I
Geschichte der Malerei
IM
NEUNZEHNTEN JAHRHUNDERT
GESCHICHTE
DER
MALEREI
IM
XIX. JAHRHUNDERT
VON
RICHARD MUTHER
ZWEITER BAND
MIT 453 ILLUSTRATIONEN
MÜNCHEN
G. HIRTH’s KUNSTVERLAG
1893
DRUCK VON’ KNORR & H1RTH, MÜNCHEN. — AUTOTYPIEN VON
OSCAR CONStE, MÜNCHEN.
Inhalt.
Einleitung.
Ein Vorspiel. Philipp Otto Runge.
III. Die Eroberung des Modernen.
17. Die Zeichner.
Die allgemeine Weltentfremdung der Malerei in der ersten Hälfte des
19. Jahrhunderts. Die Zeichner und Caricaturisten die ersten, die das
moderne Leben in den Kreis der Kunst hereinzogen. England: Gillray,
Rowlandson, George Cruikshank, Der Punch, John Leech, George Du
Maurier, Charles Keene. — Deutschland: Johann Adam Klein, Johann
Christian Erhard, Ludwig Richter, Oscar Pietsch, Albert Hendschel, Eugen
Neureuther. Die Fliegenden Blätter. Wilhelm Busch, Adolf Oberländer.
— Frankreich: Louis Philibert Debucourt, Carle Vernet, Bosio, Henri
Monnier, Honore Daumier, Gavarni, Guys, Gustave Don!:, Cham, Marcelin,
Randon, Gill, Hadol, Draner, L£once Petit, Gr6vin. — Nothwendigkeit,
dass auch von den Malern die Welt wieder entdeckt werde. Anregung
dazu durch die Engländer.
18. Die englische Malerei bis 1850.
England von der retrospectiven Strömung des Continents wenig berührt.
James Barry, James Northcote, Heinr. Füssli, William Etty, Benjamin
Robert Haydon. Die Malerei schreitet auf den von Hogarth und
Reynolds betretenen Bahnen weiter. Die Porträtmaler: George Romney,
Thomas Lawrence, John Hoppner, William Beechey, John Russell, John
Jackson, Henri Raeburn. — Benjamin West und John Singleton Coplev treten
mit Geschichtsbildern aus ihrer eigenen Zeit auf. Daniel MacliSe. — Die
Thiermalerei: John Wootton, George Stubbs, George Morland, James Ward,
Edwin Landseer. — Die Genremalerei: David Wilkie, W. Collins, Gilbert
Stuart Newton, Charles Robert Leslie, W. Mulready, Thomas Webster,
W. Frith. Der Einfluss dieser Genrebilder auf die Malerei des Continents.
19. Das Militärbild.
Weshalb die Eroberung des Modernen auf dem Continent nur stückweise
erfolgte. Die romantischen Anschauungen, die aesthetischen Theorien
und die Kostümfrage. An der Uniform lernt die Malerei das moderne
Zeitkostüm behandeln. Frankreich: Gros, Horace Vernet, Hippolyte
Bellange, Isidor Pils, Alexandre Protais, Charlet, Raffet, Ernest Meissonier,
Guillnume Regamey, Alphonse de Neuville, Aimd Morot, Edouard Detaillc.
— Deutschland : Älbrecht Adam, Peter Hess, Franz Krüger, Karl Steffeck,
Th. Horschelt, Franz Adam, Joseph v. Brandt, Heinr. Lang.
20. Das ethnographische Genre.
Weshalb die Maler, wenn sie nicht in die Vergangenheit untertauchten,
ihr Ideal zunächst in der Ferne suchten. Italien durch Leopold Robert
entdeckt. Victor Schnetz, Ernest Hubert, August Riedel. — Der Orient
war für die Romantiker dasselbe, was für die Classicisten Italien gewesen.
Frankreich; Delacroix, Decamps, Prosper Marilhat, Eugene Fromentin,
Seite
I
IO
6l
98
122
VI
Inhalt
Gustave Guillaumet. — Deutschland: H. Kretzschmer, Wilhelm Gentz, Seite
Adolf Schreyer u. A. — England: William Müller, Frederick Goodall,
F. J. Lewis. — Italien: Alberto Pasini.
21. Das humoristische Anekdotenbild. 146
Die ins Exotische entlaufene Malerei kehrt in der Heimath ein und findet
beim Bauern eine stehengebliebene Vergangenheit, die malerische Kleidung
bewahrt hat. München: Uebergang von der Militärmalerei zur Bauern-
malerei. Peter Hess, Heinrich Bürkel, Carl Spitzweg. Hamburg: Hermann
Kauflmann. Berlin: Fr. Ed. Meyerheim. Einfluss Wilkies und des Dorfromans.
München: Johann Kirner, Carl Enhuber. Düsseldorf: Adolf Schroedter,
Peter Hasenclever, Jacob Becker, Rudolf Jordan, Henry Ritter, Adolf Tide-
mand. Wien : Peter Klafft, J. Danhauser, Ferd. Waldmüller. — Belgien :
Einfluss von Teniers. Ignatius van Regemorter, Ferdinand de Braekeleer,
Henri Coene, Madou, Adolf Dillens. — Frankreich: Francois Biard.
22. Das socialistische Tendenzbild. 186
Weshalb das moderne Leben zunächst in allen Ländern nur unter der
Form der humoristischen Anekdote in die Kunst Eingang fand. Der
conventioneile Optimismus dieser Bilder geräth in Conllict mit der
revolutionären Stimmung des Zeitalters. Frankreich: Delacroix' Freiheit,
Jeanron, Antigua, Adolphe Leletix, Meissonier's Barrikade, Octave Tassaert.
— Deutschland: Gisbert Flüggen, Carl Hübner. — Belgien: Eugene
de Block, Antoine Wiertz.
23. Die Dorfnovelle. 212
Deutschland: Louis Knaus, Benjamin Vautier, Franz Defregger, Math.
Schmidt, Alois Gabi, Ed. Kurzbauer, Hugo Kauflmann, Willi. Riefstahl.
Die Mönchshumoreske: Ed. Grützner. Die Börsen- und Fabrikgeschichte :
Ludwig Bokelmann , Ferd. Brütt. Deutschland gibt die Principien der
Genremalerei an andere Länder weiter. Frankreich : Gustav Brion, Charles
Marchal, Jules Breton. — Mit Düsseldorf steht Schweden und Norwegen
in Verbindung. Karl D'Uncker, Wilhelm Wallander, Anders Koskull,
Kilian Zoll, Peter Eskilson , August Jernberg, Ferdinand Fagerlin,
V. Stoltenberg Lerche , Hans Dahl. — Von München wird Ungarn be-
fruchtet : Ludwig Ebner, Paul Boelmi, Otto von Baditz, Koloman Dery,
Julius Agghäzi, Alexander Biliari, Ignaz Roskovics, Johann Jankö, Tihamer
Margitay, Paul Vagö, Arpad Fessty, Otto Koroknyai, D. Skuteczky. —
Unterschied dieser Bilder von denen der alten Holländer. Von Hogarth
zu Knaus. Warum Hogarth überwunden und die »Genremalerei« zur
»Malerei« werden musste. Diese Basis durch die Landschafter geschaffen.
24. Die Landschaftsmalerei in Deutschland. 2|8
Bedeutung der Landschaft für die Kunst des 19. Jahrhunderts. Der
Classicismus : Joseph Anton Koch, Leopold Rottmann, Friedrich Preller
und seine Nachfolger. — Die Romantik: Karl Friedrich Lessing, Karl
Blechen, W. Schirmer, Valentin Ruths. — Die Entdeckung Ruysdaels und
Everdingens. Die Vermittlerrolle, die dabei einige aus Dänemark und
Norwegen gekommene Künstler spielten. J. C. Dahl, Christian Morgen-
stern, Ludwig Gurlitt. — Andreas Achenbach, Eduard Schleich. — Die
deutschen Landschafter ziehen in alle Welt. Einfluss Calames. H. Gude,
Niels Björnson Möller, August Cappelen, Morten- Müller, Erik Bodom,
L. Munthe, E. A. Normann. Ludw. Willroider, Louis Douzette, Hermann
Eschke. Carl Ludwig, Otto v. Kameke, Graf Stanislaus Kalkreuth. Oswald
Achenbach, Albert Flamm, Asc. Lutteroth. Ferd. Belleimann, Ed. Hilde-
brandt, Eugen Bracht. Weshalb viele ihrer Bilder gegenüber denen der
alten Holländer mehr eine Erweiterung des geographischen Horizontes
als eine Verfeinerung des Geschmacks bezeichnen. Ueberwindung des
Stoffinteresses und des Knalleffekts durch den Paysage intime.
Inhalt VII
25. Die Anfänge des Paysage intime.
Die classicistisclie Landschaftsmalerei in Frankreich: Hubert Robert, Henri
Valencienncs, Victor Benin, Xavier ßidault, Michallon, Jules Coignet,
Watelet, Th. Aligny, Edouard Benin, Paul Flandrin, Achille Benouville,
J. Bellel. — Der Romantismus und die Einkehr in Frankreich: Victor
Hugo. Georges Michel, der lluysdael des Montmartre. Charles de la
Berge, Camille Roqueplan, Camille Flers, Louis Cabat, Paul Huet. —
Die Engländer die ersten, die sich von der Composition und dem Galerie-
ton befreien. Turner. — John Crome, der englische Hobbema und die
Schule von Norwich: Cotman, Crome jr., Stark, Vincent. — Die Aqua-
rellisten: John Robert Cozens, Tom Girtin, Edridge, Prout, Sam. Owen,
Luke Clennel, Howitt, Robert Hills. Einfluss des Aquarells auf die eng-
lische Farbenanschauung. — John Constable und die Freiluftmalerei.
David Cox, William Müller, Peter de Wint, Creswick, Peter Graham,
Henri Dawson, John Linnell. Richard Parkes Bonington als Verbindungs-
glied zwischen England und Frankreich.
26. Die Landschaft von 1850.
Constable im Louvre und sein Einfluss auf die Schöpfer des französischen
Paysage intime. Theodore Rousseau, Corot, Jules Dupr£, Diaz, Dau-
bigny und ihre Nachfolger. Chintreuil, Jean Desbrosses, Achard, Frangais,
Harpignies, Emile Breton u. A. — Die Thiermalerei: Carle Vernet, Gericault,
R. Brascassat, Troyon, Rosa Bonheur, Jadin, Eug. Lambert, Palizzi, Aug.
Langon, Charles Jacque.
27. Jean-Frangois Mi 11 et.
Seine Bedeutung und die Aufgabe der Folgenden. Millets Prinzip »le beau
c’est le vrai« von der Bauernmalerei auf das moderne Leben überhaupt, von
Barbizon nach Paris zu übertragen.
28. Der Realismus in Frankreich.
G. Courbet und das moderne Arbeitcrbild. Alfred Stevens und die Ge-
sellschaft.« Seine Nachfolger Auguste Toulmouche, James Tissot u. A.
Im Gegensatz zum Cinquecento tritt jetzt das Studium der alten Deutschen,
der Lombarden, der Spanier, der Vlaamen und der Rococomeister schul-
bildend auf. Gustave Ricard, Charles Chaplin, Gaillard, Paul Dubois, Carolus
Duran, Lüon Bonnat, Roybet, Blaise Desgoffe, Philippe Rousseau, Antoine
Vollon, Frangois Bonvin, Thüodule Ribot.
29. Der Realismus in England.
Der Manierismus der englischen Historienmalerei. J. C. Horsley, J. R. Her-
bert, J. Tenniel, E. M. Ward, Eastlake, Edw. Armitage u. A. — Die Be-
deutung Ruskins. — Beginn der Reformbestrebungen mit William Dyce
und Joseph Noel Paton. — Die Praerafaeliten. Ihr Kampf gegen die
schöne Form und den schönen Ton. Holman Hunt. Ford Madox Brown.
John Everett Millais und Velazquez. Ihre Bilder aus dem modernen Leben
im Gegensatz zu den Anekdotenbildern der älteren Genremaler. — Der
Schotte John Phillip.
30. Der Realismus in Deutschland.
Weshalb Historienmalerei und Anekdotenbild nach den Umwälzungen von
1870 nicht mehr im Mittelpunkt des deutschen Kunstlebens stehen konnten.
Berlin: Adolf Menzel, A. v. Werner, Carl Gussow, Max Michael. —
Wien: Aug. v. Pettenkofen. — München tritt wieder schulbildend auf.
Bedeutung der kunstgewerblichen Strömung der 70er Jahre, die den An-
stoss zu eingehendem Studium der alten Coloristen gibt. Lorenz Gedon,
W. Diez, Edm. Harburger, W. Loefftz, Claus Meyer, A. Holmberg, Fr. Aug.
Kaulbach. An die Stelle der gut erzählten Anekdote tritt gute Malerei.
Uebergang von diesem Kostümbild zur rein malerischen Behandlung auch
des modernen Lebens. Franz Lenbach. Die Rambergschule. Victor Müller
vermittelt die Kenntniss Courbets. Wilhelm Leibi, Wilhelm Trübner.
Seite
280
321
393
430
480
5i9
VIII
Inhalt
Seite
31. Das Problem der modernen Farbenanschauung, 566
Der Realismus, in Stoffen und Formenbehandlung selbständig, ist in der
Farbenanschauung entweder noch nicht zur Freiheit von den alten Meistern
oder noch nicht zu rein künstlerischer Harmonie gekommen. Courbet,
Stevens, Ribot, Lenbach. — Die Praerafaeliten und Menzel. — Leibi.
32. Die Japaner. 5S3
Die Pariser Weltausstellung 1867 vermittelt Europa die Kenntniss der Japaner.
Uebersicht über die Geschichte der Japanischen Malerei. Der »Verein vom
Jinglar« und der Einfluss der Japaner auf die Begründer des Impressionismus.
33. Die Impressionisten. 610
Der Impressionismus ist Realismus, erweitert durch das Studium des
Milieus. Edouard Manet, Degas, Renoir, Camille Pissarro, Alfred Sisley,
Claude Monet. Die impressionistische Bewegung als Schlusswort im
grossen Befreiungskampf der modernen Kunst.
Literatur. 647
0X©
Philipp Otto Runge: Kinderporträt. ( Federzeichnung .)
WALTET Logik in der Geschichte? Sind diejenigen, die als
historische Persönlichkeiten gefeiert werden, immer die
nämlichen, die wirklich Geschichte »machten«? Jede Ent-
wicklung bedeutet einen Kampf. Alte Dogmen weichen, neue Prin-
cipien erobern die Position. Denen, die mit jauchzendem Hurrahruf
die vom Gegner besetzte Höhe nehmen, fällt der Lorbeer des Sieges
zu. Die Unglücklichen aber, die unterwegs zu Ealle kamen, werden
klanglos begraben. Und oft sind sie es, die das Signal zur Attake
gegeben hatten und als die Kühnsten den nachfolgenden Genossen
voranstürmten. Nicht Genie und Talent allein ist in der Kunst ent-
scheidend. Selbst der Begabteste geht zu Grunde, der neben seinem
Künstlerthum nicht auch die eigenartige Complication von Fähig-
keiten besitzt, die von der »Gesellschaft« verlangt werden, die Eli-
Muther, Moderne Malerei II. I
2
Ein Vorspiel
bogen kraft, die dazu gehört, der Welt sich aufzudrängen. Solche
Charaktere werden — wenigstens zeitlebens — fitst regelmässig von
den mehr oder weniger geschickten Mittclmässigkciten besiegt, in
denen das grosse Publikum Fleisch von seinem Fleisch und Blut von
seinem Blut erkennt. Andere, und die Schlechtesten nicht, sterben
jung. Das Schicksal gab ihnen nur die Zeit, mit muthiger Hand an-
zudeuten, was sie wollten, und ein Nachfolgender, dem längeres
Leben gegönnt war, errichtete auf den fest gezogenen Linien des
Grundrisses das ragende Gebäude. Wieder Andere scheitern, weil
das Losungswort, das sie ausgaben, um Jahrzehnte zu früh kam.
Keine Kraft im Weltall geht verloren; sie setzt, obzwar lange latent,
später von Neuem ein. So fliegt auch von den Werken solcher
Neuerer gleichsam ein feiner Blüthenstaub aut, der durch etwas wie
Keime in der Luft über die Länder getragen wird und schliesslich
irgendwo auf fruchtbares Erdreich fällt. Doch die Stätte, von wo er
ausflog, ist vergessen.
In der Hamburger Kunsthalle hängt ein merkwürdiges Bild.
Drei Kinder sind im Freien unter vollem Sonnenlicht dargestellt.
Ein etwa achtjähriger Knabe und ein älteres Mädchen halten mit
einem kleinen Wagen, in dem ein kräftiges Baby sitzt, an der Ecke
eines graugestrichenen Zaunes. Sic sind im Begriff weiter zu fahren.
Der Junge erhebt mit der Rechten seine Peitsche, das vorsorgliche
Mädchen wendet sich noch einmal zu dem Kleinen um, das mit
grossen hellen Augen kindlich träumerisch in’s Leere starrt. Jen-
seits des Zaunes, durch den sich die zierlichen Stengel einer dichten
Ligusterhecke drängen, liegt eine weite Wiese, umrahmt von den
Gärten der Landhäuser. Weiter hinten erheben sich über Baum und
Busch die hohen Thtirme eines Hamburger Vorortes. Das Licht
eines milden Sommertages liegt weich und voll auf der Gruppe, eine
warme Luft zittert über die Fluren, in duftiger liebkosender Atmo-
sphäre baden sich die Blättchen der Bäume. Alles ist Sonne, Licht-
aufzucken, Luftigkeit. Nur über das rothe Röckchen des im Wagen
sitzenden Kindes, über seine nackten, spielenden Füsschcn und das
blaue weissgestreifte Kissen fällt der Schatten einer grossen am Wege
stehenden Sonnenblumenstaude, von der die kleine Hand des Kindes
mechanisch einen Blattstiel gepackt hat. Und wie klar, wie durch-
sichtig sind diese Schatten ! Seit der Renaissance hatten die Künstler
dem malerischen Effekt zu Liebe systematisch die Intensität der
Schatten gesteigert. Hier ist einer der Hauptparagraphen der neuen
Hin Vorspiel
3
Kunst formulirt: Je mehr Licht — nicht desto dunkler — sondern
desto schwächer sind die Schatten. Ucber das weissc Gewand des
Mädchens und über die Linien ihres Halses wirft der grüne Anzug
des Knaben leichte grünliche Reflexe. Unten auf den Falten des
Kleides spielt der kalte Widerschein des hellbraunen Weges, auf dem
die gelben Schuhe des Knaben und die grünen des Mädchens stehen.
Der Meister des Bildes hat nicht im Sinne der Alten nur Farben
und Formen mit Lichtern und Schlagschatten, sondern das durch-
scheinende leuchtende Licht gemalt, wie es sich auf die Formen und
Farben ergiesst und von ihnen aufgesogen und rückgeschleudert wird.
Jene verbannten im Wesentlichen das Licht an die Oberfläche, dieser
glaubte an dessen Allgegenwart, er sah in ihm den Vater alles Lebens
und aller Manigfaltigkeit der Erscheinung, also auch der Farbe.
Es ist ein sehr merkwürdiges Bild. Der Einklang der Luft und
des Lichtes mit dem, was sie leben lassen, — das grosse Problem
der modernen Malerei ist darin nicht nur aufgeworfen, sondern
meisterhaft gelöst. Und doch steht die Jahrzahl 1805 darauf. Die
Arbeit dreier folgenden Generationen hat die Kunst kaum weiter
gebracht.
Waltet Logik in der Geschichte? Darf der Historiker hoffen,
künstlerischer Schaffenskraft, künstlerischem Gedanken und künstler-
ischer Phantasie auf ihren seltsam verschlungenen Wegen mit der
Sonde des Philologen zu folgen? Gibt ihm der ungreifbare Factor,
den man Zeitgeist nennt, je die Handhabe, Persönlichkeiten zu er-
klären? Der Zeitgeist erzeugt die Dutzendmenschen, die das ver-
körpern. was die breite Strömung ihnen zuführt; die wirklich
grossen Naturen stehen zwar auch in der allgemeinen Strömung,
aber es ist, als ob ihnen noch aus unbekannten Quellen neue Kräfte
zuflössen, so seltsam wachsen sie über ihre Umgebung empor und
stehen plötzlich da als etwas g;mz Neues, den Zeitgeist verkörpernd
und doch verschieden von Allem, was vor und neben ihnen lebt.
Nachträglich versucht man wohl, diese Quellen archivalisch aufzu-
spüren, man bildet sich ein zu wissen, warum dies und jenes so
kommen musste, wie es gekommen ist — aber schliesslich bleibt
doch ein grosses Fragezeichen und das weite Gebiet des Unberechen-
baren beginnt, in das jene Macht hineingreift, die Friedrich der
Grosse den gewaltigsten Schlachtenlenker nannte — Sa Majeste le
hasard — der Zufall. Man kann auf den ersten Seiten von »Wahr-
heit und Dichtung« nicht ohne Erregung die Stelle lesen, wo Goethe
4
Ein Vorspiel
erzählt : »Durch Ungeschicklichkeit der Hebamme kam ich für todt
auf die Welt und nur durch vielfache Bemühungen brachte man cs
dahin, dass ich das Licht erblickte«. Wenn er in der Geburt ge-
storben wäre! Wie anders hätte sich die Entwicklung der deutschen
Literatur gestaltet ! Oder die der deutschen Kunst, wenn Asmus Jakob
Carstens nicht gekommen und Philipp Otto Runge die Führung über-
nommen hätte! Carstens war der Mann der Epoche, er verkörperte
den Zeitgeist. Runges Werken gegenüber ahnte Niemand, dass von
dieser Saat etwas aufspriessen und neuen Samen geben könne. Was
er ausstreute, barg die Keime des Kommenden.
Nicht in Rom und nicht in München sind die Anfänge der
modernen Malerei zu suchen, überhaupt in keiner der Städte, deren
Kunst sich auf dem Fundament von Akademien und Gemäldegalerien
erhob. Die Akademien und Gemäldegalerien züchteten die Fach-
leute, die sich der alten Kunst bedienten, um die Bedürfnisse des
Tages zu decken. Die Individualitäten, die der Kunst dienten, indem
sie Neues schufen, wurden abseits der herrschenden Centren gross.
Ihre Werke schlummern noch in Magazinen, aber eine kommende
Zeit wird sie hervorziehen und an ihrer Hand die Geschichte der
Kunstbewegung vom Anfang unsers Jahrhunderts schreiben.
Philipp Otto Runge wurde 1777 den 23. Juni in Wolgast ge-
boren und arbeitete, nachdem er die Akademien von Kopenhagen
und Dresden besucht hatte, in Hamburg. In den kunstgeschicht-
lichcn Handbüchern fehlt sein Name. Er konnte nicht aufgezählt
werden, da er sich keiner herrschenden Gruppe einfügte, und hätte,
selbst wenn von ihm Notiz genommen wäre, in seiner geschicht-
lichen Bedeutung nicht gewürdigt werden können, da seine besten
Werke in Privatbesitz vergraben lagen und die Beurtheilung im Wesent-
lichen auf eine Leistung angewiesen war, den Cyklus der »Tages-
zeiten . die bei ihrem Erscheinen im Kupferstich vielfache Commen-
tare hervorriefen und auch auf die Entwicklung des ornamentalen
Stils dauernden Einfluss hatten, aber doch — in den Umrissstichen
der Publication — keine Vorstellung von dem Umfang seiner Be-
gabung und der Neuheit seiner Ziele geben.
Philipp Otto Runge war der erste deutsche Künstler des Jahr-
hunderts, der mit allen eklektisch-akademischen Dogmen brach und
in vollem Bewusstsein der Xothwendigkeit dieses Schrittes auf ein
unbefangenes Studium der Natur drängte. Seine künstlerische Pro-
duction kannte kein abgesondertes Fach. Wie ein wiedererstandener
Ein Vorspiiii.
5
Renaissancemeister, aber in unserer Zeit wurzelnd, voll Selbstständig-
keit und Grösse, packte er alle Aufgaben an; die höchsten, wie die
bescheidensten. Entwürfe für Wandmalereien wechselten mit Orna-
menten für Sophakissen, Genrebilder mit Porträts, Heiligendarstell-
ungen mit Illustrationen. Und überall bot er Neues. Die stolze
Einseitigkeit der Cornelius und Carstens, für die der Künstler beim
»Historienmaler« anfing, wäre seinem universellem Geist ein un-
begreifliches Ding gewesen. Was der Maler sieht, muss er auch
malen können.
Hamburg ist der grosse Blumengarten Norddeutschlands, und von
der Garten- und Blumenliebhaberei, nicht vom Studium der Antiken-
cabinete und Gemäldegalerien kam Runge her. Eine seiner Lieblings-
beschäftigungen war das Silhouettenschneiden. Mit einer Scheere
und einem Stück weissen Papier ausgerüstet, schnitt er Pflanzen
und Blumen von einer Frische, Zartheit und feinsinnigen Natur-
versenkung, die in der abendländischen Kunst nicht ihres Gleichen
hat. Sonst fühlt man Erzeugnissen der Menschenhand Ort und
Zeit ihrer Entstehung an , hier schweigt jede Schätzung. Die
schwierigsten Probleme sind spielend gelöst, ein paar Aehren,
eine Veilchenstaude, eine Molmbliithe, ein Nelkenzweig genügen
ihm, kleine Meisterwerke von so duftiger Poesie und Grazie zu
schaffen, dass man — ohne Kenntniss ihres Ursprungs — die Hand
eines Japaners vermuthen oder an die grossen kunstgewerblichen
Zeichner der englischen Praeraphaelitengruppe — Walter Crane und
William Morris — denken würde. Das Jahrhundert hat in Deutsch-
land auf ornamentalem Gebiet nichts hervorgebracht, das so fein-
fühlige Naturempfindung mit gleich starkem Stilgefühl vereinte.
Auch in den vier Compositionen, die er selbst als Tageszeiten
oder Lebensalter bezeichnete, bilden Kinder und Pflanzen die ße-
standtheile, aus denen der originelle Aufbau sich zusammensetzt. Er
erscheint in ihnen als Begründer jenes ornamentalen Stils, als dessen
Schöpfer gewöhnlich Eugen Neureuther genannt wird. Ueberall
spielen Pflanzenformen, in neuem Geist nach der Natur studiert
und ohne jede Verwandtschaft mit dem herrschenden Classicismus,
die Hauptrolle. Die ganze Bewegung der Pflanze ist nach Art der
Japaner in feinsinnigster Weise gekennzeichnet. Auch der philo-
sophische Gedankeninhalt des Cyklus, der sich vielfach mit der
symbolistischen Richtung der Gegenwart berührt, ist nicht interesse-
los. Doch erst die farbige Ausführung einer der Compositionen, des
6
Ein Vorspiel
Morgens», (Hamburger Galerie) gibt eine Vorstellung von den Zielen
des Künstlers. Was in den leeren Linien der Umrisse unverständlich
bleibt, gewinnt hier Leben und Bedeutung. Alles ist Farbe, Licht,
Luft und Raum geworden. Nicht als trockene Kupferstiche, sondern
als monumentale Wandbilder hatte sich Runge den Cyklus gedacht,
und keine philosophischen Gedanken, — auf die seine Commen-
tatoren allein Gewicht legten — sondern glänzend phantastische
Lichterscheinungen wollte er darin ausdriicken. Sein »Nachtigallen-
unterricht« muthet an, wie eine Vorahnung Boccklins: wirkliches
Fleisch mit grünen Reflexen der Blätter, moderne Stimmungsland-
schaft und sattgrüne Zweige, die kühn gegen tiefblauen Himmel
gesetzt sind.
Selbst in seinen Bildnissen hat ihn das Studium der atmosphär-
ischen Einwirkungen ebensosehr wie das des Charakters beschäftigt.
Sic sind nicht zahlreich — nur Menschen , die seinem Geist oder
seinem Herzen nahe standen, malte er — aber sic gehören zum
Originellsten, was damals, nicht in Deutschland, sondern in Europa
entstand. Charakteristisch bis in die Fingerspitzen, dabei von grossem
Stil , haben sie zugleich eine Intimität , die in jener Zeit einzig ist.
Wie ein alter Deutscher, doch ohne Anlehnung, versuchte Runge,
die Menschen in ihrer täglichen Umgebung zu schildern, ein Bild
ihrer ganzen häuslichen Existenz zu entwerfen. Und mit merkwür-
diger Sicherheit hat er dabei die Klippe genrehafter Zurechtstutzung
vermieden. Die Poesie der Gewohnheit webt in seinen Bildern, so
dass sie wie die Erinnerung an etwas Trautes, Familiäres wirken:
empfunden und erlebt, nicht gestellt und gemalt. Ein Gruppen-
bildniss seiner Familie, 1800 in Kopenhagen entworfen, macht den
Anfang. Sie sitzen im Garten , vor der Veranda , beim Thectisch,
von hohen Bäumen beschattet, und Runge im Reisemantel, auf Ferien-
besuch von der Akademie zurückkehrend, eilt in herzlicher Begrüssung
dem Vater in die Arme. Auf einem zweiten, von 1805, steht er
mit seinem Bruder plaudernd im Garten, seine junge Frau lehnt sich
an ihn , die zarte Dämmerstimmung eines schönen Sommerabends
liegt darüber. Von 1806 ist das Bild seiner Eltern. Sie treten, von
einem Spaziergang kommend , in, den Garten ein. Zwei Knaben,
ihre Enkel, sind ihnen vorangesprungen, der eine möchte eine Lilie
pflücken, der andere, ältere, sieht deshalb fragend zu den Grosseltern
auf. Ein kalter grauer Tageston breitet sich ringsum aus. Runge
kannte keine traditionelle braune Abtönung. Sein Ziel war, »treu und
Ein Vorspiei.
7
wahr das Gesehene so wiederzugeben , wie ein Spiegel es von der
Natur zurückstrahlen würde,« und er bezeichnete seine Arbeiten als
misslungen, wenn er »unter dem Einfluss verschiedener, bald heller
bald trüber Erleuchtung an der ursprünglich beabsichtigten atmo-
sphärischen Stimmung nicht consequent hatte festhalten können«. Die
coloristische Haltung hat sich genau zu decken mit Ort und Zeit
des dargestellten Vorganges — er hat dieses Princip des Pleinair
ebenso klar in seinen Werken , wie in seinen Schriften formulirt.
Denn Philipp Runge war nicht nur Maler, er war auch Schrift-
steller: ein ebenso liebenswürdiger Mensch, wie bedeutender Geist, den
die Besten seiner Zeit in ihre Kreise zogen. Tieck steht ihm nahe
und Goethe wechselt mit ihm Briefe. Gedichte von ihm werden
componirt. Zu Grimms Märchen steuert er die schöne Erzählung
vom Machandelbaum bei, die in Schwind einen so liebenswürdigen
Illustrator fand. Seine »Farbentheorie« fesselt Goethes Denken. Und
seine »Hinterlassenen Schriften«, 1842 von seinem Bruder heraus-
gegeben, enthalten von Seite zu Seite ganz seltsame Zeugnisse
dafür, wie weit er in Allem seiner Epoche voraus war. Die ver-
schiedenartigsten Probleme, die erst viel später die Künstler be-
schäftigten, tauchen auf und werden erörtert. In einer Zeit, da
überall die alten Meister als Vorbilder und Leitsterne eines class-
ischen oder romantischen Eklekticismus dienten, verwahrt er sich aus-
drücklich gegen die Lehre, dass durch Copiren der Alten lebendige
Werke erzeugt werden könnten, und weist mit klaren Worten auf
den Inhalt der kommenden Kunst hin. Die grossen Ideen und die
Reize der Form seien durch die Alten erschöpft, dagegen sei das
Studium des Lichtes und der Farbe innerhalb der ältern Schulen
noch nicht ernstlich unternommen worden. Das müsse für die
Neuen den Ausgangspunkt des Schaffens bilden, und innerhalb der
Landschaftsmalerei werde dieser Umschwung zunächst sich voll-
ziehen. Sie werde, da das 19. Jahrhundert keine andern Stoffe
mehr auszugestalten vorfinde, den wesentlichen Inhalt der neuen
Kunst bilden.
»Wir sehen in den Kunstwerken aller Zeiten es am deutlichsten,
wie das Menschengeschlecht sich verändert hat, wie niemals dieselbe
Zeit wieder gekommen ist, die einmal war; wie können wir auf den
unseligen Hinfall kommen, die alte Kunst wieder zurückrufen zu
wollen? Wir stehen am Rande aller Religionen, die Abstractionen
gehen zu Grunde, Alles ist luftiger und leichter als das Bisherige.
8
Ein Vorspiel
Hs drängt sich Alles zur Landschaft, sucht etwas Bestimmtes in
dieser Unbestimmtheit. Doch unsere Künstler greifen wieder zur
Historie und verwirren sich. Ist denn in dieser neuen Kunst — der
Landschafterei, wenn man so will — nicht auch ein höchster Punkt
zu erreichen? der vielleicht noch schöner sein wird wie die vorigen?
Man soll nach Italien gehen! Ist nicht anzunehmen, dass die grossen
Kunstwerke, die man dort sieht, den Nachgeborenen nur von seinen
eigenen Ideen ablenken und das, was lebendig vor seiner Einbildungs-
kraft steht, ersticken ? Es ist wc i t b esse r, d i e Ku n s t zu n ä h re n,
als sich von ihr ernähren zu lassen. . . Kinder müssen
wir werden, wenn wir das Beste erreichen wollen«.
Das ist deutlich gesprochen. Runge will neue Kunst schaffen
nicht durch Wiederholung derer, die schon einmal da war, sondern
durch selbständige Versenkung in die Natur; aber auch nicht durch
mechanisches Zurechtstutzen der von der Natur gegebenen Elemente,
sondern durch den Ausdruck einer selbständigen starken Empfindung.
Im Princip ist bei dieser Anschauung sowohl die leere akademische
Kunst, die keine Empfindung kennt, das rückläufige Nazarenerthum
mit seiner Verleugnung eigener Naturanschauung wie die folgende
Epoche, die im Geschichtsbild, dem Genre und der Landschaft nur
den interessanten Stoff suchte, überwunden.
»Ueber Kunstansicht und Bestrebungen dieses Mannes, der wie
ein Meteor in unserer Welt schnell aufging und — will’s Gott nicht
ohne Einfluss — schnell wieder verschwand, einige Worte zu geben,
sei hier verstauet. In der Kunstentwicklung seiner selbst wurde es
ihm klar und gewiss, dass seit dem Blüthenalter der Griechen die
Kunst der Formen sowie in Richtigkeit und Strenge, so auch in
Leben und Schönheit der Umrisse von den Florentinern und Rafael
fast erschöpft, abgeschlossen und der Vollendung nahe gebracht sei,
— dass dagegen Licht und Farbe und bewegendes Leben
wohl von vielen tief empfunden und erhascht, von manchen lebendig
geahnt und empfangen, von Correggio und einigen klar eingesehen,
erkannt und ergriffen, aber bis jetzt noch von keinem als reine
Erkcnntniss in Wort und Gesetz, durch Rede und That
ausgesprochen sei«.
Als Michael Speckter 1815 im Niederelbischen Merkur diese
Worte schrieb, war Runge schon 5 Jahre todt. Er war am 2. De-
zember 1810 in Hamburg einem Brustleiden erlegen. 33 Jahre alt.
Sein Name wurde vergessen. Denn er gehörte keiner Richtung an,
Ein Vorspiel
9
um die sich die Kunstkritik ernsthaft kümmerte. Erst Alfred Licht-
wark rief ihn aus dem Grabe und errichtete ihm ein Denkmal. Seit
jenes Kinderporträt aus dem Magazin der Hamburger Kunsthalle auf-
tauchte, erfuhr die Welt, was für ein grosser Genius, ehe er seine
Schwingen hatte entfalten können, mit diesem Manne vernichtet
ward. Nun wird ihn die Kunstgeschichte nicht mehr vergessen.
Licht und Farbe und bewegendes Leben«, das ist das grosse
Problem, das grosse Geheimniss und die grosse Eroberung der modernen
Kunst, der Inhalt aller Bestrebungen der neuschaffenden Geister des
Jahrhunderts geworden. Drei Generationen von Akademikern mühten
sich ab, erst an die Zeichner, dann an die Coloristen aller Epochen
der Vergangenheit anzuknüpfen, in der Meinung, damit neue Kunst
zu schaffen. In der glänzenden und sinnlosen Anstrengung, den
Alten erst ihre Formen, dann ihre Farben zu nehmen, erschöpften
sich die Grössten und starben dahin. Und nachdem dieser Kreislauf
beendet war, ohne dass die Kunstgeschichte vorwärts kam, erstand
die »neue Kunst« dadurch, dass sie systematisch in die Bahnen ein-
lenkte, die Runge vorgezeichnet. In Worten und Werken hat er
die Entwicklung der europäischen Malerei vorausverkündet, und die
Schilderung der manigfachen Etappen, die sie zu durchlaufen hatte,
bis sie 1865 mit den Erstlingswerken Manets das Ziel erreichte,
worauf jenes Kinderporträt von 1805 prophetisch hinwies — diese
Schilderung wird den Inhalt des vorliegenden Bandes bilden.
XVII.
Die Zeichner.
INDEM die moderne Kunst im Beginne ihrer Laufbahn fast aus-
schliesslich mit abgeschiedenen Geistern der Vergangenheit ver-
kehrte, hatte sie sich in Gegensatz zu allen älteren, grossen
Epochen gestellt. Alle Werke der Kunstgeschichte vom Dombilde
Stephan Lochners bis zu den Arbeiten der Nachfolger Watteaus stehen
im engsten Zusammenhang mit ihrem Volk und ihrer Zeit. Wer
Dürers Werke studirt, kennt zugleich sein Heim, seine Familie, das
Nürnberg des 16. Jahrhunderts mit seinen kleinen Gässchen und
Giebelhäusern, es spiegelt in dem Griffel dieses einen Künstlers die
ganze Zeit sich mit einer Treue und Deutlichkeit wider, die des
peinlichsten Historikers spottet. Dürer wie seine Zeitgenossen in
Italien waren in so inniger Verbindung mit der Wirklichkeit, dass
sie sich in ihren religiösen Bildern sogar über die historische Wahr-
scheinlichkeit hinwegsetzten und die Wundergeschichten heiliger Ueber-
lieferung wie alltägliche Vorgänge des 1 5. Jahrhunderts behandelten.
Oder in welch greifbarer Realität ist in den Werken Ostades, Brouwers
und Steens die ganze Epoche, aus der diese grossen Künstler Kraft
und Nahrung sogen, in ihrem Geist, ihrer Gefühlsweise, ihren Sitten
und Kostümen lebendig geblieben. Jeder, dessen Name auf die Nach-
welt überging, stand fest und unverrückt auf dem Boden seiner Zeit;
gleich einem Baume ruhte er mit allen Wurzeln seines Stammes in
der heimischen Erde; seine Zweige rauschten in der Luft des Hei-
mathlandes, und die Sonne, die auf seine Blüthen fiel und seine
Früchte reifte, war die Italiens oder Deutschlands, Spaniens oder
der Niederlande in der und der Zeit, nie das schwache Reflexlicht
eines Gestirns, das ehedem in andern Zonen geleuchtet.
Nur im Beginne des 19. Jahrhunderts ging der Malerei dieser
Zusammenhang mit dem Leben der Gegenwart und dem Boden der
Heimath verloren. Es ist nicht anzunehmen, dass spätere Genera-
tionen sich aus diesen Bildern eine Vorstellung vom Leben des
XVII. Die Zeichner
1 1
19. Jahrhunderts werden bilden
können und dass sie für dieses
annähernd solche Documente sein
werden, wie sie das 16. und 17. Jahr-
hundert in den Werken Dürers,
Bellinis, Rubens’ oder Rembrandts
besitzt. Die alten Meister waren
Kinder ihrer Zeit bis in die Finger-
spitzen. Sie waren durchdrungen
von dem ganzen Inhalt, den Idea-
len, den Zielen ihrer Zeit, und sie
durchdrangen sie mit ihrem Inhalt,
ihren Zielen, ihren Idealen. Tritt
man dagegen in eine moderne
Gemäldegalerie ein und sucht die Martin Drol/mg.
bis 1850 entstandenen Bilder zu-
sammen, so hat man oft den Eindruck, als ob sie frühem Jahr-
hunderten angehörten. Sie sind gefühllos für die umgebende Welt
und scheinen sie nicht zu kennen.
Schon David, der erste der Neugekommenen, hat ausser seinem
Marat kein Werk hinterlassen, das mit dem Blute der französischen
Revolution getauft ist. Um das Pathos der kämpfenden Freiheit aus-
zudrücken, bediente er sich römischer Heldenfiguren. Die neuer-
rungene politische Freiheit des Volkes erläuterte er durch Beispiele
aus der römischen Historie. Und später, als die Alliirten nach der
Besiegung Napoleons in Paris einzogen, erzählte er die Geschichte
des Leonidas bei den Thermopylen. Nur als Porträt wurde von den
»Grossmalern« dem modernen Leben eine Berechtigung zugestanden.
Zwar lebten damals noch einige Kleinmeister, die verstohlen im
Dienste des Kunsthandels unscheinbare Bildchen aus dem umgeben-
den Leben, Küchen- und Architekturstücke in die Welt setzten. Der
arme elsässische Maler Martin Drolling. von der Kritik verächtlich
der Schüsselmaler genannt, zeigte in seinen Küchenbildern, dass trotz
David noch etwas vom Geiste Chardins und der grossen Holländer in
der französischen Kunst lebte. Er hat den Menschen, den Geräthen,
dem Gemüse die Pose und den harten Linienzug des Classicismus ge-
geben. Besser und zarter sind ein paar Porträts, besonders das des
Schauspielers Baptiste mit seinem feinen Diplomatenkopf, das auf
der Ausstellung 1889 in seiner sachlichen, sicher hingeschriebenen
XVII. Die Zeichner
Boilly: Das Marionettentheater.
Charakteristik wie ein Holbein von 1802 anmuthete. Ein anderer
Kleinmeister, Grauet, malte pittoreske Ruinen, niedrige Säle und
Kirchenwölbungen, studirte aufmerksam das Problem des Lichtes in
Innenräumen und zog sich dadurch von David den Vorwurf zu,
dass »seine Zeichnung nach Farbe schmecke«. In Leopold Boilly
fand das noch recht kleinstädtische Pariser Leben , die Ankunft der
Post, das Markt- und Strassentreiben einen chronistisch treuen, frei-
lich spießbürgerlichen Interpreten. In der Revolutionszeit malte er
einen Triumph Marats«, den Volkstribun, der nach einer zündenden
Rede von seinen Zuhörern auf den Schultern aus dem Pariser Justiz-
palast getragen wird. 1807, als die Ausstellung von Davids Krönungs-
bild ganz Paris in Aufregung brachte, hatte er den Einfall, den Aus-
stellungssaal mit dem Bild und der davor sich drängenden Menge in
einer Momentaufnahme festzuhalten. Seine Specialität waren kleine
Porträtgruppenbilder biederer Bourgeois in steifem Sonntagsstaat.
Boilly kannte genau die Toiletten seiner Zeit, die Roben und
Frisuren der Schauspielerinnen , er fragte nicht nach ästhetischen
Paragraphen, sondern stellte den Vorgang dar, so treu er konnte.
XVII. Dir: Zeichner
!3
so ehrlich und sachlich, wie
es nur möglich war. Des-
halb hat er hervorragenden
culturhistorischen Werth, ist
nur nicht Maler genug, um
künstlerisch grosses Interesse
zu beanspruchen. Die Aus-
lührung seiner Bilder ist ängst-
lich und kleinlich, seine
reinliche, philisterhafte Ma-
lerei hat etwas von Porzellan
und Emaille ohne eine Spur
jener geistvollen Leichtigkeit,
mit der das 18. Jahrhundert
über solche Dinge schwirrte.
Die Köpfe seiner Frauen sind
Puppenköpfchen und seine
Seide sieht aus wie Stahl.
Nicht die Holländer der guten
Epoche, Terborg und Metsu, sondern van der Werffs Zeitgenossen
sind seine Almen. Er sowohl wie Drolling und Grauet waren mehr
Ausläufer der alten, grossen, holländischen Schule, mehr Epigonen
Chardins als Anreger, und von den Jüngern wagte zunächst keiner
das vom Classicismus ausgerodete Gebiet neu zu besäen. Gericault
wurde zu seinem Schiffbruch der Medusa zwar nicht durch Livius
oder Plutarch, sondern durch eine Begebenheit aus der Gegenwart,
einen Zeitungsbericht angeregt, wagte, einen gewöhnlichen Schiff-
bruch an die Stelle der Sündfluth oder einer Seeschlacht, unbekannte
Menschen an die Stelle griechischer Heroen zu setzen. Doch sein
Bild steht unter den Werken der Romantiker vereinzelt da und ist
zu stark in den Classicismus transponirt, um als Darstellung aus
dem modernen Leben zu zählen.
In seinem Streben nach Bewegung und Farbe setzte der Ro-
mantismus das leidenschaftliche, malerische Mittelalter dem steifen,
kalten, neugriechischen und neurömischen Ideal entgegen, vereinigte
sich aber mit dem Classicismus in der Verachtung der Gegenwart.
Selbst die politische Bewegung am Ende der Restauration und die
Julirevolution hatte auf die führenden Geister geringen Einfluss. Ge-
wohnt, die Elemente malerischer Erfindung in den religiösen Mythen,
1 1
XVII. Die Zeichner
den Erzählungen der Dichter
und den Ereignissen der altern
Geschichte zu suchen , be-
merkten sie nichts von dem
gewaltigen, socialen Drama,
das in ihrer unmittelbarsten
Nähe sich abspielte. Der
Feuergeist Delacroix’ malte
zwar sein Barrikadenbild, Hess
sich aber dazu von einem
Dichter, einer Ode Auguste
Barbiers an regen und gab dem
Ganzen einen allegorisch ro-
mantischen Anstrich, indem
er die Figur der Freiheit bei-
fügte. Er lebte in einer Welt
glühender Leidenschaften, ne-
ben denen alle Kämpfe der
Gegenwart doch nur ein klein-
liches, materielles Interesse zu
haben schienen. Deshalb hat er aus dem, was er um sich sah, weder
direct, noch indircct geschöpft. Er malte die Seele, nicht das Leben
seiner Epoche. Die germanischen Dichter und das Mittelalter zogen
ihn an. Er befreite die Kunst von den griechischen Stoffen und italien-
ischen Formen, um dafür die Ideen den Engländern und Deutschen,
die Farben den Vlaamen zu entlehnen. Ueber die französische Ge-
sellschaft des 19. Jahrhunderts herrscht bei ihm tiefes Schweigen.
Noch mehr tritt diese Weltentfremdung bei Ingres hervor. Die
Messe Pius VII. in der sixtinischen Kapelle ist unter seinen vielen
Werken das einzige, das einen Stoff aus dem zeitgenössischen Leben
behandelt und wurde von der Kritik getadelt, weil es sich so weit
vom grossen Stil entferne. Historienmaler und in seinen guten
Stunden Porträtist, hat Ingres das ganze Lebensmark der Vergangen-
heit in seinen eisigen Werken crystallisirt und erscheint in der Mitte
des Jahrhunderts wie eine wunderbare aber unfruchtbare Sphinx.
Man hört bei ihm nichts von den Bedürfnissen, Leidenschaften und
Interessen der Lebenden. Sein Jahrhundert hat sich quälen, hat
leiden und kämpfen und neue Ideen erzeugen können, er bemerkte
nichts davon oder lässt nichts davon merken.
Boilly: Der Zeihingsverkäufer.
XVII. Die Zeichner
15
Rowlundson: Der Streit im Wirtbsbaus.
Delaroche näherte sich der Gegenwart etwas mehr, indem er aus
der Antike und dem Mittelalter bis zum 17. Jahrhundert vorwärts
schritt, und das von ihm erfundene Historienbild beherrschte im
Verein mit dem absterbenden Classicismus im Wesentlichen noch
unter Napoleon III. die französische Kunst. Auch damals wagte noch
kein Maler, die Sitten und Typen seiner Zeit mit dem frischen Blick
und der unerbittlichen Beobachtung Balzacs zu schildern. All die
Scenen aus dem grossstädtischen Leben, seiner Eleganz und seinem
Elend, die damals anfingen Drama und Roman zu beherrschen, hatten
in der Malerei noch kein Gegenstück.
In gleiches Stillschweigen hüllen sich die Belgier. Während der
ganzen classicistischen Verfallzeit von 1800 bis 1830 beherrschten die
Francois, Padinck, van Hansekere, Odevaere, de Roi, Duvivier u. A.
mit ihren gemalten griechischen Statuen als unbeschränkte Dictatorcn
das Figurenbild, und von den darauffolgenden Historienmalern zog
auch nur Wappers in seiner »Episode« das moderne Leben in den
Kreis der Darstellung. Man wollte Rubens erneuern. Dceaisne,
Wappers, de Keyzer, Riefve, Gallait zündeten ihr Licht an seiner
Sonne an und wurden als die heilige Schaar begrüsst, die Belgiens
XVII. Die Zeichner
16
Kunst zu ruhmreichem Siege führe.
Doch ihre anfangs nationale Rich-
tung führte statt in's Leben immer
mehr davon ab. Nur um Kürasse
und Helme zu malen, zogen sie
die dunkelsten Nationalhelden an s
Tageslicht, ganz wie es die Classi-
cisten mit Griechen und Römern
gethan. Die deutsche Malerei irrte
noch planloser in der Vergangen-
heit umher, indem sie ihre Stoffe
nicht einmal der heimischen, son-
dern mehr noch der französischen,
englischen und vlämischen Ge-
schichte entnahm. Von Carstens
bis herauf zu Makart verschlossen unsere tonangebenden Maler die
Augen ängstlich vor der Wirklichkeit, zogen die Jalousien zu vor
dem Leben, das unten auf der Strasse sich abspiclt, mit seinem
Koth und seinem Glanz, seinem Lachen und Elend, seiner Gemein-
heit und edlen Menschlichkeit. Und diese Weltentfremdung erklärt
sich culturgeschichtlich sehr wohl.
Zunächst bedeutete — für Frankreich wie für alle übrigen Länder
das Ende des ancien Regime, der Sturm der Revolution und die
damit verbundene Umbildung des ganzen Lebens, — der Gefühle,
Gewohnheiten, Anschauungen, der Kleidung und gesellschaftlichen
Zustände — eine so plötzliche Veränderung des Gesichtskreises, dass
die Künstler nothwendig in Verwirrung, kamen. Die Ueberlebenden
aus der Zeit Ludwigs XVI., die liebenswürdigen Kleinmeister, welche
die grossen Meister jener graziösen leichtlebigen Epoche gewesen
waren, als die Monarchie lachend den Todeskampf kämpfte, waren
plötzlich Zeugen einer Umwälzung, wie sie gleich jäh die Welt noch
nicht gesehen. Wilde Banden drangen in die Gärten, die Paläste,
die Salons ein, den Spiess in der Hand, die rothe Mütze auf dem
Kopf. Von roher Sprache hallten die Wände wider, plebejische
Redner orakelten wie altrömische Volkstribunen von Freiheit und
Brüderlichkeit. Man sah nicht mehr, was gestern da war, dicker
Pulverqualm hatte sich zwischen Vergangenheit und Gegenwart ge-
lagert. Und diese selbst hatte noch keine feste Form gewonnen, sie
hielt sich in unfertiger Mitte zwischen vergangenen und neuen Kultur-
Jobn Leech: Cbildren of tbe mobililx.
XVII. Die Zeichner
17
John Leech: Children of the mobility.
formen. Die Revolutionsstürme machten der Behaglichkeit des Privat-
lebens ein Ende. Daher dünkten der Kunst die fertigen, leichter
greifbaren Gestalten und Formen einer längst begrabenen Welt, der
man sich wahlverwandt glaubte, zunächst unendlich werthvoller als
das erst werdende Neue. Die Maler wurden Classicisten, da sie noch
nicht wagten, das Feld zu betreten, auf dem das Jahrhundert selbst
seinen Gährungsprocess durchmachte.
Die Romantiker verschmähten es, denn der gährende Most
hatte nicht feurigen Wein, sondern zahme Limonade ergeben. Der
Künstler muss Kunst erleben, um Kunst schaffen zu können. Je
schöner, reicher und glanzvoller das Leben der Völker war, desto mehr
Stoff und Nahrung hat die Kunst daraus gezogen. Die Romantiker
aber fanden bei ihrem Auftreten — in Frankreich wie in Deutschland
— Alles, nur nicht eine Wirklichkeit, die sie des Abgemaltwerdens
für werth hielten. Das ganze Dasein erschien dieser Generation so
kahl und armselig, die Kleidung so caricaturhaft unkünstlerisch, die
Zustände so trostlos und kleinlich, dass sie eine Schilderung ihrer
selbst weder in der Poesie noch in der Kunst vertragen konnte. Es
war die Zeit des sehnsüchtig gesuchten Idols, das man nur in der
Vergangenheit zu finden glaubte. Einer schlaffen, thatlosen Epoche
setzte man die gewaltigen Leidenschaften des Mittelalters gegenüber.
Dazu kam der überwältigende Druck der alten Meister. Es war
nach der durch David und Carstens verursachten coloristischen Hill-
Mnther, Moderne Malerei II.
2
i8
XVII. Die Zeichner
ilu Männer: Die Tanzstunde.
losigkeit so dringend nöthig. die Kunstlehre und Maltechnik der Alten
wiederherzustcllen, dass man zunächst auch die alten Stoße, nament-
lich die prunkvollen Gewänder der Lagunenstadt nöthig zu haben
glaubte, um daran die neu erworbenen Kunstgriffe der Palette zu
erproben. Unsicher zwischen altmeisterlichen Einflüssen schwankend,
meinte die Malerei mit den neuen Elementen, die das Jahrhundert
ihr bot, noch keine stilvollen Kunstwerke schaffen zu können. Sie
bedurfte noch einer venezianischen oder vlämischen Amme, um sich
tragen zu lassen.
Und die Aesthetik ertheilte diesen Bestrebungen ihren Segen.
Waren die Romantiker aus Ekel vor der farblos grauen Gegenwart
in die Vergötterung der Vergangenheit und zur Behandlung der Ge-
schichte geführt worden, so wurde die jüngere Generation noch lange
nachher durch die ästhetischen Ansichten über den Rang der Historien-
malerei auf diesem Gebiet festgehalten. Die eigene Zeit zu malen
galt als Verbrechen. Man musste die Zeit der Andern malen. Zu
diesem Zwecke wurde der Prix de Rome gestiltct. Der Geist, aus
dem Cabancls und Bouguereaus Bilder hervorgingen, war noch immer
derselbe, der einst David an Gros schreiben liess, dass die Schlachten
des Kaiserreichs doch nur zufällige Gelegenheitsbilder, nicht ernste,
grosse, eines Historienmalers würdige Kunstwerke ergeben könnten.
XVII. Die Zeichner
19
du Maurier: Am Strande.
Hs herrschte noch immer jene Acsthetik, welche lehrte: Was auch
immer der Stoil' sein mag und welche Personen vorgeführt werden,
— sobald sie der Gegenwart angehören, ist das Bild nur ein Genre-
bild. Während die Welt lachte und weinte, amüsirte sich der Maler,
mit colossalem Können Alles zu thun, um nicht als Kind seiner Zeit
zu erscheinen. Keiner sah die Feinheit und Grazie, Corruption und
Ausgelassenheit des modernen grossstädtischen Lebens. Keiner berührte
die gewaltigen socialen Probleme, die das werdende Jahrhundert in
gährendem Zeugungsdrang aufwarf. Wer erfahren will, wie die
Menschen damals lebten und sich bewegten, mit welchen Hoffnungen
und Sorgen sic sich trugen, wer nach Werken sucht, worin der Puls-
schlag des Jahrhunderts klopft, ist auf die Arbeiten der Zeichner, die
Illustrationen einzelner Journale gewiesen. Hs war im 19. Jahrhundert
wie im Mittelalter. Wie damals, als die Malerei noch kirchlich war,
das langsam erwachende Naturgefühl, die Freude am Leben zuerst
in Miniaturen, Holzschnitten und Kupferstichen zum Ausdruck kam,
so waren auch im 19. Jahrhundert die grossen Zeichner die ersten,
die mit aller Energie darangingen, das moderne Leben und dessen
Inhalt ernst und sachlich in den Kreis der Kunst zu ziehen, die
ersten, die ihrer Zeit den Spiegel vorhieltcn und die abgekürzte
Chronik ihres Zeitalters schrieben. Ihr Beruf als Caricaturistcn führte
20
XVII. Dif. Zeichner
sie zur dirccten Beobachtung der
Welt und gab ihnen zu einer Zeit,
da sonst noch allenthalben die aka-
demische Physiognomik herrschte,
das Geschick, mit Leichtigkeit den
Ausdruck für die empfangenen Ein-
drücke zu finden. Er nöthigte sie,
Gegenstände zur Darstellung zu
bringen, denen sie sich sonst nach
den ästhetischen Anschauungen der
Epoche nicht zugewandt hätten; er
leitete sie an, in Lebenssphären, die
ihnen sonst abstosscnd gewesen
wären, Schönheiten zu entdecken.
London, die Hauptstadt eines
weltbeherrschenden, freien Volkes, die Millionenstadt, deren ver-
worrene, alte Gässchen und Winkel auch alten, übrig gebliebenen
Originalen, wunderlichen Käuzen und höhern Charlatanen aller Art
mehr Platz als andere Städte Hessen, gewährte der Caricatur be-
sonders günstigen Boden. England nimmt daher auf diesem Gebiete
den unbestrittenen ersten Platz ein.
Direct von Hogarth leitet sich die Gruppe der politischen Cari
caturisten her. in denen das gallige, verbitterte Temperament John
Bulls in neuer, verbesserter Auflage fortlebt. Männer wie Gillray
waren eine Macht in den politischen Kämpfen ihrer Zeit, kühne
Liberale, die mit heiligem Zorn und schneidender Ironie für die
Sache der Freiheit kämpften , zugleich meisterhafte Zeichner von
derbem, kraftvollen Stil. Nur ist das Interesse, das politische Cari-
caturcn bieten, immer sehr ephemerer Natur. Pitt gegen Eox, Shcl-
burne gegen Burke, der Geiz und die Dummheit Georgs II., die
irische Union, die ehelichen Trübungen des Prinzen von Wales, der
englisch-französische Krieg erscheinen heute als sehr gleichgültige
Dinge. Dagegen spricht R&wlandson, da er nicht nur Politiker war,
auch nach hundert Jahren noch eine verständliche Sprache.
Er war gleich Hogarth das Gegentheil des Humoristen. Etwas
Bitteres, düster Pessimistisches geht durch Alles, worauf er den
Finger legt. Er ist brutal, von urwüchsiger Kraft und unanständiger
Derbheit. Sein Lachen ist breit, sein Fluchen roh. Ohrenzerreissende
Klänge entströmen den weit aufgerissenen Lippen seiner Sängerinnen,
XVII. Die Zeichner
21
dicke Thränen den
Augen der sentimen-
talen alten Damen, die
denDeclamationen der
Tragödin lauschen.
Die Komik arbeitet
mit den einfachsten
Mitteln. Gewöhnlich
genügen schon die
Gegensätze: dick und
dünn, gross und klein,
junge Frau und alter
Mann, junger Mann
und alte Frau, scheuendes Pferd und lnilfloser Sonntagsreiter. Oder
er bringt die physischen und moralischen Eigenschaften seiner Per-
sonen in lächerlichen Contrast zu ihrem Alter, Beruf und Benehmen:
Musikanten sind taub, Tanzlehrer krummbeinig, Bedichte tragen den
Frack und die Orden des Lords, hässliche alte Jungfern spielen die
Kokette, Geistliche betrinken sich und ernste Staatswürdenträger tanzen
Cancan. Wenn dann der Bediente geprügelt wird, die Kokette einen
Korb bekommt, der Diplomat beim Fallen die Orden verliert, so ist
das die Strafe dafür, dass sie aus ihrer Sphäre heraustraten. Es sind
noch immer »Lebensläufe auf schiefer Ebene«, dieselben Chätiments,
die Hogarth liebte. Ein anderer aber wurde Rowlandson, wenn er
daran ging, das Leben des Volkes zu schildern.
Er war im Juli 1756 in einer engen Gasse des alten London
geboren und wuchs inmitten des Volkslebens auf. Als junger Mann
sah er Paris, Deutschland, die Niederlande. In allen Clubs, wo hoch
gespielt wurde, war er regelmässiger Gast. Er stand mitten im Leben,
als Mensch wie als Maler und Zeichner. Strassenscenen aus Paris
und London beschäftigten seinen Pinsel : solche aus dem Concert-
garten Vauxhall besonders, dem Stelldichein der Londoner vornehmen
Welt, und es ist oft etwas Menzel’sches in dem zuckenden Leben
dieser Bilder, in diesen Lords, Ladies, Bänkelsängern und Gigerln, die
sich in wogendem Strom durch die Anlagen des Gartens drängen.
Seine Illustrationen umfassen Alles: Soldaten, Strassenarbeiter, das
Leben zu Haus und in der Kneipe, in Stadt und Dorf, auf dem
Theater und hinter den Coulissen, auf den Maskenbällen und im
Parlament. Als er am 22. April 1827, 70 Jahre alt, starb, konnten
du Maurier : Soiree.
22
XVII. Die Zeichner
die Nekrologe mit
Recht von ihm sagen,
dass er in den Jahren
1774 bis 1809 ganz
England gezeichnet
habe. Und alle diese
Blätter aus dem Ma-
trosen- und Bauern-
leben , diese Messen
und Märkte, Bettler,
Jäger, Schmiede, Ar-
beiter und Taglöhner
sind keine Caricaturen,
sondern scharf beob-
achtete schneidig hingeschriebene Momentaufnahmen aus dem Leben.
Seine Landleute haben manchmal eine grosse, michelangeleske Be-
wegung, die fitst auf Millet weist. Gern hielt er sich in den Mode-
bädern auf und kam mit hübschen Scenen aus dem Highlife zurück.
Sein eigentliches Beobachtungsfeld war das Armen viertel von London.
Da sind die englischen Arbeiter — lebendige Maschinen. Ausdauer,
Beharrlichkeit, Resignation sind auf ihren langen, knochigen, düsteren
Gesichtern zu lesen. Da sind die Frauen aus dem Volke — mager,
hektisch. Die Augen liegen tief in ihren Höhlen, die Nase ist spitz,
die Haut von rothen Flecken durchzogen. Sic haben viel gelitten,
viel Kinder gehabt, sie haben ein mattes, gedrücktes, stoisch un-
empfindliches Aussehen, man fühlt, dass sic viel ertragen haben und
noch mehr tragen können. Dann die verheerenden Wirkungen des
Gin. Jene langen Reihen elender Frauengestalten , die sich des
Abends am Strand prostituiren um ihre Miethe zu zahlen, jene gräss-
lichen Strassen in London, wo bleiche Kinder betteln und zerlumpte,
finstere oder berauschte Gespenster sich in den Branntweinläden
herumtreiben, mit ihrer zerfetzten Wäsche und ihren an Stricken
hängenden Lumpen. Der Schrei des Elends, der vom Pflaster grosser
Städte aufsteigt, ist von Rowlandson zuerst gehört worden, und
die Blätter von ihm, in denen er die Armen Londons zeichnete,
sind ein Todtentanz des Lebens von fürchterlicher Wahrheit. Selt-
samerweise aber hat derselbe Mann, der als Beobachter so rück-
sichtslos düster, als Caricaturist so grob und brutal sein konnte, auch
einen überaus zarten Sinn für weibliche Liebenswürdigkeit gehabt.
XVII. Die Zeichner
23
In seinen Blättern über den deut-
schen Walzer lebt die ritterliche
Eleganz der Wertherzeit und jene
echt englische Grazie, die an Gains-
borough fesselt. Seine jungen Mäd-
chen sind appetitlich und graziös
unter ihren runden Strohhüten mit
breiten Bändern ; seine niedlichen
Hausfrauen mit ihren weissen Schür-
zen und koketten Häubchen lassen
an Chardin denken. Man fühlt,
dass er Paris gesehen und dort
von dem feinen Duft Watteau’scher
Bilder berührt wurde. In diese
ästhetischen Bahnen lenkten die Charles Keene.
Folgenden ein.
George Cmikshank hat als politischer Caricaturist für England
dieselbe Bedeutung wie für Frankreich Henri Monnier, dessen Zeich-
nungen vielfach direct auf den grossen, englischen Künstler zurück-
gehen. Aber seine ersten Arbeiten 1815 waren Kinderbücher, und
solche einfache Schilderungen aus der Kinderwelt und dem Leben
der Gesellschaft haben mehr als die politischen Caricaturen seinen
Namen erhalten. Ihr satirischer Anstrich ist nur noch ein ganz leiser.
Cruikshanks Damen, die unter schweren Chignons keuchen, seine
ernsten, sehr langweiligen Ladies, die ernsten, nicht weniger cere-
moniellen Herren den Thee serviren, während die jungen Mädchen
auf stolzem Vollbluthengst durch den Hydepark sprengen, von einer
glänzenden Suite vornehmer junger Herren geleitet — das Alles sind
weniger Caricaturen als frische Bilder aus dem Leben. Er hatte viel
Sinn für Toiletten , Soireen und Bälle. Lallende Kinderlippen und
glänzende Kinderaugen, die scheue Zutraulichkeit, zaghafte Neugier
und täppische Freundlichkeit der Kleinen wusste er mit künstler-
ischer Beobachtung und zarter Empfindung zu zeichnen. Damit
eröffnete er den Weg, auf dem die Jüngern sich mit solchem Er-
folg bewegten.
Die Illustration passte sich dem veränderten Charakter des eng-
lischen Lebens an. Was in der ersten Zeit die Originalität der eng-
lischen Caricaturisten ausmachte, war das Beisscndc der Satire. Alles,
ist in sehr starken Farben aufgetragen. Was immer geeignet schien,
24
XVII. Die Zeichner
Keetie: Aus dem Werke » Our People. «
dem Gedanken ein komisches oder brutales Relief zu geben — grosse
Köpfe auf kleinen Körpern , die lächerliche Aehnlichkeit von Per-
sonen und Thieren, die Auswüchse des Kostüms — wurde gern heran-
gezogen. Man kämpfte für die Mühseligen und Beladenen und geisselte
ohne Mitleid die Halsabschneider und Charlatans. Man liebte saftige
Zoten, überschäumende Kraft und unverhüllte Derbheit. Ein breites,
aristophanisches Lachen durchschüttelt die Menschen , so dass sie
wie Epileptiker aussehen. In der Zeit , als die Empiremode nach
England kam, konnte Gillray wagen, einige der bekanntesten Lon-
doner Schönheiten unter voller Porträtähnlichkeit in einer Toilette
darzustellen, wie sie ungenirter die schöngewachsene Madame Tallien
nicht hätte tragen dürfen. Solche Dinge waren, seitdem England
aus den Flegeljahren herausgetreten , nicht mehr möglich. Seit
Gillray hat sich eine vollständige Umbildung der englischen Cari-
catur vollzogen. Alles Brutale, persönlich Zugespitzte trat zurück.
Der Clown zog Frack und weisse Handschuhe an, John Bull wurde
zum Gentleman. Schon unter Cruikshanks Händen war die Cari-
catur ernst und wohlerzogen geworden. Und die Jüngern waren
überhaupt keine Caricaturisten mehr, sondern gingen lediglich auf die
zart poetische Darstellung der Dinge aus. Sie kennen weder Row-
XVII. Die Zeichner
2>
Keene: Aus dem Werke > Our People «.
landsons urwüchsige Kraft
und bitteres Lachen, noch
den Galgenhumor und die
Wildheit Hogarths; sie sind
liebenswürdige, weich eleg-
ische Beobachter, ihre Zeich-
nungen keine Satiren, son-
dern reizende Sittenbilder.
Der 1841 gegründete
Punch hat künstlerisch wohl
am feinsten die sociale und
politische Physiognomie Eng-
lands um die Mitte des 19.
Jahrhunderts fixirt. Er ist
ein Familienblatt, eine Zeit-
schrift, die von den jüngsten
Töchtern gelesen wird. Alles
Pikante, womit die Pariser
Blätter sich füllen, ist also vollkommen ausgeschlossen. Er ignorirt
ängstlich die Richtung, der das Journal amüsant Dreiviertel seines
Materials verdankt. Jede Nummer enthält eine grosse politische Cari-
catur, bewegt sich aber sonst ausschliesslich auf dem Boden des
Familienlebens. Studenten, die einer hübschen Buffetdame den Hof
machen, niedliche Modistinnen, die einen schweren Carton mit Hüten
wegtragen und dabei von alten Herren verfolgt werden — sind
Scenen, die schon ein wenig den vornehmen Saloncharakter des
Blattes überschreiten.
Nächst Cruikshank, dem Nestor der Caricatur, ist in den Jahren
1841 — 64 John Leecli der Hauptmeister des Punch gewesen. In
seinen Zeichnungen lebt schon die vornehm duftige Delicatesse der
englischen Malerei von heute. Sie verhalten sich zu den phantast-
ischen, energischen Arbeiten Rowlandsons wie der feine Esprit eines
Rococo- Abbes zu dem derb gesunden Witz Rabelais’. Es spiegelt
sich in seinen Blättern das Sanfte seines eigenen Temperaments.
Andere haben mehr als er lachen machen ; er liebte die Schönheit
und Reinheit. Männer kommen bei ihm selten vor, oder wenn er
sie zeichnet, sind es immer nur »schöne Männer«, die geborenen
Gentlemen. Seine jungen Frauen sind nicht kokett und chic, aber
sauber, einfach, natürlich. Die alte englische Brutalität und Derbheit
26
XVII. Die Zeichner
]. A. Klein: Der Landschafter auf Reisen.
ist mit John Leech liebenswürdig, subtil, raffinirt, sanft, verführerisch
geworden. Hin feiner delicater Geist, sehr ätherisch neben den rost-
beefgenährten Colossen Hogarth und Rowlandson, beschäftigt er sich
gern mit Sport- und Ruderfreuden, der Saison und ihren Moden,
ist in den öffentlichen Gärten, auf Bällen und im Theater zu Hause.
Da wird ein graziöses Baby von seiner niedlichen Bonne im Hyde-
park spazieren geführt, dort geht ein allerliebster Backfisch am Arm
der Mama, von hübschen Gymnasiasten schwärmerisch begrüsst, da
sitzt eine junge Frau mit dem Roman am Kamin, hat das Pantöffel-
chen abgestreift und blickt träumerisch in die glimmenden Flammen.
Dort steht ein junges Mädchen in grossem Strohhut am Strand, die
Hand vor den Augen, und der Wind spielt kosend mit ihren Kleidern.
Selbst seine »children of the mobility« sind trotz ihrer ärmlichen
Hetzen Engelchen von Grazie und Reinheit. Die Umgebung
Zimmer, Strasse oder Landschaft — ist nur mit wenigen Strichen
gegeben, doch ungemein reizend. Jedes Blatt von Leech hat etwas
Duftiges, Hingehauchtes, eine Delicatesse der Linien, die nur Fre-
derick Walker wieder erreichte. Die Einfachheit seines Strichs lässt
an altvenezianische Holzschnitte denken. Kein Bleistiftzug ist un-
nütz, Alles sitzt, Alles hat Bedeutung.
XVII. Dik Zeichner
27
George du Maurier, Leechs Nach-
folger, ist weniger fein, d. h. nicht
ganz so ästhetisch. Er geht nicht
mehr ausschliesslich in der Poesie
auf, sondern lebt mehr im Leben,
wird von der rauhen Luft der Wirk-
lichkeit weniger afficirt. Zugleich
ist seine Zeichnung markiger, schnei-
diger, man merkt die französische
Schulung. Du Maurier war 1857
Schüler von Gleyre gewesen und
gerade nach England zurückgekehrt,
als durch Leechs Tod die Stelle
beim Punch frei wurde. Seitdem
war er das Haupt der englischen
Zeichnerschule, der Tagebuchführer
der Gesellschaft, die sich während der Season im Hyde Park zeigt,
die in Londoner Theatern und Speisesälen, in wohlgepflegten, eng-
lischen Gärten zur Zeit der Gartenfeste und Lawntennispartien zu
finden ist, der Herrscher in Club und Salon. Seine Snobs wetteifern
mit denen Thackerays, doch besondere Vorliebe hat auch er für
das schöne Geschlecht: Liebliche Frauen und junge Mädchen, die
beim Ballspiel in hellen Kleidern und grossen Hüten auf dem Rasen
sich tummeln, in eleganten Zimmern am Kaminfeuer sitzen oder in
luftigen Tüllroben walzend durch den Saal schweben. Ganz reizend
ist die Koketterie seiner Babys oder die komisch vornehme Exclu-
sivität ästhetisch erzogener Kinder, die nur mit ästhetischen Kindern
verkehren wollen.
Doch die englischsten Arbeiten von allen sind die Charles
Keenes. Die Engländer leben hier in ihrer ganzen Eigenart, die sie
von allen andern Sterblichen unterscheidet. Als Zeichner wie als
Humorist steht Kcene neben den Grössten des Jahrhunderts, auf gleicher
Stufe mit Daumier und Hokusai. Ein alter Junggeselle, ein Original,
ein Kleinstädter in der Millionenstadt, that er nichts lieber, als sich
in’s kleine Volk zu mischen, auf den Omnibus neben den Kutscher
zu steigen, beim armen Hausirer einzutreten, in den verräucherten
Kneipen der Vorstadt zu sitzen. Er führte ein Bohemeleben und war
trotzdem ein sehr ehrenwerther , ökonomischer, ängstlicher Herr.
Sein grösstes Vergnügen bildeten Ausflüge auf’s Land und beschei-
Joh. Christ. Erhard.
28
XVII. Die Zeichner
Erhard: Bauernfamilie.
dcnc Soupers mit Freunden. Er war Mitglied mehrerer Sängervereine
und blies, wenn er zu Hause sass, zum Schrecken aller Nachbarn den
schottischen Dudelsack. In seinen letzten Jahren war seine einzige
Gesellschaft ein alter Hund, an dem er, wie der arme Tassaert, mit
rührender Zärtlichkeit hing. Um so weniger liebte er die »Welt«.
Eleganz und Schönheit darf man in seinen Zeichnungen nicht suchen.
Die »Gesellschaft« existirte für ihn nicht. Wie du Maurier der
Schilderer des Salons, ist Keene der feine, unübertroffene Beobachter
des Volkes und der kleinen Londoner Bürgerschaft, der er eine
brüderliche Sympathie, einen freundlichen Optimismus entgegen-
brachte. Eine unendliche Reihe der verschiedensten, wahrsten, leben-
digsten Typen ist in seinem »Werk« enthalten: die gewaltigen Garde-
soldaten, die gravitätisch, stramm, mit dem Stückchen in der Hand
daherstolziren , die Droschken- und Omnibuskutscher, die Spiess-
biirger, die Bedienten, die Barbiere aus der Vorstadt, die Bürger-
garde, die Cafekellner, die muskulösen Hochländer, die dicken, em-
porgekommenen Krämer der City, die catilinarischen Existenzen
von Whitechapel, dazwischen unvergleichliche, alte Kaufmannsfrauen
XVII. Die Zeichner
29
Erhard: Bauernscene.
und derbknochige Dorfwirthinnen aus dem Hochland. Kccne hat in
seiner ganzen Art sich auszudrücken etwas so Natürliches, Selbst-
verständliches, dass gar nicht mehr zum Bewusstsein kommt, welche
Kunst dazu gehörte, so zu zeichnen. Nur Menzel unter den Leben-
den reicht als Zeichner an ihn heran , und es ist kein Zufall, dass
die beiden trotz ihrer Temperamentsverschiedenheiten sich sehr be-
wunderten. Keene kaufte jedes Blatt, das er von Menzel bekommen
konnte, und Menzel besitzt noch heute eine grosse Sammlung von
Skizzen Keenes.
Deutschland hatte im Beginne des Jahrhunderts keinen Zeichner,
der an realistischer Wucht sich mit Rowlandson messen könnte.
Zu einer Zeit, da unsere grosse Kunst so völlig in den Fesseln der
classicistischen Schule lag, trat auch die Zeichnung nur in tradi-
tionellen Formen auf. Man durfte ebensowenig zeichnen wie man
wollte, als man etwas malen durfte, wie man es sah ; für Beides gab
es Regeln und Zwangsjacken. Fast Alles, was in jenen Jahren ent-
stand, sieht heute schwach und stumpf aus, gezwungen in der Com-
position, dilettantisch in der Zeichnung. Da wo Rowlandson mit
XVII. Die Zeichner
30
L. Richter: Frühling.
seinen brüsken nervösen Strichen an Michelangelo oder Rembrandt
denken lässt, haben die Deutschen etwas Mühseliges, Verwaschenes,
Schüchternes. Doch heben sich auch hier aus der langweiligen Oede
academischer Production als freundliche, überraschende Erscheinungen
zwei bescheidene Malerradirer ab, die von ihren Zeitgenossen wenig
beachtet wurden, aber in ihren schlichten Blättern classischer ge-
blieben sind als jene, die sich selbst das classische Gewand gleich
für die Ewigkeit anzogen. Was die Maler nicht malen und die
nach Ideen verlangenden Kunstfreunde als Bild nicht gelten lassen
wollten, weil der Inhalt ihnen zu dürftig, die Form zu würdelos
und gewöhnlich schien — heimische und fremde Militärscencn, tvp-
ische Soldatengestalten aus der grossen Zeit der Befreiungskriege, das
\ olksleben, die täglichen Ereignisse — das haben die beiden Nürn-
berger freunde Johann Adam Klein und Johann Christian Erhard mit
theilnahmvoller Aufmerksamkeit fleissig in das Kupfer geritzt und
damit der Nachwelt ein Bild vom deutschen Leben des beginnenden
Jahrhunderts hinterlassen, das um so ernster und aufrichtiger er-
XVII. Die Zeichner
Ji VW
¥ /> , 1 4» «
fflljL N . £
PL — -
L. Richter: Daheim.
scheint, weil sie dabei weder dem Compositionsstil noch dem Ideal-
ismus einen Zoll entrichteten. Der treffliche Klein war ein gesunder,
ehrlicher Realist, an dem die aesthetischen Theorien der Zeit wirkungs-
los abprallten und der nichts Anderes wollte, als Gesehenes treu
wiedergeben. Schon in Wien, wohin er 1 8 1 1 als junger Mensch
gekommen, regen ihn nicht die Gemäldegalerien, sondern die maler-
ischen Nationalcostüme der Walachen, Ungarn und Polen, ihre ori-
ginellen Fuhrwerke und Pferde zu seinen ersten Studien an. Ein
Aufenthalt auf steyerischen Rittergütern gibt ihm zu zahlreichen
hübschen Skizzen aus dem Landleben Gelegenheit. In den krieger-
ischen Jahren 1813 und 1814 mit ihren Truppenmärschen und Bi-
waks treibt er sich tagelang zeichnend unter den Soldaten umher.
Selbst in Rom fesselten ihn nicht die Statuen, sondern die bunten
Strassenscenen, die kirchlichen Feierlichkeiten, die malerischen Cara-
wanen der Landleute. Und als er sich später wieder in Nürnberg,
dann in München niedergelassen , hörte er nicht auf, für alle Ein-
drücke empfänglich zu sein, die sich in wechselnder Fülle ihm
32
XVII. Die Zeichner
aufdrängten. Die Basis
seiner Kunst war die
treue, liebevolle Be-
obachtung des Lebens,
wie es sich um ihn
in der Welt abspieltc,
die naive Freude des
echtenKünstlers, alles,
was das Auge sieht,
zum Bilde zu machen.
Der arme, mit 26
Jahren durch Selbst-
mord aus dem Leben
geschiedene Erhard
war noch eine sen-
siblere, feinere Natur.
Auch ihn haben die
Durchmärsche russi-
scher Truppen durch
seine Vaterstadt zu den
ersten Arbeiten ange-
regt, und schon in
diesen Militär- und Marketcnderscenen zeigt er sich als ungewöhn-
lich sachlichen , scharfen Beobachter. Genau und bestimmt sind
die Trachten, die Uniformen, das Geschirr und die Gespanne ge-
zeichnet. Von Wien aus machte er Fussreisen nach den malerischen
Gegenden des Schneeberges, durchwanderte Salzburg und den Pinz-
gau, betrachtete verwundert die idyllische Lieblichkeit dieser Natur,
die anheimelnden Bauernstuben mit den grossen Kachelöfen und
die wettergebräunten Gestalten der Landleute. Er hatte ein Herz
für die Natur, eine innige, poetisch gemüthvolle Liebe für das Kleine
und Trauliche: für heimatliche Wiesen, Bäume und Bächlein, für
Lauben und Hecken, stille Gärtchen und lauschige Plätzchen. Mit
kindlich ehrlicher Beobachtung trat er an Alles heran. Er und
Klein strebten danach, einen Ausschnitt de^Natur ohne jede Um-
bildung und Verallgemeinerung deutlich zu erfassen; und dieser
ungeschminkte, frische, echt deutsche Natursinn gibt ihnen mehr
als Mengs und Carstens das Anrecht, als Ahnen der neueren deut-
schen Kunst zu gelten.
L. Richter: Nach der Arbeit ist gut ruh’n.
XVII. Die Zeichner
33
Nachdem Klein und Er-
hard vorausgegangen, mach-
ten Andere, wie Haller von
Hallerstein, L. C. Wagner, F.
Rechberger, J. Moessmcr, K.
Wagner, E. A. Lebschee und
August Geist, jeder auf seine
Art, kleine Entdeckungsreisen
in die heimische Naturwelt.
Doch seinen wahlverwandten
grössten Nachfolger hat der
1822 verstorbene Erhard erst
in einem jüngeren Dresdener
Meister gefunden, dessen
Name traulich wie ein altes
Wiegenlied anmuthet , das
plötzlich im Getriebe der
Welt das Ohr trifft — in
Ludwig Richter, unserm lie-
ben, alten Hausfreund. Cho-
dowiecki , Gessner und Er-
hard hat Richter selbst als
diejenigen bezeichnet, deren
sinnige Natürliche ihn in seine eigenen Bahnen lenkte. Was Lcech,
der liebenswürdige Zeichner der Kinderwelt, den Engländern war,
wurde Ludwig Richter den Deutschen. Nicht, dass er an künst-
lerischen Qualitäten mit jenem verglichen werden könnte. Seine
Arbeiten erscheinen neben denen des Briten wie Uebungen eines
begabten Dilettanten: von kleinlicher Correctheit und bourgoisie-
mässiger Reinlichkeit der Linien. Aber der Deutsche verliert bei
seinem Ludwig Richter gern den artistischen Standpunkt aus den
Augen. Wir haben ihn, den sonnig kindlichen, als Menschen zu
lieb, als dass wir seine künstlerischen Mängel sehen möchten. Jenes
berühmte »deutsche Gemüth«, mit dem Andere so viel Missbrauch
trieben, hier ist es wirklich.
»Ich wohne zwar etwas beschränkt, aber sehr freundlich vor
der Stadt und schreibe Dir diesen Brief (es ist Sonntag Nachmittag)
in der schattigen Laube, eine lange Reihe blühender Rosenbüsche
vor mir, in welchen dann und wann ein lieblicher Wind wühlt,
Muther, Moderne Malerei II. 2
L. Richter: Feierabend.
34
XVII. Die Zeichner
welcher auch Ursache ist, dass
eben auf diesem Bogen ein grosser
Tintenklecks entstanden, indem er
mir das Blatt umwarf«. Diese eine
Briefstelle enthält den ganzen Mann.
Kann man sich Ludwig Richter in
einer anderen ütadt leben denken,
als in Dresden, ihn anders sich
vorstellen als im Schlafrock, am
Sonntag Nachmittag in der schatt-
igen Laube mit den blühenden
Rosenbüschen, und von lachenden
Kindern umgeben? Jener tiefe Fa-
miliensinn. der biblisch treuherzig
in seinen Werken webt, er spiegelt
sich in der eigenen Häuslichkeit
des Künstlers, der selbst zeitlebens
ein grosses, unerfahrenes Kind blieb und dessen Selbstbiographie in
ihrer patriarchalischen Schlichtheit wie ein Labetrunk aus reiner
Gebirgsquelle mundet. Richter lebte in die Gegenwart wie ein
Original aus längst entschwundener Zeit herüber. Was für altvater-
ische Figuren sah er als Knabe um sich , wenn er sich neugierig
herumtrieb bei seinem Grossvater, dem Kupferdrucker, der in seinen
Mussestunden Alchemie und Goldmacherkunst trieb und in seinem
dunkeln Arbeitsraum von einer Unzahl tickender, schlagender, kukuk-
rufender Uhren umgeben war. — oder wenn er der blinden, ge-
sprächslustigen Grossmutter lauschte, um die sich die Kinder und
alten Weiber der Nachbarschaft beim Märchenerzählen versammelten.
Das war 1810, und zwei Menschenalter später fand er als Greis in-
mitten der Enkel das alte frohe Kinderleben des eigenen Hauses
wieder. Auch das war noch ein Stück gute alte Zeit, wenn jubelnd
am Weihnachtsabend die kleine Schaar das Pfefferkuchenhaus aus
»Hansel und Grctel« umringte, das Grossvater nach seiner Zeichnung
aus wirklichen Pfefferkuchen erbaute.
»Kam meine Kunst nicht unter die Lilien und Rosen auf dem
Gipfel des Parnass, so blühte sie doch an den Wegen und Hängen,
an den Hecken und Wiesen, und die Wanderer freuten sich darüber,
wenn sie am Wege ausruhten, die Kindlein machten sich Sträusse
und Kränze davon und der einsame Naturfreund erquickte sich in
Ludwig Richter.
XVII. Die Zeichner
ihrer Farbe und ihrem Duft, wel-
cher wie ein Gebet zum Himmel
stieg«. Richter hatte das Recht, an
seinem 80. Geburtstag diese Worte
in sein Tagebuch zu schreiben.
Es klingt durch seine Werke ein
Summen und Klingen wie Kinder-
jubcl und Vogelgezwitscher. Selbst
seine Landschaften sind erfüllt von
jener wonnig feierlichen Stimmung,
die Frühling und Sonntag zusam-
men auf einsamem Gang über Feld
und Flur erzeugen. Die Gernüth-
lichkeit deutschen Familienlebens,
durchweht von einem sinnig roman-
tischen Zug, sie konnte nur in ihm,
dem alten Mann im Schlafrock mit dem spiessbürgerlichen Dorf-
schullehrergesicht, einen so liebenswürdigen Schilderer finden. Nur
er, der sich selbst bis in’s Alter jenen Kindersinn bewahrte, dem
auch in der Kunst das Himmelreich verliehen ist, konnte der wahre
Herzenskündiger der Kinderwelt werden , die in Deutschland auch
später nicht holdseliger und naiver gezeichnet wurde.
Ein fast erschöpfendes Bild deutschen Volkslebens in Haus und
Welt, in Arbeit und Genuss, in Freude und Schmerz stellen seine
Illustrationen dar. Durch alle Lebensstufen und Jahreszeiten verfolgt
er es. Das Kind, das in der Badewanne plätschert, der Bube, der
die ersten Schneeflocken jauchzend im Hut auffängt; das Liebcs-
pärchen, das flüsternd im trauten Kämmerlein sitzt oder Arm in
Arm auf der »Heimkehr durch’s Korn« durch die goldene Abend-
landschaft wandelt; das Mädchen am Spinnrad und der Jäger im
Wald, der Wanderbursch, der Bettler, der behäbige Philister
Alles ist wahr und echt, Alles aus dem vollen Leben gegriffen. Der
Schauplatz ist die Wohn- und Kinderstube, die rebenumrankte Laube
vor der Hausthür, die Strasse mit alterthümlichen Erkern und
Thürmchen, Feld und Wald mit prächtigen Aussichten in die duftige
Ferne. Kinder spielen um den grossen Baum, Arbeiter kehren vom
Feld zurück oder die Familie ruht in der Feierstunde aus. Eine
friedliche Stille und keusche Reinheit ist über Alles gebreitet. Auch
Richters Zeichnung hat etwas Pedantisches, Accentloses, jene
XVII. Die Zeichner
schwächliche , verallgemein-
ernde Rundheit, die gegen-
über dem brüsken, nervösen
Strich der Alten wie Ge-
nialität des Zeichenlehrers
wirkt. Aber was er gibt, ist
doch immer aus feinfühliger,
liebevoller Beobachtung her-
geleitet und steht niemals im
Widerspruch zur Wahrheit.
Er gibt nie die ganze Natur,
doch auch nie die Unnatur:
einer der ersten bei uns, dessen
Kunst nicht von einer Nega-
tion und willkürlichen Syste-
matisirung der Wirklichkeit
ausging, sondern auf zarter
Versenkung und poetischer
Verklärung derselben beruhte.
Als er in den 50er Jahren in
dem anmuthigen Loschwitz Sommeraufenthalt genommen, schrieb
er in sein Tagebuch: »O Gott, wie herrlich ist hier von meinem
Plätzchen auf dem Berge die weite Gegend. So himmlisch schön,
so sinnlich schön. Der blaue, tiefe Himmel, die weite, grüne Welt,
die schöne, helle Mailandschaft mit tausend Stimmen belebt.
In jener ganzen Generation, der das Dasein so trüb schien, ist
Ludwig Richter einer der wenigen , die sich wirklich erdenwohl
fühlten und das umgebende Leben für die beste, gesundeste Kost des
Künstlers hielten. Das ist der Inhalt des Blattes, dem er den Titel
Kunstregel« gab. Eine weite Landschaft dehnt sich aus, mit mäch-
tigen Eichen am Abhang, einem rieselnden Quell, aus dem ein frisches
Mädchen schöpft, einer Landstrasse, die, von Wanderern alt und jung
belebt, sich über Thal und Hügel in die sonnige Ferne zieht. Mitten
in dieser lebensfrohen, freien Welt sitzt der Maler mit dem Zeichen-
stilt. Als Wahlspruch aber steht von Richters Hand darüber:
»Und die Sonne Homers, siehe sie lächelt auch uns.«
Durch den Erfolg Richters wurden einige Jüngere angeregt, dos
gleiche Gebiet zu betreten, ohne dass jedoch einer an liebenswürdig
Adolf Oberländer.
XVII. Die Zeichner
37
menschlichen Quali-
täten Richter gleich-
käme. Am wenigsten
Oskar Pietsch, dessen
süffisantes Lächeln
bald in seiner Hohl-
heit erkannt wurde.
Bei ihm ist Alles er-
klügelt, flach und zu-
rechtgestellt, was bei
Richter ursprünglich
und echt war. Die
Landschaften, die zum
Theil sehr hübsch
sind, rühren gewöhnlich von R. Schuster her; was an den Kindern
gut scheint, ist Richters Eigenthum , und was Pietsch hinzugab, ist
Schablone. Albert Hendschel stand auch auf Richters Schultern,
aber seine Beliebtheit ist berechtigter. Noch heute freut man sich
an seinen entzückenden Skizzenbüchern, worin er Freud und Leid
der Jugend in so köstlicher Weise verewigte.
In München arbeitete Eugen Ncureuther, der sich als Radirer
in dem reizvollen Spiel von Arabesken und ornamentalen Umrahm-
ungen gefiel und in seinen hübschen Schnaderhüpfeln niedliche Scenen
aus dem bayerischen Volksleben erzählte.
Der Aufschwung der Caricatur datirt in Deutschland erst
seit dem Jahre 1848. Während aus dem ersten Drittel des Jahr-
hunderts nur ein paar Gelcgenhcitsblätter ohne künstlerische Bedeut-
ung vorhanden sind, begannen damals unter den politischen Er-
schütterungen der Zeit periodische Publikationen zu erscheinen, die
bald eine grosse Anzahl tüchtiger Caricaturisten emporbrachten.
In Berlin trat der Kladderadatsch auf, in München wurden die
Fliegenden Blätter und Hand in Hand mit ihnen die Münchener
Bilderbogen begründet. Auf die »Fliegenden« werden spätere Genera-
tionen wohl in erster Linie angewiesen sein, um sich ein Bild vom
deutschen Leben des 19. Jahrhunderts zu entwerfen. Hier ist nieder-
gelegt, was die Maler jener Jahre zu überliefern vergassen, eine Ge-
schichte unserer Sitten, wie sic genauer und erschöpfender nicht
gedacht werden kann. Gleich vom ersten Tag vereinigten sic in
der Schaar ihrer Mitarbeiter ziemlich die bedeutendsten Namen ihres
XVII. Din Zeichner
38
Fachs. Schwind, Spitz-
weg, der gemüthvolle
Humorist und viele
Andere, die das deut-
sche Volk nicht ver-
gessen wird, holten
sich hier ihre Sporen
und waren unerschöpf-
lich in hübschen The-
aterscenen, Satiren auf
den deutschen und
italienischen Gesang,
in Denkmalentwürfen
für Fanny Eisler, für
den Erfinder desFracks
u. s. w., die damals die ganze civilisirte Welt belustigten. Von stereo-
typen Figuren waren auch diese ältesten Zeichner der Fliegenden
noch nicht frei. Der reisende Engländer, der polnische Jude, der
Ladenschwengel, der junge Maler, der reiche Protz, die Schwieger-
mutter, das Dienstmädchen und die nervöse Gräfin sehen sich in
den ersten Bänden überall ähnlich, man arbeitete wie in der »grossen
Kunst« auch in der Caricatur noch ein wenig nach Regeln und
Schablonen. Das Leben mit objectiv unbefangenem Blick zu be-
trachten und in seiner ganzen zuckenden Bewegung festzunageln,
blieb den Neueren Vorbehalten.
Zwei der grössten Bilderhumoristen der Welt, Wilhelm Busch
und Adolf Oberländer, stehen an der Spitze derer, die diese Blüthe-
periode der deutschen Caricatur einleiten. Meister wie sie über-
schauen mit ihrem Blick die ganze gesellschaftliche Welt unserer Zeit
und haben in ihren geistreichen Blättern eine Culturgeschichte der
Epoche geschaffen, die für die Nachwelt lebendiger und lehrreicher
sein wird, als die bändereichsten Werke der grössten Historiker.
Man kennt ihre Köpfe aus dem Lenbach-Werk. Der eine hat ein
ausnehmend kluges , ausdrucksvolles Gesicht , einen echten Maler-
kopf. Der Humorist zeigt sich in dem einen eigenthümlich zuge-
kniffenen Auge, dem bekannten Humoristenauge, das Alles sieht.
Alles prüft und jede Lächerlichkeit in der Bewegung, jede Absonder-
lichkeit in den Mienen des lieben Nächsten festhält. Das ist Wil-
helm Busch.
Oberländer: Variationen über das Thema > Küsst.
Rethcl.
XVII. Die Zeichner
39
Oberländer ; Variationen über das Thema > Kuss« .
Makart.
In den grossen Augen des Anderen, die sich hei
längerem Hinsehen seltsam zu erweitern scheinen,
lächelt keine überlegene Schalkhaftigkeit und es
ist nicht leicht, mit diesem griesgrämigen, eigen-
tümlich verschüchtert blickenden runden Gesicht
den Namen Oberländer zu verbinden. Man denkt
an die Definition des Humors als »Lächeln unter
Thränen«.
Schon damals, als er alljährlich nach München
kam und in Lenbach’s Atelier malte, thaute Busch,
der menschenscheue verdrossene Mann, nur im
engsten Freundeskreis auf; heute hat er sich in
einem Marktflecken der Provinz Hannover ver-
graben, in Wiedensahl, das nach Ritters geo-
graphischem Lexikon 828 Einwohner zählt. Er
lebt im Hause seines Schwagers, des Ortsgeist-
lichen, und züchtet Bienen. Sein Lachen ist ver-
stummt; nur die Bienenzeitung erhält noch von
ihm Beiträge. Aber was für Werke hat dieser Ein-
sicdler von Wiedensahl damals geschaffen, als er
von Düsseldorf und Antwerpen nach München
übersiedelte und dort 1859 für die Fliegenden
Blätter die Folge seiner Bilderbogen begann. Die
ersten waren noch plump und ungefüge, der Text
in Prosa und nicht sehr witzig. Doch schon
die erste Arbeit mit versificirtem Text, »Der Bauer und der Wind-
müller« enthielt im Keime all die Eigenschaften, die später in »Max
Oberländer : Varia-
tionen über das Thema
*Kuss «
Alma Tadema.
40
XVII. Die Zeichner
und Moritz«, im »heiligen
Antonius«, der »frommen •
Helene«, den »Erlebnissen
Knopps, des Junggesellen
ihren glänzenden Ausdruck
fanden und Busch’s Werke
zum unerschöpflichen Wun-
derhorn heiteren Genusses
machen.
Busch vereinigt ein un-
gewöhnlich scharfes Auge
und eine seltsam gefügige
Hand. So bunt es gewöhn-
lich bei ihm hergeht, mit
so spielender Leichtigkeit sind
die grössten Schwierigkeiten
gelöst. Seine Helden sind in
Situationen drangvollster Art.
Oberländer : Variationen über das Thema »Kuss*. dic ihren Körperteilen ge-
Gabriei Max. waltsame und höchst unbe-
queme Stellungen anweisen ;
sie prügeln oder werden geprügelt, stolpern oder fallen — und wie
meisterlich sind alle diese Anomalien, dic kecksten Verkürzungen
und flüchtigsten Bewegungen erfasst. Unkünstlerische Augen er-
kennen nur ein Gekritzel, für solche, die zu sehen gewohnt sind, ist
eine Zeichnung von Busch das Leben selbst, von allem indifferenten
Detail befreit und in grossen charakteristischen Linien hingeschrieben.
Bei diesen Vereinfachungen — was für ein Wissen, unter der an-
scheinenden Nachlässigkeit — wieviel feine Berechnung. Busch ist
zugleich einfacher und erfinderischer als dic Briten. Aus einem
Gewirr halbtoller Schnörkel, wenigen Punkten und Klecksen bringt
er ein sprühendes Bild zusammen. Mit möglichst Wenigem triilt
er das Wesentliche und wird deshalb von Grand Carteret mit Recht
der Classikcr der Caricaturisten , le roi de la Charge et de la bouf-
fonerie genannt.
Oberländer, ohne den sich die Fliegenden nicht mehr denken
lassen, ist nicht verstummt-; frisch und herrlich wie am ersten Tag
schafft er weiter. Eine geniale Natur wie Busch, besitzt er zugleich
jene Fruchtbarkeit, von der Dürer sagte: »Ein guter Maler ist in-
XVII. Dif. Zeichner
41
Debucourt: Les Cotirses du Mutiu ou la horte d’un riebe.
wendig voller Figur, und wenn es möglich wäre, dass er ewiglich
lebte, so hätte er vermöge der innern Ideen, von denen Plato schreibt,
allewege etwas Neues durch seine Werke auszugiessen«. Es ist jetzt
30 Jahre her, dass er seine Thätigkeit für die Fliegenden Blätter
begann, und seitdem ist fast jede Woche eine Zeichnung von ihm
erschienen, die alle Welt mit Gaudium erfüllte. Kant sagte, die
Vorsehung habe den Menschen drei Dinge zum Trost in den Müh-
seligkeiten des Lebens gegeben: die Hoffnung, den Schlaf und
das Lachen. Hat er Recht, so gehört Oberländer zu den grössten
Wohlthätern der Menschheit. Jedes seiner neuen Blätter bewährt
die alten köstlichen Eigenschaften. Man möchte sagen, neben dem
Komiker Busch erscheint Oberländer als ernster Psycholog. Wilhelm
Busch legt allen Nachdruck in die Komik, der Einfachheit : er weiss
mit Meisterschaft eine Erscheinung auf ihre tSrundlinien zurückzu-
führen, die in ihrer epigrammatischen Prägnanz an sich schon komisch
sind. Er erregt ein schallendes Gelächter durch die Possenhaftigkeit
seiner Erfindungen und die Kühnheit, mit der er seine Charaktere zur
Absurdität treibt. Zugleich ist er der Dichter seiner Texte. Seine Zeich-
nungen sind undenkbar ohne die Verse, ohne das geschickt berech-
nete dramatische Nacheinander der sich zur Katastrophe steigernden
Situationen. Oberländer wirkt lediglich durch die bildnerischen Ele-
mente seiner Darstellung und erreicht die Komik weder durch fratzen-
42
XVn. Die Zeichner
hatte Uebertreibung einer
äusserlichen Lächerlichkeit
noch durch elementare Ver-
einfachung, sondern durch
feine Zuspitzung des Charak-
ters. Ls ist unheimlich, was
für Augen er im Kopf hat :
fast seherhaft , wie er aus
Jedem den Grundzug seines
Wesens herausfühlt; und in-
dem er das Charakteristische
leise übertreibt und verdeut-
licht, erhält sein Bild eine
Eindringlichkeit und Ueber-
zeugungskraft. die auf so dis-
cretem Wege keinem früheren
Caricaturisten gelang. Keiner
erreicht die Komik von Ober-
länders Menschen , Thiercn
und — Pflanzen. Er zeichnet
ä la Max, ä la Makart, Rethel, Genelli oder Piloty, Jagden in der
Wüste und Theatervorstellungen, wahnsinnig gewordene Renaissance-
architektur und modernste europäische Gigerln; Kamerun ist ihm
ebenso geläufig- wie München, und im Uebertragen der drolligen
Scenen des menschlichen Lebens auf die Thierwelt ist er Classiker.
Er spielt mit Hühnern, Häringen, Hunden, Enten, Raben, Bären
und Elephanten wie Hokusai mit seinen Fröschen. Alle Reineke-
blätter Wilhelm Kaulbachs wirken gegenüber solchen Thieren wie
»Zeichnungen aus dem Schreibheft des kleinen Moritz . Und den
Hintergrund dieser Wesen bilden manchmal Landschaften, die in ihrer
zarten Intimität wie Vorahnungen Cazins erscheinen. Man irrt kaum
in der Annahme, dass die Nachwelt einzelne Blätter aus dem Oeuvre
dieses liebenswürdig stillen Mannes dem Besten an die Seite stellen
wird, was die Geschichte der zeichnenden Künste überhaupt aufweist.
Zum Punch und den Fliegenden Blättern gesellt sich der
Charivari.
Auch im Lande Rabelais’ hat die Caricatur seit dem Beginne
des Jahrhunderts geblüht, trotz der officiellen Meister, die ihr den
Vorwurf machten, dass sie den heiligen Tempel der Kunst entweihe
XVII. Die Zeichner
4 i
und trotz der Gendarmen,
die sie in’s Gefängniss sperr-
ten. Auch hier waren es
die Zeichner, die zuerst mit
den ästhetischen Vorurtheilen
brachen und die lachenden
und weinenden Schauspiele
des Lebens mit unvorein-
genommenem Blick betrach-
teten.
Gleich die Beiden, die un-
mittelbar nach den Stürmen
der Revolution auftraten, De-
bucourt und Garle Vernet,
sind geistreiche, liebenswür-
dige Künstler, die in elegan-
tem Stil die Vergnügungen
des Salons beschrieben und
Zeichnung mit den grossen Satirikern jenseits des Canals wetteifern,
denen sie sogar durch den Reiz der Farbe oft überlegen sind.
Carle Vernet, erst Historienmaler, erinnerte sich, dass er die
Tochter des jüngeren Moreau geheirathet, und machte sich daran,
in seinen Incroyables und Merveilleusen das Treiben der jeunesse
doree vom Ausgang des 1 8. Jahrhunderts zu schildern. Ueberspannt,
verrückt und abergläubisch, theilte er später seine Zeit zwischen
Weibern und Clubbrüdern, Pferden und Hunden. Als der Historiker
des Sports, der Jagd, der Pferderennen, Salon- und Cafescenen lebt
er in der Kunstgeschichte fort.
Louis Philibert Debucourt war Schüler von Vien und hatte Genre-
bilder im Sinne Greuzes gemalt, bevor er 1785 sich dem Farben-
kupferstich zuwandte. In diesem Jahr erschien das hübsche »Menuet
de la Mariee« mit den tanzenden Bauernpaaren und der niedlichen
Schlossherrin, die lachend den Ball mit dem jungen Ehemann eröffnet.
Seitdem hatte er seine Spezialität gefunden und gab im letzten Jahr-
zehnt des 18. Jahrhunderts seine feinsten Farbenkupfer heraus. Da
ist von 1792 die wunderbare Promenade in der Galerie des Palais
Royal mit dem wimmelnden Leben junger Offiziere, Priester, Stu-
denten, Cocotten und Ladnerinnen; von 1797 Grossmutters Geburts-
durch die Schneidigkeit ihrer
Henr\ Mounier.
44
XVII. Die Zeichner
tag, der Freitag Vormittag an der
Pariser Börse und vieles Andere.
Die technische Wirkung, die er
mittels Farbenkupferstichs erreichte,
ist staunenswerth. Eine aquarell-
artige Frische liegt auf diesen gel-
ben Strohhüten, leichtgeschminkten
Wangen und rosigen Schultern.
Weisse, pelzbesetzte Seidenmäntel
lässt er wie ein Kleid von Netscher
schillern. Wäre von der ganzen
Kunst des 18. Jahrhunderts nichts
übrig als Debucourt, so würde er
allein genügen , eine Idee vom
ganzen Geist der Zeit zu vermit-
teln. Nur eine Note, die intime
Einfachheit Chardins, würde feh-
len. Greuzes lächelnde Grazie wie
Watteaus Eleganz und Bouchers Sinnlichkeit — er hat sie, wenn
auch abgeschwächt, ebenfalls und ist gerade in seiner Affectirtheit
ein echtes Kind der Epoche. Die Menge, die 1792 unter den Bäumen
des Palais Royal promenirt, ist nicht mehr die nämliche, die auf
Cochins Blättern die Salons von Versailles und Petit Trianon füllt.
Roher und plebejischer sind die Gesichter. Rothe Westen mit
faustdicken Breloques, dicke Stöcke mit handgrossen Goldknöpfen
lassen die Toilette der Herren protzenhaft, extravagante Hüte, breite
Schärpen und hohe Frisuren die der Damen mehr aufgedonnert als
elegant erscheinen. Aber Debucourt gibt gleichwohl dieser Demo-
kratie noch aristokratische Allüren. Die öffentlichen Mädchen sehen
aus wie Herzoginnen. Seine Kunst ist ein abgeschwächtes Echo des
Rococo. In ihm verkörperte sich die Decadence, sammelte sich noch
einmal, wenn auch bürgerlicher geworden, die ganze Grazie und
Eleganz des Jahrhunderts.
Das Kaiserthum war der Caricatur wieder weniger günstig.
Nicht, dass es an Stoff gefehlt hätte, aber die Gensur wachte streng
über das Heil Frankreichs. Anderntheils lebten die nach David auf-
tretenden Künstler im Olymp und mischten sich nicht in die Baga-
tellen des Lebens. Weder Zeichner noch Stecher konnten etwas
leisten, so lange sie, auf ihr Papier oder ihre Kupferplatte gebeugt,
Monnier : Monsieur Proudboinvie.
XVII. Dir Zeichner
45
sich immer vom griechisch-
römischen Phantom überwacht
sahen und stets die Verpflicht-
ung fühlten, unter dem Falten-
wurf moderner Costüme die
starre Zeichnung antiker Sta-
tuen anzudeuten.
Bosio war das echte Pro-
dukt dieses Stils. Alle seine
Blätter sind langweilig gewor-
den durch einen falschen Classi-
cismus, an dem er mit unbeug-
samer Consequcnz festhielt.
Kr kann keine Grisette zeich-
nen, ohne sie mit den Augen
Davids zu sehen. Das nimmt
seinen Gestalten Wahrheit und
Interesse. Etwas von der Cor-
reetheit der Institutsvorsteherin
ist ihnen eigen. Seine Grazie ist zu classisch, seine Lustigkeit zu
wohlerzogen, alles zu componirt, als dass an flink hingeschriebene
Scenen aus dem Leben zu denken wäre. Schöne Linien sollten die
Unmittelbarkeit der Beobachtung ersetzen, und selbst der Charakter
der Zeichnung verlor sich in einer pedantischen Eleganz, die Alles
mit dem einförmig zierlichen Gespinnst einer flauen Wellenlinie
überzog.
Erst als der Romantismus mit dem classicistischen Formensystem
gebrochen, traten auch in Frankreich neue grosse Zeichner hervor,
die nun kühn, von ästhetischen Formeln unbeengt, in’s moderne
Leben griffen. Henri Moimier, der älteste von ihnen, war ein Jahr
nach der Proclamation des Kaiserthums geboren. Federbüsche, Säbel-
taschen und Dolmans waren die ersten Eindrücke seiner Jugend : Er
sah die Heimkehr triumphirender Armeen und hörte siegreiche Trom-
peten schmettern. Die alte Garde blieb sein Ideal, das rühmlose
Königthum der Restauration sein Greuel. Er war überzähliger Schreiber
im Justizministerium, als sein erstes 1828 erschienenes Heft »Moeurs
administratives dessinees d’apres nature par Henri Monnier« den Vor-
gesetzten zeigte, dass die Augen dieses armen jungen Menschen im
Ministerium mehr bemerkt hatten, als sie dort sehen sollten. Seines
Monnier : Kreidezeichnung.
XVII. Die Zeichner
46
Postens enthoben, musste er
sich als Zeichner weiterhelfen
und wurde der Chronist der
Epoche. In Monniers Blättern
athmet das glückliche Paris
der guten alten Zeit, ein Paris,
das heute kaum mehr in der
Provinz nachlebt. Sein Jo-
seph Proudhomme < ist unsterb-
lich wie Eisele und Beiscle.
Schulze und Müller oder Mo-
lieres Bourgeois Gentilhomme
— von der Schuhschnalle bis
zu den Vatermördern, der
weissen Cravatte und blauen
Brille. Monnier ist selbst sein
Proudhomme, ein Philister in
der Riesenstadt, der die Pa-
riser Kleinstädteridyllen mit
spiessbürgerlichem Behagen geniesst. Bei ihm gibt es keinen Unter-
schied zwischen schön und hässlich : er findet in der Natur Alles ver-
wendbar. Wie sind in seinen »Quartiers de Paris« die verschiedenen
Welten der Pariser Gesellschaft gekennzeichnet. Wie fein hat er in
seinen »Moeurs Parisiennes« die Grisette von damals mit ihrer Um-
gebung von jungen Kaufleuten und armen Studenten geschildert:
noch nicht die grosse Dame, das üppige blasirte Weib der nächsten
Generation, sondern die bescheidene Modistin oder Schneiderin, von
deren Landpartien Paul de Kock erzählt, ein hübsches Kind in kurzem
Kleidchen, das in einer Mansarde wohnt und sich nur putzt, wenn
es Sonntags in s Theater oder auf’s Land geht. Monnier gibt ihr
etwas Gutmiithiges, reizend Kindliches. Sie begnügt sich in der Ge-
sellschaft ihrer Anbeter mit sehr billigen Vergnügungen, trinkt Apfel
wein und isst Honigkuchen, reitet auf dem Esel oder frühstückt im
Grünen und kokettirt kaum, wenn ihr auf den Boulevards ein alter
dicker Herr nachgeht. Man denkt bei diesen unschuldigen Liebeleien
ebensowenig an die späteren Loretten Gavarnis, wie diese die be-
trunkenen Strassendirnen ahnen lassen, die Kops später sah.
Unter Louis Philipp begann für die französische Caricatur die
wahrhaft moderne Periode, die glänzende Zeit, wo wirklich grosse
XVII. Die Zeichner
47
Künstler sich ihr weihten.
Nie erhob sie ihr Haupt
mächtiger als unter dem
Bürgerkönig, dessen Zwiebcl-
kopfdem unerbittlichen Phi
lippon stets zur Zielscheibe
des Witzes diente. Nie war
sie fürchterlicher bewaffnet,
nie führte sie schrecklichere
Streiche. Das famose Journal
Charles Philippons »La Ca-
ricature« war der stärkste
Hebel, dessen sich die Repu-
blikaner gegen die Juliregier-
ung bedienten : gleich ge-
fürchtet vom Ministerium,
der Bourgeoisie, dem Throne.
Erst als 1832 auf die Cari-
cature der Charivari folgte,
gingen die politischen Cari-
caturen mehr in einfache
Sittenschilderungen aus dem französischen Leben über. Die schweren
Geschütze explodirten in leicht spielendem, improvisirendem Feuerwerk.
Daumier und Gavarni, den Männern, die man gewöhnlich Cari-
caturisten nennt, während sie in Wahrheit grosse Geschichtschreiber
ihrer Zeit waren, hat cs die französische Gesellschaft des 19. Jahr-
hunderts hauptsächlich zu danken, wenn sie allmählich in den Kreis
künstlerischer Darstellung gezogen ward. Lange Jahre hindurch, jede
Woche, fast jeden Tag haben sic an ihrem grossen, Tausende von
Capiteln umfassenden Geschichtswerk, einer wahren Zoologie der
menschlichen Species gearbeitet, und ihr Werk in Schwarz und Weiss,
auf Stein gezeichnet und in den Journalen zerstreut, zeigt sie nicht
nur als treue Historiker, sondern als wahrhaft grosse Künstler, die
ihren Platz neben den grössten verdienen.
Als Daubigny in jungen Jahren die Sixtinische Kapelle in Rom
betrat, soll er erstaunt gesagt haben: »Das sieht aus wie von
Daumier«, und Daumier wurde seitdem treffend der Michelangelo
der Caricatur genannt. Es liegt in seinem Stil, selbst wenn er lacht,
ein florcntinisches Terribile, eine groteske Grösse und Buonarottische
48
XVir. Die Zeichner
Macht. In der Zeit vor 1848
hat er mit seinem Bleistift zer-
malmende Schläge gegen das
constitutionelle Königthum
geführt. »Le Ventre legis-
latit« bezeichnet den Gipfel
dessen , was sich jemals die
politische Caricatur in Frank-
reich erlaubte. Aber wenn
er sich von Philippon befreite
und die Politik bei Seite Hess,
hat derselbe Mann auch die
wunderbarsten Zeichnungen
aus dem Leben angefertigt.
Sein »Robert Macaire«, wie er
als Krämer seinen Commis
Instructionen gibt, als Armenarzt den Patienten gepfefferte Rechnungen
schickt, als Bankier die Börse beherrscht, als Geschworener sich be-
stechen lässt, als Agent den Bauer aussaugt, ist die Incarnation des
Bürgerkönigthums, eine grandiose Kritik des Jahrhunderts des Geldes.
Politiker, Beamte, Künstler, Komödianten, ehrsame Bürger, Trödler,
Zeitungsjungen, verarmte Maler, die verschiedensten catilinarischen
Kxistenzen gingen durch seinen Stift und wurden aufgezeichnet in
Blättern, die oft erschrecken durch die Wahrheit und l iefe der Be-
obachtung. Das Zeitalter Louis Philipps lebt genau porträtirt in diesen
Lithographien, von denen jede ein Blatt ist im grossen Buch der mensch-
lichen Tragikomödie. In seinen »Kmotions parisiennes« imd Bohe-
miens de Paris« behandelt er das Unglück, den Hunger, die Frechheit
des Lasters und die Schrecken des Klends. Seine Histoire ancienne
verspottete die Lächerlichkeit des Davidschen Classicismus zu einer
Zeit, als an dieses Heiligthum zu rühren noch als Majestätsverbrechen
galt. Diese modernen Menschen mit den classischen Posen, zum Theil
David’sche Bilder parodirend, haben wohl zuerst den Zeitgenossen
das Geschraubte, Unwahre der Richtung zum Bewusstsein gebracht,
nebenbei auch Offenbach später seine besten Ideen geliefert. Daumier
war ausserdem ein Landschafter ersten Ranges. Keiner hat besser
die Physiognomie der Brücken und Häuser, der Quais, verregneter
Strassen, der armen Natur im Weichbild von Paris gegeben. Kr war
ein Momentphotograph ohne Gleichen, ein Physiognomikcr, wie es
Daumier: Amateurs de lableaux.
XVII. Dif. Zeichner
49
im 1 6. Jahrhundert Brucghel,
im 17. Jan Steen und Brou-
\ver,im vorigen Chodowieeki
war, mit dem Unterschiede,
dass er ebenso breit und
mächtig zeichnete, wie jener
zart und fein. Diese ur-
wüchsige, jordaens'sche Kraft
des Striches stellt seine Blätter
als Kunstwerke ebenso hoch,
wie sic als historische Do-
kumente unschätzbar sind.
So summarisch die Behand-
lung, so vereinfacht der Con-
tur, — die Mimik, Gestikula-
tion und Stellung ist stets
ausdrucksvoll, und Daumicrs
Einfluss auf viele Maler steht
ausser Zweifel. Namentlich
Millet, der grosse Bauernmaler, hat dem Zeichner der Bourgeois viel
zu danken. Gerade das, was seinen »Stil« ausmacht: die grosse Linie,
die Vereinfachung, das geistreiche Abstrahiren vom anekdotisch Gleich-
gültigen der Form sind Dinge, die er von Daumier lernte.
Gavarni war — in den Jahren als er mit für den Charivari
zeichnete, das gerade Gegentheil Daumicrs. Dort kraftvolle Stärke,
hier feine Grazie. Dort brüske brutale Beobachtung und fast drohender
Sarkasmus, hier die übermüthige Laune des Schmetterlings, der leicht-
fertig von Blume zu Blume fliegt. Man könnte Daumier mit Rabe-
lais; Gavarni, den geistreichen Journalisten der Welt und" der Halb-
welt, den Zeichner der Eleganz, der Rou6s und Loretten, mit Moliere
vergleichen. 1801 von armen Eltern in Paris geboren und in seiner
Jugend Mechaniker, hatte er seit 1835 sich durch Modeblätter und
Costümzeichnungen den Unterhalt verdient. Er übernahm die Leit-
ung des Modcjournals »les Gens du monde« und eröffnete es mit
Lithographien aus dem Leben der Jeunesse doree: les Lorettes, les
Actrices, les Fashionables, les Artistes, les Etudiants de Paris, les Bals
masques, les Souvenirs du carnaval, la Vie des jeunes hommes. Eine
neue Welt war darin mit kecken Zügen erschlossen. Die Frauen bei
Daumier sind gute dicke Mütter, immer sehr beschäftigt, von beneidens-
Muther, Moderne Malerei II.
Daumier : Gerichtsscene.
XVII. Dif. Zeichner
weither Constitution und
schlagfertigem Witz, Wei-
ber, die ihren Haushalt
ordentlich führen, auf den
Markt gehen und wenn
nöthig, ihren Mann im
Bureau vertreten. Bei Ga-
varni sind sie pikant und
schmollend, in Seide ge-
schnürt und von weichen
Sammetmänteln umflossen .
Sie lieben im Cabinet par-
ticulicr zu speisen und auf
krystallene Spiegelplatten
den Namen des jeweiligen
Geliebten zu ritzen. Gavarni
war der Erste, der die welt-
männische Form des mo-
dernen Lebens packte, ele-
gante Menschen mit vollem
Chic auf die Füsse stellte
und ihnen das Gewand
auf den Leib goss. Fr selbst
liebte in seiner Kleidung das Gigerlhafte und badete sich wollüstig im
Pariser Leben, das im Genuss um sich selber wirbelt. Das heutige Ge-
schlecht fühlt den Duft solch’ älterer Modeblätter schwer. In jedem
Kunstwerk ist, neben dem was bleibt, ein feines Parfüm, das sich nach
einigen Jahren verflüchtigt und von Späteren nicht mehr bemerkt wird.
Was heute frisch und modern ist, hat morgen das Aussehen ver-
trockneter Blumen, die der Historiker im Herbarium einschliesst. Und
dieses schnelle Welkwerden erleben besonders die, welche die Moden
ihrer Zeit zeichnen. Auch von Gavarni’s Lithographien wirken
viele schon wie die blassen Bilder einer entschwundenen Welt.
. Die Generation von 1830 aber feierte in ihm denselben Charmeur,
denselben Meister verliebter Eleganz, den die von 1730 in Watteau
gehabt. Fr war der gesuchte Costumier, den der Schneider Humann,
der Worth des Julikönigthums, als seinen Rivalen betrachtete, der
Erfinder all' der Feerien, die den Hauptanziehungspunkt der Theater
und Maskenbälle bildeten, der feine Gourme des ewig Weiblichen.
SO
Daumier: Minelas vainquetir.
Sur les remparts fumants de la superbe Troie
Menelas, fils des Dieux, corame une riche proie,
Revit sa blonde Helene et l'emm£ne ä sa cour
Plus belle que jamais de pudeur et d'amour.
XVII. Die Zeichner
Daumier: La voilä . . . Ma rnaison de Campagne.
der. nachdem er den Frauen viel nachgegangen, das Wehen eines Unter-
rockes, den verführerischen Reiz eines feingeformten Beines, die Ko-
ketterie einer neuen Frisur mit intimer Kennerschaft zu geben wusste.
Den Balzac der Zeichner hat man ihn genannt. Ebenso i'ibermüthig
wie die Bilder sind die — ebenfalls von ihm selbst herrührenden
Unterschriften. So, wenn in der Folge »La vie des jeunes hommes«
der junge Elegant mit seinem »Verhältniss« im anthropologischen
Museum vor einem Skelett steht und die Kleine schaudernd meint :
»Wenn man denkt, dass das ein Mann ist und dass die Damen
das lieben« — oder wenn ein Bekannter dem Andern sagt: »Ja,
wenn du dich mit allen Liebhabern deiner Frau zankst, wirst du nie
einen Freund haben.«
Aber das ist nur die eine Seite der Sphinx. Man kennt ihn
halb, wenn man nur an den Zeichner von feinen Damenmoden
denkt, der in seinen Loretten- und Carnevalsblättern die leichtfertige
Anmuth der Dcmimondc, den tollen Uebermuth der Faschingslust
feierte. Im Grunde war Gavarni kein leichtfertiger Schmetterling,
sondern ein Künstler von unheimlich düsterer Phantasie, ein tief-
XVII. Die Zeichner
>2
sinniger melancholischer Phi-
losoph, der alle Mysterien des
Lebens ahnte. All’ die ge-
waltigen Probleme, die das
Jahrhundert aufwarf, tanzten
als gespenstische Fragezeichen
vor seinem Geiste.
Der Uebergang war, dass er.
älter geworden , auch schil-
derte, welch kaltes nüch-
ternes Erwachen der tollen
Nacht folgt. Auf diesen Bahnen
war schon Constantia Guys
gegangen, der unglückliche
kranke Mann, der, wie Ver-
laine, sein Dasein im Hospital
verlebte und im Armenhaus
starb. Guys hat nicht viel
hinterlassen, aber in dem weni-
gen erscheint er als wahrer
Vorläufer der Modernen, und
es ist kein Zufall, dass Baudelaire, der Ahn der Decadence, Guvs’
Denkmal errichtete. Diese Weiber mit den gelangweilten Bewegungen
und matten, absynthgetödteten Augen, die unstet durch die Gassen
irren und wie Fledermäuse durch den Ballsaal flattern, haben nichts
mehr von dem unschuldigen Reize Monnier’scher Grisctten, sie sind
unheimliche Todbringerinnen, dämonische Bräute des Satans. Und
Guys übte auf Gavarni sehr grossen Einfluss. Es entstanden seine
Invalides du sentiment , seine »Lorettes vieillies« und seine Four-
beries des femmes«. Die Wollust der Creaturen ist gemenget mit
Bitterkeit . Aus dem leichtsinnigen Kind der Welt wurde ein Misan-
throp. dem kein Geheimniss der Kothstadt fremd blieb, ein Pessimist,
der anfing, in der Dirne der Gosse wie in der Herrscherin des Salons
die Sumpfblüthe der Uebercultur, die menschliche Bestie zu sehen,
die »bittere Frucht, die innen voll Asche ist . Er kennt nur noch
eine Liebe, deren Genüsse man mit den Schauern des Todes
zahlt. Seine Werke können keiner Dame gezeigt werden und sind
doch durchaus nicht frivol — sie sind puritanisch und schreck-
lich. Welch dämonischer Gedanke, wenn in den Lorettes vieillies
Gavarni.
XVII. Dif. Zeichner
das hässliche, mit Ge-
schwüren bedeckte
Weib einem alten
Herrn, der ihr ein Al-
mosen gegeben, mit
den Worten dankt:
Viel Dank, guter Herr,
möge Gott ihre Söhne
vor meinen Töchtern
schützen ! Hatte Dau-
miervorzugsweise den
Mann, so hat Gavarni
wie kein Anderer das
Weib »gekonnt«. Er
ist nicht der mächtige
Zeichner wie Dau-
mier, hat nicht das
Gefühl für grosse Be-
wegungen, aber mit
welch schrecklicher
Unmittelbarkeit ana-
lysirt er die Köpfe.
Durch alle Altersstufen und durch jeden Stand, von der Jugend bis
zum Verfall , vom glänzenden Reichthum bis zum schmutzigen
Elend hat er das Weib begleitet und in monumentalen Strophen
das hohe Lied der Lorette geschrieben: Dingltangl, Villa in den
Champs Elysecs. Equipage, Grooms, Bois de Boulogne, Kupplerin,
Mansarde, Rettigweib , jene letzte Incarnation , die Victor Hugo das
Strafgericht nannte.
Auf diesem Wege ging Gavarni weiter. Immer mehr schärfte
sich sein Blick, der Ernst der Betrachtung siegte über die Heiterkeit,
und er studirte seine Zeit mit dem unerbittlichen Messer des Vivi-
sectors. Das Schicksal hatte ihm selbst gelehrt, was es bedeutet, den
Kampf um’s Dasein zu kämpfen. Ein Blatt, das er in den 30 er
Jahren gründete, überhäufte ihn mit Schulden. Er sass 1835 im Ge-
fängniss von Clichy und betrachtete seit dieser Zeit die elenden zer-
lumpten Geschöpfe, die er um sich sah, mit anderen Augen. Er
studierte das arbeitende Volk, trieb sich in Kellern und Spelunken zwi-
schen Taschendieben und Zuhältern umher. Und was ihm Paris noch
Gavarni: Phedre au Thedtre-Franfais.
54
XVII. Die Zeichner
nicht gezeigt, lernte er 1849
in London kennen. Auch
dorthin kam er nicht als der
Erste. Den Weg wies Geri-
cault, der schon 1821 in
einer Serie von lithograph-
ischen Blättern in das Elend
der Weltstadt eintauchte.
Bettler, die halbtodt vor Er-
schöpfung an der Thür eines
Bäckerladens kauern ; zer-
lumpte Dudelsackpfeifer, die
men sc h en 1 eere Gegen den
schlotternd durchirren ; arme
gelähmte Frauen, die von
hohläugigen Menschen im
Schubkarren gefahren wer-
den, an Prachtpalästen vor-
bei und vom Gewühl glän-
zender Carossen umgeben,
sind einige der Scenen, die
er aus London heimbrachte.
Doch Gavarni übertrifft ihn
an schneidender Schärfe. »Was man in London ganz umsonst
sieht«, lautet die Aufschrift einer Reihe von Blättern, in denen er
die neuen Schrecken dieser neuen Zeit furchtbar auf’s Papier be-
schwor: den Hunger, die Noth, das unermessliche Leid, das sich
zähneklappernd in den Höhlen der Grossstadt birgt. Er durchlief
Whitechapel von einem Ende zum andern, studirte die Trunkenheit
und das Laster. Wie viel drastischer sind seine Bettlerfiguren als
die Callots. Besonders die grandiose Serie des Thomas Vireloque ist
ein Todtcntanz des Lebens, in dem schon alle Probleme sich an-
kündigen, die später unsere Epoche bewegten. Durch dieses Werk ist
Gavarni unser Zeitgenosse geblieben, durch dieses ist er ein Vorläufer
geworden. Auf Schritt und Tritt taucht heute die räthselhafte Figur
des Vireloque auf, des Gassenphilosophen, des zerlumpten Kerls, der
Dynamit in der Tasche hat, die Verkörperung der Bete lnimaine,
des menschlichen Elends und des menschlichen Lasters. Hier steht
Gavarni weit über Hogarth und hoch über Callot. Die socialpoli-
Guys; Frauenstudie.
XVII. Die Zeichner
5 )
tischen Ideen der
ersten Hälfte des Jahr-
hunderts haben sich
im Thomas Vireloque
condensirt.
Selbstverständlich
bezeichnctc der Re-
gierungsantritt Napo-
leons III. auch für die
französische Caricatur
eine neue Phase. Sie
wurde ebenfalls gross-
städtischer und welt-
männischer. All’ das
Pikante und Glän-
zende , Muthwillige
und Verdorbene, Aus-
schweifende und Lie-
benswürdige, Heitere
und Affektirte dieses
feinen grossstädtischen
Lebens, das damals sei-
nen blendenden Glanz
über Europa warf, fand in den jungen Zeichnern raffinirt verständ-
nisvolle Interpreten. Als Hauptblatt kommt das 1848 gegründete
Journal pour rire in Frage, das 1856 den Titel Journal amüsant an-
nahm, unter dem es noch heute besteht.
Gustave Dore hat sich zum Nachtheil seiner Bedeutung nur in
seiner allerersten Zeit auf diesem Boden bewegt. Er war noch im
Gymnasium seines Heimatstädtchens Burg im Eisass und kaum
16 Jahre alt, als er mit Philippon einen Vertrag schloss, der ihn
auf drei Jahre für das »Journal pour rire« engagirte. Seit 1844 ent-
standen seine ersten Zeichnungen : »les animaux socialistes«, die sehr
an Grandville streiften, und > Desagrements d'un voyage d’agrement
deutsch etwa »Herr und Frau Buchholz in der Schweiz« — ,
die in ihrem grotesken Witz viel Aufsehen machten. In seinen
Cyklen »les differents publics de Paris« und »la Menagerie Pari-
sienne« schilderte er schneidig die Oper, das Theatre des Italiens,
den Circus, das Odeon, den Jardin des Plantes. Aber seitdem Hessen
Gavarui: Ce qui me manque 11 moi? wie l'ite tue re
comme (a, qu’aurait sein de mon linge.
XVII. Die Zeichner
ihn die Lorbeern des
Historienmalers nicht
schlafen. Er kehrte so-
wohl der Caricatur wie
der Gegenwart den
Rücken, machte Aus-
flüge in alle Zonen
und Zeiten, besuchte
mit Dante das Inferno,
verweilte mit den alt-
testamentlichen Patri-
archen in Palästina und
durchlief mit Perrault
die Welt des Wun-
ders. Staunenswerth
war die Leichtigkeit
seiner Erfindung, die
Geschicklichkeit, mit
der er aus allen Schrift-
stellern die packendsten
Scenen zur Illustra-
tion herausgrifif. Nur
steckte ihm zuviel Clas-
sicismus im Leibe, als
dass er auf die Dauer
sehr fesseln könnte.
Seine Compositionen bestechen durch einen scheinbar grossen Stil,
erreichen aber nur eine äusserlich decorative Wirkung. Die Ge-
stalten sind akademische Variationen der durch die Griechen und
Cinquecentisten festgestellten Typen. Er forcirte sein Talent, als er
sich in Regionen erhob, in denen er ohne Anlehnung an seine Vor-
gänger doch nicht stehen konnte. Selbst im Don Quichotte verlieren
die Figuren an Charakter, je grösser sie werden. Alles ist bei ihm calli-
graphisch, verständig, ohne Individualität, ohne Bewegung und Leben,
nach bekannten Regeln componirt. Es steckte etwas von Wiertz in ihm
sowohl nach der Seite der Phantasie wie nach der des Schemas hin.
und seine Jugendwerke, wie die Schweizerreise, in denen er noch
ohne stilistische Prätentionen einfach Beobachtetes niederzeichnete,
bleiben wohl am längsten bestehen.
Gavarni: Thomas Vireloque.
XVII. Die Zeichner
57
Am erschöpfendsten hat Chain während der Periode 1848 — 78
in breiten Lithographien und reizenden Holzschnitten die Tageschronik
des modernen Pariser Lebens geführt. Der berühmte Caricaturist
man hat ihn den geistreichsten Mann Frankreichs unter Napoleon III.
genannt — hatte gleichzeitig mit Jean Francois Millet bei Delaroche
gearbeitet. Seit 1842 trat er als Cham (eigentlich nannte er sich
Graf Amadee de Noe) mit Zeichnungen hervor, die ihn bald zum
gesuchtesten Mitarbeiter des Charivari machten. Weniger tief, weniger
ernst als Gavarni, ist er doch immer lebensprühend, ein Zeichner
von wunderbarer Verve. In seinen Monats- und Jahres-Revuen
detilirt Alles, was auf dem Gebiete der Erfindung und Mode, der
Literatur und Kunst, der Wissenschaft und des Theaters Paris in-
teressirte: die Omnibusse mit der hohen Imperiale, Tischrücken
und Klopfgeister, die Eröffnung der Grands Magasins du Louvre.
Frau Ristori, die Vollendung des Canals von Suez, die ersten
Zeitungskioske, Paris am Neujahrstag, die Erfindung der Panzer-
schiffe, die Durchbrechung des Mont Cenis, der Faust von Gou-
nod, die Patti und die Nilson, der Streik der Schneider und Hut-
macher, die Jockeys und Pferderennen. Alles, was die öffentliche
Aufmerksamkeit erregte, hatte in Cham seinen feinen Beobachter.
Seine Caricaturen auf Kunstwerke des Salons waren voll von Geist,
und die Weltausstellung 1867 fand in ihm den classischen Chron-
isten. Hier lebt das ganze mysteriöse Paris des dritten Napoleon.
Kaiser und Könige defiliren, die Strauss’sche Kapelle spielt, Zigeu-
nerinnen tanzen, Equipagen rollen, Alles lebt, liebt, kokettirt, ver-
schwendet und dreht sich im Strudel. Doch das Ende der Aus-
stellung bedeutete auch das Ende alles Glanzes. Man fühlt aus
Cham’s folgenden Blättern heraus, dass ein Gewitter in der Luft lag.
Weder Moden noch Theater, Weiber und Vergnügungen konnten
verhindern, dass die Politik mehr und mehr vorherrschte: der Sturz
Napoleons bereitet sich vor.
Die nach ihm Auftretenden führten eine grössere Arbeitstheilung
durch, indem sich der eine die kleinen Frauen, der das Theater,
der das High-life als Specialität erwählte. Nadar nahm, durch die
Photographie unterstützt, die seit Daumier vernachlässigte Porträt-
charge wieder auf und hatte mit seiner Folge »Les Contemporains
de Nadar« grossen Erfolg. Marcellin ist der erste, der über seine
Blätter aus der Welt der Moden und des Theaters all’ den Chic
und eleganten Flimmer breitete, der in den Romanen jener Jahre
5»
XVII. Die Zeichner
lebt. Er ist der Chronist der grossen Welt, der Bälle und Soireen,
er zeigt die Oper und das Theatre des Italiens, erzählt von Jagden
und Rennen, wohnt den Corsofahrten bei und verlässt, sobald der
gute Ton es verlangt, das Pflaster von Paris, Umschau zu halten
in den Schlössern und Landhäusern, den französischen Seebädern
und kleinen Badeorten Deutschlands, deren Spielsäle damals den
Sammelpunkt des vornehmen Paris bildeten. Besonders Baden-Baden,
wo sich im Juli alle Löwen des Tages, Männer der Politik und
Kunst und alle Schönheiten des Pariser Salons vereinten, bot dem
Zeichner ein weites Feld für Studien über Mode und Chic. Hier
entstand die Folge Histoire des variations de la mode depuis le
XVI. siecle jusqu’ä nos jours«. In einem Ort. wo alle Gesellschafts-
klassen, Welt und Halbwelt, sich begegneten, konnte auch Mar-
cellin die Demimonde nicht umgehen, wusste jedoch, selbst wenn
er dieses Gebiet streifte, stets seine distinguirte, correcte Haltung
zu wahren. Er war der eigentliche Zeichner der »Gesellschaft«, der
glänzenden, lebenslustigen, angefaultcn und doch so vornehmen Ge-
sellschaft des zweiten Kaiserreichs, die aus Paris einen grossen Ball-
saal machte.
Randon ist ebenso plebejisch, wie Marcellin aristokratisch. Seine
Specialität ist der dumme Rekrut, der truppweise durch die Strassen
geführt wird, der kleine Privatier, wie ihn Daudet im Monsieur Chebe
flxirte, der alte Herr, der im Bois de Boulogne auf der Bank sitzt:
Lasset die Kindlein zu mir kommen mit ihren Bonnen«. Sein Ge-
biet umfasst alles, was nicht mit Chic zu thun hat. Das ganze Volks-
leben von Paris, die Pferdemärkte, die Rennen in Poissy, jedes wich-
tigere Vorkommniss, wodurch das Aeussere der Stadt sich veränderte,
lässt sich in seinen Zeichnungen verfolgen. Wenn er reiste, ging
er nicht in die Seebäder, sondern in die Provinz, nach Cherbourg
und Toulon oder in die Fabrikstädte Belgiens und Englands, wo
er das Leben auf den Bahnhöfen und in den Zollhäusern, auf dem
Markt und in den Kasernen, in den Häfen und auf der Strasse be-
obachtete. Waaren, die man aufstapelt, Säcke, die man aufwindet,
Schiffe, die man vor Anker legt, Lagerhäuser, Werfte, Docks, -
überall lebt es wie in einem geschäftigen Bienenstock. Die Natur ist
eine grosse Fabrik, der Mensch eine wandelnde Maschine. Die Welt
gleicht einem Ameisenhaufen, der Wohnstätte seltsamer Insekten,
die mit Zähnen, Fühlern, unermüdlichen Füssen, bewunderungs-
würdigen, zum Graben, Sägen, Bauen, zu allen möglichen Dingen
XVII. Die Zeichner
59
geeigneten Organen ausgerüstet, aber auch mit unaufhörlichem
Hunger versehen sind.
Bald darauf kam Hadol, der 1855 mit seinen ersten Modebildern
debütirte, Stop, der damals besonders die Provinz und Italien schilderte.
Draner, der sich mit dem Pariser Ballet beschäftigte und für die kleinen
Tänzerinnen reizende Militäruniformen entwarf. Leoncc Petit wurde
der Bauernzeichner, der intim und einfach von den Reizen des
Landes erzählte; von der todten Langweile kleiner Städte, von armen
Dörfchen und primitiven Gasthäusern, von der Klatschstunde der
Dorfhexen vor der Hausthür, von der gespreizten Würde des Dorf-
schulzen oder des Obristen der Feuerwehr. Er ist namentlich als
Landschafter bemerkenswert^. Die Bäume der eintönig geradlinigen
Fahrwege stehen weich und zart in der Luft, die schläfrige Mono-
tonie winkliger Dorfgässchen ist mit wenig Bleistiftstrichen sehr
prägnant gegeben. Die Flur ist ein grosser Küchengarten. Die
Felder und Accker mit ihrem staubigen, mageren Boden erzählen
ein grosses Lied von harter Arbeit, vom ernsten, mühseligen Da-
sein der Bauern.
Andrieux und Morland entdeckten die femme entretenue, deren
bekanntester Schilderer später Grevin wurde, der geistreiche, ori-
ginelle, leichte und pikante Zeichner, den Einige — freilich über-
treibend — den direkten Nachfolger Gavarnis nannten. Grevins Frauen
sind ein wenig eintönig mit ihrem lockigen Chignon , ihren nichts-
sagenden Augen, die gern gross scheinen möchten* ihrem schmoll-
enden Naschen, den trotzig aufgeworfenen Lippen und der billigen
Toilette, die sie so chic tragen. Sie sind auch schon in’s Grab gestiegen
wie die Grisetten Monniers und Gavarnis, und haben den Weibern
von Mars und Forain das Feld gelassen. Grevins Werk erscheint
heute veraltet, da es nicht mehr modern und noch nicht historisch
ist, aber es bezeichnet trotzdem, wie das Gavarnis, eine Epoche. Die
Bals publics, die Bals des l’Opera, der Jardin Mabille, die Closerie
des Lilas, die Rennen, die Promenaden im Bois de Vincennes, die
Seebäder, alle Orte, wo die Cocottenwelt unter Napoleon III. ihr
Zelt aufschlug, waren auch das Heim des Zeichners. »Wie man in
Paris liebt« und »der Winter in Paris« nannten sich seine ersten
Cyclen. 1867 im Ausstellungsjahr erschienen seine grössten und
feinsten Blätter, die Scenen aus den Pariser Hotels und »die Eng-
länder in Paris«. Seine späteren, in Albums herausgegebenen Folgen:
Les filles d’Eve, le monde amüsant, Fantaisies parisienncs, Paris
6o
XVII. Die Zeichner
vicieux, La Chaine des Daraes sind ein hohes Lied auf die Raf-
finements des Lebens.
Hs liegt nicht im Plane dieses Buches, die Geschichte der zeich-
nenden Künste weiter zu verfolgen. Nur das war zu zeigen, dass auf
dem Wege, den Rowlandson und Cruikshank, Erhard und Richter,
Daumier und Gavarni betrat, auch die Malerei folgen musste, wenn
sie die Kunst des 19. Jahrhunderts sein und nicht immer abhängig
von den Alten bleiben wollte. Das absolute Schöne ist keine zu-
trägliche Nahrung für die Kunst, sie hat sich, um lebenskräftig zu
sein, von den Ideen des Jahrhunderts zu nähren. Erst wenn man
aufgehört hatte, sich nur an den Meisterwerken der Vergangenheit
zu begeistern, um mit ihrer Hilfe Scenen aus längst begrabenen Zeiten
darzustellen, erst dann war Aussicht vorhanden, dass das Epigonen-
thum überwunden werde und sich an der Hand selbständigen frischen
Naturstudiums eine neue, originelle Malerei entwickle. Es musste die
leidenschaftliche Begierde der Zeit werden, sich häuslich einzurichten
auf der Erde, in dieser so lange verschmähten Wirklichkeit, die un-
geahnte Schätze lebendiger Kunstwerke birgt. Die aufgehende Sonne
ist noch ebenso schön als am ersten Tage, die Flüsse strömen, die
Wiesen grünen, die vibrirenden Leidenschaften kämpfen wie einst,
das unsterbliche Herz der Natur schlägt noch unter seiner rauhen
Hülle, und seine Schläge hallen wider im Herzen des Menschen.
Es musste die Wendung vom Denken auf das Sein erfolgen und
auch von den Malern die Welt wieder entdeckt werden, wie in den
Tagen der ersten Renaissance. Es handelte sich darum, mit allen
Hilfsmitteln der Farbe die vielgestaltigen Formen der menschlichen
Thätigkeit darzustellen: alle Phasen und alle Bedingungen des Da-
seins, die Eleganz wie das Elend, Vergnügen und Arbeit, den Salon
und die Strasse, das wimmelnde Treiben der Städte wie die stille
Arbeit des Bauern. Es galt die ganze Naturgeschichte der Zeit zu
schreiben — und dieser Weg, der aus den Museen in die Natur, aus
der Vergangenheit zu lebenden Menschen führte, wurde den fran-
zösischen und deutschen Malern von England gewiesen.
Sx©
XVIII
Die englische Malerei bis 1850.
DIE englische Schule hat über die andern den Vortheil, dass
sie jung ist, dass ihre Tradition kaum ein Jahrhundert alt
ist, dass sie nicht wie die des Continents mit alten griechisch-
lateinischen Theorien durchsetzt ist. Welche glücklichen Bedingungen,
sich in einem modernen Sinn abzuheben , während bei den andern
Völkern der Druck der Tradition auf den kühnsten Neuerern lastet.
Die Engländer schauen nicht zurück, sondern um sich in’s umgebende
Leben.« So hat Bürger- Thore 1867 in einem seiner ; Salons« ge-
schrieben.
Auch England war von der retrospectiven Strömung des Con-
tinents nicht unberührt geblieben. Vielleicht würde sich sogar nach-
weisen lassen, dass diese ganze Bewegung hier ihren Ausgang nahm.
England hatte in der Architektur seinen »Empirstil«, 50 Jahre bevor
es in Frankreich ein Kaiserreich gab; es hatte in der Malerei seinen
Classicismus , schon als David bei Boucher Amoretten malte, und
es schenkte der Welt einen Romantiker zur selben Zeit, als die Li-
teratur des Continents »classisch wurde. The Lady of the Lake,
Marmion. The Lord of the Isles, The fair Maid of Perth, Old Mor-
tality, Ivanhoe, Quentin Durward, wer weis nicht diese Namen aus-
wendig: Bei Walter Scott haben wir Geschichte gelernt, und jenes
kunstgewerbliche Programm, das Lorenz Gedon 1876 entwarf, als
er in der Münchener Ausstellung die Abtheilung »Unserer Väter
Werke« einrichtete — es wurde von Scott schon 1816 verkündet.
Alle Summen, die er für seine Romane einnahm, verwendete er da-
rauf, sich ein Schloss nach Art der alten Ritterburgen zu bauen.
Thürme und Thürmchen, die alle irgend einem schottischen Königs-
bau nachgebildet, Giebel und Fenster, die mit den Wappeninsignien der
Clans, mit kriechenden Löwen bemalt waren«, Zimmer mit hohen
Schenktischen und geschnitzten Truhen angefüllt, und mit Tartschen,
Plaids, grossen Schwertern der Highlander, Hellebarden, Rüstungen
Gl
XVIII. Die englische Malerei bis 1850
und trophaicnartig aufgehängten Hirschgeweihen geschmückt«. Das
war ein Makartsches Atelier 70 Jahre vor Makart.
Auch unter den Malern gab es Classicisten und Romantiker,
doch sind sie weder zahlreich noch bedeutend. Was England im
Beginne des Jahrhunderts an »grosser Kunst« hervorbrachte, könnte
aus dem Gesammtbild der britischen Malerei gestrichen werden,
ohne dass in deren Entwicklungsgang eine wesentliche Lücke ent-
stünde. Schon Reynolds hatte in seinem Ugolino, Macbeth und
jungen Hercules die Annäherung an die Italiener theuer zahlen
müssen. Und einem noch unerquicklicheren Manierismus verfielen
alle Andern, die ihm auf dem Wege nach Italien folgten. Da war
der gigantisch nichtige James Barry, der sich nach mehrjährigen
italienischen Studien 1771 mit der ausgesprochenen Absicht, Eng-
land eine klassische Kunst zu geben, in London niederliess und
mit den sechs gespreizten Darstellungen zur »Geschichte der mensch-
lichen Cultur«, die er 1783 in einem Saal der Society of Arts vol-
lendete, seine eigenen Vorbilder, die italienischen Classiker, iiber-
troffen zu haben glaubte. Der vielseitige, in allem gleich mittel-
mässige James Northcote lebt mehr durch seine Biographien von
Reynolds und Tizian als durch die grossen Bilder fort, die er für
Boydclls Shakespearegalerie malte und unter denen die Ermordung
der Kinder Eduards IV. durch den Stich am bekanntesten wurde.
Der schriftstellerisch ebenfalls sehr thätige und als Präceptor Britannhv
von seinen zahlreichen Schülern stets mit Hochachtung genannte
I leinrich Eiissli schuf, von Klopstock und Lavater angeregt, eine
Reihe sehr gedankenvoller, phantastisch angehauchter Werke, in denen
er mit Vorliebe Milton und Shakespeare illustrirte und von denen
die Titania mit dem Esel aus Shakespeares Sommernachtstraum in
der Londoner Nationalgalerie wohl das beste ist. Sein Schüler William
Etty lebte in den Traditionen der venezianischen Schule. Der
britische Makart, ging er ein wenig schwerfällig und mühevoll die
Bahnen Tizians, durchforschte das Reich der nackten Schönheit und
mühte sich ab, das Gcheimniss der blühenden Farbe zu finden, die
leuchtend von venezianischen Weiberkörpern strahlt. Der fleissige
Benjamin Robert Haydon, ein immer suchender, reflectirender, ring-
ender Geist, wurde, wie Gros in Frankreich, der Märtyrer dieses grossen
Stils. Er hätte gern Anderes, Einfacheres gemalt. Die Nationalgalerie
besitzt von ihm ein liebenswürdiges Londoner Strassenbild : die New
Road mit wimmelndem Volk, das neugierig vor dem Expeditions-
XVIII. Du: englische Malerei his 1850
6
lokal des Punch wartet. Doch sich
mit solchen Dingen zu beschäft-
igen, hielt er wie Gros für eine
Sünde gegen den edlen Stil. Nur
religiöse Stoffe und solche aus der
alten Geschichte glaubte er auf
grossen Leinwandflächen compo-
niren zu dürfen, grübelte sich im-
mer mehr in seine Theorien hinein
und erreichte den Höhepunkt ab-
strakter Wissenschaftlichkeit, als er
in emsigen anatomischen Studien
die Muskeln der Löwen untersuchte,
um danach die heroischen Körper
von Kriegern zu bilden. Sein Ende
- am 26. Juni 1846 — war das Romney: Lady Hamilton.
Gleiche wie das des Franzosen.
Man fand bei seinem Leichnam ein Papier, auf das er geschrieben
hatte: »God forgive me Amen Finis«, nebst einem Citat aus Shakes-
peares Lear: »Stretch me no longer on the rack of this rough
world«. Alle diese Meister interessiren mehr durch ihre mensch-
lichen Eigenschaften als durch ihre Werke, die mit ihren extra-
vaganten Farben, outrirten Gesten und Thorheitcn aller Art kein
neues entwicklungsfähiges Moment enthielten. Selbst wenn sie
Leistungen des Continents direct zu copiren versuchten, erreichten
sie den eleganten Schwung ihrer Vorbilder nicht, sondern machten
die Feinheiten, die sic nachahmten, schwerfällig und plump; sie
blieben halb bürgerlich und halb barbarisch.
Nicht auf dem Gebiete der grossen Malerei liegt die bahn-
brechende Bedeutung der englischen Kunst, und es ist vielleicht kein
Zufall, dass die Wenigen, die deren Import versuchten, an diesem
Experimente zu Grunde gingen. Ohne Zweifel widerstrebt solche
Art von Idealismus dem englischen Naturell noch mehr als dem
der andern Völker. Die Engländer hatten schon in den Tagen der
Scholastik die Lehre zur Geltung gebracht, dass es in der Natur nur
Individuen gebe. Von England aus wurde im Beginne der modernen
Zeit ein neues Weltalter auf Grund der Beobachtung der Natur ver-
kündigt. Bacon hat wenig über »Schönheit« zu sagen gewusst, er
spricht gegen die Proportionen und gegen die Wahl in der Kunst,
64
XVIII. Die englische Malerei bis 1850
also gegen das »Ideal « . Schöne
Menschen, sagt er, besässen
selten grosse Vorzüge. Eben-
sowenig hatte das englische
Theater je Yerständniss für
die feierlich rhythmische
Grösse der classischen Litera-
tur. Garrick hat. wenn er
Polonius todtstach , nie da-
ran gedacht, im Sinne ßoi-
leaus sich zu bewegen und
war von einem griechischen
Chorführer gewiss ebenso ver-
schieden wie Hogarth von
David. Die eigenthümlichcn
Vorzüge englischer Literatur
und Wissenschaft wurzelten
seit ihrem Bestehen in ihrer
Begabung für Beobachtung.
Sie offenbart die Verachtung der Regelmässigkeit in Shakespeare,
die Kenntniss des Realen in Bacon. Ihre Philosophie ist positiv, exact,
nützlich und sehr moralisch. Hobbes und Locke, Stuart Mill und
Buckle heisst jenseits des Canals, was auf dem Continent sich Des-
cartes, Spinoza, Leibniz und Kant nennt. Unter den Historikern ist
Carlyle der einzige Poet: alle andern sind gelehrte Prosaiker, die
Beobachtungen sammeln. Erfahrungen combiniren, Zahlen aneinander
reihen, Möglichkeiten abwägen, Thatsachen vereinbaren, Gesetze
auffinden, positive Kenntnisse aufspeichern und vermehren. Das
18. Jahrhundert hatte den Roman als Gemälde des Lebens der Gegen-
wart dort entstehen sehen ; in Hogarth war dieser nationale Geist
erstmals in der Malerei zur Geltung gekommen. Auch im Beginne
des 19. Jahrhunderts bestanden die guten Eigenschaften englischer
Kunst nicht in idealem Schwung, sondern in Schärfe der Beobacht-
ung, Nüchternheit und Beweglichkeit des Geistes.
Ihre eigentliche Domäne blieb nach wie vor das Porträt, und
wenn von den neu auftretenden Bildnissmalern keiner mit den grossen
Ahnen der englischen Kunst verglichen werden kann, so sind sie
doch allen gleichzeitigen Porträtisten des Continents überlegen. George
Romney, der noch mehr dem 18. Jahrhundert angehört, hält etwa die
Lawrence: Mrs. Siddons.
XVI 1 1. Du ENGLISCHE MALEREI BIS 1850
6)
Mitte zwischen der raffinirt
classischen Kunst Sir Jo-
shuas und der phantastisch
poetischen Thomas Gains-
boroughs. Weniger persön-
lich, weniger tiefgehend in
der Charakteristik als jene,
war er dafür der geschick-
teste Robenmaler seiner Zeit,
ein Mann, der alle Geheim-
nisse des Handwerks kannte
und zugleich die an Porträ-
tisten sehr geschätzte Kunst
besass, seine Modelle zu ver-
schönern, ohne sie unähn-
lich erscheinen zu lassen.
Die professional beauties
sahen sich in ihrem Abbild
ganz so, wie sie zu sein
wünschten, und widmeten
ihm deshalb eine glühende
Verehrung. Namentlich seit
seiner Rückkehr aus Italien,
1775, hat er einen Weltruf
besessen, der den Gainsboroughs überflügelte und dem von Rey-
nolds gleichkam. Die schönen Damen des Hofes, die berühmten
Schauspielerinnen verschmähten kein Mittel, von ihm die Aufnahme
ihres Porträts in eine seiner »Compositionen« zu erlangen. Denn
Romney schloss sich gern der von Reynolds aufgebrachten Mode
der allegorischen Bildnisse an, welche die Personen mit dem Emblem
eines Gottes, einer Muse u. s. w. darstellten, und hat allein die be-
rühmte Lady Hamilton als Magdalena, Jeanne d’Arc, Bacchantin und
Odaliske gemalt.
So gross sein Ruf am Ende des 1 8. Jahrhunderts gewesen war,
er wurde 20 Jahre später noch überstrahlt von dem Sir Thomas
Lawrences der, 1769 in Bristol geboren, kaum den Schauspielerberuf
aufgegeben hatte, als er ganz England für sein Malergenie schwärmen
sah. Der Katalog seiner Porträts bedeutet die vollständige Liste alles
dessen, was in England damals an Geist oder Schönheit hervorragte.
Mutlier, Moderne Malerei II. c
66
XVIII. Die englische Malerei bis 1850
Er nahm fabelhafte Summen
ein, die er mit ebenso welt-
männischer Eleganz wieder
ausgab. 1815 wurde er be-
auftragt, für die Galerie von
Windsor die Porträts aller
»Sieger von Waterloo« zu
malen , vom Herzog von
Wellington bis zum Kaiser
Alexander. Der Aachener
Congress gab ihm Gelegen-
heit, die Porträts der Ver-
treter der verschiedenen Höfe
anzufertigen. Alle Haupt-
städte Europas, die er zu
diesem Zweck besuchte, em-
pfingen ihn mit fürstlichen
Ehren. Er war Mitglied aller
Akademien unterdem Monde
und Präsident derjenigen von London, und heute ist als natürliche Re-
action auf diese frühere Ueberschätzung eine ebenfalls unverdiente Ge-
ringschätzung seiner Arbeiten gefolgt. Unter der vornehmen Hülle
seiner Repräscntationsbilder fehlt häufig Natürlichkeit- und Einfachheit,
die tiefere Charakteristik, die feste Zeichnung und richtige Lebenskraft.
Eine weibliche Gefallsucht ist an Stelle des Charakters getreten, seine
Zeichnung wirkt banal, sein Colorit monoton im Vergleich zu
Reynolds’ altmeisterlichem Realismus. Man verwechselt die Mehr-
zahl seiner Cercmonienstücke leicht mit solchen Winterhalters, seine
kleineren Porträts mit hübschen Modebildern, kann aber doch nicht
umhin, noch immer die Leichtigkeit der Ausführung, die Noblesse
der Anordnung zu bewundern. Namentlich über manchen Damen-
bildern liegt eine leichte Grazie, ein feiner Reiz poetischer Sinnlich-
keit, der ihn Gainsborough nähert. Nicht viele haben damals so
hübsche Kinderköpfchen malen können und jungen Frauen ein so
liebenswürdig familiäres Leben gegeben. Mit wie unschuldigem
melancholischem Mädchenblick schaut Mistress Siddons auf Law-
rences Bilde in die Welt, wie pikant ist dieses weisse griechische
Gewand mit dem schwarzen Gürtel und dem weissen Kopftuch
geordnet. Oder von welch subtiler Delicatesse ist Miss Farren, die
Raebum: Lord Newton.
XVIII. Die englische Malerei bis 1850
67
West: Tod des Generals Wolfe 175 9.
in Pelzmantel und Muff eine hellgrüne Sommerlandschaft durcheilt.
Lawrences Schätzung wird wieder steigen, wenn seine leeren Re-
präsentationsstücke in die Magazine gewandert und mehr solche
mysteriös duftige Damenbilder aus dem Privatbesitz in die öffentlichen
Sammlungen übergegangen sind.
Als kleinere Sterne theilten sich mit ihm der sanfte, zarte John
Hoppner, der liebenswürdig oberflächliche William Beechey, der
berühmte Pastellist John Russell und der kräftig energische John
Jackson in die Gunst des Publikums, während oben in Schottland
als Stern erster Grösse Henri Raeburn strahlte.
Das war ein geborener Maler. Wilkie sagt einmal in seinen
Briefen aus Madrid, die Bilder von Velazquez hätten ihn an R;vburn
erinnert, und einzelne Arbeiten des Schotten, wie das Porträt Lord
Newtons, des berühmten Bonvivants und mächtigen Trinkers, sind
in der That Werke von so grosser Mache, dass das Heranziehen
dieses gewaltigen Namens hier keine Profanation bedeutet. In einer
Zeit, als unter Lawrences Händen das Porträt in flache Schönmalerei
überzugehen drohte, stand Rteburn durch die Einfachheit und natural-
68
XVIII. Die englische Malerei bis 1850
istische Wucht seiner Bildnisse einzig da. Die 325, die 1876 in der
R. Suotish Academy von ihm vereint waren, gaben ein ebenso er-
schöpfendes Bild vom Leben Edinbdrghs am Schlüsse des Jahr-
hunderts, wie die Sir Joshuas vom Leben Londons. Was damals an
berühmten Schotten lebte — Robertson, Hume, Ferguson, Scott -
hat er gemalt, im Ganzen über 600 Bildnisse. Und wenn diese
Anzahl gegen die 2000 von Reynolds gering erscheint, so sind doch
Rajburns künstlerische Qualitäten fast grösser. Das Geheimniss seines
Erfolges liegt in seiner markigen Gesundheit, in der unbeschreib-
lichen Furia seines Pinsels, in der Harmonie und Wahrheit seiner
Valeurs. Ein schreckliches intensives Leben geht durch seine Gestalten.
Besonders seine alten Invaliden und Matrosen haben etwas König-
liches in dem grossen Stil ihrer vornehm ruhigen Gesichter. Arm-
strong hat ihm eine Stelle zwischen Frans Hals und Velazquez ange-
wiesen, manchmal lässt seine Earbenanschauung auch an die modernen
Franzosen, etwa an die Hals-Periode Manets, denken. Er malt seine
Modelle, wie sie ihm im Leben entgegentreten, im einfachen Tages-
licht, ohne jedes Streben nach altmeisterlichem Halbdunkel, gibt von
den Kleidern nur so viel, als das Verständniss erfordert, und schreibt
in einfachen, grossen Zügen den Charakter hin.
Die Bedeutung zweier in England thätiger Amerikaner. Wests
und Copleys, beruht darin, dass sic diese Errungenschaften des eng-
lischen Bildnisses zuerst für das Massengemälde verwertheten.
Benjamin West ist gewiss von seinen Zeitgenossen sehr überschätzt
und von einem heutigen Kritiker nicht mit Unrecht der König der
Mittelmässigkeit genannt worden. Er interessirte bei seinem Auf-
treten die Europäer schon als anthropologische Merkwürdigkeit: als
erster Sohn des barbarischen Amerika, der einen Pinsel in die Hand
nahm. Eine echt amerikanische Rcclame war seinem Einzug in die
ewige Stadt 1760 vorausgegangen. Man erzählte sich von ihm,
dass er als der Sohn eines Quäkers und Farmers in der unmittel-
baren Nähe der Indianer zwischen den Sclavcn seines Vaters auf-
gewachsen sei und in Philadelphia und Xew-York, ohne je ein Kunst-
werk gesehen zu haben, gute Bildnisse gemalt hätte. Man war später
entzückt davon, als er, in den Vatikan geführt, den Apoll von
Belvedere händeklatschend mit einem Indianerhäuptling verglich, ln
der Kunst, sich interessant zu machen, war der junge Wilde allen
seinen Gönnern überlegen, und da er sich mit grosser Geschicklich-
keit der herrschenden classicistischen Richtung anschmiegte, wurde
XVIII. Dir I ngusche Malerei bis 1850
69
er binnen Jahresfrist von den Akademien von Parma, Bologna mul
Florenz zum Ehrenmitglied gemacht und von den römischen Kritikern
als erster Maler neben Mengs gepriesen. 1763, in der Zeit, als
Hogarth und Reynolds, Wilson und Gainsborough in ihrer vollen
Blüthe standen, ging er nach London, und da die Menschen, was sie
nicht haben, immer am höchsten zu schätzen pflegen, errang er sich
sogar neben diesen Meistern bald einen wichtigen Platz. Von
Hogarth gab es nur »Genrebilder«, von Wilson Landschaften, von
Reynolds und Gainsborough Bildnisse, — West brachte den Eng-
ländern. was sie noch nicht besassen — eine »grosse Kunst«. Sein
erstes in der Londoner Nationalgalerie befindliches Bild »Orestes
und Pylades als Geiseln vor Iphigenie gebracht«, ist ein langweiliges
Erzeugniss jenes Classicismus, der auf dem Continent in Mengs
und David seine Hauptvertreter hatte — von starrer Zeichnung,
reliefartiger Composition und classich-academischer, kaltgrauer Färb-
ung. Seine anderen Bilder aus der antiken und heiligen Geschichte
stehen kunstgeschichtlich etwa auf der Höhe Wilhelm Kaulbachs,
mit dessen Werken sie die gespreizte Würde, den systematisch-
philologischen Aufbau und das mechanische Zusammenstellen geist-
los den Cinquecentisten entlehnter Formen theilen.
Zum Glück bleibt jedoch von West noch etwas Anderes übrig,
als diese ehrgeizigen Versuche, und wenn er zuweilen dem grossen
Stil den Rücken kehrte, hat er Werke von bleibender Bedeutung
geschaffen. Das gilt namentlich von einigen grossen Geschichts-
bildern aus seiner eigenen Zeit, die seinen Namen für immer er-
halten werden. Der Tod des Generals Wolfe in der Schlacht bei
Quebeck am 13. September 1759« — 1768 bei Eröffnung der
Royal Academy ausgestellt — ist gerade in seiner Nüchternheit
ein wahres, ehrliches, vernünftiges Bild, das als kulturgeschichtliche
Urkunde seinen Werth nicht verlieren wird. Es war die Zeit, als
die Costiimfrage eine so grosse Rolle spielte, und West stiess bei
der Behandlung des Stoffes auf die gleichen Schwierigkeiten, denen
Gottfried Schadow begegnete, als er Ziethen und den alten Dessauer
im Zeitcostüm darstellte. Die Kunstkenner meinten, ein so erhabener
Gegenstand könne nur antike Gewandung vertragen , und wenn
West trotzdem den General und seine Soldaten in ihrer vorschrifts-
mässigen Uniform darstellte, so erscheint das heute zwar nur als Er-
gebniss gesunden Menschenverstandes, ist damals aber eine kunstge-
schichtliche That von grosser Bedeutung gewesen, eine That, deren
yo
XVIII. Die englische Malerei bis 1850
Durchführung in Frankreich die Arbeit mehrerer Jahrzehnte verlangte.
Noch Gerard und Girodet glaubten dort, das Militärbild nur da-
durch in die Malerei grossen Stiles einführen zu können, dass sie
den Soldaten des Kaiserreichs das Aussehen griechischer und röm-
ischer Statuen gaben. Gros wird als derjenige gefeiert, der zuerst
aufhörte, moderne Soldaten in’s Antike zu transponiren. Der ameri-
kanische Engländer ging ihm darin um 40 Jahre voraus. Aehn-
lich wie in Gericaults Floss der Medusa verräth auch in Wests Bilde
nur der pyramidale Aufbau noch die Zugehörigkeit des Malers zur
classicistischcn Schule, im Uebrigen entwarf es das realistische Pro-
gramm für Jahrzehnte und deutet sogar schon die Entwicklung
an, die über Gros hinausführt. Sind bei jenem die Menschen
noch ausschliesslich Staffage für einen Heros, so treten sie bei West
handelnd hervor. Sie wirken wie im Leben auch im Bilde selbst-
thätig mit. Das heisst, es ist in Wests 1768 entstandenem Werke
schon das enthalten, wodurch sich die 1830 gemalten Bilder Horace
Yernets von denen Gros' unterscheiden.
Mit noch grösserer Consequenz wurde dieses realistische Pro-
gramm von Wests jüngerem Landsmann John Singleton Copley durch-
geführt, der nach kurzem Aufenthalt in Italien 1775 nach England
übersiedelte. Seine Hauptwerke in der Londoner Nationalgalerie
behandeln ebenfalls Ereignisse aus der zeitgenössischen Geschichte,
den »Tod des Grafen von Chatam, 7. April 1778«, und den »Tod
des Majors Pierson, 6. Januar 1781«, und es ist nicht ausgeschlossen,
dass schon David, als er innerhalb der antikisirenden Tendenzen
seiner Zeit plötzlich den »Tod des Marat« und »Tod des Lepeletier«
zu malen wagte, die Anregung dazu durch Stiche nach Copley erhielt.
Andere Maler dieser Epoche hätten bei der Darstellung solcher Dinge
den Figuren antikes Gostüm angezogen, Genien und Flussgötter in Be-
wegung gesetzt, das Ganze ins Römische übertragen. Copley gibt
gleich West eine schlicht sachliche Darstellung des Vorgangs ohne
alles rhetorische Pathos. Und was ihn über West hebt, ist die
saftige, altmeisterlich wuchtige Farbe. West konnte sich in keinem
seiner Werke von der todten grauen Farbe des Classicismus befreien,
während Copleys Tod des William Pitt auf eingehenden Studien
Tizians und der Holländer beruht. Die Art, wie das Licht auf den
Perücken der Männer und den braungetäfelten Wänden spielt, lässt
last an Rembrandts anatomische Vorlesung denken. Statt einer
pathetischen Theaterscene hat er eine Sammlung guter Porträts im
XVIII. Die englische Malerei bis 1850
71
Morland : Stall-Interieur.
Sinne der holländischen Schützcnstückc gegeben. Dass diese frische
Auffassung der Tagesgeschichte gerade in England ihren Boden hat,
beweist ferner das Schaffen Daniel Maclise’s der, ein Mittelding
zwischen Horace Vernet und Anton von Werner, auf quadratmeter-
grossen Mauer- und Leinwandflächen mit erschreckender Faustfertig-
keit, Energie und Muskelkraft das Zusammentreffen Wellingtons und
Blüchers, den Tod Nelsons und andere patriotische Gegenstände
niederschrieb, durch die er gewiss mehr der Vaterlandsliebe, als der
Kunst diente, die sich aber in ihrem kräftigen, gesunden Realismus
doch vortheilhaft von den gleichzeitigen, in die antike Götterlehre
entlaufenen Erzeugnissen des Continents unterscheiden.
Neben den Porträtisten der Menschen standen die Porträtisten
der Thiere. Auf dem Continent war die Thiermalerei seit den
Tagen Elias Riedingers einer allgemeinen Missachtung verfallen.
Thorwaldsen, der erste der Classicisten, der — in seinem Alexander-
fries — Thiere auftreten Hess, begnügte sich, sie ohne alle selbst-
ständigen Naturstudien , den stilisirten Mustern des Parthenonfrieses
nachzubilden oder in Ermangelung eines griechischen Vorbildes ein-
fach aus der Tiefe seines Gemüths zu schöpfen. Besonders auffällig
- 2 XVIII. Die englische Malerei bis 1850
ist die souveräne Nicht-
achtung, mit der er
selbst die vertrautesten
Hausthiere behandelte.
Die deutsche I Iistorien-
malerei wusste mit den
Thieren noch weniger
anzufangen . weil sie
in der Gedankentiefe
allein die Schönheit
sah , Gedanken aber
nicht Sache des Viehs
sind. Ihre Vierfüssler
haben philosophischen
Tiefblick und schlech-
tesNaturstudium. Kaul-
bachs Reineke, die
Neigung, menschliche
Stimmungen in die
Bestie zu verlegen, ver-
hinderte bis in die 60er
Jahre ein hingebendes
Studium der Thier-
seele. Frankreich hatte vor den Tagen Troyons ebenfalls nichts
Nennenswerthes aufzuweisen. In England, dem Lande des Sports,
entwickelte sich die Thiermalerei, ohne durch den Classicismus aus
der Bahn gelenkt zu werden, unmittelbar aus der alten Sportmalerei
heraus. Seit der Zeit Karls I. waren die englischen Fuchsjagden be-
rühmt. Die Pferderennen begannen nicht viel später, und mit den
Pferderennen jene Kennerschaft des Pferdes, die in England mehr als
irgendwo entwickelt ist. Rothwild wurde seit dem 17. Jahrhundert
in den englischen Parkanlagen gehalten. Es ist daher erklärlich, dass
sich auch die englische Kunst frühzeitig mit diesen Thieren beschäf-
tigte, und da cs die Sportsmen waren, die hauptsächlich daran Ge-
fallen fanden, so war der Maler zunächst der Diener des Sportsman.
Er hatte weniger Bilder, als Jagd- und Sporterinnerungen zu malen.
Ein gemaltes Pferd sollte in erster Linie ein schönes Pferd und
brauchte erst in zweiter Linie ein schönes Bild zu sein. Solche
Porträtisten von Raccpferden waren John Wootton und George
Morland: Vor dem Bauernhaus.
XVIII. Diu unguschi: Mau.kui bis 1850
/ }
Morland: Der Tbeegarlen.
Stubbs. Der letztere emancipirte sich gelegentlich schon von seinen
Patronen, indem er das edle Thier nicht mehr in der Ruhe, an der
Krippe stehend, mit dem Groom auf dem Rücken und im Bewusst-
sein seiner Schönheit, sondern in Aktion und malerischer Umgebung
darstellte.
Bald darauf trat George Morland auf, der Specialist alter Gaule
und vielleicht der bedeutendste Meister des Pinsels, den die eng-
lische Schule überhaupt sah. Seine Bilder haben denselben Zauber
wie die Landschaften Gainsboroughs. Er malte das Leben auf der
Landstrasse und vor kleinen Dorfschenken, ähnliche Scenen, wie sie
ein Jahrhundert vorher Isaak Ostadc geschildert hatte: Alte Gäule,
die in sonnigen Dünenlandschaften zur Tränke geführt werden.
Marktkarren, die schwer durch holperige Hohlwege rumpeln, Last-
pferde, die am Feierabend müde in den Stall zurückkommen, Reiter,
die vor einer Dorfschenke Rast machen oder mit der hübschen
Wirthin plaudern. Und er hat diese Dinge mit der Feinheit eines
alten Niederländers gemalt. Man weiss nicht, ob Morland je Bilder
74
XVIII. Die englische Malerei bis 1850
Adriaen Brouwers gesehen, aber dieser grösste Techniker unter den
Vlaamen, dem er auch in seinem abenteuerlichen Leben und dem
Geschick seines frühen Todes ähnelt, ist in seiner malerischen
Vielseitigkeit und Verve allein mit Morland zu vergleichen. Der
geistreichen Flüchtigkeit Brouwers gesellt er das Raffinement Gains-
boroughs in der Landschaft und — in seinen Figuren — das feine
Gefühl für weibliche Schönheit, wie es Rowlandson hatte. Fr malte
keine vornehmen Ladies, sondern die Frau im Hauskleid, doch von
Chardin’scher Grazie umwoben: Junge Mütter, die ihr Kind bei
der Amme besuchen , schmucke Wirthinnen in weisser Schürze
und kokettem Häubchen, die stillgeschäftig dem Reitersmann den
Trunk credenzen, reizende Bürgerfrauen in hellem Sommerkleid,
die Sonntagnachmittags mit ihren Kindern im »Theegarten« sitzen.
Es liegt über Morlands Werken die ganze ritterliche Eleganz der
Wertherzeit, und jenes feine angelsächsische Aroma, das heute
wieder duftig aus den Werken der englischen Maler strömt. Eines
so rechtmässigen Rufes er sich als Thiermaler erfreut, diese kleinen
Gesellschaftsscenen zeigen ihn von seiner feinsten Seite, und nur
der Farbenkupferstich, die in England damals hochentwickelte
Technik, gibt einen Begriff von der coloristischen Delicatesse der
Originale.
Morlands Schwager, der Maler und Kupferstecher James Ward,
1769 geboren und erst 1859 gestorben, leitet diese alte englische
Schule in die moderne über. Das Porträt, das den Nekrolog des Art
Journal begleitet, zeigt einen uralten Herrn mit grauem Bart und
dickem weissen Haar, das wie Schweinsborsten in die Höhe steht.
Die Bilder, die er malte, als er so aussah — und sie sind am
meisten verbreitet — waren sehr schwache, nichtssagende Arbeiten.
Gegenüber Morlands saftiger, breiter, harmonischer Malerei erscheint
die Wards glänzend, perlend, bunt, anekdotisch, kleinlich. Aber James
Ward ist nicht immer old James Ward gewesen. In seiner ersten
Zeit war er einer der grössten und männlichsten Künstler der eng-
lischen Schule, mit dem von Modernen nur Briton Riviere ver-
glichen werden kann. Als in der Ausstellung der Royal Academy
1816 seine Löwin erschien, wurde er mit Recht als bester Thier-
maler nach Snyders begriisst, und seitdem folgte zehn Jahre lang
ein Meisterwerk dem andern. Welche Eleganz und Kraft in seinen
Pferden und Hunden ! Stubbs war in solchen Bildern elegant und
fein, Ward malte dasselbe Pferd gleich sportgerecht und mit derselben
XVIII. Die englische Malerei bis 1850
75
Sachkenntniss, aber zugleich mit einer künstlerischen Wucht, wie sie
keiner vor ihm hatte. Sein Thätigkeitsfeld war weit umfassend. Er
malte kleine Mädchen mit der ganzen Englishness von Morland, und
hatte die gesammte Thierwelt zur Domäne. Löwen, Schlangen,
Katzen, Schweine, Ochsen, Kühe, Schafe, Schwäne, Hühner, Frösche
sind die Charaktere seiner Bilder. Charaktere, denn er vermensch-
lichte nie die Blicke seiner vierfi'issigen Modelle, wie cs spätere thaten.
Seine Thiere sind nicht im Salon, sondern in den Wäldern, Wiesen,
in der Luft und in Gärten zu Hause. Seine breite, wuchtige Mache
ging erst in den letzten 30 Jahren, als er geistesschwach geworden,
zunächst in extravagantes Virtuosenthum, dann in Kleinlichkeit über.
Durch den Stern des weltberühmten Landsecr ward sein Andenken
mehr, als er es verdiente, verdunkelt.
Edwin Landseer war wohl der populärste Thiermaler nicht bloss
Englands, sondern des Jahrhunderts. 50 Jahre lang bildeten seine
Werke die Hauptanziehungspunkte der Royal Academy. Stiche da-
nach fanden im Lande solche Verbreitung, dass es in den 60 er Jahren
kaum ein Haus gab, in dem nicht eines seiner Hunde-, Pferde- oder
Hirschstücke hing. Auch der Kontinent wurde von Kupferstichen
überschwemmt, und Landseer hat unter dieser Popularität sehr
gelitten. Er ist viel besser, als die Rcproductionen in ihrer geleckten
Manier vermuthen lassen, und kann aus ihnen ebenso wenig wie
Rafaels Schule von Athen aus dem Stich Jacobis beurtheilt werden.
Edwin Landseer stammte aus einer Künstlerfamile. Sein Vater,
ein Kupferstecher, schickte ihn schon als Buben hinaus in die freie
Natur und Hess ihn Ziegen, Esel und Schafe skizziren. Mit 14 Jahren
kam er zu Haydon , dem Kunstpropheten, studierte auf den Rath
dieses sonderbaren Kauzes die Parthenonsculpturen, zergliederte, wie
Haydon schreibt, — »Thiere unter meinen Augen, copirte meine
anatomischen Zeichnungen und übertrug meine Unterrichtsprincipien
auf die Thiermalerei; sein in dieser Weise geleitetes Genie hat in der
That befriedigende Resultate erzielt.« Landseer war das verzogene
Kind des Glückes. Mit 24 Jahren Mitglied der Royal Academy
geworden zu sein, kann kein anderer Maler Englands sich rühmen.
