. 

Jeanron  ist  immer  plebejisch,  sogar 
in  seinen  Landschaften.  Er  liebt  die 
Ebenen,  die  nie  zur  Ruhe  kommen, 
auf  denen  immer  gearbeitet  wird; 
es  gibt  keine  schönen  Blumen  auf 
seinen  Feldern,  sowenig  wie  Gold- 
schmuck auf  den  Lumpen  seiner 
Arbeiter  und  Bettler.« 

Nachdem  dann  während  der 
ersten  Regierungsjahre  Louis  Philipps  die  Strömung  wieder  latent 
gewesen,  setzte  die  Februarrevolution  durch,  was  die  Julirevolution 
begonnen.  Mittehnässige  Maler  wie  Antigua  wurden  berühmt,  weil 
sie  in  mittelgrossen  und  kleinen  Bildern  über  die  Leiden  des  »ge- 
meinen Mannes«  jammerten.  Andere  fingen  an,  sich  mehr  als  vor- 
her für  die  Bauern  zu  interessiren  und  diese  ernster  zu  nehmen, 
als  es  in  frühem  Werken  geschah.  Adolphe  Leleux  studirte  die 
Bretagne  und  fand  im  täglichen  Leben  des  Landmannes  ernste  Epi- 
soden, die  er  mit  grosser  Sachlichkeit  wiedergab.  Nachdem  er 
dazwischen  — mit  aragonischen  Schleichhändlern  — auch  wieder 
in  die  Romantik  abgelenkt,  feierte  er  1849  seinen  Haupterfolg  mit 
jenem  Bild  des  Luxembourg,  zu  dem  ihn  der  traurige  Anblick  der 
Strassen  von  Paris  während  des  Aufstandes  1848  anregte.  Die 
Menschen,  die  damals  durch  Elend  und  Hunger  getrieben  auf  den 
Barrikaden  kämpften,  man  findet  sie  in  Leleux’  »Mot  d’ordre«.  Nach 
dem  Staatsstreich  von  1851  griff  selbst  Meissonier,  damals  noch  aus- 
schliesslich Rococomaler,  auf  dieses  Gebiet  über.  In  seinem  Barri- 
kadenbild (2.  Dezember  1851)  liegen  Haufen  von  Leichen  auf  der  gegen 
die  Soldaten  des  zukünftigen  Kaisers  errichteteten  Barrikade,  und  sie 
sind  hingestreckt  in  Posen,  die  nicht  zu  erfinden  sind.  Auch  die 
Mache  hat  eine  Nervosität,  in  der  sich  verräth,  dass  selbst  ein  so  ge- 
messener Geist  wie  Meissonier  einmal  bewegt  und  erregt  war.  In  seinen 
kleinen  Rauchern,  kleinen  Gelehrten,  kleinen  Kammerdienern  ist  er  ein 


Oclave  Tassaerl. 


19  £> 


XXII.  Das  socialistische  Temdenzbild 


geschickter,  aber  kalter  Maler,  hier  hat  er  wirklich  ein  modernes 
Epos  geschrieben.  Seine  »Barrikade«  (früher  Sammlung  van  Praet) 
bildet  die  einzige  ergreifende  Note  in  dem  sonst  so  ruhigen  Werk 
des  Meisters.  Alexandre  Antigna,  erst  Historienmaler,  ging  von 
geschichtlichen  Unglücksfällen  zu  solchen  im  Leben  der  niederen 
Volkskreise  über : In  der  Wohnung  einer  armen  Familie  schlägt 
der  Blitz  ein ; arme  Leute  packen  bei  ausbrechender  Feuersbrunst 
mit  der  Hast  der  Verzweiflung  ihre  geringe  Habe  zusammen ; Bauern 
suchen  bei  einer  Ueberschwemmung  auf  dem  Dach  ihres  Häus- 
chens Rettung;  Krämer  ziehen  mit  ihrer  Waare  über  Land,  und 
der  Gaul  bricht  todt  vor  dem  Karren  zusammen ; ein  altes  Weib 
lässt  sich,  an  der  Strassenecke  kauernd,  von  ihrem  Töchterchen  die 
Pfennige  aushändigen,  die  es  mit  seinem  Geigenspiel  erbettelt.  Der 
Künstler,  in  dessen  Werken  sich  die  volksfreundliche,  wenn  auch 
rührselige  Stimmung  der  Epoche  ganz  besonders  spiegelt,  ist  der 
merkwürdige,  widerspruchsvolle  Ociave  Tassaerl,  der,  gleichzeitig 
von  Grenze,  Fragonard  und  Prudhon  kommend,  bald  Historien, 
bald  Mythologisches,  Zoten  und  Religiöses,  Boudoirbilder  und  Scenen 
menschlichen  Elends  malte.  Tassaert  war  Niederländer,  ein  Enkel 
jenes  Tassaert,  der  1788  als  Director  der  Berliner  Akademie  starb 
und  Gottfried  Schadow  heranzog.  Im  Allgemeinen  ist  sein  Name 
heute  vergessen,  er  erweckt  nur  eine  dunkle  Erinnerung  an  die 
»Unglückliche  Familie«  des  Musde  Luxembourg.  Aber  vor  vierzig 
Jahren  gehörte  er  zu  den  Vorgeschrittensten  seiner  Zeit  und  hat 
sich  der  Achtung  von  Männern  wie  Delacroix,  Rousseau,  Troyon 
und  Diaz  erfreut.  Chardin  und  Greuze  nahm  er  sich  zum  Muster, 
und  an  Talent  ist  er  ein  wahrer  Meister.  Er  war  der  Poet  der  Vor- 
stadt, der  in  zart  klagenden  Tönen  von  den  Leiden  und  Hoffnungen 
der  kleinen  Leute  erzählte.  Er  malte  die  Elegie  des  Elends:  Selbst- 
morde in  kleinen  Dachstuben , kranke  Kinder,  im  Schnee  frierende 
Waisen,  verführte,  mehr  oder  weniger  bereuende  Mädchen  — ein 
trauriges  Defile.  Den  Correggio  der  Mansarde,  den  Prudhon  der 
Vorstadt  nannte  man  ihn.  Auf  elf  Jahre  — von  1846 — 57  — be- 
schränkt sich  seine  Thätigkeit.  Seitdem  schickte  er  nichts  mehr  in 
den  Salon  und  zog  sich  mürrisch  vom  Kunstleben  zurück.  Er 
wollte  seine  Bilder  nicht  mehr  sehen,  verkaufte  sie  — 44  an  der 
Zahl  — an  einen  Kunsthändler  um  2000  Francs  und  ein  Fass 
Wein.  Das  Glas  in  der  Hand,  vergass  er  den  Menschenhass.  Fast 
unbekannt  lebte  er  in  einem  Häuschen  der  Vorstadt  nur  mit  einer 


XXII.  Das  socialistische  Tendenzbild 


197 


Nachtigall,  einem  Hund  und 
einer  kleinen  Ladnerin  zu- 
sammen. Aber  seine  Nachti- 
gall starb,  dann  sein  Hund,  der 
seinen  Leichenzug  hätte  be- 
gleiten sollen.  Diesen  Schlag 
konnte  er  nicht  überleben. 

Er  zerbrach  seine  Palette, 
warfseine  Farben  in’s  Feuer, 
zündete  eine  Kohlenpfanne 
an,  um  wie  die  »Unglück- 
liche Familie«  zu  sterben,  und 
ward  andern  Tages  erstickt 
gefunden.  Auf  einen  Zettel 
hatte  er  — ohne  Respect  für 
Versntass  und  Rechtschreib- 
ung — noch  ein  paar  Stro- 
phen an  seine  Nachtigall  und 
seinen  Hund  geschrieben.  Es  ist  viel  Pathetisches  und  Weinerliches 
in  Tassaerts  Bildern.  Die  armen  Frauen  sterben  noch  mit  dem 
grossen  Auge  der  Heroinen  Ary  Scheffers.  Trotzdem  gehört  er  zur 
Avantgarde  der  modernen  Kunst  und  scheiterte  nur  daran,  dass  er 
sein  Losungswort  zu  früh  sprach.  Die  trübe  Wirklichkeit  herrscht 
ganz  in  seinem  Werke.  Unerbittlich,  wie  ein  Chirurg,  der  ein  krankes 
Glied  operirt,  hat  er  aus  seiner  Kunst  eine  Klinik  gemacht,  oft  brutal, 
wo  sein  Pinsel  die  tiefsten  Wunden  der  modernen  Cultur  berührt.  Es 
gibt  in  seinen  Bildern  nur  ärmliche  zerbrochene  Möbel , geflickte 
Lumpen  und  bleiche  Gesichter,  in  die  Arbeit  und  Hunger  ihre 
schrecklichen  Falten  geschrieben.  Er  malte  die  Degeneration  des  Men- 
schen, dem  das  Licht  und  die  Luft  fehlt,  und  hat,  selbst  Nieder- 
länder, auch  in  einem  Niederländer  den  grössten  Nachfolger  gefunden, 
in  Charles  de  Groux,  dessen  düsterer  Pessimismus  die  moderne 
belgische  Kunst  beherrscht. 

In  Deutschland,  wo  die  socialistischcn  Schriften  der  Franzosen  und 
Engländer  grosse  Verbreitung  fanden,  war  wohl  Gisbert  Flüggen  in 
München,  den  man  den  deutschen  Wilkie  nannte,  der  erste,  der  schon 
in  den  40er  Jahren  ein  wenig  über  die  humoristische  Bauerndarstellung 
hinausging  und  in  Bildern  wie  »der  unterbrochene  Ehevertrag,  der  un- 
glückliche Spieler,  die  Missheirath,  die  Prozessentscheidung,  die  be- 


Gisbert  Flüggen : Die  Processentscbeidung. 

trogenen  Erbschleicher,  die  Auspfändung«  u.  dgl.  in  einen  gewissen 
Zusammenhang  mit  den  socialen  Ideen  des  Zeitalters  trat.  Von  ihm 
angeregt,  ging  Danhauser  in  Wien  von  Humoresken  zur  Schilder- 
ung der  socialen  Conflicte  im  Bürgerstand  über:  ausser  in  seinem 
»Prasser«  besonders  in  der  »Testamentseröffnung«,  auf  der  in  ziemlich 
aufdringlicher  Weise  rechts  die  reichen,  links  die  armen  Verwandten 
des  Verstorbenen  gruppirt  sind,  die  einen  protzig,  roth  und  fett,  die 
andern  dürftig  gekleidet,  blass  und  mager.  Ein  würdiger  Priester 
verliest  das  Vermächtniss  und  eröffnet  mit  wohlwollendem  Lächeln 
den  Armen,  dass  das  Hrbtheil  ihnen  gehört,  worauf  die  Reichen 
entrüstet  auffahren.  Noch  deutlicher,  wenn  auch  ebenfalls  in’s  Sen- 
timentale übersetzt,  spiegelt  sich  die  vormärzliche  Stimmung  in  den 
Arbeiten  des  Düsseldorfers  Carl  Hübner.  Ernst  Willkomm  hatte 
im  Beginn  der  40er  Jahre  in  seinen  »Weissen  Sklaven  die  Gegen- 
sätze zwischen  gequälten  Leibeigenen  und  grausamen  Gutsherrn, 
zwischen  reichen  Fabrikanten  und  hungernden  Arbeitern  in  sensatio- 
nellen Genrebildern  vorgeführt;  Robert  Prutz  hatte  sein  »Engelchen« 


XXII.  Das  socialistische  Tendenzbild 


199 


Danhauser : Der  Prasser. 


geschrieben,  worin  er  den  Untergang  des  selbständigen  Handwerks 
durch  den  Industrialismus  verkündete.  Bald  darauf  gab  die  Hunger- 
seuche unter  den  schlesischen  Webern,  von  der  die  Kunde  1844  durch 
Deutschland  flog,  weiten  Kreisen  den  Anstoss  zum  Nachdenken  über 
die  sociale  Frage.  Frciligrath  gestaltete  den  Stoff'  zu  seinen  Strophen 
»aus  dem  schlesischen  Gebirge«,  dem  Lied  von  dem  armen  Weber- 
kind, das  in  seiner  Noth  nach  Rübezahl  ruft,  — einem  seiner  popu- 
lärsten Gedichte.  Noch  entschiedener  tönt  in  Heines  1844  ge- 
dichteten »Webern«  die  socialrevolutionäre  Stimmung  der  Epoche 
wider.  Selbst  Geibel  sah  sich  bei  der  Verbreitung  der  Kunde  zu 
dem  Gedicht  Mene  Tekel  veranlasst,  das  von  seinen  sonstigen  Weisen 
seltsam  absticht.  Carl  Hübner  wirkte  daher  sehr  zeitgemäss,  als  er  in 
seinem  Erstlingsbild  1845  ebenfalls  den  Nothstand  der  schlesischen 
Weber  behandelte.  Hübner  kannte  das  Leben  der  Armen,  der  müh- 
selig Beladenen,  er  empfand  Mitleid  mit  ihnen  und  sagte,  was  er 
empfand.  Das  gibt  ihm  eine  Sonderstellung  in  der  zahm  lächelnden 
Düsseldorfer  Schule  und  setzt  ihn  in  der  Geschichte  der  deutschen 
Genremalerei  an  den  Anfang  eines  neuen  Capitels.  Sein  nächstes  Bild, 
das  Jagdrecht,  entsprang  einem  ebenso  actuellen  Anlass:  ein  Förster 
hatte  einen  Wilderer  niedergeschossen.  1846  folgten  die  Auswanderer, 


200 


XXII.  Das  socialistische  Tendenzbild 


Carl  Hübner : Die  Auswanderer. 


1847  die  Pfändung,  1848  »Wohlthätigkeit  in  der  Hütte  der  Armen«  - 
Werke,  in  denen  er  fortfulir,  über  die  Noth  der  arbeitenden  Classen, 
den  Contrast  zwischen  prunkendem  Reichthum  und  hilflosem  Elend 
zu  klagen,  den  Kampf  für  Freiheit  und  Menschenrechte  zu  predigen. 
Entgegen  den  üblichen  idyllischen  Schilderungen  sprach  er  zum  ersten 
Mal  offen  von  dem  materiellen  Druck,  der  auf  breiten  Volksschichten 
lastete.  Freilich  entsprach  die  künstlerische  Kraft  des  Malers  nur  wenig 
den  guten  Absichten  des  Philanthropen. 

1853  betrat  sogar  der  Historienmaler  Piloty  diesen  Weg  in  einem 
seiner  Erstlingsbilder  die  Amme« : der  Schilderung,  wie  ein  in  der 
Stadt  als  Amme  dienendes  Bauernmädchen,  seinen  Pflegling  auf  dem 
Arm,  in  der  schmutzigen  Wohnung  der  alten  Frau  eintritt,  bei  der  sie 
ihr  eigenes  Kind  in  Kost  hat.  Das  Baby  der  Fremden,  schon  wie 
ein  Dämchen  herausgeputzt,  strotzt  vor  Gesundheit,  während  das  ihre, 
ohne  Nahrung  und  wärmende  Kleidung,  in  kaltem,  dumpfen  Zimmer 
elend  dahinsiecht. 

In  Belgien  lenkte  Engine  de  Block  am  frühesten  in  diese  Bahnen, 
ein  Künstler  von  interessanter  Physiognomie,  der  mehrfache  Wand- 


XXII.  Das  socialistische  Tendenzbild 


201 


lungen  durchmachte.  Er  war  zuerst  1836  mit  einer  Bauernrauferei 
hervorgetreten,  die  von  den  zahmen  zeitgenössischen  Bildern  durch 
brouwer’sche  Urwüchsigkeit  abstach.  Dann  hatte  er  nach  Madous 
und  Braekeleers  Beispiel  lange  mit  Schnurren  sich  beschäftigt.  In 
einer  Zeit,  da  jeder  seinen  Typus  hatte,  dem  er  zeitlebens  treu 
blieb,  hatte  de  Block  sich  die  Wilderer  und  Feldwächter  erwählt,  von 
deren  gegenseitiger  Schlauheit  er  erzählte,  bald  indem  er  sie  nach 
Braekeleers  Vorbild  in  das  goldene  Licht  und  die  braunen  Schatten 
Ostades  hüllte,  bald  indem  er  sie  mit  Gallaits  rothen  Cardinaltönen 
verbrämte.  Doch  dieser  erzwungene  Humor  befriedigte  ihn  nicht 
lange : er  verliess  die  Scherze  und  wurde  der  ernste  Beobachter  des 
Volkes.  Man  bemerkt  in  seinen  Werken  eine  zärtliche  Liebe  für 
die  Armen,  die  freilich  ebenfalls  oft  in  weinerliche  Rührseligkeit  um- 
schlägt. Er  war  ein  Humanitätsapostel,  der  in  seinen  Bildern  gegen 
den  Pauperismus  donnerte  und  sich  zum  Wortführer  der  socialen 
Frage  aufwarf,  ein  Volkstribun,  der  auch  durch  seine  Handlungen 
den  Ruf  des  demokratischen  Malers  bestätigte.  Das  setzt  ihn  in 
die  Nähe  jenes  anderen  socialistischen  Agitators,  der  damals  Brüssel 
mit  seinem  Ruhm  erfüllte. 

Es  war  im  Jahre  1835,  als  ein  junger  Mann  aus  Italien  an  einen 
Verwandten  die  stolzen  Worte  schrieb:  »Ich  will  mich  mit  Rubens 
und  Michelangelo  messen«. 

Ein  Prix  de  Rome  hatte  ihm  den  Aufenthalt  in  der  ewigen  Stadt 
eröffnet.  Er  dachte  an  die  Rückkehr.  Ein  hoher  Ehrgeiz  lebte  in 
ihm:  er  erträumte  den  Ruhm  der  alten  Meister.  Wie  ein  Triumphator 
zog  er  in  sein  Vaterland  ein,  in  die  gute  Stadt  Dinant,  die  ihn  mütter- 
lich aufnahm.  Eine  gewaltige  zusammengerollte  Leinwand,  gleich 
einer  Kriegserklärung  begleitete  ihn.  Doch  er  brauchte  ein  grösseres 
Schlachtfeld  für  seine  Pläne.  »Ich  bilde  mir  ein,  das  Universum 
hat  die  Augen  auf  mich  gerichtet«.  So  fuhr  er  mit  dem  Patroklus 
und  ein  paar  anderen  Bildern  nach  Paris.  6000  Künstler  hatten 
in  Rom  das  Werk  gesehen;  ein  Fürst  der  Kunst,  Thorwaldsen, 
hatte  davor  geäussert:  »Der  junge  Mann  ist  ein  Riese.«  Und  dieser 
glaubte  es  selbst.  Mit  dem  Schritt  des  Eroberers  betrat  er  Paris,  in 
der  Meinung,  die  Maler  würden  Spalier  vor  ihm  bilden.  Doch 
als  sich  die  Thore  des  Salons  von  1839  öffneten,  sah  er  sein  Bild 
nicht.  Es  hing  sehr  hoch,  über  einer  Thür,  von  Niemand  bemerkt. 
Theophile  Gautier,  Gustave  Planche,  Biirger-Thore  schrieben  ihre  Be- 
richte, ohne  es  mit  einem  Wort  des  Lobes  oder  Tadels  zu  erwähnen. 


202 


XXII.  Das  soci austischf.  Tendenzbild 


Wiert Der  Kampf  um  den  Leichnam  des  Patroklos. 

Einen  Augenblick  beabsichtigte  er,  unter  freiem  Himmel  vor  dem 
Louvre  es  auszustellen,  eine  Volksversammlung  einzuberufen,  ganz 
Frankreich  zu  allarmiren.  Doch  ein  Gesuch  an  den  Minister  wurde 
abschläglich  beschieden  — gesenkten  Kopfes  kehrte  er  zurück  nach 
Brüssel.  Dort  preist  er  auf  grossen  Plakaten  in  heroischen  Wend- 
ungen sein  Meisterwerk  an:  die  Griechen  und  Troer,  die  um  den 
Leichnam  des  Patroklos  kämpfen.  Ein  Dichter  ruft  aus:  Hut  ab, 
ein  neuer  Homer.  Der  Moniteur  widmet  ihm  zwei  Artikel.  Doch 
als  die  Ausstellung  ‘kam,  standen  die  Künstler  abermals  rathlos.  Die 
meisten  waren  der  Ansicht,  durch  diese  geschwollenen  Muskeln  und 
verrenkten  Glieder  werde  in  brutaler  Weise  Michelangelo  persiflirt. 
Es  ging  kein  Erdbeben  durch  die  Ateliers,  wie  der  Autor  erwartet 
hatte.  Man  gab  ihm  eine  kupferne  Medaille,  dankte  ihm  spiessbürger- 
lich  »für  das  ausgezeichnete  Talent,  das  er  an  den  Tag  gelegt.«  Da 
empörte  sich  sein  ganzer  Stolz.  Er  verbreitete  Caricaturen,  erklärte 
laut,  »diese  Medaille  werde  ein  ewiger  Schandfleck  für  das  Jahrhundert 
bleiben«,  veröffentlichte  im  Charivari  einen  offenen  Brief  an  den 
König,  »Michelangelo  habe  nie  sich  herbeigelassen,  ein  endgültiges 
Urtheil  über  Werke  zeitgenössischer  Künstler  zu  fällen  und  deshalb 
thue  auch  seine  Majestät,  die  wohl  kaum  so  viel  wie  Michelangelo 
von  Kunst  verstehe,  nicht  gut,  mit  einem  flüchtigen  Blick  über  den 
Werth  moderner  Bilder  zu  entscheiden«. 


XXII.  Das  socialistische  Tendenzbild 


Antoine  Wiertz  war  1806 
in  Dinant  als  der  Sohn  eines 
einfachen  Gendarmen  und 
ehemaligen  Soldaten  der 
grossen  Republik  geboren. 

Er  war  Wallone  durch  seine 
Mutter  und  ein  wenig  Deut- 
scher durch  die  Genealogie 
seines  Vaters,  dessen  Fa- 
milie aus  Sachsen  stammte. 

Deutsche  Moralphilosophen 
und  Pädagogen  bildeten  die 
Lectiire  seiner  Jugendjahre. 

Ueber  mangelnde  Unter- 
stützung hatte  er  sich  nicht 
zu  beklagen.  Er  war  bei  der 
Erklärung  der  belgischen 
Unabhängigkeit  25  Jahre  alt, 
seine  Reife  fiel  in  die  stolze 
Epoche,  als  der  junge  Staat 
alles  aufwendete,  dem  neu- 
en politischen  Glanz  auch 
künstlerischen  zu  verleihen. 

Schon  als  Knabe  wurde  er  von  seinen  Eltern,  dem  alten  Gendarm 
und  der  biederen  Tagelöhnerin,  deren  einziges  Kind  er  war,  wie 
ein  Abgott  gehegt.  Seine  ersten  Versuche  galten  der  Familie  als 
Hexereien.  Die  Nachbarn  waren  ausser  sich  über  einen  Frosch, 
den  er  modellirt  hatte  und  der  »aussah  wie  lebendig.«  Ein  Wirth 
bestellte  bei  ihm  ein  Kneipschild,  vor  dem,  als  cs  fertig  war, 
die  ganze  Einwohnerschaft  voll  Bewunderung  weilte.  Ein  kunst- 
sinniger Herr  Maibe,  auf  das  junge  Genie  aufmerksam  geworden, 
übernahm  alle  Kosten  seiner  Erziehung  und  schickte  ihn  auf  die 
Akademie  nach  Antwerpen.  Dort  erwarb  er  sich  ein  staatliches 
Stipendium  und  1832  den  Prix  de  Rome.  Ueber  seine  Bedeutung 
war  er  vom  ersten  Tage  an  klar.  Schon  als  Antwerpener  Akademie- 
schüler sprach  er  in  einem  Brief  an  den  Vater  verächtlich  von  der 
Verehrung  seiner  Mitschüler  für  die  alten  Meister:  »Sie  bilden  sich 
ein,  dass  es  unbesiegliche  Götter  sind,  nicht  Menschen,  die  der  Genius 
übertreffen  kann«.  Und  der  Vater,  statt  ihn  zur  Bescheidenheit 


203 


Antoine  IViertz. 


204 


XXII.  Das  socialistische  Tendenzbild 


Wierl 4:  Eine  Scene  in  der  Holle. 


anzuhalten,  antwortet  stolz:  »Ja,  diene  nur  der  Jugend  der  Zukunft 
als  Vorbild,  damit  in  späteren  Jahrhunderten  die  jungen  Maler  sagen: 
Ich  will  mich  zum  Ruhm  aufschwingen , wie  einst  der  grosse 
Wiertz  in  Belgien.«  Solch  gefährlicher  Weihrauch  hätte  stärkere 
Charaktere  benebelt.  Es  bedurfte  nur  der  italienischen  Reise,  ihn 
ganz  zu  verwirren.  Wie  Cornelius,  Chenavard  und  vielen  andern 
stieg  Michelangelo  ihm  zu  Kopf.  Mit  dem  Ehrgeiz  des  Auto- 
didakten hielt  er  jeden  Pinselstrich  seiner  Hand  für  bedeutend  und 
war  empört,  thaten  andere  es  nicht  auch.  Seit  seinem  Pariser 
und  Brüsseler  Misserfolg  fing  er  an,  in  jeder  Kritik  eine  Majestäts- 
beleidigung zu  sehen  und  schrieb  eine  Concurrenz  aus  über  »den 
verderblichen  Einfluss  des  Journalismus  auf  Literatur  und  Kunst.« 
»Noch  wenn  Einer  nach  meinem  Tode  Schlechtes  über  mich  schreibt, 
werde  ich  aus  dem  Grabe  steigen,  mich  zu  vertheidigen.«  Aus 
Hass  gegen  die  Kritik  beschloss  er  gar  nichts  mehr  auszustellen, 
führte  bis  zu  seinem  Tode  1865  ein  ärmliches  Dasein,  malte,  wenn 
er  dringend  Geld  brauchte,  — »pour  la  soupe«  — hastig  und  schleu- 


lVierl{:  Die  Romaiileseriu. 

derisch  Porträts,  die  ihm  mit  3 — 400  Fr.,  erst  später  mit  1000  Fr. 
bezahlt  wurden,  und  erging  sich  in  colossalen  Entwürfen,  für  deren 
Fertigstellung  ihm  die  Stadt  1850  ein  eigenes  Riesenatelier,  das  heutige 
Musee  Wiertz  errichtete,  jenen  weissen  Bau,  der  sich  im  äussersten 
Norden  der  Stadt,  wenige  hundert  Schritte  von  der  Luxembourg-Station 
mitten  in  einem  schönen,  etwas  verwilderten  kleinen  Park  erhebt  und 
zu  dessen  säulengetragenem  Portal  man  auf  breiter  Freitreppe  hinan- 
steigt. Hier  hauste  er  in  phantastisch  buntem  Kostüm,  ohne  je  den 
grossen  Rubenshut  abzusetzen.  Philanthropische  Vorlesungen  über  Dies- 
seits und  Jenseits,  über  Volkswohl  und  die  Auswüchse  der  modernen 
Civilisation  waren  das  Ergebniss  seiner  Thätigkeit.  Wer  die  Malerei 
als  Malerei  liebt,  braucht  das  Museum  nicht  zu  besuchen. 

Da  gibt  cs  Schlachten,  Feuerbrände,  Ueberschwemmungen  und 
Erdbeben  ; Himmel  und  Erde  sind  in  Aufruhr.  Riesen  werfen  sich 
mit  Felsen  und  versuchen  wie  Jupiter  durch  Stirnrunzeln  die  Erde 
zu  erschüttern.  Alle  lieben  die  Gewalt  und  lassen  ihre  Muskeln  wie 
Athleten  spielen.  Doch  der  Maler  selbst  ist  kein  Athlet,  kein  Riese 


206 


XXII.  Das  socialistische  Tendenzbild 


wie  ihn  Thorwaldsen  nannte,  auch  kein  Genie  wie  er  selbst  von 
sich  glaubte.  Le  singe  des  genies,  fasste  er  den  Begriff  »grosse 
Kunst«  rein  räumlich  und  hielt  sich  für  grösser  als  die  Grössten, 
nur  weil  seine  Leinwandflächen  grössere  Dimensionen  umspannten. 
Als  das  Ministerium  daran  dachte,  ihm  nach  Wappers’  Weggang  das 
Direktorat  der  Antwcrpener  Akademie  zu  übertragen,  schrieb  er  die 
bezeichnenden  Sätze:  »Ich  entnehme  den  Journalen,  dass  man  den 

Platz  von  Wappers  mir  geben  möchte.  Wenn  in  dem  Moment,  wo 
der  tiefe  Philosoph  über  sublime  Materien  nachdenkt,  man  ihm 
sagen  wollte:  Wollen  Sic  uns  nicht  das  A-b-c  lehren?  so  glaube 

ich,  der  in  den  Wolken  Wohnende  würde  jählings  aus  dem  Himmel 
auf  die  Erde  herabfallen«.  In  einer  Atmosphäre  von  Schmeichelei 
zu  Hause  und  berauscht  von  dem  Weihrauch,  der  seinem  Genie 
da  gestreut  ward,  konnte  er  nicht  frei  werden  von  der  fixen  Idee, 
mit  Michelangelo  und  Rubens  zu  concurriren.  Unter  sein  Bild  der 
Kindheit  der  Maria  setzte  er  die  Unterschrift:  »Gegenstück  zu  dem 
dasselbe  Sujet  behandelnden  Bilde  von  Rubens  in  Antwerpen«. 
Seinen  Triumph  Christi  bot  er  der  dortigen  Kathedrale  unter  der 
Bedingung  an,  dass  er  neben  die  Kreuzabnahme  von  Rubens  gehängt 
werde.  Den  Aufstand  der  Hölle  wollte  er  im  Schauspielhaus  Abends 
zur  Theaterzeit  ausstellen.  Während  der  Pausen  sollte  die  Menge 
das  Bild  betrachten  und  ein  Chor  mit  Orchesterbegleitung  dazu 
singen.  All  diese  Anerbietungen  wurden  dankend  abgelchnt. 

Solche  Misserfolge  machen  zum  Pessimisten,  durch  sie  ist  Wiertz 
aus  dem  Historienmaler  ein  Kind  seiner  Zeit  geworden.  Er  fingt 
an,  Donnerkeile  gegen  die  Schäden  der  modernen  Culttir  zu  schleu- 
dern. Er  predigt,  gcisselt,  stösst  Flüche  aus,  leidet.  Die  Formen, 
deren  er  sich  bedient,  sind  den  Alten  entnommen.  Der  Mensch 
Michelangelos  mit  seiner  Athletenstructur,  seinen  Riesenmuskeln, 
seinem  nackten  Körper,  der  Mensch  der  Renaissance,  nicht  der  des 
19.  Jahrhunderts  schreitet  durch  seine  Werke,  aber  im  Inhalt  durch- 
bricht der  moderne  Geist  die  alte  Formel.  Alle  Fragen,  die  die 
Cultur  und  Philosophie  des  19.  Jahrhunderts  aufwarf,  spiegeln  sich 
als  Riesenprobleme  in  seinen  riesigen  Bildern.  Er  macht  aus  seinem 
Pinsel  eine  Waffe,  mit  der  er  für  die  Enterbten,  für  die  Parias,  für 
das  Volk  kämpft.  Er  will  der  Maler  der  Demokratie  sein.  Eine 
grosse  Gefahr  für  die  Kunst. 

Pathetisch  agitirt  er,  als  Vorläufer  Wereschagins  gegen  die 
Gräuel  des  Krieges.  Das  Bild  »Kanonenfutter  macht  den  Anfang. 


XXII.  Das  socialistische  Tendenzbild 


207 


Wierl Die  Waisen. 

Auf  einem  Festungswall  liegt,  augenblicklich  miissig,  eine  Kanone, 
und  um  das  schlafende  eherne  Ungethüm  spielen  Kinder  Soldaten, 
nicht  ahnend,  dass  ihre  Tändeleien  bald  in  bitteren  Ernst  sich  ver- 
wandeln und  sie  im  Kriege  dann  selbst  dem  Unhold  als  Futter  dienen. 
In  einem  andern,  «(Zivilisation  des  19.  Jahrhunderts«,  sind  sieg-  und 
blutberauschte  Soldaten  Nachts  in  ein  Zimmer  gedrungen  und  stechen 
eine  junge  Mutter  sammt  ihrem  Kinde  nieder.  Ein  drittes,  »der  letzte 
Kanonenschuss«,  ist  eine  dunkle  Anspielung  auf  einen  künftigen  Welt- 
frieden. Eine  »Scene  in  der  Hölle«  nennt  sich  das  Hauptbild  der 
gegen  den  Krieg  gerichteten  Ergüsse.  Der  Kaiser  Napoleon  in  seinem 
grauen  Rock  und  historischen  Dreispitz  schmachtet  in  der  Hölle, 
wabernde  Flammen  hüllen  ihn  wie  in  wallenden  Purpurmantel,  und 
rings  dringt  eine  zahllose  Menge  von  Müttern  und  Schwestern,  Frauen 
und  Bräuten,  Kindern  und  Vätern  auf  ihn  ein,  denen  er  ihr  Liebstes 
genommen.  Fäuste  ballen  sich  ihm  entgegen,  zahnlose,  schnaubende 
Lippen  kreischen.  Er  aber  steht  unbeweglich,  die  Arme  über  die 
Brust  gekreuzt,  das  Imperatorengesicht  ehern,  düster,  und  blickt  mit 


208 


XXII.  Das  socialistische  Tendenzbild 


dem  Gespensterauge  des  Satans  starr  auf  die  Tausende,  deren  Glück 
er  vernichtet. 

In  seinen  »Gedanken  und  Visionen  eines  abgeschnittenen  Kopfes« 
macht  Wiertz,  von  Victor  Hugos  »letzten  Tagen  eines  zum  Tode  Ver- 
urtheilten«  angeregt,  die  Todesstrafe  zum  Gegenstand  einer  längeren 
Erörterung.  Das  aus  3 Abtheilungen  bestehende  Bild  soll  die  Em- 
pfindungen eines  Guillotinirten  in  den  ersten  3 Minuten  nach  der 
Hinrichtung  schildern.  Am  Rahmen  ist  eine  ganze  Abhandlung  bei- 
gefügt: »Der  Hingerichtete  sieht  in  einer  dunkeln  Ecke  seinen  Leich- 
nam verwesen  und  ausdorren;  und,  was  wahrzunehmen  nur  den 
Geistern  einer  andern  Welt  gegeben,  er  sieht,  wie  die  Geheimnisse 
der  Stoffwandlung  vor  sich  gehen.  Alle  Gase,  die  seinen  Leib  ge- 
bildet, die  schwefeligen,  erdigen  und  ammoniakalischen  Bestandteile, 
sieht  er  sich  loslösen  von  seinem  faulenden  Fleische  und  zum  Auf- 
bau anderer  Lebewesen  dienen.  . . Wenn  das  scheussliche  Werkzeug 
Guillotins  wirklich  eines  Tages  vernichtet  werden  soll,  so  sei  Gott 
dafür  gelobt«  u.  s.  f.  Neben  diesem  gemalten  Plaidoycr  gegen  die 
Todesstrafe  hängt  als  Argumentation  zu  Gunsten  der  Kleinkinder- 
bewahranstalten »das  verbrannte  Kind«.  Eine  arme  Arbeiterin  hat 
einen  Augenblick  ihre  Dachwohnung  verlassen,  unterdessen  ist  Feuer 
ausgebrochen  und  sie  findet  den  verkohlten  Leichnam  ihres  Knaben. 
In  dem  Bilde  »Hunger,  Wahnsinn  und  Verbrechen«  behandelt  er 
das  menschliche  Elend  im  Allgemeinen  und  die  Frage  der  Ernährung 
unehelicher  Kinder.  Ein  junges  Mädchen  kann  nur  von  gelben  Rüben 
leben,  die  ein  Reicher  in  die  Gosse  wirft.  In  Folge  einer  Steuer- 
mahnung wird  sic  wahnsinnig  und  schneidet  höllisch  lachend  das 
kleine  Wesen,  das  sic  ins  Verderben  gebracht,  in  Stücke.  Die  Leichen- 
verbrennung wird  in  dem  Bilde  »Zu  früh  begraben«  empfohlen:  ein 
Gruftgewölbe,  darin  ein  Sarg,  dessen  Deckel  von  innen  losgesprengt 
ward,  eine  zusammengekrampfte  Hand,  die  im  Spalt  zum  Vorschein 
kommt,  in  der  Finsterniss  des  Sarges  von  Entsetzen  verzerrt  das  Ge- 
sicht des  Scheintodten,  der  mit  tonloser  Stimme  um  Hilfe  ruft. 

In  dem  Bilde  »die  Romanleserin«  sucht  er  den  verderblichen 
Einfluss  schlechter  Lectüre  auf  die  Phantasie  eines  jungen  Mädchens 
darzuthun.  Nackt  liegt  sie  im  Bett,  das  Haar  geöffnet,  ein  Buch 
in  der  Hand,  das  Auge  hysterisch  geröthet,  ein  böser  Geist  legt 
grinsend  ein  neues  Buch:  Antonine  von  Alexandre  Dumas  fils,  aufs 
Lager.  Der  »Backenstreich  einer  belgischen  Dame«  glorificirt  — eine 
Vorahnung  Neides  — den  Mord,  wird  er  zum  Schutze  der  Ehre 


XXII.  Das  socialistische  Tendenzbild 


209 


begangen.  Ein  holländischer  Officier  hat  sich  Freiheiten  gegen  eine 
Belgierin  erlaubt,  wofür  ihm  diese  mit  einem  Pistolenschuss  den 
Kopf  zerschmettert.  In  dem  Bilde  »Der  Selbstmörder«  sieht  man 
Bruchstücke  eines  Schädels  nach  allen  Richtungen  fliegen.  Wie  der 
junge  Mann  zu  dem  Schritte  gekommen,  lehrt  das  auf  dem  Tische 
liegende  Buch  mit  der  Aufschrift  »Der  Materialismus«.  Und  so  geht 
es  fort  mit  Grazie,  doch  ohne  dass  dem  Beschauer  die  Lust  käme, 
den  Vorlesungen  ernstlicher  zu  lauschen.  Denn  wenn  Wiertz’  Ab- 
sichten auch  zuweilen  etwas  Grossartiges  hatten,  so  war  er  doch 
weder  über  die  Grenzen  des  Darstellbaren  klar,  noch  besass  er  das 
Können,  das  Gewollte  in  künstlerische  Formen  zu  giessen.  Wie 
mancher  deutsche  Maler  jener  Jahre,  war  er  ein  Philosoph  mit  dem 
Pinsel,  ein  verkappter  Gelehrter,  der  seine  Ideen,  statt  mit  Tinte,  mit 
Oelfarbe  niederschrieb.  Wiertz  hat  die  Malerei  Dinge  sagen  lassen, 
die  sie  als  Malerei  nicht  verträgt,  sie  dogmatisirt  bei  ihm,  sie  ist 
ein  Buch  und  erweckt  nur  Bedauern,  dass  sein  reicher  Geist  nicht 
der  Schriftstellerei  zu  Gute  kam.  Da  hätte  er  vielleicht  manch 
Brauchbares  für  die  Lösung  der  socialen  und  philosophischen  Fragen 
der  Gegenwart  beigebracht;  so,  wie  er  ist,  gibt  er  dem  Verstand 
nichts  und  beleidigt  das  Auge.  Ein  menschliches  Gehirn  mit  grossen 
und  trivialen  Gedanken  legt  sich  blos.  Aber  vor  lauter  Gedanken 
ist  er  wie  Cornelius  nicht  zu  ihrer  künstlerischen  Verarbeitung  ge- 
kommen. Er  tappte  von  Michelangelo  zu  Rubens,  von  Rafael  zu 
Ary  Schefler  — ohne  Ahnung,  dass  die  Kunstsprache  all  dieser 
Meister  eine  individuelle  gewesen.  Einer  seiner  Biographen,  L.  Wat- 
teau, erzählt  im  Einleitungscapitel , wo  er  von  der  Erziehung  des 
Kindes  spricht,  dass  Wiertz  mit  vier  Jahren  schon  vollständig  schreiben 
konnte.  »Seitdem  hat  er  nie  mehr  eine  Handschrift  gehabt,  die  wirk- 
lich die  seine  war,  sondern  ahmte  zum  Täuschen  die  verschiedenen 
Schriftzüge  nach,  auf  die  sein  Blick  fiel.«  Watteau  erzählt  das  als 
Wiertz-Enthusiast  zum  Beleg  für  dessen  frühe  Begabung.  In  Wahr- 
heit ist  durch  diese  Anekdote  von  dem  Nachahmungstalent  des 
Knaben  in  drei  Zeilen  die  Bedeutung  des  Malers  gekennzeichnet:  Der- 
selbe Mann,  der  so  viel  schrieb,  ohne  je  eine  eigene  Handschrift  zu 
haben,  hat  auch  als  Maler  hunderte  von  Leinwandquadratmetern  mit 
Farbe  bedeckt,  ohne  ein  einziges  persönliches  Werk  zu  hinterlassen. 
»Die  Erhebung  der  Hölle«  zeigt  gleichzeitig  die  strenge  Linie  der 
Florentiner  und  die  wilde  Praktik  der  Flandrer  — in  einer  Ver- 
mischung, die  sich  gegenseitig  aufhebt:  er  nahm  dem  Michelangelo 

Muther,  Moderne  Malerei  II 


«4 


210 


XXII.  Das  socialistische  Tendenzbild 


die  Farbenpracht  und  dem  Rubens  die  strenge  Linie.  Um  den  Beweis 
anzutreten,  dass  der  Roman  der  Dumasschule  ein  Werkzeug  teuflischer 
Verführung,  begnügt  er  sich,  soweit  es  ihm  technisch  möglich,  — 
die  Wiener  Jo  des  Correggio  unter  Hinzufügung  eines  Buches  zu 
copiren.  Seine  nackte  Frau  vor  dem  Skelett  gibt,  soweit  er  es  ver- 
mochte, eine  Copie  nach  Delacroix’  »Lever.«  Hin  Bild  Temps 
heureux«  — ein  junger  Mann,  der  seine  Geliebte  vom  väterlichen 
Hause  fortführt,  — ist  sehr  hübsch,  aber  copirt  Poussin.  Mögen 
Titanen  kämpfen  oder  Menschen  ein  Stück  Brod  essen,  die  Typen 
sind  immer  Apollo-  und  Venusvariationen  mit  dem  griechischen 
Profil  und  den  gross  aufgerissenen  Augen,  die  Ary  Scheffer  liebte. 
Die  Freude  des  Malers  an  der  Farbe  kannte  er  nicht,  nur  Farben- 
blindheit kann  solche  Missklänge  ertragen.  Die  Tagebücher,  die  er 
auf  seinen  Reisen  durch  Holland  und  Frankreich  führte,  enthalten 
kein  Wort  der  Bewunderung  für  die  alten  Holländer,  blos  schwärmer- 
ische Hymnen  auf  Horace  Vernet,  dessen  Bilder  die  wahrsten  seien  an 
Farbe  und  Bewegung.«  Wiertz  hatte  eine  ausserordentliche  Geschick- 
lichkeit im  Entlehnen,  aber  wie  wenig  wusste  er  aus  den  disjectis 
membris  poetae  zu  machen!  Nie  ist  etwas  Spontanes  in  seinen  Bil- 
dern. nie  Zusammenhang  zwischen  den  Theilen;  alle  Schulen,  alle 
grossen  Genies  haben  ihm  nur  verholfen,  etwas  Minimales  zu  Tage  zu 
fördern.  Wie  wenig  eigene  Naturbeobachtung  er  hatte,  wird  durch 
seine  Porträtköpfe  deutlich.  Der  Prüfstein  jedes  Malers,  für  seine 
Fähigkeit  die  Natur  zu  sehen,  ist  das  Bildniss.  Wiertz  liebte  seine 
Mutter  und  war  in  seinem  ganzen  Wesen  erschüttert,  als  der  Tod 
sie  ihm  nahm.  Er  liebte  noch  mehr  sich  selbst  und  war  auf  sein 
Selbstporträt  so  stolz,  dass  er  wie  Alexander  der  Grosse  es  für  das 
einzige  von  ihm  vorhandene  authentische  Bild  erklärte.  Auf  den 
Bildnissen  des  Wiertzmuseums  sind  Mutter  wie  Sohn  nur  Menschen 
an  sich  . Die  gute  alte  Taglöhnerin,  die  einfache  Frau,  benutzte 
er  dazu,  mit  Vorhängen  und  Draperien  einen  plumpen  Theatereflect 
zu  erzeugen.  Er  selbst  aber  ist  gerade  in  der  Schablonenhaftigkeit 
seines  Porträts  ganz  der  Mensch  seiner  Bilder:  dies  Phantasiekostüm, 
in  dem  sich  die  Moden  früherer  Jahrhunderte  mischen,  und  diese 
fatal  declamatorische  Attitüde,  die  für  Inspiration  ausgeben  möchte, 
was  nur  Plagiat  ist  — sie  kennzeichnen  den  Maler  gleich  schlagend 
wie  den  Menschen. 

Das  kindische  Experiment  mit  dem  gemalten  Schlüssel,  nach 
dem  man  greifen  soll,  die  Spielerei  mit  Bildern,  die  durch  s Schlüssel- 


XXII.  Das  socialistische  Tendenzbild 


21 1 


loch  anzusehen,  mit  Porträts,  die  den  Ausdruck  wechseln,  je  nach- 
dem sie  von  vorn  oder  von  der  Seite  betrachtet  werden,  — die 
Panoptikumüberraschungen  mit  dem  Hund  in  der  Nische,  vor  dem 
man  erschrecken,  dem  schlafenden  Hausmeister,  der  den  Eindruck 
eines  wirklichen  machen  soll,  sie  zeigen  den  vollständigen  Marasmus 
des  ursprünglich  reich  begabten,  nur  nicht  zum  Maler  geborenen 
Menschen.  Wiertz’  Auftreten  ist  ein  interessanter  psychologischer 
Fall.  Er  war  eine  abnorme  Erscheinung  und  geschichtlich  nicht  zu 
umgehen,  weil  er,  der  ersten  einer,  Stoffe  aus  dem  modernen  Leben 
im  Rahmen  grosser  Bilder  behandelte.  Nur  ist  ein  philanthropischer 
Polterer  noch  kein  Künstler. 


©X© 


XXIII. 


Die  Dorfnovelle. 

FÜR  Frankreich,  Belgien  und  England  endete  mit  dem  Jahre  1848 
die  »Lehrzeit  des  interessanten  Stoffes«.  Nur  in  Deutschland 
erlebte  die  erzählende  Genremalerei  noch  eine  Nachblüthe  - 
so  wie  auch  die  Historie  hier  erst  ihre  Triumphe  feierte,  als  man 
sic  in  den  andern  Ländern  schon  zu  Grabe  trug.  Auf  jene  Aeltern, 
die  mit  soviel  Hingebung  ihre  unglaublich  mühsam  gekonnten,  ver- 
zweifelt detailwahren  und  doch  ganz  bildwirkungslosen  Bildchen  in 
die  Welt  setzten,  folgte  nach  1850  eine  technisch  schlagfertigere 
Generation,  die  nicht  mehr  an  den  alten  Meistern  allein  ihre 
tastenden  Versuche  machte,  sondern  entweder  gleich  den  Historien- 
malern in  Paris  selbst  Erleuchtung  suchte  oder  indirect  — durch 
Piloty  — mit  den  Ergebnissen  der  französischen  Technik  vertraut  ge- 
macht ward.  Mit  dieser  weniger  anstössigen  coloristischen  Haltung 
war  ein  mehr  salonfähiger  Inhalt  verbunden.  Das  Kindliche,  das 
einst  an  Meyerheim  und  Waldmüller  erfreut  hatte,  erschien  als  allzu 
kindlich.  Die  Heiterkeit,  die  von  den  Bildern  Schroedters  oder 
Enhubers  ausging,  fand  kein  Echo  mehr  bei  einem  Geschlecht,  das 
des  allzu  billigen  Lachens  müd  war.  Die  Arbeiten  Carl  Hübners 
wurden  als  weinerliche  Rührstücke  bei  Seite  geschoben.  Es  lag. 
nachdem  man  aus  der  Periode  der  Romantik  herausgetreten,  keine 
Veranlassung  vor,  über  das  moderne  Leben  zu  witzeln,  oder  social- 
istische  Propaganda  zu  treiben.  Man  hatte  nach  der  Revolution  von 
1848  mit  der  Wandlung  der  Dinge  sich  ausgesöhnt,  mit  dem  Leben, 
wie  es  nun  einmal  war:  seinen  Sorgen  und  Verkümmerungen,  seinen 
Fehlern  und  Sünden.  Es  war  die  Zeit,  als  Berthold  Auerbachs  Dorf- 
geschichten so  viele  Auflagen  erlebten,  und  Hand  in  Hand  mit  diesen 
literarischen  Erzeugnissen  machte  auch  die  Malerei  sich  daran,  kleine 
Novellen  aus  dem  Leben  der  einzelnen  Volksclassen  zu  erzählen, 
unter  denen  ihres  malerischen  Costüms  wegen  die  Bauern  noch 
immer  am  bevorzugtesten  waren. 


XXIII.  Die  Dorfnovelle 


213 


Louis  Knaus  steht  an  der  Spitze 
dieser  jüngeren  Gruppe,  und  wenn 
es  heute  schwer  wird,  einen  Hym- 
nus auf  ihn  zu  singen,  so  liegt 
es  wohl  hauptsächlich  daran,  dass 
Knaus  noch  am  meisten  von  jener 
sarkastisch  ironischen  Charakter- 
istik mit  herüber  nahm,  die  Bil- 
dern Hogarths,  Schroedters  oder 
Madous  ethisch  eine  so  unange- 
nehme Note  gibt.  Die  Gestalten 
der  alten  Holländer  benehmen  sich 
im  Bilde,  als  ob  kein  fremder  Blick 
auf  ihnen  ruhte.  Man  nimmt  Theil 
an  ihren  Freuden  und  Schmerzen, 
die  nicht  gespielt  sind.  Man  fühlt 
sich  wohl  bei  denen , die  uns  als  einen  der  Ihren  betrachten.  Bei 
Knaus  ist  stets  eine  künstliche  Verbindung  zwischen  Figuren  und 
Ausstellungsbesucher  hergestellt.  Sie  stürzen  sich  in  die  grössten 
Unkosten,  um  Aufmerksamkeit  zu  erregen,  kitzeln  den  Betrachter, 
um  ihn  lachen  zu  machen,  jammern  ihm  vor,  um  ihn  zu  Thränen 
zu  rühren.  Sie  sind  nie  mit  sich,  immer  mit  dem  Publikum 
beschäftigt.  Ausser  Wilkie  hat  kein  Genremaler  ausführlicher  und 
aufdringlicher  erklärt.  Selbst  wenn  er  zur  Abwechslung  ein  Por- 
trät zu  malen  hat,  stellt  er  sich  mit  dem  spanischen  Rohr  dahinter 
und  erläutert  es.  Dadurch  sind  die  Bildnisse  von  Mommsen  und 
Helmholtz  in  der  Berliner  Nationalgalerie  zu  Charakterchargen  ge- 
worden. Jeder  von  ihnen  hat  das  sichtliche  Bewusstsein,  für  die 
Nationalgalerie  gemalt  zu  werden,  und  Knaus’  grösste  Sorge  be- 
stand darin,  durch  Unterstreichen  und  Auf  häufen  äusserlicher  Cha- 
rakteristik die  Persönlichkeiten  zu  »Gelehrtentypen  des  19.  Jahr- 
hunderts zu  steigern.  Da  sich  die  vulgäre  Meinung  den  Philologen 
als  Menschen  mit  vernachlässigtem  Aeussern,  den  Naturwissen- 
schaftler als  feinen  Weltmann  vorzustellen  pflegt,  muss  Mommsen  aus- 
getretene Stiefel , Helmholtz  Lackstiefeletten  tragen , das  Hemd  des 
einen  genial  verknittert  sein,  das  des  andern  tadellos  sitzen.  Durch 
solche  handgreifliche  Charakteristik  wurde  das  Sonntagspublikum  be- 
friedigt, den  Dargestellten  aber  ihr  Charakter  genommen.  Fs  ist  nicht 
anzunehmen,  dass  in  Mommsens  Zimmer  die  Manuscripte  aller  seiner 


214 


XXIII.  Die  Dorfnovelle 


Knaus:  Die  Falschspieler. 


Hauptwerke  so  offen  auf  und  unter  dem  Schreibtisch  liegen,  damit  sie 
ja  Jeder  sieht;  nicht  •wahrscheinlich,  dass  seine  berühmten  weissen 
Locken  auch  am  Schreibtisch  so  flattern.  Selbst  die  momentane  Hand- 
bewegung hat  in  beiden  Bildern  etwas  aufdringlich  Demonstratives. 
Seht,  mit  solch  einer  Feder  habe  ich  die  römische  Geschichte  ge- 
schrieben, sagt  Mommsen.  Seht,  das  ist  das  berühmte,  von  mir  er- 
fundene Ophthalmeter,  sagt  Helmholtz.  Und  als  Genremaler  ist  Knaus 
noch  häufiger  in  solch  unleidliche  Culissenreisserei  verfallen.  Das 
Bild  »Seine  Hoheit  auf  Reisen«  wird  gewöhnlich  als  das  genannt, 
in  dem  er  als  Charakteristiker  den  Höhepunkt  erreichte.  Aber  ist 
diese  Charakteristik  nicht  im  höchsten  Grade  chargirt,  dieser  in 
Rollen  vertheilte  Ausdruck  nicht  über  die  Maassen  gesucht?  Was 
müssen  diese  Kinder  Alles  zur  Erheiterung  des  Publikums  thunl 
Ein  kleines  Mädchen  lehnt  sich  schüchtern  an  die  ältere  Schwester, 
die  verschämt  den  Finger  in  den  Mund  steckt.  Einfältig  schauen 
die  Einen,  aufmerksam  die  Andern  zu.  Ein  kleineres  Baby  verzieht 
das  Gesicht  zu  kläglichem  Weinen.  Der  Fürst,  dem  zu  Ehren  die 


XXIII.  Die  Dorfnovelle 


215 


Knaus : Goldene  Hochzeit. 

Kinder  sich  aufgestellt  haben,  geht  an  der  Gruppe  mit  »absoluter 
Wurschtigkeit  vorbei,  während  sein  Begleiter  sich  das  Volk  ver- 
ächtlich durch  ein  Augenglas  ansieht.  Der  Schulmeister  verneigt 
sich  tief,  in  der  Hoffnung,  seine  Einkünfte  dadurch  zu  steigern, 
während  der  dumme  Gemeindevorsteher  mit  jovialem  Lächeln  dem 
Fürsten  entgegenblickt,  als  erwarte  er  den  Collegen  vom  Nachbar- 
dorf. Gewiss,  das  Alles  sind  sehr  verständliche  Typen,  aber  auch 
nicht  mehr  als  Typen.  Für  den  Maler  ist  das  Zufällige  des 
Moments  der  Quell  alles  Lebens.  Oder  hätte  der  sechsjährige 
Bauernjunge,  der  auf  Knaus’  Bilde  als  »Dorfprinz«  im  höchsten  Staat, 
eine  Blume  zwischen  den  Zähnen,  mit  gespreizten  Beinen  dasteht, 
jemals  so  dagestanden,  wäre  ihm  vom  Maler  die  selbstbewusste  Pose 
nicht  mühsam  einstudirt  worden?  Damit  nicht  der  geringste  Zweifel 
bleibe,  wer  von  den  kartenspielenden  Schusterjungen  gewinnt  und 
welcher  verliert,  muss  der  Eine  pfiffig  schmunzeln,  der  Andere  sich 
rathlos  hinterm  Ohr  kratzen.  Oder  wie  agirt  auf  dem  Bilde  Der  erste 
Profit«  der  kleine  Maccabäer  mit  dem  Publikum ! Der  alte  Mann  in 
abgetragener  Kleidung,  der  sich  die  Hände  reibend  auf  dem  Bilde  Ich 
kann  warten«  in  einem  Vorzimmer  steht  — das  furchtsame  Mädchen, 
das  auf  dem  Bilde  »In  tausend  Aengsten  sein  Butterbrod  durch 


XXIII.  Die  Dorfnovelle 


2 I 6 


Knaus:  In  tausend  Aengslen. 

Federvieh  bedroht  sieht.  — sie  haben  alle  die  gleiche  berechnete 
Komik,  dasselbe  Ueberwiegen  der  Reflexion,  dieselbe  zuspitzende, 
impertinent  satirische  Schärfe.  Selbst  im  »Begräbniss«  verlässt  ihn 
nicht  der  humoristische  Hang  des  Anekdotenerzählers,  und  der  Schul- 
meister muss  so  komisch  wie  möglich  den  Taktstock  schwingen, 
mit  dem  er  den  Chor  seiner  Buben  und  Mädchen  dirigirt.  Knaus 
lässt  zu  viel  gesperrt  drucken,  er  unterstreicht  zu  viel,  als  ob  er 
sein  Publikum  für  sehr  begriffsstutzig  halte.  Dadurch  gewinnt  er  die 
Naiven  und  ärgert  die  Feineren.  Der  Bauer  sitzt  bei  ihm  Modell,  er 
weiss,  dass  er  still  zu  halten,  seine  Pose  und  Grimasse  nicht  zu 
verändern  hat,  weil  Knaus  sonst  böse  wird.  Es  spricht  aus  den 
Bildern  immer  der  vornehme  berühmte  Stadtherr,  der  nur  des  cultur- 
geschichtlichen  Interesses  halber  auf’s  Land  gegangen,  dort  auf  wirk- 
same komische  Züge  Jagd  macht  und,  nachdem  er  die  kleine  Welt 
zu  lebenden  Bildern  arrangirt,  sie  kühl  dem  Gelächter  des  draussen- 
stehenden  gebildeten  Beschauers  preisgibt. 

Doch  eine  solche  Beurtheilung,  die  einer  \ erurtheilung  gleich 
kommt,  wäre  durchaus  unhaltbar  von  historischem  Standpunkt.  Die 
deutsche  Kunst  darf  Knaus  schon  deshalb  nicht  vergessen,  weil 


XXIII.  Die  Dorfnovelle 


21 


/ 


Knaus:  Kartenspielende  Schusterjungen. 


er  in  den  50er  Jahren  zu  den  ersten  Verbreitern  der  bis  dahin  un- 
gewohnten Ansicht  gehörte,  dass  Malerei  ohne  tüchtiges  colorist- 
isches  Können  undenkbar  sei.  Er  begnügte  sich  nicht,  wie  jene 
Aeltern  die  einzelnen  Charaktere  seiner  Bilder  in  wohlgefügten 
Gruppen  aneinanderzureihen,  er  bemühte  sich  auch,  seine  Werke 
coloristisch  unanfechtbar  zu  machen,  so  dass  er  in  den  50er  Jahren 
nicht  nur  durch  seine  »poetische  Erfindung«  das  grosse  Publikum, 
sondern  durch  seine  spielende  Herrschaft  über  die  Technik  sogar  die 
Pariser  Maler  zum  Enthusiasmus  hinriss.  In  diesem  Sinne  schrieb 
Edmond  About  1855:  »Ich  weiss  nicht,  ob  Herr  Knaus  lange 

Nägel  tragt,  aber  selbst  wenn  er  sie  so  lang  wie  Mephistopheles 
hätte,  würde  ich  noch  sagen,  er  sei  ein  Künstler  bis  in  die  Finger- 
spitzen. Seine  Bilder  gefallen  dem  Sonntagspublikum  und  dem  Frei- 
tagspublikum, den  Kritikern,  den  Bourgeois  und  (Gott  verzeih  mir) 
den  Malern.  Was  die  grosse  Masse  verführt,  ist  der  klar  ausgedrückte 


2 1 8 


XXIII.  Die  Dorfnovelle 


dramatische  Gedanke.  Die  Künstler  und  Kenner  werden  durch  sein 
Wissen  und  vollendetes  Können  gewonnen.  Herr  Knaus  hat  die 
Fähigkeit,  Jedermann  zufrieden  zu  stellen.  Seine  Bilder  ziehen  die 
incompetentesten  Augen  an,  indem  sie  ihnen  nette  Anekdoten  er- 
zählen, sie  fesseln  aber  auch  die  Blasirtesten  durch  die  vollendete 
Ausführung  der  Details.  Tout  le  talent  de  l'Allemagne  est  contenu 
dans  la  personne  de  M.  Knaus.  L’Allemagne  habite  donc  rue  de 
l’Arcade,  ä Paris«. 

In  Knaus’  Person  gipfelte  in  den  50er  Jahren  das  technische 
Können,  das  aus  dem  Studium  der  alten  Niederländer  und  dem 
beständigen  Verkehr  mit  den  modernen  Franzosen  zu  gewinnen  war. 
Schon  in  seiner  Jugend  müssen  mehr  als  seine  Lehrer  Sohn  und 
Schadow,  die  grossen  Niederländer  Ostade,  Brouwer  und  Teniers  auf 
ihn  gewirkt  haben,  da  bereits  seine  Erstlingsbilder,  der  Bauerntanz 
von  1850  und  die  Falschspieler  von  1851  wenig  mit  der  Düssel- 
dorfer Schule,  umsomehr  mit  niederländischem  Helldunkel  gemein 
hatten.  Die  falschen  Spieler  gleichen  geradezu  einem  in’s  Moderne 
übersetzten  Ostade.  Durch  die  Uebersiedelung  nach  Paris  1852 
suchte  er  das  Letzte  und  Acusserste  der  Vollendung  sich  anzueignen, 
und  verfügte,  als  er  nach  8 jährigem  Aufenthalt  in  die  Heimat  zurück- 
kehrte, über  einen  Sinn  für  Bildwirkung  und  feinen  coloristischen 
Gesammtton,  über  eine  Kennerschaft  der  Farbe  und  einen  vor- 
nehm geschulten  Amateurgeschmack,  dass  seine  Arbeiten  einen  un- 
endlichen Fortschritt  gegenüber  der  harten  Buntheit  seiner  Vorgänger 
bedeuteten.  Seine  goldene  Hochzeit  von  1858  — vielleicht  sein 
schönstes  Bild  — hatte  nichts  mehr  von  der  veralteten  Bauernbilder- 
technik der  ältern  Düsseldorfer,  sondern  stand  technisch  den  besten 
Werken  der  Franzosen  zur  Seite. 

Und  Knaus  ist  seitdem  derselbe  geblieben:  eine  in  sich  ab-  - 
geschlossene  Persönlichkeit,  die  der  Geschichte  gehört.  Er  malte 
Bauernbilder  von  tragischem  Inhalt  und  volkstümlicher  Heiterkeit: 
er  sah  dem  Kinderleben  eine  Fülle  anmuthiger  Züge  ab;  viel  herum- 
gekommen in  der  Welt,  ging  er.  nachdem  er  in  Berlin  sich  nieder- 
gelassen , von  Charakterchargen  aus  dem  Schwarzwald  zu  solchen 
aus  dem  grossstädtischen  Leben  über.  Er  wagte  sich  sogar  an 
Religiöses  heran  und  unterrichtete  die  Welt  durch  seine  aus 
Reminiscenzen  aller  Zeiten  und  Schulen  zusammengesetzte  heilige 
Familie  und  durch  seinen  »Daniel  in  der  Löwengrube  über  die 
Grenzen  seiner  Begabung.  Knaus  ist  von  ganzem  Herzen  Genre- 


XXIII.  Die  Dorfnovellk 


219 


maler  — das  hat  er  mit  Vielen 
gemein.  Aber  er  war  vor  30  Jahren 
das  coloristische  Genie  unter  den 
Charakterisirern  und  Erzählern  mit 
Pinsel  und  Palette  — das  macht 
ihn  zu  einem  Unicum.  Er  ist  ein 
Mann , dessen  Bedeutung  nicht 
allein  in  seinem  Erzählertalent  liegt, 
sondern  der  auch  für  die  deutsche 
Kunst  viel  geleistet  hat.  Man 
kann  sagen:  er  hat  ihr,  indem  er 
dem  Genrebild  ungeahnte  colorist- 
ische Feinheiten  gab , dazu  ver- 
holfen,  aus  der  Genremalerei  zur 
Malerei  zu  kommen.  In  diesem 
Sinn  erfüllte  er  eine  kunstgeschicht- 
liche Mission  und  errang  sich 
in  der  Geschichte  der  modernen  Malerei  eine  feste,  sichere  Stell- 
ung, die  ihm  auch  der  Gegner  der  illustrativen  Vignette  nicht 
nehmen  kann. 

Vautier,  der  immer  in  einem  Athem  mit  Knaus  genannt  werden 
muss,  ist  im  Grunde  seines  Wesens  das  gerade  Gegentheil  des  Ber- 
liner Meisters.  Auch  er  ist  der  Inbegriff  des  Genremalers,  dessen 
Bilder  nicht  gesehen,  sondern  im  Einzelnen  durchstudirt  sein  wollen; 
aber  da  wo  Knaus  Vorzüge  hat,  zeigt  Vautier  Mängel,  wo  jener  ab- 
stösst,  hat  er  Vorzüge.  Als  Techniker  vermag  er  sich  nicht  ähn- 
licher Qualitäten  zu  rühmen.  Er  ist  immer  nur  colorirender  Zeichner, 
nie  Colorist  gewesen.  Als  Maler  minderwerthig,  erscheint  er  jedoch 
als  Genremaler  sympathischer.  An  Knaus’  Bildern  stört  das  über- 
legene Lächeln,  die  outrirte,  herzlos  kalte  Beobachtung.  Vautier  er- 
freut durch  ebenso  tiefgehende  wie  einfache,  in  den  Mitteln  feiner 
zurückhaltende  Charakteristik,  durch  die  Fülle  hübscher  Einzelmotive, 
die  Feinfühligkeit  in  der  Wiedergabe  der  Beziehungen  und  Empfind- 
ungen der  Gestalten.  Ein  naives,  gutmüthiges,  liebenswürdiges 
Naturell  spricht  aus  seinen  Werken.  Er  ist  idyllisch -gemüthlich, 
wo  Knaus  satirisch -pikant  wirkt,  und  ein  Blick  auf  die  Photo- 
graphien Beider  erklärt  diesen  Unterschied.  Knaus  mit  seiner  durch- 
gearbeiteten Stirn  und  seinem  forschenden,  unter  dicken  Brauen 
hervorstechendem  Blick  gleicht  einem  Untersuchungsrichter  oder 


220 


XXIII.  Die  Dorenovelle 


Vautier:  Tan\patise. 


Staatsanwalt;  Vautier  mit  seinem  sinnenden  blauen  Auge  einem 
ideal  angehauchten,  behaglichen  Bankier  oder  Dorfgeschichtenschreiber 
ä la  Berthold  Auerbach.  Knaus  quälte  sich  viel,  grübelte  viel,  experi- 
mentirte  viel;  Vautier  liess  es  dabei  bewenden,  sich  eine  einfache 
simple  Malerei  anzueignen,  die  ihm  gerade  hinreichend  schien, 
das  mit  tiefem  Gefühl  Erfasste  zum  Ausdruck  zu  bringen.  Jener  ist 
eine  denkende,  dieser  eine  träumerische  Natur.  Ein  glücklicher 
Mensch,  dem  es  von  Jugend  auf  gut  ging,  der  nur  Ereudiges,  nie 
Sorgen  erlebte,  gewöhnte  er  sich,  auch  als  Maler  die  Welt  in  rosigem 
Lichte  zu  sehen.  Es  ist  in  seinen  Charakteren  etwas  Lauteres,  Reines, 
in  seinen  Bildern  etwas  Ruhiges,  Herzliches,  das  zwar  seine  pedant- 
isch kleinliche  Malerei  nicht  besser  macht,  aber  sympathisch  berührt, 
nimmt  man  menschlich  zu  ihm  Stellung.  Man  schämt  sich  Vauticrs 
als  Maler,  wenn  man  in  ausländischen  Ausstellungen  ihm  unter  den 
Fremden  begegnet,  doch  man  freut  sich  seiner  als  Genremaler  — es 
ist,  als  hätte  mitten  unter  romanischen  Feueraugen  der  stille  treue 
Blick  eines  deutschen  Auges  dich  getroffen,  oder  als  hörte  das  Ohr 
unerwartet  ein  einfaches  deutsches  Volkslied,  ungeschult  gesungen, 
doch  mit  sehr  viel  Herzlichkeit.  Knaus  konnte  sich  vor  einem  Men- 
schenalter als  Maler  überall  sehen  lassen,  Vautier  war  als  solcher  nur 


XXIII.  Die  Dorfnovelle 


221 


Vautier:  Der  Taschenspieler. 


im  Deutschland  der  60  er  Jahre  möglich.  Aber  hinter  Knaus’  Figuren 
steht  immer  der  Berliner  Professor,  aus  denen  Vauticrs  lacht  ein 
freundliches  Stück  deutschen  Volkthums.  Auch  Vauticrs  Welt  ist 
wie  die  des  alten  Meyerheim  einseitig,  auch  seine  redegewandten 
Herren  Vettern,  schüchtern  niederblickenden  Bräute,  verliebt  aus- 
schauenden schmucken  Burschen,  gerührten  Mütter  und  stolzen  Väter 
sind  vielleicht  mehr  Gattungsbegriffe,  als  dass  sie  kräftiges,  eigen- 
artiges Leben  athmeten.  Die  zierlichen  nacktfüssigen  Gestalten  seiner 
Bauernmädchen  umgibt  ein  so  goldiger  Schimmer  von  Anmuth,  wie 
er  wohl  nie  den  wirklichen,  sondern  nur  den  Hirtinnen  des  Märchens 
eignet,  die  nachher  von  Königssöhnen  geheirathet  werden.  Den 
Massstab  realistischer  Naturwahrheit  darf  man  an  seine  Figuren 
nicht  legen.  Aber  sie  sind  Bewohner  einer  traulichen,  lieben  Welt, 
in  der  Alles  Nettigkeit  und  liebenswürdige  Gutmüthigkeit  athmet. 
Fast  rührend  zu  sehen,  wie  schön  und  rein  in  Vauticrs  Kopf 
sich  das  Leben  spiegelt.  Wie  zart  sind  diese  braunäugigen  schwäb- 
ischen Bauerntöchter,  wie  sympathisch  und  mild  diese  Frauen, 
wie  reinlich  und  artig  die  Kinder.  Man  möchte  glauben,  dass 
Vautier  freundlich  und  väterlich  wohlwollend  mit  seinen  Bauern 
verkehrt,  sich  selbst  wohl  fühlt  bei  ihren  harmlosen  Vergnügungen, 


222 


XXIII.  Die  Dorfnovelle 


Vaulier:  Der  Brautwerber. 


dass  er  auch  ihre  Schmerzen  und  Sorgen  theilt;  und  über  diese 
Eindrücke  berichtet  er  in  seinen  Bildern  nicht  streng  und  über- 
legen lächelnd,  sondern  in  schonender  herzlicher  Weise.  Er  will 
nicht  aufregen  oder  erschüttern,  weder  durch  Witze  Komik,  noch 
durch  Trauriges  Trübsal  erwecken.  Das  Leben  zeigt  ihm  — wie 
Goethe  während  seiner  italienischen  Reise  — »lauter  angenehme  Gegen- 
stände« und  selbst  in  traurigen  Schicksalsfügungen  nur  Leute,  die  das 
Unvermeidliche  mit  Würde  tragen«.  Kein  lauter  Schmerz,  alles  leise 
abgedämpft,  von  jener  Milde,  die  sich  im  Klang  des  Vornamens 
Benjamin  ausspricht.  Knaus  hat  etwas  von  Menzel,  \ autier  von  — 
Memlinc,  auch  in  der  liebevollen  Intimität,  mit  der  er  das  Kleine 
durchdringt.  Die  alten  deutschen  und  niederländischen  Meister 
malten  in  ihren  religiösen  Bildern  Alles  bis  zum  Nachtgeschirr 
Marias,  den  gestickten  Lilien  ihres  Webstuhls  oder  dem  Staub,  der 
auf  dem  alten  Gebetbuch  liegt,  und  diese  echt  deutsche  Freude  am 
Stillleben,  die  behagliche  Schilderung  des  Kleinen,  kehrt  auch  bei 
Vautier  wieder.  Menschen  und  Wohnungen,  belebte  Natur  und 


XXIII.  Die  Dorfnovelle 


22 


Vaulier:  Verhör  heim  Schullehrer. 

Atmosphäre  setzen  sich  bei  ihm  zu  einem  freundlichen  Stück  Welt 
zusammen.  Vautier  entdeckte  als  der  Ersten  einer  den  Stimmungs- 
zauber der  Umgebung,  den  geheimnissvollen  Einfluss,  der  den  Men- 
schen mit  der  Scholle,  auf  der  er  geboren  ist,  verknüpft,  die  tausend 
unbekannten  magnetischen  Strömungen,  die  zwischen  den  Dingen  und 
dem  Gemüth,  den  Anschauungen  und  Handlungen  des  Menschen  be- 
stehen. Die  Umgebung  steht  nicht  da.  wie  der  Prospect  einer  Bühne, 
vor  dem  die  Personen  kommen  und  gehen,  sie  lebt  und  webt  auch 
im  Menschen  selbst.  Man  fühlt  sich  wohl  in  diesen  gemiithlich 
traulichen  Zimmern , wo  die  Schwarzwälderuhr  tickt , wo  kleine 
geschmacklose  Photographien  von  der  Wand  bieder  patriarchalisch 
herabblicken,  wo  der  Boden  so  sauber  gescheuert  ist  und  fettige  grüne 
Hüte  an  prächtigen  Hirschgeweihen  hängen.  Da  ist  das  grosse 
Familienbett  mit  den  geblümten  Vorhängen,  die  feste,  unbewegliche 
Holzbank  am  Ofen,  der  alte  solide  Tisch,  um  den  die  Mahlzeiten  Alt 
und  Jung  versammeln.  Da  sind  die  grossen  Wandschränke  für 
die  Schätze  des  Hauses,  das  Gebetbuch,  das  die  Grossmutter  zur 
Confirmation  bekam,  die  Eiligranschmucksachen , Kaffeetassen  lind 
Gläser,  die  nur  zum  Prunk,  nicht  zum  täglichen  Gebrauch  bestimmt 


bh 


224 


XXIII.  Die  Dorfnovelie 


Vauiier:  Bauer  und  Mäkler. 

sind.  Ueber  der  Bettstatt  hängen  die  auf  Glas  gemalten  kleinen  Heiligen- 
bilder und  »geweihten«  Andenken.  Und  durch  das  Fenster  überblickt 
man  gleich  das  weitere  Hauswesen ; buntblühende  Bohnen  ranken 
sich  von  dem  Stückchen  Gartenland  herein,  blühende  Obstbäume 
stehen  darin,  auch  der  Giebel  des  wohlgefüllten  Heustadels  ragt 
herüber.  Alles  athmet  Behaglichkeit,  Frieden,  Sonntagvormittags- 
stimmung; fast  glaubt  man  den  Klang  der  fernen  Kirchenglocken 
durch  die  wonnige  Stille  zu  vernehmen.  Nur  Bildwirkung,  maler- 
ische Haltung  darf  man  nie  verlangen,  die  Illustrirte  Zeitung  ist  ihm 
zuträglicher  als  die  Ausstellung. 

Als  der  Dritte  im  Bunde  steht  der  prächtige  Defregger  da,  von 
allen  Meistern  der  grossen  Münchener  Pilotyschule  zugleich  der  ein- 
fachste und  gesündeste.  Gewiss  wird,  wenn  die  Nachwelt  seine  Werke 
sichtet  und  wägt,  auch  von  ihm  Vieles  zu  leicht  befunden  werden. 
Defreggers  Kunst  hat  unter  seinem  Ruhme,  unter  den  Verführ- 
ungen des  Kunsthandels  gelitten.  Er  hat  auch  nicht  das  feine  Gefühl 
wie  Vautier  für  die  Grenzen  seines  Könnens  gehabt,  sondern  olt  über 
Dinge  geredet,  die  er  nicht  verstand.  Er  war  unter  allen  Künstlern 


XXIII.  Die  Dorfnovelle 


225 


der  Pilotyschule  am  wenigsten  Ma- 
ler und  am  meisten  an  s Format 
gebunden.  Eine  bestimmte  Lein- 
wandgrösse konnte  er  nicht  unge- 
straft überschreiten  und  spannte  sein 
Talent  in  ein  Prokrustesbett,  als  er 
Madonnenmaler  zu  sein  versuchte, 
oder  mit  seinen  Hoferbildern  sich 
in  die  Reihe  der  »Historienmaler 
stellte.  Als  Genremaler  aber  steht 
er  neben  Vautier  in  erster  Reihe, 
und  durch  diese  kleinen  Genre- 
bilder, je  einfacher  und  ruhiger 
desto  besser,  wie  durch  einzelne 
seiner  warmempfundenen,  reizvol- 
len Porträtstudien  wird  er  fortleben. 

Das  sind  Gegenstände,  die  er  verstand  und  empfand.  Er  hatte  selbst 
in  den  Verhältnissen  gelebt,  die  er  schilderte,  darum  sprach  auch, 
was  er  schilderte,  so  mächtig  zu  Herzen. 

Das  Jahr  1869  machte  seinen  Namen  bekannt.  Die  Münchener 
Ausstellung  brachte  damals  ein  Bild  aus  der  Geschichte  des  Hofer- 
schen  Aufstandes  1809:  wie  der  kleine  Sohn  Speckbachers,  des  einen 
Führers  der  Tiroler,  mit  einer  Büchse  bewaffnet,  dem  Vater  nach- 
gezogen ist  und  an  der  Hand  eines  alten  Jägers  in  das  Zimmer  tritt, 
wo  Speckbacher  eben  beim  Kriegsrath  sitzt.  Der  Vater  springt  auf, 
erst  ärgerlich  über  den  Ungehorsam,  dann  stolz  auf  die  Tapferkeit 
seines  Buben.  Diesem  Tiroler  Volk  blieb  seitdem  Defreggers  Kunst 
fast  ausschliesslich  gewidmet.  Tirols  schneidige  Buben  und  saubere 
Dirndln  in  Glück  und  Leid,  Liebe  und  Hass,  Arbeit  und  Lustbar- 
keit, zu  Haus  oder  draussen  auf  der  Ahn  in  ihrer  ganzen  Schönheit, 
Tüchtigkeit  und  Kraft  zu  schildern,  bildete  die  Lebensaufgabe,  für 
die  er  wie  kein  Anderer  geschaffen.  Er  hatte  vor  Knaus  und  den 
meisten  andern  Malern  von  Dorfgeschichten  den  ungeheuren  Vortheil, 
dass  er  nicht  persönlich  ausserhalb  und  über  dem  Volke  stand,  es 
nicht  mit  der  oberflächlichen  Neugier  des  zugereisten  Touristen 
betrachtete,  sondern  selbst  dazu  gehörte.  Jene  Andern  sahen, 
waren  sie  ironisch  angelegt,  im  Landmann  den  komischen  dummen 
Bauer,  oder  trugen,  wenn  sie  zur  Sentimentalität  neigten,  Stimm- 
ungen und  Gefühle  aus  der  »Gesellschaft«,  Züge  salonmässiger  Em- 

Mii'her,  Moderne  Malerei  II.  * - 


226 


XXIII.  Die  Dorfnovelle 


Defregger : Speckbacher. 

pfindsamkeit,  falsche  Stadtluft  in  die  bäuerliche  Welt.  Modelle  in 
Nationalcostiimen  wurden  zu  oberbayerischen  Volksstiickcn  gruppirt. 
Defregger,  der  bis  zum  15.  Jahre  das  Vieh  seines  Vaters  auf  den 
Grastriften  des  Ederhofes  hütete,  hatte  die  Schmerzen  und  Freuden 
des  Volkes  lange  genug  getheilt,  um  zu  wissen,  dass  diese  Leute 
weder  komisch  noch  sentimental  sind. 

Der  grosse  alte  Bauernhof,  wo  er  1835  geboren  war,  lag  einsam 
im  wilden  Gebirge.  Er  ging  barfuss  und  barhäuptig  einher,  watete 
durch  den  hohen  Schnee,  wenn  er  im  Winter  den  Weg  zur  Schule 
machte,  trieb  sich  mitten  im  Hochgebirge  herum,  wenn  er  im  Sommer 
mit  den  Heerdcn  auf  der  Alm  war.  Sennerinnen  und  Holzknechte, 
Jäger  und  Hüterbuben  waren  seine  einzigen  Genossen.  Mit  1 5 Jahren 
war  er  der  Hauptarbeiter  aut  dem  Gute,  halt  das  Korn  dreschen, 
arbeitete  auf  dem  Acker,  im  Stall,  in  der  Scheune  wie  die  Andern. 
23  Jahre  alt,  verlor  er  den  Vater  und  übernahm  selbst  das  Gehöft: 
ein  Mann  also,  bevor  sich  ihm  der  Künstlerberuf  entdeckte.  Daraus 
erklären  sich  seine  Qualitäten  und  seine  Mängel.  Als  er  nach  \ er- 
kauf seines  Anwesens  und  planlosem  Aufenthalt  in  Innsbruck  und 


XXIII.  Die  Dorfnovelle 


Defregger:  Die  Ringer. 

Paris  1865  bei  Piloty  landete,  war  er  innerlich  reif:  die  Eindrücke 
seiner  Jugend  verfolgten  ihn,  Land  und  Leute  von  Tirol  wollte  er 
schildern.  Um  noch  ein  guter  »Maler«  zu  werden,  war  er  zu  alt.  Da- 
für brachte  er  ein  anderes  unschätzbares  Gut  mit:  er  wusste,  was  er 
wollte.  Die  Helden  der  Historie  interessirten  ihn  nicht,  in  seinem 
Kopf  lebten  nur  Tiroler  Holzknechte.  Er  verliess  das  Atelier  Pilotys 
fast  wie  er  es  betreten  hatte:  ungeschickt,  schwer  und  mühsam  malend, 
aber  auch  von  der  Theaterempfindung  Pilotys  wenig  berührt.  Seine 
Jugend,  seine  Erinnerungen  wurzelten  im  Volksleben;  mit  treuem 
Auge  fing  er  dessen  fröhliche  und  ernste  Bilder  auf,  sie  in  schlichter, 
warmer  Sprache  zu  erzählen ; und  hätte  er  die  Stärke  gehabt,  dem 
Schönheitsideal  seiner  Zeit  noch  grössere  Widerstandskraft  zu  leisten, 
so  würden  seine  Erzählungen  gewiss  sich  noch  frischer,  urwüchsiger 
anhören. 

Der  Tanz  auf  der  Alm  war  das  erste  Bild,  das  auf  den  Speck- 
bacher folgte,  und  durchwanderte  in  Tausenden  von  Reproductionen 
die  Welt.  Zwei  herzige  Gestalten,  die  hübsche  Sennerin,  die  so 
freudestrahlend  um  sich  blickt,  und  ihr  Partner,  der  rüstige,  alte 
Tiroler,  der  eben  den  Fuss  mit  dem  derben  Nagelschuh  tanzend  zum 
Schuhplattler  erhebt.  Gleichzeitig  malte  er  »das  Preispferd«,  das  sieg- 

15* 


228 


XXIII.  Dif.  Dorfnovelle 


Defregger : Das  Preispferd. 

gekrönt  und  bekränzt  von  der  Pferdeausstellung  in  s Heimathdorf 
zurückkommt  und  als  der  Stolz  des  Ortes  von  Alt  und  Jung  jubelnd 
begrüsst  wird.  Das  letzte  Aufgebot  war  wieder  eine  Scene  aus 
der  Tiroler  Volkserhebung  1809:  Alle,  die  noch  eine  Büchse,  Sense 
oder  Heugabel  tragen  können,  haben  in  die  Fahnen  sich  einreihen 
lassen  und  marschiren  über  die  holperige  Gasse  des  Dorfes  hinaus 
in  den  Kampf.  Ernst  blicken  Frauen  und  Kinder  den  Fortziehenden 
nach,  ein  altes  Mütterchen  drückt  ihrem  Manne  die  Hand.  Alles 
war  schlicht  und  herzlich,  ohne  Rührseligkeit  und  Emphase,  selbst 
coloristisch  ansprechend  gegeben.  Als  Gegenstück  entstand  1876  die 
1 leimkehr  der  Sieger  : Ein  Trupp  Tiroler  Landsturm  marschirt  durch 
das  heimische  Bergdorf,  ein  leicht  verwundeter,  kühn  blickender  junger 
Bauer  voran.  Tiroler  Banner  wehen,  Pfeifer,  Trommler.  Clarinetten- 
bläser  folgen.  Die  Gesichter  strahlen  vor  Siegesfreude,  Frauen  und 
Kinder  stehen  ringsum,  die  Heimkehrenden  zu  empfangen.  Freude 
ist  indessen  schwerer  als  Schmerz  wahr  zu  malen.  Man  merkt  leicht, 
dass  sie  durch  künstliche  Mittel  beim  Modell  hervorgerufen  wurde, 
und  auch  Defreggers  Bild  hat  diese  Klippe  nicht  ganz  vermieden. 


XXIII.  Die  DorenovehjE 


229 


Defregger:  Der  Tan\  auf  der  Ahn. 


Der  Todesgang  Andreas  Hofers  war  das  erste  Zugeständniss  an 
Piloty.  Kr  war  Professor  an  der  Münchener  Akademie  geworden 
und  wurde  im  Adressbuch  als  »Historienmaler»  geführt.  Die  Ge- 
stalten erhielten  also  volle  Lebensgrösse,  in  der  Gruppirung  und 
der  Wahl  des  »fruchtbaren  Moments«  wurde  der  Stil  der  grossen 
Malerei«  angestrebt.  Das  Ergcbniss  war  dieselbe  Hohlheit,  die  in 
den  Historien  der  Delaroche-,  Gallait-  und  Pilotyschule  sich  breit 
macht.  An  die  Stelle  unbefangener,  schlichter  Natürlichkeit  ist  der 
bekannte  Bühneneffekt  und  phrasenhaftes  Pathos  getreten.  Ebenso 
wenig  war  er  im  Stande,  die  grossen  Figuren  malerisch  in  dem 
Maasse  zu  beleben,  wie  er  auf  dem  kleineren  Bilde  der  »heim- 
kehrenden Tiroler«  es  vermochte.  Dasselbe  gilt  von  der  Bauern- 
versammlung von  1883,  der  Scene,  wie  die  Tiroler  in  einer  Waffen- 
schmiede versammelt  die  Nachricht  erhalten , dass  der  Augenblick 
zum  Losschlagen  gekommen.  Auch  von  dem  letzten  Bild  des  Cyklus, 
wie  Andreas  Hofer  in  der  Burg  von  Innsbruck  die  Geschenke  Kaiser 
Franz’s  empfängt.  All  diese  grossen  Hoferbilder,  früher  als  seine 


2}0 


XXIII.  Du-:  Dorfnovhlle 


besten  Leistungen  gefeiert, 
haben  weniger  ihm,  als  dem 
wackeren  Sandwirth  ein 
Denkmal  errichtet.  Das  Genre 
war  Defreggers  Beruf,  hier 
lagen  die  starken  Wurzeln 
seiner  Kraft,  und  sobald  er 
dieses  Gebiet  verliess,  ent- 
sagte er  seiner  Qualitäten. 

Verschönernde  Feiertags- 
stimmung ist  auch  über  seine 
Genrebilder  gebreitet.  Sie 
erwecken  die  Meinung,  als 
ob  im  glücklichen  Land  Tirol 
immer  Sonnenschein  strahle, 
als  seien  alle  Menschen  keusch 
und  schön,  alle  Burschen 
schneidig  und  hübsch , alle 
Defregger:  Der  Besuch.  Dirndln  schmuck,  jeder  Haus- 
te halt  geregelt  und  sauber,  alle 

Eheleute  und  Kinder  lieb  und  brav,  während  in  Wirklichkeit  die 
Sennerinnen  und  Holzknechte  weit  weniger  poetisch  sich  gebahren 
und  mancher  Städter  die  Berührung  der  lebendigen  meidet,  der  die 
gemalten  mit  Entzücken  betrachtet.  Sowohl  diese  Einseitigkeiten,  wie 
die  coloristischen  Mängel  theilt  er  mit  Vautier.  Fast  alle  seine  Bilder 
sind  hart,  trocken  und  ängstlich  in  der  Farbe.  Aber  wie  bei  Vautier 
versöhnt  der  Mensch  mit  dem  Maler.  Man  verlangt  von  Defregger 
keine  coloristischen  Qualitäten  und  keine  echten  Tiroler,  da  er  in 
seinen  Bildern  sich  selber  gibt,  einen  Blick  in  sein  eigenes  Herz 
gewährt,  ein  gesund  fröhliches,  liebes  Menschenherz.  Nicht  müh- 
sam erlernten  Schönheitsregeln  ist  sein  Idealismus  entsprungen 
ein  Malergemüth  spricht  daraus,  das  unwillkürlich  sein  Volk  durch 
ein  verklärendes  Medium  anschaut.  Ein  rosarothes  Glas  unterdrückt 
alles  Kümmerliche,  Armselige,  Traurige,  Hässliche,  um  Kraft  und 
Gesundheit  nur,  Zartheit  und  Schönheit,  Tapferkeit  und  Treue  zu 
spiegeln.  Er  behielt  in  sonnigem  Andenken  den  jubelnden  Glanz, 
der  in  der  Stunde  des  Wiedersehens  über  der  Heimath  ruhte,  er 
malte  die  Freude,  die  seine  eigene  Brust  schwellend  erweiterte,  wenn 
er  die  ersten  Felsen  des  Hcimathlandes  sah  und  die  Glocken  Sonn- 


XXIII.  Die  Dorfnovelle 


231 

tagsfrieden  läuteten.  Das  gibt  seinen  Werken,  so  wenig  sie  authent- 
ische Documente  über  die  Tiroler  Bevölkerung  sind,  ihre  mensch- 
liche, innerliche  Wahrheit. 

Später  wird  man  das  noch  unbefangener  empfinden,  als  es  heute 
möglich.  Je  grösser  die  Schule  eines  Künstlers  ist,  um  so  mehr 
tri vialisirt  sie  seine  Kunst,  so  dass  die  Originalität  des  Meisters 
eine  Zeitlang  selbst  wie  Trivialität  erscheint.  Die  Tiroler  wurden 
durch  Defreggers  Nachahmer  im  Kunstmarkt  entwerthet ; zu  viele 
haben  ihm  seine  krachledernen  Hosen  und  Lodenjoppen  nachgemalt, 
ohne  die  lebendigen  Menschen  darin,  die  beim  echten  Defregger 
entzückten.  Seine  kunstgeschichtliche  Stellung  wird  dadurch  nicht 
berührt.  Er  hat  den  Besten  seiner  Zeit  genug  gethan,  durch  seine 
frische,  fröhliche,  gesunde  Kunst  vieler  Menschen  Herzen  erquickt 
und  wäre  der  Unsterblichkeit  auch  dann  sicher,  hätte  er  seit  den 
Jahren,  da  die  Entwicklung  über  ihn  hinwegschritt,  den  Pinsel  über- 
haupt aus  der  Hand  gelegt. 

Neben  Defregger,  dem  Haupt  der  Tiroler,  mögen  Gabi  und 
Mathias  Schmidt  in  üblichem  Abstand  ihren  wohlverdienten  Platz 
finden.  Mathias  Schmidt,  in  demselben  Jahre  wie  Defregger  in  den 
Tiroler  Alpen  geboren,  fing  mit  satirischen  Darstellungen  auf  das 
Tiroler  Priesterthum  an.  Ein  armer  Hergottschnitzer  ist  mit  seinem 
Wagen  an  einem  Wirthshaus  angekommen,  auf  dessen  Terrasse  wohl- 
genährte Geistliche  sitzen , und  wird  von  ihnen,  als  er  ein  Crucifix 
zum  Kauf  anbietet,  spöttisch  zur  Rede  gestellt.  Ein  junger  Priester 
kanzelt  als  strenger  Sittenrichter  ein  vor  ihm  stehendes  Liebes- 
paar ab,  oder  richtet  im  Brautexamen  an  das  junge  Mädchen  so  ver- 
fängliche  Fragen,  dass  es  erröthend  die  Augen  senkt.  Sein  grösstes 
Bild  war  der  »Auszug  der  protestantischen  Zillerthaler  aus  ihrer 
Heimath  1837«.  Von  späteren  Arbeiten  ohne  kulturkämpferische 
Tendenzen  mögen  der  »Jägergruss«,  der  »eingeseifte  Herr  Pfarrer  , 
der  von  zwei  hübschen  Dirnen  beim  Rasiren  überrascht  wird,  und 
der  »geflickte  Herr  Pfarrer«  genannt  sein,  dem  die  dralle  Haushälterin 
vor  der  Predigt  noch  eilig  eine  schwache  Stelle  seiner  Unaussprech- 
lichen stopft. 

Alois  Gab I trat,  kurz  nachdem  Defregger  sein  Speckbacherbild 
gemalt,  mit  seinem  den  Aufruhr  predigenden  Haspinger  hervor  und 
liess  darauf  kleinere  humoristisch  angehauchte  Bilder  folgen : eine 
Rekrutenaushebung  in  Tirol,  den  Tanz  im  Wirthshaus,  der  durch 
das  Eintreten  des  Herrn  Pfarrers  unterbrochen  wird,  Hochwürden  als 


XXIII.  Die  Dorfnovelle 


232 


Gabi:  Haspinger,  den  Aufstand  predigend. 

Schiedsrichter  auf  dem  Schiessstand,  eine  Bräuschenke  mit  lachenden 
Mägden  u.  dgl. 

Der  früh  verstorbene  Ed.  Kurzbauer  schuf  1870  in  seinen 
»Ereilten  Flüchtlingen«  ein  Werk,  das  diese  ganze  Art  gemalter 
Romanillustrationen  kennzeichnet.  Ein  junger  Mann,  der  ein  Mäd- 
chen entführt  hat,  wird  mit  diesem  von  deren  Mutter  in  einer 
Dorfwirthschaft  aufgefunden.  Die  alte  vornehme  Dame  blickt  vor- 
wurfsvoll, die  Tochter  zeigt  Scham  und  Reue,  der  junge  Ent- 
führer ist  sehr  erregt,  der  alte  Diener  respektvoll  ernst,  die  junge 
Wirthin  neugierig,  der  Postillon,  der  die  Flüchtlinge  gefahren  hat, 
schmunzelt  pfiffig.  Sonst  hat  Kurzbauer,  ein  lebendiger  frischer  Er- 
zähler, hauptsächlich  Episoden  in  Schwarzwälder  Bauernkostüm  ge- 
malt: ein  abgewiesener  Freier  nimmt  traurigen  Abschied  von  einem 
blonden  Trotzköpfchen,  das  seine  Liebe  verschmäht;  oder  die  Ver- 
lobung zweier  Liebenden  wird  durch  das  Dazwischentreten  des 
Vaters  verhindert. 

Hugo  Kaufmann,  der  Sohn  Hermann  Kauffmanns,  setzte  sich  im 
Innern  von  Dorfschenken  oder  vor  solchen  fest  und  liess  da  kostümirte 


XXIII.  Die  Dorfnovelle 


233 


Kurzbauer : Die  ereilten  Flüchtlinge. 


Modelle  Jägerlatein  erzählen,  zur  Geige  tanzen,  eifersüchtig  sein  oder 
sich  beim  Kartenspiel  streiten. 

Wilhelm  Riefstahl , auch  Norddeutscher,  erzählte,  wie  sich  die 
Bauern  in  Appenzell  oder  Bregenz  bei  Trauerversammlungen,  Feld- 
andachten oder  Allerseelentagen  benehmen  und  dehnte  später  mit 
mecklenburgischer  Gründlichkeit  seine  künstlerische  Domäne  über 
Rügen,  Westfalen  und  die  Rheinlande  aus.  Fr  war  ein  sorgsam  ge- 
wissenhafter Arbeiter,  dem  etwas  von  genrehalter  Schwere  und  müh- 
samer Ungenügsam keit  in  den  Gliedern  lag  und  dessen  sehr  fleissig  ge- 
malte, mit  Farben  gemalte,  speciell  deutsch  gemalte  Bilder  wegen  ihrer 
lehrhaften  Gediegenheit  in  öffentlichen  Galerien  sehr  geschätzt  sind. 

Nachdem  durch  diese  Novellisten  die  verschiedenen  Verzweig- 
ungen der  deutschen  Bauernschaft  im  Kunsthandel  eingebürgert  waren, 
ging  Eduard  Grützner,  als  in  den  70  er  Jahren  der  Kulturkampf  ent- 
brannte, dazu  über,  mittels  brauner  und  gelblich  weisser  Mönchskutten 
und  der  dazu  gehörigen  feist  kupfernasigen  Bcrufsmodelle  Schnurren 
aus  dem  Mönchsleben  zu  erfinden.  Wie  der  Kellermeister  den  Heurigen 
probirt  und  die  Andern  gespannt  des  Urtheils  harren,  wie  die  ganze 
Klostergesellschaft  beim  Weinzapfen,  bei  der  Weinlese  oder  beim  Bier- 


234 


XXIII.  Diu  Dorfnovelle 


brauen  beschäftigt  ist,  wie  sie  poculiren.  sich  beim  Schach-,  Würfel-, 
Karten-  und  Dominospiel  langweilen,  alte  Fresken  übertünchen  oder 
verbotene  Lcctüre  in  der  Klosterbibliothek  suchen,  — das  ist  nach 
Grützner  der  Kreislauf,  in  dem  sich  das  Leben  der  Mönche  bewegt. 
Dazwischen  tauchen  vielleicht  Förster  auf,  die  von  ihren  Jagderleb- 
nissen erzählen  oder  Hasen  an  die  Klosterküche  abliefern.  Und 
Grützner  Find  mit  diesen  Bildern  um  so  grösseren  Beifall,  je  mehr  er 
im  Laufe  der  Jahre  durch  das  Sinken  seiner  coloristischen  Qualitäten 
gezwungen  war,  die  sogenannten  humoristischen  Pointen  zu  häufen. 

Erst  viel  später  kam  neben  dieser  Genremalerei  im  Bauernkittel 
und  in  der  Mönchskutte  die  Genremalerei  im  Rock,  neben  der 
Dorf-  und  Klosternovelette  die  Börsen-  und  Fabrikgeschichte  in 
Schwung.  Hier  spielt  Düsseldorf  wieder  in  der  kunstgeschichtlichen 
Entwicklung  eine  Rolle.  Die  Nähe  der  grossen  rheinischen  Fabrik- 
städte musste  die  Maler  von  selbst  auf  diese  Stoffe  führen.  Ludwig 
Bokelmann,  der  zuerst  Trauerhausscenen,  Kartenspieler  und  rauchende 
Schusterjungen  im  Sinne  von  Knaus  gemalt,  führte  1875  das  Leih- 
haus in  die  Kunst  ein  und  wusste  in  dem  Bilde  alle  Typen,  die  die 
landläufige  Phantasie  mit  diesem  Begriff  in  Verbindung  bringt:  ge 
schäftsmässige  Gleichgültigkeit,  verschämte  Armuth,  zerrütteten  Wohl- 
stand, bittere  Noth,  Genusssucht,  Habsucht  und  dergleichen  geschickt 
zusammenzudrängen.  Als  1877  der  Fall  Spitzeder  in  den  Zeitungen 
Aufsehen  machte,  malte  er  seine  Yolksbank  vor  Ausbruch  des  Falli- 
ments«, wobei  sich  wieder  Gelegenheit  gab,  vor  dem  Prachtbau  eine 
Versammlung  von  Betrogenen  aus  allen  Ständen  zu  arrangiren,  wie 
sie  ihre  Empfindungen  je  nach  Temperament  und  Bildungsgrad  in 
erregten  Gesprächen  oder  durch  erbitterte  Mienen , durch  stumpfe 
Resignation  oder  lebhaftes  Gesticuliren  kundgeben.  Viel  Aufsehen 
machte  die  Verhaftung«  einer  Frau,  die  von  einem  Gendarmen  er- 
wartet wurde,  während  draussen  Nachbarn  und  Nachbarinnen  mit 
dem  obligaten  Ausdruck  des  Abscheus,  der  Entrüstung,  der  gleich- 
gültigen Neugier  oder  des  Mitgefühls  umherstanden.  Eine  Testa- 
mentseröffnung, die  letzten  Augenblicke  eines  Wahlkampfs,  Scenen 
im  Gerichtsvorsaale,  der  Abschied  von  Auswanderern,  die  Spielbank 
in  Montecarlo,  ein  Dorfbrand  waren  andere  actuelle  Zeitungsnotizen 
aus  dem  Leben  grösserer  Städte,  die  er  in  den  letzten  Jahren  in  Oel 
verarbeitete. 

Sein  früherer  College  in  Düsseldorf  Ferdinand  Bri'itt  verdankte, 
nachdem  er  Anfangs  Rococobilder  gemalt,  der  Börse  seine  schönsten 


XXIII.  Die  Dorfnoveele 


23  5 


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Brioti:  Trauung  im  Eisass. 


Erfolge.  Auch  sie  hat  ihre  Typen : die  patrizischen  Grosskaufleute 
und  Bankiers  von  solidem  Ruf,  die  Jobber,  waghalsigen  Speculanten 
und  alten,  verkommenen  Praktiker,  und  da  Brütt  diese  landläufigen 
Figuren  sehr  verständlich  interpretirte,  so  erregten  die  Bilder  grosse 
Aufmerksamkeit.  Verurtheilungen  und  Freisprechungen,  Schuldver- 
schreibungen und  Auswanderungsagenten,  komische  Wähler  und 
Gefängnissbesuche  füllen  als  weitere  Episoden  aus  dem  commerciellen, 
socialen  und  politischen  Leben  grosser  Städte  die  Spalten  seiner 
kleinen  Localchronik. 

Hiermit  hatte  die  deutsche  Genremalerei  sich  annähernd  über 
denselben  Umkreis  ausgedehnt,  den  die  englische  zu  Beginn  des  Jahr- 
hunderts hatte.  Damals  war  das  Reich  der  deutschen  Kunst  nicht 
von  dieser  Welt.  Der  Pietismus  lehrte,  die  Augen  nach  innen  zu 
richten.  Langsam  betrat  sie  die  Erde,  zuerst  mit  ungewissem, 
zögerndem  Schritt,  ehe  sie  erkannte,  dass,  was  hier  blüht,  gedeiht 
und  untergeht,  den  Inhalt  ihres  Schaffens  ausmachen  müsse.  Sie 
zog  allmählich  eine  Sphäre  der  Wirklichkeit  nach  der  andern  in  ihr 
Bereich.  An  die  Stelle  der  Abstraction  trat  die  Beobachtung,  aus 


XXIII.  Die  Dorfnovelle 


236 


Marchal:  Mägdemarkt  in  Buxwiller. 


dem  Erfinder  wurde  ein  Finder.  Der  Maler  ging  unter  die  Menschen, 
öffnete  Augen  und  Herz,  um  ihres  Glückes  und  Unglückes  theilhaftig 
zu  werden  und  es  wiederzugeben  in  seinen  Schöpfungen.  Er  ent- 
deckte die  Eigenarten  der  Stände  und  Berufsclassen.  Jede  unserer 
schönen  deutschen  Landschaften  mit  ihrer  Bauernschaft,  jeder  Mönchs- 
orden und  jede  Fabrikstadt  fand  in  der  Genremalerei  ihren  Vertreter. 
Das  Land  wurde  in  Parzellen  vertheilt.  Jeder  übernahm  sein  Theil- 
chen.  das  er  schlecht  und  recht,  wie  ein  ethnographisches  Museum 
verwaltete.  Und  wie  50  Jahre  vorher  Deutschland  von  England  aus 
befruchtet  worden,  so  gab  es  jetzt  seinerseits  die  Principien  der 
Genremalerei  an  die  Kunstmächte  zweiten  Ranges  weiter. 

Selbst  Frankreich  wurde  ein  wenig  berührt  davon.  Wie  um 
anzudeuten,  dass  der  Eisass  bald  wieder  deutsch  werden  solle,  traten 
dort  nach  1850  einige  Maler  auf.  die  sich  ganz  in  Knaus'  und  Yauticrs 
Sinne  mit  der  Erzählung  novellistischer  Dinge  aus  dem  Bauernleben 
beschäftigten. 

Gustave  Brion,  der  Grossneffe  Friederikes  von  Sesenheim,  setzte 
sich  in  den  Vogesen  fest  und  berichtete  hier  von  einer  kleinen  Welt, 
deren  Leben  ohne  Arbeit  hinfliesst,  in  patriarchalischer  sanfter  Ruhe, 
die  nur  Hochzeitsfeste,  Geburtstage  und  Leichenfeierlichkeiten  unter- 
brechen. Man  möchte  ihn  der  viel  melancholische  Stunden  hatte 


XXIII.  Die  Dorfnovelle 


237 


Breton':  Die  Heimkehr  vom  Felde. 

und  in  seinen  Bildern  gern  beten  lässt,  den  französischen  Vautier 
nennen.  Seine  Interieurs  mit  den  ehrbaren,  biederen  Menschen, 
den  alten  stämmigen  Möbeln  und  dem  grossen  grünen  Fayence- 
ofen, der  ihm  so  theuer  ist,  erfreuen  durch  ihre  anheimelnde  Trau- 
lichkeit, durch  einen  herzlichen,  elsässischen , deutschen  Zug.  Er 
lebt  selbst  in  ihnen,  der  stille  alte  Mann,  der  sich  in  seinen  letzten 
Jahren  nur  mit  Gartenbau  und  Blumenzucht  beschäftigte  und  stunden- 
lang im  Lehnstuhl  am  Fenster  seinem  alten  Hund  Putz  Märchen 
erzählte.  Malerische  Gesam Enthaltung  freilich  darf  man  sowenig  von 
ihm  wie  von  Vautier  fordern. 

Charles  Marchal  war  ebenfalls  kein  Maler,  sondern  ein  Anekdoten- 
erzähler  sentimentalen  oder  humoristischen  Anstrichs  und  obendrein 
so  fein  und  vornehm,  dass  er  nur  die  hübschen  Bäuerinnen  sah,  die 
leicht  »Fräulein«  werden  könnten,  wenn  sie  Mieder  und  Kopftuch 
mit  Pariser  Toilette  vertauschten,  Sein  Hauptbild  war  der  Mägde- 
markt von  1864  — hübsche  Bäuerinnen,  die  reihenweise  an  der  Strasse 
stehen  und  mit  Dienstherren  unterhandeln,  um  sich  dingen  zu  lassen. 

Der  berühmteste  der  Gruppe  ward  Jules  Breton,  der  sich  nach 
mehreren  Humoresken  und  Rührstücken  1853  mit  seiner  Rückkehr 
der  Schnitter«  (Musee  Luxembourg)  in  die  erste  Reihe  der  französischen 
Bauernmaler  stellte.  Seine  Aehrenleserinnen  von  1855,  die  Segnung 
der  Felder  von  1857,  die  Aufrichtung  des  Christusbildes  auf  dem 


XXIII.  Die  Dorfnovelle 


.38 


Breton : Feierabend. 


Friedhofe  von  1859  waren  hübsch  genug,  dem  Publikum  zu  gefallen, 
und  technisch  gediegen  genug,  um  bei  den  Künstlern  keinen  Anstoss 
zu  erregen.  Seit  1861  schwärmte  er  besonders  für  Sonnenunter- 
gänge und  wurde  nicht  müde,  die  Stunde  zu  schildern,  wenn  sich  die 
schönen  Silhouetten  der  Bäuerinnen  elegant  von  dem  ruhigen  goldenen 
Horizont  abzeichnen.  Jules  Breton  hat  viel  Gedichte  gemacht,  und 
etwas  Poetisches  geht  durch  seine  Bilder.  Sie  erzählen  von  der  Me- 
lancholie des  Landes,  wenn  die  Felder,  vom  letzten  Strahl  der 
scheidenden  Sonne  vergoldet,  unter  den  Schatten  des  Abends  träum- 
erisch einschlafen  — aber  sie  erzählen  davon  in  Versen,  in  denen  die 
gleichen  Reime  sich  in  ermüdender  Eintönigkeit  wiederholen.  Breton 
ist  eine  liebenswürdige,  sympathische  Erscheinung,  nur  hat  er  den 
Classicismus  nicht  ganz  überwunden.  Seine  Aehrenleserinnen , die 
in  der  Abenddämmerung  über  das  Feld  schreiten , bezeugen  sein 
aufmerksames,  überlegtes  Studium  der  Werke  Leopold  Roberts, 
und  leider  ist  auch  von  der  Emphase,  den  classicistischen  Allüren 
Roberts  viel  in  Bretons  Bäuerinnen  übergegangen.  Sie  haben  einen 
starken  Rest  von  Pose  und  einen  scharfen  Beigeschmack  von  Schul- 
formoln.  Ihre  Kleider  affectiren  Stil  und  ihre  Hände  sind  die  von 
Bonnen,  die  nie  einen  Rechen  in  der  Hand  gehabt.  Breton  malt, 
wie  Millet  von  ihm  sagte,  Mädchen,  die  zu  schön  sind,  um  auf  dem 


XXIII.  Die  Dorfnovelle 


Land  zu  bleiben.  Seine 
Kunst  ist  eine  wohlerzogene, 
idyllische  Malerei,  mit  Gold- 
schnitt versehen,  gefällig,  voll 
zarter,  stets  eleganter  und 
stets  correcter  Figuren,  aber 
ein  wenig  limonadenhaft 
matt,  monoton  und  zu  wohl 
geordnet,  baar  jedes  männ- 
lichen Accentes  und  selten 
die  Klippe  der  Geziertheit 
meidend. 

Direkt  von  Düsseldorf 
wurde  Schweden  und  Nor- 
wegen befruchtet.  Die  rhein- 
ische Akademie  war,  nach- 
dem Tidemand  den  Weg 
dahin  gewiesen,  in  den  50er 
Jahren  die  Hochschule  für 
alle  Söhne  des  Nordens.  Sie 
machten  sich  daran,  Knaus 
und  Vautier  in’s  Schwed- 
ische und  Norwegische  zu 
übersetzen  und  trafen  den 
Ton  ihrer  Originale  so  glück- 
lich, dass  sie  fast  diisseldorf- 
ischer  als  die  echten  Düssel- 
dorfer wirken. 

Karl  D’ Uncker,  1851  eingetroffen  und  1866  verstorben,  wurde 
durch  Vautier  der  kleinen  Humoreske  zugeführt.  Auf  die  beiden 
Tauben«  (zwei  schwerhörige  alte  Leute,  die  sich  in  sehr  komischer 
Weise  zu  verständigen  suchen)  und  den  »Spielmann  mit  seiner  Tochter 
vor  dem  Dorfschulzen  folgte  1858  die  Scene  im  Pfandhaus«,  die 
sich  damals  mit  Knaus’  »goldener  Hochzeit«  in  den  Erfolg  des 
Jahres  theilte.  Er  ist  künstlerisch  ein  Mittelding  zwischen  Knaus  und 
Schrödter ; ein  scharfer  Beobachter  und  witziger  Berichterstatter,  der 
sich  namentlich  in  der  schneidigen  Gegenüberstellung  von  Charakter- 
chargen gefällt.  In  seinem  »Pfandhaus«  und  im  »Wartesaal  dritter 
Classe«  bewegen  sich  bunt  durcheinander  Vagabunden  neben  grund- 


— 


Brelon : ^Aelirenlrägerin . 


240 


XXIII.  Die  Dorfnovelle 


ehrlichen  Leuten.  Bettler  neben  Privatiers,  junge  unschuldreine  Mäd- 
chen neben  alten  Kupplerinnen,  herzlose  Geizhälse  neben  gefühl- 
vollen Menschenfreunden.  Vom  schwedischen  Kostüm  ist  in  solch 
humoristisch-satirischen  Conversationsstücken  mit  Recht  abgesehen. 
Dieses  ethnographische  Element  war  die  Stärke  Beugt  Nordenbergs, 
der  sich  als  Copist  Tidemands  zum  Riefstahl  des  Nordens  entwickelte. 
Seine  Goldene  Hochzeit  in  Blekingen,  sein  Brautzug,  seine  Zehnten- 
versammlung, die  Pietisten,  die  Brunnenpromenade  sind  von  derselben 
ethnographischen  Treue  und  novellistischen  Trockenheit.  Am  besten 
wirkt  er.  wenn  er  einen  idyllisch  kindlichen  oder  patriarchalisch  ge 
müthlichen  Ton  anschlägt.  Der  Hochzeitszug,  der  mit  Musik  und 
Böllerschüssen  im  Bauernhof  empfangen  wird,  die  Neuvermählten,  die 
ihren  ersten  Besuch  bei  den  Eltern  machen,  Schulknaben,  die  ihren 
alten  Organisten  hänseln,  Kinder,  die  ein  vom  Wolf  getödtetes  Lämm- 
chen bedauern,  sind  im  Sinne  der  60  er  Jahre  Arbeiten  eines  liebens- 
würdigen anspruchslosen  Erzählers,  der  für  die  ruhig  traulichen  Seiten 
des  Familien-  und  Landlebens  feinen  Sinn  hatte. 

Bei  Wilhelm  Wallander  herrscht  wie  bei  Madou  Lärm,  Spiel  und 
Scherzen.  Seine  Bilder  sind  kecke,  zur  Drehorgel  gesungene  Gassen- 
hauer. Marktgewimmel,  der  Klatsch  in  der  Spinnstube  am  Feierabend, 
Hopfenpflücken,  Tanzpartien,  Auctionen  auf  alten  Herrengütern,  Hoch- 
zeiten und  Wachtparaden  sind  seine  beliebtesten  Scenen.  Schon  als 
er  nach  Düsseldorf  kam.  war  ihm  der  Ruf  eines  behenden  Zeichners 
und  frischen  Burschen  vorausgegangen,  und  als  er  1852  seinen  Markt 
in  Yingakcr  ausstellte,  wurde  er  als  neuer  Teniers  begrüsst.  Seine 
Hopfenernte  ist  ein  wahres  Wachsfigurencabinet  von  lachenden 
Mägden  und  schäkernden  Knechten.  Er  war  ein  decidirter  Komiker 
und  lebhafter  Erzähler,  der  in  allen  Lebenslagen  mehr  zum  Scherzen 
als  zum  Anschlägen  idyllisch -elegischer  Stimmungen  neigte.  Es 
kommt  nicht  vor  bei  ihm.  dass  Bäuerinnen  allein  über’s  Land  gehen 
ein  vorbeikommender  Bursche  muss  ihnen  einen  Witz  sagen;  es 
ereignet  sich  nicht,  dass  einsame  Mädchen  in  Gedanken  am  Herde 
sitzen  — ihr  Liebhaber  muss  lachend  aus  einem  Schranke  heraus- 
gucken. 

Anders  Koskull  cultivirte  mit  mehr  elegischem  Zuge  das  Kinder- 
genre, Hess  arme  Leute  in  der  Sonne  sitzen  oder  Bauernfamilien 
während  des  Sonntagsfriedens  auf  dem  Kirchhof  die  Gräber  ihrer 
Lieben  bekränzen.  Kilian  Zoll  malte  spinnende  Frauen,  Kinder  mit 
der  Katze.  Grossmutters  Freuden  u.  dergl.  recht  kindlich  wie  Meyer 


XXIII.  Die  Dorfnovelle 


241 


von  Bremen.  Peter  Eskilson  wendete  sich  der  Schilderung  einer  idyll- 
ischen Biedermeierzeit  zu  und  hat  in  seinem  bekanntesten  Werk,  dem 
»Kegelspiel  in  Faggens«  eine  gemüthliche  Darstellung  aus  dem  Bauern- 
leben der  Zopfzeit  geschaffen.  August  Jernbergs  Studienobject  war 
der  westphälische  Bauer  mit  seinem  Schlapphut  und  langen,  weissen 
Rock,  seiner  beblümten  Weste  und  den  grossen  Silberknöpfen.  Be- 
sonders gern  liess  er  unter  dem  Jubel  der  Bevölkerung  Bären  tanzen 
oder  Jahrmärkte  abgehalten  werden,  wozu  eine  malerische  Partie  des 
alten  Düsseldorf  als  Hintergrund  diente.  Ferdinand  Fagerlin  gewinnt 
durch  etwas  Gutmüthiges,  Schlichtes.  Lacht  er,  was  er  gern  thut, 
so  ist  sein  Lachen  herzlich  und  wohlwollend,  und  schlägt  er  eleg- 
ische Saiten  an,  so  weiss  er  sich  doch  vor  Sentimentalität  zu  hüten. 
Im  Gegensatz  zu  D’Uncker  und  Wallander,  die  stets  auf  Charakter- 
chargen Jagd  machten,  geht  er  mit  Gefühl  dem  Ausdruck  nach  und 
versteht  ihn  auch  in  seinen  feineren  Nüancen  zart  zu  interpretiren. 
Henry  Ritter,  der  ihn  im  Beginn  seiner  Laufbahn  stark  beeinflusste, 
hatte  ihn  nach  Holland  gewiesen,  und  Fagerlins  stille  Kunst  passt  zu 
dem  Phlegma  dieser  Menschen.  Innerhalb  der  vier  Wände  seiner 
Fischerstuben  bewegen  sich  immer  nur  ehrliche  Greise  und  friedliche 
Weiber,  tüchtige  Gattinnen  und  fleissige  Mädchen,  frische  Matrosen 
und  fröhliche  Bauernburschen.  Aber  seine  Bilder  wirken  trotz  dieser 
optimistischen  Einseitigkeit  sympathisch,  da  die  Gefühle  nicht  allzu 
affectirt,  die  anekdotischen  Pointen  nicht  zu  sehr  unterstrichen  sind. 

Von  Norwegern  gehört  V.  Stoltenberg-Lerche  in  diese  Gruppe, 
der  Interieurs  von  Klöstern  und  Kirchen  durch  entsprechende  Staffage 
zu  Genrebildern  wie  »der  Zehntetag  im  Kloster«,  die  Klosterbiblio- 
thek, der  Besuch  eines  Cardinais  im  Kloster  u.  dergl.  zustutzte. 
Hans  Dahl,  ein  Justcmilieu  zwischen  Tidemand  und  Emanuel  Spitzer, 
schleppte  die  düssel dörfische  Dorfidylle  bis  in  die  Gegenwart  herüber. 
»Der  Strickstrumpf«  (strickende  Mädchen  am  Ufer  eines  Sees),  »Weib- 
liche Anziehung«  (Drei  Bauernmädchen,  die  ein  Boot  mit  einem 
Burschen  trotz  dessen  Sträuben  ans  Land  ziehen),  »Naturkind«  (das 
kleine  Mädchen,  das  einem  Maler  im  Gebirg  als  Modell  dienen  soll, 
aber  ängstlich  davon  läuft),  »Das  Damenpensionat  im  Eise«,  »Erst 
Zoll  bezahlen«  u.  dgl.  sind  einige  witzige  Titel  seiner  über  Europa 
und  Amerika  zerstreuten  Handelsartikel.  Alles  ist  sonnig,  Alles 
lacht,  die  Landschaften  wie  die  Figuren,  und  wenn  Dahl  vor  50 
Jahren  gemalt  hätte,  würden  seine  freundlichen  Mädchen  mit  ihren 
blonden,  schweren  Zöpfen,  wohlerzogenen  Allüren  und  zarten,  durch 


Mtitlier,  Moderne  Makr-i  II 


l6 


XXIII.  Die  Dorfnovelle 


242 

keine  Arbeit  verunstalteten  Händen  ihm  gewiss  neben  dem  alten 
Meyerheim  einen  nicht  unwichtigen  Platz  in  der  Entwickelungsge- 
schichte des  Genres  sichern. 

Ein  Ableger  der  Münchener  Bauernmalerei  wuchs  in  Ungarn 
zu  kräftigem  Schössling  empor.  An  der  Isar  hatte  sich  die  Ver- 
edlung der  magyarischen  Rohtalente  vollzogen,  und  sie  dankten 
ihren  Meistern  dadurch,  dass  sie,  in  die  Heimath  zurückgekehrt,  die 
Principien  des  Münchener  Genres  auf  magyarische  Stoffe  übertrugen. 
Die  ungarischen  Säle  moderner  Ausstellungen  haben  in  Folge  dessen 
ein  sehr  locales  Gepräge.  Alles  scheint  kernmagyarisch,  urwüchsig  und 
rein  national.  Zigeuner  fideln  und  ungarische  Volkslieder  erklingen, 
Akrobaten  produciren  sich,  schlanke  Pustasöhne  sitzen  in  ungarischen 
Dorfschenken  beim  Tokaier,  muskulöse  Bauernburschen  schäkern 
mit  kernigen,  schwarzäugigen  Mädchen,  schmucke  Husaren  erproben 
an  drallen  Dirnen  ihre  sieghafte  Eroberungslust,  Rekruten  suchen 
sich  zum  Kriegshandwerk  mit  Rebensaft  gewaltsam  zu  begeistern. 
Protzige  Bauern,  schmiegsame  Zigeuner,  tanzende  Alte,  schneidige 
Junge,  lachende  Mädchengesichter  und  kecke  Burschen  mit  blitzenden 
Augen,  rauflustige  Messerhelden,  berauschte  Soldaten  und  fluchende 
Wachtmeister,  Trunkenbolde,  leidende  Frauen  und  arme  Waisen, 
Versatzämter  und  Vagabunden,  Gerichtsverhandlungen,  Wahlscenen, 
Dorftragoedien  und  komische  Heirathsanträge,  pfiffige  Schusterjungen 
und  zum  Tode  verurtheilte  Verbrecher,  das  lustige  Gewühl  der 
Jahrmärkte  und  der  fröhliche  Heimzug  von  Ernte  und  Weinlese, 
gewichste  Schnurbärte,  grünrothe  Mützen  und  kurze  Pfeifen,  Tokaier 
Wein,  Banater  Weizen,  Alfölder  Tabak  und  Sarkader  Hornvieh 
das  sind  die  Elemente,  die  man  je  nach  Bedarf  zu  kleinen  Novellen 
oder  spannenden  Colossalromanen  verarbeitet.  Ebenso  kernmagyarisch 
wie  die  Figuren  sind  die  Namen  der  Maler.  Ausser  den  deutsch 
klingenden  Ludwig  Ebner,  Paul  Böhm  und  Otto  von  Baditz  liest 
man:  Koloman  Der)-,  Julius  Agghazi,  Alexander  Bihari,  Ignaz  Ros- 
kovics,  Johann  Jankö,  Tihamer  Margitay,  Paul  Vagö,  Arpäd  Eessty, 
Otto  Koroknyai,  D.  Skuteczky  etc.  Aber  abgesehen  von  den  ver- 
änderten Namen , der  veränderten  Localität  und  Gewandung  ist 
der  Inhalt  der  Bilder  genau  der  nämliche,  wie  der  Münchener  vor 
20  Jahren:  Spiel  und  Tanz,  Mutterglück,  Brautwerbung  und  Ein- 
ladung zur  Hochzeit.  Statt  des  Schuhplattlers  malen  sie  den  Csar- 
das, statt  der  Sennhütten  die  Kneipen  der  Puszta,  statt  der  blauen, 
bayerischen  Uniform  die  grüne  der  magyarischen  Husaren.  Ihre 


XXIII.  Die  Dorfnovelle 


243 


Malerei  ist  mit  Isarwasser  getaufter  Tokaier  oder  Isarwasser  mit 
Tokaier  Aroma.  Was  national  scheint,  ist  im  Grunde  nur  ver- 
alteter Standpunkt.  Eine  typische  Entwicklung,  die  sich  im  19.  Jahr- 
hundert für  alle  Kunstzweige  wiederholt:  im  Westen  geht  die  Sonne 
auf  und  im  Osten  geht  sie  unter.  Ein  anderer  Fortschritt  als  der 
allmählicher  Erweiterung  des  Stoffgebietes  ist  bei  den  Erzeugnissen 
dieser  ganzen  Genremalerei  nicht  festzustellen.  Sie  vertreten  colo- 
ristisch  und  inhaltlich  eine  Kunstphase,  die  in  den  führenden  Ländern 
schon  um  die  Mitte  des  Jahrhunderts  überwunden  war  und  ander- 
wärts ebenfalls  überwunden  werden  musste,  wenn  die  Malerei  wieder 
sein  wollte,  was  sie  in  den  guten  alten  Kunstperioden  gewesen. 

Denn  im  Grunde  waren  alle  diese  Genremaler  noch  Kinder 
Hogarths,  ihre  Werke  Erzeugnisse  desselben  kunstfremden,  plebe- 
jischen Geistes,  der  damals  durch  die  Engländer  in  die  Malerei  ge- 
kommen. Ihre  kunstgeschichtliche  Bedeutung  soll  und  darf  ihnen 
nicht  bestritten  werden.  In  einer  Zeit,  die,  stolzer  auf  ihr  antiquar- 
isches Wissen  als  auf  ihre  eigenen  Thaten,  das  vornehmste  Ziel  der 
Kunst  darin  erblickte,  die  Mode  aller  vergangenen  Epochen  noch 
einmal  getreulich  nachzubilden,  um  nur  ja  der  heiklen  Aufgabe  ent- 
hoben zu  sein,  den  leibhaftigen  Menschen  des  19.  Jahrhunderts 
zu  schildern,  in  einer  solchen  weltentfremdeten  Periode  waren  diese 
Genremaler  die  ersten,  welche  die  Museen  verliessen,  in  die  Natur 
gingen  und  die  Basis  moderner  Malerei  schufen.  Sie  wanderten  aufs 
Land,  sahen  Wirkliches,  versuchten  cs  nachzubilden  und  zeigen  in 
ihren  Studien  oft  eine  bewundernswerthe  Unmittelbarkeit  der  An- 
schauung. Aber  diese  kräftigen  Vorarbeiten  waren  doch  zu  un- 
scheinbar, um  bei  einem  noch  ungenügend  zur  Kunstbetrachtung 
erzogenen  Publikum  Beifall  und  Beachtung  zu  finden.  Während  in 
England  die  Ausstellungen  der  Royal  Academy,  in  Frankreich  die  des 
Pariser  Salon  verhältnissmässig  früh  eine  gewisse  Basis  für  das  Kunst- 
verständniss  schufen,  arbeiteten  die  Genremaler  der  übrigen  Länder  bis 
in  die  60er  Jahre  ohne  die  geeigneten  gesellschaftlichen  Verbindungen. 
An  die  Stelle  der  vornehmen  Gesellschaft,  die  im  vorigen  Jahr- 
hundert den  Maecen  gespielt,  waren  seit  1828  als  Hauptdictatoren  des 
Geschmacks  die  Kunstvereine  getreten.  Albrecht  Adam,  von  dem  die 
erste  Anregung  zur  Gründung  des  Münchener  Vereins  ausging,  hat 
sich  über  die  Vortheile  und  Nachtheile  dieses  Schrittes  in  seiner 
Biographie  selbst  deutlich  ausgesprochen.  »Oft  schon  habe  ich  an 
mich  die  Frage  gerichtet,  ob  ich  mit  diesem  Plane  etwas  Gutes 

16* 


244 


XXIII.  Die  Dorfnovelle 


gethan  oder  nicht  und  bis  zu  dieser  Stunde  bin  ich  darüber  nicht 
einig.  Offenbar  erhielt  von  nun  an  die  Pflege  der  Kunst  eine  ganz 
andere  Richtung  als  früher.  Was  vordem  von  kunstsinnigen  und 
einsichtsvollen  Liebhabern  geschah,  wurde  jetzt  zum  grossen  Thcil 
in  die  1 lande  des  Volks  gelegt.  Das  hatte  wie  so  Vieles  in  der  Welt, 
sein  Gutes,  aber  es  kamen  in  der  Praxis  auch  grosse  Schattenseiten 
zum  Vorschein«.  Die  Nachtheile  zeigten  sich  namentlich  darin,  dass 
das  »Volk«  auf  lange  hinaus  nur  solche  Malereien  verstehen  konnte, 
die  in  behaglich  breitem  Ton  eine  Geschichte  im  Bilde  darstellten,  im 
wohlerzählten  Zusammenhang  ihres  gegenständlichen  Details  weniger 
auf  die  Betrachtung,  als  auf  das  Abgelesenwerden  berechnet  waren, 
denn  Lesen  lernte  man  in  der  Schule.  Nur  bei  der  ethnograph- 
ischen Malerei,  dem  italienischen  und  Orientgenre  wurde  von  der 
Forderung  eines  anekdotischen  Inhaltes  abgesehen,  da  hier  die  sonder- 
baren Typen,  malerischen  Trachten  und  eigentümlichen  Sitten  der 
fremden  Länder  an  sich  schon  genügend  die  Neugierde  reizten.  Was 
am  Bilde  geschätzt  wurde,  war  lediglich  ein  Acusserliches,  der  Gegen- 
stand der  Darstellung,  nicht  die  Darstellung  selbst,  das  Was,  nicht 
das  Wie,  das  Stoffliche,  das  ganz  aus  dem  Bereich  des  Künstlerischen 
herausfällt.  Die  seit  den  vierziger  Jahren  aufkommenden  Familien- 
blätter leisteten  dieser  Geschmacksrichtung  weiteren  Vorschub.  Je 
mehr  Anleitung  gegeben  ward,  Charaden  zu  entziffern,  desto  mehr 
wurde  die  sinnliche  Freude  an  Kunst  geschädigt.  Die  begleitenden 
Worte  des  Textschreibers  waren  nur  die  Rückübersetzung  der  Bilder 
in  ihr  eigentliches  Element.  Und  die  Maler  fügten  sich  in  die  Ver- 
hältnisse  nicht  ungern,  weil  sie  in  Folge  ihrer  technischen  Unzu- 
länglichkeit auch  ihrerseits  streben  mussten,  durch  anekdotische  Bei- 
gaben ihren  Bildern  ein  Anhängsel  äusserlicher  Interessantheit  zu  ver- 
leihen. Literarische  Witze  mussten  den  mangelnden  malerischen  Witz 
ersetzen,  menschliche  Eigenschaften  die  ungenügenden  künstlerischen 
Qualitäten  über  Wasser  halten.  Wie  die  Historienmaler  in  leicht- 
lässlicher  Weise  Geschichtskenntnisse  vermittelten,  so  gaben  sich  die 
Genremaler  als  angenehme  Plauderer,  als  gute  Anekdotenerzähler,  die 
bald  drollig,  bald  sinnig,  bald  rührend,  aber  noch  keine  Maler  waren. 

Und  das  konnten  sie  auf  diesem  Wege  auch  nicht  werden. 
Denn  wenn  in  älteren  Geschichtswerken  oft  betont  wurde,  die  mo- 
derne Genremalerei  hätte  in  scharfer  Charakteristik,  tiefer  psycholog- 
ischer Auffassung  und  Reichthum  der  Erfindung  es  viel  weiter  als  die 
altholländische  gebracht,  so  sind  diese  Vorzüge  doch  durch  Mangel 


XXIII.  Die  Dorfnovelle 


245 


jeder  malerischen  Gesammthaltung  erkauft.  Die  Holländer  zu  Rem- 
brandts  Tagen  waren  Maler  bis  in  die  Fingerspitzen  und  konnten  es  sein, 
da  sie  sich  an  ein  Publikum  wendeten,  dessen  Geschmack  hinreichend 
geschult  war,  um  in  der  Betrachtung  wahrhafter  coloristischer  Kunst- 
werke einen  feinen  Genuss  zu  finden.  Mieris  malte  das  wollüstige 
Knittern  seidener  Stoffe,  van  der  Meer  das  milde  Licht,  das  verstohlen 
durch  kleine  Fenster  in  lauschige  Zimmer  fällt  und  auf  blankgeputztem 
Zinn-  und  Kupfergeschirr,  auf  Majolikaschüsseln,  Silbergeräth,  auf 
Decken  und  Truhen  spielt,  de  Hoogh  den  Sonnenstrahl,  der  einer 
goldenen  Staubsäule  gleich  aus  einem  helleren  Seitenraum  in  ein 
dunkleres  Vorzimmer  fluthet.  Jeder  stellt  sich  andere  Probleme,  jeder 
macht  eine  künstlerische  Entwicklung  durch.  Diese  Neueren  sind 
vom  ersten  Auftreten  an  fertig,  die  Ungarn  malen  geradeso  wie  die 
Schweden  und  Deutschen,  und  ihre  Bilder  haben  immer  nur  stoff- 
liche, nie  künstlerische  Gedanken.  Unscheinbare  Waldvögel,  pfiffen 
sie  zum  Theil  sehr  hübsche  Melodien,  aber  ihr  Gefieder  war  nicht  so 
hübsch  wie  ihr  Gesang.  Man  kann  nicht  Genremaler  und  Maler  zu- 
gleich sein.  Der  principielle  Unterschied  zwischen  beiden  liegt  darin, 
dass  der  Maler  das  Bild  eher  sieht,  wie  das,  was  man  sich  dabei 
denken  kann,  der  Genremaler  dagegen  einen  Gedanken,  eine  »Er- 
findung« im  Kopf  hat  und  ein  Bild  danach  stellt.  Der  Maler  denkt 
nicht  an  erzählenden,  stoff  lichen  Inhalt,  seine  Poesie  liegt  im  Reiche 
der  Farbe.  Es  waltet  in  seinen  Werken  — man  denke  an  Brouwer 
— stets  wahrhaftes,  von  der  Künstlerseele  aus  das  Ganze  einheitlich 
durchdringendes  und  gestaltendes  Leben.  Das  Leitmotiv  für  den 
Gcnremaler  ist  der  Gegenstand  als  solcher.  Er  will  z.  B.  gerade  ein 
Kinderfest  malen,  weil  es  ein  Kinderfest  ist.  Um  eine  solche  Auf- 
gabe auf  gesund  künstlerischem  Wege  zu  erledigen , muss  man  Jan 
Steen  sein.  Die  Beobachtung  dieser  Neuern  wagte  sich  vorläufig  nur 
an’s  Detail  heran  und  stand  dem  Ganzen  rathlos  gegenüber.  Sie  halfen 
sich  dadurch,  dass  sie  die  Scene  »erfanden«,  Hessen  die  Kinder  in  den 
von  der  Situation  verlangten  Stellungen  posiren  und  componirten 
diese  Studien.  Das  Ende  der  Arbeit  war  erreicht,  wenn  die  Haupt- 
helden des  Stückes  fertig  charakterisirt  und  der  Rest  gut  durchge- 
zeichnet war.  Das  Colorircn  war  nur  unwesentliche  Zugabe,  resp. 
in  rein  künstlerischem  Sinn  überhaupt  nicht  möglich.  Denn  ein  Bild, 
das  durch  allmähliches  Zusammentragen  aus  einzelnen  Copien  nach 
gestellten  Modellen,  nach  Costümen,  Geräthen,  Interieurs  etc.  entsteht, 
kann  noch  so  grosse  Naturtreue  im  Einzelnen  haben,  durch  die  müh- 


246 


XXIII.  Die  Dorfnovelle 


same  Mosaikarbeit  wird  doch  regelmässig  die  malerische  Erscheinung, 
Einheitlichkeit  und  Ruhe  des  Ganzen  zerstört.  Knaus  ist  vielleicht 
der  einzige,  der  als  feiner  Kenner  der  Farbe  die  Buchbinderarbeit  ver- 
‘ deckte  und  durch  raffinirtes  Zusammenstimmen  auf  künstlichem  Wege 
eine  gewisse  coloristische  Gesammthaltung  erzielte.  Den  Bildern  aller 
Andern  steht  es  deutlich  auf  der  Stirn,  dass  sie,  wie  Heine  schrieb, 
»mehr  redigirt  als  gemalt«  sind.  Ueber  der  Detailarbeit  ging  die  Bild- 
wirkung, über  dem  auf  den  ersten  Blick  bestechenden  reichen  Inhalt 
schliesslich  sogar  die  Detailwahrheit  verloren.  Denn  da  der  Vorfall, 
um  den  es  sich  handelte,  je  umständlicher,  desto  besser,  in  allen  Ab- 
stufungen und  Gefühlsvariationen  auf  den  Gesichtern,  in  den  Ge- 
berden der  Familie,  der  Gevattern,  der  Nachbarn,  des  Strassenpubli- 
kums  sich  spiegeln  sollte,  war  die  nothwendige  Folge,  dass  man,  um 
verstanden  zu  werden,  fitst  immer  gezwungen  war,  die  Charakteristik 
zu  übertreiben,  an  die  Stelle  des  unbefangenen  Ausdrucks  der  Natur 
den  dem  Modell  theatermässig  einstudirten  zu  setzen.  Nicht  minder 
führte  der  Versuch,  diese  »gestellten«  Körper  c ompositionell  in 
einem  Rahmen  zu  vereinen,  bald  zur  unleidlichen  Schablone.  Es 
wurden  in  einer  von  der  Historienmalerei  beherrschten  Zeit  auf  das 
bunte,  vielgestaltige,  moderne  Leben  die  überkommenen  Regeln  der 
Historienmalerei  projicirt.  Da  das  Gefüge  dieser  Compositiön  Ge- 
setze vorschrieb,  von  denen  die  absichtslose  Einzelerscheinung  frei 
ist,  so  mussten  die  nach  der  Natur  genommenen  Studien  im  Bilde 
je  nach  Bedarf  zurechtgestutzt  werden.  Es  ergaben  sich  Attitüden,  die 
zwar  im  herkömmlichen  Sinne  schön,  aber  unnatürlich,  gesucht  und 
deshalb  unschön  wirken.  Eine  willkürliche  Construction,  ein  er- 
zwungener Aufbau  trat  an  die  Stelle  des  Beweglichen,  Manigfaltigen, 
Zufälligen.  Die  Maler  fügten  nicht  die  wirkliche  Einzelheit  in  den 
Verband,  den  der  Zusammenhang  des  Lebens  bestimmt,  sie  arrangirten 
aus  realistischen  Elementen  Komödienscenen , wie  der  Regisseur 
sie  aufstellt. 

Damit  ist  angedeutet,  wohin  die  Weiterentwicklung  gehen  musste. 
Erst  wenn  Hogarth  überwunden  war,  hatte  die  Malerei  sich  die 
Selbständigkeit,  die  sie  in  den  grossen  Kunstperioden  gehabt  hatte, 
wieder  errungen.  Der  Maler  musste  aufhören,  Nebenqualitäten  wie 
Humor  und  novellistische  Talente  als  Hauptsache  in  Zahlung  zu 
geben;  das  Publikum  anfangen,  Bilder  als  Malereien,  nicht  als  ge- 
malte Geschichtchen  zu  verstehen.  Ein  gut  gemaltes  »leeres  Sujet« 
ist  einem  schlecht  gemalten  »interessanten  Stoff«  vorzuziehen.  Bilder 


XXIII.  Die  Dorfnovelle 


247 


des  Lebens  mussten  die  lebenden  Bilder,  Menschen  die  durch  Curio- 
sität  anziehenden  Charaktertypen  verdrängen.  Lieber  eine  Secunde 
athmender  Wirklichkeit  mit  rein  künstlerischen  Ausdrucksmitteln  er- 
fasst, als  die  vollständigste  Dorfgeschichte  mangelhaft  erzählt,  lieber 
die  einfachste  Figur  sachlich  und  selbstlos  wiedergegeben,  als  die  be- 
ziehungsreichste erklügelte  Charakteristik.  An  die  Stelle  der  figuren- 
reichen , erquälten  Compositionen  musste  das  temperamentvolle  Er- 
fassen des  Einfachen,  Ungekünstelten,  wie  es  die  Natur  auf  Schritt 
und  Tritt  vorführt,  an  die  Stelle  des  Ueberfüllten  und  willkürlich 
Zurechtgestellten  die  Schlichtheit  und  Wahrheit  echter  Kunst,  an  die 
Stelle  der  erfundenen,  aus  fragmentarischen  kleinen  Beobachtungen 
zusammengesetzten  Episoden  der  mit  spontaner  Frische  erfasste  Natur- 
ausschnitt treten.  Erst  eine  solche  Malerei,  die  sich  unter  Verzicht 
auf  literarisches  Beiwerk,  auf  geistreich  anekdotische  Einfälle  und  alle 
die  Natur  meisternden  Schönheitsregeln  wieder  im  Sinne  der  Hol- 
länder »auf  die  rohe  empirische  Beobachtung  der  umgebenden  Wirk- 
lichkeit« beschränkte,  konnte  die  Basis  der  modernen  Kunst  werden : 
die  Landschafter  schufen  sie.  Sobald  einmal  diese  Meister  sich  ent- 
schlossen, ihre  Bilder  nicht  mehr  aus  der  Tiefe  des  Gemüthes,  sondern 
nach  der  Natur  zu  malen,  kam  nothwendig  der  Tag,  wo  einer  von 
ihnen  auch  eine  Figur  in  den  Wald  oder  in  das  Feld,  das  er  nach 
der  Natur  gemalt  hatte,  setzen  wollte  und  dann  das  Bediirfniss  fühlte, 
auch  diese  Figur,  so  wie  er  sie  gesehen,  in’s  Bild  herüberzunehmen, 
ohne  ihr  noch  einen  novellistischen  Auftrag  zu  geben,  oder  sie  in 
willkürliche  Compositionen  zu  zwängen.  Der  Landschafter  fand  den 
Holzhacker  im  Walde,  und  der  Holzhacker  schien  ihm  das  gesuchte 
Ideal;  der  Bauer  schien  ihm  das  volle  Recht  zu  haben,  neben  den 
Furchen  zu  stehen,  die  er  mit  seinem  Pfluge  gezogen;  er  vertrieb 
den  Fischer  und  den  Seemann  nicht  mehr  aus  ihren  Barken,  nahm 
keinen  Anstand,  die  gute,  mit  Holz  beladene  Frau  sein  Bild  ebenso 
durchschreiten  zu  lassen,  wie  sie  den  Wald  durchschritt.  Damit  war 
die  Einfahrt  in  den  Schacht  der  Einfachheit  geöffnet;  das  brutale 
Uebergewicht  des  Stoffinteresses  beseitigt;  die  Wahrheit  der  Figuren 
wie  des  Milieus  erobert.  Die  Zeit  barg  alle  Bedingungen  in  sich,  eine 
solche  Landschaftsmalerei  zur  Reife  zu  bringen. 


O© 


XXIV. 


Die  Landschaftsmalerei  in  Deutschland. 

DASS  die  Landschaft  für  das  19.  Jahrhundert  von  noch  grösserer 
Bedeutung  werden  würde,  als  sie  für  das  Holland  des  17.  Jahr- 
hunderts war,  hatte  schon  seit  Watteaus  und  Gainsboroughs 
Tagen  deutlich  sich  angekündigt  und  da  diese  Strömung  durch 
den  Classicismus  trotz  aller  Zwangsmassregeln  nur  momentan  unter- 
brochen werden  konnte,  geschah  es,  dass  eine  Zeit,  die  mit  Winckel- 
manns  Begriff  der  »gemeinen  Natur«  begann,  bereits  ein  Menschen- 
alter später  mit  deren  Apotheose  endete.  Die  30  Jahre  von  1780 
bis  1810  bezeichneten  für  die  moderne  Landschaft  nur  eine  kurze  Ge- 
fangenschaft, während  der  man  willkürlich  das  üppig  emporblühende 
Kind  in  die  historische  Zwangsjacke  steckte.  Erst  hielt  das  Wort 
Gotthold  Ephraims,  dass  die  Landschaft,  weil  sie  keine  Seele  habe, 
für  die  Malerei  kein  Gegenstand  sein  könne,  die  Maler  überhaupt 
davon  ab,  durch  solche  Bilder  ihren  Ruf  zu  schädigen.  Und  als  seit 
dem  Schlüsse  des  Jahrhunderts  wieder  Einige  diese  Scheu  überwanden, 
kam  selbstverständlich  als  Vorbild  nur  der  Classicist  Poussin  in  Frage. 
Einer  Zeit,  die  nicht  den  Menschen,  sondern  Statuen  malte,  war  auch 
die  Natur  zu  natürlich.  Wie  der  Figurenmaler  vom  Stil  ausging  und  den 
menschlichen  Körper  in  dessen  Schablone  presste,  so  wurde  die  Land- 
schaft zu  einer  historischen  stilisirt,  nur  als  Coulissenhintergrund  für 
griechische  Tragöden  verwendet.  Wie  die  Figurenzeichner  die  mensch- 
liche Gestalt  von  allen  »individuellen  Mängeln«  befreiten  und  damit 
zugleich  das  Nothwendigste,  Leben  und  Glaubwürdigkeit,  preisgaben, 
die  eben  an’s  Persönliche  geknüpft  sind,  so  wollten  die  Landschafter 
die  Natur  von  allem  »Zufälligen«  reinigen,  wodurch  aus  ihr,  der  un- 
endlich mannigfaltigen,  öde  Gemeinplätze  wurden.  Wie  jene  in  »wohl- 
abgewogener Composition«  das  Hauptverdienst  ihrer  Werke  suchten, 
so  sahen  diese  in  Bergen  und  Bäumen,  Palästen  und  Tempeln, 
Flüssen  und  Wolken  Versatzstücke  nur,  die  mit  Hülfe  der  angelernten 


XXIV.  Die  Landschaftsmalerei  in  Deutschland  249 

Compositionsregeln  blos  in  ihrer 
wechselseitigen  Stellung  verändert 
zu  werden  brauchten,  um  neue  Com- 
positionen  zu  ergeben.  Sie  dachten 
nicht  daran , dass  die  Natur  eine 
originalere  Kraft  besitzt,  als  die  tüch- 
tigste bewusste  Arbeit  des  Menschen, 
oder,  wie  Ludwig  Richter  es  hübsch 
ausdrückt,  dass,  »was  der  liebe  Gott 
gemacht,  doch  immer  schöner  ist, 
als  was  Menschen  erfinden  können«. 

Es  gab  summarische  Anweisungen 
für  Landschaften  im  Poussinstil, 
deren  Schönheit  — entsprechend 
dem  edlen  Linienfluss  der  Carstens’schen  Figuren  — vor  Allem  in  einer 
reichen  Verschiebung  edler  Linien  gesucht  wurde.  Die  Anschauung 
war  um  so  nüchterner,  die  Zeichnung  hart  und  trocken,  die  Farbe 
kraftlos,  gläsern.  Der  bekannteste  der  Gruppe  ist  der  alte  Tiroler 
Josef  Koch,  der,  1796  nach  Rom  gekommen,  dort  noch  zwei  Jahre 
Gelegenheit  hatte,  sich  an  Carstens  anzuschliessen.  Seine  Bilder  sind 
gewöhnlich  nach  Motiven  aus  dem  Sabinergebirge  zusammengestellt. 
Fine  Landschaft  mit  dem  Raub  des  Hylas  besitzt  das  Städelsche  In- 
stitut in  Frankfurt,  ein  Opfer  Noahs  das  Museum  in  Leipzig,  eine 
Landschaft  aus  dem  Sabinergebirge  die  Münchener  Neue  Pinakothek. 
Alle  drei  sind  technisch  gleich  unbeholfen,  nur  im  Aquarell  bewegte 
er  sich  freier. 

Ohne  Zweifel  begünstigt  die  italienische  Natur  diesen  »hero- 
ischen« Landschaftsstil.  In  Süditalien  ist  die  Gegend  zugleich  gross 
und  friedlich.  Die  kahlen  Felswände  zeigen  scharf  Umrissen  ihre 
majestätischen  Linien,  das  Meer  ist  blau,  kein  Wölkchen  am  Himmel. 
Soweit  das  Auge  reicht,  ist  Alles  todt  und  gleichgültig  in  den  Farben, 
starr  und  leblos  in  der  Form.  Eine  stilvolle,  ganz  plastische,  schein- 
bar seelenlose  Landschaft.  Nirgends  etwas  Gigantisches  oder  Intimes, 
aber  auch  in  keinem  Lande  der  Erde  ein  solches  Zusammenspiel 
stolzer,  majestätischer  Linien.  Nicht  die  Compositionskunst  Poussins, 
aber  die  classische  Kunst  Claudes,  die  nichts  sein  wollte,  als  ein 
klarer  Spiegel  sonnenklarer  Natur,  war  der  reine  Ausdruck  dieser 
classischen  Landschaft,  und  im  19.  Jahrhundert  hat,  wie  man  lesen 
kann , Karl  Rottmann  diesen  classischen  Landschaftsstil  am  voll- 


Joseph  Anton  Koch. 

Nach  einer  Zeichnung  von  Constantin  Kijchler. 
Rom  1836. 


250  XXIV.  Die  Landschaftsmalerei  in  Deutschland 

kommensten  vertreten.  Seine  28 
italienischen  Landschaften  in  den 
Arkaden  des  Münchener  Hofgartens 
sollen  einen  Sinn  für  Linienschön- 
heit, eine  Grösse  der  Anschauung 
zeigen,  wie  wenig  andere  landschaft- 
liche Werke  des  Jahrhunderts.  Und 
die,  welche  ihre  Charakteristiken  aus 
Büchern  schöpfen,  werden  das  wahr- 
scheinlich auch  ferner  erzählen,  mit 
um  so  grösserem  Recht,  als  ver- 
sichert wird,  dass  die  Arkaden- 
bilder nur  ein  Schatten  früherer 
Herrlichkeit  seien.  Dem  Unvorbe- 
reiteten, der  bloss  seinen  Augen 
folgt,  ohne  Rottmanns  Berühmtheit 
zu  kennen,  kommen  die  Bilder  mit 
ihren  linkischen , harten  Farben, 
Composition  in  der  Mehrzahl  recht 
kindisch  vor,  womit  aber  nicht  bestritten  sein  soll,  dass  sie  vor  ihrer 
Restauration  durch  Leopold  Rottmann  und  vor  ihrem  gegenwärtigen 
Verfall  möglicher  Weise  doch  gut  waren.  Rottmanns  griechische 
Landschaften  in  der  Neuen  Pinakothek  werden  selbst  von  seinen 
Verehrern  nicht  hoch  gestellt.  Anfangs  ganz  auf  Kochs  Boden 
stehend,  war  er  hier  dazu  übergegangen,  der  Farbe  und  Beleuchtung 
eine  grössere  Rolle  anzuweisen,  selbst  ungewöhnliche  Erschein- 
ungen, Gewitterhimmel  mit  Regenbogen,  Sonnenuntergänge,  Mond- 
scheinstimmungen, Gewitterstürme  und  dergleichen  mitsprechen  zu 
lassen.  Diese  Vermengung  classicistischer  Zeichnungsprincipien  mit 
Eduard  Hildebrandt’scher  Effektmalerei  brachte  etwas  Verwirrtes  in 
die  Compositionen,  ganz  abgesehen  davon,  dass  er  nicht  über  eine 
schwere  und  grelle  Farbe,  bengalische  Beleuchtung  und  tapetenartige 
Roheit  des  Vortrags  hinauskam.  Seine  Aquarelle  enthalten  wohl  das 
Einzige,  woraus  noch  zu  ersehen,  dass  Rottmann  in  der  That  einen 
hervorragenden  Sinn  für  grosse  charakteristische  Linien  hatte  und 
durch  die  Schule  der  stilvollen,  rhythmisch  durchgebildeten  und  doch 
einfachen  Naturanschauung  Claudes  nicht  ohne  Erfolg  gegangen  war. 

Sonst  ist  Friedrich  Preller  der  einzige  aller  von  Koch  ausge- 
gangenen Stilisten,  der  sich  zu  Werken  von  consequenter  Durch- 


Karl  Rollmann. 


ihrer  feierlichen,  »synthetischen« 


XXIV.  Die  Landschaftsmalerei  in  Deutschland 


2)1 


Rottmann:  Das  Schlachtfeld  von  Marathon. 

führung  erhob.  Ihm  allein  war  es  .vergönnt,  durch  die  erschöpfende 
Verarbeitung  eines  glücklich  gefundenen  Stoffes  seinem  Namen 
dauernde  Bedeutung  zu  sichern.  Die  Odysseelandschaften"  ziehen 
sich  durch  sein  ganzes  Leben.  Während  eines  Aufenthaltes  in  Neapel 
1830  kam  ihm  der  erste  Gedanke.  In  die  Heimath  zurückgekehrt, 
componirte  er  1832 — 34  den  ersten  Cyklus  für  Dr.  Härtel  in  Leipzig 
als  Wandschmuck  in  Tempera.  Dann  folgten  Reisen  nach  Rügen 
und  Norwegen,  wo  er  wilde  Strand-  und  Dünenlandschaften  von 
düsterem  Ernste  malte.  Erst  nach  dieser  für  die  Erweiterung  seiner 
Naturanschauung  heilsamen  Unterbrechung  kehrte  er  zur  Odyssee 
zurück.  Der  Cyklus  wuchs  von  7 auf  16  Cartons,  die  1858  auf 
der  Münchener  internationalen  Ausstellung  erschienen.  Der  Gross- 
herzog von  Weimar  gab  ihm  den  Auftrag,  die  ganze  Folge  für 
einen  Saal  des  Weimarer  Museums  zu  malen.  Preller  bereitete  sich 
1859 — 60  von  Neuem  in  Italien  vor  und  vollendete  als  Greis  das 
Werk,  das  er  als  Jüngling  geplant.  Dieser  enkaustisch  ausgeführte 
Weimarer  Cyklus  ist  das  künstlerisch  Reifste,  was  er  geschaffen. 


252 


XXIV.  Die  Landschaftsmalern  in  Deutschland 


Er  allein  aus  der  ganzen  Schule 
hat  seinen  Figuren  einen  Schein 
des  Lebens  zu  geben  gewusst  und 
über  das  Künstliche  seiner  Com- 
positionen  hinweggetäuscht.  Die 
Natur  ist  von  ernst  gewaltiger  Er- 
habenheit, die  würdige  Heimstätte 
für  Heroen  und  Götter.  Er  hatte 
während  seines  langen  Lebens  so 
viele  unablässige  Naturstudien  in 
Süden  und  Norden  gemacht  — 
noch  als  78  jährigen  sah  man  ihn 
täglich  mit  dem  Skizzenbuch  in 
der  Campagna  — , dass  er  wagen 
konnte,  ohne  leer  zu  werden,  mit  so  grossen  einfachen  Linien  zu 
arbeiten. 

Zur  Zeit,  als  diese  Bilder  gemalt  wurden,  war  im  Uebrigen  die 
Stillandschaft,  obwohl  sie  noch  heute  in  dem  jüngern  Preller,  Albert 
Hertel  und  Edmund  Kanoldt  vereinzelte  Vertreter  hat.  längst  klanglos 
zu  Grabe  getragen.  Wie  mit  dem  Classicismus  die  antiken  Monu- 
mente, so  kamen  mit  dem  Auftreten  der  Romantik  und  dem  Rück- 
gang auf  die  nationale  Vergangenheit  die  deutschen  Ruinen  in  Mode. 
Für  Koch  und  seine  Nachfolger  hatte  die  Landschaft  nur  Werth, 
wenn  sie  als  Trägerin  classischer  Architekturwerke  die  Gedanken 
auf  die  Antike  lenkte:  Hirten  neben  ihrer  Heerde  mussten  auf  den 
Trümmern  des  Vestatempels  sitzen  oder  Kühe  zwischen  den  Säulen- 
stümpfen des  Forum  Romanum  weiden.  Jetzt  hatte  sie  nur  Be- 
rechtigung, wenn  sie  durch  Schilderung  heimischer  Burgen  an  die 
mittelalterlich  deutsche  Geschichte  anknüpfte.  »Was  ist  schön?  Eine 
Landschaft  mit  geraden  Bäumen,  schönen  Durchsichten,  azurblauer 
Luft,  zierlichen  Fontänen,  stattlichen  Palästen  in  wissenschaftlichem 
Baustil  mit  wohlgebauten  Menschen  und  wohlgefütterten  Kühen  und 
Schafen.  Was  hässlich?  Missgestaltete  Bäume,  die  Stämme  krumm, 
alt  und  geborsten,  unebener  Boden  ohne  Wege,  scharfkantige  Hügel 
und  zu  hohe  Berge,  rohe  oder  verfallene  Gebäude,  deren  Ruinen 
überhäuf  liegen,  morastige  Wasser,  eine  Luft  voll  schwerer  Wolken, 
auf  dem  Felde  mageres  Vieh  und  ungeschickte  Landstreicher.«  Mit 
diesen  Worten  hat  Gerard  de  Lairesse,  der  Ahn  des  Classicismus,  sein 
landschaftliches  Ideal  definirt  und  im  letzten  Absatz,  wo  er  vom  Häss- 


XXIV.  Die  Landschaftsmalerei  in  Deutschland 


253 


liehen  spricht,  auch  schon 
das  Landschaftsideal  der  Ro- 
mantiker prophetisch  gekenn- 
zeichnet, wie  es  in  Tiecks 
Sternbald  literarisch  zum 
ersten  Mal  auftaucht.  Denn 
der  junge  Ritter,  der  im  Stern- 
bald den  Wunsch  hat,  Maler 
zu  sein,  ruft  voll  Begeisterung 
aus:  »Dann  würde  ich  ein- 
same, schauerliche  Gegenden 
abschildern,  morsche,  zer- 
brochene Brücken,  über  zwei 
schroffen  Felsen,  einem  Ab- 
grunde gegenüber,  durch  den 
sich  ein  Waldstrom  schäum- 
end drängt,  verirrte  Wanders- 
leute, deren  Gewänder  im 
feuchten  Winde  flattern, 
furchtbare  Räubergestalten 
aus  dem  Hohlweg  heraus, 
angefallene  und  geplünderte 
Wagen,  Kampf  mit  den  Rei- 
senden.« Das  gerade  Gegen- 
theil  dessen , was  Lairesse 

vom  Landschafter,  verlangte.  Hat  Alexander  Humboldt  gezeigt,  dass 
die  Menschen  des  Alterthums  eigentlich  nur  Schönheit  in  der 
Natur  fanden,  sofern  sie  lächelnd,  freundlich  und  ihnen  nützlich 
war,  so  galt  sie  den  Romantikern  unschön,  sofern  sie  der  Cultur 
diente,  schön  nur  in  ungezähmter,  Angst  einflössender  Wildheit. 
Die  Beleuchtung  durfte  daher  nicht  das  einfache  Tageslicht  sein, 
nur  das  Dunkel  der  Nacht  und  Gebirgsschluchten.  Solche  Dinge 
gibt  es  weder  in  Berlin,  noch  in  Breslau,  und  Romantiker  sein 
heisst  das  Gegentheil  dessen,  was  man  um  sich  sieht,  lieben.  Tieck, 
der  in  dem  kalten,  taghellen  Berlin  mit  seinem  modernen,  nord- 
deutschen Rationalismus  lebte,  hat  daher  — nicht  zufällig  — 
die  Sehnsucht  nach  Urwald-  und  Mondscheinlandschaften  zuerst 
empfunden ; Lessing  aus  Breslau  gab  ihr  als  erster  künstlerisch 
Ausdruck. 


Preller : Leulcolbea. 


254 


XXIV.  Die  Landschaftsmalerei  in  Deutschland 


Preller:  Odysseus  und  Polyphon. 

