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Geſchichte
der
Philoſophie
don
RR
Dr. Heinrich Ritter.
Zehnter Theil.
Hamburg,
beißriebrig Perthes.
41854
Geſchichte
chriſtlichen Philoſophie
[6 Wi
Dr. Heiun rich Ritter
Sechster Theil,
© Hamburg,
- beißriebrig Perthes.
1854
Geſchichte
neuern Philoſophie
Dr. Seinrich Ritter.
Bweiter Theil,
Hamburg,
beigriedrig Perthes.
1854
PhA2N.2ı_
HARVARD COLLEGE LIBRARY
\ 52
win fh
Le
"Subalt.
Drittes Bud.
Die Philofophie unter dem Fortgang ber MWieberherftellung
der Wiffenfchaften, unter dee Reformation und unter der Wies
derherſtellung des Katholicismus.
Schftes Kapitel Thomas Campanella. S. 3— 62,
Sin Lehm. ©. 3. Seine Schriften. 7. Metaphyſik und
Phyfit find fein Hauptaugenmerk. 8. Alle Wiffenfhaft foll der
Theologie dienen. 11. Hierarchiſche Richtung. 12. Myſtiſcher
Weg. 13. Steptiſche Grundlage feiner Lehre. 15. Sicherheit des
Begriffs des Wiſſens und der Erfheinungen. 18, Allgemeinſter
Grundfag, id) denke, alfo bin id. 19. Selbſtbewußtſein flieht
Bewußtſein der Befhräntung in fih. 20. Eingeborne und ange
brachte Erkenntniß. 21. Die materielle Seele 22. Senſualiſtiſche Erz
Märung der Berftandesthätigkeiten. 23. Mer Begriff.der Subflany
aus einer Sammlung finnlicher Eindrüde. Imbuction. 25. Alle
weltliche Erkenntniß beruht auf Geſchichte. 26. Der innere Sinn.
27. Die Primalitäten der Dinge. 28. Ale Dinge haben Empfins
dung ihrer felbft. 29. Beſchrankung der Dinge. 30. Das Schlehtz
hinfeiende als Grund alles beſchrankten Seins. 32. Gott als uns
begreifliches Weſen. 33. Schöpfungslere. 34. . Befhräntung if
den Gefchöpfen nothtoendig. 35. Sein der Gefhdpfe in Gott und
aufer Gott. 36. Freiheit des Willens. 37. Das Böfe. 39. Phy—
fiſche Anfiht von Telefius entnommen. 41. Unterſcheidung ber phy⸗
ſiſchen und der metaphyſiſchen Tätigkeit der Seele. Der Raum bie
Grundlage alles Körperlihen. 42. Wärme und Kälte nur Werk—
zeuge für Gottes Imede. 43. Der innere Sinn lehrt uns unfer
Befen kennen , der äußere Sinn verduntelt nur unfere Selbſter-
vn
kenntniß. 45. Die Vernunft des Menfchen. 46. Mur ber Menſch
wird feine beſchrankte Natur gewahr, weil fie ihm nicht gmügt. 47.
fen durch feine finnlihen Eindrüde. 50. Sündenfall und Noth—
wendigkeit den Menſchen durch finnliche Mittel wieder zu Gott zu
führen. 51. Durd Sinne und weltliche Bildung follen wir auf
uns felbft zurüdgebracht werden. 52. Das’ natürliche Streben geht
auf Selbfterhaltung, auf etwas Gottliches, aber nicht auf Gott.
54 Das übernatürlihe Leben führt uns zu Gott zurüd. 55.
Sicbentes Kapitel Deutfhe Ppilofophen und Theo—
foppen. ©. 2—141.
"4. Nicolaus Taurellus, 64. Trennung der Wiffenfchaften
nad) ihren Gegenſtanden. 65. Unterſchied zwiſchen Theologie und
Philoſophie. 67. Unabhängigkeit der Ppilofophie von der Theo—
Togie. 68. Philoſophie fol den Grund ber Theologie abgeben. 69.
Sie erkennt das ewige Wefen Gottes, die Theologie aber feinm .
Villen. 70. Verzweiflung als Ende der Philoſophie und Anfang
der Gnade. 71. Gegenfag zwiſchen der körperlichen Natur oder
Welt und zwiſchen dem Geift, dem Smede der Welt. 72. Die
Welt bedarf nicht ber beftändigen Borforge Gottes, aber wohl der
Geiſt des Menſchen. 73.
2. Valentin Weigel 77. Gegenſatz gegen die gelehrte
Theologie. 79. Rechtfertigung durch den Glauben an den heiligen
Geiſt. 80. Die äufere Offenbarung Gottes fol ung zur Innern leiten.
82. Nur in unferm Innern eröffnet fih uns das Innere der
Dinge. 83. Allen fahren Unterricht müffen wir aus uns felbft
ſchopfen. 84. Unſere finnlihe Empfindung empfangen wir nidt
von auſſen. 86. Natürliche und übernatürlihe Erkenntniß. 87.
Um”alles zu erkennen müffen wir alles fein. 88. Mon oben kommt
alles Sicht. Gott faßt in uns alles zufammen. 90. Gott konnte
nur eine volltommene Welt fhaffen. Jeder Menſch hat Volltom-
menpeit empfangen. 91. Gott und Schöpfer ift eins. 93. Frei—
heit des Willens. 94. Im Übernatürlichen Erkennen iſt nur ein
Beiden. 95. Der Zall des Menſchen iſt nothwendig, weil wir durch
das Natürliche zum Übernatürlichen gelangen follm. 9%. Durch
bie zeitliche Entwicklung verändert fich die Subftang der Dinge
nicht, 98.
3. Jacob Böhme, 100, Überlieferungen, von melden er
x
außging. 103. Der Streit feiner Zeit in ihm. 105. Beruhigung
in veligidfen Ahndungen. 106. Doppefte Scheidung der Dinge,
Die Umkehr zum Guten. 108. Bermifhung des Gittlihm mit
dem Natürliden, bes Geiftigen mit dem Korperlichen. 111. Der
verborgene und der offenbare Bott. 113. Mus dem Nichts der götte
lichen Natur ift alles geworden. 116. Gott ift Gutes und Boſes,
Liebe und Zorn. 117. les iſt in ihm in Liebe verbunden: 118.
Rothwendigkeit der Scheidung der Brgenfäge, 119. Das Böfe nur
im Übergeroicht der Kräfte. 120. Das eigene Leben umd die Frei-
heit der weltlichen Dinge. 12% Päpfifhe und fittlige Weltanficht
tmeinanderfliegend, 124. Die fieben Qualitäten. 136. Bom Böfen
muß das Gute kommen. 129. Das Geiſtige muß greiflih werden.
130. Das Geiftige in finnfigen Bildern dorgefteüt. 131. Die
doppelte Anficht vom Wdfen im fittlihen Gebiete. 13% Unſicht
von der Geſchichte des Menfhen. 134. Die letzten Dinge. 135.
Aud) im verborbenen Menſchen iſt noch bie Freiheit pm Guten, 136.
Achtes Kapitel Gelehrte Theoſophen. ©. 141.— 183.
1. Johannes Baptifta von Helmont. 142. Die wahre
Wiſſenſchaft, in der Erkenntniß der Principim beftchend, iſt un
beweisbar. 144. Übertriebene Polemit gegen die früfern Philoſo⸗
phen. 145. Der Erfahrung will er alles verbanten 146. Doch
genügt nicht die niedere, fonbern nur die höhere Erfahrung. 147.
Anfonberung ber Philoſophie von ber Theologie. 149. weſchran⸗
fung der Ppitofoppie. Gegen die Bermifhung bes Geſchopfes mit
dem Schöpfer. 150. Das Übel, das Sumliche und der Streit der
Gegenfäge aus ber Sünde. 152. Cinnlihes und Raturliches von
einander gefchieden. 183. Streben nad beftimmten Unterfihieden,
aber Mangel an Bermittiurg. 154. Die Kunft wirkt von aufen,
die Natur von innen. Gelegentliche Urfahen. 155. Wirkende und
mitwirkende Kraft. 156. Alles aus Iebendigen Samen. 157. Der
Iwel in den Samen. 158. Das generiſche Waſſer und daB ine
dividuelle Serment. 160. Wirkung in die Ferne. 161. Die Sa—
menidee, das Blas, der Archeus. 162. Der Korper aus ber Ber-
einigung mehrerer Fermente. 164. Der allgemeine herſchende Ar⸗
Ges. 165. Die Seele als Centralpunkt. Gig der Serle. 166.
Verganglichteit der Seele. 167. Der Geift als unvergänglige Ein=
heit der menſchlicheu Subftanz. 168.
2. Robert Fludd. 17% Gelchrfamteit und neuere Phyſit.
173, Theologie a priori, natürliche Philoſophie von der Erfaße
x
rung aus. 174. Ausgehn vom Experiment. 175. Das zuſammen⸗
gefaltete und das entmicelte Sein Gottes. 176. Richtung auf die
+ Phnfik. 177. Gegenſaͤtze in der Welt, in Gottes Entfaltung und
Burhegiehung ‚auf ſich gegründet. 178,
Neuntes Kapitel. Die ſteptiſche Richtung der Franjoſen. S. 183
— 306. .
1 Michel de Montaigne 184. Die Denkweiſe in feinen
Verſuchen. 187. - Prüfung ‚der Religion durch die Vernunſt. 190.
Dem Natüurlichen und Söttlichen follen wir vertrauen, das Men—
ſchenwert Mt verdhtig. 191. Alle menſchliche Gründe find ſchwach.
192 "Gegen ivie dogmatife Philoſophie. 194. uUnſer Selbſt ift
ims am beften bekannt, aber doch wiſſen wir nichts Sicheres don
ihm. -196,' Die Sinne find Anfang und Ende unferer Erkenntniß ;
ihnen it aber doch nicht zu trauen. 197. Wenn der gefunde Men
ſqhenderſtand nur gefund wäre, 199. Die Vernunft iſt trügfichz
Btoekfel, 06 fie dem Menfen allein zukomme. 200. Lob des Inz
fintts..204.. Demuth im Bewußtfein unferer Schwache, in der
Unterwerfung unter Gott und die Natur. 202. Uuterfäied piſchen
Gott und Natur. 205.
2 Vierte Chaxcron. 207. Prattiſcher Charakter feines
Skeptieiömms.. 20. Moral. 211. Weiter Umfang derſelben; doch
Ausſchluß des religibſen Lebens. 212. Neigung alles auf dad Na—
tige zurlzufüpren. 219. Selbſterleuntniß. 214. Bufammen-
Hängenb mit Erkenntuiß Gottes. 215. Demuth und Reinigung
dazu wöthig. 246. Die mpfleridfe Höhe der Wahrheit und unfere
Schwäche. ° Die Sünde Hat die Natur gefdrt. 217. Gegen die
Ausfehtoeifungen ber Wiffenfhaft. 219. wieſpalt zwiſchen Sinn
und Merftend, 221. Gtseit zwiſchen Körper und Geiſt. 222. Lei—
denſchaſt im Vertrauen auf Die Meinung. 223. Der allgemeine,
von. Dieinungen freie Geift. 224. Rechtſcheffenheit nad dem Ge—
fege ber Natur. 226. Uneigennügigkeit. Die befondere Natur jedes
Eimeinen zu beachten. 227... Bezuf. Pflichten gegen bie Geſellſchaft.
228. Nothwendigkeit in die Sitten der Übrigen fih zu fügen. 230.
Breigeit nur in dem innern Leben. Dualiſtiſche Anfiht. 231. My—
ſtiſche Verſohnung der Gegenfäge, 282. Aufgeben der Forſchung
nad ben Myſterien. 234.
3. Franz Sander 236. Im der Naturforichung gegen die
Autorität des Ariſtoteles 237. Skepticemus als Grundlage wiſ-
ſenſchaftlichet Forſchung. 238. Aufammenhang aller Wiſſenſchaften.
gemeine, welches auf Billtür ber Mebe berußt. 245.
Erlärung der Wiffenfhaft. 246. Die Wiſſenſchaſt als vollkommme
Erkenntuiß dee Sacht. 24T. Zweiſel Über die Sache. 248. Zwei⸗
fe über das Erkenwen. 250. Das finnliche Erkennen. 251. Die
Bermunft oder der Verſtand. 252. Unmittslbare Gewuhheit der
Erkenntniß. Seibſterkenntniß. 253. Wir haben nur eine fehr
thode. Verſach, Beobachtung und Urtgell der Vernunft. 259.
Überfit über die erfte Perlode der neuern Philoſophie. 261.
Biertes Bud,
Bacond Reform der Philofophie und die ihr zumächft liegen⸗
den Zeiten.
Erſtes Kapitel. Bacon’s Reform der Philoſophle S
309 — 387.
Bacon’d Leben umb Charakter. 310. Seine Kufiht von der
Wiſſenfthaſt. 319. Glauben und Theologie von ber weltlichen Wiſ
ſenſchaft ausgefdjieben. 321. Auch das vernünftige und fittliche Le
dem find des Wiſſenſchaſt unugäuglig. 322. Die Phiſoſophie Magd
der Theologie. 323. Seine Schriſten. 394. Sein Plan der Re=
form. 328. Seine Mäfigung in der Rewerung. 329. Überfiht
Über die Gefoumtgeit der Wiffenfgaften. 331. Die erſte Philoſo⸗
phie. 333. Cingreifen theologiſcher Lehren. 335. Beſchrankung
der menſchlichen Wiffeafaft. 336 Dur bie Theologie. 337.
Einteilung der weltlichen Wiffenfgeften. 339. Heramiepung aller“
Wiſſenſchaſten an die Raturppilofophie. 340. Die Naturphiloſophie
die allgemeine Wiſfenſchaft. 342. Vorausfegung eines hochſien Ra
turgefeges, 343. Ein Princip der Materie und der Form, des
Korperlichen und ‚des Geiftigen. 344, Gegen die Zwecurſachen in
der Naturforſchung. 345. Neigung zum Materialismus, aber ges
gen die mechanifche Naturerflärung und den Atomismus. 246. Ge
nauere Ausführung, feines Plans. 347. Scwantendes in dem
Verhaltniß der Phyfit zur Metaphyſit. 349. Mas Vorläufige in
xu
feinen Annahmen. 350. Methobeniehre. 351. Gegen bie alte Los
sie. 352. Die Inbuction. allein iſt das rechte wiſſenſchaftliche Ver—⸗
fahren. 353. Forderung einer volftändigen Induction, welche mit
Nothwendigkeit fließt. 354. Die Naturgefgichte als Grundlage
der Imbuction. 355. Die Eintheilungen in ihr. 356. Senſuali—
ſtiſche Richtung. 357. Misachtung des Verſtandes. 358. Mängel
des Sinnes und Art fie zu heben. 360. Der Verſuch. 362. Un—
terſchied zwiſchen Empfindung und Wahrnehmung. 364. Erfor—
fung bes Kleinſten. 366. Wir nehmen nur Individuen wahr.
366. Unendliche Zahl der Individuen. Die Naturgeſchichte foll es
yit Individuen zu thun haben. 367. Begriffe der niebrigften Ar—
ten und unmittelbare Wahrnehmungen als Grundlagen der Induc=
tion. 368. Die unmittelbaren Wahrnehmungen follen einfache For—
men der Natur abgeben. 369. Die Formen der Natur follen ein
abgekürztes Verfahren möglich machen. 370. Befhreibung des In—
ductionsverfahrens. 371. Claffen der Fälle, welche ihm dienen fol=
fen. 372. Wichtigkeit des negativen Verfahrens hierbei. 373. Pra—
togativen der Inflanzen. 374. Beurtheilung der wiſſenſchaftlichen
Leitungen Bacon’s. 376.
Bweites Kapitel Die natürlige Keligion' und das
Naturrecht. ©. 387— 453,
Abfonderung einzelner Zweige ber Philoſophie von ihrem fuftes
matifhen Zyfammenhange, 388. Gemeinſchaftliches in dm Beftre-
bungen ber natürlichen Religion und des Naturrechts. 389.
1. Eduard Lord Herbert von Cherbury. 390. Cha—
after feiner Schrift über die Wahrheit. 392. Biveifel und Streit
gegen Vorurteile. 393. Gegen ben Senfualismus. 395. Theoſo—
phiſche Richtung. 396. Gegen die Vergleihung unferer Seele mit
einer leeren Tafel. 399. Die allgemeinen Grunbfäge als Ausſprüche
des natürlichen Inftintts. 400. Berufung auf das eigene Vermd⸗
gen und die urfprüngliche Natur. 401. Der Inſtinkt der Selbft-
erhaltung. 404. Die praktifgen Gefege, melde fih an ihn ans
fliegen. 405. Die Eraltung des Ganzen und das Bewußtſein
ber allgemeinen Gefepe damit verbunden. 406. Der Zweck und
das Fortſchreiten. 407. Die plaftifhe Kraft. Die Freiheit als
gweck. 408. Sittlichteit und natürliche Religion. 409. Gegen
Autoritätsglaubm und die Lehre vom ganzlichen Berberben des Men—
ſchen. 411. Artikel der natürlichen Religion. 412. Befondere Ofz
fenbarungn und Princip der Indivibuation. 414. Bufäge der pos
xın
fitiven zur naturlichen Religion. 413. Das Chriſtenthum als Wie⸗
derherſtellung der natürlichen Meligion. 416. Sqchwierigkeit der Bes
weife für die befonbere Offenbarung. Sie gewährt Andern nur
Wahrſcheinlichteit. 417.
2. Die Borgänger des Hugo Brotius im Raturs
recht. 4W. Johann DOldendorp. 40. Nicolaus Hem
ming. 421. Wibericus Gentilis. 423. Benediet Win-
!ter. 423. Das frühere und das fpätere Raturrecht. Das pos
fitive Recht. 425.
3. Hugo Grotius. 428. Das Raturreht als befondere,
von allgemeinen Grundfägen unabhängige Wiſſenſchaſt. 430. Rur
in der menſchlichen Ratur iſt e8 gegründet. Votzug des Menſchen
im Triebe zur Geſelligkeit. 439. Ungeborne Rehtögrundfäge. 433.
Die verdorbene Bernunft. Schwankungen zpwiſchen dem Ideal der
Nechtsgeſelſchaſt und dem Musführbaren. 434. Das Raturrecht in
Vergeſſenheit gerathen. 435. Der Raturzuftand nad; dem Sunden⸗
fall und die nun folgende Einrichtung der Behtögefelfhaft. 436.
Folgen des Doppelfinns, welcher in feiner Anficht vom Naturrecht
Üegt. 437. Der Staat. 438. Übertragung der höchſten Gewalt an
bie Obrigkeit. 439. Das pofitive Gefep hebt das natürliche Recht
nicht auf. 440. Eigenthum. 441. Gemeingut. 443. Übertragung
des Eigentums. 444. Bertrag "über Leitungen. Unterwerfung
unter ben Richter. 445. Vertheidigung der SHaverel. 446. Urten
perſonlicher Unterwerfung. 447. Straftecht. 448. Kriege» und
Voikerrecht. 449.
Drittes Kapitel. Thomas Hobbes. S. 453 — 542.
Sein Lehm. 453. Wiberfprüde in feiner Denkweiſe. 458.
Verehrung ber mathematiſchen Methode. 463. Prattiſche Richtung.
Ethik und Politit als Theile ber Phyſik. 464. Ppilofophie im Ger
genfag gegen Erfahrung. 465. Rachlaſſen in der Strenge ber
wiffenfchaftlihen Forderungen in ber Politik. 466. Vernunſt als
Vermögen zu ſchließen beruht auf Begriffserflärungen. 467. Grz
Märung willturlich beigelegter Namen. 468. Wednen mit Worten.
Vernunft beruft auf Sprache. 469. Die Bernunft wird doch als
in angebomes Vermdgen betrachtet. 469. Hieraus fließende ab⸗
weichenbe Anſicht von der Wiffenfhaft. 471. Dringen auf Erkennt⸗
niß der Sachen. Widerſpruch dagegen in feiner ſkeptiſchen Betrach⸗
fimg der Biffenfhaft. 473. Senſualismus. 474. Bum Empfin⸗
dm gehört Bleiben der Eindrüde und Erinnerung an fie. 475.
xıv
Ebenſo Wechſel der Cindrüde 476. VWerſtand, Erfahrung und
Wiffenfhaft. 477. Seine ſteptiſche Dentweife im Zufammenhang
mit feinem Senfualismus. 478. Sicherheit der Erkenntniß durch
die Sprache. 479. Nominalismus. 480. Entſtehung der Empfins
bung. 481. Gmpfindung und Denten nur Veränderungen de
Körpers. Materialismus. 483. Grundfäge der mechaniſchen Phy⸗
fit. 485. Erklärung der Empfindung und finnlihen Vorſtellung
aus ber Bewegung des organiſchen Körpers. 4866. Nur eine Kette
von Bewegungen konnen wir erkennen. 487. Die finnlihen Qua⸗
titäten find nur Schein. 489. Wie wir zur Vorſtellung des Hus
Fern konunen. 489. Subjectivität aller unferer Vorftellungen. 490.
Doch Vorausfegung von korperlichen Subſtanzen. 491. Voraus-
fegungen für die mechaniſche Naturerflärung. 49% Der Menſch
eine Mafchine. 494. Die Körperlichteit Gottes. 495. Die unend»
liche Verkettung der Bewegungen konnen wir nicht überfehen. 496.
Gypothetiſches in der Phyſik. Gegen die Freiheit des Willens. 497.
Ausgehn in der Erklärung des fittlichen Lebens von phyſiſchen Be—
meggründen. 501. Streben nad) dem Nügligen und nah Ge—
nu. 502. Selbſtſucht feiner Moral. 503. Unterordnung der
Selbſtſucht unter das allgemeine Gefeg. Menfchenliebe. 504. Ge—
mohnheit der Bewegung. Die Regeln über Gutes und Boſes wer—
den erft im Staate zu allgemeingültigen. 505. Die Vernunft treibt
und an Frieden duch die Vermittlung des Staates zu fuchen. 507.
Naturzuftand. 508. Krieg Aller gegen Ale. 510. Furcht als
Grund des Staates. 511. Staat als Werk der Kunft, ein fünfte
licher Körper. 512. Staatövertrag. 513. Verträge müffen gehal-
ten werden. 514. Verſchiedene Punkte des Staatsvertrags. 515.
Unbedingte Untertverfung der Unterthanen unter die Obrigkeit. 516.
Unbebingte Macht der Höcften Obrigkeit. 518. Hödfte Gewalt des
ganzen Volkes. 519. Sie ift aufgehoben durch die Einfegung der
Obrigkeit. 520. Der naturliche Staat. 521. Herrſchaſt über die
Sttaven. 522. Herrfhaft der Eltern über ihre Kinder. 523. Ber-
fiebenheit der Staatsformen. 524. Bevorzugung der Monarchie. 525.
Verhättniß des "Staats zur Kirche. 326. Achlung gegen den relis “
giöfen Glauben, 528. Lehren Über Gott. 529. Der Staat als Stell=
vertreter der Kirche. 531. Natürliche und offenbarte Religion. 532.
Gegen die Trennung des weltlichen und bes geiftlichen Reiches. 533.
Biertes Kapitel, Peter Gaffendi. ©, 543 — 571.
Neigung zum · gweifel. 545. Sein Hauptbeftreben auf bie Php
xv
fit gerichtet. Senſualisnus. 547. Subſtam nur als gemeinſchaft-
liche Grundlage vieler Eigenſchaſten und immer nur ein dunkler Bes
griff. 549. Wichtigkeit der Induction. 550. Sie beruft aber auf
einer Erkenntniß vom Allgemeinen aus. 551. Evidenz des Sinnes
und der Vernunft. Die thierifge und bie vernünftige Seele. 552
Zweiſel über die Denkbarkeit bed Immateriellen für uns. 553,
Empfehlung der Epiturifchen Mtomentehte. 555. Lehre über Gott.
558. Das fid) gleich bleibende Naturgeſet. 560. Freiheit des
Willens. 561. Imdifferenz des Willens geht mit Indifferemz des
Verſtandes Hand In Hand. 562. Im der Ethie Milderungen der
Eyituriſchen Lehre. 365. Egolemus. 564,
Drittes Buch.
Schluß.
Die Philofophie unter dem Fortgang ber
Wiederherſtellung der Wiſſenſchaften, unter
der Reformation und unter der Wiederher⸗
-flellung des Katholicismus.
Geſch. d. Philoſ. X. 1
Benzuı, Google
Sechſtes Kapitel,
Thomas Campanella.
Sehr verſchiedenartige Elemente machten ſich in der
Bildung dieſer Zeiten neben einander geltend, das Bes
freben nad} weltlicher Erkenntniß und ber kirchliche Glaube,
Es lonnte nicht befriebigen fie nur neben einander gelten
u laffen;, man mußte ihr Verhaͤltniß zu einander zu ers
mitteln ſuchen. Niemand hat dies mit größerer Lebhaf⸗
tigfeit betrieben, als Thomas Campanella.
Er war 1568 zu Stilo in Calabrien geboren, in einer
damilie mittleres Standes, welche den Bäpigfeiten des,
Knaben alle Mittel zu ihrer Entwidlung gewährte. Ein
brennender Eifer nah Erkenntniß, Ruhmbegier, eine
erregbare Einbildungskraft, ein feſtes Gedaͤchtniß beflü-
gelten feine Fortſchritte. Im 15ten Jahre trat er in den
Dotninicanerorben. In ber gewöhnlichen Bahn ber
theologiſchen Gelehrfamteit hatte er fchon gute Hoffnuns
gen erwedt, als er um eine Disputation mit einem
Ftanciscaner zu beftehn von feinem Drben nach Eofenza
geſchickt wurde. Hier lebte noch das Andenken an ben
Teleſius. Man glaubte in dem SJünglinge den Geiſt
1*
A
diefes Mannes wieder erwedt zu fehen. Da wendete fi
Campanella der Lehre desfelben zu und wurde ein eifriger
Kämpfer gegen die Arifotelifche Philoſophie. Er hat.
diefe Bahn nicht wieder verlaffen. Seinen Schriften
pflegte er nach dem Beifpiele feines Meifters beizufegen:
nad eigener Lehrweiſe. Er machte es fih zum Geſchaͤft
die Phyſik des Telefins gegen die Arifiotelifer zu vertheis
digen, nur daß er in ber religiöfen Frömmigkeit, welche
er eingefogen hatte, das Verhältnig des natürlichen zum
übernatürlichen Leben genauer zu erforfchen ſuchte. Um
eine Schrift zur Vertheidigung des Telefius gegen einen
feiner Gegner in Drud zu geben kam er nah Neapel.
Er hielt es für feine Aufgabe auch in mündlichen Dispu⸗
tationen feiner Meinung Geltung zu verfhaffen. Darüber
308 er fih die Anklage der Kegerei zu, welche ihn zu
feiner Vertheidigung nad Rom führte, Hierdurch blieb
eine Zeitlang fein Verhältnig zur Geiſtlichkeit geſtört,
wiewohl er nichts mehr betrieb als das Anfehn der Reli⸗
gion und der latholiſchen Kirche zu erhähn, nur nicht in
dem gewöhnlichen Wege. Als er durch Italien reifte und
feiner Reform der Bpilofophie Eingang zu verfihaffen
ſuchte, wurbe er mit Mistrauen von der geiſtlichen Ge⸗
walt beobachtet und mehrmals in Unterſuchung gezogen.
Aber nicht allein mit gelehrten Plänen befchäftigte ſich
fein fruchtbarer Geift, er fann auf eine Veränderung Aller
geſellſchaftlichen Verhältniſſe. Die Gedanken hierüber,
welche er fpäter in verfchiebenen Werfen ausgeſprochen
bat, find der abentenerlichften Art, Er fah die Geſell⸗
ſchaft. der Menſchen in einem Fortfchreiten begriffen, wel-
Ges zu einem allgemeinen Reiche über alle Voͤller führen
folte, unter der Herrſchaft des Stellvertreters Eprifi,
der im Bunde mit einer weltlichen Macht Gemeinſchaft
ber Güter und ber Weiber herfiellen follte. Das goldene
Zeitalter in einer ſolchen Form hielt ex für nahe bevor
ſtehend. Und nit bloß im Allgemeinen befcäftigte er
ſich mit diefen Gedaulen, wie er fie in feinem Sonnen ⸗
Raate, einer Nachahmung der Utopia, in feiner Monarchie
des Meſſias auseinanderfegte 5; er überlegte auch bie
Mittel; die Kräfte der Staaten und ber Bölfer, über
deren Stand fein weites Gedaͤchtniß manderlei Kenntniffe
feſthielt, überrechnete ex, wie weit fie tragen möchten um
einen ſolchen Zuſtand Herbeiguführen. Durch die Predigt
wollte er gewirkt wiflen für feinen Zwed, durch bie
Wiſſenſchaft, aber auch durch FIR und Waffen, fo wie er
denn überhaupt in der Wahl feiner Mittel nicht ſehr bes
denllich iſt. Da er feine Abfichten in fein tiefes Ges
heimniß huͤllte, iſt es nicht zu verwundern, daß er zurüd,
gelehrt nach feinem Vaterlande den Argwohn der Spani⸗
ſchen Regierung in Neapel wedte. Er wurde um 1599
eingezogen und gegen ihn unb mehrere Genoſſen ber
Proceß eröffnet, Die genauern Umſtaͤnde und Beranlafs
fungen find unbefannt geblieben; man weiß aber, daß
Eampanella von Kerter zu Kerler wandern mußte und
die härteflen Grabe der Folter mit flaunenswürbigem
1) & Hat diefe Huseinanderfegungen öfter in verſchiedener Ge—
alt wiederholt, wie er ed überhaupt mit feinen Gedanken zu halten
pflegte. Über eine ungebrudte Schrift diefer Urt, welche er beim
Pabſt einreichte, giebt Ranfe d. Rom. Pabſte IL. S. 379 f. Radıridt.
Neuerdings hat Paolo Garzilli feine discorsi politici ai prineipi
d’ltalia aus dem Manuſcripte Herausgegeben.
6
Muthe ertrug, ohne fih ein Geſtändniß entreißen zu
Taffen. Seine Pläne, wie gefährlich fie fein mochten,
waren allem Anſchein nach nit gegen die Spaniſche
Monarchie gerichtet; er klagte fie fpäter bes Undanfes
anz ihe ſcheint er den erſten Rang unter ben weltlichen
Reichen in dem geiftlich- weltlichen Gefammtftante, welchen
er im Sinn trug, zugedacht zu haben, von ihr hoffte er
die Ausrottung der Keger, die Unterwerfung unter die
geiſtliche Macht . Sie aber verdammte den gefährlichen
Neuerer zu Iebenslänglihem Gefängniß. Sein Unglüd,
die Standhaftigkeit, mit welcher er es ertrug, hatten bie
allgemeine Aufmerkfamfeit, ja Bewunderung auf ihn ge⸗
zogen. In feiner Haft wurde er von Fremden aufge
ſucht, der Spaniſche Bicefönig Offuna hielt ihn für wichtig
genug um in ben weitausfehenden Plänen, welche er bes
trieb, feinen Rath oder feine Hülfe zu ſuchen. Die
Paãbſte Paul V. und Urban VIII. bemühten fi feine Des
freiung oder feine Auslieferung nah Rom zu bewirken,
Campanella indeſſen befchäftigte fi die Tangen Jahre
feiner Gefangenſchaft in ungebrochenem Muth-mit geiftigen
Arbeiten. Da verfaßte er feine Gedichte, feine politifchen,
feine ppifofophifchen Werke in großer Zahl. Durch Hülfe
eines Deutichen, eines ber Proteflanten, welche er fo
fehr haßte, wurde ein Theil derfelben in Deutfchland ges
drudt. Endlich 1626 gelang ed dem Pabſt Urban VIII.
feine Auslieferung nah Rom zu erwirklen. Wärend er
ſich der Gunſt des Pabfles erfreute, wurde hier noch
gegen ihn unterfuht, bis 1629 feine Freiſprechung er⸗
1) Darüber handelt feine Monarchia Hispanica, welche er im
Gefangniß fchrieh,
7
folgte. Neue Nachſtellungen von Gpanifher Geite bes
wogen ihn mit Hülfe des Franzoͤſiſchen Gefandten nad
Granfreih zu entflichn. Hier wurde er 1634 von ben
Gelehrten mit Gunf und Freude empfangen und Ichte
mit gebrochenem Körper, aber ungebeugtem Geile unter
dem Schuge Richelieu's mit dem Abfchluffe feiner Werte
befhäftigt. Die Herausgabe derſelben, welche er unter»
nahm, hatte er nur zum kleinſten Theil vollendet, als ex
1639 zu Paris farb.
Campanella hat eine große Zahl von Schriften ges
forieben, von welchen nur ber kleinſte Theil gebrudt
worden iſt. Er wiederholt fi) in feinen Schriften oft.
Der großen Fruchtbarleit feiner Feder entfpricht nicht ber
Reichtum der Gedanken, melden er beherrſcht. Wenn
man ihm auch zugeftehn muß, daß er mehr als irgend
ein anderer feiner Zeitgenoffen die Gedanfen der frühern
Philoſophie zu verarbeiten gefucht hat, fo bemerken wir
darin doch eine Ungleicartigfeit des Verfahrens. Er
möchte alles umfaflen, die Ergebniffe der neuern For⸗
ſchungen, wie die Ppilofophie des Alterthums und des
Mittelalters, aber nicht alles hat er mit gleiher Sorg⸗
falt behandelt und es iſt nur ein kleinerer Gebantentreis,
auf welden er immer wieder zurüdfehrt und von wel-
chem aus er Über das Übrige fih Licht zu verbreiten
ſucht. Für die leichtere Überficht über feine philoſophi⸗
ſchen Gedanfen Hat er durch feine Metaphyſik geforgt,
welche in ber That alles Wichtige enthält, was er ers
forſcht ober von den Forſchungen Anderer wieder im Gang
gebracht hat, ein fehr weitläuftiges Werk, welches vie-
lerlei Dinge feiner fonftigen Unterfuhungen im Auszuge
giebt... Man möchte das alles ‚unter biefem Titel nicht
ſuchen. Er erbliet aber in diefer Metaphyfif die Weis»
heit aller Wiſſenſchaften, das Buch aller göttlichen und
menſchlichen Dinge, die Löfung aller Fragen über Wirk-
liches und Möglihes, Er hat fie zur Bibel der Philos
foppen befimmt 3. Da handelt er alle Fragen ab über
die Formen und Methode unferes Denfens, über bie
Gefege bed Seins, über die. Welt und ihr Verhältnig
zu Gott, fo wie über Gott ſelbſt, dringt in die phyſi⸗
ſchen Unterfugungen ein über das Weltſyſtem und über
die befondern Kräfte, über Anfang und Ende der irbifchen
Dinge, laͤßt auch bie Gefhihte, die Sprache bes Men-
ſchen, feine politiſche und religiöfe Verfaflung nicht außer
Acht; genug es Legt hier ein Syftem der Philofophie im
weiteften Umfange und vor Augen, wie wir es vergebs
lich bei einem andern Schriftfiellee diefer Zeiten fuchen
würden,
Aber die Weife, wie er viele Gegenflände ber Wiffen-
haft behandelt, entbinbet und von ber Verpflichtung auf
die ganze Zufammenfegung feines Werkes einzugehen,
Sehr vieles berüprt .er nur flüchtig. Es if ihm nachge⸗
rühmt worben, baß er auf eine Vergleihung der Spra-
pen fein Augenmerk gerichtet habe; aber obgleich er von
den Philologen den Gedanken entnommen hat, daß in
den Sprachen der Same ber Wiffenfchaften Tiege 2), bleiben
feine Unterfuchungen über bie Verſchiedenheit der Spra-
4) Th. Campanellae universalis philosophiae seu metaphy-
sicaram rerum juxta propria dogmata partes tres (Par. 1638)
dedic. .
2) 1b. I, 9. art. 14; IV, 1. art. 2.
en bei fehr Außerlihen Bemerkungen ſtehn. Weitlaͤuf⸗
tiger, aber eben fo oberflächlich find feine Unterſuchungen
über die Logik!) Wir finden bei ihm die Anfiht wieder,
welche Zabarella und Eremoninus verbreitet hatten, daß
die Wiſſenſchaften in ſolche ſich eintpeilten, welche nur bie
Erlenntniß, und in ſolche, welche einen Rugen zum Zweck
hätten, daß aber die Iegteren nicht im eigentlichen Sinn
Wiſſenſchaften, fondern richtiger Künfte genannt würden.
Zu den eigentlichen Wiſſenſchaften zäplt er nur die De
taphyſik und die Phyſik. Er iſt zwar hierin nicht ganz
figer; nach andern Eintheilungsgränden fcpeinen ihm auch
Mathematik, Logik und Politik zu den reinen Wiſſenſchaf⸗
ten zu gehören; aber wenn er gemauer überlegt, ent-
ſcheidet er fih doc für das Gegenteil. Denn bie Mas
tpematif und bie Logik find nur Hülfswiſſenſchaften, Wert
zeuge für bie Erkenntniß, die erſtere für bie Phyſik, die
andere für bie Metaphyſil; er wirft baher auch beiden
vor, daß fie Sachen uns nicht erkennen lehrten, fondern
nur mit erbichteten Begriffen ſich befchäftigten. Was
aber die Politik betrifft, fo if fie auf die Metappyfit
qurüdzuführen; benn nur der Metaphyſiler if ber rechte
Geſetzgeber ). Dadurch wird auch die Sittengeſchichte
der Metaphyſik einverleibt, denn er ſieht zwar auch eine
praltiſche Wiffenfchaft in ihr, aber vornehmlich Täuft fie
ihm dod auf Politik hinaus ) Dan wird aus biefen
nicht gut zufammenfiimmenden Bemerkungen über das
Syſtem unferer Erfenntniffe nicht leicht etwas anderes
4) Ib. UI u. IV.
2) 1b. 1, 9. art 12; V, 1. art.5; 2. art2; 5.
3) lb. V,2. ara,
10
entnehmen Können, als feine Vorliebe für Metaphyfit und
für Phyſil und feine Abneigung gegen bie Logik und ges
gen die Mathematif, als welde ſich nur mit leeren Er-
findungen und Adftrartionen unferes Verſtandes beſchaͤf⸗
tigten, wärend ihm die Phyſik die Wahrheit der finnlis
hen, die Metappyfit die Wahrheit der überfinnlihen
Dinge verrathen fol. Hierin Tiegt aber unftreitig auch,
daß er der letztern ben Vorzug vor ber erſtern zugeſteht.
Man bemerkt an ihm ein Beſtreben den Fortſchritten ber
neuern Wiſſenſchaft Gerechtigkeit widerfahren zu laſſen;
aber feine Neigung if ihnen doch nicht zugewenbet. Das
Copernicaniſche Syſtem, welches durch bie Entdedungen
Galilers an Anfehn getvonnen hatte, war er eine Zeit⸗
Yang geneigt zu billigen; es fehlen ihm nicht unverein⸗
bar mit ben Orundfägen des Telefius, wenn es auch
nur als Hypothefe gelten follte; als aber Galilei zum
Widerruf gezwungen worden war, ließ auch er es wies
der fallen. Mit den einzelnen Unterfuchungen der Phyſik
hat er ſich wenig befchäftigt. Nur die allgemeinen Grunds
fäge derſelben, welche mit der Metaphyſil zufammenhäns
gen, erregen feinen Antheil, fo wie wir überhaupt bie
Phyſfit diefer Zeiten noch im genauen Zufammenhange
mit ben metaphyſiſchen Unterfuhungen gefunden haben.
In der Metaphyfif dagegen ſieht Campanella bie allge
meinfte Wiſſenſchaft, die Wiſſenſchaft der Wiſſenſchaften.
Unter feinen Gründen, durch welde er bie Nothwendig-
feit der Metaphyfit beweifen wi, beruft er ſich darauf,
daß wir einer allgemeinen Wiffenfchaft bedürfen, welche
die Grundfäge und Grundbegriffe aller übrigen Wiſſen⸗
ſchaften unterſuche; diefer Wiſſenſchaft fepreibt er alsdann
4
au, daß fie nicht bei den Erſcheinungen ſtehn Bleibe, fon»
dern das Wefen der Dinge erforſche 2).
Aber dennoch gefeht Campanella zu, daß auch bie
Metappyfif nur eine Hülfswifienfhaft ſei. Gie if nur
die Lehrerin der Mägde, der übrigen Wiffenfchaften, welde
mit ihr gemeinfhaftlich der Theologie dienen follen 9.
Denn von den natürlichen Dingen follen wir zwar aus⸗
gehn, aber alsdann fol die Metaphyſik die Vermittlerin
zwiſchen der Phyſik und der Theologie werben, indem fie
uns von der Natur zu Gott emporleite, Go nimmt
feine ganze Philofophie einen theologiſchen Charakter an.
Der wahre Lehrer it Gott. Er belehrt und durch die
heilige Scprift, aber auch dur bie Welt. Keine von
beiden Arten follen wir verſchmähen 5). Wir follen bie
eine durch bie andere prüfen; denn bei ber Taäuſchung,
welcher wir auch durch ben Teufel, durch falfche Prophe⸗
ten ausgefegt find, bedürfen wir ber Unterfheibung der
Geiſter 9. Bei weitem höher jedoch ſteht die religioͤſe,
als die natürliche Belehrung. Auf der Religion beruft
das Bewußtſein Gottes; die Wiſſenſchaften dagegen dies
nen dem weltlichen Leben, über deſſen Werth und Be
deutung wir nur ſchwache Muthmaßungen haben. Es
iſt gewiß, zu Gott follen wir fommen, aber warum
wir durch dieſes Körperliche Leben hindurchgehen müffen,
darüber auch nur Muthmaßungen zu faflen if ſchon ge⸗
4) Ib. I. prooem. p.4. b sg.
2) Ib. V, 2. art. 2. Assistit ergo theologiae sicut magistra
ancillarum.
3) Ib. 1. summa p. 1.
A) Ib. XVI, 1 artd; Tartd.
42
färlich . Campanella erblidt den Menfchen in einem
Streite mit ſich felbft; er if davon überzeugt, daß der⸗
felbe in einem Zuftande ſich befindet, welcher feinem Wer
fen nicht entſpricht. Das’ ganze Menſchengeſchlecht hat
eine Schuld zu büßen, deren Bewußtſein es brüdt; des⸗
wegen bedarf der Menſch göttlicher Hülfe um ihn zu reini-
gen und zu entfühnen. Hierzu find bie pofitiven Geſetze
bes Staats noͤthig; aber fie reichen noch nicht einmal dazu
aus und vor Streit und Betrug zu fihern; eine höhere
Hülfe muß hinzutreten ; fie wird von ber Offenbarung ges
boten, welche den innern Menſchen Teitet und zur Tugend
führt. Ihr muß alsdann nod die innere Religion in
der Entzüdung unferes Geiftes ſich zugeſellen. Erſt da⸗
durch werben wir ber wahren Freiheit theilhaftig ). Im
dieſem Sinn fepließt fih Campanella der Wiederherſtel⸗
Tung dev Hierarchie an, Er ſelbſt findet ſich wiederherge⸗
ſtellt. Nicht duch den Syllogismus, welcher nur von
fern nad feinem Ziele ſchießt; aud nit allein durch bie
Autorität, welche nur durch fremde Hand fühlt, fondern
durch die Geißel feiner Schiefale if er zum Wege bes
Heiles zurüdgeführt worden und durch eigenen Geſchmack,
durch eine innere Berührung zur Erkenntniß der göttlichen
Dinge gelangt I. Er verwirft nun bie Lehre derer, welche
1) Ib. XVI, 2 art. 1; art.3.
2) Ib. XVI, 1 art. 1 qq.
3) Ib. I prooem. p. 5. b. A deo errantes per flagella re-
ducti sumus ad viam salutis et cognitionem divinorum, non per
“ syllogismum, qui est quasi sagita, qua scopum attingimus a
longe absque gustu, neque modo per autorilatem, quod est
tangere quasi per manum alienam, sed per tactum intrinse-
cum in magna suavitate.
413
wie Arifoteles und Machiavelli die Religion nur für
eine politifche Anſtalt halten. Im der ganzen Welt ers
blickt er eine Hierarchie; von ber urbilblichen Welt, welde
er im Sinn ber Platonifer annimmt, hat ſich dieſe Herr-
ſchaft fortgepflanzt auf biefe Welt der Unäpnlichkeit; in ihr
herrſcht die Weltfeele; und eine ſolche Herrſchaft ſoll auch
unter den Menſchen ſich gründen; denn bie Monarchie
erſcheint ihm als die beſte Verfaſſung, obwohl er einge⸗
ſteht, daß verſchiedene Verfaſſungen verſchiedenen Völtern
zuträgli fein möchten ). Die gegenwärtige Einrichtung
der Dinge if nur eine Folge ber Sünde. Wie Mariana
iſt Campanella überzeugt, daß bie wahre Berfaffung der
Menſchheit der Geftalt der Welt entfprechen follte, und
daß Eprifius, welcher uns von ber Sünde wiederherge⸗
Reit Hat, aud die Herrſchaft der Welt einem Menſchen,
dem Pabſte, übergeben habe).
Wir fehen alfo, nicht blindlings, aber durch eigene
Erfahrung geleitet hat ſich Campanella dem Anfehn ber
latholiſchen Kirche ergeben. Seine Erfahrung hat ihm
den myfifchen Weg empfolen; fehneller und beffer als
der metaphyſiſche Weg führt er durch Reinigung in Glau⸗
ben und in Liebe Gottes zum göttlihen Lichte 5). Seine
Philoſophie if nun im Sinn einer allgemeinen Hingebung
1) I. I, 9 art. 12 p. 85. b.
2) Ib. XV, 2 art. 3; art. 4. Mundum humanum repraesen-
tare omnes mundos et ipsorum gubernatum. Ergo angelus spe-
ciei humanae respondens angelo omnium systematum regairit
hominem unum, principem totius generis humani, qui a Chri-
sto restituitur, cum propter peccata hominum diversitas prin-
cipataum et sectarum non ab uno pendentium introducta fuerit.
3) Ib. VU, 6 art. 2.
14
entworfen. Er folgt meiflens dem heiligen Thomas in
feinen theologiſchen Sägen, eifert gegen die Ketzer, bes
ſonders häufig gegen Calvin, behält aber doch im Sinne
des neuern Katholicismus ber Vernunft vor bie natürs
lichen Waprpeiten zu erforfchen und über alles, worüber
die Kirche nicht entſchieden hat, ihren wiſſenſchaftlichen
Unterſuchungen zu folgen. So ſetzt er au ben Jefuiten
feinen freimüthigen Widerfpruc entgegen. Seine Weife
hat noch vieles vom fcholaftifchen Wefen, aber im Ganzen
geht er doch bie Wege ber neuern Wiſſenſchaft. Die
myſtiſche Anfhauung fegt er nur fehr im Allgemeinen
voraus und ſucht ber Überfpannung des Übernatürlichen
entgegenzuarbeiten. Freilich hat Gott feine Wunder ſich
vorbehalten; aber nur er bringt wahre Wunder hervor,
Bon einer wunderbaren Einwirkung ber Engel ohne Vers
mittlung durch weltliche Kräfte will Campanella nichts
wiſſen. Die Anfipten der Neu-Platonifer, dag man
durch Körperliche Mittel Götter und Engel anloden, daß
man Höhere durch Nieberes in zauberifher Weife volls
bringen fönnte, behandelt er als heidnifche Meinungen 2).
Seine Anfihten von der Sympathie der Dinge find frei=
lich nit von Aberglauben frei; er betrachtet auch bie
natürliche Magie als die höchſte praftifche Wiſſenſchaft,
welche der Metaphyſik zur Seite geftellt werden mäfle );
aber feine ganze Auffaffungsweife geht unfreitig dahin
alle diefe Dinge nur auf natürlihem Wege, d. h. durch
4) Ib. XV, 8 art.3. Respondemus hominum nullum, nul-
lamgue ens, qui non fuerit auelor mundi, posse mundi ordi-
nem turbare. Ib. 9 art. 6.
2) 1b. V,2 art.6.
415
törperliche und geiſtige Kräfte, welche Gott in die welt
lichen Dinge gelegt hat, zu Stande fommen zu laſſen
und wenn er folde Kräfte auch im Einzelnen weiter aus⸗
dehnt, als wir fie reichen zu laſſen geneigt fein möchten,
fo laͤßt ſich bei einem Vergleiche feiner Lehren mit ber
Phyſik des vorhergehenden Jahrhunderts Teicht erfennen,
daß ber Aberglaube bei ihm, wie bei feinen Zeitgenoſſen
im Abnehmen if, So wie bie Wiederherſtellung des
Katholicismus, fo will aud er das Gebiet der natür-
lichen Dinge und Wiſſenſchaften frei erhalten von Wun⸗
bern, welche Gott und der Religion vorbehalten bleiben
follen 3,
So dogmatiſch nun auch am Ende die Entfheibungen
find, zu welchen Campanella dur feine philoſophiſche
Anfiht und durch das Anfehn der Kirche und feine ger
lehrten Neigungen gegogen wird, fo ſleptiſch if doch bie
Grundlage, welche ihn dazu antreibt ber Autorität fih in
bie Arme zu werfen. Sein Glaube iſt darauf gegründet,
daß er die Grenzen des menſchlichen Wiſſens erfannt zu
haben glaubt, Die Weispeit bes Menfchen ift zwar nicht
voͤllig nichtig, aber fie reicht nicht weit 9. Eben in den
Unterfucjungen, welche ihn zu diefem Ergebniffe geführt
haben, finden wir den Kern feiner Lehre,
Campanella ſtellt eine Reihe von Zweifeln an bie
1) I. I, A art.7 p.43. b. Sed nos guaerimus physiologis-
mum in quaestione naturali, non miraculum, quod in naturali-
bus etiam sanctus Augustinus quaeri non debere docet. Nec
enim deus in aingulis intellectionibus et sensationibus miraculi-
zat supra naturae vires inoperans.
2) B. I, 8 ati.
D
46
Spige feiner Unterſuchungen. Nach feiner Weife werben
fie nicht in der beften Ordnung vorgeführt; wir werben
und auf einige Hauptpunfte zu befchränfen haben, welche
in der Entwidlung feiner Gedanken ein leitendes Anfehn
haben. Bon ber Mitte der Vorſtellungen ausgehend) in
welchen der Menfch ſich bewegt, erblidt Campanella alles,
was unfer Bewußtfein erreicht, in einem befländigen
Fluß. Die Gründe, welche Platon und Ariftoteles gegen
diefen Satz des Protagoras aufgeftellt haben, genügen
ihm nit. Wenn wir im Fluffe des Denkens einen
ſichern Ausgangspunft ſuchen um unfere Gebanfen zu ord⸗
nen, fo fehen wir und nur in das Unendliche verwieſen.
Den Rüdgang in das Unendlihe verwirft Arifoteles
nicht mit Recht, weil feine Lehre von der Ewigfeit der
Welt und in das Unendliche weit 9. Wie uns die Uns
endlichleit des Vergangenen verwirren muß, fo nicht
minder bie Unendlichfeit der räumlichen Welt, in welder
- wir feinen Anfang und fein Ende finden. Wir gleihen
dem Wurm im Bauche des Menſchen, welder von ber
Welt, dem Ganzen, welchem er angehört, feine Rechen-
ſchaft fi geben kann 5), Wollen wir auf die Grundfäge
der Wiſſenſchaft uns flügen, wo find bie richtigen Grund⸗
füge nachzuweiſen? Nicht die Geſetzgeber allein, nicht
allein die gemeine Meinung des Lebens, auch die Meta-
phyſiler ſchwanken in ihrer Wahl, Die Grundfäge ber
Wiſſenſchaften werben nicht bewiefen, fondern nur ange⸗
1) 1b. 1,1 art 7.
2) Ib. art.2.
3) Ib. art. 1.
47
nommen 2), Wollte man fie beweifen, fo müßte man auf
den Sinn zurüdgehn, aus welchem fie durch Induction
gefunden werden. Keiner, ber bei Sinnen ift, wird bes
haupten, daß vom Berfiande die Wiflenfhaft anfängt;
vom Sinn beginnt fie). Nichts iſt im Verſtande, was
nicht früher im Sinn war °), Aber der Sinn gewährt
feine ſichere Erkenntniß. An Schärfe des Sinnes über-
treffen und die Thiere. Niemand kann feinem eigenen
Sinn vertrauen. Wie die Gegenflände fih ändern, fo
ändert unfer Sinn fih; aber auch wenn die Dinge außer
ung diefelben blieben, würben unfere Empfindungen fih
ändern, fo wie unfer empfindender Geiſt ſich änderte,
welcher niemals derſelbe bleibt. Der Sinn iſt unvermös
gend und das Wefen der Dinge zu zeigen; er weiß bie
Dinge nicht, wie fie find, fondern nur wie er von ihnen
affieirt wird. Unſer Empfinden if ein Leiden oder wenig⸗
ſtens mit einem Leiden verbunden; wir werben durch dass
felbe aus ung entrüdt und wenn darauf unfer Wiffen
beruhen follte, fo würbe unfer Wiffen Berrüdtpeit fein ).
Bir ſcheinen uns in unfern finnlichen Empfindungen wenige
end von uns zu wiſſen; aber von feinem Weſen und
was es über fih zu urtheilen habe, weiß das lebendige
Weſen in feinem Empfinden nichts. Wir wiffen nicht,
ob wir fehlafen oder wachen, ob wir tobt find oder leben;
wir-find vieleicht Wahnfinnige 5). .
1) Ib. art 12.
2) Ib. ar 7 p. 19. b. Nemo sapiens dicet, quod ab intel-
lectu incipit acientia, sed a sensu. CI. ib. I. prooem. p. 2. b.
2) B. I, 1 art 1.
4) Ib. art. 3; 4; 83 8; 9.
5) Ib. art. 10; 11.
Geſch. d. Philoſ. x. 2
48
Diefe Zweifel an ber Wiffenfchaft des Menfchen fucht
nun Campanella nicht in allen Stüden zu heben, ſondern
nur zu befepränfen. Er weißt zuerft bie Übertreibung zus
rück, welche in dem ffeptifhen Sape liegt, daß man
nicht wiffen fönne, ob man wiffe ober nicht wiſſe. Das
iſt zuerfi gewiß, wer nicht weiß, ob er wifle oder nicht,
der muß wiſſen, daß er nicht weiß, Hierin liegt freilich
nur eine Berneinung der Erkenntniß, aber in ihr if ſchon
ein Wiſſen. Zum Belenntniß feiner Unmwiffenpeit kommt
jeder nur durch ein Tanges Bemühn um bie Erkenntniß
der Wahrheit; in der Waprheit aber ſehen wir alle das
Wiffen von den Dingen, wie fie find. Nur dadurch
tommen wir zum Zweifel, daß wir glauben die Dinge
nicht fo zu erkennen, wie fie find. Dieſer Begriff des
Wiſſens liegt allen unſern Zweifeln zum Grunde, daß
es die Erkenntniß der Dinge fein würde, wie fie find H.
Campanella hebt alsdann hervor, dag die Denkweife ber
Sfeptifer mit ihrer Praxis im Widerſpruch ſtehe. Im
gemeinen Leben zweifeln fie nicht; fie folgen da ihrer
Meinung, ihren finnlihen Wahrnehmungen; aber wenn
fie zu wiſſenſchaftlichen Unterfuhungen kommen, dann
erinnern fie fih, daß fie viel Mangelhaftes in jenen ger
funden haben und leugnen die Volllommenheit der Wiffen-
haft, ihre Weife zu erfennen und ihren Zwed, aber
nicht die Wiſſenſchaft, die Kunft, den Sinn überhaupt I.
Was zuerft die Skeptifer anerkennen müffen ohne allen
1) B. l, 2.
2) Ib. I, 3 art.2(1) p. 31. b. cum dicunt se neseire negant
perfectionem scientiae et modum et propter quid, non autem
esse scientiam et artem et sensum.
9
‚Zweifel, iR, daß ihnen etwas ſcheine. Die finnlige Er⸗
ſcheinung der Dinge iſt gewiß. In Ihr findet ſich ſchon
eine Anerkennung des Gegenſtandes, mag er richtig ober
jalſch bezeichnet werben. Der Zweifel beginnt erſt, wenn
man erfahren hat, daß man in der Erfenntniß der Wahr⸗
heit getäufcht werben Tann). Die finnlie Erfeinung,
das erfahren wir oft, kann uns taͤuſchen; fie bebarf der
Ergänzung und Berbefferung 2). Aber dadurch wirb der
Sag nicht aufgehoben, daß es unzweifelhaft wahr iR,
daß wir empfinden, wenn wir empfinden. Empfinden if
nicht ohne Wiffen 5).
Aber mit dem Wiffen von den Erſcheinungen begnügt
ſich unfer Geiſt nicht. Er will wiſſen, was bie Dinge
find. Hierzu bieten nur allgemeine Grundfäge oder Bes
geiffe den Weg und es entſteht daher die Frage, ob wir
dergleichen aufzuweiſen haben, welde nicht bezweifelt wers
den innen. Gampanella fieht nicht an fie zu bejahen.
&r zeigt ſolche Grundfäge nad, indem er auf ben Auges
ſtinus ſich beruft, der ihm hierin den Weg gewiefen *).
Sein allgemeinfter Grundfag if, daß ich, welcher ih
vente, auch bin. Denn follte ich auch im Denken irren,
fo würbe man doch geſtehn müſſen, daß ich im Irrthum
bin. An biefem Grundfag lann daher fein Zweifel fein ).
EL
2) Ib. prooem. p. 2. b.
3) Ib. I, 1, art. 1. Sentire est sapere, ein häufig wiederkeh⸗
tmder Saß, der auf den heiligen Vernhard zurügefüprt wird. Sa-
piens est, cui res sapiunt, prout sunt,
4) Bergl, Geſch. der Säit. VI S. 205 ff.
5) Metaph. I, 3 art.3. Mus dem Auguſtinus. Mihi certissi-
2*
Es iſt alſo das Selbſibewußtſein des Deulenden, auf
‚welches er als auf die erſie und ſicherſte Wahrheit ſich
beruft. Jedes Ding erlennt zuerſt fh, dann anderes.
Mit großer Ausfuhrlichteit und hierin feines guten Grun⸗
des fich bewußt, ſpricht es Gampanella aus, daß alle
unſere Erlenntniß wie alle unſere Thaͤtigkeit von uns ſelbſt
‚ausgeht 2). Dem Selbſtbewußtſein fügt er einige weitere
Beftimmungen zu, welche zu Haltpunkten für feine fort»
ſchreitende Unterfuhung dienen follen. Es liegt darin
das Bewußtfein des Könnens, des Wiffens und der Liebe.
Indem ich denfe, weiß ich, daß ich wiſſen, daß ich itren
fann, weiß ih von meinem Wiſſen, von meinem Wollen.
Dabei aber bleibt Campanella fih bewußt, daß bie er-
tennende Seele ber Ausgangspunkt if, von welchem
aus alle weitere Folgerungen gezogen werden mäffen 2).
Auch die Beſchraͤnkungen feines Prineips entgehen ihm
nicht; denn als Folgerung fügt er hinzu, daß wir-in
anferm Können, Wiſſen und. Wollen befepränkt, find; wir
find etwas, aber nicht alles; wir wiflen, können und
wollen etwas, aber nicht alles überhaupt 9. Diefer
zweite Grundſatz entfpringt ihm aus der Nothwendigkeit
mum est, quod ego sum. — — Si negas et dicis me falli,
plane confiteris, quod ego sum; 'non enim possum falli, si
non sum.
4) Ib. 1, 5 art. 13. Daß er Hierin zu dem BVorläufern des Cars
tefius gehört, fann niemand. vertennen.
2) Met. I, 3 art. 3 in der Überfärift Heißt es, cur de anima
cognoscente et de modo cognoscendi prius dicere oporteat,
3) L.L: Ergo nos esse et posse scire et velle eat certissi-
mum priscipium primum, deinde secundario, nos esse aliquid
et non omnia et posse, scire, velle aliquid et non omnia vel
omnino,
bie Erſcheinungen anzuerdenuen, welche niemand leugnen
laun, welde wir aber von der und angeborenen Erfenntnig
unfer felbR unterſcheiden mäflen 2), Wenn uns jebod
dieſe Erſcheinungen Erlenntniſſe der äußern Gegenflände
zuführen, fo follen wir. babei eingedckt bleiben, daß wir
von ihnen nur Kunde haben durch ums feld, weil alle
Erſcheinungen und mur dadurch zulommen, daß wir von
ihnen und afficirt wiſſen. Weil durch ſolche Erſcheinua⸗x
gen unfer Weſen geſtoͤrt und verwirrt wird, weil wir,
durch fie uns enifrembet werben, nur daraus flammt ung:
ber Irrthum und ber Zweifel, Sie haben ihren Grund
in der Verwirrung ber eingebornen und ber angebrachten
Erenntniß I. ,
Campanella unterfucht nun feinen Orunbfägen gemäß
zuerſt die erfennende Seele. Er hebt mit ber Betrach⸗
tung ber Empfänglihfeit an, welche fie für die Außen⸗
weht Pat. Alles Empfindende nimmt zuerft auf, dann
fühl «6 das Ginnlige und daraus entſteht ihm Liebe
oder Haß. Daher muß es ein Weſen fein, welches bas
Vermögen hat aufzunehmen, dann zu beustheilen und
endlich in Liebe ober Haß zu begehren. Das erſte hier⸗
bei if ein, Leiden in der Aufnahme der Wirkung, welche
von einem Andern ausgeht. Durch fie willen wis, was
das Wirkende iR, weil e4 eine ihm aͤhnliche Wirkung in
4) L.1. Quapropter notiones communes habemus, quibus
facile assentimus, alias ab intus, innata ex facultate, alias de
foris per universalem consensum omnium entium et hominum.
2}L.L Nee ungusm ens ullum potest aut scit au valt
aliquid, nisi quia se ipsum illo aligyo affectnu. — — Confusio
- notitiae innatae et illatae deceptionem pera& Ib..1, 8 art. 1
B60. a.
uns hervorbringt ). Die empfundene Sache muß hier-
bei von uns verſchieden fein, ja im einem Gegenfag ge-
gen und ſtehn, weil nur dadurch ein Leiden von ihr in
ung hervorgebracht: werben fannz fie muß aber auch et⸗
was Gleichartiges mit uns haben, weil nur Gleicharti⸗
ges auf. Gleichartiges wirlen kann. Das Gleichartige
beidertbefteht in der Materie. Nur ein Körper Tann einen
Korper berüßren, und wenn bie empfindenbe Seele alſo
von dem äußern Körper berührt wird, fo muß fie förperlich
fein: Sie wohnt im Gehirn; ale ein feiner Lebensgeiſt
Täuft fie durch die Nerven und hat wie der Schiffer im
Schiff ihre Wohnung in dem gröbern Leibe. Die Sinne
find nicht Werkzeuge, fondern nur Candle, durch welche
die Wirkung entfernterer Dinge an und herangebracht
wird. Für eine veine Form dürfen wir alfo die empfin⸗
dende Seele nicht anſehn; nur durch die Berührung mit
dem Sinnlihen wird die Empfindung in ihr bewirkt.
Gegen bie Koͤrperlichkeit der Seele ſcheint es dem Campa⸗
nella nur ein leerer Einwand zu fein, daß fie ein einfaches
Weſen fei. Vielmehr zeigt die Mannicfaltigfeit der Em⸗
pfindungen, welche zugleich gefühlt werben, bie Gleich⸗
geitigfeit der Gebächtnißeinbrüde, welche die Gewohnheit
bes Denfens in und ergeben, daß fie zufammengefegt
RN. Durch ihr Leiden wird nun aber die empfinbende
Seele der empfunbenen Sache aud nicht ganz gleich ger
macht. Sie nimmt nur einen Theil bes empfunbenen
1) I. I, & art. 1. Sensus ergo videtur esse passio, per
quam scimus, quid est, quod agit in nos, quoniam similem
entitatem in nobis facit,
2) 1b. I, 4 art 2; 3; 5; 7; 5 art. 2; XIV, 1 art.1.
Ale
2°
Gegenſtandes in fih auf,, verliert, über barüßer‘ ibr eiges
nes Sein nit, fo daß alte, was Ahr von außen ans
tommt, nur ein Ähnliches Bild "von fig ihr, einbrüden
fann. Durch den äußern Eindrüd, wird "afepann der.
Sinn unfer ſelbſt überbedt, aber nit vernichtet », “
Bon dem finnficpen Empfinden fhreitet, um, Game.
nella zum Erkennen fort in oͤprlicher meh, wie es nach
peripatetiſcher Weiſe hergebracht war. Grvägtnig und
Einbildungsfraft vermitteln die Sammlung innlicher Ein⸗
drücde und führen zur Erfahrung. Hieraus ‚Sollen, fi,
aber aud) die allgemeinen Grundfäge erflären laſſen, welche
wir in den Wiſſenſchaften gebrauchen®). , Hierin” reitet,
er nun gegen bie Lehren ber Peripatetifer und Platoni«
fer, welde eine von unferer Sinnticfeit unterfchiebene
Tätigkeit unferes Berftandes annehmen. Weder der tha⸗
tige Verſtand der erſtern, noch die eingebornen Begriff
und die Wiedererinnerung ber Iegtern finden bei, ‚ihm On
Sie erſcheinen ihm nur als Dicptungen, als ein ungehö⸗
tiges Einmifchen göttlicer Wunder in den natürlichen, Ders,
lauf unferes Denfens. & ſchließt ſich der Lehre dpa Ter⸗
tullian, des Teleſius an, daß der Sinn allein wife
Die unmittelbare Gegenwart ber Dinge belehten ung, uerſt,
days kaͤmen unſere Erinnerungen, 99. vergangene Ein⸗
drũcke, die ſchon weniger ſicher wären, und noch weiter
i) B. I, 4A art 4; 8 art. 1. Quidquid tactu infrinseop per-
eipimus, ita ut illud in mobis et nos in #lo.simus, sappre ejus
affecti illud sapimus, quia actio eorum est communjcatio euti-,
tatis. — — Sensus rerum pccultat sensum nostri, ab muta-;
ionem nostri in ipsas. . .
2) L L p.61.a; V,1 art 3.
3) Ib. 1,8 art.1 p.6l.a. Sensum solum sapere,
2,
die Überlieferungen, gfaubwärbiger Mengen, die wir mit
Vorſicht zu gebrauen hätten; durch dieſe Mittel würden
die Theilvorfellungen, welche, bie unmittelbaren fi innlichen
Einbrüde, von den Sachen uns, „ mittfeifen, . zur Wiſfen⸗
ſchaft "ergnit zas wi "aber Berfand zu nennen plege
ten, vas bei nur auf, einem. Zufammenfefen ber eins
zelnen Eindrüde, welche jeder für ſich nur. ei geringes,
Erkennen geben fönnten, aber zu einem Korper zufam⸗
mengebraät, bie ag Wiſen chaft Sifeten. Der
t " Sefteht in einem, Empfinden
gieichiam von, “fern, "in em ichwachen Empfinden ber,
halb dergeſſenen Gedã chtuißeludruce welche zu einem
verworrenen Bilde fü fg, vereinigt und dadurch die allge⸗
meine Vorftellung ereigefüpet haben. Seine Erkenntniß
beruht ‚nur darauf, daß die verwiſchten Eindrüde doch
noch eine Ahnlichkeit mit der urſprünglichen Empfindung
behaupten und „daher gefchiett find ben Gegenftand ung
darzuftellen Di ierauf Täuft alle Abltraction des Ver⸗
ſtandes hinaue daß wir in den älfgemeinen Vorfellur en’
nur ſchwache Nachwirtungen der Empfindungen ı vädfländig
Habeh! ¶ Es gehört feine thatige Kraft bee‘ Gei⸗
Res. "Tonbern nur ſwlche der ſinnüichen Thaͤtig·
teit in welcher ber beſondere inbeud | falten, ‚geaffen
—
1) Ib. I, 4 art. 4. Intelligere vero’ (sc. est) sentire langui-
dum et’4 longe et confusum. -Ib. 6 att. 4; 5; 6. Ratiocinari
ent sentire Mliguid hok in se, sed’ suo simili. Ib, V, 1 art.3.
Est discatsus‘ — —"sehtire in simfli similla. — — Est intel-
lectus, notitia nimirum intus legens „et colligens ca, quae sin-
gulae praeriae sognitiones de loris Östendunt. J
wirt. ‚Gegen biefe abfiracte Exfenntniß des Verſtandes
eifert Sampauplla nicht weniger als Nizolius und den
Weg gerfoigend, welchen Teleſius eingeſchlagen hatte,
glaubt er unſere Erlenntniß der. Außenwelt auf eine
Sammlung finnliger Eindrüde zurüdführen zu koͤnnen.
Jeder ſinnliche Eindrud. zeigt nur eine Wirkung, gleichſam
einen, Tpeil ber Sache, welde uns berührt; dann aber
fommepn wir bie ſinnlichen Einbrüde zu einer Vorſtellung
des Ganzen unb fliegen darauf auf bie Subſtanz des⸗
felben. Die verſchiedenen Tpeilvorftellungen, welde wir
vom Apfel durch Geſicht, Gefül, Geruch, Geſchmad
empfangen, bilden. uns. zuletzt ben Gedanlen des ganzen
Apfels, ohne daß unfer Verſtand diefen Tpeiloorftelungen
etwas Hinzufegte, ſondern nur weil unfere Seele fie ale
in fi vereinigt I, Daher legt Campanella auf bie Ins
duction das größte Gewicht, wenn ex au nicht genauer
1) Ib. I, 5 art. 1. Ahstractio universalis non ft per virtu-
tem aliquam agentem, sed ex languore activitatis in singulari-
tie vel ex. raritste agendi.
- 2) Ib, I, Aapt:4. Seusus est partis sapientia, tolius vero
sinilum est scientia, ratio et syllogismus. — — Omnes sensus
s rei cognitionem. Quemadmodum pomum
&choratam et —— taetu ——
quoniain idem ‚unusque sensus, ei vere spiritus sentiens audit,
videt, gustat, ‘olfacit. — — Ergo ex sensilibus notis ex parte
per serisum ;.6£. ex. into’ per judioium nascitur argumentum. et
scienjia de. toto ot partihus essentialibus et integrantibus. Men
het es dem Paolo Sarpi nadgerühmt, daß er der Vorlaufer Lode's
in feiner Erfenntnißtheorie geweſen ſeiz man wird aber bemerken
müffen, daß auch deſſen Gedanten über dieſe Dinge in fener Zeit noch
weiter verbreitet waren. Y
2%
ihre Methode entwidelt und fogar bie Nothmenbigkeit‘
einer volftändigen Induction für die Erkenntniß des
Weſens der Dinge ablehnt !), Eben deswegen geſtehi er
auch zu, daß dieſe unſere Erkenntniß, in welche der vers“
worren abſtrahirende Verfand fich einmiſcht, keine voll⸗
tommene Sicherheit gewähren koͤnnte, wenn fie auch nicht
voͤllig unwiffend ung zurädfaffe. Selu Endergebniß ſpricht
ſich in dem Sage aus, daß alle unſere Wiſſenſchäften
von den weltlichen Dingen auf Geſchichte ſich grüben 3. |
Eine Lehre, welche alles Erkennen auf’ Erfahrung und '
die Erfahrung auf den Sinn zurädzubringen ſucht, mußte
mit dieſem Ergebniffe enden. Campanella Bat dies deut⸗
lich eingefehn und ausgeſprochen. Die ſenfualiſtiſchen
Grundfäge, welche Teleſius anfgeftellt hatte, find von
ihm fo deutlich entwidelt worden, daß’ die fpätern Phi—
Kofophen, welche biefem Wege folgten, nur noch im Ein⸗
zelnen ihm nachquarbeiten hatten,
Campanella aber vergißt über diefe ſinnliche Erkenntniß
der äußern Dinge auch die zweite Quelle. einer. fihern.:
Erkenntniß nicht, welche Ihm Schug gegen. ben Skepticis⸗
mus bieten ſollte. Er Fonnte fie um fb weniger ver⸗
geffen, je fiherer es ihm feſtſtand, daß die erſte Quelle
nur auf Erkenntniß der Erfcheinungen führt, . Zwar haben:
biefe in Tpeifoorftelüngen und Ähnlichteiten der Dinge
ſich ihm verwandelt, aber dies wird nicht ohne ein Urtpeif,,
über bie finnlichen Empfindungen vor fih gegangen ſein,
und wenn auch Gampanella nicht immer das Urtheil von
4) Ib. III, 4 art. 2.
2) Ib. V, 2 art2. Itaque principia seientiarum sunt nobis,
historiae, Ahnliche Kußerungen kommen öfter vor. \ \
27
den Folgen der finnlichen Eindrüde mit völliger Sicher⸗
heit unterſcheidet, fo überfieht er doch nicht, daß In un
ferm Urtheil über die Dinge unfere Gedanfen auf uns
zurädgehn. Er ſtreitet über biefen Punkt fogar gegen
feinen Lehrer Telefius. In der finnlihen Empfindung
follen wir nicht bloß ein Leiden erbliden, fonbern eine
Tpätigteit, welche in unferer Seele aus dem Leiden ente
ſpringt, indem der ſimliche Einbrud in uns und mit
unferm Zuthun wahrgenommen wird. Zum Beweiſe führt
Campanella an, daß wir nicht alles wahrnehmen, was
wir leiden, fo wie uns denn im Schlafe und ſonſt viele
Einbrüde entgehn. Um zur Erkenntniß deſſen zu gelan⸗
gen, was in der ſinnlichen Empfindung von uns gelitten
wird, muſſen wir eine Thaͤtigkeit üben, welche urtheilt,
daß die empfundene Sache erlannt wird, wie fie iſt 9.
Diefes Urtheil aber ſchließt ſich an die Selbſterlenntniß
an. Das Leiden wirb nur erfannt, weil ed dad Sein
des Erlennenden trifft. Wo eine mäßige Veränderung
in und durch ein Anderes hervorgebracht wird, fo daß
unfer Sein baburd nicht aufgehoben wird, da empfinden
wir und verändert durch ein Anderes und werben durch
den Sinn, dur die Empfindung unfer felbft zu der Er⸗
lenntniß des Andern geführt 2).
Die andere Erkenntnißquelle, welche Eampanella an
qunehmen ſich gebrungen fieht, iſt demnach ber innere
4) Ib. 1, 5 art.i. Sensum non passionem, sed perceptio-
nem passionis esse. — — Videtur tamen magis actus ense
B. V, 8 ar. 1; 4
| 31. VI,8 art 1.
®
Sinn, der, Sinn feiner ſelbſt. Die At ber Benennung
drüdt deutlich aus, daß Campanella durch feine Annahme von
feinen ſenſualiſtiſchen Grunbfägen ſich nicht entfernen wit.
Den Sian feiner ſelbſt aber betrachtet er als den Grund aller
Erlenntniß. Denn. nach dem, Angefäprten hängt -bie Er⸗
kenntniß buch den äufern Sinn non ber Erlenntuiß unfer
ſelbſt ab. Dies if. der durchgehende @ebanfe feiner Lehre, -
welche überall das Erlennen, bas Lieben, das eigene
Sein des Erkennenden zum Erſten macht und daraus erſt
die Beziehungen zum Außern abfeitet 2). Alles weiß zuerſt
fi, dann. Anderes. Campanella fegt, wie wir und aus-
brüden würben, bie reflexive Thätigfeit, vor ber tranſiti⸗
ven, jene als Grundlage biefer. Dur die Gegenwart
unferer felöft wiffen wir in angeborner Erfenntnig zunächft
von uns ſelbſt ). Daraus entfpringt ihm ber Gegenfag
zwiſchen ber angebornen, ben Dingen ihrer Natur nach
beimohnenden Erlenntniß von fih,, welhe er au bie
verborgene, nemlich im Innern ber Dinge verbosgene Er⸗
kenntniß nennt, und zwiſchen den angelommenen, zugeführ-
ten Erfenntniffen der äußern-Dinge. Diefer Gegenfag-
Täuft durch feine ganze Lehre hindurch. Mit den ange⸗
bornen Ideen der Platonifer will ex jenen angebornen Stan
nicht verwechfelt wiſſen.
Die Erleuntnißtheorie entwidelt nun Campanella in
Verbindung mit feinen metaphyfiihen Anfihten vom Sein
der Dinge. Diefe ftügen fi auf jene. Wir fahen fhon,
bag. er, die Selbflerfenntniß als eine Erfenntniß unſeres
1) D. Il, 15.0103.
2) Ib. VI, 8 art. 1 p.59.a. Animam et res cpgnoscontes ,
notitia innata cognoscere se ipsas praesentaliter..
Könnens, Wiſſens und Wollens bezeichnete. Er findet
nun aber auch weiter, daß wir biefe drei ald Grunbeis
genſchaften (primalitates) aller Dinge anzufehn haben.
Unter Grumbeigenfchaft ober Primalität verficht er die
Eigenfchaft, durch welche das Seiende zunaͤchſt fein Wes
fen Hat. Als ſolche Hegen bie Primalitäten aller Wirt-
famfeit, jeber Art der Entwidlung und den veranlaffen-
den Urſachen zum Grunde; dadurch daß fie nach außen
ihre Wirkfamfeit erfireden, werben fie Principien und
bringen das Leiden anderer Dinge hervor. Alle Primali-⸗
täten gehören zuſammen und bilben als weſentliche Ei⸗
genſchaften das Wefen bes Dinges ). Die erfie Prima
lität iſt das Können (potentia); denn nichts ifl, was
nicht fein könnte; bie zweite Primalität if das Willen
(sapientie), denn alles, was ift, hat einen Geſchmack ſei⸗
nes Seins und weiß fih; bie britte Yrimalität iſt bie
Liebe oder der Wille, denn alles Tiebt fein Sein. Die
entgegengefegten Beftimmungen kommen bem Nichtſeienden
zu 5). Der Beweis für das allgemeine Vorfandenfein dies
fer Grundeigenſchaften ſcheint ihm weniger Schwierigfeis
ten bei ber erfien und Testen, als bei ber mittlern bar»
ubieten. Denn bie gemeine Meinung nimmt an, daß es
Dinge gebe, melde nichts von fih wiſſen. Gegen fie
führt er manches Abergläubifhe an, von der Sympathie
der Dinge, von der Empfindung, melde auch Leichname
1) Ib. I, 2 art1. Primalitas est, unde ens primitus essen-
tiatar.
JLL
3) Ib. art. 4. Non enim est ullam primum, — — nisi possit
esse quoquo pacto, sapiat esse, amet esse.
30
noch verriethen; ſelbſt der Raum ſoll Empfindung haben,
wie die Flucht des Leeren beweiſe; der Stein, welcher
falle, zeige ein Beſtreben, welches nicht ohne Sinn ſein
könne. Dieſe Beiſpiele ſollen jedoch nur feinen allgemei⸗
nen Grundſatz veranſchaulichen. Er beruht auf der über⸗
zeugung, daß die ganze Welt ein lebendiges Weſen iſt.
Die Geſchoͤpfe muͤſſen das Bild Gottes an ſich tragen
und Können baher auch nicht ohne Weisheit fein. Nur
deswegen firebt alles fein Sein zu erhalten, weil es fein
Sein liebt; aber wenn es von feinem Sein nichts wüßte,
würde es dasfelbe nicht lieben lönnen y. Die Elemente
möffen Empfindung haben, denn fonft könnte das empfin«
denbe Tpier nicht aus ihnen ſich zuſammenſetzen ). Die
Welt würde ein Chaos fein, wenn nicht ber Sinn wäre,
welcher bie Dinge lehrt ſich von einander zu unterſcheiden,
das ihnen Befreundete zu ſuchen, das ihnen Feindliche zu
fliehen). Daher hat jebes Ding den Siun und das
Erfennen feiner ſelbſt. Das Wiffen feiner ift fein Sein,
das Wiffen Anderer das Sein Anderer. Die angeborne,
in ſich verborgne Erfenntniß kann feinem Dinge fehlen 9.
So wie aber unfer Erkennen unfer Sein, uns beglau«
bigt, fo bezeugen auch die Befchränfungen unferes Erken⸗
nens unfer Nichtſein. Diefe Befhränfungen lernen wir
aus den Erſcheinungen kennen, welche uns ankommen,
Sie. ſtammen aus der Empfindung des Äußern und eine
1) b. VI, 7 ar..
2) Ib. art. 6.
3) Ib. art. { p-40.b.
4) Ib. VI, 8 art. 1. Cognoscere est esse. Ib. art.4. Notitia
sui est esse suum, ‚nolitia aliorum est esse aliorum.
X
4
jede Empfindung bed Außern fept ein Leiden voraus und
eine Empfänglichleit, Das Empfangen kommt einem Dinge
nur zu, fofern ihm etwas mangelt!). Go vereinigen ſich
in und bie oberfien Gegenfäge, Seiendes und Nichtfeien-
des. Das Nichtfeiende if nicht an ſich; aber an den end⸗
lien Dingen befteht es; es begrenzt fie und ſondert fie
von andern endlichen Dingen ab. Diefe Verbindung
des Seienden mit dem Nichtfeienden erfcheint dem Cams
panella als eine wunderbare, tranfeendentale Sade.
Die Beraubung dürfen wir nicht wie Ariſtoteles als ein
natürliches Princip fegen, weil nur Seiendes wirken lann.
Er frägt daher, wie das Geiende mit dem Nichtfeienden
ih miſchen laſſez wie das letztere an den endlichen Din⸗
gen Dafein gewinnen könne, obgleich es nicht if. Er
geſteht ein, daß er dies nicht begreife). Aber dennoch
das Dafein ber endlichen Dinge, bas Leiden und Werben
derfelben, wie es in unferm Selbftbewußtfein ſich ausdrückt,
verbürgt ihm, bag wir eine Verbindung bes Seienden
mit dem Nichtfeienden anzunehmen haben. Es laſſe ſich
nur niemand durch die Erſcheinungen täufhen, in ihnen
fein wahres Sein zu fuchen. In feinem Sein ift ein jes
des Ding ebler, als in ben Beflimmungen, welche es von
außen empfängt, Was uns äußerlich zuwächſt, haben
wir nicht für unfer wahres Sein, für einen wahren Zus
wachs zu halten. Seiendes wird nicht durch äußere Ein-
4) Ib. VII, 3 art 1; XIV,4 art.i. Pars passiva non est
animae in quantum anima, sed in quantum natura deficiens.
2) Ib I, 3 art.4; VI, 12 arti.
3) Ib. VI, 3 art. 3. Compositionem ex ent et nihilo esse
ranscendentalem. — — Sed mirum quidem, quo pacto negatio
componat cum affirmatione et non esse cum esse.
=” -
wirkung hervorgebracht; fie verändert nur dad Gein, fie
fügt etwas zu, mas nicht das ewige Wefen bes Dinges
iſt und befcpränft ober verunreinigt baher biefes Wefen.
Das Werben ber weltlichen Dinge erzeugt fi nut "in
ihrem wechſelſeitigen Leiden, indem fie ſich gegenfeitig
beſchraͤnken H.
Durch das Räthfel der Verbindung bed Seienden mit
dem Nichtfeienden wird Campanella auf bie Betrahtung
des ſchlechthin Seienden geführt, weil diefes ihm viel ein⸗
facher und begreiflicher als jenes bedingte Sein zu fein
ſcheint. Das ſchlechthin Seiende if immer, denn es giebt
nichts außer ihm, was es feines Seins berauben fönnte,
Es ift unendli aus demfelben Grunde. Was dagegen
nur in einer beftimmten begränzten Weife ift, von bem
gilt das Gegentheil. Es iſt anderer beftimmter Meifen
des Seins beraubt; es muß als ein Abhängiges angefehn
werben und kann nicht das Erfie fein. Daher muß es
angefangen haben zu fein und fein Dafein vom ſchlecht⸗
hin Seienden haben. Wir fehen daher wohl, daß mir
diefes ohne jenes, aber nicht jenes ohne biefes denfen
tönnen 2). Diefe Gedanken werden von Campanella in
ſehr abſtracter Weife ausgeführt, nicht viel anders als
früher von den Eleaten, in den Gegenfägen, welche er
im Parmenides des Platon fennen gelernt hatte. Er for-
dert ein erſtes Seiendes, welches Grund oder Schöpfer
1) Ib. VI, 6 art.2. Fieri non est produci ens, sed limitari
ens a non ente, et nobilius esse ens, antequam fiat, et in
potentia quam in actu exteriori. — — Nos autem decipimur
Himitationem pro esse vero accipientes.
2 B. VI,1 at.
23
ler Dinge if, welches alles Gein ohne Ausnahme in
fih ſchließt. Wir nennen es Gott. Wir haben ipn als
ſchlechtbin einfach zu denfen, weil feber Unterſchied eine
Berneinung vorausfegt. Eben beöwegen können wir von
ihm nur ſtammelnd reden, weil unfere Sprache Zuſam⸗
menfegung ber Worte gebraugt I), Obgleich wir ipn das
Seiende nennen, ift er doch das Seiende nicht in dem
Sinne, in welchem wir andere Dinge feiend nennen;
er iſt nicht Subſtanz und nicht Geiendes, fondern nah
bem Dionyfus Areopagita Überfubftang und Überfeiendes.
Er iſt alles mit Ausſchluß der Unvolltommenpeiten, welche
den gefcpaffenen Dingen anflebenz er iſt alles, abes auch
nichts, Wenn wir dies erlennen, finden wir und an der
Grenze der erften Dunkelheit und im Beginn ber andern,
welche das göttliche Licht iR) Wir werben nicht nötpig
haben über dieſe Säge uns weiter auszubseiten, welche
und in ber Denkweife ‚biefer Zeiten ſchon oft begegnet
find. Wenn jemand ſich davon überzeugen wollte, wie
wenig gewiſſe Formeln, melde man gewöhnlich fär Be
weile des Pantheismus angefehn hat, zu bebeuten haben,
befonders in biefer Zeit, welcher fie faſt zur Gewohnheit
geworben waren, dem könnte man rathen fie beim Cams
panella aufzuſuchen, deſſen Denkweife doch vom Pantheid«
mus weit entfernt iſt.
Dean nachdem er ſich des Begriffs Gottes verſichert
hat, fährt er fort gang orthobor Aber ihn unb feine
Schöpfung ung zu unterrichten. Nicht umfonft ſteht der
1) Ib. U, 3 art.3 p. 104. b.
2) Ib. VI, 5 art. 1; 6 art. 4; VII, 1 art. 1.
Geſch. d. Philoſ. x. 3
\
|
.
3
Sag da, daß alles in Bott fei mit Ausflug der Uns
vollfommenpeiten, welde den geſchaffenen Dingen beiwoh⸗
nen. Er wirb dazu gebraucht auf Gott bie Primalitäten
zu übertragen, welde wir an uns und ben Dingen ber
Welt gefunden haben, das Können ober die Macht, die
Weispeit und die Liebe. Sie bilden die Dreipeit in ber
Einpeit Gottes. Denn Campanella gefteht zu, daß in
Bott Mat, Erfennen und Wollen eins find. Gottes
Erkennen {ft nicht wie das unfere buch Reflerion und
Difeurs, weil ex ſich nicht entfremdet if. Gottes Tun
ift fein Sein; denn alles Thun if nur ein fließendes Sein
und alles Sein if nur ein bleibendes Thun). Aber
dennoch iſt eine Analogie zwifchen den Primalitäten Got
« te6 und ben Primalitäten ber Geſchöpfe; denn jene er-
‚fennen wir aus biefen, biefe haben ihren Urfprung aus
‘jenen unb nichts kann in ber Wirkung fein, was nicht
früher nur in einer höhern Weife in ber Urſache war;
nichts Tann geben, was es nicht hat ?). Aber Gott hat
auch aus der Fülle feines Seins gegeben unb feine Prie
malitäten den Dingen mitgetpeilt: Dies wird wohl als
eine Emanation Gottes beſchrieben; aber auch als eine
Cmanation bes Nichte, als eine unausſprechliche Emana⸗
tion 5), was deutlich zeigt, daß auf den Ausdruck Ema⸗
nation fein Gewicht gelegt werben darf. Sonſt herſcht
bei Gampanella die Schoͤpfungslehre. Bott hat alles aus
dem Nichts gemacht nach feinem freien Willen, Er ift
4) Ib. VIII, 4 art. 3. Existere est facere permanens, sicut
facere est existere Äluens.
2) Ib. VI prooem.; 7 art. 6.
. 3) Ib. 1, 5 art. 2; VI prooem.
3
die analoge Urſache ber Dinge 1). Da von feinem Wil
len die Welt abhängt, Hätte er auch wohl eine andere
Welt ſchaffen können. Warum er nicht eine beffere Welt
gemacht habe, wiffen wir nicht, fa fogar die Möglichkeit
wird zugegeben, baß er noch andere Welten gefhaffen habe,
von welchen wir nichts wüßten 9). Aber die Unendligkeit,
welche ihm allein beiwohnt, fonnte er doch auf feine Ge⸗
ſchöpfe nicht übertragen; das Nichtſein, die Beraubung
mußte an ihnen haften, weil er die geſchaffenen Dinge
nur aus dem Nichts hervorbringen lonnte ). Campa⸗
nella iſt ſich bei dieſen Unterſuchungen bewußt, daß ſie
unſern Verſtand überſteigen; er ſchreibt daher den Lehren
der chriſtlichen Kirche über dieſen Punkt nur zu, daß fie
vernunftmäßiger find, als andere Lehren ber Philoſophen ).
Seine Schöpfungsiehre ift fat ganz Thomiſtiſch. Gott
trägt in fi die Ideen der Dinge, auch ber Individuen.
Sie bezeichnen das Weſen Gottes, fofern es in verſchie⸗
dener Weiſe mittheilbar if. Daher giebt es viele Ideen.
Jede iſt nur ein praltiſches Vorbild beffen, was ausge⸗
führt werben faun; ber Wille Gottes iſt das Complement
ihrer Möglichkeit. In fi) vereinigt jebe Idee Abſolutes
und Relatives; das Abſolute in Apr iR das Wefen Got⸗
tes, welches in ihr ſich darſtellt, das Relative beruft
auf der Mittheilbarleit desſelben ). Die Einfachheit Got⸗
4) Ib. VL, 2 art 4; 3 art.
2b. VI,5are.
..3) Ab. IK todiill, artıd. p. 28T. Deus enim — 2 non
.polest dare finjtudines nisi utando nihilitate. .
4) Th. art. 2. p 288. b..
5) Ib. U, a, 2; XI, 1 ari 1.
3*
tes bei. der Bielpeit der in ihm enthaltenen Ideen fol
durch diefe Lehre gerettet werden. Daher wird auch bes
hauptet, daß die Ideen nur das Berpältnig Gottes nach
außen bezeichnen H. Aber alle Geſchöpfe find doch ihrer
Wahrheit nach in Bott. Denn außer dem unendlichen
Gott iſt nichts möglig. Wenn wir von Dingen außer
Gott reden, fo wollen wir damit nur fagen, daf fie ein
Nichtfein am ſich tragen, welches in Gott nit fein lann 2).
Daher find die Welten, welde Campanella unterſcheidet,
die ideale, die geiftige, bie förperlihe und die mathema-
tiſche Welt und wie fie weiter heißen, alle in Bott ihrer
vollen Wahrheit nad; fie Rellen fein Weſen nur in mehr
und mehr befchräntter Weife dar und ruhen in feinem un«
veränderlihen Willen. Jede. höhere ſchließt die niebere
Welt ein und die Höfe, bie ideale Welt, wird zuletzt
von. Bott eingefchlofien. Aber dies fpricht uns davon
doch nicht 108, daß wir alle Gefchöpfe wegen des Nicht
‚feins, welches ihnen anklebt, als außer Bott zu benfen
haben. Jedes Geſchöpf, auch der höchſte Engel ſteht un⸗
endlich von Gott ab und nähert ſich mehr dem Nichts
is feinem Schöpfer 5). J
Wenn nun Campanella auch zum Gedanlen Gottes
fich erhebt, fo giebt er doch datum den Stanbpuuft. bed
endlichen Dafeing und Erlennens nicht auf. Wir empfis⸗
1) Ib. II, 3 art.6 p.112.a; VI, 3 art.
2) Ib. VIII, A art.3. Infiaitum extra infinitum non potest
ire. — — Suum producere est suum esse. Ib. art.4. Omnia
auni ĩn ipso (sc. deo). _— Quidqwid finitam reputatar extra |
ipsum; finitur enim a nom esse, om eme Wütem udn" ent in
deo, sed in nobis, ideirco reputätur extra deuin.‘ : " |
3) Ib. VII, 4 art 8; X, 1 a8; XV, 2 an. 4. |
Ey i |
37
den und, wir empfinden Anderes, Dies ift bie Grunde
lage. unferer Wiſſenſchaft. In beiden Zällen aber em⸗
pfinben wir nur Beihränftes. Die Beſchraͤnkung ger
hört zum Dafein der Gefcpöpfe. Wenn das Geſchoͤpf
nicht befhränft wäre, fo wäre es unendlih, fo wäre es
Gott. Die Befhräntung iſt ein Übel, eine Beraubung
des hoͤchſten Cuts; fie burfte aber doch nit fehlen.
Bern das Übel nicht wäre, ja fogar das Böfe, fo
würde alles nur Chaos fein H, lehrt Campanella in
demfelben Sinn, in welchem er gelehrt hatte, daß ohne
Sim ber Dinge nur Chaos fein würde.
Und unſtreitig lag in der Anordnung feines Syſtems
diefe Folgerung. Denn fo wie bie zweite Primalität in
dem Sinn, der Sinn aber im Sein der Dinge gegründet
it, fo die dritte in der Beraubung und im ÜbeL Nur
um dem Übel abzupelfen wollen wir. Bei der Unter
ſuchung der dritten Primalität fommt die Freiheit ber
Dinge in Frage. Was Campanela über fie äußert, ift
nicht ohne Schwankungen. Er eifert gegen die Lehre
Ealvins, welche er ans dem Koran gefhöpft zu haben
feine I. Weber eine Vorberbeftiimmung zum Guten,
noch zum Böfen wil er zugeben; die Dinge müffen ihr
eigenes Berdienft haben, für ihre eigene Schuld Strafe
leiden 3), Aber die Breipeitsichre des Campanella fließt
fh an die Lehre der Thomiſtiſchen Theologie an und
theilt auch ihre Schwankungen. Das Wollen hängt vom
Erfennen ab; weil die Weispeit die zweite Primalität ift,
4) Ib. IX, 9 art.5.
2) Ib. VI, 7 art; X, 6 ar..
3) Ib. VII, 5 ar.8; IX, 3 arti; Sart5; XV, 1 ar.
.
38
muß bie Liebe als die dritte Primalität von ihr aus⸗
gehen 3. Zu feinem Zwede ift der Wille nothwendig
beſtimmt; in ber Wahl der Mittel wird er buch bie
Überlegungen der Weisheit, durch äußere Eindrüde und
durch den göttlichen Geift geleitet, Das Rothwendige
muß das Complement des Möglihen abgeben und wenn
Campanella auf bie Notwendigkeit der Dinge fieht,
welche ihrer Natur nach ihren Willen und ihre Wirkung
haben müffen, und auf ben ganzen Zufammenhang, wel-
hen Gott georbnet hat, fo ſcheint ihm eine jede Hande
fung dem Scidfal unterworfen zu fein, und wie fie ein-
mal beftimmt iſt, nicht ausbleiben zu Fönnen. Wie ein
jedes Ding ift, fo if es nothwendig; wie es ift, fo er-
kennt es und fein Wille muß feinem Erkennen entſprechen.
Daher fieht Campanellq in der Nothwendigkeit, in dem
Schidſal und in der Harmonie die drei großen Einfläffe,
welche aus den brei Primalitäten der Dinge in bie Welt
einziehen). Aber dies Hält ihn nit ab, unter allen
Umftänden bie Freiheit des Willens zu behaupten. Gott
hat in den Zufammenpang ber Dinge‘den Willen eines
jeden Einzelnen miteingewebt, und nit, weil ex gezwun⸗
gen, fondern weil er Wille iſt, will der Wille 9. &
wie Campanella außer dem äußern Sinn einem jeben
Dinge ein Urtheil in feinem innern Sinn beilegte, fo
legte er ihm auch eine eigene Tpätigfeit bei, welche auf
das Ding felbft ſich zurüd bezieht; diefe reflexive Thaͤtig⸗
4) I. VI, 10 art. 3.
2) B. R, 1art 1.
3) Ib. IX, 6 art. 8; 9 art. 5. Causas liberas implicavit (sc.
deus) gonclis et servilibus. _
feit, das Wollen feiner ſelbſt, iR das Erſte; aus ihr er-
folgt erſt die äußere "Wirkfamfeit, und in ihr erblidt
Campanella bie Freiheit bes Willens, welche ſelbſt im
Inſtinkt fi geltend mache . Die Freiheit des Willens
ſteht nicht im Widerſpruch mit der Nothwendigleit, mit
welder das natürliche Begehren vollzogen wird, fondern
nur mit dem Zwange, welden äußere Dinge auf uns
ausüben; bie Gegenfände des Wollens geben aber nicht
das Wollen, fondern nur bie Gelegenheit zum Wollen
ad. Die Contingenz, welde in den äußern Berhält-
niffen liegt, if ein Mangel, aber die Freiheit if fein
Mangel, fondern vielmehr bie Ergänzung der Contin⸗
gen; I. Zwar giebt Gott uns unfere Natur und mit
ihr auch den Willen fie zu erhalten, aber diefer Wille
tann doch von nichts anderem vollzogen werben, als vom
und ſelbſt ). Der Wille berupt ihm alfo auf ber in⸗
neren angebornen Natur, welche in den eigenen Thätige
feiten der Dinge fi wirlſam erweiſt.
Diefe Grundfäge werden auch auf das Böfe ange
wendet. Das Böfe ift nur eine Beraubung an den Dins
gen der Welt oder eine Verunreinigung ihres Seins 5),
1) Ib. VI, Tarta; XI, 6 art.7.
2) Ib. II, 5 art. 12; IX, 2 art.3; 5 art.4. Voluntas enim
est propensio necessaria sponte mature in bonum. Ib. art.7.
3) 1b. IX, 3 art. 1; 5art5.
4) Ib. IX, 3 art.1; 5 art.7. Neque stellae, neque angelus,
neque deus faciunt hominem velle suum esse et beatitudinem,
sed ipse de se hoo vult, sed secandum voluntatem, quam lar-
gitus est illi deus, et hac ratione deus dat voluntatem, qua
eliam dat naturam. — — Deus concurrit coagendo et conser-
vando, non autem cogendo ad actus innatos.
3) Ib. VI, 15 art3. '
40
Mit dem Auguſtinus ſagt Campauella, es hat nur eine
mangelnde Urſache; das Nichtſeiende verurſacht es. Mit
der Kirchenlehre bedient er ſich auch der Formel, Gott
erlaube es nur des Guten wegen, welches im Zuſammen⸗
hange der Dinge aus ihm hervorgehe 1). Dabei tritt num
noch eine flärtere Beſchraͤnkung der Formeln ein, in wels
chen man eine pantheiftifche Neigung bes Campanella ver-
muthen fönnte, Ohne göttlichen Willen und Mitwirkung
fol das Böfe geſchehen; Gott gebraucht es nur zu feinen
Zweden, fo wie er dad Nichtfeiende gebraucht. Es wirb
unterfpieben ber vorhergehende väterliche Wille Gottes,
welcher alle Menſchen zur Seligfeit beftimmt, von dem
folgenden Wien des Richters, welcher uns verbammt,
und Gott fol fogar bie fünftigen Handlungen nicht une
mittelbar erfennen, fonbern nur aus ihren Wirkungen
abnehmen; fein Wille aber fol fih nur auf die Urſachen,
nicht auf die Wirkungen der freien Urſachen erſtreden 2).
Unfteeitig Heben biefe Beftimmungen noch beutlicher her⸗
vor, daß Campanella vom Standpunkte der endlichen
Dinge ausgehend biefen vor allen Dingen ihre Selbflän-
bigfeit bewahrt wiſſen will,
Die Lehren des Campanella von ben weltlichen Din
gen bringen jedoch nicht viel Neues. Seine Unterfuhuns
gen wenden ſich fowohl der Natur- als dem fittlichen
Leben zu; aber feine Phyſik entlehnt ihre Grundfäge vom
Telefius und in der Moral wirb er von den hierarchi⸗
ſchen Neigungen feiner Kirche beherſcht. Nach beiden
4) I. VII, 5 art.
2) Ib. IX, 13 art. 1 p.229; X codicill. art.3.
a
Seiten zu aͤußert ſich zwar das Bewußtſein, daß die alten
Grunbfäge nicht genögen wollen; es werben aledanı auch
nene Wege verfugt; fie fliegen fi meißens an feine
Erfenninifiehre an, welde ben Kern ſeines Syſtene
bildet, aber durchgreifende Berbeflerungen einzuführen,
will ihm doch nicht gelingen.-
Die Polemik, in welder ex die Brundiäge des Tele
fins, die Annahme zweier Elemente, des Feuers und der
Erde, gegen die alte Elementenlchre, gegen bie Lehre
des Pleton, des Paraclfus, gegen bie Atome des Des
mofrit geltend zu machen ſucht, ift ſehr weitläuftig anges
legt. Es wird genügen bie Gedanlen hervorzuheben,
welche feine eigenen Beſtrebungen bezeichnen. Yür bie
Erklärung bee natürlichen Erſcheinungen ſcheint es ihm
nicht genug, bie Materie und bie Primalitäten ber Dinge
voranszufegen. Denn die Materie iſt träge, ohne alle
Zpätigfeit, nur ein leidendes Princip, welches bie For⸗
men in fi aufnehmen Tann. Eine ſolche Materie anzus
nehmen werben wir gezwungen, weil wir fehen, daß
Dinge leidend gegen andere ſich verhalten und empfängs
fi) find für etwas, was nicht In ihrem Weſen liegt, ſon⸗
dern ihnen von außen zuwaͤchſt . In natürlicher Weife
fommt einem jeden Dinge, fofern es einen Mangel an '
fih trägt, Empfaͤnglichteit zu; es Tann empfangen, was
es nicht befigt. Dies ift bei dem, mas Materie genaunt .
wird, im höchſten Grade ber Fall, weil die Materie opne
Eigenſchaften gedacht wird. Die Empfänglichteit if der
Grund des Leidens, dem Leiden muß ein Tpum entfpres
1) Ib. VI, 5 art 3; 7 art. &.
den. Da Haben wir nun in der Wechſelwirklung der
Dinge: einem jeden eine Materie und einen Körper, aber
aud eine phyſiſche Wirkfamfeit auf andere Dinge beizu-
legen. Campanella unterſcheidet diefelbe von dem mate⸗
riellen Daſein, welches nur leidend iſt, und von ber
metaphyſiſchen Thätigfeit, im welcher jedes Ding nur fi
esfennt und liebt und daher innerhalb feiner ſelbſt wirk⸗
fam if; er nennt fie die phyſiſche Tpätigfeit ). So wie
Gott eine Wirkſamkeit na außen in der Schöpfung aus⸗
übt, fo wirkten auch die gefhaffenen Dinge nah außen
in ihrer phyfiſchen Tpätigfeit. Diefen Unterſchied zwi«
ſchen der metaphyſiſchen und der phyſiſchen Tpätigfeit Hält
Campanella fehr hoch. Er verkündet fi unmittelbar in
unferer Selbfterfenntniß. Wenn Campanella auch, wie
früher bemerkt, gegen die Körperlichkeit der Seele fireitet,
fo will er doch nicht zugeben, daß die Seele empfindet
oder denkt, fofern fie Körper, fondern fie übt dieſe Thä⸗
tigfeiten nur fofern fie ift, alfo in metaphyfifcher Weiſe.
Dagegen nur in Beziehung auf den Körper, welchen fie
befeelt, Heißt fie Seele und übt fie die phyſiſchen Thätige
feiten aus. In diefer Vorſtellungsweiſe fegt nun Cam⸗
panella, bag Gott zuerſt ben Raum geſchaffen Habe, wel⸗
er als die Grundlage alles Körperlihen, als die Subs
1) Ib. II, 5 art. 7 p.161.a. Dari actionem mediam inter
materiale et metaphysicam.
2) Ib. XIV, 4 art. 1. Anima ergo non sapit sensu vel in-
tellectu, quatenus est oorpus. — — Ergo quatenus ens, quo-
niam omne ens senti. — — Sed quatenus anims, habet ani-
mare. — — Respectu ergo corporis dicitur anima, respectu
sui vero 'ens.
BO...
ſtanz ber Materie'angefehn werben mäffe 1); dann fpäter,
wenigfiend der Natur nad, bie Materie als eine bes
grenzte Einheit und Grundlage für alle Berfciebenpeiten,
zuletzt aber zwei thätige Kräfte, auf welchen bie phyſiſche
Tpätigteit Berufe, weil bie träge Materie fich nicht ſelbſt
geſtalten, verändern, vermehren oder vermindern könne.
Diefe Kräfte find, wie Telefins gezeigt hat, die Wärme
und bie Kälte, welche eine jebe in das Unendliche ſich
anszubreiten und die ganze Materie zu ergreifen fireben,
aber als entgegengefeßter Natur darüber in Streit mit
einander geraten ). Diefe Borausfegungen des Tele
fius haͤlt Campanella für genügend um das ganze phy⸗
ige Weltſyſtem zu erfläcen. Aber ex bemerkt babei
gegen feinen Lehrer, bag er auf ben Urfprung und Zweck
der phyſiſchen Kräfte nicht eingegangen, fondern bei ber
Unterſuchung des Sinnlichen ftehen geblieben fei und des⸗
wegen nicht zu erflären vermöge, warum. Kälte und
Wärme ganz andere Werke hervorbringen, als fie beab⸗
fihtigen. Denn fie bringen im Einzelnen Ichendige Weſen,
im Ganzen die Orbnung und Harmonie ber Welt hervor,
was unftreitig beweife, daß fie nur Werkzeuge in ber
Hand einer Höhern Macht find. Diefe Kritik feines
Borgängers, obgleich fie nicht ganz billig ift, bezeichnet
doch das Verhaͤltniß beider Philoſophen fehr richtig.
Telefins if Phyſiler und das Gebiet der Metaphyfit und
der Erfenntnißlehre berührt er nur nebenbei; bei Cam⸗
panella Hat fich das Verhaͤltniß umgekehrt. Er ſucht uns
1) 1b. 1,5 pe. 2 art ig.
2b. XI, 5 arı.
3). U, 4 and; XIV,4 al
. 48
zu jeigen, daß bie wirkenden Kräfte ber Wärme und
der Kälte doch nur Werkzeuge find um bie Ideen Gottes -
auszuführen; er fließt felbR die Anficht nicht aus, daß
fie unter der Herrſchaft der Engel dieſe Werke: zur Her⸗
vorbringang der. lebendigen und erkenmenden Weſen volls
stehen). Genug er zieht feine Phyft an die hierarchiſche
Idee heran und laͤßt die Natur zwar aus ihren eigenen
Kräften, aber doch unter der Herrſchaft der geiflichen
Zwede wirten.
* Diefe Wendung feiner phyſiſchen Lehren weiſt auf
feine Ethil Yin. Auf die Einzelpeiten feiner ſittlichen und
politiſchen Lehren werben wir febod nicht einzugehn has
benz fie werden nur nebenbei vorgebracht; nur bie Weiſe
iſt bemerkenswerth, wie feine fittliche Anficht am feine Der
taphyfit und an feine Erfenninißtheorie ſich auſchließt,
weil die Liebe oder ber Wille mit bem Sein oder Exfen-
nen der Dinge, wie früher gezeigt, in der engfien Ver⸗
bindung fteht.
Im feiner Lehre von Gott Hebt er befonders hervor, daß
Gott nicht lügen könne. Er gebraudt diefen Sag um bie
Zweifel nieberzufchlagen, yon welchen er ausging. Aus
ihm folgt, weil alles unter der Herrfchaft Gottes ſteht, daß
wir feinen Taͤuſchungen unterworfen fein fönnen, welde und
unvermeidlich wären, bag wir vielmehr unferer eigenen
Schuld es zuzuſchreiben haben, wenn wir irren. Daher find
die Erfepeinungen, welche ung treffen, Zeugen der Wahrheit
und nicht weniger ber Sim, welden wir von uns felbft
haben, Beide fommen und zu, weil Gott eine folde
r
1) Tb. VI, Tart.a p AT.
Matur md. gegeben hat. In diefe Squle Gottes will
was Campanella ſchiden usb dagegen bie Schulen der
. Menfihen ſchließen, welche Gott ſich entgegenfegen ?).
Run unterſcheidet er aber den Innern Sinn, bush weis
den wir die Erkenntniß unferes Seins haben, von bem
äußern, welcher und. die Erſcheinungen ber Dinge zuführt.
Jener gerbäprt uns bie Erleuntniß unfered Weſens, des
verborgenra Grundes unfees Dafeins, diefer verbunfekt
nur unfere Gelbfeifenntwiß. Darauf berupt der Unten
filed, welchen Campanella zwiſchen ber verborgenen und
ber hirzugefügten Erkenutnig macht, Wir können nicht
leugnen, daß wir uns ſelbſt micht Tennen, weil wir und
ſelbſt ſuchen und nicht willen, "was unfere Seele, was
unfer Weſen (AI. Wie mit unſeren Erkennen, fo if es
it unferem: Wollen, Wärend .nnfere Liebe zunähf auf
die Erpaituhg unfer felbft gerictet it, werben. wir. durch
Einwirkung "der ‚Außern Dinge son uns und unferem
Zwed abgezogen md’ der ‚hinzugeflgte Wille zieht und zu
den Auhern Wegenfländen 9). . Dar, erhebt fi die Frage,
warum sed Wott:fo gewollt hat, warum bie Erlenntuiß
unſer ſelbſt, welche ums zunächk liegt und ber. Zwech nu⸗
feres Lebens. iſtdoch in: natliclicher Weiſe durch die
äußern Einwirlungen uns verbunfelt wird. .
Man muß darauf achten, daß Campanella die ganze
Starte dieſer deage deq nur empfnbet; wenn 48 um. den
1)4b:1 —— p2b.
2) Ib. XIV, 1 art. 1. Se ipsam. iorit w. anima) cagnitione
‚qusdam. wosieta „abditague, guoniası ‚superrenientibus..ohjectis
'multis, a' quilgis pautur et do qnibus judieat, . si nolienes in h
aa sopki, ocemkari et dejici oportet:
3) Ib. IX, 6 art. 1.
Menſchen fih handelt. . Im Allgemeinen ifr ſie ichon da⸗
durch geloͤſt, daß den. Gefchöpfen Gottes der Mangel na⸗
türlich iſt, daß fie deswegen ihrer Natur: nach empfäng⸗
lich find für äußere Eindrücke, welche ihr Weſen verdun⸗
tkeln müflen, Aber der Menſch fol einer höͤhern Natur
theilhaftig fein, daß er nur bem Grade nad.non den übs
rigen lebendigen Wefen ſich unterfpeibe, ı giebt Campa⸗
nella nicht zu. Diefe haben nur Seele, der Menfch: aber
auch Geik oder Vernunft (mens), eine unausſprechliche
Emanation Gottes ). Auch in biefem: Pumte.ging- Te⸗
Iefius dem Campanella woran, ‚aber mweitläuftig. ſucht er
ihn zu beweifen. Er beruft ſich auf die Wiſſenſchaften
und Künfe des Menſchen, welche nicht vom Iufinft ‚nude,
gingen. Er führt den Gedanlen des Unendlichen an,
welcher ber empfinbenben Seele ber Thiete nicht beimoh⸗
nen könne. Dbgleih Campanella elngeſteht / daß die Eins
bildungelraft in das Anendliche ſich ausbreite, meint er
doch ſelbſt in ihren. trügeriſchen Bildern ‚eine, Hiawriſung
auf die Wahrheit ber. göttlichen Ideen zu ꝓdeden, weiche
jedoch nir dem Menſchen wffenbar würden; nicht den: ſins⸗
lichen Seele, und legt! uus deswegen wine nerwäuftige
Einblidungskraft bei, welche die Muster, aller Wiſſenſchaft
werde). Dieſe Etkenntuiß der · Ideen Goues, welqhe
nm nn, un
7 4):Ib. 4, 5 art. 2p. 4%, In. honing-sse aram genus
> animae, quod vocamus mentem; nicht aus ben empfindenben Ele
menten, wie Die Seelen der Thiere, ift der Geiſt Herongegangen fon
dern von Gott per ineflabilem emanationem,
) L. 3..:Quamvis ümaginate. sint ‚falsa, bean kamen. —BR—
—— extendi fine :verum est. Ih.1, 6 append; p:äT.k;
.V, 1 art.3. Imaginatio mentalis, non senmalis on isayenteix
scientiarum per ideationem. RAN gs
4
nicht durch den Sinn geiwonnen werben fan, auch bie
Religion und die Freipeit unferes Willens, welche nicht
mit der Freithätigkeit bes Inſtinlis verwechſelt werden
ſoll, müflen für den Borzug des Menſchen ſprechen. Der
Menſch erhebt ſich über die Erkenntuiß des gegenwärtigen
ſinnlichen Guts; fein Wille laͤßt fi von ben Leiden bed
Körpers nicht nieberbeugen, wie die Beiſpiele derer zei⸗
gen, deren Muth durch Martern nit gebrochen werben
lonnte. Noch mehr als alles dies fol die Erkenatuiß
unferer eigenen Unwiſſenheit und davon überzeugen, bag
wir einen goͤttlichern Geiſt haben, als bie. unvernünftigen
Tiere, welde nur von ihren Empfindungen wiffen und
daher meinen, daß die Dinge fo find, wie fie von ipmen
empfunden werden 1), Hierauf legt Campanella das. größte
Gewicht und in der That feine. Überzeugung über dieſen
Yunkt if hierin gegründet. Ale Dinge der Welt finb
befepränft und dem Leiden unterworfen, aber nur der
Menſch wird feine befepränkte Natur gewahr, weil ‘fie
ihm nicht genügt. Wenn daher aud bie unvernänftigen
Thiere eine Empfindung von fi haben, fo iſt ſie doch
immer ‚mit ihren Eindrüden von außen gemiſcht und durch
fie verdunfelt, In dem Menſchen dagegen tritt fie xoin
heraus, indem er fein -befhränftes Wefen gewahr wird.
Daper tritt bet ihm bie Frage ein, warım es Goit ſo
4) 1b. 1, 5.art.2 p.47. Homini mens diriaier inest, quae
ista metitur et sapit et tandem sı 6 non sapere. Ib. I, 6
append. p.57; 8 art. 1 p.60.b. At issuper sola mens videtur
divinitus hoc doceri, quod videlicet non omnia, ‚prout sunt,
eognoseimus, quod:brala, cum reputent 'res ense, prout ab
ipsis noscuntur, minime docentur. Hoo sreanum neo- Plato
introspexit, '
georduet hat, daß feine Selbſterlenntuiß durch die äußern
Eindrüde verbunfelt werbe. So ſucht Campanella den
Unterfied zwiſchen ſinnlichem und überſinnlichem Ber⸗
ſtaͤndniß, welcher bei Teleſius nur Vorausſetzung war,
auch zu rechtfertigen, indem er den Begenfag zwiſchen
Außer und innerm Sinn geltend macht. Jener herſcht
bei den Thieten vor und überbedt ihre Selbſterkenntniß;
biefer ſoll beim Menſchen frei heraustreten und zur Selbſt⸗
erlenntniß, zur Erlkenntniß feines Weſens im Gegenſatz
gegen die Erlenntniß ſeines Leidens uud feines Thuns
in der phyſiſchen Wechſelwirlung der Dinge führen D.
Mit der Selbſterlenntniß des Menſchen hängt aber
auch feine Religion zufaumen. Schon bei ben Peripa⸗
tetifeen. bes 16. Jahrhunderts haben wir die Lehre gefun⸗
den, daß der Verſtand nur. von. fih ſelbſt wife; Cremo⸗
ainus schloß daraus, daß wir höhere Intelligenzen nur
durch unſere Abhaͤngigleit von ihnen, welche wir in uns
ſelbſt finden, zu erlennen im Stande ſind. In ähnlicher
Weife ſpricht fih auch Campanella aus... Unſer Verſtänd⸗
niß haben wir nur durch unſern Sinn von uns ſelbſt;
aber in ihm Liegt auch die Erlenntniß unſeres beſchraͤnk⸗
ten, unſeres abhängigen Seins. Dieſem fügt er nur noch
hinzu, daß in dem beſondern Sein auch immer Theil ge⸗
nommen werde an dem allgemeinen Sein. oder an Gott) .
4) Dieſer Gegenſatz wird hervorgehoben ib, VI, 8 art.1, auf
ihm beruht der Gegenſatz zwiſchen cognitio abdita oder innata und
cogn. addita oder aqquisita, von welchem die ganze folgende Unters
fugung handelt,
2) Ib. II, 9 art.2. Omnia ergo propier sui esse oomserva-
tionem. — — Genserratio autem est esse, esso habens a
Primo ente. \
.
49
und indem dies auf alle Primalitaͤten fih erſtrectt, daß
auch die Erkenntniß und die Liebe der Dinge nicht allein
auf ihr befonderes Sein, fondern nicht minder auf das
allgemeine Sein gerichtet iſt. Ja man Hebt nicht ſowohl
fein befegränktes Sein, als das Sein, an welhem man
Tpeit Hat, alfo das allgemeine Sein Gottes. Alle Dinge
fieben daher Gott; fie Tieben ihn mehr als das befhränfte
Sein, in welchem fie find, fie lieben ihn mehr als fih
ſelbſt. Eben fo können und wiffen fie ihn mehr als ſich H.
Weſentlich wohnt jedem Dinge die Liebe und die Erkennt»
niß feines eigenen Seins und. Gottes bei, bie Liebe und
die Erfenntniß anderer Dinge if ihm nur accidentell.
Jene Liebe if ein Kind der verborgenen Weisheit und
wohnt als Inftinft, als ein Antrieb der eingebornen Weis⸗
heit und Macht in den Dingen?). Des Menden Vor⸗
ug vor den übrigen lebendigen Weſen beftcht nur barin,
daß er jene Liebe mit Bewußtſein pflegen und nicht in
den äußern finnlihen Eindrüden untergehn laſſen fol,
Me Dinge lieben Gott; der Menſch aber foll fi deſſen
auch bewußt werden; dies if feine Religion, welche ihn
über die unvernänftigen Thiere erhebt). Für das wahr
haft menfchliche Leben kommt es baher dem Lampanela
auf Selbſtbeſinnung an.
Den Punkt, von welchem dieſe Unterſuchnngen ausgehn,
die bie drage nach dem Zwet de der ſnnlichen Endtuet, durch
u 1b. 0,5 ar.3. 5
2) Ib. VI, 10 art. 3; art. 4.
3) Ib. XVI, 2 art. 1. Omnia appelere semper et ubique
esse tanquam summum bonum, ergo deum, — — idcirco
ipsum plus quam se ipsa amare inmato appetitu, hominem vero
eiiam addito amore et notitia et hoc studium esse religionem.
Geſch. b. Philoſ. x. 4
3
w
welche wir in. ber Erkenntniß unfer ſelbſt geftört werben,
behandelt nun Campanella als einen fehr geheimen. Es
kommt ihm dabei in ber Tpat auf. den entſcheidenden Ge⸗
genfag feines Geſichtskreiſes an, auf den Streit zwiſchen
den geiſtlichen und weltlichen Beſtrehungen. Die Reli⸗
gion befielt uns unſern Gott in uns zu ſuchen; auf bie
Zufunft ſollen wir bliden und bie gegenwärtige Welt ver-
ſchmaͤhen; dagegen weifen uns pie weltliche Luſt und bie
Wiſſenſchaft an pie Erlenntniß beg gegenwärtigen Lebens
und bie finnlihen Eindrüde. Beide fireiten mit ejnan«
der wie die eingeborne mit der eingebrachten Erkenntuiß 9.
Nun hahen wir freilich ſchon früher bemerkt, daß die ya-
türlichen Kräfte, waͤrend fie ihren eigenen Zwedck betrigben,
noch einem höhern Zwesf dienen follen, und daher können
wir auch annehmen, daß unfer gegenwärtiges Leben in
. feinen ſinnlichen Erſcheinungen einem höhern Zwecke zu-
gewendet werbe; barin leugiet-bie Weisheit des Schöps
fers hervor; aber dieſer Zwed iſt auch das Gehejmniß
Gottes; nur Muthmaßungen können wir darüber faſſen,
welche auf den Zuſammenhang der ganzen Welt zu einer
harmoniſchen Ordnung der Dinge ſich gründen, aber in
verſchiedener Weiſe ſich uns darhieten. Nur dies ſtebt
in ihnen feſt, daß wir durch die singetragene Erlenntniß
auf ung ſelbſt und unſer Princip, auf Gott, zuruͤckge⸗
führt werden ſollen.
Wie dies geſchehn könne, ſucht Canpanella zu zeigen,
indem er unfer gegentwärtiges Leben ünterfußt. In ihm
1) 1. art. 3 " Sapientia et desideria secundum religionem
adversantar desideriis et scientiae secundum vitam praesentem,
veluti ionatum illato.
An
4.
erkennt fich der Menſch als ein Weſen, welches nicht in
feiner paffenden Region if, weil er erfährt, daß er in
Unwiſſenheit über ſich lebt 7). Auch bie brille Primali⸗
tät, die Liebe, kommt dabei in Betrachtang. Wir koͤnnen
das Gute nicht wollen, welches wir erlennen. Das Exken-
nen bes Guten weiß und auf bie höhere Region hin, von
welcher wir nicht wiffen würden, wenn wir ihr nicht anges
hörten; daß wir es aber wicht ausführen können, Geweiſt,
daß wie außer ihr find, Die Scham über natürliche
Dinge, über unfern fierblichen Theil iR Zeichen unſeres
bößern Urſprungs und beweift bie Schuld, welde auf
unferm ganzen Geſchlechte Iafetz dena ‚wir würden uns
nit ſchaͤnen, wenn wir feine Schuld ‚hätten; wir härfen
unfere Schuld nicht auf die Materie ſchieben, Nur aus
dem Sündenfall weiß fih Campanella alles Dies zu erllä⸗
zen, Daher find wir nicht allein auf bie verborgene Er⸗
lenntniß unfer ſelbſt, fondern auch auf äußere Mittel ans
gewiefen. Gott Hat uns Hälfen zugegeben um und von
unferm niederen Stande wieder abguziehn, weil: wir aus
eigenen Kräften und nicht heifen. Sinnen), Erß duch
diefe Betrachtungen wird Campanella anf bie Nothwen⸗
digkeit des Staats und der Kirche geführt. Von ihnen
hängt feine hierarchiſche Anſicht ab, welche den Lehren bes
erneuerten Katholicismus ſehr eng ſich anſchließt. Der
Menſch unter der Leitung der Natur ſoll durch die Er⸗
fahrung Wiſſenſchaften und Künfte finden, nad dem Ge⸗
1) Ib. XVI, 1 art.1. Mens humana extra regionem pro-
priam sese vivere ex eo novit, quoniam se ipsam ignorare se
ipsam experitur.
JLL
4*
"82
fege ber Natur den Umftänben gemäß feine pofitiven Ge⸗
fee ſich ausbilden, welche ihn zwingen feine Sinnlichkeit
zu beſchraͤnken. Dadurch wird er aber noch nicht einmal
vor Streit und Betrug gefihert und er bebarf daher
noch einer fittfichen Leitung zur Tugend, welde er durch
die Religion empfängt, Sie erinnert ihn an feinen hö⸗
bern Urfprung, verfpricht ihm göttliche Hülfe und ge-
währt Ee, indem Gott zu den Menſchen herniederfteigt,
weil bie Menſchen nicht fähig find aus eigener Kraft zu
ihm emporzufleigen. Gott mußte Menſch werben um
den Menſchen zu Gott emporzupeben. Hieran ſchließt
fih in Vorausverfündigung und Vollziehung ber Erlöfung
die pofitive Religion und die Kirche an, zu deren Leitung
der menſchgewordene Gott feinen Stellvertreter auf Er⸗
den gefegt hat H.
Mit feiner Erkeminißtheorie Hängt biefe Anfiht in-
fofern zufammen, als ber Menſch dur feine ſinnliche
Erfahrung ‘daran erinnert werben fol, daß er Beſſeres
als ſich ſelbſt nicht / erlennen Tann und daß er alles übrige
nicht erkennt, wie es iR, fondern nur wie es erfcheint 2).
Dadurch follen wir uns reinigen lernen von den äußern
Eindrüden, welche uns zerftreuen. Im dem Übel Liegt
auch bas Mittel der Heilung. Campanella legt babei
befonderes Gewicht Auf den Schmerz und die Schläge des
Schidſals, welche uns zu ung zurüdführen follen, in wel⸗
1) Ib. art. 2. ?
2)-Ib. art. 1. Cognoseit se non posse cognoscere cognos-
cibilia meliora et quod non, prout sunt,- caetera novit, sed
prout apparent. Ib. XVII, 3 art. 1. Eo quod noscit alia, re-
flectitur ad cognoscendum se cognoscentem esse.
den er eine Lehre Gottes erkennt 1)Y. Dies iſt das Ges
heinmiß Gottes, daß er durch alles, was uns trifft, im⸗
mer wieber auf uns felbft, auf unfere innere und anges
borne Erfenntniß und zurückführt. Dabei wird nicht vers
gefen, dag wir dem allgemeinen Zufammenhange ber
Belt angehören und uns als Glieder beffelben erfennen
follen. Campanella fieht in der Sympathie der Welt und
in.der Temperatur unferes organiſchen Dafeins zwar
Störungen unferes Selbſtbewußtſeins, aber auch Mittel,
durch welche Bott feine geheimen Zwecke ben natürlichen
Kräften unterſchiebt 2). Dabei deutet er an, daß die ung
eingeborne Weisheit durch bie von außen hinzugefügte und
erworbene vermannigfacht werde und daß wir unfere eigene
Tiefe erſt erlennen, indem wir auf bie Ideen Gottes, welche
in und Hegen, durch die äußern Erfcpeinungen aufmerffam
gemacht werben 9. Er hält es daher für ein Wergehn,
bern man gegen bie Natur den natürlichen Trieben nicht
folge; wenn man aber über die Natur hinausgehend für
tin höheres Gut ihnen entfage, fo fieht er darin ein goͤtt⸗
Üiheg Wert. Er kann fih nicht verleugnen, daß unfere
Bifenfhaft durch den Außen Sinn ihren Umfang ge-
winne; er bemerkt aber auch, daß wir auf unfere eigene
eifennende Kraft, alfo auf unfere eingeborne Erkenntniß
zurüdgehn müffen um unfere finnliche Erkenntniß Frucht»
bar zu machen. Die Weispeit Tann nicht gelehrt oder
übertragen werden; ein jeber muß fie in feinem eigenen
Elm, in feiner Selbſterkenntniß finden. Die find Weiſe,
1). VI, 8 art.d.
2) Ib. VI, 9 art.5.
9b. VI, 8 art.d; IX, 6 art.
34
melde die Fülle der in ihnen verborgenen Wiflenfchaft
haben, wie fie Gott verleiht, wie er auf fie durch unfere
Scidfale uns zurüdführt ), ‚Wir fehen hieraus wohl,
daß Campanella hie weltliche Wiſſenſchaft nicht aufgeben
will, daß ex in ihr einen höhern Zweck ahndet; aber ihn
nachzuweiſen findet er ſich doc außer Stande; denn alle
äußern Eindrüde ſollen doch nur dazu dienen und auf
das Forſchen na uns ſelbſt gurädguführen. _
Seine Lehre über biefen Punkt leidet an einem dop⸗
pelten Mangel. Den Sündenfall fegt fie voraus; fie
nimmt ihn als Thatſache an, welche in unferer Freiheit
ipren möglichen Grund habe; die Wirklichkeit desfelben
weiß fie nicht zu begründen. Eben fo wenig aber weiß
fie aus ihren natürlichen Grundfägen nachzuweiſen, wie
wir über die urfprüngliche Beichränktpeit unferes Seins
hinauskommen können. Die alte Borftellungsweife von
der beichränften Natur der Gefchöpfe beherſcht auch ben
Campanella. Alle Dinge haben zwar Theil an Gott,
aber nur einen beſchraͤnlten Tpeil; nur etwas Goͤttliches
Tommt ihnen zu und alle ihre Kräfte können nur biefen
Teil umfaſſen. Ihr Streben geht auf die Erhaltung
ihrer ſelbſt; ihr natürlicher Zwert Tann nur etwas Gött-
liches, aber nicht Gott ſein ). Daher ſucht unfere natür-
1) I. VI, 9 art 5; 6.
2) 1b. X. codicill. art.2. Quomodo deus sit finis naturalis
rerum omnium, non intelligimus, nisi ex hoc, quod omnia
appetunt bonum. Sed proportionaliter sibi, quod est cujusque
esse conservatio. Deus autem excedit omnem appetitum, cum
sit immensa bonitas; ergo particularia entia non possunt pro
x fine habere deum, sed quid divinum.
liche Liebe nur die Volllommenheit unferes beſchränkten
Beiens, d.h. wir gehen nur darauf aus, den Schein ber
äußern Einbrüde, welder unfer wahres Weſen uns ver-
hätt, von und abzumerfen 2). Unfere Fortſqhritte hierin
find nur Verneinungen, nur Befeitigungen der Hinder-
niſſe. Campanella ficht fi daher immer wieder darauf
qurädgeführt, daß in dem Streite der angefommenen und
erworbenen mit ben angebornen und verborgenen Erfennt-
niflen die erſtern ausgeſchieden werben follen und daß ber
Weg zue Glüuͤcſeligkeit auf bie Ablegung des uns Fremb-
artigen, auf die Reinigung unferer Seele von den finn-
lichen Erfheinungen uns führe 9.
So weit bringt uns das natürliche Leben. Aber eben
weil dies nicht genügt, weiſt uns Campanella auf das
übernatürliche Leben an. Denn nicht allein bei dem bes
fhränften Sein und Erfennen unferer Ratur Fönnen wir
ſtehn Bleiben, Die Religion, das Bewußtſein unferes
Princips, unferer Abhängigkeit von Gott, if uns ange
boren I. Sie ſucht unfere Verbindung mit Gott und
begehrt bie Anſchauung Gottes, ben Genuß des höchſten
Guts, die Erkenntniß aller Dinge in ber einen Idee
Gottes). Aber hieran reicht weber Die erworbene, noch
1) I. VI, 15 art. 1.
2) Ib. XVI, 2 art.3. Ergo res omnes revertuntur in suum
principiam, quando expediunter a cognitione et negotio alie-
narum rerum. Ab. XVII, 3 art. 1 im der überſchriſt wird der
Weg zur Glüdfeligleit bezeichnet als nudatio et reversio a notitiis
adeptis alienantibus nos a"nobis ad notitiam intuitivam nostri
ac proinde dei, nostri prineipäi.
3) Ib. XVI, 2 art.
4). 11,9 ps.2 art.1; IX, 9 art.5; X codieill. art.2. Deus
die angeborne Erlenntniß, fonbern fie Fönnen und nur
vorbereiten bie Seligfeit zu empfangen, welche Gott giebt.
Durch die natürlichen Kräfte Tann nur erreiht werben,
was natürlich iſt; nachdem es erreicht worben, treten aber
die übernatürlichen Gaben hinzu . Sie erinnern ung
an das Ende der Welt, So wie die Welt ihren Anfang
bat, fo kehrt fie auch wieder in ihr Prineip zurüd. Dies
iſt der natürliche Lauf der Dinge. Campanella befhreibt
ihn in Anflug an die Weltorbnung des Telefius. Die
Kraft des Himmels und ber Erde fönne nicht Aufhören,
bis eine der entgegengefegten Kräfte gefiegt habe, Er
verfpricht dem Himmel den Sieg, fo wie auf Erben bie
Hierarchie firgen fol. Nur wenig ift er darum bes
füntmert, wie er dies mit ber Selbſterhaltung der natürs
lichen Kräfte vereinigen möge. Alles Niedere ift nur bes
Höhern wegen; bie natürlichen Dinge find nur des Men⸗
ſchen wegen; daher ſcheint es ihm natürlich, daß fie ihren
Bergang nehmen, wenn fie ihrem Zwede gebient haben.
Er würde au der Meinung fein, daß die Erbe vergehn
müßte, wenn die Religion ihm nicht offenbart hätte, daß
die ewigen Strafen der Verbammten in ihrem Kern voll⸗
zogen werben ſollten ). Nur der Menſch, obgleich nur
den niedern Dingen angehoͤrend, iſt nicht allein zum
Mittel für die höhern Dinge beſtimmt, ſondern hat ſei⸗
nen ewigen Zwed. Er ift unſterblich. Denn obgleich die
enim est finis — — hominis, quoniam homo potest illo frui,
ut ejus immensum desiderium nos admonet, non yanum. Ih.
XV, 3 art 1.
1) Ib. X codieill. art. 2; XV, 3 art, 1.
2) Ib. XI, 3 ar?
YLLpika
87
lebendigen Wefen zufammengefegt und auflöshar find, fo
iſt doch das wahre Weſen des Menſchen unſterblich. Der
Beweis für feine Unfterblichleit berupt auf feiner Bere
aunft (mens), welche über das Unendliche ſich erſtrect,
vom Körperlichen nicht leidet, vielmehr über alle Schmer-
zen und Leiden ſich zu erheben weiß, feinem Gegenfage
unterliegt, alles zu erforſchen, alle ewige Ideen zu ums
fafen vermag 1). Auf diefen Geift blidend müflen wir
nur erfennen, daß wir in biefer vergänglichen Welt nicht
in unferm Baterlande find. Alles Entfichn und Vergehn
iſt nm ein befändiges Erleiden des Todes; aus biefem
Tode unferes gegenwärtigen Lebens follen wir zum ewi⸗
gen Lehen erwachen. Alle Böller erfennen es an, daß
die menſchliche Vernunft hier nur in ber Region der Uns
äpnlichteit ſich findet; wir follen aber auch die Hoffnung
auf die Erlöfung hegen und vertrauen, daß bie Zeiten
des Verderbens enden werben und bie Welt wieberher-
geſtellt werben fol, indem alles in feinen Urfprung zurüd⸗
lehrt 2),
Fragen wir, warum es dem Gampanella nicht gelin-
gen wollte die zwiefpältigen Beftrebungen feiner Lehre zu
bewältigen, fo werben wir wohl hauptfächlih die Mans
gelhaftigfeit feiner ſittlichen Anſicht zu beſchuldigen haben.
Er begreift fehr gut, mit welchen unlösbaren Banden wir
an die Welt gebunden find, aber der Zweck unferes welt-
lichen Lebens hüllt ſich ihm in Geheimniß. Wie ſehr
auch die Freiheit, wie ſehr Staat und Kirche von ihm
erhoben werben, feine ſittliche Anſicht der Dinge if roh
4) Ib. XIV, 4 art. 4.
2) Ib. XVI, 1 art; XVI, 3 art.1; XVII epilogus p.274.
md feine allgemeinen Grunbfäge beachten an unferm welt⸗
tigen Leben nur das Natürliche, Die Dinge biefer Welt
follen in einem natürlichen Triebe ſich erhalten; wir wer-
den in unferm Sein gehört durch äußere Einfläffe; fie
- abwehren, gegen bie Zerfireuungen, welche uns verloden
und von uns ſelbſt abziehn, und behaupten ſollen wir
tönen, aber nichts weiter. Es iſt fein Fortſchreiten ei-
ner lebendigen Entwicklung ben Gefhöpfen Gottes geftat-
tet, über ihre im Beginn ihres Seins ihnen vorgeſchrie⸗
benen Schranfen können fie durch eigene Kraft nicht hin⸗
aus. Die Grundfäge der Telefianifchen Phyſik, welche
“die Keime der mechanifchen Raturerflärung pflegte, famen
in diefer Anfiht vom weltlichen Leben zur Anwendung.
Dem Campanela ſchienen fie doch ben Lehren ber katho⸗
liſchen Kirche zu entfprechen, weit fie dem weltlichen Le-
ben das Verdienft ließen bie Grundlage unferes natürli⸗
hen Dafeins zu erhalten und auch wohl zu vermannig-
fachen, ihm in dieſem befchränkten Kreife feine Freiheit
geftatteten, e8 aber auch dem kirchlichen Leben tief unter-
orbneten, weil nur biefes in ben offenfundigen Zwecken
des weltlichen Lebens geheime Beziehungen zu den höhern
Zwecken der Vernunft zu finden wiffe.
Das Zwiefpältige in den Lehren bes Campanella zeigt
fich am deutlichen in feiner Erlenntnißtheorie, welche auch
zugleich das MWichtigfte iſt, was er in die Unterfuchung ges
bracht und für die weitere Entwiclung ber Philofophie abge
fest hat. Wenn wir feinen Worten folgen wollten, fo wür-
den wir fagen müffen, daß ex ein entſchiedener Senſualiſt in
der Weife unferer neuern Philoſophie feiz denn nur ben Sin-
nen will gr folgen; daß er äußern und innern Sinn unter-
8
fepeidet, wird ung hierin nicht irre machen Eönnen; denn biefe
unterſcheidung, fo wie bie Unterſcheidung der verſchiedenen
äußern Sinne iſt auch von den ſpaͤtern Senſualiſten nicht
zurüdgewiefen worden. In diefer Richtung feiner Lehre fin-
den wir ein ausführliches Borfpiel aller der Bedanfen, welche
die empirifche und fenfualififche Schule der folgenden Zeiten
entwidelt hat, bis zu dem äußerfien Ergebniffe, welches
er ausſprach, daß alle unfere Wiſſenſchaften nur Erſchei⸗
nungen ber Dinge uns barftellten und auf Geſchichte ſich
zurüdführen ließen. Dagegen fiicht aber freilich ſehr die
metaphyſiſche Haltung feiner Lehren ab, welche aus einer
andern Duelle der Erfenntniß fließt. Wir werben fie ges
wahr, wenn wir bemerfen, daß er ben innern Sinn auch
den verborgenen nennt. Die Überzeugung, daß wir im
Bewußtfein von und felbf eine unerſchuͤtterliche Gewißpeit
unferes Seins gewinnen, einen Grundfag, der uns in
das Wefen ber Dinge einführt, wird dazu benugt bie
Zweifel an den allgemeinen Grundfägen ber Wiſſenſchaft
abzufchätteln und uns bie Ansficht zu eröffnen, daß wir
nach Analogie mit unferm eigenen Sein auch die übrigen
Dinge ber Welt beurtpeilen und felbft zur Erkenntniß
Gottes vorbringen Fönnen. Hier liegen bie Keime bes
fpätern Nationalismus, ſchon fehr deutlich in der Eigen- -
thümlichteit gefärbt, in welcher er bei Garteflus und
Leibniz fi ausgebildet hat. Doc find biefe beiden Seis
ten der Exfenninißtpeorie, die ſenſualiſtiſche und bie ras
tionaliftifhe, dem Campanella noch nicht recht auseinans
der getreten. Die fubiertive Haltung ber ganzen Lehre,
welche nur in dem Gedanken bes Ich, in ber Erfahrung
und Empfindung feiner ſelbſt einen ſichern Standpunkt
60
für das Erkennen zu gewinnen weiß, muß bazu dienen
beide Seiten in Verbindung mit einander zu halten. Ge⸗
wiß eine Jodere Verbindung, und doch bie naͤchſte Hin-
weifung auf den Gang, welchen die neuere Philofophie
in ihrer weitern Entwidlung einfhlagen follte,
Dan wird die Philofophie des Campanella in ihrem
lodern und nicht ohne Künftelei gewonnenen Zufammen-
hange als einen Abſchluß der Itakienifchen Philofophie
betrachten können. Wie er ſelbſt aus feinem Baterlande
auswandern mußte, fo fiedelte mit ihm die Philofophie
nach jenfeits der Berge über. Im feiner Lehre kann man
nun au das Beftreben nicht verfennen bie Ergebniffe
aller ber Unterſuchungen, welche die neuere Philofophie
bewegt hatten, zu einer Summe zuſammenzuziehn. Sie
ſtehen neben einander, fle mäßigen ſich gegenfeitig, aber
zu einer volfländigen Durchdringung wollen fie nicht ger
langen. Die Zweifel, welche fih geregt hatten, werden
von ihm fehr ſtark vertreten; um ſich gegen fie zu ſichern
fiept ex fih auf die Gewißheit unferes eigenen Denfens
verwieſen; mas von vielen Seiten her ſich geltend ge-
macht hatte, daß ber Verſtand bei ſich felbft beginnt und
zunaͤchſt ſich ſelbſt erfennt, fpricht er als den Grundfag
aller Wiſſenſchaft aus. Mit feinen Zweifeln verbindet
fih das myRifhe Element in den Gedanken biefer Zeit.
Weil wir aus uns nicht heraus können, follen wir in
uns uns vertiefen und in uns ben göttlichen Grund fin-
den. Selbſt die pantheiſtiſchen Neigungen Fingen in
Campanella’s Lehre nach; in ihrer tiefften Wahrheit find
alle Dinge doch nur Offenbarungen des göttlichen. Grun-
des. Alles, was biefe Neigungen geforbert hatten, wird
64
ihnen in ber That zugeflanben, nur bie entgegengefegte
Seite der weltlichen Betrachtung läßt. ſich von ihnen nicht
verdrängen. Das Streben nah Erkenniniß der Natur
regt fi) in voller Kraft; es dringt darauf, daß wir bie
finnfihen Erſcheinungen der Dinge verfolgen follen, wie
fehr fie uns auch abziehen mögen von uns ſelbſt; in
Sympathie, in Verwandiſchaft mit den übrigen Dingen
der Welt läßt es unfere Seele und denen, wehhe wir
als ein materielle Weſen betrachten follen; auch bem
Naturtriebe, welcher auf Selbflerhaltung ausgeht, follen
wir fein Recht wieberfahren laſſen unb in dieſer Gemein“
haft mit der Natur fieht Campanella die Aufforderung
aus einem Syſteme ber natürlichen Kräfte die Erſcheinun⸗
gen ber Welt zu erklären. Auch was von ber Philologie
in die Unterfuhungen der Philofophen gebracht worden
war, ift von feiner Lehre vertreten.‘ Wir fehen es nicht
allein an feiner gelehrten Kenntni der Syſteme der alten
Philoſophie, an feiner Beftreitung der einfeitigen Vor⸗
liebe für den Arifioteles, fondern aud an feinem Nomi⸗
nalismus, an feiner Beachtung des natürlichen Menfchen-
verftandes und bes Einfluffes der Sprache auf unfer
Denfen. Alle diefe Elemente feiner Bildung werden aber
aufammengehalten durch den Sinn bes ernenerten Katho⸗
licismus, welder die weltlichen Beftrebungen in ihrem
Werthe erhalten will mit dem Vorbehalte, daß fie gegen
die Höhern Zwede ber Kirche nicht ungehorfam ſich zeigen.
Campanella ſucht fie alle an die Intereffen der Hierarchie
heranzuziehn; bie weltliche Herrſchaft foll der Kirche dies
nen, bie weltliche Wiſſenſchaft der Religion. Aber es iſt
doch nur eine geheime Verbinbung, in welche er das
62
Weliliche mit dem Geiſtlichen zu bringen weiß; es find
geheime Zwede, welche Bott in den Erſcheinungen ber
Natur betreibt und ein Übernatärliches muß uns zugegeben
werben, wenn bie weltliche Entwidlung der Dinge für
und irgend eine Frucht haben fol. So begleitet ben
Campanella denn doch durch alle feine wiflenfchaftlihen
Beftrebungen ein ſteptiſcher Sinn, welcher ihm nit ver-
Rattet die Entpühung des Geheimniffes uns zu verſprechen.
Seinen Grund haben wir in den verwilkelten Beſtrebun⸗
gen feiner Zeit zu ſuchen, welche er zu umfaſſen fixebte,
welche aber doch bei ihm zw einem regien Einklang unter
einander nicht ah un
Siebentes Kapitel,
Deutſche Philofophen und Theoſophen.
In Deutſchland Hatte die theologiſche Bewegung den
Kern des Volles ergriffen. Die Gelehrten wie das nier
bere Volk waren vom ihr erfüllt, Auch die Philofophie
konnte biefer Richtung ſich nicht entziehn. Die Theologie
beherſchte die Wiſſenſchaft und das Lehen. Doch wäre
nicht Daran zu denlen geweſen, daß bie einſtweiligen Feſt⸗
ſtellungen, welche das zeligiöfe Dogma gefunden hatte,
die Ausſicht auf weitere Entwidlungen hätte abſchneiden
können. In ben Schulen ber Gelehrten wie in ben theo⸗
ſophiſchen Gebanfen des niedern Volles zeigten ſich viel⸗
mehr Bewegungen gegen die orthodoxe Theologie, welche
bie Forſchung vege hielten und bie Keime fpäterer Lehr⸗
weifen in ſich ahnden Tiefen. .
Wir Haben gefehn, wie Melanchthon bie Arißoteli⸗
ſche Ppilofoppie gemäßigt uub ber proteflantifchen Tpeo-
Iogie anbequemt hatte, Seine Leprweife war die gewoͤhn -
lie Norm ber proteſtautiſchen Schulen geworben. Bei
den Gelehrten machte ſich aber auch auslänbifcher Einfluß
geltend, Die Reformen des Ramus in der Dialektit fan-
den Eingang; fie fihienen bes Deulweiſe nicht fern am
Reben, welche auch Melauchthon in der Richtung ber phi⸗
lologiſchen Beſtrebungen begimfigt halte, Wer aber im
Verlauf des 16 und bis in die Mitte des 17. Jahrhun⸗
derts tiefer in die Ariſtoteliſche Philoſophie eindringen
wollte, der pflegte fih doc von ben Stalienern Hülfe zu
holen. Die Schriften des Gäfalpinus, des Zabarella,
des Piccolomini wurden in Deutſchland viel gelefen. In
ihrer Richtung fuchte man die veine Lehre des Ariſtoteles
au erforſchen und den Scholaſticismus zu befeitigen; die
Logif fand dabei weniger Beachtung als bie Phyſil und
Metaphyſik. Belonders Arzte, wie Jacob Scheglins, Ni⸗
solaus ‚Taurellus, Philipp Schrebius waren in biefer
Richtung, doch wollte man auch nicht ſtlaviſch dem Arie
foteles und feinen Auslegern ſich ergeben. Hiervon hielt
ſchon die Theologie zurüd, welche die Bewegungen ber
Philoſophie mit Angflichfeit bewachte. Durch alle .biefe
Berhältnifie wurbe zwar in ben gelehrten Schulen Deutſch⸗
lands bie philoſophiſche Unterſuchnug rege erhalten, aber
doch unter ſehr befipränfenden Bedingungen; wer feine
eigene Bahn gehen wollte, hatte mit vielen Vorurtheilen
au impfen.