Bei Hofe in hoher Gunst, von der fashionablen Welt gefeiert und
von der Kritik auf den Händen getragen, ging er wie ein Trium-
phator seinen Weg. Das Gebiet, das er beherrschte, war ein eng-
begrenztes, auf ihm aber ragte er, wie im Leben hervor, gewaltig,
gebietend. Die nach seinem Tode 1873 veranstaltete Ausstellung
XVIII. Die englische Malerei bis 1850
seiner Werke wies 3 1 4
Oelgemäldc, 146 Skiz-
zen und 2 Sculpturen
auf. Seine Hinterlassen-
schaft betrug 1 60,000
Pfd.; weitere 55,000
Pfd. wurden aus dem
Nachlass gelöst. Selbst
Meissonier, der best-
bezahlte Maler desjahr-
lumderts, hat nicht
viereinhalb Millionen
Mark hinterlassen.
Hin Grund dieser
künstlerischen Erfolge
Landseers liegt viel-
leicht in dem, was
unkünstlerisch an ihm
war: in seinem Streben, die Thiere schöner zu machen als sie
sind, und menschliche Empfindungen in ihnen zum Ausdruck zu
bringen. Alle Hunde, Pferde und Hirsche, die er seit 1855 malte und
durch die er dem grossen Publikum besonders bekannt ward, stehen
in ihren Sonntagskleidern da, in ihrem glänzendsten Fell, mit ihren
prächtigsten Hörnern. Zugleich darwinisirt er in ihnen, d. h. er strebt
danach, aus Thieren mehr als Thiere zu machen, verleiht dem Thier-
charakter einen menschlich gefühlvollen Zug, was ihn von wirklich
grossen Thicrmalern, wie Potter, Snyders, Troyon, Jadin und Rosa
Bonheur unvortheilhaft unterscheidet. Er malt die menschlichen Tem-
peramente unter der Thiermaske. Seine Hirsche sind ausdrucksvoll
und seine Hunde scheinen mit Verstand, selbst mit Sprache begabt
zu sein. Es ist bald philosophische Würde in ihrem Betragen, bald
Frivolität in ihren Vergnügungen. Landseer erfand die Sentimenta-
lität der Hunde oder behandelte sie als gelehrige Hunde. Sein be-
rühmtes Bild Jack als Schildwache« ist von fast beleidigender Cha-
rakteristik: Jack der Gendarm, die alte Hündin die verschämte Arme,
der Windhund der Professionsbettler u. s. f. Und dieser Hang,
Thiere als Schauspieler tragischer, melodramatischer oder possen-
hafter Scenen aultreten zu lassen, machte ihn namentlich bei der
Menge beliebt. Nicht nur gut ablesen Hessen sich seine Bilderge-
Landseer : Brüllender Hirsch.
XVI [I. Du: enguschi Malerei ms 1850
/ /
schichten, auch die genre-
haften Benennungen, die er
für jede ausfindig machte —
Alexander und Diogenes, ein
ausgezeichnetes Mitglied der
menschlichen Gesellschaft u.
dgl. — , erregten die Neu-
gierde wie der bestgewählte
Romantitel. Doch diese Sucht
nach Pointen und sentimen-
talen Anekdoten trat erst in
seiner letzten Zeit hervor, als
er technisch in geleckte Glätte
und gesuchte Zierlichkeit verfallen war und deshalb für ausserartist-
ische Beigaben sorgen musste. Seine Popularität würde geringer,
doch seine künstlerische Bedeutung die gleiche sein, wären diese
letzten Bilder überhaupt nicht vorhanden.
Allein die mittlere Periode Landseers von 1840 bis 1850 umfasst
Meisterwerke, die ihn den besten Thiermalern aller Zeiten und Völker
zur Seite setzen Das bekannte Porträt einer neufundländischen
Dogge von 1838, das des Lieblingswindhundes des Prinzgemahls
Albert von 1841. die Otterjagd von 1844 mit der keuchenden Meute,
die kläffend unter hoher Felswand Halt macht, die todte Hirschkuh
von 1848, der ein Rehkalb ahnungslos sich nähert, das verlorene
Schaf von 1850. das ängstlich blökend durch weite einsame Schnee-
landschaft irrt, und viele andere Bilder geben in ihrer Lebendigkeit
und einfachen Natürlichkeit kostbare Beispiele der frischen feinen
Beobachtung, die ihm damals eigen war. Landseers Porträt zeigt
einen strammen, gravitätischen Herrn mit wettergebräuntem Gesicht,
kurzem, weissen Kinnbart und stumpfer Buldoggennase. Sechs küss
hoch, mit dem derben und grossen Wuchs eines Germanen, der aus
seinem Wald heraustritt, glich er mehr einem Landedelmann, als
einem Londoner Maler. Er war selbst ein Jäger, der, die Flinte im
Arm, tagelang im Freien umherstreifte, und er malte seine 1 hier-
bilder aus der Liebe und Freude des Naturmenschen heraus. Darin
beruht ihre Stärke, ihre Glaubhaftigkeit und Lebenskraft. Es ist.
als wäre er im Besitz einer Tarnkappe gewesen, um sich den
Thieren unbemerkt zu nahen, ihre Seele und ihr intimes Leben
zu belauschen.
XVIII. Die englische Malerei bis 1850
Durch die genann-
ten Werke ist gleich-
zeitig Landseers Auf-
fassung und Stoftkreis
gekennzeichnet. Alte
Meister, wie Snyders
und Rubens hatten in
ihren Eber- und Löwen-
jagden den Gegensatz
zwischen Thier und
Menschen dargestellt.
Landseer schilderte
nicht die wilde, sondern
die gezähmte Natur.
Rubens, Snyders und
Delacroix zeigten ihre
Pferde, Hunde, Löwen und Tiger in der Kühnheit der Bewegung,
im Feuer der Leidenschaft. Landseer führte seine Thiere gewöhn-
lich in ruhigen Situationen vor, harmlos und furchtlos, in ihrem
Alltagsleben.
Das Pferd, mit dem sich Leonardo, Rubens, Velazquez, Wou-
werman und die älteren Engländer so gern beschäftigten, malte er
selten, oder wenn er es malte, mit weniger eindringendem Ver-
ständniss. Der Löwe, den die Künstler von Rubens bis Decamps in
wilder Leidenschaft und ruhiger Würde dargestellt, bildete auch
für ihn lange den Gegenstand eingehender Studien, die ihren Ab-
schluss in den vier colossalen Löwen der Nelsonsäule auf Trafalgar
Square erreichten. Der Engländer bezeichnet hier einen grossen
Fortschritt über Thorwaldsen hinaus, der das Modell für das Monu-
ment in Luzern entwarf, ohne vorher einen Löwen gesehen zu haben.
Landseers Thiere, sowohl die gemalten, wie die in Bronze gegossenen,
sind echte Löwen, grausam und katzenartig, aber doch an Wildheit
und kühner Leidenschaft weder mit denen Delacroix’ noch denen
seines älteren Landsmannes Ward zu vergleichen. Dagegen wurden
Hirsche und Rehe überhaupt erst von Landseer in die Malerei ein-
geführt. Die von Robert Hills, der vorher als bester Hirschmaler
galt, sind ängstliche argwöhnische Geschöpfe, die immer Gefahr
fürchten, die Landseers sind wahre Könige der Wälder, auf die zu
schiessen als Attentat bestraft werden müsste. Sein Hauptstudienrevier
Landseer: Der Letzte an des Schäfers Grab.
XVIII. Die englische Malerei bis 1850
79
Laiidseer : Hühnerhund.
war das schottische Hochland. Hier malte er jene stolzen Thiere,
die bald an Berghängen kämpfen, bald einen See durchschwimmen
oder aufspähend in ruhiger Schönheit dastehen. Mit welch kühnem
Muth erheben sie das Haupt, um Bergluft zu athmen, während ihr
Geweih auf Kampfeslust und Siegesfreude deutet. Oder wie sanlt
und furchtsam zugleich erscheint in seinen Bildern das edle, schutz-
lose Reh.
Im Schneetreiben verirrte Schafe malte er ausserdem gern. Doch
seine eigentliche Spezialität war der Hund. Landsecr hat den Hund
entdeckt. Der von Snyders war ein knurrender, hinterlistiger Köter,
der von Bewick ein Räuber und Dieb. Landseer hat ihn zum Be-
gleiter des Menschen, zu einem Glied der menschlichen Gesellschaft,
zum gemüthvollen Freunde und treuen Genossen gemacht, der als
letzter auf des Schäfers Grab trauert; er hat zum ersten Mal in
dieses edle Gesicht, in diese gedankenvollen Augen geschaut und
damit der Kunst ein neues Feld eröffnet, auf dem später Briton
Riviere weiterging.
XVIII. Dif. englische Malerei bis 1S50
80
Landseer : ]ack als Schildwache.
Hin noch weiteres Feld wurde durch die englische Kunst den
Nationen des Contincnts erschlossen. Sie brachte in einer Epoche
archäologischer Ausgrabungen und romantischen Riickwärtsschauens
den französischen und deutschen Malern zum Bewusstsein, dass auch
der Mensch des 19. Jahrhunderts, das zeitgenössische Alltagsleben ein
vollgültiger Gegenstand der Kunst sein könnte. Im Empfangszimmer
von Louis Knaus in Berlin hängen Stiche nach Wilkie’s besten Bildern
an den Wänden. Darin spricht sich ein Stück Kunstgeschichte aus. Den
Malern, die das deutsche Volk in dem Geiste schilderten, in dem es
Immermann, Auerbach, Gustav Freytag und Fritz Reuter beschrieben,
gingen um ein Menschenalter die voraus, die das englische Volk
mit den Augen Walter Scott s, Fieldings, Goldsmiths und Dickens’
betrachteten. Während auf dem Contincnt das 19. Jahrhundert fast die
Hälfte seines Laufes vollendete, ohne dass die Kunst etwas hinterliess,
was künftigen Generationen gestatten wird, die Menschen des 19. Jahr-
hunderts darin zu sehen, schritten die Engländer ruhig auf dem Wege
weiter, den im 18. Jahrhundert Hogarth betrat. Der Sittenroman
XVIII. Die englische Malerei bis 1850
81
IVilkie: Das Blindekuhspiel.
hatte seit den Tagen Fieldings und Goldsiniths immer mehr an
Ausdehnung gewonnen. Burns, der Sänger hinterm Pfluge, und
Wordsworth, der Schilderer der Landbewohner, hatten jene Bauern-
poesie und Dorfgeschichte in Schwung gebracht, die seitdem ihre
Runde durch Europa machte. England begann damals das reichste
Land der Welt zu werden; grosse Vermögen wurden gemacht. Die
Maler hatten für die Bedürfnisse einer neuen reichen Bourgeoisie zu
sorgen. Daraus erklären sich die Eigenthümlichkeiten der englischen
Genremalerei im guten und im schlimmen Sinn.
David IVilkie, der englische Knaus, ist im ersten Viertel des
19. Jahrhunderts der bedeutendste Genremaler der Welt gewesen.
1785 in Gults, einem kleinen schottischen Dorf geboren, wo sein
Vater Geistlicher war, verlebte er eine glückliche Kindheit und
verdankt diesen Jugendeindrücken vielleicht die beständige Heiter-
keit, die freundlich gutmüthig aus seinen Bildern lächelt und in
schroffem Gegensatz steht zu Hogarths bitterer Schärfe. Mit vier-
zehn Jahren trat er in die Kunstgewerbeschule in Edinburgh ein, wo
er vier Jahre lang unter dem Historienmaler John Graham arbeitete.
Nach Cults zurückgekehrt, malte er seine Landsleute. Ein Jahrmarkt,
Muther, Moderne Malerei II. 6
82
XVIII. Die englische Malerei bis 1850
IVilkie: Die Pfändung.
den er auf einem der benachbarten Dörfer sah, regte ihn zu seinem
ersten Bild aus dem Landleben an: »Der Markt von Pitlessie«. Er
verkaufte es für 25 Pfund und entschloss sich 1805, mit dieser
Summe sein Glück in London zu versuchen. Gleich im nächsten
)ah r erregten in der Ausstellung seine »Dorfpolitiker« Aufsehen. Seit-
dem war er ein populärer Meister. Jedes seiner zahlreichen Bilder:
Der blinde Geiger, Die Kartenspieler, Der Zinstag, Der abgeschnittene
Finger, Das Dorffest erregte einen Sturm des Beifalls. Nach kurzem
Aufenthalt in Paris, wo ihm der Louvre eine noch intimere Bekannt-
schaft mit den Holländern vermittelte, entstanden seine Hauptwerke:
Das Blindekuhspiel, Die Pfändung, Die Testamentseröffnung, Der
Hase auf der Mauer, Die Hochzeit bei armen Leuten, Der Whisky,
Die Invaliden von Chelsea u. dgl. Audi als er später ordentliches Mit-
glied der Akademie geworden war, hielt er an dem schlichten Stoff-
kreis fest, trotz der Vorwürfe seiner Collegen, dass die Kunst durch
die Behandlung so wenig würdiger Gegenstände in’s Ordinäre ge-
zogen werde. Erst am Schlüsse seines Lebens wurde er sich un-
treu. Seine Verehrung für Teniers und Ostadc reichte nicht aus,
dem grossen Eindruck das Gegengewicht zu halten, den auf einer
XVIII. Die englische Malerei, bis 1850
*3
Wilkie : Die Testament seröjjnung.
1825 unternommenen Reise nach Italien, Spanien, Holland und
Deutschland die Kunstschätze des Continents, besonders Murillo
und Velazquez auf ihn machten. »Ich habe lange im Finstern ge-
lebt, aber von jetzt an kann ich mit dem grossen Correggio sagen :
»Auch’ io sono pittore«. Er schwört Alles ab, was er vorher ge-
schaffen und was ihn berühmt gemacht: einer der vielen grossen
Künstler jener Jahre, die keine Individualität hatten oder keine
zu haben wagten. Er würde ein Burns der Malerei sein, wäre er
der Alte geblieben. So liefert er einen weiteren Beleg, dass Mu-
seen und Musen widerstreitende Begriffe sind und dass der moderne
Maler stets Gefahr läuft, hilflos von einem Einfluss in den andern zu
zu fallen, will er den Kunsthistoriker mit dem Künstler vereinen.
Von den Bildern, die er 1829 nach seiner Rückkehr ausstcllte, be-
handelten zwei italienische, drei spanische Stoffe. Die Kritiker rühmten,
er hätte seinem Kranz einen neuen Lorbeerzweig beigefügt. Geschicht-
lich würde er auf höherem Piedestal stehen, hätte er nie in seinem
Leben mehr als ein Dutzend gute Tcniers, Ostade, Mctsu, Jan
Steen und Brouwer gesehen. Er copirte jetzt in geistloser Wiederhol-
ung seine Reiseskizzen, schilderte nur Pifferari, Schleichhändler und
6*
84
XVIII. Du- ENGLISCHE MALEREI BIS 1850
Mönche, die, jeder Origi-
nalität haar, auch von einem
Düsseldorfer gemalt sein
könnten. Selbst die Predigt
des John Knox 1559 , wohl
das beste Bild seiner letzten
Zeit, macht keine Ausnahme.
Kr schien mir« , schreibt
. Delacroix, der ihn bei seiner
Rückkehr von Spanien in
Paris sah, »vollständig ausser
Rand und Band gebracht
durch die Bilder, die er ge-
sehen hatte. Wie kann ein
Mann in seinem Alter noch
dermassen durch Werke be-
einflusst werden . die so
IVilkit : Der Hase an der Mauer. grundsätzlich von den seinen
' verschieden sind. Uebrigens
starb er bald darauf in einer, wie man mir gesagt hat. sehr getrübten
Geistesverfassung- . Der Tod ereilte ihn 1841 auf Bord des Dampf-
schiffes Oriental«, als er eben von einer Reise aus der Türkei heim-
kehrte Halb 9 Uhr Abends machte man Halt, und als das Licht
der Leuchtthürme mit dem der Sterne sich mischte, schlug die See
zusammen über David Wilkies Leiche.
Für die Kunstgeschichte kommen bei seiner Beurtheilung nur
die Werke in Betracht, die er vor jener Reise von 1825 schuf. Da
zeichnete er mit Liebe die intimen Scenen am häuslichen Herd, die
kleinen Dramen und komischen oder rührenden Episoden, die sich
im Dorfe ereignen, die Feste, den Tanz, die Spiele der Bauern,
ihre Zusammenkunft in der Kneipe, ln dieser Zeit, da er als junger
Maler, unbekannt mit den Bestrebungen der continentalen Malerei,
nur sich selber gab. war er ein eigenartiger Künstler. Auf dem
Dorf wurde er gross, hier entschied sich sein Beruf: er malte
Bauern. Selbst als er das erstemal die alten Meister in der Lon-
doner Galerie gesehen, wirkten sie zunächst nur technisch auf
ihn ein. Und Wilkie hat sich an ihrer Hand allmählich zu einem
schätzcnswerthcn Techniker entwickelt. Sein erstes Bild, Der Markt
von Pitlessie- . erinnerte in seiner harten Farbengebung an einen
XVIII. Die englische Malerei bis 1850
8)
Holländer vom Schlage des Jan Molenaer, doch seitdem war seine
Laufbahn ein fortwährender Fortschritt. In den Dorfpolitikern ist
zum ersten Mal der Einfluss von Teniers bemerkbar, der dann bis
1816 vorherrschte. In diesem Jahre, als er die hübsche Skizze zum
Blindekuhspiel malte, trat an die Stelle des kühlen Silbertons ein
warmer Goldton: statt Teniers war Ostade sein Vorbild geworden.
Die Werke dieser Ostade-Manier sind reich in der Farbe, tief und
klar im Ton. Zum Schluss kam Rembrandt als Leitstern für ihn
an die Reihe und »Der Polizeidiener« — eine Verhaftungsscene von
1822 in der Londoner Nationalgalerie — zeigt deutlich, mit welch
durchschlagendem Erfolg er sich im duftigen Rembrandt’schen Hell-
dunkel versuchte. Erst in der letzten Zeit hat er auch diese tech-
nischen Qualitäten wieder alle verloren. Sein Knox von 1832 ist hart
und kalt, ganz unzusammenhängend in der Farbe.
Kunst war für ihn, so lange er nicht der Historienmalerei nach-
lief, gleichbedeutend mit Schilderung des häuslichen Lebens. Die
Malerei«, sagte er, »hat keinen andern Zweck, als die Natur zu repro-
duciren und die Wahrheit zu suchen«. Freilich will auch das bei
Wilkie mit grosser Einschränkung verstanden sein. Wilkie malte
ebensowenig wie Hogarth Naturausschnitte, sondern er erfand Scenen.
Er war nicht einmal mit viel Erfindungskraft begabt, aber er besass
einen unschuldigen Humor, der freilich zuweilen an s allzu Kindliche
streift. Das Blindekuhspiel, die Dorfpolitiker, das Dorffest, jene durch
den Kupferstich so populär gewordenen Bilder enthalten alle Züge
seiner neckischen Beobachtung. Er wollte nicht wie Hogarth Moralist
sein, aber er malte ebensowenig den Bauer, wie er ist. Nur die
Lächerlichkeiten und kleinen Unfälle des Lebens wurden verzeichnet.
Eine jener glücklichen Naturen, die weder träumen, noch trauern,
noch sich aufregen, sondern alles von der komischen Seite nehmen,
freute er sich selbst über seine Scherze, sah das Leben als reine
Komödie an, die ernsten Seiten entgingen ihm vollständig. Für seine
Bauern gibt es keine sociale Frage, keine Noth, keine Arbeit, sie
tändeln nur und amiisiren sich nur — sich und die Besucher der
Ausstellung, vor denen sie im Bilde Theater spielen. War Hogarth
beissend, zersetzend, sarkastisch, geisselnd, so gehört Wilkie zu den
auf die Dauer nicht sehr anregenden Leuten, die immer witzig sein
wollen und selbstzufrieden über ihre eigenen Scherze lachen.
Das ist überhaupt der Grundton dieses englischen Genre. Alles,
was es in den nächsten Jahren leistete, liegt mehr oder weniger in
86
XVIII. Die englische Malerei bis 1850
den Werken des schottischen Kleinmeisters beschlossen und deckt
sich andererseits mit den Erzeugnissen der englischen Literatur, die
ebenfalls immer an guten Erzählern, Anekdotenschreibern und Humor-
isten reich war. Wie in ihrer Literatur neigen die Engländer auch in
der Malerei zum Detail, das dramatisch, anekdotisch und humoristisch
zugespitzt als kleine Novelle unterhalten soll. Oder besser: Als Neu-
linge in die Malerei eintretend, fingen sie tastend wieder auf jener
Elementarstufe an, auf der die Kunst in früheren Jahrhunderten, so
lange sie noch eine »Fibel für das Volk« war, gestanden hatte -
eine typische Entwicklung, die sicli stets wiederholt. Alle Malerei
beginnt mit der Erzählung. Zuerst fesselt der Stoff den Künstler
und er durch diesen das Publikum. Die Vereinfachung der Motive,
die Fähigkeit, einen Vorgang mit einem Blick zu erfassen und sich
an dessen intimer malerischer Durchbildung zu freuen, stellt sich
erst später ein. Selbst bei den Holländern, dem so eminent malerisch
angelegten Volk, war das Sittenbild zuerst episch. Kirchweihfeste
mit zahllosen Figuren, Eisvergnügungen und ähnliche Dinge, die sich
breit und ausführlich erzählen Hessen, bildeten den Ursprung des
Genrebildes, das sich später begnügen lernte, eine von den un-
zähligen Gruppen rein künstlerisch zu vertiefen. Diese Lehrzeit für
Künstler und Publikum, die sich als die Zeit des interessanten Stoffes
bezeichnen lässt, machte jetzt England durch, und musste sie durch-
machen, da die kulturgeschichtliche Grundlage die gleiche war. Wie
die ersten Genrebilder der flandrischen Schule das Auftreten einer
Bourgeoisie verkündeten, so hatte in England zu Beginn des Jahr-
hunderts eine neue bürgerliche, plebejische Welt den Platz der früheren
Amateure eingenommen und prägte den Sitten ihre Formen , den
Bildern ihren Geist auf. Wohlstand, Müsse, Bildung, Lectiire, Reisen,
Alles, was das Privilegium Einzelner gewesen, ward Gemeingut der
grossen Menge. Man schätzte die Kunst, aber verlangte von ihr sub-
stantielle Nahrung. Dass zwei Farben in Verbindung mit der geraden
und krummen Linie genügen, unermessliche Harmonien zu bilden,
war noch eine verschlossene Welt. Ihr dürft Maler sein, sagte man
den Künstlern, doch nur unter der Bedingung, dass ihr unterhaltet
und belehrt; wenn ihr keine Geschichten zu berichten habt, werden
wir gähnen. Diesen Forderungen entsprechend sind die Maler Lieb-
haber moralischer Dissertationen, Rathgeber des Publikums, eine Art
Laienprediger. Man erzählt und lässt sich erzählen. Wilkie verhält sich
zu Morland, dem letzten der alten Zeit, wie unter den Niederländern
XVIII. Die englische Malerei bis 1850
87
Teniers zu Brouwer. Er malt als Bürger für Bürger, d. h. für solide,
in ihrem Beruf aufgehende Leute, deren Phantasie sich nicht über das
Alltägliche erhebt. Niemand vor ihm hatte einen so volksthümlichen
Ton, Niemand erklärte ausführlicher und besser. Es scheint, als
mache er mit dem Betrachter eine Wette: Du magst noch so dumm
sein, du wirst begreifen. Ich werde dieselbe Idee unter soviel ver-
schiedenen Formen wiederholen , durch so bekannte Beispiele ver-
deutlichen, durch die Unterschrift so klar ankündigen, in den Cha-
rakteren so anschaulich unterstreichen, auch die Eintheilung der
Composition so klar markiren, dass du nicht umhin kannst zu ver-
stehen. Zu diesem Zwecke verliert er sich in die minutiöse und
leidenschaftliche Beobachtung der geringfügigsten Dinge. Der Schau-
platz sei das Wohnzimmer, die Küche, der alte Schulhof — Wilkie
zählt zur Charakteristik dieser Räumlichkeiten geduldig ein Detail
nach dem andern auf; er malt genau die grünlichen zerbrochenen
Kacheln des Ofens, die Risse in den getünchten Mauern, er liest
sorgsam die in das Thor eingekritzelten Schülernamen, und studirt
voll Hingebung die Form der Buchstaben, die der Lehrer mit Kreide
an die Tafel geschrieben. Nichts Angenehmeres für ihn , als die
Auslage einer Trödlerbude, ein Wirthshausschild , ein öffentlicher
Ausrufer. Wenn er Hochzeiten malt, verweilt er unendlich lange
bei der anmuthigen Verwirrung der Bräute, bei den Thränen der
Mütter, dem Weinen der Gäste, den erheiternden und rührenden
Scenen des Mahles, er entwirft eine Menge Familienbilder, die
alle ergreifend und fast ebenso anmuthig zu lesen sind wie die
entsprechenden Stellen bei Dickens. Dabei gewann das Publikum,
und die Kunst hatte darunter zu leiden. Wilkies Erzählermanie
gibt seinen Bildern nicht nur ihren vulgären, auch ihren unricht-
igen Anstrich.
Denn man lässt sich , soll das Ziel der Malerei in der Er-
zählung liegen , naturgemäss erfreuliche Dinge lieber als unerfreu-
liche erzählen, woraus dann der einseitige Charakter dieser Genre-
malerei folgt. Alles, was nichts Auffälliges und Besonderes bietet,
die Poesie der Gewohnheit, bleibt unerörtert. Wilkie malt den
Bauer, doch nur bei besonderen Anlässen, bei Festen und feierlichen
Angelegenheiten, und schildert ihn als ein Wesen anderer Art als
den Städter, indem er die Wirkung meist durch humoristische Zu-
gaben erstrebt und auf novellistisch angelegte Situationen ausgeht.
Kindtaufe, Tanzvergnügen, Begräbniss, Hochzeit, Festmahl, Braut-
88
XVIII. Die englische Malerei bis 1850
schau sind seine Lieblingsstoffe, zu denen sich die manigfaltigen Con-
trastmotive der Bauernwelt in Berührung mit der Stadtmenschheit
gesellen — der Vetter vom Lande, der in die Stadt kommt, der
Bauer beim Advocaten u. dgl. Eine stete Schalkhaftigkeit belebt
seine Bilder und macht die meisten dieser guten Leute zu kom-
ischen Figuren. Er amüsirt sich auf ihre Kosten, zeigt ihre kleinen
Lügen, ihre Sparsamkeit, ihre Thorheit, ihre Anmassungen und
die für den Städter komischen Lächerlichkeiten, mit denen ihre be-
schränkte Lebenssphäre sie ausstattet. Er ist spöttisch, witzelnd und
possenhaft. Das in harter, schwerer Arbeit hinfliessende bäuerliche
Alltagsleben wird bei Seite gelassen, da es für Humor und Novellen
keine Unterlage bietet.
Durch diese Beschränkung des Stoffgebietes aber entzog sich
die Malerei den besten Theil ihrer Kraft. Für den, der malerisch
sehen gelernt hat, ist die Natur ein Museum prächtiger Bilder -
weit und gross wie die Welt. Doch wer in der Erzählung das
Heil sucht, hat bald seinen Stoffkreis erschöpft. Es gibt im Leben
eines jeden Menschen nur drei oder vier Begebenheiten, deren Er-
zählung der Mühe lohnt ; Wilkie erzählte mehr und der Erfolg ist
Langeweile. Wir halten diese Anekdoten für wahr, aber abge-
droschen. Man findet ähnliche Dinge in den vergoldeten Büchern
mit buntem Einband, die auf dem Weihnachtstisch der Kinder liegen.
Man ist nicht erfreut zu erfahren , dass Convenienzheirathen ihre
Inconvenienzen haben, dass man in Abwesenheit seines Freundes
ihm gern Böses nachredet, dass ein Sohn durch seine Ausschweif-
ungen die Mutter betrübt oder dass der Egoismus ein hässlicher Fehler
ist. Das Alles ist wahr, aber zu wahr. Wir sind übel gelaunt über
dieses Eindringen der Pädagogik. Die Hälfte seiner Bilder ist kind-
isch, fast albern. Er malt fade Ereignisse, Lappalie auf Lappalie, hat
aus der ganzen Malerei ein Spielzeug für artige Kinder gemacht.
Artige Kinder spielen darin auch die hauptsächlichste Rolle.
England ist das Land des Familienlebens. Wenn um 5 Uhr der
Beamte oder Kaufmann sein Bureau verlässt, eilt er so schnell als
möglich zum kleinen Landhaus zurück, wo seine Kinder den Tag
über auf dem Rasenplatz spielten. Der traute Familienkreis, in
dem er den Abend verbringt, ist sein Heiligthum ; das herzliche
Familienleben die Poesie seines Daseins. Dickens hat von diesem
Kinderleben in 10 Bänden erzählt und zuletzt die Geschichte des
David Copperfield geschrieben. Als Maler setzte William Collius,
XVIII. Die englische Malerei bis 1850
89
Collins: Der Abschied des Fischers.
ein Schüler George Morlands, durch Kinderdarstellungen die Welt
in Entzücken. Von den 121, die er im Laufe von 40 Jahren in der
Akademie ausstellte, waren die hauptsächlichsten: Der kleine Flöten-
bläser, der Verkauf des Lieblingslammes, die Kinder, die ein Vogel-
nest ausnehmen, die Abfahrt des Fischers, die Hopfenernte, die Rück-
kehr der Schwalben. Die weiteste Verbreitung fanden »Glücklich
wie ein König« — der kleine Junge, den seine älteren Geschwister
auf einen Gartenzaun gesetzt, von dem er nun stolz lachend herunter-
blickt — und »ländliche Höflichkeit« — die Kinder, die sich mili-
tärisch an einem Zaun aufgestellt haben, um einen herankommenden
Reiter zu begrüssen. Doch schon aus den Titeln erhellt, dass auch
auf diesem Gebiete die englische Genremalerei nicht über das Episoden-
hafte hinauskam. Collins war ideenreicher als Meyer von Bremen.
Das Kind bekommt Ohrringe, es sitzt auf den Knieen der Mutter,
spielt mit ihr im Garten , sieht ihr beim Nähen zu , liest ihr aus
der Fibel vor, lernt seine Lectionen, fürchtet sich vor den Hühnern
und Gänsen , die auf dem Hofe in furchterregender Weise einher-
stolziren. Er schildert ausgezeichnet die Kinder am Familientisch, die
gemüthlichen Plaudereien der Kleinen, den Vater, der des Abends beim
90
XVIII. Die englische Malerei bis 1850
Lichte der Lampe ne-
ben seinem eingeschlaf-
enen Kinde wacht, das
Herz voller Freude und
Muth, weil er das Be-
wusstsein hat, für die
Seinigen zu arbeiten.
Auch als Mensch ein
grosser Kinderfreund,
hat er das Leben der
kleinen Leute mit
Wohlgefallen in allen
Variationen gemalt,
doch ebenfalls nicht so,
dass man ihm glaubte.
Chardin malte die Poe-
sie des Kinderlebens.
Seine Kleinen wissen
nichts von der Nähe
des Malers. Sie sind
harmlos, mit sich selbst
beschäftigt , in ihrer
Haustoilette. Die von
Collins geben sich , als sagten sie ein Sprüchlein in der Schulprüf-
ung her. Sie fühlen das Auge vieler Ausstellungsbesucher auf sich
ruhen und bemühen sich deshalb möglichst artig zu sein. Die Un-
befangenheit ist ihnen genommen. Man hat Lust, ihnen zu sagen :
Ihr guten Kinderchen, bleibt immer hübsch artig, aber man dankt
es dem Maler nicht, dass er den Kindern das Kindliche nahm und
jene Gemüthsverzärtelung in Schwung brachte, die seitdem so lange
in Kinderdarstellungen ihr Wesen trieb.
Gilbert Steward Newton, ein geborener Amerikaner, der von 1820
bis 1835 in London lebte, wendete sich zur Illustration der englischen
Dichter und hat gleich Wilkie dadurch eine gewisse geschichtliche
Bedeutung, dass er mit grossem Eifer das Studium der Holländer
des 17. und der Franzosen des 18. Jahrhunderts betrieb, zu einer
Zeit, als diese Meister auf dem Continent gänzlich aus der Mode und
nur als Vertreter des »tiefsten Verfalls der Kunst« bespöttelt waren.
Namentlich Dow und Terborg waren seine Ideale, und die Farbe
XVIII. Die englische Malerei bis 1850
91
seiner Bilder ist zwar
imVergleich zu der sei-
ner Vorbilder schwer
und spiessbürgerlich,
aber künstlerisch und
geschult, wenn man
an die gleichzeitigen
Erzeugnisse des Con-
tinents denkt. Seine
Werke (Cordelia pflegt
den König Lear, der
Vikar von Wakefield
mit seiner Familie, der
Prinz von Spanien be-
sucht Catalina nach
Gil Blas, Yorick und
die Handschuhmach-
erin nach Sterne u.
dgl.) hätten wie die
gleichzeitigen Erzeug-
nisse der Düsseldorfer
ohne das Vorgefun-
dene Interesse der
Dichterstelle gewiss
, Leslie: Onkel Tobias und die IVittive Wadmann.
sehr an Actuahtat
verloren , unterschei-
den sich aber von den Düsseldorfer Dichter- Illustrationen vortheil-
haft durch das Fehlen jedes Idealismus. Während die Maler des
Continents bei ähnlichen Bildern fitst stets in verallgemeinernde,
rundliche Schönheit fielen, liess Newton sich die Scene genau von
Schauspielern vormimen und malte diese Schauspieler realistisch ab.
Theaterrealismus war das Ergebniss, doch die Art, wie die theatral-
ischen Artecte und handgreiflichen Schauspielergesten studirt sind, ist
so überzeugend naturwahr, dass seine Bilder wie Urkunden über die
Londoner Schauspielkunst um 1830 wirken.
Charles Robert Leslie, als Schriftsteller durch sein hübsches Buch
über Constable und ein sehr conservativ gehaltenes »Handbook
for young painters« bekannt, hatte ein ähnliches Repertoir und wusste
Shakespeare, Cervantes, Fielding, Sterne, Goldsmith und Moliere
( )2 XVIII. Die englische Malerei bis 1850
mehr oder weniger
geistreich in Oel zu
übersetzen. Die Na-
tionalgalerie besitzt
von ihm einen »San-
cho Pansa und die
Herzogin«, ein sehr
prosaisches, farbloses
Bild. Besser sind einige
r>
im South-Kensington-
Museum, »Katharina
und Petruchio, die
lustigen Weiber von
Windsor und Sir Ro-
ger Coverley«. Sein
schönstes und be-
kanntestes ist »Onkel
Tobias und die Witt
weWadman « , das sehr
niedlich die hübsche
Scene aus Tristram
Shandy illustrirt: »Ich
versichere Sie, gnädige Frau, sagte mein Onkel Tobias, dass ich
nichts in Ihrem Auge sehe.« »Ist es nicht im Weissen?« fragte Frau
Wadman. Mein Onkel schaute mit aller Kraft in ihre Pupille«. Wie
in Newtons Arbeiten ist in denen Leslies eine so kräftige Dosis von
Realismus, dass seine Bilder ihren Werth als kulturgeschichtliche
Documente — nicht für die Zeit um 1630, aber für die um 1830
stets behalten werden. Coloristisch — wenigstens in seinen späteren
Werken — ein feiner Nachahmer des holländischen Clairobscur,
nimmt er kunstgeschichtlich eine ähnliche Stelle ein. wie in Deutsch-
land Diez und blieb gleich diesem auch später noch in Achtung, als
längst die junge Praeraphaelitenschule ihren erbitterten Kampf gegen
die braune Sauce« begonnen hatte, den nämlichen Krieg, den bei
uns ein Menschenalter später Liebermann und die Seinen gegen die
Diezschule führten.
Mnlready, von dem das South - Kensington - Museum 32 Bilder
bewahrt, ist technisch fast noch feiner als Leslie und hat nament-
lich von Metsu viel gelernt. Mit Vorliebe entnahm er Goldsmith
XVItl. Die englische Malerei bis 1850
93
Webster : Schuhtube.
seine Stoffe. Die Auswahl der Hochzeitsrobe und die Discussion
über die Prineipien des Doctor Whiston würden als hübsche Illu-
strationen in eine Prachtausgabe des Vicar of Wakefield passen.
Sonst hat auch er gerne Kinder, faul oder brav, vespernd oder am
Wasser spielend verewigt.
Thomas Webster, der vierte dieser freundlich kindlichen Meister,
lehrt noch erfreulichere Dinge. Man hört von ihm, dass eine noch
nicht fernliegende Periode der englischen Geschichte nur Knechte
kannte, die ganz zufrieden mit ihrem Loos waren. Keiner hadert
mit seinem Gutsherrn, sitzt im Wirthshaus und lässt seine Familie
hungern. Ihr höchstes Glück ist, schön zu Hause zu bleiben und
beim Schein des Wachslichtes mit ihren Kindern zu spielen. Websters
Bauern, Kinder und Schulmeister sind Bürger eines idealen Planeten,
aber das Ländchen ist eine hübsche Welt. Seine Bilder sind so
harmlos in der Gesinnung, reinlich und präcis in der Zeichnung,
leuchtend und klar in der Farbe, dass man sie noch heute mit Ver-
gnügen betrachtet. Manche, wie »die Schulstube«, könnten von
Claus Meyer gemalt sein.
Der letzte der Gruppe, Früh, hat die Nachwelt am ausgiebigsten
über die Manieren und Kostüme seiner Zeitgenossen unterrichtet und
würde noch authentischer sein, wäre ihm das Leben nicht ebenfalls so
94
XVIII. Die englische Malerei bis 1850
liebenswürdig rosarotli erschienen. Seine Bilder schildern Scenen des
19. Jahrhunderts, die aber wie Geschehnisse der guten alten Zeit
wirken. Damals waren die Leute ohne Zweifel gut, unschuldig und
glücklich. Sie kannten keine Einkommensteuer, keine Sorgen und
Laster, kamen alle in den Himmel und fühlten sich sehr wohl. Das
tlnm sie auch auf Friths Bildern, nur nicht mit der Natürlichkeit wie
bei Ostade und Beham. Bald führt er an den Strand eines englischen
Modebades im Juli oder August während der Season. Der Humor,
der hier herrscht, ist ausserordentlich. Die Kinder plätschern in der
See, junge Frauen lassen sich den Hof machen, Neger spielen Dreh-
orgel und Weiber singen Balladen dazu, die Menschen bemühen sich
alle möglichst schön zu sein, und ein paar Bettler, die zum C011-
trast da sind, haben sich ebenfalls längst mit ihrem Schicksal ver-
söhnt. Auf seinen Rennbildern ist alles zusammengestellt , was bei
solchen Gelegenheiten das Londoner Leben kennzeichnet: alle Typen
vom Baronet bis zum Lumpensammler, alle Schönheiten von der
Lady bis zur Strassendirne. Ein Bauer muss sein Geld verlieren
oder ein hungernder Akrobat seine Taschen umkehren, um sich zu
überzeugen, dass er wirklich nichts hat. Seine »Spielbank in Hom-
burg« ist fast noch reicher an solch trockenen Beobachtungen und
geistreichen humoristischen Beigaben.
England ist das Vaterland der »Genremalerei«.
Wie sich einestheils in einer Periode allgemeiner Weltentfremd-
ung ein Stückchen von der naiven Lebensfreudigkeit der Holländer
zu diesen Malern herübergerettet hatte, so unterscheiden sie sich
von ihren grossen Vorfahren Jan Steen, Terborg und Metsu prin-
cipiell wieder dadurch, dass sie eigentlich nicht Maler, sondern Er-
zähler sind. Sie ergingen sich nicht in grossen Prunkdecorationen
wie ihre Genossen auf dem Continent, sondern schlugen gleich den
Holländern im Bürgerhause ihr Zelt auf. Aber während bei jenen
die Malerei Alpha und Omega war, ist den Engländern die wahre,
die pittoreske Malerei Terra incognita geblieben ; den rein künstler-
ischen Genuss, Formen, Farben und Töne harmonisch zu ordnen,
haben sie nie gekannt. Ihr Vater war noch immer Hogarth, nur dass
an die Stelle jener erschreckenden, erbarmungslosen, niederschlagenden
Satire hier ein schelmisches Lächeln trat. Gleich Hogarth zwischen
realistischen und moralisirenden Tendenzen schwankend , haben sie
dieselben Vorzüge und Mängel wie dieer. Ihnen allen ist eigen,
was auch die englische Familienliteratur, was Richardson, Sterne,
96
XVIIf. Dif. englische Malerei ris 1850
Dickens, Eliot, Thackeray anziehend macht: die liebevolle Klein-
malcrei, das behagliche Antheilnehmen an der Welt, die Versenkung
in die Ausgestaltung der Fabel, der novellistische Reichthum. Eine
seelische Reinheit, etwas Unschuldiges, Harmloses, Kindliches, gemüth-
voll Humoristisches geht durch ihre Bilder, dasselbe Element, das in
»Sir Roger de Coverley« im Tristram Shandy, im Tom Jones, im
trefflichen Vicar von Wakefield oder in Peregrine Pickle erfreut.
Nicht Farbe und Licht, sondern das heiter Novellistische, das Anek-
dotische, die Komödie war die Basis ihres Schaffens, und nicht an ’s
Auge, nur an’s Herz wendeten sich ihre Werke. Das Ziel, das der
Maler sich gesteckt hatte, war erreicht, wenn es ihm gelungen war,
seinen Gedanken deutlich niederzuschreiben. Das Bild sollte in erster
Linie die Darstellung eines hübschen Gedankens und brauchte erst
in zweiter Reihe ein gutes Stück Malerei zu sein. Und diese Ge-
danken waren obendrein oft derart, dass Voltaire, damals noch in
England lebend, seine Worte: »Was zu dumm ist, um gesprochen
zu werden, das singt man«, vielleicht nicht an die Oper, sondern
an das englische Genre gerichtet hätte. Die Menschen, die darin ihr
Wesen treiben, haben den gleichen Fehler wie die Thicrc Landseers :
zu viel — oder manchmal zu wenig — Geist. Mehr die Wirkung
eines satirischen Buchs, als einer Gemäldegalerie, macht der Saal des
South-Kensington-Museums, in dem die Genrebilder dieser Jahre
hängen. Die Natur ist durch das Medium eines conventionellen
Gefühls gesehen. Die Maler malten noch das Merry England der
guten alten Zeit zu einer Zeit, als England weder mehr heiter
noch gut war. Wilkie machte seine Bauern weit lustiger und zu-
friedener, als sie es in Wirklichkeit waren. Mulreadv war sehr nach-
sichtig mit den Fehlern seiner Schuljungen und entdeckte in ihren
grössten Unarten Stoff zu freundlichem Lächeln. Die Menschen
waren — auf den Bildern wenigstens — in diesem goldenen Zeit-
alter nur lustig. Alle thun gerade das, was wohlerzogenen Leuten
gut ansteht, doch keiner thut es unbefangen und ehrlich. Ihre Un-
eigennützigkeit und Geldverachtung ist nicht aufrichtiger wie in der
komischen Oper. Die alltäglichsten Ereignisse gehen mit der Feier-
lichkeit von Haupt- und Staatsactionen von Statten. Kinder springen,
alte Leute tanzen und Mädchen werden geküsst, mit Mass und An-
stand — wie solche Dinge im Atelier auf Anordnung des Malers
geschehen. Das Repertoir an Gestalten ist ein sehr ausgedehntes,
aber in Wahrheit sind es nur wechselnde Marionetten. Man steht
XVIII. Die englische Malerei bis 1850
97
immer Schauspielern gegenüber, deren Worte niedergeschrieben, deren
Gesten angegeben sind. Die Kinder sind stets artig und die Leute
aus dem Volke wie Kinder. Die Charaktere haben ein affectirtcs,
angenommenes, nicht ein natürliches Wesen. Und diese gesuchte
Kindlichkeit, dieser conventionelle Optimismus und triviale Humor
trägt mehr noch wie die mittelmässige Technik die Schuld an dem
schnellen Welkwerden der Bilder. Sie gleichen vertrockneten Blumen
eines Herbariums, nicht Immortellen.
6*©
Muther, Moderne Malerei 11.
7
Das Militärbild.
WÄHREND die englische Malerei seit Hogarths und Wilkies
Tagen das Bauern- und Bürgerleben umspannte, konnte
sich auf dem Continent die Eroberung des Modernen
nur langsam und stückweise vollziehen. Die Costümfrage spielte
eine wichtige Rolle dabei. »Künstler lieben das alte Costüme, weil
cs ihnen, wie sie sagen, mehr Freyheit und Schwung erlaubet. Aber
in historischen Vorstellungen ihrer Zeit, möchte ich sagen, sollte mehr
auf richtige Darstellung als auf Freyheit und Schwung gesehen werden,
sonst könnte man dem Geschichtschreiber ebenso leicht zugeben,
dass er uns anstatt der Bataillone, Schwadronen, Grenadiere, Küras-
siere u. s. f. mit Phalangen. Thürmen, Triaricrn, Argyraspiden unter-
hielte. Besonders sollten die Vorsteller heutiger grosser Begebenheiten
der Wahrheit getreuer sein und z. B. auf Schlachtengemälden nicht
mehr Reiter in ledernen Kollern, mit runden befiederten Hüten und
ungeheuren Stiefeln, die nirgend sind, herumhauen und herumschiessen
lassen. Die Alten zeichneten, stachen und malten so, weil man sich
damal so trug. Sagt man: unsere Tracht sey nicht malerisch, warum
wählten wir sie? Die Nachwelt wird doch einmal auch begierig
seyn zu wissen, wie wir uns kleideten, und keine Lücke vom Ende
des iS. Jahrhunderts bis auf sich haben wollen?« Diese Worte, die
der bekannte Wiener Bibliothekar M. Denis 1797 in seinen »Lese-
früchten« schrieb, bezeugen, wie früh das Problem aultauchte, das
seitdem ein Menschenalter lang in Fluss blieb. Modern konnte die
Malerei des 19. Jahrhunderts erst werden, als es ihr gelang, die
charakteristische Seite des modernen Costüms zu erkennen und
nachzubilden. Dazu hat sie aber länger als ein halbes Jahrhundert
gebraucht. Es war natürlich, dass den Leuten, die noch die eleganten
Formen und zarten Farben des Rococo gesehen, die Tracht der ersten
Hälfte des Jahrhunderts als die unglücklichste, am wenigsten beneidens-
werthe der ganzen Costümgeschichte erschien. Welcher künstlerisch
XIX. Das Militärbild
99
Gebildete ist nicht überzeugt«, heisst es noch in Püttmann’s Buch über
die Düsseldorfer Schule 1835, »dass die heutige Kleidung geschmack-
los, abscheulich und affenmässig ist? Kann sich überhaupt der echte
Stil mit Reifröcken, Fräcken u. dgl. Wunderlichkeiten vertragen? Des-
halb sucht in unserer Zeit die Kunst mit Recht die schönen Formen der
Vergangenheit hervor, um die sich die Schneider so wenig kümmern.
Wie lange sollen wir noch als unmalerische Wesen , als schwarze
hässliche Fledermäuse in Frack und weiten Hosen umherlaufen? Nur
der Bauernkittel muss als eine der wenigen malerischen Kleidungen
anerkannt werden, die wir noch in Deutschland vor der Ungunst der
Zeiten gerettet haben«. Dasselbe Klagelied singt Hotho in seiner
Geschichte der deutschen und niederländischen Malerei: das Gostüm
der heutigen Zeit sei durchweg prosaisch und langweilig. Hs stosse
den Maler ab und verletze jedes gebildete Auge. Die Kunst müsse
nothwendig in der Vergangenheit Rettung suchen, wenn sie nicht
bis dahin warten, Pinsel und Palette bis zu jenem glücklichen Zeit-
punkt feiern lassen wolle, an dem die Trachten der Völker ihre
malerische Wiedergeburt begehen. Nur eine Zone sei ausserhalb des
Bereichs von Frack und Beinkleidern vorhanden, die der Kunst
noch reichen Gestaltungsstoff biete: die Welt des Bauernkittels und
der militärischen Uniform.
Wie es die Uniform war, an der die Plastiker das Zeitcostüm
behandeln lernten, so war es daher das Militärbild, das sich im Kreise
der Malerei zuerst hervorwagte. Hier Hess sich obendrein schon in
den Zeiten David’s und Carstens’ ein gewisser Zusammenhang mit
den herrschenden classicistischen Anschauungen vermitteln, indem
man den Soldaten zum Krieger und vom Krieger zum Heros empor-
schraubte. Gerard, Girodet — selbst Gros noch ein wenig — machten
ausgiebigen Gebrauch von der Maske des griechischen oder römischen
Kriegers, um dem Schlachtenbild in der Malerei grossen Stils Hin-
gang zu schaffen. Die wirklichen Helden der napoleonischen Epoche
hatten nicht diese plastische Erscheinung und epischen Attitüden.
Der Classicismus veränderte ihre Physiognomien und gab ihnen un-
logisch das Aeussere alter Marmorstatuen. Die Schlachtenmalerei aus
diesem Banne erlöst zu haben, ist das Verdienst Horace Vernets -
sein einziges freilich.
Horace Verriet war neben seinem Schwiegersohn Paul Delaroche
das echteste Produkt der Periode des Juste-milieu. Der König mit
dem Regenschirm gründete das Museum von Versailles, jenes ä toutes
7
100
XIX. Das Militärbild
les gloires de la France gewidmete ungeheuerliche Depot bemalter
Leinwand, das jedem, der sich hinein verirrte, in schrecklicher
Erinnerung ^bleibt. In wenigen Jahren wurde eine Reihenfolge von
Sälen, deren blosse Durchwanderung fast zwei Stunden beansprucht,
mit Gemälden aller Formate gefüllt, die die Geschichte des Landes
von Carl dem Grossen bis zum afrikanischen Feldzug Louis Philipps
in allen irgendwie dem französischen Nationalstolz schmeichelnden
Momenten zu Herzen führen. Zahllose Bilderfabrikanten bramar-
basiren 2‘/a Meile lang von den Wänden herunter. Horace Yernet als
Pictor celerrimus hatte das Oberkommando und wurde durch seine
Chronik der Eroberung Algiers so berühmt, dass er dem troupier,
dem epicier und allen Königen und Kaisern ganz Europas lange Zeit
als der grösste Maler Frankreichs galt.
Als letzter Ausläufer der berühmten Künstlerdynastie hatte er
den Pinsel in die Hand genommen in dem Moment, wo er die
Kinderklapper wegwarf. Es war ihm in die Wiege viel Talent ge-
legt worden : Sicherheit des Auges, Leichtigkeit der Hand und ein
beneidenswerthes Gedächtniss. Er sah richtig , wenn auch nicht
tief, malte ohne Zaudern seine Bilder herunter und unterscheidet
sich von vielen seiner Zeitgenossen sehr vortheilhaft dadurch, dass
er selbständig ist. Niemandem etwas dankt, seine eigenen Qualitäten
zeigt und sich nicht mit denen Anderer brüstet. Nur sind diese
Qualitäten nicht derart, seinen Bildern künstlerisches Interesse zu
geben. Der Funken von dem Genie Gericaults, der sich anfangs zu ihm
herübergerettet zu haben schien, ist in seinen späteren Arbeiten gänz-
lich erloschen. Rasch populär geworden durch die Lithographie, die
seinen Mazeppa durch die ganze Welt verbreitete, wurde er später
ein schlechter vulgärer Maler, ohne Poesie, ohne Farbe und Licht,
ein Reporter, der nur in banaler Prosa sprach und alle feinen Geister
verwundete. »Ich hasse diesen Mann«, sagte Baudelaire schon 1846.
Ohne jede Empfindung für das Tragische des Krieges, die Gros in
so hohem Maasse besass, behandelte Yernet die Schlachten, wie Aul
führungen im Circus. Seine Bilder haben Bewegung ohne Leiden-
schaft, Grösse ohne Grossheit. Er hätte, wenn nöthig, die ganzen
Boulevards bemalt; sein Bild der Smala ist zwar nicht so lang, aber
es hätte kein ernstes Hinderniss Vorgelegen, es um eine halbe Meile
zu verlängern. Dieses unglaubliche Stenographentalent verschaffte
ihm seine Volksthümlichkeit. Er war decorirt mit allen Orden
der Welt. Der Bourgeois fühlte sich bei ihm zu Hause, und der
XIX. Das Mtutärbild
IOI
Familienvater versprach sei-
nem kleinen Buben, ein Pferd
zu kaufen. Die Soldaten
nannten ihn »mon Colonel«
und hätten sich nicht ge-
wundert, wäre er Marschall
von Frankreich geworden.
Der Kunstfreund geht an
Vernets Bildern mit dem
gleichen Gefühl vorbei, zu
dem sich jener alte Oberst
gegenüber der Musik be-
kannte. »Lieben Sie die Mu-
sik, Herr Oberst?« »Gnädige
Frau, ich fürchte sie nicht!«
Die trivial - realistische
Mache wirkt ebenso uner-
quicklich wie der unwahre
Heroismus seiner Soldaten.
In der Art, wie er den
troupier auffasste, steht Vernet etwa zwischen Classicisten und Mo-
dernen. Fr malte nicht mehr antike Krieger, sondern französische
Soldaten ; er kannte sie wie der Unteroffizier seine Korporalschaft,
und wurde durch diese Ehrfurcht vor dem Vorschriftsmässigen daran
verhindert, sie in’s Römische zu übersetzen. Aber wenn er vom
Classicismus der äussern Erscheinung absah , so Hess er doch das
Heroische noch nicht fallen. Er fasste den Soldaten noch immer
als kühnen Vertheidiger des Vaterlandes, als Krieger, der muthige
Handlungen, wie in der Alexanderschlacht vollführte, und gab da-
durch seinen Bildern ihren unangenehm bramarbasirenden Ton.
Denn weder die neue Taktik noch die neuen Kanonen gestatten
mehr jenes Vortreten des Einzelnen, wie es in Vernets Bildern zu
sehen. Der Soldat des 19. Jahrhunderts ist kein Krieger mehr, son-
dern eine Nummer der M;jsse; was ihm befohlen wird, thut er und
hat dazu nicht antiken Heldenmuth nöthig: er tödtet oder wird ge-
tödtet, ohne dass er den Feind oder sein Feind ihn sieht. Der Gang
einer Schlacht bewegt sich Zug um Zug nach mathematischer Berech-
nung. Es ist also falsch, die Soldaten in heroischen Attitüden darzu-
stellen oder gar den Commandeuren Heldenthaten zu suggeriren. Ein
Cbarlet: Vor der Cant ine.
102
XIX. Das Militärbild
Rajjel: *i8o/<.
General hat, um eine Schlacht zu leiten und seine Befehle zu geben,
sich nicht viel anders zu verhalten, wie zu Haus vor dem Schreib-
tisch. Und er ist nie mit im Kampf, wie bei Horace Vernet, sondern
sehr weit davon entfernt. Das exakte Porträt einer modernen Schlacht
kann daher selbst bei Vernetschen Dimensionen überhaupt nicht
Sache des Tafelbildes sein, sondern ausschliesslich des Panoramas. Das
Tafelbild muss sich darauf beschränken, entweder den von Weitem,
auf einem Hügel mit seinem Generalstab die Schlacht leitenden Feld-
herrn oder kleine malerische Episoden aus dem Einzelleben des
Soldaten darzustellen. Diese allmähliche Entwicklung vom unwahren
Schlachtengemälde zum einfachen Episodenbild lässt sich in den
nächsten Werken stufenweise verfolgen.
Was im Anschluss an die Waffenthaten des Krimkrieges und
des italienischen Feldzuges weiter für das Museum von Versailles
gemalt wurde, hielt sich mehr oder weniger in dem officiellen Bra-
marbasstil Horace Vernets. Von Hippolyte Bellange sieht man in
den Versailer Sälen die Schlachten von Wagram, Loano, Alten-
kirchen ( 1 837/39) und eine Episode aus dem Rückzug von Russland
(1851) — grosse Oeldrucke von sehr sorgfältiger Ausführung. Adolphe
Yvon, von dem die Einnahme des Malakoff, die Schlacht von Magenta
XIX. Das Militärbild
103
Raffet: Die Parade.
und die von Solferino herrühren, ist ein noch langweiligerer Maler,
der zeitlebens Schüler von Delaroche blieb : er legte das Hauptge-
wicht auf regelrecht abgerundete Composition und gab seinen Sol-
daten gerade soviel Lebensfähigkeit, als sich in die überkommene
akademische Schablone zwängen Hess. Der Ruhm Isidor Pils’, der
die Ausschiffung der französischen Truppen in der Krim, die Schlacht
an der Alma und den Empfang arabischer Chefs durch Napoleon III.
verewigte, ist ebenfalls schnell verblasst. Er konnte Soldaten, aber
keine Schlachten malen und setzte wie Yvon seine Bilder ängstlich
zusammen, die daher stets im Arrangement wie in der Farbe gequält
wirken. Es fehlte ihm alles Spontane und Sichere. Nur seine Aqua-
relle fesseln trotz schwerer, trüber Farbe wenigstens durch phrasen-
lose Sachlichkeit. Alexandre Protais streifte mehr an's Sentimentale.
Er liebte den Soldaten und deshalb um so weniger den Krieg, der
die hübschen Jungen wegfegt. Zwei Pendants, der Morgen vor dem
Angriff und der Abend nach dem Kampfe von 1863, begründeten
seinen Ruf. Das eine zeigte eine Gruppe Jäger, die gespannt auf
die ersten Kugeln des Feindes warten ; das andere dieselben Leute
104
XIX. Das Militärbild
Raffet: Die nächtliche Heerschau.
C’est la grande revue A l’heure de minuit
Qu'aux Champs-Elysees Tient C£sar dec£d£.
am Abend, wie sieTsich des Sieges freuen, zugleich aber, und das ist
Protais’ Note, über den Verlust ihrer Kameraden sehr melancholisch
gestimmt sind. Die Gefangenen und die Trennung, von 1872, ver-
dankten ihren Erfolg der gleichen melodramatisch weinerlichen Em-
pfindsamkeit.
Zwei einfache Lithographen, Soldatenkinder, in denen noch das
Heimweh nach dem Napoleonismus nachklang, waren die ersten
grossen Militärmaler des modernen Frankreich. »Charlet und Raffet,
schrieb Bürger -Thore in seinem Salon von 1845, sind die zwei
Künstler, die sich am besten auf die Darstellung des Troupiers des
Kaiserreichs, dieses heute fast verschwundenen Typus verstehen, und
sie werden sicher nächst Gros die hauptsächlichsten Geschichtschreiber
dieser kriegerischen Epoche bleiben«.
Umriet, den Maler der alten Brummbären Napoleons I., möchte
man den Beranger der Malerei nennen. Ohne Unterlass kehrt in
seinen Bildern und Zeichnungen der »kleine Corporal«, der »grosse
XIX. Das Miutärbild
105
Kaiser« wieder; sein Werk ist
ein gezeichnetes Epos vom grauen
Rock und dem kleinen Hut. \ on
Jugend auf beschäftigte er sich
mit militärischen Studien, die im
Atelier Gros’, in das er 1817 ein-
trat. gefördert wurden. Das graeco-
romanische Ideal existirte für ihn
nicht und die Schönheit der For-
men war ihm gleichgültig. Er war
ein auf das Sachliche angelegter
Geist, ein Charakteristiker, dem in
seinen vielen Lithographien und
Aquarellen nur daran lag, seine
Gedanken richtig auszudrücken.
Wie es kam, dass Delacroix so
grosse Achtung vor ihm hatte, er-
hellte trotzdem erst, als auf der
Weltausstellung 1889 seine »Epi-
sode vom Rückzug aus Russland«
aus der Abgeschiedenheit des Ly-
oner Museums auftauchte, wohl
sein bedeutendstes und bestes Bild. Als es im Salon von 1836 er-
schienen war, schrieb Alfred de Müsset, das sei »keine Episode,
sondern ein ganzes Gedicht«, die »Verzweiflung in der Einöde«
habe der Künstler gemalt, das Bild gebe mit seinem düstern Himmel
und trostlosen Horizont den Eindruck eines unendlichen Unglücks.
Es hatte nach 50 Jahren nichts an seinem Werthe verloren. Seit
dem Wiederbekanntwerden dieses Bildes wusste man, dass Charlet
nicht nur der Specialist der alten Grauköpfe mit der schnapsgerötheten
Nase war, der Moliere der Casernen und Cantinen, sondern dass er
auch die ganze tragische Grösse des Krieges begriff, aus dem Horace
Vernet nur triviale Anekdoten herausschälte.
Neben ihm war Raffet, sein Schüler, der eigentliche Sänger der
grossen Armee. Er bemächtigte sich der glänzenden Figur Napoleons
und verliess sie nicht, bis er Alles über sie gesagt hatte, von Ajaccio
bis auf St. Helena. Er zeigte den »kleinen Gorsen«, den gespenstisch
bleichen, ehrgeizverzehrten General des italienischen Feldzugs, den
Bonaparte der Pyramiden und von Cairo , den Kaiser Napoleon,
io6
XIX. Das Militärbild
Ei nest Meisionier.
wie er Parademarsch ab-
nimmt und seine Grenadiere
besichtigt, den Triumphator
von 1807, an dem mit Hur-
rahruf, die Säbel schwingend,
die Kürassiere vorbeisausen,
den Titanen der Beresina.
der langsam über die Schnee-
wüste reitet und mitten im
Unglück nach neuen Glück-
sternen späht, den Kriegsgott
von 1813, den grossen Hvp-
notiseur. der noch von Ster-
benden mit dem Schrei » Hs
lebe der Kaiser« begrüsst
wird, den Abenteurer von
1814, der nachdenklich an der
Spitze zersprengter Truppen
über wüste Einöden reitet, den
geschlagenen Helden von 1815, der in seinem letzten Carre, inmitten
des heiligen Bataillons noch einmal das tückische Schicksal in die
Schranken ruft, den gefangenen Löwen, der von der Brücke des
Schiffes einen letzten Blick auf die im Nebel verschwindende Küste
Frankreichs wirft. Er hat den Kaiser aus dem Grabe erweckt als
gespenstischen Dämon, der um Mitternacht die Revue der grossen
Armee abnimmt. Und er hat mit Liebe, Leidenschaft und Enthusias-
mus auch das Werkzeug dieser Siege, den französischen Soldaten,
den sieben Jahre dienenden Haudegen in Biwack und Gefecht,
auf Märsche und Paraden, Vorposten und Patrouillen begleitet. Die
zerlumpten, unbeschuhten Truppen des Kaiserthums in Sturz und
Sieg sind in seinen Blättern mit einem Anflug wahrhafter Grösse
geschildert. Jede phrasenhafte Ausdrucksform kriegerischer Begeister-
ung ist vermieden ; alles ist ernst und sachlich. Meisterhaft ver-
stand er, Soldaten in Massen operiren zu lassen. Keiner hat so
den Eindruck der Zahl einer Armee zu geben gewusst, den
Eindruck des »Schulter an Schulter«, des Zusammengehörens
Tausender von Individuen zu einem Ganzen. Das Regiment ist bei
Raffet ein vielhundertköpfiges, lebendiges Wesen, das eine Seele,
einen moralischen Geist, einen Muth, eine Opferfreudigkeit, eine
XIX. Das Militärbild
107
Meisscmier: »i8oy<.
Heldenmüthigkeit hat. Abenteuerlich wie sein Leben, war sein Tod:
er starb in einem Hotel von Genua und wurde als Gepäckstück
eines Kauffahrteischiffs zurückgebracht auf französischen Boden.
Sein Ruhm war lange Zeit, erst durch den Horace Vernets, dann
durch Meissoniers Triumphe ungebührlich verdunkelt, bis ihm sein
Sohn Auguste pietätvoll ein Denkmal setzte.
Ernest Meissonier hatte nie über Verkennung zu klagen. Nach-
dem schon seine Rococobilder mit Gold aufgewogen worden, er-
klomm er den Höhepunkt seines Ruhmes, seiner universellen Be-
rühmtheit und seiner Volkstümlichkeit in Frankreich, als er seit
den 60 er Jahren sich der Schilderung der französischen Kriegsge-
schichte zuwandte. Das Jahr 1859 führte ihn im Gefolge Napoleons III.
nach Italien. Meissonier war ausersehen, den Schlachtenruhm des
Kaisers zu verbreiten, und da es der Neffe liebte, Parallelen zwischen
sich und seinem grossen Oheim zu ziehen, sollte Meissonier zugleich
entsprechende Momente aus dem Leben des ersten Napoleon dar-
stellen. Seine Bewunderer waren sehr neugierig, wie sich der grosse
Kleinmaler mit den monumentalen Aufgaben abfinden werde. Der
erste Auftrag war die Schlacht von Solferino, jenes Bild des Musee
Luxembourg, das Napoleon III. darstcllt, wie er mit seinem General-
stab von einer Anhöhe die Schlacht übersieht. Fs erschien nach
langen Vorbereitungen im Salon von 1864 und zeigte, dass der Maler
io8
XIX. Das Militärbild
sich nicht untreu geworden : er hatte die minutiöse Technik seiner
Rococobilder einfach auf das Kriegsbild übertragen und blieb der
niederländische Feinmaler auch in allen übrigen Schlachtenbildern,
die später folgten.
Napoleon III. hatte keine weiteren Waffenthatcn zu verzeichnen,
der beabsichtigte Parallelcyklus kam also nicht zu Stande. Zwar
hatte er den Maler auch 1870 mit zur Armee genommen; aber nach
der ersten verlorenen Schlacht ging Meissonier nach Hause: Rück-
zugsgefechte wolle er nicht verewigen. Sein Pinsel blieb fortan dem
ersten Napoleon geweiht. »1805« schildert den Triumphzug zur
Höhe des Ruhmes; »1807« ist der Gipfel erreicht, die Soldaten jubeln
begeistert ihrem Abgott zu; 1814« ist der Niedergang, der Glück-
stern ist erloschen, der Sieg, dem Gewaltigen so lange treu, ist von
seinen Fahnen gewichen, und auf dem bleichen Gesicht des Kaisers,
dessen Auge müde, dessen Mund krampfhaft verzerrt, dessen Züge
wie vom Fieber verwüstet sind, liegt doch noch der Ausdruck unbeug-
samer Energie, die sich anschickt, die letzte Patrone im äussersten
Verzweiflungskampf gegen das vcrrätherische Schicksal zu verschicssen.
Meissonier ist in allen diesen Werken mit derselben Peinlichkeit
wie bei den Miniaturrococobildchen verfahren. Um die Stiefel des
ersten Napoleon historisch treu darzustellen, begnügte er sich nicht,
sie aus dem Museum zu leihen und abzumalen, sondern hat selbst
Monate lang zu Fuss und zu Pferd — er war ein leidenschaftlicher
Reiter — Stiefel von der gleichen Form und dem gleichen Schnitt
wie die des kleinen Corporals getragen. Um die Farbe der Pferde
des Kaisers und seiner Marschälle im Winterhaar und so wie sic
nach den Strapazen und bei der schlechten Pflege während der Feld-
züge ausgesehen haben müssen, naturwahr zu reproduciren , kaufte
er selbst Pferde von derselben Race und Farbe, wie, der Ucberliefer-
ung nach, Kaiser und Generale sie geritten und Hess sic wochenlang
bei Schnee und Regen im Freien campiren. Seine Modelle mussten die
Uniformen, bevor er sie malte, am eigenen Leib, in Sonne und Un-
wetter abnützen; Sattelzeug und Waffen kaufte er zu höchsten
Preisen, soweit er sie nicht aus Museen geliehen erhielt. Dass er,
bevor er an seinen Napoleoncyklus ging, sämmtliche erreichbare
Porträts Napoleons, Neys, Soults und der andern Generale eigen-
händig copirte, dass er ganze Bibliotheken durchlas, versteht sich
von selbst. Um das Bild »1814« zu malen, das gewöhnlich für
seine grösste Leistung gilt — Napoleon , der an der Spitze seines
Meissonier : > 1814 «.
I IO
XIX. Das Militärbild
Stabes durch eine schneebedeckte Winterlandschaft zieht. — hat er
sich ähnlich, wie er es früher mit seinen Interieurs aus der Rococo-
zeit that, vorher die Scenerie an einem der ursprünglichen Localität
entsprechenden Punkt auf der Ebene der Champagne künstlich hcr-
stellcn, selbst den Weg, auf dem er den Kaiser daherziehend malen
wollte, in natura anlegen lassen; hat dann gewartet, bis der erste
Winterschnee fiel, hat Artillerie, Cavallerie, Infanterie auf der so ge-
schaffenen, mit Schnee bedeckten Strasse marschiren lassen und sogar
die umgestürzten Munitionswagen , die fortgeworfenen Waffen und
Gepäckstücke decorativ in der Landschaft angebracht.
Aus diesen mühevollen Vorbereitungen erklärt sich, dass er
für seine Bilder fast ebenso viel Millionen ausgab, wie er einnahm.
In seinem Aufsatz: »Was ist ein altes Kunstwerk werth?« hat Julius
Lessing in feiner Weise darüber gehandelt, welche verborgenen Wege
Kunstgeschmack und Kunsthandel gehen. Unter allen Malern der
Neuzeit ist Mcissonier, obwohl er nie an Kunsthändler, sondern
immer direct von der Staffelei an die Liebhaber verkaufte, der einzige,
dessen Bilder schon bei seinen Lebzeiten mit Preisen bezahlt wurden,
die sonst nur Werke altberühmter Meister der grössten Epochen im
Handel erzielen. Meissonier hat sich für die Entbehrungen seiner
Jugendzeit glänzend gerächt. 1832, als er seine Lehrlingsstelle bei dem
grossen Chocoladenmann Meunier aufgab, um Maler zu werden, hatte
er monatlich 15 Francs zu verzehren. Für 5 oder 10 Francs be-
mühte er sich, seine Zeichnungen und Illustrationen an den Mann zu
bringen, oft genöthigt, sich mit einer Semmel für das mangelnde
Mittagessen zu trösten. Schon zehn Jahre später konnte er sich
ein kleines Anwesen in Poissy bei St. Germain erwerben, wohin er
1850 ganz übersiedelte, um ungestörter der Arbeit zu leben. All-
mählich wurde aus diesem Anwesen ein behaglicher Landsitz, zu dem
mit der Zeit in Paris das stattliche Haus auf dem Boulevard Males-
herbes hinzukam. Sein »Napoleon 1814«, für den der Maler selbst
300,000 Francs erhielt, wurde von einem der Besitzer der »Grands
Magasins du Louvre« für 850,000 Francs erstanden; Napoleon III.
bei Solferino brachte ihm 200,000, die »Charge des Cuirassiers
300,000 Francs. Seit 1850 malte er überhaupt nur noch für ähn-
liche Summen. Er hatte, wie ausgerechnet wurde, einen ungefähren
Curs von 5000 Francs per Centimeter gemalter Leinwand und hinter-
liess einen Kaufwerth an Bildern, der nach heutigem Curs mehr als
20 Millionen beträgt — ohne indessen, da ihn jedes Bild meist selbst
XIX. Das Militärbild
I 1 1
viele Tausende kostete, eigentlich ein reicher Mann geworden zu
sein. Meissonier fiel nie dem Geschäftsgeist, nie dem Kunsthandel
zum Opfer, gab nie einen Strich aus der Hand, bevor er der Uebcr-
zeugung war, ihn nicht besser machen zu können, und wegen dieses
künstlerischen Ernstes war er auch im Kreise seiner Collegen bis
zu seinem Tode allgemein geachtet. Er liess als unbestrittener Meister
am Fenster seines einsamen Ateliers die Classicisten , Romantiker,
Impressionisten und Symbolisten vorbeiziehen und blieb immer der
Gleiche. Ein kleiner Mann mit festem Gang, schneidiger Taille,
zwei Augen, die wie Kohlen leuchteten, kurzgeschorenem dichten
Haar und einem Elussgottbart, der immer länger wurde, war er mit
achtzig Jahren noch ebenso lebhaft und beweglich, wie mit dreissig.
Systematische Trainirung hielt seinen Körper frisch und ermöglichte
ihm allein die rastlose Thätigkeit, unter der ein Anderer zusammen-
gebrochen wäre. Lange Jahre hindurch legte Meissonier sich um
8 Uhr Abends zur Ruhe, schlief bis Mitternacht und arbeitete bis
zum Morgen bei der Lampe an seinen Zeichnungen. Im Laufe des
Tages machte er seine Studien nach der Natur und malte. Schüchtern
im Verkehr und schwer zugänglich , liess er sich durch keine Ge-
selligkeit in seinem unermüdlichen Fleisse stören. Ein scharfer Ritt,
Schwimmen und Rudern bildete die einzige Erholung. Schon 1848
hatte er als Hauptmann der Nationalgarde am Strassen- und Barri-
kadenkampf theilgenommen. und noch 1871 klapperte er, 66 Jahre
alt, das gallonirte Käppi unternehmend auf die Seite gerückt, als
koketter Stabsofficier mit dem Schleppsäbel , den er so oft gemalt,
durch die Strassen der Hauptstadt. Selbst die Werke seines Greisen-
alters zeigten keine Erschöpfung, und es ist schon etwas Grosses,
zu Jahren zu kommen und sich nicht zu überleben. Noch im Früh-
ling 1890, kurz vor seinem Tode, war er der Führer der Jugend,
als diese aus dem Palais der Champs Elvsees in den Champ de Mars
übersiedelte, und hatte in diesem neuen Salon den »Oktober 1806«
ausgestellt, mit dem er sein Napoleonisches Epos und seine rhätig-
keit überhaupt beschloss. Auf einem Hügel hielt der Kaiser im histor-
ischen grauen Ueberzieher auf einem kräftigen Schimmel, gedanken-
voll dem Gange der Schlacht folgend, unbekümmert um die unter
ihm vorbeistürmenden, ihm zujubelnden Kürassiere und um den
bunten Stab, der hinter ihm Aufstellung genommen. Keine Miene in
dem kameenartig geschnittenen, fahlen Korsengesicht zuckt. I rüb
und wolkenschwer war der Himmel. Im Vordergrund lagen ein
I 12
XIX. Das Militärbild
paar todte Soldaten, an denen jeder Uniformknopf noch mit derselben
peinlichen Gewissenhaftigkeit gemalt war, wie die Knöpfe an den
llococofräcken 50 Jahre vorher.
Ausser dieser unendlichen Correctheit sehe ich freilich nichts,
was zu Meissoniers Künstlerruhm gesagt werden könnte. Kr, dessen
Name auf beiden Hemisphären gefeiert ist, war recht eigentlich der
Sohn seiner Arbeit. Kr hat sich seinen Ruhm ersessen und seinem
Sitzfleisch gebührt der Lorbeer. Das Genie des unendlichen Kleinen
ist niemals weiter gegangen. Alles, was man lernen kann, weiss
er. Die Bewegungen sind richtig, die Physiognomien interessant,
die Finessen der Ausführung unbeschreiblich, die Pferde so genau
studirt. dass sie der Nachprobe der Momentphotographie Stand halten.
Aber Maler im eigentlichen Sinn ist er nie gewesen. Gerade in ihrer
wunderbaren Miniaturausführung, die im Grunde doch nur als Ge-
duldspiel, als die höchste Probe dessen, was der Pinsel leisten kann,
fesselt, entbehren seine Bilder der Gesammtanschauung und lassen
kalt wegen der Härte der Conturen, der TrocPbnheit der Farbe und
der Abwesenheit aller Nervosität. Wer denkt bei einer Reiterattake,
wenn der Staub aufwirbelt und die Nüstern der Rosse schnauben,
an Costüme, und wer denkt an etwas anderes, wenn Meissonier
eine Attake malt. Dort Leben und Bewegung, hier ein Museum
militärischer Uniformen. Als Manet die Kürassiere Meissoniers sah,
meinte er: »Alles ist hier von Kisen, nur die Kürasse nicht.« Die
Rococobildchen sind wohl seine besten Leistungen, es ist sogar ein
wenig Temperament darin. Seine Soldatenbilder machen frösteln.
Sie sind, in Holzschnitten reproducirt, gute Illustrationen zu Ge-
schichtswerken, aber als Bilder dem Auge antipathisch, weil sie geist-
los sind und der Luft, des Lichtes ermangeln. Sie erwecken keinen
anderen Gedanken, als Staunen über die Geduld und den unglaub-
lichen Fleiss, der dazu gehörte, sie zu machen. Man sieht Alles,
Alles, was der Maler nur irgend gesehen hat, keine Kleinigkeit wird
einem erspart, nur dem Künstler selbst begegnet man nicht recht.
Seine Schlachtenbilder stehen hoch über den Decorationsstücken
Horace Vernets und Hippolyte Behanges, aber sie haben auch nichts
von der Wärme Raft'ets und dem zuckenden Leben Neuvilles. Kine
mittheilsame Stimmung, etwas, das mit lortreisst und das Herz füllt,
entwickelt sich aus ihnen nicht. Die Geduld ist eine Tugend, das
Genie ein Geschenk. Kostbar ohne Originalität, geistreich ohne
Phantasie, geschickt ohne Verve, elegant ohne Reiz, subtil und fein
XIX. Das Militärbild
ohne Delicatesse, hat Meissonier alle Qualitäten,
die interessiren, aber keine, die packt. Er war
ein Maler der Deutlichkeit, den man anstaunt,
aber nicht bewundert, ein Künstler für Fein-
schmecker, doch für solche zweiten Ranges,
die Kunstwerke um so höher bezahlen, je mehr
sie darin das Kunststück schätzen. Man wird
vor seinen Bildern an das Compliment erinnert,
das Charles Blanc unpassender Weise Ingres
machte: »Cher maitre, vous avez dcvine la
photographie trente ans avant qu’il y eut des
photographes« oder an die boshafte Geschichte,
die Jules Dupre einmal erzählte. »Stellen Sie
sich vor, meinte er, Sie seien ein grosser Herr,
der heute einen Meissonier gekauft hat. Da
kommt Ihr Kammerdiener in den Salon , wo
er hängt. Ah Monsieur, ruft er aus, was haben
Sie da für ein schönes Bild gekauft ! Das ist
ein Meisterstück! Ein andermal kauft nun der grosse Herr einen
Rembrandt und zeigt ihn seinem Kammerdiener in der Erwartung,
dieser werde darüber wenigstens in das nämliche Entzücken gerathen.
Mais non ! Diesmal macht der Mann ein verlegenes Gesicht. Ah
Monsieur I il faut s’y connaitre, sagt er und geht davon«.
Guillaume Regamey, der viel weniger bekannt ist, bildet zu Meissonier
die Ergänzung. Nervös, temperamentvoll und skizzenhaft, war er nicht
für den Kunsthandel geeignet, während die Kunstgeschichte ihn nächst
Gericault und Raffet als den geistreichsten Zeichner des französischen
Soldaten feiert. Er malte ihn nicht im Paradeanzug, geschniegelt und
gebügelt, sondern in der schlechtesten Garnitur. Syrien, die Krim,
Italien, der Orient mischen sich mit der Verschiedenheit ihrer Typen,
dem Glanz ihrer exotischen Costüme darunter. Sehr liebte er das Katzen-
artige, beweglich Ritterliche der Turcos und Spahis, doch ganz beson-
ders die Cavallerie. Seine Chasseurs d'Afrique sind mit dem Pferd ver-
wachsen wie fabelhafte Centauren, und manche seiner Reitergruppen
lassen an den Parthenon-Fries denken. Leider starb er, 38 Jahre alt, kurz
vor Ausbruch des Krieges von 1870, dessen Geschichtschreiber dann
die jüngeren, im Schatten Meissoniers aufgewachsenen Maler wurden.
Alphonse de Neuville, der bedeutendste der Gruppe, hatte als
Officier während der Belagerung von Paris, den Krieg sehr aus der
Muther, Moderne Malerei II. $
113
A. de Neuville.
XIX. Das Militärbild
1 14
A. de Neuville: Le Bourget.
Nähe gesehen und bildete sich dabei zu einem feinen Illustrator, der
in seinen anekdotischen Bildern die Vehemenz der Salve und den
Pulverrauch vorzüglich zu malen wusste. Das »Biwak vor Le Bourget
brachte ihm den ersten Erfolg. »Die letzten Patronen«, »Le Bourget
und der »Friedhof von Saint-Privat« machten ihn zum populären
Meister. Neuville ist der eigentliche französische Gefechtsmaler. Er
kannte nicht wie Charlet den Soldaten in der Ruhe, den Bauernjungen
von gestern, der nur an seinen Magen denkt und für kampflustige
Abenteuer wenig Sinn hat. Der Soldat ist bei ihm ein eleganter,
begeisterter, jugendlicher Held. Er vernachlässigte sogar die Linien-
truppen, seine Vorliebe galt dem Chasseur, dessen Käppi koketter auf
dem Kopfe sitzt und dessen Hosen besser fallen. Er liebte die Eeder-
büsche, die eleganten hohen Stiefel der Officiere, die Porte-epees,
Spazierstöcke und Monocles. Alles nahm unter seiner geschickten
Hand eine gewisse Grazie an, selbst im Troupier sah er ein ritter-
liches, zierliches Bibelot, das er mit chevaleresker Verve malte.
Aim£ Morot, der Maler der Charge des cuirassiers, ist derjenige,
dessen Bilder vielleicht am meisten nach Pulver schmecken. Neuvilles
vielfach überschätzter Rivale, Meissoniers Lieblingsschüler Edouard
Detaille eins, nachdem er mit kleinen zierlichen Costümbildern aus
XIX. Das Militärbild
H)
l
i
■ Detaille: Salut aux blesses.
der Directoirzeit begonnen, den Weg seines Lehrers mit weniger
Mühseligkeit und mehr Leichtigkeit, weniger Klügeln und mehr
Wahrheit weiter. Das beste seiner Werke war »Salut au blesses«, die
Schilderung, wie ein Trupp verwundeter preussischer Offiziere und
Soldaten auf einer Landstrasse an einem französischen General vor-
beizieht, der in eleganter Ritterlichkeit sein Käppi lüftend mit seinem
Stabe vor den Verwundeten salutirt. Detailles grosse Bilder, wie die
Fahnenvertheilung und die Panoramen waren ebenso correct wie
trocken langweilig, wenn auch hoch über dem Meisten stehend, was
auf deutscher Seite künstlerisch aus dem Krieg von 1870 gezogen
wurde. —
Bei uns hatten die grossen Jahre der Befreiungskriege den ersten
Anlass gegeben, dass eine Gruppe von Malern es wagte, das von
ihren classicistischen Gollegen sehr von oben herab behandelte Ge-
biet der Schlachtenschilderung zu betreten. Deutschland hatte sich
damals in ein grosses Heerlager verwandelt. Nach einander kamen
preussische, russische, französische, österreichische und bayerische
Truppen durch die Städte und Dörfer, lange Züge von Kanonen
und Transportwagen folgten, Freunde und Feinde wurden einquartiert;
das napoleonische Epos spielte sich ab. Diese Dinge, die wie bunte
Laternamagicabilder vorbeizogen , öffneten zuerst wieder einigen
8*
XIX. Das Militärbild
I 16
jungen Leuten den Blick für die Aussenwelt und erweckten in ihnen
die Anlage, Eindrücke der Wirklichkeit in sich aufzunehmen und
rasch zu Papier zu bringen. Ganz ebenso hatte sich 200 Jahre
vorher die Befreiung der holländischen Kunst aus den Banden des
Italianismus vollzogen. Der holländische Befreiungskampf und der
30 jährige Krieg hatten Holland mit zahlreicher Soldateska gefüllt.
Das Treiben dieser Söldner, das sich täglich in reicher Tracht und
bunter Mannigfaltigkeit vor ihnen abspielte, fesselte den malerischen
Sinn der Künstler. Nachklänge des Krieges, Kampfscenen, Schar-
mützel und Getümmel, Vorgänge des Lagerlebens, Ausrüstungen,
Einquartierungen und Marodierscenen sind die ersten selbständigen
Erzeugnisse der holländischen Schule. Dann wird das friedliche
Treiben der Soldaten geschildert. In Harlem in der Nähe des Frans
Hals sammeln sich die Maler der sogenannten Gesellschaftsstücke, in
denen kecke Landsknechte, flotte Offiziere sich mit galanten Mädchen
bei Wein, Spiel und Liebe erlustigen. Erst von hier aus geht man
zur Schilderung des in gleich zwangloser, freier Derbheit lebenden
Bauernstandes und von da in weiterer Folge zur Darstellung der
städtischen Kreise über. Die deutsche Malerei des 19. Jahrhunderts
machte den gleichen Gang. Auch vor 80 Jahren gaben die fremden
Truppen, die höchst »pitoresken, oft zerlumpten Anzüge der repu-
blikanischen Armee, die charakteristischen , oft ganz verwilderten
Physiognomien der französischen Soldaten«, den Künstlern die ersten
frischen, buntfarbigen Eindrücke. Nicht in der Antikenklasse der
Akademie, sondern auf dem Exerzierplatz und im Lager machten die
Soldatenmaler ihre Studien, gingen später, als die kriegerischen Zeiten
vorüber, von der Schilderung des Soldaten zu der des Bauern über
und schufen so die Grundlage, auf der die Folgenden weiterbauten.
Franz Krüger in Berlin, Albrecht Adam und Peter Hess in
München waren eigenartige, in die geistige Familie der Chodowiecki
und Gottfried Schadow gehörige Charakterfiguren, die gänzlich un-
berührt von classicistischen Theorien und romantischen Träumereien
mit klarem, scharfem Blick in’s Leben hinausschauten. Ihnen fehlte
jedes Organ zum Verständniss sowohl der hohen poetischen Ten-
denzen der Altmünchener, wie der sentimentalen Gefühlsschwärmerei
der Altdüsseldorfer Schule. Dafür waren sie frische, den Dingen
vollkommen unbefangen gegenübertretende Menschen, die durchaus
auf sich selbst ruhten, sich an keinem Beispiel der alten Meister
herangebildet, nie einen Lehrer gehabt, nie akademischen Unterricht
XIX. Das Militärbild
117
Albrechl Adam mit seinen Söhnen.
genossen hatten. Dieses naive Drauflosgehen lässt ihre Malerei wie
ein wildgewachsenes, halbbarbarisches Produkt, zugleich aber in einer
Periode archaeologischer Ausgrabungen, gelehrten Rückwärtsschauens
und sclavischer Nachahmung der Alten auch als erstes selbständiges
Erzeugniss des 19. Jahrhunderts erscheinen. Tüchtige, trockene Re-
alisten, kannten sie keine feineren Reize, aber sie stellten die Sache
dar, so treu es ging, so ehrlich und pflichtgemäss, wie es nur mög-
lich war. Sie entbehren des eigentlich malerischen Charakters, aber
sie sind auch vom Classicismus der Epoche unberührt. Es fällt ihnen
nicht ein, die Uniformen ihrer Krieger über antike Statuen zu ziehen.
Und diese treue Ehrlichkeit macht ihre Bilder nicht nur als Documente
für die Culturgeschichte unersetzlich, sondern verleiht ihnen trotz
ihrer beispiellosen Kälte, Härte und Buntheit auch künstlerisch einen
gewissen bahnbrechenden Werth.
Albrecht Adam, ein harter, in der Schule des Lebens gebildeter
Charakter, hat selbst in einer hübschen Biographie das Getriebe der
geschichtlichen Ereignisse, die ihn zum Schlachtenmaler machten, ge-
i iS
XI X. Das Militäkbild
Albrecht Adam: Rückzug der französischen Armee aus Russland.
schildert. Er war Conditorlehrling in Nördlingen, als dort i. J. 1800 die
französischen Heeresdurchzüge ihren Anfang nahmen. Im Wirthshaus
beginnt er Grenadiere und Unteroffiziere zu zeichnen und geht stolz
mit den dafür erhaltenen Kreuzern nach Hause. »Adam, wenn’s Krieg
gibt, nehme ich Sie mit in’s Feld«, hatte ihm der Abnehmer seiner
ersten Arbeiten, ein alter Generalmajor, gesagt. Das erfüllte sich 1809,
als die Baiern mit Napoleon gegen Oesterreich zogen. Nach wenigen
Wochen ist er mitten im Schlachtgewühl. Er sieht Napoleon, den
Kronprinzen Ludwig, den General Wrede, erlebt die Schlachten von
Abensberg, Eckmühl und Wagram und kommt mit Mappen voll
Skizzen nach Wien. Dort finden seine Kriegsbilder und Porträts in
Offizierskreisen Beifall, und Eugene Beauharnais, der Yicekönig von
Italien, nimmt ihn nach Oberitalien, dann nach Russland mit sich.
Er ist Augenzeuge der Schlachten bei Borodino und an der Moskwa
und rettet sich mit Lebensgefahr aus dem brennenden Moskau.
Eine echte Landsknechtsnatur, setzte er sich noch als 62 jähriger
auf’s Pferd, um 1848 dem italienischen Feldzug der österreichischen
Armee unter Radetzky beizuwohnen. Seine Schlachtenbilder gehen
also sämmtlich auf persönliche Erlebnisse zurück. Er führte auf den
XIX. Das Militärbild
Peter Hess: Empfang des Königs Otto in Nauplia.
Kri;gszügen das Leben der Soldaten, die er schilderte, und da er bei
dieser Schilderung mit der objectiven Ruhe und Wahrheit des Historikers
verfuhr, sind seine Kunstschöpfungen als Documente unschätzbar.
Selbst wenn er nicht als Augenzeuge sprechen konnte, machte er
stets nachträglich an Ort und Stelle seine Studien , immer bestrebt,
ein möglichst zuverlässiges Quellenmaterial zu erhalten , das er mit
äusserster Gewissenhaftigkeit verarbeitete. Das Terrain, der Auf-
marsch der Truppenkörper, der Massenkampf mit den in’s Kleinste
gehenden Episoden ist mit Einfachheit und Sachlichkeit dargestellt. In
der Schilderung des friedlichen Soldatenlebens war er unerschöpflich,
ebenso lebendig wusste er die Pferde zu geben : in der angestrengten
Kraftäusserung des Marsches, im Schlachtengewühl wie im Stall, den
Ackergaul des Trains wie das edle Paradethier. Dass seine Farbe
streng und hart blieb und seinen Bildern deshalb jede »Stimmung«
fehlt, erklärt sich aus der coloristischen Hülflosigkcit des Zeitalters.
Nur die letzten, wie die Schlacht an der Moskwa, haben eine gewisse
farbige Gesammthaltung, die freilich mehr auf Rechnung seines Sohnes
Franz zu setzen ist.
Nach Adam, dem Vater der deutschen Schlachtenmaler, machte
Peter Hess durch den Ernst und die Sachlichkeit seiner Bilder Epoche.
Auch er hatte die Feldzüge von 1813 — 15 im Hauptquartier des
I 20
XIX. Das Militärbild
Generals Wrede mitgemacht und hat aus dieser Zeit sehr gesunde,
nüchtern objectiv gesehene Kosakenscenen, Biwaks und dergleichen
hinterlassen, während er in seinen grossen Bildern so wenig wie
Adam je irgendwelche Totalwirkung erzielte. Durch die Fülle ver-
wirrt, wagte er sich nur an die Einzelheiten heran, und setzte diese
dann auf der Leinwand mosaikartig zusammen, indem er, um das
Wesentliche der Action möglichst deutlich zu geben, den Standpunkt
wie aus der Vogelperspective annahm. Selbstverständlich machen
die auf diesem Wege erzeugten Bilder als Kunstwerke einen recht
kindlichen Eindruck, doch als Incunabeln moderner deutscher Malerei
werden sie bleiben. Am bekanntesten wurden diejenigen, zu denen
ihm die Erwählung des Prinzen Otto von Bayern zum König von
Griechenland Gelegenheit gab, namentlich der in der Münchener
Neuen Pinakothek befindliche »Empfang des Königs Otto in Nauplia«,
ein Bild, das trotz der harten, bunten, ganz unmöglichen Färbung und
kleinlichen Pedanterie der Ausführung den Werth einer kulturgeschicht-
lichen Urkunde nicht verlieren wird.
Der energische Franz Krüger in Berlin war schon lange durch
seine famosen Pferdebilder bekannt, als ihm 1829 der Kaiser von
Russland den Auftrag gab, die grosse Parade auf dem Opernplatz
in Berlin, bei der er dem König von Preussen sein Kürassierregiment
vorgeführt hatte, auf einer grossen Leinwand zu fixiren. Solche
Paradebilder wurden seitdem Krügers Specialität, namentlich berühmt
ist die grosse Parade von 1839 mit den Bildnissen aller derer, die
damals in Berlin politisch und literarisch eine Rolle spielten. Er hat
in diesen Arbeiten, besonders auch in seinen merkwürdig objectiv
gesehenen, aquarellirten Bildnissköpfen , ein treues Spiegelbild des
alten Berlin hinterlassen und die Brücke von Chodowiecki zu Menzel
geschlagen. Als Schüler Krügeis ist Karl Steffeck, als solcher Adams
ausser Franz Adam — Th. Horschelt zu nennen. Von Steffeck,
einem gesunden kräftigen Realisten, werden einige gut gemalte Pferde-
porträts, von Th. Horschelt, der 1858 im Kaukasus an den Gefechten
der Russen gegen die Tscherkcssen thcilnahm, einige der meister-
haften, geistreichen Federzeichnungen fortleben, die er in seinen
»Erinnerungsblättern aus dem Kaukasus« gesammelt herausgab. Franz
Adam, der zuerst im Anschluss an Raffet ein lithographisches Werk
über den italienischen Feldzug von 1848 veröffentlichte und im italie-
nischen Krieg von 1859 sein erstes Hauptwerk, eine Scene aus der
Schlacht bei Solferino malte, verdankt seine schönsten Erfolge — ob-
XIX. Das MiutArbild
1 2 1
wohl er ihn nicht mitgemacht hatte — dem Kriege von 1870 und ist,
wenigstens hinsichtlich der coloristischen Gesammthaltung seiner Ar-
beiten, wohl der beste deutsche Schlachtenmaler gewesen. Da mir
später die Gelegenheit fehlen würde, erwähne ich an dieser Stelle
auch die mit Verve und Ritterlichkeit gemalten Werke Josef Brandts,
des besten Schülers, den Franz Adam heranbildete. Es lodert und
sprüht in seinen Bildern altpolnischer Reiterkämpfe, in den Gestalten
der Krieger wie der Pferde. Alles ist aristokratisch: das distinguirte
graue Colorit wie die geschmeidige, chevalereske Zeichnung. Alles
athmet Leben, Kraft, Feuer und Frische: der Orient Eugene Fromen-
tins, in’s Polnische übersetzt. Heinrich Lang, ein geistreicher Zeichner,
der die schwierigsten Stellungen und Bewegungen des Pferdes mit
ausserordentlicher Sicherheit zu erfassen wusste, hielt das wilde Ge-
tümmel von Cavallerieattaken (Attake der Brigade Bredow, Attake
bei Floing u. dgl.) in schneidigen Momentbildern fest, während sonst
die deutschen Heldenthaten von 1870 künstlerisch wenig Helden-
thaten im Gefolge hatten.
G*8)
XX.
Italien und der Orient.
SOFERN er nicht Uniform trug, war der Mensch im Beginne
des Jahrhunderts nur kunstfähig, wenn er als Bauer oder Räuber
in Italien lebte. Das heisst : die Maler waren entweder Archäo-
logen oder Touristen; sobald sie nicht in die Vergangenheit unter-
tauchten, suchten sie ihr romantisches Ideal in der Ferne. Italien,
wo die Monumentalmalerei Erleuchtung geholt, bot sich als erstes
Reiseziel dar und entsprach ihren Wünschen auch deshalb, weil es
für die übrige Welt noch vom Schleier poetischen Geheimnisses um-
hüllt war. Nur im Kirchenstaat, in NeapJ und Toskana glaubte
man menschliche Wesen anzutreffen, die unter dem Einfluss der
Civilisation noch nicht vulgär und hässlich geworden, sondern einen
Abglanz der Schönheit griechischer Statuen bewahrten. Hier fürchtete
man weniger durch das Studium der Natur vom absoluten Schönen
abgelenkt zu werden, und damit war ein wichtiges Princip erobert.
Statt wie David und Mengs noch direct antike Statuen zu copiren,
fingen diese Maler an, die Nachkommen der Menschen zu betrachten,
die jenen römischen Bildhauern als Modelle gedient, und lenkten so,
fitst gegen ihren Willen, die Blicke wieder ein wenig mehr aus den
Museen in die Natur, aus der Vergangenheit in die Gegenwart herüber.
Der in den engen Rahmen des Classicismus eingezwängten Kunst
dies neue Stoffgebiet erschlossen zu haben, ist das Verdienst Leopold
Roberts. Nur dem Umstand, dass er als der Ersten einer sich trotz
streng classicistischcr Erziehung auch ein wenig für die Aeusser-
ungen des zeitgenössischen Lebens interessirte, verdankt er seinen
Erfolg beim Publikum der 20er Jahre und seine Stellung in der
Kunstgeschichte. Hunderte von Künstlern waren vor ihm nach
Italien gewandert und keiner hatte anderes als die Antiken gesehen,
bis 1818 dieser junge Mann aus Neufchätel kam und der Maler des
italienischen Volkes wurde. Auf den ersten Blick frappirtc ihn der
»Charakter der italienischen Gestalten mit ihren seltsamen Sitten
XX. Italien und der Orient
123
und Gebräuchen , ihren maler-
ischen und rauhen Kleidungen« ;
und er wollte dies mit aller Wahr-
heit wiedergeben, vor allem aber
»den ganzen Adel jenes Volkes
feiern, das noch einen Zug von der
heroischen Grösse seiner Vorfahren
bewahrt«. Besonders glaubte er
dieses Phänomen des Atavismus bei
den Räubern zu bemerken,- und da
bald nach seiner Ankunft ein altes
Brigantennest Sonnino aufgehoben
und seine Einwohnerschaft in die
Engelsburg gebracht worden war, bot
sich ihm bequeme Gelegenheit, hier
seine Studien zu machen. Die Bilder aus dem Brigantenleben, die er
Anfangs der 20er Jahre componirte, fanden bald beneidenswerthen Ab-
satz. »Lieber Herr Robert», sagten die vornehmen Fremden, die zu
Dutzenden sein Atelier besuchten, »einen kleinen Banditen, wcnn’s ge-
fällig ist«. Räuber mit sentimentalen Anwandlungen waren besonders
geschätzt, etwa in dem Moment, wo sie sanft mit ihrer Gattin kosen,
reuig zu Gott beten oder am Bett des kranken Kindes wachen. Von
den Briganten ging er zu den Mädchen von Sorrent, Frascati, Capri und
Procida, zu Hirtenknaben, Fischern, Pilgern, Eremiten und PifFerari
über. Die Ausstellung, die er mit einer Anzahl dieser kleinen Bilder
Anfangs der 20er Jahre in Rom veranstaltete, arbeitete seinem Rufe
erfolgreich vor, und als er 1824 — 31 eine Reihe grösserer Gemälde
in den Pariser Salon schickte, ward er einer der glänzendsten Meister
der französischen Schule, dem die Romantiker gleichen Beifall wie
die Classicisten zollten. In dem ersten von 1824 hatte er eine An-
zahl Landleute dargestellt, die den von den Klängen einer Harmonika
begleiteten Improvisationen eines neapolitanischen Fischers lauschten.
Die »Rückkehr von der Pilgerfahrt zur Madonna dell Arco« 1827
zeigte einen mit Ochsen bespannten Triumphwagen, auf dem laub-
geschmückte Burschen und Mädchen in bunten sonntäglichen Ge-
wändern sassen. Ein alter Lazzaronc spielte die Mandoline, Mädchen
tanzten zum Tamburin, ein Bursche schlug hüpfend die Castagnettcn,
zwei Knaben, um die Lebensalter voll zu machen, eröffneten den Zug.
Sein drittes Bild, die »Ankunft der Schnitter in den pontinischen
124
XX. Italien und der Orient
Robert: Rückkehr von der Pilgerfahrt \ur Madonna dell' Arco.
Sümpfen« war neben Delacroix’ »Freiheit« das Hauptwerk des Sa-
lons von 1831. Heine widmete ihm eine classische Beschreibung
und die orthodox academische Kritik spendete das unverdienteste
Lob, indem sie den Maler als gefährlichen Revolutionär behandelte,
der die Kunst in die unwürdigen naturalistischen Bahnen eines Ri-
bera und Caravaggio zurückleite. Robert, den braven, lammfrommen
Mann, der heute nur als gewissenhafter Ausläufer der Davidschule
erscheint!
Wie wenig decken sich die Kunstprincipien, die er in seinen
Briefen niedergelegte, mit seinen Bildern! »Ich suche«, schrieb er
1819 einem Freund, »in Allem der Natur zu folgen. Das ist der
einzige Meister, den man hören darf. Sie allein inspirirt und be-
wegt mich, sie allein spricht mich an, sie ist es, die ich zu er-
gründen suche und bei der ich immer eigcnthümliche Anregungen
zu finden hoffe«. Sie ist ihm ein Wunder, grösser als alle anderen,
ein Buch, worin die »Einfältigen wie die Grossen lesen«; er begriff
es nicht, »wie sich die Maler die alten Meister zum Muster nehmen
mochten, statt jener, die doch allein das echte Vorbild seil« Was
man in seinen Bildern sicht, ist nur ungeschickte Uebertragung
der David’schen Anschauungs- und Darstellungsweise auf den ita-
XX. Italien und der Orient
125
Robert: Die Ankunft der Schnitter in den pontinischen Sümpfen.
Herrischen Bauern, eine ängstliche Anpassung classischer Regeln auf
romantische Gegenstände. Er betrachtete die modernen Italiener
lediglich durch das Prisma der antiken Statue und führt auf diese
Weise in ein Italien ein, das man nur Leopold Roberts Italien nennen
kann, da es nie auf einer andern als Roberts Landkarte existirte.
Alle seine Personen haben das Bewegungsmotiv irgend eines bekannten
Werks der antiken Plastik und im Gesicht den Ausdruck jener be-
liebten Melancholie, über die seit Ary Scheffer die Mode längst hin-
weg schritt. Nirgends eine zufällige, naiv frische, der Situation ent-
sprechende Bewegung. Man glaubt, er habe antiken Statuen oder
Davids Horaziern und Sabinerinnen italienische Volkstrachten an-
gezogen und sie nach den in Paris erlernten Compositionsregeln vor
einem Coulissenhintergrund zum lebenden Bilde aufgebaut. Seine
Bauern und Fischer machen sämmtlich schöne, edle oft grossartige
Stellungen. Aber man kann genau angeben, welch akademischer
Regel zu Liebe diese Figur hier und nicht dort, so und nicht anders
steht. Seine Bilder affektiren viel zu officiell und aufdringlich die
beliebte Compositionsform der Pyramide. Und da sie italienische
Sittenbilder sein sollen, tritt der Contrast zwischen der Natur und
dem künstlichen Aufbau fast noch störender als bei Davids mytho-
XX. Italien und der Orient
i 2 6
Schnell: Gelübde an die Madonna.
logischen Darstellungen hervor. Hs ist, als habe Robert überhaupt nie
italienische Bauern gesehen, deren Leben er zu schildern behauptet.
Die harten Silhouetten und der scharfe Bronzeton seiner Werke sind
ein erschreckender Beleg dafür, bis zu welchem Grade in der David-
schule der coloristische Sinn erstarb. Nur die Form zog ihn an; die
Sonne Italiens Hess ihn gleichgültig. Die Abwesenheit aller Luft gibt
seinen Figuren das Aussehen, als seien sie aus Bilderbogen geschnitten.
O grosse Künstler von Holland, Meister der liebkosenden Atmosphäre
und des in Luft gebadeten Conturs, was hättet ihr zu so herzlosen
Ausschnitten gesagt. Robert war in seiner Jugend Linienkupferstecher
gewesen und hat die prosaische Technik des Linienkupferstichs auch
auf die Malerei übertragen. Er war ein Uebergangsmaler, der als
solcher historisches Interesse hat, ein moderner 'I’asso, der wegen
seines abenteuerlichen Verhältnisses zur Prinzessin Charlotte Napoleon,
das ihn schliesslich zum Selbstmord trieb, als Romanfigur gut zu ver-
wenden wäre. Sein Künstlerstern ist mit dem Sturz der Davidschule
verblasst — ein neuer Beweis für die alte Lehre der Kunstgeschichte,
dass nur die Natur ewig ist, die conventioneile Malerei aber in Ver-
gessenheit geräth mit der Zeit, die sie hat entstehen sehen. »Ich
habe ein Genre suchen wollen , das man noch nicht kannte, und
dieses Genre hat gefallen. Hs ist immer ein Vortheil der erste zu
sein«; mit diesen Worten hat er selbst ebenso bescheiden wie richtig
XX. Italien und der Orient
127
Hebett: Malaria.
bezeichnet, worauf sich sein Ruf bei seinen Zeitgenossen gründete und
weshalb auch die Kunstgeschichte ihn nicht ganz vergessen darf.
Aus dem grossen Schwarm derer, die durch Roberts glänzende
Erfolge angeregt, nun die spanische Treppe in Rom zur Basis
ihrer Kunst machten, wusste besonders Victor Schnctz durch sein
»Madonnengelübde« von 1831 die Gunst des Publikums zu erringen.
Seine späteren Lieblingsthemen waren Kinderbegräbnisse, Ueber-
schwemmungen und dergleichen, zu deren sentimental melanchol-
ischem Inhalt die trockene Art seiner Malerei einen wenig angenehmen
Contrast bildet. Erst Ernest Hebert sah Italien mit den Augen des
Malers. Man möchte ihn den Perugino dieser Gruppe nennen. Er
war der romantischste unter den Schülern Delaroches, ihm verdankte
er seine coloristische Anschauung. Sein geistiger Vater war Ary
Scheffer. Jener hat die Poesie der Sentimentalität, Hebert die Poesie
der Krankheit erfunden. Seine Bilder sind stets technisch von grosser
Feinheit. Sein Stil hat etwas weiblich Graziöses, fast Weichliches, sein
Colorit etwas fein Duftiges, zart Verschwommenes. Er ist ein delicater
Künstler, der einen Platz für sich einnimmt, so manierirt die Melan-
cholie und Krankhaftigkeit seiner Gestalten sein mag. In der Malaria«
128
XX. Italien und der Orient
von 1850 war sic
durch den Stoff mo-
tivirt. Diese Barke,
die mit Männern,
Weibern undKindern
über die Gewässer der
pontinischen Sümpfe
segelt, erscheint wie
ein düsteres Symbol
der Lebensreise; die
Trauer der Dahin-
fahrenden ist die der
Ergebung, sterbend
wie welkende Blumen
neigen die Menschen
das Haupt. Aber spä-
ter wurde das Fieber
bei Hebert epide-
misch. Die interes-
sante Kränklichkeit
kehrte, auch wo sie
gar nicht hinpasste,
selbst noch in den
Bildern seiner Nachfolger wieder. Es erging den Italienmalern wie
den Touristen. Was Robert als der Erste in dem Lande gesehen,
sahen ganze Generationen nach ihm, nicht mehr noch weniger. Die
Bilder waren immer Variationen über das alte Thema, bis in den
60er Jahren Bonnat mit eigenen realistischen Augen kam.
ln Deutschland, wo sich die »Sehnsucht nach Italien ebenfalls
seit Wackenroders » Herzcnsergiessungen « in einer Unmasse lyrischer
Gedichte Luft machte, vertritt August Riedel diese Phase der modernen
Malerei, und da Leopold Robert noch berühmt ist. darf auch Riedel
nicht vergessen werden. Riedel lebte zu lange (von 1800 — 1883)
und da er in seinen letzten 30 Jahren nur noch schlechte Bilder
malte, vergass man, was er in seiner Jugend geleistet. Damals war
er der erste Apostel Leopold Roberts in Deutschland und als solcher
von bahnbrechender Bedeutung. Als er 1819 seine Laufbahn an
der Münchener Akademie begann , war dort noch Peter Langer,
der Classicist Mengs’scher Marke, Director. Auch Riedel malte
XX. Italien und der Orient
129
classicistische Histo-
rien und Kirchen-
bilder, einen Chri-
stus auf dem Oel-
berg, eine Auferweck-
ung des Lazarus, Pe-
trus und Paulus, die
den Lahmen heilen.
Doch als er 1823
nach Italien gekom-
men, machte er den
entgegengesetzten
Weg als die Andern :
das classische Land
befreite ihn vom
Classicismus und er-
schloss ihm das Auge
für die Schönheit des
Lebens. Statt Lang-
er’ scher Heiligen mal-
te er schöne Frauen
in der malerischen
Tracht des modernen
Italien. Seine neapolitanische Fischerfamilie war für Deutschland eine
ähnliche Offenbarung, wie Roberts neapolitanischer Improvisator für
Frankreich. Der Marinaro, ein wenig theatralisch drapirt, sitzt auf
der Erde, Frau und Töchterchen lauschen seinem Zitherspiel. Das
blaue Meer mit den weissen Segeln, das ferne Ischia und Cap Missenc
bilden den Hintergrund ; ein von weissen Wölkchen belebter Azur-
himmel wölbt sich darüber. Alles war von sehr conventioneller
Schönheit, doch gegenüber Robert ein Fortschritt. Es kündigte
sich schon jenes' Suchen nach glänzenden Lichtwirkungen an, das
seitdem für Riedel bezeichnend wurde und ihm eine Sonderstellung
innerhalb seiner Zeit an weist. »Selbst erfahrene Kenner, schrieb da-
mals Emil Braun aus Rom, standen rathlos vor diesen coloristischen
Zaubereien. Es dauerte oft lange, bis sie sich überzeugen konnten,
dass eine solche Farbenpracht auf dem Wege der Allen bekannten
Oelmalerei und mit denselben Stoffen hervorgebracht sei, die jeder
beim Farbenhändler käuflich erhalten kann«. Riedel berührte, ob-
Riedel: Badende Mädchen.
Muthcr, Moderne Malerei II.
9
XX. Italien und der Orient
I 30
wohl schüchtern , ein Problem, das in seinem ganzen Umfang erst
viel später aufgenommen wurde, und wenn Cornelius ihm sagte:
»Sie haben vollkommen erreicht, was ich mein Leben lang mit
grösster Anstrengung vermieden habe« , so sind Riedels sonnen-
lichtumsponnene Italienerinnen trotz ihres stereotypen Sichel’schen
Lächelns doch galeriefähiger als die Bilder des Münchener Michel-
angelo geblieben. Vor seiner »Neapolitanischen Fischerfamilic«, die
wie eine Melodie aus Aubers »Stumme von Portici die Runde durch
die Welt machte, vor seiner Judith, die im hellsten Morgenlicht das
Haupt des Holofernes trägt, vor seinen Badenden Mädchen im Waldes-
dunkel und vor seiner »mit raffinirten Lichteffekten« gemalten Sakun-
tala schmollten, grollten und zeterten die Cartonmaler über Ent-
weihung der deutschen Kunst in denselben hohen Tonlagen, als
Riedels Freunde dessen Farbenhexereien, den »südlichen Sonnenglanz,
den er auf die Palette genommen unbegreiflich herrlich fanden.
Heute wird es auch bei ihm schwer, seinen einstigen Ruhm als
»coloristischer Feuerwerker« zu verstehen. Immerhin sichern ihm
seine lange vor dem Auftreten der Belgier in Deutschland selbständig
gewonnenen coloristischen Resultate eine feste Stelle in der Ge-
schichte der deutschen Kunst und vererbten sich unvermerkt auf seine
Nachfolger, ohne dass sie ferner des Bahnbrechers und Urhebers
gedachten.
Diesen Italienern stehen als zweite Gruppe der Reisenden die
gegenüber, die den Orient mit seiner klaren Lichtfülle, seinen inter-
essanten Menschen und malerischen Ocrtlichkciten schilderten. Schon
Gros hatte der französischen Kunst den Ausblick in das ferne
Wunderreich eröffnet, aber keine direkten Nachfolger gefunden. Die
Maler waren noch zu sehr in classicistischen Neigungen befangen,
als dass Napoleons ägyptische Expedition ihnen Anregungen hätte
geben können. Erst die Reisen Chateaubriands und die Verse Byrons,
dann der griechische Befreiungskampf und besonders die Eroberung
Algiers lenkten von Neuem das Interesse auf diese Gegenden und
wiesen nun, nachdem die Revolution der Romantiker vorausgegangen,
der Kunst in das Morgenland den Weg. Buchdrucker, Journalisten
und Maler befanden sich bei der Armee. Der erste Anblick der
Männer und Frauen am Strande in ihren prächtigen Trachten, mit
hohen Filzhüten oder Turbans, mit schwarzen Sklaven, auf kost-
bar gesattelten Pferden, bei Trommelwirbel und Muezzinrufen von
den Minarets, wirkte wie ein Schauspiel aus Tausend und Eine
XX. Italien und der Orient
I 31
Nacht«. Man besuchte die Bazare,
die Harems, die Kasernen der Jani-
tscharen und die dunkeln Kerker.
Man sah die verschleierten Frauen
und die geheimnissvoll schweig-
samen Häuser. Die Mauren, durch
die strengen Vorschriften des Ko-
ran gebunden, flohen Anfangs vor
den Malern, wie vor bösen Geistern,
aber die maurischen Frauen öffneten
den Siegern um so freudiger die
Arme. Die Künstler stürzten sich
voll Begeisterung in die neue Welt,
wuschen sich mit Rosenöl und kosteten die Süssigkeit des horizontalen
Lebens in allen seinen Consequcnzcn. Der Orient wurde für die byron-
ischen Geister von 1830, was Italien für den Classicismus gewesen.
Was Hess sich Romantischeres denken! Man stieg in ein Dampfschiff
mit allem modernen Comfort, mit allen Mechanismen des 19. Jahr-
hunderts, fuhr durch den Golf der Jahrtausende und setzte seinen Fuss
auf ein Erdreich, wo es das Wort Fortschritt nicht gab, in ein Land,
dessen Einwohner wie festgenagelt noch in denselben Costiimen in
der Sonne sassen, wo ihre Vorfahren vor 2000 Jahren gesessen.
Hier fanden die Romantiker nicht nur eine farbenprangende Natur,
die ihrer coloristischen Begierde entgegenkam, sie entdeckten auch
einen Menschenschlag von derselben Schönheit, die nach der Lehre
der Classicisten nur noch der italienische Bauer besass. Sie sahen
»Menschen von angeborener Würde und merkwürdigem Adel in
Stellungen und Gesten«. Damit war ein weiteres Stück Leben ge-
wonnen. Und der Orient, wo Pracht und Einfachheit, Schönheit
und Grausamkeit, sanfte Stimmung und wilder Ernst, glänzende
Farbe und blendendes Licht inniger als irgendwo sich mengen, wo
aus Schmutz und Elend der Reichthum an Ton, aus verkommenen
Sitten der Glanz früherer Tage, aus verfallenden Dörfern versunkene
Künstlerherrlichkeit lacht, er war so gross, so unergründlich und
märchenhaft, dass er Jedem Gelegenheit gab, andere Eigenschaften
in ihm zu entdecken.
Für Delacroix, den Byron der Malerei, war er eine prächtige
Dccoration für die Leidenschaft in ihrer Rücksichtslosigkeit und unge-
fesselten Wildheit. Er, der bisher ausschliesslich in der Vergangen-
/
Alexandre Decamps.
1 32
XX. Italien und der Orient
De camps: Die Schweinehirlin.
heit gelebt, ging nun — in seinen »Frauen von Algier«, seiner
»jüdischen Hochzeit«, dem »Kaiser von Marokko« und den »Con-
vulsionären von Tanger« — dazu über, seine Beobachtungen an
lebenden Menschen zu machen. Auch bei diesen Orientalen fand
er die heisslodernde Sinnlichkeit und urwüchsige Wildheit, die seiner
nach Pathos lechzenden Phantasie vorschwebte.
Decamps, der grosse Charmeur, der Meister der malerischen
Caprice, fand im Orient seine Welt, weil hier die Sonnenstrahlen
so leuchtend, die Figuren so malerisch, die Costümc so bunt sind.
War Delacroix ein gewaltiger Künstler, so war Decamps nur Maler,
ein Maler aber bis in die Fingerspitzen. Nichts war ihm gleichgültig
in der Natur und Geschichte : er begeisterte sich ebenso an zwei
braunen Betteljungen, die an der Ecke einer Mauer im Sonnenschein
spielten, wie an antiken Epen und den Gestalten der Bibel. Er hat
auf dem Mist pickende Hühner gemalt, Hunde auf der Jagd und
Hunde im Stall, Affen als Gelehrte und Affen als Musiker in allen
Situationen, die "Feniers und Chardin liebten. Seine Schlacht von
Taillebourg von 1837 ist treffend das einzige Schlachtenbild des
Versailler Museums genannt worden. Alles war ihm Stoff für ein
Bild, nie kümmerte er sich darum, wie ein anderer Künstler den
Gegenstand würde aufgefasst haben. Aus jedem seiner Werke spricht
eine Individualität, nicht ersten Ranges, aber sehr liebenswürdig, und
das weist ihm unter seinen Zeitgenossen eine sehr hohe Stellung an.
XX. Italien und der Orient
1 33
Decamps: Die Schule ist aus.
Nachdem er 1829 mit einem Phantasiebild aus dem Orient Er-
folg gehabt, wollte er sich überzeugen, inwieweit die Wirklichkeit
seinem Phantasietürkenthum entspreche und unternahm noch in dem-
selben Jahr — also vor Delacroix — jene Reise nach dem griech-
ischen Archipel, nach Constantinopel und Kleinasien, die für die fran-
zösische Malerei eine Entdeckungsfahrt wurde. Der Salon von 1831
brachte seine »Runde von Smyrna«, die ihn mit einem Schlag zu
einem Lieblingsmaler des damaligen Frankreich machte. Bald darauf
folgte der Rundritt des Pascha mit den magern, keuchenden, rennen-
den Trabanten, der grosse türkische Bazar, auf dem er das bunte,
lärmende Treiben eines orientalischen Marktes so hübsch schilderte,
das türkische Kaffeehaus, der Halt arabischer Reiter, die türkische
Schule, der türkische Fleischerladen. In allem, was er seitdem schuf,
auch in seinen biblischen Bildern , hatte er den modernen Orient
vor Augen. Wie Horacc Vernet malte er die Figuren im Costüm
moderner Araber und Egypter und stellte sie in Landschaften mit
modernen arabischen Bauten. Aber aus den grossen Linien dieser
Landschaften spricht zugleich etwas so Biblisches, Patriarchalisches,
eine so träumerisch mystische Poesie , dass die Gestalten trotz des
134
XX. Italien' und der Orient
Marilbat: Ruinen der Moschee von Kairo.
modernen Gewandes wie Visionen aus weiter Ferne erscheinen.
Decamps’ Malerei wurde nie trivial. Alle seine Bilder schmeicheln
und nehmen das Auge ein, so sehr sie auf den ersten Blick die Er-
wartung täuschen, welche ältere Beschreibungen erweckten. Dela-
croix, sagte man vor 50 Jahren, malt mit Farbe, Decamps mit Licht,
man ist bei ihm wie in einem Sonnenbad. Diese Transparenz der
Atmosphäre, das Vibriren des Lichts, das die Zeitgenossen bewunder-
ten, sucht man an Decamps’ Bildern vergeblich. Man bewundert die
Bravour der Mache, aber ein Lichtmaler war er nicht. Die Welt
des Sonnenscheins, in den alles getaucht ist, das Schimmern und
Glühen der Dinge in flüssiger, glänzender, zitternder Luft lernte
erst ein Menschenalter später Gustave Guillaumet malen, Decamps er-
reichte die Lichtwirkung seiner Bilder noch im Sinne der alten
Schule durch Verdunkeln der Schatten. Damit der Himmel hell
erscheine, hüllte er den Vordergrund in undurchsichtige Schwere,
und da in Folge des Bolusgrundes, den er zur Erzielung seiner
schönen rothen Töne anwendete, die dunkeln Partien seiner Bilder
allmählig pechschwarz, die hellen fleckig und todt wurden, will
er weit mehr als Zeitgenosse Albert Cuyps wie als solcher Manets
erscheinen.
XX. Italien und der Orient
HS
Marilliat, der dritte der
Orientalisten, war als Zeichner
eines deutschen Barons, der eine
wissenschaftliche Reise nach dem
Orient machte , früh in diese
Laufbahn gekommen. Er besuchte
Griechenland, Kleinasien, Aegypten
und kehrte berauscht von all den
Schönheiten dieser Länder 1833
nach Paris zurück. Aegypten be-
sonders lag ihm am Herzen , so
dass er sich in seinen Bildern
»der Aegypter Marilhat« nannte.
Decamps ward in der oriental-
ischen Natur von dem scharfen
Contrast der Lichter und Schatten,
von der gewaltsamen Farbenpracht der Vegetation und der tropischen
Gluth des südlichen Himmels geblendet. Marilhat sah das Neue mit
ruhigerem Auge und näherte sich der schlichten Wirklichkeit. Er
ist weniger virtuos, weniger kühn coloristisch als Decamps, aber
vielleicht poetischer, und wurde deshalb in den Jahren 1833— 44 fast
mehr als jener geschätzt. Die Ausstellung von 1844, auf der er mit
acht Bildern erschien, bedeutete zugleich das Ende seiner Laufbahn.
Er hatte das Kreuz der Ehrenlegion erhofft und bekam es nicht, was
den ehrgeizigen Mann erst zur Melancholie, dann zum Wahnsinn
führte. Sein früher Tod — er starb im Alter von 36 Jahren
befreite Decamps von einem tüchtigen Rivalen.
Auf Marilhats Wege ging Eugene Fromentin weiter. Bei ihm ist
von der Vorliebe für die glühenden Farben der Tropen und von
dem phantastischen Colorit der Romantiker gar nichts mehr übrig.
Er malte im Geist einer verfeinerten gesellschaftlichen Periode, in
der man kein lautes Schreien , nur noch leichte Causerien vertrug.
Seine Eleganz gab ihm der Orient ; die stolze und feurige Natur des
arabischen Pferdes enthüllte sich ihm. Fromentin sieht in seinen
Porträts wie ein Cavallerieoffizier aus. Juristische Studien hatten
ihn in seiner Jugend beschäftigt, bevor ihm der Verkehr mit dem
Landschafter Cabat seinen Beruf entdeckte und ein dreimaliger Auf-
enthalt an den Grenzen Marokkos 1845, 1848 und 1852 seine
Specialität bestimmte. Durch die in der Revue des deux inondes
Eugene Fromentin.
XX. Italien und der Orient
erschienenen Reiseschilder-
ungen »Ein Jahr in Sahel«,
wurde er als Schriftsteller,
erst später — seit 1857 — als
Maler bekannt. Fromentins
Orient ist Algier. Während
Marilhat die wunderbare
Klarheit des südlichen Lich-
tes zu fassen suchte, Decamps
die glühende Hitze des Mor-
genlandes, das finstere Brü-
ten seines Himmels in den
schwülen Stunden des Som-
mers und die grandiosen Sil-
houetten seiner Landschaft
schilderte, hat L'romentin
mit vielleicht zu viel System
die Grazie und den Esprit
des Orients gesucht. Ge-
schmack, Feinheit, distin-
guirtes Colorit , geschmei-
dige, elegante Zeichnung sind seine Eigenschaften. Seine galoppir-
enden Araber auf ihren schönen Schimmeln sind von unnachahm-
licher Noblesse, wahre Fürsten in jeder Bewegung und Stellung.
Dabei ist die Ausführung seiner Bilder stets geistreich, leicht und
chevaleresk. Was er gibt, wirkt nervös wie eine Skizze und hat
doch jenen Grad der Vollendung, die den Amateur befriedigt. Immer
sieht man ein kokettes Farbenbouquet und feine, leichte, wenn auch
nicht tiefe Töne. Seine kleinen arabischen Reiter wirken in der
Landschaft wie Blumen auf einem Teppich.
Fromentin wurde wegen dieser Koketterie später, als der Natural-
ismus im Zenith stand, sehr angegriffen. Man warf ihm vor, dass er
nur die Augen kitzle, dass man Alles bei ihm, nur keine Wahrheit
finde. Und an Wahrheitsgehalt ist Fromentins Orient gewiss nicht
sehr ernst zu nehmen. Ein feingebildeter Mann, hatte er schon in
seiner Jugend weniger die Natur als die alten Holländer studirt und
sah auch das Licht des Orients in holländischem Helldunkel. Seine
Bilder, raffinirte Kunststücke von nervöser Zeichnung und blendender,
geistreicher Mache, sind mehr hingewischt als gemalt, mehr gefärbt
136
Fromentin: Falkenbeize in ^Algier.
XX. Italien und der Orient
als farbig. Er selbst spricht
in seinem Buch von den
grauen, kühlen Schatten des
Orients. In seinen Bildern
werden sie zu röthlichen
oder braunen. Ein Suchen
nach dem schönen Ton ver-
weichlichte vielfach seine
arabischen Scenen. Er be-
trachtete die Menschen des
Orients mit zu pariserischen
Augen. Je mehr seine Reise-
erinnerungen verblassten,
um so mehr begann er, sich
eine Art Phantasieafrika zu
schaffen. Er malte graue
Himmel, nur weil er der
blauen müde, malte Schim-
mel mit rosa, Füchse mit
lila, Apfelschimmel mit vio-
letten Reflexen. Es kam
immer mehr gesuchte Gra-
zie in seine Werke, bis
sie schliesslich statt orientalischen Bildern Pariser Galanteriewaaren
glichen, die nur daran erinnerten, dass Algier eine französische Stadt
geworden.
Aber was liegt daran, ob Bilder aus dem Orient authentisch
sind; solche Documente können Andere liefern, die nicht Eromentin
heissen. Fromentin hat in seinen Werken sich selbst gegeben, das
ist genügend. Man nehme sein erstes Buch »L'ete dans la Sahara«
zur Hand — es behauptet an Eleganz des Stils einen Platz in der
französischen Literatur. Man lese sein classisches Hauptwerk »Les
maitres d’autrefois«, das er 1876 nach einer Reise durch Belgien und
Holland veröffentlichte — es wird immer eines der feinsten, je über
Kunst geschriebenen Bücher bleiben. Ein so feinsinniger Amateur,
ein Kritiker, der sich mit solcher Delicatesse in die Kunstwerke Belgiens
und Hollands versenkte, wurde nothwendig auch in seiner Malerei ein
Gourmd schöner Töne. Dieser Mann, der nie eine plumpe Bewegung
gemacht oder ein brutales Wort gesprochen, dieser sensitive, vornehme
07
Fromentin: Kämpfende Araber.
XX. Italien und der Orient
Geist konnte auch als
Maler, wollte er wahr
sein, nur ein raffinir-
ter Künstler werden,
in dessen Auge sich
allein das Aristokra-
tische des Orients
spiegelte. Seine aus
Grazie und Vornehm-
heit zusammengesetz-
te Kunst war das Pro-
dukt seiner selbst. Kr
ist ein Nachkomme
jener zart weiblichen,
verführerisch geistrei-
chen, leicht improvi-
sirenden, reizend witz-
igen Maler, die im 18.
Jahrhundert peintres
des fetes galantes ge-
nannt wurden. Er ist
der Watteau des Orients und in dieser Eigenart eine der bestrick-
endsten, liebenswürdigsten Erscheinungen der französischen Kunst.
Guillaumet endlich, der jüngste und letzte der Gruppe, fand im
Orient die Ruhe: ein Ausläufer der Romantiker und zugleich ihr
Antipode. Während jene als Söhne einer schlaffen, thatlosen Zeit
sich an der Leidenschaft und Wildheit des Orients begeisterten,
suchte Guillaumet als Kind einer hastenden, nervös schaffenden
Epoche hier Beruhigung für seine Nerven. Wo jene Contraste sahen,
fand er die Harmonie, nicht mehr wie Fromentin im Sinne des
Chicismus: die Earbenanschauung Manets hatte ihm gelehrt, dass
die Natur selbst überall stimmt und harmonisch fein ist. »Je com-
menee ä distinguer quelques formes; des silhouettes indecises bougent
le long des murs enfumes sous des poutres luisantes de sui. Les
details sortent du demi jour, s’animent graduellement avec la magie
des Rembrandt. Meine mystere des ombres, meines ors dans les
reflets — c’est l’aube . . . Des terrains poudreux inondes de soleil; un
amoncellement de murailles grises sous un ciel sans nuage; une
eite somnolente baign£e d’une lumiere egale, et, dans le fnhnisscment
XX. Italien und der Orient
139
Fromentin: ^Arabisches Lager.
visible des atomes aeriens quelques ombres venant ca et la detacher
une forme, accuser un geste parmi les groupes en burnous qui
se meuvent sur les places . . . tel m’apparait le ksar, vers dix heures
du matin ....
»L’oeil interroge: rien ne bouge. L’oreille ecoute: aucun bruit.
Pas un souffle, si ce n’est le fremissement presque imperceptible de
l’air au dessus du sol embrase. La vie semble avoir disparu, absorbee
par la lumiere. C’est le milieu du jour . . . Mais le soir approche . . .
Les troupeaux rentrent dans les douars; ils se pressent autour des
tentes, ä peinc visibles, confondus sous cette teinte neutre du cre-
puscule, faite avec les gris de la nuit qui vient et les violets tendres
du soir qui s'en va. C’est l’heure mysterieuse, oü les couleurs se
melent , oü les conturs se noient, oü toute chose s’assombrit, oü
toute voix se tait, oü l’homme, ä la fln du jour, laisse flotter sa
pens6e devant ce qui s’eteint, s’efface et s’evanouit«. Diese Be-
schreibung eines Tages in Algier in Guillaumets »Tableaux algeriens«
erklärt den Maler Guillaumet besser, als kritische Würdigung es
könnte. Bei ihm ist der Orient das Land des Traumes und der
Weichheit, eine weltentrückte Villegiatur für Nervenkranke, wo
I-jO
XX. Italien und der Orient
man behaglich in der
Sonne liegt und die
Aufregungen von Pa-
ris vergisst. Nicht das
Glänzende, Malerische
funkelnder Geschmei-
de und bunter Costiime
— das Schweigen, die
hypnotische Narkose
des Orients zog ihn
an, die Weite des un-
endlichen Horizonts,
die imposante Majestät
der Wüste und gran-
diose tiefe Ruhe der
afrikanischen Nächte.
»Abendgebet in der Wüste« nannte sich das erste Bild, das er
1863 mitbrachte. Eine weite, unendliche Ebene. — Die gerade
Linie des Horizontes nur unterbrochen von den Silhouetten einiger
Berge und den Angehörigen einer Carawane, deren betend hin-
gekauerte Gestalten sich kaum merklich über den Boden erheben.
Wie eine Säule steigt der Rauch vom Lagerplatz in die Luft. Man
fühlt, dass die Monotonie des Ortes sich nach rechts und links in s
Unendliche ausdehnt, ein grossartig ernstes, den menschlichen Geist
mit religiöser Betäubung schlagendes Nirwana. Für Decamps und
Marilhat war der Orient ein grosser, rother Kupferblock unter blauer
Stahlkuppel, ein schönes Ungeheuer, etwas glitzernd Glänzendes.
Guillaumet will nicht mehr blenden. Seine Bilder geben den Eindruck
einer grossen, drückenden Schwüle. Das Licht ist wirklich bei ihm
»le fremissement visible des atomes aeriens«. Auch nicht mehr wie
Fromentin das Vornehme des Orients sah er. Jenen fesselte der No-
made, der Racearaber, der im Zelt und auf dem Pferde lebt, auf weissem
Zelter in schönen, blauen und grünen Landschaften Löwen jagt — der
Adel der Wüste. Arme Leute, die nie ein Pferd besessen haben, sind
Guillaumets Modelle. Mit ihren Hunden, wildlebenden, bedürfnisslosen
Thieren kauern sie wie mit Verwandten in der Sonne — die niedere,
primitive Bevölkerung, die Parias der Wüste: zerlumpte Männer, deren
lebenslange Siesta nur der Todeskampf unterbricht, animalische Weiber,
deren Dasein unnütz, wie im Opiumrausch hinfliesst.
Guillaumet : Wohnung in der Sahara.
XX. Italien und der Orient
I4I
Guillaumel: Orientalische Strasse.
Nachdem die französischen Romantiker vorausgegangen, stellten
dann auch die andern Nationen ihr Contingent zu den Orientmalern.
Auch in Deutschland hatte die Poesie den Osten entdeckt. Rückert
bewegte sich in dem Strophen - und Gedankenmaass orientalischer
Lyrik, und der Freiheitskrieg der Griechen erregte die ganze leiden-
schaftliche Liebe, welche in der Seele des Deutschen für den Boden
des alten Hellas wohnt. Wilhelm Müller sang seine Griechenlieder,
Leopold Schefer liess 1825 seine Novelle »die Persierin« erscheinen.
Aber wie die orientalische Novelle in unserer Literatur eine Epi-
sode blieb, ein fremdes Reis am deutschen Stamm, so sah auch die
Orientmalerei hier keinen führenden Geist erstehen , nur eine An-
zahl guter Soldaten, die mit Pflichteifer in den Schaaren der fremden
Heerführer dienten. Mit ethnographischen Schilderungen eröffnete
der Berliner Kretzschmer den Reigen, dem später der Berliner Wilhelm
Gentz und der Frankfurter Adolf Schreyer sich anschlossen. Gentz,
ein sehr geschickter Maler und coloristisch vielleicht der Begabteste
unter den Berlinern der 60er Jahre, erscheint gegenüber den grossen
Orientschilderern Frankreichs doch als recht trockener Realist, der
eine gewisse Derbknochigkeit und unruhige Buntheit, norddeutsche
I42
XX. Italien und der Orient
Nüchternheit und Berliner Witz in den Orient hineintrug. Schreyer,
noch heute in Paris lebend, gehört in Fromentins Nähe. Auch ihn
interessirte der Araber und sein Pferd. Alles spitzt sich in seinen
Bildern zu einem blühenden, das Auge bestechenden Farbenbouquet
zu. Weisse Pferde bäumen sich, sträuben die Mähne, blähen die
Nüstern, Araber in reicher, malerischer Tracht sitzen darauf oder
liegen am Boden. Rings breitet sich in wogenden Sandwellen die
Wüste aus, bald von einem bleichen Horizont umwölkt, bald von
weicher Abendsonne bestrichen, deren Strahlen golden auf den Furchen
der Erde spielen. Schreyer ist — für einen Deutschen — ein ausser-
ordentlicher Techniker und namentlich in seinen Skizzen von packen-
dem, sprühendem Leben. Erst später — nachdem er 1875 mit Lenbach
und Makart in Kairo gewesen — fand der Wiener Leopold Müller unter
dem lichten Himmel, in der farbigen Welt des Nillandes die Domäne
seiner Kunst. Auch seine Skizzen sind oft von coloristischer Deli-
catesse, und die ethnographische Genauigkeit, die er damit verband,
hat ihn lange Zeit zum gesuchtesten Schilderer orientalischen Lebens
und zu einem beliebten Illustrator ägyptologischer Werke gemacht.
Mit Geröme theilt er das Lehrhafte, ein wenig Pedantische seiner Bilder,
während er sich durch grösseren farbigen Reiz mehr Fromentin nähert.
Den Engländern wurde durch die farbenglühenden Landschaften
William Müllers der Weg in den Orient gewiesen, doch fand sich unter
den Malern ebenfalls kein Bvron. Frederick GoQdall studirte dort
das classische Element und suchte aus der Gegenwart die Vergangen-
heit zu reconstruiren. Am bekanntesten wurde der 1876 verstorbene,
früher vielbesprochene J. F. Lewis, der lange Jahre Kleinasien durch-
wandert und dort seine Mappen mit Skizzen, seine Koffer mit oriental-
ischen Gewändern und Waffen gefüllt hatte. Als er zurückkam, riss
man sich um seine Bilder, die damals den Engländern eine neue Welt
erschlossen, — heute thut man es nicht mehr. John Lewis war sehr
Heissig und gewissenhaft; er studirte die Geräthe, Costüme und Yolks-
typen des Orients mit unglaublichem Fleiss. In seinen Harembildern
wie in seinen Darstellungen des arabischen Lagerlebens ist Alles ge-
malt bis auf die Muster der Stickereien, die Ornamente der Turbans
und die Kiesel des Sandes. Selbst seine Aquarelle sind Triumphe der
Ausdauer — nur genügen Geduld und Ausdauer nicht, einen inter-
essanten Künstler zu machen. John Lewis steht, auch in colorist-
ischer Hinsicht, etwa auf dem Niveau von Gentz. Er hat weder
die Würde des Muselmannes, noch die Grazie des Beduinen erfasst.
XX. Italien und der Orient
*43
sondern ist bei der treuen , ein wenig schreienden Wiedergabe der
Nebendinge geblieben. Erst Houghton, etwa mit Guillaumet parallel
gehend, hat die grosse Ruhe, das mystische Schweigen des Orients
zart interpretirt.
Von Italienern ist Alberto Pasini zu nennen, der, obwohl in
Verdis Heimathsort Busseto bei Parma geboren, sich als Künstler voll-
ständig der Gruppe der französischen Orientalisten anschliesst. 1852
nach Paris gekommen , ist er dort geblieben und verlässt es nur,
wenn er im Sommer das hübsche Landhaus in Moncalieri bezieht,
das ihm sein Pinsel in der Nähe von Turin erworben. Pasini ist
heute ein Veteran der italienischen Malerei, den schon die Welt-
ausstellung 1867 zum Inhaber der grossen Medaille machte. Er ist
ein Stern des Kunsthandels, aber hat sich nie vom Erfolg blenden
lassen, ist stets frisch mitgegangen. Man hat ihn oft mit Fromentin
verglichen, doch steht er auch diesem selbständig gegenüber. Algier,
die französische Colonie, die Heimath Fromentins, ist seine Sache
nicht. Auch nicht Aegypten, das er Geröme und dessen Nachahmern
überlässt. Die europäische Türkei und Kleinasien sind seine Domäne.
Und er ist in diesen türkischen Bildern weniger Ethnograph als
Geröme, auch kein so eleganter Figurenmaler wie Fromentin. Die
Landschaft gibt den Grundton seiner Bilder. Aus weissen Marmor-
palästen, die sich schimmernd in der Sonne baden, aus den prunk-
vollen Sätteln arabischer Pferde, den eingelegten Waffen und edelstein-
geschmückten Turbanen der Orientalen, aus den Silhouetten weiter
Moscheen und spitzer Minarets, die breit hingelagert die fleckenlose
Reinheit des Horizonts umsäumen oder sich kokett zum blauen
Himmel emporstrecken, aus wandernden Carawanen, die in der Ferne
über gelbe Sandwüsten langsam dahinziehen, arrangirt er seine exqui-
siten, eleganten Bilder. Die kleinen Figürchen, mit denen er sie staffirt,
sind sehr niedlich, doch seine Hauptsorge ist das Studium der zarten,
transparenten Luft, der subtilen Veränderungen des Lichtes. Nament-
lich in seinen Aquarellen bindet er oft flimmernd feine Farbenbouquets
zusammen. Eine Reihe von Ansichten aus Konstantinopel enthält
wohl das Gapriciöseste, was sein geistreicher Pinsel geschaffen.
Auch der Orient war somit nach allen Richtungen durchkreuzt.
Die Erstgekommenen, die ihn mit fieberhaft erregten Augen sahen,
hatten gigantische Legenden da gesammelt, Träume aufgehäuft, ihm
ein grossartig phantastisches Leben verliehen. Sonnenbeglänzte Wüsten
und sturmgepeitschte Wogen, nackte Weiberkörper und alle asiatische
144
XX. Italien und der Orient
Pracht des Ostens: dunkelrother Atlas, Gold, Crystall und Marmor
wurden durcheinander geworfen und in schrecklichen Farbenvisionen
mitten unter Finsterniss und Blitzen vorgeführt. Nachdem diese
Generation wie ein Gewittersturm vorübergegangen, fand man den
Chicismus Fromentins köstlich. Er genoss das, was die andern er-
regt hatte. Die Maler aller Nationen durchstreiften den Orient, ohne
Zweck und Ziel, ohne wilde Leidenschaft, bereit, überall exotische
Blumen zu pflücken und kokett ein paar Strahlen vom unbestimmten
Flimmer der östlichen Welt zu erhaschen. Die grossen Dramen ver-
wandelten sich in Elegien, in Schäfergedichte, Idyllen, auch trocken
ethnographische Schilderungen gingen nebenher. Guillaumet voll-
endete das Zeitalter. Seine träumerisch zarte Malerei glich den
schönen Sommerabenden. Der Glanz des blendenden Himmelsdomes
hat sich gemildert, und eine ruhige Sonne am Horizont hüllt die
Sandflächen, die sie Anfangs mit ihrer Gluth versengte, harmonisch
in ein Netz rosiger Strahlen ein.
Ausläufer des Romantismus waren sie Alle. Der Drang in die
Ferne, der die Gemüther erfüllte, war nur ein anderes Symptom
ihrer Unzufriedenheit mit der Gegenwart.
Nachdem der Classicismus mit Hülfe der antiken Statuen die
griechisch-römische Geschichte und das italienische Bauernleben be-
handelt, der Romantismus mit den Farben der Ylaamcn das bunte
Mittelalter und den farbigen Orient angebahnt, beide aber von der
heimathlichen Umgebung, den politischen und socialen Verhältnissen
der Zeitgenossen sich ängstlich ferngehalten, musste der nächste
Schritt der Kunst dahin gehen, das bisher im Aether Roms oder in
der Sonne des Orients schwebende Ideal resolut zur heimischen Erde
herniederzuziehen. Ah la vic, la viel le monde est lä, il rit, crie,
souffre, s’amuse et on ne le rend pas, mit diesen Worten hat
Fromentin selbst die Nothwendigkeit des Schrittes gekennzeichnet.
Die glückliche Entbindung der modernen Kunst war erst erfolgt, das
durch 1789 gestellte Problem erst dann gelöst, wenn die umstürzende
Erhebung des dritten Standes, die sich seit der Revolution immer ge-
bieterischer vollzogen hatte, auch in der Malerei ihren klaren Ausdruck
fand. Die Kunst geht immer parallel mit den religiösen Anschau-
ungen, der Politik, den Sitten. Im Mittelalter lebten die Menschen
im Jenseits, darum waren die Gegenstände der Malerei Madonnen
und Heilige. Ludwig XIY. sagte: Alles kommt vom König wie das
Licht von der Sonne, darum spiegelt sich auch in der Kunst seiner
XX. Italien und der Orient
MS
Epoche das Königthum von Gottes Gnaden. Seit der Revolution hatte
der Plebejer die Sonne des grossen Königs ergriffen, und unter dieser
mächtigen Culturwandlung musste eine neue Umbildung der Kunst
sich vollziehen. Auf das 1789 der Politik musste das 1789 der Malerei
folgen, die Proclamation der Freiheit und Gleichheit aller Individuen.
Erst eine Malerei, die keine bevorrechtete Glasse von Göttern und
Helden, Italienern und Orientalen mehr kannte, sondern den frei-
gewordenen Menschen selbst, den tiers etat als würdigen Gegenstand
der Kunst ausrief, konnte das eigentliche Kind der Revolution, die
Kunst der neuen Zeit sein. Belgien und Deutschland machten auf
diesem Wege die ersten schüchternen Schritte.
©K©
Mmher, Moderne Malerei II.
IO
XXL
Das humoristische Anekdotenbild.
UR selben Zeit, als den französischen Romantikern sich der
Orient öffnete, entdeckten die deutschen und belgischen Maler
den Landmann. Die Romantik, die der Ekel vor der unrühm-
lichen, farblosen, thatschlaffen Zeit bisher in das Tropische und Exot-
ische getrieben, fasste festen Fuss in der Heimat. Auch bei den
Bauern fand man eine stehengebliebene Vergangenheit, die feste Lebens-
gewohnheit und malerische Kleidung bewahrte.
Dem Amateur ist es schwer, zu diesen ältesten Bauernbildern
in ein anregendes Yerhältniss zu treten. Ihre Farbe ist dem sen-
siblen Auge ebenso unangenehm wie dem Ohr Musik auf ver-
stimmtem Clavier. Sie sind geleckt und bunt im Ton, blechern in
ihrer Glätte, die Figuren stehen hart in der Luft wie aus Bilder-
bogen geschnitten. Doch der Historiker darf nicht nur Amateur
sein. Fr wäre ungerecht, wollte er zur Abschätzung der Vergangen-
heit die Anschauung der Gegenwart zum ausschliesslichen Massstab
nehmen. Auch an dem, was mit ihm gleichzeitig war, ist das Ver-
gangene zu messen, und sobald man sich erinnert, welche Bedeutung
diese bescheidenen Kleinmeister für ihre Zeit hatten, ist es nicht
schwer, ihnen kunstgeschichtlich gerecht zu werden. In einer Epoche,
da auf dem Gebiete der »grossen Malerei« nur unzulängliches, plan-
loses Wollen auf dem theoretisch bereiteten Boden der Nachahmung
herrschte, blüht hier zum ersten Mal geistige Eigenart. Während
Cornelius, Kaulbach und ihre Genossen aus dem, was zur Zeit für
das Vollkommene galt, einen convcntionell-idcalen Stil zogen, die
Kunst der grossen Meister in einen Auszug und auf Anweisungen
brachten, griffen diese Genremaler zum ersten Mal wieder in das
unendlich Mannigfaltige der Natur und machten nach einer langen
Periode rein reproductiver Malerei den ersten schüchternen Yorstoss,
die Kunst aus dem Banne des Schemas, vom leblosen Nachbeten
alter Formen zu befreien.
XXI. Das humoristische Axekdotenbild
147
Selbst coloristisch haben sie den Ruhm, erstmals wieder eine
Restauration der Maltechnik angebahnt zu haben. Ihre technische
Mangelhaftigkeit war nicht ihre Schuld, sondern die Folge jenes
verhängnisvollen Eingriffes von Winckelmann, durch den die neuere
Kunst die technischen Traditionen verlor. Als sie auftraten, genossen
sie nicht die Vorzüge, die mit der Entwicklung aus langer Ahnenreihe
verknüpft sind. Sie mussten gewissermassen die Kunstgeschichte bei
sich selbst anfangen, trafen zwischen sich und der älteren deutschen
Malerei nur Männer an, die das Malenkönnen für eine Schande hielten.
Es handelte sich darum, an der Hand der alten Niederländer das Band
wieder zu knüpfen, das jene durchschnitten hatten, und schon dieser
Hinweis auf die Niederländer war in Anbetracht der ästhetischen
Anschauungen der Epoche eine That von revolutionärer Bedeutung.
Theils mag dabei der Einfluss Wilkies mitgewirkt haben, der 1825
seine Reise durch Deutschland machte und dessen Bilder durch
den Kupferstich weite Verbreitung fanden. Anderntheils ward durch
Schnaases Niederländische Briefe 1834 die Aufmerksamkeit auf die
alten Holländer gelenkt. Während die ganze von Winckelmann aus-
gegangene kunsthistorische Schule in leerem formalen Idealismus nur
das classische Alterthum und das Cinquecento zu würdigen wusste
und deren Massstab auf alle andern Perioden übertrug, regte Schnaasc
zum ersten Mal die geschichtliche Kunstbetrachtung an und erschloss
damit auch dem modernen Schaffen weite bisher unbeachtete Gebiete.
Die Folge seines Buches war, dass seitdem die Niederländer nicht mehr
als »Affen der gemeinen Natur«, sondern als sehr feine Künstler
galten, an denen der moderne Maler viel lernen könne.
In München waren die Vorbedingungen für eine volksthiimliche
Kunst schon durch die Lage der Stadt gegeben. München war im
Beginne des Jahrhunderts der durchaus eigenartige Typus einer Bauern-
metropole, die Hauptstadt eines Bauernstaates, und dieses Bauernthum
strotzte von alterthümlicher Eigenart, buntem Wesen in Lebenweise
und Tracht, von behaglich lebensfroher Gutmüthigkeit und bajuwar-
ischer Urkraft. Hier hat sich daher die »Einkehr in’s Volksthum <
am frühesten vollzogen , und wenn die Bauernmalerei in der Folge
mancherlei Auswüchse zeitigte, so blieb sie doch während des ganzen .
Jahrhunderts auch die starke Quelle, aus der die Münchener Kunst
immer wieder frische Lebenskraft holte.
Schon in den 20er Jahren gab es in München eine boden-
wüchsige Kunst , die durch die Treibhauspflanze Cornelianischer
10*
14B
XXI. Das humoristische Anekdotexbild
Malerei zwar eine zeit-
lang in ihrer Weiter-
entwicklunggehemmt
wurde, später aber um
so kräftiger empor-
schoss. Sie war von
der tonangebenden Hi-
storienmalerei so ver-
schieden , wie die
magots« des Teniers
von den mytholog-
ischen Maschinen Le-
bruns und wurde von
der officiellen Welt
auch mit gleicher Ge-
ringschätzung behan-
delt. Cornelius und
seine Schule lenkten
die Blicke der Gebil-
deten so ausschliess-
lich auf sich und zogen die Tagesliteratur so gänzlich in ihren
Bann, dass von dem, was ausserhalb ihrer Kreise in München ge-
schah, nicht viel gesprochen ward. Kritikern, die ihr Wissen in
der Zerpfliickung von Historienbildern, in der Ausdeutung philo-
sophischer Gartons und in Aufweisung stilistischer Aehnlichkeiten
zwischen Cornelius und Michelangelo glänzen lassen wollten, hatte
die energische Gruppe der Naturalisten wenig zu bieten, h.rst dem
historischen Blick, der in der Vergangenheit die Keime des Gegen-
wärtigen sucht, treten sie als achtunggebietende Gestalten entgegen,
die. dem Kklecticismus der Grossmaler ihre eigene ehrliche Natur-
anschauung entgegensetzend, die Basis einer selbständigen modernen
Kunst schufen.
Die höfisch - akademische Malerei des Cornelius hatte ihren
Boden in der Sixtinischen Capelle, der Naturalismus dieser Genre-
* maler wurzelte im bayerischen Volksleben. Jene Grossmaler hausten
einsam in weiten Monumentalbauten, die Naturalisten, die unbe-
kümmert um antike und romantische Stoffe ihre Anregung im Le-
ben der Bauern , in der Landschaft und im Kriegsleben suchten,
brachten das Material für die ersten Sammlungen moderner Kunst
XXI. Das humoristische Anekdotenbild
T49
hervor. Wie als Künstler
waren sie auch als Men-
schen ganz verschiedene We-
sen. Cornelius und seine
Schule gebildet, hochfahrend,
sich im Besitz aller echten
Kunst wähnend, schroff ab-
lehnend gegen Alle, die nicht
zu ihrer Fahne schwuren, die
Naturalisten frische, fröhliche
Menschen, derb, aber kern-
gesund, mit scharfem Blick
für Natur und Leben. Die Mo-
numentalmalerei verdankte
ihre Entstehung den persön-
lichen Liebhabereien des Kö-
nigs und zufällig gebotenen
grossen Aufgaben; die rea-
listische Kunst fand von der
Fürstengunst unabhängig in den Kreisen des süddeutschen Adels
und später des Münchener Kunstvereins ihre Förderer und erscheint
als logische Fortsetzung jener Militärmalerei, die am Anfang des
Jahrhunderts in Nürnberg, Augsburg und München ihre Vertreter
hatte. Das bunte Gewimmel fremder Kriegsvölker, die über den
deutschen Boden gejagt wurden, hatte damals Albrecht Adam, Peter
Hess, Johann Adam Klein und andere angeregt, in trockener, aber
ehrlich naiver Weise darzustellen, was sie sahen. Den Stechern
diente Dürer als Leitstern, den Malern gab der vielseitige Dar-
steller des Soldatenlebens im 30jährigen Krieg, Philips Wouwer-
man, das Vorbild. Und als die kriegerischen Zeiten vorüber waren,
wandte sich ein Theil der im Kriegslager aufgewachsenen Meister
ganz naturgemäss auf die Darstellung des Bauernlebens, wo sie ja
auch noch bunte malerische Costüme fanden. Wilhelm Kobell,
dessen Radirungen aus dem bayerischen Volksleben werthvoller sind,
als seine Schlachtenbilder, machte als einer der ersten diesen Ueber-
gang. Der wackere Peter Hess malte 1820 seinen »Morgen in
Partenkirchen«, worin er eine einfache Scene aus dem Hochgebirgs-
leben — Mädchen am Brunnen inmitten einer sonnigen Land-
schaft — schlicht und poetisch schilderte. Nachdem diese Bresche
Heinrich Bür hei.
1)0
XXL Das humoristische Anekdotenbild
Bürkel: Brigantentransport.
geschlagen war, konnte Bürkel das Haupt der Münchener Bauern-
maler werden.
Heinrich Bürkels Porträt zeigt einen vierschrötigen Riesen, dessen
Aeusseres seltsam von dem seiner berühmten Zeitgenossen absticht.
Jene Akademiker strichen die langen Haare zurück und richteten die
Blicke begeistert nach oben. Bürkel schaut mit scharfem Auge auf den
Boden, auf die harte, rauhe, gesteinte Erde. Jene Hessen sich einen
grossen Mantel — den Rauch’schen Statuenmantel — malerisch um die
Schultern drapiren, Bürkel ist angezogen wie Jedermann. Kein Attribut
ist beigefügt, um den Maler anzudeuten: keine Palette, kein Pinsel, kein
Bild; auf dem Tisch neben ihm steht — ein Maasskrug. Ohne jede Pose
sitzt er da, die Hand auf das Knie gestemmt, athletisch, ungeschlacht,
kampfbereit, als ob er sich seiner Sonderart voll bewusst sei. Selbst
der Aufforderung des Photographen: Bitte recht freundlich, gab er
nicht Folge. Schon dieses Porträt erklärt Bürkels Kunst. Er war eine
kerngesunde, ganz auf sich gestellte Natur, ohne jede Spur von Ro-
mantik, ohne Sentimentalität, witzelnden Humor und zuckersüssen Op-
timismus — von allen seinen Münchener Zeitgenossen der am wenig-
sten akademische nach seiner ganzen Art zu empfinden und zu denken.
XXI. Das humoristische Anekdotenbild
I)'1
Bürkel: Platzregen im Gebirge. r
Aus dem Volke hervorgegangen, wurde er der Maler des Volkes.
Er war am 29. Mai 1802 in Pirmasens geboren, wo sein Vater eine
kleine Oekonomie mit Schenkwirthschaft, seine Mutter eine Krämerei
betrieb, und war erst Lehrling bei einem Krämer, dann Gehilfe des
Gerichtsschreibers gewesen, bevor er 1822 nach München kam.
Hier wies ihn die Akademie als talentlos zurück, und indem sie
dem Lehrling die Thore verschloss, erschloss sich dem Meister das
Leben. Er ging in die Schleissheimer Galerie, sass copirend vor den
Bildern von Wouwerman, Ostade, Brouwer und ßerghem und ent-
wickelte sich im Studium dieser Niederländer ungemein rasch. Seine
ersten Arbeiten — Schlachten, Scharmützel und andere kriegerische
Scenen, wie er sie in seinen Kinderjahren sah — sind dilettantische,
unsichere Versuche; man merkt, dass ihm jegliche Führung und
Anleitung fehlte. Um so bewundernswerther ist die Schnelligkeit,
mit der er sich ein sattelfestes, für seine Zeit achtbares Können er-
warb, die trotzige Selbständigkeit, mit der er, kaum im Besitz der
nöthigen Ausdrucksmittel, sofort von den Bildern in die Natur ging.
Er malt und zeichnet die ganze neue Welt, die sich ihm aufgethan:
1)2
XXI. Das humoristische Anekdotenbild
Biirkel: Ein Dorf im IV inte r.
Weite Blicke über die Landschaft, bemooste Steine im Sonnenlicht,
Wolkenbilder in grosser Zahl, Bauernhäuser mit ihrer Umgebung,
Waldwege, Bergsteige, Figürliches aller Art, Pferde. Ueberall gibt
ihm das Menschen- und Thierleben Anlass, es in charakteristischen
Situationen zu schildern. Und als er sich später wieder in München
niedergelassen, hörte er nicht auf, die süddeutsche Gebirgswelt mit
frischem Sinn zu durchstreifen. Bis in’s Alter machte er im Sommer
und Winter kleine Reisen in’s Bayerische Hochland. Tegernsee,
Rottach, Prien, Berchtesgaden, Südtirol, Partenkirchen wurden in
Wochen- und Tagesausflügen immer wieder besucht, und von über-
allher kam er mit energischen Studien heim, aus denen ebenso
energische Bilder entstanden.
Denn wie jeder Künstler das Produkt zweier Faktoren ist, von
denen einer in ihm selbst, der andere ausser ihm in seiner Um-
gebung und Zeit liegt, so müssen auch die Leistungen Bürkels nicht
nur nach den Anforderungen der Gegenwart, sondern nach den
Bedingungen, unter denen er producirte, beurtheilt werden. Was
schwach an ihm ist, tlieilt er mit den Zeitgenossen; was er Neues
hinzubrachte, ist sein eigenstes unbestreitbares Verdienst. In einer
Periode des im Museum grossgezogenen Pseudoidealismus, der dem
XXI. Das humoristische Anekdotenbild
*53
Bürkel: Schmiede in Oberbayern.
echten vortrefflich abgeguckt hatte, wie man sich räuspert, besass
er den Muth, lieber dürftig zu sein, als sich mit fremden Federn zu
schmücken, in einer Zeit, die ihren Stolz darein setzte, mit Pinsel
und Farbe Dinge darzustellen, deren Material besser Feder und Tinte
ist, stellte er sich frisch in’s Leben, in einer Zeit, wo ganz Deutschland
ziellos ferne Zonen durchirrte, brachte er ohne einen Anflug roman-
tischer Sentimentalität Allem eine gleich redliche, objective Treue
entgegen, und durch diese frisch realistischen Eigenschaften ist er
der Ahne der späteren Münchener Kunst geworden. Positiv und
exact, zu ehrlich, um sich durch äusserliche Nachahmung scheinbar
auf gleiche Höhe mit den grossen Alten zu schwingen, desto emsiger
bestrebt, in den Geist der Natur einzudringen und Alles bis auf's
Kleinste lieb zu gewinnen, schwach in der Farbenempfindung, aber
gross im Naturgefühl — so war Heinrich Bürkel, und hierin hatten
ihn die Jüngern zu ergänzen — nicht zu bekämpfen.
Das Eigentümliche aller seiner Arbeiten ist wie bei den frühen
Niederländern die gleichwertige Behandlung von Figuren und Land-
1)4
XXI. Das humoristische Anekdotenbild
Bürkel: Pferde an der Tränke.
schaft. Das Menschenleben erscheint ihm als Theil eines grösseren
Ganzen; Thier und Landschaft werden mit derselben Liebe studirt. und
seine glücklichsten Bilder geben eine Verschmelzung dieser Elemente,
in der keins auf Kosten des andern vorherrscht. Interieurbilder sind
selten, fast immer bewegt er sich in freier Natur. Hier aber ist sein
Stoffgebiet ungemein weit.
Eine Gruppe für sich bilden die Arbeiten, in denen er italienische
Stoffe behandelt. Bürkel war 1829 — 1832 in Rom, gerade in den
Jahren, als Leopold Robert dort seine Triumphe feierte, und es ist
ein seltsamer Unterschied zwischen den Arbeiten des Münchener und
denen des Schweizer Malers. Dort schöne Posen, poetische Ideen und
akademischer Formelkram, hier ungeschminkte naturalistische Derb-
heit. Selbst in Italien blieb ihm die Romantik, das Akademische
fern. Sie hatten keinerlei Macht über die kerngesunde, rauh ehr-
liche Natur des Künstlers. Er sah in Italien nichts Anderes, als
was ihm die Heimath bot, und schilderte es ohne Verschönerung,
rechtschaffen, wie er es sah.
Bürkel brauchte nicht weit zu reisen, um Stoffe zu finden. Man
stelle sich einen Menschen vor, .der mit stiller, gedankenvoller Miene
XXI. Das humoristische Anekdotenbild
i>5
die Ufer der Isar entlang wandert und schaut. Eine frische Bauern-
dirne mit ihrem Korb, ein Pflug in der Ferne, der langsam hinter
schwitzendem Gespanne herzieht — das genügt, ihn mit Empfind-
ungen und Gedanken zu erfüllen.
Seine eigentliche Domäne war die Landstrasse, die in den dreissiger
und vierziger Jahren, bevor ihr die Eisenbahnen den Verkehr entzogen,
von weit mannigfaltigerem Leben als heute erfüllt war. Vor allen
alten Thoren zogen Last- und Postwagen hin. Wirthshäuser in jedem
Dorf luden zur Rast, Schmiede an der Strasse warteten auf Kund-
schaft. Wagen aller Art und Pferde auf der Fahrt, Pferde vor der
Schmiede, Gespann Wechsel, Ausspann, das Aussteigen und Einsteigen
der Fahrgäste, der Aufbruch der Marktleute — das sind die Dinge,
die er auf der Landstrasse fand. Da werden die Pferde getränkt
und zwischen Passanten und Kutscher gibt es Anlass zu kurzer
Zwiesprache. Dort eilen die Fahrgäste bei Regenwetter, mit Schirmen
bewaffnet, in’s Wirthshaus. Oder sie harren in Pelze gewickelt, im
Winter ungeduldig, bis der Hufbeschlag vollzogen.
Kleine ausgefahrene Feldsteige und Waldwege bieten mancherlei
Aehnliches. Bauern fahren mit einer Holzladung zu Markte. Pferde
stehen ausgespannt am Troge und der Fuhrmann, eine knorrige
sehnige Gestalt raucht gemächlich die Pfeife. Ein Gespann nähert
sich auf dunkeim Waldpfad einer Schmiede oder einsamen Köhler-
hütte, in der Licht flimmert und über der sich kahle, schneebedeckte
Berggipfel erheben.
Solche Schneebilder waren eine besondere Specialität des Malers
und gehören an Einfachheit und Harmonie zum Besten, was er ge-
schaffen. Schwere Holzfuhren, die eine Schneewehe passiren, im
Schnee stecken gebliebene Lastwagen , derbknochige Holzknechte,
die im winterlichen Wald beim Aufladen schwitzen, bilden die
figürliche Staffage.
Doch auch das Leben auf dem Feld beschäftigte ihn. Da er
gern Thiere darstellte, ging er den Aehrenlesern, Mähern und Sich-
lern aus dem Wege. Sein Lieblingsthema ist die Heu-, Korn- oder
Kartoffelernte, die er gern ausführlich mit grossem Apparat erzählt.
Mägde und Knechte, Alte und Junge sind fieberhaft thätig, Getreide-
schober aufzurichten oder bei drohendem Gewitter immer neue
Bündel auf haushoch beladene Wagen zu packen.
In dieser Aufzählung ist das ganze Landleben Bayerns um-
schrieben. Nur die Sonntagsthemata, die eigentlich genrehaften
156
XXI. Das humoristische Anekdotenbild
Motive fehlen. Und damit ist zugleich gekennzeichnet, was Bürkel
eine eigenartige Sonderstellung anweist.
Seine Werke fallen in der Conception aus Allem heraus, was die
gleichzeitige Generation der Grossmaler und die jüngere der Genre-
maler anstrebte. Die Grossmaler hausten in den Museen, Bürkel lebte
in der Natur. Die von Wilkie beeinflussten Genremaler liebten,
im Sinne der Engländer das Motiv auf das Novellistische auszu-
spielen. Frohe Nachricht, traurige Botschaft, ländliche Begräbnisse,
Kindtaufen, Zweckessen boten Anlass, verschiedene Grade derselben
Gemüthsbewegung zu schildern. Ihr Ausgangspunkt war eine Illu-
stratoridee, sehr nett an sich, doch zu lustig oder weinerlich für
Bilder. Bürkels Werke haben keinen literarischen Hintergrund,
sind nicht als Geschichten aufgebaut, weder humoristisch noch sen-
timental gefärbt, sondern schildern intim die einfachsten Vorgänge
des Lebens. Weder bot er dem Publikum süssliche Kost, noch
suchte er zu rühren und durch romanhaft auszuspinnende Stoffe
zu reizen. Er nahte dem Menschen, dem Thier und der Land-
schaft als strenger Charakteristiker, der keine Sentimentalität, Schwär-
merei und Romantik kannte. Im Gegensatz zu allen jüngeren
Bauernmalern ging er dem Auffälligen, Aussergewöhnlichen, Beson-
dern , genrehaft Interessanten schroff' aus dem Wege und suchte
das tägliche Leben in Haus und Hof, auf dem Felde und der Land-
strasse einfach und sachlich zu schildern. Fast alle englischen Genre-
bilder jener Jahre brauchten eine Unterschrift und wendeten sich
an ein Publikum, das erst lesen will, dann sehen. Bürkel schil-
dert die einfachsten Vorgänge, die keinen interessanten Katalogtitel
brauchen. Seine Bilder erklären sich selbst: schlichte Schilderungen
des Menschen- und Thierlebens in der Landschaft. Anfangs glaubte
er, seiner Zeit wenigstens dadurch entgegenkommcn zu müssen, dass
er in breiter, epischer Weise componirte. Die öffentlichen Samm-
lungen besitzen hauptsächlich solche vielfigurige Bilder: den Abzug
von der Alm, die Heimkehr von der Bärenjagd, der Thierschau
und vom Jahrmarkt, Scenen vor dem Wirthshaus an Festtagen,
den Aufbruch der Fuhrleute und dergleichen — Werke, denen das
Schema der Composition und die Menge der Figuren etwas alter-
thümlich Ueberladenes gibt. Aber in den Privatsammlungen sind
Bilder von einer damals unerhörten Einfachheit zerstreut: Staubige
Landstrassen mit mühsam ziehenden Pferden, einsame Köhler-
hütten im Waldesdunkel, verregnete oder verschneite Dörfer mit
XXI. Das humoristische Anekdotexbild
r57
kleinen Figürchen, die vor Frost
und Nässe schauernd über die Strasse
huschen. Vom genrehaft Novellist-
ischen, dem Suchen nach inter-
essantem Stoff, von Anfang an frei,
hat er hier sogar auf die epische
Erzählung eines complicirten Vor-
gangsverzichtet und malt gleich den
Modernen Dinge, die mit einem Blick
zu erfassen und zu verstehen sind.
Bürkel nimmt nach alledem
eine sonderbare Mittelstellung ein.
Seine Farbe weist ihn durchaus
dem Beginne des Jahrhunderts zu.
Er war sich der coloristischen
Schwäche seiner Zeit bewusst ge-
worden und steht erheblich über
dem coloristischen Maximum der
Corneliusschule. Aber er ist trotz emsigsten Studiums der Nieder-
länder doch hart und unkünstlerisch geblieben. Viel zu schonend
gegen den gezeichneten Umriss, verfährt er nicht leicht genug mit
Leichtem, nicht flüchtig genug mit Flüchtigem. Was die Modernen
nur undeutlich ahnen lassen, zeichnet er spitz und handgreiflich.
Was flüchtige Form hat, wie Wolken, rundet er ab und putzt er.
Seine Farbe ist bunt, seine Vortragsweise temperamentlos und ohne
malerischen Witz. Aber obwohl in der Technik ungeschickter,
sind seine Arbeiten doch im Inhalt moderner, als alles was die
nächste Generation hervorbrachte. Es ist ein Element der Intimität
darin, das über die herkömmliche Genremalerei hinausgeht. Wie
er in seinen ungemein frischen, naiv unmittelbaren Landschafts-
studien nicht blendende Ausnahmseffekte festhielt, sondern dem
Werktagscharakter der Natur gerecht zu werden suchte, so strebte
er auch in seinen Figuren nur die schlichte Reproduction des von
der Natur Gegebenen an. Die Hände seiner Bauern sind rechte,
echte Arbeitshände, schwerfällig, plump und wettergebräunt. Ein-
fach und sachlich sind alle Bewegungen. Andere haben Lustigeres
erzählt — Bürkel entrollt ein treues Bild des Milieu, in dem sich
das Leben der Landleute abspielt. Andere haben ihre Bauern
salonfähig gemacht und ihnen die Nägel gereinigt — Bürkel
Carl Spit^weg.
158
XXI. Das humoristische Anekdotenbild
predigt ein ernstes, strenges,
pietätvolles Studium der Na-
tur. Eine ganz neue Zeit
wirft ihren Schatten in dieser
innigen Hingabe an das Le-
ben voraus. Seine Bilder ent-
halten in ihrer Intimität und
Einfachheit schon den Keim
dessen, was später die Auf-
gabe der Modernen wurde.
Alle Folgenden in Deutsch-
land waren Kinder Wilkies,
erst Wilhelm Leibi setzte,
mit besseren technischen In-
strumenten versehen, gei-
stig da wieder ein, wo Bi'irkel
aufhört.
Carl Spitzweg, in des-
Spiifweg : Die Dachstube. sen liebenswürdigen Bild-
chen sich zarte discrete Em-
pfindung originell mit realistischer Detailarbeit vereinigt, zählt gleich-
falls zu den Wenigen, die, abseits von der herrschenden Strömung
im Stillen wirkten und schufen, bis ihre Stunde schlug. Ganz
auf sich angewiesen, ohne Lehrer, arbeitete auch er sich unter
dem Einfluss der Alten empor. Durch Copiren kam er hinter ihre
coloristischen Geheimnisse und wusste seinen poesievollen Werken
ein merkwürdiges Cachet ansprechender altmeisterlicher Feinheit zu
geben. Man blättert im Spitzweg- Album wie in einem Märchen-
buch aus den Zeiten der Romantik und ist doch gleichzeitig über
das Malenkönnen des Meisters erstaunt. Ein Genie, vereinigte er
drei scheinbar widersprechende Eigenschaften in sich: Realismus,
Phantasie und Humor. Mit Schwind wäre er am ehesten zu ver-
gleichen, nur dass jener mehr Romantiker war als Realist, Spitz-
weg mehr Realist als Romantiker. Jenen trägt die Sehnsucht in
weltentrückte, vorzeitliche Ferne, diesen hält ein ausgeprägter Wirk-
lichkeitssinn fest auf der Erde. Er besitzt wie Jean Paul die un-
begrenzte Phantasie, die mit luftigen Träumereien ihr neckisches
Spiel treibt, doch er hat auch wie dieser das frohe Behagen des
Kleinstädters an den Bildern seiner engumgrenzten Welt. Er liebt
XXI. Das humoristische Anekdotenbild
1)9
Spit^weg: Der Nachtwächter.
wie Schwind Klausner und Waldbrüder, Hexen-, Nymphen- und
Zauberspuk, spielt wie Boecklin mit Drachen und Kobolden, aber
er nistet sich auch mit liebenswürdiger Behaglichkeit beim biederen
Schulmeisterlein, bei der armen Näherin fest und gibt seinen eigenen
kleinen Leiden und Freuden mit beschaulicher Laune Gestalt. Seine
Drachen sind behaglich philisterhafte Drachen, und seine Troglo-
dyten , die sich in weltabgeschiedener Felseneinöde kasteien, ver-
richten ihre Busse mit gemüthlicher Ironie. Ein feiner Humor ist
bei Spitzweg das Bindeglied zwischen Phantasie und Wirklichkeit.
Die kleinen, zart empfundenen Bildchen schildern das Deutschland
der 40 er Jahre und liegen ab vom rauschenden Leben unserer
Zeit, wie ein idyllisches, in Sonntagsstille schlummerndes Dörf-
chen. Sein armer Poet, das alte, magere Männchen mit der
spitzen Nase und Zipfelmütze, der, die Decke bis an’s Kinn ge-
zogen und durch einen grossen rotlien Regenschirm gegen die
Unbilden der Witterung geschützt, in seiner armseligen Dach-
1 ucke sitzt und mit erfrorenen Fingern Verse skandirt; — der im
Aktenstaub grau gewordene Schreiber, der mit blöden Augen
seinen Gänsekiel spitzt und sich dabei als Theil der weltregie-
renden Bureaukratie fühlt; — der Bücherwurm, der, Bücher in
der Hand, Bücher in den Taschen, Bücher unter den Armen,
Bücher zwischen die Beine geklemmt , auf der höchsten Leiter der
Bibliothek steht und in seinem stillen Glück die Stunde des Mittag-
1 6o
XXI. Das humoristische Anekdotexbild
essens versäumt, bis sich der
Haushälterin zorniger Rede-
fluss keifend über sein armes
Haupt ergiesst; — der alte
Herr, der andachtsvoll den
Duft der seit Jahren erhoff-
ten Kaktusblüthe einsaugt;
— das kleine Männchen,
das sein Vögelchen mit einem
Stück Zucker lockt; — der
Wittwer, der über das Me-
daillonporträt seiner besseren
Hälfte nach zwei nied-
lichen, im Park spazieren
gehenden Mädchen schielt;
— der Polizeidiener, der
sich am Stadtthor die Zeit
mit Fliegenfangen vertreibt ;
— der alterthümlich be-
frackte Hagestolz, der einer
am Marktbrunnen scheuern-
den Küchenfee feierlich einen
Blumenstrauss darbietet,
zum Vergnügen aller aus den
sf>itiweg : Der Briefträger. Fenstern lauernden Klatsch-
schwestern; — das Liebes-
pärchen, das in glücklicher Vergessenheit durch ein enges Gässchen
streicht, an der Bude eines Antiquars vorüber, wo zwischen Urväter-
hausrath eine vergoldete Venusstatuette in wackliger Wiege liegt; -
die Kinderchen, die mit aufgehobener Schürze einen vorüberfliegenden
Storch um ein Brüderchen ansingen — all diese Bildchen muthen an
wie ein Gruss aus längst vergangener Zeit. Spitzweg wirkt wie Jean
Paul lustig und wehmüthig, spiessbürgerlich und idyllisch zugleich.
Der Postillon gibt mit seinem Horn das Zeichen, dass die Stunde
der Abfahrt gekommen ; Sennerinnen schauen von grüner Berg-
kuppe ins weite Land hinaus; Einsiedler sitzen weltvergessen vor
ihrer Klause; alte Freunde eilen sich nach Jahren der Trennung in
die Arme; Dachauer Mädchen in weissem Festgewand beten an
Waldkapellen ; Schulkinder ziehen singend durch ein stilles Bergthal ;
XXI. Das humoristische Anekdotenbild
i 6 1
Mägde plaudern Abends beim
Wasserholen am moosbe-
wachsenen Marktbrunnen,
oder ein Briefträger in der
gelben thurn- und taxis’-
schen Uniform lockt durch
sein Erscheinen die ganze
Einwohnerschaft des alten
Landstädtchens ans Fenster.
Das kleine Männchen mit
der ärmlichen Schneider-
figur, der bis zum 30. Jahre
Apotheker gewesen, war eine
selbständige, eigenartige
Künstlernatur, die sich dem
Gedächtniss unvergesslich
einprägt. Man braucht nur
sein Porträt zu sehen, wie
er in langem Schlafrock,
mit dürftigem Bart, langer
Nase und einem neckischen
Zug um die Augenwinkel
an der Staffelei sitzt, so ge-
winnt man ihn lieb, ehe man
seine Ai beiten kennt. Spitz- Spii^weg: Morgenconcert.
weg erzählt in ihnen sein
eigenes Leben, Mensch und Maler decken sich bei ihm. Es gibt ein
kleines hübsches Bildchen , wie er als alter Knabe früh Morgens
zum Fenster hinausblickt und über die Dächer hinweg einer alten
Näherin zunickt, die die ganze Nacht durchgearbeitet und gar nicht
bemerkt hat, dass es Tag geworden: das ist die Welt, in der er
lebte und die Welt, die er gemalt hat. Selbst ein herzensguter,
hartgesottener Junggeselle mit drolligen Wunderlichkeiten, hauste er
im ältesten Stadttheil Münchens in einer vier Treppen hoch gelegenen
kleinen Wohnung, zu der nur Moritz Schwind zuweilen hinaufkletterte
und wo man über Dächer, Giebel und Zinnen auf ferne, rauchige
1 hürme blickte. Sein Atelier war ein krauses Durcheinander von
nüchterner Ungemüthlichkeit und biedermaierisch poetischer Traulich-
keit. Hier sass er, selbst ein verknöcherter Anachoret, Spiessbürger
Muihcr, Moderne Malerei II. . .
XXI. Das humoristische Anekdotenbild
162
und Bücherwurm , eingewoben
wie in ein Spinnennetz, und malte
hinter einem bescheidenen Fenster
seine köstlichen Bildchen. Hier
nahm er seine einfache Mahl-
zeit an einem kleinen, wackligen
Tischchen, an dem er auch Abends,
allein, in Bücher vergraben, zu
sitzen pflegte. Ueber seiner dicken
Nase funkelte eine schwere, sil-
berne Brille mit scharfen Gläsern,
der grosse Kopf mit den ironisch
zwinkernden Augen ruhte auf
mächtiger, durch spitze Vater-
mörder erhöhter Cravatte. Seine
Redeweise war, wenn er von Frem-
den gestört wurde, langsam und
unbeholfen; wenn Schwind bei ihm war, geistreich satirisch. Da
wurde er beweglich wie Quecksilber, durchlief mit grossen Schritten
das Atelier, gestikulirte und führte ganze Komödien auf, wenn
er die Personen, von denen er sprach, in drastischer Mimik paro-
dirte. Sein Charakter hat dieselbe Mischung von philiströser Be-
haglichkeit und gemüthlicher Komik, die so thaufrisch aus seinen
Arbeiten lacht. Ein Stück von der biederen Philisterhaftigkeit
Eichendorf s lebt in diesen deutschen Kleinstädter-Idyllen, zugleich
aber ein Können, das noch heute zur Achtung zwingt. Im Spitz-
weg-Album summt und klingt die ganze Romantik wie in einen
Käfig eingeschlossen. Hier ist Alles vereint: Waldesduft und Vogel-
sang, Reiselust und kleinstädtisches Stillleben, Sonntagsstimmung
und Mondschein, Landstreicher, Bürgerwehr und wandernde Musi-
kanten, Studenten, die Studentenlieder singen. Gelehrte, Bürgermeister
und Rathsväter, langhaarige Maler und fahrende Schauspieler, rothe
Schlafröcke, grüne Pantoffeln, Schlafmützen und Pfeifen mit langen
Rohren, Serenaden und Nachtwächter, rauschende Brunnen und
schlagende Nachtigallen, wehende Sommerlüfte und hübsche Dirnen,
die aus den Erkern des Morgens halbverschlafen auf die Wanderer
grüssend herabblicken und sich dazu die Haare strählen. Mit Schwind
theilt er zugleich die merkwürdige Fähigkeit, die passende Umgeb-
ung für seine Figuren zu erfinden. All diese Plätze, Gässchen und
Hermann Kauffmann.