Schon  in  den  20er  Jahren  traten  Kochs  classischen,  auf  idealen 
Linienzug  hin  componirten,  heroischen  Landschaften  gleich  willkür- 
lich zusammenarrangirte  Burgkapellen,  Ruinen  und  Klosterhöfe  gegen- 
über. Nicht  mehr  wie  bei  den  Classicisten  durch  Linien  auf  den 
Verstand,  sondern  durch  Farben  auf's  Gemüth  sollte  die  Landschaft 
wirken.  Besonders  die  verschiedenen  Töne  des  Mondlichtes  schienen 
geeignet,  düstere  Gefühle  zu  erwecken.  Diese  gewollte  »Stimmung« 
aber  durch  die  Natur  selbst  aussprechen  zu  lassen,  war  die  malerische 
Technik  noch  ungenügend  geschult.  Der  Maler  stellte  daher  zur  Ver- 
deutlichung seiner  Absichten  die  Wirkung  der  Naturscenerie  an  den 
Figuren  im  Bilde  selbst  dar,  exemplificirte  an  der  »Staffage«  die 
»Stimmung«  der  Landschaft.  Lessings  Erstlingswerke  vertreten  künst- 
lerisch diese  bewusst  elegische,  schwermüthig  romantische  Stimmungs- 
malerei mit  Rittern,  Knappen,  Burgfräulein  und  andern  romant- 
ischen Requisiten,  die  literarisch  durch  den  Sternbald  eingeleitet  war. 
Die  Schwermuth  weilt  auf  wild  gehäuften  Steinhaufen,  verfallenen 
Kapellen  und  Burgruinen , in  sumpfigen  Gewässern  und  düstern 
Wäldern,  in  alten,  morschen  Bäumen,  ausgefahrenen  Wegen  und 
gespenstischen  Grabsteinen,  sie  bekleidet  den  Himmel  mit  grau- 
sclnvarzem  Leichen-  und  Thränentuch.  Zwischen  Hügeln  und  Wald- 
schluchten mit  Heiligenkreuzen,  Mühlen  und  Köhlerhütten  sieht  man 


XXIV.  Die  Landschaftsmaler  in  Deutschland 


255 


einsame  Wanderer,  betende  Pilger, 

Geistliche,  die  aus  dem  Kloster 
eilen,  um  Sterbenden  den  letzten 
Trost  zu  bringen,  verirrte  Reiter, 
todte  Landsknechte.  Sein  erstes 
Bild  von  1828  zeigte  einen  wüsten 
Kirchhof  unter  gewitterschwerem, 
dunkeln  Himmel,  aus  dem  ein 
einziger  Sonnenstrahl  hervorbricht, 
eine  Leichenstätte  zu  beleuchten ; 
dann  folgte  das  Schloss  am  Meer 
auf  seltsam  und  verworren  ge- 
staltetem Felsen,  der  Klosterhof 
im  Schnee  mit  den  Nonnen  im 
Kreuzgange,  die  eine  verstorbene 
Schwester  zu  Grabe  geleiten,  der 
Klosterkirchhofabermals  im  Schnee, 
wo  ein  alter  Mönch  ein  frisches 
Grab  gegraben;  das  Kloster  in  Abendbeleuchtung  mit  dem  kranken- 
besuchenden Priester,  die  Landschaft  mit  dem  greisen,  müden  Kreuz- 
ritter, der  auf  ebenso  müdem  Ross  einsam  durch  einsame  Berggegend 
zieht,  wohl  eine  Illustration  zu  Uhlands  Ballade  Das  Rosennest« : 

Ruhe  hab  ich  nie  gefunden, 

Als  ein  Jahr  im  finstern  Thurm ; 

dann  die  öde  Hochebene  mit  dem  ausgebrannten  Raubnest,  die  Land- 
schaft mit  der  Eiche  und  dem  Muttergottesbild,  vor  dem  ein  Ritter 
und  ein  Edelfräulein  ihre  Andacht  verrichten.  Alle  diese  Bilder  waren 
noch  ein  willkürliches  Potpourri  nach  Walter  Scott,  Tieck  und  Uhland, 
ihr  Ideal  war  die  Wolfsschlucht  im  Freischütz. 

Der  nächste  Schritt  der  Romantik  musste  dahin  gehen,  dass  sie 
solche  Urwaldscenerien  in  der  Wirklichkeit  entdeckte,  und  wie  die 
italienische  Landschaft  speciell  Claude  auf  den  Leib  geschrieben 
scheint,  kommt  unsere  heimische  Natur  sehr  dieser  romantischen 
Geistesrichtung  entgegen.  In  einzelnen  Partien  der  sächsischen  Schweiz 
sehen  die  Felsen  aus,  als  hätten  Riesen  in  der  Urzeit  mit  ihnen  Ball 
gespielt  oder  sie  zum  Scherz  aufeinandergelegt.  Lessing  fand  eine 
solche,  dem  romantischen  Naturideal  entsprechende  Landschaft  bei 
einem  Ausflug  in’s  Eifelgebiet  1832,  wozu  ihn  ein  Buch  von  Nögge- 


256 


•XXIV.  Die  Landschaftsmalerei  in  Deutschland 


Lessing:  Landschaft  mit  dem  Mullergotlesbild. 


null  >:  das  Gebirge  im  Rheinland  und  Westfalen  nach  mineralogischem 
und  chemischem  Bezüge«  angeregt  hatte.  Bisher  kannte  er  das  roman- 
tische Naturideal  nur  aus  Scott,  Tieck  und  Uhland,  so  wie  die 
Classicisten  das  ihre  den  Schriften  Homers.  Theokrits  und  Virgils 
entnahmen : in  der  Eifel  trat  es  ihm  in  greifbarer  Form  entgegen. 
Sumpfig  flache,  mit  Buschwerk  und  Kiefern  bestandene  Wiesen 
wechselten  ab  mit  düstern  Nadelholzwaldungen,  in  denen  riesige 
Fichten,  unheimliche  Tannen  und  uralte  Eichen  ihr  Aeste  gen  Himmel 
reckten.  Zugleich  sah  er  die  rauhe,  einsame  Hoheit  der  Natur  mit 
einer  menschlichen  Gegenwart  in  Verbindung,  die  nicht  cultivirt, 
also  — der  Abneigung  des  Romantikers  gegen  die  Civilisation  ent- 
sprechend — gesünder,  einfacher  war.  Trotzige  Felskegel  und 
gigantische,  wild  übereinander  geschichtete  Gebirgsmassen  blickten  aut 
Thiiler  herab,  in  denen  ein  einfaches,  kerniges  Bauerngeschlecht  in 
patriarchalischer  Einfachheit  lebte.  Hier  ging  ihm,  der  bisher  nur 
mit  Rittern,  Räubern  und  Mönchen  harmonirte,  zum  ersten  Mal 
der  Sinn  für  wirkliche  Landschaft  auf.  »O,  wäre  ich  im  17.  Jahr- 
hundert geboren,  dann  hätte  ich  nach  dem  30  jährigen  Krieg  das  ver- 


XXIV.  Dif.  Landschaftsmalerei  in  Deutschland  257 


Lessing:  Eifellandscbaft. 


wilderte,  ausgeplünderte  und  zerstörte  Deutschland  als  Landschafts- 
maler durchwandert.«  Waren  bisher  nur  »componirte«  italienische 
Landschaften  gemalt  worden,  weil  die  Heimath  angeblich  keine 
Sujets«  bot,  d.  h.  weil  sie  in  die  stilisirenden  Tendenzen  der  Land- 
schafter nicht  hineinpasste,  so  wurde  Lessing  nunmehr  der  erste 
Schilderer  deutscher  Natur.  Seine  Eifellandschaft  in  der  Berliner 
Nationalgalerie,  der  eine  Reihe  solcher  Bilder  folgte,  leitet  die 
Jugendzeit  deutscher  Landschaftsmalerei  ein.  Scharf  und  bestimmt 
aus  geologischem  Verständniss  heraus  sind  die  Formen  des  Bodens 
und  der  schroffen  Felswände  wiedergegeben.  Er  wurde  ein  grund- 
sätzlicher Gegner  aller  auf  Italien  zurückzuführender  Kunsteinflüsse 
und  setzte  sich  im  Eifelgebiet  fest.  Die  Landschaften , die  er  dort 
malte,  beruhen  auf  unmittelbaren  Naturstudien  und  sind  von  einer 
ernsten,  grossen  Anschauung  getragen.  Er  zeichnet  in  einfachen, 
kräftigen  Linien  das  Bild  dieses  Landstrichs : die  Trauer  der  Haide 
und  den  schwarzen  Nebel,  dessen  trüber  Athem  aus  sumpfigem 
Moorland  aufsteigt.  Er  malte  auch  jetzt  nur  Dinge,  bei  denen  die 
Natur  sich  Mühe  zur  Phantastik  gegeben.  Nicht  im  heitern  Formen- 
lächeln sah  sie  des  Malers  Auge,  nur  wenn  sie  finster  blickte  oder 
grollte,  nahte  er  ihr.  Mit  mächtigen  Wolken  überzieht  er  den  Himmel 
oder  er  führt  in  das  Dunkel  menschenfremden  Waldes;  knorrige  Bäume 

Muther,  Moderne  Malerei  II. 


17 


258 


XXIV.  Die  Landschaftsmalerfi  in  Deutschland 


breiten  ihre  Wipfel  aus,  phantastisch  verrenkt  recken  sich  die  Zweige ; 
das  fessellose  Toben  der  Naturgewalten,  die  dumpfe  Schwüle  vor  dem 
Losbrechen  oder  das  keuchende  Darniederliegen  nach  Beendigung  des 
Sturms  sind  die  Momente,  die  er  allein  darstellt.  Aber  der  ganze 
Plunder  zeitloser  Romantik,  die  Nonnen  und  Mönche,  frommen  Ritter 
und  sentimentalen  Räuber,  die  zuerst  die  landschaftliche  Stimmung 
verkörpern  sollten,  sind  über  Bord  geworfen.  Ein  ruhiger,  schwer- 
müthiger,  doch  durchaus  männlicher  Ernst,  etwas  Kräftiges,  Kerniges 
liegt  in  Lessings  Schilderungen.  Den  Classicisten  war  jeder  Sinn 
für  das  stumme,  schweigsame  Leben  der  Natur  abhanden  gekommen. 
Sie  malten  nur  den  wechselnden  Schmuck  der  Erde:  Heroen  und 
die  Werke  des  Menschen,  Paläste,  Ruinen  und  classische  Tempel. 
Die  Natur  diente  blos  als  Coulisse,  das  Hauptinteresse  lag  in  den 
Personen,  den  Monumenten  und  den  geschichtlichen  Gedanken,  die 
sich  daran  knüpften.  Auch  in  den  ältern  Bildern  Lessings  ward 
die  Stimmung  noch  ausschliesslich  durch  die  lyrische  Staffage  an- 
gegeben. Jetzt  wurde  sie  immer  mehr  in  die  Natur  selbst  gelegt 
und  braust  aus  dem  Wolkenhimmel,  der  düstern  Beleuchtung,  den 
wehenden  Baumwipfeln  mächtig  wie  Orgelklang.  Es  ist  zum  ersten 
Mal  die  Natur,  die  düster  und  gewaltig  von  der  Leinwand  redet.  In 
dieser  Hinsicht  bilden  seine  Landschaften  einen  Fortschritt.  Sie  zeigen 
die  Einseitigkeit,  aber  auch  die  Poesie  der  romantischen  Naturbe- 
trachtung. Sie  sind  ein  nicht  geringerer  Fortschritt  technisch : denn 
indem  Lessing  die  Entdeckung  machte,  dass  das  ihm  vorschwebende 
Ideal  in  der  Wirklichkeit  existirte,  begann  er  zuerst  wieder  die  Natur 
ohne  vorgefasste,  willkürliche  Compositionsregeln  zu  studiren  und  - 
malen  zu  lernen. 

Ihm  zur  Seite  stand  bis  1840  als  ebenso  kräftiger  Meister  der 
trotzige  Autodidakt  Karl  Blechen,  der  erst  mit  25  Jahren  sich  der 
Malerei  zuwandte  und  trotz  eines  verfehlten  Lebens,  das  vor  der  Zeit 
in  geistiger  Umnachtung  und  Selbstmord  endete,  einer  der  origi- 
nellsten deutschen  Landschafter  wurde.  Er  bcsass  einen  feinen  Natur- 
sinn, Schwung,  Kühnheit,  geniale  Grösse,  obwohl  seine  Technik  bis 
zuletzt  hart,  unbeholfen,  ungelenk  blieb.  Den  Alfred  Rethel  der 
Landschaftsmalerei  möchte  man  ihn  nennen.  Nicht  das  Freundliche 
in  der  Natur  oder  das  formal  Schöne  reizte  ihn,  sondern  die  Ein- 
samkeit, das  Trübe,  Verlassene.  Seine  meisten  Bilder  tragen  den  Cha- 
rakter quälender  beängstigender  Traumbilder:  nicht  elegisch  rührend, 
sondern  schrill  und  grausig.  Manche  unheimlich  phantastischen  Er- 


XXIV.  Die  Landschaftsmalerei  in  Deutschland 


259 


Zahlungen  Ludwig  Tiecks  wie  »Der  blonde  Eekbert«  oder  das  von 
der  alten  Mechtildis  in  den  »Sieben  Weibern  des  Blaubart«  erzählte 
schaurige  Märchen  vom  Försterkind  bieten  etwa  literarisch  die  Pa- 
rallele. Einsame  dunkle  Waldseen  sind  von  ungeheuren  kahlen  Ge- 
birgshöhen  wolkenhoch  umragt  und  inmitten  dieser  grausig  roman- 
tischen Naturscenerie  bewegen  sich  dämonisch  spukhafte  Wesen:  Ein 
Zwerg  etwa  mit  ungeheurem  Kopf  und  stumpfsinnig  boshaftem  Aus- 
druck, ein  Schütze,  der  auf  dies  Gespenst  die  Flinte  anlegt,  ein 
weibliches  Wesen,  das  angstvoll  flehend  die  Arme  gegen  den  Zielen- 
den ausstreckt.  Ein  Hang  zum  Seltsamen  und  Aussergewölmlichen 
bricht  überall  schroff  hervor.  Sehr  sonderbar,  dass  Wahnsinnige 
im  Beginne  des  Jahrhunderts  die  ausgeprägtesten  Individualitäten 
zu  sein  wagten.  Während  Lessing  nie  die  Alpen  überschritt  aus 
Furcht,  er  könne  seine  Originalität  verlieren,  war  Blechen  der  erste, 
der  ohne  stilistische  Brille  sogar  moderne  Italien  sah.  Seine  italien- 
ischen Bilder  lassen  nicht  ahnen,  dass  er  vorher  an  den  Landschaften 
der  Classicisten  studirt  und  dass  neben  ihm  Schinkel  in  Berlin  die 
ganz  abstracte  Ideallandschaft  pflegte.  Sogar  die  moderne  Welt  hat 
er  als  Maler  entdeckt.  Noch  für  Lessing  war  die  Landschaft,  »die 
einen  Zweck  hat«,  etwas  Unerträgliches,  Hässliches.  Er  liebte  aus- 
schliesslich die  von  der  Civilisation  unberührte  Natur,  malte  das 
Rauschen  des  Waldes  und  das  Brausen  der  Wetter,  hie  und  da 
höchstens  eine  Schafheerde,  auf  die  älteste  und  einfachste  Benutzung 
der  Erdoberfläche  deutend.  Die  Blechenausstellung  18S1  enthielt  als 
ganz  einziges  Phänomen  aus  den  30  er  Jahren  eine  Abendstimmung 
vor  dem  Walzwerk  in  Eberswalde:  eine  einförmige,  langgestreckte 
Ebene  mit  träg  fliessendem  Fluss,  hinter  dem  die  dunkeln  Silhouetten 
qualmender  Fabrikschornsteine  ernst  in  den  hellen  Abendhimmel  auf- 
stiegen.  Blechen  malte  schon  damals,  was  die  Andern  kaum  zu 
zeichnen  wagten : eine  Natur,  die  im  Dienste  des  Menschen  arbeitet 
und  — nach  Tiecks  Ausdruck  — dadurch  »ihrer  herben  Jungfräulich- 
keit beraubt  ist.« 

Lessings  berühmtester  Nachfolger  Schirmer  erscheint  im  Allge- 
meinen nur  als  verweichlichter,  sentimentaler  Lessing.  Mit  einem 
»Deutschen  Urwald«  hatte  er  1828  begonnen,  doch  eine  Reise  nach 
Italien  machte  ihn  1840  dieser  ersten  kräftigeren  Richtung  abwendig. 
Sein  Streben  war  fortan  auf  Linien-  und  Formenadel,  auf  die  An- 
fertigung südlicher  Ideallandschaften  mit  classicistisch  romantischer 
Staffage  gerichtet.  Die  26  in  Kohle  gezeichneten  biblischen  Land- 

17* 


26o 


XXIV.  Die  Landschaftsmalerei  in  Deutschland 


Schirmer:  Italienische  Landschaft. 


schäften  der  Düsseldorfer  Kunsthalle,  die  vier  Oellandschaften  mit 
der  Geschichte  des  barmherzigen  Samariters  in  der  Kunsthalle  von 
Karlsruhe  und  die  zwölf  Bilder  mit  der  Geschichte  Abrahams  in  der 
Berliner  Nationalgalerie  sind  die  Haupterzeugnisse  dieser  zweiten  - 
stilistischen  — Periode:  Zahme  Vermittlungsversuche  zwischen  Lessing 
und  Preller  und  deshalb  für  die  Entwicklungsgeschichte  der  Land- 
schaftsmalerei belanglos.  Im  Kreise  der  Vielen , die  ihn  als  Muster 
betrachteten,  ist  Valentin  Ruths  in  Hamburg  einer  der  Natürlichsten 
und  Feinsten.  Eine  neue  Anregung,  den  Umkreis  zu  erweitern,  aus 
der  Compositions-  und  willkürlichen  Stimmungsmalerei  noch  mehr 
in  der  Richtung  gesunder,  schlicht  redlicher  Naturbeobachtung  vor- 
zugehen, enthielten  die  Bilder  jedoch  nicht. 

Diese  Anregung  war  unterdessen  von  anderer  Seite  her  gegeben. 
Zur  selben  Zeit,  als  die  Genremaler  im  Anschluss  an  Teniers  und 
Ostade  ihre  ersten  Bauernbilder  malten,  hatten  auch  Landschafter 
angefangen , wieder  auf  die  alten  Holländer  zurückzugehen  und 
namentlich  an  Everdingen  anzuknüpfen.  Damit  war  ein  weiteres 
Stück  Natur,  ein  weiteres  Stück  Einfachheit  erobert.  Die  Landschafts- 


XXIV.  Die  Landschaftsmalerei  in  Deutschland 


261 


malerei  der  Classicisten  war  Architectur,  die  der  Romantiker  Poesie 
gewesen,  von  jetzt  ab  wurde  sie  zur  Malerei.  Das  kleine  Dänemark, 
das  50  Jahre  vorher  durch  Carstens  jenen  verhängnissvollen  Hinfluss 
auf  Deutschland  ausübte,  der  die  Maler  von  der  Behandlung  des 
zeitgenössischen  Lebens  in  die  Arme  der  Antike  führte,  machte  jetzt 
wieder  gut,  was  es  damals  Böses  gethan,  indem  es  in  den  20er  und 
30er  Jahren  einige  Landschafter  grosszog,  die  den  Deutschen  An- 
leitung gaben,  nach  den  Verirrungen  des  Classicismus  und  den  Ein- 
seitigkeiten der  Romantik  mit  frischem,  freien,  vom  Ideal  ungetrübten 
Auge  in  die  heimische  Natur  zu  schauen.  Die  Akademie  von  Kopen- 
hagen bildete  unter  Eckersberg  den  Mittelpunkt  eines  gesunden,  auf 
den  Holländern  basirenden  Realismus,  und  einige  dort  gebildete  Maler, 
die  später  in  Dresden,  Düsseldorf  und  München  wirkten,  vermittelten 
diese  Principien. 

In  Dresden  lehrte  als  Professor  an  der  Akademie  /.  C.  Dahl, 
dessen  norwegische  Landschaften  heute  sehr  veraltet  erscheinen,  in 
den  30  er  Jahren  aber  funkelnagelneu  gewirkt  haben  müssen,  da  sie 
als  »wüster  Naturalismus«  unter  den  deutschen  Malern  wahres  Zeter- 
geschrei hervorriefen.  Johann  Christian  Clausen  Dahl  war  in  Bergen 
1788  geboren.  Er  entstammte  einem  jener  norwegischen  Hünen, 
die  heute  Ackerbauer,  morgen  Fischer  oder  Senner  und  Jäger  sind, 
die  in  der  Jugend  als  Seeleute  auf’s  Meer  ziehen  und  zurückge- 
kchrt  die  Wildniss  roden.  Während  er  mit  seinem  Vater  durch  die 
dichten  einsamen  Kieferwälder  schweifte,  an  schroffen  Gcbirgswänden, 
finsteren  Seen , rauschenden  Wasserfällen  und  silbern  leuchtenden 
Gletschern  vorbei,  enthüllte  sich  ihm  die  Grösse  der  nordischen 
Natur,  und  er  erzählte  davon  in  kleinen  colorirten  Zeichnungen, 
die  trotz  ihrer  unbeholfenen  Technik  von  seltsam  frischer  Beobachtung 
zeugen.  Das  Studium  an  der  Kopenhagener  Akademie,  wohin  er 
mit  20  Jahren  gekommen,  verwirrte  ihn  für  einen  Augenblick.  Den 
Werken  der  Kunst  gegenüber  gestellt,  verlor  er  das  Selbstvertrauen 
und  bemühte  sich,  die  Natur  mit  den  Augen  des  16.  und  17.  Jahr- 
hunderts zu  sehen.  Er  hörte  von  den  grossen  Mustern  sprechen, 
denen  alle  Künstlergeschlechter  folgen  müssten,  warf  alles  Eigene 
über  Bord  und  bemühte  sich  Augenfälliges,  Imposantes  zu  erzeugen. 
Er  schiebt  Felsen,  Wasserfälle  und  Tempel  zu  unglaublichen  Compo- 
sitionen  zusammen,  bis  er  schliesslich  unter  den  Meistern  der  Kopen- 
hagener Galerie  und  der  Moltke’schen  Sammlung  auch  Everdingen 
und  Ruysdael  entdeckt.  Die  andern  hatten  ihn  verwirrt,  diese  beiden 


262 


XXIV.  Die  Landschaftsmalerei  in  Deutschland 


führten  ihn  auf  heimathlichen  Boden  zurück.  Dahl  wurde  der  erste 
Vertreter  der  norwegischen  Landschaftsmalerei  und  blieb  seinem 
Vaterland  als  Maler  auch  dann  treu,  als  er  später  (1819)  eine  Pro- 
fessur in  Dresden  übernahm.  Italien  und  Deutschland  haben  seinen 
Pinsel  ebensoviel  wie  Norwegen  beschäftigt,  aber  er  selbst  war  er 
nur,  wenn  er  sich  zwischen  den  nordischen  Felsen  bewegte.  Die 
Breite  der  Malerei  und  die  Weichheit  der  Atmosphäre,  wird  an 
allen  seinen  Bildern  vermisst.  Sie  wirken  hart  und  trocken,  nicht 
selten  ganz  coqventionell,  namentlich  die  grossen,  die  er  nach  1830 
malte.  Er  macht  in  ihnen  den  Eindruck  eines  verblüffenden,  aber 
geschwätzigen  Menschen.  Sie  sind  rasch  gesehen  und  rasch  gemalt, 
doch  ohne  künstlerische  Liebe  und  feines  Gefühl.  Dahl  nahm  sich 
in  seinen  späteren  Jahren  nicht  die  Zeit,  sich  mit  Ruhe  und  Hin- 
gebung in  die  Natur  zu  versenken  und  verfiel  schliesslich  — be- 
sonders in  seinen  Mondscheinbildern  — einer  violetten  Manier,  die 
sehr  schablonenhaft  wirkt.  Schon  Everdingen  suchte  mit  Vorliebe 
das  Starke,  gewaltsam  Bewegte  in  der  Natur,  schon  Ruysdael  hat 
sich  an  reissenden  Bergströmen  begeistert.  Dahl  waren  selbst  diese 
romantischen  Elemente  der  nordischen  Natur  nicht  ausreichend. 
Arrangirend,  nicht  schlicht  wiedergebend,  trat  er  der  Natur  entgegen. 
Die  wilde  norwegische  Landschaft  sollte  in  seinen  Bildern  noch  wilder 
und  unruhiger  als  in  Wirklichkeit  aussehen.  Nicht  geduldig  genug, 
dem  wilden  Bergstrom  alle  seine  Geheimnisse  abzulocken,  schob  er 
zusammen,  machte  Zusätze  und  brachte  dadurch  Confusion  in’s  Ganze, 
Roheit  in  die  Einzelheiten.  Seine  grossen  Bilder  wirken  lärmend 
gegenüber  der  einfach  bestimmten  Naturanschauung  der  Niederländer. 
Viele  sind  lediglich  phantastisch-vernunftwidrige  Zusammenstellungen 
auswendig  gelernter  Motive. 

Aber  Dahl  hatte  auch  Jahre,  in  denen  er  auf  der  Höhe  seiner 
Zeit  stand,  ihr  den  Weg  sogar  zu  neuen  Zielen  zeigte.  Auf  der 
Höhe  seiner  Epoche  stand  er  1820 — 1830  in  jenen  Bildern,  in 
denen  er  Ruysdael  und  Everdingen  nicht  romantisch  zustutzte, 
sondern  gleich  ihnen  mit  kühnem  Naturalismus  das  Unheimliche 
und  Gespenstische,  Rauhe  und  Wilde  der  norwegischen  Natur 
beschrieb:  Rothbraune  Haide  und  braungrüne  Torfmoore,  ver- 
krüppelte Eichen  und  dunkle  Kiefernwälder,  erratische  Blöcke,  die 
planlos  zwischen  die  Wurzeln  der  Bäume  gesät  sind,  Aeste,  die  der 
Sturm  geknickt  hat,  die  hängen,  wie  sie  gebrochen ; Stämme,  die  der 
Sturm  gefällt  hat,  die  liegen,  wie  sie  gefallen.  Den  Weg  zu  neuen 


XXIV.  Die  Landschaftsmalerei  in  Deutschi  and  263 

Zielen  hat  er  durch  einige  Bilder  der  Bergener  und  Kopenhagener 
Galerie  gewiesen.  Der  Hang  zum  Düsteren  und  Ernsten,  der  bei 
jenen  holländischen  Romantikern  vorherrscht,  ist  hier  dem  Einfachen, 
Intimen  gewichen,  der  heimathlichen  Freude  des  Nordbewohners  am 
hellen  kalten  Tag  und  an  neckischen  Sonnenblitzen.  Er  liebt  das 
Schillern  des  Lichtes  auf  Birkenblättern  und  auf  der  ruhig  sich 
kräuselnden  See.  Er  betrachtet  gleich  Adrian  van  der  Neer  voll 
Entzücken  den  winterlichen  Himmel,  die  schneebedeckten  Ebenen, 
die  Nacht  und  den  Mondschein.  Selbst  den  Reiz  des  Frühlings 
fühlte  er  schon.  Aermliche  Bauernhütten  sind  frisch  und  genial  auf 
saftig  grüne  Hügel  gesetzt,  als  hätte  er  ganz  vergessen,  was  seine  Zeit 
von  »künstlerischer  Composition«  forderte.  Oder  der  Sommertag 
breitet  reich  und  wahr  zwischen  den  Felsen  sich  aus ; warme  Luft 
zittert  über  die  Fluren.  Bauern  und  Kühe,  schimmernde  Birken  und 
alte  Dorfkirchen  stehen  kräftig  in  der  Landschaft,  selbst  die  Mache 
ist  so  einfach,  dass  er  bei  allem  Detailreichthum  eine  grosse  Wirkung 
erzielt.  Man  fühlt,  diese  Malerei  ist  in  einer  jungfräulichen  Natur 
erwachsen,  umgeben  von  der  Poesie  der  Fjords,  der  hohen  Felsen  und 
Giessbäche.  Die  Holländer  hatten  nicht  in  dem  Maasse  den  Sinn  für 
das  Kleine  und  Lauschige,  Wohnliche,  Stille.  Kein  Zufall  vielleicht, 
dass  dieser  Reformator  aus  dem  jungfräulichsten  Land  Europas  kam, 
einem  Lande,  das  nie  Antheil  an  einer  grossen  Kunstperiode  der 
Vergangenheit  hatte. 

Für  München  gewann  eine  ähnliche  Bedeutung  der  Hamburger 
Christian  Morgenstern,  der,  wie  alle  Maler  dieser  Gruppe,  im  Farben- 
ton die  Holländer  imitirte,  als  Zeichner  aber  ein  frischer,  gesunder 
Naturbursche  war.  Schon,  was  er  in  aller  Naivetät  von  1826 — 1829 
in  unmittelbarem  Studium  der  hamburgischen  Landschaft  leistete, 
steht  in  der  deutschen  Production  jener  Zeit  als  etwas  Einziges  da. 
Seine  Handzeichnungen  und  Radirungen  dieser  Jahre  sichern  ihm 
einen  Ehrenplatz  unter  den  frühesten  deutschen  Stimmungsmalern, 
liefern  den  Beweis,  dass  er  damals  nach  der  Seite  der  Einfachheit 
und  Intimität  der  am  weitesten  fortgeschrittene  Landschafter  war. 
Eine  Reise  nach  Norwegen  1829  und  ein  Aufenthalt  an  der  Kopen- 
hagener Akademie,  wo  er  seine  norwegischen  Studien  verarbeitete, 
erweiterte  nur  sein  Können,  ohne  seine  Principien  zu  verändern, 
und  als  er  im  Beginn  der  30er  Jahre  nach  München  kam,  rief  seine 
neue,  eigenartige  Anschauung  in  den  dortigen  Künstlerkreisen  eine 
Revolution  hervor.  Die  Landschafter  erfuhren  durch  ihn,  dass  gleich- 


Morgenstern : Bauernhaus. 


zeitig  mit  Poussin  auch  Everdingen,  Ruysdael  und  Rembrandt  ge- 
lebt, dass  der  »Baumschlag«  nicht  »stilvoll«  zu  sein  brauche,  sondern 
die  Individualität  des  Baumes  richtig  kennzeichnen  könne.  Er  hat 
für  die  Münchener  Schule  die  Schönheit  der  bayerischen  Hoch- 
ebene entdeckt.  Gleich  das  erste  Bild,  das  er  von  Hamburg  mit- 
brachte, zeigte  eine  weite,  von  Wolken  überzogene  Ebene  — ein 
Stück  aus  der  Lüneburger  Haide  — und  diesem  Stoffkreis  blieb  er 
auch  später  treu.  Ein  Kind  der  Ebene,  suchte  er  in  Bayern  nach 
verwandten  Motiven  und  fand  sie  reichlich  am  Ufer  der  Isar,  in  den 
Steinbrüchen  bei  Polling,  am  Peissenberg  und  in  der  moosigen 
Gegend  bei  Dachau.  Seine  Bilder  besitzen  nicht  die  Fähigkeit,  den 
Gleichgültigen  zur  Betrachtung  herauszufordern,  aber  hat  man  sich 
hineingesehen,  so  wirken  sie  wohlthuend  poetisch,  still,  harmlos, 
sonnig  und  sinnig.  Er  liebte  das  Gewöhnliche,  Unscheinbare,  die 
weiche  Wald-  und  Dorfnatur,  alles  Heimathliche , ihm  Gewohnte. 
Wo  Rottmann  nur  in  südlichen  Formen  schwelgte,  kehrte  Morgen- 
stern in  die  deutsche  Heimath  ein ; wo  Lessing  nur  das  Brausen 
des  Orkans  vernahm,  lauschte  Morgenstern  dem  stillen  Flüstern 
des  Windes.  Wolkenschatten  und  Sonnenglanz  liegt  über  dunkler 
Haide,  der  Silberschein  der  Mondnacht  breitet  sich  träumerisch  über 


XXIV.  Dif.  Landschaftswalerei  in  Deutschland 


26> 


stille  Dorfgassen,  die  Wellen  schla- 
gen bald  laut  rauschend,  bald  leise 
kosend  an's  Ufer.  Erst  später,  als 
er  der  Darstellung  des  Hochge- 
birges sich  zuwandte,  verlor  er  die 
Intimität,  die  ihm  Anfangs  eigen. 

So  häufig  er  sich  in  Gebirgsbildern, 

Felsenschluchten,  Wasserfällen  und 
schneeigen  Alpengipfeln  versuchte, 
hat  er  etwas  Hervorragendes  darin 
doch  nie  geleistet.  Sie  haben  etwas 
Kleinliches  und  Zerrissenes,  nicht 
den  einfach  grossen  Zug  seiner 
Ebenen  und  Lüfte. 

Was  für  München  Morgen- 
stern, war  für  Düsseldorf  Ludwig 
Gurlilt,  der  hervorragendste  aus  der 
grossen,  nordischen  Colonie,  die 
sich  dort  in  den  30er  Jahren  an- 
siedelte. In  den  Handbüchern  findet  man  seinen  Namen  nicht,  und 
die  Bilder  aus  seiner  spätem  Zeit,  die  ihn  in  öffentlichen  Galerien 
vertreten,  geben  selten  einen  vollen  Begriff  von  seiner  Bedeutung. 
Er  war  seit  einer  Reise  nach  Griechenland  1839,  in  einen  braunen 
Ton  gekommen,  an  dem  Manches  conventioneil  ist.  Auch  sein  ab- 
geschlossenes Leben  — er  wohnte  1848  bis  1852  in  einem  Dorf  in 
Sachsen,  1859 — 1873  in  Siebleben  bei  Gotha  — trug  mit  dazu  bei, 
dass  er  für  die  Welt  in  Vergessenheit  kam.  Aber  die  Kunstgeschichte, 
die  nach  den  treibenden  Kräften  sucht,  hat  einen  der  ersten  gesund 
realistischen  Landschafter  Deutschlands  und  — mehr  noch  — einen 
Anreger  in  ihm  zu  feiern,  der  einer  Menge  jüngeren  seitdem  zu 
Ruhm  gekommenen  Malern  die  Augen  öffnete. 

Gurlitt  war  Holsteiner  und  erhielt  seinen  ersten  Unterricht  wie 
Morgenstern  in  Hamburg,  wo  damals  Bendixen,  Vollmer,  die  Leh- 
mann, die  Gensler  eine  originelle  Künstlergruppe  bildeten.  Hierauf 
folgte,  wie  bei  Morgenstern,  ein  längerer  Aufenthalt  in  Norwegen 
und  Kopenhagen.  In  Düsseldorf,  wohin  er  von  dort  aus  ging, 
machte  gleich  bei  seinem  Eintreffen  ein  jütlän disches  I iaidebild 
Aufsehen:  die  erste  uncomponirte  Landschaft,  die  am  Rhein  zu 
sehen  war,  und  Schadow  soll  mit  seinen  Schülern  eigens  in  Gur- 


2 66 


XXIV.  Die  Landschaftsmalerei  in  Deutschland 


Gur  litt:  Bauernhaus  i8jo. 


litts  Atelier  gekommen  sein,  um  das  Wunder  anzustaunen.  1836 
siedelte  er  nach  München  über,  wo  ihm  Morgenstern  vorgearbeitet 
hatte,  und  hier  entstanden  eine  ganze  Reihe  von  Arbeiten,  die  einen 
sehr  selbständig  empfindenden , sogar  den  Holländern  unabhängig 
gegenüberstehenden  Künstler  zeigen.  Seine  Bilder  waren  grau  im 
Ton,  nicht  gelblich  wie  die  der  Holländer;  auch  weniger  componirt 
und  »geistreich«  staffirt  als  die  Werke  Dahls  — Ausblicke  in  die 
Natur  von  ernstem,  realistischem  Streben.  Selbst  als  er  — nach 
1843  — anfing,  italienische  Bilder  zu  malen,  wahrte  er  sich  eine 
schlichte  Einfachheit,  die  von  der  damaligen  Kritik  nicht  verstanden 
wurde,  heute  aber  desto  sympathischer  spricht.  Die  Stärke  seines 
Realismus  lag,  wie  bei  Allen  jener  Jahre  mehr  auf  zeichnerischer 
Seite,  doch  hat  er  zuweilen  auch  im  Colorit  eine  merkwürdige  Klar- 
heit und  Zartheit  erreicht,  die  bald  an  den  Silberton  Canalettos,  bald 
an  das  feine  Grau  Constables  streift. 


XXIV.  Die  Landschaftsmalerei  in  Deutschland 


267 


Mit  dem  Eintreffen  die- 
ser nordischen  Maler  in 
Düsseldorf  und  München 
beginnt  der  Realismus  in 
der  deutschen  Kunst.  Sie 
waren  weniger  in  ästhet- 
ischen Vorurtheilen  be- 
fangen, frischer  und  gesun- 
der als  die  Deutschen. 

Namentlich  Gurlitt  war  ihr 
geistiger  Führer,  die  Seele, 
das  treibende  Princip  der 
grossen  Bewegung,  die  nun- 
mehr folgte.  Durch  ihn 
angeregt,  machte  Andreas 
Achenbach  sich  von  der 
Stillandschaft  frei  und  malte 
in  den  Jahren  1835  — 39 
norwegische  Bilder,  noch 
bevor  er  Norwegen  kannte.  Andreas  Achenbach. 

Durch  ihn  angeregt,  trat 

er  1839  selbst  die  Wanderung  dorthin  an,  jene  Reise,  die  für  die 
deutsche  Landschaftsmalerei  eine  Entdeckungsfahrt  wurde. 

Da  Achenbach  heute  noch  lebt  und  alljährlich  Werke  zur 
Ausstellung  bringt,  die  neben  den  Arbeiten  der  Jüngeren  nicht 
mehr  mitsprechen,  ist  man  gern  geneigt,  seine  bahnbrechende  Be- 
deutung zu  schmälern.  Was  an  seinen  Bildern  vermisst  wird,  ist 
die  Liebe,  was  er  zu  viel  zu  haben  scheint,  die  Routine.  Andreas 
Achenbach  ist,  wie  sein  Porträt  zeigt,  ein  sehr  schneidiger  Herr. 
Er  blickt  aus  hellblauen,  klaren  Augen  klug  und  scharf  in  die 
Welt;  die  gedrungene,  kleine,  trotz  ihres  Alters  in  stolzer,  fester 
Haltung  dastehende  Gestalt  zeugt  von  zäher  Energie.  Die  Stirn,  der 
Menzels  ähnlich,  ist  mehr  die  eines  Architekten  als  eines  Poeten. 
Diesem  Aeussern  entsprechen  seine  Bilder.  Jede  seiner  früheren 
guten  Leistungen  war  eine  gewonnene  Schlacht.  Der  verkörperte 
Realismus,  dem  alle  Schwärmerei  weltweit  abliegt,  bezwang  er  die 
Natur  durch  männliche  Festigkeit  und  beispiellose  Ausdauer.  Er  er- 
scheint als  ein  maitre-peintre,  ein  kühles,  gerades  Talent  mit  klaren, 
nüchternen  Augen.  Die  Haupteigenschaft  seines  Organismus  war 


268 


XXIV.  Die  Landschaftsmalerei  in  Deutschland 


A.  Achenbach:  Wasserfall. 


die  eminente  Fähigkeit,  die  Kunstmittel  anderer  Meister  zu  erkennen 
und  das  Wesentliche  davon  seiner  eigenen  Productionsweise  zu  ver- 
einen. Man  athmet  freier  vor  den  Werken  der  Meister  von  Bar- 
bizon und  man  sieht  nur  gute  Bilder  bei  Achenbach.  Jene  bestricken 
durch  ihr  intimes  Eingehen,  er  imponirt  durch  das  Bravourhafte  des 
Handwerks.  Seine  Landschaften  kennen  nichts  Zufälliges,  Trau- 
liches. Alles  vereinigt  sich  auf  den  Zweck  bildmässiger  Wirkung. 
Der  Aufbau,  das  Gerüst  ist  von  monumentaler  Festigkeit.  Aber  so 
fein  seine  Beobachtung,  er  hat  nie  die  Natur  in  ihrem  innersten 
Weben  belauscht,  sie  stets  nur  zur  Anfertigung  von  Bildern  ver- 
wendet. Für  jene  Franzosen  ist  die  Farbe  der  reine  Naturausdruck 
und  der  ihres  eigenen  Gemüthslcbens,  für  Achenbach  nur  das  Mittel 
zur  Erzielung  einer  den  Holländern  ähnlichen  Wirkung.  Indem  er 
mit  seinen  blitzenden  blauen  Augen  Alles  fest  und  durchdringend 
musterte,  lernte  er  die  Formen,  das  äussere  Ansehen  der  Erde  ge- 
wissenhaft und  handfest  beschreiben,  aber  das  Stimmungsleben,  das 
wie  Musik  die  Seele  durchdringt,  erschloss  sich  ihm  nie.  Die  Kunst 
der  Holländer  zog  ihn  zur  Kunst,  nicht  der  Drang,  von  seinem 
eigenen  Gemüthsleben  zu  zeugen.  Er  denkt  vielmehr  daran,  Bilder 


XXIV.  Die  Landschaftsmalerei  in  Deutschland 


269 


A.  Achenbach:  Marine. 

zu  machen,  die  denen  seiner  Vorgänger  an  Güte  gleichkommen,  als 
an  die  Wiedergabe  des  Eindrucks,  den  er  selbst  vor  der  Natur  ge- 
habt. Sein  Gehirn  erwärmt  sich  beim  Studium  der  von  den  Hol- 
ländern aufgestellten  Theorien  und  Regeln,  er  sucht  in  der  Natur 
nach  Gegenden,  an  denen  diese  Theorien  zu  erproben,  aber  sein 
Herz  bleibt  kalt,  wenn  er  Wasser  und  Himmel,  Berge  und  Bäume 
betrachtet.  Nicht  naive  Naturliebe,  sondern  rafhnirte  Berechnung 
des  bildmässigen  Effects  hat  seinen  Pinsel  geleitet,  und  da  er  über 
dies  Streben  auf  abgerundete  Bildwirkung  im  Sinne  der  Holländer 
nie  hinauskam,  hat  er  die  deutsche  Landschaftsmalerei  zwar  von  dem 
romantischen  Stilisiren  im  Sinne  Schirmers  befreit,  noch  nicht  aber 
zur  unmittelbaren,  persönlichen  Naturbetrachtung  geleitet.  Es  strömt 
aus  seinen  Bildern  nicht  der  Duft  der  Natur,  sondern  der  Geruch 
von  Oel  und  Firniss,  und  da  die  Mittel,  deren  er  sich  zur  Erzielung 
seiner  Wirkungen  bedient,  nie  wechseln,  ist  das  Ergebniss  oft  das 
Schema,  die  Schablone. 

Das  Alles  kann  jedoch  nichts  daran  ändern,  dass,  wo  von 
der  Entwicklung  deutscher  Landschaftsmalerei  die  Rede,  der  Name 
Andreas  Achenbach  doch  stets  mitklingen  wird.  Indem  er  ausser 


270 


XXIV.  Die  Landschaftsmalerei  in  Deutschland 


höheren,  technischen  Qualitäten  zugleich  die  Fähigkeit  besass,  sich 
dem  Publikum  aufzudrängen,  vollendete  er,  was  jene  Dänen  be- 
gannen. Er  war  der  Reformator,  der  bewies,  dass  nicht  mit  Felsen 
blos,  mit  Ritterburgen  und  rauschenden  Eichen  Stimmung  erweckt 
werden  könne,  er  hasste  alles  Ungesunde,  Weichliche,  Verschwom- 
mene, und  hat  dadurch,  dass  er  mitten  in  den  Zeiten  der  Romantik 
die  Klaue  des  realistischen  Löwen  zeigte,  für  die  deutsche  Land- 
schaftsmalerei “die  Bedeutung  eines  Heros  bekommen.  Er  gewann 
der  spröden  niederdeutschen  Landschaft  ihre  Reize  ab,  er  zeigte 
das  Fesselnde  holländischer  Canalscenen  mit  ihren  sonderbaren 
Architekturen  und  charakteristischen  Menschen,  er  ging  in  die 
Nordsee,  die  stürmische,  brandende  und  stellte  den  zahmen  Bildern 
der  Schirmerschule  die  Riesengewalten  einer  tobend  entfesselten 
Natur  gegenüber.  Zur  selben  Zeit,  als  Heines  Nordseebilder  er- 
schienen, wurden  Achenbachs  erste  Nordseebilder  ausgestellt  und 
verdrängten  bald  die  bisher  den  Kunstmarkt  ausschliesslich  beherr- 
schenden Schiffsunglücke  des  Franzosen  Gudin.  Zum  ersten  Mal  im 
neunzehnten  Jahrhundert  sah  man  Meerbilder  so  gemalt,  dass  ihr 
Wasser  ein  wirklich  flüssiges,  bewegtes  Element,  ihre  Wogen  nicht 
aus  Blech  geformt,  ihr  Wellenschaum  und  Gischt  nicht  aus  weisser 
Watte  gebildet  schienen.  Rheinische  Dörfer  mit  rothen  Ziegeldächern, 
holländische  Kanäle  mit  gelbem  Ufersand  und  aufgerüttelten  Wogen, 
die  sich  an  den  Balken  des  Hafens  brechen,  norwegische  Scenerien 
mit  starrenden  Felsen  und  finsteren  Tannen,  mit  wilden  Giessbächen 
und  tosenden  Wasserfällen  — das  sind  die  Dinge,  die  er  mit  be- 
sonderem Glück  beschrieb.  Nicht  besser,  als  Everdingen  und  Ruys- 
dael  es  thaten,  aber  besser,  als  einer  seiner  Zeitgenossen  es  vermochte. 

Wie  Gurlitt  durch  Achenbach,  steht  Morgenstern  durch  Eduard 
Schleich  mit  der  Gegenwart  in  Verbindung.  Das  Münchener  Stimm- 
ungsbild trat  an  die  Stelle  der  Rottmann’schen  Architekturen.  Statt 
der  schönen  Formen  der  Erdoberfläche  begann  man  das  Spiel 
des  Sonnenlichtes  auf  der  Ebene  und  im  Zuge  der  Wolken,  statt 
des  Baues  der  Landschaft  ihre  atmosphärische  Stimmung  zu  stu- 
diren.  Namentlich  auf  Ruysdael  und  Goyen  war  Schleich  durch 
Morgenstern  hingewiesen:  an  Ruysdael  fesselte  ihn  der  tiefe  Ernst, 
die  schwermiithige  Naturbetrachtung,  die  seiner  eigenen  Stimmung 
entgegenkam;  an  Goyen  das  malerische  Zusammenwirken  von  Sonnen- 
licht, Luft,  Wasser  und  Erde.  Schleich  hat  Frankreich,  Belgien, 
Ungarn,  Italien  besucht,  doch  nur  ausnahmsweise  Anderes  gemalt. 


XXIV.  Die  Landschaftsmalerei  in  Deutschland 


271 


E.  Schleich:  Frühlingslandschaft. 


als  was  die  nächste  Umgebung  Münchens  darbot.  Er  wählte  sich 
das  schlichteste  Stück  Natur,  einen  frisch  umbrochenen  Acker,  einen 
schilfbewachsenen  Weiher,  ein  Stück  bräunlichen  Moores,  ein  paar 
Hütten  unter  Bäumen,  und  beobachtete  unter  Goyen’s  Anleitung 
die  Veränderungen  am  Himmel  mit  grosser  Sorgfalt:  die  abziehenden 
Gewitterwolken,  die  von  dünnen  Schleiern  verhüllte  Sonne,  das 
zittrige  Licht  des  Mondes  oder  die  wallenden  Morgen-  und  Abend- 
nebel. Die  Isargegend  und  das  Dachauer  Moos  war  sein  liebster 
Aufenthaltsort.  Besonders  bevorzugte  er  Herbst-,  Regen-  und  Mond- 
scheinstimmung, wobei  er  braune  und  graue  Töne  zu  feinen  hol- 
ländischen Harmonien  stimmte.  Sein  Grundton  war  ein  vorwiegend 
ernster,  elegischer,  doch  hat  er  auch  Scenen  unruhigen,  heftigen 
Lichtwechsels  geliebt.  Ueber  eine  weite  Hochebene  breitet  das 
Sonnenlicht  seinen  Glanz,  während  von  der  einen  Seite,  dunkle 
Schatten  sendend,  ein  Heer  dicht  geballter  Gewitterwolken  naht. 
Auf  eine  eintönige,  von  einsamen  Baumgruppen  unterbrochene  Fläche 
rieselt  warmer  Sommerregen.  Bäume  und  Sträucher  werfen  leichte 
Schatten,  die  Ebene  flimmert  unter  den  Strahlen  der  Sonne.  Oder: 
eine  weite  Moorfläche.  Dunkel  ziehen  die  Wolken,  das  Schilf  schwankt 


XXIV.  Die  Landschaftsmalerei  in  Deutschland 


im  Winde , und  schmale  Mondlichtstreifen  glitzern  zwischen  den 
schlanken  Rohren.  Durch  solche  Werke  ist  Schleich,  ohne  Schüler 
gebildet  zu  haben,  das  Haupt  der  Münchener  Landschafterschule  ge- 
worden. Durch  ihn  und  Achenbach  ward  den  deutschen  Malern  der 
Sinn  für  frische  Beobachtung  des  Naturlebens  erschlossen. 

Freilich  zeigt  sich  bei  der  jüngeren  Gruppe  hinsichtlich  der 
Stoffwahl  ein  grosser  Unterschied.  Die  moderne  Stimmungsland- 
schaft hat  nur  ihren  Ursprung  in  Deutschland  genommen,  nicht 
endgültig  sich  hier  entwickeln  können.  Wie  das  Figurenbild,  nach- 
dem es  mit  Bürkel  so  kräftig  begonnen,  später  unter  Enhubers  und 
Knaus’  Händen  erst  zur  Genremalerei  wurde,  bis  es  mit  Leibi  auf 
den  alten  Weg  zurückkehrte,  so  machte  auch  die  Landschaft  erst 
die  Lehrzeit  des  interessanten  Stoffes  durch,  bis  sie  später  wieder  die 
Poesie  der  Einfachheit  sah.  Die  Culturgeschichte  selbst  lenkte 
in  diese  Bahnen.  Als  Morgenstern  seine  ersten  Bilder  malte,  rasselte 
noch  die  Postkutsche  von  Dorf  zu  Dorf,  jetzt  tönt  der  Pfiff  der 
Locomotive  schrill  wie  das  erste  Signal  einer  neuen  Zeit  durch 
Europa.  Bisher  war  die  Möglichkeit  des  Reisens  bei  der  Schwierig- 
keit der  Verkehrsverhältnisse  eine  sehr  beschränkte  gewesen.  Der 
erleichterte  Verkehrsbetrieb  brachte  eine  nie  dagewesene  Wanderlust 
mit  sich.  Literarisch  zeigte  sich  der  Umschwung  darin,  dass  als 
neue  Gattung  der  Reiseroman  entstand.  Hackländer  warf  seine 

vielen  Bände  von  Reiseskizzen  auf  den  Markt.  Th.  Miiggc  machte 
Norwegen,  Schweden  und  Dänemark  zum  Schauplatz  seiner  Erzähl- 
ungen. Amerika  besonders  war  das  Land  der  blauen  Blume.  Nach- 
dem ers{  mit  Coopers  Indianern  ganz  Deutschland  auf  den  Kriegs- 
pfad gezogen,  liess  es  sich  nun  von  Charles  Sealsfield  das  groteske 
mexikanische  Bergland,  den  Zauber  der  Prairie,  die  Landschaften  des 
Susquehannah  und  Mississippi  beschreiben  und  las  Fr.  Gerstäckers, 
Balduin  Möllhausens  und  Otto  Ruppius  transoceanische  Skizzen  mit 
nicht  ermattender  Spannung.  Auch  die  Maler  wurden  Kosmopoliten, 
die  ihren  höchsten  Genuss  darin  fanden,  die  Welt  mit  den  Augen 
des  Touristen  zu  betrachten. 

Alexander  Calatue  in  Genf  vermittelte  Deutschland  die  Kcnntniss 
der  Dinge,  die  es  in  der  Schweiz  zu  sehen  gibt.  Calamc  war  ein 
sehr  trockener,  poesieloser  Landschafter.  Er  begann  damit,  dass  er 
als  junger  Kaufmann  in  seinen  Musscstunden  kleine  Ansichten  der 
Schweiz  colorirte,  wie  sie  die  Fremden  gern  statt  der  noch  fehlenden 
Photographien  als  Andenken  in  die  Hcimath  mitnahmen.  Auch  seine 


XXIV.  Dif.  Landschaftsmalerei  in  Deutschland 


273 


späteren  Bilder  können  nur  den 
Werth  solcher  »Erinnerungsblätter 
an  die  Schweiz«  beanspruchen.  Seine 
Farbe  ist  matt  und  eintönig,  die  Luft 
schwer,  die  Mache  mühsam.  Er 
verstand  unter  Malerei  die  nach- 
trägliche Uluminirung  von  Zeich- 
nungen, und  seine  Zeichnung  war 
die  eines  Kupferstechers.  Vortreff- 
licher Zeichenlehrer,  besass  er  eine 
ungewöhnliche  Meisterschaft  der 
Perspective.  Dafür  fehlt  seinen  Ar- 
beiten jede  Wärme,  alles  innere 
Leben.  Empfindung  ist  durch  regel- 
rechte Handfertigkeit  ersetzt,  und 
aus  dem  tiefblauen  Spiegel  seiner 
Alpenseen  wie  aus  dem  leuchtenden 


Alexander  Calame. 


Roth  der  Alpengipfel  schaut  immer 

der  Illuminator  hervor,  der  erst  mit  sauberem  Stift  und  kleinlicher 
Correctheit  die  Conturen  vorzeichnete.  Seine  Bilder  sind  grandiose 
Naturscenerien  von  kleinlicher  Anschauung  — auch  in  der  Wissen- 
schaft suchen  oft  die  kleinsten  Geister  sich  die  grössten  Helden. 
Sowohl  die  »Ruinen  von  Paestum«,  wie  der  »Gewittersturm  an  der 
Handeck«  und  die  »Kette  des  Monterosa  bei  Sonnenaufgang«  er- 
reichen nur  äusserliche  decorative  Wirkung,  die  durch  die  rohen 
unnatürlichen  Beleuchtungscontraste  nicht  schöner  wird.  Und  da 
er  später,  als  die  Bestellungen  sich  häuften,  einer  erstaunlichen 
Fruchtbarkeit  verfiel , machen  viele  seiner  Arbeiten  den  Eindruck, 
als  hätte  ein  geschickter  Kalligraph  unaufhörlich  dieselben  Zierbuch- 
staben  wiederholt.  Un  Calame,  deux  Calame,  trois  Calame  — que 
de  Calamites,  hiess  es  alljährlich  im  Pariser  Salon,  wenn  Calame 
anrückte.  Doch  so  kühl  Frankreich  sich  verhielt,  um  so  zahl- 
reichere Verehrer  fand  er  in  Deutschland.  Gleich  1835,  als  er  in 
Berlin  sein  erstes  Bild,  eine  Ansicht  des  Cenfersecs  ausstellte,  wurde 
sein  Auftreten  mit  warmen  Sympathien  begrüsst.  Gerade  das  Ab- 
gerundete, Geschickte,  Vollendete  seiner  Malerei  gefiel  und  die  Deut- 
lichkeit der  Zeichnung  imponirte.  Seine  lithographirten  Baumstudien 
und  landschaftlichen  Vorlegeblätter  erreichten  ein  kanonisches  An- 
sehen und  blieben  Jahrzehntelang  als  Lehrmittel  für  den  Zeichen- 


274 


XXIV.  Dif.  Landschaftsmalerei  in  Deutschland 


unterricht  in  Verwendung.  Von  deutschen  Malern  wurden  besonders 
Carl  Ludwig,  Otto  von  Kameke  und  Graf  Stanislaus  Kalkreuth 
durch  Calame  angeregt,  sich  der  starren  Erhabenheit  der  Hoch- 
alpennatur zuzuwenden.  Ocde  Felsenwüsten,  stille  klarblaue  Seen, 
wilde  Sturzbäche  und  gletscherbedeckte,  im  Schein  der  untergehen- 
den Sonne  rosa  erglühende  Schncegipfcl  sind  wie  bei  dem  Genfer 
Meister  die  Elemente  ihrer  Bilder. 

Auf  Achenbach  folgte  eine  ganze  Reihe  aus  dem  Norden  selbst 
stammender  Künstler,  die  nun  anfingen,  die  Berge  ihres  Heimath- 
landes  Norwegen  unter  den  starken  Farbenwirkungen  der  nordischen 
Sonne  zu  schildern.  Die  grossartigen  Gestaltungen  der  Fjorde,  die 
smaragdgrünen  Felswände,  zerklüfteten  Thalspalten,  schauerlichen 
Waldwildnisse  und  grell  beleuchteten  Gebirge  Norwegens,  die  sich 
wie  glitzernde  Edelsteine  in  der  stillen  Fluth  saphirblauer  Seen 
spiegeln,  sie  waren  interessant  genug,  um  mehr  als  einen  Land- 
schafter zu  ernähren. 

Knud  Bande,  der  nach  längerem  Aufenthalt  auf  der  Kopen- 
hagener  Akademie  und  bei  Dahl  in  Dresden,  seit  1842  in  München 
arbeitete,  liebte  Mondscheinscenerien,  düstere  Föhrenwälder  und  Mitter- 
nachtssonnen. Das  Meer  erhebt  sich  in  berghohen  Wogen,  schleu- 
dert mächtige  Fahrzeuge  wie  dürre  Blätter  umher  oder  schlägt  bran- 
dend an  die  Klippen  des  Ufers.  Phantastische  Wolkengestalten  jagen 
über  den  Himmel  und  das  bleiche  Mondlicht  schwankt  unsicher  auf 
den  Wellen.  Seltener  malte  er  die  friedlich  ruhende,  vom  Monde 
weithin  beleuchtete  See,  oder  die  Fjorde  mit  ihren  grünen  Matten 
und  weissstämmigen  Birken,  und  wirkt  in  solchen  schlichten  Bildern 
viel  liebenswürdiger  als  in  anspruchsvollen,  wilden,  da  sein  ängstlich 
kleinlicher  Vortrag  in  der  Regel  wenig  zu  den  unruhig  dramatischen 
Naturscenerien  passt. 

Hans  Gilde,  1841  nach  Düsseldorf  gekommen,  wurde  der  Calame 
des  Nordens.  Achenbach  lehrte  ihm,  den  Erscheinungen  der  Natur 
keck  realistisch  gegenüberzutreten,  sich  nicht  vor  reicher,  saftiger 
Farbenscala  zu  fürchten.  Schirmer,  der  Vertreter  der  italienischen 
Stillandschaft , leitete  ihn  an , eine  gewisse  stilvoll  grosse  Haltung 
im  Aufbau  seiner  Gemälde  anzustreben , schöne  Linien  zu  finden 
und  grosse  Massen  von  Licht  und  Schatten  effektvoll  zu  disponiren. 
Dieser  ruhige,  sichere,  handfeste  und  doch  stilvolle  Realismus  wurde 
die  Haupteigenthümlichkeit  seiner  nordischen  Landschaften,  in  denen 
das  Wechselnde,  Flüchtige  der  Naturstimmung  freilich  um  so  weniger 


XXIV.  Die  Landschaftsmalerei  in  Deutschland 


27  5 


zu  Worte  kommt.  Bald  sind  es  norwegische  Gebirgslandschaften 
mit  Seen,  Flüssen  und  Wasserfällen,  bald  Küstenbilder  unter  den 
verschiedensten  Beleuchtungsmotiven,  oder  grandiose  Felsscenerien 
bei  düsterem  Himmel  und  bewegter  See.  Hans  Gude,  seit  1864  in 
Carlsruhe,  seit  1880  in  Berlin,  ist  einer  jener  Maler,  die  man  achtet, 
ohne  sich  begeistern  zu  können,  einer  der  gewissenhaften  Arbeiter, 
die  vor  lauter  Gediegenheit  an  Langweiligkeit  streifen.  Seine  Land- 
schaften sind  gute  Galeriebildcr  von  nüchtern  prosaischer  Correctheit, 
nie  ärgerlich,  doch  auch  selten  erwärmend. 

Niels  Björnson  Möller  cultivirtc  gleich  ihm  das  Strandbild  und 
die  Marine.  August  Cappelen  vertiefte  sich  in  die  melancholischen 
Reize  des  norwegischen  Waldes  in  seiner  abgeschlossenen,  von  Men- 
schen ungestörten  Stille.  Er  erzählte  von  der  zitternden  Klarheit  der 
Felsenluft,  von  alten  geborstenen  Stämmen  und  grünen  Wasser- 
pflanzen, von  träumerischen  Weihern,  weiten  Aussichten  auf  blaue 
Berge  und  würde  noch  ursprünglicher  wirken,  hätte  er  weniger 
auf  edle  Schirmcrsche  Linien  und  gross  angelegte  Compositionen 
gegeben.  Morten-Müller  wurde  der  Specialist  des  Fichtenwaldes.  Die 
heimischen  Holzungen  beim  Uebergang  der  Thäler  in’s  Hoch- 
gebirge boten  ihm  die  Motive,  die  er  zu  stark  decorativen  grossen 
Bildern  verarbeitete.  Seine  Stärke  war  der  Gegensatz  des  in  den 
Baumwipfeln  spielenden  Sonnenlichts  zu  dem  geheimnissvollen , im 
Waldesgrund  herrschenden  Dunkel,  und  seine  Bilder  haben  wegen 
ihrer  »elegischen  Melancholie,  ihres  rührend  trüben  Molltons«  viele 
Freunde.  Der  norwegische  Frühling,  der  den  Boden  in  einen  einzigen 
von  Sümpfen  unterbrochenen  Moorteppich  verwandelt,  fand  in  Erik 
Bodom  seinen  Schilderen  Ludwig  Munthe  wurde  der  Maler  der 
Winterlandschaft  bei  Thauwetter,  wenn  der  Schnee  sich  gelockert 
hat  und  eine  schmutzig  braune  Erdkruste  unter  der  blendenden  Decke 
hervorschimmert.  Ein  oedes  Feld , ein  paar  verkrüppelte  Bäume, 
die  ihre  nackten  Aeste  in  den  dunkelgrauen  Himmel  strecken,  ein 
Schwarm  von  Krähen  und  eine  verregnete  Landstrasse  mit  Spuren 
von  Wagenrädern,  ein  fahlgelber  Lichtstreif,  der  durch  die  Wolken- 
wand blinkt  und  in  den  Pfützen  des  Weges  sich  spiegelt,  das  sind 
die  Elemente,  aus  denen  eine  Munthesche  Landschaft  sich  auf- 
baut. Durch  Eilert  Adelsten  Normann  wurden  die  Fjordbilder  im 
Kunsthandel  eingebürgert.  Seine  Specialität  war  die  Darstellung  der 
steil  ins  Meer  abstürzenden  Lofodden-Felsenburgcn  in  ihren  ver- 
schiedenen Farbenreflexen  und  Beleuchtungen,  die  Mitternachtssonne, 

18* 


27  6 


XXIV.  Die  Landschaftsmalerei  in  Deutschland 


die  gellend  über  tiefklaren  Seen  liegt,  der  Contrast  blauschwarzer 
Gebirgsmassen  zu  schimmernden  Schneefeldern. 

Andere  wie  Ludwig  Willroider,  Louis  Douzette  und  Hermann 
Eschke  machten  sich  daran,  unter  ähnlichen  Gcsichtspuncten  die 
deutsche  Haide  und  den  deutschen  Wald,  der  eine  die  grossen  Berg- 
massen und  Baumriesen,  der  andere  die  untergehende  Sonne,  der 
dritte  das  Meer  zu  beobachten.  Oswald  Achenbach,  Albert  Flamm 
und  Ascan  Lutteroth  traten  auch  wieder  die  Wanderung  nach  dem 
Süden  an,  wo  sie  im  Gegensatz  zu  ihren  Vorgängern  nicht  mehr 
die  classischcn  Linien  der  italienischen  Natur,  sondern  den  Glanz 
der  verschiedenartigen  Farbeneffekte  in  der  Umgebung  des  Vesuvs 
und  des  Golfs  von  Neapel  studirten.  Die  Unternehmendsten  kehrten 
Europa  überhaupt  den  Rücken  und  fingen  an,  die  Urwälder  Süd- 
amerikas, auf  die  Alexander  Humboldt  hingewiesen  hatte,  die  blauen 
und  rothen  Wunder  der  Tropen,  das  Glitzern  und  Blitzen  der 
Eiswelt  an  den  äussersten  Grenzen  der  Polargegenden  zu  schil- 
dern. Fr.  Bellermann  wurde  als  neuer  Columbus  gefeiert,  als  er 
1842  mit  seinen  botanisch  correctcn  Aufnahmen  der  Wunder  des 
Urwaldes  heimkehrte.  Eduard  Hildebrandt,  der  schon  1843  im  Auf- 
träge Friedrich  Wilhelm  IV.  die  canarischcn  Inseln,  Italien,  Sici- 
licn,  Nordafrika,  Aegypten,  Nubien,  die  Sahara  und  das  nördliche 
Eismeer  durchmessen,  trat  1862  sogar  eine  Reise  um  die  Erde  an, 
um  alle  »Phänomene,  die  das  Meer,  die  Luft  und  das  Festland  unter 
den  verschiedenartigsten  Himmelsstrichen  hervorbringen,  aus  eigener 
Anschauung  kennen  zu  lernen.«  Eugen  Bracht  durchzog  Aegypten, 
Syrien,  Palästina  und  brachte  aus  der  ernsten  grossartigen  Natur  der 
Wüste,  aus  der  Trümmer-  und  Gebirgswelt  des  Orients  eine  Fülle 
von  Studien  mit,  die  er  in  der  Heimath  zu  ebensovielen  Bildern 
verarbeitete. 

Es  ist  das  Verdienst  all’  dieser  Meister,  die  Peripherie  des  Darstell- 
baren immer  mehr  erweitert,  die  ganze  Welt  allmählich  erschlossen 
zu  haben,  und  wenn  ihre  Werke  nicht  als  Erzeugnisse  einer  feinen 
Landschaftsmalerei  gelten  können,  so  ist  dies  ein  Ergebniss  desselben 
Kunstgeschmacks,  der  dem  Genrebild  jener  Jahre  die  Anekdote,  den 
erzählenden  Inhalt  vorschrieb.  Die  Landschafter  eroberten  die  Erde, 
aber  dem  Publicum  zu  Liebe  vorerst  nur  die  geographisch  merk- 
würdigen Partien.  Sie  gingen  aus  in  alle  Welt  mit  dem  Bädeker  in 
der  Tasche,  führten  alles  Carmin  mit  sich,  das  für  Sonnenuntergänge 
nöthig,  stellten  ihre  Staffelei  überall  auf,  wo  im  Bädeker  ein  Sternchen 


XXIV.  Die  Landschaftsmalerei  in  Deutschland 


277 


ist.  Und  bemerkten  an  diesen  schönen  Gegenden  alles,  was  mit 
Bädekers  Hülfe  zu  sehen.  Indem  sie  durch  haarscharf  treue  Wieder- 
gabe topographisch  lehrreicher  Punkte  das  Interesse  des  Touristen 
befriedigten , konnten  sie  am  ehesten  auf  den  Absatz  ihrer  Erzeug- 
nisse rechnen.  Zugleich  verrathen  ihre  Bilder,  dass  während  dieses 
Menschenalters  die  Historienmalerei  an  der  Spitze  des  ästhetischen 
Katechismus  thronte.  Das  Geschichtsbild  Hess  eine  Menschheit  auf- 
treten,  die  das  Bewusstsein  ihres  Exterieurs  mit  sich  herumtrug,  sich 
vor  dem  Spiegel  drapirte  und  jede  Bewegung,  jeden  Ausdruck  des 
Affectes  künstlich  einstudirte.  Das  Genre  folgte  und  gab  den  theatral- 
isch verdeutlichten,  nicht  den  in  seiner  Unbefangenheit  belauschten 
wahren  Gemüthsinhalt  des  Lebens.  So  mussten  auch  Bäume,  Berge 
und  Wolken  die  Unschuld  des  unbewussten  Daseins  ablegen,  in  das 
Kleid  der  Affectation  sich  hüllen.  Die  einfache  Wirklichkeit  in  ihrer 
stillen  feinen  Schönheit,  die  schlichte  »Stimmung«,  die  das  Spiel 
von  Licht  und  Luft  über  die  Formen  der  landschaftlichen  Natur 
ergiesst,  sie  konnte  einer  durch  das  Pathos  der  Historie  und  die 
Grimassen  der  Genremalerei  überreizten  Zeit  nichts  sagen.  Mächtigere 
Stimmungsreizmittel  waren  nöthig.  Auch  die  Landschafter  mussten 
die  Natur  da  suchen,  wo  sie  Theater  spielt  und  in  ihrer  lärmenden 
Herrlichkeit  aultritt,  sie  mussten  Brillantfeuerwerke  anzünden,  Sonne, 
Mond  und  Sterne  verpuffen,  um  nur  gehört  resp.  gesehen  zu  werden. 
Belehrung  oder  TheaterefFect,  die  Ziele  der  Historienmalerei  mussten 
auch  die  des  Landschafters  sein.  Und  da  Eisenbahnen  sehr  kosmo- 
politische Einrichtungen,  war  er  in  der  Lage,  beide  Forderungen 
prompt  zu  erfüllen.  Wie  die  Historienmaler  auf  der  Jagd  nach  auf- 
fallenden Stoffen  ihre  Blicke  nach  dem  fernsten  historischen  Horizonte 
richteten,  die  Genremaler  das  Publikum  vornehmlich  durch  Fremdes 
und  Seltsames,  durch  Italiener  und  Orientalen  zu  fesseln  suchten,  so 
sah  die  Landschaftsmalerei  ihr  höchstes  Ziel  in  der  möglichsten  Er- 
weiterung des  geographischen  Florizontes.  »Sind  diese  Leute  denn 
nirgends  geboren?«  meinte  Courbet,  als  er  auf  der  Münchener  Aus- 
stellung 1869  vor  den  deutschen  Landschaften  stand.  Das,  was  dem 
Nordländer  zuerst  in  fremden  Ländern  auffällt,  war  das  Thema  der 
meisten  Bilder.  Aber  wie  die  Historienmalerei,  indem  sie  alle  Haupt- 
und  Staatsactionen  vom  trojanischen  Krieg  bis  zur  französischen  Revo- 
lution illustrirte,  bald  einem  doctrinär  pädagogischen  Hang,  bald  thea- 
tralischem Pathos  verfiel,  so  wurde  die  Landschaftsmalerei  auf  ihren 
kosmopolitischen  Streifzügen  theils  zum  trockenen  Photogramm  be- 


278 


XXIV.  Die  Landschaftsmalerei  in  Deutschland 


rühmter  Gegenden,  das  nur  als  Reiseerinnerung  Berechtigung  hatte, 
theils  zum  aufgeputzten  Effectstück,  das  wie  alles  Aufdringliche  schnell 
seinen  Reiz  verlor.  Die  Bilder  der  ersten  Art,  die  ihre  Motive  haupt- 
sächlich der  durch  Formen wucht,  grandiose  Felsenmassen,  Glet- 
scher, Schncefcldcr  und  schroffe  Abhänge  imponirenden  Alpennatur 
entnahmen,  brauchten  nur  porträtähnlich  zu  sein,  dann  blieb  das 
Publicum,  geleitet  vom  Instinct  für  das  Grosse  und  Schöne  in  der 
Natur,  wohlgefällig  davor  stehen,  und  die  Alpenkenner  belehrten  die 
Laien,  der  tiefblaue  Schnee  des  Bildes  sei  keine  Uebcrtreibung  son- 
dern eine  richtig  aufgefasste  Erscheinung  der  Gebirgswelt.  Ueber  die 
geographische  Lage  ist  bei  allen  diesen  Veduten  kein  Zweifel  möglich, 
aber  man  hat  auch  selten  das  Bedürfniss,  nach  dem  Künstler  zu 
fragen.  Das  Interesse,  das  sie  erregen,  ist  lediglich  topographischer 
Art,  sonst  tragen  sie  den  Stempel  ordinärer  Prosa,  der  Trockenheit 
und  Reizlosigkeit,  die  sich  im  Gefolge  reiner  Objectivität  stets  ein- 
schleicht. Die  Werke  der  zweiten  Art,  die  exotische,  durch  die  Fremd- 
artigkeit ihrer  Lichtphänomene  oder  den  Glanz  und  die  Gluth  ihrer 
Farben  frappirende  Gegenden  schildern,  sind  in  der  Regel  wegen 
der  professionsmässig  betriebenen  Stimmungsmacherei  verstimmend. 
Die  alten  Meister  haben  Stimmung,  ohne  cs  zu  wollen,  da  sie  pietät- 
und  empfindungsvoll  der  Natur  sich  nahten.  Die  Neuen  wirken 
äusserlich,  da  sie  Stimmung  malten,  ohne  sie  zu  empfinden,  und 
so  wenig  die  Wahl  solcher  Stoffe  die  Kunst  ausschliesst,  so  wenig 
gesund  ist  es,  wenn  eine  derartige  Richtung  allgemein  herrscht.  Eine 
vornehme  Kunst  wird  nie  aus  Princip  nach  dem  Reiz  des  Entfernten 
und  Seltenen  suchen,  denn  sie  besitzt  die  Zaubergabe,  auch  das 
Nächstliegende  mit  dem  höchsten  Interesse  zu  erfüllen.  Zudem  sind 
solche  Effecte  ebenso  schwer  zu  fassen  wie  im  Historienbild  der 
Moment  der  höchsten  Erregung.  Delacroix  konnte  es  als  Historien 
maler,  Turner  als  Landschafter,  aber  Genien  wie  Delacroix  und 
Turner  werden  nicht  alle  Tage  geboren.  So  wie  diese  Phänomene 
damals  in  Deutschland  gemalt  wurden,  ward  durch  sie  nicht  »Stimm 
ung«,  sondern  lediglich  kalte  Neugier  erregt.  Fast  alle  Landschaften 
dieser  Jahre  wirken  stofflich:  unterhaltend,  überraschend,  belehrend, 
aber  die  Poesie  der  Natur  ist  noch  nicht  gehoben.  Sie  konnte  sich 
erst  enthüllen,  wenn  das  Uebcrgcwicht  des  Stoffintcresses  überwunden. 
Wie  die  Figurenmaler  es  verschmähen  mussten,  noch  durch  Ge- 
schichten und  Pointen  den  Beifall  des  für  Kunst  Unempfänglichen 
zu  erregen,  so  mussten  die  Landschafter  aufhören,  durch  Vorführung 


XXIV.  Die  Landschaftsmalerei  in  Deutschland 


279 


der  Touristennatur  Geographieunterricht  zu  ertheilen  und  durch 
falsche  Stimmung  für  sich  Stimmung  zu  machen.  Erst  mit  der  Ab- 
wendung vom  rein  gegenständlichen  Interesse  des  Motivs  und  dem 
Hindrängen  auf  die  Schilderung  der  heimischen  Natur  in  den  in- 
timen Reizen  der  Licht-  und  Luftstimmung  konnte  die  nothwendige 
künstlerische  Vertiefung  Hand  in  Hand  gehen.  Auf  die  Erweiterung 
des  Stoffgebietes  musste  die  Verfeinerung  des  Geschmackes  folgen, 
und  diese  Anregung  auf  den  Weg  zurückzukehren,  den  Dahl  und 
Morgenstern  und  Gurlitt  bahnten:  mit  reicheren,  complicirteren  Aus- 
drucksmitteln die  schlichte,  rührend  zärtliche  Beobachtung  jener 
Aeltern  zu  vereinen  — sie  ward  der  nächsten  Generation  von  Frank- 
reich aus  gegeben,  wo  in  denselben  Jahren,  als  die  deutsche  Land- 
schaftsmalerei mit  der  Freude  des  Entdeckers  die  Welt  durchzog,  als 
vornehmstes  und  zartestes  Kind  des  Jahrhunderts  der  Paysage  intime 
heranwuchs. 


Sx© 


XXV. 

Die  Anfänge  des  Paysage  intime. 

WIE  es  kam,  dass  die  Geheimnisse  des  paysage  intime,  wahr- 
lich nicht  zufällig,  unserm  Jahrhundert  Vorbehalten  waren, 
das  kann  in  einem  farbigen  Bilde  erst  ausgemalt  werden, 
wenn  Jemand  — das  zeitgemässeste  Buch  der  Kunstliteratur  — eine 
Specialgeschichte  der  Landschaftsmalerei  schreibt.  Wereschagin  hat 
einmal  den  Satz  ausgesprochen,  dass  auf  dem  Gebiete  der  Landschaft 
gegenüber  den  Leistungen  der  modernen  Kunst  die  Werke  der  alten 
Meister  wie  Schülervorarbeiten  erscheinen : — gewiss  ist,  dass  das 
19.  Jahrhundert,  wenn  es  den  Alten  in  Allem  nachsteht,  wenigstens 
in  der  Landschaft  ihnen  Ebenbürtiges  zur  Seite  stellen  darf.  Erst 
das  Grossstadtleben  konnte  diese  leidenschaftlich  gesteigerte  Natur- 
liebe erzeugen.  Erst  im  Jahrhundert  der  Stubenluft  und  Uebcr- 
völkerung,  der  Nervosität  und  Feriencolonien  konnte  sich  die  Land- 
schaftsmalerei zu  dieser  Fülle,  Reinheit  und  Weihe  erheben.  Erst 
unsere  Zeit  des  Hastens  und  der  Arbeit  machte  ein  Verhältniss  der 
Menschenseele  zur  Natur  möglich,  das  wirklich  etwas  von  dem  hat, 
was  der  Erdgeist  Fausten  gewährte:  »in  ihre  Brust  wie  in  den  Busen 
eines  Freunds  zu  schauen«. 

Auch  in  Frankreich  war  die  Strömung,  die  sich  seit  dem 
18.  Jahrhundert  in  stets  höher  steigenden  Wellen  ankündigte,  durch 
den  Classicismus  für  kurze  Zeit  jäh  unterbrochen  worden.  Von  den 
vorrevolutionären  Landschaftern  lebte  nur  Hubert  Robert  in  die  neue 
Zeit  herüber.  Man  verzieh  ihm  seine  Naturdetails  und  seinen  Rococo- 
beigeschmack  zu  Gunsten  der  classischen  Ruinen.  Von  den  Neuen 
fand  zunächst  keiner  Veranlassung,  das  Gebiet  zu  betreten.  Ein  asket- 
isch gewordenes  Geschlecht,  das  nur  von  rauher  Männertugend  in 
den  plastisch  geläuterten  Formen  des  menschlichen  Körpers  träumte, 
hatte  für  die  Reize  der  Landschaft  den  Sinn  verloren.  Und  als  nach 
mehreren  Jahren  wieder  die  ersten  Landschaften  auftauchten,  waren 
es  wie  in  Deutschland  jene  feierlichen  Tragödiencoulissen,  jene  ab- 


XXV.  Die  Anfänge  des  Paysage  intime 


281 


Hubert  Robert:  Ruinen  und  Monumente. 

stracten  »edlen«  Gegenden,  wie  sie  angeblich  Poussin  malte.  Nur 
hielt  bei  Poussin  trotz  alles  Stilisirens  noch  ein  grosses  Naturgefühl 
den  conventionellen  Aufbau  zusammen,  während  in  den  Werken  der 
neuen,  da  sie  aus  zweiter  Hand  schöpften,  blos  kalte  Rhetorik  und 
steriler  Formalismus  herrscht.  Der  einmal  aus  der  Antike  genommene 
Typus  des  Schönen  wurde  wie  in  den  Menschenleib  und  Kleider- 
wurf, auch  in  Garten  und  Wald  mühsam  hineinstilisirt.  Ein  Prix  de 
Rome  für  historische  Landschaften  ward  begründet. 

Henri  Valenciennes  war  der  Lenötre  dieses  Classicismus,  der  be- 
wunderte Lehrmeister  mehrerer  Generationen.  Der  angehende  Land- 
schafter bildete  sich  bei  ihm,  wie  der  Figurenmaler  bei  Guerin.  Sein 
»Traite  elementaire  de  perspective  pratique«,  worin  er  die  Principien 
der  Landschaft  formulirte,  enthält  sowohl  seine  persönlichen  An- 
schauungen, wie  die  Aesthetik  des  Zeitalters.  Obwohl  er,  wie  er 
vorausschickt,  ȟberzeugt  ist,  dass  es  in  Wahrheit  nur  eine  Malerei, 
die  Geschichtsmalerei,  gibt,  so  darf  ein  tüchtiger  Historienmaler 
doch  die  Landschaft  nicht  ganz  vernachlässigen«.  Rembrandt  freilich 
und  die  alten  Holländer  waren  ohne  jedes  Ideal  und  haben  nur  für 
Leute  ohne  Geist  und  Seele  gearbeitet.  Wie  tief  steht  eine  Landschaft 


282 


XXV.  Die  Anfänge  des  Paysage  intime 


mit  Kühen  und  Hammeln  unter  einer  solchen  mit  dem  Begriibniss 
des  Phocion,  ein  Regentag  von  Ruysdael  unter  einer  Sündfluth  von 
Poussin.  Kaum  Claude  Lorrain  findet  Gnade  vor  Valenciennes’ 
Augen.  »Er  hat  mit  hübscher  Naturwahrheit  das  Licht  des  Morgens 
und  Abends  gemalt.  Gerade  deshalb  aber  sprechen  seine  Bilder 
nicht  zum  Geiste.  Kein  Baum  bei  ihm,  wo  eine  Dryas  wohnen,  kein 
Quell,  in  dem  Najaden  plätschern  könnten.  Die  Götter,  Halbgötter, 
Nymphen,  Satyrn,  selbst  die  Heroen  sind  für  diese  Gegenden  zu  er- 
haben, höchstens  Hirten  können  darin  hausen«.  Claude  lebte  zwar  in 
Italien,  hat  aber  die  alten  Schriftsteller  zu  wenig  gekannt,  die  doch 
die  Basis  für  den  Landschafter  bilden.  Wie  David  seinem  Schüler 
Gros  sagte:  »Durchblättern  Sie  ihren  Plutarch«,  so  rieth  Valenciennes 
den  seinen:  Theokrit,  Virgil  und  Ovid  zu  studiren,  nur  durch  diese 
Autoren  sei  zu  erfahren,  wie  die  für  Götter  und  Helden  passenden 
Gegenden  sein  müssten. 

Vos  exemplaria  graeca 

Nocturna  versate  manu,  versate  diurna. 

Will  der  Landschafter  z.  B.  den  Morgen  malen,  so  schildere  er  den 
Moment,  wie  die  lachende  Aurora  sich  aus  den  Armen  ihres  alten 
Gatten  erhebt,  die  Horen  vier  feurige  Rosse  an  den  Wagen  des 
Sonnengottes  schirren,  oder  Ulysses  flehend  vor  Nausikaa  kniet.  Für 
den  Mittag  wäre  die  Ikarus-  oder  Phaetonmythe  zu  verwenden.  Den 
Abend  kann  er  darstellen,  indem  er  Phoebus  malt,  wie  er  dem  Hori- 
zonte nahend  seinen  Lauf  beschleunigt,  in  feurigem  Verlangen,  sich 
in  die  Arme  der  Thetis  zu  werfen.  Um  das  Bild  auszuführen, 
nachdem  er  bei  alten  Dichtern  die  Stoffe  geholt,  muss  der  Land- 
schafter die  Regeln  der  Perspective  kennen,  mit  den  Compositions- 
gesetzen  Poussins  vertraut  sein,  sogar  zuweilen  die  Natur  betrachten. 
Denn  er  braucht  eine  Trauerweide  für  eine  Elegie,  einen  Felsen 
für  den  Tod  Phaetons,  eine  Eiche  für  den  Tanz  der  Nymphen. 
Solche  »Motive«  zu  finden,  mache  er  Reisen  in  die  berühmten  alten 
Culturländer,  am  besten  auf  dem  Wege,  den  die  Kunst  selbst  gegangen, 
erst  nach  Kleinasien,  dann  nach  Griechenland,  dann  nach  Italien. 

Aus  dieser  Aesthetik  gingen  Victor  Bertin  und  Xavier  Bidault 
hervor,  an  denen  die  Zeitgenossen  »den  Reichthum  der  Composition 
und  die  prächtige  Auswahl  der  Baulichkeiten«  bewunderten.  Ihre 
schematischen  Versatzstücke  von  Wogen,  Thälern  und  Tempeln 
verhalten  sich  zur  Natur,  wie-  zur  Philosophie  die  Sprachmaschine 


XXV.  Die  Anfänge  des  Paysage  intime 


283 


des  Raimundus  Lullus.  Die 
scholastische  Schule  der 
Landschaftsmalerei  trium- 
phirte,  eine  Schule,  die  sich 
mit  hohlen  Formeln  nährte 
und  deshalb  an  Blutlosigkeit 
starb.  Bidault  namentlich, 
der  in  seiner  Jugend  noch 
sehr  gute  Studien  machte, 
ist  mit  seinen  getüpfelten 
Blättchen,  polirten  Baum- 
stämmchen  und  grauen  Him- 
meln, die  bald  wie  Blech, 
bald  wie  Wasser  aussehen, 
der  Inbegriff  eines  langweil- 
igen Classicismus  — derselbe 
Bidault,  der  jahrelang  als 
Jurypräsident  die  Landschaf- 
ten Theodore  Rousseaus  vom 
Salon  zurückwies.  Nur  die 
Gestalt  des  jungverstorbenen 
Michallon  lebt  aus  der  Gruppe 
noch  fort.  Auch  er  gehört 
durch  die  Kälte,  Magerkeit 
und  Correctheit  seines  Stils  zur  Schule  Valenciennes , unterscheidet 
sich  aber  von  den  Andern  dadurch,  dass  er  in  der  Zeichnung  der 
Pflanzen  eine  gewisse  Naturwahrheit  anstrebte,  die  damals  als  kühne 
Neuerung  galt.  Er  malte  nicht  die  »Pflanze  an  sich«,  sondern  Kletten, 
Disteln,  Löwenzahn,  Alles  in  seiner  Art,  und  erwarb  sich  durch 
diese  botanische  Genauigkeit  im  Beginne  des  Jahrhunderts  einen 
schwer  verständlichen  Ruhm.  Durch  Jules  Coignet  und  Watelet 
öffneten  sich  die  Thore  der  Schule  noch  ein  wenig  mehr  der  Wirk- 
lichkeit. Nachdem  sie  lange  Zeit  ihre  classischen  Thäler  mit  blut- 
losen tanzenden  Nymphen  und  göttlichen  Statisten  bevölkert,  ver- 
liesscn  sie  die  historische  zu  Gunsten  der  pittoresken  Landschaft  und 
»wagten«  Veduten  aus  der  Umgegend  von  Paris,  Burgen  und  Wind- 
mühlen darzustellen.  Doch  da  sie  an  den  Compositionsprincipien 
des  Classicismus  auch  hierbei  festhielten , spiegelt  sich  nur  eine  ge- 
bürstete, gekämmte,  zugestutzte  und  in  Regeln  gezwungene  Natur 


Victor  Hugo:  Ruinen  einer  mittelalterlichen 
Burg  am  Rhein. 


284 


XXV.  Die  Anfänge  des  Paysage  intime 


in  ihrer  dünnen  Malerei  wieder.  Noch  1822,  als  Delacroix  seine 
Dantebarke  ausstellte,  leuchtete  der  schreckliche  Watelet  in  seinem 
vollen  Glanz.  Unter  seinen  Bildern  war  eine  Ansicht  von  Bar-sur- 
Seine,  die  der  Catalog  treffend  nicht  als  einfache  »Vue«,  sondern 
als  »Vue  ajustee«  verzeichnete.  Watelet  war  bis  zum  letzten  Athem- 
zug  überzeugt,  die  Natur  verstehe  ihr  Handwerk  nicht  und  hätte 
immer  einen  Maler  nöthig,  der  sie  corrigire  und  durchsehe. 

Neben  dieser  Gruppe,  die  französische  Gegenden  zu  classischen 
Landschaften  zustutzte,  war  unterdessen  eine  andere  aufgetaucht, 
die  den  umgekehrten  Weg  beschritt.  Ihr  höchstes  Ziel  war,  nach 
dem  heiligen  Italien , dem  classischen  Land  zu  pilgern , das  ihre 
literarische  Erziehung  und  einseitige  Aesthetik  noch  immer  schöner 
und  verehrungswürdiger  als  jedes  andere  fand.  Aber  sie  versuchten 
mit  den  willkürlichen  Compositionsregeln  Valenciennes’  zu  brechen 
und  wahrheitsgetreu  die  grossen  Linien  der  italienischen  Natur  zu 
erfassen.  Indem  sie  von  Valenciennes  zu  Claude  zurückgingen, 
strebten  sie,  einem  an  sich  berechtigten  Landschaftsstil,  den  die 
classicistische  Schule  compromittirt  hatte,  neues  Leben  einzuflössen. 
Ihr  Auftreten  erschien  den  strenggläubigen  Schülern  Valenciennes’ 
sehr  ketzerisch,  man  taufte  sie  Gothiker,  das  heisst  Romantiker,  und 
die  Namen  Theodore  Alignys  und  Edouard  Bertins  wurden  Jahre 
lang  in  den  Kritiken  neben  demjenigen  Corots  genannt.  Sie  brachten, 
besonders  Bertin,  hübsche  Zeichnungen  aus  Griechenland,  Italien, 
Aegypten,  Palästina  und  Syrien  heim.  Aligny  ist  sogar  als  Maler 
nicht  unbedeutend.  Er  suchte  die  Weite  des  Horizonts  und  die  Ein- 
fachheit der  Linien  eifriger  als  es  die  traditionelle  Schule  gethan. 
Er  ist  ein  düsteres,  herbes,  ernstes  Talent,  und  seine  Bilder  würden 
in  ihrem  feierlichen  Rhythmus  noch  mehr  wirken,  wäre  nicht  die 
Farbe  so  trocken  und  statt  der  vibrirenden  Atmosphäre  ein  be- 
wegungsloses, monotones  Licht  gleichmässig  über  Alles  verbreitet. 
Alexandre  Desgoffe,  Paul  Flandrin,  Benouville,  Bellel  und  Andere 
schöpften  mit  gleicher  Ueberzeugung  und  verschiedenem  Talent  aus 
den  nämlichen  Quellen.  Paul  Flandrin  namentlich  war  in  seiner 
Jugend  ein  guter  Maler  im  Sinne  von  1690.  Seine  Composition  ist 
edel,  die  Mache  sicher,  an  Poussin  erinnernd.  Ingres,  sein  Meister, 
sagte  von  ihm:  »Wenn  ich  nicht  Ingres  wäre,  möchte  ich  Flandrin 
sein«.  Erst  später  hat  sich  der  sonderbare  Reiz  Claude  Lorrains  und 
die  römische  Grösse  Poussins  unter  Flandrins  Pinsel  in  todtes  Still- 
leben, in  Landschaften  aus  Carton  und  Watte  verwandelt. 


XXV.  Die  Anfänge  des  Paysage  intime 


285 


Georges  Michel:  Windmühle. 


Nicht  von  hier  konnte  das  Heil  der  blutlos  gewordenen  Schule 
kommen,  aus  französischem  Boden  selbst  musste  die  französische 
Landschaft  neue  Lebenskraft  saugen.  Sie  war  gerettet,  sobald  die 
Reize  der  Heimath  ihrem  Auge  sich  öffneten,  und  der  Romantismus 
brachte  diese  Offenbarung.  In  den  Salonberichten  seit  1822  wieder- 
holen sich  immer  heftiger  die  Klagen  der  Kritiker,  dass  statt  schönen 
Gegenden  von  edlem  Charakter  und  monumentalen  Linien  nur 
»verpestete  Seen,  wüste  Einöden  und  grässliche  Felsen«  noch  gemalt 
würden.  Das  heisst  im  Sinne  des  Classicismus : die  französische 
Landschaftsmalerei  hatte  festen  Boden  gefasst  in  Frankreich.  Der 
Tag,  als  von  den  jungen  Romantikern  Racine  für  einen  Phrasen- 
macher erklärt  wurde,  machte  sammt  der  ganzen  Davidschule  auch 
der  classicistischen  Landschaft  ein  Ende.  Sie  fiel  in  Vergessenheit, 
wie  früher  oder  später  jede  Kunstrichtung,  die  nicht  auf  der  Natur 
und  der  Persönlichkeit  des  Künstlers  ruht.  Die  jungen  Stürmer 
glaubten  nicht  mehr,  dass  Zusammenhang  mit  mythologischen  Stoffen 


286 


XXV.  Die  Anfänge  des  Paysage  intime 


und  »monumentale  Anordnung«  die  Luft  und  das  Licht  ersetze.  Sie 
waren  müde  der  pomphaften,  leer  weitschweifigen  Decorationen. 
Sie  dachten  nur  an  die  Natur,  und  die,  in  der  sie  lebten,  schien 
um  so  weniger  der  Reize  zu  entbehren,  je  mehr  Italien,  als  Heimath- 
land  all  dieser  unangenehmen,  hässlichen,  akademischen  Bilder  ver- 
dächtig ward.  Das  war  die  Geburtsstunde  der  französischen  Land- 
schaft. Zur  selben  Zeit,  als  Delacroix  das  Repertoire  der  grossen 
Malerei  erneuerte,  um  eine  Welt  unedirter  Empfindungen  die  Kunst  be- 
reicherte, ging  eine  Parallelbewegung  in  der  Landschaft  vor  sich.  Die 
Dantebarke  ist  von  1822,  das  Massacre  von  1824.  Fast  zu  derselben 
Stunde  fuhr  ein  Sturmwind  durch  die  Aeste  der  alten  französischen 
Eichen  und  beugte  rauschend  das  Getreide  nieder,  mit  Wolken  um- 
zog sich  der  Himmel,  die  Gewässer,  so  lange  versteinert,  wurden 
wieder  Flüssigkeit  und  flössen  murmelnd  über  ihr  schlammiges  Bett. 
Die  kleinen  Papiertempel,  die  sich  auf  classischen  Hügeln  erhoben, 
stürzten  zusammen  und  niedrige  Bauernhäuser  erhoben  sich,  aus 
deren  Schlot  der  Rauch  zitternd  zum  Himmel  stieg.  Die  Natur 
erwacht  aus  dem  Winterschlaf,  der  Frühling  der  modernen  Land- 
schaftsmalerei bricht  an  mit  ihrer  Melancholie  und  ihrem  Lächeln. 

Darin  unterscheidet  sich  die  Entwicklung  der  französischen 
Kunst  von  der  deutschen.  Die  deutsche  hatte,  nachdem  sie  unter 
Poussins  Einfluss  gestanden,  lange  eine  bedenkliche  Vorliebe  für 
seelenlose  Scenerie,  die  sogenannte  schöne  Aussicht  und  drang 
weit  später  in  das  Seelenleben  der  heimischen  Natur  ein.  Den 
Franzosen  hat  es  sich  schon  in  den  zwanziger  Jahren  erschlossen. 
Sie  machten  die  Periode  der  exotischen  Naturschwärmerei  nur  auf 
dem  Gebiete  der  Dichtkunst  — und  auch  da  nicht  in  dem  Masse 
wie  Deutschland  durch.  Nur  in  Chateaubriands  Atala  kommen 
pomphaft  malerische,  keineswegs  innige  Schilderungen  exotischer 
Landschaften  vor.  Hauptsächlich  die  Urwälder  Nordamerikas  bieten 
Stoff  zu  herrlichen  Bildern,  die  er  in  hochtönender,  schwungvoller 
Prosa  beschreibt.  Fine  mächtige,  prunkvolle  Natur  dient  als  Scenerie 
für  die  Dramen  des  menschlichen  Lebens.  Schon  mit  Lamartine 
vollzog  sich  der  Umschwung.  Er  ist  unter  den  Dichtern  Frankreichs 
der  erste,  der  die  Landschaft  mit  inniger  Empfindung  erfasst  und 
mit  seiner  Seelenstimmung  in  Einklang  bringt.  Seine  Poesie  war 
durchwärmt  und  verklärt  von  der  Liebe  zu  seiner  Heimath,  zu  seiner 
Provinz,  zu  Südburgund.  Auch  auf  dem  Gebiete  der  Kunst  war 
ein  Dichter  der  erste  Anreger. 


XXV.  Die  Anfänge  des  Paysage  intime 


De  la  Berge:  Landschaft. 


Victor  Hugo,  der  literarische  Vater  des  Romantismus,  darf  in 
der  Geschichte  der  Landschaftsmalerei  nicht  übergangen  werden.  Seit- 
dem 1891  in  Paris  jene  merkwürdige  Ausstellung  malender  Dichter 
stattfand,  in  der  Theophile  Gautier,  Prosper  Merimde,  die  beiden 
Goncourt  u.  A.  mit  mehr  oder  weniger  bedeutenden  Arbeiten  auf- 
traten, erfuhr  die  Welt,  was  für  ein  genialer  Zeichner,  welch  ge- 
waltiger Dramatiker  der  Landschaft  dieser  grosse  Romantiker  war. 
Auch  in  den  Naturerinnerungen,  die  er  mit  rapider  Hand  geistreich 
und  farbig  auf  den  Rand  seiner  Manuscripte  zeichnete,  tobt  die  Feuer- 
gluth  des  Romantismus.  In  gespenstischem  Licht  und  schwarzen 
Schatten  tauchen  die  Dinge  auf,  von  denen  er  im  Texte  spricht : 
alte  von  Rauchwolken  oder  blendendem  Feuerschein  umzogene 
Burgen,  Mondaufgänge,  die  den  Bäumen  geisterhafte  Silhouetten 
geben,  sturmgepeitschte  Wogen,  die  spritzend  über  Barken  zu- 
sammenschlagen, schwarze  Seen,  dunkle  unheimliche  Ufer,  feenhafte 
Paläste,  stolze  Citadellen  und  märchenhafte  Kathedralen.  Sobald 
einmal  dem  Louvre  eines  der  durchgearbeiteten  Blätter  vermacht 
wird,  ist  Hugo  sicher,  auch  in  der  Kunstgeschichte  einen  Platz  unter 
den  Vorkämpfern  des  Romantismus  zu  erhalten. 


288 


XXV.  Die  Anfänge  des  Paysage  intime 


Unter  den  Malern  war  die  Bewegung  so  allgemein,  dass  es 
heute  schwer  ist,  noch  die  Rolle  zu  erkennen,  die  jeder  Einzelne 
in  dem  grossen  Drama  spielte.  Das  gilt  besonders  von  dem  lange 
verkannten  Genie  Georges  Michels,  eines  Malers,  der  erst  durch  die 
Weltausstellung  1889  in  weiteren  Kreisen  bekannt  wurde,  nachdem 
er  es  in  den  engeren  der  Amateurs  ebenfalls  erst  seit  seinem  Tode 
18.43  gewesen.  Damals  hatte  ein  Kunsthändler  auf  einer  Auction  den 
Nachlass  eines  halbverhungerten  Malers  gekauft,  Bilder  ohne  Signatur, 
nur  daran  kenntlich,  dass  sie  sämmtlich  Motive  aus  der  Umgegend 
von  Paris  behandelten.  Ein  grosser  weiter  Horizont,  ein  Erdhügel, 
eine  Windmühle,  ein  wolkiger  Himmel  — All  das  liess  einen  von 
den  Holländern  erzogenen  Künstler  vermuthen.  Die  Neugierde  wurde 
rege,  man  forschte  und  fand,  dass  der  Maler  Georges  Michel  liiess 
und  1763  geboren  war,  dass  er  mit  12  Jahren  um  zu  zeichnen  die 
Schule  schwänzte,  mit  1 5 eine  Wäscherin  entführte,  mit  20  schon 
5 Kinder  hatte,  mit  65  sich  von  Neuem  verheirathete  und  bis  zu 
seinem  80.  Jahre  fleissig  gearbeitet  hätte.  Aeltere  erinnerten  sich 
sogar,  schon  früher  Arbeiten  von  ihm  im  Salon  gesehen  zu  haben. 
Man  hörte,  dass  Michel  gleich  nach  der  Revolution  viel  producirt 
hätte,  aber  sehr  langweilige  porzellanerne  Bilder,  die,  in  nichts  von 
denen  der  andern  Classicisten  verschieden,  von  Demarne  und  Swebach 
mit  Figuren  staffirt  wurden.  Erst  seit  1814  war  er  aus  dem  Salon 
verschwunden,  nicht,  wie  sich  jetzt  herausstellte,  weil  er  keine 
Bilder  mehr  auszustellen  hatte,  sondern  weil  man  ihn  als  Revo- 
lutionär zurückwies.  Michel  war  während  seiner  späteren  Jahre  das 
Verschiedenste,  namentlich  Bilderrestaurator  gewesen.  In  diesem 
Beruf  gingen  viele  holländische  Landschaften  durch  seine  Hände 
und  brachten  ihn  auf  den  sehr  unzeitgemässen  Gedanken,  sich 
die  Natur  mehr  in  der  Nähe  anzusehen,  als  er  es  in  seiner  Jugend 
gethan  — nicht  in  Italien,  sondern  im  Umkreis  der  Stadt.  Wäh- 
rend Valenciennes  und  seine  Schüler  so  viel  Umstände  machten, 
nur  das  nicht  zu  malen,  was  sie  unter  den  Augen  hatten,  blieb 
Georges  Michel  im  Lande  und  kam  als  der  Erste  auf  die  Idee, 
sich  nicht  über  die  Natur,  sondern  mitten  hinein  zu  stellen,  nicht 
arrangirend  mehr,  sondern  schlicht  abmalend  ihr  zu  nahen.  Sprach 
man  von  Reisen  nach  Italien,  so  antwortete  er:  »Wem  nicht  ein 
Umkreis  von  vier  Meilen  genügt,  sein  ganzes  Leben  lang  darauf  zu 
malen,  der  ist  wahrlich  kein  Künstler.  Sind  die  Holländer  jemals 
von  einem  Ort  zum  andern  gelaufen?  und  doch  sind  sie  gute  Maler, 


XXV.  Du:  Anfänge  des  Paysage  intime 


289 


L.  Cabat:  Le  Jardin  Beaujon. 

die  tüchtigsten,  kühnsten,  idealsten  Maler.«  Jeden  Tag  machte  er 
im  Weichbild  von  Paris  eine  Studie,  ohne  Ahnung,  dass  er  heute 
unter  den  Vorläufern  zählen  werde.  Mit  Alphonse  Karr,  Gerard 
de  Nerwal  und  Monselet  theilt  er  sich  in  den  Ruhm  der  Entdeckung 
des  Montmartre.  Man  fand  nach  seinem  Tode  solche  Studien  bei 
allen  Trödlern  der  nördlichen  Boulevards,  immer  ohne  Rahmen,  da 
sie  der  Umrahmung  nicht  werth  schienen,  und  kaufte  sie,  wenn  sie 
sehr  theuer  waren,  zu  40  fr.  Die  Amateurs  fanden  Geschmack  an 
diesen  grossen  Horizonten,  stürmischen  Himmeln  und  geistreich 
skizzirten  Meeresufern.  Denn  trotz  seiner  Armuth  hatte  Michel  zu- 
weilen den  Montmartre  verlassen  und  die  Normandie  aufsuchen 
können.  Anfangs  ganz  ängstlich,  so  lange  er  mit  Swebach  und 
Demarne  arbeitete,  war  er  allmählich  breit  und  kühn  geworden  und 
wendete  alle  Mittel  an,  seinen  Empfindungen  Ausdruck  zu  geben. 
Er  war  ein  I räumer,  der  in  seine  Studien  eine  Einheit  der  Beleucht- 
ung und  zuweilen  Sonnenblitze  brachte,  über  die  Albert  Cuyp  sich 
gefreut  hätte.  Ein  echter  Abkömmling  der  alten  Holländer,  nicht  der 
spitzpinseligen,  sondern  der  breiten,  grossen,  erstrebte  er  schon  l’ex- 
pression  par  l’ensemble«  und  wird  seit  der  Pariser  Weltausstellung 
mit  Recht  als  Vorläufer  Theodore  Rousseaus  gefeiert.  Seine  Bilder 
erhielten,  wie  es  scheint,  früh  Eingang  in  verschiedene  Ateliers 
und  gaben  dort  mancherlei  zu  denken.  Aber  da  er  sie  seit  1814 

Muther,  Moderne  Malerei  II.  » 


290 


XXV.  Die  Anfänge  des  Paysage  intime 


nicht  mehr  datirte,  ist  es  trotz- 
dem schwer,  Näheres  über  den  ge- 
heimen Einfluss  festzustellen,  den 
dieser  »Ruysdael  des  Montmartre« 
auf  die  Jüngeren  übte. 

Einer  nach  dem  andern  fing 
an,  die  italienische  Reise  für  etwas 
Unnöthiges  zu  erklären.  Als  Ein- 
siedler vergruben  sie  sich  in  die 
Dörfer  um  die  Hauptstadt.  Das  well- 
ige, wähl-  und  wasserreiche  Stück 
Land,  das  an  die  Höhen  von  Saint- 
Cloud  und  Ville  d’Avray  grenzt, 
ist  die  Wiege  der  französischen 
Landschaft.  Auf  den  verschieden- 
sten Wegen  gingen  sie  vor,  die  Na- 
tur zu  erfassen:  indem  sie  scrupu- 
lös  und  exakt  Alles  aufzeichneten, 
was  das  forschende  Auge  bemerkt,  oder  ihr  eigenes  Gefühlsleben  mit 
den  Stimmungen  der  Natur  verschmolzen. 

Der  merkwürdige  Charles  de  la  Berge  muthet  wie  ein  Vorläufer 
des  englischen  Praeraphaelitenthums  an.  Er  erklärte,  das  Ideal  be- 
stehe darin,  Alles  nach  der  Natur  zu  malen  und  nichts  zu  über- 
sehen, die  Zeichnung  bis  in’s  Minutiöseste  zu  treiben  und  doch  dem 
Bilde  den  Eindruck  der  Einheit  und  Harmonie  zu  wahren.  Ebenso 
leicht  gesagt,  wie  schwer  durchgeführt.  Sein  kurzes  Leben  verlief 
in  diesem  Kampf.  Seine  Bilder  sind  Wunder  der  Ausdauer  — man 
braucht  nur  den  »Sonnenuntergang«  im  Louvre  von  1839  zu  kennen. 
Es  ist  rührend,  wie  dieser  leidenschaftliche  Arbeiter,  noch  als  er  auf 
dem  Todtenbette  lag,  sich  Aeste  und  Baumrinde  in  sein  Zimmer 
bringen  Hess,  um  mit  dem  Eifer  des  Naturforschers  alle  Yerfaserungen 
und  Verwachsungen  des  Holzes  zu  studiren.  Die  Bestrebungen  De 
la  Berges  haben  etwas  von  der  religiösen  Devotion,  mit  der  Jan  van 
Eyck  oder  Altdorfer  in  die  Natur  schauten.  Aber  er  starb  zu  jung, 
um  ein  Resultat  zu  erzielen.  Er  copirte  mit  äusserster  Sorge  die 
kleinsten  Partikelchen  der  Dinge,  strebte  eine  mathematische  Prae- 
cision  in  der  Wiedergabe  auch  des  kleinsten  an  und  neutralisirte 
durch  solch  spitzpinselige  Detailarbeit  seine  sonst  sehr  ernsten  colo- 
ristischen  Qualitäten. 


Paul  Huel:  Die  Ueberschwemmutig  von  Sainl-Cloud. 

Camille  Roqueplan,  der  vielseitige  Schüler  von  Gros,  der  1822 
als  Landschafter  zuerst  mit  einem  Sonnenuntergang  auftrat,  setzte 
der  ewigen  Windmühle  Watelets  mit  ihrem  blechernen  Wasser  und 
ihrer  dürftigen  Landschaft  die  echte  Windmühle  der  alten  Holländer 
entgegen.  Eine  grüne,  von  Canälen  durchschnittene  Ebene  dehnt 
sich  ringsum  aus,  ein  grauer,  frischer,  leuchtender  Himmel  wölbt 
sich  darüber.  Camille  Flers,  der  unerschrockene  Reisende,  der  vor 
seinem  Malerdebut  in  Brasilien  Schauspieler  und  Ballettänzer  ge- 
wesen, schilderte  die  fetten  Triften  der  Normandie  — wahr,  doch 
furchtsam  gegenüber  der  grossen  Natur. 

Louis  Cabat,  sein  Schüler,  wurde  wegen  seines  festen,  harmon- 
ischen Stils  von  den  Jungen  mit  besonderem  Enthusiasmus  begrüsst. 
Seine  Bilder  zeigten,  dass  er  die  grossen  Holländer  eifrig  studirt 
hatte,  dass  er  stolz  darauf  war,  gleich  ihnen  den  Pinsel  zu  führen, 
möglichst  alles  zu  sagen,  ohne  den  bildmässigen  Anblick  zu  schädigen. 
Er  berührte  sich  vielfach  mit  Charles  de  la  Berge.  Später  fühlte  er 
den  Muth,  sogar  Italien  mit  frischen  Augen  zu  betrachten  und  dort 
naiv  seine  Eindrücke  wiederzugeben,  ohne  Rücksicht  auf  die  Theo- 
rien und  Regeln  der  Classicisten.  Doch  das  Wagniss  war  zu  gross 
gewesen.  Er  wurde  wieder  ein  Freund  der  feierlichen  Landschaft, 


19 


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XXV.  Die  Anfänge  des  Paysage  intime 


ein  Anhänger  Poussins,  als  der  er  uns  Jüngeren  fast  ausschliess- 
lich bekannt  ist. 

Ganz  Romantiker  war  Paul  Huet.  Bei  De  la  Berge  die  denkbar 
grösste  Objektivität,  bei  Huet  Pathos.  Sein  Herz  sagte  ihm,  dass  die 
Stunde  gekommen  sei,  Leidenschaft  sprechen  zu  lassen;  er  wollte 
die  Energie  der  Natur,  die  Intensität  ihres  Lebens  mit  der  ganzen 
Macht  rauschenden  Colorits  ausdrücken.  Es  ist  in  seinen  Bildern 
etwas  von  Byronischer  Poesie : die  Conception  reich  und  mächtig, 
das  Farbenconcert  leidenschaftlich  dramatisch.  In  jeder  seiner  Land- 
schaften athmet  die  menschliche  Seele  mit  ihrer  Unruhe,  ihrer 
Hoffnungslosigkeit,  ihren  Zweifeln  Huet  war  das  Kind  einer  Epoche, 
die  in  schroffstem  Contrast  bald  himmelhoch  jauchzte,  bald  zu  Tode 
betrübt  war,  und  hat  diese  Stimmung  des  Zeitalters  mit  einer  Frei- 
heit und  Macht  verkündet,  als  es  überhaupt  möglich  ist,  wenn 
als  Ausdrucksmittel  Land  nur  und  Himmel,  Wolken  und  Bäume 
dienen.  Wie  der  ganze  Romantismus  haben  die  meisten  seiner 
Werke  einen  ernsten,  pathetischen,  düstern  Charakter,  nichts  von 
dem  feierlich  Pomphaften,  das  den  classischen  Landschaften  eigen. 
Er  schwärmt  für  brausende  Stürme  und  überschäumende  Gewässer, 
für  blitzdurchzuckte  Wolken  und  des  Menschen  Kampf  mit  tosenden 
Elementen.  In  dem  Streben,  möglichst  viel  zu  sagen,  setzte  er  seine 
Bilder  oft  zu  theatralisch  in  Scene.  In  der  Ansicht  von  Rouen 
1833.  einem  seiner  Hauptwerke,  geht  die  Breite  der  Ausführung 
fast  ins  Leere,  Panoramahafte  über.  Huet  pflegte  viel  Dinge  in 
seinen  Landschaften  anzuhäufen;  er  liebte  die  ausdrucksvolle  Land- 
schaft, in  dem  Sinne  wie  damals  die  ausdrucksvollen  Köpfe  be- 
liebt waren.  Diese  Einseitigkeit  verhinderte  seinen  Erfolg.  Als  er 
in  den  20  er  Jahren  auftrat,  galten  seine  Bilder  als  bizarr,  melanchol- 
isch, traurig.  Und  als  er  später  sich  zu  grösserer  Einfachheit  durch- 
gerungen, ward  er  von  den  Kritikern  nur  noch  mit  der  Hoch- 
achtung. die  man  Männern  der  alten  Garde  zollt,  behandelt,  da  nun- 
mehr eine  Plejade  viel  grösserer  Sterne  am  Himmel  der  französischen 
Landschaftsmalerei  strahlte. 

Es  ist  das  Verdienst  Michels  und  Iluets.  dass  sie  den  Weg  wiesen. 
Aber  Rousseau  und  die  Seinen  Hessen  sie  so  weit  hinter  sich  zurück, 
wie  Columbus  alle  früheren  vergessen  machte,  die  vor  ihm  Amerika 
entdeckt,  oder  Gutenberg  alle,  die  vor  ihm  Bücher  gedruckt  hatten. 
Die  Stufe,  auf  der  jene  Anreger  standen,  war  etwa  die  Andreas 
Achenbachs  und  Blechens.  Sie  waren  gute  und  geschickte  Maler, 


XXV.  Die  Anfänge  des  Paysage  intime 


293 


aber  sie  erinnerten  sicli  noch 
zu  sehr  der  vlämischen  und 
holländischen  Meister.  Die  Re- 
miniscenzen  an  Ruysdael  und 
Hobbema,  die  Studien  an  nach- 
gedunkelten Galeriebildern  sind 
zu  ersichtlich.  Sie  färbten  noch 
die  Dinge  braun,  machten  den 
Frühling  so  traurig  wie  den 

o o 

Winter,  den  Morgen  so  düster 
wie  den  Abend,  hatten  kein 
Gefühl  dafür,  dass  der  Morgen 
das  Erwachen  des  Lebens,  die 
Jugend  der  Sonne,  den  Früh- 
ling des  Tages  bedeutet.  Sie 
componirten  ihre  Bilder  noch, 
vollendeten  sie,  rundeten  sie 
ab  auf  bildmässige  Wirkung. 

Der  nächste  nothwendige  Schritt 
war  der,  nicht  mehr  nach  Ruys- 
dael und  Cuyp,  sondern  nur 
richtigkeit  des  Eindrucks  noch 
Fertigmachen  desto  weniger  zu  betonen,  die  Natur  nicht  im  Galerie- 
ton, sondern  in  ihrer  duftigen  Frische  zu  malen.  Und  die.  An- 
regung zu  diesem  letzten  Schritt,  der  die  französische  Landschaft 
ihrer  höchsten  Vollendung  zuführte,  wurde  von  England  gegeben. 

Das  Genialste,  was  an  Landschaften  in  den  Jahren  1800 — 1830 
entstand,  ist  englischen  Ursprungs.  Zur  Zeit,  als  in  Frankreich  und 
Deutschland  durch  den  Classicismus  die  Landschaftsmalerei  in  die 
historische  Zwangsjacke  gesteckt  war,  schritten  die  Engländer  ruhig 
auf  den  Bahnen  weiter,  die  im  18.  Jahrhundert  Gainsborough  betrat. 
England  hat  in  diesen  Jahren  einen  Landschafter  gehabt,  der  abseits 
von  allen  andern  als  einziges,  unnachahmliches  Phänomen  in  der 
Geschichte  der  Landschaftsmalerei  dasteht,  es  brachte  gleichzeitig  eine 
Landschafter  sch  ule  hervor,  die  nicht  nur  Frankreich  befruchtete, 
nein,  die  moderne  Farbenanschauung  überhaupt  begründet  hat. 

Das  Phänomen  ist  Turner,  der  grosse  Pyrotechniker,  einer  der 
eigenartigsten  und  geistvollsten  Landschafter  aller  Zeiten.  Was  tür 
ein  sonderbarer  Mensch ! Wie  kann  er  die  ärgern,  die  nur  das  Regel- 


IVilliam  Turner. 


in  die  Natur  zu  schauen,  die  Auf- 
mehr, das  bildmässige  Abrunden  und 


XXV.  Die  Anfänge  des  Paysage  intime 


294 


Turner:  ‘Dido  leitet  die  Erbauung  Cartbagos. 

rechte  in  der  Kunst  lieben!  Sie  theilen  Turners  Leben  in  zwei 
Hälften,  die  eine,  wo  er  vernünftig,  die  andere,  wo  er  ein  Narr 
war.  Sie  geben  ihm  einiges  Talent  für  die  ersten  1 5 Jahre  seiner 
Wirksamkeit,  aber  in  dem  Augenblicke,  wo  er  ganz  Herr  seines 
Werkzeugs  ist,  wo  der  Maler  anfängt,  in  glühender  Begeisterung 
sein  persönliches  Ideal  zu  verkörpern , da  weisen  sie  ihn  aus  dem 
Reiche  der  Kunst  und  sperren  ihn  in’s  Irrenhaus.  Als  in  den  40  er 
Jahren  ein  farbenglühendes  Bild  Turners  der  Münchener  Pinakothek 
angeboten  wurde,  wusste  man  dort,  an  die  Conturen  des  Corne- 
lius gewohnt,  nur  spöttisch  darüber  zu  lachen.  Aus  seiner  letzten 
Zeit  erzählt  man,  er  hätte  eine  Landschaft  auf  eine  Ausstellung  ge- 
schickt, die  Jur}-  habe  dem  Bilde  nicht  ansehen  können,  was  oben 
oder  was  unten  gewesen,  und  habe  cs  verkehrt  aufgehängt.  Als 
Turner  später  in  die  Ausstellung  kam  und  der  Irrthum  gut  gemacht 
werden  sollte,  hätte  er  gesagt:  »Nein,  lassen  Sie  nur,  meine  Herren, 
es  wirkt  so  in  der  That  besser«.  Turner  litt  an  einem  Augenübel,  kann 
man  häufig  lesen,  noch  1872  schrieb  Liebreich  einen  in  Macmillars 
Magazine«  abgedruckten  Artikel,  der  die  angeblich  krankhafte  Bild- 
ung der  Augen  des  grossen  Landschafters  mcdicinisch  beleuchtete. 
Nur  so  wusste  der  Deutsche  diese  Bilder  zu  erklären,  die  impres- 


XXV.  Die  Anfänge  des  Paysage  intime 


295 


Turner:  Sonnenaufgang  im  Nebel. 


sionistisch  sind,  obgleich  sie  um  die  Wende  des  Jahrhunderts  ge- 
malt wurden.  Für  ophthalmologische  Absonderlichkeiten  wurden  die 
goldenen  Träume  Turners  gehalten,  weil  Niemand  im  Stande  war, 
an  Grösse  der  Empfindung,  Wucht  und  Poesie  der  Ausdrucksmittel 
dem  Maler  des  Augenblickseindrucks  zu  folgen. 

In  Wahrheit  ist  Turner  von  Anfang  an  derselbe  gewesen.  Er 
kreiste  wie  die  Motte  um’s  Feuer,  verlangte  gleich  Goethe  immer 
nach  mehr  Licht,  wollte  das  Unmögliche  thun  und  die  Sonne  malen. 
Um  sein  Ziel  zu  erreichen,  war  ihm  nichts  zu  schwer.  Lange  be- 
scheidet  er  sich,  stellt  sich  unter  die  Nachfolger  des  Lichtmalers 
par  excellence,  studirt,  analysirt,  copirt  Claude  Lorrain,  nimmt  voll- 
kommen dessen  Stil  an,  malt  Bilder,  die  Claude  an  Grossartigkeit 
und  Leuchtkraft  der  Farbe  todtschlagen.  Das  Gemälde  der  Erbauung 
Karthagos  durch  Dido  ist  für  diese  Phase  vielleicht  die  bezeichnendste 
Leistung.  Man  fühlt,  diese  Architekturmassen  sind  nur  des  Malers 
wegen  da,  dieser  Baum  des  Vordergrundes  ist  nur  so  gepflanzt,  damit 
der  Hintergrund  desto  mehr  zurücktritt.  Die  Farbe  ist  prächtig,  aber 
noch  schwer.  Durch  die  Combination  der  Principien  der  classicist- 


Turner  : Child  Harold. 


ischen  Zeichnung  mit  einem  ganz  modernen  Gefühl  für  Atmosphäre 
ist  häufig  etwas  Chaotisches,  Verwirrtes  in  die  Compositionen  dieser 
Jahre  gekommen.  Erst  in  der  Stunde,  wo  man  ihm  sagt:  Sie  sind 
der  wahre  Claude  Lorrain,  antwortet  er:  Jetzt  verlasse  ich  die  Schule 
und  beginne  Turner  zu  sein.  Nun  braucht  er  Claudes  einrahmende 
Bäume  nicht  mehr,  um  das  Licht  bis  in  die  Ecken  seiner  Bilder 
strahlend  ausströmen  zu  lassen.  Zunächst  beschäftigen  ihn  die  atmo- 
sphärischen Erscheinungen  im  Lande  des  Nebels.  Dann,  als  ihm 
das  ewige  Grau  zu  spleenig  wird,  geht  er  zur  erschlaffenden,  wol- 
lüstigen Sinnlichkeit  der  südlichen  Meere,  sucht  im  Lande  der  Sonne 
die  volle  Verkörperung  seiner  Träume  vom  Licht.  Es  ist  unmöglich, 
in  Worten  eine  Vorstellung  vom  Wesen  Turners  zu  geben,  auch 
Nachbildungen  können  nur  lalsche  Begriffe  erwecken.  »Raketen 
rauschten  auf,  Kanonenschläge  donnerten,  Leuchtkugeln  stiegen, 
Schwärmer  schlängelten  und  platzten,  Räder  zischten,  jedes  erst  ein- 
zeln, dann  gepaart,  dann  alle  zusammen  und  immer  gewaltsamer 
hintereinander  und  zusammen«.  So  hat  Goethe  — in  den  »Wahl- 
verwandtschaften« — ein  Feuerwerk  beschrieben,  und  diese  Stelle, 
an  die  Helferich  erinnerte,  vermittelt  vielleicht  am  ehesten  den  Ein- 
druck von  Turners  Bildern.  Um  auf  kleinem  Raum  möglichst  viel 
Licht  zu  sammeln,  nimmt  er  die  Perspective  weit  und  tief,  den 
Himmel  grenzenlos,  das  Meer  als  Reflector  des  Lichts.  Er  wollte 


Turner:  Der  Temeraire. 


298 


XXV.  Die  Anfänge  des  Paysage  intime 


Turner:  Tod  des  Admirals  Nelson  in  Trafalgar. 

dazu  gelangen , die  flüssige,  leuchtende  Tiefe  des  Himmels  wieder- 
zugeben, ohne  die  Erde  als  Vergleichsobjekt,  und  diese  Studien, 

die  nur  den  Himmel  zum  Gegenstand  haben,  sind  vielleicht  seine 
erstaunlichsten  Arbeiten.  Ueberall,  bis  an  den  Rand  des  Gemäldes 
ist  Licht.  Alle  Abstufungen  des  Lichtes,  von  der  silbernen  Morgen- 
dämmerung bis  zum  goldenen  Glanz  des  Abendrothes  hat  er  gemalt. 
Vulkane  speien  unter  Zischen  und  Explosionen  ihre  Lava  aus,  die 
die  erzitternde  Luft  glühend  macht  und  deren  flimmernde  Farben 

die  Augen  blenden.  Der  Gluthball  der  Sonne  steht  hinter  Nebel 

und  verwandelt  den  ganzen  Aether  in  feinen  goldenen  Dunst.  Im 
Sonnennebel  fahren  einige  Schilfe,  man  kann  nur  einen  raschen 

Blick  in  die  blendende  Lichtmasse  wagen,  aber  das  Gedächtnissbild 
ist  in  des  Malers  Kopf  fertig  — er  malt,  was  er  sah  und  weiss 
damit  überzeugend  zu  wirken.  Dabei  wird  die  Anordnung  immer 
freier  und  leichter,  die  Pinselführung  immer  duftiger  und  zügel- 
loser, die  Färbung  und  Gesammtstimmung  immer  märchenhafter, 
phantastischer.  Seine  Welt  ist  ein  Sonnenland,  in  dem  die  Realität 
der  Dinge  verschwindet,  nur  das  Licht  noch  lebt,  das  zwischen  dem 
Auge  und  den  Dingen  sich  ausbreitet.  Bald  malt  er  die  Menschen- 


XXV.  Dif.  Anfänge  des  Paysage  intime 


299 


Turner:  Sonnenaufgang  im  Winter. 


kraft  im  Kampf  mit  Naturphänomenen,  wie  »Feuer  auf  See«,  das 
»Dampfschiff  im  Seesturm«,  der  »Eisenbahnzug  in  Regen  und  Sturm  , 
bald  ganz  der  Phantasie  entsprungene,  poesiereiche  Farbespiele,  wie 
»die  Sonne  Venedigs«.  Der  grösste  Farbendichter,  der  kühnste  Poet 
unter  den  Landschaftern  aller  Zeiten!  In  ihm  hat  Englands  Malerei 
ihre  höchste  Macht  entfaltet,  wie  in  Byron  und  Shelley,  den  beiden 
Kraftmenschen,  die  englische  Phantasie  am  stolzesten  und  leuchtend- 
sten ihr  Sturmpanier  entrollte.  Es  gibt  nur  einen  Turner,  und  Ruskin 
ist  sein  Prophet. 

Auch  als  Mensch  war  er  eines  der  Originale,  wie  sie  nur  im 
Lande  des  Spleens  gedeihen.  Nicht  der  raffinirte  Gourme,  den  man 
nach  seinen  Bildern  erwartet,  — ein  spießbürgerlicher,  prosaischer, 
plumper  Gesell.  Eine  untersetzte,  stämmige  Figur  mit  breiten  Schul- 
tern und  zähen  Muskeln  glich  er  eher  einem  Capitän  der  Handels- 
marine, als  einem  Jünger  Apolls,  war  sparsam  bis  zum  Geiz,  unbeleckt 
von  aller  Cultur,  selbst  von  den  Regeln  der  Orthographie,  unzugäng- 
lich und  schweigsam.  Wie  die  meisten  grossen  Landschafter  des  Jahr- 
hunderts, stammte  er  aus  der  Grossstadt.  In  dem  dunkeln  Hinterhaus 
einer  kleinen  nebligen  Gasse  des  alten  London,  in  der  Umgebung 
einförmiger,  angerauchter  Miethskasernen,  war  er  am  23.  April  1775 


300 


XXV.  Die  Anfänge  des  Paysage  intime 


als  Sohn  eines  Barbiers  geboren.  Seine  Laufbahn  war  die  eines 
Musterknaben.  Mit  15  Jahren  stellte  er  in  der  Royal  Academy  aus; 
als  er  18  alt  war,  wurden  schon  Kupferstiche  nach  seinen  Zeich- 
nungen angefertigt,  mit  20  war  er  bekannt  und  mit  27  wurde 
er  Mitglied  der  Akademie.  Seine  ersten  Einnahmen  erwarb  er  als 
Prospekten  Zeichner  durch  die  exakt  saubere  Anfertigung  kleiner  Ab- 
bildungen englischer  Landsitze  und  Schlösser,  — Zeichnungen,  die 
damals  die  Stelle  der  Photographien  vertraten  und  für  die  er  drei 
Francs  pro  Stück  nebst  einem  Souper  erhielt.  So  kam  er  viel  in 
England  herum  und  soll  auf  einem  seiner  Ausflüge  eine  Liebesge- 
schichte ä la  Lucie  von  Lammermoor  erlebt  haben,  die  ihm  derart 
zu  Herzen  ging,  dass  er  sich  vornahm,  zeitlebens  Junggeselle  zu 
bleiben.  1808  wurde  er  an  der  Akademie  Professor  der  Perspective, 
über  die  er,  wie  es  heisst,  die  confusesten  Dinge  vortrug.  Sein 
Vater  musste  nun  das  Barbiergeschäft  aufgeben  und  zu  ihm  ziehen, 
aber  er  beschäftigte  ihn  damit,  dass  er  ihn  Bretter  sägen,  hobeln 
und  zusammennageln  liess,  die  er,  mit  gelber  Farbe  bemalt,  als 
Rahmen  für  seine  Bilder  verwendete.  Derselbe  Geiz  hielt  ihn  ab, 
sich  je  ein  bequemes  Atelier  zu  schaffen.  Er  hauste  in  einer  ärm- 
lichen Wohnung,  in  der  er  keinen  Menschen  empfing,  speiste  in 
einem  Restaurant  primitivster  Art,  führte  bei  seinen  Ausflügen  sein 
Mittagessen  in  Papier  eingewickelt  bei  sich  und  war  sehr  dankbar, 
wenn  Jemand  ihm  ein  Glas  Wein  dazu  anbot.  Sein  Fleiss  war  label- 
haft. Jeden  Morgen  Punkt  6 Uhr  stand  er  auf,  schloss  die  Thüre 
ab  und  arbeitete  mit  derselben  schrecklichen  Regelmässigkeit  Tag  für 
Tag.  Ebenso  unpoetisch  wie  sein  Leben  war  sein  Ende.  Mehr- 
facher Familienvater,  ohne  eine  Frau  gehabt  zu  haben,  lebte  er  in 
seinen  letzten  Jahren  mit  einer  alten  Haushälterin  zusammen,  die  ihn 
streng  im  Joch  hielt.  Entfernte  er  sich  für  längere  Zeit  von  Hause, 
so  gab  er  vor,  Studien  halber  »nach  Venedig«  zu  reisen  — bis 
schliesslich  ein  im  Ueberzieher  vergessener  Brief  die  biedere  Haus- 
hälterin belehrte,  dass  das  Ziel  all  dieser  Reisen  nie  Venedig,  son- 
dern nur  die  Vorstadt  Chelsea  war.  Sie  fand  ihn  dort  unter  dem 
Namen  Booth  in  einer  Dachwohnung,  die  er  einer  andern  Maitresse 
gemiethet.  In  dieser  kleinen  Mansarde,  fast  noch  ärmlicher,  als  das 
Zimmer  des  Hinterhauses,  in  dem  er  geboren  ward,  — endete  der 
Maler  des  Lichtes,  und  um  dem  traurigen  Tod  ein  Atom  von  Poesie 
zu  gesellen,  fügt  Ruskin  hinzu,  dass  das  Fenster  nach  Sonnenunter- 
gang lag  und  das  brechende  Auge  des  Malers  noch  die  letzten 


XXV.  Dif.  Anfänge  des  Paysage  intime 


301 


Strahlen  der  Sonne 
empfing,  die  er  so  oft 
in  glühenden  Hym- 
nen besungen.  Er 
hinterliess  bei  seinem 
Tode  zahllose  Werke, 
mehrere  Millionen 
und  unsterblichen 
Ruhm.  Dieser  Ge- 
danke an  Nachruhm 
hat  ihn  seit  seiner 
Jugend  beschäftigt. 

Nur  so  erklärt  sich, 
dass  er  bis  zum  Tode 
das  Leben  eines  arm- 
en Studenten  führte, 
beim  Verkauf  seines 
Liber  studiorum  Sa- 
chen that,  die  eng  an 
Betrügerei  grenzen, 
alle  Werke  aber,  mit 
denen  er  ein  Vermögen  hätte  machen  können,  für  sich  behielt.  Er 
vermachte  sie  — im  Ganzen  362  Oelbilder  und  19,000  Zeichnungen 
nebst  drei  Millionen  dem  Staate  und  verlangte  nur,  dass  die  zwei 
besten  Bilder  in  der  National  Galery  zwischen  zwei  Claude  Lorrains 
hängen  sollten.  Weitere  1000  Pfund  waren  zur  Errichtung  eines  Denk- 
mals in  der  Paulskirche  bestimmt.  Hier  im  Pantheon  Londons  liegt 
er  neben  Sir  Josuah  Reynolds,  dem  grossen  Ahnen  der  englischen 
Malerei,  begraben  — ein  Phänomen  ohne  Vorläufer  und  Nachfolger. 

Denn  es  braucht  kaum  bemerkt  zu  werden,  dass  Turner  bei 
seiner  ausgeprägten  Eigenart  keinen  Einfluss  auf  die  Weiterentwick- 
lung der  englischen  Malerei  gewinnen  konnte.  So  wenig  wie  der 
Classicismus,  kam  das  dramatische  Fieber  der  Romantik  hier  zu 
Worte.  Nur  die  Poeten  flüchteten  in  die  Wildniss  der  Natur,  be- 
sangen den  Glanz  und  die  Mysterien  der  Gebirge,  Blitz  und  Sturm, 
die  Macht  der  Elemente.  In  der  Malerei  gibt  es  kein  Gegenstück 
zu  Scotts  Schilderungen  des  schottischen  Hochlands,  zu  Words- 
worths  Hymnen  auf  die  englischen  Seen  oder  zu  der  Richtung  der 
Landschaftsmalerei,  die  in  Deutschland  Lessing  und  Blechen  vertrat. 


Turner:  Landschaft. 


302 


XXV.  Dip.  Anfänge  des  Paysage  intime 


Wordsworth  ist  gross  und  erhaben  — die  englische  Malerei  lieblich, 
intim.  Sie  kennt  keine  alten  Alpenschlösser  und  untergehenden  Sonnen 
Griechenlands.  Turner  als  einzige  Ausnahme  besang  die  pompöse,  grau- 
sige, stürmische,  herrliche,  gewaltige,  sublime,  grandiose  Natur,  alle 
andern  haben  gleich  Gainsborough  das  Einfache,  anspruchslos  An- 
muthige,  jungfräulich  Stille  geliebt.  England  hat  nichts  Romantisches. 
Zur  selben  Zeit,  als  Lessing  seine  Landschaften  malte,  erlebte  Ludwig 
Tieck  eine  bittere  Enttäuschung,  als  er  den  Boden  betrat,  wo  Shake- 
speare die  Hexenscene  des  Macbeth  gedichtet.  Ein  düster  melan- 
cholisches Urpotpourri  hatte  er  erwartet,  und  weiches,  üppiges,  culti- 
virtes  Land  lag  vor  ihm.  Was  die  dortige  Landschaft  auszeichnet, 
ist  eine  seltsame  Ueppigkeit,  Hst  Fettigkeit  und  Kraft  der  Vegetation. 
An  einem  hellen  Tage  in  der  Coach  hinauszufahren  in’s  Land, 
gewährt  dem  Auge  einen  wundersamen  Eindruck.  Soweit  der  Blick 
reicht,  nach  allen  vier  Himmelsgegenden  über  sanfte  Thäler  und 
wellige  Hügel  ist  ein  endloser,  grüner  Rasenteppich  gebreitet,  Futter, 
Gemüsepflanzen,  Klee,  Hopfen,  herrliche  Wiesen  mit  hohem  saft- 
igem Grase  dehnen  sich  aus,  hier  und  da  steht  eine  Gruppe  mächt- 
iger, weithin  Schatten  spendender  Eichen,  rings  sind  Weideplätze, 
von  Hecken  umgeben,  wo  das  prächtige  Hornvieh  lagert  und  wieder- 
käut.  Um  Bäume  und  Pflanzen  liegt  die  feuchte  Luft  wie  ein  glän- 
zender Dunst.  Nichts  Anmuthigeres  in  der  Welt,  nichts  Zarteres, 
als  diese  Farbentöne;  man  könnte  stundenlang  weilen  und  die 
Wolken  von  Atlas,  den  feinen,  luftigen  Flaum,  die  weiche,  durch- 
sichtige Gaze  betrachten,  die  in  ihrem  Silbernetz  die  Strahlen  der 
Sonne  auffängt,  mildert  und  nur  lächelnd  und  schmeichelnd  zur 
Erde  schickt.  Auf  beiden  Seiten  des  Wagens  ziehen  unaufhör- 
lich immer  schönere  Grasflächen  hin,  von  Butterblumen,  Wiesen- 
königinnen, Maassliebchcn  in  weiten  Streifen  durchzogen.  Eine  fast 
schmerzliche  Lieblichkeit,  ein  seltsamer  Zauber  entduftet  dieser  uner- 
schöpflichen Vegetation.  Die  Wassertropfen  glänzen  auf  den  Blättern 
wie  Perlen,  die  runden  Wipfel  der  Bäume  flüstern  unter  schwachem 
Windhauch.  Wie  üppig  gedeihen  sie  in  diesen  Lichtungen,  luftig 
entfaltet,  immer  verjüngt  und  benetzt  von  der  feuchten  Meerluft. 
Und  wie  scheint  der  Himmel  geschaffen,  die  Farben  des  Landes 
zu  beleben.  Beim  leisesten  Sonnenblick  lächelt  die  Erde  mit  köst- 
licher Anmuth  und  die  Kelche  der  Blumen  entfalten  sich  zu  tiefsaftigen 
Farben.  Mit  der  zärtlichen  Liebe  des  Grossstädters  und  der  kühlen 
Beobachtung  des  Geschäftsmannes  schaut  der  Engländer  in  diese  Natur. 


XX.V.  Die  Anfänge  des  Paysage  intime 


Der  tagsüber  in  den  Dunst- 
qualm der  City  gehüllte  Ge- 
schäftsmann athmet  freier, 
wenn  ihn  Abends  die  Loco- 
motive  hmausschleppt  in’s 
Grüne.  Mit  scharfem,  prak- 
tischem Blick  prüft  er  die 
wogende  Saat  und  denkt  an 
die  Aussichten  der  Ernte. 

Auch  in  den  Werken  der 
englischen  Landschafter  wal- 
tet der  Geist  dieser  aufmerk- 
samen, intimen,  nichts  we- 
niger als  romantischen  Natur- 
betrachtung. Sie  dachten 
nicht  daran,  gleich  ihren 
deutschen  Genossen,  kosmo- 
politisch zu  werden  und 
merkwürdige  Punkte,  je  exo- 
tischer, desto  besser  dem 
Publikum  zur  Belehrung  vor- 
zuführen. Sie  hielten  sich 
gleich  Gainsborough  an  den 
intimen  Reiz  der  Orte,  die  sie  kannten  und  liebten.  An  die  Stelle 
von  Suffolk,  das  Gainsborough  verherrlicht  hatte,  trat  zunächst  Nor- 
wich  als  Centrum. 

John  Crome,  old  Crome  genannt,  der  Gründer  der  machtvollen 
Landschafterschule  von  Norwich,  ist  ein  gesunder  kräftiger  Meister. 
1769  arm  in  einer  Provinzstadt,  100  Meilen  von  London,  geboren, 
erst  Ausgeber  eines  Arztes,  dessen  Arzeneien  er  den  Kranken  über- 
brachte, dann  Lehrling  bei  einem  Maler  von  Wirthshausschildern, 
lebte  er  vollkommen  abgeschnitten  vom  zeitgenössischen  England. 
Norwich  war  seine  Geburtsstadt,  sein  lebenslänglicher  Wohnort.  Den 
Namen  Turner  kannte  er  nicht,  wusste  nichts  von  Wilson,  hatte 
vielleicht  nie  Gainsboroughs  Namen  gehört.  So  sind  seine  Bilder 
weder  von  der  zeitgenössischen,  noch  der  voraufgehenden  englischen 
Kunst  beeinflusst.  Was  er  wurde,  dankt  er  sich  und  den  Holländern. 
Früh  verheirathet  und  mit  reicher  Familie  gesegnet,  suchte  er  durch 
Zeichenstunden  in  den  Schlössern  der  Umgebung  seinen  Unterhalt  zu 


Ohl  Crome:  Die  Umgebung  von  Norwich. 


304 


XXV.  Die  Anfänge  des  Paysage  intime 


erwerben  und  hatte  dabei  Gelegenheit,  viel  holländische  Bilder  zu  sehen. 
Als  er  in  seinem  Alter  Paris  kennen  lernte,  zu  einer  Zeit,  da  alle 
Schätze  der  Welt  im  Louvre  vereinigt  waren,  fand  diese  Begeisterung 
für  die  Holländer  neue  Nahrung.  Noch  auf  seinem  Todtenbett  hätte 
er  von  Hobbema  gesprochen.  »Hobbcma,  my  dear  Hobbema,  how 
I have  loved  you.«  Hobbema  ist  sein  Ahne,  die  niederländische 
Kunst  sein  Vorbild. 

Seine  Bilder  waren  sämmtlich  »exakte«  Ansichten  der  Plätze, 
die  er  liebte,  weder  componirte  Landschaften  noch  »schöne  Gegenden  . 
Crome  hat  unbefangen  Alles  gemalt,  was  ihm  seine  Grafschaft  Norfolk 
bot:  verwitterte  Eichbäume,  alte  Holzungen,  Fischerhütten,  einsame 
Weiher,  Wüsten  von  Haidekraut.  Die  Art,  wie  er  Bäume  malte, 
ist  ausserordentlich.  Jeder  hat  seine  eigene  Physiognomie,  sieht  aus 
wie  ein  lebendes  Wesen,  wie  eine  ernste  nordische  Persönlichkeit. 
Er  war  namentlich  der  Specialist  der  Eiche,  die  später  nur  in  Theo- 
dore Rousseau  einen  gleich  grossen  Interpreten  find.  Dabei  haben 
seine  Bilder  der  einfachsten  Gegenden  eine  merkwürdige  Grösse  der 
Anschauung,  eine  altmeisterliche  coloristische  Feinheit,  die  in  jener 
Zeit  kein  Anderer  erreichte.  Ein  unerbittlicher  Realist,  zeichnete  er 
seine  Naturporträts  mit  fast  pedantischer  Sorgfalt,  wahrte  ihnen  aber 
die  coloristische  Gesammthaltung  dadurch,  dass  er,  ein  feiner  Kenner 
der  Farbe,  schliesslich  Alles  nach  Art  der  Holländer  in  einen  saftig 
braunen  Ton  stimmte,  der  seinen  schönen  Wald-  und  Feldbildern 
eine  diskrete,  vornehme  Galerieschönheit  gibt. 

Crome  brauchte  lange  Zeit,  bis  er  sich  Bahn  brach.  Er  hat 
zeitlebens  nur  zu  mässigem  Preis  verkauft,  für  kein  Bild  über 
50  Pfund  bekommen.  Auch  sein  Ende  war  bescheiden.  Als  Hand- 
werker hatte  er  begonnen  und  starb  1821  als  kleiner  Bürger,  dessen 
einziger  Erholungsort  die  Kneipe  war.  die  Unterhaltung  mit  Matrosen, 
Krämern  und  Handwerkern.  Doch  die  Principien  seiner  Kunst  über- 
lebten ihn.  Er  hatte  1805  in  Norwich,  fern  von  allen  Akademien, 
einen  Künstlerverband  gegründet,  mit  jährlichen  Ausstellungen  und 
gemeinsamem  Atelier,  das  Jeder  zu  bestimmten  Stunden  benutzte. 
Cotman,  der  Specialist  der  Esche,  der  jüngere  Crome,  Stark  und 
Vincent  sind  die  Hauptvertreter  der  kräftigen  Schule  von  Norwich, 
durch  die  der  Name  dieser  Stadt  als  Kunstcentrum  in  Europa  ebenso 
bekannt  ward,  wie  ehedem  die  Namen  Delft  und  Harlem. 

Ihr  Verhältnis  zu  den  Holländern  war  das  gleiche,  wie  in  Frank- 
reich das  Georges  Michels  oder  bei  uns  das  Achenbachs.  Sie  zeigten 


XXV.  Dir  Anfänge  des  Paysage  intime 


30) 


was  sic  sahen,  rundeten  es  auf  bild- 
mässige  Wirkung  ab  und  stimmten 
das  Ganze  in  einen  feinen  braunen 
Ton  zusammen.  Sie  fühlten  sich 
zur  Form  mehr  als  zur  Farbe  der 
Dinge  gezogen ; diese  war  nur  im 
Sinne  der  Holländer  eine  fein  abge- 
stimmte Epidermis.  Der  nächste 
Schritt  der  englischen  Maler  war 
der,  dass  sie  als  die  ersten  auch 
diese  holländische  Phase  über- 
wanden und  jene  eigentlich  moderne 
Landschaftsmalerei  begründeten,  die 
nicht  mehr  von  der  absoluten,  con- 
creten  Realität  der  Dinge,  sondern  vom  Milieu,  der  Atmosphäre  aus- 
geht, am  Bilde  weniger  das  fertig  Gemachte,  zeichnerisch  Abge- 
rundete, als  den  frisch  erhaschten  Natureindruck  schätzt. 

Kaum  zehn  Jahre  sind  vergangen,  seit  die  »Freiluftmalerei« 
ihren  Einzug  in  Deutschland  hielt.  Man  malt  heute  nicht  mehr  die 
Dinge  an  sich,  sondern  malt  sie  in  ihrer  atmosphärischen  Hülle. 
Man  liebt  keine  Landschaften  mehr,  die  in  neutraler,  brauner  Sauce 
schwimmen,  sondern  stellt  die  Dinge  dar  umflossen  von  Licht  und 
Luft.  Man  will  keine  braunen  Bäume  und  Wiesen  mehr,  denn  das 
Auge  hat  bemerkt,  dass  Bäume  und  Wiesen  grün  sind.  Man  begnügt 
sich  nicht  mit  unbestimmter  Atelierbeleuchtung  und  conventionellem 
Galerieton,  sondern  man  verlangt  die  Stunde,  denn  man  weiss,  dass 
Morgenstimmung  eine  andere  ist  als  Nachmittagbeleuchtung.  Diese 
Entdeckungen  die  der  modernen  Landschaftsmalerei  ihren  feinsten, 
duftigsten  Reiz  verliehen,  haben  die  Engländer  gemacht. 

Gerade  der  englische  Nebel,  die  Feuchtigkeit  und  Schwere  der 
Atmosphäre  musste  die  englischen  Landschafter  früher,  als  die  der 
anderen  Nationen  auf  die  Beobachtung  des  Licht-  und  Luftlebens 
drängen.  In  einem  Land,  wo  der  Himmel  ohne  Wolken  ist,  in 
reiner,  trockener,  glänzender  Luft  sieht  man  nur  Linien.  Der 
Schatten  fehlt  und  ohne  Schatten  ist  das  Licht  ohne  Werth.  Des- 
halb waren  die  alten  italienischen  Classiker  nur  Zeichner:  sie  wussten 
den  Werth  des  Sonnenscheins  nicht  höher  zu  schätzen , wie  der 
Millionär  den  Werth  eines  Groschens.  Die  Engländer  kannten  den  Reiz 
auch  des  spärlichsten  Lichtstrahls,  der  sich  wie  ein  Keil  durch  eine 

Muther,  Moderne  Malerei  II. 


John  Constable. 


20 


XXV.  Dik  Anfänge  des  Paysage  intime 


Constable:  Die  IVasserwiesen  bei  Salisbury. 

Mauer  von  Wolken  schiebt.  Die  ganze  Natur  ihres  Landes,  wo  selbst 
an  schönen,  ruhigen  Sommertagen  ein  feuchter  Nebel  seinen  perl- 
grauen Schleier  über  den  Horizont  breitet,  leitete  sie  an,  in  den  subtilen 
Elementen  von  Luft  und  Licht  die  Stimmungsträger  der  Landschaft 
zu  sehen.  Die  Technik  der  Aquarellmalerei,  die  gerade  damals  einen 
so  grossen  Aufschwung  nahm,  ermuthigte  sie  darin,  das  was  sie  sahen, 
auch  in  ihren  Oelbildern  frisch  und  naiv,  ohne  Rücksicht  auf  die 
altmeisterliche  Tonscala  zum  Ausdruck  zu  bringen.  John  Robert 
Cozens,  »der  grösste  Genius,  der  je  eine  Landschaft  gemalt«,  hatte  als 
erster  in  modernem  Sinn  sich  mit  Aquarellmalerei  beschäftigt,  lom 
Girtin  hatte  neue  Methoden  erprobt.  Henry  Edridge  und  Samuel  Prout 
waren  mit  ihren  malerischen  Ruinen,  Copley  Fielding  und  Samuel 
Owen  mit  Marinebildern,  Luke  Clennel  und  Thomas  Heaphy  mit  gra- 
ziösen Schilderungen  aus  dem  Landleben,  Howitt  und  Robert  Hills  mit 
Thierbildern  hervorgetreten.  Seit  1805  gab  es  eine  Society  of  painters 
in  Watercolours,  und  dieser  ausgedehnte  Betrieb  der  Aquarellmalerei 
konnte  nicht  ohne  Einfluss  auf  die  Oelmalerei  bleiben.  Die  Aquarell- 
technik gewöhnte  den  englischen  Geschmack  an  jene  Helligkeit  des 
Tons,  die  unserm  auf  Braun  gestimmten  Auge  anfangs  so  bizarr 
schien.  Anstatt  der  dunkeln,  braunen  Grüntöne  gaben  die  Aquarell- 


XXV.  Die  Anfänge  des  Paysage  intime 


3°7 


Constable:  Die  Wassermühle  fii  Dedham. 

maler  helle.  Das  Studium  direkt  vor  der  Natur  resp.  die  Vollendung 
des  Bildes  vor  der  Natur  und  im  Freien  lenkte  ihre  Blicke  schneller 
als  die  der  Oelmaler  auf  Licht  und  Luit.  Die  leichtere,  mehr  impro- 
visirende  Technik  führte  sie  von  selbst  auf  den  Gedanken,  dass  das 
Abrunden  auf  bildmässige  Wirkung  nicht  das  letzte  Ziel  der  Kunst 
sei,  sondern  dass  es  in  erster  Linie  darauf  ankomme,  die  Frische  des 
Natureindrucks,  diese  so  schwer  zu  ergreifende,  so  leicht  welkende 
Blume  zu  haschen. 

Der  erste,  der  diese  Principien  auf  die  Oelmalerei  übertrug, 
einer  der  grössten  Bahnbrecher  auf  seinem  Gebiete  und  eine  der 
mächtigsten  Individualitäten  des  Jahrhunderts  war  John  Constable. 

East  Bergholt,  das  kleine,  hübsche  Dörfchen,  wo  Constables 
Wiege  stand,  ist  14  Meilen  von  Sudbury,  dem  Geburtsort  Gains- 
boroughs  entfernt.  Er  wurde  hier  am  n.  Juni  1776  geboren,  zur 
selben  Zeit,  als  Gainsborough  sich  in  London  niederliess.  Sein  Vater 
war  Müller,  ein  wohlhabender  Mann,  der  3 Windmühlen  in  Bergholt 
in  Gang  hatte.  Der  andere  berühmte  Müllerssohn  der'  Kunstgeschichte 
ist  — Rembrandt.  Erst  wollte  man  hoch  mit  ihm  hinaus,  er  sollte 
Geistlicher  werden,  doch  er  fühlte  sich  in  der  Windmühle  mehr,  als 
in  der  Schulstube  zu  Hause  und  wurde  gleich  seinen  Vorfahren 

20* 


XXV.  Dif.  Anfänge  des  Paysage  intime 


Müller.  Die  Beob- 
achtung der  Veränder- 
ungen  des  Himmels  ist 
ein  wesentlicher  Theil 
im  Beruf  eines  Wind- 
müllers, und  diese  Be- 
schäftigung seiner  Ju- 
gend scheint  nichtohne 
Einfluss  auf  den  zu- 
künftigen Künstler  ge- 
blieben zu  sein  — kei- 
ner vor  ihm  hatte  so 
aufmerksam  den  Him- 
mel betrachtet. 

Ein  Herr  Dun- 
thorne,  ein  sonderbarer 
Kauz,  zu  dem  der 
Knabe  oft  kam , gab 
ihm  — immer  im 
Freien  — den  ersten 
Unterricht,  ein  An- 

rs. 

derer  seiner  Gönner,  ein  Herr  Beaumont,  beurtheilte  das  Gemalte 
als  ästhetisch  gebildeter  Kenner.  Wenn  ihm  Constable  eine  Studie 
zeigte,  fragte  er:  »Wohin  willst  Du  deinen  braunen  Baum  setzen: 
Denn  das  war  ein  Hauptparagraph  seiner  Aesthetik:  Ein  gutes 
Gemälde  muss  die  Farbe  einer  guten  Geige  haben  — braun.  Der 
Aufenthalt  in  London  blieb  auf  ihn  ohne  Einfluss.  Constable  war 
23  Jahre  alt,  ein  hübscher,  junger  Mensch  mit  dunklen  Augen 
und  feinem,  ausdrucksvollem  Gesicht,  als  er  1799  seinem  Lehrer 
Dunthorne  schrieb:  »Diesen  Morgen  wurde  ich  als  Student  in  die 
Royal  Academy  aufgenommen,  meine  Probearbeit  war  eine  Zeichnung 
nach  einem  griechischen  Torso.  Ich  wohne  Cecil  Street  23«.  Als 
»der  hübsche,  junge  Müller  von  Bergholt«  war  er  bei  den  Londoner 
Mädchen  bekannt.  Er  unternahm  die  verschiedensten  Dinge,  copirte 
Bilder  von  Reynolds,  malte  ein  Altarbild  »Christus  die  Kinder  seg- 
nend«, das  von  Niemandem  als  von  seiner  Mutter  bewundert  ward. 
Daneben  studirte  er  in  der  Nationalgalerie  Ruysdael,  dessen  Werke 
einen  grossen  Eindruck  auf  ihn  machten.  1802  erscheint  er  zum 
ersten  Mal  in  den  Katalogen  der  Royal  Academy  als  Aussteller  einer 


XXV.  Die  Anfänge  des  Paysage  intime 


309 


Landschaft  und  war 
seit  dieser  Zeit  bis  zu 
seinem  Todesjahr  1837 
alljährlich  — im  Gan- 
zen mit  104  Bildern 
— dort  vertreten.  In 
den  ältesten,  — Wind- 
mühlen und  Dorfpar- 
tien — ist  noch  alles 
Einzelne  sorgfältig  aus- 
geführt, an  den  Bäu- 
men jeder  Zweig,  an 
den  Häusern  jeder  Zie- 
gelstein gemalt,  aber 
man  athmet  noch 
keine  Luft,  sieht  noch 
keinen  Sonnenschein. 

Da  schreibt  er  1803 
seinem  alten  Freund 
Dunthorne  einen  sehr 
wichtigen  Brief:  »Die 
letzten  zwei  Jahre  bin  ich  nur  Bildern  nachgelaufen  und  hab  mir  die 
Wahrheit  aus  zweiter  Hand  geholt.  Ich  habe  nicht  daran  gedacht,  die 
Natur  so  zu  malen,  wie  ich  sie  fühlte,  sondern  glaubte  meine  Bilder 
in  der  Weise  vollenden  zu  müssen,  dass  sie  aussahen  wie  die  Werke 
anderer.  Jetzt  bin  ich  zu  dem  Entschluss  gekommen,  in  diesem  Sommer 
die  Galerie  nicht  wieder  zu  sehen.  Ich  will  nach  Bergholt  zurückkehren 
und  versuchen,  das  was  ich  sehe,  ganz  unaffectirt  und  einfach  zu 
malen,  wie  ich  es  sehe.  In  der  Ausstellung  ist  noch  kein  Bild  von 
der  Aufrichtigkeit,  wie  sie  nach  meiner  Ansicht  der  Landschafter  haben 
sollte.  Es  ist  Raum  für  einen  Naturmaler.«  Er  verlässt  London  und 
arbeitet  1804  den  ganzen  Sommer  in  Helmingham  Park  in  Suffolk, 
»ganz  allein  zwischen  den  alten  Eichen.  Nachts  schlaf  ich  im  un- 
bewohnten Pfarrhaus,  Menschen  sehe  ich  nur,  wenn  ich  in  einem 
Bauernhaus  meine  Mahlzeit  kaufe.«  Und  jetzt  erst,  auf’s  Land  zurück- 
gekehrt, fand  er  sich  selbst  wieder.  »Ich  habe  nie  in  der  Natur 
Landschaften  gesehen , wie  sie  Wilson  und  Claude  malten  — aber 
ich  male  ein  glücklicheres  Land  — mein  liebes  England.  Für  mich 
sind  Malerei  und  Empfindung  zwei  Worte  für  das  nämliche  Ding. 


IO 


X.XV.  Dif.  Anfänge  des  Paysage  intime 


Constable:  The  Glebe  Farm. 

Die  Ufer  des  Stour  sind  für  immer  in  meinem  Denken  mit  meiner 
Kindheit  verknüpft.  Sie  haben  mich  zum  Maler  gemacht  und  diese 
Erinnerung  macht  mich  dankbar.«  Er  hatte  seine  ganze  Jugend 
zwischen  den  lieblichen  Thälern  und  üppigen  Wiesen  von  Bergholt 
verlebt,  wo  die  Heerden  weideten  und  die  Käfer  summten,  hatte 
sich  herumgetrieben  an  den  sanften  Ufern  des  Stour,  in  den  grünen 
Wäldern  von  Suffolk,  zwischen  alten  Landhäusern  und  Kirchen, 
Meiereien  und  malerischen  Bauernhäusern.  Diese  Natur,  die  er  als 
Knabe  lieben  gelernt  — sie  malte  er  auch.  Er  war  der  Maler  der 
cultivirten,  englischen  Landschaft,  der  Schilderer  des  Landlebens, 
der  Kanäle  und  Boote,  der  Windmühlen  und  Schlösser.  Er  hatte 
den  Geschmack  für  die  ganz  einfache  Natur,  die  überall  die  Spuren 
der  Thätigkeit  des  Menschen  zeigt:  für  Aecker  und  Dörfer,  Obst- 
gärten und  Getreidefelder.  Ein  Stück  Wiese,  eine  Schleuse  mit  etwas 
Gesträuch,  eine  verästete,  zerfaserte  Baumgruppe,  das  genügte,  ihn 
mit  Gedanken  und  Empfindungen  zu  erfüllen. 

Aehnliches  hatte  schon  Gainsborough  gemalt,  doch  Constable 
bezeichnet  über  ihn,  wie  über  Crome  hinaus  einen  Fortschritt.  So 
intim  Gainsborough  war,  so  neigte  er  doch  von  Natur  dazu,  die 


XXV.  Die  Anfänge  des  Paysage  intime 


Dinge  zu  verschön- 
ern; er  wählte  aus 
und  gab  ihnen  eine 
Feinheit  der  Anord- 
nung, eine  Grazie  der 
Linien,  diesieinWirk- 
lichkeit  nicht  haben. 

Constable  als  erster 
verzichtete  auf  jede 
zurechtstutzende, 
willkürlich  arrangir- 
ende  Composition. 

Ueber  Crome  erhebt 
ihn  seine  Kühnheit 
in  der  Wiedergabe 
des  persönlichen  Ein- 
drucks. Crome  wirkte 
hauptsächlich  durch 
seine  Exaktheit ; er 
schilderte  was  er  sah ; 

Constable  zeigte,  w i e 
er  es  sah.  Während 
jener  im  Anschluss  an 
Hobbema  seinen  Bildern  einen  altmeisterlichen  Galerieton  gab,  schaute 
Constable  mit  seinen  eigenen  Augen  in  die  Welt:  der  erste,  ganz 
auf  sich  stehende,  moderne  Landschafter.  Er  hatte  in  seinen  jungen 
Jahren  nach  Claude,  Rubens,  Reynolds,  Ruysdael,  Teniers  und  Wilson 
Copien  gemacht,  die  mit  Originalen  verwechselt  wurden,  hatte  später 
viel  von  Girtins  Aquarellen  gelernt.  Seitdem  fühlte  er  sich  kräftig 
genug,  seinem  eigenen  Auge  zu  vertrauen.  Er  schlug  Alles  in  den 
Wind,  was  bisher  als  Hauptbestandtheil  der  Schönheit  betrachtet  ward, 
verzichtete  auf  bildmässige  Abrundung;  schnitt  die  Bäume  mitten 
durch,  um  nur  das,  was  ihn  interessirte,  ins  Bild  zu  bekommen. 
»Was,  immer  die  alten  Meister  ansehen,  niemals  das  Feld,  das  Gras, 
die  Sonne,  immer  die  Galerien  und  nie  die  Schöpfung!  Die  Welt 
ist  weit,  nicht  zwei  Tage  sind  gleich,  nicht  einmal  zwei  Stunden; 
noch  hat  es  seit  Schöpfung  der  Welt  zwei  Baumblätter  gegeben, 
die  einander  gleich  waren  — die  echten  Kunstwerke  sind , wie  die 
Werke  der  Natur,  ebenfalls  sämmtlich  von  einander  verschieden.« 


XXV.  Die  Anfänge  des  Paysage  intime 


Und  so  stellte  er 
sich  frisch  in  s Grüne  ; 
die  Nachtigallen  san- 
gen. die  Blätter  rausch- 
ten. die  Wiesen  grün- 
ten. die  Wolken  leuch- 
teten. Das  15.  Jahr- 
hundert brachte  die 
zierlichen  Frühlings- 
bäume  Peruginos,  das 
17.  die  hellen  Früh- 
lingstage der  beiden 
Vlaamen  Jan  Silber- 
echts und  LucasUden; 
im  1 9.  wurde  Con- 
stable der  erste  Maler 
des  Frühlings.  Wenn 
Herr  Beaumont  ihn 
jetzt  fragte , wo  er 
seinen  braunen  Baum 
hinsetze , antwortete 
er:  »Nirgends,  denn  ich  male  keinen  mehr.  Ersah,  dass  das  Laub 
im  Sommer  grün  ist  und  — malte  es  so ; er  sah,  dass  sommerlicher 
Regen  und  Morgenthau  das  Grün  noch  intensiver  als  gewöhnlich 
erscheinen  lässt,  und  — malte,  was  er  sah.  Er  bemerkte,  dass  in 
der  Sonne  die  grünen  Blätter  funkeln  und  glitzern  und  schimmern  — 
und  malte  sie  so ; er  sah,  dass  das  Licht,  wenn  es  auf  helle  Mauern 
fällt,  blendet  wie  Schnee  in  der  Sonne  — und  malte  es  so.  Ueber 
diesen  »Schnee  Constables  wurde  damals  viel  gespottet,  und  doch 
bauten  auf  dieser  Lichtmalerei  nicht  nur  alle  folgenden  Engländer, 
auch  die  Meister  von  Barbizon  und  später  Manet  weiter. 