64
1, Nicolaus Taurellus,
Einen, wenn auch nur flüchtigen Blick müfen wir
auf einen Mann werfen, in beffen Lehren und in deſſen
Stellung zu Zeitgenofien und Folgezeit die bewegenden
Verhaͤltniſſe der deutſchen Schulphifofophie fehr deutlich
fih zu erkennen geben. Nicolaus Taurellus wurde zu
Mömpelgard 1547 geboren. Noch bei fehr jungen Jah⸗
ven machte er feine philoſophiſchen Studien zu Tübingen
unter der Leitung SchegPs, eines eifrigen Ariſtotelilers
Er widmete ſich hierauf der Theologie, feine freie Denf-
art geftattete ihm aber nicht bei biefem Fache zu bleiben;
er ergriff nun das Studium der Mebicin. Philoſophie
und Medicin Iehrte er erft zu Bafel, nachher. zu Altorf.
Einzelne feiner Lehren und befonders feine Anfiht über
das Berhältnig der Ppilofophie zur Theologie gaben den
Theologen feiner Zeit Anſtoß, auch gefland er dem An-
ſehn des Arifioteles nah der Meinung ber Philoſophen
nicht genug zu; daher Hatte er bis zu feinem Tobe 1606
mit vielen Anfeindungen zu thun. Seine Schriften find
zum größten Theil polemifch. Die Lehren des Arifoteles
tabelte er in vielen Punkten, nicht allein in ſolchen, weiche
mit dem theologiſchen Syſtem nicht flimmten. Seine Kri-
tit des Arifioteles geht nicht tief in dem Zufammenhang
bes Syſtems ein; bie einzelnen Säge begleitet er mit
feinen Zweifeln; wo er etwas nicht fireng bewieſen fin«
bet, verwirft er. Noch weniger flimmt er mit den Aus:
legen des Ariſtoteles überein. Seine Hauptgegner find
Caͤſalpinus und Piccofomini befonders der erſtere. Die
Phitofophie des Cäfalpinus war in Deutſchland befonders "
durch bie Schule des Scherbius, welcher mit dem Tau⸗
rellus zugleich zu. Altorf lehrte, verbreitet worden. Dies
fer Lehre, welche dem Tanrellus verderblich ſchien, ſetzte
ex feine geößte philoßophiſche Schrift entgegen. . In feine
Polemik gegen die Itelieniſchen Arifetelifer wiſcht fh
ein nationaler Gegenfag ein. Wenn er num auch weder
mit den ſcholaſtiſchen, noch mit ben meuern Auolegern des
Ariſtoteles übereinkimmen Tann und an ben Lehren bes
Arifioteles felbft viel zu tabeln findet, fo. Hälter doch bie
Hnuptpunfte feines Syfems und beſonders feine Methode
werth; feine Kühnheid geht nicht weiter als zu ber
haupten, dag Ariſtoteles feiner Methode nicht überall
getreu geblieben fei und vieles ohne Hinkinglihen Grund
behauptet habe. Im Allgemeinen gehm bie philoſophiſchen
Gedanfen des Taurellus biefelbe Bahn, welde Meloarh-
thon eingefchlagen hatte, nur mit groͤßerer Guifchichenheit.
Er beabfichtigt eine Referm der peripatetiſchen Lehre und
if lebhaft davon überzeugt, daß biefelbe einer Umgoflal-
tung in allen ihren Tpeilen bedarf 2).
Mit den neuern Peripatetifern fimmt er darin über
ein, daß auf bie Logik fein großes Gewicht zu Iegen ſei.
Er betrachtet fie nicht als einen Theil, fondern wur als
ein Werkzeug der Philoſophie, ja nicht allein ber Philo⸗
fophie, fonbern auch aller übrigen Wiſſenſchaften. Er
tabelt daher Die Theologen fehr eifrig, welche ihre Wiſſen⸗
ſchaft nicht an bie allgemeine Form wiſſenſchaftlicher Bes
1) Bon fernen’ Scfriften habe ich eingefehn: Pihilosophiae trium-
phus. Basil. 1573; de rerum aeternitate. Marpurg. 1594; Alpes
eaesae. Francof. 1597; de mundo. Amberg. 1603; Synopsis
Aristotelis metaphysices in Feuerlin Taurellus defenms. No-
. rimb. 1734.
Geſch. d. Philoſ. x. 5
weife Binden wollten. Die Ethik achtet er zwar hoch;
aber mit ihr hat er weiter nicht ſich einfaffen wollen; er
äußert nur, daß er fehr wünſche, jemand anders möchte
ihr denfelben Dienft erweifen, welden er zur Säuberung
der Metaphyfit zu leiften geſucht habe). So laufen denn
doch feine Bemühungen auf biefelben Theile der Philos
fophie hinaus, welchen die Arifotelifer biefer Zeit über-
Haupt ihren Fleiß zuwandten, auf die Ppyfit und bie
Metaphyſil. Unter ber letztern verfieht ex hauptſächlich
die philoſophiſche Theologie; beide will er ſtreng von
einander geſondert wiffen. Er wirft e8 baher bem Ari-
fioteles vor, daß er ihre Grenzen nicht genug bewahrt
habe, indem. ex das Übernatürkicpe wie ein Natürliches
behandelte 5). Wir fehen hieran, daß Taurellus auf eine
genaue Grenzſcheidung ber verſchiedenen Wiflenfchaften
ausging. So verfuhr er au in der Phyſil. Aſtronomie
und Phyfit im engern Sinne wollte er von einander ges
ſchieden wiffen; jene habe es mit dem unvergänglichen,
diefe mit dem vergänglichen Körper zu thun und noch ein
dritter Tpeil müffe den beiden andern zugefegt werben,
die Lehre vom belebten Körper, weil biefer etwas Unkoͤr⸗
perliches in ſich ſchließe. Diefe Eintpeilung der phyſiſchen
Wiſſenſchaften bezieht ſich auf die Verſchiedenheit ihrer
Gegenftände und auf biefe ſucht Taurellus au den Uns
terſchied zwiſchen Phyſil und Metapppfit zurädzufüpten,
1) De rer. aetern. praef. p. 4. Praecepta profecto logica
et demonstrationum exstruendarum ratio ubivis est eadem. Sed
prineipiorum magna est discrepantia. Synops, Ar. met. 2.
2).Synops. 144.
3) De mundo praef.
Bon den Lehren bed Ariſtoteles beſtreitet er vor allen
Dingen die Lehre von der Ewigkeit ber Welt und daher
bat es auch bie Phyſil doch immer nur mit entſtan⸗
denen Dingen zu thun, de eg dagegen mit. dem
Ewigen ?).
Wenn nun Tamellus das Dehlitnisß der philoſopbi ·
ſchen Theologie zus offenbarten in das Auge faßt, fo
ſcheint er geneigt zu ihrer Unterfeidung ein formajes
Kennzeichen gelten zu laſſen, wie ein ſolches ja offenhar
in dem @egenfage liegt, der ein gemeinfames Object,
aber eine verſchiedene Erleuntuißquelle vorausſetzt. Die
Philoſophie hat es nicht mit dem Glauben, fondern mit
dem Wiſſen zu hun; fie beruft fig auf feine Autorität,
fondern nur auf Gründe ber Beraunft, fie: weiß nichts
weiter, als was ſchon bie erßen Menſchen vor ihrem
dall wußten oder wiffen konnten, ds h. die reinen Ver⸗
aunftwahrheiten, welche feiner andern Offenbarung be⸗
durften als des natürlichen Lichtes. Bon allem biefem
findet das Gegentheil bei ber offenbarten Theologie ſtatt ).
Dieſem formellen Unterſchiede bleibt Taurellus auch ge⸗
ten, wenn er alle, welche der philoſophiſchen Erkenntniß
Gottes nicht mächtig ſind, auch für bie philoſophiſchen
Wahrheiten auf die Offenbarung anweiſt 5). , ‚Aber weil
doch die Philofophen gewifle Wahrheiten von Bott auch
durch bie bloße Bernunft zu erfennen im Stande find und
yLı
2) Phil. triumph. I p. 1sq.5 p. 88; de rer. aetern. praef.
P2; 524.
3) Pi triumph. HI praef. p. 216; de rer. aelern. praef.
p. 19.
5*
&8
Zaurellus wicht zugeben kann, daß -für die Ppilofophen
die offenbarte Thestohte: Kimas: überflüſſiges fein ſollte,
ſacht er für Beide Wiſſenfchaften auch noch einen mate⸗
riellen Unterſchied de mitten; Sierauf beziehn ſich die
Unterfuchungen, welche in feiner Lehre am meiſten unſere
Aufmertſambeit verdieuen -- = = -
‚Stel hangen gehan’ mit! Beni zuſammen, was er über
Bermögen und YUisermögen :unferer Bernnmft zur Er⸗
kenntniß feſtzufetzen für nöthiz Hält: Wie haben gefehn,
daß · Melanchthon zugegeben Hatte, unſer Bermögen zu
erkennen und. das Rechee zu wollen. wäre zwar durch bie
Erbfunde geſchwächt worden / aber doch wären noch ge⸗
wiſſe angebbtne Begtiffe uns zurüdgeBlieben, welche phi⸗
loſophiſche · und auch für Sie Theologie erfprießlihe Wahr⸗
heiten aus bloßer Natur erferinen ließen. Seine Nach⸗
giebigleit · in dieſer Beziehung ſchien der fpätern proteſtan⸗
tiſchen Dogmatik zu weit zu gehen und wenn auch Flacius
Ilyricus mit feiner Behauptung gegen den Synergismus
Melanchthon's, daß die Erbfände bie Subflanz des Men-
ſchen geworben; Tem Gehoͤr fand, ſo blieb doch bie
Dogmatit der Lulheriſchen Kirche miskrauiſch gegen jede
Form ber Lehre, welche Die natürlichen Kräfte des Men⸗
ſchen zu erweitern ſchien. Mit dieſer Richtung der Dog-
matik konnte Taurellus ſich nicht einverſtanden erllären.
Sein Begriff der Philoſophie ſtellt ſich ihr entgegen.
Er fordert für ſie eine Erkenntniß der menſchlichen und
goͤttlichen Dinge aus angebornen Begriffen, welche zwar
duch die ſinnliche Erfahrung, durch Einbilbungsfraft und
Induction genaͤhrt werben müfle, aber auch durch biefe
Mittel im Wege der Vernunftſchlüſſe und in natürlicher
Beife ih entwidle H. Ja er meint, die Philoſophie
müßte den Grund ber Theologie abgeben, weil fie uns
eine Erleuntniß von Gott und von uns ‚gewähre, ohne
welche wir die Hülfe der Theologie gar nicht begehsen
wirden?). Die Beifpiele der heidniſchen Philoſophen
machen ihm biefen Begriff der Ppilofophie einleuchtend ;
doch nicht allein auf fie verläßt er ſich; auch der Begriff
der geiftigen Subflanz muß ihm zum Beweiſe bienen.
Das Weſen des Geiftes findet er in der Energie des
Erlennens; fo Tange die Subſtanz bes Geiſtes bleibt,
lann ihr dieſe Energie nicht genommen werben. Zwar
Hinderniffe des Erkennens können eintreten; aber das
Erkennen des Wahren, das Wollen des Guten. if dem
Geifte weſentlich; daß wir dagegen das Böfe wählen,
daß wir das Wahre nicht zu erforſchen willen, fann nur
als etwas Zufäliges für und angefehn werben. Wenn
wir auch nicht immer wirflich erlennen, fo bleibt doch
anfer Bermögen zu erfennen immer basfelbe 5). Deun
das Bermögen gehört zur Subſtanz und lann opne Auf
hebung ber Subſtanz weder vermehrt nod vermindert
werben. Die Subflanz aber iſt das Unvergänglide in
dr Schöpfung und mit der Subflanz des Geiſtes iR
ihre denkende Thaͤtigleit unzertrennlich verbunden; benn
das Erkennen iſt Sein Leiden, fein Act ber Empfänglich⸗
keit, fondern dem Geiſte eigen ). Die finulien Ein
drüde geben nur die Zeichen ab, durch welche unfer Geiß
4) Phil. triumph. p.4; 5; 68 2q.
2) Ib. III praef. p. 218.
3) De mupdo 3 p.10; phil. triumph. p. 12 2q.; p. 42 2q.
4) Phil. triumph. III praef. p. 217.
70
zur Erkenntniß angeregt wird 1. Daher kann bie Erb»
“ fünde nur Hinderniffe für das Erkennen herbeiführen,
aber unfer Bermögen zu erfennen nicht vermindern. Tau⸗
rellus glaubt ihren Einflug darauf befcpränfen zu müſſen,
daß fie und die Unſchuld geraubt, uns aus unferer innis
gen Berbindung mit Gott gefegt, dadurch bie Hoffnung
und den Grund bes glüdfeligen Lebens entzogen habe.
Auch die Herrſchaft über den Körper ſei dadurch der ver-
nünftigen Seele verloren gegangen und bas Unvermögen
des Menſchen eingetreten bie Natur zu zäpmen 2). Aber
alles dies treffe nicht die Subſtanz des Geiſtes, welche
unveraͤnderlich biefelbe bleibe, fondern nur Berhäftniffe
und Accidenzen derſelben.
Nachdem nun Taurellus die übertriebenen Vorſtellun⸗
gen von den Wirkungen der Erbſünde zurüdgetwiefen hat,
ſucht er Philofophie und Theologie ihrem Inhalt nach
gegen einander abzugrenzen. Es geſchieht dies von ihm
in einer ähnlichen Weile, wie es von Melanchthon ges
ſchehen war. Er ſchildert uns den philoſophiſchen Stand⸗
punft nach dem Bilde ber alten Philoſophen, welche von
der Offenbarung nicht erleuchtet waren und dennoch bie
Mat und die Eigenſchaften Gottes, ja felbft feine Drei⸗
einigfeit erfennen konnten, Daß Gott Schöpfer der Welt,
daß er gütig, aber auch gerecht fei, lönnen wir aus blo⸗
Ber Vernunft erfennen. Alles, was ewig und nothwen⸗
dig ift, kann als nothwendige Wahrheit durch Schlüffe
der Vernunft von und erhärtet werden; aber ber Theos
Iogie bleibt es vorbehalten den nicht nothwenbigen Wil⸗
4) I. p. 68.
2) Ib. p.21 sq.; de rer. aetern. praef. p. 6 sq.
” 7
len Gottes uns zu verkünden, feinen Rathſchluß zur Er⸗
loͤſung der Menſchen; von ihm wiſſen wir nur durch Of⸗
fenbarung ). Wir bedürfen aber einer Erlenntniß des
göttlichen Willens über die Erlöfung der Menſchen zur
Belebung unferer Hoffnung. Denn nad dem Sünden,
fall dürfen wir nicht hoffen ber Gerechtigkeit Gottes zu
genügen und ba uns bie Philofophie über bie Gerechtig⸗
feit Gottes belehrt, fo würden wir ohne Offenbarung
der Hoffnung auf die Seligkeit beraubt fein, vielmehr
Beſtrafung für unfere Miffetpaten erwarten müflen. Da
her ſchließt Taurelus feine Unterfuchungen über das Ber
hältniß der Philofoppie zue Theologie mit dem Gage ab,
daß die Verzweiflung bas Ende ber Philofophie und der
Anfang der Gnade ſei ).
Daß biefe Anfiht von dem Verhaͤltniſſe der Theologie
zur Philoſophie eine metaphyfifche Grundlage hat, läßt fih
nit verfennen. Sie verräth. fi in dem Gewichte, wel⸗
ches bei der Unterſcheidung beider Wiſſenſchaften auf den
Gegenfag zwiſchen Freiheit und Notpwenbigfeit und bei
der Unterfuchung über bie Erbfünde auf den Gegenfag
zwiſchen Subſtanz und Accidens gelegt wird. Werfen
wir daher einen, wenn aud nur flüchtigen Blich auf bie’
Metappyfit des Taurellus. In ihr begegnet uns zuerft
1) De rer. aetern. p. 6 2q.; phil. triumph. p.88. Theologiam
divinae voluntatis revelatione — — definimus et philosophiam
dei cognitione, ut sola theologica vere dicantur, non quae po-
tentiam dei, justiiam, bonitaiem, scientam et reliquas ejus
virtutes demonstrant, sed quae nobis alias omnibus abstrusam
voluntatem patefaciunt.
2) Ib. p.372. Desperatio finis est philosophise prineipium-
que salutis. De rer. aetern. praef. p. 7.
72
eine Reihe von Abweichungen von ber gewöhnlichen Lehr⸗
meife der Ariſtoteliler, wie fie in Stalten herſchend ge-
worden war. Taurellus fegt fi der Behauptung entge⸗
gen, daß die Welt belebt feiz die Beweife, welche bafür
aus ben Schriften des Arifioteles gezogen werben, find
ihm von feinem Gewichte, andere Säge bes Arifinteles
ſprechen vielmehr dagegen). Eben fo wenig will er
von einer ſolchen Einheit des Welt etwas wiſſen, welche
fie als eine Subſtanz betrachten ließe; fie ift vielmehr nur
eins, fofern fie aus mehreren Theilen zufammengefegt
ein ganzes Werk bildet). Im biefem Streite gegen bie
Italiener geht Taurellus fo weit, daß er nicht allein die
Pflanzenſeele Teugnet, weil in ben Hflanzen nichts fei,
was bie Kräfte der Natur überfleige, fondern auch kei⸗
nem Theile der Welt als folgen Seele und Belebung
zuſchreiben will 5). Wir fehen hieran, daß er bie Welt
auf die Natur und die Natur auf das Körperliche zurüd-
führen wil. Das Geifige dagegen möchte er der Welt
entziehen und ihm eine übernatürliche Bedeutung beilegen.
Es laͤßt fi Hierin wohl nicht die Neigung vestennen bie
Welt in dem Lichte der gemeinen Vorſtellungsweiſe ſich
"zu benfen, welche die proteflantifche Theologie nährte.
Die Neigung an bie Lehren feiner Kirche fi) anzufipliegen
bemerft man beutlich in den Sägen, welche er der peri-
patetifchen Lehre entgegenflellt. Die Lehre von ber Ewig⸗
feit der Welt und ber Materie verwisft er; von ber Ans
nahme eines Schöpfers hängt ihm die Überzeugung ab,
4) De mundo I, 4; 5; 8.
211,9.
3) I. 1,4 p.12; 8 p.58.
daß ein Bott ſei iy. Eine wirkende Urfache fann ohne
Materie nichts hervorbringen; dies iR ein Sag, welcher
für alle natürliche und beſchraͤnkte Urfachen zugegeben per⸗
den muß, aber nicht für Bott; denn das Unvermägen
ohne Materie etwas hervorzubringen, twürbe eine Unnolls
tommenheit fein, welche Gott nicht beigelegt werben barf 2).
Gott hat nur eine Melt geſchaffen; aber doch iR nicht
nothwendig mar eine Melt, weil alles von ben Willen
Gottes abhängt). Im diefer Weit if alles des Men
ſchen wegen ). Da Reit fih nun ber Gegenſatz zwiſchen
dem Zwede der Welt, welder ein freies Weſen hat,
‘und zwiſchen ber Natur, welche nur bie Mittel für dieſen
Zweck barbietet, auf das entfhiedenfe heraus. Diefen
Gegenfag verfolgt nun Taurellus in feinem philoſophi⸗
ſchen Nachdenlen weiter und hierdurch wird er auch zu
Behauptungen geführt, welche mit des Kirchenlehre nicht
im beſten Einflang zu fiehn feinen. Denn in jenem
Gegenfage lag auch das Beſtreben verborgen, welches
Taurellus mit der Naturforſchung feiner Zeit theilte, der
Natur wenn auch nicht ihre Unabhängigkeit, doch ihr un⸗
verbrüchliches Gefep zu bewahren und dadurch die Na
turlehre vor alen Störungen zu ſichern. Die Welt, lehrt
Taurellus, iſt fo vollfommen von Gott gemacht, daß fie
feiner weiten ‚Bernollfommmung bebarf 9). Er verſteht
nemlich unter der Welt die Natur, die Förperlichen
1) Sraope. Arist. met. 104. Posita rerum aeternitate tolli-
tur deus.
2) 1b..36; 66.
3) 1b.’85; de mundo III ps. III p. 197.
4) Synops. Ar. met. praef. p.&; de mundo I, 19 p.93.
5) De mundo I, 3 p. 11.
7
Dinge; von bem Menfhen dagegen, beffen freier Wille
den mannigfaltigften Entwidfungen unterworfen iſt, ge⸗
ſteht Taurellus ein, daß er einer- weitern Leitung und
Bervollommnung durch Gottes Vorſehung bedarf. In
Verfolgung dieſes Gegenfages verwirft Taurellus nicht
allein bie Lehre von der befländigen Schöpfung, fondern
befcpränft auch die Borfehung Gottes auf die freien We:
fen, indem er behauptet, daß Gott bie natürlichen Dinge
nad ber Schöpfung ihren eigenen Kräften überlaffen habe,
Mit der befländigen Sorge für bie Natur wollte Gott
nichts zu thun haben; wenn er immer unmittelbar wirl⸗
fam fein wollte, wozu hätte er wohl der natürlichen Mit-
tel beburft? Dieſe äußere Wirkfamteit Gottes hat nichts
gemein mit feiner Volllommenheit und Gtüdfeligfeit, welde
von Ewigkeit war). Anders iſt es mit den Dingen,
welche nicht dur die Nothwendigkeit des Naturgefepes
ein für allemal fefgeftelt find. Die Freiheit des Willens
fteht unter der Borfehung und beftändigen Leitung Gottes;
für fie muß der Rathſchluß Gottes eintreten. Die Welt if
zwar vollſtaͤndig geſchaffen; die Subflangen in ihr können
weber ber Zahl noch dem Vermögen nad} vermindert ober
vermehrt werben, aber ber Menſch, das befte, aber auch
ſchwaͤchſte Wefen in der Welt, bebarf einenbeftändigen Hülfe,
Bel ihm treten die veränberlichen Accidenzen feines Willens
ein und find entſcheidend für fein Heil. Durch fie der Sünde
anpeimgefallen if er zwar nicht feiner Subſtanz, feines
1) Alpes caesae praef. p.30. Earum itaque rerum curam
deo non adscribimus, quas ipse naturae commisit, üs scilicet
munitae viribus, ut ejus mandata probe posset exsequi. Synops,
Ar. met. 133; 135; 142.
75
vernünftigen Geiſtes,verluſtig gegangen, aber doch feis
ner Befimmung entfremdet worben und doch haben wir
den Zwed ber ganzen Welt in ihm zu erbliden und if
die Entwicklung feines Geiſtes zu feinem Heil als bas
anzufehn, was Gott mit allen natürlichen Kräften beab-
fihtigt hat. Da muß nun bie Offenbarung eintreten und
durch die Erföfung des Menſchengeſchlechts dafür geforgt
werben, daß der Wille Gottes feine Erfüllung findet.
Dies aber auseinanberzufegen iſt nicht das Geſchaͤft der
Philoſophie, ſondern der Theologie).
In der Metaphyfif des Taurellus theilen ſich die Ber
frebungen ber Theologie und der Naturwiffenfcaften. In
zwei Theilen ber Welt, melde abgefondert neben einander
herlaufen, finden beibe ipre Vertretung. Die Natur geht
ihre Bahn, wie fie nun einmal gefchaffen iſt, in ihren
notpwenbigen Gefegen bahin und geflattet Feine Eingriffe
in fie, nit einmal ber Borfehung Gottes; neben ihr
hat die Freiheit des Geiftes ihren Lauf und muß, weil
fie wilffürkichen Ausſchweifungen ausgefegt it, um ihren
Zwed nicht zu verfehlen, beſtaͤndig von der Vorſehung
geleitet werben. So findet auch in ber proteftantifchen
Kirche etwas Ähnliches ſtatt, was wir fon früher in
der katholiſchen Kirche beobachtet haben; das Beftreben
Weltliches und Geiſtliches zu fepeiden, damit fie nicht in
Streit mit einander gerathen, findet in Taurellus feine
philoſophiſche Vertretung; Theologie und Phyſil ſuchen
fih mit einander abzufinden. Auch auf dieſer Seite wird
jetzt noch der Theologie der Vorrang bewahrt, nur fol
1) De rer. aetern. praef. p.8; Synops. Ar. met. 142,
76 °
das theologifche Gebiet nicht willlürlich in bie nothwen⸗
digen Gefege der Natur eingreifen dürfen, was bie ka⸗
tholiſche Seite fih vorbehalten hatte,
Die Anfiht des Taurelus, daß die Thenlogie auf
Ppitofophie beruhe, wie fehr fie auch von ber Tpenlogie
feiner Zeit beſtritten wurbe, hat doch fpäter unter andern
Sormen fehr allgemein ſich verbreitet, Aber Taurellus
iſt dabei noch weit davon ‚entfernt bie fpätere Meinung
zu theilen, daß bie Theologie nichts anderes als eine
verfappte Philofophie fei, vielmehr erblickt er in ihr eine
Ergänzung unferer Unfähigkeit in den Willen Gottes, in
den Plan feiner Heilsorbnung einzubringen und Tann
auch in biefer Beziehung als ber Vorläufer fpäterer Leh-
ven angefehn werben. Dennoch werben wir bie Theolo⸗
gen, welche in feiner Lehre Gefar fürdteten, wohl nicht
tadeln ‚bürfen. Denn der Dualismus, welchen er in ber
Wiſſenſchaft behauptet, Kerupt auf der Annahme eines
Dualismus in der Welt, in dem Plane Gottes und ſchrei⸗
tet fogar bis zu einer Beſchraͤnkung der Borfehung Got-
tes fort. Hierin zeigen ſich bie Befrebungen der Natur⸗
lehre, welche fih zu bilden im Begriff war. Das Über
natürliche glaubte man von ber Natur abfonbern zu müfs
fen, damit die Natur nach ihren unwandelbaren Gefegen
als ein Gegenftand rein weltlicher Wiſſenſchaft begriffen
werben könne. Eine Folge hiervon war, ba bie Wiffen-
ſchaft des Übernatürlichen nur das Willlürliche zu- ihrem
Gegenfande zurüdbehielt, welches ald einem einigen Ge⸗
fege nicht unterworfen auch nach den ewigen Gefegen un⸗
ferer Bernunft nicht begriffen werben Tönne. In biefer
Auffaſſung des fittlichen und veligiöfen Lebens flimmte
77
Taurellus mit dem großen Haufen der proteſtantiſchen
Theologen feiner Zeit überein, welcher in Berfolg der
nominaliſtiſchen Lehrweife ale Werke Gottes in ber
Shöpfung und Erföfang für etwas Bott ußerliches, Un
wefentliches und nur nad) Willkür von ihm Beſchloſſenes
anfah. Im diefer Betrachtungsweiſe kam man zu dem
außerweltlichen Gott, welchen Taurellus verehrte; im ihr
bildete fich eine Theologie aus, welche den Glauben nur
jur Grundlage ihrer Beweiſe nahm und ihre Dogmatit
für gleichbedeutend mit dem Glauben hielt. Bon bem
alten Gedanlen des Chriſtenthums, daß der Slaube zum
Wiſſen führen folte, war man durch Trennung der Theo⸗
Iogte von der Philofoppie weit abgefommen. J
2. Balentin Weigel.
Neben den wifjenfchaftlichen Unterfuhungen ber theo⸗
logiſchen Schule erhielt fih aber in Deutſchland eine
freiere Dentweife über theologiſche und philoſophiſche
Dinge. Sie ſchloß fih an bie Theofophie an. Im der
Gortfegung ber theofophifchen Beftrebungen muß man zwei
Abzweigungen unterſcheiden, welche freifich nicht ohne Ber⸗
fräntung unter einander blieben. Die eine „entwidelte
ſich in der vollsthümlichen Richtung bes Paracelfug und
erhielt fih unter den Proteſtanten in Deutſchland, wo fie
in deutfcher Sprache ihre Literatur ausbilbete; das theo⸗
logiſche Element war in ihr unflreitig überwiegend. Die
andere breitete fi über die Grenzen Deutſchlands ans,
arbeitete fih in bie Geleprfamfeit der Zeit hinein und '
fand in Lateinifcper Sprache ihren Ausdruck; auch fie
hatte großentheils den Paracelfus zu ihrem Führer; fo
78
wie diefer aber im Auslande nur ale Naturforſcher
galt, fo war auch biefer gelehrte Zweig der Tpeofophie
vorherfhend mit Naturwiſſenſchaft und Mebicin beſchaͤf⸗
tigt. Dem Paracelfus näher verwandt entwidelte fih jene
erſte Abzweigung ber Theofophie früher als die andere.
Diefe Dentweife Hatte fih aus voltsthämlicen Antrieben
erhoben und gewann nun allmälig auf die Gelehrten ih⸗
ven Einfluß; fie verlor dadurch an ber lebendigen Kraft
ihrer erſten Jugend, ſchwang ſich aber zu einer allgemei⸗
nern wiſſenſchaftlichen Geltung empor.
In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts lebte
zu Tſchopau in Sachſen als Pfarrer Valentin Weigel ein
ſehr friedfertiges Leben, in ſtiller Dunfelpeit mit feinen
Gebanten befchäftigt. Er war 1533 zu Hayna bei Dres
den geboren, hatte zu Leipzig Theologie ſtudirt, aber auch
mit Alchimie ſich befhäftigt, war dort Magifter geworden
und dann auch auf einige Jahre nach Wittenberg gegan-
gen, big er zu der Stelle feiner Wirkfamfeit fam, welche
er bis zu feinem Tobe 1588 behauptete. Bei feinen
Lebzeiten hätte man nicht geglaubt, daß er in veligiö-
fen Dingen feine eigenen Wege gehe. Eine etwas freie
Denkweife über die Bedeutung ber Bekenntnißſchriften, fo
wie über alle äußere Werke, verftattete ihm ohne Beden⸗
fen ſelbſt unter bie Concordienformel feine Unterſchrift zu
fegen Y). Er galt als, ein frommer und berebter Pfarrer.
Zahlreiche Schriften, welche er in deutſcher Sprache vers
faßte, wurden erft nach feinem Tode befannt, vornehm⸗
lich durch einen Schulmeifter zu Tſchopau, ber darüber
4) Chriſtlich Geſprach vom wahren Chriftentgume ©. 39 f.
79
von feiner Stelle gejagt wurbe. Erſt im Anfang des 17.
Jahrhunderts find fie in Druck ausgegangen, verbreitet
durch gleichgefinute Seelen, welche auch nicht verfeplten
eine Zugabe von dem Ihrigen unter Weigel’s Namen
wandern zu laſſen, obgleich ber Vorrath der echten Schrif⸗
ten Weigel's noch nicht durch den Druck erfhöpft war.
In den Schriften, melde man für echt Halten muß,
iſt Weigel's Weife einfach, wie fein Leben, der Ausdruck
einer Befinnung, welche in der Stile ſich gebildet hat.
Er weiß fi in einem entſchiedenen Gegenfag gegen bie
Tpeologie feiner Zeit und beflagt bie Verblendung ber
Säule), welche er im Mangel an Ppilofoppie ſucht.
Man fann wohl ohne Philoſophie felig werben, wie ein
Bauer, wer aber andere leiten ſoll, muß auch vom Lichte
der Natur wiffen®). Er Hält ſich jedoch für zu ſchwach
um gegen bie Blindheit feiner Zeit anzufämpfen und iſt
zuftieden damit. für ſich bie wahre Erkenntniß gefunden
zu haben, welche er jegt einer ſtillen Gemeinde mittpeikt.
Wie er auf den rechten Weg gefommen, giebt er ſelbſi
an, Früher fei er felbf der Meinung geweſen, daß man
nit ohne Sprachen und Künfte tüchtig fein könnte ber
Kirche zu dienen; ba aber fei er über das Büchlein ber
beutfepen Theologie, über Tauler's Schriften und andere
Werle der Art gelommen und habe ben Schalt, den Lüg-
ner in fih ſelbſt gefunden). Er weit nun auf bie
Duelle der Erfenntniß in uns felb hin. Seine. Weife:
4) Studium universale L 4. b. In den Hohen Schulen lernet
ein Viehe vom andern.
2) T684 oraveor. Das andere Bühlen I S. 62.
3) Stud. univ. H. 4. a.
1)
die Männer anzuführen, mit welchen er übereinftimmt und
welche ihn anf den verhten Weg gewiefen haben, bezeich⸗
net fehe deutlich die Ablunft der Lehren, zu welchen er
fich bekennt. Er beruft ſich auf den Platon und die Neu⸗
Patonifer, den Plotin, ben Proculus, ben Hermes Tris⸗
megiftus, den Dionpfins Areopagita, auch auf ben Hugo
von St. Bictor und die deutſchen Prediger, den Meifter
Ekhart, den Tauler; Luthers Schriften find ihm werth,
befonbers feine fräfern; dagegen gilt ihm Melanchthon
"wenig; vielmehr finde er in den freier geflnnten Maͤn⸗
nern, welche mit ben Wieberkäufern in Verwandiſchaft
oder Gemeinfhaft fanden, in Karlſtadt, Thomas Mün-
zer, Schwenffelnt und andern, feine Gleichgeſinnten; bes
ſonders aber ift es Paracelfus, an weichen er im ber gan⸗
zen Haltung feiner Lehre bis auf Einzelfeiten herab ſich
anſchließt. Unzaͤhligemal verweift er auf feine Schriften.
Er iR nur gelehrter als dieſer Theofoph, ohne deſſen
Dünfel und viel einfacher. Sonf Bat er Freunde und
Feinde mit ihm gemein. Er eifert gegen bie verfopernden
Theologen, weil er bie Offenbarung viel weiter verbrei⸗
tet findet, als fie glauben; er eifert auch gegen bie fal⸗
fen Ppyfifer, welche die Wahrheit nur von außen fur
chen; fle folk fh dem Innern Auge entdeden. Hieran
ſchließt ſich denn freilich auch eine wefentliche Berſchieden⸗
heit zwiſchen ſeiner Denklweiſe und ber Lehre feines Mei⸗
ſters an. Die eigentlich phyſiſche Forſchung, zu welcher
Paracelfus antrieb, Tiegt ihm fern; nur das theofophifche
Element ift auf ihm übergegangen, wie e8 feinen theolos
gifhen Beftrebungen ſich empfal. Zwar behauptet auch
er, daß die Unterfuhung ber Natur uns nothwendig fei;
die Wiſſenſchaft Hat ihm zwei Theile, Aftrologie und
Tpeologie, jene für das Natürliche, diefe für das Über
natürliche, beide gehören ihm zufammen und bie Aftrologie
ſcheint ipm unentbehrlich als Wegmweiferin für unfern welt
lien Beruf und felbft zur Unterſcheidung ber wahren und
der falfchen Theologie; daher geht er auch auf die einzel⸗
nen Lehren der Afrologie ein !); aber man wird nicht
überfehen können, daß alle dieſe Unterfuchungen bei ihm
ame der Überlieferung angehören, wärend er in eigener
Forſchung nur den Gründen der Theologie nachzugehen
demäpt if.
An den Theologen feiner Zeit misftel ihm nicht allein
das gelehrte Weſen, fondern auch der Werth, welchen
fie auf äußere Werke, auf das Hören ber Predigt,
anf die Ceremonien, den Genuß ber Sacramente leg⸗
ten. Alles dies if ihm nur eine Verunreinigung bes
Glaubens und der Wiedergeburt vom Innern Menſchen
aus. Er dringt auf den Grundfag der Lutheriſchen Res
formation von der Rechtfertigung durch den Glauben als
fein, nit durch den Glauben an die Bibel oder die Sa-
cramente, fondern durch den Glauben an ben heiligen
Geiſt, welden Gott in uns wirket. Die Mitwirkung
der Schrift, der Predigt, der Sarramente verwirft er
war nicht, aber fie dienen ihm nur zur Erinnerung, zur
Ermahnung an bas innerlihe Wort Gottes, welches durch
feine Kraft uns erlöfen ſoll. Wir bebürfen ſolcher äußern
Mittel, weil die Wahrheit tief in uns verborgen, weil
die Sünde in ung mächtig iſt ). Aber auch ohne fie,
1) Stud, univ. Borr.; yröds o. 1, 17; 18.
2) Kurzer Bericht vom Wegeu. Weiſe ale Dinge zu erkennen 55 85 11.
Geld. d. philoſ. x.
ohne Taufe und Ceremonien würde Gott fih offenbaren
Tönnen, wenn er ein reines Herz in und fände, wie
Weigel dies namentlih von feinen Freunden, ben Plas
tonifern annimmt). Einkehren in fih, bas giebt den
wahren Frieden, bie Ruhe der Seele ohne Bewegung
des Gemüthe, der Gedanfen ohne Affect; in feinem
Kämmerlein beten, bas if die wahre Theologie ohne
Müpe und Arbeit. Da finden wir Chriſtum in uns, den
Gott und Menſchen, unfern Lehrmeifter in allen Dingen,
deren wir bedürfen). Aber man würde ſich täufchen,
wenn man glauben wollte, daß Weigel der Meinung
wäre, dieſer Weg der Einkehr zur Ruhe in uns ſelbſt
fohte nur zu einem trägen Brüten über bie Regungen
unferes Gemüths führen. Wir haben gefehn, daß er
für den Theologen, welcher andere leiten fol, aud bie
Philoſophie fordert; für den Bauer und ungelehrten Mann
wird er auch eine andere Arbeit in feinem Beruf verlan-
gen. Denn er will in Chriſto nicht Gott vom Menſchen
geſchieden willen; Gott fol in uns nichts ohne ben Tei-
denden Menfchen wirken. Cr iſt gegen das Teichte und
fanfte Chriſtenthum, weldes von Ceremonien feine Hülfe
erwartet 3). Zu dem Lefen in ber Bibel fordert er das
Lefen in der Welt, deren Dinge alle aur eine Erinnerung
an Gott find; Denn vom Natürlihen müſſen wir zum
1) Ib. 4. Denn Gott ift alle Augenblicke gegenwärtig und wartet
vor der Thür, daß er Lönne eine leere und freie Seele übertommen,
ob es gleich dem verfluchten Antichriſto verbreuft, daß Gott alfo
gnädig und unparteiiſch ift und auch andern Völkern den heiligen Geift
gebe ohne die Beſchneidungen, Taufe, Ceremonim etc.
2) Studium universale J. 3 ff.
3) Trößı 0. 11, 1 p.61.
8
Übernatürligen geführt werben; in beiden Reichen müfs
fen wir ſtudiren, im fleiſchlichen und geifligen, weil Bott
im Fleiſch fich offenbaret Hat; durch Chriſtum ſoll alles
offenbar werben, d. h. auswendig und inwendig 2), Wei⸗
gel Hat alſo eine ganz allgemeine Offenbarung im Sinne.
In allen feinen Werfen follen wir Gott erkennen, wie
fie aus ihm Herausgefloffen find; er hat alles gefchaffen,
um nit alles für fih allein zu haben. In allen feinen
Verlen if das Zeugniß feines Wortes und feines Geis
fr; um jedoch dieſe in jenen gu finden bürfen wir nicht
bei der äußern- Schale, bei dem Schatten ber Wahrheit
fefen bleiben, fondern müſſen die Waprpeit felbft aus
ihrer äußern Erſcheinung erfennen 9.
Diefe Gedanken find ber Mittelpunft in Weigel's
Ehren, dag wir einbringen follen in das Innere der
Dinge und daß fi nur in unferm Innern das Innere
der Dinge und eröffnen koͤnne. Cr fonnte biefe Geban-
fen freilich ſchon bei frühern Theoſophen finden, auch hat
er fie in feiner Antvenbung nicht bedeutend erweitert;
ober fie treten bei ihm in einer viel veinern und allge⸗
meinen Weife heraus, als bei feinen Vorgängern. In-
dem ex gegen die Kraft der Geremonien freitet, Töft er fie
völlig yon dem Aberglauben eines Agrippa ab; mit ber
Shwarzfünftelei, wie fie auch einen religiöfen Schein ſich
geben möge, will er nichts zu thun haben; auch der cher
niſche Proceß bes Paracelfus, wenngleich er in der Über,
1b. 1,2. Und erſtlich nad der Natur, darnad nad; der
Snaden, daß wir auß der Natur geleitet werben zu dem Übernatür:
fiten. Ib. I, 14; stud. univ. 2; 4.
2) Tröds 0. I, 5; Kurzer Beriht 11.
6*
, 3
tieferung ihn fortführt, kümmert ihn wenig; eben fo if
es mit der kabbaliſtiſchen Wiſſenſchaft, welche er ſchon des⸗
wegen nicht achten konute, weil er ber. Überkieferung und
ſelbſt der Bibel einen fehr geringen Werth beilegte. Die
Vernunft zu verwerfen um dagegen ben Glauben zu er
heben, ift ganz gegen feine Denfweife; die Vernunft ift
nit wider den Glauben; natürliche und übernatürliche
Erkenntniß vollziehen fi beide nur in unferm vernünftie
gen Weſen ). Einen adgefürzten Weg in ber Erkennt:
niß der Welt durch eine übernatürliche Überlieferung zu
ſuchen, faͤllt ihm nicht einz unbedingt zwar flimmt er da⸗
für, dag wir den Menſchen nur aus ber ganzen Welt
erfennen können; er befcheidet ſich auch hierzu nicht fähig
zu fein und iſt weit entfernt fi) rühmen zu wollen, daß
er bie Quinteſſenz ber Dinge durchſchaut habe; aber er
hat Geduld und will und ermahnen, daß wir mit Fleiß
ſtreben möchten in der Erkenntniß ber ganzen Welt im:
mer weiter zu fommen 2). So fallen bei ipm die äußern
Umpüllungen ber Tpeofophie ab, und ihr einfaßer Kern
tritt zu Tage.
Diefer befteht nun in den Grundfägen, melde von
unferem neuern Idealismus oft wiberholt worden find,
dag wir zwar der äußern Gegenflände zur Erregung uns
feres .Denfens bedürfen mögen, aber doch nichts von ihr
1) Gegen die Kabbala iR unftreitig gerichtet Kurzer Bericht 7, mo
die falſchen Bucher verworfen werden, welchen wir glauben mußten
nad dem Pythagoriſchen Anfehn, nemlich indem wir betrogen fein
duch den falſchen Verftand, daß die Vernunft ſei wider den Glauben
und wider die Gnade.
2) Hoo- o. I, 4.
nen lernen, fondern allen unfern wahren Unterricht ans
uns ſelbſt fehöpfen müflen. Die Dinge gewähren uns
durh den äußern Eindruck nur ein Bildni von fih, die
Bahrheit des Gegenflandes können fie nit in uns wir
tm. Es bebarf eines Forſchens in uns um bie Wahrheit
su finden. Das Urtheil kommt uns nit von außen; es
vollzieht fi nur im Urtheilenden; bie Erkenntniß iR im
Erfennenden, nicht im Erfannten 1). Geine Beifpiele zur
Erläuterung entnimmt er ald Theolog befonbers von ber
Bibel. Wie viele gehen an ihr vorüber, ohne fie zu ver
Reben; fie if ihnen ein weißer Ader und eine ſchwarze
Saat der Buchſtaben; fie wiſſen aber nicht, was darinnen
ſteht. Der Buchſtabe giebt nicht bie Erkenntniß ?). So
iſt es mit allen Dingen; nicht auf ihre äußere Form
lommt es an; fie verfünbet uns nur den Schatten det
Dinge; das Licht der Natur aber bezeugt und, daß bie
Wahrheit der Dinge in ihrem Junern liegt, aus welchem
alle ihre Wirkungen hervorbringen. In biefes Innere
möflen wir ung verfenfen; wenn wir ihre Wahrheit er
lennen wollen, und wir können dies nur, wenn wir aus
unferm eignen Innern ſchoͤpfen ). Hiervon mußte Weir
gel um fo inniger überzeugt fein, fe tiefer er die Wahr
heit der Dinge erihöpfen wollte. Die Wahrheit aller
Dinge beruht auf Gott; wer fie ergründen wi, muß auf
4) Iväßı 0. 12. Judicium est in judicante et non in jadi-
eato; cognitio est in cognoscents et non in cognito.
2) Kurzer Bericht 1.
3) Ib. 11. Das Licht der Natur bezeuget, daß alle Dinge von
innen heraus fließen und Tommen in die Außen Dinge und daf ber
äußere Schatten nit die Form made, denn es iſt ummöglih, daß
der Schatten oder Die Milbnif eines Dingen bie Wahrheit felbft wirt
diefe Tegte Urfache zurüdgepn. Aber nur den Schatten,
wie von ferne, nur den Zußtapfen Gottes verräth uns
das Gefhöpf ); aus folhen Zeichen müſſen wir bie
Wahrheit erforſchen und können fie nur aus unferm eige⸗
men Nachdenken, aus unferm Innern fhöpfen
Weigel geht noch einen Schritt weiter. Auch unfere
finnfige Empfindung von den Dingen empfangen wir
nicht von außen, nicht von ben Dingen, fonbern unfere
eigene empfindende Natur muß fie aus uns herausziehen.
Seine Gedanken hierüber entwidien fih fehr einfag. Er
Teugnet nicht, daß ber äußere Gegenftand, ber Gegenmwurf,
wie er fi ausbrüdt, eine Veranlaſſung der Empfindung
abgebe; aber wenn nicht das empfindende Auge wäre, fo
würden wir nicht ſehen; wenn nicht unfer fühlender Leib
wäre, fo würden mir nicht fühlen. In uns muß bie
empfindenbe Kraft fein, bamit aus ihr bie Empfindung
als ihre Tpätigkeit hervorgehen könne; fie Tann in jene
Kraft nicht hineingetragen werben, fondern muß fich im
Innern derfelben erzeugen, indem bie empfindende Kraft
biergu von dem Gegenwurfe nur erwedt wird und ihre
Erkenntniß in den Gegenwurf hineinträgt 9. Diefe Lehre
entwidelt fih aus dem Grundſatze der Paracelfiſchen Phy ⸗
Mt, daß dur äußern Einfluß nichts in die Dinge hin:
) B. 7.
2) Ib. 1. — Daß das Urtheil nicht fließe vom Gegenwurfe in
das duge, ſondern dargegen daß es vom Muge fließe in den Gegen:
wurf, — denn ein jeder kann das Geficht haben ohne den Gegen
wurf, aber nicht dargegen. Ib. 5; 9. Das Fühlen ift in dem, der
da fuhlet und nicht im gefüplten Gegenwurfe, aber vom äufern Ge—
genwurfe wird es erwecet. — — Die äufern Gegenwürfe wirken
nicht die Sinne in unferm Leibe.
87
eingetragen werbe, fonbern alles aus ihrem Inuern, aus
dem Samen, fi geftalte, wozu die äußern Einfläffe nur
Erweckungen abgeben könnten ) So kommt alle Erkennt ⸗
niß von innen, nicht weniger bie finnliche Erkenntniß der
Erſcheinungen, als das tiefere Verſtaͤndniß ihrer Beden⸗
tung. Wenn nicht die Waprfeit in uns Täge, würden
wir von ihr Keine Kumde haben 2). Durch die Betrach⸗
tung bes Gegentheils der Erlenntniß wird Weigel in bier
fer Lehre nur beſtaͤrkt. Wenn die Erfenntniß von außen
time, fo wärde fle in allen Erfennenden in gleicher
Weiſe ſich vollziehn, weil bie äußere Welt eine und bier
felbe iſt. Aber die Verſchiedenheit der Meinungen, der
Itrthum, bie vielen Kegereien beweiſen uns, daß bie
Wahrheit von einem jeden in feiner eigenen Weiſe ger
dacht wird. Eben fo würde es auch feinen Zweifel ges
ben, wenn in einem jeden die Welt in ihrer objectiven
Weiſe ſich darſtellte. Nur weil wir in ber Erfenntniß
ber Dinge unferm eigenen Willen folgen müffen, werben
wir in Irrthum und Zweifel verfiridt 9.
Bir Haben ſchon bemerkt ‚'dap Weigel hierbei an die
hoͤchſten Aufgaben der Wiflenfpaft ferhätt. Wir follen
die Welt, wir follen Gott erfennen ; das iſt eine doppelte
Art der Erkenntniß, die natürliche und die übernatürliche;
wir haben einen boppelten Gegenwurf, den endlichen und
zeitlichen in ber Welt und den unendlichen und ewigen
1) Ib. 11; 7064 0. 1,8.
2) Kurzer -Beriht 5. — Doß alle Wahrheit zuvor in und vers
borgen Hege und nur vom Gegenwurf erweckt werde; fonfl Könnte man
feine Kundſchaft geben, wo nicht die Wahrheit in ins wäre,
3) 1.155.
in Gott, und fo mäfen wir aud eine doppelte Erkennt⸗
niß haben, des Endlichen und des Unendlichen ))y. Da-
bei vollzieht fih aber doch alles Erfennen in was und
wir erfennen in ipm immer nur uns, unfere Kräfte, unfere
Entwidlungen. Daher bleibt nichts anderes übrig, als
dag wir in uns alles erkennen und alles find. Lernen
iR das werben, was wir lernen; bas Innere, das wahre
Sein der Dinge müflen wir uns aneighen, went wir fie
erfennen follen. Da wir nun alles Iernen follen, fo mäf-
fen wir auch alles werden koͤnnen und ba alles unfer
Werden aus unferm Sein hervorgeht, fo mäflen wir aud
urſprunglich dasfelbe fein, was wir erfennen ſollen; wir
möffen mithin alles fein. So wie das Firmament ganz
außer dem Menfchen if, fo ift es nicht minder ganz im
Menſchen, und eben fo if es mit Gott. Diefer Sinn
liegt in der Lehre von der Verkörperung Chriſti in ung,
in welcher Menſch und Gott fi vereinen 2),
In der Nahweifung, daß wir bie ganze Welt in
uns tragen, ſchließt Weigel fih genau an den Paracel-
1) Ib. 2. Doch ſcheint ib. 7 aud in der Erkenntniß der Ratur
eine Erkenntniß des Unmdlihen angenommen zu werden, unftreitig
weil der Gegenfag nicht deutlich heraustritt, tie wir noch meiter
fehen werden.
2) Stud. univ. 1. Alſo if das Firmament ganz außer dem Mens
fen und ganz in dem Menfhen. — — Lernen ift fich felber ken—⸗
nem, — — ja lernen und ſtudiren ift eben das werden, das wir Terz
nen. Ib. H. 1. b. Du terneft die Welt, du biſt die Welt. Darum
Äft dir mdglid) zu lernen astronomiam, physicam, philosophiam,
alchimiam, magiam, Künfte, Sprachen, Handwerke; denn dies
alles iſt in die und du biſt es felber originaliter. , Das bejrugeftu
mit dir felber durd dein Lernen, daß du eben das werbeft, was du
gelernet haft, Tvü8s a. I, 12. .
fas an. Er unterſcheidet im Menſchen Fleiſch, Geiſt und
Seele und legt ihm darnach auch ein dreifaches Auge für
das Sinnliche, das Geiſtige und das Ewige bei, ben
Sinn, die Bernunft und ben Berfiand D. Den Leib oder
das Fleiſch denkt ex fih als zuſammengeſetzt aus allen
Elementen, ja aus allen Arten der Dinge, damit wir
ade Dinge ſinnlich empfinden koͤnnen; der Geiſt {ft vom
+ Firmament, ein feiner Körper, in ihm liegen alle Künfte
und Wiſſenſchaften, welche wir lernen follen; er iſt aber
doch nur ferblih, weil alles zurädtehren muß in bas,
woraus es gefommen iR; nur bie Geele iſt unſterblich
und auch allein zur Erkenntniß Gottes tätig, weil fie
vom Ewigen, von Gott iſt ). In. feiner Lehre vom
Fleiſche und vom Geiſte des Menfıhen fommen AÄuße⸗
rungen vor, tu welchen man materialiftifche Anfihten fes
hen koͤnnte. Über der tiefere Grund feiner Lehre ift nicht
materialiſtiſch; vielmehr geht er darauf aus alles Körpers
liche nur als Außerung einer innern Kraft zu betrachten.
Denn den Dingen fommt nichts yon außen; alles ent
wideln fie aus einer ihnen inwohnenden Kraft und ber
Sinn des Fleiſches und ber feine fiberiiche Geiſt empfan-
gen nichts, was nicht in ihnen läge, fondern werben nur
vom äußern Gegenwurf fei es ber einzelnen @efchöpfe,-fei
es des Firmaments zu ihren eigenen und Innern Tpätige
feiten erwedt 5) Zuletzt iſt es immer die höhere Kraft,
1) Es finden Hier auch diefelhen Schwankungen über Seele und
Geift ftatt, wie bei Paracelfus; auch wird bie Imagtnation in einer
eivas unſichern Stellung eingeſchoben. Berge. yrüss o.1, 2; 9; 10.
2) 1b. 1,3; 6; 17. \
3) Der gütdene Griff 15 15.
vo
welche von oben her alle unfere Thaͤtigkeiten fi ent⸗
wideln läßt. Bon oben herab bringt alles Licht in die
tiefern Schichten des Verfländnifles; der Sim wird nur
durch die Einbildungskraft, die Einbildungstraft nur burch
die Vernunft, die Vernunft nur durch den Berfland und
zuletzt durch Bott erleuchtet und das Obere lann wohl
fein ohne das Niebere, aber nicht das Niedere ohne das
Dbere ) So ift alles vom Geifle Gottes abhängig, die
Weit fpiegelt nur Gottes Wirkungen ab, fie if der Schat-
ten, der Buchſtabe, welcher ihn offenbaren fol. Hierauf
beruht die Überzeugung, daß .wir das Ganze der Welt
und bie Offenbarung Gottes in uns tragen. Zwar be
ruft fich Weigel auch auf die Lehre des Paracelſus von
der Schöpfung des Menſchen aus dem Erdenkloß, daß
er als die kleine Welt aus der großen Welt gemacht wor⸗
den, daß er die Vollendung der Schöpfung ſei und die
Quinteſſenz, den Begriff aller Dinge in ſich trage; aber
viel unmittelbarer drüdt es den Grund feiner. Überzeugung
aus, wenn er dabei zufegt auf bie Allmadıt Gottes ſich
beruft, welche bie große Welt in eine Fauſt faflen und
in der Heinen Welt des Menſchen zufammenfgließen
koͤnne 9).
1) Ib. 8; ꝓ60. o. I, 10.
2) Ib. I, 4. Auf daß nun der Menſch ein Begriff wäre und ein
Beſchiuß allen Gefhöpfen und gleih als ein centram und Punct
allen Ereaturen, auf welchen alle Greaturen fehen folten und ihn ats
einen Herrn erkennen, hat Gott wollen dm Menſchen nicht aus
nichtes ſondern aus elwas, das iſt aus der großen Belt formicen ;
denn einen ſolchen gewaltigen Schöpfer haben wir, daß er dieſe grofe
Belt faſſen kann in eine Fauſt, das ift in den microcosmum be:
fliegen,
Diefe Schöpfung des Menſchen if nun, wie Weigel
fie dentt, keinesweges nur eine willfürlihe Annahme;
fie fließt vielmehr aus der allmächtigen Weisheit Bottes
mit Nothwendigleit. Die ſchoͤpferiſche Macht Gottes
fonnte ſich nur in einer volllommenen Welt offenbaren;
fie konnte daher auch die Welt nicht ohne ihre Vollendung
laſſen. Sie erweiſt fih auch nicht fo, daß ihre Gaben,
welche fie dem einen verleiht, dadurch dem andern entzo«
gen würden; vielmehr bie Fülle der Gottheit if fo reich,
daß fie immer noch das Ganze zu verleihen hat, wenn
fie es auch bereits verlichen haben follte. Der Menſch
follte alles haben, was in Bott if; alles, was bem eis
nen Menfchen verliehen wurde, follte aber auch ber ans
dere erhalten; denn wir alle find gleich begabt von Gott,
jeder hat dasſelbe empfangen, was ber andere, und wenn
Gott dem Menfchen die ganze Welt gab, dennoch blieb
fie noch immer ganz und die Engel und alle vernünftige
Weſen ſollten nicht minder in ihr den ganzen Schag bes
göttlichen Reichthums empfangen D Hierin erweifen ſich
die idealiſtiſchen Grundfäge Weigel's wohl am flärffien.
Da ift fein Gedanke daran, obgleich Paracelſus dies flart
4) Ib. II, 6. Auf daß fi das ewige Gut ausgiefe, — — hat
es ihm ‚gemacht und geſchaffen ein Gleichntß und Bildniß, nemlich
die vernünftige Creatur, — — daß dieſelbe ganz und vollkimmlid,
beſaße und innen hätte alles, mie er felber. Ib. II, 13. Mir find
auch gleich begabet von unferm Schöpfer und hat einer fo viel -als
der andre. Stud. umiv. 3. Die Welt ift ein Menſche worden und
iſt die Welt blieben, wie die Schrift zeuget. Gott der Herr ſchuf den
Menſchen aus dem Erdenkloß, das iſt er machte den Menſchen aus
der Welt, daß der Welt nichts abgingez er machte das Weib aus
dem Manne und der Dann blieb ganz. Ib. 4,
hervorgehoben hatte, daß der Menſch als Geſchöpf bes
ſchraͤnlt fein müßte; vielmehr wird geltend gemacht, daß
er als Vollendung der Schöpfung, bes allmaͤchtigen und
allweiſen Gottes ohne Schranfe die Volllommenheit feis
nes Schöpfers überfommen haben müffe. In den natür⸗
Then Dingen hat zwar ein jeber Menſch feine befondere
Beftimmung, aber dies betrifft nur das Fleiſch und das
Werkzeug, welches nicht der rechte Menſch iſt; denn der
rechte Menſch iſt nur der, welcher durch Was Wertzeug
ſieht und erkennt ), Die Volllommenheit ber Geſchöpfe
wird nun freilich nur für die vernünftigen Weſen, für
die Menſchen und die Engel, behauptet; aber in ihnen
ſieht Weigel auch die Vollendung und das wahre Wefen
der Schöpfung. Er behauptet da im weiteſten Sinne bie
Gleichheit aller Geſchoͤpfe, weil fie alle in ihrem Weſen
die Volllommenheit ihres Schöpfere abbilden müſſen.
Kinder und Narren folen wir nicht veradten; nur im
Außern haben fie ihre Gebrechen; was an ihnen ber
wahre Menſch if, Kunft, Weisheit, Vernunft und Bers
Rand, das ift eben fo”gut als Du, Nicht einmal der
Teufel wird hiervon ausgenommen; fein Wefen if noch
gut; alles gilt gleich vor Gott; alles if in ihm eins und
bleibt eins. Alle Natur iſt gut, glei) ihrem Schöpfer 9.
Weigels Überzeugung wurzelt in dem Gebanfen, daß bie
1) oo. 0. 1. 7; 15; 18.
2) 1. 1,7; U,2 S. 66. Das Weſen eines jeden Dinges und
die Natur an ihr felbft iſt fehr gut, ja Gott ſelbſt. Stud. univ.
K. 1. b. Doch folltu wiſſen, daß des Teufels Wefen noch gut fei
und daß Engel und Teufel Bott gleich gelte, Himmel und Hölle.
Denn omnia adhuc sunt unum in dee. — — Bir find alle gleich
in beiden Lichtern.
geifigen Gaben, welche bie Wahrheit der Dinge ausma ⸗
den, ohne Schranfen fih mittpeifen und niemand durch
den Befig der Andern in ihnen verkürzt wird.
So wie nun bie Notpwenbigfeit behauptet wird, daß
Gott feine Volllommenheit in feinen Geſchoͤpfen bewähre,
fo ergiebt ſich auch, daß wir die ganze Volllommenheit
Gottes in feiner fepöpferifhen Tpätigkeit zu erbliden has
ben. Gott und Schöpfer if eins. Weigel weiß bie
himmlifhe Eva, die Weispeit Gottes, durch welche er
alles geſchaffen Hat, von Gott nicht zu trennen. Seine
Bolltommenpeit hat Gott nicht allein für fi haben, er
hat fie auch offenbaren wollen, damit Zeit und Ewigkeit
fd zufammenfänden. Ohne die Zeit würde die Ewigfeit
nit ganz fein; opne die Schöpfung würde Gott nicht
feinen Willen haben; wenn er nicht Schöpfer wäre, würbe
er nicht Bott feind. In allem Lernen lernen wir nur
uns felbft; eben fo ſchafft Gott in allem Schaffen nur fih;
er erkennt ſich ſelbſt in feinen Gefchöpfen und liebt ſich
in ipnen 2). Genug bie innige Verbindung bes Geſchö⸗
pfes mit dem Schöpfer, das innere Leben des Gedankens
in dem Wefen des Dentenden fchließt jeden Verſuch aus
eine Trennung bes Schöpfers von feinen Geföpfen ein«
treten zu laſſen. Die Geſchoͤpfe Gottes find feine Gedan⸗
ten, fein Wille. Derſelbe Grundfag, welcher für die
vernünftigen Geſchoͤpfe geltend gemacht wird, dag fie nur
1) 7,684 o. II, 6; sind. univ. 4. Die himmliſche Eva hat in
Anfang Gott zum Gotte gemacht, zum Schöpfer; fie ift die Mutter
aller Lebendigen, durch fie kommet alles an Tag, ohne fie wäre kein
Gott, feine Treatur, nur Ewigkeit ohne Zeit.
2) Kurzer Bericht 65 stud. univ. K. 1. b.
in ihrem Innern erfennen, Ieben und find, findet feine
Anwendung auch auf Gott. Er wird von Weigel auch
für ausreichend gehalten worden fein einer jeden Vorſtel⸗
Tungsweife, welde den Unterſchied zwiſchen Gott und
Weit aufpeben möchte, einer feben pantheiftiichen. Neigung
gu begegnen, indem er vor allen Dingen einem feben
Weſen fein eigenes Denfen, Wollen und Sein bewahrt.
Fa. der That macht Weigel nicht die geringfte Anſtren⸗
gung fih von dem Verdachte zu reinigen, als wollte er
Schöpfer und Geſchoͤpf in einander zerfliegen laſſen.
Dad eigene ‚Sein der Gefchöpfe führt ihn zu der
‚„ Behauptung ihres freiem Willens. Zunaͤchſt beweiſt der⸗
felbe fih in unferm weltlichen Leben vor dem Sündenfall
und nad ihm ). Da wird uns ein eigenes Wirken zu⸗
geſchrieben in unferm weltlichen Erkennen. Dur unfer
eigenes Urtheil follen wir bie Dinge erfennen, fammt und
fonders, um ung ſelbſt in ihnen als die Feine Welt zu
erfennen; denn vom Natürlihen follen wir zum Überna-
türlicpen geleitet werden). Diefe Freiheit in unferm
weltlichen Leben und Exfennen ift eine durchaus innerliche
Entwidlung, in welder wir ung ſelbſt beſtimmen; nach
ber Weiſe Weigers wirb dabei auf das Äußere wenig
ober gar fein Gewicht gelegt. Er if davon überzeugt,
daß. fi dasfelbe ſchon zu unferm Beften fügen werde,
— —
1) Stud. univ. 5. Die vernünftige Creatur muß haben einen un⸗
gendtigten Willm, — — auf daß fie nicht zu Magen hätte, fie müffe
gewungen boſe fein oder gut. Die geſchaffene Bildniß Gottes erfor-
derte es nicht anders, denn daß ein freier Wille bliebe für und nach
dem Fall.
2) Trası a. 1, 2; 12. '
wenn nur alles in unferm Innern gut beſtellt iſt. Dies
ſelbe Freiheit des Willens wird nun aud für unfer über
natürliches Leben in Anſpruch genommen. Nicht ohne
den Menſchen will er unfere Erleuchtung im goͤttlichen
Lichte, fondern aus ihm und durch ihn vollbringen laſſen.
So wie das Böfe aus und hervorgeht, fo wird auch
die Neugeburt durch die Gelaffenheit unferes eigenen Wil⸗
lens bewirlt . Aber in der Betrachtung dieſer Seite
unferes Lebens glaubt Weigel doch bie Freipeit des Men»
ſchen gegen die Allmacht Gottes zurücktellen zu müſſen.
Nur Gelaſſenheit, nur Leiden und Stillehalten gegen die
Wirkungen Gottes empfielt er und; bie übernatürliche
Erlenntniß iſt ihm ein Vorgang, welcher nur leidentlich
fg in uns vollziehe. Da. fol das Erkennen nicht ans
dem erfennenden Auge, fondern aus dem Gegenwurfe
Tommen, welcher uns erleuchte. Er würde glauben fonft .
mit den Pelagianern flimmen zu müffen, daß der Menih
fünne gerecht gemacht werben durch eigene Kräfte). Die
Nachwirkungen ber ältern Myſtik find in dieſem Punkte nicht
zu verlennen. Wir follen da verzichten auf uns ſelbſt.
Bärend uns fonft empfohlen wird uns felbft zu ſuchen
4) 1b. I, 13. Obwohl die ottüiche übernatürfiche Erkenntniß
von Gott kommet, fo tommet fie doch mit ohne den Menfhen, fon "
dern in, mit, aus und durch den Menſchen. Ib. II, 9. So muß
aud die Vefferung, die Wieberbringung oder Reugeburt durch Chru—
fum alleine in dem Willen vollbracht werden. — — Und mie bie
Sande und das Boſe geſchieht durch Annehmlichteit eigenes Willens,
Mo geſchieht die Verſohnung durch Gelaffenheit eigenes Willens.
2) Kurzer Bericht 25 6. Noch eine Erkenntniß iſt zuzulaſſen, die
ſich ganz und gar leidlich Hält, als nemlich die übernatüclihe Erz
kenntniß, — — alfo wenn die Erkenntniß fleußt aus dem Gegenwurfe
gleid) als in ein reines und leeres Auge. Zrö6ı o: 1, 13; U, 6.
zu unferer Selbfterfenntnig, wird in biefer Richtung der
Gedanken -vielmehr. nur Böfes darin gefunden, wenn
wir ung ſelbſt ſuchen, umd fogar von Eprifto gejagt, er
haſſe ſich ſelbſt ) In demfelben Sinne wird alsdann
auch der freie Wille verſchmaͤht; er iſt den Wirkungen
der Sacramente entgegen; nur im gefangenen Willen iſt
Seligleit?) Dem freien Willen werben auch feine Werke -
folgen müffen. Die natürliche Erlenntniß, welche er voll⸗
sieht, erſcheint daher nur als ein Zufag bes Balfchen,
welcher die Unfeligkeit unferes Lebens bewirkt. Die rechte
Erfenntniß dagegen iſt ohne Mittel; vor Adams Fall
mar fie vorhanden; ba beburften wir des Unterrichts
durch das Geſtirn nicht, da waren wir aud frei von
den @inflüffen bes Geſtirns. Wir erfahren aber hieraus
auf, daß die Freiheit des Wiens, welche uns für uns
fer natürliches Leben zugeftanden wurde, nicht bie.rechte
Breipeit iſt. In ihr find wir gebunden durch unfer Ge
ſtirn, dur unfere natürliche Geburt, in welcher und
eben unfere fünftigen Schidfale vorherbeftimmt find, fo daß
ſich unfer ganzes natürliches Lehen von der Aſtronomie
vorherfehen laͤßt. Erſt durch die Wiedergeburt werben
wir wieder frei von ber Naturgewalt des Geſtirns, und
werben alsdann in ber Gebundenpeit unferes Willens
die wahre Freiheit der Kinder Gottes haben y. .
Es iſt nun wohl erſichtlich genug, daß in biefen Lehren
ein boppelter Begriff von Freiheit und Abhängigfeit herſcht
und yerhindert eine fletige Lehre von unferm weltlichen
1) 1b. 1.3; 12.
2) Kurzer Bericht 115 stad. univ. 5.
3) Kurzer Bericht 35 45 7260. a. 1, 13; 17.
9
eben und feinem Berhfttniffe zu Gott durchzuführen.
Man wird wohl fagen können, Weigel habe bie Punlte,
welche feftgehalten werden müffen, richtig eingefehn; aber
die Mittel fie zu vereinigen erfannte er nicht. Er will
bie Wahrheit unferes weltlichen Lebens behaupten, daher
vertheidigt er unfere Freiheit; er will unfere Abhängigkeit
von Bott in alleın, was wahr und gut, nicht aufgeben,
daher geftattet er nicht, daf unfer Verhaͤltniß zu Bott nad
demfelben Maße gemefien werde, nad weldem unfer
Verhaͤltniß zu den weltlichen Dingen zu beurtheilen if.
Über diefe entgegengefegten Richtungen feiner Lehre wird
er zu den Außerfien Annahmen getrieben. Weil Gott uns
ganz in feiner allmäctigen Hand Hält, wir aber im welt-
lien Leben von ihm zu unſerer Freiheit abfallen, fo iſt
diefeg Leben au erft durch den Fall Adams entftanden.
Um aber nun dem weltlichen Leben fein Recht zu bewah⸗
ven wirb auch der Fall Adams von Weigel für etwas
durchaus Nothwendiges gehalten, ohne welches bie Schö⸗
Hung der Welt und der Menfchen umfonft fein würde,
Durch die Zeit follen wir zur Ewigleit geführt werden;
dur dad Böfe müffen wir zum Guten, zu unferm Urs
fprung zurücklehren 2). Aber von der andern Seite wird
auch das Böfe und der Durchgang durch das ganze welt
Tigerfehen nur als ein Schatten angefehn und als etwas
durchaus Unweſentliches, was die Subſtanz der Dinge
1) Stud. univ. G. 1. a. Mus dieſen Worten follm wir verftchen,
daß diefe Welt umfonft geſchaffen wäre, ja dee Menſch wäre nichts
nüße geweſen, fo er blieben wäre im Paradies, Tyco. o, II, 19:
Aus der Zeit werden wir geführt zur Ewigkeit; — — alfo buch das
Be wird man gehandleitet zum Guten ald zum Urfprung.,
Geſch. d. Philof. x. 7
nicht treffe. Das Böfe iſt nur ein Mangel, nichts, was
irgend ein poſitives Sein in Anſpruch zu nehmen hätte.
Die Sünde beſteht nur im Wollen und das Wollen ift
ein Accidens, ein Zufall, welcher das Geſchöpf in feinem
Weſen unverändert laͤßt, wie es zuvor war; denn was
Gott im Geſchoͤpfe als fein ewiges Weſen gefegt hat,
das bleibt ewig, und ſelbſt Judas und der Teufel wer⸗
den durch die Sünde nur in weltlichen Eigenſchaften und
natürlichen Zufälligkeiten, aber nicht in ihrer ewigen und
guten Subſtanz geändert ), Hieraus zieht Weigel auch
die Folgerung, daß die Wiedergeburt und die übernatür-
liche Erfenntniß den vernünftigen Geſchöpfen nichte zufege;
fie ändert ipr Wefen nicht 2). Er hat aber nicht nöthig,
wie andere Theologen, zu einer übernatürlichen Erhöhung
der vernünftigen Gefchöpfe feine Zuflucht zu nehmen, weil
er davon überzeugt iſt, daß. bie göttliche Allmacht und
Weispeit fie urſprünglich vollfommen in ihrem Wefen
gemacht Hat und daß fie aud in diefem volllommnen We
fen ohne Veränderung beſtehen müffen.
In dieſen Gedanken über die unveränderlihe Sub f
ſtanz des Menſchen verräth fih der alte Fehler der Pla
tonifhen Schule, aus welder dieſe theoſophiſche Lehre
‘ |
21.1, 2. Dieweil num die Sünde im Wollen geſchieht und
nit im Weſen, fo iſt fie nicht eine Subftang, fondern ein aceidens
oder ein Zufall. Darum bleibet die abgefallene Greatur eben das fir
zuvor ware nach dem Weſen und Ratur. Ib. II, 19. Das Zufällige |
an ben Dingen wird aud als die Qualität derfelben bejeichnet, was
für den Sprachgebrauch Bohme's zu merken if. Der Grundfag Heißt:
sabstantia manet eadem, sed non talis.
2) Ib. U, 2. Die Wiedergeburt durch den Glauben ändert nicht
den Menfohen an Weſen oder Ratur, |
fih herausgebildet Hatte. Bor andern Lehren ähnlicher
Art zeichnet fie ſich dadurch aus, daß fie die Beſchrän⸗
tungen befeitigt, welche man ber ſchöpferiſchen Macht
Gottes gefegt hatte, als könnte fie nur unvolllommene
. Gefhöpfe Hervorbringen, daß fie daher für die wahren
Subfangen der Welt, die vernünftigen Geſchoͤpfe, das
volle Ebenbild Gottes einfordert und damit aud ihren
idealiſtiſchen Neigungen zu genügen weiß, welde fie alle
Entwicklungen unferes finnlipen und vernünftigen Lebens
nur als innere Acte der uns inwohnenben Kraft betrach⸗
ten laͤßt. Aber fie erfennt dabei die Bedingungen nicht
an, unter welden bie Wirkfamfeit Gottes in ben vers
nünftigen Weſen ſteht, fie verlennt das Wefen der Ber
nunft, wenn fie die Bolltommenheit der vernünftigen
Geſchöpfe in ihrem urfprünglichen Weſen ſucht und fie
nicht als eine Frucht ihres freien Lebens betrachtet. Wir
dürfen ihr zwar nicht abſprechen, daß fie eine Ahndung
davon hat, daß wir durch unfer Leben in ber Welt zu
unferer Volllommenheit gelangen follen; fie würde ſonſt
nicht zur Theofoppie gehören, welche Gott in der Welt
fHauen will 1); aber fie verſchüttet ſich dieſe Ahndung,
weil fie nicht zur Haren Einſicht ſich zu bringen weiß,
1) 1b. 1, 21. O mein Schöpfer und Gott, durch dein Licht er⸗
kenne ich, wie wunderbarlich ich gemacht fei. Aus der Welt bin ih
gemacht und bin in der Welt und die Welt ift in mir. Ih bin auch
von die gemacht und ich bleibe in dir und du in mir. Mus der Welt
bin ih und die Welt träget mich, fie umgreifet mid) und ich trage
die Welt und umgreife die Welt. Ich bin ihr Kind und Sohn; fle
iR worden, was id) bin, und id) blieben, was fie iſtz denn alle,
was in der großem Melt iſt, das iſt aud alles in mir geiftfic.
Darum bin ih und fie eins und mag ohne fie nit fein noch Icben.
7*
100
daß unfere Bernunft nur durch ihre Arbeit von ihrem
unbewußten Bermögen zur Wirklichteit und zum Bewußt⸗
fein ihres Seins gelangen kann. Daher fommt es, daß
Weigel mit dem. @edanfen an unfer weltliche Leben un-
mittelbar den Gedanken an die Sünde verbindet und
unfere Arbeit nur darauf richtet das Böſe von ung ab-
zuwehren, ohne daß dadurch etwas Neues, etwas anderes
als unfere urfprängliche Gubflanz gewonnen würde. Aus
demfelben Grunde fließt ipm auch ber falfche Gegenfag
zwiſchen der natürlichen und ber übernatürlihen Erkennt⸗
niß, welcher aus ber Grundanfiht Weigel’s nicht abge
leitet werben fann. Denn biefe verfeugnet ſich nicht, daß
Gott aus feinen Werken in natürlihem Wege volllom⸗
men erfannt werden kann, weil er in feiner ſchoͤpferiſchen
Tpätigfeit unbefchränft waltet und fein ganzes Wefen of⸗
fenbaret ?). Wenn er es daher für nöthig hält erft durch
die Sünde uns hindurch zu führen nnd alsdann duch
den gottergebenen Sinn das übernatürliche Leiden Gottes
und in ihm das Bewußtſein unferer gotterfülten Sub
ftanz ung zuwachſen zu laffen, fo koͤnnen wir bies nur
für einen Umweg anfehn, welchen er einfclägt, weil es
ihm nicht einleuchtet, warum wir durch die Mühen des
Lebens Hindurd müſſen, obgleih uns Gott in feiner
Schöpfung die ganze Fülle feiner Wahrheit verliehen hat.
3. Jacob Böhme,
Die theoſophiſche Lehre, welche von der Gelehrfams
teit fo wie ber Theologen, ſo der Naturforfcher ſich ab-
1) Kurzer Bericht 7.
101
gefondert hatte, blieb Eigenthum einer Heinen ſtillen Ge⸗
meinde, welche riur in einem fparfamen Verlehr fih fort:
pflanzte, nur felten ihre Stimme erhob und von iprem
Dofein Kunde für das allgemeine öffentliche Leben gab,
Daher laufen die Fäden iprer Überlieferung fehr im Ver⸗
borgenen. Man weiß faum, woher die Männer, welche
fie verfündeten, ihre Anregung fepöpften, noch wie fie
wieder in Andern wirkten. Dennoh würde man fih
täufgen, wenn man glauben wollte, fie wären ohne eine
fortfaufende Überlieferung geweſen.
Hiervon giebt uns Jacob Böhme ein Zeugniß. Ob⸗
gleih er eines armen Bauers Sohn und ohne alle ges
lehtte Kunde geblieben war, klingen doch in ihm dieſel⸗
ben Töne nach, welche wir von ben wiebertäuferifchen
Jeitgenoffen Luthers, von Theophraſtus Paracelfus und
Valentin Weigel vernommen haben. Im Jahre 1575
zu Alt⸗Seidenberg nahe bei Görlig geboren lernte er in
der Schule nur nothdürftig leſen und ſchreiben und hü-
tete das Vieh bis er zu einem Schuhmacher in die Lehre
gelfan wurde. Nachdem er feine Lehrzeit hinter ſich hatte,
wanderte er einige Fahre nach Handwerlsgebrauch, wurde
Meier, und ließ ſich zu Goͤrlitz häuslich nieder, wo er
mit Grau und Kindern ein untabelpaftes, friebfertiges und
frommes Leben führte. Schon in feinen Knabenjahren
hatte er wunderbare Gefihte gehabt. Sie wiederholten
fih in fpäterem Alter zu verſchiedenen Malen und ver
fegten ihn in eine Stimmung von anhaßender Dauer,
fo daß er das Innere der Dinge durch ‘ihre äußere Ges
ſtalt hindurch zu erſchauen, ihre Kräfte zu fehen, die
Sprache der Natur zu verftehn glaubte. In Folge einer
4102
ſolchen Verzüdung ſchrieb er 1612 feine erſte Schrift,
Morgenrötpe im Aufgang. Sie wurde von einem Adligen
feiner Befanntfchaft in Abfchrift genommen und verbreitet.
Dem erſten Geiftlichen der Stadt gab fie Anſtoß. Bon
der Kanzel herab ließ er feinen Eifer gegen Böhme aus
und der Magifirat wurde baburch veranlaft gegen ben
Stillen im Lande zu unterfuchen und ihm ferneres Schrei⸗
ben zu verbieten. Sieben Jahre hielt Böhme fih zurüd.
Doch verbreitete ſich indeffen der Ruf des Wunderman-
nes, wie ihn feine Freunde nannten, über bie Lauſitz,
Schleſien, Sachſen; aus der Gegend von Nürnberg Ta-
men die Erfundigungen nad dem ungelehrten Manne,
der aller Sprachen fundig fein follte. Seine Bedenken,
0b er gegen das Gebot feiner Obrigfeit ſchreiben dürfe,
ließen ſich heben. Nach einer neuen Bewegung feines
Geiſtes fing er nun an eine ziemliche Anzahl von Schriften
nieberzufchreiben und fogar drucken zu laſſen, unter be
fländiger Anfechtung der Geiftlihfeit, in ©efar von ber.
weltlichen Obrigkeit aus feinem Wohnorte vertrieben zu
„werben, aber getragen von einem gebulbigen Sinn, wel
per den äußern Ordnungen des geiſtlichen und weltlichen
Regiments fih unterwarf ohne in ihnen die hoͤchſte Richt⸗
ſchnur für fein Leben zu finden. Gegen feine Widerfa-
her hatte er ein freies Wort, aber auch bemüthige Un—
terwerfung unter einen höhern Richterſpruch, fo daß Bil-
lige Theologen bie Unfträflichkeit feiner Haltung nicht vers
fennen mochten. In einer unanfepnlihen Gefalt gewann
diefer Mann viele Herzen in ber ftillen Gemeinde, welche
innerhalb der proteftantifchen Kirche ſich gebildet hatte, ja
er erhob fih in ihr zu einem fill verehrten Haupte, ohne
An
103
alle Mittel der Kunſt, nicht in jaͤhem Anlauf einer lei⸗
denfgaftlichen Bewegung, fondern nur dur den Schwung
feiner Gebanten, durch die Macht einer fruchtbaren Phan- "
tafie und einer in ſich befriebigten Seele. Er hatte
Mufe feine Schriften zu verfaffen. In feinem Hands
werke war er heruntergefommen; von feinen Zreunden
wurde er unterftügt. Go Bat er in ben 5 Jahren von
1619 bis 1624, wo er flarb, nur durch feine Schriften
und durch Unterhaltungen, in welchen man feinen Uns
terriht ſuchte, für die Berbreitung feiner Denkweiſe
gewirkt, N
Der hofärtigen Gelehrfamfeit iR Böhme ein Stein
des Anſtoßes. Ohne Gchulgelehrfamfeit weiß er tiefer
in das Wefen der Dinge einzubringen als andere, welche
von der Meinung aller Welt wiflen. Er if ein Beweis
davon, wie- viel die Seele ohne kunſtliche Beihülfe zu
finden weiß, wenn fie eifrig ſucht. Aber aud davon giebt
er ein Zeugniß, durch wie viele verborgene Kanäle der
Menſch mit der Stimmung und der Bildungsftufe feiner
Zeit zuſammenhaͤngt. Wie weit er auch abwärts von
dem Strome des wiſſenſchaftlichen Verkehrs wohnen mag,
wenn er nur wiſſenſchaftlichen Sinn hat, biefer Strom
ergreift ihn doch. Böhme faßte die Aufgaben ber Wif-
ſenſchaft, in deren Verſtaͤndniß er ſich hineingenarbeitet
hatte, in einer Weife auf, welche der Theofophie feiner
Zeiten fehr nahe Tiegt. Es ift zweifelhaft, ob er aus
den Schriften der Theoſophen gefhöpft hat; in feinen
Werken wird nur die Bibel erwähnt; aber ohne Zweifel
hat er aus münbliger Überlieferung Kunde von den theos
ſophiſchen Lehren erhalten. Seine Schriften zeugen das
- 404
von, dag er nicht ohne Nachhülfe feiner Freunde war.
Sein Biograph, Abraham von Franfenberg, der im ver-
trauten Umgange mit ihm Yebte, verräth uns den Kreis
der Gebanfen, in welchem fehne gelehrtere Umgebung
lebte, indem er auf die Zeugniffe des Dionyſius Areo⸗
pagita, der Deutſchen Myſtiker, des Nicolaus Eufanus,
der neueren Platoniler, bes Paracelfus ſich beruft. Er
nennt uns überdies Ärzte und Chemiker, mit welchen
Böhme in Verkehr ſtand. Gewiß fhöpfte Böhme aus
den Tiefen feines gottfeligen Gemüths bie Anſchauung
der Dinge, welche feinen Lehren zum Grunde liegt; aber
indem ev fie zu einem Verſtaͤndniß der Welt in ihren phy⸗
fiſchen Erſcheinungen und in der Geſchichte der Bölter
ausbreiten wollte, war er genöthigt zu einer’ Reihe von
Überlieferungen, welche nur in verwortenen Umriſſen ihm
vorſchwebten, feine Zuflucht zu nehmen, Daß ihm hier
‚aus ein buntes Gemiſch phantaftifcher Bilder und Meir
nungen hervorging, war unvermeidlich. Es wäre leicht
ihm feine Irrthümer und Widerfpräche in der Phyſik und
in der Geſchichte nachzurechnen; man Tann ihm nachwei-
fen, wie er an Zerrbildern ſich abarbeitete, indem er unter
der Hülle der wirklichen Welt, welche fi zur UÜberſicht
gu bringen ihm jedes ungetrühte Mittel fehlte, ihren ties
fern Kern zu erfchauen fih vermag; aber man wirb mit
feinen voreiligen Blicken in verborgene Geheimniſſe fih
verföhnen, wenn man bie kindlich fpielende Seele ver
ſtehn lernt, welche nur Figuren der Wahrheit in ihrer
dichteriſchen Phantaſie zu deuten und anzudeuten verſucht.
Die Weiſe feiner Bildung verfegt uns in jene erſten An
fänge der Wiſſenſchaft zurück, in welder noch Feine Litter .
un
108
ratur war, in welcher man noch mit kindlichem Glauben
an der mündlichen Überlieferung hing. Mit Unrecht würde
mar es ihm als feine Schuld anrechnen, daf er bie
Überfieferungen der Paracelſiſchen Schule nicht mit den
Augen des Zweifels betrachtete, ſondern fie in felfe phy⸗
ſiſche Weltanſchauung zu verarbeiten fuchte. Auch in bie
Zeiten verfegt er uns zurüd, wo bie Ppilofophie fh
erſt aus ber Poefie herausarbeiten ſollte. Er ift wie eine
verfpätete Frucht in ber Reife der Zeiten, in welder er
„auftrat, nur daraus zu erfläsen, daß er aus ben tiefern
Schichten der Geſellſchaft hervorging, welchen nur in fpärs
Vier -Weife die wiffenfhaftlihe Bildung zufließt, nur
deswegen unferer Beachtung werih, weil er ben gefunden
Trieb verräth, welcher aus dieſen Schichten herauf und
noch immer weiter frifches Leben zuführen fol. Diefer
Stellung gemäß hat der philoſophiſche Gedanke, welcher
bei ihm durchbrechen will, auch nur wenig in feiner Zeit
gewirkt, aber zu einer künftigen Entwidlung zu. wies
derholtenmalen angeregt, welche dech in einer gang
andern Weife, als er ahnden konnte, ſich Bahn brechen
ſollte.
Jacob Böhme war in innern veligiöfen Erregungen
aufgewachfen. Der riftlichen Lehre verbanfte er die erften
Auffplüffe über die Gegenſtaͤnde feiner Sehnſucht. Die
Bibel war die Hauptquelle feines Unterrichts. Wie Hätte
er nicht in feiner glänbigen Seele an biefem Grunde
feſthalten folen? Aber er fah bie Theologen in Streit
über die Auslegung des göttlichen Wortes, Er fah bie
lirchliche Welt mit Hader und Zwietracht erfült. Wie hätte
das feiner friedlichen Seele gefallen können? Wir fine
106
den ihn nun in einem innern Aufruhr gegen bie beſtehenden
Dinge. Es geht ihm wie dem Pico von Mirandola;
um Frieden zu haben muß er ſelbſt Krieg beginnen, Er
verbammt den Krieg, die weltliche und geiftliche Macht,
welche ihn erregen; er verdammt bie fleinernen Kirchen,
die Buchſtabenchriſten, die hofärtigen Theofogen, ben
Geiz, welcher über das nothbürftigfte Eigenthum hinaus⸗
langt, alle die Lafter, welche ben Unfrieden unter ben
Menſchen fäen. Das ift der Kampf feiner Seele, wel⸗
chen er, wie friebfertig er auch iſt, doch nicht überwinden
fann. Bis in fein Innerftes reicht er hinein. In ihm
hat er die Tiefen feiner Seele durchwühlt und iſt zu dem
wunderbaren Bau feines Spfems gefommen, welcher
von einer erflaunfichen Arbeit feiner von außen nur wer
nig unterflügten Gebanfen zeugt, aber freilich au aus
fehr ungleichen Befandtpeifen zufammengefegt if. Zu einer
veligiöfen Beruhigung über das Elend der Welt iſt er ger
fommen; aber dennoch klagt er Gottes Zorn und Grimm
an, welcher ber Orynd dieſes Elends iſt. Gottes Vorſehung
wird auch dieſe Dinge gewollt haben, welche Böhme verab⸗
ſcheut; aber dennoch fie empören unfere Seele. Da müfs
fen wir uns felbft bezwingen; wir müffen unfer Gemüth
in veinere Lüfte erheben. Böhme glaubt fo im Kerne
der Dinge bie Berföhnung zu fehauen, welche im Wer-
den begriffen if. Er glaubt der Geſchichte auf. den Grund
zu blicken, welche nun bald eine Wendung ber Dinge
herbeiführen wird. Mit einer Kindlichen Liebe hängt er
an ber Natur, ber friedlichen, deren Gefalten er zu Durchs
ſchauen meint; auch an der gewaltigen und grimmigen
Natur ärgert er fih nicht; fie if dazu beflimmt die Ge⸗
407
richte Gottes, die Scheidung ber Dinge zur Reife zu brin⸗
gen. Die finntichen Bilder, welche bie Natur ihm bietet,
verflicht er mit dem geiftigen Proceß der Geſchichte, mit
den ſittlichen Begriffen, in welchen die Geſchide der Welt
fh ihm darſtellen; aber in dem bunten Spiel feiner Bits
der, feiner Begriffe iſt es zuletzt doch nur der Paracele
ige Scheidungsproceß,. welhen er zu Tage bringt. Als
Ten Menſchen möchte er Gerechtigkeit widerfahren laſſen,
auch den Juden, Türfen und Heiden, denen er ihr Gu⸗
tes nachrechnet, bie wohl eben fo gut und beffer find ald
bie Scheinchriſten; aber dennoch betrachtet er die Bildung
und die Wiffenfhaft, in welcher wir vorwärts gefommen
find, nur wie feine Widerfacher und ſtellt fi mit dem
feinen Häuflein der Seinen, welchen er die bißherigen
dunklen, nur ungenügenden, ja verfaͤlſchten Offenbaruns
gen deuten will, ben großen Ordnungen entgegen, in,
melden er die Schidungen Gottes zu fehen ſich doch nicht
enthalten Tann. Er hat ein Bewußtfein davon, daß alle
Zwede durch Mittel beirieben werden müſſen; aber er
AR nicht im Beſitz diefer Mittel; da muß er ſich denn ent«
fließen fie entbehren zu fönnen und barauf vertrauen,
daß der Zweck, unfer Gott, uns nicht fern, fondern als
len gegenwärtig iſt und auch im ſchwachen Werkzeug. ſich
offenbaren kann. Im dieſer uͤberzeugung ſchreibt er fih ein
Schauen der Offenbarungen zu, welde noch nie offen zu
Tage gelommen, wie wunderbar es ihm auch feinen mag,
daß Gott einen einfältigen Mann dazu fi erwaͤhlt hat bas
u offenbaren, was vom Anfange ber Welt verborgen war.
Gott iſt ja ſelbſt einfäͤltig. Wie der Geift Gottes
formlos in den Apofteln gewaltet Hat, fo waltet er noch
108 5
jetzt y. Wenn ihn feine Widerſacher fragen, woher ex.
Kunde habe yon Dingen, bie feines Menfchen Auge ge
ſchaut hat, fo antwortet er, wohl ſei er dabei geweſen,
zwar nicht als dieſes Ich, welches er jetzt iſt, aber im
Weſen der Seele und bes Leibes, welches Bott dem er⸗
ſten Menſchen ſchenlte; jetzt aber ſehe er alles dies im
Geiſte Chriſti und Chriſtus in ihm wiſſe es. So hat
feine Feder aus dem Schauen geſchrieben?). Es iſt frei⸗
lich ein Widerſpruch, daß er bie Mittel insgefammt für
nothwendig und doch ſich ohne fie das Höchfte für mög-
lich Hält; aber diefer Widerfpruch wirb ihm dadurch ver⸗
beit, daß er eine doppelte Scheibung forbert, bie Scheis
dung der Dinge, bamit in ihr das Eine offenbar werde,
und die Aufhebung biefer Scheidung durch eine Schei⸗
dung des Guten und des Böfen, und daß er in ber
Tegtern begriffen barin auch bie erftere zu begreifen glaubt.
Denn die gegenwärtige Zeit ſcheint ihm ſchlimmer als
alle vergangene Zeiten; fie' it vom Glauben gewichen; fie
hat den alten Schaden fliden wollen und ift darüber nur
in ärgern Schaden gelommen; aber alles dies Flicdwerk
- fol nun befeitigt werden; das Boͤſeſte muß des Beften
Urfache fein; wir find fo weit gefommen, daß wir von
der Spige des Böfen zum Guten umfehren müflen; da⸗
her nahet der Tag, welcher die Entſcheidung berbeiführt
4) Morgenröthe im Yufgang 9, 485 10, 535 14, 38 ff.; myste—
rium magnum 28, 52.
2) Myst. magn. 5, 15. Darum mag ein einiger Wille in diefem
Quellbeunn ſchopfen, fo er göttlich Licht in fich Hat, und die Unend-
ticteit fhauen, aus welchem Schaum diefe Feder gefhrieben Hat.
1b. 9,1; 18, 1.
109
und alles fol nun offenbar werden). Da glaubt er
nur nötpig zu haben das Böfe von fih zu thun um dee
Guten in feiner Fülle theilpaftig zu ‚werden. Die welt
lichen Mittel, find wohl nöthig geweſen; aber fie find
nun verbraucht; zu ihnen, ja zu dem Böfen, welches jet
befeitigt werden muß, rechnet er aud die Wiſſenſchaft,
die Buchſtabentheologie und den Hochmuth, mit welchem
fie erfüllt. Er predigt nun im Geiſte ber ſtillen Ge
meinde die Gelaffenheit, das Ablegen aller Eigenpeit.
In diefer Reinigung der Seele will er die Früchte aller
Zeit erndten. Denn nachdem nun bie äußerſte Spige
des Böen gekommen, nahet der große Scheidungstag,
wo die Elemente gefondert, das Gute und das Böfe ger
ſchieden werben follen und in der Erwartung biefer Dinge
muß fih auch der Geift regen, welcher die kommenden
Dinge fieht und darin die Deutung der alten Räthfel findet.
Wir fehen, es ift fein ungewöhnlicher Fehler, welder
ihn zu feiner "Behauptung die Wahrheit zu ſchauen fort
reißt; es iſt bie alte Verwechslung, welche im unmittels
baren Bewußtfein unferes Grundes und unferes verhieße-
nen Zweckes bie Gegenwart ober wenigſtens bie Nähe
des ſchon zur Wirklichkeit erfüllten Zwedes erblidt. Bei
Böhme tritt diefe Verwechslung ohne kunſtliche Verblen⸗
dung, in voller Natürlichkeit ein. Er kann fi nicht
denen, daß Gott dieſe Gräuel noch Tänger dulden könnte;
er fieht das Gericht nahen; das Licht, weldes alles
ſcheidet und vereint, es vollzieht fih in ihm. Wir were
den es dem ungelehrten Manne, welcher die Mittel der
1) Der Weg zu Chriſto IV, 2, 525 Morgenrdtfe Borr.; 26,
MT; myst. magn. 10, 62; 11, 1f3 27, 58.
10
Wiffenfopaft nur wenig ermeffen hat, nit zu hoch an⸗
ſchlagen dürfen, wenn feine Phantafie fie überfpringt,
wenn er im Fluge glaubt erhafchen zu Können, was nur
die Frucht Tanger Arbeit if. Wenn er auch font fi
fagen muß, daß wir nur durch Arbeit und durch bie Zeit
hindurch zur Ewigkeit verbringen Können H, fo lebt er
doch der Überzeugung, daß jept der Zeit genug geſchehen
fei, daß nun die Vollendung der Zeiten nahe, wo bie
göttliche Magie ſich offenbaren müſſe und die Vereinigung
der. natürlichen Wiſſenſchaft mit der übernatürlichen Gnade
ſich volziepen werde. Im Glauben meint er feinen
Willen mit Gott vereinigen und Gottes Kraft und Wort
in feinen Willen einnehmen zu Können 9,
Aber mag er auch den Dünfel unferer Wiſſenſchaft
niederſchlagen, wenn bas und nöthig fein follte, fonft
werben wir nicht vermeinen, daß wir große Früchte der
Wiſſenſchaft aus feinen Lehren. ziehen könnten, Nachdem
wir über den Mann gefagt haben, was zum Verſtändniß
feiner Perfönlichfeit gehört, bleibt und nicht viel übrig,
was feine geſchichtliche Stellung zur Vergangenheit und
+ Zufunft und abwerfen koͤnnte. Da feine Auffaffung ber
frühern Lehren nur. duch Vermittlung der mündlichen
Überlieferung geſchah, if auch feine feſte Geftaltung in
der Fortbildung des Frühern bei ihm zu erwarten. Es
iſt zwar unzweifelhaft, daß er aus ben Quellen fchöpfte,
welche wir früper angeführt haben, beſonders aus den
Lehren der Tpeofophen in ber Weife bes Paracelfus, von
4) Myat. magn. 10, 1 {5 53, 16.
2) Ib. 11, 1 ff; 36, 6; 68, 25.
1
welchen feine ganze Auffaſſungsweiſe der Phyſil ausgeht;
aber man darf in allen feinen Gedanken nur den niebrig-
Ren Grad der Unserfheidung vorausſetzen. So wie ſchon
Yaracelfus und andere Zeitgenoffen das Phyſiſche und
das Sittlihe hatten in einander faufen laſſen, fo finden
wir auch bei Böhme nur in einem noch flärfern Grade
biefe Verwirrung. Er fieht in den natürlichen Kräften
nit allein Symbole, fondern auch Kräfte des fittlichen
Lebens; die Wärme if ihm Grimm, das Licht Freund⸗
lichleit und Liebe; und umgefehrt erblidt ex auch wieder
in den Entwidlungen unferes fittlichen Lebens Kräfte der
Ratur; Haß iR ihm Finſterniß, Begierde Salz, Angft
Schwefel. Aus diefen Umbildungen hat er Fein Arg.
Die Naturerfpeinungen denkt er als Gutes oder Boͤſes
und Gutes und Böfes werden ihm zu Naturerfepeinungen.
Eben fo miſcht er Geifliges und Körperliches in einander.
Es iſt hoͤchſtens ein Gradunterſchied, des Feinern und des
Groͤbern, welchen er zwiſchen beiden annimmt, wie denn
ſelbſt der Unterſchied zwiſchen Gott und ſeinen Geſchöpfen
nur dadurch bezeichnet wird, daß die Förperlihen Quali⸗
täten, weldhe in Gott feiner find, in den Gefchöpfen
derber ſich darfellen um zum Beflande und zur Anfhaus
lichleit zu kommen D. Die Unterfceidung ber Innern
Etlenntniß unfrer ſelbſt von der äußern Empfindung des
1) Morgenr. 13, 79. Die herbe Qualität, die zeucht das ganze
rperliche Weſen der Gottheit zufammen und hält es und vertrocknet
©, daß es befichet. Ib. 108. Dir Schöpfer Hatte aus den Urſachen
dm Leib eines Engels trodner zufammencorporixt, als er in feiner
Gottheit war und blieb, daß die Qualitäten ſollten Härter-und derber
werden. Ib. 14, 10; myst. magn. 6, 4. .
4112
und nur Angelommenen, welde bei Weigel eine jo große
Rolle fpielte, ft bei Böhme nicht zu fuchen, vielmehr
fliegen ihm ſinnliche Wahrnehmung und Verſtand ganz
in einander und die Dinge follen einander ihr Wefen in
finnlicher Weife mittpeilen ). Wir würden ihn falſch
beurtheifen, wenn wir hieraus ſchließen wollten, dag ihm
jene Unterfchiede gar nicht beänden, ja daß et fie leug⸗
nen wollte. Sie find ihm nur zu feiner beutlihen Er-
kenntniß herausgetreten. Die finnlihe Auffaflung genügt
ihm nicht; dem Kern der Dinge will er nachſpüren, allen
Dingen auf den Grund ſehen. Die grob finnliche Genüg-
famteit am Äußerlichen und Koͤrperlichen weiſt er weit
von ſich; feine Anſchauung will durch bie Hülle der
Dinge brechen; den innern Verſtand der Sprade, ber
Schrift will er gewinnen; aber er erfennt auch, daß
Mittel nöthig find und weiß fie vom Zwecke nicht zu
fondern. - Da äußert er denn wohl, unter den körper⸗
lien Dingen, welde er nennt, follte ein geiftliches
Weſen verftanden fein 2); aber die ſinnlichen Bilder, mit
"welchen er fpielt, fpielen nicht minder mit ihm und zu
einer wiſſenſchaftlichen Verfländigung über bie geiftlichen
Dinge, welche er ſucht, vermag er in fihern Unterfcheis
dungen nicht vorzudringen.
1) Myst. magn. 5, 14. Dieſer Schall des Hörens, Sehens,
Füptens, Schmedens und Riechens iſt das wahre verftändtiche Leben;
denn fo eine Kraft in die andere eingehet, fo empfähet fie die andere
im Schale; wenn fie in einander dringen, fo erwecket eine die andere
und ertennet eine die andere. In dieſer Erkenntniß ftehet der wahre
Berfand, walcher ohne Aufl, Maß und Grund ift, nad Art der
ewigen Weisheit al des Einen, welches alles iſt.
216,4
443
Bas ifn von. feinen theoſophiſchen Worgängern unterr
ſceidet, bermpt hauptſächlih darauf, daß er das Raͤthſel
des Gegenſahes zwiſchen Gutem und Baſem tiefer zu
ergründen fucht und deswegen ben Grunden ber Schöpfung
aqhforſcht. Is dieſe Nnterſuchungen wüplt er ſich cin
und vergißt Darüber bie Saͤde, welche er doch auch nicht
ſelten einſchaäͤrft, daß alle Crealur Bott. nur in ber
Ratur erlenne und wir nur vom offenbarten Gott reden
Tönen; denn bie Seele gehöre ‚ber. Ratur an und baher
inne ipr Bott nur durch die Natur ‚offenbar werben 2).
Diefen Sägen arbriket der Gedanle entgegen, daß wir
nicht ablaffen dürfen auch der Abhängigkeit der Geſchoͤpfe
wm gedenken und alſo einen Grund zw. fegen, welder
über der Natur und jedem. Geſchoöͤpfe iſt. Dag wis einen
folgen und zwar einen einigen Grund ber Welt zu ben
ten haben, welcher von. ber Welt verſchieden if, davon
if Böpme von. vornherein überzeugt. Die Welt ſteht nur
in Abpängigfeit, in. Kraft ihres Brandes; fie if zeittic,
im Ewigen gegründet, in welchem au Böfes uud Gutes
gegründet fein muß 2). Daher kommt Böhme von dem
Gedanfen an den Urgrund der Dinge nit los, beffen
Oskändigeit er nicht in Zweifel ziehen Tann und befien
Gedanten er auch in dieſer Selbſtaͤndigleit feſthalten gu
möffen glaubt. Gott ergieht ſich nicht in die Natın. Er
.
1) B. 3, 16. Denn aufer der Natur ift er (sc. Gott) allen
Ereaturen verborgen, aber in ber ewigen und zeitlichen Natur iſt er
mpfmbfi und offenbar. Ib. 5, 10. Die Wefm find feine Offen-
barung und davon haben wir allein Macht zu ſchreiben und nicht
don dem unoffenbaren Gott. Ab. 53, 16.
1) Ib. 8, 15; 24.
Geſch. d. Philof. x. 8
ma,
beſteht ‚für ſich, wenn auch Feine Perfon, fo doch ein Ich,
ein Verſtand, welcher über allen Dingen ſteht und nicht
in den fchöpferifchen Willen aufgeht 3. Hieraus fliehen
alsbann Hiele Säge, in welchen Böhme das Sein Gottes
für ih und opne Beziehung zur Schöpfung barzuftelen
fügt. Sie fliegen ſich theils am bie Trinitktslehre an,
über welche er doch nicht ſehr rechtgläubig fi äußert 9),
theils an Überfieferungen der Patonifhen Schule, in
welcher Gott als das Eine, gleich dem ewigen Nichts,
als Abgrund und Ungrund bezeichnet wird"). Die: Bil
der, in welchen Böhme diefen Gedanfen des verborgenen
Gottes ausführt, indem er ihn bald an die menſchliche
Vorſtellung Heranzieht, bald jebe menſchliche Vorſtellung
von ihm zurädfößt, beweifen nur das Grübeln feines
Berftandes, in welchem er das Bild Gottes ſich auszu⸗
weben bemüht if. Er verleiht ihm’ Leben; er läßt Gott
ein ewwiges Spiel ohne Anfang und Ende in ſich ſelbſt,
in feiner Einbildungstraft fpielen, um ſich beſchaulich zu
werben in einem Gegenwurf, um ſich felbft ſich zu offen-
1) Ib. 6, 1; 53, 16. Der göttliche Heilige Ens iſt —
Natur. Ib. 53, 18; kuther Ertract bed mysterü magni 2. Er (MM)
hat nichts, das er faffen kann, als nur das Ein, darin faflet er
fich in eine Ichheit. "Morgen. .3, 11. Nicht mußt du denken, daß
Gott im Himmel und über dem Himmel etwa ſtehe und walle, wie
sine Kraft und Qualität, die keine Dernunft und Wiffenfhaft in
fih Habe, tie die Sonne — — Nein fo ift der Bater nicht, ſon—
dern er ift ein allmächtiger, alweifer, allwiffender, allfehender, all=
horender, alltiechender, allfühlenber, allſchmeckender Gott. Bon ber
Menfgwerdung Jeſu Eprifli II, 1, 8
2) Myst. magn. 7, 5; 11.
3) 1b.1,2;8.
as
baren 2). Biel färker aber tritt der @ebanfe Gottes
hervor in feinen Beziehungen zur Schöpfung. Böhme
mag Gott nit ohne feine ſchoͤpferiſche Kraft ſich denken.
Wenn er ed auch zuweilen. vergißt, daß er von Gottes
unoffenbartem Weſen nicht ſchreiben koͤnne, alsbald erin⸗
nert er ſich doch wieder daran und da findet er nun feine
Dffenbarung fo eng mit feinem Wefen und feiner Wahr⸗
heit verbunden, daß beibe unzertrennlich find. Ohne
feine Offenbarung in der Schöpfung wäre Gott ſich ſelbſt
nit offenbar 2). Da erfipeint ihm nun ‚die Schöpfung
nur wie ein Spiel der Kräfte.in Bott, welche in ewiger
Liebe ſich umfangen; in Gott if ein ewiges Gebären
und Schaffen; das Schaffen höret nicht auf; die Natur
erzeuget fi in Gott aus feinem Willen, welder ein
Begehren in fi hervorbringt und die Schöpfung im
Spiel der in ihm liegenden Qualitäten entſtehn laͤßt 9).
Diefer Gedanke eines ewigen Lebens in Gott, in welchem
Gottes Natur ſich bewegen und die zeitlichen Dinge er⸗
zeugen fol, geht in den mannigfaltigfen Bildern dur
die Lehre Boͤhme's hindurch.
B. 1,5; 4, 7. Nicht iſt zu verſtehen, daß Gott einen
Anfang alſo nehme, ſondern es iſt der ewige Anfang des geoffenbarten
Gottes. Kurzer Ertract 3 f.5 don der Gnabenwahl 1, 14.
2) De signatura rerum 16, 2; myst.magn. 5,10. Sonft fo ich
füge, daß Gott fei in feiner Tiefe, fo muß id) fagen, er iſt außer
aller Ratur und Eigenſchaſten, als ein Verſtand und Urftand aller
Weſen; die Wefen find feine Offenbarung und davon haben wir allein
Macht zu fhreiben und nicht von dem unoffendarm Gott, der ihm
doch auch felber ohne feine Offenbarung nicht erfannt wäre.
3). 3, 4f; 6,4; 11, 9; Morgen. 11,49 fj.; dom drei⸗
fachen Leben des Menſchen 4, 64.
8.
418
Mit diefen Bildern beſchaͤftigt erflärt er AG auch
gegen die Lehre von ber Schöpfung aus dem Nichts.
Auf. den alten Gag ſich berufend, daß aus nichts nichts
werde, fordert er, daß jedes Ding feine Wurzel habe;
wären nicht bie ſieben Geiler der Natur von Emigfeit
gewefen, fo wäre fein ‚Engel, Tein Himmel und auch
Heine Erde geworden I). Freilich lehrt Böhme auf,
Gott habe nicht aus einem Etwas bie Dinge erfhaffen;
aber es drüct dies nur die alte Lehre uns, welche wir
von Johannes Scotus her kennen, daß es das Nichte
der göttlichen Natar fei, aus weldem alles geworden 2).
Gott macht die Geihöpfe aus fi ſelber; alles if aus
ihm gebildet; wenn er Die befonbern Geflalten der welt⸗
lichen Dinge verförpert, fo wird dies wie ein Zuſammen⸗
ziehen feiner Natur beſchrieben. Da z0g die herbe Qua⸗
fität den Salniter der Natur zufammen und vertrodinete
die Dinge; fo werden die Engel, fo die irdiſchen Ge
ſchoͤpfe ). Wie damit, daf die Natur Gottes dem Wer⸗
‘den ber Schöpfung Preis gegeben wird, feine unwandel-
bare Wahrheit befiehen könne, darüber macht fih Böhme
fein Bedenfen. Man würde ihm aber auch Unrecht thun,
wollte man meinen, er gebe hierüber bie ewige Wahrheit
Gottes auf. In der Einfalt feiner Denkweiſe wägt er
nur feine Worte nicht dogmatiſch genau, In allem fieht
er das ewige Spiel der göttlichen Kräfte, durch welde
das Nichts des göttlichen Verſtandes in das Etwas ein⸗
geführt werben fol, damit die Creatur ihr Etwas in
1) Morgene. 19, 55 f.
2) De sign. rer. 14, 7; 14.
3) Morgent. 7, 45 12, 25 13, 108.
47
das Nichts wieder einführe 2). Der Unterſchied zwiſchen
Geſchoͤpf und Schöpfer bleibt Ihm beſtehn, wenngleich er
die Glieder desſelben in einauher ipinüberfpielen laͤßt.
Eine viel größere Schwierigleit würbe ihm ber Unters
ſchied zwiſchen Gutem und Böfem machen; auf ihm bes
ruht der Kampf feines Immern, ber Streit mit feiner
Zeit, mit der Welt, in welder er leben muß; er möchte
ihm Zweifel erregen, ob bisfe Welt in ber allmädhtigen
Güte Gottes. Ihre Wurzel habt. Aber ſollte nicht dieſelbe
Manier, die Glieder der Gegenſaͤtze in einander hinüber»
ſpielen zu laſſen, auch über.hiefen haͤrteſten Gegenſah
Here werden? Ohne Zweifel. Im Bertrauen:auf dieſe
feine Manier ſieht Böhme wicht. an zu behaupten, daß
Gott Gutes und Boͤſes ſei, Himmel und Hölle, jenes in
feiner Liebe, biefes in feinem Zorn 2). Bon’ Gottes
Zorn, nicht allein mie er. das Boͤſe Araft, fondern auch
wie er im Böfen waltet, ift viel die Rebe in Böhmes
Schriften. In der göttlichen Kraft liegt verborgen eine
herbe Dualität, ein Zornquell, ans. welchem das Böfe
geboren wird). Da iſt ihm fein Zweifel, daß Bolt
auch in der Höfe if, in allem Böfen waltet. Er legt
Gott zwei Eigenfhaften bei, den Zorn ober Die ewige
Natur, aus welcher bie. Schöpfung hervorgeht, und bie
4) Myst. magn. 24, 26 f.
2) Ib. 8,24. Denn der heiligen Welt Gott und der finftern
Belt Gott find nicht zween Götter; es ift ein einiger Gott; er ift
ſelber alles Wefenz er iſt Boſes und Gutes, Himmel und Hölle,
2iht und Finſterniß, Ewigkeit und Zeit, Mnfang und Endes wo
feine Liebe in einem Weſen verbergen iſt, als da ift fein Zorn
offenbar.
3) Morgen. 8, 18 f.
118
lebe, durch welche der Zorn oder bie Natar befänftigt
wird 1), Dabei geſteht / Wöheae nur zu, nicht von feinem
Zorne, ſondern von feiner Liebe und Güte heiße Gott
Gott und beide Eigenfihdfteh vereinigten: ſich in ihm ders
geſtalt, daß fie nur Bas Eine and Einte bildeten; da ift
felbſt die bittere Dualität::m, Gott: ein triumphirender
Freudenquell 2). Es iſt zu 'verftehen, daß die beiden
Kräfte, des Guten und dets Boͤſen, in Gott nicht zur
Scheidung fommen,: keine gegen ober über bie andere fih
erhebt, fondern. fie in inen ewigen freubigen Spiel der
Eintracht einander fich igugeſellen, alfo alles unter der
Herrſchaft der Liebe ſteht 3."
Man. wird nicht ſagen Können, daß diefe Lehre über
Gutes und. Böfes "ohne: Irrungen fi entwidelte. Zus
weiten ſcheint ber Gegenfag:ziifchen beiden ganz wie ein
phyfiicher gefaßf ‚zu werben und: um die Nothwendigkeit
desfelben zu beweifen beruft. ſich alddann Böhme nur auf
die alte Lehre, daß in der Welt der Gegenfag ‚nicht feh⸗
Ten dürfe. Ohne. Leid- würde feine Freude, ohne Angft
"feine Luſt fein; die Offenbarung bes Lichtes hängt von
der Finſterniß ab. Diefe Lehre wird im weiteften Um⸗
fange von Böhme geltend gemacht. Leib und Seele,
Feuer und Waſſer, Luft und Erde wären das Eine ohne
das Andere nicht; fie find aber ale in dem einen Urs
1) Apalog. wiber Ef. Stiefel 33.
2) Morgenr. 2, 40; 14, 363 myst. magn. 8, 25. Run heißet
er aber allein nach feinem Lichte in feiner Liebe ein Gott. Tb. 61, 37.
Im Himmel Heißet er Gott und- in der Hölle heißet er Bom und ift
dach im Abgrund, beides im Himmel und in der Hölle nur das
ewige Eine und das ewige Gute.
3) Morgen. 2, 36 ff.z 4, 6 ff. .
49
Rande eine 2). Dabei kann es nun auch nicht auebleiben,
dag an alem Boͤſen ne Gutes gefnuben;wirh; «6 ge⸗
hört ja zum Daſein des Guten, welches ‚ohne: fein Ger
gentheil nicht fein würde. Es ift baper Fein Ding in bier
fer Welt fo böfe, es bat ein Gutes in fih; in feinem
eigenen Princip, in welchem es Ickd, iR es gut, aber ans
dern Dingen iſt es ein Widerwille; derauf jedoch, daß es
ſo iſt, beruht die Schiedlichleit der Dinge, das Spiel der
Kräfte gegen einander und die Moghichleit der Dffenba⸗
rung Gottes). Nun befieht das Böfe nur darin, daß
die einzelnen Kräfte, welche fih im. Gegenſatz ‚gegen ein«
ander zeigen, in ihrer Eigenheit fi erfafen, von eine
ander fi. abfondern und nicht im eigen Spiel der goͤtt⸗
lichen Liebe in Eintracht und Gleichsewicht fih halten.
Doch biefer Neigung das Gute und das Böfe nur als
einen phyfiſchen Unterſchied zu betrachten ergiebt fih Bäpme
nicht ohne Widerſtrebea. Er mögte das Böfe den Din
gen Schuld geben, melde es in ſich hegen. Da gevenit
er des Satzes, daß alles in allem if. Jedes Ding iR
ein Bild der Gottheit, trägt daher auch alle Eigenſchaf⸗
ten in fih und ber Unterfepieb der Dinge berupt nur
darauf, daß in dem ein bie eine, in dem andern bie
andere Eigenſchaft überwiegt). Da follte fih nun auch
4) Myst. magn. 3, 22; 5, 7; 7, 155 8,26. .
2) Ih. 10715; 61, 51. Gin jedes Ding iſt in feinem eigenen
Prindpio, darinnen es lebet, gut, aber dm andern if’6 ein Wider⸗
wille. Jedoch muß es atfo fein, auf daß eines, im, andern offenbar
werde und die verborgene Weispeit ertannt werde und in der Schiede
ihteit cin Spiel fei, damit der, Urgrund ls das ewige Eine fir ſich
md mit fich ſpiele. .
3) I. 2,5f Was das Obere iſt, das iſt auch das Inte
ales in. feiner Gleichheit und Einpeit mit Gott faſſen.
Im Heide ver Fiaftemiß dageten ſucht jede Eigenſchaft
nur ihre eigene Wacht‘ und iſt / gegen: die andere ſtachlich,
rauh und widerwaͤrtig ). Da tritt nun freilich eine ganz
andere Anfiht des Boſen hervot, als wir nach den frü«
been -Ansfagen erwarten ſollten. Das Böoͤſe iſt nicht eine
deſondere Etaft anter "ben Dingen‘, ſondern alle Dinge
und Kräfte ſind boſe, wenn ſie vor ben übrigen in beſonde ⸗
ver und eigener Macht ſich erheben. Es giebt da nicht
Dutes und Boͤſes, Licht und Finſterniß, keine herbe und
füge, keine bittere und ſtachliche Qualität, ſondern dieſe
Verſchiedenheiten der Kräfte ſtehen -tinander mr entgegen,
fofern fie‘ in verfjledenen Oraven des Lebens fichen 9.
In dieſem Sinne’ mid von den: Befgöpfen gefagt, daß
in jedem von ihnen Bates und: Boͤſes fei, ein zwiefacher
Ttieb; nur bie Engel und die Teufel werben hiervon
ausgenommen, weil. Re als die aͤußerfen Endpunlte je
ae Grabe, in welchen die Dinge: ſich ſcheiden und ſich
vereinen, gedacht werben >), und auch im dieſer Aue⸗
und alle Eteaturen biefer Welt find dasfelbe. — — Es iſt nur
eine einige Bunzel, daraus alles herkommt; es ſcheidet fih ner in
der Compaction, da.ed coagulirt wird.
1) I. 5, 6. Die Eigenfchaften find (se: in der Sinfternif) alle
ganz rauh und widerwartig; fie fugen via das Eines, fondern ihr
Auffteigen ihrer Macht. v
2) Den Ausbrud Grade. gebraucht Böhme nad der Überlieferung
feiner Vorgänger, ohne jedoch auf ihn großes Gewicht zu legen.
I) Morgenr. 2,3. Es iſt nichts in der Natur, da nicht Gutes
und Boſes innen iſt; es waltet und lebet alles in dieſem zwiefachen
Xrieb, es ſei mas es wolle, ausgenommen bie heiligen Enge und
bie grimmigen Teufel nicht; denn dieſelben find entſchieden und lebt,
‚qmalificht und herfiht ein jeglicher in fehner eigenen unit.
121
nahme bürfen wir wohl die Worte Bohme's nicht in als
ler Strenge nehmen; denn er meint auch wieder, im Teu⸗
fet fei noch Gutes und - das Boͤſeſſe müffe des Be
Ren Urſache fein). Wiederum aber würde man Ab ir⸗
ten, wenn man das Boͤſe, welches den Dingen Schulb
gegeben wird, al6 etwas betrachten wollte, was in ihrer
Wahl flände, Bielmehr die Scheitung der Kräfte, in
welchen fe ihre Eigenheit für ſich fallen, darf doch nicht
ausbleiben; fie muß eintreten, damit bie Dffenbarang
Gottes ſich vollziehe. In diefem Sinne wird gefagt, um
Oottes Güte gegen ven Einwurf zu vertpeivigen, daß
fie das Boſe nicht haͤtte zugeben ſolen, anders habe es
nicht fein koͤnnen, denn es habe nit ein Gefcäpf wider
Bott geſtanden, ſondern Gott wider Bott; Bolt mufte
feinen Gegenwurf haben, der Wille des Ungrundes mußte
fi dem Ungrunde entgegenmwerfen, damit im der Gchör
pfung Bott .offenbar und fih felbf offenbar würde) Ger
mag hier erfceint das Böfe dog nur ale ein natürkiher
Proceß, in welchem die Scheidung der Dinge fi voll,
sieht, als ein nothwendiger Borgang, ohne melden das
Lehen und das Verſtaͤndniß in der Schiedlichleit ber Dinge
gar nicht fein würbe. Es wird in dieſer Dedanlenreihe
weder als eine natürliche Beſchaffenheit einer. befondera
Ant der Dinge ‚betrachtet, ‘noch als eine flttlihe Entwids
1), Myst. maga. 10, 62.
2) Morgenr. 14, 72. Sprichſt du nun: Gott hätte ihm follen
Biberfland thun, daß x fo weit nicht wäre kommen. Sa, licher
blinder Menſch, es fland nicht ein Menſch oder Thier vor Bott, ſon⸗
been es war Gott wider Gott, ein Starter wider einem Siarken.
Kurzer Ertr. d. myst. magn. 3.
122
ung bes Willens, fondern als eine natürliche Stufe des
Lebens, durch welche alle Dinge hindurch müſſen um ihr
felbfändiges Sein zu gewinnen; auf dieſer Stufe follen
fie nur nit flehn bleiben, fonbern ſich aud weiter in
der Einheit ipres Weſens und Grundes begreifen lernen.
Bon biefem Gefihtspunkte aus ſtellt fih nun das
Böfe dar als das Heraustreten ber. befondern Dinge aus
ihrem allgemeinen Grunde. ‚ Sie wollen ihr Eigenes ha⸗
ben; fie wollen bie Herrſchaft an fih reißen, zur Vor⸗
herrſchaft über die übrigen Dinge ſich erheben und greis
fen deswegen auch in das Beſtehn anderer Dinge ein
um fie in ihre Eigenſchaft zu verfehren!), Hiermit wird
ben Dingen der Welt ein natürlicher Wille beigelegt, ver
ſich in ihren Werten erweifen fol. Einen folhen Wil
len haben alle Gefchöpfe, guten und böfen Trieb; ſelbſt
den Geſteinen foll ‘er nicht abgefprochen werden. Der
gute Wille aber offenbart fi in ber Ruhe, der böfe
in ber Beweglichkeit, welche doc auch fein muß, damit
die Dinge ihr Leben Haben; fie wird daher auch auf das
Geſtirn zurüdgeführt, welches nad den Lehren der Aſtro⸗
logie über bie natürliche Geburt und das Reben der Dinge
waltet®). Boͤhme jedoch betrachtet. den Willen nit al⸗
lein als eine Naturkraſt, ſondern faßt auch ſeine ſittliche
Bedeutung in das Auge. Wie ſehr ihm auch die Schied⸗
lichkeit der Dinge und ihr Leben am Herzen liegt, den⸗
noch firengt er fih an die Moglichleit zu denken, daß
alle dieſe Scheidung der entgegengeſebten Eigenſchaften
in ihrer unruhigen Begehrlichkeit und Beweglichkeit nie⸗
1) Morgen. 14, 63 ff.
2) Ib. 2, 3 f5 Myst. magn. 22, 21.
' 133
mals zu Tage gelommen, fonbern daß es geblieben wäre
bei dem freubigen Liebeöfpiel der Kräfte in Bolt, in
welchem bie Schiedlichteit der Dinge und iht Leben fich
doch wohl offenbart haben wärbe, ohne daß irgend et ⸗
was aus ſeiner rechten Miſchung, aus ſeiner Temperatur
herausgetreten wäre. Er leitet es daher nur aus dem
al Lucifers ab, daß es auders geworden. Nur dadurch,
daß dieſer in Hofart und Stolz ſich erhoben um alle
Belt unter ſich an bringen, wäre das Boͤſe in die Welt
gefommen 2). Daher wird auch auf die Freiheit des Wil⸗
lens das größte Gewicht gelegt, ſowohl für unfere Seele,
als für bie Geifter, welde bie große Welt beherſchen.
Aber wir mäffen babei wohl bebenfen, daß auch biefe
Freiheit des Willens ein’ Element bes Weltproreffes if,
ja von ihr bie Entſtehung ber Welt, in welcher wir. les
ben, abhängig gemacht wird. Wie mande Theologen
vor ipm meint Böhme, daß erft durch ben Abfall ber
Geifter die irdiſche Schöpfung bedingt worben ſei. An
die Stelle Lucifers und fekıer Scharen if dieſe irbifche
Beh als der Wohnflg der Menſchen geſchaffen werben,
Der Menſch fol bie Stelle Lucifers erfegen. Diefe neue
Schöpfung wird nun von Böhme ganz wie ein Ratur⸗
proceß beſchrieben. Das Weſen der verfoßenen Geiſter
entzuͤndet und verdichtet ſich um bie neue Welt zu gebä⸗
ven Weil fie doch in ihres Vaters Eigenſchaft bleiben,
haben fie auch noch feine Fruchtbarleit in fih. Aus dem
Guten, weldes nod in ihnen iR, erzeugt fi ein neues
Leben ). In einer aͤhnlichen Weiſe wird aber auch die
i) Morgent. 14, 54 ffz f. 8
2) Morgmt. 17, 2 fj.5 myst. magn. 10, 10 fl
124
Eriſtehung des Böfen im Deufchen beſchrieben. Der
Menſch iR zwar in ber Temperatur des goͤtilichen Eigen⸗
ſchaften erſchaffen worden; aber er wußte es nicht, daß
Goit in ihm offenbar wäre; denn bie Begenjäge waren
in ihm noch nicht zur Erkenntniß herausgeireten. Er
mußte erft das Boͤſe lennen leruen ). Die drei Princi-
pien, welde in ihm waren, das gute, das böfe und das
weltliche, zogen ihn an; die Seele wollte ſchmecken, wie
es wäre, wenn die Temperatur aus einander ginge, wie
die Hige und die Kälte, das Naffe und das Trodene,
das Harte und das Weihe, das Herbe, Süße, Bittere
und Saure und bie andern Eigenfchaften alle ihren befon-
dern Gefchmad hätten?). Da if es nun aber nicht der
Wille des Menſchen und feine Übertretung bes göttlichen
Gebots, was das Böfe herbeiführt, fondern es if der
Schlaf Adam’s; mit welchem das Böfe beginnt. Go lange
Adam in Gottes Bildniß war, konnte fein Schlaf vor
feine Augen fommen 5), Gin Kampf ber Kräfte in ihm
bringt den Adam zum Balz feine Sünde iſt ein natürli⸗
Ger Proceß. Wir fehen wohl, daß Böhme die Freiheit
des Willens behaupten will, aber hinter feinem Begriff
von’ ber. Willensfreipeit verbirgt fih ihm die Natur,
welche den Weltproceß leitet; unwillfürlich fliegen ihm
doch Natürliches und.Sittliches in einander,
Wenn er num den Proceß der Well.uns weiter ent
püllen will, fo fominen wir aus dieſer Verflechtung des
Natürlihen mit’ dem Sittlichen nicht heraus. Er fpielt
4) Bon der Gnadenwahl 9, 15.
*2) Ib. 3,34 f.
3) Myst. magn. 19, 4; bie drei Printipien 12, 16 fs 13, 2.
mit der Afrologie, er fpielt mit den chemiſchen Elemen⸗
ten des Paracelfus; alles dies hat ihm feine Begenbilter
in dem fittlichen Leben des Menſchen, in der Heiligen und
in der weltlichen Geſchichte, fo weit er von dieſen Dins
gen Kunde hat. Bom Paracelfus hat er fich bie Lehre
angeeignet, daß in bem Leibe des Menſchen, wie ex aus
dem Erdenlloße gebildet worden, bie ganze Ratur in eis
nem Auszuge enthalten fei; da iß der. Menſch eine Kleine
Belt, die große Welt iR in ihm und Böhme if son der
Hoffaung durchdrungen, daß alles uns werbe offenbar wer⸗
den. Dit dem Paracelfus unterfcpeidet er aud die ewige
Seele in uns von unferm vergänglichen Leibe, in welchem
aber doch ein Ewiges verborgen fein fol, mit den Mpßitern
denft er die Seele als ein Fünklein des göttlichen Lichtes, als
ein Heines @ötterlein im unermeßlichen Bott. In aller Nas
tue iR der Same Gottes, die göttlihe Natur, welche immer
dar gebiert und alles zur Geſtalt bringt, in einem befläns
digen Scpeibungeproceß begriffen, damit alles offenbar
werde, von innen hervorbrängend zur Geburt um wicber
sur Einheit zu gelangen 2), Niemand wird erwarten,
daß Böhme in ſolchen Bildern, welche er zu wiederholen
nicht ermübet, uns eine vollſtaͤndige Aufflärung über die
Entfiepung oder die Natur der Dinge bringen könnte.
Der Juhalt feiner Gedanken berupt allein auf einer all:
gemeinen Auſicht der Dinge; wo er fie zu einem Spfieme
zu entwideln fucht, da ſtoßen wir nur auf Überlieferun.
gen, welche er in der Unbefangenpeit feines kindlichen
1) Morgene. 4, 34 ff; 26, 745 myst. magn. 8, 15; 20, 32;
de sign. rer. 14, 8
4138
Geiſtes fich finnlich zu veranſchaulichen ſucht, ohne dag
eine beſtimmte Geſtalt vor ber Beweglichkeit feiner Shan-
tafie Beftigfeit gewinnen könnte. Nur einige Formen ber
Überlieferung bringen einen geroiffen Halt in feine Dar-
ſtellungen. Bon diefen ift es beſonders der Glaube an
die tiefe Bebeutung ber Siebenzapl, welcher fih ihm ein-
geprägt hat. Die fieben Tage der Schöpfungsmorge, die
fieben Planeten und Metalle laſſen ipn eben fo viele
Dualitäten oder Kräfte in ber Gottheit und in ber Schö-
pfung ber Welt, eben fo viele Zeiten in ber Weltge⸗
fihte annehmen. In dieſen Zahlengleichungen ahndet
er das Geheimniß der Dinge.
Dennoch müffen wir etwas genauer in das Einzelne
dieſer Phantaſien eingehn um den Sinn der Anſchauung,
welche ihnen zum Grunde liegt, ſo gut als moͤglich zu
erfaſſen. Die ſieben Qualitäten, welche die Elemente
der Welt Hilden, werden in einem ungefären Überſchlage,
dem an genaue Übereinfimmung feiner Schilderungen
iR nicht zu denfen, nad; feinen Angaben in folgender
Weiſe fi) beſchreiben laſſen. Die erfte Dualität iſt herbe,
hart und kalt; ſie beſteht in der Begierde, welche aus
dem Willen Gottes aufſteigt; von den chemiſchen Elemen⸗
ten entſpricht ihr das Salz. Die zweite Qualitaͤt if bit⸗
ter, ſtachlich, wüthend; doch ſchwankt Böhme am meiſten
in ihrer Beſchreibung; auch als füß bezeichnet er fie und
als Duelle ber Barmherzigkeit Gottes; er findet in ihr
bie Beweglichkeit der Begierde, die Empfindlichkeit der
Sinne; ihr entfpricht von den Elementen das Quedſilber.
Die dritte Qualität befteht in dem Kampfe ber beiben
erften mit einander, indem fie ſich zu durchdringen fuchen;
427
fie wird die Angft genannt, in welcher die feindlichen
Kräfte ſich zitternd bewegen; auch bitter heißt fie und bie
Sqhwefelqual; von den Elementen if fie ber Schwefel.
Diefe drei erſten Qualitäten werben dem Zorn Gottes
zugezaͤhlt, weit fie die gefepiedenen Elemente darftelien,
wiewohl alle diefe Dualitäten auch nicht rein fi ſchei⸗
den, fondern im Einen verbunden fein ſollen. Mit der
vierten Qualität aber beginnt ber Proceß, in welchem
die Dinge fh einigen, das Förperlihe Weſen verlaflen
und zur geifligen Verbindung gelangen. Sie wird das
Teuer genannt und ber Geift ober die Vernunft. Im
ihr ſcheiden fih Zorn und Liebe, Hölliſches und Himmlis
ſches und fie giebt den Übergang ab aus dem niebern
Gebiete in das höhere. Auf der einen Seite bezeichnet
das Feuer Hofart und Zorn, auf der ander Geite Lies
beöfeuer. Es wird darauf hingebeutet, wie das Feuer
die feften Gefalten der Natur auflöfen uñd zu bewegli⸗
den Gefalten des organiſchen Lebens verbinden fol,
Bas aber aus biefer Wirkfamfeit des Feuers ſich erzeugt,
if die fünfte Qualität, das Licht, bie Sanftmuth, welche
mit dem Öle verglichen wird. Böhme denft dabei wohl
an das ruhige Pflanzenleben; feine Wilder find aber zu
unbeſtimmt, als daß fie an einer befondern Geſtalt ber
Natur haften möchten; auch das fiberifche Leben und das
Lehen der Metalle wird unter diefe Stufe befaßt. Die
ſechſte Qualität führt im Allgemeinen den Namen bes
Toned oder des Schalles; das Unterfheiden und ber
Verſtand wird ihr zugewieſen; aber aus ben Beſchrei⸗
dungen berfelben im Einzelnen finden wir vielmehr die
Offenbarung der Dinge durch den Sinn herans, wie denn
Böhme zwiſchen Sinn und Berfand keinen feften Unters
ſchied zu machen weiß. Unftreitig iſt es das finnliche Lex
ben, welches unter biefem Grade verfanden wird; es
lehrt aber auch in den Beſchreibungen desſelben bie Ber-
gieihung mit dem Quedſilber wieder, nur daß es bier
in einem höhern Sinn, als zuvor, als lebendiges Ducds
füber, gefaßt werden fol, So gelangen wir nam zu der
legten, fiebenten Dualität, in welder bie Offenbarung
den göttlichen Kräfte fi vollenden fol. Dies if die
Stufe des Menſchen. Was die ſechs erfien Geſtalten im
Geiſte find, das iſt die fiebente im begreiflichen Wefen,
als ein Gehäufe aller übrigen ober als ein Leib des Geis
es, darinnen der Geiſt wirlet und mit den übrigen Ges
Ralten fpielet. Dieſer Leib wird au bezeichnet ald das
Weſen und des Himmel, welcher alles umfaßt, als das
himmliſche Waffer, welches die ganze Welt umgiebt, ges
aug als die Geſammtheit ber Offenbarung 2). Dies ift
das Spfiem der Natur, welches uns Böhme entfalten
wi, nicht im Vertrauen auf ſich, aber im Vertrauen auf
den. peiligen Geiſt, welcher den wahren Philoſophen und
Naturfundigen mat, in der Natur den Leib Gottes eis
fennen und bis in bie tiefften Tiefen ſchauen läßt 9.
Diefe fieben Dualitägen der Natur gehören zufammen in
unzertrennlicher und ununterfpeibbarer Einpeit um Gott
zu offenbaren). Um in ipnen die Schöpfung recht zu
betrachten, dazu bedürfen“ wir nicht mehr als ein göttlis
1) Bergl. Morgen. 8145 myst. mag. 6, 14 fj.5 10, 18 ff.
2) Morgenr. 2, 11 f.
9) Myst. magn. 6, 22.
18
es Licht und ein Auſchaun. Sie iſt gar wohl zu ers
foripen, dem erlenchteten Gemäthe gar leicht 2. °
Nicht fo Teiht möchte es ſcheinen die verworrenen
Rathſel diefes Syftems der Natur zu Idfen. Seine Ein»
zelheiten bilden ein Gedicht, welches Tange fi fortgebil«
det Hat in Schrift und Sage, bis es biefe neueſte Ger
falt angenommen hat. Nur in feinen allgemeinften Zü-
gen ſchimmert der philoſophiſche Gedanke durch. Mies
wohl Böhme ſelbſt einen der charafteriftifchen Züge uns
verloͤſchen will, indem er und warnt nit die eine Eigens
ſchaft vor ber andern, die erſte vor ber Tegten zu nehmen,
fondern auffordert fie alle zuſammenzudenken, fo daß bie
fegte auch die erſte ſei ), fo Können wir uns doch bie
Drdnung bed Syſtems nit verrüden laſſen. Seine
Barnung bezeugt nur, daß wir in dem verborgenen Bott
alles in ewiger Gemeinſchaft denfen follen; in ber Offen«
barung Gottes muß dagegen bie Orbnung ber Zeit und
die gefegmäßige Aufeinarverfolge ber Gedanken herſchen.
In der Folge der weltlichen Dinge ſollen wir alsdann
auch das Emige fihauen; benn biefer Zeit Wefen und
Lehen iſt anders nichts, als eine Befchauligkeit der in⸗
nern geiftigen Welt, worin die Möglichkeit des Ewigen
liegt; was ein geiftliches Spiel in Gott ift, dasſelbe iſt,
in Boͤſem und Gutem, durd die Bewegung Gottes in
bie Welt eingegangen 9. Beachten wir nun bie Folge
des Syſtems, fo brüdt ſich darin deutlich der Gebanfe
aus, daß vom Böfen das Gute kommen muß. Vom
—_
1) Ib. 10, 32.
2) Myst. magn. 6, 22.
3) Ib. 14, 12
Geſch. d. Philof. x. ‘ 9
10
Zorn fommen wir zur Liebe, von ber Hölle zum Himmel;
die Eigenſchaften der Natur ſtellen ſich zuerft in ihrem Ges
genfag, in ihrer Zerriffenheit, in ihrer Angft und Dual
dar; aber in ihrer Angft verkündet ſich nur ihr Beſtreben
zur Einigung zu gelangen, in welder fie zuſammengehö⸗
ren. Dies geht durch einen mächtigen Kampf hindurch,
durch ben Feuerſchreck, in’ welchem die Geifter gegenein
ander fi) empören, in Hofart gegeneinander braufen, in-
dem ein jeder auf fein Recht pocht, jeder ſich in feiner
Macht behaupten und die Herrfchaft an fi reißen wil,
in welchem aber auch die Geiſter mit einander fi miſchen,
fo daß Liebe und Licht in ihnen entzündet werben. Dod
auch hiermit iſt der Proceß ber Weltentwicklung no
nicht zu Ende gebracht. Es hat fih nur ein neues Leben
entzündet, aber es muß ſich nun durch manche Grabe hin
buch fteigern, damit in feinen Gefaltungen die Einigung
aller Dinge zu voller Greiflicpkeit heraustrete. Wenn
auch Böhme gegen das Geformte zu eifern pflegt um in
ber Weife der alten Myſtiker die Gelaffenheit des unge
formten Geiſtes uns zu empfehlen, fo meint fein Streit
gegen die Form doch mur die gelehrte und gelernte, bie
erworbene und angebildete Bildung des Geiftes; aber
nicht die natürliche Verkörperung desſelben. Der allge
meine Zug feiner Lehre fegt voraus, daß der Geift nicht
unterlaffen dürfe in die Form der äußern Beſchaulichleit
eingufüßren, nachdem er einmal burg bie Spaltung bed
Böfen hindurchgegangen i). Mit ber Liebe alfo, welde
im Innern fih entzündet hat, iſt es nicht abgethan;
1) Ib. 36, 6; 10.
A
bie Wiebergeburt if nur ber Anfang des neuen Lebens,
welches nun durch alle Grade des leiblichen Dafeins fih
durcparbeiten muß; bie Liebe muß im Schall ber Sinne
zur Erfenntnig vorbringen und zulegt in den Leib einge
füprt werben um zur Handlung, zur wirkſamen That zu
gelangen. Nur fo vollendet fi bie Temperanz aller
Kräfte der Liebe, welche ewig beſteht und in welcher aller
Dinge Wachſung und Erhaltung fi gründet 2) Es iſt
dies bie Denkweife der Theoſophie, welche von ber in
nern Beſchaulichkeit der alten Myſtiler zu der Einfiht
durchgedrungen war, daß die fromme Gefinnung au in
allen Faſern unferes Leiblichen Lebens ſich beihätigen folle.
Noch auf einen Punkt müflen wir achten. Wenn
auch das Weltſyſtem Böhme's von ben chemiſchen Eier
menten des Paracelſus ausgeht und bie erfien Qualitäten
ber Natur fehr ſinnlich befchreibt, fo läßt fi doch nicht
verfennen, daß die Geftaltung aller Dinge ihm ein geis
ſtiger Proceß if. Daher kommt der Leib erſt zulegt zu
Tage. Begierde, Neid, Angſt, Zorn und Liebe durch⸗
dringen alle Geflalten der Natur; nur ein leicht durch⸗
fihtiges Gewebe finnliher Bilder verdedt fei. Der des
miſche Proceß, welcher bei Paracelfus die Hauptfache iſt,
giebt bei Böhme nur eine angebilbete Überlieferung ab.
Alles in der Welt iR von Geifern erfüllt). Der Sag,
alles iR in allem, woran fi die Magie ber, Natur knüpft,
wird von Böhme ganz geiſtig gedeutet. Es ift Gutes
und Böfes, was in der Begierde fih regt; dadurch wers
ben die Kräfte zum Kampf gegen einander aufgerufen;
4) 1b. 21, 6.
1) Ib. 8, 11.
9*
durch ben Kampf aber werden fie zur Gleichheit unter
einander geführt und zum Frieden gebracht. Das ſchoöpfe⸗
riſche Wort regt ſich noch immer in diefer We; ihm
iſt alles mögli und durch dasſelbe wird alles voll⸗
bracht 1). So verwandelt ſich diefem kindlichen Glauben
alles in ein geiftiges Spiel, welches nur von einer durch⸗
fihtigen Dede unfern Augen verhält wird.
Daher wendet fih auch Böhme bei weitem Lieber den
Anſchauungen des fittlihen Lebens zu als den Forſchun⸗
gen in der -Natur, wiewohl feine Bilder gemeiniglih von
der fihtbaren Welt entlehnt werben. In dem Gleichniſſe
der äußern Welt ſchaut er die innere. Aber in der Bes
trachtung biefer treten ihm auch bie Räthfel des Lebens
viel Rärker entgegen. Darüber zwar fann ihm fein Zwei⸗
fel entſtehn, daß die fittlihe Welt durch das Böſe hin⸗
duch muß; aber ihm trübt fih das Gemüth über das
Ubergewicht, welches das Böfe über das Gute gewonnen
hat, Wäre nur «das Gute und das Böfe im Gleichge⸗
wicht, fo würben biefe Kräfte nur zur Erweckung des Le-
bens wirlen und es wäre noch das Paradies auf Erden 2),
Hierbei fpielt nun ber Doppelfinn, in welhem Böhme
Gutes und Böfes fih denft, effenbar eine verwirrende
Rolle. Auf der einen Seite wird es als eine befondere
Kraft, auf der andern al Störung bes Gleichgewichts
4) Ib. 11, 9 fi
2) Ib. 11, 51 f Diefer Melt Mefen ſtehet im Böfen und Gu—
ten unb mag eines ohne das andere nicht fein; aber das ift daß große
Übel, daß das Boſe das Gute übermägt, baf ber Zorn ſtarker darin⸗
nen ift als die Liebe. — — Gonften, fo die Natur in ihren Ge-
ſtalten in gleichem Gewichte, in der Eigenfchaſt ftände in gleiher Con⸗
eordanz, — — fo wäre das Paradies noch auf Erben.
135
der Kräfte gedacht, als Abſonderung berfelben zu eigenem
Sein und Wirken. Aber nad) welcher Seite aud Böhme
fi wenden mag, feiner Überzeugung bleibt er getreu, daß
die Störung des Lebens durch das Böfe doch zum Gu⸗
ten ausfeplagen müfle. Die Scheidung tes Guten und
des Böfen dient zur Offenbarung der Kräfte, welche in
der Natur Gottes verborgen Liegen; wir werben buch
fie zum Wiflen angeführt. Die Kinder der Finſterniß und
bie Kinder der Welt find Mlüger als die unſchuldigen und
einfältigen Kinder des Lichts y. Böhme iſt nun wohl
geneigt bie Einfalt und Gelaſſenheit biefer zu Toben, aber
ſchlechthin derfelben fi zu ergeben if do nicht in feinem
Sinn. Bei der urfprünglihen Einfalt follen wir nicht
Repen bleiben; fo wie alle ſieben Eigenſchaften in ung
find, fo follen wir fie aud erkennen und baraus fol und
die Macht erwachſen die Natur der Dinge zu verwandeln
und aus einem Guten ein Böfes, aus einem Böfen ein
Gutes zu machen 2). Wir fepen, die theofophifhen Ge⸗
danfen, welche nad Macht des Menfchen über bie Na-
tar ſtreben, find ipm nicht fremd. Er verlangt die Magie
der Natur, er fucht ben Stein ber Weifen, welchen ſchon
mande befeffen Haben und welcher einem wiebergebornen
Gemüth nicht für unmöglich gehalten werben darf). In
der Magie follen wir das ewige, unvergänglihe Weſen
1) 1b. 9, 16. .
2) Ib. 11, 10. Alle Weſen fehen in den ſieben Eigenſchaſten z
wer num das Wefen erkennt, der kann es durch denfelben Geiſt der⸗
flßen Effenz, daraus e8 ein Wefen worden iR, in eine Form trans»
mutiren, auch in ein ander Wefen einführen und alfo aus einem Gu⸗
im ein Böfes und aus einem Böfen rin Gutes machen.
3) Bom dreifachen Leben 9, 85 de sign. rer, 7, 79; 13, 61.
154
in bem Bergängligen, in dem Fluche ber Erbe finden
und durch Kunft und Erfenntnig aus feiner Verborgen-
heit perausführen ,, Es gehört dies zu den Aufgaben
unferes Lebens. Der Natur, in welcher noch immer bie
ſchöpferiſche Kraft wohnt, if alles möglich; durch eine
Rarfe Begierde, welche der magiſche Grund if, fann
man fie zu einem Werke gebrauchen, wenn auch nur nad
ihrer Ordnung), So verfrüht fih Böhme-in abergläu-
biſcher Hoffnung bie Wunſche des Menfchen. Das uner-
fättliche Verlangen des Menſchen will alles durchſchauen,
will ale Natur beherſchen. IA ihm doch bie Herrſchaft
der Welt verlichen. Doc bemerkt Böhme au, daß die
Verwirklichung des menſchlichen Ideals im Allgemeinen
von Borbedingungen abhängig iſt. Einige Menfchen mögen
ſchon gegenwärtig den Stein ber Weifen befigen; in feiner
vollen Herrlicpkeit aber foll er erſt fünftig offenbar und
allen Wiebergebornen zu Tpeil werben, Er verweiſt ung
auf die letzten Dinge, welche er für nahe haͤlt N).
Zum höoͤchſten Gute ſollen wir in Verlauf der Ger
ſchichte lommen. Man wird nicht erwarten, bag Böhme
ung eine verftändliche Einfiht in den Gang ber Geſchichte
eröffnen werde. Seine Aufzählung der 7 oder ber 12
Perioden der Geſchichte, welche er annimmt *), bietet nur
ſehr befchränkte Geſichtspunlte dar. Doc darf man nicht
überfehen, daß er nicht, wie die Kirchenväter, im Heis
denthum nur das Reich des Widerſachers erblidt. Selbſt
4) De sign. rer. 13, 59 f. ı
2) Myst. magn. 11, 9.