XXI. Das humoristische Anekdotenbild
Winkelchen, die den
Rahmen seiner Klein-
städtereien bilden,
scheinen in ihrer mi-
nutiös treuen Durch-
führung bestimmten
Oertlichkeiten zu ent-
sprechen und sind
doch frei aus dem
Gedächtniss gemalt.
Wie er keine der ori-
ginellen Figuren ver-
gass, die er in seiner
Jugend gesehen, so
hielterauch die grillig
wunderlichen Bau-
lichkeiten, der ober
baierischen und
schwäbischen Land-
städtchen, die er auf
seinen Studienreisen
besuchte, mit solcher
Sicherheit im Ge-
dächtniss fest , dass
er sie jederzeit als
passende Begleitung
für die Melodie seiner Figuren zur Verfügung hatte. Es ist, als ob
man an einem sonnigen Sonntagmorgen durch die blühenden Gärten
und krummen holperigen Gässchen eines alten deutschen Städtchens
wanderte. Mitunter auch, als ob Spitzweg nicht der Biedermeierzeit,
sondern der Gegenwart angehörte. Erst spät, nachdem er an der Uni-
versität studirt und das pharmaceutische Examen bestanden, war er
zur Malerei gekommen. Trotzdem gelang es ihm, sich zu einer colorist-
ischen Feinfühligkeit durchzuarbeiten, die in jenen Jahren ohne Gleichen
ist. Er hat Burnets Principien der Malerkunst durchgenommen, Italien
besucht, mit Eduard Schleich 1851 eine Studienreise nach Paris. London
und Antwerpen gemacht; er hat in der Galerie von Pommersfelden
Berghem, Gonzales Coquez, Ostade und Poelenburg meisterhaft copirt.
später Pilotys Auftreten erlebt — aber so sehr er aus den jeweilig
Kaufmann : Holzfuhre im Schnee.
164
XXI. Das humoristische Anekdotenbild
Hermann Kaufmann: Sandweg.
herrschenden coloristischen Strömungen Nutzen zog, ist er doch
keinem seiner Zeitgenossen ähnlich und von der kalten Härte der altern
Genremaler gleichweit wie von Pilotys brauner Sauce entfernt. Kr hat
als einer der ersten in Deutschland, wirklich die Wollust des Malens
empfunden und weiche, üppige, schmelzende Farben gemischt. Es
gibt Landschaften von ihm, die in ihrer reizenden Frische direkt
an die Schule von Fontainebleau streifen. Bald flüchtet er sich in
den deutschen Wald , malt wunderbar die träumerische Stimmung
alter Eichen : am schönsten, wenn über den flüsternden Bäumen die
stille Nacht steht, die Bäche verschlafen rauschen und der frische
Duft einer lauschig einsamen Welt geheimnissvoll die Luft durch-
zittert. Oder auf dem Flachland wogt das goldene Korn, in dessen
Schatten die Wachtel schlägt ; wie klingt und summt es auf seinem
Grunde von gcheimnissvollen Stimmen. Oder es dehnt sich die
Haide mit ihren braunen Stämmen ernst und finster aus, der Boden
raunt dem Wanderer im Dunkel des Abends seltsame Geschichten
zu, die sich einstmals hier abgespielt und nun aus der Vergangen-
heit flüstern. Spitzweg hat hellgrüne Wiesen gemalt, in denen wie
bei Daubigny als leuchtende, helle Farbenflecken nur die rothen
Figürchen kleiner Bäuerinnen auftauchen. Er gibt sonnedurchblitzte
Waldlichtungen, von einer prickelnd coloristischen -Pikanterie, wie
sie sonst nur bei Diaz sich findet. Und er hat, wenn er seine
öden Bergthäler und steilragenden Felswände mit phantastischen
XXI. Das humoristische Anekdotenbild
165
Hermann Kauffmann: Heimkehr vom Felde.
Drachenhöhlen und seltsamen Anachoreten belebte, dabei manchmal
so kühne Farbensymphonien von saphirblau, smaragdgrün und roth
erklingen lassen, dass seine Bildchen wie Vorahnungen Boecklins
erscheinen. Spitzweg war ein Maler für Amateurs. Seine vornehmen
Cabinetsstücke gehören zu den wenigen deutschen Erzeugnissen
jener Jahre, die zu besitzen ein Genuss ist, und erfreuen wie seltene
Leckerbissen, wenn man in der trostlosen Oede öffentlicher Galerien
auf sie stösst.
Bürkels realistisches Programm wurde mit fast noch grösserer
Energie von Hermann Kauffmann aufgenommen, der von 1827 — 33
dem Münchener Kreise angehörte und dann bis zu seinem Tode 1888
in seiner Vaterstadt Hamburg malte. Sein Stoffgebiet war im All-
gemeinen das Bürkels: Bauern auf dem Felde, Fuhrleute auf der
Landstrasse, Holzfäller bei der Arbeit und Jäger im verschneiten
Wald. In den ersten Jahren nach seiner Heimkehr verwendete er
für seine Bilder noch vorwiegend Motive aus der süddeutschen Ge-
birgswelt. Ein Ausflug nach Norwegen 1843 regte ihn zu einer
Reihe norwegischer Landschaftsstudien von ungemeiner Frische und
naiver Unmittelbarkeit an. In der Probstei in Holstein studirte er
das Fischerleben. Sonst bildet fast immer die Umgebung Hamburgs
1 66
XXI. Das humoristische Anekdotenbild
den Hintergrund seiner Bil-
der: Harburg, Kellinghusen,
Wandsbeck, das Alsterthal.
Und Lichtwark betont mit
Recht, dass in diesen Werken
oft eine Einfachheit der
Mache, eine Grösse der Auf-
fassung ist, die direct an Jean
Francois Millet streift. Na-
mentlich gilt dies von den
zahlreichen Studien, die aus
dem Nachlass des Malers in
den Besitz der Hamburger
Kunsthalle kamen. Kauff-
mann pflegte seine Bilder-
motive in Cartons vorzube-
reiten, die bald nur in Blei-
stift, bald in Kreide, gelegent-
lich auch in Buntstift oder
leichten Aquarellfarben aus-
geführt wurden, und diese
frischen Vorarbeiten gewähren
einen viel ungetrübteren Genuss als die vollendeten Bilder. Bei
jenen wird die Freude an den originellen Eigenschaften durch die
Buntheit des Colorits beeinträchtigt; hier, wo die zurückhaltend an-
gewandte Farbe nicht stört, wird das Auge desto mehr auf die
breite originelle Mache, die freie Grösse der Anschauung gelenkt.
Hätte er besser malen können und nicht in dem abgelegenen Ham-
burg gelebt, wäre er vielleicht als einer der epochemachenden Maler
des Jahrhunderts zu feiern.
In Berlin ging mit diesen Meistern der gute Eduard Meyerheim
parallel, dem ein altes Herkommen den Ruhm gibt, das Bauern-
und Kinderbild in die deutsche Malerei eingeführt zu haben. An
künstlerischer Kraft kann er weder mit Bürkel noch mit Kauff-
mann verglichen werden. Jene sind energische, gesundheitstrotzende
Realisten, die in Allem, was sie zeichneten, nur von der ernsten Ab-
sicht ausgingen, das Leben in seinen charakteristischen Aeusserungen
zu packen. Der kindliche, freundlich lächelnde Meyerheim neigt be-
denklich einer sentimental-rührseligen Umhüllung der Wirklichkeit
XXI. Das humoristische Anekdotenbild
167
Meyerheim: Der Schützenkönig.
zu. Für Berlin bleibt ihm seine Bedeutung gleichwohl unbestritten.
Bisher waren auch an der Spree Zigeuner, Schmuggler und Räuber
die einzigen Menschengattungen, die der Kunst neben Rittern, Mönchen,
Edelfräulein und Italienerinnen als darstellungsfähig galten. Friedrich
Eduard Meyerheim suchte die Bauern auf, noch bevor die Literatur
diesen Schritt gethan, und eröffnete 1836 mit seinem »Schützenkönig«
die Reihe der bescheidenen Bildchen, in denen er nicht müde wurde,
die kleinen Feste des Landmannes, das Glück der Eltern und die
Spiele der Kinder in treuherzig braver Weise zu schildern.
ln dem alten Danzig war er emporgewachsen, in den wink-
ligen Gässchen der alten freien Reichsstadt zwischen Trödelbuden,
Krämern und Handwerkern trieb er sich als Knabe herum. Und als
er sich später in Berlin niedergelassen, malte er, was ihn in seiner
Jugend erfreute. Seine Studienreisen waren wenig ausgedehnt, sie
führten ihn ausserhalb der Mark kaum weiter als nach Hessen,
dem Harz, nach Thüringen, Altenburg, Westphalen. Hier zeich-
nete er mit unermüdlichem Fleiss die traulichen Dorfhäuser und
baumumschatteten Kirchen, die Hütten, Höfe und Gässchen, die
1 68
XXI. Das humoristische Anekdotenbild
Meyerheim: Die Strickstunde.
verwitterten Stadtwälle
mit ihrem morschen
Gemäuer, die beschei-
denen Landschaften
Norddeutschlands,
liebliche Thäler, busch-
ige Hügel und Blei-
chen, von stillen Flüss-
chen unter alten Wei-
den durchzogen und
belebt von den Fi-
guren der Bauern, die
noch so manches Stück
ihrer alten Volkstrach-
ten bewahrten. Einen
Begriff vom deutschen
Volk jener Zeit können
seine Bilder gewiss
nicht geben. Denn nur
in der besten Kirch-
weihstimmung mit
Sonntagstoilette und
reingewaschener Seele hat das Landvolk Meyerheim gesessen. Klarheit,
Sauberkeit, Nettigkeit herrschen durchaus vor. Aber so wenig seine
Bilder der Wahrheit entsprechen, so wenig wirken sie affectirt unwahr,
da ihr Idealismus keiner Schulschablone, sondern dem harmlos heiteren
Naturell des Malers entsprang. Eine gemiithlich idyllische Poesie liegt
über seinen Figuren und Wohnstuben. Keusch und anmuthig sind
seine Frauen und Mädchen ; man fühlt, dass Meyerheim den Leiden '
und Freuden der kleinen Leute ein warmes Mitgefühl entgegenbrachte,
dass er Verständniss hatte für dies glückliche Familienleben, sich
selbst gern an den lustigen Volksfesten betheiligte, dass er die Welt
nicht nach Schönheitsregeln idealisirte, sondern sie so schön zu
sehen glaubte. Sein Schützenfest auf dem Lande von 1836 (Ber-
liner Nationalgalerie) hat als Hintergrund eine weite, freundliche
Hügellandschaft mit blauen Höhenzügen in der Ferne, über denen
freundlicher Sommersonnenschein liegt. Vorn bewegt sich eine Menge
sauber nach Studien zusammengestellter Figürchen. Der bekränzte,
festlich geschmückte Schützenkönig steht, die Büchse in der Rechten,
XXI. Das humoristische Anekdotenbild
169
stolz am Wege, auf
dem , von der Dorf-
musik begleitet, der
Schützenzug naht. Ein
alter Bauer beglück-
wünscht ihn, die hüb-
schen Dorfdirnen und
Bauernfrauen in ihrer
schmucken Volks-
tracht kichern und
schauen; die Nachbarn
trinken ihm lustig zu.
Die »Morgenstunde«
im Hause des Tisch-
lers, wo der Gross-
vater dem Enkelchen
die Schulaufgabe über-
hört; das Versteckspiel
der Buben hinter den
Bäumen; der Strick-
unterricht der Gross-
mutter; die junge Frau
am Bett ihres nackten Knaben, der die Decke abgeworfen hat und mit
seinen rosigen Füsschen spielt ; der Kirchgang im hessischen Dorf,
mit dem lindenbeschatteten Marktplatz und den frischen Mädchen-
gestalten in der festlichen Volkstracht — das alles sind Bilder, die
einst in Kupferstich und Lithographie ganz Deutschland über-
schwemmten und das Entzücken jedes Kunstvereinsgastes waren.
Allgemeine Verbreitung fand das deutsche Bauerngenre erst,
nachdem seit dem Ende der 30er Jahre der Dorfroman in Schwung
gekommen. Walter Scott, der Romantiker, war zugleich der Be-
gründer der Bauernnovelle: er studirte zuerst das Leben und den
menschlichen Charakter am Bauernthum seiner Heimath : dessen
derbe, gesunde Fröhlichkeit, seine humoristischen Sonderheiten, seine
hitzige Streitlust, und führte die romantischen Geister aus ihrer idyll-
ischen oder düstern Traumwelt so der Wirklichkeit und deren Poesie
näher. Bei uns gab ein Menschenalter später Immermann mit der
Oberhof-Episode seines Münchhausen dieser Gattung Existenz. Der
»Dorfschulze« ward rasch eine jener typischen Gestalten, nach denen
XXI. Das humoristische Anekdotenbild
von der Poesie hundert
andere gebildet wur-
den. Jeremias Gotthelf
begann iSjjmitseinem
»Bauernspiegel« die
Schilderungen aus dem
Berner Landleben, die
durch ihren derben
Hausverstand allgemei-
nen Beifall fanden. Ber-
thold Auerbach, Otto
Ludwig, Gottfried Kel-
ler begannen ihre Thä-
tigkeit, und Fritz Reuter
fand für seine humorist-
ischen Schilderungen im
Dialekt die noch schär-
fer zugeschnitteneForm.
Der Einfluss dieser
Schriftsteller auf die
Malerei war ungeheuer.
Allenthalben beginnt sie jetzt in’s Volk zu gehen, sich mit Lust und
Freude in d>e Wirklichkeit zu versenken. Der Bauer war bald eine
im Kunsthandel gesuchte und beliebte Figur. Anderntheils brachte
diese Anlehnung an die Dichtung den Nachtheil mit sich, dass nun
auch in Deutschland jene »Genremalerei- in Schwung kam, die
nicht mehr auf die einfach sachliche Schilderung von Gesehenem,
sondern auf die kunstgerechte Composition von Erfundenem, auf die
weitläufige Erzählung von Humoresken, Novellen und Rührstücken
ausging. Bürkel und Fiermann Kauffmann wussten noch nichts von
Genrehumor. Sie versenkten sich in die Wirklichkeit, statt von oben
herab darüber zu witzeln, und indem sie jede forcirte Drolligkeit, alles
aufdringliche Unterstreichen der Charaktere vermieden, näherten sie
sich trotz ihrer technischen Mängel ein wenig der stillen Poesie, die
an den alten Holländern freut. Gleich diesen haben sie treu nach
der Natur gearbeitet, in tiefer, achtungsvoller Liebe zu dieser nichts
anderes geben wollen als die Natur selbst in einfacher, wahrheits-
getreuer, persönlicher Auffassung. Und wegen dieser frischen natura-
listischen Elemente sind sie, obzwar altmodisch, doch nicht veraltet,
170
Meyerheim: Spielende Kinder.
XXI. Das humoristische Anekdotenbild 17 i
ja beherrschen in ihrer Grundanschauung noch die lebende deutsche
Kunst. Die weitausgesponnenen Erzählungen der Folgenden sind wegen
ihres Figurenreichthums und der Verschiedenheit ihrer Charaktere
zwar äusserlich imposanter. Viele sind ausgezeichnete Beobachter
des moralischen Ausdrucks, es gelingt ihnen vortrefflich an dem Ge-
sichte den Charakter darzustellen, es ist belehrend sie zu betrachten,
man macht bei ihnen psychologische Studien, sie können einen
Roman illustriren. Aber das Element der Intimität, die Poesie des
Schlichten , die Wahrheit ist aus ihren Werken gewichen. Dort
einfache Ausschnitte aus dem Alltagsleben von naiver Unmittelbarkeit,
hier durchcomponirte, für die gute Stube bestimmte Bilder. Wie
Immermann in seinem Münchhausen Dorf und Stadt in satirischen
Vergleich stellte, so kommt es auch diesen Malern nicht mehr darauf
an, sachlich herauszuheben, was an einfacher Lebenspoesie im Bauern-
dasein liegt; sie arbeiten ebenfalls mit Contrasten. Ethnographische
Belehrung, novellistische Unterhaltung und belustigende Komik wird
ihr Arbeitsfeld.
In Karlsruhe lenkte Johann Kirner zuerst in diese humoristischen
Bahnen ein, indem er das schwäbische Bauernleben zu lächerlichen
Anekdoten verarbeitete. In München war Carl Enhuber im Erfinden
komischer Episoden aus dem Hochlandsleben besonders fruchtbar und
wegen seiner faustdick aufgetragenen Drolligkeit einer der beliebtesten
Helden des Kunstvereins. Man war entzückt über den Partenkirchener
Jahrmarkt, diesen Wunderdoktor, der im Sinne Gerhard Dows vor dem
Dorfwirthshaus der erstaunten Menge die fabelhaften Eigenschaften
seiner Fleckseife mit hoher Beredsamkeit zu Gemüthe führt, über
diese Bauernversammlung, die dem Maler Gelegenheit gegeben hatte,
alle stehenden Figuren eines kleinen Städtchens vom Herrn Land-
gerichtsassessor und Bezirksarzt bis zum Nachtwächter herunter für
Jeden deutlich erkennbar anzubringen. Sein zweiter Treffer war die
unterbrochene Kartenpartie: der Schmied, der Müller, der Schneider
und andere Honoratioren des Dorfes werden in ihrer geselligen Ver-
einigung durch die sehr unliebenswürdige Gattin des Schneiders so
unerwünscht gestört, dass der glückliche Gatte unterm Tisch seine
Rettung sucht. Der Hausknecht hält die blaue Schürze vor, der
Müller und der Schmied machen die gleichgültigsten Gesichter, aber
ein kleiner Junge, der die Mutter mit dem Masskruge begleitet, entdeckt
den Verborgenen dennoch, da ihn sein verlorener Pantoffel verräth.
Eine noch grössere Fülle drolliger Typen enthielt der »Gerichtstag«:
I?2
XXI. Das humoristische Anekdotenbild
Enhuber: Die unterbrochene Kartenpartie.
der Vorhof eines oberbayerischen Landgerichts, wo die Parteien
theils warten, theils niedergeschlagen oder befriedigt die Amtsstube
verlassen. Sehr befriedigt natürlich ein gebirglcrisches Brautpaar,
ein dicker Bauernbursch und eine dralle Maid, die sich den amtlichen
Consens zur Heirath holten. Auch «verunglückte Landpartien
— Städter, die bei der Ankunft im Gebirge vom Regen überfallen
werden — ergaben sehr komische Situationen.
In Düsseldorf musste schon die Reaktion gegen die herrschende
Sentimentalität der Historienmaler in diese humoristischen Bahnen
lenken. Als das Trauern in den 30er Jahren gar kein Ende nehmen
wollte, sprach Adolf Schroedter, der Satyr im Malerchor der älteren
Düsseldorfer, dort das erlösende Wort, indem er anfing, die Werke
der Grossmaler zu parodiren. Als Lessing das trauernde Königspaar
geschaffen, malte Schroedter den Triumphzug des Königs Wein; als
Hermann Stilke seine stilvollen Kreuzfahrer und Ritter vorführte,
illustrirte Schroedter als warnendes Beispiel den Don Quixote; als
Bendemann den trauernden Jeremias und die trauernden Juden in
XXI. Das humoristische Anekdotenbild
Enhubtr : Gerichtstag in Oberbayern.
die Welt setzte, schuf Schroedter das lustige Bild »Die betrübten
Lohgerber«, die jämmerlich einem weggeschwommenen Felle nach-
blicken. Da er witzig war und Witz weniger Sache der Malerei
als der Zeichnung ist, so haben als seine besten Leistungen wohl die
hübschen Lithographien »Thaten und Meinungen des Abgeordneten
Piepmeyer« zu gelten, die er zusammen mit dem hannoverschen
Advokaten Detmold, dem Verfasser der »Anleitung zur Kunstkenner-
schaft«, herausgab. An den geistreichen Dilettanten Schroedter
schloss sich der hausbackenere Hasenclever, der mit wenig Witz und
viel Behagen Bilder zu Kortums Jobsiade malte. Auf diesem Um-
weg über die Illustration kam man allmählich dazu , directer auf
das Leben loszugehen, neben melodramatischen Briganten das Land-
volk oder den Bruder Studio vor der rheinischen Kneipe, lächerliche
Zeitungslcser, komisch niesende Männer oder den schmunzelnden
Philister bei der Weinprobe zu malen.
Jacob Becker ging in den Westerwald, um dort kleine Dorf-
tragödien zu entwerfen und errang mit seinem »vom Blitz erschlagenen
Schäfer« eine solche Popularität, dass bis auf den heutigen Tag sich
174
XXI. Das humoristische Anekdotenbild
Henry Ritter: Die Predigt des Seekadetlni.
schem Eifer drei entgegentaumelnde Matrosen
das Interesse des Publi-
kums an der Kunst-
sammlung des Staedel-
schen Instituts häutig
auf dieses Bild con-
centrirt. Der Berliner
Rudolf Jordan setzte
sich auf Helgoland
fest und wurde 1834
durch seinen »Hei-
rathsantrag auf Helgo-
land« einer der ge-
feiertsten Maler Düs-
seldorfs. Seinem Schü-
ler, dem frühverstor-
benen Henry Ritter,
brachte 1852 seine Hu-
moreske »Middys Pre-
digt« einen gleichen
Erfolg — ein kleiner
Seekadett, der in komi-
zur Massigkeit zu be-
kehren sucht. Ein Norweger, ^Adolf Tidemand, wurde der Leopold
Robert des Nordens und erzielte gleich diesem einen internationalen
O
Erfolg, als er seit 1845 seine Landsleute, die Bauern, Fischer und See-
leute vom Nordseestrande dem europäischen Publikum präsentirte.
War doch aus seinen Bildern wie aus denen Roberts oder den Orient-
schilderungen Yernets eine ethnographisch treue Belehrung über das
Leben eines der europäischen Welt bis dahin unbekannten, fernen
Yolksstammes zu entnehmen. Die Deutschen lernten durch Tidemands
Bilder die norwegische Weihnachtssitte kennen, begleiteten den Sohn
des Nordens auf den nächtlichen Fischfang, wohnten der Brautfahrt auf
dem Hardangerfjord oder dem Religionsunterricht des Küsters bei,
fuhren mit den Fischermädchen im Kahn nach dem Nachbardorf
zum Besuch oder sahen am Sonntag Nachmittag Grossmutter und
Enkel nach der Geige des Yaters tanzen. Das norwegische Bauern-
leben war eine so romantische Terra incognita, das Kostüm so neu,
dass auch Tidemands Kunst wie eine neue Entdeckung begrüsst
wurde. Dass sich die Wahrheit der Tidemandschen Bilder nur auf
XXI. Das humoristische Anekdotenbild
175
Tidemaiid: Grossmutters Brautkran 1.
dies KostümHche erstreckte, kam erst später zum Bewusstsein. Wie
Robert Italien, sah Tidemand seine Heimath mit den Augen des
Romantikers an, suchte ebenfalls das Volk in einseitiger Weise nur
bei festlichen Vorkommnissen auf. Auch er, obwohl geborener
Norweger, war Fremder. Ein Mann, der nie vertraut wurde mit
dem Leben seiner Landsleute , der niemals während des rauhen
Herbstes und langen Winters in der Heimath lebte , sondern nur
als Sommergast kam, wenn die Natur im Brautgewand prangte,
nahm selbstverständlich nur Touristeneindrücke mit sich. Wie er
selbst zur Erholung nach Norwegen ging, so ist auch auf seinen
Bildern immer Sonntagsfriede, immer Feiertag. Er repräsentirt den-
selben idyllischen Optimismus, dieselbe freundliche Auffassung vom
Volk«, wie sie Björnson in seinen ersten Werken hatte, und es ist
bezeichnend, dass dieser selbst sich damals so in Uebereinstimmung
mit Tidemand fühlte, dass er eine seiner Novellen, den »Brautmarsch«
als Text zu Tidemands Bilde Der Brautkranz der Grossmutter
XXI. Das humoristische Anekdotf.xbild
176
Tidemand : Die Haugianer.
schrieb. Die intime Poesie im einförmigen Leben des Bauern zu
suchen, ihn auf seinem Kampf ums Dasein zu begleiten, lag nicht
in Tidemands Art; er lebte nicht lange genug unter dem Volke,
um in die l iefe zu dringen. Die auf seinen Sommerreisen ent-
standenen Zeichnungen, verrathen oft einen scharfen Blick für das
Pittoreske wie für das Seelenleben dieser Leute, aber wenn er später
in Düsseldorf mit Hülfe deutscher Berufsmodelle die Studien zu
Bildern componirte, wurde das scharf Charakteristische verwaschen.
Was auf Norwegisch hätte gesagt werden sollen, kam in accent-
loser deutscher Uebersetzung heraus. Seine Kunst ist düsseldorfische
Kunst mit norwegischen Landschaften und Kostümen, ein für deutsche
Beschauer abgefasster Lehrkurs über die Sitten und Gebräuche in den
norwegischen Dörfern. Das Einzige, was Tidemand zu seinem Yortheil
von den deutschen Düsseldorfern unterscheidet, ist, dass er weniger
humoristisch und sentimental gestimmt ist als diese. Bilder von ihm
wie die einsamen Alten . die Katechisation, der verwundete Bären-
jäger, des Grossvaters Segen, die Haugianer u. A. berühren wohl-
thuend durch eine gewisse, sachliche Schlichtheit. Andere hätten
XXI. Das humoristische Anekdotenbild
177
aus dem »Abschied des Emigranten« (Nationalgalerie in Christiania)
ein ganzes Melodrama gemacht. Tidemand erzählt den Vorgang
ohne alle Emphase , weiss sich fein auf der Grenzscheide zwischen
Sentiment und Sentimentalität zu halten. Es ist nichts Hysterisches,
Unechtes im Pathos dieses Mannes, der sich fürs Leben verab-
schiedet, in diesen Leuten, die ihm ernst das Geleite geben.
In Wien scheinen die Genremaler namentlich dem Theater ihre
Anregungen zu verdanken. Was dort auf dem Gebiete der grossen
Kunst in der ersten Hallte des Jahrhunderts entstand, ist nicht besser
und nicht schlechter als allerwärts. Den Mengs-David’schen Classi-
cismus vertrat mit noch schärferem Stich in’s Opernhafte Heinrich
Füger. Der Hauptrepräsentant des Nazarenerthums war Josef
Führich, dessen Fresken in der Altlerchenfelder Kirche coloristisch
vielleicht besser als die entsprechenden Münchener Arbeiten, aber
formell gleich abhängig von den Italienern sind. Seinen Wilhelm
Kaulbach hatte Wien in Carl Kahl, seinen Piloty in Christian Kuben,
der gleich dem Münchener mit Vorliebe Columbuse malte und sich
als Lehrer Verdienst erwarb. Nur durch die Bildnissmalerei wurden
Classicismus und Romantik ein wenig mit dem Leben verknüpft,
und die Wiener Porträtisten der vormärzlichen Zeit sind sogar besser
als die gleichzeitigen Deutschlands, da sie dem herrschenden Idealis-
mus weniger Zugeständnisse machten. Auf die Arbeiten Lampis
folgten die zarten Miniaturbildnisse Moritz Daffingers. Der hauptsäch-
lichste war Friedrich Amerling, der in London bei Lawrence, in
Paris bei Horace Vernet gearbeitet hatte und von dort mit tüchtigen
coloristischen Kenntnissen zurückkehrte. Sie sicherten ihm in der
ersten Hälfte des Jahrhunderts ein entschiedenes Uebergewicht über
seine deutschen Collegen. Erst als er später der gesuchte Modemaler
aller gekrönten Häupter geworden, ging seine Kunst in theatralische
Pose und unangenehme Weichlichkeit über.
Das Genrebild entwickelte sich wie anderwärts aus der Soldaten-
malerei heraus. Schon 1813 hatte Peter Krafft, ein Akademiker
David’scher Schule, ein grosses Oelgemälde, Abschied des Landwehr-
mannes«, ausgestellt: das Innere einer Dorfstube mit einer in Lebens-
grösse entworfenen Gruppe. Der Sohn des Hauses in grauem
Soldatenrock, das Gewehr in der Hand, reisst sich von seiner jungen
Frau los, die, einen Säugling auf dem Arm, unter Thränen ihn
zurückhalten möchte. Der alte Vater sitzt mit gefalteten Händen in
einer Ecke neben der Mutter, die ebenfalls weinend ihr Gesicht birgt.
Muther, Moderne Malerei II.
I 2
i?8
XXI. Das humoristische Anekdotenbild
1820 fügte Krafft diesem Bild als Gegenstück die »Heimkehr des
Landwehrmannes« hinzu, d. h. die Schilderung der Veränderungen,
die sich während der Abwesenheit des Kriegers in der Familie
vollzogen: die alte Mutter ruht schon unter der Erde; der greise
Vater ist noch älter geworden, das Töchterchen herangewachsen und
der Säugling trägt dem Vater das Gewehr nach. Es sind zwei
sehr langweilige Bilder — classicistische Maschinen mit modernem
Costiim, kalt und grau in der Farbe, falsch pathetisch im Inhalt.
Trotzdem spricht sich in ihnen ein neues Kunstprincip aus. Krafft
war der erste in Oesterreich, der erkannte, an welch reichem Stoff-
gebiet die Malerei bisher achtungslos vorüber gegangen. Er warnte
seine Schüler vor den Stoffen der Romantiker — diese seien er-
schöpft, »da es keinem gelingen werde, Besseres zu machen, als das
Abendmahl von Leonardo da Vinci oder die Madonnen von Rafael
- und trat warm für die Ueberzeugung ein, dass der Historien-
malerei nicht aufzuhelfen wäre, wenn sic nicht Gegenstände aus dem
modernen Leben zu ihren Vorwürfen nehme«. Krafft war ein aus-
gezeichneter Lehrer von nüchternem, klaren Verstand, der seine
Schüler immer wieder auf die Natur und das unmittelbare Leben
verwies. Die Folge seines Auftretens war, dass Carl Schindler,
Friedrich Trend, Fritz L’Allemand u. A. darangingen, das öster-
reichische Soldatenleben von der Rekrutirung bis zum Kampf, vom
Abschied des Kriegers bis zur Rückkehr in’s Vaterhaus zu episodischen
Bildern zu verarbeiten. Des Weiteren, dass auch das Wiener Genre-
bild sich von der akademisch-historischen Kunst abzweigte.
Tschischka und Schottky fingen damals gerade an, die Wiener
Volkslieder zu sammeln. Castelli im Gebiete der poetischen Schilder-
ung, Ferdinand Raimund in seinen Dramen führten das bürgerliche
Leben auf den Schauplatz. Bauern fei ds Typen aus dem Volks-
leben wurden rasch populär. Parallel mit diesen Schriftstellern gingen
Josef Danhauser, Peter Fendi und Ferdinand Waldmüller, die in
ihren Genrebildern das österreichische Volk in seinen Freuden und
Leiden, seiner Heiterkeit, Herzlichkeit und Gutmüthigkeit schilderten:
das Volk, das in Raimunds Volkspossen, nicht das, welches auf
dem Pflaster von Wien sich bewegt.
Josef Danhauser, ein Wiener Tischlerssohn, trieb sich in
Handwerker- und Bürgerkreisen umher. David Wilkie gab ihm
die Form , Ferdinand Raimund die Ideen. Seine Atelierscenen
mit lustigen Maljüngern, die in dem Moment, wo sie den ärgsten
XXI. Das humoristische Axekdotenisild
179
Schabernack treiben . von
ihrem griesgrämigen Meister
überrascht werden, gefielen
denselben Kunstfreunden, die
später Emanuel Spitzer lieb-
ten. Sein Prasser« ist ein
Seitenstück zu Raimunds
Verschwender, und wenn
auf dem Gegenstück der
Schlemmer verachtet und
verarmt die Klostersuppe
neben Bettlern schlürft, sein
früherer Lakai aber selbst
im Unglück ihm treu bleibt,
so hat für diesen Typus
Grillparzers »treuer Diener
seines Herrn , die Vorlage
gegeben. Eine »Testaments-
eröffnung« geht auf das ent-
sprechende Bild Wilkies zurück. Mädchen, die den Eltern ihren Fehl-
tritt bekennen , waren von Greuze gemalt. Eines der am meisten
belachten Bilder schilderte die Verheerung, die ein hereinstürmender
Fleischerhund in einem Atelier anrichtete. In seiner letzten Zeit
kehrte er mit Collins in der Kinderstube ein oder durchwanderte
mit dem Skizzenbuch die Vorstädte, wo er das Strassenleben der
Kinder, die Charakterköpfe des Schullehrers, des Stammgastes, des
Lotteriespielers verewigte.
Das ist das Stoffgebiet, auf dem sich Waldmi'iller bewegte. Paus-
backige Bauernkinder sind die Helden fitst aller seiner Bilder. Der
Säugling zappelt vor Lust auf dem Schoosse der Mutter und wird
vom Vater mit stolzer Befriedigung betrachtet, oder er schlummert,
vom Schwesterchen behütet, dann wandert er den rauhen Pfad zur
Schule, bringt verklärten oder zerknirschten Angesichts den Lohn
seines Thuns nach Hause, oder stottert dem Grosspapa den Glück-
wunsch zum Namenstag. Waldmüller zeigt den »ersten Schritt ,
die Freude der »Ghristbescheerung«, die Preisvertheilung an arme
Schulkinder«, er eilt mit der schaulustigen Jugend zum Guckkasten-
mann, man trifft ihn bei der »Abholung der Braut und bei der
Hochzeit ; er führt in die einfache Bauernstube und zeigt die
i8o
XXI. Das humoristische Anekdotenbild
Wohlthat des »Almosens«. Seine Kunst hiess früher »veredelter
Realismus« , da er alle seine Bauernbilder wie heilige Familien auf-
baute. Selbst die Klostersuppe mit den blühenden, reingewaschenen
armen Leuten, die in der Vorhalle eines Klosters gespeist werden,
ähnelt einer santa conversazione in ihrer tadellosen, wohlabgewogenen
Composition.
Friedrich Gauermann schweifte in der Gebirgswelt der österreich-
ischen Alpen, in Steiermark, dem Salzkammergut umher, um dort
die Natur mit ihren Bewohnern und ihrer Thierwelt zu schildern.
Er strebte im Gegensatz zu dem Idylliker Waldmüller und dem
Humoristen Danhauser in erster Linie ethnographische Genauigkeit
an. Die lokalen Eigenthümlichkeiten der Bauern, verschieden nach
den einzelnen Thälern, das Leben auf der Senne und dem Markte,
wenn eine feierliche Gelegenheit, ein Scheibenschiessen, eine Kirch-
weih, eine Sonntagsfeier die zerstreuten Alpenbewohner vereint
das ist in Gauermanns Bildern mit trocken ehrlicher Beobachtung
geschildert.
Die Genremalerei des Auslandes arbeitete mit den gleichen Typen.
Nur die Toilette wechselt, der Inhalt der Bilder bleibt der gleiche.
Altholländische Lustigkeit vereinigt sich mit Hogarths steifleinener
Moralität und Collins' Kindlichkeit.
In Belgien war der Weg zum Volk schon durch Leys angedeutet
worden. Denn wenn dieser auch noch Menschen des 16. Jahr-
hunderts malte, so waren sie doch nicht mehr idealisirt, sondern
rauh und hässlich wie in der Wirklichkeit. Als dann in den nächsten
Jahren die Liebe zur Wahrheit noch mehr zunahm, kam ein Moment,
wo auch die altdeutsche Tradition, unter deren Schutze Leys noch
stand, abgeschüttelt wurde und man direct, ohne Vermittlung eines
alten Stils, auf die Natur losging. Belgien war damals eines der
wohlhabendsten und aufstrebendsten Länder Europas. Die Privat-
sammlungen zählten nach Hunderten. Die reichen Kaufleute wett-
eiferten in dem Stolz, Arbeiten ihrer berühmten Maler zu besitzen.
Das übte nothwendig einen Einfluss auf die Produktion. Hübsche
Genrebilder aus dem Leben der Bauern wurden bald die bevor-
zugte Waare : man konnte zu ihrer kunstgeschichtlichen Sanctionir-
ung hier obendrein auf die grossen nationalen Muster Brouwer und
Teniers hinweisen.
Die Maler arbeiteten also zunächst mit denselben Elementen wie
Teniers. Die Yersatzstücke ihrer Bilder waren die Kneipe mit dem
XXI. Das humoristische Anekdotenbild
i 8 r
Strohdach, der alte Musikant mit der Violine, der Quacksalber, um
den sich ein Kreis gebildet hat, verliebte Paare oder Zecher, die
sich mit Zinnkrügen schlagen. Nur das Costüm hat sich verän-
dert und alles Ausgelassene, Urwüchsige oder Unanständige ist ad
usum Delphini sorgfältig ausgemerzt. Dass die tiefe Farbe der
Alten bunt und kleinlich geworden, war auch in Belgien eine noth-
wendige Folge der durch den Classicismus verursachten coloristischen
Hülflosigkeit. Die malerische Furia Adriaen Brouwers hat einer
polirten Porzellanmalerei Platz gemacht, die fast nichts von Hand-
arbeit verräth. Bunte, harte, rothe und grüne Farben waren be-
sonders beliebt.
Ignatius van Kegemorter erüffnete sich als Erster auf diesem
Wege eine bescheidene Bahn. Wie man die Bilder Wouwermans
am Apfelschimmel erkennt, erkennt man die Regemorters an der
Violine. Jedes Jahr stellte er eines aus, auf dem Musik gemacht
und mit etwas erzwungener Heiterkeit getanzt wurde. Dann kam
Ferdinand de Braekeleer, der alte Leute Jubiläen feiern oder lachende
Kinder und gute alte Frauen sich auf Volksfesten amüsiren liess.
'Feniers war sein hauptsächlichstes Vorbild , nur hat sich dessen
mächtige Jovialität in wohltemperirte Heiterkeit, sein breites Lachen
in discretes Lächeln verwandelt. Braekeleers Bauern und Prole-
tarier sind alle von idyllischer Milde, schöne ehrbare Seelen und bei
aller Armuth doch ebenso moralisch wie glücklich. Henri Coene
hatte Gedanken wie: »O die hübschen Trauben!« oder »Eine Prise
gefällig, Herr Pfarrer!« Das belgische Genre ein wenig aus diesem
engen Raum herausgezogen und an die Stelle des ewigen guten
Kerls Ferdinand de Braekeleer’s eine grössere Mannigfaltigkeit mehr
an die Wirklichkeit streifender Typen gesetzt zu haben, ist das Ver-
dienst Madou’s. Madou war Brüsseler. Er ward hier 1796 geboren
und starb 1877. Als er auftrat, war eben Wappers erschienen.
Madou erlebte dessen Erfolge, fühlte sich aber nicht versucht, ihm
zu folgen. Während jener in grossen monumentalen Bildern ein
Rubens redivivus sein wollte, legte Madou in flüchtigen Bleistift-
skizzen seine Erfindungen nieder. Eine grosse Anzahl von Litho-
graphien mit Scenen der Vergangenheit gab Zeugniss von seiner
Auffassung der Geschichte. Da war nichts in’s Edle Emporge-
schraubtes, kein Idealismus, keine Schönheit, die Figuren bewegten
sich unter ihren Waffenröcken und Helmen mit dem natürlichen
Gebahren gewöhnlicher Menschen. Neben grossen Herren, Fürsten
182
XXI. Das humoristische Anekdotenbild
Madou: In der Kneipe.
und Rittern, zwischen Helmen und Tricots tauchten Trunkenbolde,
Wirthshauspolitiker, Dorfcretins u. dgl. auf, schnitten Grimassen,
tanzten und rauften. Die Blätter nehmen in Belgien eine ähnliche
Stelle ein, wie in Deutschland die ersten Lithographien Menzels.
Doch Madou verharrte noch kürzere Zeit im Pantheon der Geschichte,
die Kneipe übte grössere Anziehungskraft. Erst die humoristischen
Bücher, die er in Paris und Brüssel herausgab, zeigten ihn in seinem
wahren Lichte. Und nachdem er sich mehrere Jahre ausschliesslich
mit Zeichnungen beschäftigt, feierte er 1842 sein Debüt als Maler.
Es ist schwer festzustellen, wie viel Madou seitdem producirte. Die
lange Zeit von 1842 — 1877 ist mit Arbeiten gefüllt, noch in den
70 er Jahren zeigte er sich so frisch wie anfangs, und war er während
seines Lebens als Spassmacher gern gesehen , so wurde er nach
seinem I ode sogar als grosser Maler gefeiert. Auf der Auction
seines Nachlasses wurden Bilder zu 22,000 Eres., Skizzen für 3200
Eres., Aquarelle für 2150 Frcs., Zeichnungen für 750 Eres, verkauft.
Die Gegenwart führt diese Ueberschätzung auf das richtige Maass
zurück, ohne jedoch an Madou ’s historischer Bedeutung zu rütteln.
Er hat seine feste Stellung als derjenige, der für die belgische Kunst
das moderne Leben eroberte, und ist für die Genremalerei jener
XXL Das humoristische Anekdotenbii.d
183
Madou: Der Betrunkene.
Jahre um so mehr bezeichnend, als er an Unerschöpflichkeit der
Erfindung alle seine Genossen, auch in Deutschland und England
überragte.
Es geht äusserst lustig zu auf seinen Bildern. Eine der be-
liebtesten Figuren ist der Feldwächter, ein alter schlauer Fuchs mit
kupferrothem faltigen Gesicht und grossen Ohren, der mehr zum
Schrecken der Liebespärchen als der Wilderer sich am Waldessaum
herumtreibt und nie auf Jemanden zielt als zum Scherz auf den
Herrn Landrichter, den dicken Herrn mit der bunten Weste, der be-
häbig am Ende des Weges auftaucht. Prahlhänse, arme Teufel, alte
Grenadiere, die mit Dienstmädchen scherzen, alte Marquis, die mit
gezierter Grandezza den Tabak aus ihrer Schnupftabakdose nehmen,
Charlatans in ihrer Bude, taubstumme Flötenbläser, gelehrige Hunde,
Jungen, die an der »ersten Pfeife« krank werden, folgen in bunter
Reihe. Dazwischen tauchen Politiker auf, superkluge und dumme,
die mit gespreizten Beinen, den Zwicker auf der Nase, mit Wichtig-
keit die frisch gedruckte Zeitung aufschlagen. Ganz besonders liebte
er die Betrunkenen , und da war die Heiterkeit unwiderstehlich.
»8-4
XXI Das humoristisch!: Anekdotenbild
Kerle mit Silenbäuchen und blauen Schnapsnasen waren am Tisch
eingeschlafen und amüsirten durch ihr Schnarchen die übrigen Kneip-
gäste. Zuweilen öffnete sich die Thür, und, einen Besen in der
Hand, keifend, erschien ein weibliches Wesen. Es war nun sehr
lustig, die Miene des Betrunkenen zu sehen. Er versuchte sich beim
Klang der geliebten Stimme zu erheben und klammerte sich wankend
an den Tisch, ängstlich die Bewegungen seiner Ehehälfte verfolgend,
oder er setzte sich fester im Stuhl zurecht mit einem resignirt
muthigen »j’y suis j’y reste«.
Adolf Dillens wirkt, weil er weniger witzig sein will, sym-
pathischer. Auch er hatte mit forcirten Anekdoten begonnen, legte
jedoch, seit ihm eine Reise nach Seeland den Blick für die Natur
eröffnet, das Burleske ab und schilderte in frischen Bildern, was
er gesehen hatte: gesunde Menschen von patriarchalischen Sitten.
Selbst seine Malweise wurde einfacher und natürlicher, das bisher
den Alten abgesehene Colorit frischer und heller. Er befreite sich
vom Rembrändt’schen Clairobscur und fing an , ohne Brille in
die Natur zu sehen. Seine Beobachtung hat etwas Poetisches, er
liebte die guten Leute und malte sie in der schlichten Einfachheit
ihrer Existenz: ein heiteres Greisenalter , das keine Runzeln, eine
lachende Jugend, die keine Sorgen kennt. Auch er ist einseitig, da
von seiner glücklichen Welt eine gütige Fee allen Kummer fernhält,
aber seine Bilder sind Erzeugnisse eines liebenswürdigen, frischen
Temperaments. Ein gemüthliches Zusammensitzen in der Kneipe,
ein Gespräch unter der Thür, Schlittschuhfahren, Scenen in Schuster-
werkstätten, Begegnungen auf Brücken, ein Windstoss, der den Regen-
schirm umstülpt, sind seine gewöhnlichen Themen, und wenn er
sie mit kleinen episodischen Details verbrämt wie schüchternen Lieb-
hahern, die Blumensträusse bringen, hübschen jungen Mädchen, die
ein Liebesgcständuiss anhören und dabei erröthend die Schürze
streichen, verliebten Schustern, die ihren Besucherinnen ein wenig
zu hoch über dem Knöchel Mass nehmen, so ist dieses Vergnügen
so unschuldig, dass Niemand ihm darob zürnen kann.
In Frankreich brachte es durch humoristische Anekdoten in den
30er Jahren hauptsächlich Francois Biard, der Paul de Kock der
französischen Malerei zu Ansehen, der sein ganzes Leben der kom-
ischen Schilderung der kleinen Gebrechen und Unfälle des Spiess-
bürgerthums widmete. Er wusste seine Spässe sehr geschickt in
Scene zu setzen, die lächerlichen Eigenheiten des Philisters mit
XXI. Das humoristische Axekdotekbild
185
handgreiflicher Derbheit zu verspotten. Vor seinen Bildern drängte
sich daher die Masse, obwohl oder weil sein Esprit der gewöhn-
lichsten Art war. Wandernde Komödianten mussten sich bei ihrer
Toilette komisch betragen. Knaben badeten und ein Gendarm trug
unterdessen die Kleider weg. Ein Posten salutirte vor einem deco-
rirten Veteranen und dessen Frau machte dankend einen Knix. Der
Dorfschulze nahm mit feierlicher Grandezza die Revue der freiwilligen
Bürgerwehr ab. Ein Kind producirte sich am Klavier unter der Be-
wunderung gähnender Verwandten. Eines seiner Hauptbilder nannte
sich »Posada espagnol«. Der Held war ein Mönch, der sich rasircn
Hess und dabei einer vorübergehenden 40jährigen Schönheit zu-
zwinkerte. Andere Weiber standen und sassen ringsum. Da brach eine
Schweineheerde ein, warf Alles durcheinander, setzte die Waden der
Damen dem Tageslicht aus und rief einen jener komischen Schreckens-
effekte hervor, wie sie Paul de Kock liebte. Biard war an solchen
geistreichen Reizmitteln für die Lachlust unerschöpflich, und da er
auch weite Reisen gemacht, so hatte er, wenn es nichts zu lachen
gab, doch immer einen Sklavenmarkt, einen Urwald, eine Eisregion
in Vorrath, um damit die Neugier seiner Verehrer zu befriedigen.
Er war von deutschem Standpunkt ein nicht unbedeutender Künstler,
dessen sprudelnde Einfälle zehn Genremaler ernährt hätten, und wenn
er in Frankreich der einzige Vertreter des humoristischen Anek-
dotenbildes blieb, so ist dies wohl darin begründet, dass dort die
Kunst früher als anderwärts durch die socialpolitische Ideenbewegung
in ernstere Bahnen gelenkt ward.
QXg)
XXII.
Das socialistischc Tendenzbild.
DASS das moderne Leben, in allen Ländern gleich massig, zu-
| nächst nur unter der Form der humoristischen Anekdote in
die Kunst Eingang fand, hängt zum Theil mit den ein-
seitigen ästhetischen Anschauungen jener Jahre zusammen. Man er-
innerte sich in einer vom Idealismus beherrschten Zeit nicht, dass
Murillo in der Sonne sitzende lahme Bettler, Velazquez Krüppel
und Trunkenbolde, der alte I lolbein Aussätzige malte, dass Rembrandt
eine solche Vorliebe für die kleinen Leute hatte und der alte Brueghel
in unheimlich düsterem Pessimismus die ganze Welt in eine schreck-
liche Klinik verwandelte. Der moderne Mensch war hässlich, während
die Kunst das »absolute Schöne« verlangte. Wollte man trotz
mangelnder beaute supreme ihn einführen in die Malerei, so war
das einzige Mittel, ihn als humoristischen Gegenstand zu behandeln,
gegen den die Kunst sich ironisch zu verhalten hätte. Andererseits
war für diese Form der Humoreske auch die Rücksicht auf den
Consumentenkreis massgebend. In einer Zeit, als sich die Malerei
in erster Linie an ein Publikum wenden musste, das zur Kunst
selbst noch nicht erzogen war und nur Geschiclitchen ablesen
konnte, hatten solche Scherze die meiste Aussicht auf Beifall und Ab-
satz. Es galt Lachen hervorzurufen um jeden Preis durch die
Dummheit der Typen, die Drolligkeit der Mienen und das Komische
der Situationen. Nach ihrer grösseren oder geringeren Verwend-
barkeit für Witze richtete sich im Wesentlichen die Auswahl der
Figuren. Kinder, Bauern und kleinstädtische Philister schienen da-
für am meisten geeignet. Der Maler benutzte sie als fremdartige
naive Wesen und führte sie dem Ausstellungsbesucher wie eine Art
gelehrter Pudel vor, die merkwürdige Dinge machten, ganz wie die
Menschen. Und die Kunstvereinsbesucher lachten über die höchst
komischen Käuze aus einer andern Welt, wie ein paar Jahrhunderte
vorher die Höflinge Ludwigs XIV. in Versailles gelacht hatten, wenn
XXII. Das socialistische Tendenzbild
187
die Abenteuer der Bourgeois Jourdain und Monsieur Dimanche auf
der Bühne Molieres von den Komödianten des Königs agirt wurden.
Allmählich bemerkten die Maler indessen, dass dieser Humor ä
l’huile künstlerisch zu theuer erkauft war. Der Witz, der wie eine
Seifenblase ist, kann auch nur leichte Darstellungsweise vertragen,
so wie Hokusai zeichnete oder Brouwcr malte, wirkt aber unerträg-
lich, wenn er sich als mühsame Composition mit peinlicher Wirklich-
keitsabschilderung zum Besten gibt. Und neben diesen künstlerischen
machten sich auch ethische Gründe dagegen geltend.
Die Drolligkeit dieser Bilder entsprang nicht den Charakteren,
sondern dem Bestreben, die Besucher der Ausstellung auf Kosten der
abgemalten Figuren zu amüsiren. Ein Bauer ist in der Regel ein
ernster, vierschrötiger, eckiger Gesell. Er kämpft mit dem Boden
um seine Existenz; sein Leben ist kein Vergnügen, sondern harte
Arbeit. In diesen Bildern aber erschien er als Figur ohne Zweck
und Inhalt, in deren Hirn sich der Ernst des Lebens in läppisches
Spiel verkehrte. Die Maler lachten über die kleine Welt, die sie vor-
führten. Sie waren nicht Freunde des Menschen, sondern sie paro-
dirten ihn, indem sic seine Welt in ein Kasperltheater verwandelten.
Oder wenn sie nicht mit überlegen maliciöser Ironie an ihre
Figuren herantraten, so dachten sie doch nicht daran, mit ernster
Wahrheitsliebe in die Tiefen des modernen Lebens zu tauchen,
Sie malten Modernes, ohne daran Theil zu haben, wie gute
Kinder, die nichts wissen von all dem Bitteren, was in der Welt
vorgeht. Wenn die alten Holländer lachten, so war dieses Lachen
culturgeschichtlich begründet. Es sprach sich in Ostades und Dirk
Hals’ Bildern die ganze urwüchsige Ausgelassenheit und wildbewegte
Lebenslust eines Volkes aus, das eben seine Selbständigkeit errungen
hatte, sich nach langen Kriegsjahren mit Wollust den Freuden des
Daseins hingab. Das Lächeln dieser modernen Genremaler aber
war ein erzwungenes, conventioneiles, künstlich hervorgerufenes
Lächeln, ein Epigonenlächeln, das sich nur in Unkosten stürzte,
weil die alten Holländer gelacht. Sie nahmen ein rosarothes Glas
vor's Auge und sahen durch diese bunte Brille vom Leben nur ein
heiteres Maskenspiel, einen schönen, aber inhaltlosen Schein. Sie
Hessen ihre Helden so viel Lustiges erleben, dass die Frage, wovon
sie lebten, nie gestreift ward. Wenn sie ihre Kneipenbilder malten,
vermieden sie ängstlich, den Gedanken aufkommen zu lassen, dass
diese Leute, die so zwecklos grosse Krüge leerten, vielleicht zu
1 88
XXII. Das socialistische Tendenzbild
Hause kranke Kinder hatten, die hungernd in ungeheiztem Zimmer
froren. Ihre Bauern sind Kinder des Glückes, die nicht säen noch
ernten und von ihrem himmlischen Vater ernährt werden. Laster
und Armuth präsentirten sich nur als liebenswürdige Schwächen,
nicht als grosse moderne Probleme.
Gerade damals bereitete sich nun die Revolution von 1848 vor.
das Volk litt und kämpfte, und die Literatur hatte sich schon seit
Jahren an diesen Kämpfen betheiligt. Vor der Revolution bestand
der Kampf zwischen Adel und Bürgerthum ; jetzt, wo dieses zum
Theil den Platz des frühem Adels eingenommen, erhob sich das
ungeheure Problem des Zwiespaltes zwischen Unproductiven und
Productiven, zwischen Besitzenden und Armen.
In England, der Geburtsstätte des modernen Capitalismus, dem
Lande, wo Grossindustrie und Grossgrundbesitz zuerst die unab-
hängigen Mittelclassen verdrängten und eine immer schroffere Scheid-
ung zwischen Allesbesitzenden und Nichtsbesitzenden hervorriefen,
kam diese Sphinxfrage des 19. Jahrhunderts am frühesten zu Worte.
Schon vor 60 Jahren, im Todesjahr Goethes, begann dort eine neue
Literatur, die sociale. Mit Ebenezer Elliot, der in jungen Jahren
selbst schlichter Fabrikarbeiter gewesen, hielt der vierte Stand seinen
Einzug in die Literatur, ein Arbeiter cröffnetc die Reihe der socialen
Dichter. Thomas Hrod schrieb seinen Song of the shirt , jenes
Lied von der armen Näherin, das bald seine Runde durch den Con-
tinent machte. Carlyle, der Freund und Bewunderer Goethes, trat
1843 in seiner Schrift »Past and present als glühender Sachwalter
der Armen und Elenden auf. »Diese Welt ist für die Proletarier
kein heimathliches Haus, sondern ein dumpfes Gefängniss voll toller,
fruchtloser Plagen«. Das war ein Satz, der wie eine Bombe die Welt
erschütterte; 1845 folgte Benjamin Disraelis Sybil : als Roman eine
sonderbare Mischung aus romantischen und naturalistischen Capiteln.
in diesen letztem aber wie eine prophetische Ankündigung von Zolas
Germinal wirkend. Charles Dickens hatte in seiner Jugend als
Zeitungsreporter Gelegenheit, das Elend der Londoner \ olksmassen
kennen zu lernen, auch wo es sich scheu in lichtlosen Schlupf-
winkeln barg, und stellte in seinen Londoner Skizzen und Weih-
nachtsmärchen solche Scenen socialer Noth zu erschütternden Bildern
zusammen. Der gemeine Mann, dessen Leben nur saure Wochen
und spärliche Feste kennt, erhielt in der englischen Romanliteratur
das Bürgerrecht.
XXII. Das socialistische Tendenzbild
189
Für Frankreich bedeutete das Jahr 1830 zugleich ein Ende und
einen Anfang: den Abschluss der Kämpfe, die 1789 begannen, und den
Anfang derer, die zur Entscheidungsschlacht von 1848 führten. Mit
dem Bürgerkönig, den Lafayette die »beste der Republiken« nannte,
kam der dritte Stand in den Besitz der lange erstrebten Stellung,
stieg aus den Reihen der Benachtheiligtcn in die der Privilegirten
empor. Als neue dirigirende Classe wucherte er mit den Früchten
der Julirevolution so ausgiebig, dass Börne schon 1830 von Paris
aus schrieb: »Die Menschen, die 15 Jahre lang gegen alle Aristo-
kratie gekämpft — kaum haben sie gesiegt, noch haben sie ihren
Schweiss nicht abgetrocknet, und schon wollen sie für sich selbst
eine neue Aristokratie bilden, eine Geldaristokratie, einen Glücks-
ritterstand.« In gleichem Sinne 1837 Heine: »Die Männer des Ge-
dankens, die im 18. Jahrhundert die Revolution so unermüdlich vor-
bereitet, sie würden erröthen , wenn sie sähen, wie der Eigennutz
seine kläglichen Hütten baut an die Stelle der niedergebrochenen
Paläste und wie aus diesen Hütten eine neue Aristokratie hervor/*
wuchert, die, noch unerfreulicher als die ältere, nur im Gelderwerb
ihre letzten Gründe findet. Damit waren die Grundgedanken des
modernen Socialismus berührt. Das Proletariat, das Elend wurden
seitdem die Stoffe der französischen Dichtung, obgleich man sie noch
nicht im Sinne naturalistischer Wahrheitsliebe, sondern nach den
romantischen Gesichtspunkten des Contrastes betrachtete. Beranger.
der populäre Sänger der Chansons, dichtete seinen »vieux vagabond .
das Lied vom alten Bettler, der in der Gosse endet; Auguste Barbier
seine Ode an die Freiheit, worin er »la sainte Canaille« als unsterb-
liche Helden feiert und voll juvenalischem Hohn die »Ausbeuter der
Revolution, jene Bourgeois in feinen Handschuhen geisselt, die sich
gemächlich die blutigen Strassenschlachten vom Fenster aus ansehen .
1842/43 veröffentlichte Eugene Sue seine »Mysterien von Paris«, ein
abstossendes, unsinniges Buch, das aber gerade durch die ekelerregende
Offenheit, mit der es den Schleier vom Leben der untern Volks-
schichten zog, ein ungeheures Aufsehen erregte. Selbst die grossen
Geister der romantischen Schule begannen mit tiefer Bewegung und
inniger Theilnahme dem socialen und politischen Streben des Zeit-
alters zu folgen. Schon im Laufe der 30er Jahre brachen von allen
Seiten socialistische Ideen über die romantische Schule herein. Ihre
Quelle war Saint-Simon , dessen Lehren erst unter Louis Philipp
weitere Verbreitung fanden.
190
XXII. Das socialistische Tendenzbild
Nach ihm bestand
die Aufgabe des nou-
veau Christianismc
darin , das Schicksal
der ärmsten und
gleichzeitig zahlreich-
sten Classe möglichst
rasch zu verbessern.
Seine Schüler be-
trachteten ihn als den
Messias der neuen
Zeit und zogen als
dessen Jünger hinaus
in die Welt. George
Sand , der kühnste,
weibliche Genius der
Weltliteratur, be-
mächtigte sich der
gährendcn Ideen und
begründete mit ihrem
Compagnon du
Tour de France« den
Arbeiterroman. Es ist
das erste Buch, das
wirklich von Liebe
Leleux: Mot d’ordre. z 11111 »Volk g««
gen : zum Volke, wie
es ist, zu dem. das trinkt und Gewaltthaten begeht, wie zu dem.
das arbeitet und geistige Fortschritte macht. In ihrer Zeitschrift
L’eclaireur de l’Indre« verficht sie bald die Sache der hauptstädt-
ischen, bald die der ländlichen Arbeiter; 1844 erklärt sie sich in dem
grossen Aufsatz Politik und Socialismus« unbedingt als Socialistin,
1848 gab sie die berühmten Briefe an das Volk« heraus.
Zu Victor Hugo kam der demokratische Ideenstrom besonders
durch den religiösen Apostel Lamenais, dessen im Gefängniss ge-
schriebenes Buch De l’esclavage moderne« der Revolution von 1848
ähnlichen Zündstoff gab, wie der von 1789 die Werke Rousseaus.
Der Bauer trägt die ganze Wucht des Tages, setzt sich dem Regen,
der Sonne dem Winde aus, um durch seine Arbeit die Ernte vor-
XXII Das socialistische Tendenzbild
191
zubereiten, die im
Spätherbst unsere
Scheunen füllt.
Wenn es ein Volk
gibt, das ihn des-
halb geringer schätzt
und ihm nicht Ge-
rechtigkeit und Frei-
heit gibt, so bauet
eine hohe Mauer
um dieses Volk, da-
mit nicht sein stin-
kender Athem die
Luft in Europa ver-
peste. « In Hugos Ge-
dichten dröhnt seit
dem Beginn der 40er
Jahre der dumpfe
Lärm der Revolu-
tion, die bald ihren
Krater in Paris öff-
nen sollte und von
da als grollendes Ge-
witter über Europa zog. Statt der Tricolore, unter der 18 Jahre
vorher Bürgerthum und Arbeiterschaft vereint fochten, erhob sich
blutigroth das Banner der Arbeiter gegen die herrschende Bourgeoisie.
Dieser ernst gewordene Zeitgeist musste auch die Kunst in
andere Bahnen lenken : der gemalte Humor und kindliche Optimis-
mus der ersten Genrebilder fing an, eine Lüge zu werden. Die Kunst
kann trotz Schiller nicht aufrichtig heiter sein, wenn das Leben ernst
ist. Sie kann mit den Gesichtsmuskeln lachen, aber das Lachen bleibt
tonlos; sie kann sich stolz für einen geweihten Bezirk erklären, in
dem nichts widertönen dürfe von dem Kämpfen und Ringen da
draussen — die rauhe Wirklichkeit fordert doch ihr Recht. Das
illustrirt jenes bescheidene Bildchen Josef Danhausers von 1836 Der
Prasser«. In einem behäbig ausgestatteten Saal sitzt eine Gesellschaft
wohlsituirter Honoratioren beim Mahl. Fische, Geflügel, Torten und
Weinflaschen bedecken den Tisch. Der Hausherr, ein feister kleiner
Mann, kaut mit vollen Backen, ein junger Herr gibt ein Lied auf der
Meissonier : Barrikade.
XXII. Das socialistische Tendenzbild
i 92
Harte /um Besten. Da erfolgt eine unliebe Störung. An der Thür
zeigt sich, den fettigen Hut in der Hand, in Lumpen gehüllt, die
Gestalt eines Bettlers. Die Damen kreischen, unter dem Stuhl fährt
bellend ein Hund hervor, der bedienende Lakai schickt entrüstet
sich an, den frechen Eindringling zu entfernen. Das war die Halt-
ung, welche die Kunst bisher gegenüber der socialen Frage einnahm.
Sie fuhr ärgerlich zurück, sobald ein Stück grober, brutaler Wirklich-
keit ihre friedlichen Kreise störte. Nur fröhliche Lebensbilder wollte
man um sich sehen. Darum wurden die Bauern stets in reinlicher,
netter Gewandung gemalt, mit heiter strahlenden Blicken, den Segen
der Arbeit, die Freuden des Landlebens verkörpernd. Selbst die Bettler
waren harmlose, still vergnügte Menschen, in Gesundheit und Schön-
heit prangend und von ästhetischen Lumpen umflossen. Aber wie
zu jeder Zeit politische, religiöse und sociale Bewegungen lebhaft
und nachdrücklich auf die Künstler wirkten . so konnten sich auch
im 19. Jahrhundert die Maler auf die. Dauer diesem Einfluss nicht
fern halten. Dumpf grollend, mit immer verstärkterer Macht Hess sich
die Stimme des Enterbten hören. Das im Lucas-Evangelium erzählte
Gleiclmiss vom armen Lazarus, der vor der Schwelle des Reichen lag,
war zur entsetzlichen Wirklichkeit geworden. Ueberall sah man
Kampf, und es wäre eine Herzensrohheit gewesen , dieses leidende
Volk noch länger als angenehmes Belustigungsobject zu benutzen.
Eine höhere Auffassung, die man vom Menschen bekam, die ganze
philanthropische Stimmung des Zeitalters Hess die Scherze, über die
man gelacht, nun fad und erzwungen erscheinen. Das moderne
Leben musste aufhören, für die Kunst eine humoristische Episode zu
sein, es war durch und durch ernste Wirklichkeit geworden. Die
Malerei durfte nicht mehr witzeln, sie musste mitsprechen, reden
von dem, was vor sich ging. Sie musste mitkämpfen für wirklich
in der Zeit liegende Ziele.
Unter dem gewaltigen Eindruck der Julirevolution machte sie
den ersten Yorstoss. Die Regierung war in blutigem Ringen nieder-
geworfen. das befreite Volk jubelte auf, und der nächste Salon
brachte mehr als 40 Darstellungen des Ereignisses, unter denen die
von Delacroix an künstlerischer Wucht obenan stand. Die Haupt-
figur des Bildes ist »ein jugendliches Weib, mit einer rothen phrvg-
ischen Mütze, eine Flinte in der einen Hand, in der andern eine drei-
farbige Fahne. Sie schreitet dahin über Leichen, zum Kampf auf-
fordernd, entblösst bis zur Hüfte, ein schöner ungestümer Leib, das
XXII. Das socialistische Tendenzbild
193
Gesicht ein kühnes Profil,
frecher Schmerz in den Zü-
gen, eine seltsame Mischung
von Phryne, Poissarde und
Freiheitsgöttin«. So hat Hein-
rich Heine unter dem frischen
Eindruck des Ereignisses das
Werk beschrieben. Mitten
im Pulverdampf steht »die
Freiheit« auf der Barrikade,
rechts neben ihr ein Pariser
Gamin, eine Pistole in der
Hand, noch ein Kind und
doch schon ein Held, links
ein Arbeiter, ein Gewehr im
Arm — es ist das Volk, das
jubelnd herbeieilt, den Tod
für die grossen Ideen der
Freiheit und Gleichheit zu
sterben.
Der Maler selbst war eine ganz unpolitische Natur. Er hatte
die Anregung zu dem Bilde nicht aus dem, was er erlebte, sondern aus
den zornsprühenden Versen Auguste Barbiers »La curee« geschöpft:
C’est que la Liberty n’est pas une comtesse
Du noble faubourg Saint-Germain
Une femme qu’un cri fait tomber en faiblesse
Qui met du blanc et du carmin ;
C’est une forte femme aux puissantes mamelles,
A la voix rauquc, aux durs appas,
Qui, du brun sur la peau, du feu dans les prunellcs
Agile et marchant ä grands pas
Se plait aux cris du peuple, aux sanglantes meines
Aux longs roulements des tambours
A l'odeur de la poudre, aux lointaines volles
Des cloches et des canons sourds.
Und er hat durch diese allegorische Figur dem Bild gewiss ein
Stück seiner packenden Unmittelbarkeit genommen — eine kühne
naturalistische That war es trotzdem. Durch dieses Werk ist der
grosse Romantiker auch der Vater der naturalistischen Bewegung ge-
worden, die nun, von der revolutionär demokratischen Presse unter-
Mmher, Moderne Malerei II.
D
194
XX.II. Das socialistische Tendenzbild
stützt, seit der Julire-
volution immer mehr
sich ausbreitete.
Die Kritiker dieser
Blätter fingen an, den
Malern vorzuwerfen,
dass sie zu wenig um
politische und sociale
Dinge sich kümmer-
ten. »Die Actualität
und die sociale Be-
deutung der Kunst
ist das, worauf es in
erster Linie ankommt,
was heisst »Schön-
heit?« Wir verlangen
von der Malerei, dass
sie auf die Gesell-
schaft wirke und am
Fortschritt mit-
arbeite. Alles andere
gehört in die Domäne
der Utopien und Ab-
stractionen.« An die
Stelle der Humo-
resken treten sentimentale und melodramatische Scenen aus dem
Leben der Armen. Begeistert vom Siege des Volkes und von demo-
kratischen Gefühlen beseelt, glaubten einige Maler, dass auch die
Leiden des Proletariers darstellbar seien und dass es nichts Edleres
gebe, als die Arbeit. Jeanroti gab als einer der Ersten das Beispiel.
Sein im Anschluss an die Julirevolution entstandenes Bild der »kleinen
Patrioten« war eine Verherrlichung des Kampfes um die Freiheit;
seine »Scene aus Paris« ein Protest gegen die Leiden des Volkes.
Fr suchte seine Modelle unter den Armen der Vorstadt, malte ohne
Idealisirung ihre zerlumpten Kleider und ihre hässlichen Köpfe. Das
Ziel der Kunst war ihm nicht die Schönheit, sondern der Ausdruck der
Wahrheit — eine Wahrheit freilich, die politisch Propaganda machte.
Socialistisch zu wirken, war Jeanrons Zweck: in seinen Schmieden,
seinen Bauern oder jener Rast des Arbeiters«, die 1847 Thore zu
XXII. Das socialistische Tendenzbied
195
den Worten veranlasste: »Es ist
die Landschaft aus der Umgegend
von Paris, traurig und nackt, eine
plebejische Landschaft, die nicht
sich selbst gehört, die auf alle
Schönheit verzichtet, nur um im
Dienste des Menschen zu arbeiten.
Jeanron ist immer plebejisch, sogar
in seinen Landschaften. Er liebt die
Ebenen, die nie zur Ruhe kommen,
auf denen immer gearbeitet wird;
es gibt keine schönen Blumen auf
seinen Feldern, sowenig wie Gold-
schmuck auf den Lumpen seiner
Arbeiter und Bettler.«
Nachdem dann während der
ersten Regierungsjahre Louis Philipps die Strömung wieder latent
gewesen, setzte die Februarrevolution durch, was die Julirevolution
begonnen. Mittehnässige Maler wie Antigua wurden berühmt, weil
sie in mittelgrossen und kleinen Bildern über die Leiden des »ge-
meinen Mannes« jammerten. Andere fingen an, sich mehr als vor-
her für die Bauern zu interessiren und diese ernster zu nehmen,
als es in frühem Werken geschah. Adolphe Leleux studirte die
Bretagne und fand im täglichen Leben des Landmannes ernste Epi-
soden, die er mit grosser Sachlichkeit wiedergab. Nachdem er
dazwischen — mit aragonischen Schleichhändlern — auch wieder
in die Romantik abgelenkt, feierte er 1849 seinen Haupterfolg mit
jenem Bild des Luxembourg, zu dem ihn der traurige Anblick der
Strassen von Paris während des Aufstandes 1848 anregte. Die
Menschen, die damals durch Elend und Hunger getrieben auf den
Barrikaden kämpften, man findet sie in Leleux’ »Mot d’ordre«. Nach
dem Staatsstreich von 1851 griff selbst Meissonier, damals noch aus-
schliesslich Rococomaler, auf dieses Gebiet über. In seinem Barri-
kadenbild (2. Dezember 1851) liegen Haufen von Leichen auf der gegen
die Soldaten des zukünftigen Kaisers errichteteten Barrikade, und sie
sind hingestreckt in Posen, die nicht zu erfinden sind. Auch die
Mache hat eine Nervosität, in der sich verräth, dass selbst ein so ge-
messener Geist wie Meissonier einmal bewegt und erregt war. In seinen
kleinen Rauchern, kleinen Gelehrten, kleinen Kammerdienern ist er ein
Oclave Tassaerl.
19 £>
XXII. Das socialistische Temdenzbild
geschickter, aber kalter Maler, hier hat er wirklich ein modernes
Epos geschrieben. Seine »Barrikade« (früher Sammlung van Praet)
bildet die einzige ergreifende Note in dem sonst so ruhigen Werk
des Meisters. Alexandre Antigna, erst Historienmaler, ging von
geschichtlichen Unglücksfällen zu solchen im Leben der niederen
Volkskreise über : In der Wohnung einer armen Familie schlägt
der Blitz ein ; arme Leute packen bei ausbrechender Feuersbrunst
mit der Hast der Verzweiflung ihre geringe Habe zusammen ; Bauern
suchen bei einer Ueberschwemmung auf dem Dach ihres Häus-
chens Rettung; Krämer ziehen mit ihrer Waare über Land, und
der Gaul bricht todt vor dem Karren zusammen ; ein altes Weib
lässt sich, an der Strassenecke kauernd, von ihrem Töchterchen die
Pfennige aushändigen, die es mit seinem Geigenspiel erbettelt. Der
Künstler, in dessen Werken sich die volksfreundliche, wenn auch
rührselige Stimmung der Epoche ganz besonders spiegelt, ist der
merkwürdige, widerspruchsvolle Ociave Tassaerl, der, gleichzeitig
von Grenze, Fragonard und Prudhon kommend, bald Historien,
bald Mythologisches, Zoten und Religiöses, Boudoirbilder und Scenen
menschlichen Elends malte. Tassaert war Niederländer, ein Enkel
jenes Tassaert, der 1788 als Director der Berliner Akademie starb
und Gottfried Schadow heranzog. Im Allgemeinen ist sein Name
heute vergessen, er erweckt nur eine dunkle Erinnerung an die
»Unglückliche Familie« des Musde Luxembourg. Aber vor vierzig
Jahren gehörte er zu den Vorgeschrittensten seiner Zeit und hat
sich der Achtung von Männern wie Delacroix, Rousseau, Troyon
und Diaz erfreut. Chardin und Greuze nahm er sich zum Muster,
und an Talent ist er ein wahrer Meister. Er war der Poet der Vor-
stadt, der in zart klagenden Tönen von den Leiden und Hoffnungen
der kleinen Leute erzählte. Er malte die Elegie des Elends: Selbst-
morde in kleinen Dachstuben , kranke Kinder, im Schnee frierende
Waisen, verführte, mehr oder weniger bereuende Mädchen — ein
trauriges Defile. Den Correggio der Mansarde, den Prudhon der
Vorstadt nannte man ihn. Auf elf Jahre — von 1846 — 57 — be-
schränkt sich seine Thätigkeit. Seitdem schickte er nichts mehr in
den Salon und zog sich mürrisch vom Kunstleben zurück. Er
wollte seine Bilder nicht mehr sehen, verkaufte sie — 44 an der
Zahl — an einen Kunsthändler um 2000 Francs und ein Fass
Wein. Das Glas in der Hand, vergass er den Menschenhass. Fast
unbekannt lebte er in einem Häuschen der Vorstadt nur mit einer
XXII. Das socialistische Tendenzbild
197
Nachtigall, einem Hund und
einer kleinen Ladnerin zu-
sammen. Aber seine Nachti-
gall starb, dann sein Hund, der
seinen Leichenzug hätte be-
gleiten sollen. Diesen Schlag
konnte er nicht überleben.
Er zerbrach seine Palette,
warfseine Farben in’s Feuer,
zündete eine Kohlenpfanne
an, um wie die »Unglück-
liche Familie« zu sterben, und
ward andern Tages erstickt
gefunden. Auf einen Zettel
hatte er — ohne Respect für
Versntass und Rechtschreib-
ung — noch ein paar Stro-
phen an seine Nachtigall und
seinen Hund geschrieben. Es ist viel Pathetisches und Weinerliches
in Tassaerts Bildern. Die armen Frauen sterben noch mit dem
grossen Auge der Heroinen Ary Scheffers. Trotzdem gehört er zur
Avantgarde der modernen Kunst und scheiterte nur daran, dass er
sein Losungswort zu früh sprach. Die trübe Wirklichkeit herrscht
ganz in seinem Werke. Unerbittlich, wie ein Chirurg, der ein krankes
Glied operirt, hat er aus seiner Kunst eine Klinik gemacht, oft brutal,
wo sein Pinsel die tiefsten Wunden der modernen Cultur berührt. Es
gibt in seinen Bildern nur ärmliche zerbrochene Möbel , geflickte
Lumpen und bleiche Gesichter, in die Arbeit und Hunger ihre
schrecklichen Falten geschrieben. Er malte die Degeneration des Men-
schen, dem das Licht und die Luft fehlt, und hat, selbst Nieder-
länder, auch in einem Niederländer den grössten Nachfolger gefunden,
in Charles de Groux, dessen düsterer Pessimismus die moderne
belgische Kunst beherrscht.
In Deutschland, wo die socialistischcn Schriften der Franzosen und
Engländer grosse Verbreitung fanden, war wohl Gisbert Flüggen in
München, den man den deutschen Wilkie nannte, der erste, der schon
in den 40er Jahren ein wenig über die humoristische Bauerndarstellung
hinausging und in Bildern wie »der unterbrochene Ehevertrag, der un-
glückliche Spieler, die Missheirath, die Prozessentscheidung, die be-
Gisbert Flüggen : Die Processentscbeidung.
trogenen Erbschleicher, die Auspfändung« u. dgl. in einen gewissen
Zusammenhang mit den socialen Ideen des Zeitalters trat. Von ihm
angeregt, ging Danhauser in Wien von Humoresken zur Schilder-
ung der socialen Conflicte im Bürgerstand über: ausser in seinem
»Prasser« besonders in der »Testamentseröffnung«, auf der in ziemlich
aufdringlicher Weise rechts die reichen, links die armen Verwandten
des Verstorbenen gruppirt sind, die einen protzig, roth und fett, die
andern dürftig gekleidet, blass und mager. Ein würdiger Priester
verliest das Vermächtniss und eröffnet mit wohlwollendem Lächeln
den Armen, dass das Hrbtheil ihnen gehört, worauf die Reichen
entrüstet auffahren. Noch deutlicher, wenn auch ebenfalls in’s Sen-
timentale übersetzt, spiegelt sich die vormärzliche Stimmung in den
Arbeiten des Düsseldorfers Carl Hübner. Ernst Willkomm hatte
im Beginn der 40er Jahre in seinen »Weissen Sklaven die Gegen-
sätze zwischen gequälten Leibeigenen und grausamen Gutsherrn,
zwischen reichen Fabrikanten und hungernden Arbeitern in sensatio-
nellen Genrebildern vorgeführt; Robert Prutz hatte sein »Engelchen«
XXII. Das socialistische Tendenzbild
199
Danhauser : Der Prasser.
geschrieben, worin er den Untergang des selbständigen Handwerks
durch den Industrialismus verkündete. Bald darauf gab die Hunger-
seuche unter den schlesischen Webern, von der die Kunde 1844 durch
Deutschland flog, weiten Kreisen den Anstoss zum Nachdenken über
die sociale Frage. Frciligrath gestaltete den Stoff' zu seinen Strophen
»aus dem schlesischen Gebirge«, dem Lied von dem armen Weber-
kind, das in seiner Noth nach Rübezahl ruft, — einem seiner popu-
lärsten Gedichte. Noch entschiedener tönt in Heines 1844 ge-
dichteten »Webern« die socialrevolutionäre Stimmung der Epoche
wider. Selbst Geibel sah sich bei der Verbreitung der Kunde zu
dem Gedicht Mene Tekel veranlasst, das von seinen sonstigen Weisen
seltsam absticht. Carl Hübner wirkte daher sehr zeitgemäss, als er in
seinem Erstlingsbild 1845 ebenfalls den Nothstand der schlesischen
Weber behandelte. Hübner kannte das Leben der Armen, der müh-
selig Beladenen, er empfand Mitleid mit ihnen und sagte, was er
empfand. Das gibt ihm eine Sonderstellung in der zahm lächelnden
Düsseldorfer Schule und setzt ihn in der Geschichte der deutschen
Genremalerei an den Anfang eines neuen Capitels. Sein nächstes Bild,
das Jagdrecht, entsprang einem ebenso actuellen Anlass: ein Förster
hatte einen Wilderer niedergeschossen. 1846 folgten die Auswanderer,
200
XXII. Das socialistische Tendenzbild
Carl Hübner : Die Auswanderer.
1847 die Pfändung, 1848 »Wohlthätigkeit in der Hütte der Armen« -
Werke, in denen er fortfulir, über die Noth der arbeitenden Classen,
den Contrast zwischen prunkendem Reichthum und hilflosem Elend
zu klagen, den Kampf für Freiheit und Menschenrechte zu predigen.
Entgegen den üblichen idyllischen Schilderungen sprach er zum ersten
Mal offen von dem materiellen Druck, der auf breiten Volksschichten
lastete. Freilich entsprach die künstlerische Kraft des Malers nur wenig
den guten Absichten des Philanthropen.
1853 betrat sogar der Historienmaler Piloty diesen Weg in einem
seiner Erstlingsbilder die Amme« : der Schilderung, wie ein in der
Stadt als Amme dienendes Bauernmädchen, seinen Pflegling auf dem
Arm, in der schmutzigen Wohnung der alten Frau eintritt, bei der sie
ihr eigenes Kind in Kost hat. Das Baby der Fremden, schon wie
ein Dämchen herausgeputzt, strotzt vor Gesundheit, während das ihre,
ohne Nahrung und wärmende Kleidung, in kaltem, dumpfen Zimmer
elend dahinsiecht.
In Belgien lenkte Engine de Block am frühesten in diese Bahnen,
ein Künstler von interessanter Physiognomie, der mehrfache Wand-
XXII. Das socialistische Tendenzbild
201
lungen durchmachte. Er war zuerst 1836 mit einer Bauernrauferei
hervorgetreten, die von den zahmen zeitgenössischen Bildern durch
brouwer’sche Urwüchsigkeit abstach. Dann hatte er nach Madous
und Braekeleers Beispiel lange mit Schnurren sich beschäftigt. In
einer Zeit, da jeder seinen Typus hatte, dem er zeitlebens treu
blieb, hatte de Block sich die Wilderer und Feldwächter erwählt, von
deren gegenseitiger Schlauheit er erzählte, bald indem er sie nach
Braekeleers Vorbild in das goldene Licht und die braunen Schatten
Ostades hüllte, bald indem er sie mit Gallaits rothen Cardinaltönen
verbrämte. Doch dieser erzwungene Humor befriedigte ihn nicht
lange : er verliess die Scherze und wurde der ernste Beobachter des
Volkes. Man bemerkt in seinen Werken eine zärtliche Liebe für
die Armen, die freilich ebenfalls oft in weinerliche Rührseligkeit um-
schlägt. Er war ein Humanitätsapostel, der in seinen Bildern gegen
den Pauperismus donnerte und sich zum Wortführer der socialen
Frage aufwarf, ein Volkstribun, der auch durch seine Handlungen
den Ruf des demokratischen Malers bestätigte. Das setzt ihn in
die Nähe jenes anderen socialistischen Agitators, der damals Brüssel
mit seinem Ruhm erfüllte.
Es war im Jahre 1835, als ein junger Mann aus Italien an einen
Verwandten die stolzen Worte schrieb: »Ich will mich mit Rubens
und Michelangelo messen«.
Ein Prix de Rome hatte ihm den Aufenthalt in der ewigen Stadt
eröffnet. Er dachte an die Rückkehr. Ein hoher Ehrgeiz lebte in
ihm: er erträumte den Ruhm der alten Meister. Wie ein Triumphator
zog er in sein Vaterland ein, in die gute Stadt Dinant, die ihn mütter-
lich aufnahm. Eine gewaltige zusammengerollte Leinwand, gleich
einer Kriegserklärung begleitete ihn. Doch er brauchte ein grösseres
Schlachtfeld für seine Pläne. »Ich bilde mir ein, das Universum
hat die Augen auf mich gerichtet«. So fuhr er mit dem Patroklus
und ein paar anderen Bildern nach Paris. 6000 Künstler hatten
in Rom das Werk gesehen; ein Fürst der Kunst, Thorwaldsen,
hatte davor geäussert: »Der junge Mann ist ein Riese.« Und dieser
glaubte es selbst. Mit dem Schritt des Eroberers betrat er Paris, in
der Meinung, die Maler würden Spalier vor ihm bilden. Doch
als sich die Thore des Salons von 1839 öffneten, sah er sein Bild
nicht. Es hing sehr hoch, über einer Thür, von Niemand bemerkt.
Theophile Gautier, Gustave Planche, Biirger-Thore schrieben ihre Be-
richte, ohne es mit einem Wort des Lobes oder Tadels zu erwähnen.
202
XXII. Das soci austischf. Tendenzbild
Wiert Der Kampf um den Leichnam des Patroklos.
Einen Augenblick beabsichtigte er, unter freiem Himmel vor dem
Louvre es auszustellen, eine Volksversammlung einzuberufen, ganz
Frankreich zu allarmiren. Doch ein Gesuch an den Minister wurde
abschläglich beschieden — gesenkten Kopfes kehrte er zurück nach
Brüssel. Dort preist er auf grossen Plakaten in heroischen Wend-
ungen sein Meisterwerk an: die Griechen und Troer, die um den
Leichnam des Patroklos kämpfen. Ein Dichter ruft aus: Hut ab,
ein neuer Homer. Der Moniteur widmet ihm zwei Artikel. Doch
als die Ausstellung ‘kam, standen die Künstler abermals rathlos. Die
meisten waren der Ansicht, durch diese geschwollenen Muskeln und
verrenkten Glieder werde in brutaler Weise Michelangelo persiflirt.
Es ging kein Erdbeben durch die Ateliers, wie der Autor erwartet
hatte. Man gab ihm eine kupferne Medaille, dankte ihm spiessbürger-
lich »für das ausgezeichnete Talent, das er an den Tag gelegt.« Da
empörte sich sein ganzer Stolz. Er verbreitete Caricaturen, erklärte
laut, »diese Medaille werde ein ewiger Schandfleck für das Jahrhundert
bleiben«, veröffentlichte im Charivari einen offenen Brief an den
König, »Michelangelo habe nie sich herbeigelassen, ein endgültiges
Urtheil über Werke zeitgenössischer Künstler zu fällen und deshalb
thue auch seine Majestät, die wohl kaum so viel wie Michelangelo
von Kunst verstehe, nicht gut, mit einem flüchtigen Blick über den
Werth moderner Bilder zu entscheiden«.
XXII. Das socialistische Tendenzbild
Antoine Wiertz war 1806
in Dinant als der Sohn eines
einfachen Gendarmen und
ehemaligen Soldaten der
grossen Republik geboren.
Er war Wallone durch seine
Mutter und ein wenig Deut-
scher durch die Genealogie
seines Vaters, dessen Fa-
milie aus Sachsen stammte.
Deutsche Moralphilosophen
und Pädagogen bildeten die
Lectiire seiner Jugendjahre.
Ueber mangelnde Unter-
stützung hatte er sich nicht
zu beklagen. Er war bei der
Erklärung der belgischen
Unabhängigkeit 25 Jahre alt,
seine Reife fiel in die stolze
Epoche, als der junge Staat
alles aufwendete, dem neu-
en politischen Glanz auch
künstlerischen zu verleihen.
Schon als Knabe wurde er von seinen Eltern, dem alten Gendarm
und der biederen Tagelöhnerin, deren einziges Kind er war, wie
ein Abgott gehegt. Seine ersten Versuche galten der Familie als
Hexereien. Die Nachbarn waren ausser sich über einen Frosch,
den er modellirt hatte und der »aussah wie lebendig.« Ein Wirth
bestellte bei ihm ein Kneipschild, vor dem, als cs fertig war,
die ganze Einwohnerschaft voll Bewunderung weilte. Ein kunst-
sinniger Herr Maibe, auf das junge Genie aufmerksam geworden,
übernahm alle Kosten seiner Erziehung und schickte ihn auf die
Akademie nach Antwerpen. Dort erwarb er sich ein staatliches
Stipendium und 1832 den Prix de Rome. Ueber seine Bedeutung
war er vom ersten Tage an klar. Schon als Antwerpener Akademie-
schüler sprach er in einem Brief an den Vater verächtlich von der
Verehrung seiner Mitschüler für die alten Meister: »Sie bilden sich
ein, dass es unbesiegliche Götter sind, nicht Menschen, die der Genius
übertreffen kann«. Und der Vater, statt ihn zur Bescheidenheit
203
Antoine IViertz.
204
XXII. Das socialistische Tendenzbild
Wierl 4: Eine Scene in der Holle.
anzuhalten, antwortet stolz: »Ja, diene nur der Jugend der Zukunft
als Vorbild, damit in späteren Jahrhunderten die jungen Maler sagen:
Ich will mich zum Ruhm aufschwingen , wie einst der grosse
Wiertz in Belgien.« Solch gefährlicher Weihrauch hätte stärkere
Charaktere benebelt. Es bedurfte nur der italienischen Reise, ihn
ganz zu verwirren. Wie Cornelius, Chenavard und vielen andern
stieg Michelangelo ihm zu Kopf. Mit dem Ehrgeiz des Auto-
didakten hielt er jeden Pinselstrich seiner Hand für bedeutend und
war empört, thaten andere es nicht auch. Seit seinem Pariser
und Brüsseler Misserfolg fing er an, in jeder Kritik eine Majestäts-
beleidigung zu sehen und schrieb eine Concurrenz aus über »den
verderblichen Einfluss des Journalismus auf Literatur und Kunst.«
»Noch wenn Einer nach meinem Tode Schlechtes über mich schreibt,
werde ich aus dem Grabe steigen, mich zu vertheidigen.« Aus
Hass gegen die Kritik beschloss er gar nichts mehr auszustellen,
führte bis zu seinem Tode 1865 ein ärmliches Dasein, malte, wenn
er dringend Geld brauchte, — »pour la soupe« — hastig und schleu-
lVierl{: Die Romaiileseriu.
derisch Porträts, die ihm mit 3 — 400 Fr., erst später mit 1000 Fr.
bezahlt wurden, und erging sich in colossalen Entwürfen, für deren
Fertigstellung ihm die Stadt 1850 ein eigenes Riesenatelier, das heutige
Musee Wiertz errichtete, jenen weissen Bau, der sich im äussersten
Norden der Stadt, wenige hundert Schritte von der Luxembourg-Station
mitten in einem schönen, etwas verwilderten kleinen Park erhebt und
zu dessen säulengetragenem Portal man auf breiter Freitreppe hinan-
steigt. Hier hauste er in phantastisch buntem Kostüm, ohne je den
grossen Rubenshut abzusetzen. Philanthropische Vorlesungen über Dies-
seits und Jenseits, über Volkswohl und die Auswüchse der modernen
Civilisation waren das Ergebniss seiner Thätigkeit. Wer die Malerei
als Malerei liebt, braucht das Museum nicht zu besuchen.
Da gibt cs Schlachten, Feuerbrände, Ueberschwemmungen und
Erdbeben ; Himmel und Erde sind in Aufruhr. Riesen werfen sich
mit Felsen und versuchen wie Jupiter durch Stirnrunzeln die Erde
zu erschüttern. Alle lieben die Gewalt und lassen ihre Muskeln wie
Athleten spielen. Doch der Maler selbst ist kein Athlet, kein Riese
206
XXII. Das socialistische Tendenzbild
wie ihn Thorwaldsen nannte, auch kein Genie wie er selbst von
sich glaubte. Le singe des genies, fasste er den Begriff »grosse
Kunst« rein räumlich und hielt sich für grösser als die Grössten,
nur weil seine Leinwandflächen grössere Dimensionen umspannten.
Als das Ministerium daran dachte, ihm nach Wappers’ Weggang das
Direktorat der Antwcrpener Akademie zu übertragen, schrieb er die
bezeichnenden Sätze: »Ich entnehme den Journalen, dass man den
Platz von Wappers mir geben möchte. Wenn in dem Moment, wo
der tiefe Philosoph über sublime Materien nachdenkt, man ihm
sagen wollte: Wollen Sic uns nicht das A-b-c lehren? so glaube
ich, der in den Wolken Wohnende würde jählings aus dem Himmel
auf die Erde herabfallen«. In einer Atmosphäre von Schmeichelei
zu Hause und berauscht von dem Weihrauch, der seinem Genie
da gestreut ward, konnte er nicht frei werden von der fixen Idee,
mit Michelangelo und Rubens zu concurriren. Unter sein Bild der
Kindheit der Maria setzte er die Unterschrift: »Gegenstück zu dem
dasselbe Sujet behandelnden Bilde von Rubens in Antwerpen«.
Seinen Triumph Christi bot er der dortigen Kathedrale unter der
Bedingung an, dass er neben die Kreuzabnahme von Rubens gehängt
werde. Den Aufstand der Hölle wollte er im Schauspielhaus Abends
zur Theaterzeit ausstellen. Während der Pausen sollte die Menge
das Bild betrachten und ein Chor mit Orchesterbegleitung dazu
singen. All diese Anerbietungen wurden dankend abgelchnt.
Solche Misserfolge machen zum Pessimisten, durch sie ist Wiertz
aus dem Historienmaler ein Kind seiner Zeit geworden. Er fingt
an, Donnerkeile gegen die Schäden der modernen Culttir zu schleu-
dern. Er predigt, gcisselt, stösst Flüche aus, leidet. Die Formen,
deren er sich bedient, sind den Alten entnommen. Der Mensch
Michelangelos mit seiner Athletenstructur, seinen Riesenmuskeln,
seinem nackten Körper, der Mensch der Renaissance, nicht der des
19. Jahrhunderts schreitet durch seine Werke, aber im Inhalt durch-
bricht der moderne Geist die alte Formel. Alle Fragen, die die
Cultur und Philosophie des 19. Jahrhunderts aufwarf, spiegeln sich
als Riesenprobleme in seinen riesigen Bildern. Er macht aus seinem
Pinsel eine Waffe, mit der er für die Enterbten, für die Parias, für
das Volk kämpft. Er will der Maler der Demokratie sein. Eine
grosse Gefahr für die Kunst.
Pathetisch agitirt er, als Vorläufer Wereschagins gegen die
Gräuel des Krieges. Das Bild »Kanonenfutter macht den Anfang.
XXII. Das socialistische Tendenzbild
207
Wierl Die Waisen.
Auf einem Festungswall liegt, augenblicklich miissig, eine Kanone,
und um das schlafende eherne Ungethüm spielen Kinder Soldaten,
nicht ahnend, dass ihre Tändeleien bald in bitteren Ernst sich ver-
wandeln und sie im Kriege dann selbst dem Unhold als Futter dienen.
In einem andern, «(Zivilisation des 19. Jahrhunderts«, sind sieg- und
blutberauschte Soldaten Nachts in ein Zimmer gedrungen und stechen
eine junge Mutter sammt ihrem Kinde nieder. Ein drittes, »der letzte
Kanonenschuss«, ist eine dunkle Anspielung auf einen künftigen Welt-
frieden. Eine »Scene in der Hölle« nennt sich das Hauptbild der
gegen den Krieg gerichteten Ergüsse. Der Kaiser Napoleon in seinem
grauen Rock und historischen Dreispitz schmachtet in der Hölle,
wabernde Flammen hüllen ihn wie in wallenden Purpurmantel, und
rings dringt eine zahllose Menge von Müttern und Schwestern, Frauen
und Bräuten, Kindern und Vätern auf ihn ein, denen er ihr Liebstes
genommen. Fäuste ballen sich ihm entgegen, zahnlose, schnaubende
Lippen kreischen. Er aber steht unbeweglich, die Arme über die
Brust gekreuzt, das Imperatorengesicht ehern, düster, und blickt mit
208
XXII. Das socialistische Tendenzbild
dem Gespensterauge des Satans starr auf die Tausende, deren Glück
er vernichtet.
In seinen »Gedanken und Visionen eines abgeschnittenen Kopfes«
macht Wiertz, von Victor Hugos »letzten Tagen eines zum Tode Ver-
urtheilten« angeregt, die Todesstrafe zum Gegenstand einer längeren
Erörterung. Das aus 3 Abtheilungen bestehende Bild soll die Em-
pfindungen eines Guillotinirten in den ersten 3 Minuten nach der
Hinrichtung schildern. Am Rahmen ist eine ganze Abhandlung bei-
gefügt: »Der Hingerichtete sieht in einer dunkeln Ecke seinen Leich-
nam verwesen und ausdorren; und, was wahrzunehmen nur den
Geistern einer andern Welt gegeben, er sieht, wie die Geheimnisse
der Stoffwandlung vor sich gehen. Alle Gase, die seinen Leib ge-
bildet, die schwefeligen, erdigen und ammoniakalischen Bestandteile,
sieht er sich loslösen von seinem faulenden Fleische und zum Auf-
bau anderer Lebewesen dienen. . . Wenn das scheussliche Werkzeug
Guillotins wirklich eines Tages vernichtet werden soll, so sei Gott
dafür gelobt« u. s. f. Neben diesem gemalten Plaidoycr gegen die
Todesstrafe hängt als Argumentation zu Gunsten der Kleinkinder-
bewahranstalten »das verbrannte Kind«. Eine arme Arbeiterin hat
einen Augenblick ihre Dachwohnung verlassen, unterdessen ist Feuer
ausgebrochen und sie findet den verkohlten Leichnam ihres Knaben.
In dem Bilde »Hunger, Wahnsinn und Verbrechen« behandelt er
das menschliche Elend im Allgemeinen und die Frage der Ernährung
unehelicher Kinder. Ein junges Mädchen kann nur von gelben Rüben
leben, die ein Reicher in die Gosse wirft. In Folge einer Steuer-
mahnung wird sic wahnsinnig und schneidet höllisch lachend das
kleine Wesen, das sic ins Verderben gebracht, in Stücke. Die Leichen-
verbrennung wird in dem Bilde »Zu früh begraben« empfohlen: ein
Gruftgewölbe, darin ein Sarg, dessen Deckel von innen losgesprengt
ward, eine zusammengekrampfte Hand, die im Spalt zum Vorschein
kommt, in der Finsterniss des Sarges von Entsetzen verzerrt das Ge-
sicht des Scheintodten, der mit tonloser Stimme um Hilfe ruft.
In dem Bilde »die Romanleserin« sucht er den verderblichen
Einfluss schlechter Lectüre auf die Phantasie eines jungen Mädchens
darzuthun. Nackt liegt sie im Bett, das Haar geöffnet, ein Buch
in der Hand, das Auge hysterisch geröthet, ein böser Geist legt
grinsend ein neues Buch: Antonine von Alexandre Dumas fils, aufs
Lager. Der »Backenstreich einer belgischen Dame« glorificirt — eine
Vorahnung Neides — den Mord, wird er zum Schutze der Ehre
XXII. Das socialistische Tendenzbild
209
begangen. Ein holländischer Officier hat sich Freiheiten gegen eine
Belgierin erlaubt, wofür ihm diese mit einem Pistolenschuss den
Kopf zerschmettert. In dem Bilde »Der Selbstmörder« sieht man
Bruchstücke eines Schädels nach allen Richtungen fliegen. Wie der
junge Mann zu dem Schritte gekommen, lehrt das auf dem Tische
liegende Buch mit der Aufschrift »Der Materialismus«. Und so geht
es fort mit Grazie, doch ohne dass dem Beschauer die Lust käme,
den Vorlesungen ernstlicher zu lauschen. Denn wenn Wiertz’ Ab-
sichten auch zuweilen etwas Grossartiges hatten, so war er doch
weder über die Grenzen des Darstellbaren klar, noch besass er das
Können, das Gewollte in künstlerische Formen zu giessen. Wie
mancher deutsche Maler jener Jahre, war er ein Philosoph mit dem
Pinsel, ein verkappter Gelehrter, der seine Ideen, statt mit Tinte, mit
Oelfarbe niederschrieb. Wiertz hat die Malerei Dinge sagen lassen,
die sie als Malerei nicht verträgt, sie dogmatisirt bei ihm, sie ist
ein Buch und erweckt nur Bedauern, dass sein reicher Geist nicht
der Schriftstellerei zu Gute kam. Da hätte er vielleicht manch
Brauchbares für die Lösung der socialen und philosophischen Fragen
der Gegenwart beigebracht; so, wie er ist, gibt er dem Verstand
nichts und beleidigt das Auge. Ein menschliches Gehirn mit grossen
und trivialen Gedanken legt sich blos. Aber vor lauter Gedanken
ist er wie Cornelius nicht zu ihrer künstlerischen Verarbeitung ge-
kommen. Er tappte von Michelangelo zu Rubens, von Rafael zu
Ary Schefler — ohne Ahnung, dass die Kunstsprache all dieser
Meister eine individuelle gewesen. Einer seiner Biographen, L. Wat-
teau, erzählt im Einleitungscapitel , wo er von der Erziehung des
Kindes spricht, dass Wiertz mit vier Jahren schon vollständig schreiben
konnte. »Seitdem hat er nie mehr eine Handschrift gehabt, die wirk-
lich die seine war, sondern ahmte zum Täuschen die verschiedenen
Schriftzüge nach, auf die sein Blick fiel.« Watteau erzählt das als
Wiertz-Enthusiast zum Beleg für dessen frühe Begabung. In Wahr-
heit ist durch diese Anekdote von dem Nachahmungstalent des
Knaben in drei Zeilen die Bedeutung des Malers gekennzeichnet: Der-
selbe Mann, der so viel schrieb, ohne je eine eigene Handschrift zu
haben, hat auch als Maler hunderte von Leinwandquadratmetern mit
Farbe bedeckt, ohne ein einziges persönliches Werk zu hinterlassen.
»Die Erhebung der Hölle« zeigt gleichzeitig die strenge Linie der
Florentiner und die wilde Praktik der Flandrer — in einer Ver-
mischung, die sich gegenseitig aufhebt: er nahm dem Michelangelo
Muther, Moderne Malerei II
«4
210
XXII. Das socialistische Tendenzbild
die Farbenpracht und dem Rubens die strenge Linie. Um den Beweis
anzutreten, dass der Roman der Dumasschule ein Werkzeug teuflischer
Verführung, begnügt er sich, soweit es ihm technisch möglich, —
die Wiener Jo des Correggio unter Hinzufügung eines Buches zu
copiren. Seine nackte Frau vor dem Skelett gibt, soweit er es ver-
mochte, eine Copie nach Delacroix’ »Lever.« Hin Bild Temps
heureux« — ein junger Mann, der seine Geliebte vom väterlichen
Hause fortführt, — ist sehr hübsch, aber copirt Poussin. Mögen
Titanen kämpfen oder Menschen ein Stück Brod essen, die Typen
sind immer Apollo- und Venusvariationen mit dem griechischen
Profil und den gross aufgerissenen Augen, die Ary Scheffer liebte.
Die Freude des Malers an der Farbe kannte er nicht, nur Farben-
blindheit kann solche Missklänge ertragen. Die Tagebücher, die er
auf seinen Reisen durch Holland und Frankreich führte, enthalten
kein Wort der Bewunderung für die alten Holländer, blos schwärmer-
ische Hymnen auf Horace Vernet, dessen Bilder die wahrsten seien an
Farbe und Bewegung.« Wiertz hatte eine ausserordentliche Geschick-
lichkeit im Entlehnen, aber wie wenig wusste er aus den disjectis
membris poetae zu machen! Nie ist etwas Spontanes in seinen Bil-
dern. nie Zusammenhang zwischen den Theilen; alle Schulen, alle
grossen Genies haben ihm nur verholfen, etwas Minimales zu Tage zu
fördern. Wie wenig eigene Naturbeobachtung er hatte, wird durch
seine Porträtköpfe deutlich. Der Prüfstein jedes Malers, für seine
Fähigkeit die Natur zu sehen, ist das Bildniss. Wiertz liebte seine
Mutter und war in seinem ganzen Wesen erschüttert, als der Tod
sie ihm nahm. Er liebte noch mehr sich selbst und war auf sein
Selbstporträt so stolz, dass er wie Alexander der Grosse es für das
einzige von ihm vorhandene authentische Bild erklärte. Auf den
Bildnissen des Wiertzmuseums sind Mutter wie Sohn nur Menschen
an sich . Die gute alte Taglöhnerin, die einfache Frau, benutzte
er dazu, mit Vorhängen und Draperien einen plumpen Theatereflect
zu erzeugen. Er selbst aber ist gerade in der Schablonenhaftigkeit
seines Porträts ganz der Mensch seiner Bilder: dies Phantasiekostüm,
in dem sich die Moden früherer Jahrhunderte mischen, und diese
fatal declamatorische Attitüde, die für Inspiration ausgeben möchte,
was nur Plagiat ist — sie kennzeichnen den Maler gleich schlagend
wie den Menschen.
Das kindische Experiment mit dem gemalten Schlüssel, nach
dem man greifen soll, die Spielerei mit Bildern, die durch s Schlüssel-
XXII. Das socialistische Tendenzbild
21 1
loch anzusehen, mit Porträts, die den Ausdruck wechseln, je nach-
dem sie von vorn oder von der Seite betrachtet werden, — die
Panoptikumüberraschungen mit dem Hund in der Nische, vor dem
man erschrecken, dem schlafenden Hausmeister, der den Eindruck
eines wirklichen machen soll, sie zeigen den vollständigen Marasmus
des ursprünglich reich begabten, nur nicht zum Maler geborenen
Menschen. Wiertz’ Auftreten ist ein interessanter psychologischer
Fall. Er war eine abnorme Erscheinung und geschichtlich nicht zu
umgehen, weil er, der ersten einer, Stoffe aus dem modernen Leben
im Rahmen grosser Bilder behandelte. Nur ist ein philanthropischer
Polterer noch kein Künstler.
©X©
XXIII.
Die Dorfnovelle.
FÜR Frankreich, Belgien und England endete mit dem Jahre 1848
die »Lehrzeit des interessanten Stoffes«. Nur in Deutschland
erlebte die erzählende Genremalerei noch eine Nachblüthe -
so wie auch die Historie hier erst ihre Triumphe feierte, als man
sic in den andern Ländern schon zu Grabe trug. Auf jene Aeltern,
die mit soviel Hingebung ihre unglaublich mühsam gekonnten, ver-
zweifelt detailwahren und doch ganz bildwirkungslosen Bildchen in
die Welt setzten, folgte nach 1850 eine technisch schlagfertigere
Generation, die nicht mehr an den alten Meistern allein ihre
tastenden Versuche machte, sondern entweder gleich den Historien-
malern in Paris selbst Erleuchtung suchte oder indirect — durch
Piloty — mit den Ergebnissen der französischen Technik vertraut ge-
macht ward. Mit dieser weniger anstössigen coloristischen Haltung
war ein mehr salonfähiger Inhalt verbunden. Das Kindliche, das
einst an Meyerheim und Waldmüller erfreut hatte, erschien als allzu
kindlich. Die Heiterkeit, die von den Bildern Schroedters oder
Enhubers ausging, fand kein Echo mehr bei einem Geschlecht, das
des allzu billigen Lachens müd war. Die Arbeiten Carl Hübners
wurden als weinerliche Rührstücke bei Seite geschoben. Es lag.
nachdem man aus der Periode der Romantik herausgetreten, keine
Veranlassung vor, über das moderne Leben zu witzeln, oder social-
istische Propaganda zu treiben. Man hatte nach der Revolution von
1848 mit der Wandlung der Dinge sich ausgesöhnt, mit dem Leben,
wie es nun einmal war: seinen Sorgen und Verkümmerungen, seinen
Fehlern und Sünden. Es war die Zeit, als Berthold Auerbachs Dorf-
geschichten so viele Auflagen erlebten, und Hand in Hand mit diesen
literarischen Erzeugnissen machte auch die Malerei sich daran, kleine
Novellen aus dem Leben der einzelnen Volksclassen zu erzählen,
unter denen ihres malerischen Costüms wegen die Bauern noch
immer am bevorzugtesten waren.
XXIII. Die Dorfnovelle
213
Louis Knaus steht an der Spitze
dieser jüngeren Gruppe, und wenn
es heute schwer wird, einen Hym-
nus auf ihn zu singen, so liegt
es wohl hauptsächlich daran, dass
Knaus noch am meisten von jener
sarkastisch ironischen Charakter-
istik mit herüber nahm, die Bil-
dern Hogarths, Schroedters oder
Madous ethisch eine so unange-
nehme Note gibt. Die Gestalten
der alten Holländer benehmen sich
im Bilde, als ob kein fremder Blick
auf ihnen ruhte. Man nimmt Theil
an ihren Freuden und Schmerzen,
die nicht gespielt sind. Man fühlt
sich wohl bei denen , die uns als einen der Ihren betrachten. Bei
Knaus ist stets eine künstliche Verbindung zwischen Figuren und
Ausstellungsbesucher hergestellt. Sie stürzen sich in die grössten
Unkosten, um Aufmerksamkeit zu erregen, kitzeln den Betrachter,
um ihn lachen zu machen, jammern ihm vor, um ihn zu Thränen
zu rühren. Sie sind nie mit sich, immer mit dem Publikum
beschäftigt. Ausser Wilkie hat kein Genremaler ausführlicher und
aufdringlicher erklärt. Selbst wenn er zur Abwechslung ein Por-
trät zu malen hat, stellt er sich mit dem spanischen Rohr dahinter
und erläutert es. Dadurch sind die Bildnisse von Mommsen und
Helmholtz in der Berliner Nationalgalerie zu Charakterchargen ge-
worden. Jeder von ihnen hat das sichtliche Bewusstsein, für die
Nationalgalerie gemalt zu werden, und Knaus’ grösste Sorge be-
stand darin, durch Unterstreichen und Auf häufen äusserlicher Cha-
rakteristik die Persönlichkeiten zu »Gelehrtentypen des 19. Jahr-
hunderts zu steigern. Da sich die vulgäre Meinung den Philologen
als Menschen mit vernachlässigtem Aeussern, den Naturwissen-
schaftler als feinen Weltmann vorzustellen pflegt, muss Mommsen aus-
getretene Stiefel , Helmholtz Lackstiefeletten tragen , das Hemd des
einen genial verknittert sein, das des andern tadellos sitzen. Durch
solche handgreifliche Charakteristik wurde das Sonntagspublikum be-
friedigt, den Dargestellten aber ihr Charakter genommen. Fs ist nicht
anzunehmen, dass in Mommsens Zimmer die Manuscripte aller seiner
214
XXIII. Die Dorfnovelle
Knaus: Die Falschspieler.
Hauptwerke so offen auf und unter dem Schreibtisch liegen, damit sie
ja Jeder sieht; nicht •wahrscheinlich, dass seine berühmten weissen
Locken auch am Schreibtisch so flattern. Selbst die momentane Hand-
bewegung hat in beiden Bildern etwas aufdringlich Demonstratives.
Seht, mit solch einer Feder habe ich die römische Geschichte ge-
schrieben, sagt Mommsen. Seht, das ist das berühmte, von mir er-
fundene Ophthalmeter, sagt Helmholtz. Und als Genremaler ist Knaus
noch häufiger in solch unleidliche Culissenreisserei verfallen. Das
Bild »Seine Hoheit auf Reisen« wird gewöhnlich als das genannt,
in dem er als Charakteristiker den Höhepunkt erreichte. Aber ist
diese Charakteristik nicht im höchsten Grade chargirt, dieser in
Rollen vertheilte Ausdruck nicht über die Maassen gesucht? Was
müssen diese Kinder Alles zur Erheiterung des Publikums thunl
Ein kleines Mädchen lehnt sich schüchtern an die ältere Schwester,
die verschämt den Finger in den Mund steckt. Einfältig schauen
die Einen, aufmerksam die Andern zu. Ein kleineres Baby verzieht
das Gesicht zu kläglichem Weinen. Der Fürst, dem zu Ehren die
XXIII. Die Dorfnovelle
215
Knaus : Goldene Hochzeit.
Kinder sich aufgestellt haben, geht an der Gruppe mit »absoluter
Wurschtigkeit vorbei, während sein Begleiter sich das Volk ver-
ächtlich durch ein Augenglas ansieht. Der Schulmeister verneigt
sich tief, in der Hoffnung, seine Einkünfte dadurch zu steigern,
während der dumme Gemeindevorsteher mit jovialem Lächeln dem
Fürsten entgegenblickt, als erwarte er den Collegen vom Nachbar-
dorf. Gewiss, das Alles sind sehr verständliche Typen, aber auch
nicht mehr als Typen. Für den Maler ist das Zufällige des
Moments der Quell alles Lebens. Oder hätte der sechsjährige
Bauernjunge, der auf Knaus’ Bilde als »Dorfprinz« im höchsten Staat,
eine Blume zwischen den Zähnen, mit gespreizten Beinen dasteht,
jemals so dagestanden, wäre ihm vom Maler die selbstbewusste Pose
nicht mühsam einstudirt worden? Damit nicht der geringste Zweifel
bleibe, wer von den kartenspielenden Schusterjungen gewinnt und
welcher verliert, muss der Eine pfiffig schmunzeln, der Andere sich
rathlos hinterm Ohr kratzen. Oder wie agirt auf dem Bilde Der erste
Profit« der kleine Maccabäer mit dem Publikum ! Der alte Mann in
abgetragener Kleidung, der sich die Hände reibend auf dem Bilde Ich
kann warten« in einem Vorzimmer steht — das furchtsame Mädchen,
das auf dem Bilde »In tausend Aengsten sein Butterbrod durch
XXIII. Die Dorfnovelle
2 I 6
Knaus: In tausend Aengslen.
Federvieh bedroht sieht. — sie haben alle die gleiche berechnete
Komik, dasselbe Ueberwiegen der Reflexion, dieselbe zuspitzende,
impertinent satirische Schärfe. Selbst im »Begräbniss« verlässt ihn
nicht der humoristische Hang des Anekdotenerzählers, und der Schul-
meister muss so komisch wie möglich den Taktstock schwingen,
mit dem er den Chor seiner Buben und Mädchen dirigirt. Knaus
lässt zu viel gesperrt drucken, er unterstreicht zu viel, als ob er
sein Publikum für sehr begriffsstutzig halte. Dadurch gewinnt er die
Naiven und ärgert die Feineren. Der Bauer sitzt bei ihm Modell, er
weiss, dass er still zu halten, seine Pose und Grimasse nicht zu
verändern hat, weil Knaus sonst böse wird. Es spricht aus den
Bildern immer der vornehme berühmte Stadtherr, der nur des cultur-
geschichtlichen Interesses halber auf’s Land gegangen, dort auf wirk-
same komische Züge Jagd macht und, nachdem er die kleine Welt
zu lebenden Bildern arrangirt, sie kühl dem Gelächter des draussen-
stehenden gebildeten Beschauers preisgibt.
Doch eine solche Beurtheilung, die einer \ erurtheilung gleich
kommt, wäre durchaus unhaltbar von historischem Standpunkt. Die
deutsche Kunst darf Knaus schon deshalb nicht vergessen, weil
XXIII. Die Dorfnovelle
21
/
Knaus: Kartenspielende Schusterjungen.
er in den 50er Jahren zu den ersten Verbreitern der bis dahin un-
gewohnten Ansicht gehörte, dass Malerei ohne tüchtiges colorist-
isches Können undenkbar sei. Er begnügte sich nicht, wie jene
Aeltern die einzelnen Charaktere seiner Bilder in wohlgefügten
Gruppen aneinanderzureihen, er bemühte sich auch, seine Werke
coloristisch unanfechtbar zu machen, so dass er in den 50er Jahren
nicht nur durch seine »poetische Erfindung« das grosse Publikum,
sondern durch seine spielende Herrschaft über die Technik sogar die
Pariser Maler zum Enthusiasmus hinriss. In diesem Sinne schrieb
Edmond About 1855: »Ich weiss nicht, ob Herr Knaus lange
Nägel tragt, aber selbst wenn er sie so lang wie Mephistopheles
hätte, würde ich noch sagen, er sei ein Künstler bis in die Finger-
spitzen. Seine Bilder gefallen dem Sonntagspublikum und dem Frei-
tagspublikum, den Kritikern, den Bourgeois und (Gott verzeih mir)
den Malern. Was die grosse Masse verführt, ist der klar ausgedrückte
2 1 8
XXIII. Die Dorfnovelle
dramatische Gedanke. Die Künstler und Kenner werden durch sein
Wissen und vollendetes Können gewonnen. Herr Knaus hat die
Fähigkeit, Jedermann zufrieden zu stellen. Seine Bilder ziehen die
incompetentesten Augen an, indem sie ihnen nette Anekdoten er-
zählen, sie fesseln aber auch die Blasirtesten durch die vollendete
Ausführung der Details. Tout le talent de l'Allemagne est contenu
dans la personne de M. Knaus. L’Allemagne habite donc rue de
l’Arcade, ä Paris«.
In Knaus’ Person gipfelte in den 50er Jahren das technische
Können, das aus dem Studium der alten Niederländer und dem
beständigen Verkehr mit den modernen Franzosen zu gewinnen war.
Schon in seiner Jugend müssen mehr als seine Lehrer Sohn und
Schadow, die grossen Niederländer Ostade, Brouwer und Teniers auf
ihn gewirkt haben, da bereits seine Erstlingsbilder, der Bauerntanz
von 1850 und die Falschspieler von 1851 wenig mit der Düssel-
dorfer Schule, umsomehr mit niederländischem Helldunkel gemein
hatten. Die falschen Spieler gleichen geradezu einem in’s Moderne
übersetzten Ostade. Durch die Uebersiedelung nach Paris 1852
suchte er das Letzte und Acusserste der Vollendung sich anzueignen,
und verfügte, als er nach 8 jährigem Aufenthalt in die Heimat zurück-
kehrte, über einen Sinn für Bildwirkung und feinen coloristischen
Gesammtton, über eine Kennerschaft der Farbe und einen vor-
nehm geschulten Amateurgeschmack, dass seine Arbeiten einen un-
endlichen Fortschritt gegenüber der harten Buntheit seiner Vorgänger
bedeuteten. Seine goldene Hochzeit von 1858 — vielleicht sein
schönstes Bild — hatte nichts mehr von der veralteten Bauernbilder-
technik der ältern Düsseldorfer, sondern stand technisch den besten
Werken der Franzosen zur Seite.
Und Knaus ist seitdem derselbe geblieben: eine in sich ab- -
geschlossene Persönlichkeit, die der Geschichte gehört. Er malte
Bauernbilder von tragischem Inhalt und volkstümlicher Heiterkeit:
er sah dem Kinderleben eine Fülle anmuthiger Züge ab; viel herum-
gekommen in der Welt, ging er. nachdem er in Berlin sich nieder-
gelassen , von Charakterchargen aus dem Schwarzwald zu solchen
aus dem grossstädtischen Leben über. Er wagte sich sogar an
Religiöses heran und unterrichtete die Welt durch seine aus
Reminiscenzen aller Zeiten und Schulen zusammengesetzte heilige
Familie und durch seinen »Daniel in der Löwengrube über die
Grenzen seiner Begabung. Knaus ist von ganzem Herzen Genre-
XXIII. Die Dorfnovellk
219
maler — das hat er mit Vielen
gemein. Aber er war vor 30 Jahren
das coloristische Genie unter den
Charakterisirern und Erzählern mit
Pinsel und Palette — das macht
ihn zu einem Unicum. Er ist ein
Mann , dessen Bedeutung nicht
allein in seinem Erzählertalent liegt,
sondern der auch für die deutsche
Kunst viel geleistet hat. Man
kann sagen: er hat ihr, indem er
dem Genrebild ungeahnte colorist-
ische Feinheiten gab , dazu ver-
holfen, aus der Genremalerei zur
Malerei zu kommen. In diesem
Sinn erfüllte er eine kunstgeschicht-
liche Mission und errang sich
in der Geschichte der modernen Malerei eine feste, sichere Stell-
ung, die ihm auch der Gegner der illustrativen Vignette nicht
nehmen kann.
Vautier, der immer in einem Athem mit Knaus genannt werden
muss, ist im Grunde seines Wesens das gerade Gegentheil des Ber-
liner Meisters. Auch er ist der Inbegriff des Genremalers, dessen
Bilder nicht gesehen, sondern im Einzelnen durchstudirt sein wollen;
aber da wo Knaus Vorzüge hat, zeigt Vautier Mängel, wo jener ab-
stösst, hat er Vorzüge. Als Techniker vermag er sich nicht ähn-
licher Qualitäten zu rühmen. Er ist immer nur colorirender Zeichner,
nie Colorist gewesen. Als Maler minderwerthig, erscheint er jedoch
als Genremaler sympathischer. An Knaus’ Bildern stört das über-
legene Lächeln, die outrirte, herzlos kalte Beobachtung. Vautier er-
freut durch ebenso tiefgehende wie einfache, in den Mitteln feiner
zurückhaltende Charakteristik, durch die Fülle hübscher Einzelmotive,
die Feinfühligkeit in der Wiedergabe der Beziehungen und Empfind-
ungen der Gestalten. Ein naives, gutmüthiges, liebenswürdiges
Naturell spricht aus seinen Werken. Er ist idyllisch -gemüthlich,
wo Knaus satirisch -pikant wirkt, und ein Blick auf die Photo-
graphien Beider erklärt diesen Unterschied. Knaus mit seiner durch-
gearbeiteten Stirn und seinem forschenden, unter dicken Brauen
hervorstechendem Blick gleicht einem Untersuchungsrichter oder
220
XXIII. Die Dorenovelle
Vautier: Tan\patise.
Staatsanwalt; Vautier mit seinem sinnenden blauen Auge einem
ideal angehauchten, behaglichen Bankier oder Dorfgeschichtenschreiber
ä la Berthold Auerbach. Knaus quälte sich viel, grübelte viel, experi-
mentirte viel; Vautier liess es dabei bewenden, sich eine einfache
simple Malerei anzueignen, die ihm gerade hinreichend schien,
das mit tiefem Gefühl Erfasste zum Ausdruck zu bringen. Jener ist
eine denkende, dieser eine träumerische Natur. Ein glücklicher
Mensch, dem es von Jugend auf gut ging, der nur Ereudiges, nie
Sorgen erlebte, gewöhnte er sich, auch als Maler die Welt in rosigem
Lichte zu sehen. Es ist in seinen Charakteren etwas Lauteres, Reines,
in seinen Bildern etwas Ruhiges, Herzliches, das zwar seine pedant-
isch kleinliche Malerei nicht besser macht, aber sympathisch berührt,
nimmt man menschlich zu ihm Stellung. Man schämt sich Vauticrs
als Maler, wenn man in ausländischen Ausstellungen ihm unter den
Fremden begegnet, doch man freut sich seiner als Genremaler — es
ist, als hätte mitten unter romanischen Feueraugen der stille treue
Blick eines deutschen Auges dich getroffen, oder als hörte das Ohr
unerwartet ein einfaches deutsches Volkslied, ungeschult gesungen,
doch mit sehr viel Herzlichkeit. Knaus konnte sich vor einem Men-
schenalter als Maler überall sehen lassen, Vautier war als solcher nur
XXIII. Die Dorfnovelle
221
Vautier: Der Taschenspieler.
im Deutschland der 60 er Jahre möglich. Aber hinter Knaus’ Figuren
steht immer der Berliner Professor, aus denen Vauticrs lacht ein
freundliches Stück deutschen Volkthums. Auch Vauticrs Welt ist
wie die des alten Meyerheim einseitig, auch seine redegewandten
Herren Vettern, schüchtern niederblickenden Bräute, verliebt aus-
schauenden schmucken Burschen, gerührten Mütter und stolzen Väter
sind vielleicht mehr Gattungsbegriffe, als dass sie kräftiges, eigen-
artiges Leben athmeten. Die zierlichen nacktfüssigen Gestalten seiner
Bauernmädchen umgibt ein so goldiger Schimmer von Anmuth, wie
er wohl nie den wirklichen, sondern nur den Hirtinnen des Märchens
eignet, die nachher von Königssöhnen geheirathet werden. Den
Massstab realistischer Naturwahrheit darf man an seine Figuren
nicht legen. Aber sie sind Bewohner einer traulichen, lieben Welt,
in der Alles Nettigkeit und liebenswürdige Gutmüthigkeit athmet.
Fast rührend zu sehen, wie schön und rein in Vauticrs Kopf
sich das Leben spiegelt. Wie zart sind diese braunäugigen schwäb-
ischen Bauerntöchter, wie sympathisch und mild diese Frauen,
wie reinlich und artig die Kinder. Man möchte glauben, dass
Vautier freundlich und väterlich wohlwollend mit seinen Bauern
verkehrt, sich selbst wohl fühlt bei ihren harmlosen Vergnügungen,
222
XXIII. Die Dorfnovelle
Vaulier: Der Brautwerber.
dass er auch ihre Schmerzen und Sorgen theilt; und über diese
Eindrücke berichtet er in seinen Bildern nicht streng und über-
legen lächelnd, sondern in schonender herzlicher Weise. Er will
nicht aufregen oder erschüttern, weder durch Witze Komik, noch
durch Trauriges Trübsal erwecken. Das Leben zeigt ihm — wie
Goethe während seiner italienischen Reise — »lauter angenehme Gegen-
stände« und selbst in traurigen Schicksalsfügungen nur Leute, die das
Unvermeidliche mit Würde tragen«. Kein lauter Schmerz, alles leise
abgedämpft, von jener Milde, die sich im Klang des Vornamens
Benjamin ausspricht. Knaus hat etwas von Menzel, \ autier von —
Memlinc, auch in der liebevollen Intimität, mit der er das Kleine
durchdringt. Die alten deutschen und niederländischen Meister
malten in ihren religiösen Bildern Alles bis zum Nachtgeschirr
Marias, den gestickten Lilien ihres Webstuhls oder dem Staub, der
auf dem alten Gebetbuch liegt, und diese echt deutsche Freude am
Stillleben, die behagliche Schilderung des Kleinen, kehrt auch bei
Vautier wieder. Menschen und Wohnungen, belebte Natur und
XXIII. Die Dorfnovelle
22
Vaulier: Verhör heim Schullehrer.
Atmosphäre setzen sich bei ihm zu einem freundlichen Stück Welt
zusammen. Vautier entdeckte als der Ersten einer den Stimmungs-
zauber der Umgebung, den geheimnissvollen Einfluss, der den Men-
schen mit der Scholle, auf der er geboren ist, verknüpft, die tausend
unbekannten magnetischen Strömungen, die zwischen den Dingen und
dem Gemüth, den Anschauungen und Handlungen des Menschen be-
stehen. Die Umgebung steht nicht da. wie der Prospect einer Bühne,
vor dem die Personen kommen und gehen, sie lebt und webt auch
im Menschen selbst. Man fühlt sich wohl in diesen gemiithlich
traulichen Zimmern , wo die Schwarzwälderuhr tickt , wo kleine
geschmacklose Photographien von der Wand bieder patriarchalisch
herabblicken, wo der Boden so sauber gescheuert ist und fettige grüne
Hüte an prächtigen Hirschgeweihen hängen. Da ist das grosse
Familienbett mit den geblümten Vorhängen, die feste, unbewegliche
Holzbank am Ofen, der alte solide Tisch, um den die Mahlzeiten Alt
und Jung versammeln. Da sind die grossen Wandschränke für
die Schätze des Hauses, das Gebetbuch, das die Grossmutter zur
Confirmation bekam, die Eiligranschmucksachen , Kaffeetassen lind
Gläser, die nur zum Prunk, nicht zum täglichen Gebrauch bestimmt
bh
224
XXIII. Die Dorfnovelie
Vauiier: Bauer und Mäkler.
sind. Ueber der Bettstatt hängen die auf Glas gemalten kleinen Heiligen-
bilder und »geweihten« Andenken. Und durch das Fenster überblickt
man gleich das weitere Hauswesen ; buntblühende Bohnen ranken
sich von dem Stückchen Gartenland herein, blühende Obstbäume
stehen darin, auch der Giebel des wohlgefüllten Heustadels ragt
herüber. Alles athmet Behaglichkeit, Frieden, Sonntagvormittags-
stimmung; fast glaubt man den Klang der fernen Kirchenglocken
durch die wonnige Stille zu vernehmen. Nur Bildwirkung, maler-
ische Haltung darf man nie verlangen, die Illustrirte Zeitung ist ihm
zuträglicher als die Ausstellung.
Als der Dritte im Bunde steht der prächtige Defregger da, von
allen Meistern der grossen Münchener Pilotyschule zugleich der ein-
fachste und gesündeste. Gewiss wird, wenn die Nachwelt seine Werke
sichtet und wägt, auch von ihm Vieles zu leicht befunden werden.
Defreggers Kunst hat unter seinem Ruhme, unter den Verführ-
ungen des Kunsthandels gelitten. Er hat auch nicht das feine Gefühl
wie Vautier für die Grenzen seines Könnens gehabt, sondern olt über
Dinge geredet, die er nicht verstand. Er war unter allen Künstlern
XXIII. Die Dorfnovelle
225
der Pilotyschule am wenigsten Ma-
ler und am meisten an s Format
gebunden. Eine bestimmte Lein-
wandgrösse konnte er nicht unge-
straft überschreiten und spannte sein
Talent in ein Prokrustesbett, als er
Madonnenmaler zu sein versuchte,
oder mit seinen Hoferbildern sich
in die Reihe der »Historienmaler
stellte. Als Genremaler aber steht
er neben Vautier in erster Reihe,
und durch diese kleinen Genre-
bilder, je einfacher und ruhiger
desto besser, wie durch einzelne
seiner warmempfundenen, reizvol-
len Porträtstudien wird er fortleben.
Das sind Gegenstände, die er verstand und empfand. Er hatte selbst
in den Verhältnissen gelebt, die er schilderte, darum sprach auch,
was er schilderte, so mächtig zu Herzen.
Das Jahr 1869 machte seinen Namen bekannt. Die Münchener
Ausstellung brachte damals ein Bild aus der Geschichte des Hofer-
schen Aufstandes 1809: wie der kleine Sohn Speckbachers, des einen
Führers der Tiroler, mit einer Büchse bewaffnet, dem Vater nach-
gezogen ist und an der Hand eines alten Jägers in das Zimmer tritt,
wo Speckbacher eben beim Kriegsrath sitzt. Der Vater springt auf,
erst ärgerlich über den Ungehorsam, dann stolz auf die Tapferkeit
seines Buben. Diesem Tiroler Volk blieb seitdem Defreggers Kunst
fast ausschliesslich gewidmet. Tirols schneidige Buben und saubere
Dirndln in Glück und Leid, Liebe und Hass, Arbeit und Lustbar-
keit, zu Haus oder draussen auf der Ahn in ihrer ganzen Schönheit,
Tüchtigkeit und Kraft zu schildern, bildete die Lebensaufgabe, für
die er wie kein Anderer geschaffen. Er hatte vor Knaus und den
meisten andern Malern von Dorfgeschichten den ungeheuren Vortheil,
dass er nicht persönlich ausserhalb und über dem Volke stand, es
nicht mit der oberflächlichen Neugier des zugereisten Touristen
betrachtete, sondern selbst dazu gehörte. Jene Andern sahen,
waren sie ironisch angelegt, im Landmann den komischen dummen
Bauer, oder trugen, wenn sie zur Sentimentalität neigten, Stimm-
ungen und Gefühle aus der »Gesellschaft«, Züge salonmässiger Em-
Mii'her, Moderne Malerei II. * -
226
XXIII. Die Dorfnovelle
Defregger : Speckbacher.
pfindsamkeit, falsche Stadtluft in die bäuerliche Welt. Modelle in
Nationalcostiimen wurden zu oberbayerischen Volksstiickcn gruppirt.
Defregger, der bis zum 15. Jahre das Vieh seines Vaters auf den
Grastriften des Ederhofes hütete, hatte die Schmerzen und Freuden
des Volkes lange genug getheilt, um zu wissen, dass diese Leute
weder komisch noch sentimental sind.
Der grosse alte Bauernhof, wo er 1835 geboren war, lag einsam
im wilden Gebirge. Er ging barfuss und barhäuptig einher, watete
durch den hohen Schnee, wenn er im Winter den Weg zur Schule
machte, trieb sich mitten im Hochgebirge herum, wenn er im Sommer
mit den Heerdcn auf der Alm war. Sennerinnen und Holzknechte,
Jäger und Hüterbuben waren seine einzigen Genossen. Mit 1 5 Jahren
war er der Hauptarbeiter aut dem Gute, halt das Korn dreschen,
arbeitete auf dem Acker, im Stall, in der Scheune wie die Andern.
23 Jahre alt, verlor er den Vater und übernahm selbst das Gehöft:
ein Mann also, bevor sich ihm der Künstlerberuf entdeckte. Daraus
erklären sich seine Qualitäten und seine Mängel. Als er nach \ er-
kauf seines Anwesens und planlosem Aufenthalt in Innsbruck und
XXIII. Die Dorfnovelle
Defregger: Die Ringer.
Paris 1865 bei Piloty landete, war er innerlich reif: die Eindrücke
seiner Jugend verfolgten ihn, Land und Leute von Tirol wollte er
schildern. Um noch ein guter »Maler« zu werden, war er zu alt. Da-
für brachte er ein anderes unschätzbares Gut mit: er wusste, was er
wollte. Die Helden der Historie interessirten ihn nicht, in seinem
Kopf lebten nur Tiroler Holzknechte. Er verliess das Atelier Pilotys
fast wie er es betreten hatte: ungeschickt, schwer und mühsam malend,
aber auch von der Theaterempfindung Pilotys wenig berührt. Seine
Jugend, seine Erinnerungen wurzelten im Volksleben; mit treuem
Auge fing er dessen fröhliche und ernste Bilder auf, sie in schlichter,
warmer Sprache zu erzählen ; und hätte er die Stärke gehabt, dem
Schönheitsideal seiner Zeit noch grössere Widerstandskraft zu leisten,
so würden seine Erzählungen gewiss sich noch frischer, urwüchsiger
anhören.
Der Tanz auf der Alm war das erste Bild, das auf den Speck-
bacher folgte, und durchwanderte in Tausenden von Reproductionen
die Welt. Zwei herzige Gestalten, die hübsche Sennerin, die so
freudestrahlend um sich blickt, und ihr Partner, der rüstige, alte
Tiroler, der eben den Fuss mit dem derben Nagelschuh tanzend zum
Schuhplattler erhebt. Gleichzeitig malte er »das Preispferd«, das sieg-
15*
228
XXIII. Dif. Dorfnovelle
Defregger : Das Preispferd.
gekrönt und bekränzt von der Pferdeausstellung in s Heimathdorf
zurückkommt und als der Stolz des Ortes von Alt und Jung jubelnd
begrüsst wird. Das letzte Aufgebot war wieder eine Scene aus
der Tiroler Volkserhebung 1809: Alle, die noch eine Büchse, Sense
oder Heugabel tragen können, haben in die Fahnen sich einreihen
lassen und marschiren über die holperige Gasse des Dorfes hinaus
in den Kampf. Ernst blicken Frauen und Kinder den Fortziehenden
nach, ein altes Mütterchen drückt ihrem Manne die Hand. Alles
war schlicht und herzlich, ohne Rührseligkeit und Emphase, selbst
coloristisch ansprechend gegeben. Als Gegenstück entstand 1876 die
1 leimkehr der Sieger : Ein Trupp Tiroler Landsturm marschirt durch
das heimische Bergdorf, ein leicht verwundeter, kühn blickender junger
Bauer voran. Tiroler Banner wehen, Pfeifer, Trommler. Clarinetten-
bläser folgen. Die Gesichter strahlen vor Siegesfreude, Frauen und
Kinder stehen ringsum, die Heimkehrenden zu empfangen. Freude
ist indessen schwerer als Schmerz wahr zu malen. Man merkt leicht,
dass sie durch künstliche Mittel beim Modell hervorgerufen wurde,
und auch Defreggers Bild hat diese Klippe nicht ganz vermieden.
XXIII. Die DorenovehjE
229
Defregger: Der Tan\ auf der Ahn.
Der Todesgang Andreas Hofers war das erste Zugeständniss an
Piloty. Kr war Professor an der Münchener Akademie geworden
und wurde im Adressbuch als »Historienmaler» geführt. Die Ge-
stalten erhielten also volle Lebensgrösse, in der Gruppirung und
der Wahl des »fruchtbaren Moments« wurde der Stil der grossen
Malerei« angestrebt. Das Ergcbniss war dieselbe Hohlheit, die in
den Historien der Delaroche-, Gallait- und Pilotyschule sich breit
macht. An die Stelle unbefangener, schlichter Natürlichkeit ist der
bekannte Bühneneffekt und phrasenhaftes Pathos getreten. Ebenso
wenig war er im Stande, die grossen Figuren malerisch in dem
Maasse zu beleben, wie er auf dem kleineren Bilde der »heim-
kehrenden Tiroler« es vermochte. Dasselbe gilt von der Bauern-
versammlung von 1883, der Scene, wie die Tiroler in einer Waffen-
schmiede versammelt die Nachricht erhalten , dass der Augenblick
zum Losschlagen gekommen. Auch von dem letzten Bild des Cyklus,
wie Andreas Hofer in der Burg von Innsbruck die Geschenke Kaiser
Franz’s empfängt. All diese grossen Hoferbilder, früher als seine
2}0
XXIII. Du-: Dorfnovhlle
besten Leistungen gefeiert,
haben weniger ihm, als dem
wackeren Sandwirth ein
Denkmal errichtet. Das Genre
war Defreggers Beruf, hier
lagen die starken Wurzeln
seiner Kraft, und sobald er
dieses Gebiet verliess, ent-
sagte er seiner Qualitäten.
Verschönernde Feiertags-
stimmung ist auch über seine
Genrebilder gebreitet. Sie
erwecken die Meinung, als
ob im glücklichen Land Tirol
immer Sonnenschein strahle,
als seien alle Menschen keusch
und schön, alle Burschen
schneidig und hübsch , alle
Defregger: Der Besuch. Dirndln schmuck, jeder Haus-
te halt geregelt und sauber, alle
Eheleute und Kinder lieb und brav, während in Wirklichkeit die
Sennerinnen und Holzknechte weit weniger poetisch sich gebahren
und mancher Städter die Berührung der lebendigen meidet, der die
gemalten mit Entzücken betrachtet. Sowohl diese Einseitigkeiten, wie
die coloristischen Mängel theilt er mit Vautier. Fast alle seine Bilder
sind hart, trocken und ängstlich in der Farbe. Aber wie bei Vautier
versöhnt der Mensch mit dem Maler. Man verlangt von Defregger
keine coloristischen Qualitäten und keine echten Tiroler, da er in
seinen Bildern sich selber gibt, einen Blick in sein eigenes Herz
gewährt, ein gesund fröhliches, liebes Menschenherz. Nicht müh-
sam erlernten Schönheitsregeln ist sein Idealismus entsprungen
ein Malergemüth spricht daraus, das unwillkürlich sein Volk durch
ein verklärendes Medium anschaut. Ein rosarothes Glas unterdrückt
alles Kümmerliche, Armselige, Traurige, Hässliche, um Kraft und
Gesundheit nur, Zartheit und Schönheit, Tapferkeit und Treue zu
spiegeln. Er behielt in sonnigem Andenken den jubelnden Glanz,
der in der Stunde des Wiedersehens über der Heimath ruhte, er
malte die Freude, die seine eigene Brust schwellend erweiterte, wenn
er die ersten Felsen des Hcimathlandes sah und die Glocken Sonn-
XXIII. Die Dorfnovelle
231
tagsfrieden läuteten. Das gibt seinen Werken, so wenig sie authent-
ische Documente über die Tiroler Bevölkerung sind, ihre mensch-
liche, innerliche Wahrheit.
Später wird man das noch unbefangener empfinden, als es heute
möglich. Je grösser die Schule eines Künstlers ist, um so mehr
tri vialisirt sie seine Kunst, so dass die Originalität des Meisters
eine Zeitlang selbst wie Trivialität erscheint. Die Tiroler wurden
durch Defreggers Nachahmer im Kunstmarkt entwerthet ; zu viele
haben ihm seine krachledernen Hosen und Lodenjoppen nachgemalt,
ohne die lebendigen Menschen darin, die beim echten Defregger
entzückten. Seine kunstgeschichtliche Stellung wird dadurch nicht
berührt. Er hat den Besten seiner Zeit genug gethan, durch seine
frische, fröhliche, gesunde Kunst vieler Menschen Herzen erquickt
und wäre der Unsterblichkeit auch dann sicher, hätte er seit den
Jahren, da die Entwicklung über ihn hinwegschritt, den Pinsel über-
haupt aus der Hand gelegt.
Neben Defregger, dem Haupt der Tiroler, mögen Gabi und
Mathias Schmidt in üblichem Abstand ihren wohlverdienten Platz
finden. Mathias Schmidt, in demselben Jahre wie Defregger in den
Tiroler Alpen geboren, fing mit satirischen Darstellungen auf das
Tiroler Priesterthum an. Ein armer Hergottschnitzer ist mit seinem
Wagen an einem Wirthshaus angekommen, auf dessen Terrasse wohl-
genährte Geistliche sitzen , und wird von ihnen, als er ein Crucifix
zum Kauf anbietet, spöttisch zur Rede gestellt. Ein junger Priester
kanzelt als strenger Sittenrichter ein vor ihm stehendes Liebes-
paar ab, oder richtet im Brautexamen an das junge Mädchen so ver-
fängliche Fragen, dass es erröthend die Augen senkt. Sein grösstes
Bild war der »Auszug der protestantischen Zillerthaler aus ihrer
Heimath 1837«. Von späteren Arbeiten ohne kulturkämpferische
Tendenzen mögen der »Jägergruss«, der »eingeseifte Herr Pfarrer ,
der von zwei hübschen Dirnen beim Rasiren überrascht wird, und
der »geflickte Herr Pfarrer« genannt sein, dem die dralle Haushälterin
vor der Predigt noch eilig eine schwache Stelle seiner Unaussprech-
lichen stopft.
Alois Gab I trat, kurz nachdem Defregger sein Speckbacherbild
gemalt, mit seinem den Aufruhr predigenden Haspinger hervor und
liess darauf kleinere humoristisch angehauchte Bilder folgen : eine
Rekrutenaushebung in Tirol, den Tanz im Wirthshaus, der durch
das Eintreten des Herrn Pfarrers unterbrochen wird, Hochwürden als
XXIII. Die Dorfnovelle
232
Gabi: Haspinger, den Aufstand predigend.
Schiedsrichter auf dem Schiessstand, eine Bräuschenke mit lachenden
Mägden u. dgl.
Der früh verstorbene Ed. Kurzbauer schuf 1870 in seinen
»Ereilten Flüchtlingen« ein Werk, das diese ganze Art gemalter
Romanillustrationen kennzeichnet. Ein junger Mann, der ein Mäd-
chen entführt hat, wird mit diesem von deren Mutter in einer
Dorfwirthschaft aufgefunden. Die alte vornehme Dame blickt vor-
wurfsvoll, die Tochter zeigt Scham und Reue, der junge Ent-
führer ist sehr erregt, der alte Diener respektvoll ernst, die junge
Wirthin neugierig, der Postillon, der die Flüchtlinge gefahren hat,
schmunzelt pfiffig. Sonst hat Kurzbauer, ein lebendiger frischer Er-
zähler, hauptsächlich Episoden in Schwarzwälder Bauernkostüm ge-
malt: ein abgewiesener Freier nimmt traurigen Abschied von einem
blonden Trotzköpfchen, das seine Liebe verschmäht; oder die Ver-
lobung zweier Liebenden wird durch das Dazwischentreten des
Vaters verhindert.
Hugo Kaufmann, der Sohn Hermann Kauffmanns, setzte sich im
Innern von Dorfschenken oder vor solchen fest und liess da kostümirte
XXIII. Die Dorfnovelle
233
Kurzbauer : Die ereilten Flüchtlinge.
Modelle Jägerlatein erzählen, zur Geige tanzen, eifersüchtig sein oder
sich beim Kartenspiel streiten.
Wilhelm Riefstahl , auch Norddeutscher, erzählte, wie sich die
Bauern in Appenzell oder Bregenz bei Trauerversammlungen, Feld-
andachten oder Allerseelentagen benehmen und dehnte später mit
mecklenburgischer Gründlichkeit seine künstlerische Domäne über
Rügen, Westfalen und die Rheinlande aus. Fr war ein sorgsam ge-
wissenhafter Arbeiter, dem etwas von genrehalter Schwere und müh-
samer Ungenügsam keit in den Gliedern lag und dessen sehr fleissig ge-
malte, mit Farben gemalte, speciell deutsch gemalte Bilder wegen ihrer
lehrhaften Gediegenheit in öffentlichen Galerien sehr geschätzt sind.
Nachdem durch diese Novellisten die verschiedenen Verzweig-
ungen der deutschen Bauernschaft im Kunsthandel eingebürgert waren,
ging Eduard Grützner, als in den 70 er Jahren der Kulturkampf ent-
brannte, dazu über, mittels brauner und gelblich weisser Mönchskutten
und der dazu gehörigen feist kupfernasigen Bcrufsmodelle Schnurren
aus dem Mönchsleben zu erfinden. Wie der Kellermeister den Heurigen
probirt und die Andern gespannt des Urtheils harren, wie die ganze
Klostergesellschaft beim Weinzapfen, bei der Weinlese oder beim Bier-
234
XXIII. Diu Dorfnovelle
brauen beschäftigt ist, wie sie poculiren. sich beim Schach-, Würfel-,
Karten- und Dominospiel langweilen, alte Fresken übertünchen oder
verbotene Lcctüre in der Klosterbibliothek suchen, — das ist nach
Grützner der Kreislauf, in dem sich das Leben der Mönche bewegt.
Dazwischen tauchen vielleicht Förster auf, die von ihren Jagderleb-
nissen erzählen oder Hasen an die Klosterküche abliefern. Und
Grützner Find mit diesen Bildern um so grösseren Beifall, je mehr er
im Laufe der Jahre durch das Sinken seiner coloristischen Qualitäten
gezwungen war, die sogenannten humoristischen Pointen zu häufen.
Erst viel später kam neben dieser Genremalerei im Bauernkittel
und in der Mönchskutte die Genremalerei im Rock, neben der
Dorf- und Klosternovelette die Börsen- und Fabrikgeschichte in
Schwung. Hier spielt Düsseldorf wieder in der kunstgeschichtlichen
Entwicklung eine Rolle. Die Nähe der grossen rheinischen Fabrik-
städte musste die Maler von selbst auf diese Stoffe führen. Ludwig
Bokelmann, der zuerst Trauerhausscenen, Kartenspieler und rauchende
Schusterjungen im Sinne von Knaus gemalt, führte 1875 das Leih-
haus in die Kunst ein und wusste in dem Bilde alle Typen, die die
landläufige Phantasie mit diesem Begriff in Verbindung bringt: ge
schäftsmässige Gleichgültigkeit, verschämte Armuth, zerrütteten Wohl-
stand, bittere Noth, Genusssucht, Habsucht und dergleichen geschickt
zusammenzudrängen. Als 1877 der Fall Spitzeder in den Zeitungen
Aufsehen machte, malte er seine Yolksbank vor Ausbruch des Falli-
ments«, wobei sich wieder Gelegenheit gab, vor dem Prachtbau eine
Versammlung von Betrogenen aus allen Ständen zu arrangiren, wie
sie ihre Empfindungen je nach Temperament und Bildungsgrad in
erregten Gesprächen oder durch erbitterte Mienen , durch stumpfe
Resignation oder lebhaftes Gesticuliren kundgeben. Viel Aufsehen
machte die Verhaftung« einer Frau, die von einem Gendarmen er-
wartet wurde, während draussen Nachbarn und Nachbarinnen mit
dem obligaten Ausdruck des Abscheus, der Entrüstung, der gleich-
gültigen Neugier oder des Mitgefühls umherstanden. Eine Testa-
mentseröffnung, die letzten Augenblicke eines Wahlkampfs, Scenen
im Gerichtsvorsaale, der Abschied von Auswanderern, die Spielbank
in Montecarlo, ein Dorfbrand waren andere actuelle Zeitungsnotizen
aus dem Leben grösserer Städte, die er in den letzten Jahren in Oel
verarbeitete.
Sein früherer College in Düsseldorf Ferdinand Bri'itt verdankte,
nachdem er Anfangs Rococobilder gemalt, der Börse seine schönsten
XXIII. Die Dorfnoveele
23 5
• V ll
jfr tu
■ . v ‘jgp
■jfö
i »1
Brioti: Trauung im Eisass.
Erfolge. Auch sie hat ihre Typen : die patrizischen Grosskaufleute
und Bankiers von solidem Ruf, die Jobber, waghalsigen Speculanten
und alten, verkommenen Praktiker, und da Brütt diese landläufigen
Figuren sehr verständlich interpretirte, so erregten die Bilder grosse
Aufmerksamkeit. Verurtheilungen und Freisprechungen, Schuldver-
schreibungen und Auswanderungsagenten, komische Wähler und
Gefängnissbesuche füllen als weitere Episoden aus dem commerciellen,
socialen und politischen Leben grosser Städte die Spalten seiner
kleinen Localchronik.
Hiermit hatte die deutsche Genremalerei sich annähernd über
denselben Umkreis ausgedehnt, den die englische zu Beginn des Jahr-
hunderts hatte. Damals war das Reich der deutschen Kunst nicht
von dieser Welt. Der Pietismus lehrte, die Augen nach innen zu
richten. Langsam betrat sie die Erde, zuerst mit ungewissem,
zögerndem Schritt, ehe sie erkannte, dass, was hier blüht, gedeiht
und untergeht, den Inhalt ihres Schaffens ausmachen müsse. Sie
zog allmählich eine Sphäre der Wirklichkeit nach der andern in ihr
Bereich. An die Stelle der Abstraction trat die Beobachtung, aus
XXIII. Die Dorfnovelle
236
Marchal: Mägdemarkt in Buxwiller.
dem Erfinder wurde ein Finder. Der Maler ging unter die Menschen,
öffnete Augen und Herz, um ihres Glückes und Unglückes theilhaftig
zu werden und es wiederzugeben in seinen Schöpfungen. Er ent-
deckte die Eigenarten der Stände und Berufsclassen. Jede unserer
schönen deutschen Landschaften mit ihrer Bauernschaft, jeder Mönchs-
orden und jede Fabrikstadt fand in der Genremalerei ihren Vertreter.
Das Land wurde in Parzellen vertheilt. Jeder übernahm sein Theil-
chen. das er schlecht und recht, wie ein ethnographisches Museum
verwaltete. Und wie 50 Jahre vorher Deutschland von England aus
befruchtet worden, so gab es jetzt seinerseits die Principien der
Genremalerei an die Kunstmächte zweiten Ranges weiter.
Selbst Frankreich wurde ein wenig berührt davon. Wie um
anzudeuten, dass der Eisass bald wieder deutsch werden solle, traten
dort nach 1850 einige Maler auf. die sich ganz in Knaus' und Yauticrs
Sinne mit der Erzählung novellistischer Dinge aus dem Bauernleben
beschäftigten.
Gustave Brion, der Grossneffe Friederikes von Sesenheim, setzte
sich in den Vogesen fest und berichtete hier von einer kleinen Welt,
deren Leben ohne Arbeit hinfliesst, in patriarchalischer sanfter Ruhe,
die nur Hochzeitsfeste, Geburtstage und Leichenfeierlichkeiten unter-
brechen. Man möchte ihn der viel melancholische Stunden hatte
XXIII. Die Dorfnovelle
237
Breton': Die Heimkehr vom Felde.
und in seinen Bildern gern beten lässt, den französischen Vautier
nennen. Seine Interieurs mit den ehrbaren, biederen Menschen,
den alten stämmigen Möbeln und dem grossen grünen Fayence-
ofen, der ihm so theuer ist, erfreuen durch ihre anheimelnde Trau-
lichkeit, durch einen herzlichen, elsässischen , deutschen Zug. Er
lebt selbst in ihnen, der stille alte Mann, der sich in seinen letzten
Jahren nur mit Gartenbau und Blumenzucht beschäftigte und stunden-
lang im Lehnstuhl am Fenster seinem alten Hund Putz Märchen
erzählte. Malerische Gesam Enthaltung freilich darf man sowenig von
ihm wie von Vautier fordern.
Charles Marchal war ebenfalls kein Maler, sondern ein Anekdoten-
erzähler sentimentalen oder humoristischen Anstrichs und obendrein
so fein und vornehm, dass er nur die hübschen Bäuerinnen sah, die
leicht »Fräulein« werden könnten, wenn sie Mieder und Kopftuch
mit Pariser Toilette vertauschten, Sein Hauptbild war der Mägde-
markt von 1864 — hübsche Bäuerinnen, die reihenweise an der Strasse
stehen und mit Dienstherren unterhandeln, um sich dingen zu lassen.
Der berühmteste der Gruppe ward Jules Breton, der sich nach
mehreren Humoresken und Rührstücken 1853 mit seiner Rückkehr
der Schnitter« (Musee Luxembourg) in die erste Reihe der französischen
Bauernmaler stellte. Seine Aehrenleserinnen von 1855, die Segnung
der Felder von 1857, die Aufrichtung des Christusbildes auf dem
XXIII. Die Dorfnovelle
.38
Breton : Feierabend.
Friedhofe von 1859 waren hübsch genug, dem Publikum zu gefallen,
und technisch gediegen genug, um bei den Künstlern keinen Anstoss
zu erregen. Seit 1861 schwärmte er besonders für Sonnenunter-
gänge und wurde nicht müde, die Stunde zu schildern, wenn sich die
schönen Silhouetten der Bäuerinnen elegant von dem ruhigen goldenen
Horizont abzeichnen. Jules Breton hat viel Gedichte gemacht, und
etwas Poetisches geht durch seine Bilder. Sie erzählen von der Me-
lancholie des Landes, wenn die Felder, vom letzten Strahl der
scheidenden Sonne vergoldet, unter den Schatten des Abends träum-
erisch einschlafen — aber sie erzählen davon in Versen, in denen die
gleichen Reime sich in ermüdender Eintönigkeit wiederholen. Breton
ist eine liebenswürdige, sympathische Erscheinung, nur hat er den
Classicismus nicht ganz überwunden. Seine Aehrenleserinnen , die
in der Abenddämmerung über das Feld schreiten , bezeugen sein
aufmerksames, überlegtes Studium der Werke Leopold Roberts,
und leider ist auch von der Emphase, den classicistischen Allüren
Roberts viel in Bretons Bäuerinnen übergegangen. Sie haben einen
starken Rest von Pose und einen scharfen Beigeschmack von Schul-
formoln. Ihre Kleider affectiren Stil und ihre Hände sind die von
Bonnen, die nie einen Rechen in der Hand gehabt. Breton malt,
wie Millet von ihm sagte, Mädchen, die zu schön sind, um auf dem
XXIII. Die Dorfnovelle
Land zu bleiben. Seine
Kunst ist eine wohlerzogene,
idyllische Malerei, mit Gold-
schnitt versehen, gefällig, voll
zarter, stets eleganter und
stets correcter Figuren, aber
ein wenig limonadenhaft
matt, monoton und zu wohl
geordnet, baar jedes männ-
lichen Accentes und selten
die Klippe der Geziertheit
meidend.
Direkt von Düsseldorf
wurde Schweden und Nor-
wegen befruchtet. Die rhein-
ische Akademie war, nach-
dem Tidemand den Weg
dahin gewiesen, in den 50er
Jahren die Hochschule für
alle Söhne des Nordens. Sie
machten sich daran, Knaus
und Vautier in’s Schwed-
ische und Norwegische zu
übersetzen und trafen den
Ton ihrer Originale so glück-
lich, dass sie fast diisseldorf-
ischer als die echten Düssel-
dorfer wirken.
Karl D’ Uncker, 1851 eingetroffen und 1866 verstorben, wurde
durch Vautier der kleinen Humoreske zugeführt. Auf die beiden
Tauben« (zwei schwerhörige alte Leute, die sich in sehr komischer
Weise zu verständigen suchen) und den »Spielmann mit seiner Tochter
vor dem Dorfschulzen folgte 1858 die Scene im Pfandhaus«, die
sich damals mit Knaus’ »goldener Hochzeit« in den Erfolg des
Jahres theilte. Er ist künstlerisch ein Mittelding zwischen Knaus und
Schrödter ; ein scharfer Beobachter und witziger Berichterstatter, der
sich namentlich in der schneidigen Gegenüberstellung von Charakter-
chargen gefällt. In seinem »Pfandhaus« und im »Wartesaal dritter
Classe« bewegen sich bunt durcheinander Vagabunden neben grund-
—
Brelon : ^Aelirenlrägerin .
240
XXIII. Die Dorfnovelle
ehrlichen Leuten. Bettler neben Privatiers, junge unschuldreine Mäd-
chen neben alten Kupplerinnen, herzlose Geizhälse neben gefühl-
vollen Menschenfreunden. Vom schwedischen Kostüm ist in solch
humoristisch-satirischen Conversationsstücken mit Recht abgesehen.
Dieses ethnographische Element war die Stärke Beugt Nordenbergs,
der sich als Copist Tidemands zum Riefstahl des Nordens entwickelte.
Seine Goldene Hochzeit in Blekingen, sein Brautzug, seine Zehnten-
versammlung, die Pietisten, die Brunnenpromenade sind von derselben
ethnographischen Treue und novellistischen Trockenheit. Am besten
wirkt er. wenn er einen idyllisch kindlichen oder patriarchalisch ge
müthlichen Ton anschlägt. Der Hochzeitszug, der mit Musik und
Böllerschüssen im Bauernhof empfangen wird, die Neuvermählten, die
ihren ersten Besuch bei den Eltern machen, Schulknaben, die ihren
alten Organisten hänseln, Kinder, die ein vom Wolf getödtetes Lämm-
chen bedauern, sind im Sinne der 60 er Jahre Arbeiten eines liebens-
würdigen anspruchslosen Erzählers, der für die ruhig traulichen Seiten
des Familien- und Landlebens feinen Sinn hatte.
Bei Wilhelm Wallander herrscht wie bei Madou Lärm, Spiel und
Scherzen. Seine Bilder sind kecke, zur Drehorgel gesungene Gassen-
hauer. Marktgewimmel, der Klatsch in der Spinnstube am Feierabend,
Hopfenpflücken, Tanzpartien, Auctionen auf alten Herrengütern, Hoch-
zeiten und Wachtparaden sind seine beliebtesten Scenen. Schon als
er nach Düsseldorf kam. war ihm der Ruf eines behenden Zeichners
und frischen Burschen vorausgegangen, und als er 1852 seinen Markt
in Yingakcr ausstellte, wurde er als neuer Teniers begrüsst. Seine
Hopfenernte ist ein wahres Wachsfigurencabinet von lachenden
Mägden und schäkernden Knechten. Er war ein decidirter Komiker
und lebhafter Erzähler, der in allen Lebenslagen mehr zum Scherzen
als zum Anschlägen idyllisch -elegischer Stimmungen neigte. Es
kommt nicht vor bei ihm. dass Bäuerinnen allein über’s Land gehen
ein vorbeikommender Bursche muss ihnen einen Witz sagen; es
ereignet sich nicht, dass einsame Mädchen in Gedanken am Herde
sitzen — ihr Liebhaber muss lachend aus einem Schranke heraus-
gucken.
Anders Koskull cultivirte mit mehr elegischem Zuge das Kinder-
genre, Hess arme Leute in der Sonne sitzen oder Bauernfamilien
während des Sonntagsfriedens auf dem Kirchhof die Gräber ihrer
Lieben bekränzen. Kilian Zoll malte spinnende Frauen, Kinder mit
der Katze. Grossmutters Freuden u. dergl. recht kindlich wie Meyer
XXIII. Die Dorfnovelle
241
von Bremen. Peter Eskilson wendete sich der Schilderung einer idyll-
ischen Biedermeierzeit zu und hat in seinem bekanntesten Werk, dem
»Kegelspiel in Faggens« eine gemüthliche Darstellung aus dem Bauern-
leben der Zopfzeit geschaffen. August Jernbergs Studienobject war
der westphälische Bauer mit seinem Schlapphut und langen, weissen
Rock, seiner beblümten Weste und den grossen Silberknöpfen. Be-
sonders gern liess er unter dem Jubel der Bevölkerung Bären tanzen
oder Jahrmärkte abgehalten werden, wozu eine malerische Partie des
alten Düsseldorf als Hintergrund diente. Ferdinand Fagerlin gewinnt
durch etwas Gutmüthiges, Schlichtes. Lacht er, was er gern thut,
so ist sein Lachen herzlich und wohlwollend, und schlägt er eleg-
ische Saiten an, so weiss er sich doch vor Sentimentalität zu hüten.
Im Gegensatz zu D’Uncker und Wallander, die stets auf Charakter-
chargen Jagd machten, geht er mit Gefühl dem Ausdruck nach und
versteht ihn auch in seinen feineren Nüancen zart zu interpretiren.
Henry Ritter, der ihn im Beginn seiner Laufbahn stark beeinflusste,
hatte ihn nach Holland gewiesen, und Fagerlins stille Kunst passt zu
dem Phlegma dieser Menschen. Innerhalb der vier Wände seiner
Fischerstuben bewegen sich immer nur ehrliche Greise und friedliche
Weiber, tüchtige Gattinnen und fleissige Mädchen, frische Matrosen
und fröhliche Bauernburschen. Aber seine Bilder wirken trotz dieser
optimistischen Einseitigkeit sympathisch, da die Gefühle nicht allzu
affectirt, die anekdotischen Pointen nicht zu sehr unterstrichen sind.
Von Norwegern gehört V. Stoltenberg-Lerche in diese Gruppe,
der Interieurs von Klöstern und Kirchen durch entsprechende Staffage
zu Genrebildern wie »der Zehntetag im Kloster«, die Klosterbiblio-
thek, der Besuch eines Cardinais im Kloster u. dergl. zustutzte.
Hans Dahl, ein Justcmilieu zwischen Tidemand und Emanuel Spitzer,
schleppte die düssel dörfische Dorfidylle bis in die Gegenwart herüber.
»Der Strickstrumpf« (strickende Mädchen am Ufer eines Sees), »Weib-
liche Anziehung« (Drei Bauernmädchen, die ein Boot mit einem
Burschen trotz dessen Sträuben ans Land ziehen), »Naturkind« (das
kleine Mädchen, das einem Maler im Gebirg als Modell dienen soll,
aber ängstlich davon läuft), »Das Damenpensionat im Eise«, »Erst
Zoll bezahlen« u. dgl. sind einige witzige Titel seiner über Europa
und Amerika zerstreuten Handelsartikel. Alles ist sonnig, Alles
lacht, die Landschaften wie die Figuren, und wenn Dahl vor 50
Jahren gemalt hätte, würden seine freundlichen Mädchen mit ihren
blonden, schweren Zöpfen, wohlerzogenen Allüren und zarten, durch
Mtitlier, Moderne Makr-i II
l6
XXIII. Die Dorfnovelle
242
keine Arbeit verunstalteten Händen ihm gewiss neben dem alten
Meyerheim einen nicht unwichtigen Platz in der Entwickelungsge-
schichte des Genres sichern.
Ein Ableger der Münchener Bauernmalerei wuchs in Ungarn
zu kräftigem Schössling empor. An der Isar hatte sich die Ver-
edlung der magyarischen Rohtalente vollzogen, und sie dankten
ihren Meistern dadurch, dass sie, in die Heimath zurückgekehrt, die
Principien des Münchener Genres auf magyarische Stoffe übertrugen.
Die ungarischen Säle moderner Ausstellungen haben in Folge dessen
ein sehr locales Gepräge. Alles scheint kernmagyarisch, urwüchsig und
rein national. Zigeuner fideln und ungarische Volkslieder erklingen,
Akrobaten produciren sich, schlanke Pustasöhne sitzen in ungarischen
Dorfschenken beim Tokaier, muskulöse Bauernburschen schäkern
mit kernigen, schwarzäugigen Mädchen, schmucke Husaren erproben
an drallen Dirnen ihre sieghafte Eroberungslust, Rekruten suchen
sich zum Kriegshandwerk mit Rebensaft gewaltsam zu begeistern.
Protzige Bauern, schmiegsame Zigeuner, tanzende Alte, schneidige
Junge, lachende Mädchengesichter und kecke Burschen mit blitzenden
Augen, rauflustige Messerhelden, berauschte Soldaten und fluchende
Wachtmeister, Trunkenbolde, leidende Frauen und arme Waisen,
Versatzämter und Vagabunden, Gerichtsverhandlungen, Wahlscenen,
Dorftragoedien und komische Heirathsanträge, pfiffige Schusterjungen
und zum Tode verurtheilte Verbrecher, das lustige Gewühl der
Jahrmärkte und der fröhliche Heimzug von Ernte und Weinlese,
gewichste Schnurbärte, grünrothe Mützen und kurze Pfeifen, Tokaier
Wein, Banater Weizen, Alfölder Tabak und Sarkader Hornvieh
das sind die Elemente, die man je nach Bedarf zu kleinen Novellen
oder spannenden Colossalromanen verarbeitet. Ebenso kernmagyarisch
wie die Figuren sind die Namen der Maler. Ausser den deutsch
klingenden Ludwig Ebner, Paul Böhm und Otto von Baditz liest
man: Koloman Der)-, Julius Agghazi, Alexander Bihari, Ignaz Ros-
kovics, Johann Jankö, Tihamer Margitay, Paul Vagö, Arpäd Eessty,
Otto Koroknyai, D. Skuteczky etc. Aber abgesehen von den ver-
änderten Namen , der veränderten Localität und Gewandung ist
der Inhalt der Bilder genau der nämliche, wie der Münchener vor
20 Jahren: Spiel und Tanz, Mutterglück, Brautwerbung und Ein-
ladung zur Hochzeit. Statt des Schuhplattlers malen sie den Csar-
das, statt der Sennhütten die Kneipen der Puszta, statt der blauen,
bayerischen Uniform die grüne der magyarischen Husaren. Ihre
XXIII. Die Dorfnovelle
243
Malerei ist mit Isarwasser getaufter Tokaier oder Isarwasser mit
Tokaier Aroma. Was national scheint, ist im Grunde nur ver-
alteter Standpunkt. Eine typische Entwicklung, die sich im 19. Jahr-
hundert für alle Kunstzweige wiederholt: im Westen geht die Sonne
auf und im Osten geht sie unter. Ein anderer Fortschritt als der
allmählicher Erweiterung des Stoffgebietes ist bei den Erzeugnissen
dieser ganzen Genremalerei nicht festzustellen. Sie vertreten colo-
ristisch und inhaltlich eine Kunstphase, die in den führenden Ländern
schon um die Mitte des Jahrhunderts überwunden war und ander-
wärts ebenfalls überwunden werden musste, wenn die Malerei wieder
sein wollte, was sie in den guten alten Kunstperioden gewesen.
Denn im Grunde waren alle diese Genremaler noch Kinder
Hogarths, ihre Werke Erzeugnisse desselben kunstfremden, plebe-
jischen Geistes, der damals durch die Engländer in die Malerei ge-
kommen. Ihre kunstgeschichtliche Bedeutung soll und darf ihnen
nicht bestritten werden. In einer Zeit, die, stolzer auf ihr antiquar-
isches Wissen als auf ihre eigenen Thaten, das vornehmste Ziel der
Kunst darin erblickte, die Mode aller vergangenen Epochen noch
einmal getreulich nachzubilden, um nur ja der heiklen Aufgabe ent-
hoben zu sein, den leibhaftigen Menschen des 19. Jahrhunderts
zu schildern, in einer solchen weltentfremdeten Periode waren diese
Genremaler die ersten, welche die Museen verliessen, in die Natur
gingen und die Basis moderner Malerei schufen. Sie wanderten aufs
Land, sahen Wirkliches, versuchten cs nachzubilden und zeigen in
ihren Studien oft eine bewundernswerthe Unmittelbarkeit der An-
schauung. Aber diese kräftigen Vorarbeiten waren doch zu un-
scheinbar, um bei einem noch ungenügend zur Kunstbetrachtung
erzogenen Publikum Beifall und Beachtung zu finden. Während in
England die Ausstellungen der Royal Academy, in Frankreich die des
Pariser Salon verhältnissmässig früh eine gewisse Basis für das Kunst-
verständniss schufen, arbeiteten die Genremaler der übrigen Länder bis
in die 60er Jahre ohne die geeigneten gesellschaftlichen Verbindungen.
An die Stelle der vornehmen Gesellschaft, die im vorigen Jahr-
hundert den Maecen gespielt, waren seit 1828 als Hauptdictatoren des
Geschmacks die Kunstvereine getreten. Albrecht Adam, von dem die
erste Anregung zur Gründung des Münchener Vereins ausging, hat
sich über die Vortheile und Nachtheile dieses Schrittes in seiner
Biographie selbst deutlich ausgesprochen. »Oft schon habe ich an
mich die Frage gerichtet, ob ich mit diesem Plane etwas Gutes
16*
244
XXIII. Die Dorfnovelle
gethan oder nicht und bis zu dieser Stunde bin ich darüber nicht
einig. Offenbar erhielt von nun an die Pflege der Kunst eine ganz
andere Richtung als früher. Was vordem von kunstsinnigen und
einsichtsvollen Liebhabern geschah, wurde jetzt zum grossen Thcil
in die 1 lande des Volks gelegt. Das hatte wie so Vieles in der Welt,
sein Gutes, aber es kamen in der Praxis auch grosse Schattenseiten
zum Vorschein«. Die Nachtheile zeigten sich namentlich darin, dass
das »Volk« auf lange hinaus nur solche Malereien verstehen konnte,
die in behaglich breitem Ton eine Geschichte im Bilde darstellten, im
wohlerzählten Zusammenhang ihres gegenständlichen Details weniger
auf die Betrachtung, als auf das Abgelesenwerden berechnet waren,
denn Lesen lernte man in der Schule. Nur bei der ethnograph-
ischen Malerei, dem italienischen und Orientgenre wurde von der
Forderung eines anekdotischen Inhaltes abgesehen, da hier die sonder-
baren Typen, malerischen Trachten und eigentümlichen Sitten der
fremden Länder an sich schon genügend die Neugierde reizten. Was
am Bilde geschätzt wurde, war lediglich ein Acusserliches, der Gegen-
stand der Darstellung, nicht die Darstellung selbst, das Was, nicht
das Wie, das Stoffliche, das ganz aus dem Bereich des Künstlerischen
herausfällt. Die seit den vierziger Jahren aufkommenden Familien-
blätter leisteten dieser Geschmacksrichtung weiteren Vorschub. Je
mehr Anleitung gegeben ward, Charaden zu entziffern, desto mehr
wurde die sinnliche Freude an Kunst geschädigt. Die begleitenden
Worte des Textschreibers waren nur die Rückübersetzung der Bilder
in ihr eigentliches Element. Und die Maler fügten sich in die Ver-
hältnisse nicht ungern, weil sie in Folge ihrer technischen Unzu-
länglichkeit auch ihrerseits streben mussten, durch anekdotische Bei-
gaben ihren Bildern ein Anhängsel äusserlicher Interessantheit zu ver-
leihen. Literarische Witze mussten den mangelnden malerischen Witz
ersetzen, menschliche Eigenschaften die ungenügenden künstlerischen
Qualitäten über Wasser halten. Wie die Historienmaler in leicht-
lässlicher Weise Geschichtskenntnisse vermittelten, so gaben sich die
Genremaler als angenehme Plauderer, als gute Anekdotenerzähler, die
bald drollig, bald sinnig, bald rührend, aber noch keine Maler waren.
Und das konnten sie auf diesem Wege auch nicht werden.
Denn wenn in älteren Geschichtswerken oft betont wurde, die mo-
derne Genremalerei hätte in scharfer Charakteristik, tiefer psycholog-
ischer Auffassung und Reichthum der Erfindung es viel weiter als die
altholländische gebracht, so sind diese Vorzüge doch durch Mangel
XXIII. Die Dorfnovelle
245
jeder malerischen Gesammthaltung erkauft. Die Holländer zu Rem-
brandts Tagen waren Maler bis in die Fingerspitzen und konnten es sein,
da sie sich an ein Publikum wendeten, dessen Geschmack hinreichend
geschult war, um in der Betrachtung wahrhafter coloristischer Kunst-
werke einen feinen Genuss zu finden. Mieris malte das wollüstige
Knittern seidener Stoffe, van der Meer das milde Licht, das verstohlen
durch kleine Fenster in lauschige Zimmer fällt und auf blankgeputztem
Zinn- und Kupfergeschirr, auf Majolikaschüsseln, Silbergeräth, auf
Decken und Truhen spielt, de Hoogh den Sonnenstrahl, der einer
goldenen Staubsäule gleich aus einem helleren Seitenraum in ein
dunkleres Vorzimmer fluthet. Jeder stellt sich andere Probleme, jeder
macht eine künstlerische Entwicklung durch. Diese Neueren sind
vom ersten Auftreten an fertig, die Ungarn malen geradeso wie die
Schweden und Deutschen, und ihre Bilder haben immer nur stoff-
liche, nie künstlerische Gedanken. Unscheinbare Waldvögel, pfiffen
sie zum Theil sehr hübsche Melodien, aber ihr Gefieder war nicht so
hübsch wie ihr Gesang. Man kann nicht Genremaler und Maler zu-
gleich sein. Der principielle Unterschied zwischen beiden liegt darin,
dass der Maler das Bild eher sieht, wie das, was man sich dabei
denken kann, der Genremaler dagegen einen Gedanken, eine »Er-
findung« im Kopf hat und ein Bild danach stellt. Der Maler denkt
nicht an erzählenden, stoff lichen Inhalt, seine Poesie liegt im Reiche
der Farbe. Es waltet in seinen Werken — man denke an Brouwer
— stets wahrhaftes, von der Künstlerseele aus das Ganze einheitlich
durchdringendes und gestaltendes Leben. Das Leitmotiv für den
Gcnremaler ist der Gegenstand als solcher. Er will z. B. gerade ein
Kinderfest malen, weil es ein Kinderfest ist. Um eine solche Auf-
gabe auf gesund künstlerischem Wege zu erledigen , muss man Jan
Steen sein. Die Beobachtung dieser Neuern wagte sich vorläufig nur
an’s Detail heran und stand dem Ganzen rathlos gegenüber. Sie halfen
sich dadurch, dass sie die Scene »erfanden«, Hessen die Kinder in den
von der Situation verlangten Stellungen posiren und componirten
diese Studien. Das Ende der Arbeit war erreicht, wenn die Haupt-
helden des Stückes fertig charakterisirt und der Rest gut durchge-
zeichnet war. Das Colorircn war nur unwesentliche Zugabe, resp.
in rein künstlerischem Sinn überhaupt nicht möglich. Denn ein Bild,
das durch allmähliches Zusammentragen aus einzelnen Copien nach
gestellten Modellen, nach Costümen, Geräthen, Interieurs etc. entsteht,
kann noch so grosse Naturtreue im Einzelnen haben, durch die müh-
246
XXIII. Die Dorfnovelle
same Mosaikarbeit wird doch regelmässig die malerische Erscheinung,
Einheitlichkeit und Ruhe des Ganzen zerstört. Knaus ist vielleicht
der einzige, der als feiner Kenner der Farbe die Buchbinderarbeit ver-
‘ deckte und durch raffinirtes Zusammenstimmen auf künstlichem Wege
eine gewisse coloristische Gesammthaltung erzielte. Den Bildern aller
Andern steht es deutlich auf der Stirn, dass sie, wie Heine schrieb,
»mehr redigirt als gemalt« sind. Ueber der Detailarbeit ging die Bild-
wirkung, über dem auf den ersten Blick bestechenden reichen Inhalt
schliesslich sogar die Detailwahrheit verloren. Denn da der Vorfall,
um den es sich handelte, je umständlicher, desto besser, in allen Ab-
stufungen und Gefühlsvariationen auf den Gesichtern, in den Ge-
berden der Familie, der Gevattern, der Nachbarn, des Strassenpubli-
kums sich spiegeln sollte, war die nothwendige Folge, dass man, um
verstanden zu werden, fitst immer gezwungen war, die Charakteristik
zu übertreiben, an die Stelle des unbefangenen Ausdrucks der Natur
den dem Modell theatermässig einstudirten zu setzen. Nicht minder
führte der Versuch, diese »gestellten« Körper c ompositionell in
einem Rahmen zu vereinen, bald zur unleidlichen Schablone. Es
wurden in einer von der Historienmalerei beherrschten Zeit auf das
bunte, vielgestaltige, moderne Leben die überkommenen Regeln der
Historienmalerei projicirt. Da das Gefüge dieser Compositiön Ge-
setze vorschrieb, von denen die absichtslose Einzelerscheinung frei
ist, so mussten die nach der Natur genommenen Studien im Bilde
je nach Bedarf zurechtgestutzt werden. Es ergaben sich Attitüden, die
zwar im herkömmlichen Sinne schön, aber unnatürlich, gesucht und
deshalb unschön wirken. Eine willkürliche Construction, ein er-
zwungener Aufbau trat an die Stelle des Beweglichen, Manigfaltigen,
Zufälligen. Die Maler fügten nicht die wirkliche Einzelheit in den
Verband, den der Zusammenhang des Lebens bestimmt, sie arrangirten
aus realistischen Elementen Komödienscenen , wie der Regisseur
sie aufstellt.
Damit ist angedeutet, wohin die Weiterentwicklung gehen musste.