Das  Problem  der  Licht-  und  Luftmalerei,  das  die  ältere  Schule 
ungelöst  zurückgelassen,  ward  erst  von  ihm  in  seinem  ganzen  Um- 
fang aufgenommen.  Noch  Crome  hatte  sich  sehr  reservirt  gegen- 
über den  atmosphärischen  Elementen  verhalten.  Constable  war  der 
erste  Landschafter,  der  wirklich  die  Luft  sah  und  das  Licht  zu  malen 
lernte.  Sein  Bestreben  war,  empfindungsvoll  den  Eindruck  einer 
Lichtstimmung  festzuhalten , ohne  mit  der  nur  dem  analysirenden 
Auge  wahrnehmbaren  Wiedergabe  der  Einzelheiten  sich  aufzuhalten. 


XXV.  Die  Anfänge  des  Paysage  intime 


Während  bei  den  alten  Holländern  das  Schwergewicht  auf  der  zeich- 
nerischen Wirkung  der  Gegenstände  liegt,  ruht  es  hier  auf  dem 
Licht,  gleichviel  um  welche  Dinge  es  spielt.  Dadurch  befreite 
Constable  die  Landschaftsmalerei  von  den  architektonischen  Gesetzen 
der  Composition.  Man  brauchte  sie  nicht  mehr,  seitdem  der  Satz 
ausgesprochen,  dass  die  Luftstimmung  dem  Bilde  den  Werth  gebe 
über  den  Gegenstand  hinaus.  Er  studirte  nicht  nur  Erdboden  und 
Laubwerk  in  ihren  durch  die  Atmosphäre  bedingten  Tönen,  er 
beobachtete  auch  den  Himmel,  die  Luft-  und  Wolkenbildungen  mit 
der  Gewissenhaftigkeit  des  Physikers.  Die  Bemerkungen,  die  er 
darüber  niederschrieb,  sind  so  fein,  als  die  in  Ruskins  berühmter 
Schrift  über  die  Wolken.  Eine  Landschaft  nach  seinem  Ausspruch 
ist  nur  schön,  je  nachdem  Licht  und  Schatten  sie  dazu  macht,  das 
heisst,  er  begriff  zuerst,  dass  die  »Stimmung«  einer  Landschaft,  wo- 
durch sie  zur  menschlichen  Seele  spricht,  weniger  von  ihren  Linien, 
von  den  Dingen  selbst  ausgeht,  als  von  dem  Licht  und  dem  Schatten, 
worin  sie  gebadet  ist,  und  er  war  der  erste  Maler,  der  das  Ge- 
heimniss  besass,  diese  subtilen  Abstufungen  der  Atmosphäre  zu 
malen.  Man  hört  den  Wind  in  den  Bäumen  rauschen,  fühlt  die 
Luft  über  das  Getreide  wehen,  sieht  das  Sonnenlicht  über  die  Blätter 
hüpfen  und  auf  dem  klaren  Spiegel  der  Gewässer  spielen.  So  malte 
Constable  zum  ersten  Mal  die  ganze  Frische  der  Natur.  Sein 
Schaffensprincip  ist  völlig  entgegengesetzt  dem,  das  später  die  Prä- 
raphaeliten  befolgten.  Während  diese  durch  treu  mühsame  Ausführung 
aller  Einzelheiten  das  Naturbild  zu  reconstruiren  suchen,  worunter 
gewöhnlich  der  Eindruck  des  Ganzen  leidet,  sind  Constables  Bilder 
breit  und  wuchtig  gemalt,  oft  rauh  und  brutal,  bald  feierlich,  bald 
elegant,  stets  zwingend,  einheitlich  und  frisch. 

Ein  Genie,  das  seiner  Zeit  vorauseilte,  wird  immer  in  seiner 
ganzen  Bedeutung  erst  dann  erkannt,  wenn  die  folgenden  Genera- 
tionen es  einholen.  Das  hatte  auch  Constable  zu  fühlen.  Er  ist 
1837  in  Armuth  geendet,  in  Hampstead,  dem  bescheidenen  »Land- 
aufenthalt« , wo  er  den  grössten  Theil  seines  Lebens  verbrachte. 
»Meine  Malerei  erinnert  an  Niemanden,  sie  ist  weder  glatt,  noch 
niedlich  — wie  kann  ich  hoffen,  populär  zu  sein!  Ich  arbeite  nur 
für  die  Zukunft.«  Diese  gehörte  ihm. 

Constables  mächtige  Individualität  hat  bleibende  Früchte  ge- 
zeitigt und  der  englischen  Landschaftsmalerei  zu  jener  hohen  Blüthe 
verholfen,  deren  sie  sich  in  den  40  er  und  50  er  Jahren  erfreute, 


XXV.  Die  Anfänge  des  Paysage  intime 


David  Cox:  ‘Bolton  Abbey. 

David  Cox  steht  mit  seinen  glänzenden,  reichen,  kühn  und  farbig 
gemalten  Bildern  wohl  als  der  grösste  von  Constables  Nachfolgern 
da,  — wie  dieser  ein  Bauer,  der  mit  der  Einfachheit  des  Landmannes 
die  Natur  betrachtete.  Er  war  in  einem  kleinen  Ort  bei  Birming- 
ham 1783  geboren  als  der  Sohn  eines  Schmieds  und  siedelte  nach 
kurzem  Aufenthalt  in  London  mit  seiner  Familie  nach  Hereford, 
später  nach  Harbornc  in  der  Nachbarschalt  von  Birmingham  über. 
Das  Stück  Land,  das  er  von  seinem  Haus  überschaute,  war  fast 
ausschliesslich  sein  Studienfeld.  Er  wusste,  dass  der  Maler  sein  Leben 
auf  dem  gleichen  Erdwinkel  zubringen  kann,  ohne  dass  das  Natur- 
schauspiel, das  sich  vor  ihm  abrollt,  je  sich  erschöpft.  Lebt  wohl, 
Bilder,  lebt  wohl«,  soll  er  gesagt  haben,  als  er  am  Tag  vor  seinem 
Tode  den  letzten  Spaziergang  um  die  Wälle  von  Harborne  machte. 
Ueber  die  Art,  wie  er  die  Landschaftsmalerei  auffasste,  hat  er  in 
seinem  »Treatise  on  Landscape  Painting«  1814  gehandelt:  In  der 
Natur  den  zwingendsten  Effekt  sehen,  Alles,  was  nicht  dem  Cha- 
rakter entspricht,  weglassen,  und  es  lässt  sich  an  Cox’  Bildern  ver- 
folgen, wie  er,  je  reifer  er  wurde,  desto  mehr  diesem  Ideal  sich 
näherte.  Die  Magie  seines  Pinsels  ist  nie  bestrickender  als  in  den 
Werken  seines  letzten  Jahres,  als  er,  von  einem  Augenleiden  befallen, 


XXV.  Die  Anfänge  des  Paysage  intime 


315 


nicht  mehr  deutlich  sehen 
konnte  und  nur  noch  den 
Eindruck  des  Ganzen  gab. 

Cox  ist  ein  grosser,  kühner 
Meister.  Der  Städter,  Monate 
lang  in  einem  Steinmeer  ein- 
geschlossen, beginnt,  wenn 
er  auf’s  Land  kommt,  nicht 
damit,  die  Bäume,  Blätter  und 
auf  dem  Boden  liegenden 
Steine  zu  zählen.  Er  thut 
einen  langen  Athemzug  und 
sagt:  welches  Labsall  Auch 
Cox  hat  nicht  im  Sinne  der 
Praeraphaeliten  die  Einzel- 
heiten gemalt.  Er  erzählte 
von  dem  sanften  Wind,  der 
über  die  englischen  Wiesen 
streicht,  der  frischen  Rein- 
heit der  Luft,  den  Stür- 
men, die  die  Landschaft  von 
Wales  durchschüttern.  Ein 
feines  Silbergrau  ist  über  die  meisten  Bilder  gebreitet,  sein  Vortrag 
ist  mächtig,  nervös..  Die  endlose  Tiefe  des  Himmels  in  seinen  tau- 
senderlei Beleuchtungen,  bald  tiefblau  in  hellem  Mittagsschein,  bald 
unheimlich  düster  und  zerrissen,  hat  er  mit  Vorliebe,  sowohl  in 
Gemälden  wie  in  kühn  behandelten  Aquarellen  besungen.  Der 
Ruhm  des  grössten  englischen  Aquarellisten  wird  ihm  unbestritten 
sein  und  hätte  er  von  Jugend  auf  in  Oel  gemalt,  wäre  er  wohl 
überhaupt  der  bedeutendste  englische  Landschafter  geworden.  Seine 
kleinen  Bilder  sind  fein  und  rein  in  der  Farbe,  frisch  und  luftig 
in  der  atmosphärischen  Stimmung.  Nur  bei  grossen  versagte  ihm 
zuweilen  die  Kraft.  Er  hatte  erst  in  späteren  Jahren  die  Oelmalerei 
erlernt,  wobei  ihm  ein  weniger  bedeutender  Künstler,  aber  sehr 
grosser  Maler,  der  jung  verstorbene  William  Müller,  als  Führer  zur 
Seite  stand. 

Das  war  einer  der  Geschicktesten  unter  den  Geschickten,  neben 
Turner  der  grösste  Virtuos  der  englischen  Malerei.  Wäre  er  ein- 
facher und  ruhiger,  könnte  man  ihn  einen  Genius  ersten  Ranges 


IV.  Müller:  Die  Ruinen  von  T/oss. 


3i6 


XXV.  Die  Anfänge  des  Paysage  intime 


William  Müller:  Das  Löwengrab  in  Xantbas. 


nennen.  So  hat  er  zuweilen  einen  Stich  in’s  Theatralische,  das  nicht 
immer,  aber  gelegentlich  durchbricht,  eine  Neigung  zum  Gepränge, 
nichts  von  jener  Selbstgenügsamkeit  und  stillen  Zartheit,  mit  der 
Constable  und  Cox  sich  in  den  Boden  ihrer  Heimath  versenkten. 
Er  bemühte  sich,  der  kleinen,  unscheinbaren  englischen  Landschaft 
einen  grossen  erhabenen  Zug,  dem  Gewöhnlichsten  einen  pretiösen 
Anstrich  zu  geben.  Seine  Bilder  sind  grandios  in  der  Form,  von 
bewundernswerther  Leichtigkeit  der  Hand,  aber  es  fehlt  ihnen  Licht 
und  Luft,  die  englische  Localfarbe  und  Atmosphäre.  Ein  Ausländer 
der  Sohn  eines  nach  Bristol  übergesiedelten  Danziger  Gelehrten, 
hat  Müller  nicht  mit  dem  Heimathsgefühl  Constables  in  die 
englische  Natur  geblickt.  Ein  englisches  Kornfeld  oder  englisches 
Dorf  genügte  ihm  nicht,  die  familiäre  Heimlichkeit  des  Landes  im 
Werktagskleid  regte  keine  Empfindungen  in  ihm  an. 

Etwas  in  Müllers  Phantasie,  die  mächtige  Farben  und  plötzliche 
Contraste  mehr  als  feine  Abstufungen  liebte,  führte  ihn  nach  der 
Natur  des  Südens.  Im  damals  noch  ungehobenen  Orient  war  sein 
natürlicher  Platz.  Hier  fand  er  gleich  Decamps  und  Marilhat  die 
mehr  lebhaften  als  feinen  Effecte,  die  sein  Auge  suchte.  Zweimal 
war  er  im  Süden,  das  eine  Mal  1838  in  Athen  und  Aegypten , das 


XXV.  Die  Anfänge  dks  Paysage  intime 


andere  Mal  1843/44  in  Smyrna,  Rhodos  und  Lycien.  In  dem  Jahre, 
das  ihm  noch  zu  leben  übrig  blieb,  fegte  er  jene  Orientbilder  hin, 
die  das  Beste  von  ihm,  sein  Vermächtniss  enthalten.  Einzelne,  wie 
das  Amphitheater  von  Xanthus,  sind  mit  unheimlicher  Verve  gemalt, 
nicht  eines  Tages  Arbeit,  sondern  einer  Stunde.  All  diese  Berg- 
schlösser auf  schroffen  Felsen,  diese  Ansichten  der  Akropolis  und 
aus  Aegypten  sind  wahre  Meisterstücke  breiter  Malerei,  die  Farbe 
klar,  das  Licht  bewunderns werth.  Keiner  der  vielen  Franzosen,  die 
gleichzeitig  im  Süden  waren,  hat  dessen  Sonnenschein  und  glänzende 
Atmosphäre  in  so  schmeichelnd  wollüstigen  Tönen  besungen. 

Peter  de  Wint,  viel  wahrer  und  einfacher,  war  gleich  Constable 
und  Cox  wieder  ganz  an  seinen  Geburtsort  gebunden.  Wenigstens 
dauerte  sein  Aufenthalt  in  Frankreich  nur  kurze  Zeit  und  hintcrliess 
keine  Spuren  in  seiner  Kunst.  Von  der  Jugend  bis  zum  Alter  war 
er  der  Maler  Englands  im  Werktagskleid,  der  niedrigen  Hügel  von 
Surrey,  der  Ebenen  von  Lincolnshire  oder  der  düstern  Canäle  der 
Themse,  die  er  namentlich  in  unübertrefflichen  Aquarellen  schilderte. 
Philips  de  Koning,  der  Rembrandtschüler , der  Meister  der  holländ- 
ischen Flachlandschaften  und  der  grossen  Horizonte,  ist  sein  künst- 
lerischer Ahne. 


‘Boninglon : Die  Windmühle  von  Saint- Jouin. 


XXV.  Die  Anfänge  des  Paysage  intime 


318 


Nach  Cox  und  de  Wint  kam  Creswick,  arbeitsamer,  geduldiger, 
mehr  auf  Detail  bedacht,  mit  vielleicht  noch  schärferem  Blick  für  die 
grünen  Töne  der  Natur,  doch  mit  geringerer  Empfindung  für  das 
Luftleben  gerüstet.  Man  kann  nicht  sagen,  dass  er  die  Kunst  vor- 
wärts brachte,  nur,  dass  er  zum  Studium  Hobbemas  und  Waterloos 
einen  Respect  für  Licht  und  Sonnenschein  fügte,  den  die  Zeit  vor 
1820  nicht  kannte.  Zu  denen,  die  ohne  Constable  nicht  so  wie  sie 
malten , gemalt  haben  würden,  gehörten  ferner  noch  Peter  Graham 
und  Dawson , die  sich  speciell  dem  Studium  des  Wassers  und  des 
Himmels  widmeten.  Henri  Dawson  malte  die  ärmlichsten,  kümmer- 
lichsten Gegenden  — ein  Stück  Themse  bei  London  oder  einer  Partie 
aus  dem  rauchgeschwärzten  Weichbild  von  Dover  und  Greenwich  - 
aber  mit  einer  Kraft,  die  nur  Constable  hatte.  Namentlich  in  der 
Meisterschaft,  Wolken  zu  malen,  ist  er  unerreicht.  Constable  hatte 
cs  in  diesem  Sinne  selten  gethan.  Er  liebte  den  bewegten  Himmel, 
Wolken,  die  vom  Winde  gepeitscht,  sich  in  unbestimmte  Umrisse 
auflösen,  er  sah  in  der  Natur  nur  Spiegelbilder  seiner  eigenen  un- 
ruhigen , nach  Farbe  und  Bewegung  trachtenden  Seele.  Dawson 
malte  jene  Wolken , die  fest  wie  Gebäude  am  Himmel  stehen 
Wolkenkathedralen  hat  sie  Ruskin  genannt.  Es  gibt  Bilder  von  ihm, 
die  fast  aus  nichts  als  einer  grossen  Wolke  bestehen.  Der  weite  Raum, 
den  unsere  Augen  als  ihr  eigentliches  Gebiet  betrachten,  die  Erde 
fehlt:  man  sieht  nirgends  Farben  und  Formen,  nur  Wolken  und 
wallenden,  gelblichen  Nebel,  in  dem  die  Gegenstände  wie  verblasste 
Phantome  verschwinden. 

John  Linnell  führte  die  Uebcrlieferungcn  dieser  grossen  Zeit  noch 
in  die  neue  Periode  hinüber:  Anfangs  in  goldigem  Lichte  schwelgend, 
in  Sonnenuntergängen  und  rosigen  Dämmerwolken,  später  im  Sinne 
der  Praeraphaeliten  auf  die  genaue  Durchführung  des  Körperlichen 
bedacht. 

Richard  Parkes  Boninglon,  der  junge  mit  27  Jahren  verstorbene 
Meister,  verbindet  die  englischen  Classiker  mit  den  französischen. 
Engländer  von  Abstammung  und  Geburt,  aber  in  Frankreich,  wohin 
er  mit  1 5 Jahren  gekommen,  zum  Maler  ausgebildet,  erscheint  er  in 
manchem  Betracht  als  eines  der  graziösesten  Produkte  der  roman- 
tischen Bewegung  in  Frankreich,  hat  aber  gleichzeitig  Qualitäten, 
über  die  damals  nur  die  Engländer,  nicht  die  Franzosen  verfügten. 
Er  bezog  in  Paris  Gros’  Atelier,  damals  das  bevorzugte  Stelldich- 
ein aller  revolutionär  gesinnten  jungen  Leute,  doch  wiederholte 


XXV.  Die  Anfänge  des  Paysage  intime 


319 


Reisen  nach  London  Hessen 
ihn  auch  Constable  nicht 
vergessen.  In  der  Norman- 
die und  Picardie  malte  er 
seine  ersten  Landschaften, 

Hess  darauf  eine  Reihe  ve- 
nezianischer Marinen  und 
kleine  historische  Scenen 
folgen.  Da  ergriff  ihn  die 
Schwindsucht  und  brauchte 
nicht  lange,  ihn  zu  Hillen. 

Am  23.  September  1 828  starb 
er  in  London,  wohin  er  ge- 
gangen war,  eine  Somnam- 
bule zu  befragen.  In  Folge 
seines  frühen  Todes  kam  sein 
Talent  nicht  zur  Reife,  doch 
auch  er  war  ein  einfacher,  na-  ‘Boningtcn:  Kathedrale. 

türlicher,  reiner  sympathischer 

Künstler.  »Ich  habe  ihn  genau  gekannt  und  liebte  ihn  sehr.  Seine 
durch  Nichts  ausser  Fassung  zu  bringende  englische  Ruhe  nahm 
ihm  doch  keine  der  Eigenschaften,  die  das  Leben  angenehm  machen. 
Als  ich  ihm  zum  ersten  Mal  begegnete,  war  ich  selbst  sehr  jung  und 
machte  gerade  Studien  im  Louvre.  Es  war  etwa  1816  oder  1817. 
Er  ein  lang  aufgeschossener  junger  Mann,  der  gerade  eine  vliimische 
Landschaft  copirte.  Er  hatte  im  Aquarell,  das  damals  eine  englische 
Neuheit  war.  schon  eine  überraschende  Geschicklichkeit.  Einige,  die 
ich  später  bei  einem  Kunsthändler  sah,  waren  ganz  reizend  in  Farbe 
und  Composition.  Andere  moderne  Künstler  sind  vielleicht  mächtiger 
und  exakter  als  Bonington,  aber  Niemand  in  dieser  modernen  Schule 
auch  kein  früherer  vielleicht  besass  die  Leichtigkeit  der  Ausführung, 
die  aus  seinen  Werken  gewissermasscn  Diamanten  macht,  von 
denen  das  Auge  geschmeichelt  und  bezaubert  ist,  ganz  unabhängig 
vom  Gegenstand  und  der  eigentlichen  Naturwiedergabe.  Von  den 
Costümbildern , die  er  später  malte,  gilt  das  ebenfalls.  Ich  konnte 
nicht  müde  werden,  auch  hier  seinen  wunderbaren  Sinn  für  Wirkung 
und  die  grosse  Leichtigkeit  seiner  Ausführung  zu  bewundern.  Nicht 
dass  er  schnell  zufrieden  gewesen  wäre,  im  Gegentheil,  er  nahm  oft 
ganz  vollendete  Stücke,  die  uns  wunderbar  zu  sein  schienen,  von 


320 


XXV.  Die  Anfänge  des  Paysage  intime 


Neuem  vor.  Aber  seine  Geschicklichkeit  war  so  gross,  dass  er  im 
Augenblick  unter  seinem  Pinsel  neue  Effekte  fand,  ebenso  reizend 
wie  die  ersten.«  Mit  diesen  Worten  hat  der  grosse  Eugene  Dela- 
croix, sein  -Genosse  und  Freund,  das  Porträt  Boningtons  gezeichnet. 
Bonington  war  in  jener  romantischen  Schule,  in  der  er  als  einer  der 
ersten  auftauchte,  zugleich  der  delikateste  und  natürlichste.  Er  hatte 
einen  feinen  Blick  für  die  Eleganz  der  Natur,  hat  überall  in  ihr 
Grazie  und  Schönheit  gesehen,  in  hellen,  klingenden  Tönen  von 
Frühling  und  Sonnenschein  erzählt.  Das  Spiel  des  Lichtes  auf 
schillernden  Costümen  und  saftigem  Wiesenrain  hat  kein  Franzose 
vor  ihm  so  gemalt.  Selbst  seine  Lithographien  aus  Paris  und  der 
Provence  sind  Meisterwerke  geistreich  impressionistischer  Beobacht- 
ung: Eigenschaften,  die  er  nicht  Gros,  sondern  Constable  dankte. 
Er  als  erster  vermittelte  die  Kenntniss  des  grossen  englischen  Clas- 
sikers  den  jungen  Leuten  in  Frankreich,  und  diese  spannen  in 
Barbizon  und  Ville  d’Avray  die  Fäden  weiter,  die  Constable  mit  der 
Gegenwart  verbinden. 


<2x0 


XXVI. 


Die  Landschaft  von  1830. 

DERSELBE  Salon  von  1822,  in  welchem  Delacroix  seine  Dante- 
barke  ausstellte,  unterrichtete  die  Franzosen  über  die  gew  altige 
Bewegung,  die  sich  jenseits  des  Kanals  vollzogen.  Die  eng- 
lische Aquarellmalerei  war  glänzend  vertreten  durch  Bonington,  der 
seine  »Ansicht  von  Lillebonne«  und  die  »Ansicht  von  Havre» 
schickte.  Anderes  steuerten  Copley  Ficiding,  Robson,  John  Varley 
bei,  und  schon  diese  leichten,  geistreichen  Blätter  mit  ihren  breit 
hingewischten  Himmeln  und  hellen,  klaren  Tönen  wirkten  gleich 
einer  Offenbarung  auf  die  junge  französische  Generation.  Man  fühlte, 
der  Horizont  werde  sich  aufhellen.  1824,  zu  gleicher  Zeit,  als 
Delacroix’  Massacre  erschien,  ging  die  Sonne  wirklich  auf  und  brachte 
die  grosse  Erleuchtung.  Die  Engländer  hatten  den  Weg  nach  Frank- 
reich gelernt,  sie  stürmten  als  Sieger  den  Louvre:  John  Constable 
mit  drei  Bildern,  Bonington,  Copley  Fielding,  Harding,  Samuel  Prout 
und  Varley.  Die  Ausstellung  gab  der  classicistischen  Landschafts- 
malerei den  Lodesstoss.  Michallon  war  1822  jung  verstorben,  die 
Bidault  und  Watelet  vermochten  nichts  mehr  gegen  ein  solches 
Bataillon  von  Coloristen.  Constable  allein  sprach  ihre  ewige  Ver- 
dammung aus.  Weder  mit  Georges  Michel,  noch  den  grossen  Hol- 
ländern vertraut,  hatten  sie  nicht  bemerkt,  dass  man  zu  einer  Land- 
schaft einen  Himmel  braucht,  der  die  Stimmung  der  Stunde,  den 
Charakter  der  Jahreszeit  ausdrückt.  Ja,  gegenüber  den  frischen  Strand- 
skizzen Boningtons,  den  lichtgetränkten  Schöpfungen  der  Aquarellisten 
und  den  kühnen  Bildern  des  Meisters  von  Bergholt  mit  ihrem  hellen 
Grün  und  ihrem  wolkigen  Horizont  musste  selbst  das  von  Michel 
Geleistete  wie  schüchterne  Kalligraphie  erscheinen.  Die  bis  dahin 
so  furchtsamen  französischen  Landschafter  sahen,  dass  trotz  aller  an- 
gestrebten Naturwahrheit  ihre  Malerei  doch  noch  Convention  gewesen. 
Constable  hatte  als  der  erste  sich  von  jeder  Schablone  befreit,  und 
er  wurde  in  Frankreich  gehört.  Die  jungen  Leute  waren  ausser  sich 

Muiher,  Moderne  Malerei  II.  2 1 


322 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1830 


über  dies  intensive  Grün,  diese  bewegten  Wolken,  diese  über- 
schäumende,  Alles  beseelende  Kraft.  Noch  wenig  beachtet  selbst 
in  England,  erhielt  er  in  Paris  die  goldene  Medaille,  fand  seitdem 
Geschmack  an  den  Pariser  Ausstellungen  und  hing  noch  1827  im 
Louvre  an  der  Seite  Boningtons,  dessen  helle  Ebenen  und  klare, 
leuchtende  Himmel  nur  ein  Jahr  noch  ihre  guten  Lehren  gaben. 
Zu  gleicher  Zeit  brachte  Boningtons  damals  ebenfalls  in  Paris  an- 
sässiger Freund  und  Landsmann  William  Reynolds  einzelne  seiner 
kräftigen,  oft  so  delicaten  landschaftlichen  Studien,  deren  zarte,  graue 
Noten  schon  wie  Vorahnungen  Corots  wirken.  Dieser  Einfluss  der 
Engländer  auf  die  Schöpfer  des  Paysage  intime  ist  längst  eine  bekannte 
Thatsache,  seit  ihn  Delacroix  selbst  in  seinem  Aufsatz  Qucstions 
sur  le  bcau«  in  der  Revue  des  deux  mondes  1854  unumwunden 
constatirt  hat. 

Gleich  die  nächsten  Jahre  verkündeten,  welch  Gähren  Constable 
in  den  unruhigen  Geistern  angerichtet.  Die  Jahre  1827 — 1830  be- 
zeichnen die  Geburtswehen  der  französischen  Landschaft.  1831  war 
sie  geboren.  In  diesem  Jahr,  das  in  den  Annalen  der  französischen, 
ja  der  europäischen  Kunst  für  immer  gebucht  ist,  erschienen  im  Salon 
zum  ersten  Male  vereinigt  all  jene  jungen  Leute,  die  man  heute  als 
die  grössten  des  Jahrhunderts  verehrt:  alle  oder  fast  alle  Pariser 
Kinder,  Söhne  kleiner  Bürgersleute  oder  einfacher  Handwerker,  alle 
im  alten  Stadtviertel  oder  in  den  Vorstädten  inmitten  öden  Häusergc- 
wühls  geboren  und  schon  dadurch  gleichsam  zu  grossen  Landschaftern 
bestimmt.  Denn  es  ist  kein  Zufall,  dass  der  Paysage  intime  aus 
London,  der  Stadt  des  Dampfes  zunächst  in  die  zweite  moderne 
Grossstadt,  nach  Paris  übersprang  und  von  da  erst  viel  später  nach 
Deutschland  gelangte. 

Gedenkst  du  noch  der  Zeit  — ruft  Biirger-Thore  im  Widmungs- 
brief zu  seinem  Salon  von  1844  Theodore  Rousseau  zu  — , erinnerst 
du  dich  noch  der  Jahre,  da  wir  auf  den  Fensterbrüstungen  unserer 
Mansarden  in  der  Rue  de  Taitbout  sassen,  die  Füsse  am  Rande  des 
Daches  baumeln  Hessen  und  das  Gewinkel  der  Häuser  und  Kamine 
betrachteten,  die  du,  mit  den  Augen  blinzelnd,  Gebirgen,  Bäumen 
und  Erdabrissen  verglichst?  In  die  Alpen,  auf's  fröhliche  Land  konntest 
du  nicht  gehen  und  so  schufst  du  dir  pittoreske  Landschaften  aus 
diesen  scheusslichen  Mauergerippen.  Erinnerst  du  dich  noch  des 
kleinen  Baumes  in  Rothschilds  Garten,  den  wir  zwischen  zwei  Haus- 
dächern erblickten?  Es  war  das  einzige  Grün,  das  wir  sehen  konnten; 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1830 


323 

jeder  frische  Trieb  der  kleinen  Pappel  erweckte  im  Frühling  unsere 
Theilnahme  und  im  Herbst  zählten  wir  die  fallenden  Blätter.« 

Aus  dieser  Stimmung  heraus  wurde  die  moderne  Landschafts- 
malerei mit  ihrer  feinen  stofflichen  Bescheidenheit  und  ihrer  nervös 
gesteigerten  Naturliebe  geboren.  Für  den  Deutschen  bis  zur  Mitte 
des  Jahrhunderts  war  die  Natur  zu  gewöhnlich,  alltäglich,  ein  seelisches 
Verhältniss  zu  ihr  deshalb  schwer  zu  erreichen.  Die  Landschafts- 
malerei erblickte  ihr  Wesen  darin,  durch  Vorführung  geographisch 
interessanter  Punkte  den  Verstand  zu  beschäftigen  oder  durch  Brillant- 
feuerwerke kalte  Neugier  zu  erregen.  Diese  Kinder  der  Grossstadt, 
die  mit  herzlichem  Antheil  die  keimenden  und  fallenden  Blätter  des 
einzigen  Baumes  gezählt,  den  ihr  kleines  Mansardenfenster  ihnen 
zeigte,  diese  Träumer,  die  sich,  mit  den  Augen  blinzelnd,  aus  moos- 
bewachsenen Dachrinnen,  Schornsteinen  und  Schornsteinrauch  in 
ihrer  Phantasie  die  schönsten  Landschaften  aufbauten , sie  waren, 
als  sie  hinauskamen  auf’s  Land,  genügend  vorgeschult,  auch  da,  wo 
er  nur  leise  wehte,  den  Odem  der  grossen  Allmutter  zu  fühlen. 
Man  denkt  nicht  an  Geographieunterricht,  wenn  einem  das  Herz  voll 
ist,  und  man  braucht  keinen  Tamtam,  ist  einem  das  Auge  geöffnet. 
Ihre  Seele  war  sensibel,  ihre  Phantasie  genügend  erregt,  dass  sie 
schon  in  den  zartesten,  diskretesten  Klängen  jubelnd  das  himmlische 
Concert  vernahmen,  das  die  Natur  mit  beliebigen  irdischen  Instru- 
menten jeden  Augenblick  aller  Orten  aufführt. 

Sie  alle  hatten  daher  keine  grossen  Studienreisen  mehr  nöthig, 
sie  brauchten  nicht  weit  zu  gehen,  um  ihre  Anregungen  zu  suchen. 
Croissy,  Bougival,  Saint  Cloud,  Marly  war  ihr  Arkadien ; nach  den 
Ufern  der  Oise,  den  Waldungen  von  L’Isle  Adam,  der  Auvergne, 
der  Normandie,  der  Bretagne  richteten  sich  ihre  weitesten  Reisen. 
Am  liebsten  aber  hielten  sie  sich  im  Wald  von  Fontainebleau  auf, 
das  so  — durch  einen  der  merkwürdigen,  oft  in  der  Geschichte 
wiederkehrenden  Zufälle  — zweimal  eine  höchst  wichtige  Rolle  in 
der  Entwicklung  der  französischen  Kunst  gespielt  hat.  Vor  300  Jahren 
war  es  das  glänzende  Centrum  der  französischen  Renaissance,  der 
Sammelplatz  jener  italienischen  Künstler,  die  im  dortigen  Palast  einen 
zweiten  Vatikan,  in  Franz  I.  einen  andern  Leo  X.  finden.  Auch 
im  19.  Jahrhundert  hat  sich  die  Renaissance  der  französischen  Malerei 
in  Fontainebleau  vollzogen,  nur  dass  es  sich  nicht  um  eine  Schule 
manierirter  Figurenmaler,  sondern  um  eine  Gruppe  feinster  Land- 
schafter handelt.  Aus  kunstgeschichtlichem  Pflichtgefühl  betrachtet 

21* 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1830 


324 


man  im  Palast  die  eleganten  Gött- 
innen Primaticcios , die  lachenden 
Bacchantinnen  Cellinis,  des  Cin- 
quecento goldenen  festlichen  Glanz, 
doch  das  Herz  geht  erst  auf,  wenn 
man  draussen  im  Walde  auf  dem 
Boden  steht,  wo  Rousseau  und 
Corot,  Millet  und  Diaz  malten. 
Was  gibt  es  zu  empfinden,  zu  den- 
ken, wenn  man  an  einem  träumer- 
ischen Abend,  allein  und  in  sich  ge- 
kehrt, über  die  Haide  des  plateau 
de  la  belle  croix  und  durch  den 
Eichendom  des  Bas  brbau  nach  Bar- 
bizon schlendert,  dem  Mekka  der 
modernen  Kunst,  wo  die  Geheim- 
nisse des  Paysage  intime  durch  die 
Nymphe  von  Fontainebleau  den  Pa- 
riser Landschaftern  offenbart  wurden.  Einst  bauten  die  Menschen 
nach  dem  Vorbild  majestätischer  Baumhallen  ihre  himmelstrebenden, 
gothischen  Dome.  In  den  hohen  Spitzbogenwölbungen  schwebte 
düster  und  feierlich  Weihrauchdampf,  durch  gemalte  Scheiben  leuch- 
tete ahnungsvoll  gebrochen  das  Tageslicht;  über  dem  Altar,  vom 
Schein  der  Lampen  und  Lichter  umgaukelt,  winkte  das  schöne  Bild 
einer  Heiligen,  wunderlich  schimmerten  vergoldete  Schnitzereien  und 
überwältigend  rauschten  im  Orgelklang  die  Töne  Badi  scher  Fugen 
durch  den  gottgeweihten  Raum.  Heute  haben  sich  die  gothischen 
Dome  wieder  in  Baumhallen  verwandelt.  Die  himmelstrebenden  Eichen 
sind  die  Strebepfeiler,  das  Astwerk  der  Lettner,  die  Wolken  der  Weih- 
rauch, der  durch  die  Blätter  säuselnde  Wind  der  Orgelklang,  das 
Altarbild  die  Sonne.  Der  Mensch  ist  wieder  Feueranbeter  wie  in 
seiner  Kindheit,  die  Kirche  zur  Welt,  die  Welt  zur  Kirche  geworden. 
Wie  geht  einem  die  Seele  auf  beim  Amselschlag  unter  dem  schattigen 
Laubdach  der  mächtigen,  urweltlichcn  Eichen.  Wie  fühlt  man  sich 
zurückversetzt  in  ein  verschollenes  saturnisches  Zeitalter,  da  der  Mensch 
in  seligem  Einsscin  mit  der  Natur  noch  ein  ungebrochenes  heiteres 
Dasein  lebte.  Denn  urwüchsig  ist  dieser  Park  noch  immer,  trotz 
aller  Fahrstrassen,  die  ihn  heute  durchkreuzen,  trotz  aller  Fremden- 
führer, die  auf  den  Granitblöcken  der  Schluchten  von  Opremont 


Theodore  Rousseau. 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1830 


Gelbgrün 
schillerndes  Farren- 
kraut  deckt  wie  ein 
Teppich  den  Boden. 

Grosse  Felsenmeerc 
unterbrechen  die 
Holzungen.  Wohl  nir- 
gends in  der  Welt 
recken  solche  Pracht- 
buchen und  majestä- 
tischen Rieseneichen 
ihre  knorrigen  Aeste 
gen  Himmel,  da  in 
ihrer  üppigen  Herr- 
lichkeit sich  entfalt- 
end, dort  durch  den 
Blitz  versengt  und 
durch  winterliche 
Kälte  erfroren.  Ge- 
rade solche  Scenerien 
der  Zerstörung  geben 
die  grandiosesten, 
wildesten,  ernstesten 

Bilder.  Die  Gewalt  der  grossen  Naturkräfte,  die  Eichen  wie  Disteln 
köpft,  kommt  nirgends  in  dem  Maasse  zum  Bewusstsein. 

Barbizon  selbst  ist  ein  kleines  Dorf,  drei  Meilen  nördlich  von 
Fontainebleau,  nach  alten  Ueberlieferungen  von  Räubern  angelegt, 
die  ehemals  im  Walde  hausten.  An  den  beiden  Seiten  des  Weges, 
der  es  mit  den  koketten  Dörfchen  Dammarie  und  Chailly  verbindet, 
ziehen  lange  Reihen  von  Kastanien-,  Apfel-  und  Akazienbäumen  sich 
hin.  Der  Ort  hat  kaum  100  Häuser.  Die  meisten  sind  von  wildem 
Wein  umrankt,  rings  eingeschlossen  von  dichtem  Hagedornzaun,  ein 
Gärtchen  davor,  in  dem  Rosen  zwischen  Wirsing  und  Blumenkohl 
blühen.  Schon  9 Uhr  Abends  ist  Barbizon  eingeschlafen,  doch  vor 
4 Uhr  Morgens  erwacht  es  zur  Feldarbeit. 

Wann  hier  die  erste  Einwanderung  Pariser  Maler  begann,  wird 
spätere  Historiker  beschäftigen.  Schon  ein  Schüler  Davids  hat,  wie 
berichtet  wird,  im  Walde  von  Fontainebleau  gearbeitet  und  in  Bar- 
bizon gewohnt.  Die  einzige  Herberge  war  damals  eine  Scheune, 


Rousseau : Che'nes  Jans  les  Landes.  Chaumieres. 


326 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1830 


Rousseau:  Village  de  Becquigny  en  Picardie. 


die  der  frühere  Schneider  des  Ortes,  Ganne,  1823  zu  einem  Gasthof 
zustutzte.  Hier  stiegen  seit  1830  Gorot,  Rousseau,  Diaz,  Brascassat 
und  viele  Andere  ab,  wenn  sie  von  Frühling  bis  Herbst  ihren  Studien- 
aufenthalt in  Barbizon  nahmen.  Man  kletterte  am  Abend  in  die  ärm- 
liche Schlafkammer  hinauf  und  befestigte  die  am  Tag  gemachte  Studie 
mit  Heftstiften  an  dem  Kopfende  des  Bettes.  Erst  später  kam  Pere 
Copain,  ein  alter  Bauer,  der  als  Schafhirt  mit  3 Francs  monatlich 
begonnen,  auf  den  zeitgemässen  Gedanken,  ein  paar  Aecker  an- 
zukaufen und  darauf  kleine  Häuser  zum  Vermiethen  an  Maler  zu 
bauen.  Der  Mann  wurde  durch  dieses  Unternehmen  reich  und 
allmählich  der  ausleihende  Capitalist  für  alle,  die  trotz  ihrer  Eigen- 
schaft als  berühmte  Pariser  Künstler  sich  nicht  Fortunas  Segnungen 
erfreuten.  Der  allgemeine  Sammelplatz  blieb  der  Scheunenraum  der 
Ganne'schen  Wirthschaft,  deren  Wände  sich  im  Laufe  der  Jahre  mit 
grossen  Kohlenzeichnungen,  Studien  und  Bildern  bedeckten.  Hier 
kam  man  Abends  zusammen  mit  Frau  und  Kind,  patriarchalisch,  ein- 
fach, gemüthlich.  Auch  die  Festlichkeiten  wurden  hier  veranstaltet, 
jener  Ball  besonders,  als  Ganncs  Tochter,  ein  Pathenkind  der  Frau 
Rousseau,  ihre  Hochzeit  feierte.  Rousseau  und  Millet  waren  die 
Decorateure ; der  ganze  Raum  der  Scheune  diente  als  Tanzsaal,  die 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1830 


327 


Rousseau:  Plaine  de  Courances  ett  Gatinais. 


Wände  waren  mit  Epheu  geschmükt,  Corot,  immer  lustig  und  heiter, 
führte  die  Polonaise,  die  sich  durch  ein  Labyrinth  auf  den  Boden 
gestellter  Flaschen  bewegte. 

Gemalt  wurde  im  Wald.  Sie  nahmen  sich  gar  nicht  die  Mühe, 
ihr  Werkzeug  wieder  mit  nach  Hause  zu  nehmen.  In  Felslöchern 
bewahrten  sie  Frühstück,  Leinwand  und  Pinsel.  Wohl  niemals  früher 
sind  Menschen  so  in  der  Natur  aufgegangen  wie  diese.  In  jeder 
Stunde  des  Tages,  im  kühlen  Morgenlicht,  am  sonnigen  Mittag,  im 
goldigen  Abenddämmer,  selbst  im  Zwielicht  der  blauen  Mondschein- 
nächte waren  sie  draussen  in  Wald  und  Feld  und  lernten  die  un- 
sterbliche Natur  in  jedem  Moment  ihres  mysteriösen  Sinnens  be- 
lauschen. Der  Wald  war  ihr  Studiensaal,  enthüllte  ihnen  all  seine 
Geheimnisse. 

Das  Ergebniss  dieses  Lebens  en  plein  air  war  zunächst  das 
Gleiche,  wie  bei  Constable.  Alle  Früheren  bewegten  sich  in  der 
Anschauung  und  Technik  Waterloos,  Ruysdaels  und  Everdingens, 
glaubten  nicht  auskommen  zu  können  ohne  heroische,  knorrige  Eichen. 
Noch  Michel  war  im  Galerieton  der  Holländer  befangen,  und  für 
Decamps  noch  war  die  Atmosphäre  ein  unbekanntes  nicht  vorhandenes 
Ding.  Er  setzte  ein  grelles  Licht,  undurchsichtig  wie  Gips  auf 


XXVI.  Dif.  Landschaft  von  1830 


128 


Rousseau:  Le  Soir. 


einen  Hintergrund,  schwarz  wie  Kohle.  Auch  Delacroix’  Farben 
waren  nur  Palettentöne,  er  wollte  vorgefasste,  decorative  Harmonien 
erzeugen,  nicht  schlicht  die  Wirklichkeit  übersetzen.  Die  Meister 
von  Fontainebleau  haben,  den  Engländern  folgend,  die  Luft  und  das 
Licht  entdeckt.  Nicht  in  altmeisterlich  saftiger  Buntheit  gleich  den 
andern  Romantikern  malten  sie  die  Welt,  sie  sahen  sie  »entoure 
d’air«,  gemildert  durch  Lufttöne.  Der  Einklang  der  Luft  und  des 
Lichtes  mit  dem,  was  sie  leben  lassen,  wurde  seitdem  das  grosse 
Problem  der  Malerei.  Dadurch  verjüngte  sich  die  Kunst  und  erhielt 
das  Kunstwerk  das  athmende  Leben,  den  frischen  Duft  und  jene  feine 
Harmonie,  die  in  der  Natur  selbst  sich  überall  findet  und  durch 
künstliches  Stimmen  nur  so  schwer  erzielt  wird.  Sie  als  die  ersten 
nach  Constable  erkannten,  dass  die  Schönheit  einer  Landschaft  nicht 
in  den  Gegenständen  stecke,  sondern  in  deren  Beleuchtung.  Gewiss 
gibt  es  auch  eine  Formensprache  der  Natur.  Wenn  Boecklin  einen 
Hain  malt  mit  hohen  ernsten  Bäumen  zur  Abendzeit,  wenn  er  die 
geheimnissvolle  Stätte  seiner  ■> Feueranbeter«  erträumt,  so  bedürfte  es 
der  Farbe  kaum.  Die  Linie  allein  ist  so  feierlich  ernst,  dass  sie  den 
Menschen  seine  Kleinheit  im  All  recht  fühlen  lässt  und  andächtige 
Gedanken  in  ihm  wachruft.  Aber  mehr  noch  geht  das  feine  Fluidum, 
wodurch  die  Natur  heiter  oder  melancholisch  zur  Seele  spricht,  von 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1830 


329 


Rousseau:  Le  Matin. 


dem  Licht  oder  der  Dämmerung  aus,  worin  sie  gebadet  ist,  und  diese 
Stimmung  wird  nicht  durch  das  forschende  Auge  bemerkt,  der  nach 
Innen  gerichtete  Blick,  die  Phantasie,  trägt  sie  in  die  Natur  hinein. 
Damit  ist  das  Zweite  berührt. 

Die  Eigenthümlichkeit  all  dieser  Meister,  die  bei  ihrem  ersten 
Auftreten  oft  als  Realisten  oder  Naturalisten  geschmäht  wurden,  be- 
steht gerade  darin,  dass  sie  — wenigstens  in  den  Werken  ihrer  letzten 
Zeit,  in  denen  sie  sich  ganz  gaben  — nie  reale  Natur,  nie  ein  be- 
stimmtes Stück  Natur  im  Sinne  der  Photographie  darstellten,  sondern 
aus  dem  Gedächtniss  heraus  frei  ihre  Stimmungen  malten  — so  wie 
Goethe,  als  er  auf  dem  Kikelhahnhäuschen  bei  Ilmenau  stand,  nicht 
eine  prosaische  Beschreibung  des  Kikelhahns  anfertigte,  sondern  die 
Verse  schrieb:  »Ueber  allen  Wipfeln  ist  Ruh.«  Man  erfährt  in 

diesem  Goethe’schen  Naturgedicht  nicht,  wie  die  Wipfel  aussahen, 
es  wird  nichts  über  die  Beleuchtung  angeführt,  und  doch  steht  der 
von  den  Strahlen  der  untergehenden  Sonne  dämmerig  beleuchtete 
Wald  deutlich  vor  dem  geistigen  Auge.  Ein  früherer  Dichter  hätte 
breit  episch  beschrieben,  durch  Addirung  von  Einzelheiten  das  Bild 
erzeugt;  hier  vermittelt  schon  die  Musik  der  Worte  die  Stimmung 
von  Ruhe  und  Frieden.  Die  Werke  der  Fontainebleauer  sind  Goethe- 


330 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1830 


Rousseau:  Le  Jean  de  Paris,  !e  soir  apres  l’orage  (fore't  de  Fontainebleau). 

sehe  Naturgedichte  in  Farben.  Sie  sind  gleich  weit  entfernt  von  der 
ästhetischen  Dürre  der  alten,  aus  Studien  zusammengetragenen  Com- 
positionslandschaft,  wie  von  der  prosaisch  platten  Naturwahrheit  jener 
»ganz  null  und  nichtigen,  falsch  realistischen  Malerei  der  sogenannten 
Conservatorcn  der  Wasser  und  Wälder«.  Hs  lag  ihnen  weder  daran, 
die  Natur  zu  meistern  und  nach  conventionellen  Regeln  zum  Bilde 
zu  componiren,  noch  daran,  pedantisch  das  Porträt  einer  Gegend  zu 
zeichnen.  Sie  dachten  nicht  an  topographische  Genauigkeit,  an  die 
Anfertigung  einer  Landkarte  ihres  Vaterlandes.  Die  Landschaft  war 
für  sie  keine  Scencrie,  sondern  ein  Seelenzustand.  Sie  bezeichnen 
den  Sieg  der  Lyrik  über  schwülstige  trockene  Prosa.  Von  irgend 
einem  Anblick  gepackt,  begeistern  sie  sich  und  brechen  in  unerwartete 
Bilder  aus.  So  ergriffen  sie  die  Kunst  in  ihrer  tiefsten  Tiefe.  Ihre 
Werke  waren  duftige  Gedichte  über  die  Seelenstimmungen,  die  sie 
während  eines  Spazierganges  durch  den  Wald  gehabt.  Vielleicht  nur 
Tizian,  Rubens  und  Watteau  hatten  vorher  mit  solchen  Augen  in 
die  Natur  gesehen.  Und  wie  bei  jenen,  musste  auch  bei  den  F011- 
tainebleauern  eine  echt  naturalistische  Kunst,  ein  Menschenalter  uir 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1830 


331 


Rousseau:  Sortie  de  Fore't  ä Fontainebleau;  Coucher  de  Soleil. 


mittelbarsten  Naturstudiums  vorausgehen , bis  sie  zu  dieser  Höhe 
gelangten.  Vor  der  Natur  saugt  man  sieh  voll  an  Wahrheit;  in’s 
Atelier  zurückgekommen,  drückt  man  den  Schwamm  aus,  wie  Jules 
Dupre  sagte.  Erst  nachdem  sie  sich  gesättigt  hatten  mit  Erkenntniss 
der  Wahrheit,  nachdem  die  Natur  mit  ihren  Einzelerscheinungen 
sich  ganz  mit  ihrem  innersten  Sein  verwoben,  konnten  sie  mühelos, 
ohne  die  Absicht  bestimmte  Gegenstände  darzustellen,  sich  selbst, 
ihr  eigenes  Empfinden  malen,  in  Befriedigung  allein  des  1 riebes, 
ihrem  Gemüthsleben  Ausdruck  zu  verleihen.  Daher  auch  ihre  grosse 
Verschiedenheit  untereinander.  Maler,  die  nach  feststehenden  Regeln 
arbeiten,  ähneln  sich,  und  solche,  die  eine  deutliche  Naturabschrift 
anstreben,  nicht  minder.  Von  den  Fontainebleauern  empfing  Jeder 
von  dem  gleichen  Stück  Natur  und  im  gleichen  Moment  andere 
Eindrücke  je  nach  seinem  Charakter  und  seiner  jeweiligen  seelischen 
Stimmung.  Jeder  hatte  eine  Landschaft  und  eine  Stunde,  die  zu 
seinem  Empfinden  am  vernehmlichsten  sprach.  Der  liebte  den  Früh- 
ling und  den  thauigen  Morgen,  der  den  kalten,  klaren  lag,  der  die 
drohende  Majestät  des  Gewitters,  der  die  blitzenden  Effekte  spielender 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1830 


Rousseau:  Une  rnare.  Forii  de  Fontainebleau. 


Sonnenstrahlen,  der  den  Abend  nach  Sonnenuntergang,  wenn  die 
Farben  zur  Ruhe  gegangen  sind  und  die  Formen  schlafen.  Jeder 
gehorchte  seinem  besondern  Temperament  und  modelte  seine  Technik 
zum  ganz  persönlichen  Ausdrucksmittel  seiner  Art  zu  sehen  und  zu 
fühlen.  Jeder  ist  ausschliesslich  er  selbst,  jeder  ein  Original,  jedes 
Bild  eine  seelische  Offenbarung  von  oft  rührender  Einfachheit  und 
Grösse:  Flomo  additus  naturae.  Indem  sie  mehr  als  alle  ihre  Vor- 
gänger auf  die  allcinschaffende  Persönlichkeit  schworen,  sind  sie  die 
Begründer  des  neuen  Glaubens  in  der  Kunst  geworden. 

Theodore  Roitsseitii , der  baumstarke  Meister,  war  der  Epiker,  der 
Plastiker  der  Plejade.  »Le  ebene  des  roches«  war  eines  seiner  Haupt- 
werke und  er  selbst  steht  wie  eine  Felseneiche  inmitten  der  Kunst 
seiner  Zeit. 

Sein  Vater  war  ein  Schneider,  der  in  der  Rue  Neuve-Saint 
Fustache,  Nr.  4 au  4n,c  wohnte.  Als  Knabe  soll  er  sich  besonders 


XXVI.  Dif.  Landschaft  von  1830 


» •> 

' ) ) 


Rousseau:  La  ferme  du  Grand-Chene. 


mit  Mathematik  beschäftigt  und  die  Absicht  gehabt  haben,  Polytech- 
niker zu  werden.  Der  gefährliche  doctrinäre  Hang  seiner  letzten  Jahre, 
die  Kunst,  mehr  als  sie  verträgt,  zur  Wissenschaft  zu  gestalten,  alles 
auf  ein  Gesetz  zurückzuführen,  lag  also  schon  in  den  Liebhabereien 
des  Knaben  begründet.  In  dem  Atelier  des  Classicisten  Lethiere  wuchs 
er  auf,  sah  zu,  während  dieser  seine  beiden  grossen  Louvrebilder, 
den  Tod  des  Brutus  und  den  Tod  der  Virginia  malte.  Er  dachte 
sogar  daran,  sich  selbst  um  den  römischen  Preis  zu  bewerben.  Doch 
die  Composition  einer  »historischen  Landschaft«  gelang  ihm  nicht. 
Da  nahm  er  seinen  Farbenkasten,  verliess  Lethieres  Atelier,  wanderte 
auf  den  Montmartre,  und  schon  sein  erstes  Bildchen,  der  Telegraphen 
thurm  von  1826  bekundete  das  Ziel,  dem  er  tastend  zustrebte.  Zur 
selben  Zeit,  als  Watelets  Blechwasserfälle  und  Zinkbäume  auf- 
marschirten,  als  Bertins  Schüler  den  calydonischen  Eber  jagten  oder 
Zenobia  in  den  Wogen  des  Araxes  ertränkten,  malte  Rousseau  schon. 


? 34 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1830 


Rousseau:  Les  Marais  dans  les  Landes. 


frei  vom  Ehrgeiz  des  Prix  de  Rome,  schlichte  Ebenen  aus  dem  Weich- 
bild von  Paris  mit  kleinen  Bächlein  in  der  Nähe,  die  nicht  den 
Namen  Wogen  verdienten. 

In’s  Jahr  1833  fällt  sein  erster  Ausflug  nach  Fontainebleau,  1834 
sein  erstes  Hauptwerk,  die  »Cotes  de  Grandville«,  jenes  Bild  von 
tief  mächtigem  Naturgefühl,  das  wie  das  grosse  triumphirende  Titel- 
blatt seines  Werkes  erscheint.  Ein  fester  Wille,  die  Wirklichkeit  zu 
nehmen  wie  sie  ist,  ein  merkwürdiger  Blick  für  den  Localcharakter 
der  Landschaft,  für  die  Structur,  den  Knochenbau  der  Erde,  — alle 
Züge,  die  den  späteren  Rousseau  kennzeichnen,  kündigten  sich  schon 
hier  in  ihrer  vollen  Wucht  und  phrasenlosen  Sachlichkeit  an.  Er 
erhielt  dafür  eine  Medaille  3.  Classc.  Damit  war  aber  zugleich  sein 
Auftreten  im  Salon  für  viele  Jahre  zu  Ende.  Den  unbekannten 
Anfänger  liess  man  gewähren ; der  Meister  schien  den  Akademikern 
gefährlich.  Zwei  Bilder,  der  »Abstieg  von  Kühen  im  oberen  Jura« 
und  die  »Kastanienallee«,  die  er  für  den  Salon  von  1835  bestimmt 
hatte,  wurden  von  der  Jury  zurückgewiesen,  ein  gleiches  Schicksal 
traf  zwölf  Jahre  lang  seine  Arbeiten,  obgleich  die  gesammtc  kritische 
Intelligenz,  Thor£,  Gustave  Planche,  Theophile  Gautier  für  ihn  die 
Lanzen  brach.  Unter  den  Refusirten  des  Jahrhunderts  ist  Theodore 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1830 


335 


Rousseau:  Souvenir  de  Videlle. 

Rousseau  wohl  der  Berühmteste.  Für  fünf  oder  zehn  Louisdor  ver- 
kaufte er  damals  seine  Bilder.  Erst  als  nach  der  Februarrevolution 
1848  die  akademische  Jury  mit  dem  Bürgerkönig  gefallen  war,  öffneten 
sich  ihm  die  Thore  des  Salons  von  Neuem  — einem  Meister,  dessen 
Bilder  unterdessen  ihren  Weg  allein  und  heimlich  gemacht  hatten. 
Er  war  in  der  weltentrückten  Einsamkeit  von  Barbizon  herangereift 
zu  einer  Künstlerindividualität  grössten  Kalibers,  zu  einem  Maler,  dem 
die  Kunstgeschichte  seinen  Platz  neben  Ruysdael,  Hobbema  und 
Constable  an  weist. 

Er  malte  in  Barbizon  Alles:  die  Ebene  und  das  Gebirge,  den 
Fluss  und  den  Wald,  alle  Jahreszeiten,  alle  Stunden  des  Tages.  Das 
Register  seiner  Stimmungen  ist  unerschöpflich  wie  die  unendliche 
Natur  selbst.  Himmel,  von  der  untergehenden  Sonne  vergoldet, 
thauige  Morgenstimmungen,  in  der  Sonne  brütende  Wiesen,  Holz- 
ungen in  herbstlich  rostgelbem  Laubschmuck,  ein  unendliches  Defile 
poetischer  Effecte,  ausgedrückt  zuerst  mit  dem  Instinkt  des  Gefühls, 
später  mit  mathematischer  Präcision , oft  ein  wenig  gequält , aber 
immer  zwingend  — das  sind  Theodore  Rousseaus  Stoffe.  Wunderbar 
sind  seine  Herbstlandschaften  mit  dem  rothen  Buchenlaub,  grandios 
jene  Bilder,  in  denen  er  das  tiefe  Gefühl  der  Einsamkeit  malte,  wie 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1830 


336 

cs  im  heiligen  Waldesdickicht  dich  amveht  und  die  Seele  einladet  zur 
Einkehr  in  sich  selbst;  doch  ganz  besonders  bezeichnend  jene  Ebenen 
mit  einzelnen  Baumriesen,  über  denen  fast  kalt  und  stimmungslos 
das  gewöhnliche  einfache  Tageslicht  ruht. 

Es  ist  eine  kunstgeschichtliche  oder  psychologische  Merkwürdig- 
keit, dass  in  jener  romantischen  Generation  ein  Mann  geboren  werden 
konnte,  in  dem  nichts  vom  Romantiker  lebt.  Theodore  Rousseau 
war  ein  Experimentator,  ein  grosser  Arbeiter,  ein  unruhiger,  suchender, 
immer  mit  sich  unzufriedener,  gequälter  Geist,  eine  Natur  ohne  alle 
Sentimentalität  und  Pathetik,  das  gerade  Gegentheil  seines  Vorgängers 
Huet.  Huet  machte  die  Natur  zu  einem  Spiegel  der  Leidenschaften, 
der  Melancholie  und  des  tragischen  Schmerzes,  der  tosend  die  mensch- 
liche Seele  durchwühlt.  Indem  er  die  unwiderstehlichen  Mächte  und 
blinden  Gewalten  feierte,  die  Elementargeister,  die  Himmel  und 
Wasser  beherrschen,  wollte  er  den  Eindruck  des  Schreckens,  der 
Trostlosigkeit  in  der  Seele  des  Beschauers  wecken.  Er  häufte  die 
Felsblöckc,  machte  die  Wolken  pathetisch,  schwelgte  wollüstig  in 
den  schärfsten  Contrasten.  Rousseaus  durchgehender  Charakterzug 
ist  absolute  Sachlichkeit  und  Schlichtheit.  Noch  nie  dagewesen  war 
eine  solche  Einfachheit  der  Schatten.  Seit  der  Renaissance  hatten 
die  Künstler  dem  malerischen  Effect  zu  Liebe  systematisch  die  Inten- 
sität des  Schattens  gesteigert.  Rousseau  ging  auf  das  Wahre  und 
Einfache  zurück,  das  sich  in  den  Worten  formuliren  lässt:  Je  mehr 
Licht  — nicht  desto  dunkler,  wie  sie  noch  Decamps  und  Huet 
malten , — sondern  desto  schwächer  und  durchsichtiger  sind  die 
Schatten.  Oder  allgemeiner:  In  der  Natur  steht  die  Intensität  der 
Schatten  in  reciprokein  Verhältniss  zur  Intensität  des  Lichtes.  Er 
drängt  dem  Betrachter  keine  von  ihm  berechnete  Stimmung  auf 
und  lässt  ihm  so  vor  dem  Bilde  die  ganze  Freiheit  und  Stimmungs- 
fähigkeit, die  man  vor  dem  Naturschauspiel  selbst  gehabt  haben 
würde.  Der  Maler  spricht  nicht  direct,  sondern  lässt  die  Natur 
handeln,  wie  ein  Medium  nur  als  Instrument  des  Spirits  agirt.  So 
persönlich  in  der  Ausführung,  so  absolut  unpersönlich  in  der  Gon 
ception  sind  Rousseaus  Bilder.  Huet  übersetzte  seine  Stimmungen 
mit  Hülfe  der  Natur,  Rousseau  ist  ein  unvergleichlicher  Zeuge,  der 
Geschehenes  strikt  berichtet,  in  knapper  männlicher  Sprache,  in 
Lapidarstil  seine  Rapporte  schreibt.  Huet  verstimmt,  weil  er  Stimm- 
ung machen  will.  Rousseau  verfehlt  die  Wirkung  selten,  weil  er 
den  Effect,  der  ihn  frappirt  hat,  treu  und  ohne  Marginalnoten  über- 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1850 


337 


setzt.  Nur  in  der  überzeug- 
enden Gewalt  der  Darstellung, 
nie  in  berechneter  Stimmungs- 
. macherei  liegt  die  »Stimm- 
ung« seiner  Landschaften. 

Oder  um  einen  Vergleich 
aus  dem  Gebiete  der  Porträt- 
malerei zu  machen : Wenn 
Lenbach  den  Fürsten  Bis- 
marck malt,  so  ist  das  Len- 
bachs  Bismarck,  er  hat  ihn 
als  geistreicher  Maler  ganz 
subjectiv  intcrpretirt  und 
zwingt  den  Betrachter,  ihn 
nun  auch  so  zu  sehen.  Hol- 
bein, als  er  Heinrich  VIII. 
malte,  ging  umgekehrt  vor: 

Das  Geistreiche  für  ihn  lag 
darin,  seinen  eigenen  Geist 
möglichst  wenig  zu  zeigen,  er 
ordnete  sich  vollkommen  dem 
Object  unter,  gab  sich  auf,  malte  andachtsvoll  Alles,  was  er  sehen 
konnte  und  iiberliess  cs  Anderen,  aus  dem  Bilde  was  sic  wollten  zu 
entnehmen.  Auch  in  Theodore  Rousseau  lebte  die  Seele  solch  eines 
alten  deutschen  Porträtisten.  Er  bot  seine  ganze  Willenskraft  auf,  die 
Natur  ohne  vorgefasste  Interpretation  sich  selbst  manifestiren  zu  lassen. 
Seine  Bilder  sind  absolut  effcctlos,  nur  in  der  Art,  wie  er  die  Natur 
sieht  und  malt,  ihr  intensives  mächtiges  Leben  fühlt,  ist  soviel  Kraft 
und  tiefe  Wahrheit,  soviel  Einfachheit,  Kühnheit  und  Ehrlichkeit, 
dass  sie  schon  dadurch  gleich  den  Bildnissen  Holbeins  zu  grossen 
Kunstwerken  werden.  Anderen  Meistern  standen  eindringlichere 
Töne,  eine  höhere  Phantasie,  rührendere  Zärtlichkeit,  berauschen- 
dere Accorde  zu  Gebote  — aber  wenige  hatten  wahrere,  tiefere 
Accente,  keiner  ist  so  aufrichtig  gewesen  als  Theodore  Rousseau. 
Rousseau  schaute  der  Natur  in’s  Innerste,  wie  Holbein  Heinrich  VIII., 
und  den  Eindruck,  das  Gefühl,  das  er  empfunden,  theilt  er  breit, 
kühn,  ganz  mit.  Er  ist  ein  Portraitmaler,  der  sein  Modell  aus  dem  fl' 
kennt,  aber  auch  ein  Kenner  der  alten  Meister,  der  weiss,  was  es 
bedeutet,  ein  Bild  zu  machen.  Jedes  Werk  von  Rousseau  ist  eine 

Muther,  Moderne  Malerei  II. 


22 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1830 


338 


bedächtige,  schwere, 
wohlabgewogene  Ar- 
beit, ein  Artilleriege- 
schütz, kein  knack- 
erndes  Gewehrfeuer ; 
kein  leichtes  Feuille- 
ton, sondern  eine 
ernste  Abhandlung 
mit  streng  markir- 
ter  Disposition.  Ein 
mächtiger  Colorist, 
arbeitet  er  doch  mit 
den  bescheidensten 
Mitteln  und  fühlt  sich 
im  Grunde  als  Zeich- 
ner. Das  hauptsäch- 
lich bewirkt  wohl, 
dass  man  heute  vor 
Rousseau’s  Bildern 
an  Hobbcma  weit 
mehr  und  Ruysdael 
als  an  Billotte  und 
Claude  Monet  denkt. 
In  seinen  letzten 
Corot  bei  der  Arbeit.  Jahren  brachte  ihn 

seine  absolute  Mei- 
sterschaft im  Zeichnen  sogar  dahin,  die  Malerei  überhaupt  zu  ver- 
lassen. Er  bezeichnete  sie  verächtlich  als  Lüge,  da  sie  die  Wahrheit, 
den  Knochenbau  der  Natur  iiberschminke. 

In  Rousseau  lebte  mehr  noch  als  die  Seele  eines  Porträtzeichners 
die  eines  Bildhauers.  Sein  Geist,  positiv,  exakt  wie  der  eines  Mathe- 
matikers, mit  weit  mehr  bildnerischer  Präcision  als  malerischen 
Qualitäten  geharnischt,  liebte  alles  Hartbegrenzte,  Plastische,  Ruhige: 
moosbewachsene  Felsen,  hundertjährige  Eichen,  Sümpfe  und  stehende 
Gewässer,  die  rauhen  Granitblöcke  des  Waldes  von  Fontainebleau 
und  die  Felseneichen  in  den  Schluchten  von  Opremont.  Ganz  be- 
sonders die  Eiche  war  sein  Lieblingsbaum,  die  gewaltige  breitästige 
uralte  Eiche,  die  den  Mittelpunkt  eines  seiner  Hauptwerke  »La  mare« 
einnimmt  und  fast  auf  jedem  seiner  Bilder  ihre  mächtigen  knochigen 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1830 


339 


Corot:  Die  Engelsburg. 


Aeste  zum  wolkigen  Himmel  reckt.  Nur  Rembrandts  drei  Eichen  stehen 
gleich  fest  und  breitbeinig  wie  lebendige  nordische  Persönlichkeiten 
unter  dem  klatschenden  Regen  auf  einsamem  Felde.  Solch  voll- 
kommene Lebensfähigkeit  seiner  Organismen  war  für  Rousseau  das 
Ziel  unausgesetzter  Arbeit.  Die  Pflanzen,  die  Bäume,  die  Felsen, 
waren  nicht  summarisch  beobachtete,  willkürlich  zusammengeballte 
Formen,  sie  waren  beseelte  Wesen  für  ihn,  athmende  Creaturen,  von 
denen  jede  ihre  Physiognomie,  ihre  eigene  Individualität,  ihre  Rolle 
und  ihre  Art  zu  sein  hat  in  der  grossen  Harmonie  des  universellen 
Concerts.  »Durch  den  Einklang  der  Luft  und  des  Lichtes  mit  dem, 
was  sie  leben  und  aufleuchten  lassen,  will  ich  es  erreichen,  dass  ihr 
die  Bäume  unter  dem  Nordwind  stöhnen,  die  Vögel  ihre  Jungen  rufen 
hört«.  Um  das  zu  erzielen,  thut  er  sich  nie  genug.  Wie  Dürer 
siebenmal  dieselben  Scenen  der  Passion  immer  wieder  vornahm,  bis  er 
den  einfachsten  sprechendsten  Ausdruck  gefunden,  so  hat  Rousseau 
zehnmal,  zwanzigmal  dieselben  Motive  behandelt;  rastlos  sind  seine 
Versuche,  derselben  Aufgabe  andere  Seiten  abzugewinnen,  seinem 
Modell  von  den  verschiedensten  Standpunkten  her  zu  nahen,  ihm 
allseitig  gerecht  zu  werden.  Er  nimmt  ein  unterbrochenes  Bild  immer 
wieder  vor,  fügt  hinzu,  um  den  Ausdruck  zu  steigern,  wie  Leonardo 
mit  dem  Bewusstsein  starb,  dass  an  der  Joconda  noch  immer  zu  thun 
sei.  Manchmal  kommt  dadurch  etwas  Gequältes  in  seine  Werke, 
andererseits  hat  er  in  diesem  Kampf  mit  der  Wirklichkeit  sich  eine 


340 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1850 


Corot:  Une  prairie  ä Sainle- Catherine-le^-Arras. 

Macht  des  Vortrags,  solch  schlagende  Ausdrucksfähigkeit , einen 
so  merkwürdigen  Blick  für  die  richtige  Wirkung  erworben,  dass 
jedes  seiner  Bilder  ohne  Schaden  in  einer  Galerie  alter  Meister  hängen 
kann,  — das  19.  Jahrhundert  sah  nicht  viele  entstehen,  die  diese 
Annäherung  in  jeder  Hinsicht  vertrügen.  Seine  Landschaften  sind 
saftig  wie  die  Schöpfung  selbst,  sie  lassen  eine  gewaltige  condensirte 
Natur  erstehen.  Die  einzigen  Worte,  die  bei  ihm  gebraucht  werden 
können,  sind  die  von  Stärke,  Gesundheit,  Energie.  »Es  sollte  stehen, 
im  Anfang  war  die  Kraft«. 

Theodore  Rousseau  war  von  Jugend  auf  eine  männliche  Seele, 
schon  als  Jüngling  ein  Mann,  der  über  alle  Jugendeseleien  hinaus  war, 
fast  möchte  man  sagen  : ein  Philosoph  ohne  Ideale.  Literarisch  wäre 
am  ehesten  die  Naturauffassung  Turgeniew’s  mit  derjenigen  Rousseaus 
zu  vergleichen.  In  Turgeniew’s  »Tagebuch  eines  Jägers«  von  1852 
ist  Alles  so  frisch  und  saftig,  dass  man  glauben  möchte,  cs  sei  gar 
nicht  durch  die  Feder  gegangen,  sondern  ein  direkter  Niederschlag 
aus  Wald  und  Steppe.  Wenn  die  Menschen  sonst  gewohnt  sind,  in 
die  Natur  ihre  Freude  und  ihren  Schmerz  hineinzusehen,  so  entfällt 
Turgeniew  beim  Betrachten  des  ewigen  Schauspiels  der  Elemente 


XXVI.  Die  Landschaft  von  i8jo 


341 


Corot:  La  Cbaumiere. 


durchaus  das  Gefühl  seiner  Persönlichkeit;  er  taucht  unter  und  ver- 
liert sich  ganz  darin;  er  wird  zu  einem  Theil  dessen,  was  er  betrachtet. 
Die  Erhabenheit  der  Natur  liegt  für  ihn  darin,  dass  sie  alles  Vorhandene, 
vom  Wurm  bis  zum  Menschen  mit  derselben  Theilnahmlosigkeit  be- 
handelt. Der  Mensch  erfährt  von  ihr  weder  Liebe  noch  Hass,  sie 
freut  sich  nicht  über  das  Gute  was  er  thut,  klagt  nicht  über  Sünde 
und  Verbrechen,  sondern  sieht  mit  ihren  tiefen  ernsten  Augen  ein- 
fach über  ihn  hinweg,  weil  er  ihr  gänzlich  gleichgültig.  »Der  letzte 
Deiner  Brüder  könnte  vom  Angesicht  der  Erde  verschwinden,  ohne 
dass  eine  Kiefernadel  an  den  Zweigen  darob  erzitterte«.  Die  Natur 
hat  etwas  Eisiges,  Gefühlloses,  Grauenhaftes,  und  die  Furcht,  die  sie 
wegen  dieser  Gleichgültigkeit  einflössen  könnte,  hört  nur  auf,  sobald 
wir  das  verwandtschaftliche  Verhältniss  verstehen  lernen,  in  dem 
wir  uns  zur  Umgebung  befinden,  sobald  wir  begreifen,  dass  Mensch 
und  Thier,  Baum  und  Blume,  Vogel  und  Fisch  derselben  Mutter  ihr 
Dasein  danken.  So  endet  Turgeniew  bei  Spinoza. 

Und  ähnlich  Rousseau.  Theodore  Rousseau  war  eine  Natur  onhe 
alle  Schwärmerei,  darum  bekam  auch  die  Welt,  die  er  malte,  unter 


342  XXVI.  Die  Landschaft  von  1830 

seinen  Händen  etwas 
Ernstes,  Unnahbares, 
Hartes.  Einsam  lebte 
er  dahin,  er  floh  die 
Menschen,  deshalb 
sind  auf  seinen  Bildern 
menschliche  Figuren 
selten.  Gern  malte 
er  die  Natur  an  kal- 
ten, grau  stimmungs- 
losen Tagen,  wenn 
die  Bäume  mächtige 
Schatten  werfen  und 
die  Formen  sich  kräf- 
tig vom  Himmel  ab- 
setzen. Er  ist  nicht 
der  Maler  derMorgen- 
und  Abenddämmer- 
ung. Es  gibt  kein  Er- 
wachen und  keine 
Morgenröthe,  keinen 
Reiz  in  diesen  Land- 
schaften und  keine  Jugend.  Kinder  würden  hier  nicht  lachen  und 
Liebespärchen  nicht  wagen,  da  zu  kosen.  Die  Vögel  würden  in 
diesen  Bäumen  keine  Nester  bauen  und  die  Jungen  nicht  zwitschern. 
Seine  Eichen  stehen  da,  als  hätten  sie  von  Ewigkeit  her  so  gestanden. 
»Die  unbegreiflich  hohen  Werke  sind  herrlich  wie  am  ersten  Tag«. 
Wie  Turgeniew  endete  Rousseau  im  Pantheismus. 

Immer  mehr  machte  er  sich  mit  der  unendlichen  Mannigfaltig- 
keit der  Bäume  und  Pflanzen,  des  Terrains  und  des  Himmels  in  den 
verschiedenen  Stunden  des  Tages  vertraut;  immer  mehr  präcisirte  er 
die  Formen.  Er  wollte  das  organische  Leben  der  unbeseelten  Natur 
malen,  das  überall  unbewusst  webt,  in  der  Luft  ächzt,  aus  dem  Busen 
der  Erde  strömt,  im  kleinsten  Gräschen  ebenso  vibrirt  wie  es  durch 
die  Aeste  der  alten  Eichen  rollt.  Keine  Menschen  sind  es,  diese  Bäume 
und  Kräuter,  aber  ihre  besonderen  Gesichter  zeigen  sie  genau  wie  der 
Mensch.  Die  Pappeln  wachsen  wie  Pyramiden  und  haben  grün-  und 
silberfarbige  Blätter,  die  Eichen  knorriges,  weitausladendes  Geäst  und 
dunkles  Laubwerk.  Die  einen  stemmen  sich  fest  und  unbeweglich 


XXVI  Die  Landschaft  von  1830 


dem  Sturm  entgegen, 
während  die  schlanken 
Pappeln  schwank  da- 
runter sich  biegen. 

Diese  seltsame  Ver- 
schiedenheit aller 
Naturformen , deren 
jede  einzelne  einen 
Daseinsverlauf  ab- 
wickelt ähnlich  dem 
des  Menschen , ver- 
folgte ihn  als  unge- 
heure Räthselfrage 
zeitlebens.  Betrachtet 
seine  Bäume,  sie  sind 
nicht  todt;  der  Lebens- 
saft steigt  ihnen  un- 
merklich durch  die 
starken  Stämme  bis  in 
die  kleinsten  Aeste  und 
Triebe,  die  sich  am 
Ende  des  Zweiges 
krallend  wie  Finger  ausbreiten.  Der  Boden  arbeitet  und  verändert  sich; 
jede  Pflanze  offenbart  die  innere  Structur  des  Körpers,  der  sie  hervor- 
gebracht. Und  dieses  Streben  ist  ihm  in  seiner  letzten  Zeit  sogar  zum 
Fluche  geworden.  Die  Natur  wurde  für  ihn  ein  Organismus,  den  er 
studirte  wie  der  Anatom  den  Cadaver,  ein  Organismus,  an  dem  alle 
Glieder  nach  denselben  logischen  Gesetzen  ineinander  greifen  wie  die 
Rädchen  einer  Maschine  und  für  dessen  richtiges  Funktioniren  die 
kleinste  Pflanze  deshalb  gleich  nothwendig  schien  wie  die  mächtigste 
Eiche,  der  Kieselstein  gleich  wichtig  wie  der  gewaltigste  Felsen. 
Uebcrzeugt,  dass  Nichts  in  der  Natur  nutzlos  und  gleichgültig  sei, 
dass  jedes  seine  Daseinsberechtigung  habe  und  mithandle  im  weben- 
den Leben  des  Alls,  glaubte  er,  dass  jedem  Ding,  so  klein  es  wäre, 
auch  malerisch  seine  besondere  Bedeutung  innewohne,  bemühte 
sich,  diese  zu  entdecken,  sie  evident  zu  machen  und  vergass  darüber 
mehrmals,  dass  die  Kunst  Opfer  bringen  muss,  wenn  sie  reizen  will 
und  bewegen.  In  seiner  grenzenlosen  Ehrfurcht  für  den  logischen 
Organismus  der  Natur  hielt  er  es  für  einen  kategorischen  Imperativ, 


344 


XXVI  Die  Landschaft  von  1830 


Corot:  Une  Malinie. 


dem  unendlich  Kleinen  gleiche  Wichtigkeit  wie  dem  unendlich 
Grossen  zu  geben.  Dieses  Vorgehen  war  chimärisch  und  daran 
scheiterte  er.  Das  Einzige,  was  aus  seiner  letzten  Zeit  künstlerische 
Geltung  bewahren  wird,  sind  seine  wunderbaren  mächtigen  Zeich- 
nungen. Er  hatte  wie  Keiner  das  Gefühl  für  Valeurs  und  wusste 
deshalb  seinen  Blättern  — ganz  abgesehen  von  der  markigen  Wucht 
des  Strichs  — auch  eine  merkwürdig  schlagende  Lichtwirkung  zu 
geben.  Ebenso  bewundernswerth  sind  die  unter  dem  Einfluss  japan- 
ischer Bilderbücher  entstandenen  Aquarelle.  Die  kleinlich  detaillirten 
Bilder  dieser  Jahre  haben  nur  historisches  Interesse,  da  es  immer 
lehrreich  ist,  zu  sehen,  wie  ein  grosser  Genius  sich  täuschen  kann. 
Eines  seiner  letzten,  die  Ansicht  des  Montblanc  mit  dem  unend- 
lichen Horizont  und  zahllosen,  scrupulös  sorgfältig  gezeichneten 
Terrainplänen,  hat  keine  malerische  Schönheit  und  Grösse  mehr. 
Man  kann  vor  diesem  bizarren  Werk  die  Willenskraft  und  Ausdauer 
des  Künstlers  anstaunen,  der  Eindruck  bleibt  immer  ein  mässiger. 
Jeder  Erdwelle,  jedem  Grashalm,  jedem  Blatt  wollte  er  das  Geheim- 
niss  seines  Daseins  ablauschen ; war  ängstlich  bedacht  auf  das,  was 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1830 


345 


Corot:  Vue  du  village  de  Sin,  pres  Douai. 

er  die  Planimetrie  nannte,  auf  die  Bedeutung  der  horizontalen  Pläne, 
er  accentuirte  übermässig  Detail  und  Beiwerk.  Der  pantheistische 
Glaube  an  die  Natur  brachte  Theodore  Rousseau  zu  Fall.  Wer  ihn 
nicht  kannte,  sprach  von  kindischem  Tüpfeln  und  vom  Verfall  seines 
Talentes.  Wer  ihn  kannte,  sah  in  diesem  Tüpfeln  einen  Ausfluss 
der  gleichen  Bestrebungen,  die  vor  ihm  der  arme  Charles  de  la  Berge 
gehabt  und  auf  denen  gleichzeitig  sich  in  England  die  Landschafts- 
malcrei  der  Praerafaeliten  aufbaute.  Befragt  man  seine  Werke  und 
liest  dann  sein  Leben,  so  kommt  man  fast  dazu,  für  ihn  selbst  eine 
Art  religiöser  Verehrung  zu  empfinden.  Er  hat  etwas  von  einem 
Märtyrer,  dieser  unersättliche  Beobachter,  der  das  Studium  der  Terrain- 
construction  und  der  Anatomie  der  Baumäste  wie  einen  heiligen  Gottes- 
dienst betrieb,  dieser  Mann,  dessen  Leben  ein  einziger  Kampf  war. 

Erst  hatte  er  Jahrzehnte  lang  um  Brod  und  Anerkennung  zu 
ringen.  Es  klingt  schwer  glaublich,  dass  seine  Landschaften,  noch 
nachdem  sie  1848  sich  Eingang  in  den  Salon  verschafft,  dort  Jahre 
lang  Aergerniss  erregten,  nur  weil  sie  — grün  waren.  Das  Publikum 
war  derart  an  die  braunen  Bäume  und  den  braunen  Rasen  gewöhnt, 


346 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1830 


Corot:  Land  schuft. 

dass  jede  andere  Farbe  in  der  Landschaft  gegen  den  Anstand  ver- 
stiess  und  der  Philister  vor  einem  grünen  Bilde  sofort  »Spinat«  rief. 
»Allez  c’ötait  dur  d’ouvrir  la  breche«  sagte  er  in  seinen  spätem 
Jahren.  Und  als  er  endlich  auf  der  Weltausstellung  1855  Europa 
deutlich  gemacht,  wer  Theodore  Rousseau  sei,  war  sein  Lebensabend 
wieder  durch  Leid  und  Krankheit  getrübt.  Er  hatte  ein  armes,  un- 
glückliches Geschöpf  geheirathet,  ein  wildes  Waldkind,  das  einzige 
weibliche  Wesen,  das  er  während  seines  arbeitsamen  Lebens  zu 
lieben  Zeit  gefunden.  Der  Irrsinn  packte  sie  nach  wenigen  Jahren 
der  Ehe  und  Rousseau  selbst  ward,  während  er  sie  pflegte,  von  dem 
Gehirnleiden  befallen,  das  seine  letzten  Jahre  umnachtete.  Ein  Papa- 
gei kreischte,  die  wahnsinnige  Frau  tanzte  und  trillerte,  als  Theodore 
Rousseau  1867  im  Sterben  lag.  Er  ruht  »dans  le  plain  calme  de  la 
nature«,  im  Dorfkirchhof  zu  Chailly  bei  Barbizon  angesichts  seines 
vielgeliebten  Waldes  begraben.  Millet  setzte  ihm  den  Grabstein,  ein 
einfaches  Kreuz  auf  unbehauenem  Sandblock  mit  den  auf  einer  Kupfer- 
tafel eingegrabenen  Worten  : 

THEODORE  ROUSSEAU  PEINTRE. 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1830 


347 


Corot:  Une  idylle.  Ronde  d’enfants. 

»Rousseau  c’est  un  aigle.  Quant  ä moi  je  ne  suis  qu’une  alouette 
qui  pousse  de  pctites  chansons  dans  nies  nuages  gris«.  Mit  diesen 
Worten  hat  Ptre  Corot  seine  Verschiedenheit  von  Rousseau  gekenn- 
zeichnet. Sie  bedeuten  in  der  modernen  Landschaftsmalerei  die 
beiden  entgegengesetzten  Pole.  Was  die  plastischen  Künstler 
Rousseau,  Ruysdael  und  Hobbema  — anzog,  — das  Relief  der 
Gegenstände,  die  Macht  der  Couture,  die  Festigkeit  der.  Formen  - 
war  Corots  Sache  nicht.  Während  Rousseau  mit  seinen  Schülern 
nie  über  Farbe  sprach,  sondern  als  Ceterum  censeo  immer  wieder- 
holte: »Enfin,  la  forme  est  la  premiere  chose  ä observer«,  gestand 
sich  Corot  selbst  ein,  das  Zeichnen  sei  nicht  seine  starke  Seite. 
Wenn  er  Felsen  zu  malen  suchte,  gelang  ihm  das  mässig,  und 
alle  seine  Bemühungen , menschliche  Figuren  zu  zeichnen,  waren, 
obwohl  er  in  seinen  letzten  Jahren  sogar  mit  nachhaltigem  Eifer 
darauf  zurückkam,  doch  selten  von  wirklichem  Erfolg  gekrönt.  Ein- 
zelne Ausnahmen,  wie  das  wunderbare  Bild  »die  Toilette«,  abge- 
rechnet, sind  die  Figuren  immer  die  schwächsten  Partien  seiner  Land- 
schaften und  wirken  nur  gut,  wenn  sie,  in  den  Hintergrund  gesetzt, 
allein  ihre  zarte,  in  rosigem  Duft  verschwimmende  Silhouette  zeigen. 
Nicht  viel  besser  glückten  ihm  Thiere,  namentlich  kommen  auf  seinen 
Bildern  oft  schwere,  dicke,  schlecht  auf  den  Füssen  stehende  Kühe 


348 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1830 


vor,  die  man  lieber 
hin  wegwiinsc  ht . Unter 
den  Bäumen  malte  er 
nicht  die  Eiche,  den 
Lieblingsbaumaller  für 
die  Form  schwärmen- 
den Künstler,  weder 
die  Kastanie  noch  die 
Ulme,  sondern  er  be- 
vorzugte die  Espe,  die 
Pappel,  die  Erle,  die 
Birke  mit  ihrem  weis- 
sen,  dünnen  Stamm 
und  ihren  zitternden, 
blassen  Blättern , die 
Weide  mit  ihrem  leich- 
ten Laub,  durch  das 
spielend  zarte  Sonnen- 
strahlen rieseln.  Bei 
Rousseau  ist  der  Baum 
eine  stolze,  knorrige 
Persönlichkeit,  ein 
adel iges,  sei bstbewuss- 
tes  Geschöpf,  bei  Corot 
ein  weiches,  zittern- 
des, sich  in  duftiger  Luft  wiegendes  Wesen,  in  dem  es  säuselt 
und  flüstert  von  Glück  und  Liebe.  Seine  Lieblingsjahreszeit  war 
nicht  der  Herbst,  wenn  die  ausgereiften  Blätter  hart  wie  Stahl  ruhig 
und  unbeweglich  sich  in  festen  Linien  vom  klaren  Firmament  ab- 
heben, sondern  der  erste  Frühling,  wenn  die  äussersten  Spitzchen 
der  Zweige  kleine  Blättchen  von  zartem  Grün  ansetzen,  die  bei  jedem 
kleinen  Lufthauch  schaudernd  vibriren ; er  wusste  ferner  ganz  wunder- 
bar den  Eindruck  kleiner  Grashälmchcn  und  Blümchen  zu  geben, 
die  im  Juni  auf  der  Wiese  spriessen,  er  liebte  den  Saum  eines  Ufers, 
wo  lange  Büsche  sich  in’s  Wasser  beugen,  das  Wasser  selbst  nament- 
lich in  seiner  unbestimmten  Klarheit  und  dem  Schillern  des  Lichtes, 
das  es  da  dunkel,  dort  leuchtend  umspielt;  den  Himmel,  der  sich 
tief  unten  mit  dem  hellen  Saum  des  Weihers  oder  den  verschwim- 
menden Umrissen  des  Ufers  vermählt,  die  Wolken  auch,  die  den 


Corot:  L’ Ilalienne. 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1850 


349 


Himmel  durchziehen, 
da  und  dort  ein  helles 
leuchtendes  Stück 
Blau  umsäumend.  Er 
hat  den  Morgen  vor 
Sonnenaufgang  ge- 
liebt , die  weissen 
Nebel,  die  als  leich- 
ter Gazeschleier  über 
den  Weihern  lagern 
und  beim  ersten  Son- 
nenstrahl mählig  zer- 
fliessen;  aber  er  hat 
fast  mehr  noch  für  den 
Abend  geschwärmt, 
für  die  weichen 
Dämpfe,  die  im  Däm- 
merdunst niederschla- 
gen  und  sich  zu  blass- 
grauem  sammtenen 
Mantel  verdichten,  je 
mehr  mit  der  Nacht 
Friede  und  Ruhe  auf 
die  Erde  herabsteigt. 

Sein  Feld  war  — in 
geradem  Gegensatz  zu  Rousseau  — alles  Weiche  und  Wogende,  Alles, 
was  keine  feste  Form,  keine  scharfen  Linien  hat,  und,  indem  es  nicht 
zu  klar  zum  Auge  spricht,  desto  mehr  zu  nebelhaften  Träumen  ladet. 
Es  lebte  in  Corot  nicht  die  Seele  eines  Bildhauers,  sondern  die  eines 
Dichters.  Oder  besser  noch:  Die  Seele  eines  Musikers  lebte  in  ihm, 
die  Musik  ist  die  am  wenigsten  plastische  Kunst.  Es  überrascht 
nicht,  in  seiner  Biographie  zu  lesen,  dass  er  gleich  Watteau  für  die 
Musik  mit  fast  noch  grösserer  Leidenschaft  wie  für  die  Malerei 
schwärmte,  dass  er  immer,  wenn  er  malte,  ein  altes  Liedchen  oder 
eine  Opernarie  auf  den  Lippen  hatte,  dass  er  mit  der  Musik  gern 
Vergleiche  zog,  wenn  er  von  seinen  Bildern  sprach,  dass  er  im 
Conservatorium  abonnirt  war,  in  keinem  Concerte  fehlte  und  selbst 
die  Geige  spielte : es  liegt  etwas  von  dem  milden  Tone  dieses  Instru- 
mentes auch  über  seinen  Bildern,  die  in  ihrem  köstlichen  Silberton 


350 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1850 


so  lieblich  feierlich  anmuthen.  Neben  Rousseau,  dem  Plastiker,  steht 
Pere  Corot  als  Idyllenmaler  von  weicher  Grazie,  neben  Rousseau,  dem 
Realisten,  erscheint  er  als  träumerischer  Musiker,  neben  Rousseau, 
dem  männlichen,  ernst  experimentirenden  Geist  nimmt  er  sich  aus, 
wie  ein  verliebter,  verschämt  sinnlicher  Backfisch.  Rousseau  nahte 
der  Natur  am  hellen  Tag  als  kühler  Analytiker  mit  Hebeln  und 
mit  Schrauben,  Corot  streichelte  sie,  schmeichelte  ihr,  sang  sie  an 
mit  werbenden  Liebesliedern,  so  dass  sie  wie  Venus  zu  Adonis  zu 
ihm  herniederstieg  in  den  Stunden  der  Dämmerung  und  ihm  als 
ihrem  Liebling  kosend  die  Geheimnisse  zuraunte,  die  jener  ihr  ge- 
waltthätig  nicht  abzutrotzen  vermochte. 

Camille  Corot  war  16  Jahre  älter  als  Rousseau.  Er  gehörte  noch 
dem  18.  Jahrhundert  an,  der  Zeit,  als  unter  Davids  Dictatur  Paris 
sich  in  das  kaiserliche  Rom  verwandelte.  David,  Gbrard,  Gubrin, 
Prudhon,  Künstler  von  so  verschiedenem  Talent,  waren  die  Maler, 
deren  Werke  seine  ersten  neugierigen  Blicke  trafen,  und  es  ge- 
hört kein  Scharfsinn  dazu,  in  den  Nymphen  und  Amoretten,  mit 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1830 


351 


Corot:  Concert  Cbarnpe'lre. 


denen  Corot  später,  besonders  am  Abend  seines  Lebens,  seine  duft- 
igen Landschaften  besäte,  noch  die  directen  Abkömmlinge  der  lieb- 
lichen Göttinnen  Prudhons,  Erinnerungen  an  seine  von  der  Antike 
genährte  Jugendzeit  zu  erkennen.  Auch  er  war  ein  Kind  des  alten, 
engen,  winkligen  Paris.  Sein  Vater  war  Coiffeur  in  der  Rue  du  Bac 
Nr.  37  und  hatte  ein  junges  Mädchen  kennen  gelernt,  das  in  Nr.  1 
derselben  Strasse,  dicht  am  Pont  Royal,  als  Verkäuferin  bei  einer 
Putzmacherin  arbeitete.  Er  führte  seinen  Barbierladen  noch  bis  1798, 
als  Camille,  der  zukünftige  Maler  2 Jahre  zählte.  Da  übernahm  Frau 
Corot  selbst  das  Putzgeschäft,  in  dem  sie  früher  gearbeitet.  Man 
las  an  dem  schmalen  Häuschen  Nr.  1 der  Rue  du  Bac : Madame 
Corot,  Marchande  de  modes.  Herr  Corot,  ein  kleiner,  feiner,  sehr 
correcter  Herr,  brachte  das  Geschäft  schnell  in  die  Höhe.  Die 
Tuilerien  waren’  gegenüber,  und  Corot  wurde  unter  Napoleon  I.  der 
»Modist«  des  Hofes.  Er  muss  als  solcher  einen  ziemlichen  Ruf 
gehabt  haben,  da  selbst  das  Theater  sich  seiner  bemächtigte.  Ein 
damals  häufig  in  der  Comedie  francaise  gespieltes  Stück  enthielt  die 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1830 


352 

Stelle:  »Ich  komme  von  Corot,  konnte  ihn  aber  nicht  sprechen; 

er  war  in  seinem  Cabinet  eingeschlossen,  damit  beschäftigt,  einen 
Frühjahrshut  zu  componiren«. 

Camille  besuchte  das  Gymnasium  in  Rouen  und  sollte  dann, 
dem  Wunsche  des  Vaters  gemäss,  einen  ernsten  Beruf  ergreifen, 
»mit  dem  Geld  zu  verdienen  sei«.  In  einem  Schnittwaarengeschäft 
mit  der  Elle  begann  er  seine  Laufbahn,  durchlief  mit  dem  Muster- 
buch unterm  Arm  die  Vorstädte  von  Paris,  um  Tuch  — couleur  olive 
— zu  verkaufen,  und  beging  dabei  in  seiner  Zerstreutheit  die  un- 
geschicktesten Sachen.  Nach  achtjährigem  Widerstand  willigte  der 
Vater  ein,  dass  er  Maler  werde.  »Du  bekommst  einen  jährlichen 
Wechsel  von  1200  fr.;  wenn  du  damit  leben  kannst,  soll  mir’s  recht 
sein.«  Am  Pont  Royal,  hinter  dem  väterlichen  Häuschen,  malte  er 
sein  erstes  Bild,  unter  dem  neugierigen  Gelächter  der  kleinen  Mo- 
distinnen, die  vom  Fenster  aus  zusahen  und  von  denen  eine,  Mlle. 
Rose,  ihm  zeitlebens  eine  liebe  Freundin  blieb.  Das  war  1823, 
und  seitdem  vergingen  30  Jahre,  bis  er  wieder  in  seinen  Bildern  auf 
französischen  Boden  zurückkehrte.  Victor  Bertin,  der  Classicismus, 
der  Stil,  die  Kälte,  wurde  sein  Lehrer.  Er  suchte  emsig  den  andern 
zu  folgen,  zeichnete  Studien,  componirte  historische  Landschaften, 
malte,  wie  er  die  Akademiker  malen  sah.  Um  seine  regelrechte 
Erziehung  zu  beenden,  blieb  ihm  nur  übrig  nach  Italien  zu  pilgern, 
wo  Claude  Lorrain  einst  gemalt  und  Poussin  die  historische  Land- 
schaft erfunden.  1825  — 28  Jahre  alt  — machte  er  sich  mit  Bertin 
und  Aligny  auf  den  Weg,  blieb  lange  in  Rom  und  kam  bis  Neapel. 
Die  Classicisten,  in  deren  Kreis  er  voll  demüthiger  Ehrfurcht  ein- 
trat, sahen  ihn  gern  wegen  seines  heiter  gleichmässigen  Naturells 
und  der  hübschen  Lieder,  die  er  mit  schöner  Tenorstimme  sang. 
Jeden  Morgen  ganz  früh  lief  er,  den  Farbenkasten  unterm  Arm, 
ein  sentimentales  Liedchen  auf  den  Lippen,  hinaus  in  die  Cam- 
pagna  und  zeichnete  die  Ruinen  mit  architektonischer  Strenge,  ganz 
Poussin.  Mit  wohlabgewogenen  historischen  Landschaften  konnte  er 
1827,  nach  2 ‘/a  jährigem  italienischen  Aufenthalt  im  Salon  debutiren 
1835  und  1843  weilte  er  von  Neuem  in  Italien,  und  erst  nach  dieser 
dritten  Pilgerfahrt  gingen  ihm  die  Reize  der  französischen  Land- 
schaft auf. 

Man  kann  über  diesen  ersten  Theil  in  Corot’s  Werk  schnell 
hinweggehen.  Seine  Bilder  aus  dieser  Zeit  sind  nicht  ohne  Verdienst, 
und  um  gerecht  darüber  zu  sprechen,  müsste  man  sie  mit  den  gleich- 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1850 


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Jules  Dupre. 


zeitigen  classicistischen  Erzeugnis- 
sen vergleichen.  Man  findet  dann 
eine  breite,  sichere  Zeichnung,  er- 
kennt eine  mächtige  Hand,  kann  ein 
staunenswerthes  Zunehmen  des 
Könnens  beobachten.  Schon  bei 
seinem  zweiten  Aufenthalt  in  Ita- 
lien hat  er  nicht  mehr  als  Ethno- 
graph gemalt,  sich  nicht  mehr 
im  Einzelnen  verloren.  Doch  erst 
in  den  Bildern  aus  seinen  letzten 
zwanzig  Jahren  ist  er  Corot,  der 
Theokrit  des  neunzehnten  Jahr- 
hunderts. Der  zweite  Corot  hat  den 

ersten  ungeniessbar  gemacht  — wer  hätte  Lust,  ihm  darob  zu 
zürnen ! Wie  hart  wirken  neben  seinen  späteren  Bildern  die  Stu- 
dien aus  Rom,  die  der  sterbende  Maler  dem  Louvre  vermachte  und 
denen  er  als  seinen  Jungfernreden  zeitlebens  eine  grosse  Zärtlichkeit 
wahrte.  Wie  wenig  haben  sie  von  dem  feinen  harmonischen  Licht 
seiner  späteren  Werke.  Die  grosse  historische  Landschaft  mit  Homer, 
auf  der  Licht  und  Schatten  so  schneidig  neben  einander  stehen,  die 
Landschaft  Aricia,  der  heilige  Hieronymus  in  der  Einöde,  das  junge 
Mädchen,  das  lesend  neben  einem  Bergstrom  sitzt,  der  »Bettler«  mit 
dem  toll  dahersausenden  Pferdegespann,  das  Decamps  nicht  virtuoser 
hätte  malen  können,  alles  sind  gute  Bilder  neben  denen  seiner  Zeit- 
genossen, aber  gegenüber  echten  Corots  doch  Schülerarbeiten  von 
trockener  harter  Malerei,  schwarzen  brutalen  Tönen  und  kalkiger  ge- 
mauerter Atmosphäre.  Es  ist  kein  Odem  in  dieser  Luft,  keine  Durch- 
sichtigkeit, kein  Leben;  die  Bäume  bewegen  sich  nicht,  sie  tragen 
eine  schwere  Rüstung  von  Eisen. 

Corot  näherte  sich  dem  vierzigsten  Jahr,  dem  Alter,  in  dem 
sich  der  Mensch  für  gewöhnlich  nicht  mehr  verändert,  als  durch 
den  Einfluss  der  Engländer  und  Rousseaus  sich  die  grosse  Umbild- 
ung der  französischen  Landschaftsmalerei  vollzog.  In  academischen 
Traditionen  erzogen,  hätte  er  treu  verharren  können  auf  seinem 
Gebiete.  Er  musste  vollständig  umlernen,  mit  der  Wahl  der  Gegen- 
stände die  Art  der  Behandlung  ändern,  um  der  jungen  Schule  zu 
folgen,  und  dieser  Häutungsprocess  hat  weitere  1 5 Jahre  erfordert. 
Noch  1843,  ;l^s  er  nach  Rückkehr  von  seiner  dritten  Romfahrt  von 

Mutlier,  Moderne  Malerei  II.  23 


3 54 


XXVI  Die  Landschaft  von  1850 


der  italienischen  zur  französ- 
ischen Landschaft  überging, 
waren  seine  Bilder  hart  und 
schwerfällig.  Er  hatte  schon 
Boningtons  und  Constables 
Einfluss  erfahren,  an  deren 
Seite  sein  erstes,  1827  aus- 
gestelltes Bild  hing.  Aber  das 
Werkzeug  Licht  und  Luft  zu 
malen  fehlte  ihm  noch;  seine 
Malerei  hat  nicht  Weichheit 
und  Leben.  Selbst  in  derStoff- 
wahl  ist  er  noch  unsicher,  kehrt  mehr  als  einmal  zur  historischen 
Landschaft  zurück  und  bewegt  sich  darin  mit  ungleichem  Erfolg. 
Noch  das  Hauptwerk  von  1843:  die  Taufe  Christi  in  der  Kirche 
Saint  Nicolas  du  Chardonnet  in  Paris  ist  nur  eine  feinfühlige 
Nachahmung  der  alten  Meister.  Erst  der  Christus  am  Oelberg  von 
1844  im  Museum  von  Langres  wirkt  wie  das  Glaubensbekenntniss 
eines  Neubekehrten.  In  der  Mitte  des  Bildes,  vor  einem  kleinen 
Hügel  kniet  Christus  betend  am  Boden,  seine  Schüler  umgeben  ihn, 
in  den  Schatten  verschwindend,  rechts  strecken  Olivenbäume  ihre 
knorrigen  Aeste  in  den  schattigen  Weg.  Ein  düster  blauer  Himmel, 
an  dem  flackernd  ein  Stern  steht,  ruht  zitternd  über  der  Landschaft. 
Ueber  den  Christus  möchte  man  wegsehen  — ohne  die  Unter- 
schrift wäre  er  schwer  erkennbar.  Aber  dieser  weithin  leuchtende 
Stern,  die  durchsichtige  Klarheit  des  nächtlichen  Firmaments,  die 
leichten  Wolken  und  luftigen  geheimnissvollen  Schatten,  die  huschend 
über  den  Boden  gleiten,  sie  gehören  nicht  mehr  dem  falschen,  sie 
verkünden  den  echten  Corot.  Seit  dieser  Zeit  hat  er  den  Weg  ge- 
funden. auf  dem  er  nun  frei  und  entschlossen  ging. 

Fünfundzwanzig  Jahre  war  es  ihm  vergönnt,  noch  in  vollkom- 
mener Reife,  Freiheit  und  künstlerischer  Unabhängigkeit  zu  schaffen. 
Man  meint,  er  wäre  bis  zum  50.  Jahre  ein  Kind  gewesen  und  da 
erst  in  s Jünglingsalter  getreten.  Bis  1846  bezog  er  von  seinem  Vater 
wie  ein  Student  den  Jahreswechsel  von  1200  fr.  und  als  er  in 
diesem  Jahre  das  Kreuz  der  Ehrenlegion  bekam,  verwilligte  ihm  Herr 
Corot  mit  den  Worten : »Na,  Camille  scheint  ja  doch  Talent  zu 

haben«,  für  die  Zukunft  das  Doppelte.  Ziemlich  um  dieselbe  Zeit 
bemerkten  seine  Freunde,  dass  er  eines  Tages  nachdenklicher  als 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1850 


355 


Die  Brücke  von  L’lsle  Adam. 


sonst  in  Barbizon  umherging.  »Ach  mein  Lieber,  ich  bin  untröst- 
lich, ich  hatte  bisher  eine  vollständige  Sammlung  von  Corots,  heute 
habe  ich  sie  angebrochen  und  das  erste  Stück  daraus  verkauft«. 
Noch  mit  74  Jahren  meinte  er,  »wie  schnell  doch  das  Leben 
vergehe  und  wie  sehr  man  sich  anstrengen  müsse,  um  noch  was 
Gutes  zu  schaffen.«  Die  Kunstgeschichte  bietet  wenig  Beispiele 
eines  so  langen  Frühlings.  Corot  hatte  das  Privilegium,  nicht  zu 
altern;  sein  Leben  war  eine  ewige  Erneuerung.  Die  Werke,  die 
ihn  zum  Corot  machten,  sind  Jugendwerke  eines  alten  Mannes, 
vollausgereifte  Schöpfungen  eines  Greises,  der  — wie  Tizian 
ewig  jung  blieb;  das  ist  auch  zu  ihrem  künstlerischen  Yerständ- 
niss  nicht  unwichtig. 

Corot  war  von  allen  Fontainebleauern  am  allerwenigsten  Realist, 
am  losesten  mit  der  Erde  in  Verbindung,  nie  auf  die  exacte  Wieder- 
gabe eines  Naturausschnittes  bedacht.  Gewiss  hat  er  viel  im  Freien, 
doch  weit  mehr  im  Atelier  gearbeitet,  manche  Gegend  gemalt,  wie 
sie  vor  ihm  stand,  aber  öfter  solche,  die  er  nur  in  sich  selbst  sah. 
»Diese  Nacht  habe  ich  im  Traume  eine  Landschaft  gesehen«,  soll  er 
auf  seinem  Todtenbett  gesagt  haben,  deren  Himmel  ganz  rosig  war. 
Es  war  reizend,  noch  ganz  deutlich  steht  sic  vor  mir,  es  wird 
wunderbar  sein,  das  zu  malen.«  Wie  viel  Landschaften  mag  er  so 
geträumt  haben  und  nach  dem  Traumbild  gemalt. 


3)6 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1830 


Dupri:  Les  environs  de  Southampton. 

Das  wäre  für  Junge  eine  sehr  gefährliche  Methode.  Für  Corot 
war  es  die  einzige,  die  ihm  gestattete  Corot  zu  sein,  weil  so  kein 
unpassendes  Detail  die  reine  poetische  Vision  störte. 

Sein  ganzes  Leben  war  ein  immer  neues,  kosendes  Liebeswerben 
um  die  Natur  gewesen.  Als  Kind  blickte  er  von  seinem  Dachstüb- 
chen herab  auf  die  wallenden  Nebel  der  Seine;  als  Gymnasiast  in 
Rouen  wandelte  er  traumverloren  die  Ufer  des  grossen  Stromes  ent- 
lang; da  er  älter  geworden,  bezog  er  jedes  Jahr  mit  seiner  Schwester 
ein  kleines  Landhaus  in  Ville  d'Avray,  das  ihm  sein  Water  1817 
kaufte.  Hier  stand  er  tief  Nachts,  wenn  Alle  schliefen,  am  offenen 
Lenster,  ganz  vertieft  in  die  Betrachtung  des  Himmels,  das  Plätschern 
des  Wassers,  das  Säuseln  der  Bäume.  Ganz  einsam.  Kein  Laut 
störte  seine  Träumereien,  und  geistesabwesend  badete  er  sich  in  der 
weichen,  feuchten  Atmosphäre,  in  dem  feinen,  vom  nahen  Flusse 
aufsteigenden  Dunst.  In  seiner  erregten  Seele  malte  Alles  sich 
harmonisch  ab,  seine  Augen  sahen  das  Einzelne  verschwimmend 
im  Ganzen;  er  fing  an,  die  Natur  nicht  zu  sehen  — sie  wie  ein 
geliebtes  Weib  zu  fühlen,  ihren  Odem  einzusaugen,  ihren  Herzschlag 
zu  hören. 

Man  kennt  den  wunderbaren  Brief,  in  dem  er  Jules  Dupre  den 
Tag  eines  Landschafters  beschreibt:  »On  se  leve  de  bonne  heure, 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1850 


357 


Dupre:  Soleil  couchant. 

a trois  heures  du  matin,  avant  le  soleil;  on  va  s’asseoir  au  pied 
d un  arbre,  on  regarde  et  on  attend.  On  ne  voit  pas  grand’chose 
d’abord.  La  nature  ressemble  ä une  toile  blanchätre  oii  s’esquissent 
ä peine  les  profils  de  quelques  masses:  tout  est  embaume,  tout 
frisonne  au  souffle  fraichi  de  l’aube.  Ring!  le  soleil  s’eclaircit  . . . 
le  soleil  n’a  pas  encore  dechire  la  gaze  derriere  laquelle  se  cachent 
la  prairie,  le  vallon,  les  collines  de  l’horizon  . . . Les  vapeurs  noc- 
turncs  rampent  encore  comme  des  flocons  argentes  sur  les  herbes 
d’un  vcrt  transi.  Bing!  . . . Bing!  . . . un  premier  rayon  de 
soleil  . . . un  second  rayon  de  soleil  . . . Les  petites  fleurettes 
semblent  s’dveiller  joycuses  . . . Elles  ont  toutcs  leur  goutte  de  rosee 
qui  tremble  ...  les  feuilles  frileuses  s’agitent  au  souffle  du  matin  . . . 
dans  la  feuillee,  les  oiseaux  invisibles  chantcnt  ...  II  semble  que 
ce  sont  les  fleurs  qui  font  la  priöre.  Les  Amours  a ailes  de  papil- 
lons  s’ebattent  sur  la  prairie  et  font  onduler  les  hautes  herbes  . . . 
On  ne  voit  rien  . . . tout  y est.  Le  paysage  est  tout  entier  derriere 
la  gaze  transparente  du  brouillard,  qui,  au  rcste  . . . monte  . . . 
monte  . . . aspire  par  le  soleil  ...  et  laisse,  en  se  levant,  voir  la 
riviere  lam£e  d’argent,  les  pres,  les  arbres,  les  maisonnettes,  le  loin- 
tain  fuyant  . . . On  distingue  enfin  tout  ce  que  l'on  devinait  d’abord  . 
Zum  Schluss  folgt  eine  Ode  auf  den  Abend,  die  wqhl  zu  den  feinsten 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1830 


— 


Duprd:  La  Mare. 

Blättern  französischer  Lyrik  zählt:  »La  nature  s’assoupit  . . . cepen- 
dant  l'air  frais  du  soir  soupire  dans  les  feuilles  . . . la  rosee  emperle 

le  velours  des  gazons  . . . Les  nymphes  fuient  . . . se  cachent  . . . 

et  desirent  etre  vues  . . . Bing!  une  etoile  du  ciel  qui  piquc  une 
tete  dans  l'etang  . . . Charmante  etoile,  dont  lc  fremissement  de 
l’eau  augmente  le  scintillement,  tu  me  regardes  ...  tu  me  sotiris 
en  clignant  de  Locil  ...  Bing!  une  seconde  etoile  aparait  dans  l’eau ; 
un  second  oeil  s’ouvrc.  Soycz  les  bienvenues,  fraiches  et  charmantes 
etoiles  ...  Bing!  Bing!  Bing!  trois.  six,  vingt  Voiles  . . . Toutes 
les  etoiles  du  ciel  se  sont  donne  rendez-vous  dans  cet  heureux 
etang  . . . Tont  s’assombrit  encorc  . . . L’etang  seid  scintille  . . . 
C’est  un  fourmillement  d’etoiles  . . . L’illusion  se  produit  ...  Le 

soleil  etant  couche,  le  soleil  interieur  de  1'äme,  le  soleil  de  l art  sc 

levc  . . . Bon!  voila  mon  tableau  fait!« 

Wer  über  Corot  nichts  als  diese  Zeilen  gelesen  hat,  kennt  ihn. 
Das  Wörtchen  Bing  allein  in  seinem  hellen  Silberklang  enthält  und 
erklärt  seine  Kunst.  Wie  leis  angeschlagene  Violinsaiten  vibriren 


XXVI.  Die  Landschai-t  von  1830 


3)9 


Dupre:  Lu  Barque. 


die  Worte  und  möchten  Mozart’sche  Musik  zur  Begleitung.  Ich 
weiss  nicht,  wer  backfischhaft  verliebter,  so  kosend  verführerisch 
und  erregt,  so  wollüstig  und  doch  schamhaft  — das  ganze  weiblich 
Zarte  der  Natur,  die  aufgelösten  Haare  der  Birken,  den  wogenden 
Busen  der  Luft,  die  frische  Jungfräulichkeit  des  Morgens,  die  müde 
Sinnlichkeit  des  Abends  beschrieb. 

Zu  diesen  Eindrücken  von  Rouen,  Ville  d’Avray  und  Bar- 
bizon kamen  schliesslich  noch  die  von  Paris.  Denn  Corot  war  in 
Paris  geboren,  er  verliess  es  oft,  kam  aber  doch  immer  zurück,  hat 
den  grössten  Theil  seines  Lebens  da  verbracht  und  vielleicht  gerade 
hier  in  seiner  letzten  Zeit  die  poetischsten  Werke  geschaffen.  Er 
brauchte  in  diesen  Jahren  keine  Landschaften  mehr,  er  brauchte,  um 
sie  entstehen  zu  sehen,  nur  einen  Himmel.  Allabendlich,  wenn  die 
Sonne  untergegangen,  verliess  er  sein  Atelier,  zur  Zeit,  wenn  die 
Dämmerung  eben  begann  und  Alles  umschleierte.  Er  hob  die  Augen 
zum  Himmel  auf,  dem  einzigen  Theil  der  Natur,  der  sichtbar 
blieb  — wie  oft  kehrt  dieser  Pariser  Dämmerungshimmel  in  Corots 
Landschaften  wieder!  Er  konnte  am  Ende  seines  Lebens  sich  wirklich 
einem  Traum  überlassen.  Die  Zeichnungen  und  zahllosen  Studien 


360 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1830 


Dupri:  Landschaft  mit  Regenstimmung. 


seiner  Jugend  bekunden  die  Aengstlichkeit,  Geduld  und  Genauigkeit 
seiner  Vorbereitung.  Sie  gaben  ihm  später,  als  er  seiner  Hand  ganz 
sicher,  das  Recht  zu  vereinfachen,  weil  er  Alles  von  Grund  auf  wusste. 
So  malt  Boecklin  — ohne  Modell  — seine  Bilder  — und  so  hat 
Corot  seine  Landschaften  gemalt.  Die  schwierigsten  Probleme  sind 
anscheinend  improvisirend  gelöst,  gerade  dadurch  gibt  der  Anblick 
eines  Corot  jenes  unsagbare  Wohlgefühl,  jenen  Eindruck  reizendster 
Leichtigkeit.  So  schreibt  nur  eine  Hand,  die  vierzig  Jahre  den  Pinsel 
geführt.  Alle  Wirkungen  sind  erreicht  mit  dem  kleinsten  Aufwand 
von  Kraft  und  Stoff.  Die  Zeichnung  schwebt  hinter  der  wie  hin- 
geblasenen Farbe,  als  sähe  man  in’s  Weite  durch  eine  dünne  Gaze. 
Wer  so  viele  Jahre  wie  er  mit  geduldigem,  aufmerksam  beobachten- 
dem Auge  die  Wirklichkeit  betrachtet,  seine  Phantasie  tagtäglich  mit 
Natureindrüfcken  durchsättigt  hatte,  der  durfte  schliesslich  wagen, 
nicht  mehr  die  oder  jene  Scenerie,  sondern  den  Duft,  die  Essenz 
der  Dinge  zu  malen,  frei  von  allem  beschwerenden,  erdigen  Beiwerk 
seine  Visionen,  seine  Seele  allein  zu  geben.  Es  wäre  verführerisch. 
Corots  Bilder  nur  als  »Bekenntnisse  einer  schönen  Seele  zu  würdigen. 

Corot  war  gross  und  stark  wie  ein  Herkules.  In  seiner  blauen 
Blouse,  mit  seiner  wollenen  Mütze  und  der  unvermeidlichen,  historisch 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1830 


361 


Dupre:  La  Char rette  de  Foin. 


gewordenen  kurzen  Corotpfeife  im  Mund,  hätte  man  ihn  eher  für 
einen  Fuhrmann,  als  einen  berühmten  Maler  gehalten.  Aber  zu 
gleicher  Zeit  blieb  er  sein  ganzes  Leben  lang  ein  — junges  Mädchen; 
20  Jahre  älter  als  alle  grossen  Landschafter  der  Epoche,  war  er  zu- 
gleich ihr  Patriarch  und  jüngerer  Kamerad.  Seine  langen,  weissen 
Haare  umrahmten  ein  unschuldiges,  roth  angehauchtes  Landmädchen- 
gesicht, und  seine  freundlichen  guten  Augen  waren  die  eines  Kindes, 
das  auf  Märchen  lauscht.  1848,  während  des  Barrikadenkampfes, 
fragt  er  in  kindlichem  Erstaunen;  »Was  gibt  es?  Sind  wir  mit  der 
Regierung  nicht  zufrieden?«  Und  1870,  während  des  Krieges,  kault 
er,  das  grosse  74jährige  Kind  mit  den  weissen  Haaren,  sich  noch  eine 
Flinte,  um  mit  gegen  Deutschland  zu  kämpfen.  Die  Wohlthätigkeit 
war  die  Freude  seines  Greisenalters.  Jeder  Freund,  der  um  ein  Bild 
ihn  anbettelte,  bekam  es,  dem  Geld  gegenüber  hatte  er  die  Gleich- 
gültigkeit des  bedürfnisslosen  Klausners,  der  nicht  säet  und  nicht 
erntet  und  von  seinem  himmlischen  Vater  doch  ernährt  wird.  Einem 
Bekannten,  dem  er  gegen  seine  Gewohnheit  5000  Francs  verweigerte, 
läuft  er  athemlos  nach:  »Verzeih,  ich  bin  ein  Geizhals,  da  sind 

sie.«  Und  als  ihm  ein  Kunsthändler  10,000  Francs  bringt,  weist 


^ ^2  XXVI.  Die  Landschaft  von  1850 

er  ihn  an:  »Schicken 
Sie  es  der  Wittwe  mei- 
nes Freundes  Millet; 
nur  muss  sie  glauben, 
dass  Sie  Bilder  von  i h m 
verkauft  haben.«  Seine 
einzige  Passion  war  die 
Musik,  sein  ganzes  Le- 
ben »ein  ewiges  Lied«. 
Corot  war  ein  glück- 
licher Mensch  und  kei- 
ner verdiente  mehr  es 
zu  sein.  In  seiner  gü- 
tigen Lebhaftigkeit  und 
immer  gleichmässigen 
Heiterkeit  war  er  der 
Liebling  Aller,  die  ihm 
nahe  traten  und  ihn 
traulich  ihren  Papa 
Duftre:  Le  vieux  Chnte.  Corot  nannten.  Alles 

war  gesund  an  ihm, 
natürlich,  er  war  eine  harmonische  Natur,  glücklich  zu  leben  und 
zu  schaffen.  Diese  Harmonie  spiegelt  sich  in  seiner  Kunst.  Auch 
in  der  Natur  sah  er  die  Freude,  die  er  in  sich  selbst  trug. 

Alles  Rauhe  oder  Schreckliche  meidet  er  — wie  sein  eigenes 
Leben  ohne  Romane  und  Schreckenskatastrophen  verlief.  Kein  Bild, 
auf  dem  ein  geängstigter  Baum  vom  Winde  gepeitscht  wird 
auch  Corots  Seele  ward  weder  von  Leidenschaften  noch  Schick- 
salsschlägen berührt.  Es  gibt  Luft  in  seinen  Landschaften,  aber  nie- 
mals Sturm;  wohl  Bächlein,  aber  keine  Giessbäche;  Gewässer,  aber 
keine  Brandungen;  Ebenen,  nicht  zerklüftete  Gebirge  — sie  sind 
sanft  und  friedlich  wie  sein  eigenes  Herz,  dessen  Ruhe  auch  der 
Sturm  nie  trübte. 

Kein  Mensch  lebte  geordneter,  regelmässiger,  vernünftiger.  Er 
war  verschwenderisch  nur,  wenn  cs  sich  um  Andere  handelte.  Kein 
Abend  verging,  ohne  dass  er  seine  Whistpartie  mit  seiner  Mutter 
spielte,  die  kurz  vor  ihm  erst  starb  und  vom  Greise  noch  mit  der  hin- 
gebenden Zärtlichkeit  des  Kindes  geliebt  ward.  Er  hatte  von  früh  an 
ganz  feststehende  Gewohnheiten,  die  die  Tage  lang  machen  und  Zeit- 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1830 


363 


Vergeudung  verhindern.  Die  acht 
Jahre , die  er  im  Schnittwaaren- 
geschäft  des  Herrn  Delalain  ver- 
lebte, hatten  ihn  an  Pünktlichkeit 
gewöhnt.  Jeden  Morgen  sehr  früh 
stand  er  auf,  war  3 Minuten  vor 
8 Uhr  ebenso  pünktlich  im  Atelier 
wie  er  vorher  hinter  dem  Laden- 
tisch gewesen,  und  tliat,  ohne 
Fieber  und  Trägheit,  heiter  vor  sich 
hinsummend,  sein  Tagewerk  mit 
jener  stillen  Ruhe,  die  am  weitesten 
vorwärts  kommt. 

Darum  hasste  er  auch  in  der 
Natur  alle  Leidenschaft,  alles  Un- 
regelmässige, plötzlich  Auftretende, 

Müde,  das  Fieberhafte  des  Ge- 
witters, wie  die  schlaffe  Trägheit 
alles,  was  ruhig,  gleichmässig  und  frisch,  friedlich  und  heiter  ist  und 
in  seiner  Ruhe  bezaubert : den  hellen , zarten  Himmel , grün  an- 
gehauchte Wiesen  und  Waldungen,  die  Bächlein  und  Hügel,  das 
regelmässige  Erwachen  des  Frühlings,  die  sanften,  stillen  Stunden 
der  Abenddämmerung,  den  thaufrisch  lachenden  Morgen,  die  zarten 
Dämpfe,  die  sich  langsam  auf  der  Oberfläche  stiller  Gewässer  bilden, 
die  Heiterkeit  sternenklarer  Nächte,  wenn  alle  Stimmen  schweigen, 
jedes  Lüftchen  ruht:  es  spiegelt  sich  in  Allem  die  Heiterkeit  seiner 
eigenen  Seele. 

Man  möchte  weiter  noch  gehen  und  sagen:  in  Gorots  Bildern 
spiegelt  sich  seine  Güte.  Corot  liebte  die  Menschen  und  wollte  sie 
glücklich  und  scheute  vor  keinem  Opfer  zurück,  seinen  Freunden  zu 
helfen.  Darum  liebte  er  auch  das  Land  und  wollte  es  glücklich,  be- 
lebt und  erheitert  durch  menschliche  Wesen.  Das  ist  der  grosse 
Unterschied  zwischen  ihm  und  Chintreuil,  der  ihm  sonst  so  ähnelt. 
Auch  Chintreuil  malte  die  Natur,  wenn  sie  lächelnd  aufschaudert 
unter  dem  sanften,  belebenden  Blick  des  Frühlings,  doch  die  Figuren 
fehlen  in  seinen  Bildern.  Ein  menschenscheuer,  verdrossener,  schüch- 
terner Mann,  glaubte  er,  die  Natur  auch  fühle  in  der  Einsamkeit 
sich  am  wohlsten.  Dickes,  undurchdringliches  Gestrüpp,  ein- 
same Schlupfwinkel  in  dichtem  Gehölz,  aus  dem  zuweilen  eine  er- 


Narcisse  Dia\. 

sommerlicher  Gluth.  Er  liebte 


3<H 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1850 


schreckte  Hirschkuh 
unruhig  spähend  den 
Kopf  streckt  — das  ist 
die  Scenerie  die  Chin- 
treuil  liebte.  Corot,  der 
die  Einsamkeit  nicht 
vertragen  konnte,  son- 
dern immer  der  Mittel- 
punkt einer  heitern  Ge- 
selligkeit war,  machte 
auch  die  Natur  zu 
einem  geselligen  We- 
sen. Frauen,  Männer, 
Kinder,  Reiter  beleben 
seine  Waldungen  und 
Wiesen.  Auch  Bauern 
zuweilen  bei  der  Feld- 
arbeit, doch  wie  we- 
nig ähneln  sie  den 
Bauern  Millets.  Die 
Landleute  des  Meisters 
von  Gruchy  sind  eben- 
so hart  und  rauh  als  sie  wahr  sind ; die  Last  des  Lebens  hat 
ihre  Körper  gebeugt,  in  frühzeitige  Falten  die  Gesichter  gelegt; 
vor  der  Zeit  sind  sie  alt,  jeden  Abend  müde.  Corots  Arbeiter  er- 
matten nicht;  mehr  hingehaucht  als  gemalt,  mehr  geträumt  als  gesehen, 
leben  sie  in  der  frischen  Luft,  frei  und  zufrieden,  ein  ätherisches 
Dasein,  haben  nie  gelitten,  so  wie  Corot  selbst  keine  Leiden  kannte. 
Doch  gewöhnlich  wollten  in  die  glücklichen  Gefilde,  die  seine  luftige 
Phantasie  ihm  vorzauberte,  Menschen  überhaupt  nicht  passen,  da 
kam  der  Augenblick,  wo  Prudhon  auflebte.  Die  Nymphen 


Duii : La  descenle  des  Bohemiens. 


lllld 

be- 

von 


Bacchantinen,  denen  er  als  Jüngling  beim  Grabmal  des  Virgil 
gegnet,  sie  suchten  ihn  am  Abend  seines  Lebens  auch  im  Wald 
Fontainebleau,  in  den  Gefilden  von  Ville  d’Avray  auf. 

Er  träumt  in  seinen  Bildern  von  Säulen  und  Altären,  bei  denen 
mythische  Gestalten,  am  Bache  schlafende  Dryaden,  tanzende  Faune 
junctaequae  nymphis  gratiae  decentes  in  classischer  Gewandung  sich 
bewegen.  In  diesem  Sinne  war  er  zeitlebens  Classicist.  Nur  sind 
seine  Nymphen  keine  »Staffage«,  nicht  Angehörige  der  verwelkten 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1850 


Truppe  classischer  Wesen, 
denen  die  Akademie  so  lange 
eine  Altersversorgung  in  den 
Ruinen  verlassener  Tempel 
gewährte.  Sie  sind  bei  Corot 
die  natürlichen  Bewohner 
einer  Welt  von  Harmonie 
und  Licht,  die  logische  Er- 
gänzung seiner  Naturvisi- 
onen — so  wie  Beethoven 
in  der  neunten  Symphonie 
zur  Menschenstimme  über- 
ging. Kaum  hat  er  die  Linien 
der  Landschaft  hingehaucht, 
da  verlassen  die  Nymphen 
und  Tritonen,  die  strahlen- 
den Kinder  der  griechischen 
Idylliker,  die  vergilbten  Blät- 
ter der  Bücher,  um  Corots 
Haine  zu  bevölkern,  sich  im 
abendlichen  Schatten  seiner 
Wälder  zu  laben. 

Denn  die  Abenddämmerung,  die  Stunde  nach  Sonnenuntergang, 
das  besonders  ist  die  Stunde  Corots:  selbst  die  Vorliebe  für  die  har- 
monische Natur  des  ersterbenden  Lichtes  war  ein  Ausfluss  seines 
eigenen  harmonischen  Naturells.  Corot  war,  wenn  er  wollte,  auch 
ein  Colorist  ersten  Ranges.  Die  Weltausstellung  1889  enthielt  Frauen- 
bilder von  ihm,  die  in  der  herben,  strengen  Schönheit  der  Gesichter 
Feuerbach  ähnelten,  in  der  volltönigen  Saftigkeit  der  phantastisch- 
bunten  Costümc  an  Delacroix  gemahnten.  Aber  im  Allgemeinen 
bezeichnen  seine  Werke  gegenüber  den  coloristischen  Orgien  der 
Romantik  die  zarteste  farbige  Enthaltsamkeit.  Eine  silberhelle  Wasser- 
fläche, die  elfenbeinerne  Haut  einer  Nymphe  ist  gewöhnlich  der 
einzige  Farbenhauch,  der  in  den  perlgrauen  Nebeldunst  seiner  Bilder 
hereinweht.  Corot  vermied  als  Mensch  alle  Gegensätze  und  Dramen; 
alles  Schroffe,  alles  Laute  war  ihm  zuwider.  Deshalb  bevorzugte  auch 
der  Maler  die  hellgrauen  Abendstunden,  in  denen  die  Natur  selbst  sich 
wie  in  zart  verschwimmende  Florschleier  hüllt.  Hier  konnte  er  ganz 
Corot  sein,  ganz  ohne  Conturen,  fast  ohne  Farben  malen,  nur  noch  in 


Dia\ : N’entre 3 pas. 


weicher,  dämmeriger 
Atmosphäre  baden. 
Er  sah  keine  Linien 
mehr,  Alles  war  Hauch, 
Duft,  Zittern,  Geheim- 
niss.  »Cen’est  plusune 
toile  et  ce  n’est  plus  un 
peintre,  c’est  le  bon 
Dieu  et  c’est  le  soir  . 
Elysische  Lüfte  fingen 
an  zu  wehen ; das 
matte  Echo  rauschen- 
der Bächlein  verhallte 
leise  flüsternd  im 
Wald;  die  weichen 
Arme  der  Nymphen 
umschmiegten  ihn 
und  aus  dem  nahen 
Gehölz  klangen  zart 
verschmelzende  Me- 
lodien wie  Aeolshar- 
fcn  herüber: 


Rege  dich,  du  Schilfgeflüster; 
Hauche  leise,  Rohrgeschwister; 
Säuselt,  leichte  Weidensträuche; 
Lispelt,  Pappelzitterzweige 
Unterbroch’nen  Träumen  zu. 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1850 


Harmonisch  wie  sein  Leben  und  seine  Kunst  war  sein  Ende.  Kien 
ne  trouble  sa  fin,  c’est  le  soir  d'un  beau  jour.  Seine  Schwester,  mit  der 
zusammen  der  alte  Junggeselle  gelebt  hatte,  war  im  Oktober  1874  ge- 
storben, und  Corot  liebte  die  Einsamkeit  nicht.  Am  23.  Februar  1875 
nachdem  er  gerade  sein  79.  Jahr  vollendet  — hörte  man  ihn,  wie  er 
im  Bett  liegend  mit  den  Fingern  in  der  Luft  zeichnete:  Gott,  ist  das 

schön,  die  schönste  Landschaft,  die  ich  gesehen  habe«.  Als  ihm  die 
alte  Haushälterin  das  Frühstück  bringen  wollte,  sagte  er  lächelnd : Heut 

frühstückt  Pure  Corot  dort  oben  . Selbst  die  Krankheit  der  letzten 
Tage  konnte  nichts  von  seiner  Heiterkeit  rauben  und  als  seine 
Freunde  ihm  in  der  Todesstunde  die  goldene  Medaille  brachten,  die 
zum  Andenken  an  sein  jojähriges  Künstlerjubiläum  geprägt  war, 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1830 


367 


meinte  er  mit  Freu- 
denthränen  in  den 
Augen:»  Man  ist  doch 
glücklich,  sich  so  ge- 
liebt zu  wissen;  ich 
habe  gute  Eltern,  liebe 
Freunde  gehabt  — ich 
danke  Gott«.  Mit 
diesen  Worten  ging  er 
ein  in  seine  wahre 
Wohnung,  das  Vater- 
land seiner  Seele,  nicht 
in  das  Paradies  der 
Kirche,  in  die  elys- 
ischen  Gefilde,  die  er 
so  oft  geträumt  und 
gemalt  hatte:  Largior 
hic  campos  aether  et 
luminevestit  purpureo. 

Als  sie  ihn  hinaus- 
trugen aus  seinem 
Hause  Faubourg-Pois- 
soniere  und  ein  Yor- 
beigehender  fragte,  wer 

begraben  werde,  antwortete  eine  dicke  Krämerin,  die  in  der  Haus- 
thür stand:  »Ich  weiss  nicht,  wie  er  heisst,  aber  er  war  ein  guter 
Mensch.  Beethovens  C-moll-Symphonie  wurde  nach  seiner  Bestimm- 
ung beim  Begräbniss  gespielt  und  als  der  Sarg  hinabgelassen  ward, 
schwang  sich  eine  Lerche  jubelnd  gen  Himmel.  »Den  Künstler 
wird  man  schwer,  den  Menschen  nie  ersetzen«,  hat  Dupre  am  Grabe 
Corots  gesagt.  Am  27.  Mai  1880  ward  ihm  am  Saum  des  Weihers 
von  Ville  d’Avray,  inmitten  des  dämmerigen  Waldes,  wo  er  so  oft 
geträumt  hatte,  ein  schlichtes  Denkmal  enthüllt.  Er  starb  im  vollen 
Künstlerruhm,  doch  erst  die  40  Bilder,  die  1889  die  Centennaraus- 
stellung  vereinte,  brachten  ganz  zum  Bewusstsein,  was  die  moderne 
Kunst  in  Corot  besass:  einen  Meister  ewiger  Meisterwerke,  den 
grössten  Poeten,  die  zarteste  Seele  des  neunzehnten  Jahrhunderts,  so 
wie  Fra  Angelico  die  zarteste  Seele  des  fünfzehnten,  Watteau  der 
grösste  Poet  des  achtzehnten  Jahrhunderts  war. 


Dia 1:  Sous  la  Feuillee. 


368 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1830 


Dia\:  Sous  bois.  Fontainebleau. 


Jules  Dupre , der  melancholische  Mann,  den  ein  einsames  Dasein 
in  leidenschaftlicher  Arbeit  verzehrte,  steht  neben  Corot,  dem  Mozart, 
als  der  Beethoven  der  modernen  Landschaft.  War  Theodore  Rousseau 
der  Epiker,  Corot  der  Idylliker,  so  erscheint  Dupre  als  der  Tragiker 
der  Schule  von  Fontainebleau.  Rousseaus  Natur  ist  dem  Menschen 
gegenüber  rauh,  hart  und  gleichgültig.  Für  Corot  ist  Gott  der 
grosse  Philanthrop,  der  die  Menschen  glücklich  sehen  will,  der  den 
Frühling  nur  kommen,  die  lauen  Winde  nur  wehen  lässt,  damit  die 
Kinder  da  unten  ihre  Freude  dran  haben.  Seine  Seele  ist,  wie  es 
im  Weither  heisst,  heiter  gleich  denen  süssen  Frühlingsmorgen  . 
Jules  Dupre  hat  weder  die  Sachlichkeit  Rousseaus,  noch  die  Zärtlich- 
keit Corots,  weder  kühl  noch  leis  sind  seine  Töne.  Quant  derriere 
un  tronc  d’arbre  oü  derriere  tine  pierre,  vous  ne  trouvez  pas  un 
homme,  ä quoi  ga  sert-il  de  faire  du  paysage«.  Dort  umschmeichelt 
der  leichte  Flügelschlag  der  Zauberflöte,  hier  trifft  der  Eroica  schreck- 
licher Hauch  das  Ohr.  Rousseau  schaut  der  Natur  mit  weit  ge- 
öffneter Pupille,  kritischen  Blicks  in’s  Herz.  Corot  bewirbt  sich 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1830 


369 


um  sie  streichelnd,  lächelnd,  kosend,  Dupr&  pathetisch,  Thränen 
im  Auge,  klagend.  Es  ertönen  bei  ihm  die  mächtigen  Fugen  des 
Romantismus.  Die  Bäume  fangen  an  zu  leben,  die  Wellen  lachen 
und  weinen,  der  Himmel  singt  und  klagt,  die  Sonne,  der  grosse 
Kapellmeister,  bestimmt  die  Accorde.  Schon  die  beiden  Bilder, 
mit  denen  er  1835  im  Salon  erschien,  nachdem  er  die  Por- 
zellanmanufactur  von  Sevres  verlassen  und  während  eines  Aufent- 
haltes in  England  Constable  kennen  gelernt,  die  »Umgebung  von 
Southampton«  und  »le  Pacage  dans  le  Limousin«  zeigten  ihn  als 
fertigen  Meister.  Alles  bewegte  sich  und  ächzte  in  der  »Um- 
gebung von  Southhampton«.  Ueber  ein  hügeliges  Land  saust  wie 
ein  wildes  Heer  eine  finstere  Windsbraut  hin,  hastig,  überflügelnd, 
düster,  fortreissend,  wild  hinfegend.  Sie  wirft  den  dünnstämmigen 
Bäumen  die  Haare  nach  hinten.  Regenschwangeres  Gewölke  um- 
wallt wie  in  Eilmärschen  den  Horizont.  Die  ganze  Landschaft  ist 
auf  der  Flucht;  das  Gehölz  scheint  sich  wie  ein  Wanderer  zu  ducken. 
Hinten  sind  einige  Figuren  erkennbar,  Leute,  die  durch  den  Sturm 
bei  der  Arbeit  überrascht  werden,  Pferde,  deren  Mähnen  im  Winde 
fliegen,  ein  Reiter,  der  sich  und  sein  Thier  flüchtet.  Ein  sumpfiges 
Gewässer  kräuselt  wie  stirnrunzelnd  seine  Wogen.  Alles  lebt  und 
bebt  in  dieser  grandiosen  Einsamkeit,  in  dem  Zusammenspiel  von 
wirren,  gleich  Vögeln  aufgescheuchten  Lichtern,  von  Wolkeneile, 
Zweigeflattern  und  schauernder  Gräserflucht.  »Le  Pacage  dans  le  Li- 
mousin« war  von  derselben  zwingenden  Energie,  ein  bewunderns- 
werthes  Bild  1835  und  bewundernswerth  noch  heute.  Die  grossen 
alten  Bäume  standen  da  wie  gewaltige  Säulen,  das  Gras  war  in- 
tensiv grün,  regengeschwängert;  die  Natur  schüttelte  sich  gleich- 
sam im  Fieber.  Und  Dupre  hat  das  lyrische  Fieber  des  Romantismus 
zeitlebens  behalten.  Der  letztheiingegangene  Kämpfer  des  Roman- 
tismus, hat  er  das  Banner  der  stolzen  Generation  von  1830  noch 
fast  zwei  Menschenalter  getragen,  blieb  bis  zum  Tode  1889  auf 
dem  Boden  stehen,  auf  den  Paul  Huet  die  französische  Landschaft 
gestellt  — nur  dass  Huet  seine  malerischen  Effecte  auf  dem  Wege 
der  Combination  und  Berechnung  erzielte,  Dupre  dagegen  stets  als 
grosser,  wahrer,  überzeugender  Poet  erscheint.  Allabendlich  sah  man 
ihn  in  L’Isle  Adam,  wo  er  sich  1849  niedergelassen,  einsam  die 
Fluren  durchstreichen , selbst  wenn  strömender  Regen  klatschend 
herniederschlug.  Einer  seiner  Schüler  erzählt,  als  sie  Nachts  einmal 
während  eines  Sturmes  auf  der  Oisebriicke  standen,  sei  Dupre  in 

Muther,  Moderne  Malerei  II. 


24 


370 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1830 


Weinkrampf  ausgebrochen 
vor  dem  gewaltigen  Schau- 
spiel. Er  war  ein  Fanatiker 
des  Gewitters,  der  bebend 
den  himmlischen  Tragödien 
lauschte,  ein  leidenschaft- 
licher, sich  verzehrender 
Geist,  der  gleich  seinem 
literarischen  Doppelgänger 
Victor  Hugo  die  schöne 
Landschaft  nur  da,  wo  sie 
wild  und  grossartig  ist, 
suchte.  Er  ist  der  Maler 
der  geängstigten  Natur  und 
des  majestätischen  Schwei- 
gens, das  auf  den  Sturm 
folgt.  Bald  ist  das  Thema 
seiner  Bilder  die  aufwir- 
belnde Angst  der  gelben 
Blätter,  die  der  Wind  auf- 
scheucht, die  entfliehen  und 
sich  bunt  durcheinanderdrehen,  die  schaudernd,  verstört,  in  toller 
Jagd  sich  in  die  Furchen  schmiegen,  in  die  Gräben  stürzen,  an  die 
Baumstämme  kleben,  um  Schutz  vor  ihrem  Verfolger  zu  finden. 
Bald  pfeift  der  Nachtwind  um  eine  alte  Kirche,  dreht  sausend 
die  kreischende  Wetterfahne  im  Kreise  herum,  rüttelt  ächzend  mit 
unsichtbarer  Hand  an  den  Thüren,  dringt  durch  die  Fenster  und 
sucht,  eingeschlossen  in  sein  steinernes  Gefängniss,  heulend  und 
klagend  wieder  einen  Ausweg.  Malt  er  Marinen,  dann  braust  und 
stöhnt  das  Meer  wie  ein  altes  heiseres  Ungethiim.  die  Farbe  des 
Wassers  ist  schmutzig  und  leichenfahl ; die  bellende  Meute  der 
Wogen  stürmt  wie  ein  unendliches  Heer  daher,  vor  dem  alle  mensch- 
liche Macht  zurückweicht.  Losgerissene  Steine  zerschellen  unter 
schrillem  Getöse  am  Ufer.  Die  Wolken  sind  unheimlich  trüb,  da 
dem  Rauch  eines  Kohlenfeuers  gleichend,  dort  von  blendender  Weisse, 
angeschwollen,  als  müssten  sie  bersten.  Er  feiert  die  Phaenomene, 
die  Bewegung  des  Himmels,  die  Natur  in  ihrer  grollenden  Majestät,  die 
sprühendsten  Erscheinungen  des  atmosphärischen  Lebens.  Rousseaus 
höchstes  Ziel  war  die  Effectlosigkeit  und  Corot  kannte  nur  die  Grazie 


Charles  Franfois  Daubigny. 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1830  ?yx 

des  Tons;  ein  Bild  von  ihm 
besteht  »aus  einem  wenig 
grau  und  einem  gewissen  je 
ne  sais  quoi«.  Jules  Dupre 
ist  der  eigentliche  Farben- 
dichter der  Gruppe,  zieht  im 
romantischen  Farbenconcert 
die  Täuschendsten  Register. 

Sein  Licht  erstrahlt  nicht 
in  leise  vibrirenden  Silber- 
klängen, es  ballt  sich  zu 
gellend  rothen  Sonnen  zu- 
sammen. »Ah  la  lumiere,  la 
lumiere!«  Neben  den  flam- 
menden Farben  der  Abend- 
röthe  malt  er  die  schwärz- 
esten Schatten.  Er  schwelgt 
in  Contrasten.  Die  liebste 
Farbenstimmung  ist  ihm  ein 
gespenstischer  Sonnenunter- 
gang, in  den  eine  knorrige  Eiche  oder  das  dunkle  Segel  eines  kleinen 
Fahrzeuges  wie  ein  geisterhaftes  Phantom  hineinragt. 

Schauernd  und  sehnend  blickt  er  in  das  Wogengewühl  und  hört 
den  mondbeglänzten  Strom  rollen  und  klingen.  Nacht,  Regen  und 
Sturm  thuen  ihm  wohl.  Corots  sanfte  Bächlein  werden  bei  ihm  zur 
wühlenden,  rollenden  Fluth,  zum  stürmenden,  reissenden  Strome.  Der 
Wind  weht  nicht,  sondern  braust  verheerend  über  das  Thal.  Die  Wol- 
ken, bei  Corot  silbern  und  gutmüthig  wie  weisse  Lämmlein,  sind  bei 
Dupre  drohend  und  schwarz  wie  Geister  der  Hölle.  Bei  Corot  wiegt 
der  sanfte  Morgenwind  die  lieben  Wolken  am  Himmel  herüber,  bei 
Dupre  bläst  ein  nasskalter  Abendwind  unheimlich  graue  Nebel  ins 
Thal  hinein  und  der  Sturmwind  zerreisst  die  Gewitterwolken. 

Wenn  ich  fern  auf  nackter  Haide  wallte, 

Wo  aus  dämmernder  Geklüfte  Schooss 
Der  Titanensang  der  Ströme  schallte 
Und  die  Nacht  der  Wolken  mich  umschloss, 

Wenn  der  Sturm  mit  seinen  Wetterwogen 

Mir  vorüber  durch  die  Berge  fuhr 

Und  des  Himmels  Flammen  mich  umflogen, 

Da  erschienst  du,  Seele  der  Natur. 

24* 


Daubigny:  Printembs. 


Daubigny:  Ecluse  Jans  la  vallee  d’  Optevo^. 

Diaz , der  in  seiner  Jugend  mit  Dupre  in  der  Porzellanmanu- 
factur  von  Sevres  arbeitete,  ist  der  erste  der  stolzen  Plejade,  der 
nicht  aus  Paris  selbst  stammte.  Von  edler  spanischer  Abkunft  - 
Narciso  Virgilio  Diaz  de  la  Pena  lautete  sein  volltönender  Name  — 
war  er  1807  in  Bordeaux  geboren,  nachdem  seine  Eltern  in  Folge 
der  Revolution  über  die  Pyrenäen  geflüchtet  waren,  und  auch  in 
seinen  Landschaften  macht  sich  vielleicht  ein  wenig  der  Spanier  be- 
merkbar. Diaz  hat  etwas  von  Fortuny.  Neben  dem  grossen,  nach 
Wahrheit  ringenden  Genie,  dem  männlichen  Ernste  Rousseaus,  den 
düster  hingefegten,  urkräftigen  Landschaften  Dupres  mit  ihrer  tiefen, 
pathetischen  Poesie  erscheinen  die  perlenden,  schmeichelnden  Bilder 
von  Diaz  ein  wenig  als  leichte  Waare.  Die  Natur  ist  ihm  ein 
Clavier,  um  capriciöse  Phantasien  darauf  zu  spielen.  Seine  Bilder 
wirken  auf  das  Auge  wie  funkelnde  Diamanten,  und  man  muss 
diesen  Reiz  auf  sich  wirken  lassen,  ohne  nach  der  Ursache  zu 
fragen,  sonst  entflieht  er.  Diaz  hatte  vielleicht  ein  wenig  zu  sehr 
das  Talent  des  Taschenspielers.  Das  funkelt  wie  in  einem  Zauber- 
kaleidoskop.  »Du  malst  Brennnesseln,  ich  ziehe  Rosen  vor«,  ist  die 
bezeichnende  Aeusserung,  die  er  gegen  Millet  that.  Seine  Malerei 
ist  prickelnd  und  schillernd  wie  ein  Pfauenschwanz  aber  — gerade 
in  diesem  Schillern  oft  von  unsagbarem  Reiz.  Sie  hat  das  raketen- 
haft  Geistreiche,  sprühend  Chevalereske , das  dem  Menschen  eigen 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1850 


373 


Daubigny:  Le  printemps. 

war  und  ihn  zum  beliebtesten  Gesellschafter,  zum  enfant  terrible 
und  geistigen  Mittelpunkt  des  Kreises  von  Fontainebleau  machte. 

Auch  ihm  war  wie  seinen  grossen  Genossen  Rousseau  und 
Dupre  die  Armuth  eine  lange  Begleiterin.  Kurz  nach  seiner  Geburt 
starb  der  Vater.  Frau  Diaz,  ohne  alle  Mittel,  kam  nach  Paris,  wo 
sie  sich  durch  Unterricht  im  Spanischen  und  Italienischen  den  Unter- 
halt erwarb.  10  Jahre  alt,  stand  der  Knabe  als  Waise  auf  dem 
Pflaster  der  Riesenstadt.  Ein  protestantischer  Pfarrer  in  Bellevue 
nahm  sich  seiner  an.  Hier  geschah  das  Unglück,  von  dem  er  später 
so  gern  erzählte.  Bei  einem  seiner  Streifzüge  durch  den  Wald  wurde 
er  von  einer  giftigen  Fliege  gebissen  und  musste  seitdem  mit  einem 
hölzernen  Bein,  das  er  son  pilon  nannte,  durch’s  Leben  stelzen.  Seit 
seinem  15.  Jahr  arbeitete  er,  erst  als  hinkender  Ausläufer,  dann  als 
Porzellanmaler  — mit  Dupre,  Raffet  und  Cabat  zusammen  — in  der 
Manufactur  von  Sevres.  Nicht  lange,  denn  als  ihm  eines  Tages 
in  den  Sinn  gekommen,  eine  Vase  ganz  nach  seinem  Geschmack 
zu  decoriren,  wurde  er  als  unfähig  entlassen.  Nun  begann  das  Elend 
von  Neuem.  Oft  wenn  der  Abend  gekommen  und  das  Dunkel  ihn 
schützte,  durchlief  er  die  Boulevards,  öffnete  die  Thüren  der  still- 
haltenden Wagen  und  — streckte  bettelnd  die  Hand  aus.  »Was 
thuts,  später  werde  ich  selbst  Pferde  und  Wagen  und  eine  goldene 
Krücke  haben  — mein  Pinsel  wird  sie  mir  geben.«  Auf  gut  Glück 
stellte  er  bei  einem  Kunsthändler,  in  der  Hoffnung,  100  Francs  dafür 
einzunehmen,  den  »Abstieg  der  Zigeuner«  aus,  jene  malerische  Bande 


374 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1850 


Daubigny:  Solitude. 

von  Männern,  Frauen  und  Kindern,  die  singend,  lachend,  schreiend 
auf  einem  abschüssigen  Waldweg  daherkommen,  sich  wie  ein  Heu- 
schreckcnschwarm  auf  ein  benachbartes  Dörfchen  zu  stürzen.  Ein 
Pariser  Amateur  zahlte  1500  Francs.  Damit  war  Diaz  gerettet,  und 
siedelte  sich  im  Wald  von  Fontainebleau  an. 

Diese  Biographie  erklärt  zugleich  Manches  im  Kunstcharakter  des 
Malers.  Seine  Arbeiten  sind  ungleich.  Mit  seinem  Bild  »Letzte 
Thränen«,  das  auf  der  Weltausstellung  1855  erschien  und  zu 
seinen  Landschaften  sich  verhält  wie  ein  grosser  Kupferblock  zu 
kleinen  Goldstangen,  betrat  er  einen  Weg,  auf  dem  er  lange  ohne 
eigentlichen  Erfolg  umherirrte.  Er  wollte  Figurenmaler  sein  und 
machte  sich  dazu  eine  Malerei  durch  Mischung  verschiedener  Tra- 
ditionen zurecht,  suchte  Prudhon,  Correggio,  Leonardo  zu  vereinen. 
Dem  Meister  von  Clugny  entlehnte  er  den  Frauentypus  mit  der 
stumpfen  Nase  und  den  langgeschlitzten , mandelförmigen  Augen, 
coiffirte  den  Kopf  ä la  Vinci  und  legte  das  Sfumato  Allegris  darüber. 
Seine  Zeichnung,  in  ihrer  Flüchtigkeit  so  malerisch,  wurde  kraftlos, 
indem  sie  correct  sein  wollte,  seine  Farbe  fad  monoton,  indem  sic 
dem  Stil  der  Classiker  nachlief.  Diaz  verdiente  in  dieser  Zeit  sehr 
viel,  verkaufte  ohne  Unterlass,  rächte,  wie  er  sich  vorgenommen, 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1830 


375 


Daubigny : Radirung. 


seine  frühere  Armuth.  Er,  der  auf  den  Boulevards  gebettelt,  konnte 
Waffen  und  Costüme  zu  den  höchsten  Preisen  erwerben  und  ein 
kokettes  Haus  auf  der  Place  Pigallc  erbauen.  Für  seine  kunstgeschicht- 
liche Stellung  sind  diese  Arbeiten,  die  ihm  eine  Jahreseinnahme  von 
50,000  Francs  und  eine  Zeitlang  den  Ruf  eines  wiedergeborenen 
Prudhon  einbrachten,  trotzdem  belanglos.  Zwischen  den  verschieden- 
sten, altmeisterlichen  Einflüssen  schwankend,  kam  er  nicht  über  einen 
unsichern  Eklekticismus  hinaus  und  konnte  zu  wenig  zeichnen,  um 
nennenswerthe  Resultate  zu  erzielen.  Was  bleiben  wird  von  ihm, 
ist  der  Landschafter.  Er  soll  der  Schrecken  alles  .Wildes  gewesen 
sein,  so  lange  er  mit  Rousseau  und  Millet  in  Fontainebleau  hauste 
und  dort,  um  sich  einen  billigen  Braten  zu  schaffen,  mit  der  Flinte 
im  Arm  die  Wälder  durchstreifte.  Er  soll,  wenn  seine  Bilder  vom 
Salon  zurückgewiesen  wurden , damals  die  Leinwand  lachend  mit 
seinem  hölzernen  Bein  durchlöchert  haben : »Wozu  hilft  der  Reich- 
thum? Kann  ich  mir  einen  Diamanten  in  meinen  Pilon  setzen 
lassen?«  In  diese  Jahre  vor  1855,  so  lange  er  noch  keinen  Kunst- 
händler kannte,  fallen  Diaz’  unsterbliche  Werke. 

Sein  Name  braucht  nur  genannt  zu  werden,  und  ein  Wald- 
inneres taucht  in  der  Erinnerung  auf,  das  der  Herbst  roth  gefärbt 
hat,  wo  Sonnenstrahlen  auf  vergoldeten  Baumstämmen  hüpfen,  in  my- 


376 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1850 


steriösen  Lichtungen  nackte, 
weisse  Körper  lagern  oder 
auf  goldgelben  Sandwegen 
bunt  drapirte  Odalisken  da- 
herkommen, deren  reiche 
Kleider  im  Sonnenstrahl 
funkeln.  Wenige  haben 
gleich  ihm  dem  Walde  seine 
Schönheit  in  Sonnengold 
und  Blättergrün  abgelauscht. 
Sie  Alle  waren  am  Ein- 
gang geblieben,  er  war  der 
erste,  der  wirklich  hinein- 
ging. Die  Aeste  der  Bäume 
schlugen  über  ihm  zusam- 
men wie  die  Wogen  des 
Meeres,  der  blaue  Himmel 
verschwand,  alles  war  ein- 
gehüllt in  Schönheit  und 
Poesie.  Die  Sonnenstrahlen 
rieselten  wie  der  Regen  der 
Danae  durch  die  grünen 
Blätter,  das  Moos  lag  wie 
ein  sammtener  Mantel  über 
den  granitenen  Fclsblöcken. 
Wie  ein  Eremit  siedelte  er  in  seiner  grünen  Höhle  sich  an.  Die 
Blätter  schillerten  gelb  und  roth  und  bedeckten  den  Boden,  von 
den  verstohlenen  Strahlen  der  Abendsonne  neckisch  vergoldet.  Man 
sah  nichts  von  den  Bäumen,  nicht  die  Silhouette  ihres  Blattwerkes, 
nicht  die  majestätischen  grossen  Linien  der  Aeste  — man  sah  nur 
den  moosbedeckten,  von  Sonnenstrahlen  umspielten  Stamm.  Diaz’ 
Bilder  sind  nicht  Landschaften,  denn  das  Land  fehlt  ihnen,  sic  sind 
Porträts  von  Baumschäften , und  ihre  Poesie  liegt  in  dem  Sonnen- 
strahl, der  sie  spielend  umhüpft.  »Haben  Sie  meinen  letzten  Stamm 
gesehen  ?«  pflegte  er  selbst  die  Besucher  seines  Ateliers  zu  fragen. 

Dieses  Waldinnere  war  Diaz’  eigenste  Specialität,  er  hat  es  nur 
selten  verlassen , um  andere  warme  sommerträumerische  Bilder  zu 
malen.  Denn  als  echtes  Kind  des  Südens  wollte  er  die  Natur  an 
ihren  schönen  Tagen  nur  sehen.  Er  kennt  nicht  den  Frühling  mit 


Chintreuil:  Utie  matinee. 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1830 


) / / 


Chintreuil:  Le  Bosquet  aux  Cbevreuils. 


seinem  leichten  Nebel,  noch  weniger  die  starre  Oede  des  Winters. 
Den  Sommer  allein  kennt  er,  den  Herbst,  und  wie  die  Frühlinge 
Corots,  sind  die  Sommer  von  Diaz  ein  ewiges  Lied.  Schöne  Nymphen 
und  andere  Wesen  aus  goldenem  Zeitalter  beleben  seine  smaragdenen 
Wiesen  und  sonnedurchblitzten  lauschigen  Wälder : bald  kleine,  recht 
bürgerlich  aussehende  Nixchen , bald  niedliche  Amoretten , Venuse 
und  Dianen  von  reizender  Grazie.  Alle  diese  Göttinnen  denken 
nichts  und  thuen  nichts,  sind  nicht  pikant  wie  die  Bouchers  und 
Fragonards  und  kennen  weder  Koketterie,  noch  Lächeln,  sie  sind 
einfache  Palettengöttinnen , wollen  nichts  vorstellen  als  leuchtende 
Farbenflecken  und  lieben  nichts  als  die  silbernen  Sonnenstrahlen,  die 
kosend  ihre  nackte  Haut  umstrahlen.  Ist  dem  Maler  eine  lebhaftere 
Farbe  erwünscht,  so  werfen  sie  sich  glänzend  rothe,  blaue,  grün- 
gelbe oder  golddurchwirkte  Stoffe  über  und  verwandeln  sich  wie 
auf  einem  Zaubertheater  flugs  aus  Nymphen  in  orientalische  Weiber. 
Um  sein  reizendes  Phantasietürkenthum  heraufzubeschwören , war 
ihm  ein  Stück  weicher,  goldschillernder  Seide,  ein  rother  Turban 


378 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1850 


Harpigtiies : Claire  de  Lutte. 


Mittels  genug.  Zuweilen  sind  sogar  simple  Sterbliche,  Holzhacker, 
Bauernmädchen  oder  Zigeuner  gekommen,  sich  von  Sonnenstrahlen 
beimpfen  zu  lassen  und  mit  ihren  malerischen  Lumpen  pikante  Farben- 
fleckchen zu  bilden. 

Diaz  ist  ein  reizender  Künstler,  ein  grosser  Charmeur,  ein 
Fest  für  die  Augen,  in  die  Kategorie  der  Isabev  und  Fromentin  ge- 
hörig. Als  er  beim  Morgengrauen  des  18.  November  1876  fern  im 
Süden,  inmitten  des  ewigen  Sommers  von  Mentone,  die  dunkeln 
leuchtenden  Augen  für  immer  schloss,  ging  ein  Hauch  der  Trauer 
durch  die  Wipfel  des  alten  Reichsforstes  von  Fontainebleau.  Der 
Wald  hatte  seinen  Klausner  verloren , den  geschäftigen  Bergmann, 
der  am  tiefsten  einfuhr  in  den  grünen  Schacht,  — er  hält  dankbar 
die  Erinnerung  an  ihn  aufrecht : geh  nur,  wenn  der  October  kommt, 
durch  das  Dickicht  des  Bas  Breau,  verirr  dich  in  der  herrlichen  Vege- 
tation, unter  diesen  hundertjährigen  Bäumen,  die  wie  Riesenbouquets 
in  tausend  Farben  schimmern,  da  dunkelgrün,  da  braun,  dort  goldgelb, 
dort  purpurroth  — und  du  wirst  im  Anblick  des  blitzenden  Flimmerns 
herbstlicher  Töne  nur  sagen  können:  ein  Diaz. 

Daubigny,  der  jüngste  der  Gruppe,  kam  nach  der  Schlacht  und 
spielt,  weil  er  nicht  mehr  zu  den  Erfindern  zählt,  geschichtlich  eine 
geringere  Rolle,  hat  aber  ebenfalls  eine  Physiognomie  für  sich , ein 


XXVI.  Dif.  Landschaft  von  1850 


379 


Profil  von  eigenem  Heiz. 