3) Das dreif. Leb. 9, 65 de sigu. rer. More. 5.
4) Myst. maga. 30, 34 fi.5 77, 59 ff.
135
diefer ungelehrte Dann hat aus ber Richtung feiner Zeit
eine Eprfucht vor der Weispeit bes Alterthums eingeſo⸗
gen So wie ihm bie weltliche Geſchichte neben der hei⸗
Tigen einherläuft, fo ift er auch bavon überzeugt, daß jene
nicht ohne Furcht für dieſe fein loͤnne. Er ſchreibt den
Heiden Einſicht in das Licht der Natur zu; die natürliche
Magie iſt ihnen offenbar geworben; nur hat das viele
verführt, daß fie die Kräfte der Natur als Gott verehr-
ten); doch find nicht alle Heiden in biefen Irthum ger
fallen; es gab unter ipnen auch Weife, welche den Sa⸗
men des Lebens in fi trugen ®). Diefe Entwidlungen
der weltlichen Klugheit follen uns zu Gute, bie natürs
liche Magie fol nun an bie Kinder bes Lichts kommen,
welche in. ihr nicht das Mittel zu einer hochmüthigen Er⸗
hebung fehen, fondern in Demuth fie als ein Werkzeug
Gottes betrachten um bie Erde von ihrem Fluche zu ers
Iffen und alles zu Gott zurüdzuführen 9. So waͤchſt die
Menſchheit, wie ein Baum, welder gute und böfe Früchte
trägt, aber zu feinem Alter kommen muß um bie beflen
Früchte zu bringen; auch die böfen Früchte wachſen aus
ihm, damit die Kräfte ber Natur, welche in der Menſch⸗
heit walten, nicht verborgen bleiben +),
Das Böfe, welches uns verlodt hat, betrachtet nun
aber Böhme doch nicht ald etwas, was unfere gute Nar
tur gänzlich verderben könnte. Wir fahen, daß er in al⸗
len Dingen eine unvergängliche göttliche Kraft annimmt,
4) Ib. 11, 6; 36; 12, 9; Morgene. Borr. 32,
2) Morgent. Borr. 80.
3) De sign, rer. 11, 85.
4) Morgen. Bore. 8 ff.
418
welche durch Teine Störung bed Lebens ſich brechen laͤßt;
im Bertrauen auf fie behauptet er, daß Böfes in Gutes
fi verwandeln laſſe, indem nur biefe gute Natur wies
der hervorgezogen werde, Den Hodmuth, den Eigenwil-
ten, die Ichheit follen wir laffen, um in der Wiederge⸗
burt zus Demuth und einem neuen Willen zu fommen.
Aber dies geſchieht doch aud nicht ohne unfern eigenen
Wien; wir müffen und felbft zum Guten wenden; wir
müſſen deswegen auch annehmen, bag wir noch Gutes
begehrten können). Gott fann in der falſchen Seele .
nicpt gut und in der gelaffenen Seele kann er nicht böfe
fein. Den freien Willen des Menſchen zu Gutem wie
zu Böfem laͤßt ſich Böhme nicht entreipen; er findet kei⸗
nen Anſtoß daran dem Sage zu wiberfprechen, daß ber
Menſch feinen Willen nit gegen bie Gnade wenden
tönnte2), Aber der freie Wide ſteht ihm nicht in Wi⸗
derfprugp weder mit der Gnade noch bem Zorne Gottes.
Im Böfen vollzieht ſich doch nur das Gericht und ber
Wille Gottes und es ſteht auch unferer Macht nicht zu
bie Gnade zu erreichen; der gute Menfh muß feinen
Willen dem göttlichen Wirken ergeben 5). So wie in
der Schöpfung alles in Gottes Willen fand, fo bleibt
es immer, weil Gottes ſchöpferiſche Macht durd alle Nas
tur und alle Geſchichte hindurchgeht. Wie ſehr Böhme
aud auf bie Schiedlichkeit der Dinge bringt, ber Unter:
ſchied zwifchen Gott und Geſchoͤpf iſt bei ihm immer nur
1) Myst. magn. 26, 70 ff. Daß du aber molteft fagen, du
tannſt nicht Gutes begehren, das ift nicht wahr.
2) Ib. 61, 35; 57.
3) I. 21.
437
ſchwach bezeichnet, Die Einpeit aller Dinge fol zulegt
doch an den Tag fommenz das Ende aller Dinge foll
unfere Einheit in Gott und mit Gott offenbaren. Alle
die Meinungen, Bölfer und Zungen, bie zur Offenbarung
Gottes ſich geſchieden haben, follen fih fammeln zu eis
nem Bolfe, einem Baume, einem Menſchen, zu einer
Seele und’ einem Leibe; dann wird Bott bie ausgewidelte
Natur wieder in fi rufen und in sine Temperatur zus
fammenziepn 3. Doc über die Hoffnung auf dies Ende
der Dinge vergißt Böhme auch nicht gänzlich das Dogma
von ben ewigen Strafen der Hölle. Die Lehre des Pas
tacelſus von dem letzten Scheidungsproceffe ſteht ihm zur
Seite. Der Tag des Heren, welder alles zur Erndte
fammelt, ſcheidet in Ewigkeit das Gute und das Böfe,
das Licht und die Finſterniß. Die zwei Qualitäten, die böfe
und die gute, welche in ber Natur zuſammengeweſen waren,
werben auseinander geführt und das Böfe wird bem Teufel
und den gottlofen Menſchen zur Behaufung gegeben). Es
AR nicht. zu verkennen, daß in dieſer Lehre die Anficht von
den doppelten Qualitäten herſcht, welche in ihnen zwei
wefentlich verſchiedene Kräfte der Natur fieht. Das hölis
ſche Weſen, welches in Gott feinen ewigen Grund hat,
fann nicht vergehen, ed würde denn bie ganze Schöpfung
und mit ihr das ewige Freudenreich wieder aufgehoben 9.
In diefem Spiele mit zwei entgegengefegten Anfichten
vom Böfen und vom Guten bewegt ſich bie Lehre Böh-
med, Auf der einen Geite betrachtet fie beide als ur
1) Ib. 46, 43; 77, 72.
2) B. 28, 69; Morgene, ‚Bor. 78.
3) Theoſophiſche Fragen 8, 4 fs 14,3 f
4138
fprüngliche Qualitäten in ber Natur Gottes, welde zur
Scheidung kommen müffen, damit in ihnen der Grund
aller Dinge offenbar werde; auf der andern Seite ber
hauptet fie, daß alles was vom Gott ausgeht, gut fei
und daß alles Böfe nur in einer Stufe des Lebens be
ſtehe, in welcher ſich die Dinge ſcheiden um offenbar zu
werben, daß aber diefer Stufe auch bie Einigung aller
Dinge in ihrem Grunde folgen ſolle. Fragen wir, welde
von biefen beiden Anfichten in ihm überwiege, fo würde
aus einer Aufzählung der Stellen ſchwerlich eine Antwort
ſich entnehmen laſſen. Seine Seele ift getheilt zwiſchen
der Dulbung, welche er liebt, und zwiſchen dem Zwifl,
in welchen ex fich ſelbſt verwickelt ſieht, zwifchen den Hoffs
nungen der neuen Zeit, welche er erwartet, und bem
Streite ber Gegenwart, welche feine Meinungen gebilbet
hat und welche nod eben in harten Erfahrungen ihn an-
ficht. Fragen wir aber, welche von jenen Anfichten ihm
die Freudigleit in feinem Werke giebt und Heiterkeit der
Stimmung über feine Schriften verbreitet, fo können wir
nicht daran zweifeln, daß es bie letzte il. Die propher
tiſche Seele iſt in ihm rege; in feinem gelaffenen Gemüth
hat er doch die Schmerzen ber Gegenwart überwunden,
welche er noch fühlt, Darin regt fih das Spiel feiner
Worte, daß er die erfte ihm überlieferte Anficht durch die
zweite überbedt, Es mag ſich fo verhalten, daß er bie
erfte öfter ausſpricht, als er bie andere anflingen läßt; aber
jene giebt nur den Stachel ab, welcher bie Beweglichkeit, die
Empfindlichkeit feiner Seele aufregt, um bie heitere Ruhe,
feiner zuverſichtlichen Hoffnungen in Schal und Äußerung
zu bringen. Wenn wir den wiflenfchaftlichen Gehalt feiner
4159
Gedanken bedenken, können wir noch weniger daran zwei⸗
feln, welder von beiden Anfihten wir den Vorzug geben
follen. Wenn er den Ungrund heraufbefpwört, um uns
feine Tiefen zu eröffnen, fo würde es nur mit einem un⸗
fötmlichen Ausgange enden, wenn wir zulegt an eine
Unterſcheidung ber Dualitäten verwiefen würden, bie voͤl⸗
Hig von einander gefondert nichts von einander wüßten,
ba fie doch in ihrem Grund eins fein follen. Dagegen
die andere Anfiht bietet einen ganz befriebigenden Aus⸗
gang dar. Was geſchieden worden war, fammelt ſich
wieder und gewährt nun bie Erfenntnig bes einfachen
Grundes, in welchem alle Unterſchiede offenbar geworden
find, Es if ein einfacher logiſcher Gedanke, welchen
diefe Anfiht der Dinge ausſpricht. Das unentwidelte
Eine, der Grund aller Dinge, muß zur Unterſcheidung
lommen, ehe wir es in feiner vollen Entwidlung zur Ein
heit der Wiffenfchaft zufammenfaffen können.
Aber um biefen Gedanken an das Licht zu ziehen, dazu
bedurfte es ber Lehre Böhme’s nicht. Man würde ihm
nur das Verdienſt zuſchreiben können ihn aus der Schule
der Gelehrten unter das beutfche Bolt gebracht zu haben,
wenn bie verfhlungenen Wendungen und bunten Bilder
feiner Lehre nur irgend eine Ausfiht auf Faßlichleit für
das Voll gehabt Hätten. Dahin aber iſt feine Wirffam-
feit nicht im minbeften gegangen. Er ift nicht deswegen
merkwürdig, weil er die Wiſſenſchaft zu den niedern Volls⸗
Ränden Herabfeitete, fonbern weil er aus dem niebern
Bolfe mit geringer. Beihülfe zu ben Gelehrten fih auf
ſchwang und fähig zu fein fehlen dieſe über tiefe Wahr
heiten zu belehren. Der Stifter einer neuen religiöfen
140
Serie, zu welcher man ihn zu machen eine Zeit lang ger
meigt war, iſt er daher nicht geworben; aber es hat im⸗
mer wieder Gelehrte unter Deutfchen, Holländern, Eng ⸗
ländern und Sranzofen gegeben, welche bei ipm mehr Er⸗
quidung fanden, als in den Lehren der Schule. Zür die
Theoſophie unter den Deutfchen bezeichnet er den Wende⸗
punft, wo fie die vollsthuͤmliche Anregung aus ben Zeir
ten ber Reformation hinter fih zurüdließ um bagegen an
die Wege der Gelchrfamteit näher ſich anzuſchließen.
Gleichzeitig mit den gelehrten Theoſophen, hat er auch
faſt ausſchließlich auf Gelehrte einen Einfluß ausgeübt,
die Theologen dagegen, welche an ihn ſich anſchließend
eine Wirkſamleit unter dem Volle zu gewinnen ſuchten,
haben eine mehr praltiſche Richtung einſchlagen müſſen.
Die Anziehungslraft, welche er auf bie Neuern ausgeübt
hat, verbanfte ex theils feiner Perſoͤnlichleit, feinem lau⸗
tern Sinn, feiner Demuth, feinem poetiſchen Aufſchwung,
theils dem Abfchluffe der vollsthumlichen Tpeofophie, wel⸗
chen er in fi enthielt. Über ihn wurden bie Frühern
vergeffen. Bor ihnen hatte er allerdings einiges voraus,
haupiſaͤchlich daß er das Ganze aller ihrer Beſtrebungen
im Wefentlichen umfaßte und den rohen Aberglauben ber
Cabbala, Aſtrologie und Magie wenn auch nicht ganz aus⸗
ſchloß, doch in den Hintergrund zurüdtreten Tief. Daß
ex aber irgend ein neues wirkfames Element in „ihre
» Lehre gebracht ober au nur durch flärkere Betonung zum
Mittelpunkte neuer Beſtrebungen gemacht hätte, Fönnen
wir von ihm nit vüpmen. Gegen bie duͤrren Lehren
der fpätern Zeit, einer in ihren Formeln verwidelten, un⸗
dulbfamen Theologis, welche das wirkfame Beben Gottes
a,
in der Rafur und im Geiſte über den Buchſtaben vergefr
fen hatte, einer Naturlehre, welche am Einzelnen hing und
über das Aupere zum Gebanfen ber innern Quellen des
Lebens nicht vordringen Tonne, bildete feine Lehre einen
mögtigen Gegenfag. Im ihr fühlte fih das Bewußtſein
einer Aufgabe hindurch, welche man doch nicht völlig von
ſich zurückweiſen Fonnte.
Achtes Kapitel.
Gelehrte Theoſophen.
In Deuiſchland hatte die Theoſophie unter den reli⸗
giöſen Bewegungen einen vorherſchend theologiſchen Cha⸗
alter angenommen, obwohl fie zunäͤchſt von phyfiſchen
dorſchungen ausgegangen war, Sie trug hier ein volls⸗
thumliches und proteſtantiſches Gewand, Aber ihr Ur⸗
ſprung aus der Platoniſchen Schule und ihre Bedeutung
für die Wiſſenſchaft war doch unabhängig von ſolchen
Bedingungen, welche ihr nur einen befränften Wir
fungsfreis verſprachen. Sie wurbe alsbald aud in bie
Kreiſe der Gelehrſamleit gezogen und verbreitete fi über
Deutfpland hinaus. Hier traf fie nun wieder mit ben
Befrebungen um bie praftifche Erforſchung der Natur
zuſammen, von welchen Paracelſus ausgegangen war,
welchen er feinen Ruhm verbanfte, welche aber in ber
deutſchen Theoſophie vernacpläffigt worden waren. Es
bildete ſich nun unter den Naturforfchern eine theoſophiſche
„oe
Schule, welche bei proteſtantiſchen und fatholifchen Ges
lehrten Einfluß Hatte. Ihre Einwirkungen auf bie Phir
Tofophie dürfen wir nicht überfehn.
1. Johannes Baptiſta von Helmomt.
In dem Leben und den wiſſenſchaftlichen Unterneh⸗
mungen dieſes Mannes 7) ſpiegelt ſich der wiſſenſchaft⸗
liche Kampf ſeiner Zeiten in voller Macht ab. In
Brüſſel 1578 geboren hatte er, ber jüngſte Sohn einer
adligen begüterten Familie, den Wiſſenſchaften ſich ges
widmet und war bei großem Fleiße ſchon früh an Kennt ⸗
niſſen ausgezeichnet. Was ſeine Lehrer ihm boten, be⸗
friedigte ihn jedoch nicht. Selbſt der Unterricht der Je⸗
ſuiten, den er zu Löwen genoß, ſchien ihm zu weltlich
und zu ſehr auf das Außere gerichtet. Schon als Knaben
hatte ihn bie Kunde ber Natur angelodt; ohne Vorwiſſen
feiner Mütter und feiner Verwandten hatte er ſich zu
Löwen auf bie Mebdiein geworfen und wurde ſchon in
feinem 17ten Jahre von den Profefforen bewogen bie
Borlefungen über Chirurgie zu übernepmen. Aber bei dem
frommen Sinn, melden Tauler und Thomas von Kems
pen in ihm genährt Hatten, Teuchtete ihm die Eitelfeit
feiner Befrebungen ein. Die Büchergelehrfamfeit wurde
ihm immer verbäctiger, je tiefer er in. fie eindrang.
Die Einfiht in das Wefen der Dinge, welche er fuchte,
ſchien fie ihm nicht zu gewähren. Die Praxis, welde
ex verſuchte, ſchien ben Lehren ber Mebicin nicht zu ent
1) Bergl. ©. X. Spieß 3. 2. von Helmont’s Syſtem ber Medicin.
Sranff. a. M. 1840. Seine Schriften citire ich nah der Ausgabe
feiner Werte Lugd. 1867. fol"
445
ſprechen. Eben fo wenig als bie gewöhnlichen Lehrbücher
der Ärzte genägten. ihm Ariſtoteles, Galen und die Schar
der Araber, Auch Dioſtorides und die Kraͤuterbücher
liegen nur das Äußere der Dinge unterfgeiden. Er warf
ſich auf die Erforſchung der Seele, zu welder bie Stoiler
ipm eine Anleitung zu geben ſchienen. Aber ein Traum
ermapnte ihn dem aufgeblafenen Stolze eines thörigen
Selbfivertrauens ſich nicht hinzugeben. Da fpürte er
aud eine Neigung zum firengen Möndeleben, fand aber
dazu feine Gefundheit zu zart, In fih felbft eben fo
wenig als im den Überlieferungen der Schule eine ſichere
Stüge gewahrend, machte er. fih Getoiffensferupel über
fein bisheriges Leben. Er warf fi vor feinen Adel
durch die mebicinifhe Praxis befledt, fie für Geld bes
trieben zu haben, ohne eine richtige Einfiht in bie Kunſt
zu befigen. Er trat nun fein Erbtheil an eine Schweſter
ab und beſchloß die Mebicin und feine Heimath aufzu-
geben. Auf feinen Reifen, welche ihn nad Deutſchland,
der Schweiz und England führten, gefellte fih ein Pyro⸗
techniler zu ihm, welcher ihn in die Kunſtgriffe der Chemie
einführte. Im hemifgen Proceß glaubte er nun ſichere
Erfahrungen und neng Aufſchlüſſe zu finden. Der Glaube
hatte ihn nicht verlafien, daß Bott ben Menſchen, fein
Ebenbild, nicht Hülflofer als das Tpier gegen das Elend
feines Lebens gelaffen Haben könnte. Immer wieber wurde
er an bie Mediein herangezogen. Er fah darin eine Schis
dung Gottes; ihr fih zu unterwerfen war er bereit. Mit
frifcpem Eifer verfolgte er nun die Mittel der Chemie in
täflofen Arbeiten. Er Aubirte den Paracelſus, beffen Ver⸗
dienſte er anerfannte ohne feinen Iethämern fi) hinzugeben,
4144
Sein ffeptifger Sinn, feine Gelehrſamleit and feine feinere
Bildung mußte an biefem Meiſter viel Anfoß finden.
In feinen chemiſchen Arbeiten erlangte er bald großen
Ruf. Unentgeltlich heilte er Arme; für feinen ärztlichen
Beiftand wollte er feinen Lohn annehmen, bis ihm fein
Beichtvater darüber das Gewiſſen ſchaͤrfte. Den Einfa-
dungen mächtiger Gönner der. chemiſchen Künfte, welche
ihn in der Fremde feſthalten wollten, widerſtand er; in
ſich befeſtigt lehrte er in die Heimath zuruck, ſchloß eine
Heirath, welche ihm dur nachfolgende Erbſchaft ein
reichliches Vermögen zubradte, fo daß er zu Bilvorden
bei Brüffel feinen chemiſchen Arbeiten, feiner mediciniſchen
Praris und der Reform der Medicin, welche er beab-
fihtigte, ungefört bis zu feinem Tode 1644 nachgehen
tonnte, In feinen Iegten Jahren gab er mehrere mebis
einifhe Schriften heraus, auf deren Titel er fi den
Philoſophen durch das Feuer nannte. - Die-Schriften aber,
welche die Grundzüge feines philoſophiſchen Syſtems ent⸗
halten, find erſt nach feinem Tode erſchienen. Er hatte
die Herausgabe feinem Sohne Franz Mercurius übertragen.
So wie in der Philofophie der Myſtiler überhaupt
die perfönlichen Beziehungen unferer Gedanken vorherſchend
find, fo find au die Forſchungen Helmont's mit feiner
Perſoͤnlichleit auf das innigfe verwachſen. Die Vernunft
verſchmaͤht er; er if ein heftiger Feind der Logik; wie
wenig er aud der Beweiſe fi entſchlagen kannz er ber
hauptet doch, daß alle wahre Wiſſenſchaft unbeweisbar
fei, weil fie in ber Erfenninig der Principien beftehe
und bie Principien nicht bewieſen werden können 9. Im
1) Logica inutilis 18.
445
Widerſtreite gegen bie Lehren ber Schule haben feine Ger
banfen ſich gebildet. Wie.andere feiner Zeitgenoffen glaubt
er mit den alten Grundlagen der wiſſenſchaftlichen Bil
dung völlig brechen zu müffen, um auf das erſte und als
kein ſichere Fundament unferer Erfenntniß zurädzulommen, i
Daß man die Alten herbeigegogen hatte um wit ihrer
Hülfe die Philofophie zu beſſern, if ipm eine Thorheit,
weil er ihnen ale blinden Heiden fein Vertrauen fchenfen
fann; feine Lehre fegt er als chriſtliche Ppilofoppie den
Sretgümern ber alten Philofophie entgegen ). Den Of⸗
fenbarungen Gottes vertraut er, aber, obgleich er die
Kabbala nicht verwirft, feine mebicinifhen Erfahrungen
geben ihm doch zu erfennen, daß der heiligen Schrift und
den geheimen Überlieferungen die Kunde der Natur, welche
und nöthig if, nicht zu entloden if. So gläubiger Kar
tholik er auch ift, mit den ſcholaſtiſchen Lehren hat er doc
gebtochen; gegen ben Thomas von Aquino, gegen den
Duns Scotus reitet er; mit den Jeſuiten, welche der
Gewiffen der Frommen, befonders der Weiber ſich zu ber
meißern fuchten, findet er ſich nicht im Einflang, wenn
fie aͤußerliche Gebräuge empfehlen. Mit einem energi-
fen Zweifel wirft er daher alle Überlieferungen, ſelbſt
der Paracelſiſchen Schule hinter ſich; ſie leiſten nun einmai
das nicht, was bie Philoſophie leiſten ſollte; fie gewaͤh⸗
ten feine fihere Übergeugung. Seine Schriften find nun
mit Polemik überladen und man hat daher wohl behaup⸗
tet, daß fein Verdienſt mehr in der Beſtreitung fremder
Lehren, als in der Entwidlung eigener Einfihten beruhe.
Doc Fönnen wir nicht fagen, daß feine Polemik mit Bes
1) De magnetica vulnerum curatione 174 und fonft Häufig.
Geil). d. Philof. X. .10
446
ſonnenheit durchgeführt wäre; vielmehr fie if ohne Maf.
Um die Lehre Galen's zu beftreiten, daß Entgegengefegtes
dur Entgegengefegtes geheilt werde, flellt er den Gap
auf, daß die Natur von Gegenfag nichts wife). Wenn
er den Ariftoteles befämpft, vermirft er alle vier Urſa⸗
hen desfelben 9, obwohl feine eigene Lehre auf dem Ges
genfag zwifchen materieller und wirkender Urfache beruht.
Wenn er den Paracelfus angreift, fo verdammt er auch
die Lehre vom Mikrokosmus 5). obgleich er das Bildniß
Gottes und feiner ſchoͤpferiſchen Ideen in uns anerfennt,
So kämpft er mit Leidenfhaft gegen alle verbreitete Dei:
nungen unb äußert dann wohl, daß er feine Hülfe bei
feinen Vorgängern gefunden habe, daß er feinen eigenen
Erfahrungen alles verdanke. Seine Leidenſchaft rührt
daher, daf er die Macht der Meinungen, welche er ber
reitet, über ſich ſelbſt fühlt, aber auch das Bebärfnif
der von ihm betriebenen Naturwiſſenſchaft fih lebhaft ver-
gegenwärtige hat von allen Vorausfegungen ſich frei zu
maden um auf die reinen Thatſachen der Erfahrung zu
ruchugehn. Die Meinungen, mit welden er in fi ſelbſt
zu kämpfen hat, find die Borausfegungen der Theoſophie.
Sie drängen fi ihm mit allen den metaphyſiſchen Be
griffen herbei, melde fie in fih aufgenommen hatten.
Mit den Beobachtungen, welde er gemacht hat, bilden
ſie ein buntes Gemiſch. Sein Zweifel regt ſich auch ge⸗
gen ſie; aber er kann ſie doch nicht loswerden, weil ſie
allein ein wahres Wiſſen verſprechen. Ale Beobachtun⸗
1) In der Sqhriſt natura contrarioram neseia.
1) Causae et initia nataralium 57
3) Invenlio tarlari in morbis temeraria,
Mn
447
gen zeigen uns doch mur das Äußere, die Erſcheinung
der Dinge, nit ihr wahres Wefen. Beobachtung ges
wäprt nur Meinungen; Erfahrung bietet feine Erlennt⸗
niß. Das Waffer, das Element aller Dinge, ift uns
fihtbar, ja ganz durchſichtig. Wer aber fann deswegen
fügen, was es iR? Seele und Geift find uns befländig
gegenwärtig in ihren Erfepeinungen, fie liegen uns näher
als der Körper, aber dennoch würden wir von ihnen
nichts mehr wiffen als vom Körper, wenn uns bie Ofr
fenbarung nicht über fie belehrt Hätte. Da hören wir
feine Mlagen über feine gelehrte Unwiſſenheit und daß
ung die" genaue Wahrheit der Dinge unerreichbar fei.
Aber feinen Hoffnungen auf Erkenntniß ganz entfagen
lann er doch nicht. Sein Vertrauen hat er auch auf bie
Erfahrung ſowohl des Koͤrperlichen als des Geifligen ges
feßtz daß die Erfahrung beider ung Wahrheit biete, iſt
unbeſtreitbar; da fie feine genügende Einficht bietet, ex wars
tet Helmont Aufſchluß von einer Höhern Erfahrung, melde
von Gott geſendet uns erleuchten fol, Unſer Verſtand
if nur dazu beſtimmt feine Erfenntniffe zu empfangen;
im Gebet follen wir anflopfen, bag uns die göttliche Er⸗
leuchtung zu Theil werde, Bon Berufungen auf folde
höhere Erfahrungen, welche in Bifionen und Träumen
ſich ihm ergeben haben, find Helmont's Scpriften erfüllt.
Er beſchreibt fie weitläuftig und verheplt un die fubiers
tive Grundlage feiner Überzeugungen nicht. In einer
Weiſe, welche eben fo.fehr die Eprlichfeit als die Befan⸗
genheit feiner nach Licht ringenden Seele bezeugt, beſchreibt
1) Tractatus de anima 5 qq. '
10*
448
er uns, wie wiffenfhaftlihes Forſchen und ſchwärmeri⸗
ſche Erhebung in ihm flritten und gegenfeitig einander,
bedingten. Wer nur einmal bie Elſtaſe erfahren habe,
in welcher die Seele in ſich hineinblide, der wifle auch,
wie ihr die Erfenntnig der Dinge folge, welchen bie
Seele ihr Berlangen zugewendet habe). Er will e8 er⸗
fahren haben, daß fein Verſtand mehr durch Figuren,
Bilder und Gefichte der Einbildungstraft, ald durch
Schlüſſe der Vernunft unterrichtet werde. Das Trügliche
ſolcher Bilder Habe er nun wohl durchſchaut; aber fie
wären ihm doch ein Mittel zu fiherer Belehrung gewor⸗
den. Wenn er nad langem Bemähn um eine wiſſens⸗
würdige Sade fih ein Bild von berfelben zu machen fih
Angeftvengt habe, fo daß er es hätte anreben können,
waͤre er ermübet eingefchlafen in der Hoffnung im Schlafe
Aufſchluß zu erhalten, Und fiehe da, ein folder wäre ihm
öfters zu Theil geworden, wenn auch nur in räthfelhafs
ten Andeutungen, befonders wenn er "vorher noch andere
Mittel, wie Hafen?) und Gebet, angewendet habe.
Freilich iſt auch diefe Weife des Forſchens ipın nicht die
höchſte; er Tobt noch mehr bie ftille Geduld, melde fih
in Gott ergiebt, von. aller Neugier fern, welche ohne
Berlangen, ohne Thun und Denken gleihfam in das
Nichtſein fi verfentt 5); aber es läßt fih wohl abneh⸗
men, daß er weniger auf biefem als auf dem vorherbe⸗
„DB.
2) Non bene dudum antea pasto corpore, welches Tennemann
Geſch. der Phil. IX ©. 244 überfegt: wenn ich vorher reichlich gegefz
fen Hatte.
3) Venatio seienlarum 40 agg.
149
ſchriebenen Wege zu feinen wunderbaren Aufſchlüſſen über
die Natur gelommen fei, welche er mit großer Zuverſicht
und nicht ohne Selbſtgefül uns erzählt. Das unaus⸗
ſprechliche Licht Gottes, welches er empfunden haben will,
welches er aber doch nicht feſthalten konnte 2), wird ihm
die Natur der Gafe, welche er zuerft zu erforfchen ange⸗
fangen hat, wird ihm den Gäprungsproceß, in deſſen
dunfler Natur er das Werk des Lebens zu belaufen
date, and bie wunderbaren Namen, welche er erfand
um bisher unerhörte Dinge an den Tag zu bringen, das
Blas und das Gas und fie fie weiter heißen, nicht vers
vathen haben. Über den Theoſophen werben wir ben
Naturforscher in ihm nicht vergefien dürfen, wenn auch
beide in feiner mit Ppantafien erfühten Seele zufammen-
fpielen.
Seine Entdeckungen und Apndungen in der Phyſik ſtehn
mit allgemeinen wiffenfchaftlichen Gedanken in Verbindung,
welche wir nicht übergehn dürfen. Sie fehliegen fih an
die frühere Theofophie, befonders an bie Lehren des Pa-
racelſus an, doch treten in ihmen bedeutende Abweichun⸗
gen hervor. Er ift zwar durchdrungen von der Überzen«
gung, daß wir nur von Gott erleuchtet werden, daß die
Mediein, die Naturkunde nicht durch Lehren überliefert
werben Tönnen, fondern reine Gefchenfe Gottes find, daß
Leiden edler if ald Thun, daß mir Willen und Verſtand
ohne Verdienſt und nur durch Gottes Gnade empfan-
gen2);. aber er ſcheidet doch die Naturforſchung entſchie⸗
1) Ib. 44.
2) Promissa autoris 10. Quis enim intellectum habet, quem
non accepit gratis?‘ Studia antoris 11; ven.scient. 602g. Est
“
150
den von ber Theologie; zur Erforſchung der Welt haben
die Theologen feine Vollmacht aufzuweiſen; es gehört bie
Arbeit des Arztes, des Chemilers dazu um bie jungfräus
Tide Natur von den Hüllen zu enifleiden, unter welchen
ihre Geheimniſſe verborgen find). Auf bie Arbeit des
Chemilers beſonders vertrant er, wärend er bie Hülfe
der Matpematif verfpmäpt, melde den Ariftoteles bes
trogen habe >); er vertraut ihr jedoch nicht fo, daß er
hoffte, durch fie alles, auch den legten Grund der Dinge
erforſchen zu koͤnnen. Mit ber ſchoͤpferiſchen Allmacht
Gottes hat es die Naturforſchung nicht zu thun. Nur
die vorhandenen Dinge und ihre Beſtandtheile, welche in
der Schöpfung geſetzt find, und nachher immer dieſelben
bleiben, fol die Phyfil erforſchen ). Nachher mag ber
Geift Gottes uns weiter führen, welcher die Testen
Gründe zeigen Tann, weil in ihm bie fhöpferifche Kraft
wohnt 9).
So unterfheidet Heimont genauer als die frühern
Theoſophen Vie Geſchaͤfte des Phyſilers und bes Theo⸗
logen. Auch billigt er die Vermiſchung des Geſchöpfes
und des Schoͤpfers nicht, welche die frühern Theoſophen
nicht forgfältig genug gemieden hatten. Er erflärt fie
‚für Atheismus. Unſer Geift oder wir dürfen ung nit
namque molestius, servilius et obscurius intelligendo operari,
quam pati, eo quod patiendo recipiat lumen nobilius gratis col-
latum.
1) De magnetica vaulnerum curatione 6 2qq. De deo theolo-
gus, naturalis vero de natura inquirat,
2) Causae et initia nataralium 40.
3) Ib. 2.
4) Nexus sensitivae et mentis 14,
1
für einen Tpeil Gottes ausgeben. Jeder Tpeil des Un-
endlichen würde unenblich fein. Was einen Anfang hat,
muß gefpaffen fein und fann nicht verglichen werben mit
dem unbebingten Grunde, Gott kann daher auch nichts
ſchaffen, was ihm glei wäre). Wenn daher au
Helmont unfere Gemeinſchaft mit Gott, felbft in der
fhöpferifchen Macht, mit welcher wir unfere Gebanfen
hervorbringen, in der magiſchen Gewalt, welde wir über
die äußere Natur üben, im meiteflen Sinne behauptet,
fo iſt es do immer nur das Bildniß Gottes in ung,
welches ihm dieſe Gemeinſchaft bezeichnet. Wir gleichen
‚Gott, find aber nicht mit ihm eins; unfere Gebanfen
bilden ihn nur ab; unfere magiſche Thätigfeit kann do *
feine nene Materie hervorbringen, ſondern beſteht nur in
der faſt augenblicllichen Berwandlung des Borhandenen 2).
Daß ein ſolches Ebenbild Gottes uns beiwohne, bezeugen
nicht allein der chriſtliche Glaube und die magiſche Kraft
unferer @ebanfen, fondern aud) hauptfählic bie wiffen«
ſchaftlichen Beſtrebungen unſeres Geiſtes. Unſer Verſtand
will die Dinge durchdringen, mit den erkannten Dingen
will er zuſammenfallen. Da muß er alles umfaſſen.
1) Imago_mentis 9 sqq. Alü vero secundae classis athei
eredunt non solum nos ad dei imaginem creatos, sed in nobis
identitatem cum immenso atque increato numine fingunt, nec
hominem a deo in substanlia alias differre, quam partem a
tote, quodque initium habuit, cum non prineipiato, non auiem
in essentia aut proprietate interna. Id quod sane praeler
blaspheniam stoliditates habet plurimas etc. \
2) Nex. sens. et ment. {4 2q.; de magn. vuln. curat. 89 2q.
Richt allein der Geift (mens), fondern auch die Phantafie hat ring
magifhe Opmalt, Ib. p159, — *
452
Wenn unfere Seele fih felbft'erfennt, erfennt fie alles
andere in fih; in ihr daher muß alles in intellectueller
Weiſe fih finden, wie es in Gottes Verſtande if I.
Aber ſchon das Bildniß Gottes in und iſt {pm genug
feine Verwunderung darüber zu erregen, daß wir groben
Irrthümern unterworfen und elender als die Thiere fein -
Können 9, Er weiß dies nur daraus zu erflären, dag wir
durch die Sünde verbiendet und unferer magifgen Kraft
über die Natur beraubt worben find. Bor dem Sünden-
fa! waren wir nur von Gott erleuchtet; erft durch bie
Sünde if die ſinnliche Seele uns zugewachſen und find
wir in die Gewalt unferes finnlihen Lebens gefommen.
"Ras ‚bie Schulen Thier nennen, nennt Gott Ausartung,
Berberben des Menfchen; auch die Vernunft, welche nicht
ſchaut, fondern forfcht, iſt dem Menfchen nicht eigenthüm⸗
lich, fondern gehört dem Tpiere an und findet fih auch
bei den Thieren 3). Dem gemäß tritt auch ber Gedanke,
daß die Güte Gottes alles Übel und Böfe von der Welt
ausſchließt, in viel Rärferem Grabe bei ihn hervor, als
bei dem frähern Tpeofophen. Er Hält es für unvereinbar
mit der Gute Gottes, daß irgend ein Streit, irgend ein
Gegenfag in der Natur fein fönnte, Eben deswegen verwirft
er den Grundfag Galen’s, daß Entgegengefegtes durch Ent⸗
gegengefeßtes geheilt werde. Gott ift urfprünglier Grund
der Liebe, der Eintracht und des Friedens. So weit er
Tonnte, hat er gewiß allen Streit, Haß und Feindſchaft in
feiner Schöpfung ausgefchloffen. Er konnte es aber in allen
1) Ven. scient. 45; 55 qq.
2) Nex. sens. et ment, 10.
x 8) Ib. 7; ven, seient. 38; de magn. vuln. cur,. 136,
4185
Dingen, welche nur feinem Willen unterworfen find, und
das find alle Dinge der Natur, welde feinen freien und
eigenen Willen haben 1). Daher kann nur ber freie Wille
der Geiſter, befonders des Menſchen als Grund des
Streites und bes Übels in ber Natur angefehn werden.
Aus dem Sündenfoll iſt Krankheit, Tod und alles Übel
enffprungen 9); gegen den Willen Gottes if er eingetre-
ten, hat aber alsdann feine natürlichen, unvermeidlichen
Folgen gehabt. Gott Hat ihn nur erlaubt und alsdann
zur Wiedergeburt und Befferung des Menſchen benutzt.
Dies wurde dadurch möglich, daß die urfprängliche Güte
unferes Wefens, das Ewige in umferm Geifte doch nicht
verloren gehn konnte 5). Genug Helmont ift weit ente
fernt davon die Glieder des Gegenfages zwifhen Gutem
und Böfem, zwifchen Licht und Finſterniß, zwifchen Wärme
und Kälte für gleich nothwendig zu halten; vielmehr nur
was auf der "Seite des Guten lebt, if ihm im Wefen
und im Grunde aller Dinge gegründet, das Böfe dage⸗
gen und feine Genoffen haben nur im freien Willen ihre
Quelle und find ben Dingen nur angekommen.
So fagt fi Helmont fehr entſchieden von der Ver⸗
miſchung des Sittlichen mit dem Natürlichen los, welche
1) Ignota aclio regiminis 4; natura contrariorum nescia 37.
Deum esse fontale initium amoris, concordiae atque pacis, odisse
quogue discordias et contrarietates, ut, si potuerit univer-
sum condere absque rixis et contrarietatibus, id fecisse extra
dubiom si. — — Nihil ipsi reluctari potuit, nisi quod volait
üierum facere. Sed rerum semina sire agentia naturae non
donayit libertate volendi.
2) Progreditur ad morboram cognitionem 4 sq.
3) Distinctio mentis a sensitiva anime 1.
154
wir bei den meißen Theoſophen und fonf in. den Bor-
flellungen ber Zeit verbreitet finden. Alles Natürliche ik
ihm unfteäflih, gut im weitern Sinne des Wortes, obs
wohl nicht der Vollkommenheit theilhaftig, welde bie ver
Rändigen Wefen empfangen haben. Diefe find ihrem
Willen überlaffen und erfreuen fi in ihren ſchöpferiſchen
Gedanfen der Gemeinfgaft mit Gott oder des Ebenbildes
Gottes, fünnen aber auch von Gott abfallen und haben
dadurch, daß fie zum Böfen fih wandten, den Streit
und das Übel in die Welt gebracht. In ben natürlichen
Dingen findet Helmont eine fortwährende Entwicklung
und Tpätigfeit, in den verftändigen Dingen eine beftäns
dige Schöpfung Y. Wir erbliden Hierin das Bemühn
die Gebiete der Begriffe genau abzufondern. So wie
Helmont Gott und Gefhöpf forgfältig getrennt hielt,
fo wie er das Ebenbild Gottes in uns von unferer
finnfihen Seele unterſchied, fo ſcheidet er auch Eins
bifdungsfraft und Vernunft von dem Verſtande, welcher
allein auf gradem Wege das Richtige trifft, wärend jene
nur den Abweichungen vom Rechten ‘angehören 2). In
aͤhnlicher Welfe will er auch die Naturreihe genau von
einander geſchieden wiſſen, fo baß fie verfchiedene Arten
der Erzeugung haben). Wir würden biefe Bemühun-
gen zu feften Unterfepieden zu gelangen zu rühmen haben,
wenn fie nicht auch darauf ausgingen ben Berfland von
feinen Vermittlungen Toszulöfen. Sie treiben dadurch
zur Theoſophie. So wie die Sünde ein plötzlicher Abs
1) Causae et init. nat. 20.
2) Ven. soient. 33.
-3) Causae et init. nat, 20.
185
fal von ber Orduung Gottes fein fol, fo möchte del⸗
mont auch durch einen pläglichen Aufſchwung des Geiſtes
die Ordnung des Guten ſich wiederherſtellen fehen.
Auf das Genaueſte hängt feine Anficht von der Natur
mit feiner ſtrengen Unterfheidung des Gittlihen und des
Notückichen zufammen, Sie fegt fih in feiner Weife fort _
die Werte der Natur von den Werfen der Kunft zu uns
lerſcheiden. Jede Wirkung, lehrt er, wird entweder von
einem äußerlich Wirlenden hervorgebracht und iR alsdann
ein fünfliches Wert, ober fie gehl von einem innerlich
Wirlenden aus und iſt ein natürlihes Wert). Auch
bier fehlt die Vermittlung; bie fünftlien Werke werben
als etwas betrachtet, was der Natur nicht angehört, gleich⸗
fm als wöürben fie nit durch natürlihe Mittel volls
bracht, und dadurch daß von der Natur alles innerlich
emeugt werden foll, möchte Helmont bie mechaniſche Urs
ſache aus der Naturlehre verbannen. Freilich nicht ganz
gelingt ihm dies. Nach einer forgfältigen Unterfuchung
will ex gefunden haben, daß ber natürliche Körper von
nichts anderem abhänge, als nur von zwei Urfachen, von
der Materie und von der wirkenden Kraft, welche beide
dem Körper innerlich fein follen. Zwar geſelle ſich dieſen
beiden gewoͤhnlich noch eine äußerlich anregende Urfache
au; aber fie fei doch nicht nöthig ). In ihr werden wir
4) Ib. 17. Siquidem omnis effectus producitur vel ab agente
externo et est productum artificiale, vel a suscitante et fevente
externo, quod est causa occasionalis et externa, quae tamen
intus habet causam efficientem et seminalem. — — Causa ta-
men occasionalis non est agens verum.
2) Ib. 10. Post sedulam reram omnium investigationem non
inveni corporis naturalis ullam dependentiam, nisi duntazat ad
die mechaniſche Urſache zu ſuchen Haben, welche er bie
gelegentliche nennt, Sie führt die günftigen Verhältniſſe
für die Entwidtung der natürlichen Kräfte herbei. Aber
Helmont ſchiebt diefe Urfache ganz bei Seite. Er hält es
für Zretfum, wenn man von ihr irgend eine Wirkung
der Natur ableiten wollte. ine ſolche, wenn, fie von
augen ansgehn follte, würbe nur durch ein Leiden her⸗
vorgebracht werben Fönnen. Aber die Materie als lei
dendes Subject will er in ber Natur nicht zugeſtehn.
Was die Schule fo nenne, fei vielmehr eine mitwirkende
Kraft, und aus dem Verhaͤltniß der wirkenden und der
mitwirlenden Kraft entipringt ihm jede Tpätigfeit der
Natur ). So verlegt er die mitwirfenden Urſachen,
melde wie im Äußern zu ſuchen pflegen, in dad Innere
der Dinge, Er bemerkt hierbei nicht, daß durch feine
Anſicht der Unterſchied zwiſchen Materie und wirlender
Urſache, von welcher er ausgeht, in der That in Gefar
geraͤth. Denn eine ganz andere Vorſtellung mußten wir
von ber Materie faffen, wenn fie ber wirkenden Urſache
entgegengefegt wurde, als jegt, da fie als mitwirfende
Urſache gefehilert wird, Es finden fi hier zwei Bor
ſtellungsweiſen in Streit mit einander. Die eine betrach⸗
tet die Materie als ein Prineip, weldes wenigſtens in
untergeorbneter Weife in allen natürlichen Erzeugniſſen
wirlſam iſt; im biefer Weiſe wird fie als ein generifger
duas causas, ad materiam et efficiens, iniernas (quibus plerum-
que externa quaedam exeitans assdeiakur) scilicet.
4) Ib. 18. Subjectum vero, quod scholae patiens dixere,
ego coagens voco. In relatione vero amborum terminorum
sive in habitudine motus agentis ad ooagens resultat actio.
187
Saft von Helmoat betrachtet Y. Die andere dagegen
legt der Materie nur bie Bebeutung einer Wirkung bei
und betrachtet bie wirfende Urſache als das allein Erzeu⸗
gende, welches in ber Wirkung feinen natärlihen Sig
habe). In diefem Sinne heißt es, daß jedes Ding leer,
eitel, tobt und träge fein würde, wenn ihm nicht ein bes
lebendes Princip beimohnte 5). Ale Kraft der Natur
wird nun in bie lebendigen Samen ber Dinge verlegt,
welche Helmont in ähnlicher Weife wie Patritins als durch
die ganze Natur verbreitet fi denkt. Aus nichts wird
nichts in natürlichem Wege und nichts entſteht, was nicht
aus ber Nothwendigfeit bes Samens feinen Urſprung
Kite 9.
Überlegen wir den Bang, in welden dieſe Gedanken
fih ausgebildet hatten, fo werben wir nicht daran zwei⸗
fein Fönnen, daß von biefen Vorſtellungsweiſen die zweite
bei Helmont bie herſchende if. Im Gegenfag gegen die
Arißotelifche Lehre, daß alle Bewegung und mithin alles
Verden der natürlichen Dinge von außen kommen müffe,
hatte feine Überzeugung ſich gebiſdet. Er wirft dem Ari⸗
ſtoteles vor, daß ed in Erflärung der natürlichen Dinge
nur auf das Äußere und auf die Bergleihung der Natur
4) Ib. 12; 23.
2) Ib. 21. Materia nempe est ipsissima effectus substantia,
efficiens vero ipsius internum atque seminale agens. j
3) Ib. 3. Resque omnis inanis, vacua est, mortua ac de-
tes, nisi vitali ‘aut seminali ad esse principio fuerit constituta
aut quandoque constituatur.
4) 1b. 35. In tota rerum naturalium serie de novo nihil
surgere, quod non e semine ortum ducat, nihilque fieri, quod
non e seminis necessitate fiat,
158
mit der Kunft gefehn habe. Die alte Analogie zwi⸗
ſchen dem natürlihen Werden und dem künftferifchen Bil⸗
den {ft ihm verhaßt. Daher verlegt er auch den künftles
riſch bildenden Gedanken, die Zweckurſache in den natür⸗
lich ſich entwidelnden Samen. Ein der Ratur äußerlicher
Gedanke, ein reines Ding der Borfielung im Künſtler,
würde in der Natur nichts wirken können. Die Kennt»
niß des Zweds muß in natürlicher Weife der wir⸗
lenden Urſache von Gott eingepflanzt fein ). Jede nas
turliche Kraft bildet ſich ſelbſt ihre Materie, ihren Kör⸗
per. Das Leben, überall in der Natur verbreitet, können
wir nur als formgebendes Licht begreifen; weiter loͤnnen
wir in feine Erfenntniß nicht eindringen. Durch bie Ver⸗
ſchiedenheit der Lichter, welche Gott in die Natur gelegt
hat, wird alle Verſchiedenheit ber natürlichen Arten und
Individuen hervorgebracht ). Wir fehen, daß hiernach
der Materie In der That feine andere Bebeutung übrig
bleibt, als für eine Wirkung der innerlich bildenden Kraft
zu gelten. Alles, Iehrt Helmont, wirb durch ben famens
artigen Archeus hervorgebracht 9), das heißt durch die in⸗
nere Kraft, welche die Äußere Erſcheinung der Dinge
bebingt. Daher wird aud in allen Dingen Leben geſucht;
4) Ib. 9. Ejusque omnem speculationem circa arificialia
et externa naturae vagari.
2) Ib. 12. Causae efficienti naturali sua a deo naturaliter —
infusa finium et habitudinum scientia, .
3) Blas humanum 22; spiritus vitae 23. Sed revera sunt
totidem luminum vitalium species, quot vitallium creatura-
rum. — — Adeoque per ejusmodi Iuces ipsas est sola atque
omnis specierum distinctio.
4) Causae et in. nat. 8 2qg-
189
auch der lebloſen Natur fol wenigfiens dein Vermögen
nah Leben zukommen d. Wir önnen hierin nur eine
Eortfegung der Orundfäge in der Beurtheilung ber Ras
tur fehen, welche von Averroes an mehr und mehr fih
verbreitet hatten, daß aus bem innern Vermögen ber
Materie alles fi entwidien müffe, daß alles natürliche
Verden nur eine Eduction der Formen fei. Bei Helmont,
wie bei andern Tpeofophen, wie bei Nicolaus von Eufa
und bei Bruno, führten diefe Grundfäge zu dem Beftres
ben die Materie in bie innerlich bildende Korm umzuſetzen,
welche nur eben noch im Werden begriffen die in ihr lie⸗
gende Geftalt micht zur Reife gebracht habe. Dies Liegt
im Gebanfen des Samens, welcher eine Form hat, aber
doch noch etwas Unfertiges, etwas Materielles an fih
traͤgt. Das Streben in dieſen Gedanken geht dapin, bie
Doppelpeit der natürlichen Principien zu überwinden,
Dies hebt Helmont deutlicher hervor als feine Vorgänger,
indem er die Nothwendigeit des Gegenfages in ber Nas
tur leugnet. Daher liegt ihm zwar im Gebanfen bes
Samens ein boppeltes, die Materie oder bie noch nicht
gebildete Kraft und bie Form oder bie bildende Kraft,
aber die erſtere tritt ihm zurüd; fie iſt nur ber verſchwin⸗
dende Punkt, welcher in jedem Augenblide der Entwid-
Tung überwunden’ wird. Nur nicht völlig läßt er fie aufs
gehn in die Form und baher verlangt er denn aud, dag
wir bie Materie unter die Principien ber Natur zählen follen.
Bei der Frage nach der materiellen Urſache der Dinge
freitet Hefmont ſowohl gegen die alten Elemente der pe⸗
1) Tb. 16.
460
ripatetiſchen Schule als gegen die chemiſchen Elemente
des Paracelfus. Wenn auch bei der Verbrennung ber
Körper meiſtens breierlei Beſtandtheile fi unterſcheiden
laſſen, das Ol ober der Schwefel, das Wafler oder das
Duedfilber und das Salz, fo hält er dieſelben doch nicht
für Grunbbeſtandtheile, fonbern betrachtet fie als Ereug
niffe, welche erft in der Zerflörung der Körper durch das
Teuer gewoͤhnlich und doch nicht immer hervorgebracht
würden D. Dagegen nimmt er nur ein maferieles Ele⸗
ment an, ben generifhen Saft, das Waſſer. Mit der
wirfenden Kraft foll es in folder Weife verbunden fein,
daß dieſe bas individuelle Wefen bes Dinges, jenes bie
allgemeine Gattung abgiebt 2). Die wirkende Kraft in
der Materie nennt er. auch das Ferment, das Princip
des Samens, welches, weder Subſtanz noch Accidens,
nur eine individuelle Anlage ſei und den Samen nur
vorbereite 5). Der Same ift das nächſte Princip ber na
türlichen Wirkfamfeit, aus dem Ferment aber geht ber
Same hervor). Die Fermente find durch die gan
Natur vertheiltz fie find die geheimen, im Innern der
Dinge verborgenen Eigenfchaften, melde jebem Dinge
eigenthümlich mit nichts anberm verglichen werben können,
welche mit Sreithätigfeit das Leben aus fi entwideln;
4) Tria chymicorum prineipia 3 sqq.; 46 2qq.
2) lb, 5t.
2) Causae et in, nat. 22 sqq.
4) Ib. 28, Fermentum igitur principü veri "nataram tenet a
causa efficiente in hoc diversi, quod causa efficiens considera-
tur tanguam immediatum principium aclvum in re, quod eıt
semen, ac velut principium motirum ad generalionem sive ini-
tiam rei constitulivum.
164
denn alles iſt in individueller Weife geſchaffen und- treibt
fein Sehen aus fih Heraus nad) feiner Eigentpünlichteit 2.
So behauptet er den Grundfag des Nichtzuunterſchei⸗
denden in firengfter Weiſe und unterwirft die wunderba⸗
ren Wirkungen der Natur in jedem einzelnen Dinge nur
infoweit dem allgemeinen Geſetze, als jedes aus feinem
Imern heraus ſich entiwidelnde Ding bem Plane ber
gungen Schöpfung ſich anſchließen muß. Auch Hierin folgt
ww den Spuren feiner Borgänger. Nur tft er. bemäpt Die
eigenthümlichen Lebensfräfte der Dinge genauer in ber
Erfoprung nachzuweiſen. Hieraus find ihm verfäiedene
Begriffe hervorgegangen, welde an einzelne Beobarhtuns
gen ſich anſchließend mit beftimmten Kunftausbräden von
ihm bezeichnet werden, aber doch nicht zu deutlicher Geſtalt
heraustreten wollen. Wir haben ſchon bemerkt, wie er
dermente und Samen unterfeibet. Seine Beobachtung
des Gaͤhrungsproceſſes hatte ihn unftreitig darüber ber
lehrt, daß die Wirkungen bes Ferments an eine beftimmte
Materie gebunden nur durch Berührung gefhehen; aber
glaubte auch noch andere Wirkungen annehmen zu müſ⸗
fen, weiche in die Ferne gehen, ohne daß Eanäfe und
Mittel zu ihrer Übertragung vorhanden fein müßten 2%);
außer andern Erſcheinungen find ihm das Lebenslicht,
welches alles burchbringt, bie Tpätigkeiten ber Seele und
\
1) I. 24, Fermenta — — individualiter per speoien di-
süneta, — — Singula juxta sui naturam et proprielates. De
magn. vula. cur. 69 sq.; septuplex digestio alimenti humani 12,
Fermenta — — dona specifica naturae vitalis, — — Fermen-
tum, qua parte fermentum est, vilale ao liberum est arcanum.
2) Ignota actio regiminis 37 sg.
Gefh. d. Philoſ. x. 11
462
des Berſtandes hiervon ber deutliche Beweis. Nur
durch ihren Aublick, duch Erleuchtung, eine Ausſtralung
ihrer Kräfte ohne eigene Veränderung wirfen viele Dinge).
Weil. er eine folhe wunderbare Wirkung bem Fermente
nicht beilegen ann, gebraucht er bie Namen ber Samen
idee, des Blas 9), des Archeus, um burd fie bie weir
tergreifenden Erſcheinungen der Iebendigen Natur zu ber
zeichnen. "Im Gegenſatz gegen folge Naturforſcher, welche
alles nur. auf Korperliches zuruͤckführen möchten, macht er
den Platoniſchen Gedanken geltend, daß alles doch nur
von feiner Idee her fein Sein und feine Kraft habe und
legt in Übereinfimmung hiermit dem Samen ber Dinge
ein: ideales Sein bei, welches, ein bloßes Verſtandes⸗
ding, ein reines Nichtſeiendes, doch von Natur die Kraft
habe fi) einen Körper zu bilden. Er erinnert babei an’
bie Kraft unferer Gedanken, an bie Macht unferer Ein-
bifdungäfraft, des Affen unferer Gedanken, eines in und
reflectiten gefftigen Lichtes, und deutet an, daß in ber
Natur des Samens biefes doppelte liege, ein Wirkliches
zu. fein und ein Nichtwirlliches, welches er als Same
erſt heroorbringen folle aus der ihm vorſchwebenden Idee
feines Beftrebens ſich fruchtbar zu erweifenS). Daher
4) In verbis; herbis et lapidibus est magna virtus p. 353.
2) Der Name Blas ift feine eigene Erfindung. Der Begriff det:
felben ſchließt fi an die Wirkungen ber Geftime an, wird aber
weit über_bies Gebiet hinaus ausgedehnt. Blas meteoron.1; 5,
3) Progreditur ad morborum cognitionem 8 sg. Omniam
omnino reram naturale initium ex parte ideali in semine quo-
vis pendere. — — liaque quamris ipsa cogitatio sit Imerum
mon ens, auamen ex ipso suae mativitatis jure quaelibet res
eonoepta constat materia concepta et lumine vitali intelligibiliter
in illam reflexo. Ih. 15 29.
reitet er gegen bie, welthe nichts Nitcleres zwiſchen
Subſtanz und Accidens annehmen wollten; Licht, Leben
und Form find ihm folge mittlere Dinge, weit fie den
Samen zur Erzeugung. in. fh -tügen 2; Man wird
wohl bemerken, daß in dieſen Lehren bie Materie thu
dem Wefen nad verſchwindet. Sie wird‘ wur‘ Ider
geopfert, welche in den lebendigen -Weäften ihre Ausfäge
rung erhält und von innen and alles gefaltet: So be⸗
ſchreibt er und den Archeus, wie er aus der Verbindung
einer Lebensluft, feiner Materie, -mit’ einen · Samenbilde
beſtehe, welches fein innerer geifiger- Kern feiz dieſes
geifiige Bild enthalte in ſich die Fruchtbarleit des Sa
mens, ber fihtbare Same fei nur feine "HülfeY. Ar
einer andern Stelle wird der Archeus, wehder Det Er⸗
zeugung aller Dinge, fetbft der Mineralien: vorſteht, ges
radezu der Lebensluft und bem erzengenden Safte gleich⸗
gefegt 2), fo daß wir nicht daran zweifeln fönnen, daß
diefe Lehre darauf ausgeht die Materie son. -in die be
lehende Kraft aufgehn zu laſſen. .
Diefe dynamiſche Erklaͤrungsweiſe fept Pu nun an
den Borflellungen entgegen, welde das Leben im gefuns
den iote im Franfen Zuſtande von äußern Einfläffen ablei⸗
ten möchten. Helmont beſtreitet daher die aſtrologiſchen
dehren vom Urfprunge ber Samen durch den ‚Einfluß der
1) Formarum ortas 22 2qq.
2) Archeus faber 4. Consiat Archens vero ex connexione
Yialis aurae velut materise cum imagine semimali, quae est
interior naeleas spiritualis foecunditatem seminis eontinens; est
antem semen visibile hajas tantum siliqu.
3) Form. ort. 20.
11*
Geßine. . ‚Ale; Seſtirne geben nur Zeichen und Zeiten
abs ; Er..befireitek noch eifriger die Lehre von ber erzen⸗
genden und-belebanden Kraft.des Feuers oder ber Wärme,
Das Beurer erzeugt ‚nicht, ſendern zerſtoͤrt nur. Es if
nur dazu geeignet das Heilfame von dem Schaͤdlichen,
von derr Untoth adzuſcheiden; darin bewährt ſich die
Kraft der Pyrotechnt. Die Lehre von ber eingebornen
Waͤrme iſt daher ua. Helmont das wahre Verderben
der rechten Mediein. Die Wärme iſt nicht Urſache, ſon⸗
dem Wirkung. des Lebens; bie Urſache der Verdauung
und der Ernaͤhrung haben wir nicht in der eingebornen
Warme, fondern in den verſchiedenen. Fermenten zu ſu⸗
gen, welche. im Jebendigen Körper vertheilt find ). Das
Aaßere: iſt überhaupt nur Veranlaffung der Lebensthätig-
keiten. Von ihnen empfangen die Samen ber Dinge, fo
wie die Seele, ein Bild welches erregen oder auch Adren
fan; aber alles Äußere bleibt den, Rebengfeimen fremd,
bis eb von ihnen felbf ihrer Natur gemäß aufgenommen
worden und eine Erregung ihrer Lebenstriche abgege
ben hat.
Bon ſolchen innerlich wirkfamen Kräften "ausgehend
langt nun Helmont zu der Annahme eines Förperlichen
Dafeins. und einer räumlichen Ausbehnung der Dinge in
der Welt nur dadurch, daß. er im Iebenbigen Leibe eine
Vereinigung vieler folder Kräfte vorausfegt. Wir Haben
bie Lehre des Paracelfus kennen gelernt, bag im Men
ſchen viele Geifter. in Fehde oder in Frieden mit einans
der leben, unter der Herrſchaft der Seele vereinigt.
4) Caus. et in. nat. 36; blas hum, 15; 37; calor efficienter
non digerit, sed tantum exeitative' 20.
Me
165
Diefe Lehre bildete Helmont weiter aus, weniger in pſy⸗
chologiſchem als im phyſiologiſchem Sinn, indem er zwar
bie Seele als Einheit anfah, im Leibe aber eine Berei⸗
nigung verſchiedener Samen ober Lebenefräfte nachzuwei ⸗
fen ſuchte. Er zog hierdurch eine Reihe von Bebanfen
nſammen, welche in ber frühern Philoſophie zerſtreut
dem neuern Monadenſyſtem vorarbeiteten. In einem fer
den Theile des lebendigen Organismus findet er eine ihm
tigene thätige Lebenskraft, alfo einen Archeus, welder
feine eigene Materie fi bildet; aber alle biefe Lebins⸗
käfte werben durch eine allgemeine Lebenslraft des gan
gen Organismus, einen herfpenden Archeus zur Einheit
des Lebensproceſſes zuſainmengehalten. Ein jeder beſon⸗
dere Archeus muß alsdann die beſondern Verrichtungen
verſehn, welche von ſeiner Seite zur Erhaltung des Le⸗
bensproceſſes beizuſteuern find). Der Herrſchaft des alle
gemeinen Archeus entzieht fi ber einzelne Archeus nur
in der Kranfheit. Im der Berbauungsipeorie, in welcher -
Helmont mit befonderer Sorgfalt die verſchiedenen Grabe
unterfhieb, werben. bie einzelnen Fermente der einzelnen
Grade und ihre Gefpäfte unter der Herrſchaft des allge
meinen Archeus genau beſtimmt. So breitet fi denn
die Lebenskraft im Raume aus, weil bie einzelnen Les
1) Archeus faber 6 sqq. Cum omnis actus corporems in
corpus terminatur, hino fit, quod Archens, generationis- faber
ac recior, se ipsum veatiat statim corporali amictu, — — Hic
enim cor locat, ibi vero cerebrum designat atque ubique im-
mobilem habitatorem praesidem ex universeli determinat juxia
exigentias partium et destinationem fines in ohitum. usque.
Darauf iſt vom universalis archeus influus die Rebe, weider von
dem particulares viscerum archei unterſchieden wird,
benslraͤfte, welche im lebendigen Körper vereinigt find,
ihre beſondern Stellen im Leibe behaupten und nur durch
bie: Herrſchaft· einer kraͤftigern Urſache zur Einheit des
Lebens: verbunden find, .:
Die Lebenskraft des Archeus ift jedoch noch immer an
der Materie ‚gebunden ;. auch der herſchende Archeus if
noch ein: ausgedehnter und theifbarer Körper, weil er in
einer belebenden Luft wirlſam iſt. Dagegen hebt Hels
mont hervor, daß die Seele als ein centraler Punkt ges
daqtht werben -müfle, weil fie eine untheilbare Einheit
babe ). Sie muß daher vom herſchenden Archeus unter
ſchieden werden; dieſer iſt nur als Organ zu denlen,
durch welches jene überallpin ihre Wirkungen verbreitet?).
Doch müfen wir. au der Seele einen Sig im Leibe
aufcpreiben, von welchem ans fie bie Herefchaft über ‚den
herſchenden Archeus ausũbt; denn bie Erfahrung zeigt, daß
Theile. bes Leibes ohne Gefar für das Leben der Seele
entfernt werben Fönnen, wärend ber Verluſt oder die Zer⸗
Aörung ‚anderer Theile augenblidlichen Tod nach ſich zieht.
Dur feine Erfahrungen Hält fi Helmont für berechtigt
den Sig der Seele im Magenmunde zu fuchen, von
welchem aus ſie mit ber Milz, dem Sitze des Archeus,
in Berhindung ſtehn. ſoll. Dies iſt das Duumvirat der
Kräfte, welche unſer leibliches Leben beherſchen 5). Sorge
fältig - fucht Helmont den Gedanken abzuwehren, daß
bie Seele ving ve den Sig, welchen fie im Leibe einnimmt,
seae⸗ animte 5 1q-
-:2) Ib. 12. Per ministrum organum archei onncta perfieit
(sc: anima) radioque il’ vitali ubiris velut praesens adsintt.
- 3) Ib. 5 9.5.26 og.; jun dunmriratus 8.
4167
zu einem Eörperlichen Weſen gemacht werbe; bagegen
dient ihm zum Schuge bie Behauptung, daß fie in ihrem
Gige nur ein’ punltuelles Sein Habe’). Ohne Beruh⸗
tung, wie das Geflien, wirft von dorther die Seele in
allen Gliedern, durch befondere Theile befondere Geſchaͤfte;
als ein ſolches Werkzeug wird vor aflen das Gehirn be⸗
trachtet, welches durch die Nerven bie Bewegungen ber
Seele zur Ausführung bringe und ein Träger der finnli-
den Wahrnehmung, des Gebächtniffes und der Einbil⸗
dungetraft fei ?).
Doc ift auch die finnliche Seele der Mannigfaltigfeit
aiht enthoben. Sie wird au von Helmont wie von
Varacelſus als eine Herberge einander befeindender und
unter einander verträglicher Gebanfen vorgeſtellt. Sie
it dan Menſchen mit den Thieren gemein und vergängs
lich wie dieſe. Der freie und vergängliche Wille, welcher
an das Sinnliche fih Hefte >, mit aller Ichheit und
Niftigfeit fol von uns überwunden werben. Alles finns
lie Leben iR nur eine Form, welche auf eine Zeit lang
den Schein der Subſtanz an fi trägt, aber als ſolche
ſich nicht bewährt, fonbern im Tode fi auflöf; denn
me in der Bereinigung ber ewigen Samen unter Herr⸗
ſcaft des Archeus und der Seele hat diefe Form ſich ges
1) Sed anim. 18. Exorbitanti modo innest in punto cen-
traliter ac velut in alomo.
2) Ib. 32.
3) Imago mentis 25. Nulla est homini potestas pernieiosior
voluntate libera. — — Voluntas est potestas animae caduca.
Dagegen ib. 27. Perit itague cum vita potestas volendi ac se
manifestat voluntas substantialis, ab intellectu mentisque essen-
ia nequaquam distincta.
168
bildet; verläßt fie dieſe Herrſchaft, fo ſtirbt das lebendige
Weſen und jedes Element deſſelben kehrt in feinen Sa
menzuftand zurüd 1). Anders ift es mit den Geifte (mens),
dem Ebenbilde Gottes. im Menſchen. In ihm eröffnet
ſich uns die wahre Einheit, die Eintracht der Gedanken
welche nur. durch die Sünde zerſtoͤrt worden if, indem
fie das fihnliche Leben herbeigezogen hat. Alles, was in
der Seele ſich zerſtreut, der Verſtand, ber Wille und bie
Liebe, if im Geiſte vereinigt zu einer Subſtanz. Nur
in der finnlihen Seele werben diefe Thätigkeiten ausein⸗
andergegogen zu ber Unordnung und dem \nfrieben,
welchen wir empfinden, wenn wir wollen, was wir nicht
lieben, erlennen, was wir nicht wollen, und wollen, was
wir nicht wiſſen ). Der Geiſt ſoll die finnliche Seele
beherſchen, wie bie Seele die im Leibe zerſtreuter Libens⸗
träfte; die finnlihe Seele empfängt auch vom Geifk ipre
Erleuchtung, obgleich fie eine eigene Kraft zu erlunen
hat; aber in dem irdiſchen und fünbhaften Reben, in
welden wir find, hat bie finnlihe Seele eine Herrſhaft
über den Geift gewonnen und beugt ihn unter ein Ge
ſetz, welches feinem Streben nad Eintracht zuwöer
iR). In dem Gifte haben wir nun die wahre ud
4) Maganm oportet 17 29.; =.
2) Imago mentis 46. Patet, ergo in mente intellectum, vo-
Inntatem atque amorem substantialiter unita, in anima vero sen-
sitiva operationes distingui e radice facaltatum diversaram, dum
intelligimus non desiderata, desideramus quoque, quae nolu-
mus nec planc noscimus, — — Quae cuncla contingant in
mortalibus, quamdiu sensitiva trahit facultates suas in multi-
plicem divisionis alaxiam. _
3) Mentis complementum 8 sqq. Cogitat quidem sensitiva
.\
|
ewige Subſtanz des Menſchen zu erkennen; er if feine
vergaͤngliche Form; wenn er nicht mehr gehört wirb von
ven zeitlichen Geſchaͤften der finnlichen Seele, fann er
das Bildniß Bottes rein in ihm hervortreten 2). Jetzt
werben wir noch durch den Zwiefpalt unferer Gebanfen
und durch bie Notpwendigfeit den Werkzeugen unferes
ſiunlichen Lebens unfern Geift zuzuwenden im Bewußtſein
uferer Einheit geftört; dann aber fol unfer Geiſt in
der größten Einerleipeit und Einfachheit des Verſtandes,
des Willens und der Liebe, feiner Einheit und feiner
Berbindung mit Gott fih erfreuen 9).
Helmont hält ſich jedoch davon zurüd, dieſe Gedan⸗
ten an das legte Ziel unferer Beſtrebungen weiter zu ver⸗
folgen; dies iſt nicht das @efchäft der mediciniſchen Fa⸗
eultät, welcher er angehört; in die Unterfugiungen der
Xpeologie aber will er ſich nicht einlaffen. Go finden
wir bei ihm dieſelbe Scheu, welche wir bei den Ariſtote⸗
lilern und andern Philofoppen diefer Zeit: bemerkt haben,
die Scheu der Naturforfcher mit der Tpeologie in Streit
humana -vi propria, sed illustratur a mente. — — Prout in
Iuna solis lumen suum amittit calorem, — — sic et in vitali
sensitiva radius mentis, licet nuditer sit intellectualis, trans-
nigrat in dominium sensitivae adeoque et invenit ibidem legem
terrenam legi mentis oppositam.
1) Formaram ortus 23 sqq.; 96; ment. compl. 8. Es wer-
bm forma substantialis, die vergängliche Form, welche nur eine Zeit
lang dm Schein der Subſtanz an ſich trägt, und substantia-formalis,
die wahre Subſtanz, melde die Form giebt, von einander unterſchieden.
2) Imago mentis 43. Ergo amor desideriumve mentis non
est functio potestatis appetitivae, sed est ipsa mens intellec-
tmalis et volens, quae sub unitatem indivisibiliter sunt copulata
in identitate et simplioitate quam maxima,
4170
zu gerathen. Er wird darüber nicht in Verdacht fallen,
die tpeologifhen Überzeugungen zu verachten. Nur von
der Theologie, wie fie gegenwärtig gefaltet iR, findet
er fih zurüdgefioßen. Seine religiöfen Hoffnungen fegt
ex auf das file Gebet und auf bie unmittelbare Erfah⸗
tung der göttlichen Erleuchtung. Er bezeichnet ben Wen
depunft in ber Entwidlung ber’ Theofophie, wo bie res
ligisſen Überzeugungen und bie phyſiſchen Unterfuchungen,
welche in ihr ſich durchdrungen hatten, ſich wieder zu
ſcheiden begannen, um bie Tegtern ungeftörter verfolgen zu
Können, Mit feiner Abneigung gegen bie herſchende Theo
logie, mit feinem Dringen auf bie niebere und bie hir
here Erfahrung wird man es im Zufammenhang finden,
daß er in den metaphyſiſchen ober allgemeinen Grund⸗
fügen der Wiſſenſchaft fehr roh iſt und daher der Sinn
feiner Lehren nur ſchwer durch die Verwirrungen feiner
Darfellung ſich hindurchſchauen laͤßt.
Bor den frühern Theoſophen hat er vornus, daß er
mande Auswüchfe der alten Lehre abgeſchnitten hat,
Seine Scheu vor ben theologiſchen Unterſuchungen hat
doch den günftigen Erfolg, daß er die Geheimniſſe Got
tes nicht erforſchen will, daß er alle Anklänge an ben
Pantheismus und an bie Erkenntnißlehre meidet. Auch
die Einflüffe der Geſtirne und des Himmels auf bie all
gemeine Belebung der Natur will er nicht erforſchen;
den Lehren der Aſtrologie widerſpricht er vielmehr; die
Beobachtung bes befondern Lebens, in ber. Erbfphäre ſeſ⸗
felt die Aufmerffamfeit des Naturforſchers. Wir würden
‘es ihm auch als Vorzug anrechnen können, daß er
das fittliche Gebiet von dem natürlichen, getrennt hielt,
‚
174
wenn nur feine Weife bie Trennung herbeizuführen, bie
finnfige Seele aus dem Sündenfall hervorgehen zu laſ⸗
fen und durch fie den Unfrieben in die Welt zu bringen
nicht gewalkfem bie Einpeit ber Welt zerriffe. Eben dies
bringt eine Störung. in die pofitiven Lehren, welche ben
Kern feiner Weltanficht bilden. In ber Natur will er
den Frieden bewahren, welder von Gottes Gefeg über
fie verbreitet wird. Daher fämpft er eifrig gegen bie
Lehren, welde den Streit als etwas Nothwendiges in
ber Schöpfung fegen. Er geht vielmehr darauf aus alle
Keime des Lebens, alle einzelne Fermente, fo eigenthüm⸗
tiger Art auch ein jedes von ihnen fein fol, in befreuns
deter Unterordnung unter ein allgemeines Geſetz fih zu
benfen. Hierauf fügt. ſich der eigenſte Gedanke feiner
Lehre. Im geitweiliger Unterorbnung bienender Kräfte
unter einem Regeuten vollzieht fh das organifche Leben,
indem doc eine jede Kraft nur aus fi ihre Entwicklung
ziehen kann, und bie Materie bildet ſich nur durch den
Zuſammenhang verfepiedener lebendiger Kräfte, welche
ſich unter dem Herſcher des lebendigen Organismus zu
einem Körper vereinen. Wenn biefer Gebanfe auf den
Frieden der ganzen Natur ausgedehnt worben wäre, fo
würde er auf / den Zufammenhang der ganzen Welt unter
einem herſchenden Geſetze geführt .baben. Aber hieran
verhindert es ihn, daß er für nöthig hält den begeprlis
Gen Menſchen und die ſittliche Welt von der frieblichen
Rofur durch eine tiefe Kluft abzufondern. Daher hält
er. feine Oebanfen lieber bei der Unterſuchung ber einzel
nen organiſchen Weſen in der Welt fe opne fie zu einer
gemeinen Lehre über die ganze Welt zu verarbeiten,
172
In derſelben Weiſe ſucht er auch allein für fich fein Heil |
ohne den allmäligen Fortſchritt des geiftigen Lebens zu
bedenlen. Es find dies die Gedanken der Theoſophic
welche zu begehrlicher Ratur ift, als daß fie bie Reife
der Zeiten erwarten könnte, Ein plöglicher Abfall fol
die Gefege der Welt brechen; in einem plöglichen Aufs
ſchwunge des Geiſtes follen wir und wieder mit Gott und
der Welt verföhnen.
2 Robert Fludd.
Einen Augenblid mäfen wir noch bei einem Englän
der verweilen, um gu zeigen, wie weit bie Lehren ber
Tpeofophie in allen Zweigen des germanifchen Stammes
fi verbreitet Hatten. Der Däne Peter Severinus hatte
im 16. Jahrhundert die Paracelfiiche Medicin in ein
Syſtem gebracht, welches weite Verbreitung fand, In
derfelben Zeit, in welder Helmont fie in den Nieder
landen ausbilbete, empfal fie Robert Fludd in Eng
land, obgleih damals fhon Bacon für eine nüchtern
Naturforfgung den Weg gebahnt und vor den Über
ſchwenglichkeiten der Chemie gewarnt hatte. Daß er für
nöthig hielt in fleißigen Wiederholungen gegen dieſe Rich⸗
tung der Naturlehre feine Stimme zu erheben, beweiſ
uns, daß fie viele und einflußreiche Freunde zählte. Nie
mand aber war unter ihnen thätiger als Fludd. Im
Jahre 1574 zu Milgate in der Grafſchaft Kent geboren,
hatte biefer Mann eine Zeit lang Kriegsdienſte gethan,
dann Tange in Frankreich, Deutfhland und alien zuges
bracht. Als er nah England zurüdgefommen war, übte
er die Arzneiwiſſenſchaft mit GTük aus bis zw feinem
173
Tode 1637. Auf feinen Reifen hatte er\ Diele gelehrie
Berbinbumgen angefnäpft, in Deutſchland wollte er au
die Rofenkreuger aufgefpärt haben, deren Ehrenreitung
es mehrere Schriften wibmete. Seine Gelehrfamfeit in
den geheimen Wiſſenſchaften war fehr umfaffend und bes
fonders mit der Chemie Hatte er ſich fleißig beſchaͤftigt.
Mit Helmont iſt er am eindringendem Geiſte nicht zu
vergleichen, aber es treten doch bei ihm einige Züge der
Beſtrebungen, in welden bie gelehrte Tpeofophie fih
bewegte, deutlicher hervor als bei jenem Beitgenofien.
Hierzu rechnen wir die Weife, wie er die geſchichtlichen
Anfnüpfungspunfte der Tpeofophie behandelt. Fludd iſt
der gelehrteſte unter den Tpeofophen genannt worden
und ir ber That feine Schriften wimmeln von Anführun
gen der alten Lehren. Ein Gegner der Peripatetifer und
der heidniſchen Ppilofophie überhaupt, welche nur der
Einbildungsfraft gedient habe 1), if er doch keineswe⸗
ges fo entbrannt, wie Helmont, gegen alles Unchriſtliche
und gegen das Alterthum überhaupt, vielmehr eifert ex
gegen bie Anmaßung der Neueren, welche alle Erfindun⸗
gen für eigenes Werk ausgäben®); er dagegen will nur
auf die Philoſophie des Mofes uns zurüdfüßren; auf
ben Hermes beruft er ſich, auf die Kabbaliſten, den Pa⸗
racelſus, den Nicolaus Cuſanus und die ganze Schar
der Autoritäten, welche im Munde ber neuern Platonifer
und Theofophen waren. Dabei ift er aber doch ben Ents
dedungen der neuern Phyſik nicht abgeneigt, wenn fie
mır mit feinen theofophifchen Anſchauungen ſich vereini⸗
1) Philosophia Mosaica (Goudae 1638) sect.I. lb. IE, 2
1b. 1,2.
174
gen laffen. @ilbert’s Unterfuhungen über ben Magneten
entlodt er feine ſchoͤnſten Säge, So begegnen“ ſich bei
ihm die Beſtrebungen ber neuern und der alten Zeit.
Wenn man freilich die Maſſe feiner Citate anfleht, bärfte
man geneigt fein ven Einfluß ber alten Zeit bei ihm für
flärfer zu halten, als das, was er der neuern entnommen
hat. Auch iR er der Theologie noch ſehr ergeben; er
ſchließt fie nicht, wie Helmont, von ber Naturforſchung
aus, vielmehr meint er, wie die Kabbaliſten, alles in der
Dffenbarung finden zu fönnen I). Zwiſchen der Thedlo⸗
gie und ber natürlichen Philofophie findet er nur.den
Unterſchied, daß jene vom Mittelpunfte, von Gott, aus
gehe und aus ber Duelle, a priori alles ableite, biefe
dagegen vom Umfreife aus forſche und dutch bie Erfah⸗
rung zur Erkenntniß zu gelangen ſuche ). Aber Kenn
wir nun dennoch fehen, daß er trog feiner unzähligen
Anfüprungen aus der heiligen Schrift auf dem Wege der
Philoſophie fortfäpreiten will, freilich in der Weile ber
Theofoppen 3), fo werden wir gewahr, daß fein Ber
fahren im Wefentlichen den Beftrebungen der neuern Zeit
ſich zuwendet. Daher, wenn au bie Sinne ung zer⸗
freuen folfen, Täßt er doch das Zeugniß der Sinne im.
und verfhmäht auch nicht, wie .Helmont ben Gebrauch
der Vernunft und bes Beweiſes, fondern will biefen
Mitteln nur nit allein vertrauen, weil fie. oft zu Jer⸗
thümern geführt hätten. Nur deswegen hält er es
für geraten and die Heilige Schrift und bie Zeuguifle
i) B. I, 4.
2) Ib. prooem.
)Lı
\ 175
anderer Heiligen Männer anzuziehen ). Freilich iR es
nur bie Unglänbigfeit des Zeitalters, welche ihn aufs
fordert durch augenſcheinliche Beweiſe die höpere Wahr
heit zu unterftügen 9; aber daß er hierzu feine Zuflucht
m nehmen ſich gebrungen ſieht, beweift bie Gewalt, welche
die Richtungen der neuern Zeit aud auf diefe gläubige
Seele ausäbten. '
Welches find nun die augenſcheinlichen Beweiſe, welche
Fudd für feine Höhere Anftpauungen beibringt? Es if
ein ganz einfacher Verſuch, es find bie Beobachtungen
an einem phyffalifpen Inſtrument, welche ihm das Raͤth⸗
fel der Welt zu eröffnen fcheinen. Mit ihnen beginnt ex
"feine Moſaiſche Philoſophie, durch fie denkt er die hercus
liſche Arbeit in Bekämpfung des Unglaubens ſiegreich ber
fegen zu Können 9). Das find die Wunder und Zeichen
der Zeit, welche auch Fludd nicht verſchmaͤht. Sein Ins .
frument ift das Thermometer in feiner älteften Gefalt. Er
maßt ſich die Epre nicht am es erfunden zu haben; in einem
wenigſtens 500 Jahre alten Manufcripte habe er bie Zeiche
mung besfelben gefunden +). Es beweiſt, daß Luft durch
die Wärme fi ausdehnt, durch die Kälte fich zuſammen⸗
Ühl. Darin liegt das Geheimnig, daß alles durch Ver⸗
dännung und Verdichtung hervorgebracht wird. In bem
Inſtrumente wie in einer Heinen Weit verhält es fih
völlig eben fo, wie in der großen Welt), Wärme und
)1b.1,1;1,2
2) Ib. I argum.; 1.
3) Ib. Largum.
4) 1b. 1, 2.
9)1.1,5,
476
Kälte find bie thätigen Kräfte in ber Welt; jene wirkt
verbünnend, biefe verdichtend; jene zeigt ſich überall in
Berbindung mit dem Lichte und if auf das Licht zurüde
zuführen; biefe findet fi mit ber Finſterniß verbunden
und wird ihren Hrfprung in ber Finfterniß haben. Die
activen Kräfte fegen aber auch paſſive Elemente voraus,
das find die Trodenheit der Luft und die Feuchtigkeit des
Waffers, melde aber auch auf das Waffer als auf bie
Urmaterie zurüdgeführt werben können. Ale biefe
Kräfte und Materien finden fi in dem kleinen Gefäße
mit einander vereinigt und laſſen die Werke ber Natur
in ihm wie in einem Heinen Bilde ſchauen.
Wir fehen wohl, daß die Schlüffe, auf welche Fludd
feine Lehre baut, ihm leicht von Statten gehen. In bas
Einzelne feiner Naturlefre einzugehen ‚würde wohl nit
der Mühe verlohnen. Es genügt ihre Verfahrungsweiſe
bezeichnet zu haben. Wir haben nur noch ben Zuſam⸗
menhang zu erwähnen, in welchem fie mit feinen theoſo⸗
phiſchen Gedanken ſteht. Im ihnen fpielen die Gedanken
des Nicolaus Eufanps bie Hauptrolle. Gott if eins
und alles. Aus dem Nichts wird nichts; Gottes Macht
aber if die Duelle aller Dinge); feine Potenz iſt die alle
gemeine Materie; fie kann als das verborgene Licht ans
gefehn werben, welches man auch das Nichts nennen
fann, aus welhem alles geworben; denn alle Begenfäge
find in ihm vereinigt, Wir müfflen das zufammengefal
" tete unb das entfaltete Sein Gottes unterfpeiben. In
Gott war alles, aber nur in ibenler Weiſe, fo Tange er
1) Ib. I, 4; Il’argam.; IV, 1.
177
unentfaltet war, d. h. nur bie Ideen der weltlichen Dinge
liegen in Gott; feine Güte aber will, daß fie in der
wirllichen Welt offenbar werben. Da emaniren bie Kräfte
aus ihm zu gefonbertem Dafein, welche in feinem ewigen
und verborgenen Lichte eins find. Doc fol durch biefe
Emanation das unveränderlihe Wefen der göttlichen Weis:
heit nicht verändert werben !), Wenn wir aber gefunden
haben, daß die Exfenntnißtheorie, an welche biefe Lehren
des Eufaners fi angeſchloſſen hatten, ſchon hei Bruno
abgefhwächt worden und in Berwirrung gerathen war,
fo behaͤlt Fludd von ihr faum einen Schatten bei. Dies
iR feiner theoſophiſchen Richtung entfprechend. Aber auch
die metaphyfiſchen Begriffe, welche Bruno noch gepflegt
hatte, treten bei Fludd nur in einzelnen, kaum merklichen
Andeutungen hervor 2). Dagegen fegt fi ihm alles in
phyfiſche Begriffe um und die Praris, durch welde er
feine allgemeine Theorie beweifen will, it ihm das phy⸗
fe Experiment. In dieſer Berfaprungsweife gebraucht
er befonders bie Erſcheinungen des Magnetismus zum
Beweife, daß alles in der Natur von entgegengefegten
Kräften beherfcht wird, welche in Liebe und Haß, in
Sympathie und Antipathie fi begegnen, um zuletzt in
die allgemeine Duelle aller Dinge, in die Identitaͤt Got⸗
tes, wieber einzugehn. Gott zieht mit magnetifcher Kraft
ale Dinge an 5) und die magnetifche Kraft ift durch alle
Dinge verbreitet; wie in ben Steinen, fo findet fie fih
1) Ib. sect, I prooem.; lib. III, 2; 4; sect. II lib. 1 argum.; 2.
2) So wenn er die Vielheit der Seelen aus der ſpecifiſchen Dif-
ferenz der weltlichen Dinge ableitet. Ib. sect. IE lib. 1, 5.
3) Ib. sect. 1 lib. III, 4; IV, 1; ect. II Jib. III argum.
Geſch. d. Philoſ. x. 12
178
au in Pflanzen und Thieren; aber befonders leuchtet
fie im Menſchen hervor, welder das Wunder des Thier-
reiches if, wie ber Magnet das Wunder des mineralis
Then Reiches. Der Menſch ift Mikrofosmus, in ihm
müffen die Eigenfchaften aller Dinge und alfo auch des
Magneten ſich wiederfinden; in jedem Menſchen iſt Chris
ſtus, die Indifferenz der Gegenfäge; in ihm müſſen ſich
daher auch die Gegenfäge ber Sympathie und Antipathie
vereinigen, wie im Magneten). Da if Fludd ganz an
ders als Helmont gefinnt; pie Gegenfäge, ihren Haß und
Streit aus der Natur zu verbannen faͤllt ihm nicht ein; viel
mehr findet er, daß fie nothwendig find um bie Verſchiedenheit
der Dinge und ihren Zufammenpang unter einander zu
unterhalten. Unmittelbar führt er fie auf Gott zurüd, befe
ſen Einpeit der Grund aller Vielpeit if. Die göttliche
Kraft wirkt in den natürlichen Dingen verdichtend und
verbännend, in Lit und Finſterniß, in Haß und Liebe;
die Sympathie der Dinge if im Lichte, die Antipathie
in der Finſterniß Gottes gegründet; buch die” beiden
Leidenfchaften bes belebenden Geiſtes, das Verlangen und
den Zorn (concapiscentia, irascibilitas), dringt die gött
liche Kraft hindurch 2). Diefe Gegenfäge haben ihre na
türliche Wurzel in Golt, weil er ein verborgener Gott
iſt, welcher ſich offenbaren will; aber body immer wieder
fh in fih verbirgt, indem er auf fi reflectirt. Auf
ſich veflectivend zieht er alles zufammen, if die Urſache
der Kälte, der Finſterniß, der Verdichtung, des Haſſes,
1) Ib. seot. IL. lib. II. membr. 11, 3; lib. II. membr. I, 1; 5.
2) Ib. sec. 1 lib.II, 6; lib. UI, 6; sect. Il lib. I argum.;
Kb, IE membr. 1, 1. R
1m
des Böfen, jebes Unfhönen und jeder Beraubung, bie
aniehende Kraft, welde alles dem Mittelpunfte zuführt.
Dagegen emanirend und fih offenbarend dehnt er alles
aus nach dem Umfreife zu und iſt Die Urſache ber Wärme,
des Lichtes, der Verdünnung, ber Liebe, alles Guten
und Schönen und “jeder Bejahung, die abflogende Kraft,
welche die ganze Natur ausgedehnt . Wie feltfam auch
in diefen Borfellungen die Liebe mit der Abſtoßungskraft,
der Haß mit der Anziehungskraft zufannmengeftellt wer⸗
den, Fludd laͤßt ſich dadurch nicht fören; eben fo wenig
dadurch, daß in der Finſterniß, der Kälte und dem Haffe
dieſer Welt der in ſich verborgene Bott feine Wirkungen
haben und offenbar fein foll; er erfreut ſich feines Ger
danfens, welcher in dem einheitlichen Grunde aller Dinge
doch eine zwiefpältige Richtung gefunden hat um daraus
die Orgenfäge der Welt erffären zu können. Die eine
Richtung bezeichnet er als das Wollen, die andere als
das Nichtwollen Gottes 9. Er will nicht eingeſtehn,
4) Ib. sect. I Hb. III, 6. Ex istis ergo perspicne indicatur,
quomodo hae duae virtutes oppositae, nimirum calidum et
frigidum, ortum suum habeant ab uno eodemque apiritu in
radicali essentia, qui in latente sua natura vices agit principii
‚Änformis et tenebrosi, — — in quo siata videtur quoad nos
quiescere et, circa abyssi centrum otiosus manere; et e contra
in patenti sua dispositione naturam induit principü activi, in-
formantis et lucidi, atque in isto statu apparet hobis agere et
a centro circumferentiam versus movere radiosque suse per-
fectionis undique per aquas ejaculare suamgue naturam vivifin
“cam creaturis hac ratione oommunicare.
2) 1b. IV, 1. Denique fons et origo lam privativi qua
positivi agentis est vel noluntas vel voluntas, hoc est aut ne-
gativa aut affırmativa solius unitatis aeternae. Ib. sect. II lib. I
argum.
12*
480
daß bie Unvolllommenheit ber Dinge biefer Welt ihren
Grund in den Gefhöpfen habe, damit dieſe nicht in ir⸗
gend einer Weife die ſchoöpferiſche Tpätigfeit Gottes zu
bedingen feinen Lönntenz daher führt er die Beraubung,
welche den Gefchöpfen anflebt, lieber auf das Nichtwol⸗
Ten Gottes zurüd, welches darin gegründet if, daß er
nur in feiner Reflerion auf ſich ſelbſt die ganze Fülle
feines Weſens ausbrüdt. Es iſt dies eine neue Form,
in welche die alte Rehre fi huͤllte, dag nur bie Thaͤtig⸗
leit Gottes nach innen, nicht aber feine Thaͤtigleit nach
außen feine Bolltommenheit ausbrüde.
Bon Helmonts Grundfägen weicht biefe Theoſophie
fehr bedeutend ab, Wenn Helmont Gott und Welt in
frenger Sonderung halten wollte, fo trägt Fludd fein
Bedenlen alles Weltlihe zu einer unmittelbaren Lebens:
äußerung Gottes zu machen; wenn Helmont die Ratur
‚in vollem Frieden, das fittlihe Gebiet in. vollem Streit .
erblidte, fo iR Fludd bemüpt ben Unterſchied zwiſchen
beiden Gebieten aufzulöfen; wenn Helmont Gutes und
BDöfes in firenger Scheidung auseinanderhielt, fo ficht
Fludd amd im Streite und im Böfen eine unmittelbare
"Wirkung Gottes, Zwar Fönnte es feinen, als wollte
Fludd alles. auf ſittliche Unterſchiede zurüdführen, wenn
er bad Wolfen und das Nichtwollen Gottes als die letz⸗
ten &ründe der weltlichen Dinge betrachtet; aber beide
‚werben von ihm ben phyſiſchen Kräften des Lichtes und
der Finfterniß ganz gleichgefegt, ja die Unterſchiede zwi⸗
ſchen Gutem und Böfem, welche auf ihnen beruhen, wer⸗
den als Dinge nur menſchlicher Rüdficht betrachtet, ja
als Gegenfäge, welche durch die magnetifhe Kraft Gots
481
tes zur Einheit zurüdgeführt werben follten). Daher
erſcheint dieſer Theoſophie alles als-ein phyſiſcher Vor⸗
gang. Selbſt der Teufel wirkt nur in phyfifcher Weiſe,
nur nach dem Willen Gottes und wir dürfen ung baher
auch nicht in einem thoͤrichten Aberglauben ſcheuen dieſel ⸗
ben Mittel zu gebrauchen, welche der Teufel anwendet 2).
Anh von den deutſchen Theofophen unterſcheidet fi
Fludd in ſehr merllicher Weiſe. Wärend bei jenen bie
Theofophie einen ibenlen Schwung genommen hatte, iR
fie bei ihm zur Praxis der Naturforfhung zurüdgelehrt.
Seine Moſaiſche Philoſophie Hat es auf eine Empfehlung
der magnetifcpen Eur durch Sympathie und Antipathie
angelegt. Auf Bifionen beruft er ſich nicht; die tieffins
nige, finnbildliche Auslegung eines Böhme, vines Weigel
if ihm fremd; dagegen hat er ſich dem gelehrten Zuge
der Zeit angeſchloſſen; Zeugniffe, welche bie Ausſagen
der Heiligen Schrift und der frühern Myſtiler im gemeis
nen Wortverftande nehmen, und ber augenfcyeinliche Bes
weis des phyficalifhen Verſuchs find die Waffen, mit
welchen er feine Erflärung der Natur in das Feld rüden
laͤßt. Das legte Ziel der Dinge laun er natürlich nicht
ganz außer Augen laſſen; aber er erwähnt es felten;
feine Aufmerkfamteit ift auf ben gegenwärtigen Verlauf
der Ratur und auf die praftiiche Anwendung der Theo⸗
fophie gerichtet. Sp wußte and biefe theofophifche For⸗
ſchung der Eigenthümlichkeit der Völker, unter welchen fie
auftrat, ſich anzufämiegen.
1) Ib. sect. II. lib. IM. prooem.
2) Ib. I. membr. II, 6,
4182
So wenig als Böhme hat Fludd der, Theofophie neue
allgemeine Gedanken zugeführt; feine Arbeiten zeugen ‚nur
von einem fehr mittelmäßigen, Geiſte. Wenn hierin Hel⸗
mont glüdlicher war, fo beruht dies vorzüglich darauf,
daß er den phyſiologiſchen Unterfuchungen fi zuwandie,
melden bie Orundfäge der Theofoppie von ber allgemeis
nen Belebung ber Natur näper fanden, als ber Phyft,
in deren Erforſchung Fludd fi bewegte. Da jebod die
DHHfit in jenen Zeiten der Phyfiologie unftreitig überlegen
war, wurde durch bie Richtung, welche Fludd eingefhla
gen hatte, bie Theofophie bem Gange ber Gelehrfamteit
näher gerüdt. Seine Beweife unterfcheiden ſich nicht fehr
von den Beweiſen anderer Gelehrten feiner Zeit außer
dadurch, daß ſie voreiliger zum Höchften auffpringen. Den
Zeitgenoffen erſchien daher auch Fludd bei weitem weniger
parador als Helmont. Daß jedoch hieraus der Theofophie
neue Kräfte hätten zumachen koͤnnen, ließ ſich nicht er⸗
warten. Sie ſuchte bei Fludd das Anfehn einer alten
Lehre zu behaupten, wärend immer deutlicher wurbe, baf
neue Lehren für die Wiffenfhaft gefucht werben müßten.
Durch die Beobachtung der einzelnen Naturerfcheinungen,
welchen Fludd ſich zugewendet hatte, war für bie feht
allgemeinen Anſchauungen der Theofophie Feine neue Bes
Tebung zu erwarten. Durch ihre Berufung auf. foldhe ein-
zelne Erfahrungen gab fie vielmehr nur ber Gewalt nad
welche bie ungläubige Richtung ber Zeit auf fie ausübte;
vergebens verfuchte fie auf ihre. Gegnerin bie eigenen
Waffen zu fchren. Aber wie hätte überhaupt die Tpeo-
fophie dem Anbringen der neuern Zeit widerſtehen Tönnen?
Sie war in fi ſelbſt gefpalten, wie wir an ber Zwie
4185
ſpaͤltigleit in den Lehren Boͤhme's, an dem Streite zwi.
ſchen den Lehren Fludd's und Helmont's über die wich⸗
tigſten Fragen fehen, Seit Paracelfus hatte fie ihr Ab⸗
fehn auf die Erfahrung und den Berfud) genommen; aber
fie mifchte diefe Gründe der Erfenntnig mit überſchwaͤng ⸗
ligen Deutungen und mit träumerifchen Gefüplen. Es
war vorauszufehn, daß fie gegen das Anbringen bes
Zweifels und gegen eine folgerichtigere Methode in ber
Veobachtung der Natur fi nicht würde behaupten können.
Neuntes Kapitel.
Die ſkeptiſche Richtung der Franzoſen.
Wenn wir bemerken, daß bis in das 17. Jahrhun⸗
dert hinein bei dem germaniſchen Zweige unſerer neuern
Nationen die Theoſophie das lebendigſte Element ihrer
philoſophiſchen Gedanlen geblieben war, ſo ſtellt ſich das
mit in vollen Contraſt bie nüchterne Betrachtungsweiſe
der Franzoſen in derſelben Zeit. Bei ipnen gewann ber
Slepticismus ein entfdiebenes Übergewicht. Aus dem
Vollsharakter der Franzoſen wird fih dies nicht ableiten
Iaffen, der zu verfchiedenen Zeiten feine Empfänglichfeit
fir religidſe und philoſophiſche Beſchaulichkeit gezeigt hat.
Die Zeitverhaͤltniſſe aber machen e6 erflärtih. Die polis
üiſchtirchliche Verwirrung, welche Frankreich lange ber
herſchte, ohne daß ein durchgreifender Zug in Kunſt,
Wiſſenſchaft, religiöſem ober politiſchem Leben der Geiſter
4184
auch nur in iprem Zwiefpalt fih bemaͤchtigt hätte, mußte den
Zweifel naͤhren. Diefe Erfehütterung ihrer Überzeugungen -
trieb aber die Franzoſen ſchnell zu einer wiſſenſchaftlichen
Sammlung an und man wird nicht verfennen, daß ber
Slkepticismus des 16. Jahrhunderts einen Haupthebel für
die wiſſenſchaftliche Bewegung abgab, in welcher die
‚Branaofen des 17. Jahrhunderts vafche Fortſchritte machten.
1. Migel de Montaigne
Nicht Teicht finbei man einen reichern Ausbrud der
Stimmungen, wie fie von Bewegungen der Zeit einge
geben werden, als in den Berfuchen Montaigne's. Nicht
tief drüden fie feinem Gemüthe fih ein, aber eine leb⸗
hafte Phantafle erfaßt und verasbeitet fie zu einem Stoffe
für die Unterhaltung, in welder eine Tiebenswürbige
Eigenthumlichleit im Gefül ipres Werthes, aber ohne
übertriebene Anfprüche offen ſich hingiebt. Diefe Eigen
haften in einem Stile ausgedrückt, welcher beftändig ber
lebt, naiv, von allem Geſuchten frei, der lautere And
druck des Gedantens if und den Ton der flüchtigen Uns
terhaltung auf das Vortrefflichſte zu halten weiß, haben
den Berfaffer biefer ergebnißlofen Verſuche zu einem
Lieblingsſchriftſteller feines Volkes gemacht. Er if als
ſolcher von einer großen Nachwirkung gewefen, und wenn
wir daher auch feine tiefe Philoſophie bei ihm finden, fo
klingen doch viele Gedanken in feinen flüchtigen Außerun⸗
gen an, welche wir fpäter in viel ernſterer Behauptung
bei den Franzöfifcpen Philoſophen wiederfinden werben.
Wir koͤnnen an ipm nicht voräbergen, ohne uns feine
Züge zu merken.
4185
Monteigne wurde 1533 im Perigord geboren auf
der Befigung feines Baters, der Herrſchaft Montaigne.
Ein fängerer Sohn ſollte er der furifiifchen Laufbahn fi
wibmen und wurbe von feinem Vater, der in feiner Er⸗
schung ſehr paraboren Grundfägen folgte, einem Lehrer
übergeben, welder bie Anweifung hatte ihn nur Lateiniſch
teden zu lehren und von bem Gebrauche der Landesſprache
ganz fern zu Halten, Wer Hätte erwarten follen, daß
ans einer folgen Erziehung ber erſte Proſailer des neuern
dFrantreichs hervorgehen würde, Im ben Wiſſenſchaften
gut unterrichtet, im Berker mit ausgezeichneten Gelehr⸗
ten, welde im Hauſe feines Waters gern gefehen wären,
bildete er ſich für die richterliche Laufbahn. Er war ber
reits als Parlamentsrath zu Bordeaur befhäftigt, als er
durch den Tob feines Vaters und feines ältern Bruders
um Befig der Herrſchaft Montaigne gelangte. Er konnte
nun feinem Hange zu einem forgenfreien Leben ſich über
laſſen und den Spielen ber Phantafie nachhaͤngen, welche
an Mannigfaktigfeit der Eindrüde und an den ſinnlich
geifigen Genüffen der Geſchichte, der Wiſſenſchaften und
der Dichtlunſt, aber befonders an dem Wetteifer gefelliger
Mittheilung ſich nährte. Ohne fih ganz ben Geſchaͤften
u entziehn, welche ein ehrendes Vertrauen ihm entgegen»
brachte, mit einem vegen Gefül für wahre Freundſchaft,
für das Wohl und Weh feines Landes, durd feine Ges
"but an bie höchſten Kreife der Geſellſchaft Herangezogen
und für die Ehren derfelben nicht unempfänglih, nahm
er doch nur die Stellung eines befcheidenen Privatmannes
in Anſpruch. Er befriedigte feine Luft an Reifen in
Frankreich, Stalien, der Schweiz und Deutfhland; er
\ i 186
erfüllte feinen Geiſt gern mit großen Gedanken; aber er
lehrte immer wieber an feinen heimifhen Herb zurüd,
welcher ihm feinen perfönlichen Neigungen ohne Zwang
nachzugehen geſtattete. Unfreitig hatte hieran bie Zer⸗
rüttung ber politiihen und kirchlichen Berpättniffe feines
Baterlandes einen großen Antheil, Der latholiſchen Kirche
als der Religion feiner Väter zugethan, ift ihm doch der
fanatifche Eifer der kirchlichen Partei fremd. Er Tann
überhaupt Feiner Partei folgen, wo fie dem Rechte fih
entzieht und zur Gewalt greift. Er fieht wohl die Noth⸗
wenbigfeit im praftifchen Leben einer Partei zu folgen,
aber ex Tiebt fie nicht; feine Augen find aud für bie
Schwächen feiner Partei offen. Die Zerrüttungen feines
Baterlandes, denen er nicht abhelfen lann, beflagt er,
aber mit muthiger Seele. Laßt uns dem Schidfale Dant
fagen, daß es und nicht in einem weichlichen und ſchwa⸗
hen Zeitalter geboren werben lieg. Im biefem Sinn
iſt ihm fogar die Prüfung der religiöfen Wahrheiten durch
die kirchlichen Parteiungen nicht zumider 2), Auch unter
den Laſtern der verwilderten Zeit wußte er die Tugenden
zu ſchgen, welche ſie an den Tag brachte. Aber mehr
als die Lage ber Zeit Hält ihn fein eigentpümfiches Weſen
vom öffentlichen Schauplatze der Welthändel zurüd. Bon
Etienne de In Boetie, dem Freunde feiner reifenden Ju⸗
gend, fagt er: darum weil er er war, habe ich ihn ge⸗
‚ liebt, und weil ich ich ward). Diefer Gefinnung „gemäß
Hält er überall auf feine Perföntickeit, feine Meinung,
4) Essais II, 12. p. 778. (Paris 1657.).
2) 1b. II, 15. p. 453.
3) Ib. I, 27. p. 122. - \
187
feine Neigung und Abneigung, Cr ſpricht von feinen _
Verſuchen: dies iſt ein Werk des aufrichtigen Glaubens;
ich ſelbſt bin die Materie meines Buches, : Richts wil
ex ausfprechen als fi ſelbſt, den’ unabhängigen Geiſt,
welcher in ihm lebt. Da arbeitet er nun im Stillen an
ſich; er ſucht das ruhige Plaͤtzchen in feinem Landhauſe
auf, auch in feiner Seele ſucht er es . Hierin finden
wir dog eine Ähnlichteit der Denkweife bei ihm und '
jenen Myſtilern, welde die Gelaffenheit ihrer Seele, den
ruhigen Mittelpunft ihres innern Lebens auffuchten. Sollen
wir ihn tadeln, wenn er fich felbft getreu blieb? Indem
er dem Hange feiner Natur nachging, hat er bie Bers
ſuche gefcprieben, welche eine unermeßliche Wirkung auf
die Bildung feines Volkes gehabt haben. Im männlichen
Alter gab er fie heraus; noch nachher aber bereicherte er
fie fortwärend auch unter den Schreden bes Krieges und
der Peſt, welche feine Befigungen heimfuchten, In biefen
Beſchaͤftigungen ereilte ihm der Tob 1592.
Von Montaigne iſt feine zuſammenhaͤngende Lehre zu
erwarten. Er plaudert ſeine Einfaͤlle aus, die Einge⸗
bungen des Augenblids; er geſteht, daß er oft feine
eigenen Worte nicht wiederverſtehe ). Wenn es hoch
fommt, bräden feine Betrachtungen feine perſoͤnliche Übers
zeugung aus, welche in ber gebildeten Geſellſchaft und
für diefelbe ſich befeſtigt Hat. So wie fie Achtung für
die Perfönlichfeit des Verfaſſers verlangen, fo find fie
bereit einer jeben Perfonlichteit, welche nur nicht gegen
1) Ib. n, 15. p-455. Fezaaye de soustraire ce coing A la
tempeste publique, comme je fais un autre coing en mon ame.
2) Ib. U, 12. p.415. \
U
188
. bie Sitten verftößt, Achtung zu gewähren. Aber ben
beſtehenden Sitten im gefelligen Leben, in Staat und
in Kirche follen wir gehorchen. Montaigne fegt im All⸗
gemeirien voraus, daß man Vernunft in allen Gebräuchen
finden würde, wenn man ihren Gründen nachginge; aber
er behält ſich auch fein gutes Recht vor diefe Dinge zu
prüfen. Ehrfurcht gegen das Beſtehende empfielt er,
weil alles ändern zu wollen nur mit einem völligen Um⸗
Rurz, mit Gewalt und Gefahr der perfönlichen Freiheit
enden würbe; ben Neuerungen in ber Kirche iſt er nicht
geneigt, wenngleich er fie für eine heilfame Schidung
gelten laͤßt; zur Prüfung ber Tiefen der Religion, der
Urkunden unferes Glaubens hält er die Menge nicht für
befäßigt und: die pebantifche Gelehrfamfeit, weiche mit
Erklärungen und Erklärung ber Erklärungen ſich plagt,
nicht für berechtigt. Der menſchliche Geiſt bebarf. der
Wiſſenſchaft, aber auch ber Zügel, des Gefeges und der
Religion), Aber wenn er nun auch biefe Dinge für
nothwendig erachtet, fo zeigt ihm bod feine Erfahrung
und feine Gelehrfamfeit, welche vieler Zeiten und Bölter
Sitten umfaßt, wie wenig Übereinkimmung und Dauer
in ihnen if. Den Gefegen follen wir geboren; aber
der Gefege find viele und die Wahrheit if nur eine).
Er betrachtet Sitten und Geſetz als Ergebniffe mehr der
Berhältniffe als des natürlichen Ganges der Dinge und
der fh ſelbſt getreuen Vernunft. Durch Geburt und
Erziehung werden wir Perigorbiner oder Deutfche; ebenfo
1) 1b. 1, 12. p.408.
2) Ib. p.425,
. ‘ 469
empfangen wir unfere Religion ). Un Montaigne ber
merkt man ſehr deutlich, wie der weitere Blid über das
menſchliche Leben und feine verfchlebenen Formen, welden
die neuere Wiſſenſchaft eröffnet hatte, anfangs doch nur
verwirrte, weil man die Grade ber Bildung und ipr
Geſetz nicht zu erfennen wußte, Für das Alterthum hat
er eine allgemeine Berehrung eingefogen, bas Chriſten⸗
thum weiß er zu fhägen, aud die Naturlaute der Volle⸗
poefie finden bei ihm ein empfänglihes Gemüth; aber
in feinem Capitel über bie Gannibalen *) ſchildert ex bie
Berwilderung dieſer Bölter fo reigend, fo übereinftimmend
mit dem Gefege ber Natur, daß ex keinen großen Unter,
ſchied zwiſchen ihrem Leben und dem Ideale der Platonis
fhen Repubtit zu entdeden weiß. Hingebung an bie ber
fehende Ordnung und Kritif über fie fireiten in ipm und
biefer Streit verkündet fih in den eigenfinnigen Saunen
feiner Ausfprüce. Er möchte zus Mäßigung ermahuen,
zum Gehorfam gegen Sitte, Geſetz, Religion; wir follen
darüber nicht zu fpigfindig grübeln; aber alsdann brängt
ſich ihm der Gedaule an bie Verwirrungen der meunſch⸗
lichen Geſellſchaft auf und er preiſt die Wilden in Bra⸗
fin, die Cannibalen, glüclich, welche in Einfachheit
und Unwifienheit ihr Leben dahin bringen ohne Bücher,
ohne Geſetz, ohne König, ohne alle Religion. Parabosen
follen wir fliehen; aber jegt iſt der Geif der Menſchen
ausgelaflen, da muß man den Ausfchweifungen ber Neuerer
feine Paradoxen entgegenfegen 5). In feinen Vorſchriften
4) Ib. p.318.
2) 1b. I, 30.
" 3) Ib. II, 12, p.356; 408 og.
4190 .
für die Erziefung, welche die Grundfäge Rouſſeau's
vorbereifeten, f&härft er ein, daß man feinen Zögling
gewöhnen follte, nichts gegen die gebräuglihen Sitten
- zu Hunz aber er fol auch nichts auf Autorität auneh⸗
men, ohne Gewalt und Zwang erzogen werben; man
ſoll vor allem darauf ausgehn ihn bie Sachen ſelbſt
prüfen zu laſſen, feine eigenen Neigungen und feine
Natur zu erforfchen und biefe Eigenthihnlichfeit, welde
ſich doch nicht übertwinden laſſe, in iprem Laufe zu för⸗
dern . So möchte er fih und Andere der allgemeinen
Sitte unterorbnen, aber doch auch feine und Anderer
Figentpümtichfeit ſchonen. Sein praftifher Verſtand ges
bietet ihm ber gemeinen Meinung zu folgen; fein theores
tiſches Urtheil aber Tann er nicht gefangen geben.
Seine Anſicht von der Ppitofophie Hat er hauptſächlich
in ziemlich weitläuftige Betragplungen über die natürliche
Tpeologie Raimund’s von Sabunde niedergelegt I. Er
giebt Fe unter dem Titel einer Apologie biefer Scheift,
welche er in feiner Jugend auf Befehk feines Baters
überfegt Hatte; aber fie enthalten bei Weitem mehr eine
Widerlegung ihrer Orundfäge, Er vertheibigt den Rai⸗
mund gegen ben Vorwurf, daß er bie. Lehren der Reli⸗
gion einer Unterfuhung durch bie ‚Vernunft‘ unterzogen
habe, Dies ſcheint ihm nicht verwerflih. Denn obgleich
er befennt, daß er von der Theologie nichts verſtehe, ob⸗
gleih er behauptet, daß ber Glaube eingegoffen werden
müffe, daß die Religion ein reines Geſchenk Gottes und
i) I. 1.25. p.93 2q.; 96; 103; 105. .
2) Ib. II, 12.
19
der Enthuſiasmus Höher fei als der Menſchei), möchte er-
- doch die Anterſuchungen der Bernunft über den Glauben .
nicht von der Hand weifen und hält es daher für nütz⸗
lich die Religion dur bie Vernunft zu unterflügen. Die
Vernunft, wie ſchwach fie auch fein möge, miſcht ſich doch
in alle unfere Angelegenheiten; ein großer Tpeil der reli-
giöfen Lehren iR aus ihr hervorgegangen; wenn man bie
Schwäche bedenkt, welche auch in unferm Glauben fih
weigt, indem wir von ben Neuerern durch leichte Mittel_
‚ung fortreißen laſſen, fo möchte man fat bafür halten,
daß aller unfer Glaube nur auf ſchwachen Gründen bes
ruhte ). Daher find auch Raimund's Gründe nicht zu
verachten. Man fieht hieran, daß Montaigne, wie in allen
menſchlichen Dingen, fo auch in ber Religion zweierlei
unterſcheidet, von” ber einen Seite das Natürliche und
Goͤttliche, von der andern Seite die Zugaben einer ſchwa⸗
Gen Kunft, einer trügeriſchen Vernunft, um nicht zu ſa⸗
gen der Ausartungen ber Menfchen. Die alte Theologie
if ihm auch Poeſie 5) und die Tpeologie, von welcher er
1) Ib. p.315; 362; 413; 447.” Die Kußerungen Mont. über die
Religion find fehr wechſelnd ; doch empfielt er überall den Glauben, wies
wohl er gegen bie Einzelheiten des Glaubens vielerlei einzuwenden
hat umd nach feinen ſkeptiſchen Anſichten in ihm auch wohl nur eine
Schwache des Geiſtes, eine Nachgiebigkeit gegen die Autorität zu ver—
mutpen ſich nicht enthalt. Ib. I, 26 p. 115. So hält er aud uns
ter ‚allen Meinungen den Monotpeismus nur für die wahrſcheinlichſte
und am meiften zu entſchuldigende. Ib. IE, 12. p. 372. Alles dies
iſt aber nur im Sinn des Skeptikers zu nehmen, welcher auch die re—
figisfen Überzeugungen nur deswegen billigt, weil er ihnen den Glau⸗
ben nicht entziehen Kann, j
2) Ib. I, 12. p. 315.
3) Ib. III, 9. p. 740,
192
nichts verſteht, iſt ihm doch als Menſchenwerk verdaͤchtig;
er Hält die ſcholaſtiſche Theologie für fein weſentliches
Beſtandtheil des Chriſtenthums. So fehr er Katholitk if,
fo wenig ift er der Scholaſtil geneigt. .
Montaigne vertheidigt feinen Schriftſteller auch gegen
den Borwurf, daß feine Gründe ſchwach wären. Uber
wie vertheibigt er ihn? Sie haben das gemein mit allen
menſchlichen Gründen. Montaigne's Religion iſt das de⸗
mätpige Belenntnig der Schwaͤche unferer Bernunft D.
Da bricht nun fein ſteptiſcher Sinn in voller Stärke durch
und ergießt einen, Strom, der Zweifel, welche gegen ben
Hochmuth unferer Wiſſenſchaft gerühtet find. Die Wiſ⸗
ſenſchaft zwar verehrt er als ein Erbtheil ſeiner Familie,
als eine Sache menſchlicher Bildung und guter Erziehung;
er fagt von ihr, wir ſollten fie nicht beherbergen, fondern
heirathen 2); aber bies Fann ihn nicht abhalten Die flole
und duͤnlelhafte Wiſſenſchaft zu verbammen; nur bie ber
ſcheidene, demüthige Wiſſenſchaft, welche bie menſchliche
Schwaͤche bebenft und in feiner Behauptung hartnäͤcig
iſt, findet er lobenswerth. Sollte es ihm an Belegen,
heit gefeplt Haben in einer. Zeit, welche von ber alten
Säule ſich abgewendet Hatte, die Mängel des gewoͤhnli⸗
hen Unterrichts zu bemerken, die Pedanterei der Alten, die
Dperflächlicpfeit der Neuerer zu firafen? Gin entſchiede⸗
ner Gegner der Scholafif fann er doch eben fo wenig
Vertrauen zu den neuern Verſuchen faſſen. Die Schwä-
chen der Schulweispeit, der Theologen, der Philologen
und Philoſophen aufzuſuchen, das iR ihm eine froͤhliche
1) Ib.Il, i2 p.321.
2) Ib. I, 25 p. 114.
183
gb Gr verlangt dagegen praktiſche Weicheit. Wir
ſollen für gute Bitten forgen, das liegt une viel näper
ale über die Bewegungen des Weltgebaͤudes ju grüßeln.
Dagegen unfere Wiſſenſchaft trägt zu unferer Hüdfelig«
feit, zu unferer Tugend wenig ober gar aichts bei).
Fir Tugend und gute Sitte legt er überall bie entſchie⸗
denſte Verehrung an den Tag, wenn auch feine fittkichen
Orunbfäge und einzelnen Vorſchriften ein ſonderbares
Gemiſch aus den Lehren ber Alten, aus der Froͤmmigleit
des Chriſtenthums, ans der Klugheitslehre ber Politifer,
aus den Erfahrungen bes Weltmanns an fid tragen),
wenn er auch zuweilen die Mine annimmt, als wäre ihm
‚ Me Tugend der Dienfchen verbächtig. - Unfere Leidenfchaften
m beherſchen, das if größere Weisheit, ala alle Lehren
der Logif und des Phyſikl. Da wirft er ſich denn wieder
auf das Buch der Natur, welges und allenfalls alle ans
dere Bücher entbehren ließe; bie gute Mutter Natur fol
das Buch feines Schülers fein 3); da Tommt er wieder
af das friebliche und Teidenfaftlofe Leben der Canni⸗
balen zurück. Der Natur vertraut ex; taflehb an ihrer
Hand findet er ſich weiter N. Seine Sitten find natür⸗
lich, ohne Lehre, ohne Vorbedacht Haben fie ſich ihm
entwickelt; fo iſt er zufällig zu feiner Philoſophie gelom⸗
men’), Unſere Leidenfchaft. aber hat alles verborben.
1) Ib. p. 104; IE. 12 p. 313; 352.
2) Ex vertpeidigt den Selbſtmord ib. I, 13; wie viel er den
Polititern eintäumt, darüber f-unter anderm ib. III, 1.
3). 1, 25 p. 9%; 9. ‚
4) Ib. p. 90. R
5) Ib. II p. 399. Mes moeurs sont naturelles; je n’ai point
Seid. d. Philof. x. \ 13
198
Zur. gefunden Natur follen wir qurädkehren; eine geſunde
Seele. in einem. gefunden Leibe, ‚eine möndifhe Übung,
vielmehr Übungen . des Leibes; ohne Körper find wir
nichts; nicht. allgemeine Grundfäge der Wiffenfhaft, fon
dern Natur und, Glaube fallen. uns Teiten 2).
In diefen Gedanken hat er nun fehr viel gegen bie
dogmatiſche Ppilofophie einzuwenden. Die Per des Men
ſchen if} die Meinung, welche gu willen glaubt 2). Zu
den wiberfinnigfien Eiufällen führt dieſe Meinung. Nichts
iR fo abſurd, daß es nicht ein Ppilofoph gefogt haben
folte 5). Um unfere natürliche Neugier zu -befriebigen
“ müffen wir philoſophiren; aber unfere Philoſophie if nur
eine Art von Poeſie. Welche fepöne Erfindungen hat
man ba in allen Wiſſenſchaften gemacht. Den Himmel
- hat man mit Epicyllen bereichert, den Menſchen mit ben
Tpeifen feiner Seele, welchen man nad Gefallen ifren
Sig im Leibe anweiſt. Die Naturforfhung, die Philo-⸗
ſophie ift ſehr ergöglich; Ihre Dichtungen unterhalten und;
aber man mäßte ein Neuling in der Welt fein, wolle
man ihre Erfindungen für bare Münge nehmen, Es
find das Schönheitsmittel, wie fie mit Wiſſen aller Belt
die Frauen anwenden um bie. Mängel ihres Leibes
zu verbeden. Sie follen nicht täuſchen; fie find, nur
ein Schmuck, welcher zu unferm Vergnügen erlaubt
appellö- & les "bastir Is secours d’aucune philosophie. — —
Nourelle figure, un philosophe impremedits et fortuit.
4) Ib. I, 25 p.96; 105; 1, 26 p.115; 1, 12 p. 445.
2) Ib. If, 12 p.353. La peste de Phommo c’est lopinion
de sgavoir. J
3) Ib. p. 300.
198
RD. Denn fo billig iſt er nun auch gegen feine. rg.
ner, daß er ihnen nicht zutraut, fle wollten uns täufchen
oder hätten fi getäuſcht. Die Dogmatiter find nicht fo
gewiß in ihren Behauptungen, als fie zu fein die Mine
annehmen. Ariftoteles if voller Zweifel; feine Lehre iſt
Pyrrhonismus unter einer bogmatifchen Form 9, Eben
fo iſt es mit Platon und andern Philoſophen. Mon-
‚ tnigne kann fich nicht davon überzeugen, das Epifur,
Platon, Pythagoras ihre Atome, Ideen, Zahlen für volle
Baprheit genommen hätten.
Die Gründe, welche er ben Dogmatifern entgegen
fiel, Haben nicht viel Neues. Er wirft ipnen ihre Wir
derfprüche vor. Kein Philoſoph ſtimmt mit dem andern.
Wenn man fie einzeln hört, möchte man einem jeben
trauen; aber bie Meinung des Einen erſchüttert die Lehre
des Andern. Wenn er die Alten Tief, deren Worte er fo
gern hören mag, ein jeder von ihnen. ergreift ihn; im
Augenblick iR er feiner Meinung. Aber wie Tange wird
es dauern? Schnell ergreift ipn ein anderer und macht
ihn zu feinem Parteigänger, Wenn ein gelehrter Mann, ,
tie Lipfins, die Meinungen der Alten zufammenftellen
wollte, welches fchöne Werk würde das abgeben. Aber
in der That eine fhöne Sammlung von Widerſprüchen 9).
Zu der Unſicherheit unferer Gebanfen geſellt fih bie Une
ſicherheit der Sprache N. Bei dem Schwanlkenden aller
1) Ib. p. 371; -392 aqq. Platon n’est qu'un poete decousn.
2) Ib. p. 368. _ C’est par effet un pyrrhonisme sous une
forme resolutive.
- 3) Ib. p. 370; 425.
4) Ib. p. 383.
13*
406 \
„ unferer Urtpeife möchte es wohl gerathen fein, an das
Nächpe und Sicherſte ans zu halten, an uns ſelbſt. Mon
taigne if nicht unempfänglih für den Zug feiner Zeit,
welcher in der Selbſterkenntniß einen fihern Haltpuntt
fügte. Die proftifpe Richtung feiner Lehre, melde in
der Arbeit an fih ſelbſt, in der Maͤßigung der Leiden
haften die Weisheit des Lebens fand, mußte ihm dieſem
Auge befreunden. Wer fich nicht auf fi verficht, worauf
möchte ber fih verſtehn Y%_ Montaigne weiſt auch die
Exfenntniß unfer felbft nicht gänzlich zurüd, Er hält es
für einen Fechterſtreich, in welchem man in der Verzweif⸗
lung fein eigenes Leben Preis gebe, wenn man behaups
ten wollte, dag man von fi nichts wife. Man fieht,
es leuchtet ihm ein, dag von ber Erfenntniß feiner ſelbſt
bie größte Sicherheit erwartet werben müßte; aber einen
Grundfag für unfere Wiffenfopaft weiß er hierin noch
nicht zu finden. Vielmehr fallen ihm alle die Streitigfeis
ten ein, welche über das Welen und ben Gig unferer
Seele, über die Theile und bie Ergengung unſeres Körpers
yon ben Philoſophen geführt worden find, und er ſchließt
daraus, daß uns das Naͤchſte eben fo unbefannt if, als
das Entfernteſte 2). Auch er hebt bei diefen Unter
ſuchungen beſonders als eine ſchwierige Brage hervor, wie
unſere Seele, ein geifliges Ding, mit einer köͤrperlichen
Maſſe im Zufammenpang ſtehn könne. -Wir fehen es,
s aber begreifen es nicht 9). Grundfäge ber Mil
1) Ib. p.407. Qui ne s’entend en soi, en quoi se peut-il
entendre?
2) Ib. p. 392; 408; 411. '
3) Ib. p. 392 2q. . ur
ın
ſenfchaft will er überhaupt nicht zugeben. Mit diefen
Grundfägen tyrannifigen ung die Vhnloſophen ; wer kann
fie beweifen? Wenn nicht Goit fle offenbart Hat, fo har
ben ſie Teinen Grund, Es ift Tporheit auf fie zu bauen”),
Benn wir dem vertiauen ſollen, was uns zunaͤchſt liegt,
fo Hat unſer Sinn darauf Anſpruch als ſicherer Zeuge
der Wahrheit zu gelten. Auch buch feine Neigung an
das Natürliche ſich zu halten wird Montiigne aufgefordert
den Sinnen zu trauen -unb wir fiiben-benn auch die
Grundſaͤtze des fpätern. Senſualismüs vor ihm im Allge⸗
meinen ausgeſprochen. Die Sinne find ver Anfang und
das Ende der menschlichen Ertlenntniß; nichts kommt der
Gewißheit gleich welche ſie gewaͤhren 2). Aber frellich
er kann auch ihnen "nicht vdllig vertrauen. ? Sollten “fie
wohl in alles uns eindringen Iaffen?: "Mer 'melg, ob
dem Menſchen nicht mehrere Sinne fehlen Nun werden
wir durch die Übereisiftimmung unferer® Shen belehrt,
wein uns aber ein Sinn fehlte, wurden tote" ih igtogt
Verwirrung gerathen! follten md alfo wietüich mehrere
Simme fehlen, fo wärben wir umftreitig über / die Natur
der "Dinge im Danfefn tappen. Wir laſſen me nuch doh
unſerũ Sinnen taͤnſchen. Sie fin ſchwach "And uünſtcher,
Boten, welche und’ bie Wahrheit nit jußringen‘ fönnen,
Da lann er voch dem ‚Sneretus, Vehen Worte er "gern e
4).Ib. p. 393. - .
2) Ib. p. 432 29. Toute connaissance 'achemine en nous
par les sens; os'sont nos.maistres, — — Lä’science commench
par eux et se resout en eux. — — Et selon aucuns, science
west rien autre chose que sentiment, — -+ Les iens sont le
commencement et la fin de Fhumaine connaissadoe.-—"— C'est
ke privilege des sens d’estre l’exträme borne de notro apferdbvance.
ins Munde fügt, den er ſogar ben Meilen, nennt, wicht
beiſtimmen, wenn er die Täuſchung ber Sinne Teugmet;
er Tann auch eben fg wenig. den Philoſophen ſich anſchlie⸗
Ben, welche behaupten, daß bie Sinne; nichts Wahres
berichteten . Er bedenlt die Maudefbarfeit unferer Ur⸗
theile, welche na, Stimmung und Temperament verſchien
den über denſelben Gegenftand ausfallen. Wie unſere
Sinne ſich ändern, ſo äͤndern ſich auch bie Erſcheinungen.
Sollen wir einen Richter ſuchen, avelcher über ihre wah⸗
ren · und falſchen Angaben entſcheiden Lönnte? über dicſen
Richter würde op: ein anderex Rigter geſetzt werben
můſſen, um feine Unparfeilichſeitſichex au fielen; „jo
würbe man in das Unendliche bie Entfheidung zu ſuchen
haben. ‚Die Bernunft tarn das. Richteramt über - ben
Sinn nicht ‚Übernehmen; ‚denn, ‚jeber Vernuufigrund per ⸗
Tangt.einen anbgen Bernunftgrund zu ‚feiner Gtüge und
wir ſehen uns dadurch nur immer ‚mieber .in das Unend⸗
Fie.getpieben 2). Die Vernunft, peren, wir uns zühmen,
jſt nur viel trugeriſhex als der Sinn; fie if voll, Reiben
ſchaft; . bie Leidenſchaft, die ‚Lüge des Menſchen · verdirbt
den Sinn DW Alles iR im befändigen Fluſſe, das Obs
jeci⸗ wie. „bag. Subjedt.:. Di Sappen ſelbſt fehen.. wir
nicht, ſondern ur. ihre. Erſcheinungen; bie Äpntichfeit
herjelben mit, ihren Getzenſtͤnden foͤnnen wir nicht durch
Vergleichung beſtimmen, weil wir bie Gegenpände ſelbſt
nicht kennen. Die Erſcheinungen wechſeln beränbig und
wir ſelbſt sehiem w den ‚Erioeinuigen, welche von
21 Ep 5 0.
2) Ib. p. 4A42 44.
BI 8,490 -
a
ana ——— seen pie ei aaa ee
annehmen )J.
Die Zweifel Rintaignes wrerbergen ‚feine Deigung
wicht und eine billige Beurteilung der Distge vorzuhehal ⸗
ten. Nur den übertriebenen Anſprüchen der Bogmatiker
auf eine ſtrenge Wiſſenſchaft werden fie; entgegengeſeta.
Wenn uns die Ppilofophen. bei unſerm maturlichen Ur⸗
theil, bei unſerm Vertrauen auf bie Erſchrinungen der
Sinne in dem Stande, weißer unferer Gehurt und Na⸗
tur gemäß if, gelaſſen Hätten, fo wuͤrden wir ihncn
Recht geben: könnenz aber fie: haben und gu Midtens über
die. Welt machen wollen”). Biwar bie. Waheſchtinlichleit
der Alademiler billigt Montaigne nicht;er iſt geneigter
den Ppyrrhoniern dad Lob der Folgerichtigleit zu gehen);
aber wenn ber Pyrrhonismns die Erſahrung -angpeifen
will, dann Tann er ihm feine Zuſtimmang "nik mehr
ſchenlen; er ift- bereit. Auch den Beweifen: ber Goometrie
ſch zu verfügen; wenn -fie gegen bie Erfahrung ſprechen
follten ). Seiner Genzigipeis dem gefunben Menſchen⸗
vrrſtande zu folgen flept. nur ‚Die Furcht ge. Seite;. dech
unjer Berfland nicht, recht geſund feinin möchte. ' Die
Ratur Hat und wohl wie .andern Geſchoͤpfen ihr Beleg
eingeflatigt, aber find wir ihm getreu geblleben : Wenn
rein: ia und: wirkte, wurde es ‚über Uns eine untoibets
Reptige Gewalt haben; aber in unfern Überzeugungen if
aichts, was von ‚ot er zu wäre. Wir iaſen uns
DR 203 4.
Hl Ye 394 8gj >
3) Ib. P.:866: og; pille
4) Ib. p. 419.
von Geſehen / zogieren, aber wie fdmantenn finb: fie. Mon
dem einen wird das Geſetz ber Natur fo, wem bem
andarn: anders ausgelegt. Da Reit Momfaigne in
ahnlicher Weiſe bie Geſetze der Bölfer zufanmmen, wie
ſpater Helvetins ‚es. that; um zu zeigen, daß bei. bem. eis
E Wolfe Berbrohen WR, was bei dem andern fir löblich
gehalten wirt: "En will' nicht damit beweiſen, daß Eu
"tes mar Velre nur ich dem Wortfeit der Menſchen bem ⸗
theilt werde; ſondern er :will nur. zeigen, daß wir den
geraden: Weg dir. Nalur nicht inne gehalten haben. Der
Menſch iſt voller Lüge, feine Kup perfälfcht die Natur.
Daher tennen wir uns auf nufſern gefunden Verſtand
nicht veglaffen / und / Haben: vieimeht zu befürchten, daß we
wir wichgre, ſchoͤne Vernuuft cinmiſchen, sine Bernni
der gafunden Nadut" uns begegmet. 6.1), \
Ow’disfew: Sinde ſind mim feine-Rärdfien Geinde gu
wen: wasgerichtet, was wit unfers Vernunfb zu nennen
pen; 1 Mein’ Haimandı gem Dabunde zu ſaine Daupk
ſatz vden Vorzag des Menſchen, die ehre, daße mn:dei
Bwe Deriganger Welt fe, gemacht hatte, fo widerſpricht
WE hierin Diontnigner Was iſt der Seine Menſch gogen
die Große ty: Hlinmel, und der Welt Do Als den
Vorzug des Wenſchen sähe! man: feine Bernunft. Die
Deweife: aber, das des Menſch adeim Bernanft Habe, find
ö Ni hp 38, — Mes eroyable , qwi ya de loix na-
turellds, comme il’ke void 6s autres cfeatures; mais en’ nons
elles sont perdues, cette belle raison humaine s’ingerant par-
tout de maistriser ei commander, brouillant et confonlant le
visage des choses selon sa vanit6 et inconstauce. —e
amplius nostrum est, quod nostrum. dico, apis- De “
2) Ib. p. 322. \
. ungemägend." Bonn man ſich auf die Sprache des Mem
fhen beruft, auch die Thlere Haben Sprache; wenn wir
fe giicht verſteyn, fo iſt das mer umſer Fehler), Die
geſell haftlichen Orbnungen, den Staat. finden wir in einer
viel befferti Verfaffung bei den Bienen, als bei uns.
Gewiß ohne Berfand laͤßt ſich eine ſolche Ordnung in
ihtem· Berleht nicht denken ). Sogar daß die Thiere
ohne elizion wären, Tann ber hartnaͤdige Vertheidiger
der thierifchen Vernunft nicht zugeben, wenn er auch von
der Neleglon der Tiere nur ſehr zweideutige Beweiſe
anzufuhren iweih ). Bon ihrem Berflande geben die
Thiere und diareichenbe Proben‘, fo daß Wir’ fzem Urs
tpett wicht Felten inihr vertäuen als: dem unfern. Auch
unferer Freihritn foßlen wir ung nicht ſehr rüpmen, Sie
beruht auf dieſer Einbiidungskraſe, welche uns fo häufig
in eiamrumegelmaͤhigen Lauf ſrurzt. Und überdies, wer
vethurge und deun, Haß" dem Dyleren dein freier Wille zu
Gebote ſeyr Wenn ich ailr meiner Aatze ſpiele, viel:
leicht Toter Re mt mie ). Man- Mberredet fich / daß alle
Tpötigfeiten der Thiere nur: von Infintf ansgehu. Man
weiß nicht; welchen Borzug man ihren dadurch · vor den
Menſchen eintäumtun Giudlich waͤren wir, wenn uffet
Eben: wort ein unttuglichen Naturtriebe geleitet wiirde,
Doch auch wir ſiab⸗nicht ohne /Juſtinkt. Unfere Freipelt
dagegen, deren wir uns ruhmen, iſt nur Eitelleit, nur
ſelbſt genögfame Anmaßung. Die. Mei der. Natur: er-
1) Ib. p. 324. oe
2) Ib. p. 326. 3
3b. p: gor. . 2 ° “+
A) Ib. p. 324. —
J
‚Rest fich über alles; wir wurden beſſer Tun ip: zu per⸗
trauen, als unfern eigenen Kräften: etwas perdanlen zu
wollen, ı Wären wir nur banfhar gegen Gott und hir
Natur, wir würden eingeſtehn, daß Aallza wnb am ung
einen Werth Hat, ihr Geſchenk iR und win er ‚bh
“Gnade Gottes nichts find on a:
So will Montaigne uns zur Demuth —— im
dem er unſere Vernunft hevabſett. Er iſt vicht abgeucigt
das hoͤchſte Gut in. ber Erkenntniß der Schwaͤche umſeres
Urtheils zu ſuchen. Dieſe Unwiſſenbeit ad. Einfatt ſel
auch das Chriſtenthum ‚empfehlen... Gott wird heſſer duich
Nichtwiſſen als durch Wiſſen verehrt. Das Mefenninig
feiner Unwiſſenheit⸗ if non Netur mit dem GSleuben ver⸗
bamden 2).. Dieſe Religion erbeht uns nur freilich nicht
über die Thiere. In ihrey Ginfalt, in ihrran Gehorfud
gegen. ben. Naturhrieb, in ihrer rägelfmit: von allen· An⸗
maßung bfrften wir «fie ſchon zom Mufen nehmen, : Waur
muͤſſen und verkhieren um uns weiſe zu machen, wir ip
fen, ung hlenden um uns zu leiten D. Darum weijſt auch
Montaigne auf. die. Schwaͤchen unſeres deihes zuuck, pn
welchen unfer Verſtand ergriffen werde. MWit ſind Suer
und Aſche, als Erzeugniſſe ber Natuy ham: Wechſal um
terworfeg. Eine Erhebung unheres Geiſtec Üben, den Koör⸗
per, eine — beider. von einander / wurdeern für
x “in wid m Dur ’
1) Ib. p. 326 24.5329. 0q. I. m'eat pab —E— ——
dacquerir uno plas belle rgcommandation, quo d’estre faroried
de dien et de nature. Ib. p. 404. ni
2) Ib. p.353 2qq.; 361.
3) Ib. p.356. Il nous faut abestir pour .
nous 6blouir pour nous guider.
und Menfhen in Reben, für vonielie
halten. Era
Wo em men na file piaucen, welches er / in feinen
Seele ſucht ? · Es beruht chen nur quf. jener Demuth aud
Unterwerfung/ welche es ung empſielt H, Au: fin.Kehpfen
ſich Hoffnung und Vertrauen. So wie er taßeud biahen
ſich durchgefunden hat, der Natur vertrauend/ ſollte ar
nicht ebenſo weiter geleitet werden? Grin. Zweiſel hai
ben ihn auch -beighst, dag man das Ungewäpnfiche nicht
für unmöglig hatten fol. Dem: Willen Gottes unde dee
Racht unfexer Muster Natur ſollen wir wicht die Schtan⸗
ten fegen, ‚welche nus in unſerer Faftungetket liegan Ad
Er vertraut dieſem Willen und dieſer Machts:ianen-über«
giebt er fein Nahen. Dag iſt der durchlaufenda Gedanle,
welcher feine, Velenntniſſe belebt. „Mon: ihm geheun ſein⸗
Zueifel aus. Litierqtur und Philelonbie ſollen uns van
der: Ciafachbeit, von den. Heſehrn der; Natur: aicht emt ·
fernen, Mir. follen wit. pie Welt eanmſſen woſſen, win
welche wir / kaum beimilh bei ung ſelbſt finde Die Mir
loſophen vpermeſſen fich alles aut hrar Vernunft zu azir ⸗
hen aber hie; wahre. Berannft roppat num bei Goit;
fein Gefchent iR es, wenn ein Stral Bu und zus
D} y p. as.
peut eſſeetuer
2) Ib, 1,26 p.. } .
damner aiosi resolument une chose pour fausse et impossible,
cest se donner ladyantage d’aroir. dans sa teste leg, boynes et‘
limites de la volonts de dien et de la puissancg.de npatre märe
nature. 1 m’y a pourtant point de plus nateble falie; au
monde, „gpo,da ‚on,ramgngr A Ja: mequrg: de napfre ‚sappeitß ei
suffisance. DE rer
|
Borimt 9. Gegen ‚eine: Folge: Vernunft hat er nfdits ein:
zuwenden; nur gegen bie menfchliche Vernunft ſpricht er,
welche von ber Natur ſich entferni hat. Die Vernunft
Gottes, die wahre und einfache Vernunft lann er von
dar Natur nicht trennen. Es iſt Op wahrſcheinlich, daß
unſer Meiſter in feinem Werke ſich offenbatt habe; daher
enpfielt er das Wert Rainund’s von Sabunde, welches .
im Buche der Ratur ums ven Willen Gottes offenbaren
win), Die wahrſcheinlichſte Meinung über bie Religion
M die, weiche und Bott als Schöpfer der Welt, als ein
Weſen völlet Güte barfieht, -Aber: er verehrt ihn als
ein unbegröftiches Weſen ). Wit mögen ihn uns menſch⸗
lich vorſtellen, ihm mit Vernunft begaben; dem Beſten,
was wir haben, aber wit müffen auch ven Thieren -Dies
ſelbe Freiheit zageſtehn 9. Tieſer Aber bie Natur und
Mer Bott nachzubenten / das IM'niicht feine Sache. Wenn
et die Meinang bee Philoſophen aubſpricht; daß die Un⸗
terſachmag der Natur und verborgener Dinge unſern
Gr veignuge und erhebe, fo ſebt er’ in Feiner Sinne
hinzu, dies geſchehe And unfer dee Bedingung, daß wir
daraus Vachruns ern Berg Ober r ® weiten zoͤgen *).
1) bb. I, 12 p. 395. Car la wräie raison et essentielle, de
gi noas desrobons Io mom A Yausser enseignen, elle logo
dans ld’ sein de dieu; c'est la aon giste et sa retrhite, c'est de
a dd elle part; qaand il pie a dien zous ei fkire voir quel-
dee rayım.
9-1. p. 3%.
9 ib. p 372.
N pe . l .
+5) Top. 37. Voire & eei, qui wen‘ aoqufert® were m von
verenoe et crainte d’en juger.
208
Es iſt nicht gu wertundern, daß ihm num Goit und Mar
tur foR auf dasſelbe hinauszulaufen ſcheinen. Er Reilt fe
being gewöpnlid; neben einander. Doch verwiſcht er den
Gegenfag zwiſchen Schöpfer und Geſchoͤpf nicht. Zu die ⸗
fer Welt iR alles dem Wandel unierisorfenz wahr aber iR
nur das Ewige. Alles, was durch den Menſchen hindurch ⸗
geht, iſt unſicher; nur was vom Himmel loumt iſt ſicher.
Rur eine beſondere und. übernafürlihe Gnade kann uns
vorbereiten, umbilden und ſtark machen ). Was wahr⸗
daft ift, dad iſt ewig, ohne Geburt, ohue Ende, ohne
Veränderung in der Zeitz denn das Zeitliche iſt nick,
fondern wird nur. Diefer Veränderung iſt auch die Nas
tue unterworfen; nur Golt hat den Preis ewig zu fein
Zu diefem Gedanken follen wir uns erheben. Welches
elende und verworfene Ding wäre ber Menfch, Könnte er
ſich nicht über die Menſchheit erheben. Aber dies vers
mag er nur, wenn ihm Gott feine Hand bietet mit aus
ßergewoͤhnlicher Hulfe. Da muß der Menf auf feine
eigenen Mittel verzichten und durch himmliſche Mittel fh
erhöhen laſſen. Nur unfer chriſtlicher Glaube, nit die
ſtoiſche Tugend fanm eine ſolche göttliche und wunderbare
Berwandlung Hoffen.
Montaigne's Gedanken, ſehen wir, bringen nicht tief
1) Ib. p. 418.
2) Ib. p. 444 2q. O 1a vile chose — — et abjecte que
Thomme, «il ne s’sleve au dessus de Phumanits. — — II
stlevera, si dieu ui preste extraordinairement ia main; il s'6-
lerera abandonnant et renongant & ses propres moyens ef de
Iaissant hausser ei souslever par les moyens purement celesten,
Cest d nostre foi chrestienne, non & ia vertu stoique de pre-
tendre & cette divine et mirsculeuse metamorphose.
in das Wefen der Dirige ein. Ste Bringen aud in ben
Zweifeln, wehhe fie erregen, faſt mur bie Zweifel des
Witertpums wirder in Erinnerung: Es iſt aber doch in
ihnen der-Sinn. der neuern Zeit ſchon in vollem Durdy-
bruch.· Von dem ſcholafiiſchen Grübeln über Gottes Wer
fen und Werfe haben fie fih völlig Tosgefagt; nur das
allgemeine Vertrauen auf eine übernatürliche Hülfe macht
fich in ihnen noch geltend. Aber nur im Innern bes
Menſchen wird ſie geſucht und hierin laͤßt fih eine Ber
wandſchaft Montaignes mit den Myſtilern des Mittelal-
ters nicht verlennen. Biel ſtaͤrker treten die Beftrebungen
der neuern Zeit hervor. -Sie maden fih in ber Vereh⸗
rung geltend, welche der Natur gezolit wird. In dem
Mage find fie vorherſchend, dag ſelbſt das Übernatärlihe
nur wie eine Zurüdführung zur Natur erſcheint. Auf das
Übel, auf das VBöfe, welches in der menſchlichen Geſell-
ſchaft fi verbreitet hat, wird das größte Gewicht ger
legt, Die Verfeinerung und das Verderben unferer Sit⸗
ten wird wie eine Art Exbfünde betrachte. Da möchte
uns Montaigne zur Einfachheit der Natur zurädführen.
In Gehorfam gegen das Geſetz der Natur würden wir
eine ſichere Leitung finden. Aber unfere Erziehung, das
allgemeine Beifpiel, unfer Hochmuth haben uns verdor⸗
ben; wir können der Natur nicht mehr getreu bleiben.
Da erſcheint es und wie. eine göttliche Hülfe, wenn ber
Raturtrieb die Schranten der Gewohnheit durchbricht,
und befreit und an fein einfaches Geſetz heranzieht. Was
hätten wir nun wohl mehr zu betreiben als biefes Geſetz
zu erfennen? Aber Montaigne ann noch nit ber Er⸗
forſchung mit Vertrauen fih zuwenden. Sie fdeint ihm
unfere Rehftegu:Aberfleigen; er fürdtet auch hier dem Truge ı
menſchlicher Kunf zu begegnen. ‚Dem Wege bes praftis
ſchen Lebens iſt ex Überhaupt genelgter als ber Wiſſen⸗
ſchaft. Auf’ ihm, fieht er eim, loͤnnen wir uns der Ges
wohnpeit und dem Gefege nicht entziehn. Halb unwillig
räth er und ihnen zu folgen. Uber es tröfet ihn doch,
daß auch in ihmen die Natur mächtig fein dürfte. Sollten
fie ber’ Allmacht unferer Mutter Natur, unferes Schö⸗
pfers wahrhaft fid entziehen können? So hofft er unter
Reitung unbekannter, aber gütiger Mächte opne vieles
Grübeln, in einer gemäßigten Geſinnung feinen Weg fin⸗
ben zu koͤnnen.
2. Pierre Charron.
Die Gedanken. Montaignes Iönnen wir bei vielen
Granzöfifcpen Sleptilern fpäterer Zeit wiederfinden, werde
ihnen nad verſchiedenen Geiten eine erweiterte Anwen⸗
dung gaben. Es war ihre. Aufgabe fie in eine wiffen-
ſchaftlichere Form zu bringen, fie mehr. an bie Wege der
Schule heranzuziehen. Unter ihnen iſt Montaigne's Freund
und nähfter Nachfolger Charron merkwürdig.