Erst wenn Hogarth überwunden war, hatte die Malerei sich die
Selbständigkeit, die sie in den grossen Kunstperioden gehabt hatte,
wieder errungen. Der Maler musste aufhören, Nebenqualitäten wie
Humor und novellistische Talente als Hauptsache in Zahlung zu
geben; das Publikum anfangen, Bilder als Malereien, nicht als ge-
malte Geschichtchen zu verstehen. Ein gut gemaltes »leeres Sujet«
ist einem schlecht gemalten »interessanten Stoff« vorzuziehen. Bilder
XXIII. Die Dorfnovelle
247
des Lebens mussten die lebenden Bilder, Menschen die durch Curio-
sität anziehenden Charaktertypen verdrängen. Lieber eine Secunde
athmender Wirklichkeit mit rein künstlerischen Ausdrucksmitteln er-
fasst, als die vollständigste Dorfgeschichte mangelhaft erzählt, lieber
die einfachste Figur sachlich und selbstlos wiedergegeben, als die be-
ziehungsreichste erklügelte Charakteristik. An die Stelle der figuren-
reichen , erquälten Compositionen musste das temperamentvolle Er-
fassen des Einfachen, Ungekünstelten, wie es die Natur auf Schritt
und Tritt vorführt, an die Stelle des Ueberfüllten und willkürlich
Zurechtgestellten die Schlichtheit und Wahrheit echter Kunst, an die
Stelle der erfundenen, aus fragmentarischen kleinen Beobachtungen
zusammengesetzten Episoden der mit spontaner Frische erfasste Natur-
ausschnitt treten. Erst eine solche Malerei, die sich unter Verzicht
auf literarisches Beiwerk, auf geistreich anekdotische Einfälle und alle
die Natur meisternden Schönheitsregeln wieder im Sinne der Hol-
länder »auf die rohe empirische Beobachtung der umgebenden Wirk-
lichkeit« beschränkte, konnte die Basis der modernen Kunst werden :
die Landschafter schufen sie. Sobald einmal diese Meister sich ent-
schlossen, ihre Bilder nicht mehr aus der Tiefe des Gemüthes, sondern
nach der Natur zu malen, kam nothwendig der Tag, wo einer von
ihnen auch eine Figur in den Wald oder in das Feld, das er nach
der Natur gemalt hatte, setzen wollte und dann das Bediirfniss fühlte,
auch diese Figur, so wie er sie gesehen, in’s Bild herüberzunehmen,
ohne ihr noch einen novellistischen Auftrag zu geben, oder sie in
willkürliche Compositionen zu zwängen. Der Landschafter fand den
Holzhacker im Walde, und der Holzhacker schien ihm das gesuchte
Ideal; der Bauer schien ihm das volle Recht zu haben, neben den
Furchen zu stehen, die er mit seinem Pfluge gezogen; er vertrieb
den Fischer und den Seemann nicht mehr aus ihren Barken, nahm
keinen Anstand, die gute, mit Holz beladene Frau sein Bild ebenso
durchschreiten zu lassen, wie sie den Wald durchschritt. Damit war
die Einfahrt in den Schacht der Einfachheit geöffnet; das brutale
Uebergewicht des Stoffinteresses beseitigt; die Wahrheit der Figuren
wie des Milieus erobert. Die Zeit barg alle Bedingungen in sich, eine
solche Landschaftsmalerei zur Reife zu bringen.
O©
XXIV.
Die Landschaftsmalerei in Deutschland.
DASS die Landschaft für das 19. Jahrhundert von noch grösserer
Bedeutung werden würde, als sie für das Holland des 17. Jahr-
hunderts war, hatte schon seit Watteaus und Gainsboroughs
Tagen deutlich sich angekündigt und da diese Strömung durch
den Classicismus trotz aller Zwangsmassregeln nur momentan unter-
brochen werden konnte, geschah es, dass eine Zeit, die mit Winckel-
manns Begriff der »gemeinen Natur« begann, bereits ein Menschen-
alter später mit deren Apotheose endete. Die 30 Jahre von 1780
bis 1810 bezeichneten für die moderne Landschaft nur eine kurze Ge-
fangenschaft, während der man willkürlich das üppig emporblühende
Kind in die historische Zwangsjacke steckte. Erst hielt das Wort
Gotthold Ephraims, dass die Landschaft, weil sie keine Seele habe,
für die Malerei kein Gegenstand sein könne, die Maler überhaupt
davon ab, durch solche Bilder ihren Ruf zu schädigen. Und als seit
dem Schlüsse des Jahrhunderts wieder Einige diese Scheu überwanden,
kam selbstverständlich als Vorbild nur der Classicist Poussin in Frage.
Einer Zeit, die nicht den Menschen, sondern Statuen malte, war auch
die Natur zu natürlich. Wie der Figurenmaler vom Stil ausging und den
menschlichen Körper in dessen Schablone presste, so wurde die Land-
schaft zu einer historischen stilisirt, nur als Coulissenhintergrund für
griechische Tragöden verwendet. Wie die Figurenzeichner die mensch-
liche Gestalt von allen »individuellen Mängeln« befreiten und damit
zugleich das Nothwendigste, Leben und Glaubwürdigkeit, preisgaben,
die eben an’s Persönliche geknüpft sind, so wollten die Landschafter
die Natur von allem »Zufälligen« reinigen, wodurch aus ihr, der un-
endlich mannigfaltigen, öde Gemeinplätze wurden. Wie jene in »wohl-
abgewogener Composition« das Hauptverdienst ihrer Werke suchten,
so sahen diese in Bergen und Bäumen, Palästen und Tempeln,
Flüssen und Wolken Versatzstücke nur, die mit Hülfe der angelernten
XXIV. Die Landschaftsmalerei in Deutschland 249
Compositionsregeln blos in ihrer
wechselseitigen Stellung verändert
zu werden brauchten, um neue Com-
positionen zu ergeben. Sie dachten
nicht daran , dass die Natur eine
originalere Kraft besitzt, als die tüch-
tigste bewusste Arbeit des Menschen,
oder, wie Ludwig Richter es hübsch
ausdrückt, dass, »was der liebe Gott
gemacht, doch immer schöner ist,
als was Menschen erfinden können«.
Es gab summarische Anweisungen
für Landschaften im Poussinstil,
deren Schönheit — entsprechend
dem edlen Linienfluss der Carstens’schen Figuren — vor Allem in einer
reichen Verschiebung edler Linien gesucht wurde. Die Anschauung
war um so nüchterner, die Zeichnung hart und trocken, die Farbe
kraftlos, gläsern. Der bekannteste der Gruppe ist der alte Tiroler
Josef Koch, der, 1796 nach Rom gekommen, dort noch zwei Jahre
Gelegenheit hatte, sich an Carstens anzuschliessen. Seine Bilder sind
gewöhnlich nach Motiven aus dem Sabinergebirge zusammengestellt.
Fine Landschaft mit dem Raub des Hylas besitzt das Städelsche In-
stitut in Frankfurt, ein Opfer Noahs das Museum in Leipzig, eine
Landschaft aus dem Sabinergebirge die Münchener Neue Pinakothek.
Alle drei sind technisch gleich unbeholfen, nur im Aquarell bewegte
er sich freier.
Ohne Zweifel begünstigt die italienische Natur diesen »hero-
ischen« Landschaftsstil. In Süditalien ist die Gegend zugleich gross
und friedlich. Die kahlen Felswände zeigen scharf Umrissen ihre
majestätischen Linien, das Meer ist blau, kein Wölkchen am Himmel.
Soweit das Auge reicht, ist Alles todt und gleichgültig in den Farben,
starr und leblos in der Form. Eine stilvolle, ganz plastische, schein-
bar seelenlose Landschaft. Nirgends etwas Gigantisches oder Intimes,
aber auch in keinem Lande der Erde ein solches Zusammenspiel
stolzer, majestätischer Linien. Nicht die Compositionskunst Poussins,
aber die classische Kunst Claudes, die nichts sein wollte, als ein
klarer Spiegel sonnenklarer Natur, war der reine Ausdruck dieser
classischen Landschaft, und im 19. Jahrhundert hat, wie man lesen
kann , Karl Rottmann diesen classischen Landschaftsstil am voll-
Joseph Anton Koch.
Nach einer Zeichnung von Constantin Kijchler.
Rom 1836.
250 XXIV. Die Landschaftsmalerei in Deutschland
kommensten vertreten. Seine 28
italienischen Landschaften in den
Arkaden des Münchener Hofgartens
sollen einen Sinn für Linienschön-
heit, eine Grösse der Anschauung
zeigen, wie wenig andere landschaft-
liche Werke des Jahrhunderts. Und
die, welche ihre Charakteristiken aus
Büchern schöpfen, werden das wahr-
scheinlich auch ferner erzählen, mit
um so grösserem Recht, als ver-
sichert wird, dass die Arkaden-
bilder nur ein Schatten früherer
Herrlichkeit seien. Dem Unvorbe-
reiteten, der bloss seinen Augen
folgt, ohne Rottmanns Berühmtheit
zu kennen, kommen die Bilder mit
ihren linkischen , harten Farben,
Composition in der Mehrzahl recht
kindisch vor, womit aber nicht bestritten sein soll, dass sie vor ihrer
Restauration durch Leopold Rottmann und vor ihrem gegenwärtigen
Verfall möglicher Weise doch gut waren. Rottmanns griechische
Landschaften in der Neuen Pinakothek werden selbst von seinen
Verehrern nicht hoch gestellt. Anfangs ganz auf Kochs Boden
stehend, war er hier dazu übergegangen, der Farbe und Beleuchtung
eine grössere Rolle anzuweisen, selbst ungewöhnliche Erschein-
ungen, Gewitterhimmel mit Regenbogen, Sonnenuntergänge, Mond-
scheinstimmungen, Gewitterstürme und dergleichen mitsprechen zu
lassen. Diese Vermengung classicistischer Zeichnungsprincipien mit
Eduard Hildebrandt’scher Effektmalerei brachte etwas Verwirrtes in
die Compositionen, ganz abgesehen davon, dass er nicht über eine
schwere und grelle Farbe, bengalische Beleuchtung und tapetenartige
Roheit des Vortrags hinauskam. Seine Aquarelle enthalten wohl das
Einzige, woraus noch zu ersehen, dass Rottmann in der That einen
hervorragenden Sinn für grosse charakteristische Linien hatte und
durch die Schule der stilvollen, rhythmisch durchgebildeten und doch
einfachen Naturanschauung Claudes nicht ohne Erfolg gegangen war.
Sonst ist Friedrich Preller der einzige aller von Koch ausge-
gangenen Stilisten, der sich zu Werken von consequenter Durch-
Karl Rollmann.
ihrer feierlichen, »synthetischen«
XXIV. Die Landschaftsmalerei in Deutschland
2)1
Rottmann: Das Schlachtfeld von Marathon.
führung erhob. Ihm allein war es .vergönnt, durch die erschöpfende
Verarbeitung eines glücklich gefundenen Stoffes seinem Namen
dauernde Bedeutung zu sichern. Die Odysseelandschaften" ziehen
sich durch sein ganzes Leben. Während eines Aufenthaltes in Neapel
1830 kam ihm der erste Gedanke. In die Heimath zurückgekehrt,
componirte er 1832 — 34 den ersten Cyklus für Dr. Härtel in Leipzig
als Wandschmuck in Tempera. Dann folgten Reisen nach Rügen
und Norwegen, wo er wilde Strand- und Dünenlandschaften von
düsterem Ernste malte. Erst nach dieser für die Erweiterung seiner
Naturanschauung heilsamen Unterbrechung kehrte er zur Odyssee
zurück. Der Cyklus wuchs von 7 auf 16 Cartons, die 1858 auf
der Münchener internationalen Ausstellung erschienen. Der Gross-
herzog von Weimar gab ihm den Auftrag, die ganze Folge für
einen Saal des Weimarer Museums zu malen. Preller bereitete sich
1859 — 60 von Neuem in Italien vor und vollendete als Greis das
Werk, das er als Jüngling geplant. Dieser enkaustisch ausgeführte
Weimarer Cyklus ist das künstlerisch Reifste, was er geschaffen.
252
XXIV. Die Landschaftsmalern in Deutschland
Er allein aus der ganzen Schule
hat seinen Figuren einen Schein
des Lebens zu geben gewusst und
über das Künstliche seiner Com-
positionen hinweggetäuscht. Die
Natur ist von ernst gewaltiger Er-
habenheit, die würdige Heimstätte
für Heroen und Götter. Er hatte
während seines langen Lebens so
viele unablässige Naturstudien in
Süden und Norden gemacht —
noch als 78 jährigen sah man ihn
täglich mit dem Skizzenbuch in
der Campagna — , dass er wagen
konnte, ohne leer zu werden, mit so grossen einfachen Linien zu
arbeiten.
Zur Zeit, als diese Bilder gemalt wurden, war im Uebrigen die
Stillandschaft, obwohl sie noch heute in dem jüngern Preller, Albert
Hertel und Edmund Kanoldt vereinzelte Vertreter hat. längst klanglos
zu Grabe getragen. Wie mit dem Classicismus die antiken Monu-
mente, so kamen mit dem Auftreten der Romantik und dem Rück-
gang auf die nationale Vergangenheit die deutschen Ruinen in Mode.
Für Koch und seine Nachfolger hatte die Landschaft nur Werth,
wenn sie als Trägerin classischer Architekturwerke die Gedanken
auf die Antike lenkte: Hirten neben ihrer Heerde mussten auf den
Trümmern des Vestatempels sitzen oder Kühe zwischen den Säulen-
stümpfen des Forum Romanum weiden. Jetzt hatte sie nur Be-
rechtigung, wenn sie durch Schilderung heimischer Burgen an die
mittelalterlich deutsche Geschichte anknüpfte. »Was ist schön? Eine
Landschaft mit geraden Bäumen, schönen Durchsichten, azurblauer
Luft, zierlichen Fontänen, stattlichen Palästen in wissenschaftlichem
Baustil mit wohlgebauten Menschen und wohlgefütterten Kühen und
Schafen. Was hässlich? Missgestaltete Bäume, die Stämme krumm,
alt und geborsten, unebener Boden ohne Wege, scharfkantige Hügel
und zu hohe Berge, rohe oder verfallene Gebäude, deren Ruinen
überhäuf liegen, morastige Wasser, eine Luft voll schwerer Wolken,
auf dem Felde mageres Vieh und ungeschickte Landstreicher.« Mit
diesen Worten hat Gerard de Lairesse, der Ahn des Classicismus, sein
landschaftliches Ideal definirt und im letzten Absatz, wo er vom Häss-
XXIV. Die Landschaftsmalerei in Deutschland
253
liehen spricht, auch schon
das Landschaftsideal der Ro-
mantiker prophetisch gekenn-
zeichnet, wie es in Tiecks
Sternbald literarisch zum
ersten Mal auftaucht. Denn
der junge Ritter, der im Stern-
bald den Wunsch hat, Maler
zu sein, ruft voll Begeisterung
aus: »Dann würde ich ein-
same, schauerliche Gegenden
abschildern, morsche, zer-
brochene Brücken, über zwei
schroffen Felsen, einem Ab-
grunde gegenüber, durch den
sich ein Waldstrom schäum-
end drängt, verirrte Wanders-
leute, deren Gewänder im
feuchten Winde flattern,
furchtbare Räubergestalten
aus dem Hohlweg heraus,
angefallene und geplünderte
Wagen, Kampf mit den Rei-
senden.« Das gerade Gegen-
theil dessen , was Lairesse
vom Landschafter, verlangte. Hat Alexander Humboldt gezeigt, dass
die Menschen des Alterthums eigentlich nur Schönheit in der
Natur fanden, sofern sie lächelnd, freundlich und ihnen nützlich
war, so galt sie den Romantikern unschön, sofern sie der Cultur
diente, schön nur in ungezähmter, Angst einflössender Wildheit.
Die Beleuchtung durfte daher nicht das einfache Tageslicht sein,
nur das Dunkel der Nacht und Gebirgsschluchten. Solche Dinge
gibt es weder in Berlin, noch in Breslau, und Romantiker sein
heisst das Gegentheil dessen, was man um sich sieht, lieben. Tieck,
der in dem kalten, taghellen Berlin mit seinem modernen, nord-
deutschen Rationalismus lebte, hat daher — nicht zufällig —
die Sehnsucht nach Urwald- und Mondscheinlandschaften zuerst
empfunden ; Lessing aus Breslau gab ihr als erster künstlerisch
Ausdruck.
Preller : Leulcolbea.
254
XXIV. Die Landschaftsmalerei in Deutschland
Preller: Odysseus und Polyphon.
Schon in den 20er Jahren traten Kochs classischen, auf idealen
Linienzug hin componirten, heroischen Landschaften gleich willkür-
lich zusammenarrangirte Burgkapellen, Ruinen und Klosterhöfe gegen-
über. Nicht mehr wie bei den Classicisten durch Linien auf den
Verstand, sondern durch Farben auf's Gemüth sollte die Landschaft
wirken. Besonders die verschiedenen Töne des Mondlichtes schienen
geeignet, düstere Gefühle zu erwecken. Diese gewollte »Stimmung«
aber durch die Natur selbst aussprechen zu lassen, war die malerische
Technik noch ungenügend geschult. Der Maler stellte daher zur Ver-
deutlichung seiner Absichten die Wirkung der Naturscenerie an den
Figuren im Bilde selbst dar, exemplificirte an der »Staffage« die
»Stimmung« der Landschaft. Lessings Erstlingswerke vertreten künst-
lerisch diese bewusst elegische, schwermüthig romantische Stimmungs-
malerei mit Rittern, Knappen, Burgfräulein und andern romant-
ischen Requisiten, die literarisch durch den Sternbald eingeleitet war.
Die Schwermuth weilt auf wild gehäuften Steinhaufen, verfallenen
Kapellen und Burgruinen , in sumpfigen Gewässern und düstern
Wäldern, in alten, morschen Bäumen, ausgefahrenen Wegen und
gespenstischen Grabsteinen, sie bekleidet den Himmel mit grau-
sclnvarzem Leichen- und Thränentuch. Zwischen Hügeln und Wald-
schluchten mit Heiligenkreuzen, Mühlen und Köhlerhütten sieht man
XXIV. Die Landschaftsmaler in Deutschland
255
einsame Wanderer, betende Pilger,
Geistliche, die aus dem Kloster
eilen, um Sterbenden den letzten
Trost zu bringen, verirrte Reiter,
todte Landsknechte. Sein erstes
Bild von 1828 zeigte einen wüsten
Kirchhof unter gewitterschwerem,
dunkeln Himmel, aus dem ein
einziger Sonnenstrahl hervorbricht,
eine Leichenstätte zu beleuchten ;
dann folgte das Schloss am Meer
auf seltsam und verworren ge-
staltetem Felsen, der Klosterhof
im Schnee mit den Nonnen im
Kreuzgange, die eine verstorbene
Schwester zu Grabe geleiten, der
Klosterkirchhofabermals im Schnee,
wo ein alter Mönch ein frisches
Grab gegraben; das Kloster in Abendbeleuchtung mit dem kranken-
besuchenden Priester, die Landschaft mit dem greisen, müden Kreuz-
ritter, der auf ebenso müdem Ross einsam durch einsame Berggegend
zieht, wohl eine Illustration zu Uhlands Ballade Das Rosennest« :
Ruhe hab ich nie gefunden,
Als ein Jahr im finstern Thurm ;
dann die öde Hochebene mit dem ausgebrannten Raubnest, die Land-
schaft mit der Eiche und dem Muttergottesbild, vor dem ein Ritter
und ein Edelfräulein ihre Andacht verrichten. Alle diese Bilder waren
noch ein willkürliches Potpourri nach Walter Scott, Tieck und Uhland,
ihr Ideal war die Wolfsschlucht im Freischütz.
Der nächste Schritt der Romantik musste dahin gehen, dass sie
solche Urwaldscenerien in der Wirklichkeit entdeckte, und wie die
italienische Landschaft speciell Claude auf den Leib geschrieben
scheint, kommt unsere heimische Natur sehr dieser romantischen
Geistesrichtung entgegen. In einzelnen Partien der sächsischen Schweiz
sehen die Felsen aus, als hätten Riesen in der Urzeit mit ihnen Ball
gespielt oder sie zum Scherz aufeinandergelegt. Lessing fand eine
solche, dem romantischen Naturideal entsprechende Landschaft bei
einem Ausflug in’s Eifelgebiet 1832, wozu ihn ein Buch von Nögge-
256
•XXIV. Die Landschaftsmalerei in Deutschland
Lessing: Landschaft mit dem Mullergotlesbild.
null >: das Gebirge im Rheinland und Westfalen nach mineralogischem
und chemischem Bezüge« angeregt hatte. Bisher kannte er das roman-
tische Naturideal nur aus Scott, Tieck und Uhland, so wie die
Classicisten das ihre den Schriften Homers. Theokrits und Virgils
entnahmen : in der Eifel trat es ihm in greifbarer Form entgegen.
Sumpfig flache, mit Buschwerk und Kiefern bestandene Wiesen
wechselten ab mit düstern Nadelholzwaldungen, in denen riesige
Fichten, unheimliche Tannen und uralte Eichen ihr Aeste gen Himmel
reckten. Zugleich sah er die rauhe, einsame Hoheit der Natur mit
einer menschlichen Gegenwart in Verbindung, die nicht cultivirt,
also — der Abneigung des Romantikers gegen die Civilisation ent-
sprechend — gesünder, einfacher war. Trotzige Felskegel und
gigantische, wild übereinander geschichtete Gebirgsmassen blickten aut
Thiiler herab, in denen ein einfaches, kerniges Bauerngeschlecht in
patriarchalischer Einfachheit lebte. Hier ging ihm, der bisher nur
mit Rittern, Räubern und Mönchen harmonirte, zum ersten Mal
der Sinn für wirkliche Landschaft auf. »O, wäre ich im 17. Jahr-
hundert geboren, dann hätte ich nach dem 30 jährigen Krieg das ver-
XXIV. Dif. Landschaftsmalerei in Deutschland 257
Lessing: Eifellandscbaft.
wilderte, ausgeplünderte und zerstörte Deutschland als Landschafts-
maler durchwandert.« Waren bisher nur »componirte« italienische
Landschaften gemalt worden, weil die Heimath angeblich keine
Sujets« bot, d. h. weil sie in die stilisirenden Tendenzen der Land-
schafter nicht hineinpasste, so wurde Lessing nunmehr der erste
Schilderer deutscher Natur. Seine Eifellandschaft in der Berliner
Nationalgalerie, der eine Reihe solcher Bilder folgte, leitet die
Jugendzeit deutscher Landschaftsmalerei ein. Scharf und bestimmt
aus geologischem Verständniss heraus sind die Formen des Bodens
und der schroffen Felswände wiedergegeben. Er wurde ein grund-
sätzlicher Gegner aller auf Italien zurückzuführender Kunsteinflüsse
und setzte sich im Eifelgebiet fest. Die Landschaften , die er dort
malte, beruhen auf unmittelbaren Naturstudien und sind von einer
ernsten, grossen Anschauung getragen. Er zeichnet in einfachen,
kräftigen Linien das Bild dieses Landstrichs : die Trauer der Haide
und den schwarzen Nebel, dessen trüber Athem aus sumpfigem
Moorland aufsteigt. Er malte auch jetzt nur Dinge, bei denen die
Natur sich Mühe zur Phantastik gegeben. Nicht im heitern Formen-
lächeln sah sie des Malers Auge, nur wenn sie finster blickte oder
grollte, nahte er ihr. Mit mächtigen Wolken überzieht er den Himmel
oder er führt in das Dunkel menschenfremden Waldes; knorrige Bäume
Muther, Moderne Malerei II.
17
258
XXIV. Die Landschaftsmalerfi in Deutschland
breiten ihre Wipfel aus, phantastisch verrenkt recken sich die Zweige ;
das fessellose Toben der Naturgewalten, die dumpfe Schwüle vor dem
Losbrechen oder das keuchende Darniederliegen nach Beendigung des
Sturms sind die Momente, die er allein darstellt. Aber der ganze
Plunder zeitloser Romantik, die Nonnen und Mönche, frommen Ritter
und sentimentalen Räuber, die zuerst die landschaftliche Stimmung
verkörpern sollten, sind über Bord geworfen. Ein ruhiger, schwer-
müthiger, doch durchaus männlicher Ernst, etwas Kräftiges, Kerniges
liegt in Lessings Schilderungen. Den Classicisten war jeder Sinn
für das stumme, schweigsame Leben der Natur abhanden gekommen.
Sie malten nur den wechselnden Schmuck der Erde: Heroen und
die Werke des Menschen, Paläste, Ruinen und classische Tempel.
Die Natur diente blos als Coulisse, das Hauptinteresse lag in den
Personen, den Monumenten und den geschichtlichen Gedanken, die
sich daran knüpften. Auch in den ältern Bildern Lessings ward
die Stimmung noch ausschliesslich durch die lyrische Staffage an-
gegeben. Jetzt wurde sie immer mehr in die Natur selbst gelegt
und braust aus dem Wolkenhimmel, der düstern Beleuchtung, den
wehenden Baumwipfeln mächtig wie Orgelklang. Es ist zum ersten
Mal die Natur, die düster und gewaltig von der Leinwand redet. In
dieser Hinsicht bilden seine Landschaften einen Fortschritt. Sie zeigen
die Einseitigkeit, aber auch die Poesie der romantischen Naturbe-
trachtung. Sie sind ein nicht geringerer Fortschritt technisch : denn
indem Lessing die Entdeckung machte, dass das ihm vorschwebende
Ideal in der Wirklichkeit existirte, begann er zuerst wieder die Natur
ohne vorgefasste, willkürliche Compositionsregeln zu studiren und -
malen zu lernen.
Ihm zur Seite stand bis 1840 als ebenso kräftiger Meister der
trotzige Autodidakt Karl Blechen, der erst mit 25 Jahren sich der
Malerei zuwandte und trotz eines verfehlten Lebens, das vor der Zeit
in geistiger Umnachtung und Selbstmord endete, einer der origi-
nellsten deutschen Landschafter wurde. Er bcsass einen feinen Natur-
sinn, Schwung, Kühnheit, geniale Grösse, obwohl seine Technik bis
zuletzt hart, unbeholfen, ungelenk blieb. Den Alfred Rethel der
Landschaftsmalerei möchte man ihn nennen. Nicht das Freundliche
in der Natur oder das formal Schöne reizte ihn, sondern die Ein-
samkeit, das Trübe, Verlassene. Seine meisten Bilder tragen den Cha-
rakter quälender beängstigender Traumbilder: nicht elegisch rührend,
sondern schrill und grausig. Manche unheimlich phantastischen Er-
XXIV. Die Landschaftsmalerei in Deutschland
259
Zahlungen Ludwig Tiecks wie »Der blonde Eekbert« oder das von
der alten Mechtildis in den »Sieben Weibern des Blaubart« erzählte
schaurige Märchen vom Försterkind bieten etwa literarisch die Pa-
rallele. Einsame dunkle Waldseen sind von ungeheuren kahlen Ge-
birgshöhen wolkenhoch umragt und inmitten dieser grausig roman-
tischen Naturscenerie bewegen sich dämonisch spukhafte Wesen: Ein
Zwerg etwa mit ungeheurem Kopf und stumpfsinnig boshaftem Aus-
druck, ein Schütze, der auf dies Gespenst die Flinte anlegt, ein
weibliches Wesen, das angstvoll flehend die Arme gegen den Zielen-
den ausstreckt. Ein Hang zum Seltsamen und Aussergewölmlichen
bricht überall schroff hervor. Sehr sonderbar, dass Wahnsinnige
im Beginne des Jahrhunderts die ausgeprägtesten Individualitäten
zu sein wagten. Während Lessing nie die Alpen überschritt aus
Furcht, er könne seine Originalität verlieren, war Blechen der erste,
der ohne stilistische Brille sogar moderne Italien sah. Seine italien-
ischen Bilder lassen nicht ahnen, dass er vorher an den Landschaften
der Classicisten studirt und dass neben ihm Schinkel in Berlin die
ganz abstracte Ideallandschaft pflegte. Sogar die moderne Welt hat
er als Maler entdeckt. Noch für Lessing war die Landschaft, »die
einen Zweck hat«, etwas Unerträgliches, Hässliches. Er liebte aus-
schliesslich die von der Civilisation unberührte Natur, malte das
Rauschen des Waldes und das Brausen der Wetter, hie und da
höchstens eine Schafheerde, auf die älteste und einfachste Benutzung
der Erdoberfläche deutend. Die Blechenausstellung 18S1 enthielt als
ganz einziges Phänomen aus den 30 er Jahren eine Abendstimmung
vor dem Walzwerk in Eberswalde: eine einförmige, langgestreckte
Ebene mit träg fliessendem Fluss, hinter dem die dunkeln Silhouetten
qualmender Fabrikschornsteine ernst in den hellen Abendhimmel auf-
stiegen. Blechen malte schon damals, was die Andern kaum zu
zeichnen wagten : eine Natur, die im Dienste des Menschen arbeitet
und — nach Tiecks Ausdruck — dadurch »ihrer herben Jungfräulich-
keit beraubt ist.«
Lessings berühmtester Nachfolger Schirmer erscheint im Allge-
meinen nur als verweichlichter, sentimentaler Lessing. Mit einem
»Deutschen Urwald« hatte er 1828 begonnen, doch eine Reise nach
Italien machte ihn 1840 dieser ersten kräftigeren Richtung abwendig.
Sein Streben war fortan auf Linien- und Formenadel, auf die An-
fertigung südlicher Ideallandschaften mit classicistisch romantischer
Staffage gerichtet. Die 26 in Kohle gezeichneten biblischen Land-
17*
26o
XXIV. Die Landschaftsmalerei in Deutschland
Schirmer: Italienische Landschaft.
schäften der Düsseldorfer Kunsthalle, die vier Oellandschaften mit
der Geschichte des barmherzigen Samariters in der Kunsthalle von
Karlsruhe und die zwölf Bilder mit der Geschichte Abrahams in der
Berliner Nationalgalerie sind die Haupterzeugnisse dieser zweiten -
stilistischen — Periode: Zahme Vermittlungsversuche zwischen Lessing
und Preller und deshalb für die Entwicklungsgeschichte der Land-
schaftsmalerei belanglos. Im Kreise der Vielen , die ihn als Muster
betrachteten, ist Valentin Ruths in Hamburg einer der Natürlichsten
und Feinsten. Eine neue Anregung, den Umkreis zu erweitern, aus
der Compositions- und willkürlichen Stimmungsmalerei noch mehr
in der Richtung gesunder, schlicht redlicher Naturbeobachtung vor-
zugehen, enthielten die Bilder jedoch nicht.
Diese Anregung war unterdessen von anderer Seite her gegeben.
Zur selben Zeit, als die Genremaler im Anschluss an Teniers und
Ostade ihre ersten Bauernbilder malten, hatten auch Landschafter
angefangen , wieder auf die alten Holländer zurückzugehen und
namentlich an Everdingen anzuknüpfen. Damit war ein weiteres
Stück Natur, ein weiteres Stück Einfachheit erobert. Die Landschafts-
XXIV. Die Landschaftsmalerei in Deutschland
261
malerei der Classicisten war Architectur, die der Romantiker Poesie
gewesen, von jetzt ab wurde sie zur Malerei. Das kleine Dänemark,
das 50 Jahre vorher durch Carstens jenen verhängnissvollen Hinfluss
auf Deutschland ausübte, der die Maler von der Behandlung des
zeitgenössischen Lebens in die Arme der Antike führte, machte jetzt
wieder gut, was es damals Böses gethan, indem es in den 20er und
30er Jahren einige Landschafter grosszog, die den Deutschen An-
leitung gaben, nach den Verirrungen des Classicismus und den Ein-
seitigkeiten der Romantik mit frischem, freien, vom Ideal ungetrübten
Auge in die heimische Natur zu schauen. Die Akademie von Kopen-
hagen bildete unter Eckersberg den Mittelpunkt eines gesunden, auf
den Holländern basirenden Realismus, und einige dort gebildete Maler,
die später in Dresden, Düsseldorf und München wirkten, vermittelten
diese Principien.
In Dresden lehrte als Professor an der Akademie /. C. Dahl,
dessen norwegische Landschaften heute sehr veraltet erscheinen, in
den 30 er Jahren aber funkelnagelneu gewirkt haben müssen, da sie
als »wüster Naturalismus« unter den deutschen Malern wahres Zeter-
geschrei hervorriefen. Johann Christian Clausen Dahl war in Bergen
1788 geboren. Er entstammte einem jener norwegischen Hünen,
die heute Ackerbauer, morgen Fischer oder Senner und Jäger sind,
die in der Jugend als Seeleute auf’s Meer ziehen und zurückge-
kchrt die Wildniss roden. Während er mit seinem Vater durch die
dichten einsamen Kieferwälder schweifte, an schroffen Gcbirgswänden,
finsteren Seen , rauschenden Wasserfällen und silbern leuchtenden
Gletschern vorbei, enthüllte sich ihm die Grösse der nordischen
Natur, und er erzählte davon in kleinen colorirten Zeichnungen,
die trotz ihrer unbeholfenen Technik von seltsam frischer Beobachtung
zeugen. Das Studium an der Kopenhagener Akademie, wohin er
mit 20 Jahren gekommen, verwirrte ihn für einen Augenblick. Den
Werken der Kunst gegenüber gestellt, verlor er das Selbstvertrauen
und bemühte sich, die Natur mit den Augen des 16. und 17. Jahr-
hunderts zu sehen. Er hörte von den grossen Mustern sprechen,
denen alle Künstlergeschlechter folgen müssten, warf alles Eigene
über Bord und bemühte sich Augenfälliges, Imposantes zu erzeugen.
Er schiebt Felsen, Wasserfälle und Tempel zu unglaublichen Compo-
sitionen zusammen, bis er schliesslich unter den Meistern der Kopen-
hagener Galerie und der Moltke’schen Sammlung auch Everdingen
und Ruysdael entdeckt. Die andern hatten ihn verwirrt, diese beiden
262
XXIV. Die Landschaftsmalerei in Deutschland
führten ihn auf heimathlichen Boden zurück. Dahl wurde der erste
Vertreter der norwegischen Landschaftsmalerei und blieb seinem
Vaterland als Maler auch dann treu, als er später (1819) eine Pro-
fessur in Dresden übernahm. Italien und Deutschland haben seinen
Pinsel ebensoviel wie Norwegen beschäftigt, aber er selbst war er
nur, wenn er sich zwischen den nordischen Felsen bewegte. Die
Breite der Malerei und die Weichheit der Atmosphäre, wird an
allen seinen Bildern vermisst. Sie wirken hart und trocken, nicht
selten ganz coqventionell, namentlich die grossen, die er nach 1830
malte. Er macht in ihnen den Eindruck eines verblüffenden, aber
geschwätzigen Menschen. Sie sind rasch gesehen und rasch gemalt,
doch ohne künstlerische Liebe und feines Gefühl. Dahl nahm sich
in seinen späteren Jahren nicht die Zeit, sich mit Ruhe und Hin-
gebung in die Natur zu versenken und verfiel schliesslich — be-
sonders in seinen Mondscheinbildern — einer violetten Manier, die
sehr schablonenhaft wirkt. Schon Everdingen suchte mit Vorliebe
das Starke, gewaltsam Bewegte in der Natur, schon Ruysdael hat
sich an reissenden Bergströmen begeistert. Dahl waren selbst diese
romantischen Elemente der nordischen Natur nicht ausreichend.
Arrangirend, nicht schlicht wiedergebend, trat er der Natur entgegen.
Die wilde norwegische Landschaft sollte in seinen Bildern noch wilder
und unruhiger als in Wirklichkeit aussehen. Nicht geduldig genug,
dem wilden Bergstrom alle seine Geheimnisse abzulocken, schob er
zusammen, machte Zusätze und brachte dadurch Confusion in’s Ganze,
Roheit in die Einzelheiten. Seine grossen Bilder wirken lärmend
gegenüber der einfach bestimmten Naturanschauung der Niederländer.
Viele sind lediglich phantastisch-vernunftwidrige Zusammenstellungen
auswendig gelernter Motive.
Aber Dahl hatte auch Jahre, in denen er auf der Höhe seiner
Zeit stand, ihr den Weg sogar zu neuen Zielen zeigte. Auf der
Höhe seiner Epoche stand er 1820 — 1830 in jenen Bildern, in
denen er Ruysdael und Everdingen nicht romantisch zustutzte,
sondern gleich ihnen mit kühnem Naturalismus das Unheimliche
und Gespenstische, Rauhe und Wilde der norwegischen Natur
beschrieb: Rothbraune Haide und braungrüne Torfmoore, ver-
krüppelte Eichen und dunkle Kiefernwälder, erratische Blöcke, die
planlos zwischen die Wurzeln der Bäume gesät sind, Aeste, die der
Sturm geknickt hat, die hängen, wie sie gebrochen ; Stämme, die der
Sturm gefällt hat, die liegen, wie sie gefallen. Den Weg zu neuen
XXIV. Die Landschaftsmalerei in Deutschi and 263
Zielen hat er durch einige Bilder der Bergener und Kopenhagener
Galerie gewiesen. Der Hang zum Düsteren und Ernsten, der bei
jenen holländischen Romantikern vorherrscht, ist hier dem Einfachen,
Intimen gewichen, der heimathlichen Freude des Nordbewohners am
hellen kalten Tag und an neckischen Sonnenblitzen. Er liebt das
Schillern des Lichtes auf Birkenblättern und auf der ruhig sich
kräuselnden See. Er betrachtet gleich Adrian van der Neer voll
Entzücken den winterlichen Himmel, die schneebedeckten Ebenen,
die Nacht und den Mondschein. Selbst den Reiz des Frühlings
fühlte er schon. Aermliche Bauernhütten sind frisch und genial auf
saftig grüne Hügel gesetzt, als hätte er ganz vergessen, was seine Zeit
von »künstlerischer Composition« forderte. Oder der Sommertag
breitet reich und wahr zwischen den Felsen sich aus ; warme Luft
zittert über die Fluren. Bauern und Kühe, schimmernde Birken und
alte Dorfkirchen stehen kräftig in der Landschaft, selbst die Mache
ist so einfach, dass er bei allem Detailreichthum eine grosse Wirkung
erzielt. Man fühlt, diese Malerei ist in einer jungfräulichen Natur
erwachsen, umgeben von der Poesie der Fjords, der hohen Felsen und
Giessbäche. Die Holländer hatten nicht in dem Maasse den Sinn für
das Kleine und Lauschige, Wohnliche, Stille. Kein Zufall vielleicht,
dass dieser Reformator aus dem jungfräulichsten Land Europas kam,
einem Lande, das nie Antheil an einer grossen Kunstperiode der
Vergangenheit hatte.
Für München gewann eine ähnliche Bedeutung der Hamburger
Christian Morgenstern, der, wie alle Maler dieser Gruppe, im Farben-
ton die Holländer imitirte, als Zeichner aber ein frischer, gesunder
Naturbursche war. Schon, was er in aller Naivetät von 1826 — 1829
in unmittelbarem Studium der hamburgischen Landschaft leistete,
steht in der deutschen Production jener Zeit als etwas Einziges da.
Seine Handzeichnungen und Radirungen dieser Jahre sichern ihm
einen Ehrenplatz unter den frühesten deutschen Stimmungsmalern,
liefern den Beweis, dass er damals nach der Seite der Einfachheit
und Intimität der am weitesten fortgeschrittene Landschafter war.
Eine Reise nach Norwegen 1829 und ein Aufenthalt an der Kopen-
hagener Akademie, wo er seine norwegischen Studien verarbeitete,
erweiterte nur sein Können, ohne seine Principien zu verändern,
und als er im Beginn der 30er Jahre nach München kam, rief seine
neue, eigenartige Anschauung in den dortigen Künstlerkreisen eine
Revolution hervor. Die Landschafter erfuhren durch ihn, dass gleich-
Morgenstern : Bauernhaus.
zeitig mit Poussin auch Everdingen, Ruysdael und Rembrandt ge-
lebt, dass der »Baumschlag« nicht »stilvoll« zu sein brauche, sondern
die Individualität des Baumes richtig kennzeichnen könne. Er hat
für die Münchener Schule die Schönheit der bayerischen Hoch-
ebene entdeckt. Gleich das erste Bild, das er von Hamburg mit-
brachte, zeigte eine weite, von Wolken überzogene Ebene — ein
Stück aus der Lüneburger Haide — und diesem Stoffkreis blieb er
auch später treu. Ein Kind der Ebene, suchte er in Bayern nach
verwandten Motiven und fand sie reichlich am Ufer der Isar, in den
Steinbrüchen bei Polling, am Peissenberg und in der moosigen
Gegend bei Dachau. Seine Bilder besitzen nicht die Fähigkeit, den
Gleichgültigen zur Betrachtung herauszufordern, aber hat man sich
hineingesehen, so wirken sie wohlthuend poetisch, still, harmlos,
sonnig und sinnig. Er liebte das Gewöhnliche, Unscheinbare, die
weiche Wald- und Dorfnatur, alles Heimathliche , ihm Gewohnte.
Wo Rottmann nur in südlichen Formen schwelgte, kehrte Morgen-
stern in die deutsche Heimath ein ; wo Lessing nur das Brausen
des Orkans vernahm, lauschte Morgenstern dem stillen Flüstern
des Windes. Wolkenschatten und Sonnenglanz liegt über dunkler
Haide, der Silberschein der Mondnacht breitet sich träumerisch über
XXIV. Dif. Landschaftswalerei in Deutschland
26>
stille Dorfgassen, die Wellen schla-
gen bald laut rauschend, bald leise
kosend an's Ufer. Erst später, als
er der Darstellung des Hochge-
birges sich zuwandte, verlor er die
Intimität, die ihm Anfangs eigen.
So häufig er sich in Gebirgsbildern,
Felsenschluchten, Wasserfällen und
schneeigen Alpengipfeln versuchte,
hat er etwas Hervorragendes darin
doch nie geleistet. Sie haben etwas
Kleinliches und Zerrissenes, nicht
den einfach grossen Zug seiner
Ebenen und Lüfte.
Was für München Morgen-
stern, war für Düsseldorf Ludwig
Gurlilt, der hervorragendste aus der
grossen, nordischen Colonie, die
sich dort in den 30er Jahren an-
siedelte. In den Handbüchern findet man seinen Namen nicht, und
die Bilder aus seiner spätem Zeit, die ihn in öffentlichen Galerien
vertreten, geben selten einen vollen Begriff von seiner Bedeutung.
Er war seit einer Reise nach Griechenland 1839, in einen braunen
Ton gekommen, an dem Manches conventioneil ist. Auch sein ab-
geschlossenes Leben — er wohnte 1848 bis 1852 in einem Dorf in
Sachsen, 1859 — 1873 in Siebleben bei Gotha — trug mit dazu bei,
dass er für die Welt in Vergessenheit kam. Aber die Kunstgeschichte,
die nach den treibenden Kräften sucht, hat einen der ersten gesund
realistischen Landschafter Deutschlands und — mehr noch — einen
Anreger in ihm zu feiern, der einer Menge jüngeren seitdem zu
Ruhm gekommenen Malern die Augen öffnete.
Gurlitt war Holsteiner und erhielt seinen ersten Unterricht wie
Morgenstern in Hamburg, wo damals Bendixen, Vollmer, die Leh-
mann, die Gensler eine originelle Künstlergruppe bildeten. Hierauf
folgte, wie bei Morgenstern, ein längerer Aufenthalt in Norwegen
und Kopenhagen. In Düsseldorf, wohin er von dort aus ging,
machte gleich bei seinem Eintreffen ein jütlän disches I iaidebild
Aufsehen: die erste uncomponirte Landschaft, die am Rhein zu
sehen war, und Schadow soll mit seinen Schülern eigens in Gur-
2 66
XXIV. Die Landschaftsmalerei in Deutschland
Gur litt: Bauernhaus i8jo.
litts Atelier gekommen sein, um das Wunder anzustaunen. 1836
siedelte er nach München über, wo ihm Morgenstern vorgearbeitet
hatte, und hier entstanden eine ganze Reihe von Arbeiten, die einen
sehr selbständig empfindenden , sogar den Holländern unabhängig
gegenüberstehenden Künstler zeigen. Seine Bilder waren grau im
Ton, nicht gelblich wie die der Holländer; auch weniger componirt
und »geistreich« staffirt als die Werke Dahls — Ausblicke in die
Natur von ernstem, realistischem Streben. Selbst als er — nach
1843 — anfing, italienische Bilder zu malen, wahrte er sich eine
schlichte Einfachheit, die von der damaligen Kritik nicht verstanden
wurde, heute aber desto sympathischer spricht. Die Stärke seines
Realismus lag, wie bei Allen jener Jahre mehr auf zeichnerischer
Seite, doch hat er zuweilen auch im Colorit eine merkwürdige Klar-
heit und Zartheit erreicht, die bald an den Silberton Canalettos, bald
an das feine Grau Constables streift.
XXIV. Die Landschaftsmalerei in Deutschland
267
Mit dem Eintreffen die-
ser nordischen Maler in
Düsseldorf und München
beginnt der Realismus in
der deutschen Kunst. Sie
waren weniger in ästhet-
ischen Vorurtheilen be-
fangen, frischer und gesun-
der als die Deutschen.
Namentlich Gurlitt war ihr
geistiger Führer, die Seele,
das treibende Princip der
grossen Bewegung, die nun-
mehr folgte. Durch ihn
angeregt, machte Andreas
Achenbach sich von der
Stillandschaft frei und malte
in den Jahren 1835 — 39
norwegische Bilder, noch
bevor er Norwegen kannte. Andreas Achenbach.
Durch ihn angeregt, trat
er 1839 selbst die Wanderung dorthin an, jene Reise, die für die
deutsche Landschaftsmalerei eine Entdeckungsfahrt wurde.
Da Achenbach heute noch lebt und alljährlich Werke zur
Ausstellung bringt, die neben den Arbeiten der Jüngeren nicht
mehr mitsprechen, ist man gern geneigt, seine bahnbrechende Be-
deutung zu schmälern. Was an seinen Bildern vermisst wird, ist
die Liebe, was er zu viel zu haben scheint, die Routine. Andreas
Achenbach ist, wie sein Porträt zeigt, ein sehr schneidiger Herr.
Er blickt aus hellblauen, klaren Augen klug und scharf in die
Welt; die gedrungene, kleine, trotz ihres Alters in stolzer, fester
Haltung dastehende Gestalt zeugt von zäher Energie. Die Stirn, der
Menzels ähnlich, ist mehr die eines Architekten als eines Poeten.
Diesem Aeussern entsprechen seine Bilder. Jede seiner früheren
guten Leistungen war eine gewonnene Schlacht. Der verkörperte
Realismus, dem alle Schwärmerei weltweit abliegt, bezwang er die
Natur durch männliche Festigkeit und beispiellose Ausdauer. Er er-
scheint als ein maitre-peintre, ein kühles, gerades Talent mit klaren,
nüchternen Augen. Die Haupteigenschaft seines Organismus war
268
XXIV. Die Landschaftsmalerei in Deutschland
A. Achenbach: Wasserfall.
die eminente Fähigkeit, die Kunstmittel anderer Meister zu erkennen
und das Wesentliche davon seiner eigenen Productionsweise zu ver-
einen. Man athmet freier vor den Werken der Meister von Bar-
bizon und man sieht nur gute Bilder bei Achenbach. Jene bestricken
durch ihr intimes Eingehen, er imponirt durch das Bravourhafte des
Handwerks. Seine Landschaften kennen nichts Zufälliges, Trau-
liches. Alles vereinigt sich auf den Zweck bildmässiger Wirkung.
Der Aufbau, das Gerüst ist von monumentaler Festigkeit. Aber so
fein seine Beobachtung, er hat nie die Natur in ihrem innersten
Weben belauscht, sie stets nur zur Anfertigung von Bildern ver-
wendet. Für jene Franzosen ist die Farbe der reine Naturausdruck
und der ihres eigenen Gemüthslcbens, für Achenbach nur das Mittel
zur Erzielung einer den Holländern ähnlichen Wirkung. Indem er
mit seinen blitzenden blauen Augen Alles fest und durchdringend
musterte, lernte er die Formen, das äussere Ansehen der Erde ge-
wissenhaft und handfest beschreiben, aber das Stimmungsleben, das
wie Musik die Seele durchdringt, erschloss sich ihm nie. Die Kunst
der Holländer zog ihn zur Kunst, nicht der Drang, von seinem
eigenen Gemüthsleben zu zeugen. Er denkt vielmehr daran, Bilder
XXIV. Die Landschaftsmalerei in Deutschland
269
A. Achenbach: Marine.
zu machen, die denen seiner Vorgänger an Güte gleichkommen, als
an die Wiedergabe des Eindrucks, den er selbst vor der Natur ge-
habt. Sein Gehirn erwärmt sich beim Studium der von den Hol-
ländern aufgestellten Theorien und Regeln, er sucht in der Natur
nach Gegenden, an denen diese Theorien zu erproben, aber sein
Herz bleibt kalt, wenn er Wasser und Himmel, Berge und Bäume
betrachtet. Nicht naive Naturliebe, sondern rafhnirte Berechnung
des bildmässigen Effects hat seinen Pinsel geleitet, und da er über
dies Streben auf abgerundete Bildwirkung im Sinne der Holländer
nie hinauskam, hat er die deutsche Landschaftsmalerei zwar von dem
romantischen Stilisiren im Sinne Schirmers befreit, noch nicht aber
zur unmittelbaren, persönlichen Naturbetrachtung geleitet. Es strömt
aus seinen Bildern nicht der Duft der Natur, sondern der Geruch
von Oel und Firniss, und da die Mittel, deren er sich zur Erzielung
seiner Wirkungen bedient, nie wechseln, ist das Ergebniss oft das
Schema, die Schablone.
Das Alles kann jedoch nichts daran ändern, dass, wo von
der Entwicklung deutscher Landschaftsmalerei die Rede, der Name
Andreas Achenbach doch stets mitklingen wird. Indem er ausser
270
XXIV. Die Landschaftsmalerei in Deutschland
höheren, technischen Qualitäten zugleich die Fähigkeit besass, sich
dem Publikum aufzudrängen, vollendete er, was jene Dänen be-
gannen. Er war der Reformator, der bewies, dass nicht mit Felsen
blos, mit Ritterburgen und rauschenden Eichen Stimmung erweckt
werden könne, er hasste alles Ungesunde, Weichliche, Verschwom-
mene, und hat dadurch, dass er mitten in den Zeiten der Romantik
die Klaue des realistischen Löwen zeigte, für die deutsche Land-
schaftsmalerei “die Bedeutung eines Heros bekommen. Er gewann
der spröden niederdeutschen Landschaft ihre Reize ab, er zeigte
das Fesselnde holländischer Canalscenen mit ihren sonderbaren
Architekturen und charakteristischen Menschen, er ging in die
Nordsee, die stürmische, brandende und stellte den zahmen Bildern
der Schirmerschule die Riesengewalten einer tobend entfesselten
Natur gegenüber. Zur selben Zeit, als Heines Nordseebilder er-
schienen, wurden Achenbachs erste Nordseebilder ausgestellt und
verdrängten bald die bisher den Kunstmarkt ausschliesslich beherr-
schenden Schiffsunglücke des Franzosen Gudin. Zum ersten Mal im
neunzehnten Jahrhundert sah man Meerbilder so gemalt, dass ihr
Wasser ein wirklich flüssiges, bewegtes Element, ihre Wogen nicht
aus Blech geformt, ihr Wellenschaum und Gischt nicht aus weisser
Watte gebildet schienen. Rheinische Dörfer mit rothen Ziegeldächern,
holländische Kanäle mit gelbem Ufersand und aufgerüttelten Wogen,
die sich an den Balken des Hafens brechen, norwegische Scenerien
mit starrenden Felsen und finsteren Tannen, mit wilden Giessbächen
und tosenden Wasserfällen — das sind die Dinge, die er mit be-
sonderem Glück beschrieb. Nicht besser, als Everdingen und Ruys-
dael es thaten, aber besser, als einer seiner Zeitgenossen es vermochte.
Wie Gurlitt durch Achenbach, steht Morgenstern durch Eduard
Schleich mit der Gegenwart in Verbindung. Das Münchener Stimm-
ungsbild trat an die Stelle der Rottmann’schen Architekturen. Statt
der schönen Formen der Erdoberfläche begann man das Spiel
des Sonnenlichtes auf der Ebene und im Zuge der Wolken, statt
des Baues der Landschaft ihre atmosphärische Stimmung zu stu-
diren. Namentlich auf Ruysdael und Goyen war Schleich durch
Morgenstern hingewiesen: an Ruysdael fesselte ihn der tiefe Ernst,
die schwermiithige Naturbetrachtung, die seiner eigenen Stimmung
entgegenkam; an Goyen das malerische Zusammenwirken von Sonnen-
licht, Luft, Wasser und Erde. Schleich hat Frankreich, Belgien,
Ungarn, Italien besucht, doch nur ausnahmsweise Anderes gemalt.
XXIV. Die Landschaftsmalerei in Deutschland
271
E. Schleich: Frühlingslandschaft.
als was die nächste Umgebung Münchens darbot. Er wählte sich
das schlichteste Stück Natur, einen frisch umbrochenen Acker, einen
schilfbewachsenen Weiher, ein Stück bräunlichen Moores, ein paar
Hütten unter Bäumen, und beobachtete unter Goyen’s Anleitung
die Veränderungen am Himmel mit grosser Sorgfalt: die abziehenden
Gewitterwolken, die von dünnen Schleiern verhüllte Sonne, das
zittrige Licht des Mondes oder die wallenden Morgen- und Abend-
nebel. Die Isargegend und das Dachauer Moos war sein liebster
Aufenthaltsort. Besonders bevorzugte er Herbst-, Regen- und Mond-
scheinstimmung, wobei er braune und graue Töne zu feinen hol-
ländischen Harmonien stimmte. Sein Grundton war ein vorwiegend
ernster, elegischer, doch hat er auch Scenen unruhigen, heftigen
Lichtwechsels geliebt. Ueber eine weite Hochebene breitet das
Sonnenlicht seinen Glanz, während von der einen Seite, dunkle
Schatten sendend, ein Heer dicht geballter Gewitterwolken naht.
Auf eine eintönige, von einsamen Baumgruppen unterbrochene Fläche
rieselt warmer Sommerregen. Bäume und Sträucher werfen leichte
Schatten, die Ebene flimmert unter den Strahlen der Sonne. Oder:
eine weite Moorfläche. Dunkel ziehen die Wolken, das Schilf schwankt
XXIV. Die Landschaftsmalerei in Deutschland
im Winde , und schmale Mondlichtstreifen glitzern zwischen den
schlanken Rohren. Durch solche Werke ist Schleich, ohne Schüler
gebildet zu haben, das Haupt der Münchener Landschafterschule ge-
worden. Durch ihn und Achenbach ward den deutschen Malern der
Sinn für frische Beobachtung des Naturlebens erschlossen.
Freilich zeigt sich bei der jüngeren Gruppe hinsichtlich der
Stoffwahl ein grosser Unterschied. Die moderne Stimmungsland-
schaft hat nur ihren Ursprung in Deutschland genommen, nicht
endgültig sich hier entwickeln können. Wie das Figurenbild, nach-
dem es mit Bürkel so kräftig begonnen, später unter Enhubers und
Knaus’ Händen erst zur Genremalerei wurde, bis es mit Leibi auf
den alten Weg zurückkehrte, so machte auch die Landschaft erst
die Lehrzeit des interessanten Stoffes durch, bis sie später wieder die
Poesie der Einfachheit sah. Die Culturgeschichte selbst lenkte
in diese Bahnen. Als Morgenstern seine ersten Bilder malte, rasselte
noch die Postkutsche von Dorf zu Dorf, jetzt tönt der Pfiff der
Locomotive schrill wie das erste Signal einer neuen Zeit durch
Europa. Bisher war die Möglichkeit des Reisens bei der Schwierig-
keit der Verkehrsverhältnisse eine sehr beschränkte gewesen. Der
erleichterte Verkehrsbetrieb brachte eine nie dagewesene Wanderlust
mit sich. Literarisch zeigte sich der Umschwung darin, dass als
neue Gattung der Reiseroman entstand. Hackländer warf seine
vielen Bände von Reiseskizzen auf den Markt. Th. Miiggc machte
Norwegen, Schweden und Dänemark zum Schauplatz seiner Erzähl-
ungen. Amerika besonders war das Land der blauen Blume. Nach-
dem ers{ mit Coopers Indianern ganz Deutschland auf den Kriegs-
pfad gezogen, liess es sich nun von Charles Sealsfield das groteske
mexikanische Bergland, den Zauber der Prairie, die Landschaften des
Susquehannah und Mississippi beschreiben und las Fr. Gerstäckers,
Balduin Möllhausens und Otto Ruppius transoceanische Skizzen mit
nicht ermattender Spannung. Auch die Maler wurden Kosmopoliten,
die ihren höchsten Genuss darin fanden, die Welt mit den Augen
des Touristen zu betrachten.
Alexander Calatue in Genf vermittelte Deutschland die Kcnntniss
der Dinge, die es in der Schweiz zu sehen gibt. Calamc war ein
sehr trockener, poesieloser Landschafter. Er begann damit, dass er
als junger Kaufmann in seinen Musscstunden kleine Ansichten der
Schweiz colorirte, wie sie die Fremden gern statt der noch fehlenden
Photographien als Andenken in die Hcimath mitnahmen. Auch seine
XXIV. Dif. Landschaftsmalerei in Deutschland
273
späteren Bilder können nur den
Werth solcher »Erinnerungsblätter
an die Schweiz« beanspruchen. Seine
Farbe ist matt und eintönig, die Luft
schwer, die Mache mühsam. Er
verstand unter Malerei die nach-
trägliche Uluminirung von Zeich-
nungen, und seine Zeichnung war
die eines Kupferstechers. Vortreff-
licher Zeichenlehrer, besass er eine
ungewöhnliche Meisterschaft der
Perspective. Dafür fehlt seinen Ar-
beiten jede Wärme, alles innere
Leben. Empfindung ist durch regel-
rechte Handfertigkeit ersetzt, und
aus dem tiefblauen Spiegel seiner
Alpenseen wie aus dem leuchtenden
Alexander Calame.
Roth der Alpengipfel schaut immer
der Illuminator hervor, der erst mit sauberem Stift und kleinlicher
Correctheit die Conturen vorzeichnete. Seine Bilder sind grandiose
Naturscenerien von kleinlicher Anschauung — auch in der Wissen-
schaft suchen oft die kleinsten Geister sich die grössten Helden.
Sowohl die »Ruinen von Paestum«, wie der »Gewittersturm an der
Handeck« und die »Kette des Monterosa bei Sonnenaufgang« er-
reichen nur äusserliche decorative Wirkung, die durch die rohen
unnatürlichen Beleuchtungscontraste nicht schöner wird. Und da
er später, als die Bestellungen sich häuften, einer erstaunlichen
Fruchtbarkeit verfiel , machen viele seiner Arbeiten den Eindruck,
als hätte ein geschickter Kalligraph unaufhörlich dieselben Zierbuch-
staben wiederholt. Un Calame, deux Calame, trois Calame — que
de Calamites, hiess es alljährlich im Pariser Salon, wenn Calame
anrückte. Doch so kühl Frankreich sich verhielt, um so zahl-
reichere Verehrer fand er in Deutschland. Gleich 1835, als er in
Berlin sein erstes Bild, eine Ansicht des Cenfersecs ausstellte, wurde
sein Auftreten mit warmen Sympathien begrüsst. Gerade das Ab-
gerundete, Geschickte, Vollendete seiner Malerei gefiel und die Deut-
lichkeit der Zeichnung imponirte. Seine lithographirten Baumstudien
und landschaftlichen Vorlegeblätter erreichten ein kanonisches An-
sehen und blieben Jahrzehntelang als Lehrmittel für den Zeichen-
274
XXIV. Dif. Landschaftsmalerei in Deutschland
unterricht in Verwendung. Von deutschen Malern wurden besonders
Carl Ludwig, Otto von Kameke und Graf Stanislaus Kalkreuth
durch Calame angeregt, sich der starren Erhabenheit der Hoch-
alpennatur zuzuwenden. Ocde Felsenwüsten, stille klarblaue Seen,
wilde Sturzbäche und gletscherbedeckte, im Schein der untergehen-
den Sonne rosa erglühende Schncegipfcl sind wie bei dem Genfer
Meister die Elemente ihrer Bilder.
Auf Achenbach folgte eine ganze Reihe aus dem Norden selbst
stammender Künstler, die nun anfingen, die Berge ihres Heimath-
landes Norwegen unter den starken Farbenwirkungen der nordischen
Sonne zu schildern. Die grossartigen Gestaltungen der Fjorde, die
smaragdgrünen Felswände, zerklüfteten Thalspalten, schauerlichen
Waldwildnisse und grell beleuchteten Gebirge Norwegens, die sich
wie glitzernde Edelsteine in der stillen Fluth saphirblauer Seen
spiegeln, sie waren interessant genug, um mehr als einen Land-
schafter zu ernähren.
Knud Bande, der nach längerem Aufenthalt auf der Kopen-
hagener Akademie und bei Dahl in Dresden, seit 1842 in München
arbeitete, liebte Mondscheinscenerien, düstere Föhrenwälder und Mitter-
nachtssonnen. Das Meer erhebt sich in berghohen Wogen, schleu-
dert mächtige Fahrzeuge wie dürre Blätter umher oder schlägt bran-
dend an die Klippen des Ufers. Phantastische Wolkengestalten jagen
über den Himmel und das bleiche Mondlicht schwankt unsicher auf
den Wellen. Seltener malte er die friedlich ruhende, vom Monde
weithin beleuchtete See, oder die Fjorde mit ihren grünen Matten
und weissstämmigen Birken, und wirkt in solchen schlichten Bildern
viel liebenswürdiger als in anspruchsvollen, wilden, da sein ängstlich
kleinlicher Vortrag in der Regel wenig zu den unruhig dramatischen
Naturscenerien passt.
Hans Gilde, 1841 nach Düsseldorf gekommen, wurde der Calame
des Nordens. Achenbach lehrte ihm, den Erscheinungen der Natur
keck realistisch gegenüberzutreten, sich nicht vor reicher, saftiger
Farbenscala zu fürchten. Schirmer, der Vertreter der italienischen
Stillandschaft , leitete ihn an , eine gewisse stilvoll grosse Haltung
im Aufbau seiner Gemälde anzustreben , schöne Linien zu finden
und grosse Massen von Licht und Schatten effektvoll zu disponiren.
Dieser ruhige, sichere, handfeste und doch stilvolle Realismus wurde
die Haupteigenthümlichkeit seiner nordischen Landschaften, in denen
das Wechselnde, Flüchtige der Naturstimmung freilich um so weniger
XXIV. Die Landschaftsmalerei in Deutschland
27 5
zu Worte kommt. Bald sind es norwegische Gebirgslandschaften
mit Seen, Flüssen und Wasserfällen, bald Küstenbilder unter den
verschiedensten Beleuchtungsmotiven, oder grandiose Felsscenerien
bei düsterem Himmel und bewegter See. Hans Gude, seit 1864 in
Carlsruhe, seit 1880 in Berlin, ist einer jener Maler, die man achtet,
ohne sich begeistern zu können, einer der gewissenhaften Arbeiter,
die vor lauter Gediegenheit an Langweiligkeit streifen. Seine Land-
schaften sind gute Galeriebildcr von nüchtern prosaischer Correctheit,
nie ärgerlich, doch auch selten erwärmend.
Niels Björnson Möller cultivirtc gleich ihm das Strandbild und
die Marine. August Cappelen vertiefte sich in die melancholischen
Reize des norwegischen Waldes in seiner abgeschlossenen, von Men-
schen ungestörten Stille. Er erzählte von der zitternden Klarheit der
Felsenluft, von alten geborstenen Stämmen und grünen Wasser-
pflanzen, von träumerischen Weihern, weiten Aussichten auf blaue
Berge und würde noch ursprünglicher wirken, hätte er weniger
auf edle Schirmcrsche Linien und gross angelegte Compositionen
gegeben. Morten-Müller wurde der Specialist des Fichtenwaldes. Die
heimischen Holzungen beim Uebergang der Thäler in’s Hoch-
gebirge boten ihm die Motive, die er zu stark decorativen grossen
Bildern verarbeitete. Seine Stärke war der Gegensatz des in den
Baumwipfeln spielenden Sonnenlichts zu dem geheimnissvollen , im
Waldesgrund herrschenden Dunkel, und seine Bilder haben wegen
ihrer »elegischen Melancholie, ihres rührend trüben Molltons« viele
Freunde. Der norwegische Frühling, der den Boden in einen einzigen
von Sümpfen unterbrochenen Moorteppich verwandelt, fand in Erik
Bodom seinen Schilderen Ludwig Munthe wurde der Maler der
Winterlandschaft bei Thauwetter, wenn der Schnee sich gelockert
hat und eine schmutzig braune Erdkruste unter der blendenden Decke
hervorschimmert. Ein oedes Feld , ein paar verkrüppelte Bäume,
die ihre nackten Aeste in den dunkelgrauen Himmel strecken, ein
Schwarm von Krähen und eine verregnete Landstrasse mit Spuren
von Wagenrädern, ein fahlgelber Lichtstreif, der durch die Wolken-
wand blinkt und in den Pfützen des Weges sich spiegelt, das sind
die Elemente, aus denen eine Munthesche Landschaft sich auf-
baut. Durch Eilert Adelsten Normann wurden die Fjordbilder im
Kunsthandel eingebürgert. Seine Specialität war die Darstellung der
steil ins Meer abstürzenden Lofodden-Felsenburgcn in ihren ver-
schiedenen Farbenreflexen und Beleuchtungen, die Mitternachtssonne,
18*
27 6
XXIV. Die Landschaftsmalerei in Deutschland
die gellend über tiefklaren Seen liegt, der Contrast blauschwarzer
Gebirgsmassen zu schimmernden Schneefeldern.
Andere wie Ludwig Willroider, Louis Douzette und Hermann
Eschke machten sich daran, unter ähnlichen Gcsichtspuncten die
deutsche Haide und den deutschen Wald, der eine die grossen Berg-
massen und Baumriesen, der andere die untergehende Sonne, der
dritte das Meer zu beobachten. Oswald Achenbach, Albert Flamm
und Ascan Lutteroth traten auch wieder die Wanderung nach dem
Süden an, wo sie im Gegensatz zu ihren Vorgängern nicht mehr
die classischcn Linien der italienischen Natur, sondern den Glanz
der verschiedenartigen Farbeneffekte in der Umgebung des Vesuvs
und des Golfs von Neapel studirten. Die Unternehmendsten kehrten
Europa überhaupt den Rücken und fingen an, die Urwälder Süd-
amerikas, auf die Alexander Humboldt hingewiesen hatte, die blauen
und rothen Wunder der Tropen, das Glitzern und Blitzen der
Eiswelt an den äussersten Grenzen der Polargegenden zu schil-
dern. Fr. Bellermann wurde als neuer Columbus gefeiert, als er
1842 mit seinen botanisch correctcn Aufnahmen der Wunder des
Urwaldes heimkehrte. Eduard Hildebrandt, der schon 1843 im Auf-
träge Friedrich Wilhelm IV. die canarischcn Inseln, Italien, Sici-
licn, Nordafrika, Aegypten, Nubien, die Sahara und das nördliche
Eismeer durchmessen, trat 1862 sogar eine Reise um die Erde an,
um alle »Phänomene, die das Meer, die Luft und das Festland unter
den verschiedenartigsten Himmelsstrichen hervorbringen, aus eigener
Anschauung kennen zu lernen.« Eugen Bracht durchzog Aegypten,
Syrien, Palästina und brachte aus der ernsten grossartigen Natur der
Wüste, aus der Trümmer- und Gebirgswelt des Orients eine Fülle
von Studien mit, die er in der Heimath zu ebensovielen Bildern
verarbeitete.
Es ist das Verdienst all’ dieser Meister, die Peripherie des Darstell-
baren immer mehr erweitert, die ganze Welt allmählich erschlossen
zu haben, und wenn ihre Werke nicht als Erzeugnisse einer feinen
Landschaftsmalerei gelten können, so ist dies ein Ergebniss desselben
Kunstgeschmacks, der dem Genrebild jener Jahre die Anekdote, den
erzählenden Inhalt vorschrieb. Die Landschafter eroberten die Erde,
aber dem Publicum zu Liebe vorerst nur die geographisch merk-
würdigen Partien. Sie gingen aus in alle Welt mit dem Bädeker in
der Tasche, führten alles Carmin mit sich, das für Sonnenuntergänge
nöthig, stellten ihre Staffelei überall auf, wo im Bädeker ein Sternchen
XXIV. Die Landschaftsmalerei in Deutschland
277
ist. Und bemerkten an diesen schönen Gegenden alles, was mit
Bädekers Hülfe zu sehen. Indem sie durch haarscharf treue Wieder-
gabe topographisch lehrreicher Punkte das Interesse des Touristen
befriedigten , konnten sie am ehesten auf den Absatz ihrer Erzeug-
nisse rechnen. Zugleich verrathen ihre Bilder, dass während dieses
Menschenalters die Historienmalerei an der Spitze des ästhetischen
Katechismus thronte. Das Geschichtsbild Hess eine Menschheit auf-
treten, die das Bewusstsein ihres Exterieurs mit sich herumtrug, sich
vor dem Spiegel drapirte und jede Bewegung, jeden Ausdruck des
Affectes künstlich einstudirte. Das Genre folgte und gab den theatral-
isch verdeutlichten, nicht den in seiner Unbefangenheit belauschten
wahren Gemüthsinhalt des Lebens. So mussten auch Bäume, Berge
und Wolken die Unschuld des unbewussten Daseins ablegen, in das
Kleid der Affectation sich hüllen. Die einfache Wirklichkeit in ihrer
stillen feinen Schönheit, die schlichte »Stimmung«, die das Spiel
von Licht und Luft über die Formen der landschaftlichen Natur
ergiesst, sie konnte einer durch das Pathos der Historie und die
Grimassen der Genremalerei überreizten Zeit nichts sagen. Mächtigere
Stimmungsreizmittel waren nöthig. Auch die Landschafter mussten
die Natur da suchen, wo sie Theater spielt und in ihrer lärmenden
Herrlichkeit aultritt, sie mussten Brillantfeuerwerke anzünden, Sonne,
Mond und Sterne verpuffen, um nur gehört resp. gesehen zu werden.
Belehrung oder TheaterefFect, die Ziele der Historienmalerei mussten
auch die des Landschafters sein. Und da Eisenbahnen sehr kosmo-
politische Einrichtungen, war er in der Lage, beide Forderungen
prompt zu erfüllen. Wie die Historienmaler auf der Jagd nach auf-
fallenden Stoffen ihre Blicke nach dem fernsten historischen Horizonte
richteten, die Genremaler das Publikum vornehmlich durch Fremdes
und Seltsames, durch Italiener und Orientalen zu fesseln suchten, so
sah die Landschaftsmalerei ihr höchstes Ziel in der möglichsten Er-
weiterung des geographischen Florizontes. »Sind diese Leute denn
nirgends geboren?« meinte Courbet, als er auf der Münchener Aus-
stellung 1869 vor den deutschen Landschaften stand. Das, was dem
Nordländer zuerst in fremden Ländern auffällt, war das Thema der
meisten Bilder. Aber wie die Historienmalerei, indem sie alle Haupt-
und Staatsactionen vom trojanischen Krieg bis zur französischen Revo-
lution illustrirte, bald einem doctrinär pädagogischen Hang, bald thea-
tralischem Pathos verfiel, so wurde die Landschaftsmalerei auf ihren
kosmopolitischen Streifzügen theils zum trockenen Photogramm be-
278
XXIV. Die Landschaftsmalerei in Deutschland
rühmter Gegenden, das nur als Reiseerinnerung Berechtigung hatte,
theils zum aufgeputzten Effectstück, das wie alles Aufdringliche schnell
seinen Reiz verlor. Die Bilder der ersten Art, die ihre Motive haupt-
sächlich der durch Formen wucht, grandiose Felsenmassen, Glet-
scher, Schncefcldcr und schroffe Abhänge imponirenden Alpennatur
entnahmen, brauchten nur porträtähnlich zu sein, dann blieb das
Publicum, geleitet vom Instinct für das Grosse und Schöne in der
Natur, wohlgefällig davor stehen, und die Alpenkenner belehrten die
Laien, der tiefblaue Schnee des Bildes sei keine Uebcrtreibung son-
dern eine richtig aufgefasste Erscheinung der Gebirgswelt. Ueber die
geographische Lage ist bei allen diesen Veduten kein Zweifel möglich,
aber man hat auch selten das Bedürfniss, nach dem Künstler zu
fragen. Das Interesse, das sie erregen, ist lediglich topographischer
Art, sonst tragen sie den Stempel ordinärer Prosa, der Trockenheit
und Reizlosigkeit, die sich im Gefolge reiner Objectivität stets ein-
schleicht. Die Werke der zweiten Art, die exotische, durch die Fremd-
artigkeit ihrer Lichtphänomene oder den Glanz und die Gluth ihrer
Farben frappirende Gegenden schildern, sind in der Regel wegen
der professionsmässig betriebenen Stimmungsmacherei verstimmend.
Die alten Meister haben Stimmung, ohne cs zu wollen, da sie pietät-
und empfindungsvoll der Natur sich nahten. Die Neuen wirken
äusserlich, da sie Stimmung malten, ohne sie zu empfinden, und
so wenig die Wahl solcher Stoffe die Kunst ausschliesst, so wenig
gesund ist es, wenn eine derartige Richtung allgemein herrscht. Eine
vornehme Kunst wird nie aus Princip nach dem Reiz des Entfernten
und Seltenen suchen, denn sie besitzt die Zaubergabe, auch das
Nächstliegende mit dem höchsten Interesse zu erfüllen. Zudem sind
solche Effecte ebenso schwer zu fassen wie im Historienbild der
Moment der höchsten Erregung. Delacroix konnte es als Historien
maler, Turner als Landschafter, aber Genien wie Delacroix und
Turner werden nicht alle Tage geboren. So wie diese Phänomene
damals in Deutschland gemalt wurden, ward durch sie nicht »Stimm
ung«, sondern lediglich kalte Neugier erregt. Fast alle Landschaften
dieser Jahre wirken stofflich: unterhaltend, überraschend, belehrend,
aber die Poesie der Natur ist noch nicht gehoben. Sie konnte sich
erst enthüllen, wenn das Uebcrgcwicht des Stoffintcresses überwunden.
Wie die Figurenmaler es verschmähen mussten, noch durch Ge-
schichten und Pointen den Beifall des für Kunst Unempfänglichen
zu erregen, so mussten die Landschafter aufhören, durch Vorführung
XXIV. Die Landschaftsmalerei in Deutschland
279
der Touristennatur Geographieunterricht zu ertheilen und durch
falsche Stimmung für sich Stimmung zu machen. Erst mit der Ab-
wendung vom rein gegenständlichen Interesse des Motivs und dem
Hindrängen auf die Schilderung der heimischen Natur in den in-
timen Reizen der Licht- und Luftstimmung konnte die nothwendige
künstlerische Vertiefung Hand in Hand gehen. Auf die Erweiterung
des Stoffgebietes musste die Verfeinerung des Geschmackes folgen,
und diese Anregung auf den Weg zurückzukehren, den Dahl und
Morgenstern und Gurlitt bahnten: mit reicheren, complicirteren Aus-
drucksmitteln die schlichte, rührend zärtliche Beobachtung jener
Aeltern zu vereinen — sie ward der nächsten Generation von Frank-
reich aus gegeben, wo in denselben Jahren, als die deutsche Land-
schaftsmalerei mit der Freude des Entdeckers die Welt durchzog, als
vornehmstes und zartestes Kind des Jahrhunderts der Paysage intime
heranwuchs.
Sx©
XXV.
Die Anfänge des Paysage intime.
WIE es kam, dass die Geheimnisse des paysage intime, wahr-
lich nicht zufällig, unserm Jahrhundert Vorbehalten waren,
das kann in einem farbigen Bilde erst ausgemalt werden,
wenn Jemand — das zeitgemässeste Buch der Kunstliteratur — eine
Specialgeschichte der Landschaftsmalerei schreibt. Wereschagin hat
einmal den Satz ausgesprochen, dass auf dem Gebiete der Landschaft
gegenüber den Leistungen der modernen Kunst die Werke der alten
Meister wie Schülervorarbeiten erscheinen : — gewiss ist, dass das
19. Jahrhundert, wenn es den Alten in Allem nachsteht, wenigstens
in der Landschaft ihnen Ebenbürtiges zur Seite stellen darf. Erst
das Grossstadtleben konnte diese leidenschaftlich gesteigerte Natur-
liebe erzeugen. Erst im Jahrhundert der Stubenluft und Uebcr-
völkerung, der Nervosität und Feriencolonien konnte sich die Land-
schaftsmalerei zu dieser Fülle, Reinheit und Weihe erheben. Erst
unsere Zeit des Hastens und der Arbeit machte ein Verhältniss der
Menschenseele zur Natur möglich, das wirklich etwas von dem hat,
was der Erdgeist Fausten gewährte: »in ihre Brust wie in den Busen
eines Freunds zu schauen«.
Auch in Frankreich war die Strömung, die sich seit dem
18. Jahrhundert in stets höher steigenden Wellen ankündigte, durch
den Classicismus für kurze Zeit jäh unterbrochen worden. Von den
vorrevolutionären Landschaftern lebte nur Hubert Robert in die neue
Zeit herüber. Man verzieh ihm seine Naturdetails und seinen Rococo-
beigeschmack zu Gunsten der classischen Ruinen. Von den Neuen
fand zunächst keiner Veranlassung, das Gebiet zu betreten. Ein asket-
isch gewordenes Geschlecht, das nur von rauher Männertugend in
den plastisch geläuterten Formen des menschlichen Körpers träumte,
hatte für die Reize der Landschaft den Sinn verloren. Und als nach
mehreren Jahren wieder die ersten Landschaften auftauchten, waren
es wie in Deutschland jene feierlichen Tragödiencoulissen, jene ab-
XXV. Die Anfänge des Paysage intime
281
Hubert Robert: Ruinen und Monumente.
stracten »edlen« Gegenden, wie sie angeblich Poussin malte. Nur
hielt bei Poussin trotz alles Stilisirens noch ein grosses Naturgefühl
den conventionellen Aufbau zusammen, während in den Werken der
neuen, da sie aus zweiter Hand schöpften, blos kalte Rhetorik und
steriler Formalismus herrscht. Der einmal aus der Antike genommene
Typus des Schönen wurde wie in den Menschenleib und Kleider-
wurf, auch in Garten und Wald mühsam hineinstilisirt. Ein Prix de
Rome für historische Landschaften ward begründet.
Henri Valenciennes war der Lenötre dieses Classicismus, der be-
wunderte Lehrmeister mehrerer Generationen. Der angehende Land-
schafter bildete sich bei ihm, wie der Figurenmaler bei Guerin. Sein
»Traite elementaire de perspective pratique«, worin er die Principien
der Landschaft formulirte, enthält sowohl seine persönlichen An-
schauungen, wie die Aesthetik des Zeitalters. Obwohl er, wie er
vorausschickt, ȟberzeugt ist, dass es in Wahrheit nur eine Malerei,
die Geschichtsmalerei, gibt, so darf ein tüchtiger Historienmaler
doch die Landschaft nicht ganz vernachlässigen«. Rembrandt freilich
und die alten Holländer waren ohne jedes Ideal und haben nur für
Leute ohne Geist und Seele gearbeitet. Wie tief steht eine Landschaft
282
XXV. Die Anfänge des Paysage intime
mit Kühen und Hammeln unter einer solchen mit dem Begriibniss
des Phocion, ein Regentag von Ruysdael unter einer Sündfluth von
Poussin. Kaum Claude Lorrain findet Gnade vor Valenciennes’
Augen. »Er hat mit hübscher Naturwahrheit das Licht des Morgens
und Abends gemalt. Gerade deshalb aber sprechen seine Bilder
nicht zum Geiste. Kein Baum bei ihm, wo eine Dryas wohnen, kein
Quell, in dem Najaden plätschern könnten. Die Götter, Halbgötter,
Nymphen, Satyrn, selbst die Heroen sind für diese Gegenden zu er-
haben, höchstens Hirten können darin hausen«. Claude lebte zwar in
Italien, hat aber die alten Schriftsteller zu wenig gekannt, die doch
die Basis für den Landschafter bilden. Wie David seinem Schüler
Gros sagte: »Durchblättern Sie ihren Plutarch«, so rieth Valenciennes
den seinen: Theokrit, Virgil und Ovid zu studiren, nur durch diese
Autoren sei zu erfahren, wie die für Götter und Helden passenden
Gegenden sein müssten.
Vos exemplaria graeca
Nocturna versate manu, versate diurna.
Will der Landschafter z. B. den Morgen malen, so schildere er den
Moment, wie die lachende Aurora sich aus den Armen ihres alten
Gatten erhebt, die Horen vier feurige Rosse an den Wagen des
Sonnengottes schirren, oder Ulysses flehend vor Nausikaa kniet. Für
den Mittag wäre die Ikarus- oder Phaetonmythe zu verwenden. Den
Abend kann er darstellen, indem er Phoebus malt, wie er dem Hori-
zonte nahend seinen Lauf beschleunigt, in feurigem Verlangen, sich
in die Arme der Thetis zu werfen. Um das Bild auszuführen,
nachdem er bei alten Dichtern die Stoffe geholt, muss der Land-
schafter die Regeln der Perspective kennen, mit den Compositions-
gesetzen Poussins vertraut sein, sogar zuweilen die Natur betrachten.
Denn er braucht eine Trauerweide für eine Elegie, einen Felsen
für den Tod Phaetons, eine Eiche für den Tanz der Nymphen.
Solche »Motive« zu finden, mache er Reisen in die berühmten alten
Culturländer, am besten auf dem Wege, den die Kunst selbst gegangen,
erst nach Kleinasien, dann nach Griechenland, dann nach Italien.
Aus dieser Aesthetik gingen Victor Bertin und Xavier Bidault
hervor, an denen die Zeitgenossen »den Reichthum der Composition
und die prächtige Auswahl der Baulichkeiten« bewunderten. Ihre
schematischen Versatzstücke von Wogen, Thälern und Tempeln
verhalten sich zur Natur, wie- zur Philosophie die Sprachmaschine
XXV. Die Anfänge des Paysage intime
283
des Raimundus Lullus. Die
scholastische Schule der
Landschaftsmalerei trium-
phirte, eine Schule, die sich
mit hohlen Formeln nährte
und deshalb an Blutlosigkeit
starb. Bidault namentlich,
der in seiner Jugend noch
sehr gute Studien machte,
ist mit seinen getüpfelten
Blättchen, polirten Baum-
stämmchen und grauen Him-
meln, die bald wie Blech,
bald wie Wasser aussehen,
der Inbegriff eines langweil-
igen Classicismus — derselbe
Bidault, der jahrelang als
Jurypräsident die Landschaf-
ten Theodore Rousseaus vom
Salon zurückwies. Nur die
Gestalt des jungverstorbenen
Michallon lebt aus der Gruppe
noch fort. Auch er gehört
durch die Kälte, Magerkeit
und Correctheit seines Stils zur Schule Valenciennes , unterscheidet
sich aber von den Andern dadurch, dass er in der Zeichnung der
Pflanzen eine gewisse Naturwahrheit anstrebte, die damals als kühne
Neuerung galt. Er malte nicht die »Pflanze an sich«, sondern Kletten,
Disteln, Löwenzahn, Alles in seiner Art, und erwarb sich durch
diese botanische Genauigkeit im Beginne des Jahrhunderts einen
schwer verständlichen Ruhm. Durch Jules Coignet und Watelet
öffneten sich die Thore der Schule noch ein wenig mehr der Wirk-
lichkeit. Nachdem sie lange Zeit ihre classischen Thäler mit blut-
losen tanzenden Nymphen und göttlichen Statisten bevölkert, ver-
liesscn sie die historische zu Gunsten der pittoresken Landschaft und
»wagten« Veduten aus der Umgegend von Paris, Burgen und Wind-
mühlen darzustellen. Doch da sie an den Compositionsprincipien
des Classicismus auch hierbei festhielten , spiegelt sich nur eine ge-
bürstete, gekämmte, zugestutzte und in Regeln gezwungene Natur
Victor Hugo: Ruinen einer mittelalterlichen
Burg am Rhein.
284
XXV. Die Anfänge des Paysage intime
in ihrer dünnen Malerei wieder. Noch 1822, als Delacroix seine
Dantebarke ausstellte, leuchtete der schreckliche Watelet in seinem
vollen Glanz. Unter seinen Bildern war eine Ansicht von Bar-sur-
Seine, die der Catalog treffend nicht als einfache »Vue«, sondern
als »Vue ajustee« verzeichnete. Watelet war bis zum letzten Athem-
zug überzeugt, die Natur verstehe ihr Handwerk nicht und hätte
immer einen Maler nöthig, der sie corrigire und durchsehe.
Neben dieser Gruppe, die französische Gegenden zu classischen
Landschaften zustutzte, war unterdessen eine andere aufgetaucht,
die den umgekehrten Weg beschritt. Ihr höchstes Ziel war, nach
dem heiligen Italien , dem classischen Land zu pilgern , das ihre
literarische Erziehung und einseitige Aesthetik noch immer schöner
und verehrungswürdiger als jedes andere fand. Aber sie versuchten
mit den willkürlichen Compositionsregeln Valenciennes’ zu brechen
und wahrheitsgetreu die grossen Linien der italienischen Natur zu
erfassen. Indem sie von Valenciennes zu Claude zurückgingen,
strebten sie, einem an sich berechtigten Landschaftsstil, den die
classicistische Schule compromittirt hatte, neues Leben einzuflössen.
Ihr Auftreten erschien den strenggläubigen Schülern Valenciennes’
sehr ketzerisch, man taufte sie Gothiker, das heisst Romantiker, und
die Namen Theodore Alignys und Edouard Bertins wurden Jahre
lang in den Kritiken neben demjenigen Corots genannt. Sie brachten,
besonders Bertin, hübsche Zeichnungen aus Griechenland, Italien,
Aegypten, Palästina und Syrien heim. Aligny ist sogar als Maler
nicht unbedeutend. Er suchte die Weite des Horizonts und die Ein-
fachheit der Linien eifriger als es die traditionelle Schule gethan.
Er ist ein düsteres, herbes, ernstes Talent, und seine Bilder würden
in ihrem feierlichen Rhythmus noch mehr wirken, wäre nicht die
Farbe so trocken und statt der vibrirenden Atmosphäre ein be-
wegungsloses, monotones Licht gleichmässig über Alles verbreitet.
Alexandre Desgoffe, Paul Flandrin, Benouville, Bellel und Andere
schöpften mit gleicher Ueberzeugung und verschiedenem Talent aus
den nämlichen Quellen. Paul Flandrin namentlich war in seiner
Jugend ein guter Maler im Sinne von 1690. Seine Composition ist
edel, die Mache sicher, an Poussin erinnernd. Ingres, sein Meister,
sagte von ihm: »Wenn ich nicht Ingres wäre, möchte ich Flandrin
sein«. Erst später hat sich der sonderbare Reiz Claude Lorrains und
die römische Grösse Poussins unter Flandrins Pinsel in todtes Still-
leben, in Landschaften aus Carton und Watte verwandelt.
XXV. Die Anfänge des Paysage intime
285
Georges Michel: Windmühle.
Nicht von hier konnte das Heil der blutlos gewordenen Schule
kommen, aus französischem Boden selbst musste die französische
Landschaft neue Lebenskraft saugen. Sie war gerettet, sobald die
Reize der Heimath ihrem Auge sich öffneten, und der Romantismus
brachte diese Offenbarung. In den Salonberichten seit 1822 wieder-
holen sich immer heftiger die Klagen der Kritiker, dass statt schönen
Gegenden von edlem Charakter und monumentalen Linien nur
»verpestete Seen, wüste Einöden und grässliche Felsen« noch gemalt
würden. Das heisst im Sinne des Classicismus : die französische
Landschaftsmalerei hatte festen Boden gefasst in Frankreich. Der
Tag, als von den jungen Romantikern Racine für einen Phrasen-
macher erklärt wurde, machte sammt der ganzen Davidschule auch
der classicistischen Landschaft ein Ende. Sie fiel in Vergessenheit,
wie früher oder später jede Kunstrichtung, die nicht auf der Natur
und der Persönlichkeit des Künstlers ruht. Die jungen Stürmer
glaubten nicht mehr, dass Zusammenhang mit mythologischen Stoffen
286
XXV. Die Anfänge des Paysage intime
und »monumentale Anordnung« die Luft und das Licht ersetze. Sie
waren müde der pomphaften, leer weitschweifigen Decorationen.
Sie dachten nur an die Natur, und die, in der sie lebten, schien
um so weniger der Reize zu entbehren, je mehr Italien, als Heimath-
land all dieser unangenehmen, hässlichen, akademischen Bilder ver-
dächtig ward. Das war die Geburtsstunde der französischen Land-
schaft. Zur selben Zeit, als Delacroix das Repertoire der grossen
Malerei erneuerte, um eine Welt unedirter Empfindungen die Kunst be-
reicherte, ging eine Parallelbewegung in der Landschaft vor sich. Die
Dantebarke ist von 1822, das Massacre von 1824. Fast zu derselben
Stunde fuhr ein Sturmwind durch die Aeste der alten französischen
Eichen und beugte rauschend das Getreide nieder, mit Wolken um-
zog sich der Himmel, die Gewässer, so lange versteinert, wurden
wieder Flüssigkeit und flössen murmelnd über ihr schlammiges Bett.
Die kleinen Papiertempel, die sich auf classischen Hügeln erhoben,
stürzten zusammen und niedrige Bauernhäuser erhoben sich, aus
deren Schlot der Rauch zitternd zum Himmel stieg. Die Natur
erwacht aus dem Winterschlaf, der Frühling der modernen Land-
schaftsmalerei bricht an mit ihrer Melancholie und ihrem Lächeln.
Darin unterscheidet sich die Entwicklung der französischen
Kunst von der deutschen. Die deutsche hatte, nachdem sie unter
Poussins Einfluss gestanden, lange eine bedenkliche Vorliebe für
seelenlose Scenerie, die sogenannte schöne Aussicht und drang
weit später in das Seelenleben der heimischen Natur ein. Den
Franzosen hat es sich schon in den zwanziger Jahren erschlossen.
Sie machten die Periode der exotischen Naturschwärmerei nur auf
dem Gebiete der Dichtkunst — und auch da nicht in dem Masse
wie Deutschland durch. Nur in Chateaubriands Atala kommen
pomphaft malerische, keineswegs innige Schilderungen exotischer
Landschaften vor. Hauptsächlich die Urwälder Nordamerikas bieten
Stoff zu herrlichen Bildern, die er in hochtönender, schwungvoller
Prosa beschreibt. Fine mächtige, prunkvolle Natur dient als Scenerie
für die Dramen des menschlichen Lebens. Schon mit Lamartine
vollzog sich der Umschwung. Er ist unter den Dichtern Frankreichs
der erste, der die Landschaft mit inniger Empfindung erfasst und
mit seiner Seelenstimmung in Einklang bringt. Seine Poesie war
durchwärmt und verklärt von der Liebe zu seiner Heimath, zu seiner
Provinz, zu Südburgund. Auch auf dem Gebiete der Kunst war
ein Dichter der erste Anreger.
XXV. Die Anfänge des Paysage intime
De la Berge: Landschaft.
Victor Hugo, der literarische Vater des Romantismus, darf in
der Geschichte der Landschaftsmalerei nicht übergangen werden. Seit-
dem 1891 in Paris jene merkwürdige Ausstellung malender Dichter
stattfand, in der Theophile Gautier, Prosper Merimde, die beiden
Goncourt u. A. mit mehr oder weniger bedeutenden Arbeiten auf-
traten, erfuhr die Welt, was für ein genialer Zeichner, welch ge-
waltiger Dramatiker der Landschaft dieser grosse Romantiker war.
Auch in den Naturerinnerungen, die er mit rapider Hand geistreich
und farbig auf den Rand seiner Manuscripte zeichnete, tobt die Feuer-
gluth des Romantismus. In gespenstischem Licht und schwarzen
Schatten tauchen die Dinge auf, von denen er im Texte spricht :
alte von Rauchwolken oder blendendem Feuerschein umzogene
Burgen, Mondaufgänge, die den Bäumen geisterhafte Silhouetten
geben, sturmgepeitschte Wogen, die spritzend über Barken zu-
sammenschlagen, schwarze Seen, dunkle unheimliche Ufer, feenhafte
Paläste, stolze Citadellen und märchenhafte Kathedralen. Sobald
einmal dem Louvre eines der durchgearbeiteten Blätter vermacht
wird, ist Hugo sicher, auch in der Kunstgeschichte einen Platz unter
den Vorkämpfern des Romantismus zu erhalten.
288
XXV. Die Anfänge des Paysage intime
Unter den Malern war die Bewegung so allgemein, dass es
heute schwer ist, noch die Rolle zu erkennen, die jeder Einzelne
in dem grossen Drama spielte. Das gilt besonders von dem lange
verkannten Genie Georges Michels, eines Malers, der erst durch die
Weltausstellung 1889 in weiteren Kreisen bekannt wurde, nachdem
er es in den engeren der Amateurs ebenfalls erst seit seinem Tode
18.43 gewesen. Damals hatte ein Kunsthändler auf einer Auction den
Nachlass eines halbverhungerten Malers gekauft, Bilder ohne Signatur,
nur daran kenntlich, dass sie sämmtlich Motive aus der Umgegend
von Paris behandelten. Ein grosser weiter Horizont, ein Erdhügel,
eine Windmühle, ein wolkiger Himmel — All das liess einen von
den Holländern erzogenen Künstler vermuthen. Die Neugierde wurde
rege, man forschte und fand, dass der Maler Georges Michel liiess
und 1763 geboren war, dass er mit 12 Jahren um zu zeichnen die
Schule schwänzte, mit 1 5 eine Wäscherin entführte, mit 20 schon
5 Kinder hatte, mit 65 sich von Neuem verheirathete und bis zu
seinem 80. Jahre fleissig gearbeitet hätte. Aeltere erinnerten sich
sogar, schon früher Arbeiten von ihm im Salon gesehen zu haben.
Man hörte, dass Michel gleich nach der Revolution viel producirt
hätte, aber sehr langweilige porzellanerne Bilder, die, in nichts von
denen der andern Classicisten verschieden, von Demarne und Swebach
mit Figuren staffirt wurden. Erst seit 1814 war er aus dem Salon
verschwunden, nicht, wie sich jetzt herausstellte, weil er keine
Bilder mehr auszustellen hatte, sondern weil man ihn als Revo-
lutionär zurückwies. Michel war während seiner späteren Jahre das
Verschiedenste, namentlich Bilderrestaurator gewesen. In diesem
Beruf gingen viele holländische Landschaften durch seine Hände
und brachten ihn auf den sehr unzeitgemässen Gedanken, sich
die Natur mehr in der Nähe anzusehen, als er es in seiner Jugend
gethan — nicht in Italien, sondern im Umkreis der Stadt. Wäh-
rend Valenciennes und seine Schüler so viel Umstände machten,
nur das nicht zu malen, was sie unter den Augen hatten, blieb
Georges Michel im Lande und kam als der Erste auf die Idee,
sich nicht über die Natur, sondern mitten hinein zu stellen, nicht
arrangirend mehr, sondern schlicht abmalend ihr zu nahen. Sprach
man von Reisen nach Italien, so antwortete er: »Wem nicht ein
Umkreis von vier Meilen genügt, sein ganzes Leben lang darauf zu
malen, der ist wahrlich kein Künstler. Sind die Holländer jemals
von einem Ort zum andern gelaufen? und doch sind sie gute Maler,
XXV. Du: Anfänge des Paysage intime
289
L. Cabat: Le Jardin Beaujon.
die tüchtigsten, kühnsten, idealsten Maler.« Jeden Tag machte er
im Weichbild von Paris eine Studie, ohne Ahnung, dass er heute
unter den Vorläufern zählen werde. Mit Alphonse Karr, Gerard
de Nerwal und Monselet theilt er sich in den Ruhm der Entdeckung
des Montmartre. Man fand nach seinem Tode solche Studien bei
allen Trödlern der nördlichen Boulevards, immer ohne Rahmen, da
sie der Umrahmung nicht werth schienen, und kaufte sie, wenn sie
sehr theuer waren, zu 40 fr. Die Amateurs fanden Geschmack an
diesen grossen Horizonten, stürmischen Himmeln und geistreich
skizzirten Meeresufern. Denn trotz seiner Armuth hatte Michel zu-
weilen den Montmartre verlassen und die Normandie aufsuchen
können. Anfangs ganz ängstlich, so lange er mit Swebach und
Demarne arbeitete, war er allmählich breit und kühn geworden und
wendete alle Mittel an, seinen Empfindungen Ausdruck zu geben.
Er war ein I räumer, der in seine Studien eine Einheit der Beleucht-
ung und zuweilen Sonnenblitze brachte, über die Albert Cuyp sich
gefreut hätte. Ein echter Abkömmling der alten Holländer, nicht der
spitzpinseligen, sondern der breiten, grossen, erstrebte er schon l’ex-
pression par l’ensemble« und wird seit der Pariser Weltausstellung
mit Recht als Vorläufer Theodore Rousseaus gefeiert. Seine Bilder
erhielten, wie es scheint, früh Eingang in verschiedene Ateliers
und gaben dort mancherlei zu denken. Aber da er sie seit 1814
Muther, Moderne Malerei II. »
290
XXV. Die Anfänge des Paysage intime
nicht mehr datirte, ist es trotz-
dem schwer, Näheres über den ge-
heimen Einfluss festzustellen, den
dieser »Ruysdael des Montmartre«
auf die Jüngeren übte.
Einer nach dem andern fing
an, die italienische Reise für etwas
Unnöthiges zu erklären. Als Ein-
siedler vergruben sie sich in die
Dörfer um die Hauptstadt. Das well-
ige, wähl- und wasserreiche Stück
Land, das an die Höhen von Saint-
Cloud und Ville d’Avray grenzt,
ist die Wiege der französischen
Landschaft. Auf den verschieden-
sten Wegen gingen sie vor, die Na-
tur zu erfassen: indem sie scrupu-
lös und exakt Alles aufzeichneten,
was das forschende Auge bemerkt, oder ihr eigenes Gefühlsleben mit
den Stimmungen der Natur verschmolzen.
Der merkwürdige Charles de la Berge muthet wie ein Vorläufer
des englischen Praeraphaelitenthums an. Er erklärte, das Ideal be-
stehe darin, Alles nach der Natur zu malen und nichts zu über-
sehen, die Zeichnung bis in’s Minutiöseste zu treiben und doch dem
Bilde den Eindruck der Einheit und Harmonie zu wahren. Ebenso
leicht gesagt, wie schwer durchgeführt. Sein kurzes Leben verlief
in diesem Kampf. Seine Bilder sind Wunder der Ausdauer — man
braucht nur den »Sonnenuntergang« im Louvre von 1839 zu kennen.
Es ist rührend, wie dieser leidenschaftliche Arbeiter, noch als er auf
dem Todtenbette lag, sich Aeste und Baumrinde in sein Zimmer
bringen Hess, um mit dem Eifer des Naturforschers alle Yerfaserungen
und Verwachsungen des Holzes zu studiren. Die Bestrebungen De
la Berges haben etwas von der religiösen Devotion, mit der Jan van
Eyck oder Altdorfer in die Natur schauten. Aber er starb zu jung,
um ein Resultat zu erzielen. Er copirte mit äusserster Sorge die
kleinsten Partikelchen der Dinge, strebte eine mathematische Prae-
cision in der Wiedergabe auch des kleinsten an und neutralisirte
durch solch spitzpinselige Detailarbeit seine sonst sehr ernsten colo-
ristischen Qualitäten.
Paul Huel: Die Ueberschwemmutig von Sainl-Cloud.
Camille Roqueplan, der vielseitige Schüler von Gros, der 1822
als Landschafter zuerst mit einem Sonnenuntergang auftrat, setzte
der ewigen Windmühle Watelets mit ihrem blechernen Wasser und
ihrer dürftigen Landschaft die echte Windmühle der alten Holländer
entgegen. Eine grüne, von Canälen durchschnittene Ebene dehnt
sich ringsum aus, ein grauer, frischer, leuchtender Himmel wölbt
sich darüber. Camille Flers, der unerschrockene Reisende, der vor
seinem Malerdebut in Brasilien Schauspieler und Ballettänzer ge-
wesen, schilderte die fetten Triften der Normandie — wahr, doch
furchtsam gegenüber der grossen Natur.
Louis Cabat, sein Schüler, wurde wegen seines festen, harmon-
ischen Stils von den Jungen mit besonderem Enthusiasmus begrüsst.
Seine Bilder zeigten, dass er die grossen Holländer eifrig studirt
hatte, dass er stolz darauf war, gleich ihnen den Pinsel zu führen,
möglichst alles zu sagen, ohne den bildmässigen Anblick zu schädigen.
Er berührte sich vielfach mit Charles de la Berge. Später fühlte er
den Muth, sogar Italien mit frischen Augen zu betrachten und dort
naiv seine Eindrücke wiederzugeben, ohne Rücksicht auf die Theo-
rien und Regeln der Classicisten. Doch das Wagniss war zu gross
gewesen. Er wurde wieder ein Freund der feierlichen Landschaft,
19
292
XXV. Die Anfänge des Paysage intime
ein Anhänger Poussins, als der er uns Jüngeren fast ausschliess-
lich bekannt ist.
Ganz Romantiker war Paul Huet. Bei De la Berge die denkbar
grösste Objektivität, bei Huet Pathos. Sein Herz sagte ihm, dass die
Stunde gekommen sei, Leidenschaft sprechen zu lassen; er wollte
die Energie der Natur, die Intensität ihres Lebens mit der ganzen
Macht rauschenden Colorits ausdrücken. Es ist in seinen Bildern
etwas von Byronischer Poesie : die Conception reich und mächtig,
das Farbenconcert leidenschaftlich dramatisch. In jeder seiner Land-
schaften athmet die menschliche Seele mit ihrer Unruhe, ihrer
Hoffnungslosigkeit, ihren Zweifeln Huet war das Kind einer Epoche,
die in schroffstem Contrast bald himmelhoch jauchzte, bald zu Tode
betrübt war, und hat diese Stimmung des Zeitalters mit einer Frei-
heit und Macht verkündet, als es überhaupt möglich ist, wenn
als Ausdrucksmittel Land nur und Himmel, Wolken und Bäume
dienen. Wie der ganze Romantismus haben die meisten seiner
Werke einen ernsten, pathetischen, düstern Charakter, nichts von
dem feierlich Pomphaften, das den classischen Landschaften eigen.
Er schwärmt für brausende Stürme und überschäumende Gewässer,
für blitzdurchzuckte Wolken und des Menschen Kampf mit tosenden
Elementen. In dem Streben, möglichst viel zu sagen, setzte er seine
Bilder oft zu theatralisch in Scene. In der Ansicht von Rouen
1833. einem seiner Hauptwerke, geht die Breite der Ausführung
fast ins Leere, Panoramahafte über. Huet pflegte viel Dinge in
seinen Landschaften anzuhäufen; er liebte die ausdrucksvolle Land-
schaft, in dem Sinne wie damals die ausdrucksvollen Köpfe be-
liebt waren. Diese Einseitigkeit verhinderte seinen Erfolg. Als er
in den 20 er Jahren auftrat, galten seine Bilder als bizarr, melanchol-
isch, traurig. Und als er später sich zu grösserer Einfachheit durch-
gerungen, ward er von den Kritikern nur noch mit der Hoch-
achtung. die man Männern der alten Garde zollt, behandelt, da nun-
mehr eine Plejade viel grösserer Sterne am Himmel der französischen
Landschaftsmalerei strahlte.
Es ist das Verdienst Michels und Iluets. dass sie den Weg wiesen.
Aber Rousseau und die Seinen Hessen sie so weit hinter sich zurück,
wie Columbus alle früheren vergessen machte, die vor ihm Amerika
entdeckt, oder Gutenberg alle, die vor ihm Bücher gedruckt hatten.
Die Stufe, auf der jene Anreger standen, war etwa die Andreas
Achenbachs und Blechens. Sie waren gute und geschickte Maler,
XXV. Die Anfänge des Paysage intime
293
aber sie erinnerten sicli noch
zu sehr der vlämischen und
holländischen Meister. Die Re-
miniscenzen an Ruysdael und
Hobbema, die Studien an nach-
gedunkelten Galeriebildern sind
zu ersichtlich. Sie färbten noch
die Dinge braun, machten den
Frühling so traurig wie den
o o
Winter, den Morgen so düster
wie den Abend, hatten kein
Gefühl dafür, dass der Morgen
das Erwachen des Lebens, die
Jugend der Sonne, den Früh-
ling des Tages bedeutet. Sie
componirten ihre Bilder noch,
vollendeten sie, rundeten sie
ab auf bildmässige Wirkung.
Der nächste nothwendige Schritt
war der, nicht mehr nach Ruys-
dael und Cuyp, sondern nur
richtigkeit des Eindrucks noch
Fertigmachen desto weniger zu betonen, die Natur nicht im Galerie-
ton, sondern in ihrer duftigen Frische zu malen. Und die. An-
regung zu diesem letzten Schritt, der die französische Landschaft
ihrer höchsten Vollendung zuführte, wurde von England gegeben.
Das Genialste, was an Landschaften in den Jahren 1800 — 1830
entstand, ist englischen Ursprungs. Zur Zeit, als in Frankreich und
Deutschland durch den Classicismus die Landschaftsmalerei in die
historische Zwangsjacke gesteckt war, schritten die Engländer ruhig
auf den Bahnen weiter, die im 18. Jahrhundert Gainsborough betrat.
England hat in diesen Jahren einen Landschafter gehabt, der abseits
von allen andern als einziges, unnachahmliches Phänomen in der
Geschichte der Landschaftsmalerei dasteht, es brachte gleichzeitig eine
Landschafter sch ule hervor, die nicht nur Frankreich befruchtete,
nein, die moderne Farbenanschauung überhaupt begründet hat.
Das Phänomen ist Turner, der grosse Pyrotechniker, einer der
eigenartigsten und geistvollsten Landschafter aller Zeiten. Was tür
ein sonderbarer Mensch ! Wie kann er die ärgern, die nur das Regel-
IVilliam Turner.
in die Natur zu schauen, die Auf-
mehr, das bildmässige Abrunden und
XXV. Die Anfänge des Paysage intime
294
Turner: ‘Dido leitet die Erbauung Cartbagos.
rechte in der Kunst lieben! Sie theilen Turners Leben in zwei
Hälften, die eine, wo er vernünftig, die andere, wo er ein Narr
war. Sie geben ihm einiges Talent für die ersten 1 5 Jahre seiner
Wirksamkeit, aber in dem Augenblicke, wo er ganz Herr seines
Werkzeugs ist, wo der Maler anfängt, in glühender Begeisterung
sein persönliches Ideal zu verkörpern , da weisen sie ihn aus dem
Reiche der Kunst und sperren ihn in’s Irrenhaus. Als in den 40 er
Jahren ein farbenglühendes Bild Turners der Münchener Pinakothek
angeboten wurde, wusste man dort, an die Conturen des Corne-
lius gewohnt, nur spöttisch darüber zu lachen. Aus seiner letzten
Zeit erzählt man, er hätte eine Landschaft auf eine Ausstellung ge-
schickt, die Jur}- habe dem Bilde nicht ansehen können, was oben
oder was unten gewesen, und habe cs verkehrt aufgehängt. Als
Turner später in die Ausstellung kam und der Irrthum gut gemacht
werden sollte, hätte er gesagt: »Nein, lassen Sie nur, meine Herren,
es wirkt so in der That besser«. Turner litt an einem Augenübel, kann
man häufig lesen, noch 1872 schrieb Liebreich einen in Macmillars
Magazine« abgedruckten Artikel, der die angeblich krankhafte Bild-
ung der Augen des grossen Landschafters mcdicinisch beleuchtete.
Nur so wusste der Deutsche diese Bilder zu erklären, die impres-
XXV. Die Anfänge des Paysage intime
295
Turner: Sonnenaufgang im Nebel.
sionistisch sind, obgleich sie um die Wende des Jahrhunderts ge-
malt wurden. Für ophthalmologische Absonderlichkeiten wurden die
goldenen Träume Turners gehalten, weil Niemand im Stande war,
an Grösse der Empfindung, Wucht und Poesie der Ausdrucksmittel
dem Maler des Augenblickseindrucks zu folgen.
In Wahrheit ist Turner von Anfang an derselbe gewesen. Er
kreiste wie die Motte um’s Feuer, verlangte gleich Goethe immer
nach mehr Licht, wollte das Unmögliche thun und die Sonne malen.
Um sein Ziel zu erreichen, war ihm nichts zu schwer. Lange be-
scheidet er sich, stellt sich unter die Nachfolger des Lichtmalers
par excellence, studirt, analysirt, copirt Claude Lorrain, nimmt voll-
kommen dessen Stil an, malt Bilder, die Claude an Grossartigkeit
und Leuchtkraft der Farbe todtschlagen. Das Gemälde der Erbauung
Karthagos durch Dido ist für diese Phase vielleicht die bezeichnendste
Leistung. Man fühlt, diese Architekturmassen sind nur des Malers
wegen da, dieser Baum des Vordergrundes ist nur so gepflanzt, damit
der Hintergrund desto mehr zurücktritt. Die Farbe ist prächtig, aber
noch schwer. Durch die Combination der Principien der classicist-
Turner : Child Harold.
ischen Zeichnung mit einem ganz modernen Gefühl für Atmosphäre
ist häufig etwas Chaotisches, Verwirrtes in die Compositionen dieser
Jahre gekommen. Erst in der Stunde, wo man ihm sagt: Sie sind
der wahre Claude Lorrain, antwortet er: Jetzt verlasse ich die Schule
und beginne Turner zu sein. Nun braucht er Claudes einrahmende
Bäume nicht mehr, um das Licht bis in die Ecken seiner Bilder
strahlend ausströmen zu lassen. Zunächst beschäftigen ihn die atmo-
sphärischen Erscheinungen im Lande des Nebels. Dann, als ihm
das ewige Grau zu spleenig wird, geht er zur erschlaffenden, wol-
lüstigen Sinnlichkeit der südlichen Meere, sucht im Lande der Sonne
die volle Verkörperung seiner Träume vom Licht. Es ist unmöglich,
in Worten eine Vorstellung vom Wesen Turners zu geben, auch
Nachbildungen können nur lalsche Begriffe erwecken. »Raketen
rauschten auf, Kanonenschläge donnerten, Leuchtkugeln stiegen,
Schwärmer schlängelten und platzten, Räder zischten, jedes erst ein-
zeln, dann gepaart, dann alle zusammen und immer gewaltsamer
hintereinander und zusammen«. So hat Goethe — in den »Wahl-
verwandtschaften« — ein Feuerwerk beschrieben, und diese Stelle,
an die Helferich erinnerte, vermittelt vielleicht am ehesten den Ein-
druck von Turners Bildern. Um auf kleinem Raum möglichst viel
Licht zu sammeln, nimmt er die Perspective weit und tief, den
Himmel grenzenlos, das Meer als Reflector des Lichts. Er wollte
Turner: Der Temeraire.
298
XXV. Die Anfänge des Paysage intime
Turner: Tod des Admirals Nelson in Trafalgar.
dazu gelangen , die flüssige, leuchtende Tiefe des Himmels wieder-
zugeben, ohne die Erde als Vergleichsobjekt, und diese Studien,
die nur den Himmel zum Gegenstand haben, sind vielleicht seine
erstaunlichsten Arbeiten. Ueberall, bis an den Rand des Gemäldes
ist Licht. Alle Abstufungen des Lichtes, von der silbernen Morgen-
dämmerung bis zum goldenen Glanz des Abendrothes hat er gemalt.
Vulkane speien unter Zischen und Explosionen ihre Lava aus, die
die erzitternde Luft glühend macht und deren flimmernde Farben
die Augen blenden. Der Gluthball der Sonne steht hinter Nebel
und verwandelt den ganzen Aether in feinen goldenen Dunst. Im
Sonnennebel fahren einige Schilfe, man kann nur einen raschen
Blick in die blendende Lichtmasse wagen, aber das Gedächtnissbild
ist in des Malers Kopf fertig — er malt, was er sah und weiss
damit überzeugend zu wirken. Dabei wird die Anordnung immer
freier und leichter, die Pinselführung immer duftiger und zügel-
loser, die Färbung und Gesammtstimmung immer märchenhafter,
phantastischer. Seine Welt ist ein Sonnenland, in dem die Realität
der Dinge verschwindet, nur das Licht noch lebt, das zwischen dem
Auge und den Dingen sich ausbreitet. Bald malt er die Menschen-
XXV. Dif. Anfänge des Paysage intime
299
Turner: Sonnenaufgang im Winter.
kraft im Kampf mit Naturphänomenen, wie »Feuer auf See«, das
»Dampfschiff im Seesturm«, der »Eisenbahnzug in Regen und Sturm ,
bald ganz der Phantasie entsprungene, poesiereiche Farbespiele, wie
»die Sonne Venedigs«. Der grösste Farbendichter, der kühnste Poet
unter den Landschaftern aller Zeiten! In ihm hat Englands Malerei
ihre höchste Macht entfaltet, wie in Byron und Shelley, den beiden
Kraftmenschen, die englische Phantasie am stolzesten und leuchtend-
sten ihr Sturmpanier entrollte. Es gibt nur einen Turner, und Ruskin
ist sein Prophet.
Auch als Mensch war er eines der Originale, wie sie nur im
Lande des Spleens gedeihen. Nicht der raffinirte Gourme, den man
nach seinen Bildern erwartet, — ein spießbürgerlicher, prosaischer,
plumper Gesell. Eine untersetzte, stämmige Figur mit breiten Schul-
tern und zähen Muskeln glich er eher einem Capitän der Handels-
marine, als einem Jünger Apolls, war sparsam bis zum Geiz, unbeleckt
von aller Cultur, selbst von den Regeln der Orthographie, unzugäng-
lich und schweigsam. Wie die meisten grossen Landschafter des Jahr-
hunderts, stammte er aus der Grossstadt. In dem dunkeln Hinterhaus
einer kleinen nebligen Gasse des alten London, in der Umgebung
einförmiger, angerauchter Miethskasernen, war er am 23. April 1775
300
XXV. Die Anfänge des Paysage intime
als Sohn eines Barbiers geboren. Seine Laufbahn war die eines
Musterknaben. Mit 15 Jahren stellte er in der Royal Academy aus;
als er 18 alt war, wurden schon Kupferstiche nach seinen Zeich-
nungen angefertigt, mit 20 war er bekannt und mit 27 wurde
er Mitglied der Akademie. Seine ersten Einnahmen erwarb er als
Prospekten Zeichner durch die exakt saubere Anfertigung kleiner Ab-
bildungen englischer Landsitze und Schlösser, — Zeichnungen, die
damals die Stelle der Photographien vertraten und für die er drei
Francs pro Stück nebst einem Souper erhielt. So kam er viel in
England herum und soll auf einem seiner Ausflüge eine Liebesge-
schichte ä la Lucie von Lammermoor erlebt haben, die ihm derart
zu Herzen ging, dass er sich vornahm, zeitlebens Junggeselle zu
bleiben. 1808 wurde er an der Akademie Professor der Perspective,
über die er, wie es heisst, die confusesten Dinge vortrug. Sein
Vater musste nun das Barbiergeschäft aufgeben und zu ihm ziehen,
aber er beschäftigte ihn damit, dass er ihn Bretter sägen, hobeln
und zusammennageln liess, die er, mit gelber Farbe bemalt, als
Rahmen für seine Bilder verwendete. Derselbe Geiz hielt ihn ab,
sich je ein bequemes Atelier zu schaffen. Er hauste in einer ärm-
lichen Wohnung, in der er keinen Menschen empfing, speiste in
einem Restaurant primitivster Art, führte bei seinen Ausflügen sein
Mittagessen in Papier eingewickelt bei sich und war sehr dankbar,
wenn Jemand ihm ein Glas Wein dazu anbot. Sein Fleiss war label-
haft. Jeden Morgen Punkt 6 Uhr stand er auf, schloss die Thüre
ab und arbeitete mit derselben schrecklichen Regelmässigkeit Tag für
Tag. Ebenso unpoetisch wie sein Leben war sein Ende. Mehr-
facher Familienvater, ohne eine Frau gehabt zu haben, lebte er in
seinen letzten Jahren mit einer alten Haushälterin zusammen, die ihn
streng im Joch hielt. Entfernte er sich für längere Zeit von Hause,
so gab er vor, Studien halber »nach Venedig« zu reisen — bis
schliesslich ein im Ueberzieher vergessener Brief die biedere Haus-
hälterin belehrte, dass das Ziel all dieser Reisen nie Venedig, son-
dern nur die Vorstadt Chelsea war. Sie fand ihn dort unter dem
Namen Booth in einer Dachwohnung, die er einer andern Maitresse
gemiethet. In dieser kleinen Mansarde, fast noch ärmlicher, als das
Zimmer des Hinterhauses, in dem er geboren ward, — endete der
Maler des Lichtes, und um dem traurigen Tod ein Atom von Poesie
zu gesellen, fügt Ruskin hinzu, dass das Fenster nach Sonnenunter-
gang lag und das brechende Auge des Malers noch die letzten
XXV. Dif. Anfänge des Paysage intime
301
Strahlen der Sonne
empfing, die er so oft
in glühenden Hym-
nen besungen. Er
hinterliess bei seinem
Tode zahllose Werke,
mehrere Millionen
und unsterblichen
Ruhm. Dieser Ge-
danke an Nachruhm
hat ihn seit seiner
Jugend beschäftigt.
Nur so erklärt sich,
dass er bis zum Tode
das Leben eines arm-
en Studenten führte,
beim Verkauf seines
Liber studiorum Sa-
chen that, die eng an
Betrügerei grenzen,
alle Werke aber, mit
denen er ein Vermögen hätte machen können, für sich behielt. Er
vermachte sie — im Ganzen 362 Oelbilder und 19,000 Zeichnungen
nebst drei Millionen dem Staate und verlangte nur, dass die zwei
besten Bilder in der National Galery zwischen zwei Claude Lorrains
hängen sollten. Weitere 1000 Pfund waren zur Errichtung eines Denk-
mals in der Paulskirche bestimmt. Hier im Pantheon Londons liegt
er neben Sir Josuah Reynolds, dem grossen Ahnen der englischen
Malerei, begraben — ein Phänomen ohne Vorläufer und Nachfolger.
Denn es braucht kaum bemerkt zu werden, dass Turner bei
seiner ausgeprägten Eigenart keinen Einfluss auf die Weiterentwick-
lung der englischen Malerei gewinnen konnte. So wenig wie der
Classicismus, kam das dramatische Fieber der Romantik hier zu
Worte. Nur die Poeten flüchteten in die Wildniss der Natur, be-
sangen den Glanz und die Mysterien der Gebirge, Blitz und Sturm,
die Macht der Elemente. In der Malerei gibt es kein Gegenstück
zu Scotts Schilderungen des schottischen Hochlands, zu Words-
worths Hymnen auf die englischen Seen oder zu der Richtung der
Landschaftsmalerei, die in Deutschland Lessing und Blechen vertrat.
Turner: Landschaft.
302
XXV. Dip. Anfänge des Paysage intime
Wordsworth ist gross und erhaben — die englische Malerei lieblich,
intim. Sie kennt keine alten Alpenschlösser und untergehenden Sonnen
Griechenlands. Turner als einzige Ausnahme besang die pompöse, grau-
sige, stürmische, herrliche, gewaltige, sublime, grandiose Natur, alle
andern haben gleich Gainsborough das Einfache, anspruchslos An-
muthige, jungfräulich Stille geliebt. England hat nichts Romantisches.
Zur selben Zeit, als Lessing seine Landschaften malte, erlebte Ludwig
Tieck eine bittere Enttäuschung, als er den Boden betrat, wo Shake-
speare die Hexenscene des Macbeth gedichtet. Ein düster melan-
cholisches Urpotpourri hatte er erwartet, und weiches, üppiges, culti-
virtes Land lag vor ihm. Was die dortige Landschaft auszeichnet,
ist eine seltsame Ueppigkeit, Hst Fettigkeit und Kraft der Vegetation.
An einem hellen Tage in der Coach hinauszufahren in’s Land,
gewährt dem Auge einen wundersamen Eindruck. Soweit der Blick
reicht, nach allen vier Himmelsgegenden über sanfte Thäler und
wellige Hügel ist ein endloser, grüner Rasenteppich gebreitet, Futter,
Gemüsepflanzen, Klee, Hopfen, herrliche Wiesen mit hohem saft-
igem Grase dehnen sich aus, hier und da steht eine Gruppe mächt-
iger, weithin Schatten spendender Eichen, rings sind Weideplätze,
von Hecken umgeben, wo das prächtige Hornvieh lagert und wieder-
käut. Um Bäume und Pflanzen liegt die feuchte Luft wie ein glän-
zender Dunst. Nichts Anmuthigeres in der Welt, nichts Zarteres,
als diese Farbentöne; man könnte stundenlang weilen und die
Wolken von Atlas, den feinen, luftigen Flaum, die weiche, durch-
sichtige Gaze betrachten, die in ihrem Silbernetz die Strahlen der
Sonne auffängt, mildert und nur lächelnd und schmeichelnd zur
Erde schickt. Auf beiden Seiten des Wagens ziehen unaufhör-
lich immer schönere Grasflächen hin, von Butterblumen, Wiesen-
königinnen, Maassliebchcn in weiten Streifen durchzogen. Eine fast
schmerzliche Lieblichkeit, ein seltsamer Zauber entduftet dieser uner-
schöpflichen Vegetation. Die Wassertropfen glänzen auf den Blättern
wie Perlen, die runden Wipfel der Bäume flüstern unter schwachem
Windhauch. Wie üppig gedeihen sie in diesen Lichtungen, luftig
entfaltet, immer verjüngt und benetzt von der feuchten Meerluft.
Und wie scheint der Himmel geschaffen, die Farben des Landes
zu beleben. Beim leisesten Sonnenblick lächelt die Erde mit köst-
licher Anmuth und die Kelche der Blumen entfalten sich zu tiefsaftigen
Farben. Mit der zärtlichen Liebe des Grossstädters und der kühlen
Beobachtung des Geschäftsmannes schaut der Engländer in diese Natur.
XX.V. Die Anfänge des Paysage intime
Der tagsüber in den Dunst-
qualm der City gehüllte Ge-
schäftsmann athmet freier,
wenn ihn Abends die Loco-
motive hmausschleppt in’s
Grüne. Mit scharfem, prak-
tischem Blick prüft er die
wogende Saat und denkt an
die Aussichten der Ernte.
Auch in den Werken der
englischen Landschafter wal-
tet der Geist dieser aufmerk-
samen, intimen, nichts we-
niger als romantischen Natur-
betrachtung. Sie dachten
nicht daran, gleich ihren
deutschen Genossen, kosmo-
politisch zu werden und
merkwürdige Punkte, je exo-
tischer, desto besser dem
Publikum zur Belehrung vor-
zuführen. Sie hielten sich
gleich Gainsborough an den
intimen Reiz der Orte, die sie kannten und liebten. An die Stelle
von Suffolk, das Gainsborough verherrlicht hatte, trat zunächst Nor-
wich als Centrum.
John Crome, old Crome genannt, der Gründer der machtvollen
Landschafterschule von Norwich, ist ein gesunder kräftiger Meister.
1769 arm in einer Provinzstadt, 100 Meilen von London, geboren,
erst Ausgeber eines Arztes, dessen Arzeneien er den Kranken über-
brachte, dann Lehrling bei einem Maler von Wirthshausschildern,
lebte er vollkommen abgeschnitten vom zeitgenössischen England.
Norwich war seine Geburtsstadt, sein lebenslänglicher Wohnort. Den
Namen Turner kannte er nicht, wusste nichts von Wilson, hatte
vielleicht nie Gainsboroughs Namen gehört. So sind seine Bilder
weder von der zeitgenössischen, noch der voraufgehenden englischen
Kunst beeinflusst. Was er wurde, dankt er sich und den Holländern.
Früh verheirathet und mit reicher Familie gesegnet, suchte er durch
Zeichenstunden in den Schlössern der Umgebung seinen Unterhalt zu
Ohl Crome: Die Umgebung von Norwich.
304
XXV. Die Anfänge des Paysage intime
erwerben und hatte dabei Gelegenheit, viel holländische Bilder zu sehen.
Als er in seinem Alter Paris kennen lernte, zu einer Zeit, da alle
Schätze der Welt im Louvre vereinigt waren, fand diese Begeisterung
für die Holländer neue Nahrung. Noch auf seinem Todtenbett hätte
er von Hobbema gesprochen. »Hobbcma, my dear Hobbema, how
I have loved you.« Hobbema ist sein Ahne, die niederländische
Kunst sein Vorbild.
Seine Bilder waren sämmtlich »exakte« Ansichten der Plätze,
die er liebte, weder componirte Landschaften noch »schöne Gegenden .
Crome hat unbefangen Alles gemalt, was ihm seine Grafschaft Norfolk
bot: verwitterte Eichbäume, alte Holzungen, Fischerhütten, einsame
Weiher, Wüsten von Haidekraut. Die Art, wie er Bäume malte,
ist ausserordentlich. Jeder hat seine eigene Physiognomie, sieht aus
wie ein lebendes Wesen, wie eine ernste nordische Persönlichkeit.
Er war namentlich der Specialist der Eiche, die später nur in Theo-
dore Rousseau einen gleich grossen Interpreten find. Dabei haben
seine Bilder der einfachsten Gegenden eine merkwürdige Grösse der
Anschauung, eine altmeisterliche coloristische Feinheit, die in jener
Zeit kein Anderer erreichte. Ein unerbittlicher Realist, zeichnete er
seine Naturporträts mit fast pedantischer Sorgfalt, wahrte ihnen aber
die coloristische Gesammthaltung dadurch, dass er, ein feiner Kenner
der Farbe, schliesslich Alles nach Art der Holländer in einen saftig
braunen Ton stimmte, der seinen schönen Wald- und Feldbildern
eine diskrete, vornehme Galerieschönheit gibt.
Crome brauchte lange Zeit, bis er sich Bahn brach. Er hat
zeitlebens nur zu mässigem Preis verkauft, für kein Bild über
50 Pfund bekommen. Auch sein Ende war bescheiden. Als Hand-
werker hatte er begonnen und starb 1821 als kleiner Bürger, dessen
einziger Erholungsort die Kneipe war. die Unterhaltung mit Matrosen,
Krämern und Handwerkern. Doch die Principien seiner Kunst über-
lebten ihn. Er hatte 1805 in Norwich, fern von allen Akademien,
einen Künstlerverband gegründet, mit jährlichen Ausstellungen und
gemeinsamem Atelier, das Jeder zu bestimmten Stunden benutzte.
Cotman, der Specialist der Esche, der jüngere Crome, Stark und
Vincent sind die Hauptvertreter der kräftigen Schule von Norwich,
durch die der Name dieser Stadt als Kunstcentrum in Europa ebenso
bekannt ward, wie ehedem die Namen Delft und Harlem.
Ihr Verhältnis zu den Holländern war das gleiche, wie in Frank-
reich das Georges Michels oder bei uns das Achenbachs. Sie zeigten
XXV. Dir Anfänge des Paysage intime
30)
was sic sahen, rundeten es auf bild-
mässige Wirkung ab und stimmten
das Ganze in einen feinen braunen
Ton zusammen. Sie fühlten sich
zur Form mehr als zur Farbe der
Dinge gezogen ; diese war nur im
Sinne der Holländer eine fein abge-
stimmte Epidermis. Der nächste
Schritt der englischen Maler war
der, dass sie als die ersten auch
diese holländische Phase über-
wanden und jene eigentlich moderne
Landschaftsmalerei begründeten, die
nicht mehr von der absoluten, con-
creten Realität der Dinge, sondern vom Milieu, der Atmosphäre aus-
geht, am Bilde weniger das fertig Gemachte, zeichnerisch Abge-
rundete, als den frisch erhaschten Natureindruck schätzt.
Kaum zehn Jahre sind vergangen, seit die »Freiluftmalerei«
ihren Einzug in Deutschland hielt. Man malt heute nicht mehr die
Dinge an sich, sondern malt sie in ihrer atmosphärischen Hülle.
Man liebt keine Landschaften mehr, die in neutraler, brauner Sauce
schwimmen, sondern stellt die Dinge dar umflossen von Licht und
Luft. Man will keine braunen Bäume und Wiesen mehr, denn das
Auge hat bemerkt, dass Bäume und Wiesen grün sind. Man begnügt
sich nicht mit unbestimmter Atelierbeleuchtung und conventionellem
Galerieton, sondern man verlangt die Stunde, denn man weiss, dass
Morgenstimmung eine andere ist als Nachmittagbeleuchtung. Diese
Entdeckungen die der modernen Landschaftsmalerei ihren feinsten,
duftigsten Reiz verliehen, haben die Engländer gemacht.
Gerade der englische Nebel, die Feuchtigkeit und Schwere der
Atmosphäre musste die englischen Landschafter früher, als die der
anderen Nationen auf die Beobachtung des Licht- und Luftlebens
drängen. In einem Land, wo der Himmel ohne Wolken ist, in
reiner, trockener, glänzender Luft sieht man nur Linien. Der
Schatten fehlt und ohne Schatten ist das Licht ohne Werth. Des-
halb waren die alten italienischen Classiker nur Zeichner: sie wussten
den Werth des Sonnenscheins nicht höher zu schätzen , wie der
Millionär den Werth eines Groschens. Die Engländer kannten den Reiz
auch des spärlichsten Lichtstrahls, der sich wie ein Keil durch eine
Muther, Moderne Malerei II.
John Constable.
20
XXV. Dik Anfänge des Paysage intime
Constable: Die IVasserwiesen bei Salisbury.
Mauer von Wolken schiebt. Die ganze Natur ihres Landes, wo selbst
an schönen, ruhigen Sommertagen ein feuchter Nebel seinen perl-
grauen Schleier über den Horizont breitet, leitete sie an, in den subtilen
Elementen von Luft und Licht die Stimmungsträger der Landschaft
zu sehen. Die Technik der Aquarellmalerei, die gerade damals einen
so grossen Aufschwung nahm, ermuthigte sie darin, das was sie sahen,
auch in ihren Oelbildern frisch und naiv, ohne Rücksicht auf die
altmeisterliche Tonscala zum Ausdruck zu bringen. John Robert
Cozens, »der grösste Genius, der je eine Landschaft gemalt«, hatte als
erster in modernem Sinn sich mit Aquarellmalerei beschäftigt, lom
Girtin hatte neue Methoden erprobt. Henry Edridge und Samuel Prout
waren mit ihren malerischen Ruinen, Copley Fielding und Samuel
Owen mit Marinebildern, Luke Clennel und Thomas Heaphy mit gra-
ziösen Schilderungen aus dem Landleben, Howitt und Robert Hills mit
Thierbildern hervorgetreten. Seit 1805 gab es eine Society of painters
in Watercolours, und dieser ausgedehnte Betrieb der Aquarellmalerei
konnte nicht ohne Einfluss auf die Oelmalerei bleiben. Die Aquarell-
technik gewöhnte den englischen Geschmack an jene Helligkeit des
Tons, die unserm auf Braun gestimmten Auge anfangs so bizarr
schien. Anstatt der dunkeln, braunen Grüntöne gaben die Aquarell-
XXV. Die Anfänge des Paysage intime
3°7
Constable: Die Wassermühle fii Dedham.
maler helle. Das Studium direkt vor der Natur resp. die Vollendung
des Bildes vor der Natur und im Freien lenkte ihre Blicke schneller
als die der Oelmaler auf Licht und Luit. Die leichtere, mehr impro-
visirende Technik führte sie von selbst auf den Gedanken, dass das
Abrunden auf bildmässige Wirkung nicht das letzte Ziel der Kunst
sei, sondern dass es in erster Linie darauf ankomme, die Frische des
Natureindrucks, diese so schwer zu ergreifende, so leicht welkende
Blume zu haschen.
Der erste, der diese Principien auf die Oelmalerei übertrug,
einer der grössten Bahnbrecher auf seinem Gebiete und eine der
mächtigsten Individualitäten des Jahrhunderts war John Constable.
East Bergholt, das kleine, hübsche Dörfchen, wo Constables
Wiege stand, ist 14 Meilen von Sudbury, dem Geburtsort Gains-
boroughs entfernt. Er wurde hier am n. Juni 1776 geboren, zur
selben Zeit, als Gainsborough sich in London niederliess. Sein Vater
war Müller, ein wohlhabender Mann, der 3 Windmühlen in Bergholt
in Gang hatte. Der andere berühmte Müllerssohn der' Kunstgeschichte
ist — Rembrandt. Erst wollte man hoch mit ihm hinaus, er sollte
Geistlicher werden, doch er fühlte sich in der Windmühle mehr, als
in der Schulstube zu Hause und wurde gleich seinen Vorfahren
20*
XXV. Dif. Anfänge des Paysage intime
Müller. Die Beob-
achtung der Veränder-
ungen des Himmels ist
ein wesentlicher Theil
im Beruf eines Wind-
müllers, und diese Be-
schäftigung seiner Ju-
gend scheint nichtohne
Einfluss auf den zu-
künftigen Künstler ge-
blieben zu sein — kei-
ner vor ihm hatte so
aufmerksam den Him-
mel betrachtet.
Ein Herr Dun-
thorne, ein sonderbarer
Kauz, zu dem der
Knabe oft kam , gab
ihm — immer im
Freien — den ersten
Unterricht, ein An-
rs.
derer seiner Gönner, ein Herr Beaumont, beurtheilte das Gemalte
als ästhetisch gebildeter Kenner. Wenn ihm Constable eine Studie
zeigte, fragte er: »Wohin willst Du deinen braunen Baum setzen:
Denn das war ein Hauptparagraph seiner Aesthetik: Ein gutes
Gemälde muss die Farbe einer guten Geige haben — braun. Der
Aufenthalt in London blieb auf ihn ohne Einfluss. Constable war
23 Jahre alt, ein hübscher, junger Mensch mit dunklen Augen
und feinem, ausdrucksvollem Gesicht, als er 1799 seinem Lehrer
Dunthorne schrieb: »Diesen Morgen wurde ich als Student in die
Royal Academy aufgenommen, meine Probearbeit war eine Zeichnung
nach einem griechischen Torso. Ich wohne Cecil Street 23«. Als
»der hübsche, junge Müller von Bergholt« war er bei den Londoner
Mädchen bekannt. Er unternahm die verschiedensten Dinge, copirte
Bilder von Reynolds, malte ein Altarbild »Christus die Kinder seg-
nend«, das von Niemandem als von seiner Mutter bewundert ward.
Daneben studirte er in der Nationalgalerie Ruysdael, dessen Werke
einen grossen Eindruck auf ihn machten. 1802 erscheint er zum
ersten Mal in den Katalogen der Royal Academy als Aussteller einer
XXV. Die Anfänge des Paysage intime
309
Landschaft und war
seit dieser Zeit bis zu
seinem Todesjahr 1837
alljährlich — im Gan-
zen mit 104 Bildern
— dort vertreten. In
den ältesten, — Wind-
mühlen und Dorfpar-
tien — ist noch alles
Einzelne sorgfältig aus-
geführt, an den Bäu-
men jeder Zweig, an
den Häusern jeder Zie-
gelstein gemalt, aber
man athmet noch
keine Luft, sieht noch
keinen Sonnenschein.
Da schreibt er 1803
seinem alten Freund
Dunthorne einen sehr
wichtigen Brief: »Die
letzten zwei Jahre bin ich nur Bildern nachgelaufen und hab mir die
Wahrheit aus zweiter Hand geholt. Ich habe nicht daran gedacht, die
Natur so zu malen, wie ich sie fühlte, sondern glaubte meine Bilder
in der Weise vollenden zu müssen, dass sie aussahen wie die Werke
anderer. Jetzt bin ich zu dem Entschluss gekommen, in diesem Sommer
die Galerie nicht wieder zu sehen. Ich will nach Bergholt zurückkehren
und versuchen, das was ich sehe, ganz unaffectirt und einfach zu
malen, wie ich es sehe. In der Ausstellung ist noch kein Bild von
der Aufrichtigkeit, wie sie nach meiner Ansicht der Landschafter haben
sollte. Es ist Raum für einen Naturmaler.« Er verlässt London und
arbeitet 1804 den ganzen Sommer in Helmingham Park in Suffolk,
»ganz allein zwischen den alten Eichen. Nachts schlaf ich im un-
bewohnten Pfarrhaus, Menschen sehe ich nur, wenn ich in einem
Bauernhaus meine Mahlzeit kaufe.« Und jetzt erst, auf’s Land zurück-
gekehrt, fand er sich selbst wieder. »Ich habe nie in der Natur
Landschaften gesehen , wie sie Wilson und Claude malten — aber
ich male ein glücklicheres Land — mein liebes England. Für mich
sind Malerei und Empfindung zwei Worte für das nämliche Ding.
IO
X.XV. Dif. Anfänge des Paysage intime
Constable: The Glebe Farm.
Die Ufer des Stour sind für immer in meinem Denken mit meiner
Kindheit verknüpft. Sie haben mich zum Maler gemacht und diese
Erinnerung macht mich dankbar.« Er hatte seine ganze Jugend
zwischen den lieblichen Thälern und üppigen Wiesen von Bergholt
verlebt, wo die Heerden weideten und die Käfer summten, hatte
sich herumgetrieben an den sanften Ufern des Stour, in den grünen
Wäldern von Suffolk, zwischen alten Landhäusern und Kirchen,
Meiereien und malerischen Bauernhäusern. Diese Natur, die er als
Knabe lieben gelernt — sie malte er auch. Er war der Maler der
cultivirten, englischen Landschaft, der Schilderer des Landlebens,
der Kanäle und Boote, der Windmühlen und Schlösser. Er hatte
den Geschmack für die ganz einfache Natur, die überall die Spuren
der Thätigkeit des Menschen zeigt: für Aecker und Dörfer, Obst-
gärten und Getreidefelder. Ein Stück Wiese, eine Schleuse mit etwas
Gesträuch, eine verästete, zerfaserte Baumgruppe, das genügte, ihn
mit Gedanken und Empfindungen zu erfüllen.
Aehnliches hatte schon Gainsborough gemalt, doch Constable
bezeichnet über ihn, wie über Crome hinaus einen Fortschritt. So
intim Gainsborough war, so neigte er doch von Natur dazu, die
XXV. Die Anfänge des Paysage intime
Dinge zu verschön-
ern; er wählte aus
und gab ihnen eine
Feinheit der Anord-
nung, eine Grazie der
Linien, diesieinWirk-
lichkeit nicht haben.
Constable als erster
verzichtete auf jede
zurechtstutzende,
willkürlich arrangir-
ende Composition.
Ueber Crome erhebt
ihn seine Kühnheit
in der Wiedergabe
des persönlichen Ein-
drucks. Crome wirkte
hauptsächlich durch
seine Exaktheit ; er
schilderte was er sah ;
Constable zeigte, w i e
er es sah. Während
jener im Anschluss an
Hobbema seinen Bildern einen altmeisterlichen Galerieton gab, schaute
Constable mit seinen eigenen Augen in die Welt: der erste, ganz
auf sich stehende, moderne Landschafter. Er hatte in seinen jungen
Jahren nach Claude, Rubens, Reynolds, Ruysdael, Teniers und Wilson
Copien gemacht, die mit Originalen verwechselt wurden, hatte später
viel von Girtins Aquarellen gelernt. Seitdem fühlte er sich kräftig
genug, seinem eigenen Auge zu vertrauen. Er schlug Alles in den
Wind, was bisher als Hauptbestandtheil der Schönheit betrachtet ward,
verzichtete auf bildmässige Abrundung; schnitt die Bäume mitten
durch, um nur das, was ihn interessirte, ins Bild zu bekommen.
»Was, immer die alten Meister ansehen, niemals das Feld, das Gras,
die Sonne, immer die Galerien und nie die Schöpfung! Die Welt
ist weit, nicht zwei Tage sind gleich, nicht einmal zwei Stunden;
noch hat es seit Schöpfung der Welt zwei Baumblätter gegeben,
die einander gleich waren — die echten Kunstwerke sind , wie die
Werke der Natur, ebenfalls sämmtlich von einander verschieden.«
XXV. Die Anfänge des Paysage intime
Und so stellte er
sich frisch in s Grüne ;
die Nachtigallen san-
gen. die Blätter rausch-
ten. die Wiesen grün-
ten. die Wolken leuch-
teten. Das 15. Jahr-
hundert brachte die
zierlichen Frühlings-
bäume Peruginos, das
17. die hellen Früh-
lingstage der beiden
Vlaamen Jan Silber-
echts und LucasUden;
im 1 9. wurde Con-
stable der erste Maler
des Frühlings. Wenn
Herr Beaumont ihn
jetzt fragte , wo er
seinen braunen Baum
hinsetze , antwortete
er: »Nirgends, denn ich male keinen mehr. Ersah, dass das Laub
im Sommer grün ist und — malte es so ; er sah, dass sommerlicher
Regen und Morgenthau das Grün noch intensiver als gewöhnlich
erscheinen lässt, und — malte, was er sah. Er bemerkte, dass in
der Sonne die grünen Blätter funkeln und glitzern und schimmern —
und malte sie so ; er sah, dass das Licht, wenn es auf helle Mauern
fällt, blendet wie Schnee in der Sonne — und malte es so. Ueber
diesen »Schnee Constables wurde damals viel gespottet, und doch
bauten auf dieser Lichtmalerei nicht nur alle folgenden Engländer,
auch die Meister von Barbizon und später Manet weiter.
Das Problem der Licht- und Luftmalerei, das die ältere Schule
ungelöst zurückgelassen, ward erst von ihm in seinem ganzen Um-
fang aufgenommen. Noch Crome hatte sich sehr reservirt gegen-
über den atmosphärischen Elementen verhalten. Constable war der
erste Landschafter, der wirklich die Luft sah und das Licht zu malen
lernte. Sein Bestreben war, empfindungsvoll den Eindruck einer
Lichtstimmung festzuhalten , ohne mit der nur dem analysirenden
Auge wahrnehmbaren Wiedergabe der Einzelheiten sich aufzuhalten.
XXV. Die Anfänge des Paysage intime
Während bei den alten Holländern das Schwergewicht auf der zeich-
nerischen Wirkung der Gegenstände liegt, ruht es hier auf dem
Licht, gleichviel um welche Dinge es spielt. Dadurch befreite
Constable die Landschaftsmalerei von den architektonischen Gesetzen
der Composition. Man brauchte sie nicht mehr, seitdem der Satz
ausgesprochen, dass die Luftstimmung dem Bilde den Werth gebe
über den Gegenstand hinaus. Er studirte nicht nur Erdboden und
Laubwerk in ihren durch die Atmosphäre bedingten Tönen, er
beobachtete auch den Himmel, die Luft- und Wolkenbildungen mit
der Gewissenhaftigkeit des Physikers. Die Bemerkungen, die er
darüber niederschrieb, sind so fein, als die in Ruskins berühmter
Schrift über die Wolken. Eine Landschaft nach seinem Ausspruch
ist nur schön, je nachdem Licht und Schatten sie dazu macht, das
heisst, er begriff zuerst, dass die »Stimmung« einer Landschaft, wo-
durch sie zur menschlichen Seele spricht, weniger von ihren Linien,
von den Dingen selbst ausgeht, als von dem Licht und dem Schatten,
worin sie gebadet ist, und er war der erste Maler, der das Ge-
heimniss besass, diese subtilen Abstufungen der Atmosphäre zu
malen. Man hört den Wind in den Bäumen rauschen, fühlt die
Luft über das Getreide wehen, sieht das Sonnenlicht über die Blätter
hüpfen und auf dem klaren Spiegel der Gewässer spielen. So malte
Constable zum ersten Mal die ganze Frische der Natur. Sein
Schaffensprincip ist völlig entgegengesetzt dem, das später die Prä-
raphaeliten befolgten. Während diese durch treu mühsame Ausführung
aller Einzelheiten das Naturbild zu reconstruiren suchen, worunter
gewöhnlich der Eindruck des Ganzen leidet, sind Constables Bilder
breit und wuchtig gemalt, oft rauh und brutal, bald feierlich, bald
elegant, stets zwingend, einheitlich und frisch.
Ein Genie, das seiner Zeit vorauseilte, wird immer in seiner
ganzen Bedeutung erst dann erkannt, wenn die folgenden Genera-
tionen es einholen. Das hatte auch Constable zu fühlen. Er ist
1837 in Armuth geendet, in Hampstead, dem bescheidenen »Land-
aufenthalt« , wo er den grössten Theil seines Lebens verbrachte.
»Meine Malerei erinnert an Niemanden, sie ist weder glatt, noch
niedlich — wie kann ich hoffen, populär zu sein! Ich arbeite nur
für die Zukunft.« Diese gehörte ihm.
Constables mächtige Individualität hat bleibende Früchte ge-
zeitigt und der englischen Landschaftsmalerei zu jener hohen Blüthe
verholfen, deren sie sich in den 40 er und 50 er Jahren erfreute,
XXV. Die Anfänge des Paysage intime
David Cox: ‘Bolton Abbey.
David Cox steht mit seinen glänzenden, reichen, kühn und farbig
gemalten Bildern wohl als der grösste von Constables Nachfolgern
da, — wie dieser ein Bauer, der mit der Einfachheit des Landmannes
die Natur betrachtete. Er war in einem kleinen Ort bei Birming-
ham 1783 geboren als der Sohn eines Schmieds und siedelte nach
kurzem Aufenthalt in London mit seiner Familie nach Hereford,
später nach Harbornc in der Nachbarschalt von Birmingham über.
Das Stück Land, das er von seinem Haus überschaute, war fast
ausschliesslich sein Studienfeld. Er wusste, dass der Maler sein Leben
auf dem gleichen Erdwinkel zubringen kann, ohne dass das Natur-
schauspiel, das sich vor ihm abrollt, je sich erschöpft. Lebt wohl,
Bilder, lebt wohl«, soll er gesagt haben, als er am Tag vor seinem
Tode den letzten Spaziergang um die Wälle von Harborne machte.
Ueber die Art, wie er die Landschaftsmalerei auffasste, hat er in
seinem »Treatise on Landscape Painting« 1814 gehandelt: In der
Natur den zwingendsten Effekt sehen, Alles, was nicht dem Cha-
rakter entspricht, weglassen, und es lässt sich an Cox’ Bildern ver-
folgen, wie er, je reifer er wurde, desto mehr diesem Ideal sich
näherte. Die Magie seines Pinsels ist nie bestrickender als in den
Werken seines letzten Jahres, als er, von einem Augenleiden befallen,
XXV. Die Anfänge des Paysage intime
315
nicht mehr deutlich sehen
konnte und nur noch den
Eindruck des Ganzen gab.
Cox ist ein grosser, kühner
Meister. Der Städter, Monate
lang in einem Steinmeer ein-
geschlossen, beginnt, wenn
er auf’s Land kommt, nicht
damit, die Bäume, Blätter und
auf dem Boden liegenden
Steine zu zählen. Er thut
einen langen Athemzug und
sagt: welches Labsall Auch
Cox hat nicht im Sinne der
Praeraphaeliten die Einzel-
heiten gemalt. Er erzählte
von dem sanften Wind, der
über die englischen Wiesen
streicht, der frischen Rein-
heit der Luft, den Stür-
men, die die Landschaft von
Wales durchschüttern. Ein
feines Silbergrau ist über die meisten Bilder gebreitet, sein Vortrag
ist mächtig, nervös.. Die endlose Tiefe des Himmels in seinen tau-
senderlei Beleuchtungen, bald tiefblau in hellem Mittagsschein, bald
unheimlich düster und zerrissen, hat er mit Vorliebe, sowohl in
Gemälden wie in kühn behandelten Aquarellen besungen. Der
Ruhm des grössten englischen Aquarellisten wird ihm unbestritten
sein und hätte er von Jugend auf in Oel gemalt, wäre er wohl
überhaupt der bedeutendste englische Landschafter geworden. Seine
kleinen Bilder sind fein und rein in der Farbe, frisch und luftig
in der atmosphärischen Stimmung. Nur bei grossen versagte ihm
zuweilen die Kraft. Er hatte erst in späteren Jahren die Oelmalerei
erlernt, wobei ihm ein weniger bedeutender Künstler, aber sehr
grosser Maler, der jung verstorbene William Müller, als Führer zur
Seite stand.
Das war einer der Geschicktesten unter den Geschickten, neben
Turner der grösste Virtuos der englischen Malerei. Wäre er ein-
facher und ruhiger, könnte man ihn einen Genius ersten Ranges
IV. Müller: Die Ruinen von T/oss.
3i6
XXV. Die Anfänge des Paysage intime
William Müller: Das Löwengrab in Xantbas.
nennen. So hat er zuweilen einen Stich in’s Theatralische, das nicht
immer, aber gelegentlich durchbricht, eine Neigung zum Gepränge,
nichts von jener Selbstgenügsamkeit und stillen Zartheit, mit der
Constable und Cox sich in den Boden ihrer Heimath versenkten.
Er bemühte sich, der kleinen, unscheinbaren englischen Landschaft
einen grossen erhabenen Zug, dem Gewöhnlichsten einen pretiösen
Anstrich zu geben. Seine Bilder sind grandios in der Form, von
bewundernswerther Leichtigkeit der Hand, aber es fehlt ihnen Licht
und Luft, die englische Localfarbe und Atmosphäre. Ein Ausländer
der Sohn eines nach Bristol übergesiedelten Danziger Gelehrten,
hat Müller nicht mit dem Heimathsgefühl Constables in die
englische Natur geblickt. Ein englisches Kornfeld oder englisches
Dorf genügte ihm nicht, die familiäre Heimlichkeit des Landes im
Werktagskleid regte keine Empfindungen in ihm an.
Etwas in Müllers Phantasie, die mächtige Farben und plötzliche
Contraste mehr als feine Abstufungen liebte, führte ihn nach der
Natur des Südens. Im damals noch ungehobenen Orient war sein
natürlicher Platz. Hier fand er gleich Decamps und Marilhat die
mehr lebhaften als feinen Effecte, die sein Auge suchte. Zweimal
war er im Süden, das eine Mal 1838 in Athen und Aegypten , das
XXV. Die Anfänge dks Paysage intime
andere Mal 1843/44 in Smyrna, Rhodos und Lycien. In dem Jahre,
das ihm noch zu leben übrig blieb, fegte er jene Orientbilder hin,
die das Beste von ihm, sein Vermächtniss enthalten. Einzelne, wie
das Amphitheater von Xanthus, sind mit unheimlicher Verve gemalt,
nicht eines Tages Arbeit, sondern einer Stunde. All diese Berg-
schlösser auf schroffen Felsen, diese Ansichten der Akropolis und
aus Aegypten sind wahre Meisterstücke breiter Malerei, die Farbe
klar, das Licht bewunderns werth. Keiner der vielen Franzosen, die
gleichzeitig im Süden waren, hat dessen Sonnenschein und glänzende
Atmosphäre in so schmeichelnd wollüstigen Tönen besungen.
Peter de Wint, viel wahrer und einfacher, war gleich Constable
und Cox wieder ganz an seinen Geburtsort gebunden. Wenigstens
dauerte sein Aufenthalt in Frankreich nur kurze Zeit und hintcrliess
keine Spuren in seiner Kunst. Von der Jugend bis zum Alter war
er der Maler Englands im Werktagskleid, der niedrigen Hügel von
Surrey, der Ebenen von Lincolnshire oder der düstern Canäle der
Themse, die er namentlich in unübertrefflichen Aquarellen schilderte.
Philips de Koning, der Rembrandtschüler , der Meister der holländ-
ischen Flachlandschaften und der grossen Horizonte, ist sein künst-
lerischer Ahne.
‘Boninglon : Die Windmühle von Saint- Jouin.
XXV. Die Anfänge des Paysage intime
318
Nach Cox und de Wint kam Creswick, arbeitsamer, geduldiger,
mehr auf Detail bedacht, mit vielleicht noch schärferem Blick für die
grünen Töne der Natur, doch mit geringerer Empfindung für das
Luftleben gerüstet. Man kann nicht sagen, dass er die Kunst vor-
wärts brachte, nur, dass er zum Studium Hobbemas und Waterloos
einen Respect für Licht und Sonnenschein fügte, den die Zeit vor
1820 nicht kannte. Zu denen, die ohne Constable nicht so wie sie
malten , gemalt haben würden, gehörten ferner noch Peter Graham
und Dawson , die sich speciell dem Studium des Wassers und des
Himmels widmeten. Henri Dawson malte die ärmlichsten, kümmer-
lichsten Gegenden — ein Stück Themse bei London oder einer Partie
aus dem rauchgeschwärzten Weichbild von Dover und Greenwich -
aber mit einer Kraft, die nur Constable hatte. Namentlich in der
Meisterschaft, Wolken zu malen, ist er unerreicht. Constable hatte
cs in diesem Sinne selten gethan. Er liebte den bewegten Himmel,
Wolken, die vom Winde gepeitscht, sich in unbestimmte Umrisse
auflösen, er sah in der Natur nur Spiegelbilder seiner eigenen un-
ruhigen , nach Farbe und Bewegung trachtenden Seele. Dawson
malte jene Wolken , die fest wie Gebäude am Himmel stehen
Wolkenkathedralen hat sie Ruskin genannt. Es gibt Bilder von ihm,
die fast aus nichts als einer grossen Wolke bestehen. Der weite Raum,
den unsere Augen als ihr eigentliches Gebiet betrachten, die Erde
fehlt: man sieht nirgends Farben und Formen, nur Wolken und
wallenden, gelblichen Nebel, in dem die Gegenstände wie verblasste
Phantome verschwinden.
John Linnell führte die Uebcrlieferungcn dieser grossen Zeit noch
in die neue Periode hinüber: Anfangs in goldigem Lichte schwelgend,
in Sonnenuntergängen und rosigen Dämmerwolken, später im Sinne
der Praeraphaeliten auf die genaue Durchführung des Körperlichen
bedacht.
Richard Parkes Boninglon, der junge mit 27 Jahren verstorbene
Meister, verbindet die englischen Classiker mit den französischen.
Engländer von Abstammung und Geburt, aber in Frankreich, wohin
er mit 1 5 Jahren gekommen, zum Maler ausgebildet, erscheint er in
manchem Betracht als eines der graziösesten Produkte der roman-
tischen Bewegung in Frankreich, hat aber gleichzeitig Qualitäten,
über die damals nur die Engländer, nicht die Franzosen verfügten.
Er bezog in Paris Gros’ Atelier, damals das bevorzugte Stelldich-
ein aller revolutionär gesinnten jungen Leute, doch wiederholte
XXV. Die Anfänge des Paysage intime
319
Reisen nach London Hessen
ihn auch Constable nicht
vergessen. In der Norman-
die und Picardie malte er
seine ersten Landschaften,
Hess darauf eine Reihe ve-
nezianischer Marinen und
kleine historische Scenen
folgen. Da ergriff ihn die
Schwindsucht und brauchte
nicht lange, ihn zu Hillen.
Am 23. September 1 828 starb
er in London, wohin er ge-
gangen war, eine Somnam-
bule zu befragen. In Folge
seines frühen Todes kam sein
Talent nicht zur Reife, doch
auch er war ein einfacher, na- ‘Boningtcn: Kathedrale.
türlicher, reiner sympathischer
Künstler. »Ich habe ihn genau gekannt und liebte ihn sehr. Seine
durch Nichts ausser Fassung zu bringende englische Ruhe nahm
ihm doch keine der Eigenschaften, die das Leben angenehm machen.
Als ich ihm zum ersten Mal begegnete, war ich selbst sehr jung und
machte gerade Studien im Louvre. Es war etwa 1816 oder 1817.
Er ein lang aufgeschossener junger Mann, der gerade eine vliimische
Landschaft copirte. Er hatte im Aquarell, das damals eine englische
Neuheit war. schon eine überraschende Geschicklichkeit. Einige, die
ich später bei einem Kunsthändler sah, waren ganz reizend in Farbe
und Composition. Andere moderne Künstler sind vielleicht mächtiger
und exakter als Bonington, aber Niemand in dieser modernen Schule
auch kein früherer vielleicht besass die Leichtigkeit der Ausführung,
die aus seinen Werken gewissermasscn Diamanten macht, von
denen das Auge geschmeichelt und bezaubert ist, ganz unabhängig
vom Gegenstand und der eigentlichen Naturwiedergabe. Von den
Costümbildern , die er später malte, gilt das ebenfalls. Ich konnte
nicht müde werden, auch hier seinen wunderbaren Sinn für Wirkung
und die grosse Leichtigkeit seiner Ausführung zu bewundern. Nicht
dass er schnell zufrieden gewesen wäre, im Gegentheil, er nahm oft
ganz vollendete Stücke, die uns wunderbar zu sein schienen, von
320
XXV. Die Anfänge des Paysage intime
Neuem vor. Aber seine Geschicklichkeit war so gross, dass er im
Augenblick unter seinem Pinsel neue Effekte fand, ebenso reizend
wie die ersten.« Mit diesen Worten hat der grosse Eugene Dela-
croix, sein -Genosse und Freund, das Porträt Boningtons gezeichnet.
Bonington war in jener romantischen Schule, in der er als einer der
ersten auftauchte, zugleich der delikateste und natürlichste. Er hatte
einen feinen Blick für die Eleganz der Natur, hat überall in ihr
Grazie und Schönheit gesehen, in hellen, klingenden Tönen von
Frühling und Sonnenschein erzählt. Das Spiel des Lichtes auf
schillernden Costümen und saftigem Wiesenrain hat kein Franzose
vor ihm so gemalt. Selbst seine Lithographien aus Paris und der
Provence sind Meisterwerke geistreich impressionistischer Beobacht-
ung: Eigenschaften, die er nicht Gros, sondern Constable dankte.
Er als erster vermittelte die Kenntniss des grossen englischen Clas-
sikers den jungen Leuten in Frankreich, und diese spannen in
Barbizon und Ville d’Avray die Fäden weiter, die Constable mit der
Gegenwart verbinden.
<2x0
XXVI.
Die Landschaft von 1830.
DERSELBE Salon von 1822, in welchem Delacroix seine Dante-
barke ausstellte, unterrichtete die Franzosen über die gew altige
Bewegung, die sich jenseits des Kanals vollzogen. Die eng-
lische Aquarellmalerei war glänzend vertreten durch Bonington, der
seine »Ansicht von Lillebonne« und die »Ansicht von Havre»
schickte. Anderes steuerten Copley Ficiding, Robson, John Varley
bei, und schon diese leichten, geistreichen Blätter mit ihren breit
hingewischten Himmeln und hellen, klaren Tönen wirkten gleich
einer Offenbarung auf die junge französische Generation. Man fühlte,
der Horizont werde sich aufhellen. 1824, zu gleicher Zeit, als
Delacroix’ Massacre erschien, ging die Sonne wirklich auf und brachte
die grosse Erleuchtung. Die Engländer hatten den Weg nach Frank-
reich gelernt, sie stürmten als Sieger den Louvre: John Constable
mit drei Bildern, Bonington, Copley Fielding, Harding, Samuel Prout
und Varley. Die Ausstellung gab der classicistischen Landschafts-
malerei den Lodesstoss. Michallon war 1822 jung verstorben, die
Bidault und Watelet vermochten nichts mehr gegen ein solches
Bataillon von Coloristen. Constable allein sprach ihre ewige Ver-
dammung aus. Weder mit Georges Michel, noch den grossen Hol-
ländern vertraut, hatten sie nicht bemerkt, dass man zu einer Land-
schaft einen Himmel braucht, der die Stimmung der Stunde, den
Charakter der Jahreszeit ausdrückt. Ja, gegenüber den frischen Strand-
skizzen Boningtons, den lichtgetränkten Schöpfungen der Aquarellisten
und den kühnen Bildern des Meisters von Bergholt mit ihrem hellen
Grün und ihrem wolkigen Horizont musste selbst das von Michel
Geleistete wie schüchterne Kalligraphie erscheinen. Die bis dahin
so furchtsamen französischen Landschafter sahen, dass trotz aller an-
gestrebten Naturwahrheit ihre Malerei doch noch Convention gewesen.
Constable hatte als der erste sich von jeder Schablone befreit, und
er wurde in Frankreich gehört. Die jungen Leute waren ausser sich
Muiher, Moderne Malerei II. 2 1
322
XXVI. Die Landschaft von 1830
über dies intensive Grün, diese bewegten Wolken, diese über-
schäumende, Alles beseelende Kraft. Noch wenig beachtet selbst
in England, erhielt er in Paris die goldene Medaille, fand seitdem
Geschmack an den Pariser Ausstellungen und hing noch 1827 im
Louvre an der Seite Boningtons, dessen helle Ebenen und klare,
leuchtende Himmel nur ein Jahr noch ihre guten Lehren gaben.
Zu gleicher Zeit brachte Boningtons damals ebenfalls in Paris an-
sässiger Freund und Landsmann William Reynolds einzelne seiner
kräftigen, oft so delicaten landschaftlichen Studien, deren zarte, graue
Noten schon wie Vorahnungen Corots wirken. Dieser Einfluss der
Engländer auf die Schöpfer des Paysage intime ist längst eine bekannte
Thatsache, seit ihn Delacroix selbst in seinem Aufsatz Qucstions
sur le bcau« in der Revue des deux mondes 1854 unumwunden
constatirt hat.
Gleich die nächsten Jahre verkündeten, welch Gähren Constable
in den unruhigen Geistern angerichtet. Die Jahre 1827 — 1830 be-
zeichnen die Geburtswehen der französischen Landschaft. 1831 war
sie geboren. In diesem Jahr, das in den Annalen der französischen,
ja der europäischen Kunst für immer gebucht ist, erschienen im Salon
zum ersten Male vereinigt all jene jungen Leute, die man heute als
die grössten des Jahrhunderts verehrt: alle oder fast alle Pariser
Kinder, Söhne kleiner Bürgersleute oder einfacher Handwerker, alle
im alten Stadtviertel oder in den Vorstädten inmitten öden Häusergc-
wühls geboren und schon dadurch gleichsam zu grossen Landschaftern
bestimmt. Denn es ist kein Zufall, dass der Paysage intime aus
London, der Stadt des Dampfes zunächst in die zweite moderne
Grossstadt, nach Paris übersprang und von da erst viel später nach
Deutschland gelangte.
Gedenkst du noch der Zeit — ruft Biirger-Thore im Widmungs-
brief zu seinem Salon von 1844 Theodore Rousseau zu — , erinnerst
du dich noch der Jahre, da wir auf den Fensterbrüstungen unserer
Mansarden in der Rue de Taitbout sassen, die Füsse am Rande des
Daches baumeln Hessen und das Gewinkel der Häuser und Kamine
betrachteten, die du, mit den Augen blinzelnd, Gebirgen, Bäumen
und Erdabrissen verglichst? In die Alpen, auf's fröhliche Land konntest
du nicht gehen und so schufst du dir pittoreske Landschaften aus
diesen scheusslichen Mauergerippen. Erinnerst du dich noch des
kleinen Baumes in Rothschilds Garten, den wir zwischen zwei Haus-
dächern erblickten? Es war das einzige Grün, das wir sehen konnten;
XXVI. Die Landschaft von 1830
323
jeder frische Trieb der kleinen Pappel erweckte im Frühling unsere
Theilnahme und im Herbst zählten wir die fallenden Blätter.«
Aus dieser Stimmung heraus wurde die moderne Landschafts-
malerei mit ihrer feinen stofflichen Bescheidenheit und ihrer nervös
gesteigerten Naturliebe geboren. Für den Deutschen bis zur Mitte
des Jahrhunderts war die Natur zu gewöhnlich, alltäglich, ein seelisches
Verhältniss zu ihr deshalb schwer zu erreichen. Die Landschafts-
malerei erblickte ihr Wesen darin, durch Vorführung geographisch
interessanter Punkte den Verstand zu beschäftigen oder durch Brillant-
feuerwerke kalte Neugier zu erregen. Diese Kinder der Grossstadt,
die mit herzlichem Antheil die keimenden und fallenden Blätter des
einzigen Baumes gezählt, den ihr kleines Mansardenfenster ihnen
zeigte, diese Träumer, die sich, mit den Augen blinzelnd, aus moos-
bewachsenen Dachrinnen, Schornsteinen und Schornsteinrauch in
ihrer Phantasie die schönsten Landschaften aufbauten , sie waren,
als sie hinauskamen auf’s Land, genügend vorgeschult, auch da, wo
er nur leise wehte, den Odem der grossen Allmutter zu fühlen.
Man denkt nicht an Geographieunterricht, wenn einem das Herz voll
ist, und man braucht keinen Tamtam, ist einem das Auge geöffnet.
Ihre Seele war sensibel, ihre Phantasie genügend erregt, dass sie
schon in den zartesten, diskretesten Klängen jubelnd das himmlische
Concert vernahmen, das die Natur mit beliebigen irdischen Instru-
menten jeden Augenblick aller Orten aufführt.
Sie alle hatten daher keine grossen Studienreisen mehr nöthig,
sie brauchten nicht weit zu gehen, um ihre Anregungen zu suchen.
Croissy, Bougival, Saint Cloud, Marly war ihr Arkadien ; nach den
Ufern der Oise, den Waldungen von L’Isle Adam, der Auvergne,
der Normandie, der Bretagne richteten sich ihre weitesten Reisen.
Am liebsten aber hielten sie sich im Wald von Fontainebleau auf,
das so — durch einen der merkwürdigen, oft in der Geschichte
wiederkehrenden Zufälle — zweimal eine höchst wichtige Rolle in
der Entwicklung der französischen Kunst gespielt hat. Vor 300 Jahren
war es das glänzende Centrum der französischen Renaissance, der
Sammelplatz jener italienischen Künstler, die im dortigen Palast einen
zweiten Vatikan, in Franz I. einen andern Leo X. finden. Auch
im 19. Jahrhundert hat sich die Renaissance der französischen Malerei
in Fontainebleau vollzogen, nur dass es sich nicht um eine Schule
manierirter Figurenmaler, sondern um eine Gruppe feinster Land-
schafter handelt. Aus kunstgeschichtlichem Pflichtgefühl betrachtet
21*
XXVI. Die Landschaft von 1830
324
man im Palast die eleganten Gött-
innen Primaticcios , die lachenden
Bacchantinnen Cellinis, des Cin-
quecento goldenen festlichen Glanz,
doch das Herz geht erst auf, wenn
man draussen im Walde auf dem
Boden steht, wo Rousseau und
Corot, Millet und Diaz malten.
Was gibt es zu empfinden, zu den-
ken, wenn man an einem träumer-
ischen Abend, allein und in sich ge-
kehrt, über die Haide des plateau
de la belle croix und durch den
Eichendom des Bas brbau nach Bar-
bizon schlendert, dem Mekka der
modernen Kunst, wo die Geheim-
nisse des Paysage intime durch die
Nymphe von Fontainebleau den Pa-
riser Landschaftern offenbart wurden. Einst bauten die Menschen
nach dem Vorbild majestätischer Baumhallen ihre himmelstrebenden,
gothischen Dome. In den hohen Spitzbogenwölbungen schwebte
düster und feierlich Weihrauchdampf, durch gemalte Scheiben leuch-
tete ahnungsvoll gebrochen das Tageslicht; über dem Altar, vom
Schein der Lampen und Lichter umgaukelt, winkte das schöne Bild
einer Heiligen, wunderlich schimmerten vergoldete Schnitzereien und
überwältigend rauschten im Orgelklang die Töne Badi scher Fugen
durch den gottgeweihten Raum. Heute haben sich die gothischen
Dome wieder in Baumhallen verwandelt. Die himmelstrebenden Eichen
sind die Strebepfeiler, das Astwerk der Lettner, die Wolken der Weih-
rauch, der durch die Blätter säuselnde Wind der Orgelklang, das
Altarbild die Sonne. Der Mensch ist wieder Feueranbeter wie in
seiner Kindheit, die Kirche zur Welt, die Welt zur Kirche geworden.
Wie geht einem die Seele auf beim Amselschlag unter dem schattigen
Laubdach der mächtigen, urweltlichcn Eichen. Wie fühlt man sich
zurückversetzt in ein verschollenes saturnisches Zeitalter, da der Mensch
in seligem Einsscin mit der Natur noch ein ungebrochenes heiteres
Dasein lebte. Denn urwüchsig ist dieser Park noch immer, trotz
aller Fahrstrassen, die ihn heute durchkreuzen, trotz aller Fremden-
führer, die auf den Granitblöcken der Schluchten von Opremont
Theodore Rousseau.
XXVI. Die Landschaft von 1830
Gelbgrün
schillerndes Farren-
kraut deckt wie ein
Teppich den Boden.
Grosse Felsenmeerc
unterbrechen die
Holzungen. Wohl nir-
gends in der Welt
recken solche Pracht-
buchen und majestä-
tischen Rieseneichen
ihre knorrigen Aeste
gen Himmel, da in
ihrer üppigen Herr-
lichkeit sich entfalt-
end, dort durch den
Blitz versengt und
durch winterliche
Kälte erfroren. Ge-
rade solche Scenerien
der Zerstörung geben
die grandiosesten,
wildesten, ernstesten
Bilder. Die Gewalt der grossen Naturkräfte, die Eichen wie Disteln
köpft, kommt nirgends in dem Maasse zum Bewusstsein.
Barbizon selbst ist ein kleines Dorf, drei Meilen nördlich von
Fontainebleau, nach alten Ueberlieferungen von Räubern angelegt,
die ehemals im Walde hausten. An den beiden Seiten des Weges,
der es mit den koketten Dörfchen Dammarie und Chailly verbindet,
ziehen lange Reihen von Kastanien-, Apfel- und Akazienbäumen sich
hin. Der Ort hat kaum 100 Häuser. Die meisten sind von wildem
Wein umrankt, rings eingeschlossen von dichtem Hagedornzaun, ein
Gärtchen davor, in dem Rosen zwischen Wirsing und Blumenkohl
blühen. Schon 9 Uhr Abends ist Barbizon eingeschlafen, doch vor
4 Uhr Morgens erwacht es zur Feldarbeit.
Wann hier die erste Einwanderung Pariser Maler begann, wird
spätere Historiker beschäftigen. Schon ein Schüler Davids hat, wie
berichtet wird, im Walde von Fontainebleau gearbeitet und in Bar-
bizon gewohnt. Die einzige Herberge war damals eine Scheune,
Rousseau : Che'nes Jans les Landes. Chaumieres.
326
XXVI. Die Landschaft von 1830
Rousseau: Village de Becquigny en Picardie.
die der frühere Schneider des Ortes, Ganne, 1823 zu einem Gasthof
zustutzte. Hier stiegen seit 1830 Gorot, Rousseau, Diaz, Brascassat
und viele Andere ab, wenn sie von Frühling bis Herbst ihren Studien-
aufenthalt in Barbizon nahmen. Man kletterte am Abend in die ärm-
liche Schlafkammer hinauf und befestigte die am Tag gemachte Studie
mit Heftstiften an dem Kopfende des Bettes. Erst später kam Pere
Copain, ein alter Bauer, der als Schafhirt mit 3 Francs monatlich
begonnen, auf den zeitgemässen Gedanken, ein paar Aecker an-
zukaufen und darauf kleine Häuser zum Vermiethen an Maler zu
bauen. Der Mann wurde durch dieses Unternehmen reich und
allmählich der ausleihende Capitalist für alle, die trotz ihrer Eigen-
schaft als berühmte Pariser Künstler sich nicht Fortunas Segnungen
erfreuten. Der allgemeine Sammelplatz blieb der Scheunenraum der
Ganne'schen Wirthschaft, deren Wände sich im Laufe der Jahre mit
grossen Kohlenzeichnungen, Studien und Bildern bedeckten. Hier
kam man Abends zusammen mit Frau und Kind, patriarchalisch, ein-
fach, gemüthlich. Auch die Festlichkeiten wurden hier veranstaltet,
jener Ball besonders, als Ganncs Tochter, ein Pathenkind der Frau
Rousseau, ihre Hochzeit feierte. Rousseau und Millet waren die
Decorateure ; der ganze Raum der Scheune diente als Tanzsaal, die
XXVI. Die Landschaft von 1830
327
Rousseau: Plaine de Courances ett Gatinais.
Wände waren mit Epheu geschmükt, Corot, immer lustig und heiter,
führte die Polonaise, die sich durch ein Labyrinth auf den Boden
gestellter Flaschen bewegte.
Gemalt wurde im Wald. Sie nahmen sich gar nicht die Mühe,
ihr Werkzeug wieder mit nach Hause zu nehmen. In Felslöchern
bewahrten sie Frühstück, Leinwand und Pinsel. Wohl niemals früher
sind Menschen so in der Natur aufgegangen wie diese. In jeder
Stunde des Tages, im kühlen Morgenlicht, am sonnigen Mittag, im
goldigen Abenddämmer, selbst im Zwielicht der blauen Mondschein-
nächte waren sie draussen in Wald und Feld und lernten die un-
sterbliche Natur in jedem Moment ihres mysteriösen Sinnens be-
lauschen. Der Wald war ihr Studiensaal, enthüllte ihnen all seine
Geheimnisse.
Das Ergebniss dieses Lebens en plein air war zunächst das
Gleiche, wie bei Constable. Alle Früheren bewegten sich in der
Anschauung und Technik Waterloos, Ruysdaels und Everdingens,
glaubten nicht auskommen zu können ohne heroische, knorrige Eichen.
Noch Michel war im Galerieton der Holländer befangen, und für
Decamps noch war die Atmosphäre ein unbekanntes nicht vorhandenes
Ding. Er setzte ein grelles Licht, undurchsichtig wie Gips auf
XXVI. Dif. Landschaft von 1830
128
Rousseau: Le Soir.
einen Hintergrund, schwarz wie Kohle. Auch Delacroix’ Farben
waren nur Palettentöne, er wollte vorgefasste, decorative Harmonien
erzeugen, nicht schlicht die Wirklichkeit übersetzen. Die Meister
von Fontainebleau haben, den Engländern folgend, die Luft und das
Licht entdeckt. Nicht in altmeisterlich saftiger Buntheit gleich den
andern Romantikern malten sie die Welt, sie sahen sie »entoure
d’air«, gemildert durch Lufttöne. Der Einklang der Luft und des
Lichtes mit dem, was sie leben lassen, wurde seitdem das grosse
Problem der Malerei. Dadurch verjüngte sich die Kunst und erhielt
das Kunstwerk das athmende Leben, den frischen Duft und jene feine
Harmonie, die in der Natur selbst sich überall findet und durch
künstliches Stimmen nur so schwer erzielt wird. Sie als die ersten
nach Constable erkannten, dass die Schönheit einer Landschaft nicht
in den Gegenständen stecke, sondern in deren Beleuchtung. Gewiss
gibt es auch eine Formensprache der Natur. Wenn Boecklin einen
Hain malt mit hohen ernsten Bäumen zur Abendzeit, wenn er die
geheimnissvolle Stätte seiner ■> Feueranbeter« erträumt, so bedürfte es
der Farbe kaum. Die Linie allein ist so feierlich ernst, dass sie den
Menschen seine Kleinheit im All recht fühlen lässt und andächtige
Gedanken in ihm wachruft. Aber mehr noch geht das feine Fluidum,
wodurch die Natur heiter oder melancholisch zur Seele spricht, von
XXVI. Die Landschaft von 1830
329
Rousseau: Le Matin.
dem Licht oder der Dämmerung aus, worin sie gebadet ist, und diese
Stimmung wird nicht durch das forschende Auge bemerkt, der nach
Innen gerichtete Blick, die Phantasie, trägt sie in die Natur hinein.
Damit ist das Zweite berührt.
Die Eigenthümlichkeit all dieser Meister, die bei ihrem ersten
Auftreten oft als Realisten oder Naturalisten geschmäht wurden, be-
steht gerade darin, dass sie — wenigstens in den Werken ihrer letzten
Zeit, in denen sie sich ganz gaben — nie reale Natur, nie ein be-
stimmtes Stück Natur im Sinne der Photographie darstellten, sondern
aus dem Gedächtniss heraus frei ihre Stimmungen malten — so wie
Goethe, als er auf dem Kikelhahnhäuschen bei Ilmenau stand, nicht
eine prosaische Beschreibung des Kikelhahns anfertigte, sondern die
Verse schrieb: »Ueber allen Wipfeln ist Ruh.« Man erfährt in
diesem Goethe’schen Naturgedicht nicht, wie die Wipfel aussahen,
es wird nichts über die Beleuchtung angeführt, und doch steht der
von den Strahlen der untergehenden Sonne dämmerig beleuchtete
Wald deutlich vor dem geistigen Auge. Ein früherer Dichter hätte
breit episch beschrieben, durch Addirung von Einzelheiten das Bild
erzeugt; hier vermittelt schon die Musik der Worte die Stimmung
von Ruhe und Frieden. Die Werke der Fontainebleauer sind Goethe-
330
XXVI. Die Landschaft von 1830
Rousseau: Le Jean de Paris, !e soir apres l’orage (fore't de Fontainebleau).
sehe Naturgedichte in Farben. Sie sind gleich weit entfernt von der
ästhetischen Dürre der alten, aus Studien zusammengetragenen Com-
positionslandschaft, wie von der prosaisch platten Naturwahrheit jener
»ganz null und nichtigen, falsch realistischen Malerei der sogenannten
Conservatorcn der Wasser und Wälder«. Hs lag ihnen weder daran,
die Natur zu meistern und nach conventionellen Regeln zum Bilde
zu componiren, noch daran, pedantisch das Porträt einer Gegend zu
zeichnen. Sie dachten nicht an topographische Genauigkeit, an die
Anfertigung einer Landkarte ihres Vaterlandes. Die Landschaft war
für sie keine Scencrie, sondern ein Seelenzustand. Sie bezeichnen
den Sieg der Lyrik über schwülstige trockene Prosa. Von irgend
einem Anblick gepackt, begeistern sie sich und brechen in unerwartete
Bilder aus. So ergriffen sie die Kunst in ihrer tiefsten Tiefe. Ihre
Werke waren duftige Gedichte über die Seelenstimmungen, die sie
während eines Spazierganges durch den Wald gehabt. Vielleicht nur
Tizian, Rubens und Watteau hatten vorher mit solchen Augen in
die Natur gesehen. Und wie bei jenen, musste auch bei den F011-
tainebleauern eine echt naturalistische Kunst, ein Menschenalter uir
XXVI. Die Landschaft von 1830
331
Rousseau: Sortie de Fore't ä Fontainebleau; Coucher de Soleil.
mittelbarsten Naturstudiums vorausgehen , bis sie zu dieser Höhe
gelangten. Vor der Natur saugt man sieh voll an Wahrheit; in’s
Atelier zurückgekommen, drückt man den Schwamm aus, wie Jules
Dupre sagte. Erst nachdem sie sich gesättigt hatten mit Erkenntniss
der Wahrheit, nachdem die Natur mit ihren Einzelerscheinungen
sich ganz mit ihrem innersten Sein verwoben, konnten sie mühelos,
ohne die Absicht bestimmte Gegenstände darzustellen, sich selbst,
ihr eigenes Empfinden malen, in Befriedigung allein des 1 riebes,
ihrem Gemüthsleben Ausdruck zu verleihen. Daher auch ihre grosse
Verschiedenheit untereinander. Maler, die nach feststehenden Regeln
arbeiten, ähneln sich, und solche, die eine deutliche Naturabschrift
anstreben, nicht minder. Von den Fontainebleauern empfing Jeder
von dem gleichen Stück Natur und im gleichen Moment andere
Eindrücke je nach seinem Charakter und seiner jeweiligen seelischen
Stimmung. Jeder hatte eine Landschaft und eine Stunde, die zu
seinem Empfinden am vernehmlichsten sprach. Der liebte den Früh-
ling und den thauigen Morgen, der den kalten, klaren lag, der die
drohende Majestät des Gewitters, der die blitzenden Effekte spielender
XXVI. Die Landschaft von 1830
Rousseau: Une rnare. Forii de Fontainebleau.
