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Full text of "Geschichte der Philosophie"

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Geſchichte 


der 


Philoſophie 


don 
RR 
Dr. Heinrich Ritter. 


Zehnter Theil. 


Hamburg, 
beißriebrig Perthes. 
41854 


Geſchichte 
chriſtlichen Philoſophie 
[6 Wi 


Dr. Heiun rich Ritter 


Sechster Theil, 


© Hamburg, 
- beißriebrig Perthes. 
1854 


Geſchichte 
neuern Philoſophie 
Dr. Seinrich Ritter. 


Bweiter Theil, 


Hamburg, 
beigriedrig Perthes. 
1854 


PhA2N.2ı_ 


HARVARD COLLEGE LIBRARY 


\ 52 
win fh 


Le 


"Subalt. 


Drittes Bud. 


Die Philofophie unter dem Fortgang ber MWieberherftellung 
der Wiffenfchaften, unter dee Reformation und unter der Wies 
derherſtellung des Katholicismus. 


Schftes Kapitel Thomas Campanella. S. 3— 62, 

Sin Lehm. ©. 3. Seine Schriften. 7. Metaphyſik und 
Phyfit find fein Hauptaugenmerk. 8. Alle Wiffenfhaft foll der 
Theologie dienen. 11. Hierarchiſche Richtung. 12. Myſtiſcher 
Weg. 13. Steptiſche Grundlage feiner Lehre. 15. Sicherheit des 
Begriffs des Wiſſens und der Erfheinungen. 18, Allgemeinſter 
Grundfag, id) denke, alfo bin id. 19. Selbſtbewußtſein flieht 
Bewußtſein der Befhräntung in fih. 20. Eingeborne und ange 
brachte Erkenntniß. 21. Die materielle Seele 22. Senſualiſtiſche Erz 
Märung der Berftandesthätigkeiten. 23. Mer Begriff.der Subflany 
aus einer Sammlung finnlicher Eindrüde. Imbuction. 25. Alle 
weltliche Erkenntniß beruht auf Geſchichte. 26. Der innere Sinn. 
27. Die Primalitäten der Dinge. 28. Ale Dinge haben Empfins 
dung ihrer felbft. 29. Beſchrankung der Dinge. 30. Das Schlehtz 
hinfeiende als Grund alles beſchrankten Seins. 32. Gott als uns 
begreifliches Weſen. 33. Schöpfungslere. 34. . Befhräntung if 
den Gefchöpfen nothtoendig. 35. Sein der Gefhdpfe in Gott und 
aufer Gott. 36. Freiheit des Willens. 37. Das Böfe. 39. Phy— 
fiſche Anfiht von Telefius entnommen. 41. Unterſcheidung ber phy⸗ 
ſiſchen und der metaphyſiſchen Tätigkeit der Seele. Der Raum bie 
Grundlage alles Körperlihen. 42. Wärme und Kälte nur Werk— 
zeuge für Gottes Imede. 43. Der innere Sinn lehrt uns unfer 
Befen kennen , der äußere Sinn verduntelt nur unfere Selbſter- 


vn 


kenntniß. 45. Die Vernunft des Menfchen. 46. Mur ber Menſch 
wird feine beſchrankte Natur gewahr, weil fie ihm nicht gmügt. 47. 





fen durch feine finnlihen Eindrüde. 50. Sündenfall und Noth— 
wendigkeit den Menſchen durch finnliche Mittel wieder zu Gott zu 
führen. 51. Durd Sinne und weltliche Bildung follen wir auf 
uns felbft zurüdgebracht werden. 52. Das’ natürliche Streben geht 
auf Selbfterhaltung, auf etwas Gottliches, aber nicht auf Gott. 
54 Das übernatürlihe Leben führt uns zu Gott zurüd. 55. 


Sicbentes Kapitel Deutfhe Ppilofophen und Theo— 

foppen. ©. 2—141. 

"4. Nicolaus Taurellus, 64. Trennung der Wiffenfchaften 
nad) ihren Gegenſtanden. 65. Unterſchied zwiſchen Theologie und 
Philoſophie. 67. Unabhängigkeit der Ppilofophie von der Theo— 
Togie. 68. Philoſophie fol den Grund ber Theologie abgeben. 69. 
Sie erkennt das ewige Wefen Gottes, die Theologie aber feinm . 
Villen. 70. Verzweiflung als Ende der Philoſophie und Anfang 
der Gnade. 71. Gegenfag zwiſchen der körperlichen Natur oder 
Welt und zwiſchen dem Geift, dem Smede der Welt. 72. Die 
Welt bedarf nicht ber beftändigen Borforge Gottes, aber wohl der 
Geiſt des Menſchen. 73. 

2. Valentin Weigel 77. Gegenſatz gegen die gelehrte 
Theologie. 79. Rechtfertigung durch den Glauben an den heiligen 
Geiſt. 80. Die äufere Offenbarung Gottes fol ung zur Innern leiten. 

82. Nur in unferm Innern eröffnet fih uns das Innere der 

Dinge. 83. Allen fahren Unterricht müffen wir aus uns felbft 
ſchopfen. 84. Unſere finnlihe Empfindung empfangen wir nidt 
von auſſen. 86. Natürliche und übernatürlihe Erkenntniß. 87. 
Um”alles zu erkennen müffen wir alles fein. 88. Mon oben kommt 
alles Sicht. Gott faßt in uns alles zufammen. 90. Gott konnte 
nur eine volltommene Welt fhaffen. Jeder Menſch hat Volltom- 
menpeit empfangen. 91. Gott und Schöpfer ift eins. 93. Frei— 
heit des Willens. 94. Im Übernatürlichen Erkennen iſt nur ein 
Beiden. 95. Der Zall des Menſchen iſt nothwendig, weil wir durch 
das Natürliche zum Übernatürlichen gelangen follm. 9%. Durch 
bie zeitliche Entwicklung verändert fich die Subftang der Dinge 
nicht, 98. 

3. Jacob Böhme, 100, Überlieferungen, von melden er 


x 


außging. 103. Der Streit feiner Zeit in ihm. 105. Beruhigung 
in veligidfen Ahndungen. 106. Doppefte Scheidung der Dinge, 
Die Umkehr zum Guten. 108. Bermifhung des Gittlihm mit 
dem Natürliden, bes Geiftigen mit dem Korperlichen. 111. Der 
verborgene und der offenbare Bott. 113. Mus dem Nichts der götte 
lichen Natur ift alles geworden. 116. Gott ift Gutes und Boſes, 
Liebe und Zorn. 117. les iſt in ihm in Liebe verbunden: 118. 
Rothwendigkeit der Scheidung der Brgenfäge, 119. Das Böfe nur 
im Übergeroicht der Kräfte. 120. Das eigene Leben umd die Frei- 
heit der weltlichen Dinge. 12% Päpfifhe und fittlige Weltanficht 
tmeinanderfliegend, 124. Die fieben Qualitäten. 136. Bom Böfen 
muß das Gute kommen. 129. Das Geiſtige muß greiflih werden. 
130. Das Geiftige in finnfigen Bildern dorgefteüt. 131. Die 
doppelte Anficht vom Wdfen im fittlihen Gebiete. 13% Unſicht 
von der Geſchichte des Menfhen. 134. Die letzten Dinge. 135. 
Aud) im verborbenen Menſchen iſt noch bie Freiheit pm Guten, 136. 
Achtes Kapitel Gelehrte Theoſophen. ©. 141.— 183. 

1. Johannes Baptifta von Helmont. 142. Die wahre 
Wiſſenſchaft, in der Erkenntniß der Principim beftchend, iſt un 
beweisbar. 144. Übertriebene Polemit gegen die früfern Philoſo⸗ 
phen. 145. Der Erfahrung will er alles verbanten 146. Doch 
genügt nicht die niedere, fonbern nur die höhere Erfahrung. 147. 
Anfonberung ber Philoſophie von ber Theologie. 149. weſchran⸗ 
fung der Ppitofoppie. Gegen die Bermifhung bes Geſchopfes mit 
dem Schöpfer. 150. Das Übel, das Sumliche und der Streit der 
Gegenfäge aus ber Sünde. 152. Cinnlihes und Raturliches von 
einander gefchieden. 183. Streben nad beftimmten Unterfihieden, 
aber Mangel an Bermittiurg. 154. Die Kunft wirkt von aufen, 
die Natur von innen. Gelegentliche Urfahen. 155. Wirkende und 
mitwirkende Kraft. 156. Alles aus Iebendigen Samen. 157. Der 
Iwel in den Samen. 158. Das generiſche Waſſer und daB ine 
dividuelle Serment. 160. Wirkung in die Ferne. 161. Die Sa— 
menidee, das Blas, der Archeus. 162. Der Korper aus ber Ber- 
einigung mehrerer Fermente. 164. Der allgemeine herſchende Ar⸗ 
Ges. 165. Die Seele als Centralpunkt. Gig der Serle. 166. 
Verganglichteit der Seele. 167. Der Geift als unvergänglige Ein= 
heit der menſchlicheu Subftanz. 168. 

2. Robert Fludd. 17% Gelchrfamteit und neuere Phyſit. 
173, Theologie a priori, natürliche Philoſophie von der Erfaße 


x 


rung aus. 174. Ausgehn vom Experiment. 175. Das zuſammen⸗ 
gefaltete und das entmicelte Sein Gottes. 176. Richtung auf die 
+ Phnfik. 177. Gegenſaͤtze in der Welt, in Gottes Entfaltung und 
Burhegiehung ‚auf ſich gegründet. 178, 
Neuntes Kapitel. Die ſteptiſche Richtung der Franjoſen. S. 183 
— 306. . 
1 Michel de Montaigne 184. Die Denkweiſe in feinen 
Verſuchen. 187. - Prüfung ‚der Religion durch die Vernunſt. 190. 
Dem Natüurlichen und Söttlichen follen wir vertrauen, das Men— 
ſchenwert Mt verdhtig. 191. Alle menſchliche Gründe find ſchwach. 
192 "Gegen ivie dogmatife Philoſophie. 194. uUnſer Selbſt ift 
ims am beften bekannt, aber doch wiſſen wir nichts Sicheres don 
ihm. -196,' Die Sinne find Anfang und Ende unferer Erkenntniß ; 
ihnen it aber doch nicht zu trauen. 197. Wenn der gefunde Men 
ſqhenderſtand nur gefund wäre, 199. Die Vernunft iſt trügfichz 
Btoekfel, 06 fie dem Menfen allein zukomme. 200. Lob des Inz 
fintts..204.. Demuth im Bewußtfein unferer Schwache, in der 
Unterwerfung unter Gott und die Natur. 202. Uuterfäied piſchen 
Gott und Natur. 205. 
2 Vierte Chaxcron. 207. Prattiſcher Charakter feines 
Skeptieiömms.. 20. Moral. 211. Weiter Umfang derſelben; doch 
Ausſchluß des religibſen Lebens. 212. Neigung alles auf dad Na— 
tige zurlzufüpren. 219. Selbſterleuntniß. 214.  Bufammen- 
Hängenb mit Erkenntuiß Gottes. 215. Demuth und Reinigung 
dazu wöthig. 246. Die mpfleridfe Höhe der Wahrheit und unfere 
Schwäche. ° Die Sünde Hat die Natur gefdrt. 217. Gegen die 
Ausfehtoeifungen ber Wiffenfhaft. 219. wieſpalt zwiſchen Sinn 
und Merftend, 221. Gtseit zwiſchen Körper und Geiſt. 222. Lei— 
denſchaſt im Vertrauen auf Die Meinung. 223. Der allgemeine, 
von. Dieinungen freie Geift. 224. Rechtſcheffenheit nad dem Ge— 
fege ber Natur. 226. Uneigennügigkeit. Die befondere Natur jedes 
Eimeinen zu beachten. 227... Bezuf. Pflichten gegen bie Geſellſchaft. 
228. Nothwendigkeit in die Sitten der Übrigen fih zu fügen. 230. 
Breigeit nur in dem innern Leben. Dualiſtiſche Anfiht. 231. My— 
ſtiſche Verſohnung der Gegenfäge, 282. Aufgeben der Forſchung 
nad ben Myſterien. 234. 
3. Franz Sander 236. Im der Naturforichung gegen die 
Autorität des Ariſtoteles 237. Skepticemus als Grundlage wiſ- 
ſenſchaftlichet Forſchung. 238. Aufammenhang aller Wiſſenſchaften. 


gemeine, welches auf Billtür ber Mebe berußt. 245. 
Erlärung der Wiffenfhaft. 246. Die Wiſſenſchaſt als vollkommme 
Erkenntuiß dee Sacht. 24T. Zweiſel Über die Sache. 248. Zwei⸗ 
fe über das Erkenwen. 250. Das finnliche Erkennen. 251. Die 
Bermunft oder der Verſtand. 252. Unmittslbare Gewuhheit der 
Erkenntniß. Seibſterkenntniß. 253. Wir haben nur eine fehr 


thode. Verſach, Beobachtung und Urtgell der Vernunft. 259. 
Überfit über die erfte Perlode der neuern Philoſophie. 261. 


Biertes Bud, 


Bacond Reform der Philofophie und die ihr zumächft liegen⸗ 
den Zeiten. 


Erſtes Kapitel. Bacon’s Reform der Philoſophle S 
309 — 387. 
Bacon’d Leben umb Charakter. 310. Seine Kufiht von der 
Wiſſenfthaſt. 319. Glauben und Theologie von ber weltlichen Wiſ 
ſenſchaft ausgefdjieben. 321. Auch das vernünftige und fittliche Le 
dem find des Wiſſenſchaſt unugäuglig. 322. Die Phiſoſophie Magd 
der Theologie. 323. Seine Schriſten. 394. Sein Plan der Re= 
form. 328. Seine Mäfigung in der Rewerung. 329. Überfiht 
Über die Gefoumtgeit der Wiffenfgaften. 331. Die erſte Philoſo⸗ 
phie. 333. Cingreifen theologiſcher Lehren. 335. Beſchrankung 
der menſchlichen Wiffeafaft. 336 Dur bie Theologie. 337. 
Einteilung der weltlichen Wiffenfgeften. 339. Heramiepung aller“ 
Wiſſenſchaſten an die Raturppilofophie. 340. Die Naturphiloſophie 
die allgemeine Wiſfenſchaft. 342. Vorausfegung eines hochſien Ra 
turgefeges, 343. Ein Princip der Materie und der Form, des 
Korperlichen und ‚des Geiftigen. 344, Gegen die Zwecurſachen in 
der Naturforſchung. 345. Neigung zum Materialismus, aber ges 
gen die mechanifche Naturerflärung und den Atomismus. 246. Ge 
nauere Ausführung, feines Plans. 347. Scwantendes in dem 
Verhaltniß der Phyfit zur Metaphyſit. 349. Mas Vorläufige in 


xu 


feinen Annahmen. 350. Methobeniehre. 351. Gegen bie alte Los 
sie. 352. Die Inbuction. allein iſt das rechte wiſſenſchaftliche Ver—⸗ 
fahren. 353. Forderung einer volftändigen Induction, welche mit 
Nothwendigkeit fließt. 354. Die Naturgefgichte als Grundlage 
der Imbuction. 355. Die Eintheilungen in ihr. 356. Senſuali— 
ſtiſche Richtung. 357. Misachtung des Verſtandes. 358. Mängel 
des Sinnes und Art fie zu heben. 360. Der Verſuch. 362. Un— 
terſchied zwiſchen Empfindung und Wahrnehmung. 364. Erfor— 
fung bes Kleinſten. 366. Wir nehmen nur Individuen wahr. 
366. Unendliche Zahl der Individuen. Die Naturgeſchichte foll es 
yit Individuen zu thun haben. 367. Begriffe der niebrigften Ar— 
ten und unmittelbare Wahrnehmungen als Grundlagen der Induc= 
tion. 368. Die unmittelbaren Wahrnehmungen follen einfache For— 
men der Natur abgeben. 369. Die Formen der Natur follen ein 
abgekürztes Verfahren möglich machen. 370. Befhreibung des In— 
ductionsverfahrens. 371. Claffen der Fälle, welche ihm dienen fol= 
fen. 372. Wichtigkeit des negativen Verfahrens hierbei. 373. Pra— 
togativen der Inflanzen. 374. Beurtheilung der wiſſenſchaftlichen 
Leitungen Bacon’s. 376. 


Bweites Kapitel Die natürlige Keligion' und das 
Naturrecht. ©. 387— 453, 

Abfonderung einzelner Zweige ber Philoſophie von ihrem fuftes 
matifhen Zyfammenhange, 388. Gemeinſchaftliches in dm Beftre- 
bungen ber natürlichen Religion und des Naturrechts. 389. 

1. Eduard Lord Herbert von Cherbury. 390. Cha— 
after feiner Schrift über die Wahrheit. 392. Biveifel und Streit 
gegen Vorurteile. 393. Gegen ben Senfualismus. 395. Theoſo— 
phiſche Richtung. 396. Gegen die Vergleihung unferer Seele mit 
einer leeren Tafel. 399. Die allgemeinen Grunbfäge als Ausſprüche 
des natürlichen Inftintts. 400. Berufung auf das eigene Vermd⸗ 
gen und die urfprüngliche Natur. 401. Der Inſtinkt der Selbft- 
erhaltung. 404. Die praktifgen Gefege, melde fih an ihn ans 
fliegen. 405. Die Eraltung des Ganzen und das Bewußtſein 
ber allgemeinen Gefepe damit verbunden. 406. Der Zweck und 
das Fortſchreiten. 407. Die plaftifhe Kraft. Die Freiheit als 
gweck. 408. Sittlichteit und natürliche Religion. 409. Gegen 
Autoritätsglaubm und die Lehre vom ganzlichen Berberben des Men— 
ſchen. 411. Artikel der natürlichen Religion. 412. Befondere Ofz 
fenbarungn und Princip der Indivibuation. 414. Bufäge der pos 


xın 


fitiven zur naturlichen Religion. 413. Das Chriſtenthum als Wie⸗ 
derherſtellung der natürlichen Meligion. 416. Sqchwierigkeit der Bes 
weife für die befonbere Offenbarung. Sie gewährt Andern nur 
Wahrſcheinlichteit. 417. 

2. Die Borgänger des Hugo Brotius im Raturs 
recht. 4W. Johann DOldendorp. 40. Nicolaus Hem 
ming. 421. Wibericus Gentilis. 423. Benediet Win- 
!ter. 423. Das frühere und das fpätere Raturrecht. Das pos 
fitive Recht. 425. 

3. Hugo Grotius. 428. Das Raturreht als befondere, 
von allgemeinen Grundfägen unabhängige Wiſſenſchaſt. 430. Rur 
in der menſchlichen Ratur iſt e8 gegründet. Votzug des Menſchen 
im Triebe zur Geſelligkeit. 439. Ungeborne Rehtögrundfäge. 433. 
Die verdorbene Bernunft. Schwankungen zpwiſchen dem Ideal der 
Nechtsgeſelſchaſt und dem Musführbaren. 434. Das Raturrecht in 
Vergeſſenheit gerathen. 435. Der Raturzuftand nad; dem Sunden⸗ 
fall und die nun folgende Einrichtung der Behtögefelfhaft. 436. 
Folgen des Doppelfinns, welcher in feiner Anficht vom Naturrecht 
Üegt. 437. Der Staat. 438. Übertragung der höchſten Gewalt an 
bie Obrigkeit. 439. Das pofitive Gefep hebt das natürliche Recht 
nicht auf. 440. Eigenthum. 441. Gemeingut. 443. Übertragung 
des Eigentums. 444. Bertrag "über Leitungen. Unterwerfung 
unter ben Richter. 445. Vertheidigung der SHaverel. 446. Urten 
perſonlicher Unterwerfung. 447. Straftecht. 448. Kriege» und 
Voikerrecht. 449. 

Drittes Kapitel. Thomas Hobbes. S. 453 — 542. 

Sein Lehm. 453. Wiberfprüde in feiner Denkweiſe. 458. 
Verehrung ber mathematiſchen Methode. 463. Prattiſche Richtung. 
Ethik und Politit als Theile ber Phyſik. 464. Ppilofophie im Ger 
genfag gegen Erfahrung. 465. Rachlaſſen in der Strenge ber 
wiffenfchaftlihen Forderungen in ber Politik. 466. Vernunſt als 
Vermögen zu ſchließen beruht auf Begriffserflärungen. 467. Grz 
Märung willturlich beigelegter Namen. 468. Wednen mit Worten. 
Vernunft beruft auf Sprache. 469. Die Bernunft wird doch als 
in angebomes Vermdgen betrachtet. 469. Hieraus fließende ab⸗ 
weichenbe Anſicht von der Wiffenfhaft. 471. Dringen auf Erkennt⸗ 
niß der Sachen. Widerſpruch dagegen in feiner ſkeptiſchen Betrach⸗ 
fimg der Biffenfhaft. 473. Senſualismus. 474. Bum Empfin⸗ 
dm gehört Bleiben der Eindrüde und Erinnerung an fie. 475. 


xıv 


Ebenſo Wechſel der Cindrüde 476. VWerſtand, Erfahrung und 
Wiffenfhaft. 477. Seine ſteptiſche Dentweife im Zufammenhang 
mit feinem Senfualismus. 478. Sicherheit der Erkenntniß durch 
die Sprache. 479. Nominalismus. 480. Entſtehung der Empfins 
bung. 481. Gmpfindung und Denten nur Veränderungen de 
Körpers. Materialismus. 483. Grundfäge der mechaniſchen Phy⸗ 
fit. 485. Erklärung der Empfindung und finnlihen Vorſtellung 
aus ber Bewegung des organiſchen Körpers. 4866. Nur eine Kette 
von Bewegungen konnen wir erkennen. 487. Die finnlihen Qua⸗ 
titäten find nur Schein. 489. Wie wir zur Vorſtellung des Hus 
Fern konunen. 489. Subjectivität aller unferer Vorftellungen. 490. 
Doch Vorausfegung von korperlichen Subſtanzen. 491. Voraus- 
fegungen für die mechaniſche Naturerflärung. 49% Der Menſch 
eine Mafchine. 494. Die Körperlichteit Gottes. 495. Die unend» 
liche Verkettung der Bewegungen konnen wir nicht überfehen. 496. 
Gypothetiſches in der Phyſik. Gegen die Freiheit des Willens. 497. 
Ausgehn in der Erklärung des fittlichen Lebens von phyſiſchen Be— 
meggründen. 501. Streben nad) dem Nügligen und nah Ge— 
nu. 502. Selbſtſucht feiner Moral. 503. Unterordnung der 
Selbſtſucht unter das allgemeine Gefeg. Menfchenliebe. 504. Ge— 
mohnheit der Bewegung. Die Regeln über Gutes und Boſes wer— 
den erft im Staate zu allgemeingültigen. 505. Die Vernunft treibt 
und an Frieden duch die Vermittlung des Staates zu fuchen. 507. 
Naturzuftand. 508. Krieg Aller gegen Ale. 510. Furcht als 
Grund des Staates. 511. Staat als Werk der Kunft, ein fünfte 
licher Körper. 512. Staatövertrag. 513. Verträge müffen gehal- 
ten werden. 514. Verſchiedene Punkte des Staatsvertrags. 515. 
Unbedingte Untertverfung der Unterthanen unter die Obrigkeit. 516. 
Unbebingte Macht der Höcften Obrigkeit. 518. Hödfte Gewalt des 
ganzen Volkes. 519. Sie ift aufgehoben durch die Einfegung der 
Obrigkeit. 520. Der naturliche Staat. 521. Herrſchaſt über die 
Sttaven. 522. Herrfhaft der Eltern über ihre Kinder. 523. Ber- 
fiebenheit der Staatsformen. 524. Bevorzugung der Monarchie. 525. 
Verhättniß des "Staats zur Kirche. 326. Achlung gegen den relis “ 
giöfen Glauben, 528. Lehren Über Gott. 529. Der Staat als Stell= 
vertreter der Kirche. 531. Natürliche und offenbarte Religion. 532. 
Gegen die Trennung des weltlichen und bes geiftlichen Reiches. 533. 


Biertes Kapitel, Peter Gaffendi. ©, 543 — 571. 
Neigung zum · gweifel. 545. Sein Hauptbeftreben auf bie Php 


xv 


fit gerichtet. Senſualisnus. 547. Subſtam nur als gemeinſchaft- 
liche Grundlage vieler Eigenſchaſten und immer nur ein dunkler Bes 
griff. 549. Wichtigkeit der Induction. 550. Sie beruft aber auf 
einer Erkenntniß vom Allgemeinen aus. 551. Evidenz des Sinnes 
und der Vernunft. Die thierifge und bie vernünftige Seele. 552 
Zweiſel über die Denkbarkeit bed Immateriellen für uns. 553, 
Empfehlung der Epiturifchen Mtomentehte. 555. Lehre über Gott. 
558. Das fid) gleich bleibende Naturgeſet. 560. Freiheit des 
Willens. 561. Imdifferenz des Willens geht mit Indifferemz des 
Verſtandes Hand In Hand. 562. Im der Ethie Milderungen der 
Eyituriſchen Lehre. 365. Egolemus. 564, 


Drittes Buch. 
Schluß. 
Die Philofophie unter dem Fortgang ber 
Wiederherſtellung der Wiſſenſchaften, unter 
der Reformation und unter der Wiederher⸗ 
-flellung des Katholicismus. 


Geſch. d. Philoſ. X. 1 





Benzuı, Google 


Sechſtes Kapitel, 


Thomas Campanella. 


Sehr verſchiedenartige Elemente machten ſich in der 
Bildung dieſer Zeiten neben einander geltend, das Bes 
freben nad} weltlicher Erkenntniß und ber kirchliche Glaube, 
Es lonnte nicht befriebigen fie nur neben einander gelten 
u laffen;, man mußte ihr Verhaͤltniß zu einander zu ers 
mitteln ſuchen. Niemand hat dies mit größerer Lebhaf⸗ 
tigfeit betrieben, als Thomas Campanella. 

Er war 1568 zu Stilo in Calabrien geboren, in einer 
damilie mittleres Standes, welche den Bäpigfeiten des, 
Knaben alle Mittel zu ihrer Entwidlung gewährte. Ein 
brennender Eifer nah Erkenntniß, Ruhmbegier, eine 
erregbare Einbildungskraft, ein feſtes Gedaͤchtniß beflü- 
gelten feine Fortſchritte. Im 15ten Jahre trat er in den 
Dotninicanerorben. In ber gewöhnlichen Bahn ber 
theologiſchen Gelehrfamteit hatte er fchon gute Hoffnuns 
gen erwedt, als er um eine Disputation mit einem 
Ftanciscaner zu beftehn von feinem Drben nach Eofenza 
geſchickt wurde. Hier lebte noch das Andenken an ben 
Teleſius. Man glaubte in dem SJünglinge den Geiſt 

1* 


A 


diefes Mannes wieder erwedt zu fehen. Da wendete fi 
Campanella der Lehre desfelben zu und wurde ein eifriger 
Kämpfer gegen die Arifotelifche Philoſophie. Er hat. 
diefe Bahn nicht wieder verlaffen. Seinen Schriften 
pflegte er nach dem Beifpiele feines Meifters beizufegen: 
nad eigener Lehrweiſe. Er machte es fih zum Geſchaͤft 
die Phyſik des Telefins gegen die Arifiotelifer zu vertheis 
digen, nur daß er in ber religiöfen Frömmigkeit, welche 
er eingefogen hatte, das Verhältnig des natürlichen zum 
übernatürlichen Leben genauer zu erforfchen ſuchte. Um 
eine Schrift zur Vertheidigung des Telefius gegen einen 
feiner Gegner in Drud zu geben kam er nah Neapel. 
Er hielt es für feine Aufgabe auch in mündlichen Dispu⸗ 
tationen feiner Meinung Geltung zu verfhaffen. Darüber 
308 er fih die Anklage der Kegerei zu, welche ihn zu 
feiner Vertheidigung nad Rom führte, Hierdurch blieb 
eine Zeitlang fein Verhältnig zur Geiſtlichkeit geſtört, 
wiewohl er nichts mehr betrieb als das Anfehn der Reli⸗ 
gion und der latholiſchen Kirche zu erhähn, nur nicht in 
dem gewöhnlichen Wege. Als er durch Italien reifte und 
feiner Reform der Bpilofophie Eingang zu verfihaffen 
ſuchte, wurbe er mit Mistrauen von der geiſtlichen Ge⸗ 
walt beobachtet und mehrmals in Unterſuchung gezogen. 
Aber nicht allein mit gelehrten Plänen befchäftigte ſich 
fein fruchtbarer Geift, er fann auf eine Veränderung Aller 
geſellſchaftlichen Verhältniſſe. Die Gedanken hierüber, 
welche er fpäter in verfchiebenen Werfen ausgeſprochen 
bat, find der abentenerlichften Art, Er fah die Geſell⸗ 
ſchaft. der Menſchen in einem Fortfchreiten begriffen, wel- 
Ges zu einem allgemeinen Reiche über alle Voͤller führen 


folte, unter der Herrſchaft des Stellvertreters Eprifi, 
der im Bunde mit einer weltlichen Macht Gemeinſchaft 
ber Güter und ber Weiber herfiellen follte. Das goldene 
Zeitalter in einer ſolchen Form hielt ex für nahe bevor 
ſtehend. Und nit bloß im Allgemeinen befcäftigte er 
ſich mit diefen Gedaulen, wie er fie in feinem Sonnen ⸗ 
Raate, einer Nachahmung der Utopia, in feiner Monarchie 
des Meſſias auseinanderfegte 5; er überlegte auch bie 
Mittel; die Kräfte der Staaten und ber Bölfer, über 
deren Stand fein weites Gedaͤchtniß manderlei Kenntniffe 
feſthielt, überrechnete ex, wie weit fie tragen möchten um 
einen ſolchen Zuſtand Herbeiguführen. Durch die Predigt 
wollte er gewirkt wiflen für feinen Zwed, durch bie 
Wiſſenſchaft, aber auch durch FIR und Waffen, fo wie er 
denn überhaupt in der Wahl feiner Mittel nicht ſehr bes 
denllich iſt. Da er feine Abfichten in fein tiefes Ges 
heimniß huͤllte, iſt es nicht zu verwundern, daß er zurüd, 
gelehrt nach feinem Vaterlande den Argwohn der Spani⸗ 
ſchen Regierung in Neapel wedte. Er wurde um 1599 
eingezogen und gegen ihn unb mehrere Genoſſen ber 
Proceß eröffnet, Die genauern Umſtaͤnde und Beranlafs 
fungen find unbefannt geblieben; man weiß aber, daß 
Eampanella von Kerter zu Kerler wandern mußte und 
die härteflen Grabe der Folter mit flaunenswürbigem 


1) & Hat diefe Huseinanderfegungen öfter in verſchiedener Ge— 
alt wiederholt, wie er ed überhaupt mit feinen Gedanken zu halten 
pflegte. Über eine ungebrudte Schrift diefer Urt, welche er beim 
Pabſt einreichte, giebt Ranfe d. Rom. Pabſte IL. S. 379 f. Radıridt. 
Neuerdings hat Paolo Garzilli feine discorsi politici ai prineipi 
d’ltalia aus dem Manuſcripte Herausgegeben. 


6 


Muthe ertrug, ohne fih ein Geſtändniß entreißen zu 
Taffen. Seine Pläne, wie gefährlich fie fein mochten, 
waren allem Anſchein nach nit gegen die Spaniſche 
Monarchie gerichtet; er klagte fie fpäter bes Undanfes 
anz ihe ſcheint er den erſten Rang unter ben weltlichen 
Reichen in dem geiftlich- weltlichen Gefammtftante, welchen 
er im Sinn trug, zugedacht zu haben, von ihr hoffte er 
die Ausrottung der Keger, die Unterwerfung unter die 
geiſtliche Macht . Sie aber verdammte den gefährlichen 
Neuerer zu Iebenslänglihem Gefängniß. Sein Unglüd, 
die Standhaftigkeit, mit welcher er es ertrug, hatten bie 
allgemeine Aufmerkfamfeit, ja Bewunderung auf ihn ge⸗ 
zogen. In feiner Haft wurde er von Fremden aufge 
ſucht, der Spaniſche Bicefönig Offuna hielt ihn für wichtig 
genug um in ben weitausfehenden Plänen, welche er bes 
trieb, feinen Rath oder feine Hülfe zu ſuchen. Die 
Paãbſte Paul V. und Urban VIII. bemühten fi feine Des 
freiung oder feine Auslieferung nah Rom zu bewirken, 
Campanella indeſſen befchäftigte fi die Tangen Jahre 
feiner Gefangenſchaft in ungebrochenem Muth-mit geiftigen 
Arbeiten. Da verfaßte er feine Gedichte, feine politifchen, 
feine ppifofophifchen Werke in großer Zahl. Durch Hülfe 
eines Deutichen, eines ber Proteflanten, welche er fo 
fehr haßte, wurde ein Theil derfelben in Deutfchland ges 
drudt. Endlich 1626 gelang ed dem Pabſt Urban VIII. 
feine Auslieferung nah Rom zu erwirklen. Wärend er 
ſich der Gunſt des Pabfles erfreute, wurde hier noch 
gegen ihn unterfuht, bis 1629 feine Freiſprechung er⸗ 

1) Darüber handelt feine Monarchia Hispanica, welche er im 
Gefangniß fchrieh, 


7 


folgte. Neue Nachſtellungen von Gpanifher Geite bes 
wogen ihn mit Hülfe des Franzoͤſiſchen Gefandten nad 
Granfreih zu entflichn. Hier wurde er 1634 von ben 
Gelehrten mit Gunf und Freude empfangen und Ichte 
mit gebrochenem Körper, aber ungebeugtem Geile unter 
dem Schuge Richelieu's mit dem Abfchluffe feiner Werte 
befhäftigt. Die Herausgabe derſelben, welche er unter» 
nahm, hatte er nur zum kleinſten Theil vollendet, als ex 
1639 zu Paris farb. 

Campanella hat eine große Zahl von Schriften ges 
forieben, von welchen nur ber kleinſte Theil gebrudt 
worden iſt. Er wiederholt fi) in feinen Schriften oft. 
Der großen Fruchtbarleit feiner Feder entfpricht nicht ber 
Reichtum der Gedanken, melden er beherrſcht. Wenn 
man ihm auch zugeftehn muß, daß er mehr als irgend 
ein anderer feiner Zeitgenoffen die Gedanfen der frühern 
Philoſophie zu verarbeiten gefucht hat, fo bemerken wir 
darin doch eine Ungleicartigfeit des Verfahrens. Er 
möchte alles umfaflen, die Ergebniffe der neuern For⸗ 
ſchungen, wie die Ppilofophie des Alterthums und des 
Mittelalters, aber nicht alles hat er mit gleiher Sorg⸗ 
falt behandelt und es iſt nur ein kleinerer Gebantentreis, 
auf welden er immer wieder zurüdfehrt und von wel- 
chem aus er Über das Übrige fih Licht zu verbreiten 
ſucht. Für die leichtere Überficht über feine philoſophi⸗ 
ſchen Gedanfen Hat er durch feine Metaphyſik geforgt, 
welche in ber That alles Wichtige enthält, was er ers 
forſcht ober von den Forſchungen Anderer wieder im Gang 
gebracht hat, ein fehr weitläuftiges Werk, welches vie- 
lerlei Dinge feiner fonftigen Unterfuhungen im Auszuge 


giebt... Man möchte das alles ‚unter biefem Titel nicht 
ſuchen. Er erbliet aber in diefer Metaphyfif die Weis» 
heit aller Wiſſenſchaften, das Buch aller göttlichen und 
menſchlichen Dinge, die Löfung aller Fragen über Wirk- 
liches und Möglihes, Er hat fie zur Bibel der Philos 
foppen befimmt 3. Da handelt er alle Fragen ab über 
die Formen und Methode unferes Denfens, über bie 
Gefege bed Seins, über die. Welt und ihr Verhältnig 
zu Gott, fo wie über Gott ſelbſt, dringt in die phyſi⸗ 
ſchen Unterfugungen ein über das Weltſyſtem und über 
die befondern Kräfte, über Anfang und Ende der irbifchen 
Dinge, laͤßt auch bie Gefhihte, die Sprache bes Men- 
ſchen, feine politiſche und religiöfe Verfaflung nicht außer 
Acht; genug es Legt hier ein Syftem der Philofophie im 
weiteften Umfange und vor Augen, wie wir es vergebs 
lich bei einem andern Schriftfiellee diefer Zeiten fuchen 
würden, 

Aber die Weife, wie er viele Gegenflände ber Wiffen- 
haft behandelt, entbinbet und von ber Verpflichtung auf 
die ganze Zufammenfegung feines Werkes einzugehen, 
Sehr vieles berüprt .er nur flüchtig. Es if ihm nachge⸗ 
rühmt worben, baß er auf eine Vergleihung der Spra- 
pen fein Augenmerk gerichtet habe; aber obgleich er von 
den Philologen den Gedanken entnommen hat, daß in 
den Sprachen der Same ber Wiffenfchaften Tiege 2), bleiben 
feine Unterfuchungen über bie Verſchiedenheit der Spra- 


4) Th. Campanellae universalis philosophiae seu metaphy- 
sicaram rerum juxta propria dogmata partes tres (Par. 1638) 
dedic. . 

2) 1b. I, 9. art. 14; IV, 1. art. 2. 


en bei fehr Außerlihen Bemerkungen ſtehn. Weitlaͤuf⸗ 
tiger, aber eben fo oberflächlich find feine Unterſuchungen 
über die Logik!) Wir finden bei ihm die Anfiht wieder, 
welche Zabarella und Eremoninus verbreitet hatten, daß 
die Wiſſenſchaften in ſolche ſich eintpeilten, welche nur bie 
Erlenntniß, und in ſolche, welche einen Rugen zum Zweck 
hätten, daß aber die Iegteren nicht im eigentlichen Sinn 
Wiſſenſchaften, fondern richtiger Künfte genannt würden. 
Zu den eigentlichen Wiſſenſchaften zäplt er nur die De 
taphyſik und die Phyſik. Er iſt zwar hierin nicht ganz 
figer; nach andern Eintheilungsgränden fcpeinen ihm auch 
Mathematik, Logik und Politik zu den reinen Wiſſenſchaf⸗ 
ten zu gehören; aber wenn er gemauer überlegt, ent- 
ſcheidet er fih doc für das Gegenteil. Denn bie Mas 
tpematif und bie Logik find nur Hülfswiſſenſchaften, Wert 
zeuge für bie Erkenntniß, die erſtere für bie Phyſik, die 
andere für bie Metaphyſil; er wirft baher auch beiden 
vor, daß fie Sachen uns nicht erkennen lehrten, fondern 
nur mit erbichteten Begriffen ſich befchäftigten. Was 
aber die Politik betrifft, fo if fie auf die Metappyfit 
qurüdzuführen; benn nur der Metaphyſiler if ber rechte 
Geſetzgeber ). Dadurch wird auch die Sittengeſchichte 
der Metaphyſik einverleibt, denn er ſieht zwar auch eine 
praltiſche Wiffenfchaft in ihr, aber vornehmlich Täuft fie 
ihm dod auf Politik hinaus ) Dan wird aus biefen 
nicht gut zufammenfiimmenden Bemerkungen über das 
Syſtem unferer Erfenntniffe nicht leicht etwas anderes 
4) Ib. UI u. IV. 


2) 1b. 1, 9. art 12; V, 1. art.5; 2. art2; 5. 
3) lb. V,2. ara, 


10 


entnehmen Können, als feine Vorliebe für Metaphyfit und 
für Phyſil und feine Abneigung gegen bie Logik und ges 
gen die Mathematif, als welde ſich nur mit leeren Er- 
findungen und Adftrartionen unferes Verſtandes beſchaͤf⸗ 
tigten, wärend ihm die Phyſik die Wahrheit der finnlis 
hen, die Metappyfit die Wahrheit der überfinnlihen 
Dinge verrathen fol. Hierin Tiegt aber unftreitig auch, 
daß er der letztern ben Vorzug vor ber erſtern zugeſteht. 
Man bemerkt an ihm ein Beſtreben den Fortſchritten ber 
neuern Wiſſenſchaft Gerechtigkeit widerfahren zu laſſen; 
aber feine Neigung if ihnen doch nicht zugewenbet. Das 
Copernicaniſche Syſtem, welches durch bie Entdedungen 
Galilers an Anfehn getvonnen hatte, war er eine Zeit⸗ 
Yang geneigt zu billigen; es fehlen ihm nicht unverein⸗ 
bar mit ben Orundfägen des Telefius, wenn es auch 
nur als Hypothefe gelten follte; als aber Galilei zum 
Widerruf gezwungen worden war, ließ auch er es wies 
der fallen. Mit den einzelnen Unterfuchungen der Phyſik 
hat er ſich wenig befchäftigt. Nur die allgemeinen Grunds 
fäge derſelben, welche mit der Metaphyſil zufammenhäns 
gen, erregen feinen Antheil, fo wie wir überhaupt bie 
Phyſfit diefer Zeiten noch im genauen Zufammenhange 
mit ben metaphyſiſchen Unterfuhungen gefunden haben. 
In der Metaphyfif dagegen ſieht Campanella bie allge 
meinfte Wiſſenſchaft, die Wiſſenſchaft der Wiſſenſchaften. 
Unter feinen Gründen, durch welde er bie Nothwendig- 
feit der Metaphyfit beweifen wi, beruft er ſich darauf, 
daß wir einer allgemeinen Wiffenfchaft bedürfen, welche 
die Grundfäge und Grundbegriffe aller übrigen Wiſſen⸗ 
ſchaften unterſuche; diefer Wiſſenſchaft fepreibt er alsdann 


4 


au, daß fie nicht bei den Erſcheinungen ſtehn Bleibe, fon» 
dern das Wefen der Dinge erforſche 2). 

Aber dennoch gefeht Campanella zu, daß auch bie 
Metappyfif nur eine Hülfswifienfhaft ſei. Gie if nur 
die Lehrerin der Mägde, der übrigen Wiffenfchaften, welde 
mit ihr gemeinfhaftlich der Theologie dienen follen 9. 
Denn von den natürlichen Dingen follen wir zwar aus⸗ 
gehn, aber alsdann fol die Metaphyſik die Vermittlerin 
zwiſchen der Phyſik und der Theologie werben, indem fie 
uns von der Natur zu Gott emporleite, Go nimmt 
feine ganze Philofophie einen theologiſchen Charakter an. 
Der wahre Lehrer it Gott. Er belehrt und durch die 
heilige Scprift, aber auch dur bie Welt. Keine von 
beiden Arten follen wir verſchmähen 5). Wir follen bie 
eine durch bie andere prüfen; denn bei ber Taäuſchung, 
welcher wir auch durch ben Teufel, durch falfche Prophe⸗ 
ten ausgefegt find, bedürfen wir ber Unterfheibung der 
Geiſter 9. Bei weitem höher jedoch ſteht die religioͤſe, 
als die natürliche Belehrung. Auf der Religion beruft 
das Bewußtſein Gottes; die Wiſſenſchaften dagegen dies 
nen dem weltlichen Leben, über deſſen Werth und Be 
deutung wir nur ſchwache Muthmaßungen haben. Es 
iſt gewiß, zu Gott follen wir fommen, aber warum 
wir durch dieſes Körperliche Leben hindurchgehen müffen, 
darüber auch nur Muthmaßungen zu faflen if ſchon ge⸗ 


4) Ib. I. prooem. p.4. b sg. 

2) Ib. V, 2. art. 2. Assistit ergo theologiae sicut magistra 
ancillarum. 

3) Ib. 1. summa p. 1. 

A) Ib. XVI, 1 artd; Tartd. 


42 


färlich . Campanella erblidt den Menfchen in einem 
Streite mit ſich felbft; er if davon überzeugt, daß der⸗ 
felbe in einem Zuftande ſich befindet, welcher feinem Wer 
fen nicht entſpricht. Das’ ganze Menſchengeſchlecht hat 
eine Schuld zu büßen, deren Bewußtſein es brüdt; des⸗ 
wegen bedarf der Menſch göttlicher Hülfe um ihn zu reini- 
gen und zu entfühnen. Hierzu find bie pofitiven Geſetze 
bes Staats noͤthig; aber fie reichen noch nicht einmal dazu 
aus und vor Streit und Betrug zu fihern; eine höhere 
Hülfe muß hinzutreten ; fie wird von ber Offenbarung ges 
boten, welche den innern Menſchen Teitet und zur Tugend 
führt. Ihr muß alsdann nod die innere Religion in 
der Entzüdung unferes Geiftes ſich zugeſellen. Erſt da⸗ 
durch werben wir ber wahren Freiheit theilhaftig ). Im 
dieſem Sinn fepließt fih Campanella der Wiederherſtel⸗ 
Tung dev Hierarchie an, Er ſelbſt findet ſich wiederherge⸗ 
ſtellt. Nicht duch den Syllogismus, welcher nur von 
fern nad feinem Ziele ſchießt; aud nit allein durch bie 
Autorität, welche nur durch fremde Hand fühlt, fondern 
durch die Geißel feiner Schiefale if er zum Wege bes 
Heiles zurüdgeführt worden und durch eigenen Geſchmack, 
durch eine innere Berührung zur Erkenntniß der göttlichen 
Dinge gelangt I. Er verwirft nun bie Lehre derer, welche 


1) Ib. XVI, 2 art. 1; art.3. 
2) Ib. XVI, 1 art. 1 qq. 
3) Ib. I prooem. p. 5. b. A deo errantes per flagella re- 
ducti sumus ad viam salutis et cognitionem divinorum, non per 
“ syllogismum, qui est quasi sagita, qua scopum attingimus a 
longe absque gustu, neque modo per autorilatem, quod est 
tangere quasi per manum alienam, sed per tactum intrinse- 
cum in magna suavitate. 