Die  Andern  waren  Maler  der 
Natur,  Daubigny  ist  der  Maler 
des  Landes.  Das  heisst,  wenn 
man  von  München  nach 
Dachau  fährt,  um  die  blüh- 
enden Apfelbäume  und  grün- 
enden Birken  zu  sehen,  den 
Geruch  des  Kuhstalls  und  den 
Duft  des  Heues  zu  athmen, 
dem  Läuten  der  Kuhglocken, 
dem  Quaken  der  Frösche 
und  Zirpen  der  Mücken  zu 
lauschen  — da  sagt  man 
nicht:  ich  will  die  Natur 
sehen,  sondern  »ich  gehe 
auf’s  Land«.  Jean  Jacques 
Rousseau  war  der  Dichter  der 
Natur,  George  Sand  in  ein- 
zelnen ihrer  Romane  hat  das  Landleben  gefeiert.  In  diesem  Sinne 
ist  auch  Daubigny  weniger  ein  Verehrer  der  Natur,  als  ein  Freund 
des  Landlebens.  Seine  Bilder  geben  die  Empfindung,  wie  wenn  man 
während  eines  Sommerausfluges  am  Fenster  steht  und  in  den  lachen- 
den knospenden  Frühling  schaut.  Man  empfindet  keine  Ehrfurcht 
vor  dem  Künstler,  aber  man  möchte  ein  Vogel  sein,  um  auf  diesen 
Zweigen  zu  sitzen,  eine  Eidechse,  um  durch  dieses  Grün  zu  kriechen, 
als  Maikäfer  summend  von  Baum  zu  Baum  fliegen. 

Daubigny  hat  vielleicht  nicht  mehr  das  grosse,  freie  Schaffens- 
vermögen der  Aelteren,  ihre  grossartige,  über  den  Dingen  schwebende 
Simplicität : das  weibliche  Element,  Empfänglichkeit  für  das  Natur- 
schöne überwiegt  bei  ihm,  nicht  mehr  die  männliche,  zeugende 
Gestaltungskraft,  die  für  den  empfangenen  Natureindruck  sofort  aus 
sich  heraus  den  schlagenden  Kunstausdruck  findet.  Er  sucht  keine 
poetischen  Emotionen  wie  Dupre,  hat  nicht  den  tiefen,  durch- 
dringenden Blick  für  die  Natur  wie  Rousseau ; er  nähert  sich  — 
in  seiner  Liebenswürdigkeit  und  Freundlichkeit  — Corot,  doch 
ohne  dass  in  seine  Landschaften  mythologische  Wesen  mehr  passten. 
Sie  würden  sich  nicht  freuen  über  diesen  Duft  nassen  Grases,  den 
Geruch  frischen  Düngers  und  die  verwitterten  alten  Kähne,  die  auf 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1830 


Troyoti:  Le  passage  du  bac. 

Daubignys  Bildern  schaukelnd  am  sumpfigen  Uferrain  halten.  Corot, 
leicht,  zart,  naiv  wie  ein  Gymnasiast,  der  Zeitlebens  auf  der  Schul- 
bank sitzt,  bleibt  immer  mysteriös  und  verschleiert.  Daubigny, 
schwerer,  mehr  Techniker,  hat  mehr  Kraft  und  weniger  Grazie, 
träumt  weniger  und  malt  mehr.  Corot  verhimmelte  die  Natur,  silber- 
graue Wolken  trugen  ihn  hinweg  in  die  elysischen  Gefilde,  wo 
nichts  mehr  Erdenschwere  hatte,  Alles  in  poetischen  Duft  zerfloss. 
Daubigny,  von  keinen  Ikarusflügeln  getragen,  erscheint  neben  ihm 
als  Antaeus:  körperhafter,  der  Erde  vermählt.  Dupre  machte  die- 
selbe zum  Spiegel  der  Thränen  und  Leidenschaften  des  Menschen. 
Corot  überraschte  sie,  bevor  der  Bauer  erwacht,  in  Stunden,  wo 
sie  noch  ganz  den  Feen  und  Nymphen  gehört.  Bei  Daubigny 
ist  sie  übergegangen  in  den  Besitz  des  Menschen.  Nicht  häufig 
bewegen  sich  Figuren  in  seinen  Bildern.  Selbst  Rousseau  gibt 
öfter  in  seinen  Landschaften  dem  Landmann  einen  Platz,  aber  seine 
Natur  steht  hart,  unnahbar,  überlegen  gleichgültig  dem  Menschen 
gegenüber.  Sie  blickt  ernst  auf  ihn  herab,  das  Herz  ihm  zuschnürend 
und  beengend.  Bei  Daubigny  ist  sie  dem  Menschen  vertraut,  ihm 


Troyon:  La  vache  qui  se  gratte. 

nahe,  freundlich  und  dienstlich.  Die  schaukelnden  Kähne  am  Ufer 
verrathen,  dass  Fischer  in  der  Nähe,  die  kleinen  Häuser  lassen,  selbst 
wenn  sie  leer  stehen,  erkennen,  dass  die  Bewohner  nicht  weit  sind, 
nur  auf  dem  Felde  arbeiten  und  jeden  Augenblick  zurückkommen 
können.  Dort  ist  der  Mensch  ein  Atom  des  Unendlichen , hier  ist 
er  der  Herr  der  Schöpfung.  Rousseau  wirkt  einfach  und  mächtig, 
Dupre  leidenschaftlich  pathetisch , Corot  himmlisch , Diaz  reizend, 
Daubigny  idyllisch,  traulich  intim.  Er  vollendete  ein  Zeitalter,  ge- 
noss das,  was  die  Andern  erregt  hatte,  man  bewundert  ihn  nicht, 
man  liebt  ihn. 

Bei  seiner  Amme  in  einem  kleinen  Dorf  bei  L’Isle  Adam  hatte 
er  die  Jugend  verbracht,  von  weiss  blühenden  Apfelbäumen  und 
wogenden  Getreidefeldern  umgeben.  Hier  empfing  er  als  Knabe 
schon  die  Eindrücke,  die  ihn  zum  Maler  des  Landes  machten  und 
auch  durch  einen  Aufenthalt  in  Italien  nicht  mehr  verwischt  werden 
konnten.  Das  beste  Bild,  das  er  dort  malte,  zeigte  ein  flaches  Stück 
Land  mit  Disteln.  Eine  Ansicht  der  Insel  »St.  Louis«  war  das  Werk, 
mit  dem  er  1838  im  Salon  debütirte. 


382 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1830 


Troyon:  Le  Retour  ä la  Fenne. 


Daubigny  ist  der  Maler  des  Wassers,  das  silbergrau  zwischen 
Eschen  und  Eichen  hinmurmelt  und  in  seinem  klaren  Spiegel  die 
Wolken  des  Himmels  auffängt.  Kr  ist  der  Maler  des  Lenzes  im 
Frühlingsduft,  wenn  die  Wiesen  im  ersten  Grün  prangen  und  die 
eben  entfalteten  Blätter  der  Bäume  sich  als  hellgrüne  Farbenfleckchen 
vom  Firmament  abheben,  wenn  die  Linden  blühen  und  die  Getreide- 
felder sprossen.  Ein  vom  Hauche  des  Frühlings  sanft  bewegtes  Saat- 
feld unter  knospenden  Apfelbäumen,  stille  Flüsse,  in  denen  bebuschte 
Inseln  und  Ufer  sich  spiegeln,  ruhige  Mühlen  in  der  Nähe  kleiner 
Bächlein,  die  silberklar  über  blitzblanke  Kieselsteine  rieseln,  schnatternde 
Gänse  und  Wäscherinnen,  die  sauber  ihr  Linnen  ausbreiten,  das  hat 
Daubigny  mit  der  feinen  Empfindung  des  sehr  empfänglichen  Natur- 
freundes gemalt.  Zugleich  wusste  er  den  wunderbarsten  Schmelz 
zarter,  feuchtdunstiger  Lüfte  durch  seine  Bilder  zu  verbreiten,  be- 
sonders in  jenen  Abenden  am  Wasser,  die  zugleich  so  poetisch  und 
exakt  sind,  hellen  Mondscheinabenden,  wenn  alle  Dinge  scharf  be- 
leuchtet und  doch  von  traumhaftem  Dufte  weich  umflossen  sind. 
Das  kühle  Abenddunkel,  nachdem  die  Sonne  und  jede  letzte  Spur 
der  Abendröthe  am  Himmel  verschwunden,  war  seine  liebste  Be- 
leuchtung. Yalmandois,  wo  er  seine  Jugend  verbrachte,  dann  die 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1830 


383 


Troyern:  Paturage  Norm  and. 


Oise,  der  graziöseste  und  malerischste  Fluss  Nordfrankreichs  mit 
seinen  grünen  Ufern,  Weinbergen  und  umzäunten  Gärten  kehren  am 
häufigsten  in  seinen  Bildern  wieder.  Auf  einem  kleinen  Schiff 
fuhr  er  alltäglich,  wenn  die  Natur  ihr  Frühlingskleid  anzog,  mit 
seinem  Sohne  Karl  die  Ufer  entlang,  in  der  Cabine  dieses  Bootes  ent- 
standen seine  frischesten  Werke,  geistreiche  Skizzen  zauberstiller,  fein 
umschleierter  Gegenden,  über  die  der  Mond  sein  helles,  silbernes 
Licht  breitet,  feine  Radirungen,  die  ihm  einen  Ehrenplatz  in  der  Ge- 
schichte der  modernen  Aetzkunst  sichern.  Der  Maler  der  Ufer  der 
Oise  betrachtete  Alles  mit  der  Neugier  und  der  Liebe  eines  Kindes  und 
ist  trotz  aller  Geschicklichkeit  immer  ein  naiver  Künstler  geblieben. 

Nachdem  diese  grossen  Meister  die  Bresche  geschlagen,  machte 
sich  eine  ganze  Reihe  von  Landschaftern  daran,  Jeder  auf  seine  Art 
von  der  gesunden  Kraft , dem  zarten  Reiz,  der  klagenden  Melan- 
cholie der  Erde  zu  erzählen.  Die  Einen  lieben  Dämmerung  und 
Licht,  die  einfache  Wiedergabe  alltäglicher  Fleckchen  in  alltäglicher 
Stimmung,  die  Andern  den  Kampf  der  Elemente,  den  leidenschaft- 
lichen Zug  der  Wolken,  den  schmerzerfüllten  Scheidegruss  der  Sonne, 
die  düstern  Stunden , wenn  die  Natur  sich  in  trauernden  Witwen- 
schleier hüllt. 


384 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1830 


Troyon:  Boeu/s  se  rendant  au  labour.  Effet  du  malin. 


Chintreuil  war,  obwohl  er  den  Ruhm  nicht  kannte,  einer  der  aller- 
feinsten, ein  äusserst  sensibler  Geist,  der  selten  vorkommende,  schnell 
vorübergehende  Effekte  ebenso  delicat  wie  kühn  fixirte:  den  Augen- 
blick, wenn  die  Sonne  zwischen  Wolken  flüchtig  durchblitzt,  wenn 
dicken  Nebel  für  einen  Augenblick  ein  Lichtstrahl  durchzuckt,  wenn 
einsame  grüne  Felder  von  den  ersten  süssen  Sonnenstrahlen  umkost 
werden  oder  ein  schimmernder  Regenbogen  eine  frische  Frühlings- 
landschaft umspannt.  Sein  Schüler  Jean  Desbrosses  wurde  der  Maler 
des  Thaies  und  des  Gebirges.  Achard  folgte  Rousseau  in  dessen  ein- 
same, ernste,  fitst  traurige  Gegenden.  Francais  malt  intime  Winkel 
aus  der  Umgegend  von  Paris  graziös,  doch  schwerer  als  Corot  und 
ohne  das  leuchtende  Licht,  das  die  Werke  jenes  Einzigen  durchfliesst. 
Die  Bilder  von  Harpignies  sind  ein  wenig  trocken  und  handfest.  Fr 
ist  rauher  als  jene  Grossen  und  spricht  eine  weniger  verführerische, 
fitst  nüchterne  Sprache,  aber  sachlich  mit  Ucberzcugung,  loyal  und 
einfach.  Man  schätzt  ihn  als  aufrichtigen,  sympathischen  Künstler, 
als  sicheres,  vielseitiges,  ein  wenig  zum  Classicismus  neigendes  Ta- 
lent. Emile  Breton,  der  Bruder  Jules’,  liebte  aufgerüttelte  Elemente, 
wilde,  abgelegene  Gegenden  und  rauhes  Klima.  Die  Ausführung 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1S30 


385 


ist  breit,  der  Ton  kräftig,  er  hat 
Grösse  und  Einfachheit.  Leonce 
Chabry  hat  neben  seinen  ernsten, 
grossen  Landschaften  auch  Marinen 
gemalt,  finstere  Wogen,  die  gegen 
zerklüftete  Felsen  schlagen. 

In  der  Kunst  fast  Aller  spielt 
die  Darstellung  der  Viehweiden 
eine  grosse  Rolle.  Bei  einigen  ging 
die  Freude  an  der  Thiermalerei 
so  weit,  dass  sic  überhaupt  keine 
Landschaft  malten,  ohne  im  Vor- 
dergrund ihre  geliebten  Hccrdcn 
Kühe  oder  Schafe  anzubringen. 

Die  Stimmung  der  Landschaft,  die 
heitere  Sonnenpracht  der  Farbe 
oder  die  stille  Melancholie  der 
Abenddämmerung  klingt  harmo- 
nisch im  Wesen  dieser  Thiere  aus.  Damit  waren  neue  Bahnen  auch 
der  Thiermalerei  eröffnet,  die  nicht  weniger  als  die  Landschaft  unter 
dem  Druck  der  Convention  gelitten. 

Bis  zum  Schlüsse  des  1 8.  Jahrhunderts  hatte  man  in  Frankreich 
sich  begnügt,  die  leichte  oberflächliche  "Kunst  des  Nicolaus  Berghem 
dem  französischen  Geschmack  anzupassen.  Dcmarne,  einer  der  letzten 
Erben  dieses  Niederländers,  brachte  noch  während  der  Revolutions- 
zeit unter  die  grossen  Bilder  mit  ihren  classischen  Allüren  ein  wenig 
Sonnenschein,  Heiterkeit  und  Landluft.  In  seinen  Armen  entschlief 
die  Thiermalerei  des  Ancien  regime  und  der  »edle  Stil«  des  Classi- 
cismus  verhinderte  das  Emporkommen  einer  neuen.  Die  Thatsache, 
dass  der  grosse  Jupiter,  der  Vater  der  Götter  und  Menschen,  gern 
sich  die  Gestalt  eines  Vicrfüsslers  zulegte,  wenn  er  schwache, 
weibliche  Wesen  verführte,  hätte  zwar  auch  während  der  Herr- 
schaft der  Davidschule  dem  Thierbild  eine  gewisse  Berechtigung  ge- 
sichert. Aber  da  Thiere  schwer  zu  idealisiren  oder  die  erhaltenen 
antiken  Thierstatuen  schwer  direct  für  Bilder  zu  verwenden  waren, 
hielt  man  sich  lieber  ganz  davon  fern.  In  Landschaften,  die  nur 
Götter  und  Helden  mit  ihrer  Gegenwart  beehrten,  hätten  nicht  ein- 
mal idealisirte  Thiere  gepasst.  Nur  solche,  deren  richtige  Zeichnung 
schwer  zu  controliren,  wie  Sphinxe,  Sirenen  und  geflügelte  Pferde, 

Muther,  Moderne  Malerei  II 


Rosa  Bonheur. 


2) 


386 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1830 


Rosa  Bonheur:  Labourage  Nivernais. 


jene  Wesen,  die  auch  von  den  antiken  Tragikern  so  gern  als  deus 
ex  machina  verwendet  wurden,  treiben  zuweilen  in  den  Bildern 
Bertins  und  Paul  Plandrins  ihr  Wesen.  Carle  Vernet,  der  Cavallerie- 
attaken  und  Jagdscenen  componirte,  hatte  nicht  Talent  genug,  um 
ernstlich  Bresche  zu  schlagen  und  auf  seinem  Gebiete  Nachfolger  zu 
finden.  Gericault,  der  Vorläufer  des  Romantismus,  war  auch  der 
erste  bedeutende  Pferdemaler;  und  ist  sein  grosser  Schiff bruch  der 
Medusa  noch  stark  im  Schema  des  Classicismus  befangen,  so  wirken 
seine  Jockeybilder  und  Pferderennen  derart  frisch,  lebendig  und  un- 
gezwungen, als  ob  sie  gestern,  nicht  vor  70  Jahren,  gemalt  wären. 
An  sprühender  Lebendigkeit,  Temperament  und  Verve  steht  Geri- 
cault einzig  da  in  diesen  Bildern , das  gerade  Gegentheil  von 
Raymond  Brascassat,  dem  ersten  Specialisten  des  landschaftlichen 
Thierstückes,  der  wegen  seiner  zierlichen  Behandlungsweise  in  den 
30er  Jahren  grossen  Beifall  find.  Brascassat  war  der  Winterhalter 
der  Thiere,  weder  Classicist,  noch  Romantiker,  noch  Realist,  sondern 
die  verkörperte  Mittelmässigkeit,  ein  Mann,  der  die  Natur  schlecht 
und  recht  mit  den  Augen  des  Philisters  betrachtete.  Sein  schnell 
verblasster  Ruhm  war  die  That  jener  Amateure,  die  vom  Bilde  in 
erster  Linie  die  banale,  möglichst  genaue  und  glatte  Reproduction 
der  Wirklichkeit  fordern. 

Erst  als  die  Landschafterschule  von  Fontainebleau  eine  neue  Art 
zu  sehen,  zu  fühlen,  sich  auszudrücken  begründet  hatte,  brachte  Frank- 


XXVI.  Die  Landschaft  von  i8jo 


387 


Rosa  Bonheur : Pferdeinarkt. 


reich  auch  neue,  grosse  Thiermaler  hervor:  gleich  thurmhoch  wie 
auf  dem  Gebiete  der  Landschaft  Dupr6  und  Rousseau  ihre  Vorgänger 
Cabat  und  Flandrin  überragen , steht  auf  dem  Gebiete  des  Thier- 
stückes Troyon  über  Brascassat.  Dort  eine  ängstlich  kleinliche  Natur- 
betrachtung in  Verbindung  mit  polirter,  magerer,  arrangirter,  aka- 
demischer Malerei,  hier  eine  wilde,  breit-grosse  Mache,  eine  Unmittel- 
barkeit und  Macht  der  Anschauung,  die  in  der  Kunstgeschichte  ihres 
Gleichen  sucht.  Brascassat  gehörte  in  die  Kategorie  der  Denner, 
Troyon  in  die  der  Frans  Hals  und  Brouwer. 

Es  wäre  zwecklos,  von  seiner  ersten  Thätigkeit  in  der  Porzellan- 
manufactur  von  Sevres  zu  erzählen , von  seinen  kunstgewerblichen 
Arbeiten  und  den  kleinen  classicistischen  Veduten,  mit  denen  er  1833 
im  Salon  debütirte,  von  der  Anregung,  die  er  durch  Roqueplan 
erhielt.  Sich  selbst  fand  er  erst,  als  er  die  Bekanntschaft  Theodore 
Rousseaus  und  Jules  Dupres  gemacht  und  sich  mit  ihnen  im  Wald 
von  Fontainebleau  ansiedelte.  In  diesem  Hauptquartier  der  neuen 
Schule  erlebte  er  die  Umwandlung  seiner  Anschauungen.  Hier 
fühlte  er  sich,  erst  Landschafter,  bald  hingezogen  zu  den  mächtigen 
Formen  der  Ochsen,  deren  Farbe  so  harmonisch  in  der  Luft  und  im 
Grün  steht  und  deren  philosophische  Ruhe  so  gut  das  träumerische 
Wesen  der  Natur  ergänzt.  Eine  Reise  nach  Belgien  und  Holland 
1847,  auf  der  er  mit  den  alten  Thiermalern  intimere  Bekanntschaft 
machte,  bestärkte  ihn  in  dem  Entschluss,  sich  ausschliesslich  diesem 
Gebiet  zu  widmen.  Weniger  Paul  Potter  als  Albert  Cuyp  mit  seiner 

25* 


388 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1830 


E.  van  Marcke:  Le  Retour  ä la  ferme. 


mächtigen,  schönen  und  reichen  Farbe,  seiner  zugleich  leichten  und 
männlichen  Mache  fesselte  ihn.  Doch  Rembrandt  vor  Allen  wurde 
sein  grosses,  angestauntes  Ideal.  In  der  »Mühle«,  seinem  ersten 
Hauptbild  von  1849,  ist  der  Einfluss  des  grossen  Holländers  deut- 
lich bemerkbar  und  bleibt  dann  bis  1855  vorherrschend.  In  diesem 
Jahre,  während  eines  längeren  Aufenthaltes  in  der  Normandie,  wurde 
er  Troyon  und  malte  die  »zur  Arbeit  gehenden  Ochsen«  , das  ge- 
waltige Bild  des  Louvre,  das  ihn  im  Zenith  seines  Schaffens  zeigt. 
Noch  kein  Thiermaler  hatte  so  sachlich  und  mächtig  zugleich  den 
langsamen,  schweren  Schritt,  die  philosophische  Gleichgültigkeit  und 
ruhige  Resignation  der  Rinder,  die  Poesie  des  herbstlichen  Lichtes 
und  den  Nebel  des  Morgens  gemalt,  der,  leicht  vom  Boden  aul- 
steigend,  das  ganze  Land  in  graue,  silberne  Töne  hüllt.  Das  tief- 
gefurchtc,  dampfende  Ackerfeld  steigt  wellig  an,  so  dass  man  über 
das  Erdenrund  in  den  Horizont  zu  blicken  meint.  Eine  urthümliche, 
homerische  Stimmung  ruht  darüber. 

Troyon  ist  vielleicht  weniger  correct  als  Potter,  und  nicht  so 
abgeklärt  als  Albert  Cuyp,  aber  kräftiger  und  wuchtiger  als  beide. 
Keiner  hat  wie  er  die  Poesie  dieser  schweren  Fleischmassen  be- 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1830 


389 


E.  van  Marcke:  Les  deux  Amies. 

griffen,  mit  ihren  mächtigen  Farben,  ihrer  grossen  Silhouette. 
Was  ihn  weiter  über  die  Alten  stellt,  ist  seine  urwüchsige  Kraft  als 
Landschafter,  die  nur  in  Rousseau  ihres  Gleichen  hat.  Seine  Land- 
schaften haben  stets  Erdgeruch,  den  Geschmack  der  Rusticität.  Bald 
malt  er  die  von  lichtem  Sonnenschein  durchtränkte  Atmosphäre, 
welche  die  Umrisse  der  Dinge  mit  leichtem  Corot’schen  Dunst  ver- 
schleiert; bald  lässt  er  seine  Heerden  schwerfällig  feist  zur  Nacli- 
mittagsstunde  über  hellbeleuchtete  Feldwege  und  dunkelgrüne  Wiesen 
schreiten ; oder  der  Himmel  ist  von  schweren  Gewitterwolken  durch- 
jagt. Troyon  ist  kein  Poet,  aber  ein  geborenes  Maleringenium,  ein 
Maitre-peintre  von  Kraft  und  Plastik , ebenso  gesund  wie  farben- 
prächtig, in  die  kraftstrotzende  Familie  der  Jordaens  und  Gourbet  ge- 
hörig. Seine  »Kuh,  die  sich  kratzt«  und  seine  »Rückkehr  zum  Meier- 
hof« werden  stets  zu  den  gewaltigsten  Thierbildern  aller  Zeiten  zählen. 

Als  er  1865  nach  zweijähriger  geistiger  Umnachtung  starb,  ver- 
suchte Rosa  Bonheur  in  den  Platz  aufzurücken,  den  er  leer  gelassen. 
Die  Sympathien  der  Menge  besass  sie  schon  vorher,  da  sie  in  ihren 


390 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1830 


Cb.  Jacque:  Troupeau  en  Marche. 

Bildern  alle  Qualitäten,  die  an  Troyon  vermisst  wurden,  vereinigte 
und  zu  gefallen  wusste,  wo  jener  abstiess.  Troyons  Arbeiten  schienen 
den  Amateuren  lange  Zeit  nicht  vollendet  genug.  Sie  sagten  sich 
nicht,  dass  die  »Vollendung«  bei  Kunstwerken  schliesslich  nur  ein 
Werk  der  Geduld  ist,  mehr  industriell  als  künstlerisch  und  im  Grunde 
nur  zu  dem  Zweck  erfunden,  um  Halbkenner  zu  verlocken.  Rosa 
Bonheur  besass  diesen  Fleiss  und  verdankte  es  ihm,  dass  ihr  Ruhm 
schon  durch  ganz  Europa  verbreitet  war,  als  Troyon  noch  von 
Wenigen  erkannt  wurde.  Heute  hat  sich  das  Verhältniss  geändert. 
Man  wird  gewiss  ihr  sonniges,  frisches  Erstlingsbild  von  1849  Pflüger- 
arbeit in  Nivernois«  mit  dem  Sechsochsengespann,  dem  fetten,  roth- 
braunen.  aufgerissenen  Ackerboden,  der  weiten,  hellen,  einfachen, 
lachenden  Landschaft  unter  dem  klaren,  blauenden  Aether  immer 
im  Luxembourg  gern  betrachten.  Sic  hat  alle  Qualitäten , die  zu 
würdigen  man  kein  Feinschmecker  zu  sein  braucht:  grosse  ana- 
tomische Kenntnisse,  geschickte  Mache,  ein  liebenswürdiges,  be- 
stechendes Golorit.  Es  steht  in  der  Kunstgeschichte  einzig  da, 
dass  eine  Dame  so  gute  Bilder  wie  die  Heuernte  in  der  Auvergne 
von  1853  mit  den  fast  lebensgrossen  Thieren  oder  jenen  »Pferde- 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1830 


391 


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Cb.  Jacqne:  Rückkehr  in  den  Stall. 


markt  in  Paris«  von  1855  malte,  der  vielleicht  ihr  glänzendstes  Werk 
ist  und  zu  dem  sie  18  Monate  lang  in  Männerkleidern  in  allen 
Pariser  Manegen  zwischen  Stallknechten  und  Rosshändlern  ihre 
Studien  machte.  Noch  heute  betreibt  sie  von  ihrem  Schlosse  By 
zwischen  Thomery  und  Fontainebleau  einen  ausgedehnten  übersee- 
ischen Export,  und  ihre  Bilder  sind  die  schlechtesten  nicht,  die  vom 
Continent  nach  England  und  Amerika  wandern.  Sie  ist  vielleicht 
die  einzige  weibliche  Berühmtheit  des  Jahrhunderts,  die  ihre  Bilder 
nicht  strickt,  sondern  malt.  Aber  Troyon,  ein  starker  Meister, 
duldet  keinen  Rivalen.  Seine  Landschaften  mit  ihrem  tiefen  Grün, 
ihren  kräftigen  Thieren  und  dem  von  dicken  Wolken  durchjagten 
Himmel  verkörpern  die  Kraft.  Rosa  Bonheur  ist  eine  ausgezeichnete 
Malerin  von  grossem  Stil  und  schöner  Zeichnung,  die  künstlerisch 
etwa  zwischen  Troyon  und  Brascassat  steht. 

Troyons  einziger  Schüler  war  Emile  van  Marche,  ein  halber 
Belgier,  der  in  Sevres  mit  dem  Altmeister  zusammentraf  und  in  Fon- 
tainebleau lange  an  seiner  Seite  arbeitete.  Er  vereinigte  den  Maler 
mit  dem  Landwirth.  Die  ausgedehnte  Viehzucht,  die  er  auf  seiner 
Besitzung  Bouttencourt  in  der  Normandie  betrieb,  war  berühmt  in 
den  Kreisen  der  französischen  Gutsbesitzer,  da  er  in  dem  Ruf  stand, 
die  besten  Mastochsen  zu  trainiren.  Auch  er  hatte  nicht  die  Wucht 


392 


XXVI.  Die  Landschaft  von  1830 


von  Troyon,  war  aber  ebenfalls  ein  gesunder,  kräftiger  Meister.  Seine 
Thicre  kennen  keine  Leidenschaften,  Bewegung  und  Kämpfe.  Sie 
kauen  ernst  nachdenklich  vor  sich  hin  und  scheinen  in  unendliche 
Contemplation  versunken.  Rings  dehnen  sich  die  saftig  grünen  nor- 
mannischen Wiesen  und  über  der  Landschaft  spannt  sich  ein  grosser 
Himmel,  der  sich  am  Horizont  unmerklich  in's  Meer  verliert. 

Ein  Pferde-  und  Hundemalcr,  der  ehedem  grossen  Erfolg 
hatte,  Jadin,  ist  heute  vergessen  oder  nahe  daran  es  zu  sein.  Er 
malte  gern  decorative  Jagdscenen  und  ermangelt  nicht  des  Lebens, 
der  Bewegung,  ist  aber  zu  unpersönlich,  um  geschichtlich  eine 
Rolle  zu  spielen.  Da  ich  ihn  einmal  erwähnte,  muss  ich  auch 
Eugene  Lambert,  den  Katzenmaler,  und  Palizzi,  den  Ziegenmaler, 
nennen.  Lambert,  der  cs  liebte,  seine  kleinen  Helden  als  Schauspieler 
komischer  Theaterstückchen  auftreten  zu  lassen,  ist  das  unbestrittene 
1 laupt  aller  derer,  die  bei  den  verschiedenen  Nationen  mit  dem  Titel 
»Katzenrafael«  beehrt  wurden.  Palizzi,  ein  schneidiger,  fast  brutaler 
Meister,  ein  echter  Sohn  der  wilden  Abruzzen,  liebte,  wie  seine 
Landsleute  Morelli  und  Michetti  das  glänzende  Licht  des  Mittags, 
das  über  felsigen  Hügeln  brütet  und  goldig  über  dunkelgrünes  Busch- 
werk huscht.  Lanij'on,  als  Maler  ein  wenig  trocken,  aber  ein  Zeichner 
von  breitem  männlichem  Strich,  war  der  grösste  Erbe  Delacroix’  in 
der  Darstellung  von  Tigern,  Löwen,  Nilpferden  und  Bären.  Charles 
Jacque,  ein  bescheidenes  aber  sehr  sympathisches  Talent,  ist  der 
Troyon  der  Schafe.  Man  hat  ihn  dem  Rageur  des  Bas  Breau,  der 
stolzen  Eiche,  die  allein  in  einer  Lichtung  steht,  verglichen:  Eine 
mächtige  Natur,  über  die  das  Alter  keine  Macht  hat,  lebt  er  als  der 
letzte  Repräsentant  der  stolzen  Schule  von  Barbizon  in  die  Gegenwart 
herüber.  Er  hat  die  Schafe  heerdenweise  oder  einzeln,  auf  der  Weide, 
am  Saum  der  Feldwege  oder  im  Stall  gemalt,  am  liebsten  in  den  neb- 
ligen Stunden  der  Abenddämmerung,  ruhig  in  einer  ruhigen  Natur. 
Doch  er  hat  auch  in  geistreichen  Radirungen  von  verwitterten  alten 
Mauern,  hellen  Frühlingshimmeln,  den  grossen  Silhouetten  der  Land- 
leute, dem  zarten  Gefieder  kleiner  Küchlein,  dem  leichten  Spiel 
des  Windes  über  der  See,  von  murmelnden  Bächlein  und  stillen  Wald- 
winkeln erzählt.  Gleich  Millet  besitzt  er  in  hervorragendem  Grade  die 
Gabe  der  Vereinfachung,  die  grösste  Mitgift  des  Künstlers.  Drei  oder 
vier  Striche  genügen  ihm,  eine  Figur  auf  die  Füsse  zu  stellen,  ein 
Thier  zu  beleben,  eine  Landschaft  aufzubauen.  Der  intimste  Freund 
Jean  Francois’  malte  er  ein  Theilchen  dessen,  was  Millet  malte. 


XXVII. 


Jean-Francis  Millet. 


WO  ist  Millet  hergekommen ? 

Es  war  die  Zeit,  wo  die  Kunst,  noch  blind  für  das 
umgebende  Leben,  nur  in  der  Vergangenheit  und  in  der 
Ferne  würdige  Stoffe  zu  finden  glaubte.  Da  kommt  Millet  und  wirft 
die  in  den  Museen  vegetirende  oder  in’s  Tropische  Entlaufene  auf  die 
rauhe,  schwarze,  gesteinte  Erde.  Es  war  die  Zeit,  wo  Leopold  Robert 
in  Italien  am  Bauer  die  edle  Pose  der  Davidschule  erprobte,  und  die 
deutschen  Bauernmaler  im  Landmann  ein  passendes  Object  für 
Scherzchen  und  kleine  Rührstücke  sahen.  Da  tritt  Millet  auf  und 
malt  das  Volk  bei  seiner  Arbeit,  auf  dem  Felde,  in  der  Mühsal, 
ohne  rührselige  Pathetik,  auch  ohne  Verschönerung  und  Idealisiren, 
in  tiefer  Einfachheit.  Das  grosse  Wort:  Ich  arbeite,  das  Wort  des 
19.  Jahrhunderts,  redet  hier  zum  ersten  Mal  laut  zu  uns.  Rousseau 
und  seine  Genossen  waren  die  Maler  des  Landes,  Millet  wurde  der 
Maler  des  Landmanns.  Er,  der  grosse  Bauer,  ist  der  Schöpfer  jener 
auf’s  innigste  mit  den  Wurzeln  der  intimen  Landschaft  verwachsenen 
Bauernmalerei,  die,  anfangs  unverstanden,  zum  ersten  Mal  das  neue 
Evangelium  der  Kunst  verkündete,  dem  heute  die  Völker  sich  beugen. 
Was  Andere  später  thaten , war  nur  ein  Weitergehen  auf  dem  von 
Millet  eröffneten  Wege.  Sein  Schatten  schreitet  in  riesenhafter 
Grösse  auch  über  unser  Vaterland.  Je  weiter  die  Zeit  sich  von  seiner 
Epoche  entfernt,  in  desto  glänzenderem  Lichte  erscheint  das  Bild 
des  gewaltigen  Menschen.  So  unvermittelt,  mächtig  und  gebieterisch 
richtet  sich  die  Gestalt  Jean  Francois’  auf,  dass  man  ihn  fast  aus  Ibsens 
drittem  Reich  ableiten  möchte,  da  in  der  Kunst  ihm  die  Vorgänger 
fehlen.  Es  ist  versucht  worden,  ihn  mit  der  sozialpolitischen  Ideen- 
bewegung der  40er  Jahre  in  Zusammenhang  zu  bringen,  doch  gewiss 
ebenfalls  mit  Unrecht.  Millet  war  nichts  weniger  als  Revolutionär. 
Er  vertheidigte  sich  sein  ganzes  Leben  lang  gegen  die  Absichten, 
die  einige  Demokraten  ihm  unterschoben  und  gegen  die  Schlüsse, 
die  sie  aus  seinen  Werken  zogen. 


394 


XXVII.  Jean-Francois  Millet 


Millets  Leben  allein  erklärt 
seine  Kunst.  Nie  hat  Mensch  und 
Werk,  Herz  und  Hand  so  sich  ge- 
deckt wie  bei  ihm.  Er  gehört  nicht 
zu  den  Malern,  vor  denen  man, 
selbst  wenn  man  sie  bewundert, 
das  Gefühl  hat,  sie  hätten  ebenso 
gut  etwas  anderes  schaffen  können. 
Man  betrachte  seine  Bilder  und 
lese  die  in  Sensiers  Buch  ver- 
öffentlichten Briefe  — der  Mensch, 
den  man  aus  den  Briefen  kennen 
lernt,  lebt  in  seinen  Werken,  und 
diese  Werke  sind  die  natürliche 
Illustration  des  Buches,  in  dem 
der  Mensch  sich  selbst  gemalt  hat. 
In  dem  Einsscin  von  Mensch  und 
Künstler  liegt  das  Princip  seiner  Kraft,  das  Geheimniss  seiner  Grösse. 

Schon  die  Verhältnisse,  aus  denen  er  hervorging,  bewirkten  mit 
Naturnothwendigkeit , dass  er  — wenn  er  Maler  wurde  — , der 
Maler  wurde,  der  er  geworden  ist.  Er  war  nicht  in  einer  grossen 
Stadt  geboren,  wo  sich  dem  Auge  des  Kindes  schon  allerorten  der 
Anblick  von  Kunstwerken  darbietet,  von  Bildern,  die  zwar  früh  den 
Kunstsinn  wecken,  doch  ebenso  leicht  den  freien  Blick  in  die  Natur 
trüben.  Er  entstammte  auch  nicht  einer  jener  Familien,  wo  die  Kunst 
selbst  geübt  oder  über  Kunst  gesprochen  und  der  Geschmack  früh- 
zeitig in  bestimmte  Bahnen  gelenkt  wird.  Er  war  ein  Bauer,  dessen 
Vater  und  Grossvater  Bauern  und  dessen  Brüder  Knechte  waren. 
Sehr  weit  von  Paris,  in  einem  kleinen  normannischen  Dorf  dicht 
beim  Meer,  ward  er  1814  geboren  und  wuchs  er  auf.  Der  regel- 
mässige, majestätische  Anstoss  der  Wogen  gegen  die  granitenen  Felsen 
der  Küste,  das  feierliche  Murmeln  von  Ebbe  und  Fluth,  das  Aechzen 
des  Windes  in  den  Apfelbäumen  und  alten  Eichen  des  väterlichen 
Gartens  waren  die  ersten  Laute,  die  in  Gruchy  bei  Cherbourg 
zu  ihm  drangen.  Sein  Vater  sei  musikliebend  gewesen,  wurde 
geltend  gemacht,  und  hätte  den  Sängerchor  der  Dorfkirche  wohl  zu 
leiten  gewusst.  Aber  mag  in  dem  Blut,  das  der  Junge  mit  auf  die 
Welt  bekommen,  immerhin  eine  dunkle  Veranlagung  zur  Kunst  ge- 
legen sein,  so  war  doch  nichts  in  seiner  Erziehung  geeignet,  sie  zu 


XXVII  Jean-Francois  Millet 


395 


kräftigen.  Millets  bra- 
ver Vater  dachte  nicht 
daran,  aus  seinem  Sohn 
einen  Künstler  zu 
machen ; der  Knabe 
sah  keinen  Maler  in 
der  Nähe  arbeiten  — 
die  Natur,  der  Instinkt 
allein  lenkte  ihn.  Für 
den  in  der  Grossstadt 
Aufgewachsenen , auf 
der  Akademie  Erzog- 
enen sind  die  Dinge 
verbraucht.  Viele  Jahr- 
hunderte der  Kunst- 
übung haben  ihre  ursprüngliche  Frische  getrübt ; er  findet  für  Alles 
die  fertige  Phrase  geprägt.  Millet  stand  vor  dieser  Welt  wie  der  erste 
Mensch  am  ersten  Schöpfungstage.  Die  Dinge  erschienen  ihm  neu,  er 
war  erstaunt  und  entzückt,  eine  wilde  Fluth  von  Eindrücken  stürmte 
auf  ihn  los.  Er  kam  nicht  unter  den  Einfluss  einer  Tradition,  er  trat 
an  die  Kunst  heran,  wie  jener  Mensch  des  Steinzeitalters,  der  zu- 
erst auf  ein  Elfenbeinstück  die  Silhouette  eines  Mammuths  ritzte 
- wie  jener  Grieche  der  Urzeit,  der  nach  der  Legende  die  Malerei 
dadurch  erfand,  dass  er  auf  eine  Mauer  mit  Kohle  das  Bildniss  seiner 
Geliebten  schrieb.  Keiner  ermuthigte  ihn  in  seinen  ersten  Versuchen. 
Keiner  dachte  daran,  dass  dieser  junge  Mensch  zu  anderm  Leben, 
als  zu  dem  eines  Bauern  bestimmt  sei.  Im  Alter  von  14 — 18  Jahren 
verrichtet  er  auf  dem  väterlichen  Gut  gleich  seinen  Brüdern  jede 
Art  von  Feldarbeit : hackt,  gräbt,  pflügt,  sät,  ackert,  mäht,  drischt. 
Und  er  schaut  dabei  immer  um  sich;  er  zeichnet,  ohne  Anleitung 
auf  ein  Stück  weisser  Wand,  das  Porträt  eines  Baumes,  eines  Obst- 
gartens, eines  Bauern,  dem  er  am  Sonntag  während  des  Kirchganges 
begegnet.  So  richtig,  dass  Jeder  den  Abconterfeiten  erkennt.  Darauf 
wird  ein  Familienrath  gehalten.  Der  Vater  bringt  eine  Zeichnung 
seines  Sohnes  einem  Herrn  Mouchel  in  Cherbourg,  einem  sonder- 
baren Kauz,  der  früher  Maler  gewesen  und  im  Ruf  eines  Kunst- 
kenners stand,  damit  er  entscheide,  ob  Franz  »wirklich  genug  Talent 
für  die  Malerei  habe,  um  damit  sein  Brod  zu  verdienen«.  Der 
Bauernknecht  zählte  20  Jahre,  als  er  den  ersten  Zeichenunterricht 


396 


XXV II.  Jean -Francois  Millet 


erhielt,  ein  ABC -Schütze  in  der  Kunst,  als  Mensch  schon  — Millet. 
Was  das  Talent  in  ihm  erweckt  hatte  und  ihm  die  Kohle  in  die 
Hand  gedrückt,  war  nicht  die  Betrachtung  eines  Kunstwerkes,  son- 
dern der  Anblick  der  Natur,  der  grossen,  allmütterlichen  Natur,  die 
ihn  umschloss,  mit  der  er  und  durch  die  er  lebte.  Durch  sie  waren 
Visionen  und  Empfindungen  in  ihm  angeregt,  die  er  den  geheimniss- 
vollen  Drang  fühlte  wiederzugeben. 

Vom  Handwerklichen,  das  dazu  gehörte,  verstand  er  nichts,  und 
seine  beiden  Lehrerin  Cherbourg,  Mouchel  und  Langlois,  übermittelten 
ihm,  selbst  halbe  Barbaren,  um  so  weniger  Kenntnisse,  als  schon 
nach  zwei  Monaten  (1835)  sein  Vater  starb  und  der  junge  Mann  als 
Knecht  zu  den  Seinen  zurückkehrte.  Erst  nach  abermaliger  drei- 
jähriger Unterbrechung  ermöglichte  ihm  eine  Unterstützung  der  Ge- 
meinde Cherbourg,  die  sein  Lehrer  Langlois  zusammenbrachte,  und 
ein  kleiner  Sparpfennig  seiner  Eltern  — zusammen  600  Francs  — die 
Reise  nach  Paris.  23  Jahre  war  er  alt,  ein  Hercules  an  Wuchs,  breit- 
brüstig,  denn  er  hatte  bisher  nur  die  reine  scharfe  Meerluft  geathmet; 
das  hübsche  Gesicht  war  von  langen,  blonden  Locken  umrahmt,  die 
wirr  auf  die  Schultern  fielen.  Was  sollte  dieser  Bauer  in  der  Gross- 
stadt! Der  homme  des  bois  wurde  er  in  der  Delaroche-Schule  ge- 
nannt. Er  war  linkisch  wie  ein  Provinziale,  und  man  ahnte  nur  den 
Künstler,  wenn  man  das  Feuer  in  dem  Blick  der  grossen,  tiefblauen 
Augen  sah.  Delaroche  nahm  sich  des  neuen  Zöglings  anfangs  mit 
besonderer  Sorgfalt  an.  Aber  sich  erziehen  lassen , heisst  einem 
Andern  folgen.  Ein  Mensch,  der  wie  Millet  schon  wusste,  was  er 
wollte,  war  nicht  mehr  in  bestimmte  Bahnen  zu  lenken.  Die  Bilder 
Delaroches  sagten  ihm  nichts.  Sie  kamen  ihm  vor  wie  grosse 
Vignetten,  Theatereffekte  ohne  wahre  Empfindung«.  Und  Delaroche 
ärgerte  sich  bald  über  den  ungeschickten  Bauern,  den  er  — sehr  mit 
Unrecht  — für  eigensinnig  und  halsstarrig  hielt.  Millet,  dem  schon 
andere  Ziele  vorschwebten,  konnte  gar  nicht  mehr  lernen,  aka- 
demische Compositionen  zu  machen , und  da  in  der  Delaroche- 
Schule  nur  solche  verlangt  wurden,  kam  er  nie  über  den  Ruf  der 
Mittelmässigkeit  hinaus.  Es  war  die  Zeit  des  Kampfes  zwischen  Classi- 
cistcn  und  Romantikern.  Der  Fehderuf:  hie  Ingres,  hie  Delacroix! 
durchdrang  die  Pariser  Ateliers.  Für  Millet  existirten  beide  Kunst- 
richtungen nicht.  In  seiner  Erinnerung  lebten  allein  die  Ebenen  der 
Normandie,  die  Arbeiter,  Hirten  und  Eischer  seines  Heimathlandes, 
mit  denen  er  im  Geiste  weiter  verkehrte.  Unaufhörlich  glaubte  er  zu 


XXVII.  Jean-Francois  Millet 


397 


hören,  was  er  »le  cri  de  la  terre« 
genannt  hat,  und  diesen  Schrei  der 
Erde  vernahmen  weder  die  Roman- 
tiker, noch  Classiker.  Er  lebte 
allein  mit  seinen  Gedanken,  suchte 
keine  Collegen  auf,  mied  sie.  Immer 
auf  witzelnden  Spott  gefasst,  drehte 
er,  wenn  einer  zu  ihm  kam,  die 
Staffelei  um,  oder  schnitt  Bemerk- 
ungen barsch  mit  den  Worten  ab: 

»Was  geht  dich  meine  Malerei  an, 
ich  kümmere  mich  um  deine  Butter 
und  deine  Pomade  auch  nicht.«  So 
hat  ihm  Delaroche  zwar  wenig 
Technisches,  doch  auch  keine  Ma- 
nier vermittelt.  Hübsche  Bilder  ma-  Millet.  Jugendpoi  trat. 

len  mit  schönen  Posen,  schmeicheln- 
den Farben  und  geistreichen  Geschichten  lernte  er  nicht,  verliess  das 
Atelier,  wie  eres  1837  betreten,  ungeschickt,  schwer,  dick  und  müh- 
sam malend,  doch  auch  mit  frischem,  ungetrübtem  Blick  wie  früher. 
Er  blieb  der  Fremde,  der  unverbesserliche,  normannische  Bauer. 

Eine  Zeitlang  strengte  er  sich  an,  dem  Publicum  Zugeständnisse 
zu  machen.  Er  hatte  sich.  27  Jahre  alt,  mit  einem  jungen  Mädchen 
aus  Cherbourg  verheirathet,  die  ihm  drei  Jahre  später  an  der  Schwind- 
sucht starb.  Ohne  jeden  Verkehr  in  Paris  und  von  Jugend  auf  an 
Familienleben  gewöhnt,  verheirathete  er  sich  1845  zum  zweiten  Mal. 
Er  musste  Brod  haben,  gefallen,  Verkäufliches  malen.  Darum  bemüht 
er  sich,  hübsche  Bilder  nackter  Weiber  anzufertigen,  wie  sie  Diaz 
damals  so  grossen  Erfolg  verschafften:  schöne  Schäferinnen  und  galante 
Hirten,  badende  Mädchen  im  Genre  Boucher  und  Fragonard,  — er, 
der  diese  beiden  später  verächtlich  Pornographen  nannte.  Doch  die  An- 
strengung war  vergeblich,  er  stellte  weder  sich  selbst,  noch  die  Andern 
zufrieden.  Der  Bauer  von  Gruchy  konnte  nicht  liebenswürdig,  pikant 
und  leicht  sein;  er  blieb  unbeholfen,  roh  und  linkisch.  «Deine 
badenden  Weiber  kommen  aus  dem  Viehstall«,  hat  Diaz  über  diese 
Bilder  treffend  gesagt.  Wenn  Bürger -Thore.  der  erste,  der  Millet 
signalisirte , 1844  hei  der  Ausstellung  des  »Milchmädchens«  lobte, 
hier  sei  selbst  Boucher  übertroffen,  so  war  das  eine  schriftsteller- 
ische Freiheit,  die  der  Kritiker  sich  nahm,  weil  der  Mensch  Mitleid 


39§ 


XXVII.  Jean-Francois  Millet 


Millet:  Pastorale. 


hatte  mit  dem  armen 
Maler.  Wie  wenig 
hat  das  Bild  vom  rei- 
zenden Parfüm  der 
Alten,  wie  sieht  es 
gequält  aus,  wie  merkt 
man,  dass  es  mit  Un- 
lust gemalt  ist.  Millet 
mühte  sich  nicht 
lange,  seine  Persön- 
lichkeit zu  verleug- 
nen. Ein  »Oedipus« 
und  »gefangene  Ju- 
den in  Babylon« 
waren  seine  letzten 
rhetorischen  Ueb- 
ungen.  1848  erschien 
sein  Manifest:  der 

Kornschwinger,  ein 
Bauer,  in  Bewegung 
und  Haltung,  in  sei- 
nem ganzen  Charak- 


ter und  der  Arbeit, 

die  er  verrichtet.  Millet  kehrt  zu  den  Gedanken  und  Empfindungen 
seiner  Jugend  zurück:  nur  noch  Bauern  will  er  in  Zukunft  malen, 
in  allen  Lagen  ihres  einfachen,  rauhen  Lebens.  Er  fasst  im  Jahr  1849 
einen  grossen  Entschluss. 

500  Francs  hatte  ihm  der  Verkauf  seines  Vanneur  gebracht, 
und  diese  500  Francs  ermuthigen  ihn,  der  Welt  zu  trotzen.  Lieber 
Maurer  werden,  als  gegen  seine  Ueberzeugung  malen.«  Charles 
Jacque,  der  Thiermaler,  der  in  der  Rue  Rochechouard  ihm  gegen- 
über wohnte,  wollte  wegen  des  Ausbruches  der  Cholera  1849  Paris 
verlassen.  Millet  sollte  ihn  für  kurze  Zeit  auf’s  Land  begleiten ; 
er  that  es  und  der  Bauernsohn  von  einst  wurde  wieder  Bauer, 
um  unter  Bauern  seine  Tage  zu  beschliessen.  »Mitten  im  Wald 
von  Fontainebleau,  sagte  Jacque,  liegt  ein  kleines  Nest,  der  Name 
endigt  auf  »zon«  — nicht  weit,  billig  — Diaz  hat  mir  viel  davon 
gesprochen.«  Millet  willigt  ein.  An  einem  schönen  Junitage  be- 
steigen sie  mit  ihren  Frauen  und  fünf  Kindern  einen  schweren, 


XXVII.  Jean-Francois  Millet 


399 


rumpeligen  Omnibus 
und  sind  in  zwei  Stun- 
den Abends  in  Fon- 
tainebleau. »Morgen 
gehen  wir  auf  die 
Suche  nach  unserm 
,zon‘«.  Und  so  gelit’s 
andern  Tags  zu  Fuss 
weiter  nach  Barbizon, 

Millet  seine  beiden 
Mädchen  auf  den 
Schultern,  seine  Frau 
den  kleinsten  fünf  Mo- 
nat alten  Buben  im 
Arm,  das  Kleid  wegen 
des  Regens  über  dem 
Kopf  zusammenge- 
schlagen. Der  Wald 
hatte  noch  keine  Pro- 
menaden wie  heute,  er 
war  noch  ganz  die  j ung- 
fräuliche,  unberührte 
Natur.  »Mon  Dieu, 

Mon  Dieu,  que  c’est 

beau-  rief  Millet,  und  das  Herz  ging  ihm  auf.  Er  stand  wieder  vor  der 
Natur,  seiner  alten  Jugendliebe.  Die  Eindrücke  der  Kindheit  stürmten 
auf  ihn  ein.  Auf  dem  Land  geboren,  musste  er  auf’s  Land  zurück,  um 
sich  selbst  wiederzufinden.  In  der  Ganne’schen  Herberge  wurde  abjre- 
stiegen,  zur  Zeit,  als  die  Mittagsstunde  gerade  20  Personen,  Künstler 
mit  ihren  Frauen  und  Kindern,  an  der  Tafel  vereinte.  Neue  Maler! 
Die  Pfeife,  die  Pfeife!  tönte  es  den  Eintretenden  entgegen.  Diaz 
erhebt  sich,  macht  trotz  seines  Holzbeines  mit  der  Grandezza  des 
spanischen  Edelmannes  den  beiden  Frauen  die  Honneurs  und  wendet 
sich  gravitätisch  an  Millet  und  Jacque:  »Bürger,  Ihr  seid  eingeladen, 
die  Friedenspfeife  zu  rauchen.«  Die  wurde  jedesmal,  wenn  die  Co- 
lonie  in  Barbizon  einen  Zuwachs  erhielt,  von  ihrem  geheiligten  Platz 
über  der  Thür  heruntcrgeholt.  Eine  eigens  gewählte  Jury  musste 
aus  den  Ringen  des  aufsteigenden  Rauches  entscheiden,  ob  der  Neu- 
angekommene unter  die  »Classicistcn«  oder  die  »Coloristen«  zu  rechnen. 


Millet:  Le  Vaiineni 


400 


XXVll.  Jean-Francois  Millet 


Jacque  wurde  einstim- 
mig für  einen  »Color- 
isten«  erklärt.  Ucber 
Millets  Schulzusam- 
menhang  konnte  man 
nicht  einig  werden. 
»Eh  bien,  meinte  der, 
si  vous  etes  embaras- 
ses,  placez-moi  dans 
la  mienne.«  Darauf 
Diaz,  als  die  Andern 
das  nicht  annehmen 
wollten : »Nur  ruhig, 
die  Antwort  ist  gut, 
der  Kerl  sieht  kräftig  genug  aus,  um  eine  Schule  zu  gründen,  die 
uns  Alle  begraben  wird.«  Er  hat  Recht  behalten  — wenn  seine 
Prophezeiung  auch  spät  in  Erfüllung  ging. 

Millet  war,  als  er  in  Barbizon  sich  niederliess,  35  Jahre  alt:  er 
stand  in  jenem  Alter,  das  Dante  die  Mitte  des  Lebensweges  nennt. 
Er  hatte  mit  der  Aussenwelt  keine  Verbindung  mehr,  alle  Brücken 
hinter  sich  abgebrochen,  sich  auf  sich  selbst  gestellt.  Nach  Paris 
kam  er  nur  zurück,  wenn  Geschäfte  zu  ordnen  waren,  immer  un- 
gern und  so  kurze  Zeit  wie  möglich.  Er  lebte  in  Barbizon  mitten 
in  der  Natur  und  inmitten  seiner  Modelle;  gehörte  rückhaltlos  bis 
zu  seinem  letzten  Tag  dem  Werk  an,  das  er  in  der  Jugend  als 
seinen  Beruf  gefühlt.  Kritik,  Spott  und  Verachtung  konnten  nicht 
mehr  seinen  Weg  beirren;  selbst  wenn  er  gewollt  hätte,  wäre  er 
gar  nicht  fähig  gewesen,  noch  die  Bahnen  der  officiellen  Kunst 
zu  betreten.  »Mes  critiques,  meinte  er  wie  zur  Entschuldigung,  sont 
gens  instruits  et  de  goüt,  mais  je  ne  peux  me  mettre  dans  leur  peau 
et  comme  je  n’ai  jamais  vu  de  111a  vie  autre  chose  que  les  champs, 
je  täche  de  dire  comme  je  peux  cc  que  j'y  ai  eprouve  quand  j’y 
travaillais.«  Wenn  ein  solcher  Mann  je  triumphirt,  wenn  es  ihm 
gelingt,  seine  ganz  persönliche  Kunst  der  Welt  aufzudrängen,  dann  ist 
nicht  Muhamet  zum  Berg,  sondern  der  Berg  zu  Muhamet  gegangen. 

Millets  Leben  ist  also  eine  fortgesetzte  Kette  von  Entbehrungen 
gewesen.  Es  berührt  wehmüthig,  in  Sensiers  Biographie  zu  lesen,  dass 
ein  solcher  Meister  gezwungen  war,  schon  während  seiger  Pariser 
Zeit  Copien  für  20  Francs  und  Porträts  für  5 Francs  anzufertigen, 


XXVII.  Jean -Francois  Millet 


401 


Wirthshausschilder 
oder  solche  für  Seil- 
tänzerbuden und 
Pferdehändler  zu  ma- 
len, deren  jedes  ihm 
eine  Rolle  dicker  Sous- 
stücke  einbrachte.  Als 
die  Junirevolution  aus- 
brach, bestand  seinVer- 
mögen  in  30  Francs, 
die  ihm  ein  Buden- 
besitzer für  ein  Schild 
bezahlte  und  mit  denen 
er  sammt  seiner  Familie  14  Tage  lang  lebte.  In  Barbizon  gab  er  sich 
bei  einem  Bauern  in  Kost  und  bewohnte  lange  Jahre  mit  den  Seinen 
ein  kleines  Zimmer,  in  dem  Waizen  lagerte  und  zweimal  in  der 
Woche  Brod  gebacken  ward;  dann  miethete  er  ein  Häuschen  für 
160  Francs  jährlich.  Im  Winter  sass  er  in  ungeheizter  Werkstatt, 
in  dicken  Strohschuhen,  eine  alte  Pferdedecke  über  den  Schultern. 
So  malte  er  den  Sämann,  jene  bewundernswürdige  Strophe  in  seinem 
grossen  Gedicht  auf  die  Erde.  Durch  die  Erträgnisse  eines  Gemüse- 
gartens suchte  er  seine  Einkünfte  zu  mehren , lebte  auf  Credit 
bei  Krämer  und  Fleischer  und  hatte  schliesslich  überall  Gläubiger, 
namentlich  Gobillot,  den  Bäcker  von  Chailly,  vor  dem  er  sich  oft 
bei  seinem  Freunde  Jacque  versteckte. 

Er  musste  mit  ansehen,  dass  Rousseau  ihm  ein  Brod  für  seine 
hungernde  Familie  brachte,  dass  Diaz  ihn  mit  kleinen  Geldsendungen 
unterstützte.  »Ich  habe  die  100  Francs  bekommen,  heisst  cs  in  einem 
Briefe  an  Sensier,  sie  kamen  zur  rechten  Zeit,  seit  24  Stunden  hatten 
weder  meine  Frau,  noch  ich  gegessen.  Ein  Glück,  dass  wenigstens 
die  Kleinen  nichts  entbehrt  haben.«  Alle  seine  Bemühungen,  in  Paris 
auszustellen,  waren  vergeblich.  Noch  1859  wurde  der  »Tod  und  der 
Holzhacker»,  heute  im  Besitz  Jacobsens,  vom  Salon  zurückgewiesen. 
Das  Publikum«,  an  die  Bauernfiguren  aus  der  komischen  Oper  ge- 
wöhnt, lachte,  im  besten  Fall  erschien  eine  Caricatur  in  einem  Witz- 
blatt, selbst  den  Feinsinnigsten  fehlte  die  geschichtliche  Perspective, 
um  Millets  der  Zeit  vorausgeeilte  Grösse  zu  verstehen.  All  das 
wirkt  um  so  trauriger,  wenn  man  bedenkt,  welchen  Preis  seine 
Werke  später  erreichten,  wenn  man  liest,  dass  Zeichnungen,  für  die 

Muther,  Moderne  Malerei  II.  -s 


402 


XXVII.  Jean-Francois  Millet 


Millet:  Vigneron  au  repos. 

er  mit  Mühe  20  bis  40  Francs  bekommen  konnte,  heute  für  ebenso 
viel  Tausende  gesucht  sind.  Erst  seit  der  Mitte  der  50er  Jahre  fing 
er  an  zu  verkaufen,  250  bis  300  Francs  das  Bild.  Rousseau  war  der 
erste,  der  ihm,  unter  dem  Vorgeben,  ein  Amerikaner  sei  der  Käufer, 
seinen  Holzhacker  für  4000  Francs  abnahm;  Dupre  verhalt'  ihm  da- 
zu. die  Aehrenleserinnen  um  2000  Francs  loszuschlagen.  Ein  günstiger 
Vertrag,  den  der  Kunsthändler  Arthur  Stevens,  der  Bruder  des  Malers, 
1859  mit  ihm  schloss,  musste  nach  sechs  Monaten  wieder  gelöst 
werden,  da  die  Zeit  für  Millet  noch  nicht  gekommen.  Erst  als  er 
1863  vier  grosse  decorative  Bilder  — die  vier  Jahreszeiten,  übrigens 
seine  schwächsten  Arbeiten  — für  den  Speisesaal  des  Architekten 
Feydeau  gemalt,  trat  Ueberfluss  an  die  Stelle  der  Armuth.  Er  war 
im  Stande,  sich  wie  Rousseau  und  Jacque  ein  kleines  Haus  in  Bar- 
bizon zu  kaufen,  dicht  am  Eingang  des  Ortes,  gegenüber  der 
Ganne’schen  Wirtschaft.  Wilder  Wein , Epheu  und  Jasmin  um- 
spannen es,  zwei  weisse  Rosenstöcke  schlangen  neugierig  ihre  Zweige 


— 


XXVII.  Jean-Francois  Millet 


403 


Millet:  Paysau  se  reposanl  sur  sa  hone. 

um  die  Fenster,  rings  war  ein  grosser  Garten,  in  dem  Feldblumen 
zwischen  Gemüse  und  Obstbäumen  blühten ; ein  Zaun  von  wilden 
Rosen  und  Flieder  führte  weiter  zurück  nach  einem  andern  Häuschen, 
das  er  als  Atelier  benutzte.  Daneben  lag  der  Hühnerhof,  weiter  zurück 
ein  kleines,  dichtes  Gehölz.  Hier  lebte  er  wie  ein  alttestamentlicher 
Patriarch  seiner  Kunst  und  den  Seinen,  als  Bauer  und  Familienvater, 
aufrichtig,  einfach.  Sein  Vater  hatte  neun  Kinder  gehabt  und  er  selbst 
hatte  neun  Kinder.  Während  er  malte,  spielten  die  Kleinen  im  Garten, 
die  ältern  Töchter  arbeiteten,  und  wenn  die  Kleinen  zu  laut  wurden, 
sagte  die  siebenjährige  Jeanne  ernst : Chut ! Papa  travaille.  Nachdem 
Abendessen  schaukelte  er  den  Kleinsten  auf  den  Knien,  erzählte  nor- 
mannische Märchen  oder  sie  gingen  noch  einmal  hinaus  in  den  Wald, 
den  die  Kinder,  weil  er  gar  so  wild,  düster  und  grossartig  war,  le 
foret  noir  nannten. 

Millets  Armuth  war  also  nicht  ganz  so  gross,  als  es  nach  dem 
Buche  Sensiers  scheint.  Chintreuil , Theodore  Rousseau  und  viele 

26* 


404 


XXVII.  JeäN-FrANQOIS  Millet 


Mil/et:  Le  Semeur. 

Andere  haben  sie  auch  kennen  gelernt  und  muthig  ertragen.  Der 
Erfolg  ist  sogar  verhältnissmässig  früh  zu  Millet  gekommen.  Das 
wahre  Unglück  für  einen  Künstler  ist  Erfolg  gehabt  zu  haben,  reich 
gewesen  zu  sein  und  später  sich  Vergessen , verarmt  zu  sehen. 
Millet  machte  den  entgegengesetzten  Weg.  Seit  dem  Beginn  der 
6oer  Jahre  stand  seine  Bedeutung  nicht  mehr  in  Frage.  Die  Welt- 
ausstellung 1867  brachte  ihm  auch  äusscrlich  alle  Ehren.  Er  war  mit 
neun  Bildern  vertreten  und  erhielt  die  grosse  Medaille.  Alle  Welt 
kannte  seinen  Namen,  sein  Leben  war  reichlich  gesichert,  die  ganze 
junge  Künstlerschaft  verehrte  ihn  wie  einen  Gott.  Im  Salon  von 
1869  war  er  Jurymitglied.  Die  Kunsthändler,  die  ihn  früher  nicht 
gekannt,  drängten  sich  vor  seiner  Thür;  er  erlebte,  dass  auf  der  Auc- 
tion  Richard  1873  seine  »Frau  mit  der  Lampe«,  für  die  er  150  Francs 
erhalten,  für  38,500  Francs  verkauft  wurde.  »Allons,  ils  commencent 
ä comprendre  que  c’est  de  la  peinture  serieuse«.  Herr  von  Chenne- 
vieres  lud  ihn  ein,  sich  an  den  Malereien  im  Pantheon  zu  betheiligen 
und  er  begann  die  Arbeit  — doch  die  Kraft  versagte,  ein  heftiges 


XXVII.  Jean-Francois  Millet 


405 


Millet:  Les  Glaneuses. 

Fieber  warf  ihn  nieder  und  am  20.  Januar  1875  6 Uhr  Morgens  war 
Millet,  60  Jahre  alt,  todt.  Sein  Begräbniss  verlief  zwar,  da  es  fern 
von  Paris  stattfand,  ohne  grosses  Gepränge.  Es  war  ein  kalter, 
trüber  Morgen,  Regen  und  Nebel.  Wenige  Freunde,  ein  paar  Maler 
und  Kritiker,  waren  gekommen.  Um  11  Uhr  ordnete  sich  der 
Leichenzug.  Man  machte  schnell  im  Regen  die  zwei  Kilometer  von 
Barbizon  nach  Chailly.  Selbst  die  Neugierigen,  die  von  den  ver- 
schiedenen Dörfern  herbeigeeilt,  konnten  die  Kirche  nicht  zur  Hälfte 
füllen.  Aber  in  Paris  erregte  die  Todesnachricht  desto  grösseren 
Widerhall.  Als  am  Morgen  nach  seinem  Hinscheiden  vierzig  Zeich- 
nungen in  einer  Kunsthandlung  ausgestellt  wurden,  lief  ganz  Paris 
zusammen  und  die  Begeisterung  war  allgemein.  Er  wurde  in  den 
Kritiken  in  einem  Athem  mit  Watteau,  Leonardo,  Rafael  und  Michel- 
angelo genannt.  Die  bald  darauf  im  Hotel  Drouot  veranstaltete 
Versteigerung  seiner  nachgelassenen  Skizzen  brachte  der  Familie 
321,000  Francs.  Heute  sind  dieselben  Zeichnungen  und  Pastelle, 
die  unmittelbar  nach  seinem  Tode  mit  6000  Francs  bezahlt  wurden, 
auf  durchschnittlich  30,000  Francs  gestiegen,  während  die  Mehrzahl 


406 


XXVII.  Jean-Francois  Millet 


Mittel:  Beigere  racmenant  son  troupeau. 

seiner  Bilder  für  Europa  überhaupt  unbezahlbar  wurde  und  über  den 
Ocean  in  das  glückliche  Land  der  Dollars  gelangte.  Unter  solchen 
Umständen  noch  von  einer  Verkennung  Millets  sprechen,  als  Ant- 
wort auf  seine  anfängliche  Unterschätzung  einen  panegyrischen 
Hymnus  auf  ihn  singen,  hiesse  demnach  leere  Thüren  einstossen. 
Es  gilt  ganz  objectiv  zu  untersuchen,  welche  Stellung  er  in  der  Ge- 
schichte der  modernen  Malerei  einnimmt  und  was  voraussichtlich 
kommende  Geschlechter  zu  ihm  sagen  werden. 

Millets  Bedeutung  ist  zum  Theil  eine  ethische : er  ist  der  erste, 
nicht  der  Bauern  gemalt,  aber  der  sie  wahr  dargestellt  hat,  in  ihrer 
ganzen  Rauhheit,  aber  auch  in  ihrer  Grösse,  nicht  mehr  zur  Be- 
lustigung Anderer,  sondern  mit  dem  Recht  ihrer  eigenen  Existenz. 
Die  Seele  des  Landmannes  ist  von  Natur  ernst  und  schwerfällig,  die 
Zahl  seiner  Ideen  und  Gefühle  eine  kleine.  Er  kennt  weder  Witz 
noch  Sentimentalität.  Wenn  er  in  den  Stunden  der  Ruhe  zuweilen 
seine  laute,  breite  Lustigkeit  hat,  so  ähnelt  sie  oft  der  Trunkenheit 
und  ist  nicht  selten  deren  Folge.  Sein  Leben,  das  ihn  nöthigt,  im 
Sclnveisse  seines  Angesichts  sein  Brod  zu  verdienen , erinnert  ihn 


XXVII  Jean-Fran<;ois  Millet 


407 


Millet:  Paysan  greffant  un  arbre. 

immer  von  Neuem  an  die  harten  Grundbedingungen  des  Daseins. 
Alles  ist  bei  ihm  Berechnung,  strenge  Sparsamkeit.  Selbst  der  Boden, 
auf  dem  er  steht,  ruft  ernste  Stimmungen  in  ihm  wach.  Sie  ist 
feierlich  erhaben,  diese  Natur  mit  ihrem  grossen  Horizont  und  un- 
endlichen Himmel.  Sie  hat  zu  bestimmten  Zeiten  ihr  freundliches 
Lächeln,  für  die  besonders,  die  aus  der  Stadt  auf  ein  paar  Stunden 
herauskommen.  Für  den,  der  immer  dort  lebt,  ist  sie  nicht  die  gute 
milde  Mutter,  die  der  Städter  sich  vorstellt.  Sie  hat  ihre  erdrückende 
Schwüle  im  Sommer,  ihren  rauhen  Frost  im  Winter;  ihre  Grösse  ist 
streng.  Nirgends  strenger  als  in  Millets  Heimath,  den  von  rauhem 
Wind  durchfegten  Ebenen  der  Normandie,  wo  er  als  Knecht  seine 
Jugend  verlebte. 

Aus  diesem  Bauernlebcn  hatte  die  bisherige  Malerei  in  con- 
ventionellem  Optimismus  nur  kleinliche  Anekdoten  herausgeschält. 
Es  war  keine  hübsche  Auffassung  vom  Menschen , dass  die  Bauern 
in  jenen  frühem  Bildern  immer  zur  Erlustigung  der  Ausstellungs- 


408 


XXVII.  Jean-Francois  Millet 


besucher  Hochzeiten , goldene  Hochzeiten  und  Kindtaufen  feiern, 
Schuhplattler  tanzen,  komische  Heirathsanträge  machen,  sich  beim 
Advocaten  linkisch  benehmen  oder  im  Wirthshause  raufen  mussten. 
Das  Recht  zur  Existenz  erwarben  sie  sich  durch  ihre  Arbeit.  »Das 
Heiterste,  was  ich  kenne,  schreibt  Millet  in  dem  berühmten  Brief 
an  Sensier  1851,  ist  die  Ruhe,  das  Schweigen,  das  man  in  den 
Wäldern  oder  auf  den  Aeckcrn  geniesst.  Man  sicht,  wie  ein  armes, 
mit  einem  Reisigbündel  beladenes  Wesen  aus  einem  kleinen  Feldweg 
herauskommt.  Die  Art,  in  der  diese  Gestalt  vor  einem  auftaucht, 
erinnert  augenblicklich  an  die  Grundbedingung  des  menschlichen 
Lebens,  die  Arbeit.  Rings  auf  den  Aeckern  sieht  man  Gestalten 
hacken  und  graben.  Man  sieht,  wie  sich  diese  und  jene  in  den 
Hüften  aufrichtet  und  den  Schweiss  mit  der  umgekehrten  Hand 
abtrocknet.  Im  Schweisse  deines  Angesichts  sollst  du  dein  Brod 
essen.  Ist  das  eine  fröhliche,  scherzhafte  Arbeit,  wie  sic  gewisse 
Leute  uns  gern  einreden  möchten?  Und  doch  findet  sich  hier  für 
mich  die  wahre  Menschlichkeit,  die  grosse  Poesie.« 

Vielleicht  ist  Millet  in  der  Auffassung  des  Bauernlebens  sogar 
ein  wenig  zu  ernst  gewesen,  vielleicht  hat  seine  melancholische 
Seele  zu  sehr  die  trüben  Seiten  im  Dasein  des  Landmannes  gesehen. 
Denn  Millet  war  Gemüthsmensch  durch  und  durch , wozu  schon 
den  Knaben  das  Leben  in  seiner  Familie  machte  — man  braucht 
nur  in  dem  Buche  Sensiers  von  dieser  alten  Grossmutter  zu  lesen, 
die  zugleich  seine  Pathe  war,  nur  zu  hören,  wie  ihn  später  die  Nach- 
richt vom  Tode  seines  Vaters  und  seiner  Mutter  traf,  wie  er  in 
Thränen  ausbrach,  dass  er  die  Heimgegangenen  nicht  noch  ein  letztes 
Mal  umarmte.  Ein  solch  träumerisch  trauriger  Mann  sah  selbstver- 
ständlich auch  im  Leben  des  Bauern  ganz  besonders  das,  was  Arbeit 
ist,  Mühe,  Erschöpfung.  Es  fehlte  ihm  jener  leichte  Sinn,  der  »amara 
lento  temperat  risu«.  Als  Motto  über  seinem  ganzen  Werke  könnte 
die  Stelle  stehen,  die  sich  unter  dem  Bauernbild  in  Holbeins  Todten- 
tanz  findet: 

A la  sueur  de  ton  visage 

Tu  gagneras  ta  pauvre  vie 

Apr£s  travail  et  long  usage 

Voici  la  niort  qui  te  convic. 

Dieser  ernste  traurige  Zug  in  Millets  Charakter  setzt  ihn  z.  B.  in 
schroffen  Gegensatz  zu  Corot.  Corot  war  ein  heiteres  Temperament, 
das  überall  Freundliches  in  der  Natur  bemerkte.  Seine  Lieblingsstunde 


Millet:  L’ Angelus 


4io 


XXVII.  Jean-Fkanqois  Millet 


Millet : Le  berger  et  sott  troupeau. 


war  der  Morgen,  wenn  die  Sonne  aufgeht,  die  Lerche  jubelt,  wenn 
die  Nebel  sich  zerstreuen  und  rosiger  Thau  gleich  Perlen  auf  den 
Gräsern  liegt.  Seine  Lieblingsjahreszeit  war  der  Frühling,  der  mit 
neuen  Blättern  Leben  und  Freude  auf  die  Erde  bringt.  Und  wenn 
er  diese  lachende  Welt  statt  mit  den  heitern  Gestalten  seiner  Phan- 
tasie zuweilen  mit  Bauern  und  Bäuerinnen  bevölkerte,  so  waren  es 
ebenfalls  nur  solche,  für  die  das  Leben  mehr  ein  Fest  ist,  als  rauhe 
Arbeit.  Millet  ist  mit  dem  Sanguiniker  Corot  verglichen,  Melancho- 
liker vom  Scheitel  zur  Sohle.  Wo  jener  vom  Frühling  sprach, 
spricht  er  von  der  drückenden,  erschlaffenden  Schwere  des  Sommers. 
Er  kannte  aus  Erfahrung  diese  harte  Arbeit,  die  vor  der  Zeit  alt 
macht,  Körper  und  Geist  tödtet,  das  Ebenbild  Gottes  in  ein  häss- 
liches, missgestaltetes,  rheumatisches  Wesen  verwandelt,  und  hat  viel- 
leicht einseitig  gerade  das  im  Leben  des  Bauern  gesehen.  Trotzdem 
ist  unzutreffend,  wenn  als  Parallele  zu  Millets  Bauernmalerei  jene 
grausame  Charakteristik  herangezogen  wird,  die  zur  Zeit  Ludwigs  XIV. 
Labruyere  vom  Landmann  entwarf:  »Man  erblickt  über  das  Teld 


XXVII.  Jean-Francois  Millet 


4" 


Millet:  La  fenirne  faisant  paitre  sa  vacbe. 


verbreitet  eine  Art  wilder  Thiere,  Männchen  und  Weibchen,  schwarz, 
fahl  und  von  der  Sonne  verbrannt,  geheftet  an  den  Erdboden,  den 
sie  mit  unüberwindlicher  Hartnäckigkeit  durchwühlen:  sie  haben 
etwas  wie  eine  articulirte  Sprache,  und  wenn  sie  sich  aufrichten, 
zeigen  sic  ein  menschliches  Antlitz,  — in  der  That,  cs  sind  Men- 
schen. Nachts  ziehen  sie  sich  in  Gruben  zurück,  wo  sie  von  Schwarz- 
brod,  Wasser  und  Wurzeln  leben  ; sie  sparen  den  andern  Menschen 
die  Mühe  zu  säen,  zu  pflügen,  zu  ernten  und  verdienen  sich  dadurch 
den  Vorzug,  dass  es  ihnen  selbst  nicht  an  jenem  Brode  mangle, 
das  sie  gesät  haben.«  Ja,  Millets  Bauern  arbeiten  und  sie  arbeiten 
ernst,  aber  indem  sic  arbeitend  auf  den  Boden  gebeugt  sind,  haben 
sie  zugleich  sich  stolz  in  ihrer  ganzen  Rusticität  erhoben : Millet 
hat  — darin  liegt  seine  ethische  Grösse  — aus  den  Männchen  illu- 
strirter  Witze:  Menschen  gemacht. 

Wie  sein  ganzes  Leben  ohne  Lüge,  ohne  Künstelei  dahinfloss, 
so  war  sein  ganzes  Streben  als  Künstler  darauf  gerichtet,  Künstelei 
und  Lüge  zu  entfernen.  Nach  einer  Periode  willkürlich  mit  den 


412 


XXVI [.  Jean-Francois  Millet 


Millel:  Le  Berger  au  Parc,  la  tmit. 


Dingen  schaltender  Genremalerei  brach  er  der  neuen  Richtung  mit 
ihrer  bedingungslosen  Hingebung  an  das  Wirkliche  Bahn.  Nach- 
dem die  »Historienmaler«  an  der  Hand  der  alten  Meisterwerke  noch 
einmal  die  Vergangenheit  herauf  beschworen , war  cs  das  Verdienst 
der  »Genremaler«,  dass  sie  überhaupt  anfingen,  statt  rückwärts  um 
sich  zu  schauen.  Fragmente  der  Wirklichkeit  wurden  — dem  Prin- 
cipe der  classicistischen  Landschafstmalerei  entsprechend  — nach  den 
Compositionsregeln  der  Historie  zu  figurenreichen  lebenden  Bildern 
arrangirt,  die  eine  vom  Maler  erfundene  heitere  oder  rührende  Episode 
erzählten.  Millets  That  ist,  an  die  Stelle  des  Erfundenen  Empfundenes, 
an  die  Stelle  der  aus  Einzelbeobachtungen  zusammengesetzten,  das 
Leben  in  widersprechende  Verbindungen  zwängenden  Compositionen 
den  mit  spontaner  Frische  als  Ganzes  erfassten  Naturausschnitt,  an 
die  Stelle  der  Geschichte  und  Pointe  Malerei  gesetzt  zu  haben.  Wie 
Rousseau  und  seine  Genossen  die  Poesie  der  Werktagsnatur,  so  hat 
Millet  die  Poesie  des  Alltagslebens  entdeckt.  Erst  diese  Malerei, 
die  nicht  mehr  die  Welt  nach  einseitigen  Schönheitsregeln  meisterte, 
sondern,  unter  Verzicht  auf  alles  literarische  Beiwerk,  die  Schön- 
heit pietätvoll  aus  den  Dingen  selbst  heraussah,  sie  konnte  die 


XXVII.  Jean-Francois  Millet 


413 


Millet:  La  Glebe. 


Basis  der  modernen  Kunst  werden.  Er  scheint  gar  nicht  daran  zu 
denken,  dass  man  ihm  zuhört,  er  spricht  nur  mit  sich  selbst.  Es 
kommt  ihm  nicht  darauf  an,  seine  Ideen  durch  Wiederholungen 
und  Antithesen  recht  hervortreten  und  herausspringen  zu  lassen,  er 
gibt  seine  Empfindungen  wieder  — das  ist  Alles.  So  erhält  durch 
ihn  die  Malerei  wieder  Leben:  das  sind  nicht  mehr  Compositionen, 
die  man  sieht,  sondern  Empfindungen,  die  man  fühlt ; das  ist  nicht 
mehr  ein  Maler,  der  redet,  sondern  ein  Mensch.  Von  Anfang  an 
hatte  er  die  Gabe,  unmittelbar,  einfach  und  natürlich  zu  sehen, 
und  um  sich  weiter  darin  zu  üben,  begann  er  mit  den  allereinfach- 
sten Dingen : ein  Arbeiter  auf  dem  Feld,  der,  auf  seinen  Spaten  ge- 
stützt, vor  sich  hinschaut,  ein  Sämann  zwischen  den  Furchen,  in 
die  sich  Schaaren  von  Vögeln  niederschlagen , ein  Mann  auf  dem 
Acker,  der  seinen  Rock  auszieht,  ein  Weib  in  der  Stube,  das  sein 
Zeug  flickt,  ein  junges  Mädchen  am  Fenster  hinter  einem  Topf 
mit  Massliebchen.  Das  umgebrochene  Feld  wird  er  nicht  satt  zu 
zeichnen,  noch  häufiger  dichtgedrängte  Schafheerden  auf  der  Haide, 


4H  XXVII.  Jean-Franqois  Millet 


Millei:  La  Rainasseuse  de  bois. 

die  wolligen  Rücken  wie  in  Wellenbewegung  lang  hingestreckt  und 
zwischen  ihnen  der  Hüter  oder  die  Hüterin. 

Der  Sämann  (1850),  Bauer  und  Bäuerin  zur  Arbeit  gehend,  die 
Heubinder,  die  Schnitter,  eine  Schafschererin,  der  Baumpfropfer  (1855), 
ein  Schafhirt  und  die  Aehrenleserinnen  (1857)  sind  die  hauptsäch- 
lichsten Werke  der  50er  Jahre.  Welche  Summe  pietätvollster  Natur- 
anschauung ist  in  diesen  Aehrenleserinnen  enthalten.  Sie  haben  keine 
pathetischen  Köpfe,  ihre  Armbewegung  strebt  keine  declamatorische 
Contrastwirkung  an.  Sie  werben  auch  nicht  um  Mitleid.  Sie  thun 
nur  ihre  Arbeit.  Das  gibt  ihnen  ihre  Würde  und  Hoheit.  Sie  sind 
selbst  Naturproducte,  Pflanzen,  deren  die  gewöhnlichste  nicht  einer 
gewissen  einfachen  reinen  Schönheit  entbehrt.  Betrachtet  die  Hände. 
Man  würde  sie  nicht  küssen,  aber  von  Herzen  drücken.  Es  sind 
brave  Hände,  die  von  Jugend  auf  hart  gearbeitet:  bald  von  Frost  ge- 
röthet,  von  Soda  gesprungen,  von  Müdigkeit  geschwollen  oder  von  der 
Sonne  verbrannt.  — Ganz  idyllisch  ist  der  »Bauer,  der  einen  Baum 
pfropft«  von  1855.  Inmitten  eines  jener  ummauerten  Räume,  die  halb 
Hof  halb  Garten  sind  und  in  den  Dörfern  die  Scheune  vom  Wohn- 
haus trennen,  steht  ein  Mann,  der  einen  Baum  beschnitten  hat  und 
ein  neues  Reis  einpfropft.  Seine  Frau  mit  dem  kleinsten  Kind  im 
Arm  schaut  zu.  Rings  athmet  Alles  Ordnung,  Reinlichkeit,  Zufrieden- 


XXVII.  Jean-Francois  Millet 


415 


Millet:  Bauer,  seinen  Rock  ausgehend. 

heit  mit  Wenigem.  Ihre  Kleider  haben  keinen  Fleck,  kein  Loch, 
sie  tragen  sich  lange  unter  der  sorgsamen  Pflege  der  Frau.  Es  ist 
der  alte,  der  Scholle  treue  französische  Bauer,  der  am  Ort  seiner 
Geburt  lebt  und  stirbt  — ein  Bild  patriarchalischer  Einfachheit.  — 
1859  erschien  der  Angelus,  jenes  Werk,  das  klingt  wie  tiefe  ferne 
Glockenandacht.  »Ich  will,  dass  man  die  Glocken  läuten  hört,  und 
nur  die  Naturwahrheit  des  Ausdrucks  kann  das  zu  Stande  bringen«. 
Nichts  fehlt  diesen  Schöpfungen,  weder  die  Einfachheit  noch  die 
Wahrheit.  Ja,  je  länger  man  sie  betrachtet,  desto  mehr  bemerkt 
man  etwas,  das  über  die  Realität  hinausgeht.  Der  Mann  mit  der 
Hacke,  das  berühmte  Bild  von  1863  ist  geradezu  ein  Werk  grossen 
Stils;  er  lässt  an  antike  Statuen,  an  die  Figuren  Michelangelos 
denken,  ohne  dass  er  ihnen  in  irgend  einer  Art  ähnelt:  Millet  hat 
in  kühner  Wahrhaftigkeit  jede  künstliche  Grazie  und  willkürliche 
Verschönerung,  die  andere  in  das  Landleben  hineintrugen,  verschmäht, 
und  indem  er  davon  absehend  nur  auf  die  gewissenhafteste  Ehrfurcht 
vor  der  Natur  sich  stützte,  hat  sein  tiefes  zeichnerisches  Wissen  im 
menschlichen  Bau  eine  Würde,  in  den  Bewegungen  des  Bauern  einen 
grossen  Stil  gesehen , den  Keiner  vor  ihm  darin  entdeckte.  Es  ist 


4 1 6 


XXVII.  Jean -Francois  Millet 


in  den  Linien  seiner  Bilder 
eine  Einfachheit,  eine  Har- 
monie, eine  Grösse,  wie  sie 
nur  die  allergrössten  Künst- 
ler hatten.  Dazu  gelangte  er 
auf  demselben  Wege  wie 
Rousseau  und  Corot  zu 
ihrem  Stil  in  der  Landschaft: 
Durchtränkt  und  durchsättigt 
von  Realität,  konnte  er  in 
der  Stunde  der  Schöpfung 
ungestraft  des  Modells  ent- 
rathen,  wahr  und  condensirt 
zugleich  sein,  ohne  mehr 
durch  kleinliches  Detail  ge- 
hindert zu  werden. 

Er  selbst  ging  wie  ein 
Bauer  in  Barbizon  einher. 
Mit  einer  alten  rothen  Ma- 
trosenkutte, mit  Holz- 
schuhen und  einem  wetter- 
geprüften Strohhut  sah  man  ihn  Wald  und  Flur  durchstreifen.  Er 
erhebt  sich  mit  Sonnenaufgang,  wie  es  seine  Eltern  gethan  und 
wandert  wie  sie  hinaus  auf’s  Land.  Er  hütet  keine  Heerde,  treibt 
keine  Kühe,  kein  Ochsen-  oder  Pferdegespann  vor  sich,  trägt  keine 
Hacke  und  keinen  Spaten,  sondern  stützt  sich  auf  seinen  Stock,  ist 
mit  Beobachtungsgabe  allein  und  poetischer  Anschauung  gerüstet.  Er 
geht  wie  die  Leute,  denen  er  begegnet,  streicht  um  die  Häuser,  tritt 
in  den  Hof,  schaut  über  die  Zäune,  kennt  die  Schnitter  und  Aehren- 
leserinnen,  die  Mädchen,  die  die  Gänse  hüten  und  die  Hirten  in 
ihren  grossen  Mänteln,  wie  sie  auf  ihren  Stab  gestützt  unbeweglich 
inmitten  ihrer  Heerden  stehen.  Er  tritt  in  die  Waschküchen  ein, 
in’s  Backhaus,  in  die  Räume,  wo  Butter  geschlagen  wird.  Er  wohnt 
der  Geburt  des  Kalbes,  dem  Tod  des  Schweines  bei  oder  lehnt 
sinnend,  die  Arme  über  die  Brust  gekreuzt,  an  der  Mauer  eines 
Gartens  und  betrachtet  die  untergehende  Sonne,  wie  sie  Feld  und 
Wald  in  röthliche  Schleier  hüllt.  Er  hört  die  Abendglocken  läuten, 
sieht  die  Leute  beten  und  dann  heimwärts  gehen.  Auch  er  geht, 
liest  bei  Lampenlicht  die  Bibel , während  seine  Frau  näht  und  die 


Millet:  La  Tricoteuse. 


XXVII.  Jean-Francois  Millet 


417 


Kinder  schlafen.  Wenn  Alles 
ruhig  geworden,  klappt  er 
das  Buch  zu  und  träumt. 

Er  sieht  noch  einmal  Alles, 
was  er  am  Tage  erlebte. 

Ohne  Leinwand  und  ohne 
Farben  ist  er  ausgegangen, 
hat  nur  ein  paar  Beweg- 
ungsmotive flüchtig  in  sein 
Skizzenbuch  notirt.  gewöhn- 
lich den  Bleistift  gar  nicht 
aus  der  Tasche  gezogen,  nur 
nachgedacht,  sein  Gehirn  ge- 
zwungen, Alles  zu  merken, 
was  sein  Auge  sah.  Das 
wiederholt  er  jetzt  noch  ein- 
mal im  Gedächtniss.  Morgen 
wird  er  malen. 

Sein  Studium  erscheint 
als  ununterbrochene  Uebung 
des  Auges,  das  Wesentliche,  die  grossen  Linien  in  der  Natur  wie  im 
menschlichen  Körper  sehen  zu  lernen  und  festzuhalten.  Auf  Daumiers 
Wege  weitergehend,  nahm  er  den  Figuren  Alles,  was  nur  zufällig 
ist,  vereinfachte  sie,  um  die  Grundnote,  den  Charakter  desto  mehr 
hervorzuheben.  Diese  Vereinfachung,  die  bewunderungswürdige  Art 
möglichst  Viel  schlagend,  mit  den  geringsten  Mitteln  auszudrücken, 
hat  Keiner  so  wie  Millet  verstanden.  Da  ist  nichts  Ucberflüssiges, 
nichts  Kleinliches,  aus  Allem  spricht  ein  epischer,  auf  das  Grosse, 
Heroische  gerichteter  Geist.  Seine  Zeichnung  haftete  niemals  am 
Nebensächlichen,  Anekdotischen  der  Form ; was  ihn  fesselte,  waren 
die  entscheidenden  Linien,  die  eine  Bewegung  charakterisiren,  ihr 
Rhythmus  geben.  Gerade  dieses  Gefühl  für  Rhythmus  hatte  seine 
harmonische  Seele  im  höchsten  Grade.  Er  gab  seinen  Bauern  keine 
griechischen  Nasen,  aber  auch  in  kleinen  trockenen  Beobachtungen 
verlor  er  sich  nicht,  er  vergrösserte,  vereinfachte  ihre  Silhouetten 
und  machte  aus  ihnen  Heroen,  Märtyrer  der  Arbeit.  Seine  Ge- 
stalten bekamen  den  Stil  der  Erhabenheit;  eine  feierliche  Grösse, 
ein  fast  antiker  Reliefstil  geht  durch  seine  Bilder.  Gewiss  bezeich- 
nend, dass  die  einzigen  Kunstwerke,  die  er  in  seinem  Atelier  besass, 

Muther,  Moderne  Malerei  II. 


Millet:  La  Berger e avec  ses  montons. 


27 


4i8 


/ 


XXVII.  Jean-Francois  Millet 


die  Gypsabgüsse  der  Metopen 
des  Parthenon  waren.  Er 
selbst  war  ein  antiker  Mensch: 
in  der  Einfachheit  seines  Le- 
bens, wie  in  seiner  äusseren 
Erscheinung:  ein  Bauer  in 
Holzschuhen , der  die  Zeus- 
büste von  Otricoli  auf  den 
Schultern  trug.  Und  wie 
seine  Biographie  gleich  einem 
homerischen  Gesänge  an- 
muthet,  so  hat  auch  seine 
einfach  grosse  Kunst  das  Pri- 
mitive, Urthümliehe,  Hero- 
ische gesucht.  Man  beachte 
die  michelangeleske  Geste 
des  »Sämanns«.  Dieser  Bauer, 
der  da  festen  Schritts  hin- 
schreitet, scheint  in  seiner 
grossen  Bewegung  das  Be- 
wusstsein von  der  Grösse  seines  Tagewerks  zu  haben : die  heroische 
Verkörperung  des  Menschen,  der  die  Erde  beherrscht,  seinen  Zwecken 
dienstbar  macht,  befruchtet. 

11  marche  dans  la  plaine  immense, 

Va,  vient,  lance  la  graine  au  loin, 

Rouvre  sa  main  et  recommence  ; 

Et  je  medite,  obscur  t^moin, 

Pendant  que  dd’ployant  ses  voiles 
L’ombre  oü  se  mele  une  rumeur 
Semble  £largir  jusqu’aux  dtoiles 
Le  geste  auguste  du  semeur. 

Man  beachte  die  epische  Ruhe  der  »Achrenleserinnen« , der  drei 
Parzen  der  Armuth,  wie  Gautier  sic  nannte,  die  priesterliche  W ürde 
des  Holzhackers«,  die  fitst  indische  Feierlichkeit  der  krau,  die  eine 
Kuh  weiden  lässt.  Sie  steht  in  ihren  Holzschuhen  wie  auf  einem 
Piedestal,  ihr  Rock  hat  lapidare  Falten,  ein  feierlich  melancholischer 
Stumpfsinn  prägt  sich  aus  in  ihrem  Gesicht.  Millet  ist  der  Michel- 
angelo der  Bauern.  Seine  Bilder  wirken  in  ihrer  grandiosen  Einfach- 
heit wie  religiöse  Malerei,  plastisch  und  mystisch  zugleich. 


XXVII.  Jean-Francois  Millet 


Zu  dieser  Höhe 
des  Stils  ist  Millet 
keineswegs  nur  durch 
Instinkt  gekommen. 

Obwohl  Bauernsohn, 

Bauer  und  Bauern- 
maler, wusste  er  sehr 
wohl,  was  er  wollte, 
und  hat  dieses  -.Ziel 
nicht  praktisch  nur 
in  seinen  Bildern, 
auch  theoretisch  klar 
in  seinen  Briefen  und 
Aufsätzen  formulirt. 

Denn  Millet  war  nicht 
blos  ein  Mann,  der 
gerne  träumte,  er  war 
zugleich  ein  grübeln- 
der, philosophischer 
Kopf,  den  neben  den 
Gefühlen  des  Dich- 
ters auch  die  Ideen 
des  Denkers  bewohn- 
ten. In  dem  Selbstporträt,  das  dem  Buche  Sensiers  als  Titelblatt 
beigegeben  und  auf  dem  er  etwas  Kränkliches,  romantisch  Ange- 
hauchtes, Aetherisches  hat,  kommt  gleichsam  nur  die  eine  Seite 
seines  Wesens  zum  Ausdruck.  Das  grosse  Medaillon  von  Chapu 
enthüllt  die  andere:  den  scharfen  consequenten  Denker,  der  aus 
den  lichtvollen,  unerbittlich  logischen  Briefen  spricht.  Er  ist  in 
dieser  Hinsicht  der  echte  Vertreter  seiner  Race.  Im  Gegensatz  zum 
Esprit  und  graziösen  Leichtsinn  des  Parisers  gilt  ruhiger,  gesunder 
Menschenverstand  als  Haupteigenschaft  des  Normannen  und  dieses 
präcis  klare  Denkvermögen  war  bei  Millet  noch  gehoben  durch  un- 
ermüdliche geistige  Schulung. 

Schon  als  Kind  hatte  er  durch  seinen  Onkel,  einen  Geistlichen, 
eine  gute  Erziehung  erhalten  und  genug  lateinisch  gelernt,  um  Virgils 
Georgica  und  andere  alte  Schriftsteller  im  Urtext  zu  lesen.  Er  kann 
sie  fast  auswendig  und  citirt  sie  jeden  Augenblick  in  seinen  Briefen. 
Nach  Paris  gekommen,  brachte  er  lange  Stunden  in  den  Museen  zu, 

27* 


Mil/et:  La  lecon  de  tricol. 


420 


XXVII.  Jean-Francois  Millet 


nicht  um  dies  oder  jenes 
Stück  aus  einem  Bild  zu 
copiren,  sondern  um 
klarenAuges  die  Kunst- 
werke auf  ihr  Wesen 
hin  zu  prüfen.  In  Cher- 
bourg verschlang  er  in 
der  Bibliothek  den  gan- 
zen Vasari,  alles,  was 
er  finden  konnte  über 
Dürer,  Leonardo, 
Michelangelo,  Poussin. 
Selbst  in  Barbizon  blieb 
er  während  seines  gan- 
zen Lebens  ein  starker  Leser.  Shakespeare  erfüllt  ihn  mit  Bewunder- 
ung ; Theokrit  und  Burns  sind  seine  Lieblingsdichter.  Theokrit  be- 
weist mir,  dass  man  nie  mehr  Grieche  ist,  als  wenn  man  naiv  seine  Ein- 
drücke gibt,  mögen  sie  kommen  woher  sie  wollen«.  Immer,  wenn  er 
nicht  malte  oder  die  Natur  betrachtete,  hatte  er  ein  Buch  in  der  Hand 
und  freute  sich  nie  herzlicher,  als  wenn  ein  Freund  seine  kleine 
Bibliothek  um  ein  neues  bereicherte.  Obwohl  er  in  der  Jugend 
ackerte  und  pflügte  und  später  selbst  als  Bauer  lebte,  war  er  unter- 
richteter als  die  meisten  Maler,  er  war  Philosoph  — Gelehrter.  Seine 
Redeweise  war  langsam,  ruhig,  überzeugt,  gewinnend,  von  ganz 
persönlichen,  durchdachten  Ideen  gesättigt.  »Lieber  Millet,  Sie 
sehen  doch  auch  schöne  Bauern  und  hübsche  Landmädchen«, 
schrieb  ein  Kritiker.  Worauf  Millet:  Ja,  aber  die  Schönheit  liegt 

nicht  im  Gesicht.  Sie  liegt  in  der  Harmonie  des  Menschen 
mit  seiner  Thätigkeit.  Ihre  hübschen  Landmädchen  gehen 
lieber  in  die  Stadt;  es  steht  ihnen  nicht  zu  Gesicht,  Holz  und  Aehren 
zu  lesen  und  Wasser  zu  pumpen.  La  beaute  c’est  l'expression. 
Quand  je  ferai  une  mere,  je  tächerai  de  la  faire  belle  de  son  seul 
regard  sur  son  enfant«.  . . . Das  klar  Geschaute  ist,  wenn  du  es 
schlicht  und  einfach  wiedergibst,  schön.  . . . Alles  ist  schön,  was 
an  seinem  Platze  ist,  nicht  schön , was  zur  Unzeit  kommt.  Also 
keine  Abschwächung  der  Charaktere.  Apollo  sei  Apollo  und  Sokrates 
Sokrates,  vermischen  wir  sie,  so  verlieren  sie  beide  und  werden  eine 
Mischung,  die  nicht  Fisch  und  Fleisch  ist.  So  kam  die  Decadence 
der  modernen  Kunst.  Au  Heu  de  naturaliscr  hart,  ils  artialisent  la 


Monument  de  Millet  (Fore't  de  Fontainebleau). 


XXVII.  jEAN-pRANgOIS  MlLLET 


42I 


T&r'i 

f-if.  7 

Chapu:  La  pierre  de  Barbizon  (Rousseau  und  Millet). 


nature  . . . Das  Musee  Luxembourg  hat  mir  gezeigt,  dass  man,  um 
wahre  Kunst  zu  schaffen,  nicht  in’s  Theater  gehen  darf.  Je  voudrais 
que  les  etres  quc  je  represente  aient  l’air  voues  ä leur  position ; et 
qu’il  soit  impossible  d’imaginer  qu’il  leur  puissc  vcnir  a l’idee  d’etre 
autre  chose  que  ce  qu’ils  sont.  On  est  dans  un  milieu  d un  caractere 
ou  d’un  autre,  rnais  celui  qu’on  adopte  doit  primer.  On  dcvrait  etre 
habitue  ä ne  recevoir  de  la  nature  ses  impressions  de  quelquc  Sorte 
qu’ellcs  soient  et  quelque  temperament  qu’on  ait.  II  faut  etre  im- 
pregne et  sature  d’elle,  et  ne  penser  quc  ce  qu’elle  vous  fait  penser. 
II  faut  croire  qu’elle  est  assez  riebe  pour  fournir  ä tout.  Et  011 
puiserait-on,  sinon  ä la  source?  Pourquoi  donc  ä perpetuite  proposer 
aux  gens,  comme  but  supreme  ä atteindre,  ce  que  de  hautes  in- 
telligences  ont  decouvert  en  eile.  Voilä  donc  qu’on  rendrait  les 
productions  de  quelques-uns  le  type  et  le  but  de  toutes  les  productions 
ä vcnir.  Les  gens  de  genie  sont  comme  doues  de  la  baguette  divi- 
natoire;  les  uns  decouvrent  que,  dans  la  nature,  ici  se  trouve  cela, 
les  autres  autre  chose  ailleurs,  selon  le  temperament  de  leur  flair. 


422 


XXVII.  Jean -Francois  Millet 


Millet:  Les  tuetirs  de  cochons. 

Lcurs  productions  vous  assurent  dans  cette  idee  que  celui-la  trouve 
qui  est  fait  pour  tröuver,  mais  il  est  plaisant  de  voir,  quand  le  tresor 
est  deterre  et  enleve,  que  des  gens  vienncnt  ä perpetuite  gratter  a 
cette  place-la.  II  faut  savoir  decouvrir  oü  il  y a des  truffes.  Un 
chien  qui  n’a  pas  de  flair  ne  peut  que  fair  triste  chasse,  puisqu’il 
ne  va  qu’en  voyant  chasser  celui  qui  sent  la  bete  et  qui  naturelle- 
ment va  le  premier  . . . Un  immense  orgueil  ou  une  immense  sottise 
seulement  peut  fair  croire  ä certains  hommes  qu’ils  sont  de  force 
ä redresser  les  pretendus  manques  de  goüt  et  les  errcurs  de  la  nature. 
Les  Oeuvres  que  nous  aimons,  ce  n'est  qu’ä  cause  qu’clles  procedent 
d’elle.  Les  autres  ne  sont  que  des  oeuvres  pedantcs  et  vides.  On 
peut  partir  de  tous  les  points  pour  arriver  au  sublime,  et  tout  est 
propre  i l’exprimer,  si  on  a une  assez  haute  visec.  Alors  ce  que 
vous  aimez  avec  le  plus  d'emportement  et  de  passion  devient  votre 
beau  ä vous  et  qui  s’impose  aux  autres.  Que  chacun  apporte  le 
sien.  L’impression  force  l’exprcssion.  Tout  l’arsenal  de  la  nature 
est  a ladis  position  des  hommes.  Qui  oserait  decider  qu’une  pomme 
de  terre  est  inferieure  ä une  grenade.  Wenn  auf  einem  steinigen 


XXVII.  Jean-Francois  Millet 


423 


Millet:  La  fewme  qui  trail  une  vache. 


unfruchtbaren  Boden  ein  verkrüppelter  Baum  wächst,  so  ist  er  an 
diesem  Orte  schöner,  weil  natürlicher  als  ein  schlanker,  den  man 
künstlich  hinpflanzt.  Le  beau  est  ce  qui  convient.  Ob  man  das 
dann  Idealismus  oder  Realismus  nennen  soll,  weiss  ich  nicht.  Für 
mich  gibt  es  nur  eine  Manier  zu  malen:  C’est  de  peindre  vrai«. 

Das  hatte  für  die  Poesie  schon  der  alte  Boileau  in  den  Worten  aus- 
gedrückt: »Rien  n’est  beau  que  le  vrai«;  das  hatte  Schiller  in  die 
Fassung  gebracht:  »Lasst  uns  endlich  die  Wahrheit  für  die  Schön- 
heit einsetzen«.  Für  die  Kunst  des  19.  Jahrhunderts  aber  bedeuteten 
Millets  Sätze  noch  immer  die  Aufstellung  eines  neuen  Princips,  eines 
Princips,  das  wirkte,  wie  eine  fräscheinsetzende  Kraft,  als  neu  bewusste 
Energie  künstlerischen  Strebens,  als  die  Rückführung  auf  das,  was 
die  Erde  dem  Antäos  war.  Und  dadurch,  dass  Millet  dieses  Princip 
— Alles  ist  schön,  sofern  es  wahr,  nichts  schön,  sofern  es  unwahr 


424 


XXVII.  Jean-Francois  Millet 


Millet:  Eglise  de  Griville. 


ist,  die  Schönheit  ist  die  Blüthe,  aber  die  Wahrheit  der  Baum  - 
dadurch,  dass  er  dieses  Princip  zum  ersten  Mal  klar  formulirte,  ist 
er  fast  mehr  als  durch  seine  eigenen  Bilder  der  Vater  der 
neuern  fransösischen,  ja  europäischen  Kunst  geworden. 

Denn  — hier  kommen  wir  auf  die  Grenzen  seiner  Begabung 
— hat  Millet,  was  er  wollte,  als  Maler  wirklich  geleistet?  Kein 
Geringerer  als  Fromentin  hat  diese  Frage  in  seinen  Maitres  d’autrefois 
gestellt.  Bei  seinem  Besuch  in  Holland  kommt  er  einen  Augenblick 
auf  Millet  zu  sprechen  und  schreibt: 

»Ein  überaus  origineller  Maler,  hochsinnig  und  zur  Schwer- 
muth  neigend,  gutherzig  und  eine  wahrhaftig  ländliche  Natur,  hat 
von  der  Landschaft  und  ihren  Bewohnern,  von  deren  Mühe,  Melan- 
cholie und  dem  Adel  ihrer  Arbeit  Dinge  gesagt,  die  ein  Hol- 
länder nie  gefunden  hätte.  Er  hat  sie  in  einer  etwas  barbarischen 
Sprache  geschildert  in  einer  Manier,  welcher  der  Gedanke  mehr  aus- 
drückliche Kraft  verleiht,  als  seine  Hand  sie  bcsass.  Man  hat  ihm 


XXVII.  Jean-Francois  Millet 


42) 


Millet:  Le  Printemps. 

Dank  gewusst  für  seine  Absichten;  man  erblickte  in  seiner  Weise 
etwas  wie  die  Empfindsamkeit  eines  im  Ausdruck  ein  wenig  unge- 
lenken Burns.  Aber  schliesslich,  hat  er,  ja  oder  nein,  gute  Bilder 
hinterlassen  ? Hat  seine  Formensprache,  seine  Ausdrucksweise,  ich 
meine  die  Hülle,  ohne  welche  die  Gedanken  nicht  bestehen  können, 
hat  sie  die  Eigenschaften  einer  guten  Malerei  und  bietet  sie  dauernde 
Gewähr?  Vergleicht  man  ihn  mit  Potter  und  Cuyp,  dann  erscheint 
er  als  tiefer  Denker;  hält  man  ihn  gegen  Terborch  und  Metsu,  dann 
erweist  er  sich  als  fesselnder  Träumer;  er  hat  etwas  eigenthümlich 
Edeles,  gegenüber  den  Trivialitäten  der  Steen,  Ostade  und  Brouwer. 
Als  Mensch  macht  er  sie  alle  erröthen.  Wiegt  er  sie  auf  als  Maler?« 

Wer  an  den  Zeichner  Millet  denkt,  wird  diese  Frage  ohne 
Zögern  mit  Ja  beantworten.  In  den  Zeichnungen,  welche  die  Hälfte 
seines  Werkes  bilden,  ruht  die  starke  Wurzel  seiner  Kraft.  Er  hat 
nicht  wie  Leonardo,  Rafael,  Michelangelo,  Watteau  oder  Delacroix 
nur  gezeichnet,  um  Skizzen  zu  machen  oder  Bilder  vorzubereiten, 
seine  Zeichnungen  waren  für  ihn  wahrhafte,  in  sich  vollendete  Kunst- 


426 


XXVII.  Jeam-Francois  Millet 


werke  — in  ihnen  liegt  sein  dauernder  festbegründeter  Ruhm. 
Michelangelo,  Rafael,  Leonardo,  Rubens,  Rembrandt,  Prudhon,  Millet, 
das  etwa  ist  die  Namenreihe  der  grössten  Zeichner  der  Kunstgeschichte. 
Seine  Pastelle  und  Radirungen,  seine  Kreide-,  Bleistift-  und  Kohlen- 
zcichnungen  verblüffen  geradezu  durch  ihre  eminente  technische  Fein- 
heit. Je  unscheinbarer  das  Instrument,  eine  desto  grössere  Wirkung 
erzielt  er.  Die  butterschlagende  Frau  im  Louvre,  die  Ruhe  des 
Schnitters  und  der  Schnitterin  neben  dem  Kornschober,  die  Wasser- 
trägerinnen, die  in  ihrer  majestätischen  Bewegung  griechischen  Kane- 
phoren  gleichen,  der  Bauer  auf  dem  Kartoffelacker,  der  sich  mit 
Feuerstein  und  Schwamm  die  Pfeife  anzündet,  die  Frau,  die  neben 
ihrem  schlafenden  Kinde  bei  der  Lampe  näht,  der  ausruhende  Winzer, 
die  kleine  Schafhirtin,  die  träumerisch  auf  einem  Strohbündel  neben 
ihrer  grasenden  Ileerde  sitzt,  — in  diesen  Blättern  von  schwarz  und 
weiss  ist  er  ein  gleich  grosser  Colorist  wie  grosser  Pleinairmaler. 
Es  gibt  keine  neckischen  capriciösen  Sonnenstrahlen  wie  bei  Diaz. 
Millets  Sonne'  ist  zu  ernst,  um  nur  zu  spielen ; sie  ist  ein  strenges 
Gestirn,  das  das  Getreide  reifen , die  Menschen  schwitzen  lässt  und 
keine  Zeit  verliert  mit  Schäkern.  Ebenso  grundverschieden  ist  er 
als  Landschafter  von  Corot.  Corot,  der  alte  Junggeselle,  kost  mit 
der  Natur;  Millet,  der  neunfache  Familienvater,  kennt  sie  nur  als 
fruchtbare,  nährende  Mutter.  Auch  in  seiner  Naturanschauung 
kommt  der  Melancholiker  zum  Durchbruch.  »O,  wenn  sie  wüssten, 
wie  schön  der  Wald  ist.  Ich  laufe  manchmal  Abends  hinein  und 
komme  immer  ganz  zerschmettert  zurück.  Eine  Ruhe,  eine  Grösse 
ist  hier,  die  schrecklich  ist,  so  dass  ich  oft  geradezu  Furcht  empfinde. 
Ich  weiss  nicht,  was  diese  Bäume  unter  einander  reden,  aber  sie 
sagen  sich  etwas,  das  wir  nur  nicht  verstehen,  weil  wir  nicht  die- 
selbe Sprache  sprechen.  Dass  es  keine  Kalauer  sind,  scheint  mir 
sicher«.  Fr  liebte,  was  Corot  nie  gemalt  hat:  die  Scholle,  die  Scholle 
als  Scholle,  die  Scholle,  die  dampft  unter  den  Strahlen  der  befruchten- 
den Sonne.  Und  doch  steht  er  bei  aller  Verschiedenheit  des  Tem- 
peraments vielleicht  als  der  grösste  Landschafter  des  Jahrhunderts 
neben  Corot  da.  Seine  Landschaften  sind  leer  und  reizlos,  nicht 
nach  Jasmin,  nach  Erdgeruch  duftend,  doch  ist’s  als  ob  der  Erdgeist 
selbst  unsichtbar  darüber  walle.  Ein  paar  aufgesetzte  Farben  genügen 
ihm,  jene  grosse  Harmonie  zu  erzielen,  wie  sie  sonst  nur  Corot  eigen 
und  die  er  nach  der  Arbeit  so  oft  mit  seinem  Nachbar  Rousseau  be- 
sprach. Mit  wenigen  glänzenden,  leicht  hingesetzten  Schraffirungen 


XXVII.  Jean-Francois  Millet 


427 


bringt  er  das  Vibriren  der  Atmosphäre,  das  Leuchten  des  Himmels 
bei  Sonnenuntergang,  den  mächtigen  Bau  des  Terrains,  das  wollüstige 
Schaudern  der  Ebene  bei  Sonnenaufgang  zum  Ausdruck.  Bald  ist’s 
der  Morgennebel,  der  über  den  Fluren  liegt,  der  Dunst  der  Mittags- 
schwüle, der  alle  Umrisse,  alle  Farben  der  Gegenstände  umhüllt 
und  aufsaugt,  bald  die  Abendröthc,  die  Wald  und  Feld  mit  zitternd 
zartem  Schimmer  überstrahlt,  der  feine  Silberton  klarer  Nächte,  der 
über  verschleierte  Mondlandschaften  sich  breitet.  Millet  ist  in  seinen 
Pastellen  ein  Nachtmaler  wie  kein  Zweiter  des  Jahrhunderts.  Eines 
der  reizendsten  poetischen  Blätter  ist  das  mystisch-biblische  Nacht- 
stück der  Flucht  nach  Egypten.  Der  heilige  Joseph  hat  das  Kind, 
dessen  Haupt  ein  leuchtender  Feuerschein  umstrahlt,  auf  den  Arm 
genommen  und  schreitet  voran,  während  die  Mutter  auf  dem  Esel 
langsam  die  Ufer  des  Nil  entlang  zieht.  Die  Sterne  blinken,  der 
Mond  wirft  sein  zitterndes  Licht  scheu  über  die  Ebene.  Joseph  und 
Maria  sind  Bauern  aus  Barbizon,  und  doch  weht  ein  Hauch  der  Six- 
tinischen Capelle,  ein  Hauch  Michelangelos  aus  den  grossen  Gestalten. 
Oder  welcher  alte  Meister  hat  das  heilige  Schweigen  der  Nacht  so 
beredt  wie  Millet  in  seinem  »Hammelpark«  geschildert.  Seine  ge- 
zeichneten Landschaften  erwecken  den  Eindruck  einer  Weiträumig- 
keit wie  sonst  nur  Rembrandt’s  Radirungen,  einer  atmosphärischen 
Feinheit,  wie  nur  Corots  Bilder.  Ueber  seinen  Kühen,  die  zum 
Trinken  an’s  Meer  hinabsteigen,  liegt  ein  wunderbar  durchsichtiger, 
zarter  Abendhimmel,  um  das  »segelnde  Boot«  rollt  das  flüssige  Mond- 
licht auf  den  Kämmen  der  Wellen.  Der  Garten  mit  Gewitterbeleucht- 
ung und  hochgelegener  Allee,  über  der  sich  ein  Regenbogen  wölbt, 

— das  Motiv,  das  er  zu  dem  bekannten  Louvrebilde  verarbeitete 

— kehrt  in  mehreren,  vom  Einfachen  zum  Complicirteren  fort- 
schreitenden Pastellen  wieder.  Alles  ist  durchsichtig  und  leicht,  voller 
Luft  und  Licht,  und  Luft  und  Licht  sind  voller  Schmelz  und  Zauber. 

Anders  aber  stellt  sich  die  Sache,  wenn  man  auf  Fromentins 
Frage,  so  wie  sie  gestellt  ist,  die  Antwort  sucht.  Da  kann  man, 
ohne  Millets  Bedeutung  zu  schmälern,  ruhig  aussprechen : Nein ; 
Millet  war  kein  guter  Maler.  Spätere  Generationen,  denen  er 
in  seiner  ethischen  Grösse  nicht  mehr  so  nahe  steht,  werden  aus 
seinen  Bildern  allein  seine  heutige  hohe  Schätzung  kaum  ver- 
stehen. Denn  wenn  auch  manche  in  die  Privatsammlungen  von 
Boston,  New-York  und  Baltimore  gekommene  Arbeiten  im  Original 
dem  Urtheil  entrückt  sind,  werden  sie  doch  nicht  besser  sein,  als 


428 


XXVII.  Jean-Francois  Millet 


die  vielen,  welche  die  Milletausstellung  1886  oder  die  Weltausstellung 
1889  vereinte.  Diese  aber  hatten  sämmtlich  eine  Unbeholfenheit, 
eine  coloristische  Schwere  und  Trockenheit,  die  nicht  nur  den 
Werken  der  Modernen  gegenüber  veraltet,  antediluvianisch,  urthüm- 
lich  anmuthet,  sondern  damals  schon  tief  unter  dem  Niveau  colorist- 
ischer  Leistungsfähigkeit  stand.  Man  bewundert  an  Millets  Bildern 
immer  nur  die  Anschauung,  nie  die  Mache;  nur  als  Poet  wirkt  er, 
nie  als  Maler.  Seine  Malerei  ist  oft  ängstlich,  schwer,  dick  und  wie 
gemauert ; sie  ist  traurig  und  schmutzig,  gibt  die  Töne  nicht  frei  und 
luftig.  Manchmal  brutal  und  hart,  wirkt  sie  zuweilen  merkwürdig 
unbestimmt.  Selbst  seine  besten  Bilder  — der  Angelus  nicht  aus- 
genommen — gewähren  dem  Auge  keine  ästhetische  Freude.  Der 
gewöhnlichste  Fehler  seiner  Malerei  ist,  weich,  fett  und  wollig  zu 
sein.  Er  verfährt  nicht  leicht  genug  mit  Leichtem,  nicht  flüchtig 
genug  mit  Flüchtigem.  Besonders  in  den  Gewändern  macht  sich 
dieser  Mangel  fühlbar.  Sie  sind  von  einer  massiven,  beunruhigenden 
Schwere,  wie  aus  Erz  gegossen,  nicht  wie  aus  Leinwand  und  Tuch. 
Dasselbe  gilt  von  der  Luft,  sie  wirkt  materiell  und  ölig.  Selbst  in 
den  Aehrenleserinnen  — wo  ist  die  Intensität  des  Lichtes,  das 
in  ewiger  Bewegung  die  Erde  überströmt,  die  Atmosphäre  durch- 
rieselt — der  Anblick  ist  kalt  und  traurig. 

Damit  ist  zugleich  gesagt,  was  den  Späteren  zu  thun  blieb. 
Das  von  Millet  angeregte  Problem,  wahre  Menschen  in  ihrem  wahren 
Milieu  zu  schildern,  das  er  in  seinen  Pastellen  gelöst,  in  seinen  Oel- 
bildern  ungelöst  gelassen,  war  von  den  Nachfolgern  neu  aufzunehmen 
und  bis  in  seine  letzten  Consequenzcn  zu  verfolgen.  Zugleich  galt 
es,  den  Stoff  kreis  zu  erweitern. 

Denn  auch  das  ist  für  Millet,  den  grossen  Bauern,  bezeichnend, 
dass  seine  Kunst  ausschliesslich  die  Bauern  umfasste.  Seine  gefühlvolle 
Seele,  die  von  Jugend  auf  Mitleid  hatte  mit  der  harten  Arbeit  und 
dem  Elend  des  Landmannes,  war  blind  für  die  Leiden  des  städtischen 
Arbeiters,  neben  dem  er  seine  Jugend  in  Paris  verlebte.  Auch  der 
Ouvrier  hat  seine  Poesie  und  Grösse.  Wie  einen  Schrei  der  Erde, 
so  gibt  es  auch  einen  Schrei,  der  gleich  laut  und  beredsam  dem 
Pflaster  grosser  Städte  entsteigt.  Millet  lebte  in  Paris  in  einer  krit- 
ischen, schrecklichen  Stunde.  Er  war  da  während  der  Jahre  der 
Gährung,  am  Ende  der  Regierung  Louis  Philipps.  Rings  um  ihn 
grollten  alle  socialistischen  und  communistischen  Schrecken.  Er 
war  da  während  der  Februar-Revolution,  während  der  Junitage.  Und 


XXVII.  Jean-Francois  Millet 


429 


als  die  Arbeiter  auf  den  Barrikaden  kämpften,  malte  er  den  — Korn- 
schwinger. Das  Elend  von  Paris,  die  Leiden  des  Volkes  berührten 
ihn  nicht.  Millet,  der  Bauer,  hatte  nur  ein  Herz  für  die  Bauern, 
war  blind  für  die  Leiden,  blind  für  die  Reize  des  modernen  städt- 
ischen Lebens.  Paris  schien  ihm  »ein  schmutziges,  trauriges  Nest«. 
Kein  malerischer  Anblick  der  grossen  Stadt  fesselte  ihn.  Weder  ihre 
Grazie  fühlte  er,  ihre  Eleganz  und  reizende  Frivolität,  noch  bemerkte 
er  etwas  von  der  gewaltigen  modernen  Ideenbewegung  und  der  edlen 
Menschlichkeit,  die  dem  Jahrhundert  der  Humanität  das  Gepräge 
gibt.  Nach  diesen  beiden  Seiten  hatte  die  Entwicklung  der  fran- 
zösischen Kunst  zu  gehen.  Theils  war  das  von  Millet  berührte 
Problem  der  modernen  Farbenanschauung  mit  verbesserten  Instru- 
menten neu  aufzunehmen,  theils  das  von  ihm  formulirte  Princip  »le 
beau  c’est  le  vrai«  von  der  Bauernmalerei  auf  das  moderne  Leben 
überhaupt  auszudehnen , aus  dem  Walde  von  Fontainebleau  nach 
Paris  zu  übertragen , aus  der  Einsamkeit  in  das  Leben , aus  der 
Abendstimmung  in  das  Sonnenlicht,  aus  der  Weichheit  der  Romantik 
in  die  harte  Wirklichkeit.  Courbet  und  Manet  thaten  diese  Schritte. 


©x£) 


XXVIII. 


Der  Realismus  in  Frankreich. 

was  Millet  in  der  Einsamkeit  des 


*w*iJischen  Urkraft  Courbets  nöthig. 

Die  Aufgabe,  die  ihm  zufiel,  war  eine  ähnliche,  wie  im  17.  Jahr- 
hundert die  Caravaggios.  Als  damals  die  eklektische  Nachahmung 
des  Cinquecento  den  Höhepunkt  der  Manierirtheit  erreicht  hatte,  als 
Corlo  Dolci  und  Sassoferato  sich  abmühten,  in  mythologischen  Bil- 
dern die  Typen  Rafaels  durch  Idealisiren  immer  mehr  zu  ver- 
wässern, malte  Caravaggio  Scenen  aus  der  Hefe  des  Volkes  und  der 
zügellosen  Soldateska  seiner  Zeit.  In  einer  Periode,  als  jene  sich 
in  doctrinären,  erzwungenen  und  erkünstelten  Compositioncn  er- 
gingen , die  in  ödem  Schematismus  die  Leistungen  der  Klassiker 
lediglich  auf  Regeln  zurückführten,  schuf  er  Werke  von  vielleicht 
unfeiner,  aber  ernster,  furchtbarer  Wahrheit,  deren  gesunder,  kraft- 
voller Naturalismus  bald  die  ganze  Kunst  des  17.  Jahrhunderts  in 
andere  Bahnen  zog. 

Als  Courbet  auftrat,  lagen  die  Verhältnisse  ähnlich : Ingres,  in 
dessen  eisigen  Werken  sich  das  ganze  Cinquecento  cristallisirte,  war 
im  Zenith  seines  Ruhmes.  Couture  hatte  seine  Römer  der  Verfall- 
zeit gemalt  und  Cabanel  seine  ersten  Erfolge  verzeichnet.  Neben 
ihnen  stand  jene  kleine  Schule  der  Neugriechen  mit  Louis  Hamon 
an  der  Spitze,  dessen  zimperlicher  Porzellanstil  sich  der  besonderen 
Bewunderung  des  Publikums  erfreute.  Zwischen  diese  grossen, 
symmetrischen  Maschinen  der  Vollblutclassicisten  und  die  niedlichen 
Zuckerbäckereien  der  neugriechischen  Schönmaler  trat  Courbet  in 
seiner  ganzen  brutalen  Schwere.  Das  alte  Allheilmittel,  das  nie 
seinen  Dienst  versagt:  in  allen  Perioden,  wenn  die  Kunst,  nachdem 
ihre  Blüthe  vorüber,  in  Manier  verfällt,  folgt  eine  starke  realistische 
Gegenströmung,  die  ihr  neues  Lebensblut  zuführt.  Man  hatte  die 
Natur  verkünstelt,  cs  war  Zeit,  die  Kunst  zu  naturalisiren.  Man 


begonnen,  war  ein  Mann  von 


XXVIII.  Der  Realismus  in  Frankreich 


431 


irrte  noch  immer  in  der 
Vergangenheit  umher,  um 
Todte  aufzuerwecken  und 
die  Geschichte  neu  aufleben 
zu  lassen.  Der  Moment  war 
gekommen , noch  schroffer 
als  bisher  die  Rechte  der 
Gegenwart  zu  betonen,  die 
Kunst  mitten  in  das  gähr- 
ende  Leben  der  modernen 
Grossstadt  zu  setzen : eine 
Entwicklung,  die  natürlich 
und  logisch  der  politischen 
folgte:  sie  fällt  culturge- 

schichtlich  zusammen  mit 
dem  andauernden  Kampf  der 
Demokratie  um  den  Besitz 
des  allgemeinen  Stimmrechts. 

Courbet  lieferte  nur  die  Ent- 
scheidungsschlacht in  dem 
grossen  Kampf  den  Jeanron, 

Leleux,  Octave  Tassaert  u.  A.  als  plänkelnde  Vorposten  begannen.  Er 
überragte  diese  Aeltern,  deren  sentimentale  Bildchen  als  Kunstwerke 
nicht  ernst  genommen  worden  waren,  thurmhoch  als  Maler  und  for- 
derte die  Beachtung  um  so  mehr  heraus,  als  er  für  seine  Darstellungen 
Lebensgrösse  wählte.  Damit  war  das  letzte  Hinderniss  beseitigt, 
das  der  Behandlung  moderner  Stoffe  im  Wege  stand.  Auf  Millets 
kleine  Bauerngestalten,  die  nur  als  »Landschaften  mit  Staffage« 
zählten,  hatte  man  noch  wenig  geachtet.  Erst  Courbets  Bilder  be- 
lehrten die  Akademie,  dass  das  bisher  so  harmlose  »Sittenbild«  sich 
anschickte,  selbst  die  Rolle  der  stolzen  Historienmalerei  zu  über- 
nehmen. 

Zugleich  ging  — was  weiter  Courbets  Auftreten  folgenschwerer 
als  das  seiner  Vorgänger  machte  — mit  der  künstlerischen  eine 
äusserst  wirksame  literarische  Propaganda  Hand  in  Hand.  Millet  war 
schweigsam  gewesen  und  von  Keinem  als  von  seinen  Freunden  ge- 
kannt. Er  hatte  nie  eine  Ausstellung  veranstaltet,  sondern  still  die 
Zurückweisungen  der  Jury,  das  Gelächter  des  Publikums  ertragen. 
Courbet  lärmte,  liess  die  Trommel  schlagen,  stellte  sich  in  muskel- 


432 


XXVIII.  Der  Realismus  in  Frankreich 


kräftige  Positionen  wie  ein  Kraft- 
mensch , der  mit  eisernen  Kugeln 
spielt,  versicherte  in  den  Blättern,  er 
sei  der  einzige  ernsthafte  Künstler 
des  Jahrhunderts.  Keiner  hat  das 
Embeter  le  bourgeois  so  verstanden, 
Keiner  ein  solches  Geheul  von  Lei- 
denschaften entfesselt,  Keiner  sein 
Privatleben  so  behaglich  der  Neugier 
der  Menge  preisgegeben,  mit  der  re- 
nommistischen  Atitude  des  Athleten, 
der  im  Circus  die  Muskeln  seines 
Torso  zur  Schau  stellt.  Man  kann 
über  dieses  Auftreten,  durch  das  er 
zuweilen  eine  fast  groteske  Figur 
wurde,  der  beliebigsten  Ansicht  sein 
— als  er  kam,  warernöthig.  Revolu- 
tionen vollziehen  sich  in  der  Kunst  mit  der  gleichen  Brutalität  wie  im 
Leben.  Man  wirft  den  Besitzenden  die  Fenster  ein,  man  singt,  man 
jodelt.  Jede  trägt  den  Charakter  unbeugsamer  Härte.  Weisheit  und  Ver- 
nunft haben  nie  die  Leidenschaft,  die  gebraucht  wird,  um  zu  stürzen 
und  aufzubauen.  Caravaggio  musste  zu  den  Waffen  greifen,  zu 
blutigen  Angriffen  übergehen.  Im  gesitteten  19.  Jahrhundert  hat 
sich  Alles  gcsetzmässig,  doch  nicht  weniger  leidenschaftlich  voll- 
zogen. Um  wenig  zu  erhalten,  muss  man  viel  fordern,  das  ist  jeder- 
zeit wahr  gewesen  und  das  hat  Courbet  gethan.  Ein  merkwürdiger 
hochstrebender  Charakter,  genial  und  cxcentrisch,  ein  moderner  Narciss 
an  selbstbeschaulicher  Eitelkeit  und  doch  wieder  der  opferbereiteste, 
treueste  Freund,  vor  der  Menge  ein  Cyniker  und  Schwätzer,  zu  Haus 
ein  ernster,  grosser  Arbeiter,  aufbrausend  wie  ein  Kind  und  im 
nächsten  Augenblick  versöhnt,  äusserlich  ebenso  brutal  wie  innerlich 
zartfühlend,  ebenso  egoistisch  wie  unabhängig  und  stolz,  formulirte 
er  seine  Ziele  gleich  schneidig  in  Worten  und  Werken.  Immer  voll 
Feuer  und  Begeisterung,  zerstörend  und  anregend  — eine  ähnliche 
Natur,  wie  bei  uns  Lorenz  Gedon,  dem  er  auch  in  seinem  Aeussern 
glich  — wurde  er  die  Seele,  das  treibende  Princip  der  grossen  realist- 
ischen Bewegung,  die  seit  dem  Beginne  der  50  er  Jahre  Europa  tiber- 
fluthete.  Recht  eigentlich  der  Mann,  den  die  Kunst  damals  brauchte: 
ein  Arzt,  der  die  Gesundheit  mit  sich  brachte,  sie  in’s  Freie  schickte, 


Courbet.  Jugendporträt. 


Muther,  Moderne  Malerei  II. 


2 S 


Cour  bet:  Die  Sleinklopj  er . 


434 


XXVIII.  Dkr  Realismus  in  Frankreich 


ihr  Blut  in  die  Adern  spritzte.  Sein  ganzes  Auftreten  als  Mensch 
wie  als  Künstler  hat  etwas  vom  elementaren  Einbrechen  einer  Natur- 
gewalt. Er  kommt  vom  Land  in  Holzschuhen,  mit  der  Zuversicht 
eines  Bauern,  der  sich  vor  nichts  fürchtet.  Er  ist  ein  grosser,  kräftiger 
Mensch,  gesund  und  natürlich  wie  die  Ochsen  in  seinem  Heimaths- 
ort.  Er  hatte  breite  Ellbogen,  mit  denen  er  alles  im  Wege  Stehende 
zur  Seite  stiess.  Er  war  mehr  ein  Instinkt  als  ein  Gehirn,  ein 
peintre-animal,  wie  ein  Franzose  ihn  nannte.  Ein  solcher  Plebejer 
war  nöthig,  den  akademischen  Olymp  zu  zerschlagen.  Die  Natur, 
indem  sie  ihn  gross  und  stark  machte,  hatte  ihn  gleichsam  selbst 
zu  seiner  Rolle  bestimmt:  Man  haut  immer  leichter  Bresche,  wenn 
man  dicke  Muskeln  hat.  Ausgestattet  mit  der  Kraft  eines  Simson, 
der  den  Tempel  der  Philister  zertrümmert,  war  er  selbst  der  »Stein- 
klopfcr«  seiner  Kunst  und  hat  wie  die,  die  er  gemalt  hat,  ein  nütz- 
liches Tagewerk  vollführt. 

Gustave  Courbet,  der  bäuerlich  kräftige  Sohn  der  Franchc-Cointe, 
war  1819  in  Omans,  einer  kleinen  Stadt  bei  Besan^on  geboren.  Ein 
Freund  und  Landsmann  Proudhons,  des  Socialisten,  hatte  er  wie 
dieser  ein  Paar  Tropfen  deutschen  Blutes  in  den  Adern,  was  beiden 
auch  in  der  äussern  Erscheinung  etwas  germanisch  Derbes  und 
Wuchtiges,  mit  der  französischen  Leichtigkeit  und  Eleganz  Contra- 
stirendes  verlieh.  Auf  seinem  massiven  Körper  sass  ein  schwerer 
athletischer  Hals,  ein  dickes  Gesicht  mit  schwarzen  Haaren  und 
grossen  Löwenbändigeraugen , die  wie  dunkle  Diamanten  strahlten. 
Ein  starker,  wohlgenährter  Mann,  mittelgross,  breitschultrig,  plump, 
roth,  einem  Schlachthausthiere  ähnlich,  mit  den  Jahren  zu  immer 
gesegneterem  Leibesumfang  neigend,  ging  er  wie  ein  Sisyphus  der 
Arbeit  einher,  die  nie  fehlende  kurze,  mit  rauhem  Caporaltabak  ge- 
stopfte Pfeife,  den  classischen  brule  gueule  im  Munde.  Ein  wenig 
kurzathmig,  bewegte  er  sich  breit  und  schwerfällig,  schnaufte,  wenn 
er  erregt  war,  schwitzte  perlende  Tropfen,  wenn  er  malte.  Die 
Kleidung  war  bequem,  nicht  elegant,  der  Kopf  für  die  Pelzmütze, 
nicht  für  den  officiellen  Cylindcr  geschaffen,  die  Redeweise  cynisch, 
der  Mund  oft  von  wegwerfendem  Lachen  verzerrt.  Im  Atelier  und 
in  der  Kneipe  bewegte  er  sich  gern  in  Hemdärmeln  und  muthete  auf 
der  Münchener  Ausstellung  1869  die  deutschen  Maler  wie  ein  Altbayer 
an,  wenn  er  urwüchsig,  jovial  im  »Deutschen  Haus«  mit  ihnen  kneipte 
und  durch  seine  mehr  germanische  als  romanische  Fähigkeit  im  Bier- 
vertilgen selbst  die  leistungsfähigsten  Münchener  in  Schatten  stellte. 


XXVIII.  Der  Realismus  in  Frankreich 


435 


Ursprünglich  zum  Juristen  bestimmt,  hatte  ersieh  1837  entschlossen, 
Maler  zu  werden,  und  bei  Flogeoulot,  einem  mittelmässigen  in  die 
Provinz  versprengten  Maler  der  Davidschule,  der  sich  prunkend  le 
roi  du  dessin  nannte,  seine  künstlerischen  Studien  begonnen.  1839 
kam  er  nach  Paris,  schon  voll  Selbstbewusstsein,  Feuer  und  Kraft. 
Bei  seiner  ersten  Runde  durch  die  Galerie  des  Luxembourg  meinte 
er  vor  Delacroix’  farbenglühendem  Gemetzel  von  Chios : es  sei  nicht 
übel,  aber  das  könne  er  auch,  sobald  er  wolle.  Nach  kurzer  Zeit 
hatte  er  sich  durch  Copiren  der  alten  Meister  im  Louvre  ein 
bravourhaftes  Handwerk  erworben.  Wie  in  der  Kunst  Autodidakt, 
war  er  im  Leben  Demokrat,  in  der  Politik  Republikaner.  Schon  1848 
während  der  Junischlacht  wäre  er  fast  mit  einem  Trupp  Insurgenten, 
deren  er  sich  annehmen  wollte,  füsilirt  worden,  hätten  einige  »gut- 
gesinnte« Bürger  nicht  für  ihren  als  Mensch  beliebten  und  als  Maler 
bereits  viel  genannten  Nachbar  sich  verwendet.  Im  Beginne  der  50er 
Jahre  war  er  mit  jungen  Schriftstellern  aus  der  Schule  Balzacs  all- 
abendlich in  einer  von  Künstlern  und  Studirenden  besuchten  Brasserie 
der  Rue  Hautefeuille  im  Quartier  latin  zu  treffen.  Er  hatte  sein  Atelier 
eingangs  dieser  Strasse  und  soll  damals  ein  hübscher,  kräftiger,  leb- 
hafter, junger  Mann  gewesen  sein,  der  sich  eines  drastischen  Atelier- 
jargons bediente.  »Seine  bemerkenswerthen  Züge,  so  hat  Theophile 
Silvestre  ihn  damals  beschrieben,  scheinen  nach  einem  assyrischen 
Basrelief  geformt  zu  sein.  Seine  schwarzen , glänzenden , wohl- 
geschnittenen und  von  langen,  seidenen  Wimpern  beschatteten  Augen 
haben  das  ruhige  und  sanfte  Leuchten  des  Antilopen-Auges.  Der 
kaum  unter  der  leichtgebogenen  Adlernase  angedeutete  Schnurrbart 
vereint  sich  mit  dem  fächerförmigen  Bart  und  umsäumt  dicke  sinn- 
liche Lippen;  die  Haut  ist  von  bräunlichem,  olivenfarbigem,  wech- 
selndem und  nervösem  Ton.  Der  runde,  eigenthümlich  geformte 
Schädel  und  die  vorstehenden  Backenknochen  deuten  Eigensinn,  die 
lebhaften  beweglichen  Nasenflügel  Leidenschaft  an.«  Ein  grosser 
Disput  über  den  Realismus  diente  gewöhnlich  den  Mahlzeiten  als 
Nachtisch.  Courbet  liess  sich  dabei  nicht  auf  Controversen  ein,  warf 
Jedem  seine  Ansicht  an  den  Kopf  und  schnitt,  wenn  ihm  entgegnet 
wurde , in  sehr  massiver  Weise  das  Gespräch  ab.  Der  reine 
bethlehemitische  Kindermord,  wenn  er  von  den  Berühmtheiten  seiner 
Zeit  redete.  Die  Historienmalerei  nannte  er  einen  Unsinn,  den  Stil 
einen  Humbug,  auf  alle  Ideale  pfiff  er  und  behauptete,  es  sei  die 
grösste  Frechheit,  Dinge  malen  zu  wollen,  die  man  nie  zu  Gesicht 

28* 


436 


XXVIII.  Der  Realismus  in  Frankreich 


bekommen,  von  deren  Ansehen  man  also  keinen  Begriff  haben  könne. 
Die  Phantasie  sei  Blödsinn  und  die  Wirklichkeit  die  einzige  Muse. 

»Unser  Jahrhundert  wird  sich  von  dem  Nachahmungsfieber,  von 
dem  es  darniedergeworfen  ist,  nicht  wieder  erholen.  Phidias  und 
Rafael  haben  sich  an  uns  festgehakt.  Die  Museen  müssten  einmal 
zwanzig  Jahre  lang  geschlossen  bleiben,  damit  die  Modernen  endlich 
anfangen,  selbständig  zu  sehen.  Denn  was  können  die  alten  Meister 
uns  bieten?  Nur  Ribera,  Zurbaran  und  Velazquez  bewundere  ich; 
Ostade  und  Craesbeeck  verlocken  mich,  und  vor  Holbcin  empfinde 
ich  Verehrung,  Was  Herrn  Rafael  betrifft,  so  hat  er  ohne  Zweifel 
einige  interessante  Porträts  gemalt,  aber  ich  finde  keine  Gedanken 
bei  ihm.  Und  die  Vettern,  die  Erben  oder  vielmehr  Sklaven  dieses 
grossen  Mannes  sind  erst  recht  Erzieher  der  niedrigsten  Art.  Was 
lehren  sie  uns?  Nichts.  Niemals  wird  ein  gutes  Bild  aus  der 
Ecole  des  Beaux  Arts  hervorgehen.  Das  Kostbarste  ist  die  Originalität, 
die  Unabhängigkeit  des  Künstlers.  Schulen  dürfen  nicht  existiren, 
es  gibt  nur  Maler.  Ich  habe  unabhängig  von  jedem  System  und 
ohne  mich  einer  Partei  anzuschliessen,  die  Kunst  der  Alten  und  der 
Neueren  studirt.  Ich  habe  die  eine  ebensowenig  nachahmen  als  die 
andere  copircn,  sondern  nur  aus  der  gesammten  Kenntniss  der  Ucber- 
lieferung  die  begründete  und  unabhängige  Empfindung  meiner  eigenen 
Individualität  schöpfen  wollen.  Wissen,  um  zu  können,  war  mein 
Gedanke.  Im  Stande  zu  sein,  die  Sitten,  die  Ideen,  den  Anblick 
unsrer  Epoche  nach  meiner  Werthschätzung  auszudrücken,  nicht 
nur  ein  Maler,  sondern  auch  ein  Mensch  zu  sein,  mit  einem  Wort, 
lebendige  Kunst  zu  üben , das  ist  mein  Ziel.  Ich  bin  nicht  nur 
Socialist,  auch  Demokrat  und  Republikaner,  mit  einem  Wort:  ein 
Anhänger  jeder  Revolution  und  obendrein  ganz  Realist,  das  heisst  auf- 
richtiger Freund  der  wahren  Wahrheit.  Das  Princip  des  Realismus 
aber  ist  die  Negation  des  Ideals.  Indem  ich  aus  der  Negation  des 
Ideals  alles  Weitere  folgere , gelange  ich  zur  Emancipation  des 
Individuums  und  schliesslich  zur  Demokratie.  Der  Realismus  ist 
seinem  Wesen  nach  demokratische  Kunst.  Er  kann  nur  bestehen 
in  der  Darstellung  von  Dingen , die  für  den  Künstler  sichtbar  und 
berührbar  sind.  Denn  die  Malerei  ist  eine  ganz  physische  Sprache, 
und  ein  abstractes,  nicht  sichtbares,  nicht  existirendes  Object  gehört 
nicht  in  ihre  Domäne.  Die  Monumentalmalerei,  die  wir  haben» 
steht  im  Widerspruch  mit  den  socialen  Zuständen,  die  kirchliche 
Malerei  im  Widerspruch  mit  dem  Geist  des  Jahrhunderts.  Ein  Un- 


Ccurbel:  Das  Alelier 


438 


XXVIII.  Der  Realismus  in  Frankreich 


sinn,  dass  Maler,  ohne  daran  zu  glauben,  mit  mehr  oder  weniger 
Talent  Geschichten  aufwärmen , die  ihre  Blüthezeit  nur  in  einer 
andern  als  unsrer  Epoche  haben  konnten.  Statt  dessen  bemale  man 
die  Bahnhöfe  mit  den  Ansichten  der  Gegenden , durch  die  man 
reist,  mit  Bildnissen  der  grossen  Männer,  durch  deren  Geburtsstadt 
man  fährt,  mit  Maschinenhallen,  Bergwerken,  Fabriken  — das  sind 
die  Heiligen  und  Wunder  des  19.  Jahrhunderts.« 

Diese  Lehren  deckten  sich  im  Princip  mit  denen,  die  im  17.  Jahr- 
hundert die  neapolitanischen  und  spanischen  Naturalisten  gegenüber 
den  Eklektikern  geltend  machten  Für  die  Poussin,  Lesucur  und 
Sassoferrato  war  damals  Rafael  »ein  Engel,  kein  Mensch«,  der 
Vatikan  »die  Akademie  der  Maler«.  Velazquez  aber,  nach  Rom 
gekommen,  langweilte  sich.  »Was  sagt  Ihr  von  unserm  Rafael, 
haltet  Ihr  ihn  nicht  auch  für  den  Besten,  jetzt  wo  Ihr  das  Gute 
und  Schöne  in  Italien  gesehen?  Don  Diego  wiegte  ceremoniös  das 
Haupt  und  meinte : Rafael,  um  Euch  die  Wahrheit  zu  sagen , denn 
ich  bin  gern  freimüthig  uud  offen,  muss  ich  gestehen,  gefallt  mir 
gar  nicht.«  Von  Caravaggio  werden  Aeusserungen  berichtet,  die  fast 
wörtlich  denen  Courbets  entsprechen.  Auch  er  eiferte  gegen  die 
Antike  und  Rafael,  in  deren  Schatten  er  so  viele  seichte  Nachahmer 
sitzen  sah,  und  erklärte  in  schroffer  Opposition  die  Erscheinungen 
des  Alltagslebens  für  die  einzigen  wahren  Lehrmeister.  Der  Natur 
wolle  er  Alles  verdanken , Nichts  der  Kunst.  Eine  Malerei  ohne 
Modell  sei  Unsinn.  »So  lange  das  Modell  seinen  Augen  entrückt 
war,  blieben  die  Hände  müssig  und  sein  Geist.«  Auch  er  be- 
zeichnete  sich  als  demokratischen  Maler,  der  den  vierten  Stand  zu 
Ehren  brächte;  wollte  »lieber  unter  den  vulgären  Malern  der  erste, 
als  unter  den  vornehmen  der  zweite  sein«.  Und  wie  im  17.  Jahr- 
hundert jene  Naturalisten  von  den  Akademikern  als  Rhyparographen 
behandelt  wurden,  so  war  Courbets  Programm  nicht  geeignet,  ihm 
in  dem  Maasse,  wie  er  es  wünschte,  Zutritt  in  die  officiellen  Aus- 
stellungen zu  verschaffen.  Ein  Theaterstück  will  aufgeführt,  ein 
Manuscript  gedruckt,  ein  Bild  betrachtet  sein.  Auch  Courbet  wollte 
nicht  unedirt  bleiben.  Als  die  Jury  der  Pariser  Weltausstellung  1855 
seinen  Bildern  einen  ungünstigen  Platz  anwies,  zog  er  sie  zurück 
und  führte  sie  in  einer  Holzbaracke  in  der  Nähe  des  Pont  d’Jena 
unmittelbar  am  Eingang  der  Weltausstellung  gesondert  dem  Publi- 
kum vor.  Ueber  der  Holzbaracke  stand  in  grossen  Buchstaben : 
DER  REALISMUS.  G.  COURBET.  Drinnen  aber  wurden  die 


XXVIII.  Der  Realismus  in  Frankreich 


439 


Argumente,  die  er  bisher  mit  Zunge  und  Feder  im  Bierhaus  und  in 
seinen  Broschüren  verkündet,  an  38  grossen  Bildern  demonstrirt, 
die  seine  ganze  künstlerische  Entwicklung  klarlegten. 

Den  »Töchtern  Loths«  und  »Liebe  auf  dem  Lande«  waren  1 8-44 
sein  Selbstporträt  und  das  Bild  seines  Hundes,  1845  ein  Guitarrero, 
1846  das  »Bildniss  von  Herrn  M.«  und  1847  die  »Walpurgisnacht« 
gefolgt,  lauter  Schöpfungen,  in  denen  er  noch  tastend  seinen  Weg 
suchte.  Die  »schlummernde  Badende«,  der  »Violoncellspieler«  und 
ein  Landschaftsbild  aus  seiner  Heimath  näherten  sich  1848  schon 
eher  seinem  realistischen  Ziel,  1849  entstanden  sieben  Porträts, 
Landschaften  und  Bilder  aus  dem  Volksleben:  der  »Maler«,  »Herr 
H.  T.  Kupferstiche  betrachtend«,  die  »Weinlese  in  Omans  unter- 
halb der  Roche  du  Mont« , das  »Thal  der  Bue  von  der  Roche  du 
Mont  aus«,  die  »Ansicht  des  Schlosses  von  Saint-Denis«,  der  »Abend 
beim  Dorf  Scey-en-Varay«  und  »die  von  der  Messe  heimkehrenden 
Bauern  bei  Flagey«.  Alle  diese  Arbeiten  hatten  unbeanstandet  die 
Pforten  des  Salons  passirt. 

Das  erste  Bild,  das  eine  Collision  herbeiführte  und  nach  den  zeit- 
genössischen Berichten  überhaupt  eine  seiner  Hauptleistungen  gewesen 
sein  muss,  war  »Eine  Feuersbrunst  in  Paris«.  Um  ein  brennendes 
Haus,  schreibt  Paul  d’ Abrest,  bemühten  sich  Löschmänner,  Soldaten, 
Arbeiter  in  Jacke  und  Blouse,  selbst  Weiber  halfen  bei  dem  Rettungs- 
werk und  bildeten  die  Kette,  um  die  Wassereimer  von  der  Pumpe 
heraufzugeben.  Gegenüber  stand  eine  Gruppe  junger  Stutzer  mit 
ihren  Mädchen  am  Arm,  die  der  Scene  unthätig  zusahen.  Ein 
Artilleriehauptmann  aus  Courbets  Bekannntschaft  hatte  mehrere 
Nächte  hindurch  seine  Mannschaft  alarmirt  und  Uebungen  an  Mauer- 
gerüsten vornehmen  lassen,  damit  der  Maler  dabei  seine  Studien 
mache.  Dieser  verlegte  sein  Atelier  nach  der  Kaserne  und  entwarf 
Skizzen  bei  Fackelschein.  Aber  er  hatte  ohne  die  Polizei  gerechnet: 
Das  Bild  war  kaum  fertig,  als  es  nach  dem  Staatsstreich  von  1831 
mit  Beschlag  belegt  wurde,  da  die  Regierung  darin  aus  unersicht- 
lichem Grunde  eine  »Aufreizung  der  Bürger«  sah. 

Courbets  Manifest  wurde  also  nicht  die  »Feuersbrunst«.  Die 
Steinklopfer«,  zwei  Männer  in  Arbeiterkleidung  in  einer  flachen  Abend- 
landschaft nahmen  auch  auf  der  Ausstellung  1855  wieder  die  erste 
Stelle  ein,  nachdem  schon  sie  im  Salon  von  1851  neben  ihrer  classi- 
cistischen  Umgebung  wie  ein  ehrliches,  grobes,  wahres  Wort  unter 
lauter  gedrechselten  Gesellschaftsphrasen  gewirkt  hatten.  Man  sah 


440 


XXVIII.  Der  Realismus  in  Frankreich 


ferner  den  »Nachmittag  in  Omans« : eine  Gesellschaft  kleinbürger- 
licher Leute  in  einer  ländlichen  Küche  am  gedeckten  Tisch  nach 
der  Mahlzeit.  Ein  unter  dem  Titel  »Bonjour  Monsieur  Courbet« 
berühmt  gewordenes  Bild  behandelte  eine  Scene  aus  Courbets  Vater- 
stadt: Courbet  steigt,  eben  ankommend,  aus  dem  Wagen,  im 
Reisekostüm,  burschikos  dreinblickend,  die  Pfeife  im  Munde.  Ein 
respectabel  aussehender,  behäbiger  Herr,  von  einem  Bedienten  in 
Livree,  der  seinen  Ueberzieher  trägt,  begleitet,  reicht  ihm  die  Hand. 
Der  Herr  ist  Monsieur  Bryas,  der  Maecen  von  Omans,  der  lange 
Zeit  Courbets  einziger  Abnehmer  war  und  nebenbei  die  fixe  Idee 
hatte,  40  Pariser  Malern  zum  Porträt  zu  sitzen,  um  so  die  »Manieren 
der  verschiedenen  Künstler  kennen  zu  lernen.  Man  sah  weiter  die 
Demoiselles  de  village  von  1852,  drei  Landpomeranzen,  die  einem 
Bauernmädchen  ein  Stück  Kuchen  geben.  Schliesslich  als  Haupt- 
werke das  »Begräbniss  zu  Omans«,  das  heute  im  Louvre  hängt,  und 
jene  grosse  Tafel,  die  der  Catalog  als  »reale  Allegorie«  bezeichnete: 
»Mein  Atelier  am  Abschluss  eines  Zeitraumes  von  sieben  Jahren 
meines  künstlerischen  Lebens«:  Der  Meister  selbst,  wie  er  an  einer 
Landschaft  malt.  Hinter  ihm  ein  nacktes  Modell,  vor  ihm  eine 
Bettlerin  mit  ihrem  Kinde.  Rings  die  Porträtfiguren  seiner  Freunde 
und  die  Helden  seiner  Bilder:  ein  Wildschütz,  ein  Pfarrer,  ein  Todten- 
gräber,  Ackersleute  und  Arbeiter. 

Die  Ausstellung  hatte  wenigstens  bei  jungen  Malern  Erfolg,  und 
Courbet  errichtete  ein  Meisteratelicr , bei  dessen  Eröffnung  er  im 
Courrier  du  Dimanche  wieder  eine  Art  Manifest  erliess.  »Das 
Schöne  liegt  in  der  Natur  und  man  begegnet  ihm  unter  den  ver- 
schiedensten Gestalten.  Sobald  man  es  findet,  gehört  es  der  Kunst 
oder  vielmehr  dem  Künstler  an.  der  es  zu  entdecken  vermag.  Aber 
der  Maler  besitzt  nicht  das  Recht,  diesen  Ausdruck  weiter  auszu- 
führen, die  Form  zu  verändern  und  dadurch  zu  schwächen.  Die 
von  der  Natur  gebotene  Schönheit  steht  über  aller  künstlerischen 
Convention.  Das  ist  der  Grundzug  meiner  Ansichten  über  Kunst.« 
Das  erste  Modell  war,  wie  erzählt  wird,  ein  Ochse.  Als  die  Schüler 
ein  anderes  wünschten,  hätte  Courbet  gesagt:  »Gut  meine  Herren, 
das  nächste  Mal  studiren  wir  an  einem  Höfling«.  Die  Auflösung  der 
Schule  sei  erfolgt,  als  eines  Tages  der  Ochse  weglief  und  nicht  ein- 
zufangen war. 

Courbet  kehrte  sich  nicht  an  solchen  Spott,  malte  ruhig  weiter 
und  die  Vielseitigkeit  seines  Könnens  machte  ihn  bald  in  allen  Sätteln 


Cour  bet:  Ein  Begräbniss  in  Omans. 


442 


XXVIII.  Der  Realismus  in  Frankreich 


gerecht.  Nach  dem  Eclat  der  Separatausstellung  von  1855  wurde 
er  bis  zum  Jahre  1861  vom  Salon  ausgeschlossen  und  stellte  während 
dieser  Zeit  in  Paris  und  Besancon  selbständig  aus.  Auf  das  Begräbniss 
von  Omans  folgte  die  Heimkehr  vom  Markte,  ein  Trupp  Bauersleute 
auf  der  Landstrasse  und  1860  die  »Rückkehr  von  der  Conferenz « : 
französische  Landpfarrer,  die  ihre  Zusammenkunft  mit  einem  tüchtigen 
Frühstück  gefeiert  haben  und  den  Rückweg  in  sehr  weinseliger 
Stimmung  antreten.  Als  1861  sich  die  Pforten  der  Champs  Elysees 
ihm  wieder  erschlossen,  erhielt  er  für  seinen  »Hirschkampf«  eine 
Medaille  und  beschickte  bis  1870  wieder  regelmässig  den  Salon.  An 
vielfigurige  Bilder  ging  er  in  diesen  späteren  Jahren  seltener  und 
hat  mit  Vorliebe  Jagd-  und  Thierstücke,  Porträts,  Landschaften  und 
weibliche  Acte  gemalt.  Die  Frau  mit  dem  Papagei,  eine  von  langem 
Haar  umwallte,  unbekleidet  auf  den  Polstern  des  Lagers  ruhende 
und  mit  ihrem  buntgefiederten  Liebling  tändelnde  weibliche  Gestalt, 
die  Fuchsjagd,  die  Auswaidung,  eine  provencalische  Küste,  das  Por- 
trät Proudhons  und  seiner  Familie,  das  Thal  des  Puits-Noir,  die 
Roche  Pagnan,  die  Spinnerin,  die  Drescher,  die  Rehjagd,  das  Almosen 
eines  Bettlers,  Weiber,  die  im  Waldesdunkel  baden,  ein  Doppelact, 
der  von  den  Kritikern  als  Illustration  zu  Belots  Mademoiselle  Giraud 
ma  femme  gedeutet  wurde,  und  die  später  für  den  Luxembourg  er- 
worbene »Welle«  gehören  zu  seinen  hauptsächlichsten  Schöpfungen 
der  60er  Jahre. 