Sonnenstrahlen, der den Abend nach Sonnenuntergang, wenn die
Farben zur Ruhe gegangen sind und die Formen schlafen. Jeder
gehorchte seinem besondern Temperament und modelte seine Technik
zum ganz persönlichen Ausdrucksmittel seiner Art zu sehen und zu
fühlen. Jeder ist ausschliesslich er selbst, jeder ein Original, jedes
Bild eine seelische Offenbarung von oft rührender Einfachheit und
Grösse: Flomo additus naturae. Indem sie mehr als alle ihre Vor-
gänger auf die allcinschaffende Persönlichkeit schworen, sind sie die
Begründer des neuen Glaubens in der Kunst geworden.
Theodore Roitsseitii , der baumstarke Meister, war der Epiker, der
Plastiker der Plejade. »Le ebene des roches« war eines seiner Haupt-
werke und er selbst steht wie eine Felseneiche inmitten der Kunst
seiner Zeit.
Sein Vater war ein Schneider, der in der Rue Neuve-Saint
Fustache, Nr. 4 au 4n,c wohnte. Als Knabe soll er sich besonders
XXVI. Dif. Landschaft von 1830
» •>
' ) )
Rousseau: La ferme du Grand-Chene.
mit Mathematik beschäftigt und die Absicht gehabt haben, Polytech-
niker zu werden. Der gefährliche doctrinäre Hang seiner letzten Jahre,
die Kunst, mehr als sie verträgt, zur Wissenschaft zu gestalten, alles
auf ein Gesetz zurückzuführen, lag also schon in den Liebhabereien
des Knaben begründet. In dem Atelier des Classicisten Lethiere wuchs
er auf, sah zu, während dieser seine beiden grossen Louvrebilder,
den Tod des Brutus und den Tod der Virginia malte. Er dachte
sogar daran, sich selbst um den römischen Preis zu bewerben. Doch
die Composition einer »historischen Landschaft« gelang ihm nicht.
Da nahm er seinen Farbenkasten, verliess Lethieres Atelier, wanderte
auf den Montmartre, und schon sein erstes Bildchen, der Telegraphen
thurm von 1826 bekundete das Ziel, dem er tastend zustrebte. Zur
selben Zeit, als Watelets Blechwasserfälle und Zinkbäume auf-
marschirten, als Bertins Schüler den calydonischen Eber jagten oder
Zenobia in den Wogen des Araxes ertränkten, malte Rousseau schon.
? 34
XXVI. Die Landschaft von 1830
Rousseau: Les Marais dans les Landes.
frei vom Ehrgeiz des Prix de Rome, schlichte Ebenen aus dem Weich-
bild von Paris mit kleinen Bächlein in der Nähe, die nicht den
Namen Wogen verdienten.
In’s Jahr 1833 fällt sein erster Ausflug nach Fontainebleau, 1834
sein erstes Hauptwerk, die »Cotes de Grandville«, jenes Bild von
tief mächtigem Naturgefühl, das wie das grosse triumphirende Titel-
blatt seines Werkes erscheint. Ein fester Wille, die Wirklichkeit zu
nehmen wie sie ist, ein merkwürdiger Blick für den Localcharakter
der Landschaft, für die Structur, den Knochenbau der Erde, — alle
Züge, die den späteren Rousseau kennzeichnen, kündigten sich schon
hier in ihrer vollen Wucht und phrasenlosen Sachlichkeit an. Er
erhielt dafür eine Medaille 3. Classc. Damit war aber zugleich sein
Auftreten im Salon für viele Jahre zu Ende. Den unbekannten
Anfänger liess man gewähren ; der Meister schien den Akademikern
gefährlich. Zwei Bilder, der »Abstieg von Kühen im oberen Jura«
und die »Kastanienallee«, die er für den Salon von 1835 bestimmt
hatte, wurden von der Jury zurückgewiesen, ein gleiches Schicksal
traf zwölf Jahre lang seine Arbeiten, obgleich die gesammtc kritische
Intelligenz, Thor£, Gustave Planche, Theophile Gautier für ihn die
Lanzen brach. Unter den Refusirten des Jahrhunderts ist Theodore
XXVI. Die Landschaft von 1830
335
Rousseau: Souvenir de Videlle.
Rousseau wohl der Berühmteste. Für fünf oder zehn Louisdor ver-
kaufte er damals seine Bilder. Erst als nach der Februarrevolution
1848 die akademische Jury mit dem Bürgerkönig gefallen war, öffneten
sich ihm die Thore des Salons von Neuem — einem Meister, dessen
Bilder unterdessen ihren Weg allein und heimlich gemacht hatten.
Er war in der weltentrückten Einsamkeit von Barbizon herangereift
zu einer Künstlerindividualität grössten Kalibers, zu einem Maler, dem
die Kunstgeschichte seinen Platz neben Ruysdael, Hobbema und
Constable an weist.
Er malte in Barbizon Alles: die Ebene und das Gebirge, den
Fluss und den Wald, alle Jahreszeiten, alle Stunden des Tages. Das
Register seiner Stimmungen ist unerschöpflich wie die unendliche
Natur selbst. Himmel, von der untergehenden Sonne vergoldet,
thauige Morgenstimmungen, in der Sonne brütende Wiesen, Holz-
ungen in herbstlich rostgelbem Laubschmuck, ein unendliches Defile
poetischer Effecte, ausgedrückt zuerst mit dem Instinkt des Gefühls,
später mit mathematischer Präcision , oft ein wenig gequält , aber
immer zwingend — das sind Theodore Rousseaus Stoffe. Wunderbar
sind seine Herbstlandschaften mit dem rothen Buchenlaub, grandios
jene Bilder, in denen er das tiefe Gefühl der Einsamkeit malte, wie
XXVI. Die Landschaft von 1830
336
cs im heiligen Waldesdickicht dich amveht und die Seele einladet zur
Einkehr in sich selbst; doch ganz besonders bezeichnend jene Ebenen
mit einzelnen Baumriesen, über denen fast kalt und stimmungslos
das gewöhnliche einfache Tageslicht ruht.
Es ist eine kunstgeschichtliche oder psychologische Merkwürdig-
keit, dass in jener romantischen Generation ein Mann geboren werden
konnte, in dem nichts vom Romantiker lebt. Theodore Rousseau
war ein Experimentator, ein grosser Arbeiter, ein unruhiger, suchender,
immer mit sich unzufriedener, gequälter Geist, eine Natur ohne alle
Sentimentalität und Pathetik, das gerade Gegentheil seines Vorgängers
Huet. Huet machte die Natur zu einem Spiegel der Leidenschaften,
der Melancholie und des tragischen Schmerzes, der tosend die mensch-
liche Seele durchwühlt. Indem er die unwiderstehlichen Mächte und
blinden Gewalten feierte, die Elementargeister, die Himmel und
Wasser beherrschen, wollte er den Eindruck des Schreckens, der
Trostlosigkeit in der Seele des Beschauers wecken. Er häufte die
Felsblöckc, machte die Wolken pathetisch, schwelgte wollüstig in
den schärfsten Contrasten. Rousseaus durchgehender Charakterzug
ist absolute Sachlichkeit und Schlichtheit. Noch nie dagewesen war
eine solche Einfachheit der Schatten. Seit der Renaissance hatten
die Künstler dem malerischen Effect zu Liebe systematisch die Inten-
sität des Schattens gesteigert. Rousseau ging auf das Wahre und
Einfache zurück, das sich in den Worten formuliren lässt: Je mehr
Licht — nicht desto dunkler, wie sie noch Decamps und Huet
malten , — sondern desto schwächer und durchsichtiger sind die
Schatten. Oder allgemeiner: In der Natur steht die Intensität der
Schatten in reciprokein Verhältniss zur Intensität des Lichtes. Er
drängt dem Betrachter keine von ihm berechnete Stimmung auf
und lässt ihm so vor dem Bilde die ganze Freiheit und Stimmungs-
fähigkeit, die man vor dem Naturschauspiel selbst gehabt haben
würde. Der Maler spricht nicht direct, sondern lässt die Natur
handeln, wie ein Medium nur als Instrument des Spirits agirt. So
persönlich in der Ausführung, so absolut unpersönlich in der Gon
ception sind Rousseaus Bilder. Huet übersetzte seine Stimmungen
mit Hülfe der Natur, Rousseau ist ein unvergleichlicher Zeuge, der
Geschehenes strikt berichtet, in knapper männlicher Sprache, in
Lapidarstil seine Rapporte schreibt. Huet verstimmt, weil er Stimm-
ung machen will. Rousseau verfehlt die Wirkung selten, weil er
den Effect, der ihn frappirt hat, treu und ohne Marginalnoten über-
XXVI. Die Landschaft von 1850
337
setzt. Nur in der überzeug-
enden Gewalt der Darstellung,
nie in berechneter Stimmungs-
. macherei liegt die »Stimm-
ung« seiner Landschaften.
Oder um einen Vergleich
aus dem Gebiete der Porträt-
malerei zu machen : Wenn
Lenbach den Fürsten Bis-
marck malt, so ist das Len-
bachs Bismarck, er hat ihn
als geistreicher Maler ganz
subjectiv intcrpretirt und
zwingt den Betrachter, ihn
nun auch so zu sehen. Hol-
bein, als er Heinrich VIII.
malte, ging umgekehrt vor:
Das Geistreiche für ihn lag
darin, seinen eigenen Geist
möglichst wenig zu zeigen, er
ordnete sich vollkommen dem
Object unter, gab sich auf, malte andachtsvoll Alles, was er sehen
konnte und iiberliess cs Anderen, aus dem Bilde was sic wollten zu
entnehmen. Auch in Theodore Rousseau lebte die Seele solch eines
alten deutschen Porträtisten. Er bot seine ganze Willenskraft auf, die
Natur ohne vorgefasste Interpretation sich selbst manifestiren zu lassen.
Seine Bilder sind absolut effcctlos, nur in der Art, wie er die Natur
sieht und malt, ihr intensives mächtiges Leben fühlt, ist soviel Kraft
und tiefe Wahrheit, soviel Einfachheit, Kühnheit und Ehrlichkeit,
dass sie schon dadurch gleich den Bildnissen Holbeins zu grossen
Kunstwerken werden. Anderen Meistern standen eindringlichere
Töne, eine höhere Phantasie, rührendere Zärtlichkeit, berauschen-
dere Accorde zu Gebote — aber wenige hatten wahrere, tiefere
Accente, keiner ist so aufrichtig gewesen als Theodore Rousseau.
Rousseau schaute der Natur in’s Innerste, wie Holbein Heinrich VIII.,
und den Eindruck, das Gefühl, das er empfunden, theilt er breit,
kühn, ganz mit. Er ist ein Portraitmaler, der sein Modell aus dem fl'
kennt, aber auch ein Kenner der alten Meister, der weiss, was es
bedeutet, ein Bild zu machen. Jedes Werk von Rousseau ist eine
Muther, Moderne Malerei II.
22
XXVI. Die Landschaft von 1830
338
bedächtige, schwere,
wohlabgewogene Ar-
beit, ein Artilleriege-
schütz, kein knack-
erndes Gewehrfeuer ;
kein leichtes Feuille-
ton, sondern eine
ernste Abhandlung
mit streng markir-
ter Disposition. Ein
mächtiger Colorist,
arbeitet er doch mit
den bescheidensten
Mitteln und fühlt sich
im Grunde als Zeich-
ner. Das hauptsäch-
lich bewirkt wohl,
dass man heute vor
Rousseau’s Bildern
an Hobbcma weit
mehr und Ruysdael
als an Billotte und
Claude Monet denkt.
In seinen letzten
Corot bei der Arbeit. Jahren brachte ihn
seine absolute Mei-
sterschaft im Zeichnen sogar dahin, die Malerei überhaupt zu ver-
lassen. Er bezeichnete sie verächtlich als Lüge, da sie die Wahrheit,
den Knochenbau der Natur iiberschminke.
In Rousseau lebte mehr noch als die Seele eines Porträtzeichners
die eines Bildhauers. Sein Geist, positiv, exakt wie der eines Mathe-
matikers, mit weit mehr bildnerischer Präcision als malerischen
Qualitäten geharnischt, liebte alles Hartbegrenzte, Plastische, Ruhige:
moosbewachsene Felsen, hundertjährige Eichen, Sümpfe und stehende
Gewässer, die rauhen Granitblöcke des Waldes von Fontainebleau
und die Felseneichen in den Schluchten von Opremont. Ganz be-
sonders die Eiche war sein Lieblingsbaum, die gewaltige breitästige
uralte Eiche, die den Mittelpunkt eines seiner Hauptwerke »La mare«
einnimmt und fast auf jedem seiner Bilder ihre mächtigen knochigen
XXVI. Die Landschaft von 1830
339
Corot: Die Engelsburg.
Aeste zum wolkigen Himmel reckt. Nur Rembrandts drei Eichen stehen
gleich fest und breitbeinig wie lebendige nordische Persönlichkeiten
unter dem klatschenden Regen auf einsamem Felde. Solch voll-
kommene Lebensfähigkeit seiner Organismen war für Rousseau das
Ziel unausgesetzter Arbeit. Die Pflanzen, die Bäume, die Felsen,
waren nicht summarisch beobachtete, willkürlich zusammengeballte
Formen, sie waren beseelte Wesen für ihn, athmende Creaturen, von
denen jede ihre Physiognomie, ihre eigene Individualität, ihre Rolle
und ihre Art zu sein hat in der grossen Harmonie des universellen
Concerts. »Durch den Einklang der Luft und des Lichtes mit dem,
was sie leben und aufleuchten lassen, will ich es erreichen, dass ihr
die Bäume unter dem Nordwind stöhnen, die Vögel ihre Jungen rufen
hört«. Um das zu erzielen, thut er sich nie genug. Wie Dürer
siebenmal dieselben Scenen der Passion immer wieder vornahm, bis er
den einfachsten sprechendsten Ausdruck gefunden, so hat Rousseau
zehnmal, zwanzigmal dieselben Motive behandelt; rastlos sind seine
Versuche, derselben Aufgabe andere Seiten abzugewinnen, seinem
Modell von den verschiedensten Standpunkten her zu nahen, ihm
allseitig gerecht zu werden. Er nimmt ein unterbrochenes Bild immer
wieder vor, fügt hinzu, um den Ausdruck zu steigern, wie Leonardo
mit dem Bewusstsein starb, dass an der Joconda noch immer zu thun
sei. Manchmal kommt dadurch etwas Gequältes in seine Werke,
andererseits hat er in diesem Kampf mit der Wirklichkeit sich eine
340
XXVI. Die Landschaft von 1850
Corot: Une prairie ä Sainle- Catherine-le^-Arras.
Macht des Vortrags, solch schlagende Ausdrucksfähigkeit , einen
so merkwürdigen Blick für die richtige Wirkung erworben, dass
jedes seiner Bilder ohne Schaden in einer Galerie alter Meister hängen
kann, — das 19. Jahrhundert sah nicht viele entstehen, die diese
Annäherung in jeder Hinsicht vertrügen. Seine Landschaften sind
saftig wie die Schöpfung selbst, sie lassen eine gewaltige condensirte
Natur erstehen. Die einzigen Worte, die bei ihm gebraucht werden
können, sind die von Stärke, Gesundheit, Energie. »Es sollte stehen,
im Anfang war die Kraft«.
Theodore Rousseau war von Jugend auf eine männliche Seele,
schon als Jüngling ein Mann, der über alle Jugendeseleien hinaus war,
fast möchte man sagen : ein Philosoph ohne Ideale. Literarisch wäre
am ehesten die Naturauffassung Turgeniew’s mit derjenigen Rousseaus
zu vergleichen. In Turgeniew’s »Tagebuch eines Jägers« von 1852
ist Alles so frisch und saftig, dass man glauben möchte, cs sei gar
nicht durch die Feder gegangen, sondern ein direkter Niederschlag
aus Wald und Steppe. Wenn die Menschen sonst gewohnt sind, in
die Natur ihre Freude und ihren Schmerz hineinzusehen, so entfällt
Turgeniew beim Betrachten des ewigen Schauspiels der Elemente
XXVI. Die Landschaft von i8jo
341
Corot: La Cbaumiere.
durchaus das Gefühl seiner Persönlichkeit; er taucht unter und ver-
liert sich ganz darin; er wird zu einem Theil dessen, was er betrachtet.
Die Erhabenheit der Natur liegt für ihn darin, dass sie alles Vorhandene,
vom Wurm bis zum Menschen mit derselben Theilnahmlosigkeit be-
handelt. Der Mensch erfährt von ihr weder Liebe noch Hass, sie
freut sich nicht über das Gute was er thut, klagt nicht über Sünde
und Verbrechen, sondern sieht mit ihren tiefen ernsten Augen ein-
fach über ihn hinweg, weil er ihr gänzlich gleichgültig. »Der letzte
Deiner Brüder könnte vom Angesicht der Erde verschwinden, ohne
dass eine Kiefernadel an den Zweigen darob erzitterte«. Die Natur
hat etwas Eisiges, Gefühlloses, Grauenhaftes, und die Furcht, die sie
wegen dieser Gleichgültigkeit einflössen könnte, hört nur auf, sobald
wir das verwandtschaftliche Verhältniss verstehen lernen, in dem
wir uns zur Umgebung befinden, sobald wir begreifen, dass Mensch
und Thier, Baum und Blume, Vogel und Fisch derselben Mutter ihr
Dasein danken. So endet Turgeniew bei Spinoza.
Und ähnlich Rousseau. Theodore Rousseau war eine Natur onhe
alle Schwärmerei, darum bekam auch die Welt, die er malte, unter
342 XXVI. Die Landschaft von 1830
seinen Händen etwas
Ernstes, Unnahbares,
Hartes. Einsam lebte
er dahin, er floh die
Menschen, deshalb
sind auf seinen Bildern
menschliche Figuren
selten. Gern malte
er die Natur an kal-
ten, grau stimmungs-
losen Tagen, wenn
die Bäume mächtige
Schatten werfen und
die Formen sich kräf-
tig vom Himmel ab-
setzen. Er ist nicht
der Maler derMorgen-
und Abenddämmer-
ung. Es gibt kein Er-
wachen und keine
Morgenröthe, keinen
Reiz in diesen Land-
schaften und keine Jugend. Kinder würden hier nicht lachen und
Liebespärchen nicht wagen, da zu kosen. Die Vögel würden in
diesen Bäumen keine Nester bauen und die Jungen nicht zwitschern.
Seine Eichen stehen da, als hätten sie von Ewigkeit her so gestanden.
»Die unbegreiflich hohen Werke sind herrlich wie am ersten Tag«.
Wie Turgeniew endete Rousseau im Pantheismus.
Immer mehr machte er sich mit der unendlichen Mannigfaltig-
keit der Bäume und Pflanzen, des Terrains und des Himmels in den
verschiedenen Stunden des Tages vertraut; immer mehr präcisirte er
die Formen. Er wollte das organische Leben der unbeseelten Natur
malen, das überall unbewusst webt, in der Luft ächzt, aus dem Busen
der Erde strömt, im kleinsten Gräschen ebenso vibrirt wie es durch
die Aeste der alten Eichen rollt. Keine Menschen sind es, diese Bäume
und Kräuter, aber ihre besonderen Gesichter zeigen sie genau wie der
Mensch. Die Pappeln wachsen wie Pyramiden und haben grün- und
silberfarbige Blätter, die Eichen knorriges, weitausladendes Geäst und
dunkles Laubwerk. Die einen stemmen sich fest und unbeweglich
XXVI Die Landschaft von 1830
dem Sturm entgegen,
während die schlanken
Pappeln schwank da-
runter sich biegen.
Diese seltsame Ver-
schiedenheit aller
Naturformen , deren
jede einzelne einen
Daseinsverlauf ab-
wickelt ähnlich dem
des Menschen , ver-
folgte ihn als unge-
heure Räthselfrage
zeitlebens. Betrachtet
seine Bäume, sie sind
nicht todt; der Lebens-
saft steigt ihnen un-
merklich durch die
starken Stämme bis in
die kleinsten Aeste und
Triebe, die sich am
Ende des Zweiges
krallend wie Finger ausbreiten. Der Boden arbeitet und verändert sich;
jede Pflanze offenbart die innere Structur des Körpers, der sie hervor-
gebracht. Und dieses Streben ist ihm in seiner letzten Zeit sogar zum
Fluche geworden. Die Natur wurde für ihn ein Organismus, den er
studirte wie der Anatom den Cadaver, ein Organismus, an dem alle
Glieder nach denselben logischen Gesetzen ineinander greifen wie die
Rädchen einer Maschine und für dessen richtiges Funktioniren die
kleinste Pflanze deshalb gleich nothwendig schien wie die mächtigste
Eiche, der Kieselstein gleich wichtig wie der gewaltigste Felsen.
Uebcrzeugt, dass Nichts in der Natur nutzlos und gleichgültig sei,
dass jedes seine Daseinsberechtigung habe und mithandle im weben-
den Leben des Alls, glaubte er, dass jedem Ding, so klein es wäre,
auch malerisch seine besondere Bedeutung innewohne, bemühte
sich, diese zu entdecken, sie evident zu machen und vergass darüber
mehrmals, dass die Kunst Opfer bringen muss, wenn sie reizen will
und bewegen. In seiner grenzenlosen Ehrfurcht für den logischen
Organismus der Natur hielt er es für einen kategorischen Imperativ,
344
XXVI Die Landschaft von 1830
Corot: Une Malinie.
dem unendlich Kleinen gleiche Wichtigkeit wie dem unendlich
Grossen zu geben. Dieses Vorgehen war chimärisch und daran
scheiterte er. Das Einzige, was aus seiner letzten Zeit künstlerische
Geltung bewahren wird, sind seine wunderbaren mächtigen Zeich-
nungen. Er hatte wie Keiner das Gefühl für Valeurs und wusste
deshalb seinen Blättern — ganz abgesehen von der markigen Wucht
des Strichs — auch eine merkwürdig schlagende Lichtwirkung zu
geben. Ebenso bewundernswerth sind die unter dem Einfluss japan-
ischer Bilderbücher entstandenen Aquarelle. Die kleinlich detaillirten
Bilder dieser Jahre haben nur historisches Interesse, da es immer
lehrreich ist, zu sehen, wie ein grosser Genius sich täuschen kann.
Eines seiner letzten, die Ansicht des Montblanc mit dem unend-
lichen Horizont und zahllosen, scrupulös sorgfältig gezeichneten
Terrainplänen, hat keine malerische Schönheit und Grösse mehr.
Man kann vor diesem bizarren Werk die Willenskraft und Ausdauer
des Künstlers anstaunen, der Eindruck bleibt immer ein mässiger.
Jeder Erdwelle, jedem Grashalm, jedem Blatt wollte er das Geheim-
niss seines Daseins ablauschen ; war ängstlich bedacht auf das, was
XXVI. Die Landschaft von 1830
345
Corot: Vue du village de Sin, pres Douai.
er die Planimetrie nannte, auf die Bedeutung der horizontalen Pläne,
er accentuirte übermässig Detail und Beiwerk. Der pantheistische
Glaube an die Natur brachte Theodore Rousseau zu Fall. Wer ihn
nicht kannte, sprach von kindischem Tüpfeln und vom Verfall seines
Talentes. Wer ihn kannte, sah in diesem Tüpfeln einen Ausfluss
der gleichen Bestrebungen, die vor ihm der arme Charles de la Berge
gehabt und auf denen gleichzeitig sich in England die Landschafts-
malcrei der Praerafaeliten aufbaute. Befragt man seine Werke und
liest dann sein Leben, so kommt man fast dazu, für ihn selbst eine
Art religiöser Verehrung zu empfinden. Er hat etwas von einem
Märtyrer, dieser unersättliche Beobachter, der das Studium der Terrain-
construction und der Anatomie der Baumäste wie einen heiligen Gottes-
dienst betrieb, dieser Mann, dessen Leben ein einziger Kampf war.
Erst hatte er Jahrzehnte lang um Brod und Anerkennung zu
ringen. Es klingt schwer glaublich, dass seine Landschaften, noch
nachdem sie 1848 sich Eingang in den Salon verschafft, dort Jahre
lang Aergerniss erregten, nur weil sie — grün waren. Das Publikum
war derart an die braunen Bäume und den braunen Rasen gewöhnt,
346
XXVI. Die Landschaft von 1830
Corot: Land schuft.
dass jede andere Farbe in der Landschaft gegen den Anstand ver-
stiess und der Philister vor einem grünen Bilde sofort »Spinat« rief.
»Allez c’ötait dur d’ouvrir la breche« sagte er in seinen spätem
Jahren. Und als er endlich auf der Weltausstellung 1855 Europa
deutlich gemacht, wer Theodore Rousseau sei, war sein Lebensabend
wieder durch Leid und Krankheit getrübt. Er hatte ein armes, un-
glückliches Geschöpf geheirathet, ein wildes Waldkind, das einzige
weibliche Wesen, das er während seines arbeitsamen Lebens zu
lieben Zeit gefunden. Der Irrsinn packte sie nach wenigen Jahren
der Ehe und Rousseau selbst ward, während er sie pflegte, von dem
Gehirnleiden befallen, das seine letzten Jahre umnachtete. Ein Papa-
gei kreischte, die wahnsinnige Frau tanzte und trillerte, als Theodore
Rousseau 1867 im Sterben lag. Er ruht »dans le plain calme de la
nature«, im Dorfkirchhof zu Chailly bei Barbizon angesichts seines
vielgeliebten Waldes begraben. Millet setzte ihm den Grabstein, ein
einfaches Kreuz auf unbehauenem Sandblock mit den auf einer Kupfer-
tafel eingegrabenen Worten :
THEODORE ROUSSEAU PEINTRE.
XXVI. Die Landschaft von 1830
347
Corot: Une idylle. Ronde d’enfants.
»Rousseau c’est un aigle. Quant ä moi je ne suis qu’une alouette
qui pousse de pctites chansons dans nies nuages gris«. Mit diesen
Worten hat Ptre Corot seine Verschiedenheit von Rousseau gekenn-
zeichnet. Sie bedeuten in der modernen Landschaftsmalerei die
beiden entgegengesetzten Pole. Was die plastischen Künstler
Rousseau, Ruysdael und Hobbema — anzog, — das Relief der
Gegenstände, die Macht der Couture, die Festigkeit der. Formen -
war Corots Sache nicht. Während Rousseau mit seinen Schülern
nie über Farbe sprach, sondern als Ceterum censeo immer wieder-
holte: »Enfin, la forme est la premiere chose ä observer«, gestand
sich Corot selbst ein, das Zeichnen sei nicht seine starke Seite.
Wenn er Felsen zu malen suchte, gelang ihm das mässig, und
alle seine Bemühungen , menschliche Figuren zu zeichnen, waren,
obwohl er in seinen letzten Jahren sogar mit nachhaltigem Eifer
darauf zurückkam, doch selten von wirklichem Erfolg gekrönt. Ein-
zelne Ausnahmen, wie das wunderbare Bild »die Toilette«, abge-
rechnet, sind die Figuren immer die schwächsten Partien seiner Land-
schaften und wirken nur gut, wenn sie, in den Hintergrund gesetzt,
allein ihre zarte, in rosigem Duft verschwimmende Silhouette zeigen.
Nicht viel besser glückten ihm Thiere, namentlich kommen auf seinen
Bildern oft schwere, dicke, schlecht auf den Füssen stehende Kühe
348
XXVI. Die Landschaft von 1830
vor, die man lieber
hin wegwiinsc ht . Unter
den Bäumen malte er
nicht die Eiche, den
Lieblingsbaumaller für
die Form schwärmen-
den Künstler, weder
die Kastanie noch die
Ulme, sondern er be-
vorzugte die Espe, die
Pappel, die Erle, die
Birke mit ihrem weis-
sen, dünnen Stamm
und ihren zitternden,
blassen Blättern , die
Weide mit ihrem leich-
ten Laub, durch das
spielend zarte Sonnen-
strahlen rieseln. Bei
Rousseau ist der Baum
eine stolze, knorrige
Persönlichkeit, ein
adel iges, sei bstbewuss-
tes Geschöpf, bei Corot
ein weiches, zittern-
des, sich in duftiger Luft wiegendes Wesen, in dem es säuselt
und flüstert von Glück und Liebe. Seine Lieblingsjahreszeit war
nicht der Herbst, wenn die ausgereiften Blätter hart wie Stahl ruhig
und unbeweglich sich in festen Linien vom klaren Firmament ab-
heben, sondern der erste Frühling, wenn die äussersten Spitzchen
der Zweige kleine Blättchen von zartem Grün ansetzen, die bei jedem
kleinen Lufthauch schaudernd vibriren ; er wusste ferner ganz wunder-
bar den Eindruck kleiner Grashälmchcn und Blümchen zu geben,
die im Juni auf der Wiese spriessen, er liebte den Saum eines Ufers,
wo lange Büsche sich in’s Wasser beugen, das Wasser selbst nament-
lich in seiner unbestimmten Klarheit und dem Schillern des Lichtes,
das es da dunkel, dort leuchtend umspielt; den Himmel, der sich
tief unten mit dem hellen Saum des Weihers oder den verschwim-
menden Umrissen des Ufers vermählt, die Wolken auch, die den
Corot: L’ Ilalienne.
XXVI. Die Landschaft von 1850
349
Himmel durchziehen,
da und dort ein helles
leuchtendes Stück
Blau umsäumend. Er
hat den Morgen vor
Sonnenaufgang ge-
liebt , die weissen
Nebel, die als leich-
ter Gazeschleier über
den Weihern lagern
und beim ersten Son-
nenstrahl mählig zer-
fliessen; aber er hat
fast mehr noch für den
Abend geschwärmt,
für die weichen
Dämpfe, die im Däm-
merdunst niederschla-
gen und sich zu blass-
grauem sammtenen
Mantel verdichten, je
mehr mit der Nacht
Friede und Ruhe auf
die Erde herabsteigt.
Sein Feld war — in
geradem Gegensatz zu Rousseau — alles Weiche und Wogende, Alles,
was keine feste Form, keine scharfen Linien hat, und, indem es nicht
zu klar zum Auge spricht, desto mehr zu nebelhaften Träumen ladet.
Es lebte in Corot nicht die Seele eines Bildhauers, sondern die eines
Dichters. Oder besser noch: Die Seele eines Musikers lebte in ihm,
die Musik ist die am wenigsten plastische Kunst. Es überrascht
nicht, in seiner Biographie zu lesen, dass er gleich Watteau für die
Musik mit fast noch grösserer Leidenschaft wie für die Malerei
schwärmte, dass er immer, wenn er malte, ein altes Liedchen oder
eine Opernarie auf den Lippen hatte, dass er mit der Musik gern
Vergleiche zog, wenn er von seinen Bildern sprach, dass er im
Conservatorium abonnirt war, in keinem Concerte fehlte und selbst
die Geige spielte : es liegt etwas von dem milden Tone dieses Instru-
mentes auch über seinen Bildern, die in ihrem köstlichen Silberton
350
XXVI. Die Landschaft von 1850
so lieblich feierlich anmuthen. Neben Rousseau, dem Plastiker, steht
Pere Corot als Idyllenmaler von weicher Grazie, neben Rousseau, dem
Realisten, erscheint er als träumerischer Musiker, neben Rousseau,
dem männlichen, ernst experimentirenden Geist nimmt er sich aus,
wie ein verliebter, verschämt sinnlicher Backfisch. Rousseau nahte
der Natur am hellen Tag als kühler Analytiker mit Hebeln und
mit Schrauben, Corot streichelte sie, schmeichelte ihr, sang sie an
mit werbenden Liebesliedern, so dass sie wie Venus zu Adonis zu
ihm herniederstieg in den Stunden der Dämmerung und ihm als
ihrem Liebling kosend die Geheimnisse zuraunte, die jener ihr ge-
waltthätig nicht abzutrotzen vermochte.
Camille Corot war 16 Jahre älter als Rousseau. Er gehörte noch
dem 18. Jahrhundert an, der Zeit, als unter Davids Dictatur Paris
sich in das kaiserliche Rom verwandelte. David, Gbrard, Gubrin,
Prudhon, Künstler von so verschiedenem Talent, waren die Maler,
deren Werke seine ersten neugierigen Blicke trafen, und es ge-
hört kein Scharfsinn dazu, in den Nymphen und Amoretten, mit
XXVI. Die Landschaft von 1830
351
Corot: Concert Cbarnpe'lre.
denen Corot später, besonders am Abend seines Lebens, seine duft-
igen Landschaften besäte, noch die directen Abkömmlinge der lieb-
lichen Göttinnen Prudhons, Erinnerungen an seine von der Antike
genährte Jugendzeit zu erkennen. Auch er war ein Kind des alten,
engen, winkligen Paris. Sein Vater war Coiffeur in der Rue du Bac
Nr. 37 und hatte ein junges Mädchen kennen gelernt, das in Nr. 1
derselben Strasse, dicht am Pont Royal, als Verkäuferin bei einer
Putzmacherin arbeitete. Er führte seinen Barbierladen noch bis 1798,
als Camille, der zukünftige Maler 2 Jahre zählte. Da übernahm Frau
Corot selbst das Putzgeschäft, in dem sie früher gearbeitet. Man
las an dem schmalen Häuschen Nr. 1 der Rue du Bac : Madame
Corot, Marchande de modes. Herr Corot, ein kleiner, feiner, sehr
correcter Herr, brachte das Geschäft schnell in die Höhe. Die
Tuilerien waren’ gegenüber, und Corot wurde unter Napoleon I. der
»Modist« des Hofes. Er muss als solcher einen ziemlichen Ruf
gehabt haben, da selbst das Theater sich seiner bemächtigte. Ein
damals häufig in der Comedie francaise gespieltes Stück enthielt die
XXVI. Die Landschaft von 1830
352
Stelle: »Ich komme von Corot, konnte ihn aber nicht sprechen;
er war in seinem Cabinet eingeschlossen, damit beschäftigt, einen
Frühjahrshut zu componiren«.
Camille besuchte das Gymnasium in Rouen und sollte dann,
dem Wunsche des Vaters gemäss, einen ernsten Beruf ergreifen,
»mit dem Geld zu verdienen sei«. In einem Schnittwaarengeschäft
mit der Elle begann er seine Laufbahn, durchlief mit dem Muster-
buch unterm Arm die Vorstädte von Paris, um Tuch — couleur olive
— zu verkaufen, und beging dabei in seiner Zerstreutheit die un-
geschicktesten Sachen. Nach achtjährigem Widerstand willigte der
Vater ein, dass er Maler werde. »Du bekommst einen jährlichen
Wechsel von 1200 fr.; wenn du damit leben kannst, soll mir’s recht
sein.« Am Pont Royal, hinter dem väterlichen Häuschen, malte er
sein erstes Bild, unter dem neugierigen Gelächter der kleinen Mo-
distinnen, die vom Fenster aus zusahen und von denen eine, Mlle.
Rose, ihm zeitlebens eine liebe Freundin blieb. Das war 1823,
und seitdem vergingen 30 Jahre, bis er wieder in seinen Bildern auf
französischen Boden zurückkehrte. Victor Bertin, der Classicismus,
der Stil, die Kälte, wurde sein Lehrer. Er suchte emsig den andern
zu folgen, zeichnete Studien, componirte historische Landschaften,
malte, wie er die Akademiker malen sah. Um seine regelrechte
Erziehung zu beenden, blieb ihm nur übrig nach Italien zu pilgern,
wo Claude Lorrain einst gemalt und Poussin die historische Land-
schaft erfunden. 1825 — 28 Jahre alt — machte er sich mit Bertin
und Aligny auf den Weg, blieb lange in Rom und kam bis Neapel.
Die Classicisten, in deren Kreis er voll demüthiger Ehrfurcht ein-
trat, sahen ihn gern wegen seines heiter gleichmässigen Naturells
und der hübschen Lieder, die er mit schöner Tenorstimme sang.
Jeden Morgen ganz früh lief er, den Farbenkasten unterm Arm,
ein sentimentales Liedchen auf den Lippen, hinaus in die Cam-
pagna und zeichnete die Ruinen mit architektonischer Strenge, ganz
Poussin. Mit wohlabgewogenen historischen Landschaften konnte er
1827, nach 2 ‘/a jährigem italienischen Aufenthalt im Salon debutiren
1835 und 1843 weilte er von Neuem in Italien, und erst nach dieser
dritten Pilgerfahrt gingen ihm die Reize der französischen Land-
schaft auf.
Man kann über diesen ersten Theil in Corot’s Werk schnell
hinweggehen. Seine Bilder aus dieser Zeit sind nicht ohne Verdienst,
und um gerecht darüber zu sprechen, müsste man sie mit den gleich-
XXVI. Die Landschaft von 1850
'y r
? ) •>
Jules Dupre.
zeitigen classicistischen Erzeugnis-
sen vergleichen. Man findet dann
eine breite, sichere Zeichnung, er-
kennt eine mächtige Hand, kann ein
staunenswerthes Zunehmen des
Könnens beobachten. Schon bei
seinem zweiten Aufenthalt in Ita-
lien hat er nicht mehr als Ethno-
graph gemalt, sich nicht mehr
im Einzelnen verloren. Doch erst
in den Bildern aus seinen letzten
zwanzig Jahren ist er Corot, der
Theokrit des neunzehnten Jahr-
hunderts. Der zweite Corot hat den
ersten ungeniessbar gemacht — wer hätte Lust, ihm darob zu
zürnen ! Wie hart wirken neben seinen späteren Bildern die Stu-
dien aus Rom, die der sterbende Maler dem Louvre vermachte und
denen er als seinen Jungfernreden zeitlebens eine grosse Zärtlichkeit
wahrte. Wie wenig haben sie von dem feinen harmonischen Licht
seiner späteren Werke. Die grosse historische Landschaft mit Homer,
auf der Licht und Schatten so schneidig neben einander stehen, die
Landschaft Aricia, der heilige Hieronymus in der Einöde, das junge
Mädchen, das lesend neben einem Bergstrom sitzt, der »Bettler« mit
dem toll dahersausenden Pferdegespann, das Decamps nicht virtuoser
hätte malen können, alles sind gute Bilder neben denen seiner Zeit-
genossen, aber gegenüber echten Corots doch Schülerarbeiten von
trockener harter Malerei, schwarzen brutalen Tönen und kalkiger ge-
mauerter Atmosphäre. Es ist kein Odem in dieser Luft, keine Durch-
sichtigkeit, kein Leben; die Bäume bewegen sich nicht, sie tragen
eine schwere Rüstung von Eisen.
Corot näherte sich dem vierzigsten Jahr, dem Alter, in dem
sich der Mensch für gewöhnlich nicht mehr verändert, als durch
den Einfluss der Engländer und Rousseaus sich die grosse Umbild-
ung der französischen Landschaftsmalerei vollzog. In academischen
Traditionen erzogen, hätte er treu verharren können auf seinem
Gebiete. Er musste vollständig umlernen, mit der Wahl der Gegen-
stände die Art der Behandlung ändern, um der jungen Schule zu
folgen, und dieser Häutungsprocess hat weitere 1 5 Jahre erfordert.
Noch 1843, ;l^s er nach Rückkehr von seiner dritten Romfahrt von
Mutlier, Moderne Malerei II. 23
3 54
XXVI Die Landschaft von 1850
der italienischen zur französ-
ischen Landschaft überging,
waren seine Bilder hart und
schwerfällig. Er hatte schon
Boningtons und Constables
Einfluss erfahren, an deren
Seite sein erstes, 1827 aus-
gestelltes Bild hing. Aber das
Werkzeug Licht und Luft zu
malen fehlte ihm noch; seine
Malerei hat nicht Weichheit
und Leben. Selbst in derStoff-
wahl ist er noch unsicher, kehrt mehr als einmal zur historischen
Landschaft zurück und bewegt sich darin mit ungleichem Erfolg.
Noch das Hauptwerk von 1843: die Taufe Christi in der Kirche
Saint Nicolas du Chardonnet in Paris ist nur eine feinfühlige
Nachahmung der alten Meister. Erst der Christus am Oelberg von
1844 im Museum von Langres wirkt wie das Glaubensbekenntniss
eines Neubekehrten. In der Mitte des Bildes, vor einem kleinen
Hügel kniet Christus betend am Boden, seine Schüler umgeben ihn,
in den Schatten verschwindend, rechts strecken Olivenbäume ihre
knorrigen Aeste in den schattigen Weg. Ein düster blauer Himmel,
an dem flackernd ein Stern steht, ruht zitternd über der Landschaft.
Ueber den Christus möchte man wegsehen — ohne die Unter-
schrift wäre er schwer erkennbar. Aber dieser weithin leuchtende
Stern, die durchsichtige Klarheit des nächtlichen Firmaments, die
leichten Wolken und luftigen geheimnissvollen Schatten, die huschend
über den Boden gleiten, sie gehören nicht mehr dem falschen, sie
verkünden den echten Corot. Seit dieser Zeit hat er den Weg ge-
funden. auf dem er nun frei und entschlossen ging.
Fünfundzwanzig Jahre war es ihm vergönnt, noch in vollkom-
mener Reife, Freiheit und künstlerischer Unabhängigkeit zu schaffen.
Man meint, er wäre bis zum 50. Jahre ein Kind gewesen und da
erst in s Jünglingsalter getreten. Bis 1846 bezog er von seinem Vater
wie ein Student den Jahreswechsel von 1200 fr. und als er in
diesem Jahre das Kreuz der Ehrenlegion bekam, verwilligte ihm Herr
Corot mit den Worten : »Na, Camille scheint ja doch Talent zu
haben«, für die Zukunft das Doppelte. Ziemlich um dieselbe Zeit
bemerkten seine Freunde, dass er eines Tages nachdenklicher als
XXVI. Die Landschaft von 1850
355
Die Brücke von L’lsle Adam.
sonst in Barbizon umherging. »Ach mein Lieber, ich bin untröst-
lich, ich hatte bisher eine vollständige Sammlung von Corots, heute
habe ich sie angebrochen und das erste Stück daraus verkauft«.
Noch mit 74 Jahren meinte er, »wie schnell doch das Leben
vergehe und wie sehr man sich anstrengen müsse, um noch was
Gutes zu schaffen.« Die Kunstgeschichte bietet wenig Beispiele
eines so langen Frühlings. Corot hatte das Privilegium, nicht zu
altern; sein Leben war eine ewige Erneuerung. Die Werke, die
ihn zum Corot machten, sind Jugendwerke eines alten Mannes,
vollausgereifte Schöpfungen eines Greises, der — wie Tizian
ewig jung blieb; das ist auch zu ihrem künstlerischen Yerständ-
niss nicht unwichtig.
Corot war von allen Fontainebleauern am allerwenigsten Realist,
am losesten mit der Erde in Verbindung, nie auf die exacte Wieder-
gabe eines Naturausschnittes bedacht. Gewiss hat er viel im Freien,
doch weit mehr im Atelier gearbeitet, manche Gegend gemalt, wie
sie vor ihm stand, aber öfter solche, die er nur in sich selbst sah.
»Diese Nacht habe ich im Traume eine Landschaft gesehen«, soll er
auf seinem Todtenbett gesagt haben, deren Himmel ganz rosig war.
Es war reizend, noch ganz deutlich steht sic vor mir, es wird
wunderbar sein, das zu malen.« Wie viel Landschaften mag er so
geträumt haben und nach dem Traumbild gemalt.
3)6
XXVI. Die Landschaft von 1830
Dupri: Les environs de Southampton.
Das wäre für Junge eine sehr gefährliche Methode. Für Corot
war es die einzige, die ihm gestattete Corot zu sein, weil so kein
unpassendes Detail die reine poetische Vision störte.
Sein ganzes Leben war ein immer neues, kosendes Liebeswerben
um die Natur gewesen. Als Kind blickte er von seinem Dachstüb-
chen herab auf die wallenden Nebel der Seine; als Gymnasiast in
Rouen wandelte er traumverloren die Ufer des grossen Stromes ent-
lang; da er älter geworden, bezog er jedes Jahr mit seiner Schwester
ein kleines Landhaus in Ville d'Avray, das ihm sein Water 1817
kaufte. Hier stand er tief Nachts, wenn Alle schliefen, am offenen
Lenster, ganz vertieft in die Betrachtung des Himmels, das Plätschern
des Wassers, das Säuseln der Bäume. Ganz einsam. Kein Laut
störte seine Träumereien, und geistesabwesend badete er sich in der
weichen, feuchten Atmosphäre, in dem feinen, vom nahen Flusse
aufsteigenden Dunst. In seiner erregten Seele malte Alles sich
harmonisch ab, seine Augen sahen das Einzelne verschwimmend
im Ganzen; er fing an, die Natur nicht zu sehen — sie wie ein
geliebtes Weib zu fühlen, ihren Odem einzusaugen, ihren Herzschlag
zu hören.
Man kennt den wunderbaren Brief, in dem er Jules Dupre den
Tag eines Landschafters beschreibt: »On se leve de bonne heure,
XXVI. Die Landschaft von 1850
357
Dupre: Soleil couchant.
a trois heures du matin, avant le soleil; on va s’asseoir au pied
d un arbre, on regarde et on attend. On ne voit pas grand’chose
d’abord. La nature ressemble ä une toile blanchätre oii s’esquissent
ä peine les profils de quelques masses: tout est embaume, tout
frisonne au souffle fraichi de l’aube. Ring! le soleil s’eclaircit . . .
le soleil n’a pas encore dechire la gaze derriere laquelle se cachent
la prairie, le vallon, les collines de l’horizon . . . Les vapeurs noc-
turncs rampent encore comme des flocons argentes sur les herbes
d’un vcrt transi. Bing! . . . Bing! . . . un premier rayon de
soleil . . . un second rayon de soleil . . . Les petites fleurettes
semblent s’dveiller joycuses . . . Elles ont toutcs leur goutte de rosee
qui tremble ... les feuilles frileuses s’agitent au souffle du matin . . .
dans la feuillee, les oiseaux invisibles chantcnt ... II semble que
ce sont les fleurs qui font la priöre. Les Amours a ailes de papil-
lons s’ebattent sur la prairie et font onduler les hautes herbes . . .
On ne voit rien . . . tout y est. Le paysage est tout entier derriere
la gaze transparente du brouillard, qui, au rcste . . . monte . . .
monte . . . aspire par le soleil ... et laisse, en se levant, voir la
riviere lam£e d’argent, les pres, les arbres, les maisonnettes, le loin-
tain fuyant . . . On distingue enfin tout ce que l'on devinait d’abord .
Zum Schluss folgt eine Ode auf den Abend, die wqhl zu den feinsten
XXVI. Die Landschaft von 1830
—
Duprd: La Mare.
Blättern französischer Lyrik zählt: »La nature s’assoupit . . . cepen-
dant l'air frais du soir soupire dans les feuilles . . . la rosee emperle
le velours des gazons . . . Les nymphes fuient . . . se cachent . . .
et desirent etre vues . . . Bing! une etoile du ciel qui piquc une
tete dans l'etang . . . Charmante etoile, dont lc fremissement de
l’eau augmente le scintillement, tu me regardes ... tu me sotiris
en clignant de Locil ... Bing! une seconde etoile aparait dans l’eau ;
un second oeil s’ouvrc. Soycz les bienvenues, fraiches et charmantes
etoiles ... Bing! Bing! Bing! trois. six, vingt Voiles . . . Toutes
les etoiles du ciel se sont donne rendez-vous dans cet heureux
etang . . . Tont s’assombrit encorc . . . L’etang seid scintille . . .
C’est un fourmillement d’etoiles . . . L’illusion se produit ... Le
soleil etant couche, le soleil interieur de 1'äme, le soleil de l art sc
levc . . . Bon! voila mon tableau fait!«
Wer über Corot nichts als diese Zeilen gelesen hat, kennt ihn.
Das Wörtchen Bing allein in seinem hellen Silberklang enthält und
erklärt seine Kunst. Wie leis angeschlagene Violinsaiten vibriren
XXVI. Die Landschai-t von 1830
3)9
Dupre: Lu Barque.
die Worte und möchten Mozart’sche Musik zur Begleitung. Ich
weiss nicht, wer backfischhaft verliebter, so kosend verführerisch
und erregt, so wollüstig und doch schamhaft — das ganze weiblich
Zarte der Natur, die aufgelösten Haare der Birken, den wogenden
Busen der Luft, die frische Jungfräulichkeit des Morgens, die müde
Sinnlichkeit des Abends beschrieb.
Zu diesen Eindrücken von Rouen, Ville d’Avray und Bar-
bizon kamen schliesslich noch die von Paris. Denn Corot war in
Paris geboren, er verliess es oft, kam aber doch immer zurück, hat
den grössten Theil seines Lebens da verbracht und vielleicht gerade
hier in seiner letzten Zeit die poetischsten Werke geschaffen. Er
brauchte in diesen Jahren keine Landschaften mehr, er brauchte, um
sie entstehen zu sehen, nur einen Himmel. Allabendlich, wenn die
Sonne untergegangen, verliess er sein Atelier, zur Zeit, wenn die
Dämmerung eben begann und Alles umschleierte. Er hob die Augen
zum Himmel auf, dem einzigen Theil der Natur, der sichtbar
blieb — wie oft kehrt dieser Pariser Dämmerungshimmel in Corots
Landschaften wieder! Er konnte am Ende seines Lebens sich wirklich
einem Traum überlassen. Die Zeichnungen und zahllosen Studien
360
XXVI. Die Landschaft von 1830
Dupri: Landschaft mit Regenstimmung.
seiner Jugend bekunden die Aengstlichkeit, Geduld und Genauigkeit
seiner Vorbereitung. Sie gaben ihm später, als er seiner Hand ganz
sicher, das Recht zu vereinfachen, weil er Alles von Grund auf wusste.
So malt Boecklin — ohne Modell — seine Bilder — und so hat
Corot seine Landschaften gemalt. Die schwierigsten Probleme sind
anscheinend improvisirend gelöst, gerade dadurch gibt der Anblick
eines Corot jenes unsagbare Wohlgefühl, jenen Eindruck reizendster
Leichtigkeit. So schreibt nur eine Hand, die vierzig Jahre den Pinsel
geführt. Alle Wirkungen sind erreicht mit dem kleinsten Aufwand
von Kraft und Stoff. Die Zeichnung schwebt hinter der wie hin-
geblasenen Farbe, als sähe man in’s Weite durch eine dünne Gaze.
Wer so viele Jahre wie er mit geduldigem, aufmerksam beobachten-
dem Auge die Wirklichkeit betrachtet, seine Phantasie tagtäglich mit
Natureindrüfcken durchsättigt hatte, der durfte schliesslich wagen,
nicht mehr die oder jene Scenerie, sondern den Duft, die Essenz
der Dinge zu malen, frei von allem beschwerenden, erdigen Beiwerk
seine Visionen, seine Seele allein zu geben. Es wäre verführerisch.
Corots Bilder nur als »Bekenntnisse einer schönen Seele zu würdigen.
Corot war gross und stark wie ein Herkules. In seiner blauen
Blouse, mit seiner wollenen Mütze und der unvermeidlichen, historisch
XXVI. Die Landschaft von 1830
361
Dupre: La Char rette de Foin.
gewordenen kurzen Corotpfeife im Mund, hätte man ihn eher für
einen Fuhrmann, als einen berühmten Maler gehalten. Aber zu
gleicher Zeit blieb er sein ganzes Leben lang ein — junges Mädchen;
20 Jahre älter als alle grossen Landschafter der Epoche, war er zu-
gleich ihr Patriarch und jüngerer Kamerad. Seine langen, weissen
Haare umrahmten ein unschuldiges, roth angehauchtes Landmädchen-
gesicht, und seine freundlichen guten Augen waren die eines Kindes,
das auf Märchen lauscht. 1848, während des Barrikadenkampfes,
fragt er in kindlichem Erstaunen; »Was gibt es? Sind wir mit der
Regierung nicht zufrieden?« Und 1870, während des Krieges, kault
er, das grosse 74jährige Kind mit den weissen Haaren, sich noch eine
Flinte, um mit gegen Deutschland zu kämpfen. Die Wohlthätigkeit
war die Freude seines Greisenalters. Jeder Freund, der um ein Bild
ihn anbettelte, bekam es, dem Geld gegenüber hatte er die Gleich-
gültigkeit des bedürfnisslosen Klausners, der nicht säet und nicht
erntet und von seinem himmlischen Vater doch ernährt wird. Einem
Bekannten, dem er gegen seine Gewohnheit 5000 Francs verweigerte,
läuft er athemlos nach: »Verzeih, ich bin ein Geizhals, da sind
sie.« Und als ihm ein Kunsthändler 10,000 Francs bringt, weist
^ ^2 XXVI. Die Landschaft von 1850
er ihn an: »Schicken
Sie es der Wittwe mei-
nes Freundes Millet;
nur muss sie glauben,
dass Sie Bilder von i h m
verkauft haben.« Seine
einzige Passion war die
Musik, sein ganzes Le-
ben »ein ewiges Lied«.
Corot war ein glück-
licher Mensch und kei-
ner verdiente mehr es
zu sein. In seiner gü-
tigen Lebhaftigkeit und
immer gleichmässigen
Heiterkeit war er der
Liebling Aller, die ihm
nahe traten und ihn
traulich ihren Papa
Duftre: Le vieux Chnte. Corot nannten. Alles
war gesund an ihm,
natürlich, er war eine harmonische Natur, glücklich zu leben und
zu schaffen. Diese Harmonie spiegelt sich in seiner Kunst. Auch
in der Natur sah er die Freude, die er in sich selbst trug.
Alles Rauhe oder Schreckliche meidet er — wie sein eigenes
Leben ohne Romane und Schreckenskatastrophen verlief. Kein Bild,
auf dem ein geängstigter Baum vom Winde gepeitscht wird
auch Corots Seele ward weder von Leidenschaften noch Schick-
salsschlägen berührt. Es gibt Luft in seinen Landschaften, aber nie-
mals Sturm; wohl Bächlein, aber keine Giessbäche; Gewässer, aber
keine Brandungen; Ebenen, nicht zerklüftete Gebirge — sie sind
sanft und friedlich wie sein eigenes Herz, dessen Ruhe auch der
Sturm nie trübte.
Kein Mensch lebte geordneter, regelmässiger, vernünftiger. Er
war verschwenderisch nur, wenn cs sich um Andere handelte. Kein
Abend verging, ohne dass er seine Whistpartie mit seiner Mutter
spielte, die kurz vor ihm erst starb und vom Greise noch mit der hin-
gebenden Zärtlichkeit des Kindes geliebt ward. Er hatte von früh an
ganz feststehende Gewohnheiten, die die Tage lang machen und Zeit-
XXVI. Die Landschaft von 1830
363
Vergeudung verhindern. Die acht
Jahre , die er im Schnittwaaren-
geschäft des Herrn Delalain ver-
lebte, hatten ihn an Pünktlichkeit
gewöhnt. Jeden Morgen sehr früh
stand er auf, war 3 Minuten vor
8 Uhr ebenso pünktlich im Atelier
wie er vorher hinter dem Laden-
tisch gewesen, und tliat, ohne
Fieber und Trägheit, heiter vor sich
hinsummend, sein Tagewerk mit
jener stillen Ruhe, die am weitesten
vorwärts kommt.
Darum hasste er auch in der
Natur alle Leidenschaft, alles Un-
regelmässige, plötzlich Auftretende,
Müde, das Fieberhafte des Ge-
witters, wie die schlaffe Trägheit
alles, was ruhig, gleichmässig und frisch, friedlich und heiter ist und
in seiner Ruhe bezaubert : den hellen , zarten Himmel , grün an-
gehauchte Wiesen und Waldungen, die Bächlein und Hügel, das
regelmässige Erwachen des Frühlings, die sanften, stillen Stunden
der Abenddämmerung, den thaufrisch lachenden Morgen, die zarten
Dämpfe, die sich langsam auf der Oberfläche stiller Gewässer bilden,
die Heiterkeit sternenklarer Nächte, wenn alle Stimmen schweigen,
jedes Lüftchen ruht: es spiegelt sich in Allem die Heiterkeit seiner
eigenen Seele.
Man möchte weiter noch gehen und sagen: in Gorots Bildern
spiegelt sich seine Güte. Corot liebte die Menschen und wollte sie
glücklich und scheute vor keinem Opfer zurück, seinen Freunden zu
helfen. Darum liebte er auch das Land und wollte es glücklich, be-
lebt und erheitert durch menschliche Wesen. Das ist der grosse
Unterschied zwischen ihm und Chintreuil, der ihm sonst so ähnelt.
Auch Chintreuil malte die Natur, wenn sie lächelnd aufschaudert
unter dem sanften, belebenden Blick des Frühlings, doch die Figuren
fehlen in seinen Bildern. Ein menschenscheuer, verdrossener, schüch-
terner Mann, glaubte er, die Natur auch fühle in der Einsamkeit
sich am wohlsten. Dickes, undurchdringliches Gestrüpp, ein-
same Schlupfwinkel in dichtem Gehölz, aus dem zuweilen eine er-
Narcisse Dia\.
sommerlicher Gluth. Er liebte
3<H
XXVI. Die Landschaft von 1850
schreckte Hirschkuh
unruhig spähend den
Kopf streckt — das ist
die Scenerie die Chin-
treuil liebte. Corot, der
die Einsamkeit nicht
vertragen konnte, son-
dern immer der Mittel-
punkt einer heitern Ge-
selligkeit war, machte
auch die Natur zu
einem geselligen We-
sen. Frauen, Männer,
Kinder, Reiter beleben
seine Waldungen und
Wiesen. Auch Bauern
zuweilen bei der Feld-
arbeit, doch wie we-
nig ähneln sie den
Bauern Millets. Die
Landleute des Meisters
von Gruchy sind eben-
so hart und rauh als sie wahr sind ; die Last des Lebens hat
ihre Körper gebeugt, in frühzeitige Falten die Gesichter gelegt;
vor der Zeit sind sie alt, jeden Abend müde. Corots Arbeiter er-
matten nicht; mehr hingehaucht als gemalt, mehr geträumt als gesehen,
leben sie in der frischen Luft, frei und zufrieden, ein ätherisches
Dasein, haben nie gelitten, so wie Corot selbst keine Leiden kannte.
Doch gewöhnlich wollten in die glücklichen Gefilde, die seine luftige
Phantasie ihm vorzauberte, Menschen überhaupt nicht passen, da
kam der Augenblick, wo Prudhon auflebte. Die Nymphen
Duii : La descenle des Bohemiens.
lllld
be-
von
Bacchantinen, denen er als Jüngling beim Grabmal des Virgil
gegnet, sie suchten ihn am Abend seines Lebens auch im Wald
Fontainebleau, in den Gefilden von Ville d’Avray auf.
Er träumt in seinen Bildern von Säulen und Altären, bei denen
mythische Gestalten, am Bache schlafende Dryaden, tanzende Faune
junctaequae nymphis gratiae decentes in classischer Gewandung sich
bewegen. In diesem Sinne war er zeitlebens Classicist. Nur sind
seine Nymphen keine »Staffage«, nicht Angehörige der verwelkten
XXVI. Die Landschaft von 1850
Truppe classischer Wesen,
denen die Akademie so lange
eine Altersversorgung in den
Ruinen verlassener Tempel
gewährte. Sie sind bei Corot
die natürlichen Bewohner
einer Welt von Harmonie
und Licht, die logische Er-
gänzung seiner Naturvisi-
onen — so wie Beethoven
in der neunten Symphonie
zur Menschenstimme über-
ging. Kaum hat er die Linien
der Landschaft hingehaucht,
da verlassen die Nymphen
und Tritonen, die strahlen-
den Kinder der griechischen
Idylliker, die vergilbten Blät-
ter der Bücher, um Corots
Haine zu bevölkern, sich im
abendlichen Schatten seiner
Wälder zu laben.
Denn die Abenddämmerung, die Stunde nach Sonnenuntergang,
das besonders ist die Stunde Corots: selbst die Vorliebe für die har-
monische Natur des ersterbenden Lichtes war ein Ausfluss seines
eigenen harmonischen Naturells. Corot war, wenn er wollte, auch
ein Colorist ersten Ranges. Die Weltausstellung 1889 enthielt Frauen-
bilder von ihm, die in der herben, strengen Schönheit der Gesichter
Feuerbach ähnelten, in der volltönigen Saftigkeit der phantastisch-
bunten Costümc an Delacroix gemahnten. Aber im Allgemeinen
bezeichnen seine Werke gegenüber den coloristischen Orgien der
Romantik die zarteste farbige Enthaltsamkeit. Eine silberhelle Wasser-
fläche, die elfenbeinerne Haut einer Nymphe ist gewöhnlich der
einzige Farbenhauch, der in den perlgrauen Nebeldunst seiner Bilder
hereinweht. Corot vermied als Mensch alle Gegensätze und Dramen;
alles Schroffe, alles Laute war ihm zuwider. Deshalb bevorzugte auch
der Maler die hellgrauen Abendstunden, in denen die Natur selbst sich
wie in zart verschwimmende Florschleier hüllt. Hier konnte er ganz
Corot sein, ganz ohne Conturen, fast ohne Farben malen, nur noch in
Dia\ : N’entre 3 pas.
weicher, dämmeriger
Atmosphäre baden.
Er sah keine Linien
mehr, Alles war Hauch,
Duft, Zittern, Geheim-
niss. »Cen’est plusune
toile et ce n’est plus un
peintre, c’est le bon
Dieu et c’est le soir .
Elysische Lüfte fingen
an zu wehen ; das
matte Echo rauschen-
der Bächlein verhallte
leise flüsternd im
Wald; die weichen
Arme der Nymphen
umschmiegten ihn
und aus dem nahen
Gehölz klangen zart
verschmelzende Me-
lodien wie Aeolshar-
fcn herüber:
Rege dich, du Schilfgeflüster;
Hauche leise, Rohrgeschwister;
Säuselt, leichte Weidensträuche;
Lispelt, Pappelzitterzweige
Unterbroch’nen Träumen zu.
XXVI. Die Landschaft von 1850
Harmonisch wie sein Leben und seine Kunst war sein Ende. Kien
ne trouble sa fin, c’est le soir d'un beau jour. Seine Schwester, mit der
zusammen der alte Junggeselle gelebt hatte, war im Oktober 1874 ge-
storben, und Corot liebte die Einsamkeit nicht. Am 23. Februar 1875
nachdem er gerade sein 79. Jahr vollendet — hörte man ihn, wie er
im Bett liegend mit den Fingern in der Luft zeichnete: Gott, ist das
schön, die schönste Landschaft, die ich gesehen habe«. Als ihm die
alte Haushälterin das Frühstück bringen wollte, sagte er lächelnd : Heut
frühstückt Pure Corot dort oben . Selbst die Krankheit der letzten
Tage konnte nichts von seiner Heiterkeit rauben und als seine
Freunde ihm in der Todesstunde die goldene Medaille brachten, die
zum Andenken an sein jojähriges Künstlerjubiläum geprägt war,
XXVI. Die Landschaft von 1830
367
meinte er mit Freu-
denthränen in den
Augen:» Man ist doch
glücklich, sich so ge-
liebt zu wissen; ich
habe gute Eltern, liebe
Freunde gehabt — ich
danke Gott«. Mit
diesen Worten ging er
ein in seine wahre
Wohnung, das Vater-
land seiner Seele, nicht
in das Paradies der
Kirche, in die elys-
ischen Gefilde, die er
so oft geträumt und
gemalt hatte: Largior
hic campos aether et
luminevestit purpureo.
Als sie ihn hinaus-
trugen aus seinem
Hause Faubourg-Pois-
soniere und ein Yor-
beigehender fragte, wer
begraben werde, antwortete eine dicke Krämerin, die in der Haus-
thür stand: »Ich weiss nicht, wie er heisst, aber er war ein guter
Mensch. Beethovens C-moll-Symphonie wurde nach seiner Bestimm-
ung beim Begräbniss gespielt und als der Sarg hinabgelassen ward,
schwang sich eine Lerche jubelnd gen Himmel. »Den Künstler
wird man schwer, den Menschen nie ersetzen«, hat Dupre am Grabe
Corots gesagt. Am 27. Mai 1880 ward ihm am Saum des Weihers
von Ville d’Avray, inmitten des dämmerigen Waldes, wo er so oft
geträumt hatte, ein schlichtes Denkmal enthüllt. Er starb im vollen
Künstlerruhm, doch erst die 40 Bilder, die 1889 die Centennaraus-
stellung vereinte, brachten ganz zum Bewusstsein, was die moderne
Kunst in Corot besass: einen Meister ewiger Meisterwerke, den
grössten Poeten, die zarteste Seele des neunzehnten Jahrhunderts, so
wie Fra Angelico die zarteste Seele des fünfzehnten, Watteau der
grösste Poet des achtzehnten Jahrhunderts war.
Dia 1: Sous la Feuillee.
368
XXVI. Die Landschaft von 1830
Dia\: Sous bois. Fontainebleau.
Jules Dupre , der melancholische Mann, den ein einsames Dasein
in leidenschaftlicher Arbeit verzehrte, steht neben Corot, dem Mozart,
als der Beethoven der modernen Landschaft. War Theodore Rousseau
der Epiker, Corot der Idylliker, so erscheint Dupre als der Tragiker
der Schule von Fontainebleau. Rousseaus Natur ist dem Menschen
gegenüber rauh, hart und gleichgültig. Für Corot ist Gott der
grosse Philanthrop, der die Menschen glücklich sehen will, der den
Frühling nur kommen, die lauen Winde nur wehen lässt, damit die
Kinder da unten ihre Freude dran haben. Seine Seele ist, wie es
im Weither heisst, heiter gleich denen süssen Frühlingsmorgen .
Jules Dupre hat weder die Sachlichkeit Rousseaus, noch die Zärtlich-
keit Corots, weder kühl noch leis sind seine Töne. Quant derriere
un tronc d’arbre oü derriere tine pierre, vous ne trouvez pas un
homme, ä quoi ga sert-il de faire du paysage«. Dort umschmeichelt
der leichte Flügelschlag der Zauberflöte, hier trifft der Eroica schreck-
licher Hauch das Ohr. Rousseau schaut der Natur mit weit ge-
öffneter Pupille, kritischen Blicks in’s Herz. Corot bewirbt sich
XXVI. Die Landschaft von 1830
369
um sie streichelnd, lächelnd, kosend, Dupr& pathetisch, Thränen
im Auge, klagend. Es ertönen bei ihm die mächtigen Fugen des
Romantismus. Die Bäume fangen an zu leben, die Wellen lachen
und weinen, der Himmel singt und klagt, die Sonne, der grosse
Kapellmeister, bestimmt die Accorde. Schon die beiden Bilder,
mit denen er 1835 im Salon erschien, nachdem er die Por-
zellanmanufactur von Sevres verlassen und während eines Aufent-
haltes in England Constable kennen gelernt, die »Umgebung von
Southampton« und »le Pacage dans le Limousin« zeigten ihn als
fertigen Meister. Alles bewegte sich und ächzte in der »Um-
gebung von Southhampton«. Ueber ein hügeliges Land saust wie
ein wildes Heer eine finstere Windsbraut hin, hastig, überflügelnd,
düster, fortreissend, wild hinfegend. Sie wirft den dünnstämmigen
Bäumen die Haare nach hinten. Regenschwangeres Gewölke um-
wallt wie in Eilmärschen den Horizont. Die ganze Landschaft ist
auf der Flucht; das Gehölz scheint sich wie ein Wanderer zu ducken.
Hinten sind einige Figuren erkennbar, Leute, die durch den Sturm
bei der Arbeit überrascht werden, Pferde, deren Mähnen im Winde
fliegen, ein Reiter, der sich und sein Thier flüchtet. Ein sumpfiges
Gewässer kräuselt wie stirnrunzelnd seine Wogen. Alles lebt und
bebt in dieser grandiosen Einsamkeit, in dem Zusammenspiel von
wirren, gleich Vögeln aufgescheuchten Lichtern, von Wolkeneile,
Zweigeflattern und schauernder Gräserflucht. »Le Pacage dans le Li-
mousin« war von derselben zwingenden Energie, ein bewunderns-
werthes Bild 1835 und bewundernswerth noch heute. Die grossen
alten Bäume standen da wie gewaltige Säulen, das Gras war in-
tensiv grün, regengeschwängert; die Natur schüttelte sich gleich-
sam im Fieber. Und Dupre hat das lyrische Fieber des Romantismus
zeitlebens behalten. Der letztheiingegangene Kämpfer des Roman-
tismus, hat er das Banner der stolzen Generation von 1830 noch
fast zwei Menschenalter getragen, blieb bis zum Tode 1889 auf
dem Boden stehen, auf den Paul Huet die französische Landschaft
gestellt — nur dass Huet seine malerischen Effecte auf dem Wege
der Combination und Berechnung erzielte, Dupre dagegen stets als
grosser, wahrer, überzeugender Poet erscheint. Allabendlich sah man
ihn in L’Isle Adam, wo er sich 1849 niedergelassen, einsam die
Fluren durchstreichen , selbst wenn strömender Regen klatschend
herniederschlug. Einer seiner Schüler erzählt, als sie Nachts einmal
während eines Sturmes auf der Oisebriicke standen, sei Dupre in
Muther, Moderne Malerei II.
24
370
XXVI. Die Landschaft von 1830
Weinkrampf ausgebrochen
vor dem gewaltigen Schau-
spiel. Er war ein Fanatiker
des Gewitters, der bebend
den himmlischen Tragödien
lauschte, ein leidenschaft-
licher, sich verzehrender
Geist, der gleich seinem
literarischen Doppelgänger
Victor Hugo die schöne
Landschaft nur da, wo sie
wild und grossartig ist,
suchte. Er ist der Maler
der geängstigten Natur und
des majestätischen Schwei-
gens, das auf den Sturm
folgt. Bald ist das Thema
seiner Bilder die aufwir-
belnde Angst der gelben
Blätter, die der Wind auf-
scheucht, die entfliehen und
sich bunt durcheinanderdrehen, die schaudernd, verstört, in toller
Jagd sich in die Furchen schmiegen, in die Gräben stürzen, an die
Baumstämme kleben, um Schutz vor ihrem Verfolger zu finden.
Bald pfeift der Nachtwind um eine alte Kirche, dreht sausend
die kreischende Wetterfahne im Kreise herum, rüttelt ächzend mit
unsichtbarer Hand an den Thüren, dringt durch die Fenster und
sucht, eingeschlossen in sein steinernes Gefängniss, heulend und
klagend wieder einen Ausweg. Malt er Marinen, dann braust und
stöhnt das Meer wie ein altes heiseres Ungethiim. die Farbe des
Wassers ist schmutzig und leichenfahl ; die bellende Meute der
Wogen stürmt wie ein unendliches Heer daher, vor dem alle mensch-
liche Macht zurückweicht. Losgerissene Steine zerschellen unter
schrillem Getöse am Ufer. Die Wolken sind unheimlich trüb, da
dem Rauch eines Kohlenfeuers gleichend, dort von blendender Weisse,
angeschwollen, als müssten sie bersten. Er feiert die Phaenomene,
die Bewegung des Himmels, die Natur in ihrer grollenden Majestät, die
sprühendsten Erscheinungen des atmosphärischen Lebens. Rousseaus
höchstes Ziel war die Effectlosigkeit und Corot kannte nur die Grazie
Charles Franfois Daubigny.
XXVI. Die Landschaft von 1830 ?yx
des Tons; ein Bild von ihm
besteht »aus einem wenig
grau und einem gewissen je
ne sais quoi«. Jules Dupre
ist der eigentliche Farben-
dichter der Gruppe, zieht im
romantischen Farbenconcert
die Täuschendsten Register.
Sein Licht erstrahlt nicht
in leise vibrirenden Silber-
klängen, es ballt sich zu
gellend rothen Sonnen zu-
sammen. »Ah la lumiere, la
lumiere!« Neben den flam-
menden Farben der Abend-
röthe malt er die schwärz-
esten Schatten. Er schwelgt
in Contrasten. Die liebste
Farbenstimmung ist ihm ein
gespenstischer Sonnenunter-
gang, in den eine knorrige Eiche oder das dunkle Segel eines kleinen
Fahrzeuges wie ein geisterhaftes Phantom hineinragt.
Schauernd und sehnend blickt er in das Wogengewühl und hört
den mondbeglänzten Strom rollen und klingen. Nacht, Regen und
Sturm thuen ihm wohl. Corots sanfte Bächlein werden bei ihm zur
wühlenden, rollenden Fluth, zum stürmenden, reissenden Strome. Der
Wind weht nicht, sondern braust verheerend über das Thal. Die Wol-
ken, bei Corot silbern und gutmüthig wie weisse Lämmlein, sind bei
Dupre drohend und schwarz wie Geister der Hölle. Bei Corot wiegt
der sanfte Morgenwind die lieben Wolken am Himmel herüber, bei
Dupre bläst ein nasskalter Abendwind unheimlich graue Nebel ins
Thal hinein und der Sturmwind zerreisst die Gewitterwolken.
Wenn ich fern auf nackter Haide wallte,
Wo aus dämmernder Geklüfte Schooss
Der Titanensang der Ströme schallte
Und die Nacht der Wolken mich umschloss,
Wenn der Sturm mit seinen Wetterwogen
Mir vorüber durch die Berge fuhr
Und des Himmels Flammen mich umflogen,
Da erschienst du, Seele der Natur.
24*
Daubigny: Printembs.
Daubigny: Ecluse Jans la vallee d’ Optevo^.
Diaz , der in seiner Jugend mit Dupre in der Porzellanmanu-
factur von Sevres arbeitete, ist der erste der stolzen Plejade, der
nicht aus Paris selbst stammte. Von edler spanischer Abkunft -
Narciso Virgilio Diaz de la Pena lautete sein volltönender Name —
war er 1807 in Bordeaux geboren, nachdem seine Eltern in Folge
der Revolution über die Pyrenäen geflüchtet waren, und auch in
seinen Landschaften macht sich vielleicht ein wenig der Spanier be-
merkbar. Diaz hat etwas von Fortuny. Neben dem grossen, nach
Wahrheit ringenden Genie, dem männlichen Ernste Rousseaus, den
düster hingefegten, urkräftigen Landschaften Dupres mit ihrer tiefen,
pathetischen Poesie erscheinen die perlenden, schmeichelnden Bilder
von Diaz ein wenig als leichte Waare. Die Natur ist ihm ein
Clavier, um capriciöse Phantasien darauf zu spielen. Seine Bilder
wirken auf das Auge wie funkelnde Diamanten, und man muss
diesen Reiz auf sich wirken lassen, ohne nach der Ursache zu
fragen, sonst entflieht er. Diaz hatte vielleicht ein wenig zu sehr
das Talent des Taschenspielers. Das funkelt wie in einem Zauber-
kaleidoskop. »Du malst Brennnesseln, ich ziehe Rosen vor«, ist die
bezeichnende Aeusserung, die er gegen Millet that. Seine Malerei
ist prickelnd und schillernd wie ein Pfauenschwanz aber — gerade
in diesem Schillern oft von unsagbarem Reiz. Sie hat das raketen-
haft Geistreiche, sprühend Chevalereske , das dem Menschen eigen
XXVI. Die Landschaft von 1850
373
Daubigny: Le printemps.
war und ihn zum beliebtesten Gesellschafter, zum enfant terrible
und geistigen Mittelpunkt des Kreises von Fontainebleau machte.
Auch ihm war wie seinen grossen Genossen Rousseau und
Dupre die Armuth eine lange Begleiterin. Kurz nach seiner Geburt
starb der Vater. Frau Diaz, ohne alle Mittel, kam nach Paris, wo
sie sich durch Unterricht im Spanischen und Italienischen den Unter-
halt erwarb. 10 Jahre alt, stand der Knabe als Waise auf dem
Pflaster der Riesenstadt. Ein protestantischer Pfarrer in Bellevue
nahm sich seiner an. Hier geschah das Unglück, von dem er später
so gern erzählte. Bei einem seiner Streifzüge durch den Wald wurde
er von einer giftigen Fliege gebissen und musste seitdem mit einem
hölzernen Bein, das er son pilon nannte, durch’s Leben stelzen. Seit
seinem 15. Jahr arbeitete er, erst als hinkender Ausläufer, dann als
Porzellanmaler — mit Dupre, Raffet und Cabat zusammen — in der
Manufactur von Sevres. Nicht lange, denn als ihm eines Tages
in den Sinn gekommen, eine Vase ganz nach seinem Geschmack
zu decoriren, wurde er als unfähig entlassen. Nun begann das Elend
von Neuem. Oft wenn der Abend gekommen und das Dunkel ihn
schützte, durchlief er die Boulevards, öffnete die Thüren der still-
haltenden Wagen und — streckte bettelnd die Hand aus. »Was
thuts, später werde ich selbst Pferde und Wagen und eine goldene
Krücke haben — mein Pinsel wird sie mir geben.« Auf gut Glück
stellte er bei einem Kunsthändler, in der Hoffnung, 100 Francs dafür
einzunehmen, den »Abstieg der Zigeuner« aus, jene malerische Bande
374
XXVI. Die Landschaft von 1850
Daubigny: Solitude.
von Männern, Frauen und Kindern, die singend, lachend, schreiend
auf einem abschüssigen Waldweg daherkommen, sich wie ein Heu-
schreckcnschwarm auf ein benachbartes Dörfchen zu stürzen. Ein
Pariser Amateur zahlte 1500 Francs. Damit war Diaz gerettet, und
siedelte sich im Wald von Fontainebleau an.
Diese Biographie erklärt zugleich Manches im Kunstcharakter des
Malers. Seine Arbeiten sind ungleich. Mit seinem Bild »Letzte
Thränen«, das auf der Weltausstellung 1855 erschien und zu
seinen Landschaften sich verhält wie ein grosser Kupferblock zu
kleinen Goldstangen, betrat er einen Weg, auf dem er lange ohne
eigentlichen Erfolg umherirrte. Er wollte Figurenmaler sein und
machte sich dazu eine Malerei durch Mischung verschiedener Tra-
ditionen zurecht, suchte Prudhon, Correggio, Leonardo zu vereinen.
Dem Meister von Clugny entlehnte er den Frauentypus mit der
stumpfen Nase und den langgeschlitzten , mandelförmigen Augen,
coiffirte den Kopf ä la Vinci und legte das Sfumato Allegris darüber.
Seine Zeichnung, in ihrer Flüchtigkeit so malerisch, wurde kraftlos,
indem sie correct sein wollte, seine Farbe fad monoton, indem sic
dem Stil der Classiker nachlief. Diaz verdiente in dieser Zeit sehr
viel, verkaufte ohne Unterlass, rächte, wie er sich vorgenommen,
XXVI. Die Landschaft von 1830
375
Daubigny : Radirung.
seine frühere Armuth. Er, der auf den Boulevards gebettelt, konnte
Waffen und Costüme zu den höchsten Preisen erwerben und ein
kokettes Haus auf der Place Pigallc erbauen. Für seine kunstgeschicht-
liche Stellung sind diese Arbeiten, die ihm eine Jahreseinnahme von
50,000 Francs und eine Zeitlang den Ruf eines wiedergeborenen
Prudhon einbrachten, trotzdem belanglos. Zwischen den verschieden-
sten, altmeisterlichen Einflüssen schwankend, kam er nicht über einen
unsichern Eklekticismus hinaus und konnte zu wenig zeichnen, um
nennenswerthe Resultate zu erzielen. Was bleiben wird von ihm,
ist der Landschafter. Er soll der Schrecken alles .Wildes gewesen
sein, so lange er mit Rousseau und Millet in Fontainebleau hauste
und dort, um sich einen billigen Braten zu schaffen, mit der Flinte
im Arm die Wälder durchstreifte. Er soll, wenn seine Bilder vom
Salon zurückgewiesen wurden , damals die Leinwand lachend mit
seinem hölzernen Bein durchlöchert haben : »Wozu hilft der Reich-
thum? Kann ich mir einen Diamanten in meinen Pilon setzen
lassen?« In diese Jahre vor 1855, so lange er noch keinen Kunst-
händler kannte, fallen Diaz’ unsterbliche Werke.
Sein Name braucht nur genannt zu werden, und ein Wald-
inneres taucht in der Erinnerung auf, das der Herbst roth gefärbt
hat, wo Sonnenstrahlen auf vergoldeten Baumstämmen hüpfen, in my-
376
XXVI. Die Landschaft von 1850
steriösen Lichtungen nackte,
weisse Körper lagern oder
auf goldgelben Sandwegen
bunt drapirte Odalisken da-
herkommen, deren reiche
Kleider im Sonnenstrahl
funkeln. Wenige haben
gleich ihm dem Walde seine
Schönheit in Sonnengold
und Blättergrün abgelauscht.
Sie Alle waren am Ein-
gang geblieben, er war der
erste, der wirklich hinein-
ging. Die Aeste der Bäume
schlugen über ihm zusam-
men wie die Wogen des
Meeres, der blaue Himmel
verschwand, alles war ein-
gehüllt in Schönheit und
Poesie. Die Sonnenstrahlen
rieselten wie der Regen der
Danae durch die grünen
Blätter, das Moos lag wie
ein sammtener Mantel über
den granitenen Fclsblöcken.
Wie ein Eremit siedelte er in seiner grünen Höhle sich an. Die
Blätter schillerten gelb und roth und bedeckten den Boden, von
den verstohlenen Strahlen der Abendsonne neckisch vergoldet. Man
sah nichts von den Bäumen, nicht die Silhouette ihres Blattwerkes,
nicht die majestätischen grossen Linien der Aeste — man sah nur
den moosbedeckten, von Sonnenstrahlen umspielten Stamm. Diaz’
Bilder sind nicht Landschaften, denn das Land fehlt ihnen, sic sind
Porträts von Baumschäften , und ihre Poesie liegt in dem Sonnen-
strahl, der sie spielend umhüpft. »Haben Sie meinen letzten Stamm
gesehen ?« pflegte er selbst die Besucher seines Ateliers zu fragen.
Dieses Waldinnere war Diaz’ eigenste Specialität, er hat es nur
selten verlassen , um andere warme sommerträumerische Bilder zu
malen. Denn als echtes Kind des Südens wollte er die Natur an
ihren schönen Tagen nur sehen. Er kennt nicht den Frühling mit
Chintreuil: Utie matinee.
XXVI. Die Landschaft von 1830
) / /
Chintreuil: Le Bosquet aux Cbevreuils.
seinem leichten Nebel, noch weniger die starre Oede des Winters.
Den Sommer allein kennt er, den Herbst, und wie die Frühlinge
Corots, sind die Sommer von Diaz ein ewiges Lied. Schöne Nymphen
und andere Wesen aus goldenem Zeitalter beleben seine smaragdenen
Wiesen und sonnedurchblitzten lauschigen Wälder : bald kleine, recht
bürgerlich aussehende Nixchen , bald niedliche Amoretten , Venuse
und Dianen von reizender Grazie. Alle diese Göttinnen denken
nichts und thuen nichts, sind nicht pikant wie die Bouchers und
Fragonards und kennen weder Koketterie, noch Lächeln, sie sind
einfache Palettengöttinnen , wollen nichts vorstellen als leuchtende
Farbenflecken und lieben nichts als die silbernen Sonnenstrahlen, die
kosend ihre nackte Haut umstrahlen. Ist dem Maler eine lebhaftere
Farbe erwünscht, so werfen sie sich glänzend rothe, blaue, grün-
gelbe oder golddurchwirkte Stoffe über und verwandeln sich wie
auf einem Zaubertheater flugs aus Nymphen in orientalische Weiber.
Um sein reizendes Phantasietürkenthum heraufzubeschwören , war
ihm ein Stück weicher, goldschillernder Seide, ein rother Turban
378
XXVI. Die Landschaft von 1850
Harpigtiies : Claire de Lutte.
Mittels genug. Zuweilen sind sogar simple Sterbliche, Holzhacker,
Bauernmädchen oder Zigeuner gekommen, sich von Sonnenstrahlen
beimpfen zu lassen und mit ihren malerischen Lumpen pikante Farben-
fleckchen zu bilden.
Diaz ist ein reizender Künstler, ein grosser Charmeur, ein
Fest für die Augen, in die Kategorie der Isabev und Fromentin ge-
hörig. Als er beim Morgengrauen des 18. November 1876 fern im
Süden, inmitten des ewigen Sommers von Mentone, die dunkeln
leuchtenden Augen für immer schloss, ging ein Hauch der Trauer
durch die Wipfel des alten Reichsforstes von Fontainebleau. Der
Wald hatte seinen Klausner verloren , den geschäftigen Bergmann,
der am tiefsten einfuhr in den grünen Schacht, — er hält dankbar
die Erinnerung an ihn aufrecht : geh nur, wenn der October kommt,
durch das Dickicht des Bas Breau, verirr dich in der herrlichen Vege-
tation, unter diesen hundertjährigen Bäumen, die wie Riesenbouquets
in tausend Farben schimmern, da dunkelgrün, da braun, dort goldgelb,
dort purpurroth — und du wirst im Anblick des blitzenden Flimmerns
herbstlicher Töne nur sagen können: ein Diaz.
Daubigny, der jüngste der Gruppe, kam nach der Schlacht und
spielt, weil er nicht mehr zu den Erfindern zählt, geschichtlich eine
geringere Rolle, hat aber ebenfalls eine Physiognomie für sich , ein
XXVI. Dif. Landschaft von 1850
379
Profil von eigenem Heiz.
Die Andern waren Maler der
Natur, Daubigny ist der Maler
des Landes. Das heisst, wenn
man von München nach
Dachau fährt, um die blüh-
enden Apfelbäume und grün-
enden Birken zu sehen, den
Geruch des Kuhstalls und den
Duft des Heues zu athmen,
dem Läuten der Kuhglocken,
dem Quaken der Frösche
und Zirpen der Mücken zu
lauschen — da sagt man
nicht: ich will die Natur
sehen, sondern »ich gehe
auf’s Land«. Jean Jacques
Rousseau war der Dichter der
Natur, George Sand in ein-
zelnen ihrer Romane hat das Landleben gefeiert. In diesem Sinne
ist auch Daubigny weniger ein Verehrer der Natur, als ein Freund
des Landlebens. Seine Bilder geben die Empfindung, wie wenn man
während eines Sommerausfluges am Fenster steht und in den lachen-
den knospenden Frühling schaut. Man empfindet keine Ehrfurcht
vor dem Künstler, aber man möchte ein Vogel sein, um auf diesen
Zweigen zu sitzen, eine Eidechse, um durch dieses Grün zu kriechen,
als Maikäfer summend von Baum zu Baum fliegen.
Daubigny hat vielleicht nicht mehr das grosse, freie Schaffens-
vermögen der Aelteren, ihre grossartige, über den Dingen schwebende
Simplicität : das weibliche Element, Empfänglichkeit für das Natur-
schöne überwiegt bei ihm, nicht mehr die männliche, zeugende
Gestaltungskraft, die für den empfangenen Natureindruck sofort aus
sich heraus den schlagenden Kunstausdruck findet. Er sucht keine
poetischen Emotionen wie Dupre, hat nicht den tiefen, durch-
dringenden Blick für die Natur wie Rousseau ; er nähert sich —
in seiner Liebenswürdigkeit und Freundlichkeit — Corot, doch
ohne dass in seine Landschaften mythologische Wesen mehr passten.
Sie würden sich nicht freuen über diesen Duft nassen Grases, den
Geruch frischen Düngers und die verwitterten alten Kähne, die auf
XXVI. Die Landschaft von 1830
Troyoti: Le passage du bac.
Daubignys Bildern schaukelnd am sumpfigen Uferrain halten. Corot,
leicht, zart, naiv wie ein Gymnasiast, der Zeitlebens auf der Schul-
bank sitzt, bleibt immer mysteriös und verschleiert. Daubigny,
schwerer, mehr Techniker, hat mehr Kraft und weniger Grazie,
träumt weniger und malt mehr. Corot verhimmelte die Natur, silber-
graue Wolken trugen ihn hinweg in die elysischen Gefilde, wo
nichts mehr Erdenschwere hatte, Alles in poetischen Duft zerfloss.
Daubigny, von keinen Ikarusflügeln getragen, erscheint neben ihm
als Antaeus: körperhafter, der Erde vermählt. Dupre machte die-
selbe zum Spiegel der Thränen und Leidenschaften des Menschen.
Corot überraschte sie, bevor der Bauer erwacht, in Stunden, wo
sie noch ganz den Feen und Nymphen gehört. Bei Daubigny
ist sie übergegangen in den Besitz des Menschen. Nicht häufig
bewegen sich Figuren in seinen Bildern. Selbst Rousseau gibt
öfter in seinen Landschaften dem Landmann einen Platz, aber seine
Natur steht hart, unnahbar, überlegen gleichgültig dem Menschen
gegenüber. Sie blickt ernst auf ihn herab, das Herz ihm zuschnürend
und beengend. Bei Daubigny ist sie dem Menschen vertraut, ihm
Troyon: La vache qui se gratte.
nahe, freundlich und dienstlich. Die schaukelnden Kähne am Ufer
verrathen, dass Fischer in der Nähe, die kleinen Häuser lassen, selbst
wenn sie leer stehen, erkennen, dass die Bewohner nicht weit sind,
nur auf dem Felde arbeiten und jeden Augenblick zurückkommen
können. Dort ist der Mensch ein Atom des Unendlichen , hier ist
er der Herr der Schöpfung. Rousseau wirkt einfach und mächtig,
Dupre leidenschaftlich pathetisch , Corot himmlisch , Diaz reizend,
Daubigny idyllisch, traulich intim. Er vollendete ein Zeitalter, ge-
noss das, was die Andern erregt hatte, man bewundert ihn nicht,
man liebt ihn.
Bei seiner Amme in einem kleinen Dorf bei L’Isle Adam hatte
er die Jugend verbracht, von weiss blühenden Apfelbäumen und
wogenden Getreidefeldern umgeben. Hier empfing er als Knabe
schon die Eindrücke, die ihn zum Maler des Landes machten und
auch durch einen Aufenthalt in Italien nicht mehr verwischt werden
konnten. Das beste Bild, das er dort malte, zeigte ein flaches Stück
Land mit Disteln. Eine Ansicht der Insel »St. Louis« war das Werk,
mit dem er 1838 im Salon debütirte.
382
XXVI. Die Landschaft von 1830
Troyon: Le Retour ä la Fenne.
Daubigny ist der Maler des Wassers, das silbergrau zwischen
Eschen und Eichen hinmurmelt und in seinem klaren Spiegel die
Wolken des Himmels auffängt. Kr ist der Maler des Lenzes im
Frühlingsduft, wenn die Wiesen im ersten Grün prangen und die
eben entfalteten Blätter der Bäume sich als hellgrüne Farbenfleckchen
vom Firmament abheben, wenn die Linden blühen und die Getreide-
felder sprossen. Ein vom Hauche des Frühlings sanft bewegtes Saat-
feld unter knospenden Apfelbäumen, stille Flüsse, in denen bebuschte
Inseln und Ufer sich spiegeln, ruhige Mühlen in der Nähe kleiner
Bächlein, die silberklar über blitzblanke Kieselsteine rieseln, schnatternde
Gänse und Wäscherinnen, die sauber ihr Linnen ausbreiten, das hat
Daubigny mit der feinen Empfindung des sehr empfänglichen Natur-
freundes gemalt. Zugleich wusste er den wunderbarsten Schmelz
zarter, feuchtdunstiger Lüfte durch seine Bilder zu verbreiten, be-
sonders in jenen Abenden am Wasser, die zugleich so poetisch und
exakt sind, hellen Mondscheinabenden, wenn alle Dinge scharf be-
leuchtet und doch von traumhaftem Dufte weich umflossen sind.
Das kühle Abenddunkel, nachdem die Sonne und jede letzte Spur
der Abendröthe am Himmel verschwunden, war seine liebste Be-
leuchtung. Yalmandois, wo er seine Jugend verbrachte, dann die
XXVI. Die Landschaft von 1830
383
Troyern: Paturage Norm and.
Oise, der graziöseste und malerischste Fluss Nordfrankreichs mit
seinen grünen Ufern, Weinbergen und umzäunten Gärten kehren am
häufigsten in seinen Bildern wieder. Auf einem kleinen Schiff
fuhr er alltäglich, wenn die Natur ihr Frühlingskleid anzog, mit
seinem Sohne Karl die Ufer entlang, in der Cabine dieses Bootes ent-
standen seine frischesten Werke, geistreiche Skizzen zauberstiller, fein
umschleierter Gegenden, über die der Mond sein helles, silbernes
Licht breitet, feine Radirungen, die ihm einen Ehrenplatz in der Ge-
schichte der modernen Aetzkunst sichern. Der Maler der Ufer der
Oise betrachtete Alles mit der Neugier und der Liebe eines Kindes und
ist trotz aller Geschicklichkeit immer ein naiver Künstler geblieben.
Nachdem diese grossen Meister die Bresche geschlagen, machte
sich eine ganze Reihe von Landschaftern daran, Jeder auf seine Art
von der gesunden Kraft , dem zarten Reiz, der klagenden Melan-
cholie der Erde zu erzählen. Die Einen lieben Dämmerung und
Licht, die einfache Wiedergabe alltäglicher Fleckchen in alltäglicher
Stimmung, die Andern den Kampf der Elemente, den leidenschaft-
lichen Zug der Wolken, den schmerzerfüllten Scheidegruss der Sonne,
die düstern Stunden , wenn die Natur sich in trauernden Witwen-
schleier hüllt.
384
XXVI. Die Landschaft von 1830
Troyon: Boeu/s se rendant au labour. Effet du malin.
Chintreuil war, obwohl er den Ruhm nicht kannte, einer der aller-
feinsten, ein äusserst sensibler Geist, der selten vorkommende, schnell
vorübergehende Effekte ebenso delicat wie kühn fixirte: den Augen-
blick, wenn die Sonne zwischen Wolken flüchtig durchblitzt, wenn
dicken Nebel für einen Augenblick ein Lichtstrahl durchzuckt, wenn
einsame grüne Felder von den ersten süssen Sonnenstrahlen umkost
werden oder ein schimmernder Regenbogen eine frische Frühlings-
landschaft umspannt. Sein Schüler Jean Desbrosses wurde der Maler
des Thaies und des Gebirges. Achard folgte Rousseau in dessen ein-
same, ernste, fitst traurige Gegenden. Francais malt intime Winkel
aus der Umgegend von Paris graziös, doch schwerer als Corot und
ohne das leuchtende Licht, das die Werke jenes Einzigen durchfliesst.
Die Bilder von Harpignies sind ein wenig trocken und handfest. Fr
ist rauher als jene Grossen und spricht eine weniger verführerische,
fitst nüchterne Sprache, aber sachlich mit Ucberzcugung, loyal und
einfach. Man schätzt ihn als aufrichtigen, sympathischen Künstler,
als sicheres, vielseitiges, ein wenig zum Classicismus neigendes Ta-
lent. Emile Breton, der Bruder Jules’, liebte aufgerüttelte Elemente,
wilde, abgelegene Gegenden und rauhes Klima. Die Ausführung
XXVI. Die Landschaft von 1S30
385
ist breit, der Ton kräftig, er hat
Grösse und Einfachheit. Leonce
Chabry hat neben seinen ernsten,
grossen Landschaften auch Marinen
gemalt, finstere Wogen, die gegen
zerklüftete Felsen schlagen.
In der Kunst fast Aller spielt
die Darstellung der Viehweiden
eine grosse Rolle. Bei einigen ging
die Freude an der Thiermalerei
so weit, dass sic überhaupt keine
Landschaft malten, ohne im Vor-
dergrund ihre geliebten Hccrdcn
Kühe oder Schafe anzubringen.
Die Stimmung der Landschaft, die
heitere Sonnenpracht der Farbe
oder die stille Melancholie der
Abenddämmerung klingt harmo-
nisch im Wesen dieser Thiere aus. Damit waren neue Bahnen auch
der Thiermalerei eröffnet, die nicht weniger als die Landschaft unter
dem Druck der Convention gelitten.
Bis zum Schlüsse des 1 8. Jahrhunderts hatte man in Frankreich
sich begnügt, die leichte oberflächliche "Kunst des Nicolaus Berghem
dem französischen Geschmack anzupassen. Dcmarne, einer der letzten
Erben dieses Niederländers, brachte noch während der Revolutions-
zeit unter die grossen Bilder mit ihren classischen Allüren ein wenig
Sonnenschein, Heiterkeit und Landluft. In seinen Armen entschlief
die Thiermalerei des Ancien regime und der »edle Stil« des Classi-
cismus verhinderte das Emporkommen einer neuen. Die Thatsache,
dass der grosse Jupiter, der Vater der Götter und Menschen, gern
sich die Gestalt eines Vicrfüsslers zulegte, wenn er schwache,
weibliche Wesen verführte, hätte zwar auch während der Herr-
schaft der Davidschule dem Thierbild eine gewisse Berechtigung ge-
sichert. Aber da Thiere schwer zu idealisiren oder die erhaltenen
antiken Thierstatuen schwer direct für Bilder zu verwenden waren,
hielt man sich lieber ganz davon fern. In Landschaften, die nur
Götter und Helden mit ihrer Gegenwart beehrten, hätten nicht ein-
mal idealisirte Thiere gepasst. Nur solche, deren richtige Zeichnung
schwer zu controliren, wie Sphinxe, Sirenen und geflügelte Pferde,
Muther, Moderne Malerei II
Rosa Bonheur.
2)
386
XXVI. Die Landschaft von 1830
Rosa Bonheur: Labourage Nivernais.
jene Wesen, die auch von den antiken Tragikern so gern als deus
ex machina verwendet wurden, treiben zuweilen in den Bildern
Bertins und Paul Plandrins ihr Wesen. Carle Vernet, der Cavallerie-
attaken und Jagdscenen componirte, hatte nicht Talent genug, um
ernstlich Bresche zu schlagen und auf seinem Gebiete Nachfolger zu
finden. Gericault, der Vorläufer des Romantismus, war auch der
erste bedeutende Pferdemaler; und ist sein grosser Schiff bruch der
Medusa noch stark im Schema des Classicismus befangen, so wirken
seine Jockeybilder und Pferderennen derart frisch, lebendig und un-
gezwungen, als ob sie gestern, nicht vor 70 Jahren, gemalt wären.
An sprühender Lebendigkeit, Temperament und Verve steht Geri-
cault einzig da in diesen Bildern , das gerade Gegentheil von
Raymond Brascassat, dem ersten Specialisten des landschaftlichen
Thierstückes, der wegen seiner zierlichen Behandlungsweise in den
30er Jahren grossen Beifall find. Brascassat war der Winterhalter
der Thiere, weder Classicist, noch Romantiker, noch Realist, sondern
die verkörperte Mittelmässigkeit, ein Mann, der die Natur schlecht
und recht mit den Augen des Philisters betrachtete. Sein schnell
verblasster Ruhm war die That jener Amateure, die vom Bilde in
erster Linie die banale, möglichst genaue und glatte Reproduction
der Wirklichkeit fordern.
Erst als die Landschafterschule von Fontainebleau eine neue Art
zu sehen, zu fühlen, sich auszudrücken begründet hatte, brachte Frank-
XXVI. Die Landschaft von i8jo
387
Rosa Bonheur : Pferdeinarkt.
reich auch neue, grosse Thiermaler hervor: gleich thurmhoch wie
auf dem Gebiete der Landschaft Dupr6 und Rousseau ihre Vorgänger
Cabat und Flandrin überragen , steht auf dem Gebiete des Thier-
stückes Troyon über Brascassat. Dort eine ängstlich kleinliche Natur-
betrachtung in Verbindung mit polirter, magerer, arrangirter, aka-
demischer Malerei, hier eine wilde, breit-grosse Mache, eine Unmittel-
barkeit und Macht der Anschauung, die in der Kunstgeschichte ihres
Gleichen sucht. Brascassat gehörte in die Kategorie der Denner,
Troyon in die der Frans Hals und Brouwer.
Es wäre zwecklos, von seiner ersten Thätigkeit in der Porzellan-
manufactur von Sevres zu erzählen , von seinen kunstgewerblichen
Arbeiten und den kleinen classicistischen Veduten, mit denen er 1833
im Salon debütirte, von der Anregung, die er durch Roqueplan
erhielt. Sich selbst fand er erst, als er die Bekanntschaft Theodore
Rousseaus und Jules Dupres gemacht und sich mit ihnen im Wald
von Fontainebleau ansiedelte. In diesem Hauptquartier der neuen
Schule erlebte er die Umwandlung seiner Anschauungen. Hier
fühlte er sich, erst Landschafter, bald hingezogen zu den mächtigen
Formen der Ochsen, deren Farbe so harmonisch in der Luft und im
Grün steht und deren philosophische Ruhe so gut das träumerische
Wesen der Natur ergänzt. Eine Reise nach Belgien und Holland
1847, auf der er mit den alten Thiermalern intimere Bekanntschaft
machte, bestärkte ihn in dem Entschluss, sich ausschliesslich diesem
Gebiet zu widmen. Weniger Paul Potter als Albert Cuyp mit seiner
25*
388
XXVI. Die Landschaft von 1830
E. van Marcke: Le Retour ä la ferme.
mächtigen, schönen und reichen Farbe, seiner zugleich leichten und
männlichen Mache fesselte ihn. Doch Rembrandt vor Allen wurde
sein grosses, angestauntes Ideal. In der »Mühle«, seinem ersten
Hauptbild von 1849, ist der Einfluss des grossen Holländers deut-
lich bemerkbar und bleibt dann bis 1855 vorherrschend. In diesem
Jahre, während eines längeren Aufenthaltes in der Normandie, wurde
er Troyon und malte die »zur Arbeit gehenden Ochsen« , das ge-
waltige Bild des Louvre, das ihn im Zenith seines Schaffens zeigt.
Noch kein Thiermaler hatte so sachlich und mächtig zugleich den
langsamen, schweren Schritt, die philosophische Gleichgültigkeit und
ruhige Resignation der Rinder, die Poesie des herbstlichen Lichtes
und den Nebel des Morgens gemalt, der, leicht vom Boden aul-
steigend, das ganze Land in graue, silberne Töne hüllt. Das tief-
gefurchtc, dampfende Ackerfeld steigt wellig an, so dass man über
das Erdenrund in den Horizont zu blicken meint. Eine urthümliche,
homerische Stimmung ruht darüber.
Troyon ist vielleicht weniger correct als Potter, und nicht so
abgeklärt als Albert Cuyp, aber kräftiger und wuchtiger als beide.
Keiner hat wie er die Poesie dieser schweren Fleischmassen be-
XXVI. Die Landschaft von 1830
389
E. van Marcke: Les deux Amies.
griffen, mit ihren mächtigen Farben, ihrer grossen Silhouette.
Was ihn weiter über die Alten stellt, ist seine urwüchsige Kraft als
Landschafter, die nur in Rousseau ihres Gleichen hat. Seine Land-
schaften haben stets Erdgeruch, den Geschmack der Rusticität. Bald
malt er die von lichtem Sonnenschein durchtränkte Atmosphäre,
welche die Umrisse der Dinge mit leichtem Corot’schen Dunst ver-
schleiert; bald lässt er seine Heerden schwerfällig feist zur Nacli-
mittagsstunde über hellbeleuchtete Feldwege und dunkelgrüne Wiesen
schreiten ; oder der Himmel ist von schweren Gewitterwolken durch-
jagt. Troyon ist kein Poet, aber ein geborenes Maleringenium, ein
Maitre-peintre von Kraft und Plastik , ebenso gesund wie farben-
prächtig, in die kraftstrotzende Familie der Jordaens und Gourbet ge-
hörig. Seine »Kuh, die sich kratzt« und seine »Rückkehr zum Meier-
hof« werden stets zu den gewaltigsten Thierbildern aller Zeiten zählen.
Als er 1865 nach zweijähriger geistiger Umnachtung starb, ver-
suchte Rosa Bonheur in den Platz aufzurücken, den er leer gelassen.
Die Sympathien der Menge besass sie schon vorher, da sie in ihren
390
XXVI. Die Landschaft von 1830
Cb. Jacque: Troupeau en Marche.
Bildern alle Qualitäten, die an Troyon vermisst wurden, vereinigte
und zu gefallen wusste, wo jener abstiess. Troyons Arbeiten schienen
den Amateuren lange Zeit nicht vollendet genug. Sie sagten sich
nicht, dass die »Vollendung« bei Kunstwerken schliesslich nur ein
Werk der Geduld ist, mehr industriell als künstlerisch und im Grunde
nur zu dem Zweck erfunden, um Halbkenner zu verlocken. Rosa
Bonheur besass diesen Fleiss und verdankte es ihm, dass ihr Ruhm
schon durch ganz Europa verbreitet war, als Troyon noch von
Wenigen erkannt wurde. Heute hat sich das Verhältniss geändert.
Man wird gewiss ihr sonniges, frisches Erstlingsbild von 1849 Pflüger-
arbeit in Nivernois« mit dem Sechsochsengespann, dem fetten, roth-
braunen. aufgerissenen Ackerboden, der weiten, hellen, einfachen,
lachenden Landschaft unter dem klaren, blauenden Aether immer
im Luxembourg gern betrachten. Sic hat alle Qualitäten , die zu
würdigen man kein Feinschmecker zu sein braucht: grosse ana-
tomische Kenntnisse, geschickte Mache, ein liebenswürdiges, be-
stechendes Golorit. Es steht in der Kunstgeschichte einzig da,
dass eine Dame so gute Bilder wie die Heuernte in der Auvergne
von 1853 mit den fast lebensgrossen Thieren oder jenen »Pferde-
XXVI. Die Landschaft von 1830
391
Sr. v
8l 'Vf
|P
$1. iw
SäT 41
wmm
W&rK‘'
P 1
mm
iJR .
ri.lMffl , i* .
Cb. Jacqne: Rückkehr in den Stall.
markt in Paris« von 1855 malte, der vielleicht ihr glänzendstes Werk
ist und zu dem sie 18 Monate lang in Männerkleidern in allen
Pariser Manegen zwischen Stallknechten und Rosshändlern ihre
Studien machte. Noch heute betreibt sie von ihrem Schlosse By
zwischen Thomery und Fontainebleau einen ausgedehnten übersee-
ischen Export, und ihre Bilder sind die schlechtesten nicht, die vom
Continent nach England und Amerika wandern. Sie ist vielleicht
die einzige weibliche Berühmtheit des Jahrhunderts, die ihre Bilder
nicht strickt, sondern malt. Aber Troyon, ein starker Meister,
duldet keinen Rivalen. Seine Landschaften mit ihrem tiefen Grün,
ihren kräftigen Thieren und dem von dicken Wolken durchjagten
Himmel verkörpern die Kraft. Rosa Bonheur ist eine ausgezeichnete
Malerin von grossem Stil und schöner Zeichnung, die künstlerisch
etwa zwischen Troyon und Brascassat steht.
Troyons einziger Schüler war Emile van Marche, ein halber
Belgier, der in Sevres mit dem Altmeister zusammentraf und in Fon-
tainebleau lange an seiner Seite arbeitete. Er vereinigte den Maler
mit dem Landwirth. Die ausgedehnte Viehzucht, die er auf seiner
Besitzung Bouttencourt in der Normandie betrieb, war berühmt in
den Kreisen der französischen Gutsbesitzer, da er in dem Ruf stand,
die besten Mastochsen zu trainiren. Auch er hatte nicht die Wucht
392
XXVI. Die Landschaft von 1830
von Troyon, war aber ebenfalls ein gesunder, kräftiger Meister. Seine
Thicre kennen keine Leidenschaften, Bewegung und Kämpfe. Sie
kauen ernst nachdenklich vor sich hin und scheinen in unendliche
Contemplation versunken. Rings dehnen sich die saftig grünen nor-
mannischen Wiesen und über der Landschaft spannt sich ein grosser
Himmel, der sich am Horizont unmerklich in's Meer verliert.
Ein Pferde- und Hundemalcr, der ehedem grossen Erfolg
hatte, Jadin, ist heute vergessen oder nahe daran es zu sein. Er
malte gern decorative Jagdscenen und ermangelt nicht des Lebens,
der Bewegung, ist aber zu unpersönlich, um geschichtlich eine
Rolle zu spielen. Da ich ihn einmal erwähnte, muss ich auch
Eugene Lambert, den Katzenmaler, und Palizzi, den Ziegenmaler,
nennen. Lambert, der cs liebte, seine kleinen Helden als Schauspieler
komischer Theaterstückchen auftreten zu lassen, ist das unbestrittene
1 laupt aller derer, die bei den verschiedenen Nationen mit dem Titel
»Katzenrafael« beehrt wurden. Palizzi, ein schneidiger, fast brutaler
Meister, ein echter Sohn der wilden Abruzzen, liebte, wie seine
Landsleute Morelli und Michetti das glänzende Licht des Mittags,
das über felsigen Hügeln brütet und goldig über dunkelgrünes Busch-
werk huscht. Lanij'on, als Maler ein wenig trocken, aber ein Zeichner
von breitem männlichem Strich, war der grösste Erbe Delacroix’ in
der Darstellung von Tigern, Löwen, Nilpferden und Bären. Charles
Jacque, ein bescheidenes aber sehr sympathisches Talent, ist der
Troyon der Schafe. Man hat ihn dem Rageur des Bas Breau, der
stolzen Eiche, die allein in einer Lichtung steht, verglichen: Eine
mächtige Natur, über die das Alter keine Macht hat, lebt er als der
letzte Repräsentant der stolzen Schule von Barbizon in die Gegenwart
herüber. Er hat die Schafe heerdenweise oder einzeln, auf der Weide,
am Saum der Feldwege oder im Stall gemalt, am liebsten in den neb-
ligen Stunden der Abenddämmerung, ruhig in einer ruhigen Natur.
Doch er hat auch in geistreichen Radirungen von verwitterten alten
Mauern, hellen Frühlingshimmeln, den grossen Silhouetten der Land-
leute, dem zarten Gefieder kleiner Küchlein, dem leichten Spiel
des Windes über der See, von murmelnden Bächlein und stillen Wald-
winkeln erzählt. Gleich Millet besitzt er in hervorragendem Grade die
Gabe der Vereinfachung, die grösste Mitgift des Künstlers. Drei oder
vier Striche genügen ihm, eine Figur auf die Füsse zu stellen, ein
Thier zu beleben, eine Landschaft aufzubauen. Der intimste Freund
Jean Francois’ malte er ein Theilchen dessen, was Millet malte.
XXVII.
Jean-Francis Millet.
WO ist Millet hergekommen ?
Es war die Zeit, wo die Kunst, noch blind für das
umgebende Leben, nur in der Vergangenheit und in der
Ferne würdige Stoffe zu finden glaubte. Da kommt Millet und wirft
die in den Museen vegetirende oder in’s Tropische Entlaufene auf die
rauhe, schwarze, gesteinte Erde. Es war die Zeit, wo Leopold Robert
in Italien am Bauer die edle Pose der Davidschule erprobte, und die
deutschen Bauernmaler im Landmann ein passendes Object für
Scherzchen und kleine Rührstücke sahen. Da tritt Millet auf und
malt das Volk bei seiner Arbeit, auf dem Felde, in der Mühsal,
ohne rührselige Pathetik, auch ohne Verschönerung und Idealisiren,
in tiefer Einfachheit. Das grosse Wort: Ich arbeite, das Wort des
19. Jahrhunderts, redet hier zum ersten Mal laut zu uns. Rousseau
und seine Genossen waren die Maler des Landes, Millet wurde der
Maler des Landmanns. Er, der grosse Bauer, ist der Schöpfer jener
auf’s innigste mit den Wurzeln der intimen Landschaft verwachsenen
Bauernmalerei, die, anfangs unverstanden, zum ersten Mal das neue
Evangelium der Kunst verkündete, dem heute die Völker sich beugen.
Was Andere später thaten , war nur ein Weitergehen auf dem von
Millet eröffneten Wege. Sein Schatten schreitet in riesenhafter
Grösse auch über unser Vaterland. Je weiter die Zeit sich von seiner
Epoche entfernt, in desto glänzenderem Lichte erscheint das Bild
des gewaltigen Menschen. So unvermittelt, mächtig und gebieterisch
richtet sich die Gestalt Jean Francois’ auf, dass man ihn fast aus Ibsens
drittem Reich ableiten möchte, da in der Kunst ihm die Vorgänger
fehlen. Es ist versucht worden, ihn mit der sozialpolitischen Ideen-
bewegung der 40er Jahre in Zusammenhang zu bringen, doch gewiss
ebenfalls mit Unrecht. Millet war nichts weniger als Revolutionär.
Er vertheidigte sich sein ganzes Leben lang gegen die Absichten,
die einige Demokraten ihm unterschoben und gegen die Schlüsse,
die sie aus seinen Werken zogen.
394
XXVII. Jean-Francois Millet
Millets Leben allein erklärt
seine Kunst. Nie hat Mensch und
Werk, Herz und Hand so sich ge-
deckt wie bei ihm. Er gehört nicht
zu den Malern, vor denen man,
selbst wenn man sie bewundert,
das Gefühl hat, sie hätten ebenso
gut etwas anderes schaffen können.
Man betrachte seine Bilder und
lese die in Sensiers Buch ver-
öffentlichten Briefe — der Mensch,
den man aus den Briefen kennen
lernt, lebt in seinen Werken, und
diese Werke sind die natürliche
Illustration des Buches, in dem
der Mensch sich selbst gemalt hat.
In dem Einsscin von Mensch und
Künstler liegt das Princip seiner Kraft, das Geheimniss seiner Grösse.
Schon die Verhältnisse, aus denen er hervorging, bewirkten mit
Naturnothwendigkeit , dass er — wenn er Maler wurde — , der
Maler wurde, der er geworden ist. Er war nicht in einer grossen
Stadt geboren, wo sich dem Auge des Kindes schon allerorten der
Anblick von Kunstwerken darbietet, von Bildern, die zwar früh den
Kunstsinn wecken, doch ebenso leicht den freien Blick in die Natur
trüben. Er entstammte auch nicht einer jener Familien, wo die Kunst
selbst geübt oder über Kunst gesprochen und der Geschmack früh-
zeitig in bestimmte Bahnen gelenkt wird. Er war ein Bauer, dessen
Vater und Grossvater Bauern und dessen Brüder Knechte waren.
Sehr weit von Paris, in einem kleinen normannischen Dorf dicht
beim Meer, ward er 1814 geboren und wuchs er auf. Der regel-
mässige, majestätische Anstoss der Wogen gegen die granitenen Felsen
der Küste, das feierliche Murmeln von Ebbe und Fluth, das Aechzen
des Windes in den Apfelbäumen und alten Eichen des väterlichen
Gartens waren die ersten Laute, die in Gruchy bei Cherbourg
zu ihm drangen. Sein Vater sei musikliebend gewesen, wurde
geltend gemacht, und hätte den Sängerchor der Dorfkirche wohl zu
leiten gewusst. Aber mag in dem Blut, das der Junge mit auf die
Welt bekommen, immerhin eine dunkle Veranlagung zur Kunst ge-
legen sein, so war doch nichts in seiner Erziehung geeignet, sie zu
XXVII Jean-Francois Millet
395
kräftigen. Millets bra-
ver Vater dachte nicht
daran, aus seinem Sohn
einen Künstler zu
machen ; der Knabe
sah keinen Maler in
der Nähe arbeiten —
die Natur, der Instinkt
allein lenkte ihn. Für
den in der Grossstadt
Aufgewachsenen , auf
der Akademie Erzog-
enen sind die Dinge
verbraucht. Viele Jahr-
hunderte der Kunst-
übung haben ihre ursprüngliche Frische getrübt ; er findet für Alles
die fertige Phrase geprägt. Millet stand vor dieser Welt wie der erste
Mensch am ersten Schöpfungstage. Die Dinge erschienen ihm neu, er
war erstaunt und entzückt, eine wilde Fluth von Eindrücken stürmte
auf ihn los. Er kam nicht unter den Einfluss einer Tradition, er trat
an die Kunst heran, wie jener Mensch des Steinzeitalters, der zu-
erst auf ein Elfenbeinstück die Silhouette eines Mammuths ritzte
- wie jener Grieche der Urzeit, der nach der Legende die Malerei
dadurch erfand, dass er auf eine Mauer mit Kohle das Bildniss seiner
Geliebten schrieb. Keiner ermuthigte ihn in seinen ersten Versuchen.
Keiner dachte daran, dass dieser junge Mensch zu anderm Leben,
als zu dem eines Bauern bestimmt sei. Im Alter von 14 — 18 Jahren
verrichtet er auf dem väterlichen Gut gleich seinen Brüdern jede
Art von Feldarbeit : hackt, gräbt, pflügt, sät, ackert, mäht, drischt.
Und er schaut dabei immer um sich; er zeichnet, ohne Anleitung
auf ein Stück weisser Wand, das Porträt eines Baumes, eines Obst-
gartens, eines Bauern, dem er am Sonntag während des Kirchganges
begegnet. So richtig, dass Jeder den Abconterfeiten erkennt. Darauf
wird ein Familienrath gehalten. Der Vater bringt eine Zeichnung
seines Sohnes einem Herrn Mouchel in Cherbourg, einem sonder-
baren Kauz, der früher Maler gewesen und im Ruf eines Kunst-
kenners stand, damit er entscheide, ob Franz »wirklich genug Talent
für die Malerei habe, um damit sein Brod zu verdienen«. Der
Bauernknecht zählte 20 Jahre, als er den ersten Zeichenunterricht
396
XXV II. Jean -Francois Millet
erhielt, ein ABC -Schütze in der Kunst, als Mensch schon — Millet.
Was das Talent in ihm erweckt hatte und ihm die Kohle in die
Hand gedrückt, war nicht die Betrachtung eines Kunstwerkes, son-
dern der Anblick der Natur, der grossen, allmütterlichen Natur, die
ihn umschloss, mit der er und durch die er lebte. Durch sie waren
Visionen und Empfindungen in ihm angeregt, die er den geheimniss-
vollen Drang fühlte wiederzugeben.
Vom Handwerklichen, das dazu gehörte, verstand er nichts, und
seine beiden Lehrerin Cherbourg, Mouchel und Langlois, übermittelten
ihm, selbst halbe Barbaren, um so weniger Kenntnisse, als schon
nach zwei Monaten (1835) sein Vater starb und der junge Mann als
Knecht zu den Seinen zurückkehrte. Erst nach abermaliger drei-
jähriger Unterbrechung ermöglichte ihm eine Unterstützung der Ge-
meinde Cherbourg, die sein Lehrer Langlois zusammenbrachte, und
ein kleiner Sparpfennig seiner Eltern — zusammen 600 Francs — die
Reise nach Paris. 23 Jahre war er alt, ein Hercules an Wuchs, breit-
brüstig, denn er hatte bisher nur die reine scharfe Meerluft geathmet;
das hübsche Gesicht war von langen, blonden Locken umrahmt, die
wirr auf die Schultern fielen. Was sollte dieser Bauer in der Gross-
stadt! Der homme des bois wurde er in der Delaroche-Schule ge-
nannt. Er war linkisch wie ein Provinziale, und man ahnte nur den
Künstler, wenn man das Feuer in dem Blick der grossen, tiefblauen
Augen sah. Delaroche nahm sich des neuen Zöglings anfangs mit
besonderer Sorgfalt an. Aber sich erziehen lassen , heisst einem
Andern folgen. Ein Mensch, der wie Millet schon wusste, was er
wollte, war nicht mehr in bestimmte Bahnen zu lenken. Die Bilder
Delaroches sagten ihm nichts. Sie kamen ihm vor wie grosse
Vignetten, Theatereffekte ohne wahre Empfindung«. Und Delaroche
ärgerte sich bald über den ungeschickten Bauern, den er — sehr mit
Unrecht — für eigensinnig und halsstarrig hielt. Millet, dem schon
andere Ziele vorschwebten, konnte gar nicht mehr lernen, aka-
demische Compositionen zu machen , und da in der Delaroche-
Schule nur solche verlangt wurden, kam er nie über den Ruf der
Mittelmässigkeit hinaus. Es war die Zeit des Kampfes zwischen Classi-
cistcn und Romantikern. Der Fehderuf: hie Ingres, hie Delacroix!
durchdrang die Pariser Ateliers. Für Millet existirten beide Kunst-
richtungen nicht. In seiner Erinnerung lebten allein die Ebenen der
Normandie, die Arbeiter, Hirten und Eischer seines Heimathlandes,
mit denen er im Geiste weiter verkehrte. Unaufhörlich glaubte er zu
XXVII. Jean-Francois Millet
397
hören, was er »le cri de la terre«
genannt hat, und diesen Schrei der
Erde vernahmen weder die Roman-
tiker, noch Classiker. Er lebte
allein mit seinen Gedanken, suchte
keine Collegen auf, mied sie. Immer
auf witzelnden Spott gefasst, drehte
er, wenn einer zu ihm kam, die
Staffelei um, oder schnitt Bemerk-
ungen barsch mit den Worten ab:
»Was geht dich meine Malerei an,
ich kümmere mich um deine Butter
und deine Pomade auch nicht.« So
hat ihm Delaroche zwar wenig
Technisches, doch auch keine Ma-
nier vermittelt. Hübsche Bilder ma- Millet. Jugendpoi trat.
len mit schönen Posen, schmeicheln-
den Farben und geistreichen Geschichten lernte er nicht, verliess das
Atelier, wie eres 1837 betreten, ungeschickt, schwer, dick und müh-
sam malend, doch auch mit frischem, ungetrübtem Blick wie früher.
Er blieb der Fremde, der unverbesserliche, normannische Bauer.
Eine Zeitlang strengte er sich an, dem Publicum Zugeständnisse
zu machen. Er hatte sich. 27 Jahre alt, mit einem jungen Mädchen
aus Cherbourg verheirathet, die ihm drei Jahre später an der Schwind-
sucht starb. Ohne jeden Verkehr in Paris und von Jugend auf an
Familienleben gewöhnt, verheirathete er sich 1845 zum zweiten Mal.
Er musste Brod haben, gefallen, Verkäufliches malen. Darum bemüht
er sich, hübsche Bilder nackter Weiber anzufertigen, wie sie Diaz
damals so grossen Erfolg verschafften: schöne Schäferinnen und galante
Hirten, badende Mädchen im Genre Boucher und Fragonard, — er,
der diese beiden später verächtlich Pornographen nannte. Doch die An-
strengung war vergeblich, er stellte weder sich selbst, noch die Andern
zufrieden. Der Bauer von Gruchy konnte nicht liebenswürdig, pikant
und leicht sein; er blieb unbeholfen, roh und linkisch. «Deine
badenden Weiber kommen aus dem Viehstall«, hat Diaz über diese
Bilder treffend gesagt. Wenn Bürger -Thore. der erste, der Millet
signalisirte , 1844 hei der Ausstellung des »Milchmädchens« lobte,
hier sei selbst Boucher übertroffen, so war das eine schriftsteller-
ische Freiheit, die der Kritiker sich nahm, weil der Mensch Mitleid
39§
XXVII. Jean-Francois Millet
Millet: Pastorale.
hatte mit dem armen
Maler. Wie wenig
hat das Bild vom rei-
zenden Parfüm der
Alten, wie sieht es
gequält aus, wie merkt
man, dass es mit Un-
lust gemalt ist. Millet
mühte sich nicht
lange, seine Persön-
lichkeit zu verleug-
nen. Ein »Oedipus«
und »gefangene Ju-
den in Babylon«
waren seine letzten
rhetorischen Ueb-
ungen. 1848 erschien
sein Manifest: der
Kornschwinger, ein
Bauer, in Bewegung
und Haltung, in sei-
nem ganzen Charak-
ter und der Arbeit,
die er verrichtet. Millet kehrt zu den Gedanken und Empfindungen
seiner Jugend zurück: nur noch Bauern will er in Zukunft malen,
in allen Lagen ihres einfachen, rauhen Lebens. Er fasst im Jahr 1849
einen grossen Entschluss.
500 Francs hatte ihm der Verkauf seines Vanneur gebracht,
und diese 500 Francs ermuthigen ihn, der Welt zu trotzen. Lieber
Maurer werden, als gegen seine Ueberzeugung malen.« Charles
Jacque, der Thiermaler, der in der Rue Rochechouard ihm gegen-
über wohnte, wollte wegen des Ausbruches der Cholera 1849 Paris
verlassen. Millet sollte ihn für kurze Zeit auf’s Land begleiten ;
er that es und der Bauernsohn von einst wurde wieder Bauer,
um unter Bauern seine Tage zu beschliessen. »Mitten im Wald
von Fontainebleau, sagte Jacque, liegt ein kleines Nest, der Name
endigt auf »zon« — nicht weit, billig — Diaz hat mir viel davon
gesprochen.« Millet willigt ein. An einem schönen Junitage be-
steigen sie mit ihren Frauen und fünf Kindern einen schweren,
XXVII. Jean-Francois Millet
399
rumpeligen Omnibus
und sind in zwei Stun-
den Abends in Fon-
tainebleau. »Morgen
gehen wir auf die
Suche nach unserm
,zon‘«. Und so gelit’s
andern Tags zu Fuss
weiter nach Barbizon,
Millet seine beiden
Mädchen auf den
Schultern, seine Frau
den kleinsten fünf Mo-
nat alten Buben im
Arm, das Kleid wegen
des Regens über dem
Kopf zusammenge-
schlagen. Der Wald
hatte noch keine Pro-
menaden wie heute, er
war noch ganz die j ung-
fräuliche, unberührte
Natur. »Mon Dieu,
Mon Dieu, que c’est
beau- rief Millet, und das Herz ging ihm auf. Er stand wieder vor der
Natur, seiner alten Jugendliebe. Die Eindrücke der Kindheit stürmten
auf ihn ein. Auf dem Land geboren, musste er auf’s Land zurück, um
sich selbst wiederzufinden. In der Ganne’schen Herberge wurde abjre-
stiegen, zur Zeit, als die Mittagsstunde gerade 20 Personen, Künstler
mit ihren Frauen und Kindern, an der Tafel vereinte. Neue Maler!
Die Pfeife, die Pfeife! tönte es den Eintretenden entgegen. Diaz
erhebt sich, macht trotz seines Holzbeines mit der Grandezza des
spanischen Edelmannes den beiden Frauen die Honneurs und wendet
sich gravitätisch an Millet und Jacque: »Bürger, Ihr seid eingeladen,
die Friedenspfeife zu rauchen.« Die wurde jedesmal, wenn die Co-
lonie in Barbizon einen Zuwachs erhielt, von ihrem geheiligten Platz
über der Thür heruntcrgeholt. Eine eigens gewählte Jury musste
aus den Ringen des aufsteigenden Rauches entscheiden, ob der Neu-
angekommene unter die »Classicistcn« oder die »Coloristen« zu rechnen.
Millet: Le Vaiineni
400
XXVll. Jean-Francois Millet
Jacque wurde einstim-
mig für einen »Color-
isten« erklärt. Ucber
Millets Schulzusam-
menhang konnte man
nicht einig werden.
»Eh bien, meinte der,
si vous etes embaras-
ses, placez-moi dans
la mienne.« Darauf
Diaz, als die Andern
das nicht annehmen
wollten : »Nur ruhig,
die Antwort ist gut,
der Kerl sieht kräftig genug aus, um eine Schule zu gründen, die
uns Alle begraben wird.« Er hat Recht behalten — wenn seine
Prophezeiung auch spät in Erfüllung ging.
Millet war, als er in Barbizon sich niederliess, 35 Jahre alt: er
stand in jenem Alter, das Dante die Mitte des Lebensweges nennt.
Er hatte mit der Aussenwelt keine Verbindung mehr, alle Brücken
hinter sich abgebrochen, sich auf sich selbst gestellt. Nach Paris
kam er nur zurück, wenn Geschäfte zu ordnen waren, immer un-
gern und so kurze Zeit wie möglich. Er lebte in Barbizon mitten
in der Natur und inmitten seiner Modelle; gehörte rückhaltlos bis
zu seinem letzten Tag dem Werk an, das er in der Jugend als
seinen Beruf gefühlt. Kritik, Spott und Verachtung konnten nicht
mehr seinen Weg beirren; selbst wenn er gewollt hätte, wäre er
gar nicht fähig gewesen, noch die Bahnen der officiellen Kunst
zu betreten. »Mes critiques, meinte er wie zur Entschuldigung, sont
gens instruits et de goüt, mais je ne peux me mettre dans leur peau
et comme je n’ai jamais vu de 111a vie autre chose que les champs,
je täche de dire comme je peux cc que j'y ai eprouve quand j’y
travaillais.« Wenn ein solcher Mann je triumphirt, wenn es ihm
gelingt, seine ganz persönliche Kunst der Welt aufzudrängen, dann ist
nicht Muhamet zum Berg, sondern der Berg zu Muhamet gegangen.
Millets Leben ist also eine fortgesetzte Kette von Entbehrungen
gewesen. Es berührt wehmüthig, in Sensiers Biographie zu lesen, dass
ein solcher Meister gezwungen war, schon während seiger Pariser
Zeit Copien für 20 Francs und Porträts für 5 Francs anzufertigen,
XXVII. Jean -Francois Millet
401
Wirthshausschilder
oder solche für Seil-
tänzerbuden und
Pferdehändler zu ma-
len, deren jedes ihm
eine Rolle dicker Sous-
stücke einbrachte. Als
die Junirevolution aus-
brach, bestand seinVer-
mögen in 30 Francs,
die ihm ein Buden-
besitzer für ein Schild
bezahlte und mit denen
er sammt seiner Familie 14 Tage lang lebte. In Barbizon gab er sich
bei einem Bauern in Kost und bewohnte lange Jahre mit den Seinen
ein kleines Zimmer, in dem Waizen lagerte und zweimal in der
Woche Brod gebacken ward; dann miethete er ein Häuschen für
160 Francs jährlich. Im Winter sass er in ungeheizter Werkstatt,
in dicken Strohschuhen, eine alte Pferdedecke über den Schultern.
So malte er den Sämann, jene bewundernswürdige Strophe in seinem
grossen Gedicht auf die Erde. Durch die Erträgnisse eines Gemüse-
gartens suchte er seine Einkünfte zu mehren , lebte auf Credit
bei Krämer und Fleischer und hatte schliesslich überall Gläubiger,
namentlich Gobillot, den Bäcker von Chailly, vor dem er sich oft
bei seinem Freunde Jacque versteckte.
Er musste mit ansehen, dass Rousseau ihm ein Brod für seine
hungernde Familie brachte, dass Diaz ihn mit kleinen Geldsendungen
unterstützte. »Ich habe die 100 Francs bekommen, heisst cs in einem
Briefe an Sensier, sie kamen zur rechten Zeit, seit 24 Stunden hatten
weder meine Frau, noch ich gegessen. Ein Glück, dass wenigstens
die Kleinen nichts entbehrt haben.« Alle seine Bemühungen, in Paris
auszustellen, waren vergeblich. Noch 1859 wurde der »Tod und der
Holzhacker», heute im Besitz Jacobsens, vom Salon zurückgewiesen.
Das Publikum«, an die Bauernfiguren aus der komischen Oper ge-
wöhnt, lachte, im besten Fall erschien eine Caricatur in einem Witz-
blatt, selbst den Feinsinnigsten fehlte die geschichtliche Perspective,
um Millets der Zeit vorausgeeilte Grösse zu verstehen. All das
wirkt um so trauriger, wenn man bedenkt, welchen Preis seine
Werke später erreichten, wenn man liest, dass Zeichnungen, für die
Muther, Moderne Malerei II. -s
402
XXVII. Jean-Francois Millet
Millet: Vigneron au repos.
er mit Mühe 20 bis 40 Francs bekommen konnte, heute für ebenso
viel Tausende gesucht sind. Erst seit der Mitte der 50er Jahre fing
er an zu verkaufen, 250 bis 300 Francs das Bild. Rousseau war der
erste, der ihm, unter dem Vorgeben, ein Amerikaner sei der Käufer,
seinen Holzhacker für 4000 Francs abnahm; Dupre verhalt' ihm da-
zu. die Aehrenleserinnen um 2000 Francs loszuschlagen. Ein günstiger
Vertrag, den der Kunsthändler Arthur Stevens, der Bruder des Malers,
1859 mit ihm schloss, musste nach sechs Monaten wieder gelöst
werden, da die Zeit für Millet noch nicht gekommen. Erst als er
1863 vier grosse decorative Bilder — die vier Jahreszeiten, übrigens
seine schwächsten Arbeiten — für den Speisesaal des Architekten
Feydeau gemalt, trat Ueberfluss an die Stelle der Armuth. Er war
im Stande, sich wie Rousseau und Jacque ein kleines Haus in Bar-
bizon zu kaufen, dicht am Eingang des Ortes, gegenüber der
Ganne’schen Wirtschaft. Wilder Wein , Epheu und Jasmin um-
spannen es, zwei weisse Rosenstöcke schlangen neugierig ihre Zweige
—
XXVII. Jean-Francois Millet
403
Millet: Paysau se reposanl sur sa hone.
um die Fenster, rings war ein grosser Garten, in dem Feldblumen
zwischen Gemüse und Obstbäumen blühten ; ein Zaun von wilden
Rosen und Flieder führte weiter zurück nach einem andern Häuschen,
das er als Atelier benutzte. Daneben lag der Hühnerhof, weiter zurück
ein kleines, dichtes Gehölz. Hier lebte er wie ein alttestamentlicher
Patriarch seiner Kunst und den Seinen, als Bauer und Familienvater,
aufrichtig, einfach. Sein Vater hatte neun Kinder gehabt und er selbst
hatte neun Kinder. Während er malte, spielten die Kleinen im Garten,
die ältern Töchter arbeiteten, und wenn die Kleinen zu laut wurden,
sagte die siebenjährige Jeanne ernst : Chut ! Papa travaille. Nachdem
Abendessen schaukelte er den Kleinsten auf den Knien, erzählte nor-
mannische Märchen oder sie gingen noch einmal hinaus in den Wald,
den die Kinder, weil er gar so wild, düster und grossartig war, le
foret noir nannten.
Millets Armuth war also nicht ganz so gross, als es nach dem
Buche Sensiers scheint. Chintreuil , Theodore Rousseau und viele
26*
404
XXVII. JeäN-FrANQOIS Millet
Mil/et: Le Semeur.
Andere haben sie auch kennen gelernt und muthig ertragen. Der
Erfolg ist sogar verhältnissmässig früh zu Millet gekommen. Das
wahre Unglück für einen Künstler ist Erfolg gehabt zu haben, reich
gewesen zu sein und später sich Vergessen , verarmt zu sehen.
Millet machte den entgegengesetzten Weg. Seit dem Beginn der
6oer Jahre stand seine Bedeutung nicht mehr in Frage. Die Welt-
ausstellung 1867 brachte ihm auch äusscrlich alle Ehren. Er war mit
neun Bildern vertreten und erhielt die grosse Medaille. Alle Welt
kannte seinen Namen, sein Leben war reichlich gesichert, die ganze
junge Künstlerschaft verehrte ihn wie einen Gott. Im Salon von
1869 war er Jurymitglied. Die Kunsthändler, die ihn früher nicht
gekannt, drängten sich vor seiner Thür; er erlebte, dass auf der Auc-
tion Richard 1873 seine »Frau mit der Lampe«, für die er 150 Francs
erhalten, für 38,500 Francs verkauft wurde. »Allons, ils commencent
ä comprendre que c’est de la peinture serieuse«. Herr von Chenne-
vieres lud ihn ein, sich an den Malereien im Pantheon zu betheiligen
und er begann die Arbeit — doch die Kraft versagte, ein heftiges
XXVII. Jean-Francois Millet
405
Millet: Les Glaneuses.
Fieber warf ihn nieder und am 20. Januar 1875 6 Uhr Morgens war
Millet, 60 Jahre alt, todt. Sein Begräbniss verlief zwar, da es fern
von Paris stattfand, ohne grosses Gepränge. Es war ein kalter,
trüber Morgen, Regen und Nebel. Wenige Freunde, ein paar Maler
und Kritiker, waren gekommen. Um 11 Uhr ordnete sich der
Leichenzug. Man machte schnell im Regen die zwei Kilometer von
Barbizon nach Chailly. Selbst die Neugierigen, die von den ver-
schiedenen Dörfern herbeigeeilt, konnten die Kirche nicht zur Hälfte
füllen. Aber in Paris erregte die Todesnachricht desto grösseren
Widerhall. Als am Morgen nach seinem Hinscheiden vierzig Zeich-
nungen in einer Kunsthandlung ausgestellt wurden, lief ganz Paris
zusammen und die Begeisterung war allgemein. Er wurde in den
Kritiken in einem Athem mit Watteau, Leonardo, Rafael und Michel-
angelo genannt. Die bald darauf im Hotel Drouot veranstaltete
Versteigerung seiner nachgelassenen Skizzen brachte der Familie
321,000 Francs. Heute sind dieselben Zeichnungen und Pastelle,
die unmittelbar nach seinem Tode mit 6000 Francs bezahlt wurden,
auf durchschnittlich 30,000 Francs gestiegen, während die Mehrzahl
406
XXVII. Jean-Francois Millet
Mittel: Beigere racmenant son troupeau.
seiner Bilder für Europa überhaupt unbezahlbar wurde und über den
Ocean in das glückliche Land der Dollars gelangte. Unter solchen
Umständen noch von einer Verkennung Millets sprechen, als Ant-
wort auf seine anfängliche Unterschätzung einen panegyrischen
Hymnus auf ihn singen, hiesse demnach leere Thüren einstossen.
Es gilt ganz objectiv zu untersuchen, welche Stellung er in der Ge-
schichte der modernen Malerei einnimmt und was voraussichtlich
kommende Geschlechter zu ihm sagen werden.
Millets Bedeutung ist zum Theil eine ethische : er ist der erste,
nicht der Bauern gemalt, aber der sie wahr dargestellt hat, in ihrer
ganzen Rauhheit, aber auch in ihrer Grösse, nicht mehr zur Be-
lustigung Anderer, sondern mit dem Recht ihrer eigenen Existenz.
Die Seele des Landmannes ist von Natur ernst und schwerfällig, die
Zahl seiner Ideen und Gefühle eine kleine. Er kennt weder Witz
noch Sentimentalität. Wenn er in den Stunden der Ruhe zuweilen
seine laute, breite Lustigkeit hat, so ähnelt sie oft der Trunkenheit
und ist nicht selten deren Folge. Sein Leben, das ihn nöthigt, im
Sclnveisse seines Angesichts sein Brod zu verdienen , erinnert ihn
XXVII Jean-Fran<;ois Millet
407
Millet: Paysan greffant un arbre.
immer von Neuem an die harten Grundbedingungen des Daseins.
Alles ist bei ihm Berechnung, strenge Sparsamkeit. Selbst der Boden,
auf dem er steht, ruft ernste Stimmungen in ihm wach. Sie ist
feierlich erhaben, diese Natur mit ihrem grossen Horizont und un-
endlichen Himmel. Sie hat zu bestimmten Zeiten ihr freundliches
Lächeln, für die besonders, die aus der Stadt auf ein paar Stunden
herauskommen. Für den, der immer dort lebt, ist sie nicht die gute
milde Mutter, die der Städter sich vorstellt. Sie hat ihre erdrückende
Schwüle im Sommer, ihren rauhen Frost im Winter; ihre Grösse ist
streng. Nirgends strenger als in Millets Heimath, den von rauhem
Wind durchfegten Ebenen der Normandie, wo er als Knecht seine
Jugend verlebte.
Aus diesem Bauernlebcn hatte die bisherige Malerei in con-
ventionellem Optimismus nur kleinliche Anekdoten herausgeschält.
Es war keine hübsche Auffassung vom Menschen , dass die Bauern
in jenen frühem Bildern immer zur Erlustigung der Ausstellungs-
408
XXVII. Jean-Francois Millet
besucher Hochzeiten , goldene Hochzeiten und Kindtaufen feiern,
Schuhplattler tanzen, komische Heirathsanträge machen, sich beim
Advocaten linkisch benehmen oder im Wirthshause raufen mussten.
Das Recht zur Existenz erwarben sie sich durch ihre Arbeit. »Das
Heiterste, was ich kenne, schreibt Millet in dem berühmten Brief
an Sensier 1851, ist die Ruhe, das Schweigen, das man in den
Wäldern oder auf den Aeckcrn geniesst. Man sicht, wie ein armes,
mit einem Reisigbündel beladenes Wesen aus einem kleinen Feldweg
herauskommt. Die Art, in der diese Gestalt vor einem auftaucht,
erinnert augenblicklich an die Grundbedingung des menschlichen
Lebens, die Arbeit. Rings auf den Aeckern sieht man Gestalten
hacken und graben. Man sieht, wie sich diese und jene in den
Hüften aufrichtet und den Schweiss mit der umgekehrten Hand
abtrocknet. Im Schweisse deines Angesichts sollst du dein Brod
essen. Ist das eine fröhliche, scherzhafte Arbeit, wie sic gewisse
Leute uns gern einreden möchten? Und doch findet sich hier für
mich die wahre Menschlichkeit, die grosse Poesie.«
Vielleicht ist Millet in der Auffassung des Bauernlebens sogar
ein wenig zu ernst gewesen, vielleicht hat seine melancholische
Seele zu sehr die trüben Seiten im Dasein des Landmannes gesehen.
Denn Millet war Gemüthsmensch durch und durch , wozu schon
den Knaben das Leben in seiner Familie machte — man braucht
nur in dem Buche Sensiers von dieser alten Grossmutter zu lesen,
die zugleich seine Pathe war, nur zu hören, wie ihn später die Nach-
richt vom Tode seines Vaters und seiner Mutter traf, wie er in
Thränen ausbrach, dass er die Heimgegangenen nicht noch ein letztes
Mal umarmte. Ein solch träumerisch trauriger Mann sah selbstver-
ständlich auch im Leben des Bauern ganz besonders das, was Arbeit
ist, Mühe, Erschöpfung. Es fehlte ihm jener leichte Sinn, der »amara
lento temperat risu«. Als Motto über seinem ganzen Werke könnte
die Stelle stehen, die sich unter dem Bauernbild in Holbeins Todten-
tanz findet:
A la sueur de ton visage
Tu gagneras ta pauvre vie
Apr£s travail et long usage
Voici la niort qui te convic.
Dieser ernste traurige Zug in Millets Charakter setzt ihn z. B. in
schroffen Gegensatz zu Corot. Corot war ein heiteres Temperament,
das überall Freundliches in der Natur bemerkte. Seine Lieblingsstunde
Millet: L’ Angelus
4io
XXVII. Jean-Fkanqois Millet
Millet : Le berger et sott troupeau.
war der Morgen, wenn die Sonne aufgeht, die Lerche jubelt, wenn
die Nebel sich zerstreuen und rosiger Thau gleich Perlen auf den
Gräsern liegt. Seine Lieblingsjahreszeit war der Frühling, der mit
neuen Blättern Leben und Freude auf die Erde bringt. Und wenn
er diese lachende Welt statt mit den heitern Gestalten seiner Phan-
tasie zuweilen mit Bauern und Bäuerinnen bevölkerte, so waren es
ebenfalls nur solche, für die das Leben mehr ein Fest ist, als rauhe
Arbeit. Millet ist mit dem Sanguiniker Corot verglichen, Melancho-
liker vom Scheitel zur Sohle. Wo jener vom Frühling sprach,
spricht er von der drückenden, erschlaffenden Schwere des Sommers.
Er kannte aus Erfahrung diese harte Arbeit, die vor der Zeit alt
macht, Körper und Geist tödtet, das Ebenbild Gottes in ein häss-
liches, missgestaltetes, rheumatisches Wesen verwandelt, und hat viel-
leicht einseitig gerade das im Leben des Bauern gesehen. Trotzdem
ist unzutreffend, wenn als Parallele zu Millets Bauernmalerei jene
grausame Charakteristik herangezogen wird, die zur Zeit Ludwigs XIV.
Labruyere vom Landmann entwarf: »Man erblickt über das Teld
XXVII. Jean-Francois Millet
4"
Millet: La fenirne faisant paitre sa vacbe.
verbreitet eine Art wilder Thiere, Männchen und Weibchen, schwarz,
fahl und von der Sonne verbrannt, geheftet an den Erdboden, den
sie mit unüberwindlicher Hartnäckigkeit durchwühlen: sie haben
etwas wie eine articulirte Sprache, und wenn sie sich aufrichten,
zeigen sic ein menschliches Antlitz, — in der That, cs sind Men-
schen. Nachts ziehen sie sich in Gruben zurück, wo sie von Schwarz-
brod, Wasser und Wurzeln leben ; sie sparen den andern Menschen
die Mühe zu säen, zu pflügen, zu ernten und verdienen sich dadurch
den Vorzug, dass es ihnen selbst nicht an jenem Brode mangle,
das sie gesät haben.« Ja, Millets Bauern arbeiten und sie arbeiten
ernst, aber indem sic arbeitend auf den Boden gebeugt sind, haben
sie zugleich sich stolz in ihrer ganzen Rusticität erhoben : Millet
hat — darin liegt seine ethische Grösse — aus den Männchen illu-
strirter Witze: Menschen gemacht.
Wie sein ganzes Leben ohne Lüge, ohne Künstelei dahinfloss,
so war sein ganzes Streben als Künstler darauf gerichtet, Künstelei
und Lüge zu entfernen. Nach einer Periode willkürlich mit den
412
XXVI [. Jean-Francois Millet
Millel: Le Berger au Parc, la tmit.
Dingen schaltender Genremalerei brach er der neuen Richtung mit
ihrer bedingungslosen Hingebung an das Wirkliche Bahn. Nach-
dem die »Historienmaler« an der Hand der alten Meisterwerke noch
einmal die Vergangenheit herauf beschworen , war cs das Verdienst
der »Genremaler«, dass sie überhaupt anfingen, statt rückwärts um
sich zu schauen. Fragmente der Wirklichkeit wurden — dem Prin-
cipe der classicistischen Landschafstmalerei entsprechend — nach den
Compositionsregeln der Historie zu figurenreichen lebenden Bildern
arrangirt, die eine vom Maler erfundene heitere oder rührende Episode
erzählten. Millets That ist, an die Stelle des Erfundenen Empfundenes,
an die Stelle der aus Einzelbeobachtungen zusammengesetzten, das
Leben in widersprechende Verbindungen zwängenden Compositionen
den mit spontaner Frische als Ganzes erfassten Naturausschnitt, an
die Stelle der Geschichte und Pointe Malerei gesetzt zu haben. Wie
Rousseau und seine Genossen die Poesie der Werktagsnatur, so hat
Millet die Poesie des Alltagslebens entdeckt. Erst diese Malerei,
die nicht mehr die Welt nach einseitigen Schönheitsregeln meisterte,
sondern, unter Verzicht auf alles literarische Beiwerk, die Schön-
heit pietätvoll aus den Dingen selbst heraussah, sie konnte die
XXVII. Jean-Francois Millet
413
Millet: La Glebe.
Basis der modernen Kunst werden. Er scheint gar nicht daran zu
denken, dass man ihm zuhört, er spricht nur mit sich selbst. Es
kommt ihm nicht darauf an, seine Ideen durch Wiederholungen
und Antithesen recht hervortreten und herausspringen zu lassen, er
gibt seine Empfindungen wieder — das ist Alles. So erhält durch
ihn die Malerei wieder Leben: das sind nicht mehr Compositionen,
die man sieht, sondern Empfindungen, die man fühlt ; das ist nicht
mehr ein Maler, der redet, sondern ein Mensch. Von Anfang an
hatte er die Gabe, unmittelbar, einfach und natürlich zu sehen,
und um sich weiter darin zu üben, begann er mit den allereinfach-
sten Dingen : ein Arbeiter auf dem Feld, der, auf seinen Spaten ge-
stützt, vor sich hinschaut, ein Sämann zwischen den Furchen, in
die sich Schaaren von Vögeln niederschlagen , ein Mann auf dem
Acker, der seinen Rock auszieht, ein Weib in der Stube, das sein
Zeug flickt, ein junges Mädchen am Fenster hinter einem Topf
mit Massliebchen. Das umgebrochene Feld wird er nicht satt zu
zeichnen, noch häufiger dichtgedrängte Schafheerden auf der Haide,
4H XXVII. Jean-Franqois Millet
Millei: La Rainasseuse de bois.
die wolligen Rücken wie in Wellenbewegung lang hingestreckt und
zwischen ihnen der Hüter oder die Hüterin.
Der Sämann (1850), Bauer und Bäuerin zur Arbeit gehend, die
Heubinder, die Schnitter, eine Schafschererin, der Baumpfropfer (1855),
ein Schafhirt und die Aehrenleserinnen (1857) sind die hauptsäch-
lichsten Werke der 50er Jahre. Welche Summe pietätvollster Natur-
anschauung ist in diesen Aehrenleserinnen enthalten. Sie haben keine
pathetischen Köpfe, ihre Armbewegung strebt keine declamatorische
Contrastwirkung an. Sie werben auch nicht um Mitleid. Sie thun
nur ihre Arbeit. Das gibt ihnen ihre Würde und Hoheit. Sie sind
selbst Naturproducte, Pflanzen, deren die gewöhnlichste nicht einer
gewissen einfachen reinen Schönheit entbehrt. Betrachtet die Hände.
Man würde sie nicht küssen, aber von Herzen drücken. Es sind
brave Hände, die von Jugend auf hart gearbeitet: bald von Frost ge-
röthet, von Soda gesprungen, von Müdigkeit geschwollen oder von der
Sonne verbrannt. — Ganz idyllisch ist der »Bauer, der einen Baum
pfropft« von 1855. Inmitten eines jener ummauerten Räume, die halb
Hof halb Garten sind und in den Dörfern die Scheune vom Wohn-
haus trennen, steht ein Mann, der einen Baum beschnitten hat und
ein neues Reis einpfropft. Seine Frau mit dem kleinsten Kind im
Arm schaut zu. Rings athmet Alles Ordnung, Reinlichkeit, Zufrieden-
XXVII. Jean-Francois Millet
415
Millet: Bauer, seinen Rock ausgehend.
heit mit Wenigem. Ihre Kleider haben keinen Fleck, kein Loch,
sie tragen sich lange unter der sorgsamen Pflege der Frau. Es ist
der alte, der Scholle treue französische Bauer, der am Ort seiner
Geburt lebt und stirbt — ein Bild patriarchalischer Einfachheit. —
1859 erschien der Angelus, jenes Werk, das klingt wie tiefe ferne
Glockenandacht. »Ich will, dass man die Glocken läuten hört, und
nur die Naturwahrheit des Ausdrucks kann das zu Stande bringen«.
Nichts fehlt diesen Schöpfungen, weder die Einfachheit noch die
Wahrheit. Ja, je länger man sie betrachtet, desto mehr bemerkt
man etwas, das über die Realität hinausgeht. Der Mann mit der
Hacke, das berühmte Bild von 1863 ist geradezu ein Werk grossen
Stils; er lässt an antike Statuen, an die Figuren Michelangelos
denken, ohne dass er ihnen in irgend einer Art ähnelt: Millet hat
in kühner Wahrhaftigkeit jede künstliche Grazie und willkürliche
Verschönerung, die andere in das Landleben hineintrugen, verschmäht,
und indem er davon absehend nur auf die gewissenhafteste Ehrfurcht
vor der Natur sich stützte, hat sein tiefes zeichnerisches Wissen im
menschlichen Bau eine Würde, in den Bewegungen des Bauern einen
grossen Stil gesehen , den Keiner vor ihm darin entdeckte. Es ist
4 1 6
XXVII. Jean -Francois Millet
in den Linien seiner Bilder
eine Einfachheit, eine Har-
monie, eine Grösse, wie sie
nur die allergrössten Künst-
ler hatten. Dazu gelangte er
auf demselben Wege wie
Rousseau und Corot zu
ihrem Stil in der Landschaft:
Durchtränkt und durchsättigt
von Realität, konnte er in
der Stunde der Schöpfung
ungestraft des Modells ent-
rathen, wahr und condensirt
zugleich sein, ohne mehr
durch kleinliches Detail ge-
hindert zu werden.
Er selbst ging wie ein
Bauer in Barbizon einher.
Mit einer alten rothen Ma-
trosenkutte, mit Holz-
schuhen und einem wetter-
geprüften Strohhut sah man ihn Wald und Flur durchstreifen. Er
erhebt sich mit Sonnenaufgang, wie es seine Eltern gethan und
wandert wie sie hinaus auf’s Land. Er hütet keine Heerde, treibt
keine Kühe, kein Ochsen- oder Pferdegespann vor sich, trägt keine
Hacke und keinen Spaten, sondern stützt sich auf seinen Stock, ist
mit Beobachtungsgabe allein und poetischer Anschauung gerüstet. Er
geht wie die Leute, denen er begegnet, streicht um die Häuser, tritt
in den Hof, schaut über die Zäune, kennt die Schnitter und Aehren-
leserinnen, die Mädchen, die die Gänse hüten und die Hirten in
ihren grossen Mänteln, wie sie auf ihren Stab gestützt unbeweglich
inmitten ihrer Heerden stehen. Er tritt in die Waschküchen ein,
in’s Backhaus, in die Räume, wo Butter geschlagen wird. Er wohnt
der Geburt des Kalbes, dem Tod des Schweines bei oder lehnt
sinnend, die Arme über die Brust gekreuzt, an der Mauer eines
Gartens und betrachtet die untergehende Sonne, wie sie Feld und
Wald in röthliche Schleier hüllt. Er hört die Abendglocken läuten,
sieht die Leute beten und dann heimwärts gehen. Auch er geht,
liest bei Lampenlicht die Bibel , während seine Frau näht und die
Millet: La Tricoteuse.
XXVII. Jean-Francois Millet
417
Kinder schlafen. Wenn Alles
ruhig geworden, klappt er
das Buch zu und träumt.
Er sieht noch einmal Alles,
was er am Tage erlebte.
Ohne Leinwand und ohne
Farben ist er ausgegangen,
hat nur ein paar Beweg-
ungsmotive flüchtig in sein
Skizzenbuch notirt. gewöhn-
lich den Bleistift gar nicht
aus der Tasche gezogen, nur
nachgedacht, sein Gehirn ge-
zwungen, Alles zu merken,
was sein Auge sah. Das
wiederholt er jetzt noch ein-
mal im Gedächtniss. Morgen
wird er malen.
Sein Studium erscheint
als ununterbrochene Uebung
des Auges, das Wesentliche, die grossen Linien in der Natur wie im
menschlichen Körper sehen zu lernen und festzuhalten. Auf Daumiers
Wege weitergehend, nahm er den Figuren Alles, was nur zufällig
ist, vereinfachte sie, um die Grundnote, den Charakter desto mehr
hervorzuheben. Diese Vereinfachung, die bewunderungswürdige Art
möglichst Viel schlagend, mit den geringsten Mitteln auszudrücken,
hat Keiner so wie Millet verstanden. Da ist nichts Ucberflüssiges,
nichts Kleinliches, aus Allem spricht ein epischer, auf das Grosse,
Heroische gerichteter Geist. Seine Zeichnung haftete niemals am
Nebensächlichen, Anekdotischen der Form ; was ihn fesselte, waren
die entscheidenden Linien, die eine Bewegung charakterisiren, ihr
Rhythmus geben. Gerade dieses Gefühl für Rhythmus hatte seine
harmonische Seele im höchsten Grade. Er gab seinen Bauern keine
griechischen Nasen, aber auch in kleinen trockenen Beobachtungen
verlor er sich nicht, er vergrösserte, vereinfachte ihre Silhouetten
und machte aus ihnen Heroen, Märtyrer der Arbeit. Seine Ge-
stalten bekamen den Stil der Erhabenheit; eine feierliche Grösse,
ein fast antiker Reliefstil geht durch seine Bilder. Gewiss bezeich-
nend, dass die einzigen Kunstwerke, die er in seinem Atelier besass,
Muther, Moderne Malerei II.
Millet: La Berger e avec ses montons.
27
4i8
/
XXVII. Jean-Francois Millet
die Gypsabgüsse der Metopen
des Parthenon waren. Er
selbst war ein antiker Mensch:
in der Einfachheit seines Le-
bens, wie in seiner äusseren
Erscheinung: ein Bauer in
Holzschuhen , der die Zeus-
büste von Otricoli auf den
Schultern trug. Und wie
seine Biographie gleich einem
homerischen Gesänge an-
muthet, so hat auch seine
einfach grosse Kunst das Pri-
mitive, Urthümliehe, Hero-
ische gesucht. Man beachte
die michelangeleske Geste
des »Sämanns«. Dieser Bauer,
der da festen Schritts hin-
schreitet, scheint in seiner
grossen Bewegung das Be-
wusstsein von der Grösse seines Tagewerks zu haben : die heroische
Verkörperung des Menschen, der die Erde beherrscht, seinen Zwecken
dienstbar macht, befruchtet.
11 marche dans la plaine immense,
Va, vient, lance la graine au loin,
Rouvre sa main et recommence ;
Et je medite, obscur t^moin,
Pendant que dd’ployant ses voiles
L’ombre oü se mele une rumeur
Semble £largir jusqu’aux dtoiles
Le geste auguste du semeur.
Man beachte die epische Ruhe der »Achrenleserinnen« , der drei
Parzen der Armuth, wie Gautier sic nannte, die priesterliche W ürde
des Holzhackers«, die fitst indische Feierlichkeit der krau, die eine
Kuh weiden lässt. Sie steht in ihren Holzschuhen wie auf einem
Piedestal, ihr Rock hat lapidare Falten, ein feierlich melancholischer
Stumpfsinn prägt sich aus in ihrem Gesicht. Millet ist der Michel-
angelo der Bauern. Seine Bilder wirken in ihrer grandiosen Einfach-
heit wie religiöse Malerei, plastisch und mystisch zugleich.
XXVII. Jean-Francois Millet
Zu dieser Höhe
des Stils ist Millet
keineswegs nur durch
Instinkt gekommen.
Obwohl Bauernsohn,
Bauer und Bauern-
maler, wusste er sehr
wohl, was er wollte,
und hat dieses -.Ziel
nicht praktisch nur
in seinen Bildern,
auch theoretisch klar
in seinen Briefen und
Aufsätzen formulirt.
Denn Millet war nicht
blos ein Mann, der
gerne träumte, er war
zugleich ein grübeln-
der, philosophischer
Kopf, den neben den
Gefühlen des Dich-
ters auch die Ideen
des Denkers bewohn-
ten. In dem Selbstporträt, das dem Buche Sensiers als Titelblatt
beigegeben und auf dem er etwas Kränkliches, romantisch Ange-
hauchtes, Aetherisches hat, kommt gleichsam nur die eine Seite
seines Wesens zum Ausdruck. Das grosse Medaillon von Chapu
enthüllt die andere: den scharfen consequenten Denker, der aus
den lichtvollen, unerbittlich logischen Briefen spricht. Er ist in
dieser Hinsicht der echte Vertreter seiner Race. Im Gegensatz zum
Esprit und graziösen Leichtsinn des Parisers gilt ruhiger, gesunder
Menschenverstand als Haupteigenschaft des Normannen und dieses
präcis klare Denkvermögen war bei Millet noch gehoben durch un-
ermüdliche geistige Schulung.
Schon als Kind hatte er durch seinen Onkel, einen Geistlichen,
eine gute Erziehung erhalten und genug lateinisch gelernt, um Virgils
Georgica und andere alte Schriftsteller im Urtext zu lesen. Er kann
sie fast auswendig und citirt sie jeden Augenblick in seinen Briefen.
Nach Paris gekommen, brachte er lange Stunden in den Museen zu,
27*
Mil/et: La lecon de tricol.
420
XXVII. Jean-Francois Millet
nicht um dies oder jenes
Stück aus einem Bild zu
copiren, sondern um
klarenAuges die Kunst-
werke auf ihr Wesen
hin zu prüfen. In Cher-
bourg verschlang er in
der Bibliothek den gan-
zen Vasari, alles, was
er finden konnte über
Dürer, Leonardo,
Michelangelo, Poussin.
Selbst in Barbizon blieb
er während seines gan-
zen Lebens ein starker Leser. Shakespeare erfüllt ihn mit Bewunder-
ung ; Theokrit und Burns sind seine Lieblingsdichter. Theokrit be-
weist mir, dass man nie mehr Grieche ist, als wenn man naiv seine Ein-
drücke gibt, mögen sie kommen woher sie wollen«. Immer, wenn er
nicht malte oder die Natur betrachtete, hatte er ein Buch in der Hand
und freute sich nie herzlicher, als wenn ein Freund seine kleine
Bibliothek um ein neues bereicherte. Obwohl er in der Jugend
ackerte und pflügte und später selbst als Bauer lebte, war er unter-
richteter als die meisten Maler, er war Philosoph — Gelehrter. Seine
Redeweise war langsam, ruhig, überzeugt, gewinnend, von ganz
persönlichen, durchdachten Ideen gesättigt. »Lieber Millet, Sie
sehen doch auch schöne Bauern und hübsche Landmädchen«,
schrieb ein Kritiker. Worauf Millet: Ja, aber die Schönheit liegt
nicht im Gesicht. Sie liegt in der Harmonie des Menschen
mit seiner Thätigkeit. Ihre hübschen Landmädchen gehen
lieber in die Stadt; es steht ihnen nicht zu Gesicht, Holz und Aehren
zu lesen und Wasser zu pumpen. La beaute c’est l'expression.
Quand je ferai une mere, je tächerai de la faire belle de son seul
regard sur son enfant«. . . . Das klar Geschaute ist, wenn du es
schlicht und einfach wiedergibst, schön. . . . Alles ist schön, was
an seinem Platze ist, nicht schön , was zur Unzeit kommt. Also
keine Abschwächung der Charaktere. Apollo sei Apollo und Sokrates
Sokrates, vermischen wir sie, so verlieren sie beide und werden eine
Mischung, die nicht Fisch und Fleisch ist. So kam die Decadence
der modernen Kunst. Au Heu de naturaliscr hart, ils artialisent la
Monument de Millet (Fore't de Fontainebleau).
XXVII. jEAN-pRANgOIS MlLLET
42I
T&r'i
f-if. 7
Chapu: La pierre de Barbizon (Rousseau und Millet).
nature . . . Das Musee Luxembourg hat mir gezeigt, dass man, um
wahre Kunst zu schaffen, nicht in’s Theater gehen darf. Je voudrais
que les etres quc je represente aient l’air voues ä leur position ; et
qu’il soit impossible d’imaginer qu’il leur puissc vcnir a l’idee d’etre
autre chose que ce qu’ils sont. On est dans un milieu d un caractere
ou d’un autre, rnais celui qu’on adopte doit primer. On dcvrait etre
habitue ä ne recevoir de la nature ses impressions de quelquc Sorte
qu’ellcs soient et quelque temperament qu’on ait. II faut etre im-
pregne et sature d’elle, et ne penser quc ce qu’elle vous fait penser.
II faut croire qu’elle est assez riebe pour fournir ä tout. Et 011
puiserait-on, sinon ä la source? Pourquoi donc ä perpetuite proposer
aux gens, comme but supreme ä atteindre, ce que de hautes in-
telligences ont decouvert en eile. Voilä donc qu’on rendrait les
productions de quelques-uns le type et le but de toutes les productions
ä vcnir. Les gens de genie sont comme doues de la baguette divi-
natoire; les uns decouvrent que, dans la nature, ici se trouve cela,
les autres autre chose ailleurs, selon le temperament de leur flair.
422
XXVII. Jean -Francois Millet
Millet: Les tuetirs de cochons.
Lcurs productions vous assurent dans cette idee que celui-la trouve
qui est fait pour tröuver, mais il est plaisant de voir, quand le tresor
est deterre et enleve, que des gens vienncnt ä perpetuite gratter a
cette place-la. II faut savoir decouvrir oü il y a des truffes. Un
chien qui n’a pas de flair ne peut que fair triste chasse, puisqu’il
ne va qu’en voyant chasser celui qui sent la bete et qui naturelle-
ment va le premier . . . Un immense orgueil ou une immense sottise
seulement peut fair croire ä certains hommes qu’ils sont de force
ä redresser les pretendus manques de goüt et les errcurs de la nature.
Les Oeuvres que nous aimons, ce n'est qu’ä cause qu’clles procedent
d’elle. Les autres ne sont que des oeuvres pedantcs et vides. On
peut partir de tous les points pour arriver au sublime, et tout est
propre i l’exprimer, si on a une assez haute visec. Alors ce que
vous aimez avec le plus d'emportement et de passion devient votre
beau ä vous et qui s’impose aux autres. Que chacun apporte le
sien. L’impression force l’exprcssion. Tout l’arsenal de la nature
est a ladis position des hommes. Qui oserait decider qu’une pomme
de terre est inferieure ä une grenade. Wenn auf einem steinigen
XXVII. Jean-Francois Millet
423
Millet: La fewme qui trail une vache.
unfruchtbaren Boden ein verkrüppelter Baum wächst, so ist er an
diesem Orte schöner, weil natürlicher als ein schlanker, den man
künstlich hinpflanzt. Le beau est ce qui convient. Ob man das
dann Idealismus oder Realismus nennen soll, weiss ich nicht. Für
mich gibt es nur eine Manier zu malen: C’est de peindre vrai«.
Das hatte für die Poesie schon der alte Boileau in den Worten aus-
gedrückt: »Rien n’est beau que le vrai«; das hatte Schiller in die
Fassung gebracht: »Lasst uns endlich die Wahrheit für die Schön-
heit einsetzen«. Für die Kunst des 19. Jahrhunderts aber bedeuteten
Millets Sätze noch immer die Aufstellung eines neuen Princips, eines
Princips, das wirkte, wie eine fräscheinsetzende Kraft, als neu bewusste
Energie künstlerischen Strebens, als die Rückführung auf das, was
die Erde dem Antäos war. Und dadurch, dass Millet dieses Princip
— Alles ist schön, sofern es wahr, nichts schön, sofern es unwahr
424
XXVII. Jean-Francois Millet
Millet: Eglise de Griville.
ist, die Schönheit ist die Blüthe, aber die Wahrheit der Baum -
dadurch, dass er dieses Princip zum ersten Mal klar formulirte, ist
er fast mehr als durch seine eigenen Bilder der Vater der
neuern fransösischen, ja europäischen Kunst geworden.
Denn — hier kommen wir auf die Grenzen seiner Begabung
— hat Millet, was er wollte, als Maler wirklich geleistet? Kein
Geringerer als Fromentin hat diese Frage in seinen Maitres d’autrefois
gestellt. Bei seinem Besuch in Holland kommt er einen Augenblick
auf Millet zu sprechen und schreibt:
»Ein überaus origineller Maler, hochsinnig und zur Schwer-
muth neigend, gutherzig und eine wahrhaftig ländliche Natur, hat
von der Landschaft und ihren Bewohnern, von deren Mühe, Melan-
cholie und dem Adel ihrer Arbeit Dinge gesagt, die ein Hol-
länder nie gefunden hätte. Er hat sie in einer etwas barbarischen
Sprache geschildert in einer Manier, welcher der Gedanke mehr aus-
drückliche Kraft verleiht, als seine Hand sie bcsass. Man hat ihm
XXVII. Jean-Francois Millet
42)
Millet: Le Printemps.
Dank gewusst für seine Absichten; man erblickte in seiner Weise
etwas wie die Empfindsamkeit eines im Ausdruck ein wenig unge-
lenken Burns. Aber schliesslich, hat er, ja oder nein, gute Bilder
hinterlassen ? Hat seine Formensprache, seine Ausdrucksweise, ich
meine die Hülle, ohne welche die Gedanken nicht bestehen können,
hat sie die Eigenschaften einer guten Malerei und bietet sie dauernde
Gewähr? Vergleicht man ihn mit Potter und Cuyp, dann erscheint
er als tiefer Denker; hält man ihn gegen Terborch und Metsu, dann
erweist er sich als fesselnder Träumer; er hat etwas eigenthümlich
Edeles, gegenüber den Trivialitäten der Steen, Ostade und Brouwer.
Als Mensch macht er sie alle erröthen. Wiegt er sie auf als Maler?«
Wer an den Zeichner Millet denkt, wird diese Frage ohne
Zögern mit Ja beantworten. In den Zeichnungen, welche die Hälfte
seines Werkes bilden, ruht die starke Wurzel seiner Kraft. Er hat
nicht wie Leonardo, Rafael, Michelangelo, Watteau oder Delacroix
nur gezeichnet, um Skizzen zu machen oder Bilder vorzubereiten,
seine Zeichnungen waren für ihn wahrhafte, in sich vollendete Kunst-
426
XXVII. Jeam-Francois Millet
werke — in ihnen liegt sein dauernder festbegründeter Ruhm.
Michelangelo, Rafael, Leonardo, Rubens, Rembrandt, Prudhon, Millet,
das etwa ist die Namenreihe der grössten Zeichner der Kunstgeschichte.
Seine Pastelle und Radirungen, seine Kreide-, Bleistift- und Kohlen-
zcichnungen verblüffen geradezu durch ihre eminente technische Fein-
heit. Je unscheinbarer das Instrument, eine desto grössere Wirkung
erzielt er. Die butterschlagende Frau im Louvre, die Ruhe des
Schnitters und der Schnitterin neben dem Kornschober, die Wasser-
trägerinnen, die in ihrer majestätischen Bewegung griechischen Kane-
phoren gleichen, der Bauer auf dem Kartoffelacker, der sich mit
Feuerstein und Schwamm die Pfeife anzündet, die Frau, die neben
ihrem schlafenden Kinde bei der Lampe näht, der ausruhende Winzer,
die kleine Schafhirtin, die träumerisch auf einem Strohbündel neben
ihrer grasenden Ileerde sitzt, — in diesen Blättern von schwarz und
weiss ist er ein gleich grosser Colorist wie grosser Pleinairmaler.
Es gibt keine neckischen capriciösen Sonnenstrahlen wie bei Diaz.
Millets Sonne' ist zu ernst, um nur zu spielen ; sie ist ein strenges
Gestirn, das das Getreide reifen , die Menschen schwitzen lässt und
keine Zeit verliert mit Schäkern. Ebenso grundverschieden ist er
als Landschafter von Corot. Corot, der alte Junggeselle, kost mit
der Natur; Millet, der neunfache Familienvater, kennt sie nur als
fruchtbare, nährende Mutter. Auch in seiner Naturanschauung
kommt der Melancholiker zum Durchbruch. »O, wenn sie wüssten,
wie schön der Wald ist. Ich laufe manchmal Abends hinein und
komme immer ganz zerschmettert zurück. Eine Ruhe, eine Grösse
ist hier, die schrecklich ist, so dass ich oft geradezu Furcht empfinde.
Ich weiss nicht, was diese Bäume unter einander reden, aber sie
sagen sich etwas, das wir nur nicht verstehen, weil wir nicht die-
selbe Sprache sprechen. Dass es keine Kalauer sind, scheint mir
sicher«. Fr liebte, was Corot nie gemalt hat: die Scholle, die Scholle
als Scholle, die Scholle, die dampft unter den Strahlen der befruchten-
den Sonne. Und doch steht er bei aller Verschiedenheit des Tem-
peraments vielleicht als der grösste Landschafter des Jahrhunderts
neben Corot da. Seine Landschaften sind leer und reizlos, nicht
nach Jasmin, nach Erdgeruch duftend, doch ist’s als ob der Erdgeist
selbst unsichtbar darüber walle. Ein paar aufgesetzte Farben genügen
ihm, jene grosse Harmonie zu erzielen, wie sie sonst nur Corot eigen
und die er nach der Arbeit so oft mit seinem Nachbar Rousseau be-
sprach. Mit wenigen glänzenden, leicht hingesetzten Schraffirungen
XXVII. Jean-Francois Millet
427
bringt er das Vibriren der Atmosphäre, das Leuchten des Himmels
bei Sonnenuntergang, den mächtigen Bau des Terrains, das wollüstige
Schaudern der Ebene bei Sonnenaufgang zum Ausdruck. Bald ist’s
der Morgennebel, der über den Fluren liegt, der Dunst der Mittags-
schwüle, der alle Umrisse, alle Farben der Gegenstände umhüllt
und aufsaugt, bald die Abendröthc, die Wald und Feld mit zitternd
zartem Schimmer überstrahlt, der feine Silberton klarer Nächte, der
über verschleierte Mondlandschaften sich breitet. Millet ist in seinen
Pastellen ein Nachtmaler wie kein Zweiter des Jahrhunderts. Eines
der reizendsten poetischen Blätter ist das mystisch-biblische Nacht-
stück der Flucht nach Egypten. Der heilige Joseph hat das Kind,
dessen Haupt ein leuchtender Feuerschein umstrahlt, auf den Arm
genommen und schreitet voran, während die Mutter auf dem Esel
langsam die Ufer des Nil entlang zieht. Die Sterne blinken, der
Mond wirft sein zitterndes Licht scheu über die Ebene. Joseph und
Maria sind Bauern aus Barbizon, und doch weht ein Hauch der Six-
tinischen Capelle, ein Hauch Michelangelos aus den grossen Gestalten.
Oder welcher alte Meister hat das heilige Schweigen der Nacht so
beredt wie Millet in seinem »Hammelpark« geschildert. Seine ge-
zeichneten Landschaften erwecken den Eindruck einer Weiträumig-
keit wie sonst nur Rembrandt’s Radirungen, einer atmosphärischen
Feinheit, wie nur Corots Bilder. Ueber seinen Kühen, die zum
Trinken an’s Meer hinabsteigen, liegt ein wunderbar durchsichtiger,
zarter Abendhimmel, um das »segelnde Boot« rollt das flüssige Mond-
licht auf den Kämmen der Wellen. Der Garten mit Gewitterbeleucht-
ung und hochgelegener Allee, über der sich ein Regenbogen wölbt,
— das Motiv, das er zu dem bekannten Louvrebilde verarbeitete
— kehrt in mehreren, vom Einfachen zum Complicirteren fort-
schreitenden Pastellen wieder. Alles ist durchsichtig und leicht, voller
Luft und Licht, und Luft und Licht sind voller Schmelz und Zauber.
Anders aber stellt sich die Sache, wenn man auf Fromentins
Frage, so wie sie gestellt ist, die Antwort sucht. Da kann man,
ohne Millets Bedeutung zu schmälern, ruhig aussprechen : Nein ;
Millet war kein guter Maler. Spätere Generationen, denen er
in seiner ethischen Grösse nicht mehr so nahe steht, werden aus
seinen Bildern allein seine heutige hohe Schätzung kaum ver-
stehen. Denn wenn auch manche in die Privatsammlungen von
Boston, New-York und Baltimore gekommene Arbeiten im Original
dem Urtheil entrückt sind, werden sie doch nicht besser sein, als
428
XXVII. Jean-Francois Millet
die vielen, welche die Milletausstellung 1886 oder die Weltausstellung
1889 vereinte. Diese aber hatten sämmtlich eine Unbeholfenheit,
eine coloristische Schwere und Trockenheit, die nicht nur den
Werken der Modernen gegenüber veraltet, antediluvianisch, urthüm-
lich anmuthet, sondern damals schon tief unter dem Niveau colorist-
ischer Leistungsfähigkeit stand. Man bewundert an Millets Bildern
immer nur die Anschauung, nie die Mache; nur als Poet wirkt er,
nie als Maler. Seine Malerei ist oft ängstlich, schwer, dick und wie
gemauert ; sie ist traurig und schmutzig, gibt die Töne nicht frei und
luftig. Manchmal brutal und hart, wirkt sie zuweilen merkwürdig
unbestimmt. Selbst seine besten Bilder — der Angelus nicht aus-
genommen — gewähren dem Auge keine ästhetische Freude. Der
gewöhnlichste Fehler seiner Malerei ist, weich, fett und wollig zu
sein. Er verfährt nicht leicht genug mit Leichtem, nicht flüchtig
genug mit Flüchtigem. Besonders in den Gewändern macht sich
dieser Mangel fühlbar. Sie sind von einer massiven, beunruhigenden
Schwere, wie aus Erz gegossen, nicht wie aus Leinwand und Tuch.