413 


wie Arifoteles und Machiavelli die Religion nur für 
eine politifche Anſtalt halten. Im der ganzen Welt ers 
blickt er eine Hierarchie; von ber urbilblichen Welt, welde 


er im Sinn ber Platonifer annimmt, hat ſich dieſe Herr- 


ſchaft fortgepflanzt auf biefe Welt der Unäpnlichkeit; in ihr 
herrſcht die Weltfeele; und eine ſolche Herrſchaft ſoll auch 
unter den Menſchen ſich gründen; denn bie Monarchie 
erſcheint ihm als die beſte Verfaſſung, obwohl er einge⸗ 
ſteht, daß verſchiedene Verfaſſungen verſchiedenen Völtern 
zuträgli fein möchten ). Die gegenwärtige Einrichtung 
der Dinge if nur eine Folge ber Sünde. Wie Mariana 
iſt Campanella überzeugt, daß bie wahre Berfaffung der 
Menſchheit der Geftalt der Welt entfprechen follte, und 
daß Eprifius, welcher uns von ber Sünde wiederherge⸗ 
Reit Hat, aud die Herrſchaft der Welt einem Menſchen, 
dem Pabſte, übergeben habe). 

Wir fehen alfo, nicht blindlings, aber durch eigene 
Erfahrung geleitet hat ſich Campanella dem Anfehn ber 
latholiſchen Kirche ergeben. Seine Erfahrung hat ihm 
den myfifchen Weg empfolen; fehneller und beffer als 
der metaphyſiſche Weg führt er durch Reinigung in Glau⸗ 
ben und in Liebe Gottes zum göttlihen Lichte 5). Seine 
Philoſophie if nun im Sinn einer allgemeinen Hingebung 


1) I. I, 9 art. 12 p. 85. b. 

2) Ib. XV, 2 art. 3; art. 4. Mundum humanum repraesen- 
tare omnes mundos et ipsorum gubernatum. Ergo angelus spe- 
ciei humanae respondens angelo omnium systematum regairit 
hominem unum, principem totius generis humani, qui a Chri- 
sto restituitur, cum propter peccata hominum diversitas prin- 
cipataum et sectarum non ab uno pendentium introducta fuerit. 

3) Ib. VU, 6 art. 2. 


14 


entworfen. Er folgt meiflens dem heiligen Thomas in 
feinen theologiſchen Sägen, eifert gegen die Ketzer, bes 
ſonders häufig gegen Calvin, behält aber doch im Sinne 
des neuern Katholicismus ber Vernunft vor bie natürs 
lichen Waprpeiten zu erforfchen und über alles, worüber 
die Kirche nicht entſchieden hat, ihren wiſſenſchaftlichen 
Unterſuchungen zu folgen. So ſetzt er au ben Jefuiten 
feinen freimüthigen Widerfpruc entgegen. Seine Weife 
hat noch vieles vom fcholaftifchen Wefen, aber im Ganzen 
geht er doch bie Wege ber neuern Wiſſenſchaft. Die 
myſtiſche Anfhauung fegt er nur fehr im Allgemeinen 
voraus und ſucht ber Überfpannung des Übernatürlichen 
entgegenzuarbeiten. Freilich hat Gott feine Wunder ſich 
vorbehalten; aber nur er bringt wahre Wunder hervor, 
Bon einer wunderbaren Einwirkung ber Engel ohne Vers 
mittlung durch weltliche Kräfte will Campanella nichts 
wiſſen. Die Anfipten der Neu-Platonifer, dag man 
durch Körperliche Mittel Götter und Engel anloden, daß 
man Höhere durch Nieberes in zauberifher Weife volls 
bringen fönnte, behandelt er als heidnifche Meinungen 2). 
Seine Anfihten von der Sympathie der Dinge find frei= 
lich nit von Aberglauben frei; er betrachtet auch bie 
natürliche Magie als die höchſte praftifche Wiſſenſchaft, 
welche der Metaphyſik zur Seite geftellt werden mäfle ); 
aber feine ganze Auffaffungsweife geht unfreitig dahin 
alle diefe Dinge nur auf natürlihem Wege, d. h. durch 





4) Ib. XV, 8 art.3. Respondemus hominum nullum, nul- 
lamgue ens, qui non fuerit auelor mundi, posse mundi ordi- 
nem turbare. Ib. 9 art. 6. 

2) 1b. V,2 art.6. 


415 


törperliche und geiſtige Kräfte, welche Gott in die welt 
lichen Dinge gelegt hat, zu Stande fommen zu laſſen 
und wenn er folde Kräfte auch im Einzelnen weiter aus⸗ 
dehnt, als wir fie reichen zu laſſen geneigt fein möchten, 
fo laͤßt ſich bei einem Vergleiche feiner Lehren mit ber 
Phyſik des vorhergehenden Jahrhunderts Teicht erfennen, 
daß ber Aberglaube bei ihm, wie bei feinen Zeitgenoſſen 
im Abnehmen if, So wie bie Wiederherſtellung des 
Katholicismus, fo will aud er das Gebiet der natür- 
lichen Dinge und Wiſſenſchaften frei erhalten von Wun⸗ 
bern, welche Gott und der Religion vorbehalten bleiben 
follen 3, 

So dogmatiſch nun auch am Ende die Entfheibungen 
find, zu welchen Campanella dur feine philoſophiſche 
Anfiht und durch das Anfehn der Kirche und feine ger 
lehrten Neigungen gegogen wird, fo ſleptiſch if doch bie 
Grundlage, welche ihn dazu antreibt ber Autorität fih in 
bie Arme zu werfen. Sein Glaube iſt darauf gegründet, 
daß er die Grenzen des menſchlichen Wiſſens erfannt zu 
haben glaubt, Die Weispeit bes Menfchen ift zwar nicht 
voͤllig nichtig, aber fie reicht nicht weit 9. Eben in den 
Unterfucjungen, welche ihn zu diefem Ergebniffe geführt 
haben, finden wir den Kern feiner Lehre, 

Campanella ſtellt eine Reihe von Zweifeln an bie 


1) I. I, A art.7 p.43. b. Sed nos guaerimus physiologis- 
mum in quaestione naturali, non miraculum, quod in naturali- 
bus etiam sanctus Augustinus quaeri non debere docet. Nec 
enim deus in aingulis intellectionibus et sensationibus miraculi- 
zat supra naturae vires inoperans. 

2) B. I, 8 ati. 


D 


46 


Spige feiner Unterſuchungen. Nach feiner Weife werben 
fie nicht in der beften Ordnung vorgeführt; wir werben 
und auf einige Hauptpunfte zu befchränfen haben, welche 
in der Entwidlung feiner Gedanken ein leitendes Anfehn 
haben. Bon ber Mitte der Vorſtellungen ausgehend) in 
welchen der Menfch ſich bewegt, erblidt Campanella alles, 
was unfer Bewußtfein erreicht, in einem befländigen 
Fluß. Die Gründe, welche Platon und Ariftoteles gegen 
diefen Satz des Protagoras aufgeftellt haben, genügen 
ihm nit. Wenn wir im Fluffe des Denkens einen 
ſichern Ausgangspunft ſuchen um unfere Gebanfen zu ord⸗ 
nen, fo fehen wir und nur in das Unendliche verwieſen. 
Den Rüdgang in das Unendlihe verwirft Arifoteles 
nicht mit Recht, weil feine Lehre von der Ewigfeit der 
Welt und in das Unendliche weit 9. Wie uns die Uns 
endlichleit des Vergangenen verwirren muß, fo nicht 
minder bie Unendlichfeit der räumlichen Welt, in welder 
- wir feinen Anfang und fein Ende finden. Wir gleihen 
dem Wurm im Bauche des Menſchen, welder von ber 
Welt, dem Ganzen, welchem er angehört, feine Rechen- 
ſchaft fi geben kann 5), Wollen wir auf die Grundfäge 
der Wiſſenſchaft uns flügen, wo find bie richtigen Grund⸗ 
füge nachzuweiſen? Nicht die Geſetzgeber allein, nicht 
allein die gemeine Meinung des Lebens, auch die Meta- 
phyſiler ſchwanken in ihrer Wahl, Die Grundfäge ber 
Wiſſenſchaften werben nicht bewiefen, fondern nur ange⸗ 


1) 1b. 1,1 art 7. 
2) Ib. art.2. 
3) Ib. art. 1. 


47 


nommen 2), Wollte man fie beweifen, fo müßte man auf 
den Sinn zurüdgehn, aus welchem fie durch Induction 
gefunden werden. Keiner, ber bei Sinnen ift, wird bes 
haupten, daß vom Berfiande die Wiflenfhaft anfängt; 
vom Sinn beginnt fie). Nichts iſt im Verſtande, was 
nicht früher im Sinn war °), Aber der Sinn gewährt 
feine ſichere Erkenntniß. An Schärfe des Sinnes über- 
treffen und die Thiere. Niemand kann feinem eigenen 
Sinn vertrauen. Wie die Gegenflände fih ändern, fo 
ändert unfer Sinn fih; aber auch wenn die Dinge außer 
ung diefelben blieben, würben unfere Empfindungen fih 
ändern, fo wie unfer empfindender Geiſt ſich änderte, 
welcher niemals derſelbe bleibt. Der Sinn iſt unvermös 
gend und das Wefen der Dinge zu zeigen; er weiß bie 
Dinge nicht, wie fie find, fondern nur wie er von ihnen 
affieirt wird. Unſer Empfinden if ein Leiden oder wenig⸗ 
ſtens mit einem Leiden verbunden; wir werben durch dass 
felbe aus ung entrüdt und wenn darauf unfer Wiffen 
beruhen follte, fo würbe unfer Wiffen Berrüdtpeit fein ). 
Bir ſcheinen uns in unfern finnlichen Empfindungen wenige 
end von uns zu wiſſen; aber von feinem Weſen und 
was es über fih zu urtheilen habe, weiß das lebendige 
Weſen in feinem Empfinden nichts. Wir wiffen nicht, 
ob wir fehlafen oder wachen, ob wir tobt find oder leben; 
wir-find vieleicht Wahnfinnige 5). . 

1) Ib. art 12. 

2) Ib. ar 7 p. 19. b. Nemo sapiens dicet, quod ab intel- 
lectu incipit acientia, sed a sensu. CI. ib. I. prooem. p. 2. b. 

2) B. I, 1 art 1. 

4) Ib. art. 3; 4; 83 8; 9. 

5) Ib. art. 10; 11. 

Geſch. d. Philoſ. x. 2 


48 


Diefe Zweifel an ber Wiffenfchaft des Menfchen fucht 
nun Campanella nicht in allen Stüden zu heben, ſondern 
nur zu befepränfen. Er weißt zuerft bie Übertreibung zus 
rück, welche in dem ffeptifhen Sape liegt, daß man 
nicht wiffen fönne, ob man wiffe ober nicht wiſſe. Das 
iſt zuerfi gewiß, wer nicht weiß, ob er wifle oder nicht, 
der muß wiſſen, daß er nicht weiß, Hierin liegt freilich 
nur eine Berneinung der Erkenntniß, aber in ihr if ſchon 
ein Wiſſen. Zum Belenntniß feiner Unmwiffenpeit kommt 
jeder nur durch ein Tanges Bemühn um bie Erkenntniß 
der Wahrheit; in der Waprheit aber ſehen wir alle das 
Wiffen von den Dingen, wie fie find. Nur dadurch 
tommen wir zum Zweifel, daß wir glauben die Dinge 
nicht fo zu erkennen, wie fie find. Dieſer Begriff des 
Wiſſens liegt allen unſern Zweifeln zum Grunde, daß 
es die Erkenntniß der Dinge fein würde, wie fie find H. 
Campanella hebt alsdann hervor, dag die Denkweife ber 
Sfeptifer mit ihrer Praxis im Widerſpruch ſtehe. Im 
gemeinen Leben zweifeln fie nicht; fie folgen da ihrer 
Meinung, ihren finnlihen Wahrnehmungen; aber wenn 
fie zu wiſſenſchaftlichen Unterfuhungen kommen, dann 
erinnern fie fih, daß fie viel Mangelhaftes in jenen ger 
funden haben und leugnen die Volllommenheit der Wiffen- 
haft, ihre Weife zu erfennen und ihren Zwed, aber 
nicht die Wiſſenſchaft, die Kunft, den Sinn überhaupt I. 
Was zuerft die Skeptifer anerkennen müffen ohne allen 


1) B. l, 2. 

2) Ib. I, 3 art.2(1) p. 31. b. cum dicunt se neseire negant 
perfectionem scientiae et modum et propter quid, non autem 
esse scientiam et artem et sensum. 


9 


‚Zweifel, iR, daß ihnen etwas ſcheine. Die finnlige Er⸗ 
ſcheinung der Dinge iſt gewiß. In Ihr findet ſich ſchon 
eine Anerkennung des Gegenſtandes, mag er richtig ober 
jalſch bezeichnet werben. Der Zweifel beginnt erſt, wenn 
man erfahren hat, daß man in der Erfenntniß der Wahr⸗ 
heit getäufcht werben Tann). Die finnlie Erfeinung, 
das erfahren wir oft, kann uns taͤuſchen; fie bebarf der 
Ergänzung und Berbefferung 2). Aber dadurch wirb der 
Sag nicht aufgehoben, daß es unzweifelhaft wahr iR, 
daß wir empfinden, wenn wir empfinden. Empfinden if 
nicht ohne Wiffen 5). 

Aber mit dem Wiffen von den Erſcheinungen begnügt 
ſich unfer Geiſt nicht. Er will wiſſen, was bie Dinge 
find. Hierzu bieten nur allgemeine Grundfäge oder Bes 
geiffe den Weg und es entſteht daher die Frage, ob wir 
dergleichen aufzuweiſen haben, welde nicht bezweifelt wers 
den innen. Gampanella fieht nicht an fie zu bejahen. 
&r zeigt ſolche Grundfäge nad, indem er auf ben Auges 
ſtinus ſich beruft, der ihm hierin den Weg gewiefen *). 
Sein allgemeinfter Grundfag if, daß ich, welcher ih 
vente, auch bin. Denn follte ich auch im Denken irren, 
fo würbe man doch geſtehn müſſen, daß ich im Irrthum 
bin. An biefem Grundfag lann daher fein Zweifel fein ). 





EL 

2) Ib. prooem. p. 2. b. 

3) Ib. I, 1, art. 1. Sentire est sapere, ein häufig wiederkeh⸗ 
tmder Saß, der auf den heiligen Vernhard zurügefüprt wird. Sa- 
piens est, cui res sapiunt, prout sunt, 

4) Bergl, Geſch. der Säit. VI S. 205 ff. 

5) Metaph. I, 3 art.3. Mus dem Auguſtinus. Mihi certissi- 

2* 


Es iſt alſo das Selbſibewußtſein des Deulenden, auf 
‚welches er als auf die erſie und ſicherſte Wahrheit ſich 
beruft. Jedes Ding erlennt zuerſt fh, dann anderes. 
Mit großer Ausfuhrlichteit und hierin feines guten Grun⸗ 
des fich bewußt, ſpricht es Gampanella aus, daß alle 
unſere Erlenntniß wie alle unſere Thaͤtigkeit von uns ſelbſt 
‚ausgeht 2). Dem Selbſtbewußtſein fügt er einige weitere 
Beftimmungen zu, welche zu Haltpunkten für feine fort» 
ſchreitende Unterfuhung dienen follen. Es liegt darin 
das Bewußtfein des Könnens, des Wiffens und der Liebe. 
Indem ich denfe, weiß ich, daß ich wiſſen, daß ich itren 
fann, weiß ih von meinem Wiſſen, von meinem Wollen. 
Dabei aber bleibt Campanella fih bewußt, daß bie er- 
tennende Seele ber Ausgangspunkt if, von welchem 
aus alle weitere Folgerungen gezogen werden mäffen 2). 
Auch die Beſchraͤnkungen feines Prineips entgehen ihm 
nicht; denn als Folgerung fügt er hinzu, daß wir-in 
anferm Können, Wiſſen und. Wollen befepränkt, find; wir 
find etwas, aber nicht alles; wir wiflen, können und 
wollen etwas, aber nicht alles überhaupt 9. Diefer 
zweite Grundſatz entfpringt ihm aus der Nothwendigkeit 


mum est, quod ego sum. — — Si negas et dicis me falli, 
plane confiteris, quod ego sum; 'non enim possum falli, si 
non sum. 

4) Ib. 1, 5 art. 13. Daß er Hierin zu dem BVorläufern des Cars 
tefius gehört, fann niemand. vertennen. 

2) Met. I, 3 art. 3 in der Überfärift Heißt es, cur de anima 
cognoscente et de modo cognoscendi prius dicere oporteat, 

3) L.L: Ergo nos esse et posse scire et velle eat certissi- 
mum priscipium primum, deinde secundario, nos esse aliquid 
et non omnia et posse, scire, velle aliquid et non omnia vel 
omnino, 


bie Erſcheinungen anzuerdenuen, welche niemand leugnen 
laun, welde wir aber von der und angeborenen Erfenntnig 
unfer felbR unterſcheiden mäflen 2), Wenn uns jebod 
dieſe Erſcheinungen Erlenntniſſe der äußern Gegenflände 
zuführen, fo follen wir. babei eingedckt bleiben, daß wir 
von ihnen nur Kunde haben durch ums feld, weil alle 
Erſcheinungen und mur dadurch zulommen, daß wir von 
ihnen und afficirt wiſſen. Weil durch ſolche Erſcheinua⸗x 
gen unfer Weſen geſtoͤrt und verwirrt wird, weil wir, 
durch fie uns enifrembet werben, nur daraus flammt ung: 
ber Irrthum und ber Zweifel, Sie haben ihren Grund 
in der Verwirrung ber eingebornen und ber angebrachten 
Erenntniß I. , 
Campanella unterfucht nun feinen Orunbfägen gemäß 
zuerſt die erfennende Seele. Er hebt mit ber Betrach⸗ 
tung ber Empfänglihfeit an, welche fie für die Außen⸗ 
weht Pat. Alles Empfindende nimmt zuerft auf, dann 
fühl «6 das Ginnlige und daraus entſteht ihm Liebe 
oder Haß. Daher muß es ein Weſen fein, welches bas 
Vermögen hat aufzunehmen, dann zu beustheilen und 
endlich in Liebe ober Haß zu begehren. Das erſte hier⸗ 
bei if ein, Leiden in der Aufnahme der Wirkung, welche 
von einem Andern ausgeht. Durch fie willen wis, was 
das Wirkende iR, weil e4 eine ihm aͤhnliche Wirkung in 





4) L.1. Quapropter notiones communes habemus, quibus 
facile assentimus, alias ab intus, innata ex facultate, alias de 
foris per universalem consensum omnium entium et hominum. 

2}L.L Nee ungusm ens ullum potest aut scit au valt 
aliquid, nisi quia se ipsum illo aligyo affectnu. — — Confusio 

- notitiae innatae et illatae deceptionem pera& Ib..1, 8 art. 1 
B60. a. 


uns hervorbringt ). Die empfundene Sache muß hier- 
bei von uns verſchieden fein, ja im einem Gegenfag ge- 
gen und ſtehn, weil nur dadurch ein Leiden von ihr in 
ung hervorgebracht: werben fannz fie muß aber auch et⸗ 
was Gleichartiges mit uns haben, weil nur Gleicharti⸗ 
ges auf. Gleichartiges wirlen kann. Das Gleichartige 
beidertbefteht in der Materie. Nur ein Körper Tann einen 
Korper berüßren, und wenn bie empfindenbe Seele alſo 
von dem äußern Körper berührt wird, fo muß fie förperlich 
fein: Sie wohnt im Gehirn; ale ein feiner Lebensgeiſt 
Täuft fie durch die Nerven und hat wie der Schiffer im 
Schiff ihre Wohnung in dem gröbern Leibe. Die Sinne 
find nicht Werkzeuge, fondern nur Candle, durch welche 
die Wirkung entfernterer Dinge an und herangebracht 
wird. Für eine veine Form dürfen wir alfo die empfin⸗ 
dende Seele nicht anſehn; nur durch die Berührung mit 
dem Sinnlihen wird die Empfindung in ihr bewirkt. 
Gegen bie Koͤrperlichkeit der Seele ſcheint es dem Campa⸗ 
nella nur ein leerer Einwand zu fein, daß fie ein einfaches 
Weſen fei. Vielmehr zeigt die Mannicfaltigfeit der Em⸗ 
pfindungen, welche zugleich gefühlt werben, bie Gleich⸗ 
geitigfeit der Gebächtnißeinbrüde, welche die Gewohnheit 
bes Denfens in und ergeben, daß fie zufammengefegt 
RN. Durch ihr Leiden wird nun aber die empfinbende 
Seele der empfunbenen Sache aud nicht ganz gleich ger 
macht. Sie nimmt nur einen Theil bes empfunbenen 





1) I. I, & art. 1. Sensus ergo videtur esse passio, per 
quam scimus, quid est, quod agit in nos, quoniam similem 
entitatem in nobis facit, 

2) 1b. I, 4 art 2; 3; 5; 7; 5 art. 2; XIV, 1 art.1. 


Ale 


2° 

Gegenſtandes in fih auf,, verliert, über barüßer‘ ibr eiges 
nes Sein nit, fo daß alte, was Ahr von außen ans 
tommt, nur ein Ähnliches Bild "von fig ihr, einbrüden 
fann. Durch den äußern Eindrüd, wird "afepann der. 
Sinn unfer ſelbſt überbedt, aber nit vernichtet », “ 
Bon dem finnficpen Empfinden fhreitet, um, Game. 
nella zum Erkennen fort in oͤprlicher meh, wie es nach 
peripatetiſcher Weiſe hergebracht war. Grvägtnig und 
Einbildungsfraft vermitteln die Sammlung innlicher Ein⸗ 
drücde und führen zur Erfahrung. Hieraus ‚Sollen, fi, 
aber aud) die allgemeinen Grundfäge erflären laſſen, welche 
wir in den Wiſſenſchaften gebrauchen®). , Hierin” reitet, 
er nun gegen bie Lehren ber Peripatetifer und Platoni« 
fer, welde eine von unferer Sinnticfeit unterfchiebene 
Tätigkeit unferes Berftandes annehmen. Weder der tha⸗ 
tige Verſtand der erſtern, noch die eingebornen Begriff 
und die Wiedererinnerung ber Iegtern finden bei, ‚ihm On 
Sie erſcheinen ihm nur als Dicptungen, als ein ungehö⸗ 
tiges Einmifchen göttlicer Wunder in den natürlichen, Ders, 
lauf unferes Denfens. & ſchließt ſich der Lehre dpa Ter⸗ 
tullian, des Teleſius an, daß der Sinn allein wife 
Die unmittelbare Gegenwart ber Dinge belehten ung, uerſt, 
days kaͤmen unſere Erinnerungen, 99. vergangene Ein⸗ 
drũcke, die ſchon weniger ſicher wären, und noch weiter 

















i) B. I, 4A art 4; 8 art. 1. Quidquid tactu infrinseop per- 
eipimus, ita ut illud in mobis et nos in #lo.simus, sappre ejus 
affecti illud sapimus, quia actio eorum est communjcatio euti-, 
tatis. — — Sensus rerum pccultat sensum nostri, ab muta-; 
ionem nostri in ipsas. . . 

2) L L p.61.a; V,1 art 3. 

3) Ib. 1,8 art.1 p.6l.a. Sensum solum sapere, 





2, 


die Überlieferungen, gfaubwärbiger Mengen, die wir mit 
Vorſicht zu gebrauen hätten; durch dieſe Mittel würden 
die Theilvorfellungen, welche, bie unmittelbaren fi innlichen 
Einbrüde, von den Sachen uns, „ mittfeifen, . zur Wiſfen⸗ 
ſchaft "ergnit zas wi "aber Berfand zu nennen plege 
ten, vas bei nur auf, einem. Zufammenfefen ber eins 
zelnen Eindrüde, welche jeder für ſich nur. ei geringes, 
Erkennen geben fönnten, aber zu einem Korper zufam⸗ 
mengebraät, bie ag Wiſen chaft Sifeten. Der 









t " Sefteht in einem, Empfinden 
gieichiam von, “fern, "in em ichwachen Empfinden ber, 
halb dergeſſenen Gedã chtuißeludruce welche zu einem 
verworrenen Bilde fü fg, vereinigt und dadurch die allge⸗ 
meine Vorftellung ereigefüpet haben. Seine Erkenntniß 
beruht ‚nur darauf, daß die verwiſchten Eindrüde doch 
noch eine Ahnlichkeit mit der urſprünglichen Empfindung 
behaupten und „daher gefchiett find ben Gegenftand ung 
darzuftellen Di ierauf Täuft alle Abltraction des Ver⸗ 
ſtandes hinaue daß wir in den älfgemeinen Vorfellur en’ 
nur ſchwache Nachwirtungen der Empfindungen ı vädfländig 
Habeh! ¶ Es gehört feine thatige Kraft bee‘ Gei⸗ 
Res. "Tonbern nur ſwlche der ſinnüichen Thaͤtig· 


teit in welcher ber beſondere inbeud | falten, ‚geaffen 
— 




















1) Ib. I, 4 art. 4. Intelligere vero’ (sc. est) sentire langui- 
dum et’4 longe et confusum. -Ib. 6 att. 4; 5; 6. Ratiocinari 
ent sentire Mliguid hok in se, sed’ suo simili. Ib, V, 1 art.3. 
Est discatsus‘ — —"sehtire in simfli similla. — — Est intel- 
lectus, notitia nimirum intus legens „et colligens ca, quae sin- 
gulae praeriae sognitiones de loris Östendunt. J 


wirt. ‚Gegen biefe abfiracte Exfenntniß des Verſtandes 
eifert Sampauplla nicht weniger als Nizolius und den 
Weg gerfoigend, welchen Teleſius eingeſchlagen hatte, 
glaubt er unſere Erlenntniß der. Außenwelt auf eine 
Sammlung finnliger Eindrüde zurüdführen zu koͤnnen. 
Jeder ſinnliche Eindrud. zeigt nur eine Wirkung, gleichſam 
einen, Tpeil ber Sache, welde uns berührt; dann aber 
fommepn wir bie ſinnlichen Einbrüde zu einer Vorſtellung 
des Ganzen unb fliegen darauf auf bie Subſtanz des⸗ 
felben. Die verſchiedenen Tpeilvorftellungen, welde wir 
vom Apfel durch Geſicht, Gefül, Geruch, Geſchmad 
empfangen, bilden. uns. zuletzt ben Gedanlen des ganzen 
Apfels, ohne daß unfer Verſtand diefen Tpeiloorftelungen 
etwas Hinzufegte, ſondern nur weil unfere Seele fie ale 
in fi vereinigt I, Daher legt Campanella auf bie Ins 
duction das größte Gewicht, wenn ex au nicht genauer 


1) Ib. I, 5 art. 1. Ahstractio universalis non ft per virtu- 
tem aliquam agentem, sed ex languore activitatis in singulari- 
tie vel ex. raritste agendi. 

- 2) Ib, I, Aapt:4. Seusus est partis sapientia, tolius vero 
sinilum est scientia, ratio et syllogismus. — — Omnes sensus 

s rei cognitionem. Quemadmodum pomum 
&choratam et —— taetu —— 








quoniain idem ‚unusque sensus, ei vere spiritus sentiens audit, 
videt, gustat, ‘olfacit. — — Ergo ex sensilibus notis ex parte 
per serisum ;.6£. ex. into’ per judioium nascitur argumentum. et 
scienjia de. toto ot partihus essentialibus et integrantibus. Men 
het es dem Paolo Sarpi nadgerühmt, daß er der Vorlaufer Lode's 
in feiner Erfenntnißtheorie geweſen ſeiz man wird aber bemerken 
müffen, daß auch deſſen Gedanten über dieſe Dinge in fener Zeit noch 
weiter verbreitet waren. Y 


2% 

ihre Methode entwidelt und fogar bie Nothmenbigkeit‘ 
einer volftändigen Induction für die Erkenntniß des 
Weſens der Dinge ablehnt !), Eben deswegen geſtehi er 
auch zu, daß dieſe unſere Erkenntniß, in welche der vers“ 
worren abſtrahirende Verfand fich einmiſcht, keine voll⸗ 
tommene Sicherheit gewähren koͤnnte, wenn fie auch nicht 
voͤllig unwiffend ung zurädfaffe. Selu Endergebniß ſpricht 
ſich in dem Sage aus, daß alle unſere Wiſſenſchäften 
von den weltlichen Dingen auf Geſchichte ſich grüben 3. | 
Eine Lehre, welche alles Erkennen auf’ Erfahrung und ' 
die Erfahrung auf den Sinn zurädzubringen ſucht, mußte 
mit dieſem Ergebniffe enden. Campanella Bat dies deut⸗ 
lich eingefehn und ausgeſprochen. Die ſenfualiſtiſchen 
Grundfäge, welche Teleſius anfgeftellt hatte, find von 
ihm fo deutlich entwidelt worden, daß’ die fpätern Phi— 
Kofophen, welche biefem Wege folgten, nur noch im Ein⸗ 
zelnen ihm nachquarbeiten hatten, 

Campanella aber vergißt über diefe ſinnliche Erkenntniß 
der äußern Dinge auch die zweite Quelle. einer. fihern.: 
Erkenntniß nicht, welche Ihm Schug gegen. ben Skepticis⸗ 
mus bieten ſollte. Er Fonnte fie um fb weniger ver⸗ 
geffen, je fiherer es ihm feſtſtand, daß die erſte Quelle 
nur auf Erkenntniß der Erfcheinungen führt, . Zwar haben: 
biefe in Tpeifoorftelüngen und Ähnlichteiten der Dinge 
ſich ihm verwandelt, aber dies wird nicht ohne ein Urtpeif,, 
über bie finnlichen Empfindungen vor fih gegangen ſein, 
und wenn auch Gampanella nicht immer das Urtheil von 





4) Ib. III, 4 art. 2. 
2) Ib. V, 2 art2. Itaque principia seientiarum sunt nobis, 
historiae, Ahnliche Kußerungen kommen öfter vor. \ \ 


27 


den Folgen der finnlichen Eindrüde mit völliger Sicher⸗ 
heit unterſcheidet, fo überfieht er doch nicht, daß In un 
ferm Urtheil über die Dinge unfere Gedanfen auf uns 
zurädgehn. Er ſtreitet über biefen Punkt fogar gegen 
feinen Lehrer Telefius. In der finnlihen Empfindung 
follen wir nicht bloß ein Leiden erbliden, fonbern eine 
Tpätigteit, welche in unferer Seele aus dem Leiden ente 
ſpringt, indem der ſimliche Einbrud in uns und mit 
unferm Zuthun wahrgenommen wird. Zum Beweiſe führt 
Campanella an, daß wir nicht alles wahrnehmen, was 
wir leiden, fo wie uns denn im Schlafe und ſonſt viele 
Einbrüde entgehn. Um zur Erkenntniß deſſen zu gelan⸗ 
gen, was in der ſinnlichen Empfindung von uns gelitten 
wird, muſſen wir eine Thaͤtigkeit üben, welche urtheilt, 
daß die empfundene Sache erlannt wird, wie fie iſt 9. 
Diefes Urtheil aber ſchließt ſich an die Selbſterlenntniß 
an. Das Leiden wirb nur erfannt, weil ed dad Sein 
des Erlennenden trifft. Wo eine mäßige Veränderung 
in und durch ein Anderes hervorgebracht wird, fo daß 
unfer Sein baburd nicht aufgehoben wird, da empfinden 
wir und verändert durch ein Anderes und werben durch 
den Sinn, dur die Empfindung unfer felbft zu der Er⸗ 
lenntniß des Andern geführt 2). 

Die andere Erkenntnißquelle, welche Eampanella an 
qunehmen ſich gebrungen fieht, iſt demnach ber innere 


4) Ib. 1, 5 art.i. Sensum non passionem, sed perceptio- 
nem passionis esse. — — Videtur tamen magis actus ense 


B. V, 8 ar. 1; 4 


| 31. VI,8 art 1. 


® 


Sinn, der, Sinn feiner ſelbſt. Die At ber Benennung 
drüdt deutlich aus, daß Campanella durch feine Annahme von 
feinen ſenſualiſtiſchen Grunbfägen ſich nicht entfernen wit. 
Den Sian feiner ſelbſt aber betrachtet er als den Grund aller 
Erlenntniß. Denn. nach dem, Angefäprten hängt -bie Er⸗ 
kenntniß buch den äufern Sinn non ber Erlenntuiß unfer 
ſelbſt ab. Dies if. der durchgehende @ebanfe feiner Lehre, - 
welche überall das Erlennen, bas Lieben, das eigene 
Sein des Erkennenden zum Erſten macht und daraus erſt 
die Beziehungen zum Außern abfeitet 2). Alles weiß zuerſt 
fi, dann. Anderes. Campanella fegt, wie wir und aus- 
brüden würben, bie reflexive Thätigfeit, vor ber tranſiti⸗ 
ven, jene als Grundlage biefer. Dur die Gegenwart 
unferer felöft wiffen wir in angeborner Erfenntnig zunächft 
von uns ſelbſt ). Daraus entfpringt ihm ber Gegenfag 
zwiſchen ber angebornen, ben Dingen ihrer Natur nach 
beimohnenden Erlenntniß von fih,, welhe er au bie 
verborgene, nemlich im Innern ber Dinge verbosgene Er⸗ 
kenntniß nennt, und zwiſchen den angelommenen, zugeführ- 
ten Erfenntniffen der äußern-Dinge. Diefer Gegenfag- 
Täuft durch feine ganze Lehre hindurch. Mit den ange⸗ 
bornen Ideen der Platonifer will ex jenen angebornen Stan 
nicht verwechfelt wiſſen. 

Die Erleuntnißtheorie entwidelt nun Campanella in 
Verbindung mit feinen metaphyfiihen Anfihten vom Sein 
der Dinge. Diefe ftügen fi auf jene. Wir fahen fhon, 
bag. er, die Selbflerfenntniß als eine Erfenntniß unſeres 


1) D. Il, 15.0103. 
2) Ib. VI, 8 art. 1 p.59.a. Animam et res cpgnoscontes , 
notitia innata cognoscere se ipsas praesentaliter.. 


Könnens, Wiſſens und Wollens bezeichnete. Er findet 
nun aber auch weiter, daß wir biefe drei ald Grunbeis 
genſchaften (primalitates) aller Dinge anzufehn haben. 
Unter Grumbeigenfchaft ober Primalität verficht er die 
Eigenfchaft, durch welche das Seiende zunaͤchſt fein Wes 
fen Hat. Als ſolche Hegen bie Primalitäten aller Wirt- 
famfeit, jeber Art der Entwidlung und den veranlaffen- 
den Urſachen zum Grunde; dadurch daß fie nach außen 
ihre Wirkfamfeit erfireden, werben fie Principien und 
bringen das Leiden anderer Dinge hervor. Alle Primali-⸗ 
täten gehören zuſammen und bilben als weſentliche Ei⸗ 
genſchaften das Wefen bes Dinges ). Die erfie Prima 
lität iſt das Können (potentia); denn nichts ifl, was 
nicht fein könnte; bie zweite Primalität if das Willen 
(sapientie), denn alles, was ift, hat einen Geſchmack ſei⸗ 
nes Seins und weiß fih; bie britte Yrimalität iſt bie 
Liebe oder der Wille, denn alles Tiebt fein Sein. Die 
entgegengefegten Beftimmungen kommen bem Nichtſeienden 
zu 5). Der Beweis für das allgemeine Vorfandenfein dies 
fer Grundeigenſchaften ſcheint ihm weniger Schwierigfeis 
ten bei ber erfien und Testen, als bei ber mittlern bar» 
ubieten. Denn bie gemeine Meinung nimmt an, daß es 
Dinge gebe, melde nichts von fih wiſſen. Gegen fie 
führt er manches Abergläubifhe an, von der Sympathie 
der Dinge, von der Empfindung, melde auch Leichname 


1) Ib. I, 2 art1. Primalitas est, unde ens primitus essen- 
tiatar. 

JLL 

3) Ib. art. 4. Non enim est ullam primum, — — nisi possit 
esse quoquo pacto, sapiat esse, amet esse. 


30 


noch verriethen; ſelbſt der Raum ſoll Empfindung haben, 
wie die Flucht des Leeren beweiſe; der Stein, welcher 
falle, zeige ein Beſtreben, welches nicht ohne Sinn ſein 
könne. Dieſe Beiſpiele ſollen jedoch nur feinen allgemei⸗ 
nen Grundſatz veranſchaulichen. Er beruht auf der über⸗ 
zeugung, daß die ganze Welt ein lebendiges Weſen iſt. 
Die Geſchoͤpfe muͤſſen das Bild Gottes an ſich tragen 
und Können baher auch nicht ohne Weisheit fein. Nur 
deswegen firebt alles fein Sein zu erhalten, weil es fein 
Sein liebt; aber wenn es von feinem Sein nichts wüßte, 
würde es dasfelbe nicht lieben lönnen y. Die Elemente 
möffen Empfindung haben, denn fonft könnte das empfin« 
denbe Tpier nicht aus ihnen ſich zuſammenſetzen ). Die 
Welt würde ein Chaos fein, wenn nicht ber Sinn wäre, 
welcher bie Dinge lehrt ſich von einander zu unterſcheiden, 
das ihnen Befreundete zu ſuchen, das ihnen Feindliche zu 
fliehen). Daher hat jebes Ding den Siun und das 
Erfennen feiner ſelbſt. Das Wiffen feiner ift fein Sein, 
das Wiffen Anderer das Sein Anderer. Die angeborne, 
in ſich verborgne Erfenntniß kann feinem Dinge fehlen 9. 

So wie aber unfer Erkennen unfer Sein, uns beglau« 
bigt, fo bezeugen auch die Befchränfungen unferes Erken⸗ 
nens unfer Nichtſein. Diefe Befhränfungen lernen wir 
aus den Erſcheinungen kennen, welche uns ankommen, 
Sie. ſtammen aus der Empfindung des Äußern und eine 


1) b. VI, 7 ar.. 

2) Ib. art. 6. 

3) Ib. art. { p-40.b. 

4) Ib. VI, 8 art. 1. Cognoscere est esse. Ib. art.4. Notitia 
sui est esse suum, ‚nolitia aliorum est esse aliorum. 


X 


4 


jede Empfindung bed Außern fept ein Leiden voraus und 
eine Empfänglichleit, Das Empfangen kommt einem Dinge 
nur zu, fofern ihm etwas mangelt!). Go vereinigen ſich 
in und bie oberfien Gegenfäge, Seiendes und Nichtfeien- 
des. Das Nichtfeiende if nicht an ſich; aber an den end⸗ 
lien Dingen befteht es; es begrenzt fie und ſondert fie 
von andern endlichen Dingen ab. Diefe Verbindung 
des Seienden mit dem Nichtfeienden erfcheint dem Cams 
panella als eine wunderbare, tranfeendentale Sade. 
Die Beraubung dürfen wir nicht wie Ariſtoteles als ein 
natürliches Princip fegen, weil nur Seiendes wirken lann. 
Er frägt daher, wie das Geiende mit dem Nichtfeienden 
ih miſchen laſſez wie das letztere an den endlichen Din⸗ 
gen Dafein gewinnen könne, obgleich es nicht if. Er 
geſteht ein, daß er dies nicht begreife). Aber dennoch 
das Dafein ber endlichen Dinge, bas Leiden und Werben 
derfelben, wie es in unferm Selbftbewußtfein ſich ausdrückt, 
verbürgt ihm, bag wir eine Verbindung bes Seienden 
mit dem Nichtfeienden anzunehmen haben. Es laſſe ſich 
nur niemand durch die Erſcheinungen täufhen, in ihnen 
fein wahres Sein zu fuchen. In feinem Sein ift ein jes 
des Ding ebler, als in ben Beflimmungen, welche es von 
außen empfängt, Was uns äußerlich zuwächſt, haben 
wir nicht für unfer wahres Sein, für einen wahren Zus 
wachs zu halten. Seiendes wird nicht durch äußere Ein- 

4) Ib. VII, 3 art 1; XIV,4 art.i. Pars passiva non est 
animae in quantum anima, sed in quantum natura deficiens. 

2) Ib I, 3 art.4; VI, 12 arti. 

3) Ib. VI, 3 art. 3. Compositionem ex ent et nihilo esse 


ranscendentalem. — — Sed mirum quidem, quo pacto negatio 
componat cum affirmatione et non esse cum esse. 


=” - 
wirkung hervorgebracht; fie verändert nur dad Gein, fie 
fügt etwas zu, mas nicht das ewige Wefen bes Dinges 
iſt und befcpränft ober verunreinigt baher biefes Wefen. 
Das Werben ber weltlichen Dinge erzeugt fi nut "in 
ihrem wechſelſeitigen Leiden, indem fie ſich gegenfeitig 
beſchraͤnken H. 

Durch das Räthfel der Verbindung bed Seienden mit 
dem Nichtfeienden wird Campanella auf bie Betrahtung 
des ſchlechthin Seienden geführt, weil diefes ihm viel ein⸗ 
facher und begreiflicher als jenes bedingte Sein zu fein 
ſcheint. Das ſchlechthin Seiende if immer, denn es giebt 
nichts außer ihm, was es feines Seins berauben fönnte, 
Es ift unendli aus demfelben Grunde. Was dagegen 
nur in einer beftimmten begränzten Weife ift, von bem 
gilt das Gegentheil. Es iſt anderer beftimmter Meifen 
des Seins beraubt; es muß als ein Abhängiges angefehn 
werben und kann nicht das Erfie fein. Daher muß es 
angefangen haben zu fein und fein Dafein vom ſchlecht⸗ 
hin Seienden haben. Wir fehen daher wohl, daß mir 
diefes ohne jenes, aber nicht jenes ohne biefes denfen 
tönnen 2). Diefe Gedanken werden von Campanella in 
ſehr abſtracter Weife ausgeführt, nicht viel anders als 
früher von den Eleaten, in den Gegenfägen, welche er 
im Parmenides des Platon fennen gelernt hatte. Er for- 
dert ein erſtes Seiendes, welches Grund oder Schöpfer 


1) Ib. VI, 6 art.2. Fieri non est produci ens, sed limitari 
ens a non ente, et nobilius esse ens, antequam fiat, et in 
potentia quam in actu exteriori. — — Nos autem decipimur 
Himitationem pro esse vero accipientes. 

2 B. VI,1 at. 





23 


ler Dinge if, welches alles Gein ohne Ausnahme in 
fih ſchließt. Wir nennen es Gott. Wir haben ipn als 
ſchlechtbin einfach zu denfen, weil feber Unterſchied eine 
Berneinung vorausfegt. Eben beöwegen können wir von 
ihm nur ſtammelnd reden, weil unfere Sprache Zuſam⸗ 
menfegung ber Worte gebraugt I), Obgleich wir ipn das 
Seiende nennen, ift er doch das Seiende nicht in dem 
Sinne, in welchem wir andere Dinge feiend nennen; 
er iſt nicht Subſtanz und nicht Geiendes, fondern nah 
bem Dionyfus Areopagita Überfubftang und Überfeiendes. 
Er iſt alles mit Ausſchluß der Unvolltommenpeiten, welche 
den gefcpaffenen Dingen anflebenz er iſt alles, abes auch 
nichts, Wenn wir dies erlennen, finden wir und an der 
Grenze der erften Dunkelheit und im Beginn ber andern, 
welche das göttliche Licht iR) Wir werben nicht nötpig 
haben über dieſe Säge uns weiter auszubseiten, welche 
und in ber Denkweife ‚biefer Zeiten ſchon oft begegnet 
find. Wenn jemand ſich davon überzeugen wollte, wie 
wenig gewiſſe Formeln, melde man gewöhnlich fär Be 
weile des Pantheismus angefehn hat, zu bebeuten haben, 
befonders in biefer Zeit, welcher fie faſt zur Gewohnheit 
geworben waren, dem könnte man rathen fie beim Cams 
panella aufzuſuchen, deſſen Denkweife doch vom Pantheid« 
mus weit entfernt iſt. 

Dean nachdem er ſich des Begriffs Gottes verſichert 
hat, fährt er fort gang orthobor Aber ihn unb feine 
Schöpfung ung zu unterrichten. Nicht umfonft ſteht der 





1) Ib. U, 3 art.3 p. 104. b. 
2) Ib. VI, 5 art. 1; 6 art. 4; VII, 1 art. 1. 
Geſch. d. Philoſ. x. 3 


\ 


| 


. 


3 


Sag da, daß alles in Bott fei mit Ausflug der Uns 
vollfommenpeiten, welde den geſchaffenen Dingen beiwoh⸗ 
nen. Er wirb dazu gebraucht auf Gott bie Primalitäten 
zu übertragen, welde wir an uns und ben Dingen ber 
Welt gefunden haben, das Können ober die Macht, die 
Weispeit und die Liebe. Sie bilden die Dreipeit in ber 
Einpeit Gottes. Denn Campanella gefteht zu, daß in 
Bott Mat, Erfennen und Wollen eins find. Gottes 
Erkennen {ft nicht wie das unfere buch Reflerion und 
Difeurs, weil ex ſich nicht entfremdet if. Gottes Tun 
ift fein Sein; denn alles Thun if nur ein fließendes Sein 
und alles Sein if nur ein bleibendes Thun). Aber 


dennoch iſt eine Analogie zwifchen den Primalitäten Got 
« te6 und ben Primalitäten ber Geſchöpfe; denn jene er- 
‚fennen wir aus biefen, biefe haben ihren Urfprung aus 
‘jenen unb nichts kann in ber Wirkung fein, was nicht 


früher nur in einer höhern Weife in ber Urſache war; 
nichts Tann geben, was es nicht hat ?). Aber Gott hat 
auch aus der Fülle feines Seins gegeben unb feine Prie 
malitäten den Dingen mitgetpeilt: Dies wird wohl als 
eine Emanation Gottes beſchrieben; aber auch als eine 
Cmanation bes Nichte, als eine unausſprechliche Emana⸗ 
tion 5), was deutlich zeigt, daß auf den Ausdruck Ema⸗ 
nation fein Gewicht gelegt werben darf. Sonſt herſcht 
bei Gampanella die Schoͤpfungslehre. Bott hat alles aus 
dem Nichts gemacht nach feinem freien Willen, Er ift 


4) Ib. VIII, 4 art. 3. Existere est facere permanens, sicut 
facere est existere Äluens. 