Pierre Charron, der Sopn eines Buchhändlers, wurde
1541 zu Paris geboren. Er ergriff zuerſt bie Laufbahn
eines Juriſten und war mehrere Jahre als Advolat am
Yarlament zu Paris beſchaͤftigt. Doc entfprady. biefe Les
bensweife ‚feinen Neigungen nicht; auch Hoffte er Feinen
Erfolg. Daher wandte er ſich der Theologie zu und ew
langte bald ben Ruf eines ausgezeichneten Prebigers. In
dieſer Eigenfchaft diente er vielen Prälaten ber latholi⸗
fen Kirche, beſonders im fühlichen Frankreich. Der für
niglichen Hartl zugtihau wurde er bes ‚gewöhnliche Pre⸗
diger ber Königin Margarethe. und felbft Heinrich. der IV,
als er noch Proteſtant war, fol feine Predigten gern ger
hört Haben. Er hatte ein Gelübde gethan in den Car⸗
thäuferseden zu treten. Als er es 1588 zur Ausführung
bringen wollte, fand man, daß er für einen fo-firengen
Orden zu alt fein. würde. Auch bie Coleſtiner wiefen
ihn aus dieſem Grunde zurück. Das Urtheil ber Caſui⸗
fen ging nun dahin, daß er feines Geläbbes entbunden
fei. In Bordeaux, wo er längese Zeit lebte, wurde er
‚mit Montaigne vertraut, wie bie Teftamente beider Maͤn⸗
ner bezeugen; von Charron's Seite geben feine Schriften
ein noch umfaſſenderes Zeugniß ab. Diefe Schriften gab
ex in vorgerüctem Alter heraus. Außer feinen Prebige
ten haben befonders die Werke über die drei Wahrheiten
und über bie Weisheit Aufmerkfamkeit erregt. Das erfe
if eine Vertheidigung ber Religion, beſonders der chriſt⸗
lichen und vor allen ber katholiſchen Kirche. Der dritte
Tpeit, welder mit her letztern ſich beichäftigt, war ihm.
die Hauptſache; er iſt dem Könige Heiarich IV. gewidmei
und gegen Du Pleffis Mornays Schrift über die Kirche,
gerichtet. Mit der Freimuthigleit, welche ihm eigen if,
bellagte er in ihr bie Streitigkeiten über den Glauben,
welche geeigiiet wären am meiflen gegen bie Wahrheit
beöfelben zu zeugen 2). In ber Schrift über Die Weiss
heit Hat man geglaubt eine ganz andere Überzeugung zu
fioden als in dieſem Werke. Denn in ihr ſchont fein
Zweifel auch die Schwäden unferer Religion nicht. Er
1) Les trois verites Ill, 1.
An
ſieden in- fe: fariaielt: Menihligkeiten‘, daß a Berdacht
cndert, fie Disfie. um SDianfhenmert, fein 2). _ Nach ber
Anfipt! des Rerfaſſeros ledochſichan deide -Sihriften in
Einklang. Me Krug du dar nuciten auf bie arſe;
in jauer ſcuderd er muma die Schwache des Manſchen um
im auß: Gettze Hülle aochtsenmnigen; welche biefe aufweiſt.
Er iR. ponam überzeugt’; daß: auch dem: Beflen, waa der
Renſch hegt, Scawuhhe und Boſes:ſich vugckellt. Dies git
von itten und Staat, wio voni Religiovn. Daxum vrtachtet
er dieſe Dinge micht. Die nwaher Religlon maͤchte er, von
Aberglauben:. gereinigt‘ ſehenz ex niärke alcdaun eir Wert
Gottes du ihr erdliden. Mom die Angriffe Eharsuws
gegen bie menſchliche ‚Religion ‚Mitte, und Wiſſenſchaft
waren ‚nik vhne abugriicpe- Übertreibung ‚ab untrefchit
den uüht genug die Musariuug und, das Eihte an Ahuss;
daher gaben ;fie Veranlaſſewage zu vielen Vorwarfen mad
Anfeindungee. Mm fie’ pa :entieäften ſchrieb Charron
eine ‚Heine Mbhanklung über, die MWeicheit, welde den
Iopalt und die. Abßcht-feinsd; geößern Werkes ‚übte den⸗
ſelben Orgenfand Inrg: entufıkein:ıfotte. In einer: guei-
ten. Aullage diefes MWerles wolltener die auſtoͤßigen Stellen
mildern und verbeſſern. Aber dieſer Arheit aber ereilde ihn |
1608, gu Varis ein ‚plögkiger Bot; Sein Freund Roche·
meillet. wellendete bie, Aucgabe und ſaberwand bie Eehwie⸗
rigieiten, melche die Beröffsutigung. dertelbea u
1) De'in wagense 11,15 V \
Ay Bhılabiene mich Des fen ie Par 108. am.
4; für die Schrift de Ia’angesno habe ich aber. ing andere Hnsgehe
Pat. 1631 gebraugt, welche die erfle Ausgabe Bordeaux 1601 mies
dergiebt, weil dieſe den Sinn des Berf. ſrter u ejme die fpätee
angebrachten Milderungen ‚und. Cuslaffungen ausbrü:
Gef. d. Philoſ. x. mi
= ı
.Der Eintuß Montaiguen auf Charron iſtinicht zu den
tkennen. . Sehr Häufig: gebehingkier.gemad: dieſelben Warte,
«in welpen. fein” Ground: fehee: Zweifel autgedrudt -Yatıı.
Auch an Allgemeinen HM die Wendung ifter Bebankın |
ſehr äͤhnlich. Nur eb Thucronumie Bertabläge:füiner
[mus praten,:aarıpesunfgen Aegempunigen Bürt
hervor und: bringt. dis ‚abgeniffeigwm:und Mächtigen Ges
danfen ‚Monlaignes: im: eile isgerapeteie--Koym: . Sein
‚Stuben hiernach ſieht man. bafoirbersiran: ben Cinthrilun⸗
gen ↄwelche er überall anbeinge:. Wie. jehr.er- andy bie
Schule; und ihre Meinungen flleht, fo. hat doch ſeine
Schriſt über: die. Weisheit den Ginflüffen der Gelehrſam⸗
feit feiner Zeit ſich nicht "entziehen tonnen. E giebt ed |
gumellen. ſelbſt an wo 5 ir" in ganzen Möfchnätten.- feiner
Schrift dem Lipſius ober dem Du Vair gefolgt tz aber
nah: ſonft yangen few Übenimgungen der Philsſophen,
‚befonbers der Platoniſchen Schule an. Gtine- Zweikl |
beruhn weſentlich nut darauf, daß ir: weber Die Gelehr⸗
famteit, no. Sie Bpitoggppienber: Menſchen fürugaiögend
Hält uns eine ſichere Grundlage fur unſer flttliches Leben oder
fũͤr die preliiſche Weis heit gu geben/ welche wis ſuchen ſollen.
‚Deswegen entſcheidet edi ſich auch gegen ben Pptspomtsms |
und für bie Wahrſcheinſtchkeitslehre der neuen Alademie),
wenigſtens nidst gatz wie Disafaigne Mas fehtermmieihe
diſchen Verfahren und aus vein abfpringenden: Oedanten ⸗
gange feiner. Zweifel, aus ben, waprfipeinfichen ‚Anna -
mer feiner Schulbildung und aus der Freiheit ſeines
Seifes‘ {m Kampf gegen die. Pebanten geht nun ‚sie
H Tri de In sagenn.2, 4; kan |
. |
. A
at
feltſame Miſchunghxwor / weiche bod die Wendung der
Zeit bezeichnet· und, nicht ohne philoſophiſche Antegun ⸗
gen iſt. So wie Mou⸗aigne empfielt auch Charron, daß
wir in Bitten und Leheneweiſe der gemeinen Meintung: fol,
gen ſollen; hiervon aber Tich ſich auch die gelehrte DIE
dung der Zeit nicht treunen und noch weniger bie Reli
sion mit ihrem: theologiſchen Gefolge. : Welchen Einfinh
das lehtere auf:din-Äußernngen Eparrons gehabt hat,
zeigt fi in der Umarbeitung feiner Schrift aber bie
Veisheit. Um Feine freien Wußerungen zu verteidigen
beruft er ſich darauf). dap. er wicht für Das Kloſter oder
den Gewiſſensrath, ſondern für das bürgerfihe Beben,
für. Die Weltlente geſchrieben habe 2); man dürfte ihm aber
wohl dasſelbe Schuld geben, was Bruno dem Eufaher
vorwarf, daß ihn / frin prieſterliches Srwaud zutveiten
gehindert Habe. Die: Scene aber hat ſich geändert, das
Verhältniß hat ſich jehzt umgelehrt, Wenn in fenem dau
der Nachfolger, ſo iſt in- Diefem der Vorgänger freier.
Dan: war iim Beßzriff zu einer ſrengern :Sitte zurtcizu⸗
kehren· Die Erfchatterungen des Vargerkrieges, deren
Gewalt in den Schriften⸗Charron's deutlich. hervorbeich⸗
Yet, Hatten auch Die Weltleute belehrt, daß die Macht
der / teligiöſen Überzeugungen. nicht verachtet werden dinfe, °
Wvgarron weiß ſie zu ſchonen, wie mannlich ‚and: ſeia
Weiß: wen · Voructhellet ſich zu entriugen ſirebt. n
Die Scrit über die Weispeit if eine Morale Oer
verddent um ſo mehr -unfere Aufmerkſamteit, je feltener
wir in dieſer Zeit ausführtichen philoſophiſchen Under fur
PIE
Hungen über das Aitiie Sehen apeguenı: Su fafl:das-
ſelbe in feinem weiten Umfange...: Se Lhren find aoch
aicht gu. ber. Magerfeit. zufauımemgeiprungpft, :twelge : bie
Moral der fpätern Zeit zeigte. Eike Preben;bie-fatktik, „bie
Padagogit, das Leben in Wiſſerſchaft und: Kun zn ums
faflen; ;fie bringen auf die Gittlichleit inc Berufsleben and
da der gaſelligen Gemeinſchaft mit der gamen, Menſchbeit.
Doch ſchließen fie Das religisſe Raben: aus, welches Got
ted Leitung überlafien werben wiiſſe, Aber welches menſch⸗
Hohe Weisheit nichts vermoͤge. Nur die äußern Wren-
eu dieſes Gebiets wagen fie doch zu bexuͤhren. Zu dem
nuinfaſſenden Plaue „feiner Ethil mag es beitragen, daß
Charron in feinem Überblic üben, das finlidie. Leben. doch
wicht unabhängig. son ben Alten äft:.. Bis perachtlich ipm
auch die Pedamen erſcheinen, feine Lehnen über. die: Po⸗
U hat er größtendpeite von Lipßus gntnpmmen, melder
die Lahren der Alten quszeg und; dan neuern Varbaltnij⸗
fen amupaflen ſuchte, Charron feigt fuberdies in feiner
Ginspeitung der Moral den wir Eardinaltugenden der
Mic, ‚freilich ia mancherlei Anbequrawngen · an bie / Denb
sie der. Neutre, fo daß. wan wehl ſicht; Sie awentz
die /Zorvzen der alten Sittenlelne in, gas: neue, umgeßab⸗
‚Mate, Reben: paſſen 3:., Die Uheraengungen jedoch, welch⸗
ſch von dieſem aus aufbrängen, ſtehen, nur-sie ae: m
geordnete. Maſſe „den: Einhennn dm. ‚allen Eu; st
gepũber.
1. Rah ein andere fest, — inden enon
au: einer ſelbſtandigen Gaßaltung des Gittenlehre ua ‚ges
4) Dan vergleiche wie er die Tapferkeit als virtus Aberbaut
nimmt. De la ng. m, 19, 1
a3
Iangen. Waͤrend ex bie Moral feiner Zeit erkätt, ver⸗
Höndet fi in ihm auch die emtfchiebene Neigung feiner i
Zeit alles anf das Natürkihe qurüdzufügeen. Das filte,
He Leben erſcheint ihm nur als das Leben. nach der
Natur 3). Indem er- feinem fittlichen Zuge folgt,. cu
pelb ex freilich vor allen andern Wiſſenſchaften bie Wiſ⸗
fenfihaft des Menſchen. ‚Das Studium des Menſches iR
dee Menſch 9. Dur Heifen und bie Geſchichte follen
wir ipn Rubiren.®). Aber die Geſchichte unferer Bldung
iR dpm ein Chaos; ein. Gefeg in ihr Tann er nicht ent⸗
beiten. Der. Menſch hängt non ben Umfländen, von der
Geburt, yon der Mifchung feines Temperaments, übers
hanpt von ber Natur ab ). Beſſer daher, meint er, ik
«6 ſich Teiten zu laſſen von der Natur und von Bott, als
ſeiner dem Zufall preisgegebenen und verwegenen Freiheit
zu folgen 9, Es u dies dieſelbe Richtung der Gedan⸗
ken, welche wir bet Montaigne fanden.
Den Eintheilungen, welche er von ber. alten Philoſo⸗
phie entnahm, werben wir nicht nachzugehen haben; fie
Mmd:nur loder um ſeine Gedanken herumgelegt. Auch ik
anfı feine "einzelnen Äußerungen kein Großes Gewicht zu
Wege; fe And oft fehr übertrieben nach ber Weiſe ber
Stepiter, welche einem ſiarken Grunde einen eben fo
Paten ET für gerathen hielten. Sie find
2b. 11,3, 0 und fonft oft.
2) B. 1,1,1. La vraie sciencä ei le vrai Minde de, Taomme, u
Cem Yhomme.
3) Traits 2, 1. \
YDelng.1,15,4 2:
3) 1.1,8,7.
A:
auch eben fo ſchwanlend, hauptſaͤchlich wegen ber Mir
fung der Denlweiſen, welche in dieſer Zeit ſich noch
nicht abgellaͤrt hatte. Dies darf uns aber doc nicht ab⸗
halten in ihnen einen befändigen Grundton feiner Dratı
weife anzuerlennen.
Sein Sfepticisums beruht, wie.gefagt, auf —*8
Grundlage. Durqdrungen von der überzeugung daß
wir in einer zerrutteten Verfaſſung unſeres Lebens find,
will er und anleiten erſt unſer Elend zu erkennen, alds
dann heilſame Mittel zu ſuchen D. Ex dringt nicht allein
auf Erlenntniß des Menſchen im Allgemeinen, ſondern
auch im Beſondern auf bie Erkeuntniß ſeiner eigenen Pers
fon ). Mit andern ſeiner Zeitgenoffen theilt er die ‚Ans
ſicht, daß .die Erlenntniß unſeres Ich uns am nächſten
liege. Die Seele weiß 'in- natürlicher Weiſe von: ſich
ohne dieſe Wiffenfhaft erſt zu letnen; ſie if feine leere
Tafel, in welche die Erfenntnig ihrer eigenen Kräfte erſt
eingetragen werben müßte 5). Aber beunoc Hält Char⸗
von €8 für ſehr fpwierig zu ber rechten Erlenntniß von
fich ſelbſi zu gelangen, weil wir durch ußerlichleiten
durch allerlei Schminke entſtellt ſind ). Yan db: mehr
haben wir die Pflicht alle:biefe Hinderniſſe unferer Seitn
erlenntniß zu: burchbrechen und auf uns ſelbſt in arfayr
nadten Wahrheit zurüczukommen *). Er paͤlt es für zu⸗
träglich zu dieſem Zwede uns mit andern Menſchen und
iu ch
1) Ib. I pre, EEE
2) Ib. I, f, 1; traite 2, 1.
3) De la 23g. I, 15, 11. an
4) 1b. I, 1,65 6, 1; wait 2, 15 ©: 8 a
5) De la sag. III, 6, 3. a Se en
2
aud wit ben Tieren zu verglichen; aber wir follen doch
durch folge Mittel: und: wicht: recht fennen lernen. Der
rechte Weg iſt ſich ſelbſt zu. vertcanen, mit ſich allein zu
Rathe zu gehn. Aber bei dem vielen, was und nur ei
nen Schein giebt, was uns nur angelommen if, hält
Charron ein langes Studium unfer ſelbſt für noͤthig 2).
Er iſt nicht der Meinung,’ daß bie Erfenntniß, welche
wir unmittelbar von uns (elbſt ‚Haben, ſogleich unfer Wer
fen uns entpüßlt. Der-erfie Schritt zur Selbſterkenntniß
if feine Unmeffenheit über ſich ſelbſt, d. 5. über.ben wide
tigfen Gegenfand umferer Erlenutniß, anzuerkennen ).
Unfere Selbſterlenntuiß ſteht aber unter der Bedin⸗
gung der Erlenntniß Goites. Zwar um’ und zu bes
mütpigen ruft uns Charron auch, wie Montaigne, dazu
auf uns zu verihieren. und von den Thieren zu: lernen 5);
aber er will doch dadurch die Vorzüge des Menfchen vor
den Thiexen nicht befireiten; nur meint er, biefe Bors
döge, der Geiſt des Menſchen, wären theuer erfauftz der
Geiſt bringt vielleicht mehr Boͤſes als Gutes; er ift das
beſte, aber auch das gefaͤrlichſte Geſchent ). Wie Mon-
taigne will auch Charron nicht zugeben, daß der Menſch,
welcher hier im Bodenfage der Welt ſtehe, der alleinige
Zweck ber ganzen Welt fein ſollte ). Er bringt auch
darauf, daß wir ben Unterfchieb zwiſchen Thieren und
Menſchen nicht gar zu groß uns denfen, vielmehr aners .
1.1, 1,629
Y2B.1,1,5. .
3) Ib. 11, 3, 9; traits 2, 7.
4) De la 2ag. I, 8; 16, 3144
51. 1,7,4
lennen follen, daß in ber. Weit nur Brabunterfplehe fd,
nichts, was nicht üͤhnlichteit mit dem andern Dingen hatee,
kein Sprung in. der Natur H.“ Aber bermody fieht er im
Menfigen. ein werkärztes Bild der Welt 2), in "feiner
Serle, einen Heinen :Gott?). Du weifelt er auch wicht
daran, daß Bott den Menſchen gefhaffen um die Wahr⸗
heit zu erleunen. Die Wahrhejt jedoch hat iften Sitz in
Gott und daher Tann fir auch ur durch Gottes Hülft
erlannt werden. Deswegen iſt -audy die Erlenntniß Got⸗
tes mit unferer Selbſterkeuntaiß auf das eugſte verbunden.
Wir müfer uns demüthigen und auf Gott uuſere ganze
Hoffnung ſetzen, dann werden wit auch in unſerer Seele
bie Ähnlichleit mit Bott finden, welche ſie mehr als al⸗
les andere an ſich trägt. Dazu mäffen wir. und reini⸗
gen und. ausleeren bon allen Boruripeilen, welche und
gegen die Wahrheit verbfenden; nackt und wie eine blanfe
Tafel müſſen wir uns Bott‘ darflellen, dann wirb feine
Offenbarung in uns einziepen . Die Verwandſchaft bie
fe — Denkweiſe mit der ayſiiſcen Tpeologie
1) B. 1, 8; 2
2) Ib. 1,10, 2
1.1, 9,1.
41.1, 1,3; 18.5, 15; trait 4, 4. Que dien a bien
eres Thomrie pour cognoistre ‚la verit6, mais qu'il ne la ‘peut
cognoistre_de, soi, mi per aucun moyen humain et fant que
dien mesme, au'sein duquel elle reside et qui en a fait venir
Tenvie & Y’homme, la revele, comme il a, fait; mais que pour
se preparer & cetie revelation et lui faire place, .il faut aups-
ravant renoncer et chasser toutes opinions et cteamces, don!
Pesprit est dejä anticip6 et abreuvö. et le Ini presenter nud et
blano et le sousmettre & lui trös bankblehlent: Dineourd ohfestiens
1, piteg B
47
der fräpern Jahrhunderte, welche wir fon bei Montaigne
demerft haben, tritt Gier deutlich zu Tage. hartem bei
ruft ſich ausdrüctich auf ſie; im der Nnesfeanaag ber
myſterisſen Höge ber Wahrheit ſucht er bie Bernhigung
unferer Seele. Weit entfernt davon den’ Zweifel als eine |
Beuuruhigung auſeres Geiſtes gu Betrachten, rähmt en
ihn ale die wahre Befriedigung unferes Grmäthe, als
die Wiffenfhaft der Wiffenſchaften, die Gewißheit ber
Gewißheiten in ber beſcheidenen Anerkennung ſowohl der
menſchlichen Schwaͤche, als der möflerlöfen Höhe ver
Wahrheit. Die, welche im Zweifel nur Unruhe erktiden,
würden num von ihrer Leidenſchaft zu behaupten beuntus :
higt und wüßten nicht, was Wien fel. Unſern Geiſt
ſollen wir ausleeren um Bolt zu-empfangen. Das if
die Unterwerfung unter einen Glauben, welpen wir ohne
Zweifel anzunehmen haben; aber nur durch den Zweifel
gelangen wir zu ihmz ihm dienen wir am befien, wenn
wir die menfchlichen Meinungen, ſelbſt die Meinungen
der religibſen Seften von uns fern halten 1).
Demgemäß geht bie Sittenlehre Charron's zunäͤcht
‚darauf ums von den Übeln zu befreien, in welden er ung
verwickelt fieht. Er findet fie darin gegründet, daß wir
von der Natur abgewichen find. Wie Helmont if er
der Überzeugung, daß nur im Menſchen, in der Unruhe
feines Geiſtes, der Orund des fihels liege und feine
Sünde alles. Elend verſchuldet habe. Sie hat die Ord⸗
nung. ver Welt eh, den. Som Gones gene und
i) Traita 4; 4. Telles gews nd sgaromı ven au va a u
acarent que c'est que sgavoir.
die natürlichen Strafen des Böfen herbeigezogen ). Als
1ea aufer dem Menſchen folgt dem Gefege der Natur und
findet in ihm feine Beruhigung; unfere Sünde aber if
“den deind ber Natur), Es ft dies derſelbe Bug, wel⸗
er im Jahrhundert der Reformation auf. die Erbfünde
alle Schwächen des Menſchen wälzen, weicher. Dontaigne
gegen die menfchliche Kunſt eifern ließ um das natürlihe
Leben zu empfelen. Die Natur hat alles wohl beflellt,
ihrem Gefege follen wir folgen; dies Geſetz IR bie Bers
uunft, das natürliche Licht, welches Gatt jedem Menſchen
! verliehen hat 5). Dem Natürlichen ſetzt Charron das
Erworbene entgegen, auf welches bie Peripatetiler des
Mittelalters großes Gewicht gelegt Hatten; Charron bes
trachtet es mit Mistrauen; ‚das Raturliche Hält er für
beffer; es fcheint zumellen, als wollte er. das Erworbene
ganz verwerfen*). Doc werden wir fehen, daß bieh
nicht fein voller Ernf iR; nur gegen gewiſſe Arten des
Angebifdeten ift fein Eifer gerihtet, in welchen er Aus ⸗
artungen der urfpränglicden Natur, Sünde und Folgen
der menſchlichen uͤbertretung argwohnt.
1) Deu eng. I, 6, 15 16, 33 11, 5, 18; 7, 10.
2 15. 1, 3,85 9; Wale 2, 4 Lenemi de mature, gi
est le peche.
3) Delamg. I, 3, 4 40. fraits 2, 7. Le dernier po,
mein qui guide et comprend. tous Jes autres, — — ont de jel-
ter, sans cesse sa veue et sa pensee sur la loi de nature et
tousjours la’croire et suivre comme’la regie premiere, soure-
taine , universeBe et infalflihle ‚"qu’elle. est. — — C’ent la rai-
son, l’&quits, la lumiere naturelle , que dieu a inspir6 em tout
homme.
' 4) De la 2ag..14,:3, 13. Le neturel mit micnz quo Tag
». II, 14, 13. — J
Zu viefen aber gehört ihm auch -unfere wiſſenſchaft ⸗
lige Bildung, wie fie gegenwärtig iR. Hierauf beruft
fein Stepticismus, den wir etwas genauer in feinen ei
xlnen Zügen betrachten mäffen.
Charron iſt weit davon entferut alles Wiſſen des
Menſchen verwerfen zu wollen, vielmehr hält er das rechte
Biffen hoch und. rühmt befonders der moralifhen Philo⸗
fophie, welche er felbft betreibt, es zu Hohen Ehren nach,
daß fie das Wilde in unferer Natur mildere, Neben ipm
geſteht er auch der Naturichre ihren Werth zu 2). ben
a beforgt, daß die Weife, wie wir bie Wiſſenſchaften
treiben, viel Unnäges, viel Leidenfheft und Tporpeit in
fd aufgenommen habe. Dergleihen will er entfernt
wiſſen. Der Wiſſenſchaft fept er bie-Weidpeit entgegen.
Bene er nun bemerkt, daß viele in der Einfalt der Sits
ten, nur ber Natur folgend ihre Beruhigung finden, lann
er ſich nicht. davon überzeugen, daß Wiffenfhaft zur Weis⸗
peit nöthig fei2). Die Wiffenfhaft if ein guter Stod; -
man muß ihn aber zu gebrauchen wiſſen, ſonſt ſchadet er
med). Zu den Ausartungen der Diſſenſchaft zaͤhlt er
aber jedes allzu ſeſte Vertrauen auf die kunſilichen Mit«
tel der Unterſuchang. Ex findet unfere Faſſungokraft be⸗
ſchraͤnkt und möchte und empfelen bei ben einfachſten und
unmittelbaren Überjengurtgen unſeres natärlihen und fitt-
lien Bewußtfeine ſtehen zu bleiben. In biefem Zee
fett er aͤhnliche Überlegungen an, wie Montaigne,
Die Bapıpeib waurde une ennaden⸗ wir lonnen aber: in
1) I. HU, 4, 2204.5 will, >
2) De la sag. II, 3,6; IM, 14, ge ie 5, 1:
3) Trais 3, 1.
ven Aublick nicht ertragen. Die Wahrheit wohnt bei
Gott; Gottes Weſen aber geht über unſern Verſtaud
hinaus. Wenn auch ohae wiffenſchaftlichen Beweis die
Stimme der Natur uns davon überzeugt, daß ein Bott
iR, fo müßten wir doch geftehn, daß wir ihn nicht begrei-
fen töunen und nur mit Furcht dürfen wir über ihn zu
eben wagen 1) Zwar wird baranf großes Gewicht ger
legt, was auch ſchon Montaigne hervorgehoben hatte, daß
wir Bott vertrauen dürften, daß er unfer Verlangen
nach der Waprpeit in ums gelegt habe und daß er nicht
Higen könne, daß wir daher. auch von ihm die Offenbar
rung ber Wahrheit erwarten dürften und gewiß fein könn
ten, daß alles wahr fei, was er duch Natur, Bemunft
oder feine Propheten und verkündet habe >); auch auf
die Grundſaͤte unferer Wiſſenſchaften würde bies ansgu
dehnen fein, wenn es nur gewiß wäre, daß wir nicht
durch falſche Grundfäge getäufht würden 5), wenn wir
nur Gottes Stimme von der Stimme unferer Leidenſchaf⸗
ten gut genug zu unterſcheiden wäßten. Aber in und iR
ein zwiefpältiged: Wefenz unfere verwegene Freiheit ges
brauchen wir zu ıumferm Berberben; bie Mittel, welche
wir zu unſerm Unterricht anwenden; bieten uns feine Si⸗
cherheit dar. Bet ber Betrachtung ‘ber eimelwen Zäpig:
feiten, welde uns für die Erfenntnig beiwehnea, geht
nun Charron' noch einen Schritt weiter; er. findet ‚nicht
4) Los trois: vers I, 5; 10 p-41; deskunug. E 4, 9:.7,
2; 11,5, 19; epistre p. 232; disoours chrestiens 1. p.11.
2) De la sg. 1, 7,9. Dieu — — sanl ker ee
quil dit, paroaquil le dit Traits 4, A,
3) De la sag. 1, 7,9. I
olein, daß 'unfer Erlernen beiheknft iR, fanbern auch
daß ihm ein Zwieſpalt beiwohnt, welcher uns nit zur
Ruhe gelangen laͤßt. Unſere Miltel zum Erkennen beru⸗
hen auf wnferer-Bernunft und auf der Erfahrung, wie
fe durch unſere Sinne gewonnen wird; beide aber find
dem Truge unterworfen 2), Was. die Sinne betrifft, fo
wiederholt zwar Charron den Gay des Montaigne, daß
fie der Anfang ‚und das Embe der menſchlichen Wiſſen⸗
ſchaft ſind 2); aber er findet bie Erfahrung doch noch weit
ſchwäͤcher als die Vernunft und fegt alle bie. Seelenent⸗
widiungen, welche an das Sianliche fi auſchließen, weit
herab unter die geiſtigen :Tpätigkeiten der Vernunft. umd
des Verſtaundes. Vom Gedaͤchtaiß Hält er wenig. Auf.
ihm beruht bee größte Tpeil der ſchlechten Gelehtſamteu,
mit welcher wie in. der ſchlechten Erziehung erfüllt wer⸗
den, die. Maffen der Üserfieferungen, weiche uns. m
Barartpeilen exfühen. Eben fo wenig ſcheint ihm bie
Einbildungslraft zu taugen; fie if bie Mutter der Mei
mungen ;' fie geigt uns bie Gegenſtände nicht wie ſie find.
Beide. Gedachtniß und Ginbilbungekraft -Rehen dem Bew
Rande nach, walcher die befle Seelenkraft iſts). Aber
leider unſer Verfland if nicht unabhängig von den Sin⸗
nen, dem Gedaͤchtniß und der Einbildungoltuft. Da bes
BEL 4: BE Bee
MY os
A D..1y145u8.-1Par Davis de. com Im. Ventendpment
ost.Je priemiar, M plus cellente et prinalpala, ‚piene du hernoia.
Sü.olle.;jous: bien, -toptı.va biem -et Ihhomme -ent.sage „..ot: am
enhtreire , mi ele:se.mäcemie, laut na denirauep; en ısetünd
lien est limagination; la memoire est la derniere. Ib. I,
ne
trögen ſich Sion und Beik gegenfeitig.). Mic bei.
Momtaigne, wie bei ben Italieniſchen Peripatetitern, fo bei
Charron herſcht ber Gedanbe au die unauflseliche Ver⸗
bindung zwiſchen Körper dub: Geiſt. Iwar ‚bie Hoffnung
auf die Unferdlifeit umferer Seele hat er nicht aufge
geben; der Weiſe ſoll den Tod verachten könmen in ber
Hoffnung auf ein befferes Leben und den Tag feines Tor
des als feinen Meiftertag anfehn 2); aber hier unten wer
nigftens find wir mit unferm Leibe auf das engfle verbun⸗
denz er iſt unfer Werkzeug und unfere Geele fann ohne
ein ſolches nicht fein. Wie non ein tüctiger Arbeiter
feine Werkzeuge zu handhaben wiſſen muß, fo follen wir
auch unfern Leib in unferg Gewalt zu bringen ſuchen;
wir ſollen ihn nicht tyranniſiren, aber uns doch ale Herrn
vesfelben betrachten. . Wenn wir ihn. num verflänbig zu
beherſchen wüßten?Y. Nur in zu *bogmatifher Weife
" fept uns Charron dieſe Gemeinfhaft unferes Geiftes mit
dem Körper auseinander. Er flieht ſich der Platoni⸗
ſchen Lehrweife :an, welde den Geiſt und ben: Körper
durch bie Seele ‚verbindet; ‚die Seele betrachtet er als
den, Sig des ae Ze. und weil fe e nicht Bi
[Ip B. Pa! 7 en ans
2) Ib. 1, 15, 15; weitläuftig M & Barüber ib. I, 41, mw
aud 8.18, der Selbftmord getabelt wird.
3) 1.1, 9,1; I, 6,8 La nature tonb .d danze le
corps comme instrument mecessaire à la vid; A! faht. que Te-
Ysprit,'eomme le :prineipal, prenne Aal tuidlle.An corps. · — 11
‚ei doit ‚done du agim..et non da series; I le.doit' trailer
erime seigneur et.:non: Comme tyran, 4- .«=i" lei‘ imontrat "
quil ne vi er pm“ ki, mais qeil ne: peut Wivre 'iei bas
‚sans dui, '- RE INTER
Drgan fein Tann, ſucht er ihreu Sitz im Sohirne; fie
wird dadurch abhängig vom Teiaperamente des Gehirno und
in den Streit gezogen, welden die verfchledenen phpfle ,
ſchen Eigenfchaften der Beſtandtheile des Gehirns unter
einander führen D. Hierdurch iſt Die Seele gehindert ihre
natürliche Weisheit zu üben; : das: Temperament des Orr
hirns hindert fie 2). Aber noch viel fhlimmer iſt es,
daß auch unfer Geiſt mit unferm Leibe nit frieblich le⸗
ben kann. Unfer Geiſt trachtet nach Gott, unfer Fleiſch
nad der Materie, in welcher Charron nod immer das
Böfe wittert. Die Seele IR wie ein Meiner Gott, der
Körper iſt wie ein Düngerhaufen und eine Peſt. Beide
lonnen wicht ohne einander fein und doch If zwiſchen iß⸗
ven ein beſtaͤndiger Streit 5). - Mit einem ſolchen Hader
in der Zufammenfegung unferer-Natur verträgt fih nun
gewiß die Ruhe der Stele nit, welche wir fuchen Follen
und unter. welcher auch die Sicherheit -unferen Oedanlen
gedeihen könnte. Deswegen hält Eharron- das Streben
and ſicherer Wiſſenſchaft für vergtblich. Er ſcheint aber
auch in der Sqchilderung dieſes Haders vergeffen zu ha⸗
ben, daß alles in der Natur friedlich geordaet fein follte,
Bei. einet ſolchen Beſchaffenheit ünferes Innern’ würde
es Bermeffenheit fein, wenn wir unfern Meinungen ver
» 9) 1b. 1, 9, 2; 10, 2; 15, 2 29q.
2) 1b. 1, 15, 112g. nt B
3) 1b. 1, 9, 1. L’ame est comme un petit Je 6orps
comme un fumier dt une peste; Ib. 2. L’esprit,; — — Timage .
de la dirinit6, — — ne,respire que-Ie bien:et!le’kiell, oa il
tend tousjours; la chaire au WBG Auer usjours
au mal et A la maliere, ee
rauen wolten, Aus der Meinung entipningt::bie Leiden
ſchaft wnh in der Leiderſchaft iſt alles Übel gegründet 33
Die Meinung iſt er geneigt für etwas Arsebüdeiet u
halten ,.bie Leidenſchaft aber ‚für ein inneres üUbel zunferer
Seele ). Vo diefen Übeln fiept er vnſere Stele wefüßk
um) battet daber Bett. üpm :gegen fh ſelbſt zu ſuben.
Die thoͤrige Selbſtliebe und Selbſtgenugſamleit fepeint
ihm unſer bitterſter Feind 5). Freiheit von Mainung uud
Leidenſchaſt iſt num die Predigt ſeiner Sittenlehre ). In
dieſem Sinn ſieht er in jedem ſtarren Feſthalten an
Grundſahen · eine Übertreibung ber Leidenſchaft; ſelbßz bie
Übertreibung der Selbſtaufopferung, des erergiſchen Wil⸗
lens, verdammt er 5), ‚obgleich er fon gegen: jede Selbß⸗
ſucht eifert und die Stärfe..des Geiſte als die Summe
Der Tugend verehrt... Die Freiheit umfereq Verſtandes
ſollen wir gegen das Borurtpeil ber. Meinungen? bie
Ereipeit unſeres Willens gegen die vberrſdan nalen
ſchaften vertheidigen ).
"lan Die Breipet unferet Verhanies gu: ganinmen,
Lanpfielt er eines Geiſt, welcher bex allgenieinen Beirade
hang RG diwendet (oapuit. aeiversel). Wirnfeflen und
micht faugen offen durch „die Meinungen der Menſchen
über Outes und Boͤſes, melde wa Larbasfitte nerſchie⸗
den find, welche oft dem Natürlihen und Beſſern wider:
freiten. Wir follen als Bürger der Welt uns betrach⸗
ten, ein Bild unferer Mutter Natur in ihrer ganzen
Mofeftät in uns darſtellen ). Zu bem Sreife der ein⸗
zelnen Borfepriften, welche ex iu biefem Sinn giebt, ge⸗
hören auch bie Stellen, welche den Theologen Anſtoß
gegeben haben, weil fie das Schwanlende in ben reli⸗
siöfen Meinungen Hervorpeben. Auf die Äußerligleiten
der Religion und bie mit ihuen verfnäpften Meinungen
legt Charron nicht mehr Gewicht als auf die verſchiede⸗
nen Sitten ber Voͤller. Dadurch will er aber die Ehr⸗
furcht vor der Offenbarung nicht antaften, fo wie er
aud den Gitten der Bölter feinen Gehorfam vorbehäft.
Er nimmt beide ausdrücklich aus, wenn ex bie Freiheit
bes Berftandes behauptet *). Nur kann ex ſich davon nit
wrüdpalten zu befücdhten, daß in alle unfere menſchlichen
Einrichtungen auch etwas Böfes fi eiamiſchen bürfie.
Wir find frank; wir bebüsfen der Heilmittel; zu ihnen ger
hören Sitten unb Religion; es wird Entjpulbigung finden,
mern ſolche Heilmittel auch etwas an fih Boͤſes und
Sqadliches gebrauchen 5). Seiner praftifhen Richtung
1) I. I, 2, 5. Le vrai moyen d’obtenir — — cette belle
libert& de jugement, — — c'est d’avoir un esprit universel, — —
Estre eitoyen du monde. — — Il faut presenter comme en un
tableau cetie grande image de nostre mere nature en son en-
tiere majeste.
2b. U, 2, 1.
3) B. I, 4, 6.— Comme si pour estre bon, il falloit
estre un peu mechant. Et ceci se voit non 'seulement en faict
de la poliee et de la jüstice, mais encore en la religion, qui
montre bien, que tonte la condaite humaine est bastie et faite
de pieces maladives.
Gðeſch. d. Philoſ. x. 15
nach dringt Charron auf bie Freiheit des: Willens noch
mehr als des Verſtandes. Wie fehr er auch die vers
wegene Freiheit, welche dem Zufall. ſich überlägt, für
gefaͤhrlich Hält, bie Freiheit des Willens iſt ihm dad
das Hoͤchſte, was wir befigen. In ihr erblidt er in
der That alles, was wahrhaft unfer if unb uns nicht
genommen werben fann I. Diefe Freiheit zu bewahren
ſchaͤrfen alle feine Regeln ein.
Bon einem Wanne, welder von ber Lage der menſch⸗
lichen Dinge mehr Böfes fürchtet, als Gutes hofft, muß
man erwarten, daß er vorherſchend verneinende Bor
fohriften für das Leben geben werde, Dem widerſpricht
Charron's Sittenlehre nicht. Die Ermahnungen, uns der
Meinungen und ber Leidenſchaft zu entfchlagen, nehmen
den breiteften Raum in feiner Weisheit ein. Doch bleibt
er bei ipnen nicht fliehen. Die Summe der Tugend faßt
er in den Begriff der Rechtſchaffenheit (prud’hommie,
probit6) zufammen. Sie beſteht ihm darin, daß wir
der Natur ober, was basfelbe ift, ber Bernunft folgen?).
Hierin fieht er die Geſundheit der Seele). Die Regel
der Rechtſchaffenheit, das Gefeg der Natur, die allge
meine Vernunft, fieht Charron auch als das Gefeg Gottes
an, welches in dem Innern eines jeden mit unverlöfd
lichen Zügen geſchrieben fei. Alle gute Gefege find nur
1) Ib. 1, 19, 1. La volonts — — senle est vraiment no-
„ str et en nostre puissanoe, tout le reste — — nous peut esire
oste, alterö et troubl6 par mille accidens et non la volonis.
2) 1b. 11, 3, 10. Voici dono la wraie prad’hommie (fondo-
ment de sagesse) suivre nature,. c'est. a dire la raison.
3) 1b. 1, 11, 1. J
An.
ein Ausfluß dieſes oberſten Gefehed’Y: "Diet ARE
fenpeit geht die gerade Bahn’ ihrer Regehuohneanberes
zu beachten als bie innere Stimme‘""ößhe‘ viel · Wefens
von fih zu machen, ſich ſelbſt vertrainndt?' Del Geſetze
der Rechtſchaffenheit gegenäber foren tölr ‚eide MAafigt
auf Lohn nehmen, nicht einmat auf dert Lohn) welchen
die Religion und verheißt. Denn! dik‘ Rolldion iſt nut
etwas Späteres, welcheserſt im gelellſchaftiichen Leben
ung zumächftz das Gefeh det Ralllt I’ dägegen ‘das
erſte und gebietet ung ohne ale Ruckſicht· Side Tiigenn;
welche nur aus Furcht vor’ Strafe "oder · aus Hoffnung
auf Lohn das Gute will, if nicht wahre Zügend; fie ift
ſchwach, ſtlaviſch und veräͤchtlich. Die Religion ſelbſt
erlennt dies an; nur ben Schwachen und Anfängern in
der Weisheit kommt fie dutch Lockungen entgegen, erblickt
aber nicht in der eigennügigen Tugeit, die vollfommene
Sir. 4 u
So wie aber Charron überall ein —** in unſeret
Natur, das Allgemeine und dad Beſondere, beachtet und
ehrt, fo ſchließen feine Vorſchriften an bie alfgemeine
Regel der Natur auch bie Regel unferet beſondern Natur
am Wenn auch nicht für alle natürlige Dinge, fo
doch für den Menfchen behauptet Charron das Gefeg' des
Ununterfpeidbaren. Er rechnet es zu den Werken der
Vorſehung, daß fie Ordnung in, bie menſchliche Geſell⸗
ſchaft gebracht habe, indem fie jeden Menſchen von jebem
andern verſchieden machte ). SH Hat * ſeine Eigen,
1) 10. 11, 3, A; tnitd 2, 6; 7.
2) De la sag. I, 5, 20; trails 4, 5.
3) Les trois verites I, 9 p.37.
15*
=
thögpfächfeit,; heine. seigene, Natur; dieſer ſoll ar. felgen;
gegen Fee wůͤrde nur Thorheit uud Bermefien-
beit fein; e6, wuͤrde heißen Gott; verſuchen. Jeder fol
. RB 09 Mi selbß „Halten; fa Holen. fi ſelbt au lehen
ſich getren a bleiben)... Megimegen legt Gharcen auf
Die, Wehi deh Vezuttz des größe Gewicht. Er feet
am and, baß, wir unfere Natur exlennen, wozu fie ſich
eignet, md ihr: gemAß.eine, efimmte Labſbahn einfäte
gen, welche, wjr jm Gange unſeres debens mit Erfolg
und ip treuer Anhaͤnglichtait an unfern Beruf verfolgen
koönnen ). Cbqrryn hatte felbf in ber Wahl feines Be
rufs geſchwank; um fo. tiptiger mochte biefer Punkt ihn
feinen, welcher von ben allgemeinen Gruubfägen feiner
Sittenlehre ihm deutlich Yorgefprieben war.
Das allgemeine Geſetz ber Natur zieht uns aber an
die Ordnung ‚her Übrigen Melt heran, weil unfere Eigen,
thümlicpteit nur für biefe Ordnung beſtimmt iſt 5). Hier
bei bererte nun. Gharron, Sanpsfägtig unfere Vhitttn
gegen bie menſchliche Gemeinſchaft. An fie verweiſt und
der Beruf, welden wir waͤhlen follen. Wir follen da
von Selbſtſucht frei leben, doch ohne uns felb zu opfern;
1) De la sag. I, 3, 4; & 2. Car aller contre.son naturel,
c'est tenter dien,.cracher cpnire Je ciel etc, Ih. Ul, 6, 229.
sgavoir estre A soi; se tenir A soi.
2) 16. 11,4, 1. Se dresser et former à un cerlain et as-
sur& train de vivre, preudco une:veealion, & la quelle Fon soil
propre. Ib, 2. C'est done une affaire de geand paids, que ce
choix etc.
3) 1. 11,3, 4. La raison pnirergellg,.— — par Ia quelle
Yon agit selon dieu, selon aoi, selon nature, selon l’ordre et
la police universelle da monde.
unfere Freihelt muß ſich mit. den Pflichten für bie Gefell-
ſchaft, welcher wir angehören, vereinigen laſſen 2). Hier
hat man eime nach Freiheit singende Geste, wie fie in
Garron Lebt, die härteflen Kämpfe gu beftehn. In ſei⸗
ner friſchen Natur ſedoch, welche den Scherz und die
Sreudigfeit des Lebens liebt, ſchlagt er die Sotgen über
diefe Dinge hinter ſich. Er vertraut Gott und der Na⸗
tur, welche und leitet, wenn er auch ihre weiſen Abſich⸗
ten in fo manchen Dingen, zu welchen wir uns gezwun⸗
gen ſehen, nicht zu erfennen vermag. In diefem inne
wird man ihn eher zu nachgiebig als zu ſtarr gegen:ben
Lauf des Lebens finden. Die menſchliche Natur verinägt
un einmal die wahre Gereqhtigkeit nicht ). Zu den Büs
gen der Weisheit gehört es, daß fie ber Rothwendigleit
nachzugeben weiß 9. Go kommt in feinen Vorſchriſten
über die Politit manches Bedeukliche vor. Berkellung,
welche dem Privatmann nicht erlaubt fein würde, wird
doch dem Bürffin gefleitet; was gegen Freunde aicht geht
werben barf, iſt doch gegen die Feinde nicht nerboten ©.
Charron, welcher gegen Lüge und Borurtheil fon uner-
bitilich anfämpft, lann es doc zugeben, dag man in der
Poluit aus Liebe zum Innern Frieden fogar ſich etwas
beträgen laſſe. Typrannei zu ertragen ſei beſſer als Auf-
ruhr 3). Man ſieht, daß er in Zeiten des Bürgerkrieges
einen gründlichen Abſchen gegen feine Graͤnel eingeſogen
has: Ans hörtefien: aber -teitt der bedenkliche Streit zwi⸗
ſchen feinem: Stuehen nach Frelheit und feiner Unterwer⸗
fung; unter eine. unbelannte und: unerforfehliche. Nothwen⸗
digkeit hervor, wenn er das Berhalten bes Weiſen gegen
Geſetz, Sitte ‚und Religion ſchildert. Er zweifelt nit
baranı. daß bie Religion der befte Theil ber Rechtſchaf⸗
fenheiss feiz: unter bem befondern Regeln für unfer Lehen
Kell; er oben an, daß Religion und. Srömmigfeit ‚den
erfen Rang unter unfern Pflichten einnehmen 1). Aber
ſollte es Religion fein- dem Aberglauben zu dienen?
Shamen;. in feiner Unterwürfigfeit gegen das allgemeine
Befeg muthet uns doch auch dieſe haͤrteſte Pflicht gu
Seine Religion iR ganz innerliches Gefül; äußere Ge
braͤuche und theologiſche Forſchungen über’ das, was doch
unerforſchlich iſt, Hält er. für gleichgültig, wenn night
für. Thorheit 2). Do darf der Weife auch dieſen
Dingen ſich nicht entziehen; er muß den Lanbeöfitten
und, Bandesgefegen folgen und barf in ner: Art den
Sonderling ſpielen. Wie Montaigne empfelt Charröu
ben. Gefegen und Gebräuchen bes Landes zu folgen,
nicht weil fie. vernünftig, fondern weil fie gebräuchlich
ſind. :Da ſcheut er die Neuerungen, bie Anmaßung
der Menſchen, welche bie Welt beſſern wollen; fogar
was der Vernunft und dem Naturgeſetze widerſtrebt,
ſollen wir aus Gehorſam gegen das Geſetz und den
Gebrauch des Landes thun. Wohin „reitet nun ber
Weiſe feine Freiheit? Sie bleibt ungefährdet, indem er
doch feinen Gedanken die Prüfung der Sitten und ör
4) Ib. 14, 5; traitß 2, 6. Bu
2) De la sag. II, 5, 14. Rasen
3
bräudpe exlaubt und wärend er äußerlich Gehorfam lel⸗
fit, innerlich: ganz anders denlt. Denn das ‚Äußere ger
hört dem Geweinweſen, unfere Gedanlen aber gehören
und. Das Bedenflige dieſer Vorſchriften, welche Auges
ws und Inneres in Zwiefpalt fegen, bemerft Charron
kibR, indem er pinzufept, fo fei mum einmal bie Welt
beſchaffen 7. Auch in biefer Wendung. ber Gedanken
verfüudet ſich die Neigung ber Zeit das geiſtige Leben in
#9 zurädgugiehen unb bas Aufere feinen eigenen Geſehen
m, überlaffen. Das if die Selbſterlenntniß, in welcher
Charron die Ruhe feiner Secie und bus höhle Gut
Mn.
Man wird nun wohl nicht verfeunen, raß es eine
dualiſtiſche Auficht IR, weiihe bie Schwankungen in Char⸗
tom Lehren hervorruft. Go. wie er vom theoretiſcher
Seite die Überzeugung hegt, daß Fleiſch und Geiſt weder
ohne u leben, wo mit einander ſich verföhnen
4) I. 1,8, 7. Garder et obserrer de parole et de fait
les loix et coustumes — — simplement pouf ce que sont loix
et coustamen. — — C’est le fondement mystigus de leur au-
torte. — — II arrivera quelquefois, que nous ferons par "
une seconde, particuliere et municipale obligation — — ce qui
est contre la premiere et plus ancienne, c’est à dire la nature
et raison universelle; mais nous lui satisfaisons tenant nolre
jügement et nos opinions saines et justes selon elle. Car aussi
nous n’avons rien nostre et de quoi nous puissions librement
disposer que”de cell. Le monde n’a que faire de nos persses,
mais le dehors est engag& au public et lu; en devons rendre
compie; ‚ainsi souvent mous, ferons justemgnt op que jusle-
ment nous n’approuvons pas, Il n'y a remede, Ie monde est
ainsi fait,
2) Ib. 1, 12.
können, fo ſchildert er ande von praltiſcher: Seite das
weltliche und das geiſtige Leben ats "m Zwietracht mi
einander ſtehend. Dem erſtern lann er nicht Untecht ger
benz denn unſer Rußeres iſt unſern Nebenmenſchen und
der ſutlichen Geſellfchaft verbunden. Daher eupfielt er
uns auch die ‘äußern Güter zwar nicht zu lieben, aber
fie doch zu achten and als Mittel:zu ſchatzen, deren Ber
luſt nur im Frieden unſeter Seele and nicht Hören fol;
ia feine Lebeneregeln näpern fich gutseilen den Kiugheits⸗
lehren eines Epikur 9). Aber alsdann findet er auch
wieder das’ weltliche Leben in Streit mit dem Oewiſſen
und mit den heiligſten Vorſchriften der Natur und em⸗
pfielt uns die Frrihtit unſerer ·Seelr zu dewahren, indem
wir uns in das Heiligthum unferes Innen zuruchziehn.
Eine gaͤnſliche Unverfoͤmichteit beider Arten des Lebens
will er min wohl nicht behaupten; aber es iſt doch mir
ein: mpftiſcher Hintergrund, auf welchem er ihre Verrini⸗
gung wie in einer Ahndung erblickt. Aufipn weift das
Myſtiſche Hin, welches er in den Sitten und Gefegen ber
Voͤller findet, „Ip wie die myſterioͤſe Höhe der Wahrheit,
welche ex unferer angemaßten Wiſſenſchaft entgegenfegt.
Auf dieſen myſtiſchen Hintergtund "bezieht ſich denn
natürlich auch feine Hoffnung auf die höhfte Vollendung
unferer Tugend. ° Unter ben tugenbhaften Menſchen, welde
nur fparfam’gefät find, unterſcheidet er drei Arten. Eir
nige find von Natur gutz durch ihre Geburt, ihr Tem
perament, ihre erfie Erziehung werden fie in einer Teich»
ten Weife auf den rechten Weg geführt. Mühſamer wird
1) Ib. 111, 6, 9.
2) Ib. II, 38, 1; 6.
8 andern, welde eine folhe gute Natur nicht empfan⸗
gen haben; aber die Freiheit des Willens achtet: Charrot
hoch genug um von ihr zu erwarten, daß fie ſelbſe das
notürhiche Temperament überwinden Tönne; durch Philo⸗
ſophie follen die von Natur weniger Begünfigten zur
Rechtſchaffenheit gelangen. Beide Arten ber Tugenbpaften
haben jedoch noch nicht Die hoͤchſte Bolllommenheit ers
teicht, welche dem Menſchen moͤglich if. Natur und
Vernunft muſſen ſich vereinigen um das Beſte hervorzu⸗
bringen; die Tugend durch eine lange Übung geſtaͤrkt muß
mr Rah werben, fo daß fie ohne Anfltengung des
freien Willen fih in Thaͤtigleit fegt: erſt alsdann gelange
der Menſch zu wahrer Weisheit). Mer mir burch
göttlige Hülfe, meint Eharron, konnte dies: erreicht wer»
den. Seine Äußerungen über bie Weife, wie Gott im
Denfchen wirkt, find fretlich ſcwanlend. Zuweilen fcheint
er anzunehmen, daß wir den natüstihen Befegen aus eiges
tien Kräften fölgen koͤnnen und daß dies der vechte Weg fei
uns zum Empfang: der gottlichen Gnave: vorzubereiten 9.
Dies ſtimmt mit ‘feiner Unterſcheidimg der” beiden erfien
Arten der tugenbhaften Menſchen; in dieſem Sinne be
hauptet ex auch die Zreiheit des menſchlichen Willens als
eine natürliche Babe, melde von defien Weſen nicht ges
treunt werden koͤnne 3). Aber von der andern Seite ſin⸗
det er auch, daß ſchon zum Leben nad dem Naturgefege
eine befondere Verleihung ber göttlichen Gnade gehöre *:
N, 3, 110g
2) Traits 2, 9.
3) Les trois verites I, 11 p. 58.
4) Traits 2, 9.
Gott hat ſich die Seinigen erwählt ohne allen weitern
Grund ). Sein verborgener Wille iß hierin wirtſam,
den zu lennen und zur Richtſchnur unferes Lebens zu mas
chen und. nicht obliegt; wir können ihn nur verehren 2),
Wir werben hierdurch auf eine Gnade Gottes verwieſer,
von welcher Eparron nicht viel geſprochen wiſſen will,
wie er überhaupt yon Gott nur mit. Furcht redet. Doch
nur von ihr erwartet er. bie Vollendung unferer Natur,
zu welder das Gefeg ber Ratur nicht ausreicht 5).
So zeichnet fi fein Slepticismus auf einem myſti⸗
ſchen Hintergruude ab. Wie verſtaͤndig auch die hralti⸗
ſchen Regeln find, welche er uns giebt, fie ſchließen doch
die Wiſſenſchaft zwar nicht völlig aus, aber Laffen fie. in
ihrer Strenge. als etwas überflüſſiges und unmoͤgliches
fallen. Sie muß fi bequemen ‚den praltiſchen Meinun
gen fih anzuſchließen, weil wir als unfähig angefehn
werben bie geheimnißvolle Höhe der Wahrheit zu faſſen.
ber barin unterfcpeibet ſich Charron von den Myſtilern
F ältern und von ben Theofophen feiner Zeit, daß er
‚ aufgiebt dieſe Tiefen der Waprpeit in irgend einem
geheimen Wege zu erforfhen, daß er dagegen dem pral⸗
tiſchen Wege ſich zumendet und uns antreibt in ſittlicher
übung den offenbaren Willen Gottes zu. unferer Richt
ſchnur zu machen. Er weiß, daß hier Geheimniſſe liegen;
aber nur in Verehrung, in. Furcht und Scheu gedeult er
ihrer, uns vor Anmaßung warnend und zur Beſcheiden⸗
heit in unſerm Urtheil ermahnend. An bie Natur und
4) Discours chrestiens 6 p. 50.
2) Ib. 9 p.74; les bois ver. I, 1 p-6t. - >
3) Traits 4, 6. .
a8 '
bie. allgemeine Bernunft, welche in uns, in beſonderer
Weiſe ipre Geſtalt erhalten hat, follen wir uns Kalten,
der Welt, wie fie vorliegt, uns anfchließen, unferen Bers
pälmiffen, den Sitten und Gefegen unferes Landes ges
horſam fein, felbft wenn fie von menſchlicher Thorheit
nicht frei wären; das übrige follen mir Gott überlaffen.
So wendet er ohne Zögern der Richtung der neuern Zeit
ſich zu, aber noch in ſleptiſcher Weife, weil ihm das
Praltiſche mehr gikt als die Wiſſenſchaft, weil er unfere
Kräfte der Größe unferer Wünfche nicht für gewachſen
halt, Er weift uns daher zuerft darauf an uns ſelbſt zu
erlennen; ba würden wir unfere Schwaͤche gewahr wer⸗
den. Wir würden da ein Doppektes, Geiſt und Körper,
in uns erfennen; in dem Zwieſpalte biefer boppelten
Ratur ſieht er unfer Schwanlen gegründet. Wir folten
dem Geiſte, unferm beſſern Theil, Folge leiſten; aber
der Geift iſt vom Fleiſche ‚abhängig; indem wir unfere
Pflichten erfüllen, dürfen wir uns dem leiblichen Leben
nicht entziehn, obwohl es uns zum .Wöfen verlodt. über
dies boppelte Princip weiß uns Charron nicht zu erhe⸗
ben. Das. Weltliche fireitet in uns mit dem Oöttlichen;
es iſt wohl nothwendig fo; Gott hat uns trog feiner uns
enhlichen Güte und Macht nicht zu Göttern machen koͤn⸗
nen... So wie’ mın .biefer Sfepticisums es ablehnt die
Grundfäge der Wiflenfhaft zu erforſchen und in bie
Gründe: der Natur einzubringen, fo giebt er auch ber
Rothwendigkeit nach uns ben Außen Gebraͤuchen zu für
gen und ſtellt eine Unterſuchung berfelben nur zu dem
Zwecke an das Trüglige und Unfichere in ihnen nachzu⸗
weiſen. Unfere Forſchung «weißt er zwar auf Natur und
1
weltiiches Leben an, bleibt aber an den Boten du: Bi
fenfaft ſiehen.
3. Franz Sanchez.
Bei Moniaigne und Charron finden wir doch bie
wiſſenſchaftlichen Beweggrunde bes Zweifels, welcher in
biefer Zeit um ſich griff, mer nebenbei entwidelt;z wid
man fie in ihrer Wurzel kennen Iernen, fo muß man fir
bei Sande; aufſuchen.
5 Zranz Sanchez wurde 1562 zu Bracara in Portugal
geboren. Sein Bater war ein angefeßenen Arzt, wie
eine Sage geht, von ſadiſcher Abſtammung; man weiß
die Urſache nicht, welche ihn veranlaßte nad) Bordeaur
überzufiebeln, wo fein Sohn Franz unter denſelben Cie
flüſſen aufwuchs, unter welchen Mondaigne und Charron
ihren Skepticismus ausgebildet hatten. Nachdem biefer
feine erſte wiſſenſchaftliche Bildung erhalten, ging er nach
Italien, wo er um in den Wiſſenſchaften ſich zu vervoll⸗
Sommnen mehrere Jahre verweilte. Schon :1586 wurde
er Doctor und Profeſſor der Medien zu Moetitpellien
Die bürgerlichen Unruhen aber vertrieben ihn won hier
und einige Zeit ſcheint verfloffen zu fein, ehe er zu Tow
louſe wieder einen feften Sig fand. Er wurde hier zw
erh einem Krankenhauſe vorgefegt, dann Profeffor der
Philoſophie und zuiegt auch der Mebisin. In dieſen
Hantern lebte er als Arzt fehr geihägt und im Rufe eis
nes frommen und vechtichaffenen Wandels bio 1632, bem
Jahre feines Todes. Seine medieiniſchen und philoſo⸗
phiſchen Schriften Inmen größtenteils erft nach feinem
Tode heraug 2), Doch war sine. Tepiige Hauptigrift
ſchon fehper erſchienen du. -. :
Samer Hatte von Jugend an mit ber Unterſuchung
der Natur ſich befpäftigt; er hatte ihr fehr im Einzelnen
feinga Fleih geiwidmek und wamenilih Die Anatomie bes
wenſchlichen Körpers genau ſtudirt. Auch die gelchrten
bulfsmitel für dieſe Unterfuchungen waren ihm genau
belannt. Sein Aau verpflichtete ipm bie Schriften bes
Ariſtoteles augzulegen 9). Aber er. fand, daß die Ratur-
ſorſchung feiner, Zeit auf falſchem Wege fei und daß ber
ſonders das Anſehn des Ariſtoteles ihr Schaden thue.
Da bricht der Unmuth feiner Seele ſich Bahn und feine
freimũthige und ſcharfe Zunge hält leinen der Bormärfe
mräd, welche einem blinden Büprer der Blinden gemacht
erden Können ). Nicht ohne Spott über fi ſelbſt ver
ſpottet er die Ausleger des Ariſtoteles. Das gelchrte
Treiben feiner Zeit befriedigt ihm mit. Die gelehrte
1) Franc, Sanchez opera media: His juncti sunt traciatus
güidem philosophici non insuhtiles. . Tolosse Tert. 1636. 4.
3% citire feine philoſophiſchen Schriften, Fr. Sauchez traetatus phi-
Norophici. Roterod. 1649. 12
2) Sie fuhrt den Titel quod mihil zeitur und foll ſchon 1581
Mu Lyen arſchienen fein. Mies Aft jedoch unwohrſtheinlich; er wor
damals erſt 49 Jahre alt, In ihrer gegmpwärtigen Gefalt tenigfens
Äf fie keine Jugendſchrift. Im feinen Schriften werden Werte er—
wahnt, welche philoſophiſche Unterfuhungen zu verſprechen fiheinen,
ſo din tracjatus de anima (de longit. et brev. vitae 7 p.353) und
examen rerum gegm dm Bracaforius in. 8 p.357; 110g);
fie ſcheinen verioren zu fein.
3) In ihr. Arist, physiogn, gomm. p. 206,
4) Vergl. quod nihil scitur praef. p. 8 sg; P. 48 sg. Ubi-
Me Yagus, confusus, inconstans. De Ipng. et hrer. vitse 1.
Erziehung gewöhnt: an Vorurtheile; fait‘ an die Natur
ſich zu Halten um die Natur zu erfennen, Hält man ſich
an Büder-). Die Schwierigkeiten verhehlt man; wer
feinen Zweifel: befennt, wirb verfpottetz aus Selbſtſucht
wollen. die Unwiſſenden gelehrt erſcheinen. Er moͤchte lie⸗
ber ſchweigen und einer ruhigen Betrachtung fi} ergeben;
aber fein Amt zwingt ihn zu reden. Die unfinnigen Hy-
pothefen, welche man mit Selbſtwertrauen vorbringt, lann
er nicht mit Geduld anhören 2). Er ſchildert fich ſelbſt,
wie feine gelehrten Forſchungen ihn miß Elel erfüllen,
wie ex feine Geſundheit über fie verloren hat, ohne welche
doch fein Werk gelingt, ohne welche auch Fein geſundes
Denten möglich ift, wie er zornig feine Bücher zur Seite
wirft, feine Studirſtube Richt, aller doch fich ſelbſt nicht
entfliefen kann 9, Darum giebt er fein Forſchen nicht
aufz bie Sorge- um: fein Wiffen quält ihn; aber durch
den Zweifel hindurch muß die Wiſſenſchaft gewonnen
werben. Es iſt ſchon ein Fortſchritt zu wiflen, daß man
nicht weiß. Seinen Zweifel trägt er nun offen zur Schau,
Allen feinen Schriften, .auch.denen, welche ſehr poſitive
Lehren, feine Erfahrungen in der Medicin, Unterfuchungen
über die Erfheinungen der Natur und Verſuche fie zu
erllaͤren uns vorlegen, fügt er zum Schluſſe fein Was?
hinzu. Eine Erlenntniß der Natur zu finden hat er
darum nicht aufgegeben. Es iſt nun einmal ber menfhr
lichen Natur gemäß die Wahrheit zu ſuchen; auch er
1) Quod nih. so. p. 144 qq.
2) De divinatione per somnam p. 183 sqg. Gegen bm Car
danus. =
3) Quod nih. sc. p.69.
wo
lann diefem Triebe nicht widerſtehn; aber er will fie in
menſchlicher Weiſe ſuchen, der menſchlichen und feiner ei-
genen Schwachheit eingedenk. Er hält fie zuerſt fih vor
und vergleicht fie mit der unendlichen Aufgabe der Wifr
fenfhaft. Darin beſteht fein Slepticismus 2), Er bes
trachtet ihn nur als die erſte Stufe in der Erkenntniß
der Wahrheit und iſt auch weit bavon entfernt zu ber
haupten, daß wir auf ihr flehen bleiben müßten; vielmehr
verfpricht er in feiner fleptifchen Abhandlung Bücher der
Natur 2), in welchen er unftreitig die Ergebniffe feiner For⸗
ſchungen auseinanderfegen wollte, und eine andere Schrift,
welche die rechte Methode des Forſchens lehren follte).
Diefe Schriften find nicht erſchienen; aber auch feine vor⸗
handenen Schriften deuten an, was fie enthalten follten.
Sein Zweifel fol nur zum Selbſtdenken ermahnen ).
Ehe wir feine ffeptifgen Betrachtungen in das Auge
faffen, müffen wir noch einen Punkt erwähnen, auf
welchen biefelben fi öfters beziehen. Wenn Sande
au als Mediciner bie Natur zu erforfchen fucht, if er
doch nicht der Meinung, daß es nichts Höheres als bie
Natur gebe. Er iſt vielmehr davon überzeugt, daß bie
Grundfäge ber Mediein in der Philoſophie beruhn ) und
daß die Naturwiſſenſchaft auf den Zuſammenhang aller
Wiſſenſchaften uns hinweiſt. Was if dies für ein thoͤ⸗
1) Ib. praef; p: 5° 2qq.
2) Ib. p. 39.
3) Ib. p. 182.
4) Ein von ihm Ofters wiederholter Spruch ift: quae docentur,
non-plus habent virism, quam ab eo, qui docetur, accipiunt.
5) Ib. praef. p. 11.
riger Streit um bie Grenzen der verſchiedenen Lehrfaͤcher.
Die Wiſſenſchaft iſt feine Sage des Gedaͤchtniſſes, welche
nur verſchiedene Kreife der eingeſammelten Kenntuiſſe zu
femmenzubringen ober nebeneingnberzufteflen hätte). Die
Baprpeit, welche wir ſuchen, iſt nur eine; bie Grund
füge der Wiſſenſchaft erſtreden fih über alles; nur weil
wir alles zu umfaſſen uns unfähig finden, zerpflücen wir
bie Wiſſenſchaften und zerfieuen das, mas zufammenge
hört. Daraus entiprings jedoch nur unfere Unwiſſenheit.
Unfere menſchlichen Wiſſenſchaften find Brußftäde; unfee
Weispeit iſt Thorheit bei Gott 2). Durch dieſen Zufam
menhang aller Wahrheiten wird Sanchez auf Gott als
den allgemeinen Grund aller Wahrheit geführt. Um
etwas recht zu erkennen, müßte man es geſchaffen haben;
daher fann nur Gott, der Schöpfer afler Dinge, alles
recht erlennen; zum Schaffen Gottes gehoͤrt fein Exfen
nen ). Der Zweifel, welchen Sande hegt, ſtübt ſich
auch darauf, daß die @rundfäge der Wiſſenſchaften, die
Begriffserflärungen, von welchen aller, Beweis ausgeht,
nicht bewieſen werben Können, daß wir ipnen vielmehr
glauben möffen 9; dem Glauben aber fügt Sanchez die
1) Ib. p. 38 1qq.; 4.
2) Ib. p.54 qq. Cum omnia quisqae amplecti. non possel,
bin aibi partem hano elegit, ille aliam discerpsif.. Hinc nihil
scitar. Ib. p. 60 sq.; p. 65. Una solum scientia est, aut esset,
si haberi posset in natura rerum, non plures, qua omnes res
perfecte cognoscerentur, quando una sipp alüs omnibus perfecte
cognosei non potest.
3) Ib. 103. Neo enim perfecte cognoscere patent. quis, quae
non ereavit. Neo deus creare potuisset nec oreata regere, quae
non perfecte praecognovisset. Ib. p. 134.
4) Ib p. 34; 53. f \
E71]
Hoffnung und die Liebe zu, wenn er feinen Geiſ gegen
die Furcht vor dem Nichts waffnen will 7). Genug wir
ſchen, daß er eine Waprpeit annimmt, ihr glaubt, auf
fie Hofft, welche weit über die einzelnen Dinge ber Ratur
fih erhebt. In feiner Schrift über Länge und Kürze des
kebens, welche unter feinen philoſophiſchen Schriften am
weißen dogmatiſch gehalten iſt, erflärt er ſich auf das
entſchiedenſte dafür, daß wir alles Natürliche auf eine
Icpte übernatürlihe Urfache zurücführen müffen, auf einen
durchaus unabhängigen Willen Gottes, welcher durch
fein Raturgefeg gebunden if, fondern der Natur, feiner
Maägd, ihre Ordnung vorfcpreibt. Möchte man ihn des⸗
wegen einen Unwiſſenden, einen gemeinen Handwerker
nennen, er bleibt bei feiner Behauptung. Freilich kann
ein jeder unwiſſende Menſch fagen, daß Gott die Urſache
fet, aber auch der gelehrte Naturforfcher iR zuletzt dazu
genötpigt. Ariſtoteles giebt mit Recht die Vorſchrift, daß
wir nicht in das Unendliche zurüdgehn follen; ber heid⸗
niſche Philoſoph nimmt nur die Natur als die letzte
Urſache an; die chriſtliche Ppilofophie, zu welcher Sanchez
ih belennt, führt die Natur auf Gottes Willen zurück.
Du fagft, das iſt bie Zuflucht des Unwiſſenden; allerdings;
aber nicht minder des Philofophen; ber letztere unterfcheis
det fi von dem erfien nur barin, daß er weiß, warum
er zu biefem Meere des Unendlichen, aus welchem alles
fließt, auch in der Aufſuchung der Urſachen zuletzt feine
Zufucht nimmt, und daß er nicht in einem Sprunge zur
Iepten Urſache fich flüchtet, fondern nur wie durch Stufen
1)Ib. p AU.
Geſch. d. Philoſ. X. 16
22
durch bie mittlern Urſachen zu ihr emporfteigt ). Mir
finden alſo bei ihm dieſelbe Denkweife, wie bei ben mei-
Ren feiner philoſophirenden Zeitgenoſſen und namentlich
"bei den vorher betrachteten franzoͤſiſchen Sleptitern, mel:
chen er in vielen Punkten fi anſchließt, er hält die Ra
tur ſehr hoch und wendet ihr feine Forſchung zu; aber im
Hintergrunbe feiner Verehrung für fie Tiegt ihm der Gr
‚banfe an das Übernatürlthe). Nur will er beide, Ra-
tur und Übernatürliches, weber in ber Sache noch in ber
Wiffenfhaft von einander geſchieden wiſſen; durch bas
Natürlicpe follen wir zu Gott emporfeigen, fo wie das
Natürliche von Gott ausgegangen if. Diefer Steptiris:
muß der Franzoſen des 16. Jahrhunderts if doch weder
fo bodenlos noch fo ungläubig,. wie man zuweilen ge
meint hat.
Wenn nun auch Sande; nad Weife der Shepiite
nicht felten in feinen Unterſuchungen abfpringt, fo beob-
1) De long. et brev. vitae 10. Ignarus aeque ac philosophus
deum causam omnium assignabit. Hoc ignarus inscienter, phi-
losophus scienter assignabi. — — Praeterea philosophus non
uno icta et saltu ad deum confugit, sed per naturales cansas,
anquam per gradus ad eum tandem ascendet. — — Haec
dicemus nos Christiani philosophi Ethnicus autem, cui de deo
ita sentire cordi men sedet, respondebit, quia ita a natura
praescriptum est. Utro autem horum modoram dicas, nil in-
terest. Semper enim ad primam causam, quaecumqgue illa sit,
fagis eamque ignorantise tue asylum eflicis, quemadmodun
et ego.
2) L. 1. Qui ergo in quaestionibus omnibus causas solum
maturales et secundas assignant et quaerunt, neo ultra progredi
volunt, stulti sunt et eo magis, quia id faciunt, ne ignari v0-
eentur, si ad primam causam supranaturalemqug confugiant,
x
adtet er doch im Baden feiner Gedanken eine verſtaͤndige
Drbmung. Er lobt überhaupt in allen Dingen ben Ver⸗
Rand und bie Vernunft. Zwar bemerkt er wohl auch,
wie Montaigne und Charron, dag mande Tiere fi
vernünftiger zeigten, als viele Menfchen 1; aber darum
will er doch den Vorzug der menſchlichen Vernunft vor
den Thieren nicht leugnen ). Nur die Ariſtoteliſche Lo⸗
gil iſt ihm nicht die wahre Kichterin über die Vernunft.
&r wirft ihr die fingirten Begriffe vor, mit welchen fie
fih beſchaͤftige; er empfielt uns ſtatt biefer Beſchaͤftigung
mit Worten vielmehr an bie Sachen zu gehend). Die
Schwächen der Demonftration find ihm nicht entgangen,
daß fie auf unbewiefenen Begriffserflärungen und Grund»
fägen beruhe, im Cirkel ſich herumdrehe, mit BWorterflä-
rungen ſich fpeife*). Er kann ſich nicht davon Überzeugen,
daß eine folde von einem nothwendigen Befege gebun-
dene Verfahrungsweife die wahre Wiſſenſchaft gewähren
follte, welche vielmehr nur in einem freien Geiſte wohnen
und nur durch eine freie Auffaffung ber Gegenflände ge
wonnen werben Könnte 5); er bemerkt auch, daß unfere
Erlenntniß nicht fo methodiſch und ſyſtematiſch zu Stande
lomme, wie Arifioteles annehme, ©). Aber dennoch bringt
er fehe ſtark auf eine richtige Methode in unfern Wiſſen⸗
1) Quod nih. so. p. 69.
2) Ib. p. 129.
3) Ib. p. 30 2qq.
4) Ib. p. 14 2q,; 20; 28. .
5) Ib. p.34. Vera scientia, si quae esset, libera esset et a
libera mente, quas si ex se non percipiat rem ipsam, nullis
coacla demonstrationibus percipiet. .
6) Ib. p. 67.
16*
a
ſchaften; er weiß, daß in Lehren michls von größerer
Wigptigfeit iR, als ſie; fle zu erforſchen und zu gebrauchen
Hält er für eben fo nothwenbig als fhwer ?). Er vor
wirft alfo nur bie falſche Metpode, welche im Gebrauch
iſt. Was er an biefer tadelt Läuft wefentlich auf bad
felbe hinaus, was ſchon die Philologen zu ihrer Reform
der Logit geführt Hatte. Wir follen und weniger an bie
Worte ald an die Sachen halten, der Natur folgen und
in unmittelbarer Erfenntniß uns bes Wahren zu bemeis
ſtern ſuchen 9.
Aber eben dies findet er ſchwer, bie Natur der Sa⸗
Gen zu erforſchen. Der Dinge find gar zu viele und
nur an das Allgemeine berfelben fih zu halten, bad
ſcheint ihm unerlaubt. Denn den meiften unter den Phi⸗
Tologen ſchließt er fi auch im Streite gegen den Realis⸗
mus an. Er bezweifelt wohb fogar die Beſtaͤndigkeit der
Arten in der Natur 9), laͤßt aber ohne % Zweifel feine
andere Dinge ‚zu ald Individuen und befämpft wie Ni:
zolius beſonders die falſche Abſtraction, welche ein AU-
gemeines mit Ausſchluß des Beſondern annimmt. Daher
ſcheint ihm jede allgemeine Regel unſtatthaft, welche Auss
nahmen zulaͤßt ). Eben hierauf beruht der Unterſchied
4) Ib. p. 151. Nihil enim untum in docendo momentım
habet, quantum methodus, — — quaque uti scire non minus
laboriosum ingenioque plenum est, quam utile, neo minus ra-
rum, quam necessarium.
2) Ib. p. 14; 16 2q.; 27, 160.
3) Ib. p. 90.
4) Ib. p. 67 sqq. Respondebis unam hirundinem non fa-
cere vor, neo unum particulare destruere universale. Ego
contra contendo universale falsum omnino esse, nisi omnis,
quae sub eo conlinentur, ita ut sunt, et oompleciatur et affirmel.
feiner Denrlart von ber Lehre der Philologen. Diefe
glaubten mit dem Verſtaͤndniß der Sprache abzufommen '
und waren damit zufrieden den Sinn ber gewöhnlichen
Meinung zu treffen; der gefunde Menfchenverhand, wie
er feine Worte zu allgemeiner Berfländigung ausprägt
und einer wahrſcheinlichen Meinung ihren Lauf läßt,
ſchien ihnen zu genügen. Ähnlich dachten auch noch Mon⸗
taigne und Charron, wenn fie an ben gefunden, natür⸗
lichen Meuſchenverſtand und zu halten den Rath gaben,
Dadurch laͤßt ſich Sanchez nicht befriedigen. Die Schule,
lehrt ex, wie fie im Schwange iſt, will uns Erllaͤrungen
der Sachen geben, aber das find alles oder faſt alles nur
Worte. Ein jedes Wort wird wieder Durch ein anderes Wort
erflärt, zuiegt kommt man auf ben allgemeinften Begriff
des Seienden, welchen man nicht weiter erllaͤren Tann,
fo daß mit dem Unerflärbaren der Schluß gemacht wird,
Überdies wird Pi den Erklärungen ein jedes Wort durch
mehrere Wörter erklärt, wärend das Wort dod nur eine
Sache ausbrüden fol. Die eine Sache follte doch wohl
nur durch einen Gedanlen ausgedrüdt werben, Alle
Worte aber find aus der Meinung bes Volkes genom-
men und die Meinung bes Volles if trügeriſch. Ver⸗
ſchiedene Schriftfieller gebrauchen basfelbe Wort in vers
fQiedenem Sinn. Auf diefem Wege wird man zu feiner
Erfenntnig der Wahrheit gelangen. Er giebt nur eine
lange Reife von Worten ab, über welche man fireiten
lann 2), * Man wird nicht verfennen, daß feine Zweifel in
1) Ib. p. 14 sqq.; 18. In vulgo autem an aliqua certitudo
& stabilitas? Nequieguam. Quomodo ergo in verbis quies
"6
diefer Richtung den Schritt in ber neuern Entwicklung
der Wiffenfcpaften beginnen, durch welchen han von den
Meinungen des gefunden Menſchenverſtandes zur gelehr⸗
ten Erforſchung ber Natur ſich hinwendete. “
Um nım an die Sache fich zu halten, mit welcher a
beſchaͤftigt tft, feägt er, was bie Wiſſenſchaft fei. Spot
tend ſagt er, die Natur wolle er bei Seite fegen und au
die Definition des Ariftoteles fi Halten. Er findet fie
dunkler als die Sache ſelbſt 2). Seine kritiſchen Bemer⸗
kungen über fie find nicht ohne Werth; fie. heben beden⸗
tende Fragen hervor. Er fieht eine Schwierigkeit darin,
daß durch die Verbindung mehrerer Bebanfen eine Wiſſen⸗
Schaft erworben werden fol, Wie laſſen ſich mehrere mit
tinander verbinden, da doc immer nur ein Gedanke der
Seele gegenwärtig fein Tann ) Zwar feine die Häw
fung der Erfenntniffe in unferem Gedaͤchtniß uns die Mög
Tipfeit einer Berbindung mehrerer Gebanfen anſchaulich
zu machen. Aber das Gedaͤchtniß würde doch nur ein
Häufung der Erfenntniffe darbieten können, wenn ber
einzelne Gebächtnißeindrudt eine Erlenntniß fein folk.
Daß aber die Wiſſenſchaft ein Gedaͤchtnißwerk wäre, ge
ſteht ſelbſt Arioteles nicht zu, wie es denn Sand
nicht weniger befireitet, indem ex auch die Platoniſche
Erklaͤrung unferer Ertenntniß durch bie -Wiedererinnerung
unguam erit? Jam non est, quo fugias. Dices forsan quae-
rendum esse, qua significatione, qui primum imposuit, usıs
fuerit. Quaere ignitur; non invenies. Dieß iſt offenbar gegm die
Meinung des Rijolius gerichtet. Ib. p. 20; 25.
1) Ib. p.19 qq.
2) Ib. pedöngg '
247
als eine lecre Traͤumerei verwirft ). ine Verbindung
der Gedcuken zur Wiſſenſchaft würde erſt gu Stande lom⸗
men koͤnnen, wenn es einzelne Erfenntniffe, ein Willen
im Befondern,. gäbe. Aber was if. das Willen im Ber
ſondern ? Es ergeben ſich hier dieſelben Schwierigkeiten,
welche die Erklaͤrung der Wiſſenſchaft treffen. Das bes
fondere Wiffen fol die Erkenntniß der Urfachen fein,
Als wenn es nicht ein Wiſſen im Befonbern gäbe, Führt
nicht. auch die Erleuntniß der Urſachen eines jeben ein
sinn Dinges in das Unenblihe? Um ſolchen Schwie⸗
rigleiten zu entgehn meint man, das. Wiffen hätte nicht
mit dem Einzelnen, fondern nur mit dem Allgemeinen zu
thun; aber das Allgemeine ohne das Einzelne iſt nur
eine leere Erfindung des Geiſtes. Dber man nimmt zur
Erlenntniß Gottes al6 der lehten Urfahe feine Zuflucht,
"Rößt aber auch dabei nur auf das Unerkennbare 2). Ger
nug dieſe Erfkärungen der Wiſſenſchaft und des Wiffens
bieten nur Schwierigkeiten dar, welche fig nicht loͤſen
laſſen.
Die Kritil der Ariſtoteliſchen Erklaͤrung bildet nur bie
Cinleitung zu feiner eigenen Erklärung, welde er wieder
der Kritik unterwirft. Er will feine Erflärung geben,
damit er nicht allein etwas zu wiſſen feine. Seine Er⸗
Märung heine ihm wahr; andern würde fie vielleicht
anders erſcheinen. Sie lautet, die Wiſſenſchaft fei bie
volllommene Erlenntniß der Sache ). Hierauf flügt er
feine Zweifel. Die Erklaͤrung iſt eine Worterklaͤrung;
1) Ib. p.40 sgq.
2) 1b. p.a gg.
3) Ib. p.51. Scientia est rei perfecha cognitio,
218
fie fegt drei andere Worte voraus, bie Sache, die Er⸗
tenntniß und das Volllommene. Jedes dieſer Worte ver
langt eine weitere Erflärung. Hierdurch find drei Tpeile
feiner Unterſuchung angegeben, welche er im weitern Ver⸗
laufe feiner fleptifhen Betrachtungen im Weſenilichen
ime Hält.
Bei Betrachtung der Sache drängt ſich ihm fogleih
die Frage auf, ob die Sage, der Gegenſtand der Willen
ſchaft, unendlich fei oder endlich. Er überlegt dieſe Frage
in verfepiebenen Beziehungen. Es kommt babei die Uns
endlichkeit der Welt in iprer räumlichen Ausbehnung in
Betrachtung; ſoll fie bejaht ober verneint werben? Au
die Möglichkeit einer Bielpeit der Welten wirb berührt
und die unendliche Tpeilbarteif der Dinge erwähnt. Nicht
weniger-ift dabei die Frage nad ber unendlichen Dauer
oder nad dem Anfange und dem Ende der Welt, nah
der Einerleipeit der Materie oder der unendlichen Ber-
ſchiedenheit derfelben. Daran ſchließt ſich auch die Frage
nach der unendlichen Reihe der Urfachen an ober ob wir
eine Tegte Urfache, einen Gott, anzunehmen haben, deſſen
Gedanfe unfere Forſchung abſchließen, aber aud wieder
auf das Unendliche uns verweiſen wäre. Sanchez ge
lebt ung ein, daß er "geneigt fei die Unendlichkeit ber
Gegenftände anzunehmen, obgleich ex fie nicht geſehn Habe;
aber er behauptet fie au nur als eine Muthmaßung
Die Philofophen Iehrten die unendliche Dauer der Welt
und nach menſchlicher Vernunft möchte man wohl biefer
Meinung beiftimmen; aber der Glaube. behaupte den Ans
fang der Welt und das Ende berfelben nach ihrer gegen
wärtigen Weiſe zu fein; darüber fönne man nur burh
Offenbarung etwas wiffen; doch will er fi auch biefen
Glauben nicht nehmen laſſen D. Wenn nun aber der
Gegenſtand der Erkenntniß unendlich fein follte, möge ex
in Gott ober in ber Welt geſucht werden, würben wir
dann micht geſtehn mäflen, daß wir ihm nicht erkennen
könnten? Der Zufammenhang der Dinge, über welchen
Sanchez weitläuftiger ſich ausbreitet, indem er die Sym⸗
pathie und Antipathie der Dinge behauptet, die Ver⸗
wandtſchaft ber Wiſſenſchaften und ihr gegenfeitiges In⸗
einandereingreifen nicht aufgeben will, führt ihn zu dem
Gage, daß nichts erfannt werben könne, wenn nicht
alles extannt ſei ?). Aber alles zu erfennen verſtattet ung
die Beſchraͤnltheit unferes Sinnes nicht und doch geht,
wie unſere Philoſophen lehren, alles Erkennen vom Siun
65). Die Beraͤnderlichleit der Oegenſtaͤnde bietet für
Sanchez einen andern Zweifelsgrund dar, Mau wird
die Trage nicht umgehn können, ob nicht auch die Acci⸗
denzen ber Gegenſtaͤnde erfannt werben müßten, wenn es
folhe Accidenzen giebt, Sie find aber wanbelbar und
bieten feinen beflänbigen Haltpunft für das Denfen dar.
Daher haben viele die Accidenzen nur für Erſcheinung
und Täufgung gehalten und doch greift ihre Erlenntniß
tief in unfere Beurteilung ber Dinge ein). Die Acci⸗
denzen ſchreibt man den Judividuen zu; aber indem fie
auf die Individuen übergehn, ſcheinen fie die Individuen
ſelbſt aufzuheben; fie fügen ihnen etwas zu, fo daß fie
4) Ib. 9.57; Sigg.
2) Ib. p. 60 sqq.
3) Ib. p. 80 sq.
4) Ib. 9.56; 85 29.
nicht biefelben Individuen bleiben; daher darf aud ber
Zweifel an der Identitaͤt der Individuen nicht ohne Weis
teres verworfen werben ). Man ſucht ſich gegen biefen
Zweifel dadurch zu ſchühen, daß man die Identitaͤt des
Individuums in der bleibenden Form ſucht; aber das
Individuum beſteht nicht allein in der Form; ich bin
diefer Menſch nicht allein, weil ich Seele bin, ſondern
zu meiner Perſon gehört auch der Leib, welcher beftändig
werhfelt. Überdies aber wäre hier die Frage nach ber
Beſtaͤndigkeit der Zormen-und nad ber Einführung ber
- Eorm in die Materie zu erheben, welche fo viele Unter⸗
ſuchungen der Philoſophen veranlaßt hat und niemals
gelöf werden wird 2). Aber wenn man au bie Iden⸗
tität der Individuen zugeben wollte, fo find doch bie
Individuen unerfennbar für bie Wiſſenſchaft, wie man
einzugeftehn pflegt, weil fie- von unendlicher Zahl und
von unendlicher Verſchiedenheit find, Man will daher
die Wiſſenſchaft allein auf das Allgemeine richten, wel⸗
ches doch ohne die Individuen nichts und eine bloße
diction iſt .
In die Unterſuchung über die Gegenſtaͤnde des Erlen⸗
nens miſcht ſich die zweite Frage nach dem Erkennen na⸗
turlich ein, weil beide zu einander wechſelſeitig gehören.
Auch find das Erkennen und fein Subject, die Seele,
ih) B. p.88, Tania quippe est identitatis indivisibilitas, ut
si punetum solum vel addas vel detraxeris a re quapiam, jam
„non omnino eadem sit; accidentia vero de individui ratione
sunt, quae cum perpetuo varientur, subinde et individuum
variari contingit, B
2) Ib. p. 89.
3) Ib. p. 67 29g-
ſelbſt Gegenſtaͤnde des Erkennens und gehören zu ben
ſchwierigſten Gegenſtaͤnden unferer Unterfuhung 3. Die
Seele aber koͤnnen wir von unferm Körper nicht trennen;
beide bilden den ganzen Menſchen. Zum gefunden Er⸗
lennen wird daher auch die Geſundheit des Körpers wie
der Seele verlangt, nicht allein bie Gefundheit des Ge⸗
hirns, weiches mit dem. übrigen Leibe zufammenpängt.
Benn auch bie Seele die Haupturſache, das Princip bes
Lebens, und der Leib nur ihr Werkzeug iR, fo haben
doch beide nur in ihrer Verbindung mit einander ihr Les
md, Die Frage über bie Möglichkeit einer Verbin⸗
dung des Leibes und ber Seele Hebt Sanchez nicht befon-
ders hervor, vielleicht weil feine Anfihten hie und da
an Materialismus fireifen; dagegen befcpäftigt ihn in Bes
ziehung auf das Erkennen der Gegenſatz zwiſchen Sinn⸗
lichteit und Verſtand. Zuweilen Mingen feine Säge fehr
ſenſualiſtiſch. Alles Erkennen geht von den Sinnen aus;
die Vergleichung der Seele mit einer unbefchriebenen Tas
fel ſcheint nicht unpaſſend; was über die Sinne hinaus⸗
geht, if nur verworrene Muthmaßung, nichts Sicheres;
das Geiſtige der Dinge, das Einfache, Himmliſche kön⸗
wen wir nicht erkennen 5). Aber dieſe Säge dienen ihm
nur dazu feine Zweifel zu begründen; denn darüber ift
er nicht in Zweifel, daß alle unfere finnlihe Erkenntniß
die Wahrheit der Dinge nicht ergreifen könne. Sie faßt
aur das Außere ayf und bleibt an den Bildern ber Dinge
1) Ib. p. 103 29.
2) Ib. p.70; 130; 139 4q,; Akyniogn 0 gr de lung.
brer, vit, 5; 9.
3) Quod nih. sc. p.80; 99; 101; 128.
.
S 22
hangen. Der Sinn erlennt nichts; er nimme nur auf.
Sollten auch die Eigenfcpaften der Dinge richtig von ihn
unterfhieden werben, fo würden wir doch alle Dinge
durch ihn nicht wiſſen, fondern nur lennen, wie ber
. Bauer. feinen Efel lennt 1). Auf ein foldes Kennen will
nun Gandez unfere Fähigkeit zu erlennen doch nicht bes
fepränft wiſſen. Daher behauptet er, es möchten wohl
nur die Anfänge unferes' Erlennens vom Sinne ausgehn,
und es beunruhigt ihn nur, daß unfere ſinnlichen Wahr⸗
nehmungen uns täufchen und nur beſchraͤnkte Fingerzeige
uns geben, alfo nur ungenägende Anfnäpfungspunfte für
das Erkennen barbieten möchten. Der ’leidenben daͤhig
leit unferer Seele finnliche Eindrücke aufzufafien ſteht eine
Unfäpigfeit derfelben Art zur Seite ). Bon ihr wird
eine active Fäpigfeit zu erfennen unterſchieden, welche nur
dem Menſchen zukommt, den Thieren fehlt, die Vernunft
oder ber Berfland. Ihr kommt bie Erfindung der Wil
fenfhaften und Künſte zu ). Sie wird ihm beglaubigt,
wenn er auf fein Inneres biidt, Zur Erkenntniß der
Wahrheit gehört es unfreitig, nicht allein das Aufere
zu kennen, ſondern auch das Innere zu durchſchauen ).
Die Wiſſenſchaft if ein inneres Schauen‘). Cine unmil
4) Ib. p.99; 106; 126; de long. et brev. vit. 5. p. 346.
2) Quod nih. sc. p.99. Mens a sensu acoepta considerat.
. Si bio deceptus fuit, illa quoque; sin minus, quid assequitur?
Imagines rerum tantum respicit, quas oculus admisit. Ib.
p-128 sq. Est haec passiva potentia tentum, cui opponitur
passiva alia impotentia, qua quis pluribus vel paucis, his vel
iliis omnino ineptus est.
3) Ih. praef. p. 8; p. 105 sq.; p. 129.
4) Ib. p. 105 59.5 p. 111.
5) Ib. p.35. Scientia autem nihil aliud est, quam interna vitio.
telbare Erleuntniß muß der mittelbaren zum Grunde lie⸗
gen; die Werke des Berflandes, welche in und find, ers
lennen wir nicht durch äußere Bilder, fondern fie offene
baren ſich unferm Verſtande unmittelbar durch fich ſelbſt;
was recht erfannt werden fol, muß ber Exrfennende uns
mittelbar in fi exfennen . Daher will Sanchez, daß
wir weiter nicht fragen follen, was Erlennen ſei; durch
Worte desfelben Bedeutung können wir wohl darüber
etwas fagen, aber innerlich wird es in uns erfahren, dann
werben wir es willen). So wie Montaigee und Char⸗
ron auf die Selbſterlenntniß und zunächſt verwielen hat
ten, und in aͤhnlicher Weile, wie Enmpanella das Erlenne
dich ſelbſt ums zurief, will auch Sanchez bie Selbſu⸗
erkenntniß zum Ausgangspunlte unſeres Erkennens machen.
Sie iſt die gewiſſeſte Erkenntniß, an welcher wir nicht
zweifeln Können. Aber er beſchraͤnkt auch dieſe Erlenntniß
auf die Gewißheit der Erſcheinungen, welche in uns ſind;
fie beglaubige uns das Daſein, in welchem wir fo chen
find, viel fiherer, als das Daſein der Kußenwelt uns
beglaubigt werden lann; was aber biefe Erfcheinungen
bedeuten, barüber gebe fie feine Wusfunft 9. Daher
1) Ib. p. 107. Quae autem ab intellectu ipso omnino fiunt
quorumgue ille pater est et quae intns in nobis sunt, non per
alian species, sed per so ipsa se produnt et aslendunt intel-
lectui. Ib. p. 112. Non per alind cognosci debet, quod per-
fecte cognosci debet, sed per ipsum ab ipsomet oognoscente
immediate. -
2) Ib. p. 105.
3) Ib. p.109 sq. Certus quidem sum, me nunc haee, quae
seribo, cogitare ‚' velle scribere eto., — — sed cum considerare
nitor, quid sit haeo cogilatio, hoc velle ete., — — sane defeit
d
2
findet er zwar in der Erlenntniß unferes Innern einen
figern Haltpunkt für unfer Forſchen, aber ex überlegt auf,
daß vieles in und fi findet, was non und nicht gewußt
wird; vieles kommt nur ald unverfiandenes Bild oder
als Sache des Gedächtniſſes in uns vor; wir nehmen
auch Falſches in uns auf ohne es für das zu erkennen,
was es iR 1); daher fann nur eine ſehr vage Vorſtellung
von uns ſelbſt uns zugefchriehben werden. Sanchez erin⸗
nert uns baran, daß bie Borftellung, welche wir: von
unferer Seele haben, in das Unbeſtimmte fi ausbehnt.
Hierin Haben die finnkichen Bilder, welde wir von den
äußern Dingen haben, einen Borzug vor unferer Et⸗
kenntniß von uns felbftz jene zeigen beftimmte Umriſſe;
wenn wir aber das Geiftige ober Überfinnliche zu beufen
ſtreben, fo fepweift unfer Gedanle in’das Unbeftimmte
aus; ed wird von uns in beffimmten Vorſtellungen ger
dacht, aber wir meinen, es Tune noch mehr ſolcher Bor-
ſtellungen faſſen, und es ſcheint ung daher als unendlich
und unbegreiffich; zu einem Wiſſen beöfelben gelangen
wir nicht N. So mögen wir wohl unzerer Bernunft ver
trauen; aber welcher Vernunft vertrauen wir alsbann?
cogitatio ete. — — Certitudine vincitur cognitio, quag de es-
ternis per sgnsus habetur, ab ea, quae de internis, quae aut
in nobis sunt, aut a nobis fiunt, trahitur.
1) Ib. p.39; p. 105.
2) Ib. p. 108 sqg. Sic speciem fingo terminatam quidem,
sed cujus neutra extremitas terminata et perfecta est, sed quasi
defectuosa, cum hao notione, quod non terminata sit neo ter-
minabilis, quia ei in aeternum addi possunt partes infinitae ex
utroque extremo. ,
AM -
So viele verſchiedene Menſchen es giebt, fo viele Arten
der Bernunft ſcheint es zu geben H.
Do erſt bei dem dritten Punkte in der Erklärung
der Wiſſenſchaft erwachen die Zweifel des Sanchez in ih⸗
zer vollen Stärke. Die Wiſſenſchaft fol die volllommne
Erlenntniß der Sache fein. Hier treten beide zuvor bes
trachteten Punkte zuſammen und fleigern fi zum hödhften
Grabe. Zum Erkennen gehört Proportion des Erkannten
und des Erkennenden. Wie würden wir nun aber eine
folge Proportion für und in Anfpruc nehmen können,
wenn bie zu erfennende Sache das Größte, das Unendliche
der Philoſophen oder unfer Bott fein follte? "Das Un-
endliche entflieht unfern Gedanken, weil wir ihm nicht
gleichen. Eben ſo ergiebt es fi, wenn wir das Kleinfe
erfennen wollen. Größtes und Kleinſtes können wir nicht
fafen. Dürfen wir fie aber deswegen in unferer Wiſſen⸗
ſchaft übergehn, als wenn fie nicht vorhanden wären?
Die volltommne Erkenntniß würde einen volllomumen Ers
fennenden und eine volllommne Sache vorausfegen. In
der Natur aber if keins von beiben zu finden®). In
ihr iſt nur Vergaͤngliches, welches in beſtaͤndigem Wan⸗
del begriffen unſerer Erkenntniß ſich nicht ſtellen will, und
wir ſelbſt gehoͤren der veraͤnderlichen Natur an und ſind
in unferm Erkennen an ihre Mittel gewieſen. Daraus
ergiebt ſich Feine beſtaͤndige Wiffenfchaft, viel weniger eine
volltommne Wiſſenſchaft. Um eine ſolche zu haben müßten
mir volllommen fein. Wenn es daher nur bewiefen wer
1) Ib. p. 79.
2) Ib. p-842q.; 180 sg. Perfecta eognilio perfectum reqnirit
cognoscentem debiteque dispostam rem cognoscendam.
ben könnte, daß wir etwas wüßten, fo wärben wir beim
Zufammenhange aller Dinge eingeflehn mäflen, daß wir
alles wüßten und baf alles in und wäre, weil wir alles
nur in ung wiflen können. Aber dieo find leere Einbil⸗
dungen. Die Lehre, daß der Menſch die Meine Welt fei,
wäürbe eine nothwenbige Folgerung aus der Annahme fein,
daß wir eine volllommne Erlenntniß hätten, Aber bürfen
wir biefe Folgerung zugeben, dürfen wir annehmen, daß
im Menſchen der Eſel und ber Löwe fei? Cine ſolche
Annahme läßt uns im Menſchen nur eine Ehimäre er⸗
bliden 2. Die vollfonmene Thaͤtigleit des Erlennens
möüffen wir daher dem Weſen vorbehalten, weldes opne
Mittel alles hervorbringt und die Wahrheit alles Seins
in ſich trägt. Gott allein, welcher alles ſchafft, lann auf
alles wiſſen ). Gott lebt das wahre Leben der Ruhe,
ja er iſt das Leben, wir aber haben nur. einen Schatten
des Lebens 5).
Mon fieht, welches Hohe Ideal der Wiſſenſchaft San-
chez im Sinn hat. Über die Geringfügigfeit der menfg-
lichen Einſicht ſcheint es ihm weit hinaus zu gehen uud
daher findet er ſich zum Zweifel: gebrungen. Sein Slep⸗
ticismus iſt in einem aͤhnlichen Sinn gefaßt, in welchem
zu Anfang unferes Zeitabſchnitts Nicolaus Cuſanus die
gelehrte Unwiſſenheit gepriefen hatte. Selbſt einige Säge
laſſen die Verwandiſchaft beider Lehten erlennen. Nur
1) Ib. p.382q. Atque 0 utinam probarent, nos aliguid
scire; tuno enim concederemus illis conseguentiam „ seilicel,
nihil sciri potest, quin sit in nobis, omnia sciantar, ergo
omnia sunt in nobis. Nuno autem major dubia est, falsa minor.
2) Ib, p. 103; 132 oqq.
3) De long. et brer. vit. 3 p. 334.
BT
hatte Sanchez nicht die hohe Meinung: vom menſchlichen
Verſtande, welche der Eufaner hegte. Bom Milrolosmus
im Menſchen will er nichts wiſſen. Nach dem hohen
Fluge der Platoniler, welche die neuete Philoſophie be⸗
gannen, hatten die wiſſenſchaftlichen Veſtrebungen ſich
bedeutend herabgeſenlt. Uns fehlt, ſagt Sauchez, das Feuer
des Geiſtes, welches in volllommner Erlenntniß ber Sache
allen Zweifeln des wiſſenſchafttichen Nachdenlens aufzu⸗
ſproſſen verbieten könnte y. In Gehelm ‚müßte: uns ein
neuer Geiſt zuwachſen, wenn wir volllommen erlennen
ſollten; es iſt dies vieleicht möglich; aber ich habe es
noch nicht erlebt. Darum will num Sanchtz die Moͤglich⸗
keit des Wiffens nicht beſtreiten; aber die Wirklichteit des;
felsen. ann er nicht zugeben. Möglichteit oder Unmoglich⸗
feit zu bemeifen if nicht feine Sache; er ſpricht von der
Erfaprung 9. Daher giebt er num auch nicht gänzlich
auf eine Erfenntniß zu gewinnen, nur nicht eine volls
fommne. Sie fol fiher und leicht ſich entwicleln; denn
die verwidelten Tpigfindfgen Unterfuchungen haßt er; fie
find weniger Unterfugungen als Betrug und -Pralereiz
fie ziehen von den Sachen ab, welchen wir unfern Geiſt
zuwenden follen I.
Werfen wir nun noch einen Blick auf die Wiſſenſchaft,
welche, und auf bie Methode, in welder er fie begrün-
ben möchte. Auf die Medicin, auf die Erforſchung der
Natur Hat er fein Auge geworfen. Gegen bie bisherigen
1) Quod nih. sc. p. 99.
2) Ib. 101 29.
3) Ib. p. 181 sg. Mihi namque in animo est firmam et fa-
üilem, quantum possim, scientiam fundare etc. :
Geſch. d. Philoſ. x. 17
Mängel dieſer Lehren iſt er nicht blind. Mit verbarges
men Dünlitäten ber Dinge mag er ſich nicht abſpeiſen
laffen. Die Behauptung derfelben iſt nur ein Belerntniß
der Unwiſſenheit 7. Eben fo wenig mag er von den
Eiaflüſſen der. Dämonen auf unfer Leben Hören Bir
haben unfern Dämon in uns, unfern Geiß, guten und
böfen; was ſuchen wir ihn außer uns 2)7 Aber auch
die Grienutnig ber ſinnlichen Eigenſchaften der Dinge,
welche nur Acciderzen find, genügt ihm nicht 5). Er
möchte die innere Natur ber Dinge erforſchen. Bas er nun
darüber exforſcha zu haben glaubt, befonders in Bejie⸗
hung auf unfer menſchliches Lehen, bas erinnert uns freis
lich nur an die Meinungen feiner Zeit und erhebt ih
über diefelben in nichts Wefentlihem. Als Beſtandtheile
der Welt nimmt er Warmes und Feuchtes anz beide find
auch in uns; eine eingeborne Wärme und Genchtigfeit
find Grundbeftandtpeile unferes Leibes; jene giebt die
Berm, diebe die. Materie desfelben ab. Um unſer leib⸗
liches Leben, über welches bie Seele die Herrſchaft führt,
va naͤhren follen beide in einer beſtimuten Proportion
‚erhalten werben *),. Man wird darüber Täceln ‚Einen,
daß er biefe Theorie doch mit großer Zuverſicht der alten
Elementenlehre enigegenfegt I; man wird aber darin,
daß er nicht weiter zu kommen, nichts Befleres anzugeben
weiß, den Hauptgrund feiner Zweifel erkennen, Über
1) Ib. p.176; de divin. p. 243.
2) De divin. p. 206 sqg.
3) Quod nih. sc. p. 175.
4) De long. et brer. vit. 11 2qq.
5) Ib. 12 p.366.
-
viele anbere Naturforſcher feiner Zeit erhebt: er ſich nur
dadurch, daß er feine Hppothefen nur mit Zweifel ber
trachtet und auf eine genauere Methode in der Erfor⸗
fung der Dinge dringt. Der Philoſoph unterſcheidet
fi feiner Meinung nad vom Unwiffenden nur dadurch,
daß er feine Unwiſſenheit kennt und in ben Mittelurfa
Gen, welche er nachweiſen Tann, nur etwas Borläufiges
fieht; denn alles füprt er auf Bott zuräd, aber nicht uns
wistelbar, fondern Hält ſich dadurch nicht für entbunden
die mittfern Urfachen aufzuſuchen, weil ex weiß, daß Gott
ohne diefelben in natürlichen Wege nichts vollbringt D.
Benn nun aber Sandpez in der Erforſchung der Mittel-
urſachen als Naturforſcher fein Geſchaͤft ſucht, fo iR ſchon
ftüher bemerkt worden, daß er ben Methoden ber Ariſto⸗
teliſchen Schule, dem Beweife, der Definition, der Divi⸗
fon und was bahin weiter einfchlägt, fein Bertrauen
entzogen hat. Er ſucht eine andere Methode, welche fih
weniger an Worte, mehr an Sachen und die Erſcheinun⸗
gen der Natur Hält. Am zweierlei verweiſt er uns in
diefes Methode, an ben Verſuch ober die Beobachtung
und an dag Urteil der Vernunft, welches bie beobach⸗
teten Erfcpeinungen auelegt und zur Erlenntniß ber Dinge
gebraucht. Weide Mittel find fehmierig und baher hatte
Sanchez im Sinn genauer ihre Berfaprungsweife zu uns
terſuchen. Wir fehen wohl, daß er damit beabfichtigte
die Wege zu erforſchen, welche bie neuere Naturwiffen-
ſchaft eingeſchlagen hat. Doc laͤßt er dadurch ſich nicht
abhalten auch dieſe Methoden mit ſeinen Zweifeln zu be⸗
1) Ib. 11 p.360 ⸗q.3 12 p. 363.
17*
gleiten. Der Verſuch kann uns doch nur das Aufere
der Dinge zeigen; das Urtheil, welches an ipn fh ans
fließt, trifft alsbann auch nur das Äußere ober, wenn
es darüber hinausgehen wollte, würbe es nur eine Con⸗
jectur darbieten D.
Wir fehen, der Naturwiſſenſchaft zugewandt in ber
Richtung, welche die neuere Zeit genommen hatte, ent
wirft er ſich nach dem methodiichen Geifte, welcher in
ihm Tebt, im voraus den Plan für fein Verfahren; aber
er Tann fi dabei doch nicht enthalten auf bie Beſtrebun⸗
gen der frühern Ppilofophie zurädzufehn, welche ein viel
höheres Ziel im Auge gehabt Hatten. Mit ihm, welches
die Erfenntniß Gottes und der ganzen Welt umfafen
ſollte, vergleicht er nun fein eignes Vorhaben und Tann
ſich nicht verhehlen, daß es dem Ideal der Wiſſenſchaft
weder dem Inhalte noch dem Verfahren nach entſpricht.
Noch nicht ganz hat Sanchez die theoſophiſche Phyſik ver-
1) De divin. p. 226. Observatio, discursus et ingenium, co-
gitatio. Ib. p.294. Ratio cum experimento. Quod nih. seit
p. 165 sq. Duo sunt inveniendae veritatis media miseris huma-
nis, quando quidem res per se scire non possunt, quas si in-
telligere, ut deberent, possent, nullo alio indigerent medio, sed
cum hoc nequeant, adjumenta ignorantiae snae adinveners,
quibus praeterea nihil magis sciunt, perfecte saltem, sed ali-
quid pereipiunt discuntque. Ea vero sunt experimentum judi-
ciumque, quoram neutrum sine alio stare potest, —- — Expe-
rimentum fallax ubique diffeileque est, quod etai perfecte ha-
beatur, solum quid extrinsece fiat ostendit, naturas autem re-
rum nullo modo. Judieium super ea,-quae experimento com-
peria sunt, fit, quod proinde et de externie solum utounque
fieri potest et id adhuc male, naturas autem reram ex conjec-
tura tantum, quas quia ab experimento non habuit, nec ipsum
adipiscitur, sed quandogue contrarium aestimat.
4
geffen, welche das Innere aller Dinge durchſchauen, alles
mit allem im Zufammenhang erfennen und bie Quelle
aller Dinge in Gott erſchauen wollte; aber nur um einen
wehmütpigen Abfchied von ihr zu nehmen wendet er
ihr feine Gedanfen zu; er findet, daß ihr Unternehmen
zu groß für die menfchliche Kraft ift und bequemt fih nun
gu einer nüchternen Forſchung auf dem Wege der Erfah⸗
rung, Zwei Zeitalter ſcheiden ſich in ihm, das eine vol
von jugendlicher Kühnpelt, das andere im Bewußtſein
geſcheiterter Hoffnungen, mit beſcheidener Schägung feis
ner Kräfte, fogar etwas gebehmüthigt, nicht ohne allen
Muth zu neuen Unterſuchungen, aber doch voll von Zwei⸗
fein und gering von ber menſchlichen Kraft denfend.
Nicht nad unferm Zwede mißt Sanchez unfere Kräfte,
fondern nach unfern Kräften ſtect er ſich feine Aufgabe,
Auch bei ihm ſtellt ſich daher ein Dunlismus heraus, in
welchem er die erfennende Seele mit ihrem Gegenſtande
vergleicht, und in jener den fichern Ausgangspunkt für
unfer wiflenfchaftliches Denten fieht, biefen aber weit
über die Faſſungslkraft unferer Seele findet. Hierauf ber
rupt überhaupt die Denfweife diefer Franzoöſiſchen Step
iiler. Bon den überfhwänglichen Hoffnungen der frühern
Zeiten waren fie hergelommen, fie konnten biefelben aber
nicht mit unfern Kräften in Einflang finden. Da wands
ten fie ſich den naͤchſten Aufgaben unferes praftifchen Les
bens und unferer wiſſenſchaftlichen Unterfuchung zu.
° Dies war nun im Allgemeinen der Gang ber philos
ſophiſchen Unterfuchungen im erflen Abfepnitte der neuern
32
Zeit gewefen. In einer gewaltſamen Aufregung ber Gei·
fer, von verſchiedenen Seiten in Bewegung gefeht und
daher mit einem: nicht veraͤchtlichen Reichthum von Bes
danken ausgeflattet, war man zulegt zu dem Ergebniß
gelommen, daß man fi zu befchränten habe, feine An-
ſprũche mäßigen mäffe, daß es gerathen ſei zunaͤchſt nur
nad einem ſichern Ausgangopunlte und einer fihern Me⸗
thode für die Unterfuchung ſich umzuſehn. Wir werden
finden, daß der folgende Abſchnitt unferer Geſchichte von
eben diefen beiden Punkten ausging. Die gegen einander
anfämpfenden Bewegungen ber Wiſſenſchaft, welche wir
durchlaufen haben, hatten die alte Rehrweife der Schola⸗
ſtiler fo gut wie befeitigt, an ihre Stelle andere Lehrwei⸗
fen des Alterthums, andere neu erfonnene Syſteme zu
fegen verſucht, weil aber feine diefer Lehrweiſen vom er⸗
ſten leidenſchaftlichen Eifer des Kampfes frei war, Hatte
auch feine zur Herrſchaft ſich erheben koͤnnen; fie mußten
nun zu einer Verftänbigung unter einander ſchreiten und
zu einer Unterfuchung der biöperigen Ergebniffe und bes
biöherigen Verfahrens auffordern. Da konnte man fih
nicht verhehlen, daß man doch bis jet glädliher in der
Erfgütterung ber alten Schule, als im Aufbau einer
nenen Wiſſenſchaft geweſen war, Es war ein Gefül ber
Beſchaͤmung, doch nicht der Entmuthigung, was die ſlep⸗
tiſchen Gedanlen der Franzoͤſiſchen Philoſophen ausſpra⸗
gen. Den Ariſtoteles hatte man zum Überbruß geleſen,
an den Blumen der Rhetorik Hatte man fih überfättigt,
mit einer wůſten Gelchrfamfeit aus dem Alterthum ſich
erfült, dem Platoniſchen Ideal der Wiflenfhaft, den
Scpwärmereien der Theoſophie allzu lange nachgeſonnen;
aud die Streitigkeiten der theologiſchen Schulen wollten
feine Befriebigung gewähren; fie hatten nur ben verhee⸗
renden Bürgerkrieg, die Berrüttung des Staato, ber
Kirche, der Sitten, die Berläugnung der Menſchlichteit
zur Folge gehabt. Da wurde man bie Zerriffenheit ber
bisperigen Bildung gewahr; man bemerkte, bag man
zur zu häufig mit leeren Worten fh gefpeift Hatte, gab
aber die Hoffnung nicht auf alkmälig weiter zu kommen,
wenn man nur fi entſchließen koͤnnte an eine firenge
Methode im Denken und an bie Natur ber Sachen fih
zu halten. Sollte dies gud nicht ſogleich zu glänzenden
Erfolgen führen und das Innere der Dinge eröffnen, fo
würde es doch genügen eine Erlenntniß zu gewähren,
welche für unfer praftifches Leben, für unfere Lage und
Bedürfniſſe das Roͤthige leiſtete und zu der Faſſungskraft
des Menſchen im richtigen Berhältniß fände,
Man if geneigt geweſen biefen exften Zeiten ber
neuern Ppilofophie nur das negative Berbienft zu Teipen
die ſcholaſtiſche Lehre mit Erfolg befritten zu haben, um
dagegen alle pofitiog Berbienfbe ben folgenden Zeiten vor⸗
qubehalten. Es iſt dies der gewöhnliche Irrthum bever,
welche nur um den Abſchluß der Ergebniffe, nicht um bie
Geſchichte des Geiſtes fih fümmern, in welher- fie ſich
gegeitigt haben. Nicht alle Zeiten haben den Geiſt, wel⸗
her in das Verſtaͤndniß früherer geiftiger Entwicklungen
einzubringen weiß. Nur buch pofitive Beftrebungen lie⸗
Ben die eingewurgelten Boruripeile ber Scholaſtik fi ber
feitigen, eine bloß verneinende Kritit würde das nicht
vermocht haben. Was die berühmteften Philofophen ber
newern Zeit gelehrt haben, if großentheils nur bas ab⸗
gellaͤrte und ausführlich entwickelte Ergebniß ber voran⸗
gegangenen Bewegungen geweſen, und nur als ſolches
wird man ed in feiner geſchichtlichen Bedeutung begreifen
Können. - An Reife: ber Überlegung it die folgende Zeit
dem betrachteten Abſchnitte überlegen; nicht aber fo an
Fülle der Gedanken, an urfprünglicher Kraft, welde im
Kampf mit feindlichen Gewalten fi bewähren ſollte.
Die:folgende Zeit kam daqzu ſich felbft zu beicpränfen; man
wird es nicht wunderbar finden, daß bie ihr vorausge⸗
hende Leprweife, ehe fie zu ſolchen Beſchraͤnkungen lam,
einen groͤßern Reichthum der Gebanfen zu umfaffen firebte.
Bir haben in unfern neueflen Kämpfen die Schwächen
und Beſchraͤultheiten der neuern Philofophie Tennen ges
lernt und dabei manden Gedanlen wieder erneuern ges
lernt, welcher in ber Entwidlungsperiobe der neuern
Zeit ſchon fehr Iebendig ſich geregt hatte,
Was aber in diefer Periode tm Algemeinen mit Recht
vermißt wird, iſt das ruhige, methodiſche Fortſchreiten.
Muthmaßungen, Phantaflen, theofophifhe Schwärmereien
machen fi Hreitz bie Logik wird nit felten verfpottet;
dem geregelten Berfahren ber Scholaſtik fegt man häufig
nur abfpringende wigige Einfälle entgegen; es find oft nur
Vorahndungen fünftiges Beweiſe, welche ung hier begeg⸗
nen. Es gehört ſchon ein tieferer Blick dazu um in den
umberfhweifenden Gedanlenwindungen biefer Zeit bie Bes
weggrünbe zu entdecken.
Dennod wird man fie nicht verfennen, wenn man
nur einigermaßen Ausgangspunkte und Enbpunfte biefer
Zeit zufammenzurechnen weiß. "Stellen wir eben einan⸗
der die Gedanken des Nicolaus Eufanus, mit welchen
wir begonmen, und bie Gedanlen das Sanchez, mit wel
Gen wir geichloffen haben, fo werden wir ihre Berwandts
ſchaft nicht überfepen können. Sie dringen beide darauf,
daß zum Willen die Erfenntniß des ganzen Weltzuſammen⸗
hangs, das innerlihe Durchſchauen ber Dinge in einem
Dt, der alles anf feinen legten Grund zurädführe, ges
hören wärbe; fie gweifeln beide, ob ein ſolcher Blick in
voller Algemeinpeit uns verſtattet fein möchte, nur if
der Zweifel bei Sanchez viel ſtaͤrker ausgedrückt, als beim
Eufaner. Wärend ber letztere und wenigftens eine Annähes
rung an das Ideal der Wiſſenſchaft in einem unendlichen
Streben geflattet und eine myftijche Ergänzung unferer pers
ſoͤnlichen Unfähigkeit dur den Glauben und die Gnade
Gottes und hoffen läßt, erblickt ber erſtere uns nur in weites
ſter Gerne von unferm Ziel und verſchmaͤht jedes unwiſſen⸗
ſchaftliche Hülfsmittel, um uns nur auf bie natürlichen Mit⸗
tel anzuweiſen, durch welche wir eine menfchliche Wiffenfchaft
von der Ratur in der Arbeit des Verſuchs und des Ur⸗
theils über ihn wenigſtens vermuthungsweiſe gewinnen -
könnten. Die Anfiht vom Ziele if diefelbe geblieben;
aber das Bertrauen auf menſchliche Kräfte und menſchliche
Mittel Hat ſich geſchwaͤcht und daraus hat ſich ergeben,
daß wir und befcpränfen und mit unfern Mitteln haus⸗
halten möfjen. Auf. biefen Erfolg hatte bie ganze Ent
widlung der zwiſchen dem Eufaner und Sanchez liegen⸗
den Zeit hingearbeitet. Er beruht wefentli darauf, dag
die religiöfen, fittlihen und wiſſenſchaftlichen Borberungen
der Bernunft mehr und mehr an die natürlichen Bebin-
gungen, unter welchen wir in ber Welt ſtehen, heran»
gezogen wurben. Inter Berüdfihtigung berfelben mußte
man lernen, daß der denfende Geiſt, wie gern er bie Bande
der Natur ſprengen moͤchte, doch in Gehorſam besfelhen
fich fügen müffe, ſelbſt wenn er fie zu Aberwinden lernen
follte. Die Naturanſicht der Dinge machte fi auch in
Beziehung auf ben Menſchen geltend. Man bemerkte vie
taufend Fäden, welche und an das irdiſche Leben heran⸗
ziehn; in einem religiöfen Fluge uns über basfelbe zu
erheben, konnte man nit ohne Weiteres geſtatten; wir
gehören der Welt anz ihr Wert muſſen wir betreiben
yelfenz daß wir ihr alleiniger Zwech, nicht auch als Mit
tel ihr dienſtbar fein follten, glaubte man nicht mehr bes
haupten zu Können.
Diefer Zug den Menſchen und feine Wiſſenſchaft an
die Natur heranzuziehen geht durch diefen ganzen Abſchnitt
unferer Geſchichte hindurch; ihm hat nichts wiberfichen
koͤnnen. Auch bie Philologie und die Theologit dieſer
Beiten, welche neben ber Naturforfchung den größten
Einfluß behaupteten, haben ſich ihm anſchließen mifen,
Was die Tpeologie betrifft, fo mußte die katholiſche
Partei zugeftehn, daß alles, was dem weltlichen Leben
fich anfcpließt, feine eigenen Gefege habe; fie mußte bem
leiblichen Leben und allem, was ihm bient, alfo auch der
. Naturforfchung, feinen Lauf laſſen; fie konnte nicht ver
meiden, daß von der Betrachtung diefer Dinge aus Grund
fäge aufgeftelt wurden, welche mit den Lehren der Theo⸗
Ingie in Widerſpruch ſtanden, wenn man fih nur dazu
bequemte einzugeſtehn, baf über bie weltliche Forſchung
hinaus ein höheres Gebiet bes geiſtigen Lebens liege und
daß zu deffen hoͤhern Zwedten die Geſetze der Ratur durch⸗
brochen werden Tönnten, ein Eingeſtaͤndniß, welches nit
zu ſchwer Halten fonnte, wenn man im Bewußtſein uns
feres beſchraͤnlten Erlennens weniger auf ben allgemeinen
Zufammenhang aller Dinge als auf die Forſchung im
Einzelnen fein Augenmerk gerichtet hatte, Die proteſtan⸗
tiſche Theologie, viel weniger als bie latholiſche bemüht
das Weltliche Lehen in Unterwürfigfeit unter der geiſtigen
Gewalt zu erhalten, konnte, dem Zuge nad allgemeiner
Bildung, nach der Erfenntniß der Welt und ber Natur
nit widerſtehn; ihre eigenen Kräfte hatte fie aus biefem
Zuge verſtaͤrtt; wir fehen fie daher ſelbſt bie Phyſik pfle⸗
gen und in den natarlichen Trieben, in ben eingebornen
Begriffen der Vernunft eine Stüge für die Religion fu
den. Es gehen daraus bie Anfichten hervor, welche wir
bei Tausellus gefunden haben, daß bie Philoſophie der
Grund der Theologie fei, daß fie Gottes Macht und
Eigenfchaften, wie fie in der Natur fih zeigen, aber nicht
feinen Rathſchluß über die Menſchen erfunde, daß bie
Natur, ein far allemal von Gott geſchaffen und georbnet
feiner Leitung durch die Vorſehung bebürfe, fondern ihr
ten unwandelbaren Gefegen folge, wärend nur ber ſchwache
Menſch die Beipülfe Gottes in Anſpruch zu nehmen habe
und nur durch fie ferner Befimmung zum ewigen Heil
thellpaftig werben könne. Durch allen Einfluß, melden
bie Theologie gegenwärtig noch ausübte, ließ fih nur fo
viel behaupten, daß außer bem Gebiete des natürlichen
Lebens, welchem man feine Selbſiſtaͤndigleit und fein ei⸗
genes Geſetz zugeftehn mußte, noch ein höheres geiftliches
Leben und Sein anzuertennen fein, ein Dualismus zweier
von einander abgefonberter und durch nichts höheres ver-
bundener @eblete, welder mod geraume Zeit in der
meuern Denlweiſe fih behauptete. Bon biefen Bahnen
Ienfte nun freilich die vollothümliche Richtung der Theo:
logie bei den Proteftanten ab, aber nur um eine theofos
phiſche Anficht zu begünſtigen, welche die Religion mit
einem Naturproceß zu verwechſeln in Gefahr war und
ohne Zweifel das fittlihe Leben in das Gebiet des Na
türlichen zog und den natürlichen Gegenfägen unterwarf.
In dem Einfluffe, welchen die Philologie auf ben
allgemeinen Gang der Wiflenfchaften ausübte, Tann man
zwei Richtungen unterſcheiden, eine vorherfchend reale und
eine vorherſchend formale. Die letztere, überwiegend bei
den Lateinifchen Philologen, beſtritt bie alte Logik und
Metappyfi um an deren Stelle eine Anſicht der Dinge
zu fegen, welche dem gefunden Menfchenverfande, ber
natürlichen oder gewöhnlichen Denk» und Rebeweife fh
anſchließen folte. In ber Übung des Redens und des
Schreibens, in welder bie Alten uns die beften Muſter
barböten, hoffte fie eine einfache Logik auszubilden, welde
uns fähig made über alles zu urtheilen. Aber diefe Lo:
git erſchien ihr doch nur als ein Werkzeug zur Erkennt
niß der Sachen, in welcher wir uns an bie Erfahrung
zu halten und durch Induction vom Befondern zum Als
gemeinen aufzuſteigen ‚hätten. Hierüber. gerieth fie, wie
wir an Nizolius fehen, in bie Gefahr in Materialismus
zu verfallen, weil fie durch die Erfahrung an das Sinnliche
ſich gewiefen ſah. Es iſt offenbar genug, wie biefe Rich⸗
tung der Philologie an die Schranken unferes Verſtaͤnd⸗
niffes und gemahnen mußte, ja den Sleptieismus begün⸗
Rigte, indem fie von der ſchwanlenden Grundlage der ges
wöhnlichen Denke und Rebeweife ausgehend, ber Rhetoril
fih zuwendend nur Wahrſcheinlichleit in unfern wiſſen⸗
ſchaftlichen Unterſuchungen uns verſprechen konnte. Vom
Skepticismus trennte fie nur der Glaube an die Weisheit
der Sprade und an die Vorkreffliäfeit der Schulbildung
in ben philologiſchen Übungen, wärend eben jene Weis⸗
heit und dieſe Schulbildung praftifgen Menſchen und
Naturforſchern ſehr ungenügend zu fein ſchienen. Einen
hoͤhern Schwung nahm bie reale Richtung ber Philologie,
welche in ihrem allgemeinen wiſſenſchaftlichen Einflug den
Platon und den Arifisteles zu Muftern fih genommen
hatte. So lange bie Liebe zur Platonifchen Philoſophie
in ihr vorherrſchte, begünftigte fie unfreitig eine For⸗
hung, welche bie Höcften Aufgaben der Wiſſenſchaft
nicht zu ſchwer fand. Wir haben gefehn, wie Ficinus
die mittlere Stelle, welche die unfterbliche Seele des Men⸗
ſchen inne Hat, wie Pico die Würde des Menſchen über
alles prieß. Der Gedanle an unfere Verwandiſchaft mit
der ganzen Welt, welche mit uns in allen ihren Theilen
das Leben gemein haben follte, ja an unfere Verwandt⸗
ſchaft mit Gott fehlen zu den kühnſten Hoffnungen für
unfere Wiſſenſchaft zu erheben. Aber wie alle Überliefes
rang aus früherer Zeit die Farbe der Gegenwart ans
nimmt, fo war au der Platonismus der neuern Zeit
nicht bei den metaphyfiihen Fragen feſtzuhalten. Erkennt⸗
niß der Welt, der Natur und Macht über die Natur
ſollte er gewaͤhren; nur unter dieſer Bedingung konnte
man ſich ihm ergeben. Da geſellte ſich die Theoſophie
m ben geheimen überlieferungen der Platoniſchen und
der Vorplatoniſchen Schule. Der Ariſtoteliſchen Phyſik
ſchien man nur dadurch gewachfen zu fein, - dag man
0
Üe eine tiefere, die Geheimniſſe der Natur eröffnende
Phyſil zur Seite ſtellte. Wer jedoch mit ber Natur fih
einläßt, der bereite ih vor die Macht ihrer Rüdwirkung
zu empfinden. Gar bald mußten ba bie ſchwaͤrmeriſchen
Hoffnungen fhwinden, in unmittelbarer Auſchauung ober
in einer geheimen Überlieferung den Schlüffel zum Innern
der Natur zu finden. Wir find zwar verwandt mit Bott,
aber feine unmittelbare Erleuchtung können wir nicht er⸗
tragen; wir find verwandt mit den natürlichen Dingen,
eine fympatpetifche Liebe verbindet uns mit ihnen; aber
wir haben auch den Haß zu überwinden, welcher bie Dinge
und und untereinander entzweit. In biefen Betrachtungen
entging man ber Berzweiflung an aller menſchlichen Wiſſen⸗
ſchaft nur dadurch, daß man die Arbeit des Verſuchs über
nahnm, welche und einen Blid in die Geheimniſſe der Natur
vermitteln koͤnnte. Wir fehen nun bie Platoniter allmälig
mehr von bes metaphyfiichen Forſchung eblommen und zu
phyfiſchen Unterfuggungen fi) bequemen. In einer ähnlichen
Bewegung finden wir auf) bie reale Richtung ber Philo⸗
logen, welche der Wiederherſtellung ber echten peripatetis
ſchen Lehre ſich befliß. In ihr bildete ſich immer flärter
die Anſicht aus, daß der Menfd- in feiner Philoſophie
nur die Natur erforſchen folle, fo wie er in feinem Le⸗
ben an die Bebingungen der Natur gebunden ſei. Schon
Yomponatius drang mit Nachdruck auf bie. Abhängigkeit
bes Menſchen von’ feinem Leibe, durch welchen ex mit
ber übrigen Welt im Zufammenhang ſtehe. Nicht min
der behaupteten diefelbe Caͤſalpiaus, Zabqrella, Eremonis
mus, indem fie nur noch hinzufügten, daß alle weltliche
Dinge ihr geiſtiges Leben nur in Verbindung mit bem
A.
ri
Woteriellen haben tinnten. Zulegt fam man fogar zu
der Meinung, daß auch Bott in philoſophiſchem Wege nur
in Verbindung mit der Welt und der ewigen Bewegung
der Materie ſich beufen laſſe, daß ihn aber als ewigen
Iwed und zeine Intelligenz zu denken nur ber Tpeologie
etoımme, Go Hatte ſich aus den zwiefpältigen Meinuns
gen der Zeit eine dualiſtiſche Auſicht herausgebildet, welche
in verſchicdenen Lehrweiſen ſich zu erfennen gab. Um den
Hader zwiſchen Philoſophie und Theologie zu entgehu
trennte man beide von einander, ohne eine höhere Eins
hei. füu beide. zu ſuchen; in ber philoſophiſchen Lehre
nopm man wieder ein Doppeltes an, Geiſt und Körper,
Gates und. Böfes, Liebe und Haß, deren Verbindung
unter einanber als Problem vorlag. Go wie am Ende
unſeres Zeitraums bie Lehre bes Campanella biefen Dua⸗
liomus offen in dogmatiſcher Weiſe ausſprach, fo lag er
den Zweifela ber Franzoͤſiſchen Philoſophen zum Grunde
wand ſelbſt in der Tpeofoppie Bohme's und Helumons
fand er nach verſchicdenen Seiten zu feine Bertretung.
Dualiſtiſche Lehren find gu verſchiedenen Zeiten aufs
getreten; ber. befondere Charalter berfelben hängt von
der verfihiebenen Miſchung ihrer Beſtandtheile ab. In
diefer liegen auch die Keime zu ber fpätern Entwicklung,
welche aus dem Dualismus hervorgehen muß, weil
bie Wiſſenſchaft Einpeit ihres Princixs zu ſuchen hat.
Wir dürfen es: nicht unterlaſſen bie beſondern Lehren in
das ‚Ange zu faffen, melde in biefem newern Dualismus
fi begegueten. Wir wollen hierbei zuerſt das Berhäkt-
niß betrachten, in welches bie verſchiebdenen Zweige der
Wiſſenſchaft ſich zueinander felten,
Bon dieſer Seite zieht kein charakteriftifcher Zug der
Zeit unfern Blid flärker auf fih als bie Abfonberung
der Ppilofoppie von der Theologie, Bon ber Scholafif,
welche alles Wiſſen auf die Theologie bezogen und bie
weltliche Erlenntuiß vernachlaͤſſigt hatte, war man immer
mehr abgefommen. Man hatte aber auch noch nit anf
gegeben für die menſchliche Vernunft eine endliche Ber
friedigung zu ſuchen und da die Philofophie fie nicht zu
gewähren ſchien, vertraute man noch den Verheißungen
der Theologie. Diefe Trennung zweier Lehren, bie in ih⸗
sen Ausgangs und Enbpunften auseinandergehen folten,
Hat fi doch nur allmälig vollzogen. Unſtreitig hatten
bie erfien Bewegungen der.neuern Philoſophie, wie Ri⸗
colaus Eufanus und die Platonifche Schule fie einleiteten,
noch nicht das Beſtreben Theologie und weltliche Wiſſen⸗
ſchaſt von einander abzufondern. Nur das war in ihnen
ausgefprochen, daß die rechte Tpeologie nur durch bie
Extenntniß der Welt hindurchgehn koͤnne. Auch die Theo⸗
foppie, welche aus ihnen hervorging, ſuchte Philoſophie
und Theologie in Vereinigung zu erhalten. Aber dieſe
Vereinigung beider unterſchied ſich weſentlich von der,
welche die Scholaſtiler im Sinn getragen hatten. Die
Erforſchung des innern Lebens und der Natur trat an
die Stelle der Unterſuchungen, welche abſtracte Begrift
au beſtimmen ſuchten ober an Ueberlieferungen der heili⸗
gen Schrift und der Kirche ſich anſchloſſen. Dabei laſſen
fich freilich noch fehr bedeutende Schwankungen bemerken.
In den Gebanfen eines. Paracelfus, eines Jacob Böhme,
welche noch fpäter große Nachwirlungen gehabt haben,
werben wir das Beſtreben gewahr bie ganze Welt ald
eine Offenbarung des götilicken Willens und als eine
heilige Geſchichte zu begreifen; aber wir fehen in ipnen
auch fehr entſchieden die Anficht vertreten, daß alles in
dieſer Welt nur in einem Naturproceſſe ſich entzweit und
verbindet und dieſer Streit der weltlichen Kräfte doch nur
ein Symbol des ewigen Friedens if, Der Dualismus
dieſer Anſicht laͤßt ſich nicht verlennen, welche Beſtrebungen
auch gemacht werben ihn zu überwinden. Vergleicht man
damit Helmont’s Lehre, welche aus denſelben Quellen ger
fofen war, fo findet ſich als Ergebniß diefer Beſtrebun⸗
gen deutlich ausgeſprochen, daß wir doch in das innere
Heiligthum Gottes auf dem Wege phyſiſcher Forſchung
nicht eindringen koͤnnen, daß dies vielmehr der Theologie
oder der Religion vorbehalten ſei. Und mäffen wir nicht
fagen, daß biefer gelehrte Zweig der Tpeofophie, welchem
‚ Helmont angehörte, doch einen großen Vorzug vor ihrem
Deutſchen Zweige hatte, weil er zu einer genaueren Beob⸗
achtung der Natur gefommen war? Die Schwäche ber
Tpeofophie, an welcher fie. zu Grunde gehen mußte, bes
ruht hauptſaͤchlich auf ihrem Mangel an Methode; ale
fie nun zu einer Apndung ber Methode in ber Erfor⸗
ſchung der Natur kam, mußte fie fih zu dem Dualismus
befennen, welcher in der Phyſik nur einen Schatten und
“eine Vorbereitung für die Theologie ober die höhere
Weispeit- fieht. Dies Endergebnif finden wir in der Pla⸗
tonifhen Schule überall mehr oder weniger ausdrüclich
anerkannt. Auch Patritius, auch Giordano Bruno ziehen
fib von dee Metaphyſik zurüd, “bezeichnen die phyfiſche
Unterfuchung als ben Zwed ber Philofophie und bie Theo⸗
logie als das Bewußtfein ber höpern re welche
Geſch. d. Philoſ. x.
274
die Philoſophie nicht gewähren koͤnne. Bon den philolo⸗
giſchen Beftrebungen um die Form der Philofophie war
nicht zu erwarten, daß fie einer Bereinigung ber Philo⸗
foppie mit der. Tpeologie ſich günfig erweifen würden;
bie entſchiedenſte Entwicllung derſelben, welche Nizolius
vertritt, trug vielmehr auf eine gaͤnzliche Trennung bei⸗
der an. Dasfelde Ergebuiß hatten aber auch die philo⸗
ſophiſchen Unterſuchungen, welche an die proteſtantiſche
und katholiſche Theologie ſich anſchloſſen, aus Gründen,
welche in ihrer Natur Tagen und von uns Hinlänglig er⸗
Örtert worben find. Am deutlichſten ſprachen bie Lehren
des Campanella und des Taurellus fie aus. Wenn jener
die Forſchungen ber Philofophie empfal, fo geſchah es
nur, weil er biefelben als eine Pflicht unferes weltlichen
Lebens anfah, welches zu unferer Erhaltung dienen und
auf uns ſelbſt uns zurüdführen ſollte, aber doch nicht im
Stande wäre ſich ſelbſt von feinen natürlichen Störungen
zu befreien. Unter den Entwidlungen unferes weltlichen
und finnlichen Lebens ahndet er alsdann einen verborges
nen Plan Gottes, welden wir nur muthmaßten und
über welchen: nur bie Theologie Aufſchluß geben könnte.
Taurellus dagegen bemüht fih uns zu zeigen, daß bie
Philoſophie zwar die Gefege der Natur und in ihnen bie
Allmacht und Volllommenheit Gottes uns estennen laſſe,
daB fie aber doc den Willen Gottes mit und Menſchen,
das Wert feiner Vorſehung uns nicht verkünden koͤnne.
So bleibt ihr, was bie Tpeologie allein weiß, ber Weg
zu unferm Helle verbomgen und in richtiger Folgerung
zieht Hieraus Zaurellus den Schluß, daß die Ppitofophie |
uns nur der Berzweiflung überlaffe. Die Reinigung der |
peripatetiſchen Lehre erwägne ih nur mm daran zu erin ⸗
nem, daß fie in immer flärfern Zügen ben Gegenſatz
zwiſchen theologiſcher und Be u u
geſucht Hatte. un
So wie die Theologie von ver Yptofoppie PM
ſchieden worden war, fo fonnte auch die Metapyyfiß nicht
mehr. auf der Höhe fih erhalten, welde.fie faͤcher auge ⸗
ſtrebt Hatte. Sie wurde immer mehr nur als ein Mittel
betrachtet, durch welches bie Unterfuchungen. über;bie Welt,
befonbers über die Natur betrieben und bie Gxenzen ui
ſchen Philoſophie und Theologie feſtgeſtellt werbenitöuns
ten. Diefe Richtung verfolgten vornehmlich - die neuern
Veripatetiler, welche in Bott zwar ben: Zweck, aber nit
die bewegende Urſache der Welt fahen, bie.Erforihung
des Böttlichen von der Phyſik und das. Sein Gottes von
der Ewigkeit der Welt abhängig machten. Demfelben
Ziele zu, nur in einer andern Richtung firebten bie. Ges
danken ber Platoniler, wenn Patritius und ‚Biordano
Bruno zwar das Unendliche der Welt und: bes. natürlis
den Werbens zum Gegenftande ihrer. philoſophiſchen Bor«
ſchung machten, aber doc zugeflanden, daß biefe Unend⸗
lichleit der Unendlichteit und Ewigkeit Gottes nicht glei
fomme und daß unfere weltliche Forſchung Feine endlihe
Befriedigung in dem Fluſſe der. Erfheinung finden Tune,
Bon allen Seiten tritt hierbei ber Gedanke hervor, daß
die Gefege ber Welt oder ber Natur feine Eingriffe aus
einem höhern Gebiete verfatten und Keiner weitern Fort⸗
bildung bebürftig find. Hoͤchſtens giebt man gu, daß die
Natur- zu ihrem Beſtehn des Beiſtandes Bohtes bebärfe;
eine ber Natur gegenwärtige Macht Gottes‘ über fie fin«
18*
den nur hie erträglich, weldje geneigt find Gottes Macht
mit der Macht ber Natur in gleicher Bedeutung zu nehmen,
Sehr ‚allgemein find die Brundfäge verbreitet, welche Te⸗
leſius und Campanella deutlich ausſprachen, daß bie Ne
tur ſich ſelbß exhalte, daß fie weder einer Vermehrung,
noch einer Verminderung fähig fe, Zwar pflegte man
noch Zwede der Natur anzunehmen; aber in ber fih
Bleibleibenden oder nur im Kreislaufe fi ermeuenden
Natur mußte es ſchwer halten ſolche Zwede nachzuweiſen.
Dex Zwedbegriff wurde daher immer mehr fallen gelaſſen
obsötnur im verborgenen Hintergrunde des weltlichen Le⸗
bens geahndet. .
> Unter ber Herrſchaft diefer Denkweiſe konnte die Eihil
feine" günftige Pflege erwarten. Die Peripatetifer fegten
fie zu einer praktischen Kunft herab oder glaubten von
phyfifgen .Grundfägen aus über fie Lit verbreiten zu
toͤnnen. Teleſius und Campanella finimten hierin bei und
wollten. das weltliche Begehren anf die finnlichen Triebe
und Affeete der Seele und zulegt auf Selbfterhaktung zu⸗
rüdfüpren.. Auch Giordano Bruno und die Theofoppen
waren geneigt das fitliche Lehen nach Analogie des Nu
turproceſſes ſich zu denfen. In. vielen Gedanken klaugen
auch die Anſichten wieder an, welge das Gute mit bem
Angenehmen verwechfelten und die Theologen brachen bem
weltlichen Leben -feine Spige ab, indem fie das höre
Gut außer Berbindung mit bemfelben ſetzten. Am un
verlennbarſten äußerte ſich bies in ben politiichen Theo
vien ber latholiſchen Theologen. Die Herrſchaft über das
weltliche Leben wollten fie dem Stante überlaffen, aber
den Staat betrachteten fie nur als das Ergebniß eines
277
willlurlichen Vertrages und nur durch feine Unterwerfung
unter bie Kirche follte ipm feine Bedeutung "für den letz⸗
ten Zwed unfered Lebens vermittelt werden, Es if ein
eigen der Zeit, daß niemand in biefem Abfchnitte ber
Geſchichte die Rechte des fittlichen Lebens Träftiger ver⸗
kat, als die Franzoͤſiſchen Skeptiler, Montaigne und
Charron. Wenn der letztere in bem Bilde, welches er
von der Weisheit entwarf, noch den Verſuch einer fyfles
matiſchen Ethik machte, fo zeigt feine ſleptiſche Denkweife
deutlich genug, daß man in biefer Zeit die menſchliche
Bifenfpaft für unfäpig hielt uns ben richtigen miktlern
Weg dur den Gehorfam gegen Sitte und Gefeg und
durch die perfönliche Freipeit hindurch zu zeigen. Nur
indem ex diefe der Innern Denkweife vorbehielt, jener das
äußere Leben untertwarf, glaubte er eine Auskunft gefun⸗
den zu haben, werrieth aber dadurch zugleih den Zwie⸗
fpalt, welchen feine Zeit zwiſchen äugerm und innerm Leben
ſah. Im Hintergrunde diefer Lehre konnte man wohl bie
Hoffnung auf eine weitere Ausgleichung erbliden, wenn
fie auch die verborbenen Sitten auf einen Trieb der Na-
tur zurüdguführen gerieigt fehlen; aber es zeigte fih auch
hierin die weit verbreitete und flarfe Neigung mehr ber
Natur als der Vernunft zu vertrauen.
In allen diefen Gedänfen über bie Haupitheile ber
Wiſſenſchaft giebt fih das Beſtreben nach einer gänzlichen
Umgeſtaltung derſelben zu erfennenz ihm ſetzte aber die
Krone auf, was man in der Logik unternommen und
ſchon zu einem beftimmten Ziele durchgeführt hatte, Man
wird das Gewicht nicht verfennen, welches bie Beſtre⸗
bungen ber Philologen nach Vereinfachung der Logik hat
278
ten. Alle die Gebanten, welche in der Ariftoteliſchen Lo⸗
git die Erlenntnißlehre betreffen, Hatte man der Pſycho⸗
Angie zugewiefen; die Kategorien waren der Metaphyſil
vorbehalten worben; für die Logik blieb nichts übrig als
die Unterfahungen über bie Bormen des Denkens, welche
man aus einer Beobachtung über die Formen unferer
ſprachlichen Ausfagen zu entnehmen ſuchte. So ik die
Logik gu der Geſtalt gefommen, welche fie durch ben Ber
lauf der nenern Philoſophie beibehalten hat. Sie if ein
Erzeugniß des von uns betrachteten Zeitabfepnittes; ber
Nominalismus hatte ihr vorgenrbeitet und mit ihr über-
trug ſich aud ber Nominalismus auf die neuere Philo⸗
ſophie fat ohne Beſchräͤnkung. Durch ihre Vereinfa⸗
chung jedoch verlor die Logik auch an ihrer wiſſenſchaft
lichen Bedeutung. Die Stimmen erhoben ſich, welcht
fie für Seinen Theil, ſondern nur für ein Werkzeug ber
Philoſophie erllaͤrten; auch bie einflußreiche peripatetiſche
Schule und Campanella wollten ihr nur dieſen Rang |
zugeſtehn. Schon hatte fih die Meinung erhoben, daß
fie nur für Wortgefechte brauchbar fe. Daß man nun
bei diefem Ergebniſſe hätte fiehen bleiben können, daran
wäre freilich nicht zu denfen gewefen. Man bedurfte eis
nee philoſophiſchen Unterfuhung über bie Methode der
Wiſſenſchaften, welche auch die Gründe bes Exfennend
nicht unberäprt laſſen konnte, Aber die Ariſtoteliſche 8
sit, die Theorie des Beweifes vom Allgemeinen aus,
wollte Hieszu nicht genügen. Die Lulliſche Kunſt, welhe
man wieber hervorzog, gab noch weniger Befriebigung.