Dasselbe gilt von der Luft, sie wirkt materiell und ölig. Selbst in
den Aehrenleserinnen — wo ist die Intensität des Lichtes, das
in ewiger Bewegung die Erde überströmt, die Atmosphäre durch-
rieselt — der Anblick ist kalt und traurig.
Damit ist zugleich gesagt, was den Späteren zu thun blieb.
Das von Millet angeregte Problem, wahre Menschen in ihrem wahren
Milieu zu schildern, das er in seinen Pastellen gelöst, in seinen Oel-
bildern ungelöst gelassen, war von den Nachfolgern neu aufzunehmen
und bis in seine letzten Consequenzcn zu verfolgen. Zugleich galt
es, den Stoff kreis zu erweitern.
Denn auch das ist für Millet, den grossen Bauern, bezeichnend,
dass seine Kunst ausschliesslich die Bauern umfasste. Seine gefühlvolle
Seele, die von Jugend auf Mitleid hatte mit der harten Arbeit und
dem Elend des Landmannes, war blind für die Leiden des städtischen
Arbeiters, neben dem er seine Jugend in Paris verlebte. Auch der
Ouvrier hat seine Poesie und Grösse. Wie einen Schrei der Erde,
so gibt es auch einen Schrei, der gleich laut und beredsam dem
Pflaster grosser Städte entsteigt. Millet lebte in Paris in einer krit-
ischen, schrecklichen Stunde. Er war da während der Jahre der
Gährung, am Ende der Regierung Louis Philipps. Rings um ihn
grollten alle socialistischen und communistischen Schrecken. Er
war da während der Februar-Revolution, während der Junitage. Und
XXVII. Jean-Francois Millet
429
als die Arbeiter auf den Barrikaden kämpften, malte er den — Korn-
schwinger. Das Elend von Paris, die Leiden des Volkes berührten
ihn nicht. Millet, der Bauer, hatte nur ein Herz für die Bauern,
war blind für die Leiden, blind für die Reize des modernen städt-
ischen Lebens. Paris schien ihm »ein schmutziges, trauriges Nest«.
Kein malerischer Anblick der grossen Stadt fesselte ihn. Weder ihre
Grazie fühlte er, ihre Eleganz und reizende Frivolität, noch bemerkte
er etwas von der gewaltigen modernen Ideenbewegung und der edlen
Menschlichkeit, die dem Jahrhundert der Humanität das Gepräge
gibt. Nach diesen beiden Seiten hatte die Entwicklung der fran-
zösischen Kunst zu gehen. Theils war das von Millet berührte
Problem der modernen Farbenanschauung mit verbesserten Instru-
menten neu aufzunehmen, theils das von ihm formulirte Princip »le
beau c’est le vrai« von der Bauernmalerei auf das moderne Leben
überhaupt auszudehnen , aus dem Walde von Fontainebleau nach
Paris zu übertragen , aus der Einsamkeit in das Leben , aus der
Abendstimmung in das Sonnenlicht, aus der Weichheit der Romantik
in die harte Wirklichkeit. Courbet und Manet thaten diese Schritte.
©x£)
XXVIII.
Der Realismus in Frankreich.
was Millet in der Einsamkeit des
*w*iJischen Urkraft Courbets nöthig.
Die Aufgabe, die ihm zufiel, war eine ähnliche, wie im 17. Jahr-
hundert die Caravaggios. Als damals die eklektische Nachahmung
des Cinquecento den Höhepunkt der Manierirtheit erreicht hatte, als
Corlo Dolci und Sassoferato sich abmühten, in mythologischen Bil-
dern die Typen Rafaels durch Idealisiren immer mehr zu ver-
wässern, malte Caravaggio Scenen aus der Hefe des Volkes und der
zügellosen Soldateska seiner Zeit. In einer Periode, als jene sich
in doctrinären, erzwungenen und erkünstelten Compositioncn er-
gingen , die in ödem Schematismus die Leistungen der Klassiker
lediglich auf Regeln zurückführten, schuf er Werke von vielleicht
unfeiner, aber ernster, furchtbarer Wahrheit, deren gesunder, kraft-
voller Naturalismus bald die ganze Kunst des 17. Jahrhunderts in
andere Bahnen zog.
Als Courbet auftrat, lagen die Verhältnisse ähnlich : Ingres, in
dessen eisigen Werken sich das ganze Cinquecento cristallisirte, war
im Zenith seines Ruhmes. Couture hatte seine Römer der Verfall-
zeit gemalt und Cabanel seine ersten Erfolge verzeichnet. Neben
ihnen stand jene kleine Schule der Neugriechen mit Louis Hamon
an der Spitze, dessen zimperlicher Porzellanstil sich der besonderen
Bewunderung des Publikums erfreute. Zwischen diese grossen,
symmetrischen Maschinen der Vollblutclassicisten und die niedlichen
Zuckerbäckereien der neugriechischen Schönmaler trat Courbet in
seiner ganzen brutalen Schwere. Das alte Allheilmittel, das nie
seinen Dienst versagt: in allen Perioden, wenn die Kunst, nachdem
ihre Blüthe vorüber, in Manier verfällt, folgt eine starke realistische
Gegenströmung, die ihr neues Lebensblut zuführt. Man hatte die
Natur verkünstelt, cs war Zeit, die Kunst zu naturalisiren. Man
begonnen, war ein Mann von
XXVIII. Der Realismus in Frankreich
431
irrte noch immer in der
Vergangenheit umher, um
Todte aufzuerwecken und
die Geschichte neu aufleben
zu lassen. Der Moment war
gekommen , noch schroffer
als bisher die Rechte der
Gegenwart zu betonen, die
Kunst mitten in das gähr-
ende Leben der modernen
Grossstadt zu setzen : eine
Entwicklung, die natürlich
und logisch der politischen
folgte: sie fällt culturge-
schichtlich zusammen mit
dem andauernden Kampf der
Demokratie um den Besitz
des allgemeinen Stimmrechts.
Courbet lieferte nur die Ent-
scheidungsschlacht in dem
grossen Kampf den Jeanron,
Leleux, Octave Tassaert u. A. als plänkelnde Vorposten begannen. Er
überragte diese Aeltern, deren sentimentale Bildchen als Kunstwerke
nicht ernst genommen worden waren, thurmhoch als Maler und for-
derte die Beachtung um so mehr heraus, als er für seine Darstellungen
Lebensgrösse wählte. Damit war das letzte Hinderniss beseitigt,
das der Behandlung moderner Stoffe im Wege stand. Auf Millets
kleine Bauerngestalten, die nur als »Landschaften mit Staffage«
zählten, hatte man noch wenig geachtet. Erst Courbets Bilder be-
lehrten die Akademie, dass das bisher so harmlose »Sittenbild« sich
anschickte, selbst die Rolle der stolzen Historienmalerei zu über-
nehmen.
Zugleich ging — was weiter Courbets Auftreten folgenschwerer
als das seiner Vorgänger machte — mit der künstlerischen eine
äusserst wirksame literarische Propaganda Hand in Hand. Millet war
schweigsam gewesen und von Keinem als von seinen Freunden ge-
kannt. Er hatte nie eine Ausstellung veranstaltet, sondern still die
Zurückweisungen der Jury, das Gelächter des Publikums ertragen.
Courbet lärmte, liess die Trommel schlagen, stellte sich in muskel-
432
XXVIII. Der Realismus in Frankreich
kräftige Positionen wie ein Kraft-
mensch , der mit eisernen Kugeln
spielt, versicherte in den Blättern, er
sei der einzige ernsthafte Künstler
des Jahrhunderts. Keiner hat das
Embeter le bourgeois so verstanden,
Keiner ein solches Geheul von Lei-
denschaften entfesselt, Keiner sein
Privatleben so behaglich der Neugier
der Menge preisgegeben, mit der re-
nommistischen Atitude des Athleten,
der im Circus die Muskeln seines
Torso zur Schau stellt. Man kann
über dieses Auftreten, durch das er
zuweilen eine fast groteske Figur
wurde, der beliebigsten Ansicht sein
— als er kam, warernöthig. Revolu-
tionen vollziehen sich in der Kunst mit der gleichen Brutalität wie im
Leben. Man wirft den Besitzenden die Fenster ein, man singt, man
jodelt. Jede trägt den Charakter unbeugsamer Härte. Weisheit und Ver-
nunft haben nie die Leidenschaft, die gebraucht wird, um zu stürzen
und aufzubauen. Caravaggio musste zu den Waffen greifen, zu
blutigen Angriffen übergehen. Im gesitteten 19. Jahrhundert hat
sich Alles gcsetzmässig, doch nicht weniger leidenschaftlich voll-
zogen. Um wenig zu erhalten, muss man viel fordern, das ist jeder-
zeit wahr gewesen und das hat Courbet gethan. Ein merkwürdiger
hochstrebender Charakter, genial und cxcentrisch, ein moderner Narciss
an selbstbeschaulicher Eitelkeit und doch wieder der opferbereiteste,
treueste Freund, vor der Menge ein Cyniker und Schwätzer, zu Haus
ein ernster, grosser Arbeiter, aufbrausend wie ein Kind und im
nächsten Augenblick versöhnt, äusserlich ebenso brutal wie innerlich
zartfühlend, ebenso egoistisch wie unabhängig und stolz, formulirte
er seine Ziele gleich schneidig in Worten und Werken. Immer voll
Feuer und Begeisterung, zerstörend und anregend — eine ähnliche
Natur, wie bei uns Lorenz Gedon, dem er auch in seinem Aeussern
glich — wurde er die Seele, das treibende Princip der grossen realist-
ischen Bewegung, die seit dem Beginne der 50 er Jahre Europa tiber-
fluthete. Recht eigentlich der Mann, den die Kunst damals brauchte:
ein Arzt, der die Gesundheit mit sich brachte, sie in’s Freie schickte,
Courbet. Jugendporträt.
Muther, Moderne Malerei II.
2 S
Cour bet: Die Sleinklopj er .
434
XXVIII. Dkr Realismus in Frankreich
ihr Blut in die Adern spritzte. Sein ganzes Auftreten als Mensch
wie als Künstler hat etwas vom elementaren Einbrechen einer Natur-
gewalt. Er kommt vom Land in Holzschuhen, mit der Zuversicht
eines Bauern, der sich vor nichts fürchtet. Er ist ein grosser, kräftiger
Mensch, gesund und natürlich wie die Ochsen in seinem Heimaths-
ort. Er hatte breite Ellbogen, mit denen er alles im Wege Stehende
zur Seite stiess. Er war mehr ein Instinkt als ein Gehirn, ein
peintre-animal, wie ein Franzose ihn nannte. Ein solcher Plebejer
war nöthig, den akademischen Olymp zu zerschlagen. Die Natur,
indem sie ihn gross und stark machte, hatte ihn gleichsam selbst
zu seiner Rolle bestimmt: Man haut immer leichter Bresche, wenn
man dicke Muskeln hat. Ausgestattet mit der Kraft eines Simson,
der den Tempel der Philister zertrümmert, war er selbst der »Stein-
klopfcr« seiner Kunst und hat wie die, die er gemalt hat, ein nütz-
liches Tagewerk vollführt.
Gustave Courbet, der bäuerlich kräftige Sohn der Franchc-Cointe,
war 1819 in Omans, einer kleinen Stadt bei Besan^on geboren. Ein
Freund und Landsmann Proudhons, des Socialisten, hatte er wie
dieser ein Paar Tropfen deutschen Blutes in den Adern, was beiden
auch in der äussern Erscheinung etwas germanisch Derbes und
Wuchtiges, mit der französischen Leichtigkeit und Eleganz Contra-
stirendes verlieh. Auf seinem massiven Körper sass ein schwerer
athletischer Hals, ein dickes Gesicht mit schwarzen Haaren und
grossen Löwenbändigeraugen , die wie dunkle Diamanten strahlten.
Ein starker, wohlgenährter Mann, mittelgross, breitschultrig, plump,
roth, einem Schlachthausthiere ähnlich, mit den Jahren zu immer
gesegneterem Leibesumfang neigend, ging er wie ein Sisyphus der
Arbeit einher, die nie fehlende kurze, mit rauhem Caporaltabak ge-
stopfte Pfeife, den classischen brule gueule im Munde. Ein wenig
kurzathmig, bewegte er sich breit und schwerfällig, schnaufte, wenn
er erregt war, schwitzte perlende Tropfen, wenn er malte. Die
Kleidung war bequem, nicht elegant, der Kopf für die Pelzmütze,
nicht für den officiellen Cylindcr geschaffen, die Redeweise cynisch,
der Mund oft von wegwerfendem Lachen verzerrt. Im Atelier und
in der Kneipe bewegte er sich gern in Hemdärmeln und muthete auf
der Münchener Ausstellung 1869 die deutschen Maler wie ein Altbayer
an, wenn er urwüchsig, jovial im »Deutschen Haus« mit ihnen kneipte
und durch seine mehr germanische als romanische Fähigkeit im Bier-
vertilgen selbst die leistungsfähigsten Münchener in Schatten stellte.
XXVIII. Der Realismus in Frankreich
435
Ursprünglich zum Juristen bestimmt, hatte ersieh 1837 entschlossen,
Maler zu werden, und bei Flogeoulot, einem mittelmässigen in die
Provinz versprengten Maler der Davidschule, der sich prunkend le
roi du dessin nannte, seine künstlerischen Studien begonnen. 1839
kam er nach Paris, schon voll Selbstbewusstsein, Feuer und Kraft.
Bei seiner ersten Runde durch die Galerie des Luxembourg meinte
er vor Delacroix’ farbenglühendem Gemetzel von Chios : es sei nicht
übel, aber das könne er auch, sobald er wolle. Nach kurzer Zeit
hatte er sich durch Copiren der alten Meister im Louvre ein
bravourhaftes Handwerk erworben. Wie in der Kunst Autodidakt,
war er im Leben Demokrat, in der Politik Republikaner. Schon 1848
während der Junischlacht wäre er fast mit einem Trupp Insurgenten,
deren er sich annehmen wollte, füsilirt worden, hätten einige »gut-
gesinnte« Bürger nicht für ihren als Mensch beliebten und als Maler
bereits viel genannten Nachbar sich verwendet. Im Beginne der 50er
Jahre war er mit jungen Schriftstellern aus der Schule Balzacs all-
abendlich in einer von Künstlern und Studirenden besuchten Brasserie
der Rue Hautefeuille im Quartier latin zu treffen. Er hatte sein Atelier
eingangs dieser Strasse und soll damals ein hübscher, kräftiger, leb-
hafter, junger Mann gewesen sein, der sich eines drastischen Atelier-
jargons bediente. »Seine bemerkenswerthen Züge, so hat Theophile
Silvestre ihn damals beschrieben, scheinen nach einem assyrischen
Basrelief geformt zu sein. Seine schwarzen , glänzenden , wohl-
geschnittenen und von langen, seidenen Wimpern beschatteten Augen
haben das ruhige und sanfte Leuchten des Antilopen-Auges. Der
kaum unter der leichtgebogenen Adlernase angedeutete Schnurrbart
vereint sich mit dem fächerförmigen Bart und umsäumt dicke sinn-
liche Lippen; die Haut ist von bräunlichem, olivenfarbigem, wech-
selndem und nervösem Ton. Der runde, eigenthümlich geformte
Schädel und die vorstehenden Backenknochen deuten Eigensinn, die
lebhaften beweglichen Nasenflügel Leidenschaft an.« Ein grosser
Disput über den Realismus diente gewöhnlich den Mahlzeiten als
Nachtisch. Courbet liess sich dabei nicht auf Controversen ein, warf
Jedem seine Ansicht an den Kopf und schnitt, wenn ihm entgegnet
wurde , in sehr massiver Weise das Gespräch ab. Der reine
bethlehemitische Kindermord, wenn er von den Berühmtheiten seiner
Zeit redete. Die Historienmalerei nannte er einen Unsinn, den Stil
einen Humbug, auf alle Ideale pfiff er und behauptete, es sei die
grösste Frechheit, Dinge malen zu wollen, die man nie zu Gesicht
28*
436
XXVIII. Der Realismus in Frankreich
bekommen, von deren Ansehen man also keinen Begriff haben könne.
Die Phantasie sei Blödsinn und die Wirklichkeit die einzige Muse.
»Unser Jahrhundert wird sich von dem Nachahmungsfieber, von
dem es darniedergeworfen ist, nicht wieder erholen. Phidias und
Rafael haben sich an uns festgehakt. Die Museen müssten einmal
zwanzig Jahre lang geschlossen bleiben, damit die Modernen endlich
anfangen, selbständig zu sehen. Denn was können die alten Meister
uns bieten? Nur Ribera, Zurbaran und Velazquez bewundere ich;
Ostade und Craesbeeck verlocken mich, und vor Holbcin empfinde
ich Verehrung, Was Herrn Rafael betrifft, so hat er ohne Zweifel
einige interessante Porträts gemalt, aber ich finde keine Gedanken
bei ihm. Und die Vettern, die Erben oder vielmehr Sklaven dieses
grossen Mannes sind erst recht Erzieher der niedrigsten Art. Was
lehren sie uns? Nichts. Niemals wird ein gutes Bild aus der
Ecole des Beaux Arts hervorgehen. Das Kostbarste ist die Originalität,
die Unabhängigkeit des Künstlers. Schulen dürfen nicht existiren,
es gibt nur Maler. Ich habe unabhängig von jedem System und
ohne mich einer Partei anzuschliessen, die Kunst der Alten und der
Neueren studirt. Ich habe die eine ebensowenig nachahmen als die
andere copircn, sondern nur aus der gesammten Kenntniss der Ucber-
lieferung die begründete und unabhängige Empfindung meiner eigenen
Individualität schöpfen wollen. Wissen, um zu können, war mein
Gedanke. Im Stande zu sein, die Sitten, die Ideen, den Anblick
unsrer Epoche nach meiner Werthschätzung auszudrücken, nicht
nur ein Maler, sondern auch ein Mensch zu sein, mit einem Wort,
lebendige Kunst zu üben , das ist mein Ziel. Ich bin nicht nur
Socialist, auch Demokrat und Republikaner, mit einem Wort: ein
Anhänger jeder Revolution und obendrein ganz Realist, das heisst auf-
richtiger Freund der wahren Wahrheit. Das Princip des Realismus
aber ist die Negation des Ideals. Indem ich aus der Negation des
Ideals alles Weitere folgere , gelange ich zur Emancipation des
Individuums und schliesslich zur Demokratie. Der Realismus ist
seinem Wesen nach demokratische Kunst. Er kann nur bestehen
in der Darstellung von Dingen , die für den Künstler sichtbar und
berührbar sind. Denn die Malerei ist eine ganz physische Sprache,
und ein abstractes, nicht sichtbares, nicht existirendes Object gehört
nicht in ihre Domäne. Die Monumentalmalerei, die wir haben»
steht im Widerspruch mit den socialen Zuständen, die kirchliche
Malerei im Widerspruch mit dem Geist des Jahrhunderts. Ein Un-
Ccurbel: Das Alelier
438
XXVIII. Der Realismus in Frankreich
sinn, dass Maler, ohne daran zu glauben, mit mehr oder weniger
Talent Geschichten aufwärmen , die ihre Blüthezeit nur in einer
andern als unsrer Epoche haben konnten. Statt dessen bemale man
die Bahnhöfe mit den Ansichten der Gegenden , durch die man
reist, mit Bildnissen der grossen Männer, durch deren Geburtsstadt
man fährt, mit Maschinenhallen, Bergwerken, Fabriken — das sind
die Heiligen und Wunder des 19. Jahrhunderts.«
Diese Lehren deckten sich im Princip mit denen, die im 17. Jahr-
hundert die neapolitanischen und spanischen Naturalisten gegenüber
den Eklektikern geltend machten Für die Poussin, Lesucur und
Sassoferrato war damals Rafael »ein Engel, kein Mensch«, der
Vatikan »die Akademie der Maler«. Velazquez aber, nach Rom
gekommen, langweilte sich. »Was sagt Ihr von unserm Rafael,
haltet Ihr ihn nicht auch für den Besten, jetzt wo Ihr das Gute
und Schöne in Italien gesehen? Don Diego wiegte ceremoniös das
Haupt und meinte : Rafael, um Euch die Wahrheit zu sagen , denn
ich bin gern freimüthig uud offen, muss ich gestehen, gefallt mir
gar nicht.« Von Caravaggio werden Aeusserungen berichtet, die fast
wörtlich denen Courbets entsprechen. Auch er eiferte gegen die
Antike und Rafael, in deren Schatten er so viele seichte Nachahmer
sitzen sah, und erklärte in schroffer Opposition die Erscheinungen
des Alltagslebens für die einzigen wahren Lehrmeister. Der Natur
wolle er Alles verdanken , Nichts der Kunst. Eine Malerei ohne
Modell sei Unsinn. »So lange das Modell seinen Augen entrückt
war, blieben die Hände müssig und sein Geist.« Auch er be-
zeichnete sich als demokratischen Maler, der den vierten Stand zu
Ehren brächte; wollte »lieber unter den vulgären Malern der erste,
als unter den vornehmen der zweite sein«. Und wie im 17. Jahr-
hundert jene Naturalisten von den Akademikern als Rhyparographen
behandelt wurden, so war Courbets Programm nicht geeignet, ihm
in dem Maasse, wie er es wünschte, Zutritt in die officiellen Aus-
stellungen zu verschaffen. Ein Theaterstück will aufgeführt, ein
Manuscript gedruckt, ein Bild betrachtet sein. Auch Courbet wollte
nicht unedirt bleiben. Als die Jury der Pariser Weltausstellung 1855
seinen Bildern einen ungünstigen Platz anwies, zog er sie zurück
und führte sie in einer Holzbaracke in der Nähe des Pont d’Jena
unmittelbar am Eingang der Weltausstellung gesondert dem Publi-
kum vor. Ueber der Holzbaracke stand in grossen Buchstaben :
DER REALISMUS. G. COURBET. Drinnen aber wurden die
XXVIII. Der Realismus in Frankreich
439
Argumente, die er bisher mit Zunge und Feder im Bierhaus und in
seinen Broschüren verkündet, an 38 grossen Bildern demonstrirt,
die seine ganze künstlerische Entwicklung klarlegten.
Den »Töchtern Loths« und »Liebe auf dem Lande« waren 1 8-44
sein Selbstporträt und das Bild seines Hundes, 1845 ein Guitarrero,
1846 das »Bildniss von Herrn M.« und 1847 die »Walpurgisnacht«
gefolgt, lauter Schöpfungen, in denen er noch tastend seinen Weg
suchte. Die »schlummernde Badende«, der »Violoncellspieler« und
ein Landschaftsbild aus seiner Heimath näherten sich 1848 schon
eher seinem realistischen Ziel, 1849 entstanden sieben Porträts,
Landschaften und Bilder aus dem Volksleben: der »Maler«, »Herr
H. T. Kupferstiche betrachtend«, die »Weinlese in Omans unter-
halb der Roche du Mont« , das »Thal der Bue von der Roche du
Mont aus«, die »Ansicht des Schlosses von Saint-Denis«, der »Abend
beim Dorf Scey-en-Varay« und »die von der Messe heimkehrenden
Bauern bei Flagey«. Alle diese Arbeiten hatten unbeanstandet die
Pforten des Salons passirt.
Das erste Bild, das eine Collision herbeiführte und nach den zeit-
genössischen Berichten überhaupt eine seiner Hauptleistungen gewesen
sein muss, war »Eine Feuersbrunst in Paris«. Um ein brennendes
Haus, schreibt Paul d’ Abrest, bemühten sich Löschmänner, Soldaten,
Arbeiter in Jacke und Blouse, selbst Weiber halfen bei dem Rettungs-
werk und bildeten die Kette, um die Wassereimer von der Pumpe
heraufzugeben. Gegenüber stand eine Gruppe junger Stutzer mit
ihren Mädchen am Arm, die der Scene unthätig zusahen. Ein
Artilleriehauptmann aus Courbets Bekannntschaft hatte mehrere
Nächte hindurch seine Mannschaft alarmirt und Uebungen an Mauer-
gerüsten vornehmen lassen, damit der Maler dabei seine Studien
mache. Dieser verlegte sein Atelier nach der Kaserne und entwarf
Skizzen bei Fackelschein. Aber er hatte ohne die Polizei gerechnet:
Das Bild war kaum fertig, als es nach dem Staatsstreich von 1831
mit Beschlag belegt wurde, da die Regierung darin aus unersicht-
lichem Grunde eine »Aufreizung der Bürger« sah.
Courbets Manifest wurde also nicht die »Feuersbrunst«. Die
Steinklopfer«, zwei Männer in Arbeiterkleidung in einer flachen Abend-
landschaft nahmen auch auf der Ausstellung 1855 wieder die erste
Stelle ein, nachdem schon sie im Salon von 1851 neben ihrer classi-
cistischen Umgebung wie ein ehrliches, grobes, wahres Wort unter
lauter gedrechselten Gesellschaftsphrasen gewirkt hatten. Man sah
440
XXVIII. Der Realismus in Frankreich
ferner den »Nachmittag in Omans« : eine Gesellschaft kleinbürger-
licher Leute in einer ländlichen Küche am gedeckten Tisch nach
der Mahlzeit. Ein unter dem Titel »Bonjour Monsieur Courbet«
berühmt gewordenes Bild behandelte eine Scene aus Courbets Vater-
stadt: Courbet steigt, eben ankommend, aus dem Wagen, im
Reisekostüm, burschikos dreinblickend, die Pfeife im Munde. Ein
respectabel aussehender, behäbiger Herr, von einem Bedienten in
Livree, der seinen Ueberzieher trägt, begleitet, reicht ihm die Hand.
Der Herr ist Monsieur Bryas, der Maecen von Omans, der lange
Zeit Courbets einziger Abnehmer war und nebenbei die fixe Idee
hatte, 40 Pariser Malern zum Porträt zu sitzen, um so die »Manieren
der verschiedenen Künstler kennen zu lernen. Man sah weiter die
Demoiselles de village von 1852, drei Landpomeranzen, die einem
Bauernmädchen ein Stück Kuchen geben. Schliesslich als Haupt-
werke das »Begräbniss zu Omans«, das heute im Louvre hängt, und
jene grosse Tafel, die der Catalog als »reale Allegorie« bezeichnete:
»Mein Atelier am Abschluss eines Zeitraumes von sieben Jahren
meines künstlerischen Lebens«: Der Meister selbst, wie er an einer
Landschaft malt. Hinter ihm ein nacktes Modell, vor ihm eine
Bettlerin mit ihrem Kinde. Rings die Porträtfiguren seiner Freunde
und die Helden seiner Bilder: ein Wildschütz, ein Pfarrer, ein Todten-
gräber, Ackersleute und Arbeiter.
Die Ausstellung hatte wenigstens bei jungen Malern Erfolg, und
Courbet errichtete ein Meisteratelicr , bei dessen Eröffnung er im
Courrier du Dimanche wieder eine Art Manifest erliess. »Das
Schöne liegt in der Natur und man begegnet ihm unter den ver-
schiedensten Gestalten. Sobald man es findet, gehört es der Kunst
oder vielmehr dem Künstler an. der es zu entdecken vermag. Aber
der Maler besitzt nicht das Recht, diesen Ausdruck weiter auszu-
führen, die Form zu verändern und dadurch zu schwächen. Die
von der Natur gebotene Schönheit steht über aller künstlerischen
Convention. Das ist der Grundzug meiner Ansichten über Kunst.«
Das erste Modell war, wie erzählt wird, ein Ochse. Als die Schüler
ein anderes wünschten, hätte Courbet gesagt: »Gut meine Herren,
das nächste Mal studiren wir an einem Höfling«. Die Auflösung der
Schule sei erfolgt, als eines Tages der Ochse weglief und nicht ein-
zufangen war.
Courbet kehrte sich nicht an solchen Spott, malte ruhig weiter
und die Vielseitigkeit seines Könnens machte ihn bald in allen Sätteln
Cour bet: Ein Begräbniss in Omans.
442
XXVIII. Der Realismus in Frankreich
gerecht. Nach dem Eclat der Separatausstellung von 1855 wurde
er bis zum Jahre 1861 vom Salon ausgeschlossen und stellte während
dieser Zeit in Paris und Besancon selbständig aus. Auf das Begräbniss
von Omans folgte die Heimkehr vom Markte, ein Trupp Bauersleute
auf der Landstrasse und 1860 die »Rückkehr von der Conferenz « :
französische Landpfarrer, die ihre Zusammenkunft mit einem tüchtigen
Frühstück gefeiert haben und den Rückweg in sehr weinseliger
Stimmung antreten. Als 1861 sich die Pforten der Champs Elysees
ihm wieder erschlossen, erhielt er für seinen »Hirschkampf« eine
Medaille und beschickte bis 1870 wieder regelmässig den Salon. An
vielfigurige Bilder ging er in diesen späteren Jahren seltener und
hat mit Vorliebe Jagd- und Thierstücke, Porträts, Landschaften und
weibliche Acte gemalt. Die Frau mit dem Papagei, eine von langem
Haar umwallte, unbekleidet auf den Polstern des Lagers ruhende
und mit ihrem buntgefiederten Liebling tändelnde weibliche Gestalt,
die Fuchsjagd, die Auswaidung, eine provencalische Küste, das Por-
trät Proudhons und seiner Familie, das Thal des Puits-Noir, die
Roche Pagnan, die Spinnerin, die Drescher, die Rehjagd, das Almosen
eines Bettlers, Weiber, die im Waldesdunkel baden, ein Doppelact,
der von den Kritikern als Illustration zu Belots Mademoiselle Giraud
ma femme gedeutet wurde, und die später für den Luxembourg er-
worbene »Welle« gehören zu seinen hauptsächlichsten Schöpfungen
der 60er Jahre.
Diese Arbeiten machten ihn allmählich so bekannt, dass er seit
1866 sehr viel zu verkaufen anfing. Die Kritiker fingen an, sich
ernstlich mit ihm zu beschäftigen. Castagnary debutirte im Siecle
mit einer Studie über Courbet ; Champfieury, der Apostel des literar-
ischen Realismus widmete ihm im »Messager de l'Assemblee« eine
ganze Serie von Feuilletons und Proudhon schöpfte aus dem Ver-
kehre mit ihm die Grundprincipien seines Buches über den Realismus.
Der Sohn der Franche-Comte triumphirte, seine lachenden Reh-
augen strahlten, sein Genius begann unter der Sonne des Erfolgs
seine Schwingen immer mehr zu entfalten, seine Productionskralt
schien unerschöpflich. Als in Paris damals die Sitte aufkam, in
den Zeitungen Nachrichten über das Budget der Maler zu verurteilt-
lichen, trug er Sorge mitzuthcilen, dass er in sechs Monaten für
123,000 Francs verkauft habe. Immer thätig, nahm er bald den
Pinsel bald den Meissei zur Hand, und konnte daher, als er 1867,
im Weltausstellungsjahr, eine neue Specialausstellung seiner Werke
XXVIII. Der Realismus in Frankreich
443
Courbet: Demoiselles au bord de la Seine.
veranstaltete — er hatte eine Vorliebe für Holzbaracken — mit nicht
weniger als 132 Bildern und zahlreichen Sculpturen auftreten. Das
Comite der Münchener Ansstellung 1869 räumte ihm einen ganzen
Saal für seine Werke ein. Er hing sich schmunzelnd den Michaels-
orden um, war der Held des Tages, dem auf den Boulevards alle
Blicke folgten. Der Stierkämpfer in ihm entwickelte sich immer
mehr; er reckte die gewaltigen Glieder, bereit zum Kampfe mit
allen bestehenden Anschauungen. Selbstverständlich hatten die Er-
eignisse der nächsten Jahre in solchem Feuergeist keinen un-
thätigen Zuschauer, — er Hess sich zu jenen Thorheiten hin-
reissen, die seinen Lebensabend verbitterten. Der maitre-peintre
d’Ornans wurde Courbet le colonnard. Den Anfang machte der
Aufsehen erregende Protest, womit er dem Kaiser Napoleon den
Orden der Ehrenlegion zurückschickte. Vier Wochen, nachdem
diese Affaire Courbet gespielt, brach der Krieg aus. Acht Wochen
später kam Sedan und die Proclamation der Republik, bald darauf
444
XXVIII. Der Realismus in Frankreich
die Belagerung von Paris und der Aufstand. Die provisorische Re-
gierung ernannte ihn am 4. September 1870 zum Director der Beaux-
Arts. Später wurde er Mitglied der Commune, dominirte, den brule-
gorge im Munde, überall durch die Gewalt seiner Stimme, und
Frankreich verdankt ihm die Rettung einer ganzen Anzahl seiner
berühmtesten Kunstschätze. Die reichen Sammlungen Thiers’ Hess
er nach dem Louvre schaffen, sie vor roher Volksgewalt zu
schützen. Um den Luxembourg zu retten, opferte er die Yendome-
säule. Als die Commune dann zusammenbrach, wurde die Nieder-
reissung der Säule Courbet allein zur Last gelegt. Er ward vor das
Versailler Kriegsgericht gestellt und obwohl Thiers seine Vertheidig-
ung übernahm, zu sechs Monaten Gefängniss verurtheilt. Nach der
Abbiissung dieser Strafe erhielt er die Freiheit wieder, aber der Todcs-
streich stand dem Künstler bevor. Die Bilder, die er für den Salon
von 1873 bestimmt hatte, wurden von der Jury zurückgewiesen,
da Courbet moralisch der Theilnahme unwürdig. Kurz darauf
ward auf Anregung einiger reactionärer Blätter ein Prozess zur Be-
zahlung der durch den Umsturz der Vendömesäule verursachten
Kosten gegen ihn anhängig gemacht und vom Maler verloren. Die
französische Regierung Hess zur Eintreibung der auf 334000 Francs
geschätzten Kosten sein Mobiliar und die im Atelier gebliebenen
Bilder auf dem Wege des Zwangsverkaufs im Hotel Drouot für den
Spottpreis von 12118 Francs 50 Cts. unter den Hammer bringen.
Ihn selbst trieb der Process aus Frankreich in die Schweiz. Der
Stadt Vevey, wo er sich niederliess, schenkte er als Zeugniss seines
Dankes für die erwiesene Gastlichksit noch eine Büste der Helvetia.
Der Künstler in ihm war gebrochen. »Sie haben mich getödtet,
ich fühle, dass ich nichts Gutes mehr schaffen werde«. Der fröh-
liche lachende Courbet, das viel umhuldigtc Haupt einer reichen
Plejade von Jüngern, der Freund und Genosse von Corot, Decamps,
Gustave Planche, Baudelaire, Theophile Gautier, Silvestrc, Proudhon
und Champfleury, der begeisterte Patriot und Abgott der wankel-
müthigen Pariser, er verbrachte seine letzten Jahre in trauriger
Einsamkeit — von den Anhängern vergessen, von den Gegnern
verhöhnt. Ein Leberleiden befiel ihn, Entbehrung, Enttäuschung,
Verstimmung gesellten sich dazu, der französische Staat machte
von Neuem die Ansprüche wegen der Entschädigungssumme geltend.
In langsamem Todeskampf brach sein Herz. »Wovon soll ich
leben und womit soll ich die Säule bezahlen? Ich habe Thiers
XXVIII. Der Realismus in Frankreich
445
Courbet: Die Heimkehr vom Markt.
mehr als eine Million gerettet, dem Staat über zehn Millionen,
und sie heften sich an meine Fersen — sie hetzen mich zu
Tode. Ich kann nicht mehr. Zum Schaffen muss man geistig
ruhig sein, ich bin verloren« — sagte er kurz vor seinem Ende
einem Freunde. »Sein Bart und Haar waren weiss« , schreibt
Champfleury über den letzten Besuch, den er dem sterbenden Ver-
bannten am 19. Dezember 1877 machte — »von dem schönen all-
gewaltigen Courbet, den ich gekannt hatte, war nur jenes be-
deutende assyrische Profil übrig geblieben, das. sich gegen den Schnee
der Alpen abhob, als ich neben ihm sass und es zum letztenmale
sah. Der Anblick von so viel Schmerz und Elend, sowie dieser
verfrühten Vernichtung war überwältigend«. Der Lac Leman, auf
den er von seinem Fenster in Vevey aus blickte, war das letzte Bild,
das er in der Schweiz noch malte. Fern der Heimath, unter theil-
nahmlosen Fremden schloss er das einst so leuchtende Auge in un-
endlichem Weh. Der Apostel des Realismus starb an gebrochenem
Herzen, der herculische Sohn der Franche-Comte konnte die Ent-
-»46
XXVIII. Der Realismus in Frankreich
täuschung nicht ertragen. Am Sylvestertag 1877 in der kalten
Morgenstunde, wenn der See, den er noch so lieben gelernt, unter
den ersten Strahlen der Sonne aufschaudert, ist Courbet, ziemlich
vergessen, verschieden. Nur in Belgien, wo er sich häufig aufge-
halten und sein Einfluss bedeutend war, rief die Todesnachricht
ein schmerzliches Echo hervor. In Paris begegnete sie keinem Wort
der Theilnahme. Der Courbetismus war erloschen, seine Anhänger
hatten sich unter dem Namen Impressionisten und Independants um
neue Fahnen geschaart. Als solchen halbtodten, nur zuweilen noch
achtungsvoll genannten Veteranen hat Zola ihn im L’oeuvre in der
Gestalt des alten Bongrand gefeiert
Und die Entwicklung ist thatsächlich seit Courbets Auftreten
eine so rapide gewesen, dass man heute fast nur auf historischem
Wege noch die Gründe versteht, die 1855 aus seiner Separataus-
stellung ein Ereigniss von culturgeschichtlicher Bedeutung machten.
Nicht Cham allein hat damals auf Courbet ein grosses Blatt die Er-
öffnung des Ateliers Courbet und der concentrirte Realismus« ge-
zeichnet — alle Pariser Witzblätter beschäftigten sich mit ihm wie
mit dem geräuschlosen Pflaster, der Krinoline, den neuen Pferde-
bahnen oder dem Luftballon. Haussard , der Hauptvertreter der
Kritik, redete bei der Besprechung des »Begräbnisses« von »diesen
burlesken Masken mit ihren rothen Schnapsnasen , diesem Dorf-
pfarrer, der ein Säufer zu sein scheine, diesem Hanswurst von
Veteran, der sich einen zu grossen Hut aufgesetzt« — all das be-
deute ein Carnevalsbegräbniss von sechs Meter Länge, über das es
mehr zu lachen gebe, als zu weinen. Selbst Paul Mantz meinte, die
ausschweifendste Phantasie könne nicht bis zu diesem Grad platter
Trivialität und ekelhafter Hässlichkeit herabsteigen. In einer im
Odeontheater aufgeführten Jahresrevue Hessen die Verfasser, Philo-
xene Hoyer und de Banville, einen »Realisten« sagen:
Faire vrai ce n’est rien pour 6tre r^aliste,
C’est faire laid qu’il fautl Or monsieur, s’il vous plait
Tout ce que je dessine est horriblement laid!
Ma peinture est affreusc et, pour qu'elle soit vraie,
l’en arrache !e beau comme on fait de Fivraie.
J'aime les teints terreux et les nez de carton,
Les fillettes avec de la barbe au menton,
Les trognes de Varasque et de coquecigrues,
Les dorillons, les cors aux pieds et les verrues!
Voilä le vrail
XXVIII. Der Realismus in Frankreich
447
Courbet : Femme couchee.
So ging es noch in den 6oer Jahren weiter. Als die Kaiserin
Eugenie am Eröffnungstage des Salons von 1 866, einen eleganten
Spazierstock in der Hand, ihren Rundgang durch die Ausstell-
ung machte, war sie über Courbets »nackte Weiber« derart ent-
rüstet, dass das Bild sofort aus den Räumen des Industriepalastes
entfernt werden musste. Als er im Beginne der 70er Jahre in
Deutschland ausstellte, vernahmen ein paar junge Münchener Maler
in seinen Bildern etwas wie den Schrei eines Gewissens, sonst standen
Künstler und Laien kopfschüttelnd und rathlos davor. Die Einen
lächelten und gingen gleichgültig weiter; die Andern brachen un-
willig über diese Entwürdigung der Kunst den Stab«. Denn »Courbet
stieg in die tiefsten Sphären der Gesellschaft hinab und holte seine
Sujets aus 'einem Kreise, in denen eigentlich der Mensch auf hört,
Mensch zu sein, das Ebenbild Gottes nur noch als bewegliche Fleisch-
masse ein elendes Dasein fristet. Lebende Leiber mit todten Seelen,
die nur ihrer Bedürfnisse wegen vegetiren: hier in Jammer und
Elend herabgesunken, dort aus thierischer Rohheit nie emporgestiegen
— das ist die Gesellschaft, aus der Courbet seine Motive wählt,
um die Ohnmacht seiner Phantasie und den Mangel jeder Schulung
zu übertünchen. Hätte er Compositionstalent besessen, so würde
vielleicht die geistlose Mache doch interessirt haben — so aber bietet
448 XXVIII. Der Realismus in Frankreich
er nur eine willkür-
liche Aneinanderreih-
ung von Gestalten,
denen jeder Zusammen-
hang fehlt«. Bei den
»Steinklopfern« wurde
schon übel vermerkt,
dass er diesen * uner-
hört gewöhnlichen Ge-
genstand«, Arbeiter in
zerlumpter und be-
schmutzter Kleidung,
überhaupt behandelt ha-
be. Im »Begräbniss zu
Omans« habe er offen-
bar das kirchliche Cere-
moniell verhöhnen wol-
len, denn das Bild sei
von einer herausfor-
dernden, geradezu bru-
talen Vulgarität. Der
Maler habe förmlich
Courbet: Baigneuse. Sorge getragen, die ab-
stossenden, komischen
und grotesken Seiten der Mitglieder der Trauerversammlung hervor-
zukehren, habe keinen Zug gemildert, der eine unpassende Heiterkeit
erwecken konnte. Bei den »Demoiselles de village« sei es auf den
Contrast abgesehen gewesen zwischen dem kleinstädtischen gespreizten
Wesen solcher Dorfmamsellen zu der gesunden Naivetät des Bauern-
kindes. In dem 1857 entstandenen Bild der beiden Grisetten, die am
Ufer der Seine im Rasen hegen, habe er absichtlich den Mädchen
die unedelsten Stellungen gegeben , um so trivial als möglich zu
erscheinen«. Bei den zwei nackten Ringern erregte es Anstoss,
dass er »nicht etwa Ringer aus classischen Zeiten gemalt hatte,
sondern Leute, die im Hippodrom die Kräfte ihrer herkulischen
Körper zum Schauspiel geben, also das Nackte in der möglichst
vulgären Erscheinung«. Bei seinen nackten Weibern gehe diese
Neigung für brutale, hässliche Formen geradezu in s Gemeinsinn-
liche über.
XXVIII. Der Realismus in Frankreich
449
Alle diese Urtheile sind be-
zeichnende Symptome desselben
Geschmacks, der sich im 17. Jahr-
hundert gegen Caravaggio auf-
bäumte. Auch dessen Hauptwerk,
der Mathäusaltar, der heute im Ber-
liner Museum hängt, erregte eine
solche Entrüstung, dass er aus der
Kirche St. Luigi de Francesi in Rom
entfernt werden musste. Annibale
Carracci verspottete in einer Carica-
tur den Neapolitaner Meister als haar-
igen Wilden, einen Zwerg daneben
und zwei Affen auf den Knieen, um
dadurch das Hässliche in der Kunst
seines Nebenbuhlers, dessen äffische Courbet: Bei hoi.
Nachahmung der missgestalteten
Natur zu brandmarken. Francesco Albani nannte ihn den »Antichrist
der Malerei«, einen »Ruin der Kunst.« Denn, so fügt Baglione hinzu,
»nun gehen eine Menge junger Leute daran, einen Kopf nach der Natur
zu copiren, sie studiren weder die Grundlagen der Zeichnung, noch
kümmern sie sich um die tieferen Bedingungen der Kunst, sondern
begnügen sich lediglich mit einer rohen Naturabschrift und wissen
daher nicht einmal zwei Figuren gehörig zu gruppiren, noch irgend
einen Vorgang in künstliche Composition zu bringen. Keiner be-
sucht mehr die Tempel der Kunst, auf Plätzen und Strassen findet
Jeder seine Meister und seine Vorbilder für die sclavische Nach-
ahmung der Natur.« Das 19. Jahrhundert denkt anders über Cara-
vaggio. Indem er den edlen Gestalten der Akademiker mit ihren
allgemeinen wohlabgemessenen Formen, gleichgültigen charakterlosen
Gesichtern und coloristischen Geschmacklosigkeiten seine wahrsagen-
den Zigeuner, Trinker, Spieler, Musikanten und würfelnden Lands-
knechte entgegensetzte, vollzog er die berechtigte und nothwendige
Reaktion gegen eine verflachte und entleerte ideale Manier. Jenen
Eklektikern weiss man keinen Dank für die gelehrten Anstrengungen,
die es ihnen kostete, so langweilig zu malen ; hier fesselt eine starke
Persönlichkeit, ein männlicher Accent in Form, Farbe, Beleuchtung.
Die Carracci und Albani waren Epigonen. Caravaggio wird als kühner
Pionier gefeiert, der ein neues Capitel der Kunstgeschichte eröffnete.
Muther, Moderne Malerei II. 20
4)0
XXVIII. Df.r Realismus in Frankreich
Courbet: Le Ruisseau du Puits-Noir.
Courbet erlebte ein ähnliches Schicksal.
Tritt man nach der Lektüre jener Kunstkritiken an seine Bilder
heran, so ist eine grosse Enttäuschung unvermeidlich. Man hat
sich ein groteskes Ungeheuer gedacht und findet zu seinem Er-
staunen nicht den geringsten Anlass weder zur Entrüstung noch
zum Lachen vor diesen ernsten, kräftigen, energischen Bildern.
Caricaturen, abstossende Hässlichkeit hat man erwartet und steht
vor einer breiten, meisterhaften Malerei. — Die Köpfe sind wahr
ohne vulgär zu sein, das Fleisch fest und weich, von mächtigem
Leben. Courbet ist eine Persönlichkeit. Er begann die Vlaamcn
und Neapolitaner nachzuahmen. Aber weit mehr fühlte er sich hin-
gezogen zur wirklichen Welt, zu den dicken Weibern und kräftigen
Männern , den weiten fruchtbaren Feldern mit Dünger- und Erd-
geruch. Ein gesunder, sinnlich kräftiger Mensch, empfand er ein wol-
lüstiges Behagen , die wahre Natur in seine herkulischen Arme zu
schliessen. Gewiss, neben ausgezeichneten Stücken sind andere
ungeschlacht und schwer. Wenn man aufrichtig ist, malt man, wie
man ist, pflegte der alte Navez, der Schüler Davids zu sagen.
XXVI II. Der Realismus in Frankreich
4)1
Courbet: Remise des chevreuils.
Courbet war aufrichtig und ein schwerfälliger Gesell, darum hat auch
seine Malerei etwas Vierschrötiges, Plumpes. Aber wo ist in der
ganzen französischen Kunst ein gleich tüchtiger, seiner Sache sicherer
Maler von so breiter Bravour, ein Maitre-peintre von solcher Viel-
seitigkeit, die sich gleichmässig auf das Figurenbild wie auf die
Landschaft, auf das Nackte, wie die nature morte erstreckt. Von
keinem kann man soviel beisammen sehen ohne Ueberdruss, denn
er ist Fist in jedem Werke neu. Fr hat nicht wenige Bilder gemalt,
deren jedes sui generis ist, auf dessen Variationen anderwärts ganze
Existenzen gegründet worden wären. Noch keiner ausser Millet
hatte mit so freiem, ehrlichem Auge den Menschen und die Natur
betrachtet. Courbet thcilt mit den grossen Realisten der Vergangenheit
die Eigenschaft, eigentlich überall und ausschliesslich Porträtmaler zu
sein. Zwei Steinklopfer, wie sie auf seinem Bilde knieen, das Gesicht
durch eine Drahtmaske geschützt, sah Jeder so an einer Strassenecke
arbeiten und Courbet stellte den Vorgang dar, so treu er konnte, so
ehrlich und sachlich, wie es nur möglich war. Der »Nachmittag in Or-
nans« ist ein gemüthliches Bild, in dem er die gute 1 radition der I.enain
29*
452
XXVIII. Der Realismus in Frankreich
Courbet: Biche sur Ja neige.
wieder aufnahm. Das »Begräbniss von Omans« hat er genau so
gemalt, wie solche Dinge auf dem Lande sich abspielen. Die
Bauern und Honoratioren eines kleinen Landstädtchens — Porträt-
figuren, wie sie die Meister des 15. Jahrhunderts auf ihren reli-
giösen Bildern anbrachten — sind dem Leichenzug gefolgt und be-
nehmen sich am Grabe ganz so wie Bauern. Sie gesticuliren nicht
pathetisch , bilden keine schönen Gruppen , sondern stehen da
gleichgiltig und vierschrötig wie echte Landleute. Sie sind Men-
schen von Fleisch und Knochen, sie sind ähnlich, keine Veränder-
ung ist vorgenommen: auf der einen Seite die Frauen, rührselig
gestimmt durch die Worte des Predigers, auf der andern die Männer,
gelangweilt oder über ihre Angelegenheiten redend. In den »Demoi-
selles de village« gibt er das Porträt seiner eigenen Schwestern, wie
sie Sonntag Nachmittag zum Tanze gehen. Die »Demoiselles au
bord de la Seine« sind Grisetten von 1850, wie sie Gavarni oft
zeichnete, beide mit zweifelhafter Eleganz angezogen, die eine schla-
fend, die andere in gedankenlose Träumereien versunken. Seine
nackten Weiber haben dicke Bäuche und feiste Rücken. Sie wirken
sehr zahm gegenüber den colossalen Stücken Menschenfleisch, jener
Cascade nackter Frauen der fettesten Art, die auf Rubens’ Jüngstem
Gericht pele mele in die Hölle stürzt , wie ein Eimer voll Fische,
XXVIII. Der Realismus in Frankreich
453
Courbet: Combat de cerfs.
der ausgeschüttet wird. Aber sie gehören zu den besten weiblichen
Acten, die im 19. Jahrhundert entstanden. Courbet war ein
Maler aus der Familie der Rubens und Jordaens. Er hatte die Vor-
liebe der alten Vlaamen für gesundes quammig quappiges Fleisch, für
fair, fat, forty, die drei F der weiblichen Schönheit, und gab durch
seine Werke den Akademikern die sehr beherzigenswerthe Lehre,
dass man mächtige Wirkung, selbst Grazie ereichen könne unter
strengem Anschluss an die Formen der Wirklichkeit.
Seine Porträts — er hatte den Vorzug Berlioz und Baudelaire,
Champfleury und Proudhon zu malen - — - sind als Bildnisse vielleicht
nicht hervorragend. Wie Caravaggio nach Beiloris Urtheil »nur auf
die Fleischfarbe, die Haut, das Blut und die natürliche Oberfläche
der Dinge Geist, Auge und Fleiss verwendete«, war auch für Courbet
ein Kopf ein morceau wie jedes andere, nicht das Centrum eines
denkenden, fühlenden Wesens. Der physische Mensch, Taines mensch-
liches Thier war ihm wichtiger als der psychische. Er malte die Epi-
dermis, ohne viel von dem darunter Befindlichen ahnen zu lassen.
Aber er malte diese Oberfläche in einer so breiten, wuchtigen Art,
dass die Bilder, wenn nicht als Charakteranalysen doch als malerische
Meisterwerke interessant sind.
4)4
XXVIII. Der Realismus in Frankreich
Dazu kommen als
die Werke, in denen
sein Talent sich am
allerreinsten und ur-
wüchsigsten zeigte,
seine Landschaften
und Thierstücke: der
Hirschkampf, das be-
wundernswerthe Bild,
der 1 lirsch im Schnee,
das Rehlager, Ansich-
ten von moosbewach-
senen Felsen und
Waldlichtungen, von
Omans und den
grünen Thülern der
Franche - Comte. In
schönem Ton , mit
breitem, sichern
Strich wusste er be-
sonders todtes Ge-
flügel und Jagdgeräth,
das borstige Fell der
Wildschweine, die feineren Haare des Reh’s und der Hunde zu
malen. Als Landschafter gehört er nicht in die Familie der Corot
und Dupre. Seine Landschaften sind zwar grün, aber doch ver-
schlossen. Die Blätter hängen unbeweglich an den Zweigen , kein
Windhauch berührt sie. Courbet hat das Wichtigste, . die Luft ver-
gessen. Welche Jahres- oder Tageszeit, Winter, Sommer, Abend
oder Morgen es sein mag — er sieht nur die Form der Dinge und
betrachtet die Sonne als ein Werkzeug, das keine andere Bestimm-
ung hat als durch Licht und Schatten das Relief der Gegenstände,
zu markiren. Auch der Lyrismus der Fontainebleauer fehlt ihm.
Er malt ohne Träumerei, kennt nicht das zarte Stammeln des Land-
schafters, in dem der Poet erwacht, nur die Kaltblütigkeit des guten,
handfesten Arbeiters. Er wahrt der Natur gegenüber die Empfind-
ungen des Bauern, der sein Land bestellt, ist nie elegisch oder
bukolisch und wäre sehr ungehalten, wenn eine Nymphe die Furchen
seines Ackerfeldes überschritte. Er malt, die Pfeife im Mund, den
Courbel: 'Nach der Jagd.
XXVIII. Der Realismus in Frankreich
455
Spachtel in der Hand :
die Ebene und das
Gebirge, Kartoffeln,
Kohlrabi, fetten Torf-
boden und schlamm-
iges Schilf, Ochsen
mit dampfenden Nü-
stern, die schwerfällig
die Scholle pflügen,
Kühe, die sich ge-
lagert haben und mit
Behagen die feuchte
Luft regengetränkter
Wiesen athmen. Er
freut sich an frucht-
baren Landstrichen,
am gesunden Geruch
der Viehställe. Eine
materielle Schwere
und prosaische Ehr-
lichkeit ist Allem auf-
geprägt. Aber seine
Malerei hat eine So-
lidität, die das Auge erfreut. Es thut wohl, einem Manne zu
begegnen, der so resolut und einfach die Natur liebt und ohne sich
den Kopf zu zerbrechen, sie neu schafft in kraftvollen, gesunden
Farben. Die Anhänglichkeit an das Fleckchen Erde, wo er ge-
boren war, bildet einen Hauptcharakterzug seiner Kunst. Er ent-
nahm seinem Omans die Motive zu seinen gelungensten Schöpf-
ungen und kehrte immer wieder mit Vorliebe im elterlichen Hause
ein. Der Patriotismus des Kirchthurms, der Provinzialismus, ein
lebhaftes rührendes Heimathsgefühl ist allen seinen Landschaften
eigen. Durch seine Meerbilder aber, zu denen ein Aufenthalt
in Trouville im Sommer 1865 ihn anregte, hat er der fran-
zösischen Kunst überhaupt ein neues Gebiet erschlossen. Eugene
Le Poittevin, der in den 40er Jahren viel in Berlin ausstellte und
deshalb in Deutschland sehr bekannt wurde, kann als Maler nicht
zählen. Theodore Gudin, im Kunsthandel ebenfalls noch eine ge-
schätzte Firma, war ein faustfertiger kalter Decorateur. Seine kleinen
Courbet: ChevreuiJs sous bois.
4)6
XXVIII. Der Realismus in Frankreich
Marinen sind kunstgewerblicher Art und die grossen Schiffskämpfe
und Schiffsbrände, die er in Louis Philipps Auftrag für das Museum
von Versailles entwarf, gehen als frostig feierliche Seeausstattungs-
stücke mit Vernets Paradeschlachten parallel. Ziem, der seine Zeit
Venedig und dem adriatischen Meere widmete, ist Eduard Hilde-
brandts Ahne. Wasser und Himmel spiegeln sich in allen Farben
des Prismas, und die Objecte, die er zwischen beiden leuchten-
den Elementen gruppirt, Häuser, Schiffe und Menschen bekommen
ihren gleichen Theil ab von den schmeichlerischen, schillernden
Tönen. Das gibt seinen Albumblättern etwas verführerisch Bestech-
endes, bis man schliesslich merkt, dass er eigentlich nur ein Bild
gemalt hat, das er später mechanisch in allen Dimensionen wieder-
holte. Courbet als der erste französische Marinemaler hatte ein
Gefühl für die ernste Majestät der See. Gudins und Ziems Ocean
flösst weder Bewunderung noch Achtung ein ; der Courbets thut es.
Selbst seine Ruhe drückt Grösse aus, sein Friede ist imposant, sein
Lächeln stimmt ernst; auch wenn er schmeichelt, ist er zugleich
drohend.
Courbet hat thatsächlich das Programm verwirklicht, das er
1855 in jener Broschüre aufstellte. Als er seine Thätigkeit be-
gann , hatte eklektischer Idealismus den Stamm der Kunst über-
wuchert. Courbet beseitigt die parasitische Vegetation, um das nütz-
liche feste Holz zu fassen. Und hat er es erfasst, so schleppt er
es, um es berühren zu lassen, mit der Muskelkraft des Athleten
auf die Leinwand. Ein Stück altvlämischer Derbheit lebte wieder
auf in diesen kühnen Werken. Er und Delacroix addirt, würden
Rubens ergeben. Delacroix hatte das Pathos, die leidenschaftliche
Wildheit, Courbet fügte die vlämische Schwere hinzu. Jener brauchte
Blut, Purpur, Throne, Schädelstätten um die Dramen seiner Phan-
tasie zu dichten. Dieser reflectirte das Bild der Schöpfung mit dem
Absolutismus des Objectivs. Delacroix ging am Horizonte auf wie
ein leuchtender Meteor, der sich am Licht entschwundener Sonnen
entzündet: er reflectirte sie, hatte fitst ihre Grösse, beschrieb die gleiche
Bahn unter demselben Raketensprühen und Blitzen. Courbet steht
fest und breitbeinig auf der Erde. Jener hatte das zweite Gesicht
der Visionäre, dieser öffnete seine Augen weit der berührbaren Welt.
Delacroix, nervös und krank, schuf wie im Fieber. Courbet, ein
gesunder vollblütiger Mensch, malte wie der Mensch trinkt, verdaut,
spricht, mit einer Thätigkeit ohne Anstrengung, einer Kraft ohne
XXVIII. Der Realismus in Frankreich
457
Müdigkeit. Delacroix war ein kleiner schwächlicher Mann, seine
ganze Kraft sass in dem riesigen Kopfe. Die Courbets ist wie bei
einem schönen kraftstrotzenden Thier über seinen ganzen Körper
verbreitet, seine dicken Arme und athletischen Hände haben gleiches
Verdienst an seiner Kunst wie sein Auge und Hirn. Und da er,
wie alle ehrlichen Künstler sich selber malte, wurde er der Maler
einer Schöpfung, die gesund ist bis zum Bersten, die überschäumt
in fetter Behäbigkeit. Ein Stück Fleischerladen zog mit seinen
Bildern in die anaemisch gewordene französische Malerei ein. Er
liebte fette Schultern und sehnige Hälse, dicke Brüste, die über dem
Corset herausquellen, das Schimmern der Haut, die beim Bade warme
Wassertropfen überrieseln , das Fell der Rehe und Hasen , den
schillernden Glanz der Karpfen und Kabeljaus. Delacroix, ganz
Gehirn, entzündet sich an seinen innern Visionen, Courbet, Auge
und Magen, betrachtet mit der Sinnlichkeit des Lebemannes und
der Wollust des Gourmes das Schillern der Dinge, die man essen
kann — ein Gargantua mit ungeheuerem Appetit, der sich im Nabel
der nährenden Erde festsetzte. Die Pflanzen, die Früchte und Ge-
müse nehmen ein wollüstiges Leben an. Er triumphirt, wenn es
ein Gabelfrühstück zu malen gilt mit Austern, Citronen, Truthähnen,
Fischen, Fasanen. Die Lippen werden ihm feucht, wenn er all die
schönen essbaren Dinge zu Stilleben vor sich aufbaut. Das einzige
Drama, das er malte, ist der Hirschkampf, auch dieses wird in brauner
Sauce unter dem lustigen Geklirr der Gabeln enden. Selbst als Land-
schafter bleibt er behäbig, phlegmatisch. Die Erde ist auf seinen
Bildern eine fette Amme, die Bäume dicke wohlgenährte Kinder,
die ganze Natur hat etwas Gesundes, Zufriedenes. Seine Kunst ist wie
ein kräftiger mit fester Nahrung angeschwemmter Körper. Solchen
Organismen geht über ihrer physischen Behäbigkeit leicht die Fähig-
keit zur Begeisterung, die Zärtlichkeit der Empfindung verloren,
aber ihre robuste Gesundheit sichert ihnen ein desto längeres Leben.
Das ist nicht die Routine und äussere Mache, die regelrechte aka-
demische Formensprache der Manieristen, auch nicht der Decadents
überreizte, nervös krankhafte Feinheit, das ist die starke Sprache
eines urmächtigen angeborenen Talentes, deren kraftvolle Naturlaute
alle Zeiten, auch die entferntesten, verstehen werden.
Dass im Uebrigen Courbets Kunstlehre mit ihrer ausschliess-
lichen Betonung der Wirklichkeit und einseitigen Verachtung des
»Ideals« heute sehr unzeitgemäss wäre, braucht nicht betont zu
458
XXVIII. Der Realismus in Frankreich
werden. Er berührt sich darin mit Dubois-Reymond der ja eben-
falls in einer akademischen Rede verkündete, »Centauren, Sphinxe,
Hydra und Pegasus seien Gebilde einer naturverachtenden Kunst,
die der moderne Mensch, naturwissenschaftlich gebildet wie er
ist, nur mit Unwillen anschauen könne.« Zum Glück hat die
Kunst weder mit Courbet noch Dubois-Reymond zu rechnen. Es
stünde traurig um sie, wäre wirklich »die Poesie ein Unsinn, das
Ideal eine Lüge,« jede Gestalt, die sich auf der Erde nicht nach-
weisen lässt, schon deshalb in der Malerei »verlogen«. Nicht nur
die Welt um uns, auch die Welt in uns gehört der Kunst, und
hat ein Maler die Kraft, diese in seiner Künstlerbrust lebende Welt
so machtvoll herauszugestalten, dass er bei andern Glauben erweckt,
so ist sein Werk »wahr«. Boecklin’s Meerwesen z. B. könnten
nicht lebenskräftiger sein, wenn sie ausser in der Phantasie des
Meisters auch in Wirklichkeit existirten. Gerade weil Courbet jeder
Sinn für diese Gebiete fehlte, kann ihn die Kunstgeschichte immer
nur als guten Handwerker, als erstaunlichen Ouvrier, als faust-
kräftigen Copisten der von der Natur vor ihm ausgebreiteten Bilder,
nicht als ganz grossen Künstler feiern. Denn der höchste Preis
wird stets zufallen
Der ewig beweglichen
Immer neuen
Seltsamen Tochter Jovis,
Seinem Schooskinde,
Der Phantasie.
Selbst wenn sich die Malerei auf die Wirklichkeit beschränkte,
wäre eine Kunst ohne Ideal, eine »wahre Wahrheit , wie er sie geben
wollte, ein Unding oder zum mindesten sehr uninteressant. Es gibt
in der Kunst keine verit£ vraie, von der Courbet spricht, sondern
nur eine Wahrheit, gesehen durch ein Temperament. Auch die
Wirklichkeit als solche malt sich in verschiedenen Köpfen verschieden
ab; der Philister hat eine andere als der Genius. Selbst wenn der
Maler die Natur copiren will, verändert er sie. Vielleicht desto
mehr, je mehr er Künstler ist, und darin gerade, dass Courbet zu
Gunsten der Verite vraie sein Temperament unterdrückte, alles
Gewicht auf die Objectivität legte, die im Grunde ganz gleichgiltig
ist, darin trennt er sich von den Modernen. Die platte Naturab-
schilderung im Sinne der Camera obscura herrscht noch bei ihm,
nicht das temperamentvolle Erfassen des persönlichen Eindrucks, das
XXVIII. Der Realismus in Frankreich
459
Bewusstsein von der Form einer
Sache leitet seine Hand, nicht die
malerische Anschauung des ge-
gebenen Naturbildes als Ganzes.
Doch das sind alles Dinge,
über die sich gut reden lässt, nach-
dem die Impressionisten über Cour-
bet hinausgegangen, und auf der
Basis dieser neuen Kunst sich
schliesslich sogar ein neuer Idealis-
mus erhob, der ein Labsal für die
Welt geworden. Die Geschichte
darf und wird nie vergessen, dass
Impressionismus sowohl wie Neu-
idealismus erst möglich wurden,
nachdem der falsche, zünftige Ideal-
ismus, wie er damals fachmänn-
isch betrieben ward, endgiltig zu
Boden getreten und die Basis für
ein ganz objectives, pietätvolles
Naturstudium gelegt war. Was in
der Natur als schön erscheint, muss
auch im Bildwerke schön sein, wenn
es wahr dargestellt ist, und die
Natur ist überall schön — indem
Courbet das aussprach und in
lebensgrossen Bildern bewies, hat
er der Kunst das ganze, bisher
ängstlich
gemiedene weite Stoff-
gebiet des modernen Lebens er-
obert, das Stoffgebiet, in dem sie
sich tummeln musste, um sehen
zu lernen mit eigenen Augen. Ein
Theil der Wirklichkeit nach dem
andern — nicht mehr in Form
mühsam zusammengesetzter Genre-
bilder, sondern im Sinne wirklicher
malerischer Kunstwerke — wird nunmehr in den Kreis der Darstell-
ung gezogen.
Stevens: Le Prinlemps.
460
XXVIII. Der Realismus in Frankreich
Was Millet für den
Bauer, Courbet für den
städtischen Arbeiter ge-
than, that Alfred Stevens
für die »Gesellschaft«
— er hat die Pariserin
entdeckt. Noch bis
1850 besass das elegante
Leben der vornehmen
Classen, das Gavarni,
Marcellin und Cham so
fein gezeichnet, auf dem
Gebiete der Malerei kei-
nen vollgiltigen Schil-
deren Jedem gefiel die
Pariserin, die so chic
und pikant ist, so has-
sen und küssen kann,
aber das griechische
Profil war auch hierVor-
schrift. Auguste Toul-
mouche malte kleine
Stevens: La visite. Frauen in eleganter
Toilette, doch weniger
aus Geschmack an der graziösen Erscheinung wie aus Freude am
Genrehaften. Sie mussten in der Bibliothek verbotene Bücher
finden, sich gegen eine Vernunftheirath sträuben oder sonst genre-
haft benehmen, um einzugehen in's Reich der Kunst. Einem Aus-
länder war Vorbehalten, diese Welt voll Schönheit, Chic und Grazie
zu heben.
Alfred Stevens war ein Brüsseler Kind. Er war im Lande der
vlämischen Matronen am n. Mai 1828 als das zweite von drei
Kindern geboren: Josef, der ältere Bruder, ward später der be-
rühmte Thiermaler, Arthur, der jüngste, wurde Kunstkritiker und
Kunsthändler — einer der ersten, der die hohe Kunst der Rousseau,
Corot und Millet dem Verständniss des Publikums nahe brachte.
Stevens’ Vater hatte als Offizier in der grossen Armee die Schlacht
bei Waterloo mitgemacht und soll ein feiner Kunstkenner gewesen
sein, in dessen elegantes Heim einige der geistreichsten Skizzen
XXVIII. Der Realismus in Frankreich
461
Delacroix’, Deverias, Char-
lets und Roqueplans ihren
Weg fanden. Roqueplan, der
oft nach Brüssel kam, nahm
den jungen Stevens mit in
sein Pariser Atelier — einen
hochaufgeschossenen , ele-
ganten Herrn, der mit sei-
ner geraden strammen Halt-
ung, seinem festgemeisselten
Gesicht und schneidigen
Schnurrbart wie ein Dra-
goner- oder Kürassieroffizier
aussah. Ein genussfreudiges
Kind der Welt, war er bald
Löwe der Pariser Salons.
Die Eleganz des modernen
grossstädtischen Lebens
ward auch seine künstler-
ische Domäne. Die Pariserin,
an der seine französischen
Collegen achtlos vorbeige-
gangen, war für ihn, den
Ausländer, ein fremdartiger, interessanter Gegenstand, ein exotisches
kunstreiches Bibelot, das er mit ebenso entzückten Augen wie einst
Decamps den Orient betrachtete.
Gleich das erste Bild, das er 1855 ausstellte, nannte sich »Zu
Haus«. Eine niedliche kleine Frau wärmte sich am Kamin die
Füsse. Sie kam vom Besuch bei einer Freundin zurück. Draussen
hatte es geregnet oder geschneit. Ihre zarten Händchen hatten
trotz des Muffes gefroren, die Wangen waren vom Wind frisch ge-
röthet, und ihre rosigen Lippen athmeten mit Behagen die warme
Zimmerluft. Mit diesem Bilde nahm die Frau Besitz von Stevens
Staffelei. Sein Weg war vorgezeichnet und er hat ihn nicht mehr
verlassen. Als Robert-Fleufy, der Präsident der Jury, ihm sagte:
»Sie sind ein guter Maler, aber ändern Sie Ihre Sujets, Sie ersticken
in einer zu kleinen Welt — wie weit und gross ist die der Ver-
gangenheit«, soll Stephens ihm einen Band mit Photographien nach
Velazquez gezeigt haben: »Sehen Sie diesen Velazquez. Der Mann
462
XXVIII. Der Realismus in Frankreich
hat nie etwas dargestellt, als
was er vor Augen hatte, nie
etwas anderes als Personen
in der spanischen Tracht des
17. Jahrhunderts. Und wie
mit dem spanischen Maler,
lässt sich die Berechtigung
meines Genres mit Rubens,
mit Rafael, van Dyck und
allen grossen Künstlern be-
legen. Aus der treuen Nach-
ahmung des Gesehenen
schöpften alle diese Meister
der Vergangenheit ihre Kraft
und das Geheimniss ihrer
Erhaltung; sie gibt ihren Bil-
dern neben dem künstler-
ischen einen wahrhaft ge-
schichtlichen Werth. Man
kann nur gut wiedergeben,
was man wahrhaft empfunden,
in Fleisch und Blut lebendig
vor sich gesehen«. In diesem Satz berührt er sich mit Courbet und
indem er sich nicht verleiten Hess, den Götzen der Historienmalerei
zu opfern, lebt er als der Historienmaler der Pariserin fort.
Sein ganzes Werk ist ein Hymnus auf die zarte, mächtige Be-
herrscherin der Welt und es ist bezeichnend, dass gerade durch das
Weib sich die Kunst mit der Gegenwart verknüpfte. Der erste, der
ihr einen Theil des modernen Lebens eroberte, Millet, war zugleich
der erste grosse Frauenmaler des Jahrhunderts. Stevens zeigt die
andere Seite der Medaille. Bei Millet war das Weib das Product
der Natur; das der modernen Civilisation ist sie bei Stevens. Die
Frau von Millet lebte im Schweisse ihres Angesichts, auf den Boden
gebeugt, ein grosses animalisches Leben. Sie war die Urmutter, die
arbeitet, Kinder gebiert und ernährt. Sie stand auf dem Felde wie
eine Karyatide, wie ein Symbol der fruchtbaren Natur. Die Frau
bei Stevens ist selten Mutter und arbeitet nicht. Sie ist das Weib,
das liebt, geniesst, die grossen Schmerzen der Geburt und des
Hungers nicht kennt. Jene lebte unter dem grossen freien Himmel,
XXVIH. Der Realismus in Frankreich
463
dans le grand air, diese ist
nur von Parfumatmosphäre
umflossen. Bei Millet ist sie
die alte Cybelc, bei Stevens
die heilige Magdalena des 19.
Jahrhunderts, der viel ver-
geben wird, weil sie viel ge-
liebt hat. Stevens’ Bilder er-
zählen zum ersten Mal von
den mächtigen Beziehungen
des Weibes zum Jahrhundert.
Während die meisten Werke
dieser Zeit stumm sein wer-
den über uns selbst, wird
seine Kunst von unsern
Schwächen, unsern Leiden-
schaften reden. In einer
Periode archaistischer Malerei
trug er kühn die Fahne der
Modernität — darum wird
die Nachwelt ihn als einen
der ersten Historiker des 19. Jahrhunderts feiern, aus seinen Bildern
ebensoviel entnehmen, als Greuze dem heutigen Geschlecht über die
Cultur des achtzehnten Jahrhunderts erzählt.
Noch mehr vielleicht; denn Stevens moralisirte nie — er malte
nur. Bis in die Fingerspitzen Maler wie Delacroix, Roqueplan und
Isabey, brauchte er keinen genrehaften Inhalt als Beigabe. Nie aus
irgendwelchem Stoff, nur coloristisch ergab sich die Stimmung.
Das Bild entwickelte sich aus dem ersten Ton heraus, den er auf die
Leinwand setzte und der als Schlüssel für die übrige Tonleiter diente.
Er liebte einen pastosen Vortrag und schöne Farben, eine feine
Durchciselirung aller Details. Und so wenig er Novellen erzählte,
so wenig war er zur Sentimentalität geneigt. Alles ist discret, pikant
und reizvoll. Ein delicater Geist, vermeidet er Thränen und Lachen.
Gedämpfte Freude, Melancholie, alles Zarte, Verhaltene, liebt er, kennt
kein Schablonenarrangement, keine Füllfiguren, und obwohl eine
einzige Person sein Theater beherrscht, hat er sich trotzdem nie
wiederholt. Er hat das Weib durch alle Metamorphosen verfolgt :
mütterlich oder verliebt, matt und erregt, stolz und gebeugt, tief-
4^4
XXVIII. Df.r Realismus in Frankreich
gefallen oder hochgestiegen;
bald im Hauskleid, im Be-
suchs- und Promenaden-
anzug, bald als Wöchnerin,
im Bade, am Meeresstrand,
bald als Japanerin kostümirt
oder vor dem Spiegel ge-
dankenlos mit ihren Schmuck-
sachen spielend. Die Um-
gebung bildet stets die geist-
reiche Begleitung der Melo-
die. Eine Welt exquisiter
Dinge ist rings um die Fi-
gürchen gebreitet. Stoffe,
reizende Petit-riens aus China
und Japan, die feinsten Elfen-
bein- und Lackarbeiten, die
schönsten Bronzen von Bar-
bedienne , japanische Ofen-
schirme und grosse Vasen mit
blühenden Zweigen füllen
Boudoir und Salon der Pa-
riserin. Sie ist bei Stevens die Fee eines Paradieses, das aus allen capri-
ciösen Erzeugnissen des Kunstgewerbes besteht. Eine neue Welt trat in
Scene, eine Malerei, die sich dem Leben geöffnet hatte und in feinem
Stil die 'Symphonie des Salons dichtete. Ein zart weibliches Parfüm,
etwas Melancholisches und doch Sinnliches strömte aus Stevens’
Bildern, und durch diese Nuance von Demimonde-hautgout hat er
auch die Menge gewonnen. Zu Millet und Courbet konnte man
sich schwer erheben, Stevens war der erste, der gefiel, obwohl er
dem schlechten Geschmack melodramatischer, novellistischer und
witzelnder Genremalerei nie einen Zoll entrichtete. Schon in den
6oer Jahren war er in England, Frankreich, Deutschland, Russland,
Belgien geschätzt, in allen öffentlichen und Privatsammlungen ver-
treten und hat durch diese weite Verbreitung seiner Bilder viel
dazu beigetragen, das Verständniss für gute Malerei im Publikum
zu eröffnen.
James Tissol gelangte auf dem gleichen Wege zur Schilderung
der modernen Frau. Stevens, der Vlaame, malte die Pariserin, Tissot,
Ricard: Porträt.
XXVIII. Der Realismus im Frankreich
465
Franzose, die Engländerin.
Erst als sie ins Ausland ge-
kommen, sahen sie die Ele-
ganz dessen, was sie in der
Heimath nicht für kunstfähig
gehalten. Tissot hatte in Paris
— seit 1859 — Scenen aus
dem 1 5. Jahrhundert gemalt,
wobei er, durch Leys ange-
regt, Tracht und Geräth der
spätgothischen Zeit mit archä-
ologischer Treue studirte.
Erst als er 1871 nach Eng-
land übersiedelte, gab er die
romantischen Neigungen
seiner Jugend auf und wid-
mete sich der Schilderung
des Highlife. Was er als Oel-
maler gibt, wirkt heute glatt
und veraltet; nur seine Aqua-
relle — Restaurant-, Theater-
und Ballscenen — verrathen
noch in ihrer sonderbar aesthetischen englischen Grazie, dass er
vor zwanzig Jahren zu den Bahnbrechern der Modernität gehörte.
Unter den Pariser Malern Find Stevens zunächst keine Nach-
folger. Einige malten zwar Interieurs aus dem eleganten Paris, doch
nur kalte Zusammenstellungen von Roben und Möbeln, ohne einen
Hauch des zarten Parfüms, das die Arbeiten des Belgiers ausströmen.
Bios die Porträtmaler näherten sich der modernen Grazie, die noch
immer ihren Historiker und Poeten erwartete.
Gustave Ricard, ein äusserst delicater Künstler, in dessen Bild-
nissen die Kunst der Museen eine sehr sympathische Auferstehung
feierte, wurde in den 60er Jahren der moderne van Dyck genannt.
Die lebende Natur genügte ihm nicht, er wollte wissen, wie sie von
den alten Meistern interpretirt war, und siedelte sich deshalb in den
Galerien an, wo er bald die englischen Porträtisten, bald Leonardo,
Rubens und van Dyck um Rath fragte. Ricard wurde auf diesem
Wege ein coloristischer Gourme, der, wie wenige, die Technik der
alten Meister kannte, und fesselt in seinen Arbeiten durch einen
Muther, Moderne Malerei II.
Chaplin : Porträt.
30
466
XXVIII. Der Realismus in Frankreich
goldenen Galerieton von gros-
ser Vornehmheit.
In Charles Chaplin lebte
Fragonard wieder auf. Er war
der Specialist für schmachten-
des Fleisch und Poudre de
Riz, der feine Interpret aristo-
kratischer Schönheit, auf des-
- sen Palette • sich ein zarter
Reflex des Fetes galantes des
iS. Jahrhunderts verirrte. In
Deutschland wurde er haupt-
sächlich durch jene träum-
erischen, begehrlich hinfäll-
igen Mädchenbilder bekannt,
die von der Kaiserin Eugenie
gut mit den Worten cha-
rakterisirt wurden: »Herr
Chaplin, ich bewundere Sie,
Ihre Bilder sind nicht nur
unanständig, sie sind mehr«.
Doch Chaplin hatte auch die anderen Fähigkeiten der Rococomaler:
er war ein Decorateur ersten Ranges und streute spielend wie
Fragonard nach allen Seiten Grazie und Schönheit, Anmuth und
Liebreiz. 1857 decorirte er den Salon des Fleurs in den Tuilerien,
1861 — 65 im Palais del Elysee das Badezimmer der Kaiserin, seit
1865 eine Reihe von Privatwohnungen in Paris, Brüssel, New-York,
und über alle diese Arbeiten ist ein feiner Hautgout von modern
pariserischer Eleganz und duftiger Rococograzie gebreitet Er Hess
keine Nymphen auferstehen, pilgerte nicht nach der Insel der Cythere,
er war mehr Epikuräer. Aber Fragonards feine Töne und Fragonards
Sinnlichkeit waren auch ihm zu eigen. Er hatte eine Art die Haare
zu coiffiren, kleine Schönheitspflästerchen anzubringen, Grübchen in’s
Kinn zu setzen, Arme und Busen zu malen, die seit dem Rococo
aus dem Vermögen der französischen Künstler verschwunden war.
Frühling und entblätterte Rosen, junge Mädchenknospen ä la Greuze
und welkende Schönheiten, die desto betäubender duften, sind die
Elemente, auf denen seine rafflnirt unanständige und doch duftige
Kunst sich aufbaut.
XXVIIE. Der Realismus in Frankreich
467
Gaillard, der grosse
Kupferstecher, brachte Hans
Holbein wieder zu Ehren.
Er war der Erbe jener Mal-
weise, deren ewige Mutter
Jan van Eyck in unerreich-
barer Vollendung hinter-
o
Gaillard: Porträt.
liess. Sein energischer, ge-
wissenhaft minutiöser Pin-
sel notirte jede Falte des
Gesichtes, ohne durch diese
Detailwahrheit den Ge-
sammtcindruck zu verder-
ben. So klein seine Bilder im
Format, so gross sind sie in
der Anschauung, so mächtig
in der Charakteristik. Gail-
lard erweist sich als ein tiefer
Physiognom , der sprech-
endste Charakteranalyse
durch äusserste Praecision erreichte.
Ueber die Alpen hinüber weist Paul Dubais ; in seinen Bild-
nissen derselbe grosse Quattrocentist, der er in seinen plastischen
Arbeiten vom ersten Tage an war. Sein Boden ist die gute feine
Zeit, als Leonardo, anfangs etwas trocken, zart wurde und rätsel-
haftes Sphinxlächeln um die Mundwinkel seiner Frauen spielte.
Offenbar hat er Prudhon studirt und viel mit Henner verkehrt in
jenen Jahren, als dieser nach der Rückkehr aus Italien die Aufmerk-
samkeit wieder auf die alten Lombarden lenkte. Seitdem er 1879
mit dem Porträt seiner Söhne debutirte, hatte er grossen Zuspruch
und steht heute als der reifste Frauenmaler der Gegenwart da. Nur
Watts und Millais, die grossen Bildnissmaler jenseits des Canals,
sind ihm, als Techniker minderwerthig , im Herausgestalten von
Persönlichkeiten überlegen.
Als der geschickteste Robenmaler, der glänzendste Deco rat cur
weiblicher Schönheit, war lange Zeit Carolus Duran berühmt. Die
Studien, die er in Italien gemacht, hatten ihn nicht vergessen lassen,
dass er von der vlämischen Grenze stammte, und als er im Beginne
der 70er Jahre mit seinen ersten Porträts hervortrat, meinte man,
468
XXVIII. Der Realismus in Frankreich
der französischen Malerei sei
ein hervorragender Colorist
geboren. Er hatte damals
ein feines Gefühl für das
ewig Weibliche und dessen
wechselnden Ausdruck, war
gleich geschickt, eine Miene,
eine Kopf bewegung im Fluge
festzuhalten, wie Stoffe zu
drapiren und schillern zu
lassen. In seinen späteren
Jahren ist er von zarten,
discret koketten Werken all-
mählich zu rohen Tape-
ziererkünsten gekommen.
Doch hat er noch in seiner
letzten Zeit einige männliche
Porträts, die Pasteurs und
der Maler Francais, Fritz
Thaulow und Rene Billotte
gemalt, die nach der lärmen-
den Virtuosität seiner Damen-
bilder durch frische Sach-
lichkeit und ungezwungene
Charakteristik auffielen.
Leon Bonnal, der Schüler Madrazos, vermittelte die folgenreiche
Verbindung der französischen Malerei mit den alten Spaniern, wodurch
ihr abermals ein gut I heil frisches naturalistisches Blut zugeführt
ward. In Südfrankreich geboren und in Spanien erzogen, hatte er
sich hier besonders für Ribera begeistert, und diese Jugendeindrücke
waren so mächtig, dass er auch in Paris ihnen treu blieb. Schon
während seines dreijährigen Aufenthaltes in Italien 1858 — 60 war
seine Individualität hinreichend gekräftigt, dass er nicht wie die
Stipendiaten des Prix de Rome sich in grossen akademischen Com-
positionen erging, sondern Scenen aus dem bunten römischen \ olks-
leben malte. Mehrere religiöse Bilder, wie das Martyrium des
heiligen Andreas 1863, der heilige Vincenz von Paula 1S66 und
der Hiob im Luxembourg zeigten ihn in stetem \ orschreitcn auf
dem von Spagnoletto gebahnten Wege. Die von den Unbilden des
Dubois: Porlräl seiner Sohne.
XXVIII. Der Realismus in Frankreich
469
Lebens durchfurchten Gesichter,
das greise Haar, die wallenden grauen
Bärte, die hervortretenden Sehnen
und Adern alter verwitterter Kör-
per wusste er mit Virtuosität auf
die Leinwand zu bannen. Und als
er im Beginne der 70er Jahre für
den Schwurgerichtssaal des Pariser
Justizpalastes einen Christus am
Kreuz zu malen hatte, gab er gleich-
falls einen männlichen Akt, an dem
Musculatur und Knochenbau sich
so deutlich wie die Strebepfeiler an
einem gothischen Dom markirten.
Ein grelles scharfes Licht fiel —
wie bei Caravaggio — auf einzelne
Partien des Leichnams, während
andere schwarz und farblos im düstern Hintergründe verschwanden.
Auf seine Porträts übertrug er dieselben Principien. Der französische
Lenbach, hat er in Frankreich die Galerie der berühmten Männer
gemalt. In fitst greifbarer Körperlichkeit führte er vor: Hugo,
Mme Pasca, Dumas, Gounod, Thiers, Grevy, Pasteur, Puvis de Cha-
vannes, Jules Ferry, Carnot, den Cardinal Lavigerie u. A. Ueber
200 Personen, berühmt oder nicht, haben ihm gesessen und er hat
sie in sehr vernünftiger Weise gemalt, in männlichem Geschmack
und mit einem Wissen, das sich nie in unnütze Details verliert.
Die delicate Physiognomie des Weibes, das Froufrou ihrer raffi-
nirten Toilette, das Träumerische, Duftige, Kokette der modernen
Sphinx ist nicht seine Sache. Dagegen werden seine männlichen
Portraits schon aus kulturgeschichtlichen Gründen ihr Interesse be-
wahren. Er legte in allen viel Werth auf das bezeichnende Bei-
werk und wusste so auf die einfachste Art den Denker, den Musiker,
Gelehrten und Staatsmann zu kennzeichnen. Man behält seine
Bilder im Gcdächtniss wie bündig ausgesprochene Sätze, obwohl ein
Deutscher nicht zaudert, Lenbach als Psychologen weit über Bonnat
zu stellen. Dieser hat nicht das Momentane, Intime, Persönliche,
zuckend Lebendige, das Lenbach eigen. In seiner Absicht, Alles zu
sagen, vergass er das Wichtigste oft: den Geist des Mannes und
die Grazie der Frau. Seine Bilder sind grosse Stillleben: äusserst
470
XXVIII. Der Realismus in Frankreich
gewissenhaft, doch ein wenig
von der Gewissenhaftigkeit
des Gerichtsschreibers, der ein
langweiliges Protokoll copirt.
Leon Cogniet, der Lehrer des
Meisters, mit seinem alten Ge-
sicht, seinen bebrillten Augen
und runzlichen Händen (Mu-
see Luxembourg) ist vielleicht
Bonnats einzige Porträt, worin
er an Tiefe der Charakteristik
mit Lenbach wetteifert. Seine
malerische Kraft verdient
immer Achtung; aber der
Esprit ist, der Abwechslung
halber, einmal auf Seite des
Deutschen.
Roybet, von gleicher Passion
wie Bonnat für die spanischen
Meister beherrscht, malte Ca-
valiere des 17. Jahrhunderts
und andere historische Sittenbilder, die sich von älteren ihrer Art vor-
theilhaft dadurch unterschieden, dass nicht die geschichtliche Anekdote,
sondern der malerische Gedanke ihre Grundlage bildete. Alle früheren
waren bei der Behandlung solcher Themen mehr auf archaeologische
Exaktheit als auf malerischen Reiz bedacht. Roybet schwelgte in
den satten Farben alter Kostüme und erreichte, bevor er sein Talent
in das Prokrustesbett grosser Formate zwängte, zuweilen einen blühen-
den Ton von einer Kraft und Gluth, die wetteifert mit der der Alten.
In allen Zeiten, die malerisch sehen gelernt, nahm das Stillleben
einen wichtigen Platz im Kunstbetrieb ein. Eine Technik, die schon
Kunst an sich ist, gefällt sich darin, musikalische Instrumente, goldene
und silberne Schüsseln, Früchte und Esswaren, Gläser und Pokale,
kostbar gewirkte Decken, Handschuhe und Rüstungen, alle denkbaren
Petit-Riens mit künstlerischem Zauber zu umkleiden, überall maler-
ische Probleme zu erkennen und durchzuführen. Nachdem man aus
der Historien- und Genremalerei zur Malerei gekommen, traten daher
wie zu Chardins Tagen auch in Frankreich wieder grosse Still-
lebenmaler auf.
Bonnat: Victor Hugo.
XXVIII. Der Realismus in Frankreich
471
Noch ziemlich kleinlich
ist Blaise Desgoffe, der mit
mühseliger Geduld Stück für
Stück Goldschmiede -Arbei-
ten, krystallene Vasen, vene-
zianische Gläser u. dgl. malte.
Er war in Frankreich der
Hauptvertreter jener Klein-
und Feinmalerei, die unter
Kunst die täuschende Nach-
ahmung der Dinge versteht
und ihr Ziel erreicht sieht,
wenn sich das Sonntagspubli-
kum vor dem Bilde sammelt,
wie die Vögel vor den Trau-
ben des Zeuxis.
In Philippe Rousseau
scheint ein alter Meister wie-
der auferstanden. Er hatte
dieselben ernsten Qualitäten
wie die holländischen und
vlämischen Classiker, einen breiten, flüssig pastosen Vortrag, eine
schöne Harmonie kräftiger und doch klarer Töne, dabei ein ries-
iges Geschick, seine Gegenstände so zu componiren, dass nichts
mehr von »Composition« bemerkbar. Vom Thierbild kam er eigent-
lich her. Seine Hunde- und Katzenbilder gehören zu den besten
des Jahrhunderts. Den grossen Affenmalern Gillot, Chardin und
Decamps steht er als vierter zur Seite. Ein genialer Dccorateur wie
Ilondekoeter, schmückte er eine ganze Reihe von Speisesälen mit
farbenprächtigen Darstellungen von Federvieh, stellte wie Snyders
Wildpret, todtes und lebendes Geflügel, Früchte, Hummern, Austern
zu riesigen lebensgrossen Stillleben zusammen, hinter denen die
Köchin auftaucht und näschige Katzen umherschleichen. Aber er
hat auch wie Kalf mit exquisitem coloristischen Gefühl japanische
Porzellanschalen mit Trauben, Quitten und Aprikosen, Metall- und
Elfenbeinarbeiten, Helme und Geigen gemalt — vor jenem feinen
grau-braun-grünen Hintergrundston, den Chardin liebte.
Antoine Vollon wurde der grösste Stilllebenmaler des Jahrhunderts.
So kostbar und pedantisch Desgoffe, so breit und nervös ist Vollon.
Bonnat: Thiers.
jj2 XXVIII. Der Realismus in Frankreich
Blumen, Früchte, Fische, Alles
ist mit fester Hand hingesetzt und
leuchtet aus dem dunkeln Hinter-
grund in vollsaftiger Farbenfrische
auf. Er malt todte Seefische wie
Abraham van Beyeren, Weintrauben
und Krystallpokale wie Davids
de Heem, todtes Wild wie Frans
Snyders, abgezogene Schweine wie
Rembrandt und Maes. Er ist
Meister in der Darstellung frisch
gepflückter Blumen, zarter Gemüse,
kupferner Kessel, Waffen und
Rüstungen. Seit Chardin hat kein
Maler die Eigenschaften der Haut
frischen Obstes, ihr Leben und
Farbenspiel , den feuchten Hauch,
der sich auf ihr lagert, mit dieser
Naturwahrheit geschildert. Namentlich seine Fische werden stets
das Erstaunen aller Maler und Liebhaber bleiben. Doch auch Land-
schaften, holländische Kanalansichten und Figurenbilder sind von ihm
vorhanden. Er hat Alles gemalt, was malerisch ist, die Kunstgeschichte
hat ihn in specifisch malerischem Sinne als einen der Grössten des
Jahrhunderts zu feiern. Eine weiche graubraune Wandvertäfelung,
ein schwarzweisses Pierettencostüm, ein weisses Tischtuch und dunkel-
grünes Gemüse — das ist die coloristische Harmonie, die er in seinen
Figurenbildern hauptsächlich liebte.
Aus den gleichen rein malerischen Gründen wurden die Nonnen
damals in der Malerei beliebt, die mit ihrer weissen Haube und
hellen Schürze auf schwarzem Gewand eine so feine Tonwirkung
ermöglichten. Das war das Gebiet, auf dem der arme Flauem
Bonvin sich bewegte. Von den Holländern kommend, begann er für
die Arbeit, das Schweigen, den matten Glanz des Lichtes im Innen-
raum, den kalten Tag, die langsamen Bewegungen und friedlichen
Gesichter der Klosterfrauen zu schwärmen, und malte Küchenscenen
von starkem persönlichen Accent. Er war, bevor er zur Malerei
kam, lange Schutzmann und zur Beaufsichtigung der Markthallen
verwendet. Hier hatte sich ihm der Blick für das Malerische saftigen
Gemüses, weisser Kragen und weisscr Häubchen eröffnet, und wenn
Antoine Vollon.
XXVIII. Der Realismus in Frankreich
473
er einen Tag frei hatte,
studierte er im Louvre
Lenain und Chardin.
Bonvins Bilder haben
keinen Inhalt. Trinker,
Köchinnen, Waisen-
kinder in der Schul-
stube, Näherinnen,
Chorknaben, barmherz-
ige Schwestern, lesende
Knaben, Frauen in der
Kirche, Nonnen, die den
Nähunterricht leiten —
das ist Bonvins stille,
malerisch stimmungs-
volle Welt. Was seine
Personen denken und
thun, ist gleichgültig,
nur als Ton im Raum
sollen sie wirken. Er
hatte während seiner holländischen Reise Metsu, Frans Hals, Pieter
de Hoogh, Terborg, van der Meer mit Verständniss betrachtet, doch
Chardin besonders feierte nach seinen beiden Seiten hin — als Still-
lebenmaler wie als Maler der Intimität — in Bonvin seine Aufer-
stehung. Alle Bilder sind einfach und still, die Figuren von ruhigem
Ausdruck und gemüthlichen Posen, die Farben von toniger altmeister-
licher Schönheit.
Auch der hervorragendste der Gruppe, Theodule Kibot, einer
der geschicktesten Praktiker der französischen Schule, ein Meister,
der an Macht des Ausdrucks würdig ist, zwischen Frans Hals und
Ribera gesetzt zu werden, hat mit Stillleben begonnen. Er war
1823 in einem kleinen Städtchen des Departements Eure geboren.
Früh verheirathet, arm, ernährte er sich anfangs dadurch, dass er
Rahmen für ein Spiegelgeschäft malte und behielt nur die Abend-
stunden für seine künstlerische Thätigkeit übrig. Namentlich als er
während einer langen Krankheit seiner Frau an deren Bette wachte,
soll er sich gewöhnt haben, ganze Nächte hindurch bei der Lampe
zu arbeiten. Das Lampenlicht macht die Gegensätze von Licht und
Schatten kräftiger. Ribots Vorliebe für concentrirtes Licht und starke
Vollem : Scene de Carnaval.
474
XXVIII. Der Realismus in Frankreich
Schatten geht also theilweise
wohl auf Selbsterlebtes zu-
rück, und Ribera gab ihm
später nur den kunstgeschicht-
lichen Segen.
Seine ersten Bilder aus den
Jahren 1861 — 65 waren der
Mehrzahl nach Scenenausder
Wirthschafts- und Küchen-
sphäre : lebensgrosse Köche,
die Hühner rupfen, Braten
auf den Herd setzen, Kessel
scheuern oder Saucen ver-
suchen, zuweilen auch
Strassenfiguren mit starker
Betonung des Stilllebens:
Männer mit Küchengeräth,
Esswaaren, todten Vögeln und
Fischen. Dann folgten seit
1865 mehrere religiöse Bil-
der, die sich in ihrer harten,
bauernhaften Wahrheit, ihrem wuchtigen, concentrirten Leben in
schroffsten Gegensatz zu den convcntionell idealisirten Figuren der
Akademiker stellten. Sowohl sein Jesus unter den Schriftgelehrten wie
der heilige Sebastian und der gute Samariter — alle drei im Musee
Luxembourg — sind Werke von einfacher, gewaltiger Grösse und
packender, fast grauenerregender Wirkung. Sebastian ist kein lächeln-
der, mit liebenswürdigen Wunden versehener Heiliger, sondern ein
leidender Mensch, aus dessen Adern das Blut strömt, und der auf den
Boden ausgestreckt sich zur Hälfte erhebt, einen Schmerzensschrei auf
den Lippen, den ganzen Körper von Krampf gekrümmt. In seinem
»Jesus im Tempel« verkündet er, parallel gehend mit Menzel, die Lehre,
dass den traditionellen Gestalten nur dadurch neues Lebensblut zuge-
führt werden könne, dass man die Modelle mit glücklicher Hand
aus dem umgebenden Volksleben selbst herausgreife. Im »Guten
Samariter« kam es ihm gleichfalls nur darauf an, den Körper des
an der Strasse niedergefallenen Verwundeten, einen vierschrötigen,
seiner Kleider beraubten französischen Bauer mit naturalistischer Kraft
zu malen. Seit den 70er Jahren wurden seine Specialität Köpfe:
XXVIII. Der Realismus in Frankreich
475
jene Einzelfiguren ver-
witterter alter Leute,
strickender oder schreib-
ender alter Frauen, les-
ender oder nachdenk-
ender alter Männer, die
technisch stets zu den
grössten Meisterwerken
des Jahrhunderts ge-
hören werden. Ri bot
erzielt eine merkwür-
dige Wirkung, wenn
er aus dem Dunkel sei-
ner Leinwand jene aus-
drucksvollen Gesichter
hervortreten lässt , die
dich mit ihren Blicken
verfolgen. Ein schwar-
zer Hintergrund, in
den die gleichfalls dun-
keln Kleider seiner
Figuren unmerklich
übergehen, ein leucht-
ender Kopf mit Augen,
wie sie keiner des
Jahrhunderts malte, ein Stück runzlicher Haut und faltige alte
Hände, die irgendwo auftauchen, — man weiss nicht woher —
das Alles gibt seinen Gestalten etwas Phantomartiges, Uebermensch-
liches, Geisterhaftes. Ribot ist der grosse König der Unterwelt,
in die nur verstohlen ein Sonnenstrahl dringt. Man hat vor seinen
Bildern das Gefühl, in einen tiefen, tiefen Schacht zu fahren, wo
Alles dunkel ist, nur zuweilen ein Lämpchen auftaucht. Kein
Maler, selbst Ribera nicht, hat besser alte Leute, nur Velazquez
Kinder von so sprühendem Leben gemalt. Ribot arbeitete in Colombes
bei Paris, wohin er sich früh zurückgezogen, in einer Scheune, in
die nur kleine Dachfenster zwei scharfe Lichtstrahlen warfen. In-
dem er seine Leinwand unter das eine, sein Modell unter das andere
Dachfenster stellte, unter einer dunkeln Beleuchtung, die nur einen
goldigen Lichtstrahl auf das Gesicht fallen liess, isolirte er es voll-
Bonvin : L’ouvroir.
476
XXVIII. Der Realismus in Frankreich
ständig von seiner Umgeb-
ung, um dann die beleuch-
teten Theile desto erstaun-
licher zu malen. Keiner
wusste wie er eine Stirne
zu modelliren, die Knochen
unter dem Fleisch anzu-
deuten und alle Feinheiten
der Haut wiederzugeben.
Ein schreckliches intensives
Leben lebt in seinen Ge-
stalten. Besonders seine alten
Bettler und Matrosen haben
etwas Königliches in dem
grossen Stil ihrer vornehm
ruhigen Gesichter. Ein alter
Meister an mächtiger Mache,
ein Maler von Jordaensscher
Kraft und Gesundheit hat
sich in Ribot von Neuem manifestirt.
Courbets Principien hatten demnach im Laufe weniger Jahre
auf der ganzen Linie gesiegt. »Nur Ribera, Zurbaran und Velazquez
bewundere ich, Ostade und Craesbeeck verlocken mich und vor Hol-
bein empfinde ich Verehrung. Was Herrn Rafael betrifft, so hat er
ohne Zweifel einige interessante Porträts gemalt, aber ich finde keine
Gedanken bei ihm«. In diesen Worten hat er bereits 1855 voraus-
verkündet, in welches Bett die französische Kunst in den nächsten
Jahrzehnten lenkte. Als Courbet auftrat, stand die grosse Malerei
noch durchaus im Banne der beaute supreme und diese Anschau-
ungen wirkten auch auf die Behandlung zeitgenössischer Stoffe zu-
rück. Der Fonds der Künstler an Realismus reichte noch nicht aus,
um diese Dinge wahrhaft zu beleben. Wenn Cabanel, Hamon und
Bouguereau zuweilen Bettler und Waisenkinder malten, so waren das
immer blutlose Schemen, da sie die Figuren erst durch Verschöner-
ung characterlos machten, um sie den Gestalten der Historienmalerei
zu nähern. Weil die Maler ihre Zeit nicht sahen, weil man sie
gewöhnt hatte, die Lebenden nur als Elemente zweiten und dritten
Ranges zu betrachten, entdeckten sie gar nicht das Eigenartige
dieser Wesen. Wie ein Reisender, den eine fixe Idee verfolgt,
XXVIII. Der Realismus in Frankreich
477
Ribot: St- Sebastian.
machten sie die Fahrt um die Welt, ohne andern Gedanken als
den, wie die lebenden Formen denen anzupassen seien, die ihre
traditionelle Erziehung als die richtigen, der Kunst allein würdigen
empfahl. Selbst in der Porträtmalerei herrschte die falsche Mode,
die Gesichter zu Typen zu machen, Züge und Gestalt aufzubessern
und den Menschen so das Aeussere schöner Idealfiguren zu geben.
Jetzt ist die Herrschaft des Cinquecento cndgiltig gebrochen.
Eine frische realistische Brise von jenseits der Pyrenäen hat den
schwülen italienischen Scirocco verscheucht. Aus den Bildern der
Neapolitaner, der Spanier und Holländer entnahm man die Lehre,
dass die Freuden und Schmerzen des Volkes ebenso darstellbar seien,
als die Handlungen der Heroen und Götter, und unter dem Einfluss
dieser Anschauungen tritt eine vollständige Rollenvertauschung zu
Tage. Die Figuren, welche 1855 Courbets »Atelier« füllten, —
Bettlerinnen, Ackcrsleute, Arbeiter, Matrosen, trinkende Soldaten,
dralle Dirnen, Lastträger, derbe Proletarier von ungeschlachter
Grösse — füllen nunmehr die Bühne der französischen Kunst und
theilen auch den Helden der Historie, den durch mehrhundertjährige
478
XXVIII. Der Realismus in Frankreich
Ribol: Cabaret Normand.
Inzucht degenerirten Göttern etwas von ihrer vollsaftigen, derb rohen,
plebejischen Lebenskraft mit. Die Künstler des italienischen Ge-
schmacks gestatteten nur den »allgemeinen Formen.« Bürgerrecht,
jede Erinnerung an Volksthümliches, Lokales, galt als vulgär, nicht
in den reichen Schachten des Volkes fand man das Gold der Schön-
heit, sonden in den fremden classischen Meistern. Jetzt wird das
Ueberirdische in’s Irdische übersetzt. Handelt es sich um religiöse
Bilder, so fischt man, wie einst Caravaggio, Männer aus dem Volke
auf, arme alte Bauern mit ehernen Knochen und bronzenen , ver-
wetterten Gesichtern, Packträger mit ausgearbeiteten, zerklüfteten
Formen, rauhe, vulgäre Naturen, doch von markiger, knorriger Kraft.
Die Märtyrerbilder, erst kunstvolle Zusammenstellungen schöner
Gesten und öder, allgemeiner Gesichter, bekommen einen Lokalton
des Schaffots, einen Zug unbarmherziger Wahrheit, die Köpfe eine
Energie des Reliefs, die Geberden eine Mächtigkeit und Wucht, die
Körper eine Gelehrsamkeit der Modellirung, worüber Ribera sich
gefreut hätte. Wie Caravaggio erklärte, je mehr Runzeln sein Modell
•XXVIII. Der Realismus in Frankreich
479
habe, um so mehr freue
er sich daran : so scheut
man auch jetzt nicht zurück
vor schwieligen Händen,
zerrissenen Lumpen und
schmutzigen Füssen. Man
weiss, wie in den guten
Zeiten der Kunst, dass Schön-
heit oder Hässlichkeit eines
Kunstwerks nichts zu thun
hat mit der Schönheit oder
Hässlichkeit des Modells, dass
der hässlichste Krüppel Ge-
legenheit geben kann, das
schönste Kunstwerk zu
machen. Die alte Lehre
Leonardos, dass jede Art
der Malerei Porträtmalerei
sei und diejenige die beste,
die am überzeugendsten nachahme, kommt wieder zur Geltung.
Die Apotheose des Modells ist an die Stelle des Eklektismus ge-
treten. England gelangte in denselben Jahren auf anderem Wege zu
gleichem Ziele.
Ribot: La Combtabilite.
0*9
XXIX.
Der Realismus in England.
1849 war das berühmte Jahr, als durch die Praerafaeliten ein
so folgenschwerer Eingriff in den ruhigen Verlauf der englischen
Kunst geschah. Eine Bewegung, die an die Renaissance erinnert,
hatte die Geister gepackt. In allen Ateliers sprachen die Maler eine
nie gehörte Sprache; alle grossen Reputationen waren gestürzt; die
berühmtesten Cinquecentisten , deren Namen bisher nur mit ehr-
fürchtiger Scheu genannt, wurden mit Achselzucken als Stümper
bezeichnet. Etwas Wundervolles schien in die Welt gekommen; die
Muse der Malerei war von dem Piedestal, auf dem sie drei Jahr-
hunderte gestanden , heruntergestossen und im Triumph auf ein
anderes gestellt worden.
Was wollten die Praerafaeliten?
Die Bewegung wurde vielfach mit dem deutschen Nazarener-
thum verglichen, aber die Aehnlichkeit ist äusserlich, die Ver-
schiedenheit grösser. Auf der Fahne der Deutschen stand Nach-
ahmung, auf der Engländer Banner Befreiung, dort war Wieder-
holung stereotyper Formen, hier rücksichtsloser Naturalismus die
Devise. Die Praerafaeliten waren die ersten in Europa, die gegen
das Joch der Tradition sich aut bäumten, jede Convention in Form-
gebung und Farbenanschauung bei Seite warfen und ganz persön-
liches, durch kein fremdes Medium vermitteltes Naturstudium ver-
langten. Sie waren — in ihrer Anfangsphase — die ersten grossen
Freiheitskämpfer der modernen Kunst, für England von gleicher
Bedeutung wie für Frankreich Courbet und Millet. Auch die kunst-
geschichtlichen Verhältnisse, aus denen sie hervorgingen, lagen ähnlich.
Nachdem die englische Kunst mit grossen nationalen Meistern
begonnen und eine Jugendzeit von wahrhaftem Glanze gehabt, war
sie um die Mitte des Jahrhunderts einem langweiligen Siechthum
verfallen. Eine Reihe roher Geschichtsmaler mühte sich, den edlen
Stil des italienischen Cinquecento zu ergründen , und kam dabei
XXIX. Der Realismus in England
481
nicht über das Niveau eines verständigen Plagiats hinaus. Pompös
und majestätisch, glänzende Decorateure, sinnlich ergriffen von der
plastischen Schönheit, Anbeter der nackten menschlichen Gestalt,
moderne Griechen, waren die italienischen Classiker die denkbar un-
glücklichsten Erzieher für ein bilderstürmendes Volk, das nie die Schön-
heit des Nackten begriff, ein Volk, das in allem, was es selbstständig
leistete, stets mehr auf geistigen Ausdruck als auf plastische Schön-
heit sah. Doch trotz der seit Hogarth gemachten Erfahrungen pil-
gerten Alle nach Rom wie nach einem heiligen Quell, sogen sicli voll
in langen Zügen und kamen vergiftet zurück. Selbst Wilkie, der liebens-
würdige Kleinmeistcr , der so bahnbrechend wirkte, während er an
die verwandten Vlaamen und Holländer sich anschloss, verlor jede
Eigenart, seitdem er Spanien und Italien gesehen. Wie diese Nach-
ahmung der Hochrenaissance zu einer manierirten, geschraubten Em-
pfindung führte, so zog sie auch eine leere akademische Technik
gross. Man arbeitete nach den Rcccpten des Cinquecento mit affec-
tirter Leichtigkeit, die alles über's Knie brach und sich mit oberfläch-
licher Facadenwirkung begnügte. Eine Malerei der geschickten Hand
war an die Stelle pietätvollen Naturstudiums, banales Arrangement
nach berühmten Mustern an die Stelle innerlicher Vertiefung getreten.
Es half nichts, dass Einige wie J. G. Horslcy, J. R. Herbert,
J. Tennicl, Edwin I.ong, E. M. Ward und der englische Piloty Eastlake
durch Nachahmung der Venezianer und Vlaamen vom Idealismus der
Form mehr in den Colorismus einlenkten und dass Edwin Armitage,
der in Paris und München studirt hatte, continentale Einflüsse ver-
mittelte. Sie sind die Delaroche, Gallait und Biefve von England.
Ihre Kunst war imposante Theatermalerei, ihr Programm noch immer
das der Schule von Bologna — der Mutter aller Akademien, grosser
und kleiner — die Zeichnung dem Michelangelo, dem Tizian die
Farbe, jedem das Beste zu entnehmen, cs in einen Topf zu schütten
und umzurühren. Die englische Malerei verlor so das eigenartig
nationale Gepräge, das sie unter Reynolds und Gainsborough,
Constable und Turner gehabt. Sie wurde eine bedeutungslose Neben-
strömung der falschen, gegen die Natur unredlichen, gedankenlos
routinirten, hohl pathetischen Kunst, die den Continent damals be-
herrschte. Und wie die grosse Malerei leer und manierirt, so war
die Genremalerei spiessbürgerlich und altersschwach geworden. Ihre
harmlose Kindlichkeit und conventioneller Optimismus hatte zu lang-
weiliger Anekdotenmalerei geführt. Wie ein geschwätziger alter
Muther, Moderne Malerei II. 3 j
482
XXIX. Der Realismus in England
Mann wiederholte sie die nichtssagendsten Geschichten mit immer
gleichem Behagen in einem Colorit von beleidigender Buntheit. Die
englische Schule bestand noch durch die Landschaft, für alles Uebrige
war sie gestorben.
Hin Reformbedürfniss würde um so eher rege, als auch die Li
teratur in neue Bahnen lenkte. In der Poesie kamen die Seedichter
Wordsworth und Coleridge, die Einfachheit, schlichte Naturempfind-
1111g, Rousseau’schen Pantheismus auf ihre Fahne schrieben, als Rück-
schlag gegen den blendend phantastischen Schwung der grossen Kraft-
genies Byron und Shelley. Keats sprach von Neuem den Satz, der
einst Shaftesburys Evangelium gewesen: Beauty is truth, truth
beauty«. John Ruskin liess seit 1843 die ersten Bände seiner
Modern painters erscheinen, deren ästhetisches Credo in dem Satze
gipfelte, dass die Natur allein die Quelle aller wahren Kunst sein könne.
Diese Uebergangsstimmung, die — zunächst schüchtern — Be-
freiung vom akademischen Joch erstrebte, vertritt in der Malerei
der Schotte William Dyce. Nur er in England bietet eine Parallale
zu den deutschen Nazarenern, deren Glaubensbekenntniss er —
mit freilich grösserem Können — theilte. 1806 geboren, hatte er
1826 in Italien die Bekanntschaft Overbecks gemacht, der ihn
für Perugino und Rafael gewann. Indem er gegen die theatralische
Hohlheit der englischen Historienmalerei protestirte, warf er sich
hilfesuchend den Quattrocentisten, dem jungen Rafael in die Arme.
Sein I lauptwerk , ein Freskencyklus aus der Legende des Königs
Arthur im Westminster-Palais in London, geht etwa mit Schnorrs
Nibelungenfresken parallel. Die Schilderung markiger Männlichkeit
und stürmischen 'Heldenthums ist ohne Sentimentalität und Theater-
heroismus versucht. In seinen Oelbildern — Madonnen, Bacchus
und die Nymphen , das Weib von Samaria, Christus in Gethsemane,
St. Johannes u. dgl. — überrascht er durch den anmuthigen sinn-
lichen Reiz seiner Frauen, durch köstliche Landschaften zarten idyll-
ischen Charakters. Die liebenswürdige Darstellung Jakob und Rahel«,
die ihn in der Hamburger Kunsthalle vertritt, könnte von Führich
herrühren, wenn die entwickelte Farbenempfindung nicht den eng-
lischen Ursprung bezeugte. Verlangend eilt der Jüngling auf das
Mädchen zu, das in herber Keuschheit, mit gesenkten Augen, halb
abwehrend an den Rand des Brunnens gelehnt steht. Dyce war
ein klarer Kopf von grossem technischen Können. Er hatte das
Gefühl für Stil , einen feinen Sinn für herben und doch zarten
XXIX. Der Realismus in England
483
William Dycc: Jacob und Kabel.
Schwung der Linien. Wo die Nazarener leichenhaft blass wirken,
erfreut bei ihm eine tiefe Leuchtkraft der Farbe. Er ist äusserst
graziös und verbindet mit dieser Grazie die stille reine Einfalt der
Meister von Umbrien. Rührend sind einige Madonnen, die in langem
anschliessenden Gewände, mit halb erhobenen Armen, frommen
zum Gebet geöffneten Lippen und sanften, in’s Unendliche ver-
lorenen Blicken die Gottheit suchen. Eine träumerische Lieblich-
keit bringt die himmlischen Gestalten näher. Dyce findet den Zauber
der langen gesenkten Lider mit den dunklen Wimpern. Er liebt wie
die Umbrier die Elasticität schlanker Glieder, den keuschen Liebreiz
knospend mädchenhafter Schönheit. Viele deutsche Freskomaler sind
berühmt geworden , die nie etwas leisteten , was an künstlerischem
484
XXIX. Der Realismus in England
Verdienst Dyces Westminsterbildern gleichkommt. Aber in die Familie
Flandrin-Overbeck ist auch er zu rechnen, da er den jungen Rafael
zwar gut wiederholt, aber doch nur nachgeahmt, nicht verbessert hat.
Um wenig später sind die Bilder eines anderen Schotten, des
1821 geborenen Josef Noel Pa ton , der heute, alt geworden, in den
verblasenen Bahnen Ary Scheffers oder Plockhorsts geht, in seiner
Jugend aber durch kraftvolle Shakespeare- und Shelley-Illustrationen
wie durch einige phantastische Feenbilder anregend und umwälzend
wirkte. Auch diese Jugendwerke — der Streit und die Versöhn-
ung Oberons mit Titania in der Galerie von Edinburgh, — und
sein Hauptwerk »The Fairy Queen« in der Londoner National-
galerie bieten ästhetisch geringen Genuss. Die Zeichnung ist hart, die
Composition überladen, die Farbe zerfahren und bunt. Wie bei
Ary Scheffer haben alle Figuren geistlose, weit aufgerissene Augen.
Elfen, Gnomen, Weiber, Ritter und phantastische Felsen sind so
eng neben einander geschoben, dass sic der Rahmen kaum fasst.
Ausserordentlich aber ist das liebevolle Naturstudium im Einzelnen.
Auf dem Vordergrund kann man jede Pflanze, jede Blume botan-
isch bestimmen, so charaktervoll und sorgsam hat Paton jedes
Blatt, jede Blüthe ausgeführt, selbst die Thiere, die auf der Wiese
kriechen. Hier und da bricht ein frischer Morgensonnenstrahl durch
das lichte Grün und hüpft von Gräschen zu Gräschen. Die Land-
schaften Albrecht Altdoriers kommen in Erinnerung. Befreiung von
hohlem pathetischem Schwung, pantheistische Anbetung der Natur,
selbst ein gewisses, zwar erfolgloses Bemühen um selbständige Farben-
empfindung scheinen seine Bilder in ihrer naiven Eckigkeit, liebe-
vollen Kleinmalerei und hellgrünen Buntheit zu predigen.
Das ist die Stimmung, in welche die jungen Leute eintraten,
die sich 1848 zur Praerafaelitengruppe vereinten. Sie waren 20 bis
24 Jahre alt und Schüler der Royal Academy. Der erste, Dante
Rossetti, war bereits durch eine Reihe Gedichte bekannt. Der zweite,
Holman Hunt, hatte noch Mühe, den Widerstand seines Vaters zu
besiegen, der ihn ungern den Kaufmannsberuf aufgeben sah. John
Everett Millais, der jüngste, war als Maler am weitesten vorgeschritten
und einer der besten Schüler der Acadcmie. Weder das künstlerische
Schaffen noch die Unterrichtsmethode ihrer Lehrer befriedigte sie.
Etty, der geschätzteste von allen. — so erzählt Holman Hunt — malte
Mythologisches von leerer Geziertheit, Mulready zeichnete Verblasen
und opferte Alles der Eleganz, Maclise war in patriotische Banalitäten
XXIX. Der Realismus in England
485
verfallen, W. Dycc hatte seine Laufbahn unterbrochen und wieder
begonnen, als es zu spät war. So seien sie genöthigt gewesen, selbst
für ihre Ausbildung zu sorgen. Alle Drei arbeiteten in demselben
Atelier, da geschah cs eines Tages — 1847 oder 1848 — dass der
Zufall ihnen einige Kupferstiche nach Benozzo Gozzolis Pisaner Campo-
santo-Fresken in die Hände warf. Natur und Wahrheit — Alles,
was sie dunkel geahnt und an den Erzeugnissen der englischen Kunst
vermissten, hier war cs. Voll Bewunderung für das sprühende Leben,
die intensive Empfindung, die markige, selbst vor den Gonsequenzen
des Hässlichen nicht zurückschreckende Formgebung dieser Werke,
kamen sie in der Erkenntniss überein, dass die Kunst immer auf
der Basis der Natur gestanden bis zum Ende des 15. Jahrhunderts
oder genauer bis zum Jahre 1508, da Rafael Florenz verliess, um
in Rom im Vatican zu malen. Seitdem sei Alles schlecht gegangen,
die Kunst hätte das einfache Gewand der Naturwahrheit ausgezogen
und sei in conventioneile Phrasen verfallen, die im Laufe der Jahr-
hunderte durch geistlose Wiederholung immer inhaltloser und wider-
wärtiger wurden. Müssen die Personen auf Bildern bis zum Ende
der Welt so dastehen und sich bewegen , wie sie es tausendmal
bei den Cinquecentisten thaten? Müssen die menschlichen Leiden-
schaften — Liebe, Muth, Reue, Entsagung — immer mit derselben
Kopfdrehung, der gleichen Erhebung der Augenbrauen, derselben
Armbewegung, und denselben gefalteten Händen ausgedrückt werden,
die ehedem durch die Cinquecentisten in Schwung kamen? Wo
sind in der Natur die rundlichen Formen, die Rafael, der erste
Classicist, aus der Antike genommen? Und stellen Leute sich in
kritischen Momenten ihres Lebens wirklich in so abgewogenen
Gruppen auf, mit demjenigen, der zufällig die schönsten Gewänder
an hat, in der Mitte?
Aus dieser Reaction gegen das Cinquecento und dessen seichte
Nachahmung erklärt sich der Name The Praerafaelit Brothcrhood
und das geheinmissvolle Freimaurerzeichen P R B, Praerafaelit Brother,
das sie auf den Bildern ihrem eigenen Namen beisetzten. Aber
während Dyce, um den Cinquecentisten zu entgehen, die Quattro-
centisten imitirte, soll der Name hier nur andeuten, dass man vorhatte,
gleich den Quattrocentisten wieder auf die ursprüngliche Quelle des
realen Lebens zurückzugehen. Die Akademieschüler Rossetti, Millais
und Holman Hunt nebst dem jungen Bildhauer Thomas Woolner,
der soeben die Schule verlassen hatte, waren anfangs die einzigen
486
XXIX. Der Realismus in England
Mitglieder der Bruderschaft. Später
wurden der Genremaler James
Collinson, der Maler und Kritiker
F. G. Stephens und Rossettis Bruder
Michael William Rossetti in den
Bund aufgenommen.
Muthig erklärten sie allen con-
ventioneilen Regeln den Krieg, be-
zeichneten sich als Anfänger, ihre
Bilder als Versuche und erklärten,
wenigstens ehrlich zu sein. Das
Programm ihrer Schule sei: Wahr-
heit; nicht Nachahmung der Alten,
nein : haarscharfes strengstes Natur-
studium, wie jene selbst es geübt
hätten. Sie reagirten gegen die ober-
flächliche Handfertigkeit der Tech-
nik, die geistige Leere der schönen Form, in die das englische Historien-
bild verfallen, gegen die triviale Banalität, die das englische Genre ent-
stellte. In der Schilderung der Leidenschaft seien die wahren Beweg-
ungen der Natur zu geben, ohne Rücksicht auf Grazie und Eleganz,
ohne die Phraseologie vorräthiger Mimik. Wahr sein, nicht mit er-
borgtem Idealismus anscheinend Grossartiges, innerlich Unwahres
schaffen, sei das Ziel, nach dem sie strebten. Gegenüber der saloppen
Malerei der Künstler ihrer Zeit forderten sie die sclavisch treue
Nachahmung des Modells in einer mit mikroskopischer Genauigkeit
ausgeführten Detailarbeit. Nichts sei ohne Verehrung vor der Natur
zu thun ; jeder Theil des Bildes, bis zum kleinsten Grashalm oder
Blättchen, sei direct nach dem Original zu malen. Bis in die
kleinste Einzelheit müsse jedes Gemälde, selbst auf Kosten der Ge-
sammtwirkung, ausgeführt werden. Lieber stammeln, als inhaltlose
Phrasen machen. Aus dieser Anschauung allein könne eine junge
lebenskräftige Kunst — wie einst im 1 5. Jahrhundert — sich empor-
ringen.
In allen diesen Punkten, in der Erhebung gegen die Leerheit
der beaute supreme wie gegen den Linienschwung der überkommenen
Routinencomposition decken sie sich mit Courbet und Millet. Nur
in den weiteren Folgerungen gingen Franzosen und Engländer aus-
einander: Der englische Realismus bekam einen specifisch englischen
Holmau Hunt.
XXIX. Der Realismus in England
487
Anstrich. Da jeder Classicismus —
dahin führte weiter ihr Gedanken-
gang — die ideale Vollendung der
Form, des Körperlichen für sein
höchstes Ziel erklärt, so seien
die Bannerträger des Realismus ge-
zwungen, das höchste Ziel ihrer
ausschliesslich auf dem Studium der
Natur begründeten Kunst in der
Schilderung des Geisteslebens, in
einem gedankenvollen Spiritualis-
mus zu suchen. Verschmelzung von
Realismus und Gedankentiefe, von
rücksichtsloser Naturwahrheit der
Form mit philosophisch poetischem
Inhalt ist das Wesen der Prae-
rafaeliten. Sie sind transcendentale Naturalisten, gleich weit entfernt
vom Classicismus, der nur schöne Körper darstellt, wie vom eigent-
lichen Realismus, der ein Stück Natur allein bieten will. Aus Oppo-
sition gegen die abstracte schöne Form dringen sie auf das Energ-
ische, Charakteristische. Eckige; die treu nach der Natur gemalten
Gestalten sind aber Träger eines metaphysischen Gedankens. Von
Anfang an durchtränken sie sich mit Poesie. Hunt schwärmt für
Keats und die Bibel, Rossetti für Dante, Millais für die mittel-
alterlichen Rittergedichte. Indem sie solche Stoffe ganz naturwahr
und mit grösstmöglicher geistiger Concentration behandelten, haben
sic eine neue, von den Alten unabhängige Malerei begründet, und
der Kunst auch psychische Ausdrucksqualitäten zurückgegeben, die
ihr seit den Tagen der Quattrocentisten abhanden gekommen. Je
eckiger die Formen der Gestalten , um so intensiver das geistige
Leben, das aus ihren seelenvollen Augen sprüht.
1849 traten alle drei zum ersten Mal vor das Publicum. John
Millais und Holman Hunt stellten in der Royal Academy aus, der
eine seine Isabella, einen Stoff aus Keats, der andere seinen Rienzi.
Rossetti, der zu spät fertig geworden, brachte sein Bild »Jugend der
Maria« bei einem Kunsthändler zur Ausstellung. Alle drei Werke
erregten Aufmerksamkeit, Kopfschütteln, Spott. Dasselbe Lachen
empfing ihre drei nächsten Arbeiten 1850, die »Christlichen Missio-
näre in der Bretagne« von Holman Hunt, die Zimmermannswerk-
488
XXIX. Der Realismus in England
Holwan Hunl: Rien\i.
Stätte von Millais und die Verkündigung von Rossetti. Als sie das
dritte Mal ausstellten — Hunt eine Scene aus Shakespeares beiden
Edelleuten von Verona«, Millais die Rückkehr der Taube zur Arche
und des Waldmanns Tochter — brach solche Erregung aus, dass
die Bilder aus der Ausstellung entfernt werden mussten. Das Art-
Journal brachte einen wuthschnaubenden Artikel: die Aussteller seien
zwar jung, doch zu alt, um solche Jugendsünden zu begehen. Selbst
Dickens wendete sich in den »Household Words« gegen sie. Die
Angegriffenen antworteten. Michael William Rossetti legte in einem
Aufsatz der Zeitschrift The Critic die Principien der Bruderschaft
dar und schmuggelte einen zweiten Artikel in den »Spectator« ein.
Sie gründeten zur Vertheidigung ihrer Theorien 1850 eine Monats-
schrift »The Germ«, die bei der dritten Nummer den Titel »Art
and Poetry« annahm und sehr hübsch mit Zeichnungen Madox
Browns, Hunts u. A. geziert war. Stevens veröffentlichte darin einen
Essay »Wege und Ziele der primitiven Italiener«, der ihm Anlass
gab, zugleich die neuen, im Sinne der Einfachheit dieser Alten ent-
standenen Werke zu besprechen. Brown schrieb einen Aufsatz über
XXIX. Der Realismus in England
489
Holm an Hunt: Verfolgung christlicher Missionäre durch Druiden
»Geschichtsmalerei«, worin er engen Anschluss an das Modell unter
Vermeidung jeder Verallgemeinerung und Verschönerung, archi-
valisch genaues Studium der Costüme und Geräthe im Gegen-
satz zur Phantasiehistorie der Aeltern als Grundlage für das Ge-
schichtsbild forderte. Alle diese Arbeiten waren umsonst geschrieben.
Schon nach der vieren Nummer ging das Blatt ein und ist heute
eine Curiosität für Bibliophilen geworden. Da kam Unterstützung
von einer anderen Seite. Holman Hunts Scene aus Shakespeares
zwei Veronesern war in den Times auf’s Schärfste verurtheilt worden.
John Ruskin trat als Vertheidiger auf und Hess am 13. Mai 1851
eine Entgegnung erscheinen. Am 30. Mai brachten die Times einen
zweiten Artikel von ihm. Beide erschienen bald darauf als Bro-
schüre unter dem Titel »Prerafaelitism, its principles, and Turner.«
Nicht alte Bilder, sondern die Natur ahmten diese Werke nach;
das was befremde daran, sei ihre Richtigkeit und Wahrheit, die
mit dem conventionellen Linienschwung schroff und erfolgreich ge-
brochen. Die jungen Leute hätten lediglich das Programm verwirk-
490
XXIX. Der Realismus im Englamd
licht, das er — Ruskin — schon in seinen Modern Painters auf-
gestellt. Damit kam die Bewegung in Fluss. Ruskin ward das Haupt
der jungen Schule, ihr fleischgewordener Gedanke.
Sein erstes Princip ist, wie das Courbets, die »wahre Wahrheit«.
Diese sei aber — darin trennt er sich vom Franzosen — nicht durch
grosse breite Mache, nur durch minutiöse Genauigkeit in der Wieder-
gabe alles charakteristischen Details zu erzielen. Jede Art Terrain,
l eisen und Wolken müsse der Maler mit der Exaktheit des Geo-
logen und Mineralogen studiren. Wenn Salvator z. B. in seinen
Vordergründen eine Masse anbringt, von der ich nicht sagen kann,
ob es Granit, Schiefer oder Tuffstein ist, so halte ich das für eine
Nachlässigkeit. Tizian hatte die botanische Treue. Auf seinem Bilde
des Bacchus mit der Ariadne sehe ich Iris communis, Aquilegia und
Capparis spinosa. Der Vordergrund ist mit jener Art Seegewächs
bedeckt, das Cramba maritima genannt wird«. Bei aller Bedeutung,
die solcher Naturtreue inne wohnt, darf sie jedoch nie das höchste
Ziel des Malers bilden. So wenig ein Brief gefällt, an dem das Par-
füm und die Schrift allein schön ist, nicht der Inhalt zugleich und
die Intention, so wenig ist eine Malerei lobenswerth, die nichts
beabsichtigt, als dem Auge ein sinnlich angenehmes Gefühl zu be-
reiten. Dieser Mangel sei den Erzeugnissen des römischen Cinque-
cento in besonderem Grade eigenthümlich. Rafael sei der erste Ab-
trünnige der religiösen Kunst, die seine Vorläufer noch in ihrer
ganzen Majestät begriffen, er sei der Apostel der Routine, die den
Begriff Kunst mit Pose und schönem Theaterspiel verwechsle. Diesen
Satz zu belegen, beschreibt Ruskin mit hoher Phantasie die Erschein-
ung Jesu, wie er auf dem Meere einherging, und setzt seiner eigenen
poetischen Vision den Carton Rafaels gegenüber. Man beachte die
hübsch frisirten Haare und sorgsam gebundenen Sandalen dieser
Männer, die doch die ganze Nacht auf dem Wasser sich aufhielten und
dort mit den Nebeln, den entfesselten Wogen des Meeres kämpften.
Man beachte ihre für den Fischfang unbequemen Costiime, diese
Mäntel, die einen Fuss lang nachschleppcn, diesen Petrus, der so ein-
gewickelt ist in Franzen und Falten, dass er kaum niederknieen kann,
um die Schlüssel von Christus zu empfangen, man sehe die unwahre
Composition der Apostel, die nicht, wie es die Situation verlangt,
sich in einem Knäuel um Christus schaaren, sondern parademässig
in einer Linie aufgestellt sind, um nur ja gesehen zu werden und
den Eindruck des griechischen Basrelief nicht zu stören. Dazu im
XXIX. Der Realismus in England
491
Holman Hunt: Die beiden Veroneser.
Hintergrund — obwohl die Scene sich in Palästina abspielt — eine
schöne italienische Landschaft mit Renaissancevillen und Kirchen.
Wir fühlen, wie unser Glaube an das Ereigniss mit einem Male er-
lischt, nichts bleibt davon, als ein Ragout von Mänteln, ein Firlefanz
von muskulösen Armen und wohl frisirten griechischen Büsten. Durch
Rafaels leere Eleganz ward Alles verdorben, was an der Legende Zartes
und Ernstes, Grandioses und Heiliges ist. Er hat aus der duftigen
biblischen Dichtung ein leeres Arrangement schöner, schön gebauter,
schön gestellter, schön drapirter, schön gruppirter Menschen gemacht.«
In Wahrheit hätten Christus und Petrus, Moses und Elias, David und
Paulus, überhaupt noch keine Verkörperung in der Malerei gefunden,
denn die Gestalten der Cinquecentisten und ihrer Nachahmer könnten
ebensogut griechische Jünglinge oder antike Zeusköpfe vorstellen.
Paulus war in Wirklichkeit ein hässlicher kleiner Jude, hier steht ein
Herkules da, der nachdenklich die Hand auf das Schwert eines Eroberers
stützt. Ein Kinderspiel, mit Geschick diese traditionellen Typen stets
von Neuem zu wiederholen. Der Charakter des Göttlichen aber
sei nicht durch solchen Pomp, durch ideale Schönheit, heidnischen
492
XXIX. Der Realismus in England
Schwung der Linien und reiche Draperien zu erzielen. Auch bei
solchen Darstellungen sei strenge Naturwahrheit mit Ausschluss
alles ldcalisircns geboten. Ist Joseph oder Maria zu malen, so
studire man in der Bibel genau ihre Charaktere und suche dann,
bis ein Modell gefunden, das möglichst diesem Charakter ent-
spricht; ist dieses aber entdeckt, so ist jede Modificirung und
Verallgemeinerung des von der Natur Gegebenen zu meiden.
Wir fassen die Gestalten der Religion heute tiefer, geistiger, myst-
ischer, als irgend eine frühere Zeit es gethan. Dieses vertiefte,
modern mystische Element muss auch zum Ausdruck kommen im
Kunstwerk.
Damit berührt Ruskin den dritten Punkt. Er protestirt im
Namen der jungen Schule nicht nur gegen die eingerosteten akadem-
ischen Gewohnheiten, gegen die Theaterpose und sklavische Nach-
ahmung der Cinquecentisten. Die plastische Epoche der Malerei,
lehrt er, sei überhaupt vorüber. Der herrschende Charakter ist nicht
mehr der Ephebc, der im Gymnasium die Geschmeidigkeit seines
Körpers übt, sondern der Mann im schwarzen Anzug, der allein in
seinem Zimmer arbeitet. Deshalb könne auch Kraft und Schönheit
des Körpers nicht mehr oberstes Object der Kunst sein; in einer
ganz intellectuellen Epoche müsse die Malerei ebenfalls folgen und
an Stelle der reinen Form den geistigen Ausdruck zum Gegenstand
ihres wichtigsten Studiums machen : nicht nur die grossen, starken,
herrschsüchtigen Gefühle, die gebietend in den Vordergrund treten
und von den Historienmalern theatralisch äusserlich commentirt
wurden, auch die kleinen, feinen, die verschwiegen ein halbes
Traumleben führen, leise in innerster Seele zittern und manchmal
wie ein schwacher Blitz hervorleuchten, dünn und blass und im
Nebel zerfliessend, ehe sie noch feste Gestalt gewonnen. Religiös
mystisch und voller Gedanken — dabei im höchsten Grade natur-
wahr — müsse die Kunst der neuen Zeit sein, und darin, dass die
jungen Gründer der Praerafaelitenbruderschaft dies zuerst erkannt,
beruhe ihre bahnbrechende Bedeutung.
Holman Hunt ist unter ihnen derjenige, der an diesen ursprüng-
lichen Principien der Bruderschaft Zeitlebens am consequentesten
festhielt. Tiefe des Gedankens bis zur gänzlichen Unfindbarkeit des-
selben zeichnet ihn aus, oft eine Tiefe des Geistes, in die kein Taucher
kommt, zugleich aber ein eckig knorriger Realismus, der in der ganzen
europäischen Kunst des Jahrhunderts kaum seines Gleichen hat.
XXIX. Df.r Realismus in England
493
Die »Flucht Magdalenas«
nach Keats’ »Eve of St. Ag-
nes« war das erste Bild, des-
sen Stoff er 1848 diesem
seinem Lieblingsdichter ent-
nahm. In dem Werk, auf dem
er sich erstmals als Mitglied
derPraerafaelitenbruderschaft
bekannte, hatte er schlicht
und treuherzig die Scene aus
dem Einleitungskapitel von
Bulwers Rienzi erzählt: Wie
Rienzi an der Leiche seines
Bruders knieend dem hin-
wegreitenden Mörder Rache
schwört. Die Composition
vermeidet alle herkömmliche
Pyramidalconstruction. Im
Vordergrund ist jedes Blüm-
chen gemalt und coloristisch
ehrlich jede Farbe ohne tra-
ditionelle Abtönung neben die
andere gesetzt. Sein drittes
Bild »die Verfolgung christ-
licher Missionäre durch Dru-
iden«, gehört nicht zu sei-
nen glücklichen Leistungen.
Es ist erzwungene altmeister-
liche Naivetät, zwei ganz ver- Holmau Hunt: Christus als Licht der Welt.
schiedene Scenen auf einer
Leinwand zu vereinen: im Hintergrund, bloss durch die ausgestreckten
Arme sichtbar, ein Druide, der das Volk zur Ermordung der Missionäre
aufwiegelt, Verfolger und Flüchtende; im Vordergrund eine nach
allen Seiten offene, in Wahrheit gar keinen Schutz gewährende
Hütte, in der sich trotzdem Priester verborgen halten und von den
bekehrten Druiden gepflegt werden. Nur die Zeichnung der nackten
Körper ist ein bewundernswerthes Stück Realismus, bewunderns-
werth auch, wie er die Angst der Geflüchteten, die fanatische Blut-
gier der Verfolger ohne alles falsche Pathos, ohne jede Rhetorik einer
494
XXIX. Der Realismus in England
herkömmlichen Geberdensprache
zum Ausdruck brachte. Das Bild
aus Shakespeares beiden Veronesern:
»Death is a fearful thing and shamed
life a hateful« ist im Arrangement
vielleicht theatermässig geblieben,
im psychologischen Ausdruck aber
gleichfalls überzeugend und ernst.
Die mikroskopische Naturwahr-
heit, die den ersten Paragraphen
im Programm der Bruderschaft
bildete, ist bei Hunt auf die aller-
höchste Spitze getrieben. Jede
Blume und jede Aehre, jede Feder
und jedes Hähnchen, jedes Baum-
rindenstück und jede Muskel ist
mit scrupulöser Genauigkeit gemalt. Auf ihn bezieht sich der Witz,
den man von den Praeraphaeliten erzählte: wenn sie eine Landschaft
zu malen hätten, pflegten sie einen Grashalm, ein Blatt und ein
Stück Baumrinde mit in’s Atelier zu nehmen und diese so viel tau-
sendmal mikroskopisch zu vervielfältigen, bis die Landschaft fertig.
Seine Werke sind der Triumph des Fleisses und gerade deshalb kein
Genuss für das Auge. Die pedantisch kleinliche Naturwahrheit schadet
der Wirkung des Ganzen, und die harten Farben, scharfes Grün,
lebhaftes Gelb, grelles Blau, glühendes Roth, die Hunt unvermittelt
nebeneinandersetzt, geben seinen Bildern etwas Zerrissenes, Barbar-
isches, Brüskes. Doch als Reaction gegen eine manierirt gewordene
Routinenmalerei war eine solche Wahrheit ohne jedes Compromiss,
solch peinliches Streben nach möglichster Naturtreue gerade in seiner
Schroffheit von epochemachender Bedeutung.
Auch hinsichtlich des transcendentalen Inhalts seiner Bilder
ist Hunt vielleicht der echteste der Gruppe. In der ganzen
Kunstgeschichte gibt cs keine religiösen Bilder, in denen rücksichts-
losester Naturalismus mit pictistischer Gedankentiefe einen so merk-
würdigen Bund geschlossen. Das erste, das er auf die Ausstellung
1854 schickte, das Licht der Welt , stellte Christus dar, wie er
in goldgesticktem Mantel, eine Laterne in der Hand, durch die
Nacht wandelt, wie ein göttlicher Diogenes, der Menschen sucht,
während der Mond die Gloriole hinter seinem Haupte bildet. Taine,
XXIX. Df.r Realismus in England
495
Matlox Brown: Lcurs Huch.
der das Bild unbefangen ohne Katalog betrachtete, beschreibt es ohne
weiteren Zusatz als »Christus, Nachts mit einer Laterne«. Für Hunt
ist der Inhalt das Christenthum , das mit seinen Strahlen das Uni-
versum erleuchtet, das mystische Licht des Glaubens, das die Finster-
niss des Unglaubens durchbricht. Und wegen dieses hineingelegten
Sinnes machte das Werk in England unbeschreibliches Aufsehen, musste
wandern von Stadt zu Stadt und ward im Kupferstich in Hundert-
tausenden von Exemplaren verkauft. Der Pietismus dieses asketischen
Praedicanten war so kräftig, dass er selbst Bilder wie 1856 den
Sündenbock wagen konnte, ohne der Komik zu verfallen. Dieser
Sündenbock, der mit den Verbrechen einer Nation beladen inmitten
der Miasmen des schwarzen Meeres elend zu Grunde geht, ist ein
ganz gewöhnlicher weisser Bock, jedes Härchen seines Felles ist mit
unglaublicher, an Wahnsinn streifender Geduld gemalt, und doch liegt
in dem phosphorescirenden Auge etwas Transscendentales, Ueber-
irdisches, wodurch man verhindert wird, zu lachen. Eine merk-
würdige, tief stimmungsvolle violette Landschaft bildet den Hinter-
grund. Um den Kopf ballt sich die hochrothe Gluth der orien-
talischen Sonne zu einem mystischen Nimbus zusammen. Rings-
um tiefe Stille und Einsamkeit, nur durch das klagende Blöcken
496
XXIX. Der Realismus in England
des unheimlichen Thieres durchbrochen. Das Streben nach grösst-
möglicher Localwahrheit hatte Hunt, als er diese biblischen Bilder
begann, nach dem Orient geführt. Er verbrachte mehrere Jahre in
Palästina, um die Bodenverhältnisse, die Bauten, das Volk zu studiren,
und bemühte sich dann mit Hülfe dieser Menschen und landschaft-
lichen Scenerien, die biblischen Vorgänge zugleich mit archivalischer
Treue zu reconstruiren. Er kennt das Menu des von den Engeln
Christo in der Wüste servirten Mahles und stellt die Werkzeuge
bei der Geisselung mittels authenticirter Reliquien fest. Er beschreibt
den Apostel Paulus, als hätte er ihn selbst gesehen: Paulus war
klein, etwas krumm, kahl, von gewinnender Miene, breiter Juden-
nase, langem graulichen Bart; bei der Hinrichtung war sein Kopf
von einem durchsichtigen Schleier umwunden ; als Binde der Augen
diente die toca, die ihm Plautilla verehrte. Diese Forderung geschicht-
licher Treue war an sich nichts Neues. Schon Horace Vernet und
seine Nachfolger hatten sie verlangt, aber Hunts überzeugter Pietis-
mus erhebt sich hoch über die trocken verstandesmässige , lediglich
ethnographische Art des Franzosen. Um das Bild »der Schatten
des Todes« zu malen, hat Hunt genau das von Ruskin aufgestellte
Programm befolgt. Er suchte im Orient so lange, bis er einen
Juden fand, der seiner Vorstellung von Christus entsprach, und malte
ihn, einen starken, kräftigen Menschen, den echten Zimmermanns-
sohn, mit derselben erstaunlichen Naturtreue ab, mit der Hubert
van Eyck einst seinen Adam malte. Selbst die Haare an der Brust
und den Beinen sind ohne hässliche Uebertreibung so getreu wieder-
gegeben, als sähe man das Modell im Spiegel. In der Nähe dieses
nackten, nur mit einem Schurzfell bekleideten Zimmermanns kniet
eine moderne Orientalin, über eine Truhe gebeugt, in der ver-
schiedene orientalische Geräthe liegen. Hobelspähne bedecken den
Boden. Bis hieher also ein naturalistisches Bild aus dem modernen
Orient. Nun aber setzt Hunts Pietismus ein: Feierabend ist’s , die
Sonne wirft die letzten ersterbenden Strahlen in die Stube, der
Zimmermannsgesell streckt müde die Arme aus, und der Schatten
seines Körpers zeichnet auf die Wand die prophetische Figur des
Kreuzes. Ein anderes Bild stellte »die Auffindung unseres Herrn
im Tempel«, ein drittes, die verirrte Heerde dar, die vertrauensvoll
dem guten Hirten ins Haus seines Vaters folgt. Ueber seine Flucht
nach Aegypten oder, wie er selbst das Bild nannte, den »Triumph
der unschuldigen Kindlein« gab er selbst eine Broschüre von zwölf
XXIX. Der Realismus in England
497
Seiten heraus, worin
er mit der Treue des
Historikers, fast mit
der Waschzettelmanie
des Goetheforschers,
über alle dazu gehör-
igen geschichtlichen
Thatsachen spricht: in
welchem Monat und
auf welchem Wege die
Flucht erfolgte, wie alt
Christus war, welcher
Race der Esel ange-
hörte, was für Kleider
der heilige Joseph und
Maria trug. Einen wis-
senschaftlichen Gom-
mentar zur Bibel wollte
er geben und trotz aller
archivalischen Stu-
dien, die mehr wie todt-
geborene Grillen eines
Pedanten wirken, ward
das Ganze schliesslich
ein Werk von unver-
welklicher Frische. Die liebenswürdig kindlichen Madonnen der
Italiener sind nach Hunts Auffassung heterodox, »weil Maria seit ihrer
Empfängniss Vernunft, Willensfreiheit, Contemplation , eingegossene
natürliche und übernatürliche Wissenschaft bcsass.« Seine Maria ist
also nicht die Jungfrau Maria, die Gottesmagd, das sinnig träumer-
ische Mädchen Peruginos, sic ist ein reifes ernstes Weib, das die
Verantwortlichkeit ihres Amtes empfindet, keiner der herkömmlichen
Typen, doch so hoheitsvoll, dass man glaubt an die göttliche Mission,
zu der das Geschick sie bestimmte. Selbst das Christkind hat nichts
vergilbt Gelehrtes, altmeisterlich Nachempfundenes, cs ist ein paus-
backiger gesunder Junge. Dick und fett, echte englische Kinder, die von
blutigem Roastbeef leben, sind auch die kleinen unschuldigen Kindlein,
die Geister jener Erstgeborenen, die als früheste Märtyrer des Christen-
thums für den Heiland starben und nun als wegweisende Engelein
Madox Brown : Romeo und Julie.
Mutlur, Moderne Malerei II.
32
498
XXIX. Df.r Realismus in England
um die heilige Familie spielen. Nur Wenige sind im 19. Jahrhundert
solchen Aufgaben selbstständiger entgegengetreten. Keiner hat rück-
sichtsloses, bis in die weiteste Consequenz getriebenes Naturstudium
mit so überzeugender ethischer Wahrheit vereint. Hunt gab der
vordem kleinlichen englischen Kunst einen ernsten, tiefen religiösen
Charakter. Das erklärt den gewaltigen Eindruck, den er auf seine
Zeitgenossen machte.
Ihm technisch am meisten verwandt ist Madox Brown, der sich
officiell zwar nicht den Praerafaelitcn beirechnete, hinsichtlich der
Detailbehandlung aber dieselben Grundsätze befolgte. Nur wenig
älter als die Begründer der Bruderschaft — er zählte damals 29
Jahre — war er ihr reiferer Freund und Vorläufer. Rossetti
täuschte sich nicht, als er im Beginne seiner Studien gerade an ihn
sich wandte : Brown war in jenen Jahren der einzige englische
Maler, der sich nicht mit den Trivialitäten des kleinen Genre, dem
Theaterpathos der herkömmlichen Historie abgab. Er ist ein kühner,
mit dramatischer Kraft begabter, zu ganz ungewöhnlicher C011-
centration veranlagter Künstler, und diese Eigenschaften verhinderten
ihn auch, der Lehre der Praeraphaeliten bis in alle Consequenzen
zu folgen. Hätte er nach deren Programm sich ausschliesslich auf
die Arbeit nach dem lebenden Modell beschränkt, so wären ver-
schiedene seiner mächtigsten , ergreifendsten Bilder ungemalt ge-
blieben. Was er anstrebte, war durch Beobachtung allein nicht zu
gewinnen, das stürmte tief aus dem Herzen hervor, einem Herzen,
das selbst sinnlich glühte und flammte und sprühte.
Madox Browns Jugend verfloss auf dem Continent — in Ant-
werpen bei Wappers, in Paris und Rom. Die Bilder, die er dort
im Beginne der 40er Jahre malte, standen technisch noch unter
Wappers’ Einfluss. Die Stoffe waren Byron entnommen : der Schlaf
Parisinas und Manfred auf der Jungfrau. Nur im zweiten ist schon
ein selbständiges Vorgehen ersichtlich. Er strebte — im Gegensatz
zu den Allgemeinheiten der Wappers-Schule — nach Vertiefung
des Psychologischen und Exactheit des Costümes, bemühte sich
zugleich, obwohl erfolglos, an Stelle der conventioneilen Atelier-
beleuchtung die genau beobachtete Wirkung des Freilichts zu setzen.
Diese drei Dinge — Echtheit der Farbe, des geistigen Ausdruckes und
historischen Charakters — blieben fortan seine Hauptsorge. Und als
sein Carton Harold, den er 1844 in Paris gemalt, in Westminster-
Hall zur Ausstellung kam, war es hauptsächlich dieses skrupulöse
XXIX. Der Realismus in England
499
Suchen nach Wahrheit, was auf
diejüngeren einen so lebhaften Ein-
druck machte. In dem ersten
Hauptwerk, das er, nach London
zurückgekehrt, 1848 malte, steht er
schon in ganzer schroffer Eigenart
da. Die tragischste Stelle in dem
tragischsten der grossen Dramen
Shakespeares, Lcars Fluch, ist
darin mit zwingender Wucht be-
handelt. Das war eine Opposition
gegen die herkömmliche Historien-
malerei, so schroff, dass vielleicht
niemals in schärferer Weise gegen
das allgemein Gültige opponirt ward.
Die Figuren stehen bunt und steif
wie Kartenkönige da, ohne Linienschwung und allgemeine rundliche
Schönheit. Ebenso zusammenhangslos ist die Farbe. Die braune
Sauce, der sich Alle bisher wie einer zwingenden Gesellschaftsnorm
beugten, ist der hellen Farbenfreudigkeit und halbbarbarischen Bunt-
heit alter Miniaturen gewichen. Erst wenn man die geistreichen
Details verfolgt, die nur dem grossen psychologischen Effekt dienen,
wächst das äusserlich abstossende Bild zu einem gewaltigen Kunst-
werk empor, einem Werk von tiefer menschlicher Wahrheit. Nichts
ist der Pose, dem schönen Schein, der Theateraffectirtheit geopfert.
Gleich den deutschen Meistern des 15. Jahrhunderts schwächt
Brown das Hässliche nicht ab, auch Holbein that es nicht, als er
die aussätzigen Bettler seines Sebastiansaltars malte. Jede Gestalt,
ob hässlich ob schön, in Haltung, Gesichtsausdruck, Bewegung ist
ein Charakter von starrer, strammer Härte, von jener concentrirten
Lebensfülle, die in die holzgeschnitzten Altarfiguren des Mittelalters
geschnürt ist: der alte Lear mit seinem verwitterten Gesicht und
wogenden Bart, die neidische Regan, die kaltgrausame, ehrgeizige
Goneril, Alban mit seinem schönen nichtssagenden Männerkopf,
der dicke brutale Cornwall; Burgund, der unentschlossen an den
Nägeln beisst, und Cordelia in ihrer rührenden linkischen Grazie.
Mit dieser eckigen Unbefangenheit des Primitiven verbindet er die
tiefe Gelehrsamkeit des modernen Historikers. Alle archaeologischen
Details, die altbritischen Costüme, Kleinode, Frisuren, Waffen, Möbel
John Everelt Millais.
500
XXIX. Der Realismus in England
Millais: Loren^o und Isabella.
und Teppiche sind mit Menzel'scher Genauigkeit studirt. Akademische
Compositionsregeln kennt er nicht, die Gewänder fallen natürlich,
ohne kleinliche Zugaben schöner Falten und hübscher Motive. Ganz
staunenswerth ist auch die Macht des Ausdrucks, das ernste tiefe
Pathos, das er in Gesten und Physiognomien erreichte.
Brown ist ein rücksichtsloses, kühnes Talent von südlicher
Gluth und wilder Romantik, in die Familie der mächtig kraftvollen
Realisten gehörig, der in Frankreich Delacroix, in Deutschland
Victor Müller entstammte. Auch das Bild, in dem er die Balkon-
scene aus Shakespeares Romeo behandelte, ist gleich dem vorigen
äusscrlich abstossend, aber wie hohl wirkt das Theaterpathos Makarts
neben dieser urkräftigen Sinnlichkeit, dieser Intensität des Ausdrucks.
Julias Kleid ist niedergesunken, willenlos, ohne zu denken, mit ge-
schlossenen Augen, halbnackt, nervös vibrirend im Nachgenuss der
vergangenen Stunden , überlässt sie sich den letzten feurigen Um-
armungen Romeos, der schon in stürmischer Hast mit dem Fusse
die Strickleiter sucht. Ein noch schwereres Problem hat er in dem
Bilde »Elias und die Wittwe« gelöst.
XXIX. Df.r Realismus in England
501
Millais: Christus im Hause seiner Ellern.
»Schaue, dein Sohn lebt, heissen die Worte der Bibel, mit
denen der greise Eiiah den vom Tode erweckten , noch in seine
Leichentücher gehüllten Knaben zu der verzweiflungsvoll am Fusse
der Grabkammer knieenden Mutter hinabträgt. Die Frau antwortet:
jetzt erkenne ich, dass du wirklich ein Mann Gottes bist.« Auch bei
der Verkörperung dieser Scene hat Brown in Costüm und Beiwerk
die volle Uebereinstimmung der Figuren mit dem Charakter der
Epoche angestrebt, von ganz genauem Studium der assyrischen und
ägyptischen Monumente den Ausgangspunkt genommen. Selbst die
Inschriften an der Wand und die ägyptischen Alterthümer ent-
sprechen alten Originalen. Zugleich aber ist den Gestalten selbst
der Odem neuen Lebens gegeben. Elias sieht aus wie ein wilder
Urmensch, nicht wie ein Heiliger des Cinquecento. Die Ekstase der
Mutter, das Erstaunen des Kindes, dessen grosse noch des Lichtes
ungewohnte Augen traumhaft suchend wieder in die Welt blicken,
nachdem sie die Mysterien des Todes gesehen — das ist mit
erstaunlicher Gewalt, einer Feinfühligkeit für Ausdrucksnuancen ge-
schildert, die bisher jeder Wiedergabe zu spotten schienen. Die derbe,
aber schlagende Seelenmalerei Hogarths hat das hohl pathetische
Schönheitsideal der älteren Historienmalerei verdrängt. Die Beob-
achtung der äusserlichen Wahrheit, aller Details von Zeit und Ort,
)02
XXIX. Der Realismus in England
verbunden mit einer poetisch-
psychologischen Wahrheit, die
in der Kunst des 19. Jahr-
hunderts ihres Gleichen sucht
— das ist das Wesen von
Madox Brown. Die einzigen
Worte, die ihn kennzeich-
nen können, sind: Wucht,
Leidenschaft, Grösse und
Wahrheit. Sein Glaubens-
bekenntniss, das er auch als
Schriftsteller formulirte, gipfelt
in dem Satze: das Mittel der
Kunst ist die Wahrheit, ihr
Object die Erregung der Seele
— was er mit den zwei
Worten ausdrückt : Emotio-
nal Truth.
Während Hunt und Brown
an den praerafaelitischen Prin-
Millais : Der Hugenott. cipicn zeitlebens festhielten,
bedeutete für John Everett
Millais, den jüngsten der drei, das Praerafaelitenthum nur ein
kurzes Durchgangsfeld, eine Phase seiner künstlerischen Entwick-
lung, auf die der grosse Enkel des Reynolds heute wie auf eine
Jugendeselei zurückblickt.
Sir John ist 64 Jahre alt. Er war am 8. Juni 1829 in South-
ampton geboren, wohin seine Familie aus Jersey gekommen, ist also
nach seiner Abstammung halber Franzose. Seine Kinderjahre ver-
brachte er in Dinant in der Bretagne und trat mit neun Jahren in
eine Londoner Zeichenschule ein — der kleine blonde Bube mit
holländischer Blouse, breitem Gürtel und grossem Matrosenkragen,
den John Phillip damals malte. Mit 1 1 Jahren bezog er, wohl als
jüngster Schüler, die Royal Academy, als 13 jähriger erhielt er eine
Preismedaille für die beste Zeichnung nach der Antike, mit 15 Jahren
malte er schon und mit 17 stellteerein Historienbild die »Gefangen-
nahme des Inka durch Pizarro« aus, das von den Kritikern als das
beste der Ausstellung von 1846 gerühmt ward. Mit dem 1847 aus-
gestellten Werke »Elgiva« endete diese erste Periode des Malers, in der
XXIX. Der Realismus in England
503
er den Bahnen des heute
vergessenen Hilton folgte.
Das nächste, »Lorcnzo und
Isabella«, heute in der Wal-
ker Art Gallery in Liverpool,
trug als sein neues Glaubens-
bekenntniss das P. R. B. An
die Stelle der breiten Bravour
und leeren Nachahmung der
Cinquecentisten ist eine mi-
kroskopisch genaue Detail-
malerei getreten. Der Stoff
war Keats’ poetischer Ver-
sion einer Erzählung Boc-
caccios — »Pot of Basil« —
entnommen. Eine florentin-
ische Gesellschaft im Costüm
des 1 3. Jahrhunderts ist beim
Mittagessen versammelt.
Lorcnzo, bleich, in verhal-
tener Aufregung, sitzt neben der minniglichen Isabella und schaut
ihr mit tiefem, verzehrenden Blick in’s Auge. Lsabellas Bruder, darüber
ärgerlich, gibt dem Hund einen Fusstritt. Alle Personen an der
Tafel sind Bildnisse. Für den Geliebten Isabellas hat der Kritiker
F. G. Stephens, für den Zecher rechts hinten, der das Glas zum
Munde führt, Dante Rossetti gesessen. Selbst die Ornamente auf der
Damastdecke, der spanischen Wand und der Tapete des Hintergrundes
sind Strich für Strich mit der Hingebung eines Primitiven gemalt.
Dem Farbenglanz Jan van Eycks vereint sich die Empfmdungssiissig-
keit Peruginos und der chevalcrcske Geist des Decamerone ist mit
der Sicherheit eines feinsinnigen Literarhistorikers erfasst.
Die Arbeit von 1850: »Christus im Hause seiner Eltern« illustrirte
die Bibelstelle Zachariah XIII. 6: »Und wenn einer unter ihnen sagt:
Was sind das für Wunden an deinen Händen, so antworte ihnen:
Es sind die, mit denen ich im Hause meiner Freunde verwundet
ward«. Der Knabe Jesus, der vor der Hobelbank steht, hat sich die
Hand verletzt. St. Joseph beugt sich vorüber, die Wunde zu be-
trachten, Maria kniet neben dem Kinde, bemüht, es durch Lieb-
kosungen zu trösten, während der kleine Johannes Wasser in einem
Millais: The Yeoman of tbe Guard.
5 04
XXIX. Der Realismus in- England
hölzernen Gefäss herbeibringt.
Auf der anderen Seite steht
die alte Anna, im Begriff, den
Nagel, der das Unheil ver-
schuldete, aus dem Holzwerk
zu ziehen. Ein Geselle ar-
beitet emsig an der Hobel-
bank. Der Fussboden der
Werkstatt ist mit Spähnen be-
deckt, an den Wänden hängen
Werkzeuge umher. Die
Quattrocentisten waren auch
bei der Fassung dieses Stoffes
massgebend. Asketische
Herbigkeit ist an die Stelle
idealer Gewänder , Eckig-
keit an Stelle edlen Linicn-
sclnvungs getreten. Beson-
deren Anstoss erregte die
Gestalt der Maria, die in
ihrem gelben Kopftuch einer Bürgersfrau aus London glich.
Millais hat bis in die siebziger Jahre solche Bilder aus der Bibel,
den englischen und mittelalterlichen Dichtern mit sehr verschiedenem
Erfolg gemalt. Eines, das mit seinen glänzenden Farben wie ein
altes Glasgemälde aussah, schilderte die Rückkehr der Taube zur
Arche Noah. Den Mittelpunkt bildeten zwei schlanke, junge Weiber
in mittelalterlichem Costüm, die in ihren zarten Händen den athem-
losen Vogel aufnahmen. Das Bild »des Holzfällers Tochter war
die Illustration zu einem Gedicht C. Patmores von der Liebe eines
jungen Fdelmannes zu einem armen Waldkind. In einem Halb-
rundbild von 1852 malte er Ophelia, wie sie, die halboffenen Lippen
vom süssen Lächeln des Wahnsinns umspielt, singend in dem grünen
Weiher liegt, dessen weisse Wasserblumen sie wie Todtenkränze be-
decken. Das andere Bild des Jahres, der Hugenott«, stellte zwei
Liebende dar, die in einem alten Park am Abend vor der Bartholomäus-
nacht Abschied nehmen. Sie windet eine weisse Schärpe um seinen
Arm, damit dies Abzeichen der Katholiken ihn vor dem Tode schütze,
doch er schiebt sanft ihre Hand zurück. Beide machen keine Be-
wegungen, sie sind ruhig, alle Empfindungen wenden sich nach
Millais: Gladstone.
XXIX. Der Realismus in England
505
innen. Die Stimmung des
Menschen, der vorder schwar-
zen Thür des Todes steht, die
moralische Kraft, die seine
Schrecken überwindet, die
ganze Feierlichkeit des Ab-
schiedes vom Leben kommt
in den Blicken des Mannes
zum Ausdruck. Eine Welt
von Liebe liegt in den Augen
der Frau. Millais hat dieses
Problem des liebenden Weibes
noch oft ohne süssliche Sen-
timentalität mit ernstem, fast
finsterem Realismus behan-
delt. Der »Entlassungsbefehl«
von 1853 zeigte einen Ker-
kermeister in der scharlach-
rothen Uniform des 18. Jahr-
hunderts, wie er die schwere
Thür eines Gefängnisses öff-
net, um einen schottischen
Hochländer herauszulassen, für den seine Frau die Entlassung
erwirkte. Der »geächtete Royalist« behandelte eine Scene aus
dem 17. Jahrhundert: wie ein Edelmann, in einem hohlen Baum
verborgen, die Hand des graziösen zitternden Weibes küsst , das
ihn mit Lebensgefahr täglich mit Nahrung versorgt. Der »Schwarze
Braunschweiger« von 1856 beschloss diesen Cyclus von stummen,
bewegungslosen Dramen. Auf dem Bilde von 1857 Sir Isumbras
an der Furth« reitet ein alter Ritter an einem schwülen Junitag im
Zwielicht heimwärts. Der Staub der Tagesreise liegt auf seiner
goldenen Rüstung. An einer Furth hat er zwei Kinder getroffen
und zu sich emporgehoben, um sie über das Wasser zu bringen.
The Vale of Rest — ein Bild von tiefer intensiver Farbenstimm-
ung, ernst und melancholisch wie ein Requiem — zeigte — ein
wenig lessingisch in der Empfindung — einen Klostergarten, wo im
Abendlicht zwei Nonnen still ein Grab bereiten. Der »Vorabend von
St. Agnes« (1863) illustrirte dasselbe Gedicht von Keats, dem Holman
Hunt zehn Jahre vorher sein Jugendwerk gewidmet. Magdalena hat
Millais: Madame Bischoffsheirn.
50 6
XXIX. Der Realismus in England
Millais: IVbist Dreien.
von der alten Legende gehört, dass junge Mädchen am St. Agnestag
die zarte Huldigung ihrer unbekannten Verlobten empfangen können,
wenn sie nackt um Mitternacht ihr Abendgebet sprechen. Das Herz
voll Liebesgedanken, verlässt sie den Saal, wo die Gäste beim heiteren
Mahle sitzen, steigt hastig nach ihrem Zimmer empor, so schnell,
dass ihr kleines Licht unterwegs verlischt. Sie tritt in ihr Kämmer-
chen, kniet nieder, sagt ihr Sprüchlein, erhebt sich, nimmt den
Schmuck ab, löst ihre Haare. Der klare Mondschein fällt zum Fenster
herein, beleuchtet gespenstisch die kleinen Heiligenbilder des Zimmers,
hüpft kosend über den jungen Busen des Mädchens, spielt rosig auf
ihren gefalteten Händen, lässt ihr langes blondes Haar wie in duftigem
Heiligenschein erstrahlen. Im Schatten des Bettes sieht sie ihn, der
sie liebt. Bewegungslos, träumerisch bleibt sie stehen, wagt sich
nicht abzuwenden aus Furcht, dass die schöne Vision zerfliege. — Die
»Befreiung einer zum Feuertod verurtheilten Ketzerin«, Jeanne d’Arc,
Aschenbrödel, »Letzte Rose«, dies träumerische Bild von romantischer
Eleganz, die Kindheit Walter Raleighs, der greise Moses, der auf
Hur und Aaron gestützt vom Berggipfel den Sieg Josuahs erschaut —
XXIX. Der Realismus in England
507
Millais: October.
waren die Hauptwerke aus den späteren Jahren des Meisters. Doch
als diese Bilder entstanden, hatte England schon sich gewöhnt, in
Millais keinen Praerafaeliten, sondern seinen grössten Porträtmaler
zu verehren.
Sein Selbstbildnis erklärt diese Wandlung. Sir John sieht mit
seinem weissen Leinenjacket und frischen wettergebräunten Gesicht
nicht im Entferntesten einem »Romantiker«, kaum einem Maler, eher
einem reichen Gutsbesitzer gleich. Noch heute ist er ein grosser
Nimrod und Sportsman. Seine Photographien stellen ihn gewöhn-
lich im Jagdcostüm des schottischen Hochländers, auf dem Lachs-
fischfang oder als Parforcereiter dar. Er ist eine gerade, gesunde Natur,
ein grosser, zielbewusster, energischer Meister — aber ein Poet in
Ruskins Sinne ist er nie gewesen. Sein Praerafaelitenthum war nur
Flirtation, seine Sinnesart zu concret, seine Hand zu mächtig, als
dass er auf die Dauer in der Welt der englischen Dichter bleiben, bei
der kleinlichen Mal weise der Praerafaeliten hätte aushalten können.
Millais wird weit gehen, wenn er sich herbei lässt, die Stiefel zu
508
XXIX. Der Realismus in England
Millais: Die Nordwestpassage.
wechseln, hatte About zur Weltausstellung 1855 geschrieben — als
die von 1867 eröffnet ward, war Millais in vollständig neuen Schuhen
erschienen. Die grosse Ausstellung in Manchester 1857, die zum
ersten Mal bekannt gab, was englischer Privatbesitz an Werken des
Velazquez birgt, hatte ihm verholfen , sich selbst zu finden. Vom
Naturalismus der Quattrocentisten ging er zum Naturalismus des
Velazquez über.
Millais war zum Bildnissmaler geboren. Sein kühles und doch
feinfühliges Wesen, sein einfacher männlicher Charakter wies ihn auf
dieses Fach, das mehr zum beobachtenden nachahmenden als zum
schaffenden Pol der Kunst gravitirt. In seinen Bildern weiss er zu
bezaubern und abzustossen — zu wirklich definitiven Ergebnissen ist
er im Porträt gekommen. Alle seine Bildnisse sind ebenso zwingend
wie sachlich. Mit den Venezianern und Velazquez gehört Millais zu
den Koryphäen des grossen Stils, der auf dem grossen Zug der Linien
beruht, in Gestalt wie Antlitz, auf der breiten Anlage der Flächen,
auf der strengen Unterordnung der Einzelheiten. Seine Figuren sind
XXIX. Der Realismus in England
509
schon als Silhouette
charakteristisch und
wiedererkennbar. Er
unterliess, sic durch
malerische Attitüden
interessant zu machen
oder durch eine Situ-
ation zu beleben. Sie
stehen ruhig da, zu-
weilen steif und kalt,
machen keine Con-
versation mit dem Be-
trachter, gehen nicht
aus sich heraus, son-
dern fixircn ihn vor-
nehm , gleichgültig.
Auch die Hände wer-
den nicht zur Cha-
rakteristik verwendet.
Künstlern, die auf Ein-
heit der Wirkung aus-
gehen, sind Hände nie
bequem, da sie zum Ge-
sicht in Farbe und Aus-
druck einen unerwünschten Contrapost bilden. Van Dyck allein
kokettirte damit — nicht ohne eine schablonenhafte Fadheit.
Millais ist immer bedacht, sie unschädlich zu machen. Er fesselt
sic an eine Stuhllehne, steckt sie in Handschuhe verschiedener
Art, lässt sie halb verschwinden in einem weissen Taschentuch,
schliesst die geschwätzigen Finger fest zusammen in einem bedeut-
ungslosen faustartigen Griff oder lässt sie in skizzenhaftem Embryo-
zustand, fertigt sie ab mit leerem Contur. Die ungemeine Intensität des
Lebens, die aus seinen gross und einfach hingestellten Figuren sprüht,
ist fast ausschliesslich in den Köpfen concentrirt. Millais ist vielleicht
der erste Charakteristiker unter den Neueren. Einem kühnen mächtigen
Vortrag gesellt sich ein eminenter psychischer Blick. Die Augen, die
er malt, sind wie Fenster, durch die man in die Seele hineinsieht.
Unter seinen männlichen Bildnissen stehen diejenigen Gladstones
und Hooks in erster Reihe: als Malereien vielleicht nicht hervor-
Holmon Hunt: Das Erwachen des Gewissens.
5io
XXIX. Der Realismus in England
Madox Brown: The last oj England.
ragend, beide von einem opaken, rusigen Ton, an dein Millais’ Ar-
beiten nicht selten leiden, aber als Definitionen complicirtcr Per-
sönlichkeiten nur mit den besten Bildern Lenbachs vergleichbar.
Wie fest trotz seines Alters steht der Staatsmann da, der alte ideo-
logische Holzhacker, eine echt englische, aus hartem Holz gezimmerte
Gestalt. Das Spiel des Lichtes sammelt alles Interesse auf den
ernsten, feinen, faltigen Zügen, der hohen Stirn, dem energischen
Kinn, den feuchten, gedankenvollen Augen. Die ganze Lebens-
geschichte Gladstoncs liegt in diesem Bild, das einfacher und grösser
Madox Brown: The Work.
512
XXIX. Der Realismus in England
in der Anschauung ist als das, was Lenbach von ihm malte. Hook
sieht mit seinem breiten, von Runzeln durchfurchten Gesicht wie
ein Apostel oder Fischer aus. Bis in die Nieren hat Millais diesem
Mann geschaut, der etwas Rauhes und Gläubiges, Massives und
Zartes hat, der die kräftigen Fischer malt und die duftigen Sonnen-
strahlen. Kraftvoll, ernst, fast religiös wirken Hooks Landschaften,
und etwas patriarchalisch Biblisches liegt in dem sanft nachdenk-
lichen, beschaulichen Blick. Der Herzog von Westminster ist auf
Millais’ Bilde von 1878 in Jagdeostiun gemalt, stehend, in rothem
Rock, weiten Kniehosen und weichen hohen Stiefeln, die Flinte
in der Hand, wie er soeben den langen hellgrauen Handschuh zu-
knöpft. In demselben Jahre war in Paris der kgl. Gardist (the Yeoman
of the Guard) ausgestellt, der alte Bonze der Disciplin und Loyalität,
der in seiner tiefrothen Uniform, mit seinen erzgegossenen Zügen
wie ein Velazquez von 1878 dasitzt. Disraeli, Cardinal Newman,
John Bright, Lord Salisbury, Charles Waring, Henry Irving, der
Marquis of Lome, Simon Fraser sind alles würdige Verwandte der
grossen Herren , die ein Jahrhundert vorher Reynolds malte. Die
plastische Wirkung der Gestalten wird verstärkt durch den leeren
neutralen Grund. Millais hat wie Velazquez alle möglichen Hinter-
gründe von den einfachsten an : dem Nichts einer fast schwarzen
oder hellen Fläche bis zu reich ausgestatteten Innenräumen und
Landschaftsaussichten verwendet. Manchmal ist nur durch einen kahlen
Sessel oder Tisch angedeutet, dass die Gestalt in einem Zimmer
steht, oder ein schwerer carmoisinrother Vorhang senkt sich herab,
um als Repoussoir für den Kopf zu dienen. Gefälligen Linien und
nichtssagenden Motiven geht er mit vornehmer Nachlässigkeit aus
dem Wege und blieb diesem männlichen Geschmack auch in seinen
o
%
Frauenbildern treu. Seine Damen haben merkwürdig wenig von dem
Aesthetischen, das sonst durch englische Damenbildnisse geht. Millais
malt sie — wie in dem Bilde »Whist zu Dreien« — weder süss
noch zart, gibt ihnen nichts Triumphirendes, Schalkhaftes, Munteres.
Von strengem, skulpturalem Wesen, mehr charaktervoll als schön,
fassen sie in stolzer Haltung und correcter Pose mit festem Griff
die Lehne des rothen Sessels. Die ernsten, energischen Züge ver-
rathen Entschiedenheit des Charakters. Der Blick der junonischen
braunen Augen ist gleichgiltig , fast hart. Eine gerade freie Stirn,
ein schön geformter, sehr bestimmter Mund, ein volles rundes
Kinn ergänzt den Eindruck ernster Würde, hoheitsvoller Majestät,
XXIX. Der Realismus in England
)I3
kalten Stolzes. Zu
dieser grundsätzlichen
Vermeidung jedes
Scheins von Liebens-
würdigkeit gesellt sich
ein strengerGeschmack
der Toilette. Die Klei-
der sind modern, kost-
bar in den Stoffen, zu-
weilen heiter in der
Farbe, aber immer zu-
rückhaltend vornehm,
reich, nicht bunt. Mit
dunkeln oder stumpfen
Contrastfarben arbeitet
er am liebsten, auch
gross geblümte Seiden-
stoffe — schwarz mit
citronen-gelb, oder
schwarz mit dunkel-
roth — hat er gern
verwendet. Und dem-
selben strengen Cha-
rakteristiker stand der
leichte weiche Pinsel
des Kindermalers wie Wenigen zu Gebote. Kein Maler seit Reynolds
und Gainsborough hat die blendende Frische der englischen Jugend:
den energischen Accent eines Knabenkopfes und die in der Welt
einzig dastehende Schönheit der englischen Mädchen so charaktervoll
wie Millais gemalt: diese weichen, seidenartig glänzenden, in s Asch-
blonde spielenden Locken, die zarten blassen Gesichtchen, schwel-
lenden Mündchcn und grossen, träumerischen, blauglänzenden Kinder-
augen. Zuweilen stehen sie in silbergesticktem Rosakleid vor einem
tiefgrünem Vorhang oder sitzen lesend auf dunkelrothem, schwarz-
geblümten Teppich. Manchmal sind sie angezogen wie die kleinen
Infantinncn des Velazquez, spielen mit einem Bologneserhündchen
wie Tizians Dogenkinder, oder fassen mit beiden Händen eine Schürze
voll Blumen , die Millais mit hoher Vollendung malt. Ein Strauss
mit blassrothen Rosen, Chrysanthem oder Lilien stellt daneben.
John Plnllip: Weihwasser.
Muther, Moderne Malerei II.
33
5*4
XXIX. Der Realismus in- England
Man muss schon ein
grosser Meister der
Charakteristik sein, um
selbstbewusste, ernst
würdige, weibliche
Schönheit wie die der
Frau ßischoffsheim und
zugleich jenes duftige
Parfüm thaufrischen
Lebensfrühlings zu ma-
len , das aus Millais’
Kinderbildern strömt.
Millais ist einer
der Männer in der
Geschichte der Malerei
des 19. Jahrhunderts,
ebenso kraftvoll und
gesund wie vielseitig.
Ich weiss Keinen, der
eine gleich schnelle
Entwicklung von mi-
nutiösester Exaktheit
John Phil lit>: Spanierin. . ■ .. , •
1 1 ' bis zu mächtigster
Breite durchgemacht.
Keinen, der eine so enorme Kenntniss des Menschen mit solcher Poesie
der Auffassung verbunden hätte, Keinen, der so proteusartig verschieden
wäre: bald reizend, bald träumerisch, bald ganz positiv. Seine Land-
schaften lassen in ihrer festen Structur und Grosszügigkeit zuweilen
an Theodore Rousseau denken. Nur wenig macht sich in einem
Ucberschuss an Details auch heute noch der Praerafaelit bemerk-
bar. Er malt jedes Gräschen und Pflänzchen, doch in dieser pein-
lichen Exaktheit ist gleichwohl Grösse. Er sieht nicht mit der
Loupe nur das Einzelne, auch mit fühlendem Auge die Poesie des
Ganzen und erreicht trotz allen Detailstudiums einen manchmal
ganz impressionistischen Gesammteffect. Sein Bild »Oktoberkälte«
hat ein Luftleben, eine vibrirende graue Atmosphäre, wie sie sonst
nur John Constable malte.