2) Ib. VI prooem.; 7 art. 6. 
. 3) Ib. 1, 5 art. 2; VI prooem. 


3 


die analoge Urſache ber Dinge 1). Da von feinem Wil 
len die Welt abhängt, Hätte er auch wohl eine andere 
Welt ſchaffen können. Warum er nicht eine beffere Welt 
gemacht habe, wiffen wir nicht, fa fogar die Möglichkeit 
wird zugegeben, baß er noch andere Welten gefhaffen habe, 
von welchen wir nichts wüßten 9). Aber die Unendligkeit, 
welche ihm allein beiwohnt, fonnte er doch auf feine Ge⸗ 
ſchöpfe nicht übertragen; das Nichtſein, die Beraubung 
mußte an ihnen haften, weil er die geſchaffenen Dinge 
nur aus dem Nichts hervorbringen lonnte ). Campa⸗ 
nella iſt ſich bei dieſen Unterſuchungen bewußt, daß ſie 
unſern Verſtand überſteigen; er ſchreibt daher den Lehren 
der chriſtlichen Kirche über dieſen Punkt nur zu, daß fie 
vernunftmäßiger find, als andere Lehren ber Philoſophen ). 
Seine Schöpfungsiehre ift fat ganz Thomiſtiſch. Gott 
trägt in fi die Ideen der Dinge, auch ber Individuen. 
Sie bezeichnen das Weſen Gottes, fofern es in verſchie⸗ 
dener Weiſe mittheilbar if. Daher giebt es viele Ideen. 
Jede iſt nur ein praltiſches Vorbild beffen, was ausge⸗ 
führt werben faun; ber Wille Gottes iſt das Complement 
ihrer Möglichkeit. In fi) vereinigt jebe Idee Abſolutes 
und Relatives; das Abſolute in Apr iR das Wefen Got⸗ 
tes, welches in ihr ſich darſtellt, das Relative beruft 
auf der Mittheilbarleit desſelben ). Die Einfachheit Got⸗ 


4) Ib. VL, 2 art 4; 3 art. 
2b. VI,5are. 
..3) Ab. IK todiill, artıd. p. 28T. Deus enim — 2 non 
.polest dare finjtudines nisi utando nihilitate. . 
4) Th. art. 2. p 288. b.. 
5) Ib. U, a, 2; XI, 1 ari 1. 
3* 


tes bei. der Bielpeit der in ihm enthaltenen Ideen fol 
durch diefe Lehre gerettet werden. Daher wird auch bes 
hauptet, daß die Ideen nur das Berpältnig Gottes nach 
außen bezeichnen H. Aber alle Geſchöpfe find doch ihrer 
Wahrheit nach in Bott. Denn außer dem unendlichen 
Gott iſt nichts möglig. Wenn wir von Dingen außer 
Gott reden, fo wollen wir damit nur fagen, daf fie ein 
Nichtfein am ſich tragen, welches in Gott nit fein lann 2). 
Daher find die Welten, welde Campanella unterſcheidet, 
die ideale, die geiftige, bie förperlihe und die mathema- 
tiſche Welt und wie fie weiter heißen, alle in Bott ihrer 
vollen Wahrheit nad; fie Rellen fein Weſen nur in mehr 
und mehr befchräntter Weife dar und ruhen in feinem un« 
veränderlihen Willen. Jede. höhere ſchließt die niebere 
Welt ein und die Höfe, bie ideale Welt, wird zuletzt 
von. Bott eingefchlofien. Aber dies fpricht uns davon 
doch nicht 108, daß wir alle Gefchöpfe wegen des Nicht 
‚feins, welches ihnen anklebt, als außer Bott zu benfen 
haben. Jedes Geſchöpf, auch der höchſte Engel ſteht un⸗ 
endlich von Gott ab und nähert ſich mehr dem Nichts 
is feinem Schöpfer 5). J 

Wenn nun Campanella auch zum Gedanlen Gottes 
fich erhebt, fo giebt er doch datum den Stanbpuuft. bed 
endlichen Dafeing und Erlennens nicht auf. Wir empfis⸗ 

1) Ib. II, 3 art.6 p.112.a; VI, 3 art. 

2) Ib. VIII, A art.3. Infiaitum extra infinitum non potest 
ire. — — Suum producere est suum esse. Ib. art.4. Omnia 
auni ĩn ipso (sc. deo). _— Quidqwid finitam reputatar extra | 
ipsum; finitur enim a nom esse, om eme Wütem udn" ent in 


deo, sed in nobis, ideirco reputätur extra deuin.‘ : " | 
3) Ib. VII, 4 art 8; X, 1 a8; XV, 2 an. 4. | 


Ey i | 


37 


den und, wir empfinden Anderes, Dies ift bie Grunde 
lage. unferer Wiſſenſchaft. In beiden Zällen aber em⸗ 
pfinben wir nur Beihränftes. Die Beſchraͤnkung ger 
hört zum Dafein der Gefcpöpfe. Wenn das Geſchoͤpf 
nicht befhränft wäre, fo wäre es unendlih, fo wäre es 
Gott. Die Befhräntung iſt ein Übel, eine Beraubung 
des hoͤchſten Cuts; fie burfte aber doch nit fehlen. 
Bern das Übel nicht wäre, ja fogar das Böfe, fo 
würde alles nur Chaos fein H, lehrt Campanella in 
demfelben Sinn, in welchem er gelehrt hatte, daß ohne 
Sim ber Dinge nur Chaos fein würde. 

Und unſtreitig lag in der Anordnung feines Syſtems 
diefe Folgerung. Denn fo wie bie zweite Primalität in 
dem Sinn, der Sinn aber im Sein der Dinge gegründet 
it, fo die dritte in der Beraubung und im ÜbeL Nur 
um dem Übel abzupelfen wollen wir. Bei der Unter 
ſuchung der dritten Primalität fommt die Freiheit ber 
Dinge in Frage. Was Campanela über fie äußert, ift 
nicht ohne Schwankungen. Er eifert gegen die Lehre 
Ealvins, welche er ans dem Koran gefhöpft zu haben 
feine I. Weber eine Vorberbeftiimmung zum Guten, 
noch zum Böfen wil er zugeben; die Dinge müffen ihr 
eigenes Berdienft haben, für ihre eigene Schuld Strafe 
leiden 3), Aber die Breipeitsichre des Campanella fließt 
fh an die Lehre der Thomiſtiſchen Theologie an und 
theilt auch ihre Schwankungen. Das Wollen hängt vom 
Erfennen ab; weil die Weispeit die zweite Primalität ift, 

4) Ib. IX, 9 art.5. 


2) Ib. VI, 7 art; X, 6 ar.. 
3) Ib. VII, 5 ar.8; IX, 3 arti; Sart5; XV, 1 ar. 


. 


38 


muß bie Liebe als die dritte Primalität von ihr aus⸗ 
gehen 3. Zu feinem Zwede ift der Wille nothwendig 
beſtimmt; in ber Wahl der Mittel wird er buch bie 
Überlegungen der Weisheit, durch äußere Eindrüde und 
durch den göttlichen Geift geleitet, Das Rothwendige 
muß das Complement des Möglihen abgeben und wenn 
Campanella auf bie Notwendigkeit der Dinge fieht, 
welche ihrer Natur nach ihren Willen und ihre Wirkung 
haben müffen, und auf ben ganzen Zufammenhang, wel- 
hen Gott georbnet hat, fo ſcheint ihm eine jede Hande 
fung dem Scidfal unterworfen zu fein, und wie fie ein- 
mal beftimmt iſt, nicht ausbleiben zu Fönnen. Wie ein 
jedes Ding ift, fo if es nothwendig; wie es ift, fo er- 
kennt es und fein Wille muß feinem Erkennen entſprechen. 
Daher fieht Campanellq in der Nothwendigkeit, in dem 
Schidſal und in der Harmonie die drei großen Einfläffe, 
welche aus den brei Primalitäten der Dinge in bie Welt 
einziehen). Aber dies Hält ihn nit ab, unter allen 
Umftänden bie Freiheit des Willens zu behaupten. Gott 
hat in den Zufammenpang ber Dinge‘den Willen eines 
jeden Einzelnen miteingewebt, und nit, weil ex gezwun⸗ 
gen, fondern weil er Wille iſt, will der Wille 9. & 
wie Campanella außer dem äußern Sinn einem jeben 
Dinge ein Urtheil in feinem innern Sinn beilegte, fo 
legte er ihm auch eine eigene Tpätigfeit bei, welche auf 
das Ding felbft ſich zurüd bezieht; diefe reflexive Thaͤtig⸗ 


4) I. VI, 10 art. 3. 

2) B. R, 1art 1. 

3) Ib. IX, 6 art. 8; 9 art. 5. Causas liberas implicavit (sc. 
deus) gonclis et servilibus. _ 


feit, das Wollen feiner ſelbſt, iR das Erſte; aus ihr er- 
folgt erſt die äußere "Wirkfamfeit, und in ihr erblidt 
Campanella bie Freiheit bes Willens, welche ſelbſt im 
Inſtinkt fi geltend mache . Die Freiheit des Willens 
ſteht nicht im Widerſpruch mit der Nothwendigleit, mit 
welder das natürliche Begehren vollzogen wird, fondern 
nur mit dem Zwange, welden äußere Dinge auf uns 
ausüben; bie Gegenfände des Wollens geben aber nicht 
das Wollen, fondern nur bie Gelegenheit zum Wollen 
ad. Die Contingenz, welde in den äußern Berhält- 
niffen liegt, if ein Mangel, aber die Freiheit if fein 
Mangel, fondern vielmehr bie Ergänzung der Contin⸗ 
gen; I. Zwar giebt Gott uns unfere Natur und mit 
ihr auch den Willen fie zu erhalten, aber diefer Wille 
tann doch von nichts anderem vollzogen werben, als vom 
und ſelbſt ). Der Wille berupt ihm alfo auf ber in⸗ 
neren angebornen Natur, welche in den eigenen Thätige 
feiten der Dinge fi wirlſam erweiſt. 

Diefe Grundfäge werden auch auf das Böfe ange 
wendet. Das Böfe ift nur eine Beraubung an den Dins 
gen der Welt oder eine Verunreinigung ihres Seins 5), 


1) Ib. VI, Tarta; XI, 6 art.7. 

2) Ib. II, 5 art. 12; IX, 2 art.3; 5 art.4. Voluntas enim 
est propensio necessaria sponte mature in bonum. Ib. art.7. 

3) 1b. IX, 3 art. 1; 5art5. 

4) Ib. IX, 3 art.1; 5 art.7. Neque stellae, neque angelus, 
neque deus faciunt hominem velle suum esse et beatitudinem, 
sed ipse de se hoo vult, sed secandum voluntatem, quam lar- 
gitus est illi deus, et hac ratione deus dat voluntatem, qua 
eliam dat naturam. — — Deus concurrit coagendo et conser- 
vando, non autem cogendo ad actus innatos. 


3) Ib. VI, 15 art3. ' 


40 

Mit dem Auguſtinus ſagt Campauella, es hat nur eine 
mangelnde Urſache; das Nichtſeiende verurſacht es. Mit 
der Kirchenlehre bedient er ſich auch der Formel, Gott 
erlaube es nur des Guten wegen, welches im Zuſammen⸗ 
hange der Dinge aus ihm hervorgehe 1). Dabei tritt num 
noch eine flärtere Beſchraͤnkung der Formeln ein, in wels 
chen man eine pantheiftifche Neigung bes Campanella ver- 
muthen fönnte, Ohne göttlichen Willen und Mitwirkung 
fol das Böfe geſchehen; Gott gebraucht es nur zu feinen 
Zweden, fo wie er dad Nichtfeiende gebraucht. Es wirb 
unterfpieben ber vorhergehende väterliche Wille Gottes, 
welcher alle Menſchen zur Seligfeit beftimmt, von dem 
folgenden Wien des Richters, welcher uns verbammt, 
und Gott fol fogar bie fünftigen Handlungen nicht une 
mittelbar erfennen, fonbern nur aus ihren Wirkungen 
abnehmen; fein Wille aber fol fih nur auf die Urſachen, 
nicht auf die Wirkungen der freien Urſachen erſtreden 2). 
Unfteeitig Heben biefe Beftimmungen noch beutlicher her⸗ 
vor, daß Campanella vom Standpunkte der endlichen 
Dinge ausgehend biefen vor allen Dingen ihre Selbflän- 
bigfeit bewahrt wiſſen will, 

Die Lehren des Campanella von ben weltlichen Din 
gen bringen jedoch nicht viel Neues. Seine Unterfuhuns 
gen wenden ſich fowohl der Natur- als dem fittlichen 
Leben zu; aber feine Phyſik entlehnt ihre Grundfäge vom 
Telefius und in der Moral wirb er von den hierarchi⸗ 
ſchen Neigungen feiner Kirche beherſcht. Nach beiden 


4) I. VII, 5 art. 
2) Ib. IX, 13 art. 1 p.229; X codicill. art.3. 


a 


Seiten zu aͤußert ſich zwar das Bewußtſein, daß die alten 
Grunbfäge nicht genögen wollen; es werben aledanı auch 
nene Wege verfugt; fie fliegen fi meißens an feine 
Erfenninifiehre an, welde ben Kern ſeines Syſtene 
bildet, aber durchgreifende Berbeflerungen einzuführen, 
will ihm doch nicht gelingen.- 

Die Polemik, in welder ex die Brundiäge des Tele 
fins, die Annahme zweier Elemente, des Feuers und der 
Erde, gegen die alte Elementenlchre, gegen bie Lehre 
des Pleton, des Paraclfus, gegen bie Atome des Des 
mofrit geltend zu machen ſucht, ift ſehr weitläuftig anges 
legt. Es wird genügen bie Gedanlen hervorzuheben, 
welche feine eigenen Beſtrebungen bezeichnen. Yür bie 
Erklärung bee natürlichen Erſcheinungen ſcheint es ihm 
nicht genug, bie Materie und bie Primalitäten ber Dinge 
voranszufegen. Denn die Materie iſt träge, ohne alle 
Zpätigfeit, nur ein leidendes Princip, welches bie For⸗ 
men in fi aufnehmen Tann. Eine ſolche Materie anzus 
nehmen werben wir gezwungen, weil wir fehen, daß 
Dinge leidend gegen andere ſich verhalten und empfängs 
fi) find für etwas, was nicht In ihrem Weſen liegt, ſon⸗ 
dern ihnen von außen zuwaͤchſt . In natürlicher Weife 


fommt einem jeden Dinge, fofern es einen Mangel an ' 


fih trägt, Empfaͤnglichteit zu; es Tann empfangen, was 


es nicht befigt. Dies ift bei dem, mas Materie genaunt . 


wird, im höchſten Grade ber Fall, weil die Materie opne 
Eigenſchaften gedacht wird. Die Empfänglichteit if der 
Grund des Leidens, dem Leiden muß ein Tpum entfpres 


1) Ib. VI, 5 art 3; 7 art. &. 





den. Da Haben wir nun in der Wechſelwirklung der 
Dinge: einem jeden eine Materie und einen Körper, aber 
aud eine phyſiſche Wirkfamfeit auf andere Dinge beizu- 
legen. Campanella unterſcheidet diefelbe von dem mate⸗ 
riellen Daſein, welches nur leidend iſt, und von ber 
metaphyſiſchen Thätigfeit, im welcher jedes Ding nur fi 
esfennt und liebt und daher innerhalb feiner ſelbſt wirk⸗ 
fam if; er nennt fie die phyſiſche Tpätigfeit ). So wie 
Gott eine Wirkſamkeit na außen in der Schöpfung aus⸗ 
übt, fo wirkten auch die gefhaffenen Dinge nah außen 
in ihrer phyfiſchen Tpätigfeit. Diefen Unterſchied zwi« 
ſchen der metaphyſiſchen und der phyſiſchen Tpätigfeit Hält 
Campanella fehr hoch. Er verkündet fi unmittelbar in 
unferer Selbfterfenntniß. Wenn Campanella auch, wie 
früher bemerkt, gegen die Körperlichkeit der Seele fireitet, 
fo will er doch nicht zugeben, daß die Seele empfindet 
oder denkt, fofern fie Körper, fondern fie übt dieſe Thä⸗ 
tigfeiten nur fofern fie ift, alfo in metaphyfifcher Weiſe. 
Dagegen nur in Beziehung auf den Körper, welchen fie 
befeelt, Heißt fie Seele und übt fie die phyſiſchen Thätige 
feiten aus. In diefer Vorſtellungsweiſe fegt nun Cam⸗ 
panella, bag Gott zuerſt ben Raum geſchaffen Habe, wel⸗ 
er als die Grundlage alles Körperlihen, als die Subs 


1) Ib. II, 5 art. 7 p.161.a. Dari actionem mediam inter 
materiale et metaphysicam. 

2) Ib. XIV, 4 art. 1. Anima ergo non sapit sensu vel in- 
tellectu, quatenus est oorpus. — — Ergo quatenus ens, quo- 
niam omne ens senti. — — Sed quatenus anims, habet ani- 
mare. — — Respectu ergo corporis dicitur anima, respectu 
sui vero 'ens. 





BO... 


ſtanz ber Materie'angefehn werben mäffe 1); dann fpäter, 
wenigfiend der Natur nad, bie Materie als eine bes 
grenzte Einheit und Grundlage für alle Berfciebenpeiten, 
zuletzt aber zwei thätige Kräfte, auf welchen bie phyſiſche 
Tpätigteit Berufe, weil bie träge Materie fich nicht ſelbſt 
geſtalten, verändern, vermehren oder vermindern könne. 
Diefe Kräfte find, wie Telefins gezeigt hat, die Wärme 
und bie Kälte, welche eine jebe in das Unendliche ſich 
anszubreiten und die ganze Materie zu ergreifen fireben, 
aber als entgegengefeßter Natur darüber in Streit mit 
einander geraten ). Diefe Borausfegungen des Tele 
fius haͤlt Campanella für genügend um das ganze phy⸗ 
ige Weltſyſtem zu erfläcen. Aber ex bemerkt babei 
gegen feinen Lehrer, bag er auf ben Urfprung und Zweck 
der phyſiſchen Kräfte nicht eingegangen, fondern bei ber 
Unterſuchung des Sinnlichen ftehen geblieben fei und des⸗ 
wegen nicht zu erflären vermöge, warum. Kälte und 
Wärme ganz andere Werke hervorbringen, als fie beab⸗ 
fihtigen. Denn fie bringen im Einzelnen Ichendige Weſen, 
im Ganzen die Orbnung und Harmonie ber Welt hervor, 
was unftreitig beweife, daß fie nur Werkzeuge in ber 
Hand einer Höhern Macht find. Diefe Kritik feines 
Borgängers, obgleich fie nicht ganz billig ift, bezeichnet 
doch das Verhaͤltniß beider Philoſophen fehr richtig. 
Telefins if Phyſiler und das Gebiet der Metaphyfit und 
der Erfenntnißlehre berührt er nur nebenbei; bei Cam⸗ 
panella Hat fich das Verhaͤltniß umgekehrt. Er ſucht uns 





1) 1b. 1,5 pe. 2 art ig. 
2b. XI, 5 arı. 
3). U, 4 and; XIV,4 al 


. 48 


zu jeigen, daß bie wirkenden Kräfte ber Wärme und 
der Kälte doch nur Werkzeuge find um bie Ideen Gottes - 
auszuführen; er fließt felbR die Anficht nicht aus, daß 
fie unter der Herrſchaft der Engel dieſe Werke: zur Her⸗ 
vorbringang der. lebendigen und erkenmenden Weſen volls 
stehen). Genug er zieht feine Phyft an die hierarchiſche 
Idee heran und laͤßt die Natur zwar aus ihren eigenen 
Kräften, aber doch unter der Herrſchaft der geiflichen 
Zwede wirten. 

* Diefe Wendung feiner phyſiſchen Lehren weiſt auf 
feine Ethil Yin. Auf die Einzelpeiten feiner ſittlichen und 
politiſchen Lehren werben wir febod nicht einzugehn has 
benz fie werden nur nebenbei vorgebracht; nur bie Weiſe 
iſt bemerkenswerth, wie feine fittliche Anficht am feine Der 
taphyfit und an feine Erfenninißtheorie ſich auſchließt, 
weil die Liebe oder ber Wille mit bem Sein oder Exfen- 
nen der Dinge, wie früher gezeigt, in der engfien Ver⸗ 
bindung fteht. 

Im feiner Lehre von Gott Hebt er befonders hervor, daß 
Gott nicht lügen könne. Er gebraudt diefen Sag um bie 
Zweifel nieberzufchlagen, yon welchen er ausging. Aus 
ihm folgt, weil alles unter der Herrfchaft Gottes ſteht, daß 
wir feinen Taͤuſchungen unterworfen fein fönnen, welde und 
unvermeidlich wären, bag wir vielmehr unferer eigenen 

Schuld es zuzuſchreiben haben, wenn wir irren. Daher find 
die Erfepeinungen, welche ung treffen, Zeugen der Wahrheit 
und nicht weniger ber Sim, welden wir von uns felbft 
haben, Beide fommen und zu, weil Gott eine folde 


r 


1) Tb. VI, Tart.a p AT. 


Matur md. gegeben hat. In diefe Squle Gottes will 
was Campanella ſchiden usb dagegen bie Schulen der 


. Menfihen ſchließen, welche Gott ſich entgegenfegen ?). 


Run unterſcheidet er aber den Innern Sinn, bush weis 
den wir die Erkenntniß unferes Seins haben, von bem 
äußern, welcher und. die Erſcheinungen ber Dinge zuführt. 
Jener gerbäprt uns bie Erleuntniß unfered Weſens, des 
verborgenra Grundes unfees Dafeins, diefer verbunfekt 
nur unfere Gelbfeifenntwiß. Darauf berupt der Unten 
filed, welchen Campanella zwiſchen ber verborgenen und 
ber hirzugefügten Erkenutnig macht, Wir können nicht 
leugnen, daß wir uns ſelbſt micht Tennen, weil wir und 
ſelbſt ſuchen und nicht willen, "was unfere Seele, was 
unfer Weſen (AI. Wie mit unſeren Erkennen, fo if es 
it unferem: Wollen, Wärend .nnfere Liebe zunähf auf 
die Erpaituhg unfer felbft gerictet it, werben. wir. durch 
Einwirkung "der ‚Außern Dinge son uns und unferem 
Zwed abgezogen md’ der ‚hinzugeflgte Wille zieht und zu 
den Auhern Wegenfländen 9). . Dar, erhebt fi die Frage, 
warum sed Wott:fo gewollt hat, warum bie Erlenntuiß 
unſer ſelbſt, welche ums zunächk liegt und ber. Zwech nu⸗ 
feres Lebens. iſtdoch in: natliclicher Weiſe durch die 
äußern Einwirlungen uns verbunfelt wird. . 
Man muß darauf achten, daß Campanella die ganze 
Starte dieſer deage deq nur empfnbet; wenn 48 um. den 





1)4b:1 —— p2b. 

2) Ib. XIV, 1 art. 1. Se ipsam. iorit w. anima) cagnitione 
‚qusdam. wosieta „abditague, guoniası ‚superrenientibus..ohjectis 
'multis, a' quilgis pautur et do qnibus judieat, . si nolienes in h 
aa sopki, ocemkari et dejici oportet: 

3) Ib. IX, 6 art. 1. 


Menſchen fih handelt. . Im Allgemeinen ifr ſie ichon da⸗ 
durch geloͤſt, daß den. Gefchöpfen Gottes der Mangel na⸗ 
türlich iſt, daß fie deswegen ihrer Natur: nach empfäng⸗ 
lich find für äußere Eindrücke, welche ihr Weſen verdun⸗ 
tkeln müflen, Aber der Menſch fol einer höͤhern Natur 
theilhaftig fein, daß er nur bem Grade nad.non den übs 
rigen lebendigen Wefen ſich unterfpeibe, ı giebt Campa⸗ 
nella nicht zu. Diefe haben nur Seele, der Menfch: aber 
auch Geik oder Vernunft (mens), eine unausſprechliche 
Emanation Gottes ). Auch in biefem: Pumte.ging- Te⸗ 
Iefius dem Campanella woran, ‚aber mweitläuftig. ſucht er 
ihn zu beweifen. Er beruft ſich auf die Wiſſenſchaften 
und Künfe des Menſchen, welche nicht vom Iufinft ‚nude, 
gingen. Er führt den Gedanlen des Unendlichen an, 
welcher ber empfinbenben Seele ber Thiete nicht beimoh⸗ 
nen könne. Dbgleih Campanella elngeſteht / daß die Eins 
bildungelraft in das Anendliche ſich ausbreite, meint er 
doch ſelbſt in ihren. trügeriſchen Bildern ‚eine, Hiawriſung 
auf die Wahrheit ber. göttlichen Ideen zu ꝓdeden, weiche 
jedoch nir dem Menſchen wffenbar würden; nicht den: ſins⸗ 
lichen Seele, und legt! uus deswegen wine nerwäuftige 
Einblidungskraft bei, welche die Muster, aller Wiſſenſchaft 
werde). Dieſe Etkenntuiß der · Ideen Goues, welqhe 
nm nn, un 
7 4):Ib. 4, 5 art. 2p. 4%, In. honing-sse aram genus 
> animae, quod vocamus mentem; nicht aus ben empfindenben Ele 
menten, wie Die Seelen der Thiere, ift der Geiſt Herongegangen fon 
dern von Gott per ineflabilem emanationem, 
) L. 3..:Quamvis ümaginate. sint ‚falsa, bean kamen. —BR— 
—— extendi fine :verum est. Ih.1, 6 append; p:äT.k; 
.V, 1 art.3. Imaginatio mentalis, non senmalis on isayenteix 
scientiarum per ideationem. RAN gs 











4 


nicht durch den Sinn geiwonnen werben fan, auch bie 
Religion und die Freipeit unferes Willens, welche nicht 
mit der Freithätigkeit bes Inſtinlis verwechſelt werden 
ſoll, müflen für den Borzug des Menſchen ſprechen. Der 
Menſch erhebt ſich über die Erkenntuiß des gegenwärtigen 
ſinnlichen Guts; fein Wille laͤßt fi von ben Leiden bed 
Körpers nicht nieberbeugen, wie die Beiſpiele derer zei⸗ 
gen, deren Muth durch Martern nit gebrochen werben 
lonnte. Noch mehr als alles dies fol die Erkenatuiß 
unferer eigenen Unwiſſenheit und davon überzeugen, bag 
wir einen goͤttlichern Geiſt haben, als bie. unvernünftigen 
Tiere, welde nur von ihren Empfindungen wiffen und 
daher meinen, daß die Dinge fo find, wie fie von ipmen 
empfunden werden 1), Hierauf legt Campanella das. größte 
Gewicht und in der That feine. Überzeugung über dieſen 
Yunkt if hierin gegründet. Ale Dinge der Welt finb 
befepränft und dem Leiden unterworfen, aber nur der 
Menſch wird feine befepränkte Natur gewahr, weil ‘fie 
ihm nicht genügt. Wenn daher aud bie unvernänftigen 
Thiere eine Empfindung von fi haben, fo iſt ſie doch 
immer ‚mit ihren Eindrüden von außen gemiſcht und durch 
fie verdunfelt, In dem Menſchen dagegen tritt fie xoin 
heraus, indem er fein -befhränftes Wefen gewahr wird. 
Daper tritt bet ihm bie Frage ein, warım es Goit ſo 


4) 1b. 1, 5.art.2 p.47. Homini mens diriaier inest, quae 
ista metitur et sapit et tandem sı 6 non sapere. Ib. I, 6 
append. p.57; 8 art. 1 p.60.b. At issuper sola mens videtur 
divinitus hoc doceri, quod videlicet non omnia, ‚prout sunt, 
eognoseimus, quod:brala, cum reputent 'res ense, prout ab 
ipsis noscuntur, minime docentur. Hoo sreanum neo- Plato 
introspexit, ' 






georduet hat, daß feine Selbſterlenntuiß durch die äußern 
Eindrüde verbunfelt werbe. So ſucht Campanella den 
Unterfied zwiſchen ſinnlichem und überſinnlichem Ber⸗ 
ſtaͤndniß, welcher bei Teleſius nur Vorausſetzung war, 
auch zu rechtfertigen, indem er den Begenfag zwiſchen 
Außer und innerm Sinn geltend macht. Jener herſcht 
bei den Thieten vor und überbedt ihre Selbſterkenntniß; 
biefer ſoll beim Menſchen frei heraustreten und zur Selbſt⸗ 
erlenntniß, zur Erlkenntniß feines Weſens im Gegenſatz 
gegen die Erlenntniß ſeines Leidens uud feines Thuns 
in der phyſiſchen Wechſelwirlung der Dinge führen D. 
Mit der Selbſterlenntniß des Menſchen hängt aber 
auch feine Religion zufaumen. Schon bei ben Peripa⸗ 
tetifeen. bes 16. Jahrhunderts haben wir die Lehre gefun⸗ 
den, daß der Verſtand nur. von. fih ſelbſt wife; Cremo⸗ 
ainus schloß daraus, daß wir höhere Intelligenzen nur 
durch unſere Abhaͤngigleit von ihnen, welche wir in uns 
ſelbſt finden, zu erlennen im Stande ſind. In ähnlicher 
Weife ſpricht fih auch Campanella aus... Unſer Verſtänd⸗ 
niß haben wir nur durch unſern Sinn von uns ſelbſt; 
aber in ihm Liegt auch die Erlenntniß unſeres beſchraͤnk⸗ 
ten, unſeres abhängigen Seins. Dieſem fügt er nur noch 
hinzu, daß in dem beſondern Sein auch immer Theil ge⸗ 
nommen werde an dem allgemeinen Sein. oder an Gott) . 





4) Dieſer Gegenſatz wird hervorgehoben ib, VI, 8 art.1, auf 
ihm beruht der Gegenſatz zwiſchen cognitio abdita oder innata und 
cogn. addita oder aqquisita, von welchem die ganze folgende Unters 
fugung handelt, 

2) Ib. II, 9 art.2. Omnia ergo propier sui esse oomserva- 
tionem. — — Genserratio autem est esse, esso habens a 
Primo ente. \ 


. 


49 


und indem dies auf alle Primalitaͤten fih erſtrectt, daß 
auch die Erkenntniß und die Liebe der Dinge nicht allein 
auf ihr befonderes Sein, fondern nicht minder auf das 
allgemeine Sein gerichtet iſt. Ja man Hebt nicht ſowohl 
fein befegränktes Sein, als das Sein, an welhem man 
Tpeit Hat, alfo das allgemeine Sein Gottes. Alle Dinge 
fieben daher Gott; fie Tieben ihn mehr als das befhränfte 
Sein, in welchem fie find, fie lieben ihn mehr als fih 
ſelbſt. Eben fo können und wiffen fie ihn mehr als ſich H. 
Weſentlich wohnt jedem Dinge die Liebe und die Erkennt» 
niß feines eigenen Seins und. Gottes bei, bie Liebe und 
die Erfenntniß anderer Dinge if ihm nur accidentell. 
Jene Liebe if ein Kind der verborgenen Weisheit und 
wohnt als Inftinft, als ein Antrieb der eingebornen Weis⸗ 
heit und Macht in den Dingen?). Des Menden Vor⸗ 
ug vor den übrigen lebendigen Weſen beftcht nur barin, 
daß er jene Liebe mit Bewußtſein pflegen und nicht in 
den äußern finnlihen Eindrüden untergehn laſſen fol, 
Me Dinge lieben Gott; der Menſch aber foll fi deſſen 
auch bewußt werden; dies if feine Religion, welche ihn 
über die unvernänftigen Thiere erhebt). Für das wahr 
haft menfchliche Leben kommt es baher dem Lampanela 
auf Selbſtbeſinnung an. 
Den Punkt, von welchem dieſe Unterſuchnngen ausgehn, 
die bie drage nach dem Zwet de der ſnnlichen Endtuet, durch 
u 1b. 0,5 ar.3. 5 
2) Ib. VI, 10 art. 3; art. 4. 
3) Ib. XVI, 2 art. 1. Omnia appelere semper et ubique 
esse tanquam summum bonum, ergo deum, — — idcirco 
ipsum plus quam se ipsa amare inmato appetitu, hominem vero 


eiiam addito amore et notitia et hoc studium esse religionem. 
Geſch. b. Philoſ. x. 4 





3 


w 


welche wir in. ber Erkenntniß unfer ſelbſt geftört werben, 
behandelt nun Campanella als einen fehr geheimen. Es 
kommt ihm dabei in ber Tpat auf. den entſcheidenden Ge⸗ 
genfag feines Geſichtskreiſes an, auf den Streit zwiſchen 
den geiſtlichen und weltlichen Beſtrehungen. Die Reli⸗ 
gion befielt uns unſern Gott in uns zu ſuchen; auf bie 
Zufunft ſollen wir bliden und bie gegenwärtige Welt ver- 
ſchmaͤhen; dagegen weifen uns pie weltliche Luſt und bie 
Wiſſenſchaft an pie Erlenntniß beg gegenwärtigen Lebens 
und bie finnlihen Eindrüde. Beide fireiten mit ejnan« 
der wie die eingeborne mit der eingebrachten Erkenntuiß 9. 
Nun hahen wir freilich ſchon früher bemerkt, daß die ya- 
türlichen Kräfte, waͤrend fie ihren eigenen Zwedck betrigben, 
noch einem höhern Zwesf dienen follen, und daher können 
wir auch annehmen, daß unfer gegenwärtiges Leben in 
. feinen ſinnlichen Erſcheinungen einem höhern Zwecke zu- 
gewendet werbe; barin leugiet-bie Weisheit des Schöps 
fers hervor; aber dieſer Zwed iſt auch das Gehejmniß 
Gottes; nur Muthmaßungen können wir darüber faſſen, 
welche auf den Zuſammenhang der ganzen Welt zu einer 
harmoniſchen Ordnung der Dinge ſich gründen, aber in 
verſchiedener Weiſe ſich uns darhieten. Nur dies ſtebt 
in ihnen feſt, daß wir durch die singetragene Erlenntniß 
auf ung ſelbſt und unſer Princip, auf Gott, zuruͤckge⸗ 
führt werden ſollen. 
Wie dies geſchehn könne, ſucht Canpanella zu zeigen, 
indem er unfer gegentwärtiges Leben ünterfußt. In ihm 


1) 1. art. 3 " Sapientia et desideria secundum religionem 
adversantar desideriis et scientiae secundum vitam praesentem, 
veluti ionatum illato. 


An 


4. 
erkennt fich der Menſch als ein Weſen, welches nicht in 
feiner paffenden Region if, weil er erfährt, daß er in 
Unwiſſenheit über ſich lebt 7). Auch bie brille Primali⸗ 
tät, die Liebe, kommt dabei in Betrachtang. Wir koͤnnen 
das Gute nicht wollen, welches wir erlennen. Das Exken- 
nen bes Guten weiß und auf bie höhere Region hin, von 
welcher wir nicht wiffen würden, wenn wir ihr nicht anges 
hörten; daß wir es aber wicht ausführen können, Geweiſt, 
daß wie außer ihr find, Die Scham über natürliche 
Dinge, über unfern fierblichen Theil iR Zeichen unſeres 
bößern Urſprungs und beweift bie Schuld, welde auf 
unferm ganzen Geſchlechte Iafetz dena ‚wir würden uns 
nit ſchaͤnen, wenn wir feine Schuld ‚hätten; wir härfen 
unfere Schuld nicht auf die Materie ſchieben, Nur aus 
dem Sündenfall weiß fih Campanella alles Dies zu erllä⸗ 
zen, Daher find wir nicht allein auf bie verborgene Er⸗ 
lenntniß unfer ſelbſt, fondern auch auf äußere Mittel ans 
gewiefen. Gott Hat uns Hälfen zugegeben um und von 
unferm niederen Stande wieder abguziehn, weil: wir aus 
eigenen Kräften und nicht heifen. Sinnen), Erß duch 
diefe Betrachtungen wird Campanella anf bie Nothwen⸗ 
digkeit des Staats und der Kirche geführt. Von ihnen 
hängt feine hierarchiſche Anſicht ab, welche den Lehren bes 
erneuerten Katholicismus ſehr eng ſich anſchließt. Der 
Menſch unter der Leitung der Natur ſoll durch die Er⸗ 
fahrung Wiſſenſchaften und Künfte finden, nad dem Ge⸗ 





1) Ib. XVI, 1 art.1. Mens humana extra regionem pro- 
priam sese vivere ex eo novit, quoniam se ipsam ignorare se 
ipsam experitur. 

JLL 

4* 


"82 

fege ber Natur den Umftänben gemäß feine pofitiven Ge⸗ 
fee ſich ausbilden, welche ihn zwingen feine Sinnlichkeit 
zu beſchraͤnken. Dadurch wird er aber noch nicht einmal 
vor Streit und Betrug gefihert und er bebarf daher 
noch einer fittfichen Leitung zur Tugend, welde er durch 
die Religion empfängt, Sie erinnert ihn an feinen hö⸗ 
bern Urfprung, verfpricht ihm göttliche Hülfe und ge- 
währt Ee, indem Gott zu den Menſchen herniederfteigt, 
weil bie Menſchen nicht fähig find aus eigener Kraft zu 
ihm emporzufleigen. Gott mußte Menſch werben um 
den Menſchen zu Gott emporzupeben. Hieran ſchließt 
fih in Vorausverfündigung und Vollziehung ber Erlöfung 
die pofitive Religion und die Kirche an, zu deren Leitung 
der menſchgewordene Gott feinen Stellvertreter auf Er⸗ 
den gefegt hat H. 

Mit feiner Erkeminißtheorie Hängt biefe Anfiht in- 
fofern zufammen, als ber Menſch dur feine ſinnliche 
Erfahrung ‘daran erinnert werben fol, daß er Beſſeres 
als ſich ſelbſt nicht / erlennen Tann und daß er alles übrige 
nicht erkennt, wie es iR, fondern nur wie es erfcheint 2). 
Dadurch follen wir uns reinigen lernen von den äußern 
Eindrüden, welche uns zerftreuen. Im dem Übel Liegt 
auch bas Mittel der Heilung. Campanella legt babei 
befonderes Gewicht Auf den Schmerz und die Schläge des 
Schidſals, welche uns zu ung zurüdführen follen, in wel⸗ 


1) Ib. art. 2. ? 

2)-Ib. art. 1. Cognoseit se non posse cognoscere cognos- 
cibilia meliora et quod non, prout sunt,- caetera novit, sed 
prout apparent. Ib. XVII, 3 art. 1. Eo quod noscit alia, re- 
flectitur ad cognoscendum se cognoscentem esse. 


den er eine Lehre Gottes erkennt 1)Y. Dies iſt das Ges 
heinmiß Gottes, daß er durch alles, was uns trifft, im⸗ 
mer wieber auf uns felbft, auf unfere innere und anges 
borne Erfenntniß und zurückführt. Dabei wird nicht vers 
gefen, dag wir dem allgemeinen Zufammenhange ber 
Belt angehören und uns als Glieder beffelben erfennen 
follen. Campanella fieht in der Sympathie der Welt und 
in.der Temperatur unferes organiſchen Dafeins zwar 
Störungen unferes Selbſtbewußtſeins, aber auch Mittel, 
durch welche Bott feine geheimen Zwecke ben natürlichen 
Kräften unterſchiebt 2). Dabei deutet er an, daß die ung 
eingeborne Weisheit durch bie von außen hinzugefügte und 
erworbene vermannigfacht werde und daß wir unfere eigene 
Tiefe erſt erlennen, indem wir auf bie Ideen Gottes, welche 
in und Hegen, durch die äußern Erfcpeinungen aufmerffam 
gemacht werben 9. Er hält es daher für ein Wergehn, 
bern man gegen bie Natur den natürlichen Trieben nicht 
folge; wenn man aber über die Natur hinausgehend für 
tin höheres Gut ihnen entfage, fo fieht er darin ein goͤtt⸗ 
Üiheg Wert. Er kann fih nicht verleugnen, daß unfere 
Bifenfhaft durch den Außen Sinn ihren Umfang ge- 
winne; er bemerkt aber auch, daß wir auf unfere eigene 
eifennende Kraft, alfo auf unfere eingeborne Erkenntniß 
zurüdgehn müffen um unfere finnliche Erkenntniß Frucht» 
bar zu machen. Die Weispeit Tann nicht gelehrt oder 
übertragen werden; ein jeber muß fie in feinem eigenen 
Elm, in feiner Selbſterkenntniß finden. Die find Weiſe, 
1). VI, 8 art.d. 


2) Ib. VI, 9 art.5. 
9b. VI, 8 art.d; IX, 6 art. 





34 

melde die Fülle der in ihnen verborgenen Wiflenfchaft 
haben, wie fie Gott verleiht, wie er auf fie durch unfere 
Scidfale uns zurüdführt ), ‚Wir fehen hieraus wohl, 
daß Campanella hie weltliche Wiſſenſchaft nicht aufgeben 
will, daß ex in ihr einen höhern Zweck ahndet; aber ihn 
nachzuweiſen findet er ſich doc außer Stande; denn alle 
äußern Eindrüde ſollen doch nur dazu dienen und auf 
das Forſchen na uns ſelbſt gurädguführen. _ 

Seine Lehre über biefen Punkt leidet an einem dop⸗ 
pelten Mangel. Den Sündenfall fegt fie voraus; fie 
nimmt ihn als Thatſache an, welche in unferer Freiheit 
ipren möglichen Grund habe; die Wirklichkeit desfelben 
weiß fie nicht zu begründen. Eben fo wenig aber weiß 
fie aus ihren natürlichen Grundfägen nachzuweiſen, wie 
wir über die urfprüngliche Beichränktpeit unferes Seins 
hinauskommen können. Die alte Borftellungsweife von 
der beichränften Natur der Gefchöpfe beherſcht auch ben 
Campanella. Alle Dinge haben zwar Theil an Gott, 
aber nur einen beſchraͤnlten Tpeil; nur etwas Goͤttliches 
Tommt ihnen zu und alle ihre Kräfte können nur biefen 
Teil umfaſſen. Ihr Streben geht auf die Erhaltung 
ihrer ſelbſt; ihr natürlicher Zwert Tann nur etwas Gött- 
liches, aber nicht Gott ſein ). Daher ſucht unfere natür- 


1) I. VI, 9 art 5; 6. 

2) 1b. X. codicill. art.2. Quomodo deus sit finis naturalis 
rerum omnium, non intelligimus, nisi ex hoc, quod omnia 
appetunt bonum. Sed proportionaliter sibi, quod est cujusque 
esse conservatio. Deus autem excedit omnem appetitum, cum 
sit immensa bonitas; ergo particularia entia non possunt pro 

x fine habere deum, sed quid divinum. 


liche Liebe nur die Volllommenheit unferes beſchränkten 
Beiens, d.h. wir gehen nur darauf aus, den Schein ber 
äußern Einbrüde, welder unfer wahres Weſen uns ver- 
hätt, von und abzumerfen 2). Unfere Fortſqhritte hierin 
find nur Verneinungen, nur Befeitigungen der Hinder- 
niſſe. Campanella ficht fi daher immer wieder darauf 
qurädgeführt, daß in dem Streite der angefommenen und 
erworbenen mit ben angebornen und verborgenen Erfennt- 
niflen die erſtern ausgeſchieden werben follen und daß ber 
Weg zue Glüuͤcſeligkeit auf bie Ablegung des uns Fremb- 
artigen, auf die Reinigung unferer Seele von den finn- 
lichen Erfheinungen uns führe 9. 

So weit bringt uns das natürliche Leben. Aber eben 
weil dies nicht genügt, weiſt uns Campanella auf das 
übernatürliche Leben an. Denn nicht allein bei dem bes 
fhränften Sein und Erfennen unferer Ratur Fönnen wir 
ſtehn Bleiben, Die Religion, das Bewußtſein unferes 
Princips, unferer Abhängigkeit von Gott, if uns ange 
boren I. Sie ſucht unfere Verbindung mit Gott und 
begehrt bie Anſchauung Gottes, ben Genuß des höchſten 
Guts, die Erkenntniß aller Dinge in ber einen Idee 
Gottes). Aber hieran reicht weber Die erworbene, noch 


1) I. VI, 15 art. 1. 

2) Ib. XVI, 2 art.3. Ergo res omnes revertuntur in suum 
principiam, quando expediunter a cognitione et negotio alie- 
narum rerum. Ab. XVII, 3 art. 1 im der überſchriſt wird der 
Weg zur Glüdfeligleit bezeichnet als nudatio et reversio a notitiis 
adeptis alienantibus nos a"nobis ad notitiam intuitivam nostri 
ac proinde dei, nostri prineipäi. 

3) Ib. XVI, 2 art. 

4). 11,9 ps.2 art.1; IX, 9 art.5; X codieill. art.2. Deus 


die angeborne Erlenntniß, fonbern fie Fönnen und nur 
vorbereiten bie Seligfeit zu empfangen, welche Gott giebt. 
Durch die natürlichen Kräfte Tann nur erreiht werben, 
was natürlich iſt; nachdem es erreicht worben, treten aber 
die übernatürlichen Gaben hinzu . Sie erinnern ung 
an das Ende der Welt, So wie die Welt ihren Anfang 
bat, fo kehrt fie auch wieder in ihr Prineip zurüd. Dies 
iſt der natürliche Lauf der Dinge. Campanella befhreibt 
ihn in Anflug an die Weltorbnung des Telefius. Die 
Kraft des Himmels und ber Erde fönne nicht Aufhören, 
bis eine der entgegengefegten Kräfte gefiegt habe, Er 
verfpricht dem Himmel den Sieg, fo wie auf Erben bie 
Hierarchie firgen fol. Nur wenig ift er darum bes 
füntmert, wie er dies mit ber Selbſterhaltung der natürs 
lichen Kräfte vereinigen möge. Alles Niedere ift nur bes 
Höhern wegen; bie natürlichen Dinge find nur des Men⸗ 
ſchen wegen; daher ſcheint es ihm natürlich, daß fie ihren 
Bergang nehmen, wenn fie ihrem Zwede gebient haben. 
Er würde au der Meinung fein, daß die Erbe vergehn 
müßte, wenn die Religion ihm nicht offenbart hätte, daß 
die ewigen Strafen der Verbammten in ihrem Kern voll⸗ 
zogen werben ſollten ). Nur der Menſch, obgleich nur 
den niedern Dingen angehoͤrend, iſt nicht allein zum 
Mittel für die höhern Dinge beſtimmt, ſondern hat ſei⸗ 
nen ewigen Zwed. Er ift unſterblich. Denn obgleich die 
enim est finis — — hominis, quoniam homo potest illo frui, 
ut ejus immensum desiderium nos admonet, non yanum. Ih. 
XV, 3 art 1. 