Der Gang der Unterſuchungen, in welchen man ſich ver
fegt ſah, mußte weiter leiten. Diefe hatten ohne Zwei⸗ \
Pu |
fel vorherſchend ihr Abſehn auf bie Phyſik genommen,
da die Teologie von der Philoſophie ausgeſchieden,
die Metaphyſik abgeſchwaͤcht, Ethik und Logik faſt gam
beſeitigt waren. Pl den Forſchungen in der Natur⸗
Ihre mußten daher auch bie Unterfuhungen ansgehn,
welche eine neue Methodenlehre begründen follten. Im
Gange dieſer Zeit fehen wir nun immer flärker bie Ges
danfen hervortreten, welche uns in ber Entwidlung unfes
res Geiſtes an unfer leibliches und finnliches Leben. bin
den wollen. Nicht allein Peripatetifer, wie Pomponas
tius, wiefen auf diefe Verbindung hin, ſelbſt die Theoſo⸗
phen konnten fie nicht verkennen. - In ihrem Beſtreben
die Natur zu durchſchauen fahen fie ſich an die Erfah⸗
tung verwiefen, wie dies ſchon Agrippa und Paracelfus
begriffen. Wenn man auch in der Weife der Platoniker
den Ideen der Vernunft vertrauen wollte, fo Torinte man
doch davon nicht ablommen, daß äußere Anregungen we⸗
nigſtens Beranlaffung zur Erkenntniß der Natur uns dar⸗
bieten müßten. Wenn nun fon Platoniker und Peripas
tetiler auf die Erfahrung als auf ven Ausgangspunkt des
Erlennens hinwieſen, fo betrachteten es die Skeptiler als
tinen allgemein zugeftandenen Sag, daß alle unfere Er⸗
lenntniß von ben Sinnen beginne, Stärfer und ſtaͤrker
trat die Neigung zum Senfunlismus hervor; bie zu den
änferfien Folgerungen ſchritt fie fort. Nicht allein konnte
Cemoninus es als ein allgemeines Ergebnig der wiffen-
KHaftlichen Bildung ausſprechen, daß es feine angeborne
Begriffe gebe, fondern Telefius und Campauella entwidels
ten auch ſchon eine zufammenhängende Lehre darüber,
daß umfere weltliche Erkenntniß überall von der Natur,
d. h. vom Sipn fih belehren laſſen müfle, daß unfer
weltlicher Verſtand nur auf einem Empfinden gleihfem
aus ber Gerne, auf einer Nachwirkung abgeſchwächter
finnlicher Empfindungen beruhe und ügfere weltliche Wiſ⸗
ſenſchaft anf Geſchichte, d. h. auf Empirie hinauslaufc,
ja die Meinung, welche Campanella ausſprach, war in
Umlauf gelommen, daß wir im Gedanlen der Gubflan
nichts anderes als nur eine Sammlung ber Tpeitoorfel-
lungen fegen, welche die finnlichen Einbrüde uns gebragt
haben. Hiermit ſtimmt auch im Wefentlihen bie Mei⸗
nung bes Nizolius überein, daß bie wahren Einpeiten der
Ratur nur in der Sammlung der befonbern Gegenflände
unferes Denfens beſtehn. Es läßt fi erwarten, daß die
Philoſophen, welche diefer Richtung folgten, für das mer
thodiſche Verfahren in Entwidlung unferer natürlien Er
lenntniſſe die Induction empfalen. Was Arifoteles über
fe mehr angedeutet als entwickelt Hatte, wurde jegt mit
Vorliebe hervorgeſucht, beſonders von den naturforſchen⸗
den Peripatetifern, die von ber Erfahrung zur Erlennt⸗
niß allgemeiner Geſetze auffleigen wollten. Sie empfalm
neben dem abfleigenden das auffteigende, wie Gäfalpinus,
ober neben dem analptifchen das ſynthetiſche Verfahren,
wie Zabarella, mit bem Anſpruche fogar als das allei⸗
nige Verfahren ber fpeculativen Wiffenfchaften zu gelten,
Noch weiter ging Nizolius, deſſen Methode ber Zufam-
menfaffung tichts anders ale Induction bezwedte, der um
biefer Metpode Bahn zu machen bie Abftraction vom Bes
fondern beftritt und zu bem Ergebniffe gelangte, daß bie
Wahrpeit der allgemeinen Säge nur auf ber Feſtſtellung
der Sprache beruhte. Mit einer ſolchen Aügemeinpeit,
welche durch bie Erfinder der Worte feſtgeſtellt werde,
mochten fih nun wohl bie Philologen begnügen, aber
gewiß nicht die Richtung ber Zeit, welche nicht an bie
Sprade, fonbern an die Sachen fih halten wollte, welche,
wie Sanchez es ausſprach, bie philologiſchen, durch Aus⸗
nahmen beſchraͤnkten Regeln verſchmaͤhte um bie unver⸗
brichlichen Regeln der Natur zu finden. Wenn nun in
allem dieſem bad Streben nad Umgeftaftung der wiſſen⸗
ſchaftlichen Methode fi verkündet, fo hatte man aud bes
seits die Wege im Auge, durch welche eine fruchtbare
Induction fi durchführen laſſe. Wie überfliegend auch
die Gedanken der naturforſchenden Theoſophen ſein moch⸗
ten, fo fann man doc einem Paracelſus, einem Helmont,
einem Fludd nicht abſprechen, daß fie auf Beobachtung
und Verſuch als auf die rechten Wege bie Geheimniffe der
Natur zu belaufen ausbrädlich hinwieſen. Daß aber
die ungeregelte Art, in welder fie felbft zu Werke gingen,
fi abklären würde, ließ ſich von dem ffeptifchen Geiſte
erwarten, welcher in fleigendem Maße um fih griff. Wir
ſehen dies wirklich geſchehen an der befonnemen Vorſicht,
mit welcher Sanchez vor allen Dingen eine richtige Mes
thode für die Naturfvefchung forderte und auffellen wollte,
indem er Beobachtung und Verſuch zu Grundlagen bes
verfländigen Urtheils zu machen gebot, B
Mit den Umwandlungen in ber Erlenntnißlehre fliehen
Umwandlungen in ben Anfiten über das Sein der Dinge
im natürlichen Zufammenhange. Das Wewicht, welches
man auf Erfahrung und finnlihe Empfindung legte, bie
Aufmerkfamfeit, welche man den Methoden ber Naturfors
ſchung zuwandie, mußte dazu führen, bag man bem Wer
‚den, dem Ginulichen unb Materiellen, der Nothwendig⸗
keit des Naturproceſſes die größefte Bebeutung beilegte.
Bir haben bemerkt, daß ſchon Nicolaus von Eufa und
Pico den Grundfag ausſprachen, daß alles Gefgaffene
durch das Werden hindurchgehn möäfe. Immer mehr
war biefer Sag zur Anwendung gelommen, wenn er
auch vornehmlich nur in Beziehung auf den Menfchen ges
braucht wurde und einige ihn nur unter ber Bedingung
des Günbenfalls gelten liefen. Die Lehren, welche bie
Notpwendigfeit der Gegenfäge in der Welt behaupteten
und alles Weltliche im Streit ſtehen ließen, fanden bie
fem Grundfage zur Seite, Aber ſchon hatte auch Plethon
behauptet, daß alles auch im Einzelſten nad Nothwen⸗
bigfeit werde, und bie Lehre vom allgemeinen Zuſam⸗
menhange aller Dinge, welche faſt allgemein anerkannt
wurde, fehlen dem beizuſtimmen. Da war es nicht zu
verwunbern, baß man bie Sittenlehre entweder ganz aus
der Philoſophie entfernte oder das fittliche Leben. nad
Analogie des Naturproceſſes fi) dachte um ben fatalifti,
fen Anfihten Raum zu laffen. Wir haben daher auch
bemerten müflen, daß ſchon Valla und Pomponatius nur
mit Mühe die Greipeit des Willens zu behaupten mußten,
daß Helmont nur dadurch das fittliche Leben reiten zu
tönnen glaubte, daß er es von dem natürlichen Geſetzen
abſchied und in ein höheres myſtiſches Gebiet hinüber:
fügtete, dag Eharron, obwohl er einfah, da alles, was
uns wahrhaft angehört, auf unferer Breipeit berupe, doch
unfern Willen von der Natur leiten ließ, das Außere
unferer Handlungen dem allgemeinen Gefege Preis gab
und nur unfer Inneres uns frei bewahren wollte, Apn-
liche Grundfäge, wie fie für bie Betrachtung der menſch⸗
lien Dinge geltend gemadt wurden, mußten auch in
der Theologie fi erheben. Zwar wurde die Schoͤpfungs⸗
lehre noch im Allgemeinen beibehalten und wenn auf
" Anflänge der Emanationdlehre ſich nicht felten vernehmen
liegen, fo wurde fie doch in ihrem ganzen urfprünglicen
Sinne nicht erneuert; aber fehr entſchieden machte fi die
Meinung geltend, welche Bruno, Weigel, Böhme vertheis
digten, daß Gott nothwendig fchaffe und ohne Schöpfung
gar nicht gedacht werden könne; ja Cremoninus, obgleich
er behauptete, daß alles Immaterielle nur nad) Analogie
mit unferer Seele gedacht werden Fönnte, fand es doch
umwürdig für Gott ihm einen Willen beizulegen. Diele
Denfweife. finden wir im Algemeinen bei den fpätern
Seripatetifeen in Italien herſchend; fie ergiebt ſich aus
der Lehre, daß Gott nur Zwei, aber nicht wirkende Urs
ſache der Welt fei. Noch fanden ihr freilich andere Leh⸗
ten zur Seite, die Gottes freien Willen in der Welt
Idöpfung behaupteten; aber auch bei ihnen finden wir die
Neigung ſich erheben die Wirkfamteit Gottes in der Regie⸗
zung ber Welt zu befepränfen. Wie Sanchez und die ges
meine Meinung der Philoſophen behaupten, daß wir nur
durch Mittelurſachen zu Gott auffeigen ſollen, fo fol
auch von der andern Seite Gott in feiner Hersfchaft über
die Welt der Mittelurfachen ſich bedienen; die Natur wer
nigſtens bedarf, wie Telefius lehrte, Feiner göttlichen Mit-
wirkung und in die Natur, wie Taurellus fagte, greift
die Borfepung Gottes nicht ein. Das Beſtreben bie Ra⸗
fur methodiſch und nach unverbrüchlichen Gefegen zu ers
ſorſchen fpten darauf führen zu mäffen, daß bie natürliche
Welt ungeört und unabhängig von frembartigen Einflüf-
fen ihren gefegmäßigen Berlauf habe.
Hierbei Tonnte es nicht ausbleiben, daß man anfing
das fittliche Lehen nach Grunbfägen zu beurtheilen, welche
ben Geſchmad der Naturanfiht an fih trugen. Selbſt bei
edel gefinnten Naturen, wie bei Thomas More, bei Mes
lanchthon, bei Montaigne, haben wir eine Neigung zur
Gludſeligleitslehre angetroffen. Man glaubte dem natür⸗
lichen Leben bes Menſchen nachgeben zu müffen, daß es feine
Befriedigung fuchen dürfe. Die Natur ſchien ein göttliches
Net zu haben, welches man gegen Willkür und Verbil⸗
dung in Schug nehmen müßte. So vertheibigten die far
tholiſchen Theologen bie unveräußerlichen. Rechte der Rus
tur gegen bie Wilfür des Stantövertrages; fo verthei⸗
digten Montaigne und Charron die natürliche Erziehung
gegen den Zwang ber gelehrten Schule und hielten das
Leben nad dem Gefege der Natur für das weiſe Leben.
Nicht fern Ing die Folgerung, welche Bruno zog, daß
wir bas wahre Gut nur in dem Sichausleben einer jeben
natürlichen Kraft durch den Wandel aller Geftalten hin⸗
durch zu fuchen Hätten. Bei der geringen Sorgfalt, mit
welcher man in biefer Zeit bie fittlihen Begriffe ausbil⸗
dete, konnte biefer Denfweife noch eine uneigennägige
Sittenlehre zur Seite gehen, wie Pomponatius und Char
son eine ſolche im Sinn trugen; aber es blieb zu beſor⸗
gen, daß bei genauerer Forſchung die Folgerungen nicht
ausbleiben würden, melde aus ber Zurüdführung des
fittlichen Lebens auf den natürlichen Trieb fich ziehen ließen,
und bei der Lockerung ber fittlichen Bande, welde ein-
getreten war, lonnten fie nicht lange auf ſich warten laſ⸗
fen. Wie bebenftich find fo manche Äußerungen der Brans ,
zoͤſiſchen Steptiter in biefer Richtung; aber noch Tange
nicht lommen fie dem gleih, was in berfelben Richtung
die Ralieniſchen Pppfiter behaupteten, wenn Telefins und
Campanella in dem Streben nah Selbſterhaltung den
Grund aller unferer weltlichen Afferte und Begehrungen
erblidten und Cremoninus alle wiſſenſchaftliche Moral
auf Die Grundfäge der Naturwiſſenſchaft zurüdführen
wollte, Es iſt wahr, daß Campanella dabei in der Liebe
unferes beſondern Seins auch die Liebe des allgemeinen
Seins nachweiſen zu fönnen glaubte; es IR wahr, daß
in biefer Zeit man das geifliche Leben noch dem’ welt⸗
lichen Leben zur Seite zu ſtellen pflegte; aber dies konnte
wenig für die Ppilofophie verfhlagen, da die, welche fo
taten, die Unterfuchung des geiftlichen Lebens von ihr
fern Halten wollten.
Die Folgerungen aus dem eingefhlagenen Wege er-
geben ſich jedoch noch viel reichlicher nad) der Seite der
phyſiſchen Lehren. Um es kurz zu fagen, wenn man auch
nach dieſer Seite zu noch nicht zu einem entſchiedenen
Materialismus lam, fo zeigte fh doc eine Neigung zur
materialiſtiſchen Denkweife ohne allen Zweifel. Schon
Nicolaus Cuſanus hatte das materiehe Sein aller welt,
lichen Dinge behauptet, indem er bemfelben nur eine geis
fige Grundlage in dem fGöpferifgen Vermögen Gottes
unferzog; hierin folgte ihm Bruno, der nur noch weiter
in einem enthufiaſtiſchen Lobe der Materie, der allgemeinen,
der göttlichen Mutter. aller Dinge, fih erging. Das alte
Velnafesmichts der Materie zu behaupten, Tag nicht in
der Richtung biefer Zeit; Pico warnte davor bie Materie
au verachten. In den Lehrweiſen ber Phyſiler war ber
Say zur Geltung gelommen, daß alles in dieſer Welt im
Zufammenhang ftehe, daß alles im Raume verbunden fei;
ſelbſt die himmliſchen Intelligenzen wagte man von biefem
Geſetze nicht zu entbinden, ſollten fie auch nur, wie Ei
falpinus lehrte, mit ber reinen, von feber befondern Bes
ſchaffenheit freien Materie, verbunden fein. Aus den ch
sen ber Theofophen, welche Geiſtiges und Koͤrperliches
immer in Bergleihung ſtellten, konnte eben fo leicht die
Neigung gezogen werben alles auf bas Körperliche wie
alles auf das Geiſtige zurüdzuführen. Auf das entſchie⸗
denſte aber wandten fih ben materialiſtiſchen Borftellungen
die Lehren zu, welche von ber Erkenntniß und. dem Bil
len des Menfchen ausgehend zu der Anficht geführt wur
den, daß ohne koͤrperliche Beipülfe uns fein Wiffen und
fein Wert gelingen Tönne, daß eine Gemeinschaft unſerts
geiftigen Lebens mit der Materie anzunehmen fei und baf
dieſe nur unter ber Bedingung uns zukommen fönne, baf
unfer Geiſt mit dem Körper in Berührung ſtehe. Hier
dur fam bie Anficht zur Geltung, baß ber Geiſt, wel
Her mit dem Körper in Beräprung flehe, nichts anderes
als ein feiner Körper fein könne, weil nur ein Körper
den andern zu berühren vermöge. Die Theorien ber Ant,
welche in biefer Periode den größten Einfluß ausübten,
zogen nach biefer Seite hin. Haben mir doch geſehn,
daß ſelbſt Melanchthon dieſer Einflüffe ſich nicht erwehren
lkonnte. Da begegnen uns an allen Stellen in den Leh⸗
ren biefer Zeit die Außerungen, welde bie Belebung
der Materie von ber eingebornen Wärme ableiten ober
die Seele und den Geift mit einem Flämmepen, einem
warmen Hauch, einem Lichte vergleichen, ober in irgend
einer Weile die Verbindung bes Geiſtes oder ber Seele
mit dem groben Leibe durch eine feinere Materie vermits
ten wollen, aber dies immer nur Fönnen, indem fie von
dem Unkorperlichen die Vorſtellung eines Koͤrperlichen fi
machen.
Doch der Richtung der Gedanlen, welche alles Erken⸗
nem und alles Sein auf die Natur, auf die Methode der
Sfaprung, fa auf das Sinnliche zurädführen wollte,
hielt fi) eine ambere zur Seite, Die Lehre von den ange
bornen Begriffen wurde noch von ben Platonilern vertre⸗
ten und vom den Ariftotelifern war fie noch nicht aufger
geben, Neben der Methode des Aufſteigens vom Beſon⸗
dern zum Allgemeinen nahınen noch fo bedeutende Lehrer
wie Caͤſalpinus, Zabarella und Nizolius and bie entge-
gengefepte Methode des Abfleigens vom Allgemeinen zum
Befondern an und dagegen, daß mit bem Beſondern zu⸗
gleich das Allgemeine erfannt werde, wie Zabarella bes
hauptete, Hatte nicht einmal Eremoninus etwas einzuwen⸗
den. Die, welche der Naturforſchung ſich zugewendet
hatten, waren doc über ihre Methode noch keinesweges
fiber. Neben dem Natürlichen hielt man and das Über-
natürliche in Ehren; felb fo entichiebene Phyfiter, wie
Telefius, Caͤſalpinus, Helmont, mochten es nicht aufge
den, wenn fie es auch für feinen Gegenfland der philo⸗
ſophiſchen Forſchung hielten. Wenn bie Verbindung uns
ſeres Geiſtes mit dem Körper unfer ganzes Weſen an bas
Köͤrperliche heranzuziehen ſchien, fo ſchien nicht weniger
unſere Verwandſchaft mit Gott uns des Goͤttlichen theil⸗
haſtig zu machen. Diefe Würde bes Menſchen, welche
man behaupten zu muͤſſen glaubte, ſchien ihn zu befähi⸗
gen. felbk Gott zu ſchauen; um wie viel mehr mußte fie
es moͤglich machen, daß er in ſich bie Ioeeg, ber Dinge
fände und das Innere der Dinge durchſchaute. So lange
man im Menſchen das Ebenbild Gottes fah, konnte man
ihm auch zutrauen, daß er in anderem Wege als durch
ſeine ſinnliche Empfindung zur Erfenntniß gelange. Es
lam hinzu, daß die Überzeugung fehr allgemein verbreitet
war, daß die Einheit ber Welt in ihrem Principe, das
Spfem aller Dinge und aller Begriffe von uns erfannt
werden müſſe und daß unfere Vernunft nach biefer Er⸗
kenntniß firebend auch das Vermögen zu ihr und beglau⸗
bige. Nicht allein die Platoniler und Theoſophen, auch
bie Peripatetiker und Phyfller waren hiervon erfüllt und
felbR die Sleptiler mochten nicht Teugnen, daß alles in
allem fei und in allem erfannt werben müſſe, daß der
Zufammenpang aller Urſachen, die Sympathie aller Dinge
uns aufforbere jedes Einzelne in feiner Gemeinſchaft mit
dem Ganzen zu denken. Wir haben gefehn, daß noqh
Sanchez diefe Anſicht als eine allgemein zugeſtandene
anſah.
Aber es if auch nicht zu verkennen, daß die Uberzen⸗
gung von der hohen Würde des Menſchen im Sinfen be
geiffen war, Mit wie Ichhaften Farben hatte im Anfang
unferer Periode Pico die Hoheit des Menſchen geſchildert;
wie ex frei fei von jeder Befonderheit der Natur und zu
allem fih machen fönne, Wenn Nicolaus Eufanus auf
eingehanb, daß alles in der Welt durch Beſonderheiten
contrahirt fei, fo fand ihm dabei doch fein Say zur
Seite, daß alles in allem fei, und, bie Macht Gottes in
An
feigen Geſchoͤpfen das Höcfte zu verwirklichen hätte er
ſich nit entreißen laſſen. Wie großen Nachdruck auch
die Theoſophen auf bie Eigentpümlicfeit der Dinge leg⸗
ten, fo erblidten fie doch in ihr etwas Wunberbares, eine
mpfifche Gemeinfhaft mit Gott, und bie Lehre von ber
Heinen Welt im Meuſchen, welche alles in fih darzuſtel⸗
len und zu umfaffen beſtimmt fei, galt ipnen, wie faſt
allen Philoſophen dieſer erſten Entwiclung, als ein all⸗
gemeiner Glaubensartilel. Der Nachhall dieſer Gedan⸗
ten iſt nun freilich auch am Ende’ unferes Abſchnitts noch
nicht verflungen. Weigel vertheidigte noch mit fefter
Übergengung die Allmacht Gottes in feinen vernünftigen
Geſchöpfen; wenn die wahren Subflangen der Welt
auch im Äußern verſchieden find, fo iſt dod im Innern
Weſen alles dasfelbe und im einzelnen Sein liegt feine
Beſchraͤnlung, weil jedes ohne den übrigen Dingen etwas
zu rauben das Ganze in fi umfaſſen kann. Aber was
hätte wohl bie Meinung dieſes unfgeinbaren und in Dun⸗
felpeit verhüllten Theofophen zu ‚bedeuten gehabt gegen
bie Behauptungen fo vieler anderen berühmtern Philofos
phen: Behauptete doch ein anderer Tpeofoph, Helmont,
daß die Greatur als folhe unvollklommen fein müßte,
und hierin hatte er unſtreitig eine weit verbreitete Mei⸗
nung für fi. Zwar behauptete noch Bruno die Voll⸗
lommenheit der Welt und jedes einzelnen Dinges in ihr,
teil Gott nichts unvolllommenes hervorbringen koͤnne;
aber er mußte auch feine Beſchränkungen hinzufegen; in .
jedem Gefchöpfe ift zwar alles, aber nicht, wie in Gott,
infamımen und in ewiger Einheit; fonbern nur nad) ein.
ander und, in befändigem Kampfe ber Gegenfäge wach⸗
Geſch. d. Philof. x. 19
0.
fen alle Boßtommenpeiten einem jeden Dinge zu. Bar
wollte auch Caͤſalpinus unfere Hoffnungen auf ein un
ſterbliches Lehen und anf ein reines Dafein der vernänf-
tigen Seele in der Welt nicht aufgeben; aber daß ein
folches durch unfere eigene freie Thätigfeit gewonnen
werben Tönnte, vermochte er nicht einzufehn; ein Natur:
proceß, der Tod, follte es herbeiführen und dabei doch
eine Bereinigung ber Seele mit der reinen Materie blei⸗
ben. Der Annahme, daß die Gefhöpfe der Welt unvolls
tommen fein und bleiben müßten, fanden fehr allgemein
verbreitete Anfichten zur Seite. Für fie ſprach die Lehre
von ber Nothwendigkleit der Gradunterſchiede in der Welt,
die Lehre vom Sündenfal, einem Grunde nicht alkin,
fondern auch einem Zeichen ber Unvollkommenheit der ge
falenen Gefchöpfe, nicht minder die Lehre von ber Roth⸗
wenbigfeit der Gegenfäge und ihres Kampfes unter ein
ander in einem befländigen Werden. Je mehr man ber
Erfahrung der welttichen Dinge fih zuwandte, um fo
weniger fonnte man. dem Glauben der Vernunft an bie
Vollkommenheit ihrer Beflimmung vertrauen. Das für
perliche Dafein ſchien als eine nothwendige Schranfe mit
dem Dafein ber Vernunft in der Welt verbunden zu
fein. Schon Pomponatins hatte hierauf in Bezug auf
den Menſchen verwiefen; mit iminer größerer Maht
drangen bie fpätern, Peripatetifer darauf, daß bies für
alle Dinge der Welt gelte. Da traten die Zmeifel
gegen die Lehre vom Mikrokosmus immer flärfer hervor.
Wenn au Charron in unferer Seele ein verfürztes Bil
der Natur fieht, auf eine vollſtaͤndige Entwicklung dei
felben in unferm Wiffen Hat er die Hoffnung wufgegeben;
R a n
er ſindet, daß det Menſch eine praktiſche Weispeit ſuchen
ſoll, weil die Wiſſenſchaft feine Kräfte überſteigt. Wenn
aud Sanchez nicht leugnen mag, daß wahres Wiſſen nur
in der Erlenntniß des Zuſammenhangs aller Dinge ge⸗
wonnen werben tönnte, fo fann er body nicht begreifen, ,
daß in der befondern Form des Menfhen alle Formen
ber Dinge ſich darftellen folten. Er giebt daher Gas
Wiſſen in feiner Bolfommenpeit auf. Die Ppilologen,
wielche dev Rhetorik geneigter waren als ber Logif, hats
ten ſchon lange daran gewöhnt für die Menfchen, weiche
wie die Nachteulen das volle Lit der Wahrheit nur
blendet, nur einen Schein der Wahrheit, nur, eine Wahr⸗
ſcheinlichleit in Anſpruch zu nehmen.
Doch haͤtte man in dieſen Zeiten dem Gedanken nicht
Raum geben moͤgen, daß alles in dieſer Welt nur ein
Spiel der lebloſen und bewußtlos wirkfamen Materie
ſei. Vielmehr die, welche ber Materie das größte Lob
zollten, wie Bruno, gingen nur barauf aus fie mit Les
ben auszuftatten und an die mit Vernunft wirtende Form
heranzuziehen. Überall find wir in diefem Zeitraum auf
den Gebanfen geflogen, baß Leben durch die ganze Welt
ſich verbreite, und in diefem Gedanken lag etwas, was
von dem ausſchließlichen Wege einer dem Empirismus
und Senfualismus, dem Materialismus und Mechanis⸗
mus fih zuneigenden Naturforſchung zurüchhalten mußte,
Denn in der Erfahrung Ing eine allgemeine Verbreitung
des Lebens nicht vor und in dem Leben ber Dinge fuchte
man eine urfprüngliche Tpätigfeit derfelben. Nur finden
wir freilich, daß auch diefe Lehre von der allgemeinen
Belebung und Befeelung der Natur und von ber in ihr
19*
herrſchenden Bernunft von ihrer urfprünglichen Kraft nach⸗
gelaſſen Hatte und zu Beſchraͤnkungen ihrer Allgemeinheit
gefommen war. Nicolaus Eufanus und die Platoniter
hatten fie zu verbreiten gewußt; ben erſten Theoſophen
war fie Mittelpunkt iprer Lehre geweſen; aud bei ben
Deutſchen Tpeofophen erpielt fie ſich forttärend. Weigel
dachte fi die Natur noch in einer ganz idealiſtiſchen
Weiſe und wenn auch Böhme Beifiges und Körperliges
in einander miſchte, fo konnte doch das verklärte Licht,
in welchem ihm alles erfchien, für einen Vertreter berfek
den Denfweife gelten. Aber wir haben auch nicht unde
merkt laſſen fönnen, daß die theoſophiſchen Lehren in ih⸗
ver vollsthũmlichen Geſtalt allmälig von iprem Einfuf
verloren hatten," und in der gelehrten Form, welde fie
bei Helmont und Fludd annahmen, wurde fhon der Err
fahrung und dem koͤrperlichen Dafein viel größeres Ge⸗
wicht beigelegt. Konnte doch Helmont ſich nicht verlug:
nen, daß zwar das Natürliche von innen, das Künplide”
aber von außen gebildet werde, und wenn er auch feinen
natürlichen Principien, den Fermenten und Samen, ein
innerlich bildende Kraft zuſprach, fo follte fie doch an
eine materielle Grundlage gebunden fein und nur cin
dumpfer Naturtrieb war es, was er ihnen als wirkende
Kraft beilegen Fonnte, Noch entſchiedener wandte ſich bie
- einflußreihe Schule der Peripatetiter den Meinungen iu,
welde das Geelenartige und Berfändige nur in einem,
beſchraͤnlten Kreife der Welt zulaſſen wollten; Die Lchre
des Gäfalpinus, daß obgleich alles in ber Welt belebt
fel, dog nicht alles Seele habe, bezeichnet hierin einen
deutlichen Wendepunkt, Nur in den herſchenden Tpeilen
995 -
der Welt glaubte man Seele annehmen zu dürfen, noch
weniger aber ſchien der Berftand in der Welt verbreitet
a fein. Wenn man nun bebenft, wie fehr dagegen bie
Lehren im Vorſchreiten waren, daß alles an bie Materie
Rd anſchließen mäffe, daß die Seele oder der Geiſt nur
ein feinerer Körper fei, bag bie materiellen Dinge in
der finnlichen Empfindung ihrer felöft lebend nur nad
Selbſterhaltung firebten und ihr weltlicher Verſtand nur
in der Sammlung und Verwandlung ihrer Empfindungen
beſtehe, fo bürfterman wohl die Beſorgniß für gegründet
halten, daß diefe Richtung der Lehre über die vorher
bezeichnete bald das Übergewigt gewinnen würde. Dan
"füge dann noch hinzu, daß bie Lehren von der Idee,
von dem allgemeinen Leben der Welt, von dem Mikro:
fosmns und was fonft im Geſichtskreiſe der Platonifchen
Säule und ber Theoſophen Tiegt, mit Aberglauben ſich
vergefellichaftet und mehr in einem fühnen Fluge ber
Phantaſie, als in methodiſcher Weiſe fih begründet hatten.
Je mehr nun der Aberglaube ſank, fe flärfer dagegen
das Streben nach methodiſcher Erforſchung der Dinge
hervortrat, um fo weniger war bie Hoffnung vorhanden,
daß jene Lehren gegen ihre mächtigen Gegner fi würden
behaupten koͤnnen. Sollten fie es dennoch unternehmen,
fo mußten fie unftveitig nach feſtern Grundfägen fih um-
ſehn und. in einer. metpobifchern Weiſe fich zu begründen
fügen. Und Hierzu war denn aud ein Anfang gemacht
worden.
Sehr allgemein wurde der Satz anerlannt und von
Agrippa, vom Charron, von Campanella ausdrücklich
ausgeſprochen, daß Gott wahrhaft ſei und uns nicht
294
taͤuſchen fönne. Er konnte als der Ausbrud der Übergeu
gung gelten, daß wir allen notpwendigen Grunbfägen un⸗
ferer Bernunft vertrauen dürften. Was aber für Grundfäge
unſerer Vernunft man nothwendig anzuerfennen Hab,
darüber herſchte Streit; beider Neigung für ben Empiriömus
und Genfualismus tauchten die Meinungen auf; dab
Gott in weltlicher Weife nur durch die Sinne fih offen
bare und wir nur bem einen Grunbfage zu vertrauen
Hätten, daß die finnlihen Erfpeinungen uns nicht täufg
ten. Mit dem Senfualismus machte auch der Materia⸗
lismus ſich geltend und es ſchien vielen, ald würde durch
die Sinne nur bie Wahrheit der Körperwelt uns beglau⸗
bigt. Dagegen wußte fi aber bod eine andere Betrach⸗
tungsweife zu behaupten. Ficinus "hatte von Proculus
gelernt auf die reflerive Thätigfeit der Seele zu achten.
Der Körper bewegt fich nicht; theilbare Dinge können von
einem ihrer Theile auf den andern wirken; dies if aber
feine veflerive Tpätigkeit ; bie Seele bagegen, ein untfeil
bares Wefen, wirft auf ſich felbR zuräd. Die Berüd⸗
ſichtigung diefer vefleriven Tpätigfeit mußte den Platon
tern und Theofophen am Herzen Liegen. Nur unter ihrer
Borausfegung ließ ſich bie NRüdtehr, die Reflerion ber
Dinge auf ihr Prineip, die lebendige Entwicklung eines
jeden Samens aus ſich felbft behaupten. Die veflerise
Tpätigkeit im Innern des thaͤtigen Dinges ſelbſt ſchien
dieſer Betrachtungsweiſe viel begreiflichet als bie kranf-
tive Tyaͤtigkeit, welche aus dem Innern bes thätigen
Dinges heraus auf ein anderes übergeht, und wenn
Agrippa diefe als ein wunderbares Werk betrachtete und
forderte, fo lann dies als eine erſte Anregung des Zwei⸗
2
feld angefehn werden, welchen fpätere Zeiten gegen bie
urſachliche Verbindung der Dinge unter einander erhoben.
In demfelben Sinn ſprach Paracelfus den Grundfag aus,
HB alles nur von innen aus fi entwidle, und Weigel
ſildete ihn zu ber idealiſtiſchen Anficht aus, daß alles Le⸗
kn und Weſen ber Dinge nur im Innern berfelben wur⸗
de und ſaͤbſt die ſinnliche Empfindung nur als eine in⸗
wre Entwidlung des empfindenden Wefens zu betrachten
fi. An den Zug folder Gedanken fließt auch die Lehre
son der Trägheit des Körpers fih an, welde in Gegen-
ag gegen bie Tpätigfeit der Seele von Ficinus an bis
u Campanella mit immer ſtärkeren Folgerungen behauptet
wurde. Schon Agrippa und Patritius hatten daraus ges
ſchloſſen, daß der Körper ald unwirkfam angefehn wer⸗
den müſſe; Telefius hatte e8 zum Grundfage feiner Nas
turlehre gemacht, daß die Materie und auch bie Kräfte
der Natur unveränderlih wären und Cäfalpinus war for
gar zu ber Folgerung gefommen, daß bie Natur nur als
ein Princip des Leidens betrachtet werben dürfe, Unbes
freitbar ſchien daraus hervorzugehn, daß wenn Bewegung
und Thätigfeit in der Welt fein follten, fie von einem
"zein materiellen Dafein nicht" ausgehn koͤnnten, daß wenn
eine fortfepreitende, auf einen Zweck gerichtete Entwidlung
anzunehmen wäre, noch andere als die natürlichen Kräfte
in Bewegung gefegt, werden müßten. Daher finden-wir
auch die Peripatetifer bereit die bewegende und die Zwed-
urfache noch, immer von. der materiellen’ Welt zu Untere
fpeiden, wie. wenig fie aud ein materienlofes Dafein in
der Welt zugeben wollten. Wie wenig nun auch biefe
Lehren frei von Borausfegungen waren, welche zu ber
23
fireiten man nicht verfehlte, fo bot doch bie Lehre vor
der Trägpeit des. Körpers einen Haltpunft bar, wel:
Ger nicht geftattete die Nothwendigkeit bes Unterſchie
des ſwiſchen Koͤrper und Seele außer Augen zu ſehen
In Beriehung auf ihn ſchien es als allgemeiner Grund
fag feftzufiehen, daß ohne Sinn, ohne Empfindung feine
ſelbſt kein Ding Princip einer Tpätigteit ober Berände
zung werden würde. In dieſem Sinn legte ſelbſt Tele
ſius den thätigen Kräften in der Natur Empfindung ihre
felöft bei. Man. bemerlte nun aber auch, daß bie re
flerive Tpätigfeit der Seele iprer Natur nad auf dat
reflectirende Weſen befchräntt bleibe. ben hieraus gin
gen jene Lehren des Agrippa yon bem Wunberbaren ih
der tranfitiven Tpätigfeit, des Paracelfus und Weigels
von der Entwiclung aller weltlichen Dinge nur in ihren
Sinern hervor. In völliger Allgemeinheit fprach daher
auch Cäfalpinus den Sag aus, baf ber Verſtand Got
tes und 'ber weltlichen Dinge immer nur fi und fee
eigenen Gedanken zu erkennen vermöge und Eremonins
zoͤgerte nicht ihm hierin beizuſtimmen. Diefe Erkenntniß
feiner ſelbſt, wie beſchräult fi auch fein moͤchte, galt
nun für das und zunaͤchſt liegende, für das wichtigſte
Fundament unſerer Erlenntniß. Montaigne und Chatron
hoben fie hervor als Anfangspunft unſerer Weisheit.
Wenn auf Sanchez zweifelte, ob wir einen beftimmten
Begriff von unferer Seele uns machen fönnten, fo war
es ihm doch unbedenklich gewiß, daß bie Erſcheinungen
unferes Innern und näher lägen, als alle Erkenntniſſe
‘des Augen, daß von ber Erkenntniß unfer ſelbſt alle
Unterfuhung ausgehn müffe. Eben fo ſprach es Weigel
297
nad dem Borgange bed Paracelfus ans, dag wir in uns
alle Wahrheit finden müßten und alles Leruen nichts an⸗
ders fein koͤnnte als ſich ſelbſt erlennen. Wenn wir dieſe
Reihe übereinflimmender Ausfagen überſehn, fo werden
wir es nicht als einen vezeingelten Einfall des Campa⸗
nella, ſondern als eine Frucht der Zeiten erlennen, daß
er den alten Satz des Auguſtinus, ih denke, alſo bin ich,
als den oberſten, jedem Zweifel enthobenen Grundſatz
der Philoſophie aufſtellte.
Es war nun aber nicht die unbeſchrantie Bernunft, ”
welcher man vertraute, fondern der beſchraͤnkte Stand»
punkt unferer denkenden Seele follte die fihere Grund⸗
lage für unſere wiſſenſchaftlichen Unterfucjungen abgeben.
Die denlende Seele oder den individuellen Geiſt Hatte
man in feinen Befcränfungen Tennen gelernt; feine
Schranlen fanden ihm in der unendlichen und in das
Unendliche theilbaren Welt ber Körper entgegen. Den
Gegenfag zwiſchen beiben hatte man immer fefter in das
Auge zu faffen begonnen. Vom Körper: hatte ſchon Fiei⸗
nus bemerft, daß die Ausdehnung im Raume feine un
terfcheidende Eigenfchaft ſei. Patritius wiederholte dies;
die Peripatetifer, Gäfalpinus, Zabarella, Eremoninus
fimmten bei. Es war zur herrſchenden Denkweiſe ge
worden, daß alles, was in ber Welt fein Dafein in der
Wechſelwirlung der Dinge betpätige, im Raum feine
Ausdehnung haben müfe. Unter biefen Dingen hielt es
ſchwer der Serle ihre Stellung zu ermitteln. Nur fo
viel fhien gewiß, daß fie denfend in fih ihr Sein und
Leben habe. Dieſen Gegenfag zwiſchen Körper und Geiſt
drückte Cremoninus am befttumtefen aus, indem er dem
\
Körper die Ausdehnung, dem Geiſte das Denken als Ei:
genſchaft beilegte. Mit der Ausbehnung aber Tommi dem
Körper Tpeilbarteit zuz dem Geiſt dagegen, welder nur
in fi denft, wird Untpeilbarfeit zugefchrieben; er wird
als Fndividuum gedacht. Schon Fieinus Hatte bies he
vorgepoben; Immer flärfer aber war man hierauf Hinge
trieben worben, fe mehr man die Natur des Zufammen-
gefegten gu bedenlen anfing und davon fi überzeugte,
daß man nun aud nad untheilbaren Beſtandtheilen bes
Zufammengefegten fuchen mäflee Dit der Einfachheit
der alten Elemente fonnte man fich nicht mehr zufrieden
geben, Die Lehre von förperlichen Atomen im Sinn ber
Alten tauchte wohl wieder auf, aber bis jetzt ohne wiſſen⸗
ſchaftlichen Nachhalt zu finden. . Dagegen die Teeoſophen
beriefen fi in ihrer Naturlehre auf die Samen als auf
die einfachen Kräfte in der Natur und Helmont fprad es
aus, daß bie Fermente, die Grundlagen ber Samen, als
durchaus untheilbar angefehn werben müßten. Nach dem
felben Ziele firebte die Lehre bes Giordano Bruno von
ben Monaben, welche bie untheilbaren, ihrem Begrife
nad beſtimmten Einheiten in der. Zufammenfegung ber
wanbelbaren förperlihen Erſcheinung abgeben folten.
Freilich diefe Gedanken über das Untpeilbare in der Belt
waren nur wenig wiſſenſchaftlich feſtgeſtellt; fie ſchwaulten
noch darüber, ob bie untheilbaren Elemente als körperlich
oder als geiftig gebacht werden follten. Aber die Mei⸗
nung neigte ſich unftreitig zu dem letztern. Wenn Bruno
feine Monaden auf Begriffe zurädfüprte, fo hatte er
dabei wohl gewiß etwas Geiftiges im Sinne. Die Fe
mente Helmon’ts aber waren aus ber Lehre des. Par
7
0
celſus hervor gegangen, daß ber Geift aus vielen Gei⸗
fern zufammengefegt ſei; feine Bermente betrachtete er
nun wohl als phyſiſche Kräfte, aber erft durch ihre Zus
fammenfegung unter einem herſchenden Archeus follten
fie körperliche Ausdehnung getwinnen. Und in ähnlicher
Weife wollte auch Bruno ben Unterfchieb zwiſchen Kör⸗
per und Seele darauf zurädführen, daß .jener die Zuſam⸗
fegung ber beherſchten Monaben, biefe die herſcheude
Einheit in diefer Zufammenfegung ſei. Noch entſchiede⸗
ner drang Gäfalpinus darauf, daß wir ber Seele nur
ein punltuelles Dafein beilegen bürften und auch Hehmont
wendete biefer Annahme ſich zu, indem er für nöthig. hielt
vom Archens, der über viele Fermente ſich ausdehnen
möüffe, die Seele zn unterfcheiden.
Wir werden nun freilich in biefen Gedanken der Zeit
noch nichts zum Abflug Reifes erfennen; aber fie ent
hielten fruchtbare Keime für die künftige Unterſuchung.
Die fpätere Philoſophie if auf fie zurückgelommen. Ihr
ten Grund hatten fie in dem ©egenfage zwiſchen dem
Körperlihen und dem Geiſtigen, welche als zwei durch⸗
aus verſchiedene Arten von Subſtanzen angefehn wurden
und doch im Menſchen und in der Welt miteinander in
Berbindung flehn follten. Das Problem, weldes hierin
liegt, trat mit immer flärkerer Kraft hervor. Anfangs,
als man die Verbindung zwifchen Körper und Geiſt noch
mehr aus einem allgemeinen weltlichen Geſichtspunlte "
betrachtete, wurde es zwar anerlannt, aber man dachte
es leicht befeitigen zu können. Man hielt ſich, wie Fici⸗
nus, wie Leonicus, an den allgemeinen Gedanken, daß
Gradunterſchiede in der Welt nöthig wären, daß zwi⸗
ſchen dem Bewegten und bem unbeweglichen Princip ber
Bewegung ein Sichſelbſtbewegendes, alſo eine reflettirende
Seele, in der Mitte liegen müſſe. Je mehr aber die
Unterfugung auf das Befondere einging und bei der
Brage bie befondere Natur des Menſchen in das Auge
faßte, der aus Körper und Geiſt zuſammengeſetzt doch
eine einige Subſtanz fein follte, je mehr man dabei den
volllommenen Gegenfag zwiſchen Körper und Geik be:
date, um fo weniger kounten ſolche allgemeine Annap-
men über bie Grabe bes weltlichen Dafeins als ausreis
hend erſcheinen. Die Anfipten der Platoniker umd ber
Theoſophen, daß die Seele als Mittleres zwiſchen Kir
per und Geiſt ober der Geift als Mittleres zwiſchen
Körper und Seele den Zufammenfang zwifchen beiden
Gliedern bes Gegenfages herſtellen Könnte, mußten fih
um fo mehr als ungenügend erweifen, je geneigter man
-war in bem vermittelnden Gliede ſelbſt nur einen feinen
Körper zu erlennen. Schon hatte Patritius es ausgeſpro⸗
en, daß der träge Körper, welcher für ſich Feine Tpär
tigleit hat, auf den Geiſt nicht wirken könne, ſchon hatte
er darauf gebrungen, daß ber Körper nur Koͤrperliches
beräpren und nur, durch Berührung, alfo auch nur auf
Koͤrperliches wirken könne und Eremoninus und Campa⸗
nella hatten diefem Gage beigeſtimmt. Nur als ein Aus:
funftsmittel der Verzweiflung konnte man es anfehn,
wenn Nigolius die Zufammenfegung bes Menfchen ans
Leib und Seele als ein Duaficontinuum bezeichnete. Auch
die Annahme der Peripatetifer, daß bie Seele bie Form
des organifchen Körpers fei, wollte ben Peripatetilern
ſelbſt nicht mehr genügen.“ Zabarella hatte um bie Thaͤ⸗
30 J x
tigfeiten der Seele zu erklären zu der Unterfcheibung der
afffirenden von ber informirenden Form feine Zuflucht
nehmen müflen; Eremoninus war genöthigt geweſen um
bie Verbindung des Körpers mit der Seele ſich vorſtell⸗
bar zu machen zwiſchen beide das eingeborne Warmk bes
tirperlichen Temperaments einzufchieben. Sole Unter
ſcheidungen Tonnten nur barauf hinweifen, baß hier ein
Problem vorlag, weldes feine Loͤſung noch erwartete
und ſtark genug angeregt war um zu immer neuen Ver⸗
ſuchen es zu loͤſen aufzufordern.
Wir Haben eine Reihe von Gebanfen angeführt, welche
die Grundlage für den fpätern Gang ber nenern Philos
ſophie abgaben. Mehr und mehr Hatte fi das Bebürfe
niß geltend gemacht der Erfahrung und den Ginnen in
unferer Erlenntniß ihr Recht widerfahren zu laſſen; mehr
und mehr hatte man einfehen gelernt, daß wir in unferm
weltlichen’ Leben von ber Natur abhängig und an die Bes
dingungen bes Förperlichen Dafeins gebunden find; aber
den Forderungen ber Vernunft, welche auf ein allgemeis
nes und inneres Verſtaͤndniß ber Dinge bringt, hatte
man doch nicht entfagen können. Dem Drange nah Er⸗
weiterung unferer Erfahrung und nad) finnlicher Befrie⸗
digung ſetzte fih das Bewußtſein entgegen, daß wir
in und unfern fehlen Haltpanft zu fuchen hätten; das
Bedürfniß der Befinnung auf ſich ſelbſt wirlte der Zer⸗
ſtreuung entgegen, welche uns in bie Weite und unbe⸗
Rinmte Maſſe der Erfahrungen verlodt; es füprte auf
den Gebanfen eines einfachen Mittelpunktes für unfere
dorſchungen. Beide Richtungen in der wiſſenſchaftlichen
Unterfuchung hatten fi noch nicht weder völlig abgefon-
302
dert, noch gegenfeitig ausgeglichen, weil noch feine Si
cherheit über die einzufchlagende Methode herſchte, wenn
aud das Streben nach einer ſolchen immer deutlicher zu
Tage geireten war. Bei biefer Lage ber Dinge mußte
eine dualiſtiſche Anfiht vorherſchen, wenn auch bie Hoff-
nung alles auf ein einiges Princip zurüdführen zu Fönnen
nicht aufgegeben war. Am wenigften waren gewiß bie
Tpeofophen dem Dualismus geneigt; aber wie üppig
fhießen einem Böhme, einem Fludd die Gegenfäge em⸗
por; wie zwingen fie bie nothwendige Wurzel berfelben
bis in Gott zu verfolgen. Wenn Helmont ben Frieden
der Natur, des volltommenen Werkes Gottes, zu be
haupten fuchte, fo konnte er body die Welt ber Menſchen,
die am Sündenfall und feinen Folgen ertranft find, bie
fem Frieden nicht anſchließen und daher fielen ſich ihm-
die Gebiete des Natürlichen und des Siltlichen, des Phir
loſophiſchen und des Theologiſchen wie zwei Wiſſenſchaf⸗
ten, die feine Gemeinſchaft unter fi haben, einander
„entgegen. Auch die Theologen hatten wohl ein Intereffe
daran alles unter ein Princip und unter bie Fahne der
Kirche zu vereinigen, vor allen die katholiſchen. Wir
fehen es an den hierardifchen Gedanken des Eampanella.
Aber niht allein die Klugheit vieth ihnen die weltliche
Macht und Wiſſenſchaft zu fhonen; fe konnten fich auch
des Gedanfens nicht erwehren, daß die Natur und das
weltliche Leben ihre eigenen Geſetze hätten, welche bie
Tpeologie weder erforfpen, noch leiten Fönnte; da über
ließen fie denn die weltliche Wiffenfchaft ihrem Lauf und
wagten nur zu hoffen, daß er den verborgenen Rathſchlaͤ⸗
gen Gottes ſich fügen werde. Und hätten num wohl
D
Pr
303
die proteſtantiſchen Theologen mehr zu leiten vermocht ?
Bir fehen vielmehr, daß fie den Anfichten des Taurellus
nicht wiberftehen konnten, welcher bie Natur ihren eigenen
Gefegen überließ und ihre Erforſchung der Philoſophie
anvertraufe, wärend. die Tpeologie nur die Rathfchläge
Göttes über die Menfchen und das Werk feiner Vorſe⸗
hung in der Leitung dieſes abgefonderten Gebietes, fo
weit fie uns durch Offenbarung befannt geworden, zu
erforfehen Habe. In dieſer Abfonderung der Ppilofos
phie und der Theologie von einander liegt ber tieffte
Grund des Dualismus, welder in diefer Zeit ſich ver-
breitete, Auf das deutliche ſprachen ihn bie Peripatetis
ter aus, welche meinten in der Philofophie nur vordrin⸗
gen zu können unter der Vorausfegung, daß Gott und ,
Belt ‘von Emigfeit her neben einander befländen, „daß
jener der Zwed diefer fe, welcher aber .nie von ung er-
teiht würde. Wenn nun au die Platonifer, ein Pa-
tritius, ein Bruno, eine innigere Verbindung ber Welt
mit Gott im Sinn trugen, in einer ähnlichen Weife lie-
ben fie doch die Vereinigung beider zu Teinem Ende kom⸗
men. Die Welt hatte man vor fih, in der Seele follte
fie ſich abbilden; aber aud hier glaubte man einen un-
überwindlichen Unterfchied zu erkennen. Denn die Welt
erblidte man im Raume; man fah fie nur als Körpers
well an, welder die innere Welt der Seele, bie Welt
des Denkens, als ein durchaus Verſchiedenes ſich entge⸗
genſtellte. Wie Theologie und Philofophie fih von ein-
ander abgefondert hatten, wie Gott und Welt neben ein
ander getreten waren, ohne daß man über ihr Verhält⸗
niß eine Entſcheidung gefunden hätte, wie man den Streit
304
ber Gegenfäge in. der Welt zu vereinigen geneigt war,
fo bot nun biefer Gegenfag zwiſchen Körperwelt und
Geifterwelt das allgemeinſte Problem für bie Unterfuhung
dar. Ein folder Dualismus konnte denn freilich nit
befriedigen; man lonnte ſich durch ihn nur aufgefordert
fühlen feftere Grunbfäge und Methoden für das willen
ſchaftliche Denken zu ſuchen unb den Übergang hierzu
müßte der Zweifel machen, welchen wir in verſchiedenen
Gefalten an dem Ende unferes Zeitabſchuitts hervorbre⸗
en fehen, fo wie er ſchon lange im Berlauf Besfeben
fich genaͤhrt Hatte.
Nur die wichtigſten Punkte haben wir hier zuſammen⸗
geftelt, welche in dem abgelaufenen Zeitraume zur Sprache
gekommen waren um für die fpätere Forſchung die allge:
meinften Anregungen abzugeben. Noch andere Gedanfen
hätten wir erwäpnen koͤnnen, bie ſocialiſtiſche Denkweiſe,
welche Morus angeregt, welche Campanella fortgeführt
hatte, die Lehre vom Staatsvertrage, welche wir bei Ma
riana in ihren erfien Keimen bemerkt haben, bie Anfichten,
welche Montaigne und Charcon über die Erziehung in
Anſchluß an die Natur ausgeſprochen Hatten. Wir werden
biefe und andere vereinzelte Gedanken ähnlicher Art nicht
überfehn bürfen, eben fo wenig als bie tiefern, mehr auf
die Einheit der Wiſſenſchaft vorbringenden Beſtrebungen,
welche wir bei einem Nicolaus Eufanus, bei den Plato⸗ \
nifern und bei ben Tpeofoppen gefunden haben. Aug
fie weifen auf die Zukunft hin. Aber wenn fene doch
nur als vereinzelte Beftrebungen untergeorbneter Art an-
geſehn werben koͤnnen, fo trat dagegen das theoſophiſche
Element in der Denlweiſe dieſer Zeit nur als eine phan⸗
taſtiſche Aptbing eincs hahlen Sefammenpangs der Dinge
und der Wiffenſchaften auf, welche erſt in Meiterer Ferne
eine wiſſenſchaftliche Forun geminnen ſollte. imoͤchſt Hatte
fich das Beſtreben Intner nichr auf · eine fahliche der Uns
ſchauung zugangliche · Erfeinini gerichtet. Der Zweifel
trieb dazu an eine ſichere Methode für dieſe Erkenutniß
zu fuchen; man wollte lieber wenig, aber füher das Ein
jelne, dad Zumäcftliegende wiffen, als mit hochfliegenden
und weiten, aber nur in umbefitmmter Geſtaltung jerein-
menden Gedanken ſich anſchwellen. Dabei Tonnten die
Gedanken des Cuſaners, der Platoniler, der Theoſo⸗
phen nur in den Hintergrund zurücktreten, weil man
um wenig fein Augenmerf darauf richtete, daß für bie
Wiſſenſchaft die Erfenntnig des Allgemeinen, das Stra
ben nach dem letzten Grunde und nad) dem letzten Zweck
eben fo fiher, nahe liegend und nothwendig if, als
die Handgreifficfeit des Einzelnen. Daher iſt das
Beftreben der tiefern Denker bes von uns geſchilder⸗
ten Zeitraums von weniger unmittelbarer Nachwirkung
geweſen, als der Dualismus, welcher an bie einzelnen
Gefalten der Koͤrperwelt und an bas unmittelbare Bes
wußtſein unferes Ich ſich feſthielt, und es war viel fpätern
Zeiten vorbehalten das Recht der Philofophie an deu
Gedanten der Einheit aller Wiſſenſchaften zu vertheibigen.
Es möge uns vergönnt fein dies voch an einem beſon⸗
dern Punkt zu veranfhaulihen. Der großartige Gedante
des Nicolaus von Eufa alle Gebiete des Denfens vom
Begriffe des Wiffens aus einer Kritif zu unterwerfen iſt
gewiß nicht verloren gewefen, aber in wie unfheinbarer
Beife Hat er anfangs nachgewirlt, bis er in Kant’ Kri⸗
Gef. d. Philof. x. 20
tit eine volfändigere Vertretung fand. Zei entgegen
gefegte Punkte faßte er -zufammen um das -Banze zu um⸗
ſchreiben, auf ber einen Seite daq Verlangen unferer Ber:
nunft nad) dem Wiffen und die Aufgabe der Wiſſenſchaft
alles in allem zu denlen, auf.ber. andern Seite bie Noth⸗
wwenbigfeit von ung ſelbſt auszugehn unb bie Befcpränft:
heit des Allgemeinen in dem beſondern Sein. bes den:
tenden Individuums, Beide Seiten ſprach ber Eufaner
in allgemeinen Grundfägen aus, die eine in dem Gate,
dag überall alles in allem fei, die andere in dem Gage
des Nichtzuunterſcheidenden, daß alles in jedem nur in
behſonderer und befepränkter Weife ſei. Beide Säge hören
wir durch den ganzen Verlauf diefer Zeiten nachklingen;
aber immer mehr wirb ber letztere vor dem erſtern vor⸗
herfchend, ‚immer bringenber werden wir auf bie Be
ſchraͤultheit unſeres Seine und „unferes Erlennens hinge⸗
wieſen. Belanntli hat Leibniz beide Säge in feine Phi⸗
Iofophie aufgenommen; aber viel beftimmter und nad
brüdticher dringt er doch auf die Nothwendigkeit ber Be
ſchraͤnktheit für alle Geſchoͤpfe und der Say des Nichtzu⸗
unterfcpeidenden if in feinem Munde viel berühmter ge
worden, .ald der Sag, daß in jeder Monade bie ganze
Welt ſich abſpiegele.
Bi
- Viertes Buch.
Bacon’s Reform der Philoſophie und die ihr
zunaͤchſt liegenden Zeiten.
20*
Ber» Google
Erſtes Kapitel,
Bacon's Reform der Philofophie.
Blieher Hatten die Engländer nur einen geringern intheil
an ben Entwidlungen der neuen Philoſophie genommen.
Auf ihren Schulen Rand die ſcholaſtiſche Ppilofophie, nas
mentlich Die nominaliſtiſche Logik, noch in vollem Anfehnz die
Platoniſche Philoſophie, bie alchimiſtiſche Tpeofoppie Hatten
einen Eindruck bei ihnen gemacht; fie hatten Theil genommen
am den Beftrebungen in der Wieberherfiellung der Wiſſen⸗
ſchaften; die Unterfuhungen über die Phyſil machten bei
ihnen Fortſchritte und trieben ſelbſt zu allgemeinen Theo⸗
rien über bie Natur anz es waren aber bis zu Anfange-
des 17. Jahrhunderts bei ihnen Feine Verſuche hervor⸗
getreten, welche an allgemeinem Einfluß. auf die philoſo⸗
phiſchen Beftrehungen der neuern Wölfer mit den Werten
des Italiener, der Deutichen und ber Franzoſen fih hät
ten meſſen können. Ju dem Hin« und Herfluthen der
Meinungen Hatten fie ſich zurüdgehalten um auf einmal
in der Entſcheidung ber Zeiten ihr Urtheil in bie Wag⸗
ſchale zu legen. Mit Recht flieht man die Reform ber
Philoſophie, welche Bacon beabfihtigte und in Gang
bruchte, als das Wert an, welches zuerſt Epoche ig der
Entwidlung der neuern Ppifofoppie gemacht hat.
310
Branz Bacon, der zweite Sohn des Nicolaus Bacon,
welder unter der Königin Eliſabeth das Amt des Groß⸗
fiegelbewaprers lange Zeit und mit Ruhm verwalkt
hatte, wurbe zu London am 22. Januar 1561 geboren,
Bon einem früpreifen Berfande fah er ſchon als Shi
fer der Cambridger Univerfität die Gebrechen ber bishe
rigen Philoſophie ein. Kaum Hatte er die Univerftät
verlaffen, als er bei den Gefhhäften der Engliſchen Ge
fandifhaft zu Paris verwandt wurde, Ein Züngling
von 19 Jahren entwarf er hier feine Bemerkungen über
den Zufand Europa's. In feiner Laufbahn als Staats⸗
mann wurbe er jebor durch den Tod feines Waters uns
terbrochen, welcher für feinen jüngern Sohn zu ſorgen
verſaͤumt hatte. Er mußte die Laufbahn eines Advoca-⸗
tem ergreifen um fi ſelbſt feinen Weg zu eröffnen. Dich
ein umfaffendes Stublum der Engliſchen Gefege und durch
Beredtfamfeit, in welcher. ipn unter feinen Randalesten
feiner feiner Zeitgenoffen zu übertreffen ſchien, zeichnele
er fih in biefer Laufbahn aus, indem er zugleich in ben
Wiſſenſchaften fortarbeitete und von dem lebhaften Bes
wußtſein ihrer gegenwärtigen Gebrechen zu dem Plan
ihrer voͤlligen Umgeſtaltung fih erhob. Noch gegen das
Ende ſeines Lebens erwaͤhnte er eine Jugendſchrift, welche
er: vor 40 Jahren unter dem Titel die größte Geburi
ber Zeit in demfelben Sinn verfaßt hätte, in welchen
er durch fein ganzes Lehen ohne Nachlaß an ber großen
Inſtauration ber Wiſſenſchaften arbeitete). Die Wahr⸗
beit diefer Angabe if} nicht zu bezweifeln; feinen unab⸗
1) Epistola ad Fülgentium. In der Kusgabe feiner Werte vor
Mallet , weidhe ich citire, II p. 404.
4
laͤſſigen in. gleichmößiger Richtung. forkgefepten Fleiß ber
zeugen bie umfaflenden Arbeiten ſeiner Schriften. Bon
einem hohen Ehrgeiz erfüllt, Iegte er ben Werken feines
Geiftes die hoͤchſte Bedeutung bei, Gelbft feine Reden
und feine Briefe wollte er nach dem Beifpiele der Alten
aufbewahrt wiſſen ). Er hoffte die Alten zu übertreffen,
weil die gegenwärtige Zeit dem Alterthum weit voraus
geeilt fei durch Erfindungen und Entdedungen ber größ-
ten Art, durch bie Buchdrucerlunſt, die Entdecung ber
neuen Welt, eine gereinigte Religion, eine lange Erfah⸗
rung; durch Frieden in Staat und Kirche begünftigt fieht
er ein neues Blüthenalter der Wiſſenſchaft herannahen.
Den Beihäftigungen mit ber Wiffenfchaft hat er fein Les
ben gewibmetz er findet in ihnen feinen Beruf; er bezeich⸗
net fih als einen Mann, welcher dem Gelehrtenſtande
angehört. Doch war fein Lehen und fein Geift getheilt.
Nicht allein feine Bebürfniffe, welche durch Prunkfucht
übermäßig anwuchſen, fondern auch fein Ehrgeiz zogen
ihn zu den öffentlichen Geſchaͤften und ließen ihn Staats,
ämter fuhen. Nah dem Tode feines Vaters war ihm
eine vornehme Verwandtſchaft geblieben. Der berühmte
und einfußreihe Lord Schagmeifter Burleigp war fein
Oheim; deſſen Sohn Robert Cecil firebte mit ihm im
Staatsbienfte empor und hatte ihn ſchnell überflügelt,
Eine aͤhnliche Laufbahn nad dem Beifpiele feines Vaters
mußte ihn loden. Er wurde auch bald, in feinem 28. -
Jahre, unter die außerorbentlichen Advocaten ber Krone
und in ben Rath der Königin aufgenommen. Im Un-
1) Letters 293 p. 737.
bae
terpanfe Verfihffien ip feine Wertbifumtei, fein 24
und feine gewinmenden.,: gefälligen Sitten einen beden⸗
tenden Eieflug. Aber ein geihellter Charakter, wie der
feinige, vol von Ehrgeiz, der doch ohne Kraft großer
Entfpläffe war, konnte fein Vertrauen erwerben. Eine
Oppoſition, welche er gegen bie Vorſchlaͤge ber Krone
im Unterhaufe unterkügt hatte, zog ihm die Ungnade der
Königin zu. Im feinen Briefen fehen wir ihn fih de
möüthig entſchuldigen, in Unterwürfigteit Beförberungen
nachſuchen, dann wieder in Vorwürfe gegen feine Ber
wandten ausbredjen, weil er von Ihnen ſich verlaffen fah.
Da wandte er ihrer Gegenpartei fi zu; in dem Gunſt⸗
linge ber Königin, dem Grafen Eſſer, ſchien ihm ein
neuer Glüdsfern aufzugehn. Er unterflügte ihn mit
feinen Rathſchlaͤgen, welche zeugen, wie wenig bedenllich
er im Gebrauch der Mittel war), Eſſex erwies fih
gegen ihn als einen eifrigen und treuen Oönner, als
einen großmäthigen Freund; aber die Abneigung ber Kö⸗
nigin gegen Bacon und das Gewicht der Gegenpartei
Konnte er nicht überwinden. Die Unbefonnenpeiten , der
Trotz und bie Empörung bes koͤniglichen Günflings
flürzten Bacon nur noch tiefer. Als Effer von feinem
Berhaͤngniß ereilt worden war, ba lieh fih Bacon dazu
gebrauchen den Prozeß gegen ihn einzuleiten und nad
Effers Hinrichtung auch noch dazu durch eine öffentliche
Schrift dad Verfahren gegen ihn zu rechtfertigen. Wenn
feine Feinde beabfichtigten Bacon in der Öffentlichen Mei⸗
4) Seine Rathſchlage find ſchriſtlich erhalten. Maciavel?s Grund:
ſate find zwar nicht ganz die feinigenz; doch führt er fie öfter an und
meint, daß in ihnen die Menſchen geſchildert werden, wie fie find.
33
mung herabzufegen, fo lounten fie hierzu fein geſchickeres
Mittet wählen. Far den Verrath ber Freundſchaft, wel⸗
Gen man ihm vorwarf, konnte eine Apologie feines Ver⸗
fahrens, welche er ſpaͤter veröffentlichte, leine genägende
Eutfchuldigung aufbringen. Unter ber Regierung Eliſa⸗
beihs blieb Bacon ohue Beförderung. Um fo eifriger
wandte er fi ber aufgehenden Sonne zu als Jacob I.
den Thron beſtieg. Bei biefem Könige empfal er fi
durch feine Gelehrſamleit und feine Schriften und durch
feine gewandte und fügfame Geſchaͤftsführung. Nicht
ohne Hülfe unwurdiger Ränfe ſtitg er num allmälig in
Staatsämtern empor, befonbers ſchnell, nachdem fein Vet⸗
ter Robert Cecil geftorben war und er in bem Günftlinge
des Könige Georg Villiers, der zum Herzoge von Bu⸗
@ingham erhoben wurde, einen neuen Gönner gefunden
hatte, Im Sinn der unbeſchraͤnkten Monarchie war er
der eifrigſte Vertheidiger der Vorrechte der Krone. Die
Belohnung für feine geſchickten Dienfte war das Amt bes
Großſiegelbewahrers, zu welchem bald bie Würden bes
Lord Kanzlers, des Barons von Verulam und Vicegra-
fen von St. Alban gefügt wurden. Aber fo wie er fih
ald Werkzeug einer ſchwachen und wilfürlien Regie
rung hatte gebrauchen laſſen, fo wurde er auch von ihr
aufgeopfert. Bacon war vier Jahre in den höchſten Ams
tern gewefen, als Jacob gezwungen wurde ein Parlia«
ment zufammenzurufen. Da erhoben fi die Beſchwerden
der Gemeinen. Die Klagen erfiredten fi nicht allein
auf Maßregeln, fondern auch auf Perfonen. Einer der
Hauptangriffe wurde gegen bie Beſtechlichleit Bacon's
gerichtet. Der große Juriſt Englands, Eduard Cole,
314
welchen Bacon durch Raͤnke von feinen hopen Stiellen
verdraͤngt, ben gänzlich zu beſeitigen es ihm nicht an
Willen, aber an Macht gefehlt halte, war fein- Haups
gegner. Die Gemeinen brachten gegen ihn eine Unterſu⸗
Yung im Oberhaufe zu Stande, welche bald von einigen
Fallen zu einer immer größern Zahl ſich anhäufte, As
Bacon zum Berhör geforbert wurde, erſchien er nicht
und entſchuldigte ſich durch den ganzen Verlauf der Ber
handlung mit Kranfpeit. Er hoffte, der König würde
die Sache niederſchlagen; bann ſuchte er mit einem als
gemeinen Gefändniß “und der Entfagung auf fein Amt
abzufommen, fah ſich aber doch zulegt zu einem Geftänd-
niffe im Einzelnen gegwungen, in welchem er fih in 28
Fällen für der Beſtechung ſchuldig belannte. Er wurde
verurtheilt zu einer hohen Geldſtrafe, zur Haft im Tower,
fo lange es dem König gefallen würde; für immer wurde
er für .unfäpig erflärt ein öffentliches Amt zu befleiden
ober im Parliament zu figen und aus bem Bereich des
Hoflagers verbannt. Man hat Entfhuldigungsgrände für
den großen Denler geſucht. Man meint, wenn ex fih
hätte vertheibigen dürfen, würde feine Schuld geringer
erſcheinen; aber ber König hätte ihm die Vertheidigung
verboten um ihn für Buckingham, den größern Berbreder,
bügen zu laſſen; man meint, bie Verbrechen, welche ihm zur
Laſt gelegt wurden, hätten nur in zu großer Nachficht gegen
Unterbediente beftanden, Aber alles dies reicht nicht im
Geringfien aus. Sein Bekenntniß, daß er ſich felhft
babe beſtechen laſſen, liegt in ungweibentigen Worten vor
und; daß ihm zu Gunſten Budingpam’s Unrecht geſche⸗
ben fei, darüber findet fi feine Spur feiner Klage
As
Seine eigene Entfulbigung lautet ganz andere; er habe
nie im Rufe eines geizigen oder habfüctigen Mannes
geſtanden; nie zu Gewaltmaßregeln, fondern nur zu fanfe
ten Mitteln gesathen; er hoffe Tein verborbenes, fein bes
ſtochenes Herz, Feine Gewohnheit in Beſtechlichleit zu
haben, ‚wenn er auch gebrechlich fei und theilhaben follte
an ben Misbraͤuchen der Zeit). Beſtechlichleit war ohne
Zweifel häufiger zu feiner Zeit als gegenwärtig; auch
die Härte, welche er in einigen Zällen zeigte, muß
man fih püten nad unfern jegigen Sitten gu beurteilen;
überhaupt würden wohl wenige feiner Verbrechen ober
feiner politiſchen Künfte fein, welche. nach ben gewöhnlis
chen Grundfägen der damaligen Politiler fih nicht recht⸗
fertigen oder in ein milderes Licht fegen ließen. Aber
es empört uns einen Mann in ihm zu fehen, weicher in
wiſſenſchaftlicher Hinfiht fih ſelbſtaͤndige Bahnen brach
und die Grundfäge der Religion und der Tugend im
Munde führte, wärend er in feinem öffentlichen Leben
ber breitgetretenen Straße des Laſters folgte und ſcham⸗
108 fi erniebrigte um eine glänzende Rolle fpielen zu
Können). Seinen politifchen Ehrgeiz hatte er hart ges
1) Lett.253. An dem König. I hope I shall not be found to
have the troubled fountain of a corrupt heart in a deprared
habit of taking rewards to pervert justice, however I may be
frail and partake of the abuses of the times.
2) Begen die ſchwachen Entfhuldigungen, mit welchen man Bas
con’8 Charakter hat reiten wollen, ſtechen die Urtheile ſehr ſcharf ab,
melde die neuefte ausführliche Beſchreibung feines Sehens enthält. J.
Campell's Live of the Lord Chancellors II p. 266—433. Ih-
nen ſtimmt Macaulay in Edinburgh Review LXXXIII p.311 2gg.
bei. Aus der erſten Schrift führe id einige Stellm an, dm zu zei
6
büßt; aber doch war er nicht geheilt werben. Die Reue,
welche ex über feine Verbrechen belennt, laͤßt Teine tiefe
Ertenminiß derfelben ahnden. Nach feiner Verurtheilung
wurde ex von feiner Haft im Tower ſogleich und bald
aud von feiner Geldſtrafe durch bie Gnade des Königs
entbunden. Er bot diefem feine Dienſte als Schriftſteller
an, erhielt wieder Zutritt zu ihm und erwirkte zulegt
einen allgemeinen Erlaß feiner Strafe. Bon ber öffent:
lichen Schande, welche er auf fi geladen Hatte, fehen
wir ihn wenig berührt, Mehr drüdten ihn die Schulden,
welche er durch verſchwenderiſches Leben auf fih gehäuft
hatte. Er ift unahläffig bemüßt, dieſe Laſten durch die
Gunft des Königs und Buckingham's ſich zu erleichtern
und feinen alten Einfluß bei ihnen wieder zu gewinnen.
Entmuthigt zeigt er ſich weder in feinen politifchen Plaͤ⸗
nen noch in den gelehrten Arbeiten, welche er fest nicht
mit größerm Eifer, aber mit größerer Muße wieder vor
nahm. Bon biefen erwartete er doch einen größern Ruhm
als von feinem politifchen Leben. Nur kurz vor feinem
Tode ſcheint er politifchen Plänen entfagt zu haben, doch
ſchwerlich feiner Eitelleit, da er noch die Bewahrung feir
ner Briefe empfal, die am flärffien von feiner Schande
gen, daß auch Engländer ihren berühmten Landsmann nire noch firen
ger beurtheifen als ih. P. 424. He had no moral courage and
no power of self-sacrifice or self-denial P. 428. He was
without. steady attachments as well as aversions, — — regard-
less of friendahip or gratitude, he was governed hy a selfih
view of his own interest. P. 432. To gain professional ad-
vancement, official station and political power, there was no
baseness to which he was not ready to submit and hardiy any
crime which he would not hare been willing to perpetrate.
7
zeugen. Durch wängvflhtige- Berſuche beſchleunigte er
1626 feinen Tod.
Über den getheilten und ſchwachen Charalter Bacons
fen. man nicht in Bweifel fein. In einem Briefe an
Tomas Bobley gefieht er dem großen Irrthum feines
Lebens, daß er durch innern Beruf zu den Wiſſenſchaften
gezogen in die Gefchäfte des öffentlichen Lebens ſich geworfen
habe, bei welchen fein Geift nicht ward). Richt opne Trauer
fann man bemerken, daß er biefe Untreue gegen feinen Beruf
einem Gelehrten belennt ohne die Stärke in fih zu fin
den fie zu beſiegen. Sein. Befenntniß iſt anf ber Zunge,
aber nicht in feinem Herzen. Ehrgeiz und Eitelfeit waren
die Herfchenden Leidenfchaften. diefes Mannes, welder fehr
weife Lehren auf den Lippen führte, wärend er ben Thor⸗
beiten der Welt frönte‘, von ihnen zu ben niebrigfien
Borten, zu verbrecheriſchen Thaten fih fortreißen ließ.
So eitel waren feine Gedanten, daß er das Schimpf-
tige feines Lebens nicht fühlte, Seine Seele if zur
Milde gemeigt, aber er läßt fih zu den härteſten Maß⸗
regeln gebrauchen; ohne Anpänglichkeit an Perfonen oder
an fein Volk ſucht er nur feinen Glanz, einen Glanz in’
den nichtigſten Dingen. Seinen Worten if nicht zu
trauen, kaum wenn er im Namen der Wiffenfchaft zu
ſprechen ſcheint. Fur die Kirche England's giebt er feine
1) Leu. 77. 1do oonfess, since 1 was of any understan-
ding, my mind hath in effect been absent from’ that I have
done. — — ‚ Knowing my self hy inward calling. to be. fitter
io hold a book than to play a-part, ] have led my life in ci-
vl causes, for which 1 was not very fit by nature and more
wfit by the preoccupation of my mind.
Biebe zu enfennen, wie für dem qhritüichen Glauben; ab
feine Liebe zum Chriſtenthum wird ſehr verdächtig, wenn
man feine hriflichen Paradoren lieſt . Zu feinen Gum
Ken dürfen wir wohl annehmen, daß biefes Werlchen
uur ein unzelfer Ausbrud) eines (päter unterbrüdten Inc |
fels fei, weil er fonft ein vollendeter Heuchler ohne Zwei,
ſelbſt in den vertraulichſten Außerungen, ſelbſt in ben
Spielen feines Geiſtes gewefen fein müßte). Nur fer
nen Tpaten, feinen Werten Tann man trauen. Diebe |
zeugen eine aufricptige Liebe zur Naturwiſſenſchaft, welche
mit feinem Talente und feinem Ruhme verwaqhſen in
Bei allen feinen Staatsgeſchaͤften, bei feinen Arbeiten für
bie Geſchichte Englands, bie Gerichte und bie Verbeſ⸗
ferung des Gerichtsweſens hat er noch Zeit gefunden bie
umfaffenbfien Sammlungen und Tatwürfe für die dhyfl
zu unternehmen und auszuführen. Sein neues Organen
bat er wohl zwoͤlfmal umgearbeitet. Wir können nift
daran zweifeln, daß bei biefen Arbeiten fein Geiſt und
feine Liebe gegenwärtig war. Da war er mit großen
Plänen und weiten Ausſichten beſchäͤftigt. Aber wir für
Gen dabei vergeblich nad einer tiefern Erregung feiner
Seele, Das Äußere und bie Weite ber Naturerfheinun
1) Die christian paradoxes erſchienen nach feinem Tode 16455
fie ſlellen bie fheinbaren Widerfprüce des qriftuchen Glaubens im
grelften Lichte dar. Daß er biefe abſichtlich gepäuften und unve
bauten Widerfprüche mit dem credo, quia absurdum est (de augm:
scient. IX, 1 p.263) niedergeſchlagen Habe, iſt nicht glaublich. Die
Echtheit der paradoxes ift doch ohne Grund bepieifelt morben.
2) Man vergleie fein Glaubensbekenntniß, feine Gebetformein,
feine Überfegung der Palmen.
39
gen ziehen feinen Blick anz aber ex lann fd nicht zuſam⸗
mennehmen; ex if in Gefar über das Außere ſich felhp
zu verlieren. Die Wahrheit lodt ihn; aber es lodt ipn
nicht minder der Schein.
Unftreitig hat hierauf feine Anſicht von der Wahrheit,
welche er erforfchen wollte, den ftärffien Einfluß ausgeübt
und wir können es daher nicht unterlaffen, hier ſogleich
feine Äußerungen über biefen Punkt zu erwähnen, welche
freilich eben fo ſchwankend find, wie feine Handlungs
weife uns als unzuverläffig erſchien. Er giebt ung öfters
zu erfennen, daß die Wiffenfchaft nicht des Nutzens wegen
geſucht werben fohte; auch Glanz und Ruhm follen bei
ihr unbeachtet bleiben H; er erinnert und baran, daß
Berftand und Wille, Wahres und Gutes zufammengehör
ren 2) und fo möchte er bie unbebingte Würde der Wiſ⸗
ſenſchaft zu vertheidigen ſcheinen. Aber er hat doch an
der falſchen Ppilofophie der frähern Zeiten auch dies aus⸗
zuſetzen, daß fie für das Leben der Menſchen feine Frucht
getragen habe, und fordert von ber Wiſſenſchaft, daß fie
feine mäffige Forſchung feiz fie fol zum Gebrauch und
zur Handlung führen, nicht allein Erkenntniß, fondern
auch Macht über die Natur gewähren 5); biefe beiden
ſcheinen ihm zufammenzufallen 9, und er fegt nun ohne
Bebenfen den Zwed ber Wiſſenſchaften nicht in die Ers
kenntniß, fondern darin, daß fie das menſchliche Leben
1) De dign. et augm. scient. I p.45; VII, 1.196; org.
nor. 1, 119. \
2) De dign. et augm. se. V, 1.
3) Ib: UI praef.:p. 62; inst. magna p. 18.
4) Inst. magna p. 19; nor. org. 1, 3.
mit neuen Erfindungen und Hulfsmitteln bereichern H.
Aus einer Bergleihung feiner nicht fehr genauen und nicht
ſehr gleichmäßigen Auferungen wird man gewahr, daß
es im wenigftens eben fo ſehr auf das Rüglihe als auf
das Wahre in der Wiſſenſchaft ankommt. Gegen ben
Ariſtoteles bemerft er, daß mar Gott und den Engeln das
beſchauliche Leben und die Wiſſenſchaft zukommen; ber
Menſch dagegen ſei auf das gemeinnügige Lehen ange⸗
wieſen ). Daher empfielt er uns auch Demuth und ei⸗
nen beſcheibenen Zweifel) und es beruhn hierauf feine
Außerungen, welche Verehrung für die Religion zur Schau
tragen. Die Erlenntniß des Menſchen fol durch Weis
gion befcpränkt und auf Nugen und Handlung bezogen
werben*). Unfer Wiffen ift nur unvofommen; es beruft
auf einem Leiden unferes Geiſtes durch den Sinn; an
ders freilich iſt es im Stande ber Glorie, aber ihn für
nen wir nur hoffen; fegt find wir auf den Glauben an
gewieſen, welcher beffer iſt als unfer gegenwärtiges Wiſ⸗
fen, weil er uns mit Gott in Verbindung feht; da ſol⸗
Ten wir unfere Vernunft unterwerfen und je abgeſchmad⸗
ter und unglaublicher und etwas erſcheint, um fo mehr
ſollen wir es glauben 9. Den Atheismus verwirft Ba⸗
1) Nov. org. 1, 81. Meta sutem scientiarum vera et lagi-
ma non alia est, quam ut dötetur vita humana novis invenlis
et copii .
2) De dign. et augm. so. VII, 1 p. 198.
8) Inst. magna p. 10; nor. org. I, 66.
4) Of the interpretation of nature p. 72, AIl knowledge is
to be limited by religion and to be referred to use and action.
5) Ib. p. 72 2q.; de dign. et augm. sc. IX, 1 p. 26%
Quanto igitur mysterium aliquod diviaum fuerit magis absonun-
con, weil er. ber Würde des. Menſchen zu nahe trete;
denn er leugne bie Verwandtſchaft des menfchlichen Geis
Res mit Gott, durch welche allein doch der Menfch über
die Thiere und über ſich felbR) erboben werde. In bie
ſem Sinn fegt er nun auch unſer ſittliches Streben, wel⸗
ches auf unſere Ähnlichkeit mit Gott gehe, viel höher als
unfer Streben nach Etkenntniß und treibt und an unfer
Heil, unfere verlorene Unſchuld durch die Religion zu fuchen,
fo wie wir unfere verlorene Herrſchaft über die Natur
durch Kunſt und Wiſſenſchaft wiederzugewinnen fireben folr
Im), Aber wenn ihn ſolche Gedanken zu Gott, zum
fitliden und refigiöfen Leben führen, fo läßt er von
ihnen fich doch nicht fortreißen auf eine wiffenfpaftliche
Erörterung diefer Dinge einzugehn, vielmehr ſchiebt er
alles dies ber Theologie zu, wärend er nur die weltliche
Wiſſenſchaft in feine Unterfuhung ziehen wil. Da vers
gißt er feinen Spruch, daß des Menſchen Werth nur
auf feinem Geiſt, fein Geif nur auf feinem Wiffen bes
ruhe 2), und überläßt fih dem Glauben, in welchem er
noch einen andern Werth und eine andere Würde bes
et incredibile, tanto plus in credendo exhibetur honoris deo et
ft vietoria fidei nobilior. — — : Dignius quidem est credere,
qua seire, qualiter nuno scimus, In scientia enim mens hu-
mana patitur. a sensu, qui a rebus materiatis resilit, in fide
autem anima patitur ab anima, quae est agens dignius. - Aliter
se res habet in tu gloriae; tuno siquidem cessabit fides
alque cognoscemus, sicut et cogniti sumus. Christian para-
dozes 1.
1) Essays civil and moral 17 p. 324 (sermones Adeles 16).
2) In praise of knowledge p.69. The mind is the man and
the knowledge of the mind. A man is but what he knowelh.
Geſch. d. Philoſ. x. 21
Menſchen anerkennt, ahne irgend ein Bemüpn ipn zum
Wiffen zu erheben, Die Wiffenfcpaft führt nur zur Ber
wunberung Gottes; feine Geheimniſſe Läßt fie unerforſcht H.
Die Unterfugungen über das hödfle.Bnt hat das Chris
flenthum befeitigt; wir ‘And Kinder und fönnen es nur
in der Hoffnung befigen ®). Auch bie Unterfuchung über
bie vernünftige Seele wird mefentlih der Theologie zus
gewieſen ). Im ber Religion und im fittlichen eben
ſollen wir und an den pofitiven Ausſpruch, an das Ger
feß halten, weldes willlüͤrlich feſtgeſtellt wirb, wie dir
Geſethe des Staats, ja wie die Befege des Schachſpiels.
Was wir über das Sittengefeg durch das Licht der Natur
wiſſen fönnen, if unzureichend und laͤßt. ſich nicht weiter
wiſſenſchaftlich verfolgen, weil es nicht durch Die Sinne und
die Bernunft in wiſſenſchaftlicher Methode erörtert werben
ann, fondern nur durch einen Funken gleichfam unferer
urfprünglichen Reinheit, durch das Gewiſſen oder einen
innern Inftinft erleuchtet ) . Hierdurch laͤßt ſich Bacon
nun freilich nicht abhalten auch philoſophiſche Betrachtun⸗
1) De dign. et augm. sc. I p.30.
2) Ib. VII, 1 p.196.
‘3) Ib. IV, 3 p. 132.
4) Ib. IX, 1 p.263 sq. Die natürfihe Sittlichkeit beruht auf
einem eingebomm SWefreben nach dem Guten fomohl für die Inbir-
duen, als für die Gemeinfaft der Menfihen. Ib. VAT, 1 p. 197.
Die Pflichtenlehre gegen die Eimzelnen wiſſenſchaftlich auszuführen
wirb beſonders abgelehnt; zerfireute Bemerkungen über fie wären gt:
geben worden und fo wäre es auch beſſer als ein Syſtem zu fuhm;
denn die Erfahrung müffe lehren ; allgemeine Betrachtungen aber bräd:
ten feinem Rugen. Ib. 2 p. 209.
323
gen über das filtliche Leben des Menſchen anzuſtellen;
aber er entfchulbigt ſich deswegen gegen die Theologie,
welche dies als einen Eingriff in ihr Gebiet betrachten
fönnte; er meint, die Philoſophie folte fih als eine ges
ſchite Magd ber Tpeologie erweiſen und müßte daher
auch etwas betreiben, was ihrer Gebieterin in die Hand
atbeiten Fönnte). So wenig will er es Wort haben,
daß feine Lehre auf eine Befreiung der Philoſophie von
ihrer theologiſchen Knechtſchaft ausgehe. Ihm fcheint nun
Regerei doch noch ſchlimmer als Sittenfofigfeit 9. Er
ifert gegen jene befonbers, weil fie den Frieden ber
Kirche ſtöre, und bie kirchlichen Streitigkeiten gelten ihm
für eins der größten Übel, beſonders weil fie bie Forts
ſchritte der Wiffenfhaften hindern 5). In diefer Betrach⸗
tung geht er nun wieder fo weit, daf er, alle Würde
des Menſchen unbeachtet, den Aberglauben doch noch für -'
ſchlimmer Hält als den Atheismus, denn der letztere flöre
weder Sitten noch Staaten und laſſe die natürliche Phi⸗
loſophie ihre ruhigen Fortſchritte machen, wärend ber er⸗
ſtere nicht allein alles dies in Gefar bringe, nicht allein
Aller Meinung über Gott fih enthalte, ſondern auch ger
gen die göttliche Majefät und Güte fireite ). Diele
Auferungen ſtehen nicht in ber genaueften Übereinftims
mung; im Allgemeinen aber Teuchtet aus ihnen hervor,
daß Bacon die menschliche Wiſſenſchaft doch nicht bis in
1) Ib. vn, 3 p. 206.
2) Essays civil and mor. 3 p.308,
3) Lett. 99 p. 583.
4) Ess. civ. and ‚mor. 18 (serm. id, 17); leit. 92; nor.
08.1, 80. - ‘
21*
324
ihre Höhen Aufgaben verfolgen will, daß er gering von
ihr denft, weil in ihre Tiefen einzugehn ihm ber Muth
fehlt, wie umfaflend er auch fie. in der Breite ausbehnen
mödte. Hierin werben wir eine neue Duelle feines ges
fpaltenen Sinnes finden. Nicht allein das wiſſenſchaft⸗
liche und das auf den Nuhen gerichtete praktifche Leben
fallen ihm auseinander, ſondern auch feine veligiöfen
Überzeugungen haben nicht die Kraft feinen ganzen Mens
ſchen zu durchdringen; feine Erkenntniß läßt er faR ohne
Berüprung mit feinem veligiöfen und fittlichen Bewußt⸗
fein dahingehn. Man wird fi nicht darüber wundern
Tönnen, daß er für eine Wiſſenſchaſt, die ihm nicht allein
tief unter dem Glauben fleht, fondern auch nur eine
Magd der Tpeologie und ber nüglichen Künfte abgeben
ſoll und in bie Tiefen des fittlichen Lebens nicht ein
dringen vermag, feinen Wunſch feines Eprgeizes aufjus
opfern im Stande war,
Seine Werke tragen den Charakter des Mannes an
ſich. Der mannigfaltigfien Art verbreiten fie ſich über
alles. Man. erftaunt über den Umfang feiner Arbeiten,
über bie Gewanbtpeit und Selbfänbigfeit, mit welcher
er in jebem Fache fih bewegt. Aber viele von feinen
Unternehmungen find unfireitig nicht aus feinem eigenen
Geiſte hervorgegangen, fondern es iſt in ihnen ein Nach⸗
Hang fener phifologifhen Redelunſt, welde über alles
ſich zu verbreiten, über alles ein Urtheil zu haben fih
vermag. Er hatte den Ruhm eines berebten Schriftſtel⸗
"ters und ba bebiente fih denn die Königin Eliſabeth,
wie er fagt, gern feiner Feder und nach feinem Fall trug
ex felbft dem Könige feine Feder zum Gebrauch an und
bat ihm die Aufgaben zu flellen, welche ex ausführen
ſollte H. Vieles, was er unternommen hat, feine Arbei⸗
ten über die Geſchichte Englands, feine Entwürfe für ein
Digeftum der Englifchen Geſetze, hängt nur mit ben -Ber-
hältniffen feines praftifchen Lebens zufammen. Anderes,
wie feine theologiſchen Abhandlungen, feine refigiöfen
Betrachtungen, feine Überfegungen einiger: Pfalmen in
Engliſche Verſe, berüprt fein religiöfes Leben, welches nur
in fehr loderem Zufammenhange mit feiner Wiſſenſchaft
Rand. Nur die Werte, welde zu ber großen von ihm
beabſichtigten Wiederherſtellung ber Wiſſenſchaften gehören,
find als die Fundgruben feiner Philoſophie anzuſehn.
Bon feinen übrigen Schriften haben feine politiſchen und
moraliſchen Verſuche (sermones fideles) ben größten Bei⸗
fal gefunden; er felbft legte auf fie den größten Werth.
Man könnte erwarten, in ihnen am meiften den ganzen
Mann heroortreten zu fehn; denn fie haben Montaigne's
Berfuche zu ihrem Mufter genommen; aber ihrem Muſter
fommen fie bei weitem nicht gleich; bie allgemeinen Bes
trachtungen, welde fie enthalten, Yaffen falt, wie ein
Berk der Nahahmung; weder durch einen wiflenfchaftlis
hen Faden, noch durch ben Ausdruck einer belebenden
Perfönlicpkeit werden fie zufammengehalten. Wie Bacon
au mit andern Werken zu thun pflegte, hatte er diefe
Lieblingsſchrift zuerft in Eugliſcher Sprache aufgefegt,
alsdann aber überfegte er fie in das Lateiniſche, wobei er
auch wohl fremder Hülfe ſich zu bedienen pflegte; denn
er war ber Überzeugung, daß Werle in den neuern Spras
"4) Lett. 270.
Gen nit lange dauern würden; feinen Werken dagegen
in der allgemeinen Belehrtenfprache verfprach er Unferb-
lichteit y. Seine Schreibart iſt nicht fehr gewählt, gu
weilen fogar nachlaͤſſig; fie verbindet aber. eine leichte
und Mare Berebtfamteit mit Reichthum an Gebanfen. Er
liebt allgemeine Bemerkungen, welde in treffenden Ge⸗
genfägen, in wigigen Wendungen ipren Gegenſtand in
das Licht fegen und fehr Häufig eines bildlichen Aus .
druds fih bedienen. Solche Bilder wiederholen fih bei
ihm öfters far mit denfelben Worten; aber au in kb
nen Wiederholungen ermäbet ex nicht, weil man äberal
in feinen Schriften den umfaſſenden Geiſt gewahr wird,
welcher in einer großartigen Überfiht das Feld ber Bil:
fenfpaften ermeſſen hat,
Wir Haben erwähnt, daß Bacon ſchon in früper'Ju
gend den Plan zu einer Reform ber Wiffenfchaften ent
worfen hatte. ine lange Zeit ließ er vergehen, che er
ihn veröffentlichte. 1605 gab er feine Schrift über bie
Würde und die Fortſchritte der Wiffenfchaften in Englis
ſcher Sprache heraus, welche mit großen VBermehrungen
1623 in Lateiniſcher Sprache erſchien. Das neue Orga
num ließ er 1620 erſcheinen und furz darauf folgte fein
große Inflauration, welche den ganzen Plan feiner Ar
beiten vor Augen legte. Diefe Werke ſtehen im Zw
fammenhang unter einander und ans ihrem Inhalt wie
aus gegenfeitigen Berufungen auf einander erſieht man,
daß fie zu gleicher Zeit in Angriff genommen und weil
geförbert wurden. Don feinem ganzen Plane- bilden bie
1) Serm. Adel. in der Deblcation an Budingpam; Rawley in
d. Borrede zu Bacon WE. b. Malt p. 20. ,
327
erwähnten Werle nur den erſten und zweiten Theil eines
Ganzen, weldes auf ſechs Theile berechnet war, und
au der zweite Tpeil, das neue Organum, if nicht voll
endet ). Zu allen übrigen Tpeilen hat Bacon nur
Anfänge, zu der Naturgeſchichte zwar ziemlich ausfähr-
liche, aber doc gegen das Ganze des Unternehmens ges
halten nur den Heinften Theil gegeben. Sein Plan war
m umfaflend, als daß er ihn auszuführen bie Hoffnung
hätte hegen können; zut Ausführung verlangt er Jahr⸗
hunderte; er wünfcht für biefetbe die Hülfe der Könige
und Großen; er möchte; daß Ihrem Zwede bie Lehr⸗
anfalten von ganz Europa fig umgeſtalteten und in eine
engere Verbindung unter einander traͤten; er feinerfeits
will nichts vollenden, nur anregen; er vergleicht fi mit
dem @lodenläuter, welcher andere zur Kirche zufammens
tuft ). So wie er vor voreiliger Syſtemmacherei warnt,
fo will er keine Theorie aufſtellen, leine Schule ſtiften; zu
einer allgemeinen Theorie ſcheint ihm ſeine Zeit noch nicht
reif ). Daher begnügt er ſich damit eine ſichere Orund⸗
lage für das künftige Syſtem zu ſuchen, eine Methode
für die weitere Forſchung anzugeben und Gefihtspunfte
aufzuftellen , welche bei der Anwendung der Methode im
Auge zu behalten fein wurden.
1) Diefer Punkt, welchet gewöhnlich nicht beachtet wird, get aus
org. IK, 21 hervor, wo der Plan der weiteren, Unterſuchung gegeben
wird, Nur der erfle Theil diefes Planes If ausgeführt worden.
Vergl. aud) historia naturalis et experimentalis b. Mallet p.23.
2) De dign. et augm. sc. II praef. p.62 sq.; IX, 1 p. 26757
hist, nat. p.23; lett. 78; 82 p. 567.
3) De dign. et augm. so. I p.44; nor. org. I, 66.
Sein Plan if anf eine gämliche Umgeftaltung ber
weltlichen Wiſſenſchaft abgeſehn, dem Charalter unferes
Zeitabſchnitts gemäß, welcher entſchloſſen war ganz von
vorn anzufangen, nachdem man lange vergeblich, bei
den Alten ſichere Grundlagen für die Philoſophie zu fin
den gehofft hatte. Bacon. meint, ihm werde man «6,
Hleih wie dem Aerander, zum Rahm anrechnen, bag er
getvagt habe das Eitele.gu:merahten und an eine Yölige
Wiederherſtellung der. Wiffenfchaften von ihren erſten
Grundlagen aus zu denfrg-3. „Die alte Philofophie Hält
er nur für eine Mnabenpafte.Wifenfhaft. Glücklich wir
ben wir fein, wenn mir gne- leere Tafel wären um bie
Wahrheit aufgehmen zwi;fönnen ohne von dem Unſrigen
beizumiſchen; aber wir, haben es mit angebilbeten Bors
urtpeilen zu thun -unb.mit den angebornen Neigungen
unferes Geiſtes zu kämpfen. Da Fämpft num Bacon
gegen voreiliges Urtheil, gegen die Einbildungen, melde
uns täufchen. Es if ein Haupffehler, daß wir geneigt
find zum Algemeinen zu eilen und aus wenigen Fällen
ſogleich eine allgemeine Regel zu ziehen 9. Bacon wil
dem Geifte nicht Flügel leihen, fondern ihm ein bleiernes
Gewicht anhängen. Nur ganz almälig, in einem ruhi⸗
gen und ununterbrochenen Fortſchritte vom Niederen zum
Höhern, vom Befondern zum Allgemeinen follen wir zur
Erlenntniß d der Wahrheit gelangen ). Er bekämpft nun
1) Inst. magna p.3; 5. Missis philologieis. Ib. p.7; org.
nor. I, 31. Instauratio facienda est ab imis fundamentis, Ib.
97. Non est spes nisi in regeneratione scientiarum.
2) Inst..magna p. 15.
3) De dign. et augm, se. V, 2 p. 141.
4) Org. nor. 1, 19; 108. Hominum intellectuj non plane
alle Berurtheile, die Idole unferes Geiſtes; wir follen
fie nicht mit den Ideen verwechſeln, melde Gott feinen
Geſchoͤpfen eingebrädt habe 2). Nach feiner Weiſe ſucht
er fie forgfältig einzutheilen; er unterſcheidet die allge⸗
meinen Borurtheile der menſchlichen Art, die befondern
Borurtpeile der Individuen und. fügt noch andere Hinzu,
welche theils aus den. Täufhungen der Sprache, theils
aus den falfchen Theorien der Schule entfpringen 9.
Die beiden letzten Arten hat er befonders im Auge, in
dem er bie Ppilologen und bie abergläubifche Berehrung
der alten Philoſophie beſtreitet. Er möchte reine Bahn
machen. Alte und Neuere haben die Natur verfaͤlſcht;
Hinten Hat Theologiſches, Arifoteles Logiſches, Proculus
Matpematifches in fie eingemifchtz bie Chemiler find von
wenigen Erfahrungen aus fogleih zu einer. allgemeinen
Theorie forigeſchritten; ebenfo haben auch Telefius und
Gilbert gefehlt, Wir dagegen follen uns an bie reine
Roter Halten, an das Licht der Natur und bie Erfah⸗
tung 5). Baron nennt baher fein Verfahren die Ausle⸗
gung der Natur im Gegenfag gegen bas alte Verfahren,
welches nur ein Borausgreifen des Geiſtes geweſen feit).
So ſcheint es, als wollte Bacon ganz reine Tafel
machen, ganz von vorn anfangen und nichts als Wis
addendae, sed plumbum potius et pondera, ut cohibeant om-
nem saltum et volatum, Ib. II, 37.
1)1.1,2.
2) Idola tribus, specus, fori, theatri. De dign. et augm. zc.
V,4 9.153 2qg.; org. nor. I, 38 aqg.
3) Org. nor. 1, 51; 127.
4) Ih. praef. p, 273. Altera ratio sire via anticipatio men-
is, altera interpretatio natura a nobis -appellari, oonsuerit,
ſenſchaft anertennen, was feine Borgänger geleifet haͤt⸗
ten. Aber er gleicht doc nicht jenen Geiſtern, welde
um von Grund aus alles zu beſſern für noͤthig halten
alles Bergangene zu verneinen. Vielmehr bei einer ſol⸗
en Neuerung, wie er fie beabfichtigt, iſt die Mäßigung
zu bewundern, welche ihm fein welterfahrener Sinn ein:
giebt. Nicht allein im Allgemeinen gefeht er ein, daß
nicht alles Alte zu verwerfen fei, daß auch bie Früpern al
tüchtige Führer ſich erwieſen hätten; nicht allein beſchraͤnli
ex feine vorher angeführten Säge dahin, dag man bis
per nur nicht mit Einfiht in den richtigen Weg geforfht
habe, fo daß au feine ganz ſichere Wiſſenſchaft Habe zu
Stande fommen können 2); fondern er fepreitet auch ſo⸗
gleich dazu das bisher in den Wiſſenſchaften Geleifete
zu unterfuchen um es, foweit es irgend tauglich, zu fer
nem Werke zu benugen. Sein ausführlichftes Werk über
die Würde und Fortſchritte der Wiflenfchaften iſt größten:
theils biefem Zwede gewidmet. Es fo eine Eintheilung
der Wiſſenſchaften geben, aufzeichnen, was in jedem
Zweige derfelben bisher geleiftet worden, was noch ver-
mißt werde, und dabei Proben von dem geben, was zur
Ausfühung der Lüden gethan werden könne. Dabei fann
er num freilich die Schwächen der bisherigen Wiſſenſchaft
nicht übergehn. Befonders den Ariftoteles als den Be
herſcher der Schule mit feinen ſcholaſtiſchen Genoffen muß
er befämpfen. Er wirft ihm vor, er habe nach Weife ber
Dttomanen geglaubt nicht ficher herfchen zu können, wenn
ee nicht feine Brüder getöbtet hätte; aber er giebt auf
1) Inst, magna p. 10.
eben hierdurch zu erfennen, daß er in ber Weisheit der
alten Philoſophen noch mande Schäge für verborgen
halte 235 er ſucht dieſelben fogar in der Mythologie der
Griechen auf, welche er für eine in Bildern verhüllte Phys
Mund Moral HAM; er Iobt befonbers die Methode
des Demokrit, welche uns die Natur zu zerlegen anweife,
wenn er auch deſſen allgemeine Grundſaͤtze über die Prin⸗
cipien der Natur nicht billigt und ihn tadelt, weil er die
Berbindung bes Zerlegten vernapläffige I; und fo iR er
überhaupt bemüpt die Lehren des Alterthums für feine
neuen Unternehmungen zu benugen. Seine Kritik der
biöperigen Seiftungen wird man im Allgemeinen nicht zu
Äreng,' eher zu nachſichtig finden. Eben fo entſchieden wie
die Dogmatiker tadelt er die Steptifer. Er erwähnt zus
weilen die Ähnlichkeit, welche fein Unternehmen alle bis⸗
beige Wiſſenſchaft in Zweifel zu ziehen mit der Weife
der Skeptiker habe; aber wir follen weder alles behaup⸗
ten, noch alles bezweifeln, wir follen nicht zweifeln um
zu zweifeln, fondern um Sicheres zu finden *).
In feiner Mufterung des gegenwärtigen Standpunftes
der Wiffenfchaften fönnen wir jedoch nicht umhin viel
Auffallendes zu finden. Wie fehr er auch gegen ein alls
zuſchnelles Auffliegen zum Allgemeinen fi) erflärt, dennoch
will er der erfien Philoſophie und ber allgemeinen Wiſ⸗
ſenſchaft, welche wie von einem hohen Thurme alles
1) De dign. et ang. sc. I, 4 p. 107.
2) Ib. II, 13 p.81 sqq.; de sapientia veterum.
3) Org. nor. 1, 51; 57.
4) De dig. et augm. w. I p. 455 IN, 4 p. 106; org. nor.
praef. p. 271.
3.2 ol
überblide, ihr Recht bewahrt wiſſen. Nur von einer '
hohen Warte koͤnne man bie entferntern und die innern
Theile der Wiſſenſchaft erblicken !) Seine Eintheilung der
Wiſſenſchaften konnte nur durch eine allgemeine Überfiht
begründet werben, Daher iſt er auch gegen die Zeriplit
terung der Wiſſenſchaft, gegen die Abfonderung ber einen
Wiſſenſchaft von der andern, ald wenn bie eine ohu
die andere nicht befiehn Könnte. Cr iſt ſich der Einheit
aller Wiffenfhaften bewußt, welche von der Philoſophie
vertreten werben fol, und weift auf bie gemeinfame
Duelle aller Erlenntniß zuruch?). Er will daher auch
Sittenlehre und Raturphilofophie mit einander verbunden
wiflen ). Died würde vortrefflich klingen, wenn wir
nicht beforgen müßten, daß Bacon feinen eigenen Grund
fügen ungetreu würde, indem er bie Theologie von der
Philoſophie ſcheidet und beide auf verſchiedene Quellen
der Erlenntniß zurücführt 9. Noch beſorgter werden
1) De dign. et aug. ec. I p. 44. Prospectiones fiunt e tur-
ribus aut locis praealtis et impossibile est, ut quis explorel
remotiores interioresque scientise alicujus partes, si stet super
plano ejusdem scientiae neque altioris scientiae velut specalam
conscendat.
2) 1b. I, 1 p. 93 sq. ; IV, 1 p, 117. Hoc pro regula po-
natur generali, quod omnes scientiarum partitiones ita intelli-
“ ganfur et adhibeantur, ut scientias potius signent, quam secent
et divellant, ut perpetuo evitetur solutio contiauitatis in scien-
tüis, Hujus enim contrarium particulares scientias steriles red-
didit et erroness, dum a fonte et fomite communi non alun-
‚tur, sustenlantur et rectificantur., Org. nov. I, 107; of ihe
interpr. of nat. p. 85.
3) De dign. et augm, sc. I p. 45.
4) Ib. I, 1. p.9. 1—
535
wir um feinen Weg, wenn Bacon uns feine Anfiht von
der erften Philoſophie auseinanderfegt. Denn die allge-
meinen Grundfäge mehrerer oder aller Wiſſenſchaften,
welche er aufſtellt, finden wir zwar mit Verſtand ent-
worfen und bemerfen mit Vergnügen, wie fie darauf
ausgehn mehr ala bie alte Metapppfik fruchtbare Begriffe
für die Unterfuhung des Einzelnen geltend zu machen 2);
aber wir fehen doch auch gar keinen Verſuch von ihm
gemacht diefe allgemeinen Lehren mit feinem Begriffe von
der Wiffenfchaft überhaupt in Verbindung zu fegen. Eine
Erflärung der Wiſſenſchaft fehlt bei ihm nicht; fie bebeus
det ihm das Bild der Wahrheit; die Wahrheit des Seins
und die Wahrheit des Erfennens find ihm dasſelbe, nur
daß diefe in veflerivem Stral auffaffe, was jene in bis
tectem Stral zu erfennen gebe 2); aber fie bleibt unbe
mußt; Feiner der allgemeinen Grundfäge für bie Wiſſen⸗
fhaft, welche er aufftellt, wird von ihr aus abgeleitet.
Und fo fehen wir in der That feinen wefentlichen Unter
ſchied zwiſchen diefen oberfien Grundfägen, welche Baron
als Teitende Gedanfen für feine Unterſuchungen gebraucht,
und zwifchen ben erflen Begriffen der Metaphyſik, vor
deren Annahme er ung nicht dringend genug warnen lann,
1) Dies gilt befonders von der Weife, wie er die Lehren über bie
conditiones rerum adventitiae oder transcendentes, bie er als
modale Betrahtungsiveifen anſicht, behandelt wiffen will. Ib. II, 1
P-95; 4 p.90. Cs ift dies ein Gedanke, welcher bei ihm noch fehe
unentroidelt iſt
2) Ib. I p.41. Quae (sc. scientia) nihil aliud est, quam ve-
ritatis imago. Nam veritas essendi et veritas cognoscendi idem
sunt nec plus a se invicem differunt, quam radius directus et
reflexus,
35
weil fie auf voreiliger, verwegener Abſtraction ber
zupten 2).
Genau genommen mag nun hierin wohl ein unauf-
gelßfter Widerfprud in Bacon’s Denkweiſe liegen; abe
es verrathen ſich doc Mittelglieber, durch welche er er⸗
Märtip wird. Seine ganze Einteilung der Wiſſenſchaft
nemlich und die daran fi anſchließenden Gedanken über
den gegenwärtigen Zuftand der Wiſſenſchaften und mas
für fie weiter zu Teiften fein möchte, haben wir nur a
etwas Borläufiges anzuſehn. Darüber fpricht er fich felht
deutlich genug aus); es liegt dies aber auch feinem
ganzen Plane zur Reform der Wiffenfchaften zum Grunde.
Denn dieſe fol erſt beginnen und zuerſt eine figere Bi:
ſenſchaft begründen, nachdem ber Boden der bisherigen
Denfweife unterfucht worden if. Wir haben baher auf
die allgemeinen Grunbfäge der erflen Philofophie, welche
er aufzäplt, nur als vorläufige Annahmen anzufehn. Ba⸗
con hegt die richtige Anfiht von dem Berhältniffe der
wiſſenſchaftlichen Erlenntniß zu der gewöhnlichen Bor- |
ſtellungsweiſe; aus diefer heraus bildet ſich jene; ‚man
lann diefe nicht ſchlechthin befeitigen ohne jener ihren na
türlichen Boden und den Stoff ihrer Rahrung zu entziehn;
aber dennoch werben alle Vorſtellungen ‘des gemeinen ke⸗
bens und auch ber gelehrten Bildung von der wiflen
ſchaftlichen Forſchung nur als vorläufige Annahmen ber
handelt werben können, weil fie erſt die Wiſſenſchaft aus
den Schwankungen der Meinung herauszieht. Es wird
nur darauf anfoınmen, ob Baron nun auch wirklich ale
4) Inst. magna p. 3. ‘
2) De dign. et augm. sc. VI, IR 19.
Borfielungen ber gemeinen Meinung und der gelehrten
Bildung bei feinen wiſſenſchaftlichen Unterfuhungen nur
als etwas Borläufiges behandelt.
Hieran jebod muß man zweifeln. Wir wollen es
ihm nicht zum Tadel anrechnen, daß er von vornherein
die Einheit der Wiſſenſchaft vorausfegt, denn die Hhilo⸗
ſophie wird fie anerkennen müſſen; aber fo wie er fie
annimmt, ift fie doch nur eine Vorausſetzung, welche als
fiiper von ihm angefehn wird, ohne daß fie eine weitere
Rechtfertigung gefunden hätte. Noch ſchwerer iſt unftreis
tig der Fehler, dag er trog ber Einheit der Wiſſenſchaft
annimmt, daß fie in Theologie und Philoſophie fi ſpal⸗
tet, und nachher ‘glaubt die Tegtere ohne bie erſtere durch⸗
führen zu fönnen, als wenn fie die einzige Wiſſenſchaft
wäre, Man könnte dies als einen Nothbehelf anſehn
um fi gegen bie theologifchen Vorurtheile der Zeit zu
fügen. Im diefem Sinn ſcheint er ſich zu äußern, wenn
ex. meint, das menfchlihe Wiſſen ſolle der Theologie
feinen Schaden thun und bie Religion verbiete die Nas
turforſchung nit). Aber feine Borausfegungen über
die Theologie gehn in ber That weiter, Er gebraudt
die theologiſchen Säge um philoſophiſche Vorausſetzungen
zu vedifertigen und um das Gebiet der Philofophie zu
beicpränfen. Das erftere gefchieht, wenn er ben Grunde
fag, daß bie Größe der Materie immer biefelbe ‚bleibe 2)
durch bie Behauptung unferftügt, daß Gott die Materie
auf einmal ganz geſchaffen, aber erft naher allmälig ges
1) Inst, magna p. if.
„ 2) De dign. et augm. sc. III,1 p.94. Omnia mutantur, nil
interit. — — Quantum naturae necKinnitur nec augetur,
bildet Habe), Das andere giebt ſich in nach auffallen
derer Weife zu erfennen. Seine Erklärung ber Wien
Theft, daß fie das Bild der Wahrheit fei, wird nur
dazu gebraucht die Hoffnung auf die natürliche Erkenni⸗
niß der Wahrheit und zu benehmen. Die Anfchauung
der Waprpeit fol uns Gott doch nur durch die Mittel
der Religion verleihen, unfere menſchliche Wiſſenſchaft
iſt weit davon entfernt fie erreichen zu fönnen 2). Wenn
Baron zum wiſſenſchaftlichen Forſchen uns ermunten
win, fo äußert er zwar, Gott habe den menfchlichen Geif
zum Spiegel feiner Werke gemacht ); aber er bebenft
auch die Unvolllommenheit der menſchlichen Exfenniniß
und rechnet es zu ben verberblichften Vorurtheilen, daß
der Menſch gleichſam Norm und Spiegel der Natur fei,
und alsdann tft nicht mehr davon die Rede, daß Erin
nen und Sein nur wie veflectirter und directer Stral zu
einander ſich verhielten, fondern die Unäpnlichkeit zwiſchen
ber Welt und dem Geifle des Menſchen kann kaum od
genug angefhlagen werben), Nun will zwar Baron
die natürliche Wiſſenſchaft nicht ganz von ber Erfahrung
des Bötilichen zurüdhalten, aber es iR doch nur ein
Funfe der Wiflenfchaft, welcher ihm bis zu dieſer Höhe
hinanzureichen fein. Sein Ausſpruch if berühmt, daß
ein Teichtes Koften der Philoſophie wohl zum Atheismus
führen fönnte, daß aber ein tieferes Erſchoͤpfen derſelben
1) Ib. I p.46.
2) Änst. magna p. 19.
3) De dign. et augm. sc. I. p. 29.
4) Ib. V, 4 p. 155 eff; natural history cent. X in.
857
zur Religion zurädfähre 2). Denn die Unterſuchungen
der Ratur könnten ung lange bei den Mittelurfacdhen: Fef
halten, aber je tiefer wir in ihre Kenntniß -eindräugen,
um fo. mehr würden wir gewahr werben, daß--idi' ber
Raturorduung göttliche Weisheit und Borfehung wahe
ten. Der Atheismus fei auch mehr auf den Lippen der
Menſchen als in ihren Herzen und Dott Habe keine Wun⸗
der geihan um ihn zu widerlegen, fondern bag Wunder
der ganzen Welt habe Hierzu ausgereicht. Aber alles dies
leitet feiner Meinung nad doch nur zur Bewunderung
Gottes an, zur Anerfennung feines Ruhmes, ‚feiner Macht
und feiner Weispeit und die- natürliche Theologie reicht
nur zur Widerlegung des Atheismus aus und zur- Ber
hauptung des Naturgefeges, aber nicht zus Begrändung
der Religion und zur Erkenntniß des Willens Gottes 2).
Wir Haben diefe Anſicht ſchon bei Taurellas gefunden;
mit ihr ſtimmt das überein, was Bacon im Allgemeinen
von den menſchlichen Wiffenfcpaften vorausſetzt. Er ver⸗
gleicht ſie mit Pyramiden, welche zu ihrem Erdgeſchoſſt
die Erfahrung ober: die Geſchichte hätten, "Die: Grunde
lage ber natürlichen Ppitofoppie würde baper bie Natur
geſchichte fein. Auf fie folgten zwei Höhere Seſchoſſe. die
Phyſil und bie Metaphyſik und bie Spike ver Hiramide
bifdete zulegt das höͤchſte Naturgefeg, das: Werk, welches
Gott von Anfang bis zu Ende wirle. Dies: ſer dit eeytn
1) De ip. & augm. se. 1 p. 30. Lover‚gustuk in philone«
phia:movere forlasse ad atheismum,, sed pleniores hadstan: ad
religionem reduoere. Eesays civ. and mor. £7 (serm.' fd. 16Ni
2) De diga. et augm. sc. I p. 30; 49; IH, 2 p. 96; A p-tftz
IX, 1. p.263; es. eiv. and mer. 17; medit; sacrae p. 401 4q.
Geſch. d. Philof. x. 22
des Parmenides und bes Platon, daß alles in einer Stu⸗
fenleiter zur Einpeit aufſteige. Die brei erwähnten Ge
ſchoſſe bildeten nun für hie, melde von eigener Wiſſen⸗
ſchaft aufgeblaſen wären, gleichſam die drei Berge, welde
die Giganten aufeinanbertpürmten um den Himmel zu
ſtürzen; für die aber, welche ihrer Eitelkeit ſich bewußt
wären und alles auf den Ruhm Gottes zurüdführten,
wären fie wie der dreimalige Ausruf: heilig, Heilig, her
lg. Dieſe Anfiht ſtimmt auf das Beſte mit feiner Ber
hauptung, daß die Wiſſenſchaft nur eine ſei; aber einge
den bes Vorzuges, welden die Theologie vor den übli⸗
gen Wiſſenſchaften Haben fol, und der Befchränktpeit un "
ſerer natürlichen Erlenntniß, ſchließt Bacon ihr aud die
Meinung an, dag man mit Recht zweifle, ob bie menſch⸗
lie Forſchung bis zum Gipfel der Wiſſenſchaft gelangen
tönne 2). Die hierin ausgebrüdte Befchränfung der nos
türlichen Wiſſenſchaft durch die Theologie bfeibt natürlich
auch nicht dabei ſtehn uns von ber Erkenntniß bes Gi⸗
pfels der Natur auszufchliegen; fie dehnt ſich auch auf
die Erfenntniß .unfer felbR aus. Bacon unterſcheidet bie
i) De. dig. et augm. sc. III, 4 p. 109. „Sunt enim seien-
ae insiar pyramidum, quibus hintoria et experientia tanguam
basis unica wubsternuntur; ao proinde basis naturalis philoso-
pkiab est historia naturalis; tabulatum primum a basi est phy-
sica,. vertici proximum melaphysica; ad conum quod altinel
et punctum verticale (opus quod operatur deus a principio us-
que ad finem, summariam nempe naturae legem) haesitamus
merito, an humana possit ad illud inquisitio perlingere. Cae-
kerum haec tria — — sunt apad homines propria scientia in-
flatos di theomaı tanquam (tes moles giganteae, — — apud
eos.vero, ui se ipsos exinanientes omnia ad dei gloriam re-
ferunt, tanquam trina illa :axclamatio, Sancte, Sancte, Sancte.
2
ſiunliche Seele, welche nur durch die Elemente hervorge⸗
bracht werde, von ber vernünftigen Seele des Menſchen,
welche göttiher Art und son Bott eingeblafen fein foll;
jene Hält ex nur für einen Körper, welcher durch Wärme
unfihtbar gemacht werde; in dieſer ſucht er den Vorzug
bes Menſchen. Aber er entfcheidet fi auch dafür, daß
die Unterfuhung über bie vernünftige Seele weſentlich
der Theologie angehöre I. So macht er denfelben Uns
terſchied geltend, welcher dem Telefius dazu gedient hatte
die phyſiſchen und die theologifchen Unterſuchungen ges
trennt zu haltenz auch iſt Bacon mit dieſem Philofophen
der Überzeugung, daß bie Wege, in welden Gott unfer
ewiges Heil betreibt, den Befegen der Natur nicht unters
worfen find 9. Diefe Borausfegungen dienen nun allen
feinen wiſſenſchaftlichen Unterfuhungen zur Richtſchnur;
er nimmt fie nicht vorläufig an um fie durch weitere For ⸗
fung zu berichtigen oder feſtzuſtellen; fonbern fie gelten
ihm als Grundlage feiner Unternehmungen.
Wenn er baber der Reform der weltlichen Wiſſen⸗
ſchaft fi zumendet, fo giebt er ſich allein der Naturwiſ⸗
fenfhaft pin. Seine Eintpeilung der weltlichen Wiſſen⸗
ſchaften ſcheint zwar etwas anderes zu verfprechen, aber
im Berlauf der Unterſuchung teitt überall das Beſtreben
1) Ib. IV, 3 p.131 0q.; org. aor. H, 40 p.361 24. Der
Grgenfag zwiſchen Korperlichem und Unförperlithem wird von Bacon
nicht ſtreng gehalten, wie man am ausführlihften aus nat, history
cent. X ficht.
2) A confession of faith p.454. The ways and proceedings
of God with spirits are not included in nature, that ia in the
laws of heaven and earth.
22*
hervor die Tpeile der Wiffenfchaft, welche der Natur nicht
anzugehören feinen, entweder fallen zu laſſen ober an
bie Erlenntniß ber Natur heranzuziehn. Bacon theilt bie
Wiſſenſchaften nach den Bermögen der menſchlichen Serle
ein, dem Gedaͤchtniß, der Phantafie und ber Bernunft,
in Geſchichte, Poeſie und Philofophie 3. Aber die Poeſie
laͤßt ex bald fallen, indem er fie mehr für einen Traum,
für ein Spiel der Phantafie als für eine Wiſſenſchaft er
tennt 9, und die Geſchichte iR nur ein Borfpiel der Bil
ſenſchaft; fie gewährt fein Lit, fondern führt nur zum
Lichte 5); wir fahen fon, daß fe nur die Grundlage
der Wiffenfchaft abgeben ſollte. Die Philofophie alfo al⸗
fein befauptet den Rang ber Wiffenfchaft. Drei Gegen
fände der Unterſuchung werden ir zugemwiefen, dev Menſch,
die Natur und Gott ). Aber mit Gott fi zu beihäf-
tigen fommt der Ppilofophie doch entweder gar nicht ober
nur in einem. äußert befchränkten Sinne zu. Mit dem
Menſchen ſcheint fie tierer ſich einlaffen zu follen. Bacon
zaͤhlt ung eine Reihe. von Wiffenfchaften auf, welche teils
den Körper, theils die Seele des Menſchen betreffen und
unter dem, was er als noch vermißte Wiſſenſchaft unferer
Unterſuchung empfielt, fliehen fehr bedeutende Aufgaben |
dieſer Art; aud werden faft alle Unterfuchungen ber |
1) De dign. et augm. sc. A, 1 p.64.
2) Ib, 4 p.93;5. V, 1 p 138.
3) Ib. UI, 1 p.98. Humi incedit et ducis potius offcie,
quam lucis perfungitur.
ALL
5) So eine anatomia comparata (ib. IV, 2 p. 124), feilid
nicht ganz im Sinn fpäterer Forſcher, eine philoſophiſche dergleichende
Grammatit (ib. VI, 1 p. 160 eg), nicht ohne fyine Bemerkungen.
—
sa
ältern Ppitofophie, beſonders Logik und Ethik, unter biefe
weitſchichtige Abtpeilung gebracht. Unterſuchen wir jedoch
feine Gedanlen über. die Antpropologie genauer, fo ſehen
wir nicht ab, wie er dazu gelangen will fie von ber Na⸗
turppitofoppie abzuſondern. Wenn er zur Unterſuchung
über den Menſchen übergeht, erinnert er ſelbſt an ®die
Einpeit aller Wiſſenſchaften; die Erlenntniß des Menfchen
lönnte als Zweck aller Wiſſenſchaft gelten ; fie würde
‚aber doch nur ein Theil der Erkenntniß der Natur fein 2).
Dasfeibe ergiebt fih für die Ethik, weil fie in den nas
türligen @efegen, welche die Erhaltung, Fortpflanzung
und Fortentwidiung der Dinge zu ihrem Zweck haben,
ihre natürlige Begründung finden würde, weil fie daher
von ber Naturphilofophie nicht getrennt werben bürfe 2).
Durch den Rüdblid auf die Geiſter, welche den Geſetzen
der Natur nicht unterworfen find, würde er vielleicht in
dieſer Anficht geftört werben können; denn in ber Ent«
widlung ber menſchlichen Dinge herſcht der Zufall, wie
er fagt, unter ber Leitung der Vorſehung Gottes 5); aber
feine Philoſophie hat es doch ausſchließlich mit ber Auf
findung ber Gefege der Welt oder ber Natur zu thun.
Wie die Etpit fo will er auch die Logik an bie Naturs
philofophie heranziehn. Dasfelbe gilt von ben mathema-
tifchen Wiffenfchaften. Er tadelt es, daß bie Mathemas
tifer der Aſtronomie ſich bemächtigt haͤtten; auch Optil
4) Ib. IV, 1 p. 117. Haec scientia homini pro fine est
scientiarum, at naturae ipsius portio tantum.
2) Of the interpr. of nat. p. 86.
3) Instaur. magna p. 5. ,
. 32
und Muſil wären durch den vorherſchenden Einfluß der
Matpematit verborben worben. Die Mathematit fol
mur als ein Anpängfel der Phyſtt betrachtet werden und
wie die Logik der Naturphiloſophie dienen . Wir ler⸗
nen nun bie Naturphilofophie als bie Mutter und die
Burzel aller Wiſſenſchaften kennen. Das Verderben der
Wiſſenſchaften if es gewefen, daß fie von ihrer Wurzel ſich
losgelöft haben, als wenn fie für fi gedeihen Lönnten,
Dapin Iauten feine lagen, daß ber Naturphiloſophie
bisher zu wenig Fleiß zugewendet worben. Die Ratur⸗
philofophie wird nun als bie allgemeine Wiſſenſchaft den
beſondern Wiffenfcpaften entgegengefegt 9. Wir Können
nicht zweifeln, feine Wieberperftellung ber Wiſſenſchaften
geht mur auf eine Reform ber Naturwiſſenſchaft ans.
Das will es fagen, wenn er in ber Weife der philoſo⸗
phirenden Ppilologen auf die Erlenntniß der Sachen bringt
und uns auffordert, den urfprünglichen Berlehr des Geis
1) De dign. et augm. sc. III, 4 p. 101; 6. Nescio enim,
quo fato fiat, ut mathematica et logica, quae ancillarum loco -
erga physicam se gerere debeant, nihilo minus certitadinem
Prae se jactanies dominatum contra exercere praesumant. Ib.
IV, 1. p. 117. Die Mathematik hält Bacon hoch, aber mur als ein
Wertzeug der Phyfit, weiche fie nicht Gervorbringen konne; fie ſol
nur zur Beftimmung der phnäfhen Erſcheinungen dienen. Org. nor.
1,96; 11,8.
2) Org. nor. I, 74; 79. Atque haec ’ipsa (sc. naturalis
Pphilosophia) nihilo minus pro magna scientiarum matre haberi
debet. Omnes enim artes et scientiae ab hao süirpe rerulse
poliuntur fortasse et in usum effinguntur, sed nihil admodum
orescunt, Ib. 80. Nemo exspeciet magnum progressum in
scientiis, — — nisi philosophia naturalis ad scientias particulares
Pproducta faerit et scientiae parliculares rursus ad naturalem ’
Pphilosophiam reductae. Of the interpr. of nat. p. 86.
343
Res mit den Sachen wiederherzuſtellen 5 unter den Sa⸗
hen verfteht er die Natur, "
Man wird nun weiter fragen müſſen, ob Bacon wer
nigſtens in dem Theile der Philoſophie, welchen er umzu⸗
gefalten unternahm, in der Raturwiſſenſchaft, von Vor⸗
urteilen fich frei gehalten- habe. Diele Frage kann unab⸗
hängig von ber Frage, ob er mit Aufrichtigkeit angenom-
men habe, daß die Natur von Gottes Borfehung ge-
föaffen fei und regiert werde, beantwortet werben; denn
ein oberſtes Naturgefeg, durch welches alles gefeitet werde,
gleihgättig ob es von Gott ſtamme oder nicht, nimmt
er unſtreitig an. Ein folches Naturgefeg zu erforfchen,
darauf iſt der Bwert feines ganzen Werkes gerichtet.
Es Hält dieſen Zwed nur für höher, als daß er nicht
verzweifeln follte ihn zu erreichen; aber fein Verfahren
fegt ihn überall voraus. Denn von der Bafis bes Mans
nigfaltigen und Befondern will er zum Gipfel der Ein⸗
heit und des Allgemeinen vorbringen. Daher warnt er
ums davor, bag wir die Natur nicht als urſprünglich
gefpalten uns denken möchten. Das höchfte Naturgefeg
follen wir nicht für eine Abſtraction halten2). Eben des⸗
wegen verwirft er bie Atomenlehre, weil fie bie Zufammens
foffung der Ratur zu einer Einheit vernachläffigt, und bes
freitet die abſtracte Materie ber Peripatetifer, weil fie das
1) Inst. magna p. 35 5.
2) Org. nor. II, 26 p.341. Verum in his diligens est ad-
hibenda cautio, ne intejlectus humanıs — — praesupponat
hataram velut a radicihus esse multiplicem et divisam atque
ülteriorem naturae unionem tanquam rem supervacuae subtili-
fatis et vergentem ad merum abstractum fastidiat et rejiciat,
Ma
eine Princip, weiches er annimmt, in Materie und ber
wegende Urſache ober in Materie und Form zertheilt H.
Daher findet, er in der Materie dia ungerRörbare Kraft,
welche weder vermehrt / noch ‚vermindert werben könn,
gleichſam die vrine Nothwendigkeit?), und ſchließt fh
an ben Grundſatz Mochiavellis an, daß der Untergang
ber . Dinge dur die Zurädfüprung auf ihre Principien
abgehalten werde 7. Es Liegt in biefer Denkweiſe, daß
er der Trägheit ber Materie widerſpricht und gegen bie
Peripatetiler den Lehren anderer Vorgänger und Zeige
noffen fish anſchließt, weiche in die Materie ein Princh
der Bewegung legten. Er iſt aber deswegen auch gegen
die firenge Unterſcheidung zwiſchen Körper und Geil,
meiche die : Peripatetifer geltend gemacht hatten, und
nimmt an, es wohne. ein eingeborener Beift in todien
wie in Iebendigen Dingen, welcher ber Werkmeiſter alles
1) Parmenidis, Telesii et Democriti philosophia p. 323. Pri-
mum autem ens non minus vere debet existere, quam quae
ex eo fluunt,, quodammodo magis; authypestatum enim est ei
per hoc religun. — — Omnes fere antiqui — — in hoc con-
venerunt, quod materiam activam forma nonnulla et forman
soam dispensantem atque intra se principium metus habentem
posueront. Neque aliter cuiquam opinari lieebit, qui non eı-
perientiae plane desertor esse velit. Ib. p. 328. Tam enim
est principü, ut res in illud solrantur, quam .ut res ex ilo
gignantur.
2) Ib. p. 339 sg. Omnium virtatum longe potentissima ei
plane insuperahilis et veluti merum fatum et necessitas. Ürg.
mov. II, 48 p. 373. Vergl. über die ganze Vorftellungsweife die
Erklärung der Geficte des Pan. De dign. et augm. sc, I, 13
p-81 sqg; de sap. vet. 6.
3) De dign, et augm. sc. II, 1 p. 9.
deffen.fei, was im Körper ſich bilde). Wie Telefins
und andere ſchließt er ans der Anziehungs⸗ und Abſto⸗
Fungekraft des Körper, daß allen Dingen Begehren und
Verabſcheuen und alfo auch Empfindung beiwohnen müfle,
wiewohl er deswegen nicht auch Sinn und Seele ihnen
beifegen will ), Apnlich wie Cäfalpinus, welcher zwar
überall in der Natur belebte Materie, aber nicht Seele
gefegt Hatte. So vereinigt Bacon bie materielle, die for⸗
melle und bie bewegende Urſache im Begriff des oberfien
natürlichen Princips und will, daß wir dieſe drei Urſachen
als mit einander verbunden in der Natur erforſchen ſollen.
Dagegen entſcheidet er fi gegen bie Aufſuchung der
Endurſachen in der Natur, Er rechnet fie zu den Vor⸗
urtheilen bes gelehrten Dünfels. Zwede gehören mehr
der Natur des Menfchen, als des Weltalls anz fie mögen
wohl in der Natur vorhanden fein und find den phyfi⸗
ſchen Urſachen nicht zuwider; aber wir können mit ihnen
nichts anfangen, nichts durch fie bewirlen; an bie ma-
terielten, formellen und bewegenden Urfachen müflen wir
uns halten, wenn wir Wirkungen in ber Natur hervor
bringen oder bie Wege, in welden bie Natur wirkt, er⸗
tennen wollen. Daher bürfen Zwerurfadhen wohl in ber
1) Hist, vitae et mortis p. 111. Spiritus innatus, qui om-
nibus tangibilibus sire vivis sire mortuis inest. Ib. p. 145.
Spiritus omnium,, quae in corpore fiunt, fabri:sunt atque opi- .-
fices. Das tangibile und ber spiritus werden einander entgegenge-
fett. Org. nov. 11, 7.
2) Org. nor. Il, 48 p.379. Sumus enim in ea opinione
inesse corporibus oinnibus desiderium assimilandi non minus
quam coeundi ad homoginea. De dign. et augm. so, IV. 3
p-135 eq.; nat. hist. cent. IX in.
Metappyfit, aber nicht in ber Phyſil zugelaſſen werden;
fie gehörten nit der natürlichen Philoſophie, fondern
der Theologie an, weil fie unter den Begriff der Bor
fehung Gottes fielen 2).
j Unſtreitig iſt dieſe Annahme eines oberſten Naturgt ⸗
ſehes und die Weiſe, wie Bacon ihr gemäß das Princip
der Natur ſich denkt, voll von unbegründeten Voraus-
fegungen, welche mehr durch gelehrte Abnelgungen ale
durch eine unbefangene Naturanfiht eingeflößt werben,
Site geht davon aus, daß die Natur aus ihren Urſachen
erflärt werden müffe, nimmt aud die Ariſtoteliſche Ein
teilung der Urſachen an ?), wendet fi aber von der
Erforſchung der Zwecdurſachen ab. Der materiatififhen
Erflärung if fie günftig, indem fie jede Wirffamfeit der
Dinge aus der allgemeinen in der Materie liegenden
Kraft ableitet ) und dabei bie fpecififcgen und verborger
nen Qualitäten der Dinge beſtreitet 9. Dagegen ent
ſcheidet fie fi gegen bie rein mechanifche Erklaͤrungsweiſe
und gegen den Atomismus, denn jeder Fleinfte Materien⸗
theil enthaͤlt nach Bacon’s Anfiht vom oberfien Peinch
der Natur eine geiftige Kraft in fih, melde durch Ab
neigung oder Zuneigung Beränberungen hervorbringt; bie
Annahme unveränderliher Elemente der Natur erfcpeint
* 4) De dign. et augm. sc. II, 4 p.109 sg; 5 p1115 org
nor. I, 48; 65; II, 2. Causa finalis tantum abest, ut prosit,
ut etiam scientias corrumpat, nisi in hominis actionibus. De
taphyſit und Theologie, welche Bacon fonft unterſcheidet, fall hier
zuſammen.
2) Org. nor. II, 2.
3) Hist gravis et levis p. 106.
4) De dign, et augm. sc. III, 5 p. 112; org. nor. I, 66.
347
ihm daher als völlig der Natur zuwider 2); man müffe
daher nicht darauf ausgehn alles auf ben Stoff zurädzu
bringen ober nachzuweiſen, daß die Natur alles nur durch
mechaniſche Bewegung nach Weife ber menſchlichen Kunf
hervorbringe 9. Die Annahme von Atomen verwirft er
als eine müffige Speculation, ohne zu berüdfichtigen,
daß feine Annahme bes oberſten Naturprincips auch nur
eine möüffige Speculation iR; wenn er aud ber Zerlegung
der Natur und der Erforſchung des Kleinſten ein großes
Gewicht beilegt, fo ſchredt ihn doch feine Scheu vor dem
Unendlichen ab die legten und Heinften Befanbtpeile der
toͤrperlichen Dinge erforſchen zu wollen I.
Doc Vorausfegungen über bie Principien der Natur,
welche den legten Zwed der Naturforſchung abgeben, fonnte
Bacon nicht vermeiden, wenn er einen Plan für fein gan-
zes Wert fig entwerfen wollte. Ein folder war nicht
möglig ohne den Zwech im Auge zu haben, ſelbſt auf
bie Gefar hin, daß der Gedanke des Zwecks zu den Ans
ticipationen bes Geiſtes gehören bürfte, welche Bacon
furchtete. In einer ſeltſamen Weife ift hierin feine Kühn⸗
heit mit feiner Vorſicht gepart. Bor allen Dingen will
er eine fihere Grundlage gewinnen und ein voreilis
ges Auffleigen vermeiden; feinen Zwed möchte er des⸗
wegen auch nicht zu hoch fih ſtecken. Sein Plan nimmt
nun folgende Geſtalt an. Zuerſt nad ber ‚vorläufigen >
1) Org. nor. II, 8.
2) De diga. et augm, ac. III, 5 p.108.
3) Ib. III, 1 p.94. Natura se potissimum prodit in minimis.
Nov.. org. 1, 48; 51. Melius est secare naturam, quam abstra-
here. Ib. I, 66.
Eintpeilung ber Wiffenfhaften will er ſich Vorſchriſten
für bie Methode in Erklarung ber Natur entwerfen, daun
bie breite Bafis ber Naturphilofophie in der Naturger
ſchichte legen. Nachdem fie gelegt iſt, denlt er doch nicht
ſogleich daran das zweite Geſchoß ſeiner Pyramide zu
beſteigen und die Phyfit auszuführen, ſondern er ſchiebt
noch zwei mittlere Stufen ein, von welchen eine (scala
intellectus) an ausgezeichneten Beifpielen bie Anwendung
feiner Methode auf bie Naturgefchichte zeigen, die andere
eine Probe der Phyſil gleihfam in Vorahndungen geben
fol (anticipationes philosophiae secundae), Erſt nah
allen diefen Vorbereitungen denkt er zur Phyſit ober zur
zweiten Philofophie aufzufleigen, von welcher er jedoch
geſteht, daß er Feine Hoffnung Habe fie ausfüpren zu -
tönnen; er überläßt es den weiteren Fortſchritten ber
Menſchheit die Grundlagen der Wiſſenſchaft, welde er
zu. legen benft, zu weiterem Aufbau zu benugen ). Go
iR fein Plan beſchaffen; nicht einmal bis zur Metaphyft,
dem dritten Geſchoſſe feiner Pyramide, viel weniger zur
Exfenntmiß des allgemeinen Naturgefeges, ber. Spige des
> Ganzen, will er fih erheben, ja er zweifelt, ob biefe
Spige überhaupt menschlichen Kräften erreichbar fei. Er
entwirft einen Plan, weiß über ben Zweck desſelben man
ches zu befahen, manches zu verneinen, gefleht aber, daß
er ihn nicht Senne, ja daß er dem Menfchen überhaupt un
erfennbar fei. Können wir uns darüber. wundern, baf
bie Zeichnung feines Plans nur fhmanfende Lmriffe zeigt?
In der That feine Unterſcheidung der Phyſil von der Mr
1) Inst. magna p.12 sqq.; p1&
348
taphyſtt fm uns ſchwerlich über das Verhaͤltniß beider
Wiſſenſchaſten aufflären. Die PEHfE fol nur bie mates
tiellen Dinge unterfuchen, welche in Bewegung und ver
änderfih find, daher nur mit der materiellen und bewe⸗
genden Urfache zu thun haben, die Metaphyſil das mehr
Abftracte und Befländige in der Natur zeigen, fie fol
die Idee und den Geiſt bedenlen, die Formen der Dinge
und die EndurfahenY). Wir haben aber früher gefehn, daß
ee die Endurfachen in der Natur ganz bei Seite legen zu
laſſen empfal und das er die formelle Urſache in der
genaueften Vereinigung mit ber bewegenden und materiel⸗
Ten gedacht wiflen wollte. Unſer Erſtaunen über biefe
Verwirrung Tann nur gefleigert werben, wenn wir fin«
den, daß Bacon trog feiner Erklärung der PHHfit dieſe
Wiſſenſchaft wefentli auf die Erkenntniß der Formen rich⸗
tet, unter welchen er bie allgemeinen Naturgeſetze verfteht,
und demzufolge auch gegen bie Verzweiflung eifert, welche
die Erlenntniß derfelben aufgiebt, ja dag er die Form ohne
Weiteres für die Sache felbft ‚oder bie Sache nur für
die Erſcheinung der Form erflärt 9). Faſt noch ſchwieriger
4) De dign. et augm. sc. III, 4 p. 99; org. mov. 11; 9.
2) Nor. org. Il, 2. Licet enim in natura nihil vere ezistat
praeter corpora individua edentia actus puros indiriduos ex
lege, in doctrinis tamen illa ipsa lex ejusque inghisiio pro
fundamenta est tam ad sciendum,'quam ad operandum, Eam
autem legem ejusque paragraphos formarum nomine intelligi-
m Ib. 3. Qui formas novit, is naturae unitatem in materiis
dissimillimis complectitar. — — Ex formarum inventione se-
quitur contemplatio vera et operatio libera. Ib. 13 p.325. Cum
enim forma rei sit ipsissima res, neque differat res a forma
aliter, quam differunt apparens et existens aut exterius et inte-
rius aut in ordine ad hominem et in ording ad universum etc.
350
möchte es alsdann ſcheinen das Verhaͤltniß zu entwirren,
in welchem Phyſik und Metaphyſil zur erſten Philoſophie,
d. h. zu den allgemeinen Grundſaͤtzen aller. Wiſſenſchaften,
ſtehen ſollen; deun es wird wohl aus allen dieſen Unbe⸗
ſtimmtheiten hervorleuchten, daß ihr Grund eben darin
liegt, daß Bacon verfhmäpt hat über. die oberflen Grunds
füge der Wiſſenſchaft eine methodiſche Rechenſchaft ſich zu
geben.
Haͤtte er nicht in der Entwerfung feines Planes an
den berühmten Spruch denfen follen, welder aus feinem
eigenen Munde ift, daß die Wahrheit leichter aus bem
Iertpum als aus ber Verwirrung emportaucht I? Dog
feine Weife diefen Spruch zu gebrauchen lann ung über
feinen Plan aufklären. Er macht ihn geltend für eine
vorläufige Induction, welche er für nöthig Hält, weil wir
nur durch den Berfud weiter kommen können 2). . Für
etwas anderes koͤnnen wir auch feinen Plan nicht aus
fehn. Cr flellt vorläufig gewiſſe Formen ober Begriffe
auf; die weitere Unterfuchung fol fie prüfen. Beſonders
der fünfte Theil feines Plans geht von ſolchen Ariomen oder
Anticipationen aus, welche nur als vorläufige Ruhepläge
- angefehn und allmälig verbefiert werben follen 7; auch
feine Naturgefgichte will er nad) einer weder zu firengen
noch zu laxen Methode ausführen; beides mache nur
4) Ib. 11, 20. Citius emergit veritas ex errore, quam ex
„ sonfusione,
2) L1 Quod genus tentamenti permissionem 'intelleeius
sive interpretationem inchoatam sive vindemiationem primam
appellare censuerimus.
3) Inst. magna p. 18; opp. II p. 344 sq.
3
weitlaͤuftig; ev betrachtet fie als einen Entwurf, welder
is Sortgange der Forſchung von ſelbſt ſich verbeſſern
werde), und ſelbſt feine Meihodenlehre giebt er nicht
für volllommen aus; die Kunſt zu erfinden muß mit ben
Erfindungen wachſen 2). So ift es nun unftreitig auch
mit feiner Unterfuhung über das Berhältuig der Wiſſen⸗
haften zu einander beſchaffen. Die bisherigen Einthei⸗
lungen nimmt er an um an ihnen weiter ſich zurecht zu
finden z die Erfahrung wird fie berichtigen. Aus ber
Mitte der gewöhnlichen Vorſtellungsweiſe heraus will er
fig weiter helfen®.. Zwar fagt er, die Übereinftimmung
der Bölfer- Töune nur in ber Theologie als ein gültiger
Beweis angefehen werben); aber er laͤßt ſich doch wenige
Rene anfangs von dieſer Übereinfimmung ober don ber
gefunden Vernunft der Philologen leiten. '
Dabei iR er fi wohl bewußt, daß fein Ausgangs⸗
punft keine vollſtaͤndige Sicherheit biete und er giebt daher
ale Zweit feiner Unternehmung nur an, baß er bie Grade
der Gewißheit feſtſtellen wolle 5. Dies hofft er burg
eine fihere Metpobe in ber Ausbildung ber Erfahrung
zu gewinnen, welche er den fpielenden Verſuchen und
der vagen Erfahrung als die gelefrte und mit den Mit-
1) Parascene ad hist. nat. p. 3.
2) Nor. org. I, 130.
3)..Opp- II p.344. Neque enim homines aut omnes aut
omnino aut siatum a receplis et credilis abducere conamur.
Sed— — dum ad altiora rapimur, in receptis el cognitis Yol-
vimur et circuxaferitur.
4) Redargutio philosophiarum p. 113,
5) Nov. org. praef. p. 271. Nostra autem ratio, — — ut
cerütudinis gradus constituamus.
tein ber Kunft erworbene Grfahrung entgegenfet?).
Dies ift die Reform der Ppitofoppie, welche er beireikt,
daß er nicht in das Unbekimmte hinein taſten, fonbern
voraus ben Weg fehen wi, welchen wis zu gehen haben,
Erſt muß man das Licht anzänden und alsdann mit:befien
Hulfe den Weg fugen®). Daher iſt ber erſte Theil fer
ner Arbeit auf eine neue Logis gerichtet auf ein neues
Drganon, welches das Ariſtoteliſche verdrängen fol).
Der alten Logik fpricht er- nicht alle Brauchbarleit ab.
Er findet fie brauchbar für.die gewoͤhnlichen Geſchäfte
" des praftifchen Lebens, auch für bie. Theologie. und für
das Disputiren. Aber die Natur if feiner als der prob
tiſche Verſtand des Menſchen; die Freiheit und bie Tiefe
ber Ratur zu ergründen iſt bie bisherige Logit mict im
Stander). Sie. befhäftigt ſich nur mit dem Syllogiemus,
mit der Auffindung der Beweiſe vermittelſt ber Mittelber
griffe; dies nennt man Erfindung; aber die wahre. Ev
findung beſteht Hierin nicht; man beweiſt dadurch au
Säge, welche ſchon gefunden worben waren ‚und bringt
„feine neue Erlenntniſſe hervor; nur eine geſchickte Anotd⸗
nung des Gewußten wird dadurch erzitit. Der Splo
gismus beſteht aus Sägen, die Gäge aus Worten und
Worte bezeichnen Begriffe; wenn nun bie Begriffe, aus
welchen die Splogismen fi aufbauen, falſch won ben
1) L 1; ib. 1, 100. Vags enim experientia-— mera pal-
patio est et homines potius stupefacit, quam informat. 1.199;
de dign. et augm. sc. V, 2 p. 142
2) Nov. org. I, 82. Verus experientiae ordo , prime de
men accendit, deinde per lumen iter demonstrat.
3) Inst. magna p. 13.
4) Ib. p. 10; 14; de dign, et augm; sc. V, 2 p. 141. -
33.
Sachen abſtrahirt fein follten, fo würde das ganze Gebaͤube
aufammenfärzen!). Es Liegt Hierin ber Hauptvorwurf,
welchen Bacon ber Ariſtoteliſchen Logit macht, dag fie
nemlich nicht zeige, wie bie allgemeinen Begriffe fih
bilben und allmälig von den Sachen abgenommen werben.
Sie fpringe fogleih von ben. befondern Erfahrungen zu
allgemeinen Grunbfägen über. Zwar erwähne fie. die In⸗
duction als die Grundlage afler unferer wiſſeunſchaftlichen
Grundfäge, aber fie zeige nit, wie fie geſchehn müfle, .
allmälig von den niebern zu hen mittlern Begriffen aufs
Reigend um erſt zufegt die allgemeinften Begriffe und
Grundfäge zu erreihen. Diefes fehlerhafte Verfahren
hält Bacon für den rund alles Unheils in den Wifs
ſenſchaften 9. Bom Allgemeinen oder von Begriffserllä⸗
zungen follen wir nicht ausgehn; wenn dies auch in ber
Matpematit Sicherheit gewähren Könnte, fo ift dies Ver⸗
fahren in ber Phyſik doch nicht anwendbar 5).
Hiermit iR über den Weg entſchieden, welchen Bacon
ung zeigen will. Die rechte Induction allein fatn ung
helfen 9. Im ihr allein fieht er die wahre wiſſenſchaft⸗
liche Metpode, von feiner Anſicht geleitet, daß bie Wif-
1) L.1. Nam syllogismi ex propositionibus constant, proposi-
tiones ex verbis, verba notionum tesserae sunt. (Quare si notio-
nes ipsae, quae verborum animae sunt, male et varie a rebus
abstrahantur, tota fabrica corruit. Ib. V, 3 p. 147 sq,; nov.
org. I, 14; inst. magna p. 14. .
2) Nor. org. I, 19; 22; 69. Modus ille inveniendi et pro-
bandi, ut primo principia generalia constituantur, deinde me-
dia axiomata ad ea applicentur et probentur, errorum mater
est et scientiarum omnium calamitas. Inst. magna p. 14.
3) Nor. org. I, 59.
4) Ib. I, 14. Itaque spes est una in inductione vera.