Diese  Arbeiten  machten  ihn  allmählich  so  bekannt,  dass  er  seit 
1866  sehr  viel  zu  verkaufen  anfing.  Die  Kritiker  fingen  an,  sich 
ernstlich  mit  ihm  zu  beschäftigen.  Castagnary  debutirte  im  Siecle 
mit  einer  Studie  über  Courbet ; Champfieury,  der  Apostel  des  literar- 
ischen Realismus  widmete  ihm  im  »Messager  de  l'Assemblee«  eine 
ganze  Serie  von  Feuilletons  und  Proudhon  schöpfte  aus  dem  Ver- 
kehre mit  ihm  die  Grundprincipien  seines  Buches  über  den  Realismus. 
Der  Sohn  der  Franche-Comte  triumphirte,  seine  lachenden  Reh- 
augen strahlten,  sein  Genius  begann  unter  der  Sonne  des  Erfolgs 
seine  Schwingen  immer  mehr  zu  entfalten,  seine  Productionskralt 
schien  unerschöpflich.  Als  in  Paris  damals  die  Sitte  aufkam,  in 
den  Zeitungen  Nachrichten  über  das  Budget  der  Maler  zu  verurteilt- 
lichen,  trug  er  Sorge  mitzuthcilen,  dass  er  in  sechs  Monaten  für 
123,000  Francs  verkauft  habe.  Immer  thätig,  nahm  er  bald  den 
Pinsel  bald  den  Meissei  zur  Hand,  und  konnte  daher,  als  er  1867, 
im  Weltausstellungsjahr,  eine  neue  Specialausstellung  seiner  Werke 


XXVIII.  Der  Realismus  in  Frankreich 


443 


Courbet:  Demoiselles  au  bord  de  la  Seine. 


veranstaltete  — er  hatte  eine  Vorliebe  für  Holzbaracken  — mit  nicht 
weniger  als  132  Bildern  und  zahlreichen  Sculpturen  auftreten.  Das 
Comite  der  Münchener  Ansstellung  1869  räumte  ihm  einen  ganzen 
Saal  für  seine  Werke  ein.  Er  hing  sich  schmunzelnd  den  Michaels- 
orden um,  war  der  Held  des  Tages,  dem  auf  den  Boulevards  alle 
Blicke  folgten.  Der  Stierkämpfer  in  ihm  entwickelte  sich  immer 
mehr;  er  reckte  die  gewaltigen  Glieder,  bereit  zum  Kampfe  mit 
allen  bestehenden  Anschauungen.  Selbstverständlich  hatten  die  Er- 
eignisse der  nächsten  Jahre  in  solchem  Feuergeist  keinen  un- 
thätigen  Zuschauer,  — er  Hess  sich  zu  jenen  Thorheiten  hin- 
reissen,  die  seinen  Lebensabend  verbitterten.  Der  maitre-peintre 
d’Ornans  wurde  Courbet  le  colonnard.  Den  Anfang  machte  der 
Aufsehen  erregende  Protest,  womit  er  dem  Kaiser  Napoleon  den 
Orden  der  Ehrenlegion  zurückschickte.  Vier  Wochen,  nachdem 
diese  Affaire  Courbet  gespielt,  brach  der  Krieg  aus.  Acht  Wochen 
später  kam  Sedan  und  die  Proclamation  der  Republik,  bald  darauf 


444 


XXVIII.  Der  Realismus  in  Frankreich 


die  Belagerung  von  Paris  und  der  Aufstand.  Die  provisorische  Re- 
gierung ernannte  ihn  am  4.  September  1870  zum  Director  der  Beaux- 
Arts.  Später  wurde  er  Mitglied  der  Commune,  dominirte,  den  brule- 
gorge  im  Munde,  überall  durch  die  Gewalt  seiner  Stimme,  und 
Frankreich  verdankt  ihm  die  Rettung  einer  ganzen  Anzahl  seiner 
berühmtesten  Kunstschätze.  Die  reichen  Sammlungen  Thiers’  Hess 
er  nach  dem  Louvre  schaffen,  sie  vor  roher  Volksgewalt  zu 
schützen.  Um  den  Luxembourg  zu  retten,  opferte  er  die  Yendome- 
säule. Als  die  Commune  dann  zusammenbrach,  wurde  die  Nieder- 
reissung  der  Säule  Courbet  allein  zur  Last  gelegt.  Er  ward  vor  das 
Versailler  Kriegsgericht  gestellt  und  obwohl  Thiers  seine  Vertheidig- 
ung  übernahm,  zu  sechs  Monaten  Gefängniss  verurtheilt.  Nach  der 
Abbiissung  dieser  Strafe  erhielt  er  die  Freiheit  wieder,  aber  der  Todcs- 
streich  stand  dem  Künstler  bevor.  Die  Bilder,  die  er  für  den  Salon 
von  1873  bestimmt  hatte,  wurden  von  der  Jury  zurückgewiesen, 
da  Courbet  moralisch  der  Theilnahme  unwürdig.  Kurz  darauf 
ward  auf  Anregung  einiger  reactionärer  Blätter  ein  Prozess  zur  Be- 
zahlung der  durch  den  Umsturz  der  Vendömesäule  verursachten 
Kosten  gegen  ihn  anhängig  gemacht  und  vom  Maler  verloren.  Die 
französische  Regierung  Hess  zur  Eintreibung  der  auf  334000  Francs 
geschätzten  Kosten  sein  Mobiliar  und  die  im  Atelier  gebliebenen 
Bilder  auf  dem  Wege  des  Zwangsverkaufs  im  Hotel  Drouot  für  den 
Spottpreis  von  12118  Francs  50  Cts.  unter  den  Hammer  bringen. 
Ihn  selbst  trieb  der  Process  aus  Frankreich  in  die  Schweiz.  Der 
Stadt  Vevey,  wo  er  sich  niederliess,  schenkte  er  als  Zeugniss  seines 
Dankes  für  die  erwiesene  Gastlichksit  noch  eine  Büste  der  Helvetia. 
Der  Künstler  in  ihm  war  gebrochen.  »Sie  haben  mich  getödtet, 
ich  fühle,  dass  ich  nichts  Gutes  mehr  schaffen  werde«.  Der  fröh- 
liche lachende  Courbet,  das  viel  umhuldigtc  Haupt  einer  reichen 
Plejade  von  Jüngern,  der  Freund  und  Genosse  von  Corot,  Decamps, 
Gustave  Planche,  Baudelaire,  Theophile  Gautier,  Silvestrc,  Proudhon 
und  Champfleury,  der  begeisterte  Patriot  und  Abgott  der  wankel- 
müthigen  Pariser,  er  verbrachte  seine  letzten  Jahre  in  trauriger 
Einsamkeit  — von  den  Anhängern  vergessen,  von  den  Gegnern 
verhöhnt.  Ein  Leberleiden  befiel  ihn,  Entbehrung,  Enttäuschung, 
Verstimmung  gesellten  sich  dazu,  der  französische  Staat  machte 
von  Neuem  die  Ansprüche  wegen  der  Entschädigungssumme  geltend. 
In  langsamem  Todeskampf  brach  sein  Herz.  »Wovon  soll  ich 
leben  und  womit  soll  ich  die  Säule  bezahlen?  Ich  habe  Thiers 


XXVIII.  Der  Realismus  in  Frankreich 


445 


Courbet:  Die  Heimkehr  vom  Markt. 


mehr  als  eine  Million  gerettet,  dem  Staat  über  zehn  Millionen, 
und  sie  heften  sich  an  meine  Fersen  — sie  hetzen  mich  zu 
Tode.  Ich  kann  nicht  mehr.  Zum  Schaffen  muss  man  geistig 
ruhig  sein,  ich  bin  verloren«  — sagte  er  kurz  vor  seinem  Ende 
einem  Freunde.  »Sein  Bart  und  Haar  waren  weiss« , schreibt 
Champfleury  über  den  letzten  Besuch,  den  er  dem  sterbenden  Ver- 
bannten am  19.  Dezember  1877  machte  — »von  dem  schönen  all- 
gewaltigen Courbet,  den  ich  gekannt  hatte,  war  nur  jenes  be- 
deutende assyrische  Profil  übrig  geblieben,  das.  sich  gegen  den  Schnee 
der  Alpen  abhob,  als  ich  neben  ihm  sass  und  es  zum  letztenmale 
sah.  Der  Anblick  von  so  viel  Schmerz  und  Elend,  sowie  dieser 
verfrühten  Vernichtung  war  überwältigend«.  Der  Lac  Leman,  auf 
den  er  von  seinem  Fenster  in  Vevey  aus  blickte,  war  das  letzte  Bild, 
das  er  in  der  Schweiz  noch  malte.  Fern  der  Heimath,  unter  theil- 
nahmlosen  Fremden  schloss  er  das  einst  so  leuchtende  Auge  in  un- 
endlichem Weh.  Der  Apostel  des  Realismus  starb  an  gebrochenem 
Herzen,  der  herculische  Sohn  der  Franche-Comte  konnte  die  Ent- 


-»46 


XXVIII.  Der  Realismus  in  Frankreich 


täuschung  nicht  ertragen.  Am  Sylvestertag  1877  in  der  kalten 
Morgenstunde,  wenn  der  See,  den  er  noch  so  lieben  gelernt,  unter 
den  ersten  Strahlen  der  Sonne  aufschaudert,  ist  Courbet,  ziemlich 
vergessen,  verschieden.  Nur  in  Belgien,  wo  er  sich  häufig  aufge- 
halten und  sein  Einfluss  bedeutend  war,  rief  die  Todesnachricht 
ein  schmerzliches  Echo  hervor.  In  Paris  begegnete  sie  keinem  Wort 
der  Theilnahme.  Der  Courbetismus  war  erloschen,  seine  Anhänger 
hatten  sich  unter  dem  Namen  Impressionisten  und  Independants  um 
neue  Fahnen  geschaart.  Als  solchen  halbtodten,  nur  zuweilen  noch 
achtungsvoll  genannten  Veteranen  hat  Zola  ihn  im  L’oeuvre  in  der 
Gestalt  des  alten  Bongrand  gefeiert 

Und  die  Entwicklung  ist  thatsächlich  seit  Courbets  Auftreten 
eine  so  rapide  gewesen,  dass  man  heute  fast  nur  auf  historischem 
Wege  noch  die  Gründe  versteht,  die  1855  aus  seiner  Separataus- 
stellung ein  Ereigniss  von  culturgeschichtlicher  Bedeutung  machten. 
Nicht  Cham  allein  hat  damals  auf  Courbet  ein  grosses  Blatt  die  Er- 
öffnung des  Ateliers  Courbet  und  der  concentrirte  Realismus«  ge- 
zeichnet — alle  Pariser  Witzblätter  beschäftigten  sich  mit  ihm  wie 
mit  dem  geräuschlosen  Pflaster,  der  Krinoline,  den  neuen  Pferde- 
bahnen oder  dem  Luftballon.  Haussard , der  Hauptvertreter  der 
Kritik,  redete  bei  der  Besprechung  des  »Begräbnisses«  von  »diesen 
burlesken  Masken  mit  ihren  rothen  Schnapsnasen , diesem  Dorf- 
pfarrer, der  ein  Säufer  zu  sein  scheine,  diesem  Hanswurst  von 
Veteran,  der  sich  einen  zu  grossen  Hut  aufgesetzt«  — all  das  be- 
deute ein  Carnevalsbegräbniss  von  sechs  Meter  Länge,  über  das  es 
mehr  zu  lachen  gebe,  als  zu  weinen.  Selbst  Paul  Mantz  meinte,  die 
ausschweifendste  Phantasie  könne  nicht  bis  zu  diesem  Grad  platter 
Trivialität  und  ekelhafter  Hässlichkeit  herabsteigen.  In  einer  im 
Odeontheater  aufgeführten  Jahresrevue  Hessen  die  Verfasser,  Philo- 
xene  Hoyer  und  de  Banville,  einen  »Realisten«  sagen: 

Faire  vrai  ce  n’est  rien  pour  6tre  r^aliste, 

C’est  faire  laid  qu’il  fautl  Or  monsieur,  s’il  vous  plait 
Tout  ce  que  je  dessine  est  horriblement  laid! 

Ma  peinture  est  affreusc  et,  pour  qu'elle  soit  vraie, 
l’en  arrache  !e  beau  comme  on  fait  de  Fivraie. 

J'aime  les  teints  terreux  et  les  nez  de  carton, 

Les  fillettes  avec  de  la  barbe  au  menton, 

Les  trognes  de  Varasque  et  de  coquecigrues, 

Les  dorillons,  les  cors  aux  pieds  et  les  verrues! 

Voilä  le  vrail 


XXVIII.  Der  Realismus  in  Frankreich 


447 


Courbet : Femme  couchee. 


So  ging  es  noch  in  den  6oer  Jahren  weiter.  Als  die  Kaiserin 
Eugenie  am  Eröffnungstage  des  Salons  von  1 866,  einen  eleganten 
Spazierstock  in  der  Hand,  ihren  Rundgang  durch  die  Ausstell- 
ung machte,  war  sie  über  Courbets  »nackte  Weiber«  derart  ent- 
rüstet, dass  das  Bild  sofort  aus  den  Räumen  des  Industriepalastes 
entfernt  werden  musste.  Als  er  im  Beginne  der  70er  Jahre  in 
Deutschland  ausstellte,  vernahmen  ein  paar  junge  Münchener  Maler 
in  seinen  Bildern  etwas  wie  den  Schrei  eines  Gewissens,  sonst  standen 
Künstler  und  Laien  kopfschüttelnd  und  rathlos  davor.  Die  Einen 
lächelten  und  gingen  gleichgültig  weiter;  die  Andern  brachen  un- 
willig über  diese  Entwürdigung  der  Kunst  den  Stab«.  Denn  »Courbet 
stieg  in  die  tiefsten  Sphären  der  Gesellschaft  hinab  und  holte  seine 
Sujets  aus 'einem  Kreise,  in  denen  eigentlich  der  Mensch  auf  hört, 
Mensch  zu  sein,  das  Ebenbild  Gottes  nur  noch  als  bewegliche  Fleisch- 
masse ein  elendes  Dasein  fristet.  Lebende  Leiber  mit  todten  Seelen, 
die  nur  ihrer  Bedürfnisse  wegen  vegetiren:  hier  in  Jammer  und 
Elend  herabgesunken,  dort  aus  thierischer  Rohheit  nie  emporgestiegen 
— das  ist  die  Gesellschaft,  aus  der  Courbet  seine  Motive  wählt, 
um  die  Ohnmacht  seiner  Phantasie  und  den  Mangel  jeder  Schulung 
zu  übertünchen.  Hätte  er  Compositionstalent  besessen,  so  würde 
vielleicht  die  geistlose  Mache  doch  interessirt  haben  — so  aber  bietet 


448  XXVIII.  Der  Realismus  in  Frankreich 


er  nur  eine  willkür- 
liche Aneinanderreih- 
ung von  Gestalten, 
denen  jeder  Zusammen- 
hang fehlt«.  Bei  den 
»Steinklopfern«  wurde 
schon  übel  vermerkt, 
dass  er  diesen  * uner- 
hört gewöhnlichen  Ge- 
genstand«, Arbeiter  in 
zerlumpter  und  be- 
schmutzter Kleidung, 
überhaupt  behandelt  ha- 
be. Im  »Begräbniss  zu 
Omans«  habe  er  offen- 
bar das  kirchliche  Cere- 
moniell  verhöhnen  wol- 
len, denn  das  Bild  sei 
von  einer  herausfor- 
dernden, geradezu  bru- 
talen Vulgarität.  Der 
Maler  habe  förmlich 
Courbet:  Baigneuse.  Sorge  getragen,  die  ab- 

stossenden,  komischen 

und  grotesken  Seiten  der  Mitglieder  der  Trauerversammlung  hervor- 
zukehren, habe  keinen  Zug  gemildert,  der  eine  unpassende  Heiterkeit 
erwecken  konnte.  Bei  den  »Demoiselles  de  village«  sei  es  auf  den 
Contrast  abgesehen  gewesen  zwischen  dem  kleinstädtischen  gespreizten 
Wesen  solcher  Dorfmamsellen  zu  der  gesunden  Naivetät  des  Bauern- 
kindes. In  dem  1857  entstandenen  Bild  der  beiden  Grisetten,  die  am 
Ufer  der  Seine  im  Rasen  hegen,  habe  er  absichtlich  den  Mädchen 
die  unedelsten  Stellungen  gegeben , um  so  trivial  als  möglich  zu 
erscheinen«.  Bei  den  zwei  nackten  Ringern  erregte  es  Anstoss, 
dass  er  »nicht  etwa  Ringer  aus  classischen  Zeiten  gemalt  hatte, 
sondern  Leute,  die  im  Hippodrom  die  Kräfte  ihrer  herkulischen 
Körper  zum  Schauspiel  geben,  also  das  Nackte  in  der  möglichst 
vulgären  Erscheinung«.  Bei  seinen  nackten  Weibern  gehe  diese 
Neigung  für  brutale,  hässliche  Formen  geradezu  in  s Gemeinsinn- 
liche über. 


XXVIII.  Der  Realismus  in  Frankreich 


449 


Alle  diese  Urtheile  sind  be- 
zeichnende Symptome  desselben 
Geschmacks,  der  sich  im  17.  Jahr- 
hundert gegen  Caravaggio  auf- 
bäumte. Auch  dessen  Hauptwerk, 
der  Mathäusaltar,  der  heute  im  Ber- 
liner Museum  hängt,  erregte  eine 
solche  Entrüstung,  dass  er  aus  der 
Kirche  St.  Luigi  de  Francesi  in  Rom 
entfernt  werden  musste.  Annibale 
Carracci  verspottete  in  einer  Carica- 
tur  den  Neapolitaner  Meister  als  haar- 
igen Wilden,  einen  Zwerg  daneben 
und  zwei  Affen  auf  den  Knieen,  um 
dadurch  das  Hässliche  in  der  Kunst 
seines  Nebenbuhlers,  dessen  äffische  Courbet:  Bei  hoi. 

Nachahmung  der  missgestalteten 

Natur  zu  brandmarken.  Francesco  Albani  nannte  ihn  den  »Antichrist 
der  Malerei«,  einen  »Ruin  der  Kunst.«  Denn,  so  fügt  Baglione  hinzu, 
»nun  gehen  eine  Menge  junger  Leute  daran,  einen  Kopf  nach  der  Natur 
zu  copiren,  sie  studiren  weder  die  Grundlagen  der  Zeichnung,  noch 
kümmern  sie  sich  um  die  tieferen  Bedingungen  der  Kunst,  sondern 
begnügen  sich  lediglich  mit  einer  rohen  Naturabschrift  und  wissen 
daher  nicht  einmal  zwei  Figuren  gehörig  zu  gruppiren,  noch  irgend 
einen  Vorgang  in  künstliche  Composition  zu  bringen.  Keiner  be- 
sucht mehr  die  Tempel  der  Kunst,  auf  Plätzen  und  Strassen  findet 
Jeder  seine  Meister  und  seine  Vorbilder  für  die  sclavische  Nach- 
ahmung der  Natur.«  Das  19.  Jahrhundert  denkt  anders  über  Cara- 
vaggio. Indem  er  den  edlen  Gestalten  der  Akademiker  mit  ihren 
allgemeinen  wohlabgemessenen  Formen,  gleichgültigen  charakterlosen 
Gesichtern  und  coloristischen  Geschmacklosigkeiten  seine  wahrsagen- 
den Zigeuner,  Trinker,  Spieler,  Musikanten  und  würfelnden  Lands- 
knechte entgegensetzte,  vollzog  er  die  berechtigte  und  nothwendige 
Reaktion  gegen  eine  verflachte  und  entleerte  ideale  Manier.  Jenen 
Eklektikern  weiss  man  keinen  Dank  für  die  gelehrten  Anstrengungen, 
die  es  ihnen  kostete,  so  langweilig  zu  malen ; hier  fesselt  eine  starke 
Persönlichkeit,  ein  männlicher  Accent  in  Form,  Farbe,  Beleuchtung. 
Die  Carracci  und  Albani  waren  Epigonen.  Caravaggio  wird  als  kühner 
Pionier  gefeiert,  der  ein  neues  Capitel  der  Kunstgeschichte  eröffnete. 

Muther,  Moderne  Malerei  II.  20 


4)0 


XXVIII.  Df.r  Realismus  in  Frankreich 


Courbet:  Le  Ruisseau  du  Puits-Noir. 

Courbet  erlebte  ein  ähnliches  Schicksal. 

Tritt  man  nach  der  Lektüre  jener  Kunstkritiken  an  seine  Bilder 
heran,  so  ist  eine  grosse  Enttäuschung  unvermeidlich.  Man  hat 
sich  ein  groteskes  Ungeheuer  gedacht  und  findet  zu  seinem  Er- 
staunen nicht  den  geringsten  Anlass  weder  zur  Entrüstung  noch 
zum  Lachen  vor  diesen  ernsten,  kräftigen,  energischen  Bildern. 
Caricaturen,  abstossende  Hässlichkeit  hat  man  erwartet  und  steht 
vor  einer  breiten,  meisterhaften  Malerei.  — Die  Köpfe  sind  wahr 
ohne  vulgär  zu  sein,  das  Fleisch  fest  und  weich,  von  mächtigem 
Leben.  Courbet  ist  eine  Persönlichkeit.  Er  begann  die  Vlaamcn 
und  Neapolitaner  nachzuahmen.  Aber  weit  mehr  fühlte  er  sich  hin- 
gezogen zur  wirklichen  Welt,  zu  den  dicken  Weibern  und  kräftigen 
Männern , den  weiten  fruchtbaren  Feldern  mit  Dünger-  und  Erd- 
geruch. Ein  gesunder,  sinnlich  kräftiger  Mensch,  empfand  er  ein  wol- 
lüstiges Behagen , die  wahre  Natur  in  seine  herkulischen  Arme  zu 
schliessen.  Gewiss,  neben  ausgezeichneten  Stücken  sind  andere 
ungeschlacht  und  schwer.  Wenn  man  aufrichtig  ist,  malt  man,  wie 
man  ist,  pflegte  der  alte  Navez,  der  Schüler  Davids  zu  sagen. 


XXVI II.  Der  Realismus  in  Frankreich 


4)1 


Courbet:  Remise  des  chevreuils. 


Courbet  war  aufrichtig  und  ein  schwerfälliger  Gesell,  darum  hat  auch 
seine  Malerei  etwas  Vierschrötiges,  Plumpes.  Aber  wo  ist  in  der 
ganzen  französischen  Kunst  ein  gleich  tüchtiger,  seiner  Sache  sicherer 
Maler  von  so  breiter  Bravour,  ein  Maitre-peintre  von  solcher  Viel- 
seitigkeit, die  sich  gleichmässig  auf  das  Figurenbild  wie  auf  die 
Landschaft,  auf  das  Nackte,  wie  die  nature  morte  erstreckt.  Von 
keinem  kann  man  soviel  beisammen  sehen  ohne  Ueberdruss,  denn 
er  ist  Fist  in  jedem  Werke  neu.  Fr  hat  nicht  wenige  Bilder  gemalt, 
deren  jedes  sui  generis  ist,  auf  dessen  Variationen  anderwärts  ganze 
Existenzen  gegründet  worden  wären.  Noch  keiner  ausser  Millet 
hatte  mit  so  freiem,  ehrlichem  Auge  den  Menschen  und  die  Natur 
betrachtet.  Courbet  thcilt  mit  den  grossen  Realisten  der  Vergangenheit 
die  Eigenschaft,  eigentlich  überall  und  ausschliesslich  Porträtmaler  zu 
sein.  Zwei  Steinklopfer,  wie  sie  auf  seinem  Bilde  knieen,  das  Gesicht 
durch  eine  Drahtmaske  geschützt,  sah  Jeder  so  an  einer  Strassenecke 
arbeiten  und  Courbet  stellte  den  Vorgang  dar,  so  treu  er  konnte,  so 
ehrlich  und  sachlich,  wie  es  nur  möglich  war.  Der  »Nachmittag  in  Or- 
nans«  ist  ein  gemüthliches  Bild,  in  dem  er  die  gute  1 radition  der  I.enain 

29* 


452 


XXVIII.  Der  Realismus  in  Frankreich 


Courbet:  Biche  sur  Ja  neige. 

wieder  aufnahm.  Das  »Begräbniss  von  Omans«  hat  er  genau  so 
gemalt,  wie  solche  Dinge  auf  dem  Lande  sich  abspielen.  Die 
Bauern  und  Honoratioren  eines  kleinen  Landstädtchens  — Porträt- 
figuren, wie  sie  die  Meister  des  15.  Jahrhunderts  auf  ihren  reli- 
giösen Bildern  anbrachten  — sind  dem  Leichenzug  gefolgt  und  be- 
nehmen sich  am  Grabe  ganz  so  wie  Bauern.  Sie  gesticuliren  nicht 
pathetisch , bilden  keine  schönen  Gruppen , sondern  stehen  da 
gleichgiltig  und  vierschrötig  wie  echte  Landleute.  Sie  sind  Men- 
schen von  Fleisch  und  Knochen,  sie  sind  ähnlich,  keine  Veränder- 
ung ist  vorgenommen:  auf  der  einen  Seite  die  Frauen,  rührselig 
gestimmt  durch  die  Worte  des  Predigers,  auf  der  andern  die  Männer, 
gelangweilt  oder  über  ihre  Angelegenheiten  redend.  In  den  »Demoi- 
selles  de  village«  gibt  er  das  Porträt  seiner  eigenen  Schwestern,  wie 
sie  Sonntag  Nachmittag  zum  Tanze  gehen.  Die  »Demoiselles  au 
bord  de  la  Seine«  sind  Grisetten  von  1850,  wie  sie  Gavarni  oft 
zeichnete,  beide  mit  zweifelhafter  Eleganz  angezogen,  die  eine  schla- 
fend, die  andere  in  gedankenlose  Träumereien  versunken.  Seine 
nackten  Weiber  haben  dicke  Bäuche  und  feiste  Rücken.  Sie  wirken 
sehr  zahm  gegenüber  den  colossalen  Stücken  Menschenfleisch,  jener 
Cascade  nackter  Frauen  der  fettesten  Art,  die  auf  Rubens’  Jüngstem 
Gericht  pele  mele  in  die  Hölle  stürzt , wie  ein  Eimer  voll  Fische, 


XXVIII.  Der  Realismus  in  Frankreich 


453 


Courbet:  Combat  de  cerfs. 

der  ausgeschüttet  wird.  Aber  sie  gehören  zu  den  besten  weiblichen 
Acten,  die  im  19.  Jahrhundert  entstanden.  Courbet  war  ein 
Maler  aus  der  Familie  der  Rubens  und  Jordaens.  Er  hatte  die  Vor- 
liebe der  alten  Vlaamen  für  gesundes  quammig  quappiges  Fleisch,  für 
fair,  fat,  forty,  die  drei  F der  weiblichen  Schönheit,  und  gab  durch 
seine  Werke  den  Akademikern  die  sehr  beherzigenswerthe  Lehre, 
dass  man  mächtige  Wirkung,  selbst  Grazie  ereichen  könne  unter 
strengem  Anschluss  an  die  Formen  der  Wirklichkeit. 

Seine  Porträts  — er  hatte  den  Vorzug  Berlioz  und  Baudelaire, 
Champfleury  und  Proudhon  zu  malen  - — - sind  als  Bildnisse  vielleicht 
nicht  hervorragend.  Wie  Caravaggio  nach  Beiloris  Urtheil  »nur  auf 
die  Fleischfarbe,  die  Haut,  das  Blut  und  die  natürliche  Oberfläche 
der  Dinge  Geist,  Auge  und  Fleiss  verwendete«,  war  auch  für  Courbet 
ein  Kopf  ein  morceau  wie  jedes  andere,  nicht  das  Centrum  eines 
denkenden,  fühlenden  Wesens.  Der  physische  Mensch,  Taines  mensch- 
liches Thier  war  ihm  wichtiger  als  der  psychische.  Er  malte  die  Epi- 
dermis, ohne  viel  von  dem  darunter  Befindlichen  ahnen  zu  lassen. 
Aber  er  malte  diese  Oberfläche  in  einer  so  breiten,  wuchtigen  Art, 
dass  die  Bilder,  wenn  nicht  als  Charakteranalysen  doch  als  malerische 
Meisterwerke  interessant  sind. 


4)4 


XXVIII.  Der  Realismus  in  Frankreich 


Dazu  kommen  als 
die  Werke,  in  denen 
sein  Talent  sich  am 
allerreinsten  und  ur- 
wüchsigsten zeigte, 
seine  Landschaften 
und  Thierstücke:  der 
Hirschkampf,  das  be- 
wundernswerthe  Bild, 
der  1 lirsch  im  Schnee, 
das  Rehlager,  Ansich- 
ten von  moosbewach- 
senen Felsen  und 
Waldlichtungen,  von 
Omans  und  den 
grünen  Thülern  der 
Franche  - Comte.  In 
schönem  Ton , mit 
breitem,  sichern 
Strich  wusste  er  be- 
sonders todtes  Ge- 
flügel und  Jagdgeräth, 
das  borstige  Fell  der 
Wildschweine,  die  feineren  Haare  des  Reh’s  und  der  Hunde  zu 
malen.  Als  Landschafter  gehört  er  nicht  in  die  Familie  der  Corot 
und  Dupre.  Seine  Landschaften  sind  zwar  grün,  aber  doch  ver- 
schlossen. Die  Blätter  hängen  unbeweglich  an  den  Zweigen , kein 
Windhauch  berührt  sie.  Courbet  hat  das  Wichtigste, . die  Luft  ver- 
gessen. Welche  Jahres-  oder  Tageszeit,  Winter,  Sommer,  Abend 
oder  Morgen  es  sein  mag  — er  sieht  nur  die  Form  der  Dinge  und 
betrachtet  die  Sonne  als  ein  Werkzeug,  das  keine  andere  Bestimm- 
ung hat  als  durch  Licht  und  Schatten  das  Relief  der  Gegenstände, 
zu  markiren.  Auch  der  Lyrismus  der  Fontainebleauer  fehlt  ihm. 
Er  malt  ohne  Träumerei,  kennt  nicht  das  zarte  Stammeln  des  Land- 
schafters, in  dem  der  Poet  erwacht,  nur  die  Kaltblütigkeit  des  guten, 
handfesten  Arbeiters.  Er  wahrt  der  Natur  gegenüber  die  Empfind- 
ungen des  Bauern,  der  sein  Land  bestellt,  ist  nie  elegisch  oder 
bukolisch  und  wäre  sehr  ungehalten,  wenn  eine  Nymphe  die  Furchen 
seines  Ackerfeldes  überschritte.  Er  malt,  die  Pfeife  im  Mund,  den 


Courbel:  'Nach  der  Jagd. 


XXVIII.  Der  Realismus  in  Frankreich 


455 


Spachtel  in  der  Hand  : 
die  Ebene  und  das 
Gebirge,  Kartoffeln, 

Kohlrabi,  fetten  Torf- 
boden und  schlamm- 
iges Schilf,  Ochsen 
mit  dampfenden  Nü- 
stern, die  schwerfällig 
die  Scholle  pflügen, 

Kühe,  die  sich  ge- 
lagert haben  und  mit 
Behagen  die  feuchte 
Luft  regengetränkter 
Wiesen  athmen.  Er 
freut  sich  an  frucht- 
baren Landstrichen, 
am  gesunden  Geruch 
der  Viehställe.  Eine 
materielle  Schwere 
und  prosaische  Ehr- 
lichkeit ist  Allem  auf- 
geprägt. Aber  seine 
Malerei  hat  eine  So- 
lidität, die  das  Auge  erfreut.  Es  thut  wohl,  einem  Manne  zu 
begegnen,  der  so  resolut  und  einfach  die  Natur  liebt  und  ohne  sich 
den  Kopf  zu  zerbrechen,  sie  neu  schafft  in  kraftvollen,  gesunden 
Farben.  Die  Anhänglichkeit  an  das  Fleckchen  Erde,  wo  er  ge- 
boren war,  bildet  einen  Hauptcharakterzug  seiner  Kunst.  Er  ent- 
nahm seinem  Omans  die  Motive  zu  seinen  gelungensten  Schöpf- 
ungen und  kehrte  immer  wieder  mit  Vorliebe  im  elterlichen  Hause 
ein.  Der  Patriotismus  des  Kirchthurms,  der  Provinzialismus,  ein 
lebhaftes  rührendes  Heimathsgefühl  ist  allen  seinen  Landschaften 
eigen.  Durch  seine  Meerbilder  aber,  zu  denen  ein  Aufenthalt 
in  Trouville  im  Sommer  1865  ihn  anregte,  hat  er  der  fran- 
zösischen Kunst  überhaupt  ein  neues  Gebiet  erschlossen.  Eugene 
Le  Poittevin,  der  in  den  40er  Jahren  viel  in  Berlin  ausstellte  und 
deshalb  in  Deutschland  sehr  bekannt  wurde,  kann  als  Maler  nicht 
zählen.  Theodore  Gudin,  im  Kunsthandel  ebenfalls  noch  eine  ge- 
schätzte Firma,  war  ein  faustfertiger  kalter  Decorateur.  Seine  kleinen 


Courbet:  ChevreuiJs  sous  bois. 


4)6 


XXVIII.  Der  Realismus  in  Frankreich 


Marinen  sind  kunstgewerblicher  Art  und  die  grossen  Schiffskämpfe 
und  Schiffsbrände,  die  er  in  Louis  Philipps  Auftrag  für  das  Museum 
von  Versailles  entwarf,  gehen  als  frostig  feierliche  Seeausstattungs- 
stücke mit  Vernets  Paradeschlachten  parallel.  Ziem,  der  seine  Zeit 
Venedig  und  dem  adriatischen  Meere  widmete,  ist  Eduard  Hilde- 
brandts Ahne.  Wasser  und  Himmel  spiegeln  sich  in  allen  Farben 
des  Prismas,  und  die  Objecte,  die  er  zwischen  beiden  leuchten- 
den Elementen  gruppirt,  Häuser,  Schiffe  und  Menschen  bekommen 
ihren  gleichen  Theil  ab  von  den  schmeichlerischen,  schillernden 
Tönen.  Das  gibt  seinen  Albumblättern  etwas  verführerisch  Bestech- 
endes, bis  man  schliesslich  merkt,  dass  er  eigentlich  nur  ein  Bild 
gemalt  hat,  das  er  später  mechanisch  in  allen  Dimensionen  wieder- 
holte. Courbet  als  der  erste  französische  Marinemaler  hatte  ein 
Gefühl  für  die  ernste  Majestät  der  See.  Gudins  und  Ziems  Ocean 
flösst  weder  Bewunderung  noch  Achtung  ein ; der  Courbets  thut  es. 
Selbst  seine  Ruhe  drückt  Grösse  aus,  sein  Friede  ist  imposant,  sein 
Lächeln  stimmt  ernst;  auch  wenn  er  schmeichelt,  ist  er  zugleich 
drohend. 

Courbet  hat  thatsächlich  das  Programm  verwirklicht,  das  er 
1855  in  jener  Broschüre  aufstellte.  Als  er  seine  Thätigkeit  be- 
gann , hatte  eklektischer  Idealismus  den  Stamm  der  Kunst  über- 
wuchert. Courbet  beseitigt  die  parasitische  Vegetation,  um  das  nütz- 
liche feste  Holz  zu  fassen.  Und  hat  er  es  erfasst,  so  schleppt  er 
es,  um  es  berühren  zu  lassen,  mit  der  Muskelkraft  des  Athleten 
auf  die  Leinwand.  Ein  Stück  altvlämischer  Derbheit  lebte  wieder 
auf  in  diesen  kühnen  Werken.  Er  und  Delacroix  addirt,  würden 
Rubens  ergeben.  Delacroix  hatte  das  Pathos,  die  leidenschaftliche 
Wildheit,  Courbet  fügte  die  vlämische  Schwere  hinzu.  Jener  brauchte 
Blut,  Purpur,  Throne,  Schädelstätten  um  die  Dramen  seiner  Phan- 
tasie zu  dichten.  Dieser  reflectirte  das  Bild  der  Schöpfung  mit  dem 
Absolutismus  des  Objectivs.  Delacroix  ging  am  Horizonte  auf  wie 
ein  leuchtender  Meteor,  der  sich  am  Licht  entschwundener  Sonnen 
entzündet:  er  reflectirte  sie,  hatte  fitst  ihre  Grösse,  beschrieb  die  gleiche 
Bahn  unter  demselben  Raketensprühen  und  Blitzen.  Courbet  steht 
fest  und  breitbeinig  auf  der  Erde.  Jener  hatte  das  zweite  Gesicht 
der  Visionäre,  dieser  öffnete  seine  Augen  weit  der  berührbaren  Welt. 
Delacroix,  nervös  und  krank,  schuf  wie  im  Fieber.  Courbet,  ein 
gesunder  vollblütiger  Mensch,  malte  wie  der  Mensch  trinkt,  verdaut, 
spricht,  mit  einer  Thätigkeit  ohne  Anstrengung,  einer  Kraft  ohne 


XXVIII.  Der  Realismus  in  Frankreich 


457 


Müdigkeit.  Delacroix  war  ein  kleiner  schwächlicher  Mann,  seine 
ganze  Kraft  sass  in  dem  riesigen  Kopfe.  Die  Courbets  ist  wie  bei 
einem  schönen  kraftstrotzenden  Thier  über  seinen  ganzen  Körper 
verbreitet,  seine  dicken  Arme  und  athletischen  Hände  haben  gleiches 
Verdienst  an  seiner  Kunst  wie  sein  Auge  und  Hirn.  Und  da  er, 
wie  alle  ehrlichen  Künstler  sich  selber  malte,  wurde  er  der  Maler 
einer  Schöpfung,  die  gesund  ist  bis  zum  Bersten,  die  überschäumt 
in  fetter  Behäbigkeit.  Ein  Stück  Fleischerladen  zog  mit  seinen 
Bildern  in  die  anaemisch  gewordene  französische  Malerei  ein.  Er 
liebte  fette  Schultern  und  sehnige  Hälse,  dicke  Brüste,  die  über  dem 
Corset  herausquellen,  das  Schimmern  der  Haut,  die  beim  Bade  warme 
Wassertropfen  überrieseln , das  Fell  der  Rehe  und  Hasen , den 
schillernden  Glanz  der  Karpfen  und  Kabeljaus.  Delacroix,  ganz 
Gehirn,  entzündet  sich  an  seinen  innern  Visionen,  Courbet,  Auge 
und  Magen,  betrachtet  mit  der  Sinnlichkeit  des  Lebemannes  und 
der  Wollust  des  Gourmes  das  Schillern  der  Dinge,  die  man  essen 
kann  — ein  Gargantua  mit  ungeheuerem  Appetit,  der  sich  im  Nabel 
der  nährenden  Erde  festsetzte.  Die  Pflanzen,  die  Früchte  und  Ge- 
müse nehmen  ein  wollüstiges  Leben  an.  Er  triumphirt,  wenn  es 
ein  Gabelfrühstück  zu  malen  gilt  mit  Austern,  Citronen,  Truthähnen, 
Fischen,  Fasanen.  Die  Lippen  werden  ihm  feucht,  wenn  er  all  die 
schönen  essbaren  Dinge  zu  Stilleben  vor  sich  aufbaut.  Das  einzige 
Drama,  das  er  malte,  ist  der  Hirschkampf,  auch  dieses  wird  in  brauner 
Sauce  unter  dem  lustigen  Geklirr  der  Gabeln  enden.  Selbst  als  Land- 
schafter bleibt  er  behäbig,  phlegmatisch.  Die  Erde  ist  auf  seinen 
Bildern  eine  fette  Amme,  die  Bäume  dicke  wohlgenährte  Kinder, 
die  ganze  Natur  hat  etwas  Gesundes,  Zufriedenes.  Seine  Kunst  ist  wie 
ein  kräftiger  mit  fester  Nahrung  angeschwemmter  Körper.  Solchen 
Organismen  geht  über  ihrer  physischen  Behäbigkeit  leicht  die  Fähig- 
keit zur  Begeisterung,  die  Zärtlichkeit  der  Empfindung  verloren, 
aber  ihre  robuste  Gesundheit  sichert  ihnen  ein  desto  längeres  Leben. 
Das  ist  nicht  die  Routine  und  äussere  Mache,  die  regelrechte  aka- 
demische Formensprache  der  Manieristen,  auch  nicht  der  Decadents 
überreizte,  nervös  krankhafte  Feinheit,  das  ist  die  starke  Sprache 
eines  urmächtigen  angeborenen  Talentes,  deren  kraftvolle  Naturlaute 
alle  Zeiten,  auch  die  entferntesten,  verstehen  werden. 

Dass  im  Uebrigen  Courbets  Kunstlehre  mit  ihrer  ausschliess- 
lichen Betonung  der  Wirklichkeit  und  einseitigen  Verachtung  des 
»Ideals«  heute  sehr  unzeitgemäss  wäre,  braucht  nicht  betont  zu 


458 


XXVIII.  Der  Realismus  in  Frankreich 


werden.  Er  berührt  sich  darin  mit  Dubois-Reymond  der  ja  eben- 
falls in  einer  akademischen  Rede  verkündete,  »Centauren,  Sphinxe, 
Hydra  und  Pegasus  seien  Gebilde  einer  naturverachtenden  Kunst, 
die  der  moderne  Mensch,  naturwissenschaftlich  gebildet  wie  er 
ist,  nur  mit  Unwillen  anschauen  könne.«  Zum  Glück  hat  die 
Kunst  weder  mit  Courbet  noch  Dubois-Reymond  zu  rechnen.  Es 
stünde  traurig  um  sie,  wäre  wirklich  »die  Poesie  ein  Unsinn,  das 
Ideal  eine  Lüge,«  jede  Gestalt,  die  sich  auf  der  Erde  nicht  nach- 
weisen  lässt,  schon  deshalb  in  der  Malerei  »verlogen«.  Nicht  nur 
die  Welt  um  uns,  auch  die  Welt  in  uns  gehört  der  Kunst,  und 
hat  ein  Maler  die  Kraft,  diese  in  seiner  Künstlerbrust  lebende  Welt 
so  machtvoll  herauszugestalten,  dass  er  bei  andern  Glauben  erweckt, 
so  ist  sein  Werk  »wahr«.  Boecklin’s  Meerwesen  z.  B.  könnten 
nicht  lebenskräftiger  sein,  wenn  sie  ausser  in  der  Phantasie  des 
Meisters  auch  in  Wirklichkeit  existirten.  Gerade  weil  Courbet  jeder 
Sinn  für  diese  Gebiete  fehlte,  kann  ihn  die  Kunstgeschichte  immer 
nur  als  guten  Handwerker,  als  erstaunlichen  Ouvrier,  als  faust- 
kräftigen Copisten  der  von  der  Natur  vor  ihm  ausgebreiteten  Bilder, 
nicht  als  ganz  grossen  Künstler  feiern.  Denn  der  höchste  Preis 
wird  stets  zufallen 

Der  ewig  beweglichen 
Immer  neuen 
Seltsamen  Tochter  Jovis, 

Seinem  Schooskinde, 

Der  Phantasie. 

Selbst  wenn  sich  die  Malerei  auf  die  Wirklichkeit  beschränkte, 
wäre  eine  Kunst  ohne  Ideal,  eine  »wahre  Wahrheit  , wie  er  sie  geben 
wollte,  ein  Unding  oder  zum  mindesten  sehr  uninteressant.  Es  gibt 
in  der  Kunst  keine  verit£  vraie,  von  der  Courbet  spricht,  sondern 
nur  eine  Wahrheit,  gesehen  durch  ein  Temperament.  Auch  die 
Wirklichkeit  als  solche  malt  sich  in  verschiedenen  Köpfen  verschieden 
ab;  der  Philister  hat  eine  andere  als  der  Genius.  Selbst  wenn  der 
Maler  die  Natur  copiren  will,  verändert  er  sie.  Vielleicht  desto 
mehr,  je  mehr  er  Künstler  ist,  und  darin  gerade,  dass  Courbet  zu 
Gunsten  der  Verite  vraie  sein  Temperament  unterdrückte,  alles 
Gewicht  auf  die  Objectivität  legte,  die  im  Grunde  ganz  gleichgiltig 
ist,  darin  trennt  er  sich  von  den  Modernen.  Die  platte  Naturab- 
schilderung  im  Sinne  der  Camera  obscura  herrscht  noch  bei  ihm, 
nicht  das  temperamentvolle  Erfassen  des  persönlichen  Eindrucks,  das 


XXVIII.  Der  Realismus  in  Frankreich 


459 


Bewusstsein  von  der  Form  einer 
Sache  leitet  seine  Hand,  nicht  die 
malerische  Anschauung  des  ge- 
gebenen Naturbildes  als  Ganzes. 

Doch  das  sind  alles  Dinge, 
über  die  sich  gut  reden  lässt,  nach- 
dem die  Impressionisten  über  Cour- 
bet hinausgegangen,  und  auf  der 
Basis  dieser  neuen  Kunst  sich 
schliesslich  sogar  ein  neuer  Idealis- 
mus erhob,  der  ein  Labsal  für  die 
Welt  geworden.  Die  Geschichte 
darf  und  wird  nie  vergessen,  dass 
Impressionismus  sowohl  wie  Neu- 
idealismus  erst  möglich  wurden, 
nachdem  der  falsche,  zünftige  Ideal- 
ismus, wie  er  damals  fachmänn- 
isch betrieben  ward,  endgiltig  zu 
Boden  getreten  und  die  Basis  für 
ein  ganz  objectives,  pietätvolles 
Naturstudium  gelegt  war.  Was  in 
der  Natur  als  schön  erscheint,  muss 
auch  im  Bildwerke  schön  sein,  wenn 
es  wahr  dargestellt  ist,  und  die 
Natur  ist  überall  schön  — indem 
Courbet  das  aussprach  und  in 
lebensgrossen  Bildern  bewies,  hat 
er  der  Kunst  das  ganze,  bisher 


ängstlich 


gemiedene  weite  Stoff- 
gebiet des  modernen  Lebens  er- 
obert, das  Stoffgebiet,  in  dem  sie 
sich  tummeln  musste,  um  sehen 
zu  lernen  mit  eigenen  Augen.  Ein 
Theil  der  Wirklichkeit  nach  dem 
andern  — nicht  mehr  in  Form 
mühsam  zusammengesetzter  Genre- 
bilder, sondern  im  Sinne  wirklicher 
malerischer  Kunstwerke  — wird  nunmehr  in  den  Kreis  der  Darstell- 
ung gezogen. 


Stevens:  Le  Prinlemps. 


460 


XXVIII.  Der  Realismus  in  Frankreich 


Was  Millet  für  den 
Bauer,  Courbet  für  den 
städtischen  Arbeiter  ge- 
than,  that  Alfred  Stevens 
für  die  »Gesellschaft« 
— er  hat  die  Pariserin 
entdeckt.  Noch  bis 
1850  besass  das  elegante 
Leben  der  vornehmen 
Classen,  das  Gavarni, 
Marcellin  und  Cham  so 
fein  gezeichnet,  auf  dem 
Gebiete  der  Malerei  kei- 
nen vollgiltigen  Schil- 
deren Jedem  gefiel  die 
Pariserin,  die  so  chic 
und  pikant  ist,  so  has- 
sen und  küssen  kann, 
aber  das  griechische 
Profil  war  auch  hierVor- 
schrift.  Auguste  Toul- 
mouche  malte  kleine 
Stevens:  La  visite.  Frauen  in  eleganter 

Toilette,  doch  weniger 

aus  Geschmack  an  der  graziösen  Erscheinung  wie  aus  Freude  am 
Genrehaften.  Sie  mussten  in  der  Bibliothek  verbotene  Bücher 
finden,  sich  gegen  eine  Vernunftheirath  sträuben  oder  sonst  genre- 
haft benehmen,  um  einzugehen  in's  Reich  der  Kunst.  Einem  Aus- 
länder war  Vorbehalten,  diese  Welt  voll  Schönheit,  Chic  und  Grazie 
zu  heben. 

Alfred  Stevens  war  ein  Brüsseler  Kind.  Er  war  im  Lande  der 
vlämischen  Matronen  am  n.  Mai  1828  als  das  zweite  von  drei 
Kindern  geboren:  Josef,  der  ältere  Bruder,  ward  später  der  be- 
rühmte Thiermaler,  Arthur,  der  jüngste,  wurde  Kunstkritiker  und 
Kunsthändler  — einer  der  ersten,  der  die  hohe  Kunst  der  Rousseau, 
Corot  und  Millet  dem  Verständniss  des  Publikums  nahe  brachte. 
Stevens’  Vater  hatte  als  Offizier  in  der  grossen  Armee  die  Schlacht 
bei  Waterloo  mitgemacht  und  soll  ein  feiner  Kunstkenner  gewesen 
sein,  in  dessen  elegantes  Heim  einige  der  geistreichsten  Skizzen 


XXVIII.  Der  Realismus  in  Frankreich 


461 


Delacroix’,  Deverias,  Char- 
lets  und  Roqueplans  ihren 
Weg  fanden.  Roqueplan,  der 
oft  nach  Brüssel  kam,  nahm 
den  jungen  Stevens  mit  in 
sein  Pariser  Atelier  — einen 
hochaufgeschossenen , ele- 
ganten Herrn,  der  mit  sei- 
ner geraden  strammen  Halt- 
ung, seinem  festgemeisselten 
Gesicht  und  schneidigen 
Schnurrbart  wie  ein  Dra- 
goner- oder  Kürassieroffizier 
aussah.  Ein  genussfreudiges 
Kind  der  Welt,  war  er  bald 
Löwe  der  Pariser  Salons. 

Die  Eleganz  des  modernen 
grossstädtischen  Lebens 
ward  auch  seine  künstler- 
ische Domäne.  Die  Pariserin, 
an  der  seine  französischen 
Collegen  achtlos  vorbeige- 
gangen, war  für  ihn,  den 
Ausländer,  ein  fremdartiger,  interessanter  Gegenstand,  ein  exotisches 
kunstreiches  Bibelot,  das  er  mit  ebenso  entzückten  Augen  wie  einst 
Decamps  den  Orient  betrachtete. 

Gleich  das  erste  Bild,  das  er  1855  ausstellte,  nannte  sich  »Zu 
Haus«.  Eine  niedliche  kleine  Frau  wärmte  sich  am  Kamin  die 
Füsse.  Sie  kam  vom  Besuch  bei  einer  Freundin  zurück.  Draussen 
hatte  es  geregnet  oder  geschneit.  Ihre  zarten  Händchen  hatten 
trotz  des  Muffes  gefroren,  die  Wangen  waren  vom  Wind  frisch  ge- 
röthet,  und  ihre  rosigen  Lippen  athmeten  mit  Behagen  die  warme 
Zimmerluft.  Mit  diesem  Bilde  nahm  die  Frau  Besitz  von  Stevens 
Staffelei.  Sein  Weg  war  vorgezeichnet  und  er  hat  ihn  nicht  mehr 
verlassen.  Als  Robert-Fleufy,  der  Präsident  der  Jury,  ihm  sagte: 
»Sie  sind  ein  guter  Maler,  aber  ändern  Sie  Ihre  Sujets,  Sie  ersticken 
in  einer  zu  kleinen  Welt  — wie  weit  und  gross  ist  die  der  Ver- 
gangenheit«, soll  Stephens  ihm  einen  Band  mit  Photographien  nach 
Velazquez  gezeigt  haben:  »Sehen  Sie  diesen  Velazquez.  Der  Mann 


462 


XXVIII.  Der  Realismus  in  Frankreich 


hat  nie  etwas  dargestellt,  als 
was  er  vor  Augen  hatte,  nie 
etwas  anderes  als  Personen 
in  der  spanischen  Tracht  des 
17.  Jahrhunderts.  Und  wie 
mit  dem  spanischen  Maler, 
lässt  sich  die  Berechtigung 
meines  Genres  mit  Rubens, 
mit  Rafael,  van  Dyck  und 
allen  grossen  Künstlern  be- 
legen. Aus  der  treuen  Nach- 
ahmung des  Gesehenen 
schöpften  alle  diese  Meister 
der  Vergangenheit  ihre  Kraft 
und  das  Geheimniss  ihrer 
Erhaltung;  sie  gibt  ihren  Bil- 
dern neben  dem  künstler- 
ischen einen  wahrhaft  ge- 
schichtlichen Werth.  Man 
kann  nur  gut  wiedergeben, 
was  man  wahrhaft  empfunden, 
in  Fleisch  und  Blut  lebendig 
vor  sich  gesehen«.  In  diesem  Satz  berührt  er  sich  mit  Courbet  und 
indem  er  sich  nicht  verleiten  Hess,  den  Götzen  der  Historienmalerei 
zu  opfern,  lebt  er  als  der  Historienmaler  der  Pariserin  fort. 

Sein  ganzes  Werk  ist  ein  Hymnus  auf  die  zarte,  mächtige  Be- 
herrscherin der  Welt  und  es  ist  bezeichnend,  dass  gerade  durch  das 
Weib  sich  die  Kunst  mit  der  Gegenwart  verknüpfte.  Der  erste,  der 
ihr  einen  Theil  des  modernen  Lebens  eroberte,  Millet,  war  zugleich 
der  erste  grosse  Frauenmaler  des  Jahrhunderts.  Stevens  zeigt  die 
andere  Seite  der  Medaille.  Bei  Millet  war  das  Weib  das  Product 
der  Natur;  das  der  modernen  Civilisation  ist  sie  bei  Stevens.  Die 
Frau  von  Millet  lebte  im  Schweisse  ihres  Angesichts,  auf  den  Boden 
gebeugt,  ein  grosses  animalisches  Leben.  Sie  war  die  Urmutter,  die 
arbeitet,  Kinder  gebiert  und  ernährt.  Sie  stand  auf  dem  Felde  wie 
eine  Karyatide,  wie  ein  Symbol  der  fruchtbaren  Natur.  Die  Frau 
bei  Stevens  ist  selten  Mutter  und  arbeitet  nicht.  Sie  ist  das  Weib, 
das  liebt,  geniesst,  die  grossen  Schmerzen  der  Geburt  und  des 
Hungers  nicht  kennt.  Jene  lebte  unter  dem  grossen  freien  Himmel, 


XXVIH.  Der  Realismus  in  Frankreich 


463 


dans  le  grand  air,  diese  ist 
nur  von  Parfumatmosphäre 
umflossen.  Bei  Millet  ist  sie 
die  alte  Cybelc,  bei  Stevens 
die  heilige  Magdalena  des  19. 

Jahrhunderts,  der  viel  ver- 
geben wird,  weil  sie  viel  ge- 
liebt hat.  Stevens’  Bilder  er- 
zählen zum  ersten  Mal  von 
den  mächtigen  Beziehungen 
des  Weibes  zum  Jahrhundert. 

Während  die  meisten  Werke 
dieser  Zeit  stumm  sein  wer- 
den über  uns  selbst,  wird 
seine  Kunst  von  unsern 
Schwächen,  unsern  Leiden- 
schaften reden.  In  einer 
Periode  archaistischer  Malerei 
trug  er  kühn  die  Fahne  der 
Modernität  — darum  wird 
die  Nachwelt  ihn  als  einen 
der  ersten  Historiker  des  19.  Jahrhunderts  feiern,  aus  seinen  Bildern 
ebensoviel  entnehmen,  als  Greuze  dem  heutigen  Geschlecht  über  die 
Cultur  des  achtzehnten  Jahrhunderts  erzählt. 

Noch  mehr  vielleicht;  denn  Stevens  moralisirte  nie  — er  malte 
nur.  Bis  in  die  Fingerspitzen  Maler  wie  Delacroix,  Roqueplan  und 
Isabey,  brauchte  er  keinen  genrehaften  Inhalt  als  Beigabe.  Nie  aus 
irgendwelchem  Stoff,  nur  coloristisch  ergab  sich  die  Stimmung. 
Das  Bild  entwickelte  sich  aus  dem  ersten  Ton  heraus,  den  er  auf  die 
Leinwand  setzte  und  der  als  Schlüssel  für  die  übrige  Tonleiter  diente. 
Er  liebte  einen  pastosen  Vortrag  und  schöne  Farben,  eine  feine 
Durchciselirung  aller  Details.  Und  so  wenig  er  Novellen  erzählte, 
so  wenig  war  er  zur  Sentimentalität  geneigt.  Alles  ist  discret,  pikant 
und  reizvoll.  Ein  delicater  Geist,  vermeidet  er  Thränen  und  Lachen. 
Gedämpfte  Freude,  Melancholie,  alles  Zarte,  Verhaltene,  liebt  er,  kennt 
kein  Schablonenarrangement,  keine  Füllfiguren,  und  obwohl  eine 
einzige  Person  sein  Theater  beherrscht,  hat  er  sich  trotzdem  nie 
wiederholt.  Er  hat  das  Weib  durch  alle  Metamorphosen  verfolgt : 
mütterlich  oder  verliebt,  matt  und  erregt,  stolz  und  gebeugt,  tief- 


4^4 


XXVIII.  Df.r  Realismus  in  Frankreich 


gefallen  oder  hochgestiegen; 
bald  im  Hauskleid,  im  Be- 
suchs- und  Promenaden- 
anzug, bald  als  Wöchnerin, 
im  Bade,  am  Meeresstrand, 
bald  als  Japanerin  kostümirt 
oder  vor  dem  Spiegel  ge- 
dankenlos mit  ihren  Schmuck- 
sachen spielend.  Die  Um- 
gebung bildet  stets  die  geist- 
reiche Begleitung  der  Melo- 
die. Eine  Welt  exquisiter 
Dinge  ist  rings  um  die  Fi- 
gürchen  gebreitet.  Stoffe, 
reizende  Petit-riens  aus  China 
und  Japan,  die  feinsten  Elfen- 
bein- und  Lackarbeiten,  die 
schönsten  Bronzen  von  Bar- 
bedienne , japanische  Ofen- 
schirme und  grosse  Vasen  mit 
blühenden  Zweigen  füllen 
Boudoir  und  Salon  der  Pa- 
riserin. Sie  ist  bei  Stevens  die  Fee  eines  Paradieses,  das  aus  allen  capri- 
ciösen  Erzeugnissen  des  Kunstgewerbes  besteht.  Eine  neue  Welt  trat  in 
Scene,  eine  Malerei,  die  sich  dem  Leben  geöffnet  hatte  und  in  feinem 
Stil  die 'Symphonie  des  Salons  dichtete.  Ein  zart  weibliches  Parfüm, 
etwas  Melancholisches  und  doch  Sinnliches  strömte  aus  Stevens’ 
Bildern,  und  durch  diese  Nuance  von  Demimonde-hautgout  hat  er 
auch  die  Menge  gewonnen.  Zu  Millet  und  Courbet  konnte  man 
sich  schwer  erheben,  Stevens  war  der  erste,  der  gefiel,  obwohl  er 
dem  schlechten  Geschmack  melodramatischer,  novellistischer  und 
witzelnder  Genremalerei  nie  einen  Zoll  entrichtete.  Schon  in  den 
6oer  Jahren  war  er  in  England,  Frankreich,  Deutschland,  Russland, 
Belgien  geschätzt,  in  allen  öffentlichen  und  Privatsammlungen  ver- 
treten und  hat  durch  diese  weite  Verbreitung  seiner  Bilder  viel 
dazu  beigetragen,  das  Verständniss  für  gute  Malerei  im  Publikum 
zu  eröffnen. 

James  Tissol  gelangte  auf  dem  gleichen  Wege  zur  Schilderung 
der  modernen  Frau.  Stevens,  der  Vlaame,  malte  die  Pariserin,  Tissot, 


Ricard:  Porträt. 


XXVIII.  Der  Realismus  im  Frankreich 


465 


Franzose,  die  Engländerin. 

Erst  als  sie  ins  Ausland  ge- 
kommen, sahen  sie  die  Ele- 
ganz dessen,  was  sie  in  der 
Heimath  nicht  für  kunstfähig 
gehalten.  Tissot  hatte  in  Paris 
— seit  1859  — Scenen  aus 
dem  1 5.  Jahrhundert  gemalt, 
wobei  er,  durch  Leys  ange- 
regt, Tracht  und  Geräth  der 
spätgothischen  Zeit  mit  archä- 
ologischer Treue  studirte. 

Erst  als  er  1871  nach  Eng- 
land übersiedelte,  gab  er  die 
romantischen  Neigungen 
seiner  Jugend  auf  und  wid- 
mete sich  der  Schilderung 
des  Highlife.  Was  er  als  Oel- 
maler  gibt,  wirkt  heute  glatt 
und  veraltet;  nur  seine  Aqua- 
relle — Restaurant-,  Theater- 
und  Ballscenen  — verrathen 
noch  in  ihrer  sonderbar  aesthetischen  englischen  Grazie,  dass  er 
vor  zwanzig  Jahren  zu  den  Bahnbrechern  der  Modernität  gehörte. 

Unter  den  Pariser  Malern  Find  Stevens  zunächst  keine  Nach- 
folger. Einige  malten  zwar  Interieurs  aus  dem  eleganten  Paris,  doch 
nur  kalte  Zusammenstellungen  von  Roben  und  Möbeln,  ohne  einen 
Hauch  des  zarten  Parfüms,  das  die  Arbeiten  des  Belgiers  ausströmen. 
Bios  die  Porträtmaler  näherten  sich  der  modernen  Grazie,  die  noch 
immer  ihren  Historiker  und  Poeten  erwartete. 

Gustave  Ricard,  ein  äusserst  delicater  Künstler,  in  dessen  Bild- 
nissen die  Kunst  der  Museen  eine  sehr  sympathische  Auferstehung 
feierte,  wurde  in  den  60er  Jahren  der  moderne  van  Dyck  genannt. 
Die  lebende  Natur  genügte  ihm  nicht,  er  wollte  wissen,  wie  sie  von 
den  alten  Meistern  interpretirt  war,  und  siedelte  sich  deshalb  in  den 
Galerien  an,  wo  er  bald  die  englischen  Porträtisten,  bald  Leonardo, 
Rubens  und  van  Dyck  um  Rath  fragte.  Ricard  wurde  auf  diesem 
Wege  ein  coloristischer  Gourme,  der,  wie  wenige,  die  Technik  der 
alten  Meister  kannte,  und  fesselt  in  seinen  Arbeiten  durch  einen 

Muther,  Moderne  Malerei  II. 


Chaplin : Porträt. 


30 


466 


XXVIII.  Der  Realismus  in  Frankreich 


goldenen  Galerieton  von  gros- 
ser Vornehmheit. 

In  Charles  Chaplin  lebte 
Fragonard  wieder  auf.  Er  war 
der  Specialist  für  schmachten- 
des Fleisch  und  Poudre  de 
Riz,  der  feine  Interpret  aristo- 
kratischer Schönheit,  auf  des- 
- sen  Palette  • sich  ein  zarter 
Reflex  des  Fetes  galantes  des 
iS.  Jahrhunderts  verirrte.  In 
Deutschland  wurde  er  haupt- 
sächlich durch  jene  träum- 
erischen, begehrlich  hinfäll- 
igen Mädchenbilder  bekannt, 
die  von  der  Kaiserin  Eugenie 
gut  mit  den  Worten  cha- 
rakterisirt  wurden:  »Herr 

Chaplin,  ich  bewundere  Sie, 
Ihre  Bilder  sind  nicht  nur 
unanständig,  sie  sind  mehr«. 
Doch  Chaplin  hatte  auch  die  anderen  Fähigkeiten  der  Rococomaler: 
er  war  ein  Decorateur  ersten  Ranges  und  streute  spielend  wie 
Fragonard  nach  allen  Seiten  Grazie  und  Schönheit,  Anmuth  und 
Liebreiz.  1857  decorirte  er  den  Salon  des  Fleurs  in  den  Tuilerien, 
1861 — 65  im  Palais  del  Elysee  das  Badezimmer  der  Kaiserin,  seit 
1865  eine  Reihe  von  Privatwohnungen  in  Paris,  Brüssel,  New-York, 
und  über  alle  diese  Arbeiten  ist  ein  feiner  Hautgout  von  modern 
pariserischer  Eleganz  und  duftiger  Rococograzie  gebreitet  Er  Hess 
keine  Nymphen  auferstehen,  pilgerte  nicht  nach  der  Insel  der  Cythere, 
er  war  mehr  Epikuräer.  Aber  Fragonards  feine  Töne  und  Fragonards 
Sinnlichkeit  waren  auch  ihm  zu  eigen.  Er  hatte  eine  Art  die  Haare 
zu  coiffiren,  kleine  Schönheitspflästerchen  anzubringen,  Grübchen  in’s 
Kinn  zu  setzen,  Arme  und  Busen  zu  malen,  die  seit  dem  Rococo 
aus  dem  Vermögen  der  französischen  Künstler  verschwunden  war. 
Frühling  und  entblätterte  Rosen,  junge  Mädchenknospen  ä la  Greuze 
und  welkende  Schönheiten,  die  desto  betäubender  duften,  sind  die 
Elemente,  auf  denen  seine  rafflnirt  unanständige  und  doch  duftige 
Kunst  sich  aufbaut. 


XXVIIE.  Der  Realismus  in  Frankreich 


467 


Gaillard,  der  grosse 
Kupferstecher,  brachte  Hans 
Holbein  wieder  zu  Ehren. 
Er  war  der  Erbe  jener  Mal- 
weise, deren  ewige  Mutter 
Jan  van  Eyck  in  unerreich- 
barer Vollendung  hinter- 

o 


Gaillard:  Porträt. 


liess.  Sein  energischer,  ge- 
wissenhaft minutiöser  Pin- 
sel notirte  jede  Falte  des 
Gesichtes,  ohne  durch  diese 
Detailwahrheit  den  Ge- 
sammtcindruck  zu  verder- 
ben. So  klein  seine  Bilder  im 
Format,  so  gross  sind  sie  in 
der  Anschauung,  so  mächtig 
in  der  Charakteristik.  Gail- 
lard erweist  sich  als  ein  tiefer 
Physiognom , der  sprech- 
endste Charakteranalyse 
durch  äusserste  Praecision  erreichte. 

Ueber  die  Alpen  hinüber  weist  Paul  Dubais ; in  seinen  Bild- 
nissen derselbe  grosse  Quattrocentist,  der  er  in  seinen  plastischen 
Arbeiten  vom  ersten  Tage  an  war.  Sein  Boden  ist  die  gute  feine 
Zeit,  als  Leonardo,  anfangs  etwas  trocken,  zart  wurde  und  rätsel- 
haftes Sphinxlächeln  um  die  Mundwinkel  seiner  Frauen  spielte. 
Offenbar  hat  er  Prudhon  studirt  und  viel  mit  Henner  verkehrt  in 
jenen  Jahren,  als  dieser  nach  der  Rückkehr  aus  Italien  die  Aufmerk- 
samkeit wieder  auf  die  alten  Lombarden  lenkte.  Seitdem  er  1879 
mit  dem  Porträt  seiner  Söhne  debutirte,  hatte  er  grossen  Zuspruch 
und  steht  heute  als  der  reifste  Frauenmaler  der  Gegenwart  da.  Nur 
Watts  und  Millais,  die  grossen  Bildnissmaler  jenseits  des  Canals, 
sind  ihm,  als  Techniker  minderwerthig , im  Herausgestalten  von 
Persönlichkeiten  überlegen. 


Als  der  geschickteste  Robenmaler,  der  glänzendste  Deco  rat  cur 
weiblicher  Schönheit,  war  lange  Zeit  Carolus  Duran  berühmt.  Die 
Studien,  die  er  in  Italien  gemacht,  hatten  ihn  nicht  vergessen  lassen, 
dass  er  von  der  vlämischen  Grenze  stammte,  und  als  er  im  Beginne 
der  70er  Jahre  mit  seinen  ersten  Porträts  hervortrat,  meinte  man, 


468 


XXVIII.  Der  Realismus  in  Frankreich 


der  französischen  Malerei  sei 
ein  hervorragender  Colorist 
geboren.  Er  hatte  damals 
ein  feines  Gefühl  für  das 
ewig  Weibliche  und  dessen 
wechselnden  Ausdruck,  war 
gleich  geschickt,  eine  Miene, 
eine  Kopf  bewegung  im  Fluge 
festzuhalten,  wie  Stoffe  zu 
drapiren  und  schillern  zu 
lassen.  In  seinen  späteren 
Jahren  ist  er  von  zarten, 
discret  koketten  Werken  all- 
mählich zu  rohen  Tape- 
ziererkünsten gekommen. 
Doch  hat  er  noch  in  seiner 
letzten  Zeit  einige  männliche 
Porträts,  die  Pasteurs  und 
der  Maler  Francais,  Fritz 
Thaulow  und  Rene  Billotte 
gemalt,  die  nach  der  lärmen- 
den Virtuosität  seiner  Damen- 
bilder durch  frische  Sach- 
lichkeit und  ungezwungene 
Charakteristik  auffielen. 

Leon  Bonnal,  der  Schüler  Madrazos,  vermittelte  die  folgenreiche 
Verbindung  der  französischen  Malerei  mit  den  alten  Spaniern,  wodurch 
ihr  abermals  ein  gut  I heil  frisches  naturalistisches  Blut  zugeführt 
ward.  In  Südfrankreich  geboren  und  in  Spanien  erzogen,  hatte  er 
sich  hier  besonders  für  Ribera  begeistert,  und  diese  Jugendeindrücke 
waren  so  mächtig,  dass  er  auch  in  Paris  ihnen  treu  blieb.  Schon 
während  seines  dreijährigen  Aufenthaltes  in  Italien  1858 — 60  war 
seine  Individualität  hinreichend  gekräftigt,  dass  er  nicht  wie  die 
Stipendiaten  des  Prix  de  Rome  sich  in  grossen  akademischen  Com- 
positionen  erging,  sondern  Scenen  aus  dem  bunten  römischen  \ olks- 
leben malte.  Mehrere  religiöse  Bilder,  wie  das  Martyrium  des 
heiligen  Andreas  1863,  der  heilige  Vincenz  von  Paula  1S66  und 
der  Hiob  im  Luxembourg  zeigten  ihn  in  stetem  \ orschreitcn  auf 
dem  von  Spagnoletto  gebahnten  Wege.  Die  von  den  Unbilden  des 


Dubois:  Porlräl  seiner  Sohne. 


XXVIII.  Der  Realismus  in  Frankreich 


469 


Lebens  durchfurchten  Gesichter, 
das  greise  Haar,  die  wallenden  grauen 
Bärte,  die  hervortretenden  Sehnen 
und  Adern  alter  verwitterter  Kör- 
per wusste  er  mit  Virtuosität  auf 
die  Leinwand  zu  bannen.  Und  als 
er  im  Beginne  der  70er  Jahre  für 
den  Schwurgerichtssaal  des  Pariser 
Justizpalastes  einen  Christus  am 
Kreuz  zu  malen  hatte,  gab  er  gleich- 
falls einen  männlichen  Akt,  an  dem 
Musculatur  und  Knochenbau  sich 
so  deutlich  wie  die  Strebepfeiler  an 
einem  gothischen  Dom  markirten. 

Ein  grelles  scharfes  Licht  fiel  — 
wie  bei  Caravaggio  — auf  einzelne 
Partien  des  Leichnams,  während 
andere  schwarz  und  farblos  im  düstern  Hintergründe  verschwanden. 
Auf  seine  Porträts  übertrug  er  dieselben  Principien.  Der  französische 
Lenbach,  hat  er  in  Frankreich  die  Galerie  der  berühmten  Männer 
gemalt.  In  fitst  greifbarer  Körperlichkeit  führte  er  vor:  Hugo, 
Mme  Pasca,  Dumas,  Gounod,  Thiers,  Grevy,  Pasteur,  Puvis  de  Cha- 
vannes,  Jules  Ferry,  Carnot,  den  Cardinal  Lavigerie  u.  A.  Ueber 
200  Personen,  berühmt  oder  nicht,  haben  ihm  gesessen  und  er  hat 
sie  in  sehr  vernünftiger  Weise  gemalt,  in  männlichem  Geschmack 
und  mit  einem  Wissen,  das  sich  nie  in  unnütze  Details  verliert. 
Die  delicate  Physiognomie  des  Weibes,  das  Froufrou  ihrer  raffi- 
nirten  Toilette,  das  Träumerische,  Duftige,  Kokette  der  modernen 
Sphinx  ist  nicht  seine  Sache.  Dagegen  werden  seine  männlichen 
Portraits  schon  aus  kulturgeschichtlichen  Gründen  ihr  Interesse  be- 
wahren. Er  legte  in  allen  viel  Werth  auf  das  bezeichnende  Bei- 
werk und  wusste  so  auf  die  einfachste  Art  den  Denker,  den  Musiker, 
Gelehrten  und  Staatsmann  zu  kennzeichnen.  Man  behält  seine 
Bilder  im  Gcdächtniss  wie  bündig  ausgesprochene  Sätze,  obwohl  ein 
Deutscher  nicht  zaudert,  Lenbach  als  Psychologen  weit  über  Bonnat 
zu  stellen.  Dieser  hat  nicht  das  Momentane,  Intime,  Persönliche, 
zuckend  Lebendige,  das  Lenbach  eigen.  In  seiner  Absicht,  Alles  zu 
sagen,  vergass  er  das  Wichtigste  oft:  den  Geist  des  Mannes  und 
die  Grazie  der  Frau.  Seine  Bilder  sind  grosse  Stillleben:  äusserst 


470 


XXVIII.  Der  Realismus  in  Frankreich 


gewissenhaft,  doch  ein  wenig 
von  der  Gewissenhaftigkeit 
des  Gerichtsschreibers,  der  ein 
langweiliges  Protokoll  copirt. 
Leon  Cogniet,  der  Lehrer  des 
Meisters,  mit  seinem  alten  Ge- 
sicht, seinen  bebrillten  Augen 
und  runzlichen  Händen  (Mu- 
see  Luxembourg)  ist  vielleicht 
Bonnats  einzige  Porträt,  worin 
er  an  Tiefe  der  Charakteristik 
mit  Lenbach  wetteifert.  Seine 
malerische  Kraft  verdient 
immer  Achtung;  aber  der 
Esprit  ist,  der  Abwechslung 
halber,  einmal  auf  Seite  des 
Deutschen. 

Roybet,  von  gleicher  Passion 
wie  Bonnat  für  die  spanischen 
Meister  beherrscht,  malte  Ca- 
valiere des  17.  Jahrhunderts 
und  andere  historische  Sittenbilder,  die  sich  von  älteren  ihrer  Art  vor- 
theilhaft  dadurch  unterschieden,  dass  nicht  die  geschichtliche  Anekdote, 
sondern  der  malerische  Gedanke  ihre  Grundlage  bildete.  Alle  früheren 
waren  bei  der  Behandlung  solcher  Themen  mehr  auf  archaeologische 
Exaktheit  als  auf  malerischen  Reiz  bedacht.  Roybet  schwelgte  in 
den  satten  Farben  alter  Kostüme  und  erreichte,  bevor  er  sein  Talent 
in  das  Prokrustesbett  grosser  Formate  zwängte,  zuweilen  einen  blühen- 
den Ton  von  einer  Kraft  und  Gluth,  die  wetteifert  mit  der  der  Alten. 

In  allen  Zeiten,  die  malerisch  sehen  gelernt,  nahm  das  Stillleben 
einen  wichtigen  Platz  im  Kunstbetrieb  ein.  Eine  Technik,  die  schon 
Kunst  an  sich  ist,  gefällt  sich  darin,  musikalische  Instrumente,  goldene 
und  silberne  Schüsseln,  Früchte  und  Esswaren,  Gläser  und  Pokale, 
kostbar  gewirkte  Decken,  Handschuhe  und  Rüstungen,  alle  denkbaren 
Petit-Riens  mit  künstlerischem  Zauber  zu  umkleiden,  überall  maler- 
ische Probleme  zu  erkennen  und  durchzuführen.  Nachdem  man  aus 
der  Historien-  und  Genremalerei  zur  Malerei  gekommen,  traten  daher 
wie  zu  Chardins  Tagen  auch  in  Frankreich  wieder  grosse  Still- 
lebenmaler auf. 


Bonnat:  Victor  Hugo. 


XXVIII.  Der  Realismus  in  Frankreich 


471 


Noch  ziemlich  kleinlich 
ist  Blaise  Desgoffe,  der  mit 
mühseliger  Geduld  Stück  für 
Stück  Goldschmiede -Arbei- 
ten, krystallene  Vasen,  vene- 
zianische Gläser  u.  dgl.  malte. 

Er  war  in  Frankreich  der 
Hauptvertreter  jener  Klein- 
und  Feinmalerei,  die  unter 
Kunst  die  täuschende  Nach- 
ahmung der  Dinge  versteht 
und  ihr  Ziel  erreicht  sieht, 
wenn  sich  das  Sonntagspubli- 
kum vor  dem  Bilde  sammelt, 
wie  die  Vögel  vor  den  Trau- 
ben des  Zeuxis. 

In  Philippe  Rousseau 
scheint  ein  alter  Meister  wie- 
der auferstanden.  Er  hatte 
dieselben  ernsten  Qualitäten 
wie  die  holländischen  und 
vlämischen  Classiker,  einen  breiten,  flüssig  pastosen  Vortrag,  eine 
schöne  Harmonie  kräftiger  und  doch  klarer  Töne,  dabei  ein  ries- 
iges Geschick,  seine  Gegenstände  so  zu  componiren,  dass  nichts 
mehr  von  »Composition«  bemerkbar.  Vom  Thierbild  kam  er  eigent- 
lich her.  Seine  Hunde-  und  Katzenbilder  gehören  zu  den  besten 
des  Jahrhunderts.  Den  grossen  Affenmalern  Gillot,  Chardin  und 
Decamps  steht  er  als  vierter  zur  Seite.  Ein  genialer  Dccorateur  wie 
Ilondekoeter,  schmückte  er  eine  ganze  Reihe  von  Speisesälen  mit 
farbenprächtigen  Darstellungen  von  Federvieh,  stellte  wie  Snyders 
Wildpret,  todtes  und  lebendes  Geflügel,  Früchte,  Hummern,  Austern 
zu  riesigen  lebensgrossen  Stillleben  zusammen,  hinter  denen  die 
Köchin  auftaucht  und  näschige  Katzen  umherschleichen.  Aber  er 
hat  auch  wie  Kalf  mit  exquisitem  coloristischen  Gefühl  japanische 
Porzellanschalen  mit  Trauben,  Quitten  und  Aprikosen,  Metall-  und 
Elfenbeinarbeiten,  Helme  und  Geigen  gemalt  — vor  jenem  feinen 
grau-braun-grünen  Hintergrundston,  den  Chardin  liebte. 

Antoine  Vollon  wurde  der  grösste  Stilllebenmaler  des  Jahrhunderts. 
So  kostbar  und  pedantisch  Desgoffe,  so  breit  und  nervös  ist  Vollon. 


Bonnat:  Thiers. 


jj2  XXVIII.  Der  Realismus  in  Frankreich 

Blumen,  Früchte,  Fische,  Alles 
ist  mit  fester  Hand  hingesetzt  und 
leuchtet  aus  dem  dunkeln  Hinter- 
grund in  vollsaftiger  Farbenfrische 
auf.  Er  malt  todte  Seefische  wie 
Abraham  van  Beyeren,  Weintrauben 
und  Krystallpokale  wie  Davids 
de  Heem,  todtes  Wild  wie  Frans 
Snyders,  abgezogene  Schweine  wie 
Rembrandt  und  Maes.  Er  ist 
Meister  in  der  Darstellung  frisch 
gepflückter  Blumen,  zarter  Gemüse, 
kupferner  Kessel,  Waffen  und 
Rüstungen.  Seit  Chardin  hat  kein 
Maler  die  Eigenschaften  der  Haut 
frischen  Obstes,  ihr  Leben  und 
Farbenspiel , den  feuchten  Hauch, 
der  sich  auf  ihr  lagert,  mit  dieser 
Naturwahrheit  geschildert.  Namentlich  seine  Fische  werden  stets 
das  Erstaunen  aller  Maler  und  Liebhaber  bleiben.  Doch  auch  Land- 
schaften, holländische  Kanalansichten  und  Figurenbilder  sind  von  ihm 
vorhanden.  Er  hat  Alles  gemalt,  was  malerisch  ist,  die  Kunstgeschichte 
hat  ihn  in  specifisch  malerischem  Sinne  als  einen  der  Grössten  des 
Jahrhunderts  zu  feiern.  Eine  weiche  graubraune  Wandvertäfelung, 
ein  schwarzweisses  Pierettencostüm,  ein  weisses  Tischtuch  und  dunkel- 
grünes Gemüse  — das  ist  die  coloristische  Harmonie,  die  er  in  seinen 
Figurenbildern  hauptsächlich  liebte. 

Aus  den  gleichen  rein  malerischen  Gründen  wurden  die  Nonnen 
damals  in  der  Malerei  beliebt,  die  mit  ihrer  weissen  Haube  und 
hellen  Schürze  auf  schwarzem  Gewand  eine  so  feine  Tonwirkung 
ermöglichten.  Das  war  das  Gebiet,  auf  dem  der  arme  Flauem 
Bonvin  sich  bewegte.  Von  den  Holländern  kommend,  begann  er  für 
die  Arbeit,  das  Schweigen,  den  matten  Glanz  des  Lichtes  im  Innen- 
raum, den  kalten  Tag,  die  langsamen  Bewegungen  und  friedlichen 
Gesichter  der  Klosterfrauen  zu  schwärmen,  und  malte  Küchenscenen 
von  starkem  persönlichen  Accent.  Er  war,  bevor  er  zur  Malerei 
kam,  lange  Schutzmann  und  zur  Beaufsichtigung  der  Markthallen 
verwendet.  Hier  hatte  sich  ihm  der  Blick  für  das  Malerische  saftigen 
Gemüses,  weisser  Kragen  und  weisscr  Häubchen  eröffnet,  und  wenn 


Antoine  Vollon. 


XXVIII.  Der  Realismus  in  Frankreich 


473 


er  einen  Tag  frei  hatte, 
studierte  er  im  Louvre 
Lenain  und  Chardin. 

Bonvins  Bilder  haben 
keinen  Inhalt.  Trinker, 

Köchinnen,  Waisen- 
kinder in  der  Schul- 
stube, Näherinnen, 

Chorknaben,  barmherz- 
ige Schwestern,  lesende 
Knaben,  Frauen  in  der 
Kirche,  Nonnen,  die  den 
Nähunterricht  leiten  — 
das  ist  Bonvins  stille, 
malerisch  stimmungs- 
volle Welt.  Was  seine 
Personen  denken  und 
thun,  ist  gleichgültig, 
nur  als  Ton  im  Raum 
sollen  sie  wirken.  Er 
hatte  während  seiner  holländischen  Reise  Metsu,  Frans  Hals,  Pieter 
de  Hoogh,  Terborg,  van  der  Meer  mit  Verständniss  betrachtet,  doch 
Chardin  besonders  feierte  nach  seinen  beiden  Seiten  hin  — als  Still- 
lebenmaler wie  als  Maler  der  Intimität  — in  Bonvin  seine  Aufer- 
stehung. Alle  Bilder  sind  einfach  und  still,  die  Figuren  von  ruhigem 
Ausdruck  und  gemüthlichen  Posen,  die  Farben  von  toniger  altmeister- 
licher Schönheit. 

Auch  der  hervorragendste  der  Gruppe,  Theodule  Kibot,  einer 
der  geschicktesten  Praktiker  der  französischen  Schule,  ein  Meister, 
der  an  Macht  des  Ausdrucks  würdig  ist,  zwischen  Frans  Hals  und 
Ribera  gesetzt  zu  werden,  hat  mit  Stillleben  begonnen.  Er  war 
1823  in  einem  kleinen  Städtchen  des  Departements  Eure  geboren. 
Früh  verheirathet,  arm,  ernährte  er  sich  anfangs  dadurch,  dass  er 
Rahmen  für  ein  Spiegelgeschäft  malte  und  behielt  nur  die  Abend- 
stunden für  seine  künstlerische  Thätigkeit  übrig.  Namentlich  als  er 
während  einer  langen  Krankheit  seiner  Frau  an  deren  Bette  wachte, 
soll  er  sich  gewöhnt  haben,  ganze  Nächte  hindurch  bei  der  Lampe 
zu  arbeiten.  Das  Lampenlicht  macht  die  Gegensätze  von  Licht  und 
Schatten  kräftiger.  Ribots  Vorliebe  für  concentrirtes  Licht  und  starke 


Vollem : Scene  de  Carnaval. 


474 


XXVIII.  Der  Realismus  in  Frankreich 


Schatten  geht  also  theilweise 
wohl  auf  Selbsterlebtes  zu- 
rück, und  Ribera  gab  ihm 
später  nur  den  kunstgeschicht- 
lichen Segen. 

Seine  ersten  Bilder  aus  den 
Jahren  1861 — 65  waren  der 
Mehrzahl  nach  Scenenausder 
Wirthschafts-  und  Küchen- 
sphäre : lebensgrosse  Köche, 
die  Hühner  rupfen,  Braten 
auf  den  Herd  setzen,  Kessel 
scheuern  oder  Saucen  ver- 
suchen, zuweilen  auch 
Strassenfiguren  mit  starker 
Betonung  des  Stilllebens: 
Männer  mit  Küchengeräth, 
Esswaaren,  todten  Vögeln  und 
Fischen.  Dann  folgten  seit 
1865  mehrere  religiöse  Bil- 
der, die  sich  in  ihrer  harten, 
bauernhaften  Wahrheit,  ihrem  wuchtigen,  concentrirten  Leben  in 
schroffsten  Gegensatz  zu  den  convcntionell  idealisirten  Figuren  der 
Akademiker  stellten.  Sowohl  sein  Jesus  unter  den  Schriftgelehrten  wie 
der  heilige  Sebastian  und  der  gute  Samariter  — alle  drei  im  Musee 
Luxembourg  — sind  Werke  von  einfacher,  gewaltiger  Grösse  und 
packender,  fast  grauenerregender  Wirkung.  Sebastian  ist  kein  lächeln- 
der, mit  liebenswürdigen  Wunden  versehener  Heiliger,  sondern  ein 
leidender  Mensch,  aus  dessen  Adern  das  Blut  strömt,  und  der  auf  den 
Boden  ausgestreckt  sich  zur  Hälfte  erhebt,  einen  Schmerzensschrei  auf 
den  Lippen,  den  ganzen  Körper  von  Krampf  gekrümmt.  In  seinem 
»Jesus  im  Tempel«  verkündet  er,  parallel  gehend  mit  Menzel,  die  Lehre, 
dass  den  traditionellen  Gestalten  nur  dadurch  neues  Lebensblut  zuge- 
führt werden  könne,  dass  man  die  Modelle  mit  glücklicher  Hand 
aus  dem  umgebenden  Volksleben  selbst  herausgreife.  Im  »Guten 
Samariter«  kam  es  ihm  gleichfalls  nur  darauf  an,  den  Körper  des 
an  der  Strasse  niedergefallenen  Verwundeten,  einen  vierschrötigen, 
seiner  Kleider  beraubten  französischen  Bauer  mit  naturalistischer  Kraft 
zu  malen.  Seit  den  70er  Jahren  wurden  seine  Specialität  Köpfe: 


XXVIII.  Der  Realismus  in  Frankreich 


475 


jene  Einzelfiguren  ver- 
witterter alter  Leute, 
strickender  oder  schreib- 
ender alter  Frauen,  les- 
ender oder  nachdenk- 
ender alter  Männer,  die 
technisch  stets  zu  den 
grössten  Meisterwerken 
des  Jahrhunderts  ge- 
hören werden.  Ri  bot 
erzielt  eine  merkwür- 
dige Wirkung,  wenn 
er  aus  dem  Dunkel  sei- 
ner Leinwand  jene  aus- 
drucksvollen Gesichter 
hervortreten  lässt , die 
dich  mit  ihren  Blicken 
verfolgen.  Ein  schwar- 
zer Hintergrund,  in 
den  die  gleichfalls  dun- 
keln Kleider  seiner 
Figuren  unmerklich 
übergehen,  ein  leucht- 
ender Kopf  mit  Augen, 
wie  sie  keiner  des 

Jahrhunderts  malte,  ein  Stück  runzlicher  Haut  und  faltige  alte 
Hände,  die  irgendwo  auftauchen,  — man  weiss  nicht  woher  — 
das  Alles  gibt  seinen  Gestalten  etwas  Phantomartiges,  Uebermensch- 
liches,  Geisterhaftes.  Ribot  ist  der  grosse  König  der  Unterwelt, 
in  die  nur  verstohlen  ein  Sonnenstrahl  dringt.  Man  hat  vor  seinen 
Bildern  das  Gefühl,  in  einen  tiefen,  tiefen  Schacht  zu  fahren,  wo 
Alles  dunkel  ist,  nur  zuweilen  ein  Lämpchen  auftaucht.  Kein 
Maler,  selbst  Ribera  nicht,  hat  besser  alte  Leute,  nur  Velazquez 
Kinder  von  so  sprühendem  Leben  gemalt.  Ribot  arbeitete  in  Colombes 
bei  Paris,  wohin  er  sich  früh  zurückgezogen,  in  einer  Scheune,  in 
die  nur  kleine  Dachfenster  zwei  scharfe  Lichtstrahlen  warfen.  In- 
dem er  seine  Leinwand  unter  das  eine,  sein  Modell  unter  das  andere 
Dachfenster  stellte,  unter  einer  dunkeln  Beleuchtung,  die  nur  einen 
goldigen  Lichtstrahl  auf  das  Gesicht  fallen  liess,  isolirte  er  es  voll- 


Bonvin : L’ouvroir. 


476 


XXVIII.  Der  Realismus  in  Frankreich 


ständig  von  seiner  Umgeb- 
ung, um  dann  die  beleuch- 
teten Theile  desto  erstaun- 
licher zu  malen.  Keiner 
wusste  wie  er  eine  Stirne 
zu  modelliren,  die  Knochen 
unter  dem  Fleisch  anzu- 
deuten und  alle  Feinheiten 
der  Haut  wiederzugeben. 
Ein  schreckliches  intensives 
Leben  lebt  in  seinen  Ge- 
stalten. Besonders  seine  alten 
Bettler  und  Matrosen  haben 
etwas  Königliches  in  dem 
grossen  Stil  ihrer  vornehm 
ruhigen  Gesichter.  Ein  alter 
Meister  an  mächtiger  Mache, 
ein  Maler  von  Jordaensscher 
Kraft  und  Gesundheit  hat 

sich  in  Ribot  von  Neuem  manifestirt. 

Courbets  Principien  hatten  demnach  im  Laufe  weniger  Jahre 
auf  der  ganzen  Linie  gesiegt.  »Nur  Ribera,  Zurbaran  und  Velazquez 
bewundere  ich,  Ostade  und  Craesbeeck  verlocken  mich  und  vor  Hol- 
bein empfinde  ich  Verehrung.  Was  Herrn  Rafael  betrifft,  so  hat  er 
ohne  Zweifel  einige  interessante  Porträts  gemalt,  aber  ich  finde  keine 
Gedanken  bei  ihm«.  In  diesen  Worten  hat  er  bereits  1855  voraus- 
verkündet, in  welches  Bett  die  französische  Kunst  in  den  nächsten 
Jahrzehnten  lenkte.  Als  Courbet  auftrat,  stand  die  grosse  Malerei 
noch  durchaus  im  Banne  der  beaute  supreme  und  diese  Anschau- 
ungen wirkten  auch  auf  die  Behandlung  zeitgenössischer  Stoffe  zu- 
rück. Der  Fonds  der  Künstler  an  Realismus  reichte  noch  nicht  aus, 
um  diese  Dinge  wahrhaft  zu  beleben.  Wenn  Cabanel,  Hamon  und 
Bouguereau  zuweilen  Bettler  und  Waisenkinder  malten,  so  waren  das 
immer  blutlose  Schemen,  da  sie  die  Figuren  erst  durch  Verschöner- 
ung characterlos  machten,  um  sie  den  Gestalten  der  Historienmalerei 
zu  nähern.  Weil  die  Maler  ihre  Zeit  nicht  sahen,  weil  man  sie 
gewöhnt  hatte,  die  Lebenden  nur  als  Elemente  zweiten  und  dritten 
Ranges  zu  betrachten,  entdeckten  sie  gar  nicht  das  Eigenartige 
dieser  Wesen.  Wie  ein  Reisender,  den  eine  fixe  Idee  verfolgt, 


XXVIII.  Der  Realismus  in  Frankreich 


477 


Ribot:  St-  Sebastian. 

machten  sie  die  Fahrt  um  die  Welt,  ohne  andern  Gedanken  als 
den,  wie  die  lebenden  Formen  denen  anzupassen  seien,  die  ihre 
traditionelle  Erziehung  als  die  richtigen,  der  Kunst  allein  würdigen 
empfahl.  Selbst  in  der  Porträtmalerei  herrschte  die  falsche  Mode, 
die  Gesichter  zu  Typen  zu  machen,  Züge  und  Gestalt  aufzubessern 
und  den  Menschen  so  das  Aeussere  schöner  Idealfiguren  zu  geben. 

Jetzt  ist  die  Herrschaft  des  Cinquecento  cndgiltig  gebrochen. 
Eine  frische  realistische  Brise  von  jenseits  der  Pyrenäen  hat  den 
schwülen  italienischen  Scirocco  verscheucht.  Aus  den  Bildern  der 
Neapolitaner,  der  Spanier  und  Holländer  entnahm  man  die  Lehre, 
dass  die  Freuden  und  Schmerzen  des  Volkes  ebenso  darstellbar  seien, 
als  die  Handlungen  der  Heroen  und  Götter,  und  unter  dem  Einfluss 
dieser  Anschauungen  tritt  eine  vollständige  Rollenvertauschung  zu 
Tage.  Die  Figuren,  welche  1855  Courbets  »Atelier«  füllten,  — 
Bettlerinnen,  Ackcrsleute,  Arbeiter,  Matrosen,  trinkende  Soldaten, 
dralle  Dirnen,  Lastträger,  derbe  Proletarier  von  ungeschlachter 
Grösse  — füllen  nunmehr  die  Bühne  der  französischen  Kunst  und 
theilen  auch  den  Helden  der  Historie,  den  durch  mehrhundertjährige 


478 


XXVIII.  Der  Realismus  in  Frankreich 


Ribol:  Cabaret  Normand. 


Inzucht  degenerirten  Göttern  etwas  von  ihrer  vollsaftigen,  derb  rohen, 
plebejischen  Lebenskraft  mit.  Die  Künstler  des  italienischen  Ge- 
schmacks gestatteten  nur  den  »allgemeinen  Formen.«  Bürgerrecht, 
jede  Erinnerung  an  Volksthümliches,  Lokales,  galt  als  vulgär,  nicht 
in  den  reichen  Schachten  des  Volkes  fand  man  das  Gold  der  Schön- 
heit, sonden  in  den  fremden  classischen  Meistern.  Jetzt  wird  das 
Ueberirdische  in’s  Irdische  übersetzt.  Handelt  es  sich  um  religiöse 
Bilder,  so  fischt  man,  wie  einst  Caravaggio,  Männer  aus  dem  Volke 
auf,  arme  alte  Bauern  mit  ehernen  Knochen  und  bronzenen , ver- 
wetterten  Gesichtern,  Packträger  mit  ausgearbeiteten,  zerklüfteten 
Formen,  rauhe,  vulgäre  Naturen,  doch  von  markiger,  knorriger  Kraft. 
Die  Märtyrerbilder,  erst  kunstvolle  Zusammenstellungen  schöner 
Gesten  und  öder,  allgemeiner  Gesichter,  bekommen  einen  Lokalton 
des  Schaffots,  einen  Zug  unbarmherziger  Wahrheit,  die  Köpfe  eine 
Energie  des  Reliefs,  die  Geberden  eine  Mächtigkeit  und  Wucht,  die 
Körper  eine  Gelehrsamkeit  der  Modellirung,  worüber  Ribera  sich 
gefreut  hätte.  Wie  Caravaggio  erklärte,  je  mehr  Runzeln  sein  Modell 


•XXVIII.  Der  Realismus  in  Frankreich 


479 


habe,  um  so  mehr  freue 
er  sich  daran : so  scheut 
man  auch  jetzt  nicht  zurück 
vor  schwieligen  Händen, 
zerrissenen  Lumpen  und 
schmutzigen  Füssen.  Man 
weiss,  wie  in  den  guten 
Zeiten  der  Kunst,  dass  Schön- 
heit oder  Hässlichkeit  eines 
Kunstwerks  nichts  zu  thun 
hat  mit  der  Schönheit  oder 
Hässlichkeit  des  Modells,  dass 
der  hässlichste  Krüppel  Ge- 
legenheit geben  kann,  das 
schönste  Kunstwerk  zu 
machen.  Die  alte  Lehre 
Leonardos,  dass  jede  Art 
der  Malerei  Porträtmalerei 
sei  und  diejenige  die  beste, 
die  am  überzeugendsten  nachahme,  kommt  wieder  zur  Geltung. 
Die  Apotheose  des  Modells  ist  an  die  Stelle  des  Eklektismus  ge- 
treten. England  gelangte  in  denselben  Jahren  auf  anderem  Wege  zu 
gleichem  Ziele. 


Ribot:  La  Combtabilite. 


0*9 


XXIX. 


Der  Realismus  in  England. 

1849  war  das  berühmte  Jahr,  als  durch  die  Praerafaeliten  ein 
so  folgenschwerer  Eingriff  in  den  ruhigen  Verlauf  der  englischen 
Kunst  geschah.  Eine  Bewegung,  die  an  die  Renaissance  erinnert, 
hatte  die  Geister  gepackt.  In  allen  Ateliers  sprachen  die  Maler  eine 
nie  gehörte  Sprache;  alle  grossen  Reputationen  waren  gestürzt;  die 
berühmtesten  Cinquecentisten , deren  Namen  bisher  nur  mit  ehr- 
fürchtiger Scheu  genannt,  wurden  mit  Achselzucken  als  Stümper 
bezeichnet.  Etwas  Wundervolles  schien  in  die  Welt  gekommen;  die 
Muse  der  Malerei  war  von  dem  Piedestal,  auf  dem  sie  drei  Jahr- 
hunderte gestanden , heruntergestossen  und  im  Triumph  auf  ein 
anderes  gestellt  worden. 

Was  wollten  die  Praerafaeliten? 

Die  Bewegung  wurde  vielfach  mit  dem  deutschen  Nazarener- 
thum verglichen,  aber  die  Aehnlichkeit  ist  äusserlich,  die  Ver- 
schiedenheit grösser.  Auf  der  Fahne  der  Deutschen  stand  Nach- 
ahmung, auf  der  Engländer  Banner  Befreiung,  dort  war  Wieder- 
holung stereotyper  Formen,  hier  rücksichtsloser  Naturalismus  die 
Devise.  Die  Praerafaeliten  waren  die  ersten  in  Europa,  die  gegen 
das  Joch  der  Tradition  sich  aut  bäumten,  jede  Convention  in  Form- 
gebung und  Farbenanschauung  bei  Seite  warfen  und  ganz  persön- 
liches, durch  kein  fremdes  Medium  vermitteltes  Naturstudium  ver- 
langten. Sie  waren  — in  ihrer  Anfangsphase  — die  ersten  grossen 
Freiheitskämpfer  der  modernen  Kunst,  für  England  von  gleicher 
Bedeutung  wie  für  Frankreich  Courbet  und  Millet.  Auch  die  kunst- 
geschichtlichen  Verhältnisse,  aus  denen  sie  hervorgingen,  lagen  ähnlich. 

Nachdem  die  englische  Kunst  mit  grossen  nationalen  Meistern 
begonnen  und  eine  Jugendzeit  von  wahrhaftem  Glanze  gehabt,  war 
sie  um  die  Mitte  des  Jahrhunderts  einem  langweiligen  Siechthum 
verfallen.  Eine  Reihe  roher  Geschichtsmaler  mühte  sich,  den  edlen 
Stil  des  italienischen  Cinquecento  zu  ergründen , und  kam  dabei 


XXIX.  Der  Realismus  in  England 


481 


nicht  über  das  Niveau  eines  verständigen  Plagiats  hinaus.  Pompös 
und  majestätisch,  glänzende  Decorateure,  sinnlich  ergriffen  von  der 
plastischen  Schönheit,  Anbeter  der  nackten  menschlichen  Gestalt, 
moderne  Griechen,  waren  die  italienischen  Classiker  die  denkbar  un- 
glücklichsten Erzieher  für  ein  bilderstürmendes  Volk,  das  nie  die  Schön- 
heit des  Nackten  begriff,  ein  Volk,  das  in  allem,  was  es  selbstständig 
leistete,  stets  mehr  auf  geistigen  Ausdruck  als  auf  plastische  Schön- 
heit sah.  Doch  trotz  der  seit  Hogarth  gemachten  Erfahrungen  pil- 
gerten  Alle  nach  Rom  wie  nach  einem  heiligen  Quell,  sogen  sicli  voll 
in  langen  Zügen  und  kamen  vergiftet  zurück.  Selbst  Wilkie,  der  liebens- 
würdige Kleinmeistcr , der  so  bahnbrechend  wirkte,  während  er  an 
die  verwandten  Vlaamen  und  Holländer  sich  anschloss,  verlor  jede 
Eigenart,  seitdem  er  Spanien  und  Italien  gesehen.  Wie  diese  Nach- 
ahmung der  Hochrenaissance  zu  einer  manierirten,  geschraubten  Em- 
pfindung führte,  so  zog  sie  auch  eine  leere  akademische  Technik 
gross.  Man  arbeitete  nach  den  Rcccpten  des  Cinquecento  mit  affec- 
tirter  Leichtigkeit,  die  alles  über's  Knie  brach  und  sich  mit  oberfläch- 
licher Facadenwirkung  begnügte.  Eine  Malerei  der  geschickten  Hand 
war  an  die  Stelle  pietätvollen  Naturstudiums,  banales  Arrangement 
nach  berühmten  Mustern  an  die  Stelle  innerlicher  Vertiefung  getreten. 

Es  half  nichts,  dass  Einige  wie  J.  G.  Horslcy,  J.  R.  Herbert, 
J.  Tennicl,  Edwin  I.ong,  E.  M.  Ward  und  der  englische  Piloty  Eastlake 
durch  Nachahmung  der  Venezianer  und  Vlaamen  vom  Idealismus  der 
Form  mehr  in  den  Colorismus  einlenkten  und  dass  Edwin  Armitage, 
der  in  Paris  und  München  studirt  hatte,  continentale  Einflüsse  ver- 
mittelte. Sie  sind  die  Delaroche,  Gallait  und  Biefve  von  England. 
Ihre  Kunst  war  imposante  Theatermalerei,  ihr  Programm  noch  immer 
das  der  Schule  von  Bologna  — der  Mutter  aller  Akademien,  grosser 
und  kleiner  — die  Zeichnung  dem  Michelangelo,  dem  Tizian  die 
Farbe,  jedem  das  Beste  zu  entnehmen,  cs  in  einen  Topf  zu  schütten 
und  umzurühren.  Die  englische  Malerei  verlor  so  das  eigenartig 
nationale  Gepräge,  das  sie  unter  Reynolds  und  Gainsborough, 
Constable  und  Turner  gehabt.  Sie  wurde  eine  bedeutungslose  Neben- 
strömung der  falschen,  gegen  die  Natur  unredlichen,  gedankenlos 
routinirten,  hohl  pathetischen  Kunst,  die  den  Continent  damals  be- 
herrschte. Und  wie  die  grosse  Malerei  leer  und  manierirt,  so  war 
die  Genremalerei  spiessbürgerlich  und  altersschwach  geworden.  Ihre 
harmlose  Kindlichkeit  und  conventioneller  Optimismus  hatte  zu  lang- 
weiliger Anekdotenmalerei  geführt.  Wie  ein  geschwätziger  alter 

Muther,  Moderne  Malerei  II.  3 j 


482 


XXIX.  Der  Realismus  in  England 


Mann  wiederholte  sie  die  nichtssagendsten  Geschichten  mit  immer 
gleichem  Behagen  in  einem  Colorit  von  beleidigender  Buntheit.  Die 
englische  Schule  bestand  noch  durch  die  Landschaft,  für  alles  Uebrige 
war  sie  gestorben. 

Hin  Reformbedürfniss  würde  um  so  eher  rege,  als  auch  die  Li 
teratur  in  neue  Bahnen  lenkte.  In  der  Poesie  kamen  die  Seedichter 
Wordsworth  und  Coleridge,  die  Einfachheit,  schlichte  Naturempfind- 
1111g,  Rousseau’schen  Pantheismus  auf  ihre  Fahne  schrieben,  als  Rück- 
schlag gegen  den  blendend  phantastischen  Schwung  der  grossen  Kraft- 
genies Byron  und  Shelley.  Keats  sprach  von  Neuem  den  Satz,  der 
einst  Shaftesburys  Evangelium  gewesen:  Beauty  is  truth,  truth 

beauty«.  John  Ruskin  liess  seit  1843  die  ersten  Bände  seiner 
Modern  painters  erscheinen,  deren  ästhetisches  Credo  in  dem  Satze 
gipfelte,  dass  die  Natur  allein  die  Quelle  aller  wahren  Kunst  sein  könne. 

Diese  Uebergangsstimmung,  die  — zunächst  schüchtern  — Be- 
freiung vom  akademischen  Joch  erstrebte,  vertritt  in  der  Malerei 
der  Schotte  William  Dyce.  Nur  er  in  England  bietet  eine  Parallale 
zu  den  deutschen  Nazarenern,  deren  Glaubensbekenntniss  er  — 
mit  freilich  grösserem  Können  — theilte.  1806  geboren,  hatte  er 
1826  in  Italien  die  Bekanntschaft  Overbecks  gemacht,  der  ihn 
für  Perugino  und  Rafael  gewann.  Indem  er  gegen  die  theatralische 
Hohlheit  der  englischen  Historienmalerei  protestirte,  warf  er  sich 
hilfesuchend  den  Quattrocentisten,  dem  jungen  Rafael  in  die  Arme. 
Sein  I lauptwerk , ein  Freskencyklus  aus  der  Legende  des  Königs 
Arthur  im  Westminster-Palais  in  London,  geht  etwa  mit  Schnorrs 
Nibelungenfresken  parallel.  Die  Schilderung  markiger  Männlichkeit 
und  stürmischen 'Heldenthums  ist  ohne  Sentimentalität  und  Theater- 
heroismus versucht.  In  seinen  Oelbildern  — Madonnen,  Bacchus 
und  die  Nymphen  , das  Weib  von  Samaria,  Christus  in  Gethsemane, 
St.  Johannes  u.  dgl.  — überrascht  er  durch  den  anmuthigen  sinn- 
lichen Reiz  seiner  Frauen,  durch  köstliche  Landschaften  zarten  idyll- 
ischen Charakters.  Die  liebenswürdige  Darstellung  Jakob  und  Rahel«, 
die  ihn  in  der  Hamburger  Kunsthalle  vertritt,  könnte  von  Führich 
herrühren,  wenn  die  entwickelte  Farbenempfindung  nicht  den  eng- 
lischen Ursprung  bezeugte.  Verlangend  eilt  der  Jüngling  auf  das 
Mädchen  zu,  das  in  herber  Keuschheit,  mit  gesenkten  Augen,  halb 
abwehrend  an  den  Rand  des  Brunnens  gelehnt  steht.  Dyce  war 
ein  klarer  Kopf  von  grossem  technischen  Können.  Er  hatte  das 
Gefühl  für  Stil , einen  feinen  Sinn  für  herben  und  doch  zarten 


XXIX.  Der  Realismus  in  England 


483 


William  Dycc:  Jacob  und  Kabel. 


Schwung  der  Linien.  Wo  die  Nazarener  leichenhaft  blass  wirken, 
erfreut  bei  ihm  eine  tiefe  Leuchtkraft  der  Farbe.  Er  ist  äusserst 
graziös  und  verbindet  mit  dieser  Grazie  die  stille  reine  Einfalt  der 
Meister  von  Umbrien.  Rührend  sind  einige  Madonnen,  die  in  langem 
anschliessenden  Gewände,  mit  halb  erhobenen  Armen,  frommen 
zum  Gebet  geöffneten  Lippen  und  sanften,  in’s  Unendliche  ver- 
lorenen Blicken  die  Gottheit  suchen.  Eine  träumerische  Lieblich- 
keit bringt  die  himmlischen  Gestalten  näher.  Dyce  findet  den  Zauber 
der  langen  gesenkten  Lider  mit  den  dunklen  Wimpern.  Er  liebt  wie 
die  Umbrier  die  Elasticität  schlanker  Glieder,  den  keuschen  Liebreiz 
knospend  mädchenhafter  Schönheit.  Viele  deutsche  Freskomaler  sind 
berühmt  geworden  , die  nie  etwas  leisteten , was  an  künstlerischem 


484 


XXIX.  Der  Realismus  in  England 


Verdienst  Dyces  Westminsterbildern  gleichkommt.  Aber  in  die  Familie 
Flandrin-Overbeck  ist  auch  er  zu  rechnen,  da  er  den  jungen  Rafael 
zwar  gut  wiederholt,  aber  doch  nur  nachgeahmt,  nicht  verbessert  hat. 

Um  wenig  später  sind  die  Bilder  eines  anderen  Schotten,  des 
1821  geborenen  Josef  Noel  Pa  ton , der  heute,  alt  geworden,  in  den 
verblasenen  Bahnen  Ary  Scheffers  oder  Plockhorsts  geht,  in  seiner 
Jugend  aber  durch  kraftvolle  Shakespeare-  und  Shelley-Illustrationen 
wie  durch  einige  phantastische  Feenbilder  anregend  und  umwälzend 
wirkte.  Auch  diese  Jugendwerke  — der  Streit  und  die  Versöhn- 
ung Oberons  mit  Titania  in  der  Galerie  von  Edinburgh,  — und 
sein  Hauptwerk  »The  Fairy  Queen«  in  der  Londoner  National- 
galerie bieten  ästhetisch  geringen  Genuss.  Die  Zeichnung  ist  hart,  die 
Composition  überladen,  die  Farbe  zerfahren  und  bunt.  Wie  bei 
Ary  Scheffer  haben  alle  Figuren  geistlose,  weit  aufgerissene  Augen. 
Elfen,  Gnomen,  Weiber,  Ritter  und  phantastische  Felsen  sind  so 
eng  neben  einander  geschoben,  dass  sic  der  Rahmen  kaum  fasst. 
Ausserordentlich  aber  ist  das  liebevolle  Naturstudium  im  Einzelnen. 
Auf  dem  Vordergrund  kann  man  jede  Pflanze,  jede  Blume  botan- 
isch bestimmen,  so  charaktervoll  und  sorgsam  hat  Paton  jedes 
Blatt,  jede  Blüthe  ausgeführt,  selbst  die  Thiere,  die  auf  der  Wiese 
kriechen.  Hier  und  da  bricht  ein  frischer  Morgensonnenstrahl  durch 
das  lichte  Grün  und  hüpft  von  Gräschen  zu  Gräschen.  Die  Land- 
schaften Albrecht  Altdoriers  kommen  in  Erinnerung.  Befreiung  von 
hohlem  pathetischem  Schwung,  pantheistische  Anbetung  der  Natur, 
selbst  ein  gewisses,  zwar  erfolgloses  Bemühen  um  selbständige  Farben- 
empfindung scheinen  seine  Bilder  in  ihrer  naiven  Eckigkeit,  liebe- 
vollen Kleinmalerei  und  hellgrünen  Buntheit  zu  predigen. 

Das  ist  die  Stimmung,  in  welche  die  jungen  Leute  eintraten, 
die  sich  1848  zur  Praerafaelitengruppe  vereinten.  Sie  waren  20  bis 
24  Jahre  alt  und  Schüler  der  Royal  Academy.  Der  erste,  Dante 
Rossetti,  war  bereits  durch  eine  Reihe  Gedichte  bekannt.  Der  zweite, 
Holman  Hunt,  hatte  noch  Mühe,  den  Widerstand  seines  Vaters  zu 
besiegen,  der  ihn  ungern  den  Kaufmannsberuf  aufgeben  sah.  John 
Everett  Millais,  der  jüngste,  war  als  Maler  am  weitesten  vorgeschritten 
und  einer  der  besten  Schüler  der  Acadcmie.  Weder  das  künstlerische 
Schaffen  noch  die  Unterrichtsmethode  ihrer  Lehrer  befriedigte  sie. 
Etty,  der  geschätzteste  von  allen.  — so  erzählt  Holman  Hunt  — malte 
Mythologisches  von  leerer  Geziertheit,  Mulready  zeichnete  Verblasen 
und  opferte  Alles  der  Eleganz,  Maclise  war  in  patriotische  Banalitäten 


XXIX.  Der  Realismus  in  England 


485 


verfallen,  W.  Dycc  hatte  seine  Laufbahn  unterbrochen  und  wieder 
begonnen,  als  es  zu  spät  war.  So  seien  sie  genöthigt  gewesen,  selbst 
für  ihre  Ausbildung  zu  sorgen.  Alle  Drei  arbeiteten  in  demselben 
Atelier,  da  geschah  cs  eines  Tages  — 1847  oder  1848  — dass  der 
Zufall  ihnen  einige  Kupferstiche  nach  Benozzo  Gozzolis  Pisaner  Campo- 
santo-Fresken  in  die  Hände  warf.  Natur  und  Wahrheit  — Alles, 
was  sie  dunkel  geahnt  und  an  den  Erzeugnissen  der  englischen  Kunst 
vermissten,  hier  war  cs.  Voll  Bewunderung  für  das  sprühende  Leben, 
die  intensive  Empfindung,  die  markige,  selbst  vor  den  Gonsequenzen 
des  Hässlichen  nicht  zurückschreckende  Formgebung  dieser  Werke, 
kamen  sie  in  der  Erkenntniss  überein,  dass  die  Kunst  immer  auf 
der  Basis  der  Natur  gestanden  bis  zum  Ende  des  15.  Jahrhunderts 
oder  genauer  bis  zum  Jahre  1508,  da  Rafael  Florenz  verliess,  um 
in  Rom  im  Vatican  zu  malen.  Seitdem  sei  Alles  schlecht  gegangen, 
die  Kunst  hätte  das  einfache  Gewand  der  Naturwahrheit  ausgezogen 
und  sei  in  conventioneile  Phrasen  verfallen,  die  im  Laufe  der  Jahr- 
hunderte durch  geistlose  Wiederholung  immer  inhaltloser  und  wider- 
wärtiger wurden.  Müssen  die  Personen  auf  Bildern  bis  zum  Ende 
der  Welt  so  dastehen  und  sich  bewegen , wie  sie  es  tausendmal 
bei  den  Cinquecentisten  thaten?  Müssen  die  menschlichen  Leiden- 
schaften — Liebe,  Muth,  Reue,  Entsagung  — immer  mit  derselben 
Kopfdrehung,  der  gleichen  Erhebung  der  Augenbrauen,  derselben 
Armbewegung,  und  denselben  gefalteten  Händen  ausgedrückt  werden, 
die  ehedem  durch  die  Cinquecentisten  in  Schwung  kamen?  Wo 
sind  in  der  Natur  die  rundlichen  Formen,  die  Rafael,  der  erste 
Classicist,  aus  der  Antike  genommen?  Und  stellen  Leute  sich  in 
kritischen  Momenten  ihres  Lebens  wirklich  in  so  abgewogenen 
Gruppen  auf,  mit  demjenigen,  der  zufällig  die  schönsten  Gewänder 
an  hat,  in  der  Mitte? 

Aus  dieser  Reaction  gegen  das  Cinquecento  und  dessen  seichte 
Nachahmung  erklärt  sich  der  Name  The  Praerafaelit  Brothcrhood 
und  das  geheinmissvolle  Freimaurerzeichen  P R B,  Praerafaelit  Brother, 
das  sie  auf  den  Bildern  ihrem  eigenen  Namen  beisetzten.  Aber 
während  Dyce,  um  den  Cinquecentisten  zu  entgehen,  die  Quattro- 
centisten imitirte,  soll  der  Name  hier  nur  andeuten,  dass  man  vorhatte, 
gleich  den  Quattrocentisten  wieder  auf  die  ursprüngliche  Quelle  des 
realen  Lebens  zurückzugehen.  Die  Akademieschüler  Rossetti,  Millais 
und  Holman  Hunt  nebst  dem  jungen  Bildhauer  Thomas  Woolner, 
der  soeben  die  Schule  verlassen  hatte,  waren  anfangs  die  einzigen 


486 


XXIX.  Der  Realismus  in  England 


Mitglieder  der  Bruderschaft.  Später 
wurden  der  Genremaler  James 
Collinson,  der  Maler  und  Kritiker 
F.  G.  Stephens  und  Rossettis  Bruder 
Michael  William  Rossetti  in  den 
Bund  aufgenommen. 

Muthig  erklärten  sie  allen  con- 
ventioneilen Regeln  den  Krieg,  be- 
zeichneten  sich  als  Anfänger,  ihre 
Bilder  als  Versuche  und  erklärten, 
wenigstens  ehrlich  zu  sein.  Das 
Programm  ihrer  Schule  sei:  Wahr- 
heit; nicht  Nachahmung  der  Alten, 
nein  : haarscharfes  strengstes  Natur- 
studium, wie  jene  selbst  es  geübt 
hätten.  Sie  reagirten  gegen  die  ober- 
flächliche Handfertigkeit  der  Tech- 
nik, die  geistige  Leere  der  schönen  Form,  in  die  das  englische  Historien- 
bild verfallen,  gegen  die  triviale  Banalität,  die  das  englische  Genre  ent- 
stellte. In  der  Schilderung  der  Leidenschaft  seien  die  wahren  Beweg- 
ungen der  Natur  zu  geben,  ohne  Rücksicht  auf  Grazie  und  Eleganz, 
ohne  die  Phraseologie  vorräthiger  Mimik.  Wahr  sein,  nicht  mit  er- 
borgtem Idealismus  anscheinend  Grossartiges,  innerlich  Unwahres 
schaffen,  sei  das  Ziel,  nach  dem  sie  strebten.  Gegenüber  der  saloppen 
Malerei  der  Künstler  ihrer  Zeit  forderten  sie  die  sclavisch  treue 
Nachahmung  des  Modells  in  einer  mit  mikroskopischer  Genauigkeit 
ausgeführten  Detailarbeit.  Nichts  sei  ohne  Verehrung  vor  der  Natur 
zu  thun ; jeder  Theil  des  Bildes,  bis  zum  kleinsten  Grashalm  oder 
Blättchen,  sei  direct  nach  dem  Original  zu  malen.  Bis  in  die 
kleinste  Einzelheit  müsse  jedes  Gemälde,  selbst  auf  Kosten  der  Ge- 
sammtwirkung,  ausgeführt  werden.  Lieber  stammeln,  als  inhaltlose 
Phrasen  machen.  Aus  dieser  Anschauung  allein  könne  eine  junge 
lebenskräftige  Kunst  — wie  einst  im  1 5.  Jahrhundert  — sich  empor- 
ringen. 

In  allen  diesen  Punkten,  in  der  Erhebung  gegen  die  Leerheit 
der  beaute  supreme  wie  gegen  den  Linienschwung  der  überkommenen 
Routinencomposition  decken  sie  sich  mit  Courbet  und  Millet.  Nur 
in  den  weiteren  Folgerungen  gingen  Franzosen  und  Engländer  aus- 
einander: Der  englische  Realismus  bekam  einen  specifisch  englischen 


Holmau  Hunt. 


XXIX.  Der  Realismus  in  England 


487 


Anstrich.  Da  jeder  Classicismus  — 
dahin  führte  weiter  ihr  Gedanken- 
gang — die  ideale  Vollendung  der 
Form,  des  Körperlichen  für  sein 
höchstes  Ziel  erklärt,  so  seien 
die  Bannerträger  des  Realismus  ge- 
zwungen, das  höchste  Ziel  ihrer 
ausschliesslich  auf  dem  Studium  der 
Natur  begründeten  Kunst  in  der 
Schilderung  des  Geisteslebens,  in 
einem  gedankenvollen  Spiritualis- 
mus zu  suchen.  Verschmelzung  von 
Realismus  und  Gedankentiefe,  von 
rücksichtsloser  Naturwahrheit  der 
Form  mit  philosophisch  poetischem 
Inhalt  ist  das  Wesen  der  Prae- 
rafaeliten.  Sie  sind  transcendentale  Naturalisten,  gleich  weit  entfernt 
vom  Classicismus,  der  nur  schöne  Körper  darstellt,  wie  vom  eigent- 
lichen Realismus,  der  ein  Stück  Natur  allein  bieten  will.  Aus  Oppo- 
sition gegen  die  abstracte  schöne  Form  dringen  sie  auf  das  Energ- 
ische, Charakteristische.  Eckige;  die  treu  nach  der  Natur  gemalten 
Gestalten  sind  aber  Träger  eines  metaphysischen  Gedankens.  Von 
Anfang  an  durchtränken  sie  sich  mit  Poesie.  Hunt  schwärmt  für 
Keats  und  die  Bibel,  Rossetti  für  Dante,  Millais  für  die  mittel- 
alterlichen Rittergedichte.  Indem  sie  solche  Stoffe  ganz  naturwahr 
und  mit  grösstmöglicher  geistiger  Concentration  behandelten,  haben 
sic  eine  neue,  von  den  Alten  unabhängige  Malerei  begründet,  und 
der  Kunst  auch  psychische  Ausdrucksqualitäten  zurückgegeben,  die 
ihr  seit  den  Tagen  der  Quattrocentisten  abhanden  gekommen.  Je 
eckiger  die  Formen  der  Gestalten , um  so  intensiver  das  geistige 
Leben,  das  aus  ihren  seelenvollen  Augen  sprüht. 

1849  traten  alle  drei  zum  ersten  Mal  vor  das  Publicum.  John 
Millais  und  Holman  Hunt  stellten  in  der  Royal  Academy  aus,  der 
eine  seine  Isabella,  einen  Stoff  aus  Keats,  der  andere  seinen  Rienzi. 
Rossetti,  der  zu  spät  fertig  geworden,  brachte  sein  Bild  »Jugend  der 
Maria«  bei  einem  Kunsthändler  zur  Ausstellung.  Alle  drei  Werke 
erregten  Aufmerksamkeit,  Kopfschütteln,  Spott.  Dasselbe  Lachen 
empfing  ihre  drei  nächsten  Arbeiten  1850,  die  »Christlichen  Missio- 
näre in  der  Bretagne«  von  Holman  Hunt,  die  Zimmermannswerk- 


488 


XXIX.  Der  Realismus  in  England 


Holwan  Hunl:  Rien\i. 


Stätte  von  Millais  und  die  Verkündigung  von  Rossetti.  Als  sie  das 
dritte  Mal  ausstellten  — Hunt  eine  Scene  aus  Shakespeares  beiden 
Edelleuten  von  Verona«,  Millais  die  Rückkehr  der  Taube  zur  Arche 
und  des  Waldmanns  Tochter  — brach  solche  Erregung  aus,  dass 
die  Bilder  aus  der  Ausstellung  entfernt  werden  mussten.  Das  Art- 
Journal  brachte  einen  wuthschnaubenden  Artikel:  die  Aussteller  seien 
zwar  jung,  doch  zu  alt,  um  solche  Jugendsünden  zu  begehen.  Selbst 
Dickens  wendete  sich  in  den  »Household  Words«  gegen  sie.  Die 
Angegriffenen  antworteten.  Michael  William  Rossetti  legte  in  einem 
Aufsatz  der  Zeitschrift  The  Critic  die  Principien  der  Bruderschaft 
dar  und  schmuggelte  einen  zweiten  Artikel  in  den  »Spectator«  ein. 
Sie  gründeten  zur  Vertheidigung  ihrer  Theorien  1850  eine  Monats- 
schrift »The  Germ«,  die  bei  der  dritten  Nummer  den  Titel  »Art 
and  Poetry«  annahm  und  sehr  hübsch  mit  Zeichnungen  Madox 
Browns,  Hunts  u.  A.  geziert  war.  Stevens  veröffentlichte  darin  einen 
Essay  »Wege  und  Ziele  der  primitiven  Italiener«,  der  ihm  Anlass 
gab,  zugleich  die  neuen,  im  Sinne  der  Einfachheit  dieser  Alten  ent- 
standenen Werke  zu  besprechen.  Brown  schrieb  einen  Aufsatz  über 


XXIX.  Der  Realismus  in  England 


489 


Holm  an  Hunt:  Verfolgung  christlicher  Missionäre  durch  Druiden 


»Geschichtsmalerei«,  worin  er  engen  Anschluss  an  das  Modell  unter 
Vermeidung  jeder  Verallgemeinerung  und  Verschönerung,  archi- 
valisch  genaues  Studium  der  Costüme  und  Geräthe  im  Gegen- 
satz zur  Phantasiehistorie  der  Aeltern  als  Grundlage  für  das  Ge- 
schichtsbild forderte.  Alle  diese  Arbeiten  waren  umsonst  geschrieben. 
Schon  nach  der  vieren  Nummer  ging  das  Blatt  ein  und  ist  heute 
eine  Curiosität  für  Bibliophilen  geworden.  Da  kam  Unterstützung 
von  einer  anderen  Seite.  Holman  Hunts  Scene  aus  Shakespeares 
zwei  Veronesern  war  in  den  Times  auf’s  Schärfste  verurtheilt  worden. 
John  Ruskin  trat  als  Vertheidiger  auf  und  Hess  am  13.  Mai  1851 
eine  Entgegnung  erscheinen.  Am  30.  Mai  brachten  die  Times  einen 
zweiten  Artikel  von  ihm.  Beide  erschienen  bald  darauf  als  Bro- 
schüre unter  dem  Titel  »Prerafaelitism,  its  principles,  and  Turner.« 
Nicht  alte  Bilder,  sondern  die  Natur  ahmten  diese  Werke  nach; 
das  was  befremde  daran,  sei  ihre  Richtigkeit  und  Wahrheit,  die 
mit  dem  conventionellen  Linienschwung  schroff  und  erfolgreich  ge- 
brochen. Die  jungen  Leute  hätten  lediglich  das  Programm  verwirk- 


490 


XXIX.  Der  Realismus  im  Englamd 


licht,  das  er  — Ruskin  — schon  in  seinen  Modern  Painters  auf- 
gestellt. Damit  kam  die  Bewegung  in  Fluss.  Ruskin  ward  das  Haupt 
der  jungen  Schule,  ihr  fleischgewordener  Gedanke. 

Sein  erstes  Princip  ist,  wie  das  Courbets,  die  »wahre  Wahrheit«. 
Diese  sei  aber  — darin  trennt  er  sich  vom  Franzosen  — nicht  durch 
grosse  breite  Mache,  nur  durch  minutiöse  Genauigkeit  in  der  Wieder- 
gabe alles  charakteristischen  Details  zu  erzielen.  Jede  Art  Terrain, 
l eisen  und  Wolken  müsse  der  Maler  mit  der  Exaktheit  des  Geo- 
logen und  Mineralogen  studiren.  Wenn  Salvator  z.  B.  in  seinen 
Vordergründen  eine  Masse  anbringt,  von  der  ich  nicht  sagen  kann, 
ob  es  Granit,  Schiefer  oder  Tuffstein  ist,  so  halte  ich  das  für  eine 
Nachlässigkeit.  Tizian  hatte  die  botanische  Treue.  Auf  seinem  Bilde 
des  Bacchus  mit  der  Ariadne  sehe  ich  Iris  communis,  Aquilegia  und 
Capparis  spinosa.  Der  Vordergrund  ist  mit  jener  Art  Seegewächs 
bedeckt,  das  Cramba  maritima  genannt  wird«.  Bei  aller  Bedeutung, 
die  solcher  Naturtreue  inne  wohnt,  darf  sie  jedoch  nie  das  höchste 
Ziel  des  Malers  bilden.  So  wenig  ein  Brief  gefällt,  an  dem  das  Par- 
füm und  die  Schrift  allein  schön  ist,  nicht  der  Inhalt  zugleich  und 
die  Intention,  so  wenig  ist  eine  Malerei  lobenswerth,  die  nichts 
beabsichtigt,  als  dem  Auge  ein  sinnlich  angenehmes  Gefühl  zu  be- 
reiten. Dieser  Mangel  sei  den  Erzeugnissen  des  römischen  Cinque- 
cento in  besonderem  Grade  eigenthümlich.  Rafael  sei  der  erste  Ab- 
trünnige der  religiösen  Kunst,  die  seine  Vorläufer  noch  in  ihrer 
ganzen  Majestät  begriffen,  er  sei  der  Apostel  der  Routine,  die  den 
Begriff  Kunst  mit  Pose  und  schönem  Theaterspiel  verwechsle.  Diesen 
Satz  zu  belegen,  beschreibt  Ruskin  mit  hoher  Phantasie  die  Erschein- 
ung Jesu,  wie  er  auf  dem  Meere  einherging,  und  setzt  seiner  eigenen 
poetischen  Vision  den  Carton  Rafaels  gegenüber.  Man  beachte  die 
hübsch  frisirten  Haare  und  sorgsam  gebundenen  Sandalen  dieser 
Männer,  die  doch  die  ganze  Nacht  auf  dem  Wasser  sich  aufhielten  und 
dort  mit  den  Nebeln,  den  entfesselten  Wogen  des  Meeres  kämpften. 
Man  beachte  ihre  für  den  Fischfang  unbequemen  Costiime,  diese 
Mäntel,  die  einen  Fuss  lang  nachschleppcn,  diesen  Petrus,  der  so  ein- 
gewickelt ist  in  Franzen  und  Falten,  dass  er  kaum  niederknieen  kann, 
um  die  Schlüssel  von  Christus  zu  empfangen,  man  sehe  die  unwahre 
Composition  der  Apostel,  die  nicht,  wie  es  die  Situation  verlangt, 
sich  in  einem  Knäuel  um  Christus  schaaren,  sondern  parademässig 
in  einer  Linie  aufgestellt  sind,  um  nur  ja  gesehen  zu  werden  und 
den  Eindruck  des  griechischen  Basrelief  nicht  zu  stören.  Dazu  im 


XXIX.  Der  Realismus  in  England 


491 


Holman  Hunt:  Die  beiden  Veroneser. 

Hintergrund  — obwohl  die  Scene  sich  in  Palästina  abspielt  — eine 
schöne  italienische  Landschaft  mit  Renaissancevillen  und  Kirchen. 
Wir  fühlen,  wie  unser  Glaube  an  das  Ereigniss  mit  einem  Male  er- 
lischt, nichts  bleibt  davon,  als  ein  Ragout  von  Mänteln,  ein  Firlefanz 
von  muskulösen  Armen  und  wohl  frisirten  griechischen  Büsten.  Durch 
Rafaels  leere  Eleganz  ward  Alles  verdorben,  was  an  der  Legende  Zartes 
und  Ernstes,  Grandioses  und  Heiliges  ist.  Er  hat  aus  der  duftigen 
biblischen  Dichtung  ein  leeres  Arrangement  schöner,  schön  gebauter, 
schön  gestellter,  schön  drapirter,  schön  gruppirter  Menschen  gemacht.« 
In  Wahrheit  hätten  Christus  und  Petrus,  Moses  und  Elias,  David  und 
Paulus,  überhaupt  noch  keine  Verkörperung  in  der  Malerei  gefunden, 
denn  die  Gestalten  der  Cinquecentisten  und  ihrer  Nachahmer  könnten 
ebensogut  griechische  Jünglinge  oder  antike  Zeusköpfe  vorstellen. 
Paulus  war  in  Wirklichkeit  ein  hässlicher  kleiner  Jude,  hier  steht  ein 
Herkules  da,  der  nachdenklich  die  Hand  auf  das  Schwert  eines  Eroberers 
stützt.  Ein  Kinderspiel,  mit  Geschick  diese  traditionellen  Typen  stets 
von  Neuem  zu  wiederholen.  Der  Charakter  des  Göttlichen  aber 
sei  nicht  durch  solchen  Pomp,  durch  ideale  Schönheit,  heidnischen 


492 


XXIX.  Der  Realismus  in  England 


Schwung  der  Linien  und  reiche  Draperien  zu  erzielen.  Auch  bei 
solchen  Darstellungen  sei  strenge  Naturwahrheit  mit  Ausschluss 
alles  ldcalisircns  geboten.  Ist  Joseph  oder  Maria  zu  malen,  so 
studire  man  in  der  Bibel  genau  ihre  Charaktere  und  suche  dann, 
bis  ein  Modell  gefunden,  das  möglichst  diesem  Charakter  ent- 
spricht; ist  dieses  aber  entdeckt,  so  ist  jede  Modificirung  und 
Verallgemeinerung  des  von  der  Natur  Gegebenen  zu  meiden. 
Wir  fassen  die  Gestalten  der  Religion  heute  tiefer,  geistiger,  myst- 
ischer, als  irgend  eine  frühere  Zeit  es  gethan.  Dieses  vertiefte, 
modern  mystische  Element  muss  auch  zum  Ausdruck  kommen  im 
Kunstwerk. 

Damit  berührt  Ruskin  den  dritten  Punkt.  Er  protestirt  im 
Namen  der  jungen  Schule  nicht  nur  gegen  die  eingerosteten  akadem- 
ischen Gewohnheiten,  gegen  die  Theaterpose  und  sklavische  Nach- 
ahmung der  Cinquecentisten.  Die  plastische  Epoche  der  Malerei, 
lehrt  er,  sei  überhaupt  vorüber.  Der  herrschende  Charakter  ist  nicht 
mehr  der  Ephebc,  der  im  Gymnasium  die  Geschmeidigkeit  seines 
Körpers  übt,  sondern  der  Mann  im  schwarzen  Anzug,  der  allein  in 
seinem  Zimmer  arbeitet.  Deshalb  könne  auch  Kraft  und  Schönheit 
des  Körpers  nicht  mehr  oberstes  Object  der  Kunst  sein;  in  einer 
ganz  intellectuellen  Epoche  müsse  die  Malerei  ebenfalls  folgen  und 
an  Stelle  der  reinen  Form  den  geistigen  Ausdruck  zum  Gegenstand 
ihres  wichtigsten  Studiums  machen : nicht  nur  die  grossen,  starken, 
herrschsüchtigen  Gefühle,  die  gebietend  in  den  Vordergrund  treten 
und  von  den  Historienmalern  theatralisch  äusserlich  commentirt 
wurden,  auch  die  kleinen,  feinen,  die  verschwiegen  ein  halbes 
Traumleben  führen,  leise  in  innerster  Seele  zittern  und  manchmal 
wie  ein  schwacher  Blitz  hervorleuchten,  dünn  und  blass  und  im 
Nebel  zerfliessend,  ehe  sie  noch  feste  Gestalt  gewonnen.  Religiös 
mystisch  und  voller  Gedanken  — dabei  im  höchsten  Grade  natur- 
wahr — müsse  die  Kunst  der  neuen  Zeit  sein,  und  darin,  dass  die 
jungen  Gründer  der  Praerafaelitenbruderschaft  dies  zuerst  erkannt, 
beruhe  ihre  bahnbrechende  Bedeutung. 

Holman  Hunt  ist  unter  ihnen  derjenige,  der  an  diesen  ursprüng- 
lichen Principien  der  Bruderschaft  Zeitlebens  am  consequentesten 
festhielt.  Tiefe  des  Gedankens  bis  zur  gänzlichen  Unfindbarkeit  des- 
selben zeichnet  ihn  aus,  oft  eine  Tiefe  des  Geistes,  in  die  kein  Taucher 
kommt,  zugleich  aber  ein  eckig  knorriger  Realismus,  der  in  der  ganzen 
europäischen  Kunst  des  Jahrhunderts  kaum  seines  Gleichen  hat. 


XXIX.  Df.r  Realismus  in  England 


493 


Die  »Flucht  Magdalenas« 
nach  Keats’  »Eve  of  St.  Ag- 
nes« war  das  erste  Bild,  des- 
sen Stoff  er  1848  diesem 
seinem  Lieblingsdichter  ent- 
nahm. In  dem  Werk,  auf  dem 
er  sich  erstmals  als  Mitglied 
derPraerafaelitenbruderschaft 
bekannte,  hatte  er  schlicht 
und  treuherzig  die  Scene  aus 
dem  Einleitungskapitel  von 
Bulwers  Rienzi  erzählt:  Wie 
Rienzi  an  der  Leiche  seines 
Bruders  knieend  dem  hin- 
wegreitenden Mörder  Rache 
schwört.  Die  Composition 
vermeidet  alle  herkömmliche 
Pyramidalconstruction.  Im 
Vordergrund  ist  jedes  Blüm- 
chen gemalt  und  coloristisch 
ehrlich  jede  Farbe  ohne  tra- 
ditionelle Abtönung  neben  die 
andere  gesetzt.  Sein  drittes 
Bild  »die  Verfolgung  christ- 
licher Missionäre  durch  Dru- 
iden«, gehört  nicht  zu  sei- 
nen glücklichen  Leistungen. 

Es  ist  erzwungene  altmeister- 
liche Naivetät,  zwei  ganz  ver-  Holmau  Hunt:  Christus  als  Licht  der  Welt. 
schiedene  Scenen  auf  einer 

Leinwand  zu  vereinen:  im  Hintergrund,  bloss  durch  die  ausgestreckten 
Arme  sichtbar,  ein  Druide,  der  das  Volk  zur  Ermordung  der  Missionäre 
aufwiegelt,  Verfolger  und  Flüchtende;  im  Vordergrund  eine  nach 
allen  Seiten  offene,  in  Wahrheit  gar  keinen  Schutz  gewährende 
Hütte,  in  der  sich  trotzdem  Priester  verborgen  halten  und  von  den 
bekehrten  Druiden  gepflegt  werden.  Nur  die  Zeichnung  der  nackten 
Körper  ist  ein  bewundernswerthes  Stück  Realismus,  bewunderns- 
werth  auch,  wie  er  die  Angst  der  Geflüchteten,  die  fanatische  Blut- 
gier der  Verfolger  ohne  alles  falsche  Pathos,  ohne  jede  Rhetorik  einer 


494 


XXIX.  Der  Realismus  in  England 


herkömmlichen  Geberdensprache 
zum  Ausdruck  brachte.  Das  Bild 
aus  Shakespeares  beiden  Veronesern: 
»Death  is  a fearful  thing  and  shamed 
life  a hateful«  ist  im  Arrangement 
vielleicht  theatermässig  geblieben, 
im  psychologischen  Ausdruck  aber 
gleichfalls  überzeugend  und  ernst. 

Die  mikroskopische  Naturwahr- 
heit, die  den  ersten  Paragraphen 
im  Programm  der  Bruderschaft 
bildete,  ist  bei  Hunt  auf  die  aller- 
höchste Spitze  getrieben.  Jede 
Blume  und  jede  Aehre,  jede  Feder 
und  jedes  Hähnchen,  jedes  Baum- 
rindenstück und  jede  Muskel  ist 
mit  scrupulöser  Genauigkeit  gemalt.  Auf  ihn  bezieht  sich  der  Witz, 
den  man  von  den  Praeraphaeliten  erzählte:  wenn  sie  eine  Landschaft 
zu  malen  hätten,  pflegten  sie  einen  Grashalm,  ein  Blatt  und  ein 
Stück  Baumrinde  mit  in’s  Atelier  zu  nehmen  und  diese  so  viel  tau- 
sendmal mikroskopisch  zu  vervielfältigen,  bis  die  Landschaft  fertig. 
Seine  Werke  sind  der  Triumph  des  Fleisses  und  gerade  deshalb  kein 
Genuss  für  das  Auge.  Die  pedantisch  kleinliche  Naturwahrheit  schadet 
der  Wirkung  des  Ganzen,  und  die  harten  Farben,  scharfes  Grün, 
lebhaftes  Gelb,  grelles  Blau,  glühendes  Roth,  die  Hunt  unvermittelt 
nebeneinandersetzt,  geben  seinen  Bildern  etwas  Zerrissenes,  Barbar- 
isches, Brüskes.  Doch  als  Reaction  gegen  eine  manierirt  gewordene 
Routinenmalerei  war  eine  solche  Wahrheit  ohne  jedes  Compromiss, 
solch  peinliches  Streben  nach  möglichster  Naturtreue  gerade  in  seiner 
Schroffheit  von  epochemachender  Bedeutung. 

Auch  hinsichtlich  des  transcendentalen  Inhalts  seiner  Bilder 
ist  Hunt  vielleicht  der  echteste  der  Gruppe.  In  der  ganzen 
Kunstgeschichte  gibt  cs  keine  religiösen  Bilder,  in  denen  rücksichts- 
losester Naturalismus  mit  pictistischer  Gedankentiefe  einen  so  merk- 
würdigen Bund  geschlossen.  Das  erste,  das  er  auf  die  Ausstellung 
1854  schickte,  das  Licht  der  Welt  , stellte  Christus  dar,  wie  er 
in  goldgesticktem  Mantel,  eine  Laterne  in  der  Hand,  durch  die 
Nacht  wandelt,  wie  ein  göttlicher  Diogenes,  der  Menschen  sucht, 
während  der  Mond  die  Gloriole  hinter  seinem  Haupte  bildet.  Taine, 


XXIX.  Df.r  Realismus  in  England 


495 


Matlox  Brown:  Lcurs  Huch. 


der  das  Bild  unbefangen  ohne  Katalog  betrachtete,  beschreibt  es  ohne 
weiteren  Zusatz  als  »Christus,  Nachts  mit  einer  Laterne«.  Für  Hunt 
ist  der  Inhalt  das  Christenthum , das  mit  seinen  Strahlen  das  Uni- 
versum erleuchtet,  das  mystische  Licht  des  Glaubens,  das  die  Finster- 
niss des  Unglaubens  durchbricht.  Und  wegen  dieses  hineingelegten 
Sinnes  machte  das  Werk  in  England  unbeschreibliches  Aufsehen,  musste 
wandern  von  Stadt  zu  Stadt  und  ward  im  Kupferstich  in  Hundert- 
tausenden von  Exemplaren  verkauft.  Der  Pietismus  dieses  asketischen 
Praedicanten  war  so  kräftig,  dass  er  selbst  Bilder  wie  1856  den 
Sündenbock  wagen  konnte,  ohne  der  Komik  zu  verfallen.  Dieser 
Sündenbock,  der  mit  den  Verbrechen  einer  Nation  beladen  inmitten 
der  Miasmen  des  schwarzen  Meeres  elend  zu  Grunde  geht,  ist  ein 
ganz  gewöhnlicher  weisser  Bock,  jedes  Härchen  seines  Felles  ist  mit 
unglaublicher,  an  Wahnsinn  streifender  Geduld  gemalt,  und  doch  liegt 
in  dem  phosphorescirenden  Auge  etwas  Transscendentales,  Ueber- 
irdisches,  wodurch  man  verhindert  wird,  zu  lachen.  Eine  merk- 
würdige, tief  stimmungsvolle  violette  Landschaft  bildet  den  Hinter- 
grund. Um  den  Kopf  ballt  sich  die  hochrothe  Gluth  der  orien- 
talischen Sonne  zu  einem  mystischen  Nimbus  zusammen.  Rings- 
um tiefe  Stille  und  Einsamkeit,  nur  durch  das  klagende  Blöcken 


496 


XXIX.  Der  Realismus  in  England 


des  unheimlichen  Thieres  durchbrochen.  Das  Streben  nach  grösst- 
möglicher  Localwahrheit  hatte  Hunt,  als  er  diese  biblischen  Bilder 
begann,  nach  dem  Orient  geführt.  Er  verbrachte  mehrere  Jahre  in 
Palästina,  um  die  Bodenverhältnisse,  die  Bauten,  das  Volk  zu  studiren, 
und  bemühte  sich  dann  mit  Hülfe  dieser  Menschen  und  landschaft- 
lichen Scenerien,  die  biblischen  Vorgänge  zugleich  mit  archivalischer 
Treue  zu  reconstruiren.  Er  kennt  das  Menu  des  von  den  Engeln 
Christo  in  der  Wüste  servirten  Mahles  und  stellt  die  Werkzeuge 
bei  der  Geisselung  mittels  authenticirter  Reliquien  fest.  Er  beschreibt 
den  Apostel  Paulus,  als  hätte  er  ihn  selbst  gesehen:  Paulus  war 
klein,  etwas  krumm,  kahl,  von  gewinnender  Miene,  breiter  Juden- 
nase, langem  graulichen  Bart;  bei  der  Hinrichtung  war  sein  Kopf 
von  einem  durchsichtigen  Schleier  umwunden ; als  Binde  der  Augen 
diente  die  toca,  die  ihm  Plautilla  verehrte.  Diese  Forderung  geschicht- 
licher Treue  war  an  sich  nichts  Neues.  Schon  Horace  Vernet  und 
seine  Nachfolger  hatten  sie  verlangt,  aber  Hunts  überzeugter  Pietis- 
mus erhebt  sich  hoch  über  die  trocken  verstandesmässige , lediglich 
ethnographische  Art  des  Franzosen.  Um  das  Bild  »der  Schatten 
des  Todes«  zu  malen,  hat  Hunt  genau  das  von  Ruskin  aufgestellte 
Programm  befolgt.  Er  suchte  im  Orient  so  lange,  bis  er  einen 
Juden  fand,  der  seiner  Vorstellung  von  Christus  entsprach,  und  malte 
ihn,  einen  starken,  kräftigen  Menschen,  den  echten  Zimmermanns- 
sohn, mit  derselben  erstaunlichen  Naturtreue  ab,  mit  der  Hubert 
van  Eyck  einst  seinen  Adam  malte.  Selbst  die  Haare  an  der  Brust 
und  den  Beinen  sind  ohne  hässliche  Uebertreibung  so  getreu  wieder- 
gegeben, als  sähe  man  das  Modell  im  Spiegel.  In  der  Nähe  dieses 
nackten,  nur  mit  einem  Schurzfell  bekleideten  Zimmermanns  kniet 
eine  moderne  Orientalin,  über  eine  Truhe  gebeugt,  in  der  ver- 
schiedene orientalische  Geräthe  liegen.  Hobelspähne  bedecken  den 
Boden.  Bis  hieher  also  ein  naturalistisches  Bild  aus  dem  modernen 
Orient.  Nun  aber  setzt  Hunts  Pietismus  ein:  Feierabend  ist’s , die 
Sonne  wirft  die  letzten  ersterbenden  Strahlen  in  die  Stube,  der 
Zimmermannsgesell  streckt  müde  die  Arme  aus,  und  der  Schatten 
seines  Körpers  zeichnet  auf  die  Wand  die  prophetische  Figur  des 
Kreuzes.  Ein  anderes  Bild  stellte  »die  Auffindung  unseres  Herrn 
im  Tempel«,  ein  drittes,  die  verirrte  Heerde  dar,  die  vertrauensvoll 
dem  guten  Hirten  ins  Haus  seines  Vaters  folgt.  Ueber  seine  Flucht 
nach  Aegypten  oder,  wie  er  selbst  das  Bild  nannte,  den  »Triumph 
der  unschuldigen  Kindlein«  gab  er  selbst  eine  Broschüre  von  zwölf 


XXIX.  Der  Realismus  in  England 


497 


Seiten  heraus,  worin 
er  mit  der  Treue  des 
Historikers,  fast  mit 
der  Waschzettelmanie 
des  Goetheforschers, 
über  alle  dazu  gehör- 
igen geschichtlichen 
Thatsachen  spricht:  in 
welchem  Monat  und 
auf  welchem  Wege  die 
Flucht  erfolgte,  wie  alt 
Christus  war,  welcher 
Race  der  Esel  ange- 
hörte, was  für  Kleider 
der  heilige  Joseph  und 
Maria  trug.  Einen  wis- 
senschaftlichen Gom- 
mentar  zur  Bibel  wollte 
er  geben  und  trotz  aller 
archivalischen  Stu- 
dien, die  mehr  wie  todt- 
geborene  Grillen  eines 
Pedanten  wirken,  ward 
das  Ganze  schliesslich 
ein  Werk  von  unver- 

welklicher  Frische.  Die  liebenswürdig  kindlichen  Madonnen  der 
Italiener  sind  nach  Hunts  Auffassung  heterodox,  »weil  Maria  seit  ihrer 
Empfängniss  Vernunft,  Willensfreiheit,  Contemplation , eingegossene 
natürliche  und  übernatürliche  Wissenschaft  bcsass.«  Seine  Maria  ist 
also  nicht  die  Jungfrau  Maria,  die  Gottesmagd,  das  sinnig  träumer- 
ische Mädchen  Peruginos,  sic  ist  ein  reifes  ernstes  Weib,  das  die 
Verantwortlichkeit  ihres  Amtes  empfindet,  keiner  der  herkömmlichen 
Typen,  doch  so  hoheitsvoll,  dass  man  glaubt  an  die  göttliche  Mission, 
zu  der  das  Geschick  sie  bestimmte.  Selbst  das  Christkind  hat  nichts 
vergilbt  Gelehrtes,  altmeisterlich  Nachempfundenes,  cs  ist  ein  paus- 
backiger gesunder  Junge.  Dick  und  fett,  echte  englische  Kinder,  die  von 
blutigem  Roastbeef  leben,  sind  auch  die  kleinen  unschuldigen  Kindlein, 
die  Geister  jener  Erstgeborenen,  die  als  früheste  Märtyrer  des  Christen- 
thums für  den  Heiland  starben  und  nun  als  wegweisende  Engelein 


Madox  Brown : Romeo  und  Julie. 


Mutlur,  Moderne  Malerei  II. 


32 


498 


XXIX.  Df.r  Realismus  in  England 


um  die  heilige  Familie  spielen.  Nur  Wenige  sind  im  19.  Jahrhundert 
solchen  Aufgaben  selbstständiger  entgegengetreten.  Keiner  hat  rück- 
sichtsloses, bis  in  die  weiteste  Consequenz  getriebenes  Naturstudium 
mit  so  überzeugender  ethischer  Wahrheit  vereint.  Hunt  gab  der 
vordem  kleinlichen  englischen  Kunst  einen  ernsten,  tiefen  religiösen 
Charakter.  Das  erklärt  den  gewaltigen  Eindruck,  den  er  auf  seine 
Zeitgenossen  machte. 

Ihm  technisch  am  meisten  verwandt  ist  Madox  Brown,  der  sich 
officiell  zwar  nicht  den  Praerafaelitcn  beirechnete,  hinsichtlich  der 
Detailbehandlung  aber  dieselben  Grundsätze  befolgte.  Nur  wenig 
älter  als  die  Begründer  der  Bruderschaft  — er  zählte  damals  29 
Jahre  — war  er  ihr  reiferer  Freund  und  Vorläufer.  Rossetti 
täuschte  sich  nicht,  als  er  im  Beginne  seiner  Studien  gerade  an  ihn 
sich  wandte : Brown  war  in  jenen  Jahren  der  einzige  englische 
Maler,  der  sich  nicht  mit  den  Trivialitäten  des  kleinen  Genre,  dem 
Theaterpathos  der  herkömmlichen  Historie  abgab.  Er  ist  ein  kühner, 
mit  dramatischer  Kraft  begabter,  zu  ganz  ungewöhnlicher  C011- 
centration  veranlagter  Künstler,  und  diese  Eigenschaften  verhinderten 
ihn  auch,  der  Lehre  der  Praeraphaeliten  bis  in  alle  Consequenzen 
zu  folgen.  Hätte  er  nach  deren  Programm  sich  ausschliesslich  auf 
die  Arbeit  nach  dem  lebenden  Modell  beschränkt,  so  wären  ver- 
schiedene seiner  mächtigsten , ergreifendsten  Bilder  ungemalt  ge- 
blieben. Was  er  anstrebte,  war  durch  Beobachtung  allein  nicht  zu 
gewinnen,  das  stürmte  tief  aus  dem  Herzen  hervor,  einem  Herzen, 
das  selbst  sinnlich  glühte  und  flammte  und  sprühte. 

Madox  Browns  Jugend  verfloss  auf  dem  Continent  — in  Ant- 
werpen bei  Wappers,  in  Paris  und  Rom.  Die  Bilder,  die  er  dort 
im  Beginne  der  40er  Jahre  malte,  standen  technisch  noch  unter 
Wappers’  Einfluss.  Die  Stoffe  waren  Byron  entnommen : der  Schlaf 
Parisinas  und  Manfred  auf  der  Jungfrau.  Nur  im  zweiten  ist  schon 
ein  selbständiges  Vorgehen  ersichtlich.  Er  strebte  — im  Gegensatz 
zu  den  Allgemeinheiten  der  Wappers-Schule  — nach  Vertiefung 
des  Psychologischen  und  Exactheit  des  Costümes,  bemühte  sich 
zugleich,  obwohl  erfolglos,  an  Stelle  der  conventioneilen  Atelier- 
beleuchtung die  genau  beobachtete  Wirkung  des  Freilichts  zu  setzen. 
Diese  drei  Dinge  — Echtheit  der  Farbe,  des  geistigen  Ausdruckes  und 
historischen  Charakters  — blieben  fortan  seine  Hauptsorge.  Und  als 
sein  Carton  Harold,  den  er  1844  in  Paris  gemalt,  in  Westminster- 
Hall  zur  Ausstellung  kam,  war  es  hauptsächlich  dieses  skrupulöse 


XXIX.  Der  Realismus  in  England 


499 


Suchen  nach  Wahrheit,  was  auf 
diejüngeren  einen  so  lebhaften  Ein- 
druck machte.  In  dem  ersten 
Hauptwerk,  das  er,  nach  London 
zurückgekehrt,  1848  malte,  steht  er 
schon  in  ganzer  schroffer  Eigenart 
da.  Die  tragischste  Stelle  in  dem 
tragischsten  der  grossen  Dramen 
Shakespeares,  Lcars  Fluch,  ist 
darin  mit  zwingender  Wucht  be- 
handelt. Das  war  eine  Opposition 
gegen  die  herkömmliche  Historien- 
malerei, so  schroff,  dass  vielleicht 
niemals  in  schärferer  Weise  gegen 
das  allgemein  Gültige  opponirt  ward. 

Die  Figuren  stehen  bunt  und  steif 
wie  Kartenkönige  da,  ohne  Linienschwung  und  allgemeine  rundliche 
Schönheit.  Ebenso  zusammenhangslos  ist  die  Farbe.  Die  braune 
Sauce,  der  sich  Alle  bisher  wie  einer  zwingenden  Gesellschaftsnorm 
beugten,  ist  der  hellen  Farbenfreudigkeit  und  halbbarbarischen  Bunt- 
heit alter  Miniaturen  gewichen.  Erst  wenn  man  die  geistreichen 
Details  verfolgt,  die  nur  dem  grossen  psychologischen  Effekt  dienen, 
wächst  das  äusserlich  abstossende  Bild  zu  einem  gewaltigen  Kunst- 
werk empor,  einem  Werk  von  tiefer  menschlicher  Wahrheit.  Nichts 
ist  der  Pose,  dem  schönen  Schein,  der  Theateraffectirtheit  geopfert. 
Gleich  den  deutschen  Meistern  des  15.  Jahrhunderts  schwächt 
Brown  das  Hässliche  nicht  ab,  auch  Holbein  that  es  nicht,  als  er 
die  aussätzigen  Bettler  seines  Sebastiansaltars  malte.  Jede  Gestalt, 
ob  hässlich  ob  schön,  in  Haltung,  Gesichtsausdruck,  Bewegung  ist 
ein  Charakter  von  starrer,  strammer  Härte,  von  jener  concentrirten 
Lebensfülle,  die  in  die  holzgeschnitzten  Altarfiguren  des  Mittelalters 
geschnürt  ist:  der  alte  Lear  mit  seinem  verwitterten  Gesicht  und 
wogenden  Bart,  die  neidische  Regan,  die  kaltgrausame,  ehrgeizige 
Goneril,  Alban  mit  seinem  schönen  nichtssagenden  Männerkopf, 
der  dicke  brutale  Cornwall;  Burgund,  der  unentschlossen  an  den 
Nägeln  beisst,  und  Cordelia  in  ihrer  rührenden  linkischen  Grazie. 
Mit  dieser  eckigen  Unbefangenheit  des  Primitiven  verbindet  er  die 
tiefe  Gelehrsamkeit  des  modernen  Historikers.  Alle  archaeologischen 
Details,  die  altbritischen  Costüme,  Kleinode,  Frisuren,  Waffen,  Möbel 


John  Everelt  Millais. 


500 


XXIX.  Der  Realismus  in  England 


Millais:  Loren^o  und  Isabella. 


und  Teppiche  sind  mit  Menzel'scher  Genauigkeit  studirt.  Akademische 
Compositionsregeln  kennt  er  nicht,  die  Gewänder  fallen  natürlich, 
ohne  kleinliche  Zugaben  schöner  Falten  und  hübscher  Motive.  Ganz 
staunenswerth  ist  auch  die  Macht  des  Ausdrucks,  das  ernste  tiefe 
Pathos,  das  er  in  Gesten  und  Physiognomien  erreichte. 

Brown  ist  ein  rücksichtsloses,  kühnes  Talent  von  südlicher 
Gluth  und  wilder  Romantik,  in  die  Familie  der  mächtig  kraftvollen 
Realisten  gehörig,  der  in  Frankreich  Delacroix,  in  Deutschland 
Victor  Müller  entstammte.  Auch  das  Bild,  in  dem  er  die  Balkon- 
scene aus  Shakespeares  Romeo  behandelte,  ist  gleich  dem  vorigen 
äusscrlich  abstossend,  aber  wie  hohl  wirkt  das  Theaterpathos  Makarts 
neben  dieser  urkräftigen  Sinnlichkeit,  dieser  Intensität  des  Ausdrucks. 
Julias  Kleid  ist  niedergesunken,  willenlos,  ohne  zu  denken,  mit  ge- 
schlossenen Augen,  halbnackt,  nervös  vibrirend  im  Nachgenuss  der 
vergangenen  Stunden , überlässt  sie  sich  den  letzten  feurigen  Um- 
armungen Romeos,  der  schon  in  stürmischer  Hast  mit  dem  Fusse 
die  Strickleiter  sucht.  Ein  noch  schwereres  Problem  hat  er  in  dem 
Bilde  »Elias  und  die  Wittwe«  gelöst. 


XXIX.  Df.r  Realismus  in  England 


501 


Millais:  Christus  im  Hause  seiner  Ellern. 


»Schaue,  dein  Sohn  lebt,  heissen  die  Worte  der  Bibel,  mit 
denen  der  greise  Eiiah  den  vom  Tode  erweckten , noch  in  seine 
Leichentücher  gehüllten  Knaben  zu  der  verzweiflungsvoll  am  Fusse 
der  Grabkammer  knieenden  Mutter  hinabträgt.  Die  Frau  antwortet: 
jetzt  erkenne  ich,  dass  du  wirklich  ein  Mann  Gottes  bist.«  Auch  bei 
der  Verkörperung  dieser  Scene  hat  Brown  in  Costüm  und  Beiwerk 
die  volle  Uebereinstimmung  der  Figuren  mit  dem  Charakter  der 
Epoche  angestrebt,  von  ganz  genauem  Studium  der  assyrischen  und 
ägyptischen  Monumente  den  Ausgangspunkt  genommen.  Selbst  die 
Inschriften  an  der  Wand  und  die  ägyptischen  Alterthümer  ent- 
sprechen alten  Originalen.  Zugleich  aber  ist  den  Gestalten  selbst 
der  Odem  neuen  Lebens  gegeben.  Elias  sieht  aus  wie  ein  wilder 
Urmensch,  nicht  wie  ein  Heiliger  des  Cinquecento.  Die  Ekstase  der 
Mutter,  das  Erstaunen  des  Kindes,  dessen  grosse  noch  des  Lichtes 
ungewohnte  Augen  traumhaft  suchend  wieder  in  die  Welt  blicken, 
nachdem  sie  die  Mysterien  des  Todes  gesehen  — das  ist  mit 
erstaunlicher  Gewalt,  einer  Feinfühligkeit  für  Ausdrucksnuancen  ge- 
schildert, die  bisher  jeder  Wiedergabe  zu  spotten  schienen.  Die  derbe, 
aber  schlagende  Seelenmalerei  Hogarths  hat  das  hohl  pathetische 
Schönheitsideal  der  älteren  Historienmalerei  verdrängt.  Die  Beob- 
achtung der  äusserlichen  Wahrheit,  aller  Details  von  Zeit  und  Ort, 


)02 


XXIX.  Der  Realismus  in  England 


verbunden  mit  einer  poetisch- 
psychologischen Wahrheit,  die 
in  der  Kunst  des  19.  Jahr- 
hunderts ihres  Gleichen  sucht 

— das  ist  das  Wesen  von 
Madox  Brown.  Die  einzigen 
Worte,  die  ihn  kennzeich- 
nen können,  sind:  Wucht, 

Leidenschaft,  Grösse  und 
Wahrheit.  Sein  Glaubens- 
bekenntniss,  das  er  auch  als 
Schriftsteller  formulirte,  gipfelt 
in  dem  Satze:  das  Mittel  der 
Kunst  ist  die  Wahrheit,  ihr 
Object  die  Erregung  der  Seele 

— was  er  mit  den  zwei 
Worten  ausdrückt : Emotio- 
nal Truth. 

Während  Hunt  und  Brown 
an  den  praerafaelitischen  Prin- 
Millais : Der  Hugenott.  cipicn  zeitlebens  festhielten, 

bedeutete  für  John  Everett 
Millais,  den  jüngsten  der  drei,  das  Praerafaelitenthum  nur  ein 
kurzes  Durchgangsfeld,  eine  Phase  seiner  künstlerischen  Entwick- 
lung, auf  die  der  grosse  Enkel  des  Reynolds  heute  wie  auf  eine 
Jugendeselei  zurückblickt. 

Sir  John  ist  64  Jahre  alt.  Er  war  am  8.  Juni  1829  in  South- 
ampton geboren,  wohin  seine  Familie  aus  Jersey  gekommen,  ist  also 
nach  seiner  Abstammung  halber  Franzose.  Seine  Kinderjahre  ver- 
brachte er  in  Dinant  in  der  Bretagne  und  trat  mit  neun  Jahren  in 
eine  Londoner  Zeichenschule  ein  — der  kleine  blonde  Bube  mit 
holländischer  Blouse,  breitem  Gürtel  und  grossem  Matrosenkragen, 
den  John  Phillip  damals  malte.  Mit  1 1 Jahren  bezog  er,  wohl  als 
jüngster  Schüler,  die  Royal  Academy,  als  13 jähriger  erhielt  er  eine 
Preismedaille  für  die  beste  Zeichnung  nach  der  Antike,  mit  15  Jahren 
malte  er  schon  und  mit  17  stellteerein  Historienbild  die  »Gefangen- 
nahme des  Inka  durch  Pizarro«  aus,  das  von  den  Kritikern  als  das 
beste  der  Ausstellung  von  1846  gerühmt  ward.  Mit  dem  1847  aus- 
gestellten Werke  »Elgiva«  endete  diese  erste  Periode  des  Malers,  in  der 


XXIX.  Der  Realismus  in  England 


503 


er  den  Bahnen  des  heute 
vergessenen  Hilton  folgte. 

Das  nächste,  »Lorcnzo  und 
Isabella«,  heute  in  der  Wal- 
ker Art  Gallery  in  Liverpool, 
trug  als  sein  neues  Glaubens- 
bekenntniss  das  P.  R.  B.  An 
die  Stelle  der  breiten  Bravour 
und  leeren  Nachahmung  der 
Cinquecentisten  ist  eine  mi- 
kroskopisch genaue  Detail- 
malerei getreten.  Der  Stoff 
war  Keats’  poetischer  Ver- 
sion einer  Erzählung  Boc- 
caccios — »Pot  of  Basil«  — 
entnommen.  Eine  florentin- 
ische  Gesellschaft  im  Costüm 
des  1 3.  Jahrhunderts  ist  beim 
Mittagessen  versammelt. 

Lorcnzo,  bleich,  in  verhal- 
tener Aufregung,  sitzt  neben  der  minniglichen  Isabella  und  schaut 
ihr  mit  tiefem,  verzehrenden  Blick  in’s  Auge.  Lsabellas  Bruder,  darüber 
ärgerlich,  gibt  dem  Hund  einen  Fusstritt.  Alle  Personen  an  der 
Tafel  sind  Bildnisse.  Für  den  Geliebten  Isabellas  hat  der  Kritiker 
F.  G.  Stephens,  für  den  Zecher  rechts  hinten,  der  das  Glas  zum 
Munde  führt,  Dante  Rossetti  gesessen.  Selbst  die  Ornamente  auf  der 
Damastdecke,  der  spanischen  Wand  und  der  Tapete  des  Hintergrundes 
sind  Strich  für  Strich  mit  der  Hingebung  eines  Primitiven  gemalt. 
Dem  Farbenglanz  Jan  van  Eycks  vereint  sich  die  Empfmdungssiissig- 
keit  Peruginos  und  der  chevalcrcske  Geist  des  Decamerone  ist  mit 
der  Sicherheit  eines  feinsinnigen  Literarhistorikers  erfasst. 