1) Ib. X codieill. art. 2; XV, 3 art, 1. 

2) Ib. XI, 3 ar? 

YLLpika 


87 


lebendigen Wefen zufammengefegt und auflöshar find, fo 
iſt doch das wahre Weſen des Menſchen unſterblich. Der 
Beweis für feine Unfterblichleit berupt auf feiner Bere 
aunft (mens), welche über das Unendliche ſich erſtrect, 
vom Körperlichen nicht leidet, vielmehr über alle Schmer- 
zen und Leiden ſich zu erheben weiß, feinem Gegenfage 
unterliegt, alles zu erforſchen, alle ewige Ideen zu ums 
fafen vermag 1). Auf diefen Geift blidend müflen wir 
nur erfennen, daß wir in biefer vergänglichen Welt nicht 
in unferm Baterlande find. Alles Entfichn und Vergehn 
iſt nm ein befändiges Erleiden des Todes; aus biefem 
Tode unferes gegenwärtigen Lebens follen wir zum ewi⸗ 
gen Lehen erwachen. Alle Böller erfennen es an, daß 
die menſchliche Vernunft hier nur in ber Region der Uns 
äpnlichteit ſich findet; wir follen aber auch die Hoffnung 
auf die Erlöfung hegen und vertrauen, daß bie Zeiten 
des Verderbens enden werben und bie Welt wieberher- 
geſtellt werben fol, indem alles in feinen Urfprung zurüd⸗ 
lehrt 2), 

Fragen wir, warum es dem Gampanella nicht gelin- 
gen wollte die zwiefpältigen Beftrebungen feiner Lehre zu 
bewältigen, fo werben wir wohl hauptfächlih die Mans 
gelhaftigfeit feiner ſittlichen Anſicht zu beſchuldigen haben. 
Er begreift fehr gut, mit welchen unlösbaren Banden wir 
an die Welt gebunden find, aber der Zweck unferes welt- 
lichen Lebens hüllt ſich ihm in Geheimniß. Wie ſehr 
auch die Freiheit, wie ſehr Staat und Kirche von ihm 
erhoben werben, feine ſittliche Anſicht der Dinge if roh 


4) Ib. XIV, 4 art. 4. 
2) Ib. XVI, 1 art; XVI, 3 art.1; XVII epilogus p.274. 


md feine allgemeinen Grunbfäge beachten an unferm welt⸗ 
tigen Leben nur das Natürliche, Die Dinge biefer Welt 
follen in einem natürlichen Triebe ſich erhalten; wir wer- 
den in unferm Sein gehört durch äußere Einfläffe; fie 
- abwehren, gegen bie Zerfireuungen, welche uns verloden 
und von uns ſelbſt abziehn, und behaupten ſollen wir 
tönen, aber nichts weiter. Es iſt fein Fortſchreiten ei- 
ner lebendigen Entwicklung ben Gefhöpfen Gottes geftat- 
tet, über ihre im Beginn ihres Seins ihnen vorgeſchrie⸗ 
benen Schranfen können fie durch eigene Kraft nicht hin⸗ 
aus. Die Grundfäge der Telefianifchen Phyſik, welche 
“die Keime der mechanifchen Raturerflärung pflegte, famen 
in diefer Anfiht vom weltlichen Leben zur Anwendung. 
Dem Campanela ſchienen fie doch ben Lehren ber katho⸗ 
liſchen Kirche zu entfprechen, weit fie dem weltlichen Le- 
ben das Verdienft ließen bie Grundlage unferes natürli⸗ 
hen Dafeins zu erhalten und auch wohl zu vermannig- 
fachen, ihm in dieſem befchränkten Kreife feine Freiheit 
geftatteten, e8 aber auch dem kirchlichen Leben tief unter- 
orbneten, weil nur biefes in ben offenfundigen Zwecken 
des weltlichen Lebens geheime Beziehungen zu den höhern 
Zwecken der Vernunft zu finden wiffe. 

Das Zwiefpältige in den Lehren bes Campanella zeigt 
fich am deutlichen in feiner Erlenntnißtheorie, welche auch 
zugleich das MWichtigfte iſt, was er in die Unterfuchung ges 
bracht und für die weitere Entwiclung ber Philofophie abge 
fest hat. Wenn wir feinen Worten folgen wollten, fo wür- 
den wir fagen müffen, daß ex ein entſchiedener Senſualiſt in 
der Weife unferer neuern Philoſophie feiz denn nur ben Sin- 
nen will gr folgen; daß er äußern und innern Sinn unter- 


8 


fepeidet, wird ung hierin nicht irre machen Eönnen; denn biefe 
unterſcheidung, fo wie bie Unterſcheidung der verſchiedenen 
äußern Sinne iſt auch von den ſpaͤtern Senſualiſten nicht 
zurüdgewiefen worden. In diefer Richtung feiner Lehre fin- 
den wir ein ausführliches Borfpiel aller der Bedanfen, welche 
die empirifche und fenfualififche Schule der folgenden Zeiten 
entwidelt hat, bis zu dem äußerfien Ergebniffe, welches 
er ausſprach, daß alle unfere Wiſſenſchaften nur Erſchei⸗ 
nungen ber Dinge uns barftellten und auf Geſchichte ſich 
zurüdführen ließen. Dagegen fiicht aber freilich ſehr die 
metaphyſiſche Haltung feiner Lehren ab, welche aus einer 
andern Duelle der Erfenntniß fließt. Wir werben fie ges 
wahr, wenn wir bemerfen, daß er ben innern Sinn auch 
den verborgenen nennt. Die Überzeugung, daß wir im 
Bewußtfein von und felbf eine unerſchuͤtterliche Gewißpeit 
unferes Seins gewinnen, einen Grundfag, der uns in 
das Wefen ber Dinge einführt, wird dazu benugt bie 
Zweifel an den allgemeinen Grundfägen ber Wiſſenſchaft 
abzufchätteln und uns bie Ansficht zu eröffnen, daß wir 
nach Analogie mit unferm eigenen Sein auch die übrigen 
Dinge ber Welt beurtpeilen und felbft zur Erkenntniß 
Gottes vorbringen Fönnen. Hier liegen bie Keime bes 
fpätern Nationalismus, ſchon fehr deutlich in der Eigen- - 
thümlichteit gefärbt, in welcher er bei Garteflus und 
Leibniz fi ausgebildet hat. Doc find biefe beiden Seis 
ten der Exfenninißtpeorie, die ſenſualiſtiſche und bie ras 
tionaliftifhe, dem Campanella noch nicht recht auseinans 
der getreten. Die fubiertive Haltung ber ganzen Lehre, 
welche nur in dem Gedanken bes Ich, in ber Erfahrung 
und Empfindung feiner ſelbſt einen ſichern Standpunkt 


60 


für das Erkennen zu gewinnen weiß, muß bazu dienen 
beide Seiten in Verbindung mit einander zu halten. Ge⸗ 
wiß eine Jodere Verbindung, und doch bie naͤchſte Hin- 
weifung auf den Gang, welchen die neuere Philofophie 
in ihrer weitern Entwidlung einfhlagen follte, 

Dan wird die Philofophie des Campanella in ihrem 
lodern und nicht ohne Künftelei gewonnenen Zufammen- 
hange als einen Abſchluß der Itakienifchen Philofophie 
betrachten können. Wie er ſelbſt aus feinem Baterlande 
auswandern mußte, fo fiedelte mit ihm die Philofophie 
nach jenfeits der Berge über. Im feiner Lehre kann man 
nun au das Beftreben nicht verfennen bie Ergebniffe 
aller ber Unterſuchungen, welche die neuere Philofophie 
bewegt hatten, zu einer Summe zuſammenzuziehn. Sie 
ſtehen neben einander, fle mäßigen ſich gegenfeitig, aber 
zu einer volfländigen Durchdringung wollen fie nicht ger 
langen. Die Zweifel, welche fih geregt hatten, werden 
von ihm fehr ſtark vertreten; um ſich gegen fie zu ſichern 
fiept ex fih auf die Gewißheit unferes eigenen Denfens 
verwieſen; mas von vielen Seiten her ſich geltend ge- 
macht hatte, daß ber Verſtand bei ſich felbft beginnt und 
zunaͤchſt ſich ſelbſt erfennt, fpricht er als den Grundfag 
aller Wiſſenſchaft aus. Mit feinen Zweifeln verbindet 
fih das myRifhe Element in den Gedanken biefer Zeit. 
Weil wir aus uns nicht heraus können, follen wir in 
uns uns vertiefen und in uns ben göttlichen Grund fin- 
den. Selbſt die pantheiſtiſchen Neigungen Fingen in 
Campanella’s Lehre nach; in ihrer tiefften Wahrheit find 
alle Dinge doch nur Offenbarungen des göttlichen. Grun- 
des. Alles, was biefe Neigungen geforbert hatten, wird 


64 


ihnen in ber That zugeflanben, nur bie entgegengefegte 
Seite der weltlichen Betrachtung läßt. ſich von ihnen nicht 
verdrängen. Das Streben nah Erkenniniß der Natur 
regt fi) in voller Kraft; es dringt darauf, daß wir bie 
finnfihen Erſcheinungen der Dinge verfolgen follen, wie 
fehr fie uns auch abziehen mögen von uns ſelbſt; in 
Sympathie, in Verwandiſchaft mit den übrigen Dingen 
der Welt läßt es unfere Seele und denen, wehhe wir 
als ein materielle Weſen betrachten follen; auch bem 
Naturtriebe, welcher auf Selbflerhaltung ausgeht, follen 
wir fein Recht wieberfahren laſſen unb in dieſer Gemein“ 
haft mit der Natur fieht Campanella die Aufforderung 
aus einem Syſteme ber natürlichen Kräfte die Erſcheinun⸗ 
gen ber Welt zu erklären. Auch was von ber Philologie 
in die Unterfuhungen der Philofophen gebracht worden 
war, ift von feiner Lehre vertreten.‘ Wir fehen es nicht 
allein an feiner gelehrten Kenntni der Syſteme der alten 
Philoſophie, an feiner Beftreitung der einfeitigen Vor⸗ 
liebe für den Arifioteles, fondern aud an feinem Nomi⸗ 
nalismus, an feiner Beachtung des natürlichen Menfchen- 
verftandes und bes Einfluffes der Sprache auf unfer 
Denfen. Alle diefe Elemente feiner Bildung werden aber 
aufammengehalten durch den Sinn bes ernenerten Katho⸗ 
licismus, welder die weltlichen Beftrebungen in ihrem 
Werthe erhalten will mit dem Vorbehalte, daß fie gegen 
die Höhern Zwede ber Kirche nicht ungehorfam ſich zeigen. 
Campanella ſucht fie alle an die Intereffen der Hierarchie 
heranzuziehn; bie weltliche Herrſchaft foll der Kirche dies 
nen, bie weltliche Wiſſenſchaft der Religion. Aber es iſt 
doch nur eine geheime Verbinbung, in welche er das 


62 


Weliliche mit dem Geiſtlichen zu bringen weiß; es find 
geheime Zwede, welche Bott in den Erſcheinungen ber 
Natur betreibt und ein Übernatärliches muß uns zugegeben 
werben, wenn bie weltliche Entwidlung der Dinge für 
und irgend eine Frucht haben fol. So begleitet ben 
Campanella denn doch durch alle feine wiflenfchaftlihen 
Beftrebungen ein ſteptiſcher Sinn, welcher ihm nit ver- 
Rattet die Entpühung des Geheimniffes uns zu verſprechen. 
Seinen Grund haben wir in den verwilkelten Beſtrebun⸗ 
gen feiner Zeit zu ſuchen, welche er zu umfaſſen fixebte, 
welche aber doch bei ihm zw einem regien Einklang unter 
einander nicht ah un 


Siebentes Kapitel, 
Deutſche Philofophen und Theoſophen. 


In Deutſchland Hatte die theologiſche Bewegung den 
Kern des Volles ergriffen. Die Gelehrten wie das nier 
bere Volk waren vom ihr erfüllt, Auch die Philofophie 
konnte biefer Richtung ſich nicht entziehn. Die Theologie 
beherſchte die Wiſſenſchaft und das Lehen. Doch wäre 
nicht Daran zu denlen geweſen, daß bie einſtweiligen Feſt⸗ 
ſtellungen, welche das zeligiöfe Dogma gefunden hatte, 
die Ausſicht auf weitere Entwidlungen hätte abſchneiden 
können. In ben Schulen ber Gelehrten wie in ben theo⸗ 
ſophiſchen Gebanfen des niedern Volles zeigten ſich viel⸗ 
mehr Bewegungen gegen die orthodoxe Theologie, welche 


bie Forſchung vege hielten und bie Keime fpäterer Lehr⸗ 
weifen in ſich ahnden Tiefen. . 

Wir Haben gefehn, wie Melanchthon bie Arißoteli⸗ 
ſche Ppilofoppie gemäßigt uub ber proteflantifchen Tpeo- 
Iogie anbequemt hatte, Seine Leprweife war die gewoͤhn - 
lie Norm ber proteſtautiſchen Schulen geworben. Bei 
den Gelehrten machte ſich aber auch auslänbifcher Einfluß 
geltend, Die Reformen des Ramus in der Dialektit fan- 
den Eingang; fie fihienen bes Deulweiſe nicht fern am 
Reben, welche auch Melauchthon in der Richtung ber phi⸗ 
lologiſchen Beſtrebungen begimfigt halte, Wer aber im 
Verlauf des 16 und bis in die Mitte des 17. Jahrhun⸗ 
derts tiefer in die Ariſtoteliſche Philoſophie eindringen 
wollte, der pflegte fih doc von ben Stalienern Hülfe zu 
holen. Die Schriften des Gäfalpinus, des Zabarella, 
des Piccolomini wurden in Deutſchland viel gelefen. In 
ihrer Richtung fuchte man die veine Lehre des Ariſtoteles 
au erforſchen und den Scholaſticismus zu befeitigen; die 
Logif fand dabei weniger Beachtung als bie Phyſil und 
Metaphyſik. Belonders Arzte, wie Jacob Scheglins, Ni⸗ 
solaus ‚Taurellus, Philipp Schrebius waren in biefer 
Richtung, doch wollte man auch nicht ſtlaviſch dem Arie 
foteles und feinen Auslegern ſich ergeben. Hiervon hielt 
ſchon die Theologie zurüd, welche die Bewegungen ber 
Philoſophie mit Angflichfeit bewachte. Durch alle .biefe 
Berhältnifie wurbe zwar in ben gelehrten Schulen Deutſch⸗ 
lands bie philoſophiſche Unterſuchnug rege erhalten, aber 
doch unter ſehr befipränfenden Bedingungen; wer feine 
eigene Bahn gehen wollte, hatte mit vielen Vorurtheilen 
au impfen. 


64 


1, Nicolaus Taurellus, 

Einen, wenn auch nur flüchtigen Blick müfen wir 
auf einen Mann werfen, in beffen Lehren und in deſſen 
Stellung zu Zeitgenofien und Folgezeit die bewegenden 
Verhaͤltniſſe der deutſchen Schulphifofophie fehr deutlich 
fih zu erkennen geben. Nicolaus Taurellus wurde zu 
Mömpelgard 1547 geboren. Noch bei fehr jungen Jah⸗ 
ven machte er feine philoſophiſchen Studien zu Tübingen 
unter der Leitung SchegPs, eines eifrigen Ariſtotelilers 
Er widmete ſich hierauf der Theologie, feine freie Denf- 
art geftattete ihm aber nicht bei biefem Fache zu bleiben; 
er ergriff nun das Studium der Mebicin. Philoſophie 
und Medicin Iehrte er erft zu Bafel, nachher. zu Altorf. 
Einzelne feiner Lehren und befonders feine Anfiht über 
das Berhältnig der Ppilofophie zur Theologie gaben den 
Theologen feiner Zeit Anſtoß, auch gefland er dem An- 
ſehn des Arifioteles nah der Meinung ber Philoſophen 
nicht genug zu; daher Hatte er bis zu feinem Tobe 1606 
mit vielen Anfeindungen zu thun. Seine Schriften find 
zum größten Theil polemifch. Die Lehren des Arifoteles 
tabelte er in vielen Punkten, nicht allein in ſolchen, weiche 
mit dem theologiſchen Syſtem nicht flimmten. Seine Kri- 
tit des Arifioteles geht nicht tief in dem Zufammenhang 
bes Syſtems ein; bie einzelnen Säge begleitet er mit 
feinen Zweifeln; wo er etwas nicht fireng bewieſen fin« 
bet, verwirft er. Noch weniger flimmt er mit den Aus: 
legen des Ariſtoteles überein. Seine Hauptgegner find 
Caͤſalpinus und Piccofomini befonders der erſtere. Die 
Phitofophie des Cäfalpinus war in Deutſchland befonders " 
durch bie Schule des Scherbius, welcher mit dem Tau⸗ 


rellus zugleich zu. Altorf lehrte, verbreitet worden. Dies 
fer Lehre, welche dem Tanrellus verderblich ſchien, ſetzte 
ex feine geößte philoßophiſche Schrift entgegen. . In feine 


Polemik gegen die Itelieniſchen Arifetelifer wiſcht fh 


ein nationaler Gegenfag ein. Wenn er num auch weder 
mit den ſcholaſtiſchen, noch mit ben meuern Auolegern des 
Ariſtoteles übereinkimmen Tann und an ben Lehren bes 
Arifioteles felbft viel zu tabeln findet, fo. Hälter doch bie 
Hnuptpunfte feines Syfems und beſonders feine Methode 
werth; feine Kühnheid geht nicht weiter als zu ber 
haupten, dag Ariſtoteles feiner Methode nicht überall 
getreu geblieben fei und vieles ohne Hinkinglihen Grund 
behauptet habe. Im Allgemeinen gehm bie philoſophiſchen 
Gedanfen des Taurellus biefelbe Bahn, welde Meloarh- 
thon eingefchlagen hatte, nur mit groͤßerer Guifchichenheit. 
Er beabfichtigt eine Referm der peripatetiſchen Lehre und 
if lebhaft davon überzeugt, daß biefelbe einer Umgoflal- 
tung in allen ihren Tpeilen bedarf 2). 

Mit den neuern Peripatetifern fimmt er darin über 
ein, daß auf bie Logik fein großes Gewicht zu Iegen ſei. 
Er betrachtet fie nicht als einen Theil, fondern wur als 
ein Werkzeug der Philoſophie, ja nicht allein ber Philo⸗ 
fophie, fonbern auch aller übrigen Wiſſenſchaften. Er 
tabelt daher Die Theologen fehr eifrig, welche ihre Wiſſen⸗ 
ſchaft nicht an bie allgemeine Form wiſſenſchaftlicher Bes 





1) Bon fernen’ Scfriften habe ich eingefehn: Pihilosophiae trium- 
phus. Basil. 1573; de rerum aeternitate. Marpurg. 1594; Alpes 
eaesae. Francof. 1597; de mundo. Amberg. 1603; Synopsis 
Aristotelis metaphysices in Feuerlin Taurellus defenms. No- 


. rimb. 1734. 


Geſch. d. Philoſ. x. 5 


weife Binden wollten. Die Ethik achtet er zwar hoch; 
aber mit ihr hat er weiter nicht ſich einfaffen wollen; er 
äußert nur, daß er fehr wünſche, jemand anders möchte 
ihr denfelben Dienft erweifen, welden er zur Säuberung 
der Metaphyfit zu leiften geſucht habe). So laufen denn 
doch feine Bemühungen auf biefelben Theile der Philos 
fophie hinaus, welchen die Arifotelifer biefer Zeit über- 
Haupt ihren Fleiß zuwandten, auf die Ppyfit und bie 
Metaphyſil. Unter ber letztern verfieht ex hauptſächlich 
die philoſophiſche Theologie; beide will er ſtreng von 
einander geſondert wiffen. Er wirft e8 baher bem Ari- 
fioteles vor, daß er ihre Grenzen nicht genug bewahrt 
habe, indem. ex das Übernatürkicpe wie ein Natürliches 
behandelte 5). Wir fehen hieran, daß Taurellus auf eine 
genaue Grenzſcheidung ber verſchiedenen Wiflenfchaften 
ausging. So verfuhr er au in der Phyſil. Aſtronomie 
und Phyfit im engern Sinne wollte er von einander ges 
ſchieden wiffen; jene habe es mit dem unvergänglichen, 
diefe mit dem vergänglichen Körper zu thun und noch ein 
dritter Tpeil müffe den beiden andern zugefegt werben, 
die Lehre vom belebten Körper, weil biefer etwas Unkoͤr⸗ 
perliches in ſich ſchließe. Diefe Eintpeilung der phyſiſchen 
Wiſſenſchaften bezieht ſich auf die Verſchiedenheit ihrer 
Gegenftände und auf biefe ſucht Taurellus au den Uns 
terſchied zwiſchen Phyſil und Metapppfit zurädzufüpten, 


1) De rer. aetern. praef. p. 4. Praecepta profecto logica 
et demonstrationum exstruendarum ratio ubivis est eadem. Sed 
prineipiorum magna est discrepantia. Synops, Ar. met. 2. 

2).Synops. 144. 

3) De mundo praef. 


Bon den Lehren bed Ariſtoteles beſtreitet er vor allen 
Dingen die Lehre von der Ewigkeit ber Welt und daher 
bat es auch bie Phyſil doch immer nur mit entſtan⸗ 
denen Dingen zu thun, de eg dagegen mit. dem 
Ewigen ?). 

Wenn nun Tamellus das Dehlitnisß der philoſopbi · 
ſchen Theologie zus offenbarten in das Auge faßt, fo 
ſcheint er geneigt zu ihrer Unterfeidung ein formajes 
Kennzeichen gelten zu laſſen, wie ein ſolches ja offenhar 
in dem @egenfage liegt, der ein gemeinfames Object, 
aber eine verſchiedene Erleuntuißquelle vorausſetzt. Die 
Philoſophie hat es nicht mit dem Glauben, fondern mit 
dem Wiſſen zu hun; fie beruft fig auf feine Autorität, 
fondern nur auf Gründe ber Beraunft, fie: weiß nichts 
weiter, als was ſchon bie erßen Menſchen vor ihrem 
dall wußten oder wiffen konnten, ds h. die reinen Ver⸗ 
aunftwahrheiten, welche feiner andern Offenbarung be⸗ 
durften als des natürlichen Lichtes. Bon allem biefem 
findet das Gegentheil bei ber offenbarten Theologie ſtatt ). 
Dieſem formellen Unterſchiede bleibt Taurellus auch ge⸗ 
ten, wenn er alle, welche der philoſophiſchen Erkenntniß 
Gottes nicht mächtig ſind, auch für bie philoſophiſchen 
Wahrheiten auf die Offenbarung anweiſt 5). , ‚Aber weil 
doch die Philofophen gewifle Wahrheiten von Bott auch 
durch bie bloße Bernunft zu erfennen im Stande find und 


yLı 
2) Phil. triumph. I p. 1sq.5 p. 88; de rer. aetern. praef. 
P2; 524. 
3) Pi triumph. HI praef. p. 216; de rer. aelern. praef. 
p. 19. 
5* 


&8 
Zaurellus wicht zugeben kann, daß -für die Ppilofophen 
die offenbarte Thestohte: Kimas: überflüſſiges fein ſollte, 
ſacht er für Beide Wiſſenfchaften auch noch einen mate⸗ 
riellen Unterſchied de mitten; Sierauf beziehn ſich die 
Unterfuchungen, welche in feiner Lehre am meiſten unſere 
Aufmertſambeit verdieuen -- = = - 

‚Stel hangen gehan’ mit! Beni zuſammen, was er über 
Bermögen und YUisermögen :unferer Bernnmft zur Er⸗ 
kenntniß feſtzufetzen für nöthiz Hält: Wie haben gefehn, 
daß · Melanchthon zugegeben Hatte, unſer Bermögen zu 
erkennen und. das Rechee zu wollen. wäre zwar durch bie 
Erbfunde geſchwächt worden / aber doch wären noch ge⸗ 
wiſſe angebbtne Begtiffe uns zurüdgeBlieben, welche phi⸗ 
loſophiſche · und auch für Sie Theologie erfprießlihe Wahr⸗ 
heiten aus bloßer Natur erferinen ließen. Seine Nach⸗ 
giebigleit · in dieſer Beziehung ſchien der fpätern proteſtan⸗ 
tiſchen Dogmatik zu weit zu gehen und wenn auch Flacius 
Ilyricus mit feiner Behauptung gegen den Synergismus 
Melanchthon's, daß die Erbfände bie Subflanz des Men- 
ſchen geworben; Tem Gehoͤr fand, ſo blieb doch bie 
Dogmatit der Lulheriſchen Kirche miskrauiſch gegen jede 
Form ber Lehre, welche Die natürlichen Kräfte des Men⸗ 
ſchen zu erweitern ſchien. Mit dieſer Richtung der Dog- 
matik konnte Taurellus ſich nicht einverſtanden erllären. 
Sein Begriff der Philoſophie ſtellt ſich ihr entgegen. 
Er fordert für ſie eine Erkenntniß der menſchlichen und 
goͤttlichen Dinge aus angebornen Begriffen, welche zwar 
duch die ſinnliche Erfahrung, durch Einbilbungsfraft und 
Induction genaͤhrt werben müfle, aber auch durch biefe 
Mittel im Wege der Vernunftſchlüſſe und in natürlicher 


Beife ih entwidle H. Ja er meint, die Philoſophie 
müßte den Grund ber Theologie abgeben, weil fie uns 
eine Erleuntniß von Gott und von uns ‚gewähre, ohne 
welche wir die Hülfe der Theologie gar nicht begehsen 
wirden?). Die Beifpiele der heidniſchen Philoſophen 
machen ihm biefen Begriff der Ppilofophie einleuchtend ; 
doch nicht allein auf fie verläßt er ſich; auch der Begriff 
der geiftigen Subflanz muß ihm zum Beweiſe bienen. 
Das Weſen des Geiftes findet er in der Energie des 
Erlennens; fo Tange die Subſtanz bes Geiſtes bleibt, 
lann ihr dieſe Energie nicht genommen werben. Zwar 
Hinderniffe des Erkennens können eintreten; aber das 
Erkennen des Wahren, das Wollen des Guten. if dem 
Geifte weſentlich; daß wir dagegen das Böfe wählen, 
daß wir das Wahre nicht zu erforſchen willen, fann nur 
als etwas Zufäliges für und angefehn werben. Wenn 
wir auch nicht immer wirflich erlennen, fo bleibt doch 
anfer Bermögen zu erfennen immer basfelbe 5). Deun 
das Bermögen gehört zur Subſtanz und lann opne Auf 
hebung ber Subſtanz weder vermehrt nod vermindert 
werben. Die Subflanz aber iſt das Unvergänglide in 
dr Schöpfung und mit der Subflanz des Geiſtes iR 
ihre denkende Thaͤtigleit unzertrennlich verbunden; benn 
das Erkennen iſt Sein Leiden, fein Act ber Empfänglich⸗ 
keit, fondern dem Geiſte eigen ). Die finulien Ein 
drüde geben nur die Zeichen ab, durch welche unfer Geiß 





4) Phil. triumph. p.4; 5; 68 2q. 

2) Ib. III praef. p. 218. 

3) De mupdo 3 p.10; phil. triumph. p. 12 2q.; p. 42 2q. 
4) Phil. triumph. III praef. p. 217. 


70 


zur Erkenntniß angeregt wird 1. Daher kann bie Erb» 

“ fünde nur Hinderniffe für das Erkennen herbeiführen, 
aber unfer Bermögen zu erfennen nicht vermindern. Tau⸗ 
rellus glaubt ihren Einflug darauf befcpränfen zu müſſen, 
daß fie und die Unſchuld geraubt, uns aus unferer innis 
gen Berbindung mit Gott gefegt, dadurch bie Hoffnung 
und den Grund bes glüdfeligen Lebens entzogen habe. 
Auch die Herrſchaft über den Körper ſei dadurch der ver- 
nünftigen Seele verloren gegangen und bas Unvermögen 
des Menſchen eingetreten bie Natur zu zäpmen 2). Aber 
alles dies treffe nicht die Subſtanz des Geiſtes, welche 
unveraͤnderlich biefelbe bleibe, fondern nur Berhäftniffe 
und Accidenzen derſelben. 

Nachdem nun Taurellus die übertriebenen Vorſtellun⸗ 
gen von den Wirkungen der Erbſünde zurüdgetwiefen hat, 
ſucht er Philofophie und Theologie ihrem Inhalt nach 
gegen einander abzugrenzen. Es geſchieht dies von ihm 
in einer ähnlichen Weile, wie es von Melanchthon ges 
ſchehen war. Er ſchildert uns den philoſophiſchen Stand⸗ 
punft nach dem Bilde ber alten Philoſophen, welche von 
der Offenbarung nicht erleuchtet waren und dennoch bie 
Mat und die Eigenſchaften Gottes, ja felbft feine Drei⸗ 
einigfeit erfennen konnten, Daß Gott Schöpfer der Welt, 
daß er gütig, aber auch gerecht fei, lönnen wir aus blo⸗ 
Ber Vernunft erfennen. Alles, was ewig und nothwen⸗ 
dig ift, kann als nothwendige Wahrheit durch Schlüffe 
der Vernunft von und erhärtet werden; aber ber Theos 
Iogie bleibt es vorbehalten den nicht nothwenbigen Wil⸗ 


4) I. p. 68. 
2) Ib. p.21 sq.; de rer. aetern. praef. p. 6 sq. 


” 7 


len Gottes uns zu verkünden, feinen Rathſchluß zur Er⸗ 
loͤſung der Menſchen; von ihm wiſſen wir nur durch Of⸗ 
fenbarung ). Wir bedürfen aber einer Erlenntniß des 
göttlichen Willens über die Erlöfung der Menſchen zur 
Belebung unferer Hoffnung. Denn nad dem Sünden, 
fall dürfen wir nicht hoffen ber Gerechtigkeit Gottes zu 
genügen und ba uns bie Philofophie über bie Gerechtig⸗ 
feit Gottes belehrt, fo würden wir ohne Offenbarung 
der Hoffnung auf die Seligkeit beraubt fein, vielmehr 
Beſtrafung für unfere Miffetpaten erwarten müflen. Da 
her ſchließt Taurelus feine Unterfuchungen über das Ber 
hältniß der Philofoppie zue Theologie mit dem Gage ab, 
daß die Verzweiflung bas Ende ber Philofophie und der 
Anfang der Gnade ſei ). 

Daß biefe Anfiht von dem Verhaͤltniſſe der Theologie 
zur Philoſophie eine metaphyfifche Grundlage hat, läßt fih 
nit verfennen. Sie verräth. fi in dem Gewichte, wel⸗ 
ches bei der Unterſcheidung beider Wiſſenſchaften auf den 
Gegenfag zwiſchen Freiheit und Notpwenbigfeit und bei 
der Unterfuchung über bie Erbfünde auf den Gegenfag 
zwiſchen Subſtanz und Accidens gelegt wird. Werfen 
wir daher einen, wenn aud nur flüchtigen Blich auf bie’ 
Metappyfit des Taurellus. In ihr begegnet uns zuerft 


1) De rer. aetern. p. 6 2q.; phil. triumph. p.88. Theologiam 
divinae voluntatis revelatione — — definimus et philosophiam 
dei cognitione, ut sola theologica vere dicantur, non quae po- 
tentiam dei, justiiam, bonitaiem, scientam et reliquas ejus 
virtutes demonstrant, sed quae nobis alias omnibus abstrusam 
voluntatem patefaciunt. 

2) Ib. p.372. Desperatio finis est philosophise prineipium- 
que salutis. De rer. aetern. praef. p. 7. 


72 


eine Reihe von Abweichungen von ber gewöhnlichen Lehr⸗ 
meife der Ariſtoteliler, wie fie in Stalten herſchend ge- 
worden war. Taurellus fegt fi der Behauptung entge⸗ 
gen, daß die Welt belebt feiz die Beweife, welche bafür 
aus ben Schriften des Arifioteles gezogen werben, find 
ihm von feinem Gewichte, andere Säge bes Arifinteles 
ſprechen vielmehr dagegen). Eben fo wenig will er 
von einer ſolchen Einheit des Welt etwas wiſſen, welche 
fie als eine Subſtanz betrachten ließe; fie ift vielmehr nur 
eins, fofern fie aus mehreren Theilen zufammengefegt 
ein ganzes Werk bildet). Im biefem Streite gegen bie 
Italiener geht Taurellus fo weit, daß er nicht allein die 
Pflanzenſeele Teugnet, weil in ben Hflanzen nichts fei, 
was bie Kräfte der Natur überfleige, fondern auch kei⸗ 
nem Theile der Welt als folgen Seele und Belebung 
zuſchreiben will 5). Wir fehen hieran, daß er bie Welt 
auf die Natur und die Natur auf das Körperliche zurüd- 
führen wil. Das Geifige dagegen möchte er der Welt 
entziehen und ihm eine übernatürliche Bedeutung beilegen. 
Es laͤßt fi Hierin wohl nicht die Neigung vestennen bie 
Welt in dem Lichte der gemeinen Vorſtellungsweiſe ſich 
"zu benfen, welche die proteflantifche Theologie nährte. 
Die Neigung an bie Lehren feiner Kirche fi) anzufipliegen 
bemerft man beutlich in den Sägen, welche er der peri- 
patetifchen Lehre entgegenflellt. Die Lehre von ber Ewig⸗ 
feit der Welt und ber Materie verwisft er; von ber Ans 
nahme eines Schöpfers hängt ihm die Überzeugung ab, 


4) De mundo I, 4; 5; 8. 
211,9. 
3) I. 1,4 p.12; 8 p.58. 


daß ein Bott ſei iy. Eine wirkende Urfache fann ohne 
Materie nichts hervorbringen; dies iR ein Sag, welcher 
für alle natürliche und beſchraͤnkte Urfachen zugegeben per⸗ 
den muß, aber nicht für Bott; denn das Unvermägen 
ohne Materie etwas hervorzubringen, twürbe eine Unnolls 
tommenheit fein, welche Gott nicht beigelegt werben barf 2). 
Gott hat nur eine Melt geſchaffen; aber doch iR nicht 
nothwendig mar eine Melt, weil alles von ben Willen 
Gottes abhängt). Im diefer Weit if alles des Men 
ſchen wegen ). Da Reit fih nun ber Gegenſatz zwiſchen 
dem Zwede der Welt, welder ein freies Weſen hat, 
‘und zwiſchen ber Natur, welche nur bie Mittel für dieſen 
Zweck barbietet, auf das entfhiedenfe heraus. Diefen 
Gegenfag verfolgt nun Taurellus in feinem philoſophi⸗ 
ſchen Nachdenlen weiter und hierdurch wird er auch zu 
Behauptungen geführt, welche mit des Kirchenlehre nicht 
im beſten Einflang zu fiehn feinen. Denn in jenem 
Gegenfage lag auch das Beſtreben verborgen, welches 
Taurellus mit der Naturforſchung feiner Zeit theilte, der 
Natur wenn auch nicht ihre Unabhängigkeit, doch ihr un⸗ 
verbrüchliches Gefep zu bewahren und dadurch die Na 
turlehre vor alen Störungen zu ſichern. Die Welt, lehrt 
Taurellus, iſt fo vollfommen von Gott gemacht, daß fie 
feiner weiten ‚Bernollfommmung bebarf 9). Er verſteht 
nemlich unter der Welt die Natur, die Förperlichen 

1) Sraope. Arist. met. 104. Posita rerum aeternitate tolli- 
tur deus. 

2) 1b..36; 66. 

3) 1b.’85; de mundo III ps. III p. 197. 


4) Synops. Ar. met. praef. p.&; de mundo I, 19 p.93. 
5) De mundo I, 3 p. 11. 





7 


Dinge; von bem Menfhen dagegen, beffen freier Wille 
den mannigfaltigften Entwidfungen unterworfen iſt, ge⸗ 
ſteht Taurellus ein, daß er einer- weitern Leitung und 
Bervollommnung durch Gottes Vorſehung bedarf. In 
Verfolgung dieſes Gegenfages verwirft Taurellus nicht 
allein bie Lehre von der befländigen Schöpfung, fondern 
befcpränft auch die Borfehung Gottes auf die freien We: 
fen, indem er behauptet, daß Gott bie natürlichen Dinge 
nad ber Schöpfung ihren eigenen Kräften überlaffen habe, 
Mit der befländigen Sorge für bie Natur wollte Gott 
nichts zu thun haben; wenn er immer unmittelbar wirl⸗ 
fam fein wollte, wozu hätte er wohl der natürlichen Mit- 
tel beburft? Dieſe äußere Wirkfamteit Gottes hat nichts 
gemein mit feiner Volllommenheit und Gtüdfeligfeit, welde 
von Ewigkeit war). Anders iſt es mit den Dingen, 
welche nicht dur die Nothwendigkeit des Naturgefepes 
ein für allemal fefgeftelt find. Die Freiheit des Willens 
fteht unter der Borfehung und beftändigen Leitung Gottes; 
für fie muß der Rathſchluß Gottes eintreten. Die Welt if 
zwar vollſtaͤndig geſchaffen; die Subflangen in ihr können 
weber ber Zahl noch dem Vermögen nad} vermindert ober 
vermehrt werben, aber ber Menſch, das befte, aber auch 
ſchwaͤchſte Wefen in der Welt, bebarf einenbeftändigen Hülfe, 
Bel ihm treten die veränberlichen Accidenzen feines Willens 
ein und find entſcheidend für fein Heil. Durch fie der Sünde 
anpeimgefallen if er zwar nicht feiner Subſtanz, feines 


1) Alpes caesae praef. p.30. Earum itaque rerum curam 
deo non adscribimus, quas ipse naturae commisit, üs scilicet 
munitae viribus, ut ejus mandata probe posset exsequi. Synops, 
Ar. met. 133; 135; 142. 


75 


vernünftigen Geiſtes,verluſtig gegangen, aber doch feis 
ner Befimmung entfremdet worben und doch haben wir 
den Zwed ber ganzen Welt in ihm zu erbliden und if 
die Entwicklung feines Geiſtes zu feinem Heil als bas 
anzufehn, was Gott mit allen natürlichen Kräften beab- 
fihtigt hat. Da muß nun bie Offenbarung eintreten und 
durch die Erföfung des Menſchengeſchlechts dafür geforgt 
werben, daß der Wille Gottes feine Erfüllung findet. 
Dies aber auseinanberzufegen iſt nicht das Geſchaͤft der 
Philoſophie, ſondern der Theologie). 

In der Metaphyfif des Taurellus theilen ſich die Ber 
frebungen ber Theologie und der Naturwiffenfcaften. In 
zwei Theilen ber Welt, melde abgefondert neben einander 
herlaufen, finden beibe ipre Vertretung. Die Natur geht 
ihre Bahn, wie fie nun einmal gefchaffen iſt, in ihren 
notpwenbigen Gefegen bahin und geflattet Feine Eingriffe 
in fie, nit einmal ber Borfehung Gottes; neben ihr 
hat die Freiheit des Geiftes ihren Lauf und muß, weil 
fie wilffürkichen Ausſchweifungen ausgefegt it, um ihren 
Zwed nicht zu verfehlen, beſtaͤndig von der Vorſehung 
geleitet werben. So findet auch in ber proteftantifchen 
Kirche etwas Ähnliches ſtatt, was wir fon früher in 
der katholiſchen Kirche beobachtet haben; das Beftreben 
Weltliches und Geiſtliches zu fepeiden, damit fie nicht in 
Streit mit einander gerathen, findet in Taurellus feine 
philoſophiſche Vertretung; Theologie und Phyſil ſuchen 
fih mit einander abzufinden. Auch auf dieſer Seite wird 
jetzt noch der Theologie der Vorrang bewahrt, nur fol 


1) De rer. aetern. praef. p.8; Synops. Ar. met. 142, 


76 ° 


das theologifche Gebiet nicht willlürlich in bie nothwen⸗ 
digen Gefege der Natur eingreifen dürfen, was bie ka⸗ 
tholiſche Seite fih vorbehalten hatte, 

Die Anfiht des Taurelus, daß die Thenlogie auf 
Ppitofophie beruhe, wie fehr fie auch von ber Tpenlogie 
feiner Zeit beſtritten wurbe, hat doch fpäter unter andern 
Sormen fehr allgemein ſich verbreitet, Aber Taurellus 
iſt dabei noch weit davon ‚entfernt bie fpätere Meinung 
zu theilen, daß bie Theologie nichts anderes als eine 
verfappte Philofophie fei, vielmehr erblickt er in ihr eine 
Ergänzung unferer Unfähigkeit in den Willen Gottes, in 
den Plan feiner Heilsorbnung einzubringen und Tann 
auch in biefer Beziehung als ber Vorläufer fpäterer Leh- 
ven angefehn werben. Dennoch werben wir bie Theolo⸗ 
gen, welche in feiner Lehre Gefar fürdteten, wohl nicht 
tadeln ‚bürfen. Denn der Dualismus, welchen er in ber 
Wiſſenſchaft behauptet, Kerupt auf der Annahme eines 
Dualismus in der Welt, in dem Plane Gottes und ſchrei⸗ 
tet fogar bis zu einer Beſchraͤnkung der Borfehung Got- 
tes fort. Hierin zeigen ſich bie Befrebungen der Natur⸗ 
lehre, welche fih zu bilden im Begriff war. Das Über 
natürliche glaubte man von ber Natur abfonbern zu müfs 
fen, damit die Natur nach ihren unwandelbaren Gefegen 
als ein Gegenftand rein weltlicher Wiſſenſchaft begriffen 
werben könne. Eine Folge hiervon war, ba bie Wiffen- 
ſchaft des Übernatürlichen nur das Willlürliche zu- ihrem 
Gegenfande zurüdbehielt, welches ald einem einigen Ge⸗ 
fege nicht unterworfen auch nach den ewigen Gefegen un⸗ 
ferer Bernunft nicht begriffen werben Tönne. In biefer 
Auffaſſung des fittlichen und veligiöfen Lebens flimmte 


77 


Taurellus mit dem großen Haufen der proteſtantiſchen 
Theologen feiner Zeit überein, welcher in Berfolg der 
nominaliſtiſchen Lehrweife ale Werke Gottes in ber 
Shöpfung und Erföfang für etwas Bott ußerliches, Un 
wefentliches und nur nad) Willkür von ihm Beſchloſſenes 
anfah. Im diefer Betrachtungsweiſe kam man zu dem 
außerweltlichen Gott, welchen Taurellus verehrte; im ihr 
bildete fich eine Theologie aus, welche den Glauben nur 
jur Grundlage ihrer Beweiſe nahm und ihre Dogmatit 
für gleichbedeutend mit dem Glauben hielt. Bon bem 
alten Gedanlen des Chriſtenthums, daß der Slaube zum 
Wiſſen führen folte, war man durch Trennung der Theo⸗ 
Iogte von der Philofoppie weit abgefommen. J 


2. Balentin Weigel. 


Neben den wifjenfchaftlichen Unterfuhungen ber theo⸗ 
logiſchen Schule erhielt fih aber in Deutſchland eine 
freiere Dentweife über theologiſche und philoſophiſche 
Dinge. Sie ſchloß fih an bie Theofophie an. Im der 
Gortfegung ber theofophifchen Beftrebungen muß man zwei 
Abzweigungen unterſcheiden, welche freifich nicht ohne Ber⸗ 
fräntung unter einander blieben. Die eine „entwidelte 
ſich in der vollsthümlichen Richtung bes Paracelfug und 
erhielt fih unter den Proteſtanten in Deutſchland, wo fie 
in deutfcher Sprache ihre Literatur ausbilbete; das theo⸗ 
logiſche Element war in ihr unflreitig überwiegend. Die 
andere breitete fi über die Grenzen Deutſchlands ans, 
arbeitete fih in bie Geleprfamfeit der Zeit hinein und ' 
fand in Lateinifcper Sprache ihren Ausdruck; auch fie 
hatte großentheils den Paracelfus zu ihrem Führer; fo 


78 


wie diefer aber im Auslande nur ale Naturforſcher 
galt, fo war auch biefer gelehrte Zweig der Tpeofophie 
vorherfhend mit Naturwiſſenſchaft und Mebicin beſchaͤf⸗ 
tigt. Dem Paracelfus näher verwandt entwidelte fih jene 
erſte Abzweigung ber Theofophie früher als die andere. 
Diefe Dentweife Hatte fih aus voltsthämlicen Antrieben 
erhoben und gewann nun allmälig auf die Gelehrten ih⸗ 
ven Einfluß; fie verlor dadurch an ber lebendigen Kraft 
ihrer erſten Jugend, ſchwang ſich aber zu einer allgemei⸗ 
nern wiſſenſchaftlichen Geltung empor. 