Geld. d. Philof. x. 23
ſenſchaften den allwalig auffteigenden Pyramiden gleichen,
Zwar erwähnt er neben dem auffeigenden auch das abs
ſteigende Verfahren, aber nur in einer Apnlihen Weiſe
wie Zabarella, als das Berfahren ber praftiichen Wiſſen⸗
"haften, wo von ben allgemeinen Grundfägen zw den
Berten, zu iprer Anwendung im Einzelnen, fortgeſchrit⸗
ten werben foll um von ihnen aus neue Beftätigungen
für die Induction gu gewinnen 2); was alfo die wiſſen⸗
ſchaftliche Bedeutung beteifft, fo fol das abfleigende Ber
fahren dem auffleigenden nur als Mittel dienen. Rad
dem er aber mit manden feiner Vorgänger in der Ber
nadpläffigung der Juduction den Mangel ber Arifotelis
ſchen Logik erfannt hat, und in der Überzeugung derer,
welche der Erfahrung allein vertrauen, rüſtet er fih nun
auch genaue Borfäriften für die Induction zu geben,
Hierin erkennt man das, was feine Phllofophie vor al
Ten andern auszeichnet, daß er eine Induction will, welde
mit Nothwendigkeit ſchließt, welde volfändig iR und
alles bedenkt, was bei Unterfuchung eines Naturgefeged
za bebenten iſt 2). Die gewöhnliche und kunſtloſe Indus
tion taugt eben fo wenig wie ber Syllogismus; eine
Induction durch bloße Aufzäplung weniger Fälle if eine
lindiſche Sache; fie lann durch ein jebes Beiſpiel vom
Gegentheil widerlegt werden. Zur rechten Induction ge⸗
hoͤren aber Mittel, welche bisher leinem Sterblichen in
den Sinn gelommen find 5).
4) Ib. 1, 103; de dign. et augm. sc. III, 3.
2) Inst. magna p. 14.
3) Nor. org. I, 69. Iuductio mala est, quae per enumera-
ionem simplicem prineipia eoneludit scientiarum, Ih. 105. In-
Die Grundlage biefes neuen Verfahrens, welches ex
lehren will, wird man aber nicht unterfuchen ‚können ohne
einen Blick auf die Naturgeſchichte zu werfen, ben folgen
den Theil feiner großen Wieberherfiellung der Wiſſen⸗
ſchaften. Denn es wird niemanden .entgehn, daß feine
Beſchreibung der Methode im neuem Organon doch nur
eine Anticipation feines Geiftes if. Die wahre Induc-
tion muß natürlich von dem Beſondern, von dem niebrig-
fen Geſchoß der Wiſſenſchaft ausgehn; die Geſchichte der
Natur bleibt ihm bie erfle Grundlage aller natürlichen
Philoſophie. Im dem Enttvurfe nun, welchen Bacon von
ihr giebt, teitt er nicht weniger als in andern Zweigen
der Wiſſenſchaft als Reformator aus. Der bisherigen
Raturgeſchichte wirft er vor, daß fie weniger auf ben Zur
fammenhang ber Natur, als auf bie befondern Arten ber
Dinge gefehn, mehr die Verſchiedenheit ber Dinge als
ipre Zufommenfaffung zu einem Ganzen bedacht habe.
Die großen Maffen der Natur, welche man mit dem Nas
men ber Elemente bezeichne, fol fie zuerſt unterſuchen;
unter dem Namen ber großen Sammlungen flellt er fie
den Arten der Dinge, ben Heinen Sammlungen (collegia
majora, minora) entgegen. Denn bie Naturgeſchichte
hat ein Bild der ganzen Welt zum Zwei, Dabei will
Baron au nicht übesfehen haben neben den vegelmäßis
gen Bildungen der Natur (generationes) die unregelmäs
higen Bildungen der Misgeburten (praetergenerationes)
ductio enim, quae procedit per enumerationem simplicem, res
puerilis est et precario concludit et periculo exponitur ab in-
stantia contradictoriä. Nur Platon hat die wahre Induction vers
ſucht, aber nur im Gebiete der Ideen. Inst, magna p. 14.
23*
346
und bie Werke der Kunſt. Er Iobt ben Plinius, daß er
diefe in die Naturgeſchichte aufgenommen habe. Es iſt eine
feiner feinen Bemerkungen, welche ihn hierin leitet. Die
freie Natur fegt er der unfreien, buch Zwang gepreßten
Natur entgegen und macht barauf aufmerffam, daß in
biefer, in den Ausnahmen von der Regel, das Geſeh,
in dem Widerflande gegen die Gewalt bie Kraft ber Na⸗
tur am fRärkften fi verrathe ?). Aber vor allen Dingen
werben wir es dod an biefem feinem Plane der Natur⸗
geſchichte loben müffen, daß er in ihm feinem Gebanfen
an bie Einheit der Wiſſenſchaft getreu bleibt, wenn es
und auch bedenklich machen follte, ob er micht durch bie
Einmiſchung der Werke der Kunf bie ganze menſchliche
Geſchichte in feine Abſchilderung ber Welt einzuflechten im
Werte habe.
Wenn es auf eine Prüfung feiner Methode ankommt,
fo liegt eine andere Bedenklichleit noch näher. Wir ber
merften früher, daß er in ber Naturgefcpichte Feine zu
Rrenge Methode beobachtet wiffen wi. - Und doc follte
man glauben, in ihr beginne ſchon die Induction, das
methodiſche Verfahren, wie er auch felbft der gewoͤhnli⸗
en, nur erzäplenden feine beffere Raturgefchichte als bie
inductive entgegenfegt 9. Sollten wir nun nicht glauben,
bag eine ſolche nur durch Hülfe genauer Unterſchiede, ei⸗
ner genauen Elaffeneintheilung durchgeführt werden Könnte?
Bacon berechtigt uns felbft zu dieſem Glauben, indem er
ſolche Eintheilungen der Natur, wie fie fo eben von und
1) Parasc. ad hist, nat. p. 3 sqq; de dign. et augm. sc. II,
2; nov. org. I, 98.
2) De diga. et augm. sc. II, 3.
387
angeführt wurben, geltend macht, überall in feinen Wer⸗
fen Eintheilungen zum Grunde legt und feinem Plane
der Reform eine Eintpeilung der Wiſſenſchaften voraus
ſchict. Woher find num diefe Eintheilungen? Man wirb
nicht fagen Tönnen, daß fie burd bie Induction begründet
wären, dg fie ber Induction zum Grunde gelegt werben,
Um dieſe Bebenflihkeit zu würdigen müflen wir die
Quellen unterfuchen, aus welchen Bacon bie Geſchichte
der Natur fchöpfen will. Er betrachtet biefe Geſchichte
als die Materie zum Aufbau feiner Wiſſenſchaft 2), von
den Sinnen ſoll fie uns dargeboten werben. Bacon
fließt fich ‚Hierin an die ſenſualiſtiſche Richtung an,
welche Telefius und andere Philoſophen eingeſchlagen hat
tm Den Sinn fann er nit genug preiſen; von ihm
haben wir alles zu entnehmen, was wir von natürlichen
Dingen wiffenz er iſt das Licht, welches und Gott verliehen
hat e). Was von ben natürlihen Dingen gilt, gilt auch
von geiftigen Dingen und aller Wiffenfhaft 9); denn Ba-
ton unterfepeibet zwei Arten bes Sinnes, die Wahrneh⸗
mungen bes Außen Sinnes und bie Wahrnehmungen bes
Geiſtes ). Seine ganze Reform fol nur darauf aus
sehn von den befondern Wahrnehmungen der Sinne als
mälig zur Erkenntniß des Algemeinen aufzuleiten 9. Den
1) L. L: Materia prima philosophiae; sylva atque supellex.
Nor, org. I, 98.
2) Inst, magaa p. 15. Sensüs, a quo omnia in naturalibus
Pelenda sunt, misi forte libeat insanire. Nat. hist, cent. X
P.189.° The sense, which is God’s lamp.
3) De dign. et augm. sc. II, 1.
4) Nor. org. 1,-41.
91,19.
von Tauſchungen gereinigten Sinn will ex frei machen
und in feine Rechte wieder einfegen 9. Der Unterridt,
melden die Sinne uns geben, iſt ihm der Unterriht
durch die Sachen ſelbſt; ber Verſtand ſoll nur bie Ein
drüde reſlectiren, welche die Sachen auf ihm gemacht
haben ). Wer in der Weiſe der Alademiler bie Genif;
heit der menſchlichen Wahrnehmungen angreifen wolk,
der würde die Wifienfhaft ihrer Wurzeln berauben?).
Der Sinn ergreift das Bild feines Objects unmittelbar |
und giebt uns die Gewißpeit feiner Wahrheit 9.
Freilich auch die Hülfe des Verſtandes will Bacon
in den Wiflenfepaften nicht ganz entbehren. Er wil fr
zur Induction gebrauchen, welche allein ihm ein richtiges
Urtheil verfhafft I. Aber er verwechfelt ihn unfkreitig
mit ber Phantafie, wenn er feine umherſchweifende Bil
tür durch eine fefte Regel binden will; wenn ex ihnfelhf,
nicht aber den phantaftifhen Misbrauch feiner Begrift
durch merpanifche Mittel verbeſſern will. Bacon vergleiht
fein Unternehmen mit dem Berfahren, welches durch fin
1) Soripta in naturali et universali philosophia praef. p 217.
Nos vero sensum nec contradictione violavimus neo abstractione
destruimus, — — ut alii professione quadam, nos re ipsa sen-
sum tueri videamur atque philosophia una fere eademgue sit
cum sersu restituto et liberato.
2) Nor. org. 1, 41.
3) De dign, et augm. sc. V, 2 p. 141 sq. Sensuum percep-
tiones calumniabantur, unde sientias radicitus evellebant.
4) Ib. 4. Sensus in objeolis suis primariis simul et objeci
speciem arripit et ejus veritati consentit.
5) Inst. magna p. 15. Intellectum nisi per inductionem ejus-
que formam legiimam judicare mon posse.
389
liche Werkzeuge die Geſchiclichleit der Hand zu unterfägen
weiß; durch dasfelbe foll der Verſtand vermittelt mecha⸗
niſcher Hülfen erfegt, vegiert und meiſtens überflüffig ges
macht werben. Dem feharffinnigen Blick des Genies will
er nichts überlaffen; ber augenſcheinliche Beweis durch
den Sinn und den Verſuch fol die Höhen und Tiefen
der geifigen Berfchiedenpeiten ebnen ). Aus diefer Bere
wechslung des Verſtandes mit ber Phantafie entfpringt
ihm _ein tiefer Verdacht gegen alles, was ber Verſtand
in der Deutung ber Natur leiſtet. Er verklagt daher
den Berfland, daß er einem unebenen- Spiegel gleiche,
welcher bie aufgefangenen Stralen nicht getreu wiebergebe,
fondern feine Natur der Natur der Dinge einmiſche 2).
Man kann fih nur darüber wundern, daß ein fo geifls
reicher Mann, wie Bacon war, fo fehr bie Kraft des
Geiſtes in ber Deutung ber Natur, in der Entwicklung
der Wiſſenſchaft verlannte. Wenige Jahre, meinte er,
1) Nov. org. praef. p.271; I, 61. Nostra vero inveniendi
scientias ea est ratio, ut non multum ingeniorum accumini et
robori relinquatar. Ib. 122. Nostra enim via inveniendi scien-
tias exaequat fero ingenia ei non multum excellentiae eoruln
reliquit, cum omnia per certissimas regulas et demonstrationes
transigat. Intellectum non contemnimus sed regimus. De in-
terpr. nat, p. 244. Nostra autem ratio — — est, — — ut men-
tis opus, quod sensum suhsequitt — plerumque rejicia-
mus, — — Restat unica salus ae sanitas, ut — — mens jam
ab ipso prineipio nallo modo sibi permitlatur, sed perpetuo
regatur ac res veluti per machinas conficiatur. Nicht nad) feiner
eigenen Regel foll der Verftand geleitet werden, fondern wie die Hand
durch den Cirkel oder dad Lineal,
2) Nor. org. I, 41. Estque intellectus humanus instar spe-
culi inaequalis ad radios rerum, qui suam naturam nalurae re-
rum immiscet eamque detorquet et inficit.
würden genägen, wenn eine nach feinen Vorſchriften ans
gelegte Naturgefcpichte getvonnen wäre, durch den verflän«
digen Gebrauch berfelben bie Naturphilofophie zu vollms
den H. Und dennoch rühmte er feinem Werke nad, daß
es eine wahre und dauerhafte Ehe zwiſchen der empiri-
fen und der rationalen Kraft der Seele flifte 9.
Bean Bacon in biefer partetifchen Entſcheidung des
alten Streites zwiſchen Sinn und Verſtand bem letztern
doch noch einigen Antpeil an dem wiſſenſchaftlichen Ges
fchäfte einräumen wollte, fo berupt dies hauptſaͤchlich
darauf, daß er dem Sinn zwar weniger mistraut als
dem Berftande, ipm aber doch nicht völlig vertranen lann 3).
Es find zwei Mängel, welche er ihm vorwirft. Dass
felbe, was dem Verſtande vorgeworfen wurbe, fält ihm
zur Laft, die Einmiſchung nemlich vom Seinigen oder
dag er alles nur nad der Analogie des Menſchen, aber
nit des Weltalls auffaffe; hieraus geht fein Jrrthum
hervor; überdies aber findet ihn Bacon zu wenig fehaxfe
finnig um die Zeinheiten der Natur zu überwinden 9),
In der Weife, wie Bacon biefen Mängeln zu begegnen
hofft, zeigt fich feine Parteilichfeit für die finnliche Erkennt⸗
niß fehr deutlich,
Was zuerſt die fogenannten Sinnentäufgungen ber
1) Parasc. ad hist. nat. p.2.
2) Inst. magna p. 11; nor. org. I, 95.
3) Inst. magna p. 15. Magno prorsus errore asseritur sen-
sum esse mensuram rerum. — — Intelleotus, qui ad errorem
longe proclivior esse deprehenditur, quam sensus.
4) L.1. Duplex autem est sensus culpa, aut enim destituit
nos aut deeipi. — — Nam testimonium et informatio sensus
semper est ex anologia hominis, non ex analogia universi.
Nor, org. I, 41; 50; 69.
36
trifft, fo findet Bacon, daß in ihnen der Fehler nicht
ſowohl an der Wahrnehmung als am Verſtande liege,
welcher aus ber richtigen Wahrnehmung voreilige und
falſche Schläffe ziehe). Die unmittelbaren Wahrneh⸗
mungen ſpricht er baher von Verdacht frei ober will ih⸗
nen wenigſtens Teinen großen und unheilbaren Betrug
aufbürben ). Zuweilen Sönnte der Sinn zwar täufchen;
aber er zeige auch feine Täufcungen an und verbeflere
ſich ſelbſt, indem er auf untrügliche Wahrnehmungen fi)
zurüdführen laſſe I. Dies fol durch Vernunft und alls
gemeine Ppilofophie geſchehn 9); aber es fheint, daß
Bacon den Gebrauch der Vernunft und ber allgemeinen
Philoſophie auf den Verſuch und auf den Bergleih aͤhn⸗
licher Faͤlle befcpränfen wi, und beſonders auf ben ers
ſten legt er das größte Gewicht, indem er unferer ſinn⸗
lichen Wahrnehmung einen fihern Maßſtab des Wahren
an die Hand geben fol. Da würde ber Sinn nur über
das Experiment, das Experiment aber über die Natur
richten 5). Gleichſam als wäre bie ſinnliche Wahrneh⸗
1) De dign. et angm. sc. V, 2 p. 141 eg. Debuerant autem
(se. Academici) potius defectum hao in parte imputasse mentis
tum erroribus, tum contumaciae et pravis demonstrationibus et
modis ratiocinandi et eoncladendi ex perceptione sensuum per-
peram institutis,
2) Nor. org. I, 16.
3) Ib. praef. p. 271. Ut sensum per reduotionem quandam
tueamur. Inst. magna p. 15.
4) Nor. org. II, 40 p.365. Magna fallacia sensuum, nimi-
rum quod constituant lineas rerum ex analogia hominis et non
ex analogia universi, quae non corrigitur, nisi per ralionem
et philosophiam universslem.
5) Ib. I, 50. Omnis verior interpretatio naturae oonficitur
mung des Verſuchs den Mängeln menſchlicher Anffaflungt-
weile überpoben. Die Prüfung und Berbefferung ber
ſinnlichen Auffaffung wird dadurch nur auf andere fan
liche Eindrüde qurädgefüprt.
So wie den Jrrthum, fo auch bie Ungenauigfeit des
Sinnes Hofft er vorzüglich durch den Verſuch zu über
winden. Auf ihn fest er viel größere Hoffnungen als
auf die Infirumente der Beobachtung H, ohne daß er bie
Gleichartigleit und den Unterſchied beider genauer cs
widelte. Beide fallen ihm unter den Begriff der menſch⸗
lichen Kunſt und Bacon legt deswegen auch ber Unter
ſuchung der Kunſtwerle, wie wir fahen, für feine Natur⸗
geſchichte einen großen Werth bei. Die Natur folen
wir durch wafere Werke überwinden; wir überwinden fie
aber nur, indem wir und an ihre Geſetze anſchließen und
ige geborgen). Daß nun dieſe Überwindung der Ru
tur durch die Kunſt nicht ohne den Verſtand und die Er
findung des Menſchen geſchehen Tönne, verficht fih von
ſelbſt ). Auch Hier finden wir den Verfiand im Bunde
mit der erfinberifhen Einbildungskraft; aber Bacon mid
traut ihm in dieſem Gebiete nicht, weil er in den Werfen ber
Kunf an die Natur ſich anſchließen muß; der operative
‘per instantias et experimenta idonea et apposita, ubi sensus
de experimento tantum, experimentum de re ipsa judicat.
1) Inst. magna p. 15; de dign. et augm. sc. V, 2 p.142;
nor. org. I, 50; 69.
2) Fu magna p. 19. Natura — — parendo Yineitur, Nor.
org. 1,
3) ” dign, et augm. sc. V, 2 p. 142. Haec igitur res ipsa
est, quam paramus, — — ut scilicet mens per artem fiat re-
bus par.
Weg fepeint ihm deswegen ſicherer als ber vein wiffen⸗
ſchaftliche Gebrauch des Verſtandes, welcher leicht von
Borurtheilen und leeren Einbildungen fich leiten Täßt 2),
Bon den Werfen ber Kunſt, welche in die Erforſchung
der Natur eingreifen, giebt aber Bacon dem Verſuche
den Borzug vor den Werkeugen ber Beobachtung, weil
die Natur der Materie gebrüdt, eingeswängt, gereizt und
genedt fein will, wenn fie ihre Geheimniffe und verra-
then foll. Er vergleicht fie mit dem Proteus, weicher
nur gebumden feine Drafel abgab 2). Der Widerſtand
der Materie gegen die Vernichtung iſt hierbei das Mittel,
durch weldes wir ihrer Geheimniſſe uns bemädtigen
tönmen, Indem wir fie prefien, möchten wir fie vernich⸗
ten; fie aber muß ſich dem widerfegen, indem fie zu ihrer
Erhaltung auf ihre Prineipien zurüdgeht; da offenbart
fie nun ihre Empfindlichleit; da zeigen fi bie feinern
Samen, welde in ihr liegen, bie Formen, welche in ihr
verborgen find 5. Diefe Anfiht von der Macht des Ber
ı
1) Nov. org. U, 4.
2) De dign. et augm. sc. II, 2 p.68. Neque Protheus se
in varias serum facies vertere solitus est, nisi menicis arcie
comprehensus; similiter etiam natara arcie irritata et vexala se
clarius prodit, quam cum sibi libera permittitur. De sap. vet.
13; inst. magna p. 14; 17.
3) De sap. vet. 13. Nihilominus, si quis peritus natarae
minister vim adhibeat naturae — — tanquam hoc ipso desti-
nato et proposito, ut illam in nihilum redigat, illa contra, cum
annihilatio — — fieri non possit, in tali necessitate posita in
miras rerum transformationes et efigies se vertit, adeo ut
tandem veluti in orbem se mutet et periodum impleat et quasi
se restituat, si vis continuetur. Nat. hist. 800. Matter is like
a common strumpet, that desires all forms. Ib. 907. The pri-
mitive nature of malter and the seeds of things.
ſuches hängt mit einer ber feinen Unterſcheidungen Bas,
soms zufammen, melde er zwiſchen Empfindung und
Wahrnehmung des Sinnes macht. Sie beruft auf feiner
ſchon erwähnten Behauptung, daß auch unbeſeelte Dinge
Empfindung zeigten in Anziehung und Abſtoßung, in Bes
gehren und Flucht, daß der Materie eine tHätige Kraft
beiwoßne, welde in ihrem Widerſtande gegen die Ber-
nichtung ſich zeige und auf ber Empfindung ihres Geins
fig gründe ). Eine ſolche Empfindlichteit, eine Immates
viele Kraft in der Materie, findet Bacon in unzäpligen
Naturerſcheinungen angezeigt, in der chemiſchen Wahlver⸗
wandiſchaft, in ber Schwere, im Magnetismus, in ber
Electricitaͤt; es IR eine Sympathie unter ben natürligen
Dingen, welche ihre Geheimniffe verrätp 9. Die Em:
pfindung, welche allen Dingen beiwohnt, if viel feiner
als die Wahrnehmung der Sinne; Bacon bemerkt an
manden Verſuchen, wie fie Unterſchiede entdeclen laſſe,
welche der Wahrnehmung entgehnz er behauptet, daß fie
ſelbſt in die Ferne dringe und die Zukunft vorherfage;
als ein Mares Beifpiel dient ihm befonders bie Empfind-
lichteit des Wetterglafes. Hierin offenbart fih ihm als
dann ein neues Mittel, welches und beſſer als ber Sim
in die Geheimniffe der Natur einführe und uns bie felr
nen Unterſchiede derſelben eröffne ). Wenn er hierdurch
1) De dign. et augm. so. IV, 3. Differentiam inter perceptio-
nem et sensum bene enucleatam dehuerant philosophi tractali-
bus suis de sensu et senesibili praemittere, ut maxime funde-
mentalem. Nat. hist. cent. IX in. p. 165.
2) Nat. hist. 800; 906; 907.
3) Ib. cent. IX in. And sometimes this perception in some
365
die Schwaͤthe des Einnes zu überwinden hofft, fo iR es
offenbar, daß er hierbei nicht dem Berftande, fondern
einer feinern finnlihen Empfindung vertraut.
Wenn man alles bies überlegt, fo wird man nicht
vertennen, daß Bacon bie Begründung ber philoſophi⸗
fen Wiflenfhaft durch die Geſchichte oder bie Erfah⸗
rung ?) nur auf bie finnlihe Wahrnehmung zurädführen
will. Der Verſuch fol nur zu ficherern und feinern Wahr⸗
nehmungen führen, indem er die Empfindlichleit der Mas
terie dazu erwedt ihre Geheimniſſe den Sinnen offen dar⸗
zulegen. Dies ſtimmt mit feiner Anſicht von der Phyſit,
welche er ausbilden will, auf das Beſte überein. Denn
dieſe Wiſſenſchaft Hat es mit zwei Aufgaben zu tun, nem⸗
lich die Geſtaltungen und die Umwandlungen der Materie
au entdeden, welche beide im Fluſſe der Dinge verborgen
find 2), nicht wie bie Chemiker durch den Vulcan, fon
dern durch bie Minerva, durch den verfländigen Verſuch,
will ex biefe verborgenen Sachen an ben Tag bringen 5).
Es wird dabei der Grundſatz geltend gemacht, daß jede
kind of bodies is far more subtile than the sense, so that the
sense is but a dull thing in comparison of it. — — It is ano-
ther key to open nature as well as the sense and sometimes
better. Bacon nimmt aud eine unmittelbare Empfindung der imma=
teriellen Geiſter in der Materie an und mehr als fünf Sinne. Ib. 694.
4) De dign. et augm. sc. Il, 1 p.65. Historiam et eupe- _
rientiam pro eadem re habemus, quemadmodum etiam philoso-
phiam et scientias,
2) Ib. III, 4 p.105; nor. org. II, 9. Inquisitio — — et
latentis processus et latentis schematismi — — constituat phy-
sicam.
3) Nor. org. II, 6 2gq.
' 366
Wirfung - ver Natur im kleinſten oder wenigſtens in ſo
Heinen Fortſchritten gefipehe, daß fie ben gewöͤhnlichen
Waprnehmungen der Dinge fig entziehen *), ein Grund
fag, welcher von entfdeibender Wichtigkeit für Bacons
Verfahren if und unficeitig die fruchtbarſten Anwendungen
in ber neuern Phyſit gefunden hat. Es wird aber nieman⸗
dem enigehn, bag er nur zu genauerer Erforſchung ber
finnlihen Erſcheinungen antreibt.
Bas nun aber Bacon von der Naturgeſchichte für bie
Begründung der Induction erwartet, entſpricht fehr wer
nig den Grundlagen, welche er ihr gegeben hat. Seine
eigene Berfahrungeweife durch den Berſuch die Erſchei⸗
nungen ber Dinge bervorzuloden hätte ihm darauf auf
mextfam machen follen, bag wir nicht Individuen, fon
dern nur ihre Erſcheinungen wahrnehmen, Er aber meint
annehmen zu dürfen, daß unmittelbar Individuen diuch
den Sinn von und erkannt würden), und gelangt yon
diefem Sage aus zu ber Behauptung, daß bie Geſchichte
im eigentlichen Sinn es nur mit Individuen zu thun
habe 9).
Diefe Annahme jedoch zieht ihn noch keinesweges aus
feiner Berlegenpeit um eine genügende Grundlage für feine
Induction. Er lam den Einwurf nicht überfehn, daß
4) L.1. Cum enim omnis actio naturalis per minima trans-
igatur aut salteın per illa, quae sint minora, quam ut sensum
feriant. De dign. et augm. sc. III, { p.94. Natura se potissi-
mum prodit in minimis, ein Gag brr erſten Philoſophie, nelder
als Norm für die Phyfit gilt,
2) De diga. et augm. sc. II, 1 p.65. Individua sola sen-
sum percellunt, '
3) Ib. p. 64. Historia proprie individuoram est.
367
die Individuen unüberfehbar find und daß wir daher im
Aufſteigen von ihnen zu allgemeinen Ergebnifien nur in
einen unendlichen Proceß verwidelt werben würden. Ges
gen ihn erklärt er ſich fehr entſchieden als gegen eine durch»
aus falfhe und verderblihe Annahme; aber feine Außer
tungen find bunfel und laſſen in der That faum eine
Spur des Grundes entdeden ).
Noch von einer andern Seite her kommt er hierbei
in das Gedraͤnge. Er kann es nicht überfehn, daß bie
Naturgeſchichte nicht ſowohl um die Individuen, als um
die Arten der natürlichen Dinge ſich befümmert. Um das
gegen feine Anfiht von ber Geſchichte zu vertheibigen
führt er an, daß die Unterfuhung der Misgeburten, alfo
auch der Individuen nicht vernachläffigt werben dürfe,
gleichfam als wenn biefe Unterfuhung nicht doch nur zur
Kenntniß der Arten verwendet würde; er Bringt auch in
Anſchlag, daß wir Individuen, welche in der Natur eins
sig in ihrer Art find, wie die Sonne und ber Mond, bes
fonders zu erforfchen hätten, obgleich er fonft richtiger bes
merkt, daß wir nicht ablaffen dürften folde individuelle
Dinge (instantiae monadicae) unter ein allgemeines Ger
eg zu bringen 9). Aber trog aller diefer Einwürfe kann
1) Bist. nat. praef. p.1& Dt mittant illam cogitationem, "
quae facile hominum mentes oocupat et obsidet, licet sit fal-
sissima et perniciosissima, eam videlicet, quod rerum particu-
lariem inquisitio infinitum quiddam sit et sine exitu. — — Par-
ticularia autem et informationes sensus (demtis individuis et re-
rum gradibus, quod inquisitioni veritatis satis est) oomprehen-
sionem pro certo neo eam sane vastam aut desperatam pa-
iuntor.
2) Nor. org. II, 28.
368
er es nicht unterlaffen dem gewoͤhnlichen Verſahren bet
Naturgefchichte ſich anzuſchließen. Wenn fie von den Ins
dividuen fogleih zu ben Arten auffpringt, fo glaubt er
dies daraus rechtfertigen zu loͤnnen, daß in der Natut
alles in ähnlicher Weiſe ſich gefalte, fo dag man alk
Dinge derfelben Art Ienne, wenn man ein Individuun
lenne 2). Worauf biefer allgemeine Grunbfag beruf,
finden wir bei ihm nicht weiter ausgeführt.
Man wird bemerfen, daß Bacon hierbei bie Begriffe
der Arten, welche durch eine genaue Induction erſt ge
funden werben folten, als ſchon feſtgeſtellt vorausſtht.
Er bleibt aber auch hierbei nicht ſtehen. Er will viel⸗
mehr zwei Arten der Begriffe feiner Induction zu Grunde
legen, weil er meint annehmen zu fönnen, daß fie we
nigſtens nicht fehr täufchten; es find Dies die Begriffe der
niedrigſten Arten und deſſen, was er unter den Namen
unmittelbarer Wahrnehmungen zufammenfaßt. Wenn er
von den Iegtern auch zugiebt, daß fie zuweilen täufchten,
fo meint er doch, in Vergleich mit den abſtracten Begrif-
fen der bisherigen Phyſil dürften fie für ſicher gehalten
werben). Es liegt hierin ein deutliches Geſtaͤndniß, daf
1) De dign, et augm. sc. I, 1 p.64 sq. Eui enim hisloria
naturalis eirca species versari videntur, tamen hoc fit ob pro-
miscuam rerum naturalium (in plurimis) sub una apecie sili-
litudinem , ut si unam noris, omnes noris,
2) Nor. org. I, 16. Notionum infmaram specierum, homi-
nis, canis, columbae, et prehensionum immediatarum sensus,
calidi, frigidi, albi, nigri, non fallunt maguopere. Ib. 60 wer-
den doch Weifpiele täufchender Begriffe der Icgtern Met zugegeben. De
digu. et augm. sc. III, 4 p. 108 werben diefelben als formae pri-
marae classis, de interpr. naturae p. 256 als naturae simplices
369
die Induction auch nicht einmal begonnen werben fan
ohne die Borausfegung allgemeiner Begriffe, welche nur
aus der gemeinen Meinung fi) herausgreifen laſſen, wenn
nicht die Induction durch ein anderes wiſſenſchaftliches
Verfahren ergaͤnzt wird.
Die Vorausſetzung ber niedrigſten Arten erklaͤrt ſich
aus dem Verfahren der Naturgeſchichte, wie Bacon fie
vorfand und wie fie noch immer betrichen wird. Daß
aber Bacon bei biefer Vorausſetzung nicht ſtehn bleibt,
fondern die Begriffe der unmittelbaren Wahrnehmungen
hinzufügt, dazu bewegt ihn die Bemerkung, daß die For⸗
men der. niebrigfien Arten zu verwidelt, zu wenig einfach
find, um fie ſogleich einer wiſſenſchaftlichen Unterfuchung
vum Grunde legen zu fönnen. Die Natur will zunächft
im Meinften, im Einfachſten erfannt fein. . && wird das
ber den weitern Fortſchritten ber Naturerlenntniß vorbe⸗
- halten auch die zufammengefegtern Formen, zu welchen bie
Arten der Dinge gehören, zu unterſuchen und zu erfen«
went), Deswegen will er in der Induction zunaͤchſt
darauf ausgehn die einfachen Formen der Ratur Zu erfor»
ſchen. Was dies zu bedeuten habe, Tann niemanden ent
gehn. Bacon wendet fi dadurch von der Erforfhung
der organifhen Natur ab, welde in ber Naturgefchichte
bexichnetz fie follen zuerft populari ratione angenommen, nachher -
durch die Kunſt zu wahrerer Einfachheit gebracht werden.
1) De dign. et augm. sc. III, 4 p 108. Substantiarum enim
formae, — — species inguam creaturarum, — — its perplexas
sunt et complicatae, ut aut omnino de iis inquirere frustra sit,
aut inquisitio earum, qualis esse potest, seponi ad tempus et
Postquam formae simplicioris naturae rite exploratae sint et in-
ventae, tum demum institui debeat.
Geſch. d. Philoſ. x. 24
370
vorherſcht, und fordert und auf im ber Phyſil vorherſchend
der tobten Natur unfer Augenmerk zuzuwenden.
Dies gefpiept num aber in einer Weife, welche uns
darauf aufmerlſam macht, daß Baron feinesweges mit
feiner Polemik gegen bie abftracten Begriffe es barauf
abgefehn Hat fie ganz aus der Philoſophie zu verbannen;
vielmepe die Unterfuchung der abfiracten Begriffe, welche
aus unmittelbare: Wapınchmung uns befannt würden,
ſoll feine Ppyfit hauptſächlich befhäftigen. In diefen ab
ſtracten Formen, behauptet er, beſtehe das @efeg der Ro
tur; er ſieht fie für bie Sache ſelbſt and. Nur bien
beftimmipeit der Grenzen, in welcher bie abſtracten Ber
griffe gewöhnlich gehalten würden, moͤchte er vermieden
fehen und bringt daher darauf, daß wir unfere abflrac
ten Ariome immer durch allmaͤliges Auffteigen in ber
Stufenleiter der Begriffe in gehörigen Grenzen halten
ſollten 9). Wenn wir nur fagen Tönnten, daß bie Weil, |
wie er fein Verfahren begründet, uns hierzu die Ausſicht
eröffnete. Aber die unmittelbaren Wahrnepmungsbegrife,
von welchen wir ausgehen follen, des Warmen und des
Ralten, des Dichten und des Dünnen und wie fie weit |
beißen, find doch keinesweges durch ein ſolches allmäliget |
Auffteigen von ihm gehörig begrenzt worden, und bie
Weiſe, wie er fie angewandt wiflen will, verſpricht noch
weniger Sicherheit. Ipren Nugen ſieht er nemlich haupt⸗
ſaͤchlich darin, daß fie zu einem abgefürten Weg in ben
Tangen Umſchweifen der Erfahrungswiſſenſchaften gebraugt
1) Nor. org. I, 13; 17.
2) Nov. org. 1, 104.
5A
werben Fönnten . Dan fieht wohl, die Menge ber bes
fondern Faͤlle der Erfahrung weiß er doch nicht zu ber
wältigen und er if daher gendtpigt auf ein abgefürztes
Mductionsverfahren zu finnen.
Seine Beſchreibung des Induetionsverfahrens geht nun
von der Borausfegung der vorher erwähnten unmittelba⸗
ven Wahrnehmungsbegriffe aus. Die Unterfuhung der
Natur bezieht fih immer auf eine beſtimmte Form oder
auf ein beftiimmtes Gefeg der Natur, welches in Frage
fommt oder als ein Problem für weitere Unterfugung
vorliegt. Dies Geſetz kann nur als eine Vorausfegung
gelten, Bacon bemerkt aber doc fehr richtig, daß in der
Unterfuchung fehr viel darauf ankomme der Natur bie
rechten Bragen vorzulegen und forbert zu diefem Zwecke
eine fpecielle Logik, Die verfländige Frage fei die Hälfte .
der Wiſſenſchaft und Platon habe fehr richtig bemerkt,
daß der, welder frage, ſchon in einem allgemeinen Ber
griffe das, was er erforſchen wolle, im Geiſte tragen
müffe um nachher einfehn zu Können, daß feiner Frage
Genüge geſchehn fei. Daher fei ohne eine Anticipation
der Antwort eine gefhicte Unterſuchung nicht moͤglich 2.
Wenn nun hierin deutlich ausgeſprochen ift, daß. die
4) De dign. et augm. sc. IH, 4 wird der erſte und wichtigſte
Nugen diefer phyſiſchen oder auch metaphyſiſchen Begriffe darin ges
funden, quod scientiarum omnium officium sit et propria virtus, "
ut experientiae ambages et itinera longa, quantum viritatis ratio
permiltit, abbrevient.
2) De dign. et augm, sc. V, 3 p.148 »q. At pradens in-
terrogatio quasi dimidium scientiae. — — Ideirco quo amplior
et certior fuerit anticipatio mostra, eo magis direota et com-
pendiosa erit investigatio,
24°
378
Juduction nidt ohne die Boransfegung eines allgemeinen
Begriffs ins Werk gehen lann, fo iſt ihr weiterer Bers
Tauf von weiteren Boransfegungen auch nicht unabhängig.
Es kommt bei ihr darauf an durch Unterfuchung der ber
fondern Faͤlle, welche unter den vorausgefegten allgemeis
nen Begriff fallen, diefen genauer zu beftimmen. „Bacon
aber will diefe Bälle nicht in der zufäligen Weiſe fallen,
in welder fie in unferer Erfahrung ſich darbieten, ſon⸗
dern er geht auf eine Ordnung berfelben unter gemile
vorausgefepte allgemeine Elaffen aus. Zuerk ſoll eine
Tafel der Fälle aufgeftellt werben, in melden der vor
ausgefepte Begriff oder die Form und Natur des zu um
terfuchenden Gegenſtandes in ben verſchiedenſten Materien
vortomme 3. Hierauf fol eine andere Tafel folgen, in
welcher die Faͤlle verzeichnet werden, welde biefer Forn
oder Natur beraubt find. Um jedoch hierbei nicht in das
Unendliche geführt zu werden, will Bacon, dag wir mır
die auffallenden Berneinungen hervorheben, indem wir
die verneinenben Faͤlle ben bejahenden zur Seite und mit
ihnen in Vergleich ſtellen 2). Zulegt ſoll noch eine britte
Urt der Fälle bemerkt werden, in welder der Grad des
Vorhandenſeins oder der Abweſenheit ber vorausgefegten
Natur zur Frage kommt ). Man wird es an bien
Anforderungen, welche für bie Induction geftellt werden,
Tobenswerth finden, daß Bacon das wiſſenſchaftliche Ver
fahren nicht leicht macht, fondern eine fo große Volfän
digleit erreichen möchte, wie nur immer möglich fein dürfte.
1) Nov. org. II, 11. Tabula-essentiae et praesentise:
2) Ib. 12. Tabula declinationis et absentiae.
3) Ib. 13. Tabula graduum sive comparativae.
Pi
373
Des wegen legt er auf das negative Berfahren das größte
Gewicht. Er fah ein, wie ſchon bemerkt, daß eine Zus
duction nichts tauge, welche durch den erſten beften Fall
des Gegentheils über den Haufen geworfen werden könnte,
Er fordert daher eine Induction, gegen welche fein Fall
aufgebracht werben fönnte, und bie Vollſtaͤndigleit feines
Berfahrens berupt daher auf der Ausſchließung aller vers
neinenden Faͤlle. Wo in einer Induction bie widerfpres
enden Fälle nicht berüdfichtigt und befeitigt würden, da
Teile fie nichts; die Macht der verneinenden Infanz fei
größer als bie ber bejahenden; nur nad einer volllom⸗
menen Befeitigung aller übrigen Formen ober allgemei-
nen Begriffe fönne man zu einem befahenden Ergebniffe
gelangen ). Er bezeichnet hierdurch fehr richtig bas ins
directe Verfahren, welches er zur Prüfung der allgemei-
nen Grundfäge durch bie Erfahrung einfhlagen will,
Aber er bemerkt nicht, dag um alle mögliche Faͤlle des
Gegentheils ausſchließen zu loͤnnen, es nöthig fein würde
eine Eintheilung zu haben, welche von einem ſchon feſt⸗
fiehenden allgemeinen Begriff aus alle mögliche Fälle bes
fimmte, und daß ohne eine folhe Eintheilung die mög-
lichen Fälle des Gegentheils in das Unendliche gehn wür⸗
den, Daher laͤßt er auch wieder in feinen Vorfchriften
von der Strenge feiner eigenen Forderung nach und ver⸗
Tangt nur eine fo viel als möglich vollſtaͤndige Befeitis
4) De dign. et augm. sc. V, 2 p.140. Ubi’non invenisar
instantia contradiotoria, vitiose coneluditur. Nor. org. E, 46,
In omui axiomate. vero constituendo majer est vis instantiae
megativae. Ib. 105; IN, 15; de interpr. nat. p.255. Post re-
jecionem aut negatiomem eomplelam manet forma et aflirmatio.
374
gung der widerſprechenden Bälle), ober macht die vers
neinenden Bälle, damit fie nicht in das Unendliche gehen,
von ben befahenden Fällen abhängig, indem wur eium
jeden bejahenden Falle ein verneinender Fall zur Geik
geſtellt werden fol ®), Hierin Liegt offenbar ein Cirlel
im Beweife, indem die Vollſtaͤndigkeit bes ausfchliehen
den von ber Bollſtaͤndigleit des bejahenden Weges, welde
durch jenen bewieſen werben fol, abhängig gemacht. wird.
Wir werben nicht nötpig haben genauer in bie einzel
wen Vorſchriften einzugehn, welche Bacon für die Auele⸗
gung der Natur durch die Induction giebt. Sie laufen
darauf hinaus eine moͤglichſt volänbige und nah ie
ſtimmten Claſſen georbnete Aufzaͤhlung ber Bälle zu ge
winnen, welche bei ber Unterfucung eines befiimmtn
Naturgefeges in Frage kommen dürften. Die Auffellung
der Elaffen, wenn fie wiffenfhaftlichen Werth Haben ſollte,
würde einen allgemeinen Begriff, von befien Eintpeilung
fie ausginge, vorausfegen; einen ſolchen aufzuweiſen un.
terläßt aber Bacon; er zählt feine Claſſen nur auf; fie
treten überdies oft unter fepr unbeſtimmien und figätlis
Gen Namen auf, als Inftanzgen z.B. des Kreuzes, ber
Ebeſcheidung, der Pforte, der Wege. Bacon hat fie opne
Zweifel aus feinen Erfahrungen in der Naturforſchung
. entnommen; wir wollen nicht leugnen, daß fie nach der
1) Nor. org. 1, 105. Per rejectiones et exelusiones debi-
tas; — — post negationes tot, quot sufficiunt, super affirma-
tivas ooncladero. Bu
3) Ib. II, 12. Hoc vero infinitam esset in omnibus. lis-
que subjungenda sunt negativa afßrmativis et privationes inspi-
eiendae tantum in iis suhjeclis, quae sunt maxime cognata il-
His alteris, in quibus natura data inest et comparet.
Analogie" feiner Erfahrangen näglihe Winfe für das,
was in ber Beobadtung zu beachten wäre, abgeben konn⸗
ten; daß fie aber ber neuern Naturforſchung ben Weg ger
wiefen hätten, wirb niemand erwarten; noch weniger lonn ⸗
ten fie derfelben eine unfehlbare Bahn vorſchreiben. In
ijrer Aufftellung herſcht nur der allgemeine Gedanke, daß
eine Auswahl unter ber unendlichen Menge ber Bälle
getroffen werben müffe. Daher wird au die ganze Abe
teilung des neuen Organen, welche über dieſe Claſſen
der Juſtanzen handelt, bie Lehre von den Prärogativen
ber Inſtanzen genannt ?) und es leuchtet daraus bie Abs
ſicht hervor die Natur nicht als eine ungefonderte Maffe,
fondern als ein geordnete Gemeinweſen aufzufaffen. Wir
lernen hieraus, was Bacon unter dem abgekärzten Wege
der Erfahrung verfland, welden er und leiten wollte,
Seine Verfahrungsweiſe veranfpaulicht den Gebanten,
daß man nicht ohne Voräberlegung und ohne Plan beobs
achten und Verſuche anftellen ſolle; woher: aber ber Plan
10 entnehmen ſei, darüber ertheilt er feine Auskunft.
Man wird wohl nicht fagen fönnen, daß Baron’s
Beſchreibung feiner Methode ed und verſchmerzen laffe,
daß fein Zeitgenofie Sanchez biefelbe Aufgabe, welde er
ſich geſtellt Hatte, micht zur Ausfüprung brachte. Sie if
ſehr überfcpägt worden, wenn man fie als die Vollen⸗
dung der Theorie über die inbuctive Methode gepriefen
bat. Er ſelbſt Hat fie dafür nicht ausgegeben. Denn
ſelbſt ſein Organon iR in der Mitte abgebrochen. Man
hat es übermäßig bedauert, daß Baron durch feinen po⸗
4) Ib. 1, 21 29.
litiſchen Ehrgeiz ſich abhalten Heß feine große Wiedether⸗
Rellung ber Wiſſenſchaften zu voflenden; denn fo gu
auch fein wiffenfgaftlicher Epegeiz war auf eine Bol:
dung feiner Wiederherſtellung hatte er es doch nicht abs
veichn. Bedauern Tann man wur, daß fein Organen
nicht ansgefäprt wurde und daß er auch bie übrigen
Theile der Wiederherſtellung der Wiſſenſchaften niht fo
weit förkerte, wie er es wohl gelonnt hätte. Wenn anf
die Proben, welche er von feiner Naturgefcpichte gegeben
pat, wicht ſehr viel verſprechen 5 wenn es auch an
lannt iR, daß feine Verfuhe und Beobachtungen werig
Werth haben, baß die erfien Grundfäge der neuern Ro
turlehre von ihm verfannt ober nur fehr ungenau aufge
faßt wurben, baf er noch weniger ein erfinderifcher Geh
in der Phyſil war, fo wäre doch von ihm zu erwarten
geweſen, daß er uns eine genauere Rechenſchaft über bie
Weife gegeben hätte, wie er den Verſtand zwar leiten,
aber doch eingreifen laſſen will in bie Ausbildung ber
Erfahrung. So wie uns die Beſchreibung feiner Me:
thode vorkiegt, giebt fie über dieſen entſcheidenden Punkt
feine genügende Auskunft.
Und dennoch müflen wir in biefer Beſchreibung das
Hauptverdienſt Bacon's und feine epochemachende Wirl⸗
ſamkeit ſuchen. Denn alles, was er ſonſt für die Philo⸗
fophie oder im Beſondern für die Phyfit in Anregung
1) Sie gleichen ſcht den Problemen des Ariſtoteles, welche er fahl
ioöt. De dign. et augm. sc. II, 4 p.106. Der Plan in ifnm
iſt nicht ſtreng gehalten; denn an mehreren Stellen fagt er, er wolle .
nur erzählen und zur Prüfung vorlegm; an vielm andern Stelm
entſcheidet er fih doch für Dinge, melde wir jegt als Mberglauben
erkannt haben.
3
webracht ‚hat, bietet wenig Entſcheidendes und Bebrutens
des dar. Geine Eintheilung der Wiſſenſchaften if vers
worren und leidet an einem innern Widerſpruch, indem
“fie auf der einen Geile bie Einheit aller Wiſſenſchaften
- fih.zum Ziele fegt, auf der aubern Seite darauf ausgeht
die Theologie. und mit ihr den wahren Gehalt des filtli-
den Lebens von der wiſſenſchaftlichen Unterfuhung aus⸗
zuſchtießen. Zwar. läßt fih in den allgemeinen Betrach⸗
tumgen, welde Bacon über die Wiſſenſchaft anftellt, die
Neigung nicht verfeunen alles an bie Naturwiſſenſchaft
hetanzuichn und die Grundfäge, welche in biefer geltend
gemacht werden, würden in felgerihtiger Durchführung
unftreitig ergeben: haben, daß ihr die Enifcheibung über
alle theorttiſche Aufgaben zufallen mäffe; aber eine folde
Folgerichtigleit iſt auch von Bacon nicht zu erwarten,
weil er es aufgiebt bie letzten Ergebuiffe feiner Unterſu⸗
chungen ziehen zu:tönnen. Um fo weniger fann er beab⸗
ſichtigen die Phyſtt zur unbebingten Herrſchaft über alle
BWiffenfcpaften zu erheben, fe mehr er fih davon zurüd«
Hält den Zwestbegriff in die Naturforſchung einzumiſchen,
wärend. er ihn dod dem menfchlichen Leben und bem
Walten der Borfepung über die Natur vorbepält. Ver⸗
worren {f feine Eintpeilung der Wiſſenſchaften auch, weil
fie. des Verhaͤltniß der erſten Philoſophie zur Naturwiſſen
ſchaft nicht genauer zu beſtimmen weiß. Gr ſchwanlt
über dasſelbe, weil er in feiner Methode der Naturfor⸗
fung allgemeine Grundfäge nicht entbehren Tann und
doch von eben dieſer Methode verlangt, daß fie feine
Vorurtheile hege und alle allgemeine Grundfäge mit Mis-
trauen betrachte. Was feine Leiftungen für bie Phyſit ber
tet, fo wollen wir nicht verlennen, daß er fehler
Gedanken in Anregung gebrocht · hat. Wir rechnen dahin
daß er bie Anwendung ber Naalogie im der Unterſuchung
der Natur empfal D, daß ex gegen alle vereinztlte Süße
„Ritt, wele der allgemeinen Hegel ih zu entziehen [dei
nen, mithin auch gegen bie fpecifiicken ober verborgen
Eigenfpaften der Dinge; welche umter lein allgemeines
Geſet fid vereinigen ließen?), daß er anf die Erkenab
niß der Ratur im Aleinen drang, ſowohl was ihre Seſtall
als was ihre Veränderung beiseffe, daß er enzpfal zu
nachſt bie einfachen Formen, bie Gefege ber undrganifgen
Natur zu unterfuchen und die Phyſik auf dem operativen
Wege des Verſuchs zu beireiben. Hierbamch befonders
hat er der mechaniſchen Vorſtellungeweiſe der Ppätern Zeiten
einen mächtigen Vorſchub geleitet und man wird auf
nicht leugnen fönnen, bag ihm hiervon ein Bernmtieia
beitoopnte, indem er einfah, daß ber Verſuch und bie
wienſchliche Kun nichts anderes vermöge als bie Dinge
durch Bewegung in neue Berfmüpfunden zu brkagen 9).
Aber man fann ihm doch in allen biefen Beziehungen mır
zugeſtehn, daß er durch feine geiſtreichen Bemerkungen
vielfach angeregt habe; was er in ihnen ausſprach, war
nit neu, fondern ſchon Lange hatten die Ppyfiter alter
und neuerer Zeit biefelben Grundfäge ausgefprochen und
1) Nor. o org. 11, 27.
, 2) > hält er individuelle Symyethien nicht für unmägl
Natur. hist, 911.
3) De dign. et augm. 20. II, 2 p 66. Homisi guippe in
naturam nullius rei polestatem esse praeterquam-motus, ut sci-
licet corpora nataralia aut admoveat aut amoreat. Descr. glob.
intell. 2 p.290.
PT
3”
im ihren Unterfachungen geltend gemacht... Er ſteht in
diefen Dingen nicht höher als etwa ein Teleflus, Caſal⸗
pinus ober Cremoninus. Geine allgemeine Naturanficht
ſchließt fich den ‚Lehren des 15 und 16, Jahrhunderts im
Weſentlichen an, wenn fie au nad Bnlritung früherer
Forſcher manches Übertriebene und Abergläubiſche defeitigt
hat. Die Lehren von der empfindlichen und begehrlichen
Materie, von den inwohnenden Geiftern, welche in Sym⸗
pathie und Antipathie wirken, leiten feine Anſichten im
Guten und im Böfen und das Wahre und das Irrige,
weldpes ihnen zum Grunde liegt, wird von ihm giemlich
bunt durch einander gewirrt.
Was nun aber Bacon's Beſchreibung ſeiner Methode,
der Induction, betrifft, ſo werden wir von vorn herein
darauf verzichten miuſſen in ihr eine erſchöpfende Unterſu⸗
chung über ihren Gegenſtand zu finden. Aus doppelten
‚Gränden konnte fie dies nicht werden, theils weil er fie
dazu. nicht machen wollte, theils weil er in ihr allein die
richtige Methode der wiſſenſchaftlichen Erkenntniß erblidte.
Was das Erſte betrifft, ſo hielt er zwar die Induc⸗
tion für das einzig richtige Verfahren in allen Wiſſen⸗
ſchaften, aber feine Vorſchriften berüdficktigten doch nım
die Naturwiſſenſchaft. Hieraus ergab ſich ihn, daß er die
" Befonderheiten, von welhen die Induction ausgehen
muß, ohne Weiteres zu Algemeinpeiten erhob. Wer ein
Individuum kennt, kennt alle Individuen derfelben Art.
Die allgemeinen Formen der Natur, die Begriffe des
Warmen und des Kalten, bes Dichten und des Dünnen,
ſollen uns unmittelbar duch befondere Wahrnehmungen
befannt werben. Dies it unftreitig nicht der gründliche
Weg der Unterfuhung; Bacon ſelbſt verbammt ihn in
feinen allgemeinen Forderungen, welche er an bie Judre⸗
tion ſtellt; in den Wiſſenſchaften, welche die Werte un
Entwidlungen der Vernunſt erforſchen, verfahren wir
gründlicher; wir Halten da jeden beſondern Fall für wert)
der Beachtung. Aber die Naturwiſſenſchaft kümmert fih
wit um die Kenntniß der Individuen und ihrer beſon⸗
dern Lebensacte, fondern faßt fogleih das allgemeine Se
feg in das Auge, weil fie mit Dingen zu thun hat, in
welpen nur ber allgemeine Zufammenpang der Erſchei⸗
nungen ein wiſſenſchaftliches Intereſſe darbietet. Bon bie
fem Beifpiele laͤßt Bacon fi leiten; feine Unterfugung
der Methode unferes Dentens if von feinem befondern
Intereſſe für die Naturwiſſenſchaft befangen und feine
Methodenlehre lann daher auch nur für eine beſondere
Art der Wiſſenſchaften von Werth fein.
Unfern zweiten Grund wirb man anerfennen müffen,
wenn man beachte, wie Bacon durch fein Mistrauen ges
gen die allgemeinen Grundfäge in’ ber Wiflenfchaft bau
geführt wurde nur das für richtig anzuerkennen,. was
durch befondere Erfahrungen fi beglaubigen Ließe, aber
dennoch in feinem Verfahren vom Beſondern aus überall
fich genöthigt fah allgemeine Grundfäge und Begriffe vor
ansyufegen. Das ganze Unternehmen Bacon's geht barauf
aus vor der Unterfuchung des Einzelnen eine allgemeine
Regel für das wiſſenſchafiliche Verfahren aufzuſtellen. Es
würbe dies etwas durchaus Widerfinniges fein, wenn
nicht vorausgefegt würde, daß allgemeine Regen allen
befondern Unterfuhungen zum Grunde liegen. Daher
verwirft Bacon auch nicht ſchlechthin die erfte Ppilofoppie,
fonbern will fie nur näher an die Erfahrung heranziehn.
Daher gilt es auch als allgemeine Regel für feine Nas
turforſchung, daß bie Natur überall gefegmäßig verfahre.
Seine Unterfuhung der Induction fucht alfo zwar eine
Lüde in der bisherigen Logik auszufüllen, indem fie aber *
da6 Eingreifen des Allgemeinen in bie Erleuntniß vom
Beſondern aus unberädkfihtigt laͤßt, bett fi nur eine
andere Läde in der Erkenntniß der wiſſenſchaftlichen Me
thode auf. Diefe wird am fühlbarften darin, daß feine
Induction überall Eintpeifungen vorausfegt, welde nur
von dem eingetheilten allgemeinen Begriffe aus gerechte
fertigt werben könnten. In feiner Beſchreibung der In⸗
duction iſt einer der wichtigen Punkte das große Gewicht,
welches er auf die Befeitigung aller negativen Inſtanzen
legt. Nur durch fie würde das voreilige Aufſteigen zu
Allgemeinen Ergebniſſen vermieben-werben fünnen und e6
wigt fih Hierin auf das entfciedenfte der Ernſt, mit
welchem er auf Vollſtändigkeit der Induction dringt. Die
Sefeitigung aller negativen Inſtanzen fegt aber ohne
Zweifel eine volRändige Eintheilung des allgemeinen Bes
griffs voraus und daß Bacon es nicht für nothwendig
gehalten hat feiner Theorie der Induction eine Tpeorie
der Eintheilung zur Seite zu flellen, muß als ein Mans
gel feiner Methodenlehre angefehn werben, welcher ſich
nothwendig baraus ergab, daß er nur das auffleigenbe,
Aber nicht auch das abfeigende Verfahren unterſucheũ
wollte,
Diefe Mangelpaftigfeit feiner Methodenlehre fließt
ihm aus feiner Neigung zum Genfualismus und feine
Neigung zum Senfunlismus hängt mit feiner” einfeitigen
Vorliebe zur Naturwiſſenſchaft zuſammen. Wie es allen
einzelnen Wiſſenſchaften geht, wenn fie aus ihrem natir⸗
lichen Zufammenhange mit dem allgemeinen wiſſenſchaft⸗
lichen Leben herausgeriffen werben, daß fie die Deden⸗
tung ihres Geſchaͤfts nicht gu durchſchauen wiflen, fo be
gegnet es auch der Phyſik Bacon’s. Er begreift, dab
bie Wiſſenſchaft es ſich zum Zwed machen muß die Dinge
nach ihrer abfoluten Wahrheit, nad der Analogie des
Weltalls, wie er fagt, zu erfennen. Gr will fie aber
dog nur dur den Sinn erforfhen. Daß die Phyft,
welche bie Natur in ihren finnlichen Erſcheinungen auf:
faßt, die Welt nur wiedergiebt, wie fie im Menſchen fh
abbildet, daß fie ohne bie Phyſiologie bes Menſchen niht
verfianden werben kann, ift ihm wie fo manchen andern
Phyſilern entgangen. Cr hat fein Abſehn auf die einfas
hen Formen ber unorganifhen Natur genommen, weil
bie zufammengefegten Formen ber organifhen Natur ihm
als unbegreiflih oder wenigſtens als eine fpätere Aufgabe
der Forſchung erſchienen. Wie hätte es anders fein kön
nen, da bie orgauiſche Natur ohne Zwecke nicht gedacht
werben fann und er die Zwede der Natur von feiner
Unterfuhung ausfhloß. Wenn er aldbann bie einfogen
Formen der Natur unterſucht, fo achtet er wenig darauf,
daß fie nach allgemeinen Befegen der Mathematik, welche
wir nach den Geſetzen unſeres Berflandes entdedten, von
uns beurtheilt werben müffen. Daher kommt es, af
feine Phyſik und die Gefege der Erfcpeinungen in unferm
Jnnern für Gefege des Weltalls verfauft und nur barum
bemüpt if die Weiſe zu beobachten, wie in unfern Sin
nen und in unſerm Berflande die Erſcheinungen ſich re
flectiren. Geltfam genug hat diefer Meifer der Beobach⸗
tung nicht beobachtet, daß der Berfiand, indem er bie
Wiſſenſchaft will, nicht ohne Zwede arbeitet. Bacon ſelbſt
fann diefe dem wiſſenſchaftlich Denfenden zunächft liegen⸗
den Zwecke nicht unbeachtet laſſen; an fie knüpft er feine
Methode an; und dennoch follen bie Zwedbegriffe ber
Naturforſchung fremd bleiben, dennoch möchte er den Ver⸗
Rand zu einem mechaniſchen Verfahren zwingen und ihm
wo möglich nichts der finnlihen Faßlichleit gegenüber
einräumen,
Bei allen biefen Mängeln feiner Methodenlehre werben
wir nicht Teugnen wollen, Daß fie von entſcheidendem Einfluß
auf die Entwidlung der neuern Philoſophie und Wiſſenſchaft
gewefen if. Schon der Gedanke Bacon’s if von mächtigen
Gewichte, daß man an einer vollſtaͤndigen Induction nicht
verzweifeln dürfe. Er bezeichnet den Eutſchluß der empiris
ſchen Wiffenfhaft ihre Aufgabe, wie unabſehlich fie auch ſchei⸗
nen möchte, ungeflört von allen philoſophiſchen Bedenklich⸗
feiten, mit eifernem Fleiße durchzuführen. Wenn man eine
Bereinigung der Empirie und der Philofophie hofft, wenn
man beiben irgend eine Verbindung unter einander zugefteht,
fo wird man nicht leugnen koͤnnen, daß ein ſolcher Entſchluß
vom größten Einfluffe auf die Philoſophie fein mußte, Aus
ihm geht der Überblid Bacon’s über alle Wiſſenſchaften
hervor, welcher freilich feine Schwächen hat, aber doch
einen Berfuh machte aus der alten Verwirrung buch
einen neuen Irrthum herauszulommen, Man wird nicht
überfepen tönnen, wie bie Methode Bacon’s in biefer
Beziehung einen fehr großen Einfluß auf bie Ermeiter
vung des wiſſenſchaftlichen Blides ausgeübt hat. Bon
384
der andern Geite aber hat feine Methode auch darauf
Yingewirft ben Blick in der Beſchraͤnkung zu ſchaͤrfen.
Hierauf geht er aus, indem er Theologie und Sittenlehre
von feinem Unternehmen ausſchließt, auf die Naturphilo⸗
fophie ſich befcpränft, in der Naturphiloſophie wieder em⸗
pfielt zum Behufe der Induction einen befondern Begrifi,
ein Gefeg der Natur zur Erforſchung fi vorzulegen, in
der Unterfuhung besfelben die Bälle zu theilen und nad
einem beftimmten Schema die Erfahrungen zuſammenzu⸗
Rellen, eben fo einen beftimmten Plan beim Verſuche
fi vorzufieden und in dem beflimmten Kreife feiner Uns
terſuchungen überall auf das Kleinſte in den Geſtalten
und in den Berwandlungen ber Dinge zu achten. Diele
allgemeinften Vorſchriften für alles wiſſenſchaftliche dor⸗
fen, daß wir unfern Blid zu einer allgemeinen Umſchau
über bie ganze Dannigfaltigfeit der Erſcheinungen erweir
tern und baß wir unfern Blid ſchaͤrfen follen in der dar
ralteriſtiſchen Auffaffung eines jeden befondern Gegenſtar⸗
des, hat feine Methode auf eine fehr eindringliche Weiſe
und vergegenwaͤrtigt.
Diefe Berdienfe Bacons werden auf das beutlihfte
in das Licht treten, wenn man fein Verfahren mit ber
Weiſe anderer Ppilofoppen feiner Zeit vergleiht. Man
bat ihm befonders zum Werbienft angerechnet, daß er
von ber Autorität der alten Phyſik befreite. Hierin hatte
er jedoch viele Vorgänger, vor allen andern bie Chemi⸗
ter, die Theofophen, welche eben fo, wie er, auf bie Et⸗
fahrung, die Beobachtung und den Berfud drangen.
Aber feine Umſicht führt ipn zur Vorſicht in dem Aufbau
feiner Lehre. Mit feinem Landsmann und Zeitgenofen
An
Hude Hat er es gemein, daß er:.handgreiflihe und au⸗
genſcheinliche Beweiſe verlangt; aber Fludb..begnägt ſich
wit !einen Erperiment um ſeine allgemeinken Behauptun⸗
geu zu beftätigen, Bacon dagegen verlangt um ein Ergeb⸗
niß ür.ein:befchränktes..@ebiet der. Natur ſeſtzuſtellen bie
weiteſte Umſchau, welche alles ſcheinbar Widerſprechende,
das gehoffte Erzebniß Beſweitende unſerer ſorgfältigſten
Beachtung empfielt. Wenn auch ſeine Eintheilung ber
Inſtanzen ſonſt feinen wiſſenſchaftlichen Werth. haben
ſollte, ſo hat fie. bo das Verdienſt die weite Aufgabe
eines ruhig abwaͤgenden Verfahrens in ben Erfahrungs⸗
wiſſenſchaften uns zu seranfchaulichen. Daß Bacon uns
an die Ratur verwieß, hat er mit vielen feiner Vorlaͤu⸗
fer und Zeftgenoffen:gemein, unter andern mit den Fran⸗
zoͤſiſchen Ethilern, einem Montaigne und Eharron, mit
welchen er auch den fleptifchen Geiſt und vieles in der
moraliſchen Betragptung. ber Dinge tpeilte. Wie fie machte
ex das Natürliche auch im Menſchen geltend, aber er zieht
ſich davon zurüd dieſe Umterfuchungen weiter zu verfolgen,
‚weil fie ihm zu verwidelt ſcheinen; er fegt die menſchliche
Kraft und Kun gewifiermagen im Gegenfag gegen
die einfache Natur, welde er erforfchen möchte, wärend
die Franzoͤſiſchen Ethiler bie Natur im menſchlichen Leben
unterfuchen und fie zur fittlihen Macht erheben wollten.
Diefe Beſchraͤnkung feines Blids hat er mit der Einfel-
tigfeit, ja mit der Roheit feiner fittlichen Bildung gebüßtz
aber eben hierdurch gelang es ihm den Zweifel jener Fran⸗
zofen zu überwinden, welcher baran fih anſchloß, daß
fie in den Entwidiungen der Sitten und ben mit ihnen
beicpäftigten Wiffenfcpaften fein Geſetz und feinen fihern
Geſch. d. Philoſ. x. 26
=
Borticpritt Faden onnten. In der Unterfuhang.. ber
mechaniſchen Geſete, der einjachſten Borgänge ie ;der
Natur, and der Kanſte, weiche durch bie. Mechanik der
Natur Here werden, findet er einen immer weitergreis
fenden Fortſchriti, auf ihn gründet er feine Hoffnung,
dag wir au in ben Wiſſenſchaften immer weitet kom-
men werben, weil mit uuferer Macht über bie Natur and
unfere Einſicht im ihre Geſetze im. Wachſen Kern
fein mug).
Ia einem ungewößnlichen Grade Dergegemmärtigt au
das ganze Wefen dieſes außerorbentlichen Mannes ein
fonft wohlbelanute Erfahrung. In feiner: Theologie und
feinen futlichen Orunbfägen iſt er mict: allein fhmah,
fondern audy roh, noch über das Maß, welches von fer
ner Zeit erwartet werben Fonnte; dagegen.hat er in feinem
Beſtreben die Reform der Naturwiſſenſchaften einzuleiten
mit der äußerfien Veharrlichteit gearbeitet; ‚fein fcpmiegle |
mer Geiſt weiß fih der Natur zu fügen, aber um fie pu
bewältigen. Hierin entfaltet fig die gunge Stärke feine
wiſſenſchaftlichen Charakters. .. Ex gehoͤrt zu ben Menſchen
welde die Harmonie ihres Weſens einer einfeitigen Wirk
ſamteit zum Opfer gebracht haben. In ihm ſpricht fd
die Regel aus, daß man einfeitig verfahren müße, wenn
man dic ſtärkſte Wirtſamleit gewinnen will. Eine gro
Wirkfamteit Hat er in der That gewonnen, indem er al
1) De dign. et augm. sc. I p. 42. . Hine nempe faotem ect,
ut in arlibus mechanicis primi inventores pauca excogilaveril,
tempus reliqua suppleverit et perfecerit, at in scientiis primi
autores longissime penetraverint, tempus plurima detriverit et
sorruperit. Derfelbe Gedanke wiederholt ſich bei ihm oſters
ein wiſſenſchaftliches Parteihaupt ben. Meg begeichwet hat,
welchen die Neigung feiner Zeit einfchlagen. wollte... Kir
bat. feine Partei geleitet and den allgemeinen. Bkın ent⸗
worfen, nad welcher. mus die einzelnen @litoer er
im Oingelnen zu arbeiten haben würden .
Zweues Kapitel,
Die ‚natürliche Religion’ und das Na⸗ j
‚‚Iurreht.,
- Eins .Reform ber: Philoſophie, wis, fie. Bacon: wollu,
welche ben: Sinn allein : zum. Richter. der Wahrheit uud
die Natur allein zum Gegenſtande der philofophiſchen Bow
ſchung zu machen. beabſichtigt, lonnte zu leiner Zeit unfer
ter neuern Philoſophie opne Widerſpruch bleiben. Der
Senſualismus faud nad immer feinen Widerſacher im
Rationalismus. und die Auſprũche, weiche Theologie und
Mosal auf philoſophiſche Begründung machten;: waren zu
tief eingewurhelt, als. daß fie buch biofe Abtehnung ſih
hätten befeitigen. Taffen. : Die, ſchonenden ‚Former, in
welchen Bacon feine,Reprem vortrug, lonnten ben Wider⸗
ſpruch gegen ihn maͤßigen, aber gegen feine. Meinungen
lonnte er nicht ausbleiben., MWix. werden jetzt die Kehren
unterſuchen müffen, in welchen er fh ausſprach, freilich
in einer nur fehr bedingten Weiſe, ſo daß man aus ihr
hätte. abmehmen koͤnnen, da. ‚ber ſenſualiſtiſche Rataralisr
mus bald in nes ſtaͤlerer U no weiten! mathen
würde, ni
Wenn. man an Basen Abe war, 26 vie. Pb
25*
Infopble das Übernatärkiche zu meiben habe, fo folgte doch
hieraus nicht, daß jede theologiſche und moraliſche Unter⸗
ſuchung der Philolophie framb bleiben mäfle. Es fchien
vielmehr einleuchtend, daß in der Religion und. im fittli-
en Leben auch eiwas Natürliches walte und bie. Erfor-
ſchung desſelben mußte ald Aufgabe der Philoſophie er-
feinen. Kur der fleptiihe Sinn Bacon’s konnte davor
uurũchſchreden dieſe freilich ſeht serwidelten Gelege zu
ergründen. In dem Streite, welcher über die Grunbfäge
der Religion und dei Politik herſchte, "forderten Theolb⸗
gie und Rechtswiſſenſchaft dazu auf die allgemeinen Ente
‚Mheidungsgrände aus der Natur der. Dinge in ber Philos
foppie zu ſuchen. Richt allein:füpnere Geiſter verzweiſel⸗
ten nicht ¶darau ſolchen Aufforderungen gu genügeh; eb
mußte auch einleuchten, daß wir für die Bedürfniſſe des
praftifgen Lebens fie nicht aufgeben dürften.
Bir. Reben hier an den erſten Urfprüngen zweier ber
fonderer philoſophiſchen Wifienfaften, wie fie and in
wog größerer Anzahl aus den Bedärfniffen ber neuem
° Zeit und aus .den. Überlieferungen . ver alten Büdunz
heraus fi bildeten. Das Alterthum hatte Feine Anfon-
derung der Theile der Philoſophie von ihrem :-ganzen
Körper gelaunt: Nachdem aber einzelne philoſophiſche
Lehren :dem Ganzen entwachſen waren,’ fipien esnicht
unmöglich fie als befondere Wiſſenſchaſten zu behandeln,
wie Grammatit, Ryetorik und’ andere früßer mit der Phi⸗
Tofophie verbundene Wiſſenſchaften zu einer felbpfRändigen
Behandlung gefommen waren. Bacon felbſt fchien hierzu
das Beifpiel gegeben zu haben, indem er bei allem feinem
Dringen auf Einpeit der Wiſſenſchaft doch die Phyfil
befonders als philoſophiſche Wiffenfchaft zu behandeln. un
ternahm. Die Reigung der Zeit der Erfahrung. nachzu ⸗
gehn Rimmte hiermit zufammen; denn die Erfahrung kennt
fogteich bei ihrem Beginn verſchiedene Gebiete der Unters
ſuchung. Für die genauere Erforſchung einzelner. Anfgas
ben der philofephifcken Unterfuchung waren ſolche Abfons
derungen nicht ohne Erfolg, aber unftreitig waren fie
auch der Berfuhung ausgefegt über bie befondern Ber
därfniffe der Erfahrung den Zufammenhang aller Wiſſen⸗
ſchaften außer Auge zu verlieren.
Es ann nicht auffallen, daß vor allen übrigen eins
zelnen philoſophiſchen Wiſſenſchaften, welche in der Bolge
der Zeit hervortreten follten, die Unterfuchungen über die
Religion und über das Recht hervortraten. Theologie
und Jurioprudenz mußten zur Ausbildung biefer Lehren
auffordern.
Dan wird auch nicht überfehen, daß in den Unterfur
ungen biefer beiden halb philoſophiſchen, halb empiri«
ſchen Wiffenfchaften ein gemeinſchaftliches Princip ſich
regte. Die natürliche Tpeologie und das Natürrecht gin⸗
gen beide darauf aus Erzeugniffe der vernünftigen Bil⸗
dung auf bie Natur zurädzufüpren. Auch theilen fie das
Beftreben das Theologifche und das Politifhe, welche in
diefer Zeit noch fehr genau verbunden waren, von ein⸗
ander abzufondern, weit fie beide in abgefonderten Lehren
unterfuchten. Sie haben dadurch der religiöſen Duldung
und der Trennung des Staats von der Kirche Vorſchub
geleiftetz es war aber nicht zu erwarten, daß fie ben An⸗
forberangen ihrer Zeit hierin genügen würden, welde
von einer folhen Trennung noch weit entfernt war,
|
Faß zu gleicher Zeit erhielten dieſe beiden. Theile der
Fpgefoppie eine Beßalt, in welcher fe nachher Iange mu |
mit. Mänderungen im Einzeinen ſich erhalten haben |
Keum hatte Bacon 4820 fein mene® Organum befenat
gemacht, als 1624 Eduard Herbert in feiner Gcprift-über
die Maprdeit die Brundfäge ber natirlichen Religion und
4625 Hugo Brotius in feiner Schrift über das Reht
des Krieged und bed Friedens bie Grwebfäge bes Ba
turrechts entwidelte.
1. Eduard Lord Herbert von Cherbury.
Er ſebſt Wat fein Leben befchrieben, zwar nur für
feine Jamilie, aber mit um ſo fieumgeren Wahrheiteliebe ).
Die Sähiderung,. welche ex von ſich giebt, läßt einen
der ſeltſamſten Menſchen in ihm erlennen. Geboren 1581
auf einem Landgute Eyton in Shropſhire gehörte er ein
abligen; Familie au, welche durch Reichthum, Mast und
Tapferkeit in der Geſchichte Englands ſich ausgezeichnet
Hatte. Der alteſſe Sopn, früh in Wiſſanſchaften and rit-
tarlichen Rünften erzogen, mit einer reichen Erbin ſeines
Hauſes vexhriraihet, war er bereits in einer zufriedenen
Che Bater mehrerer Kinder, und hatte in ſeiner Graf
ſchaft bie gewößnligen Üimier und van Hofe die gewöhn
lichen, Ehren empfaugen; mit den Wiſſenſchaften befhäf
tigt, doch nicht ald Gelehrter, ſondern wir es einem Dane
von abfigean Stande zu geziemen ſchien, verſprach ihm
fein Leben einen ruhigen Verlauf. Aber ihm ſchien es
- 4) The fife of Edward Lord Herbert of Cherbury. Written
by himself. London 1770. 4 Ben Horaz Wolpole herausgegein
unwardig in ber Dumfelgeit und im ber Umkunde ber wei⸗
ten Belt zw bleiben; daher entichloß er ſich fremde Läns
ver zu ſehn und den Ruhm der Tapferbeit auf dem feſten
Lande zw ſuchen. Mt Jahre Hat er fo vollbragt, if
durch Frantreich, Holland, Deutfchland, bie Schweiz und
Ralien gezogen, im Berfehr mil'Bchehrien, an Höfen, im
deldlager und in Zweitämpfen. fak ohne andern Zwmed als
um feines -Thatfraft Raum zu geben und ben Ruhm eines
tabellofen Ritters zu bewaͤhren. Wer bie Schilderung eines
Don Duizote zu übertrieben findet, laun in feinem Leben
die Züge: leſen, aus‘ welhen fie zufammengefegt if 2).
Gegen dis Ungläubigen Hätte er gern feine Waffen vers
"fait; er war im Begriff ein Regiment für Venedig zu
werben, als er :oon Jacob I. zu feinem Gefanpten in
Franlveich befimmt: wurde. . Er vertrat in Paris das
Interefie feines. Aönigs, feines Volkes und des prote⸗
ſtantiſchen Belennmiſſes mit Muth und nicht ohne glüde
liche Erfolgt. Im Sinn des friehfertigen Könige wer
fein Hauptanftung. den Frieden aufrecht zu erhalten und
dies war nicht weniger. im Sinn. des Gefandien, weicher
in einer komm verträglichen Miihung Liebe zum. Frieden
mit kriegriſchem Thatendurſt, pebantifhen :Eprgefül und
praleriſcher Selbſtgefaͤllgleit verband. Schon Immer hatte
er eine lebhafte Vetruhniß über die Entzweiungen empfuns
den, welche die Verſchiedenheit der Religion in Europa
entſlammte; in Franlreich, da: er gegen bie. Mefle des
Vürgexfsieges zu wirlen haste, ſtciterte ſich dieſes Gefül
i Watpole lact von ihm: dehnen 0 Don Qui wu
ho Klo of Pin .n1.
und erregte fein wiſſenſchaftliches Nachdenken. Hieraus
iR feine Schrift über bie Wahrheit hervorgegangen, welhe
ex 1624 zu Paris herausgab. Er hatte fie dem Hugo
Orotins und dem proteſtantiſchen Tpeologen Daniel Tile⸗
aus, mitgetheilt und war von ihnen zum. Druck ermunten
worden. Doc fonnte dies feine Zweifel, ob ex mit eis
„nem fo pasaboren Werle hervortreten bärfe, micht gan
beſeitigen. Er wandte fi daher in Gebet zu Got,
dem Geber des äußern und bes innern Lichtes, ihm
ein Zeichen zu geben. Ein domnerartiges Geha
von heiterem Himmel ſchien ihm fein Vorhaben zu bili-
gen. Die Gedanfen, melde er in biefer feiner Haupl⸗
ſchrift entwidelte, hat er nachher noch in andern Schriften
ausgeführt und befonders auf die Beurtheilung der heid⸗
nischen Religion angewendet. Nachdem er von feiner Ge
ſandtſchaft zurlcigefehrt war, blieb gr den wiſſenſchaftlichen
Beſchaͤftigungen getreu ; außer jenen philoſophiſch theelo ⸗
giſchen Schriften ſchrieb er das Leben Heinrichs VIHL und
fein eigenes Leben. Die unduldfame Regierung Karel.
ttieb ihn in das Lager des Parlinments und zur Verthei⸗
digung der unterbrüdten Presbyterianer. Doch muß er
mod, ehe et 1648 ſtarb, erfahten haben, daß die Partei,
für deren Dulbung ex gewirkt Hatte, nicht weniger un
duldſam als" ihre Oegner ſich erweiſen würde,
Bon feinen Scplfften kommt pler hauptlaͤchlich nur feine
Sqrift Über die Wahrheit in Betrachtüng D. Ziemlich
ausfüprlic Tept ſie feine Gedanlen auseinander, mit vie
1) Sie iſt in wiederholten Muflagen verbreitet worden. Iqh ge
drauche Me dritte Huflage: De veritats prout distinguitur a rere-
latone, a verisimili, a possibili et a falso. 1656. 12. Ihr iſt
385:
Ten! Wiederholungen, nicht in der. been Ordnung. Zwar
läge fie eine Wannigfaltizkeil gelehrter Kenntniſſe durch⸗
Biden, trägt aber doch · den Charakter eines bloßen Lich-
habers der Wiſſenſchaften an:fiip, weicher von der Schul
gelchrfamtelt wenig hält und mit’ den zu feiner eigenen
Berufigung ausgebildeten Übergeugungen an bie allgemeine
Bildung der höheren Stände ſich wendet. Im Charalter
der fegt angebrochenen Periode ſucht er eine durchgängige
Reform der Wiffenfcaft zu begründen und bie Haltung
feiner Schrift-M daher fehr polemifch, aber wie ein Mann,
welcher nicht darauf ausgeht Gegner in ber Litteratur
zu überwinden, hat er es nicht mit Einzelnen, fondern
mar mit der herfchenden Dentweife feiner Zeitgenoffen zu
thun; er nennt daher faft nfe feine @egner, Wie Bacon
will er auch mit die aliere Denkweiſe ganz verwerfen,
fondern nur die Wurzeln ihrer Irrtümer. : Obgleich er
an der Raturwiffenfipaft Antheil nimmt und die neuern
Forſchungen in ihr empfiehlt H, trifft feine Reform doch
nicht die Phyſik, fondern die Theologie und die Grund⸗
füge des fittlichen Lebens. Im feinen Unterfuhungen
ſpricht ſich eine Aufrichtige und einfache Wahrheitsliebe aus,
Vorurtheile, wie Bacon, beftreitend muß er mit Zwei⸗
feln beginnen. Aber feine Zweifel find nicht fo allgemein
beigebrudt de causis errorum, de religione laici, überdies einige
Gedichte, von welchen die, erften aud in Herbert’ Leben ſtehen. Für
die Schrift de religione gentilium erroramgue apud eos causis
gebraude ich bie Ausgabe Amstelod. 1663. 4.
1) Aus feiner Lebensbeſchreibung S. 31 fieht man, daß er ben
Parocelfifchen Lehren des Dänen Severinus beſonders zugethan iſt,
und feine allgemeinen Lehren zeigen auch, daß die Vorſtellungsweiſe
der Theoſophen einen bedeutenden Einfluß auf ihn ausgeübt hat,
amsgebehnt wie Dacon!s. Mit Zweifeln,: welche in da6
Unendliche gehen, will er nichts zu thus haben ; alle Zaci⸗
fel End auf befimmte Fragen zu. befüränfen 7). Gein
ſchlichter Waprheitefinn findet, daß die Wahrheit netäre
Up, der Irrthum uud. das Falſche nur Abirruugen von
der Ratur find, Daher hat ihm das Falſche enge Gren⸗
zenz weder bie Sachen, noch der Berfiand können ſalſch
fein; jedes Ding iR wahrz nur der Unverſtand irrt, wenn
aud der Verſtand nicht wiſſen lannz nur in der Erſchei⸗
nung der Dinge oder in deu Gchlüflen, welche wir-ans
ihr ziepen, lann ZTäufgung ohwalten 2), und übeml
seht das Falſche yon einem Wahren ans, wie bie Er
ſcheinung von eiuer Sache und hie Schluͤſſe von einem
Grundfage. Daper gilt es ihm als ein algemeiner Grund-
fap für feine Borfpung, daß jeder Irrihum, ſei «6 in
ber Religion, fei es in ber Philoſaphie, auf Wahrheit
berube und feine noch ſo widerfinnige Meinung ohre
Wahrheit fein loͤnne 9.
Kein Buchergelehrter Hat er weniger, als Bacon in
der Beſtreitung des Vorurtheils gegen bie Philoſophie
her Schule zu kaͤmpfen; ar laͤßt fie gelten ohne viel auf
fie zu halten; ale ein Mann der vornehmen Welt und
des praltiſchen Lebens hat er es wit zwei Feinden zu thun,
mit ſolchen, welde alles auf die Sinnlichkeit zurückführen
wollen und die höhern Zmwede des kebens verachten, und
mit folgen, welche durch Aberglauben und das gegen
wärtige p proftifge Leben verkerben oder von ihm abziehen
1} —X aeiotieas. De vorit g. 202.
2) Ib. 9305; 318; 320 4
3) Ib. 250; 26; 202,
wollen. Er iſt chen fo weit denen entferat ſich an das
Sinnliche fefſela zu Taffen, als durch die fpern Befme⸗
bungen unferes Geites dem Sinnlichen und Irdiſchen
ſich entrüden zw wollen. Er waß daher zucrſ aachweiſen,
ed gebe für uns etwas Höheres, als das Gianliez ale⸗
tan fann die weſere Frage eintreten, wie unſer Berhal⸗
den gegen dasſelbe ſein ſoll.
Dew Senſualiſten geſteht ex zu, im Sinn haͤtten wir
nen. Zeugen der Wahrheit. Der äußere Siam eröffnet
ms Die Äußere Wahrheit. Aber follen wir niet auch
eine Norm für die Innere unb- fir bie ewige Bapıheit in
uns haben 3%: Zur Estenmieig der Wahrheit gehört
dreierlei, ein Vermoͤgen zu erkennen, cin Gegenſtand bes
Erlenrens und ein Mittel, welches das Berhältnig zwi⸗
ichen den Permögen: bes Exfenaenden und bem Gegen⸗
Rande pesbeifüprt ). Von Diefen darin Fommt aber das
Bermögen zu erlennen zuerſt im Frage, denn yon unſerm
Vermögen muß unfer Grfeuman ausgehn. Daher nimmt
der Zweiſel Herbert’s überhaupt bie. Geftalt an, daß en
die Frage verlegt, aus welchem Vermoͤgen beweiß du
deine Erlenumiß I? Gr geht alſo auf eine Leyre vom
Erlenntnißvermoͤges aus, wie wan gu unlern Zeiten ge,
" fagt Haben würde, Io bes Anterſuchuug jener Frage
findet er das Neue feiner dehre. So viel er wiſſe, meint
er, habe er zuerſt die Bremen und Zwedn aler menfär
lichen Vermögen befiimmt H.
1) Ih. praef.
2) Ib. p. A qq. “
3) Ex qua facultate probas?
4) Ib. praef.; p. 195.
Dos jedoch ſeine Geckhungen über dieſen Punkt ia
guter Drbnung durchgeführt wären, können wir nicht ber
haupten. Er. unterfceidet die Waprpeit der Sache, welche
der @egenfand der Erlenatniß if, bie Wahrheit ber Er⸗
ſcheinung, welche die Erkenntniß der Sache vermittelt,
die Wahrheit der Borkellung (oonceptas), in welder
wir die Erſcheinung auffaffen, und bie Wahrheit des
Berftandes, welcher die Sache erfennt ?), und findet, baf
die Waprpeit überhaupt auf Übereinftimmung (conformi-
tae) berupt, auf Übereinfimmung des Dinges mit fh
febk, der Erſcheinung mit ber Sache, der Borfellung
mit der Erfheinung und des Berflandes mit allen dieſen
Gegenſtaͤnden, welche ex beurtpeilt 9. Bon allen dieſen
Beftimmungen fpringt er aber. aldbald zu einer gan alls
gemeinen Betrachtung ab, welche mur zeigt, daß feine
Lehre über die menfchlihen Vermögen von Boransfegun
gen der frühen Philoſophie nicht unabhängig if. Er ik
davon überzeugt, daß in uns Vermögen liegen, welche
weit über alles Irdiſche hinausgehn, das Bollfommene,
Ewige und Unendliche umfaffen, daß Gott das mahrt
Obiect unferer Erfenntniß (9. Gott hat uns eine
Sehnſucht nach dem eroigen Leben eingepflanzt und dadurch
ſich ſelbſt, welcher das ewige Leben iſt, ſchweigend ange
deutet, alsdann aber auch, weil feine menſchliche Vernunft
ihn in feiner Unendlichleit faflen kann, fi in dieſer Welt
deutlich offenbart ). Denn das Unendliche überfteigt uns
1) Ib. p. 7.
2) Ib. PA 2q; 16.
3) The life p.22.
4) De relig. gent. 2 p.5.
39
fere Borſtellung und wird nur im Endlichen und anter
den Berhättnifien der Zeit gefaßt 9. ‚Die göttlichen-Kräfte
aber ſind unbeſchraͤnkt und durchdriugen :peswegen alles,
ſelbſt das Koͤrperliche 9). Wie follten fle: nicht: in der
Belt offenbar werden und unfern Geiß; erreichen. können.
So wie: alleo Endliche im Unendlichen umfaßt: fein muß,
fo werden wir auch iin Zeugniß, - ein Sild oder: Zeichen
de6 Unendlichen in allem Endlichen annehmen. müffen,
beſonders im Menſchen, welcher das hoͤchſte aller -Iedenbis
gen Weſen iſt 5). Die Religion, die Verehrung des un
endlichen Gottes, iſt der letzte Unterſchied des Menſchen
und Herbert zweifelt daher, ob es wahre Atheiſten geben
koͤnnte; fie würden «nicht anders als Wahnfinnige--oder
Bernunftlofe fein. Überall verkündet ſich Die Vorfe⸗
hung Gottes; nichts iſt umſonſt, nichts ohne Zweck und
ie tiefer wir in die Unterſuchung unſer ſelbſt eingehn, um
fo mehr erlennen wir bie Spuren ber göttlichen Weisheit,
Der menſchliche Leib if} das größte Wunder und Herbert
empfielt daher die Anatomie, weil fie am deutlichen bie
göttliche Weispeit zeige; er ‚meint, fein Anatom könne
Atheiſt fein ⸗). In unferm Verſtande wird nun auch das
Bermögen Liegen müflen bie Werfe dieſer Weisheit zu
erlennen. Es iR etwas Analoges zwiſchen unferm Ber
mögen zu erlennen und zwiſchen den Gegenfänden ber
Erlenntniß; im feinen @efegen entſpricht der Milrolos⸗
1) De verit. p. 34.
2) Ib. 46 29.
3) Ib. p.73; 86; 316 eq.
4) Ib. p. 223; 273. Religio hominis ultima differentia.
5) The life p. 36.
ws
mh dem Malceloomus. Eben ſo wieie Wahrheiten giebt
6, als es Unterſchiede der Dinge ı giebt,“ unb fe wick
Unterſchiede ber Dinge es giebt, ehe ſo viele Bermögen
*— eb in a0) .
Mir (chen, es ſiad meiaphyfiſche Geurdiäge, welche
feine Unterſuchungen keiten, imt:vorfentkichen biefelhen Grund ⸗
füge, welche feine ſchon bemerkte Voelicbe für die Theo
ſophae erwarten lich. Bon. einem. oberſten Princip, von
Geit, einem unkoͤrperlichen unendlichen Weſen, geht alles
aus; aus ber Einheit entſaltet ſich alles zur Maunigfal⸗
tigkeit. Das Riedere iR dem Hoͤbers, das Manuigfaltige
vera Einen in alen Grader br6 Seins unterwarien; bir
Materie. wirb vom Leibe, dar. Leib vom Geiſte, der Geil
von Sott beherſcht D.. Das iſt der Wag-der Borſchung,
welche som Allgemeinen zum Beſondern fortſchreitet, in
welchem aus dem Einen das Viele. ewanirt z umzelehrt
AR der Weg unſerer Erlenntniß, welche von Befonden
zum ‚Allgemeinen gelaugt 3. Daher. iß ber. Rörper von
Natur weniger erkennbar, als die Seele; der Koͤrper
erhält den wahren Geiſt und das Sinnliche fans. als
sin Hinderniß: der -Erkenntpiß.: angefehn werben Der
Heiß, deſſen nadtes. Weſen in Verſtand und Glauben
beftehk, ‚firebt. über alle Schranken hinaus, verachtet den
Tod. ober ſehnt fi mad ihn; feine. Hoffnung iſt, daß
ſelb das Unendliche ſich ihm eröffnen werda *).. Bit fir
1) De verit. p. 10; 13; 38. Tot sunt facultates, quot reram
differontine et vice versa. Ib... u...
2) ib. p. EL 111; 116; 270.
3) Ib. p.
4) Ib. Hi an agq. Berludetur demum.
inßnitam,
]
ler Maqht werden wir von Sott regiert, da wir.uuferer
Freihelt noch nicht völlig..mädtig ſind. Deun wie das
Embryo ſich ſelbſt nicht lennt, fo liegen wir. uns ſelbſt
verborgen in dieſer Welt eingeſchloſſen und harren des
Tages, der und yon dieſem Körper. und dieſer Welt be
freien und bie. Erlenntniß unfer ſelbſt und unſeres GOrun⸗
des bringen ſoll 2). Wir werden nicht nöͤthig Haben dieſe
theoſophiſchen Gedanken Herberns weiter zu verfolgen,
unfere Aufmetkſamkeit hat ſich vielmehr dem Neuen zuzn⸗
wenden, welches ex am fie anſchließt.
Oierbti werden wir nun bemerken müffen, daß er. bie
theofpphifcgen:. Lehren von Schwaͤrmerei frei Hält, indem er
und anweiſt von Niedern zum Hoͤhern, vom Befondern zum
Allgemeinen ufgufteigen. Dies ſtimmt mit Bacon’s Methode
überein, voch kann Herbert den ſenſualiſtiſchen Neigungen "
feiner Zeitgenoffen. ſich nicht ergeben. Er erklärt ſich gegen
die Lehre von der Ieeren oder von der abgefchabten Tafel,
indem er meber zugeben Tann, daß wir von Natur leer,
no durch die Sünde ausgeleert find. Unſer Vermögen
zu erfennen inüffen wir bei uns tragen, wenn aud bie
üußern Objecte es zur Thaͤtigleit anregen mögen, fo liegt
doch das Vermögen über Wahres und Falſches zu ent
ſcheiden in unſerm Geifte und wenn wir alles, was von
außen empfangen wirb, von uns .abziehen, fo bleibt uns
noch immer unfere eigene Natur). Der Sinn ift zwar
4) Ib. p.314. Numinis vi tacita regimar in nostrum jus
non salis asserli, donec isto exoludemur et o6rpore et mundo:
2) Ib. p.68. Quod teoum ad objecta dücis, dos naturae
est. — — - Apage igitur jstos, qui: mentem: nostram tabulam
rasaım sive abrasam ömse praedicant, quasi-ab objectis habere-
mus, ut in illa denuo agere possimus,
ein Zeuge, aber nicht ber Wichter der Wahrheit 1).. Hier-
bei Rügt ſich Herbert auf allgemeine Begriffe oder Grand:
füge, gegen welche niemand. ireiten durfe und welche er
als Ausiprüde: des: natürlichen Inſtinlts in ung betrach⸗
det). Weit gefeplt,. daß fie. als Ergebniſſe ber. Erſah⸗
zung. angefehn werben Fönnten, laun vielmehr Feine Beob⸗
achtung oder Erfahrung opne fie vollzogen werben. Ber
füge und Schtäfe folgen ſolchen Brumbhägen, welde
als Gebote ‚der Natur von ums nach fiherem Inſtiult
anerfannt werben müflen 9). . Wenn wir. bad; mas Her
bert hierüber vorbringt, ale gerichtet. gegen bie. Lehren
Bacon’d uns denken, ſo werben wir es nicht ohne Gr
wit finden. Er macht darauf aufmerkfam, .baf: allen
unfern Erfahrungen, Beobachtungen und Verſuchen uns
ſere eigene Natur vorausgeht, in bie Ergebaiſſe des cm
piriſchen Verſahrens fi einmiſcht, ja die Entſcheidung
über dieſelben abgeben muß. Anſtatt uns nun Beſorg⸗
niß über ſolche Einmiſchungen von. unferm Eigenen zu
erregen, wie Bacon gethan hatte, Rüpt Herbert vielmehr
alle Sicherheit unferes Geiſtes auf ſie. Was urfpräng
Hd in umferer Natur liegt, muß uns begleiten, daher in
uns allgemein fein. und. in- allen. unfern. befonberw Tätige
leiten fi) geltend machen. Go ift es. mit ben allgeme
nen Brundfägen, welche uns in allen Erfahrungen, unter
1) Ib. p.40.
2) Ib. elenchus verhorum zu Anfang der Schrift. .
3) Ib. p.2; 35. Tantum absst interea, ut ab exzperienlis
et.obserratione deducantur elementa aive: prineipia ista sarra,
w sine eorum aliquibus sive saltem aliquo neque .experiri ne-
que quidem ohseryare possimus, Ih. p. 37; 60;. 68.
jedem Ginneneindrude begleikn 23, Der Sim Tann uns
immer nur Zeitliches und Beſerheres Ichzen, wir tragen
aber and) etwas bei nuus, welches und. ewig und in all»
gemeiner Weife beimohnt, unfene eigene Natur 2). - Die
fen uns urfprüngli briwohnenden Vermögen haben wit
vor allem andern Glauben zu ſchenlen, vor allem übrigen,
was durch ben. Sinn obenhurd. Überlegung‘ und. Schluß
in und eingetragen wirhg: es beglaubigt ſich ‚fer.
Daher kann „Herbert. quch ‚han: Zweifeln gegen die allge
meinen Orunkfäge nicht. beiſtimmen, vielmehr ohne eine
genauere Unterfuhung ‚besfelben. im Beſondern anzuftellen
if er davon. überzeugt, daß as ſolche Grundfäge giebt,
welche die Natur alle Menſchen, ja alle lebendige Weſen
gelehrt Hat, Über fie. mug seine allgemeine Übereinſtim⸗
mung ftattfinden und bie Aufſuchung folder Säge, welche
alle Welt anerkennt, iß ihm deswegen auch, von großer
Wichtigkeit. Er glaubt, dag man in dieſem Wege zu
mathematiſcher Gewißheit würbe gelangen loͤnnen *). Er
4) 1b. p.57; 85. Post commianer igitar notitias sive doctri=
nam inslinctus natnralie in. homine gradaim: et successive sese
ad objeota explicantes particulares quaedam notitiae et sensus
suboriuntur, a suis facultatibus particularibus conformatae.
2) Ib. p.65; 112.
.9) Ib. p.195 »q. Instinetua naturalis sive notitiad commu-
nes a se ipsis unice fidem oblinent.et gupra raianem, i.e, dis-
* eursum eredi postulant Idem .de fsculiatibus reliquis existi-
mandum est, quae imprimis ab inferiöribus facultaibnn infor-
mari dedignantur. Ideo sensui interno circa objecium suum
Potias quam sensni externo et sensui exierno denique polius
guam dicursui credendum est. Ib. p. 208.
4) Ib..p.49. Summa igitur veritatis norma erit consensus
universalis. Ib. p.55; 62. Nunguam aatis interea hortari pos-
Geſch. d. Philof. x. 26
J
unterfpeidet dabei allgemeine Kenntniſſe, welche ueipräng:
lich vom Infint und getehrt werden, und andere, welche
nur durch Folgerungen uno einlenchten, und giebt jenen
den Borzug vor dieſen in Beziehung: auf ihren Vorrang
. ber Eutſtehung nach und auf ihre Sicherheit ). Demi
alle Folgerungen ſcheinen ihm; wer menfälichen Schwach⸗
yeit unterworfen zu fein, wärend bie allgemeine Natur
und ſicher leitet 9). Diefen Umerſcheidung folgend if er
zwar nit ohne alles Mistrauen gegen allgemeine Säge,
aber doch leinesweges im dem Umfange, in welchem bie
Sranzöfiigen Gteptifer und Bacon es ausgeſprochen hat⸗
ten. Befonders den allgemeinen Grundfägen: ber Sitten
lehre vertraut .er ; ‚in ihmen findet er bei vielen Abweigun
gen des Urtheils im Beſondern bie größte Übereinim-
mung im Allgemeinen, welche in demſelben Grade feine
andere Wiſſenſchaft außer der Mathematil aufzuweiſen
hdabe 5). Im einem wölligen ‚Gegenfag gegen die Aufiht
Bacon’ meint er daher, daß die veligiöfen und ſittlichen
Waprpeiten unferm Wefen näher und ſicherer wären, als bie
phyſiſchen Wahrheiten, obgleich auch dieſe mit jenem in einer
ſichern und fletigen Verbindung fänden 9. Die urfprängli-
Gen allgemeinen Erlenntniſſe find ihm als unferm Wefen ans
sumus lectorem nostrum, ut ex consensu universali communia
in⸗ principia — — seligant, in ordinem denique digerant et
tanquam providentise divinae universalis ideam et typum opli-
mum habeant. ib. p.72; 271.
1) Ib. p. 62; 76 2qq.
2) Ib. p.77.
3) Ib. p.143. De morali philosophie summus consensus;
iota enim est nolitiae cummunis, quod in reliquis scientüis, misi
fortasse mathematitas excipias, non datur.
4) 1b. p. 54.
gehörig auch der Zwed unferer Wiſſenſchaft, wärend bie
fianlichen Eindrüde nur als Mittel ongeichn werden bürr
fen, durch welche wir zur Erleuntniß der Obieete gelan⸗
‚gen follen, und er lann ſich nicht genug darüber wundern,
daß fo viele, welche nur dem Sinn vertrauen wollten,
B beim Mittel Rechen geblieben find. Y,.., Der Sian. gehört
nur zu den Tpätigfeiten und kann vabır auch nur Thaͤ⸗
tigleiten zur Erkenntniß bringen, nicht aber Dinge ober
die Vermögen ber Dinge, aus welpen ihre Thätigfeiten
hervorgehn. Er bezeugt nur ein Ergebniß aus der Wech⸗
ſelwirkung zwiſchen unſerm innern Vermögen. und dem
äußern Objecte 2). Daher achtet auch Herbert die Ger
ſchichte, welche Bacon zur Grundlage unferer Wiſſenſchaf⸗
ten machen wollte, nur für ein geringexes Wert; fie lann
fih der Überlieferungen nicht ntiölagen und. sewäpet wur
Wahrſcheinlichkeit 5).
Diefe Anfänge des Streites wiſchen dem nenern Em
ſualismus und Nationalismus entalten freilich viel Un⸗
Mares und fegen meiſtens der einen Behauptung nur, eine
andere entgegen; aber einen Hauptpunlt ſiellt doch Her⸗
bet an die Spige feiner Unterſuchungen, welcher geeige
net war ſelbſt feine Geguer für fi zu gewinnen, Mon⸗
taigne und Charron weren.geneigt gaweſen in den gYger
meinen Grunbfägen unferes Denfens. Muafpräge dea na ·
Mb. p.94. Mirum est interea, guomodo in denn, ie.
in media via, haeserint plurimi. Ib. p. 106. ° :"
2) 1b.p.56. In actam i.e. in sensum. Ib. p. 93. 2q. " Quod
igitar sentis, neque est facultas sive visinterna aese explicans
Deque objeetum, sed aelionym resultantia ododan ex collisione
et coneursu mutuo oriunda. ’
3) Ib. p.296.
ö 26*
türligen Infinkts anzierfommen; au Bacon hatte ihnen
hierin beigeftimmt, wenigſtens in Beziehung auf bie allge:
meinen Srundfäge unferes Handelns. Diefelbe Denlweiſe
macht Herbert geltend zur Vertheidigung ber allgemeinen
Grundfäge überhaupt. Ein urfprünglicher natürlicher In⸗
ſtinkt, welcher uns zus Wahrheit führt, iſt ihm das obere
Bermögen, welches uns in allen unfern Tpätigfeiten leitet;
alle übrige Vermoͤgen für bie Erkenntniß, ber innere,
der äußere Sinn und das Schließen, gehen von biefem
Infinfte aus und werden von ihm regiert D. - Diefe Be
Jauptung unterflügt Herbert durch eine Bemerkung, welche
ganz im Sinn der neuern Senfualiften- und der herſchen⸗
den Neigung zur Phyſil if. Die allgemeinſte Tpätigfeit
dieſes Inftinfts, in welcher Menſchen, Thiere, Pflanzen
und alle natürliche Weſen übereinſtimmen, iR das She
ben ſich ſelbſt zu erhalten. Darin liegt das oberſte Ge⸗
feg der Natur, welches im Jnſtinkt aller lebendigen Ber
fen fi verfändet, welches ſelbſt die Elemente zum Bis
derſtand gegen feindliche Kräfte aufruft; wo Bewußtſein
fich regt, da wird das Bewußtfein dieſes Befeges nicht
fehlen können, durch bie Obfecte nur erregt, aber nicht
von ihnen in die lecte Tafel der Geele eingefchrieben,
fondern aus der Innern Natur aller Dinge hervorquel⸗
lend ). "Wir haben gefehn, mie allgemein verbreitet in
biefer Zeit die Berufung auf dieſes Naturgefeg war; wir
werben finden, deß ſie noch immer Rärfer ſich ausſprach.
1) Ib. p. 46 Pr 282. ;
2) Ib. p. 40; 54; 815 140. Cojus (sc. instinetas naturalis)
summa lex propria illa conserratio, quae in omnibus desori-
bitur,
4085
Herbert rief, indem er auf daeſelbe ſich bezog, bie Ber-
ehrung des allgemeinen Naturgefeges zur Beflätigung der
allgemeinen Gefege des Berflanbes auf.
Der Begriff des natürlichen Infinfts, welcher zunächk
auf die Erhaltung feiner ſelbſt geht, findet nun aber in
einer ungezwungenen Weife noch eine viel weitere Aus:
dehnung und hierauf gründet fi das Vertrauen Herbert’s
auf die allgemeinen Begriffe überhaupt. Wenn man nicht
zu leugnen Willens war, daß die Geſetze der Natur von
Bott abhangen, fo konnte es feine Schwierigkeit haben
in dem natürlichen Iuftinft ein Werk der Vorſehung Got⸗
tes zu erbliden. Das Streben nah Erhaltung feiner
ſelbſt iR eine Erweifung der allgemeinen Vorfehung, welche
Herbert die Natur nennt, im Gegenſatz gegen die befon-
dere Borfehung oder die Gnade 1). Die Erhaltung ſei⸗
ner ſelbſt treibt aus den Dingen ihre Thaten heraus, fie
iſt daher praltiſcher Art und deswegen konnte Herbert die
praftifchen ober fittlihen Grunbfäge ald bie erfien, dem
Juſtinkt zunächſt liegenden betrachten. - An das Geſetz der
Selbſterhaltung ſchließen ſich alsdann noch andere prak⸗
tiſche Geſetze an. Der Inſtinkt treibt zuerſt die innern
Tpätigfeiten heraus, die innern Thaͤtigkeiten führen aber
auch zu koͤrperlicher Äußerung und alles dies geht auf
einen Zwed, im Allgemeinen auf das allgemeine Gut,
welches die ewige Seligkeit iſt ). ine bebeutende Er⸗
1) Ib. elench. verb.
FR) Ib. p.81; 140. ‚Proximo sequuntur loco internae faculta-
(et, quae ea ratione instinotui maturali subjiciuntur, qua omnia
in beatitadinem aeternam tanquam finem ultimum, relata sunt,
— — Quemadmodum igitur sub instinotu maturali faculiateg
A086
weiterung erhäßt aber biefe Lehre noch durch bie Betrach ⸗
tung, daß der Inſtinkt um die Erhaltung des einzelnen
Dinges zu betreiben auch die Erhaltung ber Abrigen Dinge,
mit welden das einzelne Ding zufammenhängt, nicht ver⸗
nagläffigen darf. Daher dehnt er ſich auf die Erhaltung
der Art, ber Gattung und ber ganzen übrigen Welt aus, nur
in der Weiſe, daß die Vorſehung Gottes ihn zunächſt anf
das Naͤchſte gerichtet hat um mit der Borfehung für das
Ganze auch bie Borfehung für das Befondere zu verbins
den. So ergiebt es fi, daß der natürliche Juſtinlt auch
die algemeinen Begriffe beglaubigt, welche ber Zuſammen⸗
hang des Ganzen fordert, bie Begriffe des Schönen und
des Guten, fo wie aller natürlichen Orbnungen, in wel
en wir uns an das Weltall anſchließen ?),
Dan fieht, daß diefer Betrachtungsweiſe bie Ordnung
des Erfennens in ganz entgegengefegter Weife fih dar
ſtellt, als wie fie im Sinne der Senfualiften gedacht wurde,
Nicht vom aͤußern Sinn geht das Erfennen aus, fondern
von innen heraus bildet es ſich unter der Herrſchaft ei⸗
internae — — ita sub istis facultates corporeae militant. — —
Hano igitur (so. bealitudinem aelernam) guo more sub ratione
scilicet conservationis propriae consectantur omnia. Ib. p.262.
2) Ib. p.56. Instinctus naturales sunt actus facultatum i-
‚larum in omni homine sano ef integro existentium, a quibus
communes illae notitiae circa analogiam rerum internam, cü-
jusmodi sunt, quae circa causam, medium et finem rerum,
bonum, malum, pulchrum, gratum ete., maxime ad individui,
speciei, generis ei universi conserralionem facientes, per-ie
etiam sine discursu comformantur. Ib. p. 72 sq. Nisi’enim ex
communi illa sapientia nalurae lex intus rogata mutuum rerum
vetaret interitum, in se alternis vioibus ita saerirent omaia, ut
nihil non subito periret,
ned allgemeinen Raturgefehes, welches alles zuſammen⸗
Hält und dem natürlichen Infliefte Die Kenntniß des All⸗
gemeinen entlodt. Diefem allgemeinen Beſtreben, welches
auf die Erhaltung bes Einzelnen als eines Gliedes im
großen Ganzen ausgeht, fließen ſich alsdann ber Innere
und der änfere Sinn und zuletzt auch die Bolgerungen
des Schlußverfahrens au, welche die allgemeinen Orund⸗
füge des natürlichen Infinkts auf die befondern Erfah⸗
tungen der Sinne anwenden. Hierdurch ſoll ein allges
meines und höchfes Gut ‚gewonnen werben. Jn ber
Berfofgung desfelben können uns bie Ginne Aörenz auch
bie Freiheit in unfern Folgerungen Tann irren; aber zulept
bleibt doch alles unter bem allgemeinen Gefepe ber Bor .
fehung, welches ben endlichen Frieden herbeizuführen ver⸗
ſpricht H.
Man wird aber auch bemerken, daß dieſe Lehre die
Ratur in Beziehung auf einen Zweck ſich denft. Hierin
iR fie den Lehren Bacon's durchaus entgegengefegt. Sie
fügt fih auf die allgemeinen Säge, daß nichts umfonft
fi, daß weber die Natur noch Gott im Nothwendigen
etwas verabfäumen oder im Zufäligen etwas Überflüſſi⸗
ges herſtellen könne, Der Zwed aber, welcher im Allge⸗
meinen verfolgt wird, bie ewige Seligkeit, liegt weit über
das hinaus, was durch bie Erhaltung feiner felbft, feiner
Art und Gattung, ja der Ordnung des Weltalls erreicht
erben könnte. Es ift vielmehr alles auf eine weitere
Entwicllung und ein dortſchreiten im Leben der Dinge
angelegt, fo daß ſogar die Hoffnung auf die Erfennte
1) Ib. p. 104.
niß des Unendlichen, wie wir fahen, und nicht abgeichait⸗
ten werden ſoll. Daher: betrachtet Herbert bie Ratur nicht
als eine mechaniſche Iufaummenfegung tobter Maſſen, fon
dern nach der Welfe der Theoſophen fieht ex überall le⸗
bendige Samen oder, wie er fi auszubrüden Tiebt, eine
plaſtiſche Kraft, welche unzerſtoͤrbar den Dingen beiwohne
und bie Reime eines viel volllommenern Lebens in ſich
enthalte, als das if, welches dieſe Exde und gewähren
tann. Hierin if feine Hoffnung auf ein unſterbliches Les
ben gegründet, welches in ber Erhaltung feiner felbft nur
feine · unvergaͤngliche Grundlage hat!), Bon der plafis
ſchen Natur, welche wenigſtens vermuthungsweiſe auch
mit ber Weltſeele gleich gefegt wird, leitet Herbert den
Zufammerhang der Seele mit dem Körper ab 2); aber
nur ber Körper geht uns im Tode verloren; bie plaſtiſche
Kraft bleibt uns, in Verſtand und Willen ſich entfaltend;
fie wirb auch den Zufammenpang mit der übrigen Belt
wieberperftellen; einem neuen Körper, eine beflere Mas
terie, welche. und dargeboten werben bürfte, wirb fie mit
fih zu vereinigen wiffen 5). Hierbei ſchließt nun Herbert
die Entwidlungen ber Freiheit nicht aus. Bon einem nas
türlihen Iufinkt zwar Teitet er alles ab; an ihm und feis
nem Streben nad der einigen Seligfeit bleiben wir zu jeber
Stunde gebunden und unfere Freiheit fann biefen Zweck niht
verrüden; aber unfer innerer Sinn beglaubigt uns bod
unfern freien Willen in fo weit, taß mir Gewalt über
1) Ib. p. 117; 281; 313; the life p. 22.
2) De verit, p. 113.
3) Ib. p: 117 29.
208
bie Mittel zu unferm Ziele haben ), vom Anfang bis zu
Ende. Der Anfang if der natärlihe Inftinkt, das Enke
die Freiheit; denn in ihr finden wir das Bild der Unends
lichteit Gottes und nur durch fie haben wir etwas, was
wir mit Recht das Unfrige nennen können. Alle übrige
Bermögen des Menſchen liegen daher zwiſchen dem In⸗
ſtinlt und der Freiheit des Willend und dienen nur ale
Mittel von jenem zu biefer zu gelangen 9. So will er
von ber Natur zur Freiheit uns führen; aber wie fehr
auch feine Säge über die Freiheit nach der Lehre der No-
minaliften ſchmecken 9, von der Nätur, welche zum Ziele
füprt, macht ex doc die Entwiclungen unferer Freiheit
abhängig; denn von bem Unendlichen, der Macht Gottes,
weiche in der Natur waltet, wird alles Endliche ums
ſchloſſen. J
Hierin verlündet ſich die ſittliche Richtung, welche durch
Herbert's Lehren hindurchgeht. Sie wendet ihn der Reli⸗
gion zuz denn die Religion beſteht ihm im ſittlichen Le⸗
4) Ib. p.106. Circa finem non sumus liberi. — — Circa
media tamen — — libere nosmet ipsos habemus, quod quidem
ex sensu interno constat,
2) Ib. p. 105 sqq. Quatenus igitar homo liber est, infini-
tus est. — — Est igitur instinctus naturalis et in homine et
in animalibus religuis prima Yacultatum, libertas arbitrüi ultima.
Inter quas cunctae facultates reliquae ita intercedant, ut actio-
nes maxime necessariae proximo post instinctum naluralem se-
quantur loco. — — Necessariae actiones nostrae non sunt. — —
Quae spontanese actiones, solummodo sunt nostrae.
3) Gegen die Determination des Willens durch den Verſtand ſtrei-
tet er, wei jebe Bacultät ihre eigenen Tpätigkeiten Habe und der Wille
iſt ihm eine befondere Facultat. Im der Wahl der Mittel herſcht Bill-
tür und libertas ad opposita. Ib. p. 106. \
ben, welches nad; Bott ald dem hoͤchſten Gute ſuebt.
Jede Tugend iſt zum Preife Gottes; alle Tugenden ger
pören zufammen und möffen ſich gegenfeitig mäßigen; in
jeder einzelnen würden wir Übertreibung zu fürchten has
ben; fie haben eine jede für ſich nur einen beichränften
Werth; dies gilt ſelbſt von ber zeligiöfen Berchrung
Gottes, welche auch übertrieben werben lannz nur in der
Gemeinſchaft mit allen übrigen Tugenden if fie wahre
Religion I. Go wie die Erlenntuiß aller Wahrheit lei⸗
tet num Herbezt bie Religion von ber Natur und dem.
Infintte ab. Denn in ipmen findet er, wie wir fahen,
die allgemeine Verehrung Gottes, welche in allen Dingen
uns’ leiten fol. Die befonbere Gnade, welche uns in ir
gend einer Offenbarung zu Tpeil werben kann, darf bie
allgemeine Gnade oder Borfehung Gottes nicht verdeden ).
Es iR gottlos die Natur, welche die allgemeine Vorſe⸗
hung Gottes if, anzullagen 5). Wir willen, daß es
anch falſche Religionen giebtz wir bedürfen daher auch
eines Prüffleins ber Religionen. Einen folgen werden
wir nur im Prüfften aller Wahrheit finden Finnen, d.h.
in ben allgemeinen Grundfägen, welche und der Zufinft
an bie Hand giebt). Auf ipnen berupt die latholiſche,
d. h. die allgemeine Kirche, deren Urtheil Herbert ale
feine Lehren unterwirft 9. Nichts kann wahr fein, was
1) The kife p.37 qq. "
2) De verit. p. 268 sq.; 287.
3) Ib. p. 73.
4) Ih. 9.265; 282. .
5) Ib. p. 267; 283. Has autem sunt omBino ‚notitise com-
munes, ex quibus vera ecolesia catholica sive mniversalis con-
stat. De rel. gent. 16 p. 231.
44
unfera allgemeinen Grunbfägen wiberfpriht. Über die
Bernunft Tann wanches hinausgehn, was nach wahrſchein⸗
lichen Gründen angenommen werben barf, aber ohne
Bernunft Tann nichts von und gebilligt werben ). Dar
her ſetzt ſich Herbert dem blinden Autoritätsglauben ent-
gegen. Der Glaube habe nur Werth, wenn er wahr⸗
haft unfer Glaube fei, d. h. nicht der Meinung eines Ans
dern folge; jeder fönne von Bott nur nad) feinem eige⸗
men, nicht nach fremdem Glauben beurtpeilt werden 2),
Seinen Glauben an die Offenbarung verſichert er nun
oft; aber dieſen hiſtoriſchen Glauben an die Autorität
Anderer follen wir wohl unterfheiben von bem Glauben
an Bott und bie Natur, melde in unferm Gewiſſen
ſpricht 5). Sein Streit if nun gegen bie Verlaͤumder
der Natur gerichtet, als wenn fie verborben wäre und
uns einen falfchen Weg zeigen loͤnnte. Gie Hat immer
das Böfe verabfheut 9. Zwar Tann Sünde unfere Na⸗
tur verunteinigen, und verblenden, ber Gtrafe ung ſchul⸗
dig machen und von ber Seligleit uns zurädpalten; Her-
dert iſt fogar bereit zugugeben, baf eine Sünde mit dem
Willen Gott zu beleidigen eine ewige Strafe verdienen
würbes aber eine folhe Sünde und daher auch ſolche
Strafe Hält er für unmoͤglich. Die natürlichen Faͤhig ⸗
feiten, welche Gott auf fih und bie ewige Seligfeit ger
richtet hat, ließen fi) zwar in Schlaf wiegen und buch _
die Abweichungen der Freiheit vom natürlichen Wege zu
4) De causis error. p. TI.
2) De verit. p.266.,
. 9b. p. 8.
4) Ib. p. 132.
42
Srrtpümern verleiten, aber ausrotten ließen fie ſich nicht").
Den Menſchen kannſt du nicht ausziehn; bie Freiheit
lann den Sinn bes Böttlichen nicht ausloͤſchen . Hierin
geht Herbert fo weit, daß er fogar zwifhen Tugend und
Lafter nur einen Oradunterſchied findet”). Im der mitt,
lern Raufbapn, in welcher unfer Leben verläuft, können
wir weder ganz gut, noch ganz böfe fein. Daß wir fün-
digen Können, gehört zu ben geheimen Rathſchluſſen Got⸗
te6 ); wenn wir aber gefündigt haben, fönnen twir auch
durch aufrichtige Neue uns wieder zu Gott befehren und
feiner Bergeipung tpeilhaftig werben; daß bies nit aus
freiem Willen geſchehn könne, iſt eine heilloſe Lehre. Zwar
fol ung die Verzeihung unferer Miffetpaten nicht zu leicht
gemacht werben; .aber eben fo wenig kann Herbert bie
Lehre billigen, daß der Sünder der Gnade Gottes niht
mehr theilhaftig und gänzlich verworfen fe. Daß Gott
uns aus’ reinem Wohlgefallen verbammen follte, wider
ſpricht feinem Weſen 9.
Die Artikel des Glaubens, welde Herbert aus ber
naturlichen Religion zieht, find fehr einfach. Es if ein
hoͤchſter Bott; wir follen ipn verehren; Tugend und Froͤm⸗
migfeit find bie vorzuͤglichſten Theile ber Gottesvereh⸗
tung; über unfere Sünden follen wir Schmerz empfinden
und und ihnen entfchlagen; in und nad biefem Leben if
von der goͤttlichen Büte und Gerechtigkeit Lohn und
4) Ib. p. 104; the life p. 37 qq.
2) De verit. p.103. Negamus te. beminem exuere posse.
3) Ib. p. 41. ,
4) Ib. p. 280.
5) Ih 1.270; 218 2q.; 288. -
45
Strafe zu erwarten 1); bies find bie fünf Artitel, welde
fh unter den Deifen durch das Anfehn Herberns ver»
breitet haben 9. Er behauptet, daß fie algemein von
alten Bölfern anerfannt und nur durch Zuthaten willlür⸗
iger Art verbeit worden wären. Solche Zuthaten er⸗
ſcheinen ihm als ein natuͤrlicher Erfolg ber öffentlichen
Gottesverehrung, zu welcher wir doch verpflichtet wären,
weil eine fo öffentliche und mächtige Sache, wie die Re
figion, nicht innerhalb ber Privatwohnungen fi) würde
verſchließen Laffen. Er verwirft auch die Ceremonien bee
oͤffentlichen Religion nicht; fie dienen zum äußern Schmud,
dürfen aber nicht zum Wefen der Religion gemacht wer⸗
den; man foll fie auch zu Täfigem und unziemendem
Vomp nicht anwachſen laſſen ). Die religiöfen Tugen-
den Bleiben ber Haupttheil des Gottesdienſtes; aus ber
Hoffnung fol uns Glaube, aus dem Glauben Liebe, aus
der Liebe Freude und zulept ewige Seligleit erwachſen *).
Daß feine fünf Artilel zur Seligfeit genügen, if Herbert
beſcheiden genug. nicht behaupten zu wollen; tenn .bie
Gerichte Gottes. wären uns verborgen; aber er hält es
eben deswegen auch für verwegen das Gegentheil behaup⸗
ten zu wollen 9.
Wenn er fih nun zurüdhält von. der Berwerfung
aller Zufäge zu der natürlichen Religion, fo beruht dies
1) H. p. 268 sqg.; de-relig. gent. 1 p.2; 14; 15,
2) Er ruhmt fih ihrer Erfindung, welche ihn: glüdtier gemacht
habe als jeden Archimedes. De rel. gent, 16 p. 218. B
3) De verit. p. 271; 283. ”
4) Ib. p.274.
5) De rel. gent. 15 p. 217.
414
darauf, daß er neben der allgemeinen Vorſehung Gottes,
zu welcher auch die natürliche Religion gehört, noch bie
beſondere Borfepung zugiebt, Wie bei den Theofophen, fo
ſpielt dei ihm das Princip der Individuation eine große
Rolle. Go viele Unterſchiede es giebt, fo viele Wahrheiten
giebt es, bie Unterſchiede aber gehen aus dem Principe ber
Individuatlon hervor, welches in Bott liegt, weil alles End»
liche vom Unendlichen umfaßt wird. &o wie nun das Uns
endliche, fo find auch alle Unterſchiede un beftändig gegen»
waͤrtig und unfer Berkand bebarf nur der Erregung um fie
zu erlennen. Dies iſt die Analogie, welche zwifchen nuſerm
Berftande und der Welt fattfindet 2). Ihr zufolge haben
wir nun aber au ein jeder ein ‚befonderes Wefen, für
welches auch die göttliche Borfehung im Befondern wirft.
Daher fteht die befondere Gnade mit ber allgemeinen Nas
tur unter der hoͤchſten Vorſehung. Hierzu kommt noch,
daß Herbert meint, der Menſch fei einer befondern. Vor⸗
forge würdig als das Höchſte der: Schöpfung ). Au
vdieſen Glauben an die befonbere Gnade Gottes hält
Herbert für allgemein verbreitet und beweiſt dies aus
dem Glauben aller Bölter an bevorzugte Menſchen, Orte
und Handlungen, ‘aber befonders.an bie Macht bes Ges
bets, weldes Gottes befondere Borfehung anruft und
feine Hülfe erbitten zu Fönnen überzeugt if’). . Daher
i) De verit. p.10 sq.; p- 13 2qq.
2) Ib. p. 73. Ideo quia in homine religua animantia perfici
volsit deus, facultates ad virtutem et religionem ultra commu-
nes indidit. Ideo denique providentiae universalis_sive maturao
“ et particularis sive gratiae summa quaedam -providentia datur
utramque temperans.
3) Ib. p.269; 272.
a5
entzieht er fich nicht dem Glauben an Wunder, welche
nur nit Im Widerſpruch mit den Gefegen der "Ratur
ober dem Weſen der -Dinge ſtehen bürfen, und an befon-
dere Dffenbarungen, welche uns Gott unmittelbar oder,
durch, Hülfe anderer Geifter im Traume oder im Wachen
fenden koͤme H.
Hierdurch wird es ihm nun moͤglich neben der natür⸗
lichen eine poſitive Religion anzuerlennen. Ein allgemei⸗
nes Übereinfommen über bie Weiſen ber oͤffentlichen Got⸗
tesverehrung kann auf befondern Offenbarungen Gottes
beruhn; den Anordnungen der Kirche über diefelben Glau⸗
ben zu ſchenlen Hält Herbert für fromm 2). Alles dies
läuft aber nur auf Zufäge zu der natürlichen Religion
hinaus. So wie man feit Tanger Zeit gelehrt hatte, daß
dem natürligen oder göttlihen Rechte durch das pofktive
Geſetz etwas zugäfegt werben Bönne, fo nahm Herbert”
dasselbe auch für die natürliche Religion an. Die Gnade
Tegt zu, gleichfam einen Gipfel des Guten; ihre Zufäge
müffen aber nach ben Regeln der natürlichen Religion,
d. 5. nach den allgemeinen Orundfägen ber Vernunft beur⸗
theilt werden). Nach feiner religiöfen Duldung ift er
mum aber geneigt nicht zu großes Gewicht auf die pofi⸗
tiven Zufäge zu legen, weil fie ben Streit über religiäfe
Dinge erregt haben. Er betrachtet fie mit Mistrauen;
—
1) Ib. p.284; 289 sqq.; 296 2q.
2) Ih. p.285.
3) Ib. p.266. Quapropter ex sapientia universali praecog-
nita religionis sancienda sunt, ‚ut qnicquid deinde ex vero fidei
dietamine adjectum fuerit, tanquam superliminare et fastigiatum
aliquid substractione ista fulciatur.
x
46
Die einfache Wahrheit, welche alle Menſchen auerlennen,
iſt uns naturlicher als bie verwiclelten Irrthumer der Res
ligionen. Manche von ihnen haben die Phantaſien der
Digter oder bie Erfindungen ber Philoſophen beigemifcht
ein noch größerer Theil ſcheint dem Vetruge ber Prieſtet
zuzufallen D. Gott in feinen Werken zu verehren war
dem Menſchen natürlich; in her koͤrperlichen Natur des
Himmels fah man die Seele der Welt, in ber Seele ber
Welt Bottz aber dieſe urfpränglie Religion lich die
Verehrung Gottes bald auf feine einzelnen Werte über
tragen und bie Priefter fanden +6 vortheithaft fich ſelbſt
eine höhere Würde anzumagen, indem fie als Dolmetſcher
göttlicher Befehle fi darſtellten. So find verſchiedene
Arten des Gottesdienſtes herſchend geworben). Die
monnigfaltigen Geſtalten ber pofitisen Religion if: Her
bert geneigt meiftens auf die Millkür des wmenſchlichen
Geiſtes zurüdzuführen. Doc vertraut er, daß unter dem
veligiöfen Irrihum noch immer ein Bewußtſein der m |
tuͤrlichen Religion fih erhalten habe und fieht die Philo⸗
fophen ber Heiden als Träger dieſes Bewußtfeine An,
welches in der prißligen Religion eine allgemeinere An
erfennung ſich verfhafft Habe. Die Wiederherſtellung der
natürligen Religion bildet ipm das Weſen des Epriftens
thums, welchem aber durch ben hierarchiſchen Trug auf
wieder viel Unreines und der Streit der Parteien fih
angefegt habe 5).
1) 1b. p.272; de rel. gent. passim.
2) De rel. gent.2 p. 12 24; 3.19; 9 p.57. In corporea coeli
nalura animam ejus, in anima coeli deum ipsum venerabantur.
3) Ib. 16 p.230. So wie er die heidniſche Religion einey Kri
aad
Seine Loprk geht nun· auf vinr Reinigung: des Epri-
flen ſhums · von: fol den Satahen ns gen macht aber babei
nur im Allgemeinen feine Zweifel gegen bie poſtlive Re
ligion geltent, Den Buntleis:, and Wundern und Propher
zeiungen verwoinft: Ei: zwar /imicht zänzlich, aber hebt doch
die Schwierigleit ves Bermeifed :im hochſten Grade her⸗
vor ). Alles inne poſttiuen Religion: mürbt auf. der
Wahrhaftigleit der Hefündemi Offenbarung beruhũ. "Diefe
erlennt er tm: Migenspimerm anz iIn«feinem eigeuen Leben
will er ihre Zeichen erfahren haben; uber jeder Beweis
derfelben iR midlkh, > Geben wird feine. befanbere. Offen⸗
barung in feinen Yanstn: gegeben; ihm bezeugt fie fein
Gewiſſen; aber kaun ww: diefelbe Ubetzeagung him An⸗
dern gewähren? :: Was nicht auf ben Ausſagen der allge⸗
meinen. Natur beruhe/ kann nicht auf den allgemeinen Be
fall des menſchlichen Geſchlechts rechnen ). Herbert daher
bei aller. Hochachtung für die heilige Schrift und / die chriſ⸗
liche Überkieferung. kann ihgen doch nichts. anderis zugeſtehn,
als daß fie in Übergisfkinmmueng. mit der naturlichen Reli⸗
gion und, auf glaubwarbigen Zrugniffen betubend Wahr⸗
ſqheinlichteit gewähren amp zur "Erregung. unſerer From⸗
migkeit geeignet ku 9 ‚wur der. Beate, weiche die
tie unterworfen hatte ; an. 6 u ac im nt m
ligion erwarten, bie, er aber nicht. ausgefühst hat.
1) De verit. p. 308.
2) Ib. p.284. Neque enim ad humanım genus spectare
posse videtur, quod facultatum indicio communi non cbnstat.
Ib. p. 288 24. Quod enim tanquam revelatum ab’aliis. aceipitur,
non jam revelatio, sed 'traditio, sive kistoria habenda est.
3) Ih. p. 203; 298 2qq. Die feitige Sqhriſt ſel verilatis eiri⸗
tate donata; die Heifige Geſchichte biete zwar nichts, was nit durch
Geſch. d. Phileſ. x. 77
8
allgemeinen Brunkfäge wnh: ‚ben: iungre Rrhterfnht und |
gewähren, laun kein AnfenchnBeugniß,.: der Wapıhei ſich
vergleichen. eb ml ner
Raqchdew fo viele Nachfelger. herdert Auf berfelben Bahn
gewandeit, ſollte die Rihtungıfeinot Weges. xicht ſchwer zu
erlennen fein, Er nennt fh ‚cine Laien in der Theslogie,
auch in der Geleheſamleit iſt ca urx Liebbaber, doch glaubt
er über Thealegie und Gelchr ſornleit sin vollgüktiges Urtheil
su haben, Er verttant aben dem gaſachen Menſchenver⸗
Rande, dem naturlichen Jaftinkte, ein würdiger Naqhfolger
der Theoſophen aus der Schule des Yaracelſus. Sein Kampf
AR gegen die wohlgeſchulte, genen die aherladene Gelehrſam⸗
Seit, welche über ungeprüfte: odre unwerßetibene überlieferun⸗
gen bie Natur und den Gruud deu, Dernänftigen Bildung
vergefien hat. Giegen bie ausgsinetenen. Bahnen des Bor⸗
urtheils find feine Griffe fäpm und; zumeilen glüdlich.
Er hat sin: Gefäpl der Rranfpeit, welche im Streite der
religioͤſen Meinungen fi erzergtihat; er moͤchte ber Em
pfiadlichkeit / ſeuern, welche über die: geringfügigen Abwei⸗
quugen bie: Übereinfiunmung an Wehenttichen zu überfer
ben in Gefar gerath. Man Hat ihn daher zu ben dati⸗
tudinatiern gezaͤhlt, aber. er gehört vielmehr. zu den Maͤn⸗
nern, welche in allem Poftiven nur den menſchlichen Zus
fag und eine willlürliche Verſtellung der urfprünglichen
Natur argwopnen. Dem natürlichen Inftinkte vertrauend,
welcher in uns wohnt, vbegünſtigt er die Meinungen nicht,
die Objecte und unfere Fahigkeiten erkannt werben könnte; aber fie
vertrete die Stelle der Objecte, gebe bie fihdnften Beifpiele der allger
meinen und befondern Vorſchung Bottes. und bie allgemeinen Grund:
Füge wurden durch fie auf das träftigfte angeregt.
. 49
welche alle unſere Grlenminig der Wahrheit von außen,
von den Ginnen erwarten; fo wie er von ber Geſchichte
der Bernunft nicht mehr ale eine Ersegung unferer alls
gemeinen Kenntnifle erwartet, fo fol auch die Geſchichte
der Natur und nichts mehr bieten, Das Sinnliche if ihm
ziemlich gleichgültig, weit ihm fein Inſtinkt eine religiöfe
Belehrung über das Sittiche und Überfinnlihe vers
ſpricht. Im diefer Weiſe glaubt er in Befig einiger Wahr⸗
heiten den Wandel der finnlichen Körperwelt überflogen
zu haben. Er achtet nun aud die wandelbaren Entwid«
lungen ber Vernunft gering, obgleich er anerfennt, daß
wir von ber Natur zur Freiheit entlaſſen werden follen,
und im Vertrauen auf die innere Stimme fommt es ihm
wenig darauf an den Plan ber Borfehung zu erforfchen,
welcher bie veligiöfen Entwidlungen der Menfchpeit ges
leitet hat. Dex Jerthum, welchen er mit zahlreichen Nach⸗
folgern teilt, beruht weſentlich darauf, daß Überzeuguns
gen, welde bie Frucht der Zeiten geweſen find, für ur⸗
fprüngliche Ausſprũche der Natur gehalten werben. Aber
darauf berupt bie Kraft feiner Lehre, daß er dem Bor-
urtpeile widerfpricht, welches unfere Natur für gänzlich
verdorben Hält und die xeligiöfe Überzeugung, wie fie
auch im Laufe der Zeit fih offenbart haben möge, von
ihrer natürlihen Grundlage ablöfen wil, Was er in
diefem Sinn gegen die verwidelten Streitigfeiten ber Theo⸗
Togie vorbrachte, mußte ſich einer Zeit empfehlen, welche
ermũdet im religiöſen Kampfe alles auf das Urſprüng⸗
liche gurädfüpren wollte, in der Welt nichts höheres kannte
als das Gefeg der Natur und in ihm das höchſte Ges
feg Gottes, wenn nicht Gott felbft, zu erkennen glaubte,
27*
2. Die Borgänger des Bugs Grotius im Ra—
turreht.
Rad dem Borgange Melanchthons waren unter den
Proteſtanten wiederholte Verſuche gemacht worden bie
philoſophiſchen Lehren über Net und Glaat weiter zu
entwickeln. Die Ergebniſſe waren jedoch mur gering und
hatten feine durchgreifende Anerlennuug ſich zu derſchaf⸗
fen gewußt. Den beſten Männern, welche an ihnen ar⸗
beiteten, lann man doch nur als Vorarbeitern des Hugo
Grotius Bedeutung beilegen I.
Schon der Juriſt Johann Oldendorp, ein Zeil
genoſſe Melanchthon's, der feine Anhänglichkeit an bie
Reformation durch manderiei Anfeindungen hatte bäßen
müffen, bis er als Profeſſor zu Marburg Ruhe fand,
fuchte eine Vereinfachung ber Jurisprudenz durch die Zu⸗
rüdführung ihrer Grundſaͤtze auf die Vernunft zu gemin
nen. Das Recht der Natur Teitete er von dem Funlen
des göttiichen Lichts oder der Vernunft ab, welcher nad
dem Sandenfall den Denſchen Abrig geblieben 2). Das
bargerliche Recht iſt dh eine genauere Beſtiaimung ober
Ausdehnung des naturlichen Geſetzes nach wahrſcheinli⸗
chen Gründen, welche in verſchiedener Weiſe ausfällt,
weil ‚fie nach den drei Formen des Staats und nach am
dern Umfländen fi gu richten hat ). Das natikilih
1) Vergl. C. von Kaltenborn die Worläufer des Quge: Gratis
auf dem Gebiete des jus naturae et gentium fo wie der Yotitif im
Reformationsgeitalter. Leipj. 1848. Die Sqhriſten Olddorp’s, Han
ming’3 und Winters citite ih nach der Autgabe, welche dieſer Schrift
beigefügt in
2) Juris naturalis et cirilis elsayayz; tit. I.
3) Ib. de. IV p.17.
Geſet iſt durch die Offenbarung veröffentlicht worben und
überall ſollte man in der Unterfuhung des Mechte auf
die Offenbarung zurüdgepn, denn in biefer fei die-Norm
für die Erklärung des Naturrechts zu fuhen). Seine
dorſchungen ‚über das Einzelne gehen aber nicht weiter
als auf eine Zurädführung der verſchiedenen Rechtsfor⸗
men auf die gehn Gebote”). Es if hierin kein weſent⸗
licher Fortſchritt gegen ben Standpunkt zu entbeden, wel-
sen ſchon Melanchthon eingenommen hatte,
Weiter vorzudringen firebte Nicolaus Hemming,
ein Daͤniſcher Theolog, welcher bis zu feinem Tode an Ende
des 16. Jahrhunderts mit den Theologen feines Vaterlan-
bes zu Rreiten hatte, In feiner Schrift über das Naturger
feg if der Berfu merkwürdig alles nad mathematifcher
Methode zu beweiſen. Die Philsfophie des Rechts, in
ihren: Grundfägen von ber Moral abhängig, if nicht
weniger genau zu beweifen als die Matpematit 5). Das
Geſetz der Natur if uns im Gewiſſen geſchrieben, von
Gott eingebrüdt, allgemein für alle Vernunft; Hemming
führt es auf einen Inftinkt der Natur zurück ). Es bes
herſcht das öfonomifche und das politiſche Leben, welche
beide das geiſtliche Leben zum Zwed haben. Wie Me
lanchthon bezieht nun auch Hemming die Gefege der ers
fen Tafel auf bie Iegtere, die Geſetze der zweiten Tafel
auf die beiden erſten Arten des Lebens 5). Aber er wil
1) B. tit. I p. 11; tit. IV p 15
2) Ib. tit. V.
3) De lege natarae p. 29 sq.
4) Ib. p. 32. “
5) Ib. p. 36 29.
doch nichts auf Offenbarung gründen, vielmehr fehen,
wie weit unfere, wenn auch durch die Günde verdunlelte
Bernunft reicht. Hierbei geht er aber auf fehr allge⸗
meine Betrachtungen aus, indem er nicht allein das reiht:
liche auf das ſittliche Leben zurüdführen will, fonbern
auch bie Unterordnung ber Stände im Staat, damit ber
Anarchie begegnet werde, auf die Grade der Dinge nad
Raimundus Lullus zurädbringt, das Geſetz ber Natur
in fo weitem Sinn faßt, daß ſelbſt das Geſetz des Er⸗
lennens ihm zufaͤllt, die Earbinaltugenden des Platon,
die Eintheilungen der Gerechtigkeit, welde Ariſtoteles ger
geben Hatte, zur Entwidlung feiner Lehren gebraucht d),
genug in elleltiſcher Weile die Lehren der frühern Philo⸗
foppen benugt. So glaubt er, daß es gelingen werde
das bürgerliche Recht auf das natürliche Geſetz zurüchu⸗
bringen, indem er dabei die Billigkeit im weiteſten Maße
berädficptigt haben will 2.
Diefelde Zurüdführung des Rechts auf das fittlihe
Gebot Hatte Albericns Gentilis im Auge, ein Jtalie⸗
niſcher Juriſt, welcher dem proteftantifchen Glauben zuge
than feine Zuflucht erft in Deutſchland, nachher in Eng
land, wo er 1611 als Profeffor zu Orford farb, Hatk
ſuchen müffen. Seine Schrift über das Recht des Kriv
ges if merkwürdig, weil fie als nädfte Vorläuferin des
Hugo Grotius in einem ähnlichen Unternehmen angefehn
werben muß. Er fpricht gegen bie Feinde des Naturrechte,
indem er ed aus einem unveränderlichen Inftinft der Rv |
tur ableitet, obgleich ex geſtehn muß, dag Irrthum und |
1) Ib. p.34 sq.; 36; 42. . |
2) Ib. p. 42. |
|
Leidenſchaft ſo mächtig ſind uns. fehb der Natur unge
treu werben zu: laflen und daß bie Sünde nur einen
Theil des göttlichen Rahts.fn und unverbunfelt gelaffen 2).
Den Krieg ſieht er als einen Beweis hiervon an, denn
der natürliche Inſtinkt könne ihn nicht billigen. Wenn
alle Menſchen ihrem natürlichen Triebe folgten, fo würbe
Seine Zeindfepaft unter ihnen herſchen, weil uns aus uns
ferer Verwandiſchaft unter einander nur die Neigung zur
Gefelligfeit und gegenfeitige Liebe ſtammt, welche über
alle Voͤller, Bollögenofien und Barbaren ſich erfiredt 2).
Aber ein Recht erhalten wir. allerdings auch zum SKriege,
wenn mir ungerecht angegriffen werden und fein höherer
Nichter vorhanden iſt, welcher zwiſchen uns und unfern
Feinden entigeiden fann. Dann bürfen wir unfer Recht
veriheibigen und es beruht daher auch der Krieg auf nas
türlihem Rechte und ſetzt den Begriff der Gerechtigkeit
voraus). Daher. fohen wir auch im Kriege das Recht
bewahren und eingebent ber natürlichen Verwandtſchaft
unter allen Menſchen ihn in menſchlicher Weife führen.
Hieräber geht Gentilis in viele einzelne Unterfuchungen
ein, welche jeboc eine zu wenig philoſophiſche Haltung
zeigen, als daß wir fie hier weiter verfolgen bürften.
- Bebeutender als die vorher angeführten Verſuche iſt
das, was Benedict Winkler, ein deutſcher Juriſt und
Zeitgenoffe des Sugo Brote +), für das Naeh uns
H De jaro bei I, 1 p.5; 10.
2) Ib. 1, 15 p. 107 sqq,; II, 2 p.475.
3) Ib. 1, 2 p.20; 3 p.22 2q.; p-3l sg; 13 p. 92 sg.
4) Seine Sgrift principioram jur Mbri V it m. Sepp
1615 erſqhienen.
ternahm. Davon ausgehend, daß feine einzelne Wiſſen⸗
ſchaft ihre Grundſaͤte beweiſen kömie, fordert er daß bie
Rechtewiſſenſchaft gu ihrer Begrädbung auf bie allgemei⸗
nen Duellen aller Wiſſenſchaſt urüdgepen müfle. Diele
Quellen aber ſucht ex in zwei allgemeinen Wiſſenſchaften,
der Philoſophie und der Theologie ?). Alles Recht geht
vom Befege Gottes aus und Die Rechte der Eimeinen
fliegen nur aus dieſem Gefegez denn Geſetz und Recht
verhalten fih wie Urſach und Wirkung zu einander 2).
Die göttliche Gerechtigkeit iR daher auch das Vorbild der
menſchlichen und bie Vernunft follte. fie uns offenbaren,
Da jehoch diefe durch die Sande verdunlelt worden, kaun
unſere menſchliche Philoſophie das Reit nicht allein aus der
Bernunft fhöpfen, ſondern wir. beduͤrfen zur Erkenntniß
desfelben in feinem gangen Umfange der. Offenbarung 5).
Bott als der Grund aller Dinge, als die Quelle alles
Nechts, welches nur mittelbar von der Dbrigkeit fommt,
Hat alle Weſen mit .fih und alle Menſchen unter einans
der in Liebe werbunden und dieſe ik das volllommene
Naturgeſetz. Daher gehört auch bie Religion, welche
ihr Weſen in der Seele hat, dem Naturrechte an. Sie
iſt aber, wie die Sagen jetzt ſteha, nur durch Offenbar
sung uns zugänglich und nur unter Grommen wird bas
Gefeg der Liebe annäperungsmeile geübt. Im allgemeir
nen Berfehre der Menfchen muß an-bie.Stele ber Liebe
die Klugheit treten und dabei auf das Urtheil der Menge
ren
1) Prioe. phil. I, 27504 = .
2b. U, 1.966. en ”
3) Tb. 1, 3 9.56; 58; Gh nggı
ABS
gefehn werdent). Daher haben wir zwei Arien des
Naturrechts zu umterfpeiden, das früpere und das
ſpaͤtert. Das frühere, welches vor dem Hall des Men
fen galt, umfaßt alle Moral; das fpätere gilt für alle
Bölter und wird daher das Vollerrecht genannt ). Da-
her betrachten Theologen und Juriſten das Recht von
verſchiedenem Standpunkte. Der Theolog, welcher alles
auf das ewige Heil bericht, bedenkt das frühere Naturs
recht; der Juriſt Hat nur das Theilchen bes Gefeges im
Ange, welches nach dem Ball übrig geblieben if, und
forgt für das zeitliche und politiſche Wohl des: Menfchen.
Darum hat fi aber auf die Rechtswiſſenſchaft als eine
Dienerin der Theologie zu betrachten, weil das politiſche
Wohl dem ewigen Heile dienen fol. Seitdem Sünde
und Leidenfcpaft die Menſchen beherſchen, iſt es nothwen⸗
dig geworben das urfprüngliche Naturrecht, fo weit es
mit unfern gegenwärtigen Zuftänben beſtehen kann, mit
Schutzmitteln zu umgeben und hierzu fol das Recht der
Juriſten dienen *).
Diefe Schutzmittel führen aber auch noch zu einer
dritten Art des Rechts, zum pofitiven Rechte. In dem
aurfprünglichen Gefege der Liebe beflanden weder Eigen
thum noch Sklaverei, noch Vertraͤge; fle find erſt einge
führt worden, als an bie Stelle ber Liebe Leidenſchaft
getreten war. Da if Ungleipheit unter den Menſchen
4) Ib. I, 15 '3'p. 62; DI, 1.p. 69.
2) 1b.1,3 9.63 2q; II, 6 p.89.
3) Ib. I, 7 9.72; V, 13 9.188. J
4) Ib. IV, 1 p.95; 2 p.97. wu
entftanden, wärend früher alle ſich gleich waren ?). Dieſe
Einrigtungen, obgleid nicht im Einklang mit dem Geſehze
ber Liebe, ſind doch nicht opne Vernunft eingeführt worben,
weil wenigſtens bie äußere Gerechtigleit gefhügt werben
mußte, nachdem bie innere verloren war. Die Rechts⸗
wiſſenſchaft hat nur jene zu beforgen, weil ber Menſch
das innere Herz nicht beurtheilen lann und bloße Ge
danfen bie politiſche Zucht nicht ſtören ). Die Vernunft:
mäßigfeit jener Einrichtungen wird von Winkler mehr
vorausgeſetzt ald bewieſen; er fügt fih weſentlich nur
darauf, daß fie bei vernünftigen Tpieren nicht vorkom⸗
men, wohl aber bei allen Dienfchen, unter allen Völkern,
Daper follen fie als Sache des Voͤllerrechts und als
Grundlage bes bürgerlichen ober pokitifhen Rechts gelten.
Diefe dritte Art bes Rechts entfpringe aber erſt aus ber
Einrichtung des Staats. Im Vöoͤllerrechte bilden ale
Menſchen gleichſam einen Staat *). Wegen ber Verſchie⸗
denpeit der Menſchen haben ſich aber verſchiedene Staa⸗
ten gebildet und Obrigfeiten eingefegt um das natürliche
Recht duch Macht zu fügen‘. Wie fepr nun auf
Winkler der Willfür der natürlichen Bernunft vertraut
und fie in Feſtſtellung der poſitiven Geſetze walten laͤßt ),
fo verläßt ihn doch der Gedanke nicht, daß hinter der
Wilkür der Menfchen noch ein tiefeser Grund des pofitis
ven Rechts zu ſuchen fein dürfte, und dieſer Gedanle
1) 1b. 1, 9 p.75; I, J IV, 12.P-112 4
2) I. 1,7 p.72.