Die  Arbeit  von  1850:  »Christus  im  Hause  seiner  Eltern«  illustrirte 
die  Bibelstelle  Zachariah  XIII.  6:  »Und  wenn  einer  unter  ihnen  sagt: 
Was  sind  das  für  Wunden  an  deinen  Händen,  so  antworte  ihnen: 
Es  sind  die,  mit  denen  ich  im  Hause  meiner  Freunde  verwundet 
ward«.  Der  Knabe  Jesus,  der  vor  der  Hobelbank  steht,  hat  sich  die 
Hand  verletzt.  St.  Joseph  beugt  sich  vorüber,  die  Wunde  zu  be- 
trachten, Maria  kniet  neben  dem  Kinde,  bemüht,  es  durch  Lieb- 
kosungen zu  trösten,  während  der  kleine  Johannes  Wasser  in  einem 


Millais:  The  Yeoman  of  tbe  Guard. 


5 04 


XXIX.  Der  Realismus  in-  England 


hölzernen  Gefäss  herbeibringt. 
Auf  der  anderen  Seite  steht 
die  alte  Anna,  im  Begriff,  den 
Nagel,  der  das  Unheil  ver- 
schuldete, aus  dem  Holzwerk 
zu  ziehen.  Ein  Geselle  ar- 
beitet emsig  an  der  Hobel- 
bank. Der  Fussboden  der 
Werkstatt  ist  mit  Spähnen  be- 
deckt, an  den  Wänden  hängen 
Werkzeuge  umher.  Die 
Quattrocentisten  waren  auch 
bei  der  Fassung  dieses  Stoffes 
massgebend.  Asketische 
Herbigkeit  ist  an  die  Stelle 
idealer  Gewänder , Eckig- 
keit an  Stelle  edlen  Linicn- 
sclnvungs  getreten.  Beson- 
deren Anstoss  erregte  die 
Gestalt  der  Maria,  die  in 
ihrem  gelben  Kopftuch  einer  Bürgersfrau  aus  London  glich. 

Millais  hat  bis  in  die  siebziger  Jahre  solche  Bilder  aus  der  Bibel, 
den  englischen  und  mittelalterlichen  Dichtern  mit  sehr  verschiedenem 
Erfolg  gemalt.  Eines,  das  mit  seinen  glänzenden  Farben  wie  ein 
altes  Glasgemälde  aussah,  schilderte  die  Rückkehr  der  Taube  zur 
Arche  Noah.  Den  Mittelpunkt  bildeten  zwei  schlanke,  junge  Weiber 
in  mittelalterlichem  Costüm,  die  in  ihren  zarten  Händen  den  athem- 
losen  Vogel  aufnahmen.  Das  Bild  »des  Holzfällers  Tochter  war 
die  Illustration  zu  einem  Gedicht  C.  Patmores  von  der  Liebe  eines 
jungen  Fdelmannes  zu  einem  armen  Waldkind.  In  einem  Halb- 
rundbild von  1852  malte  er  Ophelia,  wie  sie,  die  halboffenen  Lippen 
vom  süssen  Lächeln  des  Wahnsinns  umspielt,  singend  in  dem  grünen 
Weiher  liegt,  dessen  weisse  Wasserblumen  sie  wie  Todtenkränze  be- 
decken. Das  andere  Bild  des  Jahres,  der  Hugenott«,  stellte  zwei 
Liebende  dar,  die  in  einem  alten  Park  am  Abend  vor  der  Bartholomäus- 
nacht Abschied  nehmen.  Sie  windet  eine  weisse  Schärpe  um  seinen 
Arm,  damit  dies  Abzeichen  der  Katholiken  ihn  vor  dem  Tode  schütze, 
doch  er  schiebt  sanft  ihre  Hand  zurück.  Beide  machen  keine  Be- 
wegungen, sie  sind  ruhig,  alle  Empfindungen  wenden  sich  nach 


Millais:  Gladstone. 


XXIX.  Der  Realismus  in  England 


505 


innen.  Die  Stimmung  des 
Menschen,  der  vorder  schwar- 
zen Thür  des  Todes  steht,  die 
moralische  Kraft,  die  seine 
Schrecken  überwindet,  die 
ganze  Feierlichkeit  des  Ab- 
schiedes vom  Leben  kommt 
in  den  Blicken  des  Mannes 
zum  Ausdruck.  Eine  Welt 
von  Liebe  liegt  in  den  Augen 
der  Frau.  Millais  hat  dieses 
Problem  des  liebenden  Weibes 
noch  oft  ohne  süssliche  Sen- 
timentalität mit  ernstem,  fast 
finsterem  Realismus  behan- 
delt. Der  »Entlassungsbefehl« 
von  1853  zeigte  einen  Ker- 
kermeister in  der  scharlach- 
rothen  Uniform  des  18.  Jahr- 
hunderts, wie  er  die  schwere 
Thür  eines  Gefängnisses  öff- 
net, um  einen  schottischen 
Hochländer  herauszulassen,  für  den  seine  Frau  die  Entlassung 
erwirkte.  Der  »geächtete  Royalist«  behandelte  eine  Scene  aus 
dem  17.  Jahrhundert:  wie  ein  Edelmann,  in  einem  hohlen  Baum 
verborgen,  die  Hand  des  graziösen  zitternden  Weibes  küsst , das 
ihn  mit  Lebensgefahr  täglich  mit  Nahrung  versorgt.  Der  »Schwarze 
Braunschweiger«  von  1856  beschloss  diesen  Cyclus  von  stummen, 
bewegungslosen  Dramen.  Auf  dem  Bilde  von  1857  Sir  Isumbras 
an  der  Furth«  reitet  ein  alter  Ritter  an  einem  schwülen  Junitag  im 
Zwielicht  heimwärts.  Der  Staub  der  Tagesreise  liegt  auf  seiner 
goldenen  Rüstung.  An  einer  Furth  hat  er  zwei  Kinder  getroffen 
und  zu  sich  emporgehoben,  um  sie  über  das  Wasser  zu  bringen. 
The  Vale  of  Rest  — ein  Bild  von  tiefer  intensiver  Farbenstimm- 
ung, ernst  und  melancholisch  wie  ein  Requiem  — zeigte  — ein 
wenig  lessingisch  in  der  Empfindung  — einen  Klostergarten,  wo  im 
Abendlicht  zwei  Nonnen  still  ein  Grab  bereiten.  Der  »Vorabend  von 
St.  Agnes«  (1863)  illustrirte  dasselbe  Gedicht  von  Keats,  dem  Holman 
Hunt  zehn  Jahre  vorher  sein  Jugendwerk  gewidmet.  Magdalena  hat 


Millais:  Madame  Bischoffsheirn. 


50  6 


XXIX.  Der  Realismus  in  England 


Millais:  IVbist  Dreien. 

von  der  alten  Legende  gehört,  dass  junge  Mädchen  am  St.  Agnestag 
die  zarte  Huldigung  ihrer  unbekannten  Verlobten  empfangen  können, 
wenn  sie  nackt  um  Mitternacht  ihr  Abendgebet  sprechen.  Das  Herz 
voll  Liebesgedanken,  verlässt  sie  den  Saal,  wo  die  Gäste  beim  heiteren 
Mahle  sitzen,  steigt  hastig  nach  ihrem  Zimmer  empor,  so  schnell, 
dass  ihr  kleines  Licht  unterwegs  verlischt.  Sie  tritt  in  ihr  Kämmer- 
chen, kniet  nieder,  sagt  ihr  Sprüchlein,  erhebt  sich,  nimmt  den 
Schmuck  ab,  löst  ihre  Haare.  Der  klare  Mondschein  fällt  zum  Fenster 
herein,  beleuchtet  gespenstisch  die  kleinen  Heiligenbilder  des  Zimmers, 
hüpft  kosend  über  den  jungen  Busen  des  Mädchens,  spielt  rosig  auf 
ihren  gefalteten  Händen,  lässt  ihr  langes  blondes  Haar  wie  in  duftigem 
Heiligenschein  erstrahlen.  Im  Schatten  des  Bettes  sieht  sie  ihn,  der 
sie  liebt.  Bewegungslos,  träumerisch  bleibt  sie  stehen,  wagt  sich 
nicht  abzuwenden  aus  Furcht,  dass  die  schöne  Vision  zerfliege.  — Die 
»Befreiung  einer  zum  Feuertod  verurtheilten  Ketzerin«,  Jeanne  d’Arc, 
Aschenbrödel,  »Letzte  Rose«,  dies  träumerische  Bild  von  romantischer 
Eleganz,  die  Kindheit  Walter  Raleighs,  der  greise  Moses,  der  auf 
Hur  und  Aaron  gestützt  vom  Berggipfel  den  Sieg  Josuahs  erschaut  — 


XXIX.  Der  Realismus  in  England 


507 


Millais:  October. 


waren  die  Hauptwerke  aus  den  späteren  Jahren  des  Meisters.  Doch 
als  diese  Bilder  entstanden,  hatte  England  schon  sich  gewöhnt,  in 
Millais  keinen  Praerafaeliten,  sondern  seinen  grössten  Porträtmaler 
zu  verehren. 

Sein  Selbstbildnis  erklärt  diese  Wandlung.  Sir  John  sieht  mit 
seinem  weissen  Leinenjacket  und  frischen  wettergebräunten  Gesicht 
nicht  im  Entferntesten  einem  »Romantiker«,  kaum  einem  Maler,  eher 
einem  reichen  Gutsbesitzer  gleich.  Noch  heute  ist  er  ein  grosser 
Nimrod  und  Sportsman.  Seine  Photographien  stellen  ihn  gewöhn- 
lich im  Jagdcostüm  des  schottischen  Hochländers,  auf  dem  Lachs- 
fischfang oder  als  Parforcereiter  dar.  Er  ist  eine  gerade,  gesunde  Natur, 
ein  grosser,  zielbewusster,  energischer  Meister  — aber  ein  Poet  in 
Ruskins  Sinne  ist  er  nie  gewesen.  Sein  Praerafaelitenthum  war  nur 
Flirtation,  seine  Sinnesart  zu  concret,  seine  Hand  zu  mächtig,  als 
dass  er  auf  die  Dauer  in  der  Welt  der  englischen  Dichter  bleiben,  bei 
der  kleinlichen  Mal  weise  der  Praerafaeliten  hätte  aushalten  können. 
Millais  wird  weit  gehen,  wenn  er  sich  herbei  lässt,  die  Stiefel  zu 


508 


XXIX.  Der  Realismus  in  England 


Millais:  Die  Nordwestpassage. 


wechseln,  hatte  About  zur  Weltausstellung  1855  geschrieben  — als 
die  von  1867  eröffnet  ward,  war  Millais  in  vollständig  neuen  Schuhen 
erschienen.  Die  grosse  Ausstellung  in  Manchester  1857,  die  zum 
ersten  Mal  bekannt  gab,  was  englischer  Privatbesitz  an  Werken  des 
Velazquez  birgt,  hatte  ihm  verholfen , sich  selbst  zu  finden.  Vom 
Naturalismus  der  Quattrocentisten  ging  er  zum  Naturalismus  des 
Velazquez  über. 

Millais  war  zum  Bildnissmaler  geboren.  Sein  kühles  und  doch 
feinfühliges  Wesen,  sein  einfacher  männlicher  Charakter  wies  ihn  auf 
dieses  Fach,  das  mehr  zum  beobachtenden  nachahmenden  als  zum 
schaffenden  Pol  der  Kunst  gravitirt.  In  seinen  Bildern  weiss  er  zu 
bezaubern  und  abzustossen  — zu  wirklich  definitiven  Ergebnissen  ist 
er  im  Porträt  gekommen.  Alle  seine  Bildnisse  sind  ebenso  zwingend 
wie  sachlich.  Mit  den  Venezianern  und  Velazquez  gehört  Millais  zu 
den  Koryphäen  des  grossen  Stils,  der  auf  dem  grossen  Zug  der  Linien 
beruht,  in  Gestalt  wie  Antlitz,  auf  der  breiten  Anlage  der  Flächen, 
auf  der  strengen  Unterordnung  der  Einzelheiten.  Seine  Figuren  sind 


XXIX.  Der  Realismus  in  England 


509 


schon  als  Silhouette 
charakteristisch  und 
wiedererkennbar.  Er 
unterliess,  sic  durch 
malerische  Attitüden 
interessant  zu  machen 
oder  durch  eine  Situ- 
ation zu  beleben.  Sie 
stehen  ruhig  da,  zu- 
weilen steif  und  kalt, 
machen  keine  Con- 
versation  mit  dem  Be- 
trachter, gehen  nicht 
aus  sich  heraus,  son- 
dern fixircn  ihn  vor- 
nehm , gleichgültig. 

Auch  die  Hände  wer- 
den nicht  zur  Cha- 
rakteristik verwendet. 

Künstlern,  die  auf  Ein- 
heit der  Wirkung  aus- 
gehen, sind  Hände  nie 
bequem,  da  sie  zum  Ge- 
sicht in  Farbe  und  Aus- 
druck einen  unerwünschten  Contrapost  bilden.  Van  Dyck  allein 
kokettirte  damit  — nicht  ohne  eine  schablonenhafte  Fadheit. 
Millais  ist  immer  bedacht,  sie  unschädlich  zu  machen.  Er  fesselt 
sic  an  eine  Stuhllehne,  steckt  sie  in  Handschuhe  verschiedener 
Art,  lässt  sie  halb  verschwinden  in  einem  weissen  Taschentuch, 
schliesst  die  geschwätzigen  Finger  fest  zusammen  in  einem  bedeut- 
ungslosen faustartigen  Griff  oder  lässt  sie  in  skizzenhaftem  Embryo- 
zustand, fertigt  sie  ab  mit  leerem  Contur.  Die  ungemeine  Intensität  des 
Lebens,  die  aus  seinen  gross  und  einfach  hingestellten  Figuren  sprüht, 
ist  fast  ausschliesslich  in  den  Köpfen  concentrirt.  Millais  ist  vielleicht 
der  erste  Charakteristiker  unter  den  Neueren.  Einem  kühnen  mächtigen 
Vortrag  gesellt  sich  ein  eminenter  psychischer  Blick.  Die  Augen,  die 
er  malt,  sind  wie  Fenster,  durch  die  man  in  die  Seele  hineinsieht. 

Unter  seinen  männlichen  Bildnissen  stehen  diejenigen  Gladstones 
und  Hooks  in  erster  Reihe:  als  Malereien  vielleicht  nicht  hervor- 


Holmon  Hunt:  Das  Erwachen  des  Gewissens. 


5io 


XXIX.  Der  Realismus  in  England 


Madox  Brown:  The  last  oj  England. 


ragend,  beide  von  einem  opaken,  rusigen  Ton,  an  dein  Millais’  Ar- 
beiten nicht  selten  leiden,  aber  als  Definitionen  complicirtcr  Per- 
sönlichkeiten nur  mit  den  besten  Bildern  Lenbachs  vergleichbar. 
Wie  fest  trotz  seines  Alters  steht  der  Staatsmann  da,  der  alte  ideo- 
logische Holzhacker,  eine  echt  englische,  aus  hartem  Holz  gezimmerte 
Gestalt.  Das  Spiel  des  Lichtes  sammelt  alles  Interesse  auf  den 
ernsten,  feinen,  faltigen  Zügen,  der  hohen  Stirn,  dem  energischen 
Kinn,  den  feuchten,  gedankenvollen  Augen.  Die  ganze  Lebens- 
geschichte Gladstoncs  liegt  in  diesem  Bild,  das  einfacher  und  grösser 


Madox  Brown:  The  Work. 


512 


XXIX.  Der  Realismus  in  England 


in  der  Anschauung  ist  als  das,  was  Lenbach  von  ihm  malte.  Hook 
sieht  mit  seinem  breiten,  von  Runzeln  durchfurchten  Gesicht  wie 
ein  Apostel  oder  Fischer  aus.  Bis  in  die  Nieren  hat  Millais  diesem 
Mann  geschaut,  der  etwas  Rauhes  und  Gläubiges,  Massives  und 
Zartes  hat,  der  die  kräftigen  Fischer  malt  und  die  duftigen  Sonnen- 
strahlen. Kraftvoll,  ernst,  fast  religiös  wirken  Hooks  Landschaften, 
und  etwas  patriarchalisch  Biblisches  liegt  in  dem  sanft  nachdenk- 
lichen, beschaulichen  Blick.  Der  Herzog  von  Westminster  ist  auf 
Millais’  Bilde  von  1878  in  Jagdeostiun  gemalt,  stehend,  in  rothem 
Rock,  weiten  Kniehosen  und  weichen  hohen  Stiefeln,  die  Flinte 
in  der  Hand,  wie  er  soeben  den  langen  hellgrauen  Handschuh  zu- 
knöpft. In  demselben  Jahre  war  in  Paris  der  kgl.  Gardist  (the  Yeoman 
of  the  Guard)  ausgestellt,  der  alte  Bonze  der  Disciplin  und  Loyalität, 
der  in  seiner  tiefrothen  Uniform,  mit  seinen  erzgegossenen  Zügen 
wie  ein  Velazquez  von  1878  dasitzt.  Disraeli,  Cardinal  Newman, 
John  Bright,  Lord  Salisbury,  Charles  Waring,  Henry  Irving,  der 
Marquis  of  Lome,  Simon  Fraser  sind  alles  würdige  Verwandte  der 
grossen  Herren , die  ein  Jahrhundert  vorher  Reynolds  malte.  Die 
plastische  Wirkung  der  Gestalten  wird  verstärkt  durch  den  leeren 
neutralen  Grund.  Millais  hat  wie  Velazquez  alle  möglichen  Hinter- 
gründe von  den  einfachsten  an : dem  Nichts  einer  fast  schwarzen 
oder  hellen  Fläche  bis  zu  reich  ausgestatteten  Innenräumen  und 
Landschaftsaussichten  verwendet.  Manchmal  ist  nur  durch  einen  kahlen 
Sessel  oder  Tisch  angedeutet,  dass  die  Gestalt  in  einem  Zimmer 
steht,  oder  ein  schwerer  carmoisinrother  Vorhang  senkt  sich  herab, 
um  als  Repoussoir  für  den  Kopf  zu  dienen.  Gefälligen  Linien  und 
nichtssagenden  Motiven  geht  er  mit  vornehmer  Nachlässigkeit  aus 
dem  Wege  und  blieb  diesem  männlichen  Geschmack  auch  in  seinen 

o 

% 

Frauenbildern  treu.  Seine  Damen  haben  merkwürdig  wenig  von  dem 
Aesthetischen,  das  sonst  durch  englische  Damenbildnisse  geht.  Millais 
malt  sie  — wie  in  dem  Bilde  »Whist  zu  Dreien«  — weder  süss 
noch  zart,  gibt  ihnen  nichts  Triumphirendes,  Schalkhaftes,  Munteres. 
Von  strengem,  skulpturalem  Wesen,  mehr  charaktervoll  als  schön, 
fassen  sie  in  stolzer  Haltung  und  correcter  Pose  mit  festem  Griff 
die  Lehne  des  rothen  Sessels.  Die  ernsten,  energischen  Züge  ver- 
rathen  Entschiedenheit  des  Charakters.  Der  Blick  der  junonischen 
braunen  Augen  ist  gleichgiltig , fast  hart.  Eine  gerade  freie  Stirn, 
ein  schön  geformter,  sehr  bestimmter  Mund,  ein  volles  rundes 
Kinn  ergänzt  den  Eindruck  ernster  Würde,  hoheitsvoller  Majestät, 


XXIX.  Der  Realismus  in  England 


)I3 


kalten  Stolzes.  Zu 
dieser  grundsätzlichen 
Vermeidung  jedes 
Scheins  von  Liebens- 
würdigkeit gesellt  sich 
ein  strengerGeschmack 
der  Toilette.  Die  Klei- 
der sind  modern,  kost- 
bar in  den  Stoffen,  zu- 
weilen heiter  in  der 
Farbe,  aber  immer  zu- 
rückhaltend vornehm, 
reich,  nicht  bunt.  Mit 
dunkeln  oder  stumpfen 
Contrastfarben  arbeitet 
er  am  liebsten,  auch 
gross  geblümte  Seiden- 
stoffe — schwarz  mit 
citronen-gelb,  oder 
schwarz  mit  dunkel- 
roth  — hat  er  gern 
verwendet.  Und  dem- 
selben strengen  Cha- 
rakteristiker  stand  der 
leichte  weiche  Pinsel 

des  Kindermalers  wie  Wenigen  zu  Gebote.  Kein  Maler  seit  Reynolds 
und  Gainsborough  hat  die  blendende  Frische  der  englischen  Jugend: 
den  energischen  Accent  eines  Knabenkopfes  und  die  in  der  Welt 
einzig  dastehende  Schönheit  der  englischen  Mädchen  so  charaktervoll 
wie  Millais  gemalt:  diese  weichen,  seidenartig  glänzenden,  in  s Asch- 
blonde spielenden  Locken,  die  zarten  blassen  Gesichtchen,  schwel- 
lenden Mündchcn  und  grossen,  träumerischen,  blauglänzenden  Kinder- 
augen. Zuweilen  stehen  sie  in  silbergesticktem  Rosakleid  vor  einem 
tiefgrünem  Vorhang  oder  sitzen  lesend  auf  dunkelrothem,  schwarz- 
geblümten Teppich.  Manchmal  sind  sie  angezogen  wie  die  kleinen 
Infantinncn  des  Velazquez,  spielen  mit  einem  Bologneserhündchen 
wie  Tizians  Dogenkinder,  oder  fassen  mit  beiden  Händen  eine  Schürze 
voll  Blumen , die  Millais  mit  hoher  Vollendung  malt.  Ein  Strauss 
mit  blassrothen  Rosen,  Chrysanthem  oder  Lilien  stellt  daneben. 


John  Plnllip:  Weihwasser. 


Muther,  Moderne  Malerei  II. 


33 


5*4 


XXIX.  Der  Realismus  in-  England 


Man  muss  schon  ein 
grosser  Meister  der 
Charakteristik  sein,  um 
selbstbewusste,  ernst 
würdige,  weibliche 
Schönheit  wie  die  der 
Frau  ßischoffsheim  und 
zugleich  jenes  duftige 
Parfüm  thaufrischen 
Lebensfrühlings  zu  ma- 
len , das  aus  Millais’ 
Kinderbildern  strömt. 

Millais  ist  einer 
der  Männer  in  der 
Geschichte  der  Malerei 
des  19.  Jahrhunderts, 
ebenso  kraftvoll  und 
gesund  wie  vielseitig. 
Ich  weiss  Keinen,  der 
eine  gleich  schnelle 
Entwicklung  von  mi- 
nutiösester Exaktheit 
John  Phil lit>:  Spanierin.  . ■ ..  , • 

1 1 ' bis  zu  mächtigster 

Breite  durchgemacht. 

Keinen,  der  eine  so  enorme  Kenntniss  des  Menschen  mit  solcher  Poesie 
der  Auffassung  verbunden  hätte,  Keinen,  der  so  proteusartig  verschieden 
wäre:  bald  reizend,  bald  träumerisch,  bald  ganz  positiv.  Seine  Land- 
schaften lassen  in  ihrer  festen  Structur  und  Grosszügigkeit  zuweilen 
an  Theodore  Rousseau  denken.  Nur  wenig  macht  sich  in  einem 
Ucberschuss  an  Details  auch  heute  noch  der  Praerafaelit  bemerk- 
bar. Er  malt  jedes  Gräschen  und  Pflänzchen,  doch  in  dieser  pein- 
lichen Exaktheit  ist  gleichwohl  Grösse.  Er  sieht  nicht  mit  der 
Loupe  nur  das  Einzelne,  auch  mit  fühlendem  Auge  die  Poesie  des 
Ganzen  und  erreicht  trotz  allen  Detailstudiums  einen  manchmal 
ganz  impressionistischen  Gesammteffect.  Sein  Bild  »Oktoberkälte« 
hat  ein  Luftleben,  eine  vibrirende  graue  Atmosphäre,  wie  sie  sonst 
nur  John  Constable  malte. 

Ein  so  concretes  Naturstudium,  wie  die  Praerafaeliten  es  be- 
trieben, musste  schliesslich  auch  zu  ganz  realistischen  Bildern  aus 


XXIX.  Der  Realismus  in  England 


)I5 

dem  modernen  Leben  führen.  Sie  waren  bei  ihren  biblischen  und 
poetischen  Bildern  von  der  Ueberzeugung  ausgegangen,  den  alten  con- 
ventionellen  und  allmählich  leer  gewordenen  Typen  könne  nur  dadurch 
neues  Lebensblut  zugeführt  werden,  dass  man  die  Vorbilder  dazu  aus 
dem  Volksleben  selbst  mit  glücklicher  Hand  herausgreife.  Sie  glaubten, 
wie  einst  die  Meister  von  Florenz  und  Brügge,  dass  das  keine  gute 
Malerei  sei,  was  man  ohne  engen  Anschluss  an’s  Modell  mache; 
dass  es  in  erster  Linie  darauf  ankomme,  der  poetischen  oder  legendar- 
ischen Gestalt  den  Stempel  der  Natur,  den  kräftigen  Geschmack  der 
Individualität  zu  geben.  Alle  ihre  Erzeugnisse  sind  voll  von  Bildniss- 
elementen,  selbst  wenn  sie  entlegene  Scenen  des  neuen  Testa- 
mentes oder  der  mittelalterlichen  Dichtung  illustriren.  Und  diese 
Elemente  leiteten  darauf  hin,  dass  sic  schliesslich  von  der  Transpo- 
nirung  dieser  Gestalten  in  ein  fremdes  Milieu  überhaupt  absahen  und 
einfach  malten,  was  die  eigene  Umgebung  ihnen  bot.  Hiermit  war 
das  gleiche  Ziel  erreicht,  bei  dem  die  französische  Malerei  mit  Courbet 
und  Ribot  ankam.  Den  Praerafael  iten  in  erster  Linie  ist  zu 
verdanken,  dass  das  stets  gut  gemeinte  und  mässig  gemalte  Genre- 
bild alten  Stils,  das  mit  der  Fülle  rührender  Geschichten,  die  es 
zu  erzählen  wusste,  einst  ein  Hauptquell  eingebildeten  künstlerischen 
Genusses  war,  auch  in  England  endgültig  überwunden  wurde  und 
einer  ernsten  lebenskräftigen  Malerei  Platz  machte,  die  auf  die  Wirk- 
ung mit  echt  künstlerischen  Mitteln  ausging,  die  Bemäntelung  innerer 
Schwäche  mit  dem  von  aussen  hergeholten  »interessanten«  Stoff 
stolz  von  sich  wies.  Millais  hatte  schon  1855  auf  der  Ausstellung  der 
Royal  Academy  ein  Bild,  das  Ruskin  »ein  wahrhaft  grosses  Werk 
nannte,  das  die  Elemente  der  Unsterblichkeit  in  sich  berge«  — die 
Errettung  aus  der  Feuersbrunst:  ein  Feuerwehrmann,  der  drei  Kinder 
aus  einem  brennenden  Hause  brachte  und  sie  in  die  Arme  ihrer 
Eltern  legte.  Von  allem  erzählenden  Inhalt  war  abgesehen.  Der 
Feuerwehrmann  handelte  ohne  Sentimentalität  in  kalter  Pflichterfüll- 
ung, und  die  Spannung  der  Eltern  war  ebenfalls  ohne  melodramat- 
ischen Anflug  gegeben.  Dann  folgte  jenes  Meisterwerk  von  delicatcm 
zartem  Colorit,  sanftem  rührenden  Ausdruck  und  unendlicher  Grazie 
— die  Frau  des  Spielers,  die  mit  Wehmuth  nach  den  Karten  greift, 
die  ihr  Unglück  verschuldet;  1874  die  »Nordwest  Passage«,  gleich- 
sam eine  moderne  Allegorie  auf  das  kräftige , unternehmende  eng- 
lische Volk,  das  von  seinem  kleinen  Inselreich  aus  die  halbe  Welt 
unterwarf  und  bevölkerte.  »Es  gibt  einen  Durchgang  nach  dem 

33* 


XXIX.  Der  Realismus  in  England 


5^ 

Pol  und  England  wird  ihn  finden  — muss  ihn  finden.«  Das  etwa 
sind  die  Worte,  die  der  Capitän  Trelawney  spricht,  der  alte  Freund 
und  Genosse  Byrons  in  Griechenland.  Eine  Seekarte  vor  sich,  brütet 
er  über  den  Plan  der  Nordwestpassage,  und  auf  seine  ausgestreckte 
Hand,  die  schon  die  Zukunft  umfassen  möchte,  legt  sich  beruhigend 
die  Hand  der  jungen  Frau,  die  zu  seinen  Füssen  sitzend  ihm  den 
Bericht  der  letzten  Untersuchungsfahrt  vorliest.  Die  weissbärtige 
Seemannsgestalt  ist  von  markigem  knochigem  Leben,  das  mit  Karten 
und  Atlanten  gefüllte  Zimmer  von  vollem  Tageslicht  durchströmt. 
Durch  das  geöffnete  Fenster  schimmert  klar  und  hell  Himmel  und 
Meer  herein.  Fs  ist  ein  mächtiges,  ergreifendes  Bild,  eines  der  mo- 
dernen Schützenstücke,  in  denen  Ideen  des  19.  Jahrhunderts  sich  ein- 
fach und  phrasenlos  condensirten. 

.Selbst  von  Holman  Hunt,  dem  Pietisten,  sind  einige  Bilder  aus 
dem  modernen  Leben  vorhanden , die  nichts  mehr  mit  der  älteren 
Genremalerei  gemein  haben.  Das  »Erwachen  des  Gewissens«  erzählt 
nach  der  Erklärung  des  Malers  die  Geschichte  einer  jungen  Frau,  die 
durch  einen  »leichtsinnigen  rohen  Mann  verführt  und  in  einem 
üppigen  kleinen  Landhaus  untergebracht  ist.  Sie  sind  zusammen,  er 
sitzt  am  Clavier,  spielt  die  alte  Romanze  Oft  in  the  stilly  night«, 
und  die  Klänge  dieses  Liedes  erinnern  die  junge  Sünderin  an  ihre 
Kindheit,  die  Jahre  ihrer  Reinheit  und  Unschuld.  Auch  Hunt  also 
hat  die  moralisirendcn  Tendenzen  Hogarths  noch  nicht  überwunden, 
aber  der  Geschmack  ist  doch  discreter,  feiner  geworden.  Fr  hat  tiefere 
Gedankenaccorde  angeschlagen,  als  sie  das  englische  Publicum  bis 
dahin  hörte.  Und  namentlich  — die  Malerei  ist  nicht  mehr 
bloss  Substrat  für  die  Geschichte;  sie  ist  zur  Hauptsache,  die  Ge- 
schichte zur  Zugabe  geworden.  In  einem  anderen  Bilde,  dem  Maien- 
morgen auf  dem  Magdalenenthurm  in  Oxford«,  hatte  er  überhaupt  von 
tieferem  Inhalt  abgesehen  und  einfach  eine  Anzahl  Professoren  und 
Studenten  der  Oxforder  Universität  gemalt,  die  einem  alten  Brauche 
gemäss  den  ersten  Mai  mit  einem  Hymnus  von  der  Kathedrale  herab 
begrüssen. 

Das  Bedeutendste  hat  Madox  Brown  geschaffen,  der  englische 
Menzel,  der  nicht  nur  das  Milieu  vergangener  Zeiten  mit  der  Ge- 
nauigkeit des  Augenzeugen  reconstruirte,  auch  dem  Drama  des  mo- 
dernen Lebens  als  aufmerksamer  Beobachter  beiwohnte.  Sein  erstes 
Bild  Der  Abschied  von  England«  (The  last  of  England)  entstand  im 
Jahre  1852,  zu  einer  Zeit,  als  die  Auswanderung  nach  Amerika  be- 


XXIX.  Der  Realismus  in  England 


)I7 

dcnkliche  Proportionen  in  England  annahm.  Auf  dem  Deck  eines 
Schiffes  sitzt  ein  Ehepaar,  kleine  Bürgersleute.  Der  Mann  in  seinem 
dicken  Tuchpaletot,  einen  weichen  Filzhut  auf  dem  Kopf,  mit  bleichem 
Gesicht  und  tiefliegenden,  blau  umränderten  Augen,  wirft  noch  einen 
Blick  auf  das  Heimathland  zurück,  das  nebelhaft  in  der  Ferne  ver- 
schwindet, und  denkt  bitter  der  verlorenen  Hoffnungen,  der  vergeb- 
lichen Kämpfe.  Die  junge  Frau  in  hellem  Mantel  und  kokettem 
rundem  Hut  mit  breiten  Bändern  schaut  sanft  resignirt  unter  dem 
grossen  Regenschirm  hervor,  der  sic  vor  den  Unbilden  des  See- 
windes schützt. 

Im  »Work«,  das  zu  gleicher  Zeit  begonnen  und  nach  mehr- 
facher Unterbrechung  1865  beendet  ward,  hat  er  das  erste  moderne 
Arbeiterbild  nach  Courbets  Steinklopfern  geschaffen.  Der  Maler,  der 
damals  in  Hampstead  wohnte,  wo  umfangreiche  Erdarbeiten  für  eine 
Gasleitung  gemacht  wurden,  sah  jeden  Tag  den  englischen  Arbeiter 
in  seiner  ganzen  Vierschrötigkeit  und  Kraft  hantiren.  Das  gab  ihm 
das  Thema  zu  seinem  Bilde.  In  heller  Sonne,  an  einem  blendenden 
Sommernachmittag  graben  Arbeiter  in  einer  belebten  Strasse  eine 
Grube  für  Gasanlagcn.  Frauen  und  arme  Kinder  stehen  dabei.  Auch 
die  älteren  Genremaler  hatten  Leute  in  Arbeiterblouscn  gemalt,  aber 
nie  bei  der  Arbeit,  nur  bei  Spiel  und  Scherzen.  Sie  Hessen  als 
ihres  Publikums  sichere  Regisseure  stets  dasselbe  Puppenpersonal 
tanzen.  Browns  Arbeiter  sind  robuste,  knochige  Gestalten;  da  wo 
die  Ackeren  genrehaft  witzelten,  malte  Brown  ohne  Verschönerung, 
ohne  Humor,  sachlich.  Ebenso  schlicht  ist  die  Composition.  Keiner 
posirt,  keiner  macht  pathetische  Gesten,  keiner  denkt  daran,  sich 
mit  seinem  Nebenmann  in  schönen  Linien  zu  gruppiren.  Es  ist 
hübsch,  dass  diese  machtvolle  Allegorie  auf  die  Arbeit  durch  Schenk- 
ung in  den  Besitz  der  grössten  Arbeiterstadt  Englands,  in  die  Galerie 
von  Manchester  gelangte. 

Ein  Schotte,  der  in  Aberdeen  geborene  John  Phillip,  war  in 
diesen  realistischen  Bestrebungen  der  kräftige  Helfershelfer  der  Prac- 
rafaeliten.  Auch  er  war  Maler  in  der  vollen  Bedeutung  des  Wortes 
und  hat  deshalb  Werke  hinterlassen , mit  denen  die  Zukunft  zu 
rechnen  haben  wird.  Gleich  Millais  hatte  Velazquez  ihm  die  Augen 
geöffnet.  Als  Phillip  1851  nach  Spanien  kam,  war  er  nicht  der  erste, 
der  das  Museo  del  Prado  betrat.  Wilkie  hatte  vor  ihm  in  Spanien 
gemalt  und  Ansdell  war  zu  gleicher  Zeit  da  thätig.  Doch  keiner  hatte 
etwas  von  der  wuchtigen  Grösse  der  alten  spanischen  Meister  zu  er- 


5 18 


XXIX.  Der  Realismus  in  England 


fassen  vermocht.  John  Phillip  allein  bekam  etwas  von  der  Verve 
des  Velazquez,  eine  männlich  breite  Mache,  die  ihn  von  allen  seinen 
englischen  Zeitgenossen  unterscheidet.  Der  Eindruck  seiner  Bilder 
ist  der  von  Reichthum , Tiefe  und  Wucht ; sie  vereinen  etwas  von 
der  Kraft  des  Velazquez  mit  einem  mehr  venezianischen  Glanz  der 
Farbe.  Die  Strassen  von  Sevilla,  der  spanischen  Hafenstadt  am 
Guadalquivir,  der  Stadt,  die  Velazquez  und  Murillo  geboren,  waren 
sein  hauptsächlichstes  Studienfeld.  Hier  sah  er  diese  Marktweiber, 
die  schwarz  wie  Mulattinnen,  handfest  wie  Grenadiere  unter  grossem 
Sonnenschirm  vor  ihren  Fruchtkörben  sitzen ; diese  Wasserträger 
mit  dem  wettergebräunten  Gesicht,  der  hochgewölbten  Brust  und 
den  athletischen  Armen.  Nach  Schottland  zurückgekehrt,  malte  er 
zuweilen  Repräscntationsbilder  wie  »Das  Haus  der  Gemeinen«  , die 
Vermählung  der  Princess  Royal  u.  dgl.,  kehrte  aber  bald  zu  seinen 
Stoffen  aus  dem  spanischen  Leben  zurück.  Zigeunerhafte,  cigaretten- 
rauchende  Weiber  mit  glänzenden  Augen  und  pechschwarzem  Haar, 
junge  Leute,  die  zur  Castagnette  tanzen,  Stierkämpfer  mit  schillern- 
dem, grausilbernem  Costüm  und  blitzenden  Blicken,  schwarzbraunc 
Bäuerinnen  in  citronengclben  Röcken,  hohläugige  Fabrikmädchen, 
Tonfdreher  und  Glasbläser  — das  ist  der  anekdotisch  inhaltlose  Inhalt 
von  Phillips  Bildern : ein  Stückchen  Wirklichkeit,  dem  aber  ein  Kreis 
von  Eindrücken,  eine  Fülle  künstlerischen  Könnens  entstrahlt.  John 
Phillip  trat  den  ältern  englischen  Genremalern  als  der  Maler  par 
cxcellence  entgegen.  Während  jene  in  erster  Linie  sich  mühten,  eine 
Geschichte  deutlich  zu  erzählen,  war  Phillip  ein  Colorist,  ein  Maitre- 
peintre,  dessen  Gestalten  sich  aus  den  Farben  heraus  entwickelten  und 
dessen  charaktervolle  Schöpfungen  stets  unter  dem  Besten,  was  über- 
haupt gemalt  worden  ist,  ihren  Platz  behaupten  werden.  Auch  in 
England,  dem  Vaterland  der  literarisch-novellistischen  Malerei,  war 
die  Kunst  nicht  mehr  ein  Mittel,  Ideen  auszudrücken,  sie  war  Selbst- 
zweck geworden,  hatte  die  Farbe  als  ihr  erstes,  eigenstes  Ausdrucks- 
mittel entdeckt. 


@*o 


Der  Realismus  in  Deutschland. 


IN  Deutschland  vollzog  sich  die  realistische  Bewegung  ähnlich 
wie  in  Frankreich,  nur  dass  sie  um  zwei  Jahrzehnte  hinter  ihrer 
französischen  Urheberin  dreinging.  Den  Umschwung,  den  dort 
die  Februarrevolution  von  1848  gebracht,  hatte  hier  erst  der  Krieg 
von  1870  im  Gefolge.  Durch  ihn  erhielt  die  Historienmalerei 
den  Todesstoss.  Seit  auf  den  böhmischen  Schlachtfeldern  und  im 
Versailler  Spiegelsaal  das  deutsche  Reich  erstanden,  hatte  Deutschland 
keine  Veranlassung  mehr,  sich  über  seine  politische  Misere  durch 
Vorführung  betrübender  Thatsachen  aus  früheren  Zeiten  trösten  zu 
lassen.  Germania,  die  noch  Kaulbach  im  Treppenhaus  des  Berliner 
Museums  darstellte,  wie  ihr,  während  sie  über  die  Lcctüre  eines  alten 
Buches  vertieft  ist,  unversehens  die  Krone  vom  Haupt  rutscht,  hatte 
mit  starker  Hand  das  Scepter  wieder  ergriffen.  Der  reactionäre  Klein- 
staat Preussen,  das  Preussen  des  Ministers  Manteuffel  und  des  Ver- 
trags von  Olmütz,  hatte  die  Schlachten  bei  Düppel,  Königgrätz  und 
Sedan  geschlagen,  hatte  an  der  Spitze  den  populärsten  Monarchen, 
der  seit  Friedrich  dem  Grossen  auf  dem  Thron  gesessen,  hatte  Bis- 
marck als  Reichskanzler  und  Moltke  als  Feldherrn.  Der  romantisch 
gestimmten  Generation  von  1830  war  ein  mit  seiner  Welt  zufriedenes 
Geschlecht,  ein  Geschlecht  der  Tliat  und  der  Arbeit  gefolgt,  das,  an 
politische  Katastrophen  gewöhnt  und  selbst  Geschichte  machend,  nicht 
mehr  gelaunt  war,  durch  fossile  Unglücksfälle  sich  erschüttern  zu 
lassen  und  auf  die  versunkene  Welt  früherer  Jahrhunderte  staunend 
emporzublicken.  Auch  der  kritische  Sinn  war  stärker  geworden. 
Man  gelangte  in  der  Literatur  zu  der  Einsicht,  dass  die  versuchten 
Wiederbelebungen  der  Vergangenheit  immer  unvollkommen  sind,  dass 
der  Roman  einheimisch  und  gleichzeitig  sein  muss  und  das  archäo- 
logische Sittengemälde  eine  verkehrte  Gattung  ist.  Die  romantische 
Geschichtschreiberei  von  früher  verwandelte  sich  in  Kritik  und  Ge- 
schichte, d.  h.  in  Erklärung  und  Auslegung  der  Documente.  »Cultur- 


^ 20  XXX.  Der  Realismus  in  Deutschland 

geschichtliche  Bilderbücher«  traten 
an  die  Stelle  der  modern  ver- 
wässerten Illustrationen.  So  ver- 
fiel die  zünftige  Historienmalerei 
dem  unabwendbaren  Loose  der 
gespreizten  Nichtigkeit.  NurWerke, 
in  denen  Leidenschaft  des  Tem- 
peramentes durch  die  Convention 
hindurchflammte  oder  eine  Erneu- 
erung der  Formen  nach  der  Seite 
des  Naturalismus  erstrebt  war, 
durften  fortan  auf  Erfolg  noch 
rechnen. 

Ebensowenig  war  es  mög- 
lich, das  moderne  Leben  noch  vom 
Standpunkte  des  alten  Genres  zu  behandeln.  Auch  in  der  Bearbeit- 
ung moderner  Stoffe  musste  dieselbe  tiefeingreifende  Wandlung  er- 
folgen, die  sich  in  Frankreich  durch  Courbet,  in  England  durch 
die  Praerafaeliten  vollzog.  Die  harmlos  gemüthlichen  Genrebilder 
der  Dorfnovellisten  waren  das  Product  einer  Zeit,  da  Deutschland 
seitab  vom  grossen  Weltleben  stand  und  der  ganze  Zuschnitt  der 
Anschauungen  etwas  kleinstädtisch  Spiessbürgerliches  hatte.  Dem 
Zeitalter  der  Postkutschen  und  Spinnräder  war  jetzt  die  Zeit  der 
Eisenbahnen,  der  Telegraphen,  des  Welthandels  gefolgt.  Wir  hatten 
keinen  Sinn  mehr  für  Gartenlaubenmalerei,  für  all  dies  Herzige  und 
Sinnige.  Wir  waren  zu  ernst  geworden,  um  über  Bilder  wie:  Die 
Lehrerin  kommt,  der  Rasirtag  im  Kloster,  Schlaf  Kindchen  schlaf, 
die  zerbrochene  Puppe  noch  dankbar  zu  lachen.  Das  ernste,  sach- 
liche moderne  Zeitgemälde  musste  die  Historienmalerei  des  jungen 
Deutschland  werden. 

In  Berlin  war  es  wieder  Adolf  Menzel,  der  die  entscheidenden 
Vorpostengefechte  lieferte.  Es  ist  etwas  Fabelhaftes,  die  Pionierarbeit 
dieses  grossen  kleinen  Mannes,  der  seit  fünfzig  Jahren  alle  Phasen 
unserer  Kunst  in  typischer  Vollendung  verkörpert:  der  grösste  und 
wenn  man  will,  einzige  Historienmaler  der  vergangenen  Epoche,  der 
einzige,  der  eine  ältere  Periode  so  intim  kannte,  dass  er  sic  malen 
durfte,  war  auch  der  Führer  der  grossen  Bewegung,  die  in  den  70  er 
Jahren  auf  die  Schilderung  unseres  eigenen  Lebens  ging.  Sein  erstes 
Auftreten  fiel  noch  in  die  Zeit,  als  der  stolze  Titan  Cornelius  den 


Adolf  Meinel. 


Mensel:  Die  Krönung  König  Wilhelms  in  Königsberg 


522 


XXX.  Der  Realismus  in  Deutschland 


Himmel  zu  stürmen  suchte.  Der  kleine  Menzel  war  damals  kein 
Titan,  er  nimmt  sich  in  jener  Generation  wie  an  die  Erde  gebunden 
aus,  aber  er  gehörte  der  Rasse  der  Cyklopen  an;  war  ein  gewaltiger, 
über  Riesenkräfte  verfügender  Baumeister,  und  der  ungeschlachte,  häm- 
mernde, Steine  fügende  Cyklop  reichte  zuletzt  mit  seinem  wohlge- 
fügten Gebäude  ebenso  hoch,  wie  jene  Romantiker  auf  ihren  gefähr- 
lichen Ikarusflügeln  sich  erhoben.  Nachdem  er  erst  der  Zeichner, 
dann  der  Maler  Friedrichs  des  Grossen  gewesen,  gab  er  nach  dem 
Bilde  der  Schlacht  bei  Hochkirch  die  Historie  auf;  seine  Begabung 
war  zu  modern,  zu  sehr  auf  das  Concrete  gerichtet,  als  dass  die 
constructive  Arbeit  aus  einem  Milieu,  das  nicht  sein  eigenes  war, 
ihn  auf  die  Dauer  hätte  ausfüllen  können.  Bis  zu  seinem  vierzigsten 
Jahre  hatte  er  die  ruhmvolle  Vergangenheit  seines  Vaterlandes  ver- 
herrlicht. Als  mit  Friedrich  Wilhelms  IV.  Tode  die  grosse  ent- 
scheidende Wendung  in  der  Politik  des  preussischen  Staates  eintrat, 
die  der  Stagnation  des  geschichtlichen  Lebens  in  Preussen  und  Deutsch- 
land ein  Ende  machte  und  eine  neue  glänzende  Periode  für  Fried- 
richs Reich  und  Erben  heraufführte,  wurde  der  Maler  Friedrichs  des 
Grossen  der  Maler  des  neuen  Reiches.  Nachdem  er  schon  in  der 
ersten  Hälfte  des  Jahrhunderts  die  Sachlichkeit  auf  den  Thron  der 
Kunst  erhoben  an  Stelle  des  verschwommenen  Ideals  und  der  Phrase 
— ging  er  wieder  einen  Schritt  in  der  unmittelbar  scharfen  Beob- 
achtung weiter  und  malte  jetzt,  was  er  selbst  um  sich  sah : das 
strömende,  zuckende  Leben. 

Die  Krönung  in  Königsberg  ist  das  grosse  triumphirende  Titel- 
bild dieser  neuen  Abtheilung  seines  Werkes.  Die  Lichteffecte,  die 
rothen  Töne  der  Uniformen,  die  schillernden  weissen  Seidenroben, 
das  Wogen  der  Masse,  die  spielende  Leichtigkeit,  womit  Alle  in  ihrer 
Individualität  erfasst  sind,  die  Fürsten,  die  Minister,  die  Gesandten, 
die  Gelehrten,  das  ganz  Momentane  in  der  Bewegung  der  Gestalten, 
die  vollständig  ungezwungene  doch  raffinirt  malerische  Anordnung, 
das  macht  aus  diesem  Werke  nicht  ein  Geremonienbild  im  herkömm- 
lichen Sinn,  sondern  ein  malerisches  Kunstwerk  von  gleich  intimer 
wie  feierlicher  Wirkung.  In  dem  Bilde  »Abreise  König  Wilhelms 
zur  Armee«,  der  Schilderung  des  erregten  Moments  am  Nachmittag 
des  31.  Juli  1870,  als  der  König  die  Linden  entlang  zum  Bahnhof 
fuhr,  kam  diese  Richtung,  die  er  mit  dem  Krönungsbild  einge- 
schlagen, zum  Abschluss.  Alles  wogt,  bewegt  sich,  spricht,  athmet, 
ist  durchglüht  von  dem  nervösen  Leben,  das  in  diesem  Augenblick 


XXX.  Der  Realismus  in  Deutschland 


523 


Mensel:  Die  Abfahrt  König  Wilhelms  {nr  Armee. 


patriotischer  Bewegung  Alle  durchzuckte.  Des  Malers  Weg  führte 
weiter. 

Ganz  Mcnzöl  wurde  er  erst,  als  er  die  arbeitende  Menschheit 
entdeckte.  1867,  im  Weltausstellungsjahr,  kam  er  nach  Paris  und 
lernte  Mcissonier  und  Stevens  kennen.  Meissonier  namentlich,  dessen 
Porträt  er  auch  malte,  ward  ihm  eng  befreundet,  und  es  war  selt- 
sam, die  beiden  später  in  Ausstellungen  zusammenzusehen:  den 
kleinen  Menzel  mit  seiner  Riesenglatze,  den  kleinen  Meissonier  mit 
seinem  Riesenbart,  einen  Cyklopen  und  einen  Gnomen,  zwei  Könige 
im  Reiche  Liliput , von  denen  der  eine  kein  Wort  deutsch , der 
andere  nicht  französisch  sprach,  und  die  doch  nur  einen  Blick,  ein 
Achselzucken,  eine  Handbewegung  brauchten,  um  sich  ganz  zu  ver- 
stehen. Auch  mit  Courbet,  der  gerade  die  berühmte  Separataus- 
stellung seiner  Werke  veranstaltete,  kam  er  im  Cafe  Lamartine  in 
Gesellschaft  von  Heilbuth,  Meycrhcim,  Knaus  u.  A.  häufig  zusammen. 
Hier  in  Paris  entstanden  seine  ersten  Bilder  aus  dem  modernen  Volks- 


524 


XXX.  Der  Realismus  in  Deutschland 


leben,  und  war  er  als  Historien- 
maler schon  ein  Häuptling 
gewesen  in  jenen  Gefechten 
gegen  das  Theatralische,  so 
wurde  er  durch  diese  Werke 
nun  auch  ein  Bahnbrecher. 
Ueberall  schuf  er  den  nach- 
stürmenden Genossen  Luft 
und  freie  Bewegung.  Er 
malte  und  zeichnete  im  Laufe 
der  Jahre  Alles,  was  aus 
irgend  einem  Grund  ihn 
künstlerisch  anregte,  und 
keine  dieser  Arbeiten  war  ein 
verlorenes  Werk.  Das  Uni- 
versalgenie unter  den  Wirk- 
lichkeitsmalern, vereinigt  er 
Alles,  wovon  je  ein  Stück 
die  andern  guten  Talente  ge- 
trennt besitzen:  das  schärfste 
Auge  für  jedes  Detail  der 
Form,  die  eindringendste 
Kennzeichnung  des  Seel- 
ischen und  zuweilen  ein  flimmerndes  Spiel  des  Colorits,  wie  cs 
keiner  seiner  deutschen  Vorgänger  besass. 

Sehr  gereizt  haben  ihn  — darin  klingt  noch  ein  Stück  Rococo 
aus  — stets  die  katholischen  Kirchen  und  das  Volk,  das  sich  darin 
bewegt.  Die  lustigen  Zopfkirchen  im  prangenden  Jesuitenstil,  die 
in  München  und  Tirol  so  unversehrt  erhalten,  genossen  seine  be- 
sondere Vorliebe.  Er  badete  sich  wollüstig  in  den  tausend  Details 
von  Sculpturen,  Rahmen,  Orgeln,  Ballustraden,  geschnitzten  Kanzeln, 
auf  die  durch  bunte  Fenster  ein  abgedämpftes  müdes  Tageslicht  lallt. 
In  der  Dämmerung  verwandelte  sich  das  Ganze  in  einen  Wald  von 
Ornamenten,  die  wie  Bäume  im  Walde  ihre  Aeste  ausstreckten. 
Gebrechliche  Leute,  Frauen,  die  den  Kopf  betend  in  den  Händen 
bergen,  Gelähmte  auf  Krücken,  knieen  und  bewegen  sich  inmitten 
der  üppigen  Vegetation  von  Stein,  Holz  und  funkelndem  Gold,  von 
Engelsköpfen,  Schutzheiligen,  Blumenguirlanden,  Consolen  und  Weih- 
wasserbecken. Gewundene  Marmorsäulen,  Kirchenfahnen,  Lampen 


Menzel:  Die  Damensliftskirche  in  München. 


XXX.  Der  Realismus  in  Deutschland 


und  Lüster  steigen  in 
wirr  capriciösen  Um- 
rissen geistreich  pikant 
zur  Kuppel  empor, 
wo  Heiligenbilder  und 
gemalte  Wolkenhim- 
mel, vom  aufsteigen- 
den Qualm  des  Weih. 

rauchs  geschwärzt, 
muthwillig  phantast- 
isch herabblicken. 

Nach  den  Kirchen 
die  Salons.  Es  entstan- 
den seine  Bilder  aus 
der  modernen  Gesell- 
schaft : die  Damen  und 
Cavaliere  des  Hofes  auf 
dem  Balkon  des  Ball- 
saals, die  Geheimraths- 
unterhaltung im  Salon, 
das  wunderbare  Ball- 
souper, auf  dem  sich 
eine  Welt  schöner 
Schultern,  glänzender  Uniformen,  rauschender  Seidenschleppen  zwi- 
schen Spiegeln,  Lüstern,  Colonnaden  und  vergoldeten  Rahmen  bewegt. 
Ein  lebensprühendes  von  flimmerndem  Licht  übergossenes  Bild  war 
die  Ballpause  von  1870.  Die  Musik  schweigt  einen  Augenblick.  Aus 
der  Thür  des  hellerleuchteten  Tanzsaales  strömt  die  Gesellschaft 
in  das  benachbarte  Zimmer,  wo  das  Büffet  hergerichtet  ist  und 
Gruppen  plaudernder  Cavaliere  und  Damen  schon  die  Stühle  und 
Sophas  besetzten.  1879  folgte  der  berühmte  »Cercle«:  Kaiser  Wil- 
helm im  rothen  Galarock  der  Gardes  du  corps  plaudert  mit  einer 
Dame,  von  einem  Meer  von  Köpfen,  Uniformen  und  nackten,  sich 
verbeugenden  Schultern  umwogt.  Musste  in  früheren  Schilderungen 
der  Art  stets  eine  genrehafte  Episode  über  das  unzureichende 
künstlerische  Interesse  hinweghelfen,  so  ist  in  Menzels  Bildern  die 
malerische  Situation  als  Ganzes  erfasst.  Sie  haben  den  Werth  eines 
Buches,  verschönern  nicht  und  lügen  nicht  und  werden  der  Zukunft 
eine  Encyklopaedie  von  Typen  des  19.  Jahrhunderts  überliefern. 


52) 


Menrel:  Cercle. 


526 


XXX.  Der  Realismus  in  Deutschland 


Aus  dem  Salon 
hinaus  auf  die  Strasse, 
aus  den  exclusiven  ari- 
stokratischen Zirkeln 
mitten  hinein  ins  bunte 
Volksgewühl.  Menzel 
war  viele  Jahre  hin- 
durch ständiger  Gast 
in  den  kleinen  Bade- 
Orten  der  österreich- 
ischen und  bayerischen 
Alpen.  Die  Menge  beim 
Concert,  im  Garten  des 
Restaurants,  auf  der 
Promenade,  beim  Feld- 
gottesdienst. das  waren 
Dinge  für  seinen  Pin- 
sel. Da  rieselt  das 
Licht  durch  die  Blätter 
der  Bäume;  Frauen, 
Kinder  und  vornehme 
Herren  lauschen  der 
Musik  oder  des  Predigers  Worten.  Der  kommt,  der  verlässt  seinen 
Platz,  Alles  lebt  und  bewegt  sich.  Grosse  Baumriesen  strecken  schütz- 
end ihre  Arme  darüber.  Ausserordentlich  war  die  Prozession  in  Gastein 
in  der  Mitte  der  Priester,  der  das  Allerheiligste  trägt,  dann  die  Chor- 
knaben in  ihren  rothen  Roben,  vorn  die  Badegäste  und  Touristen,  die 
zum  Schauspiel  herbeigeeilt,  im  Hintergrund  das  ragende  Gebirge. 
Das  Volksgetümmel  ist  ein  Triumph  für  Menzel.  In  Kissingen  malte 
er  die  Brunnenpromenade,  in  Paris  die  Sonntagslust  im  Tuilerien- 
garten,  das  Strassenleben  der  Boulevards,  die  berühmte  Thiergarten- 
scene mit  dem  grossen  Elefanten  und  der  lebensprühenden  Gruppe 
von  Zuaven  und  Damen,  in  Verona  die  Piazza  d’Erbe  mit  dem  wim- 
melnden Volk,  das  sich  kreischend  zwischen  den  Buden  drängt.  Viele 
nach  ihm  haben  solche  Scenen  geschildert,  doch  Wenige  ihren  Ge- 
stalten dies  zuckende  Leben  zu  wahren,  sie  so  wie  Menzel  als  Theile 
eines  grossen  vielköpfigen  wogenden  Ganzen  zu  geben  gewusst. 

Sehr  amüsirt  haben  ihn  immer  die  Reisenden:  Männer,  die 
gähnend  oder  schlafend,  den  Hut  über  die  Augen  gedrückt,  die  Beine 


XXX.  Der  Realismus  in  Deutschland 


527 


Mensel:  Sonnlag  im  Tuileriengarlen. 


über  einander  geschlagen  in  der  Ecke  des  Coupes  sitzen;  Frauen, 
die  zum  Fenster  hinausschauen  oder  ihre  Baarschaft  zählen.  Damit 
wechseln  jene  einförmigen,  in  ihrer  Einfachheit  so  stimmungsvollen 
Landschaften  aus  dem  Weichbild  der  grossen  Stadt,  arme  verwahr- 
loste Gegenden  mit  Maschinen  und  arbeitenden  Menschen.  Kinder 
baden  in  einem  schmutzigen  Bach,  an  dessen  Rand  kleine  ver- 
krüppelte Weiden  stehen ; Nachen  gleiten  über  einen  Fluss,  Matrosen 
springen  von  einer  Barke  zur  andern,  Packträger  bringen  Säcke  oder 
Fässer  an  s Land,  schwere  herkulische  Lastgäule  ziehen  grosse  Wagen 
mit  Biertonnen  über  staubige  Landwege.  Oder  cs  erhebt  sich  das 
Gerüst  eines  Hauses.  Sechs  Maurer  arbeiten  daran,  und  sie  arbeiten 
ernst.  Ein  Stück  Grün  ragt  über  das  Gerüst  herüber,  weiter  ent- 
fernt ziehen  lange  Häuserreihen  hin,  Wasserleitungs-  und  Gaswerke, 
die  den  Riesenkrater  von  Berlin  speisen,  und  Taglöhner  fahren  in 
Schubkarren  Steine.  Zum  ersten  Male  singt  ein  deutscher  Maler  das 
Hohelied  der  Arbeit. 

Er  geht  von  der  Strasse  in  die  Werkstätten  und  malt  in  qualmigen 
Fabrikräumen  die  wilde  Poesie  der  tobenden  Maschinen.  Sein  Fiscn- 
walzwerk  von  1876,  das  kühne,  machtvolle  Bild,  ist  das  Hauptwerk 


Men: et : Piazza  d’Erbe  in  Verona. 


Mui'.icr,  Moderne  Malerei  II 


Mensel:  Die  Schmiede. 


530  XXX.  Der  Realismus  in  Deutschland 

der  Gruppe.  Der  niedrige  Arbeits- 
raum der  grossen  Eisenschienen- 
schmiederei  von  Königshütte  in 
Oberschlesien  ist  voll  Dampf  und 
Hitze.  Mit  rothglühenden  Gesichtern 
stehen  die  muskulösen  fleischigen 
Männergestalten,  in  geschwollenen 
Händen  die  Stangen  haltend , am 
Feuer.  Ihre  mächtigen  Bewegungen 
erinnern  an  Daumier.  Auf  den 
nackten  Oberkörpern  spielt  das 
Licht  in  weissen,  blauen,  dunkel- 
rothen  Reflexen,  an  den  bekleideten 
Unterkörpern  schimmert  es  röth- 
lich,  violett  und  grünlich  überall,  wo  die  Falten  sich  brechen ; der 
aufgewirbelte  Rauch  ist  weisslich  roth  und  die  Holzpfeiler,  die  das 
Dach  tragen,  sind  dunkel  überglüht.  Hitze,  Schweiss,  Bewegung, 
feuriger  Glanz  überall.  Staub  und  Schmutz,  sich  waschende,  stark 
knochige,  von  hartem  Schaffen  durchschütterte  Eisenarbeiter,  ein 
Durcheinander  von  Treibriemen  und  Maschinentheilen,  keine  hübsche 
Anekdote,  sondern  sachliche  Nüchternheit,  keine  Erzählung,  sondern 
Malerei  — das  war  die  grosse  entscheidende  That  dieses  Bildes. 
Courbets  Steinklopfer  von  1851,  Madox  Browns  Work  von  1852 
und  Menzels  Schmiede  sind  die  Standardworks  in  der  Kunst  des 
19.  Jahrhunderts. 

Innerhalb  der  deutschen  Kunst  bildet  Menzel  eine  Enclave  für 
sich,  einen  Felsen  im  Meer.  Für  Frankreich  bedeutete  er  in  den 
60er  Jahren  die  deutsche  Kunst  überhaupt.  Frankreich  signalisirte 
ilm,  und  nach  dieser  Anerkennung  erlebte  er  das  Schicksal,  selbst 
in  der  Heimath  gefeiert  zu  werden,  bevor  er  das  Greisenalter  er- 
reichte. Ihm  gestattete  man  seinen  Realismus  zu  einer  Zeit,  als 
sonst  realistische  Bestrebungen  noch  durchweg  als  aesthctische  Ver- 
irrungen galten.  Daraus  erklärt  sich  die  seltsame  Thatsache,  dass 
Menzels  50 jähriges  Schaffen  fast  ohne  Einfluss  auf  die  Weiterent- 
wicklung der  deutschen  Malerei  blieb:  sie  wäre  kaum  anders  heute, 
wenn  er  nicht  gelebt  hätte.  So  lange  er  Vorbild  hätte  sein  können, 
durfte  ihm  keiner  folgen.  Und  als  später  die  gesammte  deutsche 
Kunst  in  naturalistische  Bahnen  lenkte,  waren  die  Verschiedenheiten 
zwischen  ihm  und  den  Jungen  zahlreicher  als  die  Berührungspunkte, 


XXX.  Der  Realismus  in  Deutschland 


S31 


so  dass  er  nicht  mehr  vor- 
bildlich wirken  konnte  und 
nur  als  achtunggebietende 
Grösse,  wie  ein  vorsündfluth- 
licher  Heros  hereinragte  in 
die  neue  Zeit. 

Selbst  die  vereinzelten 
realistischen  Ansätze,  die 
Berlin  in  den  70er  Jahren 
machte,  stehen  mit  ihm  in  kei- 
nem Zusammenhang.  Wenn 
Realismus  in  nüchtern  trock- 
ener Illustration  von  Wirk- 
lichkeitsfragmenten be- 
stünde, wenn  Rechtschaffen- 
heit, Loyalität,  gesinnungs- 
treuer Patriotismus  für  die 
Kunst  brauchbare  Qualitäten 
bedeuteten,  so  wäre  Anton  von 
Werner  gewiss  eine  längere 
Betrachtung  zu  widmen.  In 
seinen  Genrebildern  aus  dem  Kriegsleben  steht  Alles  spiegelblank 
und  richtig  am  Platze,  soldatisch  propper,  — typische  Preussen- 
kunst.  Seine  Porträts  sind  Casinobilder,  wie  sie  zweckentsprechender 
nicht  zu  denken.  Vom  Sporen  bis  zur  Kürassiermütze,  Alles  correct 
und  vorschriftsmässig;  selbst  die  Aehnlichkeit  hat  etwas  Reglement- 
mässiges,  das  jeden  Rekruten  zum  Frontmachen  vor  dem  unmittel- 
baren Vorgesetzten  veranlassen  würde.  Bei  den  grossen  Repraesen- 
tationsbildern  reichte  seine  Kraft  gerade  aus,  die  betreffenden 
Staatsactionen  mit  der  Gewissenhaftigkeit  des  Gerichtsschreibers  zu 
registriren.  Die  geistige  Fähigkeit,  an  einem  grossen  Manne  mehr 
als  blankgeputzte  Stiefel  und  blankgeputzte  Uniformknöpfe  zu  sehen, 
das  Künstlerthum,  den  Bilderbogen  zum  Bild  zu  erheben,  war  ihm 
versagt.  Der  Staat  braucht  solche  Maler  wie  die  Compagnie  einen 
guten  Feldwebel  — aber  das  O ffic  iercorps  der  Kunst  besteht 
aus  andern  Elementen. 

Carl  Gussow  wagte,  mit  einem  trivialen  gesunden  Wirklichkeits- 
sinn ausgestattet,  in  einigen  Arbeiten  stramm  und  derb  der  Natur 
gegenüberzutreten  und  stellte  ein  paar  lebensgrosse  Figuren  — das 


Pettenhofen : Spinnerin. 


34* 


XXX.  Der  Realismus  in  Deutschland 


5 32 


Kätzchen,  den  Blumenfreund, 
Verlorenes  Glück,  Willkom- 
men , die  Venuswäscherin, 
das  Austernmädchen  u.  dd. 

o 

— aus,  durch  die  er  in  Berlin 
für  kurze  Zeit  die  Aera  der 
gelben  Tücher  und  schwar- 
zen Fingernägel  eröffnete 
und  wegen  der  er  von  den 
Kritikern , je  nach  deren 
ästhetischem  Glaubens- 
bekenntniss,  als  Pionier  des 
Realismus  auf  den  Schild 
gehoben  oder  mit  dem  Bann- 
strahl belegt  ward.  Er  hatte 
eine  handfeste  Art,  Muskeln, 
Fleisch  und  bunte  Kleider 
zu  malen,  grün  neben  roth, 
roth  neben  gelb  zu  setzen, 
kam  aber  selbst  in  diesen 
Erstlingswerken  — die  seine 
einzigen  Kunstwerke  blieben 
nicht  über  die  banal  barbarische  Abschrift  einer  völlig  uninter- 
essanten Wirklichkeit  hinaus. 

Max  Michael  scheint  ein  wenig  von  Bonvin  berührt.  Wie  dieser 
interessirte  er  sich  für  die  schweigsamen  Bewegungen  der  Kloster- 
frauen, für  saftiges  Gemüse,  dunkelbraune  Wandvertäfelungen  und  das 
schummerige  Licht  im  Innenraum.  Er  war,  wie  Ribot  in  Frankreich, 
obwohl  mit  geringerer  künstlerischer  Kraft,  ein  guter  Repraesen- 
tant  jener  »Schule  der  Kellerluken«,  die  in  solider  Weise  den  Ton 
der  alten  Spanier  nachahmte.  Eines  seiner  schönsten  Bilder  hängt  in 
der  Kunsthalle  in  Hamburg  und  stellt  eine  italienische  Mädchenschule 
dar.  Eine  Nonne  leitet  den  Nähunterricht,  der  Hintergrund  ist  braun, 
das  Zimmer,  das  wie  eine  Dachluke  aus  hohem  kleinem  Fenster  ein 
durch  gelbes  Glas  gebrochenes  Licht  empfängt,  ist  in  dämmerigem 
Braun  gebadet,  worin  die  bunten  Kostüme  der  kleinen  Italienerinnen 
mit  ihren  weissen  Kopftüchern  sehr  hübsche  harmonische  Farben- 
flecken bilden.  Kein  Abenteuer,  keine  Episode  wird  erzählt,  aber 
die  malerische  Erscheinung  der  kleinen  Mädchen,  ihr  Ton  im  Raume 


Pettenhofen:  Im  Kloslerhof. 


XXX.  Der  Realismus  in  Deutschland 


533 


Pettenhofen:  IV alachtsches  Fuhrwerk. 

ist  desto  feiner  gegeben.  Ein  vornehmes  altmeisterliches  Farbenleben 
entschädigt  für  den  Mangel  genrehaften  Inhalts. 

In  Wien  lenkte  August  von  Pettenhofen  die  verknöcherte  vor- 
märzliche  Genremalerei  in  eine  künstlerisch  feine  Malerei  hinüber. 
Während  die  Nachfolger  Gauermanns  und  Danhausers  sich  in  herz- 
erschütternden Scenen  oder  humoristischen  Episoden  ergingen,  hat 
Pettenkofen  als  Erster  rein  malerisch  die  Welt  betrachtet.  Alfred 
Stevens  hatte  ihm  1851  in  Paris  die  Augen  geöffnet.  Troyons 
und  Millets  Bilder  bestärkten  ihn  in  seinen  Bestrebungen.  Auf 
einem  Gute  seines  Vaters  in  Galizien  war  er  aufgewachsen  und 
Cavallerieoffizier  gewesen,  bevor  er  sich  der  Malerei  zuwandte:  das 
Pferd,  der  Bauer,  das  Rind  sind  die  einfachen  Figuren  seiner  Bilder. 
An  die  Stelle  episodenreicher,  schlecht  gemalter  Novellen  setzte  er 
ärmliche  Ebenen  der  einsamen  Puszta,  nissige  Schmieden,  dumpfe 
Schusterwerkstätten,  schmutzige  Hofräume  mit  Kehricht-  und  Dünger- 
haufen, Zigeunerherbergen  und  öde  Dachstübchen.  Weder  der  Senti- 
mentalität noch  der  genrehaften  Neugier  ist  Rechnung  getragen  — 
feine  Farbenakkorde  erklingen  — das  ist  ausreichend.  In  dem  Städt- 
chen Spolnok  an  der  Theiss,  östlich  von  Pest  pflegte  er  die  Sommer- 
monate zu  verbringen.  Hier  trieb  er  sich  zwischen  den  kleinen, 
weissgetünchten  Häusern  herum,  den  Krämerbuden,  den  Ständen  der 
Fruchthändler.  Ein  träg  hinziehendes  Ochsengespann  mit  schlafen- 


534 


XXX.  Der  Realismus  in  Deutschland 


Pellenkojen : Bleistiftzeichnung. 


dem  Hirtenbuben,  schwarzäugige  wasserholende  Mädchen,  arme 
Kinder,  die  am  Boden  spielen,  alte  Männer,  die  im  Hof  in  der  Sonne 
träumen,  sind  gewöhnlich  die  einzigen  athmenden  Wesen  seiner 
Bilder.  Da  dehnt  sich  ein  sandiger  Dorfplatz  aus  mit  niedrigen 
weissgestrichenen  Häusern,  dort  hält  ein  Ochsenwagen  an  der 
Strasse  oder  ein  Postreiter  trabt  auf  müdem  Gaule  dahin.  Gleich 
Menzel  malt  Pettenhofen  eine  thätige,  in  ihre  Arbeit  versenkte 
Menschheit,  einfache  Existenzen,  die  gar  nicht  daran  denken,  dem 
Ausstellungsbesucher  zu  Liebe  ihre  Thätigkeit  zu  unterbrechen.  Was 
ihn  unterscheidet  von  dem  Berliner,  ist  ein  mehr  lyrischer  Zug, 
etwas  Weiches,  Beschauliches,  Sinnendes.  Menzel  spitzt  Alles  dra- 
matisch zu,  setzt  die  Massen  in  Bewegung,  stellt  die  geschäftige, 
lärmende  Menge  dar,  die  sich  drängt  und  stösst,  sich  in  buntem 
Gewimmel  an  den  Eingängen  der  Theater,  vor  den  Fenstern  der 
Cafes  dahinschiebt.  Pettenhofen  kehrt  bei  dem  kleinen  Handwerker, 
der  einsamen  Näherin  ein.  In  Menzels  Eisenwalzwerk  sprühen  die 
Funken  und  rasseln  Maschinen ; Alles  ist  friedlich  und  still  in  den 
Schusterwerkstätten  und  sonnigen  Dachstübchen , die  Pettenhofen 
besucht.  Menzel  liebt  das  Momentane,  das  zuckende  Leben,  Petten- 
hofen die  Ruhe , die  Einsamkeit.  Dort  denkt,  wacht,  redet  Alles, 
hier  schläft  es  und  gähnt  es,  Malt  Menzel  einen  Lastwagen,  so 


XXX.  Der  Realismus  in  Deutschland 


535 


knallt  der  Fuhrmann  mit  der  Peitsche,  man  hört  das  Gespann  über 
holpriges  Pflaster  rumpeln ; bei  Pettenhofen  steht  der  Wagen  ruhig 
in  einer  engen  Gasse,  der  Knecht  hält  Mittagsruhe,  träge  Schwüle 
brütet  darüber.  Menzel  liebt  Menschen,  die  die  Gesichter'  verzerren, 
Pettenhofen  sieht  von  aller  Charaktermalerei  ab,  begnügt  sich  mit 
der  Wiedergabe  schlichten  Thuns  in  malerischen  Momenten.  Der 
Berliner  ist  epigrammatisch  scharf,  der  Wiener  schwermüthig  melan- 
cholisch. Menzels  Bilder  sind  raketenhaft  schillernd,  die  Pettenhofens 
auf  vornehmen  Amateurton  gestimmt.  Gemein  ist  ihnen  nur  das 
Eine,  dass  Beide  keine  Nachfolger  fanden,  keinen  Gipfel  innerhalb 
der  Berliner  und  Wiener  Kunst  bezeichnen,  sondern  wie  erratische 
Blöcke  in  die  dortige  Production  gekeilt  sind. 

Während  sich  in  beiden  Städten  die  realistische  Bewegung  auf 
einzelne  Meister  beschränkte,  hatte  München  wieder  die  Mission,  schul- 
bildend aufzutreten.  Hier  haben  sich  alle  Richtungen  der  modernen 
Kunst  am  deutlichsten  ausgeprägt,  alle  Bewegungen  am  consequen- 
testen  vollzogen.  Auf  die  Gottheiten  des  Cornelius  waren  die  Helden 
Pilotys,  auf  diese  Defreggers  Tiroler  Bauern  gefolgt,  und  bei  aller 
gegenständlichen  Verschiedenheit  verknüpfte  noch  ein  Band  diese 
Werke:  dass  der  interessante  Stoff  daran  die  Hauptsache,  das  Maler- 
ische etwas  Nebensächliches  war.  Auf  die  Eroberung  des  Maler- 
ischen ging  das  Streben  der  70er  Jahre.  Man  begann  einzusehen, 
dass  das  Talent  Witze  zu  machen  und  Novellen  zu  erzählen,  das 
noch  bei  den  Bauern-  und  xMönchsbildern  der  Defregger-  und 
Grützner-Schule  als  ausschlaggebend  in  Frage  kam,  gar  keine  spcciclle 
Fähigkeit  der  bildenden  Kunst  darstellt,  dass  nur  technische  Ilalb- 
fertigkeit  im  bequemen  Bunde  mit  der  Kunstunempfänglichkeit  des 
Publikums  diese  erzählende  Malerei  erzeugt  hatte.  Es  ward  gegen- 
wärtig, dass  die  Aufgabe  der  bildenden  Kunst  nicht  darin  bestehe, 
zu  erzählen,  sondern  darzustellen,  — mit  den  sinnlich  überzeugend- 
sten Mitteln,  die  ihr  überhaupt  zur  Verfügung  sind.  Ein  erneutes 
Studium  der  Alten  vermittelte  diese  Erkenntniss. 

Nachdem  bis  dahin  auch  auf  kunstgewerblichem  Gebiete  die 
trübseligste  Oede  geherrscht,  hatte  sich  seit  1870,  getragen  von  dem 
wiedererwachten  Nationalitätsgefühl  und  begünstigt  durch  die  Hoch- 
fluth  der  Milliarden,  jene  folgenreiche  Bewegung  vollzogen , deren 
Programm  lautete:  »Altdeutsch«,  »Stilvoll«.  Die  deutsche  Renais- 
sance, bisher  auch  von  der  Forschung  vernachlässigt,  wurde  neu  ent- 
deckt. Lübke  ging  an  ihre  planmässige  Durchforschung,  Woltmann 


XXX.  Der  Realismus  in  Deutschland 


schrieb  über  Hans  Hol- 
bein, Thausing  über 
Dürer,  Eitelberger  be- 
gründete das  öster- 
reichische Museum  für 
Industrie,  Georg  Hirth 
liess  sein  »Deutsches 
Zimmer«  erscheinen 
und  begann  den  «For- 
menschatz« herauszu- 
geben. Die  nationale 
Kunstweise  der  deut- 
schen Renaissance 
wurde  aller  Orten  mit 
dem  stolzen  patriot- 
ischen Bewusstsein  auf- 
gegriffen, hier  sei  das 
Allheilmittel  gefunden. 

Die  Kunstgewerbe- 
treibenden erklärten 
der  Nüchternheit  und 
Langeweile  offen  den 
Diel : Heimkehr  vom  Markte.  Krieg.  Lorenz  Gedon 

besonders  — im  Verein 

mit  den  beiden  Seitz,  Franz  und  Rudolf  — war  die  Seele  der  Bewegung. 
Mit  seinem  krausen,  schwarzen  Haar,  den  kleinen,  feurigen,  dunklen 
Augen,  dem  kurzen  Vollbart,  der  saloppen  Kleidung  und  zwei  grossen 
zu  jeder  Art  Kunstübung  geschickten  Händen , hatte  er  selbst 
etwas  von  einem  altdeutschen  Steinmetz.  Dieser  originellen  Erschein- 
ung entsprach  seine  Ausdrucksweise.  Alles  darin  war  eigenartig, 
von  sinnlicher  Anschauung  gesättigt.  Als  Sohn  eines  Antiquitäten- 
händlers von  Kind  an  mit  den  alten  Meistern  vertraut , folgte  er 
ihnen  auch  in  der  Art  seines  Studiums.  Es  lag  ihm  fern , sich 
auf  ein  Fach  zu  beschränken.  Hausfacaden  und  Innenarchitekturen, 
Kneipzimmer  und  Festdecorationen,  Prunkwagen  und  Möbel,  Statuen 
und  Ornamente  in  Stein,  Bronze,  Holz  und  Eisen,  Porträtbüsten  in 
Wachs,  Thon  und  Marmor,  Modelle  für  Kleinodien , für  schmiede- 
eiserne Gitter,  Schiffszierrathen  und  Kajüteneinrichtungen  — jedes 
Stück  launisch,  phantastisch,  lustig  und  seltsam  — All  das  auszu- 


XXX.  Der  Realismus  in  Deutschland 


537 


Claus  Meyer:  Musicirende  Begumen. 


führen,  fühlte  dieser  merkwürdige  Mann  in  sich  die  gleiche  Kraft. 
Dabei  verschmolz  sich  in  ihm  ganz  eigenartig  die  Natur  des  Sammlers 
mit  der  des  Künstlers.  Vor  seinem  Hause  an  der  Nymphenburger- 
strasse, in  dem  buschreichen  verwilderten  Garten  lagen  bis  zum 
Zaun  hin  zahllose  steinerne  Fragmente  von  mittelalterlichen  Bild- 
werken. Vor  den  Fenstern  lehnten  alte  verrostete,  schmiedeeiserne 
Gitter  und  im  Hause  selbst  standen  die  kostbarsten  Stücke,  an  denen 
die  Künstler  zehn  Jahre  früher  noch  achtungslos  vorübergegangen,  in 
Massen  neben  einander.  Da  Gedon  mit  40  Jahren  aus  seinem 
.Schaffen  abberufen  wurde,  kam  seine  künstlerische  Thätigkeit 
nicht  über  improvisirende  Ansätze  hinaus,  aber  die  Impulse,  die  von 
ihm  ausgingen,  waren  mächtig.  Durch  sein  Eingreifen  wurde  das 
ganze  Gebiet  des  Kunstgewerbes  malerischen  Gesichtspunkten  unter- 
than  gemacht.  Der  kahle  Biedermaierstil  wich  und  ein  heiteres 
Aufjauchzen  der  Farbe  begann.  Die  von  ihm  arrangirten  grossen 
Carnevalsfeste  aus  der  Renaissancezeit  bilden  eine  wichtige  Episode 


538 


XXX.  Der  Realismus  in  Deutschland 


in  der  Culturgeschichte  Mün- 
chens und  haben  nicht  un- 
wesentlich zur  Verfeinerung 
auch  des  m oder  ne  n Damen- 
costüms  beigetragen.  Die 
Münchener  Kunstgewerbe- 
ausstellung von  1876,  wo  er 
vor  dem  Eingang  jenes  aus 
alten  Architekturtheilen, 
Holzsculpturen  und  Prunk- 
stoffen  componirte  mächtige 
Portal  mit  der  Aufschrift 
»Unserer  Väter  Werke«  auf- 
geführt hatte,  bezeichnet  den 
künstlerischen  Höhepunkt 
der  kunstgewerblichen 
Strömung,  die  damals  ganz 
Deutschland  überfluthete. 

Es  ist  bekannt,  welche 
Zirkel  dieselbe  in  den  näch- 
sten Jahren  zog  und  dass  die 
imitirte  deutsche  Renaissance 
bald  ebenso  unbehaglich 

wurde,  wie  sie  zuerst  gefallen 
hatte.  Nachdem  sie  also  ge- 
nugsam abgehetzt  war,  ging 
man  ein  Stück  weiter,  be- 
gann aus  der  Renaissance 
F.  A.  Kaulbach : Lautenspielerin.  dem  Barock  zuzutreiben,  dem 

wieder  bald  darauf  das 

Rococo  folgte.  Heute  ist  auf  dieses  Verzierungsfieber  Ernüchterung, 
auf  das  Stilgewitter  Ucbersättigung  eingetreten,  ein  Ermatten,  ein 
Sehnen  nach  Einfachheit  und  Stille.  Der  wohlthätige  Einfluss  der. 
Bewegung  auf  die  allgemeine  Hebung  des  Geschmackes  ist  trotzdem 
unverkennbar  und  kam  indirect  auch  der  Malerei  zu  Gute. 

In  jene  Räume,  in  denen  der  Besitzer  das  einzige  stilwidrige 
Inventarstück  war,  konnten  auch  nur  Bilder  passen,  die  genau  im 
Stil  der  alten  Meister  gehalten  waren.  Die  Kunstwerke  wurden  als 
stilvolle  Möbel  aufgefasst,  die  sich  der  übrigen  Zimmereinrichtung 


XXX.  Df.r  Realismus  in  Deutschland 


539 


correct  einfügen,  auch  selbst 
stilgerechte  »Nachahmungen 
von  unserer  Väter  Werken« 
sein  mussten.  Auf  diese 
Weise  gab  die  kunstgewerb- 
liche Strömung  den  Anstoss 
zu  einem  erneuten,  viel 
feineren  Studium  der  alten 
Meister,  als  es  bisher  be- 
trieben worden  war.  Die 
Münchener  Costümkundigen 
deryoer  Jahre  bedeuten  unter 
den  über  ganz  Deutschland 
verbreiteten  Costümmalern 
eine  wirklich  künstlerische 
Abart  von  coloristisch  gesinn- 
ten Könnern.  Sie  waren  die 
Kunsthistoriker  unter  den 
Malern , die  Feinschmecker 
der  Farbe.  Piloty  genügte 
ihnen  nicht,  sie  versenkten 
sich  mit  feinem  nachempfin- 
dendem Verständniss  in  die 
alten  Meister,  begannen  auf 
ihren  Paletten  die  weichen  üp- 
pigen schmelzenden  Farben 
zu  mischen,  die  eigentliche 
Wollust  der  Malerei  ZU  F.  A.  Kaulbacb:  Dame  in  alldeutscher  Tracht. 
fühlen.  Indem  sie  im  heil- 
dunkeln, mit  Gobelins  behängten  Atelier  die  alten  feinen  Kleinmeister 
mitsammt  dem  verschönernden  Rost  der  Jahrhunderte  nachahmten, 
sahen  sie  ihnen  allmählich  alle  ihre  Kunstgriffe  ab  und  führten,  in- 
dem sie  in’s  Detail  gingen,  die  Renaissance  der  Oelmalerei  herbei. 
Wie  seltene  Leckerbissen  muthen,  mit  den  früheren  verglichen,  ihre 
Bilder  an.  Sie  sahen  nicht  mehr  wie  die  Genremaler  das  Ende 
ihres  Berufes  in  der  einseitigen  Begabung  am  Charakterisiren,  sondern 
strebten,  das  Hauptgewicht  wieder  auf  die  malerisch-künstlerische  Er- 
scheinung der  Bilder  zu  legen.  Es  ist  ihnen  eine  Ahnung  aufgegangen, 
dass  es  bessere  Welten  als  den  gewöhnlichen  Genrehumor  gebe,  und 


540 


XXX.  Der  Realismus  in  Deutschland 


diese  Erkenntniss  war  von 
sehr  grosser  Tragweite.  An 
die  Stelle  novellistischen 
Humors  trat  der  malerische 
Witz.  Malte  man  bisher  Ge- 
danken, so  begann  man  nun 
Dinge  zu  malen,  und  wenn 
cs  auch  alte  Cardinaismäntel 
waren  und  Schauben  und 
Tricots,  so  war  es  doch 
nichts  »Erfundenes«  mehr, 
sondern  etwas,  was  man  als 
Ganzes  sah.  Der  Uebergang 
dazu,  schliesslich  das  zu  ma- 
len, was  sich  thatsächlich 
vor  dem  Auge  abspielt. 

Der  prächtige  und  ge- 
sunde, malerisch  geistreiche 
Diez,  der  Victor  Scheffel  der 
Malerei,  steht  an  der  Spitze 
der  Gruppe.  Von  Jugend  auf  war  sein  Hauptaufenthaltsort  das  Kupfer- 
stichcabinet, wo  er  Schongauer,  Dürer  und  Rembrandt,  alle  in  Kupfer 
gestochenen,  in  Holz  geschnittenen  oder  radirten  Kneipbrüder  und  Va- 
gabunden studirte,  nach  denen  er  seine  eigenen  Marodeure,  Raubritter, 
aufständischen  Bauern,  altdeutschen  Hochzeiten  und  Jahrmärkte  malte. 
Sein  Bild  »Zur  Kirchweih«  ruft  Bcham,  sein  »Lustiges  Reiten« 
Schongauer,  sein  »Hinterhalt«  Dürer  ins  Gedächtniss,  während  für 
seine  Jahrmärkte  Tcniers  das  Vorbild  gab.  Diez  kennt  sich  in 
der  Periode  von  Dürer  und  Holbcin  bis  auf  Rubens,  Rembrandt, 
Wouwerman  und  Brouwer  ganz  wie  ein  Kunsthistoriker  aus  und  hat 
zuweilen  — in  seinem  »Picknick  im  Walde«  — selbst  das  18.  Jahr- 
hundert in  den  Kreis  seiner  kunsthistorischen  Studien  gezogen.  Seine 
Bilder  waren  von  unerreichter  Tonfeinheit  und  könnten  in  der  Pina- 
kothek gewiss  neben  denen  seiner  niederländischen  Vorbilder  hängen, 
ohne  dass  sie  durch  die  Annäherung  verlören. 

In  Harluirger,  dem  geistreichen  Zeichner  der  Fliegenden  Blätter  , 
dem  unbestrittenen  Herrscher  im  Reiche  der  Schlapphüte,  der  alten 
Krüge  und  dellter  Pfeifen,  lebte  ein  Stückchen  von  Brouwer  oder 
Ostade  wieder  auf.  Bilder  wie  der  Bauerndoctor,  die  Kartenspicler, 


Lenbach.  Selbstborträl. 


XXX.  Der  Realismus  in  Deutschland 


541 


die  Grossmutter,  Am 
stillen  Herd,  Im  Sor- 
genstuhl, die  Gemüth- 
lichen  etc.  waren  Mei- 
sterwerke holländ- 
ischer Feinmalerei: 
von  vornehmer,  stim- 
mungsvoller Tongeb- 
ung, tiefem,  feinen 
Helldunkel  und  flüss- 
igem, schmelzvollen 
Vortrag.  Loefftz  be- 
gann mit  seinem  Bilde 
»Geiz  und  Liebe«  als 
Quinten  Massys  redi- 
vivus,  warf  sich  der 
Reihe  nach  Holbein 
und  van  Dyck  in  die 
Arme  und  übte  gleich 
Diez  durch  seine  Lehr- 
thätigkeit  einen  gros- 
sen Einfluss  auf  die 
jüngere  Generation. 

Clmis  Meyer , der  durch 

seine  1883  gemalte  »Nähschule  im  Beguinenkloster«  einer  der  be- 
kanntesten jungen  Münchener  wurde,  hatte  das  Verdienst,  an  der 
Hand  Pieter  de  Hooghs  und  des  Delftschen  van  der  Meer  sich  zu 
nüancenrcicher  Malweise  emporzuranken.  Durch  die  mit  dünnen 
Gardinen  verhängten  Fenster  der  hinteren  Tlnirwand  fiel  warmes, 
ruhiges  Tageslicht  in  das  Gemach  und  glänzte  auf  den  sauberen 
Dielen  des  Bodens,  auf  den  blanken  Tischplatten,  den  weissen 
Blattseiten  der  Bücher,  den  blonden  und  braunen  Haaren  der  Kinder- 
köpfchen , die  es  wie  mit  goldenem  Nimbus  umwob.  Ein  anderer 
Sonnenstrahl  drang  durch  den  Spalt  der  nicht  ganz  geschlossenen 
Thür  und  zitterte  als  heller,  schmaler  Streifen  über  den  Boden. 
Die  intime  Schilderung  ruhiger  Scenen  des  Kleinlebens,  die  völlig 
malerische  Darstellung  gemüthlich  stiller  Vorgänge  ist  an  die  Stelle 
genrehafter  Abenteuer  getreten.  Alte  Herren  mit  Bierglas  und 
Thonpfeife,  Mägde,  die  in  der  Küche  Kartoffeln  schälen,  Kloster- 


Lenbach:  Kaiser  Wilhelm. 


542  XXX.  Der  Realismus  in  Deutschland 

Schüler,  die  in  der  Bibliothek  bei 
ihren  Büchern  sitzen , Trinker, 
Raucher  und  Wü'rfler  — das 
waren  die  schweigsamen,  ruhig 
passiven  Gestalten  seiner  spätem 
Bilder.  Das  mild  einfallende  Sonnen- 
licht umspinnt  sie.  Leichte  Tabak- 
wölkchen durchziehen  die  Luft. 
Alles  ist  behaglich,  anheimelnd, 
von  einem  Hauch  malerischen 
Reizes,  gemüthlicher  Wärme,  poet- 
ischen Duftes  umwogt.  Seine 
Arbeiten  werden  sich  in  hun- 
dert Jahren  als  tadellos  echte, 
feine,  alte  Holländer  verkaufen. 
Hohnberg  wurde  der  Geschicht- 
schreiber der  Cardinäle.  Ein  aus 
runden  Butzenscheiben  mit  ein- 
gefügten kleinen  Glasgemälden  zusammengesetztes  Fenster  bildet  den 
Hintergrund  des  Zimmers,  und  in  der  milden  Oelbeleuchtung,  die 
Prunkgeräthe  und  Kleinodien,  Truhen  und  Gobelins  überstrahlt,  sind 
weisse  Damen-Atlasklcider,  Schnitt  von  1640,  oder  lila  und  purpur- 
rothe  Cardinaisroben  aus  dem  reichen  Kleiderschrank  des  Künstlers 
mit  den  dazu  gehörigen  Modellen  zur  Schau  gestellt. 

Fritz  August  Kaulbach  ist  der  Extrakt  dieser  Richtung,  der  viel- 
seitigste Anempfinder  der  Gruppe.  Nicht  zu  den  Specialisten  gehörig, 
die  sich  in  einseitiger  Beschränkung  auf  die  Nachahmung  der  Nieder- 
länder oder  der  Holländer  warfen,  tauchte  er  wie  der  alte  Diterici 
proteusartig  bald  in  dieser,  bald  in  jener  Maske  auf  und  wusste  - 
mochte  er  die  Züge  Holbeins,  Carlo  Dolcis,  van  Dycks  oder  Watteaus 
annehmen  — stets  gleich  graziös  und  chic  zu  erscheinen. 

Als  deutsche  Renaissance  im  Zenith  stand,  malte  er  Renaissance: 
harmlose  Genrebilder  ä la  Beyschlag  — Familien-  und  Liebesglück 
— nicht  so  banal  wie  jener,  sondern  mit  feinerem  poetisch  colo- 
ristischen  Reiz.  Besonderen  Beifall  fanden  Einzel tiguren : Nürnberger 
Patriziertöchter  und  Edelfräulein  mit  altdeutschem  Barett,  dunklem 
Sammtkleid  und  langen  Gretchen zöpfen , die  bald  die  Augen  auf- 
geschlagen, bald  gesenkt  hatten , bald  die  Hände  falteten  oder  einen 
glänzenden  Deckelpokal  trugen.  Zuweilen  waren  diese  Einzelfiguren 


XXX.  Der  Realismus  in  Deutschland 


543 


Porträts,  dann  verwandelten  sie  sich  in  »Damen  in  altdeutscher 
Tracht«,  und  Kaulbach  wusste  sowohl  das  schwarze  Barett,  wie 
das  Schleierchen  und  Perlennetz,  die  grüngelbe  Seide  der  Puffärmel, 
wie  den  Plüschbesatz  des  dunkeln  Kleides  und  die  alterthümliche 
rothe  Gretchentasche  zur  grossen  Zufriedenheit  seiner  Besteller  zu 
malen.  Manche  hielten  auch  eine  Laute  in  der  Hand  und  standen 
in  einer  Frühlingslandschaft  vor  einem  Bächlein  oder  einer  Silber- 
birke, ganz  wie  Stevens  das  io  Jahre  vorher  zu  malen  liebte.  Fritz 
August  Kaulbach  nahm  damals  mit  etwas  mehr  Weichheit  in 
Deutschland  die  Stelle  ein  wie  in  Belgien  Florent  Willems.  Seitdem 
hat  er  die  verschiedensten  alten  und  neuen  Meister  mit  künstler- 
ischem Feingefühl  dem  Publikum  näher  gebracht : in  seinem  »Maien- 
tag liess  er  die  Schäferscenen  ä la  Watteau  mit  glücklichem  Griff 
wieder  aufleben , in  der  heiligen  Cäcilie  schuf  er  Arm  in  Arm 
mit  Carlo  Dolci  und  Gabriel  Max  ein  Ganzes  von  grossem  Lieb- 
reiz; seine  Pieta  setzte  er  »aus  den  besten  Gestalten  Michelangelos, 
Fra  Bartolommeos  und  Tizians«  zusammen,  ganz  wie  einst  Gerard 
de  Lairesse  den  Malern  empfahl.  Dazwischen  entstanden  kränkelnde 
Mädchenblumen  ä la  Gabriel  Max,  niedliche  Engelchen  ä la  Thoma, 


Lenbach:  Hirtenknabe. 


544 


XXX.  Der  Realismus  in  Deutschland 


Kinder  in  Pieretten- 
kostüm  a la  Vollem, 
kleine  Landschaften  ä 
la  Gainsborough.  Er 
hat,  um  sein  Palais  zu 
errichten , nicht  in 
sich  selbst  den  Plan 
zu  einem  neuen  Ge- 
bäude gefunden , er 
hat  nach  allen  vor- 
handenen gebaut,  hat 
einfach  unter  allen 
Formen  die  elegante- 
sten, zierlichsten,  köst- 
lichsten gewählt,  von 
ihren  Schönheiten  nur 
die  Blume  genommen 
und  daraus  ein  ge- 
schmackvolles Bou- 
quetgewunden. Zwi- 
A.  v.  Ramberg:  Begegnung  auf  dem  See.  sehen  van  Dyck  und 

die  Engländer  hat  er 

sich  auch  in  seinen  modernen  Damenbildnissen  gestellt,  die  ihm  in  den 
letzten  Jahren  die  Haupterfolge  brachten.  An  einen  wirklich  »chiken« 
Damenmaler  wie  Sargent  darf  natürlich  nicht  gedacht  werden,  doch 
waren  sie  für  Deutschland  von  sehr  feinem  Geschmack,  interessant 
Kaulbachisch  angekränkelt  und  von  einem  odeur  de  femme  um- 
flossen, das  sehr  viel  Beifall  fand.  In  seiner  Schützenlisl  wagte  er 
einen  frischen  Griff  in’s  Volksleben  und  machte  ein  so  graziöses 
Bild  daraus,  dass  fast  Piglhein  es  gemalt  haben  könnte.  In  einer 
Reihe  geistreicher  Caricatuten  war  er  sogar  — Kaulbach.  Die 
Kunstgeschichte  ist  gross,  und  da  Fritz  August  Kaulbach  sie  sehr 
gut  kennt,  wird  er  gewiss  noch  mancherlei  Ansprechendes  und  Ge- 
fälliges zu  malen  finden,  »s’il  continue  ä laisser  errer  son  imagi- 
nation  ä travers  les  formes  diverses  cre6es  par  l’art  de  tous  les 
ternps«,  wie  die  Gazette  des  Beaux-Arts  bei  Gelegenheit  der  Wiener 
Weltausstellung  1878  von  ihm  sagte. 

Einem  Historiker  des  nächsten  Jahrhunderts  werden  nach  alle- 
dem diese  Bilder  wenig  Neues  zu  bieten  haben.  Etre  maitre,  sagt 


XXX.  Der  Realismus  in  Deutschland 


545 


Rudolf  Hirth : Hopfenlese. 


W.  Burger,  c’est  ne  rcssembler  ä personne.  Das  aber  waren  Ar- 
beiten von  Malern,  die  das  Dogma  von  der  Unfehlbarkeit  des  all- 
umfassenden Eklekticismus  lauter  verkündeten , als  die  Carracci  es 
in  ihrem  bekannte  Sonette  thaten ; geistvolle  Anempfinder,  deren 
Zugehörigkeit  zum  19.  Jahrhundert  später  nur  aus  den  Jahrzahlen 
der  Bilder  zu  ersehen  sein  wird.  Wiederaufgelebte  alte  Meister, 
haben  sie  die  Kunstgeschichte  als  solche  nicht  um  Neues  bereichert. 
Aber  sie  haben,  indem  sie  an  Stelle  oberflächlicher  Nachahmungen 
gute  intime  Nachahmungen  setzten,  doch  die  Kunstgeschichte  des 
19.  Jahrhunderts  vorwärts  gebracht. 

Jeder  trug  durch  die  Arbeit  seines  Lebens  dazu  bei,  der  durch 
Winckelmann  und  Carstens  verlernten  Kunst  der  Oelmalerei  in 
Deutschland  wieder  ein  Heim  zu  bereiten , und  in  diesem  Sinne 
waren  ihre  Werke  sehr  wichtige  Stationen  auf  der  grossen  künstler- 
ischen Fahrstrasse.  Durch  das  systematische  Nachahmen  der  feinsten 
alten  Meister  hatte  München  in  verhältnissmässig  kurzer  Zeit  das 
Verständniss  für  Farbe  und  Vortrag  wieder  gewonnen , das  so 
lange  verloren  war.  In  nebelhafter  Ferne  lagen  die  Zeiten,  da  die 

Mutlier,  Moderne  Malerei  II. 


XXX.  Der  Realismus  in  Deutschland 


546 

unterscheidende  Eigentümlichkeit  deutscher  Malerei  in  Gedanken- 
reichthum, Mangel  coloristischen  Sinnes  und  technischem  Unge- 
schick lag  und  die  aesthctischen  Wortführer  diese  Eigenschaften  als 
ebensoviele  nationale  Tugenden  priesen.  Gründlich  war  man  von 
diesen  Meinungen  zurückgekommen,  hatte  ein  Jahrzehnt  strenger 
Arbeit  auf  die  Austilgung  aller  Mängel  verwendet.  Eine  solche  Er- 
rungenschaft war  erfreulich , gross  und  wichtig  genug.  Erst  diese 
letzte  Nachblüthe  der  alten  Meister  konnte  die  Brücke  zu  neuen 
Dingen  werden. 

Gerade  in  denjenigen,  die  malerisch  am  weitesten  vorgeschritten, 
das  ganze  Können  der  Alten  in  sich  aufgenommen  und  verarbeitet 
hatten,  erwachte  das  Gefühl,  dass  die  Grenze  erreicht  sei.  Man 
glaubte  technisch  genug  gelernt  zu  haben,  um  im  Sinne  dieser  alten 
Meister  nun  auch  Stoffe  aus  dem  modernen  Leben  behandeln  zu 
können,  nicht  mehr  wie  früher  als  mühsam  zusammengesetzte  Genre- 
bilder, sondern  als  wirkliche  malerische  Kunstwerke.  Es  trat  wie 
in  Frankreich  eine  Gruppe  von  Realisten  auf,  die  anfingen,  mit 
naturwissenschaftlicher  Strenge,  ohne  alle  genrehaften  Nebengedanken 
die  Wahrheit  zu  suchen. 

Franz  Lenbach,  der  grösste  Schüler  der  Alten,  steht  durch  einige 
Jugendwerke  mit  diesen  Bestrebungen  der  modernen  Kunst  in  enger, 
sehr  wichtiger  Verbindung. 

Man  hat  sich  gewöhnt,  ihn  nur  als  Bildnissmaler  zu  betrachten 
und  verehrt  in  ihm  mit  Recht  den  grössten  deutschen  Porträtistcn 
des  Jahrhunderts.  Die  Nachwelt  kann  es  als  eine  Gunst  der  Götter 
preisen,  dass  gerade  er  zur  rechten  Zeit  geboren  ward,  so  dass 
seine  Entwicklung  zur  Reife  in  die  grösste  Epoche  des  Jahrhunderts 
fiel.  Ein  gemaltes  Heldenepos  unserer  Zeit  wurde  seine  Porträt- 
galerie genannt.  Ihm  sassen  zu  Bildnissen  die  mächtigsten  geschicht- 
lichen Gestalten  des  Jahrhunderts,  die  grössten  Eroberer  und  Herrscher 
im  Reiche  der  Wissenschaft  und  Kunst.  Trotzdem  wäre  diese  Galerie 
für  die  Nachwelt  wcrthlos,  hätte  Lenbach  nicht  über  eine  Eigenschaft 
verfügt,  die  keiner  seiner  unmittelbaren  Vorgänger  bcsass:  einen 
heiligen  Respcct  vor  der  Natur.  Zu  einer  Zeit,  als  rosige  Farben, 
süssliches  Lächeln  und  idealisirende  Zeichnung  die  nothwendigen 
Erfordernisse  jedes  Bildnisses  waren,  als  Winterhalter  die  grossen 
Männer  malte,  nicht  wie  sie  waren,  sondern  wie  sie  nach  seiner 
Ansicht  schöner  gewesen  wären  — ohne  zu  bedenken,  dass  der 
liebe  Gott  am  besten  versteht,  den  grossen  Männern  auch  den  passen- 


XXX.  Der  Realismus  in  Deutschland 


547 


den  Kopf  zu  geben,  — trat  Lenbach  mit  seinen  Bildnissen  von 
brüsker  Wahrhaftigkeit  hervor.  Schon  das  war  eine  That,  die  nur 
einer  eigenartigen  Persönlichkeit  gelingen  konnte.  Um  als  Porträtmaler 
in  der  Gesellschaft  durchzudringen , ist  ausser  dem  eigentlichen 
Künstlerthum  noch  eine  besondere  Complication  der  verschiedensten 
Fähigkeiten  nöthig.  Lenbach  besass  nicht  nur  ein  Auge  und  eine 
Hand,  er  besass  auch  eine  Zunge  und  Ellbogen,  die  ihn  hors  con- 
cours  stellten.  Ebenso  grob  wie  liebenswürdig,  unterwürfig  wie 
stolz,  halb  Bauer,  halb  Hofmann,  ein  gleich  grosser  Künstler  wie 
geschickter  Faiseur,  erreichte  er,  woran  tausend  Andere  gescheitert: 
der  Gesellschaft  seinen  Geschmack  aufzudrängen,  an  die  Stelle  der 
lächelnden  Automaten  der  Modemaler  wieder  wahre  charaktervolle 
Menschen  zu  setzen.  Im  Vergleich  zu  den  Arbeiten  der  früheren 
Porträtisten  geht  ein  Zug  von  Pantheismus,  der  Anbetung  der  Natur 
durch  Lenbachs  Bilder  hindurch. 

Und  was  dieselben  weiter  so  unschätzbar  macht,  ist,  dass  seine 
Grösse  nur  zum  kleineren  Theil  auf  künstlerischen  Eigenschaften, 
zum  grösseren  darauf  beruht,  dass  er  ein  höchst  geistvoller  Mensch 
ist,  der  den  Geist  Anderer  versteht.  Das  Porträt  verlangt  nicht  künst- 
lerische Mache  allein,  vor  Allem  auch  psychisches  Erfassen  des 
Gegenstandes.  Kein  Künstler,  sagt  Lessing,  vermag  eine  höhere  geistige 
Potenz  darzustellen  als  er  selbst  besitzt.  Gerade  dies  aber  bildet  bei 
vielen  Porträtisten  eine  schwache  Seite,  da  die  Künstlerschaft  des 
Menschen  durchaus  nicht  immer  in  directem  Verhältnis  zur  Ent 
wicklung  seiner  geistigen  Potenzen  steht.  Ein  Lenbach’sches  Bismarck- 
porträt verhält  sich  in  dieser  Hinsicht  zu  einem  Anton  von  Werners 
wie  eine  Hehnsche  Goetheinterpretation  zu  einer  solchen  Düntzers. 
Es  ist  ja  sicher  Phrase,  bei  Lenbachschen  Bismarckbildern  von  con- 
genialer  Auffassung  zu  reden.  Ein  Defizit  wird  immer  bleiben,  aber 
seitdem  Lenbachs  Arbeiten  da  sind,  weiss  man  wenigstens,  dass  dieses 
Defizit  auf  weit  geringeres  Maass  zu  rcduciren  ist,  als  es  durch  die 
übrigen  Bismarckporträtisten  geschehen.  Bien  comprendre  son  homme, 
sagt  Bürger-Thort',  est  la  premicre  qualite  du  portraitiste,  und  diese 
Eigenschaft  des  geistreichen  Psychologen  hat  Lenbach  zum  berufenen 
Geschichtschreiber  einer  grossen  Zeit,  zum  registrirenden  Protokoll- 
führer jener  gewaltigen  Aera  gemacht.  Sie  lässt  ihn  sogar  grösser 
als  die  meisten  Porträtmaler  des  Auslandes  erscheinen.  Wie  solid 
zwar,  aber  eintönig  und  hausbacken  erscheint  Bonnat  neben  Len- 
bach. Man  darf  kein  Dutzend  Bonnats  neben  einander  sehen ; 


54« 


XXX.  Der  Realismus  in  Deutschland 


einer  fesselt  durch  die  gewaltige  Plastik  der  Person,  sieht  man 
mehrere  zusammen,  so  haben  alle  Gestalten  die  nämliche  Plastik,  alle 
dieselbe  Pose  und  alle  scheinen  bei  demselben  Schneider  arbeiten  zu 
zu  lassen.  Lenbach  hat  solch  Charakterisiren  durch  Beiwerk,  wie 
Bonnat  es  liebt,  nicht  nöthig.  Er  malt  nur  die  Augen  und  allen- 
falls noch  den  Kopf,  diese  aber  in  psychologischer  Vertiefung,  wie 
sie  unter  den  lebenden  Porträtisten  vielleicht  allein  bei  Watts  noch 
zu  finden.  In  einem  Kopf  glühen  ein  paar  Augen  und  brennen  sich 
in  dich  hinein.  Die  erste  Zone  ringsum,  das  Gesicht  ist  mehr  oder 
meist  minder  ausgeführt,  die  zweite  Zone,  Gewandung  und  Hände, 
minder  oder  fast  gar  nicht.  Das  wird  dann  in  einem  neutralen  Tone 
gehalten,  der  die  Unvollendung  weniger  hervortreten  lässt.  Lenbach 
ist  in  dieser  Skizzenhaftigkeit  und  vorstechenden  Subjectivität  das  ge- 
rade Gegentheil  der  Alten.  Holbein,  selbst  Rubens,  der  sonst  Allem 
den  Stempel  seiner  Persönlichkeit  aufprägt,  charakterisirten  durch 
ehrfurchtsvolle  Nachbildung  aller  von  der  Natur  gegebenen  Ansätze. 
Sie  schufen  gleichsam  sachliche  Dokumente  und  überlicssen  es  dem 
Beschauer,  sie  Jeder  auf  seine  Art  zu  interpretiren.  Lenbach,  minder 
objectiv,  weniger  dem  Stoffe  sich  hingebend,  betont  dies,  vernach- 
lässigt jenes  und  arbeitet  so  aus  den  Gesichtern  die  Seele  heraus, 
wie  er  sie  sieht.  Man  kann  streiten  darüber,  welche  Art  der  Porträt- 
malerei die  wünschenswerthere  sei  — jedenfalls  hat  Lenbach  die 
Welt  gezwungen,  ihre  grossen  Männer  nun  auch  mit  seinem  Auge 
zu  sehen.  Er  hat  ihnen  die  Gestalt  geschaffen,  unter  der  sie  fort- 
lcben  werden.  Keiner  weiss  wie  er  den  flüchtigen  Augenblick  festzu- 
halten; keiner  wies  schroffer  jeden  Versuch  idealisirender  Verhimmel- 
ung und  typischen  Verwaschsens  von  sich.  Er  fragt  die  Photo- 
graphie um  Rath,  doch  nur  wie  Moliere  seine  Haushälterin  fragte. 
Sie  dient  ihm  blos  dazu,  die  erschreckende  Unmittelbarkeit,  das 
Momentane  seiner  Bilder,  zu  erreichen.  Arbeiten  wie  »König  Ludwig  I., 
Gladstone,  Minghctti,  Bischof  Strossmayr,  Fürst  Lichtenstein,  Richard 
Wagner,  Franz  Liszt,  Paul  Heyse,  Wilhelm  Busch,  Schwind,  Semper, 
Liphart,  Morelli«  und  viele  andere  suchen  ihres  Gleichen  als  Gha- 
racteranalysen  complicirter  Persönlichkeiten.  Einzelne  seiner  Bismarck- 
porträts, wie  die  letzten  Bilder  des  alten  Kaiser  Wilhelm  werden  stets 
unter  den  grössten  Leistungen  der  Portätmalerei  des  Jahrhunderts 
stehen.  Dort  die  unverwüstliche  Kraft,  das  Gehäuse  gleichsam,  das 
der  gewaltigste  Geist  des  Jahrhunderts  sich  baute,  hier  die  Majestät 
des  halb  der  Erde  schon  entrückten  Greises,  von  einem  Zug  stiller 


XXX.  Der  Realismus  in  Deutschland 


549 


Wehmuth  wie  einem 
letzten  Abendsonnen- 
strahl verklärt. Lenbach 
erscheint  in  diesen 
Werken  als  ein  wahrer 
Seelenbeschwörer  — 
ein  evocateur  d'ames, 
wie  ein  französischer 
Kritiker  ihn  nannte. 

Was  die  Kunstge- 
schichte aber  über  den 
Ruhm  des  Portrait  - 
malers  Lenbach  ver- 
gass,  ist,  dass  derselbe 
Mann  im  Beginne  sei- 
ner Thätigkeit  auch 
die  »realistische«  Be- 
wegung der  deutschen 
Malerei  an  bahnte,  der 
er  selbst  heute  stolz 
und  zurückhaltend  ge- 
genübersteht.  Das  eine 
dieser  Werke,  die  für 
Deutschland  eine  ähn- 
liche Bedeutung  haben 
wie  die  Erstlingsarbeiten  Courbets  für  Frankreich,  ist  der  bekannte 
Hirtenbube  der  Schack’schen  Galerie,  der  auf  dem  Rücken  ausge- 
streckt im  hohen  blüthenreichen  Grase  liegt  und  in  die  staubige, 
von  Schmetterlingen  und  Libellen  durchschwirrte  Luft  des  römischen 
Sommertages  hinaufblickt.  Ein  so  unbefangener,  muthig  rücksichts- 
loser, mit  allem  Herkömmlichen  brechender,  nackter  Realismus  in 
der  Darstellung  der  Wirklichkeit  war  im  Jahre  1856  in  Deutsch- 
land etwas  völlig  Befremdliches  und  Neues.  In  solch  unbedingter 
Wahrheit  hatte  man  ein  Stück  Natur  noch  nie  zuvor  geschildert 
gesehen.  Der  braune  Bube  schien  leibhaftig  dazuliegen,  von  der 
glühenden  Mittagssonne  plastisch  modellirt,  die  nackten  sonnver- 
brannten Füsse  mit  einer  dunkeln  Kruste  vom  Morast  des  feuchten 
Bodens  bedeckt.  Das  andere  Bild  — auf  der  Ausstellung  von  1858  — 
»Vor  dem  Wetter  flüchtende  Bauern«  — rief  wegen  seines  »trivialen  Re- 


Wilhelm  Leibi. 


5)0 


XXX.  Der  Realismus  in  Deutschland 


alismus«  einen  Sturm 
der  Entrüstung  hervor. 
Jede  Figur  war  mit 
derber , herber  Auf- 
richtigkeit nach  der 
Natur  gemalt  und  kein 
genrehafter  Inhalt  da- 
zu erfunden. 

Seit  den  6oer  Jahren 
beginnt  dann  Courbet 
direct  zu  wirken.  Vic- 
tor Müller  hatte,  schon 
während  er  im  Atelier 
Coutures  arbeitete,  Et- 
was von  den  Ideen  in 
sich  aufgenommen,  die 
der  Meister  von  Omans 
mit  sich  herumtrug, 
und  vermittelte,  als  er 
1863  sich  in  München  niederliess,  den  dortigen  Malern  die  erste  Kennt- 
niss  der  Werke  des  grossen  Franzosen.  In  den  Stoffen  folgte  er  ihm  nicht. 
»Der  Mensch  im  Schoosse  der  Nacht  vom  Schlafe  mit  Geigenspiel 
zur  Ruhe  gewiegt,  Venus  und  Adonis,  Hero  und  Leander,  Hamlet  auf 
dem  Kirchhofe,  Tannhäuser  und  Venus,  Faust  auf  dem  Spaziergang, 
Romeo  und  Julie,  Ophelia  am  Bache  — das  sind  die  Titel  seiner 
hauptsächlichsten  Werke.  Doch  wie  weit  entfernt  sind  sie  von  der 
blutlos  leeren  Schönmalerei,  die  in  der  Coutureschule  herrschte.  In 
seinen  Stoffen  Romantiker  reinsten  Wassers,  erscheint  Müller  in 
der  Art,  wie  er  sie  behandelte , als  herber  Realist , an  dem  kein 
Atom  von  akademischem  Schulstaub  klebte.  Durst  nach  Leben 
und  Farbe,  vollblütige  Kraft,  stolze  Verachtung  jedes  leeren  Pathos 
und  aller  äusserlichen  Pose,  echte  Menschengesichter  und  leben- 
dige Menschengestalten  von  leidenschaftlicher  Wildheit,  kühnes  Ver- 
zichten auf  alle  herkömmlichen  Regeln  der  Composition , selbst 
in  der  Farbe  eine  Wahrheit,  die  in  jener  Zeit  prunkvoller  Stoff- 
malerei wie  etwas  Funkelnagelneues  gewirkt  haben  muss  — das  sind 
die  hauptsächlichsten  Kennzeichen  der  Victor  Müller’schen  Bilder. 
Das  blühende  Fleisch  seiner  Waldnymphe  setzte  1863  das  Münchener 
Publikum  in  gleiche  Empörung,  als  es  gleichzeitig  in  Paris  die  weib- 


Leibl:  Im  Atelier. 


XXX.  Der  Realismus  in  Deutschland 


5)1 


liehen  Akte  Courbets 
thaten.  Bildnisse  von 
seltsamer  Sicherheit 
der  Hand,  Hundepor- 
träts und  Landschaften 
von  flammender  Gluth 
der  Farbe,  Einzel- 
figuren rothhaariger 
Bacchantinnen  und 
lachender  Blumen- 
mädchen , sterbende 
alte  Männer  und  ent- 
zückende Märchen- 
bilder gingen  in  den 
wenigen  Jahren,  die 
er  noch  zu  leben  hatte, 
aus  seinen  Händen 
hervor.  Je  näher  er 
dem  Tode  kam,  desto 
mehr  steigerte  sich 
seine  Arbeitskraft.  Die 
merkwürdigsten  Ideen 
bildeten  sich  in  seinem  Kopf.  Er  zeichnete,  malte  ohne  Unterlass 
Entwürfe,  die  ihn  für  Jahre  hinaus  beschäftigt  hätten.  »Ich  komme 
mir  wie  ein  Baumeister  vor,  dem  ein  grosser  Bau  aufgetragen  wurde, 
und  ich  kann  doch  nicht,  ich  muss  sterben.« 

Die  Anregungen , die  er  gegeben  hatte , wirkten  weiter.  Wie 
Hans  Thoma  später  auf  dem  Gebiete  des  Märchenhaften  den  grossen 
Frankfurter  fortsetzte,  hat  Wilhelm  Leibi  Müllers  realistisches 
Programm  verwirklicht. 

Wilhelm  Leibi  wurde  am  23.  Oktober  1844  in  Köln  als  Sohn 
des  dortigen  Domkapcllmeisters  Leibi  geboren.  In  München  trat 
er  in  das  Atelier  Arthur  von  Rambergs  ein,  jenes  heute  unverdient 
vergessenen  Malers,  der  durch  sein  eigenes  Schaffen  wie  durch  seine 
Lehrthätigkeit  auf  die  jüngere  Münchener  Schule  einen  weit  ge- 
sunderen Einfluss  als  Piloty  übte.  Ramberg  war  ein  moderner  Mensch, 
mit  dem  guten  Willen,  die  Ketten  der  Tradition,  die  jene  Generation 
allüberall  umschlangen,  zu  zerreissen  und  unmittelbar  dem  Leben 
gegenüber  'zu  treten.  Ein  aristokratischer  Dandy,  hatte  er,  nachdem 


Leibi:  Französin. 


5)2 


XXX.  Der  Realismus  in  Deutschland 


Leibi:  Zeitunglesende  Bauern. 

er  anfangs  sich  in  romantischen  Märchenstoffen  bewegt,  bald  nach 
seiner  Uebersiedelung  nach  München  eine  Reihe  von  Bildern  aus 
dem  modernen  Leben  — die  Dachauerinnen  am  Sonntag,  die  Rück- 
kehr vom  Maskenball,  den  Spaziergang  mit  dem  Hofmeister,  die 
Begegung  auf  dem  See,  die  Einladung  zur  Kahnfahrt  u.  A.  — ge- 
malt, die  sich  aus  der  zeitgenössischen  Production  sehr  vornehm, 
duftig  und  anmuthvoll  abheben.  In  einer  Zeit,  als  Andere  nur 
den  Bauernkittel  für  darstellbar  hielten,  malte  Ramberg  das  elegante 
moderne  Damenkostüm.  Zur  selben  Zeit,  als  jene  sich  in  plumpen 
genrehaften  Episoden  ergingen,  schuf  er  Lieder  ohne  Worte  von 
vornehmer  Zurückhaltung,  Adel  und  Zartheit.  Rudolf  Hirth,  der 
durch  seine  Hopfenlese  Aufsehen  machte,  Albert  Keller,  der  ge- 
schmackvolle Maler  des  Highlife,  Karl  Haider,  der  gewissenhaft  ehr- 
liche, altmeisterlich  energische  Feinmaler,  und  Wilhelm  Leibi  gingen 
aus  seiner,  nicht  aus  Pilotys  Schule  hervor. 

Die  Beschäftigung  mit  der  Historie  blieb  dem  jungen  Kölner 
so  von  Anfang  an  erspart,  und  sich  auf  genrehafte  Fabulirkiinste  zu 


XXX.  Der  Realismus  in  Deutschland 


553 


legen,  hatte  er  nicht 
nöthig,  da  sein  gan- 
zer Organismus  ihn 
zur  Malerei  be- 
stimmte. Wilhelm 
Leibi  war  damals  ein 
hübscher  Mensch 
mit  mächtigen  Glie- 

O 

dern  und  leuchten- 
den rehbraunen 
Augen : der  ver- 

körperte Realismus: 
ziemlich  klein,  aber 
kräftig,  beinahe  last- 
thierartig von  Ge- 
stalt , mit  breiter 
Brust,  hohen  Schul- 
tern und  stierart- 
igem Nacken.  Die 
Arme  waren  dick, 
die  Füsse  breit.  Sein 
Gang  war  langsam, 
schwer  und  nach- 
drücklich, die  Arm- 
bewegungen breit 
und  viel  Platz  er- 
fordernd. Er  hatte 
nicht  den  Feuergeist 
Courbets,  er  war  be- 
dächtiger, nüchterner,  prosaischer,  aber  er  ähnelte  ihm  wie  in  seinem 
Aeussern  auch  in  der  künstlerischen  Veranlagung  des  Auges  und 
der  Hand.  Er  hatte,  wie  ein  französischer  Kritiker  von  ihm  schrieb, 
»eine  jener  Organisationen,  die  für  das  Malen  bestimmt  sind,  so  wie 
Courbet  eine  derartige  Organisation  bei  uns  Franzosen  hatte.  Solche 
Leute  ziehen  aus  der  Malerei  die  merkwürdigsten  Sachen.« 

Gleich  das  erste  Bild,  das  er  1869  ausstellte,  und  das  seine 
beiden  Mitschüler  Rudolf  Hirth  und  Haider  einen  Kupferstich  be- 
trachtend darstellte  — war  von  einer  weichen,  satt  goldigen  Harmonie 
des  Gesammttons,  die  weit  alle  Producte  der  üblichen  Genremalerei 


Leibi:  In  der  Kirche. 


554 


XXX.  Der  Realismus  in  Deutschland 


Leibi:  In  der  Bauernstube. 

hinter  sich  liess  und  direct  an  die  vornehmen  Erzeugnisse  des 
Holländers  Michael  Swerts  streifte.  Das  zweite,  ein  Porträt  der  Frau 
Gedon,  machte  in  seiner  Rembrandt’schen  Tonschönheit  selbst  in 
Paris  Eindruck  und  brachte  ihm  1870  dort  die  goldene  Medaille  ein, 
die  man  ihm  in  München  ein  Jahr  vorher,  da  er  noch  Akademie- 
schüler war,  nicht  zu  geben  gewagt  hatte.  Dieses  Jahr  1869  war 
das  entscheidende  in  Leibis  Leben.  Die  Münchener  Ausstellung 
bot  damals  Gelegenheit,  die  Bedeutung  der  französischen  Kunst 
in  einem  Maasse  wie  nie  zuvor  kennen  zu  lernen.  Uebcr  450 
Bilder,  nur  zum  kleineren  Theil  solche  der  glatten  conventionellen 
Historienmaler,  waren  vorhanden.  Troyon  war  da  und  Millet  und 
Corot.  Doch  Courbet  hauptsächlich,  dem  das  Comite  einen  ganzen 
Saal  für  seine  Werke  eingeräumt  hatte,  war  der  viel  umstrittene 


XXX.  Der  Realismus  in  Deutschland 


555 


Leibi:  Am  Spinnrocken. 

Held.  In  der  Allotria  platzten  die  Meinungen  auf  einander.  Die 
officiellen  Kreise  begrüssten  den  Meister  von  Omans  mit  demselben 
Entrüstungsruf,  der  ihn  in  Frankreich  empfangen.  Für  Leibi  ward 
er  das  angestaunte,  gefeierte  Ideal.  Sein  Auge  strahlte,  wenn  er  im 
»deutschen  Haus«  ihm  gegenübersass  und  in  Ermangelung  eines 
andern  Verständigungsmittels  ihn  durch  handfestes  Zutrinken  seiner 
Hochachtung  versicherte:  Prosit  Courbet  — Prosit  Leibi.  Er  reckte 
die  gewaltigen  Glieder,  nahm  Athletenstellungen  an,  um,  wenn  nöthig, 
in  blutigen  Raufereien  seine  Schwärmerei  für  den  grossen  Franzosen 
zu  bethätigen.  Wie  ärmlich  und  verlogen  erschien  die  ganze  Piloty- 
Schule  mit  ihrer  rosigen  Fadheit,  ihren  conventionellen  blühenden 
Palettentönen  gegenüber  der  ernsten  Wahrheit,  der  meisterhaften 
Malerei  dieser  Werke.  Noch  im  selben  Jahre  ging  er  nach  Paris, 
ein  Porträtauftrag  des  Herzogs  Tacher  de  la  Pagerie  gab  weitere  Ver- 


55^ 


XXX.  Der  Realismus  in  Deutschland 


anlassung  zur  Reise. 
Hier  entstand  die  »Co- 
cotte« , das  Porträt 
einer  dicken  Franzö- 
sin, die  auf  dem  So- 
pha  sitzend  den  Rauch- 
wolken ihrer  Thon- 
pfeife nachblickt.  Es 
könnte  »Courbet«  ge- 
zeichnet sein  in  sei- 
nem massiven  Realis- 
mus, seiner  kraftstrotz- 
enden , saftig  breiten 
Malerei,  und  Lpibl  er- 
zählt mit  Stolz,  wie 
Courbet  ihm  während 
der  Arbeit  auf  die 
Schulter  klopfte:  »II 
faut  que  vous  restez 
ä Paris.«  Der  Aus- 
bruch des  Krieges  be- 

Leibl : Die  neue  Zeitung.  elldigte  schneller  als 

vorausgesehen  seinen 

Pariser  Aufenthalt,  aber  wenn  er  auch  dreiviertel  Jahre  nur  währte, 
genügte  er  doch,  den  Bestrebungen  des  Malers  für  immer  die  feste 
Richtung  zu  geben.  Leibi  wurde  der  Apostel  Courbets  in  Deutsch- 
land, in  seinem  äusseren  Leben  der  deutsche  Millet.  Er  siedelte 
sich,  nach  Bayern  zurückgekehrt,  1872  in  Grasolfingen,  dann  in 
Schondorf  am  Ammersee,  dann  in  Berbling  bei  Aibling,  1884  in 
Aibling  selbst  an,  ward  Bauer  und  malte  wie  Millet  Bauernbilder. 

Das  Poetische,  Biblische,  den  feierlich  epischen  Zug,  der  Millets 
Werke  kennzeichnet,  darf  man  bei  Leibi  nicht  suchen.  Aus  Millets 
Bildern  spricht  ein  auf  das  Grosse,  Heroische  gerichteter  Geist.  Was 
seinen  Stil  ausmacht,  ist  ein  Rembrandt'sches  Raumgefühl,  die  grosse 
Linie,  die  Vereinfachung,  das  geistreiche  Abstrahiren  vom  anek- 
dotisch Gleichgültigen  der  Form.  Leibis  Höchstes  ist,  sich  wol- 
lüstig in  die  hundert  Kleinigkeiten  der  Natur  zu  versenken.  Er 
triumphirt,  wenn  es  sorgendurchfurchte,  faltenreiche  Gesichter  alter 
Bäuerinnen  zu  malen  gilt,  rothe  Backen  junger  Dirnen,  die  in  ihrer 


XXX.  Der  Realismus  in  Deutschland 


557 


Leibi:  Schneiderwerkstätte  ( Zeichnung ). 

ganzen  ländlichen  Naturfrische  glänzen,  gemusterte  Kleider,  an  denen 
deutlich  der  Stoff,  das  Gewebe  zu  erkennen,  geblümte  seidene  Hals- 
tücher, rauhhaarige  Lodenjoppen  und  schwere  Nagelschuhe.  Er  ver- 
hält sich  zu  Millet  wie  zu  Michelangelo  Holbein. 

Auch  einen  intimen  Künstler  in  dem  Sinne,  wie  es  unter 
den  Modernen  namentlich  die  Skandinavier  sind,  kann  man  ihn 
nicht  nennen.  Bei  Viggo  Johansen  verschwindet  der  Maler;  was 
er  gibt,  wirkt  nicht  mehr  als  Bild,  sondern  wie  ein  Moment  der 
Existenz,  wie  die  Erinnerung  an  etwas  Trautes,  Familiäres  — er- 
lebt und  geschaut,  nicht  gewollt  und  gemacht.  Seine  Figuren  sind 
wie  plötzliche  Erscheinungen  von  Personen,  die  man  belauscht,  so 
wie  man  ungesehen  Nachts  durch  ein  Fenster  in  fremde  Stuben 
hereinblickt.  Man  fühlt  sich  nicht  veranlasst,  dem  Künstler  ein 
Compliment  zu  machen,  aber  man  möchte  selbst  in  diesem  gemüth- 
lichen , warmen , tabakgeschwängerten  Zimmer  sitzen , die  feinen 
Dampfwölkchen  einathmen , die  dem  Theekessel  entströmen , dem 
brodelnden  Wasser  lauschen,  das  leise  auf  dem  glimmenden  Feuer 
summt.  Aus  Leibis  Bildern  spricht  stets  der  Maler.  Eine  mittheil- 
same Stimmung,  etwas,  das  zum  Träumen  einladet  und  das  Herz 
füllt,  entwickelt  sich  aus  ihnen  nicht.  Man  denkt  stets  in  erster 


558 


XXX.  Der  Realismus  in  Deutschland 


Linie  an  das  erstaunliche 
Können , die  unglaubliche 
Geduld,  die  dazu  gehörte, 
sie  zu  machen.  Und  man 
fühlt  auch , dass  es  dem 
Maler  selbst  — bei  aller  pho- 
tographischen Naturtreue  — 
weit  weniger  darauf  ankam, 
das  Poetische  einer  Scene, 
den  momentanen  Reiz  eines 
Natureindrucks  zu  packen, 
als  gewisse  Paradepferde  sei- 
nes technischen  Könnens  in 
den  Vordergrund  zu  schie- 
ben. Namentlich  Zeitungen, 
in  denen  womöglich  ein 
Stück  Leitartikel  zu  lesen, 
Thongefässe,  Flaschen  und 
Leibt:  Trinkender  Bauer  (Zeichnung).  Schnapsgläser  spielen  in  sei- 

nen Bildern  eine  ähnliche 
Rolle  wie  in  denen  der  Piloty-Schule  das  messingbeschlagene  glanz- 
lichterauffangende  Kästchen,  der  umgestürzte  Sessel,  der  Teppich 
und  Globus. 

Wilhelm  Leibi  ist  wie  Courbet  ein  guter  Ouvrier,  eine  frische, 
kräftige,  energische  Natur  von  robustester  Gesundheit,  sehr  materiell, 
zuweilen  nüchtern,  prosaisch.  Das  Malen  ist  ihm  angeboren,  wie  uns 
Andern  das  Athmen  und  Gehen.  Er  geht  seinen  Weg  wie  ein  Ochse 
am  Pflug,  ruhig  und  ohne  zu  ermüden,  ohne  nervös  zu  werden 
und  ohne  poetische  Anwandlungen.  Er  geht,  wohin  sein  Instinkt 
ihn  führt,  und  malt  mit  muskulösem  Handgelenk,  was  seinem  Auge, 
seinem  Pinsel  Spass  macht.  Er  hat  gegenüber  den  nervösen,  hastigen 
Modernen  etwas  von  einem  mittelalterlichen  Mönch , der,  ohne  die 
Stunden,  Tage,  Jahre  zu  zählen,  still  in  seiner  Zelle  sitzt  und  die 
Seiten  seines  Gebetbuches  mit  kunstvollen  Miniaturen  ziert,  um, 
wenn  das  Amen  finis  daruntergesetzt,  selig  zu  entschlafen.  Aber  er 
hat  auch  das  ganze  Können,  die  ganze  grenzenlose  Naturverehrung 
dieser  Alten.  Er  ist  der  grösste  Maitre-peintre,  den  Deutschland  im 
Laufe  des  Jahrhunderts  besass,  und  in  diesem  Sinne  war  sein  Auf- 
treten von  epochemachender  Bedeutung. 


XXX.  Der  Realismus  in  Deutschland 


559 


Noch  Defregger  hatte  das  Bauernleben  ausschliesslich  unter  dem 
Gesichtspunkt  des  Novellistischen , Anekdotischen  betrachtet.  Bei 
Leibi  ist  dieses  erzählende  Genre  überwunden.  Er  konnte  genug, 
um  auch  einem  »leeren  Sujet«  künstlerische  Anziehungskraft  zu 
geben.  Um  allen  chargirten  oder  in  Rollen  vertheilten  Ausdruck 
zu  fliehen,  malte  er  durchweg  möglichst  aufregungslose  Beschäftig- 
ungen : Bauern,  wie  sie  eine  Zeitung  lesen,  in  der  Kirche  sitzen  oder 
das  Gewehr  prüfen.  Auch  die  geringste  Bewegung  der  Figuren 
wird  sorgfältig  vermieden.  Während  alle  Früheren  Romanciers  waren, 
ist  Leibi  Maler.  Die  Themen  werden  gleichgültig  — einfache  Scenen 
aus  dem  Leben  des  Tages  — die  Schönheit  der  Bilder  liegt  im  tech- 
nischen Theil.  Sie  sind  Arbeiten,  denen  gegenüber  jeder  Versuch, 
mit  Worten  eine  Vorstellung  von  ihnen  zu  wecken,  ohnmächtig 
bleibt,  da  sie  wie  in  den  guten  Zeiten  der  Kunst  nicht  aus  der  Freude 
am  Anekdotischen,  sondern  aus  der  Schulung  des  Farbensinnes  und 
einem  eminenten  zeichnerischen  Können  hervorgingen,  Bilder,  in 
denen  das  Interesse  am  Gegenstand  völlig  vom  künstlerischen  Ge- 
halt aufgezehrt  ist,  das  Was  des  Dargestellten  gänzlich  hinter  dem 
Wie  der  Ausführung  zurücktritt.  Das  Hauptaugenmerk  der  Historien- 
wic  der  Genremaler  war  gewesen,  unter  Zugrundelegung  von  Einzel- 
studien einen  fleissigen  Carton  zu  zeichnen,  die  Farben  hübsch 
auf  der  Palette  zu  mischen,  sie  nach  allen  Regeln  der  Kunst  auf  die 
Leinwand  zu  streichen,  zu  verbinden,  trocknen  zu  lassen,  um  dann 
durch  abermaliges  Uebermalen  und  endliches  Lasiren  die  coloristische 
Haltung  zu  erzielen.  Den  gewonnenen  Eindruck  so  schnell  als  mög- 
lich festhalten,  die  Wirklichkeit  beim  ersten  Blick  richtig  er  hissen,  die 
Farben  bestimmt  und  sicher,  klar  nach  der  Färbung  des  Originals 
auf  die  Leinwand  übertragen  — darin  bestand  Leibis  Meisterschaft, 
die  von  selbst  eine  staunenswerthe  Naturwahrheit  im  Gefolge  hatte. 
Das  Lessing’sche  »durch  die  Augen  in  den  Arm  in  den  Pinsel«  war 
hier  zum  ersten  Mal  in  Deutschland  Wirklichkeit  geworden.  Noch 
kein  Deutscher  hatte  in  dem  Maasse  das,  was  der  Maler  Qualitäten 
nennt,  und  selbst  in  Frankreich  haben  selten  bei  einem  Meister  zwei 
anscheinend  heterogene  Fähigkeiten  sich  in  dem  Maasse  wie  bei 
Leibi  vereinigt : eine  grosse,  breite  Mache , eine  kühne  alla  prima 
Malerei  und  andererseits  die  Freude  an  jener  spitzpinseligen  Detail- 
arbeit, wie  sie  Quinten  Massys,  der  Schmied  von  Antwerpen,  hatte. 
Die' »Dorfpolitiker«  von  1879  waren  das  Hauptwerk,  das  er  in  Schon- 
dorf malte.  Was  hätte  Knaus,  der  König  der  Illustration  und  Herr- 


560 


XXX.  Der  Realismus  in  Deutschland 


scher  im  Reiche  der 
Vignette,  aus  diesem 
Thema  gemacht ! Er 
hätte  durch  einen 
literarischen  Seiten- 
sprung die  Gedanken 
über  das  Interesse  des 
Bildes  hinausgezogen. 
Man  hätte  erfahren, 
was  die  Bauern  lesen, 
wäre  über  ihre  polit- 
ische Parteistellung 
wie  über  ihre  Ehren 
und  Aemter  im  Dorfe 
unterrichtet  worden : 
das  ist  der  Schulz,  das 
der  Schmied,  das  der 
Schneider.  Bei  Leibi 
sind  es  einfache,  brave 
Bauern , die , um 
von  der  Arbeit  der 
Woche  auszuruhen, 
stumpfsinnig  und 
gleichgültig  der  Lek- 
türe der  Sonntagszeitung  zuhören,  in  der  einer  von  ihnen  die  Dorf- 
nachrichten und  die  Getreidepreise  sucht.  Sie  sind  hässlich,  vulgär, 
aber  auch  von  theatralischer  Verschönerung  und  impertinenter  Satire 
verschont,  sie  sind  nicht  kunstvoll  gruppirt,  sie  sitzen  da  in  der  ganzen 
Rusticität  ihrer  Physiognomien,  der  ganzen  Eckigkeit  ihrer  Attitüden, 
ohne  Appretur,  ohne  Sonntagsstaat.  Leibi  gibt  die  Wirklichkeit,  ohne 
sie  zu  verändern,  aber  er  gibt  sie  voll  und  ganz.  Die  auf  die  Leinwand 
fixirte  Naturwahrheit  übertraf  Alles,  was  bisher  gesehen  wurde  und 
war  obendrein  mit  den  einfachsten,  gesundesten  Mitteln  erzielt.  Währ- 
end Lenbach  in  seinem  Suchen  nach  altmeisterlich  coloristischen  Effek- 
ten schon  während  der  Arbeit  die  Haltbarkeit  seiner  Bilder  zerstörte, 
schien  Leibi  den  Satz,  den  Dürer  einmal  an  Jacob  Heller  schrieb, 
zum  Motto  seines  Schaffens  erwählt  zu  haben:  »Ich  wciss,  wenn  ihr 
die  Tafel  gut  haltet,  dass  sie  500  Jahre  sauber  und  frisch  sein  wird, 
denn  sie  ist  nicht  gemacht,  wie  man  sonst  zu  machen  pflegt«. 


XXX.  Der  Realismus  in  Deutschland 


Triibner:  Kartoffelfeld. 


Einen  weiteren  Schritt  in  der  Richtung  der  Wahrheit  that  er, 
als  er  von  den  Holländern  noch  mehr  zu  den  alten  Deutschen  über- 
ging. Nachdem  er  in  seinen  früheren  Werken  sehr  fein  auf  Ton 
hin  gearbeitet,  namentlich  eine  Zeit  lang  im  Anschluss  an  Rembrandt 
specifische  Helldunkelwirkungen  zu  erzielen  gesucht  hatte,  stellte  er 
sich  auch  in  der  Farbenanschauung  auf  eigene  Füsse  und  malte 
Alles  so,  wie  er  selbst,  nicht  wie  es  einer  der  Alten  gesehen.  Alle 
malerischen  Kniffe,  alle  Virtuosenstücke  sind  verschmäht,  kaum  auf 
die  malerische  Gesammthaltung  wird  besonderer  Nachdruck  gelegt. 
Alles  ist  einfach,  wahr  wie  die  Natur,  von  nicht  zu  überbietender 
Ehrlichkeit. 

Das  ßildniss  der  drei  Bäuerinnen  »In  der  Kirche«  ist  das  Haupt- 
werk dieser  seiner  »zweiten  Manier«,  und  es  war  ein  Ereigniss,  als 
es  auf  der  Münchener  Internationalen  Ausstellung  1883  erschien. 
Seitdem  stand  — wenigstens  in  Münchener  Künstlerkreisen  fest,  dass 
man  in  Leibi  den  grössten  deutschen  Maler  seiner  Zeit  besitze. 

Muther,  Moderne  Malerei  II.  ■*£. 


562 


XXX.  Der  Realismus  in  Deutschland 


Dass  Leibi  das  Bild  malte,  ohne  sich  einen  Umriss  aufzuzeichnen, 
dass  er  beim  Auge  der  jungen  Bäuerin  begann  und  mosaikartig  Stück 
für  Stück  prima  fertig  malte,  war  ein  technisches  Kunststück,  das 
ihm  wenige  nachmachten.  Staunend  wie  ein  Wunderwerk  betrach- 
teten die  jungen  Münchener  die  Seiten  des  Gebetbuches  und  die 
Carrees  des  Gingankleides,  den  Krug  der  Bäuerin  und  die  Holz- 
schnitzereien des  Kirchengestühls.  Sie  waren  ausser  sich  über  solche 
in  der  modernen  Kunst  unerhörte  Macht,  Kraft  und  Zartheit  der 
Modellirung,  diesen  Holbein'schen  Schmelz  der  Farbe  und  diese  In- 
timität des  Naturstudiums.  Sie  trafen  immer  auf  neue  Dinge,  deren 
Anblick  überraschend  war,  und  manchem  ging  es  wie  dem  Maler 
Wilkie,  wenn  er  in  Madrid  vor  den  Trinkern  des  Velazquez  sass 
und  sich  schliesslich  müde  mit  einem  Uf!  erhob. 

Leibi  that  für  Deutschland,  was  die  Praerafaeliten  für  England 
thaten.  Mit  staunenswerther  Sorgfalt  wurde  der  Mensch  dargestellt, 
wie  er  dasass  und  sich  malen  Hess.  Die  ganze  klare  Wahrheit  wollte 
er  geben  und  gab  sie,  nichts  davon,  nichts  dazu.  Bis  in  den  kleinsten 
Zug  und  die  feinsten  Regungen  reproducirte  er  die  Natur  und  brachte 
die  nachahmende  Seite  der  Kunst  zur  denkbar  höchsten  Vollendung. 
Vermöge  dieser  Eigenschaften  war  er  der  geborene  Porträtmaler, 
und  seine  Bildnisse  gehören,  obwohl  er  nie  »Auffassung«  in  Lcn- 
bach’schcm  Sinne  hatte,  neben  denen  Lenbachs  zu  den  besten  deut- 
schen Leistungen  des  Jahrhunderts.  Nur  Holbcin,  als  er  seinen 
Gysze  malte,  hatte  diese  unerbittliche  Art.  die  menschliche  Physio- 
gnomie bis  in  jede  Hautfalte  zu  analysiren.  Leibi  lehrte  die  deutschen 
Maler  zum  ersten  Mal  wieder  in’s  Einzelne  gehen,  leitete  sie  an,  un- 
ausgesetzt die  Natur  als  einzige  Quelle  der  Kunst  zu  betrachten 
und  das  war  der  Anfang  jeder  Renaissance. 

Das  Ausland  erkannte  früh  diese  bahnbrechende  Bedeutung. 
Seine  Arbeiten  wurden  in  England  und  Amerika  mit  Gold  aufge- 
wogen, zu  einer  Zeit,  als  die  deutschen  Kritiker  noch  bei  jedem 
bedauerten,  dass  er  keinen  »Humor«  hätte.  Die  »Cocotte«  befindet 
sich  im  Besitz  des  Malers  William  Merrit  Chase  in  New-York,  die 
»Zeitunglesenden  Bauern  sind  in  die  Sammlung  Stewart  daselbst 
gekommen.  Munkacsy  in  Paris  besitzt  das  Wirthshausgespräch«, 
Joseph  Kopf  in  Rom  das  Porträt  einer  Dachauerin  mit  Pelzhaube. 
Was  in  Deutschland  blieb,  ist  im  Privatbesitz  verstreut.  Das  Porträt 
der  Frau  Gedon  kam  zu  Herrn  Joost  in  Köln,  ein  Doppelbildniss 
Münchener  Maler  zu  Baron  Liebig  in  Reichenberg;  Herr  Katzenstein 


XXX.  Der  Realismus  in  Deutschland 


563 


in  Frankfurt  besitzt  den  »Jager«,  Herr  Thiem  in  Berlin  einen  Mädchen- 
kopf, Herr  Schön  in  Darmstadt  die  »Bäuerinnen  in  der  Kirche«. 
Einzelnes  ist  in  München  — bei  Defregger,  Georg  Hirth,  F.  A.  Kaul- 
bach,  Th.  Knorr,  H.  Schiitgen,  W.  Trübner  u.  A.  — zu  finden. 
In  den  öffentlichen  Galerien  ist  er  nirgends  vollgültig  vertreten. 
Das  Kölner  Museum  besitzt  seine  früheste  Arbeit,  das  Porträt  seines 
Vaters  1866,  das  er  selbst  dahin  schenkte.  Von  der  Dresdener 
Sammlung  wurde  ein  Mädchenkopf,  von  der  Münchener  Neuen 
Pinakothek  ein  kleines  Bauernbild  angekauft.  In  den  andern  Galerien 
fehlt  er  noch  gänzlich,  und  die  nachträgliche  Ergänzung  dieser  Lücke 
wird  später  eine  Ehrenpflicht  sein.  Denn  Leibi  gehört  der  Geschichte. 
Seine  Werke  waren  malerisch  der  vollkommenste  Ausdruck  der 
Ziele  der  Münchener  Coloristenschule.  Er  war  für  die  Bestrebungen, 
die  das  Jahrzehnt  seit  1870  füllten,  ebenso  typisch,  wie  für  die 
Kunst  der  30er  Jahre  Cornelius,  für  die  der  50er  Piloty  und  wie  es 
später  für  die  Bestrebungen  der  80 er  Jahre  Liebermann  wurde. 

Durch  ihn,  der  auch  durch  seine  Radirungen  eine  hohe  Stellung 
in  der  Geschichte  der  deutschen  Kunst  beansprucht,  wurde  eine  ganze 
Anzahl  Jüngerer  angeregt,  sich  die  Hilfsmittel  der  bonne  peinture  so 
anzueignen,  dass  sie  dazu  übergehen  konnten,  unter  Absehung  von 
allem  genrehaften  Inhalt  gute  sachliche  Bilder  zu  malen,  die  nichts 
anderes  mehr  wollten,  als  gute  Bilder  sein.  Wilhelm  Trübner  war 
unter  ihnen  der  feinste,  geistreichste  Colorist  — als  Mensch  ein 
kleiner,  kräftig  gebauter,  untersetzter  Herr,  eine  feste,  zähe  Natur  von 
unzerstörbarem  Phlegma.  Diesem  Phlegma  verdankt  er,  dass  ihn  die 
grosse  Vorwelt  nicht  gefangen  nahm.  In  einer  Zeit,  als  alle  Andern 
in  der  Pinakothek  alte  Bilder  copirten  und  danach  neue  zusammen- 
stellten, liebte  auch  Trübner  die  alten  Meister,  aber  platonisch, 
ihre  Werke  beirrten  ihn  nicht.  Zur  gleichen  Zeit,  als  jene  ihren 
Geist  anstrengten,  humoristische  oder  novellistische  Episoden  zu  er- 
finden, war  er  viel  zu  bequem,  um  geistreichen  Ideen  nachzujagen. 
Er  hatte  Maler  werden  wollen  und  sah  die  Aufgabe  des  Malers  im 
Malen.  Muralt  sagte  von  den  Gelehrten,  man  müsse  sie  ihrer  Wissen- 
schaft entkleiden , avant  que  de  pouvoir  les  faire  revenir  ä l’etat  de 
nature  oü  se  doit  trouver  l’homme.  Trübner  war  solch  ein  Maler 
von  gesundem  Menschenverstand.  Viel  dickes  Blut  floss  in  seinen 
Adern,  sein  breitgestirnter  Kopf  sass  fest  auf  massiven  Schultern,  sein 
Auge  war  wie  Courbets  weit  offen  für  Alles,  was  man  sehen  und  be- 
rühren kann.  Er  schien  eigens  zur  Welt  gekommen,  um  zu  beweisen, 


5^4 


XXX.  Der  Realismus  in  Deutschland 


dass  ein  Maler  nur  seine  fünf  Sinne  nöthig  hat,  um  die  ganze  Welt 
zu  malen.  Er  fühlte  einen  Abscheu  vor  Allem,  was  nicht  die  Erde 
war,  die  er  unter  den  Füssen  hatte,  dachte  nicht  daran,  die  Dinge 
schöner  zu  machen,  als  sie  sind,  noch  sie  in  Compositionen  zu 
zwingen,  die  sie  in  Wirklichkeit  nicht  haben.  Er  fand  im  Gegen- 
theil,  dass  die  Schöpfung  sehr  gelungen  sei.  So  erklären  sich  seine 
Qualitäten  und  Fehler.  Sein  Phlegma  hatte  ihn  verhindert,  sich  zeich- 
nerisch die  sattelfeste  Grundlage  zu  erwerben,  aber  die  Fähigkeit  zu 
malen  lag  ihm  im  Blute  und  sein  gesundes  Gefühl,  seine  trotzige 
Selbständigkeit  bewahrte  ihn  auch  vor  jeder  Manier,  vor  jedem 
Costümschwindel  und  jedem  Genrehumor.  Er  wusste  nicht  viel,  aber 
was  er  wusste,  verdankte  er  sich  selbst.  So  entstand  in  seinen  Bil- 
dern eine  merkwürdige  Mischung  von  rücksichtsloser  Wahrheit  und 
in  die  Augen  fallenden  Schwächen,  von  herzerquickender  Gesundheit 
und  seltsamem  Unwissen.  Er  ist  ebenso  sympathisch  wie  tadelns- 
werth,  ebenso  in  sich  abgeschlossen  wie  ungleich.  Was  er  auf  mytho- 
logischem Gebiete  sündigte,  ist  für  seine  Charakteristik  belanglos. 
Es  freute  diesen  gesunden,  fleischfrohen  Maler,  sich  im  nackten 
Leibergewimmel  von  Gigantenschlachten  zu  ergehen.  Er  hat  Kreuzig- 
ungen, den  Prometheus  mit  den  Okeaniden  und  viel  Derartiges  ge- 
malt, aber  doch  zu  wenig  zeichnen  können,  um  trotz  der  eigenartig 
selbständigen  Auffassung  zu  nennenswerthen  Resultaten  zu  kommen. 
Dagegen  war  er  ein  sehr  grosser  Porträtmaler.  Seine  Bildnisse  sind, 
obwohl  gleich  denen  Courbets  psychologisch  nicht  bedeutend,  mit  das 
beste  Stück  Malerei,  das  damals  ein  Münchener  lieferte.  Durch  spröde, 
unbestechliche  Ehrlichkeit  fesseln  seine  kleinen  Figurenbilder,  in 
denen  er  die  intimen  Reize  helldunkler  Interieurs  gut  und  saftig 
malte.  Als  er  sie  ausstellte  vor  20  Jahren,  wurden  sie  nicht  beachtet, 
da  sie  zu  einfach  waren  und  keine  Zugeständnisse  an  den  herr- 
schenden Geschmack  machten.  Ihre  schlichte  Art  und  ihr  grosser 
Ernst  stand  damals,  als  man  ein  Kunstwerk  noch  ausschliesslich  nach 
seinem  stofflichen  Interesse  beurtheilte,  ihrem  Vcrständniss  entgegen. 
Erst  als  1 5 Jahre  später  die  gesammte  deutsche  Kunst  in  diese 
Bahnen  einlenkte,  erinnerte  man  sich,  dass  Trübner  zu  den  Vor- 
kämpfern gehörte.  Nur  Leibi  hatte  ein  so  sattes  reiches  Colorit,  einen 
so  breiten  energischen  Strich,  einen  so  tiefen  schönen  Emailglanz  der 
Farbe.  Selbst  sein  Christus  im  Grabe,  durch  den  er  die  Menge  am 
meisten  brüskirte,  war  als  Studie  im  Sinne  Riberas  von  einer  Wahr- 
heit und  Wucht,  über  die  nur  grosse  Künstler  verfügen.  Nament- 


XXX.  Der  Realismus  in  Deutschland 


56) 

lieh  aber  ist  dieser  rücksichtslose  Darsteller  der  Wahrheit  ein  Land- 
schafter von  hoher  Begabung  und  feinem  Geschmack.  Kraft,  Ein- 
fachheit, ein  schöner  Sinn  für  grosse  Formen  und  Tonwerthe  in 
der  Natur  kennzeichnen  da  sein  Wesen.  Waldinterieurs  von  präch- 
tiger Klarheit  des  Halbdunkels,  Ausblicke  auf  stille  Wasser,  die  kühl 
und  grau  im  Dufte  der  Dämmerung  liegen,  moosbewachsene  Felsen 
und  weissschimmernde  Birken  wechseln  mit  Ansichten  des  Heidel- 
berger Schlosses,  mit  weiten  Fernsichten  in  die  Mainebene,  mit 
blühenden  Kartoffelfeldern,  malerischen  Blicken  auf  Seeon  und  den 
verschiedenartigsten  Aufnahmen  des  grünen  Eilandes  von  Herren- 
chiemsee, das  er  besonders  liebt  und  das  ihm  auf  jedem  Studien- 
gang neue  Schönheiten,  neue  Farbenreize  und  Stimmungen  entdeckt. 
So  ergänzt  er  als  Landschafter  gewissermassen  Leibi.  Sie  Beide  addirt 
enthalten  die  gleiche  Summe  von  Kraft,  wie  in  Frankreich  Courbet. 


6x© 


XXXI 


Das  Problem  der  modernen  Farbenanschauung. 

COURBET  und  Ribot  für  Frankreich,  Holman  Hunt  und  Madox 
Brown  für  England,  Stevens  für  Belgien,  Menzel,  Lenbach 
und  Leibi  für  Deutschland  — das  sind  die  grossen  Namen 
des  modernen  Realismus,  die  Namen  der  Männer,  die  der  Kunst  das 
moderne  Leben,  dem  19.  Jahrhundert  die  Kunst  eroberten. 

Erst  hatte  es  keine  Malerei  um  der  Malerei  willen,  nur  eine 
Historien-  und  Genremalerei  gegeben.  Durch  die  literarische  Richtung 
der  ganzen  Bildung  ward  eine  einseitige  Ausbildung  des  Verstandes 
auf  Kosten  der  Anschauung  gezeitigt.  Die  grossen  Dichter  und  Denker 
nahmen  die  Nationen  in  Beschlag  und  zwangen  auch  den  bildenden 
Künstler  in  ihre  Bahn.  Die  Kataloge  der  Zeit  belegen,  dass  die 
Ideen  aus  zweiter  Hand,  aus  Büchern  genommen,  fast  ausschliesslich 
vorherrschten.  Literatur  und  Wissenschaft  war  der  Stab,  an  dem  die 
schwache  Kunst  tastend  sich  hielt.  Die  Historienmalerei  sah  ihr  Ziel 
darin,  als  Hilfswissenschaft  der  Geschichte  historische  Ereignisse  zu 
illustriren.  Das  Genre  folgte  und  stellte  Fragmente  der  Wirklichkeit 
zu  novellistischen  Episoden  zusammen.  In  den  gedruckten  Lettern 
des  Rahmens  lag  der  Hebel  für  das  Verständniss  der  Bilder,  ihr  Werth 
concentrirte  sich  in  diesen  Worten;  was  der  Pinsel  leistete,  war  nur 
die  Uebersetzung  und  Umschreibung  des  Katalogtitels.  Das  Publicum 
aber  ging  in  den  Kunstverein,  um  dort  Geschichte,  Ethnographie, 
Länder-  und  Costümkunde  zu  studiren  oder  den  komischen  Einfällen 
erfindungsreicher  Pinselhumoristen  zu  lauschen. 

Jetzt  war  das  brutale  Uebergewicht  des  Stoffinteresses  beseitigt. 
Man  begann,  nicht  mehr  Historien-  oder  Genremaler,  sondern  wirk- 
lich Maler  zu  sein.  Die  Hochburg  des  schlechten  Geschmackes,  die 
erzählende  Malerei,  war  überwunden,  die  künstlerische  Atmosphäre 
gereinigt,  der  Begriff  L’Art  pour  L’Art  wiederentdeckt,  die  Kunst 
wieder  Herrin  im  eigenen  Hause. 


XXXI.  Das  Problem  der  modernen  Farbenanschauung 


567 


Und  je  mehr  sie  aus  ihrer  dienenden  Stellung  heraustrat,  je 
mehr  sie  von  der  Bevormundung  der  anderen  Disciplinen  sich  be- 
freite, desto  mehr  begann  sie  in  sich  selbst  zu  erstarken.  Eine 
Malerei,  die  auf  die  Beihilfe  der  Schrift  verzichtet,  ist  nothwendig 
darauf  angewiesen,  alle  Hilfsmittel  des  Metiers  in  Bewegung  zu  setzen, 
um  durch  rein  künstlerischen  Reiz  den  Mangel  ausserartistischer  Bei- 
gaben zu  decken. 

Als  das  Jahrhundert  in’s  Leben  trat,  waren  neu  an  den  Bildern 
nur  die  Ideen.  Die  Werke  waren  grossartige  Illustrationen  zu  moderner 
Gelehrsamkeit,  herrliche  Verdolmetschungen  tiefer  Gedanken.  Die 
Formen  waren  den  alten  Meistern  entnommen  und  die  Recepte  wurden 
auf  den  Academien  bewahrt.  Von  Mengs  bis  auf  Cornelius  und 
Kaulbach,  von  David  bis  auf  Cabanel  und  Bouguereau  glaubten  die 
Maler  selbständige  grosse  Kunstwerke  geschaffen  zu  haben,  wenn  sie 
den  alten  Classikern  recht  ähnlich  sahen,  und  quittirten  dankend  das 
Lob  der  Kritiker,  das,  sofern  es  nicht  ausschliesslich  die  Gedanken 
betraf,  in  Wahrheit  immer  nur  den  alten  Meistern  gebührte. 

Um  aus  dieser  Periode  äusserlicher  Nachahmung  herauszukommen 
und  mit  eigenem  Auge  sehen  zu  lernen , musste  die  Malerei  in’s 
Volk  gehen  und  hier  von  der  Pike  auf  dienen:  Jede  neue  Kunst- 
epoche hat  noch  mit  dem  Realismus,  mit  treuester  Wiedergabe  des 
Wirklichen  begonnen.  Ihre  zweite  Phase  bedeutete  daher  die  all- 
mähliche Eroberung  der  sichtbaren  Welt  und  Hand  in  Hand  damit 
das  allmähliche  Freiwerden  von  den  Alten.  Erst  hatte  man  unter 
dem  Druck  der  alten  Meister  diesen  auch  inhaltlich  folgen  zu  müssen 
geglaubt  und  nicht  für  möglich  gehalten,  dass  ein  Vorgang  aus  der 
eigenen  Zeit  ebenso  gut  ein  Meisterwerk  ergeben  könne,  als  ein 
Drama  der  Vergangenheit.  Jetzt  fängt  die  Gegenwart  an,  sich  zu 
fühlen  und  in  ihre  Rechte  zu  treten.  Man  wies  darauf  hin,  der 
Geist,  aus  dem  die  alten  Kunstwerke  hervorgingen,  sei  das  Lebendige 
gewesen,  die  stimmungsvolle  Beobachtung  der  Natur.  Nicht  um 
Nachahmung  handle  es  sich,  sondern  gemäss  des  verschiedenen  Zeit- 
alters um  verschiedene  Arbeit,  nur  in  gleich  künstlerischem  Sinn. 
Staubbedeckte  moderne  Arbeiter,  Steinklopfer,  Schmiede,  Bauern  traten 
an  die  Stelle  der  Wesen,  die  man  nur  aus  den  Museen  kannte.  Das 
Selbstbeobachtete  verdrängte  das  Imitirtc.  Offene  Augen,  Respect  vor 
der  Natur  war  das  Erste,  was  vom  Künstler  verlangt  ward. 