In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts lebte 
zu Tſchopau in Sachſen als Pfarrer Valentin Weigel ein 
ſehr friedfertiges Leben, in ſtiller Dunfelpeit mit feinen 
Gebanten befchäftigt. Er war 1533 zu Hayna bei Dres 
den geboren, hatte zu Leipzig Theologie ſtudirt, aber auch 
mit Alchimie ſich befhäftigt, war dort Magifter geworden 
und dann auch auf einige Jahre nach Wittenberg gegan- 
gen, big er zu der Stelle feiner Wirkfamfeit fam, welche 
er bis zu feinem Tobe 1588 behauptete. Bei feinen 
Lebzeiten hätte man nicht geglaubt, daß er in veligiö- 
fen Dingen feine eigenen Wege gehe. Eine etwas freie 
Denkweife über die Bedeutung ber Bekenntnißſchriften, fo 
wie über alle äußere Werke, verftattete ihm ohne Beden⸗ 
fen ſelbſt unter bie Concordienformel feine Unterſchrift zu 
fegen Y). Er galt als, ein frommer und berebter Pfarrer. 
Zahlreiche Schriften, welche er in deutſcher Sprache vers 
faßte, wurden erft nach feinem Tode befannt, vornehm⸗ 
lich durch einen Schulmeifter zu Tſchopau, ber darüber 


4) Chriſtlich Geſprach vom wahren Chriftentgume ©. 39 f. 


79 


von feiner Stelle gejagt wurbe. Erſt im Anfang des 17. 
Jahrhunderts find fie in Druck ausgegangen, verbreitet 
durch gleichgefinute Seelen, welche auch nicht verfeplten 
eine Zugabe von dem Ihrigen unter Weigel’s Namen 
wandern zu laſſen, obgleich ber Vorrath der echten Schrif⸗ 
ten Weigel's noch nicht durch den Druck erfhöpft war. 

In den Schriften, melde man für echt Halten muß, 
iſt Weigel's Weife einfach, wie fein Leben, der Ausdruck 
einer Befinnung, welche in der Stile ſich gebildet hat. 
Er weiß fi in einem entſchiedenen Gegenfag gegen bie 
Tpeologie feiner Zeit und beflagt bie Verblendung ber 
Säule), welche er im Mangel an Ppilofoppie ſucht. 
Man fann wohl ohne Philoſophie felig werben, wie ein 
Bauer, wer aber andere leiten ſoll, muß auch vom Lichte 
der Natur wiffen®). Er Hält ſich jedoch für zu ſchwach 
um gegen bie Blindheit feiner Zeit anzufämpfen und iſt 
zuftieden damit. für ſich bie wahre Erkenntniß gefunden 
zu haben, welche er jegt einer ſtillen Gemeinde mittpeikt. 
Wie er auf den rechten Weg gefommen, giebt er ſelbſi 
an, Früher fei er felbf der Meinung geweſen, daß man 
nit ohne Sprachen und Künfte tüchtig fein könnte ber 
Kirche zu dienen; ba aber fei er über das Büchlein ber 
beutfepen Theologie, über Tauler's Schriften und andere 
Werle der Art gelommen und habe ben Schalt, den Lüg- 
ner in fih ſelbſt gefunden). Er weit nun auf bie 
Duelle der Erfenntniß in uns felb hin. Seine. Weife: 


4) Studium universale L 4. b. In den Hohen Schulen lernet 
ein Viehe vom andern. 

2) T684 oraveor. Das andere Bühlen I S. 62. 

3) Stud. univ. H. 4. a. 


1) 


die Männer anzuführen, mit welchen er übereinftimmt und 
welche ihn anf den verhten Weg gewiefen haben, bezeich⸗ 
net fehe deutlich die Ablunft der Lehren, zu welchen er 
fich bekennt. Er beruft ſich auf den Platon und die Neu⸗ 
Patonifer, den Plotin, ben Proculus, ben Hermes Tris⸗ 
megiftus, den Dionpfins Areopagita, auch auf ben Hugo 
von St. Bictor und die deutſchen Prediger, den Meifter 
Ekhart, den Tauler; Luthers Schriften find ihm werth, 
befonbers feine fräfern; dagegen gilt ihm Melanchthon 
"wenig; vielmehr finde er in den freier geflnnten Maͤn⸗ 
nern, welche mit ben Wieberkäufern in Verwandiſchaft 
oder Gemeinfhaft fanden, in Karlſtadt, Thomas Mün- 
zer, Schwenffelnt und andern, feine Gleichgeſinnten; bes 
ſonders aber ift es Paracelfus, an weichen er im ber gan⸗ 
zen Haltung feiner Lehre bis auf Einzelfeiten herab ſich 
anſchließt. Unzaͤhligemal verweift er auf feine Schriften. 
Er iR nur gelehrter als dieſer Theofoph, ohne deſſen 
Dünfel und viel einfacher. Sonf Bat er Freunde und 
Feinde mit ihm gemein. Er eifert gegen bie verfopernden 
Theologen, weil er bie Offenbarung viel weiter verbrei⸗ 
tet findet, als fie glauben; er eifert auch gegen bie fal⸗ 
fen Ppyfifer, welche die Wahrheit nur von außen fur 
chen; fle folk fh dem Innern Auge entdeden. Hieran 
ſchließt ſich denn freilich auch eine wefentliche Berſchieden⸗ 
heit zwiſchen ſeiner Denklweiſe und ber Lehre feines Mei⸗ 
ſters an. Die eigentlich phyſiſche Forſchung, zu welcher 
Paracelfus antrieb, Tiegt ihm fern; nur das theofophifche 
Element ift auf ihm übergegangen, wie e8 feinen theolos 
gifhen Beftrebungen ſich empfal. Zwar behauptet auch 
er, daß die Unterfuhung ber Natur uns nothwendig fei; 


die Wiſſenſchaft Hat ihm zwei Theile, Aftrologie und 
Tpeologie, jene für das Natürliche, diefe für das Über 
natürliche, beide gehören ihm zufammen und bie Aftrologie 
ſcheint ipm unentbehrlich als Wegmweiferin für unfern welt 
lien Beruf und felbft zur Unterſcheidung ber wahren und 
der falfchen Theologie; daher geht er auch auf die einzel⸗ 
nen Lehren der Afrologie ein !); aber man wird nicht 
überfehen können, daß alle dieſe Unterfuchungen bei ihm 
ame der Überlieferung angehören, wärend er in eigener 
Forſchung nur den Gründen der Theologie nachzugehen 
demäpt if. 

An den Theologen feiner Zeit misftel ihm nicht allein 
das gelehrte Weſen, fondern auch der Werth, welchen 
fie auf äußere Werke, auf das Hören ber Predigt, 
anf die Ceremonien, den Genuß ber Sacramente leg⸗ 
ten. Alles dies if ihm nur eine Verunreinigung bes 
Glaubens und der Wiedergeburt vom Innern Menſchen 
aus. Er dringt auf den Grundfag der Lutheriſchen Res 
formation von der Rechtfertigung durch den Glauben als 
fein, nit durch den Glauben an die Bibel oder die Sa- 
cramente, fondern durch den Glauben an ben heiligen 
Geiſt, welden Gott in uns wirket. Die Mitwirkung 
der Schrift, der Predigt, der Sarramente verwirft er 
war nicht, aber fie dienen ihm nur zur Erinnerung, zur 
Ermahnung an bas innerlihe Wort Gottes, welches durch 
feine Kraft uns erlöfen ſoll. Wir bebürfen ſolcher äußern 
Mittel, weil die Wahrheit tief in uns verborgen, weil 
die Sünde in ung mächtig iſt ). Aber auch ohne fie, 





1) Stud, univ. Borr.; yröds o. 1, 17; 18. 
2) Kurzer Bericht vom Wegeu. Weiſe ale Dinge zu erkennen 55 85 11. 
Geld. d. philoſ. x. 


ohne Taufe und Ceremonien würde Gott fih offenbaren 
Tönnen, wenn er ein reines Herz in und fände, wie 
Weigel dies namentlih von feinen Freunden, ben Plas 
tonifern annimmt). Einkehren in fih, bas giebt den 
wahren Frieden, bie Ruhe der Seele ohne Bewegung 
des Gemüthe, der Gedanfen ohne Affect; in feinem 
Kämmerlein beten, bas if die wahre Theologie ohne 
Müpe und Arbeit. Da finden wir Chriſtum in uns, den 
Gott und Menſchen, unfern Lehrmeifter in allen Dingen, 
deren wir bedürfen). Aber man würde ſich täufchen, 
wenn man glauben wollte, daß Weigel der Meinung 
wäre, dieſer Weg der Einkehr zur Ruhe in uns ſelbſt 
fohte nur zu einem trägen Brüten über bie Regungen 
unferes Gemüths führen. Wir haben gefehn, daß er 
für den Theologen, welcher andere leiten fol, aud bie 
Philoſophie fordert; für den Bauer und ungelehrten Mann 
wird er auch eine andere Arbeit in feinem Beruf verlan- 
gen. Denn er will in Chriſto nicht Gott vom Menſchen 
geſchieden willen; Gott fol in uns nichts ohne ben Tei- 
denden Menfchen wirken. Cr iſt gegen das Teichte und 
fanfte Chriſtenthum, weldes von Ceremonien feine Hülfe 
erwartet 3). Zu dem Lefen in ber Bibel fordert er das 
Lefen in der Welt, deren Dinge alle aur eine Erinnerung 
an Gott find; Denn vom Natürlihen müſſen wir zum 





1) Ib. 4. Denn Gott ift alle Augenblicke gegenwärtig und wartet 
vor der Thür, daß er Lönne eine leere und freie Seele übertommen, 
ob es gleich dem verfluchten Antichriſto verbreuft, daß Gott alfo 
gnädig und unparteiiſch ift und auch andern Völkern den heiligen Geift 
gebe ohne die Beſchneidungen, Taufe, Ceremonim etc. 

2) Studium universale J. 3 ff. 

3) Trößı 0. 11, 1 p.61. 


8 


Übernatürligen geführt werben; in beiden Reichen müfs 
fen wir ſtudiren, im fleiſchlichen und geifligen, weil Bott 
im Fleiſch fich offenbaret Hat; durch Chriſtum ſoll alles 
offenbar werben, d. h. auswendig und inwendig 2), Wei⸗ 
gel Hat alſo eine ganz allgemeine Offenbarung im Sinne. 
In allen feinen Werfen follen wir Gott erkennen, wie 
fie aus ihm Herausgefloffen find; er hat alles gefchaffen, 
um nit alles für fih allein zu haben. In allen feinen 
Verlen if das Zeugniß feines Wortes und feines Geis 
fr; um jedoch dieſe in jenen gu finden bürfen wir nicht 
bei der äußern- Schale, bei dem Schatten ber Wahrheit 
fefen bleiben, fondern müſſen die Waprpeit felbft aus 
ihrer äußern Erſcheinung erfennen 9. 

Diefe Gedanken find ber Mittelpunft in Weigel's 
Ehren, dag wir einbringen follen in das Innere der 
Dinge und daß fi nur in unferm Innern das Innere 
der Dinge und eröffnen koͤnne. Cr fonnte biefe Geban- 
fen freilich ſchon bei frühern Theoſophen finden, auch hat 
er fie in feiner Antvenbung nicht bedeutend erweitert; 
ober fie treten bei ihm in einer viel veinern und allge⸗ 
meinen Weife heraus, als bei feinen Vorgängern. In- 
dem ex gegen die Kraft der Geremonien freitet, Töft er fie 
völlig yon dem Aberglauben eines Agrippa ab; mit ber 
Shwarzfünftelei, wie fie auch einen religiöfen Schein ſich 
geben möge, will er nichts zu thun haben; auch der cher 
niſche Proceß bes Paracelfus, wenngleich er in der Über, 





1b. 1,2. Und erſtlich nad der Natur, darnad nad; der 
Snaden, daß wir auß der Natur geleitet werben zu dem Übernatür: 
fiten. Ib. I, 14; stud. univ. 2; 4. 

2) Tröds 0. I, 5; Kurzer Beriht 11. 


6* 





, 3 


tieferung ihn fortführt, kümmert ihn wenig; eben fo if 
es mit der kabbaliſtiſchen Wiſſenſchaft, welche er ſchon des⸗ 
wegen nicht achten konute, weil er ber. Überkieferung und 
ſelbſt der Bibel einen fehr geringen Werth beilegte. Die 
Vernunft zu verwerfen um dagegen ben Glauben zu er 
heben, ift ganz gegen feine Denfweife; die Vernunft ift 
nit wider den Glauben; natürliche und übernatürliche 
Erkenntniß vollziehen fi beide nur in unferm vernünftie 
gen Weſen ). Einen adgefürzten Weg in ber Erkennt: 
niß der Welt durch eine übernatürliche Überlieferung zu 
ſuchen, faͤllt ihm nicht einz unbedingt zwar flimmt er da⸗ 
für, dag wir den Menſchen nur aus ber ganzen Welt 
erfennen können; er befcheidet ſich auch hierzu nicht fähig 
zu fein und iſt weit entfernt fi) rühmen zu wollen, daß 
er bie Quinteſſenz ber Dinge durchſchaut habe; aber er 
hat Geduld und will und ermahnen, daß wir mit Fleiß 
ſtreben möchten in der Erkenntniß ber ganzen Welt im: 
mer weiter zu fommen 2). So fallen bei ipm die äußern 
Umpüllungen ber Tpeofophie ab, und ihr einfaßer Kern 
tritt zu Tage. 

Diefer befteht nun in den Grundfägen, melde von 
unferem neuern Idealismus oft wiberholt worden find, 
dag wir zwar der äußern Gegenflände zur Erregung uns 
feres .Denfens bedürfen mögen, aber doch nichts von ihr 


1) Gegen die Kabbala iR unftreitig gerichtet Kurzer Bericht 7, mo 
die falſchen Bucher verworfen werden, welchen wir glauben mußten 
nad dem Pythagoriſchen Anfehn, nemlich indem wir betrogen fein 
duch den falſchen Verftand, daß die Vernunft ſei wider den Glauben 
und wider die Gnade. 

2) Hoo- o. I, 4. 


nen lernen, fondern allen unfern wahren Unterricht ans 
uns ſelbſt fehöpfen müflen. Die Dinge gewähren uns 
durh den äußern Eindruck nur ein Bildni von fih, die 
Bahrheit des Gegenflandes können fie nit in uns wir 
tm. Es bebarf eines Forſchens in uns um bie Wahrheit 
su finden. Das Urtheil kommt uns nit von außen; es 
vollzieht fi nur im Urtheilenden; bie Erkenntniß iR im 
Erfennenden, nicht im Erfannten 1). Geine Beifpiele zur 
Erläuterung entnimmt er ald Theolog befonbers von ber 
Bibel. Wie viele gehen an ihr vorüber, ohne fie zu ver 
Reben; fie if ihnen ein weißer Ader und eine ſchwarze 
Saat der Buchſtaben; fie wiſſen aber nicht, was darinnen 
ſteht. Der Buchſtabe giebt nicht bie Erkenntniß ?). So 
iſt es mit allen Dingen; nicht auf ihre äußere Form 
lommt es an; fie verfünbet uns nur den Schatten det 
Dinge; das Licht der Natur aber bezeugt und, daß bie 
Wahrheit der Dinge in ihrem Junern liegt, aus welchem 
alle ihre Wirkungen hervorbringen. In biefes Innere 
möflen wir ung verfenfen; wenn wir ihre Wahrheit er 
lennen wollen, und wir können dies nur, wenn wir aus 
unferm eignen Innern ſchoͤpfen ). Hiervon mußte Weir 
gel um fo inniger überzeugt fein, fe tiefer er die Wahr 
heit der Dinge erihöpfen wollte. Die Wahrheit aller 
Dinge beruht auf Gott; wer fie ergründen wi, muß auf 


4) Iväßı 0. 12. Judicium est in judicante et non in jadi- 
eato; cognitio est in cognoscents et non in cognito. 

2) Kurzer Bericht 1. 

3) Ib. 11. Das Licht der Natur bezeuget, daß alle Dinge von 
innen heraus fließen und Tommen in die Außen Dinge und daf ber 
äußere Schatten nit die Form made, denn es iſt ummöglih, daß 
der Schatten oder Die Milbnif eines Dingen bie Wahrheit felbft wirt 


diefe Tegte Urfache zurüdgepn. Aber nur den Schatten, 
wie von ferne, nur den Zußtapfen Gottes verräth uns 
das Gefhöpf ); aus folhen Zeichen müſſen wir bie 
Wahrheit erforſchen und können fie nur aus unferm eige⸗ 
men Nachdenken, aus unferm Innern fhöpfen 

Weigel geht noch einen Schritt weiter. Auch unfere 
finnfige Empfindung von den Dingen empfangen wir 
nicht von außen, nicht von ben Dingen, fonbern unfere 
eigene empfindende Natur muß fie aus uns herausziehen. 
Seine Gedanken hierüber entwidien fih fehr einfag. Er 
Teugnet nicht, daß ber äußere Gegenftand, ber Gegenmwurf, 
wie er fi ausbrüdt, eine Veranlaſſung der Empfindung 
abgebe; aber wenn nicht das empfindende Auge wäre, fo 
würden wir nicht ſehen; wenn nicht unfer fühlender Leib 
wäre, fo würden mir nicht fühlen. In uns muß bie 
empfindenbe Kraft fein, bamit aus ihr bie Empfindung 
als ihre Tpätigkeit hervorgehen könne; fie Tann in jene 
Kraft nicht hineingetragen werben, fondern muß fich im 
Innern derfelben erzeugen, indem bie empfindende Kraft 
biergu von dem Gegenwurfe nur erwedt wird und ihre 
Erkenntniß in den Gegenwurf hineinträgt 9. Diefe Lehre 
entwidelt fih aus dem Grundſatze der Paracelfiſchen Phy ⸗ 
Mt, daß dur äußern Einfluß nichts in die Dinge hin: 

) B. 7. 

2) Ib. 1. — Daß das Urtheil nicht fließe vom Gegenwurfe in 
das duge, ſondern dargegen daß es vom Muge fließe in den Gegen: 
wurf, — denn ein jeder kann das Geficht haben ohne den Gegen 
wurf, aber nicht dargegen. Ib. 5; 9. Das Fühlen ift in dem, der 
da fuhlet und nicht im gefüplten Gegenwurfe, aber vom äufern Ge— 
genwurfe wird es erwecet. — — Die äufern Gegenwürfe wirken 
nicht die Sinne in unferm Leibe. 


87 


eingetragen werbe, fonbern alles aus ihrem Inuern, aus 
dem Samen, fi geftalte, wozu die äußern Einfläffe nur 
Erweckungen abgeben könnten ) So kommt alle Erkennt ⸗ 
niß von innen, nicht weniger bie finnliche Erkenntniß der 
Erſcheinungen, als das tiefere Verſtaͤndniß ihrer Beden⸗ 
tung. Wenn nicht die Waprfeit in uns Täge, würden 
wir von ihr Keine Kumde haben 2). Durch die Betrach⸗ 
tung bes Gegentheils der Erlenntniß wird Weigel in bier 
fer Lehre nur beſtaͤrkt. Wenn die Erfenntniß von außen 
time, fo wärde fle in allen Erfennenden in gleicher 
Weiſe ſich vollziehn, weil bie äußere Welt eine und bier 
felbe iſt. Aber die Verſchiedenheit der Meinungen, der 
Itrthum, bie vielen Kegereien beweiſen uns, daß bie 
Wahrheit von einem jeden in feiner eigenen Weiſe ger 
dacht wird. Eben fo würde es auch feinen Zweifel ges 
ben, wenn in einem jeden die Welt in ihrer objectiven 
Weiſe ſich darſtellte. Nur weil wir in ber Erfenntniß 
ber Dinge unferm eigenen Willen folgen müffen, werben 
wir in Irrthum und Zweifel verfiridt 9. 

Bir Haben ſchon bemerkt ‚'dap Weigel hierbei an die 
hoͤchſten Aufgaben der Wiflenfpaft ferhätt. Wir follen 
die Welt, wir follen Gott erfennen ; das iſt eine doppelte 
Art der Erkenntniß, die natürliche und die übernatürliche; 
wir haben einen boppelten Gegenwurf, den endlichen und 
zeitlichen in ber Welt und den unendlichen und ewigen 


1) Ib. 11; 7064 0. 1,8. 

2) Kurzer -Beriht 5. — Doß alle Wahrheit zuvor in und vers 
borgen Hege und nur vom Gegenwurf erweckt werde; fonfl Könnte man 
feine Kundſchaft geben, wo nicht die Wahrheit in ins wäre, 

3) 1.155. 


in Gott, und fo mäfen wir aud eine doppelte Erkennt⸗ 
niß haben, des Endlichen und des Unendlichen ))y. Da- 
bei vollzieht fih aber doch alles Erfennen in was und 
wir erfennen in ipm immer nur uns, unfere Kräfte, unfere 
Entwidlungen. Daher bleibt nichts anderes übrig, als 
dag wir in uns alles erkennen und alles find. Lernen 
iR das werben, was wir lernen; bas Innere, das wahre 
Sein der Dinge müflen wir uns aneighen, went wir fie 
erfennen follen. Da wir nun alles Iernen follen, fo mäf- 
fen wir auch alles werden koͤnnen und ba alles unfer 
Werden aus unferm Sein hervorgeht, fo mäflen wir aud 
urſprunglich dasfelbe fein, was wir erfennen ſollen; wir 
möffen mithin alles fein. So wie das Firmament ganz 
außer dem Menfchen if, fo ift es nicht minder ganz im 
Menſchen, und eben fo if es mit Gott. Diefer Sinn 
liegt in der Lehre von der Verkörperung Chriſti in ung, 
in welcher Menſch und Gott fi vereinen 2), 

In der Nahweifung, daß wir bie ganze Welt in 
uns tragen, ſchließt Weigel fih genau an den Paracel- 


1) Ib. 2. Doch ſcheint ib. 7 aud in der Erkenntniß der Ratur 
eine Erkenntniß des Unmdlihen angenommen zu werden, unftreitig 
weil der Gegenfag nicht deutlich heraustritt, tie wir noch meiter 
fehen werden. 

2) Stud. univ. 1. Alſo if das Firmament ganz außer dem Mens 
fen und ganz in dem Menfhen. — — Lernen ift fich felber ken—⸗ 
nem, — — ja lernen und ſtudiren ift eben das werden, das wir Terz 
nen. Ib. H. 1. b. Du terneft die Welt, du biſt die Welt. Darum 
Äft dir mdglid) zu lernen astronomiam, physicam, philosophiam, 
alchimiam, magiam, Künfte, Sprachen, Handwerke; denn dies 
alles iſt in die und du biſt es felber originaliter. , Das bejrugeftu 
mit dir felber durd dein Lernen, daß du eben das werbeft, was du 
gelernet haft, Tvü8s a. I, 12. . 





fas an. Er unterſcheidet im Menſchen Fleiſch, Geiſt und 
Seele und legt ihm darnach auch ein dreifaches Auge für 
das Sinnliche, das Geiſtige und das Ewige bei, ben 
Sinn, die Bernunft und ben Berfiand D. Den Leib oder 
das Fleiſch denkt ex fih als zuſammengeſetzt aus allen 
Elementen, ja aus allen Arten der Dinge, damit wir 
ade Dinge ſinnlich empfinden koͤnnen; der Geiſt {ft vom 
+ Firmament, ein feiner Körper, in ihm liegen alle Künfte 
und Wiſſenſchaften, welche wir lernen follen; er iſt aber 
doch nur ferblih, weil alles zurädtehren muß in bas, 
woraus es gefommen iR; nur bie Geele iſt unſterblich 
und auch allein zur Erkenntniß Gottes tätig, weil fie 
vom Ewigen, von Gott iſt ). In. feiner Lehre vom 
Fleiſche und vom Geiſte des Menfıhen fommen AÄuße⸗ 
rungen vor, tu welchen man materialiftifche Anfihten fes 
hen koͤnnte. Über der tiefere Grund feiner Lehre ift nicht 
materialiſtiſch; vielmehr geht er darauf aus alles Körpers 
liche nur als Außerung einer innern Kraft zu betrachten. 
Denn den Dingen fommt nichts yon außen; alles ent 
wideln fie aus einer ihnen inwohnenden Kraft und ber 
Sinn des Fleiſches und ber feine fiberiiche Geiſt empfan- 
gen nichts, was nicht in ihnen läge, fondern werben nur 
vom äußern Gegenwurf fei es ber einzelnen @efchöpfe,-fei 
es des Firmaments zu ihren eigenen und Innern Tpätige 
feiten erwedt 5) Zuletzt iſt es immer die höhere Kraft, 


1) Es finden Hier auch diefelhen Schwankungen über Seele und 
Geift ftatt, wie bei Paracelfus; auch wird bie Imagtnation in einer 
eivas unſichern Stellung eingeſchoben. Berge. yrüss o.1, 2; 9; 10. 

2) 1b. 1,3; 6; 17. \ 

3) Der gütdene Griff 15 15. 





vo 


welche von oben her alle unfere Thaͤtigkeiten fi ent⸗ 
wideln läßt. Bon oben herab bringt alles Licht in die 
tiefern Schichten des Verfländnifles; der Sim wird nur 
durch die Einbildungskraft, die Einbildungstraft nur burch 
die Vernunft, die Vernunft nur durch den Berfland und 
zuletzt durch Bott erleuchtet und das Obere lann wohl 
fein ohne das Niebere, aber nicht das Niedere ohne das 
Dbere ) So ift alles vom Geifle Gottes abhängig, die 
Weit fpiegelt nur Gottes Wirkungen ab, fie if der Schat- 
ten, der Buchſtabe, welcher ihn offenbaren fol. Hierauf 
beruht die Überzeugung, daß .wir das Ganze der Welt 
und bie Offenbarung Gottes in uns tragen. Zwar be 
ruft fich Weigel auch auf die Lehre des Paracelſus von 
der Schöpfung des Menſchen aus dem Erdenkloß, daß 
er als die kleine Welt aus der großen Welt gemacht wor⸗ 
den, daß er die Vollendung der Schöpfung ſei und die 
Quinteſſenz, den Begriff aller Dinge in ſich trage; aber 
viel unmittelbarer drüdt es den Grund feiner. Überzeugung 
aus, wenn er dabei zufegt auf bie Allmadıt Gottes ſich 
beruft, welche bie große Welt in eine Fauſt faflen und 
in der Heinen Welt des Menſchen zufammenfgließen 
koͤnne 9). 


1) Ib. 8; ꝓ60. o. I, 10. 

2) Ib. I, 4. Auf daß nun der Menſch ein Begriff wäre und ein 
Beſchiuß allen Gefhöpfen und gleih als ein centram und Punct 
allen Ereaturen, auf welchen alle Greaturen fehen folten und ihn ats 
einen Herrn erkennen, hat Gott wollen dm Menſchen nicht aus 
nichtes ſondern aus elwas, das iſt aus der großen Belt formicen ; 
denn einen ſolchen gewaltigen Schöpfer haben wir, daß er dieſe grofe 
Belt faſſen kann in eine Fauſt, das ift in den microcosmum be: 
fliegen, 


Diefe Schöpfung des Menſchen if nun, wie Weigel 
fie dentt, keinesweges nur eine willfürlihe Annahme; 
fie fließt vielmehr aus der allmächtigen Weisheit Bottes 
mit Nothwendigleit. Die ſchoͤpferiſche Macht Gottes 
fonnte ſich nur in einer volllommenen Welt offenbaren; 
fie konnte daher auch die Welt nicht ohne ihre Vollendung 
laſſen. Sie erweiſt fih auch nicht fo, daß ihre Gaben, 
welche fie dem einen verleiht, dadurch dem andern entzo« 
gen würden; vielmehr bie Fülle der Gottheit if fo reich, 
daß fie immer noch das Ganze zu verleihen hat, wenn 
fie es auch bereits verlichen haben follte. Der Menſch 
follte alles haben, was in Bott if; alles, was bem eis 
nen Menfchen verliehen wurde, follte aber auch ber ans 
dere erhalten; denn wir alle find gleich begabt von Gott, 
jeder hat dasſelbe empfangen, was ber andere, und wenn 
Gott dem Menfchen die ganze Welt gab, dennoch blieb 
fie noch immer ganz und die Engel und alle vernünftige 
Weſen ſollten nicht minder in ihr den ganzen Schag bes 
göttlichen Reichthums empfangen D Hierin erweifen ſich 
die idealiſtiſchen Grundfäge Weigel's wohl am flärffien. 
Da ift fein Gedanke daran, obgleich Paracelſus dies flart 





4) Ib. II, 6. Auf daß fi das ewige Gut ausgiefe, — — hat 
es ihm ‚gemacht und geſchaffen ein Gleichntß und Bildniß, nemlich 
die vernünftige Creatur, — — daß dieſelbe ganz und vollkimmlid, 
beſaße und innen hätte alles, mie er felber. Ib. II, 13. Mir find 
auch gleich begabet von unferm Schöpfer und hat einer fo viel -als 
der andre. Stud. umiv. 3. Die Welt ift ein Menſche worden und 
iſt die Welt blieben, wie die Schrift zeuget. Gott der Herr ſchuf den 
Menſchen aus dem Erdenkloß, das iſt er machte den Menſchen aus 
der Welt, daß der Welt nichts abgingez er machte das Weib aus 
dem Manne und der Dann blieb ganz. Ib. 4, 


hervorgehoben hatte, daß der Menſch als Geſchöpf bes 
ſchraͤnlt fein müßte; vielmehr wird geltend gemacht, daß 
er als Vollendung der Schöpfung, bes allmaͤchtigen und 
allweiſen Gottes ohne Schranfe die Volllommenheit feis 
nes Schöpfers überfommen haben müffe. In den natür⸗ 
Then Dingen hat zwar ein jeber Menſch feine befondere 
Beftimmung, aber dies betrifft nur das Fleiſch und das 
Werkzeug, welches nicht der rechte Menſch iſt; denn der 
rechte Menſch iſt nur der, welcher durch Was Wertzeug 
ſieht und erkennt ), Die Volllommenheit ber Geſchöpfe 
wird nun freilich nur für die vernünftigen Weſen, für 
die Menſchen und die Engel, behauptet; aber in ihnen 
ſieht Weigel auch die Vollendung und das wahre Wefen 
der Schöpfung. Er behauptet da im weiteſten Sinne bie 
Gleichheit aller Geſchoͤpfe, weil fie alle in ihrem Weſen 
die Volllommenheit ihres Schöpfere abbilden müſſen. 
Kinder und Narren folen wir nicht veradten; nur im 
Außern haben fie ihre Gebrechen; was an ihnen ber 
wahre Menſch if, Kunft, Weisheit, Vernunft und Bers 
Rand, das ift eben fo”gut als Du, Nicht einmal der 
Teufel wird hiervon ausgenommen; fein Wefen if noch 
gut; alles gilt gleich vor Gott; alles if in ihm eins und 
bleibt eins. Alle Natur iſt gut, glei) ihrem Schöpfer 9. 
Weigels Überzeugung wurzelt in dem Gebanfen, daß bie 


1) oo. 0. 1. 7; 15; 18. 

2) 1. 1,7; U,2 S. 66. Das Weſen eines jeden Dinges und 
die Natur an ihr felbft iſt fehr gut, ja Gott ſelbſt. Stud. univ. 
K. 1. b. Doch folltu wiſſen, daß des Teufels Wefen noch gut fei 
und daß Engel und Teufel Bott gleich gelte, Himmel und Hölle. 
Denn omnia adhuc sunt unum in dee. — — Bir find alle gleich 
in beiden Lichtern. 


geifigen Gaben, welche bie Wahrheit der Dinge ausma ⸗ 
den, ohne Schranfen fih mittpeifen und niemand durch 
den Befig der Andern in ihnen verkürzt wird. 

So wie nun bie Notpwenbigfeit behauptet wird, daß 
Gott feine Volllommenheit in feinen Geſchoͤpfen bewähre, 
fo ergiebt ſich auch, daß wir die ganze Volllommenheit 
Gottes in feiner fepöpferifhen Tpätigkeit zu erbliden has 
ben. Gott und Schöpfer if eins. Weigel weiß bie 
himmlifhe Eva, die Weispeit Gottes, durch welche er 
alles geſchaffen Hat, von Gott nicht zu trennen. Seine 
Bolltommenpeit hat Gott nicht allein für fi haben, er 
hat fie auch offenbaren wollen, damit Zeit und Ewigkeit 
fd zufammenfänden. Ohne die Zeit würde die Ewigfeit 
nit ganz fein; opne die Schöpfung würde Gott nicht 
feinen Willen haben; wenn er nicht Schöpfer wäre, würbe 
er nicht Bott feind. In allem Lernen lernen wir nur 
uns felbft; eben fo ſchafft Gott in allem Schaffen nur fih; 
er erkennt ſich ſelbſt in feinen Gefchöpfen und liebt ſich 
in ipnen 2). Genug bie innige Verbindung bes Geſchö⸗ 
pfes mit dem Schöpfer, das innere Leben des Gedankens 
in dem Wefen des Dentenden fchließt jeden Verſuch aus 
eine Trennung bes Schöpfers von feinen Geföpfen ein« 
treten zu laſſen. Die Geſchoͤpfe Gottes find feine Gedan⸗ 
ten, fein Wille. Derſelbe Grundfag, welcher für die 
vernünftigen Geſchoͤpfe geltend gemacht wird, dag fie nur 


1) 7,684 o. II, 6; sind. univ. 4. Die himmliſche Eva hat in 
Anfang Gott zum Gotte gemacht, zum Schöpfer; fie ift die Mutter 
aller Lebendigen, durch fie kommet alles an Tag, ohne fie wäre kein 
Gott, feine Treatur, nur Ewigkeit ohne Zeit. 

2) Kurzer Bericht 65 stud. univ. K. 1. b. 


in ihrem Innern erfennen, Ieben und find, findet feine 
Anwendung auch auf Gott. Er wird von Weigel auch 
für ausreichend gehalten worden fein einer jeden Vorſtel⸗ 
Tungsweife, welde den Unterſchied zwiſchen Gott und 
Weit aufpeben möchte, einer feben pantheiftiichen. Neigung 
gu begegnen, indem er vor allen Dingen einem feben 
Weſen fein eigenes Denfen, Wollen und Sein bewahrt. 
Fa. der That macht Weigel nicht die geringfte Anſtren⸗ 
gung fih von dem Verdachte zu reinigen, als wollte er 
Schöpfer und Geſchoͤpf in einander zerfliegen laſſen. 
Dad eigene ‚Sein der Gefchöpfe führt ihn zu der 
‚„ Behauptung ihres freiem Willens. Zunaͤchſt beweiſt der⸗ 
felbe fih in unferm weltlichen Leben vor dem Sündenfall 
und nad ihm ). Da wird uns ein eigenes Wirken zu⸗ 
geſchrieben in unferm weltlichen Erkennen. Dur unfer 
eigenes Urtheil follen wir bie Dinge erfennen, fammt und 
fonders, um ung ſelbſt in ihnen als die Feine Welt zu 
erfennen; denn vom Natürlihen follen wir zum Überna- 
türlicpen geleitet werden). Diefe Freiheit in unferm 
weltlichen Leben und Exfennen ift eine durchaus innerliche 
Entwidlung, in welder wir ung ſelbſt beſtimmen; nach 
ber Weiſe Weigers wirb dabei auf das Äußere wenig 
ober gar fein Gewicht gelegt. Er if davon überzeugt, 
daß. fi dasfelbe ſchon zu unferm Beften fügen werde, 
— — 

1) Stud. univ. 5. Die vernünftige Creatur muß haben einen un⸗ 
gendtigten Willm, — — auf daß fie nicht zu Magen hätte, fie müffe 
gewungen boſe fein oder gut. Die geſchaffene Bildniß Gottes erfor- 
derte es nicht anders, denn daß ein freier Wille bliebe für und nach 


dem Fall. 
2) Trası a. 1, 2; 12. ' 


wenn nur alles in unferm Innern gut beſtellt iſt. Dies 
ſelbe Freiheit des Willens wird nun aud für unfer über 
natürliches Leben in Anſpruch genommen. Nicht ohne 
den Menſchen will er unfere Erleuchtung im goͤttlichen 
Lichte, fondern aus ihm und durch ihn vollbringen laſſen. 
So wie das Böfe aus und hervorgeht, fo wird auch 
die Neugeburt durch die Gelaffenheit unferes eigenen Wil⸗ 
lens bewirlt . Aber in der Betrachtung dieſer Seite 
unferes Lebens glaubt Weigel doch bie Freipeit des Men» 
ſchen gegen die Allmacht Gottes zurücktellen zu müſſen. 
Nur Gelaſſenheit, nur Leiden und Stillehalten gegen die 
Wirkungen Gottes empfielt er und; bie übernatürliche 
Erlenntniß iſt ihm ein Vorgang, welcher nur leidentlich 
fg in uns vollziehe. Da. fol das Erkennen nicht ans 
dem erfennenden Auge, fondern aus dem Gegenwurfe 
Tommen, welcher uns erleuchte. Er würde glauben fonft . 
mit den Pelagianern flimmen zu müffen, daß der Menih 
fünne gerecht gemacht werben durch eigene Kräfte). Die 
Nachwirkungen ber ältern Myſtik find in dieſem Punkte nicht 
zu verlennen. Wir follen da verzichten auf uns ſelbſt. 
Bärend uns fonft empfohlen wird uns felbft zu ſuchen 


4) 1b. I, 13. Obwohl die ottüiche übernatürfiche Erkenntniß 
von Gott kommet, fo tommet fie doch mit ohne den Menfhen, fon " 
dern in, mit, aus und durch den Menſchen. Ib. II, 9. So muß 
aud die Vefferung, die Wieberbringung oder Reugeburt durch Chru— 
fum alleine in dem Willen vollbracht werden. — — Und mie bie 
Sande und das Boſe geſchieht durch Annehmlichteit eigenes Willens, 
Mo geſchieht die Verſohnung durch Gelaffenheit eigenes Willens. 

2) Kurzer Bericht 25 6. Noch eine Erkenntniß iſt zuzulaſſen, die 
ſich ganz und gar leidlich Hält, als nemlich die übernatüclihe Erz 
kenntniß, — — alfo wenn die Erkenntniß fleußt aus dem Gegenwurfe 
gleid) als in ein reines und leeres Auge. Zrö6ı o: 1, 13; U, 6. 


zu unferer Selbfterfenntnig, wird in biefer Richtung der 
Gedanken -vielmehr. nur Böfes darin gefunden, wenn 
wir ung ſelbſt ſuchen, umd fogar von Eprifto gejagt, er 
haſſe ſich ſelbſt ) In demfelben Sinne wird alsdann 
auch der freie Wille verſchmaͤht; er iſt den Wirkungen 
der Sacramente entgegen; nur im gefangenen Willen iſt 
Seligleit?) Dem freien Willen werben auch feine Werke - 
folgen müffen. Die natürliche Erlenntniß, welche er voll⸗ 
sieht, erſcheint daher nur als ein Zufag bes Balfchen, 
welcher die Unfeligkeit unferes Lebens bewirkt. Die rechte 
Erfenntniß dagegen iſt ohne Mittel; vor Adams Fall 
mar fie vorhanden; ba beburften wir des Unterrichts 
durch das Geſtirn nicht, da waren wir aud frei von 
den @inflüffen bes Geſtirns. Wir erfahren aber hieraus 
auf, daß die Freiheit des Wiens, welche uns für uns 
fer natürliches Leben zugeftanden wurde, nicht bie.rechte 
Breipeit iſt. In ihr find wir gebunden durch unfer Ge 
ſtirn, dur unfere natürliche Geburt, in welcher und 
eben unfere fünftigen Schidfale vorherbeftimmt find, fo daß 
ſich unfer ganzes natürliches Lehen von der Aſtronomie 
vorherfehen laͤßt. Erſt durch die Wiedergeburt werben 
wir wieder frei von ber Naturgewalt des Geſtirns, und 
werben alsdann in ber Gebundenpeit unferes Willens 
die wahre Freiheit der Kinder Gottes haben y. . 

Es iſt nun wohl erſichtlich genug, daß in biefen Lehren 
ein boppelter Begriff von Freiheit und Abhängigfeit herſcht 
und yerhindert eine fletige Lehre von unferm weltlichen 


1) 1b. 1.3; 12. 
2) Kurzer Bericht 115 stad. univ. 5. 
3) Kurzer Bericht 35 45 7260. a. 1, 13; 17. 


9 


eben und feinem Berhfttniffe zu Gott durchzuführen. 
Man wird wohl fagen können, Weigel habe bie Punlte, 
welche feftgehalten werden müffen, richtig eingefehn; aber 
die Mittel fie zu vereinigen erfannte er nicht. Er will 
bie Wahrheit unferes weltlichen Lebens behaupten, daher 
vertheidigt er unfere Freiheit; er will unfere Abhängigkeit 
von Bott in alleın, was wahr und gut, nicht aufgeben, 
daher geftattet er nicht, daf unfer Verhaͤltniß zu Bott nad 
demfelben Maße gemefien werde, nad weldem unfer 
Verhaͤltniß zu den weltlichen Dingen zu beurtheilen if. 
Über diefe entgegengefegten Richtungen feiner Lehre wird 
er zu den Außerfien Annahmen getrieben. Weil Gott uns 
ganz in feiner allmäctigen Hand Hält, wir aber im welt- 
lien Leben von ihm zu unſerer Freiheit abfallen, fo iſt 
diefeg Leben au erft durch den Fall Adams entftanden. 
Um aber nun dem weltlichen Leben fein Recht zu bewah⸗ 
ven wirb auch der Fall Adams von Weigel für etwas 
durchaus Nothwendiges gehalten, ohne welches bie Schö⸗ 
Hung der Welt und der Menfchen umfonft fein würde, 
Durch die Zeit follen wir zur Ewigleit geführt werden; 
dur dad Böfe müffen wir zum Guten, zu unferm Urs 
fprung zurücklehren 2). Aber von der andern Seite wird 
auch das Böfe und der Durchgang durch das ganze welt 
Tigerfehen nur als ein Schatten angefehn und als etwas 
durchaus Unweſentliches, was die Subſtanz der Dinge 


1) Stud. univ. G. 1. a. Mus dieſen Worten follm wir verftchen, 
daß diefe Welt umfonft geſchaffen wäre, ja dee Menſch wäre nichts 
nüße geweſen, fo er blieben wäre im Paradies, Tyco. o, II, 19: 
Aus der Zeit werden wir geführt zur Ewigkeit; — — alfo buch das 
Be wird man gehandleitet zum Guten ald zum Urfprung., 

Geſch. d. Philof. x. 7 


nicht treffe. Das Böfe iſt nur ein Mangel, nichts, was 
irgend ein poſitives Sein in Anſpruch zu nehmen hätte. 
Die Sünde beſteht nur im Wollen und das Wollen ift 
ein Accidens, ein Zufall, welcher das Geſchöpf in feinem 
Weſen unverändert laͤßt, wie es zuvor war; denn was 
Gott im Geſchoͤpfe als fein ewiges Weſen gefegt hat, 
das bleibt ewig, und ſelbſt Judas und der Teufel wer⸗ 
den durch die Sünde nur in weltlichen Eigenſchaften und 
natürlichen Zufälligkeiten, aber nicht in ihrer ewigen und 
guten Subſtanz geändert ), Hieraus zieht Weigel auch 
die Folgerung, daß die Wiedergeburt und die übernatür- 
liche Erfenntniß den vernünftigen Geſchöpfen nichte zufege; 
fie ändert ipr Wefen nicht 2). Er hat aber nicht nöthig, 
wie andere Theologen, zu einer übernatürlichen Erhöhung 
der vernünftigen Gefchöpfe feine Zuflucht zu nehmen, weil 
er davon überzeugt iſt, daß. bie göttliche Allmacht und 
Weispeit fie urſprünglich vollfommen in ihrem Wefen 
gemacht Hat und daß fie aud in diefem volllommnen We 
fen ohne Veränderung beſtehen müffen. 

In dieſen Gedanken über die unveränderlihe Sub f 
ſtanz des Menſchen verräth fih der alte Fehler der Pla 
tonifhen Schule, aus welder dieſe theoſophiſche Lehre 

‘ | 
21.1, 2. Dieweil num die Sünde im Wollen geſchieht und 
nit im Weſen, fo iſt fie nicht eine Subftang, fondern ein aceidens 
oder ein Zufall. Darum bleibet die abgefallene Greatur eben das fir 
zuvor ware nach dem Weſen und Ratur. Ib. II, 19. Das Zufällige | 
an ben Dingen wird aud als die Qualität derfelben bejeichnet, was 
für den Sprachgebrauch Bohme's zu merken if. Der Grundfag Heißt: 
sabstantia manet eadem, sed non talis. 

2) Ib. U, 2. Die Wiedergeburt durch den Glauben ändert nicht 
den Menfohen an Weſen oder Ratur, | 


fih herausgebildet Hatte. Bor andern Lehren ähnlicher 
Art zeichnet fie ſich dadurch aus, daß fie die Beſchrän⸗ 
tungen befeitigt, welche man ber ſchöpferiſchen Macht 
Gottes gefegt hatte, als könnte fie nur unvolllommene 
. Gefhöpfe Hervorbringen, daß fie daher für die wahren 
Subfangen der Welt, die vernünftigen Geſchoͤpfe, das 
volle Ebenbild Gottes einfordert und damit aud ihren 
idealiſtiſchen Neigungen zu genügen weiß, welde fie alle 
Entwicklungen unferes finnlipen und vernünftigen Lebens 
nur als innere Acte der uns inwohnenben Kraft betrach⸗ 
ten laͤßt. Aber fie erfennt dabei die Bedingungen nicht 
an, unter welden bie Wirkfamfeit Gottes in ben vers 
nünftigen Weſen ſteht, fie verlennt das Wefen der Ber 
nunft, wenn fie die Bolltommenheit der vernünftigen 
Geſchöpfe in ihrem urfprünglichen Weſen ſucht und fie 
nicht als eine Frucht ihres freien Lebens betrachtet. Wir 
dürfen ihr zwar nicht abſprechen, daß fie eine Ahndung 
davon hat, daß wir durch unfer Leben in ber Welt zu 
unferer Volllommenheit gelangen follen; fie würde ſonſt 
nicht zur Theofoppie gehören, welche Gott in der Welt 
fHauen will 1); aber fie verſchüttet ſich dieſe Ahndung, 
weil fie nicht zur Haren Einſicht ſich zu bringen weiß, 


1) 1b. 1, 21. O mein Schöpfer und Gott, durch dein Licht er⸗ 
kenne ich, wie wunderbarlich ich gemacht fei. Aus der Welt bin ih 
gemacht und bin in der Welt und die Welt ift in mir. Ih bin auch 
von die gemacht und ich bleibe in dir und du in mir. Mus der Welt 
bin ih und die Welt träget mich, fie umgreifet mid) und ich trage 
die Welt und umgreife die Welt. Ich bin ihr Kind und Sohn; fle 
iR worden, was id) bin, und id) blieben, was fie iſtz denn alle, 
was in der großem Melt iſt, das iſt aud alles in mir geiftfic. 
Darum bin ih und fie eins und mag ohne fie nit fein noch Icben. 