3) Ib. IV, 5 p. 100.
4) 1b. 1, 3 p.63 2q. J
5) Ib. V, 1 p. 120. wish bo IR."
427
tritt zuweilen in fehr ſchlagenden Bemerkungen hervor.
Die Geſellſchaft der Menſchen entfieht nicht plöglich, nicht
in einem Entſchluſſe; fie wäh im Berborgenen und Vie
Vollendung der Geſellſchaft im Volke ergiebt ſich allmälig
aus niedern Graben der Gemeinſchaft; fo iſt auch bie
Gewohnheit früher als das pofitive Gefeg ). Die pofis
tiven Gefege find veränderlih, aber nicht ohne Grund
follen fie verändert werben; fie ſtammen aus Gott, wel
ger der Obrigkeit in ber Gefeßgebung als feines Mittels
ſich bedient. In allen Arten des Rechts iſt nur eine wir⸗
tende Urſache, die Vernunft, und nur ein Zweck, das Gute;
die politifche Geſellſchaft hat ihre Vorbilder und Keime
in der Natur und in Gott, welcher ber Grund aller
Dinge iſt ). Diefen Grund zu erforfcpen, dazu möchte
Winkler die Juriften anleiten.
Bon den Vorgängern des Hugo Grotius iſt Winfler
unftreitig ber bebeutenbfle. In das Einzelne jedoch drang
er nicht tief ein; alles, was bei ihm über die allgemei⸗
nen Grundfäge hinausgeht, behandelt nur einige Streit:
fragen, welde. den Juriften befonders nahe liegen, im
etleltiſchen Sinne eines gemäßigten Platonismus. Seine
Unterfuchungen über das Recht beruhen auf einer umfichtigen
Überlegung über die menſchliche Geſellſchaft, wie fie von
der Erfahrung an bie Hand gegeben wird, Dennoch
brachte fie nicht zu Wege, worauf die Richtung der Zeit
binaxbeitete, nemlich bie Rechtslehre als eine befondere
Wifſenſchaft zü faffen, welche unabhängig von den Bors
4) Ib. V,:3 p.124; 130.
2) 1b. 1,1; V, 7 p.136; 13 p.183; 15 pa.
ausfegungen ber Tpeologie und ber Metaphyſit ſich durch⸗
fahren ließe. Dies hat erſt Hugo Grotius verſucht und
iſt dafür mit dem Beifall feiner und der folgenden Zeit
überhäuft worden.
3. Hugo Grotius.
Geboren 1583 zu Delft, aus einem ebien und anges
fehenen Geſchlechte, lam Hugo Grotius bei ausgezeichne⸗
ten Gaben und einer forgfältigen Erziehung in jungen
Jahren zu einer einflußreihen Stellung in der Verwal⸗
tung feines Landes. Zu dieſem Zwede hatte er ſich der
Reqhtswiſſenſchaft gewidmet. Er gehört aber zu den Mäns
nen, welde durch eine umfaflende Gelehrſamleit einen
allgemeinen Ruhm in den Wiſſenſchaften ſich zu begründen
wußten. Seine Ausgaben und Überfegungen alter Cloſ-
fifer, feine Lateiniſchen und Holändifhen Gedichte, feine
Geſchichtswerle, feine juriſtiſchen und politischen Scpriften,
feine umfaflenden theologifchen Arbeiten wurden zu dem
Beſten gezaͤhlt, was die Zeit brachte. Sein Leben greift
tief in die theologiſchen und politiſchen Händel des 17.
Jahrhunderts ein 1)3 wir würden uns zu weit verirren,
wenn wie es in feinen Einzelheiten ſchildern wollten,
Es if befannt, daß er für die Freiheit des menſchlichen
Willens fireitend der Partei der Remonſtranten ſich an
ſchloß und mit ihr fiel, Gefangenſchaft dulden mußte
und in einer Büchertifte verſchloſſen feine Freiheit gewann,
aber fein Baterland. zu meiden genöthigt war. In Par
1) Bergl. H. Luden Hugo Grotius mi lns Okt und
Säriften. Be. AG. : -
289
ris fand’ er Zuflucht und Unterfkägung. Oiler gab er 1625
fein berüpmteß Wett über Das Recht bes Krieges und
des Friedens heraus, welches faſt allein won allen feinen
Sihriften unfere Aufmerffamkeit fordert. Nachdem. die
Hoffnung geſcheitert war in feinen Baterlande eine nöl-
lige Wiederherfiellung zu erlangen, verbrachte er ben letz⸗
ten Theil feines Lebens bis zum Jahre 1645 in Schwe⸗
diſchen Dienften, zu melden ihn Orenfierna berufen hatte,
als Geſandter am Zranzöftihen Hofe, weniger ausgezeich ⸗
net in Geſchaften, als in den Werten dee Belchrfambeit,
welche er durch fein ganzes Leben mit Liebe betrieb.
Den Erfolg,. welchen feine Schrift über das Recht
des Krieges und des Friedens I) gehabt hat, verdankt
fie nicht allein dem Inhalte ihrer Lehren, fondern auch
dem Ruhme bes Verfaſſers, dem gewählten Lateiniſchen
Ausdrude, der methodiſchen Genauigkeit, mit welcher die
Lehren an Begriffserllaͤrungen und Eintheilungen gebun⸗
den werben, ber Gelehrſamteit und dem Geſchmadce, mit
welchen alles durch Beifpiele und Auoſpruche ‘der Alten
erlaͤutert wird, und vor dem der Maͤßigumg und dem
wilden Sinn, mit welchen fie Menſchlichteit, Treue nad
Schonung ſelbſt unter den Schreden des Krieges empfielt.
Hugo Grotius ſelbſt, indem er ben Plan ſeines Wertes
auseinanderſetzt, Tegt beſonders darauf Gewicht; daß er
feine Orundfäge über das allgemeine Recht aller Voͤl⸗
Ser den. unmenſchlichen Gemohnpeiten.. bes Krieges entge ⸗
gergufegen für nöthig gehalten habe >. Sein Plan. u
1) 36 gebrauche die Ausgabe Hayası Com. 1680, wie un.
die Schrift de marilibero angefügt iR.
2) De jure belli ao pacis prol. 28.19;
40
fprändt fich: hierauf nicht; ex wi vielmehr für die deechts⸗
wiſſenſchaft überpaupt arbeiten und ihr erſt Die Form eis
ner Wiſſenſchaft geben, indem. er ihre natürlichen und
ewigen Grunbfäge aufſtellt uud von ber Willlür des por
Rlinen Rechts ausſcheidet, weiches in beftänbigem Fluſſe
feiner Ratur nad feiner wiffenfpaftligen Bebandlung
fähig fei!); aber der Titel, welgen er feinem Werke
‚gegeben, bie Ausfäprung, welche ben Titel nicht außer
Augen läßt, eben: fo ſehr als einzelne Kußerungen 9), ge:
ben zu erlennen, daß jene Rücſicht befonders von ihm
beachtet wurde.
Bas ihn nun von feinen Vorgängern im Ganzen ſei⸗
mes Unternehmens unterſcheidet, ift bie Strenge, mit
welder er auf das Gebiet der Rechtswiſſenſchaft ſich bes
fgränft. Er will über das Recht philofophiren, glaubt
aber nicht nöthig zu haben dabei allgemeinere Grunbfäge
der Philoſophie zu Rathe zu ziehen; wenn fie ſich auf
draͤngen, fo geſchieht es wider feinen Willen. Eben fo
fließt er die Theologie aus, obwohl fie feinen Gedan⸗
entreife ſehr nahe ſteht. Geine Haltung gegen die Theo
logie iR fehr bezeichnend für feine Anfiht- vom Natur⸗
seht. Er behauptet noch den alten Bang ber Rechts⸗
lehrer das allgemeine Geſetz als das Erſte und die Rechte
der Einzelnen nur als eine Folge des allgemeinen Rech ⸗
1) 1b. 30 2q.
°2) H. Grotüi epistolae (Amstelod. 1687) 280 p.104. Libris
de jurs belli et pacis id praecipue propositum habui, ut feri-
tatem illam non Christianis tantum, sed et hominibus indignam
ad bella pro Iubita auseipienda, pro lubita gerands, qusm glis-
cere tot populorum malo quotidie video, gqentım in me essel,
sedarem. Ib. 875 p.384. .
tes anzufehn; Gott Hat Befege in den meuſchlichen „Bei
geſchrieben; er iR ber Grund nicht allein ber ftir
hen Unterſchiede und des allgemeinen Naturrechts, auch
nicht allein der offenbarten Geſetze ber.fübifchen md der
chriſtlichen Religion, fondern aud ber. poftiven Gefege
des Staats H. Aber das Recht. ſcheint ihm eine Sache
zu fein, welche ganz unabhängig vom Sein und Willen
Gottes gedacht werben kann; wenn aud Gott nicht wäre,
würde Recht doch Recht bleiben, und feine Natur iR fo
unveraͤnderlich, daß fie auch von Gott nicht geaͤndert
werben kann. Eben fo wenig als Gott wollen kann, daß
Widerſprechendes wahr ſei, eben ſo wenig lann er Recht
in Unrecht verwandeln 2). Da nun aber doch bie pof-
tive Gefeggebung Gottes durch bie Offenbarung ihre Ber-
änderungen erfahren hat, fo betrachtet er fie auch nicht ale
Beſtandtheil des natürligen Rechts. Er unterfcheidet
daher au, in ähnlicher Weife wie Herbert, die Glau⸗
bensartifel der natürlichen Religion, welche dem natürli⸗
chen Recht angehören, deren Berlegung alfo auch beſtraft
werben darf”), von den Zufägen, welche bie pofitive
1) De mari libero dedic. p. 1 »q.; de jure belli ao pac. prol.
12; 1,1, 15.
2) De jure belli ac pac. prol. 11. Die Nehtsfäge würden
wahr fein, etiam si daremus non esse.deum. Ih. I, t, 10, 5.
Est autem jus naturale adeo immutabile,' ut ne a deo quidem
mutari quest. — — Sieut ergo, ut bis duo non sint quatuor,
ne a deo quidem potest effici, ita ne hoo.quidem, wt u qued
intrinseca ratione malum est, malum non sit,
3) Ib. 11, 20, 44 sqg. Seine Artikel bes natürlichen Glaubens
find noch beſchrankter als Herbert’85 fie fliegen’ die : öffentliche Ver⸗
chrung Gottes und die Unſterblichkeitslehre aus. Ib: 49. Mie Her⸗
Belgien gebrait yabe und melde fjm als cine Chir:
fung des natürlichen Rechts erfheinen ). Bon allen
folgen Zufägen follen mir num abfehn, wenn wir bie
naturlichen Gebote uud Grundlagen des allgemeinen Rechts
erforigen wollen.
Doc find ihm dieſelben wit in ber Natur aberhanpt,
ſondern in ber menſchlichen Natur begründet. Zwar ers
insert ex fih an das allgemeine Naturgefep, welches ei-
nem feben Dinge bie Erhaltung feiner ſelbſt mit allen
üpren Folgen verjgreibt; aber bie Erpaltung ber Perfon
ſoll auch nur der Expaltung bes Höhen in uns, ber
Bernunft, dienen ®). Daper gefällt ihm auch nicht bie
Crtlärung des Naturrechts bei den alten Juriſten, welde
behauptet, daß die Ratur es alle Thiere gelehrt Habe,
vielmehr dem Vieh komme Seine Gerechtigleit zu, außer for
fern ein Schatten der Vernunft in ihm fein möchte 5), Der
Menſch dagegen Reht im Gegenſatz gegen bie Raturz ihm
dat Bott die Herrſchaft über bie Natur verlichen ).
Sein Borzug nor allen übrigen Geſchoͤpfen iſt der Trieb
aus Geſelligkeit, welcher in Seiner andern Art ber Tiere
in foldem Grade und folder Ausbildung gefunden werde,
mit welchem feine Sprachfaͤhigkeit zufammenpänge, durch
welchen fein Eigennug beſchraͤnkt werde und welder um
Wert if er auch fehr wichani und Halt bie Teranung der Proteflan-
ten son der Batholifgen Kirche nicht für geredjtfertigt; er arbeitete an
einee Bereinigung der Kirchen. S. die Stellen, welche Anden S. 300ff.
hat.
1) De jure beili ac pac. II, 1, 10, 1; 13, 1 24
2b. 1l,2,1,124
8) 1b. I, 1,11, 2.
%1.D,2, 2,1.
13
ter ber Leitung allgemeiner, dem Verſtande inwohnender
Grundfäge fiehe ). Auf dem Iegtern Punkt Tiegt befon-
ders Gewicht; es iſt nicht ein Juſtinkt, welcher wie
ein äußeres Princip ber Einfiht uns zur Bewahrung ber
Geſelligkeit führt, fondern in ung ſelbſt Hegt das Urtheil
über Recht und Unrecht, welches nach dem Gebote ber
richtigen Vernunft und der gefelligen Natur von und ger
fält wird. Auf die Bewahrung ber Gefelligfeit zweckt
daher. alles Recht ab 9.
Daher Iegt nun Grotius in allen feinen Unterfuchungen
über das Recht dad größte Gewicht auf die und einges
bornen Urtpeile und Beflrebungen 5), Die Rechtswiſſen⸗
ſchaft fol auf ihre ſichern Grundfäge zurüdgebracht wer⸗
den durch bie Erfenntnig ber uns eingebornen Begriffe.
Eine populärere Erkenntniß des Rechts laͤßt fih freilich
wohl durch die Erfahrung beffen, was als Recht gilt,
erreichen; fie bietet aber immer nur Wahrſcheinlichleit; nur
a priori {ft eine fihere Erforſchung des Naturrechts mög«
199, Ein fiherer Sinn in der Erkenntniß der allge
meinen Rechtswahrheiten Ieitet und; ex hat biefelbe Un-
trügfichfeit,, wie der gefunde äußere Sinn 5). Democh
will Grotius nicht behaupten, daß in den moraliſchen
Wiſſenſchaften diefelbe Gewißheit erreicht werben Lönne,
welde der Mathematik beiwohnt. Ihn ſchreckt, daß uns
1) Ib. prol. 6 sq.; 9, 2. Den übrigen Tieren gefteht Gr. nur
din principium intelligens extrinsecum zu. 1b. IL, 20, 5, 7.
2) Ih. prol. 8; 1, 1, 10, 1; 11, 20, 5, 1.
3) Ib. 111, 19, 1, 2. Societatem, quam ingenerarit natura,
41. 1,1, 12, 1.
5) Ib. prol. 39. v
elch. 8. philoſ. x 28
234
fere Vernuuft durch die Günbe verbunfelt if. Daher
lauten bie Ausfprüce des Gewiſſens nicht überall entſchei⸗
dend. Die Regel, wo du zweifelſt, da handle nicht, läpt
ſich in praftifhen Dingen, wo bie Noth zum Handeln
drängt, nicht durchführen; mit dem Ariſtoteles meint er
aud dem Wahrſcheinlichen mäßten wir folgen und den
Rath der Erſahrenen nicht verſchmaͤhn; zwiſchen dem Acht
und dem Unrecht ſchiebt er das Erlaubte ein, über wel⸗
ches uns bie Wapl zuſtehe, fo daß in ſittlichen Dingen
nicht ſolche reine Gegenfäge herfchend wären, wie in der
Mathematit 1). Alles dies giebt zu erkennen, daß im
die Unſicherheit feiner algemeinen Grundfäge zit gan
entgangen iſt.
Den Grund feiner Säwanfungen wird man im Als
gemeinen barin erbliden Können, daß er von einem Ideal
der menschlichen Gefelligfeit ausgeht, welches er mit der
Wirklichteit nicht in Übereinftimmung findet, und dah m
doch feine Vorſchriften über das Recht der Mirklihteit
anpaffen und fruchtbar für das Handeln machen wil.
In aͤhnlicher Weife wie Winkler unterfpeidet er das erft
oder reine Naturrecht, weldes vor allem Eigenthum, ja
vor jeder menſchlichen That befland, von bem zweiten |
Rechte, welches Eigenthum, Verſchiedenheit der Böll
und Staaten, Sklaverei und Krieg vorausfegt 2). Hier.
durch aber befonders wird fein Begriff vom Naturrecht
fopwanfend, daß er das Iegtere, obgleich es feiner An⸗
ſicht nach nicht aus der natürlichen, ſondern aus ber dit
1) Ib. n, 23, 1.090.
2) Ib. 11, 2, 2,158, 1,1; 22, 11.
435
dorbenen Vernunft ber Menfchen hervorgegangen iſt, doch
als Naturrecht betrachte, Das Ideal der menſchlichen
Gemeinſchaft wird von ihm nicht allein als Zweit, fondern
auch als urfprünglich vorhanden gefegt, ja er meint in
jener urfprünglichen Gemeinſchaft hätten wir bleiben Töns
nen, wenn wir ber Sitteneinfalt und der Liebe, uns
nicht entſchlagen hätten. Wenn er auch bie Sitteneinfalt
nicht Hoch anfchlägt, vielmehr Unkunde und Roheit in ihr
erbiickt, fo gilt ihm doch die urfprüngliche Menfchenliebe
für etwas Volllommenes, welches auch jegt noch in ber
Gütergemeinfchaft. erreicht werden koͤnnte D. Diefe Mens
ſchenliebe, welche uns befielt unſern Nächften zu Tieben,
zwar nicht über uns ſelbſt, aber doch wie ung ſelbſt ),
welche uns auch im Feinde, ja im Tprannen und Räuber
den Menfchen erkennen und jede Verſchiedenheit der Völ⸗
fer überfehen Täßt, fo daf bie Führer ber Välfer vor als
lem Dienfchenfreunde fein ſollen 5), fie ik nun der Grund⸗
gebanfe feines Naturrechts. Aber daß er aus ihm bie
Grunbfäge feiner Rechtslehre nicht ableiten Tann, Teuchtet
hervor aus feinen Klagen, daß die Gebote des Natur«
rechts in Bergeffenheit gerathen und bag nun neue. Ber
träge gefeploffen werben müßten um fie wieder geltenb
zu machen, weil viele Völker das Naturrecht für verfäprt
1) Tb. II, 2, 2, 1 sqq. Neque is status durare non potuit,
si aut in magna quadam simplicitate perstitissent homines aut
vixissent inter se mulua quadam eximia caritate,
2) Ib. I, 3, 3, 3. Proximum amsre juxia nos ipsos, non
prae nobis ipsis.
3) Ib. prol. 24. Reges, qusles exigit aapientiae regula, non
unius sibi creditae gentis habere rationem, sed totius humani
generis. Ib. I, 19 1, 2. Hostes homines esse non desinust.
28*
436 ’
hielten H. Da Iernen wir nun einen andern Raturzus
Rand kennen, welcher freilich erft durch ben Sündenfall
entflanden fein fo, aber jebt als Grundlage der Rechts⸗
einrichtungen gilt. In ihm iſt es nit gegen die gefel-
Hge Natur bes Menſchen gegen Feinde ſich vorzufehn
und alles, was bie erſten Gebote der Natur von und
fordern, widerſpricht in ihm dem Kriege nit, vielmehr
begünfigt es den Krieg”). Daher wird nun aud bie
Sefelligfeit unter den Menfchen nicht als urſprünglich
and von Natur gegeben betrachtet, fonbern es wird vor⸗
ausgefegt, daß mehrere Völker unter den Menſchen ſich
ſcheiden und ein jedes von ihnen einen Fünftlichen Körper .
bildet ), welcher Staat genannt wird, auf dem Willen
und der Übereinfunft ber Menſchen beruht und durch
Vertrag zu Stande kommt H. Eine folde politiſche Vers
einigung ſoll den Zwedt Haben öffentliche Ruhe und Frie⸗
den hervorzubringen ober bie Liebe unter den Bürgern
gu näpren, welche nun nicht mehr natürlich iſt ). Zwar
wild nun Grotius nit, daß bie Furcht ber Menſchen
vor einander Grund des Rechts ſei ); eben fo wenig
giebt er zu, daß bie rechtlichen Einrichtungen bes Nutzens
4) B. U, 15,5; 11, 3,2, 1.
2) Ib. I, 2, 1, 4, Inter prima natorae nihil est, quod beilo
repugnet, imo omnia potius ei favent. Ib. 6. Non est contra
socielatis maturam sibi prospicere — — ao proinde neo 'vis,
quae jus alterius non violat, injusta est,
3) Ib. I, 9, 3, 1; 8, 2. Corpora artificialia, res artifi-
cialis.
4) Ib. prol. 15.
5)1. 1,4, 2, 134, 2
6) Ib. prol. 19.
AZ
wegen entſtanden ſeien aber ex Tann doch nicht leugnen,
daß wir bes Schutes durch das Recht gegen bie Gewalt
bebürfen und baß viele Rechtsformen :einen Ruten bes
zwecken ). Es bleibt ihm hierauf nur übrig von dem
Einriptungen des Rechts, welche er vorfindet und nicht
tadeln fann, anzunehmen, daß fie zwar nicht aus. reiner
Natur oder Vernunft hervorgegangen find, aber doch
nichtö gegen bie Natur und Vernunft vorſchreiben dürfen):
Der Doppelfinn, welcher in ber Anfiht des Grotius
vom Naturzuſtande und vom matürlichen echte Liegt,
seht durch alle feine Rechtslehren hindurch und erleichtert ,
es ihm Einrichtungen des Lebens, welche nur durch mans
cherlei Vermittlungen gerehtfertigt werben fönnen, als
unmittelbare Folgen ber menschlichen Natur barzuftellen.
Treue und Glauben find ipm natürlich und das hoͤchſte
Band der menfhlihen Gemeinfhaft). Daraus leitet
er ohne Weiteres bie rechtliche Gültigkeit ber Berfpres
Hungen und Verträge nad Naturseht ab und weiter
fortſchreitend auch die rechtliche Verbindung, im Staate
und ber verſchiedenen Voͤller unter einander im Voͤller⸗
rechte 9. Aber von der andern Seite hat auch die Sünde
Mistrauen unter ben Menſchen zur Folge gehabt und es
iſt nun erlaubt und Recht zu den Werfen des Krieges,
zu Liſt, Lüge und Gewalt, zu fchreiten, wenn auch biefe
4) Ib. prol. 46; 18; I, 4, 14. Civitas coolus perfectus libe-
roram homimum juris fruendi et communis utilitatis causa 20-
eiatus, *
2) Ib. II, 3,,5 29. Humana jura multa constituere possunt
praeter naturam, contra naturam nihil,
-3) 1b. 11, 19, 1,2.
4b. 1, 11,4; 12, 7:10, 05,1. -
28 -
Dinge weniger loöblich nach der urfpränglihen Natur
des Menſchen, als nothwendig unter den gegenwärtigen
Berhäftnifien find 2). Im Allgemeinen aber wird man
Grotius geneigt finden die Bründe des Rechts aus der
unverborbenen Natur des Menſchen abzuleiten und dage⸗
gen bie Sant des Mistrauens, welche bie Sünde unter
die Menſchen gefreut hat, nur als einen Grund ber
Abſchattungen unter ben rechtlichen Verhaͤltniſſen zu be⸗
traten. Daher vertraut er auch auf die allgemeine Mei⸗
nung der Menſchen in ber Beurtfeilung des Rechts nicht
ſehr und entſcheidet ſich fehr flarf gegen die Anficht, dag
nach weit verbreiteter Sitte oder Gewohnheit das Recht
feſtſtehe. Weit verbreitete Gewohnheiten haben zwar ges
woöͤhnlich einen vernünftigen Grund unb bie Sitten ber
Bölter tragen auch zur Einrichtung poſitiver Gefege bei;
aber die Gewohnheit IR doch nur eine Art des poſitiven
Rechtes, welche ber Kraft bed ewigen Gefeges der Natur
nichts entziehen fann 2).
Das natürlige Recht fol nun die Grundlage des
pofitiven Rechts werben, weiches vom Staate ausgeht 3).
Der Staat aber wird nach Arifotelifcher Weife als die
volllommene Bereinigung ber Menſchen betrachtet, welche
allen Serärfnifen der Eingefaen genügt. Weil die na⸗
— ñ —
4) Ib. IE, 1, 6 2qq., wo wataufug über die Rotplüge gehan⸗
delt wird. Die fung des Knotens Negt darin, daß Cr. annimmt,
das natürliche Mecht auf Wahrheit könne wie in einem Bertrage aufs
gegeben werben. Ib. 11; II, 4, 2.
2) 1b I, 1,145 11, 20, 41; de mari lib. 7 p.20. Con-
saetudo enim est species juris positivi, quod legi perpetuae
abrogare non polest. .
3) De jare belli ao pac. I, 1, 14.
turliche Familiengemeinſchaft nicht ausreicht, haben fih
viele Familien mit einander ‚verbunden aus dem allgemeis
nen Geſelligkeitstriebe der Menſchen. Sie bilden nun
ein Bolt, weldes, wie erwähnt, als ein Fünftlicher Koͤr⸗
per angefehn werben Tann. Doch folgt Grotius biefer
Analogie nicht unbedingt; er ſchließt fi auch.“ehen fo
wenig an die hierarchiſche Anfiht an, welde die Kirche
mit der Seele, ben Staat mit dem Leibe verglich, viel⸗
mehr findet er, in Widerſpruch mit beiden Analogien
auch im’ Bolfe und im Gtaate eine Seele oder einen,
Geiſt, welcher die; Würger wie organifhe Glieder verei-
nigt. Die Seele’ des Staates iſt das Geſetz und eben
darin beſteht der Unterſchied zwiſchen einem Bolfe und einer
Näuberbande, daß jenes zum Zwedce bes Rechts verbun⸗
den iR). Das erfte Erzeugniß des Volles if aber die
oberſte Gewalt, durch welche der Staat zufammengehals
ten wird. Sie if gwar beim Volle als dem allgemeinen-
Subjecte der höchſten Macht; da aber nur durch ein bes
fonderes Werkzeug die Rechte bes Volles vertreten wer⸗
ben fönnen, hat fie zu ihrem eigentlichen oder naͤchſten
Subjerte die Obrigkeit, möge fie aus einer ober aus
mehrern Perfonen beſtehn. Daher bleibt die oberſte Ge⸗
wallt nicht beim Volle, ſelbſt wenn fie bei ihm zuerſt ge
weſen fein follte, was Grotius nicht einmal ohne Auss
nahme zugiebt 2). Dur ſtillſchweigende Einwiligung
1) 1.1, 9, 3, 1. Ein spiritus oder nad) ſtoiſchem Sprach⸗
gebrauch eine is verbindet das Bolt. Ih. I, 3, 2, 1 sg. Rec-
.-tus'Dion Chrysostomus, ‘qui leges — — dicit esse in civitate
ut mentem in corpore humano.
2)1b. 1,3, 7, 1. Summae potestatis subjectum commune .
fon man fi) feiner Freiheit begeben und eine Gewal⸗
herrſchaft kann baper zum dechte werben. Was anfınys
eine Sache bes Willens war, wird fpäter eine Sathe
der Notwendigkeit). Dabei fept Grotius eine fo is
ige Bemeinfgaft zwiſchen Obrigleit und Unterthauen
daß auch ihre Verbrechen ihnen gleichfam gemeinfhaftlih
find und dieſe für jene zur Strafe gezogen werden ke
nen. Obgleich dies ſeiaem Nechtsgefüle widerſtreitet, weiß
er doch die Mechte des Krieges. nicht anders fi zu erllä⸗
ren ). Der Wille wird num zwar als der erſte Ente
hungsgrund bes Gtantes und des poſitiden Rechts ange
fehn, fo dag pofitives und willlürliches Recht als gleich⸗
bedeutend gelten und die Obrigkeit darüber nad Gefal⸗
len beftimmen- fol I; aber wer auch: hierans Berfhie
est civitas. Ib. 3. Subjectum propriam est persona una plı-
‘resve. Ib. 8, 1; 11, 9, 3, 1. Die Unterfagungen über den Ott
Find bei Grotlus nur fehr beiläufig. Er ift der Monarchie günftiger, eu
dem Freiſtaat, obwohl er dem Könige eine unbebingte Gewalt nidt
sugefteht. Ib. I, 3, 9. Die Nachteile der monarchiſchen Herfiheft
gefteht er ein, glaubt aber, fie Könnten ausgeglichen twerhen dur
ihre Vortheile und im Staate fei überhaupt nichts Bolltommenes ubg:
lich. Ib. I, 3, 8, 1; 17, 2.
ij 1. I, 8, 8, i3. Quae ab inilio est voluntatis, post ,
vero effectum habet necessitatis. Ib H, 4, 14, 1. Name
quae vi parta primum sunt imperia, possunt ex voluntate u-
cita jus firmum accipere et voluntas aut ex initio constitali
imperii aut ex post facto esse potest talis, ut jus det, quod in
posterum a voluntate non pendeat.
2} 1b. U, 21, 2; 7; 10. Die Schuld will er doch nigt gm
übergehen laſſen, wenn aud die Strafe, der Radıtfeil aus der Gr
meinfgaft erwachſe. Er beruft ſich auf dab dyyıa, müga dä
Ib. 11; 12
3) B. 1, 1,9; 13; 14
aM
denheit ber Befege in verfiebeuen Staaten hexvorgehe 2),
fo ſoll doch ‚feine Willlur, nicht eiumal die göttliche, wie
ſchon bemerkt wurde, bas natürliche Recht befeitigen koͤn⸗
„men, fondern nur Zufäge und Scharfungen besfelben Tann
das pofitive Gefeg bringen, ſofern es wahre Vexpflich⸗
“tungen für und enthalten fol. Wenn die Willkür, wenn
felbf der. Krieg erlaubt if, fo doch mur unter bar Bedin⸗
gung, daß der Geſelligkeit der Menſchen dadurch Fein
Abbruch gehhehe, ſondern nur bie geſtoͤrte Geſelligleit
wiederhergeſtellt werde. Deswegen iſt ber Krieg nur. bes
driedens wegen und im Kriege ſchweigen zwar die geſchrie⸗
benen, aber nicht die ungeſchriebenen Geſetze 2.
Um nun hierdurch der Güktigfeit pofitiver Geſetze
nicht zu nahe zu treten maß Grotius darauf ausgehn
wenigſtens bie Hauptbeſtimmungen derſelben ‚auf bie Na
dur zurüdzufüßren.,. Man hat nit mit Unrecht ‚gefagt,
daß fein Naturrecht hierdurch wefentlih eine Abſtraction
aus dem Roͤmiſchen Rechte geworden. Wir werden im
Algemeinen zu ſchildern Haben, wie er hierbei verfäprt.
Bon dem natürlichen Rechte ausgehend, welches ber Menſch
über die.ganze übrige Natur erhalten ‚haben fol, findet
ex hierin ſchon einen Anfang des Eigenthums. Er flellt
es als allgemeinen Rechtsſaz auf, daB einem jeben das
Seine zufomme und durch gemeinfame Hülfe Aller ber
wahrt werben folle, Diefer Say würde auch gelten,
wenn Sein Eigenthum im frengern Sinne wäre, benn
unſer Körper, unfer Leben und der freie Gebrauch des⸗
4) Ib. prol. 40.
2) Ib. prol. 26; I, 2,1, 5.
felgen iſt unfer natürlidges Cigenthum, welches von nie
manden angegriffen: werben fol 1). Hiermit iſt der erſe
Grund für das perſonliche Reqht gelegt. Jeder ik bem⸗
fen diefes fein Recht gegen angerechte Angriffe zu ſchüten
und darf, ja fol auch dieſes natürliche Recht Anderer
vertheidigen ?). Daher ik Selbſthülfe ein natkrlihe
Recht und alle Mittel, welche zu -feiner Handhabung
nöthig find, find erlaubt, fo daß ein unbeſchraͤnktes Recht
‘gegen ben Beleidiger, ſelbſt über fein Leben darad ur
waͤchſt 5). Das perfönliche Recht erweitert fich zum fad-
lichen durch bie-Einfäprung des Eigentpums, Kbnofl
Grotius meint, unter ber Borausfegung einer ausgexich⸗
neten Menſchenliebe hätte alles in Gutergemeiuſchaft blei⸗
ben tönnen, giebt er doch auch der Meinung vad, dah
"die Entftehung des Eigenthums ein natürkicper Gortifritt
in der menſchlichen Geſellſchaft fei, welchet daraus fer
vorgegangen, daß die Berſchiedenheit der Menfhen fe
nicht in der alten Einfalt der Sitten und in ber Gemein
ſchaftlichleit des Beſitzes beſtehen, fonbern zur Theilung
der Büter ſchreiten Heß. Hierbei laͤßgt er nun nicht, wie
feine Lehre oben lautete, die Bölfer aus den Fawilien
1) 1b. 1,2, 1,5. Quod facile intelligi potest Iocum habi-
turum, eliam si dominium, quod nos ita vocamus, introdu-
tam non esset, nam vita, membra, libertas sic quoque propria
eaique essent.
2) Ib. 1, 5, 1. Nataraliter quemque sui juris esse vindicen;
ideo manus nobis datae. Ib. 2, 1.
3) 1. 1,2,1,4; 1, 1, 10,1. Qui infaria me parat af
ficere , is mihi eo ipso dat jüs — — adversus se in infnitum,
quatenus aliter malum illud a me arcere nequeo. Die Bahrir
tungen folgen nun freilich , aber nur gezwungen.
445
zuſammen wachfen, fondern umgefehrt bie Familien aus
den Böltern ih audfceiden. Anfangs Hätten nur bie
Böller den Beſitz bes Bodens getheilt und. jebes Bolt,
hätte fein Land in Gemeinfhaft befeflen, alsdann aber
hätte auch jede Familie ihr Eigentfum an einem befon⸗
dern Teile‘ des Landes gewonnen; eben fo wäre auch
das Eigenthum allmaͤlig fortgefepritten von dem Beſitze der
weglicher ‚zu bem. Befige unbeweglicher Sachen D. Do
fol diefe Vertheilung des Eigenthums nicht allmälig. über
alles fich erſtreden; es giebt auch Dinge, . weldhe immer
Gemeingut bleiben follen, wie das Meer und bie Luft 2).
Auch Hört das, was Eigenthum geworden, nicht völlig
auf Gemeingut zu fein; denn im Willen derer, welche
das Eigenthum einfüprten, konnte es nicht liegen bie ur⸗
fprünglicge Gleichheit, nad welcher den Menſchen über-
haupt die brauchbare Natur gehört, gänzlich aufzuheben.
Daher wacht in der .äuferfien Noth, bei einem allgemeis
nen Bebürfniffe das natürliche Recht Aller auf Alles wies
der aufs daher hat auch bie Obrigfeit das Recht auf AL
les, wenn es ber Öffentliche Nugen verlangt 5). Wenn
nun biefe Gedanken über das urſprüngliche Gemeingut
und das allmälige Fortſchreiten in der Theilung der Gü-
ter die urfprängliche Einheit der Menſchheit vorausfegen,
fo ſchwankt doch Grotius zu bes entgegengefegten An⸗
nahme, daß bie Menfhen urfprängli vereinzelt find,
alsbald hinüber, wenn von den urfprünglichen Erwerbs⸗
arten nad natürlichem Recht bie Rede if. Als folde
1) Ib. U, 2, 2,3 09.
2) .U, 2,3, 129.
3). 1, 2,6; 11, 19, &
x
.
A44
betrachtet er die Befigergreifung und bie natuͤrlicht Ac⸗
eeſſion ). Die legtere aber, foweit fie naturmepttih ih,
gilt ihm mar als eine Borkfegung ber erſtern, wie did
auch mit ber Formirung ber Ball iR "I; die erſtere dage
gen betrachtet er als etwas Urfprüngliches, indem mit
der Herrſchaft, welche der. Menſch über die Ratur erhal
ten hat, auch ſogleich das Recht verbunden iR, dep eu
jeder gebrauchen und verbrauden barf, was er mil fir
nen Kräften ergreifen kann, ohne daß ihm ein Anden
hindern dürfte. So wie er über bie Schwierigkeit,
welche in dieſer Lehre liegen, geriuge Sorge fih malt,
fo findet er auch bie Übertragung des Eigenthums lift
und ber Natur gemäß; bas volle Eigenthum muß geflat
ten, daß wir es and) aufgeben und an Andere. geben können,
Tauſch, Kauf und andere Arten der Berträge über Eigen⸗
thum, wenn fie aud im Einzelnen Schwierigleiten maden,
liegen doch im Allgemeinen in ber Natur der Sade ).
Selbſt bei den Teftamenten macht ihm fein Gedanke, daß doqh
kein Eigentpum seines Eigenthum fei, nicht das geringfte
Bedenken; er erklärt es für natürliches Recht, daß jeder
über fein Eigenthum auch nach feinem Tode verfügen
tönne5), Bei der Inteftaterbfolge findet ex größere Schwi⸗⸗
rigleit; vieles entipreche in ihr nur natürlicher Bermu
thung und fei nicht nothwendig aus natürlichem Net,
daher herſchten auch große Verſchiedenheiten in ben |
1). 1,3, 158,1, 2; 8, 809g.
2) Ib. U, 3,3.
3) Ib. 1, 2,2, 1. Nam quod gquisque sie ———
ei eripere alter nisi per injariam non. poterat.
y1.1,6,17,2
5} Ib. 11,6, 14, 1.
I.
AA
Rimmungen des pofitisen Rechts über fie; aber,im All⸗
gemeinen entſpraͤche es doch bem Naturrechte, daß beim Man⸗
gel einer Erklärung über den Tegten Willen über ihn nad
einer. Vermuthung entſchieden würde 1). Verträge, welche
auf fünftige Leiftungen gehen, follen nach Naturrecht ver⸗
binden,. weil ja alle menſchliche Gefelligfeit auf ‚Treue
und Glauben berupe, nur ber Rechtsſicherheit wegen,
welche zur Bermeibung des Streits gefucht werben müffe,
fol jedes Verſprechen in ber bündigfien Weife gegeben
werden 2, Gewiß nicht mit Unrecht hat man gefagt,
Grotius Habe mehr die Teeren und unbewachten Stellen
der Rechtsphiloſophie durch ſtillſchweigende Vorausſehun⸗
gen angedeutet, als bie Grundbegriffe des Rechts zu eis
ner Haren und fharfen Entwidlung gebracht 5).
Wir müflen noch etwas genauer feine Säge über das
Perſonenrecht betrachten. Der vorher angeführte Sag,
daß ein jeder von Natur feines eigenen Rechtes Verthei⸗
diger fei, läßt eine hartnädige Vertheidigung der perfün«
lichen Freiheit erwarten. Aber Hugo Grotius wird als⸗
bald zu Beichränfungen jenes Satzes geführt um für bie
tihterliche Gewalt Play zu gewinnen. Die Gerichte über
das Recht find zwar nur menschliche Einrichtungen, aber
es iſt doch der natürlichen Vernunft gemäß, daß ein- jes
der einem Schiedsrichter fich unterwirft und nicht mehr “
auf eigene Hand ſich Recht verſchafft N). Hierdurch wird
VY B. I, 7, 3; 10, 2; 11, 1.
2). 1, u.
3) Hartenfteig Darftellung der Rechtsphil. des H. Grot. Abh. d. \
phit. hiſt. Claſſe d. Sädf. Gef. d. Wiſſ. 3. L ©. 4865 543.
4) De jure belli ac pac. 1, 3, 1, 2.
A168
jedem bis auf wenige Ausnahmen das naturliche Retht
gewonnen fein eigenes Recht unmittelbar zu vertheidigen
und man begreift in der That nicht, wie Grotins be
haupten Tann, daß bie natürlichen Rechte nicht erlöfden
Könnten. Wenn es aber noch beim Schiedsrichter ficken
bliebe! Wir ſehen vielmehr die freiwillige und augendlic⸗
liche Unterwerfung alsbald in eine erzwungene von ber
weiteſten Ausdehnung fich verwandeln. Durch das Rehht
des Gerichts wird jeder einem Höhern unterworfen, wel⸗
her ein Zwangsrecht über ihn ausübt, ſogar über jede
moraliſche Handlung 3. Daher hat bas allgemeine Reht
ſeine mehr verneinende, als befahende Kraft; es beitade
tet die Perfon nicht als einzelne, ſondern als einen Zeil
der Rechtsgeſellſchaft, welche feinen Widerſpruch gegen
ſich duldet 9. In diefer Richtung ber Gedanken wird
nun der Einzelne nicht mehr als Einzelner, fonbern ald
einer Befammtpeit angehörig betrachtet und für jede Or
fammtpeit das Recht geltend gemacht, daß ber größer
Theil den Heinern verpflichte und für das Ganze gelte’).
Es gehört diefer Richtung an, daß Grotius bie Freipeit
der Perfon micht fehr achtet. Er vertheidigt bie Sie
verei als dem natürlichen Rechte gemäß, fogar als ver
einbar mit dem Chriſtenthum, obgleich er bie unbebingle
1) 1.1.3, 17, 1; 11, 25, 3, 4. Nam par parem cogere
mon potest, — — at superior cogere potest etiam ad alia, quꝛe
virtus quaelibet praecipit, quia in jure proprio superioris, qu
superior est, hoc est comprehensum. Daher wird aud der Br
Ieidigte für Höper als der Beleidiger angefehn, weil jener fein Acht
von biefem erzwingen kann. Ib. II, 20, 3.
2) Ib.I, 1,3, 1.
3) Ib. IE, 5, 17. Pars major jus habet integri.
447
Sklaverei verwirft . Die Unterwerfung der einen Per⸗
fon unter die andere if ihm dem Naturrechte nicht aus :
wider, fie fann vielmehr unmittelbar oder durch Verge _
ſellſchaftung geſchehn 9. Bon der letztern Art ift bie ins,
terwerfung, welche im Familienleben ſich ergiebt. Denn
obgleich die Epe nur eine Vergeſellſchaftung, nit eine,
Unterwerfung ift, fo folgt doch in natürlihem Wege bie
Untertverfung des Weibes unter ben Mann aus ihr wer
gen bes natürlichen Vorzugs, welchen biefer vor, fenem
hat 5); in derſelben Weife ergiebt fi auch bie Unterwer⸗
fung der Kinder, fo Tange fie der Familie angehören, une
ter die Eltern, weil jene durch biefe ernährt werden H.
Die Unterwerfung unmittelbar kann durch Verträge bes
dungen werden in- verfchiedener Weife, wenn jemand in
eines andern Familie ſich begiebt und in das Recht der
Kirder kommt, wenn er ſchlechthin feiner Freiheit entfagt
um dagegen Nahrung zu erhalten. Auch im öffentlichen
Rechte widerfpricht es der Natur nicht, wenn ein Voll
einem Herſcher oder -ein Volk einem andern Bolte fih
unterwirft., Bon allen dieſen Weifen wird nod die Uns
terwerfung unterſchieden, welche als Strafe aus einem
Verbrechen folgt 9. Grotius behandelt alle diefe Fälle
nur fehr kurz ohne zu bemerien, wie bamit bie natür⸗
liche Gleichheit der Menſchen und ihr unveräußerliches
1) Ib. H, 5, 26 2gq. ,
2) Ib. 1, 5,&
3) 1b. 11,5, 1;8
4) 1b. I, 5, 229g. Das Recht‘ der. Eiteen wird ſehr weit
ausgedehnt, Ib. 5. il
5) Ib. I, 5, 26 2qq. i
a8
Meist ſich ſelbſt Recht zu verſchaffen Behchn Tann. Im
ſchwebt der gegenwärtige Rechtszuſtand im Staate vor;
ex zweifelt nicht daran, daß er dem natürlichen Rechte
entſpreche, möge er in ber Weife einer Vergeſellſchaftung
ober einer Unterwerfung zu Stande gekommen fein. Er
unterfepeidet auch nur beiläufig die patrimoniale und bie
durch Vertrag gegründete Herrſchaft des Staates.
Für fein Kriegsrecht aber iſt ihm das Strafrecht von
befonderer Wichtigfeit. Er ‚geht von ber Anfiht aus,
daß ein jebes Verbrechen eine Verlegung ber natürligen
Geſelligkeit iR und verlangt daher bie Strafe ald Wie
derherſtellung der verlegten Gefelligfeit 2). Das Berbres
chen iſt daher nicht allein gegen ben Beleibigten, ſondern
gegen die Geſellſchaft gerichtet, weswegen Grotius auch
den öffentlichen Ankläger fordert 2). Neben dieſer Anficht
von dem allgemeinen Zwede ber Strafe läuft jedoch eine
andere Anfiht von einem dreifachen Zwedce derſelben
einher, für den Beleidiger nemlich, für ben Beleidigten
und für die Geſellſchaft. Kür den Verbrecher foll die
Strafe zur Beflerung bienen, für den Beleipigten nicht
allein zu Schabloshaltung, ſondern auch zur Sicherung
gegen Tünftige Beleidigungen; den legtern Zweck hat fie
auch für die Geſellſchaft, indem fle nicht allein den Ver⸗
brecher, fonbern aud anderg vom Verbrechen abihredt),
Zwar fol nun bie alte Freiheit eines jeben zu ſtrafen
bleiben, aber e6 wird doch aud für biefen Theil des
Rechts als beffer angefehn, daß ber Richter das Straf⸗
4) Dies wird etwas unbeftiumt ausgebrüdt » u, 17,1.
2) Ib. II, 20, 15.
3) Ib. I, 20, 5 299. -
A493
ami übernehme. Keine Strafe fol über die Schuld hin
qusgehn; doch wird dadurch bie Todesſtrafe auch für ger
ringere Verbrechen nicht ausgeſchloſſen; denn bei der Ab⸗
wägung der Strafe iſt nicht allein bie Größe der Schuld,
fondern aud der öffentliche Augen zu berüdfichtigen 1).
Der Krieg hat bie naͤchſte Berwandtfcaft mit der
Strafe; denn Krieg ohne Urſache iſt thieriſch und gerechte
Urſachen zum Kriege laſſen ſich nur in einem zugefügten
Unregt entdeden 2). Wenn aldbann feine Genugthuung
gegeben wird und das Gericht fehlt, weldes die Strafe
verhängen Könnte, fo beginnt der Krieg, welcher ber Nas
tur nad als gerecht zu adpten ift und mit jedem Rechts⸗
ſtreit Über zugefügtes Unrecht verglichen werben Tann ).
Daher tommt aud nach Naturrecht dem Privatmann nicht
weniger ald dem State das Recht zu Krieg zu führen.
Der Krieg kann mit der Todesſtrafe verglichen werben,
welche der Einzelne wie der Staat verhängen darf, for
bald ein gefärliches, dem Tode gleih zu achtendes Un-
echt zugefügt worden if *).
‚Aber bie Gefelligfeit fol aud) unter verſchiedenen Böl
tern und Staaten nicht verlegt werben. Gaſtfreundſchaft
und Handel unter ihnen gehören zum Naturrecht; es bes
ſteht unter ihnen eine natürliche Verwandiſchaft, welche
1) 1b. II, 20, 8,5; 9, 5; 28.
2) Ib. 1, 1, 1, 4; 22, 2. Das dandwerk der Miethöfoldaten
iſt verwerflich. Ib. I, 25, 9.
3) I. Il, 1, 2, 1. Ac plane quot actionum forensium
sunt fontes, totidem sunt belli, nam ubi judicia deficiunt, inci-
pit bellum.
4) Ib. 1, 2, 2 299; 3, 1.
Geſch. d. Philof. x. 29
viele Bündniffe nur in Erinnerung bringen I). Obwohl
die Chriſten ein engeres Bundniß unter einander haben,
hebt doch die Verfepiedenpeit der Religionen das allge
meine Bundniß aller Bölfer nit ,auf 2). Hierauf beruft
das Boͤlterrecht, welches in Üsereinfimmung der meifen
oder aller Bölter ſich gebildet hat und vom natürlichen
Rechte zu unterſcheiden iſt °). Der Krieg unter verfhiebe-
nen Vollern if daher au nur erlaubt zur Wiederherſtel⸗
lung der Gefelligteitz er fol zum Frieden führen und
mit Menſchlichleit geführt werben, damit man um fo
Teichter ſich verföhnen könne. Da der gerechte Krieg nur
zur Abwehr bes Unrechts geführt wird, fo giebt Grotius
zwar zu, daß in ſubjectiv er Meinung ein Krieg gerecht
fein könne von beiden Selten, aber in Wahrheit hat bie
eine Partei immer Unrecht ). Auch moraliſche Verpflich⸗
dungen, obgleich fie der Geſelligleit anzugehören ſcheinen,
follen wicht durch Krieg erzwungen werden 5), Mit feir
ner Lehre, daß alles, was aus einem ungerechten Kriege
bervorgehe, fein wahres natürliches Recht begründe 5),
dürfte es im Widerſpruch ſtehn, dag er den Krieg inis⸗
billigt, welcher her Breiheit wegen unternommen werbe?).
Aus aͤhnlichen Gründen Hält er auch den Krieg der Um
tertpanen gegen bie oberſte Gewalt im Staate für unge:
recht, obgleich er viele Fälle anführen muß, in welden
1) 1b. 1, 15, 5.
2) Ib. II, 15, 8; 12; 20, 43 44.
3) Ib. prol. 17.
4). U, 23, 18.
5) Ib. I, 22, 16.
6) 1b. II, 10, 3.
7) Ib. 1, 22, 11.
AS -
diefe Regel ſcheinbar verlegt werden durfe). a ber
bürgerfihen @efelfihaft hat bie Obrigkeit eine Ohmacht
über bie Unterthanen gewonnen; fie barf hen, Widerſtand
gegen ihre Anorbnung verbieten und. wird bies nicht un«
terlafien haben), Daß. dies dem Noeturrechte gemäß
fei, dürfen wir nicht zweifeln, da yon Natur ber Menſch
nicht allein nach Gefelligteit, ſoudern nad utiger und
georbneter Geſelligleit ſtrebt 3. —
Das Urtpeil, welches wis über ‚das wen des Gro⸗
tius ausſprechen muͤſſen, hat hie Geſchichte Langſt gefaͤltt.
Bon den beiden Zwecden, welche er verbiaden zu können
meinte, hat er nur den einen erreicht. In feiner Schrift
wird der andere nur als Nebenzwert aufgeführt und wir
zweifeln nicht, daß es im Sinn des meuſchenfreundlichen
Mannes Tag, jenen Höher zu haften als bisfan; ja er
würde fi wohl baräber getröftet haben, daß es ber wiſ⸗
fenfpaftliche Zwed war, welder ſcheiterte, wenn er die
Erfolge feines Werkes für ben praltiſchen Appel - hätte
vorausfehen fönnen. Grotins hat ein hervorragendes Ans
fepn in der Begründung des mildern Völtersehts für,
Krieg und Frieden gewonnen, weldes die ruhigen Zei⸗
ten unferer neuern Geſchichte haben auflommen fehen.
Auf- fein Anfehn Hat man fih berufen, wo die Grund⸗
füge desfelben geltend gemacht werben follten. Aber ſol⸗
len wir fagen, daß die eiferfüchtige Wiſſenſchaft feine Ner
- 1I.1,4,2;7,15. Summum imperiam tenentibus re-
sisti jare mon posse. Die folgenden $$. führen die ſcheinbaren
Ausnahmen an.
21.1,4,2,1.
3) Ib. prol. 6; &. .
29*
benbulerin dulde Gewiß konnte fie einem Manne ſich
nicht ergeben, welcher ihre Zwecke nur nebenbei betrieb.
Seinen zweiten Zwed, bie wiſſenſchaftliche Begründung
der Rechtswiſſenſchaft, hat er nicht erreicht. Wir ſehen
ihn nur ſchwanken zwiſchen dem unveräußerlichen Natur⸗
rechte der Einzelnen ſich ſelbſt Recht gu ſchaffen, zwiſchen
dem Naturrechte der friedlichen Geſelligkeit, welches alle
Menſchen zu einer Rechtsgemeinſchaft vereinigen ſoll, und
wwiſchen dem Rechte des Volles, welches feinen Staat auf⸗
richtet und ſeine oberſte Gewalt beſtellt um dem getraͤumten
Naturrechte Schranken zu ſetzen und Sitte und Ordnung mit
Macht zu handhaben/ Einem folhen Schwanken zu begeg-
nen dazu reichte eine verflänbige Überlegung nicht aus, welche
nur die gegebnen Zuftände und bie Denkweife einer gebil-
deten Zeit beachtet ober darauf finnt, wie der biöherigen
eine beffere Übung untergefchoben werben könne, dagegen bie
allgemeinen Grundfäge der Wiſſenſchaft zu berühren ſcheut,
weil- fie bee praftifchen Beſtrebung fern zu ſtehn fcheinen.
In noch weit größerm Maße iſt dies dei Grotius
als bei Herbert der Fall. Es iſt ein fehr zweibentiges
Lob, wenn man ihm nachrühmt, ba er mehr als feine
Vorgänger bie Grundfäge der Rechtslehre von den Uns
terſuchungen über die allgemeinen Grundfäge der Wiſſen⸗
ſchaften ausgeſchieden habe. Er Hat dadurch den Bedärfe
niſſen einer praktifchen Wiffenfchaft fih anbequemt opne
au beachten, daß in ben Wiſſenſchaften bie Tpeilung ber
Arbeiten nicht dasfelbe Recht hat, wie in der Prarid.
Die Folge hiervon iſt nicht ausgeblieben. Er möchte und
für Natur verkaufen, was die Vernunft in einer weit
vorgeſchrittenen Entwidlung zu Stande gebracht hat.
ABS
Hierin Tiegt das Geweinſchaftliche feines Naiurrechts mit
der Naturreligion Herbert’s., Denn wenn dieſer aup -
nicht verſchmaͤhte auf die Gründe unferer Erlenntniß in
feinen Unterſuchungen einzugehn, ſo beachtete er doch bie
Verbindung derſelben mis den Gründen bes Seins nicht
und in feiner oberflaͤchlichen Vorſtellung von dieſen glaubte
ex in aͤhnlicher Weiſe wie Grotius dem urſprünglichen
natürlichen Bewußtſein das zuſchreiben zu können, was
nur aus den Anlagen ber Natur bie Vernunft durch lange
Erfahrung und Übung hat ausbilden koͤnnen. Beide ha⸗
ben hierdurch der naturaliſtiſchen Richtung, welche bie
neuere Philofophie einzuſchlagen begonnen hatte, mächtig in
die Hände gearbeitet, indem ſie zwei ber wichtigfien Zweige
der vernünftigen Bildung, die Religion und das Recht,
als unmittelbare Ansfüffe des Naturtriches erſcheinen
liegen.
Drittes Kapitel,
Thomas Hobbes.
Tpomas Hobbes wurde 1588 zu Malmesbury, einer
Heinen Stadt in-England, wo fein Bater Geiſilicher war,
geboren und erzogen. Seine gelehrte Bildung erhielt er
zu Oxford, wo er bie Logik der Nominaliſten kennen
Ternte, deren Grundfäge einen bedeutenden Einfluß auf
feine Dentweife gehabt haben, wenn er auch von ben
Ergebniffen diefer ſcholaſtiſchen Philoſophie wenig befrie⸗
digt wurde. In feinem zwanzigſten Jahre trat er in bie
Tamilie Cavendiſh, welde in ihm einen treuen Diener
gewann, ein großes Vertrauen auf ihn fepte, ihn mit
Liebe pflegte und durch fein games Leben ihm einen f-
ern Haltpunft darbot. Der Bater des Haufes, bald
nachher zum Grafen von Devouſhire erhoben, übergab
ihm feinen Gopn zur Erziehung, welcher nicht viel jün
ger war ale Hobbes felbft und von welchem er wie ein
älterer Freund behandelt wurde. Mit feinem Zögling
"machte er die Retſe darch Franfteih, Italien und Deutfche
land und als berfelbe ſich verheirathet hatte, blieb er als
Geheimfchreiber bei ihm. Durch feinen vornchmen Freund
kam Hobbes in Belanntfhaft mit Ednard Herbert und
mit Franz Bacon, ber ihn bei Überfegung feiner Schrijf⸗
ten in’ das Lateiniſche benugt haben fol, Durch feine
Neifen ſedoch war er in der alten Literatur zurüdtgefom«
mm, fo daß er einen erneuten Fleiß daran fegen mußte
um in ipr wieder feß gu werben. Er fcheint fih im die
fer Zeit feines Lebens mit ihr und ber Beachtung der
politiſchen Berpältniffe feines Vaterlandes far ausſchließ⸗
lich befcäftigt zu haben. Schqu fruh ahndete er bie
Verwirrungen, in welche England durch den Bürgerkrieg
gefürgt werden follte, und unternahm daher bie Über-
fegung des Thulydides, eines feiner wenigen Lieblinge,
Ichriftſteller, in das Engliſche um feinen Randsleuten ein
abſchreckendes Beiſpiel der Demokratie vorzulegen. Ben-
famin Jopnfon, einer feiner Freunde, Half Hierbei feinem
wenig gebildeten Stil nad. Der frühzeitige Tod feines
Sönners und Freundes des Grafen von Devonfhire un
terbrach 1628 auf eine kurze Zeit feine Verbindung mit
deſſen Familie. Die Trauer über den Verlaſt eines Mannes,
der ihn noch vor feinem Tode in ben Stand geſetzt hatte
\
a5
bei feinen mäßigen Bebürfnifien ein unabhängiges Lehen
zu führen, veranlaßte ihn zu feiner Zerfireuung das Ans
erbieten anzunehmen als Fuhrer eines vornehmen Enge
landers Clifton zum zweitenmal nach Paris gu gehn.
Hier fing er in feinem 41. Jahre an Matpematit aus
dem Euflides zu fiubiren und fand an dem bündigen Zus
fammenhange diefer Wiflenfchaft das größte Vergnügen.
Die Methode berfelben dehnte er bald über die Unterfu-
dung der Natur aus, indem er nad ben mechaniſchen
Gefegen ber Bewegung alles zu begreifen dachte. Bon
Paris berief ihn die verwittwete Gräfin von Devonfpire
nad England zurüd um die Erziepung ihres Sohnes zu
leiten, worauf er fieben Jahre verwandte, Es waren
dies die fruchtbarſten · Jahre feines Lebens, in wel
chen er erſt fein, Syſtem ſich ausgebildet zu Haben ſcheint
und den Grund zu faR allen feinen fpätern Arbeiten Iegte,
Auf einer brüten Reife nach dem Sefllande mit feinem
Zöglinge kam er mit dem Pater Merfenne, einem Mit
tefpunkte der Parifer Geleprfamfeit, in vertraute Belannt-'
ſchaft und in Italien mit Galilei im Verkehr, Merfenne
gründete, wie Hobbes ſelbſt fagt, feinen Ruf in ber Philoſo⸗
phie. Wenig oder nichts murbe damals von ihm nieder
geſchrieben; ex überdachte nur die Grundfäge und Folge
zungen feiner Denkweiſe, von welcher er eine Umwaͤlzung
her Gedanlen erwartete zum Beflen der Menſchheit und
zu feinem eigenen Nachruhm. Nachdem die Erziehung
feines Zöglings vollendet war, lehrte er mit ihm nach
England zuräd und lebte einige Jahre in gelehrter Muße
in deffen Haufe, neben einigen Spielen bes Geifles mit
Ausarbeitung feines Syſtems beſchaͤftigt. Die bürgerlis
lichen Umuben ließen ihn aber nit bie Theile feines
Spfems in georbneter Folge vornehmen. Als bie Unru⸗
den der Presbyterianer in Schottland brohender wurden
in England das kurze Parliament zufammentrat, ſchrieb cr
eine kurze Abhandlung zur Bertheibigung ber koͤniglichen
Gewalt, die Grundlage bes dritten Theils feines Sp⸗
ſtems. Diefe Abhandlung wurde damals nicht gedruckt 2),
aber feprifttich verbreitet und zog dem Verfaſſer ernftliche
Misbilligung zu, fo daß er fein Leben für gefährdet hielt,
als das lange Parliament berufen wurde, Daher ging
ex 1640 nach Frankreich. Hier lebte er zu Paris im Ver⸗
kehr mit Derfenne, der ipn auch in Berbindung mit
Gaſſendi, Descartes und andern Gelehrten Frankreichs
brachte. WIE der Prinz Earl, naher König, im Exil
in Frankreich lebte, wurbe Hobbes fein Lehrer in der
Matpematit. Er war fortwärend mit feinem Syſtem bes
ſchaftigt und Heß in Berüdfigtigung der poltifgen Um⸗
Mände den britten Theil befielben, bie Schrift über ben
Staatsbürger, zuerſt in Lateiniſcher Sprache erſcheinen.
Hierauf folgte der zweite Theil desſelben, über den Men⸗
fen, zuerſt in Englifper Sprache. Aber zu gleiher Zeit
entwickelte ex auch feine politiſchen und kirchlichen Grund»
fäge in einer noch ausfuͤhrlichern Engliſchen Schrift, dem
Leviathan. Diefes Werk zog ihm die Misgunſt als
ler Parteien zu, beſonders ber lirchlichen Parteien, weil
1) Bielleicht iſt diefe Abhandlung Ste Meine Schrift human na-
wre or the fundamental elements of policy, welche zwar erft
1650 gebrudt wurde, aber in der Debication das Datum 9. Mai
1640 trägt, alfo kurz nach Auflöfung des kurzem Parliaments dedi⸗
cirt wurde.
a7
er hier noch ausführlicher als in feinem Werte über den
Staatsbürger bie Abhängigkeit der Kirche vom Staate ber
hauptete, aber auch der Politifer, nicht allein derer, welche
die Freiheiten Englands vertpeibigten, fondern aud ber
Königlichgefinnten, weil er bie abfolute Gewalt des Staats
unter einer jeben Regierungsform geltend machte. Er hatte
einige Stellen einfließen laſſen, welche das Berfahren derer
qu rechtfertigen feinen, welche nach Befiegung ber föniglichen
MWacht der revolutionären Regierung in England fi unters
worfen hatten, Er ſelbſt hatte in Langer Verbannung feine
Mittel exfpäpft und ſcheint geneigt geweſen zu fein mit dem
langen Parliamente feinen Frieden zu fliegen. Hierzu
wurde er nun getrieben, als bie latholiſche Geiflichkeit in
Sranfreich ihn zu befeinden anfing und zu gleicher Zeit der
König Karl II. ihm feine Gnade entzog und den Hof verbot.
Er kehrte daher nach England zurüd, wo er von nun an
unter dem Schuge und in der Familie feines ehemaligen
Zöglings des Grafen von Devonfpire Iebte, in freunds
fpaftlichem Umgange mit den berüpmteften Schriftfielern
feiner Zeit, eineim Harvey, einem Gelben, einem Cowlep,
doch auch in einem beflänbigen Streit mit Theologen,
Juriſten, Matpematifern und Phyſilern, unter welchen ber
sonders Wallis fein heftiger Gegner war. Nachdem Karl
U. nad England zurüdgefehtt war, hatte er ihn wieder
zu Gnaden aufgenommen und mit einem Jahrgelde bes
dacht, konnte ihn aber doch nicht davor fügen, daß fein
Leviathan und fein Buch über den Staatsbürger vom
Varliamente verurtpeilt wurden und er in Gefar fam
wegen Keperet öffentlich angegriffen zu werden. Er lebte
nun ein vüftiges Greifenalter in der Zurüdgezogenpeit
bei feinem Gönner opne merlliche Abnahme feiner geiſti⸗
gen Kräfte, beſchaͤftigt mit wiſſenſchaftlichen Arbeiten zum
Theil von ſehr großem Umfange. Erſt in feinem SO.
Jahre gab diefer merkwürdige Greis fein Syfem in vol⸗
Tem Umfange heraus, in einer Lateiniſchen Ausgabe ſei⸗
ner Schriften, im Auslande, weil in England dem Drude
Hinderniffe ſich entgegenfegten; in feinem 86. Japre un⸗
ternahm er es die Jliade und die Odyſſee in Eugliſche
Berfe zu überfegen und vollendete in lurzer Zeit bas
Bat, Ga bis zu feinem Todesjahre 1679 fuhr er fo
fort in jedem Jahre Werke erſcheinen zu laſſen. Seine
lette Schrift war ein weitläuftiges Geſpraͤch, wehhes ben
Engliſchen Bürgerkrieg auseinanderjegt und beurtpeilt,
Gegen den Willen des Königs gab er den Drud beöfels
ben zu.
Hobbes hat ſehr ungleiche Beurtheilungen erfahren
und in der That eine ungleiche Mifhung in ben Elemen-
ten feines Lebens laͤßt fich wicht verfennen. Wer der Mei⸗
mung iR, daß Gutes und Böfes im Menſchen fih nicht
vertragen, wird bei den ohne Zweifel verderblichen Grund⸗
fügen, zu welden er fi befennt, nur dazu geführt wer-
den können alles Befunde und Gute, was er mit Eifer
bepauptet, nur für Heuchelei zu halten. Aber wir haben
in ihm die Frucht einer Zeit, welche in geifigen und
politiſchen Kämpfen mit ſich uneinig war; leidenſchaftlich
hat er an ihnen Tpeil genommen, in Folgerungen, welche
den Schein Halter Überlegung und einer eiſernen Folge⸗
richtigkeit an ſich tragen, aber einer ruhigen Prüfung doch
den Kampf ihrer Widerſprüche nicht verbergen können.
Die Grundfäge, welche er belennt, laufen auf unbarm ⸗
Be '')
herzige Selbſtſucht hinaus; fein Eigennutz aber lehrt ihn,
daß der Menſch ohne Zoͤgern, ohne Vorbehalt an ein
Gemeinweſen ſich anſchließen mäfle, mit Verleugnung ſei⸗
ner ſelbſt, ſogar feiner Überzeugungen, nur nicht feines
ewigen Helle. Es laͤßt fih nicht erwarten, daß er hierin
feinen Grundſfaͤtzen getren geblichen fein follte, wenn er
aud treu feiner Partei. gedient hat. Man hat ihm vor⸗
geworfen, daß er im Herzen Bottesleugner geweſen fei,
obgleich er ohne Unterlaß und durch Feine Veranlaſſung
gedrängt zum Chriſtenthume ſich bekennt, wie er basfelbe
faffen zu müffen glaubt. Zu feiner Vertheidigung gegen
biefen Vorwurf hat man nicht mit Unrecht feine aufrich⸗
tige Anhaͤnglichleit an die Engliſche Kirche angeführt,
welche er bewies, als ihm bei einer gefaͤhrlichen Krank⸗
beit Pater Merſenne die Tröftungen ber katholiſchen Kirche
darbot, er fie von fih wies, aber bald darauf nach Eng-
liſchen Gebraͤuchen betete und das Abendmal genoß. Der
Gottes leugner ſoll auch eine abergläubifche Furcht vor Ge⸗
ſpenſtern gehegt und deswegen bie Einſamleit geflohn haben.
Die Wahrheit iſt, daß er Geſpenſterfurcht mit aͤußerſter Ver⸗
achtung ſtrafte und bei ſeinen Arbeiten die tiefſte Einſamleit
ſuchte. Selbſt ſeine Gegner geſtehen zu, daß er ein redlicher
Mann geweſen ſei und ein Leben ohne Argerniß geführt habe.
Dabei aber wird man in ſeiner Bildung Einſeitigleit und
in Folge derſelben widerſtreitende Elemente nicht überſe⸗
hen koͤnnen. Die eine Grundlage feiner Bildung lag in \
der alten Litteratur. Er war aber fein Freund einer alles
umfaſſenden Gelehrſamleit. Seine Lieblingsſchriftſteller
hatte er inne; er beſchraͤnkte ſich eben auf fie. Eine ein-
feitige Vorliebe Heß ihn einige Geſchichtſchreiber, Dichter
D
N
260
und Mathematiler des Alterthums fchägen, wärend ex
ügren Zufammenpaug mit ber ganzen Geſchichte und Bil⸗
bung des Alterthums verachten zu bürfen glaubte. Die
Poeſie erſchien ihm nur. als ein Spiel unferes Geiſtes,
in welchem Sinn ex fie ſelbſt übte, one große Auſprüche
zu machen, fo wie benn überhaupt Gefchmad in der Dar-
legung feiner Gedanken ihm eine ſehr untergeorbmete
Sache war. Noch weniger galt ihm bie Philoſophie
und bie ganze Wiffenfchaft der Alten mit Ausnahme ih⸗
ver Matpematif. So Hatte er ſich doch größtenteils don
diefer Grundlage feiner Bildung loegeſagt. Das Be-
wußtfein davon, daß er eine völlige Umwandlung der
Wiſſenſchaft für nöthig Halte, ſpricht ih ohne Rücpalt
in feinen Werken aus. Die andere Grundlage feiner
Bildung, das Chriſtenthum, erſchien ihm doc in einem
andern Lite. Die Religion überhaupt galt ihm als
Gottesverehrung, welche im Bewußtfein der Schranfen
des Geiſtes und der Natur gegründet if; fie weiſt uns
‚daher auf das Übernatürlihe pin, zu welchem bie natür⸗
lie Wiſſenſchaft feinen Zutritt hat. Hobbes gehört gu
den Raturforfcpern, welche in ver Weiſe eines Telefius,
eines Baron, eines Carteſius das Natürliche und das
Nbernaturliche für die Erfenntnig als zwei ganz geſchie⸗
dene Gebiete anſehn. Wärend die Wiffenfhaft nur das
erfiere lennt, darf fie das andere vorausfegen. Überdies
aber beachtet Hobbes auch die praltifche Seite der Reli⸗
sion. In den Bürgerkriegen hatte er das Verderbliche
„ber Religionöftreitigkeiten lennen gelernt. Er fand das
Übel darin gegrändet, daß die Geiſtlichkeit fih anmapen
wollte aud über Angelegenheiten bes weltlichen Gemein⸗
A6A
weſens zu entſcheiden. Da if fein Kampf gegen bie Hier
rarchie der katholifchen Kirche gerichtet, die ihm auch als
ein Überbleibſel des mittelalterlichen Aberglaubens ver»
haßt iR. Was von der Hierarchie in ber proteſtantiſchen
Kirche übrig geblieben if, faͤlt in dieſelbe Verdammung;
die Kirche aber, deren Nothwendigleit und genaue Ver⸗
bindung mit dem Gemeinweſen ihm doch einleuchtet, will
er nun dem Staate zu völligem Gehorfam unterwerfen.
Hierdurch wird ihm alles, was in der Religion über den
Gedanken des Übernatürlihen und unferes. abhängigen
Verpältniffes vom Übernatürlichen zur Erreichung unferes
Heiles hinausgeht, zu einer Sache äußerkicher Anordnung,
zu einer Übereinkunft über geroiffe Symbole, in welden
wir unfere Verehrung und unfern Gehorfam gegen Gott,
aber auch zugleih gegen den Staat zu erfennen geben.
Und fo wie er nun allen Sachen der Übereinkunft ein
großes Gewicht beilegt, fo entzieht er auch den Symbo⸗
len ber Kirche feine Ehrfurcht nicht, obwohl ex alle weis
tere Überlegung der Wiſſenſchaft davon entfernt halten
möchte. Seine Wiſſenſchaft iR deswegen ohne Zufammen-
hang mit den mächtigfien Intereffen des Geiſtes, mit
den lebendigen Trieben der Phantaſie und des Gemüthe,
wie er fie ſelbſt bezeichnet, nur eine Sache der Berech⸗
nung. Aber au in der Durchführung dieſer Berechnung /
welche von Religion und ‚Mhöner Kunf fi ganz entfernt
halten fol, verfährt er nicht ohne Einfeitigkeit und felt-
fame,. nur ihm verdedte Widerſprüche. Er rechnet mit
Begriffen oder Worten, welche beide er für dasfelbe hält,
deren willlürliche Feſtſtellung er von vorn herein annimmt,
Aber dennoch glaubt er damit die Sachen zu treffen und
Geſede aufftallen ya Tonnen, mehhe jeder Willie entye-
gen find. Die Wapıpeit des Algeweinen verwirht er;
aber dennoch gilt ipm die Weife der Mathematik vom
Algemeinen auf das Befonbere zu fchließen. für bie allein
richtige Methode die Wahrheit zu erforfhen. Die Siune
find ihen der Ausgongepuntt für ‚alles Erkennen; aber
* der Jnduction entzieht er ſich und ſpringt ſogltich durch
die willarliche Feſiſtellung ber Worte zum Allgemeinen
über. Bon bex Herechnung ausgehend, follte man glaus
ben, würde er die. Arlipmetit zur Grundlage feiner Un⸗
terfudgungen wachen, aber in feinem Streite mit Wallis
zeigt er ſich ganz ankere gefinnt. Geinen Gegner durch
philologiſche Genauigleit und logiſche Schärfe in ben
Begriffebeſtimmungen eben fo überlegen, wie in umfaffen-
der Kenntniß der mathematiſchen Technil gegen ihn zu⸗
rudſtehend, möchte er die Auwendung ber Arithmetil auf
die Geometrie lieber garz befeitigen, Man hat biefen
Eigenſinn, welcher ihm dem Tabel aller Motpematifer
zuzog, daraus erklären wollen, daß ex erſt bei ſehr vor
gerüdten Jabren zu feinen mathematiſchen Arbeiten kam;
ex hat aber vielmehr darin feinen Uxfprung, daß er bei
allen feinen Berechnungen. der Begriffe doch eine mater
viele Grundlage alles Seins behauptete und deswegen
die körperlichen Verhältnifie der Geometrie ihm das Erſte
Find und die arithmetiſchen Berechnungen nur au das Körs
perliche fih auſchließen ſollen. Jn ſolchen Einfeitigfeiten
befangen ſucht nun Hobbes ſeine Staͤrle in einer hart⸗
nädigen Folgerichtigleit feiner Schluſſe, welche feine
aͤußerſte Folgerung ſcheut und nur ba ihre Schwächen
verraͤth, wo von verſchiedenen Ausgangspunlten aus ent⸗
gegengefegte Ergebniſſe hervortreten wollen. „Der Gieenge
feiner Folgerungen iſt er ſich bewußt. und nicht ſelten
ſpricht ſich fein Selbſtgefül nicht praleriſch, aber mit aller
Härte aus, welche das Bewußtſein eines überlegenen
Talents in einer .einfoitigen Fertigleit zu. begleiten pflegt.
Man yat dies als Eitelteit ihm ausgelegt und wir wol-
len nicht behaupten, daß er von allen Anwanblungen der⸗
felben frei geweſen; aber fo weit. wurbe er von ihr nicht
beherrſcht, daß ex zu allen feinen Arbeiten eine zaͤrtliche
Borlicbe getragen hättez nur die Schärfe ‚feines wiſſen⸗
ſchaftlichen Verfahrens laͤßt er ſich nicht rauben. Ihr
vertrauend tadelt er ſelbſt in ausführlicher Erörterung bie
Elemente des Eullides, feines Lehrmeiſters, welchen ex für
den einzigen wiſſenſchaftlichen Geiſt unter den Alten gels
‚ten laͤßt. Auf diefer wiſſenſchaftlichen Genauigkeit in feir
nem Berfahren beruhen feine Erfolge. Er ift von einem
folgen Bewußtſein derſelben erfüllt. Niemand, meint er,
würde das Licht, welches der größte Theil feiner Werke
in der Welt verbreitet habe, auslöfgen Können, auch er
ſelbſt nicht, follte ex es auch wollen N '
Es kaun hiernach nicht verwundern, daß er die mas
thematiſche Methode in hohem Grade verefrt. Sie iR
die Methode aller feiner philofophifhen Werle ). Er
lobt fie als die ſicherſte, welche von unfcpeinbaren, jeber-
1) An answer to bishop Bramhall p. 459.
2) Ich bediene mid der Originalausgabe feiner phitofophäfchen
Sqhriften · Thomae Hobbes opera philosophica, quae Jatine scrip-
sit omnia. Amstelod, 1668. 4, und der Sammlung feiner Engliſchen
Schriften: The moral and political works of Th, Hohbes.
Lond. 1750. fol. "
mann verftaͤndlichen Orundfägen aus Schritt vor Gärit
vorſchreitend Die wigtigfen Bolgerungen zu ihrem Erzth⸗
niß habe H. Aber er tadelt, daß fie noch nicht in ihren
weiteſten Umfange angemenbet worden. In aͤhnlicer
Weiſe, wie Bacon, hat er den Nutzen für das menſch⸗
lie Leben im Auge ®) und da finbet er nun, daß die
Matpematit mit allen ihren Erfindungen und bie Phyfl
mit allen ihren unflpern Hypotpefen 3) doch viel wenig
gu bedeuten haben als bie Moral und bie Politil, melde,
ſollten fie auch nur vor Schaden uns bepüten *), deh
die wichtigſten Guter des Lebens im Ange hätten. Geger
diefe dürften Mathematit und Phyſit nur wie ein Epkl
gelten 9. Geine Abſicht iR daher darauf geridtet der
Potitit eine eben fo feRe Grundlage und Methode u
geben, wie die Matpematit fie lange ſchon befkt‘)-
Er betrachtet aber :die Ethit und die Politif als Theit
der Phyſit, welche auch durch die Hülfe der Matpemati
4) Hum. nat. 13, 3 p. 30; examinatio et omendatio malhe-
maticae hodiernae p. 18.
2) Leviath. 46 p.396; de corpore 1, 6. Ad commola
nostra, — — ‘ad vitae humanae usus. Die Luft am Bifen
foü nicht fo hoch angefhlagm werden. De homine 10, 4 pfli
11,9.
3) Probl. phys, dedic.; exam. et em. math. hod. p.3l; ie
corp. dedic. -
4) De corp. 1, 7.
5) Quädratura eirculi dedie. Scio philosophiam seriam uni-
cam esse, quae versalur circa pacem et fortunas oivium, prir-
eipalem, caeteras nihil esse praeter ludum.
6) A dialogue between a philosopher and a student of he
common laws p.539; exam. et em. math. hod. p. 18; de corp. 17:
in eine heffere Form gebracht werben ſoll H, und fann ſich
daper. ber Aufgabe. nicht entziehn den ganzen Körper der
Philoſophie in Unterfuhung zu nehmen. Nur die Polis
it- iR fein Hauptzweck; die äbrigen Theile der Philoſophie
find nur in kurzen Entwürfen von ihm behandelt wor⸗
den, in welchen er fi erlaubt das von Andern fon
Ausgefüßrte vorauszuſetzen.
Die Ppitofoppie fol ihm. nun ein firenges Ganzes
bilden, weldes in einer Verlettung von Schlüffen durchs
zuführen fein würde. Erſt hierdurch werde fie eine Wiſ⸗
ſenſchaft, eine allgemeine Wiſſenſchaft, welche alles Er⸗
lenubare umfaſſen und durch Vernunft und Schluß ber
greifen fol. Dieſer Wiffenfhaft flelit er die Er-
fahrung entgegen, melde nur Kenntniß der Thatſachen
gewähre, nur eine geſchichtliche Kenntniß biete, aber nichts
Zufammenpängendes, Teine allgemeine Wiſſenſchaft ges
währe. Die Erfahrung bringe uns nur eine Wieberer-
innerung an bie Folge der Erfheinungen, gebe aber kei⸗
, f B .
1) Exam. et em. math. hod. p. 22.‘ Bergl. jedoch Leviath. 9
p. 131; de corp. 6, 6; 17. Hobbes iſt der Einteilung ber Pie ,
loſophie nicht ganz ficher.
2) Exam. et em. math. hod. p.20. Una est omnium reram
scientia universalis, quae appellatur philosophia, quam sic de-
finio:, philosophia est aocidentium, quae apparent ex cognitis
eorum generalionibus et rursus ex. cognitis 'accidentibus gene-
rationum, quae esse possunt, per rectam rationem cognilio
acquisita. Hierbei denft Hobbes an den Gegenfag zwiſchen analptis
fer und ſynthetiſcher Metpode, welcher feit den log iſchen Unterfus
ungen der neuern Peripatetiter viel beſprochen wurde, ohne daß
man etwas Genaues über ihn ermittelt hätte. Auch Hobbes hat über
ihn mandes, aber nur Ungenügendes. De corp. 6, 4 sqq.; 20,
65 cf. ib.25, 1. B
Geſch. d. Philof. x. 30 ..
‚
men allgemeinen Echluß ab; die Wilenfhaft dagegen ſol
wicht bei den Thatſachen ſtehn bleiben, fondern ipre Ur⸗
ſachen erforſchen und durch allgemeine Schläffe unkrög-
Ude Wahrheiten erlennen Ichren 3. In biefem Ginn
läßt er ſich nicht felten ſehr veraͤchtlich über bie Erfah
zung aus und betrachtet bie Naturgeſchichte, wie hoch
fie auch Bacon gehalten hatte, nur als etwas Kindiſches 9.
Man wird nit verlennen, daß Hobbes in der Bezeichnung
dieſes Begenfages das Ideal der Philoſophie, wie er es
ſich denft, befchreiben will; in der Ausführung feiner Po⸗
Hitit ſieht er ſich felbft genöthigt von ber Strenge feiner
Metpode nachzulaſſen. Im firengen Wege ber Bifen-
ſchaft, meint er, würde man nur durch Geometrie und
Phyfit zur Erlenutniß der Gemuͤthsbewegungen gelangen,
welche bein fittlichen Leben der Menſchen und ihrem Staate
zum Grunde liegen; aber es gebe auch einen kuͤrzern Weg,
weichen man hierzu einfchlagen könne, indem ein jeder
nur auf feine eigene Erfahrung von ſich ſelbſt zurädge
hend die Gründe finden könnte, welche zur Bildung eines
Geweinweſens uns antreiben 5). Sollte er vieleicht ber
merkt haben, daß ‚von den geometriſchen und phyfifgen |
Lehren über ‚die Bewegung doch fein völlig geebneter .
1) Exam. et em. matb. hod. p.16; de. cerp. 1,2; 6, 1;
25, 8; ham. nat. 4, 6; 10. Baporicaon ooncludeth nothing
universally.
“ 2) Exam. et em, math. hod. p. 181. .
3) Ib. 6, 7. Sed eilam ii, qui priorem pariem philose-
phiac, nimirum geometriam et physicam non didicere, ad prin-
cipia tamen philosophise civilis methode analylica perrenire
possunt, — — ld quod per unius cujusque proprium animum
examinanlis experienliam cognosci potest,
483
Fottſchrin zu den: Beweguigen‘ ber Seele fih ergeben.
wi? Auf jeden Fall weren.übkr. hicrin eine Anbeque⸗
mung an bie gemein verſaͤndliche Denlweiſe erblicken můf⸗
fen, welche nicht erwarten laͤßt, daß er einen ununter⸗
brochenen wiſſenſchaftlichen Bang 'npu denfelben Grunde
ſãtzen aus durch feine ganze Lehre durchführen werde.
Die Erfahrung, welche er. vorher ziemlich ſchnöde von
der Wiſſenſchaft ausgeſchloſſen hatte; laͤßt er nun doch
auf eine bedenkliche Weiſe in die Entwidtung der Bir
ſenſchaft eingreifen. j
Noch bedenfticher iſt das, was er über Die Rolle der
Bermunft in der Wiffenfpaft Außert.-. Unter Vernunft
verficht er nur das Vermögen: zu:fgließen. Wenn
wir nad richtigen Grunbfägen richtig folgern, fo.Idgwe
wir und richtige Vernunft bet wenn. wir ‚bagegenzu
widerſprechenden Folgerungen kommen, fo Halten wir dies
- für vernunftwibrig." Da alles Schließen auf dem Sage
des Widerſpruchs beruht, gilt dieſer auch für den Grund
aller Philoſophit 2). Die richtigen Grundfäge für das
Schließen Teitet aber Hobbes ohne Ausnahme aus Bes
griffserflärungen ab. Alle Ariome will er aus der Ma-
thematit und ber Philofophie -entfernt wiſſen, indem er
behauptet, daß fie aus Begriffserflärungen bewieſen wer⸗
den koͤnnten ). Alle Begriffserflärungen find aber nur -
4) Hum. nat. 5, 12; de-cive 2, 1 not.; de corp. 1, 3.
2) De corp. 2, 8. Hujus axiomafis certitudo — — prin⸗
cipium est et fundamentum omnis ratiocinationis, i. e. omnid
philosophiae, Hum. nat. 5, 12.
3) De corp. 3, 9; Leviath. 4 p. 109; exam. et em. mh,
hod. p. 27.
30%
Namenerlärungen‘. und die. Namen haben wir ben Din⸗
gen wißtürkich beigelegd-}).. Es bam ihm wohl nicht un
-befannt geblieben: feim.,2. af er mit der Lehre Wilhelme
von Decam, .beffen Logik zu feiner, Zeit zu Oxford ge
lehrt und wieder aufgelegt: wurde, übrzeinfiimmte, wenk
ex behauptete, daß ale, Wiſſenſchaſt nur auf richtigem
Gebrauche der Ramen beruhe. Die Namengeber und bie,
welche ihnen beifimmten, Haben willlärlich die erfien Wahr⸗
heiten feſt gefept. Alle; Wähzpeit beruht auf Überein-
Tunft, fo wie in der Rebe, fo in den Gedanfen;. Ausbrud
ver Gedanken ia der Sprache und Gedanken hängen zu⸗
fammen, Den Sägen legen wir Wahrheit bei, wenn fie
zwei Zeichen derſelben Sache mit einander verbinden, ober
work: Zeigen perſchiedener Sachen von einander auszuſa⸗
gen · und verbieten. DE Wahrheit beſteht nur in der
Ausfage, nicht ia der Soͤche ). Daher laͤuft das wiſ⸗
i) De corp. 3, 9. Sunt primas autem” (sc. propositiones)
aihil aliud praeter definitiones vel defnitionis partes et hae solao
principis ‚demonstrationis sunt, ‚nimirum verilates arbitrio lo-
quenlium- audientiumque factae e} propterea indemonstrabiles.
Exam. et em. math. hod. p.27 sq., wo erwähnt wird, daß die
Höchften Gattungen mir durch Beiſpiele erflärt werden könnten. Bus
weiten fheint es, als wollte er eine Benennung der Dinge nach ihrer
Natur annehmen (ib. p48); aber aus mehrerm Grunden entſcheidet
er ſich doch dafür, daß fi m nur auf Willtür beruhe. De corp. 2, 4;
hum. nat, 10, 2
2).De corp. 3, 2; 7. Veritss enim in diöto, non in re
copgistit, Ib. 8. Veritates omnium primas orias esse ab arhitio
eorum, qui nomina rebus primi imposuerant vel ab aliis posita
acceperunt.‘ Leviath. 4 p. 109. True and false are attributes
"of speech, not of things. Jeder Streit läuft daher nur auf Wort:
ſtreit hinaus. Exam. et em. math. hod. p. 13.
fenſchaflliche ‚Dehten airf-iein Motten oder Subtrahiren
von’ Worten! und Bogiffen hinausnnd befehb iin seinem
Rechnen saltı Worten, weiheigut Bozeichaung ber Gndhen
dienen. Nur in einer ‚nein Musheignäng. heſchicht dies
im Schluffe ale Yin Gage unh zaflulärrnunft iii uchts
weiter als ein ſolches ·Rechnen 2); Hierin vaterfcheiden
ſich die Menſchen vonoden nmucninfliger Wieren; Rie ha⸗
ben / Sprache und daria beſteht thoe Vernuuft / Dirnm/
genden Übrigen Thieren auch wohl Virſtand au Denlemzu ⸗
ſchreiben; aber fie konnen dasſcabr hüht in willlarlichen
Zeichen Ausdrucken und vahrvikohimt! ihnen Tehı: Wiffen
ſchaft· und ‘feine Vernunftu Ju Moci Diefe Aufſteht. legt den
Sprache Bas: größte Gewtcht beis- alle veruuuftige· inz
richtungen / des Lebensberuen auf ihr YenrWaa [dpa
daß ſiendie ¶ Wiffenſchaſs mir A mar Bien Sri
und ‚ben: Überkinfunft uiqe. nagätl 3°. ———
: Wenn:iwir bei: eigemwiffenſchafttichen MamesSäge
fi ehwidgtn :fehen,, welche ‚nie Miſfenſchatt ſortitf cher⸗
Abfegew, ſo werben wir wohl avuchateni Bikakeh ‚eng: fi
nid ohne einen geheimen Vorbehalt· auozriorochen "weit
den. Hobbes lann vach feinen Bchro! um nen: Bonninft
nicht / Jugeben, daß: fie” etmwsMägebörkesn johläinterised -
fHräntt ‚man. auch : den. — DE NP 771 17907707
. Brain en ln Trmie
-4).De worpi 1, 2. Recht, iteque Re doea one ·
raliones animi, additionem et subtractionem. Ib. 4; 6; Le-
viath. 5 p. 112. Reason — — is nothing but reckoning.
"2)-Eöviath.:2 p. 103; 4° pr Hif:"E8’ wild Babel’ Verftand im
engern und fin weitern Sinn unterſchieden und tm enftenti Sinti’ den
unpernhntigen Thicren ahgefproden. De hol, do; r" '39;- de
comp. 3,80. . .
3) Ds hom. 10, 3 p. 59 2q. J
möchte. Ban Turn mußt gewahr werben, daß ihn in
feine Lehre von Bermunft- und Wiſſenſchaft befaubers feine
und ongehomme Vegxiffe keimohnen fellien, sutiut er, ſo
würben fie und -Igtmerogegenwägtig fein, was Son leinen
nuſtrer Begeiffe glfagt (werden töaute?). Die. Sprache
iR eben mur etwas Erworhenes md: daher lann auch bie
Bernuuſt, weiche auf ihn beraht, zur etwas Erwotbeucs
fein D.. Dennod tedet Hebbes nicht felten von der Ber
amaft als von etwaa war: Amgebesitem. Selbſt die Phi⸗
leſophie beircheet erials ive· oulaliche; dem Menſchen
angehpene Meruaftz.welde: nun: durch Kun‘ weiter · aus
gebildet tuwähen. follte 3).,5 Sole dich auch aur heißen,
daß Dit: Menſchen, Yon Matanivan: den smveruünftigen
WyiexpD unierjieben, hie Faͤhiglein ver Sprache in jhrem
angebornen Wefen trügen, fo wadehe da doch voraraſehen,
vapzeiner hüpere . mta liche Anlage · zur Erienninig: der
Wehtpeit: ihaen beittähnte, deren Ausbildung wicht als
köln’ von Billär:-obfängig!-Teia twärde. Auf eine mas
törliche- ana gefepmäßigr Entwidlung. einer ſolchen hoͤbern
Anlage deuien:nisle. Saͤte unſeres Philoſophen pin. Ju
dieſen. Sinn wish die Vernunft als ein von Ratur ‚und
eingepfangindn Gefess, welches in umferm Innern uns ein ⸗
gegraben iſt, als ein göttliches Geſetz ober ein und ein,
grborme bomiges Bun verepit und ihr foger bie Er⸗
1) Objectionen in PRRER wedilsinnes 8 (Cart. op.
Francof; 1692).
. 2):Ba cerp«-6, 2.
3) B. 1,1. Philosophia, Le ro natura, in omei ho-
mins innata est.
44
lenatnitßz des Zufliuftigen, zugeſchritben 1). Nicht weniger
entfernt es ſich von der Anßcht, datz wir nun. durch die
Sprache Berrvunft haben, wenn Hobbes bebenntet, bag,
es. für alle Menſchen nur eine Vrrmunft gabe , obgleich
er in ſeinen Brweiſen daftzr, daB die Sprache auf Mill⸗
küx berube, nicht umhin kann die Verſchiedenbeit der Spron
ben u berudſichtigen. Ja in biefer Richtung feiner. Ge⸗
baufen geßeht er. ſogar zu, daß zwar ben eimelae Men
ohne Übereinkunft der Sprache keinen Beweis durch Morte
mäzde führen.önnen; daß er aber doch fähig fein. mürde
Vie Wahrheit einaſehn und.zu philoſophiten 5: Es wird
fich hieran nicht verleunen Iaffen, daß in der Gntwül
kung feiner. Gedanken gwei verfehledene.-unk:, ii Wider⸗
ru; ſtehende Begriffe von der. Vernunft. fich eingeſchli⸗
Sen, haben. "Wer dirs Überfhen folte,: marde dadurch
ti Verftͤndniſſe feiner. un pr wauſtrach gehört
fepen. u 2
: Das auffallendfe Zeigen: ver wiegen Ric
bangen feiner .Denkweife findet ſich in feinen : "Bußerungen
über „bie Vigericen im Wenelner. ‚Bir, haben “
1) De eire dedic, Ineipit in ipsis dubitahdi tenebris Alam
quoddam rationis, cujus ductu evaditur in’ Iucem elärfssimam'}
ibi prineipiam dooendi est. : Ib. praf,, wo die dielagnipa -ratio-
nis als leges näturales anigsfehn werben, wie dieß dfters von Hobbes
geigieht. Ib. 3, 31. Praesentia sensibue, fulura ralione per-
cipiuntar. Ib. 4, 1; 14, 4 Naturalis (sc, jez) ea est, quam
deus omnibus hominibus patefeeit per verbum-auum aeternum
ipsis innatam, nimirdm rationem nataralem. Leviash. 31 p. 255.
God declareth his laws — — by the diolates of natural reason.
2) A dialogue p.590.
3) De corp. 6, 11.
472
ſehn, wie gering er die Erfahrung achtet; die Erinne⸗
rung, welche die Erfahrung begleitet, wird ihm nicht hör
der gelten Können. Wenn er nun aber Die Wiffenſchaft
der Vernunft auf · dir Beilegung -der- Namen zurädfäprt,
fo wird es ihm wohl ſchwerlich entgehn können, daß er
fie zu einer Bade des Gedäͤqtniſſes, der Erinnerung an
die einmal fefkgefkellten Namen oder gu einer Sache der
Erfahrung mat. Es fehlen uicht die: beſtimmteſten Er⸗
Märungen darüber, daß er. diefer Folgerung ſich nicht ent⸗
ieden fan. : Bon der erfien Phuloſephle ſagt er, dap fr
Niugheit im richtigen Deſmiren fei, welche durch bie Er⸗
fahrung des Sprachgebrauchs gewonnen werde). Ei
zogert aldbann aud nicht zu bekennen, daß alle Wiſſen⸗
ſchaft Erinwerung ſei ). Wenn er auch geſchichttiche
Kennieig und wiſſenſchaftliche Evtdenz unterſcheidet, fo
laufen iin Body beide auf Erfahrung hinaus. Es erſcheint
ihm nun als der ſtarlſte Beweis für die Wahrheit eines
Sapes, wenn in ipm alle Menſchen übereinſtimmen, ob-
gleich ex. auf das Zeugniß der Menge nur wenig Gewicht
Iogen ann, weil er findet, baf. nur wenige eines ger
nauen Sprachgebrauchs fich befleißigen ). Noch von eis
ner anbern Seite her giebt fih dieſer Widerſpruch in den
Grundlagen feiner Denlweiſe zu erfennen. Seine Ans
fit von ver Wiſſenſchaft hat die größte Apatigkeit mi
1) Exam. et em. ‚math. hod. 2. Et 'baec quidem sive
peritia sie prudentia recte definiendi, quae aequiritar expe-
rientia circa verborum usum, vocatur pbilosophia prima.
2) De eivo 18, 4. Neque temere olim a Platone diotum
est scientiam esse memoriam.
3) Hum. nat. 6, 1; Leviath. 9 p. 130.
4) Hum. nat. 13, 3.
473
der Richtung, welche die nominaliſtiſchen Philologen ver⸗
folgten; wit ihnen theilt er aber auch die Richtung bir
neuern Wiſſenſchaft auf die Erlenntniß des: Reale In
ihr erflärt er fi ‚dafür, daß es bei Unterſuchung der
Wahrheit auf bie allgemeinen Kategorien wenig anlomme;
wir follen vielmehr bie Sachen / in das Auge faſſen D.
Aber er lann ſich doch nicht verhehlen, daß nad ſeiner
Erklärung von der Vernunft und: der Wiſſenſchaft aus
der Beilegung der Namen feine Erkennmiß der Sachen
füh ergebe. Da kommen nun ſehr ſteptiſche Erllaͤrungen
über das, was wir unſer Erfennen nennen, zu Tage)
Wir fleigen nicht in die Sachen hinein; in, allem unferm
Denken bleiben wir nur: bei uns; follten wir auch die
Größen und’ Bewegungen der Himmelslichter und bes
Erde berechnen, wir bleiben dabei immer nur ruhig in
unferer Stubirßube, wohl gar in ber Finſterniß und rech⸗
nen nur die Erſcheinungen und Borflelungen in uns ſelbſt
zuſammen 9. Bon der Subflanz der Dinge haben wir
feinen Begriff, die erſte Materie, an welcher alles haften
ſoll, iſt uns unbefannt, und wenn wir auch das Dafein
der Subftanz. erfäliegen tönnen, fo haben wir. doc feine
Borfielung von. ihr 5). Hierbei wirb nun zugegeben, daß
1) De corp. 2, 16.
2) De corp. 7,1. Immo vero, si ad ea, quae ratiocinando
facimus, animum diligenter.advertimus, ne stantibus quidem
rebus aliud computamus, quam phantasmata nostra ; non enim,
"si coeli aut terrae magnitudines motusque compntamts, in coe-
lum ascendimus, ut ipsum in partes dividamus aut motus ejus
mensuremus, sed quieti in museo'vel in tenebris id faeimus.
3) Obj. in Cart. med. p.87. Notavi saepius ante neque dei
neque animaeo dari ullam ideam, addo jam neque substantine;
4174
unfere Wiſſenſchaft doch nicht bleß eine Kenntniß vom
Namen und Worten if, ſondern auch Vorſtellungen, wenn
auch nicht von Gubfangen, und gewaͤhrt und nur gleich⸗
ſam um unferm: ngefiämen ‚Verlangen nach der Erfeunt-
niß der Sachen nachtegeben, weint Hobbes, wir fönnien
As wohl act, was mit'citem Rauen beuannt werke,
eine Sache mentien 2).
. Um nım ſolche auffallend Biberfpräie: in der Lehre
über Bernunft und Wiſſenſchaft ſich begreiſlich zu machen,
muß man: im feine Gedanlen über die Entſtehung unferer
Erlenntniſſe eingehn. Trot ſeiner entſchiedenen Apneis
gung gegen die Methode Bacon's ſtimmt er über den
Udprung unferer Exfenntniß mit-ipm überein. One al,
les Btdenlen belennt ex fih zum Senfunlismus; Wir bes
wertten ſchon feine. Abneigung gegen’ bie. Lehre von den
angebormen Begriffenz afle Gedanken. kommen uns viel⸗
mehr von den Sinnen. Wir koͤnnen urſprüngliche und
abgeleitete Erlenatniſſe unterſcheiden; die erſtern find finn-
liche Empfindungen, die andern find Nachwirkungen, Eos
pien der Empfindungen in unferer Serlt ). Hierzu ge⸗
Hört alles, was wir im Gedaͤchtniß. haben. CEingedent
fein heißt nichts anderes ald empfindet, daß. man em⸗
substantia enim ut quae est materia subjecta noeidentibes ei
mufationibus, sola ratiocinalione evincitur, neo tamen concipi-
tar aut ideam allam nobis exhibet.
1) De corp. 2, 6. 5
2) Leristh. 1 p.9. The original of tham all (the thong
of man) is that which we call sense, for there is no concep-
ion in a man’s mind which has not at first totally or by parts
bean begotien upon the organs of sense. The rest are deri-
ved from that original, Ib. 9 p. 130; hum. nat, 6, 1.
875
pfunden habe. Sogar · die Grienniniß · aus Offenbarung
erllaͤrt: daher Hobbes, wie Gampancfe, :mır aus einem
Sian für das bernatürliche ). Emyfietung nennen: rnit
den Sinneneindruch, wein und was. Objett desſelben ge⸗
genwaͤrtig ig. wenn das Obhect cutfomd Wwird/ die: ven
ihm: erregte Vorſtellung desſelben aber’ bleibt, fie. nennen
wir das Ginbildung, Imagination. Daß die eiuntal-erregte
Vorſiellung du: uns bleibe; geht and: der natlrlichen "Forts
pflatzuug der: Bewegung in bens; khewegten Gegenſtaude
hervor, ſo mie. au das in: Newegung geſetzte Waſſer
nicht plötlich ſtill ſieht, ſoudern ſich fortbewegt. Nur wire
dunkiere :Emmpfindung iſt die Vewegung unferes Einhils
bungetraft, weil: andere gegenwärtige ſinnliche Eindrude
fie abſchwoͤchen. Bird alsdann die Bemegung. unfenen
Einbitbungäfraftı wieber. bush: eine. fpätere Urſacht ara
Räntt, fo: entſaeht die Wfeberrrinuenung, bie. Tpätigfet
des Gedaͤchtniſſes, welche wie ein ſechſter Sinn angefehe
werden kann *). Hobbes weicht iin dieſen Beſchreibungen
ber Thaͤtigleiten, welche in unſerer finnlichen Seele vor⸗
gehn, von ben Lehren ber peripatetiſchen Schule nicht: we⸗
ſentlich ab, jegt ſich aber den Lehren entgegen, welche ſehr
verbreitet in ſeiner Zeit allen Dingen, Empfindung beilegen
. wollten: ; Daß alle Dinge für äußere. Eindrüde empfäng-
lich find und gegen. fie ihre Rücwirtung haben, fanır er nicht
leugnen, aber er. brhauptet, dag zum Empfinden noch mehr
2) De corp. 1, 8; de cive 15, 3; Leriath. 31 p. 255.
3) Hum. nat. 3, 13 6; Leriath. 2;. de oorp. 25, 7.
476
bangen empfinden und ſie alsdann beurthellen. Das er⸗
Mere geſchleht durch das Bebächtniß, indem wir nom unferer
früpern Enpfladuug mu wiſſen durch eine foßgenbe Ems
pſtudung, welche Der frühen Empfindung fih. noch be
wußt IR). Darch dieſe Aunahme denkt Hobbed: bie re»
Wertes. Tpätigfeit. im Grlennen · zu exfegen, . Gie feht vor»
aus; "daß dir Sinneneindrude wicht ſogleith wirder aus⸗
gelsſcht werden, wenn. fie zur Empfindung: kommen ſollen.
Beau es teine bletbende Einbrüge gäbe, fo würde feine
Vatigleit des Gedachtniſſes fein, durch wehhe wir unfere
Eapfiadungen empfänben. und und berfelben bewußt. wärs
den. Das Beurteilen unſerer Empfinbdngen entfpringt
aber etſt dutch ben Mechfet. der, Eindeace, ohne weihen
wir fie wicht unterſcheiden und mit einander vergleigen,
alſo tein Urtheil über fie fällen Ebunten,. Daher ſind
teſthalten und Abfonbern ber Eindrüde für" das: Eupfin-
den nöthig. Und da wir nicht bepaupten Können, dah
dieſe beiden Punkte beinallen Dingen. vorfommen, welche
änfere Eindräde empfangen, fo dürfen wir au nicht
annehmen, daß alle Dinge empfinden 2). Hieraus ergieht
ſich mun auch, daß eine Folge der Vorſtellungen, welche
ſich von einander unterſcheiden und mit einander vers
binden laſſen, bei allen empfindenden Weſen vorlommen
muß. Hierauf beraht das Zuſammenrechnen und Abzles
hen der Vorſtellungen, weldes wir deuten und -difcuriren
-4) De corp. 25, 1. Sed quo, inquies, sensu contemplabi-
mur sensionem? Eodem ipso. Seilicet aliorum sensibilium,
etsi praetereuntium ad aliquod famen tempus manen3 (manen-
tiam ?) memoria.
2) De-corp. 25, 5 ng; de kom. 2 p. 18.
Di
Dir
nennen, „ Wenu man dies Verftaud, nednt, fo: wird. man
aud den Tpieren, welche Empfindung haben, wie wir, den -
Verſtand nicht abſprechen dürfen. Es findet dabei Ratt ein
Hervorsufen einer Borftellung durch eine andere, welche als
eine Erinnerung oder als ein Zeichen jener angelehn werben
Kann ?), Die Folge der. Vorſtellungen kann jedoch in einer or⸗
dentlichen oder in einer unregelmäßigen Weiſe vor ſich gehen;
das erftere gefchieht, wenn bie urſprüngliche Folge der Empfin»
durgen vorwärts ober rüdwärtd: beobachtet wird, fo daß wir
das Frügere auf das Spätere, das Spätere auf das Frühere,
dabei auch eingerechnet, was gleichzeitig geſchah, ohne
Sprünge in gleihmägiger Weiſe folgen laſſen. Dies if,
was wir Erfahrung nennen 2). Sie wohnt aud den uns
vernänftigen Tieren und zuweilen in höherem Grabe
als den Menſchen bei. Aber mit Sicherheit laͤßt fih aus
ihr nichts erſchließen, denn alle die Zeichen, welche wir
durch die Erfahrung von ber Folge früherer Empfinduns
gen empfangen und bewahren, gewähren nur eine Bers ”
mutpung ‚darüber, daß au Tünftig eine aͤhnliche Bolge
ſich ergeben werde. Es laͤßt fih erwarten, daß Ähnli⸗
ches wiederkehren werde; aber wenn wir auch immer Tag
und Nacht einander haben folgen ſehen, fo dürfen wir
daraus doch nicht fließen, daß es immer fo geweſen
oder daß es immer fo fein werde. Erfahrung. giebt
Klugheit, aber nicht Weisheit, nicht Wiſſenſchaft. Nim⸗
4) Hum. nat. 4; Leviath. 2, 3. Mental discourse.
2) Hum. nat. 4, 6. Experience — is nothing else but re-
membrance of what anteoedents have been followed by what
consequenis, u
er
Ars
wende 1 om dr in almles Erin
weh .
Diefe fenfuaitige Erklarung unferer Erlenntniß führt
alſo doch aur zur Wahrſcheinlichleit, welche eine kluge Er⸗
wartung bes Bufünftigen uns gewaͤhren könnte. Dieſer
Mann, welcher in feinen Lehren mit ber größten Zuver⸗
Ft auftritt, ruht doch im allen feinen Behauptungen
auf einem fehe ſleptiſchen Grunde und ik ſich befien
wohl bewußt. Won ber natheligen Wiſſenſchaft, weiche
aus unfern ſianlichen Bäpigleiten uns zuwaͤchſt, iR es ger
fagt, daß alle Wiſſenſchaft und aller Verſtand bes Den
ſchen nichts anderes iR als ein Tumult unferes Geifes,
der von ben äußern, unfern Sinn brüdenben Gegenſtaͤn⸗
den und erregt werde). Wir fehen wohl, warum er
der Methode Bacon's nicht vertrausm lann.
Aber hierbei fann er nun doch nicht ſtehen bleiben
uns nur Mutpmaßungen und Wahrſcheinlichleiten zu ger
Ratten, Er kennt die Gewißheit der allgemeinen Säge
aus der Matpematit, deren Methode er verehrt. Dapır
greift er zu meuen Unterſcheidungen. Zeichen und Namen
find: von verſchiedener Art. Die Zeichen find von natür⸗
1) Leviath. 3; hum. nat. &, 7 sqq.; 10. For though a man
have always seen the day and night to follow one another
hitherto, yet can he not thence conclude they shall do so ar
bat they have so eternally. Experience concladeih nothing
universally. If the signs hit twenty times for one missing, a
man may lay a wager of twenty to one of ihe event, but may
mot conclade it for a truth. Ib. 8, 3.
2) De cive 15, 14 p118, Quae (sc. scientia et inteleeins)
in nobis nibil aliud sunt, quam suscitatus a rebus extornin om
‚gana praementibus animi tumultus,
lichem Urſprunge, von derſelben Art, wie die Stepkiter,
wie Wilhelm son Occam fie beſchrieben hatten, erimernde
Beiden, wie die Wolfe an’ den Regen, wie der Seufzer
an ben Schmerz erinnert; fie find nicht in unferer Gewaltz
bie Namen dagegen find willkürlich, in unferer Gewal
und fönnen daher ganz nach unferer Wilifär gebraudt
werden; fie geben uns Kennzeichen der Dinge ab, d. h.
der Borftelungen, welche wir früher in uns gehabt has
ben und durch ihre Hülfe bringen wir aud unfere Bors
fellungen in unfere Gewalt, indem wir durd fie an dies
felben erinnern, fo daß wir in jedem Augenblide im
Stande find. die Vorfiellung uns hervorzurufen, welche
mif dem Nanien verknüpft if. Erft durch dieſe Erfindung’
der Ramen werbem wir befähigt eine nach unferm Willen \
georbnete Folge ber Vorftellungen hervorzubringen 2).
Indem wir fo bie Folge der Borflellungen in unfere Ge⸗
walt bringen, machen wir fie auch uns erfennbarz denn
mur das ift erlennbar für uns, was in unſerer Gewalt
iſt). Die Worte, deren Bebeutung wir nun einmal
feſtgeſetzt haben, dienen alsdann unſerm Gedaächtniß und
bringen es hervor, daß wir nun für immer etwas ausſa⸗
gen koͤnnen, weil wir einmal beſchloſſen haben, daß der
Name dieſe Bedeutung haben und daß zwei oder mehrere
Namen für dieſelbe Sache fein follen. So gilt der Sag
ohne Ausnahme für immer, daß der Menfc ein vernünf-
1) Notae und signa werden unterſchieden; die Namen werben als
notae gebraucht, zuerft für uns felbft zur Erinnerung, alsdann aber
auch zur Mittheilung für ander, Ham. nat. 5; de sorp- > u 3
de hom. 10, 1; Leviath. 5 p. 112.
2) De hom. 10, 5. -
tiges Tpier it, weil wir fegefept haben, daß Nuih
und vernünftiges Thier uns basjelbe bebeuten ſollen.
Yaf diefem Wege gereinnen wir ewige Waprpeiten; denn
der Name bleibt und. behauptet feine Bedeutung, wenn
auch die Sache, welche dadurch bezeichnet wird, gar nit
vorhanden fein folte). Wir gewinnen dadurch auf
allgemeine Wahrheiten, welche für alle Bälle gelten, weil
die Worte, welche wir. einmal für alle in einer beſtimm⸗
tem Bedeutung feſtgeſtellt Haben, eine unendliche Bedew
tang haben). Bei biefer Erklärung, wie wir zu ber
Aveſage allgemeiner und ewiger Wahrpeiten gelangen,
bleiben bie Sachen ganz außer Spiel; denn es handelt
ſich in ihr nur um Namen, dur welche wir andere Ras
men zufanmenfaffen und welche wir alsdann von biefen
Namen allgemein ausfagen können 5). Diefe nominalis
ſtiſche Denkweife über die allgemeinen Begriffe oder Worte
wird von Hobbes ohne weitern Beweis angenommen.
Es giebt nit Allgemeines außer Namen. Hobbes geht
hierin noch weiter als Nigolius, indem ex auch das Ganze,
4) Obj. in Cart. med. p.91. Etsi nullus angulus existeret
in mundo, tamen nomen maneret et sempiterna erit veritas
propostionie its, riangulam ent habens tres angulos duobus
rectis aequales.
2) De corp. 6, 11. Ohne Worte würden wir für einen jer
den befondern Fall befonders unterfuchen müffen. Id, quod per vo-
cabulorum usum, quorum unumguodgue universale singulariam
rerum conceptus denotat infinitarum , necesse non est.
3) Ib. 2, 9. Est ergo nomen hoc universale non rei alicu-
jus existentis in rerum natura neque ideae sive phantasmatis
alicujus in animo formati, sed alicujus semper vocis sive no-
minis nomen. Ih. 2, 10, wo auch die nominaliftifcje Terminologie
nomina primae et secundae intentionis angewendet wird.
2
welihes durch ben; allgenseinen: Rumbi-iyadiileigufaht
werde, nicht weiter in Betracht zicht, ſondrrü aure inbis
vibuelle Dinge in der Weile der ſchblaſtiſchen / Moulinals⸗
ſten als das Wahre in. den Weit: anerkauntwiſſen null
Er. bedarf nun natũrlich. auch Teines beſondern Verindgund
unſerer Seele: für die Grleuminip. dee: Allgerheikeny: fon
dern der Verſſand ii: engem Sinne,n wit en;.mar..ben
Menſchen zulommt, iſt ihm nar / eine Nhaͤtiglekt bes Eine
bildungokraft, welthe die Bedeutung bes Ramen ſich merkt
und verſteht 23, .::Auf! deeſe Meifenertlärti fich ihm, “wis
Dior Menfcpen yzürieinenı "aflgemeinen Wiſſtuſch aft gelangen
können, under drr Borausfegung ‚ daß ſienzun einer ÜBerk
eintunft über die Vebdeuung dar / Namen Fomnet., {weis
lich der ſchwierige Panlt, wie /eine ſolche unter⸗ ihurn ſigß
bilden moge wird⸗ von ihm ſibetzangen⸗ 11409. ui.“
Da jeboig: hei':biefer Ertläͤrung Bes Wigfenfihaft nichta
fur / die Erlenniniß der Sachen abfaͤllt;. ſicht: ſuh Hobbae
gendthigt· noch zw · einer andern Vorausfetzung⸗ ſelus · gu ⸗
flucht zu nehmen. Er gehti dadon aus die Enwpfindung als
die Grundlage aller· Erleuutniß gencuern zu⸗ umtetſuchen.
Nach ſeiner Weiſe bagmmbrrgimit einer Erllaͤruug derſelben
Um fle:zu verſtehn uni ſſen wir jedvch· bemerlen, iidaß er
hietmit!-einen nenen Anläuf in der Eatwickſungn heiner
Gebdanlen nimmt. Die MPhiloſophie verfolgt past vorſchie⸗
dene Methoden.v Die reine:gept: von dex Entſtehuug auq
und zieht aug ihr die Folgerungen oder Birfungen; „die
andere. oedi. Boah irfungen, aus und. Aa ‚haiaus
1) Ham Dat Fr & Nothing. universal kur num
4 p. 108. Eure Be Te
2) De ;corp. 2. Mi u ine on ne ns
Geſch. d. Philof. X
Vie mögtiher-Mintfiehung ober bie moͤglichen Unfacen ab.
Die erſte Methode wird von der erſten Ppilofophie, von
der. Mathematil und von der matpematijchen Mechanil
beobaihtet, bie ‚andere. non: ber Phyſil. Im jenen Bil
fenfaften::paben wir es mit den Namen und Definitiss
men, welde wir ſelbſt made, und mit ihren untrüglien
Folgerungen zu thunz .in ber Phyſtk dagegen ‚gehen wir
‚ von ben Phänsmenen :oder Wirkungen der Natur aus,
. welche und. durch dies Sinne bekannt find; dieſe haben. wir
nicht in unſerer Gewalt und bie Principien baher, von
welden wir in ber Pyyſik ausgehen muͤſſen, werben auch
nicht: in allgemeiner Weile von uns feſtgeſtellt werden
Lingen ,.fondera wir beobachten ſie nur als eimas, mad
im Beſondern u votkommt ober was in feiner Einzelpeit
vom Schöpfer der Welt hervorgebracht worden iB.N.
Daher Haben. init auch von der Matur nur geringe Erlennt ⸗
29 und ihre Erllaͤrung Fans: nur Moͤgliches und Wahr⸗
ſqeinliches, aber nicht Nothwendiges aufftellen 3." :Das
urfprängliche Phänomen, von welchem alle natürlicge Er⸗
tenntuiß ausgehn muß, if: um! bie Empfindung. Wir
erfahren; .daß.bie Worfellungen in uns ſich ändern, je
nachdem ‚die Sinnenwertzeuge zu biefem oder jenem Ger
genfanye gewendet worden. ‚Daraud erkennen wir, daß
vie Empfindung eine Veränderung bed empfinbenden Koͤr⸗
pers feid). Wit die Empfindung,-fo auch das Denten,
„De corp. 25, 1. Principia igitur, "unde pendent, quao
sequuntur, non facimus nos neo pronunelsinus ‚universaliter ut
definitiones, sed a naturae conditpre ih ipsis rebus posita ob-
servamas,.nec universaliter prolatis, sed dingulis ulimer.
2) De hom. 10, 5; de oorp. 1, 5.
3) De corp. 25, 1. Ad hanc autom inquisitienem condacit
‘ 483
wehrt aus.ihr herpargeht. ı Dafer :katund, Hobbes ver
Adudig darauf zurũck, daß Empfinbung und / Deulen nur
Beraͤnderungen des Koͤrpers find. Es berußt. hierauf fein
Melerialieums, d. h. ſeint Lehre, daß: allea lorperlich ſei,
was wir in und ober ‚außer: uns erlennen koͤrnen. Sub ⸗
ject der. Philoſophie iſt ‚ber: Koͤrper, melchen: einer. Veraͤn ⸗
derung uerworfen iß. Jede Wiſſenſchaft hat der Koͤr⸗
per zu ihrem Gegenſtande De Selbſt der Puntt muß ihm
daher ‚eis: Möuper.. fein-unb “nicht wenigen die: Linis und
bie Flaͤcht. Er rechnet es den. Mathemetilera als ichler
au, daß fie. biefe: Grenzen: „des Koͤrpers aldı cas Unloͤr⸗
pexliches angeſehn, daß fie fogar ı die Untheilbarleit des
- Punktes; behauptet. haͤtten. Der Punkt iß..igmnne cin
Ungetheilies, micht sein Untheilbares; ex bezeichnet, nur den
Möxper, deſſen Gräfe; nüht in. Beirat Tom, und ‚in '
ahnlicher Weife Speicher Fch. and Aber ‚Binie-and, Flaͤcht
auge?) Es iſt nur. ein. Jerthum der Philofoppen. wenn
fie. das Abſtracte fürsfüß, den ‚Gedanken: ohne: Den, den⸗
Barden: Wryer, deuten wollen Ds. Jedes Subieat:iß; Kür
port dem Gedanlen köͤnren ir wirkt won: heykenfonden
Moittie trennen 9, 1 Des Weifl “ nichts "außen: einen, Ber
ed 1 in voii ννν e
prünsdlocd tnbadrvara: planthimatg:moniia rtyn Jeseiskinpdr za«
4;mova ‚abinde, ogifi,qt zeigen, © —— Are
modo, in naum, modo in aliud öbjeotum® Conver-
1" "&enerattilt” erid' el’gelehnt;"" &x'qub Ahtelligitur esse
a eotpoti⸗ aenuantis maias ag. sein
1) De carp. 1, 8; exam. et em. math. had. p. 19.-
2) Exam, etıam,.nıaih, hedı;pi26; 39. Pupeium est’ gor-
pus, \cajus non consideratiui we quantitas, In. A,
3) De:corp. 3, 4. en J
4) Obj. in Cart, med. p. 81.
' Asa
wegung in gewiſſen Teilen des orgoniſchen Körpers’).
Bir wiärden diefen Saͤtzen vieleicht Tnchr vertrauen fin
nen, wenn fie niht auf bie Empfindung :afs das wrfprüng
liche Ypänoimen zurüdgeführt · wurden. Aber Hobbes ſelbſ
belehrt uns, -daf die Gubflanz, als welche er den Kin
per anſieht/ wicht darch den: Sinn erkannt, fondern dard
die Verauaft erſchloſſen werde; er behauptet basfelbe von
der Materie, welche den Veraͤnderungen unterworken fei,
und von. berermpfindenden Seele ). Man wirb ſich du
her ſchwerlich der Folgerung entzogen: fönmen, daß bie
Behauptung, die Empfindung und das Denten ſeien Ver⸗
änderungen bes empfindenden und denlenden Körpers, nur
aus :der Annahme eines willkurlichen Spracgekauds
fließe, da Hobbis gleich neben ferien materialiſtiſchen Sag
den allgemeinen Grundfag feiner Erkenntnißtheorie Pell,
daß die Bernunft nichts don der Natur. der Sachen, ſon⸗
dern nut: ehwas von ihren Namen erſchließen koöͤnne 9.
: -Dafer:treuzt ſich denn auch in dleſer phyſiſchen Lehre
in der Dhaet in ſeltſamer Weiſe der ſteptiſche Sinn: .deö
Bobbes ·mit ſeinen [ehr dogwatiſchen Behauptungen.· Dan
ſollte neinen er haͤtte gegläubt den letztern um Jo: freien
Raum geben zu dürfen, je problematiſcher ihm überhaupt
das Gebiet · der Phyfit: iſtznn auf· owelches feine Erllaärung
ver Ercſindung nut vs" Dentens whs' rufe: "Aber feine
Säge werden doch zuch cher it, eifigt fo. iberfigti
den Überzeugung. ausgeipepgen; Daß man lam un)
—
ran ses Dom
1)"1.-9.83: !Mens. aihil:aled orit prasterquam' ring in
partibus geiblisdetn esrpotis‘ ohgemiai,“i ."i 1 -
2) Ib. p. 81; 86; 87. 5
3) Ib. p. 83. ea he
J
, a0
men Tann, daß ex des ſleptiſchen Brundes aller feiner,
Lehren ſich durchgaͤngig bewußt geblieben ſei. Seinen.
phyſiſchen Erflärungen legt er allgemeine @rundfäge uns. '
ter, welche Hlingen, als ‚machten, fie auf mehr Anſpruch
als Moße Namenerfläraugen-zu fein. An der Spige. ders
felben fleht der Satz, daß nichts feinen Anfang nehme,
won, fih ſelbſt, fondern von der Thätigfeit einer andern,
unmittelbaren Urſache außer ihm felbft jedes anfangen,
müſſe zu fein. Diefer Gag wird alsdann auf das, .
Körperlispe angewendet. Kein Körper Tann fih felbf ber
wegen ober in Ruhe fegen; ber Körper, welcher ſich be⸗
wegt, wisd ſich immerfort bewegen, der Körper, welcher
ruht, wird immerfort ruhen, wenn nicht ein anderer Kör⸗
per Ruhe oder Bewegung in ihm hervorbringt, und zwar
muß der: letztere mit dem erſtern unmittelbar im Raume
in Retiger Berbindung ſtehn 2). Mit diefen Sägen vers
bindet fi ein anderer Sa; daß feine Urfade etwas ans. -
deres in einem andern Dinge, pervorbringen könne, als was,
ihr beimopnt, und es wird babei vorausgeſetzt, daß jebe,
wirlende Urfage nur in Bewegung wirkt und alfo auf,
aur Bewegung hervorbringen lann ). Alles wird daher
nur in Bewegung und jede Beränderung der Dinge läuft,
n Offiberty and mecemity p. 483. Nothing takeıh begin-
ning from itself, but from the action of some other immediate
agent without itself,
2) Propl. phys. 1 p.7; de Lorp· 8,19; 9, 2; 30, 2. Eis
nem.gefpaffenen Körper eine Kraft beizulegen ſich felbft zu bewegen
würde heißen ihn vom Schöpfer unabhängig machen.
3) Ham, nat. 2, 9 Nothing can make any thing which is
not in itself etc.
a46
auf Bewegung ber Theile des Körpers hinaus 9... Die
formalen und Endurfachen find daher and) aus der Ru
turlehre zu entfernen und auf die Bewegenden-oder wir⸗
enden Urſachen zurüdzufähren). Die Anwendung biefer
Säge auf die Eiflärung unferer Empfindung ergiebt ih
mm opne Schwierigkeit. Da bie Fnnlihe Empfindung '
eine Veränderung bes empfindenben Körpers ik, fo Tanıl
fie nur hervorgebracht werben durch bie Bewegung, durch
den Drud eines andern Körpers auf den empfindehben
Körper, diefer pflamt fi alsdann tard die Ginnesor-
gane und die Rerven fort bis in das Janerſte des Ichen-
digen Weſeno, erfährt aber von ihm eine Gegenmirkung,
weil jeder bewegte Körper dermöge der Bewegung ober
bes Strebens nad, Bewegang, welde ihm beimohnen,
Widerſtand leiſtet. Wenn biefer eine Zeit Tang dauert
undſtark genug iſt um eine dleibende Rachwirkung zuräd-
zulaſſen, damn ergiebt ſich die Vorſtellung, welche durch das
Streben nach außen ein Bild des außern Gegenſtandes uns
entwirft 3). Die Empfindung iſt alſo eine Bewegung des
empfindenden Loͤrpers, nicht ſowohl des Sinnenorgans,
als des ganzes Thieres, eine Bewegung welche von außen
erregt nach außen zurückwirlt, und die Vorſtellung des
1) Probl. phys. ded.; exam. et em. math. hod. p.56; de
comp. 9,9. .
2) De corp. 10,1. -— - |
3) 1b. 25, 2. Sensionis immedistam causam one in eo,
quod sensionis organum et tangit et premit, — — Sensio en |
ab organi sensorii conalu ad extra, qui generatur a conatu |
ab objecto versus interna eoque aliquamdiu' manenie per reac- |
tionem factum phantasma. Ib. 3. Si reactio satis fortis ail, |
‚efcit phantanına,
“a -
äußern Gegenſtandes iſt · nichts anderes als bie: Iehte Wire
fung dieſer Beivegung ; fie unterfeibet: fih ‚von ber. Em-
pfindung nur wie das Gewordene nom Werben })..... Diefe
Erklärung wird noch durch andere Annafinen ergänt, welche
auf Beobachtungen des phyſi ſiologiſchen Proceſſes beim
Empfinden ſich gründen. Hobbes nimmt an, daß die Be-
wegungen in der Empfindung, man ben Sinuenwerlzeugen
nad dem Gehirn ſich fortpflangen . und - von da bie zum
Herzen dringen, welches erſt die Gegenwirkung nad aus
fen leiſtet und daher für das Organ des Empfindens fo
wie überhaupt des Lebens angefehn wird 2),
‚Hierbei bleibt ſich nun Bobbes ſehr gut bewußt, dah
alles in unſerer ſinnlichen Vorſtellungsweiſe nur Bewe⸗
gungen darſtelle, wenn auch nur kleinſte Bewegungen,
welche für Ruhe genommen werben; von ſolcher Art iſt
+2. das Streben nad; Bewegung 3. Daher will er
alles aus Bewegung erflären und die Phi ioſophie ift ihm
nichts weiter als Erlenntuiß der bewirlten und ber be⸗
wirtenben Bewegungen in ihrem Zufammenhang 9 Nur
4) 1b. 25, 3. Phantasma enim est sentiendi acius nequo
üffert a sensione aliter, quam feri difert a faclım. en, quae
differentia in instantaneis,nulla est, Fit autem phantasma in
instante. \ J J
2 lb. 25, 4; 12.
3) Ib. 15, 2. Constum esse malum per- apatiam et tempus
minus, quam quod detur, i..%. determinetur sive expositione
vel numero assequsiur, i. e. per punclum. Xuf conatus unb
nizus täuft daher ein großer Theil feiner Mechanik hinaus, MBabet
wird überall fo wie Fein untheilbarer Raum, fo auch keine untheil—
bare Zeit angenommen, ‚damit alles. auf Quantität zurüdgeführt wer⸗
dem konne, wenn auch auf Heinfte, d. h. undertchendare Quantitt.
4) Ib. 1 2;25,1. , Baer
288
eine Kette von Wewegangen koͤnnen wir erkennen. In
der. Geometrie fol daher auch alles ans ber Entfiehung
der Figuren abgeleitet werden; jede Figur iR etwas, was
auß einer Bewegung hervorgegangen 2). Nicht anders
iſt es mit den ſinnlichen Befcpaffenpeiten, welche wir
wahrnehmen. Sie find nicht etwa Eigenſchaften, welche
den Koörpern außer uus beigelegt werben bürften, ſondern
nur Eiſcheinungen, welche auf Bewegungen unferes Ins
nom beruhn und hervorgebracht worben find durch andere
Verseguingen des Außer. Daß fie uns Gigenfchaften
der Körper zu fein ſcheinen, AR der Betrug bes Siunes,
von welgem Hobbes mit Bacon fagt, daß er durch den
Sinn verbeffert werben müfjeN). Alle Verſchiedenheit
der Körper läuft daher auf Verſchiedenheit der Bewegun⸗
gen ihrev intern. Theile hinaus 5) und die finnliche Em⸗
pfindung iſt ungenau, weil fie zwar das Ganze der Be: -
wegungen {n unferm Innern darſtellt, aber doch die ein⸗
zelnen Bewegungen, welche man unterſcheiden muß um-
ihre Urſachen erfehmen zu Ternen, nicht zur Unterſcheidung
bringt 3). In ber Reife dieſer Folgerungen ergiebt ſich
nun, daß alles, was wir vorftellen, nur auf Erſcheinun⸗
gen d.h. Bewegungen binausfäuft. Befonders am Lichte
und an ber Farbe fucht er nadzumeifen, daß fie in Be⸗
)1.6,4 . .
2) Hum. nat, 2,4 sqq.; 10. And from hente also it followeth,
Ahat wathsoever accidents or, qualities our senses make us think
there be in the world, they be not there, but are seeming and
apparitions only. The things that reeBy.are in the world without
us are those molions by which these seemings are caused.
8) De corp. 21, 5.
4) 1b, 6,2,
" wegungen beſtehn, welche in unſerm Innern von außen
erregt werdenz fur Adeidengen der Dinge werben: ſie nun .
faͤtſchtich gehalten; ſie ſind nar Dilder, die in ber Be⸗
wegung unferer Einbildungekraft ſich drzeugen Y. Er
ſpricht es alsdann auch ganz im Allgemeinen ans, daß
Bewegungdir einzige Urſache ſei und daß wir fir uns
mittelbar ertennen ), weil fle im Urphaͤnomen, der Em⸗
Pfindung, von uns erfannt wirb; Es bleibe hierbei nur
weideutig/ 0b er meint, daß dieſe unmittelbare Erleunt⸗
niß, welche et und zuſchreibt, eine Erfenmtnig ber Bes
wegung überhaupt als der allgemeinen Urſache ober nur
der befondern Bewegung if, wie ſie fo eben in der Em -
pfindung ſich beglebt. Das Teptere wurde richtig: fein;
wenn man den Begriff der Bewegung in der allgemeinen
. Bedeutung nimmt, in welchem Hobbes ihn geltend macht;
‘das erſtere dagegen entſpricht der allgemeinen Theorie,
welche er für die Erflärung ber Erſcheinungen aufſtellt,
fireitet aber “freilich mit feinem Sage, daß wir immer
nur Befonderes unmittelbar erfahren und erfennen:Fön«
nen. Dabei aber ift Hobbes fich fehr wohl bewußt, daß
alle die Bewegungen, welche wir in unſerer Empfindung
haben, nur in uns gefunben werben, und den Gebanfen
an das Auere leitet er nur ‚baraus-ab, daß wir durch
die Gegenwirkung gegen den äußern Eindeud nad außen
ung bewegt fühlen und deswegen bie Vorſtellung eines ..
Außern uns bilden, auf welches wir alsdann die Erſchei⸗
nung übertragen, obgleich fie- nur in uns vorhanden iſt 5).
1) Do hom. 2 7.9. j
2) De corp. 6, 5.
3) Ham. nat, 2,9. Ara — end that as im
0 B
Um: biefe völlige Eubfectivität aller unſerer Vorſiel⸗
bangen uns auſchaulich zu wachen bedient fi Oobbes nad
einer Boransfegung. Er nimmi an, daß alle Dinge. aus
Ber une vernichtet wärben unb nur ber denlende Meunſch
übrig bliebe. Diefer würde alsdann doch mit feinen Bor
ſtellungen reinen; denn bie Bewegungen feiner Gedan⸗
len würden doc bleiben; er würde auch dieſe Gebanfen
außer ſich herausſtellen, weil er wohl wüßte, daß die Bes
wegungen in ihm nicht von der Kraft feines Geiſtes ab⸗
Vingen, Er würde fi daher eine äußere Welt vorſtel⸗
en, wie er witklich gegenwärtig eine ſolche ſich benft,
obgleich er niemals. aus ſich herausginge, ſondern Immer
nur’ mit feinen Vorßellungen beſchäftigt bliebe 1). Die
äußere Welt aber würbe er im Raum ſich vorſtelen wüß- "
fen; benn ber Raum iß nichts anderes als bie Worfelung
einer Sache, welche erifict; fefern ſie exiſtirt ). Im
dieſer Erklärung. wird nicht berüdfihtigt, daß bie Vor⸗
ſtellung des Raumes doch nur von ber Vorſtellung eines
außer uns feienden Dinges abgenommen werben ſollte,
vision, so aleo in cogceptiaus that arise from other senses, the
subject of their inherence is not in the abject, but in the
sentient.
+1) Ib 1, 7, de corp. .T, 1. -
2) De‘corp. 7, 2. Jam si meminerimus seu phanlasma ha-
buerimus alicujus rei, quae exstilerat ante suppositam rerum
externarum sublationem, neo considerare velimus,: qualis ea
res erat, sed simpliciter, quod erat extra animum, hebemus
BD qnod »ppellamus spatium, imaginarium quidem, quia me-
ram phantasma, sed tamen illad iplum, quod ab omnibus sic
appellator. — — Spatium est phantasma rei existentis, qua-
tenus existentis. Daranf folgt die Erklärung der Beit (ib. 3), welche
phantasına motas iſt.
a
unfträltig am uud? beni Gedenlen· uuſeres Geiſtes unter
den Gedarlen / der raͤumlichen Dinge: unierbriugen zu füns
wen, Hobbes:zieht hieraus daßo bienallgemeknfien: Arien
ber: Phanomene Vewrgunt: und Größe ſind, neinlich rät
liche Sroͤße, welche bie Geometrie unterſucht 3, uud: es
ſcheint ihm hierdurch feine: materieliſtiſche Auſicht gerecht ·
fertigt, daß wir: alle Erfheinungen alo Erſcheinungen,
welche an Korpern vorlommon / zu trembert haben ). Doch
gteift hierdel unſtreitig auch :ein allgemeiner Grundſat
der alten’ Metaphyſthurit ein; won deren Einflüffen Habe
bes nicht vollig ſuh befreit hat. Er überlegt, daß wir
- jedes Aecidens einer Subflang.beilegen müffen; ſolche die
Mreidengen :tragenbier. Subſt anzen find die Dinge, welche
wir «16 außer unſerer Einbifbungetraft: im Raum’ aid
gedehnt und alſo :ald Körper uns denken mäffen 5). Min
ſedes Accidens iſt daher nur‘ die Weiſe eines Körpers
undebenſor iſt auch jede Urſache, d. h. jede Bewegung
nur: als Accidens eines Ebrperso zu betrachten ). In
derſelben Richtung behauptet Hobbes, es ſei richtiger zu
asin/ wir ſaͤhen vie So, als wir fühen ‚das Sit
N Exam, e4.gm, math, nod p D
2) De corp. 1, 4. Effectus autem et phdenemena sunt cor-
porum Tadlıkates re Potehtiael
i .8) De worg"8, 1..° "Die Annahme einer Brenichtung der aufem
j. necengg exgq est, ut creatum illud
‚non modo veeupei aliquam, dicti spati partem
idat &t codxtehdatur, sed etiam bang aliquid,
quod appellari solet propter extensionem quidem corpus, prop-
ter independentiam aulem a nostra oegilätione aubalstens ‚per
se, — — suppositam et subjectum. 2.
4) 1b. 8,2; 9, 8. 1
w .
ober die Barde, müb:winiempfänten bie Mörper, als wir
empfänden bie Aecidengen dexielben.2), obwohl. er nicht
vetlennen Sana, Daß eigentlich nur die Wirkungen ‚ber
äußern Dinge, die Bewegungen in. umferm :Ianeın, vom
und empfimben werden. Erſt durch dieſe Unterſchiebung
der bewegenden Subſtanzen unter bie Bewegungen, welche
wie in und empfinden, und buch jtae Üservagung der
Borſtellung deb Naumts, weiche · mer. in unſerer Einbils
dung ſich findet, auf den Gedaunlen der äußern Dinge
und alebaan auch auf unſern Bei fommt Hobbes zu
feinem Materialiemus. €6 iR um fo offenbarer, daß
er hierin weit über die. Brundfäge feines Senfualismus
Vinausgeht, fe eitſchitdener er ſich dafür ausfpricht, daß
wir die Identitaͤt der Dinge, von welcher doch der Bes
griff der Subſtanz abhängig ik, nur in relativer Beden«
tung anzunehmen haben ?), :und je deutlicher er auch
"darüber fh iR, daß der Begriff der Duantität, welchen
er nur anf bie raͤumliche Ainsbepnung Bereht, eins telas
tive Bedeutung habe 5). J
Wir werden nun wohl nicht derau wWeiin können,
daß ex die Borauefegungen ber mechaniſchen Phyſik find,
welchen Hobbes folgt, indem er über die Grundlagen feis
nes fubjectiven Senfualismus fih yereigt, - ‚In, ‚der uns
mittelbaren Empfindung ber Berändesungen- in anferm .
Innern ‚findet ex den erſten Antnupfungspuntt für unfer
Denen. , Es ſteht ihm aber ale allgemeiner, Grundſatz
feſt, voß. jede Veränderung eine Bewegung im Daum feiz
1) 1.25, 3. \ ö
2) Mb. 11, 7.
3) 1b. 12,2; 13,1.
vide Tank Rund: die Weudadeneugu: melche Sein. in; mie
empfenden, ‚nuv:iin: einer: räumliches Bewegung, heſteha.
Auth· zilt· ihm / betnallgemeine Grundlad, daßze jede Bewe⸗
ding einebewegte Subſtanz vorausſetze, welche glaich
der Bewegeag, im. Raum fein muß, autgebebnt in ibm
weil alles im. Raum /ausgedehmt, iR,ıdeit Nuntt fonderr
ein Koͤrpet. Hierauf beruht die Foren aller unlerer Auge
Tagen, welche ebbes, wie ſehr er auche gegen alle allge ⸗
meine, obfsctiv gültige: Orundfäge fi: Aaͤubt, dennoch
als algemeined:@efeg für allessunfen:Deufen anerlenn
Da fegeniwirinun in :jedem Gage witer.dem æinen Rar
men vie oonczete Sache und. legen tr unter; dem ander
Namen ihr Acridens bei; Diefeß:fomamd und gehk.im Werke
ſel der: Bewegangen, wärend : die. Subſtanz, der ausge⸗
dehnte Korper, ohne ;Weränderäng .leiht undı nicht: ver⸗
gegn: kann 9.1: Daher: wird muh PerlBrundfog: behauptet,
daßzudie Materie vder / der Käfpehıweher vermehynt iuoh
vermindert / werden tantl 2). :i Mumie: Acejdengen / oben; Ber
Wegungen gehen · von adran rinen⸗ uf/ den andern Körper
üben, indeia der bewegende. Korget feine: Beweguug
anf: dei! veweglem rabertraͤgt.n Da, haben wir dern Pie
Prouditato / /weicherĩ wir fen; Subfeoteni.ıbeifegen ‚:inldrnig
Veſa hen mahufchn/welche Mie Bewegung hervorbtiugan dd,
undes lädt vſich An: der. Wekt:kigerzufammenhängenäe
Rittei von! Bewegangen, ausmeiderimllesı erktärt enden
muß. Im Zufammenhange ber Eefgeinungen entſteht
ad. Don ie u NUR]
)1.3,3 *
2) Ib. 6, 8; 8, 14. Die erſte Materie 2 auge Kup. Alle
gemein genommen. Ib. 8, 4. ,
3) 1b. 3, 3.
Mine Thatigkeit/ zu wegen wit‘ die; ange: Siehe: der .Ber
wegunges der Die Kanye: Matur miktwittte.1). Dahar iR
auch alles in der. Veltnnothwendig und: nur beziehungs⸗
weiſe Köunen wit vomsarmae :Befkäägen fpseihen3) „dir
Utſacht über, now wähher: alles abhängt „haben wir is
dem · Zuſaluminſonmen: aller der Accidenzen zu. huchen,
weiche ſowohln din Aätigen als im Weibentien Koͤrper lie⸗
gen’®)..- Be. ſehon in / der Erflärungsunie ,hwelche hier
eingeſchlagen wird eine · Reihe von allgemeihen Gruude⸗
Fügen zuſammentteten, welche Hobbes vnßreitig aus ben
Geſeten unſeres : Vreſtandes fdhöpftz: bag: fin wlllkir
A: vurch unſern Sprachzebrauch „fi ————
were mom wohl werlidh zugehen Kinmeim.; an
:"Spnen- folgmb -Gberläßt er. ſich nun ganz eier me
—8 kehrweiſe. MDer Meiſch/ an doſſen Ewpfin⸗
Owen unſere: Keuntniß ivon ber: Ketle Der. Bewegungen
A: ahfließt, Hi: nach Hchbes: ein⸗ Junſtlich. guſammen⸗
gefepteb: lebendiges Wen, tiner: Maſchine / vergirichbar··).
n ·welcher das Herzieinen@pringiedergebin Mrruen Bän
Ber; hle Belenfe Räpen: verkraften In / dieſer Maſchint
dot der Ooiſ als ine Beivegeäde: Mani fehti Gtelle; aber
wc: mar. durch äußede Bewegungen: feinehbewegende ſtraft
hun.» Brgyes bie Einnahme non @htigenn . melde
Hein. Norper wären; firekttd: Hobbes fehr seifgig >. @eiß
: m 2 Akdernkiraßh: "ee mathe Rärpee: var⸗ ſolchez
eins Ba TE Ha en u,
1) Ofliberty and nec. p-48t.
2) De corp.
“3 — Ai
4) Leriath. p.
5) Hum. nat. 6, 9.
—ELE
41,848 ,8
.
aeð
Seuheit / daß er micht auf die Sinne wirlt. Deig ik
eine Setle annehmen dürften, „melde, ganz. in allen. Thei⸗
len des ‚belebten, Körpers gegenwärtig. wäre; if eine Un⸗
gereimtheit. Die Annapane. unloͤrperliches Geiſter iſt Hob "
bes geneigt. quf_die, Macht der Kinbiunggkraft zurüchzu⸗
führen, . welhe-im der heidniſchen. Religion ſehr groß ge⸗
weſen waͤte, und die chriſtliche Lehre. von. mnförperlichen
guten und :höfen Engeln leitet : er aus Überbleibfeln der
heidniſchen Finſterniß ab 3. Selbſt Gott haben · wir wicht
für unlorperlich anzuſehn⸗ Boa ihm :tönnen wirwenig
fageny.: weil er. unendlich und und unbegreiflih if; doch
haben ‚wir:wen.:ihut anzueriennen,. daß er. iR und außer
"ung iſt dies ſchließt feine Korperlichleu in- Rd, Oobbes
beruft ſich auf Ausſagen der Kirchenväter, beſondars des
Tertullian, un zu geigen, daß dies micht gegen den chriſt·
lichen Glauben iſt. Die Körpentifeit Gottes zu leugnen
wärke.ihm. dem Atheismus gleich kommen. Gott iſt ein
einfacherreiner und : feiner und: umetibficpev; körperlichtt
Geiſt 2). Seine Lehre, welche wen der: Bewegung: in ‚der
Zeit und im Raum andgeht, kaun weder Allgegeuwart
ohne:.räumlidge Auodehnung noth Ewigteit ohne--umende,
The, Zeitdamer fidh .denfen 9... .. Ber
+ Seine: materialiſtiſche Auſicht führt: ihn ur „aladerfür
hang. ber.Rörperielt,. Dog:dringt ex nicht eben tief in
die Phyſit Hins,. En: fiept. in ihr einesweil fih ‚aushre&
tende Sphüͤre ber Forſchumg, welde: auezafũllen ‚ar feine —
4) Ib. 11, A sgq.; Leviath. 45; up. thai reput. ot Dh Hob-
bes p.692. mod sb. "
9) Deicive.1%, 14; an: ansiwenito; bishop Branihal - «0.
3) Of lib. and nec. p. 482. -
Hoffimng hat; Daß wir / allmaͤlig bar) Sie Erfahrung
da Apr weiter: fomunen worden, bezweiſeit / ce näht; aber
fein ſteptiſcher Sinn geattet Ip: wicht: anumgmen ; daß
wir in der Erlemtniß der Natar, über. melde: wir nur
wenig. vermögen ‚. gu. einem Benügenden Ergebniſſe gelan-
gem famten. Es iſt yon früher erwähnt: worden, daß
ſeiner Meinung. nach die Erforſchuatz der Urſachen von
den Grſchelunngen ans und: immer mur erlaubt eine mög⸗
Ude Entſtehungoart : verfefben anzunehmen. Nur fo viel
AR: gewiß, daß alle Erſcheinung auf Bewegung bee: Kör: -
per zurüdgefährt werden muß; alles. unders beruht. auf
. meho ober weniger: wahrſcheinlichen/ Berinutgungen.‘ Die
Sqhwierigleiten / melde stm Begriff ber: Bertgumg liegen,
ſcheiaen ihm zwar undedeutend d;.abik Die Berkettung
der Bewegungen führt ihn im das Unendliche / und er muß
ſich eingeſtehn, daß feine Faſſungskraft Bası. unendliche
wicht: zw erreichen vermag; daher muß: evı befennen, bie
Urſachen bis: anf ihren erſten Ueiprung:zurädzufügren ver⸗
wegen Bett ).Durch unſer Beſſteben die Dinge zu
erllaven / werden wir zwar auf den Gedauten des Unend⸗
lichengefuͤhrt ; abge In ihm liegt naur⸗ eia Weleminig: uns
ſerer Unwiſſenheit I. Hobbas enthaͤlt ſich zwar nicht an⸗
uinehnlin, daß die Welt /aaendlich ſei, aber auch hierin
fieht er: nur ein Zeitchen / von den Grafen sunferer. Er⸗
benutuiiß. Weil/ die unendliche Kette, desilkfüchen. nur
durch ſtetige Berbinduntz ihrer Stier, 101 heſder beweg ·
4) De oorp. Yyhki ur ach ol nd re BEI
2) Ib. 7, 2; 26. 1; de hom. 1, 1.
-3) Leviath, 12 9.146 ;0ider, ie. 165 1 Ira rc ned.
p · 84. I
a40/
ten Körper, zufammeiigehalten wird, verwirft er das
Leere und ſucht · noch undere phyſiſche Beweiſe gegen das⸗
ſelbe aufzubringen 1). Aber feine eigene Anſicht von der
phyſiſchen Zuſammenſetzung der Welt weiß er nur auf
Hypotheſen zu /bauen, deren Unſicherheit ihm nicht ent⸗
geht 2). Sie hat mit den Grundſätzen, welche Bacon
in die Naturforſchung ‚eingeführt Hatte, das Beſtreben ge
mein das Kleinfte im Raume und in ber Zeit.zu erfor
ſchen. Daher. nimmt Hobbes Heinfte Körper. oder. Atome,
wenn aud nicht im ſtrengen Sinn, und kleinſte Bewe⸗
gungen an, welde in dem bloßen Streben nad Bewer
gung gefucht werben. ; Auf feine Hypothefen genauer ein⸗
zugehn wird nicht möthig fein, da fie feinen bedeutenden
Einfluß auf die fpätern Unterfuhungen gehabt haben.