Zugleich  erweitern  sich  die  Principien  der  Composition.  Als 
Courbet,  Madox  Brown  und  Menzel  auftraten,  ward  ihnen  vor- 


XXXI.  Das  Problem  der  modernen  Farbenanschauung 


5 68 

geworfen,  dass  sie  »kein  Gemälde  componiren  könnten  und  die  Ge- 
stalten willkürlich  aneinander  reihten,  ohne  Unterschied,  wie  sie  sich 
den  Blicken  darbicten«.  Die  Begründung  dieses  neuen  Compositions- 
princips  war  die  weitere  reformatorische  That  dieser  Männer:  Sie 
gaben  Compositionsgesetze,  angepasst  neuen  Bedürfnissen.  So  lange 
die  moderne  Kunst  die  gleichen  Stoffe  wie  die  alten  Classiker  be- 
handelte, konnten  im  Wesentlichen  auch  in  der  Anordnung  die 
gleichen  Principicn  befolgt  werden,  d.  h.  in  erster  Linie  diejenigen, 
die  man  den  Cinquecentisten  entnahm.  Ein  neuer  Inhalt  aber  ver- 
langt ein  neues  Gehaus.  Es  war  ein  Zeichen  der  Unselbständigkeit, 
dass,  was  sich  bei  den  alten  Meistern  auf  natürlichem  Wege  aus  den 
Stoffen  ergab,  alles  Zufällige,  für  einen  bestimmten  Fall  Gegebene 
— wie  die  Pyramidenform  bei  heiligen  Familien  — von  den  Nach- 
ahmern für  etwas  Absolutes  genommen  wurde.  So  ergaben  sich 
die  komischen  Verzerrungen  wie  in  Kaulbachs  Narrenhaus,  wo  die 
Irren  blos  deshalb  dieses  lebende  Bild  formiren,  damit  dem  Maler 
zu  Gefallen  der  streng  pyramidale  Aufbau  nicht  gestört  werde.  Die 
frei  empfundene  Harmonie  von  einst  ward  bei  den  Nachahmern  zur 
zwängenden  Formel.  Jetzt  lautete  die  Forderung,  dass  keine  Gestalt 
eines  Bildes,  kein  einziges  Glied  eines  Körpers  ästhetischen  Regeln  zu 
Liebe  der  Logik  der  Situation  widerspreche.  Die  schönsten  Linien  und 
elegantesten  Gruppirungen  sind  falsch,  wenn  sie  mit  der  Natur  des 
Gegenstandes  streiten.  In  den  ältern  Genrebildern  kehrten  dieselben 
allgemein  bekannten,  alten  Bildern  überkommenen  Posen  immer  von 
Neuem  wieder.  Ueberall  merkte  man  die  Absicht,  konnte  genau  sagen, 
warum  diese  Figur  hier  und  nicht  dort,  so  und  nicht  anders  stände, 
sah  immer  statt  der  Natur  den  nach  bekannten  Regeln  arrangirenden 
Künstler.  Hier  ist  an  die  Stelle  des  Schemas  ungezwungene  freie  An- 
ordnung getreten,  bei  der  unter  anscheinender  Nachlässigkeit  geist- 
reiche Berechnung  sich  birgt  und  die  Einheit  der  Anschauung  die 
mechanische  Symmetrie  ersetzt.  Statt  eines  von  Statisten  umgebenen 
Helden  sieht  man,  wie  meist  im  Leben,  lauter  Nebenpersonen  ohne 
Hauptperson.  Die  Elemente  des  modernen  Lebens  zum  Bilde  ordnen, 
doch  ohne  dass  die  ordnende  Hand  zu  sehr  bemerkbar,  sie  com- 
poniren und  gleichwohl  ihre  Manigfaltigkeit  wahren  — dieses  neue 
Compositionsprincip  haben  Courbet,  Madox  Brown  und  Menzel  be- 
gründet, und  indem  sie  es  begründeten,  gingen  sie  auf  die  wahre 
Tradition  der  Alten  zurück,  die  Bilder  so  zu  componiren,  wie  der 
gegebene  Fall  es  fordert. 


XXXI.  Das  Problem  der  modernen  Farben  Anschauung 


569 


Nur  eine  beunruhigende  Frage  war  noch  offen : Wie  die  vorher- 
gehende Generation  die  Form , so  holte  diese  die  Farbe  noch  nicht 
aus  der  Natur,  sondern  aus  dem  fertigen  Vorrath  alter  Kunst. 

Auch  in  ihrer  Farbenanschauung  bewegte  sich  die  moderne 
Malerei  in  steil  aufsteigender  Linie.  Als  das  Jahrhundert  in’s  Leben 
trat,  ging  mit  hochentwickelter  literarischer  und  wissenschaftlicher 
Kultur  die  tiefste  Barbarei  des  Farbengeschmacks  parallel.  Man 
hatte  bis  in  die  20er  Jahre  weder  Verständniss  für  Farbe  noch  Ver- 
langen, sie  ästhetisch  zu  gemessen,  — sie  war  der  herrschenden 
Richtung  geradezu  als  unkünstlerisches  Element  verdächtig.  Erst  all- 
mählich lernte  die  Malerei  die  Farbe  als  ihr  eigenstes  Ausdrucks- 
mittel kennen.  Langsam  begann  das  Sehvermögen  an  den  alten 
Meistern  sich  zu  stärken  und  zu  verfeinern.  Die  Namen  der  grossen 
Schulbildner  Cornelius,  Piloty,  Diez,  Ingres,  Couture,  ßonnat  deuten 
an,  wie  schnell  und  erfolgreich  man  diese  Etappen  zurücklegte. 

Namentlich  die  letztgekommenen  — Courbet  und  Ribot,  Len- 
bach  und  Leibi  — verhalfen  der  modernen  Kunst,  auch  coloristisch 
ihr  Maturitätsexamen  zu  bestehen.  Sie  waren  die  Sensualisten  der 
Farbe  innerhalb  einer  Malerei,  die  bisher  noch  immer  mehr  zur 
Form  oder  zur  Anekdote  als  zum  eigentlich  Malerischen  neigte. 
Brüder  der  mächtigen  Arbeiter  der  Vergangenheit,  machten  sie 
sich  die  Hülfsmittel  der  bonne  peinture  wieder  in  vollem  Maasse 
zu  eigen.  Sie  empfinden  eine  Wollust  darin,  Farben  zu  kneten, 
und  diese  Farben  sind  fett,  saftig,  braun.  Die  glatte,  magere  Be- 
handlung von  früher  weicht  einer  breiten,  derbkörnigen,  pastosen ; 
einfallendes  Licht  gibt  Relief,  ein  markiger  Pinsel  zeichnet  Schatten- 
streifen und  Glanzlichter.  Sie  hatten  gelernt,  künstlerisch  zu  sehen ; 
der  farbige  Abglanz  der  Dinge  bedeutete  ihnen  das  Leben.  Sie  freuten 
sich,  malerische  Gegenstände  aufzuhäufen  und  nach  ihren  harmon- 
ischen Werthen  zu  reicher,  toniger  Gesammtheit  zu  ordnen.  Seit 
dem  18.  Jahrhundert  sah  man  nicht  solche  Kraft  und  Saftigkeit  der 
Behandlung,  einen  so  vollen  poetischen  Farbengeschmack  von  theil- 
weise  bestrickender  altmeisterlicher  Feinheit. 

Dieses  Studium  der  alten  Meister  hatte  jedoch  auch  Nachtheile 
im  Gefolge.  Der  Zustand,  in  dem  man  die  Werke  der  Alten 
sah,  war  nicht  der  ihrer  ursprünglichen  Frische,  sondern  der 
nachgedunkelte  Galerieton,  den  sie  im  Laufe  der  Zeit  bekommen. 
Man  studirte  die  alten  Bilder  mit  sammt  der  Schmutzkruste  von 
zwei  Jahrhunderten  und  gab  den  neuen  so  von  Anfang  an  das 


5?o 


XXXI.  Das  Problem  der  modernen  Farbenanschauung 


Aussehen , als  hätten  sie  seit  hunderten  von  Jahren  in  einer  Ge- 
mäldegalerie gehängt.  Das  hatte  nichts  Unnatürliches,  so  lange 
den  Alten  auch  in  der  Stoffwahl  gefolgt  wurde.  Als  die  Romantiker 
nach  der  Kakophonie  des  Classicismus  begannen,  den  Ton  der  reli- 
giösen Bilder  der  Renaissance  auf  das  Geschichtsbild  zu  übertragen, 
trat  das  Conventionelle  ihrer  Farbenanschauung  wenig  hervor,  da  sie 
die  coloristischen  Motive  selbst  so  arrangirten,  dass  sie  möglichst  in 
diesen  Ton  passten.  Jetzt,  nachdem  man  über  das  Genrebild  in  die 
Darstellung  des  modernen  Lebens  übergelenkt,  aber  musste  sich  noth- 
wendig  eine  Dissonanz  zwischen  den  neuen  Stoffen  und  der  alten 
Farbenanschauung  ergeben:  die  neuen  Menschen  passten  nicht  mehr 
in  die  alte  farbige  Hülle.  Indem  man  den  altmeisterlichen  Colorismus 
beibehielt,  versündigte  man  sich  am  Stil  der  neuen  Stoffe  und  war 
- in  der  Formenbehandlung  realistisch  — in  der  Farbenanschauung 
noch  in  Manier  befangen. 

Courbcl  verkündete  als  sein  Programm:  die  Sitten,  die  Ideen, 
den  Anblick  seiner  Epoche  auszudrücken,  mit  einem  Wort  lebendige 
Kunst  zu  üben.  Er  bezeichnete  sich  als  »aufrichtigen  Freund  der 
wahren  Wahrheit«  — »la  veritable  peinture  doit  appeler  son  spec- 
tateur  par  la  force  et  par  la  grande  verite  de  son  imitation«  — aber 
waren  seine  Figuren  und  war  die  Umgebung  derselben  coloristisch 
wahr?  Theoretisch  forderte  er,  man  dürfe  nur  die  Natur  um  Rath 
fragen,  müsse  sie  immer  mit  eigenen  Augen  in  absoluter  Entäusserung 
seiner  selbst  studiren,  die  Tradition  sei  zu  verachten  — ein  Hinderniss, 
das  sich  zwischen  den  Künstler  und  die  wahre  Wahrheit  stelle.  Er 
eiferte  gegen  die  alten  Meister,  posaunte  aus,  dass  er  keine  Lehrer 
hätte,  dass  er  aus  sich  selbst  hervorgegangen  wie  der  Phönix.  Seine 
Bilder  bezeugen  im  Gegentheil  das  emsige  Studium  nach  den  alten 
Meistern,  die  er  im  Louvre  studirte.  Er  brach  mit  den  von  der  Ver- 
gangenheit dictirten  Stoffen,  mit  den  ewig  wiederholten  mytholog- 
ischen und  Geschichtsbildern,  mit  den  durch  die  Tradition  geheiligten 
Compositionsreglen  — doch  ohne  in  der  Farbenanschauung  zur 
Selbständigkeit  zu  gelangen.  Wenn  er  Tizian  einen  alten  Betrüger 
nannte,  so  war  das  eine  schwarze  Undankbarkeit  von  ihm,  der  Tizian 
sehr  viel  verdankte.  Während  er  die  alten  Meister  verleugnete,  malte 
er  als  unbedingter  Verehrer  alter  Bilder;  liebte  mehr  als  für  seine 
neuen  Stoffe  passte,  die  braune  Sauce  und  die  rothen  Schatten  des 
17.  Jahrhunderts  und  war,  ohne  es  zu  wissen,  in  seinen  modernen 
Arbeiterbildern  der  letzte  der  Bolognesen.  Indem  er  sich  in  Gegen- 


XXXI.  Das  Problem  der  modernen  Farbenanschauung 


571 


satz  zu  Cabanel  und  Bouguerau,  den  Carlo  Dolci  und  Sassofurato 
des  19.  Jahrhunderts  stellte,  warf  er  sich  instinctiv  dem  in  die  Arme, 
der  damals  jene  Eklektiker  mit  Gift  und  Dolch  verfolgte.  Und  dieser 
— Caravaggio  — hatte  schwärzer  als  alle  Andern  gemalt.  »Keller- 
lukenbilder« wurden  schon  von  den  Carracci  seine  Werke  genannt, 
und  wurde  auf  Vorgänge  im  Freien  gerade  diese  Methode  übertragen, 
so  musste  das  nothwendig  zu  den  grössten  Unwahrscheinlichkeiten 
führen.  Wo  in  der  Natur  eine  reizende  Feinheit  flüchtiger  Nüancen, 
ist  bei  diesem  modernen  Caravaggio  aus  der  Franche-Comte  eine  er- 


drückende undurchsichtige  Schwere.  Fr  malte  zwar  moderne  Stein- 
klopfer, doch  noch  im  Tone  der  Heiligen  aus  der  spanischen  Schule 
des  17.  Jahrhunderts.  Seine  Arbeiterbilder  haben  Museumsgeruch. 
Die  Heimath  seiner  Menschen  ist  nicht  das  freie  Feld  von  Omans, 
sondern  jener  Saal  des  Louvre,  wo  die  Bilder  Caravaggios  hängen. 
Und  nicht  im  Luftton  nur,  selbst  in  der  Farbe  des  Fleisches  hat  er, 
der  Apostel  der  Wahrheit  gelogen.  Er  glaubte  noch,  das  Nackte  sei 
braun,  gab  seinen  Frauen,  die  in’s  Bad  steigen,  so  dunkel  schmutzige 
Farben,  als  hätte  er  nachweisen  wollen,  dass  Baden  zuweilen  eine 
absolute  Nothwendigkeit,  und  verrieth  auch  damit,  dass  er  die  1 ra- 
dition  bei  den  Bolognesen  der  Verfallzeit  studirte. 


Alfred  Stevens  hatte  einen  grossen  Schritt  gethan,  indem  er  mo- 
derne Pariserinnen  malte.  Nachdem  das  Costümbild  bisher  die  Wahr- 
heit der  alten  Meister  nur  in  den  Rockschössen  gesucht,  welche  die 
Mode  ihrer  Zeit  ihnen  vorschrieb,  zog  Stevens  als  der  erste  seinen 
Frauen  das  Gewand  von  1860  an,  so  wie  Terborg  die  seinen  im 
Costüm  von  1660,  nicht  von  1460  malte.  Aber  auch  die  Atmosphäre, 
in  der  die  Pariserin  des  neunzehnten  Jahrhunderts  lebt,  ist  nicht  mehr 
die,  in  der  de  Hooghs  Frauen  sich  bewegten.  Das  ganze  Leben  ist 
heller.  Heller  sind  die  Ateliers,  in  denen  die  Bilder  gemalt  werden, 
heller  die  Räume,  in  denen  zu  hängen  sie  bestimmt  sind.  Noch  der 
Delfft’sche  van  der  Meer,  der  grösste  Lichtmaler  der  Holländer,  arbeitete 


hinter  kleinen  Butzenscheiben ; in  halbdunklc  Patrizierwohnungen, 
»wo  selbst  das  liebe  Himmelslicht  trüb  durch  gemalte  Scheiben  bricht«, 
kamen  seine  Bilder  zu  hängen.  Die  alten  Meister  berücksichtigten  diese 
Beleuchtungsverhältnisse  genau.  Die  Goldstimmung  der  italienischen 
Renaissance  stammt  aus  den  alten,  mit  bunten  Glasfenstern  versehenen 
Domen,  das  Helldunkel  der  Niederländer  entsprach  den  helldunkeln 
Ateliers,  in  denen  die  Maler  arbeiteten,  den  schummerigen,  braun- 
getäfelten Räumen,  für  die  sie  ihre  Bilder  bestimmten.  Das  neun- 


XXXI.  Das  Problem  der  modernen  Farbenanschauung 

zehnte  Jahrhundert  beging  auch  hier  den  Fehler,  das  für  einen  be- 
stimmten Fall  Gegebene  für  etwas  Absolutes  zu  nehmen.  Die  Räume 
waren  längst  hell  geworden,  da  verdunkelte  man  noch  künstlich  die 
Ateliers,  suchte  durch  farbige  Fenster  und  schwere  Vorhänge  das 
Licht  abzudämpfen,  um  in  den  Tönen  malen  zu  können,  welche 
die  alten  Meister  dictirten.  Stevens  beleuchtete  eine  moderne  Dame, 
eine  Pariserin,  die  in  einem  Salon  der  Avenue  de  Jena  sass,  mit  dem 
Tag  des  Gerard  Dou,  ohne  zu  bedenken,  dass  dies  durch  kleine 
Butzenscheiben  durchgesiebte  Licht  zwar  richtig  war  im  Holland 
des  17.  Jahrhunderts,  doch  nicht  mehr  richtig  im  Paris  von  1860, 
in  einem  Salon  mit  grossen  Fensterkreuzen  und  weissen  Glastafeln 
ohne  Bleiränder.  Das  hauptsächlich  macht  seine  Bilder  noch  unwahr, 
verleiht  ihnen  eine  altvlämische  Schwere,  etwas  Erdiges,  Lehmiges, 
das  zum  frischen  Duft  der  modernen  Pariserin  nicht  passt.  Die 
Modernität  ist  durch  ein  gelbliches  Glas  gesehen,  das  die  alten  flandri- 
schen Meister  zwischen  ihn  und  sein  Modell  hielten. 

Auch  Ribot  ist  als  einzelne  Persönlichkeit  ein  grosser  Künstler, 
seine  Werke  sind  Meisterwerke,  ein  Stück  Wahrheit  lag  aber  doch 
darin,  wenn  die  Jungen  ihn  den  letzten  Repräsentanten  der  Schule 
der  Kellerluken  nannten.  Er  wie  Courbet  setzte  noch  die  Kunst 
der  Galerien  fort.  Ganz  Stil  und  doch  ganz  Manier,  bezeichnet  er 
den  Höhepunkt  einer  Richtung,  in  der  die  grossen  Traditionen  von 
Frans  Hals  und  Ribera  von  Neuem  Gestalt  annahmen.  Malt  er  die 
gleichen  Dinge  wie  jene  Alten,  so  ist  er  gleich  gross  wie  sie,  gleich 
echt  und  stilvoll , doch  sobald  er  sich  an  Anderes  macht,  tritt  der 
nachahmende  Manierist  zu  Tage.  Selbst  etwas  so  körperlos  Zartes 
wie  Feldblumen,  erscheint  wie  aus  Wachs  geformt.  Seine  Veracht- 
ung für  das  Leichte,  Flüssige,  Veränderliche,  wie  Luft  und  Wasser, 
tritt  an  seinen  Seestücken  hervor.  Die  Dampfschiffe  pflügen  unter 
dickem,  schwarzem  Gewitterhimmel  durch  eine  grauschwarze  See, 
als  ob  es  durch  graue  Sandwüsten  ginge.  Die  in  Luft  webende, 
im  Licht  gebadete  Natur  ist  nicht  so  compakt  und  schwer,  kennt 
keine  solche  Plastik  der  Erscheinung.  Seine  lesenden  Frauen  sind 
das  Non  plus  ultra  der  Malerei,  doch  man  ist  erstaunt,  dass  Jemand 
in  einem  so  dunkeln  Raum  lesen  kann. 

Ribots  Parallele  in  Deutschland  mit  weniger  malerischer  Kraft 
und  mehr  Geist  ist  Laibach.  Als  Maler  von  Copicn,  namentlich  der 
Künstler  des  16.  und  17.  Jahrhunderts,  bildete  er  sich  heran  und 
absolvirte  in  diesen  Jahren  eine  Schule  für  das  Yerständniss  alter 


XXXI.  Das  Problem  der  modernen-  Farbenanschauung 


573 


Meister  wie  unter  seinen  Zeitgenossen  keiner.  Die  Copien,  die  er 
als  junger  Mann  für  Graf  Schack  in  Italien  und  Spanien  anfertigte, 
sind  wohl  die  besten  Uebersetzungen  des  Pinsels,  die  überhaupt  je 
entstanden.  Tizian  und  Rubens,  Velazquez  und  Giorgione  hat  er 
nachgeschaffen  mit  gleichem  Zauber;  kein  Anderer  versenkte  mit 
solch  verständnissvoller  Schärfe  sich  in  alle  Feinheiten  ihrer  Technik, 
und  mit  Hilfe  dieser  Kunstgriffe,  die  er  als  Copist  den  classischen 
Meisterwerken  absah,  gab  er  dann  auch  seinen  eigenen  Arbeiten 
ihr  vornehm  altmeisterliches,  galeriefähiges  Gepräge.  Seine  Bilder 
bezeichnen  den  Höhepunkt  des  altmeisterlichen  Malenkönnens  in 
Deutschland.  Als  Carstens  starb,  war  die  Kunst  der  Malerei  gänzlich 
aus  dem  Vermögen  der  Deutschen  entschwunden;  die  ein  Jahrhundert 
füllenden  Bestrebungen  der  Nazarener,  der  Piloty-  und  Diezschule 
fanden  in  Lenbach  ihren  krönenden  Abschluss.  Mehr  als  er,  konnte 
man  den  Alten  nicht  absehen,  die  Grenze  war  erreicht,  und  als  der 
erste  Sieger  in  diesem  Distanzritt  wird  für  alle  Zeiten  in  der  Kunst- 
geschichte Lenbach  genannt  werden. 

In  dieser  Bedeutung  liegt  aber  zugleich  seine  Schwäche.  Der 
selbe  Mann,  der  mit  dem  grössten  Erfolg  die  altmeisterliche  Hoch- 
schule besuchte,  blieb  zeitlebens  als  Student  inscribirt,  ohne  selbst 
das  Katheder  zu  betreten.  Den  Jahrhunderte  alten , Person  ge- 
wordenen Geist  der  Galerien  hat  Helferich  ihn  einmal  genannt.  An 
Geist  und  Auffassungskraft  ein  Riese,  ist  er  in  der  Farbe  noch  heute 
Schüler  der  Alten,  wie  er  es  ehedem  in  Spanien  gewesen.  Er  malt 
gut,  malt  vornehm  und  meisterhaft,  doch  immer  in  den  Tönen  seiner 
Lehrer.  Stets  steht  ein  alter  Meister  hinter  den  Bildern,  dem  er  seine 
Geheimnisse  mit  hartnäckiger  Zähigkeit  abgelauscht:  bald  van  Dyck, 
bald  Tizian,  Tintoretto,  Rembrandt  oder  Reynolds.  Und  dieser  Ehr- 
geiz, vor  der  Zeit  wie  ein  alter  Meister  auszusehen,  hatte  zwei  ge- 
fährliche Consequenzen : er  wird  Schuld  sein,  wenn  Lenbach  selbst 
nie  »alter  Meister«  wird,  denn  viele  seiner  Bilder  sind  schon  jetzt 
Ruinen;  er  hat  ihn,  den  Schüler  der  Alten,  auch  veranlasst,  farbig 
von  der  Natur  abzuweichen  in  einer  Weise,  wie  die  Alten  selbst  es 
nie  sich  erlaubten.  Die  Wahrheit  ist  dem  Galerieton  geopfert,  alle 
Gesichter,  ob  roth,  ob  bleich,  sehen  aus  wie  mit  Lakritzensaft  über- 
strichen. Keines  seiner  Bismarckbilder  hat  die  wahre  Gesichtsfarbe 
des  Originals,  die  — bei  Lenbach  in  goldigem  Braun  gehalten  — 
in  Wirklichkeit  mehr  jenes  kreidig  Rosige  hat,  wie  es  Richmond 
malte.  Seine  Damenbilder  — statt  duftig  und  frisch  zu  sein  — 


574 


XXXI.  Das  Problem  der  modernen  Farbenanschauung 


wirken  ölig  und  schmutzig.  Hin  Mann,  der  mit  Lenbachs  Geist 
coloristisch  eine  grössere  Ehrfurcht  vor  der  Natur  verbände,  der  die 
Natur  selbst,  nicht  nur  die  Töne  der  Alten  fühlte,  würde  heute  als 
Ideal  eines  Porträtmalers  vorschweben. 

Damit  ist  angedeutet,  wohin  die  Weiterentwicklung  gehen  musste. 
Eine  wahrhaft  neue  selbständige  Kunst  musste  schliesslich  auch  von 
der  Renaissancefarbe,  dem  Kirchenton  und  dem  Helldunkel  der  hinter 
bunten  Scheiben  und  Butzenfenstern  gemalten  Bilder  sich  frei  machen. 
Man  musste  einsehen,  dass  die  an  sich  ausgezeichneten  Mittel  der  alt- 
spanischen und  altholländischen  Schule  zwar  vollkommen  am  Platze 
waren  für  unheimliche  Märtyrerscenen  oder  ruhige  Interieurs  mit 
Bauern  und  dicken  Matronen,  aber  dass  sie  unmöglich  weder  dem 
im  Freien  spielenden  Arbeiterbild  beikommen  konnten,  noch  den 
raffinirten  Interieurs  unserer  Tage  und  diesen  zarten,  blassen,  in  Seide 
geschnürten  Pariserinnen,  diesen  Menschen  einer  neuen  Zeit.  Eine 
andere  Zeit  verlangt  andere  Mittel.  Nicht  die  Stoffe  allein  ändern 
sich,  auch  die  Art,  wie  sie  gemalt  sind,  muss  die  Marke  der  Zeit 
tragen.  Man  durfte  die  Natur  nicht  länger  durch  das  Prisma  alter 
Bilder  betrachten,  musste  das  »beau  par  la  verite«  auch  zum  colorist- 
ischen  Princip  erheben.  Die  alten  Meister  selbst  waren  Leitsterne 
auf  diesem  Wege. 

Als  Courbet,  Ribot  und  Lenbach  sie  in  den  60  er  Jahren  studirten, 
ahnte  noch  Niemand,  dass  die  Holländer  und  Italiener  vielleicht  erst 
mit  dem  Alter  so  braungelb  geworden.  Die  Gegenwart  weiss  die  Farbe 
vom  Firniss  zu  scheiden.  Nachdem  eine  Anzahl  hervorragender  Re- 
stauratoren die  Münchener  Pinakothek,  die  Londoner  Nationalgalerie 
und  die  holländischen  Museen  einer  vollständigen  Reinigung  unter- 
zogen, erst  da  trat  zu  Tage,  dass  die  alten  Meister  ursprünglich  einer 
solchen  Uebersetzung  der  Natur  in  das  Angeräucherte  sehr  ferne 
standen.  Die  vom  Schmutz  befreiten,  regenerirten  alten  Gemälde 
wurden  selbst  classische  Zeugen  gegen  die  Ansichten,  die  bisher  über 
das  Colorit  der  alten  Meister  geherrscht.  Nun  erst  trat  die  Farben- 
fröhlichkeit zu  Tage,  nun  leuchteten  die  Bilder  wie  einst,  das  Fleisch 
war  nicht  mehr  Leder,  nicht  isabellenfarbig  die  Wäsche,  licht  wurde 
der  Himmel,  die  Schatten  klar;  das  sogenannte  Warme,  Goldige 
verschwand,  wo  es  trüber  Firniss  gewesen,  und  kam  zu  erhöhtem 
Glanz,  wo  der  Maler  es  ursprünglich  gemalt  hatte.  Nun  sah  man, 
dass  der  Rost  des  Alters,  die  Patina  der  Jahrhunderte,  das  Ruinen- 
hafte unmöglich  das  vom  Künstler  zu  erstrebende  Ziel  sei,  man  er- 


XXXI.  Das  Problem  der  modernen  Farbenanschauung 


575 

kannte,  dass  man  neue  Gegenstände  zwar,  aber  nach  missverstandener 
alter  Methode  gemalt,  und  es  begann  das  Streben,  auch  in  maler- 
ischer Beziehung  wieder  selbständig  zu  werden,  wie  die  Alten  selbst 
cs  gewesen. 

Den  Praerafaeliten  und  Menzel  kam  das  Problem  am  frühesten 
zum  Bewusstsein.  Sie  waren  nie  in  altmeisterlichen  Tönen  befangen, 
sondern  haben  sich  schon  in  bewussten  Gegensatz  zu  den  Alten  ge- 
stellt. Der  Kampf  gegen  die  »braune  Sauce«  bildete  sogar  einen 
wesentlichen  Punkt  im  Programm  der  Brotherhood.  Sie  prote- 
stirten  gegen  den  conventioneilen  Colorismus  ebenso  heftig  wie  gegen 
den  Linienschwung  der  überlieferten  Schönheitsregeln.  Wie  kommt 
es,  fragt  Ruskin  in  jener  Stelle,  in  der  er  die  Werke  der  Cinquecentisten 
seiner  zersetzenden  Kritik  unterzieht,  wie  kommt  es,  dass  das  Licht 
nur  auf  die  Mittelgruppe  fällt  und  alles  Andere  in  Schatten  lässt? 
Aus  welchem  Material  besteht  die  Welt,  dass  diese  Schatten  alle  von 
demselben  Braun  sind?  Die  Natur  kennt  das  rothgoldige  Licht,  die 
braunen  Schatten,  das  warme  blühende  Fleisch  nicht,  das  an  den 
Bildern  der  Venezianer  und  ihrer  englischen  Nachahmer  besticht. 
Nicht  in  der  Zeichnung  nur,  auch  in  der  Behandlung  des  Lichtes, 
des  Schattens  und  der  Farbe  seien  die  wirklichen  Effekte  der  Natur 
getreu  zu  copiren  ohne  Rücksicht  auf  conventioneile  Abtönung.  Die 
Cinquecentisten  gaben  Symphonien  in  braun,  aber  haben  sie  je  grünes 
Gras,  gelben  Sand  und  blauen  Himmel  gemalt?  Alle  diese  goldenen 
und  silbernen  Galerietöne,  die  man  bisher  nachgeahmt  hätte,  seien 
in  Wahrheit  eine  angenehme  Lüge.  Statt  braune  Saucen  zu  brauen, 
müsse  man  draussen  im  Freien  das  Licht  studiren,  wie  es  auf  den 
Körpern  spielt,  die  wahren  Farben  der  Natur  in  ihrer  vollen  Intensität 
auf  die  Leinwand  setzen.  Die  Bilder  der  Praerafaeliten  sind  colo- 
ristisch  verschieden  von  Allem,  was  der  Continent  in  jenen  Jahren 
malte.  Ihre  Fleischtöne  sind  fleischfarben,  die  Schatten  blau,  Bäume 
und  Wiesen  grün  — zu  einer  Zeit,  als  sie  in  Frankreich  noch  durch- 
gängig braun  waren.  Mit  grösster  Kühnheit  sind  die  individuellen 
Farben  in  vollem  blendenden  Licht  gegeben. 

Holmau  Hunt  wagt  in  seinen  »zwei  Veronesern«  schon  1854 
das  Problem  des  durch  Blätter  rieselnden  Sonnenlichtes,  malt  ein 
Waldinneres  mit  hüpfenden  Sonnenflecken  und  goldigen  Sonnen- 
strahlen, die  auf  moosbedeckten  Baumstämmen  spielen.  I11  seiner 
Flucht  nach  Aegypten  dehnt  sich  eine  graublaue,  klare,  orien- 
talische Nacht  aus,  hellfunkelnde  Sterne  stehen  am  Himmel, 


57^ 


XXXI.  Das  Problem  der  modernen  Farbenanschauung 


Wachtfeuer  brennen.  In  einer  Zeit,  als  anderwärts  die  Maler  sich 
begnügten,  im  Sommer  irgendwelche  Skizzen  zu  machen  und  im 
Winter  mit  beliebigen  Figuren  zu  staffiren,  führte  Hunt  streng  die 
Einheit  von  Figuren  und  Umgebung  durch.  Der  Hintergrund  von 
»Christus  als  Licht  der  Welt«  wurde  in  den  kalten  Nächten  eines 
englischen  Novembers  bei  flimmerndem  Lampenlicht  gemalt;  das 
landschaftlich  sehr  reizvolle  Bild  der  »englischen  Küsten«  malte  er 
Strich  für  Strich  im  Freien  fertig,  im  Herbst,  vor  den  steilen  Klippen 
von  Sussex.  Die  üppigen  Wälder  von  Kent  im  Oktober  mit  ihren 
dicken  Stämmen  und  schillernden,  grünen  Blättern  ergaben  die  Scenerie 
für  »Valentine  und  Proteus«.  Für  seinen  »Schatten  des  Todes«  hat  er 
die  Landschaft  von  Palästina  mehrere  Jahre  lang  täglich  zu  denselben 
Stunden  studirt.  Um  seinen  »Sündenbock«  zu  malen,  arbeitete  er 
Monate  lang  an  der  todten  See. 

Noch  beachtenswerter  ist  die  Sachlichkeit  in  Beleuchtung  und 
Farbe,  deren  Madox  Brown  sich  befleissigt.  Schon  in  den  40er 
Jahren,  also  vor  Millet,  hatte  er  begonnen,  seine  Bilder  im  Freien 
zu  malen,  sich  bemüht,  ihnen  die  volle  Helligkeit  des  Sonnenlichtes 
zu  geben.  Seine  Reise  nach  Italien  bestärkte  ihn  in  diesen  Bestreb- 
ungen. Masaccio  und  Filippino  Lippi  hatten,  wie  er  dort  sah,  nicht 
den  Atelierton ; sie,  wie  die  gleichzeitigen  Niederländer  Rogier  van 
der  Weyden  und  Memlinc,  malten  hell;  erst  später  — durch  Correggio 
— kam  das  Helldunkel , dann  — als  die  Akademiker  von  Bologna 
die  nachgedunkelten  Bilder  der  Cinquecentisten  nachahmten  — die 
Sauce,  aus  der  man  aber  sofort  wieder  auftauchte,  als  Rubens,  der 
grosse  Lichtträger  des  17.  Jahrhunderts,  erschien.  Das  »Work«  be- 
zcichnete  das  Schlussergebniss  seiner  pleinairistischen  Experimente. 
Er  versuchte  den  Vorgang  so  zu  malen,  wie  er  sich  auf  der  Strasse 
abspielte:  im  blendenden  Sonnenschein.  Die  Sonne  rieselt  durch 
die  Bäume  und  besät  die  Röcke  der  Arbeiter  mit  unzähligen  hellen 
Pünktchen. 

Aber  — wie  so  häufig  im  19.  Jahrhundert  — die  Engländer 
fanden  den  Edelstein,  doch  sie  verstanden  ihn  nicht  zu  schleifen. 
Die  Praerafaeliten  wirkten  anregend,  indem  sie  mit  ihrem  Drängen 
auf  elementare  Farbenwirkungen  das  coloristische  Gefühl  anreizten 
und  schärften.  Sie  versuchten  aus  der  braunen  Sauce  herauszu- 
kommen und  in  schlichter  selbständiger  Beobachtung  den  Lokaltönen 
gerecht  zu  werden.  Sie  malten  in  möglichst  ungebrochenen,  scharf 
accentuirenden  Farben  die  Bäume  grün,  den  Boden  grau,  den  Himmel 


XXXI.  Das  Problem  der  modernen  Farbenansciiauung 


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blau,  die  Sonnenstrahlen  gelb.  Doch  das  Resultat  war  in  den  meisten 
Fällen  wenig  erfreulich,  fast  immer  eine  harte  Buntfarbigkeit  von 
grellstem  Effekt.  Ihre  Kühnheit  hat  etwas  Barbarisches.  Die  Wärme 
und  Weichheit  fehlt,  die  Atmosphäre  hält  das  Ganze  noch  nicht 
versöhnend  und  harmonisirend  zusammen.  Selbst  Madox  Browns 
Work  ist  ein  verletzendes  Chaos  schreiender  Farben.  Die  hellen 
Kleider,  die  blauen  Blousen,  die  rothen  Uniformen  wirken  bunt  und 
unruhig.  Das  Problem  ist  angepackt,  doch  die  Ausführung  hart 
und  roh  geblieben. 

Von  Menzels  Bildern  gilt  — vielleicht  in  geringerem  Maasse  — 
das  Gleiche.  Auch  er  steht  in  der  malerischen  Anschauung  nicht 
ganz  auf  der  Höhe.  Er  malt  zuweilen  geistvoll  und  funkelnd  — etwa 
die  Mitte  haltend  zwischen  der  ruhig  sachlichen  Malerei  Meissoniers 
und  der  kraus  schillernden  Fortunys;  er  verpufft  ein  flackerndes, 
raketenhaft  sprühendes  Feuerwerk  — aber  ist  im  Grunde  doch  aus 
dem  Holz  geschnitzt,  aus  dem  man  die  Zeichner  macht.  Manchmal 
ist’s  staunenswerth,  wie  sein  Pinsel  über  Costüme,  Ornamente  und 
Baulichkeiten  schwirrt,  doch  er  denkt  nicht  in  der  Farbe,  diese 
tritt  ergänzend  zur  Zeichnung,  entsteht  nicht  von  vornherein  eben- 
bürtig mit  ihr.  So  sehr  er  in  seiner  Schmiede  versucht  hat,  Rauch 
und  Qualm  zu  malen,  hatte  er  doch  für  das  atmosphärische  Leben 
noch  kein  Verständniss ; darum  stören  fast  immer  grelle  und  harte 
Farbenklänge  in  seinen  Werken.  Sowohl  die  Piazza  d’Erbe  wie  die 
Abfahrt  Kaiser  Wilhelms  wirken  im  Bilde  bunt  und  unruhig  und  be- 
kommen erst  in  der  Photographie,  auf  Schwarz  und  Weiss  reducirt, 
etwas  von  der  Einfachheit,  die  den  Originalen  zu  wünschen.  Die 
besten  seiner  Zeichnungen  können  unbeschadet  neben  Dürers  Hand- 
zeichnungen stehen  — seine  Bilder  gleich  hoch  zu  stellen,  ist  unmög- 
lich, da  ihnen  die  Ruhe,  die  abgeklärte  Harmonie  fehlt. 

So  berühren  sich  hier  die  Gegensätze.  Courbet,  Ribot  und 
Lenbach  sind  die  grössten  Kenner  der  Farbe,  die  Europa  bis  dahin 
sah,  aber  sie  sind  es  auf  Kosten  der  Wahrheit,  sind,  in  den  alten 
Meistern  aufgehend  , noch  nicht  zur  eigenen  Farbenanschauung  ge- 
kommen. Menzel  und  die  Praerafaeliten  verschmähten  die  alten 
Meister,  aber  ihre  Farbenanschauung  behielt  etwas  Ungebildetes, 
Primitives,  Zerrissenes.  Ihre  ganze  Schaffensart,  das  Ziel,  das  sie 
sich  setzten,  verhinderte  sie,  zur  wirklichen  Harmonie  zu  gelangen. 

Für  die  Praerafaeliten  wie  für  Menzel  stand,  obwohl  sie  keine 
eigentlichen  »Genremaler«  waren,  doch  immer  noch  der  Gedanke, 

Muther,  Moderne  Malerei  II. 


37 


578  XXXI.  Das  Problem  der  modernen  Farbenanschauung 

vielleicht  das  psychologisch  Interessante,  nicht  das  Malerische  einer 
Scene,  im  Vordergrund.  Sie  verzichteten,  obwohl  sie  nicht  genre- 
haft witzelten,  doch  nicht  auf  den  erzählenden  Inhalt.  Was  für  eine 
Fülle  von  Gedanken  hat  Madox  Brown  in  seine  Bilder  gelegt! 
Schon  sein  »Abschied  von  England«  erzählt  eine  ganze  Geschichte. 
Ein  echter  Maler  hätte  das  Schiff,  das  Ehepaar,  Himmel  und  Meer 
gemalt.  Madox  Brown  hängt  im  Hinterdeck  an  Stricken  eine  Reihe 
Kohlköpfe  auf  — nicht  aus  malerischen  Gründen,  nur  um  anzu- 
deuten, dass  eine  lange  Ueberfahrt,  keine  Vergnügungsreise  gemacht 
wird.  Dass  die  Familie  zu  arm  ist,  um  erster  Classe  zu  fahren,  wird 
durch  die  Umgebung  commentirt.  Hinter  dem  Ehepaar  bemerkt  man 
das  Auge  einer  Frau,  eine  Hand,  die  eine  Pfeife  hält,  die  Füsse  eines 
kleinen  knieenden  Jungen  und  den  obern  Theil  vom  Gesicht  eines 
jungen  Mädchens,  das  einen  Apfel  verzehrt.  Es  ist  die  anständige 
Familie  kleiner  Kaufleute,  der  Vater,  die  ältere  Tochter  und  zwei 
Kinder;  die  Mutter  ist  todt.  Das  ergibt  sich  daraus,  dass  die  Hand 
der  älteren  Schwester  einen  schwarzen  Wollhandschuh  trägt.  Da- 
hinter steht  ein  Taugenichts,  der  bei  einer  Rauferei  die  Zähne  ver- 
lor und  grinsend  seinem  Vaterland  die  Faust  macht.  Ohne  Zweifel 
ist  die  Bewegung  von  rohen  Flüchen  begleitet,  denn  eine  alte  Dame, 
vielleicht  die  Mutter  des  Nichtsnutzes,  hebt  ihre  Hände  entrüstet  zum 
Himmel,  während  ein  anderer  Strolch  mit  rothem  angetrunkenem 
Gesicht  durch  eine  freudige  Pantomime  seinen  Beifall  kundgibt.  Ohne 
Zuhülfenahme  des  geschriebenen  Wortes  ist  im  Bilde  eine  ganze  Ge- 
schichte niedcrgelegt. 

Im  »Work«  wird  die  Aufhäufung  solcher  Details  auf  die  aller- 
höchste Spitze  getrieben.  Eine  einfache  Strassenscene  sollte  gemalt 
werden,  aber  in  Browns  Kopfe  verwandelte  sie  sich  in  eine  symbol- 
ische Darstellung  der  Arbeit.  Die  von  ihm  selbst  verfasste  Beschreib- 
ung umfasst  drei  enggedruckte  Seiten.  Es  genügte  ihm  nicht,  in  dem 
Rahmen  alle  Typen  des  englischen  Erdarbeiters  zu  vereinigen:  den 
Jungen,  lachend  und  hübsch,  den  in  der  Blüthe  der  Jahre,  fleissig,  aber 
ein  Glas  Bier  nicht  verschmähend,  den  Alten  mit  kräftigen  Gliedern, 
den  nichts  von  der  Arbeit  ablcnkt,  den  Faulen,  der  die  Andern  auf- 
hetzt. Nein,  um  diese  Arbeitergruppe  drängen,  stossen  und  schieben 
sich  die  verschiedensten  Personen,  die  durch  irgend  eine  Gedanken- 
verbindung sich  in  Zusammenhang  bringen  Hessen  mit  der  Idee  der 
Arbeit:  Ingenieure,  Philosophen,  ausgehungerte  Irländer,  Schnitter, 
Blumen-  und  Orangenverkäuferinnen,  Polizisten,  Träger  von  Plakaten, 


XXXI.  Das  Problem  der  modernen  Farbenanschadung 


579 


Kuchenverkäufer,  Strassenjungen,  junge  Damen,  die  kokett  sind,  und 
alte  Damen,  die  moralische  Brochüren  vertheilen,  auch  eine  junge 
Dame  zu  Pferd,  die  ihren  Vater  auf  dem  Spazierritt  begleitet.  Hin 
Bettler,  der  Vergissmeinnicht  feilhält,  geht  links  zum  Bilde  heraus. 
Vorn  spielen  arme  Kinder,  Soldaten  führen  ihren  Schatz  aus.  Der 
Bretterzaun  ist  mit  bunten  Affichen  bedeckt,  auf  denen  jeder  Buch- 
stabe sorgfältig  gemalt  ist.  Rechts  im  Schatten  eines  Baumes  stehen 
im  Gespräch  zwei  Arbeiter  des  Geistes : Carlyle  und  D.  Maurice. 
Eine  Gruppe  ist  über  die  andere  gehäuft,  so  dass  sie  der  Rahmen 
kaum  fasst. 

In  ähnlicher  Weise  sind  Menzels  Arbeiten  concipirt.  Auch  seine 
Bilder  erreichen  nie  den  Eindruck  malerischer  Harmonie , da  sie 
mit  zu  unruhigen  Details  überladen,  mit  dem  Verstand  mehr  als 
dem  Auge  gemalt  sind.  Was  an  der  schönen  Büste,  die  Reinhold 
Begas  vom  Meister  modellirtc,  in  erster  Linie  auffällt,  ist  die  breite, 
faltenreiche,  denkende  Stirn.  Der  Mund  ist  hart,  hermetisch  ver- 
schlossen, nichts  verrathend  von  den  Empfindungen,  die  in  diesem 
Kopfe  leben.  Das  Auge,  von  dicken,  struppigen  Brauen  beschattet, 
blickt  kalt  gradeaus,  als  mustere  es  einen  Gegner  und  suche  die 
Stelle,  an  der  er  am  sichersten  verwundbar.  Unter  dem  festen, 
muskulösen  Hals  setzt  ein  zwerghafter  Körper  an , dessen  Schmal- 
brüstigkeit selbst  der  weite,  schlottrige  Rock  verräth.  Das  ganze 
Leben  concentrirt  sich  im  Schädel,  einem  unendlich  durchcise- 
lirten,  von  tausend  blauen  Aederchen  durchzogenen  nackten  Schädel. 
Diesem  Aeussern  entspricht  seine  Kunst.  Der  grosse  Kopf  des 
Malers  ist  der  unendliche  Ideenbehälter,  durch  den  allein  sie  gespeist 
wird.  Das  Herz  ist  zu  wenig  entwickelt,  um  an  der  Stoffzufuhr 
theilzunehmen.  Was  ihn  kennzeichnet,  ist  vorwiegend  seine  epi- 
grammatische Schärfe,  sein  überlegener  Verstand,  sein  kaltwitziges, 
auf  Pointen  hin  arbeitendes  Berlinerthum.  Es  steckt  in  ihm  noch 
ein  wenig  von  Hogarth,  es  fehlt  ihm  die  Zärtlichkeit.  Wo  man 
Versenkung,  liebevoll  hingebende  Beobachtung  möchte,  führt  über- 
legene Ironie  und  kalte  Satire  das  Wort.  Mit  dem  Bleistift  bewaffnet, 
analysirt  er  jeden,  den  er  aufgreift,  in  der  grossen  Komödie  des 
Lebens,  aber  er  ist  nie  — auch  als  Mensch  nie  — verliebt  gewesen. 
Seine  Charakteristik  streift,  weil  sie  epigrammatisch  geistreich  sein 
möchte,  zuweilen  an  Caricatur.  Es  freute  ihn,  das  Allerflüchtigste 
zu  fixiren,  die  momentanste  Bewegung  und  das  zuckendste  Mienen- 
spiel, dadurch  erreichte  er  das  sprühende  Leben  seiner  Bilder,  aber 


580 


XXXI.  Das  Problem  der  modernem  Farbenanschauung 


gewöhnlich  auf  Kosten  ruhiger  Objectivität.  Seine  Bilder  sind  mehr 
Epigramme  als  Schilderungen.  Im  »Ballsouper»  schreibt  er  eine 
Satire  auf  Eleganz  und  Oberflächlichkeit,  Unterwürfigkeit  und  Hoch- 
muth.  Beim  »Diner  in  Sanssouci»  sind  alle  Gesichter  geröthet.  Alle 
Gäste  machen  die  verdienstlichsten  Anstrengungen,  sich  in  Heiterkeit 
und  Esprit  hinaufzuschrauben,  lachen,  als  würden  sie  von  unsichtbarer 
Hand  gekitzelt.  Man  glaubt  den  Einen  zum  Andern  sagen  zu  hören : 
haben  wir  Geist;  haben  wir  viel  Geist,  wir  können  gar  nicht  zu  viel 
haben.  Wir  sind  zu  keinem  andern  Zweck  da,  als  Geist  zu  haben. 
Was  würde  die  Welt  sagen,  wenn  sie  erführe,  dass  wir  beim  grossen 
Friedrich  dinirt  und  keinen  Geist  gehabt  haben.  Wenn  er  die  feier- 
liche Procession  in  Gastein  malt,  vergisst  er  nicht,  als  komische 
Hauptfigur  den  blasirten  Touristen  anzubringen,  der,  nachdem  er 
im  Schweisse  seines  Angesichts  zu  dem  Schauspiel  gelaufen,  nun 
der  ländlichen  Feierlichkeit  hochmüthig  gelangweilt  den  Rücken 
dreht.  In  das  geschäftige  Gewimmel  der  Piazza  d’Erbe  muss  eine 
Familie  von  Engländern  gerathen  sein,  die  all  den  Forderungen  und 
Anerbietungen,  mit  denen  sie  die  Marktbummler  umringen,  trotz  des 
gezogenen  Portemonnaies,  vollkommen  hülflos  gegenüber  stehen. 
Der  Engländer  der  Wirklichkeit,  der  elegante,  ruhige,  welterfahrene 
Kosmopolit,  den  Nichts  auf  der  Welt  aus  der  Fassung  bringt,  wird 
des  komischen  Effektes  zu  Liebe  durch  den  Theater-Engländer  ersetzt, 
der  vor  30  Jahren  eine  stehende  Figur  der  Fliegenden  Blätter  bildete. 
Dieses  absichtliche  Anhäufen  von  gesucht  geistreichen  Einzelbeobacht- 
ungen nimmt  Menzels  Bildern  die  Wahrheit.  Nicht  naiv  — iron- 
isch ist  seine  Darstellungsart.  Er  ist  überreich  an  Einfällen  und  per- 
sönlichen Anmerkungen,  trägt  zu  viel  Kleinkram  zusammen,  macht 
die  Kunst  zum  Kunststück,  sucht  stets  zu  verblüffen  durch  Vorbring- 
ung irgendwelcher  unvermutheter,  boshaft  durchkreuzender  Neben- 
dinge. Seine  Malerei  ist  Realismus,  sofern  sie  nichts  mehr  in  der 
Natur  als  unschön  ausschlicsst  und  auf  conventionelle  Töne  stimmt. 
Aber  sie  ist  weniger  wahr,  als  die  der  alten  Realisten,  weil  sie  die 
Wahrheit  nicht  ganz,  sondern  nur  eine  willkürliche  Anhäufung  von 
Fragmenten  der  Wahrheit  gibt.  Er  erzählte  und  moralisirte  nicht 
‘mehr  wie  die  früheren  Genremaler,  aber  er  addirte  noch  zu  viel. 
Es  fehlte  ihm  noch  die  Einfachheit. 

Wilhelm  Leib I hat  die  Einfachheit,  die  Menzel  und  den  Prae- 
rafaeliten  mangelt.  Er  ist  nicht  satirisch,  sondern  das  Non  plus  ultra 
der  Sachlichkeit,  und  auch  von  Courbet,  Ribot  und  Lenbach  durch 


XXXI.  Das  Problem  der  modernen  Farbenanschauung  581 

seine  weniger  altmeisterliche  Farbenanschauung  getrennt.  Fr  hatte, 
nachdem  er  anfangs  ebenfalls  Schüler  der  Alten  gewesen,  sich  später 
von  der  Virtuosität  zu  naiver  Selbständigkeit  durchgearbeitet  und 
mit  seinen  Augen  von  vorn  anzufangen  versucht,  indem  er  alles 
Strich  für  Strich  genau  nach  der  Natur,  wie  er  es  sah,  abmalte.  Er 
setzte  sich  dicht  vor  das  Modell,  und  sein  unerbittlicher  Blick  sah 
über  keine  Runzel,  kein  Härchen  weg.  An  dem  schwarz-  und  blauge- 
musterten Ginghamkleid  der  Miesbacherin  konnte  man  jedes  Karree, 
an  den  Joppen  der  zeitunglesenden  Bauern  jede  Haarfaser  sehen; 
jede  Schwiele,  jede  Stirnfalte  war  naturgetreu  reproducirt.  Sein  un- 
glaubliches Können  ermöglichte  ihm,  mit  unerreichter  Wahrheit  die 
Oberfläche  harter  Substanzen,  gewebter  Stoffe,  runzlicher  Gesichter 
wiederzugeben.  Seine  Tischplatten,  Kachelöfen,  Fussböden,  Kirchen- 
stühle, Schnapsflaschen,  Biergläser  waren  von  greifbarer  Echtheit, 
seine  Bauern  unheimliche  Doppelgänger  der  Natur.  Was  er  gab, 
war  Wirklichkeit,  hier  hatte  man  jene  »wahre  Wahrheit«,  von  der 
Courbet  sprach.  Und  gleichwohl  wirkten  auch  Leibis  Bilder  noch 
unvollkommen.  Gerade  durch  die  Gewissenhaftigkeit,  mit  der  er 
ihre  Vollendung  langsam  herbeiführte,  hatten  sie  etwas  Trockenes, 
Hartes  bekommen.  Die  Wiedergabe  zuckenden  Lebens  gelang  ihm 
nicht.  Alle  seine  Bauern  sitzen  unbeweglich  da  wie  Wachsfiguren 
und  thun , als  ob  sie  die  Stimme  des  Photographen  hörten : jetzt 
stillhalten.  Selbst  wenn  zwei  im  Gespräch  dargestellt  sind,  spricht 
der  eine  nicht  und  der  andere  horcht  nicht,  beide  halten  still  und  — 
lassen  sich  malen.  Man  fühlte,  dass  der  lebendige  Eindruck  der 
Natur  nur  erzielt  werden  könne,  wenn  theils  weniger,  theils  mehr 
gegeben  werde  als  Leibi  gab.  In  der  Wiedergabe  der  Oberfläche 
fester  Substanzen  that  er  des  Guten  zu  viel.  Diese  Unendlichkeit 
von  Einzelheiten  wirkte  eher  bedrückend  auf  die  Darstellung.  In 
der  Wiedergabe  des  Milieus  aber  leistete  er  zu  wenig.  Man  wollte 
Erdgeruch  athmen,  Wohnzimmeratmosphäre,  Landluft.  Leibi  schil- 
derte nur  die  Sache,  nicht  auch  das  Milieu,  sah  die  Dinge  nur 
plastisch,  nicht  in  die  Atmosphäre  getaucht.  In  seinem  Streben,  eine 
peinlich  fleissige,  redlich  mühsame  Abschrift  der  Wirklichkeit  herzu- 
stellen, hatte  er  gleich  Courbet  nur  die  festen  Substanzen  gemalt,  nur 
das,  worauf  er  seine  schwere  Hand  legen  konnte,  sich  angeeignet. 
Er  malte  noch  die  Materialität  der  Dinge  ohne  ihren  Duft. 

Auf  ähnlicher  Stufe  hatten  vor  dem  Auftreten  der  Fontaine- 
bleauer  die  Landschafter  gestanden.  Als  diese  sich  von  der  Manier 


582  XXXI.  Das  Problem  der  modernen  Farbenanschauung 

des  Classicismus  befreien  wollten,  versuchten  sie  ebenfalls,  mit 
äusserster  Sorge  die  kleinsten  Partikelchen  der  Dinge  zu  copiren, 
strebten  eine  mathematische  Präcision  in  der  Wiedergabe  auch  des 
Kleinsten  an  und  — neutralisirten  durch  solch  spitzpinselige  Detail- 
arbeit den  Gesammteindruck , die  »Stimmung«  ihrer  Bilder.  Die 
Figurenmalerei  stand  jetzt  vor  demselben  Problem,  wie  die  Landschaft 
zu  Constables  und  Corots  Tagen.  Es  kam  zum  Bewusstsein,  dass  die 
Malerei  gar  nicht  die  Aufgabe  habe,  trocken  die  Wirklichkeit  ab- 
zuschildern, sondern  dass  sie,  gleich  der  Musik  und  Poesie  nur  die 
Empfindungen  vermitteln  soll , welche  die  Aussenwelt  in  der  Seele 
des  eigenartig  betrachtenden  Künstlers  erregt.  Man  wollte  lernen, 
schlagend  den  Eindruck  einer  Naturscenerie  festzuhalten , ohne  mit 
der  nur  dem  analysirenden  Auge  wahrnehmbaren  Wiedergabe  der 
Einzelheiten  sich  aufzuhalten.  Man  wollte  versuchen,  das  Wesent- 
liche zu  erfassen,  das  zitternde  Leben,  die  duftige  Essenz  der  Dinge, 
auf  dass  ein  Bild  entstehe  ihres  geheimsten  Wesens,  der  Pulsschlag 
fühlbar  werde,  der  das  Leben  der  Natur  künde.  Wie  sie  auf  ein 
naives  Auge  wirkt,  einfach,  kunstlos,  unmittelbar,  elementar,  so 
sollte  sie  auch  im  Bilde  lebendig  werden,  als  ob  sie  darin  athme. 
Statt  mühsam  ein  Stück  Wirklichkeit  zu  reproduciren , wollte  man 
mit  Wenigem  »suggestiv«  wirken,  an  die  Stelle  der  Detailmalerei 
sollte  die  »expression  par  l’ensemble«  treten. 

Wo  aber  und  wie  beginnen?  In  der  Kunst  wie  in  der  Politik 
und  Natur  gibt  es  Gewitterstimmungen.  Die  ganze  Welt  lebt  in 
der  gleichen  Atmosphäre,  eine  Schwüle  bemächtigt  sich  der  Ge- 
müther.  Es  ist,  wie  wenn  eine  grosse  Menge  in  zu  engem  Raum 
eingekeilt  ist,  die  Luft  wird  erst  frei,  wenn  Einer  auf  den  Gedanken 
kommt  ein  Loch  zu  schlagen.  Solch  drückendes  Gefühl  einer  Ueber- 
gangsstimmung  lag  um  1870  über  der  europäischen  Kunst.  Ein 
Jeder  dachte  mit  Ibsen:  »Es  muss  eine  neue  Offenbarung  kommen«, 
und  sie  wurde  den  abendländischen  Malern  durch  eine  Botschaft, 
die  der  Osten  erliess. 


©X9 


XXXII. 


Die  Japaner. 

IN  demselben  Jahre,  als  Millet  seinen  Vanneur  ausstellte  und 
Courbet  seine  Steinklopfer  malte,  starb  fern  im  Osten  ein  Mann, 
der  hiess  Hokusai  — der  letzte  grosse  Vertreter  einer  Jahrtausende 
alten  Malerei,  die  keinen  Rafael,  Correggio  oder  Tizian  hatte  und 
gleichwohl  Kunst  war  in  des  Wortes  erhabenster  Bedeutung.  Schon 
Marco  Polo,  der  grosse  Reisende  des  Mittelalters,  hatte  von  dem 
merkwürdigen  Lande  »gen  Sonnenaufgang«  erzählt,  dessen  Boden  zu 
betreten  ihm  nicht  vergönnt  war.  Das  18.  Jahrhundert  erlebte  eine 
Revolution  seiner  Kunstansichten,  als  die  ersten  japanischen  Porzellane 
und  Lackarbeiten  an  den  Höfen  von  Dresden  und  Paris  eintrafen.  Noch 
der  alte  Ludwig  XIV.  begann  Gefallen  zu  finden  an  Götzen,  Pagoden 
und  »mit  Blumen  bedruckten  Stoffen«.  Die  Werke  bildeten  binnen 
Kurzem  einen  bedeutenden  Theil  der  vornehmen  Sammlungen  und 
führten  zu  der  Gegenströmung  gegen  den  starren  Despotismus  des 
pomphaften  Lebrunschen  Stils.  Die  Japaner  vermittelten  Europa  die 
zwangloseren  Grundsätze  einer  freieren  Schönheitsanschauung;  sie 
brachten  die  Vorliebe  für  das  Unsymmetrische,  Caprieiöse,  Bewegte 
— all  das,  wodurch  sich  der  reizende  Stil  Louis  XV.  von  der  lang- 
weilig akademischen  Kunst  Louis  XIV.  unterscheidet.  In  den  6oer 
Jahren  des  19.  Jahrhunderts  griff  Japan  zum  zweiten  Mal  umwälzend 
in  den  Entwicklungsgang  der  europäischen  Malerei  ein.  Und  be- 
trachtete man  früher  die  japanischen  Erzeugnisse  als  Curiositäten, 
denen  ein  Platz  in  den  Raritätenkabineten  angewiesen  ward,  als 
Spielereien,  an  denen  mehr  die  Kunstfertigkeit  der  Herstellung  als 
der  künstlerische  Werth  geschätzt  wurde,  so  war  es  der  Gegenwart 
Vorbehalten,  der  japanischen  Kunst  als  solcher  gerecht  zu  werden. 

Was  für  Griechenland  Aegypten  oder  Kleinasien,  war  für  Japan 
China. 

Schon  im  2.  Jahrhundert  der  christlichen  Zeitrechnung  hatten 
nach  der  Legende  chinesische  Künstler  sich  im  Lande  niedergelassen 


584 


XXXII.  Die  Japaner 


und  den  Japanern  die  Kenntniss  der  alten  chinesischen  Kunst  ver- 
mittelt. Unter  ihrer  Anleitung  wurden  zahlreiche  Schulen  gegründet: 
die  Architektur,  das  Ciseliren  von  Metall,  die  Holzschnitzerei,  die 
Stickerei  entwickelten  sich  rasch  und  überholten  bald  ihre  chines- 
ischen Vorbilder.  Von  China  kam  auch  die  Malerei , die  ebenfalls 
schnell  in  eigenartige  Bahnen  lenkte,  wenigstens  feiern  alte  Historiker 
schon  den  Apostel  des  Buddhismus,  Kobo-Daishi  als  einen  Künstler, 
der  sich  ganz  von  der  Nachahmung  des  chinesischen  Stils  befreit 
hätte.  Die  Seele  Ostasiens  nimmt  in  einem  neuen  Leibe  Gestalt 
an,  die  grosse  ästhetische  Erbschaft  Chinas  wird  von  dem  kleinen 
Volke  Nippons  angetreten,  das  diesen  Schatz  als  eine  Gesammtheit 
geschichtlicher  Ueberlieferungen  und  religiöser  Lehren  ehrfurchtsvoll 
aufnimmt.  Die  Maler  beginnen  mit  der  Reproduction  der  Ideale  einer 
abgeschlossenen  Civilisation,  doch  schon  während  sie  sich  in  die 
Gefolgschaft  der  chinesischen  Künstler  begeben,  weisen  ihre  Instincte 
sie  auf  eine  eigene  Geistesentwicklung  hin.  Bereits  im  9.  Jahrhundert 
enthielten  die  Tempel  und  Paläste  Japans  eine  Menge  berühmter  Bilder, 
einheimische  und  chinesische.  Unter  den  fremden  genossen  diejenigen 
Wutaotzes  die  höchsten  Ehren,  der  als  mächtigster  Maler  seines  Landes 
gefeiert  wird.  An  ihn  schloss  sich  Kanaoka,  der  grösste  japanische 
Maler  des  9.  Jahrhunderts,  in  dem  sich  die  grosse,  ernste,  hieratisch 
strenge  Kunst  des  japanischen  Mittelalters  verkörpert.  Was  damals 
für  die  byzantinischen  Künstler  Christus,  war  für  die  japanischen 
Buddha.  Dort  der  abgezehrte,  schmerzverklärte  Tröster  am  Kreuz, 
der  entblösst  bis  zur  Hüfte,  seine  Wundmale  zeigt;  hier  Buddha,  der 
im  Tempel  von  Nera,  auf  einem  Riesen-Lotus,  abgelöst  von  Allem, 
was  die  Ruhe  der  Seele  trüben  könnte,  in  unergründliches  Sinnen 
versunken  scheint.  Das  Buddhabild  Kanaokas,  das  der  Louvre  be- 
sitzt, übertrifft  an  ernster  Erhabenheit  die  berühmtesten  altchristlichen 
Mosaiken.  Ausserdem  schuf  er  die  Portraits  der  grossen  Weisen  und 
malte  in  einem  Tempel  von  Nuinai  Pferde  von  so  sprühendem  Leben, 
dass  sie  — ein  Seitenstück  zu  den  Vögeln  des  Zeuxis  — »um  die 
Mitternachtsstunde  ihren  Rahmen  verliessen  und  in  schnaubendem 
Galopp  über  die  Felder  rasten«. 

In  diesen  Bahnen  blieb  die  japanische  Kunst  bis  zum  14.  Jahr- 
hundert. Die  meisten  Maler  waren  gleich  den  europäischen  Mönchen. 
Ihre  Malerei  erstarrte  wie  die  des  Occidents  allmählich  in  scholast- 
ischen Formeln.  Und  wie  in  Italien  die  alte  religiöse  Kunst,  bevor 
sie  der  weltlicheren  Masaccios  Platz  machte,  sich  noch  einmal  in 


XXXII.  Die  Japaner 


ihrer  ganzen  Mystik  in 
Fra  Anglico  manifest- 
irte,  so  blühte  die  grosse 
ideale  Seite  des  japan- 
ischen Mittelalters  in 
den  Werken  Cho-Den- 
sus  voll  und  herrlich 
aus,  der  auch  in  seinem 
Leben  manchen  Zug 
der  Verwandschaft  mit 
dem  frommen  italien- 
ischen Mönch  gemein 
hat : er  war  wie  dieser 
ein  Mann  von  tiefer 
Religiosität,  fremd  allen 
menschlichen  Leiden- 
schaften, der  nicht  zu 
eigenem  Ruhm , son- 
dern zur  Ehre  Gottes 
arbeitete,  so  dass  ihn 
seine  Oberen  zwingen 
mussten,  eine  Signatur 
auf  seine  Bilder  zu 
setzen.  Die  Reisenden, 
die  seine  Werke  in  Ja- 
pan sahen,  nennen  ihn  neben  Kanaoka  als  den  religiösesten,  feier- 
lichsten der  japanischen  Maler,  als  den,  der  seinen  Figuren  den  über- 
natürlichsten, weltentrücktesten  Ausdruck  gab,  und  ein  Bild  im  brit- 
ischen Museum  gestattet  die  Controle  dieser  Lobsprüche.  Weniger 
glücklich  als  Fra  Angelico,  fand  er  indessen  keinen  Gozzoli,  sein 
Werk  weiter  zu  führen.  Bei  seinem  Tode  1427  verfiel  die  religiöse 
Malerei  in  leere  Routine,  während  sich  ausserhalb  der  Klöster  die 
profane  Kunst  der  Tosa-  und  Kanoschule  entwickelte. 

Episoden  aus  dem  Leben  der  Weisen,  der  Helden,  der  japanischen 
Priester,  Legenden-  und  Romanstoffe,  die  Tänze,  Feste  und  Cere- 
monien  des  kaiserlichen  Hofes,  stilisirte  Landschaften,  Thiere  und 
Pflanzen  beschäftigten  fortan  den  Pinsel  der  Maler.  Die  Kunst  dehnte 
ihr  Beobachtungsfeld  aus,  begann  den  Menschen  selbst,  die  Sitten, 
die  Künste,  die  Gewerbe,  die  Scenen  des  öffentlichen  und  häuslichen 


585 


Hokusai  im  Costiim  eines  japanischen  Kriegers. 


586 


XXXII.  Die  Japaner 


Hokusai : Geistererscheimmg. 


Lebens  in  den  Kreis  der  Darstellung  zu  ziehen.  Das  Haupt  dieser 
Bewegung,  die  in  der  Geschichte  der  japanischen  Malerei  einen  ähn- 
lichen Aufschwung  wie  in  Europa  die  Renaissance  bezeichnet,  war 
Iwasa  Matabe.  Und  je  weiter  man  die  japanische  Kunstgeschichte 
verfolgt,  desto  auffälliger  erscheint  die  Aehnlichkeit,  die  ihr  Ent- 
wicklungsgang mit  dem  der  europäischen  aufweist.  Wie  in  Europa 
war  die  primitive  Kunst  in  Japan  eine  religiöse,  ausdrucksvolle 
Kunst,  wie  dort  bezeichnete  das  15.  Jahrhundert  eine  Aera  der  Re- 
naissance, das  Aufkommen  eines  neuen  mehr  realistischen  Stils, 
und  das  17.  Jahrhundert  führte  gleichfalls  zu  ähnlichen  Resultaten. 
Die  ruhmreiche  Epoche  Genrokus  war  für  Japan  ein  Zeitalter 
Louis  XIV.;  die  Maler  pflegten  noch  die  Traditionen  der  Renaissance, 
doch  mit  einem  wachsenden  Streben  nach  Adel  und  eleganten,  zu- 
weilen bombastischen  Schwung.  Das  Colorit  wurde  festlicher,  der 
Geschmack  im  Componiren  schwungvoller  und  routinirter.  In  Korin 
besass  das  17.  Jahrhundert  seinen  Caravaggio.  einen  Mann  von 
urwüchsiger  Leidenschaft,  rauschendem  Leben  und  machtvoller  Kühn- 
heit, der  seine  Bilder  mit  wilder  Bravour,  mit  brutaler  Naturwahr- 
heit heruntermalte.  Zugleich  hat  diese  Zeit  — parallel  mit  den  Hol- 


XXXII.  Die  Japaner  587 


Tanyu:  Der  Goll  Hotei  auf  der  Reise. 


ländern  — die  höchste  Entfaltung  der  Landschaftsmalerei  gebracht. 
Landschaften  und  Thiere,  bisher  nicht  vom  Figurenbild  losgelöst, 
erscheinen  zum  ersten  Mal  als  selbständige  Kunstmotive.  Der  Gang 
der  Kunst  war  also,  wie  es  scheint,  auf  der  ganzen  Welt  der  gleiche. 
Den  Göttern  und  Heroen  sind  die  ersten  Bilder  gewidmet,  dann  den 
Menschen,  dann  dem  Thier  und  der  Landschaft,  und  mit  den  Meistern 
des  17.  Jahrhunderts  hat  sich  die  japanische  Landschaftsmalerei  gleich 
zu  ihrer  vollen  Blüthe,  zu  einer  Kunst  von  unsagbarem  Reiz  ent- 
faltet. Während  die  Chinesen  mit  Vorliebe  phantastische  und  un- 
mögliche Landschaften  componirten,  in  denen  sie  in  complicirter, 
wirr  unnatürlicher  Weise  Wasserfälle,  Felsen,  Häuser  und  Baum- 
gruppen vereinten,  sind  die  japanischen  Landschaften  durchgängig 
einfach.  Ein  See,  ein  Strom,  die  durch  Segel  belebte  und  von  wald- 
bewachsenen Bergen  umgebene  Meeresküste,  ein  Thal  mit  grünen 
Reisfeldern,  ein  in  Bäumen  halbverstecktes  Dörfchen,  ein  waldiger 
Hügel,  aus  dessen  grünem  Dickicht  bunte  Tempel  neugierig  vorlugen  : 
das  sind  die  gewöhnlichen  japanischen  Scenerien.  Zuweilen  ist  nur 
eine  ebene  Fläche  dargestellt,  aus  der  einige  Grashalme  aufragen; 
oder  ein  einzelnes  Segel  ist  auf  kaum  angedeutetem  Wasser  allein  zu 


588 


XXXII.  Die  Japaner 


erkennen.  Je  schlich- 
ter das  »Motiv«,  desto 
überraschender  der 
malerische  Reiz , die 
mächtig  ergreifende 
Stimmung,  die  durch 
einfache  Pinselstriche 
erzielt  wird.  Mit  ein- 
igen Linien  lassen  sie 
auftauchen  die  stille 
Ruhe  heitererSommer- 
abende.  den  Schlaf  der 
Ebenen  unter  der 
Schneedecke, die  sanfte 
Melancholie  des  Ne- 
bels, der  wie  ein  Zau- 
berschleier über  den 
Hügeln  liegt.  Tanyu 
malt  niedrige  bläuliche 
Thäler,  Morgennebel,  Baumgipfel  und  verschleierte  Berge,  Naonobu 
zarte  Schneelandschaften  in  weiss  und  grün.  Motonobu  durch- 
leuchtet die  Luft  mit  Lichtstrahlen  und  lässt  Felsen  in  nebelhaft 
verschwommenen  Umrissen  hindurchschimmern.  Yassunobu  entrollt 
unendliche  Fernsichten,  weite  Panoramen  mit  fernhinfliegenden  Vögeln, 
Mondaufgänge,  die  ihr  weiches  Licht  in  zitternden  Wellen  über  die 
Reisfelder  und  die  Hügel  des  Horizonts  ergiessen.  Keishoki  theilt  den 
Eindruck  des  Dunstraumes  mit,  der  wogend,  einem  Nebelsee  gleich 
zwischen  den  Felsen  hängt,  oder  lässt  einsame  Ritter  durch  lautlose 
Wintereinöden  irren,  aus  denen  das  Skelett  eines  Baumes  gespenstig 
aufragt.  Tsunenobu  malt  dicke  Luft,  niedrigen  Himmel,  eine  Erde, 
auf  der  die  Geräusche  erstarben,  eine  kalte  und  stumme  Natur,  in 
der  sich  im  Schneenebel  ein  Stelzvogel  einbeinig  aufrichtet.  Gueani 
wird  nicht  müde,  die  vier  Jahreszeiten  zu  besingen,  die  blühenden 
Bäume  des  Frühlings  wie  den  ewigen  Winter  eiskalter  Felsenmeere. 
Soami,  sein  Sohn,  ein  zarter  Träumer,  löst  von  leichtem  Dunst  die 
Dächer  der  Häuser,  die  Spitzen  der  Zweige,  baut  in  den  Nebel  auf- 
gestafTelte  Kioske,  lässt  Flüsse  aus  Felsenhöhlungen  plötzlich  hervor- 
brausen. Nur  Chintreuil  und  Corot,  die  grössten  Poeten  Europas, 
haben  die  Empfindungen,  die  das  Naturleben  in  der  menschlichen 


Japanischer  Künstler  bei  der  Arbeit. 


XXXII.  Die  Japaner 


589 


Seele  weckt,  gleich  zart, 
gleich  melancholisch  be- 
sungen. Nur  in  der 
Schule  von  Barbizon  hat 
die  schlichte  tief  empfun- 
dene Naturpoesie  der  ja- 
panischen Landschafter 
ihres  Gleichen.  Und 
wie  die  holländische 
Schule  zuletzt  noch  das 
beste  in  ihren  Blumen- 
Frucht-  und  Thierbil- 
dern leistete,  so  hatte 
auch  diese  Schule  um 

1750  ihren  letzten 
Hauptvertreter  in  dem 
grossen  Blumen-  und 
Thiermaler  Okio,  dessen 
Kraniche,  Fische,  kleine 
Hunde,  Hirsche  und 
Affen  das  Entzücken 
aller  Sammler  bilden. 

Aul  den  grossen  Kraft- 
aufschwung des  sieb- 
zehnten Jahrhunderts 
folgte  im  achtzehnten  die  höchste  Verfeinerung,  das  japanische  Rococo, 
dessen  Hauptvertreter  Soukenobu,  Schunsho  und  Outamaro  in  ihrer 
künstlerischen  Bedeutung,  ihren  Aehnlichkeiten  und  Unterschieden 
nur  durch  den  Vergleich  mit  Lancret,  Boucher,  Eisen  und  Fragonard 
zu  kennzeichnen  wären.  Unter  ihren  Händen  wurde  auch  die  Figuren- 
malerei, die  bis  dahin  oft  noch  schwer  und  grell  gewesen,  eine  exqui- 
site, capriciöse,  schmeichelnde,  delicate  Kunst,  durch  sie  erhielt  sie 
jene  Leichtigkeit  und  Grazie,  jene  zarten  hellen  Harmonien,  die 
ihr  seitdem  blieben. 

Die  Oelmalerei  existirt  bekanntlich  weder  in  China  noch  in 
Japan.  Wie  die  Japaner  sich  zum  Bauen  das  leichteste  Material 
wählen,  so  trägt  auch  an  ihrer  Malerei  Alles  die  Signatur  höchster 
Leichtigkeit.  Japanische  Bilder,  Kakemonos,  werden  in  Tusche  oder 
Wasserfarbe  auf  weisse,  in  Rahmen  eingespannte  Seide  oder  auf 


Hokusai:  Frauenbad. 


590 


XXXII.  Die  Japaner 


Hiroshige:  Die  Brücke  von  Yedo. 

Papier  gemalt,  jenes  Papier,  das  vor  dem  abendländischen  die  un- 
übertroffene Zähigkeit,  die  merkwürdige  Weichheit  und  Schmiegsam- 
keit, die  matt  seidenartig  glänzende  oder  dem  feinsten  Pergament 
vergleichbare  Oberfläche  voraus  hat.  Man  bewahrt  die  Bilder  gerollt 
und  hängt  sie  nur  gelegentlich  im  Tokonama,  dem  kleinen  Cabinet 
neben  dem  Salon  — und  nach  sehr  feinen  Regeln  — auf:  Nur  wenige 
gleichzeitig  — nur  harmonirende.  Erwartet  man  Besuch,  so  entscheidet 
der  Geschmack  des  Gastes  bei  der  Auswahl.  Bunte  frische  Blumen 
und  Zweige,  in  Vasen  daneben  aufgestellt,  müssen  in  der  Farbe  zu 
den  Bildern  stimmen. 

Als  Werkzeug  dient  allein  der  schmiegsame  Haarpinsel,  der  Alles 
frei  und  flott  hinsetzt.  Stift,  Kreide  oder  Feder,  jedes  harte,  Wider- 
stand leistende  Werkzeug  bleibt  ausgeschlossen.  Der  Inhalt  der  Bilder 
ist  ein  überraschend  reicher  und  setzt  zu  seinem  Verständniss  zum 
Theil  die  Bekanntschaft  mit  der  japanischen  Literatur  voraus.  Ein 
reicher  Märchenschatz  steht  dem  Künstler  zu  Gebote,  worin  Menschen- 
fresser und  Däumlinge  ganz  wie  in  deutschen  Märchen  ihr  Wesen 
treiben.  Geschichtliche  Darstellungen  aus  dem  Leben  fabelhafter 


XXX H.  Die  Tapaner 


S91 


Hokusai,  den  Berg  Fuji  zeichnend. 


Nationalhelden,  Geister-  und  Spukgestalten,  halb  Mensch  halb  Vogel 
wechseln  mit  einfachen  Landschaften  oder  Darstellungen  aus  dem 
Alltagsleben  ab.  Und  in  allen  Bildern,  mögen  sie  phantastisch  sein 
oder  schlicht  ein  Stück  Wirklichkeit  schildern,  fesselt  die  gleiche 
Schärfe  der  Beobachtung,  die  gleiche  Feinheit  des  Geschmacks,  der 
malerische  Reiz  im  höchsten  Sinne  des  Wortes.  Nachdem  die  Japaner 
längst  als  erste  Decorateure  der  Welt  anerkannt,  nachdem  ihnen  auf 
sämmtlichen  Gebieten  der  Kunstindustrie  — der  Lackwaaren,  Bronzen, 
Webereien,  Stickereien  und  der  Keramik  — der  höchste  Ehrentitel 
zugestanden  worden,  werden  sie  heute  auch  als  die  geistreichsten 
Zeichner  der  Welt  verehrt. 

Der  japanische  Künstler  lebt  in  und  mit  der  Natur,  wie  nie  ein 
Volk  es  gethan  hat.  Das  Leben  im  Freien  bewirkt  einen  Rousseau- 
schen  Naturzustand  der  Sitten;  macht,  dass  Erde,  Wasser  und  Himmel 
dem  Menschen  gleich  vertraut  werden  wie  die  Wesen,  die  sich 
darin  bewegen.  Jede  Wohnung,  selbst  im  Centrum  der  Städte,  hat 
ihren  Garten,  der,  geistreich  angelegt,  alle  Zufälligkeiten  des  Terrains, 
schöne  Blumen,  Bäume  und  Wasserfälle  vereinigt.  Der  Wuchs  der 


XXXII.  Die  Japaner 


Bäume,  die  Gestalt  und 
Farbe  der  Blumen,  die 
Wellen  des  Blattes,  der 
schillernde  Panzer  der 
Insekten  prägen  sich 
dem  Gedächtniss  des 
Malers  so  ein,  dass 
seine  Phantasie  sie 
jederzeit  ohne  neues 
Studium  zur  Hand  hat. 
Der  flüchtigste  Mo- 
ment des  Naturlebens 
haftet  geich  fest,  wie 
die  ewige  Form  der  Fel- 
sen und  Riesenbäume, 
die  die  Tempel haine 
Nippons  beschatten. 
Jeder  Einzelne  arbeitet 
mit  dem  unbefangenen 
falkenäugigen  Blick  des 
Naturkindes.  An  dem 
Fluge  der  Vögel  sieht 
sein  scharfes  Auge 
Wendungen  und  Be- 
wegungen, die  bei  uns 
erst  der  Momentphoto- 
graph entdeckte.  Diese  Scharfäugigkeit  und  staunenswerte  Uebung 
des  Gedächtnisses  ermöglicht  ihm , durch  die  geringsten  Mittel  die 
schlagendsten  Wirkungen  zu  erzielen.  Zeichnet  der  Japaner  Figuren, 
so  ist  Race,  Stand,  Alter,  Beschäftigung,  Persönlichkeit,  Alles  mit 
scharfem  Blick  erfasst  und  in  seinen  wesentlichen  Zügen  prägnant 
wiedergegeben.  Unbekleidete  Formen  wie  Gewänder,  Köpfe  wie  Ex- 
tremitäten, die  lebendige  wie  die  todte  Natur  sind  mit  gleicher  Treue 
der  Wirklichkeit  nachgebildet.  Doch  so  wenig  je  die  Lehre  aufkam, 
dass  man  die  Natur  in  ein  System  meistern  müsse,  um  Kunstwerke  zu 
schaffen,  so  wenig  führt  jemals  trivialer  Realismus  das  Wort. 

Die  Liebe  zur  Natur  ist  dem  Japaner  angeboren,  aber  die  photo- 
graphische Nachbildung,  die  platte  Abschilderung  der  Wirklichkeit  nie 
sein  letztes  Ziel.  Geffroy  hat  feinsinnig  die  Aehnlichkeit  gekennzeichnet, 


592 


Hokusai:  Der  Berg  Fuji  durch  ein  Segel  gesehen. 


XXXII.  Die  Japaner 


595 


Hiroshige:  Japanische  Landstrasse. 


die  in  dieser  Hinsicht  zwischen  den  japanischen  Dichtern  und  Malern 
besteht.  Die  Dichter  beschreiben  nie,  sie  wollen  nur  eine  seelische 
Empfindung  ausdrücken,  eine  Erinnerung  festhalten,  die  heitere  lächeln- 
den Geniessens,  die  wchmüthige  einer  entschwundenen  Freude.  Sie 
besingen  den  Nebel,  der  über  die  Berggipfel  streift,  die  Fischerboote, 
das  Schilf  am  Meere,  das  Plätschern  der  Wellen,  die  eilenden  Wolken- 
streifen, die  untergehende  Sonne,  die  mit  Purpurfarbe  die  müde  Welt 
überstrahlt.  Dieselbe  Sparsamkeit  der  Mittel,  dieselbe  Sicherheit  im 
Wählen  der  charakteristischen  Züge,  die  gleiche  Schnelligkeit  im  Treffen 
des  Grundtons  ist  den  Malern  eigen.  Auch  sie  drücken  mit  den  knapp- 
sten Mitteln  sich  aus,  scheuen  sich  zuviel  zu  sagen,  suchen  nur  den 
schnellen  richtigen  Eindruck  des  Ganzen  und  überlassen  der  Phan- 
tasie die  Arbeit  des  Ergänzens  und  Weiterspinnens.  Die  Schwere 
der  Materie  ist  überwunden,  der  absurde  Wirklichkeitsschein  nie  an- 
gestrebt. Wie  die  Franzosen  des  achtzehnten  Jahrhunderts  haben 
die  Japaner  die  spielende  Grazie,  den  Esprit  des  Pinsels,  der  über 
den  Dingen  schwebt,  nur  deren  Essenz  und  Blüthenduft  in  sich  auf- 
nimmt, sie  nur  als  Unterlage  für  selbständige  Schönheitscapricen 
benutzt.  Sie  besitzen  eine  merkwürdige  Fähigkeit,  ohne  dass  eine 
Figur  oder  Landschaft  den  lokalen  Accent  verlöre  — synthetisch  zu 
sein,  alles  Schwere,  Störende  auszuscheiden.  Sie  halten  den  schärfsten 
Eindruck  der  Dinge  fest,  aber  nur  in  grossen  zusammenfassenden 

Muthcr,  Moderne  Malerei  II.  ^3 


594 


XXXII.  Die  Japaner 


Hirosbige:  Schneeweller. 


Linien  und  ordnen  dem  Lichte,  das  sic  beleuchtet,  dem  Schatten,  der 
sie  umfluthet,  jede  Einzelheit  unter.  Ihre  Handschrift  ist  präcis  und 
breit,  graziös  und  bizarr  zugleich.  Wie  nonchalant,  hinfällig,  pikant 
oder  kokett  wirken  diese  Frauen,  und  um  solchen  Eindruck  zu  er- 
zielen, haben  wenige  sichere  Striche  genügt.  Ein  geschickter  Pinselzug 
war  ausreichend,  die  Modellirung  zu  geben,  den  Eindruck  der  sammt- 
igen  Weichheit  des  Fleisches,  der  Festigkeit  eines  Busens  hervorzu- 
rufen. Oder  es  sind  brandende  Wogen,  schäumende  Katarakte  ge- 
malt. Mit  welch  hoher  Meisterschaft,  welcher  Sachkenntnis  sind  die 
Strudel  und  Wirbel  des  Gewässers  veranschaulicht.  Und  welche  . 
geringen  Mittel  gehörten  dazu.  Wie  wahrt  Alles  die  Frische  des 
Lebens,  wie  ist  durch  eine  einfache  und  entscheidende  Linie  die  schier 
unfassbare  Bewegung  der  Dinge  fixirt.  Ein  paar  1 uschklekse  und 
gewaltsame  Striche  fügen  sich  mühelos  zu  einem  Gebirgsweg  zu- 
sammen, zu  einem  Bergstrom,  der  tosend  über  Bäume  und  Felsen 
rollt.  Oder  ein  Schiffsschnabel  ist  dargestellt.  Man  sieht  nichts  vom 
Wasser  und  doch  ist’s,  als  schaukelten  ihn  die  tragenden  Wellen. 
Die  Woge  schwillt,  hebt  und  senkt  sich,  an  das  weite  Meer,  den 
Rhythmus  im  Weltall  gemahnend.  Die  Linien,  in  denen  die  Motive 
gezeichnet  sind,  geben  nur  das  Wesentliche  jedes  Dinges  wieder.  Aber 


XXXII.  Die  Japaner 


595 


Unbekannter  Meister : Mittagrast  bei  der  Heuernte. 


diesem  Streben  nach  vereinfachter  Form  gesellt  sich  ein  Raumgefühl, 
das  wie  von  selbst  Alles  ordnet  und  die  poetische  Illusion  der  Ferne 
erzeugt.  Die  Japaner  sind  Meister  der  Kunst,  den  engen  Bildrahmen 
zu  einer  grossen  Fläche  auszudehnen  und  mit  wenigen  Strichen  die 
Entfernung  zwischen  Vordergrund  und  Horizont  zu  kennzeichnen.  Oft 
befindet  sich  Nichts  oder  fitst  Nichts  in  dem  weiten  Raum,  aber  Nähe 
und  Ferne  stehen  so  richtig  zu  einander,  dass  doch  die  ganze  Geologie 
klar  wird,  leichte  Luft  füllt  den  Raum  und  gibt  dem  Auge  die  Vision 
unendlicher  Perspective.  Ein  Ausläufer  eines  Vorgebirges,  ein  Flussufer, 
ein  Ausschnitt  zwischen  zwei  Bergen  — sie  genügen,  das  Auge  weite 
Landschaften  durchmessen  zu  lassen.  Vor  ihren  Werken  lässt  sich  noch 
träumen,  lassen  sich  noch  unendliche  Fernen  ahnen.  Durch  kühne 
Vereinfachungen  nehmen  sie  den  Dingen  ihren  erdigen  Beigeschmack 
und  verwandeln  die  Wirklichkeit  in  ein  Traumland.  Es  ist  der  Geist 
der  Dinge,  ihr  Lächeln,  ihr  unfassbares  Parfüm,  das  in  diesen  ver- 
schleierten und  doch  präcisen  Meisterwerken  lebt. 

Viel  trägt  zu  diesem  Eindruck  auch  das  genial  Unregelmässige 
der  japanischen  Arbeiten  bei,  die  keine  Steifheit  symmetrischer  An- 
ordnung kennen.  Ihre  Bilder  sind  nie  in  unserm  Sinn  »componirt», 

38* 


>96 


XXXII.  Die  Japaner 


Hokusai:  Der  Berg  Fuji  durch  hohes  Schilf  gesehen. 


sondern  gleichen  eher  den  Momentbildern  der  Photographen.  Die 
Zeichnung  wirkt  wie  ein  erhaschter  Augenblick.  Man  sieht  einen 
Vogel  vorbeischiessen  — nur  halb  noch  sichtbar,  die  Baumgruppe 
ist  ein  zufälliger  Ausschnitt  aus  dem  Walde,  wie  etwa  das  Fenster 
des  vorbeisausenden  Hisenbahnzugs  ihn  zeigt.  Oder  es  ragt,  Hott 
und  frisch,  nur  der  Zweig  eines  Baumes,  mit  einem  Vögelchen  da- 
rauf. in  die  Bildfläche  herein,  die  sonst  ein  Stück  blauen  Himmels 
füllt.  Mit  einem  blühenden  Apfelzweig,  der  einer  Vase  entspriesst, 
einem  Frosch  und  einem  Schmetterling  componiren  sie,  ohne  dass 
sie  daran  zu  denken  scheinen,  kleine  Gedichte  von  Grazie  und  Frische. 
Mit  Käfern,  Heuschrecken,  Schildkröten,  Krabben,  Fischen  spielen  sie 
wie  die  Künstler  der  Renaissance  mit  Engeln  und  Amoretten. 

Und  in  Alles  bringt  der  Japaner  auch  coloristisch  einen  eigen- 
artig vornehmen  Zug.  Es  ist,  als  ob  selbst  in  der  Farbenanschauung 
das  feinste  Taktgefühl  wie  eine  force  majeure  ihn  beherrsche.  Jene 
grosse  I Iarmonie,  von  der  Theodore  Rousseau  sprach  und  die  das 
Ziel  seines  Lebens  bildete  — der  japanische  Maler  erreicht  sie  fast 
instinctiv.  Die  lebhaftesten  Farbenwirkungen  von  rothen  und  grünen 


XXXII.  Die  Japaner 


597 


Hiroshige:  Landschaft. 


Bäumen,  gelben  Wegen,  blauem  Himmel  sind  dargestellt,  die  raffinir- 
testen  Lichteffecte  wiedergegeben:  illuminirte  Brücken,  dunkle  Firma- 
mente, weisse  Mondsicheln,  flimmernde  Sterne,  die  hellen  und  rosa 
Bliithen  des  Frühlings,  der  grelle  Schnee,  der  auf  zierliche  Gärten 
fällt  — und  nirgends  sind  Missklänge.  Wie  bunt  und  schwer  ist 
unser  Colorit  gegenüber  diesen  deliciösen  Accorden,  die,  so  kühn 
gegen  einander  gesetzt,  doch  stets  so  harmonisch  klingen.  Sind 
unsere  Augen  von  Natur  aus  roher?  Oder  ist  Alles  beim  Japaner 
nur  Folge  der  vernünftigeren  Erziehung?  Wir  haben  nicht  diese  inten- 
sive Perceptionskraft,  dieses  Instinctive,  Sinnliche  der  Farbe.  Ihr 
Colorit  ist  eine  Wollust  für  die  Augen,  ein  Zaubertrank.  Nirgends 
verletzt  ein  greller  oder  vollends  roher  Ton,  Alles  ist  fein  abgewogen, 
zart  angedeutet,  von  jenem  sanften  Schmelz,  der  auch  am  japanischen 
Email  entzückt.  Die  einfachsten  Farbenaccorde  sind  oft  die  wirksam- 
sten: nichts  kann  reizender  sein  als  das  zarte  Duo  von  Grau  und  Gold. 
Und  alle  diese  Feinheiten  hat  oft  der  billigste  Holzschnitt  mit  dem 
kostbarsten  Kakemono  gemein.  Selbst  hier,  wo  sie  an  die  Niedrigen 
sich  wenden,  wird  ihre  Kunst  nie  vulgär,  sondern  hält  sich  auf 
so  aristokratischer  Höhe,  dass  wir  mit  Oeldrucken  und  Kunstakade- 


59« 


XXXII.  Die  Japaner 


Toyokuni:  Nächtliche  Träumerei. 

mien  gesegneten  Barbaren  des  Occidents  nur  mit  Neid  emporschauen 
können  zu  diesem  Volk  von  Kennern. 

Auch  der  Holzschnitt  hatte  in  Japan  eine  ähnliche  Entwick- 
lung wie  in  Europa.  Bis  zum  Jahre  1610  kamen  Holzschnitte  nur 
als  Einzelblätter  vor,  denen  zum  Theil  ein  sehr  hohes,  hinter  die 
Anfänge  des  Holzschnittes  in  Europa  weit  zurückreichendes  Alter 
zugeschrieben  wird.  1610  erschien  das  erste  illustrirte  Buch,  und 
die  einfachen  Handwerker,  die  sich  bisher  mit  der  Anfertigung  von 
Holzschnitten  nach  religiösen  Bildern  älterer  Meister  befasst,  wurden 
wie  zu  Wohlgemuths  und  Dürers  Zeiten  fortan  durch  grosse  Peintre- 
graveurs  verdrängt;  das  heisst:  die  japanischen  Holzschnitte  waren 
nicht  mehr  Reproductionen  eines  in  anderer  Technik  geschaffenen 
Werkes,  sondern  selbständige  Erzeugnisse,  die  in  der  Geschichte  der 
japanischen  Kunst  von  ähnlicher  Bedeutung  sind  wie  die  Holzschnitte 
des  16.  Jahrhunderts  in  der  Geschichte  der  deutschen.  Der  Holz- 
schnitt wurde  für  die  japanischen  Maler  dasselbe,  was  er  für  Dürer 
und  die  Kleinmeister  gewesen : das  Gebiet , auf  dem  sie  sich 

ganz  frei  bewegten  und  Alles  niederlegten,  was  ihnen  an  tiefen 
Gedanken  oder  lustigen  Einfällen  durch  den  Kopf  ging.  Und  wie 


XXXII.  Die  Japaner 


599 


Hokusai : Aus  den  ■> 3 6 Ansichten  des  Berges  Fuji*. 

damals  unsere  Meister  sich  mit  Vorliebe  in  Clairobscurblättern  er- 
gingen, so  fallen  in  Japan,  nachdem  man  auch  dort  anfangs  die  Holz- 
schnitte mit  der  Hand  colorirt  hatte,  um  1720  die  Anfänge  des 
Holzfarbendruckes  — in  die  gleiche  Zeit,  als  in  England  und  Frank- 
reich der  Farbenkupferstich  blühte.  Ein  Jahrhundert  hindurch 
entstanden  unter  der  Mitarbeiterschaft  der  ersten  Maler  ganze  Reihen 
illustrirter  Bücher,  die  das  Höchste  enthalten,  was  jemals  der  Bunt- 
druck leistete. 

Der  älteste  dieser  für  den  Holzschnitt  arbeitenden  Künstler  war 
Matahei,  der  im  Beginne  des  17.  Jahrhunderts  lebte  und  Scenen  aus 
dem  japanischen  Familien-,  Theater-  und  Strassenleben  zeichnete.  Am 
Schlüsse  des  17.  Jahrhunderts  folgten  Icho  und  Moronobu,  der  eine 
ein  geistreicher  Caricaturist,  der  andere  ein  echter  Barockkünstler  von 
edler,  classischer  Reserve.  Durch  die  Meister  des  18.  Jahrhunderts 
nahm,  wie  durch  Eisen,  Fragonard  und  Boucher,  die  vervielfältigende 
Kunst  wieder  einen  neuen  Aufschwung.  Die  süssen  jungen  V eiber 
Soukenobus  mit  ihren  feinen  runden  Gesichtern,  die  eleganten,  in 
kostbare  Costüme  gekleideten  Schönheiten  Harunobus,  die  langen 
Frauengestalten  des  wunderbaren  Outamaro  in  ihrer  provocirenden 
Grazie,  die  lebensprühenden  Volksscencn  des  grossen  Coloristen 


6oo 


XXXII.  Die  Japaner 


Shunsho  — nur  Ed- 
mond  de  Goncourt 
wäre  fähig,  in  Worten 
einen  Begriff  von  dem 
feinen  Parfüm  zu  ge- 
ben, das  diese  Werke 
duftend  umfliesst. 
Outamaro  nament- 
lich, der  Dichter  der 
Frau,  war  der  Wat- 
teau des  japanischen 
Highlife.  Er  kannte 
wie  kein  Anderer  das 
Leben  der  Japanerin, 
ihre  häuslichen  Be- 
schäftigungen, ihre 
Spaziergänge  und  an- 
muthigen  Reize,  ihre 
Eitelkeiten  und  Lieb- 
schaften. Er  kannte 
auch  die  Natur,  die 
sie  betrachtet , die 
Strassen,  die  sie  geht, 
die  Ufer,  an  denen  sie  wiegenden  Ganges  schlendert.  Seine  Frauen 
sind  schlanke  Wesen,  die,  wie  Idole  isolirt,  unbeweglich  dastehen 
in  hieratisch  feierlichen  Posen,  ästhetische  Seelen,  die  bleich  und 
ohnmächtig  werden  unter  dem  Druck  beängstigender  Traumbilder 
welkende  Blumen,  die  müd  am  Ufer  eines  einsamen  Meeres,  eines 
träg  fliessenden  Flusses  wandeln  oder  ängstlich  wie  Fledermäuse 
durch  den  sanften  Lichterglanz  nächtlicher  Feste  huschen.  Und  wäh- 
rend er  das  Fleischliche,  Physische  tödtet,  die  Gesichter  visionär 
und  träumerisch  macht,  die  Hände  und  Gesten  verfeinert,  beruhigt 
und  dämpft  er  zugleich  die  Farben,  den  Glanz  der  Kleider,  gefällt 
sich  in  ersterbenden  Accorden,  in  dunklem  Schwarz,  zartem  Weiss,  in 
feinen,  gebleichten  rosa  und  lilaNüancen.  Von  seinen  Schülern  wurde 
jeder  ein  frischer  Chronist  des  Highlife.  Toyohami  malte  Nachtfeste, 
Toyoshiru  lebensvolle  Volksmengen,  Toyokumi  Theaterscenen,  Kuni- 
sada  spazierende  Frauen,  Kunioshi  pomphafte  melodramatische  Auf- 
führungen mit  feenhaft  phantastischen  Landschaften. 


XXXII.  Dif.  Japaner 


601 


Das  19.  Jahrhun- 
dert brachte  die  breit- 
este Popul  arisirung  der 
Kunst,  entsprechend 
etwa  der  »Einkehr  in’s 
Volksthum«,  wie  man 
in  Deutschland  den  Be- 
ginn des  modernen 
Genres  und  der  mo- 
dernen Illustrations- 
kunst nannte.  Der  vor- 
nehme Sohn  von  Nip- 
pon steht  diesen  letz- 
ten Erzeugnissen  des 
japanischen  Farben- 
drucks achselzuckend 
gegenüber,  er  liebt 
mehr  jene  reizenden 
Meister  der  Grazie  und 
vermisst  an  den  neuen 
das  aristokratische  Ca- 
chet  mit  demselben 
Recht,  wie  der  vor- 
nehme europäische 
Sammler  Blätter  von  Grandville  oder  Dore  nicht  gern  in  eine  Mappe 
mit  solchen  von  Eisen  und  Fragonard  legt.  Trotzdem  war  unter  den 


Kiyonaga:  Kahnfahrt. 


Zeichnern  der  volkstümlichen  Richtung  wenigstens  ei  n grosses  Genie, 
einer  der  bedeutendsten  Künstler  seiner  Nation,  der  für  Europa  be- 
kannter als  alle  seine  andern  Landsleute  wurde:  Hokusai. 

In  ihm  haben  sich  alle  Qualitäten  der  japanischen  Kunst  wie  in 
einem  Brennpunkt  vereinigt.  Sein  Werk  ist  die  Encyklopädie  eines 
ganzen  Landes,  und  nach  seinen  technischen  Qualitäten  steht  er  den 
grössten  Europas  zur  Seite.  Er  ist  der  aufmerksamste  Beobachter, 
ein  Sittenmaler  wie  kein  Anderer,  er  misst  die  Dinge  streng,  zer- 
gliedert die  leisesten  Bewegungen.  Er  zeichnet  die  Feste  auf  der 
Erde,  die  unerschütterlichen  Felsen,  die  ewigen  seit  Urzeiten  auf- 
ragenden Berge  und  verfolgt  ihr  in  Schatten  und  Licht  wechselndes 
Aussehen.  Er  besitzt  in  höchstem  Maasse  jene  japanische  Eigen- 
schaft, die  Bewegungen  der  Wesen  und  Dinge  zu  greifbarem  Aus- 


6o2 


XXXII.  Die  Japaner 


druck  zu  bringen.  Er  lässt  die  Menschen  gesticuliren,  die  Thiere 
gehen,  die  Vögel  fliegen,  die  Reptilien  kriechen,  die  Fische  schwimmen, 
die  Blätter  an  den  Bäumen,  das  Wasser  der  Flüsse  und  des  Meeres, 
die  Wolken  des  Himmels  sich  leise  bewegen.  Fr  ist  ein  grossartiger 
Landschafter,  der  alle  Jahreszeiten  von  der  Blüthe  des  Frühlings  bis 
zum  starrenden  Eis  des  Winters  besingt.  Fr  zeichnet  die  geograph- 
ische Karte  der  Obstgärten,  Wälder  und  Felder,  folgt  dem  ge- 
wundenen Lauf  der  Flüsse,  lässt  feine  Nebel  vom  Meere  aufsteigen, 
die  Wellen  tosen,  die  Wogen  an  den  Felsen  lecken  und  als  mur- 
melnde Bächlein  im  Sande  verlaufen.  Aber  auch  ein  Philosoph 
ist  er,  ein  Dichter  von  weiter  Flugweite,  der  die  kühnsten  Reisen 
in’s  Land  der  Träume  unternimmt.  Seine  Phantasie  hebt  sich  über 
die  Alltäglichkeit,  fliegt  auf  den  Flügeln  der  Chimäre,  gestaltet  ein 
neues  Leben,  schafft  Ungeheuer,  erzählt  Visionen  von  schrecklicher 
Poesie.  Die  Gefühlstiefe  der  primitiven  Meister  lebt  in  ihm  auf,  und 
er  erscheint  als  wunderbarer  Mystiker,  wenn  er  seine  überirdisch 
heiteren  Göttinnen  oder  jenen  alten  Buddhisten  malt,  der,  aus  Japan 
verbannt,  nach  der  Legende  jeden  Tag  iiber’s  Meer  gegangen  kam, 
um  den  heiligen  Berg  Fuji  wieder  zu  sehen. 

Hokusai  war  im  Jahre  1760  in  einem  stillen  Winkel  von  Yeddo 
mitten  zwischen  blumigen  Gärten  geboren,  14  Jahre  nach  Goya, 
12  Jahre  nach  David.  Sein  Vater  war  Hoflieferant  von  Metallspiegeln. 
Fr  lernte  bei  einem  Illustrator,  scheint  jedoch  bis  zu  seinem  40.  oder 
50.  Jahre  ziemlich  unbekannt  geblieben  zu  sein.  Erst  1810  begründete 
er  eine  Kunstgewerbeschule,  die  zahlreiche  junge  Leute  anzog.  Um 
diesen  ein  Compendium  des  Zeichenunterrichts  in  die  Hände  zu 
geben,  veröffentlichte  er  1810  den  ersten  Band  seiner  »Mangwa«. 
Seitdem  war  er  anerkannt  als  Schulhaupt.  Als  sein  Ruhm  sich  zu 
verbreiten  begann,  wechselte  er  fast  jeden  Monat  seine  Wohnung,  um 
sich  vor  lästigen  Besuchern  zu  schützen.  Ebenso  oft  veränderte  er 
seinen  Namen.  Auch  derjenige,  unter  dem  er  in  Europa  berühmt 
wurde,  ist,  ähnlich  wie  Gavarni«  nur  ein  Beiname  — unter  den 
verschiedenen  Noms  de  guerrc,  die  er  sich  beilegte,  der.  den  er  am 
längsten  geführt  hat  und  mit  dem  man  ihn  definitiv  bezeichnet. 

Als  Maler  war  er  nur  in  seiner  Jugend  thätig.  Die  That  seines 
Lebens  sind  nicht  Gemälde,  sondern  eine  unübersehbare  Reihe  illu- 
strirter  Bücher,  ein  Werk  , reicher  als  das  eines  seiner  Landsleute. 
Das  Schicksal  hatte  ihm,  wie  Tizian  und  Corot,  beschieden,  ein 
sehr  hohes  Greisenalter  zu  erreichen  und  doch  nie  alt  zu  werden. 


XXXII.  Die  Japaner 


603 


Shiwogawa  Bunrin : Mondscheinlandschaft. 


»Seit  meinem  sechsten  Jahre,  schreibt  er  selbst  im  Vorwort  eines 
seiner  Bücher,  hatte  ich  eine  wahre  Wuth,  jeden  Gegenstand,  den 
ich  sah,  abzuzeichnen.  Als  ich  mein  50.  Jahr  erreicht  hatte,  publi- 
cirte  ich  eine  Unmasse  von  Zeichnungen ; aber  ich  bin  unzufrieden 
mit  Allem,  was  ich  vor  meinem  70.  Jahre  machte.  Mit  73  Jahren 
verstand  ich  mich  einigerntassen  auf  die  Gestalt  und  wahre  Natur 
der  Vögel,  Fische  und  Pflanzen.  Mit  80  Jahren  hoffe  ich,  weitere 
Fortschritte  gemacht  und  mit  90  den  letzten  Grund  der  Dinge  er- 
kannt zu  haben.  Im  100.  Jahre  schwinge  ich  mich  zu  noch  höheren 
unerkannten  Sphären  auf,  und  im  110.  wird  jeder  Strich,  jeder 
Punkt,  kurz  Alles  von  meiner  Hand  lebendig  sein«.  Ein  so  hohes 
Alter  hat  Hokusai  freilich  nicht  erreicht.  Er  starb,  89  Jahre  alt,  am 
13.  April  1849  und  liegt  im  Tempel  zu  Yeddo  begraben.  Etwa 
80  grosse  Werke,  im  Ganzen  über  500  Bände,  hat  er  während  des 
Menschenalters  1815  bis  1845  publicirt.  »Von  meinem  Sitze  am 
Fenster,  wo  ich  den  ganzen  Tag  gefaulenzt  hatte,  erhob  ich  mich  . . . 
sachte,  sachte.  . . Da  bin  ich  auf  und  davon.  . . Ich  sehe  die  un- 
zähligen grünen  Blätter  in  den  dichtbelaubten  Baumkronen  zittern ; 
ich  betrachte  die  flockigen  Wolken  am  blauen  Himmel,  wie  sie  sich 
phantastisch  zusammenballen  zu  vielgestaltig  zerrissenen  Formen  . . . 
Ich  schlendere  bald  hierhin,  bald  dorthin,  nachlässig,  ohne  Willen 
und  Ziel.  . . Jetzt  überschreite  ich  die  Affenbrücke  und  horche,  wie 
das  Echo  den  Ruf  der  wilden  Kraniche  zurückgibt.  . . Jetzt  bin  ich 
im  Kirschenhain  von  Owari.  . . Durch  die  Nebel,  die  auf  der  Küste 
von  Miho  ziehen,  erblicke  ich  die  berühmten  Kiefern  von  Suminoye.  . . 
Jetzt  stehe  ich  bebend  auf  der  Brücke  von  Kameji  und  schaue  staunend 
hinab  auf  die  riesenhaften  Fukipflanzen.  . . Da  schallt  das  Brüllen 


604 


XXXII.  Die  Japaner 


des  schwindelerregenden  Wasserfalles  von  Ono  an  mein  Ohr.  . . 
Ein  Schauder  durchläuft  mich.  . . Nur  ein  Traum  war  es,  den  ich 
träumte,  unweit  meines  Fensters  gebettet,  mit  diesem  Bilderbuche 
des  Meisters  als  Kissen  unter  meinem  Haupte.« 

Mit  diesen  Worten  hat  ein  japanischer  Gelehrter  das  grosse 
Stoffgebiet,  den  unsäglich  reichen  Inhalt  der  Werke  des  Meisters  ge- 
kennzeichnet. Mit  Vorliebe  führt  er  in  die  Werkstätten  der  Hand- 
werker, zu  Holzbildhauern,  Schmieden,  Metalldrehern,  Färbern, 
Stickern,  Webern.  Dann  folgen  Vergnügungen  des  vornehmen, 
reservirt  und  mit  Würde  auftretenden  Adels;  die  Landleute  in  ihrer 
Alltagsbeschäftigung  und  ihrem  frohen  Treiben  an  Festtagen , die 
phantastischen  Gestalten  fabelhafter  Thiere  und  Dämonen , die  in 
das  Leben  der  schwertgewaltigen  japanischen  Nationalhelden  cin- 
greifen , Gespenstererscheinungen,  Betrunkene,  Ringer,  Strassen- 
figuren  aller  erdenklichen  Art,  mythische  Reptilien,  schneebedeckte 
Bergkuppen,  wogende,  vom  Winde  gepeitschte  Reisfelder,  Wald- 
schluchten, Wasserfälle,  seltsame  Felsenthore,  weite  Fernsichten  über 
Gewässer  mit  kiefernbewachsenen  Felsen. 

Das  berühmteste  dieser  Werke,  die  ausschliesslich  Landschaften 
enthalten,  sind  die  in  drei  Bänden  1834 — 1836  veröffentlichten 
hundert  Ansichten  des  Berges  Fuji,  des  gewaltigen  Vulkans,  der  sich 
dicht  bei  Yeddo  erhebt  und  von  Alters  her  eine  Rolle  spielte  in  den 
Werken  der  japanischen  Landschafter.  Bald  sieht  man  in  Hokusais 
Buche  den  Kegel  des  Berges  klar  in  den  wolkenlosen  Himmel  auf- 
ragen, bald  ist  er  von  vielgestaltigen  Wolkenbildungen  umlagert.  Seine 
schöne  Silhouette  schimmert  durch  die  Maschen  eines  Fischernetzes, 
durch  grossflockiges  Schneegestöber  oder  durch  einen  Vorhang  senk- 
recht rieselnden  Regens.  Er  steigt  empor  aus  dunstigen  Thälern,  um- 
glänzt von  den  Strahlen  der  Abendsonne,  oder  spiegelt  sich,  selbst 
ungesehen,  in  der  glatten  Fläche  eines  Binnenwassers,  an  dessen 
schilfigem  Ufer  Wildgänse  schnattern,  oder  hebt  sich  in  gespenstischen 
Umrissen  vom  nächtlichen  Himmel  ab,  vom  Mondlichte  silbern  über- 
gossen. Sommerliche  Lüfte  und  Winterstürme  streichen  darüber  hin, 
windgepeitschte , - prasselnde  Hagelschläge,  leise  Schneefälle  senken 
sich  auf  ihn  hernieder.  Im  Frühjahr  flattern  die  Blüthen  der  Pfirsich- 
und  Pflaumenbäume  gleich  Schwärmen  weisser  und  rosiger  Schmetter- 
linge ringsum  zur  Erde.  Nur  hungrige  Wölfe  oder  Drachen,  die 
der  Volksglaube  dem  Fuji-Berge  gesellt,  beleben  zuweilen  die  gran- 
diose Einsamkeit  der  Landschaft. 


XXXII.  Du:  Japaner 


605 


»Niemals«,  sagt  Gonse,  »hat  eine  geschicktere  Hand  auf  dem 
Papiere  geruht ; man  kann  die  Blätter  nicht  ohne  Erregung  be- 
trachten, es  ist  die  absolute  Vollendung,  das  Höchste,  was  die 
japanische  Kunst  an  Glanz,  Frische,  Leben  und  Originalität  hervor- 
brachte.« Hokusais  Fähigkeit,  mit  einem  Federstrich  den  Eindruck 
des  Reliefs  und  der  Farbe  zu  geben,  hat  nur  in  Rembrandt,  Gallot 
und  Goya  ihres  Gleichen.  Menschen,  Thiere,  Landschaften  — Alles 
ist  in  seinen  Zeichnungen  auf  den  einfachsten  Ausdruck  zurück- 
geführt. Man  sieht  Gruppen  in  Bewegung,  Priester  in  Procession, 
Soldaten  auf  dem  Marsch  — oft  hat  ein  einziger  Pinselstrich  genügt, 
ein  Individuum  zu  geben,  den  Eindruck  des  Lebens,  der  Bewegung 
hervorzurufen.  Jedes  Blatt  ist  ein  Meisterwerk  des  Farbenholzschnittes, 
von  fremdartigem  Wohlgeschmack  des  Colorits,  wohlthuend  in  dem 
ernst  gestimmten  Dreiklang  des  Goldgelb,  des  verschossenen  Grün 
und  Feuerroth,  wozu  sich  zuweilen  noch  goldene,  silberne  und 
andere  Metalltöne  gesellen.  . . . 

Paris  kam  unter  den  fascinirenden  Einfluss  des  Japanerthums 
seit  dem  Beginne  der  6oer  Jahre.  Und  es  besteht  kein  Zweifel:  Wie 
auf  die  Landschafter  von  Fontainebleau  die  Engländer,  auf  Delacroix 
die  Venetianer,  auf  Courbet  und  Ribot  die  Meister  von  Neapel  ein- 
wirkten, so  ist  die  neueste  Phase  der  französischen  Kunst,  die  von 
Manet  ihren  Ausgang  nahm,  durch  den  Japonismus  inaugurirt 
worden.  Seit  dem  Moment,  als  mit  dem  Zusammenbruche  des 
japanischen  Feudalstaates  die  eigentliche  Abgeschlossenheit  Japans 
ihr  Ende  erreichte,  wurde  Paris  von  den  herrlichen  Arbeiten  der 
japanischen  Kunst  überschwemmt.  Ein  Maler  entdeckte  unter  den 
neu  angekommenen  Dingen  auch  Albums,  Farbendrucke  und  Bilder. 
Zeichnung,  Colorit  und  Composition  wich  von  Allem  ab,  was  bisher 
für  Kunst  gegolten,  und  doch  war  der  ästhetische  Charakter  der 
Arbeiten  zu  künstlerisch,  als  dass  man  sie  als  Curiositäten  hätte  be- 
lächeln können.  Mag  der  Entdecker  Alfred  Stevens  oder  Diaz, 
Fortuny,  James  Tissot  oder  Alphonse  Legros  gewesen  sein  — der 
Enthusiasmus  für  die  Japaner  eroberte  im  Sturme  die  Ateliers.  Man 
wurde  nicht  müde,  das  capriciös  Geistreiche  der  Compositionen, 
das  staunenswerthe  zeichnerische  Können,  die  Feinheit  im  Ton,  die 
Originalität  des  malerischen  Effects  zu  bewundern,  die  raffinirte 
Einfachheit  der  Mittel  anzustaunen,  mit  denen  die  Resultate  erzielt 
waren.  Die  japanische  Kunst  imponirte  durch  ihren  zarten,  frischen 
Reiz,  ihren  schöpferischen  Reichthum,  ihre  leine  leichte  Beobachtung, 


6o6 


XXXII.  Die  Japaner 


sic  fesselte,  weil  Alles  in  ihr  Anschauung,  Unmittelbarkeit,  nie  fehlen- 
der Takt,  angeborne  Vornehmheit  war,  man  erkannte  in  ihr  das  Er- 
zeugnis eines  Volkes  von  Künstlerkindern,  das  mit  der  Eindrucks- 
frische ursprünglicher  Menschen  den  verfeinerten  Geschmack  einer 
uralten  raffinirten  Civilisation  verband.  Farbendrucke,  die  heute  jeder 
Bazar  um  wenige  Francs  feilhält,  wurden  zu  den  höchsten  Preisen 
gekauft.  Jede  neu  ankommende  Sendung  wurde  mit  Sehnsucht  er- 
wartet. Altes  Elfenbein,  Email,  Faiencen  und  Porcellan,  Bronzen, 
Lack-  und  Holzarbeiten,  gewirkte  Stoffe,  Seidenstickereien,  Albums, 
Bücher  mit  Holzschnitten,  Spielzeug  waren  kaum  im  Laden  des  Kauf- 
manns ausgepackt,  so  gingen  sie  in  die  Ateliers  der  Künstler,  in  die 
Arbeitszimmer  der  Gelehrten  über.  In  kurzer  Zeit  waren  grosse 
Sammlungen  japanischer  Kunsterzeugnisse  in  den  Händen  der  Maler 
Manet.  James  Tissot,  Whistler,  Fantin-Latour,  Degas,  Carolus  Duran, 
Monet,  der  Kupferstecher  Bracquemond  und  Jules  Jacquemart,  der 
Schriftsteller  Edmond  und  Jules  de  Goncourt,  Champfleury,  Philippe 
Burty,  Zola,  der  Industriellen  Barbedienne  und  Christofle. 

Die  Weltausstellung  1867  brachte  Japan  noch  mehr  in  Mode, 
und  seit  diesem  Jahre  datirt  die  eigentliche  Wechselwirkung  zwischen 
dem  Osten  und  Westen.  Die  Japaner  kamen  herüber,  um  an  den 
europäischen  Polytechniken,  Universitäten  und  Kriegsakademien  zu 
studieren.  Wir  wurden  die  Schüler  der  Japaner  in  der  Kunst. 
Noch  während  der  Dauer  der  Weltausstellung  gründete  eine  Gruppe 
von  Künstlern  und  Kritikern  eine  japanische  Gesellschaft  vom 
»Jinglar«,  die  jede  Woche  in  Sevres  bei  Solon.  dem  Director  der 
Manufactur,  zusammenkam.  Man  ass  von  einem  japanischen  Service, 
das  Bracquemond  entworfen  hatte  — alles  ausser  den  Servietten, 
Zigarren  und  Aschenbechern  war  japanisch.  Eins  der  Mitglieder, 
Dr.  Zacharias  Astruc,  veröffentlichte  im  Etendard  eine  Reihe  von 
Artikeln  über  das  Reich  der  aufgehenden  Sonne«,  die  grosses  Auf- 
sehen machten.  Bald  darauf  brachten  die  Pariser  Theater  japanische 
Feerien  und  Ballete,  Ernest  d Hervilly  schrieb  sein  japanisches  Stück, 
> la  belle  Samara«,  das  I.emere  nach  Art  der  japanischen  Bücher 
drucken  und  von  rechts  nach  links  paginiren  liess  mit  gelbem,  von 
Bracquemond  gezeichneten  Einband.  In  der  Oper  wurde  ein  japan- 
isches Ballet  gegeben.  Die  Damentoilette  nahm  einen  japanischen 
Anstrich  an. 

Für  die  Maler  wurde  die  japanische  Kunst  eine  Offenbarung. 
Hier  war  das  Wort  gesagt,  das  so  Vielen  auf  den  Lippen  geschwebt 


XXXII.  Die  Japaner 


607 

und  das  Keiner  auszusprechen  gewagt  hatte.  Wie  flüchtig  und  doch 
präcis,  mit  welch  unvergleichlicher  Sicherheit,  Leichtigkeit  und  Grazie 
war  das  Alles  hingeschrieben.  Wie  spontan  und  intuitiv,  wie  phan- 
tastisch und  geistreich,  wie  mühelos  spielend  und  reich  an  Uebcr- 
raschungen  war  diese  seltsame  Kunst.  Wie  vereinigte  sich  Fleiss 
mit  Caprice,  Nonchalance  mit  dem  Streben  nach  höchster  Voll- 
endung. Wie  geistreich  war  diese  Unsymmetrie,  diese  pikante  Art, 
eine  Blume,  ein  Insekt,  einen  Frosch  oder  Vogel  nur  als  malerischen 
Fleck  hier  und  dort  anzubringen.  Wie  verstanden  es  die  Japaner, 
mit  wenig  Mitteln  viel  zu  geben,  wo  sich  die  Europäer  abmühten, 
mit  viel  Mitteln  wenig  zu  sagen. 

Es  wäre  nun  gewiss  sehr  unrichtig  gewesen,  hätte  man  an  eine 
directe  Nachahmung  der  Japaner  gedacht.  Die  japanische  Kunst  ist 
das  Product  eines  sinnlichen  Volkes,  die  europäische  das  Erzeugniss 
intellektueller  Nationen.  Sic  ist  ernster,  grösser,  edler  und  erreicht 
an  Ausdrucksqualitäten  eine  Höhe,  wohin  die  schrecklichen  grotesken 
Verzerrungen,  die  krankhaft  lustigen  oder  melancholischen  Gefühls- 
ausbrüche  der  Japaner  nicht  reichen.  Unsere  Phantasie  hat  nichts 
von  der  dieser  Kinder  der  Sinnlichkeit,  die  vor  Freude  beben  und 
zittern , sich  mit  ihren  Masken  schrecken , von  convulsivischem 
Lachen  zu  jähem  Schrecken,  vom  Schauder  der  Hallucination  zu 
ekstatischer  Wollust  übergehen.  Brutal  durch  Nachahmer  transponirt, 
hätte  der  Japonismus  zur  Grimasse  geführt. 

Aber  wenn  seine  Poetik  im  Einzelnen  wenig  für  Europa  passte, 
so  enthielt  sic  doch  allgemeine  Gesetze,  die  für  die  moderne  Kunst 
geeigneter  waren  als  diejenigen , die  man  bisher  der  griechischen 
entnahm.  Alle  Künste,  Musik  wie  Poesie,  strebten  damals  nach 
Auflösung  der  einfachen  tyrannischen  Rhythmen.  Den  verwickelten 
nervösen  Empfindungen  der  Neuzeit  entsprach  nicht  mehr  die  immer 
gleiche  Wiederkehr  eiserner  Takte.  Auch  die  Malerei  strengte  sich 
an , das  alte  Gehäuse  zu  sprengen . suchte  nach  einem  Stil  für  die 
Behandlung  des  modernen  Lebens , das  man  hatte  vergewaltigen 
müssen,  um  es  einzuspannen  in  das  Prokrustesbett  überkommener 
Regeln.  Da  kommen  die  Japaner  mit  ihren  überraschenden  maler- 
ischen Momentaufnahmen  und  offenbaren  eine  neue  Art  die  Natur 
zu  interpretiren.  Zu  einer  Zeit,  als  die  symmetrische  Wohlabgc- 
wogenheit  der  Linien,  die  man  den  Werken  der  Renaissancemeister 
entnahm,  anfing  durch  Monotonie  zu  ermüden,  lehrten  sie  eine 
viel  freiere,  durch  reizende  Capricen  unterbrochene  Formcnarchi- 


6o8 


XXXII.  Dif.  Japaner 


tektur.  Wo  bei  der  alten  europäischen  Malerei  Rhythmus,  Straff- 
heit, Klarheit,  Ruhe  und  Grösse,  war  bei  ihnen  nervöse  Freiheit, 
geistreiche  Nachlässigkeit,  Leben  und  Reiz.  Die  Kunst  verbirgt  sich 
unter  der  Phantasie  ihrer  leichten  Constructionen , die  durch  die 
Natur  selbst  improvisirt  scheinen.  Die  geistreiche  Art  von  der 
geometrischen  Eintheilung  abzuweichen,  die  Freiheit  der  Disposition, 
die  ungezwungene  unsymmetrische  Anordnung  an  Stelle  des  Wohl- 
abgewogenen, nach  Regeln  Construirten  — das  lernte  man  auf  com- 
position ellem  Gebiete  von  den  Japanern. 

Gleichzeitig  klärten  sie  auf  über  das,  was  am  Courbet’schen 
Realismus  noch  platt  und  trivial  war.  Diese  witzigen  Erzähler 
erzählten  nie,  um  zu  erzählen;  malten  nie,  um  prosaisch  ein  Stück 
Wirklichkeit  abzuschreiben.  Sie  erinnerten  daran,  dass  alle  Schau- 
spiele des  Lebens  und  der  Natur  Stoff  zu  poetischen  und  reizenden 
Werken  sein  können,  dass  solche  Werke  aber  nur  entstehen,  wenn 
man  weder  systematisch  verschönert,  wie  es  die  Früheren  gethan, 
noch  photographisch  exact  ist,  wie  es  Gourbet  gewesen:  dass  es 
darauf  ankomme  zu  resumiren,  subjectiv  zu  sein  — nicht  didakt- 
isch, objectiv,  documentarisch.  Sie  befreiten  die  europäische  Malerei 
von  der  Schwere  der  Materie  und  machten  sie  zart,  delicat.  Sie 
lehrten  das  so  vielsagende  Nichtallessagen,  die  Methode  des  abge- 
kürzten Zeichnens,  das  Geheimniss  der  Raumvergrösserung  durch 
besondere  Linienführung,  das  Hingeworfene,  Unvorhergesehene, 
Ueberraschende,  Flüchtige,  die  Steigerung  des  Effekts  durch  Un- 
vollständigkeit des  Motivs,  die  Andeutung  des  Ganzen  durch  ein 
Bruchstück.  Man  lernte  von  ihnen  eine  andere  Art  zu  zeichnen 
und  zu  modelliren,  eine  Art,  die  den  Eindruck  des  Gegenstandes 
gibt,  ohne  dass  Alles  ausgeführt  ist,  von  dem  man  nur  durch  Wissen 
weiss,  dass  es  da  ist.  Sie  brachten  den  Geschmack  für  saftige,  nur  auf 
das  Wesentliche  beschränkte  Skizzen,  das  Bewusstsein,  wie  unendlich 
das  Repertoir  dessen  ist,  was  eine  flüchtige  Umrisslinie  an  Leben, 
Wirklichkeit  und  Phantasie  umschliessen  kann.  Sie  gaben  die  Vor- 
liebe für  perspectivische  Ansichten  aus  der  Vogelschau,  die  Neigung, 
Gruppen,  dichte  Massen  und  Menschenmengen  durch  unwahrschein- 
lich erscheinende  (aber  durch  die  Photographie  bestätigte)  Hervor- 
hebung des  Vordergrundes  noch  entfernter,  bewegter,  lebendiger  er- 
scheinen zu  lassen. 

Ebenso  ersichtlich  wie  in  der  Composition  und  Zeichnung  ist 
der  Einfluss  Japans  in  der  Farbe.  Es  hatte  sich  bei  den  Courbet’schen 


XXXII.  Die  Japaner 


609 


Arbeiterbildern  deutlich  gezeigt,  dass  die  Malregeln  der  bolognesischen 
Schule  mit  ihrer  braunen  Sauce  und  den  rothen  Schatten  unmög- 
lich auf  Gegenstände  im  Freien  übertragen  werden  konnten.  Es 
handelte  sich  darum,  für  die  modernen  Stoffe  eine  neue  Farbenan- 
schauung zu  finden , wodurch  die  Oelmalerei  des  Oels  entkleidet 
werde,  Luft  und  Licht  mehr  zu  ihrem  Rechte  kämen.  Aus  den 
Werken  der  Maler  von  Nippon  ersah  man,  dass  es  nicht  absolut 
nothwendig  sei,  braun  zu  malen,  um  Maler  zu  sein.  Sie  lehrten  eine 
neue  Art  zu  sehen,  öffneten  die  Augen  für  das  wechselnde  Spiel 
der  Lichterscheinungen,  deren  Flüchtigkeit  und  immer  wechselnde 
Gestalt  bisher  jeder  Uebertragung  zu  spotten  schien.  Die  Sanftheit 
ihrer  hellen  klingenden  Harmonien  ward  studirt  und  geistreich 
transponirt. 

Das  sind  die  Punkte,  wodurch  die  japanische  Kunst  umwälzend 
in  den  Entwicklungsgang  der  europäischen  eingriff  Jeder  von  denen, 
die  damals  dem  Verein  vom  Jinglar  angehörten,  hat  ihren  Einfluss 
mehr  oder  weniger  erfahren.  Alfred  Stevens  verdankt  ihr  gewisse 
Zartheiten  des  Colorits,  Whistler  seine  exquisite  Tonfeinheit  und  die 
capriciös  geistreiche  Art  in  der  Behandlung  der  Landschaft,  Degas 
seine  phantastisch  freie  Gruppirung,  seine  unerreichten  Kühnheiten 
der  Composition.  Manet  insbesondere  wurde  jetzt  der,  den  die  Ge- 
schichte feiert,  und  Louis  Gonse  erzählt  über  die  erste  Ausstellung 
der  Maitre-impressioniste  einen  sehr  bezeichnenden  Zug.  Er  besuchte 
dieselbe,  vom  officicllen  Salon  kommend,  in  Gesellschaft  eines  Japaners, 
und  während  das  französische  Publikum  die  frische  Helligkeit  der 
Bilder  für  unwahr  und  barbarisch  erklärte,  meinte  der  Sohn  des 
heiligen  Nippon,  von  Jugend  auf  gewöhnt  die  Natur  in  lichten  luft- 
igen Tönen  ohne  gelben  Firnissüberzug  zu  sehen:  »Dort  war  ich  in 
einer  Ausstellung  von  Oelbildern,  hier  glaube  ich  in  einen  blumigen 
Garten  zu  treten.  Ich  bin  frappirt  von  der  Lebendigkeit  dieser 
Figuren  — ein  Gefühl,  das  ich  sonst  in  Ihren  Gemäldeausstellungen 
nie  gehabt  habe«. 


@x© 


Muther,  Moderne  Malerei  II. 


39 


XXXIII. 


Fiat  lux. 

Schwindel  ihr  dunkeln 
Wölbungen  droben, 
Reifender  schaue 
Freundlich  der  blaue 
Aelher  herein. 

DER  Name  Impressionisten  datirt  von  einer  Ausstellung  in  Paris, 
die  1871  bei  Nadar  veranstaltet  wurde.  Der  Katalog  sprach 
vorzugsweise  von  Eindrücken.  Man  las  etwa:  Impression  de 

mon  pot  au  feu»,  »Impression  d’un  cliat  qui  se  promene«.  Claretie 
fasste  die  Impressionen  in  seiner  Kritik  zusammen  und  sprach  vom 
»Salon  des  Impressionistes«. 

Die  Anfänge  der  Bewegung  fallen  jedoch  schon  in  die  Mitte  der 
60  er  Jahre,  und  Zola  war  der  erste,  der  mit  seiner  scharfen  Feder 
für  die  Neuerer  eintrat.  1866  veröffentlichte  er  unter  dem  Namen 
seines  späteren  Helden  Claude  unter  dem  Titel  »Mon  Salon«  jene 
Artikel  im  Evenement,  die  das  Redaktionsbureau  mit  solchen  Stössen 
von  Entrüstungsbriefen  überschwemmten  und  eine  solche  Fahnen- 
flucht der  Abonnenten  veranlassten,  dass  der  Besitzer  des  Blattes,  der 
gute  und  kluge  Monsieur  de  Villemessant  sich  genöthigt  sah,  dem 
naturalistischen  Kritiker  einen  Antinaturalisten  in  der  Person  des 
Herrn  Theodore  Pelloquet  zur  Seite  zu  stellen.  In  diesen  Salonbe- 
richten, die  1879  m dem  Bande  Mes  Haines«  gesammelt  erschienen, 
sowie  in  der  Abhandlung  über  den  »Maler  des  Realismus  Courbet«, 
den  damals  bereits  anerkannten  »Meister  von  Omans«,  sind  schon 
dieselben  Theorien  niedergelegt,  wie  sie  später  in  L’oeuvre  Länder  und 
seine  Freunde  verkünden.  Da  erträumt  der  Architekt  Dubuche,  eines 
der  Mitglieder  der  jungen  Boheme,  ahnungsvoll  eine  neue  Architektur. 

Er  forderte,  er  verlangte  mit  leidenschaftlichen  Gesten  die  Formel 
iiir  die  Architektur  dieser  Demokratie,  jenes  Werk  aus  Stein,  das  sie 
zum  Ausdruck  bringen  sollte,  ein  Gebäude,  in  dem  sie  sich  zu  Hause 
fühlen  würde,  etwas  Gewaltiges  und  Starkes,  Einfaches  und  Grosses, 


XXXIII.  Fiat  lux 


6i  i 

jenes  Etwas,  das  sich  schon  ankündigte  in  unsern  Bahnhöfen,  in 
unsern  Markthallen,  in  der  kraftvollen  Eleganz  ihres  eisernen  Balken- 
werkes, doch  geläutert  noch,  gesteigert  zur  Schönheit,  verkündend 
die  Grösse  unserer  Eroberungen«.  Es  vergingen  wenige  Jahre,  da 
bot  die  Pariser  Centenarausstellung  jenes  Etwas,  doch  nicht  in  monu- 
mentalem Stein.  Die  grossen  Gebäude  bestanden  aus  Glas  und  Eisen 
und  die  mächtigen  Bahnhofshallen  waren  ihre  Vorläufer.  Die  un- 
geheure Maschinenhalle,  die  Tausende  aufnahm,  der  Eiffelthurm,  ver- 
kündeten diese  neue  Baukunst.  Und  wie  Dubuche  eine  neue  Archi- 
tektur, so  prophezeit  Claude  eine  neue  Malerei.  »Was  uns  noth  thut, 
ist  die  Sonne,  die  freie  Luft,  eine  helle  und  junge  Malerei.  Faites  untrer 
le  soleil  und  gebt  die  Gegenstände  so  wieder,  wie  sie  in  tagheller 
Beleuchtung  sich  ausnehmen«.  Claude  Lautier  ist  bei  Zola  der 
Märtyrer  dieses  neuen  Stils.  Er  wird  verhöhnt,  verlacht,  gemieden, 
ausgestossen.  Sein  bestes  Bild  wird  von  einem  Freunde  in  der  Jury 
als  »charite«  in  die  Ausstellung  geschmuggelt,  aus  Gnade  und  Barm- 
herzigkeit. Doch  nach  zehn  Jahren  hatten  auch  diese  neuen  Lehren 
durch  etwas  wie  Keime  in  der  Luft  alle  Ateliers  von  Paris,  alle  Ateliers 
Europas  durchdrungen. 

Die  künstlerischen  Gedanken  des  Claude  Lautier  lieh  seinem 
Freunde  Zola  der  Maler  Edouard  Manet , der  Vater  des  Impressionis- 
mus und  somit  der  Schöpfer  der  neuesten  Kunst.  Manet  trat  1862 
zum  ersten  Mal  auf.  1865,  als  die  Salonjury  den  Refusirtcn  einige 
Nebensäle  eingeräumt  hatte,  waren  seine  ersten,  Aufsehen  erregenden 
Bilder  zu  sehen:  eine  Geisselung  Christi  und  ein  ruhendes  Mädchen 
mit  einer  Katze,  beide  stets  von  dichtem  Spötterkreis  umgeben. 
Vierzig  Jahre  vorher  riefen  einen  ähnlichen  Aufruhr  gegen  ihren 
vermeintlichen  Ungeschmack  die  ersten  Werke  der  Romantiker  her- 
vor, deren  Lehre  gleichfalls  von  den  Gegnern  durch  die  Formel  lc 
laid  c’est  le  beau  verspottet  ward.  Ein  Menschenalter  später  ver- 
lachte man  das  Begräbniss  zu  Omans,  jetzt  wiederholte  sich  dasselbe 
Lachen  bei  Manet,  der  Courbets  Werk  vollendete.  Seine  Bilder  wurden 
für  einen  Scherz  gehalten,  den  der  Maler  sich  mit  dem  Publikum  er- 
laubte, für  die  unerhörteste  Farce,  die  je  gemalt  worden.  Wer  von 
den  Arbeiten  versichert  hätte,  sie  würden  den  Anstoss  zu  einer 
Kunstrevolution  geben,  dem  hätte  man  den  Rücken  gedreht  und  ge- 
meint, er  mache  sich  lustig.  Die  Kritik  behandelte  Manet,  wie  Zola 
schrieb,  »als  eine  Art  Hanswurst,  der  die  Zunge  herausstreckt,  um 
Strassen  jungen  zu  amüsiren«.  Bei  der  »Geisselung  Christi«  ging  die 

39* 


6 12 


XXXIII.  Fiat  lux 


Entrüstung  soweit,  dass  das  Bild 
durch  besondere  Vorkehrungen  ge- 
gen die  Attentate  von  Stöcken  und 
Schirmen  geschützt  werden  musste. 
Ein  wenig  anders  gestaltete  sich  die 
Sache  schon,  als  fünf  Jahre  später 
20 — 30  neuere  Bilder  in  Manets 
Atelier  nebeneinander  ausgestellt 
wurden.  War  es,  weil  der  Maler 
unterdessen  in  seinen  Zielen  klarer 
geworden  oder  weil  seine  Werke 
weniger  unter  der  Nachbarschaft  an- 
derer litten  — sie  machten  Eindruck, 
obwohl  sie  nicht  das  geringste  Aben- 
teuerliche und  Sensationelle  erzähl- 
ten. Lebensgrosse,  lichte,  fast  schat- 
tenlose Personen  ruderten  auf  blauem 
Wasser,  hingen  weisse  Wäsche  auf, 
gossen  grüne  Toplblumen,  lehnten 
an  grauen  Mauern.  Unvermittelt,  bi- 
zarr standen  für  die  an  Helldunkel 
gewöhnte  Netzhaut  die  lichten  Bar- 
ben nebeneinander.  Das  Auge,  das  seine  Gewohnheit  wie  der  Geist  hat 
und  die  Natur  immer  so  zu  sehen  glaubt,  wie  sie  ihm  vorgemalt  wird, 
wurde  geärgert  durch  diese  feingesuchten  Tonwerthe,  die  ihm  ganz 
willkürlich  schienen , durch  diese  neuen  Akkorde,  die  es  für  Miss- 
akkorde erklärte.  Aber  die  Klarheit  der  Bilder  frappirte  doch  und  es 
blieb  etwas  von  der  »Manet’schen  Sonne«  im  Gedächtniss  haften.  Man 
lachte  noch,  aber  nicht  mehr  so  laut,  und  gestand  Manet  den  Muth  zu, 
für  seine  Ueberzeugung  eingetreten  zu  sein.  »Ein  merkwürdiger  Fall 
ist  zu  verzeichnen.  Ein  junger  Maler  ist  ganz  naiv  seinen  persönlichen 
Eindrücken  gefolgt  und  hat  ein  paar  Dinge  gemalt,  die  nicht  recht  in 
die  Regeln  passen,  die  in  den  Schulen  gelehrt  werden.  Er  hat  auf 
diese  Weise  Bilder  gemacht,  welche  die  Augen  der  an  andere  An- 
blicke Gewöhnten  beleidigten.  Statt  nun  den  jungen  Maler  schlecht- 
hin zu  beschimpfen,  wird  man  sich  erst  klar  machen  müssen,  wes- 
halb und  ob  mit  Recht  unsere  Augen  verwundet  wurden«.  Mit  diesen 
Worten  fing  die  Kritik  an,  sich  ernsthaft  mit  Manet  zu  beschäftigen. 
Charles  Ephrussi  und  Duranty  traten  ausser  Zola  als  erste  literar- 


Eilouiiril  Manet. 


XXXIII.  Fiat  lux 


613 


isehe  Champions  in  der  Presse  für  ihn  ein.  »Manet  ist  kühn«,  hiess 
es  nun  im  Publicum.  Die  Impressionisten  eroberten  den  Salon. 
Die  braunen  Saucen  der  Bolognesen  überstrahlte  hell  und  glänzend 
die  Manet’sche  Sonne.  Hs  war,  als  hätte  eine  starke  Macht  plötzlich 
den  Mittelpunkt  aller  Atelieranschauungen  verrückt,  und  Manets  Sieg 
gereichte  der  französischen  Kunst  zu  gleichem  Heile,  wie  40  Jahre 
vorher  der  Delacroix’,  10  Jahre  vorher  der  Courbets.  Manet  et 
manebit.  Delacroix,  Courbet  und  Manet,  das  sind  die  drei  grossen 
Namen  der  modernen  französischen  Malerei,  die  Namen  der  Männer, 
die  ihr  die  entscheidenden  Impulse  gaben. 

Edouard  Manet,  der  maitre  impressioniste,  war  1832  geboren,  in 
der  Rue  Bonaparte,  gerade  gegenüber  der  Ecole  des  Beaux-Arts,  und 
sein  Leben  verfloss  still  und  einfach : ohne  Erregungen  und  Leiden- 
schaften , ausserordentliche  Vorkommnisse  und  gewaltsame  Kämpfe. 
Mit  16  Jahren  dem  Colleg  Rollin  entwachsen,  trat  er  mit  Erlaubniss 
seiner  Eltern  in  die  Marine  ein  und  machte  eine  Fahrt  nach  Rio 
de  Janeiro  mit,  die  ohne  interessanten  Zwischenfall,  ohne  Schiflbruch 
und  Ertrunkene  verlief.  Von  heiterem,  gleichmässigem  Temperament, 
betrachtete  er  das  unendliche  Meer,  sättigte  seine  Augen  an  dem 
wunderbaren  Schauspiel  von  Wogen  und  Horizont  — um  es  nie 
mehr  zu  vergessen.  Der  leuchtende  Himmel  dehnte  sich  aus  vor 
ihm,  der  gewaltige  Ocean  umschaukelte,  umschmeichelte  und  um- 
koste ihn  und  sprach  ihm  von  Farben,  die  andere  waren,  als  er  im 
Salon  gesehen.  Bei  seiner  Rückkehr  gehörte  er  ganz  der  Malerei. 
Er  soll  ein  schlanker,  zarter,  blasser,  vornehmer,  junger  Mensch  ge- 
wesen sein,  als  er  1851  — Hst  zu  gleicher  Zeit  mit  Eeuerbach 
Schüler  Coutures  wurde.  Fast  sechs  Jahre  verweilte  er  beim  Meister 
der  Römer  der  Verfallzeit,  noch  ohne  Ahnung,  wie  er  seinen  Weg 
finde,  und  auch  nachdem  er  das  Atelier  verlassen,  verfolgte  ihn 
Coutures  Schatten  noch;  er  arbeitete,  ohne  viel  zu  wissen,  was  er 
wollte.  Dann  reiste  er,  besuchte  Deutschland,  Cassel,  Dresden,  Prag, 
Wien,  München,  wo  er  in  der  Pinakothek  das  Porträt  Rembrandts 
copirte,  sah  Florenz,  Rom,  Venedig.  Unter  dem  Einfluss  der  Neapo- 
litaner und  Vlaamen,  auf  die  damals  Ribot,  Courbet  und  Stevens  hin- 
wiesen, entwickelte  er  sich  zum  Maler.  Sein  erstes  Bild,  das  Kind  mit 
den  Kirschen  von  1859,  zeigt  die  Einwirkung  Brouwers.  1861  stellte 
er  zum  ersten  Mal  aus,  das  Doppelporträt  seiner  Eltern,  für  das  er 
eine  Mention  honorable  erhielt,  obwohl  oder  weil  das  Bild  noch  ganz 
im  altmeisterlich  bolognesischen  Sinne  gemalt  war.  Von  Interesse  sind 


614 


XXXIII.  Fiat  lux 


diese  Werke  nur,  weil 
sie  verfolgen  lassen,  wie 
schnell  Manet  an  der 
Hand  der  Alten  sein 
Handwerk  verstehen 
lernte,  mit  welch  sich- 
erer Energie  er  gleich 
anfangs  der  von  Cour- 
bct  ausgegangenen  re- 
alistischen Strömung 
sich  anschloss.  Die 
überraschte  Nymphe 
von  1862  war  eine 
Mischung  von  Remi- 
niscenzen  ausjordaens, 
Tintoretto  und  Dela- 
croix. Sein  »Alter  Mu- 
sikant«, ein  Bild  von 
fleissiger  Ausführung 
und  trivialem  Realis- 
mus, sah  aus  wie  ein 
massiger  Courbet. 

Da  macht  er  — zu- 
nächst nicht  in  Mad- 
rid, das  er  erst  später 
kennen  lernte,  sondern 
im  Louvre  — die  folgenreiche  Entdeckung  eines  andern  alten  Mei- 
sters, der  in  seiner  ganzen  Eigenart  dem  Meister  von  Omans  noch 
nicht  bekannt  war. 

Auf  der  grossen  Ausstellung  von  Manchester  1857  hatte  sich 
Velazquez  den  Engländern  offenbart,  im  Beginne  der  60er  Jahre 
enthüllte  er  sich  den  Franzosen.  Die  Velazquez-Biographie  William 
Stirlings  ward  1863  von  G.  Brunet  in’s  Französische  übersetzt  und 
von  W.  Bürger  mit  räsonnirendem  Katalog  versehen.  Die  Arbeiten 
Charles  Blancs,  Theophile  Gautiers  und  Paul  Lcforts  erschienen,  und 
binnen  Kurzem  war  Velazquez,  von  dem  bisher  ausserhalb  Madrid 
die  Welt  wenig  wusste,  in  den  Kunstkreisen  von  Paris  eine  wohl- 
bekannte,  vielgenannte  Persönlichkeit,  die  nicht  nur  die  Kunst- 
historiker, auch  die  Künstler  zu  beschäftigen  anfing.  Noch  Couture 


Manet : Der  Sänger  Faure  ah  Hamlet. 


XXXIII.  Fiat  lux 


pflegte  seinen  Schülern  zu 
sagen , Velazquez  habe  die 
Orchestrirung  der  Töne  nicht 
verstanden,  eine  Neigung  zur 
Monochromie  gehabt  und  das 
Wesen  der  Farbe  nicht  be- 
griffen. Seit  dem  Beginne  der 
60  er  Jahre  kommt  Frankreich 
in  den  Bann  des  ernsten  Far- 
bengefühls des  grossen  Spa- 
niers, und  Manet  wird  sein 
erster  enthusiastischer  Jünger. 

Einige  Einzelfiguren  auf 
perlgrauem  Hintergrund  — 
der  flötespielende  Knabe,  der 
Spanier  mit  der  Guitarre  und 
der  zu  Tode  getroffene  Stier- 
kämpfer — waren  die  entschei- 
denden Arbeiten,  in  denen 
er  mit  erstaunlichem  Talent 
sich  als  Schüler  des  Velazquez 
bekannte.  W.  Bürger  feiert  Ve- 
lazquez als  »le  peintre  le  plus 
peintre  qui  füt  jamais.«  Man 
kann  dasselbe  für  das  19.  Jahr- 
hundert von  Manet  sagen.  Nur  Frans  Hals  und  Velazquez  hatten  diese 
eminenten  malerischen  Qualitäten.  In  der  Art,  wie  beim  Toreador  der 
schwarze  Sammetanzug,  die  weissseidene  Binde  und  rothe  Fahne  ge- 
malt war,  lag  ein  Schönheitsgefühl,  das  vom  feinsten  Verständniss  des 
grossen  Spaniers  zeugte.  In  seinem  »Christus  mit  den  Engeln  hat  er, 
so  wenig  wie  Velazquez  im  Epiphaniasbilde,  versucht,  etwas  Himm- 
lisches in  die  Gesichter  zu  bringen,  aber  als  Malerei  gehört  es  zu  den 
besten  religiösen  Bildern  des  Jahrhunderts.  Sein  Bon  Bock«  — das 
Porträt  des  Kupferstechers  Belot,  eines  jovialen  dicken  Herrn,  der,  die 
Pfeife  qualmend,  beim  Bier  sitzt  — ist  eines  jener  Bildnisse,  die  sich  wie 
die  Hille  Bobbe  des  Frans  Hals  dem  Gedächtniss  einprägen.  Der 
Sänger  Faure  als  Hamlet  hebt  sich  wie  der  Truhan  Pablillos  des  Velaz- 
quez von  leerem  hellgrauen  Hintergrund  ab.  Warams  und  Mantel 
sind  von  schwarzem  Sammt,  der  Mantel  mit  rosa  Seide  gefüttert,  ein 


615 


Manet:  Le  Fifre. 


6 1 6 


XXXIII.  Fiat  lux 


breiter  schwarzer  Hut  mit 
mächtiger  schwarzer  Feder 
vollendet  die  Toilette.  Er 
scheint  auf  die  vorderste 
Bühne  getreten  und  steht  da 
mit  gespreizten  Beinen,  den 
Mantel  über  den  linken  Arm 
geworfen,  die  halbgeöffnete 
Rechte  ausgestreckt.  Die 
kühle  Harmonie  von  schwarz, 
weiss,  grau  und  rosa  wirkt 
ungemein  vornehm.  Manet 
hat  die  reichen  Kunstmittel 
des  Vclazquez  wie  sonst  nur 
Raeburn  beherrscht  und  als 
Abschluss  dieser  Studien  in 
seinem  »enfant  ä l’epee«  ein 
Werk  geschaffen,  das  — 
ohne  Profanation  — die  Sig- 
natur des  grossen  Spaniers  tragen  dürfte.  Als  er  im  Beginne  der 
6oer  Jahre  eine  Separatausstellung  seiner  Arbeiten  veranstaltete,  soll 
Courbet  beim  Eintritt  gerufen  haben:  Lauter  Spanier I 

Schon  dieser  Anschluss  an  die  Spanier  bedeutete  aber  einen 
Fortschritt  über  Courbet  hinaus:  er  bedeutete  das  Auftauchen  aus 
der  braunen  Sauce  und  eine  weitere  Annäherung  an  die  Wahrheit. 
Denn  Velazquez  — und  Frans  Hals,  die  sich  in  dieser  Hinsicht 
sehr  ähneln  — sind  unter  sämmtlichen  alten  Meistern  coloristisch 
die  natürlichsten,  einfachsten,  keine  Idealisten  der  Farbe  wie  I izian, 
Paolo  und  Rubens,  auch  nicht  auf  den  Ton  arbeitend  wie  die  hol- 
ländischen Kleinmeister  und  Chardin.  Sie  malten  ihre  Personen  im 
allverbreiteten  gewöhnlichen  Tageslicht.  Ihr  Incarnat  ist  wahrer 
als  das  saftige  der  Venezianer  und  das  feurig  rothe  des  Rubens  mit 
seinen  leuchtenden  Reflexen.  Neben  Velazquez  erscheint,  wie  Justi 
sagt,  Tizians  Colorit  conventioneil,  Rembrandt  phantastisch  und 
Rubens  mit  einer  Dosis  Unnatur  behaftet.  Oder  wie  ein  Zeitgenosse 
des  Velazquez  sich  ausdrückte:  Alles  Uebrige,  Altes  und  Neues, 

sei  Malerei,  Velazquez  allein  Wahrheit. 

Der  Unterschied  zwischen  den  Jugendwerken  Manets  und  denen 
seines  Vorgängers  Courbet  ist  also  der  gleiche  wie  zwischen  V elaz- 


XXXIII.  Fiat  lux 


617 


quez  und  Caravaggio.  Auch 
in  Manets  frühesten  Bildern 
kamen  noch  die  breiten,  stum- 
pfen, rothbraunen  Flächen 
vor,  wodurch  sich  die  Werke 
der  Bolognesen  und  Neapoli- 
taner kennzeichnen.  An  die 
Stelle  dieses  warmen  saucigen 
Braun  ist  jetzt  ein  kühler  Sil- 
berton, eine  schattenlose,  sil- 
berschimmernde Behandlung 
getreten.  Er  hat  das  Weiss  des 
Velazquez,  sein  ernstes  kühles 
Rosa,  sein  vielbewundertes 
feines  Grau , auf  dem  jeder 
Hauch  von  Farbe  klar  und 
bestimmt  sich  abzeichnet,  das 
berühmte  Schwarz  des  Spa- 
niers, das  nie  schwer  und  matt,  stets  leicht  und  durchsichtig  wirkt. 
Hell  hebt  sich  ab  auf  hell,  blonde  Farben  stehen  auf  silbrigem  grauen 
Grund.  Die  vollkommenste  Modellirung  und  plastische  Wirkung  ist 
ohne  Hülfe  starker  Schattencontraste  erzielt.  Er  beendigt  seine  alt- 
meisterliche Lehrzeit  damit,  dass  er  mit  den  Augen  des  alten  Meisters 
sieht,  der  von  allen  alten  Meistern  am  wahrsten  sah. 

Das  wurde  der  Ausgangspunkt  für  Manets  weitere  Entwicklung. 
Das  Studium  des  Velazquez  befreite  ihn  nicht  von  der  Sauce  nur, 
sondern  brachte  auch  das  Problem  der  Lichtmalerei  in  Fluss.  Er 
erlebte  eine  ähnliche  Entwicklung,  wie  sie  der  grosse  Spanier  selbst 
durchmachte.  Als  dieser  sein  erstes  Volksstück,  den  Bacchus  malte, 
stand  er  noch  im  Banne  der  Tenebrosi,  gab  eine  Scene  unter  freiem 
Himmel  in  der  Beleuchtung  eines  geschlossenen  Raumes.  Die  Ge- 
stalten scheinen,  obwohl  die  Ceremonie  unter  vollem  Tageslicht 
spielt,  in  einer  dunkeln  Taverne  zu  sitzen,  die  durch  ein  Atelier- 
fenster links  ihr  Licht  erhält.  Als  zehn  Jahre  später  die  Schmiede 
des  Vulcan  entstand,  hatte  er  sich  von  dieser  bolognesischen  I ra- 
dition  befreit,  die  er  seitdem  »einen  dunkeln,  schrecklichen  Stil« 
nannte.  Die  tiefen,  scharf  abgesetzten  Schatten  sind  verschwun- 
den, das  Tageslicht  hat  über  das  Kellerlicht  gesiegt.  Die  darauf- 
folgenden grossen  Reiterbildnisse  veranlassten  schon  vor  hundert 


6 1 8 


XXXIII.  Fiat  lux 


Jahren  Mengszu 
der  Bemerkung, 
Velazquez  habe 
als  der  erste  es 
verstanden,  das 
»ambiante«,  die 
Luft  zwischen 
den  Dingen  zu 
malen.  Und  am 
Schlüsse  seines 
Lebens,  in  den 
»Spinnerinnen«, 
löste  er  das  letzte 
Problem:  im 
Bacchus  die  sau- 
cige  Behandlung 
einer  Freilicht- 
scene, hier  das 
flimmernde  We- 
ben des  Lichtes 
im  Innenraum. 
Die  Sonne  zit- 

Manet:  Les  anges  au  tombeau  de  Christ.  tert  auf  seidenen 

Stoffen,  liebkost 

blendende  Frauennacken,  spielt  in  kohlschwarzen  kastilisehen  Locken, 
macht  dies  plastisch  deutlich,  jenes  malerisch  nebelhaft,  löst  Körper- 
lichkeit auf  und  gibt  Flächen  die  Rundung  des  Lebens.  Helle  Licht- 
conturen  umgeben  die  Köpfe  der  arbeitenden  Mädchen.  Kühlblau, 
nicht  warmbraun  sind  die  Schatten,  farbige  Reflexlichter  spielen  vom 
einen  Ding  zum  andern  herüber. 

Zwei  merkwürdige  Bilder  von  1863  und  1865  zeigen,  dass 
Manet  das  Problem  erfasst  hatte  und  tastend  nach  einem  Ausdruck  rang. 

Auf  dem  einen,  dem  Dejeuner  sur  1’ herbe  von  1863  sah  man 
einiges  Grün,  einige  Bäume  und  im  Hintergrund  einen  Fluss,  in 
dem  eine  Frau  im  Hemd  lustig  plätscherte;  vorn  sassen  zwei  junge 
Herren  in  elegantem  Gehrock  einer  zweiten  Frau  gegenüber,  die 
eben  aus  dem  Wasser  kam  und  sich  abtrocknete.  Selbstverständlich 
wurde  das  Bild  von  der  Jury,  in  der  Ingres,  Leon  Cogniet,  Robert 
Fleury  und  Hippolyte  Flandrin  sassen,  als  etwas  Unerhörtes  zurück- 


XXXIII.  Fiat  LUX  619 


Manet:  Olympia. 


gewiesen.  Eugene  Delacroix  war  der  Einzige,  der  dafür  eintrat. 
Manet  bezog  also  den  Salon  des  Refuses,  wo  neben  ihm  Bracquemond, 
Legros,  Whistler  und  Harpignies  hingen.  Auch  diese  Ausstellung 
fand  im  Industriepalast  statt,  man  ging  durch  ein  enges  Pförtchen 
aus  der  einen  in  die  andere  hinüber.  Halb  Paris  war  verwirrt, 
beunruhigt  durch  die  Werke  der  Refusirtcn,  selbst  Napoleon  III. 
und  Eugenie  kehrten  bei  einem  Besuche  des  Salons  dem  Manet’- 
schen  Bilde  ostentativ  den  Rücken.  Dies  nackte  Weib  skandalisirte. 
Wie  schamlos!  Eine  Frau,  ohne  das  geringste  Kleidungsstück, 
zwischen  zwei  Herren  in  Gehrock.  Im  Louvre  hingen  zwar  gegen 
fünfzig  venezianische  Darstellungen  ähnlichen  Inhalts.  Jedes  kunst- 
geschichtliche  Handbuch  verzeichnet  die  sogenannte  Familie«  und 
die  Lebensalter  Giorgiones,  worauf  bekleidete  und  nackte  Figuren 
sich  naiv  neben  einander  in  einer  Landschaft  bewegen.  Aber  dass 
ein  Maler  auch  für  den  modernen  Künstler  das  Recht  in  Anspruch 
nahm:  aus  der  Freude  am  rein  Malerischen  malen  zu  dürfen,  war 
ein  noch  nicht  dagewesenes  Factum.  Man  suchte  nach  Obscoenem 
und  fand  es  — während  für  Manet  das  Ganze  nur  ein  technisches 
Experiment  bedeutete:  die  nackte  Frau  vorn  war  nur  da,  weil  der 


620 


XXXIII.  Fiat  lux 


Manet:  Uii  bar  aux  Folies-Bergere. 


Maler  das  Spiel  der  Sonne  und  die  Reflexe  des  Grünen  auf  dem 
nackten  Fleisch  beobachten  wollte;  die  Frau  im  Hemd  verdankte 
ihre  Existenz  allein  dem  Umstand,  dass  ihre  reizende  Silhouette 
einen  so  hübschen  weissen  Fleck  innerhalb  der  grünen  Wiese 
bildete.  Manet  berührte  zum  ersten  Mal  das  Problem,  das  sich  in 
England  zehn  Jahre  vorher  Madox  Brown  in  seinem  Work«  ge- 
stellt — doch  vorläufig  mit  nicht  grösserem  Erfolg : die  Sonnen- 
strahlen hüpften  zwar,  aber  noch  schwer  und  opak,  der  Himmel  war 
hell,  doch  noch  ohne  Luft.  Es  spricht  noch  nicht  der  definitive 
Manet,  der  der  Geschichte  gehört. 

Aus  demselben  Stadium  seiner  Entwicklung  stammt  die  be- 
rühmte, heute  im  Luxembourg  befindliche  Olympia  von  1865,  das 
blutlose,  nervöse  Geschöpf,  das  blass,  kränklich  neben  einer  schnurren- 
den Katze  seine  ärmliche  Nacktheit  auf  weissen  Tüchern  ausstreckt, 
während  eine  rothgekleidete  Negerin,  den  Vorhang  öffnend,  ihr  ein 
Bouquet  überreicht.  Mit  diesem  Bilde  begannen  — man  weiss  nicht 
warum  — die  eigentlichen  Schlachten  des  Impressionismus.  Die 


XXXIII.  Fiat  lux 


621 


Manet:  En  bateau. 