7* 


100 


daß unfere Bernunft nur durch ihre Arbeit von ihrem 
unbewußten Bermögen zur Wirklichteit und zum Bewußt⸗ 
fein ihres Seins gelangen kann. Daher fommt es, daß 
Weigel mit dem. @edanfen an unfer weltliche Leben un- 
mittelbar den Gedanken an die Sünde verbindet und 
unfere Arbeit nur darauf richtet das Böſe von ung ab- 
zuwehren, ohne daß dadurch etwas Neues, etwas anderes 
als unfere urfprängliche Gubflanz gewonnen würde. Aus 
demfelben Grunde fließt ipm auch ber falfche Gegenfag 
zwiſchen der natürlichen und ber übernatürlihen Erkennt⸗ 
niß, welcher aus ber Grundanfiht Weigel’s nicht abge 
leitet werben fann. Denn biefe verfeugnet ſich nicht, daß 
Gott aus feinen Werken in natürlihem Wege volllom⸗ 
men erfannt werden kann, weil er in feiner ſchoͤpferiſchen 
Tpätigfeit unbefchränft waltet und fein ganzes Wefen of⸗ 
fenbaret ?). Wenn er es daher für nöthig hält erft durch 
die Sünde uns hindurch zu führen nnd alsdann duch 
den gottergebenen Sinn das übernatürliche Leiden Gottes 
und in ihm das Bewußtſein unferer gotterfülten Sub 
ftanz ung zuwachſen zu laffen, fo koͤnnen wir bies nur 
für einen Umweg anfehn, welchen er einfclägt, weil es 
ihm nicht einleuchtet, warum wir durch die Mühen des 
Lebens Hindurd müſſen, obgleih uns Gott in feiner 
Schöpfung die ganze Fülle feiner Wahrheit verliehen hat. 


3. Jacob Böhme, 


Die theoſophiſche Lehre, welche von der Gelehrfams 
teit fo wie ber Theologen, ſo der Naturforfcher ſich ab- 


1) Kurzer Bericht 7. 


101 


gefondert hatte, blieb Eigenthum einer Heinen ſtillen Ge⸗ 
meinde, welche riur in einem fparfamen Verlehr fih fort: 
pflanzte, nur felten ihre Stimme erhob und von iprem 
Dofein Kunde für das allgemeine öffentliche Leben gab, 
Daher laufen die Fäden iprer Überlieferung fehr im Ver⸗ 
borgenen. Man weiß faum, woher die Männer, welche 
fie verfündeten, ihre Anregung fepöpften, noch wie fie 
wieder in Andern wirkten. Dennoh würde man fih 
täufgen, wenn man glauben wollte, fie wären ohne eine 
fortfaufende Überlieferung geweſen. 

Hiervon giebt uns Jacob Böhme ein Zeugniß. Ob⸗ 
gleih er eines armen Bauers Sohn und ohne alle ges 
lehtte Kunde geblieben war, klingen doch in ihm dieſel⸗ 
ben Töne nach, welche wir von ben wiebertäuferifchen 
Jeitgenoffen Luthers, von Theophraſtus Paracelfus und 
Valentin Weigel vernommen haben. Im Jahre 1575 
zu Alt⸗Seidenberg nahe bei Görlig geboren lernte er in 
der Schule nur nothdürftig leſen und ſchreiben und hü- 
tete das Vieh bis er zu einem Schuhmacher in die Lehre 
gelfan wurde. Nachdem er feine Lehrzeit hinter ſich hatte, 
wanderte er einige Fahre nach Handwerlsgebrauch, wurde 
Meier, und ließ ſich zu Goͤrlitz häuslich nieder, wo er 
mit Grau und Kindern ein untabelpaftes, friebfertiges und 
frommes Leben führte. Schon in feinen Knabenjahren 
hatte er wunderbare Gefihte gehabt. Sie wiederholten 
fih in fpäterem Alter zu verſchiedenen Malen und ver 
fegten ihn in eine Stimmung von anhaßender Dauer, 
fo daß er das Innere der Dinge durch ‘ihre äußere Ges 
ſtalt hindurch zu erſchauen, ihre Kräfte zu fehen, die 
Sprache der Natur zu verftehn glaubte. In Folge einer 


4102 
ſolchen Verzüdung ſchrieb er 1612 feine erſte Schrift, 
Morgenrötpe im Aufgang. Sie wurde von einem Adligen 
feiner Befanntfchaft in Abfchrift genommen und verbreitet. 
Dem erſten Geiftlichen der Stadt gab fie Anſtoß. Bon 
der Kanzel herab ließ er feinen Eifer gegen Böhme aus 
und der Magifirat wurde baburch veranlaft gegen ben 
Stillen im Lande zu unterfuchen und ihm ferneres Schrei⸗ 
ben zu verbieten. Sieben Jahre hielt Böhme fih zurüd. 
Doch verbreitete ſich indeffen der Ruf des Wunderman- 
nes, wie ihn feine Freunde nannten, über bie Lauſitz, 
Schleſien, Sachſen; aus der Gegend von Nürnberg Ta- 
men die Erfundigungen nad dem ungelehrten Manne, 
der aller Sprachen fundig fein follte. Seine Bedenken, 
0b er gegen das Gebot feiner Obrigfeit ſchreiben dürfe, 
ließen ſich heben. Nach einer neuen Bewegung feines 
Geiſtes fing er nun an eine ziemliche Anzahl von Schriften 
nieberzufchreiben und fogar drucken zu laſſen, unter be 


fländiger Anfechtung der Geiftlihfeit, in ©efar von ber. 


weltlichen Obrigkeit aus feinem Wohnorte vertrieben zu 
„werben, aber getragen von einem gebulbigen Sinn, wel 
per den äußern Ordnungen des geiſtlichen und weltlichen 
Regiments fih unterwarf ohne in ihnen die hoͤchſte Richt⸗ 
ſchnur für fein Leben zu finden. Gegen feine Widerfa- 
her hatte er ein freies Wort, aber auch bemüthige Un— 
terwerfung unter einen höhern Richterſpruch, fo daß Bil- 
lige Theologen bie Unfträflichkeit feiner Haltung nicht vers 
fennen mochten. In einer unanfepnlihen Gefalt gewann 
diefer Mann viele Herzen in ber ftillen Gemeinde, welche 
innerhalb der proteftantifchen Kirche ſich gebildet hatte, ja 
er erhob fih in ihr zu einem fill verehrten Haupte, ohne 


An 


103 


alle Mittel der Kunſt, nicht in jaͤhem Anlauf einer lei⸗ 
denfgaftlichen Bewegung, fondern nur dur den Schwung 
feiner Gebanten, durch die Macht einer fruchtbaren Phan- " 
tafie und einer in ſich befriebigten Seele. Er hatte 
Mufe feine Schriften zu verfaffen. In feinem Hands 
werke war er heruntergefommen; von feinen Zreunden 
wurde er unterftügt. Go Bat er in ben 5 Jahren von 
1619 bis 1624, wo er flarb, nur durch feine Schriften 
und durch Unterhaltungen, in welchen man feinen Uns 
terriht ſuchte, für die Berbreitung feiner Denkweiſe 
gewirkt, N 

Der hofärtigen Gelehrfamfeit iR Böhme ein Stein 
des Anſtoßes. Ohne Gchulgelehrfamfeit weiß er tiefer 
in das Wefen der Dinge einzubringen als andere, welche 
von der Meinung aller Welt wiflen. Er if ein Beweis 
davon, wie- viel die Seele ohne kunſtliche Beihülfe zu 
finden weiß, wenn fie eifrig ſucht. Aber aud davon giebt 
er ein Zeugniß, durch wie viele verborgene Kanäle der 
Menſch mit der Stimmung und der Bildungsftufe feiner 
Zeit zuſammenhaͤngt. Wie weit er auch abwärts von 
dem Strome des wiſſenſchaftlichen Verkehrs wohnen mag, 
wenn er nur wiſſenſchaftlichen Sinn hat, biefer Strom 
ergreift ihn doch. Böhme faßte die Aufgaben ber Wif- 
ſenſchaft, in deren Verſtaͤndniß er ſich hineingenarbeitet 
hatte, in einer Weife auf, welche der Theofophie feiner 
Zeiten fehr nahe Tiegt. Es ift zweifelhaft, ob er aus 
den Schriften der Theoſophen gefhöpft hat; in feinen 
Werken wird nur die Bibel erwähnt; aber ohne Zweifel 
hat er aus münbliger Überlieferung Kunde von den theos 
ſophiſchen Lehren erhalten. Seine Schriften zeugen das 


- 404 


von, dag er nicht ohne Nachhülfe feiner Freunde war. 
Sein Biograph, Abraham von Franfenberg, der im ver- 
trauten Umgange mit ihm Yebte, verräth uns den Kreis 
der Gebanfen, in welchem fehne gelehrtere Umgebung 
lebte, indem er auf die Zeugniffe des Dionyſius Areo⸗ 
pagita, der Deutſchen Myſtiker, des Nicolaus Eufanus, 
der neueren Platoniler, bes Paracelfus ſich beruft. Er 
nennt uns überdies Ärzte und Chemiker, mit welchen 
Böhme in Verkehr ſtand. Gewiß fhöpfte Böhme aus 
den Tiefen feines gottfeligen Gemüths bie Anſchauung 
der Dinge, welche feinen Lehren zum Grunde liegt; aber 
indem ev fie zu einem Verſtaͤndniß der Welt in ihren phy⸗ 
fiſchen Erſcheinungen und in der Geſchichte der Bölter 
ausbreiten wollte, war er genöthigt zu einer’ Reihe von 
Überlieferungen, welche nur in verwortenen Umriſſen ihm 
vorſchwebten, feine Zuflucht zu nehmen, Daß ihm hier 
‚aus ein buntes Gemiſch phantaftifcher Bilder und Meir 
nungen hervorging, war unvermeidlich. Es wäre leicht 
ihm feine Irrthümer und Widerfpräche in der Phyſik und 
in der Geſchichte nachzurechnen; man Tann ihm nachwei- 
fen, wie er an Zerrbildern ſich abarbeitete, indem er unter 
der Hülle der wirklichen Welt, welche fi zur UÜberſicht 
gu bringen ihm jedes ungetrühte Mittel fehlte, ihren ties 
fern Kern zu erfchauen fih vermag; aber man wirb mit 
feinen voreiligen Blicken in verborgene Geheimniſſe fih 
verföhnen, wenn man bie kindlich fpielende Seele ver 
ſtehn lernt, welche nur Figuren der Wahrheit in ihrer 
dichteriſchen Phantaſie zu deuten und anzudeuten verſucht. 
Die Weiſe feiner Bildung verfegt uns in jene erſten An 
fänge der Wiſſenſchaft zurück, in welder noch Feine Litter . 


un 


108 


ratur war, in welcher man noch mit kindlichem Glauben 
an der mündlichen Überlieferung hing. Mit Unrecht würde 
mar es ihm als feine Schuld anrechnen, daf er bie 
Überfieferungen der Paracelſiſchen Schule nicht mit den 
Augen des Zweifels betrachtete, ſondern fie in felfe phy⸗ 
ſiſche Weltanſchauung zu verarbeiten fuchte. Auch in bie 
Zeiten verfegt er uns zurüd, wo bie Ppilofophie fh 
erſt aus ber Poefie herausarbeiten ſollte. Er ift wie eine 
verfpätete Frucht in ber Reife der Zeiten, in welder er 
„auftrat, nur daraus zu erfläsen, daß er aus ben tiefern 
Schichten der Geſellſchaft hervorging, welchen nur in fpärs 
Vier -Weife die wiffenfhaftlihe Bildung zufließt, nur 
deswegen unferer Beachtung werih, weil er ben gefunden 
Trieb verräth, welcher aus dieſen Schichten herauf und 
noch immer weiter frifches Leben zuführen fol. Diefer 
Stellung gemäß hat der philoſophiſche Gedanke, welcher 
bei ihm durchbrechen will, auch nur wenig in feiner Zeit 
gewirkt, aber zu einer künftigen Entwidlung zu. wies 
derholtenmalen angeregt, welche dech in einer gang 
andern Weife, als er ahnden konnte, ſich Bahn brechen 
ſollte. 
Jacob Böhme war in innern veligiöfen Erregungen 
aufgewachfen. Der riftlichen Lehre verbanfte er die erften 
Auffplüffe über die Gegenſtaͤnde feiner Sehnſucht. Die 
Bibel war die Hauptquelle feines Unterrichts. Wie Hätte 
er nicht in feiner glänbigen Seele an biefem Grunde 
feſthalten folen? Aber er fah bie Theologen in Streit 
über die Auslegung des göttlichen Wortes, Er fah bie 
lirchliche Welt mit Hader und Zwietracht erfült. Wie hätte 
das feiner friedlichen Seele gefallen können? Wir fine 


106 


den ihn nun in einem innern Aufruhr gegen bie beſtehenden 
Dinge. Es geht ihm wie dem Pico von Mirandola; 
um Frieden zu haben muß er ſelbſt Krieg beginnen, Er 
verbammt den Krieg, die weltliche und geiftliche Macht, 
welche ihn erregen; er verdammt bie fleinernen Kirchen, 
die Buchſtabenchriſten, die hofärtigen Theofogen, ben 
Geiz, welcher über das nothbürftigfte Eigenthum hinaus⸗ 
langt, alle die Lafter, welche ben Unfrieden unter ben 
Menſchen fäen. Das ift der Kampf feiner Seele, wel⸗ 
chen er, wie friebfertig er auch iſt, doch nicht überwinden 
fann. Bis in fein Innerftes reicht er hinein. In ihm 
hat er die Tiefen feiner Seele durchwühlt und iſt zu dem 
wunderbaren Bau feines Spfems gefommen, welcher 
von einer erflaunfichen Arbeit feiner von außen nur wer 
nig unterflügten Gebanfen zeugt, aber freilich au aus 
fehr ungleichen Befandtpeifen zufammengefegt if. Zu einer 
veligiöfen Beruhigung über das Elend der Welt iſt er ger 
fommen; aber dennoch klagt er Gottes Zorn und Grimm 
an, welcher ber Orynd dieſes Elends iſt. Gottes Vorſehung 
wird auch dieſe Dinge gewollt haben, welche Böhme verab⸗ 
ſcheut; aber dennoch fie empören unfere Seele. Da müfs 
fen wir uns felbft bezwingen; wir müffen unfer Gemüth 
in veinere Lüfte erheben. Böhme glaubt fo im Kerne 
der Dinge bie Berföhnung zu fehauen, welche im Wer- 
den begriffen if. Er glaubt der Geſchichte auf. den Grund 
zu blicken, welche nun bald eine Wendung ber Dinge 
herbeiführen wird. Mit einer Kindlichen Liebe hängt er 
an ber Natur, ber friedlichen, deren Gefalten er zu Durchs 
ſchauen meint; auch an der gewaltigen und grimmigen 
Natur ärgert er fih nicht; fie if dazu beflimmt die Ge⸗ 


407 


richte Gottes, die Scheidung ber Dinge zur Reife zu brin⸗ 
gen. Die finntichen Bilder, welche bie Natur ihm bietet, 
verflicht er mit dem geiftigen Proceß der Geſchichte, mit 
den ſittlichen Begriffen, in welchen die Geſchide der Welt 
fh ihm darſtellen; aber in dem bunten Spiel feiner Bits 
der, feiner Begriffe iſt es zuletzt doch nur der Paracele 
ige Scheidungsproceß,. welhen er zu Tage bringt. Als 
Ten Menſchen möchte er Gerechtigkeit widerfahren laſſen, 
auch den Juden, Türfen und Heiden, denen er ihr Gu⸗ 
tes nachrechnet, bie wohl eben fo gut und beffer find ald 
bie Scheinchriſten; aber dennoch betrachtet er die Bildung 
und die Wiffenfhaft, in welcher wir vorwärts gefommen 
find, nur wie feine Widerfacher und ſtellt fi mit dem 
feinen Häuflein der Seinen, welchen er die bißherigen 
dunklen, nur ungenügenden, ja verfaͤlſchten Offenbaruns 
gen deuten will, ben großen Ordnungen entgegen, in, 
melden er die Schidungen Gottes zu fehen ſich doch nicht 
enthalten Tann. Er hat ein Bewußtfein davon, daß alle 
Zwede durch Mittel beirieben werden müſſen; aber er 
AR nicht im Beſitz diefer Mittel; da muß er ſich denn ent« 
fließen fie entbehren zu fönnen und barauf vertrauen, 
daß der Zweck, unfer Gott, uns nicht fern, fondern als 
len gegenwärtig iſt und auch im ſchwachen Werkzeug. ſich 
offenbaren kann. Im dieſer uͤberzeugung ſchreibt er fih ein 
Schauen der Offenbarungen zu, welde noch nie offen zu 
Tage gelommen, wie wunderbar es ihm auch feinen mag, 
daß Gott einen einfältigen Mann dazu fi erwaͤhlt hat bas 
u offenbaren, was vom Anfange ber Welt verborgen war. 
Gott iſt ja ſelbſt einfäͤltig. Wie der Geift Gottes 
formlos in den Apofteln gewaltet Hat, fo waltet er noch 


108 5 


jetzt y. Wenn ihn feine Widerſacher fragen, woher ex. 
Kunde habe yon Dingen, bie feines Menfchen Auge ge 
ſchaut hat, fo antwortet er, wohl ſei er dabei geweſen, 
zwar nicht als dieſes Ich, welches er jetzt iſt, aber im 
Weſen der Seele und bes Leibes, welches Bott dem er⸗ 
ſten Menſchen ſchenlte; jetzt aber ſehe er alles dies im 
Geiſte Chriſti und Chriſtus in ihm wiſſe es. So hat 
feine Feder aus dem Schauen geſchrieben?). Es iſt frei⸗ 
lich ein Widerſpruch, daß er bie Mittel insgefammt für 
nothwendig und doch ſich ohne fie das Höchfte für mög- 
lich Hält; aber diefer Widerfpruch wirb ihm dadurch ver⸗ 
beit, daß er eine doppelte Scheibung forbert, bie Scheis 
dung der Dinge, bamit in ihr das Eine offenbar werde, 
und die Aufhebung biefer Scheidung durch eine Schei⸗ 
dung des Guten und des Böfen, und daß er in ber 
Tegtern begriffen barin auch bie erftere zu begreifen glaubt. 
Denn die gegenwärtige Zeit ſcheint ihm ſchlimmer als 
alle vergangene Zeiten; fie' it vom Glauben gewichen; fie 
hat den alten Schaden fliden wollen und ift darüber nur 
in ärgern Schaden gelommen; aber alles dies Flicdwerk 
- fol nun befeitigt werden; das Boͤſeſte muß des Beften 
Urfache fein; wir find fo weit gefommen, daß wir von 
der Spige des Böfen zum Guten umfehren müflen; da⸗ 
her nahet der Tag, welcher die Entſcheidung berbeiführt 
4) Morgenröthe im Yufgang 9, 485 10, 535 14, 38 ff.; myste— 
rium magnum 28, 52. 
2) Myst. magn. 5, 15. Darum mag ein einiger Wille in diefem 
Quellbeunn ſchopfen, fo er göttlich Licht in fich Hat, und die Unend- 


ticteit fhauen, aus welchem Schaum diefe Feder gefhrieben Hat. 
1b. 9,1; 18, 1. 


109 


und alles fol nun offenbar werden). Da glaubt er 
nur nötpig zu haben das Böfe von fih zu thun um dee 
Guten in feiner Fülle theilpaftig zu ‚werden. Die welt 
lichen Mittel, find wohl nöthig geweſen; aber fie find 
nun verbraucht; zu ihnen, ja zu dem Böfen, welches jet 
befeitigt werden muß, rechnet er aud die Wiſſenſchaft, 
die Buchſtabentheologie und den Hochmuth, mit welchem 
fie erfüllt. Er predigt nun im Geiſte ber ſtillen Ge 
meinde die Gelaffenheit, das Ablegen aller Eigenpeit. 
In diefer Reinigung der Seele will er die Früchte aller 
Zeit erndten. Denn nachdem nun bie äußerſte Spige 
des Böen gekommen, nahet der große Scheidungstag, 
wo die Elemente gefondert, das Gute und das Böfe ger 
ſchieden werben follen und in der Erwartung biefer Dinge 
muß fih auch der Geift regen, welcher die kommenden 
Dinge fieht und darin die Deutung der alten Räthfel findet. 

Wir fehen, es ift fein ungewöhnlicher Fehler, welder 
ihn zu feiner "Behauptung die Wahrheit zu ſchauen fort 
reißt; es iſt bie alte Verwechslung, welche im unmittels 
baren Bewußtfein unferes Grundes und unferes verhieße- 
nen Zweckes bie Gegenwart ober wenigſtens bie Nähe 
des ſchon zur Wirklichkeit erfüllten Zwedes erblidt. Bei 
Böhme tritt diefe Verwechslung ohne kunſtliche Verblen⸗ 
dung, in voller Natürlichkeit ein. Er kann fi nicht 
denen, daß Gott dieſe Gräuel noch Tänger dulden könnte; 
er fieht das Gericht nahen; das Licht, weldes alles 
ſcheidet und vereint, es vollzieht fih in ihm. Wir were 
den es dem ungelehrten Manne, welcher die Mittel der 

1) Der Weg zu Chriſto IV, 2, 525 Morgenrdtfe Borr.; 26, 
MT; myst. magn. 10, 62; 11, 1f3 27, 58. 


10 


Wiffenfopaft nur wenig ermeffen hat, nit zu hoch an⸗ 
ſchlagen dürfen, wenn feine Phantafie fie überfpringt, 
wenn er im Fluge glaubt erhafchen zu Können, was nur 
die Frucht Tanger Arbeit if. Wenn er auch font fi 
fagen muß, daß wir nur durch Arbeit und durch bie Zeit 
hindurch zur Ewigkeit verbringen Können H, fo lebt er 
doch der Überzeugung, daß jept der Zeit genug geſchehen 
fei, daß nun die Vollendung der Zeiten nahe, wo bie 
göttliche Magie ſich offenbaren müſſe und die Vereinigung 
der. natürlichen Wiſſenſchaft mit der übernatürlichen Gnade 
ſich volziepen werde. Im Glauben meint er feinen 
Willen mit Gott vereinigen und Gottes Kraft und Wort 
in feinen Willen einnehmen zu Können 9, 

Aber mag er auch den Dünfel unferer Wiſſenſchaft 
niederſchlagen, wenn bas und nöthig fein follte, fonft 
werben wir nicht vermeinen, daß wir große Früchte der 
Wiſſenſchaft aus feinen Lehren. ziehen könnten, Nachdem 
wir über den Mann gefagt haben, was zum Verſtändniß 
feiner Perfönlichfeit gehört, bleibt und nicht viel übrig, 
was feine geſchichtliche Stellung zur Vergangenheit und 
+ Zufunft und abwerfen koͤnnte. Da feine Auffaffung ber 
frühern Lehren nur. duch Vermittlung der mündlichen 
Überlieferung geſchah, if auch feine feſte Geftaltung in 
der Fortbildung des Frühern bei ihm zu erwarten. Es 
iſt zwar unzweifelhaft, daß er aus ben Quellen fchöpfte, 
welche wir früper angeführt haben, beſonders aus den 
Lehren der Tpeofophen in ber Weife bes Paracelfus, von 


4) Myat. magn. 10, 1 {5 53, 16. 
2) Ib. 11, 1 ff; 36, 6; 68, 25. 


1 


welchen feine ganze Auffaſſungsweiſe der Phyſil ausgeht; 
aber man darf in allen feinen Gedanken nur den niebrig- 
Ren Grad der Unserfheidung vorausſetzen. So wie ſchon 
Yaracelfus und andere Zeitgenoffen das Phyſiſche und 
das Sittlihe hatten in einander faufen laſſen, fo finden 
wir auch bei Böhme nur in einem noch flärfern Grade 
biefe Verwirrung. Er fieht in den natürlichen Kräften 
nit allein Symbole, fondern auch Kräfte des fittlichen 
Lebens; die Wärme if ihm Grimm, das Licht Freund⸗ 
lichleit und Liebe; und umgefehrt erblidt ex auch wieder 
in den Entwidlungen unferes fittlichen Lebens Kräfte der 
Ratur; Haß iR ihm Finſterniß, Begierde Salz, Angft 
Schwefel. Aus diefen Umbildungen hat er Fein Arg. 
Die Naturerfpeinungen denkt er als Gutes oder Boͤſes 
und Gutes und Böfes werden ihm zu Naturerfepeinungen. 
Eben fo miſcht er Geifliges und Körperliches in einander. 
Es iſt hoͤchſtens ein Gradunterſchied, des Feinern und des 
Groͤbern, welchen er zwiſchen beiden annimmt, wie denn 
ſelbſt der Unterſchied zwiſchen Gott und ſeinen Geſchöpfen 
nur dadurch bezeichnet wird, daß die Förperlihen Quali⸗ 
täten, weldhe in Gott feiner find, in den Gefchöpfen 
derber ſich darfellen um zum Beflande und zur Anfhaus 
lichleit zu kommen D. Die Unterfceidung ber Innern 
Etlenntniß unfrer ſelbſt von der äußern Empfindung des 


1) Morgenr. 13, 79. Die herbe Qualität, die zeucht das ganze 
rperliche Weſen der Gottheit zufammen und hält es und vertrocknet 
©, daß es befichet. Ib. 108. Dir Schöpfer Hatte aus den Urſachen 
dm Leib eines Engels trodner zufammencorporixt, als er in feiner 
Gottheit war und blieb, daß die Qualitäten ſollten Härter-und derber 
werden. Ib. 14, 10; myst. magn. 6, 4. . 


4112 


und nur Angelommenen, welde bei Weigel eine jo große 
Rolle fpielte, ft bei Böhme nicht zu fuchen, vielmehr 
fliegen ihm ſinnliche Wahrnehmung und Verſtand ganz 
in einander und die Dinge follen einander ihr Wefen in 
finnlicher Weife mittpeilen ). Wir würden ihn falſch 
beurtheifen, wenn wir hieraus ſchließen wollten, dag ihm 
jene Unterfchiede gar nicht beänden, ja daß et fie leug⸗ 
nen wollte. Sie find ihm nur zu feiner beutlihen Er- 
kenntniß herausgetreten. Die finnlihe Auffaflung genügt 
ihm nicht; dem Kern der Dinge will er nachſpüren, allen 
Dingen auf den Grund ſehen. Die grob finnliche Genüg- 
famteit am Äußerlichen und Koͤrperlichen weiſt er weit 
von ſich; feine Anſchauung will durch bie Hülle der 
Dinge brechen; den innern Verſtand der Sprade, ber 
Schrift will er gewinnen; aber er erfennt auch, daß 
Mittel nöthig find und weiß fie vom Zwecke nicht zu 
fondern. - Da äußert er denn wohl, unter den körper⸗ 
lien Dingen, welde er nennt, follte ein geiftliches 
Weſen verftanden fein 2); aber die ſinnlichen Bilder, mit 
"welchen er fpielt, fpielen nicht minder mit ihm und zu 
einer wiſſenſchaftlichen Verfländigung über bie geiftlichen 
Dinge, welche er ſucht, vermag er in fihern Unterfcheis 
dungen nicht vorzudringen. 


1) Myst. magn. 5, 14. Dieſer Schall des Hörens, Sehens, 
Füptens, Schmedens und Riechens iſt das wahre verftändtiche Leben; 
denn fo eine Kraft in die andere eingehet, fo empfähet fie die andere 
im Schale; wenn fie in einander dringen, fo erwecket eine die andere 
und ertennet eine die andere. In dieſer Erkenntniß ftehet der wahre 
Berfand, walcher ohne Aufl, Maß und Grund ift, nad Art der 
ewigen Weisheit al des Einen, welches alles iſt. 

216,4 


443 


Bas ifn von. feinen theoſophiſchen Worgängern unterr 
ſceidet, bermpt hauptſächlih darauf, daß er das Raͤthſel 
des Gegenſahes zwiſchen Gutem und Baſem tiefer zu 
ergründen fucht und deswegen ben Grunden ber Schöpfung 
aqhforſcht. Is dieſe Nnterſuchungen wüplt er ſich cin 
und vergißt Darüber bie Saͤde, welche er doch auch nicht 
ſelten einſchaäͤrft, daß alle Crealur Bott. nur in ber 
Ratur erlenne und wir nur vom offenbarten Gott reden 
Tönen; denn bie Seele gehöre ‚ber. Ratur an und baher 
inne ipr Bott nur durch die Natur ‚offenbar werben 2). 
Diefen Sägen arbriket der Gedanle entgegen, daß wir 
nicht ablaffen dürfen auch der Abhängigkeit der Geſchoͤpfe 
wm gedenken und alſo einen Grund zw. fegen, welder 
über der Natur und jedem. Geſchoöͤpfe iſt. Dag wis einen 
folgen und zwar einen einigen Grund ber Welt zu ben 
ten haben, welcher von. ber Welt verſchieden if, davon 
if Böpme von. vornherein überzeugt. Die Welt ſteht nur 
in Abpängigfeit, in. Kraft ihres Brandes; fie if zeittic, 
im Ewigen gegründet, in welchem au Böfes uud Gutes 
gegründet fein muß 2). Daher kommt Böhme von dem 
Gedanfen an den Urgrund der Dinge nit los, beffen 
Oskändigeit er nicht in Zweifel ziehen Tann und befien 
Gedanten er auch in dieſer Selbſtaͤndigleit feſthalten gu 
möffen glaubt. Gott ergieht ſich nicht in die Natın. Er 


. 

1) B. 3, 16. Denn aufer der Natur ift er (sc. Gott) allen 
Ereaturen verborgen, aber in ber ewigen und zeitlichen Natur iſt er 
mpfmbfi und offenbar. Ib. 5, 10. Die Wefm find feine Offen- 
barung und davon haben wir allein Macht zu ſchreiben und nicht 
don dem unoffenbaren Gott. Ab. 53, 16. 

1) Ib. 8, 15; 24. 

Geſch. d. Philof. x. 8 


ma, 


beſteht ‚für ſich, wenn auch Feine Perfon, fo doch ein Ich, 
ein Verſtand, welcher über allen Dingen ſteht und nicht 
in den fchöpferifchen Willen aufgeht 3. Hieraus fliehen 
alsbann Hiele Säge, in welchen Böhme das Sein Gottes 
für ih und opne Beziehung zur Schöpfung barzuftelen 
fügt. Sie fliegen ſich theils am bie Trinitktslehre an, 
über welche er doch nicht ſehr rechtgläubig fi äußert 9), 
theils an Überfieferungen der Patonifhen Schule, in 
welcher Gott als das Eine, gleich dem ewigen Nichts, 
als Abgrund und Ungrund bezeichnet wird"). Die: Bil 
der, in welchen Böhme diefen Gedanfen des verborgenen 
Gottes ausführt, indem er ihn bald an die menſchliche 
Vorſtellung Heranzieht, bald jebe menſchliche Vorſtellung 
von ihm zurädfößt, beweifen nur das Grübeln feines 
Berftandes, in welchem er das Bild Gottes ſich auszu⸗ 
weben bemüht if. Er verleiht ihm’ Leben; er läßt Gott 
ein ewwiges Spiel ohne Anfang und Ende in ſich ſelbſt, 
in feiner Einbildungstraft fpielen, um ſich beſchaulich zu 
werben in einem Gegenwurf, um ſich felbft ſich zu offen- 


1) Ib. 6, 1; 53, 16. Der göttliche Heilige Ens iſt — 
Natur. Ib. 53, 18; kuther Ertract bed mysterü magni 2. Er (MM) 
hat nichts, das er faffen kann, als nur das Ein, darin faflet er 

fich in eine Ichheit. "Morgen. .3, 11. Nicht mußt du denken, daß 
Gott im Himmel und über dem Himmel etwa ſtehe und walle, wie 
sine Kraft und Qualität, die keine Dernunft und Wiffenfhaft in 
fih Habe, tie die Sonne — — Nein fo ift der Bater nicht, ſon— 
dern er ift ein allmächtiger, alweifer, allwiffender, allfehender, all= 
horender, alltiechender, allfühlenber, allſchmeckender Gott. Bon ber 
Menfgwerdung Jeſu Eprifli II, 1, 8 

2) Myst. magn. 7, 5; 11. 
3) 1b.1,2;8. 


as 


baren 2). Biel färker aber tritt der @ebanfe Gottes 
hervor in feinen Beziehungen zur Schöpfung. Böhme 
mag Gott nit ohne feine ſchoͤpferiſche Kraft ſich denken. 
Wenn er ed auch zuweilen. vergißt, daß er von Gottes 
unoffenbartem Weſen nicht ſchreiben koͤnne, alsbald erin⸗ 
nert er ſich doch wieder daran und da findet er nun feine 
Dffenbarung fo eng mit feinem Wefen und feiner Wahr⸗ 
heit verbunden, daß beibe unzertrennlich find. Ohne 
feine Offenbarung in der Schöpfung wäre Gott ſich ſelbſt 
nit offenbar 2). Da erfipeint ihm nun ‚die Schöpfung 
nur wie ein Spiel der Kräfte.in Bott, welche in ewiger 
Liebe ſich umfangen; in Gott if ein ewiges Gebären 
und Schaffen; das Schaffen höret nicht auf; die Natur 
erzeuget fi in Gott aus feinem Willen, welder ein 
Begehren in fi hervorbringt und die Schöpfung im 
Spiel der in ihm liegenden Qualitäten entſtehn laͤßt 9). 
Diefer Gedanke eines ewigen Lebens in Gott, in welchem 
Gottes Natur ſich bewegen und die zeitlichen Dinge er⸗ 
zeugen fol, geht in den mannigfaltigfen Bildern dur 
die Lehre Boͤhme's hindurch. 





B. 1,5; 4, 7. Nicht iſt zu verſtehen, daß Gott einen 
Anfang alſo nehme, ſondern es iſt der ewige Anfang des geoffenbarten 
Gottes. Kurzer Ertract 3 f.5 don der Gnabenwahl 1, 14. 

2) De signatura rerum 16, 2; myst.magn. 5,10. Sonft fo ich 
füge, daß Gott fei in feiner Tiefe, fo muß id) fagen, er iſt außer 
aller Ratur und Eigenſchaſten, als ein Verſtand und Urftand aller 
Weſen; die Wefen find feine Offenbarung und davon haben wir allein 
Macht zu fhreiben und nicht von dem unoffendarm Gott, der ihm 
doch auch felber ohne feine Offenbarung nicht erfannt wäre. 

3). 3, 4f; 6,4; 11, 9; Morgen. 11,49 fj.; dom drei⸗ 
fachen Leben des Menſchen 4, 64. 

8. 


418 


Mit diefen Bildern beſchaͤftigt erflärt er AG auch 
gegen die Lehre von ber Schöpfung aus dem Nichts. 
Auf. den alten Gag ſich berufend, daß aus nichts nichts 
werde, fordert er, daß jedes Ding feine Wurzel habe; 
wären nicht bie ſieben Geiler der Natur von Emigfeit 
gewefen, fo wäre fein ‚Engel, Tein Himmel und auch 
Heine Erde geworden I). Freilich lehrt Böhme auf, 
Gott habe nicht aus einem Etwas bie Dinge erfhaffen; 
aber es drüct dies nur die alte Lehre uns, welche wir 
von Johannes Scotus her kennen, daß es das Nichte 
der göttlichen Natar fei, aus weldem alles geworden 2). 
Gott macht die Geihöpfe aus fi ſelber; alles if aus 
ihm gebildet; wenn er Die befonbern Geflalten der welt⸗ 
lichen Dinge verförpert, fo wird dies wie ein Zuſammen⸗ 
ziehen feiner Natur beſchrieben. Da z0g die herbe Qua⸗ 
fität den Salniter der Natur zufammen und vertrodinete 
die Dinge; fo werden die Engel, fo die irdiſchen Ge 
ſchoͤpfe ). Wie damit, daf die Natur Gottes dem Wer⸗ 
‘den ber Schöpfung Preis gegeben wird, feine unwandel- 
bare Wahrheit befiehen könne, darüber macht fih Böhme 
fein Bedenfen. Man würde ihm aber auch Unrecht thun, 
wollte man meinen, er gebe hierüber bie ewige Wahrheit 
Gottes auf. In der Einfalt feiner Denkweiſe wägt er 
nur feine Worte nicht dogmatiſch genau, In allem fieht 
er das ewige Spiel der göttlichen Kräfte, durch welde 
das Nichts des göttlichen Verſtandes in das Etwas ein⸗ 
geführt werben fol, damit die Creatur ihr Etwas in 

1) Morgene. 19, 55 f. 


2) De sign. rer. 14, 7; 14. 
3) Morgent. 7, 45 12, 25 13, 108. 


47 


das Nichts wieder einführe 2). Der Unterſchied zwiſchen 
Geſchoͤpf und Schöpfer bleibt Ihm beſtehn, wenngleich er 
die Glieder desſelben in einauher ipinüberfpielen laͤßt. 
Eine viel größere Schwierigleit würbe ihm ber Unters 
ſchied zwiſchen Gutem und Böfem machen; auf ihm bes 
ruht der Kampf feines Immern, ber Streit mit feiner 
Zeit, mit der Welt, in welder er leben muß; er möchte 
ihm Zweifel erregen, ob bisfe Welt in ber allmädhtigen 
Güte Gottes. Ihre Wurzel habt. Aber ſollte nicht dieſelbe 
Manier, die Glieder der Gegenſaͤtze in einander hinüber» 
ſpielen zu laſſen, auch über.hiefen haͤrteſten Gegenſah 
Here werden? Ohne Zweifel. Im Bertrauen:auf dieſe 
feine Manier ſieht Böhme wicht. an zu behaupten, daß 
Gott Gutes und Boͤſes ſei, Himmel und Hölle, jenes in 
feiner Liebe, biefes in feinem Zorn 2). Bon’ Gottes 
Zorn, nicht allein mie er. das Boͤſe Araft, fondern auch 
wie er im Böfen waltet, ift viel die Rebe in Böhmes 
Schriften. In der göttlichen Kraft liegt verborgen eine 
herbe Dualität, ein Zornquell, ans. welchem das Böfe 
geboren wird). Da iſt ihm fein Zweifel, daß Bolt 
auch in der Höfe if, in allem Böfen waltet. Er legt 
Gott zwei Eigenfhaften bei, den Zorn ober Die ewige 
Natur, aus welcher bie. Schöpfung hervorgeht, und bie 


4) Myst. magn. 24, 26 f. 

2) Ib. 8,24. Denn der heiligen Welt Gott und der finftern 
Belt Gott find nicht zween Götter; es ift ein einiger Gott; er ift 
ſelber alles Wefenz er iſt Boſes und Gutes, Himmel und Hölle, 
2iht und Finſterniß, Ewigkeit und Zeit, Mnfang und Endes wo 
feine Liebe in einem Weſen verbergen iſt, als da ift fein Zorn 
offenbar. 

3) Morgen. 8, 18 f. 


118 


lebe, durch welche der Zorn oder bie Natar befänftigt 
wird 1), Dabei geſteht / Wöheae nur zu, nicht von feinem 
Zorne, ſondern von feiner Liebe und Güte heiße Gott 
Gott und beide Eigenfihdfteh vereinigten: ſich in ihm ders 
geſtalt, daß fie nur Bas Eine and Einte bildeten; da ift 
felbſt die bittere Dualität::m, Gott: ein triumphirender 
Freudenquell 2). Es iſt zu 'verftehen, daß die beiden 
Kräfte, des Guten und dets Boͤſen, in Gott nicht zur 
Scheidung fommen,: keine gegen ober über bie andere fih 
erhebt, fondern. fie in inen ewigen freubigen Spiel der 
Eintracht einander fich igugeſellen, alfo alles unter der 
Herrſchaft der Liebe ſteht 3." 

Man. wird nicht ſagen Können, daß diefe Lehre über 
Gutes und. Böfes "ohne: Irrungen fi entwidelte. Zus 
weiten ſcheint ber Gegenfag:ziifchen beiden ganz wie ein 
phyfiicher gefaßf ‚zu werben und: um die Nothwendigkeit 
desfelben zu beweifen beruft. ſich alddann Böhme nur auf 
die alte Lehre, daß in der Welt der Gegenfag ‚nicht feh⸗ 
Ten dürfe. Ohne. Leid- würde feine Freude, ohne Angft 

"feine Luſt fein; die Offenbarung bes Lichtes hängt von 
der Finſterniß ab. Diefe Lehre wird im weiteften Um⸗ 
fange von Böhme geltend gemacht. Leib und Seele, 
Feuer und Waſſer, Luft und Erde wären das Eine ohne 
das Andere nicht; fie find aber ale in dem einen Urs 


1) Apalog. wiber Ef. Stiefel 33. 

2) Morgenr. 2, 40; 14, 363 myst. magn. 8, 25. Run heißet 
er aber allein nach feinem Lichte in feiner Liebe ein Gott. Tb. 61, 37. 
Im Himmel Heißet er Gott und- in der Hölle heißet er Bom und ift 
dach im Abgrund, beides im Himmel und in der Hölle nur das 
ewige Eine und das ewige Gute. 

3) Morgen. 2, 36 ff.z 4, 6 ff. . 


49 


Rande eine 2). Dabei kann es nun auch nicht auebleiben, 
dag an alem Boͤſen ne Gutes gefnuben;wirh; «6 ge⸗ 
hört ja zum Daſein des Guten, welches ‚ohne: fein Ger 
gentheil nicht fein würde. Es ift baper Fein Ding in bier 
fer Welt fo böfe, es bat ein Gutes in fih; in feinem 
eigenen Princip, in welchem es Ickd, iR es gut, aber ans 
dern Dingen iſt es ein Widerwille; derauf jedoch, daß es 
ſo iſt, beruht die Schiedlichleit der Dinge, das Spiel der 
Kräfte gegen einander und die Moghichleit der Dffenba⸗ 
rung Gottes). Nun befieht das Böfe nur darin, daß 
die einzelnen Kräfte, welche fih im. Gegenſatz ‚gegen ein« 
ander zeigen, in ihrer Eigenheit fi erfafen, von eine 
ander fi. abfondern und nicht im eigen Spiel der goͤtt⸗ 
lichen Liebe in Eintracht und Gleichsewicht fih halten. 
Doch biefer Neigung das Gute und das Böfe nur als 
einen phyfiſchen Unterſchied zu betrachten ergiebt fih Bäpme 
nicht ohne Widerſtrebea. Er mögte das Böfe den Din 
gen Schuld geben, melde es in ſich hegen. Da gevenit 
er des Satzes, daß alles in allem if. Jedes Ding iR 
ein Bild der Gottheit, trägt daher auch alle Eigenſchaf⸗ 
ten in fih und ber Unterfepieb der Dinge berupt nur 
darauf, daß in dem ein bie eine, in dem andern bie 
andere Eigenſchaft überwiegt). Da follte fih nun auch 


4) Myst. magn. 3, 22; 5, 7; 7, 155 8,26. . 

2) Ih. 10715; 61, 51. Gin jedes Ding iſt in feinem eigenen 
Prindpio, darinnen es lebet, gut, aber dm andern if’6 ein Wider⸗ 
wille. Jedoch muß es atfo fein, auf daß eines, im, andern offenbar 
werde und die verborgene Weispeit ertannt werde und in der Schiede 
ihteit cin Spiel fei, damit der, Urgrund ls das ewige Eine fir ſich 
md mit fich ſpiele. . 

3) I. 2,5f Was das Obere iſt, das iſt auch das Inte 


ales in. feiner Gleichheit und Einpeit mit Gott faſſen. 
Im Heide ver Fiaftemiß dageten ſucht jede Eigenſchaft 
nur ihre eigene Wacht‘ und iſt / gegen: die andere ſtachlich, 
rauh und widerwaͤrtig ). Da tritt nun freilich eine ganz 
andere Anfiht des Boſen hervot, als wir nach den frü« 
been -Ansfagen erwarten ſollten. Das Böoͤſe iſt nicht eine 
deſondere Etaft anter "ben Dingen‘, ſondern alle Dinge 
und Kräfte ſind boſe, wenn ſie vor ben übrigen in beſonde ⸗ 
ver und eigener Macht ſich erheben. Es giebt da nicht 
Dutes und Boͤſes, Licht und Finſterniß, keine herbe und 
füge, keine bittere und ſtachliche Qualität, ſondern dieſe 
Verſchiedenheiten der Kräfte ſtehen -tinander mr entgegen, 
fofern fie‘ in verfjledenen Oraven des Lebens fichen 9. 
In dieſem Sinne’ mid von den: Befgöpfen gefagt, daß 
in jedem von ihnen Bates und: Boͤſes fei, ein zwiefacher 
Ttieb; nur bie Engel und die Teufel werben hiervon 
ausgenommen, weil. Re als die aͤußerfen Endpunlte je 
ae Grabe, in welchen die Dinge: ſich ſcheiden und ſich 
vereinen, gedacht werben >), und auch im dieſer Aue⸗ 





und alle Eteaturen biefer Welt find dasfelbe. — — Es iſt nur 
eine einige Bunzel, daraus alles herkommt; es ſcheidet fih ner in 
der Compaction, da.ed coagulirt wird. 