Ein so concretes Naturstudium, wie die Praerafaeliten es be-
trieben, musste schliesslich auch zu ganz realistischen Bildern aus
XXIX. Der Realismus in England
)I5
dem modernen Leben führen. Sie waren bei ihren biblischen und
poetischen Bildern von der Ueberzeugung ausgegangen, den alten con-
ventionellen und allmählich leer gewordenen Typen könne nur dadurch
neues Lebensblut zugeführt werden, dass man die Vorbilder dazu aus
dem Volksleben selbst mit glücklicher Hand herausgreife. Sie glaubten,
wie einst die Meister von Florenz und Brügge, dass das keine gute
Malerei sei, was man ohne engen Anschluss an’s Modell mache;
dass es in erster Linie darauf ankomme, der poetischen oder legendar-
ischen Gestalt den Stempel der Natur, den kräftigen Geschmack der
Individualität zu geben. Alle ihre Erzeugnisse sind voll von Bildniss-
elementen, selbst wenn sie entlegene Scenen des neuen Testa-
mentes oder der mittelalterlichen Dichtung illustriren. Und diese
Elemente leiteten darauf hin, dass sic schliesslich von der Transpo-
nirung dieser Gestalten in ein fremdes Milieu überhaupt absahen und
einfach malten, was die eigene Umgebung ihnen bot. Hiermit war
das gleiche Ziel erreicht, bei dem die französische Malerei mit Courbet
und Ribot ankam. Den Praerafael iten in erster Linie ist zu
verdanken, dass das stets gut gemeinte und mässig gemalte Genre-
bild alten Stils, das mit der Fülle rührender Geschichten, die es
zu erzählen wusste, einst ein Hauptquell eingebildeten künstlerischen
Genusses war, auch in England endgültig überwunden wurde und
einer ernsten lebenskräftigen Malerei Platz machte, die auf die Wirk-
ung mit echt künstlerischen Mitteln ausging, die Bemäntelung innerer
Schwäche mit dem von aussen hergeholten »interessanten« Stoff
stolz von sich wies. Millais hatte schon 1855 auf der Ausstellung der
Royal Academy ein Bild, das Ruskin »ein wahrhaft grosses Werk
nannte, das die Elemente der Unsterblichkeit in sich berge« — die
Errettung aus der Feuersbrunst: ein Feuerwehrmann, der drei Kinder
aus einem brennenden Hause brachte und sie in die Arme ihrer
Eltern legte. Von allem erzählenden Inhalt war abgesehen. Der
Feuerwehrmann handelte ohne Sentimentalität in kalter Pflichterfüll-
ung, und die Spannung der Eltern war ebenfalls ohne melodramat-
ischen Anflug gegeben. Dann folgte jenes Meisterwerk von delicatcm
zartem Colorit, sanftem rührenden Ausdruck und unendlicher Grazie
— die Frau des Spielers, die mit Wehmuth nach den Karten greift,
die ihr Unglück verschuldet; 1874 die »Nordwest Passage«, gleich-
sam eine moderne Allegorie auf das kräftige , unternehmende eng-
lische Volk, das von seinem kleinen Inselreich aus die halbe Welt
unterwarf und bevölkerte. »Es gibt einen Durchgang nach dem
33*
XXIX. Der Realismus in England
5^
Pol und England wird ihn finden — muss ihn finden.« Das etwa
sind die Worte, die der Capitän Trelawney spricht, der alte Freund
und Genosse Byrons in Griechenland. Eine Seekarte vor sich, brütet
er über den Plan der Nordwestpassage, und auf seine ausgestreckte
Hand, die schon die Zukunft umfassen möchte, legt sich beruhigend
die Hand der jungen Frau, die zu seinen Füssen sitzend ihm den
Bericht der letzten Untersuchungsfahrt vorliest. Die weissbärtige
Seemannsgestalt ist von markigem knochigem Leben, das mit Karten
und Atlanten gefüllte Zimmer von vollem Tageslicht durchströmt.
Durch das geöffnete Fenster schimmert klar und hell Himmel und
Meer herein. Fs ist ein mächtiges, ergreifendes Bild, eines der mo-
dernen Schützenstücke, in denen Ideen des 19. Jahrhunderts sich ein-
fach und phrasenlos condensirten.
.Selbst von Holman Hunt, dem Pietisten, sind einige Bilder aus
dem modernen Leben vorhanden , die nichts mehr mit der älteren
Genremalerei gemein haben. Das »Erwachen des Gewissens« erzählt
nach der Erklärung des Malers die Geschichte einer jungen Frau, die
durch einen »leichtsinnigen rohen Mann verführt und in einem
üppigen kleinen Landhaus untergebracht ist. Sie sind zusammen, er
sitzt am Clavier, spielt die alte Romanze Oft in the stilly night«,
und die Klänge dieses Liedes erinnern die junge Sünderin an ihre
Kindheit, die Jahre ihrer Reinheit und Unschuld. Auch Hunt also
hat die moralisirendcn Tendenzen Hogarths noch nicht überwunden,
aber der Geschmack ist doch discreter, feiner geworden. Fr hat tiefere
Gedankenaccorde angeschlagen, als sie das englische Publicum bis
dahin hörte. Und namentlich — die Malerei ist nicht mehr
bloss Substrat für die Geschichte; sie ist zur Hauptsache, die Ge-
schichte zur Zugabe geworden. In einem anderen Bilde, dem Maien-
morgen auf dem Magdalenenthurm in Oxford«, hatte er überhaupt von
tieferem Inhalt abgesehen und einfach eine Anzahl Professoren und
Studenten der Oxforder Universität gemalt, die einem alten Brauche
gemäss den ersten Mai mit einem Hymnus von der Kathedrale herab
begrüssen.
Das Bedeutendste hat Madox Brown geschaffen, der englische
Menzel, der nicht nur das Milieu vergangener Zeiten mit der Ge-
nauigkeit des Augenzeugen reconstruirte, auch dem Drama des mo-
dernen Lebens als aufmerksamer Beobachter beiwohnte. Sein erstes
Bild Der Abschied von England« (The last of England) entstand im
Jahre 1852, zu einer Zeit, als die Auswanderung nach Amerika be-
XXIX. Der Realismus in England
)I7
dcnkliche Proportionen in England annahm. Auf dem Deck eines
Schiffes sitzt ein Ehepaar, kleine Bürgersleute. Der Mann in seinem
dicken Tuchpaletot, einen weichen Filzhut auf dem Kopf, mit bleichem
Gesicht und tiefliegenden, blau umränderten Augen, wirft noch einen
Blick auf das Heimathland zurück, das nebelhaft in der Ferne ver-
schwindet, und denkt bitter der verlorenen Hoffnungen, der vergeb-
lichen Kämpfe. Die junge Frau in hellem Mantel und kokettem
rundem Hut mit breiten Bändern schaut sanft resignirt unter dem
grossen Regenschirm hervor, der sic vor den Unbilden des See-
windes schützt.
Im »Work«, das zu gleicher Zeit begonnen und nach mehr-
facher Unterbrechung 1865 beendet ward, hat er das erste moderne
Arbeiterbild nach Courbets Steinklopfern geschaffen. Der Maler, der
damals in Hampstead wohnte, wo umfangreiche Erdarbeiten für eine
Gasleitung gemacht wurden, sah jeden Tag den englischen Arbeiter
in seiner ganzen Vierschrötigkeit und Kraft hantiren. Das gab ihm
das Thema zu seinem Bilde. In heller Sonne, an einem blendenden
Sommernachmittag graben Arbeiter in einer belebten Strasse eine
Grube für Gasanlagcn. Frauen und arme Kinder stehen dabei. Auch
die älteren Genremaler hatten Leute in Arbeiterblouscn gemalt, aber
nie bei der Arbeit, nur bei Spiel und Scherzen. Sie Hessen als
ihres Publikums sichere Regisseure stets dasselbe Puppenpersonal
tanzen. Browns Arbeiter sind robuste, knochige Gestalten; da wo
die Ackeren genrehaft witzelten, malte Brown ohne Verschönerung,
ohne Humor, sachlich. Ebenso schlicht ist die Composition. Keiner
posirt, keiner macht pathetische Gesten, keiner denkt daran, sich
mit seinem Nebenmann in schönen Linien zu gruppiren. Es ist
hübsch, dass diese machtvolle Allegorie auf die Arbeit durch Schenk-
ung in den Besitz der grössten Arbeiterstadt Englands, in die Galerie
von Manchester gelangte.
Ein Schotte, der in Aberdeen geborene John Phillip, war in
diesen realistischen Bestrebungen der kräftige Helfershelfer der Prac-
rafaeliten. Auch er war Maler in der vollen Bedeutung des Wortes
und hat deshalb Werke hinterlassen , mit denen die Zukunft zu
rechnen haben wird. Gleich Millais hatte Velazquez ihm die Augen
geöffnet. Als Phillip 1851 nach Spanien kam, war er nicht der erste,
der das Museo del Prado betrat. Wilkie hatte vor ihm in Spanien
gemalt und Ansdell war zu gleicher Zeit da thätig. Doch keiner hatte
etwas von der wuchtigen Grösse der alten spanischen Meister zu er-
5 18
XXIX. Der Realismus in England
fassen vermocht. John Phillip allein bekam etwas von der Verve
des Velazquez, eine männlich breite Mache, die ihn von allen seinen
englischen Zeitgenossen unterscheidet. Der Eindruck seiner Bilder
ist der von Reichthum , Tiefe und Wucht ; sie vereinen etwas von
der Kraft des Velazquez mit einem mehr venezianischen Glanz der
Farbe. Die Strassen von Sevilla, der spanischen Hafenstadt am
Guadalquivir, der Stadt, die Velazquez und Murillo geboren, waren
sein hauptsächlichstes Studienfeld. Hier sah er diese Marktweiber,
die schwarz wie Mulattinnen, handfest wie Grenadiere unter grossem
Sonnenschirm vor ihren Fruchtkörben sitzen ; diese Wasserträger
mit dem wettergebräunten Gesicht, der hochgewölbten Brust und
den athletischen Armen. Nach Schottland zurückgekehrt, malte er
zuweilen Repräscntationsbilder wie »Das Haus der Gemeinen« , die
Vermählung der Princess Royal u. dgl., kehrte aber bald zu seinen
Stoffen aus dem spanischen Leben zurück. Zigeunerhafte, cigaretten-
rauchende Weiber mit glänzenden Augen und pechschwarzem Haar,
junge Leute, die zur Castagnette tanzen, Stierkämpfer mit schillern-
dem, grausilbernem Costüm und blitzenden Blicken, schwarzbraunc
Bäuerinnen in citronengclben Röcken, hohläugige Fabrikmädchen,
Tonfdreher und Glasbläser — das ist der anekdotisch inhaltlose Inhalt
von Phillips Bildern : ein Stückchen Wirklichkeit, dem aber ein Kreis
von Eindrücken, eine Fülle künstlerischen Könnens entstrahlt. John
Phillip trat den ältern englischen Genremalern als der Maler par
cxcellence entgegen. Während jene in erster Linie sich mühten, eine
Geschichte deutlich zu erzählen, war Phillip ein Colorist, ein Maitre-
peintre, dessen Gestalten sich aus den Farben heraus entwickelten und
dessen charaktervolle Schöpfungen stets unter dem Besten, was über-
haupt gemalt worden ist, ihren Platz behaupten werden. Auch in
England, dem Vaterland der literarisch-novellistischen Malerei, war
die Kunst nicht mehr ein Mittel, Ideen auszudrücken, sie war Selbst-
zweck geworden, hatte die Farbe als ihr erstes, eigenstes Ausdrucks-
mittel entdeckt.
@*o
Der Realismus in Deutschland.
IN Deutschland vollzog sich die realistische Bewegung ähnlich
wie in Frankreich, nur dass sie um zwei Jahrzehnte hinter ihrer
französischen Urheberin dreinging. Den Umschwung, den dort
die Februarrevolution von 1848 gebracht, hatte hier erst der Krieg
von 1870 im Gefolge. Durch ihn erhielt die Historienmalerei
den Todesstoss. Seit auf den böhmischen Schlachtfeldern und im
Versailler Spiegelsaal das deutsche Reich erstanden, hatte Deutschland
keine Veranlassung mehr, sich über seine politische Misere durch
Vorführung betrübender Thatsachen aus früheren Zeiten trösten zu
lassen. Germania, die noch Kaulbach im Treppenhaus des Berliner
Museums darstellte, wie ihr, während sie über die Lcctüre eines alten
Buches vertieft ist, unversehens die Krone vom Haupt rutscht, hatte
mit starker Hand das Scepter wieder ergriffen. Der reactionäre Klein-
staat Preussen, das Preussen des Ministers Manteuffel und des Ver-
trags von Olmütz, hatte die Schlachten bei Düppel, Königgrätz und
Sedan geschlagen, hatte an der Spitze den populärsten Monarchen,
der seit Friedrich dem Grossen auf dem Thron gesessen, hatte Bis-
marck als Reichskanzler und Moltke als Feldherrn. Der romantisch
gestimmten Generation von 1830 war ein mit seiner Welt zufriedenes
Geschlecht, ein Geschlecht der Tliat und der Arbeit gefolgt, das, an
politische Katastrophen gewöhnt und selbst Geschichte machend, nicht
mehr gelaunt war, durch fossile Unglücksfälle sich erschüttern zu
lassen und auf die versunkene Welt früherer Jahrhunderte staunend
emporzublicken. Auch der kritische Sinn war stärker geworden.
Man gelangte in der Literatur zu der Einsicht, dass die versuchten
Wiederbelebungen der Vergangenheit immer unvollkommen sind, dass
der Roman einheimisch und gleichzeitig sein muss und das archäo-
logische Sittengemälde eine verkehrte Gattung ist. Die romantische
Geschichtschreiberei von früher verwandelte sich in Kritik und Ge-
schichte, d. h. in Erklärung und Auslegung der Documente. »Cultur-
^ 20 XXX. Der Realismus in Deutschland
geschichtliche Bilderbücher« traten
an die Stelle der modern ver-
wässerten Illustrationen. So ver-
fiel die zünftige Historienmalerei
dem unabwendbaren Loose der
gespreizten Nichtigkeit. NurWerke,
in denen Leidenschaft des Tem-
peramentes durch die Convention
hindurchflammte oder eine Erneu-
erung der Formen nach der Seite
des Naturalismus erstrebt war,
durften fortan auf Erfolg noch
rechnen.
Ebensowenig war es mög-
lich, das moderne Leben noch vom
Standpunkte des alten Genres zu behandeln. Auch in der Bearbeit-
ung moderner Stoffe musste dieselbe tiefeingreifende Wandlung er-
folgen, die sich in Frankreich durch Courbet, in England durch
die Praerafaeliten vollzog. Die harmlos gemüthlichen Genrebilder
der Dorfnovellisten waren das Product einer Zeit, da Deutschland
seitab vom grossen Weltleben stand und der ganze Zuschnitt der
Anschauungen etwas kleinstädtisch Spiessbürgerliches hatte. Dem
Zeitalter der Postkutschen und Spinnräder war jetzt die Zeit der
Eisenbahnen, der Telegraphen, des Welthandels gefolgt. Wir hatten
keinen Sinn mehr für Gartenlaubenmalerei, für all dies Herzige und
Sinnige. Wir waren zu ernst geworden, um über Bilder wie: Die
Lehrerin kommt, der Rasirtag im Kloster, Schlaf Kindchen schlaf,
die zerbrochene Puppe noch dankbar zu lachen. Das ernste, sach-
liche moderne Zeitgemälde musste die Historienmalerei des jungen
Deutschland werden.
In Berlin war es wieder Adolf Menzel, der die entscheidenden
Vorpostengefechte lieferte. Es ist etwas Fabelhaftes, die Pionierarbeit
dieses grossen kleinen Mannes, der seit fünfzig Jahren alle Phasen
unserer Kunst in typischer Vollendung verkörpert: der grösste und
wenn man will, einzige Historienmaler der vergangenen Epoche, der
einzige, der eine ältere Periode so intim kannte, dass er sic malen
durfte, war auch der Führer der grossen Bewegung, die in den 70 er
Jahren auf die Schilderung unseres eigenen Lebens ging. Sein erstes
Auftreten fiel noch in die Zeit, als der stolze Titan Cornelius den
Adolf Meinel.
Mensel: Die Krönung König Wilhelms in Königsberg
522
XXX. Der Realismus in Deutschland
Himmel zu stürmen suchte. Der kleine Menzel war damals kein
Titan, er nimmt sich in jener Generation wie an die Erde gebunden
aus, aber er gehörte der Rasse der Cyklopen an; war ein gewaltiger,
über Riesenkräfte verfügender Baumeister, und der ungeschlachte, häm-
mernde, Steine fügende Cyklop reichte zuletzt mit seinem wohlge-
fügten Gebäude ebenso hoch, wie jene Romantiker auf ihren gefähr-
lichen Ikarusflügeln sich erhoben. Nachdem er erst der Zeichner,
dann der Maler Friedrichs des Grossen gewesen, gab er nach dem
Bilde der Schlacht bei Hochkirch die Historie auf; seine Begabung
war zu modern, zu sehr auf das Concrete gerichtet, als dass die
constructive Arbeit aus einem Milieu, das nicht sein eigenes war,
ihn auf die Dauer hätte ausfüllen können. Bis zu seinem vierzigsten
Jahre hatte er die ruhmvolle Vergangenheit seines Vaterlandes ver-
herrlicht. Als mit Friedrich Wilhelms IV. Tode die grosse ent-
scheidende Wendung in der Politik des preussischen Staates eintrat,
die der Stagnation des geschichtlichen Lebens in Preussen und Deutsch-
land ein Ende machte und eine neue glänzende Periode für Fried-
richs Reich und Erben heraufführte, wurde der Maler Friedrichs des
Grossen der Maler des neuen Reiches. Nachdem er schon in der
ersten Hälfte des Jahrhunderts die Sachlichkeit auf den Thron der
Kunst erhoben an Stelle des verschwommenen Ideals und der Phrase
— ging er wieder einen Schritt in der unmittelbar scharfen Beob-
achtung weiter und malte jetzt, was er selbst um sich sah : das
strömende, zuckende Leben.
Die Krönung in Königsberg ist das grosse triumphirende Titel-
bild dieser neuen Abtheilung seines Werkes. Die Lichteffecte, die
rothen Töne der Uniformen, die schillernden weissen Seidenroben,
das Wogen der Masse, die spielende Leichtigkeit, womit Alle in ihrer
Individualität erfasst sind, die Fürsten, die Minister, die Gesandten,
die Gelehrten, das ganz Momentane in der Bewegung der Gestalten,
die vollständig ungezwungene doch raffinirt malerische Anordnung,
das macht aus diesem Werke nicht ein Geremonienbild im herkömm-
lichen Sinn, sondern ein malerisches Kunstwerk von gleich intimer
wie feierlicher Wirkung. In dem Bilde »Abreise König Wilhelms
zur Armee«, der Schilderung des erregten Moments am Nachmittag
des 31. Juli 1870, als der König die Linden entlang zum Bahnhof
fuhr, kam diese Richtung, die er mit dem Krönungsbild einge-
schlagen, zum Abschluss. Alles wogt, bewegt sich, spricht, athmet,
ist durchglüht von dem nervösen Leben, das in diesem Augenblick
XXX. Der Realismus in Deutschland
523
Mensel: Die Abfahrt König Wilhelms {nr Armee.
patriotischer Bewegung Alle durchzuckte. Des Malers Weg führte
weiter.
Ganz Mcnzöl wurde er erst, als er die arbeitende Menschheit
entdeckte. 1867, im Weltausstellungsjahr, kam er nach Paris und
lernte Mcissonier und Stevens kennen. Meissonier namentlich, dessen
Porträt er auch malte, ward ihm eng befreundet, und es war selt-
sam, die beiden später in Ausstellungen zusammenzusehen: den
kleinen Menzel mit seiner Riesenglatze, den kleinen Meissonier mit
seinem Riesenbart, einen Cyklopen und einen Gnomen, zwei Könige
im Reiche Liliput , von denen der eine kein Wort deutsch , der
andere nicht französisch sprach, und die doch nur einen Blick, ein
Achselzucken, eine Handbewegung brauchten, um sich ganz zu ver-
stehen. Auch mit Courbet, der gerade die berühmte Separataus-
stellung seiner Werke veranstaltete, kam er im Cafe Lamartine in
Gesellschaft von Heilbuth, Meycrhcim, Knaus u. A. häufig zusammen.
Hier in Paris entstanden seine ersten Bilder aus dem modernen Volks-
524
XXX. Der Realismus in Deutschland
leben, und war er als Historien-
maler schon ein Häuptling
gewesen in jenen Gefechten
gegen das Theatralische, so
wurde er durch diese Werke
nun auch ein Bahnbrecher.
Ueberall schuf er den nach-
stürmenden Genossen Luft
und freie Bewegung. Er
malte und zeichnete im Laufe
der Jahre Alles, was aus
irgend einem Grund ihn
künstlerisch anregte, und
keine dieser Arbeiten war ein
verlorenes Werk. Das Uni-
versalgenie unter den Wirk-
lichkeitsmalern, vereinigt er
Alles, wovon je ein Stück
die andern guten Talente ge-
trennt besitzen: das schärfste
Auge für jedes Detail der
Form, die eindringendste
Kennzeichnung des Seel-
ischen und zuweilen ein flimmerndes Spiel des Colorits, wie cs
keiner seiner deutschen Vorgänger besass.
Sehr gereizt haben ihn — darin klingt noch ein Stück Rococo
aus — stets die katholischen Kirchen und das Volk, das sich darin
bewegt. Die lustigen Zopfkirchen im prangenden Jesuitenstil, die
in München und Tirol so unversehrt erhalten, genossen seine be-
sondere Vorliebe. Er badete sich wollüstig in den tausend Details
von Sculpturen, Rahmen, Orgeln, Ballustraden, geschnitzten Kanzeln,
auf die durch bunte Fenster ein abgedämpftes müdes Tageslicht lallt.
In der Dämmerung verwandelte sich das Ganze in einen Wald von
Ornamenten, die wie Bäume im Walde ihre Aeste ausstreckten.
Gebrechliche Leute, Frauen, die den Kopf betend in den Händen
bergen, Gelähmte auf Krücken, knieen und bewegen sich inmitten
der üppigen Vegetation von Stein, Holz und funkelndem Gold, von
Engelsköpfen, Schutzheiligen, Blumenguirlanden, Consolen und Weih-
wasserbecken. Gewundene Marmorsäulen, Kirchenfahnen, Lampen
Menzel: Die Damensliftskirche in München.
XXX. Der Realismus in Deutschland
und Lüster steigen in
wirr capriciösen Um-
rissen geistreich pikant
zur Kuppel empor,
wo Heiligenbilder und
gemalte Wolkenhim-
mel, vom aufsteigen-
den Qualm des Weih.
rauchs geschwärzt,
muthwillig phantast-
isch herabblicken.
Nach den Kirchen
die Salons. Es entstan-
den seine Bilder aus
der modernen Gesell-
schaft : die Damen und
Cavaliere des Hofes auf
dem Balkon des Ball-
saals, die Geheimraths-
unterhaltung im Salon,
das wunderbare Ball-
souper, auf dem sich
eine Welt schöner
Schultern, glänzender Uniformen, rauschender Seidenschleppen zwi-
schen Spiegeln, Lüstern, Colonnaden und vergoldeten Rahmen bewegt.
Ein lebensprühendes von flimmerndem Licht übergossenes Bild war
die Ballpause von 1870. Die Musik schweigt einen Augenblick. Aus
der Thür des hellerleuchteten Tanzsaales strömt die Gesellschaft
in das benachbarte Zimmer, wo das Büffet hergerichtet ist und
Gruppen plaudernder Cavaliere und Damen schon die Stühle und
Sophas besetzten. 1879 folgte der berühmte »Cercle«: Kaiser Wil-
helm im rothen Galarock der Gardes du corps plaudert mit einer
Dame, von einem Meer von Köpfen, Uniformen und nackten, sich
verbeugenden Schultern umwogt. Musste in früheren Schilderungen
der Art stets eine genrehafte Episode über das unzureichende
künstlerische Interesse hinweghelfen, so ist in Menzels Bildern die
malerische Situation als Ganzes erfasst. Sie haben den Werth eines
Buches, verschönern nicht und lügen nicht und werden der Zukunft
eine Encyklopaedie von Typen des 19. Jahrhunderts überliefern.
52)
Menrel: Cercle.
526
XXX. Der Realismus in Deutschland
Aus dem Salon
hinaus auf die Strasse,
aus den exclusiven ari-
stokratischen Zirkeln
mitten hinein ins bunte
Volksgewühl. Menzel
war viele Jahre hin-
durch ständiger Gast
in den kleinen Bade-
Orten der österreich-
ischen und bayerischen
Alpen. Die Menge beim
Concert, im Garten des
Restaurants, auf der
Promenade, beim Feld-
gottesdienst. das waren
Dinge für seinen Pin-
sel. Da rieselt das
Licht durch die Blätter
der Bäume; Frauen,
Kinder und vornehme
Herren lauschen der
Musik oder des Predigers Worten. Der kommt, der verlässt seinen
Platz, Alles lebt und bewegt sich. Grosse Baumriesen strecken schütz-
end ihre Arme darüber. Ausserordentlich war die Prozession in Gastein
in der Mitte der Priester, der das Allerheiligste trägt, dann die Chor-
knaben in ihren rothen Roben, vorn die Badegäste und Touristen, die
zum Schauspiel herbeigeeilt, im Hintergrund das ragende Gebirge.
Das Volksgetümmel ist ein Triumph für Menzel. In Kissingen malte
er die Brunnenpromenade, in Paris die Sonntagslust im Tuilerien-
garten, das Strassenleben der Boulevards, die berühmte Thiergarten-
scene mit dem grossen Elefanten und der lebensprühenden Gruppe
von Zuaven und Damen, in Verona die Piazza d’Erbe mit dem wim-
melnden Volk, das sich kreischend zwischen den Buden drängt. Viele
nach ihm haben solche Scenen geschildert, doch Wenige ihren Ge-
stalten dies zuckende Leben zu wahren, sie so wie Menzel als Theile
eines grossen vielköpfigen wogenden Ganzen zu geben gewusst.
Sehr amüsirt haben ihn immer die Reisenden: Männer, die
gähnend oder schlafend, den Hut über die Augen gedrückt, die Beine
XXX. Der Realismus in Deutschland
527
Mensel: Sonnlag im Tuileriengarlen.
über einander geschlagen in der Ecke des Coupes sitzen; Frauen,
die zum Fenster hinausschauen oder ihre Baarschaft zählen. Damit
wechseln jene einförmigen, in ihrer Einfachheit so stimmungsvollen
Landschaften aus dem Weichbild der grossen Stadt, arme verwahr-
loste Gegenden mit Maschinen und arbeitenden Menschen. Kinder
baden in einem schmutzigen Bach, an dessen Rand kleine ver-
krüppelte Weiden stehen ; Nachen gleiten über einen Fluss, Matrosen
springen von einer Barke zur andern, Packträger bringen Säcke oder
Fässer an s Land, schwere herkulische Lastgäule ziehen grosse Wagen
mit Biertonnen über staubige Landwege. Oder cs erhebt sich das
Gerüst eines Hauses. Sechs Maurer arbeiten daran, und sie arbeiten
ernst. Ein Stück Grün ragt über das Gerüst herüber, weiter ent-
fernt ziehen lange Häuserreihen hin, Wasserleitungs- und Gaswerke,
die den Riesenkrater von Berlin speisen, und Taglöhner fahren in
Schubkarren Steine. Zum ersten Male singt ein deutscher Maler das
Hohelied der Arbeit.
Er geht von der Strasse in die Werkstätten und malt in qualmigen
Fabrikräumen die wilde Poesie der tobenden Maschinen. Sein Fiscn-
walzwerk von 1876, das kühne, machtvolle Bild, ist das Hauptwerk
Men: et : Piazza d’Erbe in Verona.
Mui'.icr, Moderne Malerei II
Mensel: Die Schmiede.
530 XXX. Der Realismus in Deutschland
der Gruppe. Der niedrige Arbeits-
raum der grossen Eisenschienen-
schmiederei von Königshütte in
Oberschlesien ist voll Dampf und
Hitze. Mit rothglühenden Gesichtern
stehen die muskulösen fleischigen
Männergestalten, in geschwollenen
Händen die Stangen haltend , am
Feuer. Ihre mächtigen Bewegungen
erinnern an Daumier. Auf den
nackten Oberkörpern spielt das
Licht in weissen, blauen, dunkel-
rothen Reflexen, an den bekleideten
Unterkörpern schimmert es röth-
lich, violett und grünlich überall, wo die Falten sich brechen ; der
aufgewirbelte Rauch ist weisslich roth und die Holzpfeiler, die das
Dach tragen, sind dunkel überglüht. Hitze, Schweiss, Bewegung,
feuriger Glanz überall. Staub und Schmutz, sich waschende, stark
knochige, von hartem Schaffen durchschütterte Eisenarbeiter, ein
Durcheinander von Treibriemen und Maschinentheilen, keine hübsche
Anekdote, sondern sachliche Nüchternheit, keine Erzählung, sondern
Malerei — das war die grosse entscheidende That dieses Bildes.
Courbets Steinklopfer von 1851, Madox Browns Work von 1852
und Menzels Schmiede sind die Standardworks in der Kunst des
19. Jahrhunderts.
Innerhalb der deutschen Kunst bildet Menzel eine Enclave für
sich, einen Felsen im Meer. Für Frankreich bedeutete er in den
60er Jahren die deutsche Kunst überhaupt. Frankreich signalisirte
ilm, und nach dieser Anerkennung erlebte er das Schicksal, selbst
in der Heimath gefeiert zu werden, bevor er das Greisenalter er-
reichte. Ihm gestattete man seinen Realismus zu einer Zeit, als
sonst realistische Bestrebungen noch durchweg als aesthctische Ver-
irrungen galten. Daraus erklärt sich die seltsame Thatsache, dass
Menzels 50 jähriges Schaffen fast ohne Einfluss auf die Weiterent-
wicklung der deutschen Malerei blieb: sie wäre kaum anders heute,
wenn er nicht gelebt hätte. So lange er Vorbild hätte sein können,
durfte ihm keiner folgen. Und als später die gesammte deutsche
Kunst in naturalistische Bahnen lenkte, waren die Verschiedenheiten
zwischen ihm und den Jungen zahlreicher als die Berührungspunkte,
XXX. Der Realismus in Deutschland
S31
so dass er nicht mehr vor-
bildlich wirken konnte und
nur als achtunggebietende
Grösse, wie ein vorsündfluth-
licher Heros hereinragte in
die neue Zeit.
Selbst die vereinzelten
realistischen Ansätze, die
Berlin in den 70er Jahren
machte, stehen mit ihm in kei-
nem Zusammenhang. Wenn
Realismus in nüchtern trock-
ener Illustration von Wirk-
lichkeitsfragmenten be-
stünde, wenn Rechtschaffen-
heit, Loyalität, gesinnungs-
treuer Patriotismus für die
Kunst brauchbare Qualitäten
bedeuteten, so wäre Anton von
Werner gewiss eine längere
Betrachtung zu widmen. In
seinen Genrebildern aus dem Kriegsleben steht Alles spiegelblank
und richtig am Platze, soldatisch propper, — typische Preussen-
kunst. Seine Porträts sind Casinobilder, wie sie zweckentsprechender
nicht zu denken. Vom Sporen bis zur Kürassiermütze, Alles correct
und vorschriftsmässig; selbst die Aehnlichkeit hat etwas Reglement-
mässiges, das jeden Rekruten zum Frontmachen vor dem unmittel-
baren Vorgesetzten veranlassen würde. Bei den grossen Repraesen-
tationsbildern reichte seine Kraft gerade aus, die betreffenden
Staatsactionen mit der Gewissenhaftigkeit des Gerichtsschreibers zu
registriren. Die geistige Fähigkeit, an einem grossen Manne mehr
als blankgeputzte Stiefel und blankgeputzte Uniformknöpfe zu sehen,
das Künstlerthum, den Bilderbogen zum Bild zu erheben, war ihm
versagt. Der Staat braucht solche Maler wie die Compagnie einen
guten Feldwebel — aber das O ffic iercorps der Kunst besteht
aus andern Elementen.
Carl Gussow wagte, mit einem trivialen gesunden Wirklichkeits-
sinn ausgestattet, in einigen Arbeiten stramm und derb der Natur
gegenüberzutreten und stellte ein paar lebensgrosse Figuren — das
Pettenhofen : Spinnerin.
34*
XXX. Der Realismus in Deutschland
5 32
Kätzchen, den Blumenfreund,
Verlorenes Glück, Willkom-
men , die Venuswäscherin,
das Austernmädchen u. dd.
o
— aus, durch die er in Berlin
für kurze Zeit die Aera der
gelben Tücher und schwar-
zen Fingernägel eröffnete
und wegen der er von den
Kritikern , je nach deren
ästhetischem Glaubens-
bekenntniss, als Pionier des
Realismus auf den Schild
gehoben oder mit dem Bann-
strahl belegt ward. Er hatte
eine handfeste Art, Muskeln,
Fleisch und bunte Kleider
zu malen, grün neben roth,
roth neben gelb zu setzen,
kam aber selbst in diesen
Erstlingswerken — die seine
einzigen Kunstwerke blieben
nicht über die banal barbarische Abschrift einer völlig uninter-
essanten Wirklichkeit hinaus.
Max Michael scheint ein wenig von Bonvin berührt. Wie dieser
interessirte er sich für die schweigsamen Bewegungen der Kloster-
frauen, für saftiges Gemüse, dunkelbraune Wandvertäfelungen und das
schummerige Licht im Innenraum. Er war, wie Ribot in Frankreich,
obwohl mit geringerer künstlerischer Kraft, ein guter Repraesen-
tant jener »Schule der Kellerluken«, die in solider Weise den Ton
der alten Spanier nachahmte. Eines seiner schönsten Bilder hängt in
der Kunsthalle in Hamburg und stellt eine italienische Mädchenschule
dar. Eine Nonne leitet den Nähunterricht, der Hintergrund ist braun,
das Zimmer, das wie eine Dachluke aus hohem kleinem Fenster ein
durch gelbes Glas gebrochenes Licht empfängt, ist in dämmerigem
Braun gebadet, worin die bunten Kostüme der kleinen Italienerinnen
mit ihren weissen Kopftüchern sehr hübsche harmonische Farben-
flecken bilden. Kein Abenteuer, keine Episode wird erzählt, aber
die malerische Erscheinung der kleinen Mädchen, ihr Ton im Raume
Pettenhofen: Im Kloslerhof.
XXX. Der Realismus in Deutschland
533
Pettenhofen: IV alachtsches Fuhrwerk.
ist desto feiner gegeben. Ein vornehmes altmeisterliches Farbenleben
entschädigt für den Mangel genrehaften Inhalts.
In Wien lenkte August von Pettenhofen die verknöcherte vor-
märzliche Genremalerei in eine künstlerisch feine Malerei hinüber.
Während die Nachfolger Gauermanns und Danhausers sich in herz-
erschütternden Scenen oder humoristischen Episoden ergingen, hat
Pettenkofen als Erster rein malerisch die Welt betrachtet. Alfred
Stevens hatte ihm 1851 in Paris die Augen geöffnet. Troyons
und Millets Bilder bestärkten ihn in seinen Bestrebungen. Auf
einem Gute seines Vaters in Galizien war er aufgewachsen und
Cavallerieoffizier gewesen, bevor er sich der Malerei zuwandte: das
Pferd, der Bauer, das Rind sind die einfachen Figuren seiner Bilder.
An die Stelle episodenreicher, schlecht gemalter Novellen setzte er
ärmliche Ebenen der einsamen Puszta, nissige Schmieden, dumpfe
Schusterwerkstätten, schmutzige Hofräume mit Kehricht- und Dünger-
haufen, Zigeunerherbergen und öde Dachstübchen. Weder der Senti-
mentalität noch der genrehaften Neugier ist Rechnung getragen —
feine Farbenakkorde erklingen — das ist ausreichend. In dem Städt-
chen Spolnok an der Theiss, östlich von Pest pflegte er die Sommer-
monate zu verbringen. Hier trieb er sich zwischen den kleinen,
weissgetünchten Häusern herum, den Krämerbuden, den Ständen der
Fruchthändler. Ein träg hinziehendes Ochsengespann mit schlafen-
534
XXX. Der Realismus in Deutschland
Pellenkojen : Bleistiftzeichnung.
dem Hirtenbuben, schwarzäugige wasserholende Mädchen, arme
Kinder, die am Boden spielen, alte Männer, die im Hof in der Sonne
träumen, sind gewöhnlich die einzigen athmenden Wesen seiner
Bilder. Da dehnt sich ein sandiger Dorfplatz aus mit niedrigen
weissgestrichenen Häusern, dort hält ein Ochsenwagen an der
Strasse oder ein Postreiter trabt auf müdem Gaule dahin. Gleich
Menzel malt Pettenhofen eine thätige, in ihre Arbeit versenkte
Menschheit, einfache Existenzen, die gar nicht daran denken, dem
Ausstellungsbesucher zu Liebe ihre Thätigkeit zu unterbrechen. Was
ihn unterscheidet von dem Berliner, ist ein mehr lyrischer Zug,
etwas Weiches, Beschauliches, Sinnendes. Menzel spitzt Alles dra-
matisch zu, setzt die Massen in Bewegung, stellt die geschäftige,
lärmende Menge dar, die sich drängt und stösst, sich in buntem
Gewimmel an den Eingängen der Theater, vor den Fenstern der
Cafes dahinschiebt. Pettenhofen kehrt bei dem kleinen Handwerker,
der einsamen Näherin ein. In Menzels Eisenwalzwerk sprühen die
Funken und rasseln Maschinen ; Alles ist friedlich und still in den
Schusterwerkstätten und sonnigen Dachstübchen , die Pettenhofen
besucht. Menzel liebt das Momentane, das zuckende Leben, Petten-
hofen die Ruhe , die Einsamkeit. Dort denkt, wacht, redet Alles,
hier schläft es und gähnt es, Malt Menzel einen Lastwagen, so
XXX. Der Realismus in Deutschland
535
knallt der Fuhrmann mit der Peitsche, man hört das Gespann über
holpriges Pflaster rumpeln ; bei Pettenhofen steht der Wagen ruhig
in einer engen Gasse, der Knecht hält Mittagsruhe, träge Schwüle
brütet darüber. Menzel liebt Menschen, die die Gesichter' verzerren,
Pettenhofen sieht von aller Charaktermalerei ab, begnügt sich mit
der Wiedergabe schlichten Thuns in malerischen Momenten. Der
Berliner ist epigrammatisch scharf, der Wiener schwermüthig melan-
cholisch. Menzels Bilder sind raketenhaft schillernd, die Pettenhofens
auf vornehmen Amateurton gestimmt. Gemein ist ihnen nur das
Eine, dass Beide keine Nachfolger fanden, keinen Gipfel innerhalb
der Berliner und Wiener Kunst bezeichnen, sondern wie erratische
Blöcke in die dortige Production gekeilt sind.
Während sich in beiden Städten die realistische Bewegung auf
einzelne Meister beschränkte, hatte München wieder die Mission, schul-
bildend aufzutreten. Hier haben sich alle Richtungen der modernen
Kunst am deutlichsten ausgeprägt, alle Bewegungen am consequen-
testen vollzogen. Auf die Gottheiten des Cornelius waren die Helden
Pilotys, auf diese Defreggers Tiroler Bauern gefolgt, und bei aller
gegenständlichen Verschiedenheit verknüpfte noch ein Band diese
Werke: dass der interessante Stoff daran die Hauptsache, das Maler-
ische etwas Nebensächliches war. Auf die Eroberung des Maler-
ischen ging das Streben der 70er Jahre. Man begann einzusehen,
dass das Talent Witze zu machen und Novellen zu erzählen, das
noch bei den Bauern- und xMönchsbildern der Defregger- und
Grützner-Schule als ausschlaggebend in Frage kam, gar keine spcciclle
Fähigkeit der bildenden Kunst darstellt, dass nur technische Ilalb-
fertigkeit im bequemen Bunde mit der Kunstunempfänglichkeit des
Publikums diese erzählende Malerei erzeugt hatte. Es ward gegen-
wärtig, dass die Aufgabe der bildenden Kunst nicht darin bestehe,
zu erzählen, sondern darzustellen, — mit den sinnlich überzeugend-
sten Mitteln, die ihr überhaupt zur Verfügung sind. Ein erneutes
Studium der Alten vermittelte diese Erkenntniss.
Nachdem bis dahin auch auf kunstgewerblichem Gebiete die
trübseligste Oede geherrscht, hatte sich seit 1870, getragen von dem
wiedererwachten Nationalitätsgefühl und begünstigt durch die Hoch-
fluth der Milliarden, jene folgenreiche Bewegung vollzogen , deren
Programm lautete: »Altdeutsch«, »Stilvoll«. Die deutsche Renais-
sance, bisher auch von der Forschung vernachlässigt, wurde neu ent-
deckt. Lübke ging an ihre planmässige Durchforschung, Woltmann
XXX. Der Realismus in Deutschland
schrieb über Hans Hol-
bein, Thausing über
Dürer, Eitelberger be-
gründete das öster-
reichische Museum für
Industrie, Georg Hirth
liess sein »Deutsches
Zimmer« erscheinen
und begann den «For-
menschatz« herauszu-
geben. Die nationale
Kunstweise der deut-
schen Renaissance
wurde aller Orten mit
dem stolzen patriot-
ischen Bewusstsein auf-
gegriffen, hier sei das
Allheilmittel gefunden.
Die Kunstgewerbe-
treibenden erklärten
der Nüchternheit und
Langeweile offen den
Diel : Heimkehr vom Markte. Krieg. Lorenz Gedon
besonders — im Verein
mit den beiden Seitz, Franz und Rudolf — war die Seele der Bewegung.
Mit seinem krausen, schwarzen Haar, den kleinen, feurigen, dunklen
Augen, dem kurzen Vollbart, der saloppen Kleidung und zwei grossen
zu jeder Art Kunstübung geschickten Händen , hatte er selbst
etwas von einem altdeutschen Steinmetz. Dieser originellen Erschein-
ung entsprach seine Ausdrucksweise. Alles darin war eigenartig,
von sinnlicher Anschauung gesättigt. Als Sohn eines Antiquitäten-
händlers von Kind an mit den alten Meistern vertraut , folgte er
ihnen auch in der Art seines Studiums. Es lag ihm fern , sich
auf ein Fach zu beschränken. Hausfacaden und Innenarchitekturen,
Kneipzimmer und Festdecorationen, Prunkwagen und Möbel, Statuen
und Ornamente in Stein, Bronze, Holz und Eisen, Porträtbüsten in
Wachs, Thon und Marmor, Modelle für Kleinodien , für schmiede-
eiserne Gitter, Schiffszierrathen und Kajüteneinrichtungen — jedes
Stück launisch, phantastisch, lustig und seltsam — All das auszu-
XXX. Der Realismus in Deutschland
537
Claus Meyer: Musicirende Begumen.
führen, fühlte dieser merkwürdige Mann in sich die gleiche Kraft.
Dabei verschmolz sich in ihm ganz eigenartig die Natur des Sammlers
mit der des Künstlers. Vor seinem Hause an der Nymphenburger-
strasse, in dem buschreichen verwilderten Garten lagen bis zum
Zaun hin zahllose steinerne Fragmente von mittelalterlichen Bild-
werken. Vor den Fenstern lehnten alte verrostete, schmiedeeiserne
Gitter und im Hause selbst standen die kostbarsten Stücke, an denen
die Künstler zehn Jahre früher noch achtungslos vorübergegangen, in
Massen neben einander. Da Gedon mit 40 Jahren aus seinem
.Schaffen abberufen wurde, kam seine künstlerische Thätigkeit
nicht über improvisirende Ansätze hinaus, aber die Impulse, die von
ihm ausgingen, waren mächtig. Durch sein Eingreifen wurde das
ganze Gebiet des Kunstgewerbes malerischen Gesichtspunkten unter-
than gemacht. Der kahle Biedermaierstil wich und ein heiteres
Aufjauchzen der Farbe begann. Die von ihm arrangirten grossen
Carnevalsfeste aus der Renaissancezeit bilden eine wichtige Episode
538
XXX. Der Realismus in Deutschland
in der Culturgeschichte Mün-
chens und haben nicht un-
wesentlich zur Verfeinerung
auch des m oder ne n Damen-
costüms beigetragen. Die
Münchener Kunstgewerbe-
ausstellung von 1876, wo er
vor dem Eingang jenes aus
alten Architekturtheilen,
Holzsculpturen und Prunk-
stoffen componirte mächtige
Portal mit der Aufschrift
»Unserer Väter Werke« auf-
geführt hatte, bezeichnet den
künstlerischen Höhepunkt
der kunstgewerblichen
Strömung, die damals ganz
Deutschland überfluthete.
Es ist bekannt, welche
Zirkel dieselbe in den näch-
sten Jahren zog und dass die
imitirte deutsche Renaissance
bald ebenso unbehaglich
wurde, wie sie zuerst gefallen
hatte. Nachdem sie also ge-
nugsam abgehetzt war, ging
man ein Stück weiter, be-
gann aus der Renaissance
F. A. Kaulbach : Lautenspielerin. dem Barock zuzutreiben, dem
wieder bald darauf das
Rococo folgte. Heute ist auf dieses Verzierungsfieber Ernüchterung,
auf das Stilgewitter Ucbersättigung eingetreten, ein Ermatten, ein
Sehnen nach Einfachheit und Stille. Der wohlthätige Einfluss der.
Bewegung auf die allgemeine Hebung des Geschmackes ist trotzdem
unverkennbar und kam indirect auch der Malerei zu Gute.
In jene Räume, in denen der Besitzer das einzige stilwidrige
Inventarstück war, konnten auch nur Bilder passen, die genau im
Stil der alten Meister gehalten waren. Die Kunstwerke wurden als
stilvolle Möbel aufgefasst, die sich der übrigen Zimmereinrichtung
XXX. Df.r Realismus in Deutschland
539
correct einfügen, auch selbst
stilgerechte »Nachahmungen
von unserer Väter Werken«
sein mussten. Auf diese
Weise gab die kunstgewerb-
liche Strömung den Anstoss
zu einem erneuten, viel
feineren Studium der alten
Meister, als es bisher be-
trieben worden war. Die
Münchener Costümkundigen
deryoer Jahre bedeuten unter
den über ganz Deutschland
verbreiteten Costümmalern
eine wirklich künstlerische
Abart von coloristisch gesinn-
ten Könnern. Sie waren die
Kunsthistoriker unter den
Malern , die Feinschmecker
der Farbe. Piloty genügte
ihnen nicht, sie versenkten
sich mit feinem nachempfin-
dendem Verständniss in die
alten Meister, begannen auf
ihren Paletten die weichen üp-
pigen schmelzenden Farben
zu mischen, die eigentliche
Wollust der Malerei ZU F. A. Kaulbacb: Dame in alldeutscher Tracht.
fühlen. Indem sie im heil-
dunkeln, mit Gobelins behängten Atelier die alten feinen Kleinmeister
mitsammt dem verschönernden Rost der Jahrhunderte nachahmten,
sahen sie ihnen allmählich alle ihre Kunstgriffe ab und führten, in-
dem sie in’s Detail gingen, die Renaissance der Oelmalerei herbei.
Wie seltene Leckerbissen muthen, mit den früheren verglichen, ihre
Bilder an. Sie sahen nicht mehr wie die Genremaler das Ende
ihres Berufes in der einseitigen Begabung am Charakterisiren, sondern
strebten, das Hauptgewicht wieder auf die malerisch-künstlerische Er-
scheinung der Bilder zu legen. Es ist ihnen eine Ahnung aufgegangen,
dass es bessere Welten als den gewöhnlichen Genrehumor gebe, und
540
XXX. Der Realismus in Deutschland
diese Erkenntniss war von
sehr grosser Tragweite. An
die Stelle novellistischen
Humors trat der malerische
Witz. Malte man bisher Ge-
danken, so begann man nun
Dinge zu malen, und wenn
cs auch alte Cardinaismäntel
waren und Schauben und
Tricots, so war es doch
nichts »Erfundenes« mehr,
sondern etwas, was man als
Ganzes sah. Der Uebergang
dazu, schliesslich das zu ma-
len, was sich thatsächlich
vor dem Auge abspielt.
Der prächtige und ge-
sunde, malerisch geistreiche
Diez, der Victor Scheffel der
Malerei, steht an der Spitze
der Gruppe. Von Jugend auf war sein Hauptaufenthaltsort das Kupfer-
stichcabinet, wo er Schongauer, Dürer und Rembrandt, alle in Kupfer
gestochenen, in Holz geschnittenen oder radirten Kneipbrüder und Va-
gabunden studirte, nach denen er seine eigenen Marodeure, Raubritter,
aufständischen Bauern, altdeutschen Hochzeiten und Jahrmärkte malte.
Sein Bild »Zur Kirchweih« ruft Bcham, sein »Lustiges Reiten«
Schongauer, sein »Hinterhalt« Dürer ins Gedächtniss, während für
seine Jahrmärkte Tcniers das Vorbild gab. Diez kennt sich in
der Periode von Dürer und Holbcin bis auf Rubens, Rembrandt,
Wouwerman und Brouwer ganz wie ein Kunsthistoriker aus und hat
zuweilen — in seinem »Picknick im Walde« — selbst das 18. Jahr-
hundert in den Kreis seiner kunsthistorischen Studien gezogen. Seine
Bilder waren von unerreichter Tonfeinheit und könnten in der Pina-
kothek gewiss neben denen seiner niederländischen Vorbilder hängen,
ohne dass sie durch die Annäherung verlören.
In Harluirger, dem geistreichen Zeichner der Fliegenden Blätter ,
dem unbestrittenen Herrscher im Reiche der Schlapphüte, der alten
Krüge und dellter Pfeifen, lebte ein Stückchen von Brouwer oder
Ostade wieder auf. Bilder wie der Bauerndoctor, die Kartenspicler,
Lenbach. Selbstborträl.
XXX. Der Realismus in Deutschland
541
die Grossmutter, Am
stillen Herd, Im Sor-
genstuhl, die Gemüth-
lichen etc. waren Mei-
sterwerke holländ-
ischer Feinmalerei:
von vornehmer, stim-
mungsvoller Tongeb-
ung, tiefem, feinen
Helldunkel und flüss-
igem, schmelzvollen
Vortrag. Loefftz be-
gann mit seinem Bilde
»Geiz und Liebe« als
Quinten Massys redi-
vivus, warf sich der
Reihe nach Holbein
und van Dyck in die
Arme und übte gleich
Diez durch seine Lehr-
thätigkeit einen gros-
sen Einfluss auf die
jüngere Generation.
Clmis Meyer , der durch
seine 1883 gemalte »Nähschule im Beguinenkloster« einer der be-
kanntesten jungen Münchener wurde, hatte das Verdienst, an der
Hand Pieter de Hooghs und des Delftschen van der Meer sich zu
nüancenrcicher Malweise emporzuranken. Durch die mit dünnen
Gardinen verhängten Fenster der hinteren Tlnirwand fiel warmes,
ruhiges Tageslicht in das Gemach und glänzte auf den sauberen
Dielen des Bodens, auf den blanken Tischplatten, den weissen
Blattseiten der Bücher, den blonden und braunen Haaren der Kinder-
köpfchen , die es wie mit goldenem Nimbus umwob. Ein anderer
Sonnenstrahl drang durch den Spalt der nicht ganz geschlossenen
Thür und zitterte als heller, schmaler Streifen über den Boden.
Die intime Schilderung ruhiger Scenen des Kleinlebens, die völlig
malerische Darstellung gemüthlich stiller Vorgänge ist an die Stelle
genrehafter Abenteuer getreten. Alte Herren mit Bierglas und
Thonpfeife, Mägde, die in der Küche Kartoffeln schälen, Kloster-
Lenbach: Kaiser Wilhelm.
542 XXX. Der Realismus in Deutschland
Schüler, die in der Bibliothek bei
ihren Büchern sitzen , Trinker,
Raucher und Wü'rfler — das
waren die schweigsamen, ruhig
passiven Gestalten seiner spätem
Bilder. Das mild einfallende Sonnen-
licht umspinnt sie. Leichte Tabak-
wölkchen durchziehen die Luft.
Alles ist behaglich, anheimelnd,
von einem Hauch malerischen
Reizes, gemüthlicher Wärme, poet-
ischen Duftes umwogt. Seine
Arbeiten werden sich in hun-
dert Jahren als tadellos echte,
feine, alte Holländer verkaufen.
Hohnberg wurde der Geschicht-
schreiber der Cardinäle. Ein aus
runden Butzenscheiben mit ein-
gefügten kleinen Glasgemälden zusammengesetztes Fenster bildet den
Hintergrund des Zimmers, und in der milden Oelbeleuchtung, die
Prunkgeräthe und Kleinodien, Truhen und Gobelins überstrahlt, sind
weisse Damen-Atlasklcider, Schnitt von 1640, oder lila und purpur-
rothe Cardinaisroben aus dem reichen Kleiderschrank des Künstlers
mit den dazu gehörigen Modellen zur Schau gestellt.
Fritz August Kaulbach ist der Extrakt dieser Richtung, der viel-
seitigste Anempfinder der Gruppe. Nicht zu den Specialisten gehörig,
die sich in einseitiger Beschränkung auf die Nachahmung der Nieder-
länder oder der Holländer warfen, tauchte er wie der alte Diterici
proteusartig bald in dieser, bald in jener Maske auf und wusste -
mochte er die Züge Holbeins, Carlo Dolcis, van Dycks oder Watteaus
annehmen — stets gleich graziös und chic zu erscheinen.
Als deutsche Renaissance im Zenith stand, malte er Renaissance:
harmlose Genrebilder ä la Beyschlag — Familien- und Liebesglück
— nicht so banal wie jener, sondern mit feinerem poetisch colo-
ristischen Reiz. Besonderen Beifall fanden Einzel tiguren : Nürnberger
Patriziertöchter und Edelfräulein mit altdeutschem Barett, dunklem
Sammtkleid und langen Gretchen zöpfen , die bald die Augen auf-
geschlagen, bald gesenkt hatten , bald die Hände falteten oder einen
glänzenden Deckelpokal trugen. Zuweilen waren diese Einzelfiguren
XXX. Der Realismus in Deutschland
543
Porträts, dann verwandelten sie sich in »Damen in altdeutscher
Tracht«, und Kaulbach wusste sowohl das schwarze Barett, wie
das Schleierchen und Perlennetz, die grüngelbe Seide der Puffärmel,
wie den Plüschbesatz des dunkeln Kleides und die alterthümliche
rothe Gretchentasche zur grossen Zufriedenheit seiner Besteller zu
malen. Manche hielten auch eine Laute in der Hand und standen
in einer Frühlingslandschaft vor einem Bächlein oder einer Silber-
birke, ganz wie Stevens das io Jahre vorher zu malen liebte. Fritz
August Kaulbach nahm damals mit etwas mehr Weichheit in
Deutschland die Stelle ein wie in Belgien Florent Willems. Seitdem
hat er die verschiedensten alten und neuen Meister mit künstler-
ischem Feingefühl dem Publikum näher gebracht : in seinem »Maien-
tag liess er die Schäferscenen ä la Watteau mit glücklichem Griff
wieder aufleben , in der heiligen Cäcilie schuf er Arm in Arm
mit Carlo Dolci und Gabriel Max ein Ganzes von grossem Lieb-
reiz; seine Pieta setzte er »aus den besten Gestalten Michelangelos,
Fra Bartolommeos und Tizians« zusammen, ganz wie einst Gerard
de Lairesse den Malern empfahl. Dazwischen entstanden kränkelnde
Mädchenblumen ä la Gabriel Max, niedliche Engelchen ä la Thoma,
Lenbach: Hirtenknabe.
544
XXX. Der Realismus in Deutschland
Kinder in Pieretten-
kostüm a la Vollem,
kleine Landschaften ä
la Gainsborough. Er
hat, um sein Palais zu
errichten , nicht in
sich selbst den Plan
zu einem neuen Ge-
bäude gefunden , er
hat nach allen vor-
handenen gebaut, hat
einfach unter allen
Formen die elegante-
sten, zierlichsten, köst-
lichsten gewählt, von
ihren Schönheiten nur
die Blume genommen
und daraus ein ge-
schmackvolles Bou-
quetgewunden. Zwi-
A. v. Ramberg: Begegnung auf dem See. sehen van Dyck und
die Engländer hat er
sich auch in seinen modernen Damenbildnissen gestellt, die ihm in den
letzten Jahren die Haupterfolge brachten. An einen wirklich »chiken«
Damenmaler wie Sargent darf natürlich nicht gedacht werden, doch
waren sie für Deutschland von sehr feinem Geschmack, interessant
Kaulbachisch angekränkelt und von einem odeur de femme um-
flossen, das sehr viel Beifall fand. In seiner Schützenlisl wagte er
einen frischen Griff in’s Volksleben und machte ein so graziöses
Bild daraus, dass fast Piglhein es gemalt haben könnte. In einer
Reihe geistreicher Caricatuten war er sogar — Kaulbach. Die
Kunstgeschichte ist gross, und da Fritz August Kaulbach sie sehr
gut kennt, wird er gewiss noch mancherlei Ansprechendes und Ge-
fälliges zu malen finden, »s’il continue ä laisser errer son imagi-
nation ä travers les formes diverses cre6es par l’art de tous les
ternps«, wie die Gazette des Beaux-Arts bei Gelegenheit der Wiener
Weltausstellung 1878 von ihm sagte.
Einem Historiker des nächsten Jahrhunderts werden nach alle-
dem diese Bilder wenig Neues zu bieten haben. Etre maitre, sagt
XXX. Der Realismus in Deutschland
545
Rudolf Hirth : Hopfenlese.
W. Burger, c’est ne rcssembler ä personne. Das aber waren Ar-
beiten von Malern, die das Dogma von der Unfehlbarkeit des all-
umfassenden Eklekticismus lauter verkündeten , als die Carracci es
in ihrem bekannte Sonette thaten ; geistvolle Anempfinder, deren
Zugehörigkeit zum 19. Jahrhundert später nur aus den Jahrzahlen
der Bilder zu ersehen sein wird. Wiederaufgelebte alte Meister,
haben sie die Kunstgeschichte als solche nicht um Neues bereichert.
Aber sie haben, indem sie an Stelle oberflächlicher Nachahmungen
gute intime Nachahmungen setzten, doch die Kunstgeschichte des
19. Jahrhunderts vorwärts gebracht.
Jeder trug durch die Arbeit seines Lebens dazu bei, der durch
Winckelmann und Carstens verlernten Kunst der Oelmalerei in
Deutschland wieder ein Heim zu bereiten , und in diesem Sinne
waren ihre Werke sehr wichtige Stationen auf der grossen künstler-
ischen Fahrstrasse. Durch das systematische Nachahmen der feinsten
alten Meister hatte München in verhältnissmässig kurzer Zeit das
Verständniss für Farbe und Vortrag wieder gewonnen , das so
lange verloren war. In nebelhafter Ferne lagen die Zeiten, da die
Mutlier, Moderne Malerei II.
XXX. Der Realismus in Deutschland
546
unterscheidende Eigentümlichkeit deutscher Malerei in Gedanken-
reichthum, Mangel coloristischen Sinnes und technischem Unge-
schick lag und die aesthctischen Wortführer diese Eigenschaften als
ebensoviele nationale Tugenden priesen. Gründlich war man von
diesen Meinungen zurückgekommen, hatte ein Jahrzehnt strenger
Arbeit auf die Austilgung aller Mängel verwendet. Eine solche Er-
rungenschaft war erfreulich , gross und wichtig genug. Erst diese
letzte Nachblüthe der alten Meister konnte die Brücke zu neuen
Dingen werden.
Gerade in denjenigen, die malerisch am weitesten vorgeschritten,
das ganze Können der Alten in sich aufgenommen und verarbeitet
hatten, erwachte das Gefühl, dass die Grenze erreicht sei. Man
glaubte technisch genug gelernt zu haben, um im Sinne dieser alten
Meister nun auch Stoffe aus dem modernen Leben behandeln zu
können, nicht mehr wie früher als mühsam zusammengesetzte Genre-
bilder, sondern als wirkliche malerische Kunstwerke. Es trat wie
in Frankreich eine Gruppe von Realisten auf, die anfingen, mit
naturwissenschaftlicher Strenge, ohne alle genrehaften Nebengedanken
die Wahrheit zu suchen.
Franz Lenbach, der grösste Schüler der Alten, steht durch einige
Jugendwerke mit diesen Bestrebungen der modernen Kunst in enger,
sehr wichtiger Verbindung.
Man hat sich gewöhnt, ihn nur als Bildnissmaler zu betrachten
und verehrt in ihm mit Recht den grössten deutschen Porträtistcn
des Jahrhunderts. Die Nachwelt kann es als eine Gunst der Götter
preisen, dass gerade er zur rechten Zeit geboren ward, so dass
seine Entwicklung zur Reife in die grösste Epoche des Jahrhunderts
fiel. Ein gemaltes Heldenepos unserer Zeit wurde seine Porträt-
galerie genannt. Ihm sassen zu Bildnissen die mächtigsten geschicht-
lichen Gestalten des Jahrhunderts, die grössten Eroberer und Herrscher
im Reiche der Wissenschaft und Kunst. Trotzdem wäre diese Galerie
für die Nachwelt wcrthlos, hätte Lenbach nicht über eine Eigenschaft
verfügt, die keiner seiner unmittelbaren Vorgänger bcsass: einen
heiligen Respcct vor der Natur. Zu einer Zeit, als rosige Farben,
süssliches Lächeln und idealisirende Zeichnung die nothwendigen
Erfordernisse jedes Bildnisses waren, als Winterhalter die grossen
Männer malte, nicht wie sie waren, sondern wie sie nach seiner
Ansicht schöner gewesen wären — ohne zu bedenken, dass der
liebe Gott am besten versteht, den grossen Männern auch den passen-
XXX. Der Realismus in Deutschland
547
den Kopf zu geben, — trat Lenbach mit seinen Bildnissen von
brüsker Wahrhaftigkeit hervor. Schon das war eine That, die nur
einer eigenartigen Persönlichkeit gelingen konnte. Um als Porträtmaler
in der Gesellschaft durchzudringen , ist ausser dem eigentlichen
Künstlerthum noch eine besondere Complication der verschiedensten
Fähigkeiten nöthig. Lenbach besass nicht nur ein Auge und eine
Hand, er besass auch eine Zunge und Ellbogen, die ihn hors con-
cours stellten. Ebenso grob wie liebenswürdig, unterwürfig wie
stolz, halb Bauer, halb Hofmann, ein gleich grosser Künstler wie
geschickter Faiseur, erreichte er, woran tausend Andere gescheitert:
der Gesellschaft seinen Geschmack aufzudrängen, an die Stelle der
lächelnden Automaten der Modemaler wieder wahre charaktervolle
Menschen zu setzen. Im Vergleich zu den Arbeiten der früheren
Porträtisten geht ein Zug von Pantheismus, der Anbetung der Natur
durch Lenbachs Bilder hindurch.
Und was dieselben weiter so unschätzbar macht, ist, dass seine
Grösse nur zum kleineren Theil auf künstlerischen Eigenschaften,
zum grösseren darauf beruht, dass er ein höchst geistvoller Mensch
ist, der den Geist Anderer versteht. Das Porträt verlangt nicht künst-
lerische Mache allein, vor Allem auch psychisches Erfassen des
Gegenstandes. Kein Künstler, sagt Lessing, vermag eine höhere geistige
Potenz darzustellen als er selbst besitzt. Gerade dies aber bildet bei
vielen Porträtisten eine schwache Seite, da die Künstlerschaft des
Menschen durchaus nicht immer in directem Verhältnis zur Ent
wicklung seiner geistigen Potenzen steht. Ein Lenbach’sches Bismarck-
porträt verhält sich in dieser Hinsicht zu einem Anton von Werners
wie eine Hehnsche Goetheinterpretation zu einer solchen Düntzers.
Es ist ja sicher Phrase, bei Lenbachschen Bismarckbildern von con-
genialer Auffassung zu reden. Ein Defizit wird immer bleiben, aber
seitdem Lenbachs Arbeiten da sind, weiss man wenigstens, dass dieses
Defizit auf weit geringeres Maass zu rcduciren ist, als es durch die
übrigen Bismarckporträtisten geschehen. Bien comprendre son homme,
sagt Bürger-Thort', est la premicre qualite du portraitiste, und diese
Eigenschaft des geistreichen Psychologen hat Lenbach zum berufenen
Geschichtschreiber einer grossen Zeit, zum registrirenden Protokoll-
führer jener gewaltigen Aera gemacht. Sie lässt ihn sogar grösser
als die meisten Porträtmaler des Auslandes erscheinen. Wie solid
zwar, aber eintönig und hausbacken erscheint Bonnat neben Len-
bach. Man darf kein Dutzend Bonnats neben einander sehen ;
54«
XXX. Der Realismus in Deutschland
einer fesselt durch die gewaltige Plastik der Person, sieht man
mehrere zusammen, so haben alle Gestalten die nämliche Plastik, alle
dieselbe Pose und alle scheinen bei demselben Schneider arbeiten zu
zu lassen. Lenbach hat solch Charakterisiren durch Beiwerk, wie
Bonnat es liebt, nicht nöthig. Er malt nur die Augen und allen-
falls noch den Kopf, diese aber in psychologischer Vertiefung, wie
sie unter den lebenden Porträtisten vielleicht allein bei Watts noch
zu finden. In einem Kopf glühen ein paar Augen und brennen sich
in dich hinein. Die erste Zone ringsum, das Gesicht ist mehr oder
meist minder ausgeführt, die zweite Zone, Gewandung und Hände,
minder oder fast gar nicht. Das wird dann in einem neutralen Tone
gehalten, der die Unvollendung weniger hervortreten lässt. Lenbach
ist in dieser Skizzenhaftigkeit und vorstechenden Subjectivität das ge-
rade Gegentheil der Alten. Holbein, selbst Rubens, der sonst Allem
den Stempel seiner Persönlichkeit aufprägt, charakterisirten durch
ehrfurchtsvolle Nachbildung aller von der Natur gegebenen Ansätze.
Sie schufen gleichsam sachliche Dokumente und überlicssen es dem
Beschauer, sie Jeder auf seine Art zu interpretiren. Lenbach, minder
objectiv, weniger dem Stoffe sich hingebend, betont dies, vernach-
lässigt jenes und arbeitet so aus den Gesichtern die Seele heraus,
wie er sie sieht. Man kann streiten darüber, welche Art der Porträt-
malerei die wünschenswerthere sei — jedenfalls hat Lenbach die
Welt gezwungen, ihre grossen Männer nun auch mit seinem Auge
zu sehen. Er hat ihnen die Gestalt geschaffen, unter der sie fort-
lcben werden. Keiner weiss wie er den flüchtigen Augenblick festzu-
halten; keiner wies schroffer jeden Versuch idealisirender Verhimmel-
ung und typischen Verwaschsens von sich. Er fragt die Photo-
graphie um Rath, doch nur wie Moliere seine Haushälterin fragte.
Sie dient ihm blos dazu, die erschreckende Unmittelbarkeit, das
Momentane seiner Bilder, zu erreichen. Arbeiten wie »König Ludwig I.,
Gladstone, Minghctti, Bischof Strossmayr, Fürst Lichtenstein, Richard
Wagner, Franz Liszt, Paul Heyse, Wilhelm Busch, Schwind, Semper,
Liphart, Morelli« und viele andere suchen ihres Gleichen als Gha-
racteranalysen complicirter Persönlichkeiten. Einzelne seiner Bismarck-
porträts, wie die letzten Bilder des alten Kaiser Wilhelm werden stets
unter den grössten Leistungen der Portätmalerei des Jahrhunderts
stehen. Dort die unverwüstliche Kraft, das Gehäuse gleichsam, das
der gewaltigste Geist des Jahrhunderts sich baute, hier die Majestät
des halb der Erde schon entrückten Greises, von einem Zug stiller
XXX. Der Realismus in Deutschland
549
Wehmuth wie einem
letzten Abendsonnen-
strahl verklärt. Lenbach
erscheint in diesen
Werken als ein wahrer
Seelenbeschwörer —
ein evocateur d'ames,
wie ein französischer
Kritiker ihn nannte.
Was die Kunstge-
schichte aber über den
Ruhm des Portrait -
malers Lenbach ver-
gass, ist, dass derselbe
Mann im Beginne sei-
ner Thätigkeit auch
die »realistische« Be-
wegung der deutschen
Malerei an bahnte, der
er selbst heute stolz
und zurückhaltend ge-
genübersteht. Das eine
dieser Werke, die für
Deutschland eine ähn-
liche Bedeutung haben
wie die Erstlingsarbeiten Courbets für Frankreich, ist der bekannte
Hirtenbube der Schack’schen Galerie, der auf dem Rücken ausge-
streckt im hohen blüthenreichen Grase liegt und in die staubige,
von Schmetterlingen und Libellen durchschwirrte Luft des römischen
Sommertages hinaufblickt. Ein so unbefangener, muthig rücksichts-
loser, mit allem Herkömmlichen brechender, nackter Realismus in
der Darstellung der Wirklichkeit war im Jahre 1856 in Deutsch-
land etwas völlig Befremdliches und Neues. In solch unbedingter
Wahrheit hatte man ein Stück Natur noch nie zuvor geschildert
gesehen. Der braune Bube schien leibhaftig dazuliegen, von der
glühenden Mittagssonne plastisch modellirt, die nackten sonnver-
brannten Füsse mit einer dunkeln Kruste vom Morast des feuchten
Bodens bedeckt. Das andere Bild — auf der Ausstellung von 1858 —
»Vor dem Wetter flüchtende Bauern« — rief wegen seines »trivialen Re-
Wilhelm Leibi.
5)0
XXX. Der Realismus in Deutschland
alismus« einen Sturm
der Entrüstung hervor.
Jede Figur war mit
derber , herber Auf-
richtigkeit nach der
Natur gemalt und kein
genrehafter Inhalt da-
zu erfunden.
Seit den 6oer Jahren
beginnt dann Courbet
direct zu wirken. Vic-
tor Müller hatte, schon
während er im Atelier
Coutures arbeitete, Et-
was von den Ideen in
sich aufgenommen, die
der Meister von Omans
mit sich herumtrug,
und vermittelte, als er
1863 sich in München niederliess, den dortigen Malern die erste Kennt-
niss der Werke des grossen Franzosen. In den Stoffen folgte er ihm nicht.
»Der Mensch im Schoosse der Nacht vom Schlafe mit Geigenspiel
zur Ruhe gewiegt, Venus und Adonis, Hero und Leander, Hamlet auf
dem Kirchhofe, Tannhäuser und Venus, Faust auf dem Spaziergang,
Romeo und Julie, Ophelia am Bache — das sind die Titel seiner
hauptsächlichsten Werke. Doch wie weit entfernt sind sie von der
blutlos leeren Schönmalerei, die in der Coutureschule herrschte. In
seinen Stoffen Romantiker reinsten Wassers, erscheint Müller in
der Art, wie er sie behandelte , als herber Realist , an dem kein
Atom von akademischem Schulstaub klebte. Durst nach Leben
und Farbe, vollblütige Kraft, stolze Verachtung jedes leeren Pathos
und aller äusserlichen Pose, echte Menschengesichter und leben-
dige Menschengestalten von leidenschaftlicher Wildheit, kühnes Ver-
zichten auf alle herkömmlichen Regeln der Composition , selbst
in der Farbe eine Wahrheit, die in jener Zeit prunkvoller Stoff-
malerei wie etwas Funkelnagelneues gewirkt haben muss — das sind
die hauptsächlichsten Kennzeichen der Victor Müller’schen Bilder.
Das blühende Fleisch seiner Waldnymphe setzte 1863 das Münchener
Publikum in gleiche Empörung, als es gleichzeitig in Paris die weib-
Leibl: Im Atelier.
XXX. Der Realismus in Deutschland
5)1
liehen Akte Courbets
thaten. Bildnisse von
seltsamer Sicherheit
der Hand, Hundepor-
träts und Landschaften
von flammender Gluth
der Farbe, Einzel-
figuren rothhaariger
Bacchantinnen und
lachender Blumen-
mädchen , sterbende
alte Männer und ent-
zückende Märchen-
bilder gingen in den
wenigen Jahren, die
er noch zu leben hatte,
aus seinen Händen
hervor. Je näher er
dem Tode kam, desto
mehr steigerte sich
seine Arbeitskraft. Die
merkwürdigsten Ideen
bildeten sich in seinem Kopf. Er zeichnete, malte ohne Unterlass
Entwürfe, die ihn für Jahre hinaus beschäftigt hätten. »Ich komme
mir wie ein Baumeister vor, dem ein grosser Bau aufgetragen wurde,
und ich kann doch nicht, ich muss sterben.«
Die Anregungen , die er gegeben hatte , wirkten weiter. Wie
Hans Thoma später auf dem Gebiete des Märchenhaften den grossen
Frankfurter fortsetzte, hat Wilhelm Leibi Müllers realistisches
Programm verwirklicht.
Wilhelm Leibi wurde am 23. Oktober 1844 in Köln als Sohn
des dortigen Domkapcllmeisters Leibi geboren. In München trat
er in das Atelier Arthur von Rambergs ein, jenes heute unverdient
vergessenen Malers, der durch sein eigenes Schaffen wie durch seine
Lehrthätigkeit auf die jüngere Münchener Schule einen weit ge-
sunderen Einfluss als Piloty übte. Ramberg war ein moderner Mensch,
mit dem guten Willen, die Ketten der Tradition, die jene Generation
allüberall umschlangen, zu zerreissen und unmittelbar dem Leben
gegenüber 'zu treten. Ein aristokratischer Dandy, hatte er, nachdem
Leibi: Französin.
5)2
XXX. Der Realismus in Deutschland
Leibi: Zeitunglesende Bauern.
er anfangs sich in romantischen Märchenstoffen bewegt, bald nach
seiner Uebersiedelung nach München eine Reihe von Bildern aus
dem modernen Leben — die Dachauerinnen am Sonntag, die Rück-
kehr vom Maskenball, den Spaziergang mit dem Hofmeister, die
Begegung auf dem See, die Einladung zur Kahnfahrt u. A. — ge-
malt, die sich aus der zeitgenössischen Production sehr vornehm,
duftig und anmuthvoll abheben. In einer Zeit, als Andere nur
den Bauernkittel für darstellbar hielten, malte Ramberg das elegante
moderne Damenkostüm. Zur selben Zeit, als jene sich in plumpen
genrehaften Episoden ergingen, schuf er Lieder ohne Worte von
vornehmer Zurückhaltung, Adel und Zartheit. Rudolf Hirth, der
durch seine Hopfenlese Aufsehen machte, Albert Keller, der ge-
schmackvolle Maler des Highlife, Karl Haider, der gewissenhaft ehr-
liche, altmeisterlich energische Feinmaler, und Wilhelm Leibi gingen
aus seiner, nicht aus Pilotys Schule hervor.
Die Beschäftigung mit der Historie blieb dem jungen Kölner
so von Anfang an erspart, und sich auf genrehafte Fabulirkiinste zu
XXX. Der Realismus in Deutschland
553
legen, hatte er nicht
nöthig, da sein gan-
zer Organismus ihn
zur Malerei be-
stimmte. Wilhelm
Leibi war damals ein
hübscher Mensch
mit mächtigen Glie-
O
dern und leuchten-
den rehbraunen
Augen : der ver-
körperte Realismus:
ziemlich klein, aber
kräftig, beinahe last-
thierartig von Ge-
stalt , mit breiter
Brust, hohen Schul-
tern und stierart-
igem Nacken. Die
Arme waren dick,
die Füsse breit. Sein
Gang war langsam,
schwer und nach-
drücklich, die Arm-
bewegungen breit
und viel Platz er-
fordernd. Er hatte
nicht den Feuergeist
Courbets, er war be-
dächtiger, nüchterner, prosaischer, aber er ähnelte ihm wie in seinem
Aeussern auch in der künstlerischen Veranlagung des Auges und
der Hand. Er hatte, wie ein französischer Kritiker von ihm schrieb,
»eine jener Organisationen, die für das Malen bestimmt sind, so wie
Courbet eine derartige Organisation bei uns Franzosen hatte. Solche
Leute ziehen aus der Malerei die merkwürdigsten Sachen.«
Gleich das erste Bild, das er 1869 ausstellte, und das seine
beiden Mitschüler Rudolf Hirth und Haider einen Kupferstich be-
trachtend darstellte — war von einer weichen, satt goldigen Harmonie
des Gesammttons, die weit alle Producte der üblichen Genremalerei
Leibi: In der Kirche.
554
XXX. Der Realismus in Deutschland
Leibi: In der Bauernstube.
hinter sich liess und direct an die vornehmen Erzeugnisse des
Holländers Michael Swerts streifte. Das zweite, ein Porträt der Frau
Gedon, machte in seiner Rembrandt’schen Tonschönheit selbst in
Paris Eindruck und brachte ihm 1870 dort die goldene Medaille ein,
die man ihm in München ein Jahr vorher, da er noch Akademie-
schüler war, nicht zu geben gewagt hatte. Dieses Jahr 1869 war
das entscheidende in Leibis Leben. Die Münchener Ausstellung
bot damals Gelegenheit, die Bedeutung der französischen Kunst
in einem Maasse wie nie zuvor kennen zu lernen. Uebcr 450
Bilder, nur zum kleineren Theil solche der glatten conventionellen
Historienmaler, waren vorhanden. Troyon war da und Millet und
Corot. Doch Courbet hauptsächlich, dem das Comite einen ganzen
Saal für seine Werke eingeräumt hatte, war der viel umstrittene
XXX. Der Realismus in Deutschland
555
Leibi: Am Spinnrocken.
Held. In der Allotria platzten die Meinungen auf einander. Die
officiellen Kreise begrüssten den Meister von Omans mit demselben
Entrüstungsruf, der ihn in Frankreich empfangen. Für Leibi ward
er das angestaunte, gefeierte Ideal. Sein Auge strahlte, wenn er im
»deutschen Haus« ihm gegenübersass und in Ermangelung eines
andern Verständigungsmittels ihn durch handfestes Zutrinken seiner
Hochachtung versicherte: Prosit Courbet — Prosit Leibi. Er reckte
die gewaltigen Glieder, nahm Athletenstellungen an, um, wenn nöthig,
in blutigen Raufereien seine Schwärmerei für den grossen Franzosen
zu bethätigen. Wie ärmlich und verlogen erschien die ganze Piloty-
Schule mit ihrer rosigen Fadheit, ihren conventionellen blühenden
Palettentönen gegenüber der ernsten Wahrheit, der meisterhaften
Malerei dieser Werke. Noch im selben Jahre ging er nach Paris,
ein Porträtauftrag des Herzogs Tacher de la Pagerie gab weitere Ver-
55^
XXX. Der Realismus in Deutschland
anlassung zur Reise.
Hier entstand die »Co-
cotte« , das Porträt
einer dicken Franzö-
sin, die auf dem So-
pha sitzend den Rauch-
wolken ihrer Thon-
pfeife nachblickt. Es
könnte »Courbet« ge-
zeichnet sein in sei-
nem massiven Realis-
mus, seiner kraftstrotz-
enden , saftig breiten
Malerei, und Lpibl er-
zählt mit Stolz, wie
Courbet ihm während
der Arbeit auf die
Schulter klopfte: »II
faut que vous restez
ä Paris.« Der Aus-
bruch des Krieges be-
Leibl : Die neue Zeitung. elldigte schneller als
vorausgesehen seinen
Pariser Aufenthalt, aber wenn er auch dreiviertel Jahre nur währte,
genügte er doch, den Bestrebungen des Malers für immer die feste
Richtung zu geben. Leibi wurde der Apostel Courbets in Deutsch-
land, in seinem äusseren Leben der deutsche Millet. Er siedelte
sich, nach Bayern zurückgekehrt, 1872 in Grasolfingen, dann in
Schondorf am Ammersee, dann in Berbling bei Aibling, 1884 in
Aibling selbst an, ward Bauer und malte wie Millet Bauernbilder.
Das Poetische, Biblische, den feierlich epischen Zug, der Millets
Werke kennzeichnet, darf man bei Leibi nicht suchen. Aus Millets
Bildern spricht ein auf das Grosse, Heroische gerichteter Geist. Was
seinen Stil ausmacht, ist ein Rembrandt'sches Raumgefühl, die grosse
Linie, die Vereinfachung, das geistreiche Abstrahiren vom anek-
dotisch Gleichgültigen der Form. Leibis Höchstes ist, sich wol-
lüstig in die hundert Kleinigkeiten der Natur zu versenken. Er
triumphirt, wenn es sorgendurchfurchte, faltenreiche Gesichter alter
Bäuerinnen zu malen gilt, rothe Backen junger Dirnen, die in ihrer
XXX. Der Realismus in Deutschland
557
Leibi: Schneiderwerkstätte ( Zeichnung ).
ganzen ländlichen Naturfrische glänzen, gemusterte Kleider, an denen
deutlich der Stoff, das Gewebe zu erkennen, geblümte seidene Hals-
tücher, rauhhaarige Lodenjoppen und schwere Nagelschuhe. Er ver-
hält sich zu Millet wie zu Michelangelo Holbein.
Auch einen intimen Künstler in dem Sinne, wie es unter
den Modernen namentlich die Skandinavier sind, kann man ihn
nicht nennen. Bei Viggo Johansen verschwindet der Maler; was
er gibt, wirkt nicht mehr als Bild, sondern wie ein Moment der
Existenz, wie die Erinnerung an etwas Trautes, Familiäres — er-
lebt und geschaut, nicht gewollt und gemacht. Seine Figuren sind
wie plötzliche Erscheinungen von Personen, die man belauscht, so
wie man ungesehen Nachts durch ein Fenster in fremde Stuben
hereinblickt. Man fühlt sich nicht veranlasst, dem Künstler ein
Compliment zu machen, aber man möchte selbst in diesem gemüth-
lichen , warmen , tabakgeschwängerten Zimmer sitzen , die feinen
Dampfwölkchen einathmen , die dem Theekessel entströmen , dem
brodelnden Wasser lauschen, das leise auf dem glimmenden Feuer
summt. Aus Leibis Bildern spricht stets der Maler. Eine mittheil-
same Stimmung, etwas, das zum Träumen einladet und das Herz
füllt, entwickelt sich aus ihnen nicht. Man denkt stets in erster
558
XXX. Der Realismus in Deutschland
Linie an das erstaunliche
Können , die unglaubliche
Geduld, die dazu gehörte,
sie zu machen. Und man
fühlt auch , dass es dem
Maler selbst — bei aller pho-
tographischen Naturtreue —
weit weniger darauf ankam,
das Poetische einer Scene,
den momentanen Reiz eines
Natureindrucks zu packen,
als gewisse Paradepferde sei-
nes technischen Könnens in
den Vordergrund zu schie-
ben. Namentlich Zeitungen,
in denen womöglich ein
Stück Leitartikel zu lesen,
Thongefässe, Flaschen und
Leibt: Trinkender Bauer (Zeichnung). Schnapsgläser spielen in sei-
nen Bildern eine ähnliche
Rolle wie in denen der Piloty-Schule das messingbeschlagene glanz-
lichterauffangende Kästchen, der umgestürzte Sessel, der Teppich
und Globus.
Wilhelm Leibi ist wie Courbet ein guter Ouvrier, eine frische,
kräftige, energische Natur von robustester Gesundheit, sehr materiell,
zuweilen nüchtern, prosaisch. Das Malen ist ihm angeboren, wie uns
Andern das Athmen und Gehen. Er geht seinen Weg wie ein Ochse
am Pflug, ruhig und ohne zu ermüden, ohne nervös zu werden
und ohne poetische Anwandlungen. Er geht, wohin sein Instinkt
ihn führt, und malt mit muskulösem Handgelenk, was seinem Auge,
seinem Pinsel Spass macht. Er hat gegenüber den nervösen, hastigen
Modernen etwas von einem mittelalterlichen Mönch , der, ohne die
Stunden, Tage, Jahre zu zählen, still in seiner Zelle sitzt und die
Seiten seines Gebetbuches mit kunstvollen Miniaturen ziert, um,
wenn das Amen finis daruntergesetzt, selig zu entschlafen. Aber er
hat auch das ganze Können, die ganze grenzenlose Naturverehrung
dieser Alten. Er ist der grösste Maitre-peintre, den Deutschland im
Laufe des Jahrhunderts besass, und in diesem Sinne war sein Auf-
treten von epochemachender Bedeutung.
XXX. Der Realismus in Deutschland
559
Noch Defregger hatte das Bauernleben ausschliesslich unter dem
Gesichtspunkt des Novellistischen , Anekdotischen betrachtet. Bei
Leibi ist dieses erzählende Genre überwunden. Er konnte genug,
um auch einem »leeren Sujet« künstlerische Anziehungskraft zu
geben. Um allen chargirten oder in Rollen vertheilten Ausdruck
zu fliehen, malte er durchweg möglichst aufregungslose Beschäftig-
ungen : Bauern, wie sie eine Zeitung lesen, in der Kirche sitzen oder
das Gewehr prüfen. Auch die geringste Bewegung der Figuren
wird sorgfältig vermieden. Während alle Früheren Romanciers waren,
ist Leibi Maler. Die Themen werden gleichgültig — einfache Scenen
aus dem Leben des Tages — die Schönheit der Bilder liegt im tech-
nischen Theil. Sie sind Arbeiten, denen gegenüber jeder Versuch,
mit Worten eine Vorstellung von ihnen zu wecken, ohnmächtig
bleibt, da sie wie in den guten Zeiten der Kunst nicht aus der Freude
am Anekdotischen, sondern aus der Schulung des Farbensinnes und
einem eminenten zeichnerischen Können hervorgingen, Bilder, in
denen das Interesse am Gegenstand völlig vom künstlerischen Ge-
halt aufgezehrt ist, das Was des Dargestellten gänzlich hinter dem
Wie der Ausführung zurücktritt. Das Hauptaugenmerk der Historien-
wic der Genremaler war gewesen, unter Zugrundelegung von Einzel-
studien einen fleissigen Carton zu zeichnen, die Farben hübsch
auf der Palette zu mischen, sie nach allen Regeln der Kunst auf die
Leinwand zu streichen, zu verbinden, trocknen zu lassen, um dann
durch abermaliges Uebermalen und endliches Lasiren die coloristische
Haltung zu erzielen. Den gewonnenen Eindruck so schnell als mög-
lich festhalten, die Wirklichkeit beim ersten Blick richtig er hissen, die
Farben bestimmt und sicher, klar nach der Färbung des Originals
auf die Leinwand übertragen — darin bestand Leibis Meisterschaft,
die von selbst eine staunenswerthe Naturwahrheit im Gefolge hatte.
Das Lessing’sche »durch die Augen in den Arm in den Pinsel« war
hier zum ersten Mal in Deutschland Wirklichkeit geworden. Noch
kein Deutscher hatte in dem Maasse das, was der Maler Qualitäten
nennt, und selbst in Frankreich haben selten bei einem Meister zwei
anscheinend heterogene Fähigkeiten sich in dem Maasse wie bei
Leibi vereinigt : eine grosse, breite Mache , eine kühne alla prima
Malerei und andererseits die Freude an jener spitzpinseligen Detail-
arbeit, wie sie Quinten Massys, der Schmied von Antwerpen, hatte.
Die' »Dorfpolitiker« von 1879 waren das Hauptwerk, das er in Schon-
dorf malte. Was hätte Knaus, der König der Illustration und Herr-
560
XXX. Der Realismus in Deutschland
scher im Reiche der
Vignette, aus diesem
Thema gemacht ! Er
hätte durch einen
literarischen Seiten-
sprung die Gedanken
über das Interesse des
Bildes hinausgezogen.
Man hätte erfahren,
was die Bauern lesen,
wäre über ihre polit-
ische Parteistellung
wie über ihre Ehren
und Aemter im Dorfe
unterrichtet worden :
das ist der Schulz, das
der Schmied, das der
Schneider. Bei Leibi
sind es einfache, brave
Bauern , die , um
von der Arbeit der
Woche auszuruhen,
stumpfsinnig und
gleichgültig der Lek-
türe der Sonntagszeitung zuhören, in der einer von ihnen die Dorf-
nachrichten und die Getreidepreise sucht. Sie sind hässlich, vulgär,
aber auch von theatralischer Verschönerung und impertinenter Satire
verschont, sie sind nicht kunstvoll gruppirt, sie sitzen da in der ganzen
Rusticität ihrer Physiognomien, der ganzen Eckigkeit ihrer Attitüden,
ohne Appretur, ohne Sonntagsstaat. Leibi gibt die Wirklichkeit, ohne
sie zu verändern, aber er gibt sie voll und ganz. Die auf die Leinwand
fixirte Naturwahrheit übertraf Alles, was bisher gesehen wurde und
war obendrein mit den einfachsten, gesundesten Mitteln erzielt. Währ-
end Lenbach in seinem Suchen nach altmeisterlich coloristischen Effek-
ten schon während der Arbeit die Haltbarkeit seiner Bilder zerstörte,
schien Leibi den Satz, den Dürer einmal an Jacob Heller schrieb,
zum Motto seines Schaffens erwählt zu haben: »Ich wciss, wenn ihr
die Tafel gut haltet, dass sie 500 Jahre sauber und frisch sein wird,
denn sie ist nicht gemacht, wie man sonst zu machen pflegt«.
XXX. Der Realismus in Deutschland
Triibner: Kartoffelfeld.
Einen weiteren Schritt in der Richtung der Wahrheit that er,
als er von den Holländern noch mehr zu den alten Deutschen über-
ging. Nachdem er in seinen früheren Werken sehr fein auf Ton
hin gearbeitet, namentlich eine Zeit lang im Anschluss an Rembrandt
specifische Helldunkelwirkungen zu erzielen gesucht hatte, stellte er
sich auch in der Farbenanschauung auf eigene Füsse und malte
Alles so, wie er selbst, nicht wie es einer der Alten gesehen. Alle
malerischen Kniffe, alle Virtuosenstücke sind verschmäht, kaum auf
die malerische Gesammthaltung wird besonderer Nachdruck gelegt.
Alles ist einfach, wahr wie die Natur, von nicht zu überbietender
Ehrlichkeit.
Das ßildniss der drei Bäuerinnen »In der Kirche« ist das Haupt-
werk dieser seiner »zweiten Manier«, und es war ein Ereigniss, als
es auf der Münchener Internationalen Ausstellung 1883 erschien.
Seitdem stand — wenigstens in Münchener Künstlerkreisen fest, dass
man in Leibi den grössten deutschen Maler seiner Zeit besitze.
Muther, Moderne Malerei II. ■*£.
562
XXX. Der Realismus in Deutschland
Dass Leibi das Bild malte, ohne sich einen Umriss aufzuzeichnen,
dass er beim Auge der jungen Bäuerin begann und mosaikartig Stück
für Stück prima fertig malte, war ein technisches Kunststück, das
ihm wenige nachmachten. Staunend wie ein Wunderwerk betrach-
teten die jungen Münchener die Seiten des Gebetbuches und die
Carrees des Gingankleides, den Krug der Bäuerin und die Holz-
schnitzereien des Kirchengestühls. Sie waren ausser sich über solche
in der modernen Kunst unerhörte Macht, Kraft und Zartheit der
Modellirung, diesen Holbein'schen Schmelz der Farbe und diese In-
timität des Naturstudiums. Sie trafen immer auf neue Dinge, deren
Anblick überraschend war, und manchem ging es wie dem Maler
Wilkie, wenn er in Madrid vor den Trinkern des Velazquez sass
und sich schliesslich müde mit einem Uf! erhob.
Leibi that für Deutschland, was die Praerafaeliten für England
thaten. Mit staunenswerther Sorgfalt wurde der Mensch dargestellt,
wie er dasass und sich malen Hess. Die ganze klare Wahrheit wollte
er geben und gab sie, nichts davon, nichts dazu. Bis in den kleinsten
Zug und die feinsten Regungen reproducirte er die Natur und brachte
die nachahmende Seite der Kunst zur denkbar höchsten Vollendung.
Vermöge dieser Eigenschaften war er der geborene Porträtmaler,
und seine Bildnisse gehören, obwohl er nie »Auffassung« in Lcn-
bach’schcm Sinne hatte, neben denen Lenbachs zu den besten deut-
schen Leistungen des Jahrhunderts. Nur Holbcin, als er seinen
Gysze malte, hatte diese unerbittliche Art. die menschliche Physio-
gnomie bis in jede Hautfalte zu analysiren. Leibi lehrte die deutschen
Maler zum ersten Mal wieder in’s Einzelne gehen, leitete sie an, un-
ausgesetzt die Natur als einzige Quelle der Kunst zu betrachten
und das war der Anfang jeder Renaissance.
Das Ausland erkannte früh diese bahnbrechende Bedeutung.
Seine Arbeiten wurden in England und Amerika mit Gold aufge-
wogen, zu einer Zeit, als die deutschen Kritiker noch bei jedem
bedauerten, dass er keinen »Humor« hätte. Die »Cocotte« befindet
sich im Besitz des Malers William Merrit Chase in New-York, die
»Zeitunglesenden Bauern sind in die Sammlung Stewart daselbst
gekommen. Munkacsy in Paris besitzt das Wirthshausgespräch«,
Joseph Kopf in Rom das Porträt einer Dachauerin mit Pelzhaube.
Was in Deutschland blieb, ist im Privatbesitz verstreut. Das Porträt
der Frau Gedon kam zu Herrn Joost in Köln, ein Doppelbildniss
Münchener Maler zu Baron Liebig in Reichenberg; Herr Katzenstein
XXX. Der Realismus in Deutschland
563
in Frankfurt besitzt den »Jager«, Herr Thiem in Berlin einen Mädchen-
kopf, Herr Schön in Darmstadt die »Bäuerinnen in der Kirche«.
Einzelnes ist in München — bei Defregger, Georg Hirth, F. A. Kaul-
bach, Th. Knorr, H. Schiitgen, W. Trübner u. A. — zu finden.
In den öffentlichen Galerien ist er nirgends vollgültig vertreten.
Das Kölner Museum besitzt seine früheste Arbeit, das Porträt seines
Vaters 1866, das er selbst dahin schenkte. Von der Dresdener
Sammlung wurde ein Mädchenkopf, von der Münchener Neuen
Pinakothek ein kleines Bauernbild angekauft. In den andern Galerien
fehlt er noch gänzlich, und die nachträgliche Ergänzung dieser Lücke
wird später eine Ehrenpflicht sein. Denn Leibi gehört der Geschichte.
Seine Werke waren malerisch der vollkommenste Ausdruck der
Ziele der Münchener Coloristenschule. Er war für die Bestrebungen,
die das Jahrzehnt seit 1870 füllten, ebenso typisch, wie für die
Kunst der 30er Jahre Cornelius, für die der 50er Piloty und wie es
später für die Bestrebungen der 80 er Jahre Liebermann wurde.
Durch ihn, der auch durch seine Radirungen eine hohe Stellung
in der Geschichte der deutschen Kunst beansprucht, wurde eine ganze
Anzahl Jüngerer angeregt, sich die Hilfsmittel der bonne peinture so
anzueignen, dass sie dazu übergehen konnten, unter Absehung von
allem genrehaften Inhalt gute sachliche Bilder zu malen, die nichts
anderes mehr wollten, als gute Bilder sein. Wilhelm Trübner war
unter ihnen der feinste, geistreichste Colorist — als Mensch ein
kleiner, kräftig gebauter, untersetzter Herr, eine feste, zähe Natur von
unzerstörbarem Phlegma. Diesem Phlegma verdankt er, dass ihn die
grosse Vorwelt nicht gefangen nahm. In einer Zeit, als alle Andern
in der Pinakothek alte Bilder copirten und danach neue zusammen-
stellten, liebte auch Trübner die alten Meister, aber platonisch,
ihre Werke beirrten ihn nicht. Zur gleichen Zeit, als jene ihren
Geist anstrengten, humoristische oder novellistische Episoden zu er-
finden, war er viel zu bequem, um geistreichen Ideen nachzujagen.
Er hatte Maler werden wollen und sah die Aufgabe des Malers im
Malen. Muralt sagte von den Gelehrten, man müsse sie ihrer Wissen-
schaft entkleiden , avant que de pouvoir les faire revenir ä l’etat de
nature oü se doit trouver l’homme. Trübner war solch ein Maler
von gesundem Menschenverstand. Viel dickes Blut floss in seinen
Adern, sein breitgestirnter Kopf sass fest auf massiven Schultern, sein
Auge war wie Courbets weit offen für Alles, was man sehen und be-
rühren kann. Er schien eigens zur Welt gekommen, um zu beweisen,
5^4
XXX. Der Realismus in Deutschland
dass ein Maler nur seine fünf Sinne nöthig hat, um die ganze Welt
zu malen. Er fühlte einen Abscheu vor Allem, was nicht die Erde
war, die er unter den Füssen hatte, dachte nicht daran, die Dinge
schöner zu machen, als sie sind, noch sie in Compositionen zu
zwingen, die sie in Wirklichkeit nicht haben. Er fand im Gegen-
theil, dass die Schöpfung sehr gelungen sei. So erklären sich seine
Qualitäten und Fehler. Sein Phlegma hatte ihn verhindert, sich zeich-
nerisch die sattelfeste Grundlage zu erwerben, aber die Fähigkeit zu
malen lag ihm im Blute und sein gesundes Gefühl, seine trotzige
Selbständigkeit bewahrte ihn auch vor jeder Manier, vor jedem
Costümschwindel und jedem Genrehumor. Er wusste nicht viel, aber
was er wusste, verdankte er sich selbst. So entstand in seinen Bil-
dern eine merkwürdige Mischung von rücksichtsloser Wahrheit und
in die Augen fallenden Schwächen, von herzerquickender Gesundheit
und seltsamem Unwissen. Er ist ebenso sympathisch wie tadelns-
werth, ebenso in sich abgeschlossen wie ungleich. Was er auf mytho-
logischem Gebiete sündigte, ist für seine Charakteristik belanglos.
Es freute diesen gesunden, fleischfrohen Maler, sich im nackten
Leibergewimmel von Gigantenschlachten zu ergehen. Er hat Kreuzig-
ungen, den Prometheus mit den Okeaniden und viel Derartiges ge-
malt, aber doch zu wenig zeichnen können, um trotz der eigenartig
selbständigen Auffassung zu nennenswerthen Resultaten zu kommen.
Dagegen war er ein sehr grosser Porträtmaler. Seine Bildnisse sind,
obwohl gleich denen Courbets psychologisch nicht bedeutend, mit das
beste Stück Malerei, das damals ein Münchener lieferte. Durch spröde,
unbestechliche Ehrlichkeit fesseln seine kleinen Figurenbilder, in
denen er die intimen Reize helldunkler Interieurs gut und saftig
malte. Als er sie ausstellte vor 20 Jahren, wurden sie nicht beachtet,
da sie zu einfach waren und keine Zugeständnisse an den herr-
schenden Geschmack machten. Ihre schlichte Art und ihr grosser
Ernst stand damals, als man ein Kunstwerk noch ausschliesslich nach
seinem stofflichen Interesse beurtheilte, ihrem Vcrständniss entgegen.
Erst als 1 5 Jahre später die gesammte deutsche Kunst in diese
Bahnen einlenkte, erinnerte man sich, dass Trübner zu den Vor-
kämpfern gehörte. Nur Leibi hatte ein so sattes reiches Colorit, einen
so breiten energischen Strich, einen so tiefen schönen Emailglanz der
Farbe. Selbst sein Christus im Grabe, durch den er die Menge am
meisten brüskirte, war als Studie im Sinne Riberas von einer Wahr-
heit und Wucht, über die nur grosse Künstler verfügen. Nament-
XXX. Der Realismus in Deutschland
56)
lieh aber ist dieser rücksichtslose Darsteller der Wahrheit ein Land-
schafter von hoher Begabung und feinem Geschmack. Kraft, Ein-
fachheit, ein schöner Sinn für grosse Formen und Tonwerthe in
der Natur kennzeichnen da sein Wesen. Waldinterieurs von präch-
tiger Klarheit des Halbdunkels, Ausblicke auf stille Wasser, die kühl
und grau im Dufte der Dämmerung liegen, moosbewachsene Felsen
und weissschimmernde Birken wechseln mit Ansichten des Heidel-
berger Schlosses, mit weiten Fernsichten in die Mainebene, mit
blühenden Kartoffelfeldern, malerischen Blicken auf Seeon und den
verschiedenartigsten Aufnahmen des grünen Eilandes von Herren-
chiemsee, das er besonders liebt und das ihm auf jedem Studien-
gang neue Schönheiten, neue Farbenreize und Stimmungen entdeckt.
So ergänzt er als Landschafter gewissermassen Leibi. Sie Beide addirt
enthalten die gleiche Summe von Kraft, wie in Frankreich Courbet.
6x©
XXXI
Das Problem der modernen Farbenanschauung.
COURBET und Ribot für Frankreich, Holman Hunt und Madox
Brown für England, Stevens für Belgien, Menzel, Lenbach
und Leibi für Deutschland — das sind die grossen Namen
des modernen Realismus, die Namen der Männer, die der Kunst das
moderne Leben, dem 19. Jahrhundert die Kunst eroberten.
Erst hatte es keine Malerei um der Malerei willen, nur eine
Historien- und Genremalerei gegeben. Durch die literarische Richtung
der ganzen Bildung ward eine einseitige Ausbildung des Verstandes
auf Kosten der Anschauung gezeitigt. Die grossen Dichter und Denker
nahmen die Nationen in Beschlag und zwangen auch den bildenden
Künstler in ihre Bahn. Die Kataloge der Zeit belegen, dass die
Ideen aus zweiter Hand, aus Büchern genommen, fast ausschliesslich
vorherrschten. Literatur und Wissenschaft war der Stab, an dem die
schwache Kunst tastend sich hielt. Die Historienmalerei sah ihr Ziel
darin, als Hilfswissenschaft der Geschichte historische Ereignisse zu
illustriren. Das Genre folgte und stellte Fragmente der Wirklichkeit
zu novellistischen Episoden zusammen. In den gedruckten Lettern
des Rahmens lag der Hebel für das Verständniss der Bilder, ihr Werth
concentrirte sich in diesen Worten; was der Pinsel leistete, war nur
die Uebersetzung und Umschreibung des Katalogtitels. Das Publicum
aber ging in den Kunstverein, um dort Geschichte, Ethnographie,
Länder- und Costümkunde zu studiren oder den komischen Einfällen
erfindungsreicher Pinselhumoristen zu lauschen.
Jetzt war das brutale Uebergewicht des Stoffinteresses beseitigt.
Man begann, nicht mehr Historien- oder Genremaler, sondern wirk-
lich Maler zu sein. Die Hochburg des schlechten Geschmackes, die
erzählende Malerei, war überwunden, die künstlerische Atmosphäre
gereinigt, der Begriff L’Art pour L’Art wiederentdeckt, die Kunst
wieder Herrin im eigenen Hause.
XXXI. Das Problem der modernen Farbenanschauung
567
Und je mehr sie aus ihrer dienenden Stellung heraustrat, je
mehr sie von der Bevormundung der anderen Disciplinen sich be-
freite, desto mehr begann sie in sich selbst zu erstarken. Eine
Malerei, die auf die Beihilfe der Schrift verzichtet, ist nothwendig
darauf angewiesen, alle Hilfsmittel des Metiers in Bewegung zu setzen,
um durch rein künstlerischen Reiz den Mangel ausserartistischer Bei-
gaben zu decken.
Als das Jahrhundert in’s Leben trat, waren neu an den Bildern
nur die Ideen. Die Werke waren grossartige Illustrationen zu moderner
Gelehrsamkeit, herrliche Verdolmetschungen tiefer Gedanken. Die
Formen waren den alten Meistern entnommen und die Recepte wurden
auf den Academien bewahrt. Von Mengs bis auf Cornelius und
Kaulbach, von David bis auf Cabanel und Bouguereau glaubten die
Maler selbständige grosse Kunstwerke geschaffen zu haben, wenn sie
den alten Classikern recht ähnlich sahen, und quittirten dankend das
Lob der Kritiker, das, sofern es nicht ausschliesslich die Gedanken
betraf, in Wahrheit immer nur den alten Meistern gebührte.
Um aus dieser Periode äusserlicher Nachahmung herauszukommen
und mit eigenem Auge sehen zu lernen , musste die Malerei in’s
Volk gehen und hier von der Pike auf dienen: Jede neue Kunst-
epoche hat noch mit dem Realismus, mit treuester Wiedergabe des
Wirklichen begonnen. Ihre zweite Phase bedeutete daher die all-
mähliche Eroberung der sichtbaren Welt und Hand in Hand damit
das allmähliche Freiwerden von den Alten. Erst hatte man unter
dem Druck der alten Meister diesen auch inhaltlich folgen zu müssen
geglaubt und nicht für möglich gehalten, dass ein Vorgang aus der
eigenen Zeit ebenso gut ein Meisterwerk ergeben könne, als ein
Drama der Vergangenheit. Jetzt fängt die Gegenwart an, sich zu
fühlen und in ihre Rechte zu treten. Man wies darauf hin, der
Geist, aus dem die alten Kunstwerke hervorgingen, sei das Lebendige
gewesen, die stimmungsvolle Beobachtung der Natur. Nicht um
Nachahmung handle es sich, sondern gemäss des verschiedenen Zeit-
alters um verschiedene Arbeit, nur in gleich künstlerischem Sinn.
Staubbedeckte moderne Arbeiter, Steinklopfer, Schmiede, Bauern traten
an die Stelle der Wesen, die man nur aus den Museen kannte. Das
Selbstbeobachtete verdrängte das Imitirtc. Offene Augen, Respect vor
der Natur war das Erste, was vom Künstler verlangt ward.
Zugleich erweitern sich die Principien der Composition. Als
Courbet, Madox Brown und Menzel auftraten, ward ihnen vor-
XXXI. Das Problem der modernen Farbenanschauung
5 68
geworfen, dass sie »kein Gemälde componiren könnten und die Ge-
stalten willkürlich aneinander reihten, ohne Unterschied, wie sie sich
den Blicken darbicten«. Die Begründung dieses neuen Compositions-
princips war die weitere reformatorische That dieser Männer: Sie
gaben Compositionsgesetze, angepasst neuen Bedürfnissen. So lange
die moderne Kunst die gleichen Stoffe wie die alten Classiker be-
handelte, konnten im Wesentlichen auch in der Anordnung die
gleichen Principicn befolgt werden, d. h. in erster Linie diejenigen,
die man den Cinquecentisten entnahm. Ein neuer Inhalt aber ver-
langt ein neues Gehaus. Es war ein Zeichen der Unselbständigkeit,
dass, was sich bei den alten Meistern auf natürlichem Wege aus den
Stoffen ergab, alles Zufällige, für einen bestimmten Fall Gegebene
— wie die Pyramidenform bei heiligen Familien — von den Nach-
ahmern für etwas Absolutes genommen wurde. So ergaben sich
die komischen Verzerrungen wie in Kaulbachs Narrenhaus, wo die
Irren blos deshalb dieses lebende Bild formiren, damit dem Maler
zu Gefallen der streng pyramidale Aufbau nicht gestört werde. Die
frei empfundene Harmonie von einst ward bei den Nachahmern zur
zwängenden Formel. Jetzt lautete die Forderung, dass keine Gestalt
eines Bildes, kein einziges Glied eines Körpers ästhetischen Regeln zu
Liebe der Logik der Situation widerspreche. Die schönsten Linien und
elegantesten Gruppirungen sind falsch, wenn sie mit der Natur des
Gegenstandes streiten. In den ältern Genrebildern kehrten dieselben
allgemein bekannten, alten Bildern überkommenen Posen immer von
Neuem wieder. Ueberall merkte man die Absicht, konnte genau sagen,
warum diese Figur hier und nicht dort, so und nicht anders stände,
sah immer statt der Natur den nach bekannten Regeln arrangirenden
Künstler. Hier ist an die Stelle des Schemas ungezwungene freie An-
ordnung getreten, bei der unter anscheinender Nachlässigkeit geist-
reiche Berechnung sich birgt und die Einheit der Anschauung die
mechanische Symmetrie ersetzt. Statt eines von Statisten umgebenen
Helden sieht man, wie meist im Leben, lauter Nebenpersonen ohne
Hauptperson. Die Elemente des modernen Lebens zum Bilde ordnen,
doch ohne dass die ordnende Hand zu sehr bemerkbar, sie com-
poniren und gleichwohl ihre Manigfaltigkeit wahren — dieses neue
Compositionsprincip haben Courbet, Madox Brown und Menzel be-
gründet, und indem sie es begründeten, gingen sie auf die wahre
Tradition der Alten zurück, die Bilder so zu componiren, wie der
gegebene Fall es fordert.
XXXI. Das Problem der modernen Farben Anschauung
569
Nur eine beunruhigende Frage war noch offen : Wie die vorher-
gehende Generation die Form , so holte diese die Farbe noch nicht
aus der Natur, sondern aus dem fertigen Vorrath alter Kunst.
Auch in ihrer Farbenanschauung bewegte sich die moderne
Malerei in steil aufsteigender Linie. Als das Jahrhundert in’s Leben
trat, ging mit hochentwickelter literarischer und wissenschaftlicher
Kultur die tiefste Barbarei des Farbengeschmacks parallel. Man
hatte bis in die 20er Jahre weder Verständniss für Farbe noch Ver-
langen, sie ästhetisch zu gemessen, — sie war der herrschenden
Richtung geradezu als unkünstlerisches Element verdächtig. Erst all-
mählich lernte die Malerei die Farbe als ihr eigenstes Ausdrucks-
mittel kennen. Langsam begann das Sehvermögen an den alten
Meistern sich zu stärken und zu verfeinern. Die Namen der grossen
Schulbildner Cornelius, Piloty, Diez, Ingres, Couture, ßonnat deuten
an, wie schnell und erfolgreich man diese Etappen zurücklegte.
Namentlich die letztgekommenen — Courbet und Ribot, Len-
bach und Leibi — verhalfen der modernen Kunst, auch coloristisch
ihr Maturitätsexamen zu bestehen. Sie waren die Sensualisten der
Farbe innerhalb einer Malerei, die bisher noch immer mehr zur
Form oder zur Anekdote als zum eigentlich Malerischen neigte.
Brüder der mächtigen Arbeiter der Vergangenheit, machten sie
sich die Hülfsmittel der bonne peinture wieder in vollem Maasse
zu eigen. Sie empfinden eine Wollust darin, Farben zu kneten,
und diese Farben sind fett, saftig, braun. Die glatte, magere Be-
handlung von früher weicht einer breiten, derbkörnigen, pastosen ;
einfallendes Licht gibt Relief, ein markiger Pinsel zeichnet Schatten-
streifen und Glanzlichter. Sie hatten gelernt, künstlerisch zu sehen ;
der farbige Abglanz der Dinge bedeutete ihnen das Leben. Sie freuten
sich, malerische Gegenstände aufzuhäufen und nach ihren harmon-
ischen Werthen zu reicher, toniger Gesammtheit zu ordnen. Seit
dem 18. Jahrhundert sah man nicht solche Kraft und Saftigkeit der
Behandlung, einen so vollen poetischen Farbengeschmack von theil-
weise bestrickender altmeisterlicher Feinheit.
Dieses Studium der alten Meister hatte jedoch auch Nachtheile
im Gefolge. Der Zustand, in dem man die Werke der Alten
sah, war nicht der ihrer ursprünglichen Frische, sondern der
nachgedunkelte Galerieton, den sie im Laufe der Zeit bekommen.
Man studirte die alten Bilder mit sammt der Schmutzkruste von
zwei Jahrhunderten und gab den neuen so von Anfang an das
5?o
XXXI. Das Problem der modernen Farbenanschauung
Aussehen , als hätten sie seit hunderten von Jahren in einer Ge-
mäldegalerie gehängt. Das hatte nichts Unnatürliches, so lange
den Alten auch in der Stoffwahl gefolgt wurde. Als die Romantiker
nach der Kakophonie des Classicismus begannen, den Ton der reli-
giösen Bilder der Renaissance auf das Geschichtsbild zu übertragen,
trat das Conventionelle ihrer Farbenanschauung wenig hervor, da sie
die coloristischen Motive selbst so arrangirten, dass sie möglichst in
diesen Ton passten. Jetzt, nachdem man über das Genrebild in die
Darstellung des modernen Lebens übergelenkt, aber musste sich noth-
wendig eine Dissonanz zwischen den neuen Stoffen und der alten
Farbenanschauung ergeben: die neuen Menschen passten nicht mehr
in die alte farbige Hülle. Indem man den altmeisterlichen Colorismus
beibehielt, versündigte man sich am Stil der neuen Stoffe und war
- in der Formenbehandlung realistisch — in der Farbenanschauung
noch in Manier befangen.
Courbcl verkündete als sein Programm: die Sitten, die Ideen,
den Anblick seiner Epoche auszudrücken, mit einem Wort lebendige
Kunst zu üben. Er bezeichnete sich als »aufrichtigen Freund der
wahren Wahrheit« — »la veritable peinture doit appeler son spec-
tateur par la force et par la grande verite de son imitation« — aber
waren seine Figuren und war die Umgebung derselben coloristisch
wahr? Theoretisch forderte er, man dürfe nur die Natur um Rath
fragen, müsse sie immer mit eigenen Augen in absoluter Entäusserung
seiner selbst studiren, die Tradition sei zu verachten — ein Hinderniss,
das sich zwischen den Künstler und die wahre Wahrheit stelle. Er
eiferte gegen die alten Meister, posaunte aus, dass er keine Lehrer
hätte, dass er aus sich selbst hervorgegangen wie der Phönix. Seine
Bilder bezeugen im Gegentheil das emsige Studium nach den alten
Meistern, die er im Louvre studirte. Er brach mit den von der Ver-
gangenheit dictirten Stoffen, mit den ewig wiederholten mytholog-
ischen und Geschichtsbildern, mit den durch die Tradition geheiligten
Compositionsreglen — doch ohne in der Farbenanschauung zur
Selbständigkeit zu gelangen. Wenn er Tizian einen alten Betrüger
nannte, so war das eine schwarze Undankbarkeit von ihm, der Tizian
sehr viel verdankte. Während er die alten Meister verleugnete, malte
er als unbedingter Verehrer alter Bilder; liebte mehr als für seine
neuen Stoffe passte, die braune Sauce und die rothen Schatten des
17. Jahrhunderts und war, ohne es zu wissen, in seinen modernen
Arbeiterbildern der letzte der Bolognesen. Indem er sich in Gegen-
XXXI. Das Problem der modernen Farbenanschauung
571
satz zu Cabanel und Bouguerau, den Carlo Dolci und Sassofurato
des 19. Jahrhunderts stellte, warf er sich instinctiv dem in die Arme,
der damals jene Eklektiker mit Gift und Dolch verfolgte. Und dieser
— Caravaggio — hatte schwärzer als alle Andern gemalt. »Keller-
lukenbilder« wurden schon von den Carracci seine Werke genannt,
und wurde auf Vorgänge im Freien gerade diese Methode übertragen,
so musste das nothwendig zu den grössten Unwahrscheinlichkeiten
führen. Wo in der Natur eine reizende Feinheit flüchtiger Nüancen,
ist bei diesem modernen Caravaggio aus der Franche-Comte eine er-
drückende undurchsichtige Schwere. Fr malte zwar moderne Stein-
klopfer, doch noch im Tone der Heiligen aus der spanischen Schule
des 17. Jahrhunderts. Seine Arbeiterbilder haben Museumsgeruch.
Die Heimath seiner Menschen ist nicht das freie Feld von Omans,
sondern jener Saal des Louvre, wo die Bilder Caravaggios hängen.
Und nicht im Luftton nur, selbst in der Farbe des Fleisches hat er,
der Apostel der Wahrheit gelogen. Er glaubte noch, das Nackte sei
braun, gab seinen Frauen, die in’s Bad steigen, so dunkel schmutzige
Farben, als hätte er nachweisen wollen, dass Baden zuweilen eine
absolute Nothwendigkeit, und verrieth auch damit, dass er die 1 ra-
dition bei den Bolognesen der Verfallzeit studirte.
Alfred Stevens hatte einen grossen Schritt gethan, indem er mo-
derne Pariserinnen malte. Nachdem das Costümbild bisher die Wahr-
heit der alten Meister nur in den Rockschössen gesucht, welche die
Mode ihrer Zeit ihnen vorschrieb, zog Stevens als der erste seinen
Frauen das Gewand von 1860 an, so wie Terborg die seinen im
Costüm von 1660, nicht von 1460 malte. Aber auch die Atmosphäre,
in der die Pariserin des neunzehnten Jahrhunderts lebt, ist nicht mehr
die, in der de Hooghs Frauen sich bewegten. Das ganze Leben ist
heller. Heller sind die Ateliers, in denen die Bilder gemalt werden,
heller die Räume, in denen zu hängen sie bestimmt sind. Noch der
Delfft’sche van der Meer, der grösste Lichtmaler der Holländer, arbeitete
hinter kleinen Butzenscheiben ; in halbdunklc Patrizierwohnungen,
»wo selbst das liebe Himmelslicht trüb durch gemalte Scheiben bricht«,
kamen seine Bilder zu hängen. Die alten Meister berücksichtigten diese
Beleuchtungsverhältnisse genau. Die Goldstimmung der italienischen
Renaissance stammt aus den alten, mit bunten Glasfenstern versehenen
Domen, das Helldunkel der Niederländer entsprach den helldunkeln
Ateliers, in denen die Maler arbeiteten, den schummerigen, braun-
getäfelten Räumen, für die sie ihre Bilder bestimmten. Das neun-
XXXI. Das Problem der modernen Farbenanschauung
zehnte Jahrhundert beging auch hier den Fehler, das für einen be-
stimmten Fall Gegebene für etwas Absolutes zu nehmen. Die Räume
waren längst hell geworden, da verdunkelte man noch künstlich die
Ateliers, suchte durch farbige Fenster und schwere Vorhänge das
Licht abzudämpfen, um in den Tönen malen zu können, welche
die alten Meister dictirten. Stevens beleuchtete eine moderne Dame,
eine Pariserin, die in einem Salon der Avenue de Jena sass, mit dem
Tag des Gerard Dou, ohne zu bedenken, dass dies durch kleine
Butzenscheiben durchgesiebte Licht zwar richtig war im Holland
des 17. Jahrhunderts, doch nicht mehr richtig im Paris von 1860,
in einem Salon mit grossen Fensterkreuzen und weissen Glastafeln
ohne Bleiränder. Das hauptsächlich macht seine Bilder noch unwahr,
verleiht ihnen eine altvlämische Schwere, etwas Erdiges, Lehmiges,
das zum frischen Duft der modernen Pariserin nicht passt. Die
Modernität ist durch ein gelbliches Glas gesehen, das die alten flandri-
schen Meister zwischen ihn und sein Modell hielten.
Auch Ribot ist als einzelne Persönlichkeit ein grosser Künstler,
seine Werke sind Meisterwerke, ein Stück Wahrheit lag aber doch
darin, wenn die Jungen ihn den letzten Repräsentanten der Schule
der Kellerluken nannten. Er wie Courbet setzte noch die Kunst
der Galerien fort. Ganz Stil und doch ganz Manier, bezeichnet er
den Höhepunkt einer Richtung, in der die grossen Traditionen von
Frans Hals und Ribera von Neuem Gestalt annahmen. Malt er die
gleichen Dinge wie jene Alten, so ist er gleich gross wie sie, gleich
echt und stilvoll , doch sobald er sich an Anderes macht, tritt der
nachahmende Manierist zu Tage. Selbst etwas so körperlos Zartes
wie Feldblumen, erscheint wie aus Wachs geformt. Seine Veracht-
ung für das Leichte, Flüssige, Veränderliche, wie Luft und Wasser,
tritt an seinen Seestücken hervor. Die Dampfschiffe pflügen unter
dickem, schwarzem Gewitterhimmel durch eine grauschwarze See,
als ob es durch graue Sandwüsten ginge. Die in Luft webende,
im Licht gebadete Natur ist nicht so compakt und schwer, kennt
keine solche Plastik der Erscheinung. Seine lesenden Frauen sind
das Non plus ultra der Malerei, doch man ist erstaunt, dass Jemand
in einem so dunkeln Raum lesen kann.
Ribots Parallele in Deutschland mit weniger malerischer Kraft
und mehr Geist ist Laibach. Als Maler von Copicn, namentlich der
Künstler des 16. und 17. Jahrhunderts, bildete er sich heran und
absolvirte in diesen Jahren eine Schule für das Yerständniss alter
XXXI. Das Problem der modernen- Farbenanschauung
573
Meister wie unter seinen Zeitgenossen keiner. Die Copien, die er
als junger Mann für Graf Schack in Italien und Spanien anfertigte,
sind wohl die besten Uebersetzungen des Pinsels, die überhaupt je
entstanden. Tizian und Rubens, Velazquez und Giorgione hat er
nachgeschaffen mit gleichem Zauber; kein Anderer versenkte mit
solch verständnissvoller Schärfe sich in alle Feinheiten ihrer Technik,
und mit Hilfe dieser Kunstgriffe, die er als Copist den classischen
Meisterwerken absah, gab er dann auch seinen eigenen Arbeiten
ihr vornehm altmeisterliches, galeriefähiges Gepräge. Seine Bilder
bezeichnen den Höhepunkt des altmeisterlichen Malenkönnens in
Deutschland. Als Carstens starb, war die Kunst der Malerei gänzlich
aus dem Vermögen der Deutschen entschwunden; die ein Jahrhundert
füllenden Bestrebungen der Nazarener, der Piloty- und Diezschule
fanden in Lenbach ihren krönenden Abschluss. Mehr als er, konnte
man den Alten nicht absehen, die Grenze war erreicht, und als der
erste Sieger in diesem Distanzritt wird für alle Zeiten in der Kunst-
geschichte Lenbach genannt werden.
In dieser Bedeutung liegt aber zugleich seine Schwäche. Der
selbe Mann, der mit dem grössten Erfolg die altmeisterliche Hoch-
schule besuchte, blieb zeitlebens als Student inscribirt, ohne selbst
das Katheder zu betreten. Den Jahrhunderte alten , Person ge-
wordenen Geist der Galerien hat Helferich ihn einmal genannt. An
Geist und Auffassungskraft ein Riese, ist er in der Farbe noch heute
Schüler der Alten, wie er es ehedem in Spanien gewesen. Er malt
gut, malt vornehm und meisterhaft, doch immer in den Tönen seiner
Lehrer. Stets steht ein alter Meister hinter den Bildern, dem er seine
Geheimnisse mit hartnäckiger Zähigkeit abgelauscht: bald van Dyck,
bald Tizian, Tintoretto, Rembrandt oder Reynolds. Und dieser Ehr-
geiz, vor der Zeit wie ein alter Meister auszusehen, hatte zwei ge-
fährliche Consequenzen : er wird Schuld sein, wenn Lenbach selbst
nie »alter Meister« wird, denn viele seiner Bilder sind schon jetzt
Ruinen; er hat ihn, den Schüler der Alten, auch veranlasst, farbig
von der Natur abzuweichen in einer Weise, wie die Alten selbst es
nie sich erlaubten. Die Wahrheit ist dem Galerieton geopfert, alle
Gesichter, ob roth, ob bleich, sehen aus wie mit Lakritzensaft über-
strichen. Keines seiner Bismarckbilder hat die wahre Gesichtsfarbe
des Originals, die — bei Lenbach in goldigem Braun gehalten —
in Wirklichkeit mehr jenes kreidig Rosige hat, wie es Richmond
malte. Seine Damenbilder — statt duftig und frisch zu sein —
574
XXXI. Das Problem der modernen Farbenanschauung
wirken ölig und schmutzig. Hin Mann, der mit Lenbachs Geist
coloristisch eine grössere Ehrfurcht vor der Natur verbände, der die
Natur selbst, nicht nur die Töne der Alten fühlte, würde heute als
Ideal eines Porträtmalers vorschweben.
Damit ist angedeutet, wohin die Weiterentwicklung gehen musste.
Eine wahrhaft neue selbständige Kunst musste schliesslich auch von
der Renaissancefarbe, dem Kirchenton und dem Helldunkel der hinter
bunten Scheiben und Butzenfenstern gemalten Bilder sich frei machen.
Man musste einsehen, dass die an sich ausgezeichneten Mittel der alt-
spanischen und altholländischen Schule zwar vollkommen am Platze
waren für unheimliche Märtyrerscenen oder ruhige Interieurs mit
Bauern und dicken Matronen, aber dass sie unmöglich weder dem
im Freien spielenden Arbeiterbild beikommen konnten, noch den
raffinirten Interieurs unserer Tage und diesen zarten, blassen, in Seide
geschnürten Pariserinnen, diesen Menschen einer neuen Zeit. Eine
andere Zeit verlangt andere Mittel. Nicht die Stoffe allein ändern
sich, auch die Art, wie sie gemalt sind, muss die Marke der Zeit
tragen. Man durfte die Natur nicht länger durch das Prisma alter
Bilder betrachten, musste das »beau par la verite« auch zum colorist-
ischen Princip erheben. Die alten Meister selbst waren Leitsterne
auf diesem Wege.
Als Courbet, Ribot und Lenbach sie in den 60 er Jahren studirten,
ahnte noch Niemand, dass die Holländer und Italiener vielleicht erst
mit dem Alter so braungelb geworden. Die Gegenwart weiss die Farbe
vom Firniss zu scheiden. Nachdem eine Anzahl hervorragender Re-
stauratoren die Münchener Pinakothek, die Londoner Nationalgalerie
und die holländischen Museen einer vollständigen Reinigung unter-
zogen, erst da trat zu Tage, dass die alten Meister ursprünglich einer
solchen Uebersetzung der Natur in das Angeräucherte sehr ferne
standen. Die vom Schmutz befreiten, regenerirten alten Gemälde
wurden selbst classische Zeugen gegen die Ansichten, die bisher über
das Colorit der alten Meister geherrscht. Nun erst trat die Farben-
fröhlichkeit zu Tage, nun leuchteten die Bilder wie einst, das Fleisch
war nicht mehr Leder, nicht isabellenfarbig die Wäsche, licht wurde
der Himmel, die Schatten klar; das sogenannte Warme, Goldige
verschwand, wo es trüber Firniss gewesen, und kam zu erhöhtem
Glanz, wo der Maler es ursprünglich gemalt hatte. Nun sah man,
dass der Rost des Alters, die Patina der Jahrhunderte, das Ruinen-
hafte unmöglich das vom Künstler zu erstrebende Ziel sei, man er-
XXXI. Das Problem der modernen Farbenanschauung
575
kannte, dass man neue Gegenstände zwar, aber nach missverstandener
alter Methode gemalt, und es begann das Streben, auch in maler-
ischer Beziehung wieder selbständig zu werden, wie die Alten selbst
cs gewesen.
Den Praerafaeliten und Menzel kam das Problem am frühesten
zum Bewusstsein. Sie waren nie in altmeisterlichen Tönen befangen,
sondern haben sich schon in bewussten Gegensatz zu den Alten ge-
stellt. Der Kampf gegen die »braune Sauce« bildete sogar einen
wesentlichen Punkt im Programm der Brotherhood. Sie prote-
stirten gegen den conventioneilen Colorismus ebenso heftig wie gegen
den Linienschwung der überlieferten Schönheitsregeln. Wie kommt
es, fragt Ruskin in jener Stelle, in der er die Werke der Cinquecentisten
seiner zersetzenden Kritik unterzieht, wie kommt es, dass das Licht
nur auf die Mittelgruppe fällt und alles Andere in Schatten lässt?
Aus welchem Material besteht die Welt, dass diese Schatten alle von
demselben Braun sind? Die Natur kennt das rothgoldige Licht, die
braunen Schatten, das warme blühende Fleisch nicht, das an den
Bildern der Venezianer und ihrer englischen Nachahmer besticht.
Nicht in der Zeichnung nur, auch in der Behandlung des Lichtes,
des Schattens und der Farbe seien die wirklichen Effekte der Natur
getreu zu copiren ohne Rücksicht auf conventioneile Abtönung. Die
Cinquecentisten gaben Symphonien in braun, aber haben sie je grünes
Gras, gelben Sand und blauen Himmel gemalt? Alle diese goldenen
und silbernen Galerietöne, die man bisher nachgeahmt hätte, seien
in Wahrheit eine angenehme Lüge. Statt braune Saucen zu brauen,
müsse man draussen im Freien das Licht studiren, wie es auf den
Körpern spielt, die wahren Farben der Natur in ihrer vollen Intensität
auf die Leinwand setzen. Die Bilder der Praerafaeliten sind colo-
ristisch verschieden von Allem, was der Continent in jenen Jahren
malte. Ihre Fleischtöne sind fleischfarben, die Schatten blau, Bäume
und Wiesen grün — zu einer Zeit, als sie in Frankreich noch durch-
gängig braun waren. Mit grösster Kühnheit sind die individuellen
Farben in vollem blendenden Licht gegeben.
Holmau Hunt wagt in seinen »zwei Veronesern« schon 1854
das Problem des durch Blätter rieselnden Sonnenlichtes, malt ein
Waldinneres mit hüpfenden Sonnenflecken und goldigen Sonnen-
strahlen, die auf moosbedeckten Baumstämmen spielen. I11 seiner
Flucht nach Aegypten dehnt sich eine graublaue, klare, orien-
talische Nacht aus, hellfunkelnde Sterne stehen am Himmel,
57^
XXXI. Das Problem der modernen Farbenanschauung
Wachtfeuer brennen. In einer Zeit, als anderwärts die Maler sich
begnügten, im Sommer irgendwelche Skizzen zu machen und im
Winter mit beliebigen Figuren zu staffiren, führte Hunt streng die
Einheit von Figuren und Umgebung durch. Der Hintergrund von
»Christus als Licht der Welt« wurde in den kalten Nächten eines
englischen Novembers bei flimmerndem Lampenlicht gemalt; das
landschaftlich sehr reizvolle Bild der »englischen Küsten« malte er
Strich für Strich im Freien fertig, im Herbst, vor den steilen Klippen
von Sussex. Die üppigen Wälder von Kent im Oktober mit ihren
dicken Stämmen und schillernden, grünen Blättern ergaben die Scenerie
für »Valentine und Proteus«. Für seinen »Schatten des Todes« hat er
die Landschaft von Palästina mehrere Jahre lang täglich zu denselben
Stunden studirt. Um seinen »Sündenbock« zu malen, arbeitete er
Monate lang an der todten See.
Noch beachtenswerter ist die Sachlichkeit in Beleuchtung und
Farbe, deren Madox Brown sich befleissigt. Schon in den 40er
Jahren, also vor Millet, hatte er begonnen, seine Bilder im Freien
zu malen, sich bemüht, ihnen die volle Helligkeit des Sonnenlichtes
zu geben. Seine Reise nach Italien bestärkte ihn in diesen Bestreb-
ungen. Masaccio und Filippino Lippi hatten, wie er dort sah, nicht
den Atelierton ; sie, wie die gleichzeitigen Niederländer Rogier van
der Weyden und Memlinc, malten hell; erst später — durch Correggio
— kam das Helldunkel , dann — als die Akademiker von Bologna
die nachgedunkelten Bilder der Cinquecentisten nachahmten — die
Sauce, aus der man aber sofort wieder auftauchte, als Rubens, der
grosse Lichtträger des 17. Jahrhunderts, erschien. Das »Work« be-
zcichnete das Schlussergebniss seiner pleinairistischen Experimente.
Er versuchte den Vorgang so zu malen, wie er sich auf der Strasse
abspielte: im blendenden Sonnenschein. Die Sonne rieselt durch
die Bäume und besät die Röcke der Arbeiter mit unzähligen hellen
Pünktchen.
Aber — wie so häufig im 19. Jahrhundert — die Engländer
fanden den Edelstein, doch sie verstanden ihn nicht zu schleifen.
Die Praerafaeliten wirkten anregend, indem sie mit ihrem Drängen
auf elementare Farbenwirkungen das coloristische Gefühl anreizten
und schärften. Sie versuchten aus der braunen Sauce herauszu-
kommen und in schlichter selbständiger Beobachtung den Lokaltönen
gerecht zu werden. Sie malten in möglichst ungebrochenen, scharf
accentuirenden Farben die Bäume grün, den Boden grau, den Himmel
XXXI. Das Problem der modernen Farbenansciiauung
S 77
blau, die Sonnenstrahlen gelb. Doch das Resultat war in den meisten
Fällen wenig erfreulich, fast immer eine harte Buntfarbigkeit von
grellstem Effekt. Ihre Kühnheit hat etwas Barbarisches. Die Wärme
und Weichheit fehlt, die Atmosphäre hält das Ganze noch nicht
versöhnend und harmonisirend zusammen. Selbst Madox Browns
Work ist ein verletzendes Chaos schreiender Farben. Die hellen
Kleider, die blauen Blousen, die rothen Uniformen wirken bunt und
unruhig. Das Problem ist angepackt, doch die Ausführung hart
und roh geblieben.
Von Menzels Bildern gilt — vielleicht in geringerem Maasse —
das Gleiche. Auch er steht in der malerischen Anschauung nicht
ganz auf der Höhe. Er malt zuweilen geistvoll und funkelnd — etwa
die Mitte haltend zwischen der ruhig sachlichen Malerei Meissoniers
und der kraus schillernden Fortunys; er verpufft ein flackerndes,
raketenhaft sprühendes Feuerwerk — aber ist im Grunde doch aus
dem Holz geschnitzt, aus dem man die Zeichner macht. Manchmal
ist’s staunenswerth, wie sein Pinsel über Costüme, Ornamente und
Baulichkeiten schwirrt, doch er denkt nicht in der Farbe, diese
tritt ergänzend zur Zeichnung, entsteht nicht von vornherein eben-
bürtig mit ihr. So sehr er in seiner Schmiede versucht hat, Rauch
und Qualm zu malen, hatte er doch für das atmosphärische Leben
noch kein Verständniss ; darum stören fast immer grelle und harte
Farbenklänge in seinen Werken. Sowohl die Piazza d’Erbe wie die
Abfahrt Kaiser Wilhelms wirken im Bilde bunt und unruhig und be-
kommen erst in der Photographie, auf Schwarz und Weiss reducirt,
etwas von der Einfachheit, die den Originalen zu wünschen. Die
besten seiner Zeichnungen können unbeschadet neben Dürers Hand-
zeichnungen stehen — seine Bilder gleich hoch zu stellen, ist unmög-
lich, da ihnen die Ruhe, die abgeklärte Harmonie fehlt.
So berühren sich hier die Gegensätze. Courbet, Ribot und
Lenbach sind die grössten Kenner der Farbe, die Europa bis dahin
sah, aber sie sind es auf Kosten der Wahrheit, sind, in den alten
Meistern aufgehend , noch nicht zur eigenen Farbenanschauung ge-
kommen. Menzel und die Praerafaeliten verschmähten die alten
Meister, aber ihre Farbenanschauung behielt etwas Ungebildetes,
Primitives, Zerrissenes. Ihre ganze Schaffensart, das Ziel, das sie
sich setzten, verhinderte sie, zur wirklichen Harmonie zu gelangen.
Für die Praerafaeliten wie für Menzel stand, obwohl sie keine
eigentlichen »Genremaler« waren, doch immer noch der Gedanke,
Muther, Moderne Malerei II.
37
578 XXXI. Das Problem der modernen Farbenanschauung
vielleicht das psychologisch Interessante, nicht das Malerische einer
Scene, im Vordergrund. Sie verzichteten, obwohl sie nicht genre-
haft witzelten, doch nicht auf den erzählenden Inhalt. Was für eine
Fülle von Gedanken hat Madox Brown in seine Bilder gelegt!
Schon sein »Abschied von England« erzählt eine ganze Geschichte.
Ein echter Maler hätte das Schiff, das Ehepaar, Himmel und Meer
gemalt. Madox Brown hängt im Hinterdeck an Stricken eine Reihe
Kohlköpfe auf — nicht aus malerischen Gründen, nur um anzu-
deuten, dass eine lange Ueberfahrt, keine Vergnügungsreise gemacht
wird. Dass die Familie zu arm ist, um erster Classe zu fahren, wird
durch die Umgebung commentirt. Hinter dem Ehepaar bemerkt man
das Auge einer Frau, eine Hand, die eine Pfeife hält, die Füsse eines
kleinen knieenden Jungen und den obern Theil vom Gesicht eines
jungen Mädchens, das einen Apfel verzehrt. Es ist die anständige
Familie kleiner Kaufleute, der Vater, die ältere Tochter und zwei
Kinder; die Mutter ist todt. Das ergibt sich daraus, dass die Hand
der älteren Schwester einen schwarzen Wollhandschuh trägt. Da-
hinter steht ein Taugenichts, der bei einer Rauferei die Zähne ver-
lor und grinsend seinem Vaterland die Faust macht. Ohne Zweifel
ist die Bewegung von rohen Flüchen begleitet, denn eine alte Dame,
vielleicht die Mutter des Nichtsnutzes, hebt ihre Hände entrüstet zum
Himmel, während ein anderer Strolch mit rothem angetrunkenem
Gesicht durch eine freudige Pantomime seinen Beifall kundgibt. Ohne
Zuhülfenahme des geschriebenen Wortes ist im Bilde eine ganze Ge-
schichte niedcrgelegt.
Im »Work« wird die Aufhäufung solcher Details auf die aller-
höchste Spitze getrieben. Eine einfache Strassenscene sollte gemalt
werden, aber in Browns Kopfe verwandelte sie sich in eine symbol-
ische Darstellung der Arbeit. Die von ihm selbst verfasste Beschreib-
ung umfasst drei enggedruckte Seiten. Es genügte ihm nicht, in dem
Rahmen alle Typen des englischen Erdarbeiters zu vereinigen: den
Jungen, lachend und hübsch, den in der Blüthe der Jahre, fleissig, aber
ein Glas Bier nicht verschmähend, den Alten mit kräftigen Gliedern,
den nichts von der Arbeit ablcnkt, den Faulen, der die Andern auf-
hetzt. Nein, um diese Arbeitergruppe drängen, stossen und schieben
sich die verschiedensten Personen, die durch irgend eine Gedanken-
verbindung sich in Zusammenhang bringen Hessen mit der Idee der
Arbeit: Ingenieure, Philosophen, ausgehungerte Irländer, Schnitter,
Blumen- und Orangenverkäuferinnen, Polizisten, Träger von Plakaten,
XXXI. Das Problem der modernen Farbenanschadung
579
Kuchenverkäufer, Strassenjungen, junge Damen, die kokett sind, und
alte Damen, die moralische Brochüren vertheilen, auch eine junge
Dame zu Pferd, die ihren Vater auf dem Spazierritt begleitet. Hin
Bettler, der Vergissmeinnicht feilhält, geht links zum Bilde heraus.
Vorn spielen arme Kinder, Soldaten führen ihren Schatz aus. Der
Bretterzaun ist mit bunten Affichen bedeckt, auf denen jeder Buch-
stabe sorgfältig gemalt ist. Rechts im Schatten eines Baumes stehen
im Gespräch zwei Arbeiter des Geistes : Carlyle und D. Maurice.
Eine Gruppe ist über die andere gehäuft, so dass sie der Rahmen
kaum fasst.
In ähnlicher Weise sind Menzels Arbeiten concipirt. Auch seine
Bilder erreichen nie den Eindruck malerischer Harmonie , da sie
mit zu unruhigen Details überladen, mit dem Verstand mehr als
dem Auge gemalt sind. Was an der schönen Büste, die Reinhold
Begas vom Meister modellirtc, in erster Linie auffällt, ist die breite,
faltenreiche, denkende Stirn. Der Mund ist hart, hermetisch ver-
schlossen, nichts verrathend von den Empfindungen, die in diesem
Kopfe leben. Das Auge, von dicken, struppigen Brauen beschattet,
blickt kalt gradeaus, als mustere es einen Gegner und suche die
Stelle, an der er am sichersten verwundbar. Unter dem festen,
muskulösen Hals setzt ein zwerghafter Körper an , dessen Schmal-
brüstigkeit selbst der weite, schlottrige Rock verräth. Das ganze
Leben concentrirt sich im Schädel, einem unendlich durchcise-
lirten, von tausend blauen Aederchen durchzogenen nackten Schädel.
Diesem Aeussern entspricht seine Kunst. Der grosse Kopf des
Malers ist der unendliche Ideenbehälter, durch den allein sie gespeist
wird. Das Herz ist zu wenig entwickelt, um an der Stoffzufuhr
theilzunehmen. Was ihn kennzeichnet, ist vorwiegend seine epi-
grammatische Schärfe, sein überlegener Verstand, sein kaltwitziges,
auf Pointen hin arbeitendes Berlinerthum. Es steckt in ihm noch
ein wenig von Hogarth, es fehlt ihm die Zärtlichkeit. Wo man
Versenkung, liebevoll hingebende Beobachtung möchte, führt über-
legene Ironie und kalte Satire das Wort. Mit dem Bleistift bewaffnet,
analysirt er jeden, den er aufgreift, in der grossen Komödie des
Lebens, aber er ist nie — auch als Mensch nie — verliebt gewesen.
Seine Charakteristik streift, weil sie epigrammatisch geistreich sein
möchte, zuweilen an Caricatur. Es freute ihn, das Allerflüchtigste
zu fixiren, die momentanste Bewegung und das zuckendste Mienen-
spiel, dadurch erreichte er das sprühende Leben seiner Bilder, aber
580
XXXI. Das Problem der modernem Farbenanschauung
gewöhnlich auf Kosten ruhiger Objectivität. Seine Bilder sind mehr
Epigramme als Schilderungen. Im »Ballsouper» schreibt er eine
Satire auf Eleganz und Oberflächlichkeit, Unterwürfigkeit und Hoch-
muth. Beim »Diner in Sanssouci» sind alle Gesichter geröthet. Alle
Gäste machen die verdienstlichsten Anstrengungen, sich in Heiterkeit
und Esprit hinaufzuschrauben, lachen, als würden sie von unsichtbarer
Hand gekitzelt. Man glaubt den Einen zum Andern sagen zu hören :
haben wir Geist; haben wir viel Geist, wir können gar nicht zu viel
haben. Wir sind zu keinem andern Zweck da, als Geist zu haben.
Was würde die Welt sagen, wenn sie erführe, dass wir beim grossen
Friedrich dinirt und keinen Geist gehabt haben. Wenn er die feier-
liche Procession in Gastein malt, vergisst er nicht, als komische
Hauptfigur den blasirten Touristen anzubringen, der, nachdem er
im Schweisse seines Angesichts zu dem Schauspiel gelaufen, nun
der ländlichen Feierlichkeit hochmüthig gelangweilt den Rücken
dreht. In das geschäftige Gewimmel der Piazza d’Erbe muss eine
Familie von Engländern gerathen sein, die all den Forderungen und
Anerbietungen, mit denen sie die Marktbummler umringen, trotz des
gezogenen Portemonnaies, vollkommen hülflos gegenüber stehen.
Der Engländer der Wirklichkeit, der elegante, ruhige, welterfahrene
Kosmopolit, den Nichts auf der Welt aus der Fassung bringt, wird
des komischen Effektes zu Liebe durch den Theater-Engländer ersetzt,
der vor 30 Jahren eine stehende Figur der Fliegenden Blätter bildete.
Dieses absichtliche Anhäufen von gesucht geistreichen Einzelbeobacht-
ungen nimmt Menzels Bildern die Wahrheit. Nicht naiv — iron-
isch ist seine Darstellungsart. Er ist überreich an Einfällen und per-
sönlichen Anmerkungen, trägt zu viel Kleinkram zusammen, macht
die Kunst zum Kunststück, sucht stets zu verblüffen durch Vorbring-
ung irgendwelcher unvermutheter, boshaft durchkreuzender Neben-
dinge. Seine Malerei ist Realismus, sofern sie nichts mehr in der
Natur als unschön ausschlicsst und auf conventionelle Töne stimmt.
Aber sie ist weniger wahr, als die der alten Realisten, weil sie die
Wahrheit nicht ganz, sondern nur eine willkürliche Anhäufung von
Fragmenten der Wahrheit gibt. Er erzählte und moralisirte nicht
‘mehr wie die früheren Genremaler, aber er addirte noch zu viel.
Es fehlte ihm noch die Einfachheit.
Wilhelm Leib I hat die Einfachheit, die Menzel und den Prae-
rafaeliten mangelt. Er ist nicht satirisch, sondern das Non plus ultra
der Sachlichkeit, und auch von Courbet, Ribot und Lenbach durch
XXXI. Das Problem der modernen Farbenanschauung 581
seine weniger altmeisterliche Farbenanschauung getrennt. Fr hatte,
nachdem er anfangs ebenfalls Schüler der Alten gewesen, sich später
von der Virtuosität zu naiver Selbständigkeit durchgearbeitet und
mit seinen Augen von vorn anzufangen versucht, indem er alles
Strich für Strich genau nach der Natur, wie er es sah, abmalte. Er
setzte sich dicht vor das Modell, und sein unerbittlicher Blick sah
über keine Runzel, kein Härchen weg. An dem schwarz- und blauge-
musterten Ginghamkleid der Miesbacherin konnte man jedes Karree,
an den Joppen der zeitunglesenden Bauern jede Haarfaser sehen;
jede Schwiele, jede Stirnfalte war naturgetreu reproducirt. Sein un-
glaubliches Können ermöglichte ihm, mit unerreichter Wahrheit die
Oberfläche harter Substanzen, gewebter Stoffe, runzlicher Gesichter
wiederzugeben. Seine Tischplatten, Kachelöfen, Fussböden, Kirchen-
stühle, Schnapsflaschen, Biergläser waren von greifbarer Echtheit,
seine Bauern unheimliche Doppelgänger der Natur. Was er gab,
war Wirklichkeit, hier hatte man jene »wahre Wahrheit«, von der
Courbet sprach. Und gleichwohl wirkten auch Leibis Bilder noch
unvollkommen. Gerade durch die Gewissenhaftigkeit, mit der er
ihre Vollendung langsam herbeiführte, hatten sie etwas Trockenes,
Hartes bekommen. Die Wiedergabe zuckenden Lebens gelang ihm
nicht. Alle seine Bauern sitzen unbeweglich da wie Wachsfiguren
und thun , als ob sie die Stimme des Photographen hörten : jetzt
stillhalten. Selbst wenn zwei im Gespräch dargestellt sind, spricht
der eine nicht und der andere horcht nicht, beide halten still und —
lassen sich malen. Man fühlte, dass der lebendige Eindruck der
Natur nur erzielt werden könne, wenn theils weniger, theils mehr
gegeben werde als Leibi gab. In der Wiedergabe der Oberfläche
fester Substanzen that er des Guten zu viel. Diese Unendlichkeit
von Einzelheiten wirkte eher bedrückend auf die Darstellung. In
der Wiedergabe des Milieus aber leistete er zu wenig. Man wollte
Erdgeruch athmen, Wohnzimmeratmosphäre, Landluft. Leibi schil-
derte nur die Sache, nicht auch das Milieu, sah die Dinge nur
plastisch, nicht in die Atmosphäre getaucht. In seinem Streben, eine
peinlich fleissige, redlich mühsame Abschrift der Wirklichkeit herzu-
stellen, hatte er gleich Courbet nur die festen Substanzen gemalt, nur
das, worauf er seine schwere Hand legen konnte, sich angeeignet.
Er malte noch die Materialität der Dinge ohne ihren Duft.
Auf ähnlicher Stufe hatten vor dem Auftreten der Fontaine-
bleauer die Landschafter gestanden. Als diese sich von der Manier
582 XXXI. Das Problem der modernen Farbenanschauung
des Classicismus befreien wollten, versuchten sie ebenfalls, mit
äusserster Sorge die kleinsten Partikelchen der Dinge zu copiren,
strebten eine mathematische Präcision in der Wiedergabe auch des
Kleinsten an und — neutralisirten durch solch spitzpinselige Detail-
arbeit den Gesammteindruck , die »Stimmung« ihrer Bilder. Die
Figurenmalerei stand jetzt vor demselben Problem, wie die Landschaft
zu Constables und Corots Tagen. Es kam zum Bewusstsein, dass die
Malerei gar nicht die Aufgabe habe, trocken die Wirklichkeit ab-
zuschildern, sondern dass sie, gleich der Musik und Poesie nur die
Empfindungen vermitteln soll , welche die Aussenwelt in der Seele
des eigenartig betrachtenden Künstlers erregt. Man wollte lernen,
schlagend den Eindruck einer Naturscenerie festzuhalten , ohne mit
der nur dem analysirenden Auge wahrnehmbaren Wiedergabe der
Einzelheiten sich aufzuhalten. Man wollte versuchen, das Wesent-
liche zu erfassen, das zitternde Leben, die duftige Essenz der Dinge,
auf dass ein Bild entstehe ihres geheimsten Wesens, der Pulsschlag
fühlbar werde, der das Leben der Natur künde. Wie sie auf ein
naives Auge wirkt, einfach, kunstlos, unmittelbar, elementar, so
sollte sie auch im Bilde lebendig werden, als ob sie darin athme.
Statt mühsam ein Stück Wirklichkeit zu reproduciren , wollte man
mit Wenigem »suggestiv« wirken, an die Stelle der Detailmalerei
sollte die »expression par l’ensemble« treten.
Wo aber und wie beginnen? In der Kunst wie in der Politik
und Natur gibt es Gewitterstimmungen. Die ganze Welt lebt in
der gleichen Atmosphäre, eine Schwüle bemächtigt sich der Ge-
müther. Es ist, wie wenn eine grosse Menge in zu engem Raum
eingekeilt ist, die Luft wird erst frei, wenn Einer auf den Gedanken
kommt ein Loch zu schlagen. Solch drückendes Gefühl einer Ueber-
gangsstimmung lag um 1870 über der europäischen Kunst. Ein
Jeder dachte mit Ibsen: »Es muss eine neue Offenbarung kommen«,
und sie wurde den abendländischen Malern durch eine Botschaft,
die der Osten erliess.
©X9
XXXII.
Die Japaner.
IN demselben Jahre, als Millet seinen Vanneur ausstellte und
Courbet seine Steinklopfer malte, starb fern im Osten ein Mann,
der hiess Hokusai — der letzte grosse Vertreter einer Jahrtausende
alten Malerei, die keinen Rafael, Correggio oder Tizian hatte und
gleichwohl Kunst war in des Wortes erhabenster Bedeutung. Schon
Marco Polo, der grosse Reisende des Mittelalters, hatte von dem
merkwürdigen Lande »gen Sonnenaufgang« erzählt, dessen Boden zu
betreten ihm nicht vergönnt war. Das 18. Jahrhundert erlebte eine
Revolution seiner Kunstansichten, als die ersten japanischen Porzellane
und Lackarbeiten an den Höfen von Dresden und Paris eintrafen. Noch
der alte Ludwig XIV. begann Gefallen zu finden an Götzen, Pagoden
und »mit Blumen bedruckten Stoffen«. Die Werke bildeten binnen
Kurzem einen bedeutenden Theil der vornehmen Sammlungen und
führten zu der Gegenströmung gegen den starren Despotismus des
pomphaften Lebrunschen Stils. Die Japaner vermittelten Europa die
zwangloseren Grundsätze einer freieren Schönheitsanschauung; sie
brachten die Vorliebe für das Unsymmetrische, Caprieiöse, Bewegte
— all das, wodurch sich der reizende Stil Louis XV. von der lang-
weilig akademischen Kunst Louis XIV. unterscheidet. In den 6oer
Jahren des 19. Jahrhunderts griff Japan zum zweiten Mal umwälzend
in den Entwicklungsgang der europäischen Malerei ein. Und be-
trachtete man früher die japanischen Erzeugnisse als Curiositäten,
denen ein Platz in den Raritätenkabineten angewiesen ward, als
Spielereien, an denen mehr die Kunstfertigkeit der Herstellung als
der künstlerische Werth geschätzt wurde, so war es der Gegenwart
Vorbehalten, der japanischen Kunst als solcher gerecht zu werden.
Was für Griechenland Aegypten oder Kleinasien, war für Japan
China.
Schon im 2. Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung hatten
nach der Legende chinesische Künstler sich im Lande niedergelassen
584
XXXII. Die Japaner
und den Japanern die Kenntniss der alten chinesischen Kunst ver-
mittelt. Unter ihrer Anleitung wurden zahlreiche Schulen gegründet:
die Architektur, das Ciseliren von Metall, die Holzschnitzerei, die
Stickerei entwickelten sich rasch und überholten bald ihre chines-
ischen Vorbilder. Von China kam auch die Malerei , die ebenfalls
schnell in eigenartige Bahnen lenkte, wenigstens feiern alte Historiker
schon den Apostel des Buddhismus, Kobo-Daishi als einen Künstler,
der sich ganz von der Nachahmung des chinesischen Stils befreit
hätte. Die Seele Ostasiens nimmt in einem neuen Leibe Gestalt
an, die grosse ästhetische Erbschaft Chinas wird von dem kleinen
Volke Nippons angetreten, das diesen Schatz als eine Gesammtheit
geschichtlicher Ueberlieferungen und religiöser Lehren ehrfurchtsvoll
aufnimmt. Die Maler beginnen mit der Reproduction der Ideale einer
abgeschlossenen Civilisation, doch schon während sie sich in die
Gefolgschaft der chinesischen Künstler begeben, weisen ihre Instincte
sie auf eine eigene Geistesentwicklung hin. Bereits im 9. Jahrhundert
enthielten die Tempel und Paläste Japans eine Menge berühmter Bilder,
einheimische und chinesische. Unter den fremden genossen diejenigen
Wutaotzes die höchsten Ehren, der als mächtigster Maler seines Landes
gefeiert wird. An ihn schloss sich Kanaoka, der grösste japanische
Maler des 9. Jahrhunderts, in dem sich die grosse, ernste, hieratisch
strenge Kunst des japanischen Mittelalters verkörpert. Was damals
für die byzantinischen Künstler Christus, war für die japanischen
Buddha. Dort der abgezehrte, schmerzverklärte Tröster am Kreuz,
der entblösst bis zur Hüfte, seine Wundmale zeigt; hier Buddha, der
im Tempel von Nera, auf einem Riesen-Lotus, abgelöst von Allem,
was die Ruhe der Seele trüben könnte, in unergründliches Sinnen
versunken scheint. Das Buddhabild Kanaokas, das der Louvre be-
sitzt, übertrifft an ernster Erhabenheit die berühmtesten altchristlichen
Mosaiken. Ausserdem schuf er die Portraits der grossen Weisen und
malte in einem Tempel von Nuinai Pferde von so sprühendem Leben,
dass sie — ein Seitenstück zu den Vögeln des Zeuxis — »um die
Mitternachtsstunde ihren Rahmen verliessen und in schnaubendem
Galopp über die Felder rasten«.
In diesen Bahnen blieb die japanische Kunst bis zum 14. Jahr-
hundert. Die meisten Maler waren gleich den europäischen Mönchen.
Ihre Malerei erstarrte wie die des Occidents allmählich in scholast-
ischen Formeln. Und wie in Italien die alte religiöse Kunst, bevor
sie der weltlicheren Masaccios Platz machte, sich noch einmal in
XXXII. Die Japaner
ihrer ganzen Mystik in
Fra Anglico manifest-
irte, so blühte die grosse
ideale Seite des japan-
ischen Mittelalters in
den Werken Cho-Den-
sus voll und herrlich
aus, der auch in seinem
Leben manchen Zug
der Verwandschaft mit
dem frommen italien-
ischen Mönch gemein
hat : er war wie dieser
ein Mann von tiefer
Religiosität, fremd allen
menschlichen Leiden-
schaften, der nicht zu
eigenem Ruhm , son-
dern zur Ehre Gottes
arbeitete, so dass ihn
seine Oberen zwingen
mussten, eine Signatur
auf seine Bilder zu
setzen. Die Reisenden,
die seine Werke in Ja-
pan sahen, nennen ihn neben Kanaoka als den religiösesten, feier-
lichsten der japanischen Maler, als den, der seinen Figuren den über-
natürlichsten, weltentrücktesten Ausdruck gab, und ein Bild im brit-
ischen Museum gestattet die Controle dieser Lobsprüche. Weniger
glücklich als Fra Angelico, fand er indessen keinen Gozzoli, sein
Werk weiter zu führen. Bei seinem Tode 1427 verfiel die religiöse
Malerei in leere Routine, während sich ausserhalb der Klöster die
profane Kunst der Tosa- und Kanoschule entwickelte.
Episoden aus dem Leben der Weisen, der Helden, der japanischen
Priester, Legenden- und Romanstoffe, die Tänze, Feste und Cere-
monien des kaiserlichen Hofes, stilisirte Landschaften, Thiere und
Pflanzen beschäftigten fortan den Pinsel der Maler. Die Kunst dehnte
ihr Beobachtungsfeld aus, begann den Menschen selbst, die Sitten,
die Künste, die Gewerbe, die Scenen des öffentlichen und häuslichen
585
Hokusai im Costiim eines japanischen Kriegers.
586
XXXII. Die Japaner
Hokusai : Geistererscheimmg.
Lebens in den Kreis der Darstellung zu ziehen. Das Haupt dieser
Bewegung, die in der Geschichte der japanischen Malerei einen ähn-
lichen Aufschwung wie in Europa die Renaissance bezeichnet, war
Iwasa Matabe. Und je weiter man die japanische Kunstgeschichte
verfolgt, desto auffälliger erscheint die Aehnlichkeit, die ihr Ent-
wicklungsgang mit dem der europäischen aufweist. Wie in Europa
war die primitive Kunst in Japan eine religiöse, ausdrucksvolle
Kunst, wie dort bezeichnete das 15. Jahrhundert eine Aera der Re-
naissance, das Aufkommen eines neuen mehr realistischen Stils,
und das 17. Jahrhundert führte gleichfalls zu ähnlichen Resultaten.
Die ruhmreiche Epoche Genrokus war für Japan ein Zeitalter
Louis XIV.; die Maler pflegten noch die Traditionen der Renaissance,
doch mit einem wachsenden Streben nach Adel und eleganten, zu-
weilen bombastischen Schwung. Das Colorit wurde festlicher, der
Geschmack im Componiren schwungvoller und routinirter. In Korin
besass das 17. Jahrhundert seinen Caravaggio. einen Mann von
urwüchsiger Leidenschaft, rauschendem Leben und machtvoller Kühn-
heit, der seine Bilder mit wilder Bravour, mit brutaler Naturwahr-
heit heruntermalte. Zugleich hat diese Zeit — parallel mit den Hol-
XXXII. Die Japaner 587
Tanyu: Der Goll Hotei auf der Reise.
ländern — die höchste Entfaltung der Landschaftsmalerei gebracht.
Landschaften und Thiere, bisher nicht vom Figurenbild losgelöst,
erscheinen zum ersten Mal als selbständige Kunstmotive. Der Gang
der Kunst war also, wie es scheint, auf der ganzen Welt der gleiche.
Den Göttern und Heroen sind die ersten Bilder gewidmet, dann den
Menschen, dann dem Thier und der Landschaft, und mit den Meistern
des 17. Jahrhunderts hat sich die japanische Landschaftsmalerei gleich
zu ihrer vollen Blüthe, zu einer Kunst von unsagbarem Reiz ent-
faltet. Während die Chinesen mit Vorliebe phantastische und un-
mögliche Landschaften componirten, in denen sie in complicirter,
wirr unnatürlicher Weise Wasserfälle, Felsen, Häuser und Baum-
gruppen vereinten, sind die japanischen Landschaften durchgängig
einfach. Ein See, ein Strom, die durch Segel belebte und von wald-
bewachsenen Bergen umgebene Meeresküste, ein Thal mit grünen
Reisfeldern, ein in Bäumen halbverstecktes Dörfchen, ein waldiger
Hügel, aus dessen grünem Dickicht bunte Tempel neugierig vorlugen :
das sind die gewöhnlichen japanischen Scenerien. Zuweilen ist nur
eine ebene Fläche dargestellt, aus der einige Grashalme aufragen;
oder ein einzelnes Segel ist auf kaum angedeutetem Wasser allein zu
588
XXXII. Die Japaner
erkennen. Je schlich-
ter das »Motiv«, desto
überraschender der
malerische Reiz , die
mächtig ergreifende
Stimmung, die durch
einfache Pinselstriche
erzielt wird. Mit ein-
igen Linien lassen sie
auftauchen die stille
Ruhe heitererSommer-
abende. den Schlaf der
Ebenen unter der
Schneedecke, die sanfte
Melancholie des Ne-
bels, der wie ein Zau-
berschleier über den
Hügeln liegt. Tanyu
malt niedrige bläuliche
Thäler, Morgennebel, Baumgipfel und verschleierte Berge, Naonobu
zarte Schneelandschaften in weiss und grün. Motonobu durch-
leuchtet die Luft mit Lichtstrahlen und lässt Felsen in nebelhaft
verschwommenen Umrissen hindurchschimmern. Yassunobu entrollt
unendliche Fernsichten, weite Panoramen mit fernhinfliegenden Vögeln,
Mondaufgänge, die ihr weiches Licht in zitternden Wellen über die
Reisfelder und die Hügel des Horizonts ergiessen. Keishoki theilt den
Eindruck des Dunstraumes mit, der wogend, einem Nebelsee gleich
zwischen den Felsen hängt, oder lässt einsame Ritter durch lautlose
Wintereinöden irren, aus denen das Skelett eines Baumes gespenstig
aufragt. Tsunenobu malt dicke Luft, niedrigen Himmel, eine Erde,
auf der die Geräusche erstarben, eine kalte und stumme Natur, in
der sich im Schneenebel ein Stelzvogel einbeinig aufrichtet. Gueani
wird nicht müde, die vier Jahreszeiten zu besingen, die blühenden
Bäume des Frühlings wie den ewigen Winter eiskalter Felsenmeere.
Soami, sein Sohn, ein zarter Träumer, löst von leichtem Dunst die
Dächer der Häuser, die Spitzen der Zweige, baut in den Nebel auf-
gestafTelte Kioske, lässt Flüsse aus Felsenhöhlungen plötzlich hervor-
brausen. Nur Chintreuil und Corot, die grössten Poeten Europas,
haben die Empfindungen, die das Naturleben in der menschlichen
Japanischer Künstler bei der Arbeit.
XXXII. Die Japaner
589
Seele weckt, gleich zart,
gleich melancholisch be-
sungen. Nur in der
Schule von Barbizon hat
die schlichte tief empfun-
dene Naturpoesie der ja-
panischen Landschafter
ihres Gleichen. Und
wie die holländische
Schule zuletzt noch das
beste in ihren Blumen-
Frucht- und Thierbil-
dern leistete, so hatte
auch diese Schule um
1750 ihren letzten
Hauptvertreter in dem
grossen Blumen- und
Thiermaler Okio, dessen
Kraniche, Fische, kleine
Hunde, Hirsche und
Affen das Entzücken
aller Sammler bilden.
Aul den grossen Kraft-
aufschwung des sieb-
zehnten Jahrhunderts
folgte im achtzehnten die höchste Verfeinerung, das japanische Rococo,
dessen Hauptvertreter Soukenobu, Schunsho und Outamaro in ihrer
künstlerischen Bedeutung, ihren Aehnlichkeiten und Unterschieden
nur durch den Vergleich mit Lancret, Boucher, Eisen und Fragonard
zu kennzeichnen wären. Unter ihren Händen wurde auch die Figuren-
malerei, die bis dahin oft noch schwer und grell gewesen, eine exqui-
site, capriciöse, schmeichelnde, delicate Kunst, durch sie erhielt sie
jene Leichtigkeit und Grazie, jene zarten hellen Harmonien, die
ihr seitdem blieben.
Die Oelmalerei existirt bekanntlich weder in China noch in
Japan. Wie die Japaner sich zum Bauen das leichteste Material
wählen, so trägt auch an ihrer Malerei Alles die Signatur höchster
Leichtigkeit. Japanische Bilder, Kakemonos, werden in Tusche oder
Wasserfarbe auf weisse, in Rahmen eingespannte Seide oder auf
Hokusai: Frauenbad.
590
XXXII. Die Japaner
Hiroshige: Die Brücke von Yedo.
Papier gemalt, jenes Papier, das vor dem abendländischen die un-
übertroffene Zähigkeit, die merkwürdige Weichheit und Schmiegsam-
keit, die matt seidenartig glänzende oder dem feinsten Pergament
vergleichbare Oberfläche voraus hat. Man bewahrt die Bilder gerollt
und hängt sie nur gelegentlich im Tokonama, dem kleinen Cabinet
neben dem Salon — und nach sehr feinen Regeln — auf: Nur wenige
gleichzeitig — nur harmonirende. Erwartet man Besuch, so entscheidet
der Geschmack des Gastes bei der Auswahl. Bunte frische Blumen
und Zweige, in Vasen daneben aufgestellt, müssen in der Farbe zu
den Bildern stimmen.
Als Werkzeug dient allein der schmiegsame Haarpinsel, der Alles
frei und flott hinsetzt. Stift, Kreide oder Feder, jedes harte, Wider-
stand leistende Werkzeug bleibt ausgeschlossen. Der Inhalt der Bilder
ist ein überraschend reicher und setzt zu seinem Verständniss zum
Theil die Bekanntschaft mit der japanischen Literatur voraus. Ein
reicher Märchenschatz steht dem Künstler zu Gebote, worin Menschen-
fresser und Däumlinge ganz wie in deutschen Märchen ihr Wesen
treiben. Geschichtliche Darstellungen aus dem Leben fabelhafter
XXX H. Die Tapaner
S91
Hokusai, den Berg Fuji zeichnend.
Nationalhelden, Geister- und Spukgestalten, halb Mensch halb Vogel
wechseln mit einfachen Landschaften oder Darstellungen aus dem
Alltagsleben ab. Und in allen Bildern, mögen sie phantastisch sein
oder schlicht ein Stück Wirklichkeit schildern, fesselt die gleiche
Schärfe der Beobachtung, die gleiche Feinheit des Geschmacks, der
malerische Reiz im höchsten Sinne des Wortes. Nachdem die Japaner
längst als erste Decorateure der Welt anerkannt, nachdem ihnen auf
sämmtlichen Gebieten der Kunstindustrie — der Lackwaaren, Bronzen,
Webereien, Stickereien und der Keramik — der höchste Ehrentitel
zugestanden worden, werden sie heute auch als die geistreichsten
Zeichner der Welt verehrt.
Der japanische Künstler lebt in und mit der Natur, wie nie ein
Volk es gethan hat. Das Leben im Freien bewirkt einen Rousseau-
schen Naturzustand der Sitten; macht, dass Erde, Wasser und Himmel
dem Menschen gleich vertraut werden wie die Wesen, die sich
darin bewegen. Jede Wohnung, selbst im Centrum der Städte, hat
ihren Garten, der, geistreich angelegt, alle Zufälligkeiten des Terrains,
schöne Blumen, Bäume und Wasserfälle vereinigt. Der Wuchs der
XXXII. Die Japaner
Bäume, die Gestalt und
Farbe der Blumen, die
Wellen des Blattes, der
schillernde Panzer der
Insekten prägen sich
dem Gedächtniss des
Malers so ein, dass
seine Phantasie sie
jederzeit ohne neues
Studium zur Hand hat.
Der flüchtigste Mo-
ment des Naturlebens
haftet geich fest, wie
die ewige Form der Fel-
sen und Riesenbäume,
die die Tempel haine
Nippons beschatten.
Jeder Einzelne arbeitet
mit dem unbefangenen
falkenäugigen Blick des
Naturkindes. An dem
Fluge der Vögel sieht
sein scharfes Auge
Wendungen und Be-
wegungen, die bei uns
erst der Momentphoto-
graph entdeckte. Diese Scharfäugigkeit und staunenswerte Uebung
des Gedächtnisses ermöglicht ihm , durch die geringsten Mittel die
schlagendsten Wirkungen zu erzielen. Zeichnet der Japaner Figuren,
so ist Race, Stand, Alter, Beschäftigung, Persönlichkeit, Alles mit
scharfem Blick erfasst und in seinen wesentlichen Zügen prägnant
wiedergegeben. Unbekleidete Formen wie Gewänder, Köpfe wie Ex-
tremitäten, die lebendige wie die todte Natur sind mit gleicher Treue
der Wirklichkeit nachgebildet. Doch so wenig je die Lehre aufkam,
dass man die Natur in ein System meistern müsse, um Kunstwerke zu
schaffen, so wenig führt jemals trivialer Realismus das Wort.
Die Liebe zur Natur ist dem Japaner angeboren, aber die photo-
graphische Nachbildung, die platte Abschilderung der Wirklichkeit nie
sein letztes Ziel. Geffroy hat feinsinnig die Aehnlichkeit gekennzeichnet,
592
Hokusai: Der Berg Fuji durch ein Segel gesehen.
XXXII. Die Japaner
595
Hiroshige: Japanische Landstrasse.
die in dieser Hinsicht zwischen den japanischen Dichtern und Malern
besteht. Die Dichter beschreiben nie, sie wollen nur eine seelische
Empfindung ausdrücken, eine Erinnerung festhalten, die heitere lächeln-
den Geniessens, die wchmüthige einer entschwundenen Freude. Sie
besingen den Nebel, der über die Berggipfel streift, die Fischerboote,
das Schilf am Meere, das Plätschern der Wellen, die eilenden Wolken-
streifen, die untergehende Sonne, die mit Purpurfarbe die müde Welt
überstrahlt. Dieselbe Sparsamkeit der Mittel, dieselbe Sicherheit im
Wählen der charakteristischen Züge, die gleiche Schnelligkeit im Treffen
des Grundtons ist den Malern eigen. Auch sie drücken mit den knapp-
sten Mitteln sich aus, scheuen sich zuviel zu sagen, suchen nur den
schnellen richtigen Eindruck des Ganzen und überlassen der Phan-
tasie die Arbeit des Ergänzens und Weiterspinnens. Die Schwere
der Materie ist überwunden, der absurde Wirklichkeitsschein nie an-
gestrebt. Wie die Franzosen des achtzehnten Jahrhunderts haben
die Japaner die spielende Grazie, den Esprit des Pinsels, der über
den Dingen schwebt, nur deren Essenz und Blüthenduft in sich auf-
nimmt, sie nur als Unterlage für selbständige Schönheitscapricen
benutzt. Sie besitzen eine merkwürdige Fähigkeit, ohne dass eine
Figur oder Landschaft den lokalen Accent verlöre — synthetisch zu
sein, alles Schwere, Störende auszuscheiden. Sie halten den schärfsten
Eindruck der Dinge fest, aber nur in grossen zusammenfassenden
Muthcr, Moderne Malerei II. ^3
594
XXXII. Die Japaner
Hirosbige: Schneeweller.
Linien und ordnen dem Lichte, das sic beleuchtet, dem Schatten, der
sie umfluthet, jede Einzelheit unter. Ihre Handschrift ist präcis und
breit, graziös und bizarr zugleich. Wie nonchalant, hinfällig, pikant
oder kokett wirken diese Frauen, und um solchen Eindruck zu er-
zielen, haben wenige sichere Striche genügt. Ein geschickter Pinselzug
war ausreichend, die Modellirung zu geben, den Eindruck der sammt-
igen Weichheit des Fleisches, der Festigkeit eines Busens hervorzu-
rufen. Oder es sind brandende Wogen, schäumende Katarakte ge-
malt. Mit welch hoher Meisterschaft, welcher Sachkenntnis sind die
Strudel und Wirbel des Gewässers veranschaulicht. Und welche .
geringen Mittel gehörten dazu. Wie wahrt Alles die Frische des
Lebens, wie ist durch eine einfache und entscheidende Linie die schier
unfassbare Bewegung der Dinge fixirt. Ein paar 1 uschklekse und
gewaltsame Striche fügen sich mühelos zu einem Gebirgsweg zu-
sammen, zu einem Bergstrom, der tosend über Bäume und Felsen
rollt. Oder ein Schiffsschnabel ist dargestellt. Man sieht nichts vom
Wasser und doch ist’s, als schaukelten ihn die tragenden Wellen.
Die Woge schwillt, hebt und senkt sich, an das weite Meer, den
Rhythmus im Weltall gemahnend. Die Linien, in denen die Motive
gezeichnet sind, geben nur das Wesentliche jedes Dinges wieder. Aber
XXXII. Die Japaner
595
Unbekannter Meister : Mittagrast bei der Heuernte.
diesem Streben nach vereinfachter Form gesellt sich ein Raumgefühl,
das wie von selbst Alles ordnet und die poetische Illusion der Ferne
erzeugt. Die Japaner sind Meister der Kunst, den engen Bildrahmen
zu einer grossen Fläche auszudehnen und mit wenigen Strichen die
Entfernung zwischen Vordergrund und Horizont zu kennzeichnen. Oft
befindet sich Nichts oder fitst Nichts in dem weiten Raum, aber Nähe
und Ferne stehen so richtig zu einander, dass doch die ganze Geologie
klar wird, leichte Luft füllt den Raum und gibt dem Auge die Vision
unendlicher Perspective. Ein Ausläufer eines Vorgebirges, ein Flussufer,
ein Ausschnitt zwischen zwei Bergen — sie genügen, das Auge weite
Landschaften durchmessen zu lassen. Vor ihren Werken lässt sich noch
träumen, lassen sich noch unendliche Fernen ahnen. Durch kühne
Vereinfachungen nehmen sie den Dingen ihren erdigen Beigeschmack
und verwandeln die Wirklichkeit in ein Traumland. Es ist der Geist
der Dinge, ihr Lächeln, ihr unfassbares Parfüm, das in diesen ver-
schleierten und doch präcisen Meisterwerken lebt.
Viel trägt zu diesem Eindruck auch das genial Unregelmässige
der japanischen Arbeiten bei, die keine Steifheit symmetrischer An-
ordnung kennen. Ihre Bilder sind nie in unserm Sinn »componirt»,
38*
>96
XXXII. Die Japaner
Hokusai: Der Berg Fuji durch hohes Schilf gesehen.
sondern gleichen eher den Momentbildern der Photographen. Die
Zeichnung wirkt wie ein erhaschter Augenblick. Man sieht einen
Vogel vorbeischiessen — nur halb noch sichtbar, die Baumgruppe
ist ein zufälliger Ausschnitt aus dem Walde, wie etwa das Fenster
des vorbeisausenden Hisenbahnzugs ihn zeigt. Oder es ragt, Hott
und frisch, nur der Zweig eines Baumes, mit einem Vögelchen da-
rauf. in die Bildfläche herein, die sonst ein Stück blauen Himmels
füllt. Mit einem blühenden Apfelzweig, der einer Vase entspriesst,
einem Frosch und einem Schmetterling componiren sie, ohne dass
sie daran zu denken scheinen, kleine Gedichte von Grazie und Frische.
Mit Käfern, Heuschrecken, Schildkröten, Krabben, Fischen spielen sie
wie die Künstler der Renaissance mit Engeln und Amoretten.
Und in Alles bringt der Japaner auch coloristisch einen eigen-
artig vornehmen Zug. Es ist, als ob selbst in der Farbenanschauung
das feinste Taktgefühl wie eine force majeure ihn beherrsche. Jene
grosse I Iarmonie, von der Theodore Rousseau sprach und die das
Ziel seines Lebens bildete — der japanische Maler erreicht sie fast
instinctiv. Die lebhaftesten Farbenwirkungen von rothen und grünen
XXXII. Die Japaner
597
Hiroshige: Landschaft.
Bäumen, gelben Wegen, blauem Himmel sind dargestellt, die raffinir-
testen Lichteffecte wiedergegeben: illuminirte Brücken, dunkle Firma-
mente, weisse Mondsicheln, flimmernde Sterne, die hellen und rosa
Bliithen des Frühlings, der grelle Schnee, der auf zierliche Gärten
fällt — und nirgends sind Missklänge. Wie bunt und schwer ist
unser Colorit gegenüber diesen deliciösen Accorden, die, so kühn
gegen einander gesetzt, doch stets so harmonisch klingen. Sind
unsere Augen von Natur aus roher? Oder ist Alles beim Japaner
nur Folge der vernünftigeren Erziehung? Wir haben nicht diese inten-
sive Perceptionskraft, dieses Instinctive, Sinnliche der Farbe. Ihr
Colorit ist eine Wollust für die Augen, ein Zaubertrank. Nirgends
verletzt ein greller oder vollends roher Ton, Alles ist fein abgewogen,
zart angedeutet, von jenem sanften Schmelz, der auch am japanischen
Email entzückt. Die einfachsten Farbenaccorde sind oft die wirksam-
sten: nichts kann reizender sein als das zarte Duo von Grau und Gold.
Und alle diese Feinheiten hat oft der billigste Holzschnitt mit dem
kostbarsten Kakemono gemein. Selbst hier, wo sie an die Niedrigen
sich wenden, wird ihre Kunst nie vulgär, sondern hält sich auf
so aristokratischer Höhe, dass wir mit Oeldrucken und Kunstakade-
59«
XXXII. Die Japaner
Toyokuni: Nächtliche Träumerei.
mien gesegneten Barbaren des Occidents nur mit Neid emporschauen
können zu diesem Volk von Kennern.
Auch der Holzschnitt hatte in Japan eine ähnliche Entwick-
lung wie in Europa. Bis zum Jahre 1610 kamen Holzschnitte nur
als Einzelblätter vor, denen zum Theil ein sehr hohes, hinter die
Anfänge des Holzschnittes in Europa weit zurückreichendes Alter
zugeschrieben wird. 1610 erschien das erste illustrirte Buch, und
die einfachen Handwerker, die sich bisher mit der Anfertigung von
Holzschnitten nach religiösen Bildern älterer Meister befasst, wurden
wie zu Wohlgemuths und Dürers Zeiten fortan durch grosse Peintre-
graveurs verdrängt; das heisst: die japanischen Holzschnitte waren
nicht mehr Reproductionen eines in anderer Technik geschaffenen
Werkes, sondern selbständige Erzeugnisse, die in der Geschichte der
japanischen Kunst von ähnlicher Bedeutung sind wie die Holzschnitte
des 16. Jahrhunderts in der Geschichte der deutschen. Der Holz-
schnitt wurde für die japanischen Maler dasselbe, was er für Dürer
und die Kleinmeister gewesen : das Gebiet , auf dem sie sich
ganz frei bewegten und Alles niederlegten, was ihnen an tiefen
Gedanken oder lustigen Einfällen durch den Kopf ging. Und wie
XXXII. Die Japaner
599
Hokusai : Aus den ■> 3 6 Ansichten des Berges Fuji*.
damals unsere Meister sich mit Vorliebe in Clairobscurblättern er-
gingen, so fallen in Japan, nachdem man auch dort anfangs die Holz-
schnitte mit der Hand colorirt hatte, um 1720 die Anfänge des
Holzfarbendruckes — in die gleiche Zeit, als in England und Frank-
reich der Farbenkupferstich blühte. Ein Jahrhundert hindurch
entstanden unter der Mitarbeiterschaft der ersten Maler ganze Reihen
illustrirter Bücher, die das Höchste enthalten, was jemals der Bunt-
druck leistete.