Dagegen richtet fih die Unterſuchung feiner Ppilofo-
phie mit größerer Hoffnung und mit größerem Gifer ber
Frage nad den Bewegungen unferes fittlichen Lebens zu.
Hier ſcheint ihm ein leichteres Feld für unfere Erfenntnig
ſich zu eröffnen, weil wir diefe Bewegungen in unferer Ges
walt haben und alles, was Sache unferer Kunf, auch
Sage unferer Erlenntniß if. Doch darf auch diefes Ger
biet den Gefegen der Natur nicht entzogen werden. Die
Berdegungen unferes Innern find nur Erfolge der Ber
wegungen, welche von außen in uns gefommen find,
Wir unterfopeiden zwei Arten der Bewegungen unferes
Innern, die unmilfürlihen Bewegungen, zu welden bie
Einbildungskraft nichts beiträgt, und bie willlürlichen
1) Probl. phys. 3; do corp. 26, 2 agg. .
2) Man findet fie de corp. 26, 5.
Geſch. d. Philof, x. 32
208
Bewegungen, welche bei allen Tpieren vom Begehren
und Verabſcheuen ausgehn und mit ben Thaͤtigkeiten der
Einbildungsfraft zufammenpängen. Jene werden einger
Randenermaßen von äußern ‚Bewegungen erregt; aber
auch dieſe haben feinen andern Grund; denn bie Bewe-
gungen unferer Einbildungstvaft, non welchen unfer Bes
ehren und Verabſcheuen abhängt, find nur Überbleibfel
anferer Empfindungen und behaupten als ſolche ipre bes
wegende Kraft, obgleich wir fie nicht wahrnehmen .
Bir unterfeiden aud finnfihe Empfindung und Gefül
des Angenehmen und des Unangenehmen; ber Unterſchied
zwiſchen beiden beſteht aber nur batin, daß die ſinnliche
Empfindung das Beſtreben nach außen bezeichnet, welches
aus dem Widerfande unferes Herzens gegen die von aus
Ben kommende Bewegung entfpringt, wärend das Gefül
nur das Beftreben nad innen bezeichnet/ welches bei je⸗
der Bewegung ſtattfindet 9. Der Unterſchied zwiſchen
dem angenehmen und dem unangenehmen Eindrud beruht
darauf, daß jener die Lebensbewegung fördert und ſtaͤrkt,
dieſer fie’ hindert und ſchwaͤcht. Die-Erinneruug des Ans
genehmen zieht aber in natürlicher Folge das Begehren,
die Erinnerung bes Unangenehmen das Verabſcheuen nad
ſich, und Luſt und Begehren, Unluſt und Verabſcheuen
1) Leriath. 6 p. 116.
2) De corp. 25, 12; de hom. 1f, 1. Voluptas autem et
molenlia etsi sensiones nen dicuntur, differunt tamen in hoc
tantum, quod sensio sit objecti ut externi propter reactiohem
sive resistentiem, quae fit ab organo, et proinde consistit in
conalu organi extrorsum, voluptas autem consistit in passione,
quae fit ab actione obfecti et est conatus introrsum.
AB
verhalten fih zueinander nur wie Gegenwärtiges und Zu⸗
lünftiges; daher find die Urfichen des Empfindens auch
die Urſachen des Begehrens und Berabfgeuens 2). In
ähnlicher Weife ergeben ſich auch ans äußern Urfachen die
Affecte und Leidenfchaften . unferer ‚Seele; ‚melde: Hobbes
nad dem Vorgange des Telefius, nur weiläuftiger als
fein Vorgänger befpreibt und auf befondere Abſchattun⸗-
gen unferes Begehrens und Verabſcheuens :zurädführt 2).
Hierbei wird nun berädfihtigt, daß von äußern Utſachen
aus eiae lange Kette von innern Bewegungen, von Ber
gehrungen und Verabſcheuungen, ſich bilden kann, in wel⸗
her jene entgegengeſetzten Bewegungen ſich gegen einan⸗
der abwägen. So lange in einer ſolchen noch keine Ent⸗
ſcheidung eingetreten iſt, nennen wir fie Überlegung, das
Ende derſelben aber heißt Wille 5).- So lange tun bie
Überlegung das Ende noch nicht erreiht hat, fagen wir,
bag. win.frei find oder. die Wapl Haben zu entgegerigefeg:
ten Entfchlüffen. Aber fälſchlich nur wird die Freiheit dem
Villen beigelegt; denn der Wille hat nicht mehr die Wahl,
fondern iſt entſchieden und abhängig von dem legten Ber
ſchluſſe des Verſtandes, welcher als Befehl an den Wils
len ergeht Y. Nicht der Wille ſondern der Menſch iſt
frei und eine völlige Ungereimtheit iR es, welche aller Er⸗
fahrung widerfpricht, zu behaupten, daß wenn wir wollen,
es in unferer Freiheit ſtaͤnde nicht zu wollen). Dan
1) Do hom. 1,1. ©: '
2) De corp. 25, 13; de hom. #2; Leriath. 6.
3) De corp. 25, 13; de Kom. 4, 2; Leviath. 7 p. 122;
hum, nat. 12, 2 b
4) Of lib. and nec. p. Adt;- 188. i
5) Leviath. 21 p. 189; de hom. 11, 2.
32*
Tann Gponianet und Feeiwilliges muierfheiben; unter je
nem Tan. man, ſolche Handlungen verſtehn, welche aus
den eigenen Bewegungen singt, Diuges hervorgehn, un⸗
ter ;biefem; folge Hardlungen, welche erſt nach vorherge ⸗
bender Überlegung. sefolgen 21; ıaber. in beiden Bäßen if
nicht das Wegehren oder ber. Wie: frei, ſondern nur bie
Dandlung.*}...:Abey auch Ainfe iſt wicht ſrei von Rothe
wenbigktitı..jonbern nur ‚non Zwong. Denu jede Be
wegung iß- der, nothwendige ers aus der Summe der
witrniefenden Urſachen, welche in den frühern, die jedige
Bewegung hervorxbriagenden Dewegungen liegt. Mit
Recht werden. wir das Aufammsntreffen allen Urſachen,
welche zu einem--Erfolge führen, den Rathſchluß &ottes
negnen, und daß dieſem Rathſchluſſe irgend etwas ſich
entziehen. koͤnnte, if gine gottloſe Behauptung. 9. Die
Natur if} die Kun, durch welcht Gott die Welt retziert,
und. den Geſetzen derſelben, her Verkettung den Bewer
gungen, welche er. in fie gelrgt hat; würden wir nur ver⸗
gehlich widerſtreben *)... Die Rothwendigfeit ber: Exfolge
widerſpricht aber. der Freipeit, der Handlungen nicht; denn
Breipeit nennen wis nur bie Abwefenpeit des Zwunges.
Sie’ findet Hatt,. wenn fein aͤußeres Hinderniß, feine äu⸗
pm. Gegenwirlkung vorhanden if, weiße eine Urſache ab ⸗
n ot üd. and ner. part.
:2) De’hoin. 11, 2; de corp. 25, 3.
3) Of lib. and nec. p.472 sg. That which I .aay’nedessils-
teth and determinateih every ↄetjon — — is (he sum of all
things which being now existent spnduoe .and concur 10 Ihe
production of that action hereafter, whereof if any ame thing
were wanling, the effect could not he produced.
4) Leviath. p. 97; 31 p.255.
hielte ihrer eigenen Natur nach zu wirken. In biefem
Sinne kommt Breipeit auch den unverninffigen Dingen,
ja der unbelehten Natur zu. . Wir ſagen in diefem Sinne
vom Wafler, welches in einem Canal opne Hinderniffe
abläuft, daß es frei ablaufe 33. Hobbes geſteht die Ge⸗
färligpfeit feiner Lehre für ſolche ein, welche von Leiden
ſchaſten fi beivegen laſſen; nur ber wiffenfhaftlih den⸗
fende Mann könne fie ertragen. und daher will er fie der
"Menge vorenthalten 2); aber er gefteht nicht ein, daß
durch die Gleichſetzung des Handelns der Vernunft mit
den Wirkungen der natürfichen Dinge bie fittliche Zur
rechnung aufgehoben werde, Er beruft fh vielmehr auf
den Apofel Paulus um zu behaupten,” daß Gott ıyın
einmal Gefäße der Ehren und der Unehren gemacht habe),
Demnach gebt nun feine Sittenlehre durchaus von
den natürlichen Begehrungen und Antrieben der menfchli-
ven Seele aus, in jedes. empfindende Wefen firebt von
Natur nad der Erhaltung feiner ſelbſt, weil fie bie erſte
Bedingung alles Woplfeine if; es ſtrebt alsdann auch
1) Ib. 14 p.151; 21 p. 188. Liberty or freedom signifßeth
properly the absence of opposilion (by opposition | mean ex-
ternal impediments of motion) and may. bp applied no less to ir-
rational and inanimate creatures, {han to rational. — — ‚But
when the iinpediment of motion is in the conslitution of the
thing itself, we use not to say, rants (he liberty, but the
power to more. Of lib. and nec. p.-478 2q.; 483. The water
is sald to deacend freely or to have liberty to .desoend. by the
channel of the river, because there is no impediment that way,
hut mot aorons, because Ihe hanks are impediments. De
ve 9,.9.
2) Of lib. and neo. p. 477.
3) Ib. p. 473 2q.
02
nad Genuß des Angenehmen und Entfernung des Unange-
nehmen und Sicherung für die Zukunft wird dabei in mas
tarlicher Weiſe in unfere Überlegungen eingerechnet ?).
Bas begehrt wird, nennen wir gut, was verabſcheut
wird, böfe. Aber alles dies richtet ſich nach Zeit und
Umfänden; alles wird gefhägt nach dem Nutzen, welden
es gewährt. So find Reichthum, Freundſchaft, Wiſſen⸗
ſchaft und Kunſt, fo IR fogar bie Weisheit nur deswe⸗
gen gut, weil durch fie Nugen gewonnen wird 2), in
höchſtes But, die Olüdfeligfeit, welche das Ende alles
Guten wäre, Tann in dieſem Leben nicht erreicht werden.
Wenn e6 erreicht wäre, würde nichts weiter begehrt werten;
es würde dadurch Empfindung und Leben aufgehoben fein.
Daher können wir nur nad) einem Fortſchritt im Gewinn
der Lebensgüter fireben. Ohne einiges Ungemach Fönnen
die menſchlichen Dinge nicht bleiben. Das Leben if eine
ſtetige Bewegung, welde im Cirkel geht, da fie nicht in
grader Linie in das Unendliche fortfpreiten kann 5). , A
les unfer Streben iſt daher auf Genuß gerichtet, aber
nicht auf Genuß ber Gegenwart, weil nur in der unger
1) De hom. 11, 5 »q. Bonorum autem primum :est sua
euiquse conservalio. Natura enim comparatum est, ut cupiant
omnes sibi bene esse, Cujus ut capaces esse possint, necesso
est cupiant vilam, sanilaleı et uiriusgue, quantum fieri polest,
securitatem futuri temporis. ,
2) Ib. 11, 4. Bonum relative dicitar ad personam, ad lo-
cum et ad tempus. Ib. 6 2qq.
3) Ib. 11, 15. Vita molus est perpeluus, qui, cum’ recia
progredi non potest, converlitur in motum eircularem. De
cive 6, 13. Res humanae sine süiquo incommodo esse non
Possunt,
505
hemmten Bewegung bes Lebens Genuß liegt und das
Begehren immer nur auf etwas Zukünftiges gehn lann.
Bon der unvernünftigen Begierde, welde das gegen
wärtige Gut, obgleich mit ihm unvorhergefehnes Ubel
zufammenhängt, den fünftigen Gütern vorzieht, follen
wir ung frei machen und es wird und deswegen auch
Mäßigkfeit empfolen . Aber nur auf die Erhaltung bes
Lebens unter ben geringften Hemmungen, mit der wenige
ſten Gefar für die Zukunft kann Hobbes das Abfehn un⸗
ferer Bernunft richten. Sein Senfualismus kennt auch
feinen andern Genuß als den finnlihen, ohne jedoch die
grobfinnlihen Genüffe, die Lüfle des Fleiſches, hochzuhal⸗
ten, weil fie Efel und Sättigung mit ſich führen und
einige von ihnen in übelem Geruch ſtehn; die innern Bes
wegungen bes koͤrperlichen Geiſtes feinen ihm bei weis
tem den Vorzug zu verdienen 2),
Hierzu kommt, daß fein Nominalismus ihm in folge
richtiger Weife zu einer ſelbſtſuͤchtigen Moral treibt. Jede
gefellige Gemeinfhaft wird aus Selbſtliebe, nicht aus
Liebe zu unfern Gefellen geſucht und Hobbes widerſtreitet
daher aud ber Lehre des Ariftoteles, daß der Menſch
von Natur ein politifches Thier ſei ). Aber dabei vers
Tennt er doch nicht den allgemeinen Zufammenhang, in
welchen bie Bewegungen bes Individuums mit den Bewer
gungen in, der Außenwelt fiehen. Daher-bei der Ver:
gleihung der Güter, welche er anftellt, hat ihm nicht
1) De cive 3, 32.
2) Ih. 6, 13.
3) De eive 1, 2. Omnis igitur societas vel commodi causa
vel gloriae, hoc est sui, non sociorum amore contrahitur,
0a
allein das länger bawernde vor dem färzern, fondern. auch
das weiter verbreitele den Vorzug vor bem nur auf wer
nigere Individuen befepränkten 2). Hieraus ergeben ſich
Milderungen feiner eigennügigen Sittenlehre. Er ermahnt
uns zur Dankbarkeit, zur Berſoͤhnlichteit; unſern Freund
‚follen wir lieben wie uns ſelbſt; das allgemeine Natur -
geſet ſchaͤrft ung die Regel ein, welche jedem bei ruhigem
Gemüthe einleuchten werde, daß wir feinem andern thun
ſollten, was wir nicht felh von andern dulden moͤchten 2).
Bei den Geſetzen, welde uns die natürliche Bernunft
giebt, Hält er die Folgerichtigleit hoch, welche wir im
Leben wie in den Wiſſenſchaften beobachten follenz fie
weit und dazu an nüchtern zu überlegen und nüchtern zu
leben 5), und alle Bewegungen nad demſelben Gefege
zu beurtpeilen, mögen fie in uns ober außer uns fih beges
ben. Es iſt daher wohl nicht gegen die Folgerichtigkeit
feiner phyſiſchen @rundfäge, wenn er trotz feiner ſelbſt⸗
ſüchtigen Sittenlehre noch nügemeinere Naturgefege für
unfer Handeln anerfennt, welche uns mit andern zu ſitt⸗
licher Gemeinſchaft verbinden. Er faßt fie unter das all
gemeine Gefeg der Menſchenliebe (caritas) zufammen +).
Schwieriger würde es in der That halten aus feinen
phyſiſchen Orundfägen über die allgemeine Berkettung als
ler Bewegungen bie Borausfegung zu rechtfertigen, von
welcher feine ſelbſtſüchtige Sittenlehre ausgeht, daß nem⸗
lich ein ſelbſtaͤndiges Syſtem der Bewegungen in jedem
1) De hom. 11, 14.
2) De eive 3, 8; 10; 26; 4, 12.
3) 1b. 3, 25. ‘
4) De hom. 13, 9.
508
einzelnen lebendigen Weſen ſich finde, welches nad ber
Erhaltung ſeiner ſelbſt und ſeiner ungehemmten Bewe⸗
gungen ſtreben müſſe.
Hobbes iſt nicht ohne ein Bewußtfein der Sqrwit·
keiten, welche ſich aus dieſer Vorausſetzung für das Sy⸗
ſtem feiner Sittenlehre ergeben und nur durch eine Reihe
‘anderer Borausfegungen. gelangt er dazu feinen allgemeinen
Borfcpriften für das fittliche Leben einigen Halt zu geben.
Hierzu genügt noch nicht, daß ben einzelnen lebendigen
Weſen, ja faſt allen Körpern bie Eigenfchaft beigelegt "
wird in der Weiſe, in welder fle öfters bewegt worden
find,- eine Gewohnheit der Bewegung anzunehmen. Denn
es laſſen fih daraus wohl einigermaßen die Sprache und
die Folgerungen der Vernunft ableiten, fo wie bie eigens
_ Hümlichen Sitten, welde im einzelnen Menfchen ſich
ausbilden I, Es folgt aber daraus noch nicht, daß
diefe Sitten für gute oder böfe, für Tugend oder Las
ſter nach allgemeiner Schägung gehalten werben. Denn
ein jeder, meint Hobbes, würde doch nur nad feinem
Vortheil und nad feinen Sitten das Gute und das Böfe
beurteilen. Bon dem Standpunkte des einzelnen Mon⸗
ſchen aus erwartet er daher Feine Feſtſtellung des Sprach⸗
gebrauchs über Gutes und. Böfes und weiß deswegen
feinen andern Weg hierzu anzugeben ald die Bereinigung
der Menfhen zu einem Staate, in’ welchem beftimmte
Regeln über Gutes und Böfes feftgefegt würden. Seine
Moral wird hierdurch von der Politik abhängig). Zwar
1) Hum. nat. 5,14; de hom. 13, 1 2qq,
' 2) De cive praef.; de hom. 10, 5; 13, 8 sg. Qnoniam
autem non eadem omnibus bona et ala sunt, conlingit eosdem
kehauptet er, daß von Ratur, d.h. durch bie ung beis
wohnenpe Vernunft gewiſſe allgemeine Befege in ung Lies
gen, nad welcher wir Recht und Unrecht, Gutes und
Böfes beurtpeilen Können; aber ein jeder Tann fih auch
nach feinen eifentpümlichen Sitten ipnen entziepn und es
würde nicht einmal der Bernumft gemäß fein ihnen zu fol
gen, wenn wir nicht erwarten bürften, daß aud von ber
andern Seite die übrigen fie gegen und beobachteten.
Diefe Erwartung rechtfertigt aber erſt der Staat, welcher
diefe Geſetze gewäprleiftet; ohne ipn würden fie wohl
vor anferm innern Ricpter, dem Gewiſſen, aber nicht vor
dem äußern Richterſtul uns verpflichten ), d.h. wir
würden uns felbft perfönlich nach ihnen beurtheilen, aber
ein allgemeines Urtheil würde daraus fih nicht er-
geben. Daher will er auch die Gefege der Natur nicht
im eigentlichen Sinm Gefege genannt wiſſen, außer fofern
fie von der Offenbarung oder vom Staate ausgefprochen
worden find). Gegen die Annahme des Grotius, dag
durch die Übereinfimmung aller Voͤller oder der weiſeſten
Boͤller ein natürliches. Recht feſtgeſtellt werben fönnte,
wendet er ein, daß Übereinfimmung unter allen Bölfern
mores ab his laudari, ab illis culpari. — — Quod tamen de
hominibus eatenus intelligendum est, quatenus homines tantum,
mon eliam qualenus cives; nam eorum, qui extra ciritatem
sunt, alter alterius sententiam sequi non obligatur, in ciritate
vero pactis‘obligantar. Ex quo intelligitur scientiam moralem
" aullam habere posse eos, qui homines considerant per se et.
quasi extra socielatem civilem, propter defectum mensurae
certae, qua virtus et vilium aestimari et definiri possiat.
1) De cive 3, 27.
2) De cive 3, 33; de hom. 13, 9.
7.
fich nicht nachweiſen Tiefe und daß jedes Bolt ſich
> für das weiſeſte halten würde. Mit den Dingen, welche
Bortheil und Nachtheil betreffen, iſt es anders’ als mit
den Lehren der Matpematif. Im dieſer Täßt fih wohl ein
gleihmäßiger Sprachgebrauch und ein gleihmäßiges Ur⸗
theil erreichen; in Dingen aber, über welche die Menfchen
ftreiten, zeigt der Streit das Gegentheil; denn auch der,.
welder gegen bie übrigen fireitet, gehört zu den Men⸗
fon).
Dog fpielt ihm auch hierbei die Zweideutigleit, in
welcher er das Wort Vernunft gebraucht, einen Streich,
indem fie ihn annehmen läßt, daß es ein natürliches Recht
gebe, zu welchem und bie Vernunft verbinde, nemlih
das Recht, welches uns antreibe im Staate Frieden zu
ſuchen 2). Wohl an feinem Bunte, feiner Lehre tritt
diefe Zweidentigfeit offener an den Tag. Die Vernunft
fon nur auf ‚der Übereinkimmung der Sprache beruhn;
über Recht und Unrecht aber giebt es feine Übereinfins
mung der Sprache; es würde alfo folgen, daß es über“
Recht und Unrecht auch feine Entfheidung der Vernunft
gebe. Diefer Folgerung entzieht fih Hobbes, indem er
noch eine- andere Folgerichtigfeit der Vernunft anntıhmt -
als die, welche auf dem folgerichtigen Gebraud der Sprache
beruht. - Er glaubt, ein jeder, welcher feiner Vernunft
getreu bleibe, müfle Frieden mit den übrigen Menſchen
1) De:corp. pol. 1, 2, 1. .
2) L.1. There can therefore be no other law of nature
than reäson, nor no other'precepts of natural law, ihan those
which declare unto üs the ways of peace, where the same may
be obtained, and of defence, where it may ‚not, ’
oder Guy für unvermeidlichen Krieg ſuchen. Wer
dies nicht thut, widerſpricht ſich. Die Vernunft gebielet
Brieden, und jedes Unrecht, welches ben Frieden fört,
iR ein Widerſpruch gegen ſich ſelbſi ). Hierauf beruht
feine ganze Lehre vom Staat.
ũhalich wie Mariana leitet er fie durch eine Unter-
fugung über den Naturzußend ein. Bon Natur bat ein
jeder das Recht und das Streben fih zu erhalten, bie
@üter des Lebens zu genießen, daher auch auf alle Mit
tel, welche hierzu dienen können. Bon dieſem Streben
wird ein jeder beherſcht mit derſelben Stärke der Notb⸗
wendigleit, mit welcher der Stein zu Boden fällt. Dies
iR die Summe des Naturrechts und ber Freiheit, welche
ein jeder hat, feine matüslichen Kräfte nach richtiger Ver⸗
nunft zu gebraudien um fein Leben und feine Glieder, fo
viel er Tann, zu. vertpeibigen 2). Was aus biefem Nas
turrechte in richtiger Holgerung abgeleitet werden fann,
iſt ewiges, unveränderlihes und unverkußerlihes Recht,
fo wie alle Gefege der Natur unveränderli und ‚ewig
find). Wir haben hierdurch das Recht auf alles, auf
die übrigen Meuſchen chen fo. fehr als auf bie andern
Ergeugnifje der. Ratur *). Daß die Menſchen von Natur
1b 1, 145 de eive 1, 13. Quicnmgue igitur manendum
in eo sialu ‚censuerit, in quo omnia Jicgaul omnibps, cpntra-
adieit sibimet ipsi, Ib, 3, 3, Est itaque injuria absurditas quae-
dam in conversatione, sicut absurditas injuria quaedam est in
disputatione. Leviath. 14 p. 152.
2) De eive 1, 7; Leriath. 14 p. 152; de cov- pol. I, 1,
9 HD eive 3, 29. Leges naturae immutabilen et aeiernae sont.
4) Lovinth. 14 p. 152. Me Menſchen haben Recht auf alet,
even to one another's body.
An.
zu einauder :in :einem andern Verbaͤltniſſe ſtehn ſollten,
aid zu andern Dingen, füllt dem. Hobbes nicht ein. Weil
aber ‚alle: Menfhen gleiches Recht. auf alles haben, :ift
dieſes Nalurrecht einer völligen. Rechtsloſigkeit gleich zu
Sägen), : Kein ausſchließliches Recht auf eine Sache
findet..Gierbei ſtattz das Eigenthum if erſt eine. Folge
Des Gtants.2). Daher iſt auch der Streit um Beſitz und
Gebrauch der Güter. im Naturzußande unausbleiblich.
Hobbes will zwar nicht zugeben, daß feine Sthiderung
der Menſchen im Raturzuſtande vorausfege, fie wären
von Natur: böfez er gefteht fogar zu, daß fie. ein natür⸗
liches Beßreben: hätten mit einander in gefelligen Verkehr
zu.treten; aber dies genügt doch feinesweges um’ gegen
den natürlichen ' Streit über den Beſitz der Güter und
ohne künſtliche Bereinigung ficher zu ſtellen 5). Jeder muß
feinem. Nasurtriebe folgend für fih und feine. Sicherheit
forgen; einer fann einem andern trauen wegen des ei⸗
gennügigen Beſtrebens, welches alle beherſcht. Mögen
fie nun’ bejgeiden oder gewaltfamer Neigung fein, feiner
fann es vermeiden den andern zu verlegen, wenn er. fih
ſicher fielen will gegen die Berlegungen, weiche ihm von
andern drohen +). - Das natürliche Recht an alles Tann
1)’ De cive,4,.10. . Natura dedit unienigue jun in omnia.
Ib. 11.. ‚Effeciys ejus juris idem pene est, ac si nullum om-
nino jus exstiterit, u “
2.6, 18. B
3) Leviath. p. 97; 14 p.169; de eivo 1, 2 init der Anm.z 5, 1.
4) De cire praef. Affectus ahimi, qui a natura animali pro-
fieiscuntur, mali non sunt ipsi,; sed actiones inde provenientes
malae aliquando sunt. Ib. 1, 4. Voluntas laedendi omnibus
“0
feiner den Äbrigen zugeſtehn; daher hat jeder Verlehun⸗
gen feines natürlichen. Rechts vor allen übrigen zu fürch⸗
tem und deutlich zeigt die Erfahrung, wie diefe Furcht
unter allen Menſchen herſcht und wie daher jeder gegen
alle fih fiper zu Rellen ſucht y. Die Gründe der Furt
verſtaͤrlt Hobbes dur die Betrachtung ber. Gleichbeit
aller Menſchen. Wenn auch ber eine Rärfer, der andere
ſchwaͤcher iR, fo wohnt doc allen Menſchen die gleiche
Staͤrle bei feinem Nädfen das äußerfe Übel, den Tod,
bereiten zu können 9). Der Naturzuſtand iſt daher ein
Krieg Aller gegen Ale). Er würde. aber das erfie Na-
-turgefeg, welches auf Erhaltung feiner ſelbſt geht, ohne
Erfolg laffen; damit wir ihm Erfolg fihern, muß aus
jenem Naturgefege ein zweites gezogen werben, welches
und gebietet Frieden zu fuchen, fo weit wir ihn erreichen
fönnen, fo weit aber nicht, uns die Mittel zur Abwehr
im Kriege zu verſchaffen +). Beides wird dadurch erreicht,
quidem inest in statu maturao, sed non ab eadem causa ne-
que aeque xulpanda.
1) Ib. prach .
2) Ib. 1, 3; 3, 13; de corp. pol. I, 1, 2; ‚Leviath. 13 p. 149.
Aus der Gleichheit der Menfchen folgt auch, daß Ariſtoteles mit Un—
recht behauptet, einige Menſchen wären ven Natur zu Sklaven ber
ſtimmt.
. 3) De corp. pol. 1, 1, 12; Leviam. is p. 149; de cive praef.;
4, 12. Ad naturalem hominum proclivitatem ad se mutuo la-
cessendam — — si addas jam jus omnium in omnia, quo
alter jure invadit, alter jure resistit atque ex quo oriunlur om-
aium adversus Omnes perpeiuae suspiciones, — — negari non
potest, quin status hominum naturalis, antequam in socielstem
eoiretur, bellam fuerit, neque hoc simpliciter, sed bellum om-
nium in omnes. \
4) Leviath. 14 p. 152; de eive 1, 1; 15.
Ba
daß eine Geſellſchaft der Menſchen pufammentritt, in wel
er die Mitglieder fi gegenfeitig Frieden und Hilfe ger
gen ihre Feinde verſprechen. Kin gemeinfamer Wille
den. Frieden zu .erhalten und gegen auswärtige Feinde zu
vertpeidigen muß in ihr herſchen. Wir. nennen eine
ſolche Geſellſchaft den Staat 1). Nicht in Vehlwolen,
ſondern in Furcht hat er ſeinen Grund.
Merkwürdig iſt es, wie in unſerm Philoſophen eine
unbefcpränfte Berehrung der Natur mit einer far eben fo
unbefcpränften. Verehrung der Kunft fi begegnet, Dem
Naturgefeg unterwirft er alles; aber in der menfchlihen
Geſellſchaft Hat die Natur doch nicht fo viel Gewalt ihr
eigenes. Wert vor der Zerflörung zu fihern. Die Natur
treibt die Menſchen zum Kriege unter einander an; au
eine friedliche Vereinigung derfelben durch einen Trieb
der Natur iſt nicht zu denken. Hobbes Teugnet die Zwecke
in ber Natur in der Erzeugung des Menfchen nicht; mer
glauben follte, der Menſch würbe opne Hülfe des Geiftes
hervorgebracht, der müßte felbft ohne Geift die Natur bes
trachten 2); aber für die Erhaltung: des Menfchengefchlechts
hat die Natur doch feinen Trieb erwedt. Hierin haben
fogar die unvernänftigen Thiere einen Vorzug vor .bem
Menſchen; fie werden durch eine natärlihe Harmonie
verbunden; ber Menſch dagegen hat die Kunft zum Ers
1) De cive 5; 9. Ciritag — — est persona una, cujus vo-
luntas ex pactis plurium hominum pro voluntate habenda est
ipsoram omaium, ut singulorum viribus et facultatibus uti pos-
sit ad pacem ei defensionem communem.
2) De hom. 1 p.8.
sa
fan erhälten D. Ms -ein großes Product diefer Kunſ
ſqildert uns nun Hobbes den Staat, als den Leviathan,
einen ſterblichen Gott, welchem wir unter der Herrſchaft
des unſterblichen Gottes unſern Frieden und unſere Ver⸗
theidigung verbanfen )Y. Nur unter feinem Schutze wer
den wir aller Güter der Bernunft theilhaftig. Im Nas
turzufande herſchen Leidenfhaft, Krieg, Furcht, Armuth,
Schmutz, Bereinfomung, Barbarei, Unwiflenpeit, Wild-
heitz im Staate herſchen Vernunft, Friede, Sicherheit,
Keichthum, Schmuck, Geſelligkeit, Zierde, Wiſſenſchaft,
Wohlwollen 9. Alles dies wird dadurch hervorgebracht,
daß wir aus der Menge der Menſchen einen künſtlichen
Körper bilden; denn als folder iſt der Staat anzufehn *).
Wir bemerken, daß Hobbes, indem er den Unterfuhungen
über die menſchliche Kunf fi zuwendet, doch nicht ver-
sißt die Erzeuguiffe derfelben in dasſelbe Licht zu fellen,
in welchen er die Erzeugniſſe der Natur erblidte.
Wem Hobbed uns beweifen will, dag ber Menſch
von Natur feine gefellige Gemeinfchaft habe, mie andere
Tpierarten, fo führt er eine Reihe von Gründen an,
welche meiſtens von geringem Belang find. Das Wir
tigRe ‚möchte fein, daß der Menſch den bewaffneten und
viel bebärftigen Tpieren angehört, welde nicht fo leicht
in geielige Gemeinſchaft fi fügen und daß die Sprache,
N Leviath. 17 p. 171. The agreement of these creatures
is natural, that of men is by covenant only.
2) L.L This is the generation of,that great Leviathan or
rather, to speak more reverendy, of that mortal God, to which
we owe, under the immortal God, our peace and defence.
3) De eive 10, 1.
4) De corp. 1, 9; de corp. poL 1, 6, rn
,
43
welche ihn vor allen andern Tpieren auszeichnet, ihn
noch unverträglicher, zur Vergleihung feiner ſelbſt mit
Andern, zu ehrgeigigem Wetteifer, ju Streit und Betrug
geneigt macht. Aber in der Sprache, ber Duelle vieler
Übel, iſt auch das Heilmittel bereitet: Durch fie iſt der
Menſch befähigt Vernunft zu Haben, fi mit andern zu⸗
fammenzufcharen, einen Körper des Gemeinwefens, tinen
Staat, einzugehen, welder im eigentlichen Sinne des
Wortes bei andern Tpierarten nicht angetroffen wird,
Dur feine Sprache wirb er nicht beffer,, aber mächtiger
durch Bereinigung der Kräfte Vieler zu einem Zwede 1).
Einen Vertrag können weder Thiere unter fih noch mit
den Menſchen eingehnz er wird durch bie Sprache ver
mittelt und auf ihm beruht der Staat 2),
So wie nun bie Sprache eine Sache der Willkür if,
fo aud der Staatövertrag. Hobbes benft fh, daß zur
Entſtehung des Staats eine hinreichende Anzahl von
Menfgen in dem Willen übereinfommt fi gegenfeitig
Frieden und nah außen Schug zu gewähren). Ihe
ren Willen zur Übereinfunft muß fie ausfprechen. oder
durch fihere Zeichen zu ‚erfennen geben; wenn er audges
ſprochen if, hört ihre Freiheit auf und es beginnt ihre
Benitung dem ausgefprogenen Willen getreu zu blei⸗
1) Leriath, 17 p. 170sq.; de hom. 10, 3. Quod i imperare et
imperata intelligere possumus, beneficium sermonis est et qui-
dem maximum. — — Oratione homo non melior fit, sed po-
tentior. De cive 5, 5. Bei den unvernünftigen Thieren findet nur
consensio, aber nicht una voluntas ſtatt, welche zum Staate nöthig
if. Lingua tuba quaedam belli ent et.seditionis.
2) De eive 2, 12.
3) Ib. 5,3.
Geich. d. Philoſ. x. 33
512
ben; denn ber Wie if der Abſchluß der Überlegung,
welche die Freipeit beendigt 1). Gleichſam als wenn der
Wille den Bertrag zu erfüllen nicht eine neue Überlegung
erforderte, ald wenn nicht fpätere Beweggründe ben Wil
Ien ändern Tönnten und dürften. Hobbes flellt an bie
Spige der übrigen Naturgefege, welche an bie Nöthigung
zum Staatsvertrage ſich anſchließen, das Gefeg, daß
Verträge gehalten werben müßten 2); er fügt eine Reihe
anderer abgelciteter Naturgefege hinzu, welde und im
Algemeinen begreiflich machen follen, daß wir den Frie⸗
den und ben Bortheil der bürgerlichen Geſellſchaft, der
wir und angefchloffen haben, wie unfern eigenen Frieden
und Bortheil betrachten follen; er gründet fie weſentlich
auf den ſchon erwähnten Sag, daß wir einen Wider:
ſpruch, eine Ungereimtheit begehen würden, wenn wir
Berträge fehlöffen und nicht getreu das Bertrauen bewahr⸗
ten). Die Nöthigung zum Staatsvertrage bleibt immer
diefelbe; fie Tiegt in dem Naturgefege, welches ung ge
bietet Frieden und Sicherheit zu ſuchen, ſobald wir eins
mal das Elend bes Naturzuftandes erfannt haben‘). Er
iſt unfreitig ein Freund der Folgerichtigfeit; aber man
"wird bezweifeln bürfen, ob feine Grundfäge über bie zu-
9) Ib. 2, 7; 10. Promissa — — signa sunt voluntatis, hoc
est ultimi actus deliberandi, quo libertas. non praestandi tolli-
tar, et per consequens aunt obligatoria. Ubi enim —8 de-
sinit, incipit obligatio.
2) Ib. 3, 1. Pactis standum esse.
3) Ib. 3, 209.
4) Ib praef. Homines omnes ex eo siata misero et odioso
necessitate naturae suae, simul atque miseriam illam intellexe-
rint, exire velle.
318
fällige Zufammenfegung der menſchlichen Natur, über die
relative Einerleipeit der Perfon und über bie allgemeine
Berfettung ber Bewegungen, welche doch gewiß in bie
willkürliche und künſtliche Zufammenfegung des Staats
frembartige Beweggründe einführen wird, im geflatten
möchten eine ungeflörte Folgerichtigfeit in den Begehrun⸗
gen des Staatsbürgers zu fordern. Offenbar fegt er
in dieſen Lehren einen tieferen Zufammenhang der ver
nünftigen Begehrungen voraus, als fein Begriff der buch
Wilfür der Sprache begründeten und durch Willtür des -
Staatsvertrags gefiperten Bernunft zu tragen vermag.
Hobbes gefteht num zwar ein, daf ber Staatsvertrag
aus Furcht geſchloſſen werde, findet aber hierin feinen
Mangel, welcher feine Gültigkeit gefährden koͤnnte; Ver⸗
träge aus Furt verpflichten, wenn. fie nur Erlaubtes
verſprechen; von folhen Verträgen würbe nur ein bür-
gerliches Gefeg, welches gewiſſe Verträge für ungültig
erflärt, entbinden können Y. Die Übereinkunft bes Staats⸗
vertrages verfpriht eine Leiftung für die Zufunftz bie
Sicherung des Verſprechens gewährt das Gemeinwefen,
deffen Wille mächtiger ift als der Wille einer jeden ein-
zelnen Perfon und vor dem daher jeder Einzelne ſich fürch⸗
ten muß 2). Damit diefe Macht des allgemeinen Willens
durch nichts gehemmt werbe, müſſen aber auch alle, welche
den Staatsvertrag ſchließen, dem Gefammtwillen ſich un-
terwerfen, über eine Form übereinfommen, in welcher ber
1) Ib 2, 16; de corp. pol. I, 2, 13.
2) Contractus und pactum (covenant) werben unterfchlebenz ber
Staatsvertrag ift von der legten Art. De cive 2, 9; Leviath. 14
p. 163. \ .
33*
316
allgemeine Wille fid zu erlennen giebt, alfo eine Dbrig-
leit beſtellen, fei es in einer Berfammlung oder in einer
einzelnen Perfon, und dieſer Obrigkeit fih unterwerfen.
Er hierdurch kommt die wahre Einigung des Gemein
weſens zu Stande 2), Sie fließt den Begenfag zwiſchen
dem Unterthanen und ber hoͤchſten Gewalt in ſich. Da
allein von dem Schutze der Obrigkeit ber Friede und ber
ruhige Beſitz des Eigenthums abhängt, unterwirft ſich
der, welcher ben Staatsvertrag eingeht, dem Willen der
Gefammipeit und ber Obrigfeit ganz und erhält alle feine
natärlichen Rechte nur wieder zurüd, fo fern fie durch
den Staat ihre Befätigung erhalten 9. Die höhfte Ge
walt der Obrigkeit, weil ipr alles Recht zu gründen zu⸗
tommt und alle Kräfte der Einzelnen übertragen werben,
muß im vollfommenen Staate fo groß fein, wie nur im⸗
mer von Menſchen fie übertragen werben lann; fie muß
abfolut fein 3). Sie if die Seele des Staats, Feinen
1) De eivo 5, 4 ugq.; 6, 3. Die drei pacta, unionis, consti-
tationis und subjectionis, werden noch nicht ganz genau unterſchie-
den, indem Hobbes die unio erft durch die subjectio oder submissio
ſich volziehn Täft. .
2) De ehe dedie.; 3, 16 2gq.; 5, 6 2qg.; 6, 15; de hom.
13, 9. Leges naturales constituta civitate legum civilium fiant
pars.
3) Leviath. 17 p. 171; de cive 5, 11. In omni ciritate homo
ille vel concilium illud, cnjus völuntati singali voluntatem suam
— — subjecerunt, summam poiestategp — — habere dicitar.
Quae potenias — — in eo consistit, quod unus quisque eivium
omnem suam vim et potesiafem im illum hominem vel conciium
transtalit. Ib. 6, 13. In omni ciritate perfecta — — esse
summum in aliquo imperium, quo majus ab hominibus jure
conferri non potest.
"ar.
andern Gefegen unterworfen ald ben ewigen Geſetzen
der Natur. Den Staatsbürgern bleiben feine andere
Rechte vorbehalten als die natürlichen Rechte ſich und ihr
Leben und alles, was theurer if als das Leben, zu ver-
theidigen ). Dem Stante und ber Obrigkeit kommen
alle Befimmungen über Recht und Unrecht zu; wir find
ihnen zum Gehorfam verpflichtet, noch ehe wir willen,
was wir für Befehle erhalten werden 2). Der undefchränf:
ten Gewalt der Obrigfeit fih zu unterwerfen Tönnte viel»
Teicht hart fcheinen, aber bie Unterorbnung unter fie würde
doch dem Kriege Aller gegen Alle vorzuziehn fein und
eine hoͤchſte Gewalt müßte im Staate vorhanden fein;
wollte man eine beſchraͤnlende Gewalt über fie fegen, fo
würbe biefe bie hoͤchſte fein”). Wenn der Staat gegrün⸗
det iſt, zweifelt Hobbes aud nicht daran, bag wir nad
natürlichem Gefege das Recht Haben jeden zu zwingen
ſich dem Staate anzufpließen und der Obrigfeit unbedingt
ſich zu unterwerfen, wenn er nicht freiwillig ſich hierzu
verfieht. Der Naturzuftand verleipt das Recht des Zwan⸗
ges an jeben, welcher die Macht dazu hat, Daher darf
auch gegen bie Einfegung der höchſten Gewalt niemand
ſich widerfegen, welcher ihr nicht widerſtehen kann 9.
1) De cive 2, 18; 6, 13; 18, 1.
2) Ib. 5, 8; 6, 16; 14, 10. Ubi obligamur ad obedientiam,
antequam sciamus, quid imperabimur, ibi in omnibus obedire
obligamar. Ib. 17, 10.
3) Ib. 6, 18 sg. Si enim potestas ejus limitaretur , necesse
est, ut id Rat & majori potestate, Ib 10, 1.
4) 1b. 1, 14. In statu hominum naturali potentiam certam
et irresistibilem jus conferre regendi imperandique in eos, qui
resistere non possunt. Leriath. 16 p. 172. .
518
Bei den Unterfuchungen über das Berhältniß zwiſchen
Obrigkeit und Unterthan behält Hobbes den Unterſchied
im Ange zwifhen dem, was über dasſelbe naturrechtlich
und allgemein feRfieht, und mas willfürlih und verän-
derlich in ihm iR. Nothwendig vertritt die Obrigkeit ben
allgemeinen Willen des Gemeinweſens. Sie beruht auf
feinem befondern, fondern nur auf, bem allgemeinen Ber-
trage, aus welchem der Staat hervorgeht. Daher Fann
fie gegen feinen befondern Bertrag fehlen und durch feis
nen Bertihg und durch fein befonderes Gefeg gebunden
werden. Ihre Richtſchnur if nur das Naturgefeg und das
Öffentliche Wohl 1). Bon ihr geht jedes Gefeg und je
des Recht aus; die Gewohnheit und bie Weisheit ber
Rechtsverſtaͤndigen lann Fein Recht bilden, wenn nicht das
Anfehn der oberften Gewalt ſtillſchweigend ober ausbrüd« '
lich hinzutritt ). Nicht duch Verträge, fondern burg
Strafen forgt die Obrigfeit für die Sicherheit; Geſetzge⸗
bung, das Schwerbt der Gerechtigkeit, das Recht über
Krieg und Frieden, über alles Eigenthum der Un
texthanen, ſogar über ihre Meinungen, fofern fie dem
Öffentlichen Frieden gefärlich werden fönnten, kommt ber
Obrigkeit zu ), ohne daß fie verantwortlih wäre ).
Strafen darf fie über alle ihre Unterthanen verhängen
ohne Beſchraͤnkung, nicht aus Race für das Vergangene,
'1) De cive 6, 16; 7, 14; 12, 4; Leviatb. 18 p. 172.
2) A dislogue betw. a philos. and a stud. of comm. laws
p- 590. It is not wisdom, but authority, that makes a law.
De cive 14, 15.
3) De cive 6, 5 2qq.
4) 1b. 8, 12.
9
ſondern zur Sicherung für die Zukunft, zur Beſſerung
oder zur Abfchredung ?). Die befondern Verträge der
Bürger nimmt fie unter ihre Gewähr und beflätigt auch
das Naturgejeg, welches uns anweiſt bei Streitigfeiten
über das Recht unter den unparteiiſchen Schiedsrichter
und zu fielen). Wir fehen, Hobbes ift gegen die Theis
lung der Gewalten im Staate; fie ſteht mit dem Begriffe
der höchſten Gewalt in Widerſpruch und widerfpricht alfo dem
Naturrechte, weiches bie Höchfte Gewalt im Staate forbert 5).
Alles aber, was Hobbes in der angegebenen Weiſe
aus dem Begriffe des Gemeinwefens als Naturreht abs
leitet, trifft doch nur eine Gebanfeneinheit. Die höchfte
Gewalt beruht ihm, nicht anders als ben- Fatpolifchen
Politilern, bei der Menge bes Volles; fie bleibt fortwäs
rend bei biefer, fo daß Hobbes nicht im geringfien daran
aweifelt, daß alle Bürger die Obrigkeit zu jeder Zeit auf⸗
hebtn oder anders übertragen könnten. Nur hütet er ſich
vor dem Irrthum derer, welche unter dem Volle nur bie
Unterthanen mit Ausfhluß der Obrigkeit verfiehen. Eis
nigfeit des Willens im Volle würbe nicht fattfinden,
wenn die Menge des Volles eine Anderung der Obrig-
teit wollte, die Obrigkeit aber nicht *). Hierin zeigt ſich
am deutlichſten, daß bie Einheit des Volles nur ein Ge
banfending ift, deffen Wille niemals eine Wirkung haben
wurde, wenn nicht eine willluürliche Übereinkunft über die
höcfte Obrigkeit hinzuträte. Wie Orotius nimmt Hob⸗
1) 1b. 3, 11. ”
2) 1b. 2, 11; 3, 20.
TA:
4) Ib. 6, 20.
bes an, daß in Gtanten, welche durch Übereinfunft ent-
Behen, fie durch den Willen ber Mehrheit zu einem recht⸗
lichen Befande klomme. Sollte auch jemand den Willen
der Mehrpeit in der Einfegung der hoͤchſten Gewalt nicht
theilen, fo würde doch die Mehrheit fih nicht abhalten
laſſen ipu durchzuführen und der dagegen ſtimmende Theil _
würde alsdann nad dem Rechte der Natur ald Feind
behandelt und zur Unterwerfung gezwungen werben 2).
Aber eine andere Sache iſt ed nun, nachdem der Staat
dur Einfegung ber Obrigkeit fih eine Verfaſſung gege⸗
ben hatz durch eine folhe Berfaflung wird das Recht ber
Mehrheit aufgehoben und es haf alsbann nur noch bie
Obrigkeit das Recht über den Willen des Gemeinweſens
zu entſcheiden, möge bie höchſte Gewalt in der Hand ei-
nes Mannes oder einer Berfammlung ber Bürger fein).
Die netürlipe Gleichheit der Menſchen hört auf, fobald
bie politiſche Ungleichheit beginnt. Die höchſte Gewalt
im Staate iſt nur dadurch, daß die Unterthanen der
Obrigkeit/ ſich volllommen unterwerfen. Daher pflanzt ſich
auch die Obrigkeit durch ihre eigenen Anordnungen fort;
durch die Unterwerfung der Unterthanen hat ſie auch das
Recht erhalten ihre Nachfolger zu beſtellen ohne gefeg-
He Befchränfung. Selb ungerechten Befehlen der
Oprigfeit zu gehorchen find wir nun verpflichtet mit eins
1) Ib. 6, 2. Quod si quis nolit consentire, caeteri sine eo
eiritatem nihilo minus inter se constituent. Ex quo fiet, ut
civitas in dissenticntem jus suum primaevum retineat, hoo est
jus belli ui in hostem. .
2) Ib. 6, 20. Durd die Gonftituirung des Staats iR das Dolt
aufgehoben. Ib. 7, 5; 8 Populum ut personam unam summo
imperio — — tranalato non amplius esistere.
iger Ausnahme ſolcher Befehle, welche nicht weniger hart
oder härter als ber Tod fein würden Y. Den Tyrannen«
morb billigt natürlich Hobbes nit. Die Obrigfeit, melde
mit Recht herſcht, für tyranniſch zu halten ift ſchon ein.
Irrthum; für ihre einzelnen Handlungen if fie niemanden
verantwortlich; wenn fie aber nicht mit Recht herſchen
ſollte, würde fie gar nicht Obrigfeit, fonbern ein Feind
des Staates fein 2). Auch die Obrigkeit, welche in ein«
zelnen Faͤllen Ungerechtes gebietet, gewährt doch "immer
noch die größte Wohlthat, bie Sicherheit des Gemeinwe⸗
fens, und daher find wir ihr Unterwerfung ſchuldig. Nur
wenn bie rechtmäßig eingefegte Obrigfeit ung Schug zu
gewähren bie Macht verloren haben ſollte, ſpricht ung
Hobbes vom Gehorfam gegen fie frei), Die Härte,
mit welcher Hobbes den Gehorfam gegen. bie vechtmäßige
Obrigkeit einforbert, ſucht er nur dadurch zu mildern,
daß er zwifgen Recht und Übung ber höchften Gewalt
unterfheibet; wärend er’ jenes auf das Unbedingtefte ans
ſtrengt, meint er, daß biefe in den äußerften Grenzen ber
Billigkeit gehalten werden ſollte *).
Es kann auffallen, daß Hobbes, ähnlich wie Grotius,
nur nachträglich den natürlichen von dem künftlich gebil-
deten Staat unterfcheidet I. Da ex von ber Naturlehre
ausging, hätte man das Umgefehrte erwarten Fönnen.
1) B. 6, 13; 12,2.
2) Ib. 12,3. -
3) De corp. pol. II, 1, 5; upon the reputation p. 690. Pro-
tection and obedience are relative. Diefer Grundfag war ten
Royaliften im Eril anftdfig.
4) De cive 13, 1.
5) Ib. 5, 12; Leviath. 17 p. 171 29.
Der Grund Hiervon liegt aber wohl darin, daß der nas
türlige Staat doch aud gewiſſermaßen durch Kunft gebil⸗
det und mur zufammengefegter if, als ber Fünflich gebil-
dete; denn wärend biefer auf einem, beruht jener auf
‘vielen Berträgen. Er hat feinen Grund in der Unterwer ⸗
fung der Schwaͤchern unter den Stärken. Hobbes unter:
ſcheidet hierin wieder zwei Bälle, nemlich die Unterwerfung
der Überwwunbenen unter den Sieger und bie Untertwers
fung der Kinder unter bie Eltern 3. Aus ber erſtern
geht die Herefcpaft des Herrn über bie Sklaven, aus
der andern bie patrimoniale Herrſchaft hervor. Beide
vereinigen ſich mit einander, weil fie im Weſentlichen auf“
derfelben Grundlage beruhn I.
Die Herrfhaft über Sklaven unterſcheidet Hobbes von
der Herrſchaft über Gefangene, welche in Keiten gehalten
und nur durch Gewalt zur Arbeit gebracht werben. Das
Recht ſolche Gefangene zu Halten folgt aus dem Krieges
rechte. Hartnädigen Beinden dürfen wir jede Macht uns
zu ſchaden nehmen. Aber dadurch, daß wir ihnen das
Leben ſchenken werben fie noch nicht verpflichtet ung zu
ſchonen; Flucht und Toͤdtung ihres Gewaltherſchers if
ihnen erlaubt; zwiſchen ihnen und uns befteht Fein Bere
trag. Wenn wir dagegen ben Sklaven eine weitere Frei⸗
heit ſchenken, ihnen fogar Güter bes Lebens als Eigen
thum zu erwerben geftatten, fo ſetzt dies Unterwerfung
‚des Slklaven und Vertrauen bes Herrn, einen Vertrag
zwiſchen beiden voraus, burch welchen ber Herr bie Frei⸗
yILı
2) De cive 8, 1.
x
heit von Ketten und Banden gewährt, der Sllav Gehor⸗
fam verfpricht in gleichem Maße, ald wenn er in Ketten
und Gefängniß läge), So ift für den Staat, welcher
in dieſer Weife ſich bildet, die unbeſchraͤnkte Herrſchaft
der Obrigkeit geſichert.
Verwidelter it das Rechtsverhaͤltniß der Kinder -zum
Bater. Daß bie Kinder vom Bater ihre Geburt haben,
giebt ihm kein unbedingtes Recht über fie, befonders weil
auch die Vaterſchaft unſicher iſt. Der Mutter fommt bie.
natürliche Herrſchaft über das Kind zu, nicht als Mutter,
fondern weil fie das Kind zuerft in ihrer Gewalt hat.
Sie Tann es ausfegen ober aufziehn. Wenn fie aber
das letztere thut, fo wird dabei ber Vertrag vorausgeſetzt,
daß es nicht erwachfen ihr Feind werben ſolle, welches
im Stande der Natur nicht, ausbleihen würde. Daher
ſteht das erzogene Kind vertragsmäßig unter ber Herrs
ſchaft der Mutter, welche das Kind aufzieht. Doch würde
diefe Herrſchaft auch auf jeden andern übergehn können, -
welcher das Kind aufzöge. Auch wenn die Mutter, welche
das Kind aufzieht, in der Herrſchaft eines andern iſt,
erwirbt biefer zugleich mit der Herrfchaft über die Mutter
die Herrſchaft über das Kind. Es folgt daraus, daß
auch das nachwachſende Geſchlecht unter die Herrſchaft
der rechtlich beſtehenden Obrigkeit kommt. Es folgt daraus
nicht minder, daß der Vater, welchem die Mutter in der
Ehe ſich unterworfen hat, hierdurch Herr bes Kinde
wird. Die Ehe. betrachtet Hobbes als einen Vertrag,
durch welchen die Sram unter bie Gewalt bed Mannes
1) 1b. 8, 309g.
kommt, nicht weil bie rau fopwäder als der Mam
iR, fondern weil nad unfern willlürlichen Einrichtungen
die Herrſchaft in ber Ehe wie im Gtaate beim Manne
iſt . Hierans fliegt nun alles andere, was zur Herſtel⸗
lung eines patrimonialen Reiches gehört. Der Bamilien-
vater gewinnt bie unbefhränfte Herrſchaft über feine Frau,
ihre Kinder, über bie Sklaven und ihre Nachkommen⸗
ſchaft und es Täßt ſich denfen, daß auf diefe Weiſe ein
Staat fi bildet, welcher hinreichende Macht befigt um
innere und äußere Sicherheit zu gewähren, Die Berpält-
niſſe in ihm werben alsdann in berfelben Weiſe fih ge
alten, als wenn er durch fünftliche Einrichtung entſtan⸗
den waͤre 2).
Da nun aber im Staate alles von der oberſten Ge⸗
walt abhängen ſoll, fo beruht auch die Verſchiedenheit
der Staatsformen nur auf der Weiſe, wie die oberſte
Gewalt beſtellt iR. Es iR folgerichtig von Hobbes ger
dacht, daß er dabei mur bie Zahl der Perfonen in der
oberfien Gewalt berüdfihtigt, weil alles von ihrer per⸗
ſoͤnlichen Willlür abhängen und im Naturzuflande alle
Perſonen gleich fein follen. Demnad find drei Arten ber
Staatsverfaffung möglich. Entweder kann bie hoͤchſte Ge
walt beim ganzen Volle, ober bei einigen Vornehmen
oder bei einem Manne fein. So unterſcheiden wir Des
mokratie, Ariftofratie und Monarchie. Die beiden erſten
werben jedoch auch bem dritten entgegengefept, weil
ie mit einander gemein haben, daß .bei einer Mehrheit
1) 16.9, 129g
2) 1b. 9, 10.
325
ober einer Berfammlung der Bürger bie Gewalt if, und
fallen deswegen für Hobbes meiftens unter denſelben Ges
ſichtspunkt. Tyrannei dagegen, Oligarchie und Anarchie
Odlokratie) gelten ihm nur als Schimpfnamen 1)y. Wenn
er nun feiner Gewohnheit nach von dem ünflich einge⸗
richteten Staate ausgeht, fo ift ihm freilich die Demo-
kratie vor allen andern Formen bes Staates. Denn
auerft muß die ganze Bürgerfhaft über die Staatseinrich-
tung entſcheiden I. Nachdem aber Berfaffung angeords
net ift, eriflirt das Volk nicht mehr, fondern nur die
höchſte Gewalt hat das Wolf zu vertreten und ihr allein
iſt Gehorſam zu leiſten 3). - Bon den drei Formen bes
Staats ift aber die Monarchie bei weitem bie beſte. Die
Gründe, melde Hobbes für dieſen Say geltend macht,
follen nur Wahrſcheinlichkeit gewaͤhren; Hobbes meint, es
wäre dies ber einzige Satz in feiner Lehre vom Staats⸗
Bürger, welden ex nicht fireng bewieſen hätte. Mir
werden nicht nöthig haben in alle Erwägungen ber Nüge
lichkeitstheorie einzugehn, welche Hobbes hierbei vor⸗
Bringt. Es mag erwähnt werden, baß er bie Gefahren
großer Verſammlungen zur Berathung bes Gemeinwohls
weitlaͤuftig erörtert und hervorhebt, wie fie ber leiden
ſchaftlichen und Leidenſchaften erregenden Berebtfamfeit eine
verberblihe Gewalt geben, wie fie Bartionen begünftigen
1) Ib. 7, 1 sq.; Leviath, 19 p. 177; de corp. pol. I, 1, 3.
* 2) De corp. pol. 1, 2, 1; die Veſchrankung auf den küͤnſnich
eingerichteten Staat liegt in de cive 7, 5.
3) De cire 7, 5; 8..q,; Il. .
4) Ib. praef. Quam rem unam in hoc libro non demon-
stratam, sed probabiliter positam esse profiteor. *
828
und bie unwiſſende Menge zur Gewalt reizen; ex if da⸗
von überzeugt, daß ein verländiger Mann bei weiten
Höger ſei, als die große Zapl des Volles, und meint,
daß die Freiheit der Einzelnen fich beſſer dabei flehe, wenn
fie nur einem Manne, als wenn fie der Mafie des Bol
les unterworfen if. Auch der erblichen Monarchie redet
er das Wort, indem er es als nügli für das Voll au
fieht, wenn es von ber höchften Gewalt als ein Erbei⸗
genthum betrachtet und wie in einer väterlichen Herrſchaft
behandelt würde 1). Nicht ganz in Übereinkimmung mit
feinem Eintpeilungsgrunde zieht er doch die Ariſtolratie
näher an die Monarchie als an bie Demokratie heran,
weit fie Erblichleit begünftigt, weil fie die Berathung an
wenige bringt und befländiger if als der Wanlelmuth
der Demokratie). Es. liegt aber freilich in feiner Denl⸗
weife im Allgemeinen, daß er- bie AriRofcatie der Demo-
tratie und die Monarchie der Arifiofratie vorziehen muß,
weil fene mehr, biefe am meiften vom Naturzuſtande des
Krieges Aller gegen Alle fi entfernt.
Die Berüdfiptigung der Zeitumftände, welde durch
alle feine politiſchen Lehren hindurchgeht, fpricht ſich doch
in feinem Theile derfelben fo ausführlich aus als in ſei⸗
nen Lehren über die Verhältniffe des Staates zur Kirqhe.
Bei der unbebingten Herrſchaft, welche er der oberfien
4) De cive 10, 3 »qg.; de corp. pol. 11, 5, 3 aqg.; Leviath.
19 p. 178 2qq.; vita Hobber. p. 118. Et quantam coeta plus
sapit unus homo.
2) De cive 10, 19. Von einer andern Überlegung iſt es, daß
Demokratie doch im Wefentlichen nur Ariſtokratie ſei, nemlid Her:
ſchaſt der Redner. De corp. pol. IL, 5, 3,
227
Gewalt im Staate ſelbſt über die Meinungsäußerungen
ber Bürger beilegte, mußte ihm bie Unabhängigkeit, welche
die Kirche forderte, den. größten Anftop.geben. In ben
firchlich⸗ politiſchen Bewegungen feines Vaterlandes ſah
er bie Gefärbung bes Friedens, welche die Anſprüche auf
tirchliche Freiheit nach ſich ziehen müßten, in rohefter.Geftalt
vor ſich auffteigen. Er zögerte nicht biefen Eingriffen der
Religion in bie Rechte des Staats ſich entgegenzufegen.
Den katholiſchen Tpeologen, von welchen feine Staats:
lehre manden Grunbfag geborgt hatte, mußte er. wider⸗
ſprechen, weil fie die Herrfchaft über die Seele von der
Herrſchaft über den Leib unterfhieden, wärend ihm ein
folder Gegenfag fremd. wat. In vollem Widerſpruch ge-
gen fie erklärte er die höchſte Gewalt für die. Seele des
Staats und in einer ziemlich weitläuftigen Unterfuhung
beſtritt er die Lehren Bellarmins ?). Gegen die Proteftan-
ten, welche fih auch auf ihr Gewiſſen, auf die heis
Tige Schrift und auf befondere Erleuchtungen beriefen,
machte er die Trüglichkeit in den Ausfagen des Gewiſſens
und bes Glaubens geltend 9 und’ befritt bie Erleuchtun⸗
gen, welde und den Sinn ber heiligen Schrift eröffnen
ſollten, indem ex dagegen bie vernunftmäßige Auslegung
der heiligen Schrift mit feiner Staatslehre in Übereinftim-
mung fand, aber auch der Überzeugung war, daß in ber
4) Leviath. 42 p. 344 2gq.
2) Hum. nat. 6, 8. Conscience I therefore define to be
opinion of evidence. Ühnlich über Glauben. Ib, 11,8. Doch
haben wir gefehn, daß er auf das Gewiſſen als forum internum
Gewicht fegte. Berg. Leviath. 15 p. 164.: Auch hier ift eine gwei⸗
beutigkeit feines Sprachgebrauchs nicht zu verkennen.
’
[3
Bibel viel Dunfeles liege, welches aufzuhellen uns nicht
gelingen würde, und baß es baher am gerathenften fei,
an bie deutlichſten Ausſprüche ber Schrift fih zu halten ?).
So findet ſich Hobbes in einem Streite mit allen kirchli⸗
Gen Parteien feiner Zeit. Geinen wiſſenſchaftlichen und
politiſchen Anfichten Tann er nicht entſagen; er ift vielmehr
davon überzeugt, bag im gegenwärtigen Vollksglauben
und in ben Lehren ber Theologie noch ſehr viel von dem
Reiche der Finſterniß herſche, welches von der Wiſſen⸗
haft und dem wahren Olauben befritten werben müfle).
Religion und Glauben will er nicht beflteiten. Die Res
Tigion if ein natürlicher Affect 5), welcher zwar Teicht mit
Aberglauben ſich mifcht, aber von ihm gereinigt werden ann.
Der Glaube beruht im Vertrauen auf Andere und ihre
Worte, und da Hobbes in der Feſtſiellung der Sprade
und in ber Bewahrung ber Berträge auf das Bertrauen
das größte Gewicht legt, fo fonnte er auch ben Glauben
nicht gering achten; er iſt vielmehr geneigt in ihm ein
Wert Gottes in uns zu erbliden, in demfelben Sinn, in
welchem Gott alles wirken fol. Daher war es auch
eine unerläßlihe Aufgabe für ihn zu beweifen, baß feine
Lehre von der höchſten Gewalt im Staate dem göttlichen
Rechte nicht widerſpreche, weder fofern es durch die Natur,
noch fofern es durch die Offenbarung verkündet ift 9).
1) HRım. nat. 11, 8; Leriath. 32 p. 262; 34 p. 277 2q.
2) Der vierte Theil des Leviathan ift gegen diefeh Meic der Fin:
ſterniß gerichtet.
3) De hom. 12, 5.
4) Hum. nat. 11, 9; Ler. 43 p. 362 a
5) De eire praef.; Leyiath. 31.
Sehr tief jedoch werben wir nicht in den vhiloloyhi ·
ſchen Gedanlen dirſes Mannes zu forſchen hoben, zoenn
wir feine theologiſchen Lehren antwickeln wollen. Nach
der ſenſualiſtiſchen und ſteptiſchen Haltung: finer. Philoſo⸗
phie konnte er es zur für eine Verwagenheit halten irgend
eine philoſophiſche Lehre über Gott aufpyfehen.. Selbft
die Gründe feines Überzeugung vom Sein; Gutied. tzeten
teinasweges in befriedigender Weife bei ip. heraus.
Den Beweis für das Sein Gottes aus feinem Begriffe .
verwirft er, weil wir feinen Begriff von. Gott Haben 2),
Bon dem Unendlichen Fönnen wir ung keine Vorſtellung
machen und doch haben wir alle unſere Erkeminiſſe von
unſern Vorſellungen. Deu eingigen Beweis, welchen wir
für das Sein Gettes führen könnten, würhe doraus
fließen, daß mis für elle Dinge ber Welt eine Macht
anzunepmen haben, wehhe fie hervargebracht oben geſchaf⸗
fen hat, Diefer Beweis ſcheint ihen zuwailen zu, gewögenz
aber er bemerit and wieder, feine. Philekophie Töne be⸗
weiſen, daß hie Welt nicht ewig. fei. Die Erfenntuih
dea Ewigen hat ſich Gott vorbehalten; üben Gwigleit
und Unendlichleit und über ihr Gegentheil linnen nur
die entſcheiden, welche Gatt in, religiäfer Offenbarung zu
feinen Dieneen beſtiumt hat⸗). . Daher sechnet er auch
den Atpeisuus zu den Sünden nur aus Unwiſſenheit,
welche nicht als Verbrechen ber Bürger beftraft, ſondern
nur als dem Stante feindlich behandelt werden ſollten 9.
1) Obi in Cart med. 88. “
2) Hum. nat. 11, 2; de corp. 26, 1; up. ia vop p- 2
»9,; Leviath. 11 p- 140.09. .
3) De eiro 14, 19.
Geld. d. philoſ. x. 34
880
Beine Meinung Jedoch ſpricht er ohne Zweideutigleit da⸗
Hin aus, daß wir einen Anfang und Schöpfer der Welt
anzunehmen haben, indem ihm die unenblüche Welt ebenfo
unbegreili wie der unendliche Gott if. - Auch die Weis⸗
peit in der Zufammenfegung bed menſchlichen Körpers
ſcheint ihn davon zu Überzeugen, daß wir nicht allein
einen allmächtigen Schöpfer, fondern auf eine Intelll⸗
gem zum Bau der weltlichen Dinge anzunehmen haben h.
Er entſcheidet ſich daher auch gegen die Anſicht, daß Bolt
als Wehfeele "ober als bie Gefammtpeit der - weltlichen
Dinge zu betrachten ſei, hält vielmeht am dem Gebanfen
eines unendlichen geifigen und perſoͤnlichen Weſens feh,
welches aber auch um Subſtanz zu fein Körper fein müffe9.
Im Begriff Gottes liegt es, daß ex nicht allein, wie
andere Gubflangen ,: in ſich, fondern aud von ſich iſt .
Sonſt aber entſchuldigt ſich Hobbes /mit der Unbegreiflid-
teit Gottes, wenn er in weitere Unterſuchungen über ſei⸗
men Begriff nicht eingeht. - Nur zweierlei Arten ber At⸗
tribute dürfen wir Gott beilegen, ſolche, welche unfere
Unfäpigteit ihn zu begreifen ausdräden, und folge, welde
ihm unfere Verehrung bezeugen 9. Jene find nur ver
neinender Art. Unter ihnen ‚führt Hobbes an, daß wir
Gott weder Verßand noch Willen beilegen dürften; Ber
Rand nicht, weil alles Berfländniß-von den Sinnen fommt
4) De bom. { p:8; an answer to bish. Bramb. p.431 24.
9) De ciro 15, 14; an answer io bish. Bram. p-432 10.
wo auch die Kusbrüde natura naturans- und natura naturata abge⸗
lehnt iverden. Ib. p. 446. —
3) An answ. to bish, Bramb. p. ax..
4) Human nat. 11, 3. 3
Ss
und Gott feine: She haben Fin’; Witten nicht, weil
- ei nichts zu begehcen hat.Die· andere Art der Attribute
Oottes legt ihm meiſtens mur im hoͤchſten ABrabe bei, was
wir an und werthſchaͤtzen, drudt nur ein: Verhaͤltniß zu
ung aus und ſoll nicht ſein Weſen, ſondern nur unſere
Verehrung und ·Unterwurfigleit unter feine Gebote bezeich⸗
nen 9.. Nur dieſe Miribute. beruühren unſere Frommigleit
und haben Beziehung auf bie oͤffentliche Gottecverchrung .
Die Unterſuchung ũber dieſe laͤßt ihm. doch ziemlich
aubfuhrlich in den poſitiven Glauben eingehn, welcher un⸗
ter uns verbreitet iſt. Er darf ihn nicht verachten, weil
er eine große Macht im Staate ausübt, Ju ähnlicher
Weiſe wie Herbert iſt er bemüpt ihn von Aberglauben
zu reinigen und auf. eine einfache Formel zurädgubringen,
welche mit den Zweden bes ‚Staats: in keinen Streit ger
rathen kann, Dabei iſt er aber weit davon entfernt bem
Staat bie Herrſchaft über bie Kirche zu geben; er betrach⸗
tet ihn vielmehr nur: als ben Stellvertreter berfelken, in
dem er das allgemeine Reich Gottes “ale die Voraus⸗
ſetzung der Religion anſieht, den Staat aber als den
Vollſtreder des goöͤtilichen Willens in dieſem Reiche. Die
usfprüngliche ober natürliche Religion denlt Ner ſich nem⸗
lich in einer aͤhnlichen Weiſe, wie den Naturzuſtand übers
haupt, als eine Verwirrung ber verſchiedenſten Annahmen,
als einen Streit Aller gegen Ale über die Weifen, wie
Goit verehrt werden follte 2. Um biefen Streit. zu ver»
1) B. 11,4; de eive 15, 14. Daß ihm Inteligenz beigelegt
wird, iſt ſchon erwähnt worden; auch rbitrium tommt Abm. zu.
De hom. 14, 1.
2) Leviath, 12; de civa 15, 17.
D 34 *
welden put der Otaatıbin äußere Gottesverthrung zu ord ⸗
nen und darf fie swhnem;.. weil, der innern Srörmmigkeit
daraus cha Nachlpeil erwachſen laqn ). ODobbes unier ⸗
ſcheidet aber auch van Wer natiliqn die poſitive oder
dung .übernatürfiche Offenbarung vertundee Religion.
Das Reich Gottes exfeectt ſich ie weiteßen Sinne über
Die ganze Well; vom ihm jedoch fpeicht man zur im uns
eigentfigen Sinne, denn es würde auch bie natürlichen
Dinge und bie Feinde Gottes umfaſſen; im eigentlichen
Sinne laſſen ſich zum Reiche Boltes nur die Menſchen
wählen, weiche ihm Verehrung und Gehorſam zollen; alle
dieſe hängen der natürlichen Religion au. Es widerſpricht
dem aber auch nicht, daß. Bott ein beſonderes Reich ger
ſtiſtet Hat unter feinen Erwäplten®). Ihnen hat er fir
nen Willen in befondexer Weife offenbart, in dreifacher
Weile, darch Moſes, durch Chriſtus und durch bie Apo⸗
ſtel ), aber immer dutch Menſchen, welchen die Erwähl-
ten als Stellvertretern Sottes Glauben und Gehorſam
fcholdig find. . Ihr Glaute hängt an bie Autoritaͤt der
Siellvertreter Gottes ober. ſeiner Propheten und es if
der einzige Glaubensartilel, welcher zur Tpeilnahme an
das Gotteoreich Henkgt, daß wis den Propheten Gottes
veritanen ). Über dieſen GBinkbentastiet hat nun die
1 De cell,
2) Leristh, 13 p. 146; 31 p. 235 2q, Daß dies ein eigentliges
Rep, eine Monardjie tm weltlichen Simne, ein Vertrag Gottes mit
den Menſchen ſei ib. 35.
3) Ib. 16 9167; 42 p. 317 sq. Die dreifache Offenbarung ent⸗
ſoricht den dest Perfonen der Trinitat.
4) 1b. 43 p.363. The (anum necessarium) only arte af
faith, which the scripture macketh simply. nenenyary to salra-
Regitrung des Staats Ice BrBahhiernt eh aſt bie notha
wendige Bebiagung far die eilaahme am⸗ Gottearicht
Dagegen verlangt weder "bipiYeife mad: Per sheug, Bund
eine. Trennung des weitlihcampTbetugeiftlühen. Reichen;
vielmehr beide geben Geſetze ıniihtjaßtein. fuͤr die: Moitrexer⸗
ehrung, ſondern auch Frites weuliche Leors und Die,
weltllche Hertſchaſt · iR hard inein / Theil :beniRekig ion,
Hobbos fucht weitlkuftigrigunGbenmefen; daß dies untet.dien
Theolratie des Juden / ſor heweſen: hei/ deh aber aunch Ehti ⸗
Mus dark nichts geäͤndent habdıEu.marlite: fein: Reich
im dieſer: Welt Riften, ſoubera: kun: Sure: Leher und. Ubrun
rebung die Menſchen auf fein laaftigea Roich magrhesitienn
Er ſoſtelt feinen Siaat, TondernhefhhtB Untedvieign .
leit gegen die Dörhgkeik“ Red Biniftiges Meichsigh cabarı,
ten). "hen fo: haben es dinıMifeftel: gemacht. ¶ Minen
ESteliperhoiter Chritti ;Fübent.: tote Richh; haͤuen wir hn
aber auch, ſo Würde er doch · ebenſo wenig welttiche Macht:
haben, Bu errtius ‚eine ſolche ” ws m ‚mie
h I
on, id this, that Jeaus is Site ch. —E —XR
"3 imderstond ihs king, which Gad ‚had: beloto ‚promised., by
the prpphete of fhe old: estamgnt,.. to.send in ıhe world, tg
reign — — under himself eleraafly and to gire hm that eferz
nal ie, which ah lost by%ihe sin of Adam." liſterblichteit! det
Secle mohrd' ans nicht von Mater ; ſondem aus Gnade bei. Ib. 44
p. A7. Die Ungerehten trifft emigen Tod. An answ.,to
Brauh. p. Ai. Über die Auferflegung herſchen ſehr finntiie
flefunäch." Leriath. 38 8.297 sql; 41 p.6i6: ;
N Levimdı 12; p. 146: Im the Kingdom. of Gad Ihe: polier
and laws civil are a part of religion and therefore the distin-
ction of temporal and spiritual ——— bur vo a ‚pie
2) De eire 17,6. ° : .
3) Leriath, 42 p.317; 319.
weliliche Macht IR WeiniOtäntergebliehen; alle Denken
gen der Vutger firb"dminkE Gewalt der Obrigkeit; ipr
iR durqh die offenbarte Religion nur eine göttliche Autos
ritit zugewachſen und ſodar ‚bie Autorität aller Offenba ⸗
run · gewinni Geſetzeclraft nur dadurch, daß fie zum Ge⸗
ſetze bes Staats erheben wirbt). Die Obrigkeit iR zw
gleich Vorccttterin Den Sgeißligen: Gewalt, Weltliche und
geiſtliche Hercſchaft za · oennen /iſt/ verderblich; in biefen
Leben diebt. es Tate :andekenfs idies zeilliche Oerrſchaft
und der·Unterſchiedzwiſchen Kirche und Stans beſteht
nur vatin, daß man die Umerthanen unterſcheidet, ſofern
fo Deeujchen unbe ſefern fe Chriſten find. Das Gemein⸗
wrfen ieh! Staat Sofern ‚Die Unkertpanen. Menfipen,
ſicche) ſafern fie Eprifteit ati”). -Hietaus- folgt,. daß
in ühter ‚Wprißliheh Mengechie des. Rönig Biſchof · und
Hier chriſtlichen Gemeinde iR; aur der Koönig hat
feine Sewall anpitttehhanınhn--@ottz alle übrige Seiſtliche
haben ihr :geifllichen Anſchn von ihm ). Hobbes zieht
die Folgerungen des proteſtantiſchen Kirchenrechts, wel⸗
ches des Obrigleit des Landea ‚die Sorge für bie Got⸗
tedverehrung berträgk, in? dein Sinne der unbedingten
Berthchaft, weiche er” fux den dtieben des Staats for⸗
dert. Die Kirche eines jeden ‚Landes iſt eine Sache für
ſich und wird nach verfiedenen Geſchen regiert. "Mit
den Landesgeſeten aber fann das Gewiſſen des Chriſten
niemals im Streit gerathen, weil er das Gebot Hat der
Obrigleit in allen Stüden gehorſam zu fein. ı Gein
9).Ib. 42 9.300; 329. j
2) Ib. 39 p.306; de cive 17, 21.
3) Leriath. 42 p. 341. BE
Glanbe an Chriſtum und alles, wad im ihm liegt, blaibte
dabei wine freie Meinung. Venn die Ohrigleit ·chriſtlich
iſt, ‚fo theilt fie dieſelbe wit den. Unterthanen; ſollte fie
nicht chriſtlich fein, ſo wärbe ſich Kein Erund denlen laſ⸗
fen,: warum fie Unterihanm- Rrafen ſollte, welche an das
aufünftige Rei; Eprifi glauben, aber: ſonſt den weltlichen
Geſetzen der. ungläubigen Obrigfeit in allen Dingen, Ges
horſam leiſten . Wir ſehen Hier, daß Hobbes doch eine
freie Meinung geleitet, welche durch die Geſetze des
Staats nicht verbdten werben ſoll; aber: #6 :ik: freilich
eine Meinung, welche ſich gang innerlich "hält und in
feine äußere Handlung umſchlaͤgt. Kußeres: und. Inneren
ſind ihm doch. nicht. ohne alle Arenuhmt⸗ fa uberelnſinn
mung mif.einamberın,s = in
Was wir: nad Betrathtung feines. Bitongegunget
erwarten mußten, :untgegengefegte Nichtungen in ber dir
fammenfegung feiner. Gedanken/ iſt und in xcichlichem
Maße entgegengetteten: ¶ Ergriffen von den Vrhzerbumgen,
welche Bacon in weiteſter Auedehnung geltend gemacht
Hatte, alles in unſerer Wiſſenſchaft von ber: ſinulichen Er⸗
fahrung abzuleiten/ lounte er: doch bi-mptpemakiiche Mes
whode des Beweifes yon allgemeinen. Gruitfäpen aua
wicht ·aufgeben 3 r wutfchloß ſich licber Ale: Wiſſenſthaft
und alles Denken‘ der: Bernmft: ala eine. Sache ſprachli⸗
cher Übereinkunft zu: betreiben. In ſeinem Senſualismua
geht\er weit geñug einzuſehn, daß wir burg unfere Eu⸗
pfindungen / nur zur Erlenntaiß einer Reihe von Upatfas
chen oder innen Vewegungen kommen können; abe die
Bm Bra ee)
1i) Leviath, 2 p · aonya p· zoꝛ q.
- 5
Ente" der Naher möge er vo wit enbehern
um er bequenue fi) Daher days das Innere Wexben in
eine Bewetang bes Mıpers 'wuziicgen uud anzunehmen,
dag wir durch dasfelbe einen Beweis vom Daſein der
Eoerperwell ethielten. Seite Leher bildete ſich wm zu
einem ent hicdenen Materialleius ans and die Weit er⸗
ſchlen hin als eine grohhe Kette archaniſcher Bewegungen.
Dies anf: das ſiuiche Leben tea Menſchen angeminbt
nie zum Gataliomus führen; mem aber daraus auch
zu Yolgen:fdpen; vaß wir den matiniigen Zußändee ms
nicht entziehen Zönmten, fo :gfanhie Hobbes in der willlur⸗
gem Eimeiptang der Sproche, anf welcher bie cenſch⸗
liche Bersiunft berufen fellte, und im willlarlichen Ber
trage ein Mittel zu finden uns dem Naturzuſtande bes
erieges Miet gegen Wlle zu Berheben. In ven eingeinen
Dinger uber Kopera, melde. ex amahm, glaube er
zwar Tainen ändern Drieb za erkeanen als ben Trieb der
Gelbſiervaltung and feine Siktenlchee huldigte baper and
dpme Rudchalt den Egoiemus, aber er meimie doch auch
Die agheit des enfihen werde ausreichen durch bie
Erfindung der Sprache za der allgemtinen Einſicht zu fuh⸗
von, baf wir mar dorch unbebingte Unterwerfung weiee
die Obrigkeit Brichen "und Sicherheit gewinnen kdnnten,
"ja rthob biefe Klagheit zu einem allgemeinen Gefege
der wmenſchtichen Mod und ſthich ſelbſt den Gedanken
nicht aus, daß unter:der-Herefihaft bes, Staats das Bob
teoreich ſich verbreilen und alle Menſchen zu einer Oerde
verſanuneln fol: So Tante wu. für die bunzerliche Dede
nung bie Weihe der Religion gewinnen; fo konnte er
auch das Willkurliche an: ein allgemeiaes Befey dar Na⸗
=
tar heranziehen. Bein Rominallemus ſchien zwar Tenct
wei Die Wahrheit wer Individuen anerkennen; ber er
huldigte doch auch dem Gedanten an win allgemeines Nas
turgeſet, welches alte Individuen beherſche.
Die entgegengeſetzten Richtungen In feiner Lehre ließen
nit erwarten, daß fie eine volle Wirkung haben würde.
Er M daher auch nicht Haupt’ einer Schule geworden,
Aber bie Schärfe Feiner Gebanten, welche bie äuferfien
Bölgerungen nicht ſcheute, prägte ſich künſtigen Forſchern
ein und die Neigungen, welchen er Folgte, Sagen zu feht
{m der Michtung! der neuern Zeit, als daß ſie nicht wei⸗
tere Erfdige Hätten Haben ſollen. Im Allgemeinen be⸗
vetſchte ihn das Bokteben feiner Zeit nach Erkenntniß
vor Ratur, Er ſah, daß mir dabei von den Simen
ansgehen fen, daB wir um bie Erſcheinungen rein
«ufzufaffen, aur det Finuligen Empfindung vertrauen fol
len; aber firengeb als andere Naturforſcher erlannie er
auch, daß unfere Empfindungen ums michts anderes bir
Blaubigen als Erſchelnungen in und und Sam dadurch
den Gedanfen nahe, welche in ber Emtötflung bes neueta
Senſuallamus zum ſudjectiven Slrptiriemus Yeführt ho
ben. Ex nahm auch das Beheben feiner Zeit wach ma⸗
thematiſcher Erltantaiß web nach Anwendang derſelhen
auf die Naturlehte auf und ſtrebte nun bie Methede der
Mathematik in einer noch ſtrengern Weiſe, als es biäher
Bergen war, auf alle Wiſſenſchaften auszubehnen. Das
matpematifihe Verfahren galt ihm für. das Berfahten der
Vernunft Aberhaupt und das Denfen für. ein Rethnen;
hierdurch allein meinte er einen wiſſenſchaſtlichen Safe
meihung der Bebanfen gewimen zu koͤnnen, Wekherübet
die Erlenntniß der Erſcheinungen hicausgiage. Aber er
erfaunte auch beſſer als andere mathematiſche Naturfors
ſcher, daß die Begriffe, welche wir zur Beſtimmung der
Erſcheinungen gufammenzechnen, weit davon entfernt find
die objective Natur der Dinge uns zu verrathen; er hielt
fie nur für willlürliche Beſtimmungen einer Sprache, über
weiche wir übereinfommen, und ſchloß hieraus, daß alle
Wiſſenſchaft, welche über bie Erſcheiaungen hinansgch,
wur eine Sache willfürliher Wortbeftimmung ſei. Uns
Preitig ein fehr entſchiedener Ausdrud bes Zweifels. Doch
in feiner vollen Bedeutung Tam er bei Hobbes nicht zum
Ausbruch. Er zog bie Folgerungen ‚nicht, welche nahe
iu liegen ſcheinen, wenn man bie Verſchiedenheit ‘der
Sprachen bedenkt; er hatte vielmehr im Sinn, daß bie
Sprache wenigſtens in einigen Gebieten: unferes ‚Denfens
auf allgemeingältige Weiſe ſich feſtſtellen laſſe; unter ber
Willkür der Vernunft ſcheint ihm doch noch eine tiefere
Weispeit ber Natur verborgen zu liegen. Hierin leitet ihn
ohne Zweifel bie Neigung feiner. Zeit in ber Natur ‚eine
obfechive Wahrheit zu finden; er Uberläßt-fih ihr, indem
« feinen Materialiemus ausbildet. ine geheime Nei⸗
gung hatte ſchon fange den materialiſtiſchen Vorftellungen
wugrführt; Hobbes gab’ ihr zuerft ihren Lauf ohne alle
Beipränfung, inbem er ſelbſt von der Unbegreiſlichteit
Gottes fi nicht abhalten ließ zu behaupten, daß um
etwas zu fein er Körper fein muͤſſe. Dieſes Bereben
eine vbjective Lehre von der Natur zu gewinnen iſt nun
unftreitig der maͤchtigſte Hebel in feinen Denfweife. Er
beweiſt ſich als folder, indem er ihn. dazu füge auch das
Beben bey Bernunft, welche durch ihre Willlür den Ge⸗
“a
fenen pr Metz (ih. gu enffepn.Aibelnt, dem, Sayfs; be,
Nothwendialeit u. underiperfen, Da exrſchejnt ihm alles
in. „eiger- unüberfehbaren Verlettung der Bewegungen,
welche die. Natur, zufammenpält, obgleich er dieſes Gefrg
ber Natur nicht fehen, ſondern nur.ahnden. lann; da
wird auch das Handeln des Menſchen, ſein Staat und
feine Kirche diefem Geſehe umterworfen. Dieſer Zweig
feiner Philyſophie, welcher wit der menſchlichen Getell.
ſchaft ſich beſchaͤftigt, iſt vom Hobbes am forgfältigken
und am meiſten in einem eigenthuͤmlichen Sinne ausge ⸗
bildet worden ; er hat auch bie maͤchtigſten Nachwirlungen
in der folgenden Zeit gehabt. Doc ſchließen fh auch
in ihm. ſeine Gedanken nur an die frühen Entwicclungen
der Philoſophie an. Die Lehren, daß alle naturlichen
Veſtrebungen auf Selbferhaltung ausgingen, daß unfere
Affecte and -Leivgufgaften: in phyſiſcher Weiſe aus dem
Triebe zur Selbſterhaltung floͤſen, Hatten ſchon Teleſius
und Eremonfni- yorgeipggen, bie. Lehven vom. Staatsver⸗
trage und pon ber Sonveränetät des Volles Haben win
bei -Molina, der latholiſchen Theologen und. Grotius
gefunden, '.bie Lehre, von ber Vertretung der lirchlichen
Sntereffen; durch den Staat war ‚von ben Proteflanten
gelomman. „Die politiſchen Yeroegungen feiner Zeit nach un⸗
bedingter Monarchie hinſtrebend gaben ihm die maͤchtigſten
Anregungen für feine Polilik ab. Wenn er. behauptete,
daß in der Offenbarung nichts gegen die Vernunft ſein
dürfe und dag wir in willkürlichen Beſtimmungen über
die‘ Gottesvpexehrung unfern Willen in Oehorfam gefqn⸗
gen zu geben hätten i), fo hatten hieran Taurellus und.
1) Loriaib. 32 p. 202.
942 .
geſchehe, obwohl ex ſich zeſtehen muß, daß unfere Et⸗
faprung weder weit nöd ſcharf genug iſt um alles Ge
ſchehen überbliden- oder durchſchauen zu Können, Wenn
er alsdann aber von der andern Seite bemerkt, wie un-
fere Erfahrung zu befchräntt iR, um eine vollfommene
Allgemeinheit unferer Erfenntniffe und gewähren zu koͤn⸗
nen, nimmt er feine Zuflucht zu der Wilfür unferer
Sprache und fein Beſtreben if nun nur barauf gerichtet
eine Wiſſenſchaft für den Menfcpen auszubilden. Cr hat
es alsdann nur darauf abgefehn bie Wiffenfchaft als eine
nöglihe Kunf auszubilden. Dieſe beſchraͤnkte Nützlich⸗
leitslehte laͤßt ihn jedoch in der That eine natürliche Ge
meinſchaft unter den Menfchen vorausfegen, welche burg
Kunf nur unterfügt und entwickelt werben foll in ber
Übereinkunft dee Sprache wie des Staates. Durch Ver⸗
einigung unferer Kräfte follen wie nun Macht und Sir
cherheit gegen bie Zufäle des Lebens ung gewinnen. Of⸗
fenbar {ft diefe Seite der Lehre von ihm vorherſchend
und mit Vorliebe ausgebildet worben, indem die Staates
lehre fein Hauptaugenmert war. Daher fommt es, daß
feine Säge nur in einem -Tüdenhaften Zufammenhange
unter einander ſtehn und von ihm nicht ausgeführt wor
den iſt, wie wir in einer ununterbrochenen Seite von Urs
ſachen und Wirkungen ſtehend, auch in der Willkür unfes
ser Vernunft, Sprache, Staat und Kirche ausbildend an
das allgemeine Geſetz der Ratur und anfchliegen und bie
Zwede der Natur oder ber Borfehung ausführen helfen.
Biertes Kapitel,“
Peter Gaſſendi.
Noch einiges müffen wir über eimen Mann hinzufügen,
welcher im Kreife ber philofophirenden Gelehrten aus ber
erſten Häffte des 17. Jahrhundert nit ohne mannigfa-
hen und weitverbreiteten Einfluß war. Wenn er auch
weniger durch eigentpämlichen Geift und erfinderifhe Gabe
als durch Gelehrfamfeit glänzte, fo machte ihn doch bie
Vielſeitigkeit feiner Forſchungen und der gemäßigte Sinn,
in welchem er alles - prüfte, ‘vor vielen andern geeignet
einen Abbrud der Stimmung zu‘ geben, welde zu ſeiner
Zeit unter den Gelehrten herſchend war.
Peter Gaffendi wurde 1692 zu Chanterſier, einem
Heinen Orte in der Nähe von Digne, in ber Provence
geboren, Bon geringem Herfommen ſuchte er. im geiffi-
den Stande ſich emporzufchwingen und erlangte durch
Fleiß und geiſtige Regſamleit bald ben Ruf eines ausge
zeichneten Gelehrten. Zu Lehrämtern in Digne und Air
“befördert hatte er die Ariftotelifche Philoſophie vorzutras
gen, wärend er ſchon durch feine Arbeiten in der Mather
matif, in der alten Literatur und ber neuen Philoſophie
zu freiern Anſichten gefonmen war und befonderd die
ffeptifchen Lehten des Bives und bes Charron auf Ihn
Eindrud gemacht Hatten, Daher!ttug er bie Lehren des
Ariſtoteles nicht ohne kritiſche ⸗Bemerlungen vor, aus
welcher feine erſte Schrift, paradoxe Übungen gegen bie
Ariſtoteliler, hervorging. . Nachdem er bio geiſtlichen War⸗
den erhalten hatte und Probſt zu Digne geworden war,
würbezer vurch Geſchaͤfte feiner: Kirche nach Paris ge⸗
su
füpet, wo er bald in ber gelcpeten Geſellſchaft ſich eis-
bürgerte und zuletzt ſich nieberließ, indem er durch Rider
lien befimmt warde bie Profeffur ber Mathematik am für
niglichen Collegium anzunehmen. Er fand in Umgang
oder im brieflichem Vertehr wit den berũhmteſten Dännerz
feiner „Zeit, wit Merſenne, Hobbes, Descartes, Baliki,
in vertrauter Freundſchaft mit dem Sleptilet La Mothe
le Bayer, Im die philoſophiſchen Streitigkeiten feiner
Zeit wurde er oft gegogen, wie feine kritiſchen Schriften
gegen Fiudd, Herbert, Descartes beweiſen, obwohl er
von frieblicher Bemüthsart war. Großen Fleiß verwandte
er auf die Erklärung ber Eyiluriſchen Philoſophie, ans
welcher ex vieles für fein eigenes philoſophiſches Spſtem
entuahm. Erſt nach feinem Tode, welcher 1655 eintrat,
wurde dies Syßem belannt gemacht.
Der Ruhm und Einſiuß Gaſſendis bei feinen Zeitge ⸗
noſſen beruhte hauptſaͤchlich auf feinen umfaſſenden Keunt⸗
niſſen, ebenſo fehr in der alten und neuern Philoſophie
und Litteratur als in der Mathematik und Phyſil. Nicht
ohne Grund hat Bayle von ihm gefagt, er fei unter ben
Ppilologen der größte Philoſoph, unter den Philoſophen
der größte Philolog geweſen. Durch bedeutende Erſin⸗
dungen glängte ex nicht; dem neuern Entwidlungsgauge
der Viſſenſcheſten Hatte er ſich dach nicht mit Eutſchieden ⸗
beit angeſchloſſen; gegen was Copernilaniſche Syſtem hatte
er noch ſeine Zweifel; die theologiſchen Tragen. will er
aroar nicht der Philoſophie beimiſchen, weil wir im biefer
mas dem Lichte der Natur zu folgen ia, und über
1) Ei, 9.00 In dee Auchehe ſann Mh Hgi 1058
alles, woräber die latholiſche Kirche nicht entſchieden hat,
will er ſich feine Freiheit vorbehalten, im allem übrigen
aber bindet ihn ber Aueſpruch der Kirche, welche von
ſeiuen Vorfahren ihm Gdeufommen iſt . Wenn ex auch in
feinen philoſophiſchen Unterſuchungen feiner Autorität fol⸗
gen will, fo gehört doch ſeine Darſtellungsweiſe noch fehr
dex frühern Zeit an, in welcher man er. nach Unterfu-
Gang. aller alten Autoritäten zur Entſcheidung kommen
fonnte. Er ficht: an ber Grengſcheide ber Zeiten, welche
von ber Rahehnung des. Alterthums zu der entichiebenen
Reform_ber Philoſophie in neuen Sphemen fih wandten,
Sein. @eift iſt daher u nicht ſehr entſchieben, vielmehr
durchaus ſleptiſch gefimmt, fo daß er überall, wo über
die Erſcheinuugen hinausgegangen wird, nur Wahrſchein⸗
lichleit findet, warn er ‚dans freilich einen mittleren Weg
zwiſchen Shepticigmus und Dogmatismus finden wil?).
Obgleich die Phoſtt ihm her Haupttheil ber Philoſophie
iR, weil, fie. allein über die Wapıpeib der Dinge uns
untersichtet 5). fünbet:.en doch, daß fie am meiſten gegen
den Dogmatismus ſpreche, weil wir ung glüdtih fhägen
müßten, wenn wir in. ihr chwas Wahrſcheinliches ente
deden Kännten.*%. Die Principien der Natur als folhe
loͤnnen wir wicht. beweiſen, ſondern nur annehmen ).
Dennoch will ex dem Slepticismus ſich nicht ergeben;
wenn. er behaupie, daß nichts ſei, fo. liege hierin ein Wis
1) Synt. phil, ib, progem.-® p. 29 b,.2q.-
2) LLʒ log. II, 5; instit. log. p. 104. a.
3) Lib. prooem. 1; phys. prooem. p. 125. a.
4) Log. U, 5 p.79.
5) Phys. sect, 1 1. III p.275. b. .r
Veſch. d. Philol. X 35
derſpruch; denn wer fo etwas behaupte, ber fege in ſei⸗
nem Behaupten und Schließen fein eigenes Sein voraus H.
Der Sleptiler muß doch die Wahrpeit der Ericheinun
gen zugeſtehn; auch braucht man ihm wit zugugeben, daß
fie nur erinnernde Zeichen abwerfen, ſondern unſere
Schluſſe fuhren uns auf Entbedung verborgener Dinge.
Gaffendi um dies zu zeigen führt freilich folche Bei⸗
fpiele an, welche nur gegenwärtig verbergene Erſcheinun ⸗
gen uns entbeden laſſen 9; aber. aus feinem philoſophi⸗
fen Spfteme fehen wir, ba er der Meinung if, wer
nigftens in wahrſcheinlichen Muthmaßungen könnten wir
aud zu den Gründen der Erfheinungen vorbringen. So
entſchlaͤgt er fi aber der Strenge wiſſenſchaftlicher For⸗
ſchungen und fucht nur die Meinungen anderer Philoſo⸗
phen prüfend die wahrſcheinlichſten Muthmaßungen zu
gewinnen. Wenn er fi) den Meinungen des Ariftoteles
entzogen hat, fo iR er dagegen ben Meinungen des Epi⸗
tur in bie Hände gefallen. Gr: folgt ihnen zwar nicht
ohne Abänderungen, aber doch eben nit andere als bie
Philoſophen unferes vorigen Zeitabſchnitts den Meinuns
gen anderer alten Philoſophen zu folgen pflegte. Bir
würden baher in ber Tpat geneigt fein ihn feiner Denf«
weife nach jenem Abſchnitte zuzurechnen, wenn wir wicht
zu beachten Hätten, baß er doch in ber Haltung feiner
Unterfüchungen mit ber von Baeon eingeleiteien Reform
in ber mannigfaltigßen Berürung ſteht und' daß felbk
feine Erneuerung der Epiluriſchen Atomenlehre ein ber
» .
1) Log. Il, 5 p.80. a,
2) Ib. p-B1. bog.
847
deutendes Glied für bie —— Gut. der
neuen Philoſophie abgegeben hat.
Seine Lehren hat er in ein — nſcnverngeleii-
welches ber Eintheilung ber alten Philoſophie Folgt.
Aber die Logik ift ihm mir Einleitung und Werkzeug für
die Erfenntnig und die Ethil behandelt er in einem kur⸗
zen Abriffe, in welchem er nür bärftig bie Lehren. ber
Alten zu wiederholen : uwbigu prüfen. weiß; dagegen. if
ihm die Phyſik die Hauptſache, bie: eigenfliche theoretiſche
Ppitofophie, die Lehre von der Wahrheit; ſie wird von
ihm in allen ipren Theilen, welche denn doch fehr dem Arts
ſtoteliſchen Schema gleichen, fehr ausführlich behandelt 2).
Er findet es nicht unmöglich in ihr ‚von ‚allgemeinen
Grundfägen auszugehn, welche ber alten Metaphyſil glei⸗
hen würden; weil aber folhe.Grundfäge fehr dem Streit
ausgefegt fein bürften, wählt er lieber den Weg bie eingel-
nen Theile der Phyſik zu.unterfuchen, um aus ihnen die
allgemeinen Grundſaͤtze abzunehmen 2).
Dies Verfahren ſtimmt mit ſeiner Grtenntniplehee
überein, indem er ohne Bedenken non ber ſinnlichen Ets
kenntniß des Befondern alle unfere Wiſſenſchaft ableitet.
Unfere Seele ift eine leere Tafel, in welde alles buch
die Sinne eingefchrieben werben muß. Nichts iſt im Ber⸗
flande, was nicht zuvor in ben Sinnen war, Dem
Mangel eines Sinnes folgt auch der Mangel der ipm
entſprechenden Erlenntniß 9. Carteſius Hatte fehr Unrecht
1) Lib. prooem. 1.
2) Phys, prooem. p. {31 2q.
8) Inst. log. 1 p.92.b. Omnis, quae'in mente Imbetur, idea
ortum ducit a sensibus. .
35*
4“
die Lehren Bacon's zu veckhmihen. und dem Berfiande
za vertrauen, als koͤnnte er ohne Hülfe der Sachen die
Wahrheit erlennen ?). Nur in unferer Einbildungskraft
bilden fi, nachdem wis von. ben Sinnen bie erfien Bor-
Rellungen von den Dingen empfangen haben, andere Bor
ſtellungen aus, weil fie die Faͤhigleit hat die erfien Bow
Rellungen umgubilben.. So gewinnen wir aus einfachen
Waprnefmungen dur .Zufammenfegung bie Vorſtellung
des goldenen Berges; aus. ber: Wahrnehmung des Den
ſchen geht uns durch Vergrößerung die Vorſtellung bes
Niefen, durch Verkleinerung die: Borftellung des Zwerges
hervor und nod andere ſolcher Berwanblungen ber ur
ſprunglichen Vorſtellungen durch bie Einbildumgskraft wers
den angefuhrt 7). Ähnlich wie Hobbes denlt ſich Gaſſendi
die Thaͤtigkeiten ber Einbildungskraft als einen natürlichen
Berlauf von. Bewegungen, iweicde aus ben urfprünglichen
Bewegungen..ded Sinnes mis Nothwendigkeit erfolgen.
Sie fliegen alle die Erfcheinungen in ſich, melde die
feüpere Seelenlehre als Thätigkeiten des Ormeinfinns, ber
Beurtheilungslꝛaft, des Gebätniffes und der Ppantafie
son den Tpätigfeiten. ber. Einbildungsfraft hatte unter
ſcheiden wollen, indem Gaffendi nur einen und benfelben
Proceß der Bewegungen in unferer Seele anerfennt, wel⸗
Ger mit der Verlettung ber Bewegungen in unfern Ner-
sen und in unferm Gehirn in Zuſammenhang ſteht I.
Die Vorftellungen bes Einbildungsfraft fieht er ald eine
fach an, obwohl fie fehr zufammengefegt fein können, ins
1) Log. II, 6 p.90. a. .
2) Inst. log. I p.%. b sq.; disqa, met._p. 301. a.
8) Phys, soot. iil membr. II L VIII, 2 qq.
dem er fie im Gegenſatz ſich dentt ‘gegen bie zuſammen⸗
gefegten Säge oder Ustheile, in welhen er erſt ben bes
jahenden oder verneinenden Ausbru der wahren ober
falſchen Gedanken erwartet, Dennoch Tann er es nicht
für gleihgältig Halten, wie wir die Vorftellungen unferer
Einbildungskraft bilden, da fie die Grundlage alles uns
ſeres Dentens enthalten ſollen iy. Der erſte Theil feiner
logiſchen Anweiſungen haubelt baher von ber richtigen
Einbildung von welcher er verlangt, daß fle der Sache
entfprehe 9. Es iſt hierbei Borausfegung, daß wir Sas
Gen, einzelne Dinge oder Subſtanzen wahrnehmen ober
empfinden koͤnnen 5), weil nur unter biefer Vorausſetzung
aud die Einbildungskraft eine richtige Vorſtellung ber
Sachen ſich abſtrahiren lann; daher ſetzt auch Gaſſendi
mit feinem Führer Epikur, daß es nicht nöthig ſei das
Dafein der körperlichen Subſtanz zu beweifen, weil fie ber
Sinn vor allen andern Dingen ige *).. Und doch, wenn
er genayer unterfucht, muß er nach Campanella's und
„Anderer Borgang eingeflehn, daß wir nur ſinuliche Qua⸗ \
litaͤten, nicht aber Körper ober andere Subſtanzen wahr
nehmen, und meint nun, erſt durch Induction erſchloͤſſen
wir, daß verfhiedenen ſinnlichen Dualitäten eine ges
meinfame Subſtanz, ein Körper, zum Grunde liege und -
1) Inst. log. 1 p.92, a.
2) Ib. p.92. b. Die 4 Theile der Bogif, bene imaginari, bene
proponere, bene colligere, bene ordinare, entſprechen den Lehren
vom Begriff, vom Urtheil, vom Schluß und von der Methode nah
der Weife der alten Logik. Log. 1, 6 p.87. a; inst. log. praef,
p-9. a. ’
3) Inst. log. 1 p. 92. a. ö
4) Phys, set. ĩ L TIL, 1 p. 231. b.
ber Gedanle einer ſolchen bliebe uns immer ehwas Dun
Bes und Berpüßtes . Diefe Anficht mußte ipm um fo
mehr einleuchten, fe weniger er geneigt war ben wahren
Gudfanzen, welche er annahın, den Atomen, bie Quali⸗
täten zuzuſchreiben, welche wir an ihnen wahrnehmen.
Man wird hiernach nicht erwarten können, bei ihm
eine irgenb wie genaue Erflärung über das zu finden,
was durch die finnlihe Waprnehmung und Einbildungs-
kraft zu unferer Erkenntniß Tommi. Kaum wird es und
noch verwundern können, daß er felbt von ben Zwedbe⸗
griffen, die er ber Naturforſchung bewahren möchte, fo
fpricht, als lägen fie unfern Augen und Sinnen offen vor).
Dies maß nun feine ganze Erlenntnißlehre ſchwanlend
machen. Wenn er folgerichtig auf feiner ſenſualiſtiſchen
Grundlage hätte fortbauen wollen, fo würbe er der Mes
tpode der Induction haben folgen mäflen. Er legt au
wirllich auf die auffleigende Reihe der Begriffe großes
Gewicht, welche durch Sammlang und Abſtraction aus
den beſondern Wahrnehmungen allgemeine Begriffe bilden
5) Ib. lb, VI, 1 p.372. =. Nihil autem praeter qualitates
a sensibus pereipitur. — — Et quamris oculus dicatur videre
mon tanfum colorem, sed coloratum etiam corpus, atiamen
hoc ipsum esse coloratum — — qualitas est; 'quod autem sub-
stantiam, cui insit, simul nominamus, ob inductionem facimus,
qua subesse aliquod subjectum qualitati ratiocinamur. — —
Quod caput est, cum commune subjectum substantiamve esse
in confesso sit, ea tamen semper obvelata manet, neque aut
intelligere aut dicere, cujusmodi sit, possumus, nisi per ipsas,
quibus efflcitur quaeque sensibus patent, qualitates. Diaqu.
met. p.323, b; 325. b:
4) Phys. sect. TI membr. post. 1. II, 3 p.231.
1
fol), und wenn er auch, aͤhnlich wie Zabarella, zwei
Methoden der Wiſſenſchaft unterſcheidet, die analytiſche
oder aufſtelgende and die ſynthetiſche ober abſteigende,
and in der gegenfeitigen Probe, welde bie eine für bie
andere abgiebt, ben wahren Faden ber Ariadne für ben
ergarten der Wiſſenſchaft findet), fo iſt ed doch un⸗
zweifelhaft, daß er bie auffteigende Methode als ben
wahren Weg der Natur betrachtet, auf welchem wir un«
fere Kenntniffe erlangen I, wärend ihm die abfleigende
Methode nur als ein fpäteres Werk der Kunſt erſcheint.
Aber er Tann ſich doch der Induction Bacon’s nicht voͤl⸗
Hg anvertrauen; benn er bemerkt fehr richtg, daß fie zu
threr -Bolftändigfeit- einen allgemeinen Sag vorausſetzen
würde, welder bie Eintheilung ber durch Erfahrung zu
erforſchenden Glieder enthalten müßte, und ba fie daher
in der That nur eine Art des Schlußverfahrens vom Als
gemeinen aus fel. Daher wendet er fih auch biefem
Schlußverfahren zu *), beflen Formen er nach der Weife
4) Inst. log. I P.93 2q. j
- HIb. IV p. 121. a sgq. Daß Babarella ihn hierin leitete, geht
hauptſachlich daraus hervor, daß Gaſſ. eben fo tie Zab. dabei die
Werſchiedenheit ber theoretifchen und der praktifchen Wiſſenſchaſten im
Auge hatte. Übrigens iſt die Unterfheidung beider Methoden fehr
ungenau, teil verſchiedene Arten der Analyſe und Syntheſe unter ein⸗
ander gewirrt werden.
9) Ib. I p. O3; IV p. 122. b. 2q.
4) Log. 11, 6 p.90. a. Quamquam, cum in syllogismo sit
re-ipsa robur nervusque omnis raliocinii et ne inductio quidem
quidquam probet, nisi quia virtute syllogismus est (ob intellec-
tam nimirum generalem propositionem, qua enunciatur omnia,
quae enumerari possunt singularia, esse ea, quae sunt’enume-
rata, nullumve assignari Pose, quod non sit ejusmödi) injuria
profecto videtur syllogismus improbari, Inst. log. HIT p. 113. a,
der Arifoteliler auseinanderſett, und findet im ihm alles
wiffenfgafttidge Verſaheen begrändet, Gr umterfepeibel *
baper au eine doppelte Evidenz, bes Simes nemlich
und ber Vernunft‘). Der Ieptern zu vertrauen wird er
unftreitig befonders - durch die Mathematit angewiefen
welche feinen Fleiß bei@äftigtes ex hofft durch fie ſoga
verborgene Brände der Erſcheinungen zu entbeiien 2). Den
noch Tann ex ſich nicht enthalten ben Gap bes Ariſtoteles
zu billigen, daß im Fall des Streites zwiſchen Bernunft
und Sinn dem letztern mehr zu trauen ſei als ber er⸗
ſtern 5). Begreiflih genug, weil der Sinn bie urfpräng-
liche Duelle aller unferer Erlenniniß fein fol, Wir aber
werben denn freilich wohl urtheilen mäflen, ba Saffendi
war von Grunbfägen ausgeht, welche dem Senſualiemas
huldigen, aber auch allgemeine Grunbfäge der Bernusft
nicht von fig alyumehren weh, deren Urſprung er ſich
nicht ertlaͤren Tann,
Seine Erlenntnißtheorie ſtiumt mit feiner Seelenlehre
überein. Er findet es nemlich noͤthig bie vernünftige
Seele des Menſchen von ber thieriſchen Seele zu unters
ſcheiden. Daß ex hierdurch genoͤthigt wird zwei Seelen
des Menſchen anzunehmen, ſcheint ihm eben fo ſtatthaft,
wie bie gewöhnliche Annapıne, daß ber Menfh aus Seele
und Leib zufammengefegt fei N). Die Gründe, welche für
die vernünftige Seele ſprechen, beruhen darauf, daß wir
eine immaterielle Tpätigfeit in uns anzunehmen haben,
4) Inst. log. II 9.103. b. 2q.
2) Log. II, 5 p.81. b.
3) Inst. log. IV p. 122. a. B
4) Phys. sect. III membr. por a ul, —XX
wärend bie thieriſche Seele für ein materielle Weien gilt.
Es werben bafür mehrere Beweiſe "angeführt. Unſer
Berfland kann Dinge denlen, welche nicht finnlih find,
wie Bott, das Leere, das Allgemeine, bie Tugenden und
bie Berhältnifie der Dinge... Er iſt der-Reflerion faͤhig,
bean er exfennt-fein Erlennen amd beſtimmt fich zum Er⸗
lennen; er Sann baher kein Körper fein, weil fein Kin -
per auf ſich ſelbſt gurüdwick. Biele Gedanlen unferrs
Berftanbes gehen weit über alles hinaus ‚ was: bie fine
liche Einbildungskraft ſich vorſtellen laun, beſonders der
Gedanke des Unendlichen )Y. Wenn auch dieſe Gründe
nicht mit der. wänfchenswertpen Genauigleit eniwidgt
werben, fie haben doch Gewicht. An biefe Behauptung
der immateriellen Seele flieht ſich alsdann auch die
Lehre won ber Unſterblichleit derſelben an, welhe mer
ſentlich auf ihre Sörperlofigfeit ſich ſtüht ?). Es ſchließt
üch wicht minder die Fraoge an nah der Verbindung ber
immateriellen Seele wit dem Körper. Gaſſendi ſucht fie
au ‚beantworten, indem ex unſerer vermänftigen Seele eine
Neigung ur finnlihen Einbildungskraft zuſchreibt, durch
deren Hülfe fie denfen und ſchließen müffe und. durch des
ren Vermittlung. fe alsdaun auch in-Berbindung mit dem
Körper trete ). Aber der Schwierigleiten, welche in
allen dieſen Unterſuchungen über die immaterielle Seele,
über ihr Weſen, ihr Fortleben nach dem Tode und ihre
Verbindung 'mit dem Reibe liegen, beſonders für feine
feafuatififge Dentweife, iß ih Gaſſendi auch fehr gut
DmıiK, 2 p.41 sg; Aa 24
2) Ib. XIV, 2 p.620. a,
3) In IX, 2 p. M.. h. ⸗qq. i.
554
bewußt. Er beginnt damit, er habe feine Hoffuung bie
Nalur der, Seele zu erſchauen; man bürfe aber doch nicht
in Unwiſſenheit darüber bleiben, wie weit die Philoſophen
in der Unterfuhung berfelben vorgeſchritten wären; er
fließt damit, er wolle nur, wie er in ber Dunfelpeit
fet, fo lallend etwas Wahrſcheinliches über die Seele vor⸗
tragen D. Wie Hätte es andere fein können, ba er ſich
eingeſtehn muß, daß wir, fo lange wir im Körper find,
durch den Sinn unfere Borftellungen bildend, auch nur
Sinnliches und Koͤrperliches, daß wir baher ſelbſt Gott
und nicht weniger unfere Seele nur als einen feinen Koör⸗
per uns vorſtellen fönnen. Was wir unförperlich zu nen⸗
nen pflegten, verbiente dieſen Ramen nur in Vergleich mit
einem gröbern Körper. Dadurch will er zwar nicht behanp-
ten, daß es Feine unförperlie Gubflanz gebe, aber daß
eine ſolche von uns nicht gebadht werben koͤnne, fo Tange
wir diefem Leben angehören, ſcheint ihm leinem Zweifel
unterworfen zu fein ®. Hieraus iſt beutlich genug, daß
auch alle die überfinnlichen Erkenntniſſe, welche aus dem
einen Berflande gezogen werben follen, ſeinen Zweifel
‚ unterliegen.
Seine Lehre von ber Seele hat Gafſendi — der
alten Philoſophie als einen Theil der Phyſik behandelt.
Schon Hieraus wird fih ergeben, warum er die Seele
vorherſchend als · bewegende Kraft betrachtet und alles,
‚was er über ihre Selbfbeftimmung beifägte, nur als ein
beitäufiger Zufag erſcheint. Geine phyſiſche Betrachtungs⸗
DR.LI, —E 2 p.20.
2) Phys. sec. LLIV, 8.9.297, by soct MEL IX PARB 1.
\ -
385
weiſe ift aber noch außerdem von ber Art, daß fie we⸗
nige und nicht fehr günftige Anfnüpfungspunfte für die.
Seelenlehre darbietet, Wir haben bemerkt, daß er, obs
gleih die Sinne nur Qualitäten und erfennen laſſen folls
ten, doch mit dem Epilur behauptete, die Sinne bejeug ⸗
ten und vor allen Dingen das Daſein ber Körper, und
fo wurbe er denn auch dahin geführt zunächft die Welt
als Körperwelt zu unterſuchen. Der Betrachtung des mas -
“ teriellen Principe fickt er nur einige allgemeinere Unter⸗
ſuchungen voraus. Sie betreffen die Einheit ber Welt,
welche doch nur aus Gründen bes religiöfen Glaubens
angenommen wird 1), und bie tranfoendenten Bedingungen
der Körperwelt, nemlih Raum und Zeit, Hierbei fol
auch das Dafein bes Leeren bewiefen werden, theils wie
es über ale Welt hinaus fih erfitede, theils wie es zer⸗
freut in der Welt fei, damit die. Bewegung Raum finde.
Dafür fann er freilich die Sinne nicht zu Zeugen aufrus
fen; aber Schlüffe aus Erfahrungen entnommen führen
darauf und ſelbſt, daß es maflenweife vorfomme, follen
Verſuche beweiſen 3. Alles dies dient natürlich zur Bes
gründung der Atomenlehre, welche in ben Unterſuchungen
über das materielle Princip den Mittelpunlt abgiebt.
Wir haben gefehn, tie Bacon und Hobbes darauf
gebrungen hatten, daß wir das Kleinſte in ‚ver Natur
erforſchen müßten um ihre Geheimniſſe zu ergründen,
Wie Bacon nicht allein auf die Heinften Proceffe und
Bewegungen, fonbern aud auf bie kleinſten Formen ber
Koͤrperwelt die Aufmerffamfeit gerichtet hatte, fo war
* 4) Phys. sec IL1, 2,
2) B. LII, 2;3 3;4.
auch von Hobbes, vieleicht nit ohne Einwirkung Gaſ⸗
fees, die Annahme Meinfer Körper empfolen worben.
Die Atomenlehre Gaſſendis ergiebt ih hieraus wie eine
durch bie Zeit gereifte Frucht unb er pat in Beziehung
auf fie nur das Verdienſt in Anſpruch zu nehmen, daß
er bie Beſtrebungen feiner Vorgänger und Zeitgenofien
in eine beſtimmtere Geſtalt brachte, Und hierzu war ihm
überdies feine Keuntniß der Epiluriſchen Philoſophie
bebaiſlich, welcher ex. faR in allen Punkten ber Atomen
lehre beiſtimmte. Dem Grundfage folgend, daß in ber
Natur niches ans nichts werde und nichts in nichts ſich
verwanbeln laſſe 2), macht er bie Erfahrung geltend, dag
die Natur alles aus bem Kleinſten und in ummerklichen
Abänderungen bilde, wobei nad dem Borgange ber Alten
befonbers der Nahrungsproceh hervorgehoben wird, und
fügt daran die Forderung, daß man in der Anafyfe der
Erſcheinungen auf ein Leptes kommen müſſe 2). Die
Lehre von ber Theilbarkeit des Körpers in das Unend⸗
liche ſcheint ihm daher fehr widerfinnig”). Wenn auch
der kleinſte Körper noch unterjcpeibbare Theile haben muß,
fo folgt daraus zwar, daß ex nicht ſchlechthin das Kleinfe
iR, aber feine Tpeile Können’ doch fo genau mit einander
verbunden fein, daß es Feine Kraft in ber Natur giebt,
welche fie treanen Eönnte, und alddann werben wir ihn
ein Atom nennen bürfen 9. Mehr von dem allgemeinen
4) Ib. LIU, 1 p.234. e
2) Ib. 5 p.250. b.
3) Ib. p.261. b. .
4) Dies ift dem Gartefius entgegengefeht, wel ger die Atemenlehre
aus dem Grunde beſtritt, weil Gott alles, was Theile hätte, würde
’‚
8337
malhematiſchen Begriffe des Körperd ale von ber Erfahr
zung: ausgehend, ſtimmt Gaffendi auch darin mit dem
Epilur überein, daß die Atome Teine ſinnliche Eigenſchaf⸗
ten haben, wiewohl er eingefehn hatte, daß unfere. Siune
nur finnliche Eigenfpaften erkennen. Die Atome find ihm
nemlich fo Heine Körper, Kap fie durch feinen Sinn er⸗
kannt werben Können, etwas durchaus Unſinnliches; bie
Dugalitäten der Körper find dagegen nur Arten ihrer Zur
Tarmmenfegung, Die Atome find nichts weiter als Koͤr⸗
pe; ihre Aufainmenfegung aber macht den Körper zu eis
mem fo ober fo beſchaffenen Körper). Daher werben
denn Wärme, Licht, Farbe, Ton und andere ſinnliche
Beſchaffenheiten oder Erfpeinungen nur ans ber Zuſam⸗
menſetzung und Bewegung ber Atome erffärt. Gaſſendi
Konnte nit wopl-überfehn, daß er durch biefe Lehre non
"ven Atomen weit über das ſich verſtieg, was feine Füh⸗
zerin, bie ſinnliche Wahrnehmung, im beglaubigte, und
daher betrachtet er auch den Atomismus nur als eine
wabhrſcheinliche Hypothefe 2.
Für die Atome bleibt ihm nun zunächft nichts weiter
übrig außer Groͤße und Figur des Körpers; daß fie duch
teilen tönrien. Ib.256. b, Adnotaro ante lubel aiei Kroner,
mon ut vulgo 'putant, — — quod partibus careat,. sed quod
ita solida et, ut ita dicam, dura compactaque sit, ut divisioni,
sectionive et plagae nullum locum faciat, seu quod ntlla vis
in natura sit, quae dividere illam possit.
4) b.1. VI, 1 p.372. a. sq. Hinc potest quidem qualitas °
definiri modus sese habendi substantiae sen status et oonditio,
qua materialia principia.inter se commista se habent
2) Ib. 1. I, 5 p.258. b.; 8 p.279. Videri possa atomos
pro materiali rerum principio primaye materia admilti.
558
ihre Undurchdringlichteit der Bewegung anderer Körper
einen Widerfland entgegenfegen, glaubt Gaſſendi nach dem
Borgange des Epikur nicht befonders hinzufegen zu müf-
fen, weil bie eine allgemeine Eigenſchaft des Körpers
ſei Hz doch wird daraus die Bewegung abgeleitet, welche
ein Körper dem andern mittpeilt (motus reflexus) 2).
Biel bedenklicger iſt es, daß Gaffendi ben Momen auch
Schwere beilegt, wie Epilur gethan hatte, und fogar,
feinem Meifter getreu, die Abweichung ber Atome von
ihrer grablinigen Fallbewegung zu vertheidigen geneigt iſt,
obwohl er einige Befchränfungen beifügt, um nicht eine
grundloſe Bewegung zugeben zu müflen. Das Reinhy-
pothetiſche in dieſer Annahme vertheidigt er dadurch, baf
wir alle Principien nur annehmen, aber nicht beweiſen
könnten ). Durch diefe Annahmen greift ex hinüber in
bie Unterfugungen über das bewegende Princip, indem
er die Schwere als eine den Atomen innerliche und
eingeborne Neigung zur Bewegung betrachtet oder als
eine Kraft, durch welche fie ſich ſelbſt bewegen können *).
Dies widerfpricht feiner Lehre, daß fein Körper, ja über
Haupt feine Subſtanz, auf ſich ſelbſt zurüdwirten koöͤnne 9),
es widerſpricht auch der Anſicht, daß die Atome nur der
materiellen Urſache angehören , von welcher die wirkende
Urſache unterſchieden wird. Daher fieht er fih denn auf
genoͤthigt Hinzuzufegen, bie Bewegung der Atome wäre
4) I. 6 p.267. 4.
2) Ib. 7 p.274. a
3) Ib. 7 P.275 294.
4) Ib. 6 2.266. b; 7 p.273. b.
5) Disp. met. p. 332. b.
>
2 359. “
dog im Testen Grunde nur auf Gott zurüdzuführen 1),
In ihm nemlich erblidt er nicht allein die erſte bewegende
Urſache, ſondern auch den Schöpfer aller Dinge. Einen
ſolchen anzunehmen wird er freilich nur durch ungenügende
Gründe bewogen, man müßte denn meinen, daß feine
Abweichungen von ben fenfualififcgen Grundfägen ihm
ein Recht gäben zu behaupten, daß ber Begriff Gottes
unferm Geifte von Natur eingepflanzt ſei ). Mit der
wirkenden nemlich verbindet er die formende und .bie
Zwedurſache, ber: allgemein verbreiteten Vorſtellungsweiſe
folgend 5) und Iegt befonders auf die letztere Gewicht,
indem er, wie ſchon bemerkt, bie Unterfuchung der Zwecke
aus der Phyſik nicht verbannt wiffen will, ſich vielmehr
der Meinung, dag Ordnung und Schönpeit in der Welt nur
zufällig fih fänden,, mit allem Eifer entgegenfegt. . Bon
da ſchwingt er fih hinauf zu dem Gedanken nicht allein
eines verflänbigen Regierers, fondern auch. eines Urhebers
der Welt, weicher als Gott von uns verehrt wird 9),
und behauptet nun, daß Gott die Atome aus nichts ges
ſchaffen habe; denn der Urheber der Natur werde durch
die Gefege der Natur nicht gebunden 5). Durch biefe
- Annapıne iſt nun freilich allem genug geſchehen. Die
1) Phys. sech IL IN, 7 p.270. b.
2) Ib. 1. IV, 2 p.290. Anticipatio generalis; ab ipsa natura
impressa quaedam nolitia dei.
3) Ib. 1.
4) Ib. L 1, 2 p.144. a; LIV, 2,
5) Ib. L AH, 1 p.234, a. Autor naturas legibus naturae non
adstringitar ac infinita pollet vi, qua distantiam illam quasi in-
nitam superat, quae interjacet inter aliquid’ et nihil,
“0 .
Affen, Gottes reiht mm aus andy ‚lien: Dingen eine
Wirkfamseit witgutpeiten). Bon. ben Minmen würde
man nun au fegen Tönen, baß fie. nicht ſich ſelbſt be:
wegen, ſoudern von Gott betvagt werben, weider igmen
aur eine innerlich beiwohnende, nicht von außen wiigetheicte
Mewegung beigelegt habe. Gefienti ergeht ſich im ber
Uufzäplung ber verfdiebenen Mögkipkeiten, wie den Alo⸗
men Bewegung: beiwohnen Söune, and feine Sppotheſen
über Die Gründe der Natur Inffen im der Tat einen ſehr
breiten Saum für bie verſchiedenſten Arten ber Raturer⸗
Mkrung. Hierzu gehoͤrt es auch, daß er. in feiner An⸗
nahmen über die allen Dingen inwehnende Bewegung,
über das Lehen, welches dadurch ben naturlichen Diügen
beiwoput, über bie Weltfeele, weiche vertheilt über alle
Atome vie Lebenowaͤrme überall verbreitet, von ben
Anſichten theoſophiſcher Naturforſcher wicht ger: zu weit
Rp entfernt, Raw das. will er verhäien, daß bie alles
befeelenbe Kraft nicht ale ein unfürperlihes Weſen ger
dacht werbe 2 anch will ex nicht zugeben, daß die ber
wegende Kraft, welche den Atomen angefchaffen iſt, eine
Vergrößerung ober Verminderung erfahren fönnte; dies
geſtattet die Beftänbigleit der Natur wicht. Das fih
gleich bleibende Naturgefeg vertpeibigt er gegen willlür⸗
1) 1b. 8 p.280. a.
2) 1. .1. 6; lib. IV, 8 p. 334. a. Nihil quidem. aliunde
quidquid ent calidum est corpus.
sh
liche Antisgiken2).- Daß unter ſolchen Annahmen auch die
fein inte, welde eind Dahre Eamadlung, ein Fortſchrei⸗
den im Wehen dem: „Bermarererpiplie,- Marien, ricũ
beachtet zu haben.
Dog feine Lehrd iſt an theen Zope ig. ſo en⸗
menhaͤngend, daß wir hieraus Nachtheile für feine Ethit
zu erwarten haͤlten. Im! diefem Theile vertheidigt er viele
mehr die Freiheit der Vernunft, ſeltſamer Weife in einem
Anfange, ben wir aben wohl vorausnehmen Dürfen. - Er
findet -fie mit der Epihurifhen Atomenlehre in Einklang;
weit diefelbe: die Abweichung bei Atome von ber Falllinie
ſich vorbepatien Hatte. "Wir: Bemerten ſchon, daß Gaſſendi
bierin mit einigen Befdrähftingen beiſtimmte; biefe bes
zwechken geltend zu machen, daß auch die Abweichungen
nad natürlichen und notwendigen Gefegen geſchehn mäßs
ten, und hierin geht er fo weit vorwärts, daß er die Seele
als eine Maſchine betrachten farm 9). Einen beſſern Ans
lauf die Freiheit des Willens zu reiten wärbe nian darin
finden fönnen, daß er .auf ‚bie höhern Kräfte unferes
Geiftes ſich beruft, welche er nicht für materiell: gelten
laſſen wollte, In Bezug auf fie lehrt er Freiheit von
Spontaneität. unterfiheiden, d. h. von. ben eingebor⸗
nen Bewegungen der Dinge, indem er nicht zugeben
Tann, daß der Stein in feinem Tale frei ſei ). Seiner
wo
1) 1b. L IV, 8 p.336. a. Unum omnino supponere par est,
mempe quantacungue fuit atomis mobilitas ingenita, tantam con-
stanter perseverare. — '— Id nempe, ut oausa reddatur, unde
sit tanta motuum vicissitudiaumgne- in universo constantia,
2) Eth. III, 2 p.839.
3) Ib. 1 p.822. b.
Geld. d. Philoſ. x. 36
Anſicht nad Tann die Feriheit nur in ‚des Mahl nuter
enfgegengejepten Hanblungen. kofehn und ſedt daber bie
Inbifferenz des Wiens voran... ‚Hierbei jedoch ergiebt
fich die Schwierigkeit, wie der Wille gleichgültig -fuh ver⸗
halten könne, ba er doch unpyritig vom Verſtande beftimmt
wird. Sie wird nicht unpaffend dadurch gelöf, daß wir
unfern Verſtand für eben fo inrifferent Halten mifen wie
‚unfern Willen; die Unentidiebeußeit beider muß Hand in
Hand gehn. Daher liebt Gaſſendi hie Wahrſcheinlich⸗
keit fo fehr, ein Nachllang des Slepticismus feiner Lands⸗
leutez fie bietet ihm das Mittel die Freiheit unſeres Wil⸗
lens zu reiten. Go wie unfer Berfiand bie Wahl hat
wiſchen den wahrſcheinlichen Annahmen über Gutes und
Boͤſes, fo bleibt auch dem Wien diefe Wahl). Doch
lann ſich Gaſſendi bei aller feiner Vorliebe für die Wahr⸗
ſcheinlichteit nit verheplen, daß in ipr nur eine Unvoll⸗
tommenpeit unferes Verſtandes liege und daß biefelbe auch
auf bie Freiheit, welche er uns bewahren will, übergeht
müffen Daher Hofft ex vom fünftigen Leben, daß es von
diefer Freiheit, die bem Scheine bes Guten folge, uns
befreien werde).
Diefe Hoffnung unterlägt.er nun nit au in feiner
4) Ib. p. 824. a. Volnntas ita exoitatur, ut illius functio
non secus judieium, quam velati umbra ‚sorpus "eomitetur. — —
Constat profecto indifferentiam, quae in voluntate reperitur,
üsdem omnino passibus, quibus indifferentiam intellectus ince-
dere. Videtur autem indiffrenda intellectus in eo esse, quod
non ita uni judieio de re visa adhaereat, quin ad aliud de ea-
dem judiciam illo dimisso ferri valeat, si se aliunde obtulerit
major verisimilitado. .
2) Ib. p.825. a.
565
Ethik geltend zu machen. Das Guie if für dieſes Lehen nur
ein Ideal, welchem wir uns nur in weiter Ferne nähern
tönen. Es wügbe in der umgeflörten Olüdfeligfelt ber
ſtehn, welde der Genuß oder bie Mare Anfhauung uns .
gewähren umß. Daß «s erreichbar fein werde im künfti-
gen Leben, gehört zu feinem vefigiöfen Glauben 1). Aber
wenn er und nur gegeigt ‚Hätte, wie wir in biefem Leben
uns ifm nähern Tönnten: Daß ex hierzu feine Anftalt
macht, if kurz dadurch geſagt, daß er aud in der Ethil
den Epilur zu feinem Führer nimmt. Es iſt wahr, er
mildert deſſen Sittenlehre, aber im Ganzen bleibt fie doch
diefelbe. Daß alle Lur vom Fleiſche ſtamme, ſoll Epis
tur nicht gelehrt Haben). Die Luſt, nach weicher wir
fireben follen, befteht nun in der Ruhe bes Geiſtes und
in der Schmerzlofigfeit des Körpers und wirb ausbräd-
lich als Zuftand, nicht als Weife des Strebens ober des
praltiſchen Lebens betrachtet ). Die Ruhe der Seele bes
ſteht ihm weſentlich in der Freiheit von Leidenſchaften und
befonbers von ber Reue . Alles dies wollen wir ihm
gern zu Gute ſchreiben; es zeigt ſich darin bie Mäßigung
in feinen Meinungen, welde nicht gern das Außerfte zu⸗
Täßtz aber unfreitig wär feine Neigung zur Atomenlehre
‚nicht ohne Einfluß auf feine Moral und führte es herbei,
daß er das Einzelne in feiner Abfonberung vom Ganzen
1) Eh. 1, 1 p. 662. a.
2) Ib. 2.
3) Tranquillitas animi et indolentia corporis. Status, quo
melior appeti non potest. Ib. 1 p. 661. a. Animus ift bie im⸗
materielle Seele, welche von der materiellen anima „unterfihieben wird,
Phys. sect. III membr. I 1. III p. 237. b.
4) Et. 1,5 p. 715. b.
feRpalten möchte; uniiseitig wor aud feine Borliebe für
die Raturforſchuag ipm eine Berlecung das menfchlühe
Leben nur im Lichte des matürlichen Lebens zu betrachten.
Er veripeibigt daper die Ausſprũche der allen Juriſten,
welche das Naturrecht au auf die unvernäuftigen Thiere
ausdehnen, und nimmt für hie Menfchen nur noch ein
engeres Naturrecht in Anſpruch. Er geficht zwar zu, die
Mengen wären von Ratur zus Oefelligkeit und zum
Staateleben beftimmst, aber leitet ben Staat doch nur von
einem Vertrage ab, ber zum Augen ber Eimelien ge
ſchloſſen werde. Wenn er alsdam die Geſetze der Natur
entwirft, welde wir in unferm ſittlichen Leben befolgen
follen, fo leuchtet aus ihnen her emtihiebenfe Eigennug
feiner Sittenlehre uns entgegen. Sein erſtes Geſetz der
Natur iR, daß ein jeder begepre, was ihm gut, vor
theilbaft ober angenehm iſtz das zweite, daß ein jeber
ſich mehr liebe als die andern; babur fol zwar die
Wopttpätigfeit nicht ausgeſchloſſen werben, aber jeder fol
fe nur zu feinem Vortheil üben; fein drittes Naturgefeg
verlangt, daß ein-jeber fein Leben und den freien Gebrauch
aller feiner Kräfte vertpeidige, und wenn alsdann das
vierte Naturgeſetz zum gefelligen Leben und auffordert,
fo iR es num, weil unfere Natur der Hülfe andeser bedarf
und in dem gemeinen Beften unfer eigener Bortheil. einge-
ſqhloſſen iR?). Es Bleibt fein Zweifel übrig, daß dieſe Sitten,
1) Ib. I, 5 p.794 aqq.; p. 800. bag. Secundo, ut quisque
se amet plus quam caeteros. — — Vulgare est, quod dicitar,
quemque caritatem bens ordinatam a Be ipso incipere, neque
id profeoto injuria. — — Quatenus quisque benefacit, cum suo
emolumento facit aut oerte faoere sp puiat. Ib. p. 801. b. U
amet commune bonum, quo intelligit contineri suum.
lehre nur auf dem Boden der natürkichen Triebe gewach ⸗
fen if, welche auf die Erhaltung feiner ſelbſt und feines
vergängligen Lebens befihränkt werben. Alles, was Bafr
fendi von höhern Beſtrebungen in ſich tragen mochte, ver⸗
weit er in das Gebiet der übernatürlihen Offenbarung,
wärend feine Philofophie nur das entwideln will, mas
vom Lichte der Natur uns gelehrt wird 1).
Aus dem Zufammenhange feiner Lehren leuchtet es
deutlich hervor, daß Gaffendi nicht zu den Männern ger
zaͤhlt werben darf, welche in eigenthümlichen Beife ber -
Philofophie neue Bahnen gebrochen haben. Das Erfolg.
reichſte in feiner Lehre iſt bie Verteidigung des Epikusi,
ſchen Atomismus geweſen. Auf fie hatte die Entwicclung
der neuern Philoſophie allmälig hingeführt und zu glei
her Zeit mit Gaſſendi ergriffen daher auch andere Mäns
ner biefelbe Hypotheſe. Gaſſendi iſt in der Geſchichte
der Philofophie nur vorzugsweife vor ihnen zu erwähnen,
weil er mit größerer Gelehrſamleit, klarer und überficht-
licher den ganzen Zufammenhang bes atomiſtiſchen Sp-
ftems auseinanberfegte, feine Anwendbarkeit auf die bes
fondern Lehren der Phyſik, wie fie im Geifte der neuern
Naturforſchung ſich ausgebildet Hatten, zu zeigen ſuchte
und überdies in dem gemäßigten Sinne, welcher ihm bei«
wohnte, Vorſchlaͤge zur Milderung desſelben zu machen
wußte, weiche es mit dem herſchenden Syſtem ber Theo⸗
Togte als vereinbar esfpeinen ließen. Daher Haben fih
ſpaͤtere Naturforſcher auf ihn geflügt. Für bie Wuͤrdi⸗
gung deo Ganges, welchen bie neuere Philgfophie einge
1) Ib. 6 2.809. a.
flogen Hat, wird man biefen Punkt nit überſehn bür
fen. Gonft finden wir bei ihm nur einen ſleptiſchen Gein
zu bemerten, welchen zwar bie Erforſchung der Natur
anzieht, welder von ihr weitere Aufichlüffe erwartet, dazu
die Halfe der Mathematit und der Sinne in Anſpruch
nimmt, aber zwiſchen ben zufälligen unb befonbern Wahr⸗
nehmungen der inne und ben allgemeinen unb nothwen⸗
digen Wahrheiten der Mathematik keinen feften Bund zu
ſtiften weiß. Daher ſchwankt er in fo vielen Entſchei⸗
dungen, bringt die Beſchraͤnltheit des menſchlichen Erken⸗
nens in Anſqhlag und begnügt fh mit dem Waprfchein
lien, Wie fehr auch feine allgemeinen Säge über bie
Wiſſenſchaft, welche er in der Logik vorträgt, dahin aus
Iaufen, daß wir nur ben Sinnen vertrauen können, bie
Logit gilt ihm boc zu wenig, als daß er über fie feinen
phyfiſchen. Sägen entfagen mögte, welche auch metaphy
fiſchen Begriffen Raum geſtatten und feinen theologiſchen
Überzeugungen nicht alle Ausficht auf Betätigung abſchnei⸗
den. Aber weder in ber Theologie noch in ber Phyſil
tann er feften Fuß faflen. Sein ſchmiegſamer Geiſt finnt
nur auf Mittel, durch welche den Meinungen des gefunden
Menſchenverſtandes Genüge geſchehn und zwiſchen ber Über:
zeugung bes Chriſtenthums und ben Lehren aus natürlichem
Lichte ein leidliches Abkommen getroffen werben möchte,
Je weniger num Gaſſendi darauf Anſpruch machen
lann durch ‚eigene Erfahrungen zu glänzen, um ſo geeig⸗
neter ift die Sammlung feiner Meinungen uns ein Bild
von der Stimmung unter ben philoſophirenden Gelchrten
zu geben, wie fie unter ben Einfläffen der Reform Ba-
con's und che ber Nationalismus ber Carteſianiſchen
367
Säule durchdrang, fih im Allgemeinen geftaltet hatte.
Es wird. fi nit verfennen laſſen, daß die Neigung ıben
Sinnen zu vertrauen und von ihnen aus die wiſſenſchaft⸗
liche Erlenntniß zu betreiben im entſchiedenen Übergermichte
war, Sie hatte ihre Nahrung aus dem Streben nad
Erkenntniß der Natur gezogen. . Natürlihes und Sinnlis
ches wurden nun meiftens als gleichhebeutend genommen
und was ſinnlich ift, ſchien auch zugleich Förperlich fein
zu müflen. Man war nahe daran alles für natürlich
und nothwendig, für ſinnlich und Förperlich zu erfläsen,
das fittliche Leben auf den natürlichen und ſelbſtſüchtigen
Trieb nad Selbfterhaltung und ſinnlichem Wohfgefül zus
rüdzuführen, die Freiheit des Willens zu leugnen und
alles Geiftige für einen feinen Körper zu erflären. Doch
fehen wir an Gaffendi, daß man doch nur mit Zögern
diefen Weg ging; wir fehen es auch an Andern, fogar
an Hobbes und Bacon, doch wird man den Gaffendi
weniger als Andere im Verdacht haben fönnen, dab er
nur aus Heuchelei feine Behauptungen gemäßigt ober bes
ſchraͤnlt habe. Sreilih, wenn man bie Gründe für jenes
Zögern Hört, fo koͤnnte es Teicht nach der Denkweiſe un,
ferer Zeit, bei Männern, welche ihren Dienft faR auss
ſchließlich der Erkenntniß der. Natur gewidmet hatten, für
Heuchelei gelten, wenn fie behaupteten, neben ben Lehren
der natürlichen Wiſſenſchaft noch ein übernatürliches Licht
anzuerfennen. Aber man wirb bebenfen müflen, daß den⸗
felben Männern auch die Erfahrung far alles galt und
daß bie Erfahrung ihrer Zeiten eine andere war ale bie
Erfahrung der unſrigen. In jener Zeit waren bie relis
giöfen Erregungen des Geiftes fehr allgemein verbreitet
und: fanden faft unbeſchraͤnkten Glauben. Auch Rand ber
Glaube an fie nit ohne vermittelnde Gtägen ba. Die
religidſen Überzeugungen nur auf die natürliche Religion
aurädzußeingen war man noch nicht geneigt. Herbert Hatte
uur eben angefangen bie Züge ber natürlichen Religion
au entwerfen; er hatte fie auf natürlichen Juſtinkt zurüd-
geführt und leinesweges geleugnet, daß die Empfindun-
gen biefes Juſtialts auch zu einer übernatürtichen Höhe ſich
Reigen ließen. Auch Hobbes, welcher ihm folgte, wagte
diefe Bepauptung nicht. Nur darauf hatten die Philoſo⸗
phen diefer Zeit ihr Augenmerk gerichtet, daß bie natürs
lichen Gefege durch das Übernatürliche nicht gebrochen
werden durften. Wenn man auch das Menſchliche an
die Natar heranzuziehen ſuchte, fo war man doch bie
dahin noch nicht vorgeſchritten das Menſchlicht und Ber:
nänftige in ganz gleiche Linie mit dem Natürlichen zu ſtel⸗
Ten. Bacon lehrte zwar, daß die Natur nur durch Ge
horſam überwunden werbe; aber er wollte fie doch durch
menfpliche Kunft prefien und überwinden laſſen. Wir
ſehen noch immer den Gegenſatz geltend gemacht zwifchen
den allgemeinen Erfenntnifien der Vernunft und ben br
fondern Erkenntniſſen der Sinne. Wenn auch Bacon's
Zweifel jenen das Vertrauen zu entziehen geſucht hatte,
fo blieb ihnen doch ein mächtiger Schutz in ber Überzeugung,
melde die allgemeinen Lehren ber Mathematik einflöften.
Batow's ſenſualiſtiſche Methode bot zu viele Schwächen
dar, als daß man ohne Bedenken ſich ihr hätte ergeben
Hnnen, und Gaffendi war farffinnig genug zu bemer-
ten, daß fie nur auf einem ‚erbeten Schluß vom Allge
meinen aus beruhte. So Fonnte fih die Meinung be
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haupten, daß bie Sinne zwar bie erfte Grundlage unfe-
ver Erfenntniß blieben, aber doch die höhern Gebanfen
unferer Vernunft in die Geſtaltung unferer Wiſſenſchaft
einzugreifen nicht abgehalten werben dürften. Selb bie
Anſicht des Hobbes, daß die allgemeinen Säge der Wil»
ſenſchaft nur auf fprachlicher Wihfür umd einem künſtli⸗
en Übereinfommen beruhten, war nicht dazu geeignet
hierin zu erſchüttern. Denn wurbe doch bie Sprache von
ihm als die Vernunft bes Menfchen verehrt, welche ihm
Erfag für den Mangel feines natürlichen Inſtinkts leiten
ſollte, und fah doch Hobbes die Kunft und die Überein-
unft des Menfchen in Sprache, wie im Staat als bie
Grundlagen feiner höhern Bildung an und verehrie die
mathematifche Methode trog ihres Urfprunges aus ber
Sprache als die wahre Stüge der Wiſſenſchaft. So waren
denn in ber Sprache und ber Kunft bes Menfchen wenigſtens
Mittelglieder zwiſchen dem Natürkigen und bem, was höher
iſt als die Natur, für die Borfkelungsweife jener Zeiten
gegeben. Man Konnte fih num benfen, daß bie Vernunft
das fortfege, was die Natur begonnen hätte, und in ber
That waren hierzu Herbert und bie Begründer des Na-
turrechts bereit, wenn fie pofitive Religion und pofitives .
Recht an die natürliche Religion und das natikliche
Recht ſich anſchließen Liegen. Von hieraus waren bie
Schritte nicht weit, welge zu den Annapmen eines über
natürlihen Verſtandes und übernatürlicher Wirkungen
Gottes führten. Dazu konnte man um fo leichter geführt
werben, fe weniger man doch in ber trägen Körperivelt
den Urfprung ber Bewegung ſuchen mochte. Das Bil.
Fürkiche gänzlich auszufcheiden, dazu war man doch nicht
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sefommen. Man glaubte es nur nicht erllaͤren zu loͤnnen
und fo wurde denn alles Poſitive, welches im Fortgang
der Geſchichte ſich bildet, nur den Unterſuchungen ber
Ppiloſophie entzogen. Dies konnte man um fo Teichter
ſich gefallen laſſen, fe ferner der Gebanfe an eine einige
Wiffenfhaft Rand, je williger man ſich in die Schranfen
unferer Erlenntniß fügte und bie einzelnen Tpeile des
menſchlichen Wiſſens, ja der Ppitofophie auseinanderfals
len ließ. In der Philoſophie aber, das if Feine Frage,
war die Neigung alles nur als etwas Aatürliches zu bes
traten ohne Beſchraͤnkung herſchend. Sie folte nur
Lehre aus natürlichem Licht feinz was hätte fie anders
lehren loͤnnen als Natürliche? Mochte es daher auf
dem Menfchen überlaffen bleiben an das Übernatirlide
gu glauben; bem Philoſophen war es höchſtens verfattet
auf dasfelbe einen Blick zu werfen um fid feiner menſch⸗
den Beſchraͤnliheit bewußt zu bleiben. Das Pofitioe
der Offenbarung und das Pofitive bes Staats und ber
Gefege wurden von den Forſchungen der Philoſophie aus
geſchloſſen. Es war zu erwarten, ob ſich diefe Tpeilung
der Gebiete unferes Nachdentens würde behaupten kin
nen; ſollte dies nicht ber Fall fein, alsdann ließ ſich
wohl erwarten, daß alles, was bisher bem Gebiete bed
Übernatürlichen zugerechnet worden war, zum Natücligen
herübergegogen werden würbe. Der Anfang, welchen Her
bert gemacht hatte, war doch · nicht ungeſchickt angelegt,
Die allgemeinen Begriffe der Bernunft fand er in natür
lichen Trieben gegründet," welche uns bem gefelligen der
ben, ber Sittlichleit und der Religion zuführen, indem fie
und untereinander und mit bem Gründe unferes Lebens
“
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verbinden. Auf dieſelben natürlichen Triebe beriefen ſich
die Begründer bed Naturrechts um zu zeigen, daß auch
das pofitive Recht feinen natürlichen Urfprung habe. Kür
die wachſende Neigung der Natur auf ihren geheimften
Pfaden zu folgen war von hieraus fein weiter Schritt
bis zu der Annahme, daß ale Vernunft, alle Sitilichteit
und alle Religion nur als Erzeugniffe natürlicher Triebe
angefepn werben dürften,
Göttingen, .
gedrudt in der Dieterichſchen Univ. ⸗Buchdruckerri.
(®. Sr. Kafıner) -
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