1) I. 5, 6. Die Eigenfchaften find (se: in der Sinfternif) alle 
ganz rauh und widerwartig; fie fugen via das Eines, fondern ihr 
Auffteigen ihrer Macht. v 

2) Den Ausbrud Grade. gebraucht Böhme nad der Überlieferung 
feiner Vorgänger, ohne jedoch auf ihn großes Gewicht zu legen. 

I) Morgenr. 2,3. Es iſt nichts in der Natur, da nicht Gutes 
und Boſes innen iſt; es waltet und lebet alles in dieſem zwiefachen 
Xrieb, es ſei mas es wolle, ausgenommen bie heiligen Enge und 
bie grimmigen Teufel nicht; denn dieſelben find entſchieden und lebt, 
‚qmalificht und herfiht ein jeglicher in fehner eigenen unit. 


121 


nahme bürfen wir wohl die Worte Bohme's nicht in als 
ler Strenge nehmen; denn er meint auch wieder, im Teu⸗ 
fet fei noch Gutes und - das Boͤſeſſe müffe des Be 
Ren Urſache fein). Wiederum aber würde man Ab ir⸗ 
ten, wenn man das Boͤſe, welches den Dingen Schulb 
gegeben wird, al6 etwas betrachten wollte, was in ihrer 
Wahl flände, Bielmehr die Scheitung der Kräfte, in 
welchen fe ihre Eigenheit für ſich fallen, darf doch nicht 
ausbleiben; fie muß eintreten, damit bie Dffenbarang 
Gottes ſich vollziehe. In diefem Sinne wird gefagt, um 
Oottes Güte gegen ven Einwurf zu vertpeivigen, daß 
fie das Boſe nicht haͤtte zugeben ſolen, anders habe es 
nicht fein koͤnnen, denn es habe nit ein Gefcäpf wider 
Bott geſtanden, ſondern Gott wider Bott; Bolt mufte 
feinen Gegenwurf haben, der Wille des Ungrundes mußte 
fi dem Ungrunde entgegenmwerfen, damit im der Gchör 
pfung Bott .offenbar und fih felbf offenbar würde) Ger 
mag hier erfceint das Böfe dog nur ale ein natürkiher 
Proceß, in welchem die Scheidung der Dinge fi voll, 
sieht, als ein nothwendiger Borgang, ohne melden das 
Lehen und das Verſtaͤndniß in der Schiedlichleit ber Dinge 
gar nicht fein würbe. Es wird in dieſer Dedanlenreihe 
weder als eine natürliche Beſchaffenheit einer. befondera 
Ant der Dinge ‚betrachtet, ‘noch als eine flttlihe Entwids 





1), Myst. maga. 10, 62. 

2) Morgenr. 14, 72. Sprichſt du nun: Gott hätte ihm follen 
Biberfland thun, daß x fo weit nicht wäre kommen. Sa, licher 
blinder Menſch, es fland nicht ein Menſch oder Thier vor Bott, ſon⸗ 
been es war Gott wider Gott, ein Starter wider einem Siarken. 
Kurzer Ertr. d. myst. magn. 3. 


122 


ung bes Willens, fondern als eine natürliche Stufe des 
Lebens, durch welche alle Dinge hindurch müſſen um ihr 
felbfändiges Sein zu gewinnen; auf dieſer Stufe follen 
fie nur nit flehn bleiben, fonbern ſich aud weiter in 
der Einheit ipres Weſens und Grundes begreifen lernen. 

Bon biefem Gefihtspunkte aus ſtellt fih nun das 
Böfe dar als das Heraustreten ber. befondern Dinge aus 
ihrem allgemeinen Grunde. ‚ Sie wollen ihr Eigenes ha⸗ 
ben; fie wollen bie Herrſchaft an fih reißen, zur Vor⸗ 
herrſchaft über die übrigen Dinge ſich erheben und greis 
fen deswegen auch in das Beſtehn anderer Dinge ein 
um fie in ihre Eigenſchaft zu verfehren!), Hiermit wird 
ben Dingen der Welt ein natürlicher Wille beigelegt, ver 
ſich in ihren Werten erweifen fol. Einen folhen Wil 
len haben alle Gefchöpfe, guten und böfen Trieb; ſelbſt 
den Geſteinen foll ‘er nicht abgefprochen werden. Der 
gute Wille aber offenbart fi in ber Ruhe, der böfe 
in ber Beweglichkeit, welche doc auch fein muß, damit 
die Dinge ihr Leben Haben; fie wird daher auch auf das 
Geſtirn zurüdgeführt, welches nad den Lehren der Aſtro⸗ 
logie über bie natürliche Geburt und das Reben der Dinge 
waltet®). Boͤhme jedoch betrachtet. den Willen nit al⸗ 
lein als eine Naturkraſt, ſondern faßt auch ſeine ſittliche 
Bedeutung in das Auge. Wie ſehr ihm auch die Schied⸗ 
lichkeit der Dinge und ihr Leben am Herzen liegt, den⸗ 
noch firengt er fih an die Moglichleit zu denken, daß 
alle dieſe Scheidung der entgegengeſebten Eigenſchaften 
in ihrer unruhigen Begehrlichkeit und Beweglichkeit nie⸗ 


1) Morgen. 14, 63 ff. 
2) Ib. 2, 3 f5 Myst. magn. 22, 21. 


' 133 


mals zu Tage gelommen, fonbern daß es geblieben wäre 
bei dem freubigen Liebeöfpiel der Kräfte in Bolt, in 
welchem bie Schiedlichteit der Dinge und iht Leben fich 
doch wohl offenbart haben wärbe, ohne daß irgend et ⸗ 
was aus ſeiner rechten Miſchung, aus ſeiner Temperatur 
herausgetreten wäre. Er leitet es daher nur aus dem 
al Lucifers ab, daß es auders geworden. Nur dadurch, 
daß dieſer in Hofart und Stolz ſich erhoben um alle 
Belt unter ſich an bringen, wäre das Boͤſe in die Welt 
gefommen 2). Daher wird auch auf die Freiheit des Wil⸗ 
lens das größte Gewicht gelegt, ſowohl für unfere Seele, 
als für bie Geifter, welde bie große Welt beherſchen. 
Aber wir mäffen babei wohl bebenfen, daß auch biefe 
Freiheit des Willens ein’ Element bes Weltproreffes if, 
ja von ihr bie Entſtehung ber Welt, in welcher wir. les 
ben, abhängig gemacht wird. Wie mande Theologen 
vor ipm meint Böhme, daß erft durch ben Abfall ber 
Geifter die irdiſche Schöpfung bedingt worben ſei. An 
die Stelle Lucifers und fekıer Scharen if dieſe irbifche 
Beh als der Wohnflg der Menſchen geſchaffen werben, 
Der Menſch fol bie Stelle Lucifers erfegen. Diefe neue 
Schöpfung wird nun von Böhme ganz wie ein Ratur⸗ 
proceß beſchrieben. Das Weſen der verfoßenen Geiſter 
entzuͤndet und verdichtet ſich um bie neue Welt zu gebä⸗ 
ven Weil fie doch in ihres Vaters Eigenſchaft bleiben, 
haben fie auch noch feine Fruchtbarleit in fih. Aus dem 
Guten, weldes nod in ihnen iR, erzeugt fi ein neues 
Leben ). In einer aͤhnlichen Weiſe wird aber auch die 


i) Morgent. 14, 54 ffz f. 8 
2) Morgmt. 17, 2 fj.5 myst. magn. 10, 10 fl 





124 


Eriſtehung des Böfen im Deufchen beſchrieben. Der 
Menſch iR zwar in ber Temperatur des goͤtilichen Eigen⸗ 
ſchaften erſchaffen worden; aber er wußte es nicht, daß 
Goit in ihm offenbar wäre; denn bie Begenjäge waren 
in ihm noch nicht zur Erkenntniß herausgeireten. Er 
mußte erft das Boͤſe lennen leruen ). Die drei Princi- 
pien, welde in ihm waren, das gute, das böfe und das 
weltliche, zogen ihn an; die Seele wollte ſchmecken, wie 
es wäre, wenn die Temperatur aus einander ginge, wie 
die Hige und die Kälte, das Naffe und das Trodene, 
das Harte und das Weihe, das Herbe, Süße, Bittere 
und Saure und bie andern Eigenfchaften alle ihren befon- 
dern Gefchmad hätten?). Da if es nun aber nicht der 
Wille des Menſchen und feine Übertretung bes göttlichen 
Gebots, was das Böfe herbeiführt, fondern es if der 
Schlaf Adam’s; mit welchem das Böfe beginnt. Go lange 
Adam in Gottes Bildniß war, konnte fein Schlaf vor 
feine Augen fommen 5), Gin Kampf ber Kräfte in ihm 
bringt den Adam zum Balz feine Sünde iſt ein natürli⸗ 
Ger Proceß. Wir fehen wohl, daß Böhme die Freiheit 
des Willens behaupten will, aber hinter feinem Begriff 
von’ ber. Willensfreipeit verbirgt fih ihm die Natur, 
welche den Weltproceß leitet; unwillfürlich fliegen ihm 
doch Natürliches und.Sittliches in einander, 

Wenn er num den Proceß der Well.uns weiter ent 
püllen will, fo fominen wir aus dieſer Verflechtung des 
Natürlihen mit’ dem Sittlichen nicht heraus. Er fpielt 





4) Bon der Gnadenwahl 9, 15. 
*2) Ib. 3,34 f. 
3) Myst. magn. 19, 4; bie drei Printipien 12, 16 fs 13, 2. 


mit der Afrologie, er fpielt mit den chemiſchen Elemen⸗ 
ten des Paracelfus; alles dies hat ihm feine Begenbilter 
in dem fittlichen Leben des Menſchen, in der Heiligen und 
in der weltlichen Geſchichte, fo weit er von dieſen Dins 
gen Kunde hat. Bom Paracelfus hat er fich bie Lehre 
angeeignet, daß in bem Leibe des Menſchen, wie ex aus 
dem Erdenlloße gebildet worden, bie ganze Ratur in eis 
nem Auszuge enthalten fei; da iß der. Menſch eine Kleine 
Belt, die große Welt iR in ihm und Böhme if son der 
Hoffaung durchdrungen, daß alles uns werbe offenbar wer⸗ 
den. Dit dem Paracelfus unterfcpeidet er aud die ewige 
Seele in uns von unferm vergänglichen Leibe, in welchem 
aber doch ein Ewiges verborgen fein fol, mit den Mpßitern 
denft er die Seele als ein Fünklein des göttlichen Lichtes, als 
ein Heines @ötterlein im unermeßlichen Bott. In aller Nas 
tue iR der Same Gottes, die göttlihe Natur, welche immer 
dar gebiert und alles zur Geſtalt bringt, in einem befläns 
digen Scpeibungeproceß begriffen, damit alles offenbar 
werde, von innen hervorbrängend zur Geburt um wicber 
sur Einheit zu gelangen 2), Niemand wird erwarten, 
daß Böhme in ſolchen Bildern, welche er zu wiederholen 
nicht ermübet, uns eine vollſtaͤndige Aufflärung über die 
Entfiepung oder die Natur der Dinge bringen könnte. 
Der Juhalt feiner Gedanken berupt allein auf einer all: 
gemeinen Auſicht der Dinge; wo er fie zu einem Spfieme 
zu entwideln fucht, da ſtoßen wir nur auf Überlieferun. 
gen, welche er in der Unbefangenpeit feines kindlichen 


1) Morgene. 4, 34 ff; 26, 745 myst. magn. 8, 15; 20, 32; 
de sign. rer. 14, 8 


4138 


Geiſtes fich finnlich zu veranſchaulichen ſucht, ohne dag 
eine beſtimmte Geſtalt vor ber Beweglichkeit feiner Shan- 
tafie Beftigfeit gewinnen könnte. Nur einige Formen ber 
Überlieferung bringen einen geroiffen Halt in feine Dar- 
ſtellungen. Bon diefen ift es beſonders der Glaube an 
die tiefe Bebeutung ber Siebenzapl, welcher fih ihm ein- 
geprägt hat. Die fieben Tage der Schöpfungsmorge, die 
fieben Planeten und Metalle laſſen ipn eben fo viele 
Dualitäten oder Kräfte in ber Gottheit und in ber Schö- 
pfung ber Welt, eben fo viele Zeiten in ber Weltge⸗ 
fihte annehmen. In dieſen Zahlengleichungen ahndet 
er das Geheimniß der Dinge. 

Dennoch müffen wir etwas genauer in das Einzelne 
dieſer Phantaſien eingehn um den Sinn der Anſchauung, 
welche ihnen zum Grunde liegt, ſo gut als moͤglich zu 
erfaſſen. Die ſieben Qualitäten, welche die Elemente 
der Welt Hilden, werden in einem ungefären Überſchlage, 
dem an genaue Übereinfimmung feiner Schilderungen 
iR nicht zu denfen, nad; feinen Angaben in folgender 
Weiſe fi) beſchreiben laſſen. Die erfte Dualität iſt herbe, 
hart und kalt; ſie beſteht in der Begierde, welche aus 
dem Willen Gottes aufſteigt; von den chemiſchen Elemen⸗ 
ten entſpricht ihr das Salz. Die zweite Qualitaͤt if bit⸗ 
ter, ſtachlich, wüthend; doch ſchwankt Böhme am meiſten 
in ihrer Beſchreibung; auch als füß bezeichnet er fie und 
als Duelle ber Barmherzigkeit Gottes; er findet in ihr 
bie Beweglichkeit der Begierde, die Empfindlichkeit der 
Sinne; ihr entfpricht von den Elementen das Quedſilber. 
Die dritte Qualität befteht in dem Kampfe ber beiben 
erften mit einander, indem fie ſich zu durchdringen fuchen; 


427 


fie wird die Angft genannt, in welcher die feindlichen 
Kräfte ſich zitternd bewegen; auch bitter heißt fie und bie 
Sqhwefelqual; von den Elementen if fie ber Schwefel. 
Diefe drei erſten Qualitäten werben dem Zorn Gottes 
zugezaͤhlt, weit fie die gefepiedenen Elemente darftelien, 
wiewohl alle diefe Dualitäten auch nicht rein fi ſchei⸗ 
den, fondern im Einen verbunden fein ſollen. Mit der 
vierten Qualität aber beginnt ber Proceß, in welchem 
die Dinge fh einigen, das Förperlihe Weſen verlaflen 
und zur geifligen Verbindung gelangen. Sie wird das 
Teuer genannt und ber Geift ober die Vernunft. Im 
ihr ſcheiden fih Zorn und Liebe, Hölliſches und Himmlis 
ſches und fie giebt den Übergang ab aus dem niebern 
Gebiete in das höhere. Auf der einen Seite bezeichnet 
das Feuer Hofart und Zorn, auf der ander Geite Lies 
beöfeuer. Es wird darauf hingebeutet, wie das Feuer 
die feften Gefalten der Natur auflöfen uñd zu bewegli⸗ 
den Gefalten des organiſchen Lebens verbinden fol, 
Bas aber aus biefer Wirkfamfeit des Feuers ſich erzeugt, 
if die fünfte Qualität, das Licht, bie Sanftmuth, welche 
mit dem Öle verglichen wird. Böhme denft dabei wohl 
an das ruhige Pflanzenleben; feine Wilder find aber zu 
unbeſtimmt, als daß fie an einer befondern Geſtalt ber 
Natur haften möchten; auch das fiberifche Leben und das 
Lehen der Metalle wird unter diefe Stufe befaßt. Die 
ſechſte Qualität führt im Allgemeinen den Namen bes 
Toned oder des Schalles; das Unterfheiden und ber 
Verſtand wird ihr zugewieſen; aber aus ben Beſchrei⸗ 
dungen berfelben im Einzelnen finden wir vielmehr die 
Offenbarung der Dinge durch den Sinn herans, wie denn 


Böhme zwiſchen Sinn und Berfand keinen feften Unters 
ſchied zu machen weiß. Unftreitig iſt es das finnliche Lex 
ben, welches unter biefem Grade verfanden wird; es 
lehrt aber auch in den Beſchreibungen desſelben bie Ber- 
gieihung mit dem Quedſilber wieder, nur daß es bier 
in einem höhern Sinn, als zuvor, als lebendiges Ducds 
füber, gefaßt werden fol, So gelangen wir nam zu der 
legten, fiebenten Dualität, in welder bie Offenbarung 
den göttlichen Kräfte fi vollenden fol. Dies if die 
Stufe des Menſchen. Was die ſechs erfien Geſtalten im 
Geiſte find, das iſt die fiebente im begreiflichen Wefen, 
als ein Gehäufe aller übrigen ober als ein Leib des Geis 
es, darinnen der Geiſt wirlet und mit den übrigen Ges 
Ralten fpielet. Dieſer Leib wird au bezeichnet ald das 
Weſen und des Himmel, welcher alles umfaßt, als das 
himmliſche Waffer, welches die ganze Welt umgiebt, ges 
aug als die Geſammtheit ber Offenbarung 2). Dies ift 
das Spfiem der Natur, welches uns Böhme entfalten 
wi, nicht im Vertrauen auf ſich, aber im Vertrauen auf 
den. peiligen Geiſt, welcher den wahren Philoſophen und 
Naturfundigen mat, in der Natur den Leib Gottes eis 
fennen und bis in bie tiefften Tiefen ſchauen läßt 9. 
Diefe fieben Dualitägen der Natur gehören zufammen in 
unzertrennlicher und ununterfpeibbarer Einpeit um Gott 
zu offenbaren). Um in ipnen die Schöpfung recht zu 
betrachten, dazu bedürfen“ wir nicht mehr als ein göttlis 


1) Bergl. Morgen. 8145 myst. mag. 6, 14 fj.5 10, 18 ff. 
2) Morgenr. 2, 11 f. 
9) Myst. magn. 6, 22. 


18 


es Licht und ein Auſchaun. Sie iſt gar wohl zu ers 
foripen, dem erlenchteten Gemäthe gar leicht 2. ° 

Nicht fo Teiht möchte es ſcheinen die verworrenen 
Rathſel diefes Syftems der Natur zu Idfen. Seine Ein» 
zelheiten bilden ein Gedicht, welches Tange fi fortgebil« 
det Hat in Schrift und Sage, bis es biefe neueſte Ger 
falt angenommen hat. Nur in feinen allgemeinften Zü- 
gen ſchimmert der philoſophiſche Gedanke durch. Mies 
wohl Böhme ſelbſt einen der charafteriftifchen Züge uns 
verloͤſchen will, indem er und warnt nit die eine Eigens 
ſchaft vor ber andern, die erſte vor ber Tegten zu nehmen, 
fondern auffordert fie alle zuſammenzudenken, fo daß bie 
fegte auch die erſte ſei ), fo Können wir uns doch bie 
Drdnung bed Syſtems nit verrüden laſſen. Seine 
Barnung bezeugt nur, daß wir in dem verborgenen Bott 
alles in ewiger Gemeinſchaft denfen follen; in ber Offen« 
barung Gottes muß dagegen bie Orbnung ber Zeit und 
die gefegmäßige Aufeinarverfolge ber Gedanken herſchen. 
In der Folge der weltlichen Dinge ſollen wir alsdann 
auch das Emige fihauen; benn biefer Zeit Wefen und 
Lehen iſt anders nichts, als eine Befchauligkeit der in⸗ 
nern geiftigen Welt, worin die Möglichkeit des Ewigen 
liegt; was ein geiftliches Spiel in Gott ift, dasſelbe iſt, 
in Boͤſem und Gutem, durd die Bewegung Gottes in 
bie Welt eingegangen 9. Beachten wir nun bie Folge 
des Syſtems, fo brüdt ſich darin deutlich der Gebanfe 


aus, daß vom Böfen das Gute kommen muß. Vom 
—_ 

1) Ib. 10, 32. 

2) Myst. magn. 6, 22. 

3) Ib. 14, 12 

Geſch. d. Philof. x. ‘ 9 


10 


Zorn fommen wir zur Liebe, von ber Hölle zum Himmel; 
die Eigenſchaften der Natur ſtellen ſich zuerft in ihrem Ges 
genfag, in ihrer Zerriffenheit, in ihrer Angft und Dual 
dar; aber in ihrer Angft verkündet ſich nur ihr Beſtreben 
zur Einigung zu gelangen, in welder fie zuſammengehö⸗ 
ren. Dies geht durch einen mächtigen Kampf hindurch, 
durch ben Feuerſchreck, in’ welchem die Geifter gegenein 
ander fi) empören, in Hofart gegeneinander braufen, in- 
dem ein jeder auf fein Recht pocht, jeder ſich in feiner 
Macht behaupten und die Herrfchaft an fi reißen wil, 
in welchem aber auch die Geiſter mit einander fi miſchen, 
fo daß Liebe und Licht in ihnen entzündet werben. Dod 
auch hiermit iſt der Proceß ber Weltentwicklung no 
nicht zu Ende gebracht. Es hat fih nur ein neues Leben 
entzündet, aber es muß ſich nun durch manche Grabe hin 
buch fteigern, damit in feinen Gefaltungen die Einigung 
aller Dinge zu voller Greiflicpkeit heraustrete. Wenn 
auch Böhme gegen das Geformte zu eifern pflegt um in 
ber Weife der alten Myſtiker die Gelaffenheit des unge 
formten Geiſtes uns zu empfehlen, fo meint fein Streit 
gegen die Form doch mur die gelehrte und gelernte, bie 
erworbene und angebildete Bildung des Geiftes; aber 
nicht die natürliche Verkörperung desſelben. Der allge 
meine Zug feiner Lehre fegt voraus, daß der Geift nicht 
unterlaffen dürfe in die Form der äußern Beſchaulichleit 
eingufüßren, nachdem er einmal burg bie Spaltung bed 
Böfen hindurchgegangen i). Mit ber Liebe alfo, welde 
im Innern fih entzündet hat, iſt es nicht abgethan; 


1) Ib. 36, 6; 10. 


A 


bie Wiebergeburt if nur ber Anfang des neuen Lebens, 
welches nun durch alle Grade des leiblichen Dafeins fih 
durcparbeiten muß; bie Liebe muß im Schall ber Sinne 
zur Erfenntnig vorbringen und zulegt in den Leib einge 
füprt werben um zur Handlung, zur wirkſamen That zu 
gelangen. Nur fo vollendet fi bie Temperanz aller 
Kräfte der Liebe, welche ewig beſteht und in welcher aller 
Dinge Wachſung und Erhaltung fi gründet 2) Es iſt 
dies bie Denkweife der Theoſophie, welche von ber in 
nern Beſchaulichkeit der alten Myſtiler zu der Einfiht 
durchgedrungen war, daß die fromme Gefinnung au in 
allen Faſern unferes Leiblichen Lebens ſich beihätigen folle. 

Noch auf einen Punkt müflen wir achten. Wenn 
auch das Weltſyſtem Böhme's von ben chemiſchen Eier 
menten des Paracelſus ausgeht und bie erfien Qualitäten 
ber Natur fehr ſinnlich befchreibt, fo läßt fi doch nicht 
verfennen, daß die Geftaltung aller Dinge ihm ein geis 
ſtiger Proceß if. Daher kommt der Leib erſt zulegt zu 
Tage. Begierde, Neid, Angſt, Zorn und Liebe durch⸗ 
dringen alle Geflalten der Natur; nur ein leicht durch⸗ 
fihtiges Gewebe finnliher Bilder verdedt fei. Der des 
miſche Proceß, welcher bei Paracelfus die Hauptfache iſt, 
giebt bei Böhme nur eine angebilbete Überlieferung ab. 
Alles in der Welt iR von Geifern erfüllt). Der Sag, 
alles iR in allem, woran fi die Magie ber, Natur knüpft, 
wird von Böhme ganz geiſtig gedeutet. Es ift Gutes 
und Böfes, was in der Begierde fih regt; dadurch wers 
ben die Kräfte zum Kampf gegen einander aufgerufen; 

4) 1b. 21, 6. 

1) Ib. 8, 11. 

9* 


durch ben Kampf aber werden fie zur Gleichheit unter 
einander geführt und zum Frieden gebracht. Das ſchoöpfe⸗ 
riſche Wort regt ſich noch immer in diefer We; ihm 
iſt alles mögli und durch dasſelbe wird alles voll⸗ 
bracht 1). So verwandelt ſich diefem kindlichen Glauben 
alles in ein geiftiges Spiel, welches nur von einer durch⸗ 
fihtigen Dede unfern Augen verhält wird. 

Daher wendet fih auch Böhme bei weitem Lieber den 
Anſchauungen des fittlihen Lebens zu als den Forſchun⸗ 
gen in der -Natur, wiewohl feine Bilder gemeiniglih von 
der fihtbaren Welt entlehnt werben. In dem Gleichniſſe 
der äußern Welt ſchaut er die innere. Aber in der Bes 
trachtung biefer treten ihm auch bie Räthfel des Lebens 
viel Rärker entgegen. Darüber zwar fann ihm fein Zwei⸗ 
fel entſtehn, daß die fittlihe Welt durch das Böſe hin⸗ 
duch muß; aber ihm trübt fih das Gemüth über das 
Ubergewicht, welches das Böfe über das Gute gewonnen 
hat, Wäre nur «das Gute und das Böfe im Gleichge⸗ 
wicht, fo würben biefe Kräfte nur zur Erweckung des Le- 
bens wirlen und es wäre noch das Paradies auf Erden 2), 
Hierbei fpielt nun ber Doppelfinn, in welhem Böhme 
Gutes und Böfes fih denft, effenbar eine verwirrende 
Rolle. Auf der einen Seite wird es als eine befondere 
Kraft, auf der andern al Störung bes Gleichgewichts 


4) Ib. 11, 9 fi 

2) Ib. 11, 51 f Diefer Melt Mefen ſtehet im Böfen und Gu— 
ten unb mag eines ohne das andere nicht fein; aber das ift daß große 
Übel, daß das Boſe das Gute übermägt, baf ber Zorn ſtarker darin⸗ 
nen ift als die Liebe. — — Gonften, fo die Natur in ihren Ge- 
ſtalten in gleichem Gewichte, in der Eigenfchaſt ftände in gleiher Con⸗ 
eordanz, — — fo wäre das Paradies noch auf Erben. 


135 


der Kräfte gedacht, als Abſonderung berfelben zu eigenem 
Sein und Wirken. Aber nad) welcher Seite aud Böhme 
fi wenden mag, feiner Überzeugung bleibt er getreu, daß 
die Störung des Lebens durch das Böfe doch zum Gu⸗ 
ten ausfeplagen müfle. Die Scheidung tes Guten und 
des Böfen dient zur Offenbarung der Kräfte, welche in 
der Natur Gottes verborgen Liegen; wir werben buch 
fie zum Wiflen angeführt. Die Kinder der Finſterniß und 
bie Kinder der Welt find Mlüger als die unſchuldigen und 
einfältigen Kinder des Lichts y. Böhme iſt nun wohl 
geneigt bie Einfalt und Gelaſſenheit biefer zu Toben, aber 
ſchlechthin derfelben fi zu ergeben if do nicht in feinem 
Sinn. Bei der urfprünglihen Einfalt follen wir nicht 
Repen bleiben; fo wie alle ſieben Eigenſchaften in ung 
find, fo follen wir fie aud erkennen und baraus fol und 
die Macht erwachſen die Natur der Dinge zu verwandeln 
und aus einem Guten ein Böfes, aus einem Böfen ein 
Gutes zu machen 2). Wir fepen, die theofophifhen Ge⸗ 
danfen, welche nad Macht des Menfchen über bie Na- 
tar ſtreben, find ipm nicht fremd. Er verlangt die Magie 
der Natur, er fucht ben Stein ber Weifen, welchen ſchon 
mande befeffen Haben und welcher einem wiebergebornen 
Gemüth nicht für unmöglich gehalten werben darf). In 
der Magie follen wir das ewige, unvergänglihe Weſen 


1) 1b. 9, 16. . 

2) Ib. 11, 10. Alle Weſen fehen in den ſieben Eigenſchaſten z 
wer num das Wefen erkennt, der kann es durch denfelben Geiſt der⸗ 
flßen Effenz, daraus e8 ein Wefen worden iR, in eine Form trans» 
mutiren, auch in ein ander Wefen einführen und alfo aus einem Gu⸗ 
im ein Böfes und aus einem Böfen rin Gutes machen. 

3) Bom dreifachen Leben 9, 85 de sign. rer, 7, 79; 13, 61. 


154 


in bem Bergängligen, in dem Fluche ber Erbe finden 
und durch Kunft und Erfenntnig aus feiner Verborgen- 
heit perausführen ,, Es gehört dies zu den Aufgaben 
unferes Lebens. Der Natur, in welcher noch immer bie 
ſchöpferiſche Kraft wohnt, if alles möglich; durch eine 
Rarfe Begierde, welche der magiſche Grund if, fann 
man fie zu einem Werke gebrauchen, wenn auch nur nad 
ihrer Ordnung), So verfrüht fih Böhme-in abergläu- 
biſcher Hoffnung bie Wunſche des Menfchen. Das uner- 
fättliche Verlangen des Menſchen will alles durchſchauen, 
will ale Natur beherſchen. IA ihm doch bie Herrſchaft 
der Welt verlichen. Doc bemerkt Böhme au, daß die 
Verwirklichung des menſchlichen Ideals im Allgemeinen 
von Borbedingungen abhängig iſt. Einige Menfchen mögen 
ſchon gegenwärtig den Stein ber Weifen befigen; in feiner 
vollen Herrlicpkeit aber foll er erſt fünftig offenbar und 
allen Wiebergebornen zu Tpeil werben, Er verweiſt ung 
auf die letzten Dinge, welche er für nahe haͤlt N). 
Zum höoͤchſten Gute ſollen wir in Verlauf der Ger 
ſchichte lommen. Man wird nicht erwarten, bag Böhme 
ung eine verftändliche Einfiht in den Gang ber Geſchichte 
eröffnen werde. Seine Aufzählung der 7 oder ber 12 
Perioden der Geſchichte, welche er annimmt *), bietet nur 
ſehr befchränkte Geſichtspunlte dar. Doc darf man nicht 
überfehen, daß er nicht, wie die Kirchenväter, im Heis 
denthum nur das Reich des Widerſachers erblidt. Selbſt 


4) De sign. rer. 13, 59 f. ı 

2) Myst. magn. 11, 9. 

3) Das dreif. Leb. 9, 65 de sigu. rer. More. 5. 
4) Myst. maga. 30, 34 fi.5 77, 59 ff. 


135 


diefer ungelehrte Dann hat aus ber Richtung feiner Zeit 
eine Eprfucht vor der Weispeit bes Alterthums eingeſo⸗ 
gen So wie ihm bie weltliche Geſchichte neben der hei⸗ 
Tigen einherläuft, fo ift er auch bavon überzeugt, daß jene 
nicht ohne Furcht für dieſe fein loͤnne. Er ſchreibt den 
Heiden Einſicht in das Licht der Natur zu; die natürliche 
Magie iſt ihnen offenbar geworben; nur hat das viele 
verführt, daß fie die Kräfte der Natur als Gott verehr- 
ten); doch find nicht alle Heiden in biefen Irthum ger 
fallen; es gab unter ipnen auch Weife, welche den Sa⸗ 
men des Lebens in fi trugen ®). Diefe Entwidlungen 
der weltlichen Klugheit follen uns zu Gute, bie natürs 
liche Magie fol nun an bie Kinder bes Lichts kommen, 
welche in. ihr nicht das Mittel zu einer hochmüthigen Er⸗ 
hebung fehen, fondern in Demuth fie als ein Werkzeug 
Gottes betrachten um bie Erde von ihrem Fluche zu ers 
Iffen und alles zu Gott zurüdzuführen 9. So waͤchſt die 
Menſchheit, wie ein Baum, welder gute und böfe Früchte 
trägt, aber zu feinem Alter kommen muß um bie beflen 
Früchte zu bringen; auch die böfen Früchte wachſen aus 
ihm, damit die Kräfte ber Natur, welche in der Menſch⸗ 
heit walten, nicht verborgen bleiben +), 

Das Böfe, welches uns verlodt hat, betrachtet nun 
aber Böhme doch nicht ald etwas, was unfere gute Nar 
tur gänzlich verderben könnte. Wir fahen, daß er in al⸗ 
len Dingen eine unvergängliche göttliche Kraft annimmt, 


4) Ib. 11, 6; 36; 12, 9; Morgene. Borr. 32, 
2) Morgent. Borr. 80. 

3) De sign, rer. 11, 85. 

4) Morgen. Bore. 8 ff. 


418 


welche durch Teine Störung bed Lebens ſich brechen laͤßt; 
im Bertrauen auf fie behauptet er, daß Böfes in Gutes 
fi verwandeln laſſe, indem nur biefe gute Natur wies 
der hervorgezogen werde, Den Hodmuth, den Eigenwil- 
ten, die Ichheit follen wir laffen, um in der Wiederge⸗ 
burt zus Demuth und einem neuen Willen zu fommen. 
Aber dies geſchieht doch aud nicht ohne unfern eigenen 
Wien; wir müffen und felbft zum Guten wenden; wir 
müſſen deswegen auch annehmen, bag wir noch Gutes 


begehrten können). Gott fann in der falſchen Seele . 


nicpt gut und in der gelaffenen Seele kann er nicht böfe 
fein. Den freien Willen des Menſchen zu Gutem wie 
zu Böfem laͤßt ſich Böhme nicht entreipen; er findet kei⸗ 
nen Anſtoß daran dem Sage zu wiberfprechen, daß ber 
Menſch feinen Willen nit gegen bie Gnade wenden 
tönnte2), Aber der freie Wide ſteht ihm nicht in Wi⸗ 
derfprugp weder mit der Gnade noch bem Zorne Gottes. 
Im Böfen vollzieht ſich doch nur das Gericht und ber 
Wille Gottes und es ſteht auch unferer Macht nicht zu 
bie Gnade zu erreichen; der gute Menfh muß feinen 
Willen dem göttlichen Wirken ergeben 5). So wie in 
der Schöpfung alles in Gottes Willen fand, fo bleibt 
es immer, weil Gottes ſchöpferiſche Macht durd alle Nas 
tur und alle Geſchichte hindurchgeht. Wie ſehr Böhme 
aud auf bie Schiedlichkeit der Dinge bringt, ber Unter: 
ſchied zwifchen Gott und Geſchoͤpf iſt bei ihm immer nur 


1) Myst. magn. 26, 70 ff. Daß du aber molteft fagen, du 
tannſt nicht Gutes begehren, das ift nicht wahr. 

2) Ib. 61, 35; 57. 

3) I. 21. 


437 


ſchwach bezeichnet, Die Einpeit aller Dinge fol zulegt 
doch an den Tag fommenz das Ende aller Dinge foll 
unfere Einheit in Gott und mit Gott offenbaren. Alle 
die Meinungen, Bölfer und Zungen, bie zur Offenbarung 
Gottes ſich geſchieden haben, follen fih fammeln zu eis 
nem Bolfe, einem Baume, einem Menſchen, zu einer 
Seele und’ einem Leibe; dann wird Bott bie ausgewidelte 
Natur wieder in fi rufen und in sine Temperatur zus 
fammenziepn 3. Doc über die Hoffnung auf dies Ende 
der Dinge vergißt Böhme auch nicht gänzlich das Dogma 
von ben ewigen Strafen der Hölle. Die Lehre des Pas 
tacelſus von dem letzten Scheidungsproceffe ſteht ihm zur 
Seite. Der Tag des Heren, welder alles zur Erndte 
fammelt, ſcheidet in Ewigkeit das Gute und das Böfe, 
das Licht und die Finſterniß. Die zwei Qualitäten, die böfe 
und die gute, welche in ber Natur zuſammengeweſen waren, 
werben auseinander geführt und das Böfe wird bem Teufel 
und den gottlofen Menſchen zur Behaufung gegeben). Es 
AR nicht. zu verkennen, daß in dieſer Lehre die Anficht von 
den doppelten Qualitäten herſcht, welche in ihnen zwei 
wefentlich verſchiedene Kräfte der Natur fieht. Das hölis 
ſche Weſen, welches in Gott feinen ewigen Grund hat, 
fann nicht vergehen, ed würde denn bie ganze Schöpfung 
und mit ihr das ewige Freudenreich wieder aufgehoben 9. 

In diefem Spiele mit zwei entgegengefegten Anfichten 
vom Böfen und vom Guten bewegt ſich bie Lehre Böh- 
med, Auf der einen Geite betrachtet fie beide als ur 


1) Ib. 46, 43; 77, 72. 
2) B. 28, 69; Morgene, ‚Bor. 78. 
3) Theoſophiſche Fragen 8, 4 fs 14,3 f 


4138 


fprüngliche Qualitäten in ber Natur Gottes, welde zur 
Scheidung kommen müffen, damit in ihnen der Grund 
aller Dinge offenbar werde; auf der andern Seite ber 
hauptet fie, daß alles was vom Gott ausgeht, gut fei 
und daß alles Böfe nur in einer Stufe des Lebens be 
ſtehe, in welcher ſich die Dinge ſcheiden um offenbar zu 
werben, daß aber diefer Stufe auch bie Einigung aller 
Dinge in ihrem Grunde folgen ſolle. Fragen wir, welde 
von biefen beiden Anfichten in ihm überwiege, fo würde 
aus einer Aufzählung der Stellen ſchwerlich eine Antwort 
ſich entnehmen laſſen. Seine Seele ift getheilt zwiſchen 
der Dulbung, welche er liebt, und zwiſchen dem Zwifl, 
in welchen ex fich ſelbſt verwickelt ſieht, zwifchen den Hoffs 
nungen der neuen Zeit, welche er erwartet, und bem 
Streite ber Gegenwart, welche feine Meinungen gebilbet 
hat und welche nod eben in harten Erfahrungen ihn an- 
ficht. Fragen wir aber, welche von jenen Anfichten ihm 
die Freudigleit in feinem Werke giebt und Heiterkeit der 
Stimmung über feine Schriften verbreitet, fo können wir 
nicht daran zweifeln, daß es bie letzte il. Die propher 
tiſche Seele iſt in ihm rege; in feinem gelaffenen Gemüth 
hat er doch die Schmerzen ber Gegenwart überwunden, 
welche er noch fühlt, Darin regt fih das Spiel feiner 
Worte, daß er die erfte ihm überlieferte Anficht durch die 
zweite überbedt, Es mag ſich fo verhalten, daß er bie 
erfte öfter ausſpricht, als er bie andere anflingen läßt; aber 
jene giebt nur den Stachel ab, welcher bie Beweglichkeit, die 
Empfindlichkeit feiner Seele aufregt, um bie heitere Ruhe, 
feiner zuverſichtlichen Hoffnungen in Schal und Äußerung 
zu bringen. Wenn wir den wiflenfchaftlichen Gehalt feiner 


4159 


Gedanken bedenken, können wir noch weniger daran zwei⸗ 
feln, welder von beiden Anfihten wir den Vorzug geben 
follen. Wenn er den Ungrund heraufbefpwört, um uns 
feine Tiefen zu eröffnen, fo würde es nur mit einem un⸗ 
fötmlichen Ausgange enden, wenn wir zulegt an eine 
Unterſcheidung ber Dualitäten verwiefen würden, bie voͤl⸗ 
Hig von einander gefondert nichts von einander wüßten, 
ba fie doch in ihrem Grund eins fein follen. Dagegen 
die andere Anfiht bietet einen ganz befriebigenden Aus⸗ 
gang dar. Was geſchieden worden war, fammelt ſich 
wieder und gewährt nun bie Erfenntnig bes einfachen 
Grundes, in welchem alle Unterſchiede offenbar geworden 
find, Es if ein einfacher logiſcher Gedanke, welchen 
diefe Anfiht der Dinge ausſpricht. Das unentwidelte 
Eine, der Grund aller Dinge, muß zur Unterſcheidung 
lommen, ehe wir es in feiner vollen Entwidlung zur Ein 
heit der Wiffenfchaft zufammenfaffen können. 

Aber um biefen Gedanken an das Licht zu ziehen, dazu 
bedurfte es ber Lehre Böhme’s nicht. Man würde ihm 
nur das Verdienſt zuſchreiben können ihn aus der Schule 
der Gelehrten unter das beutfche Bolt gebracht zu haben, 
wenn bie verfhlungenen Wendungen und bunten Bilder 
feiner Lehre nur irgend eine Ausfiht auf Faßlichleit für 
das Voll gehabt Hätten. Dahin aber iſt feine Wirffam- 
feit nicht im minbeften gegangen. Er ift nicht deswegen 
merkwürdig, weil er die Wiſſenſchaft zu den niedern Volls⸗ 
Ränden Herabfeitete, fonbern weil er aus dem niebern 
Bolfe mit geringer. Beihülfe zu ben Gelehrten fih auf 
ſchwang und fähig zu fein fehlen dieſe über tiefe Wahr 
heiten zu belehren. Der Stifter einer neuen religiöfen 


140 


Serie, zu welcher man ihn zu machen eine Zeit lang ger 
meigt war, iſt er daher nicht geworben; aber es hat im⸗ 
mer wieder Gelehrte unter Deutfchen, Holländern, Eng ⸗ 
ländern und Sranzofen gegeben, welche bei ipm mehr Er⸗ 
quidung fanden, als in den Lehren der Schule. Zür die 
Theoſophie unter den Deutfchen bezeichnet er den Wende⸗ 
punft, wo fie die vollsthuͤmliche Anregung aus ben Zeir 
ten ber Reformation hinter fih zurüdließ um bagegen an 
die Wege der Gelchrfamteit näher ſich anzuſchließen. 
Gleichzeitig mit den gelehrten Theoſophen, hat er auch 
faſt ausſchließlich auf Gelehrte einen Einfluß ausgeübt, 
die Theologen dagegen, welche an ihn ſich anſchließend 
eine Wirkſamleit unter dem Volle zu gewinnen ſuchten, 
haben eine mehr praltiſche Richtung einſchlagen müſſen. 
Die Anziehungslraft, welche er auf bie Neuern ausgeübt 
hat, verbanfte ex theils feiner Perſoͤnlichleit, feinem lau⸗ 
tern Sinn, feiner Demuth, feinem poetiſchen Aufſchwung, 
theils dem Abfchluffe der vollsthumlichen Tpeofophie, wel⸗ 
chen er in fi enthielt. Über ihn wurden bie Frühern 
vergeffen. Bor ihnen hatte er allerdings einiges voraus, 
haupiſaͤchlich daß er das Ganze aller ihrer Beſtrebungen 
im Wefentlichen umfaßte und den rohen Aberglauben ber 
Cabbala, Aſtrologie und Magie wenn auch nicht ganz aus⸗ 
ſchloß, doch in den Hintergrund zurüdtreten Tief. Daß 
ex aber irgend ein neues wirkfames Element in „ihre 
» Lehre gebracht ober au nur durch flärkere Betonung zum 
Mittelpunkte neuer Beſtrebungen gemacht hätte, Fönnen 
wir von ihm nit vüpmen. Gegen bie duͤrren Lehren 
der fpätern Zeit, einer in ihren Formeln verwidelten, un⸗ 
dulbfamen Theologis, welche das wirkfame Beben Gottes 


a, 


in der Rafur und im Geiſte über den Buchſtaben vergefr 
fen hatte, einer Naturlehre, welche am Einzelnen hing und 
über das Aupere zum Gebanfen ber innern Quellen des 
Lebens nicht vordringen Tonne, bildete feine Lehre einen 
mögtigen Gegenfag. Im ihr fühlte fih das Bewußtſein 
einer Aufgabe hindurch, welche man doch nicht völlig von 
ſich zurückweiſen Fonnte. 


Achtes Kapitel. 
Gelehrte Theoſophen. 


In Deuiſchland hatte die Theoſophie unter den reli⸗ 
giöſen Bewegungen einen vorherſchend theologiſchen Cha⸗ 
alter angenommen, obwohl fie zunäͤchſt von phyfiſchen 
dorſchungen ausgegangen war, Sie trug hier ein volls⸗ 
thumliches und proteſtantiſches Gewand, Aber ihr Ur⸗ 
ſprung aus der Platoniſchen Schule und ihre Bedeutung 
für die Wiſſenſchaft war doch unabhängig von ſolchen 
Bedingungen, welche ihr nur einen befränften Wir 
fungsfreis verſprachen. Sie wurbe alsbald aud in bie 
Kreiſe der Gelehrſamleit gezogen und verbreitete fi über 
Deutfpland hinaus. Hier traf fie nun wieder mit ben 
Befrebungen um bie praftifche Erforſchung der Natur 
zuſammen, von welchen Paracelſus ausgegangen war, 
welchen er feinen Ruhm verbanfte, welche aber in ber 
deutſchen Theoſophie vernacpläffigt worden waren. Es 
bildete ſich nun unter den Naturforfchern eine theoſophiſche 


„oe 


Schule, welche bei proteſtantiſchen und fatholifchen Ges 
lehrten Einfluß Hatte. Ihre Einwirkungen auf bie Phir 
Tofophie dürfen wir nicht überfehn. 


1. Johannes Baptiſta von Helmomt. 


In dem Leben und den wiſſenſchaftlichen Unterneh⸗ 
mungen dieſes Mannes 7) ſpiegelt ſich der wiſſenſchaft⸗ 
liche Kampf ſeiner Zeiten in voller Macht ab. In 
Brüſſel 1578 geboren hatte er, ber jüngſte Sohn einer 
adligen begüterten Familie, den Wiſſenſchaften ſich ges 
widmet und war bei großem Fleiße ſchon früh an Kennt ⸗ 
niſſen ausgezeichnet. Was ſeine Lehrer ihm boten, be⸗ 
friedigte ihn jedoch nicht. Selbſt der Unterricht der Je⸗ 
ſuiten, den er zu Löwen genoß, ſchien ihm zu weltlich 
und zu ſehr auf das Außere gerichtet. Schon als Knaben 
hatte ihn bie Kunde ber Natur angelodt; ohne Vorwiſſen 
feiner Mütter und feiner Verwandten hatte er ſich zu 
Löwen auf bie Mebdiein geworfen und wurde ſchon in 
feinem 17ten Jahre von den Profefforen bewogen bie 
Borlefungen über Chirurgie zu übernepmen. Aber bei dem 
frommen Sinn, melden Tauler und Thomas von Kems 
pen in ihm genährt Hatten, Teuchtete ihm die Eitelfeit 
feiner Befrebungen ein. Die Büchergelehrfamfeit wurde 
ihm immer verbäctiger, je tiefer er in. fie eindrang. 
Die Einfiht in das Wefen der Dinge, welche er fuchte, 
ſchien fie ihm nicht zu gewähren. Die Praxis, welde 
ex verſuchte, ſchien ben Lehren ber Mebicin nicht zu ent 

1) Bergl. ©. X. Spieß 3. 2. von Helmont’s Syſtem ber Medicin. 