Der älteste dieser für den Holzschnitt arbeitenden Künstler war
Matahei, der im Beginne des 17. Jahrhunderts lebte und Scenen aus
dem japanischen Familien-, Theater- und Strassenleben zeichnete. Am
Schlüsse des 17. Jahrhunderts folgten Icho und Moronobu, der eine
ein geistreicher Caricaturist, der andere ein echter Barockkünstler von
edler, classischer Reserve. Durch die Meister des 18. Jahrhunderts
nahm, wie durch Eisen, Fragonard und Boucher, die vervielfältigende
Kunst wieder einen neuen Aufschwung. Die süssen jungen V eiber
Soukenobus mit ihren feinen runden Gesichtern, die eleganten, in
kostbare Costüme gekleideten Schönheiten Harunobus, die langen
Frauengestalten des wunderbaren Outamaro in ihrer provocirenden
Grazie, die lebensprühenden Volksscencn des grossen Coloristen
6oo
XXXII. Die Japaner
Shunsho — nur Ed-
mond de Goncourt
wäre fähig, in Worten
einen Begriff von dem
feinen Parfüm zu ge-
ben, das diese Werke
duftend umfliesst.
Outamaro nament-
lich, der Dichter der
Frau, war der Wat-
teau des japanischen
Highlife. Er kannte
wie kein Anderer das
Leben der Japanerin,
ihre häuslichen Be-
schäftigungen, ihre
Spaziergänge und an-
muthigen Reize, ihre
Eitelkeiten und Lieb-
schaften. Er kannte
auch die Natur, die
sie betrachtet , die
Strassen, die sie geht,
die Ufer, an denen sie wiegenden Ganges schlendert. Seine Frauen
sind schlanke Wesen, die, wie Idole isolirt, unbeweglich dastehen
in hieratisch feierlichen Posen, ästhetische Seelen, die bleich und
ohnmächtig werden unter dem Druck beängstigender Traumbilder
welkende Blumen, die müd am Ufer eines einsamen Meeres, eines
träg fliessenden Flusses wandeln oder ängstlich wie Fledermäuse
durch den sanften Lichterglanz nächtlicher Feste huschen. Und wäh-
rend er das Fleischliche, Physische tödtet, die Gesichter visionär
und träumerisch macht, die Hände und Gesten verfeinert, beruhigt
und dämpft er zugleich die Farben, den Glanz der Kleider, gefällt
sich in ersterbenden Accorden, in dunklem Schwarz, zartem Weiss, in
feinen, gebleichten rosa und lilaNüancen. Von seinen Schülern wurde
jeder ein frischer Chronist des Highlife. Toyohami malte Nachtfeste,
Toyoshiru lebensvolle Volksmengen, Toyokumi Theaterscenen, Kuni-
sada spazierende Frauen, Kunioshi pomphafte melodramatische Auf-
führungen mit feenhaft phantastischen Landschaften.
XXXII. Dif. Japaner
601
Das 19. Jahrhun-
dert brachte die breit-
este Popul arisirung der
Kunst, entsprechend
etwa der »Einkehr in’s
Volksthum«, wie man
in Deutschland den Be-
ginn des modernen
Genres und der mo-
dernen Illustrations-
kunst nannte. Der vor-
nehme Sohn von Nip-
pon steht diesen letz-
ten Erzeugnissen des
japanischen Farben-
drucks achselzuckend
gegenüber, er liebt
mehr jene reizenden
Meister der Grazie und
vermisst an den neuen
das aristokratische Ca-
chet mit demselben
Recht, wie der vor-
nehme europäische
Sammler Blätter von Grandville oder Dore nicht gern in eine Mappe
mit solchen von Eisen und Fragonard legt. Trotzdem war unter den
Kiyonaga: Kahnfahrt.
Zeichnern der volkstümlichen Richtung wenigstens ei n grosses Genie,
einer der bedeutendsten Künstler seiner Nation, der für Europa be-
kannter als alle seine andern Landsleute wurde: Hokusai.
In ihm haben sich alle Qualitäten der japanischen Kunst wie in
einem Brennpunkt vereinigt. Sein Werk ist die Encyklopädie eines
ganzen Landes, und nach seinen technischen Qualitäten steht er den
grössten Europas zur Seite. Er ist der aufmerksamste Beobachter,
ein Sittenmaler wie kein Anderer, er misst die Dinge streng, zer-
gliedert die leisesten Bewegungen. Er zeichnet die Feste auf der
Erde, die unerschütterlichen Felsen, die ewigen seit Urzeiten auf-
ragenden Berge und verfolgt ihr in Schatten und Licht wechselndes
Aussehen. Er besitzt in höchstem Maasse jene japanische Eigen-
schaft, die Bewegungen der Wesen und Dinge zu greifbarem Aus-
6o2
XXXII. Die Japaner
druck zu bringen. Er lässt die Menschen gesticuliren, die Thiere
gehen, die Vögel fliegen, die Reptilien kriechen, die Fische schwimmen,
die Blätter an den Bäumen, das Wasser der Flüsse und des Meeres,
die Wolken des Himmels sich leise bewegen. Fr ist ein grossartiger
Landschafter, der alle Jahreszeiten von der Blüthe des Frühlings bis
zum starrenden Eis des Winters besingt. Fr zeichnet die geograph-
ische Karte der Obstgärten, Wälder und Felder, folgt dem ge-
wundenen Lauf der Flüsse, lässt feine Nebel vom Meere aufsteigen,
die Wellen tosen, die Wogen an den Felsen lecken und als mur-
melnde Bächlein im Sande verlaufen. Aber auch ein Philosoph
ist er, ein Dichter von weiter Flugweite, der die kühnsten Reisen
in’s Land der Träume unternimmt. Seine Phantasie hebt sich über
die Alltäglichkeit, fliegt auf den Flügeln der Chimäre, gestaltet ein
neues Leben, schafft Ungeheuer, erzählt Visionen von schrecklicher
Poesie. Die Gefühlstiefe der primitiven Meister lebt in ihm auf, und
er erscheint als wunderbarer Mystiker, wenn er seine überirdisch
heiteren Göttinnen oder jenen alten Buddhisten malt, der, aus Japan
verbannt, nach der Legende jeden Tag iiber’s Meer gegangen kam,
um den heiligen Berg Fuji wieder zu sehen.
Hokusai war im Jahre 1760 in einem stillen Winkel von Yeddo
mitten zwischen blumigen Gärten geboren, 14 Jahre nach Goya,
12 Jahre nach David. Sein Vater war Hoflieferant von Metallspiegeln.
Fr lernte bei einem Illustrator, scheint jedoch bis zu seinem 40. oder
50. Jahre ziemlich unbekannt geblieben zu sein. Erst 1810 begründete
er eine Kunstgewerbeschule, die zahlreiche junge Leute anzog. Um
diesen ein Compendium des Zeichenunterrichts in die Hände zu
geben, veröffentlichte er 1810 den ersten Band seiner »Mangwa«.
Seitdem war er anerkannt als Schulhaupt. Als sein Ruhm sich zu
verbreiten begann, wechselte er fast jeden Monat seine Wohnung, um
sich vor lästigen Besuchern zu schützen. Ebenso oft veränderte er
seinen Namen. Auch derjenige, unter dem er in Europa berühmt
wurde, ist, ähnlich wie Gavarni« nur ein Beiname — unter den
verschiedenen Noms de guerrc, die er sich beilegte, der. den er am
längsten geführt hat und mit dem man ihn definitiv bezeichnet.
Als Maler war er nur in seiner Jugend thätig. Die That seines
Lebens sind nicht Gemälde, sondern eine unübersehbare Reihe illu-
strirter Bücher, ein Werk , reicher als das eines seiner Landsleute.
Das Schicksal hatte ihm, wie Tizian und Corot, beschieden, ein
sehr hohes Greisenalter zu erreichen und doch nie alt zu werden.
XXXII. Die Japaner
603
Shiwogawa Bunrin : Mondscheinlandschaft.
»Seit meinem sechsten Jahre, schreibt er selbst im Vorwort eines
seiner Bücher, hatte ich eine wahre Wuth, jeden Gegenstand, den
ich sah, abzuzeichnen. Als ich mein 50. Jahr erreicht hatte, publi-
cirte ich eine Unmasse von Zeichnungen ; aber ich bin unzufrieden
mit Allem, was ich vor meinem 70. Jahre machte. Mit 73 Jahren
verstand ich mich einigerntassen auf die Gestalt und wahre Natur
der Vögel, Fische und Pflanzen. Mit 80 Jahren hoffe ich, weitere
Fortschritte gemacht und mit 90 den letzten Grund der Dinge er-
kannt zu haben. Im 100. Jahre schwinge ich mich zu noch höheren
unerkannten Sphären auf, und im 110. wird jeder Strich, jeder
Punkt, kurz Alles von meiner Hand lebendig sein«. Ein so hohes
Alter hat Hokusai freilich nicht erreicht. Er starb, 89 Jahre alt, am
13. April 1849 und liegt im Tempel zu Yeddo begraben. Etwa
80 grosse Werke, im Ganzen über 500 Bände, hat er während des
Menschenalters 1815 bis 1845 publicirt. »Von meinem Sitze am
Fenster, wo ich den ganzen Tag gefaulenzt hatte, erhob ich mich . . .
sachte, sachte. . . Da bin ich auf und davon. . . Ich sehe die un-
zähligen grünen Blätter in den dichtbelaubten Baumkronen zittern ;
ich betrachte die flockigen Wolken am blauen Himmel, wie sie sich
phantastisch zusammenballen zu vielgestaltig zerrissenen Formen . . .
Ich schlendere bald hierhin, bald dorthin, nachlässig, ohne Willen
und Ziel. . . Jetzt überschreite ich die Affenbrücke und horche, wie
das Echo den Ruf der wilden Kraniche zurückgibt. . . Jetzt bin ich
im Kirschenhain von Owari. . . Durch die Nebel, die auf der Küste
von Miho ziehen, erblicke ich die berühmten Kiefern von Suminoye. . .
Jetzt stehe ich bebend auf der Brücke von Kameji und schaue staunend
hinab auf die riesenhaften Fukipflanzen. . . Da schallt das Brüllen
604
XXXII. Die Japaner
des schwindelerregenden Wasserfalles von Ono an mein Ohr. . .
Ein Schauder durchläuft mich. . . Nur ein Traum war es, den ich
träumte, unweit meines Fensters gebettet, mit diesem Bilderbuche
des Meisters als Kissen unter meinem Haupte.«
Mit diesen Worten hat ein japanischer Gelehrter das grosse
Stoffgebiet, den unsäglich reichen Inhalt der Werke des Meisters ge-
kennzeichnet. Mit Vorliebe führt er in die Werkstätten der Hand-
werker, zu Holzbildhauern, Schmieden, Metalldrehern, Färbern,
Stickern, Webern. Dann folgen Vergnügungen des vornehmen,
reservirt und mit Würde auftretenden Adels; die Landleute in ihrer
Alltagsbeschäftigung und ihrem frohen Treiben an Festtagen , die
phantastischen Gestalten fabelhafter Thiere und Dämonen , die in
das Leben der schwertgewaltigen japanischen Nationalhelden cin-
greifen , Gespenstererscheinungen, Betrunkene, Ringer, Strassen-
figuren aller erdenklichen Art, mythische Reptilien, schneebedeckte
Bergkuppen, wogende, vom Winde gepeitschte Reisfelder, Wald-
schluchten, Wasserfälle, seltsame Felsenthore, weite Fernsichten über
Gewässer mit kiefernbewachsenen Felsen.
Das berühmteste dieser Werke, die ausschliesslich Landschaften
enthalten, sind die in drei Bänden 1834 — 1836 veröffentlichten
hundert Ansichten des Berges Fuji, des gewaltigen Vulkans, der sich
dicht bei Yeddo erhebt und von Alters her eine Rolle spielte in den
Werken der japanischen Landschafter. Bald sieht man in Hokusais
Buche den Kegel des Berges klar in den wolkenlosen Himmel auf-
ragen, bald ist er von vielgestaltigen Wolkenbildungen umlagert. Seine
schöne Silhouette schimmert durch die Maschen eines Fischernetzes,
durch grossflockiges Schneegestöber oder durch einen Vorhang senk-
recht rieselnden Regens. Er steigt empor aus dunstigen Thälern, um-
glänzt von den Strahlen der Abendsonne, oder spiegelt sich, selbst
ungesehen, in der glatten Fläche eines Binnenwassers, an dessen
schilfigem Ufer Wildgänse schnattern, oder hebt sich in gespenstischen
Umrissen vom nächtlichen Himmel ab, vom Mondlichte silbern über-
gossen. Sommerliche Lüfte und Winterstürme streichen darüber hin,
windgepeitschte , - prasselnde Hagelschläge, leise Schneefälle senken
sich auf ihn hernieder. Im Frühjahr flattern die Blüthen der Pfirsich-
und Pflaumenbäume gleich Schwärmen weisser und rosiger Schmetter-
linge ringsum zur Erde. Nur hungrige Wölfe oder Drachen, die
der Volksglaube dem Fuji-Berge gesellt, beleben zuweilen die gran-
diose Einsamkeit der Landschaft.
XXXII. Du: Japaner
605
»Niemals«, sagt Gonse, »hat eine geschicktere Hand auf dem
Papiere geruht ; man kann die Blätter nicht ohne Erregung be-
trachten, es ist die absolute Vollendung, das Höchste, was die
japanische Kunst an Glanz, Frische, Leben und Originalität hervor-
brachte.« Hokusais Fähigkeit, mit einem Federstrich den Eindruck
des Reliefs und der Farbe zu geben, hat nur in Rembrandt, Gallot
und Goya ihres Gleichen. Menschen, Thiere, Landschaften — Alles
ist in seinen Zeichnungen auf den einfachsten Ausdruck zurück-
geführt. Man sieht Gruppen in Bewegung, Priester in Procession,
Soldaten auf dem Marsch — oft hat ein einziger Pinselstrich genügt,
ein Individuum zu geben, den Eindruck des Lebens, der Bewegung
hervorzurufen. Jedes Blatt ist ein Meisterwerk des Farbenholzschnittes,
von fremdartigem Wohlgeschmack des Colorits, wohlthuend in dem
ernst gestimmten Dreiklang des Goldgelb, des verschossenen Grün
und Feuerroth, wozu sich zuweilen noch goldene, silberne und
andere Metalltöne gesellen. . . .
Paris kam unter den fascinirenden Einfluss des Japanerthums
seit dem Beginne der 6oer Jahre. Und es besteht kein Zweifel: Wie
auf die Landschafter von Fontainebleau die Engländer, auf Delacroix
die Venetianer, auf Courbet und Ribot die Meister von Neapel ein-
wirkten, so ist die neueste Phase der französischen Kunst, die von
Manet ihren Ausgang nahm, durch den Japonismus inaugurirt
worden. Seit dem Moment, als mit dem Zusammenbruche des
japanischen Feudalstaates die eigentliche Abgeschlossenheit Japans
ihr Ende erreichte, wurde Paris von den herrlichen Arbeiten der
japanischen Kunst überschwemmt. Ein Maler entdeckte unter den
neu angekommenen Dingen auch Albums, Farbendrucke und Bilder.
Zeichnung, Colorit und Composition wich von Allem ab, was bisher
für Kunst gegolten, und doch war der ästhetische Charakter der
Arbeiten zu künstlerisch, als dass man sie als Curiositäten hätte be-
lächeln können. Mag der Entdecker Alfred Stevens oder Diaz,
Fortuny, James Tissot oder Alphonse Legros gewesen sein — der
Enthusiasmus für die Japaner eroberte im Sturme die Ateliers. Man
wurde nicht müde, das capriciös Geistreiche der Compositionen,
das staunenswerthe zeichnerische Können, die Feinheit im Ton, die
Originalität des malerischen Effects zu bewundern, die raffinirte
Einfachheit der Mittel anzustaunen, mit denen die Resultate erzielt
waren. Die japanische Kunst imponirte durch ihren zarten, frischen
Reiz, ihren schöpferischen Reichthum, ihre leine leichte Beobachtung,
6o6
XXXII. Die Japaner
sic fesselte, weil Alles in ihr Anschauung, Unmittelbarkeit, nie fehlen-
der Takt, angeborne Vornehmheit war, man erkannte in ihr das Er-
zeugnis eines Volkes von Künstlerkindern, das mit der Eindrucks-
frische ursprünglicher Menschen den verfeinerten Geschmack einer
uralten raffinirten Civilisation verband. Farbendrucke, die heute jeder
Bazar um wenige Francs feilhält, wurden zu den höchsten Preisen
gekauft. Jede neu ankommende Sendung wurde mit Sehnsucht er-
wartet. Altes Elfenbein, Email, Faiencen und Porcellan, Bronzen,
Lack- und Holzarbeiten, gewirkte Stoffe, Seidenstickereien, Albums,
Bücher mit Holzschnitten, Spielzeug waren kaum im Laden des Kauf-
manns ausgepackt, so gingen sie in die Ateliers der Künstler, in die
Arbeitszimmer der Gelehrten über. In kurzer Zeit waren grosse
Sammlungen japanischer Kunsterzeugnisse in den Händen der Maler
Manet. James Tissot, Whistler, Fantin-Latour, Degas, Carolus Duran,
Monet, der Kupferstecher Bracquemond und Jules Jacquemart, der
Schriftsteller Edmond und Jules de Goncourt, Champfleury, Philippe
Burty, Zola, der Industriellen Barbedienne und Christofle.
Die Weltausstellung 1867 brachte Japan noch mehr in Mode,
und seit diesem Jahre datirt die eigentliche Wechselwirkung zwischen
dem Osten und Westen. Die Japaner kamen herüber, um an den
europäischen Polytechniken, Universitäten und Kriegsakademien zu
studieren. Wir wurden die Schüler der Japaner in der Kunst.
Noch während der Dauer der Weltausstellung gründete eine Gruppe
von Künstlern und Kritikern eine japanische Gesellschaft vom
»Jinglar«, die jede Woche in Sevres bei Solon. dem Director der
Manufactur, zusammenkam. Man ass von einem japanischen Service,
das Bracquemond entworfen hatte — alles ausser den Servietten,
Zigarren und Aschenbechern war japanisch. Eins der Mitglieder,
Dr. Zacharias Astruc, veröffentlichte im Etendard eine Reihe von
Artikeln über das Reich der aufgehenden Sonne«, die grosses Auf-
sehen machten. Bald darauf brachten die Pariser Theater japanische
Feerien und Ballete, Ernest d Hervilly schrieb sein japanisches Stück,
> la belle Samara«, das I.emere nach Art der japanischen Bücher
drucken und von rechts nach links paginiren liess mit gelbem, von
Bracquemond gezeichneten Einband. In der Oper wurde ein japan-
isches Ballet gegeben. Die Damentoilette nahm einen japanischen
Anstrich an.
Für die Maler wurde die japanische Kunst eine Offenbarung.
Hier war das Wort gesagt, das so Vielen auf den Lippen geschwebt
XXXII. Die Japaner
607
und das Keiner auszusprechen gewagt hatte. Wie flüchtig und doch
präcis, mit welch unvergleichlicher Sicherheit, Leichtigkeit und Grazie
war das Alles hingeschrieben. Wie spontan und intuitiv, wie phan-
tastisch und geistreich, wie mühelos spielend und reich an Uebcr-
raschungen war diese seltsame Kunst. Wie vereinigte sich Fleiss
mit Caprice, Nonchalance mit dem Streben nach höchster Voll-
endung. Wie geistreich war diese Unsymmetrie, diese pikante Art,
eine Blume, ein Insekt, einen Frosch oder Vogel nur als malerischen
Fleck hier und dort anzubringen. Wie verstanden es die Japaner,
mit wenig Mitteln viel zu geben, wo sich die Europäer abmühten,
mit viel Mitteln wenig zu sagen.
Es wäre nun gewiss sehr unrichtig gewesen, hätte man an eine
directe Nachahmung der Japaner gedacht. Die japanische Kunst ist
das Product eines sinnlichen Volkes, die europäische das Erzeugniss
intellektueller Nationen. Sic ist ernster, grösser, edler und erreicht
an Ausdrucksqualitäten eine Höhe, wohin die schrecklichen grotesken
Verzerrungen, die krankhaft lustigen oder melancholischen Gefühls-
ausbrüche der Japaner nicht reichen. Unsere Phantasie hat nichts
von der dieser Kinder der Sinnlichkeit, die vor Freude beben und
zittern , sich mit ihren Masken schrecken , von convulsivischem
Lachen zu jähem Schrecken, vom Schauder der Hallucination zu
ekstatischer Wollust übergehen. Brutal durch Nachahmer transponirt,
hätte der Japonismus zur Grimasse geführt.
Aber wenn seine Poetik im Einzelnen wenig für Europa passte,
so enthielt sic doch allgemeine Gesetze, die für die moderne Kunst
geeigneter waren als diejenigen , die man bisher der griechischen
entnahm. Alle Künste, Musik wie Poesie, strebten damals nach
Auflösung der einfachen tyrannischen Rhythmen. Den verwickelten
nervösen Empfindungen der Neuzeit entsprach nicht mehr die immer
gleiche Wiederkehr eiserner Takte. Auch die Malerei strengte sich
an , das alte Gehäuse zu sprengen . suchte nach einem Stil für die
Behandlung des modernen Lebens , das man hatte vergewaltigen
müssen, um es einzuspannen in das Prokrustesbett überkommener
Regeln. Da kommen die Japaner mit ihren überraschenden maler-
ischen Momentaufnahmen und offenbaren eine neue Art die Natur
zu interpretiren. Zu einer Zeit, als die symmetrische Wohlabgc-
wogenheit der Linien, die man den Werken der Renaissancemeister
entnahm, anfing durch Monotonie zu ermüden, lehrten sie eine
viel freiere, durch reizende Capricen unterbrochene Formcnarchi-
6o8
XXXII. Dif. Japaner
tektur. Wo bei der alten europäischen Malerei Rhythmus, Straff-
heit, Klarheit, Ruhe und Grösse, war bei ihnen nervöse Freiheit,
geistreiche Nachlässigkeit, Leben und Reiz. Die Kunst verbirgt sich
unter der Phantasie ihrer leichten Constructionen , die durch die
Natur selbst improvisirt scheinen. Die geistreiche Art von der
geometrischen Eintheilung abzuweichen, die Freiheit der Disposition,
die ungezwungene unsymmetrische Anordnung an Stelle des Wohl-
abgewogenen, nach Regeln Construirten — das lernte man auf com-
position ellem Gebiete von den Japanern.
Gleichzeitig klärten sie auf über das, was am Courbet’schen
Realismus noch platt und trivial war. Diese witzigen Erzähler
erzählten nie, um zu erzählen; malten nie, um prosaisch ein Stück
Wirklichkeit abzuschreiben. Sie erinnerten daran, dass alle Schau-
spiele des Lebens und der Natur Stoff zu poetischen und reizenden
Werken sein können, dass solche Werke aber nur entstehen, wenn
man weder systematisch verschönert, wie es die Früheren gethan,
noch photographisch exact ist, wie es Gourbet gewesen: dass es
darauf ankomme zu resumiren, subjectiv zu sein — nicht didakt-
isch, objectiv, documentarisch. Sie befreiten die europäische Malerei
von der Schwere der Materie und machten sie zart, delicat. Sie
lehrten das so vielsagende Nichtallessagen, die Methode des abge-
kürzten Zeichnens, das Geheimniss der Raumvergrösserung durch
besondere Linienführung, das Hingeworfene, Unvorhergesehene,
Ueberraschende, Flüchtige, die Steigerung des Effekts durch Un-
vollständigkeit des Motivs, die Andeutung des Ganzen durch ein
Bruchstück. Man lernte von ihnen eine andere Art zu zeichnen
und zu modelliren, eine Art, die den Eindruck des Gegenstandes
gibt, ohne dass Alles ausgeführt ist, von dem man nur durch Wissen
weiss, dass es da ist. Sie brachten den Geschmack für saftige, nur auf
das Wesentliche beschränkte Skizzen, das Bewusstsein, wie unendlich
das Repertoir dessen ist, was eine flüchtige Umrisslinie an Leben,
Wirklichkeit und Phantasie umschliessen kann. Sie gaben die Vor-
liebe für perspectivische Ansichten aus der Vogelschau, die Neigung,
Gruppen, dichte Massen und Menschenmengen durch unwahrschein-
lich erscheinende (aber durch die Photographie bestätigte) Hervor-
hebung des Vordergrundes noch entfernter, bewegter, lebendiger er-
scheinen zu lassen.
Ebenso ersichtlich wie in der Composition und Zeichnung ist
der Einfluss Japans in der Farbe. Es hatte sich bei den Courbet’schen
XXXII. Die Japaner
609
Arbeiterbildern deutlich gezeigt, dass die Malregeln der bolognesischen
Schule mit ihrer braunen Sauce und den rothen Schatten unmög-
lich auf Gegenstände im Freien übertragen werden konnten. Es
handelte sich darum, für die modernen Stoffe eine neue Farbenan-
schauung zu finden , wodurch die Oelmalerei des Oels entkleidet
werde, Luft und Licht mehr zu ihrem Rechte kämen. Aus den
Werken der Maler von Nippon ersah man, dass es nicht absolut
nothwendig sei, braun zu malen, um Maler zu sein. Sie lehrten eine
neue Art zu sehen, öffneten die Augen für das wechselnde Spiel
der Lichterscheinungen, deren Flüchtigkeit und immer wechselnde
Gestalt bisher jeder Uebertragung zu spotten schien. Die Sanftheit
ihrer hellen klingenden Harmonien ward studirt und geistreich
transponirt.
Das sind die Punkte, wodurch die japanische Kunst umwälzend
in den Entwicklungsgang der europäischen eingriff Jeder von denen,
die damals dem Verein vom Jinglar angehörten, hat ihren Einfluss
mehr oder weniger erfahren. Alfred Stevens verdankt ihr gewisse
Zartheiten des Colorits, Whistler seine exquisite Tonfeinheit und die
capriciös geistreiche Art in der Behandlung der Landschaft, Degas
seine phantastisch freie Gruppirung, seine unerreichten Kühnheiten
der Composition. Manet insbesondere wurde jetzt der, den die Ge-
schichte feiert, und Louis Gonse erzählt über die erste Ausstellung
der Maitre-impressioniste einen sehr bezeichnenden Zug. Er besuchte
dieselbe, vom officicllen Salon kommend, in Gesellschaft eines Japaners,
und während das französische Publikum die frische Helligkeit der
Bilder für unwahr und barbarisch erklärte, meinte der Sohn des
heiligen Nippon, von Jugend auf gewöhnt die Natur in lichten luft-
igen Tönen ohne gelben Firnissüberzug zu sehen: »Dort war ich in
einer Ausstellung von Oelbildern, hier glaube ich in einen blumigen
Garten zu treten. Ich bin frappirt von der Lebendigkeit dieser
Figuren — ein Gefühl, das ich sonst in Ihren Gemäldeausstellungen
nie gehabt habe«.
@x©
Muther, Moderne Malerei II.
39
XXXIII.
Fiat lux.
Schwindel ihr dunkeln
Wölbungen droben,
Reifender schaue
Freundlich der blaue
Aelher herein.
DER Name Impressionisten datirt von einer Ausstellung in Paris,
die 1871 bei Nadar veranstaltet wurde. Der Katalog sprach
vorzugsweise von Eindrücken. Man las etwa: Impression de
mon pot au feu», »Impression d’un cliat qui se promene«. Claretie
fasste die Impressionen in seiner Kritik zusammen und sprach vom
»Salon des Impressionistes«.
Die Anfänge der Bewegung fallen jedoch schon in die Mitte der
60 er Jahre, und Zola war der erste, der mit seiner scharfen Feder
für die Neuerer eintrat. 1866 veröffentlichte er unter dem Namen
seines späteren Helden Claude unter dem Titel »Mon Salon« jene
Artikel im Evenement, die das Redaktionsbureau mit solchen Stössen
von Entrüstungsbriefen überschwemmten und eine solche Fahnen-
flucht der Abonnenten veranlassten, dass der Besitzer des Blattes, der
gute und kluge Monsieur de Villemessant sich genöthigt sah, dem
naturalistischen Kritiker einen Antinaturalisten in der Person des
Herrn Theodore Pelloquet zur Seite zu stellen. In diesen Salonbe-
richten, die 1879 m dem Bande Mes Haines« gesammelt erschienen,
sowie in der Abhandlung über den »Maler des Realismus Courbet«,
den damals bereits anerkannten »Meister von Omans«, sind schon
dieselben Theorien niedergelegt, wie sie später in L’oeuvre Länder und
seine Freunde verkünden. Da erträumt der Architekt Dubuche, eines
der Mitglieder der jungen Boheme, ahnungsvoll eine neue Architektur.
Er forderte, er verlangte mit leidenschaftlichen Gesten die Formel
iiir die Architektur dieser Demokratie, jenes Werk aus Stein, das sie
zum Ausdruck bringen sollte, ein Gebäude, in dem sie sich zu Hause
fühlen würde, etwas Gewaltiges und Starkes, Einfaches und Grosses,
XXXIII. Fiat lux
6i i
jenes Etwas, das sich schon ankündigte in unsern Bahnhöfen, in
unsern Markthallen, in der kraftvollen Eleganz ihres eisernen Balken-
werkes, doch geläutert noch, gesteigert zur Schönheit, verkündend
die Grösse unserer Eroberungen«. Es vergingen wenige Jahre, da
bot die Pariser Centenarausstellung jenes Etwas, doch nicht in monu-
mentalem Stein. Die grossen Gebäude bestanden aus Glas und Eisen
und die mächtigen Bahnhofshallen waren ihre Vorläufer. Die un-
geheure Maschinenhalle, die Tausende aufnahm, der Eiffelthurm, ver-
kündeten diese neue Baukunst. Und wie Dubuche eine neue Archi-
tektur, so prophezeit Claude eine neue Malerei. »Was uns noth thut,
ist die Sonne, die freie Luft, eine helle und junge Malerei. Faites untrer
le soleil und gebt die Gegenstände so wieder, wie sie in tagheller
Beleuchtung sich ausnehmen«. Claude Lautier ist bei Zola der
Märtyrer dieses neuen Stils. Er wird verhöhnt, verlacht, gemieden,
ausgestossen. Sein bestes Bild wird von einem Freunde in der Jury
als »charite« in die Ausstellung geschmuggelt, aus Gnade und Barm-
herzigkeit. Doch nach zehn Jahren hatten auch diese neuen Lehren
durch etwas wie Keime in der Luft alle Ateliers von Paris, alle Ateliers
Europas durchdrungen.
Die künstlerischen Gedanken des Claude Lautier lieh seinem
Freunde Zola der Maler Edouard Manet , der Vater des Impressionis-
mus und somit der Schöpfer der neuesten Kunst. Manet trat 1862
zum ersten Mal auf. 1865, als die Salonjury den Refusirtcn einige
Nebensäle eingeräumt hatte, waren seine ersten, Aufsehen erregenden
Bilder zu sehen: eine Geisselung Christi und ein ruhendes Mädchen
mit einer Katze, beide stets von dichtem Spötterkreis umgeben.
Vierzig Jahre vorher riefen einen ähnlichen Aufruhr gegen ihren
vermeintlichen Ungeschmack die ersten Werke der Romantiker her-
vor, deren Lehre gleichfalls von den Gegnern durch die Formel lc
laid c’est le beau verspottet ward. Ein Menschenalter später ver-
lachte man das Begräbniss zu Omans, jetzt wiederholte sich dasselbe
Lachen bei Manet, der Courbets Werk vollendete. Seine Bilder wurden
für einen Scherz gehalten, den der Maler sich mit dem Publikum er-
laubte, für die unerhörteste Farce, die je gemalt worden. Wer von
den Arbeiten versichert hätte, sie würden den Anstoss zu einer
Kunstrevolution geben, dem hätte man den Rücken gedreht und ge-
meint, er mache sich lustig. Die Kritik behandelte Manet, wie Zola
schrieb, »als eine Art Hanswurst, der die Zunge herausstreckt, um
Strassen jungen zu amüsiren«. Bei der »Geisselung Christi« ging die
39*
6 12
XXXIII. Fiat lux
Entrüstung soweit, dass das Bild
durch besondere Vorkehrungen ge-
gen die Attentate von Stöcken und
Schirmen geschützt werden musste.
Ein wenig anders gestaltete sich die
Sache schon, als fünf Jahre später
20 — 30 neuere Bilder in Manets
Atelier nebeneinander ausgestellt
wurden. War es, weil der Maler
unterdessen in seinen Zielen klarer
geworden oder weil seine Werke
weniger unter der Nachbarschaft an-
derer litten — sie machten Eindruck,
obwohl sie nicht das geringste Aben-
teuerliche und Sensationelle erzähl-
ten. Lebensgrosse, lichte, fast schat-
tenlose Personen ruderten auf blauem
Wasser, hingen weisse Wäsche auf,
gossen grüne Toplblumen, lehnten
an grauen Mauern. Unvermittelt, bi-
zarr standen für die an Helldunkel
gewöhnte Netzhaut die lichten Bar-
ben nebeneinander. Das Auge, das seine Gewohnheit wie der Geist hat
und die Natur immer so zu sehen glaubt, wie sie ihm vorgemalt wird,
wurde geärgert durch diese feingesuchten Tonwerthe, die ihm ganz
willkürlich schienen , durch diese neuen Akkorde, die es für Miss-
akkorde erklärte. Aber die Klarheit der Bilder frappirte doch und es
blieb etwas von der »Manet’schen Sonne« im Gedächtniss haften. Man
lachte noch, aber nicht mehr so laut, und gestand Manet den Muth zu,
für seine Ueberzeugung eingetreten zu sein. »Ein merkwürdiger Fall
ist zu verzeichnen. Ein junger Maler ist ganz naiv seinen persönlichen
Eindrücken gefolgt und hat ein paar Dinge gemalt, die nicht recht in
die Regeln passen, die in den Schulen gelehrt werden. Er hat auf
diese Weise Bilder gemacht, welche die Augen der an andere An-
blicke Gewöhnten beleidigten. Statt nun den jungen Maler schlecht-
hin zu beschimpfen, wird man sich erst klar machen müssen, wes-
halb und ob mit Recht unsere Augen verwundet wurden«. Mit diesen
Worten fing die Kritik an, sich ernsthaft mit Manet zu beschäftigen.
Charles Ephrussi und Duranty traten ausser Zola als erste literar-
Eilouiiril Manet.
XXXIII. Fiat lux
613
isehe Champions in der Presse für ihn ein. »Manet ist kühn«, hiess
es nun im Publicum. Die Impressionisten eroberten den Salon.
Die braunen Saucen der Bolognesen überstrahlte hell und glänzend
die Manet’sche Sonne. Hs war, als hätte eine starke Macht plötzlich
den Mittelpunkt aller Atelieranschauungen verrückt, und Manets Sieg
gereichte der französischen Kunst zu gleichem Heile, wie 40 Jahre
vorher der Delacroix’, 10 Jahre vorher der Courbets. Manet et
manebit. Delacroix, Courbet und Manet, das sind die drei grossen
Namen der modernen französischen Malerei, die Namen der Männer,
die ihr die entscheidenden Impulse gaben.
Edouard Manet, der maitre impressioniste, war 1832 geboren, in
der Rue Bonaparte, gerade gegenüber der Ecole des Beaux-Arts, und
sein Leben verfloss still und einfach : ohne Erregungen und Leiden-
schaften , ausserordentliche Vorkommnisse und gewaltsame Kämpfe.
Mit 16 Jahren dem Colleg Rollin entwachsen, trat er mit Erlaubniss
seiner Eltern in die Marine ein und machte eine Fahrt nach Rio
de Janeiro mit, die ohne interessanten Zwischenfall, ohne Schiflbruch
und Ertrunkene verlief. Von heiterem, gleichmässigem Temperament,
betrachtete er das unendliche Meer, sättigte seine Augen an dem
wunderbaren Schauspiel von Wogen und Horizont — um es nie
mehr zu vergessen. Der leuchtende Himmel dehnte sich aus vor
ihm, der gewaltige Ocean umschaukelte, umschmeichelte und um-
koste ihn und sprach ihm von Farben, die andere waren, als er im
Salon gesehen. Bei seiner Rückkehr gehörte er ganz der Malerei.
Er soll ein schlanker, zarter, blasser, vornehmer, junger Mensch ge-
wesen sein, als er 1851 — Hst zu gleicher Zeit mit Eeuerbach
Schüler Coutures wurde. Fast sechs Jahre verweilte er beim Meister
der Römer der Verfallzeit, noch ohne Ahnung, wie er seinen Weg
finde, und auch nachdem er das Atelier verlassen, verfolgte ihn
Coutures Schatten noch; er arbeitete, ohne viel zu wissen, was er
wollte. Dann reiste er, besuchte Deutschland, Cassel, Dresden, Prag,
Wien, München, wo er in der Pinakothek das Porträt Rembrandts
copirte, sah Florenz, Rom, Venedig. Unter dem Einfluss der Neapo-
litaner und Vlaamen, auf die damals Ribot, Courbet und Stevens hin-
wiesen, entwickelte er sich zum Maler. Sein erstes Bild, das Kind mit
den Kirschen von 1859, zeigt die Einwirkung Brouwers. 1861 stellte
er zum ersten Mal aus, das Doppelporträt seiner Eltern, für das er
eine Mention honorable erhielt, obwohl oder weil das Bild noch ganz
im altmeisterlich bolognesischen Sinne gemalt war. Von Interesse sind
614
XXXIII. Fiat lux
diese Werke nur, weil
sie verfolgen lassen, wie
schnell Manet an der
Hand der Alten sein
Handwerk verstehen
lernte, mit welch sich-
erer Energie er gleich
anfangs der von Cour-
bct ausgegangenen re-
alistischen Strömung
sich anschloss. Die
überraschte Nymphe
von 1862 war eine
Mischung von Remi-
niscenzen ausjordaens,
Tintoretto und Dela-
croix. Sein »Alter Mu-
sikant«, ein Bild von
fleissiger Ausführung
und trivialem Realis-
mus, sah aus wie ein
massiger Courbet.
Da macht er — zu-
nächst nicht in Mad-
rid, das er erst später
kennen lernte, sondern
im Louvre — die folgenreiche Entdeckung eines andern alten Mei-
sters, der in seiner ganzen Eigenart dem Meister von Omans noch
nicht bekannt war.
Auf der grossen Ausstellung von Manchester 1857 hatte sich
Velazquez den Engländern offenbart, im Beginne der 60er Jahre
enthüllte er sich den Franzosen. Die Velazquez-Biographie William
Stirlings ward 1863 von G. Brunet in’s Französische übersetzt und
von W. Bürger mit räsonnirendem Katalog versehen. Die Arbeiten
Charles Blancs, Theophile Gautiers und Paul Lcforts erschienen, und
binnen Kurzem war Velazquez, von dem bisher ausserhalb Madrid
die Welt wenig wusste, in den Kunstkreisen von Paris eine wohl-
bekannte, vielgenannte Persönlichkeit, die nicht nur die Kunst-
historiker, auch die Künstler zu beschäftigen anfing. Noch Couture
Manet : Der Sänger Faure ah Hamlet.
XXXIII. Fiat lux
pflegte seinen Schülern zu
sagen , Velazquez habe die
Orchestrirung der Töne nicht
verstanden, eine Neigung zur
Monochromie gehabt und das
Wesen der Farbe nicht be-
griffen. Seit dem Beginne der
60 er Jahre kommt Frankreich
in den Bann des ernsten Far-
bengefühls des grossen Spa-
niers, und Manet wird sein
erster enthusiastischer Jünger.
Einige Einzelfiguren auf
perlgrauem Hintergrund —
der flötespielende Knabe, der
Spanier mit der Guitarre und
der zu Tode getroffene Stier-
kämpfer — waren die entschei-
denden Arbeiten, in denen
er mit erstaunlichem Talent
sich als Schüler des Velazquez
bekannte. W. Bürger feiert Ve-
lazquez als »le peintre le plus
peintre qui füt jamais.« Man
kann dasselbe für das 19. Jahr-
hundert von Manet sagen. Nur Frans Hals und Velazquez hatten diese
eminenten malerischen Qualitäten. In der Art, wie beim Toreador der
schwarze Sammetanzug, die weissseidene Binde und rothe Fahne ge-
malt war, lag ein Schönheitsgefühl, das vom feinsten Verständniss des
grossen Spaniers zeugte. In seinem »Christus mit den Engeln hat er,
so wenig wie Velazquez im Epiphaniasbilde, versucht, etwas Himm-
lisches in die Gesichter zu bringen, aber als Malerei gehört es zu den
besten religiösen Bildern des Jahrhunderts. Sein Bon Bock« — das
Porträt des Kupferstechers Belot, eines jovialen dicken Herrn, der, die
Pfeife qualmend, beim Bier sitzt — ist eines jener Bildnisse, die sich wie
die Hille Bobbe des Frans Hals dem Gedächtniss einprägen. Der
Sänger Faure als Hamlet hebt sich wie der Truhan Pablillos des Velaz-
quez von leerem hellgrauen Hintergrund ab. Warams und Mantel
sind von schwarzem Sammt, der Mantel mit rosa Seide gefüttert, ein
615
Manet: Le Fifre.
6 1 6
XXXIII. Fiat lux
breiter schwarzer Hut mit
mächtiger schwarzer Feder
vollendet die Toilette. Er
scheint auf die vorderste
Bühne getreten und steht da
mit gespreizten Beinen, den
Mantel über den linken Arm
geworfen, die halbgeöffnete
Rechte ausgestreckt. Die
kühle Harmonie von schwarz,
weiss, grau und rosa wirkt
ungemein vornehm. Manet
hat die reichen Kunstmittel
des Vclazquez wie sonst nur
Raeburn beherrscht und als
Abschluss dieser Studien in
seinem »enfant ä l’epee« ein
Werk geschaffen, das —
ohne Profanation — die Sig-
natur des grossen Spaniers tragen dürfte. Als er im Beginne der
6oer Jahre eine Separatausstellung seiner Arbeiten veranstaltete, soll
Courbet beim Eintritt gerufen haben: Lauter Spanier I
Schon dieser Anschluss an die Spanier bedeutete aber einen
Fortschritt über Courbet hinaus: er bedeutete das Auftauchen aus
der braunen Sauce und eine weitere Annäherung an die Wahrheit.
Denn Velazquez — und Frans Hals, die sich in dieser Hinsicht
sehr ähneln — sind unter sämmtlichen alten Meistern coloristisch
die natürlichsten, einfachsten, keine Idealisten der Farbe wie I izian,
Paolo und Rubens, auch nicht auf den Ton arbeitend wie die hol-
ländischen Kleinmeister und Chardin. Sie malten ihre Personen im
allverbreiteten gewöhnlichen Tageslicht. Ihr Incarnat ist wahrer
als das saftige der Venezianer und das feurig rothe des Rubens mit
seinen leuchtenden Reflexen. Neben Velazquez erscheint, wie Justi
sagt, Tizians Colorit conventioneil, Rembrandt phantastisch und
Rubens mit einer Dosis Unnatur behaftet. Oder wie ein Zeitgenosse
des Velazquez sich ausdrückte: Alles Uebrige, Altes und Neues,
sei Malerei, Velazquez allein Wahrheit.
Der Unterschied zwischen den Jugendwerken Manets und denen
seines Vorgängers Courbet ist also der gleiche wie zwischen V elaz-
XXXIII. Fiat lux
617
quez und Caravaggio. Auch
in Manets frühesten Bildern
kamen noch die breiten, stum-
pfen, rothbraunen Flächen
vor, wodurch sich die Werke
der Bolognesen und Neapoli-
taner kennzeichnen. An die
Stelle dieses warmen saucigen
Braun ist jetzt ein kühler Sil-
berton, eine schattenlose, sil-
berschimmernde Behandlung
getreten. Er hat das Weiss des
Velazquez, sein ernstes kühles
Rosa, sein vielbewundertes
feines Grau , auf dem jeder
Hauch von Farbe klar und
bestimmt sich abzeichnet, das
berühmte Schwarz des Spa-
niers, das nie schwer und matt, stets leicht und durchsichtig wirkt.
Hell hebt sich ab auf hell, blonde Farben stehen auf silbrigem grauen
Grund. Die vollkommenste Modellirung und plastische Wirkung ist
ohne Hülfe starker Schattencontraste erzielt. Er beendigt seine alt-
meisterliche Lehrzeit damit, dass er mit den Augen des alten Meisters
sieht, der von allen alten Meistern am wahrsten sah.
Das wurde der Ausgangspunkt für Manets weitere Entwicklung.
Das Studium des Velazquez befreite ihn nicht von der Sauce nur,
sondern brachte auch das Problem der Lichtmalerei in Fluss. Er
erlebte eine ähnliche Entwicklung, wie sie der grosse Spanier selbst
durchmachte. Als dieser sein erstes Volksstück, den Bacchus malte,
stand er noch im Banne der Tenebrosi, gab eine Scene unter freiem
Himmel in der Beleuchtung eines geschlossenen Raumes. Die Ge-
stalten scheinen, obwohl die Ceremonie unter vollem Tageslicht
spielt, in einer dunkeln Taverne zu sitzen, die durch ein Atelier-
fenster links ihr Licht erhält. Als zehn Jahre später die Schmiede
des Vulcan entstand, hatte er sich von dieser bolognesischen I ra-
dition befreit, die er seitdem »einen dunkeln, schrecklichen Stil«
nannte. Die tiefen, scharf abgesetzten Schatten sind verschwun-
den, das Tageslicht hat über das Kellerlicht gesiegt. Die darauf-
folgenden grossen Reiterbildnisse veranlassten schon vor hundert
6 1 8
XXXIII. Fiat lux
Jahren Mengszu
der Bemerkung,
Velazquez habe
als der erste es
verstanden, das
»ambiante«, die
Luft zwischen
den Dingen zu
malen. Und am
Schlüsse seines
Lebens, in den
»Spinnerinnen«,
löste er das letzte
Problem: im
Bacchus die sau-
cige Behandlung
einer Freilicht-
scene, hier das
flimmernde We-
ben des Lichtes
im Innenraum.
Die Sonne zit-
Manet: Les anges au tombeau de Christ. tert auf seidenen
Stoffen, liebkost
blendende Frauennacken, spielt in kohlschwarzen kastilisehen Locken,
macht dies plastisch deutlich, jenes malerisch nebelhaft, löst Körper-
lichkeit auf und gibt Flächen die Rundung des Lebens. Helle Licht-
conturen umgeben die Köpfe der arbeitenden Mädchen. Kühlblau,
nicht warmbraun sind die Schatten, farbige Reflexlichter spielen vom
einen Ding zum andern herüber.
Zwei merkwürdige Bilder von 1863 und 1865 zeigen, dass
Manet das Problem erfasst hatte und tastend nach einem Ausdruck rang.
Auf dem einen, dem Dejeuner sur 1’ herbe von 1863 sah man
einiges Grün, einige Bäume und im Hintergrund einen Fluss, in
dem eine Frau im Hemd lustig plätscherte; vorn sassen zwei junge
Herren in elegantem Gehrock einer zweiten Frau gegenüber, die
eben aus dem Wasser kam und sich abtrocknete. Selbstverständlich
wurde das Bild von der Jury, in der Ingres, Leon Cogniet, Robert
Fleury und Hippolyte Flandrin sassen, als etwas Unerhörtes zurück-
XXXIII. Fiat LUX 619
Manet: Olympia.
gewiesen. Eugene Delacroix war der Einzige, der dafür eintrat.
Manet bezog also den Salon des Refuses, wo neben ihm Bracquemond,
Legros, Whistler und Harpignies hingen. Auch diese Ausstellung
fand im Industriepalast statt, man ging durch ein enges Pförtchen
aus der einen in die andere hinüber. Halb Paris war verwirrt,
beunruhigt durch die Werke der Refusirtcn, selbst Napoleon III.
und Eugenie kehrten bei einem Besuche des Salons dem Manet’-
schen Bilde ostentativ den Rücken. Dies nackte Weib skandalisirte.
Wie schamlos! Eine Frau, ohne das geringste Kleidungsstück,
zwischen zwei Herren in Gehrock. Im Louvre hingen zwar gegen
fünfzig venezianische Darstellungen ähnlichen Inhalts. Jedes kunst-
geschichtliche Handbuch verzeichnet die sogenannte Familie« und
die Lebensalter Giorgiones, worauf bekleidete und nackte Figuren
sich naiv neben einander in einer Landschaft bewegen. Aber dass
ein Maler auch für den modernen Künstler das Recht in Anspruch
nahm: aus der Freude am rein Malerischen malen zu dürfen, war
ein noch nicht dagewesenes Factum. Man suchte nach Obscoenem
und fand es — während für Manet das Ganze nur ein technisches
Experiment bedeutete: die nackte Frau vorn war nur da, weil der
620
XXXIII. Fiat lux
Manet: Uii bar aux Folies-Bergere.
Maler das Spiel der Sonne und die Reflexe des Grünen auf dem
nackten Fleisch beobachten wollte; die Frau im Hemd verdankte
ihre Existenz allein dem Umstand, dass ihre reizende Silhouette
einen so hübschen weissen Fleck innerhalb der grünen Wiese
bildete. Manet berührte zum ersten Mal das Problem, das sich in
England zehn Jahre vorher Madox Brown in seinem Work« ge-
stellt — doch vorläufig mit nicht grösserem Erfolg : die Sonnen-
strahlen hüpften zwar, aber noch schwer und opak, der Himmel war
hell, doch noch ohne Luft. Es spricht noch nicht der definitive
Manet, der der Geschichte gehört.
Aus demselben Stadium seiner Entwicklung stammt die be-
rühmte, heute im Luxembourg befindliche Olympia von 1865, das
blutlose, nervöse Geschöpf, das blass, kränklich neben einer schnurren-
den Katze seine ärmliche Nacktheit auf weissen Tüchern ausstreckt,
während eine rothgekleidete Negerin, den Vorhang öffnend, ihr ein
Bouquet überreicht. Mit diesem Bilde begannen — man weiss nicht
warum — die eigentlichen Schlachten des Impressionismus. Die
XXXIII. Fiat lux
621
Manet: En bateau.
Kritiker, die von Obscoenität sprachen, verfuhren inconsequent,
da Tizians Venusbilder mit der Dienerin, dem Hündchen und dem
am Bettrande sitzenden jungen Mann auch nicht als obscoen zu
gelten pflegen. Gleich schwer aber ist, in diesem flach modellirten
Körper mit seinen harten, schwarzen Umrisslinien die künstlerischen
Qualitäten zu sehen, die Zola hineinlegte. Das Bild hat gar nichts
von Tizian, aber fast etwas von Cranach. Sowohl das Frühstück
wie die Olympia sind nur von historischem Interesse, als die ersten
Arbeiten des Künstlers, in denen er seinem eigenen Auge ver-
traute und jede fremde Brille zurückwies. In dem Gefühl , dass
er zu nichts kommen werde, wenn er die Natur weiter durch
das Medium eines alten Meisters anschaute, hatte er ein Stück
Wirklichkeit ganz so wiederzugeben , wie es ihm erschien , wenn
er es nicht im Spiegelbild alter Bilder betrachtete. Er bemühte
sich zu vergessen, was er in den Museen studirt, die Kunstgriffe,
die er bei Couture erhalten, die berühmten Gemälde, die er ge-
sehen hatte. In seinen frühem Arbeiten war noch eine gesuchte
Zartheit und altmeisterliche Delicatesse, das Frühstück und die
6 22
XXXIII. Fiat lux
Olympia sind einfacher und
selbständiger. Er war in bei-
den schon ein » Impressionist « ,
der seinen persönlichen Ein-
drücken folgte — ohne dass
er jedoch das neue Wort,
das ihm auf den Lippen
schwebte, schon ganz hätte
aussprechen können. Er hatte
versucht, sowohl aus Cour-
bets brauner Sauce, wie aus
dem Elfenbeinton Bouguer-
eaus herauszukommen und
in schlichter, selbständiger Be-
obachtung den Localtönen ge-
recht zu werden, hatte in sei-
nem »Frühstück« die Bäume
grün, den Boden gelblich, den Himmel grau, in seiner Olympia
das Bett wciss , den Körper des Weibes fleischfarben gemalt. Aber
die Localfarben in volle Harmonie zu bringen, war ihm noch so
wenig wie den Praerafaeliten geglückt. Das ist der Schritt, den
Manet über die Praerafaeliten hinausmacht: nachdem er sich von
der conventioneilen, braunen und elfenbeinernen I önung befreit
und eine Zeitlang gleich den Praerafaeliten wahr, aber hart gewesen,
erreichte er die Harmonie, die bisher entweder durch künstliche
Mittel oder gar nicht erzielt worden war, auf natürlichem Wege
durch die strenge Beobachtung des Mediums, durch das die Natur
selbst Harmonie hervorbringt: des Lichtes. Wie die Luft, die Alles
durchwogende Atmosphäre die Natur selbst überall harmonisch und
coloristisch fein macht, so wurde sic fortan auch für den Künstler
das Mittel, jene grosse Harmonie« zu erzielen, die das Endziel alles
malerischen Strebens bildet und bisher nur durch eine Manier er-
reicht worden war.
Dieser geschichtlich denkwürdige Moment, als Manet die Sonne
und das feine Fluidum der Atmosphäre entdeckte, war kurz vor 1870.
Er war einige Zeit vor der Kriegserklärung auf dem Land in der
Umgegend von Paris bei seinem Freund de Nittis zu Gast, arbeitete
wie zu Haus, nur war sein Atelier hier der Park. Eines lages
setzte er sich in s volle Sonnenlicht, stellte seine Modelle zwischen
XXXIII. Fiat lux
623
die Blumen des Rasens und
fing an zu malen. Das Er-
gebnis war das Bild »der
Garten« , — noch heute
im Besitz der Frau de
Nittis befindlich. Die junge
Gattin des italienischen Ma-
lers ruht in einem Fauteuil
zwischen ihrem Mann, der
auf dem Rasen liegt , und
ihrem in der Wiege schlaf-
enden Kind. Jede Blume
steht frisch und grell auf
der duftigen Wiese. Das
Grün der Rasenflächen
leuchtet, alle Dinge sind in
weicher, heller Athmosphärc
gebadet ; auf den gelben Kies-
weg werfen die Blätter der
Bäume ihre blauen Schatten.
Das »Pleinair« hielt seinen Einzug in die Malerei.
1870 musste er seine Thätigkeit unterbrechen. Er trat in eine
Freiwilligencompagnie ein, die zum grossen Theil aus Künstlern und
Literaten bestand, und wurde im Deccmber Lieutenant im General-
stab der Nationalgarde, wo er Meissonier als Obersten hatte. Die
Bilder, in denen er ganz Manet ist, gehören also ausschliesslich der
Zeit nach 1870 an.
Sein grosses Problem war von jetzt ab die Sonne, die Gluth
der Tagesbeleuchtung, das Zittern der Luft über sonnendurchglühtem
Boden. Er wurde zum Naturforscher, der sich .nicht genugthun
konnte, die Wirkung des Lichtes zu studiren und mit der Beobachtung
des Gelehrten festzustellen, in welcher Weise die Atmosphäre den
farbigen Eindruck der Dinge verändert.
In ganz jungfräulichen, bisher nie gesehenen mild graublonden
Tönen erzählte er auf 14 Bildern, die er bei einem Kunsthändler
ausstelllte, vom Luxus und der Eleganz von Paris, von hellen Sommer-
tagen und gaslichtdurchflutheten Soireen, von den verwelkten Zügen
des gefallenen Mädchens wie vom feinen Chic der Weltdame. Da
sah man Nana, jenes Wunderwerk kühner Eleganz. Eingeschnürt in
Manet: Le Buvetir.
624 XXXIII. Fiat lux
ein blauseidenes Cor-
set, sonst nur von
feinem Mousselinhemd
bedeckt, die küsse in
perlgraue Strümpfe ge-
presst, steht das blonde
Weib am Spiegel und
schminkt sich die Lip-
pen, gleichgültig den
Worten des Herrn hin-
ter ihr auf dem Sopha
lauschend. Daneben
hingen Balkonscenen,
Momentaufnahmen
aus dem Skatingring,
aus den Cafeconcerts
und dem Bai de
1’ Opera, die Dejeuner-
scene beim Vater La-
thuille und die Buffet-
scene aus den Folies-
Bergere. Hier hatte er
das Tageslicht, dort das
künstliche Licht der
Rampen zum Gegen-
stand eindringenden Studiums gemacht. Die Musik in den Tuilcrien
zeigte ein wimmelndes Menschengewühl auf sonnigem freien Platz.
Jede Figur war als Fleck hingesetzt, und diese Flecken lebten,
diese Menge sprach. Eines der besten Bilder war die »Barke : ein
nach Art der Japaner durch den Rahmen kühn abgeschnittenes
Boot, darin eine junge Dame in Hellblau und ein Herr in Weiss,
deren zarte Silhouetten sich duftig vom feinen Grau des Wassers
und der feuchtigkeitdurchschwängerten Atmosphäre abhoben. Da-
zwischen hingen mächtige Marinen und reizende pikante Porträts.
Manet schwärmte für die Welt. Eine schlanke elegante Er-
scheinung mit aschblondem Bart, tiefblauen, jugendlich feurigen
Augen, feinem klugen Gesicht, aristokratischen Händen und vor-
nehmen Allüren, verkehrte er mit seiner Frau, der feingebildeten
Tochter eines holländischen Musikers, in den ersten Kreisen der
Mauel: Nana.
XXXIII. Fiat lux
625
Pariser Gesellschaft, überall
wegen seines treffenden Ur-
theils und sprühenden Geistes
geschätzt. Sein Gespräch war
lebhaft, sarkastisch. Sein Witz
ä la Gavarni berühmt. Er
liebte das zarte Parfüm der
Salons , den leuchtenden
Kerzenglanz der Soireen,
schwärmte für Modernität,
für das pikante Froufrou der
Toiletten, war der erste, der
mit beiden Füssen in der
Welt stand, die den Andern
noch so unkünstlerisch er-
schienen. So zeigt sich schon
im äussern Leben der drei
Bahnbrecher der modernen
Kunst der Fortschritt, der in
der Eroberung des Stoffge-
bietes gemacht wurde. Millet
steht auf seinem Portrait in
Holzschuhen, Courbet in Hemdärmeln da, Manet trägt Cylinder und
Gehrock. Millet, der Bauer, malte Bauern; Courbet, der Provinzler
und Demokrat, gab dem Arbeiter das Bürgerrecht, doch ohne die
Provinz, die Bourgeoisie zu verlassen. Alles Vornehme, Raffinirte
stiess ihn ab, er fand hier nicht die Kraft, das Derbe, das er allein
suchte. Manet, der Pariser und feine Mann, eroberte der Kunst die
Eleganz des modernen Lebens.
Im Jahre 1879 machte er dem Pariser Magistrat noch den An-
trag, im Sitzungssaal des Rathhauses den ganzen »Ventre de Paris«,
Markthallen, Bahnhöfe, Häfen, Corsos, öffentliche Gärten und unter
dem Plafond eine Galerie der berühmten Männer der Gegenwart
zu malen. Sein Schreiben blieb unbeantwortet und gab doch den
Anstoss zu all den grossen Bildern aus dem zeitgenössischen Leben,
die später in Paris und der Provinz für die Wände der öffentlichen
Gebäude gemalt wurden. 1880 erhielt er durch die Bemühungen
seines Freundes Antonin Proust eine zweite Medaille, die einzige,
die ihm überhaupt zu Theil ward. Der Kunsthändler Duret begann
Mutlier, Moderne Malerei II.
40
626
XXXIII. Fiat lux
Bilder von ihm zu kaufen, ihm folgte Durand-Ruel und der Sänger
Faure von der grossen Oper, der allein 3 5 Manets besitzt. Der arme
Künstler konnte nicht lange dieser Anerkennung sich freuen. Am
30. April 1883, dem Firnisstage des Salons, ist er an Blutvergiftung
und den Folgen der Amputation eines Beines gestorben.
Aber die Keime, die er ausgestreut, hatten, als er starb, schon
Wurzel geschlagen. Er hatte Jahre gebraucht, die Thore des Salons
zu sprengen und heute prangt sein Name in goldenen Buchstaben
auf der Fa^ade der Ecole des Beaux Arts, als derjenige des Mannes,
der das entscheidende Schlusswort im grossen Befreiungskampf der
modernen Kunst sprach. Seine That — scheinbar eine unbedeutende
Veränderung in der Art zu malen — war in Wahrheit eine Er-
neuerung in der Art zu sehen, eine Erneuerung in der Art zu
denken.
Bisher hatten nur die Landschafter sich von der Nachahmung des
Galerietons befreit, und was durch Corot in der Landschaft geschehen,
wäre logischer Weise auch in der Figurenmalerei durchzuführen ge-
wesen , denn der Mensch ist ebenso wie der Baum umgeben von
Luft. Nachdem die Landschafter von Barbizon durch ihre im
Freien gemalten Bilder den mächtigen Unterschied der Tagesbeleucht-
ung gegenüber der im geschlossenen Raum zur Anschauung gebracht,
durften auch die Figurenmaler, wollten sie Anspruch auf Wahr-
heit der Wirkung erheben, bei Vorgängen im Freien nicht haften
bleiben an der ihren Modellen im Atelier zufallenden Beleuchtung.
Doch selbst die kühnsten Neuerer befreiten sich nicht vom Banne
der Tradition. Sie alle waren — nachdem sie in Stoffen und Com-
position selbständig geworden — in der Farbenanschauung Sklaven
der Alten geblieben. Die Einen ahmten die Spanier nach, bedachten
nicht, dass Ribera in einem kleinen, dunkeln Atelier seine Bilder malte
und dass deshalb das Kellerlicht, mit dem er sic beleuchtete, richtig,
aber in die gegenwärtige Welt, auf die hellen Interieurs des 19. Jahr-
hunderts übertragen, falsch war. Andere behandelten Scencn im
Freien, als gingen sie in einer Parterrestube vor, suchten durch Vor-
hänge und Läden eine Beleuchtung zu erzielen, die derjenigen der
alten Meister, der altgewordenen Bilder entsprach. Oder man malte
überhaupt nach einem allgemeinen Recept, in vollständigem Wider-
spruch mit dem, was das Auge sah. Sehr bezeichnend z. B. eine
Episode, die aus der Lehrzeit Puvis de Chavannes’ erzählt wird. Der
junge Maler hatte Akt gemalt an einem grauen nebligen Tage. Das
XXXIII. Fiat lux
627
Modell schien in zartes Licht gehüllt, wie von einem hellen Silber-
schein umflossen. »So sehen Sie Ihr Modell?«, brummt ungehalten
bei der Corrcctur Couture, mischt weiss, kobaltblau, neapelgelb,
vermillon zusammen und macht nach akademischem Universal recept
aus Puvis' grauem Akte eine farbenkräftige, warmleuchtende Figur
die unter andern Beleuchtungsverhältnissen vielleicht ein alter Meister
gemalt hätte. Manet sagte durch sein »Fiat lux« ein erlösendes Wort,
das Vielen auf den Lippen geschwebt. Der Bann der Galerien war
nun auch coloristisch gebrochen, der letzte Rest falscher Abhängig-
keit von den grossen Todten beseitigt, das Ziel, bei dem die Land-
schafter 30 Jahre vorher angelangt, in der Figurenmalerei eben-
falls erklommen. Der Realismus, wahr und frei in der Formen-
behandlung, war in der Farbenanschauung noch unwahr und un-
selbständig gewesen. Nun ist zur zeichnerischen Wahrheit auch die
Wahrheit der Farbenanschauung getreten. Der Naturalismus ist
Realismus, erweitert durch das Studium des Milieus.
Ja, vielleicht wird eine spätere Zeit sogar anerkennen, dass
Manet in der Feinheit und scrupulösen Analyse des Lichtes einen
Schritt über die Alten hinaus that, und wird die Entdeckung der
Tonwerthe als Haupterrungenschaft des 19. Jahrhunderts preisen,
als eine Eroberung, wie sie seit den Eycks und Masaccio, seit
der Begründung der Lehre von der Perspective, im Gebiete der
Malerei nicht gemacht ward. Hugo Magnus hat in einer beachtcns-
werthen Schrift darüber gehandelt, wie der Farbensinn in den
verschiedenen Perioden der Weltgeschichte zunahm — seit dem Auf-
treten der Impressionisten lässt sich eine weitere Steigerung con-
statiren. Das Studium der Tonwerthe ward nie mit dieser wissen-
schaftlichen Exaktheit betrieben, und hinsichtlich der atmosphärischen
Wahrheit möchte man glauben, dass das Auge heute Dinge sieht und
fühlt, die unsere Väter noch nicht bemerkten. Auch die Alten
hatten das Problem der »Wahrmalerei« berührt. Die italienischen
Tempera- und Frcskomalcr des 15. Jahrhunderts hat nicht blos die
Natur ihrer Farben oft auf die natürlichste Art der Beleuchtung
geführt. Sie hatten theoretisch sogar sich mit der Frage be-
schäftigt. Eine altitalienische Vorschrift lautete: der Maler solle in
einem geschlossenen Hofe unter schützendem Zeltdach arbeiten, sein
Modell aber so setzen, dass es unter freiem Himmel sei. Besonders
Piero della Francesca ging in den Fresken, die er 1452 in Arezzo
malte, dem Problem des Pleinair mit spürendem Sinne nach. Aber
40*
628
XXXIII. Fiat lux
die Liebe zu schönen und leuchtenden Farben, wie später die Technik
der Oelmalerei sie ermöglichte, lenkte die Maler doch bald davon ab,
die naturwahre Beleuchtung auch in der Farbenabtönung folgerichtig
durchzuführen. Die Italiener der grossen Zeit seit Leonardo wendeten
sich unter dem Einfluss der Oelmalerei immer mehr den starken Gegen-
sätzen zu. Und selbst die holländischen Landschafter des 17. Jahr-
hunderts haben trotz Albert Cuyp die Dinge noch mehr plastisch in
ihren Linien und Formen, als malerisch in ihrer Licht- und Lufthülle
gesehen. Erst das 19. Jahrhundert nahm ernstlich ein Problem in
Angriff, das — die einzige Gestalt des Velazquez ausgenommen -
von den ältern Schulen zwar gestreift, doch noch nicht gelöst war.
Was die Meister von Barbizon in genialem Instinkt gethan,
ward von den Impressionisten zum Gegenstand wissenschaftlichen
Studiums gemacht. Die neue Schule stellte den Satz auf: dass die
Atmosphäre die Farbe der Dinge verändert, dass z. B. die Silhouette
und Farbe eines im Zimmer gemalten Baumes vollkommen ab-
weicht von der desselben Baumes, der an Ort und Stelle unter
freiem Himmel gemalt ist. Sie forderte als unbedingte Regel,
dass jeder Vorgang in Harmonie mit Ort, Zeit und Beleuchtung
zu setzen, eine Scene, die in freier Luft stattfindet, also noth-
wendigerweise nicht innerhalb der vier Wände, sondern unter der
wirklichen Beleuchtung des Morgens, des Mittags, des Abends
oder der Nacht zu malen sei. Indem dieses Problem zum Gegen-
stand sorgfältiger Detailforschung gemacht ward, lernte man das
zuckende Leben in seinem Schleier von Luft und Licht weit feiner
und eingehender analysiren als es die Alten gethan. Jene malten
noch das platt auffallende, nicht das leuchtende Licht. Die Oel-
farbe wurde wie ein opakes Material behandelt, die Farbe trat als
Stoff auf und das Leuchten des farbigen Lichtes ging durch die
materielle Schwere verloren. Noch Courbet schilderte nur die Sache,
sah die Dinge plastisch, nicht in die Atmosphäre getaucht; seine
Menschen lebten in Oel, in brauner Sauce, nicht da, wo allein sie
leben können — in der Luft. Alles was er malte, isolirte er vorher
ohne Rücksicht auf die atmosphärische Umgebung. Jetzt hat sich
eine vollständige Rollenvertauschung vollzogen ; man malt nicht mehr
Körper und Farben, sondern die bewegende Kraft des Lichtes, unter
der jedes Ding jeden Augenblick Gestalt und Farbe wechselt. Jene
verbannten im Wesentlichen das Licht an die Oberfläche, die
Neuen glauben an sein Ueberallsein, sehen in ihm den Vater alles
XXXIII. Fiat lux
629
Lebens und aller Mannigfaltigkeit der Erscheinung, also auch der
Farbe. Sie malen nicht mehr Farben und Formen mit Lichtern
und Schlagschatten, sondern das durchscheinende Licht, das sich
auf Formen und Farben ergiesst und von ihnen aufgesogen wird
und rückgeschleudert. Sie sehen nicht das Einzelne, sondern
das Ganze, nicht mehr plattes Licht und Schlagschatten allein,
sondern die Harmonie, den malerischen Reiz des Naturmomentes
als solchen. Mit einem Eifer, der zuweilen paradox schien, be-
gannen sie die Bedeutung der Lichtphaenomene zu ergründen. Sie
entdeckten, dass das Sonnenlicht die Gegenstände nicht vergoldet,
sondern versilbert und bemühten sich, die Vielheit dieser feinen Ab-
stufungen bis in ihre duftigsten Niiancen zu zerlegen. Sie lernten
das Zucken der breit sich ergiessenden zitternden Sonnenstrahlen
malen; waren lyrische Dichter des Lichtes, das sie verherrlichten
oft selbst auf Kosten dessen , was es einhüllt und leben lässt. Sie
stellten im Dienste der Kunst ein verjüngtes Repertoir feiner ge-
läuterter malerischer Ausdrücke fest, in denen die Kunstgeschichte
eine Steigerung des Farbensinnes und der Perceptionskraft des
menschlichen Auges verzeichnet. Dass Licht Bewegung ist, wird
hier gegenwärtig, dass das ganze Leben Bewegung ist, zeigt ihre
Kunst. Courbet war ein bewundernswerther Maler ebener Flächen.
Hatte er eine Mauer zu malen, so nahm er sie auf seine starken
Schultern und übertrug sie auf die Leinwand, dass ein Maurer
sich täuschte. Mochte es sich um Felsen, einen Weiberkörper
oder Meereswellen handeln, er begann dick einzurühren, brachte
auf die Leinwand eine feste Farbenmasse und vcrtheiltc sie mit
dem Messer. Diese Spachtelarbeit ermöglichte ihm eine unerreichte
Naturwahrheit in der Wiedergabe der Oberfläche harter Substanzen.
Felsen, Ufer, Mauern sehen aus wie in der Natur, aber bei beweg-
lichen, unbestimmten Dingen versagte seine Kraft. Seine Land-
schaften sind fett und breit und saftig gemalt, aber die Erde hat
keinen Pulsschlag, sie schlägt nicht. Courbet hat die Vögel in der
Landschaft vergessen. Seine Marinen sind ungemein gross gesehen
und zeichnerisch Meisterwerke, aber scheinen unbewohnbar für
Fische. Unter der festen Hand des Malers blieb das Meer stille
stehen und verwandelte sich zum Felsen. Hatte er Menschen zu malen,
so stehen sie bewegungslos da wie Wachspuppen. Ihr Gesichts-
ausdruck wie ihr Körper scheint galvanisirt. Die Impressionisten
zuerst haben, indem sie die schlagfertige Unmittelbarkeit in der
630
XXXIII. Fiat lux
Uebertragung der Eindrücke als Hauptziel künstlerischen Strebens
in ihr Programm setzten, Nüancen des Ausdrucks und der Be-
wegung frisch festzuhalten gewusst, die unter den Händen ihrer
Vorgänger versteinerten. Wie bei einem fahrenden Wagen das
Blitzen der Speichen an den Rädern gemalt wird, nicht der An-
blick, den das ruhige Rad gewährt, so lassen sic auch bei mensch-
lichen Gestalten die Umrisse sich auflösen und verschwimmen, um
den Eindruck der Bewegung, der echten Lebendigkeit der Erschein-
ung hervorzurufen. Die Farbe ist als einziges, unbeschränktes Aus-
drucksmittel für den Maler gewonnen, hat die Zeichnung so auf-
genommen, dass die Linie gleichsam pulsirendes Leben erhält,
nicht anders mehr als malerisch empfunden werden kann. Handelt
es sich um menschliche Akte, so ist von der Haut der wächserne
Charakter gewichen, den die herkömmliche Aktmalerci für Natur-
wahrheit ausgab, und tausende zart unterschiedener Tönungen be-
leben das Fleisch. Auch eine feinere, tiefere Beobachtung der
Temperamente war durch die leichtere, nervösere Technik ermög-
licht. In den Werken der früheren Genremaler sind die Menschen
nie das, was sie vorstellen sollen. Aus der elegantesten Garderobe
blickt das bezahlte, aus niederen Kreisen gewählte Modell heraus,
das der Maler brauchte, um langsam die Vollendung seines Bildes
herbeizuführen; hier sind wahre Menschen dargestellt, deren Gesicht,
Haltung und Bewegung sprechen und sagen, was sie sind. Selbst
in der Porträtmalerei treten an die Stelle der festgenagelten Puppen
Leute, die der Maler überraschte, bevor sie sich zurecht setzten, in
der Secunde, wo sie noch ganz sie selbst sind. Das Streben nach
Fixirung der natürlichsten Stellung und zwanglosesten Miene, nach
dem Festhalten der vorübergehendsten flüchtigsten Ausdrucksnüancen,
erzeugt auch hier eine Unmittelbarkeit und Lebendigkeit, die von
der Pose und Staatsmiene des früheren Sofabildes durch eine Riesen-
kluft getrennt ist.
Gleich seit seinem ersten Auftreten hatte sich eine Reihe junger
Leute um Manet geschaart, die in einem Cafe der ehemaligen Vor-
stadt Battignolles am Eingang der Avenue de Clichy wöchentlich
zweimal zusammenkamen. Der Verein nannte sich von diesem Ort
des Zusammentreffens Ecole des Battignoles. Burty, Antonin Proust,
Henner und Stevens erschienen zuweilen ; Legros, Whistler, Fantin-
Latour, Duranty und Zola waren ständige Gäste. Degas, Renoir,
Pissarro, Sisley, Monet, Gauguin und Zandomeneghi waren die
XXXIII. Fiat lux
Degas: Ballet.
Hauptleute des impressionistischen Stabes, der, vom officiellen Salon
ausgeschlossen, gewöhnlich bei Nadar, bei Reichshofen oder einem
andern Kunsthändler sein Zelt aufschlug. Das sind die Namen der
Männer, die', auf Manet folgend, als die ersten das neue Problem
zum Gegenstand ihrer Studien machten.
Degas, der raffinirte Colorist und fabelhafte Zeichner, der die
Tänzerinnen, die Foyers der Oper und die Gazeröckchen besingt, ist
von allen denen, die sich gleich anfangs der Bewegung anschlossen,
der originellste und kühnste : das gerade Gegenthcil alles Hübschen
und Banalen, der grösste Dandy des modernen Frankreich, dessen
Werke Caviar für die Menge sind, ein Labsal aber dem Gourme, der
sich erfreuen will an der erhabenen Schönheit des Hässlichen.
Degas ist älter als Manet. Er hat noch alle Phasen der fran-
zösischen Kunst seit Ingres durchlaufen. Seine ersten Bilder
»Spartanische Jünglinge« und »Scmiramis, die Mauern von Babylon
bauend«, könnten von Ingres gemalt sein, auf den er noch heute
als ersten Stern am Firmament des französischen Kunsthimmels
632
XXXIII. Fiat lux
Degas: Balletprobe.
schaut. Dann hat eine Zeitlang die geistreiche, liebevolle Intimität
und sanfte, ruhige Harmonie Chardins auf ihn gewirkt. Auch für
Delacroix schwärmte er: weniger für das pathetische Colorit, als
für den hohen Stil der Gesten und Bewegungen dieses grossen
Romantikers, die er sich bemühte, auf die leidenschaftliche Mimik
des Tanzes zu übertragen. Von Manet lernte er die Weichheit und
Flüssigkeit der Modellirung. Zum Schluss traten die Japaner hin-
zu und vermittelten ihm das Princip ihrer zerstreuten Composition,
die Wahl des Standpunktes von unten nach oben oder von oben
nach unten, den Geschmack am phantastisch Decorativen, die geist-
reiche Art, da zu accentuiren, dort zu unterdrücken, die überraschenden,
hier und da ganz willkürlich angebrachten Details. Aus der originellen,
bizarren Vereinigung all dieser Elemente bildete er seinen exquisiten,
wunderbar ausdrucksvollen, ganz persönlichen Stil, der mit der Feder
schwer zu beschreiben ist und durch den Hinweis auf den in der Licht-
führung verwandten Besnard ebenfalls nur mangelhaft gekennzeichnet
wäre. Degas hat in der Literatur allein eine Parallele. Wenn ein
Vergleich zwischen beiden möglich, könnte man sagen, dass sein
XXXIII. Fiat lux
633
Degas: Das Ballet in Robert dem Teufel.
Stil in vieler Hinsicht an den der Gebrüder Goncourt erinnert. Wie
diese die Sprache um ein neues Vocabular für neue Empfindungen
bereicherten, so hat Degas sich eine neue Technik gebildet. Keiner
ausser Manet war mehr und ausschliesslicher Maler. Alles Hübsche,
Anekdotische durchaus verschmähend, wciss er allein durch die Fein-
heiten der Zeichnung und Tonwerthe — wie die Goncourts durch
Association von Worten — die beabsichtigte Wirkung zu erzielen;
hat allen Wörterbüchern der Malerei Worte entnommen, hat Oel,
Pastell, Aquarell zusammengemischt und gehört, wie er heute da-
steht, gleich den Goncourts zu den raffinirtesten, feinsten Erschein-
ungen des Jahrhunderts.
Sein Stoffgebiet findet seine Grenze nur in einem Punkt: er
ist ein grosser Verächter des Banalen, der Wiederholung Anderer
✓
634 XXXIII. Fiat lux
und seiner selbst. Jeder Gegenstand muss Veranlassung geben zur
Einführung besonderer, noch ungebrauchter Modelle, zu Experimenten
des Malerischen und neuen Problemen der Beleuchtung. Von der
Grazie, den hübschen Bewegungen der Frauen ging er aus. Die
niedlichen Pariser Wäscherinnen in ihren reinlichen Schürzen,
kleine Ladnerinnen in ihren Buden, die elegante Magerkeit der Renn-
pferde mit ihren elastischen Jockeys, dazwischen wunderbare Porträts
wie dasjenige Durantys, Frauen, die aus dem Bad steigen, die Be-
wegungen der Arbeiterin wie die Toilette und das Neglige der
Weltdame, Boudoirscenen, Gerichtsscenen und Scenen in Theater-
logen — all das hat er gemalt. Und mit welcher Wahrheit, mit
welchem Leben ! Wie stehen diese Figuren in der Luft, wie sind sie
das, wofür sie sich geben. Circus und Oper wurde bald sein be-
vorzugtes Studienfeld. Bei den Balletmädchen fand er künstlerisch
jungfräulicheren Boden, als bei den Göttinnen und Nymphen der
Antike. Zugleich waren hier an die Fähigkeiten des Malers. Zeichners
und Charakteristikers die denkbar höchsten Anforderungen gestellt.
Degas ist von allen Modernen der sensibelste Exeget des künstlichen
Lichtes, des Lichtes der Rampen, vor denen diese decolletirten
Sängerinnen in ihren Gazeröckchen sich bewegen. Und diese
Tänzerinnen sind wahre Tänzerinnen, jede lebendig, jede eigenartig.
Die Nervosität der geborenen Ballerina unterscheidet sich scharf von
dem Phlegma der Andern , die nur mit den Beinen ihr Brod ver-
dient. Wie fein sind seine Anfängerinnen bei der Probe mit ihren
verwelkten, ermüdeten, hübschen Gesichtchen, wenn sie sich schwung-
voll verbeugen sollen und dabei so linkisch anstellen in ihrer nied-
lichen Schüchternheit. Wie fabelhaft hat er diesen flüchtigen, reizenden
Moment fixirt. Mit welch geistreicher Nonchalance gruppirt er seine,
in weissen Musselin und bunte Schärpen eingehüllte Welt. Gleich
den Japanern, wahrt er sich das Recht, nur das zu geben, was ihm
interessant und schlagend scheint — nach Hokusais Ausdruck »nur
die lebenden Punkte« — , hält sich nicht verpflichtet, einer »abgerun-
deten Composition« zu Liebe ein todtes Stück Leinwand beizugeben,
ln Bildern, auf denen er beabsichtigt, die verschiedenen Formen der
Beine und Fiissc seiner Tänzerinnen zu zeigen, malt er nur den
obern Theil des Orchesters und den untern der Bühne, das heisst
unten Köpfe und Hände mit Musikinstrumenten, oben tanzende Beine.
Ebenso unerbittlich verfahrt er bei seinen Renn- und Strassenscenen,
so dass von den Pferden oft nur die hintere Partie, vom Jockey der
XXXIII. Fiat lux
635
Rücken zu sehen. Diesem geistreichen Mittendurchschneiden und
souveränen Umspringen mit allen vulgären Compositionsregeln ver-
danken seine Bilder einen nicht geringen Theil ihrer Pikanterie, ihres
Lebens. Schon Dürer wusste, was er that, als er bei seinen apokalyp-
tischen Reitern, um den Eindruck des wilden Dahinstürmcns zu erzielen,
die Composition nicht abschloss, sondern fragmentarisch liess.
Eine besondere Gruppe unter den Balletbildern des Malers sind
diejenigen, in denen er die Ausbildung der Elevin schildert, die harte
Schule, die die Larve durchmachen muss, bevor sie ihren Plug als
Schmetterling antritt. Eine seltsame, phantastische Anatomie spielt
sich hier ab, nur vergleichbar den akrobatischen Verrenkungen, in
denen die Japaner sich gern ergehen. Für Degas’ Entwicklungs-
gang wurden gerade diese Bilder von massgebender Bedeutung. Auf
der Suche nach unfixirtcn Linien und Ausdrücken gelangte er dazu,
die Wirklichkeit nicht mehr in ihrer liebenswürdigen Grazie zu
fühlen, nur noch in ihrer Degeneration zu sehen. Es reizte ihn, die
grosse Silhouette des modernen Weibes, den unter dem Panzer der
Toilette zum Kunstprodukt gewordenen weiblichen Körper auch in
den ungraziösesten Momenten festzubannen. Er malte die Frau, die
sich nicht beobachtet weiss, gleichsam durch die Ritze eines Vor-
hanges oder durch das Schlüsselloch gesehen, in theilweise abscheu-
lichen, hässlichen Bewegungen. Er wurde der unerbittliche Beobachter
der Wesen, die die Gesellschaft zu ihrem Vergnügen in Maschinen
— Tanz-, Renn- und Liebesmaschinen — verwandelt. Er hat grau-
sam jene Art Frauen dargestellt, wie sie Zola in Nana zeichnet:
ohne Gesichtsausdruck, ohne das Spiel der Augen, die Frau, die nur
animalisch ist, bewegungslos wie ein indisches Idol. Seine Bilder
dieses Kreises sind eine Naturgeschichte der Prostitution von er-
schreckender Wahrheit , ein grosses Gedicht auf das Fleisch wie
Rubens’ und Tizians Werke, nur dass dort blühende Schönheit, hier
faltige Haut, verfallende Jugend, der künstliche Glanz emaillirter
Gesichter den Inhalt der geistvollen Strophen bildet. Die ganzen
Schrecken des nächtlichen Paris durchforschte er, begann bei allem
Ungeheuerlichen, Lasterhaften, Degenerirten , soweit es malerisch
ist, zu verweilen. Ein aristokratischer Degout vor der Welt, der
blasirte Geschmack des Lebemannes, für den alles Gesunde, Normale
banal geworden, und der nur am Hässlichen noch sich erregt, geht in
fürchterlichem Pessimismus durch seine letzten Werke. »A vous
autres il faut la vie naturelle, ä moi la vie factice.«
636
XXXIII. Fiat lux
Diese Blasirtheit
äussert sich auch in
der stolzen Veracht-
ung, mit der er sich
von Ausstellungen,
Publikum und Kritik
zurückzog. Wer nicht
als ständiger Gast bei
Durand-Ruel verkehrt,
hat wenig Gelegenheit,
Bilder von Degas zu
sehen. Der Begriff
Ruhm scheint für ihn
nicht vorhanden. Hin
Mann von ruhigem
Selbstgefühl, bringt er
die Sache auf die Lein-
wand wie es ihm be-
liebt, ohne Bedacht
zu nehmen , wie sie
zu den Vorstellungen
der Leute und den
Gepflogenheiten der Schule passe. Vom Salon hielt er seit Jahren
sich fern, einige sagen, er hätte überhaupt nie ausgestellt. Ebenso
fern steht er der Pariser Gesellschaft. Früher, in der Zeit, als Manet,
Pissarro und Duranty im Cafe Nouvelle Athenes zusammenkamen,
erschien er zuweilen nach 10 Uhr — ein kleiner Herr mit runden
Schultern und schiebendem Gang, der bloss durch kurze sarkastische
Bemerkungen an der Unterhaltung theilnahm. Nach Manets Tod
schlug er sein Zelt im Cafe de la Rochefoucauld auf. Und die jungen
Maler gingen seinetwegen auch in s Cafe de la Rochefoucauld und
zeigten sich ihn: »Das ist Degas«. Ueber ihn wird am häufigsten ge-
sprochen, wenn Künstler zusammen sind, ihm werden von der Jugend
die höchsten Ehren geboten. Man verehrt in ihm den stolzen Inde-
pendant, der unnahbar über dem profanum volgus steht, den grossen
Unbekannten, der nie eine Jury passirte und dessen Geist doch un-
sichtbar über jeder Ausstellung schwebt.
Auguste Renoir, ein feiner Charmeur, hat namentlich im ßild-
niss wichtige Entdeckungen gemacht. Er ist der eigentliche Maler
Renoir: La Loge.
XXXIII. Fiat lux
637
junger Frauen, deren
Eleganz , zarte Haut
und sammtenes Fleisch
er mit ausserordent-
licher Schlagfertigkeit
commentirt. Leon
Bonnats Porträts wa-
ren grosse Stillleben.
Die Personen sitzen
festgenagelt da. Das
Fleisch sieht wie Zink
aus und die Kleider
wie Stahl. Unter Du-
rans Händen hatte sich
die Porträtmalerei in
ein Spiel mit Draperien
verwandelt. Die
meisten seiner Porträts
verrathen nichts als
wieviel die Toilette
gekostet; sie sind mit
ihrem reichen Appa-
rat von Seide und
schweren Vorhängen begeisterte, öfter brutale Symphonien auf Sam-
met und Atlas. Das Rauschen der Gewandung, die blendende
— oder aufgedonnerte — Farbenkraft gleissender Stoffe verursachte
ihm grössere Freude als der Schimmer der Carnation und der
prüfende Blick in die geistige Beschaffenheit seiner Modelle. Renoir
sucht die unmerklichen vorübergehenden Bewegungen von Zügen
und Gestalt zu fixiren. Indem er seine Personen kühn ins wirk-
liche, ringsumfliessende Tageslicht setzt, malt er die atmosphärischen
Einflüsse gleich dem Landschafter in allen Consequenzen. Das
Licht ist das Einzige, das Absolute. Ein gestürzter Baumstamm, auf
dem das gebrochene Sonnenlicht in gelben, leichtgrünen Reflexen
spielt, und ein Mädchenkörper, ein Mädchenkopf sind denselben Ge-
setzen unterworfen. Von den gelblich grünlichen Lichtflecken iiber-
tupft, verlieren sich seine Formen und er wird zu einem Stück Natur.
Mit diesem Studium der Reflex- und Lichtwirkungen ist aber zugleich
eine erstaunliche Sicherheit in der Analyse des plötzlichen Ausdrucks
638
XXXIII. Fiat lux
verbunden. Wie das Lachen anfängt und aufhört, der Moment
zwischen Lachen und Weinen, ein vorübergehendes Aufblitzen des
Auges, eine flüchtige Bewegung der Lippen, Alles blitzschnell kom-
mende und ebenso rasch wieder verschwindende — Ausdrucksnuancen,
die früher undefinirbar schienen, hält Renoir in ihrer ganzen Un-
mittelbarkeit fest. I11 den Bildnissen Bonnats und Carolus Durans
hat man Leute vor sich, die »gesessen« haben, hier solche, denen
der Maler das Geheimniss ihrer Natur abzustehlen und festzuhalten
gewusst hat in einem Moment, wo sie nicht sassen. Da sind träumende
blonde Mädchen, die mit ihren grossen blauen Augen dahinstarren,
luftige duftige Blumen, wie Lilien, gelehnt an einen Rosenbusch, durch
den die Strahlen der untergehenden Sonne scheinen. Da sind kokette
Backfische, bald lächelnd, bald schmollend, bald lustig und heiter,
bald wieder böse, bald zwischen beidern schwankend in einem reizenden
Zorn. Da sind Weltdamen von vollendeter Eleganz, leicht gebaute
schlanke Gestalten mit kleinen Händen und Füssen, gleichmässiger
Blässe des Teints, langgeschnittenen Augen, die die Berührung jedes
Blickes auflangen, feuchtglänzenden Lippen von weicher Anmuth,
die von künstlich verfeinerter Genusssucht zeugt. Und Kinder be-
sonders — Kinder einer sensitiven beweglichen Racc : die einen noch
unbewusst, träumend und ohne Gedanken, die andern schon lebhaft,
korrekt in der Pose, graziös und verständig. Sie waren exquisit,
von einer ganz neuen, naiven Wahrheit, die drei Mädchen, die auf
seinem »Porträt der Frl. M. < um s Klavier gruppirt waren, die ältere
musicircnd, die zweite mit der Violine sie begleitend, die Kleine in
stiller Aufmerksamkeit mit beiden Händen auf’s Piano gestützt. Alle
Posen natürlich, alle Farben hell und subtil: die Möbel, die gelben
Blumensträusse, die duftigen Frühlingskleidcr, die seidenen Strümpfe.
Doch solch zarte Gedichte auf Kindheit und Backfischthum bilden nur
einen Theil von Renoirs Oeuvre. In seinem Diner ä Chaton« sitzen
lachend, sprechend, lauschend, Herren und Damen an der Tafel, der
Sect perlt in den Gläsern , mollige Dessertstimmung herrscht. In
seinem »Moulin de la Galette« malte er die Aufregung des Tanzes:
wirbelnde Paare, erregte Gesichter, müde Posen, alles umflossen von
Sonne und Staub. Das Studium der verschiedenen feinen Affekte, die
das menschliche Antlitz coloriren — das ist Renoirs eigentliches Feld.
Camille Pissarros Verdienst ist die durch Breton verweichlichte
Bauernmalerei wieder in die männlichen Bahnen Millets zurück-
gelenkt und diesen in den Partien, in denen er technisch noch un-
XXXI II. Fiat lux
Pissarro : Landschaft.
genügend war, ergänzt zu haben. Camille Pissarro hatte, als die
impressionistische Bewegung begann, schon eine schöne A ergangen-
heit hinter sich ; er war der anerkannte Landschafter der norman-
nischen Ebene, der aufrichtige Beobachter der Bauern und schlichte
Schilderer der Gemüsegärten, die rings um Bauernhäuser sich aus-
dehnen. Kein Künstler seit Millet hatte sich in engere Verbindung
gesetzt mit dem Leben der Erde und der cultivirten Natur. Ein
delicater Analyst, hatte Pissarro nicht das Epische, religiös My-
stische Millets, aber er war wie jener in der Seele ebenfalls Land-
mann, Normanne wie Millet, aus dem Lande der Weinberge, der
weiten Gehöfte, der grünen Wiesen, zarten Pappelalleen und grossen,
von der Sonne gerötheten Horizonte. Er war gesund, intim und zart,
freute sich an der Fettigkeit, dem wollüstigen Wogen der Felder und
wusste schlagend den Eindruck einer Gegend in ihrem Werktags-
charakter zu geben. Als der legitime Spross Millets in der Presse
gefeiert, hätte er sich begnügen können mit diesen regelrecht er-
worbenen Erfolgen. Er war in ein Alter gekommen, wo die Menschen
gemeinhin aufhören, zu experimentiren und nur noch ernten, was
sie in der Jugend gesät, in ein Alter, wo viele 1 riumphatoren
sich nur mit mechanischer Reproduction ihrer eigenen Weike be-
640
XXXIII. Fiat lux
fassen. Trotzdem wurde die im-
pressionistische Bewegung für
Pissarro der Ausgangspunkt auf
einen neuen Weg.
Er strebte nach einem noch
frischeren , intensiveren , trans-
parenteren Licht, nach einer
noch schlagenderen Beobachtung
der Phänomene, nach noch exak-
terer Analyse der umhüllenden
Atmosphäre. Er besang das ewige,
unveränderliche Licht, in dem die
Welt sich badet. Er hat es be-
sonders während der klaren Nach-
mittage geliebt, wenn es auf hell-
grünen, von zarten Bäumen um-
säumten Wiesen oder am Euss
niedriger Hügel spielt. Er hat es
gesucht an den Abhängen, an
denen es duftig herunterrieselt,
an den Ebenen , von denen es
wie ein leichter Gazeschleier auf-
steigt. Er studirte das Kosen des
Lichtes aufdemgebräuntenFleisch
der Arbeiter, den Haaren der
Thiere, den Blättern und Früchten
der Bäume. Er charakterisirte die
Jahreszeit, die Stunde, den Augen-
blick mit der Gewissenhaftigkeit des Bauern, der aufmerksam den
Gang des Windes und die Stellung der Sonne beobachtet. Die fröstelnd
kalte Stimmung herbstlicher Nachmittage, die lebhafte Klarheit blitzen-
der Winterhimmel, das blühende Blond eines Frühlingsmorgens, das
schwere Brüten des Sommers, das Ueppige oder Ausgedörrte des
Bodens, die junge Gesundheit des Grüns oder das Welkwerden der
ihres Schmucks beraubten Natur — all das hat Pissarro schlicht,
gross und einfach gemalt. Er schweift auf den Feldern umher, sieht
den Hirten, der seine Heerde austreibt, die Feldwagen, die auf hol-
perigen Wegen hinrollen; die ruhige, gleichmässige Bewegung der
Getreideleser, den graziösen Schritt der Schnitterinnen, die mit dem
H p r. 1 1 N S 0 N
Claude Monet.
XXXIII. Fiat lux
641
Rechen über der Schul-
ter Abends heimgehen ;
er setzt sich am Aus-
gang der Dörfer fest,
woApfelpfliicker thätig
sind und Gänsehüter-
innen bei ihrer Heerde
stehen; er beobachtet
das ganze Leben der
Bauern und berichtet
darüber unmittelbarer,
treuer, als Millet es in
seiner breiten, synthet-
ischen Art gethan. Wo
bei jenem classische
Ruhe und ölige
Schwere, ist bei Pis-
sarro zuckendes Leben,
Transparenz und Fri-
sche. Er sieht das Land
gern in hellen, lachen-
den Tönen, und das reine Weiss der Kopftücher, das bleiche-Rosa oder
zarte Blau der Mieder seiner Bäuerinnen gibt seinen Bildern eine
heitere, coloristische Delicatesse. Seine Mädchen sind wie frische Feld-
blumen, die die Junisonne auf den Wiesen wachsen Hess. Es ist etwas
Intensives und Weiches, Starkes und Feines, Wahres und zugleich
Rhythmisches in Pissarros zarten Gedichten auf’s Landleben.
In der Landschaft hatten ebenfalls, so lange ein Fortschritt über
Rousseau und Corot unmöglich schien, die Bilder von Talent aber
mässiger Bedeutung an Zahl zugenommen. Die Landschafter, die
unmittelbar auf die grossen Bannbrecher folgten , liebten die Natur
wegen ihrer relativen Kühle im Sommer; an den Stätten, wo die
Classikcr von Fontainebleau geträumt und gemalt, bauten sie sich
comfortable Villen und richteten sich mit den Gefühlen des Haus-
besitzers dort ein. Das Land wurde in Parzellen vertheilt und jeder
übernahm sein Theilchen, das er schlecht und recht abschilderte,
ohne neue Sensationen zu erwecken. Der Impressionismus gab
auch der Landschaftsmalerei , die sich in Specialitäten zu zer-
splittern drohte, wieder eine feste Unterlage, ein neues, reizvolles
Mutlier, Moderne Malerei II. 4*
Monet: Promenade, Tembs Gris.
642
XXXIII. Fiat i.ux
Monds Wohnung in Giverny.
Studienfeld. Ohne alle Ateliercombinationen Eindrücke mitzutheilen,
wie sie plötzlich uns erfassen, dem Bilde noch mehr als bisher das
Lebhafte, Schlagende des ersten Naturcindrucks wahren — dies grosse
Problem ward den Landschaftern durch den Impressionismus gestellt.
Die Fontainebleauer malten weder das Rauhe, Starre des Winters,
noch das Brütende, Sengende des Sommers — sie malten kunstvolle,
vornehme Cabinetstücke. Die Impressionisten traten nicht als Poeten,
auch als Naturforscher an ihre Stoffe heran. Die Landschaft — bei
Corot, Millet, Diaz, Rousseau, Daubigny und Jongkind ein Gelegen-
heitsgedicht — wird unter ihren Händen das Bildniss einer Gegend
unter bestimmten Einflüssen des Lichts. Mit noch delicateren Nerven
und fast grösserer Sensibilität liessen sie die Natur auf sich wirken
und bemerkten in den Symphonien der Stunde bisher nicht gehörte
Klänge, sanfte, durchsichtige Schatten, das Vibriren der die Linien
auflösenden Lichtatome und jenes Zittern der Atmosphäre, das den
Athcm der Landschaft bildet. Auch diesmal war England nicht
einflusslos. Wie 1830 Corot und Rousseau ihre Anregung von
XXXIII. Fiat lux
643
Monet: Vue de Ronen.
Constable und Bonington erhielten, so kamen Monet und Sisley
aus London zurück, die Augen vom Lichte des grossen Turner ge-
blendet. Ergriffen wie dieser von den Wundern des Alls, von dem
goldigen Duft, der zitternd in einem Sonnenstrahl lebt, gelangten sie
dazu, trotz der Mangelhaftigkeit unserer chemischen Mittel das Licht
zu fixiren.
Alfred Sisley möchte man mit Daubigny vergleichen. Er hat sich
in der Umgebung von Moret an den Ufern des Loing niedergelassen
und ist der mildeste, sanfteste der Impressionisten. Gleich Daubigny
liebt er das Keimende, Werdende, Knospende des leuchtenden jungen
Frühlings: die feuchten Ufer stiller Flüsschen, blühende Buchen und
grünende Roggenfelder, buntblumige Wiesen und klare Himmel, pro-
menirende Damen in hellen Frühlingskleidern, das Spiel des Lichts
auf knospendem Grün. Er hat zarte, von rosigem Duft überhauchte
Morgen gemalt, bläulich schimmerndes Schilf und feuchte Meerlinsen,
graue Wolken, die sich in einsamen Weihern spiegeln, Pappelalleen,
Bauernhäuser, Hügel und Ufer, die weich in der warmen Atmosphäre
verschwimmen. Seine Bilder machen wie die des Meisters der Oise
den Eindruck von Frische und Jugend, von stillem Glück oder melan-
cholischem Lächeln.
41*
644
XXXIII. Fiat lux
Monet: Aus dem Cyclus: » Die Getreideschober «.
Claude Monet könnte manchen seiner lichtdurchtränkten Bilder
den Namen Turner beisetzen und man würde ihm glauben. Er
hat in sehr ungleichen, doch immer genial kühnen Werken das schein-
bar Ungreifbare festgehalten. Keiner ausser Turner hat das Studium
der Lichteffekte , der Abstufungen und Reflexe der Sonnenstrahlen,
der momentan vorübergehenden Beleuchtungen so weit getrieben,
keiner subtilere und stärkere Eindrücke flxirt. Für Monet existirt der
Mensch nicht, nur die Erde, das Licht. Er liebt die zerklüfteten
Felsen von Belle-Isle und die wilden Ufer der Creuse, wenn drückende
Sommersonne auf ihnen brütet. Er malt Phänomene, die ebenso
vorübergehend sind, wie die Nüancen des Ausdrucks bei Renoir.
Die Welt erscheint in einem Lichtglanz, den sie in flüchtigen Mo-
menten nur hat und der blind machen würde, müsste man immer ihn
sehen. Seine Natur ist ein ungastliches Haus, in dem sich nicht
träumen lässt und nicht leben. Man hofft manchmal, von Monet
ein intimes Wort zu hören — vergeblich, Claude Monet ist nur
Auge. Sonnenscheingelage und Orgien in freier Luft bilden den
ausschliesslichen Inhalt seiner Bilder. Er hat daher denen, die in jeder
Landschaft die Seele eines Menschen suchen, wenig zu sagen. Er
jst gleich Degas der Techniker par cxccllence, dessen höchstes Streben
XXXIII. Fiat lux
645
darin aufgeht, den Umkreis der Malerei, sei’s mit Gewalt, noch um
neue Empfindungen und unedirte Effekte zu bereichern. Da sind
Marinen bei Abendstimmung, wenn der See, roth wie ein Kupfer-
spiegel, mit dem Himmelsglanz in ein grosses, strahlendes Meer der
Unendlichkeit zusammenfliesst — Gewitterstimmungen am Abend,
wenn über unruhige Baumgipfel hinweg düstere Wolken durch rauch-
rothen Himmel jagen und auf ihrer Flucht kleine Wolkenfetzen ver-
lieren, kleine, schmale Streifen losgelöster Wolken, die der Sonnen-
glanz mit wcinrother Gluth durchsättigt. Oder blüthenduftende
Frühlingswiesen und glühende, von der Sonne versengte Berge ; sau-
sende Eisenbahnzüge, deren weisser Dampf im Sonnenlicht schimmert,
gelbe Segel , die über flimmernde Seen fliegen ; Wogen, die blau,
roth und golden leuchten, und brennende Schifte, an deren Masten
züngelnde, vom Abendroth zackig umränderte Flammen laufen.
Claude Monet ist überall dem Lichte nachgegangen : in Holland, der
Normandie, dem Süden Frankreichs, Belle-Isle-en-Mer, den Dörfern
der Seine, in London, Algier, der Bretagne. Er begeisterte sich an
der Natur Schwedens und Norwegens, an den französischen Kathe-
dralen, die hoch und schön wie Spitzen grosser Vorgebirge zum
Himmel starren. Er fixirte das Wogen der Städte, die Bewegung
des Meeres, die majestätische Einsamkeit des Himmels. Aber er
weiss auch, dass der Künstler sein Leben auf dem gleichen Erd-
winkel zubringen, Jahre lang nach den nämlichen Objecten arbeiten
könnte, ohne dass das Naturschauspiel, das sich vor ihm abspielt, je
sich erschöpft. Denn das Licht, das zwischen den Dingen wogt, ist
immer verschieden. So stand er eines Abends zwei Schritt vor
seinem Häuschen im Garten , inmitten eines Feuermeers klatsch-
rother Blumen. Weisse Sommerwölkchen spielten am Himmel und
die Strahlen der untergehenden Sonne fielen auf zwei Getreideschober,
die einsam im einsamen Felde standen. Claude Monet fing an
zu malen, und kam am nächsten Tage wieder, am übernächsten
und alle Tage, den ganzen Herbst und Winter und Frühling hin-
durch. In einem Cyklus von fünfzehn Bildern, »die Getreideschober«,
malte er — wie Hokusai in seinen hundert Ansichten des Berges
Fuji — die unendlichen Veränderungen, die Jahreszeit, Tag und
Stunde an dem ewigen Antlitz der Natur erzeugt. Das einsame
Feld ist gleichsam der Spiegel, der die Atmosphäre, den Lufthauch,
die flüchtigsten Lichteffekte auffängt. Die Schober schimmern weich
aus der Heiterkeit schöner Nachmittage hervor, zeichnen sich scharf
646
XXXIII. Fiat lux
und klar vom kalten Vormittagshimmel ab, wachsen wie Phantome
aus dem Nebel eines Novemberabends heraus oder funkeln wie
glitzernde Juwelen unter dem Kosen der aufgehenden Sonne. Sic
leuchten wie glühende Ocfen, wenn sie das Licht der untergehenden
Herbstsonne aufgesaugt, sind wie von rosigem Heiligenschein um-
strahlt, wenn sich die Sonne früh keilförmig durch ein Meer dichten
Nebels schiebt. Sie ragen, von rosaroth glänzendem Schnee be-
deckt, klar auf in den wolkenlosen Himmel, werfen ihre blauen,
reinen Schatten in die weisse, schweigende Winterlandschaft hinaus,
oder heben sich in gespenstischen Umrissen vom nächtlichen Firma-
mente ab, vom Mondlicht silbern übergossen. Ohne seine Staffelei
zu verrücken , hat Monet vom Schweigen des Winters und den
prächtigen melancholischen Farbenfesten des Herbstes erzählt: von
Dämmerung und Regen, von Schnee, Frost und Sonne. Fr hörte die
Stimmen des Abends und das Jubeln des Morgens, malte das ewige
Wogen des Lichtes auf den gleichen Dingen, den veränderten Ein-
druck, den derselbe Naturausschnitt je nach der wechselnden Be-
leuchtung der Stunde gewährt. An einem einzigen Stück Natur
besang er die Poesie des Universums und wäre, hätte er zeitlebens
nur diese Getreideschober gemalt, ein pantheistischer weltumfassender
Künstler. . . .
Hiermit endet der Befreiungskampf der modernen Kunst. Libertas
artibus restituta. Die Maler des 19. Jahrhunderts sind keine Nach-
ahmer mehr, sondern Bildner des Neuen, Mehrer des Reichs ge-
worden. Die prophetischen Worte Philipp Otto Runges »Licht,
Luft und bewegendes Leben« werde das grosse Problem, die grosse
Eroberung der modernen Kunst bilden — sie gingen nach zwei
Menschenaltern in Erfüllung. Durch die Impressionisten wurde die
Kunst um eine Fülle neuer Schönheitschauer bereichert, der Malerei
ein neues, nur ihr eigenthümliches Gebiet erkämpft. Der Schritt,
den sie machten, war der letzte, bedeutsamste, den die Kunst des
19. Jahrhunderts that, und sind Spätere zu harmonischeren, abge-
klärteren Resultaten gelangt, so bleibt den Independants doch der Ruhm,
dass sie die kühnen Husaren der Vorhut, die Jacobiner der grossen
Kunstrevolution waren, die sich seitdem in ganz Europa vollzog.
G*9
Literatur.
Einleitung.
Runge:
Alfred Lichtwark, Hermann Kauffmann und die Kunst in Hamburg von
1800 bis 1850, München 1893.
Cap. XVII.
Leopold 11 o Uly :
Jules Houdoy, L’Art 1S77, IV. 63, 81.
Allgemeines zur Geschichte der Caricatur:
J. P. Malcolm, An Historical Sketch of the Art of Caricaturing. London 1813.
Arsene Alexandre, L’Art du rire, Paris 1S92.
Ucber die englischen Caricaturisten :
Victor Champier, La Caricature anglaise contemporaine, L'Art 1873, I. 29,
293, 11, 300, III., 277 u. 296.
Ernest Chesneau, Les livres a caricaturcs cn Angleterre. Le Livre, Nov. iS8i.
Augustin Filou, La caricature en Angleterre, W. Hogarth. Revue des deux
Mondes. 15. Jan. 1885.
Graham Everitt, English Caiicaturists and Graphic Humourists of the Ninc-
teenth Century. How they illustrated and interpreted their times. With 67
111. London 1886.
Rozolandson :
C. M. Wcstmacott, The Spirit of the Public Journals, 3 Bde. 1825 — 1826.
Joseph Grego, Thomas Rowlandson, the caricaturist. A selection front his
works with anecdotal descriptions of his famous Caricatures and a sketch 01
his Life, Times and Contemporaries. With about 400 Illustrations. 2 vols.
London 1880.
F. G. Stephens, Thomas Rowlandson the Humourist. Portfolio 1891, 141.
Cruiksliank :
Cruikshankiana, Engravings by Richard Dighton. London 1855.
F. G. Stephens, G. Cruiksliank, Portfolio 1872 p. 77.
Reid, Complete catalogue of the engraved works of G. C., London 1873.
G. A. Sala, George Cruiksliank, a life memory. »Gentlemans Magazine« 1878.
William Bat es, George Cruiksliank, the artist, the humourist and the man.
With lllustr. and Portr. London-Birmingham 1878.
Frederick Wedmore, Cruiksliank. »Tcmple Bar« April 1878.
W. B. Jcrrold, The life of George Cruiksliank. 2 Bde. 18S2.
648
Literatur.
H. Thornber, The early Work of G. Cr., 1887.
Frederick George Stephens, A Memoir of George Cr., London 1891.
yolin Leech\
Ernest Chesneau, Un humoriste anglais. Gazette des Beaux Arts. 1875.
I. p. 532.
John Brown, John Leech and other papers, Edinburgh 1882.
George Dumaurier :
L’Art 1876, IV. p. 279. Vrgl. auch English Society at Home, Fol. London 1880.
Charles Keene:
Claude Phillips, Charles Keene, Gazette des Beaux Arts 1891, I. 327.
Ueber die deutschen Zeichner:
Beiträge zur Geschichte der Caricatur, Zeitschrift für Museologie 1881, 13 ff".
J. G ra nd -C a r te r et , Les moeuis et la caricature en Allemagne, en Autriche,
en Suisse, Paris 1885.
R. v. Seydlitz, Die moderne Caricatur in Deutschland, »Zur guten Stunde«
Mai 1891.
Joh. Christ. Erhard:
Alois Apell, Das Werk von Johann Christian Erhard, Dresden 1866.
y. Adam Klein:
F. M., Verzeichniss der von Johann Adam Klein gezeichneten und radirten Blätter,
Stuttgart 1853.
C. Jahn, Das Werk von Joh. Ad. Klein, München 1863.
Ludwig Richter:
R ich t er- Album, 2 Bdc., Leipzig 1861.
O. Jahn im «Richteralbum« und in den Biographischen Aufsätzen, Leipzig 1867.
W. Heinric hsen, Ueber Richters Holzschnitte, Carlsruhe 1870.
Joh. F. Hoff, Adrian Ludwig Richter, Maler und Radirer, Verzeichniss und Be-
schreibung seiner Werke mit biogr. Skizze von H. Steinfeld, Dresden 1871.
L. Richters Landschaften, Text von H. Lücke, Leipzig 1875.
»Aus der Jugendzeit«, Leipzig 1875. Ernst und Scherz, herausg. von Georg Scherer,
Leipzig 1875.
»Deutsche Art und Sitte«, herausg. von G. Scherer, Leipzig 1876.
Fr. Pecht, Deutsche Künstler des 19. Jahrhunderts, I Nördlingen 1877, p. 57 ff".
A. Springer, Zum 80. Geburtstag Ludwig Richter's, Zeitschrift für bildende
Kunst 1883, p. 377 — 86.
J. E. Wessely, Adrian Ludwig Richter zum 80. Geburtstag. Ein Lebensbild.
Graphische Künste 1 88_|, VI. 1.
Nekrolog, Allg. Zeitung 1 884, B. 175, Allg. Kunst-Chronik 1884, 26, G. Weisse,
Deutsches Künstlerblatt, III. t.
Lebenserinnerungen eines deutschen Malers, Selbstbiographie von Ludwig Richter,
herausgegeben von Heinr. Richter, Frankfurt a. M. 1886.
Robert Waldmüller, Ludwig Richter's religiöse Entwicklung, Gegenwart 37,
p. 198, 218.
Veit Valentin, Kunst, Künstler und Kunstwerke 1889.
Rieh. Meister, Land und Leute in Ludwig Richter’s Holzschnitt-Bildern,
Leipzig 1889.
Literatur. 649
Die vervielfältigende Kunst der Gegenwart, herausg. von C. v. Lützow, Bd. 1,
Holzschnitt. Wien 1890.
H. Ger lach, L. Richters Leben, dem deutschen Volke erzählt, Dresden 1891.
Albert Ilcndscltel:
J. E. Wessely, Aus Albert Hendschels Bildermappe, Vom Fels zum Meer, III.
1883, 3.
Nekrolog, »Le Portefeuille« 1884, 30.
F. Luthmer, A. H., Vom Fels zum Meer, Dezember 1884.
I V. Busch:
Paul Lindau, Nord und Süd 1878, IV. 237.
Eduard Daelen, W. Busch, Kunst für Alle 1887, II. 217.
Vgl. Busch-Album, Humoristischer Hausschatz, Sammlung der 12 beliebtesten
Schriften mit 1400 Bildern, München 1885 ff
Ad. Oberländer :
Adolf Bayersdorfer, Adolf Oberländer, Kunst für Alle IV. 1888, p. 49.
Robert Stiassny, Zur Geschichte der deutschen Caricatur, Neue Freie Presse
20. Aug. 1889.
Vgl. Oberländer- Album, München, Braun & Schneider 1881 — 89, 7 Bde.
Ueber die französischen Zeichner:
Champfleury, Histoire generale de la caricature, Paris 1856 — 80, 5 Bde.
J. Grand-Carteret, Les moeurs et la caricature en France, Paris 18S8.
Armand Dayot, Les Maitres de la caricature au XIX. siede. 1 1 5 facsimilds de
grandes caricatures en noir, 5 facsimiles de lithographies en couleurs. Paris 1888.
Henri Beraldi, Les graveurs du XIX. siede, Paris 1885.
Paul Mantz, La caticalure moderne, Gazette des Beaux Arts 1888, I. p. 286.
Augustin de Buisseret, Les caricaturistes frangais, L'Art 1888, II. p. 91.
Moreau :
J. F. Mähe rault, L’oeuvre de Moreau le jeune, Paris 1880.
Moureau, Les Moreau in dem Sammelwerk »Les artistes celebres«. (In Vor-
bereitung.)
Emanuel Bocher, Jean Michel Moreau le jeune, Paris 1882.
Debucourt :
Roger Portalis et Henri Beraldi, Les graveurs du XVIII. siede, Paris 18S0.
Bd. 1.
Henri Bouchot, in dem Sammelwerk »Les artistes celebres«. (In Vorbereitung.)
Carle Cer net:
Anudie Durande, Joseph, Carle et Horace V., Paris 1863.
A. Genevay, C. V., L’Art, 1877, I. p. 73 u. 96.
Henri Monnier :
Ph. Burty, L’Art 1877, II. p. 177.
Champfleury, Gazette des Beaux Arts 1877, I. p. 363.
Derselbe, Henri Monnier, sa vie et son oeuvre, Paris 1879.
Daumier:
Champfleury, L’oeuvre de Daumier, Essai de catalogue, L'Art 1878, II. p.
217, 252, 294.
650
Literatur.
Eugene Montrosier, La caricature politique, H. Daumier, L'Art 1878, II. p. 25.
H. Bi 1 lung, H. Daumier, Kunstchronik 24, 1879.
Arstnie Alexandre, Honore Daumier, l’homme et son oeuvre, Paris 1890.
Guys :
Baudelaire, Le peintre de la vie moderne, . in dem Bande L’Art romantique
seiner Oeuvres completes, Paris 1869.
Gavarni:
Manieres de voir et fa?ons de penscr, par Gavarni, precede d une etude par Ch.
Yriarte, Paris 1869.
Edmond et Jules de Goncourt, Gavarni, l’Homme et l’Oeuvre, Paris 187}.
Ärmel hau lt et Bocher, Cataloguc raisonne de l’Oeuvre de Gavarni, Paris 1875.
G. A. Simcox, Portfolio 1874, p. 56.
Georges Duplessis, Gazette des Beaux Arts 1875, H- P- 152, 211.
Derselbe, Gavarni, Etüde, ornee de 14 dessins inedits, Paris 1876.
Pli. de Chennevi£res, Souvenirs d’un Directeur des Beaux Arts, III. partie,
Paris 1876.
Bruno Waiden, Unsere Zeit 1881, II. 926.
Eugene Eorgues, Gavarni, in dem Sammelwerk >Les artistes celebres« , Paris 1887.
Vgl. auch: Sainte Beuve, Nouveaux Lundis. Henri Beraldi, Graveurs du XIX.
siede. Oeuvres choisies de Gavarni, 4 Bde., Paris 1845 — -|8.
Gustave l)ore:
K. Delorme, Gustave Dore, peintre, sculpteur, dcssinatcur, graveur. Avec grav.
et photogr. hors texte. Paris, Baschet 1879.
Jules Claretie, Peintres et sculpteurs contemporains, 11. Serie, Paris 1884, p. 105.
Nekrologe: Magaz. of Art, März 1883; Fernand Brouet, Revue artistique,
März 1883; Dubufe, Nouvelle Revue, März und April 1883; A. Michel, Revue
Alsacienne, Februar 1883. Chronique des arts 1 88 j , p. 4. Zeitschrift für
bildende Kunst 1883, B. 18. A. Hustin, L’Art 1885, p. 424.
Van Deyssel, Gustave Dore, De Dietsche Warandc IV. p. 5.
Blanche Rooscvelt, Life and Reminiscences of Gustave Dore. London 1885.
Claude Phillips, Gustave Dort*, Portfolio 1891, p. 249.
Cham :
Marius Vachon, Gazette des Beaux Arts 1879, II. p. 443.
Felix Ribeyre, Cham, sa vie et son oeuvre Paris 1884.
Cham Album, 3 Bde., Paris o. J.
Grevin :
Ad. Racot, Portraits d'aujourdhui, Paris 1891.
Cap. XVIII.
ltarry:
The works of James Barry Esq. — to which is prefixed somc account of the
Life and the Writings of the author, 2 Vol., London 1809.
J. J. Hittorf, Notice historique et biographique de Sir J. Barry, 1860.
Alfred Barry, The Life and Works of Sir J. Barry. London 1867.
Sidney Colvin, James Barry, Portfolio 1873, p. 150.
Wood (H. Truemann), Pictures by James Barry at the Society of Arts, London 1880.
Literatur.
651
Benjamin ll'cst :
John Galt, The life, studies and works of B W., London 1820, Zweite Aus-
gabe 1826.
Sidney Colvin, Portfolio 1873, p. 150.
Vgl. auch Cornelius Gurlitt, Die amerikanische Malerei in Europa, »Die
Kunst unserer Zeit« 1895.
Fuseli:
Sidney Colvin, Henry Fuseli, Portfolio 1873, p. 50.
Stothard:
Anna Eliza Bray, Life of Thomas Stothard, London 1851.
Opie:
John J. Rogers, Opie and his Works, being a Catalogue of 760 Pictures by
John Opie R. A. Preceded by a biographical sketch. London 1878.
Claude Phillips, John Opie. Gazette des Beaus Arts 1892, I. 299.
Northcote :
John Thackray Bunce, James Northcote R. A. »Fortnightly Review«,
Juni 1876.
Copley :
A. T. Perkins, A Sketch of the Life and a List of the Works of John Singleton
Copley. London 1873.
Haydon :
Life of B. R. Haydon, historical Painter, front his Autobiography ed. by Tom
Taylor, London 1853, 3 Bde.
HIacli.se :
James Daffornc, Pictures by Maclise, London 1871.
Derselbe, Leslie and Maclise, London 1S72.
litty :
Al. Gilchrist, Life of W. Etty R. A. 2 Bde. London 1855.
P. G. Ham ertön, Etty, Portfolio 1875 p. 88 ff.
W. C. Monkhouse, Pictures by William Etty, With descriptions, London 1874.
Edward Armitage:
J. Be avington-Atkinson, Portfolio 1870, p. 49.
Kontney :
William Hagley, The Life of George Romney, London 1809.
Rev. John Romney (der Sohn des Malers), Memoirs of the life and writings
of G. Romney, London 1830.
P. Selvatico, Arte ed artisti, p. 143 ff.: II pittore Sir Giorgio Romney ed Emma
Lyon, Padova 1863.
Sidney Colvin, G. R., Portfolio 1873, p. 18 und 34.
Lord Ronald Gower, Romney and Lawrence. London 1882.
Thomas Lawrence:
D. E. Williams, The Life and Corresp. of Sir Thomas Lawrence, 2 vols and
3 portr., London 1831.
Fr. Lewis, Imitations of Sir Thomas Lawrences linest drawings, London 1839,
1 Bd. Crayonstiche.
652
Literatur.
A. Genevay, L'Art 1875, III. p. 585.
Th. de Wyzewa, Thomas Lawrence et laSociete anglaisc des son ternps, Gazette
des Beaux Arts 1891, I. p. 119, II. p. 112, 535.
Raebur n :
Portraits by Sir Henry Raeburn photogiaphed by Thomas Asman, with biographical
Sketches. Fol. Edinburgh o. J.
Exhibition of Portraits by Sir Henry Raeburn, Art Journal 1876, p. 349.
Alexander Fraser, Henry Raeburn, Portfolio 1879 p. 200.
Andrew William Raeburn, Life of Sir Henry Raeburn, With 2 Portraits,
London 1886.
George Morland:
John Hassell, Life of the late G. Morland, London 1804.
William Co Hins, Memoirs of G. Morland, London 1806.
F. W. Blagdon, Authcntic memoirs of the late G. M., London 1806.
G. Dawe, The Life of G. M., London 1807.
Walter Armstrong, George Morland, Portfolio 1885, p. 1.
Some Notes on George Morland, Portfolio 1886 p. 98.
James Ward:
F. G. Stephens, Portfolio 1886 p. 8, 32, 45.
Landsecr :
The early works of Edwin Landseer, 16 photographs. London 1869.
F. G. Stephens, Portfolio 1871 p. 165.
James Dafforne, Pictures by Sir Edwin Landseer R. A. With descriptions
and a biographical sketch of the painter. London 1873.
James Dafforne, Studies and Sketches by Sir Edwin Landseer, Art Journal
1875 passim.
Catalogue of the Works of Sir Edwin Landseer, Art Journal 1875 p. 317.
J. Bea vington- Atkinson, Zeitschrift für bildende Kunst 1875, p. 129 und t6j.
M. M. Heaton, Academy 1879 p. 378.
Edw. Lconidas, Sir Edwin Landseer, Nederlandsche Kunstbode 1881, p. 50.
Frederick George Stephens, Sir Edwin Landseer, London 1881.
Derselbe, Landseer, The Dog painter, Portfolio 1885, p. 32.
Ueber die englischen Genremaler:
Fred. Wedmore, The masters of Genre Painting. With 16 111., London 1880.
Wilkie:
Allan Cunningham, Life of Wilkie, 3 Vol., London 1843.
Mrs. C. Heaton, The great works of Sir David Wilkie, 26 photographs.
London Cambridge 1868.
A. L. Simpson, The Story of Sir David Wilkie, London 1879.
J. W. Mollet, Sir David Wilkie, London 1881.
Feuillet de Conches, Sir David Wilkie, »Artiste«, August 1883.
F. Rabbe in dem Sammelwerk »Les artistes ctilebres«. (In Vorbereitung).
William Collitts
W. Wilkie Co Hins (sein Sohn), Memoirs of the Life of William Collins Esq.,
2 Vol., London 1848.
Literatur.
65 3
William Pom eil Früh:
My Autobiography and Reminiscences, London 1887.
Mulready:
Sir Henry Cole, Blography of William Mulready R. A. Kotes ofPictures etc. o. J.
F. G. Stephens, Memorials of Mulready, 14 photographs. London 1867.
James Dafforne, Pictures by Mulready, London 1873.
F. G. Stephens, William Mulready, Portfolio 1887, p. 85 und 119.
R. Liebreich, Turner and Mulready, London 1888.
Leslie:
James Dafforne, Pictures by Leslie. Plates, London 1873.
Cap. XIX.
Allgemeines:
Arsene Alexandre, Histoire de la peinture militaire en France, Paris 1890.
Horace Verriet:
L. Ruutz-Rees, Horace Vernet and Paul Delaroche. Illustr. London 1879.
Amedee Durande, Josephe, Carle et Horace Vernet, Correspondance et Bio-
graphies, Paris 1865.
Theoph. Silvestre, Les artistes fran^ais, p. 355 ff.
Jules Claretic, Peintres et sculpteurs contemporains, Paris 1873 p. 65 ff.
Clt a riet :
De la Combe, Charlet, sa vie et ses lettres, Paris 1856.
Eugene Veron, L’Art 187s, I. p. 193, 217.
F. L'homme in dem Sammelwerk »Les artistes cdlebres*, Paris 1893.
Raffet:
Auguste Bry, Raffet, sa vie et ses Oeuvres, Paris 1874.
Georges Duplessis, L’Art 1879, I. 76.
Notes et croquis de Raffet, mis en ordre et publiis par Auguste Raffet fils.
Paris, Amand-Durand 1879.
Henri Büraldi, Raffet, Peintre National, Paris 1891.
F. L’homme in dem Sammelwerk »Les artistes celebres«.
Ueber die jüngern Soldatenmaler :
Eug. Montrosier, Les Peintres militaires, contenant les biographies de: de
Neuville, Detaille, Berne-Bellecour, Protais etc. Paris 1881.
Jules Richard, En Campagne. Tableaux et dessins de Meissonier, Detaille,
Neuville u. A. Paris 1889, 2 Bde.
Bellange :
Francis Wey, Exposition des Oeuvres d’Hipp. Bellangü, Etüde biogr., Paris 1867.
Jules Adeline, Hippolyte Bellangü et son oeuvre, Paris 1880.
Protais :
Jules Claretie, Peintres et sculpteurs contemporains, Paris 1873, p. 150 ff.
Pils :
L. Becq de Fouquiüres, Isidore Pils, sa vie et ses oeuvres, Paris 1876.
Roger-Ballu, L’oeuvre de Pils. L’Art 1876, I. p. 232 — 258.
654
Literatur.
Neuville :
Alfred de Lostalot, Gazette des Beaux Arts 1885, II. p. 164.
Detaille :
Jules Claretie, L’art et les artistes francais contemporains. Paris 1876, p. 56 fT.
Derselbe, Peintrcs et sculpteurs contemporains, II. S£rie, Paris 1884, p. 249.
G. Goetschy, Les jeunes peintrcs militaires, Paris 1878.
Regamey :
E. Chesneau, Notice sur G. R6gamey, Paris 1870.
Eugene Montrosier, L’Art 1879, H« P- 25.
Albrecht Adam:
AlbrechtAdam, Selbstbiographie 1 786 — 1862, Hrsg, von H. I lolland, Stuttgart 1886.
Das Werk der Münchener Künstlerfamilie Adam. Reproductioncn nach den Ori-
ginalen der Maler Albrecht, Benno, Emil, Eugen, Franz und Julius Adam.
Hrsg, von S. Soldan. Text von H. Holland. Nürnberg, Soldan 1890.
P. Hess :
H. Holland, P. v. Hess, München 1871, zuerst im »Oberbayer. Archiv« Bd. 31.
V. Krüger:
A. Rosenberg, Aus dem alten Berlin, Franz Krüger-Ausstellung, Zeitschrift für
bildende Kunst XVI. 1881, p. 337.
Franz Adam :
Friedrich Pecht, F. A., Kunst für Alle 1887, II. 120.
Th. Hör schelt:
Ed. Ille, Zur Erinnerung an den Schlachtenmaler Th. Horschelt, München 1871.
H. Holland, Th. Horschelt, sein Leben und seine Werke, München 1889.
Heinrich Lang:
H. E. von Berlepsch, Zeitschrift für bildende Kunst 1892.
Ueber die neuern Düsseldorfer :
Adolf Rosenberg, Düsseldorfer Kriegs- und Militärmaler, Zeitschrift für bildende
Kunst 1889, XXIV. p. 228.
Cap. XX.
Leopold Robert:
E. J. Delecluze, Notice sur la vie et les ouvrages de Leop. Robert, Paris 1838.
Fe ui 11 et de Conches, Leop. Robert, sa vie, ses Oeuvres et sa corrcspondance
Paris 1848, deutsche Bearbeitung von E. Zoller, Hannover 1863.
Charles Clement, Leop. Robert d’apres sa correspondance inedite, Paris 1875.
Riedel:
II. Holland in der Allgemeinen Deutschen Biographie, und die dort verzcicbnete
Literatur.
Ueber die Orientmaler im Allgemeinen :
Ch. Gindriez, L’Algerie et les Artistes. L'Art, 1875 III. p. 396; 1876 I. p. 133.
Hermann Hclferich, Moderne Orientmaler, Freie Bühne 1892.
Literatur
6)5
Decamps :
Marius Chaumelin, Decamps, sa vie son oeuvre, Marseilles 1861.
Ern cst Chesneau, Mouvement moderne en peinture: Decamps, Paris 1861.
Ad. Moreau, Decamps et son oeuvre avec des gravures en fac-simile des planches
originales les plus rares. Paris 1869.
M. E. Im-Thurn, SchefTer et Decamps, Nimes 1876. (Extr. des Mein, de l’Aca-
demie du Gard, annee 1875).
Charles Clement, in dem Sammelwerk »Les artistes c616bres«, Paris 1886.
Marilhat:
G. Gon not, Marilhat et son oeuvre, Clermont 1884.
Fromentin :
Jean Rousseau, L’Art 1877, I. p. 11, 25.
L. Gonse, Gazette des Beaux arts 1878 — 1880. Separat unter dem Titel: Eug.
Fromentin, peintre et tkrivain. Ouvrage augmente d'un Voyage en Egvpte
et d’autres notes et morceaux inedits de Fromentin, et illustrü de 16 grav.
liors texte et 45 dans le texte, Paris Quantin 1881.
Guillaumet :
Paul Leroi, L’Art 1882, III. p. 228.
Exposition des oeuvres de Guillaumet, preface par Roger Ballu. Paris 1888.
Gust. Guillaumet, Tableaux algeriens. Pr6cede d’une notice sur la vie et les
oeuvres de G. Paris 1888.
Adolphe Bad in, L'Art 1888, I. p. 3, 39, 53.
Ary Renan, Gazette des Beaux Arts 1887, I. *04.
Wilhelm Gents:
L. v. Donop, Ausstellung der Werke von G. in der Berliner Nationalgalerie.
Berlin, Mittler 1890.
Nekrolog in der Chronique des Arts 1890, 29.
Adolf Rosen borg, Zeitschrift für bildende Kunst 1891, 8 ff.
Adolf Schreyer:
Richard Graul, Zeitschrift für bildende Kunst 1888, XXIII. 153.
Derselbe in den Graph. Künsten, XII. 1889, 121 und in Velhagen und Klasings
»Monatsheften« 1893.
Pasini :
Virgilio Colombo, Profili biographici, Mailand 1881.
Cap. XXI.
II. Bürkel:
Zeitschrift für bildende Kunst V. 1870 p. 161.
A lfred Lichtwark, Hermann Kauffmann u. die Kunst in Hamburg, München 1893.
Spitszveg :
C. A. Regnet, Münchener Künstler 1871, II 268 — 76.
Graf Schack, Meine Gemäldegalerie 1881, p. 189—91.
O. Berggruen, Graphische Künste 1883, V.
Fr. Pecht, Beilage zur Allg. Zeitung, Oktober 1885 und Gesell, der Münchener
Kunst 1888, p. 154.
Münchener Kunstvereinsbericht 1885, p. 69.
6)6
Literatur.
C. A. Regnet: Zeitschrift für bildende Kunst 1886, XXL 77.
Spitz weg-Al bum, München, Hanfstängl 1890.
S pi t z w eg-Ma p pe, Mit Vorwort von Fr. Recht, München, Braun und Schneider 1890.
H. Holland, Allgemeine deutsche Biographie, 1893.
Hermann Kan ff mann
Alfred Licht wark, Hermann Kauffraann und die Kunst in Hamburg 1800 — 1850,
München 1893.
Eduard Meyerheim :
Selbstbiographie des Meisters, ergänzt von P. Meyerheim, eingeleitet von L. Pietsch.
Mit einem Vorworte von B. Auerbach und dem Bildnisse Ed. Meyerheims,
Berlin Stilkc 1880.
A. Rosenberg, Zeitschrift für bildende Kunst XVI. 1881, 1.
Ludwig Pietsch, Die Künstlerfamilie Meyerheim, Westermanns Monatshefte
1889, p. 397 .
Enhuber:
Friedrich Pecht, Zeitschrift für bildende Kunst III. 186S, p. 53.
Ueber das Wiener Genrebild :
C. v. Lützow, Gesell, der k. k. Akademie der bildenden Künste, Wien 1877.
R. v. Eitelberger, Das Wiener Genrebild vor dem Jahre 1848, Zeitschrift für
bildende Kunst, XII. 1877 p. 106, auch in seinen Gesammelten kunsthistor-
ischen Studien, I. p. 66 ff.
Dr. Cyriak Bodenstein, Hundert Jahre Kunstgeschichte Wiens, 1788 — 1888.
Wien 1888.
Albert 1 1 g , Kunstgeschichtliche Charakterbilder aus Oesterreich-Ungarn (Das
19. Jahrhundert von A. Nossigf, Wien 1893.
Danhauser :
Albert Ilg, Raimund und Danhauser, in Kabdebos österr.-ungarischer Kunst-
chronik, Wien 1880, III. p. 161.
Waldmüller:
Zeitschrift für bildende Kunst, I. 1866 p. 33.
Oskar Berggruen, Graphische Künste, X. 37.
R. Eitelberger, J. Danhauser und Ferd. Waldmüller, in Kunst und Künstler
Wiens p. 73 ff. (Bd. 1 der kunsthistor. Schriften, Wien 1879).
Gauermann :
R. Eitelberger, Fr. G. in »Kunst und Künstler Wiens« 1878, p. 92. Bd. 1
der kunsthistor. Schriften, Wien 1879.
Schrödter :
Nekrolog von Kaulen im Deutschen Kunstblatt 1884, 11 und 12.
M. G. Zimmermann in der Allgemeinen Deutschen Biographie.
Hasenclever :
A. Fahne, Hasenclevers Illustrationen zur Jobsiade, Bonn 1852.
Rudolf fordan :
Friedrich Recht, Kunst für Alle 1887, II. 231.
Tidetu and:
C. Dietrichson, A. T., hans Liv og lians Vaerker, Christiania 1878 — 79, 2 Bde.
A. T. utvalgte Vaerker, ebenda 1878, 24 Radirungen von L. H. Fischer.
Literatur.
657
31 ad ou :
Camille Lemonnier, Gazette des Beaux Arts 1879, I. 385.
Ferd. de Braekeleer :
L. v. Keymeulen, F. d. B., Revue artistique 1883, 170 — 171.
Biard:
L. Boivin, Notice sur M. Biard, ses aventures, son voyage en Japonie avec
Mme. Biard, Examen critique de ses tableaux, Paris 1842.
Nekrolog in der Zeitschrift für bildende Kunst, IX. 1874, Beibl. p. 769.
Cap. XXII.
Allgemeines :
Emil Reich, Die bürgerliche Kunst und die besitzlosen Klassen, Leipzig 1892.
Tassacrt:
Bernard Prost, Gazette des Beaux Arts 1886, I. 28.
Carl Iltibncr:
M. Blanckarts, Zeitschrift für bildende Kunst, XV. 1312.
Uderts:
Louis Labarre, A. W., dtude biographique, Bruxelles 1866.
Zeitschrift für bildende Kunst, I. 1866, p. 275.
H. Grimm, Der Maler Wiertz, in »15 Essays«, Neue Folge, Berlin 1875, p. 1.
J. Beavington-Atkinson, Portfolio 1875, p. 124, 133, 152.
C. E. Clement, Ant. Jos. Wiertz, Americ. Art Review 1881, 13.
Catalogue du Musde Wiertz pr£c£d6 d'une notice biographique par Eni. de Lave-
leye, Bruxelles 1882.
L. Schulze Wald hausen, Anton Wiertz, Deutsches Kunstblatt 1882, 5, 1S83, 12.
W. Claessens, Wiertz, Bruxelles, L. Hochsteyn 1883.
L. Dietrichson, Fra Kunstverden, Kopenhagen 1885, p. 209 ff.: en abnorm
Kunstner.
Max Nordau, Vom Kreml bis zur Alhambra. Leipzig 1886 p. 201 — 250.
Robert Mielke, A. W., Das Atelier 1893 Nr. 66.
Cap. XXIII.
Knaus :
Alfred de Lostalot, Louis K., Gazette des Beaux Arts 1882, I. 269, 316.
V. K. Schembera, L. K., Die Heimath, VII. 40.
L. Pietsch, Ludwig Knaus, Photographien nach den Originalen des Meisters,
Berlin, Photogr. Gesellschaft.
Fr. Pecht, Zu Knaus 60. Geburtstag, Kunst für Alle 1890, V. 65.
G. Voss, Tägliche Rundschau 1889, 233.
Vautier:
F. Pecht, Deutsche Künstler des 19. Jahrhunderts. Dritte Reihe, Nördlingen
1881, p. 351.
E. Heilbuth, Knaus und Vautier, Text zum Behrens’schen Galeriewerk, abge-
druckt in der Kunst für Alle 1892, 2.
Muther, Moderne Malerei II.
42
658
Literatur.
Defregger:
P. K. Rosegger, Wie Defregger Maler wurde. Oesterr.-ungarische Kunst-
chronik 1879, III. 2.
Fr. Pecht, Franz Defregger, sein Leben und Wirken, Vom Fels zum Meer, III. 1.
K. Rau pp, Franz Defregger und seine Schule, Wartburg, VIII. 4, 5.
Ludwig Pietsch, Franz Defregger, Westermanns Monatshefte, Februar 1889.
Vgl. auch: Karl Stieler und F. Defregger, Von Dahoam, München 1888.
Rief stahl :
H. Holland, W. R., Altenburg 1889. M. Haushofer, Kunst für Alle 1889, IV. 97.
W. Lübke, Nord und Süd 1890, 163.
II. E. v. Berlepsch, Zeitschrift für bildende Kunst 1890, 8.
Grütsner:
G. Ramberg, Vom Fels zum Meer 1890, 2.
Fr. Pecht, Kunst für Alle 1890, 12.
J. Janitsch, Nord und Süd 1892, 182.
B okelmann:
Adolf Rosenberg, Zeitschrift für bildende Kunst 1892.
Gustave Brion:
Paul Leroi, L'Art 1878, I. 10.
Jules Breton:
Selbstbiographie, Paris 1891.
Die schwedischen Genremaler:
Georg Nordens van, Svensk Konst och Svenska Konstnärer i I9<le Arhundradet,
Stockholm 1892.
Die ungarischen Genremaler :
A. Ipolyi, Die bildende Kunst in Ungarn, Ung. Revue 1882, s.
Szana Tarn dz, Magyar Müv£szek, Budapest 1887.
Heinrich Glücksmann, Die ungarische Kunst der Gegenwart, Kunst für Alle
1892, VII. p. 129 und 145.
Cap. XXIV.
J. A. Koch :
David Friedrich Strauss, Kleine Schriften biographischen, literarischen und
kunstgeschichtlichen Inhalts. Leipzig 1862 p. 303 tf.
Th. l rimmel, in Dohmes Kunst und Künstler des 19. Jahrhunderts, Nr. 9.
C. v. Lützow, Aus Kochs Jugendzeit, Zeitschrift für bildende Kunst, IX. 1874.
p. 65 ff.
Vgl. auch: J. A. Koch, Moderne Kunstchronik. Briefe zweier Freunde in Rom
und in der Tartarei über das moderne Kunstleben, Karlsruhe 1834.
Reinhart:
Otto Bai sch, Johann Christian Reinhart und seine Kreise, ein Lebens- und
Kulturbild, Leipzig 1882.
Fr. Schiller und der Maler J. Ch. R. , Wiss. Beilage der Leipziger Zeitung 1883,
89, 90.
Literatur.
659
Rottmann:
A. Teichlein, Zeitschrift für bildende Kunst 1869, IV. p. 7 ff., p. 72 ff.
A. Bayersdorfer, Karl Rottmann, München 1871.
O. Berggruen, Die Galerie Schack, Graph. Künste, V. 1.
F. Pecht, Deutsche Künstler des 19. Jahrhunderts, Nördlingen 1879, II. p. 1—26.
C. A. Regnet, in Dohmes Kunst und Künstler des 19. Jahrhunderts. Nr. 10.
Vgl. auch Rottmann’s Italienische Landschaften. Nach den Fresken in den
Arkaden des kgl. Hofgartens in München in Chromolith. ausgeführt von
R. Steinbock. München, Bruckmann 1876.
Preller :
R. Schöne, Fr. Preller’s Odysseelandschaften, Leipzig 1863.
L. v. Donop, Der Genelli-Fries von Fr. Preller, Zeitschrift für bildende Kunst
Kunst 1874, IX. 321.
Fr. Pecht, Deutsche Künstler des 19. Jahrhunderts, Nördlingen 1877, Bd. 1
p. 271 — 289.
C. Ruland, Zur Erinnerung an Friedrich Preller, Weimar 1878.
Nekrolog in »Unsere Zeit« 1879, 8.
M. Jordan, Katalog der Preller Ausstellung in der Berliner Nationalgalerie 1879.
A. Dürr, Preller und Goethe, Zeitschrift für bildende Kunst, 1881 XVI. p. 357 — 365.
J. Beavington-Atkinson, Frederick Preller, Art Journal 1881, 9.
W. Lübke, Fr. Preller, Allgemeine Zeitung 1882, B. 117 ff
Preller und Goethe, Allgemeine Zeitung 1882, B. 342.
O. Roquette, Preller und Goethe, Gegenwart 1883, 42.
Fr. J. Frommann, Zur Charakteristik Friedrich Prellers, Zeitschrift für bildende
Kunst 1884, ß. 31.
Vgl. auch: Homers Odyssee mit 40 Originalcompositionen von Fr. Preller, Leipzig
1872, Volksausgabe mit Biographie Leipzig 1881. Italienisches Landschafts-
buch, zehn Originalzeichnungen von Fr. Preller, in Holzschnitt ausgeführt
von H. Kaeseberg und K. Öertel, mit Text von Max Jordan, Leipzig 1875.
Fr. Preller’s Figurenfries zur Odyssee, 16 Compositionen in 24 farbigen Stein-
drucktafeln, Leipzig 1875.
K. F. Lessing:
Karl Koberstein, Karl Friedrich Lessing, Nord und Süd 14, 1880 p. 312.
K. F. Lessing’ s Briefe mitgetheilt von Th. Frimmel, Zeitschrift für bildende
Kunst 1881, 6.
Rud. Redtenbacher, Zeitschrift für bildende Kunst 1881, XVI. 2.
M. Sc basier, Unsere Zeit 1880, 10.
W. Dohrne, Westermanns illustr. Monatshefte 1880, IX., p. 729.
A. Rosenberg, Lessing-Ausstellung in der Berliner Nationalgalerie, Zeitschrift
für bildende Kunst 1880, B. 5.
Fr. Pecht, Deutsche Künstler des 19. Jahrhunderts, III. Nördlingen 1 88 1 , p. 294.
Riechen :
Robert Dohme in der Allgemeinen Deutschen Biographie.
Ludwig Pietsch, Wie ich Schriftsteller wurde, Berlin 1893, passim.
Schirmer :
Job. Willi. Schirmer, Düsseldorfer Lehrjahre, Deutsche Rundschau 1878.
Alfred Wo lt mann in der Allgemeinen Deutschen Biographie und die dort an-
gegebene Literatur.
42*
Literatur.
66 o
Dahl :
Andreas Aubert, Maleren Professor Dahl 1788 — 1857, et Styklce av aar-
hundredets Kunst- og Kulturhistorie, Kristiania, Aschehoug 1893.
Morgenstern :
Nekrolog v. Pecht, Zeitschrift für bildende Kunst, II. 1867 p. 80.
Alfred Lichtwark, Hugo Kauffmann und die Kunst in Hamburg von 1800 bis
1850, München 1893.
Andreas Achenbach:
Ludwig Pietsch, Nord und Süd XV., 1880 p. 381.
Fr. Pecht, Deutsche Künstler des 19. Jahrhunderts, 3. Reihe Nördlingen 1881,
p. 328.
Theodor Levin, Zeitschrift für bildende Kunst 21, 1886 B. 1.
Ed. Schleich:
C. A. Regnet, Zu E. Schleich’s Gedächtniss, Zeitschrift für bildende Kunst IX.,
1874 p. 161.
O. Berggruen, Die Galerie Schack, Graph. Künste V., 1.
Alexander Galante :
E. H. Ga ul Her, A. C., Geneve 1854. (Le Musee Suisse Vol. I.)
II. Delaborde, La peinture de paysage en Suisse. A. C., Revue des deux
mondes, Febr. 1865.
J. M. Ziegler, Mittheilungen über den Landschaftsmaler A. C., Zürich 1866.
C. Meyer, Alex. Calame. »Dioskurenc, Stuttgart 1866.
A. Bachelin, A. C., Lausanne 1880.
Wilhelm Rossmann im Text zu dem Kupferstichwerk der Dresdener Galerie.
E. R a mbert, A. C„ sa vie et son oeuvre d’apres les sources originales, Paris 1884.
Adolf Rosenberg, Grenzboten 1884, II. 371.
Gilde :
A. Rosenberg, Die Düsseldorfer Schule. Grenzboten 1881, 35.
Ed. Hildebrandt:
Bruno Meyer, Zeitschrift für bildende Kunst IV., 1869, 261, 336.
F. Arndt, Ed. Hildebrandt, der Maler des Kosmos, Sein Leben und seine Werke,
2. Auf!., Berlin 1869.
Ada Pinelli, Hildebrandt und Schirmer, Berlin 1871.
Louis Douzette:
Adolf Rosenberg, Graph. Künste 1891, XIV., 13.
Cap. XXV.
Allgemeines :
Victor de Laprade, Le sentiment de la nature chez les modernes. 2. Aufl.
Paris 1870.
Aligny :
Aligny et le paysage historique, L’Art 1882, 1. 231, II. 33.
Vgl. auch die Radirungen: Vues des Sites les plus celebres de la Grece antique,
Paris 1845.
Literatur.
66 i
Victor Hugo:
Les dessins de Victor Hugo, L’Art 1877, I- 50.
H. Helferich, Malende Dichter, Kunst für Alle 1891, 21.
Paul littet:
Philippe Burty, Paul Huet, Notice biographique, Paris 1869.
E. Legouve, Notice sur Paul Huet, Paris 1878.
Ernest Chesneau, Peintres et statuaires romantiques, Paris 1880.
Leon Mancino, Un prdcurseur, L'Art 1883, I. 49.
Uuber die Engländer:
William Bell Scott, Our British Landscape Painters, from Samuel Scott to
D. Cox. With 16 engravings. London 1876.
J. Comyns Carr: Moderne Landscape. Mit. 111. Paris und London 1883.
Turner:
Alice Watts, W. Turner, London 1851.
John Burnet and Peter Cunningham, Turner and his works, London 1832.
Ausgabe von Henry Murray, London 1839.
John Ruskin, Turner Collection, London 1857.
Derselbe, Notes on the Turner Collection, London 1857.
Walter Thornbury, W. Turner, 2 Bde., London 1862.
Phil. G. Hamerton, Turner et Claude Lorrain, L’Art 1876, IV. p. 270, 289.
Derselbe, Turner, Portfolio, 1876 p. 28—188, 1877 p. 44 — 145, 1878 p. 2 — 178.
A. Brunet-Desbaines, The life of Turner. London 1878.
John Ruskin, Notes on his Collection of drawings by the late J. M. W. Turner,
also a list of the engrav. works of that master. London, Fine Art Society 1878.
F. Wedmore, Turner’s Liber studiorum, Academy 1879, Nr. 377, 389, 399 und
in L'Art 1879, 232 — 234.
Philipp Gilbert Hamerton, W. Turner, London 1879.
Cosmo Monkhouse, W. Turner, London 1879.
Hart, Turner, the Dream-Painter, London 1879.
A. W. Hunt, Turner in Yorkshire, Art Journal 1881, N. S. 1, 2.
W. G. Rawlinson, Turners Liber studiorum, Art Journal 1881, N. Ser. 4.
James Dafforne, The works of J. M. W. Turner. With a biogr. sketch.
London 1883.
G. Radford, Turner in Wharfedale, Portfolio, Mai 1884.
Philip G. Hamerton, W. Turner in >Les artistes celebres«, Paris 1889.
Robert de La Sizeranne, Deux heures a la Turner Gallery, Paris 1890.
Reproductionen :
The Harbours of England. London 1856.
Liber Studiorum, illustrative of Landscape composition. London 1858—39.
The Turner Gallery. London 1862.
Turner’s celebrated Landscapes. Reproduced by the Autotype process. London 1870.
Die Hauptwerke der Nationalgalerie sind von Braun in Dörnach photographirt.
A. IV. Callcott:
Sir A. W. Callcotts Italian and English Landscapes. Lithographed by T. C.
Dibdin. London 1847.
662
Literatur.
James Dafforne, Pictures by Sir A. W. Callcott, R. A. With descriptions and
a biographical sketch of the painter. London o. J.
John Cr o nie:
Etchings of views in Norfolk, with a biographical memoir by Dawson Turner.
Norwich 1838.
J. Wodderspoon, John Crome and his Works, Norwich 1858.
Frederick Wedmore, John Crome, L'Art 1876 III., p. 288.
Mary M. Heaton, John Crome, Portfolio 1879, p. 33 und 48.
Ueber die englische Aquarellmalerei:
Cosmo Monkhouse, The earlier English Water-colour painters. London,
Seeley & Co. 1890.
John Lewis Roget, A History of the »Old Water-Colour Society« 2 Bde.,
London Longmans, Green & Co., 1891.
Sam. Palmer:
The Life and Letters of Samuel Palmer, Painter and Etcher. Edited by A. H.
Palmer. With. 111. 1891. Besprochen von F. G. Stephens, Portfolio 1891, 25 3.
Constable :
Charles Robert Leslie, The Memoirs of John Constable, London 1845.
H. Perrier, De Hugo v. d. Goes a Constable, Gazette des Beaux Arts März 1873.
Frederick Wedmore, L'Art 1878, II. 169.
G. M. B ro ck- Arnold , Thomas Gainsborough and John Constable, In dem
Sammelwerk »The Great Artists«, London, Low 1881.
P. G. Ham ertön, Constables Sketches, Portfolio 1890, p. 162.
Robert Hobart, in dem Sammelwerk »Les artistes c^lbbres«. (In Vorbereitung).
Reproductionen:
Various subjects of Landscape, characteristic of English scenery, front pictures
painted by J. C. 22 plates. London 1830. 2. Ausg. London 1833.
English Landscape, front pictures painted by J. C. 20 plates engraved by D. Lucas.
London o. J.
English Landscape Scenery, 40 mezzotinto engravings front Pictures painted by
J. C. Fol. London 1855.
David Cox:
N. Nea! Sol ly, Memoir of the Life of David Cox, London 1873.
Basil Champneys, D. C., Portfolio 1873, p. 89.
J. Beavington- Atkinson, Portfolio 1876, p. 9.
Frederick Wedntore, »Gentlemans Magazine«, März 1878.
Hall, David Cox, London 1881.
J. William Müller:
N. Neal Sol ly, Mentoir of the life of William James Müller, London 1875.
J. Beavington- Atkinson, W. M., Portfolio 1875, p. 164 und 185.
Fr. Wedmore, W. Müller and his Sketches, Portfolio 1882, p. 7.
Peter de Wint:
Walter Armstrong, Mentoir of Peter de Wint. Illustr. by 24 Photogravures,
London, Macmillan & Co. 1888.
Henry Dawson:
Alfred Dawson, The life of Henry Dawson, landscape painter. 1811 — 1878,
London 1891.
Literatur.
663
John Linnell:
F. G. Stephens, Portfolio 1872, p. 45.
Bonington :
Al. Bouvenne, Calalogue de l’oeuvre gravd et lithographid de R. P. Bonington.
Paris 1875.
Paul Mantz, Gazette des Beaux Arts 1876, II. 288.
Edmond Saint-Raymond, Bonington et les cötes normandes de Saint Jouin,
L’Art 1879, I. 197.
P. G. Ham ertön, A. Sketchbook of B. at the British Museum, Portfolio 1 88 1 , 68.
Cap. XXVI.
Allgemeines :
Roger-Ballu, Le paysage fran^ais au XIX. siede, Nouvelle Revue 1881.
Jolin W. Mollet, The painters of Barbizon, London, Low 1890. 1) Corot,
Daubigny, Dupre, 2) Millet, Rousseau, Diaz. In dem Sammelwerk »Illustrated
Biographies of the Great Artists<.
David Croal Thomson, The Barbizon School of Painters: Corot, Rousseau,
Diaz, Millet, Daubigny etc. With one I lundred an Thirty Illustr. London
1891. Vgl. auch die Aufsätze von G. Gurlitt in der Gegenwart, 1891 ff.,
den Text H. Ilelferichs zum Behrens’schen Galeriewerk u. dgl.
Th. Rousseau :
A. Teichlein, Th. Rousseau und die Anfänge des Paysage intime, Zeitschrift
für bildende Kunst 1868, III. 281.
Alfred Sensier, Souvenirs sur Th. Rousseau, suivis d’une Conference sur le
Paysage et ornü du portrait du maitre, Paris 1872.
Pli. Burty, Th. R. paysagiste, L’Art 1881 p. 574 ff.
Emile Michel in dem Sammelwerk »Les artistes celübres.« (In Vorbereitung).
Die Mehrzahl seiner Werke ist von Braun in Dörnach photographirt.
Corot :
Edmond About, Voyage ä travers l’Exposition des Beaux-Arts, Paris 1855.
Henri Dumesnil, Corot, Souvenirs intimes, avec un portrait dessine par Aime
Millet, gravd par Alph. Leroy; Paris Rapilly 1875.
Charles Blanc, Les Artistes de mon temps, Paris 1879.
Leleux, Corot ä Montreux, Bibliotheque universelle et Revue suisse, Sept. 1883.
Alfred Robaut, Corot, peintures d£coratives, L’Art 1883, p. 407.
Jean Rousseau, Camille Corot, avec gravures, Paris 1884.
Armand Silvestre, Galerie Durand-Ruel, avec 28 gravures ä l'eauforte d'apres
des tableaux de Corot. Paris o. J.
Albert Wolff, La capitale de l'Art, Paris 1886.
Charles Bigot, Peintres contemporains, Paris 1888.
L. Roger-Miles, Corot, in dem Sammelwerk »Les artistes ctMebres«, Paris 1891.
Die Mehrzahl seiner Werke ist von Braun in Dörnach photographirt.
Dupre:
Les hommes du jour: M. Jules Dupr6 18 11 — 1879, par un critique d art, Paris 1879.
R. Menard, L’Art 1879, III. p. 311, IV. 241.
A. Michel, L’Art 1883, 460.
Jules Claretie, Peintres et sculpteurs contemporains, II. S6rie, Paris 1884 p. 177.
H. Hustin, in dem Sammelwerk »Les artistes celebres.« (In Vorbereitung).
664
Literatur.
Dias:
Jules Claretie, N. Diaz, L'Art 1875, III. p. 204 ff.
Exposition des Oeuvres de N. Diaz ä l'ecole des Beaux-Arts, Notice biograpliique
par M. Jules Claretie, Paris 1877.
Roger-Ballu, Gazette des Beaux Arts 1877, I. 290.
Jean Rousseau, L’Art 1877, I. 49.
T. Chasrel, L'exposition de N. D., L'Art 1877, II. 189.
Hermann Billung, N. V. Diaz, ein Lebensbild, Zeitschrift für bildende Kunst
XIV., 1879 p. 97.
A. Hustin, in dem Sammelwerk »Les artistes celübres.« (In Vorbereitung).
Daubigtiy :
Prüderie Henriet, Ch. Daubignv et son oeuvre, Paris 1878.
Derselbe in L’Art 1881, 330.
A. Hustin, in dem Sammelwerk »Les artistes celübres.« (In Vorbereitung).
Robert J. Wickenden, Ch. Pr. D., Century Magazine, Juli 1892.
Chintreuil:
Fredüric Henriet, Chintreuil. Esquisse biograpliique, Paris 1858.
A. dedaFisüliere, Champfleury et F. Henriet, La vie et l'oeuvre de
Chintreuil. Paris 1874.
Portfolio 1874 p. 99.
Harpignies:
Ch. Tardieu, Henry Harpignies, L’Art XVI. 1879, p. 269, 281.
Fratifais :
J. G. Prat, Francois Louis Franfais, L’Art 1882, I. 48, 81, 368 ff.
Brascassat :
M. Cabat, Notice sur Brascassat, Paris 1862.
Charles Marionneau, R. Brascassat, sa vie et son oeuvre, Paris 1872.
Troyon :
Henri Dumesnil, Constant Troyon, Souvenirs intimes, Paris 1888.
A. Hustin, L’Art 1889, I. p. 77, II. p. 85.
Derselbe, in dem Sammelwerk »Les artistes cülübres» (in Vorbereitung).
Rosa Bonheur:
Lamelle, Rosa B., sa vie, ses oeuvres, Paris 1885.
Renü Peyrol, Rosa Bonheur, her Life and Work. With 3 engraved plates and
ill. (The Art Annual 1889.) London 1889.
Emile van Marcke:
Emile Michel, L’Art 1891, I. 145.
Eugene Lambert:
Chicus et chats, Text von G. de Cherville, Paris 1888.
Lattfon:
Alfred de Lostalot, Un peintre animalier, Gazette des Beaux Arts 1887, II 319.
Charles Jacque :
Jules Claretie, Peintres et sculpteurs contemporains, II. Sürie, Paris 1884 p. 297.
Literatur.
665
Cap. XXVII.
Ernest Chesneau, J. Fr. Millet, Gazette des Beaux Arts 1875, I. 429.
Ph. L. Couturier, Millet et Corot, Saint-Quentin 1876.
A. Piedagnel, J. F. Millet. Souvenirs de Barbizon. Avec 1 portr., 9 eaux-
fortes et un fac-similt) d’autographe. Paris, 1876.
A. S e n s i e r , La vie et l’oeuvre de J. F. Millet. Manuscrit publit* par P. Mantz, avec de
nombreux facsimiles, 12 heliogr. liors texte et 48 gravures. Paris, Quantin 1881.
Millet as an art-critic. Magazine of Art 1883, 27.
Charles Yriarte, J. F. Millet, Paris 1885. Portr. et 24 Gravures.
Andr<5 Michel, J. F. Millet et l’exposition de ses oeuvres d l'ecole des Beaux
Arts, Gazette des Beaux Arts 1887, II. p. 5.
Charles Bigot, Peinlres contemporains, Paris 1888.
R. Graul, Jean Fr. Millet, Zeitschrift für bildende Kunst Neue Folge II., p. 29 ff.
Le livre d’or de J. F. M., illustr£ de 17 Eaux-fortes par Frtkleric Jacque. Paris 1892.
Emile Michel, in dem Sammelwerk »Les artistes ciMfebres.« (In Vorbereitung).
Cap. XXVIII.
Courbet:
Champfleury, Grandes figures d’hier et d’aujourdhui. (Balzac, Wagner, Courbet).
Paris, Poulet -Malassis 1861.
Th. Silvestre, Les Artistes frangais, p. 109 ff.
P. d’ Abrest, Artistische Wanderungen durch Paris, Zeitschrift für bildende Kunst
XI. 1876, 183, 209.
Cornte H. d’Jdeville, G. Courbet. Notes et documents sur sa vie et son
Oeuvre, Paris 1878.
T. Chasrel, L’Art 1878, I. 145.
Paul Mantz, G. C., Gazette des Beaux Arts 1878, I. 5 14, II 1, 117, n, 31,371.
Emile Zola, Mes Haines, Paris 1879, P- 21 ff- Proudhon et Courbet.
Gros-Kost, Courbet, Souvenirs intimes, Paris 1880.
FL Billung, Beilage zur Allg. Zeitung 1880, 240.
Eug. V 6ron, G. Courbet, Un enterrement d Omans, L’Art 1882, I. 363, 390, II. 226.
A. de Lostalot, L'exposition des oeuvres de Courbet, Gazette des Beaux Arts
1882, I. 572.
Carl v. Lützow, Zeitschrift für bildende Kunst 1889
Camille Lemonnier, Les peintres de la vie, Paris 1888. Cap. 1. Courbet
et son oeuvre.
Abel Patoux, in dem Sammelwerk >Les artistes c£16bres«. (In Vorbereitung.)
Stevens :
Paul d’Abrest, Artistische Wanderungen durch Paris. Ein Besuch bei A. S.,
Zeitschrift für bildende Kunst X. 1873, p. 310.
L. Cardon, Les modernistes: Alfred Stevens, La füdiration artistique 23 — 26.
Camille Lemonnier, A. S., Gazette des Beaux Arts 1878, I. 160, 335.
Derselbe, Les Peintres de la vie, Paris 1888. Cap. 2. Alfred Stevens.
Ricard :
Moriz Hartmann, Büsten und Bilder, Frankfurt a. M. 1860.
Paul de Müsset, Notice sur la vie de Gustave Ricard, Paris 1873.
Louis Br£s, Gustave Ricard et son oeuvre, Paris 1873.
666
Literatur.
Bonvitt :
L'Art 1888, II. p. 43.
Paul Le fort, Philippe Rousseau et Francois Bonvin. Gazette des Beaux Arts
1888, I. 132.
Charles Chaplin:
Paul Lefort, Gazette des Beaux Arts 1891, I. 246.
Gaillard:
G. Dargenty, L'Art 1887, I. 149, 179.
L. Gonse, Gazette des Beaux Arts 1887, I. 221.
V. Guillemin, F. Gaillard, graveur et peintre, originaire de la Franche Comtd
1834 — 1887. Notice sur sa vie et son oeuvre. Besan^on 1891.
Georges Duplessis, in dem Sammelwerk »Les artistes ciHebres«. (In Vor-
bereitung.)
Bonität:
Les peintures de M. Bonnat, L’Art 1876, 122.
B. Day, L'atelier Bonnat, Magazine of Art 1881, 6.
Jules Claretie, Peintres et sculpteurs contemporains, II. Serie, Paris 1884 p. 129.
Carolus Dur an :
Jules Claretie, Peintres et sculpteurs contemporains, II. Serie, Paris 1884 p. 153.
Vollon :
Jules Claretie, Peintres et sculpteurs contemporains, II. S£rie, Paris 1884, p. 201.
Philippe Rousseau :
Paul Lefort, Gazette des Beaux Arts 1888, I. 132.
Paul Dubois:
Jules Claretie, Peintres et sculpteurs contemporains, II. Sirie, Paris 1884 p. 321.
Dclaunay :
Georges Lafenestre, Elie Delaunay, Gazette des Beaux Arts 1891, II. 353, 484.
Ribot:
E. Viron, Th. R., Exposition generale de ses oeuvres, L’Art 1880, 281.
Firm in Javel, Thdodule Ribot, Revue des Mus£es, III. 1890, 55.
L. Fourcaud, Maitres modernes, Th. R., sa vie est ses oeuvres. Mit Abbildungen.
Paris 1890.
Paul Lefort, Th. Ribot, Gazette des Beaux Arts 1891, II. 298.
Cap. XXIX.
Allgemeines :
John Ruskin, Letters to >The Times» on the Principal Preraphaelite Pictures
in the Exhibition of 1854. Reprinted for Private Circulation, London 1876.
Prae-Raphaelitism. Its Art, Literature and Professors. »London and County
Review«. Marz 1868.
The Poetic Phase in Modern English Art. »New Quarterly Magazine«, Juni 1879.
William Holman Hunt, The Preraphaelite Brotherhood. Contemporary
Review April — Juni 1886.
Edouard Rod, Les Prdraphaölites Anglais, Gazette des Beaux Arts 1887, II.
p. 177 und 399.
W. v. Seidlitz, Die englische Malerei auf der Jubiläumsausstellung zu Manchester
im Sommer 1887. Repertorium für Kunstwissenschaft 1888 XI, 274 u. 405.
Literatur.
667
P. T. Forsyth, Religion in Recent Art, Manchester-London 1889.
Wilhelm Weigand, Die aesthetische Bewegung in England, Gegenwart 1889
(35) P- >65.
Derselbe, Die Praeraphaeliten, in seinen »Essays«, München 1892.
Cornelius Gurlitt, Die Praeraphaeliten, eine britische Malerschule, Wester-
nianns Monatshefte April — Juni 1892.
Noel Paton:
J. M. Gray, Sir Noel Paton, Art Journal, N. Ser. 1881, III.
Hohn an Hunt:
F. G. Stephens, W. Holman Hunt, Portfolio 1871, 33.
Derselbe, Holman Hunts »The Triumph of the Innocents« Portfolio 1885, p. 80.
J. Beavington- Atkinson, Mr. Holman Hunt, his Work and Carreer. Black-
woods Magazine, April 1886.
M ad ox /»’ rown :
W. M. Rossetti, Mr. Madox Browns Exhibition and its place in our School of
Painting, »Frasers Magazine«, Mai 1865.
Sidney Colvin, Ford M. Brown, Portfolio 1870, 81.
M. Brown ’s mural painting at Manchester, Academy 1879, 379.
Will. M. Rossetti, Mr. Madox Browns frescoes in Manchester, Art Journ.
1881 N. Ser. 9.
E. Chesneau, Peintres anglais contemporains F. Mad. Br. L’Art 1883, 409 ff.
F. G. Stephens, Ford Mad. Brown, his early Studies and Motives, Portfolio
1893, p. 62 u. 69.
Millais :
Sidney Colvin, Millais, Portfolio 1871, 1.
»Artists modern«, lllustr. Biogr., 2 Bde. 1882 — 84.
Emilie Isabel Barrington, Wy is Mr. Millais our populär painter ? l'ortnigtly
Review, Juli 1882.
Walter Armstrong, Sir J. E. Millais, his Life and Work, Illustrated with
engravings and facsimiles (The Art Annual 1885), London 1885.
John Ruskin, Notes on some of the principal pictures of Sir Ev. Millais,
London 1886.
Helen Zimmern, Sir John Millais, »Die Kunst unserer Zeit«, München 1891.
Cap. XXX.
Mensel:
(Ausser der zu Cap. 16 angegebenen Literatur):
Duranty, A. M., Gazette des Beaux Arts 1880, I. und II.
A. Lichtwark, Menzels Piazza d’Erbe, Gegenwart 1884, 25.
Com. Gurlitt, Menzels Brunnenpromenade in Kissingen, Gegenwart 37, p. 61
Georg Galland, Das Arbeiterbild in Vergangenheit und Gegenwart, Frankfurter
Zeitung 1890, 139.
Bleibtreu :
K. Pietsch ker, Georg Bleibtreu, der Maler des neuen deutschen Kaiserreiches,
Kunststudie und biograph. Skizze. Koethen 1877.
A. v. Werner:
Ludwig Pietsch, Nord und Süd 18, 1881 p. 185.
Max Michael:
Hermann Helferich, Erinnerung an Max Michael, Kunst für Alle 1891, \ I. 223.
668
Literatur.
Gussow:
Max Kretzer, Westermanns Monatshefte, Bd. 54, 1883 p. 519.
Pettenhofen :
Alfred de Lostalot, Gazette des Beaux Arts 1877, I. 410.
Carl v. Lützovv, Zeitschrift für bildende Kunst 1889.
Lorenz Gedon:
G. Hirth, Zeitschrift des Münchener Kunstgewerbevereins 1884, 1, 2.
Fr. Schneider, ebenda 1884, 5 und 6.
Allg. Zeitung 1884, B. 67, Allg. Kunstchronik 1884, VIII.
Ludwig Pietsch, Nord und Süd 30, 1884 p. 42.
Dies :
Friedrich Pecht, Zu Wilhelm Diez 50. Geburtstage, Kunst für Alle, IV. 1889,113.
II. E. v. Berlepsch, W. Diez, Zeitschrift für bildende Kunst 22.
Clans Meyer :
Claus Meyer-Album, 1 2 Photogravuren mit biogr. Text von W. Lübke, München 1890.
Iiarburger :
Harburger-Album, München, Braun und Schneider 1882.
Fritz August Kaulbach :
Hermann Helfe rieh, Neue Kunst, Berlin 1887.
P. G., Zeitschrift für bildende Kunst 1888, XXIII. 125.
R. Graul, Graphische Künste 1890, XIII. 27, 61.
Vgl. auch : Kaulbach- Album, Verlagsanstalt für Kunst u. Wissenschaft, München 1891.
Lenbach :
Friedrich Pecht, Fr. L., Nord und Süd I. 1877, p. 113.
B. Förster, F. Lenbachs neueste Porträts, Zeitschrift für bildende Kunst 1880, B. 26.
Ludwig Pietsch, Fr. L., Nord und Süd 44, 1888, p. 363.
Com. Gurlitt, Lenbachs Bismarck-Bildniss, Gegenwart 37, p. 318.
Herrn. Helferich, Lenbachs Zeitgenössische Bildnisse, Nation 5 1887/88,
p. 205 und 227.
H. E. v. Berlepsch, Fr. L., in Velhagen und Klasings Monatsheften 189t, i.
Vgl. auch: Lenbachs Zeitgenössische Bildnisse, Heliogravüren von Albert,
München 1888.
Leibi:
S. R. Köhler, American Art Review, 1880, u.
Hermann Helferich, Kunst für Alle, Januar 1892.
T rübtier :
Hermann Helferich, Nation 1889, VI. 489.
Reproductionen in dem »Trübner Album«, I. München Albert 1888. II. München
Obernetter 1891.
Cap. XXXII
Hauptwerke:
Louis Gonse, L'Art japonais, Paris Quantin 1883.
Anderson, The pictorial Arts of Japan, London 1883.
J. Brinkmann, Kunst und Handwerk in Japan, Berlin 1889.
Vgl. ausserdem: Ernest Chesneau, Le Japon a Paris, Gazette des Beaux Arts
1878, II. 385, 841.
Literatur.
66 9
H. v. I schudi, Die Kunst in Japan, Mittheilungen des k. k. österr. Museums
XIV. 1879, 170.
Le Blanc du Vernet, L'art japonais, L’Art 1S80, 280 ; Japonisme, L’Art 1880, 275.
I li. Duret, L Art japonais. Les livres illustres. Les albunts imprimes. Ilokusai,
Gazette des Beaux Arts 1882, II. 113, 300.
Hans Gierke, Japanesische Malerei in Westermanns Monatsheften, Mai 188 j.
D. Brauns, Die Leistungen der Japaner auf dem Gebiete der Künste: Unsere
Zeit 1883, II. 765.
O. v. Schorn, Malerei und Illustration in Japan, Vom Fels zum Meer, April 1884.
F. E. Fenollosa, Review of the chapter on painting in L'Art japonais by
L. Gonse, Yokohama 1885.
W. Koopmann, Kunst u. Handwerk in Japan, Zeitschr. f. bildende Kunst XIV., p. 189.
T. de Wvzewa, La peinture japonaise, Revue des deux mondes, 1. Juli 1890.
Auch separat in dem Buche: Les grands peintres de l’Espagne etc., Paris 1891.
S. Bing, Le Japon artistique, Paris 1888. Deutsch unter dem Titel: Japanischer
Formenschatz, Paris und Leipzig 1889 ff. 6 Bde.
Outamaro :
E. de Gon court, Outamaro le peintre des maisons vertes, Paris 1891.
Ilokusai:
G. Geffroy in dem Bande La vie artistique, Paris 1892.
Cap. XXXIII.
Duranty, La nouvelle peinture, ä propos du groupe d'artistes qui expose dans
les galeries Durand-Ruel, Paris Dentu 1876.
Theodore Duret, Les peintres impressionistes: C. Monet, Sisley, C. Pissarro,
Renoir, B. Morisot, avcc un dessin de Renoir. Paris 1879.
Louis Enault, Une revolution artistique, Paris 1880.
Fred. Wedmore, The Impressionists. »The Fortnightly Review«. Januar 1883.
Felix F £ n e o n , Les Impressionistes en 1886, Paris 1886 (Angrand, Caillebottc,
Miss Cassatt, Degas, Dubois-Pillet, David Estoppey, Forain, Gauguin, Guil-
laumin, Claude Monet, Mrne. Morizot, de Nittis, Camille et Luden Pissarro,
Raffaelli, Renoir, Seurat, Signac, Zandomeneghi etc.)
Catalogue illustr£ de l'exposition des peintures du groupe Impressioniste et Syn-
thetiste, faite dans le local de M. Volpini au Champ de Mars, 1889.
G. Lccomte, L’Art Impressioniste, Paris 1892.
H. Huysmans, Certains, Paris I892.
Derselbe, L’Art moderne, Paris 1892.
G. Geffroy, La vie artistique, Paris 1892.
Vgl. auch: Carl Neu mann, Betrachtungen über moderne Malerei, Preussische
Jahrbücher 1889, 3, wo die Ziele der neuesten Kunst sehr feinsinnig gekenn-
zeichnet sind.
Manet :
Zola, Mes haines, Paris 1878, p. 327 ff. Ed. Manet.
Catalogue de l’exposition des Oeuvres de Manet, avec pr£face d’Em. Zola. Paris 1884.
Edraond Bazire, Manet, Paris 1884.
Jacques deBiez, Ed. Manet. Conference faite d la salle des capucines le
Mardi, 22. Januar 1884. Paris 1884.
L. Gonse, Manet, Gazette des Beaux Arts 1884, I. 133.
Fritz Bley, Ed. M., Zeitschrift für bildende Kunst 1884, 8.
Literatur.
670
Paul D’ Abrest, Allg. Kunstchronik 1884, VIII. 5.
Andreas Aubert im Kopenhagener »Tilskueren« 1888.
Monet :
Theodore Duret, Le peintre Claude Monet, Notice sur son oeuvre. Paris 1880.
A. de Lostalot, Exposition des oeuvres de M. CI. M., Gazette des Beaux Arts
1883, I. 342.
C. Dargenty, Exposition des oeuvres de M. Monet, Courier de l’Art 1883, 11.
Hermann Helfer ich, CI. M., Freie Bühne 1890, 8.
Degas:
Magazine of art 1889.
Pissarro :
G. Lecomte, Camille P., Nr. 11 der »Hommes d’aujourdhui«, Paris 1890.
Als Vorlagen für die Abbildungen wurden die Photographien von Braun,
der Autotype Company u. A. , zum Theil altere Kupferstiche und Radirungen
verwendet. Die Illustrationen auf p. 1 162—163 sind Lichtwarks in der Verlags-
lagsanstalt für Kunst und Wissenschaft (München) erschienenem Werk über die
Hamburger Kunst bis 1830, die auf p. 11 18 19 21 22 46 47 48 49
113 13t 135 136 140 141 195 283 290 294 293 303 324 332 337
3 53 3 54 3 55 3 58 361 363 3^7 379 3«o 381 382 383 389 390 391
409 416 417 418 431 43s 460 — 63 472 473 der Zeitschrift L’Art, die
auf p. 12 133 197 281 283 287 289 291 328 329 356 371 372 376
378 433 464 463 467 dem von Antonin Proust herausgegebenen Werke
L'Mrt franfais, Paris Baschet, die auf p. 13 14 16 17 24 25 42 44 101
132 193 239 364 432 447 448 451 452 453 470 479 der Gazette des
Beaux .Arts, die auf p. 15 41 45 50 51 53 54 55 Arsen e Alexandres
»L’Art du Rire«, die auf p. 20 23 397 469 dem Magazine of Art, die auf
p. 34 421 und 476 Lützows Werk über die vervielfältigende Kunst der Gegen-
wart, Wien, Gesellschaft für vervielfältigende Kunst, die auf p. 35 340 und 541
Lenbach's Porträtwerk, München , Verlagsansla.lt für Kunst und Wissenschaft, die
auf p. 37 38 39 40 dem Oberländer Album, München, ‘ Braun & Schneider,
die auf p. 56 und 203 dem Sammelwerk Les artistes cilebres, Paris, Librairie de
L’Art, die auf p. 66 71 72 127 306 307 314 315 316 513 dem Tort-
folio, die auf p. 102 103 104 105 ‘Beraldi’s Werk über Raffet, die auf p. 114
und 1 1 5 Jules ‘I{_ichard’s Werke »En Campagne«, die auf p. 1 17 und 118
Hollands Werk über die Familie Adam, Nürnberg, Soldan, die auf p. 123 483
5 5° 5 3 1 5 32 5 54 5 36 553 Seemann’ s Zeitschrift für bildende Kunst, die auf
p. 157 — 161 der Spit^weg Mappe, München, ‘Braun & Schneider, und dem Spitf-
weg Album, München, Hanfslängl, die auf p. 166 — 170 und 225 Westermann’s
Monatsheften, die auf p. 202 dem Werke »Bruxelles ä travers les äges« von
Henri und Paul Hymans, ‘Bruxelles, ‘Bruylant, die auf p. 207 und 552 der
American Art Review, die auf p. 213 und 252 dem von Max Jordan heraus-
gegebenen Stammbuch der Berliner Nalionalgalerie, die auf p. 250 den Graphischen
Künsten, die auf p. 219 und 549 der Kunst für Alle, die auf p. 338 370 454
dem Century, die auf p. 326 327 dem Art Journal, die auf p. 385 387 dem
Art Annita!, die auf p. 394 395 399 402 405 406 407 Sensier’s Werk über
Millet, die auf p. 400 401 404 420 dem Livre d’or de Millet, die auf p. 520
521 523 524 525 526 527 329 dem Bruckmann’schen Menzelwerk, die auf
p. 538 und S39 dem Bruckmann'schen Kaulbachwerk, die auf p. 543 Albert’s
Werk über die Galerie Schack, die auf p. 554 Hanfstängl’s Kunst Unserer Zeit,
die auf p. 585—603 Gonse’s L’Art Japonais, Müder son' s Pictorial Arts of Japan
und ‘Bing's Formenschall entnommen. Auf p. 271 ist dem Abschnitt über
Ed. Schleich tl. A. irrthümlich als Abbildung eine Landschaft von Ed. Schleich d. J.
beigefügt.
GETTY CENTER LIBRARY
3 3125 00634 2444