Kritiker,  die  von  Obscoenität  sprachen,  verfuhren  inconsequent, 
da  Tizians  Venusbilder  mit  der  Dienerin,  dem  Hündchen  und  dem 
am  Bettrande  sitzenden  jungen  Mann  auch  nicht  als  obscoen  zu 
gelten  pflegen.  Gleich  schwer  aber  ist,  in  diesem  flach  modellirten 
Körper  mit  seinen  harten,  schwarzen  Umrisslinien  die  künstlerischen 
Qualitäten  zu  sehen,  die  Zola  hineinlegte.  Das  Bild  hat  gar  nichts 
von  Tizian,  aber  fast  etwas  von  Cranach.  Sowohl  das  Frühstück 
wie  die  Olympia  sind  nur  von  historischem  Interesse,  als  die  ersten 
Arbeiten  des  Künstlers,  in  denen  er  seinem  eigenen  Auge  ver- 
traute und  jede  fremde  Brille  zurückwies.  In  dem  Gefühl , dass 
er  zu  nichts  kommen  werde,  wenn  er  die  Natur  weiter  durch 
das  Medium  eines  alten  Meisters  anschaute,  hatte  er  ein  Stück 
Wirklichkeit  ganz  so  wiederzugeben , wie  es  ihm  erschien , wenn 
er  es  nicht  im  Spiegelbild  alter  Bilder  betrachtete.  Er  bemühte 
sich  zu  vergessen,  was  er  in  den  Museen  studirt,  die  Kunstgriffe, 
die  er  bei  Couture  erhalten,  die  berühmten  Gemälde,  die  er  ge- 
sehen hatte.  In  seinen  frühem  Arbeiten  war  noch  eine  gesuchte 
Zartheit  und  altmeisterliche  Delicatesse,  das  Frühstück  und  die 


6 22 


XXXIII.  Fiat  lux 


Olympia  sind  einfacher  und 
selbständiger.  Er  war  in  bei- 
den schon  ein  » Impressionist « , 
der  seinen  persönlichen  Ein- 
drücken folgte  — ohne  dass 
er  jedoch  das  neue  Wort, 
das  ihm  auf  den  Lippen 
schwebte,  schon  ganz  hätte 
aussprechen  können.  Er  hatte 
versucht,  sowohl  aus  Cour- 
bets  brauner  Sauce,  wie  aus 
dem  Elfenbeinton  Bouguer- 
eaus  herauszukommen  und 
in  schlichter,  selbständiger  Be- 
obachtung den  Localtönen  ge- 
recht zu  werden,  hatte  in  sei- 
nem »Frühstück«  die  Bäume 
grün,  den  Boden  gelblich,  den  Himmel  grau,  in  seiner  Olympia 
das  Bett  wciss , den  Körper  des  Weibes  fleischfarben  gemalt.  Aber 
die  Localfarben  in  volle  Harmonie  zu  bringen,  war  ihm  noch  so 
wenig  wie  den  Praerafaeliten  geglückt.  Das  ist  der  Schritt,  den 
Manet  über  die  Praerafaeliten  hinausmacht:  nachdem  er  sich  von 
der  conventioneilen,  braunen  und  elfenbeinernen  I önung  befreit 
und  eine  Zeitlang  gleich  den  Praerafaeliten  wahr,  aber  hart  gewesen, 
erreichte  er  die  Harmonie,  die  bisher  entweder  durch  künstliche 
Mittel  oder  gar  nicht  erzielt  worden  war,  auf  natürlichem  Wege 
durch  die  strenge  Beobachtung  des  Mediums,  durch  das  die  Natur 
selbst  Harmonie  hervorbringt:  des  Lichtes.  Wie  die  Luft,  die  Alles 
durchwogende  Atmosphäre  die  Natur  selbst  überall  harmonisch  und 
coloristisch  fein  macht,  so  wurde  sic  fortan  auch  für  den  Künstler 
das  Mittel,  jene  grosse  Harmonie«  zu  erzielen,  die  das  Endziel  alles 
malerischen  Strebens  bildet  und  bisher  nur  durch  eine  Manier  er- 
reicht worden  war. 

Dieser  geschichtlich  denkwürdige  Moment,  als  Manet  die  Sonne 
und  das  feine  Fluidum  der  Atmosphäre  entdeckte,  war  kurz  vor  1870. 
Er  war  einige  Zeit  vor  der  Kriegserklärung  auf  dem  Land  in  der 
Umgegend  von  Paris  bei  seinem  Freund  de  Nittis  zu  Gast,  arbeitete 
wie  zu  Haus,  nur  war  sein  Atelier  hier  der  Park.  Eines  lages 
setzte  er  sich  in  s volle  Sonnenlicht,  stellte  seine  Modelle  zwischen 


XXXIII.  Fiat  lux 


623 


die  Blumen  des  Rasens  und 
fing  an  zu  malen.  Das  Er- 
gebnis war  das  Bild  »der 
Garten« , — noch  heute 
im  Besitz  der  Frau  de 
Nittis  befindlich.  Die  junge 
Gattin  des  italienischen  Ma- 
lers ruht  in  einem  Fauteuil 
zwischen  ihrem  Mann,  der 
auf  dem  Rasen  liegt , und 
ihrem  in  der  Wiege  schlaf- 
enden Kind.  Jede  Blume 
steht  frisch  und  grell  auf 
der  duftigen  Wiese.  Das 
Grün  der  Rasenflächen 
leuchtet,  alle  Dinge  sind  in 
weicher,  heller  Athmosphärc 
gebadet ; auf  den  gelben  Kies- 
weg werfen  die  Blätter  der 
Bäume  ihre  blauen  Schatten. 

Das  »Pleinair«  hielt  seinen  Einzug  in  die  Malerei. 

1870  musste  er  seine  Thätigkeit  unterbrechen.  Er  trat  in  eine 
Freiwilligencompagnie  ein,  die  zum  grossen  Theil  aus  Künstlern  und 
Literaten  bestand,  und  wurde  im  Deccmber  Lieutenant  im  General- 
stab der  Nationalgarde,  wo  er  Meissonier  als  Obersten  hatte.  Die 
Bilder,  in  denen  er  ganz  Manet  ist,  gehören  also  ausschliesslich  der 
Zeit  nach  1870  an. 

Sein  grosses  Problem  war  von  jetzt  ab  die  Sonne,  die  Gluth 
der  Tagesbeleuchtung,  das  Zittern  der  Luft  über  sonnendurchglühtem 
Boden.  Er  wurde  zum  Naturforscher,  der  sich  .nicht  genugthun 
konnte,  die  Wirkung  des  Lichtes  zu  studiren  und  mit  der  Beobachtung 
des  Gelehrten  festzustellen,  in  welcher  Weise  die  Atmosphäre  den 
farbigen  Eindruck  der  Dinge  verändert. 

In  ganz  jungfräulichen,  bisher  nie  gesehenen  mild  graublonden 
Tönen  erzählte  er  auf  14  Bildern,  die  er  bei  einem  Kunsthändler 
ausstelllte,  vom  Luxus  und  der  Eleganz  von  Paris,  von  hellen  Sommer- 
tagen und  gaslichtdurchflutheten  Soireen,  von  den  verwelkten  Zügen 
des  gefallenen  Mädchens  wie  vom  feinen  Chic  der  Weltdame.  Da 
sah  man  Nana,  jenes  Wunderwerk  kühner  Eleganz.  Eingeschnürt  in 


Manet:  Le  Buvetir. 


624  XXXIII.  Fiat  lux 

ein  blauseidenes  Cor- 
set,  sonst  nur  von 
feinem  Mousselinhemd 
bedeckt,  die  küsse  in 
perlgraue  Strümpfe  ge- 
presst, steht  das  blonde 
Weib  am  Spiegel  und 
schminkt  sich  die  Lip- 
pen, gleichgültig  den 
Worten  des  Herrn  hin- 
ter ihr  auf  dem  Sopha 
lauschend.  Daneben 
hingen  Balkonscenen, 
Momentaufnahmen 
aus  dem  Skatingring, 
aus  den  Cafeconcerts 
und  dem  Bai  de 
1’ Opera,  die  Dejeuner- 
scene beim  Vater  La- 
thuille  und  die  Buffet- 
scene aus  den  Folies- 
Bergere.  Hier  hatte  er 
das  Tageslicht,  dort  das 
künstliche  Licht  der 
Rampen  zum  Gegen- 
stand eindringenden  Studiums  gemacht.  Die  Musik  in  den  Tuilcrien 
zeigte  ein  wimmelndes  Menschengewühl  auf  sonnigem  freien  Platz. 
Jede  Figur  war  als  Fleck  hingesetzt,  und  diese  Flecken  lebten, 
diese  Menge  sprach.  Eines  der  besten  Bilder  war  die  »Barke  : ein 
nach  Art  der  Japaner  durch  den  Rahmen  kühn  abgeschnittenes 
Boot,  darin  eine  junge  Dame  in  Hellblau  und  ein  Herr  in  Weiss, 
deren  zarte  Silhouetten  sich  duftig  vom  feinen  Grau  des  Wassers 
und  der  feuchtigkeitdurchschwängerten  Atmosphäre  abhoben.  Da- 
zwischen hingen  mächtige  Marinen  und  reizende  pikante  Porträts. 

Manet  schwärmte  für  die  Welt.  Eine  schlanke  elegante  Er- 
scheinung mit  aschblondem  Bart,  tiefblauen,  jugendlich  feurigen 
Augen,  feinem  klugen  Gesicht,  aristokratischen  Händen  und  vor- 
nehmen Allüren,  verkehrte  er  mit  seiner  Frau,  der  feingebildeten 
Tochter  eines  holländischen  Musikers,  in  den  ersten  Kreisen  der 


Mauel:  Nana. 


XXXIII.  Fiat  lux 


625 


Pariser  Gesellschaft,  überall 
wegen  seines  treffenden  Ur- 
theils  und  sprühenden  Geistes 
geschätzt.  Sein  Gespräch  war 
lebhaft,  sarkastisch.  Sein  Witz 
ä la  Gavarni  berühmt.  Er 
liebte  das  zarte  Parfüm  der 
Salons , den  leuchtenden 
Kerzenglanz  der  Soireen, 
schwärmte  für  Modernität, 
für  das  pikante  Froufrou  der 
Toiletten,  war  der  erste,  der 
mit  beiden  Füssen  in  der 
Welt  stand,  die  den  Andern 
noch  so  unkünstlerisch  er- 
schienen. So  zeigt  sich  schon 
im  äussern  Leben  der  drei 
Bahnbrecher  der  modernen 
Kunst  der  Fortschritt,  der  in 
der  Eroberung  des  Stoffge- 
bietes gemacht  wurde.  Millet 
steht  auf  seinem  Portrait  in 
Holzschuhen,  Courbet  in  Hemdärmeln  da,  Manet  trägt  Cylinder  und 
Gehrock.  Millet,  der  Bauer,  malte  Bauern;  Courbet,  der  Provinzler 
und  Demokrat,  gab  dem  Arbeiter  das  Bürgerrecht,  doch  ohne  die 
Provinz,  die  Bourgeoisie  zu  verlassen.  Alles  Vornehme,  Raffinirte 
stiess  ihn  ab,  er  fand  hier  nicht  die  Kraft,  das  Derbe,  das  er  allein 
suchte.  Manet,  der  Pariser  und  feine  Mann,  eroberte  der  Kunst  die 
Eleganz  des  modernen  Lebens. 

Im  Jahre  1879  machte  er  dem  Pariser  Magistrat  noch  den  An- 
trag, im  Sitzungssaal  des  Rathhauses  den  ganzen  »Ventre  de  Paris«, 
Markthallen,  Bahnhöfe,  Häfen,  Corsos,  öffentliche  Gärten  und  unter 
dem  Plafond  eine  Galerie  der  berühmten  Männer  der  Gegenwart 
zu  malen.  Sein  Schreiben  blieb  unbeantwortet  und  gab  doch  den 
Anstoss  zu  all  den  grossen  Bildern  aus  dem  zeitgenössischen  Leben, 
die  später  in  Paris  und  der  Provinz  für  die  Wände  der  öffentlichen 
Gebäude  gemalt  wurden.  1880  erhielt  er  durch  die  Bemühungen 
seines  Freundes  Antonin  Proust  eine  zweite  Medaille,  die  einzige, 
die  ihm  überhaupt  zu  Theil  ward.  Der  Kunsthändler  Duret  begann 

Mutlier,  Moderne  Malerei  II. 


40 


626 


XXXIII.  Fiat  lux 


Bilder  von  ihm  zu  kaufen,  ihm  folgte  Durand-Ruel  und  der  Sänger 
Faure  von  der  grossen  Oper,  der  allein  3 5 Manets  besitzt.  Der  arme 
Künstler  konnte  nicht  lange  dieser  Anerkennung  sich  freuen.  Am 
30.  April  1883,  dem  Firnisstage  des  Salons,  ist  er  an  Blutvergiftung 
und  den  Folgen  der  Amputation  eines  Beines  gestorben. 

Aber  die  Keime,  die  er  ausgestreut,  hatten,  als  er  starb,  schon 
Wurzel  geschlagen.  Er  hatte  Jahre  gebraucht,  die  Thore  des  Salons 
zu  sprengen  und  heute  prangt  sein  Name  in  goldenen  Buchstaben 
auf  der  Fa^ade  der  Ecole  des  Beaux  Arts,  als  derjenige  des  Mannes, 
der  das  entscheidende  Schlusswort  im  grossen  Befreiungskampf  der 
modernen  Kunst  sprach.  Seine  That  — scheinbar  eine  unbedeutende 
Veränderung  in  der  Art  zu  malen  — war  in  Wahrheit  eine  Er- 
neuerung in  der  Art  zu  sehen,  eine  Erneuerung  in  der  Art  zu 
denken. 

Bisher  hatten  nur  die  Landschafter  sich  von  der  Nachahmung  des 
Galerietons  befreit,  und  was  durch  Corot  in  der  Landschaft  geschehen, 
wäre  logischer  Weise  auch  in  der  Figurenmalerei  durchzuführen  ge- 
wesen , denn  der  Mensch  ist  ebenso  wie  der  Baum  umgeben  von 
Luft.  Nachdem  die  Landschafter  von  Barbizon  durch  ihre  im 
Freien  gemalten  Bilder  den  mächtigen  Unterschied  der  Tagesbeleucht- 
ung gegenüber  der  im  geschlossenen  Raum  zur  Anschauung  gebracht, 
durften  auch  die  Figurenmaler,  wollten  sie  Anspruch  auf  Wahr- 
heit der  Wirkung  erheben,  bei  Vorgängen  im  Freien  nicht  haften 
bleiben  an  der  ihren  Modellen  im  Atelier  zufallenden  Beleuchtung. 
Doch  selbst  die  kühnsten  Neuerer  befreiten  sich  nicht  vom  Banne 
der  Tradition.  Sie  alle  waren  — nachdem  sie  in  Stoffen  und  Com- 
position  selbständig  geworden  — in  der  Farbenanschauung  Sklaven 
der  Alten  geblieben.  Die  Einen  ahmten  die  Spanier  nach,  bedachten 
nicht,  dass  Ribera  in  einem  kleinen,  dunkeln  Atelier  seine  Bilder  malte 
und  dass  deshalb  das  Kellerlicht,  mit  dem  er  sic  beleuchtete,  richtig, 
aber  in  die  gegenwärtige  Welt,  auf  die  hellen  Interieurs  des  19.  Jahr- 
hunderts übertragen,  falsch  war.  Andere  behandelten  Scencn  im 
Freien,  als  gingen  sie  in  einer  Parterrestube  vor,  suchten  durch  Vor- 
hänge und  Läden  eine  Beleuchtung  zu  erzielen,  die  derjenigen  der 
alten  Meister,  der  altgewordenen  Bilder  entsprach.  Oder  man  malte 
überhaupt  nach  einem  allgemeinen  Recept,  in  vollständigem  Wider- 
spruch mit  dem,  was  das  Auge  sah.  Sehr  bezeichnend  z.  B.  eine 
Episode,  die  aus  der  Lehrzeit  Puvis  de  Chavannes’  erzählt  wird.  Der 
junge  Maler  hatte  Akt  gemalt  an  einem  grauen  nebligen  Tage.  Das 


XXXIII.  Fiat  lux 


627 


Modell  schien  in  zartes  Licht  gehüllt,  wie  von  einem  hellen  Silber- 
schein umflossen.  »So  sehen  Sie  Ihr  Modell?«,  brummt  ungehalten 
bei  der  Corrcctur  Couture,  mischt  weiss,  kobaltblau,  neapelgelb, 
vermillon  zusammen  und  macht  nach  akademischem  Universal recept 
aus  Puvis'  grauem  Akte  eine  farbenkräftige,  warmleuchtende  Figur 
die  unter  andern  Beleuchtungsverhältnissen  vielleicht  ein  alter  Meister 
gemalt  hätte.  Manet  sagte  durch  sein  »Fiat  lux«  ein  erlösendes  Wort, 
das  Vielen  auf  den  Lippen  geschwebt.  Der  Bann  der  Galerien  war 
nun  auch  coloristisch  gebrochen,  der  letzte  Rest  falscher  Abhängig- 
keit von  den  grossen  Todten  beseitigt,  das  Ziel,  bei  dem  die  Land- 
schafter 30  Jahre  vorher  angelangt,  in  der  Figurenmalerei  eben- 
falls erklommen.  Der  Realismus,  wahr  und  frei  in  der  Formen- 
behandlung, war  in  der  Farbenanschauung  noch  unwahr  und  un- 
selbständig gewesen.  Nun  ist  zur  zeichnerischen  Wahrheit  auch  die 
Wahrheit  der  Farbenanschauung  getreten.  Der  Naturalismus  ist 
Realismus,  erweitert  durch  das  Studium  des  Milieus. 

Ja,  vielleicht  wird  eine  spätere  Zeit  sogar  anerkennen,  dass 
Manet  in  der  Feinheit  und  scrupulösen  Analyse  des  Lichtes  einen 
Schritt  über  die  Alten  hinaus  that,  und  wird  die  Entdeckung  der 
Tonwerthe  als  Haupterrungenschaft  des  19.  Jahrhunderts  preisen, 
als  eine  Eroberung,  wie  sie  seit  den  Eycks  und  Masaccio,  seit 
der  Begründung  der  Lehre  von  der  Perspective,  im  Gebiete  der 
Malerei  nicht  gemacht  ward.  Hugo  Magnus  hat  in  einer  beachtcns- 
werthen  Schrift  darüber  gehandelt,  wie  der  Farbensinn  in  den 
verschiedenen  Perioden  der  Weltgeschichte  zunahm  — seit  dem  Auf- 
treten der  Impressionisten  lässt  sich  eine  weitere  Steigerung  con- 
statiren.  Das  Studium  der  Tonwerthe  ward  nie  mit  dieser  wissen- 
schaftlichen Exaktheit  betrieben,  und  hinsichtlich  der  atmosphärischen 
Wahrheit  möchte  man  glauben,  dass  das  Auge  heute  Dinge  sieht  und 
fühlt,  die  unsere  Väter  noch  nicht  bemerkten.  Auch  die  Alten 
hatten  das  Problem  der  »Wahrmalerei«  berührt.  Die  italienischen 
Tempera-  und  Frcskomalcr  des  15.  Jahrhunderts  hat  nicht  blos  die 
Natur  ihrer  Farben  oft  auf  die  natürlichste  Art  der  Beleuchtung 
geführt.  Sie  hatten  theoretisch  sogar  sich  mit  der  Frage  be- 
schäftigt. Eine  altitalienische  Vorschrift  lautete:  der  Maler  solle  in 
einem  geschlossenen  Hofe  unter  schützendem  Zeltdach  arbeiten,  sein 
Modell  aber  so  setzen,  dass  es  unter  freiem  Himmel  sei.  Besonders 
Piero  della  Francesca  ging  in  den  Fresken,  die  er  1452  in  Arezzo 
malte,  dem  Problem  des  Pleinair  mit  spürendem  Sinne  nach.  Aber 

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XXXIII.  Fiat  lux 


die  Liebe  zu  schönen  und  leuchtenden  Farben,  wie  später  die  Technik 
der  Oelmalerei  sie  ermöglichte,  lenkte  die  Maler  doch  bald  davon  ab, 
die  naturwahre  Beleuchtung  auch  in  der  Farbenabtönung  folgerichtig 
durchzuführen.  Die  Italiener  der  grossen  Zeit  seit  Leonardo  wendeten 
sich  unter  dem  Einfluss  der  Oelmalerei  immer  mehr  den  starken  Gegen- 
sätzen zu.  Und  selbst  die  holländischen  Landschafter  des  17.  Jahr- 
hunderts haben  trotz  Albert  Cuyp  die  Dinge  noch  mehr  plastisch  in 
ihren  Linien  und  Formen,  als  malerisch  in  ihrer  Licht-  und  Lufthülle 
gesehen.  Erst  das  19.  Jahrhundert  nahm  ernstlich  ein  Problem  in 
Angriff,  das  — die  einzige  Gestalt  des  Velazquez  ausgenommen  - 
von  den  ältern  Schulen  zwar  gestreift,  doch  noch  nicht  gelöst  war. 

Was  die  Meister  von  Barbizon  in  genialem  Instinkt  gethan, 
ward  von  den  Impressionisten  zum  Gegenstand  wissenschaftlichen 
Studiums  gemacht.  Die  neue  Schule  stellte  den  Satz  auf:  dass  die 
Atmosphäre  die  Farbe  der  Dinge  verändert,  dass  z.  B.  die  Silhouette 
und  Farbe  eines  im  Zimmer  gemalten  Baumes  vollkommen  ab- 
weicht von  der  desselben  Baumes,  der  an  Ort  und  Stelle  unter 
freiem  Himmel  gemalt  ist.  Sie  forderte  als  unbedingte  Regel, 
dass  jeder  Vorgang  in  Harmonie  mit  Ort,  Zeit  und  Beleuchtung 
zu  setzen,  eine  Scene,  die  in  freier  Luft  stattfindet,  also  noth- 
wendigerweise  nicht  innerhalb  der  vier  Wände,  sondern  unter  der 
wirklichen  Beleuchtung  des  Morgens,  des  Mittags,  des  Abends 
oder  der  Nacht  zu  malen  sei.  Indem  dieses  Problem  zum  Gegen- 
stand sorgfältiger  Detailforschung  gemacht  ward,  lernte  man  das 
zuckende  Leben  in  seinem  Schleier  von  Luft  und  Licht  weit  feiner 
und  eingehender  analysiren  als  es  die  Alten  gethan.  Jene  malten 
noch  das  platt  auffallende,  nicht  das  leuchtende  Licht.  Die  Oel- 
farbe  wurde  wie  ein  opakes  Material  behandelt,  die  Farbe  trat  als 
Stoff  auf  und  das  Leuchten  des  farbigen  Lichtes  ging  durch  die 
materielle  Schwere  verloren.  Noch  Courbet  schilderte  nur  die  Sache, 
sah  die  Dinge  plastisch,  nicht  in  die  Atmosphäre  getaucht;  seine 
Menschen  lebten  in  Oel,  in  brauner  Sauce,  nicht  da,  wo  allein  sie 
leben  können  — in  der  Luft.  Alles  was  er  malte,  isolirte  er  vorher 
ohne  Rücksicht  auf  die  atmosphärische  Umgebung.  Jetzt  hat  sich 
eine  vollständige  Rollenvertauschung  vollzogen ; man  malt  nicht  mehr 
Körper  und  Farben,  sondern  die  bewegende  Kraft  des  Lichtes,  unter 
der  jedes  Ding  jeden  Augenblick  Gestalt  und  Farbe  wechselt.  Jene 
verbannten  im  Wesentlichen  das  Licht  an  die  Oberfläche,  die 
Neuen  glauben  an  sein  Ueberallsein,  sehen  in  ihm  den  Vater  alles 


XXXIII.  Fiat  lux 


629 


Lebens  und  aller  Mannigfaltigkeit  der  Erscheinung,  also  auch  der 
Farbe.  Sie  malen  nicht  mehr  Farben  und  Formen  mit  Lichtern 
und  Schlagschatten,  sondern  das  durchscheinende  Licht,  das  sich 
auf  Formen  und  Farben  ergiesst  und  von  ihnen  aufgesogen  wird 
und  rückgeschleudert.  Sie  sehen  nicht  das  Einzelne,  sondern 
das  Ganze,  nicht  mehr  plattes  Licht  und  Schlagschatten  allein, 
sondern  die  Harmonie,  den  malerischen  Reiz  des  Naturmomentes 
als  solchen.  Mit  einem  Eifer,  der  zuweilen  paradox  schien,  be- 
gannen sie  die  Bedeutung  der  Lichtphaenomene  zu  ergründen.  Sie 
entdeckten,  dass  das  Sonnenlicht  die  Gegenstände  nicht  vergoldet, 
sondern  versilbert  und  bemühten  sich,  die  Vielheit  dieser  feinen  Ab- 
stufungen bis  in  ihre  duftigsten  Niiancen  zu  zerlegen.  Sie  lernten 
das  Zucken  der  breit  sich  ergiessenden  zitternden  Sonnenstrahlen 
malen;  waren  lyrische  Dichter  des  Lichtes,  das  sie  verherrlichten 
oft  selbst  auf  Kosten  dessen , was  es  einhüllt  und  leben  lässt.  Sie 
stellten  im  Dienste  der  Kunst  ein  verjüngtes  Repertoir  feiner  ge- 
läuterter malerischer  Ausdrücke  fest,  in  denen  die  Kunstgeschichte 
eine  Steigerung  des  Farbensinnes  und  der  Perceptionskraft  des 
menschlichen  Auges  verzeichnet.  Dass  Licht  Bewegung  ist,  wird 
hier  gegenwärtig,  dass  das  ganze  Leben  Bewegung  ist,  zeigt  ihre 
Kunst.  Courbet  war  ein  bewundernswerther  Maler  ebener  Flächen. 
Hatte  er  eine  Mauer  zu  malen,  so  nahm  er  sie  auf  seine  starken 
Schultern  und  übertrug  sie  auf  die  Leinwand,  dass  ein  Maurer 
sich  täuschte.  Mochte  es  sich  um  Felsen,  einen  Weiberkörper 
oder  Meereswellen  handeln,  er  begann  dick  einzurühren,  brachte 
auf  die  Leinwand  eine  feste  Farbenmasse  und  vcrtheiltc  sie  mit 
dem  Messer.  Diese  Spachtelarbeit  ermöglichte  ihm  eine  unerreichte 
Naturwahrheit  in  der  Wiedergabe  der  Oberfläche  harter  Substanzen. 
Felsen,  Ufer,  Mauern  sehen  aus  wie  in  der  Natur,  aber  bei  beweg- 
lichen, unbestimmten  Dingen  versagte  seine  Kraft.  Seine  Land- 
schaften sind  fett  und  breit  und  saftig  gemalt,  aber  die  Erde  hat 
keinen  Pulsschlag,  sie  schlägt  nicht.  Courbet  hat  die  Vögel  in  der 
Landschaft  vergessen.  Seine  Marinen  sind  ungemein  gross  gesehen 
und  zeichnerisch  Meisterwerke,  aber  scheinen  unbewohnbar  für 
Fische.  Unter  der  festen  Hand  des  Malers  blieb  das  Meer  stille 
stehen  und  verwandelte  sich  zum  Felsen.  Hatte  er  Menschen  zu  malen, 
so  stehen  sie  bewegungslos  da  wie  Wachspuppen.  Ihr  Gesichts- 
ausdruck wie  ihr  Körper  scheint  galvanisirt.  Die  Impressionisten 
zuerst  haben,  indem  sie  die  schlagfertige  Unmittelbarkeit  in  der 


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XXXIII.  Fiat  lux 


Uebertragung  der  Eindrücke  als  Hauptziel  künstlerischen  Strebens 
in  ihr  Programm  setzten,  Nüancen  des  Ausdrucks  und  der  Be- 
wegung frisch  festzuhalten  gewusst,  die  unter  den  Händen  ihrer 
Vorgänger  versteinerten.  Wie  bei  einem  fahrenden  Wagen  das 
Blitzen  der  Speichen  an  den  Rädern  gemalt  wird,  nicht  der  An- 
blick, den  das  ruhige  Rad  gewährt,  so  lassen  sic  auch  bei  mensch- 
lichen Gestalten  die  Umrisse  sich  auflösen  und  verschwimmen,  um 
den  Eindruck  der  Bewegung,  der  echten  Lebendigkeit  der  Erschein- 
ung hervorzurufen.  Die  Farbe  ist  als  einziges,  unbeschränktes  Aus- 
drucksmittel für  den  Maler  gewonnen,  hat  die  Zeichnung  so  auf- 
genommen, dass  die  Linie  gleichsam  pulsirendes  Leben  erhält, 
nicht  anders  mehr  als  malerisch  empfunden  werden  kann.  Handelt 
es  sich  um  menschliche  Akte,  so  ist  von  der  Haut  der  wächserne 
Charakter  gewichen,  den  die  herkömmliche  Aktmalerci  für  Natur- 
wahrheit ausgab,  und  tausende  zart  unterschiedener  Tönungen  be- 
leben das  Fleisch.  Auch  eine  feinere,  tiefere  Beobachtung  der 
Temperamente  war  durch  die  leichtere,  nervösere  Technik  ermög- 
licht. In  den  Werken  der  früheren  Genremaler  sind  die  Menschen 
nie  das,  was  sie  vorstellen  sollen.  Aus  der  elegantesten  Garderobe 
blickt  das  bezahlte,  aus  niederen  Kreisen  gewählte  Modell  heraus, 
das  der  Maler  brauchte,  um  langsam  die  Vollendung  seines  Bildes 
herbeizuführen;  hier  sind  wahre  Menschen  dargestellt,  deren  Gesicht, 
Haltung  und  Bewegung  sprechen  und  sagen,  was  sie  sind.  Selbst 
in  der  Porträtmalerei  treten  an  die  Stelle  der  festgenagelten  Puppen 
Leute,  die  der  Maler  überraschte,  bevor  sie  sich  zurecht  setzten,  in 
der  Secunde,  wo  sie  noch  ganz  sie  selbst  sind.  Das  Streben  nach 
Fixirung  der  natürlichsten  Stellung  und  zwanglosesten  Miene,  nach 
dem  Festhalten  der  vorübergehendsten  flüchtigsten  Ausdrucksnüancen, 
erzeugt  auch  hier  eine  Unmittelbarkeit  und  Lebendigkeit,  die  von 
der  Pose  und  Staatsmiene  des  früheren  Sofabildes  durch  eine  Riesen- 
kluft getrennt  ist. 

Gleich  seit  seinem  ersten  Auftreten  hatte  sich  eine  Reihe  junger 
Leute  um  Manet  geschaart,  die  in  einem  Cafe  der  ehemaligen  Vor- 
stadt Battignolles  am  Eingang  der  Avenue  de  Clichy  wöchentlich 
zweimal  zusammenkamen.  Der  Verein  nannte  sich  von  diesem  Ort 
des  Zusammentreffens  Ecole  des  Battignoles.  Burty,  Antonin  Proust, 
Henner  und  Stevens  erschienen  zuweilen ; Legros,  Whistler,  Fantin- 
Latour,  Duranty  und  Zola  waren  ständige  Gäste.  Degas,  Renoir, 
Pissarro,  Sisley,  Monet,  Gauguin  und  Zandomeneghi  waren  die 


XXXIII.  Fiat  lux 


Degas:  Ballet. 


Hauptleute  des  impressionistischen  Stabes,  der,  vom  officiellen  Salon 
ausgeschlossen,  gewöhnlich  bei  Nadar,  bei  Reichshofen  oder  einem 
andern  Kunsthändler  sein  Zelt  aufschlug.  Das  sind  die  Namen  der 
Männer,  die',  auf  Manet  folgend,  als  die  ersten  das  neue  Problem 
zum  Gegenstand  ihrer  Studien  machten. 

Degas,  der  raffinirte  Colorist  und  fabelhafte  Zeichner,  der  die 
Tänzerinnen,  die  Foyers  der  Oper  und  die  Gazeröckchen  besingt,  ist 
von  allen  denen,  die  sich  gleich  anfangs  der  Bewegung  anschlossen, 
der  originellste  und  kühnste : das  gerade  Gegenthcil  alles  Hübschen 
und  Banalen,  der  grösste  Dandy  des  modernen  Frankreich,  dessen 
Werke  Caviar  für  die  Menge  sind,  ein  Labsal  aber  dem  Gourme,  der 
sich  erfreuen  will  an  der  erhabenen  Schönheit  des  Hässlichen. 

Degas  ist  älter  als  Manet.  Er  hat  noch  alle  Phasen  der  fran- 
zösischen  Kunst  seit  Ingres  durchlaufen.  Seine  ersten  Bilder 
»Spartanische  Jünglinge«  und  »Scmiramis,  die  Mauern  von  Babylon 
bauend«,  könnten  von  Ingres  gemalt  sein,  auf  den  er  noch  heute 
als  ersten  Stern  am  Firmament  des  französischen  Kunsthimmels 


632 


XXXIII.  Fiat  lux 


Degas:  Balletprobe. 

schaut.  Dann  hat  eine  Zeitlang  die  geistreiche,  liebevolle  Intimität 
und  sanfte,  ruhige  Harmonie  Chardins  auf  ihn  gewirkt.  Auch  für 
Delacroix  schwärmte  er:  weniger  für  das  pathetische  Colorit,  als 
für  den  hohen  Stil  der  Gesten  und  Bewegungen  dieses  grossen 
Romantikers,  die  er  sich  bemühte,  auf  die  leidenschaftliche  Mimik 
des  Tanzes  zu  übertragen.  Von  Manet  lernte  er  die  Weichheit  und 
Flüssigkeit  der  Modellirung.  Zum  Schluss  traten  die  Japaner  hin- 
zu und  vermittelten  ihm  das  Princip  ihrer  zerstreuten  Composition, 
die  Wahl  des  Standpunktes  von  unten  nach  oben  oder  von  oben 
nach  unten,  den  Geschmack  am  phantastisch  Decorativen,  die  geist- 
reiche Art,  da  zu  accentuiren,  dort  zu  unterdrücken,  die  überraschenden, 
hier  und  da  ganz  willkürlich  angebrachten  Details.  Aus  der  originellen, 
bizarren  Vereinigung  all  dieser  Elemente  bildete  er  seinen  exquisiten, 
wunderbar  ausdrucksvollen,  ganz  persönlichen  Stil,  der  mit  der  Feder 
schwer  zu  beschreiben  ist  und  durch  den  Hinweis  auf  den  in  der  Licht- 
führung verwandten  Besnard  ebenfalls  nur  mangelhaft  gekennzeichnet 
wäre.  Degas  hat  in  der  Literatur  allein  eine  Parallele.  Wenn  ein 
Vergleich  zwischen  beiden  möglich,  könnte  man  sagen,  dass  sein 


XXXIII.  Fiat  lux 


633 


Degas:  Das  Ballet  in  Robert  dem  Teufel. 


Stil  in  vieler  Hinsicht  an  den  der  Gebrüder  Goncourt  erinnert.  Wie 
diese  die  Sprache  um  ein  neues  Vocabular  für  neue  Empfindungen 
bereicherten,  so  hat  Degas  sich  eine  neue  Technik  gebildet.  Keiner 
ausser  Manet  war  mehr  und  ausschliesslicher  Maler.  Alles  Hübsche, 
Anekdotische  durchaus  verschmähend,  wciss  er  allein  durch  die  Fein- 
heiten der  Zeichnung  und  Tonwerthe  — wie  die  Goncourts  durch 
Association  von  Worten  — die  beabsichtigte  Wirkung  zu  erzielen; 
hat  allen  Wörterbüchern  der  Malerei  Worte  entnommen,  hat  Oel, 
Pastell,  Aquarell  zusammengemischt  und  gehört,  wie  er  heute  da- 
steht, gleich  den  Goncourts  zu  den  raffinirtesten,  feinsten  Erschein- 
ungen des  Jahrhunderts. 

Sein  Stoffgebiet  findet  seine  Grenze  nur  in  einem  Punkt:  er 
ist  ein  grosser  Verächter  des  Banalen,  der  Wiederholung  Anderer 


✓ 


634  XXXIII.  Fiat  lux 

und  seiner  selbst.  Jeder  Gegenstand  muss  Veranlassung  geben  zur 
Einführung  besonderer,  noch  ungebrauchter  Modelle,  zu  Experimenten 
des  Malerischen  und  neuen  Problemen  der  Beleuchtung.  Von  der 
Grazie,  den  hübschen  Bewegungen  der  Frauen  ging  er  aus.  Die 
niedlichen  Pariser  Wäscherinnen  in  ihren  reinlichen  Schürzen, 
kleine  Ladnerinnen  in  ihren  Buden,  die  elegante  Magerkeit  der  Renn- 
pferde mit  ihren  elastischen  Jockeys,  dazwischen  wunderbare  Porträts 
wie  dasjenige  Durantys,  Frauen,  die  aus  dem  Bad  steigen,  die  Be- 
wegungen der  Arbeiterin  wie  die  Toilette  und  das  Neglige  der 
Weltdame,  Boudoirscenen,  Gerichtsscenen  und  Scenen  in  Theater- 
logen — all  das  hat  er  gemalt.  Und  mit  welcher  Wahrheit,  mit 
welchem  Leben ! Wie  stehen  diese  Figuren  in  der  Luft,  wie  sind  sie 
das,  wofür  sie  sich  geben.  Circus  und  Oper  wurde  bald  sein  be- 
vorzugtes Studienfeld.  Bei  den  Balletmädchen  fand  er  künstlerisch 
jungfräulicheren  Boden,  als  bei  den  Göttinnen  und  Nymphen  der 
Antike.  Zugleich  waren  hier  an  die  Fähigkeiten  des  Malers.  Zeichners 
und  Charakteristikers  die  denkbar  höchsten  Anforderungen  gestellt. 
Degas  ist  von  allen  Modernen  der  sensibelste  Exeget  des  künstlichen 
Lichtes,  des  Lichtes  der  Rampen,  vor  denen  diese  decolletirten 
Sängerinnen  in  ihren  Gazeröckchen  sich  bewegen.  Und  diese 
Tänzerinnen  sind  wahre  Tänzerinnen,  jede  lebendig,  jede  eigenartig. 
Die  Nervosität  der  geborenen  Ballerina  unterscheidet  sich  scharf  von 
dem  Phlegma  der  Andern , die  nur  mit  den  Beinen  ihr  Brod  ver- 
dient. Wie  fein  sind  seine  Anfängerinnen  bei  der  Probe  mit  ihren 
verwelkten,  ermüdeten,  hübschen  Gesichtchen,  wenn  sie  sich  schwung- 
voll verbeugen  sollen  und  dabei  so  linkisch  anstellen  in  ihrer  nied- 
lichen Schüchternheit.  Wie  fabelhaft  hat  er  diesen  flüchtigen,  reizenden 
Moment  fixirt.  Mit  welch  geistreicher  Nonchalance  gruppirt  er  seine, 
in  weissen  Musselin  und  bunte  Schärpen  eingehüllte  Welt.  Gleich 
den  Japanern,  wahrt  er  sich  das  Recht,  nur  das  zu  geben,  was  ihm 
interessant  und  schlagend  scheint  — nach  Hokusais  Ausdruck  »nur 
die  lebenden  Punkte«  — , hält  sich  nicht  verpflichtet,  einer  »abgerun- 
deten Composition«  zu  Liebe  ein  todtes  Stück  Leinwand  beizugeben, 
ln  Bildern,  auf  denen  er  beabsichtigt,  die  verschiedenen  Formen  der 
Beine  und  Fiissc  seiner  Tänzerinnen  zu  zeigen,  malt  er  nur  den 
obern  Theil  des  Orchesters  und  den  untern  der  Bühne,  das  heisst 
unten  Köpfe  und  Hände  mit  Musikinstrumenten,  oben  tanzende  Beine. 
Ebenso  unerbittlich  verfahrt  er  bei  seinen  Renn-  und  Strassenscenen, 
so  dass  von  den  Pferden  oft  nur  die  hintere  Partie,  vom  Jockey  der 


XXXIII.  Fiat  lux 


635 


Rücken  zu  sehen.  Diesem  geistreichen  Mittendurchschneiden  und 
souveränen  Umspringen  mit  allen  vulgären  Compositionsregeln  ver- 
danken seine  Bilder  einen  nicht  geringen  Theil  ihrer  Pikanterie,  ihres 
Lebens.  Schon  Dürer  wusste,  was  er  that,  als  er  bei  seinen  apokalyp- 
tischen Reitern,  um  den  Eindruck  des  wilden  Dahinstürmcns  zu  erzielen, 
die  Composition  nicht  abschloss,  sondern  fragmentarisch  liess. 

Eine  besondere  Gruppe  unter  den  Balletbildern  des  Malers  sind 
diejenigen,  in  denen  er  die  Ausbildung  der  Elevin  schildert,  die  harte 
Schule,  die  die  Larve  durchmachen  muss,  bevor  sie  ihren  Plug  als 
Schmetterling  antritt.  Eine  seltsame,  phantastische  Anatomie  spielt 
sich  hier  ab,  nur  vergleichbar  den  akrobatischen  Verrenkungen,  in 
denen  die  Japaner  sich  gern  ergehen.  Für  Degas’  Entwicklungs- 
gang wurden  gerade  diese  Bilder  von  massgebender  Bedeutung.  Auf 
der  Suche  nach  unfixirtcn  Linien  und  Ausdrücken  gelangte  er  dazu, 
die  Wirklichkeit  nicht  mehr  in  ihrer  liebenswürdigen  Grazie  zu 
fühlen,  nur  noch  in  ihrer  Degeneration  zu  sehen.  Es  reizte  ihn,  die 
grosse  Silhouette  des  modernen  Weibes,  den  unter  dem  Panzer  der 
Toilette  zum  Kunstprodukt  gewordenen  weiblichen  Körper  auch  in 
den  ungraziösesten  Momenten  festzubannen.  Er  malte  die  Frau,  die 
sich  nicht  beobachtet  weiss,  gleichsam  durch  die  Ritze  eines  Vor- 
hanges oder  durch  das  Schlüsselloch  gesehen,  in  theilweise  abscheu- 
lichen, hässlichen  Bewegungen.  Er  wurde  der  unerbittliche  Beobachter 
der  Wesen,  die  die  Gesellschaft  zu  ihrem  Vergnügen  in  Maschinen 
— Tanz-,  Renn-  und  Liebesmaschinen  — verwandelt.  Er  hat  grau- 
sam jene  Art  Frauen  dargestellt,  wie  sie  Zola  in  Nana  zeichnet: 
ohne  Gesichtsausdruck,  ohne  das  Spiel  der  Augen,  die  Frau,  die  nur 
animalisch  ist,  bewegungslos  wie  ein  indisches  Idol.  Seine  Bilder 
dieses  Kreises  sind  eine  Naturgeschichte  der  Prostitution  von  er- 
schreckender Wahrheit , ein  grosses  Gedicht  auf  das  Fleisch  wie 
Rubens’  und  Tizians  Werke,  nur  dass  dort  blühende  Schönheit,  hier 
faltige  Haut,  verfallende  Jugend,  der  künstliche  Glanz  emaillirter 
Gesichter  den  Inhalt  der  geistvollen  Strophen  bildet.  Die  ganzen 
Schrecken  des  nächtlichen  Paris  durchforschte  er,  begann  bei  allem 
Ungeheuerlichen,  Lasterhaften,  Degenerirten , soweit  es  malerisch 
ist,  zu  verweilen.  Ein  aristokratischer  Degout  vor  der  Welt,  der 
blasirte  Geschmack  des  Lebemannes,  für  den  alles  Gesunde,  Normale 
banal  geworden,  und  der  nur  am  Hässlichen  noch  sich  erregt,  geht  in 
fürchterlichem  Pessimismus  durch  seine  letzten  Werke.  »A  vous 
autres  il  faut  la  vie  naturelle,  ä moi  la  vie  factice.« 


636 


XXXIII.  Fiat  lux 


Diese  Blasirtheit 
äussert  sich  auch  in 
der  stolzen  Veracht- 
ung, mit  der  er  sich 
von  Ausstellungen, 
Publikum  und  Kritik 
zurückzog.  Wer  nicht 
als  ständiger  Gast  bei 
Durand-Ruel  verkehrt, 
hat  wenig  Gelegenheit, 
Bilder  von  Degas  zu 
sehen.  Der  Begriff 
Ruhm  scheint  für  ihn 
nicht  vorhanden.  Hin 
Mann  von  ruhigem 
Selbstgefühl,  bringt  er 
die  Sache  auf  die  Lein- 
wand wie  es  ihm  be- 
liebt, ohne  Bedacht 
zu  nehmen , wie  sie 
zu  den  Vorstellungen 
der  Leute  und  den 
Gepflogenheiten  der  Schule  passe.  Vom  Salon  hielt  er  seit  Jahren 
sich  fern,  einige  sagen,  er  hätte  überhaupt  nie  ausgestellt.  Ebenso 
fern  steht  er  der  Pariser  Gesellschaft.  Früher,  in  der  Zeit,  als  Manet, 
Pissarro  und  Duranty  im  Cafe  Nouvelle  Athenes  zusammenkamen, 
erschien  er  zuweilen  nach  10  Uhr  — ein  kleiner  Herr  mit  runden 
Schultern  und  schiebendem  Gang,  der  bloss  durch  kurze  sarkastische 
Bemerkungen  an  der  Unterhaltung  theilnahm.  Nach  Manets  Tod 
schlug  er  sein  Zelt  im  Cafe  de  la  Rochefoucauld  auf.  Und  die  jungen 
Maler  gingen  seinetwegen  auch  in  s Cafe  de  la  Rochefoucauld  und 
zeigten  sich  ihn:  »Das  ist  Degas«.  Ueber  ihn  wird  am  häufigsten  ge- 
sprochen, wenn  Künstler  zusammen  sind,  ihm  werden  von  der  Jugend 
die  höchsten  Ehren  geboten.  Man  verehrt  in  ihm  den  stolzen  Inde- 
pendant,  der  unnahbar  über  dem  profanum  volgus  steht,  den  grossen 
Unbekannten,  der  nie  eine  Jury  passirte  und  dessen  Geist  doch  un- 
sichtbar über  jeder  Ausstellung  schwebt. 

Auguste  Renoir,  ein  feiner  Charmeur,  hat  namentlich  im  ßild- 
niss  wichtige  Entdeckungen  gemacht.  Er  ist  der  eigentliche  Maler 


Renoir:  La  Loge. 


XXXIII.  Fiat  lux 


637 


junger  Frauen,  deren 
Eleganz , zarte  Haut 
und  sammtenes  Fleisch 
er  mit  ausserordent- 
licher Schlagfertigkeit 
commentirt.  Leon 
Bonnats  Porträts  wa- 
ren grosse  Stillleben. 

Die  Personen  sitzen 
festgenagelt  da.  Das 
Fleisch  sieht  wie  Zink 
aus  und  die  Kleider 
wie  Stahl.  Unter  Du- 
rans  Händen  hatte  sich 
die  Porträtmalerei  in 
ein  Spiel  mit  Draperien 
verwandelt.  Die 
meisten  seiner  Porträts 
verrathen  nichts  als 
wieviel  die  Toilette 
gekostet;  sie  sind  mit 
ihrem  reichen  Appa- 
rat von  Seide  und 
schweren  Vorhängen  begeisterte,  öfter  brutale  Symphonien  auf  Sam- 
met und  Atlas.  Das  Rauschen  der  Gewandung,  die  blendende 
— oder  aufgedonnerte  — Farbenkraft  gleissender  Stoffe  verursachte 
ihm  grössere  Freude  als  der  Schimmer  der  Carnation  und  der 
prüfende  Blick  in  die  geistige  Beschaffenheit  seiner  Modelle.  Renoir 
sucht  die  unmerklichen  vorübergehenden  Bewegungen  von  Zügen 
und  Gestalt  zu  fixiren.  Indem  er  seine  Personen  kühn  ins  wirk- 
liche, ringsumfliessende  Tageslicht  setzt,  malt  er  die  atmosphärischen 
Einflüsse  gleich  dem  Landschafter  in  allen  Consequenzen.  Das 
Licht  ist  das  Einzige,  das  Absolute.  Ein  gestürzter  Baumstamm,  auf 
dem  das  gebrochene  Sonnenlicht  in  gelben,  leichtgrünen  Reflexen 
spielt,  und  ein  Mädchenkörper,  ein  Mädchenkopf  sind  denselben  Ge- 
setzen unterworfen.  Von  den  gelblich  grünlichen  Lichtflecken  iiber- 
tupft,  verlieren  sich  seine  Formen  und  er  wird  zu  einem  Stück  Natur. 
Mit  diesem  Studium  der  Reflex-  und  Lichtwirkungen  ist  aber  zugleich 
eine  erstaunliche  Sicherheit  in  der  Analyse  des  plötzlichen  Ausdrucks 


638 


XXXIII.  Fiat  lux 


verbunden.  Wie  das  Lachen  anfängt  und  aufhört,  der  Moment 
zwischen  Lachen  und  Weinen,  ein  vorübergehendes  Aufblitzen  des 
Auges,  eine  flüchtige  Bewegung  der  Lippen,  Alles  blitzschnell  kom- 
mende und  ebenso  rasch  wieder  verschwindende  — Ausdrucksnuancen, 
die  früher  undefinirbar  schienen,  hält  Renoir  in  ihrer  ganzen  Un- 
mittelbarkeit fest.  I11  den  Bildnissen  Bonnats  und  Carolus  Durans 
hat  man  Leute  vor  sich,  die  »gesessen«  haben,  hier  solche,  denen 
der  Maler  das  Geheimniss  ihrer  Natur  abzustehlen  und  festzuhalten 
gewusst  hat  in  einem  Moment,  wo  sie  nicht  sassen.  Da  sind  träumende 
blonde  Mädchen,  die  mit  ihren  grossen  blauen  Augen  dahinstarren, 
luftige  duftige  Blumen,  wie  Lilien,  gelehnt  an  einen  Rosenbusch,  durch 
den  die  Strahlen  der  untergehenden  Sonne  scheinen.  Da  sind  kokette 
Backfische,  bald  lächelnd,  bald  schmollend,  bald  lustig  und  heiter, 
bald  wieder  böse,  bald  zwischen  beidern  schwankend  in  einem  reizenden 
Zorn.  Da  sind  Weltdamen  von  vollendeter  Eleganz,  leicht  gebaute 
schlanke  Gestalten  mit  kleinen  Händen  und  Füssen,  gleichmässiger 
Blässe  des  Teints,  langgeschnittenen  Augen,  die  die  Berührung  jedes 
Blickes  auflangen,  feuchtglänzenden  Lippen  von  weicher  Anmuth, 
die  von  künstlich  verfeinerter  Genusssucht  zeugt.  Und  Kinder  be- 
sonders — Kinder  einer  sensitiven  beweglichen  Racc : die  einen  noch 
unbewusst,  träumend  und  ohne  Gedanken,  die  andern  schon  lebhaft, 
korrekt  in  der  Pose,  graziös  und  verständig.  Sie  waren  exquisit, 
von  einer  ganz  neuen,  naiven  Wahrheit,  die  drei  Mädchen,  die  auf 
seinem  »Porträt  der  Frl.  M.  < um  s Klavier  gruppirt  waren,  die  ältere 
musicircnd,  die  zweite  mit  der  Violine  sie  begleitend,  die  Kleine  in 
stiller  Aufmerksamkeit  mit  beiden  Händen  auf’s  Piano  gestützt.  Alle 
Posen  natürlich,  alle  Farben  hell  und  subtil:  die  Möbel,  die  gelben 
Blumensträusse,  die  duftigen  Frühlingskleidcr,  die  seidenen  Strümpfe. 
Doch  solch  zarte  Gedichte  auf  Kindheit  und  Backfischthum  bilden  nur 
einen  Theil  von  Renoirs  Oeuvre.  In  seinem  Diner  ä Chaton«  sitzen 
lachend,  sprechend,  lauschend,  Herren  und  Damen  an  der  Tafel,  der 
Sect  perlt  in  den  Gläsern , mollige  Dessertstimmung  herrscht.  In 
seinem  »Moulin  de  la  Galette«  malte  er  die  Aufregung  des  Tanzes: 
wirbelnde  Paare,  erregte  Gesichter,  müde  Posen,  alles  umflossen  von 
Sonne  und  Staub.  Das  Studium  der  verschiedenen  feinen  Affekte,  die 
das  menschliche  Antlitz  coloriren  — das  ist  Renoirs  eigentliches  Feld. 

Camille  Pissarros  Verdienst  ist  die  durch  Breton  verweichlichte 
Bauernmalerei  wieder  in  die  männlichen  Bahnen  Millets  zurück- 
gelenkt und  diesen  in  den  Partien,  in  denen  er  technisch  noch  un- 


XXXI II.  Fiat  lux 


Pissarro : Landschaft. 

genügend  war,  ergänzt  zu  haben.  Camille  Pissarro  hatte,  als  die 
impressionistische  Bewegung  begann,  schon  eine  schöne  A ergangen- 
heit  hinter  sich ; er  war  der  anerkannte  Landschafter  der  norman- 
nischen Ebene,  der  aufrichtige  Beobachter  der  Bauern  und  schlichte 
Schilderer  der  Gemüsegärten,  die  rings  um  Bauernhäuser  sich  aus- 
dehnen. Kein  Künstler  seit  Millet  hatte  sich  in  engere  Verbindung 
gesetzt  mit  dem  Leben  der  Erde  und  der  cultivirten  Natur.  Ein 
delicater  Analyst,  hatte  Pissarro  nicht  das  Epische,  religiös  My- 
stische Millets,  aber  er  war  wie  jener  in  der  Seele  ebenfalls  Land- 
mann, Normanne  wie  Millet,  aus  dem  Lande  der  Weinberge,  der 
weiten  Gehöfte,  der  grünen  Wiesen,  zarten  Pappelalleen  und  grossen, 
von  der  Sonne  gerötheten  Horizonte.  Er  war  gesund,  intim  und  zart, 
freute  sich  an  der  Fettigkeit,  dem  wollüstigen  Wogen  der  Felder  und 
wusste  schlagend  den  Eindruck  einer  Gegend  in  ihrem  Werktags- 
charakter zu  geben.  Als  der  legitime  Spross  Millets  in  der  Presse 
gefeiert,  hätte  er  sich  begnügen  können  mit  diesen  regelrecht  er- 
worbenen Erfolgen.  Er  war  in  ein  Alter  gekommen,  wo  die  Menschen 
gemeinhin  aufhören,  zu  experimentiren  und  nur  noch  ernten,  was 
sie  in  der  Jugend  gesät,  in  ein  Alter,  wo  viele  1 riumphatoren 
sich  nur  mit  mechanischer  Reproduction  ihrer  eigenen  Weike  be- 


640 


XXXIII.  Fiat  lux 


fassen.  Trotzdem  wurde  die  im- 
pressionistische Bewegung  für 
Pissarro  der  Ausgangspunkt  auf 
einen  neuen  Weg. 

Er  strebte  nach  einem  noch 
frischeren , intensiveren , trans- 
parenteren Licht,  nach  einer 
noch  schlagenderen  Beobachtung 
der  Phänomene,  nach  noch  exak- 
terer Analyse  der  umhüllenden 
Atmosphäre.  Er  besang  das  ewige, 
unveränderliche  Licht,  in  dem  die 
Welt  sich  badet.  Er  hat  es  be- 
sonders während  der  klaren  Nach- 
mittage geliebt,  wenn  es  auf  hell- 
grünen, von  zarten  Bäumen  um- 
säumten Wiesen  oder  am  Euss 
niedriger  Hügel  spielt.  Er  hat  es 
gesucht  an  den  Abhängen,  an 
denen  es  duftig  herunterrieselt, 
an  den  Ebenen , von  denen  es 
wie  ein  leichter  Gazeschleier  auf- 
steigt. Er  studirte  das  Kosen  des 
Lichtes  aufdemgebräuntenFleisch 
der  Arbeiter,  den  Haaren  der 
Thiere,  den  Blättern  und  Früchten 
der  Bäume.  Er  charakterisirte  die 
Jahreszeit,  die  Stunde,  den  Augen- 
blick mit  der  Gewissenhaftigkeit  des  Bauern,  der  aufmerksam  den 
Gang  des  Windes  und  die  Stellung  der  Sonne  beobachtet.  Die  fröstelnd 
kalte  Stimmung  herbstlicher  Nachmittage,  die  lebhafte  Klarheit  blitzen- 
der Winterhimmel,  das  blühende  Blond  eines  Frühlingsmorgens,  das 
schwere  Brüten  des  Sommers,  das  Ueppige  oder  Ausgedörrte  des 
Bodens,  die  junge  Gesundheit  des  Grüns  oder  das  Welkwerden  der 
ihres  Schmucks  beraubten  Natur  — all  das  hat  Pissarro  schlicht, 
gross  und  einfach  gemalt.  Er  schweift  auf  den  Feldern  umher,  sieht 
den  Hirten,  der  seine  Heerde  austreibt,  die  Feldwagen,  die  auf  hol- 
perigen Wegen  hinrollen;  die  ruhige,  gleichmässige  Bewegung  der 
Getreideleser,  den  graziösen  Schritt  der  Schnitterinnen,  die  mit  dem 


H p r.  1 1 N S 0 N 


Claude  Monet. 


XXXIII.  Fiat  lux 


641 


Rechen  über  der  Schul- 
ter Abends  heimgehen ; 
er  setzt  sich  am  Aus- 
gang der  Dörfer  fest, 
woApfelpfliicker  thätig 
sind  und  Gänsehüter- 
innen bei  ihrer  Heerde 
stehen;  er  beobachtet 
das  ganze  Leben  der 
Bauern  und  berichtet 
darüber  unmittelbarer, 
treuer,  als  Millet  es  in 
seiner  breiten,  synthet- 
ischen Art  gethan.  Wo 
bei  jenem  classische 

Ruhe  und  ölige 
Schwere,  ist  bei  Pis- 
sarro zuckendes  Leben, 

Transparenz  und  Fri- 
sche. Er  sieht  das  Land 
gern  in  hellen,  lachen- 
den Tönen,  und  das  reine  Weiss  der  Kopftücher,  das  bleiche-Rosa  oder 
zarte  Blau  der  Mieder  seiner  Bäuerinnen  gibt  seinen  Bildern  eine 
heitere,  coloristische  Delicatesse.  Seine  Mädchen  sind  wie  frische  Feld- 
blumen, die  die  Junisonne  auf  den  Wiesen  wachsen  Hess.  Es  ist  etwas 
Intensives  und  Weiches,  Starkes  und  Feines,  Wahres  und  zugleich 
Rhythmisches  in  Pissarros  zarten  Gedichten  auf’s  Landleben. 

In  der  Landschaft  hatten  ebenfalls,  so  lange  ein  Fortschritt  über 
Rousseau  und  Corot  unmöglich  schien,  die  Bilder  von  Talent  aber 
mässiger  Bedeutung  an  Zahl  zugenommen.  Die  Landschafter,  die 
unmittelbar  auf  die  grossen  Bannbrecher  folgten , liebten  die  Natur 
wegen  ihrer  relativen  Kühle  im  Sommer;  an  den  Stätten,  wo  die 
Classikcr  von  Fontainebleau  geträumt  und  gemalt,  bauten  sie  sich 
comfortable  Villen  und  richteten  sich  mit  den  Gefühlen  des  Haus- 
besitzers dort  ein.  Das  Land  wurde  in  Parzellen  vertheilt  und  jeder 
übernahm  sein  Theilchen,  das  er  schlecht  und  recht  abschilderte, 
ohne  neue  Sensationen  zu  erwecken.  Der  Impressionismus  gab 
auch  der  Landschaftsmalerei , die  sich  in  Specialitäten  zu  zer- 
splittern drohte,  wieder  eine  feste  Unterlage,  ein  neues,  reizvolles 

Mutlier,  Moderne  Malerei  II.  4* 


Monet:  Promenade,  Tembs  Gris. 


642 


XXXIII.  Fiat  i.ux 


Monds  Wohnung  in  Giverny. 


Studienfeld.  Ohne  alle  Ateliercombinationen  Eindrücke  mitzutheilen, 
wie  sie  plötzlich  uns  erfassen,  dem  Bilde  noch  mehr  als  bisher  das 
Lebhafte,  Schlagende  des  ersten  Naturcindrucks  wahren  — dies  grosse 
Problem  ward  den  Landschaftern  durch  den  Impressionismus  gestellt. 
Die  Fontainebleauer  malten  weder  das  Rauhe,  Starre  des  Winters, 
noch  das  Brütende,  Sengende  des  Sommers  — sie  malten  kunstvolle, 
vornehme  Cabinetstücke.  Die  Impressionisten  traten  nicht  als  Poeten, 
auch  als  Naturforscher  an  ihre  Stoffe  heran.  Die  Landschaft  — bei 
Corot,  Millet,  Diaz,  Rousseau,  Daubigny  und  Jongkind  ein  Gelegen- 
heitsgedicht — wird  unter  ihren  Händen  das  Bildniss  einer  Gegend 
unter  bestimmten  Einflüssen  des  Lichts.  Mit  noch  delicateren  Nerven 
und  fast  grösserer  Sensibilität  liessen  sie  die  Natur  auf  sich  wirken 
und  bemerkten  in  den  Symphonien  der  Stunde  bisher  nicht  gehörte 
Klänge,  sanfte,  durchsichtige  Schatten,  das  Vibriren  der  die  Linien 
auflösenden  Lichtatome  und  jenes  Zittern  der  Atmosphäre,  das  den 
Athcm  der  Landschaft  bildet.  Auch  diesmal  war  England  nicht 
einflusslos.  Wie  1830  Corot  und  Rousseau  ihre  Anregung  von 


XXXIII.  Fiat  lux 


643 


Monet:  Vue  de  Ronen. 

Constable  und  Bonington  erhielten,  so  kamen  Monet  und  Sisley 
aus  London  zurück,  die  Augen  vom  Lichte  des  grossen  Turner  ge- 
blendet. Ergriffen  wie  dieser  von  den  Wundern  des  Alls,  von  dem 
goldigen  Duft,  der  zitternd  in  einem  Sonnenstrahl  lebt,  gelangten  sie 
dazu,  trotz  der  Mangelhaftigkeit  unserer  chemischen  Mittel  das  Licht 
zu  fixiren. 

Alfred  Sisley  möchte  man  mit  Daubigny  vergleichen.  Er  hat  sich 
in  der  Umgebung  von  Moret  an  den  Ufern  des  Loing  niedergelassen 
und  ist  der  mildeste,  sanfteste  der  Impressionisten.  Gleich  Daubigny 
liebt  er  das  Keimende,  Werdende,  Knospende  des  leuchtenden  jungen 
Frühlings:  die  feuchten  Ufer  stiller  Flüsschen,  blühende  Buchen  und 
grünende  Roggenfelder,  buntblumige  Wiesen  und  klare  Himmel,  pro- 
menirende  Damen  in  hellen  Frühlingskleidern,  das  Spiel  des  Lichts 
auf  knospendem  Grün.  Er  hat  zarte,  von  rosigem  Duft  überhauchte 
Morgen  gemalt,  bläulich  schimmerndes  Schilf  und  feuchte  Meerlinsen, 
graue  Wolken,  die  sich  in  einsamen  Weihern  spiegeln,  Pappelalleen, 
Bauernhäuser,  Hügel  und  Ufer,  die  weich  in  der  warmen  Atmosphäre 
verschwimmen.  Seine  Bilder  machen  wie  die  des  Meisters  der  Oise 
den  Eindruck  von  Frische  und  Jugend,  von  stillem  Glück  oder  melan- 
cholischem Lächeln. 

41* 


644 


XXXIII.  Fiat  lux 


Monet:  Aus  dem  Cyclus:  » Die  Getreideschober «. 


Claude  Monet  könnte  manchen  seiner  lichtdurchtränkten  Bilder 
den  Namen  Turner  beisetzen  und  man  würde  ihm  glauben.  Er 
hat  in  sehr  ungleichen,  doch  immer  genial  kühnen  Werken  das  schein- 
bar Ungreifbare  festgehalten.  Keiner  ausser  Turner  hat  das  Studium 
der  Lichteffekte , der  Abstufungen  und  Reflexe  der  Sonnenstrahlen, 
der  momentan  vorübergehenden  Beleuchtungen  so  weit  getrieben, 
keiner  subtilere  und  stärkere  Eindrücke  flxirt.  Für  Monet  existirt  der 
Mensch  nicht,  nur  die  Erde,  das  Licht.  Er  liebt  die  zerklüfteten 
Felsen  von  Belle-Isle  und  die  wilden  Ufer  der  Creuse,  wenn  drückende 
Sommersonne  auf  ihnen  brütet.  Er  malt  Phänomene,  die  ebenso 
vorübergehend  sind,  wie  die  Nüancen  des  Ausdrucks  bei  Renoir. 
Die  Welt  erscheint  in  einem  Lichtglanz,  den  sie  in  flüchtigen  Mo- 
menten nur  hat  und  der  blind  machen  würde,  müsste  man  immer  ihn 
sehen.  Seine  Natur  ist  ein  ungastliches  Haus,  in  dem  sich  nicht 
träumen  lässt  und  nicht  leben.  Man  hofft  manchmal,  von  Monet 
ein  intimes  Wort  zu  hören  — vergeblich,  Claude  Monet  ist  nur 
Auge.  Sonnenscheingelage  und  Orgien  in  freier  Luft  bilden  den 
ausschliesslichen  Inhalt  seiner  Bilder.  Er  hat  daher  denen,  die  in  jeder 
Landschaft  die  Seele  eines  Menschen  suchen,  wenig  zu  sagen.  Er 
jst  gleich  Degas  der  Techniker  par  cxccllence,  dessen  höchstes  Streben 


XXXIII.  Fiat  lux 


645 


darin  aufgeht,  den  Umkreis  der  Malerei,  sei’s  mit  Gewalt,  noch  um 
neue  Empfindungen  und  unedirte  Effekte  zu  bereichern.  Da  sind 
Marinen  bei  Abendstimmung,  wenn  der  See,  roth  wie  ein  Kupfer- 
spiegel, mit  dem  Himmelsglanz  in  ein  grosses,  strahlendes  Meer  der 
Unendlichkeit  zusammenfliesst  — Gewitterstimmungen  am  Abend, 
wenn  über  unruhige  Baumgipfel  hinweg  düstere  Wolken  durch  rauch- 
rothen  Himmel  jagen  und  auf  ihrer  Flucht  kleine  Wolkenfetzen  ver- 
lieren, kleine,  schmale  Streifen  losgelöster  Wolken,  die  der  Sonnen- 
glanz mit  wcinrother  Gluth  durchsättigt.  Oder  blüthenduftende 
Frühlingswiesen  und  glühende,  von  der  Sonne  versengte  Berge ; sau- 
sende Eisenbahnzüge,  deren  weisser  Dampf  im  Sonnenlicht  schimmert, 
gelbe  Segel , die  über  flimmernde  Seen  fliegen ; Wogen,  die  blau, 
roth  und  golden  leuchten,  und  brennende  Schifte,  an  deren  Masten 
züngelnde,  vom  Abendroth  zackig  umränderte  Flammen  laufen. 
Claude  Monet  ist  überall  dem  Lichte  nachgegangen : in  Holland,  der 
Normandie,  dem  Süden  Frankreichs,  Belle-Isle-en-Mer,  den  Dörfern 
der  Seine,  in  London,  Algier,  der  Bretagne.  Er  begeisterte  sich  an 
der  Natur  Schwedens  und  Norwegens,  an  den  französischen  Kathe- 
dralen, die  hoch  und  schön  wie  Spitzen  grosser  Vorgebirge  zum 
Himmel  starren.  Er  fixirte  das  Wogen  der  Städte,  die  Bewegung 
des  Meeres,  die  majestätische  Einsamkeit  des  Himmels.  Aber  er 
weiss  auch,  dass  der  Künstler  sein  Leben  auf  dem  gleichen  Erd- 
winkel zubringen,  Jahre  lang  nach  den  nämlichen  Objecten  arbeiten 
könnte,  ohne  dass  das  Naturschauspiel,  das  sich  vor  ihm  abspielt,  je 
sich  erschöpft.  Denn  das  Licht,  das  zwischen  den  Dingen  wogt,  ist 
immer  verschieden.  So  stand  er  eines  Abends  zwei  Schritt  vor 
seinem  Häuschen  im  Garten , inmitten  eines  Feuermeers  klatsch- 
rother  Blumen.  Weisse  Sommerwölkchen  spielten  am  Himmel  und 
die  Strahlen  der  untergehenden  Sonne  fielen  auf  zwei  Getreideschober, 
die  einsam  im  einsamen  Felde  standen.  Claude  Monet  fing  an 
zu  malen,  und  kam  am  nächsten  Tage  wieder,  am  übernächsten 
und  alle  Tage,  den  ganzen  Herbst  und  Winter  und  Frühling  hin- 
durch. In  einem  Cyklus  von  fünfzehn  Bildern,  »die  Getreideschober«, 
malte  er  — wie  Hokusai  in  seinen  hundert  Ansichten  des  Berges 
Fuji  — die  unendlichen  Veränderungen,  die  Jahreszeit,  Tag  und 
Stunde  an  dem  ewigen  Antlitz  der  Natur  erzeugt.  Das  einsame 
Feld  ist  gleichsam  der  Spiegel,  der  die  Atmosphäre,  den  Lufthauch, 
die  flüchtigsten  Lichteffekte  auffängt.  Die  Schober  schimmern  weich 
aus  der  Heiterkeit  schöner  Nachmittage  hervor,  zeichnen  sich  scharf 


646 


XXXIII.  Fiat  lux 


und  klar  vom  kalten  Vormittagshimmel  ab,  wachsen  wie  Phantome 
aus  dem  Nebel  eines  Novemberabends  heraus  oder  funkeln  wie 
glitzernde  Juwelen  unter  dem  Kosen  der  aufgehenden  Sonne.  Sic 
leuchten  wie  glühende  Ocfen,  wenn  sie  das  Licht  der  untergehenden 
Herbstsonne  aufgesaugt,  sind  wie  von  rosigem  Heiligenschein  um- 
strahlt, wenn  sich  die  Sonne  früh  keilförmig  durch  ein  Meer  dichten 
Nebels  schiebt.  Sie  ragen,  von  rosaroth  glänzendem  Schnee  be- 
deckt, klar  auf  in  den  wolkenlosen  Himmel,  werfen  ihre  blauen, 
reinen  Schatten  in  die  weisse,  schweigende  Winterlandschaft  hinaus, 
oder  heben  sich  in  gespenstischen  Umrissen  vom  nächtlichen  Firma- 
mente ab,  vom  Mondlicht  silbern  übergossen.  Ohne  seine  Staffelei 
zu  verrücken , hat  Monet  vom  Schweigen  des  Winters  und  den 
prächtigen  melancholischen  Farbenfesten  des  Herbstes  erzählt:  von 
Dämmerung  und  Regen,  von  Schnee,  Frost  und  Sonne.  Fr  hörte  die 
Stimmen  des  Abends  und  das  Jubeln  des  Morgens,  malte  das  ewige 
Wogen  des  Lichtes  auf  den  gleichen  Dingen,  den  veränderten  Ein- 
druck, den  derselbe  Naturausschnitt  je  nach  der  wechselnden  Be- 
leuchtung der  Stunde  gewährt.  An  einem  einzigen  Stück  Natur 
besang  er  die  Poesie  des  Universums  und  wäre,  hätte  er  zeitlebens 
nur  diese  Getreideschober  gemalt,  ein  pantheistischer  weltumfassender 
Künstler.  . . . 

Hiermit  endet  der  Befreiungskampf  der  modernen  Kunst.  Libertas 
artibus  restituta.  Die  Maler  des  19.  Jahrhunderts  sind  keine  Nach- 
ahmer mehr,  sondern  Bildner  des  Neuen,  Mehrer  des  Reichs  ge- 
worden. Die  prophetischen  Worte  Philipp  Otto  Runges  »Licht, 
Luft  und  bewegendes  Leben«  werde  das  grosse  Problem,  die  grosse 
Eroberung  der  modernen  Kunst  bilden  — sie  gingen  nach  zwei 
Menschenaltern  in  Erfüllung.  Durch  die  Impressionisten  wurde  die 
Kunst  um  eine  Fülle  neuer  Schönheitschauer  bereichert,  der  Malerei 
ein  neues,  nur  ihr  eigenthümliches  Gebiet  erkämpft.  Der  Schritt, 
den  sie  machten,  war  der  letzte,  bedeutsamste,  den  die  Kunst  des 
19.  Jahrhunderts  that,  und  sind  Spätere  zu  harmonischeren,  abge- 
klärteren Resultaten  gelangt,  so  bleibt  den  Independants  doch  der  Ruhm, 
dass  sie  die  kühnen  Husaren  der  Vorhut,  die  Jacobiner  der  grossen 
Kunstrevolution  waren,  die  sich  seitdem  in  ganz  Europa  vollzog. 


G*9 


Literatur. 

Einleitung. 

Runge: 

Alfred  Lichtwark,  Hermann  Kauffmann  und  die  Kunst  in  Hamburg  von 
1800  bis  1850,  München  1893. 

Cap.  XVII. 

Leopold  11  o Uly  : 

Jules  Houdoy,  L’Art  1S77,  IV.  63,  81. 

Allgemeines  zur  Geschichte  der  Caricatur: 

J.  P.  Malcolm,  An  Historical  Sketch  of  the  Art  of  Caricaturing.  London  1813. 
Arsene  Alexandre,  L’Art  du  rire,  Paris  1S92. 

Ucber  die  englischen  Caricaturisten : 

Victor  Champier,  La  Caricature  anglaise  contemporaine,  L'Art  1873,  I.  29, 
293,  11,  300,  III.,  277  u.  296. 

Ernest  Chesneau,  Les  livres  a caricaturcs  cn  Angleterre.  Le  Livre,  Nov.  iS8i. 
Augustin  Filou,  La  caricature  en  Angleterre,  W.  Hogarth.  Revue  des  deux 
Mondes.  15.  Jan.  1885. 

Graham  Everitt,  English  Caiicaturists  and  Graphic  Humourists  of  the  Ninc- 
teenth  Century.  How  they  illustrated  and  interpreted  their  times.  With  67 
111.  London  1886. 

Rozolandson : 

C.  M.  Wcstmacott,  The  Spirit  of  the  Public  Journals,  3 Bde.  1825  — 1826. 
Joseph  Grego,  Thomas  Rowlandson,  the  caricaturist.  A selection  front  his 
works  with  anecdotal  descriptions  of  his  famous  Caricatures  and  a sketch  01 
his  Life,  Times  and  Contemporaries.  With  about  400  Illustrations.  2 vols. 
London  1880. 

F.  G.  Stephens,  Thomas  Rowlandson  the  Humourist.  Portfolio  1891,  141. 

Cruiksliank  : 

Cruikshankiana,  Engravings  by  Richard  Dighton.  London  1855. 

F.  G.  Stephens,  G.  Cruiksliank,  Portfolio  1872  p.  77. 

Reid,  Complete  catalogue  of  the  engraved  works  of  G.  C.,  London  1873. 

G.  A.  Sala,  George  Cruiksliank,  a life  memory.  »Gentlemans  Magazine«  1878. 
William  Bat  es,  George  Cruiksliank,  the  artist,  the  humourist  and  the  man. 

With  lllustr.  and  Portr.  London-Birmingham  1878. 

Frederick  Wedmore,  Cruiksliank.  »Tcmple  Bar«  April  1878. 

W.  B.  Jcrrold,  The  life  of  George  Cruiksliank.  2 Bde.  18S2. 


648 


Literatur. 


H.  Thornber,  The  early  Work  of  G.  Cr.,  1887. 

Frederick  George  Stephens,  A Memoir  of  George  Cr.,  London  1891. 
yolin  Leech\ 

Ernest  Chesneau,  Un  humoriste  anglais.  Gazette  des  Beaux  Arts.  1875. 

I.  p.  532. 

John  Brown,  John  Leech  and  other  papers,  Edinburgh  1882. 

George  Dumaurier : 

L’Art  1876,  IV.  p.  279.  Vrgl.  auch  English  Society  at  Home,  Fol.  London  1880. 
Charles  Keene: 

Claude  Phillips,  Charles  Keene,  Gazette  des  Beaux  Arts  1891,  I.  327. 

Ueber  die  deutschen  Zeichner: 

Beiträge  zur  Geschichte  der  Caricatur,  Zeitschrift  für  Museologie  1881,  13  ff". 

J.  G ra nd -C  a r te r et , Les  moeuis  et  la  caricature  en  Allemagne,  en  Autriche, 
en  Suisse,  Paris  1885. 

R.  v.  Seydlitz,  Die  moderne  Caricatur  in  Deutschland,  »Zur  guten  Stunde« 
Mai  1891. 

Joh.  Christ.  Erhard: 

Alois  Apell,  Das  Werk  von  Johann  Christian  Erhard,  Dresden  1866. 
y.  Adam  Klein: 

F.  M.,  Verzeichniss  der  von  Johann  Adam  Klein  gezeichneten  und  radirten  Blätter, 
Stuttgart  1853. 

C.  Jahn,  Das  Werk  von  Joh.  Ad.  Klein,  München  1863. 

Ludwig  Richter: 

R ich  t er- Album,  2 Bdc.,  Leipzig  1861. 

O.  Jahn  im  «Richteralbum«  und  in  den  Biographischen  Aufsätzen,  Leipzig  1867. 
W.  Heinric hsen,  Ueber  Richters  Holzschnitte,  Carlsruhe  1870. 

Joh.  F.  Hoff,  Adrian  Ludwig  Richter,  Maler  und  Radirer,  Verzeichniss  und  Be- 
schreibung seiner  Werke  mit  biogr.  Skizze  von  H.  Steinfeld,  Dresden  1871. 
L.  Richters  Landschaften,  Text  von  H.  Lücke,  Leipzig  1875. 

»Aus  der  Jugendzeit«,  Leipzig  1875.  Ernst  und  Scherz,  herausg.  von  Georg  Scherer, 
Leipzig  1875. 

»Deutsche  Art  und  Sitte«,  herausg.  von  G.  Scherer,  Leipzig  1876. 

Fr.  Pecht,  Deutsche  Künstler  des  19.  Jahrhunderts,  I Nördlingen  1877,  p.  57  ff". 
A.  Springer,  Zum  80.  Geburtstag  Ludwig  Richter's,  Zeitschrift  für  bildende 
Kunst  1883,  p.  377 — 86. 

J.  E.  Wessely,  Adrian  Ludwig  Richter  zum  80.  Geburtstag.  Ein  Lebensbild. 
Graphische  Künste  1 88_|,  VI.  1. 

Nekrolog,  Allg.  Zeitung  1 884,  B.  175,  Allg.  Kunst-Chronik  1884,  26,  G.  Weisse, 
Deutsches  Künstlerblatt,  III.  t. 

Lebenserinnerungen  eines  deutschen  Malers,  Selbstbiographie  von  Ludwig  Richter, 
herausgegeben  von  Heinr.  Richter,  Frankfurt  a.  M.  1886. 

Robert  Waldmüller,  Ludwig  Richter's  religiöse  Entwicklung,  Gegenwart  37, 
p.  198,  218. 

Veit  Valentin,  Kunst,  Künstler  und  Kunstwerke  1889. 

Rieh.  Meister,  Land  und  Leute  in  Ludwig  Richter’s  Holzschnitt-Bildern, 
Leipzig  1889. 


Literatur.  649 

Die  vervielfältigende  Kunst  der  Gegenwart,  herausg.  von  C.  v.  Lützow,  Bd.  1, 
Holzschnitt.  Wien  1890. 

H.  Ger  lach,  L.  Richters  Leben,  dem  deutschen  Volke  erzählt,  Dresden  1891. 

Albert  Ilcndscltel: 

J.  E.  Wessely,  Aus  Albert  Hendschels  Bildermappe,  Vom  Fels  zum  Meer,  III. 
1883,  3. 

Nekrolog,  »Le  Portefeuille«  1884,  30. 

F.  Luthmer,  A.  H.,  Vom  Fels  zum  Meer,  Dezember  1884. 

I V.  Busch: 

Paul  Lindau,  Nord  und  Süd  1878,  IV.  237. 

Eduard  Daelen,  W.  Busch,  Kunst  für  Alle  1887,  II.  217. 

Vgl.  Busch-Album,  Humoristischer  Hausschatz,  Sammlung  der  12  beliebtesten 
Schriften  mit  1400  Bildern,  München  1885  ff 

Ad.  Oberländer : 

Adolf  Bayersdorfer,  Adolf  Oberländer,  Kunst  für  Alle  IV.  1888,  p.  49. 
Robert  Stiassny,  Zur  Geschichte  der  deutschen  Caricatur,  Neue  Freie  Presse 
20.  Aug.  1889. 

Vgl.  Oberländer- Album,  München,  Braun  & Schneider  1881  — 89,  7 Bde. 

Ueber  die  französischen  Zeichner: 

Champfleury,  Histoire  generale  de  la  caricature,  Paris  1856 — 80,  5 Bde. 

J.  Grand-Carteret,  Les  moeurs  et  la  caricature  en  France,  Paris  18S8. 
Armand  Dayot,  Les  Maitres  de  la  caricature  au  XIX.  siede.  1 1 5 facsimilds  de 
grandes  caricatures  en  noir,  5 facsimiles  de  lithographies  en  couleurs.  Paris  1888. 
Henri  Beraldi,  Les  graveurs  du  XIX.  siede,  Paris  1885. 

Paul  Mantz,  La  caticalure  moderne,  Gazette  des  Beaux  Arts  1888,  I.  p.  286. 
Augustin  de  Buisseret,  Les  caricaturistes  frangais,  L'Art  1888,  II.  p.  91. 

Moreau  : 

J.  F.  Mähe rault,  L’oeuvre  de  Moreau  le  jeune,  Paris  1880. 

Moureau,  Les  Moreau  in  dem  Sammelwerk  »Les  artistes  celebres«.  (In  Vor- 
bereitung.) 

Emanuel  Bocher,  Jean  Michel  Moreau  le  jeune,  Paris  1882. 

Debucourt : 

Roger  Portalis  et  Henri  Beraldi,  Les  graveurs  du  XVIII.  siede,  Paris  18S0. 

Bd.  1. 

Henri  Bouchot,  in  dem  Sammelwerk  »Les  artistes  celebres«.  (In  Vorbereitung.) 

Carle  Cer  net: 

Anudie  Durande,  Joseph,  Carle  et  Horace  V.,  Paris  1863. 

A.  Genevay,  C.  V.,  L’Art,  1877,  I.  p.  73  u.  96. 

Henri  Monnier : 

Ph.  Burty,  L’Art  1877,  II.  p.  177. 

Champfleury,  Gazette  des  Beaux  Arts  1877,  I.  p.  363. 

Derselbe,  Henri  Monnier,  sa  vie  et  son  oeuvre,  Paris  1879. 

Daumier: 

Champfleury,  L’oeuvre  de  Daumier,  Essai  de  catalogue,  L'Art  1878,  II.  p. 
217,  252,  294. 


650 


Literatur. 


Eugene  Montrosier,  La  caricature  politique,  H.  Daumier,  L'Art  1878,  II.  p.  25. 
H.  Bi  1 lung,  H.  Daumier,  Kunstchronik  24,  1879. 

Arstnie  Alexandre,  Honore  Daumier,  l’homme  et  son  oeuvre,  Paris  1890. 
Guys  : 

Baudelaire,  Le  peintre  de  la  vie  moderne, . in  dem  Bande  L’Art  romantique 
seiner  Oeuvres  completes,  Paris  1869. 

Gavarni: 

Manieres  de  voir  et  fa?ons  de  penscr,  par  Gavarni,  precede  d une  etude  par  Ch. 
Yriarte,  Paris  1869. 

Edmond  et  Jules  de  Goncourt,  Gavarni,  l’Homme  et  l’Oeuvre,  Paris  187}. 
Ärmel  hau  lt  et  Bocher,  Cataloguc  raisonne  de  l’Oeuvre  de  Gavarni,  Paris  1875. 
G.  A.  Simcox,  Portfolio  1874,  p.  56. 

Georges  Duplessis,  Gazette  des  Beaux  Arts  1875,  H-  P-  152,  211. 

Derselbe,  Gavarni,  Etüde,  ornee  de  14  dessins  inedits,  Paris  1876. 

Pli.  de  Chennevi£res,  Souvenirs  d’un  Directeur  des  Beaux  Arts,  III.  partie, 
Paris  1876. 

Bruno  Waiden,  Unsere  Zeit  1881,  II.  926. 

Eugene  Eorgues,  Gavarni,  in  dem  Sammelwerk  >Les  artistes  celebres« , Paris  1887. 
Vgl.  auch:  Sainte  Beuve,  Nouveaux  Lundis.  Henri  Beraldi,  Graveurs  du  XIX. 
siede.  Oeuvres  choisies  de  Gavarni,  4 Bde.,  Paris  1845 — -|8. 

Gustave  l)ore: 

K.  Delorme,  Gustave  Dore,  peintre,  sculpteur,  dcssinatcur,  graveur.  Avec  grav. 

et  photogr.  hors  texte.  Paris,  Baschet  1879. 

Jules  Claretie,  Peintres  et  sculpteurs  contemporains,  11.  Serie,  Paris  1884,  p.  105. 
Nekrologe:  Magaz.  of  Art,  März  1883;  Fernand  Brouet,  Revue  artistique, 
März  1883;  Dubufe,  Nouvelle  Revue,  März  und  April  1883;  A.  Michel,  Revue 
Alsacienne,  Februar  1883.  Chronique  des  arts  1 88 j , p.  4.  Zeitschrift  für 
bildende  Kunst  1883,  B.  18.  A.  Hustin,  L’Art  1885,  p.  424. 

Van  Deyssel,  Gustave  Dore,  De  Dietsche  Warandc  IV.  p.  5. 

Blanche  Rooscvelt,  Life  and  Reminiscences  of  Gustave  Dore.  London  1885. 
Claude  Phillips,  Gustave  Dort*,  Portfolio  1891,  p.  249. 

Cham : 

Marius  Vachon,  Gazette  des  Beaux  Arts  1879,  II.  p.  443. 

Felix  Ribeyre,  Cham,  sa  vie  et  son  oeuvre  Paris  1884. 

Cham  Album,  3 Bde.,  Paris  o.  J. 

Grevin : 

Ad.  Racot,  Portraits  d'aujourdhui,  Paris  1891. 


Cap.  XVIII. 

ltarry: 

The  works  of  James  Barry  Esq.  — to  which  is  prefixed  somc  account  of  the 
Life  and  the  Writings  of  the  author,  2 Vol.,  London  1809. 

J.  J.  Hittorf,  Notice  historique  et  biographique  de  Sir  J.  Barry,  1860. 

Alfred  Barry,  The  Life  and  Works  of  Sir  J.  Barry.  London  1867. 

Sidney  Colvin,  James  Barry,  Portfolio  1873,  p.  150. 

Wood  (H.  Truemann),  Pictures  by  James  Barry  at  the  Society  of  Arts,  London  1880. 


Literatur. 


651 


Benjamin  ll'cst : 

John  Galt,  The  life,  studies  and  works  of  B W.,  London  1820,  Zweite  Aus- 
gabe 1826. 

Sidney  Colvin,  Portfolio  1873,  p.  150. 

Vgl.  auch  Cornelius  Gurlitt,  Die  amerikanische  Malerei  in  Europa,  »Die 
Kunst  unserer  Zeit«  1895. 

Fuseli: 

Sidney  Colvin,  Henry  Fuseli,  Portfolio  1873,  p.  50. 

Stothard: 

Anna  Eliza  Bray,  Life  of  Thomas  Stothard,  London  1851. 

Opie: 

John  J.  Rogers,  Opie  and  his  Works,  being  a Catalogue  of  760  Pictures  by 
John  Opie  R.  A.  Preceded  by  a biographical  sketch.  London  1878. 
Claude  Phillips,  John  Opie.  Gazette  des  Beaus  Arts  1892,  I.  299. 

Northcote : 

John  Thackray  Bunce,  James  Northcote  R.  A.  »Fortnightly  Review«, 
Juni  1876. 

Copley : 

A.  T.  Perkins,  A Sketch  of  the  Life  and  a List  of  the  Works  of  John  Singleton 
Copley.  London  1873. 

Haydon  : 

Life  of  B.  R.  Haydon,  historical  Painter,  front  his  Autobiography  ed.  by  Tom 
Taylor,  London  1853,  3 Bde. 

HIacli.se : 

James  Daffornc,  Pictures  by  Maclise,  London  1871. 

Derselbe,  Leslie  and  Maclise,  London  1S72. 

litty : 

Al.  Gilchrist,  Life  of  W.  Etty  R.  A.  2 Bde.  London  1855. 

P.  G.  Ham  ertön,  Etty,  Portfolio  1875  p.  88  ff. 

W.  C.  Monkhouse,  Pictures  by  William  Etty,  With  descriptions,  London  1874. 

Edward  Armitage: 

J.  Be  avington-Atkinson,  Portfolio  1870,  p.  49. 

Kontney : 

William  Hagley,  The  Life  of  George  Romney,  London  1809. 

Rev.  John  Romney  (der  Sohn  des  Malers),  Memoirs  of  the  life  and  writings 
of  G.  Romney,  London  1830. 

P.  Selvatico,  Arte  ed  artisti,  p.  143  ff.:  II  pittore  Sir  Giorgio  Romney  ed  Emma 
Lyon,  Padova  1863. 

Sidney  Colvin,  G.  R.,  Portfolio  1873,  p.  18  und  34. 

Lord  Ronald  Gower,  Romney  and  Lawrence.  London  1882. 

Thomas  Lawrence: 

D.  E.  Williams,  The  Life  and  Corresp.  of  Sir  Thomas  Lawrence,  2 vols  and 
3 portr.,  London  1831. 

Fr.  Lewis,  Imitations  of  Sir  Thomas  Lawrences  linest  drawings,  London  1839, 
1 Bd.  Crayonstiche. 


652 


Literatur. 


A.  Genevay,  L'Art  1875,  III.  p.  585. 

Th.  de  Wyzewa,  Thomas  Lawrence  et  laSociete  anglaisc  des  son  ternps,  Gazette 
des  Beaux  Arts  1891,  I.  p.  119,  II.  p.  112,  535. 

Raebur  n : 

Portraits  by  Sir  Henry  Raeburn  photogiaphed  by  Thomas  Asman,  with  biographical 
Sketches.  Fol.  Edinburgh  o.  J. 

Exhibition  of  Portraits  by  Sir  Henry  Raeburn,  Art  Journal  1876,  p.  349. 
Alexander  Fraser,  Henry  Raeburn,  Portfolio  1879  p.  200. 

Andrew  William  Raeburn,  Life  of  Sir  Henry  Raeburn,  With  2 Portraits, 
London  1886. 

George  Morland: 

John  Hassell,  Life  of  the  late  G.  Morland,  London  1804. 

William  Co  Hins,  Memoirs  of  G.  Morland,  London  1806. 

F.  W.  Blagdon,  Authcntic  memoirs  of  the  late  G.  M.,  London  1806. 

G.  Dawe,  The  Life  of  G.  M.,  London  1807. 

Walter  Armstrong,  George  Morland,  Portfolio  1885,  p.  1. 

Some  Notes  on  George  Morland,  Portfolio  1886  p.  98. 

James  Ward: 

F.  G.  Stephens,  Portfolio  1886  p.  8,  32,  45. 

Landsecr : 

The  early  works  of  Edwin  Landseer,  16  photographs.  London  1869. 

F.  G.  Stephens,  Portfolio  1871  p.  165. 

James  Dafforne,  Pictures  by  Sir  Edwin  Landseer  R.  A.  With  descriptions 
and  a biographical  sketch  of  the  painter.  London  1873. 

James  Dafforne,  Studies  and  Sketches  by  Sir  Edwin  Landseer,  Art  Journal 
1875  passim. 

Catalogue  of  the  Works  of  Sir  Edwin  Landseer,  Art  Journal  1875  p.  317. 

J.  Bea vington- Atkinson,  Zeitschrift  für  bildende  Kunst  1875,  p.  129  und  t6j. 
M.  M.  Heaton,  Academy  1879  p.  378. 

Edw.  Lconidas,  Sir  Edwin  Landseer,  Nederlandsche  Kunstbode  1881,  p.  50. 
Frederick  George  Stephens,  Sir  Edwin  Landseer,  London  1881. 

Derselbe,  Landseer,  The  Dog  painter,  Portfolio  1885,  p.  32. 

Ueber  die  englischen  Genremaler: 

Fred.  Wedmore,  The  masters  of  Genre  Painting.  With  16  111.,  London  1880. 
Wilkie: 

Allan  Cunningham,  Life  of  Wilkie,  3 Vol.,  London  1843. 

Mrs.  C.  Heaton,  The  great  works  of  Sir  David  Wilkie,  26  photographs. 
London  Cambridge  1868. 

A.  L.  Simpson,  The  Story  of  Sir  David  Wilkie,  London  1879. 

J.  W.  Mollet,  Sir  David  Wilkie,  London  1881. 

Feuillet  de  Conches,  Sir  David  Wilkie,  »Artiste«,  August  1883. 

F.  Rabbe  in  dem  Sammelwerk  »Les  artistes  ctilebres«.  (In  Vorbereitung). 

William  Collitts 

W.  Wilkie  Co  Hins  (sein  Sohn),  Memoirs  of  the  Life  of  William  Collins  Esq., 
2 Vol.,  London  1848. 


Literatur. 


65  3 


William  Pom  eil  Früh: 

My  Autobiography  and  Reminiscences,  London  1887. 

Mulready: 

Sir  Henry  Cole,  Blography  of  William  Mulready  R.  A.  Kotes  ofPictures  etc.  o.  J. 
F.  G.  Stephens,  Memorials  of  Mulready,  14  photographs.  London  1867. 
James  Dafforne,  Pictures  by  Mulready,  London  1873. 

F.  G.  Stephens,  William  Mulready,  Portfolio  1887,  p.  85  und  119. 

R.  Liebreich,  Turner  and  Mulready,  London  1888. 

Leslie: 

James  Dafforne,  Pictures  by  Leslie.  Plates,  London  1873. 

Cap.  XIX. 

Allgemeines: 

Arsene  Alexandre,  Histoire  de  la  peinture  militaire  en  France,  Paris  1890. 

Horace  Verriet: 

L.  Ruutz-Rees,  Horace  Vernet  and  Paul  Delaroche.  Illustr.  London  1879. 
Amedee  Durande,  Josephe,  Carle  et  Horace  Vernet,  Correspondance  et  Bio- 
graphies,  Paris  1865. 

Theoph.  Silvestre,  Les  artistes  fran^ais,  p.  355  ff. 

Jules  Claretic,  Peintres  et  sculpteurs  contemporains,  Paris  1873  p.  65  ff. 

Clt  a riet : 

De  la  Combe,  Charlet,  sa  vie  et  ses  lettres,  Paris  1856. 

Eugene  Veron,  L’Art  187s,  I.  p.  193,  217. 

F.  L'homme  in  dem  Sammelwerk  »Les  artistes  cdlebres*,  Paris  1893. 

Raffet: 

Auguste  Bry,  Raffet,  sa  vie  et  ses  Oeuvres,  Paris  1874. 

Georges  Duplessis,  L’Art  1879,  I.  76. 

Notes  et  croquis  de  Raffet,  mis  en  ordre  et  publiis  par  Auguste  Raffet  fils. 
Paris,  Amand-Durand  1879. 

Henri  Büraldi,  Raffet,  Peintre  National,  Paris  1891. 

F.  L’homme  in  dem  Sammelwerk  »Les  artistes  celebres«. 

Ueber  die  jüngern  Soldatenmaler : 

Eug.  Montrosier,  Les  Peintres  militaires,  contenant  les  biographies  de:  de 
Neuville,  Detaille,  Berne-Bellecour,  Protais  etc.  Paris  1881. 

Jules  Richard,  En  Campagne.  Tableaux  et  dessins  de  Meissonier,  Detaille, 
Neuville  u.  A.  Paris  1889,  2 Bde. 

Bellange : 

Francis  Wey,  Exposition  des  Oeuvres  d’Hipp.  Bellangü,  Etüde  biogr.,  Paris  1867. 
Jules  Adeline,  Hippolyte  Bellangü  et  son  oeuvre,  Paris  1880. 

Protais : 

Jules  Claretie,  Peintres  et  sculpteurs  contemporains,  Paris  1873,  p.  150  ff. 

Pils : 

L.  Becq  de  Fouquiüres,  Isidore  Pils,  sa  vie  et  ses  oeuvres,  Paris  1876. 
Roger-Ballu,  L’oeuvre  de  Pils.  L’Art  1876,  I.  p.  232 — 258. 


654 


Literatur. 


Neuville : 

Alfred  de  Lostalot,  Gazette  des  Beaux  Arts  1885,  II.  p.  164. 

Detaille : 

Jules  Claretie,  L’art  et  les  artistes  francais  contemporains.  Paris  1876,  p.  56  fT. 
Derselbe,  Peintrcs  et  sculpteurs  contemporains,  II.  S£rie,  Paris  1884,  p.  249. 

G.  Goetschy,  Les  jeunes  peintrcs  militaires,  Paris  1878. 

Regamey : 

E.  Chesneau,  Notice  sur  G.  R6gamey,  Paris  1870. 

Eugene  Montrosier,  L’Art  1879,  H«  P-  25. 

Albrecht  Adam: 

AlbrechtAdam,  Selbstbiographie  1 786  — 1862,  Hrsg,  von  H.  I lolland, Stuttgart  1886. 
Das  Werk  der  Münchener  Künstlerfamilie  Adam.  Reproductioncn  nach  den  Ori- 
ginalen der  Maler  Albrecht,  Benno,  Emil,  Eugen,  Franz  und  Julius  Adam. 
Hrsg,  von  S.  Soldan.  Text  von  H.  Holland.  Nürnberg,  Soldan  1890. 

P.  Hess  : 

H.  Holland,  P.  v.  Hess,  München  1871,  zuerst  im  »Oberbayer.  Archiv«  Bd.  31. 

V.  Krüger: 

A.  Rosenberg,  Aus  dem  alten  Berlin,  Franz  Krüger-Ausstellung,  Zeitschrift  für 
bildende  Kunst  XVI.  1881,  p.  337. 

Franz  Adam  : 

Friedrich  Pecht,  F.  A.,  Kunst  für  Alle  1887,  II.  120. 

Th.  Hör schelt: 

Ed.  Ille,  Zur  Erinnerung  an  den  Schlachtenmaler  Th.  Horschelt,  München  1871. 
H.  Holland,  Th.  Horschelt,  sein  Leben  und  seine  Werke,  München  1889. 

Heinrich  Lang: 

H.  E.  von  Berlepsch,  Zeitschrift  für  bildende  Kunst  1892. 

Ueber  die  neuern  Düsseldorfer : 

Adolf  Rosenberg,  Düsseldorfer  Kriegs-  und  Militärmaler,  Zeitschrift  für  bildende 
Kunst  1889,  XXIV.  p.  228. 


Cap.  XX. 

Leopold  Robert: 

E.  J.  Delecluze,  Notice  sur  la  vie  et  les  ouvrages  de  Leop.  Robert,  Paris  1838. 
Fe  ui  11  et  de  Conches,  Leop.  Robert,  sa  vie,  ses  Oeuvres  et  sa  corrcspondance 
Paris  1848,  deutsche  Bearbeitung  von  E.  Zoller,  Hannover  1863. 

Charles  Clement,  Leop.  Robert  d’apres  sa  correspondance  inedite,  Paris  1875. 

Riedel: 

II.  Holland  in  der  Allgemeinen  Deutschen  Biographie,  und  die  dort  verzcicbnete 
Literatur. 

Ueber  die  Orientmaler  im  Allgemeinen : 

Ch.  Gindriez,  L’Algerie  et  les  Artistes.  L'Art,  1875  III.  p.  396;  1876  I.  p.  133. 
Hermann  Hclferich,  Moderne  Orientmaler,  Freie  Bühne  1892. 


Literatur 


6)5 


Decamps : 

Marius  Chaumelin,  Decamps,  sa  vie  son  oeuvre,  Marseilles  1861. 

Ern cst  Chesneau,  Mouvement  moderne  en  peinture:  Decamps,  Paris  1861. 
Ad.  Moreau,  Decamps  et  son  oeuvre  avec  des  gravures  en  fac-simile  des  planches 
originales  les  plus  rares.  Paris  1869. 

M.  E.  Im-Thurn,  SchefTer  et  Decamps,  Nimes  1876.  (Extr.  des  Mein,  de  l’Aca- 
demie  du  Gard,  annee  1875). 

Charles  Clement,  in  dem  Sammelwerk  »Les  artistes  c616bres«,  Paris  1886. 

Marilhat: 

G.  Gon  not,  Marilhat  et  son  oeuvre,  Clermont  1884. 

Fromentin : 

Jean  Rousseau,  L’Art  1877,  I.  p.  11,  25. 

L.  Gonse,  Gazette  des  Beaux  arts  1878 — 1880.  Separat  unter  dem  Titel:  Eug. 
Fromentin,  peintre  et  tkrivain.  Ouvrage  augmente  d'un  Voyage  en  Egvpte 
et  d’autres  notes  et  morceaux  inedits  de  Fromentin,  et  illustrü  de  16  grav. 
liors  texte  et  45  dans  le  texte,  Paris  Quantin  1881. 

Guillaumet : 

Paul  Leroi,  L’Art  1882,  III.  p.  228. 

Exposition  des  oeuvres  de  Guillaumet,  preface  par  Roger  Ballu.  Paris  1888. 
Gust.  Guillaumet,  Tableaux  algeriens.  Pr6cede  d’une  notice  sur  la  vie  et  les 
oeuvres  de  G.  Paris  1888. 

Adolphe  Bad  in,  L'Art  1888,  I.  p.  3,  39,  53. 

Ary  Renan,  Gazette  des  Beaux  Arts  1887,  I.  *04. 

Wilhelm  Gents: 

L.  v.  Donop,  Ausstellung  der  Werke  von  G.  in  der  Berliner  Nationalgalerie. 
Berlin,  Mittler  1890. 

Nekrolog  in  der  Chronique  des  Arts  1890,  29. 

Adolf  Rosen  borg,  Zeitschrift  für  bildende  Kunst  1891,  8 ff. 

Adolf  Schreyer: 

Richard  Graul,  Zeitschrift  für  bildende  Kunst  1888,  XXIII.  153. 

Derselbe  in  den  Graph.  Künsten,  XII.  1889,  121  und  in  Velhagen  und  Klasings 
»Monatsheften«  1893. 

Pasini : 

Virgilio  Colombo,  Profili  biographici,  Mailand  1881. 

Cap.  XXI. 

II.  Bürkel: 

Zeitschrift  für  bildende  Kunst  V.  1870  p.  161. 

A lfred  Lichtwark,  Hermann  Kauffmann  u.  die  Kunst  in  Hamburg,  München  1893. 

Spitszveg : 

C.  A.  Regnet,  Münchener  Künstler  1871,  II  268  — 76. 

Graf  Schack,  Meine  Gemäldegalerie  1881,  p.  189—91. 

O.  Berggruen,  Graphische  Künste  1883,  V. 

Fr.  Pecht,  Beilage  zur  Allg.  Zeitung,  Oktober  1885  und  Gesell,  der  Münchener 
Kunst  1888,  p.  154. 

Münchener  Kunstvereinsbericht  1885,  p.  69. 


6)6 


Literatur. 


C.  A.  Regnet:  Zeitschrift  für  bildende  Kunst  1886,  XXL  77. 

Spitz weg-Al  bum,  München,  Hanfstängl  1890. 

S pi  t z w eg-Ma  p pe,  Mit  Vorwort  von  Fr.  Recht,  München,  Braun  und  Schneider  1890. 
H.  Holland,  Allgemeine  deutsche  Biographie,  1893. 

Hermann  Kan  ff  mann 

Alfred  Licht  wark,  Hermann  Kauffraann  und  die  Kunst  in  Hamburg  1800 — 1850, 
München  1893. 

Eduard  Meyerheim : 

Selbstbiographie  des  Meisters,  ergänzt  von  P.  Meyerheim,  eingeleitet  von  L.  Pietsch. 
Mit  einem  Vorworte  von  B.  Auerbach  und  dem  Bildnisse  Ed.  Meyerheims, 
Berlin  Stilkc  1880. 

A.  Rosenberg,  Zeitschrift  für  bildende  Kunst  XVI.  1881,  1. 

Ludwig  Pietsch,  Die  Künstlerfamilie  Meyerheim,  Westermanns  Monatshefte 
1889,  p.  397 . 

Enhuber: 

Friedrich  Pecht,  Zeitschrift  für  bildende  Kunst  III.  186S,  p.  53. 

Ueber  das  Wiener  Genrebild : 

C.  v.  Lützow,  Gesell,  der  k.  k.  Akademie  der  bildenden  Künste,  Wien  1877. 
R.  v.  Eitelberger,  Das  Wiener  Genrebild  vor  dem  Jahre  1848,  Zeitschrift  für 
bildende  Kunst,  XII.  1877  p.  106,  auch  in  seinen  Gesammelten  kunsthistor- 
ischen Studien,  I.  p.  66  ff. 

Dr.  Cyriak  Bodenstein,  Hundert  Jahre  Kunstgeschichte  Wiens,  1788 — 1888. 
Wien  1888. 

Albert  1 1 g , Kunstgeschichtliche  Charakterbilder  aus  Oesterreich-Ungarn  (Das 
19.  Jahrhundert  von  A.  Nossigf,  Wien  1893. 

Danhauser : 

Albert  Ilg,  Raimund  und  Danhauser,  in  Kabdebos  österr.-ungarischer  Kunst- 
chronik, Wien  1880,  III.  p.  161. 

Waldmüller: 

Zeitschrift  für  bildende  Kunst,  I.  1866  p.  33. 

Oskar  Berggruen,  Graphische  Künste,  X.  37. 

R.  Eitelberger,  J.  Danhauser  und  Ferd.  Waldmüller,  in  Kunst  und  Künstler 
Wiens  p.  73  ff.  (Bd.  1 der  kunsthistor.  Schriften,  Wien  1879). 

Gauermann : 

R.  Eitelberger,  Fr.  G.  in  »Kunst  und  Künstler  Wiens«  1878,  p.  92.  Bd.  1 
der  kunsthistor.  Schriften,  Wien  1879. 

Schrödter : 

Nekrolog  von  Kaulen  im  Deutschen  Kunstblatt  1884,  11  und  12. 

M.  G.  Zimmermann  in  der  Allgemeinen  Deutschen  Biographie. 

Hasenclever : 

A.  Fahne,  Hasenclevers  Illustrationen  zur  Jobsiade,  Bonn  1852. 

Rudolf  fordan : 

Friedrich  Recht,  Kunst  für  Alle  1887,  II.  231. 

Tidetu  and: 

C.  Dietrichson,  A.  T.,  hans  Liv  og  lians  Vaerker,  Christiania  1878 — 79,  2 Bde. 
A.  T.  utvalgte  Vaerker,  ebenda  1878,  24  Radirungen  von  L.  H.  Fischer. 


Literatur. 


657 


31  ad ou : 

Camille  Lemonnier,  Gazette  des  Beaux  Arts  1879,  I.  385. 

Ferd.  de  Braekeleer : 

L.  v.  Keymeulen,  F.  d.  B.,  Revue  artistique  1883,  170 — 171. 

Biard: 

L.  Boivin,  Notice  sur  M.  Biard,  ses  aventures,  son  voyage  en  Japonie  avec 
Mme.  Biard,  Examen  critique  de  ses  tableaux,  Paris  1842. 

Nekrolog  in  der  Zeitschrift  für  bildende  Kunst,  IX.  1874,  Beibl.  p.  769. 


Cap.  XXII. 

Allgemeines : 

Emil  Reich,  Die  bürgerliche  Kunst  und  die  besitzlosen  Klassen,  Leipzig  1892. 

Tassacrt: 

Bernard  Prost,  Gazette  des  Beaux  Arts  1886,  I.  28. 

Carl  Iltibncr: 

M.  Blanckarts,  Zeitschrift  für  bildende  Kunst,  XV.  1312. 

Uderts: 

Louis  Labarre,  A.  W.,  dtude  biographique,  Bruxelles  1866. 

Zeitschrift  für  bildende  Kunst,  I.  1866,  p.  275. 

H.  Grimm,  Der  Maler  Wiertz,  in  »15  Essays«,  Neue  Folge,  Berlin  1875,  p.  1. 
J.  Beavington-Atkinson,  Portfolio  1875,  p.  124,  133,  152. 

C.  E.  Clement,  Ant.  Jos.  Wiertz,  Americ.  Art  Review  1881,  13. 

Catalogue  du  Musde  Wiertz  pr£c£d6  d'une  notice  biographique  par  Eni.  de  Lave- 
leye,  Bruxelles  1882. 

L.  Schulze  Wald  hausen,  Anton  Wiertz,  Deutsches  Kunstblatt  1882,  5,  1S83,  12. 
W.  Claessens,  Wiertz,  Bruxelles,  L.  Hochsteyn  1883. 

L.  Dietrichson,  Fra  Kunstverden,  Kopenhagen  1885,  p.  209  ff.:  en  abnorm 
Kunstner. 

Max  Nordau,  Vom  Kreml  bis  zur  Alhambra.  Leipzig  1886  p.  201  — 250. 
Robert  Mielke,  A.  W.,  Das  Atelier  1893  Nr.  66. 

Cap.  XXIII. 

Knaus : 

Alfred  de  Lostalot,  Louis  K.,  Gazette  des  Beaux  Arts  1882,  I.  269,  316. 

V.  K.  Schembera,  L.  K.,  Die  Heimath,  VII.  40. 

L.  Pietsch,  Ludwig  Knaus,  Photographien  nach  den  Originalen  des  Meisters, 
Berlin,  Photogr.  Gesellschaft. 

Fr.  Pecht,  Zu  Knaus  60.  Geburtstag,  Kunst  für  Alle  1890,  V.  65. 

G.  Voss,  Tägliche  Rundschau  1889,  233. 

Vautier: 

F.  Pecht,  Deutsche  Künstler  des  19.  Jahrhunderts.  Dritte  Reihe,  Nördlingen 
1881,  p.  351. 

E.  Heilbuth,  Knaus  und  Vautier,  Text  zum  Behrens’schen  Galeriewerk,  abge- 
druckt in  der  Kunst  für  Alle  1892,  2. 

Muther,  Moderne  Malerei  II. 


42 


658 


Literatur. 


Defregger: 

P.  K.  Rosegger,  Wie  Defregger  Maler  wurde.  Oesterr.-ungarische  Kunst- 
chronik 1879,  III.  2. 

Fr.  Pecht,  Franz  Defregger,  sein  Leben  und  Wirken,  Vom  Fels  zum  Meer,  III.  1. 
K.  Rau  pp,  Franz  Defregger  und  seine  Schule,  Wartburg,  VIII.  4,  5. 

Ludwig  Pietsch,  Franz  Defregger,  Westermanns  Monatshefte,  Februar  1889. 
Vgl.  auch:  Karl  Stieler  und  F.  Defregger,  Von  Dahoam,  München  1888. 

Rief  stahl : 

H.  Holland,  W.  R.,  Altenburg  1889.  M.  Haushofer,  Kunst  für  Alle  1889,  IV.  97. 
W.  Lübke,  Nord  und  Süd  1890,  163. 

II.  E.  v.  Berlepsch,  Zeitschrift  für  bildende  Kunst  1890,  8. 

Grütsner: 

G.  Ramberg,  Vom  Fels  zum  Meer  1890,  2. 

Fr.  Pecht,  Kunst  für  Alle  1890,  12. 

J.  Janitsch,  Nord  und  Süd  1892,  182. 

B okelmann: 

Adolf  Rosenberg,  Zeitschrift  für  bildende  Kunst  1892. 

Gustave  Brion: 

Paul  Leroi,  L'Art  1878,  I.  10. 

Jules  Breton: 

Selbstbiographie,  Paris  1891. 

Die  schwedischen  Genremaler: 

Georg  Nordens  van,  Svensk  Konst  och  Svenska  Konstnärer  i I9<le  Arhundradet, 
Stockholm  1892. 

Die  ungarischen  Genremaler : 

A.  Ipolyi,  Die  bildende  Kunst  in  Ungarn,  Ung.  Revue  1882,  s. 

Szana  Tarn  dz,  Magyar  Müv£szek,  Budapest  1887. 

Heinrich  Glücksmann,  Die  ungarische  Kunst  der  Gegenwart,  Kunst  für  Alle 
1892,  VII.  p.  129  und  145. 

Cap.  XXIV. 

J.  A.  Koch  : 

David  Friedrich  Strauss,  Kleine  Schriften  biographischen,  literarischen  und 
kunstgeschichtlichen  Inhalts.  Leipzig  1862  p.  303  tf. 

Th.  l rimmel,  in  Dohmes  Kunst  und  Künstler  des  19.  Jahrhunderts,  Nr.  9. 

C.  v.  Lützow,  Aus  Kochs  Jugendzeit,  Zeitschrift  für  bildende  Kunst,  IX.  1874. 
p.  65  ff. 

Vgl.  auch:  J.  A.  Koch,  Moderne  Kunstchronik.  Briefe  zweier  Freunde  in  Rom 
und  in  der  Tartarei  über  das  moderne  Kunstleben,  Karlsruhe  1834. 

Reinhart: 

Otto  Bai  sch,  Johann  Christian  Reinhart  und  seine  Kreise,  ein  Lebens-  und 
Kulturbild,  Leipzig  1882. 

Fr.  Schiller  und  der  Maler  J.  Ch.  R. , Wiss.  Beilage  der  Leipziger  Zeitung  1883, 

89,  90. 


Literatur. 


659 


Rottmann: 

A.  Teichlein,  Zeitschrift  für  bildende  Kunst  1869,  IV.  p.  7 ff.,  p.  72  ff. 

A.  Bayersdorfer,  Karl  Rottmann,  München  1871. 

O.  Berggruen,  Die  Galerie  Schack,  Graph.  Künste,  V.  1. 

F.  Pecht,  Deutsche  Künstler  des  19.  Jahrhunderts,  Nördlingen  1879,  II.  p.  1—26. 
C.  A.  Regnet,  in  Dohmes  Kunst  und  Künstler  des  19.  Jahrhunderts.  Nr.  10. 
Vgl.  auch  Rottmann’s  Italienische  Landschaften.  Nach  den  Fresken  in  den 
Arkaden  des  kgl.  Hofgartens  in  München  in  Chromolith.  ausgeführt  von 
R.  Steinbock.  München,  Bruckmann  1876. 

Preller : 

R.  Schöne,  Fr.  Preller’s  Odysseelandschaften,  Leipzig  1863. 

L.  v.  Donop,  Der  Genelli-Fries  von  Fr.  Preller,  Zeitschrift  für  bildende  Kunst 

Kunst  1874,  IX.  321. 

Fr.  Pecht,  Deutsche  Künstler  des  19.  Jahrhunderts,  Nördlingen  1877,  Bd.  1 

p.  271 — 289. 

C.  Ruland,  Zur  Erinnerung  an  Friedrich  Preller,  Weimar  1878. 

Nekrolog  in  »Unsere  Zeit«  1879,  8. 

M.  Jordan,  Katalog  der  Preller  Ausstellung  in  der  Berliner  Nationalgalerie  1879. 
A.  Dürr,  Preller  und  Goethe,  Zeitschrift  für  bildende  Kunst,  1881  XVI.  p.  357 — 365. 

J.  Beavington-Atkinson,  Frederick  Preller,  Art  Journal  1881,  9. 

W.  Lübke,  Fr.  Preller,  Allgemeine  Zeitung  1882,  B.  117  ff 
Preller  und  Goethe,  Allgemeine  Zeitung  1882,  B.  342. 

O.  Roquette,  Preller  und  Goethe,  Gegenwart  1883,  42. 

Fr.  J.  Frommann,  Zur  Charakteristik  Friedrich  Prellers,  Zeitschrift  für  bildende 
Kunst  1884,  ß.  31. 

Vgl.  auch:  Homers  Odyssee  mit  40  Originalcompositionen  von  Fr.  Preller,  Leipzig 
1872,  Volksausgabe  mit  Biographie  Leipzig  1881.  Italienisches  Landschafts- 
buch, zehn  Originalzeichnungen  von  Fr.  Preller,  in  Holzschnitt  ausgeführt 
von  H.  Kaeseberg  und  K.  Öertel,  mit  Text  von  Max  Jordan,  Leipzig  1875. 
Fr.  Preller’s  Figurenfries  zur  Odyssee,  16  Compositionen  in  24  farbigen  Stein- 
drucktafeln,  Leipzig  1875. 

K.  F.  Lessing: 

Karl  Koberstein,  Karl  Friedrich  Lessing,  Nord  und  Süd  14,  1880  p.  312. 

K.  F.  Lessing’ s Briefe  mitgetheilt  von  Th.  Frimmel,  Zeitschrift  für  bildende 

Kunst  1881,  6. 

Rud.  Redtenbacher,  Zeitschrift  für  bildende  Kunst  1881,  XVI.  2. 

M.  Sc  basier,  Unsere  Zeit  1880,  10. 

W.  Dohrne,  Westermanns  illustr.  Monatshefte  1880,  IX.,  p.  729. 

A.  Rosenberg,  Lessing-Ausstellung  in  der  Berliner  Nationalgalerie,  Zeitschrift 
für  bildende  Kunst  1880,  B.  5. 

Fr.  Pecht,  Deutsche  Künstler  des  19.  Jahrhunderts,  III.  Nördlingen  1 88 1 , p.  294. 

Riechen : 

Robert  Dohme  in  der  Allgemeinen  Deutschen  Biographie. 

Ludwig  Pietsch,  Wie  ich  Schriftsteller  wurde,  Berlin  1893,  passim. 

Schirmer : 

Job.  Willi.  Schirmer,  Düsseldorfer  Lehrjahre,  Deutsche  Rundschau  1878. 
Alfred  Wo lt mann  in  der  Allgemeinen  Deutschen  Biographie  und  die  dort  an- 
gegebene Literatur. 

42* 


Literatur. 


66  o 


Dahl : 

Andreas  Aubert,  Maleren  Professor  Dahl  1788 — 1857,  et  Styklce  av  aar- 
hundredets  Kunst-  og  Kulturhistorie,  Kristiania,  Aschehoug  1893. 

Morgenstern : 

Nekrolog  v.  Pecht,  Zeitschrift  für  bildende  Kunst,  II.  1867  p.  80. 

Alfred  Lichtwark,  Hugo  Kauffmann  und  die  Kunst  in  Hamburg  von  1800  bis 
1850,  München  1893. 

Andreas  Achenbach: 

Ludwig  Pietsch,  Nord  und  Süd  XV.,  1880  p.  381. 

Fr.  Pecht,  Deutsche  Künstler  des  19.  Jahrhunderts,  3.  Reihe  Nördlingen  1881, 
p.  328. 

Theodor  Levin,  Zeitschrift  für  bildende  Kunst  21,  1886  B.  1. 

Ed.  Schleich: 

C.  A.  Regnet,  Zu  E.  Schleich’s  Gedächtniss,  Zeitschrift  für  bildende  Kunst  IX., 
1874  p.  161. 

O.  Berggruen,  Die  Galerie  Schack,  Graph.  Künste  V.,  1. 

Alexander  Galante : 

E.  H.  Ga  ul  Her,  A.  C.,  Geneve  1854.  (Le  Musee  Suisse  Vol.  I.) 

II.  Delaborde,  La  peinture  de  paysage  en  Suisse.  A.  C.,  Revue  des  deux 
mondes,  Febr.  1865. 

J.  M.  Ziegler,  Mittheilungen  über  den  Landschaftsmaler  A.  C.,  Zürich  1866. 

C.  Meyer,  Alex.  Calame.  »Dioskurenc,  Stuttgart  1866. 

A.  Bachelin,  A.  C.,  Lausanne  1880. 

Wilhelm  Rossmann  im  Text  zu  dem  Kupferstichwerk  der  Dresdener  Galerie. 

E.  R a mbert,  A.  C„  sa  vie  et  son  oeuvre  d’apres  les  sources  originales,  Paris  1884. 
Adolf  Rosenberg,  Grenzboten  1884,  II.  371. 

Gilde : 

A.  Rosenberg,  Die  Düsseldorfer  Schule.  Grenzboten  1881,  35. 

Ed.  Hildebrandt: 

Bruno  Meyer,  Zeitschrift  für  bildende  Kunst  IV.,  1869,  261,  336. 

F.  Arndt,  Ed.  Hildebrandt,  der  Maler  des  Kosmos,  Sein  Leben  und  seine  Werke, 

2.  Auf!.,  Berlin  1869. 

Ada  Pinelli,  Hildebrandt  und  Schirmer,  Berlin  1871. 

Louis  Douzette: 

Adolf  Rosenberg,  Graph.  Künste  1891,  XIV.,  13. 

Cap.  XXV. 

Allgemeines : 

Victor  de  Laprade,  Le  sentiment  de  la  nature  chez  les  modernes.  2.  Aufl. 
Paris  1870. 

Aligny : 

Aligny  et  le  paysage  historique,  L’Art  1882,  1.  231,  II.  33. 

Vgl.  auch  die  Radirungen:  Vues  des  Sites  les  plus  celebres  de  la  Grece  antique, 
Paris  1845. 


Literatur. 


66  i 


Victor  Hugo: 

Les  dessins  de  Victor  Hugo,  L’Art  1877,  I-  50. 

H.  Helferich,  Malende  Dichter,  Kunst  für  Alle  1891,  21. 

Paul  littet: 

Philippe  Burty,  Paul  Huet,  Notice  biographique,  Paris  1869. 

E.  Legouve,  Notice  sur  Paul  Huet,  Paris  1878. 

Ernest  Chesneau,  Peintres  et  statuaires  romantiques,  Paris  1880. 

Leon  Mancino,  Un  prdcurseur,  L'Art  1883,  I.  49. 

Uuber  die  Engländer: 

William  Bell  Scott,  Our  British  Landscape  Painters,  from  Samuel  Scott  to 
D.  Cox.  With  16  engravings.  London  1876. 

J.  Comyns  Carr:  Moderne  Landscape.  Mit.  111.  Paris  und  London  1883. 

Turner: 

Alice  Watts,  W.  Turner,  London  1851. 

John  Burnet  and  Peter  Cunningham,  Turner  and  his  works,  London  1832. 

Ausgabe  von  Henry  Murray,  London  1839. 

John  Ruskin,  Turner  Collection,  London  1857. 

Derselbe,  Notes  on  the  Turner  Collection,  London  1857. 

Walter  Thornbury,  W.  Turner,  2 Bde.,  London  1862. 

Phil.  G.  Hamerton,  Turner  et  Claude  Lorrain,  L’Art  1876,  IV.  p.  270,  289. 
Derselbe,  Turner,  Portfolio,  1876  p.  28—188,  1877  p.  44 — 145,  1878  p.  2 — 178. 
A.  Brunet-Desbaines,  The  life  of  Turner.  London  1878. 

John  Ruskin,  Notes  on  his  Collection  of  drawings  by  the  late  J.  M.  W.  Turner, 
also  a list  of  the  engrav.  works  of  that  master.  London,  Fine  Art  Society  1878. 

F.  Wedmore,  Turner’s  Liber  studiorum,  Academy  1879,  Nr.  377,  389,  399  und 

in  L'Art  1879,  232 — 234. 

Philipp  Gilbert  Hamerton,  W.  Turner,  London  1879. 

Cosmo  Monkhouse,  W.  Turner,  London  1879. 

Hart,  Turner,  the  Dream-Painter,  London  1879. 

A.  W.  Hunt,  Turner  in  Yorkshire,  Art  Journal  1881,  N.  S.  1,  2. 

W.  G.  Rawlinson,  Turners  Liber  studiorum,  Art  Journal  1881,  N.  Ser.  4. 
James  Dafforne,  The  works  of  J.  M.  W.  Turner.  With  a biogr.  sketch. 
London  1883. 

G.  Radford,  Turner  in  Wharfedale,  Portfolio,  Mai  1884. 

Philip  G.  Hamerton,  W.  Turner  in  >Les  artistes  celebres«,  Paris  1889. 
Robert  de  La  Sizeranne,  Deux  heures  a la  Turner  Gallery,  Paris  1890. 

Reproductionen : 

The  Harbours  of  England.  London  1856. 

Liber  Studiorum,  illustrative  of  Landscape  composition.  London  1858—39. 

The  Turner  Gallery.  London  1862. 

Turner’s  celebrated  Landscapes.  Reproduced  by  the  Autotype  process.  London  1870. 
Die  Hauptwerke  der  Nationalgalerie  sind  von  Braun  in  Dörnach  photographirt. 

A.  IV.  Callcott: 

Sir  A.  W.  Callcotts  Italian  and  English  Landscapes.  Lithographed  by  T.  C. 
Dibdin.  London  1847. 


662 


Literatur. 


James  Dafforne,  Pictures  by  Sir  A.  W.  Callcott,  R.  A.  With  descriptions  and 
a biographical  sketch  of  the  painter.  London  o.  J. 

John  Cr o nie: 

Etchings  of  views  in  Norfolk,  with  a biographical  memoir  by  Dawson  Turner. 
Norwich  1838. 

J.  Wodderspoon,  John  Crome  and  his  Works,  Norwich  1858. 

Frederick  Wedmore,  John  Crome,  L'Art  1876  III.,  p.  288. 

Mary  M.  Heaton,  John  Crome,  Portfolio  1879,  p.  33  und  48. 

Ueber  die  englische  Aquarellmalerei: 

Cosmo  Monkhouse,  The  earlier  English  Water-colour  painters.  London, 
Seeley  & Co.  1890. 

John  Lewis  Roget,  A History  of  the  »Old  Water-Colour  Society«  2 Bde., 
London  Longmans,  Green  & Co.,  1891. 

Sam.  Palmer: 

The  Life  and  Letters  of  Samuel  Palmer,  Painter  and  Etcher.  Edited  by  A.  H. 
Palmer.  With.  111.  1891.  Besprochen  von  F.  G.  Stephens,  Portfolio  1891,  25 3. 

Constable : 

Charles  Robert  Leslie,  The  Memoirs  of  John  Constable,  London  1845. 

H.  Perrier,  De  Hugo  v.  d.  Goes  a Constable,  Gazette  des  Beaux  Arts  März  1873. 
Frederick  Wedmore,  L'Art  1878,  II.  169. 

G.  M.  B ro  ck-  Arnold , Thomas  Gainsborough  and  John  Constable,  In  dem 
Sammelwerk  »The  Great  Artists«,  London,  Low  1881. 

P.  G.  Ham  ertön,  Constables  Sketches,  Portfolio  1890,  p.  162. 

Robert  Hobart,  in  dem  Sammelwerk  »Les  artistes  c^lbbres«.  (In  Vorbereitung). 

Reproductionen: 

Various  subjects  of  Landscape,  characteristic  of  English  scenery,  front  pictures 
painted  by  J.  C.  22  plates.  London  1830.  2.  Ausg.  London  1833. 

English  Landscape,  front  pictures  painted  by  J.  C.  20  plates  engraved  by  D.  Lucas. 
London  o.  J. 

English  Landscape  Scenery,  40  mezzotinto  engravings  front  Pictures  painted  by 
J.  C.  Fol.  London  1855. 

David  Cox: 

N.  Nea!  Sol  ly,  Memoir  of  the  Life  of  David  Cox,  London  1873. 

Basil  Champneys,  D.  C.,  Portfolio  1873,  p.  89. 

J.  Beavington- Atkinson,  Portfolio  1876,  p.  9. 

Frederick  Wedntore,  »Gentlemans  Magazine«,  März  1878. 

Hall,  David  Cox,  London  1881. 

J.  William  Müller: 

N.  Neal  Sol  ly,  Mentoir  of  the  life  of  William  James  Müller,  London  1875. 

J.  Beavington- Atkinson,  W.  M.,  Portfolio  1875,  p.  164  und  185. 

Fr.  Wedmore,  W.  Müller  and  his  Sketches,  Portfolio  1882,  p.  7. 

Peter  de  Wint: 

Walter  Armstrong,  Mentoir  of  Peter  de  Wint.  Illustr.  by  24  Photogravures, 
London,  Macmillan  & Co.  1888. 

Henry  Dawson: 

Alfred  Dawson,  The  life  of  Henry  Dawson,  landscape  painter.  1811  — 1878, 
London  1891. 


Literatur. 


663 


John  Linnell: 

F.  G.  Stephens,  Portfolio  1872,  p.  45. 

Bonington : 

Al.  Bouvenne,  Calalogue  de  l’oeuvre  gravd  et  lithographid  de  R.  P.  Bonington. 
Paris  1875. 

Paul  Mantz,  Gazette  des  Beaux  Arts  1876,  II.  288. 

Edmond  Saint-Raymond,  Bonington  et  les  cötes  normandes  de  Saint  Jouin, 
L’Art  1879,  I.  197. 

P.  G.  Ham  ertön,  A.  Sketchbook  of  B.  at  the  British  Museum,  Portfolio  1 88 1 , 68. 

Cap.  XXVI. 

Allgemeines : 

Roger-Ballu,  Le  paysage  fran^ais  au  XIX.  siede,  Nouvelle  Revue  1881. 

Jolin  W.  Mollet,  The  painters  of  Barbizon,  London,  Low  1890.  1)  Corot, 

Daubigny,  Dupre,  2)  Millet,  Rousseau,  Diaz.  In  dem  Sammelwerk  »Illustrated 
Biographies  of  the  Great  Artists<. 

David  Croal  Thomson,  The  Barbizon  School  of  Painters:  Corot,  Rousseau, 
Diaz,  Millet,  Daubigny  etc.  With  one  I lundred  an  Thirty  Illustr.  London 
1891.  Vgl.  auch  die  Aufsätze  von  G.  Gurlitt  in  der  Gegenwart,  1891  ff., 
den  Text  H.  Ilelferichs  zum  Behrens’schen  Galeriewerk  u.  dgl. 

Th.  Rousseau : 

A.  Teichlein,  Th.  Rousseau  und  die  Anfänge  des  Paysage  intime,  Zeitschrift 
für  bildende  Kunst  1868,  III.  281. 

Alfred  Sensier,  Souvenirs  sur  Th.  Rousseau,  suivis  d’une  Conference  sur  le 
Paysage  et  ornü  du  portrait  du  maitre,  Paris  1872. 

Pli.  Burty,  Th.  R.  paysagiste,  L’Art  1881  p.  574  ff. 

Emile  Michel  in  dem  Sammelwerk  »Les  artistes  celübres.«  (In  Vorbereitung). 
Die  Mehrzahl  seiner  Werke  ist  von  Braun  in  Dörnach  photographirt. 

Corot : 

Edmond  About,  Voyage  ä travers  l’Exposition  des  Beaux-Arts,  Paris  1855. 
Henri  Dumesnil,  Corot,  Souvenirs  intimes,  avec  un  portrait  dessine  par  Aime 
Millet,  gravd  par  Alph.  Leroy;  Paris  Rapilly  1875. 

Charles  Blanc,  Les  Artistes  de  mon  temps,  Paris  1879. 

Leleux,  Corot  ä Montreux,  Bibliotheque  universelle  et  Revue  suisse,  Sept.  1883. 
Alfred  Robaut,  Corot,  peintures  d£coratives,  L’Art  1883,  p.  407. 

Jean  Rousseau,  Camille  Corot,  avec  gravures,  Paris  1884. 

Armand  Silvestre,  Galerie  Durand-Ruel,  avec  28  gravures  ä l'eauforte  d'apres 
des  tableaux  de  Corot.  Paris  o.  J. 

Albert  Wolff,  La  capitale  de  l'Art,  Paris  1886. 

Charles  Bigot,  Peintres  contemporains,  Paris  1888. 

L.  Roger-Miles,  Corot,  in  dem  Sammelwerk  »Les  artistes  ctMebres«,  Paris  1891. 
Die  Mehrzahl  seiner  Werke  ist  von  Braun  in  Dörnach  photographirt. 

Dupre: 

Les  hommes  du  jour:  M.  Jules  Dupr6  18 11  — 1879,  par  un  critique  d art,  Paris  1879. 
R.  Menard,  L’Art  1879,  III.  p.  311,  IV.  241. 

A.  Michel,  L’Art  1883,  460. 

Jules  Claretie,  Peintres  et  sculpteurs  contemporains,  II.  S6rie,  Paris  1884  p.  177. 
H.  Hustin,  in  dem  Sammelwerk  »Les  artistes  celebres.«  (In  Vorbereitung). 


664 


Literatur. 


Dias: 

Jules  Claretie,  N.  Diaz,  L'Art  1875,  III.  p.  204  ff. 

Exposition  des  Oeuvres  de  N.  Diaz  ä l'ecole  des  Beaux-Arts,  Notice  biograpliique 
par  M.  Jules  Claretie,  Paris  1877. 

Roger-Ballu,  Gazette  des  Beaux  Arts  1877,  I.  290. 

Jean  Rousseau,  L’Art  1877,  I.  49. 

T.  Chasrel,  L'exposition  de  N.  D.,  L'Art  1877,  II.  189. 

Hermann  Billung,  N.  V.  Diaz,  ein  Lebensbild,  Zeitschrift  für  bildende  Kunst 
XIV.,  1879  p.  97. 

A.  Hustin,  in  dem  Sammelwerk  »Les  artistes  celübres.«  (In  Vorbereitung). 
Daubigtiy : 

Prüderie  Henriet,  Ch.  Daubignv  et  son  oeuvre,  Paris  1878. 

Derselbe  in  L’Art  1881,  330. 

A.  Hustin,  in  dem  Sammelwerk  »Les  artistes  celübres.«  (In  Vorbereitung). 
Robert  J.  Wickenden,  Ch.  Pr.  D.,  Century  Magazine,  Juli  1892. 

Chintreuil: 

Fredüric  Henriet,  Chintreuil.  Esquisse  biograpliique,  Paris  1858. 

A.  dedaFisüliere,  Champfleury  et  F.  Henriet,  La  vie  et  l'oeuvre  de 
Chintreuil.  Paris  1874. 

Portfolio  1874  p.  99. 

Harpignies: 

Ch.  Tardieu,  Henry  Harpignies,  L’Art  XVI.  1879,  p.  269,  281. 

Fratifais : 

J.  G.  Prat,  Francois  Louis  Franfais,  L’Art  1882,  I.  48,  81,  368  ff. 

Brascassat : 

M.  Cabat,  Notice  sur  Brascassat,  Paris  1862. 

Charles  Marionneau,  R.  Brascassat,  sa  vie  et  son  oeuvre,  Paris  1872. 
Troyon : 

Henri  Dumesnil,  Constant  Troyon,  Souvenirs  intimes,  Paris  1888. 

A.  Hustin,  L’Art  1889,  I.  p.  77,  II.  p.  85. 

Derselbe,  in  dem  Sammelwerk  »Les  artistes  cülübres»  (in  Vorbereitung). 

Rosa  Bonheur: 

Lamelle,  Rosa  B.,  sa  vie,  ses  oeuvres,  Paris  1885. 

Renü  Peyrol,  Rosa  Bonheur,  her  Life  and  Work.  With  3 engraved  plates  and 
ill.  (The  Art  Annual  1889.)  London  1889. 

Emile  van  Marcke: 

Emile  Michel,  L’Art  1891,  I.  145. 

Eugene  Lambert: 

Chicus  et  chats,  Text  von  G.  de  Cherville,  Paris  1888. 

Lattfon: 

Alfred  de  Lostalot,  Un  peintre  animalier,  Gazette  des  Beaux  Arts  1887,  II  319. 
Charles  Jacque : 

Jules  Claretie,  Peintres  et  sculpteurs  contemporains,  II.  Sürie,  Paris  1884  p.  297. 


Literatur. 


665 


Cap.  XXVII. 

Ernest  Chesneau,  J.  Fr.  Millet,  Gazette  des  Beaux  Arts  1875,  I.  429. 

Ph.  L.  Couturier,  Millet  et  Corot,  Saint-Quentin  1876. 

A.  Piedagnel,  J.  F.  Millet.  Souvenirs  de  Barbizon.  Avec  1 portr.,  9 eaux- 
fortes  et  un  fac-similt)  d’autographe.  Paris,  1876. 

A.  S e n s i e r , La  vie  et  l’oeuvre  de  J.  F.  Millet.  Manuscrit  publit*  par  P.  Mantz,  avec  de 
nombreux  facsimiles,  12  heliogr.  liors  texte  et  48  gravures.  Paris,  Quantin  1881. 
Millet  as  an  art-critic.  Magazine  of  Art  1883,  27. 

Charles  Yriarte,  J.  F.  Millet,  Paris  1885.  Portr.  et  24  Gravures. 

Andr<5  Michel,  J.  F.  Millet  et  l’exposition  de  ses  oeuvres  d l'ecole  des  Beaux 
Arts,  Gazette  des  Beaux  Arts  1887,  II.  p.  5. 

Charles  Bigot,  Peinlres  contemporains,  Paris  1888. 

R.  Graul,  Jean  Fr.  Millet,  Zeitschrift  für  bildende  Kunst  Neue  Folge  II.,  p.  29  ff. 
Le  livre  d’or  de  J.  F.  M.,  illustr£  de  17  Eaux-fortes  par  Frtkleric  Jacque.  Paris  1892. 
Emile  Michel,  in  dem  Sammelwerk  »Les  artistes  ciMfebres.«  (In  Vorbereitung). 

Cap.  XXVIII. 

Courbet: 

Champfleury,  Grandes  figures  d’hier  et  d’aujourdhui.  (Balzac,  Wagner,  Courbet). 

Paris,  Poulet -Malassis  1861. 

Th.  Silvestre,  Les  Artistes  frangais,  p.  109  ff. 

P.  d’ Abrest,  Artistische  Wanderungen  durch  Paris,  Zeitschrift  für  bildende  Kunst 
XI.  1876,  183,  209. 

Cornte  H.  d’Jdeville,  G.  Courbet.  Notes  et  documents  sur  sa  vie  et  son 
Oeuvre,  Paris  1878. 

T.  Chasrel,  L’Art  1878,  I.  145. 

Paul  Mantz,  G.  C.,  Gazette  des  Beaux  Arts  1878,  I.  5 14,  II 1,  117,  n,  31,371. 
Emile  Zola,  Mes  Haines,  Paris  1879,  P-  21  ff-  Proudhon  et  Courbet. 
Gros-Kost,  Courbet,  Souvenirs  intimes,  Paris  1880. 

FL  Billung,  Beilage  zur  Allg.  Zeitung  1880,  240. 

Eug.  V 6ron,  G.  Courbet,  Un  enterrement  d Omans,  L’Art  1882,  I.  363,  390,  II.  226. 
A.  de  Lostalot,  L'exposition  des  oeuvres  de  Courbet,  Gazette  des  Beaux  Arts 
1882,  I.  572. 

Carl  v.  Lützow,  Zeitschrift  für  bildende  Kunst  1889 

Camille  Lemonnier,  Les  peintres  de  la  vie,  Paris  1888.  Cap.  1.  Courbet 
et  son  oeuvre. 

Abel  Patoux,  in  dem  Sammelwerk  >Les  artistes  c£16bres«.  (In  Vorbereitung.) 

Stevens : 

Paul  d’Abrest,  Artistische  Wanderungen  durch  Paris.  Ein  Besuch  bei  A.  S., 
Zeitschrift  für  bildende  Kunst  X.  1873,  p.  310. 

L.  Cardon,  Les  modernistes:  Alfred  Stevens,  La  füdiration  artistique  23 — 26. 
Camille  Lemonnier,  A.  S.,  Gazette  des  Beaux  Arts  1878,  I.  160,  335. 
Derselbe,  Les  Peintres  de  la  vie,  Paris  1888.  Cap.  2.  Alfred  Stevens. 

Ricard : 

Moriz  Hartmann,  Büsten  und  Bilder,  Frankfurt  a.  M.  1860. 

Paul  de  Müsset,  Notice  sur  la  vie  de  Gustave  Ricard,  Paris  1873. 

Louis  Br£s,  Gustave  Ricard  et  son  oeuvre,  Paris  1873. 


666 


Literatur. 


Bonvitt : 

L'Art  1888,  II.  p.  43. 

Paul  Le  fort,  Philippe  Rousseau  et  Francois  Bonvin.  Gazette  des  Beaux  Arts 
1888,  I.  132. 

Charles  Chaplin: 

Paul  Lefort,  Gazette  des  Beaux  Arts  1891,  I.  246. 

Gaillard: 

G.  Dargenty,  L'Art  1887,  I.  149,  179. 

L.  Gonse,  Gazette  des  Beaux  Arts  1887,  I.  221. 

V.  Guillemin,  F.  Gaillard,  graveur  et  peintre,  originaire  de  la  Franche  Comtd 

1834 — 1887.  Notice  sur  sa  vie  et  son  oeuvre.  Besan^on  1891. 

Georges  Duplessis,  in  dem  Sammelwerk  »Les  artistes  ciHebres«.  (In  Vor- 
bereitung.) 

Bonität: 

Les  peintures  de  M.  Bonnat,  L’Art  1876,  122. 

B.  Day,  L'atelier  Bonnat,  Magazine  of  Art  1881,  6. 

Jules  Claretie,  Peintres  et  sculpteurs  contemporains,  II.  Serie,  Paris  1884  p.  129. 
Carolus  Dur  an : 

Jules  Claretie,  Peintres  et  sculpteurs  contemporains,  II.  Serie,  Paris  1884  p.  153. 
Vollon : 

Jules  Claretie,  Peintres  et  sculpteurs  contemporains,  II.  S£rie,  Paris  1884,  p.  201. 
Philippe  Rousseau : 

Paul  Lefort,  Gazette  des  Beaux  Arts  1888,  I.  132. 

Paul  Dubois: 

Jules  Claretie,  Peintres  et  sculpteurs  contemporains,  II.  Sirie,  Paris  1884  p.  321. 
Dclaunay : 

Georges  Lafenestre,  Elie  Delaunay,  Gazette  des  Beaux  Arts  1891,  II.  353,  484. 
Ribot: 

E.  Viron,  Th.  R.,  Exposition  generale  de  ses  oeuvres,  L’Art  1880,  281. 
Firm  in  Javel,  Thdodule  Ribot,  Revue  des  Mus£es,  III.  1890,  55. 

L.  Fourcaud,  Maitres  modernes,  Th.  R.,  sa  vie  est  ses  oeuvres.  Mit  Abbildungen. 
Paris  1890. 

Paul  Lefort,  Th.  Ribot,  Gazette  des  Beaux  Arts  1891,  II.  298. 

Cap.  XXIX. 

Allgemeines : 

John  Ruskin,  Letters  to  >The  Times»  on  the  Principal  Preraphaelite  Pictures 
in  the  Exhibition  of  1854.  Reprinted  for  Private  Circulation,  London  1876. 
Prae-Raphaelitism.  Its  Art,  Literature  and  Professors.  »London  and  County 
Review«.  Marz  1868. 

The  Poetic  Phase  in  Modern  English  Art.  »New  Quarterly  Magazine«,  Juni  1879. 
William  Holman  Hunt,  The  Preraphaelite  Brotherhood.  Contemporary 
Review  April — Juni  1886. 

Edouard  Rod,  Les  Prdraphaölites  Anglais,  Gazette  des  Beaux  Arts  1887,  II. 
p.  177  und  399. 

W.  v.  Seidlitz,  Die  englische  Malerei  auf  der  Jubiläumsausstellung  zu  Manchester 
im  Sommer  1887.  Repertorium  für  Kunstwissenschaft  1888  XI,  274  u.  405. 


Literatur. 


667 


P.  T.  Forsyth,  Religion  in  Recent  Art,  Manchester-London  1889. 

Wilhelm  Weigand,  Die  aesthetische  Bewegung  in  England,  Gegenwart  1889 
(35)  P-  >65. 

Derselbe,  Die  Praeraphaeliten,  in  seinen  »Essays«,  München  1892. 

Cornelius  Gurlitt,  Die  Praeraphaeliten,  eine  britische  Malerschule,  Wester- 
nianns  Monatshefte  April — Juni  1892. 

Noel  Paton: 

J.  M.  Gray,  Sir  Noel  Paton,  Art  Journal,  N.  Ser.  1881,  III. 

Hohn  an  Hunt: 

F.  G.  Stephens,  W.  Holman  Hunt,  Portfolio  1871,  33. 

Derselbe,  Holman  Hunts  »The  Triumph  of  the  Innocents«  Portfolio  1885,  p.  80. 

J.  Beavington- Atkinson,  Mr.  Holman  Hunt,  his  Work  and  Carreer.  Black- 

woods Magazine,  April  1886. 

M ad ox  /»’ rown : 

W.  M.  Rossetti,  Mr.  Madox  Browns  Exhibition  and  its  place  in  our  School  of 
Painting,  »Frasers  Magazine«,  Mai  1865. 

Sidney  Colvin,  Ford  M.  Brown,  Portfolio  1870,  81. 

M.  Brown ’s  mural  painting  at  Manchester,  Academy  1879,  379. 

Will.  M.  Rossetti,  Mr.  Madox  Browns  frescoes  in  Manchester,  Art  Journ. 
1881  N.  Ser.  9. 

E.  Chesneau,  Peintres  anglais  contemporains  F.  Mad.  Br.  L’Art  1883,  409  ff. 

F.  G.  Stephens,  Ford  Mad.  Brown,  his  early  Studies  and  Motives,  Portfolio 

1893,  p.  62  u.  69. 

Millais  : 

Sidney  Colvin,  Millais,  Portfolio  1871,  1. 

»Artists  modern«,  lllustr.  Biogr.,  2 Bde.  1882 — 84. 

Emilie  Isabel  Barrington,  Wy  is  Mr.  Millais  our  populär  painter ? l'ortnigtly 
Review,  Juli  1882. 

Walter  Armstrong,  Sir  J.  E.  Millais,  his  Life  and  Work,  Illustrated  with 
engravings  and  facsimiles  (The  Art  Annual  1885),  London  1885. 

John  Ruskin,  Notes  on  some  of  the  principal  pictures  of  Sir  Ev.  Millais, 
London  1886. 

Helen  Zimmern,  Sir  John  Millais,  »Die  Kunst  unserer  Zeit«,  München  1891. 

Cap.  XXX. 

Mensel: 

(Ausser  der  zu  Cap.  16  angegebenen  Literatur): 

Duranty,  A.  M.,  Gazette  des  Beaux  Arts  1880,  I.  und  II. 

A.  Lichtwark,  Menzels  Piazza  d’Erbe,  Gegenwart  1884,  25. 

Com.  Gurlitt,  Menzels  Brunnenpromenade  in  Kissingen,  Gegenwart  37,  p.  61 
Georg  Galland,  Das  Arbeiterbild  in  Vergangenheit  und  Gegenwart,  Frankfurter 
Zeitung  1890,  139. 

Bleibtreu : 

K.  Pietsch  ker,  Georg  Bleibtreu,  der  Maler  des  neuen  deutschen  Kaiserreiches, 

Kunststudie  und  biograph.  Skizze.  Koethen  1877. 

A.  v.  Werner: 

Ludwig  Pietsch,  Nord  und  Süd  18,  1881  p.  185. 

Max  Michael: 

Hermann  Helferich,  Erinnerung  an  Max  Michael,  Kunst  für  Alle  1891,  \ I.  223. 


668 


Literatur. 


Gussow: 

Max  Kretzer,  Westermanns  Monatshefte,  Bd.  54,  1883  p.  519. 

Pettenhofen : 

Alfred  de  Lostalot,  Gazette  des  Beaux  Arts  1877,  I.  410. 

Carl  v.  Lützovv,  Zeitschrift  für  bildende  Kunst  1889. 

Lorenz  Gedon: 

G.  Hirth,  Zeitschrift  des  Münchener  Kunstgewerbevereins  1884,  1,  2. 

Fr.  Schneider,  ebenda  1884,  5 und  6. 

Allg.  Zeitung  1884,  B.  67,  Allg.  Kunstchronik  1884,  VIII. 

Ludwig  Pietsch,  Nord  und  Süd  30,  1884  p.  42. 

Dies : 

Friedrich  Pecht,  Zu  Wilhelm  Diez  50. Geburtstage,  Kunst  für  Alle,  IV.  1889,113. 
II.  E.  v.  Berlepsch,  W.  Diez,  Zeitschrift  für  bildende  Kunst  22. 

Clans  Meyer  : 

Claus  Meyer-Album,  1 2 Photogravuren  mit  biogr.  Text  von  W.  Lübke,  München  1890. 
Iiarburger : 

Harburger-Album,  München,  Braun  und  Schneider  1882. 

Fritz  August  Kaulbach : 

Hermann  Helfe  rieh,  Neue  Kunst,  Berlin  1887. 

P.  G.,  Zeitschrift  für  bildende  Kunst  1888,  XXIII.  125. 

R.  Graul,  Graphische  Künste  1890,  XIII.  27,  61. 

Vgl.  auch  : Kaulbach- Album,  Verlagsanstalt  für  Kunst  u.  Wissenschaft,  München  1891. 
Lenbach : 

Friedrich  Pecht,  Fr.  L.,  Nord  und  Süd  I.  1877,  p.  113. 

B.  Förster,  F.  Lenbachs  neueste  Porträts,  Zeitschrift  für  bildende  Kunst  1880,  B.  26. 
Ludwig  Pietsch,  Fr.  L.,  Nord  und  Süd  44,  1888,  p.  363. 

Com.  Gurlitt,  Lenbachs  Bismarck-Bildniss,  Gegenwart  37,  p.  318. 

Herrn.  Helferich,  Lenbachs  Zeitgenössische  Bildnisse,  Nation  5 1887/88, 

p.  205  und  227. 

H.  E.  v.  Berlepsch,  Fr.  L.,  in  Velhagen  und  Klasings  Monatsheften  189t,  i. 

Vgl.  auch:  Lenbachs  Zeitgenössische  Bildnisse,  Heliogravüren  von  Albert, 

München  1888. 

Leibi: 

S.  R.  Köhler,  American  Art  Review,  1880,  u. 

Hermann  Helferich,  Kunst  für  Alle,  Januar  1892. 

T rübtier : 

Hermann  Helferich,  Nation  1889,  VI.  489. 

Reproductionen  in  dem  »Trübner  Album«,  I.  München  Albert  1888.  II.  München 
Obernetter  1891. 

Cap.  XXXII 

Hauptwerke: 

Louis  Gonse,  L'Art  japonais,  Paris  Quantin  1883. 

Anderson,  The  pictorial  Arts  of  Japan,  London  1883. 

J.  Brinkmann,  Kunst  und  Handwerk  in  Japan,  Berlin  1889. 

Vgl.  ausserdem:  Ernest  Chesneau,  Le  Japon  a Paris,  Gazette  des  Beaux  Arts 
1878,  II.  385,  841. 


Literatur. 


66  9 

H.  v.  I schudi,  Die  Kunst  in  Japan,  Mittheilungen  des  k.  k.  österr.  Museums 
XIV.  1879,  170. 

Le  Blanc  du  Vernet,  L'art  japonais,  L’Art  1S80,  280 ; Japonisme,  L’Art  1880,  275. 

I li.  Duret,  L Art  japonais.  Les  livres  illustres.  Les  albunts  imprimes.  Ilokusai, 
Gazette  des  Beaux  Arts  1882,  II.  113,  300. 

Hans  Gierke,  Japanesische  Malerei  in  Westermanns  Monatsheften,  Mai  188 j. 

D.  Brauns,  Die  Leistungen  der  Japaner  auf  dem  Gebiete  der  Künste:  Unsere 

Zeit  1883,  II.  765. 

O.  v.  Schorn,  Malerei  und  Illustration  in  Japan,  Vom  Fels  zum  Meer,  April  1884. 

F.  E.  Fenollosa,  Review  of  the  chapter  on  painting  in  L'Art  japonais  by 

L.  Gonse,  Yokohama  1885. 

W.  Koopmann,  Kunst  u.  Handwerk  in  Japan,  Zeitschr.  f.  bildende  Kunst  XIV.,  p.  189. 
T.  de  Wvzewa,  La  peinture  japonaise,  Revue  des  deux  mondes,  1.  Juli  1890. 
Auch  separat  in  dem  Buche:  Les  grands  peintres  de  l’Espagne  etc.,  Paris  1891. 

S.  Bing,  Le  Japon  artistique,  Paris  1888.  Deutsch  unter  dem  Titel:  Japanischer 
Formenschatz,  Paris  und  Leipzig  1889  ff.  6 Bde. 

Outamaro : 

E.  de  Gon court,  Outamaro  le  peintre  des  maisons  vertes,  Paris  1891. 

Ilokusai: 

G.  Geffroy  in  dem  Bande  La  vie  artistique,  Paris  1892. 

Cap.  XXXIII. 

Duranty,  La  nouvelle  peinture,  ä propos  du  groupe  d'artistes  qui  expose  dans 
les  galeries  Durand-Ruel,  Paris  Dentu  1876. 

Theodore  Duret,  Les  peintres  impressionistes:  C.  Monet,  Sisley,  C.  Pissarro, 
Renoir,  B.  Morisot,  avcc  un  dessin  de  Renoir.  Paris  1879. 

Louis  Enault,  Une  revolution  artistique,  Paris  1880. 

Fred.  Wedmore,  The  Impressionists.  »The  Fortnightly  Review«.  Januar  1883. 
Felix  F £ n e o n , Les  Impressionistes  en  1886,  Paris  1886  (Angrand,  Caillebottc, 
Miss  Cassatt,  Degas,  Dubois-Pillet,  David  Estoppey,  Forain,  Gauguin,  Guil- 
laumin,  Claude  Monet,  Mrne.  Morizot,  de  Nittis,  Camille  et  Luden  Pissarro, 
Raffaelli,  Renoir,  Seurat,  Signac,  Zandomeneghi  etc.) 

Catalogue  illustr£  de  l'exposition  des  peintures  du  groupe  Impressioniste  et  Syn- 
thetiste,  faite  dans  le  local  de  M.  Volpini  au  Champ  de  Mars,  1889. 

G.  Lccomte,  L’Art  Impressioniste,  Paris  1892. 

H.  Huysmans,  Certains,  Paris  I892. 

Derselbe,  L’Art  moderne,  Paris  1892. 

G.  Geffroy,  La  vie  artistique,  Paris  1892. 

Vgl.  auch:  Carl  Neu  mann,  Betrachtungen  über  moderne  Malerei,  Preussische 
Jahrbücher  1889,  3,  wo  die  Ziele  der  neuesten  Kunst  sehr  feinsinnig  gekenn- 
zeichnet sind. 

Manet : 

Zola,  Mes  haines,  Paris  1878,  p.  327  ff.  Ed.  Manet. 

Catalogue  de  l’exposition  des  Oeuvres  de  Manet,  avec  pr£face  d’Em.  Zola.  Paris  1884. 
Edraond  Bazire,  Manet,  Paris  1884. 

Jacques  deBiez,  Ed.  Manet.  Conference  faite  d la  salle  des  capucines  le 
Mardi,  22.  Januar  1884.  Paris  1884. 

L.  Gonse,  Manet,  Gazette  des  Beaux  Arts  1884,  I.  133. 

Fritz  Bley,  Ed.  M.,  Zeitschrift  für  bildende  Kunst  1884,  8. 


Literatur. 


670 

Paul  D’ Abrest,  Allg.  Kunstchronik  1884,  VIII.  5. 

Andreas  Aubert  im  Kopenhagener  »Tilskueren«  1888. 

Monet : 

Theodore  Duret,  Le  peintre  Claude  Monet,  Notice  sur  son  oeuvre.  Paris  1880. 
A.  de  Lostalot,  Exposition  des  oeuvres  de  M.  CI.  M.,  Gazette  des  Beaux  Arts 
1883,  I.  342. 

C.  Dargenty,  Exposition  des  oeuvres  de  M.  Monet,  Courier  de  l’Art  1883,  11. 
Hermann  Helfer  ich,  CI.  M.,  Freie  Bühne  1890,  8. 

Degas: 

Magazine  of  art  1889. 

Pissarro : 

G.  Lecomte,  Camille  P.,  Nr.  11  der  »Hommes  d’aujourdhui«,  Paris  1890. 


Als  Vorlagen  für  die  Abbildungen  wurden  die  Photographien  von  Braun, 
der  Autotype  Company  u.  A. , zum  Theil  altere  Kupferstiche  und  Radirungen 
verwendet.  Die  Illustrationen  auf  p.  1 162—163  sind  Lichtwarks  in  der  Verlags- 
lagsanstalt  für  Kunst  und  Wissenschaft  (München)  erschienenem  Werk  über  die 
Hamburger  Kunst  bis  1830,  die  auf  p.  11  18  19  21  22  46  47  48  49 

113  13t  135  136  140  141  195  283  290  294  293  303  324  332  337 

3 53  3 54  3 55  3 58  361  363  3^7  379  3«o  381  382  383  389  390  391 

409  416  417  418  431  43s  460 — 63  472  473  der  Zeitschrift  L’Art,  die 

auf  p.  12  133  197  281  283  287  289  291  328  329  356  371  372  376 

378  433  464  463  467  dem  von  Antonin  Proust  herausgegebenen  Werke 

L'Mrt  franfais,  Paris  Baschet,  die  auf  p.  13  14  16  17  24  25  42  44  101 

132  193  239  364  432  447  448  451  452  453  470  479  der  Gazette  des 

Beaux  .Arts,  die  auf  p.  15  41  45  50  51  53  54  55  Arsen e Alexandres 
»L’Art  du  Rire«,  die  auf  p.  20  23  397  469  dem  Magazine  of  Art,  die  auf 
p.  34  421  und  476  Lützows  Werk  über  die  vervielfältigende  Kunst  der  Gegen- 
wart, Wien,  Gesellschaft  für  vervielfältigende  Kunst,  die  auf  p.  35  340  und  541 

Lenbach's  Porträtwerk,  München , Verlagsansla.lt  für  Kunst  und  Wissenschaft,  die 
auf  p.  37  38  39  40  dem  Oberländer  Album,  München,  ‘ Braun  & Schneider, 
die  auf  p.  56  und  203  dem  Sammelwerk  Les  artistes  cilebres,  Paris,  Librairie  de 
L’Art,  die  auf  p.  66  71  72  127  306  307  314  315  316  513  dem  Tort- 
folio, die  auf  p.  102  103  104  105  ‘Beraldi’s  Werk  über  Raffet,  die  auf  p.  114 

und  1 1 5 Jules  ‘I{_ichard’s  Werke  »En  Campagne«,  die  auf  p.  1 17  und  118 
Hollands  Werk  über  die  Familie  Adam,  Nürnberg,  Soldan,  die  auf  p.  123  483 
5 5°  5 3 1 5 32  5 54  5 36  553  Seemann’ s Zeitschrift  für  bildende  Kunst,  die  auf 

p.  157  — 161  der  Spit^weg  Mappe,  München,  ‘Braun  & Schneider,  und  dem  Spitf- 
weg  Album,  München,  Hanfslängl,  die  auf  p.  166 — 170  und  225  Westermann’s 
Monatsheften,  die  auf  p.  202  dem  Werke  »Bruxelles  ä travers  les  äges«  von 
Henri  und  Paul  Hymans,  ‘Bruxelles,  ‘Bruylant,  die  auf  p.  207  und  552  der 
American  Art  Review,  die  auf  p.  213  und  252  dem  von  Max  Jordan  heraus- 
gegebenen Stammbuch  der  Berliner  Nalionalgalerie,  die  auf  p.  250  den  Graphischen 
Künsten,  die  auf  p.  219  und  549  der  Kunst  für  Alle,  die  auf  p.  338  370  454 
dem  Century,  die  auf  p.  326  327  dem  Art  Journal,  die  auf  p.  385  387  dem 

Art  Annita!,  die  auf  p.  394  395  399  402  405  406  407  Sensier’s  Werk  über 
Millet,  die  auf  p.  400  401  404  420  dem  Livre  d’or  de  Millet,  die  auf  p.  520 
521  523  524  525  526  527  329  dem  Bruckmann’schen  Menzelwerk,  die  auf 

p.  538  und  S39  dem  Bruckmann'schen  Kaulbachwerk,  die  auf  p.  543  Albert’s 
Werk  über  die  Galerie  Schack,  die  auf  p.  554  Hanfstängl’s  Kunst  Unserer  Zeit, 
die  auf  p.  585—603  Gonse’s  L’Art  Japonais,  Müder  son' s Pictorial  Arts  of  Japan 
und  ‘Bing's  Formenschall  entnommen.  Auf  p.  271  ist  dem  Abschnitt  über 
Ed.  Schleich  tl.  A.  irrthümlich  als  Abbildung  eine  Landschaft  von  Ed.  Schleich  d.  J. 
beigefügt. 


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