Sranff. a. M. 1840. Seine Schriften citire ich nah der Ausgabe 
feiner Werte Lugd. 1867. fol" 


445 


ſprechen. Eben fo wenig als bie gewöhnlichen Lehrbücher 
der Ärzte genägten. ihm Ariſtoteles, Galen und die Schar 
der Araber, Auch Dioſtorides und die Kraͤuterbücher 
liegen nur das Äußere der Dinge unterfgeiden. Er warf 
ſich auf die Erforſchung der Seele, zu welder bie Stoiler 
ipm eine Anleitung zu geben ſchienen. Aber ein Traum 
ermapnte ihn dem aufgeblafenen Stolze eines thörigen 
Selbfivertrauens ſich nicht hinzugeben. Da fpürte er 
aud eine Neigung zum firengen Möndeleben, fand aber 
dazu feine Gefundheit zu zart, In fih felbft eben fo 
wenig als im den Überlieferungen der Schule eine ſichere 
Stüge gewahrend, machte er. fih Getoiffensferupel über 
fein bisheriges Leben. Er warf fi vor feinen Adel 
durch die mebicinifhe Praxis befledt, fie für Geld bes 
trieben zu haben, ohne eine richtige Einfiht in bie Kunſt 
zu befigen. Er trat nun fein Erbtheil an eine Schweſter 
ab und beſchloß die Mebicin und feine Heimath aufzu- 
geben. Auf feinen Reifen, welche ihn nad Deutſchland, 
der Schweiz und England führten, gefellte fih ein Pyro⸗ 
techniler zu ihm, welcher ihn in die Kunſtgriffe der Chemie 
einführte. Im hemifgen Proceß glaubte er nun ſichere 
Erfahrungen und neng Aufſchlüſſe zu finden. Der Glaube 
hatte ihn nicht verlafien, daß Bott ben Menſchen, fein 
Ebenbild, nicht Hülflofer als das Tpier gegen das Elend 
feines Lebens gelaffen Haben könnte. Immer wieber wurde 
er an bie Mediein herangezogen. Er fah darin eine Schis 
dung Gottes; ihr fih zu unterwerfen war er bereit. Mit 
frifcpem Eifer verfolgte er nun die Mittel der Chemie in 
täflofen Arbeiten. Er Aubirte den Paracelſus, beffen Ver⸗ 
dienſte er anerfannte ohne feinen Iethämern fi) hinzugeben, 


4144 


Sein ffeptifger Sinn, feine Gelehrſamleit and feine feinere 
Bildung mußte an biefem Meiſter viel Anfoß finden. 
In feinen chemiſchen Arbeiten erlangte er bald großen 
Ruf. Unentgeltlich heilte er Arme; für feinen ärztlichen 
Beiftand wollte er feinen Lohn annehmen, bis ihm fein 
Beichtvater darüber das Gewiſſen ſchaͤrfte. Den Einfa- 
dungen mächtiger Gönner der. chemiſchen Künfte, welche 
ihn in der Fremde feſthalten wollten, widerſtand er; in 
ſich befeſtigt lehrte er in die Heimath zuruck, ſchloß eine 
Heirath, welche ihm dur nachfolgende Erbſchaft ein 
reichliches Vermögen zubradte, fo daß er zu Bilvorden 
bei Brüffel feinen chemiſchen Arbeiten, feiner mediciniſchen 
Praris und der Reform der Medicin, welche er beab- 
fihtigte, ungefört bis zu feinem Tode 1644 nachgehen 
tonnte, In feinen Iegten Jahren gab er mehrere mebis 
einifhe Schriften heraus, auf deren Titel er fi den 
Philoſophen durch das Feuer nannte. - Die-Schriften aber, 
welche die Grundzüge feines philoſophiſchen Syſtems ent⸗ 
halten, find erſt nach feinem Tode erſchienen. Er hatte 
die Herausgabe feinem Sohne Franz Mercurius übertragen. 

So wie in der Philofophie der Myſtiler überhaupt 
die perfönlichen Beziehungen unferer Gedanken vorherſchend 
find, fo find au die Forſchungen Helmont's mit feiner 
Perſoͤnlichleit auf das innigfe verwachſen. Die Vernunft 
verſchmaͤht er; er if ein heftiger Feind der Logik; wie 
wenig er aud der Beweiſe fi entſchlagen kannz er ber 
hauptet doch, daß alle wahre Wiſſenſchaft unbeweisbar 
fei, weil fie in ber Erfenninig der Principien beftehe 
und bie Principien nicht bewieſen werden können 9. Im 

1) Logica inutilis 18. 


445 


Widerſtreite gegen bie Lehren ber Schule haben feine Ger 
banfen ſich gebildet. Wie.andere feiner Zeitgenoffen glaubt 
er mit den alten Grundlagen der wiſſenſchaftlichen Bil 
dung völlig brechen zu müffen, um auf das erſte und als 
kein ſichere Fundament unferer Erfenntniß zurädzulommen, i 
Daß man die Alten herbeigegogen hatte um wit ihrer 
Hülfe die Philofophie zu beſſern, if ipm eine Thorheit, 
weil er ihnen ale blinden Heiden fein Vertrauen fchenfen 
fann; feine Lehre fegt er als chriſtliche Ppilofoppie den 
Sretgümern ber alten Philofophie entgegen ). Den Of⸗ 
fenbarungen Gottes vertraut er, aber, obgleich er die 
Kabbala nicht verwirft, feine mebicinifhen Erfahrungen 
geben ihm doch zu erfennen, daß der heiligen Schrift und 
den geheimen Überlieferungen die Kunde der Natur, welche 
und nöthig if, nicht zu entloden if. So gläubiger Kar 
tholik er auch ift, mit den ſcholaſtiſchen Lehren hat er doc 
gebtochen; gegen ben Thomas von Aquino, gegen den 
Duns Scotus reitet er; mit den Jeſuiten, welche der 
Gewiffen der Frommen, befonders der Weiber ſich zu ber 
meißern fuchten, findet er ſich nicht im Einflang, wenn 
fie aͤußerliche Gebräuge empfehlen. Mit einem energi- 
fen Zweifel wirft er daher alle Überlieferungen, ſelbſt 
der Paracelſiſchen Schule hinter ſich; ſie leiſten nun einmai 
das nicht, was bie Philoſophie leiſten ſollte; fie gewaͤh⸗ 
ten feine fihere Übergeugung. Seine Schriften find nun 
mit Polemik überladen und man hat daher wohl behaup⸗ 
tet, daß fein Verdienſt mehr in der Beſtreitung fremder 
Lehren, als in der Entwidlung eigener Einfihten beruhe. 
Doc Fönnen wir nicht fagen, daß feine Polemik mit Bes 


1) De magnetica vulnerum curatione 174 und fonft Häufig. 
Geil). d. Philof. X. .10 


446 


ſonnenheit durchgeführt wäre; vielmehr fie if ohne Maf. 
Um die Lehre Galen's zu beftreiten, daß Entgegengefegtes 
dur Entgegengefegtes geheilt werde, flellt er den Gap 
auf, daß die Natur von Gegenfag nichts wife). Wenn 
er den Ariftoteles befämpft, vermirft er alle vier Urſa⸗ 
hen desfelben 9, obwohl feine eigene Lehre auf dem Ges 
genfag zwifchen materieller und wirkender Urfache beruht. 
Wenn er den Paracelfus angreift, fo verdammt er auch 
die Lehre vom Mikrokosmus 5). obgleich er das Bildniß 
Gottes und feiner ſchoͤpferiſchen Ideen in uns anerfennt, 
So kämpft er mit Leidenfhaft gegen alle verbreitete Dei: 
nungen unb äußert dann wohl, daß er feine Hülfe bei 
feinen Vorgängern gefunden habe, daß er feinen eigenen 
Erfahrungen alles verdanke. Seine Leidenſchaft rührt 
daher, daf er die Macht der Meinungen, welche er ber 
reitet, über ſich ſelbſt fühlt, aber auch das Bebärfnif 
der von ihm betriebenen Naturwiſſenſchaft fih lebhaft ver- 
gegenwärtige hat von allen Vorausfegungen ſich frei zu 
maden um auf die reinen Thatſachen der Erfahrung zu 
ruchugehn. Die Meinungen, mit welden er in fi ſelbſt 
zu kämpfen hat, find die Borausfegungen der Theoſophie. 
Sie drängen fi ihm mit allen den metaphyſiſchen Be 
griffen herbei, melde fie in fih aufgenommen hatten. 
Mit den Beobachtungen, welde er gemacht hat, bilden 
ſie ein buntes Gemiſch. Sein Zweifel regt ſich auch ge⸗ 
gen ſie; aber er kann ſie doch nicht loswerden, weil ſie 
allein ein wahres Wiſſen verſprechen. Ale Beobachtun⸗ 


1) In der Sqhriſt natura contrarioram neseia. 
1) Causae et initia nataralium 57 
3) Invenlio tarlari in morbis temeraria, 


Mn 


447 


gen zeigen uns doch mur das Äußere, die Erſcheinung 
der Dinge, nit ihr wahres Wefen. Beobachtung ges 
wäprt nur Meinungen; Erfahrung bietet feine Erlennt⸗ 
niß. Das Waffer, das Element aller Dinge, ift uns 
fihtbar, ja ganz durchſichtig. Wer aber fann deswegen 
fügen, was es iR? Seele und Geift find uns befländig 
gegenwärtig in ihren Erfepeinungen, fie liegen uns näher 
als der Körper, aber dennoch würden wir von ihnen 
nichts mehr wiffen als vom Körper, wenn uns bie Ofr 
fenbarung nicht über fie belehrt Hätte. Da hören wir 
feine Mlagen über feine gelehrte Unwiſſenheit und daß 
ung die" genaue Wahrheit der Dinge unerreichbar fei. 
Aber feinen Hoffnungen auf Erkenntniß ganz entfagen 
lann er doch nicht. Sein Vertrauen hat er auch auf bie 
Erfahrung ſowohl des Koͤrperlichen als des Geifligen ges 
feßtz daß die Erfahrung beider ung Wahrheit biete, iſt 
unbeſtreitbar; da fie feine genügende Einficht bietet, ex wars 
tet Helmont Aufſchluß von einer Höhern Erfahrung, melde 
von Gott geſendet uns erleuchten fol, Unſer Verſtand 
if nur dazu beſtimmt feine Erfenntniffe zu empfangen; 
im Gebet follen wir anflopfen, bag uns die göttliche Er⸗ 
leuchtung zu Theil werde, Bon Berufungen auf folde 
höhere Erfahrungen, welche in Bifionen und Träumen 
ſich ihm ergeben haben, find Helmont's Scpriften erfüllt. 
Er beſchreibt fie weitläuftig und verheplt un die fubiers 
tive Grundlage feiner Überzeugungen nicht. In einer 
Weiſe, welche eben fo.fehr die Eprlichfeit als die Befan⸗ 
genheit feiner nach Licht ringenden Seele bezeugt, beſchreibt 


1) Tractatus de anima 5 qq. ' 


10* 


448 


er uns, wie wiffenfhaftlihes Forſchen und ſchwärmeri⸗ 
ſche Erhebung in ihm flritten und gegenfeitig einander, 
bedingten. Wer nur einmal bie Elſtaſe erfahren habe, 
in welcher die Seele in ſich hineinblide, der wifle auch, 
wie ihr die Erfenntnig der Dinge folge, welchen bie 
Seele ihr Berlangen zugewendet habe). Er will e8 er⸗ 
fahren haben, daß fein Verſtand mehr durch Figuren, 
Bilder und Gefichte der Einbildungstraft, ald durch 
Schlüſſe der Vernunft unterrichtet werde. Das Trügliche 
ſolcher Bilder Habe er nun wohl durchſchaut; aber fie 
wären ihm doch ein Mittel zu fiherer Belehrung gewor⸗ 
den. Wenn er nad langem Bemähn um eine wiſſens⸗ 
würdige Sade fih ein Bild von berfelben zu machen fih 
Angeftvengt habe, fo daß er es hätte anreben können, 
waͤre er ermübet eingefchlafen in der Hoffnung im Schlafe 
Aufſchluß zu erhalten, Und fiehe da, ein folder wäre ihm 
öfters zu Theil geworden, wenn auch nur in räthfelhafs 
ten Andeutungen, befonders wenn er "vorher noch andere 
Mittel, wie Hafen?) und Gebet, angewendet habe. 
Freilich iſt auch diefe Weife des Forſchens ipın nicht die 
höchſte; er Tobt noch mehr bie ftille Geduld, melde fih 
in Gott ergiebt, von. aller Neugier fern, welche ohne 
Berlangen, ohne Thun und Denken gleihfam in das 
Nichtſein fi verfentt 5); aber es läßt fih wohl abneh⸗ 
men, daß er weniger auf biefem als auf dem vorherbe⸗ 





„DB. 

2) Non bene dudum antea pasto corpore, welches Tennemann 
Geſch. der Phil. IX ©. 244 überfegt: wenn ich vorher reichlich gegefz 
fen Hatte. 

3) Venatio seienlarum 40 agg. 


149 


ſchriebenen Wege zu feinen wunderbaren Aufſchlüſſen über 
die Natur gelommen fei, welche er mit großer Zuverſicht 
und nicht ohne Selbſtgefül uns erzählt. Das unaus⸗ 
ſprechliche Licht Gottes, welches er empfunden haben will, 
welches er aber doch nicht feſthalten konnte 2), wird ihm 
die Natur der Gafe, welche er zuerft zu erforfchen ange⸗ 
fangen hat, wird ihm den Gäprungsproceß, in deſſen 
dunfler Natur er das Werk des Lebens zu belaufen 
date, and bie wunderbaren Namen, welche er erfand 
um bisher unerhörte Dinge an den Tag zu bringen, das 
Blas und das Gas und fie fie weiter heißen, nicht vers 
vathen haben. Über den Theoſophen werben wir ben 
Naturforscher in ihm nicht vergefien dürfen, wenn auch 
beide in feiner mit Ppantafien erfühten Seele zufammen- 
fpielen. 

Seine Entdeckungen und Apndungen in der Phyſik ſtehn 
mit allgemeinen wiffenfchaftlichen Gedanken in Verbindung, 
welche wir nicht übergehn dürfen. Sie fehliegen fih an 
die frühere Theofophie, befonders an bie Lehren des Pa- 
racelſus an, doch treten in ihmen bedeutende Abweichun⸗ 
gen hervor. Er ift zwar durchdrungen von der Überzen« 
gung, daß wir nur von Gott erleuchtet werden, daß die 
Mediein, die Naturkunde nicht durch Lehren überliefert 
werben Tönnen, fondern reine Gefchenfe Gottes find, daß 
Leiden edler if ald Thun, daß mir Willen und Verſtand 
ohne Verdienſt und nur durch Gottes Gnade empfan- 
gen2);. aber er ſcheidet doch die Naturforſchung entſchie⸗ 





1) Ib. 44. 
2) Promissa autoris 10. Quis enim intellectum habet, quem 
non accepit gratis?‘ Studia antoris 11; ven.scient. 602g. Est 


“ 


150 


den von ber Theologie; zur Erforſchung der Welt haben 
die Theologen feine Vollmacht aufzuweiſen; es gehört bie 
Arbeit des Arztes, des Chemilers dazu um bie jungfräus 
Tide Natur von den Hüllen zu enifleiden, unter welchen 
ihre Geheimniſſe verborgen find). Auf bie Arbeit des 
Chemilers beſonders vertrant er, wärend er bie Hülfe 
der Matpematif verfpmäpt, melde den Ariftoteles bes 
trogen habe >); er vertraut ihr jedoch nicht fo, daß er 
hoffte, durch fie alles, auch den legten Grund der Dinge 
erforſchen zu koͤnnen. Mit ber ſchoͤpferiſchen Allmacht 
Gottes hat es die Naturforſchung nicht zu thun. Nur 
die vorhandenen Dinge und ihre Beſtandtheile, welche in 
der Schöpfung geſetzt find, und nachher immer dieſelben 
bleiben, fol die Phyfil erforſchen ). Nachher mag ber 
Geift Gottes uns weiter führen, welcher die Testen 
Gründe zeigen Tann, weil in ihm bie fhöpferifche Kraft 
wohnt 9). 

So unterfheidet Heimont genauer als die frühern 


Theoſophen Vie Geſchaͤfte des Phyſilers und bes Theo⸗ 


logen. Auch billigt er die Vermiſchung des Geſchöpfes 
und des Schoͤpfers nicht, welche die frühern Theoſophen 


nicht forgfältig genug gemieden hatten. Er erflärt fie 
‚für Atheismus. Unſer Geift oder wir dürfen ung nit 


namque molestius, servilius et obscurius intelligendo operari, 
quam pati, eo quod patiendo recipiat lumen nobilius gratis col- 
latum. 

1) De magnetica vaulnerum curatione 6 2qq. De deo theolo- 
gus, naturalis vero de natura inquirat, 

2) Causae et initia nataralium 40. 

3) Ib. 2. 

4) Nexus sensitivae et mentis 14, 


1 


für einen Tpeil Gottes ausgeben. Jeder Tpeil des Un- 
endlichen würde unenblich fein. Was einen Anfang hat, 
muß gefpaffen fein und fann nicht verglichen werben mit 
dem unbebingten Grunde, Gott kann daher auch nichts 
ſchaffen, was ihm glei wäre). Wenn daher au 
Helmont unfere Gemeinſchaft mit Gott, felbft in der 
fhöpferifchen Macht, mit welcher wir unfere Gebanfen 
hervorbringen, in der magiſchen Gewalt, welde wir über 
die äußere Natur üben, im meiteflen Sinne behauptet, 
fo iſt es do immer nur das Bildniß Gottes in ung, 
welches ihm dieſe Gemeinſchaft bezeichnet. Wir gleichen 
‚Gott, find aber nicht mit ihm eins; unfere Gebanfen 
bilden ihn nur ab; unfere magiſche Thätigfeit kann do * 
feine nene Materie hervorbringen, ſondern beſteht nur in 
der faſt augenblicllichen Berwandlung des Borhandenen 2). 
Daß ein ſolches Ebenbild Gottes uns beiwohne, bezeugen 
nicht allein der chriſtliche Glaube und die magiſche Kraft 
unferer @ebanfen, fondern aud) hauptfählic bie wiffen« 
ſchaftlichen Beſtrebungen unſeres Geiſtes. Unſer Verſtand 
will die Dinge durchdringen, mit den erkannten Dingen 
will er zuſammenfallen. Da muß er alles umfaſſen. 

1) Imago_mentis 9 sqq. Alü vero secundae classis athei 
eredunt non solum nos ad dei imaginem creatos, sed in nobis 
identitatem cum immenso atque increato numine fingunt, nec 
hominem a deo in substanlia alias differre, quam partem a 
tote, quodque initium habuit, cum non prineipiato, non auiem 
in essentia aut proprietate interna. Id quod sane praeler 
blaspheniam stoliditates habet plurimas etc. \ 

2) Nex. sens. et ment. {4 2q.; de magn. vuln. curat. 89 2q. 
Richt allein der Geift (mens), fondern auch die Phantafie hat ring 
magifhe Opmalt, Ib. p159, — * 


452 


Wenn unfere Seele fih felbft'erfennt, erfennt fie alles 
andere in fih; in ihr daher muß alles in intellectueller 
Weiſe fih finden, wie es in Gottes Verſtande if I. 
Aber ſchon das Bildniß Gottes in und iſt {pm genug 
feine Verwunderung darüber zu erregen, daß wir groben 
Irrthümern unterworfen und elender als die Thiere fein - 
Können 9, Er weiß dies nur daraus zu erflären, dag wir 
durch die Sünde verbiendet und unferer magifgen Kraft 
über die Natur beraubt worben find. Bor dem Sünden- 
fa! waren wir nur von Gott erleuchtet; erft durch bie 
Sünde if die ſinnliche Seele uns zugewachſen und find 
wir in die Gewalt unferes finnlihen Lebens gefommen. 
"Ras ‚bie Schulen Thier nennen, nennt Gott Ausartung, 
Berberben des Menfchen; auch die Vernunft, welche nicht 
ſchaut, fondern forfcht, iſt dem Menfchen nicht eigenthüm⸗ 
lich, fondern gehört dem Tpiere an und findet fih auch 
bei den Thieren 3). Dem gemäß tritt auch ber Gedanke, 
daß die Güte Gottes alles Übel und Böfe von der Welt 
ausſchließt, in viel Rärferem Grabe bei ihn hervor, als 
bei dem frähern Tpeofophen. Er Hält es für unvereinbar 
mit der Gute Gottes, daß irgend ein Streit, irgend ein 
Gegenfag in der Natur fein fönnte, Eben deswegen verwirft 
er den Grundfag Galen’s, daß Entgegengefegtes durch Ent⸗ 
gegengefeßtes geheilt werde. Gott ift urfprünglier Grund 
der Liebe, der Eintracht und des Friedens. So weit er 
Tonnte, hat er gewiß allen Streit, Haß und Feindſchaft in 
feiner Schöpfung ausgefchloffen. Er konnte es aber in allen 
1) Ven. scient. 45; 55 qq. 


2) Nex. sens. et ment, 10. 
x 8) Ib. 7; ven, seient. 38; de magn. vuln. cur,. 136, 


4185 


Dingen, welche nur feinem Willen unterworfen find, und 
das find alle Dinge der Natur, welde feinen freien und 
eigenen Willen haben 1). Daher kann nur ber freie Wille 
der Geiſter, befonders des Menſchen als Grund des 
Streites und bes Übels in ber Natur angefehn werden. 
Aus dem Sündenfoll iſt Krankheit, Tod und alles Übel 
enffprungen 9); gegen den Willen Gottes if er eingetre- 
ten, hat aber alsdann feine natürlichen, unvermeidlichen 
Folgen gehabt. Gott Hat ihn nur erlaubt und alsdann 
zur Wiedergeburt und Befferung des Menſchen benutzt. 
Dies wurde dadurch möglich, daß die urfprängliche Güte 
unferes Wefens, das Ewige in umferm Geifte doch nicht 
verloren gehn konnte 5). Genug Helmont ift weit ente 
fernt davon die Glieder des Gegenfages zwifhen Gutem 
und Böfem, zwifchen Licht und Finſterniß, zwifchen Wärme 
und Kälte für gleich nothwendig zu halten; vielmehr nur 
was auf der "Seite des Guten lebt, if ihm im Wefen 
und im Grunde aller Dinge gegründet, das Böfe dage⸗ 
gen und feine Genoffen haben nur im freien Willen ihre 
Quelle und find ben Dingen nur angekommen. 

So fagt fi Helmont fehr entſchieden von der Ver⸗ 
miſchung des Sittlichen mit dem Natürlichen los, welche 





1) Ignota aclio regiminis 4; natura contrariorum nescia 37. 
Deum esse fontale initium amoris, concordiae atque pacis, odisse 
quogue discordias et contrarietates, ut, si potuerit univer- 
sum condere absque rixis et contrarietatibus, id fecisse extra 
dubiom si. — — Nihil ipsi reluctari potuit, nisi quod volait 
üierum facere. Sed rerum semina sire agentia naturae non 
donayit libertate volendi. 

2) Progreditur ad morboram cognitionem 4 sq. 

3) Distinctio mentis a sensitiva anime 1. 


154 


wir bei den meißen Theoſophen und fonf in. den Bor- 
flellungen ber Zeit verbreitet finden. Alles Natürliche ik 
ihm unfteäflih, gut im weitern Sinne des Wortes, obs 
wohl nicht der Vollkommenheit theilhaftig, welde bie ver 
Rändigen Wefen empfangen haben. Diefe find ihrem 
Willen überlaffen und erfreuen fi in ihren ſchöpferiſchen 
Gedanfen der Gemeinfgaft mit Gott oder des Ebenbildes 
Gottes, fünnen aber auch von Gott abfallen und haben 
dadurch, daß fie zum Böfen fih wandten, den Streit 
und das Übel in die Welt gebracht. In ben natürlichen 
Dingen findet Helmont eine fortwährende Entwicklung 
und Tpätigfeit, in den verftändigen Dingen eine beftäns 
dige Schöpfung Y. Wir erbliden Hierin das Bemühn 
die Gebiete der Begriffe genau abzufondern. So wie 
Helmont Gott und Gefhöpf forgfältig getrennt hielt, 
fo wie er das Ebenbild Gottes in uns von unferer 
finnfihen Seele unterſchied, fo ſcheidet er auch Eins 
bifdungsfraft und Vernunft von dem Verſtande, welcher 
allein auf gradem Wege das Richtige trifft, wärend jene 
nur den Abweichungen vom Rechten ‘angehören 2). In 
aͤhnlicher Welfe will er auch die Naturreihe genau von 
einander geſchieden wiſſen, fo baß fie verfchiedene Arten 
der Erzeugung haben). Wir würden biefe Bemühun- 
gen zu feften Unterfepieden zu gelangen zu rühmen haben, 
wenn fie nicht auch darauf ausgingen ben Berfland von 
feinen Vermittlungen Toszulöfen. Sie treiben dadurch 
zur Theoſophie. So wie die Sünde ein plötzlicher Abs 


1) Causae et init. nat. 20. 
2) Ven. soient. 33. 
-3) Causae et init. nat, 20. 


185 


fal von ber Orduung Gottes fein fol, fo möchte del⸗ 
mont auch durch einen pläglichen Aufſchwung des Geiſtes 
die Ordnung des Guten ſich wiederherſtellen fehen. 

Auf das Genaueſte hängt feine Anficht von der Natur 
mit feiner ſtrengen Unterfheidung des Gittlihen und des 
Notückichen zufammen, Sie fegt fih in feiner Weife fort _ 
die Werte der Natur von den Werfen der Kunft zu uns 
lerſcheiden. Jede Wirkung, lehrt er, wird entweder von 
einem äußerlich Wirlenden hervorgebracht und iR alsdann 
ein fünfliches Wert, ober fie gehl von einem innerlich 
Wirlenden aus und iſt ein natürlihes Wert). Auch 
bier fehlt die Vermittlung; bie fünftlien Werke werben 
als etwas betrachtet, was der Natur nicht angehört, gleich⸗ 
fm als wöürben fie nit durch natürlihe Mittel volls 
bracht, und dadurch daß von der Natur alles innerlich 
emeugt werden foll, möchte Helmont bie mechaniſche Urs 
ſache aus der Naturlehre verbannen. Freilich nicht ganz 
gelingt ihm dies. Nach einer forgfältigen Unterfuchung 
will ex gefunden haben, daß ber natürliche Körper von 
nichts anderem abhänge, als nur von zwei Urfachen, von 
der Materie und von der wirkenden Kraft, welche beide 
dem Körper innerlich fein follen. Zwar geſelle ſich dieſen 
beiden gewoͤhnlich noch eine äußerlich anregende Urfache 
au; aber fie fei doch nicht nöthig ). In ihr werden wir 


4) Ib. 17. Siquidem omnis effectus producitur vel ab agente 
externo et est productum artificiale, vel a suscitante et fevente 
externo, quod est causa occasionalis et externa, quae tamen 
intus habet causam efficientem et seminalem. — — Causa ta- 
men occasionalis non est agens verum. 

2) Ib. 10. Post sedulam reram omnium investigationem non 
inveni corporis naturalis ullam dependentiam, nisi duntazat ad 


die mechaniſche Urſache zu ſuchen Haben, welche er bie 
gelegentliche nennt, Sie führt die günftigen Verhältniſſe 
für die Entwidtung der natürlichen Kräfte herbei. Aber 
Helmont ſchiebt diefe Urfache ganz bei Seite. Er hält es 
für Zretfum, wenn man von ihr irgend eine Wirkung 
der Natur ableiten wollte. ine ſolche, wenn, fie von 
augen ansgehn follte, würbe nur durch ein Leiden her⸗ 
vorgebracht werben Fönnen. Aber die Materie als lei 
dendes Subject will er in ber Natur nicht zugeſtehn. 
Was die Schule fo nenne, fei vielmehr eine mitwirkende 
Kraft, und aus dem Verhaͤltniß der wirkenden und der 
mitwirlenden Kraft entipringt ihm jede Tpätigfeit der 
Natur ). So verlegt er die mitwirfenden Urſachen, 
melde wie im Äußern zu ſuchen pflegen, in dad Innere 
der Dinge, Er bemerkt hierbei nicht, daß durch feine 
Anſicht der Unterſchied zwiſchen Materie und wirlender 
Urſache, von welcher er ausgeht, in der That in Gefar 
geraͤth. Denn eine ganz andere Vorſtellung mußten wir 
von ber Materie faffen, wenn fie ber wirkenden Urſache 
entgegengefegt wurde, als jegt, da fie als mitwirfende 
Urſache gefehilert wird, Es finden fi hier zwei Bor 
ſtellungsweiſen in Streit mit einander. Die eine betrach⸗ 
tet die Materie als ein Prineip, weldes wenigſtens in 
untergeorbneter Weife in allen natürlichen Erzeugniſſen 
wirlſam iſt; im biefer Weiſe wird fie als ein generifger 


duas causas, ad materiam et efficiens, iniernas (quibus plerum- 
que externa quaedam exeitans assdeiakur) scilicet. 

4) Ib. 18. Subjectum vero, quod scholae patiens dixere, 
ego coagens voco. In relatione vero amborum terminorum 
sive in habitudine motus agentis ad ooagens resultat actio. 


187 


Saft von Helmoat betrachtet Y. Die andere dagegen 
legt der Materie nur bie Bebeutung einer Wirkung bei 
und betrachtet bie wirfende Urſache als das allein Erzeu⸗ 
gende, welches in ber Wirkung feinen natärlihen Sig 
habe). In diefem Sinne heißt es, daß jedes Ding leer, 
eitel, tobt und träge fein würde, wenn ihm nicht ein bes 
lebendes Princip beimohnte 5). Ale Kraft der Natur 
wird nun in bie lebendigen Samen ber Dinge verlegt, 
welche Helmont in ähnlicher Weife wie Patritins als durch 
die ganze Natur verbreitet fi denkt. Aus nichts wird 
nichts in natürlichem Wege und nichts entſteht, was nicht 
aus ber Nothwendigfeit bes Samens feinen Urſprung 
Kite 9. 

Überlegen wir den Bang, in welden dieſe Gedanken 
fih ausgebildet hatten, fo werben wir nicht daran zwei⸗ 
fein Fönnen, daß von biefen Vorſtellungsweiſen die zweite 
bei Helmont bie herſchende if. Im Gegenfag gegen die 
Arißotelifche Lehre, daß alle Bewegung und mithin alles 
Verden der natürlichen Dinge von außen kommen müffe, 
hatte feine Überzeugung ſich gebiſdet. Er wirft dem Ari⸗ 
ſtoteles vor, daß ed in Erflärung der natürlichen Dinge 
nur auf das Äußere und auf die Bergleihung der Natur 


4) Ib. 12; 23. 

2) Ib. 21. Materia nempe est ipsissima effectus substantia, 
efficiens vero ipsius internum atque seminale agens. j 

3) Ib. 3. Resque omnis inanis, vacua est, mortua ac de- 
tes, nisi vitali ‘aut seminali ad esse principio fuerit constituta 
aut quandoque constituatur. 

4) 1b. 35. In tota rerum naturalium serie de novo nihil 
surgere, quod non e semine ortum ducat, nihilque fieri, quod 
non e seminis necessitate fiat, 


158 


mit der Kunft gefehn habe. Die alte Analogie zwi⸗ 
ſchen dem natürlihen Werden und dem künftferifchen Bil⸗ 
den {ft ihm verhaßt. Daher verlegt er auch den künftles 
riſch bildenden Gedanken, die Zweckurſache in den natür⸗ 
lich ſich entwidelnden Samen. Ein der Ratur äußerlicher 
Gedanke, ein reines Ding der Borfielung im Künſtler, 
würde in der Natur nichts wirken können. Die Kennt» 
niß des Zweds muß in natürlicher Weife der wir⸗ 
lenden Urſache von Gott eingepflanzt fein ). Jede nas 
turliche Kraft bildet ſich ſelbſt ihre Materie, ihren Kör⸗ 
per. Das Leben, überall in der Natur verbreitet, können 
wir nur als formgebendes Licht begreifen; weiter loͤnnen 
wir in feine Erfenntniß nicht eindringen. Durch bie Ver⸗ 
ſchiedenheit der Lichter, welche Gott in die Natur gelegt 
hat, wird alle Verſchiedenheit ber natürlichen Arten und 
Individuen hervorgebracht ). Wir fehen, daß hiernach 
der Materie In der That feine andere Bebeutung übrig 
bleibt, als für eine Wirkung der innerlich bildenden Kraft 
zu gelten. Alles, Iehrt Helmont, wirb durch ben famens 
artigen Archeus hervorgebracht 9), das heißt durch die in⸗ 
nere Kraft, welche die Äußere Erſcheinung der Dinge 
bebingt. Daher wird aud in allen Dingen Leben geſucht; 


4) Ib. 9. Ejusque omnem speculationem circa arificialia 
et externa naturae vagari. 

2) Ib. 12. Causae efficienti naturali sua a deo naturaliter — 
infusa finium et habitudinum scientia, . 

3) Blas humanum 22; spiritus vitae 23. Sed revera sunt 
totidem luminum vitalium species, quot vitallium creatura- 
rum. — — Adeoque per ejusmodi Iuces ipsas est sola atque 
omnis specierum distinctio. 

4) Causae et in. nat. 8 2qg- 





189 


auch der lebloſen Natur fol wenigfiens dein Vermögen 
nah Leben zukommen d. Wir önnen hierin nur eine 
Eortfegung der Orundfäge in der Beurtheilung ber Ras 
tur fehen, welche von Averroes an mehr und mehr fih 
verbreitet hatten, daß aus bem innern Vermögen ber 
Materie alles fi entwidien müffe, daß alles natürliche 
Verden nur eine Eduction der Formen fei. Bei Helmont, 
wie bei andern Tpeofophen, wie bei Nicolaus von Eufa 
und bei Bruno, führten diefe Grundfäge zu dem Beftres 
ben die Materie in bie innerlich bildende Korm umzuſetzen, 
welche nur eben noch im Werden begriffen die in ihr lie⸗ 
gende Geftalt micht zur Reife gebracht habe. Dies Liegt 
im Gebanfen des Samens, welcher eine Form hat, aber 
doch noch etwas Unfertiges, etwas Materielles an fih 
traͤgt. Das Streben in dieſen Gedanken geht dapin, bie 
Doppelpeit der natürlichen Principien zu überwinden, 
Dies hebt Helmont deutlicher hervor als feine Vorgänger, 
indem er die Nothwendigeit des Gegenfages in ber Nas 
tur leugnet. Daher liegt ihm zwar im Gebanfen bes 
Samens ein boppeltes, die Materie oder bie noch nicht 
gebildete Kraft und bie Form oder bie bildende Kraft, 
aber die erſtere tritt ihm zurüd; fie iſt nur ber verſchwin⸗ 
dende Punkt, welcher in jedem Augenblide der Entwid- 
Tung überwunden’ wird. Nur nicht völlig läßt er fie aufs 
gehn in die Form und baher verlangt er denn aud, dag 
wir bie Materie unter die Principien ber Natur zählen follen. 

Bei der Frage nach der materiellen Urſache der Dinge 
freitet Hefmont ſowohl gegen die alten Elemente der pe⸗ 


1) Tb. 16. 


460 


ripatetiſchen Schule als gegen die chemiſchen Elemente 
des Paracelfus. Wenn auch bei der Verbrennung ber 
Körper meiſtens breierlei Beſtandtheile fi unterſcheiden 
laſſen, das Ol ober der Schwefel, das Wafler oder das 
Duedfilber und das Salz, fo hält er dieſelben doch nicht 
für Grunbbeſtandtheile, fonbern betrachtet fie als Ereug 
niffe, welche erft in der Zerflörung der Körper durch das 
Teuer gewoͤhnlich und doch nicht immer hervorgebracht 
würden D. Dagegen nimmt er nur ein maferieles Ele⸗ 
ment an, ben generifhen Saft, das Waſſer. Mit der 
wirfenden Kraft foll es in folder Weife verbunden fein, 
daß dieſe bas individuelle Wefen bes Dinges, jenes bie 
allgemeine Gattung abgiebt 2). Die wirkende Kraft in 
der Materie nennt er. auch das Ferment, das Princip 
des Samens, welches, weder Subſtanz noch Accidens, 
nur eine individuelle Anlage ſei und den Samen nur 
vorbereite 5). Der Same ift das nächſte Princip ber na 
türlichen Wirkfamfeit, aus dem Ferment aber geht ber 
Same hervor). Die Fermente find durch die gan 
Natur vertheiltz fie find die geheimen, im Innern der 
Dinge verborgenen Eigenfchaften, melde jebem Dinge 
eigenthümlich mit nichts anberm verglichen werben können, 
welche mit Sreithätigfeit das Leben aus fi entwideln; 


4) Tria chymicorum prineipia 3 sqq.; 46 2qq. 

2) lb, 5t. 

2) Causae et in, nat. 22 sqq. 

4) Ib. 28, Fermentum igitur principü veri "nataram tenet a 
causa efficiente in hoc diversi, quod causa efficiens considera- 
tur tanguam immediatum principium aclvum in re, quod eıt 
semen, ac velut principium motirum ad generalionem sive ini- 
tiam rei constitulivum. 


164 


denn alles iſt in individueller Weife geſchaffen und- treibt 
fein Sehen aus fih Heraus nad) feiner Eigentpünlichteit 2. 
So behauptet er den Grundfag des Nichtzuunterſchei⸗ 
denden in firengfter Weiſe und unterwirft die wunderba⸗ 
ren Wirkungen der Natur in jedem einzelnen Dinge nur 
infoweit dem allgemeinen Geſetze, als jedes aus feinem 
Imern heraus ſich entiwidelnde Ding bem Plane ber 
gungen Schöpfung ſich anſchließen muß. Auch Hierin folgt 
ww den Spuren feiner Borgänger. Nur tft er. bemäpt Die 
eigenthümlichen Lebensfräfte der Dinge genauer in ber 
Erfoprung nachzuweiſen. Hieraus find ihm verfäiedene 
Begriffe hervorgegangen, welde an einzelne Beobarhtuns 
gen ſich anſchließend mit beftimmten Kunftausbräden von 
ihm bezeichnet werden, aber doch nicht zu deutlicher Geſtalt 
heraustreten wollen. Wir haben ſchon bemerkt, wie er 
dermente und Samen unterfeibet. Seine Beobachtung 
des Gaͤhrungsproceſſes hatte ihn unftreitig darüber ber 
lehrt, daß die Wirkungen bes Ferments an eine beftimmte 
Materie gebunden nur durch Berührung gefhehen; aber 
glaubte auch noch andere Wirkungen annehmen zu müſ⸗ 
fen, weiche in die Ferne gehen, ohne daß Eanäfe und 
Mittel zu ihrer Übertragung vorhanden fein müßten 2%); 
außer andern Erſcheinungen find ihm das Lebenslicht, 
welches alles burchbringt, bie Tpätigkeiten ber Seele und 


\ 





1) I. 24, Fermenta — — individualiter per speoien di- 
süneta, — — Singula juxta sui naturam et proprielates. De 
magn. vula. cur. 69 sq.; septuplex digestio alimenti humani 12, 
Fermenta — — dona specifica naturae vitalis, — — Fermen- 
tum, qua parte fermentum est, vilale ao liberum est arcanum. 

2) Ignota actio regiminis 37 sg. 

Gefh. d. Philoſ. x. 11 


462 


des Berſtandes hiervon ber deutliche Beweis. Nur 
durch ihren Aublick, duch Erleuchtung, eine Ausſtralung 
ihrer Kräfte ohne eigene Veränderung wirfen viele Dinge). 
Weil. er eine folhe wunderbare Wirkung bem Fermente 
nicht beilegen ann, gebraucht er bie Namen ber Samen 
idee, des Blas 9), des Archeus, um burd fie bie weir 
tergreifenden Erſcheinungen der Iebendigen Natur zu ber 
zeichnen. "Im Gegenſatz gegen folge Naturforſcher, welche 
alles nur. auf Korperliches zuruͤckführen möchten, macht er 
den Platoniſchen Gedanken geltend, daß alles doch nur 
von feiner Idee her fein Sein und feine Kraft habe und 
legt in Übereinfimmung hiermit dem Samen ber Dinge 
ein: ideales Sein bei, welches, ein bloßes Verſtandes⸗ 
ding, ein reines Nichtſeiendes, doch von Natur die Kraft 
habe fi) einen Körper zu bilden. Er erinnert babei an’ 
bie Kraft unferer Gedanken, an bie Macht unferer Ein- 
bifdungäfraft, des Affen unferer Gedanken, eines in und 
reflectiten gefftigen Lichtes, und deutet an, daß in ber 
Natur des Samens biefes doppelte liege, ein Wirkliches 
zu. fein und ein Nichtwirlliches, welches er als Same 
erſt heroorbringen folle aus der ihm vorſchwebenden Idee 
feines Beftrebens ſich fruchtbar zu erweifenS). Daher 

4) In verbis; herbis et lapidibus est magna virtus p. 353. 

2) Der Name Blas ift feine eigene Erfindung. Der Begriff det: 
felben ſchließt fi an die Wirkungen ber Geftime an, wird aber 
weit über_bies Gebiet hinaus ausgedehnt. Blas meteoron.1; 5, 

3) Progreditur ad morborum cognitionem 8 sg. Omniam 
omnino reram naturale initium ex parte ideali in semine quo- 
vis pendere. — — liaque quamris ipsa cogitatio sit Imerum 
mon ens, auamen ex ipso suae mativitatis jure quaelibet res 
eonoepta constat materia concepta et lumine vitali intelligibiliter 
in illam reflexo. Ih. 15 29. 


reitet er gegen bie, welthe nichts Nitcleres zwiſchen 
Subſtanz und Accidens annehmen wollten; Licht, Leben 
und Form find ihm folge mittlere Dinge, weit fie den 
Samen zur Erzeugung. in. fh -tügen 2; Man wird 
wohl bemerken, daß in dieſen Lehren bie Materie thu 
dem Wefen nad verſchwindet. Sie wird‘ wur‘ Ider 
geopfert, welche in den lebendigen -Weäften ihre Ausfäge 
rung erhält und von innen and alles gefaltet: So be⸗ 
ſchreibt er und den Archeus, wie er aus der Verbindung 
einer Lebensluft, feiner Materie, -mit’ einen · Samenbilde 
beſtehe, welches fein innerer geifiger- Kern feiz dieſes 
geifiige Bild enthalte in ſich die Fruchtbarleit des Sa 
mens, ber fihtbare Same fei nur feine "HülfeY. Ar 
einer andern Stelle wird der Archeus, wehder Det Er⸗ 
zeugung aller Dinge, fetbft der Mineralien: vorſteht, ges 
radezu der Lebensluft und bem erzengenden Safte gleich⸗ 
gefegt 2), fo daß wir nicht daran zweifeln fönnen, daß 
diefe Lehre darauf ausgeht die Materie son. -in die be 
lehende Kraft aufgehn zu laſſen. . 

Diefe dynamiſche Erklaͤrungsweiſe fept Pu nun an 
den Borflellungen entgegen, welde das Leben im gefuns 
den iote im Franfen Zuſtande von äußern Einfläffen ablei⸗ 
ten möchten. Helmont beſtreitet daher die aſtrologiſchen 
dehren vom Urfprunge ber Samen durch den ‚Einfluß der 


1) Formarum ortas 22 2qq. 

2) Archeus faber 4. Consiat Archens vero ex connexione 
Yialis aurae velut materise cum imagine semimali, quae est 
interior naeleas spiritualis foecunditatem seminis eontinens; est 
antem semen visibile hajas tantum siliqu. 

3) Form. ort. 20. 


11* 


Geßine. . ‚Ale; Seſtirne geben nur Zeichen und Zeiten 
abs ; Er..befireitek noch eifriger die Lehre von ber erzen⸗ 
genden und-belebanden Kraft.des Feuers oder ber Wärme, 
Das Beurer erzeugt ‚nicht, ſendern zerſtoͤrt nur. Es if 
nur dazu geeignet das Heilfame von dem Schaͤdlichen, 
von derr Untoth adzuſcheiden; darin bewährt ſich die 
Kraft der Pyrotechnt. Die Lehre von ber eingebornen 
Waͤrme iſt daher ua. Helmont das wahre Verderben 
der rechten Mediein. Die Wärme iſt nicht Urſache, ſon⸗ 
dem Wirkung. des Lebens; bie Urſache der Verdauung 
und der Ernaͤhrung haben wir nicht in der eingebornen 
Warme, fondern in den verſchiedenen. Fermenten zu ſu⸗ 
gen, welche. im Jebendigen Körper vertheilt find ). Das 
Aaßere: iſt überhaupt nur Veranlaffung der Lebensthätig- 
keiten. Von ihnen empfangen die Samen ber Dinge, fo 
wie die Seele, ein Bild welches erregen oder auch Adren 
fan; aber alles Äußere bleibt den, Rebengfeimen fremd, 
bis eb von ihnen felbf ihrer Natur gemäß aufgenommen 
worden und eine Erregung ihrer Lebenstriche abgege 
ben hat. 

Bon ſolchen innerlich wirkfamen Kräften "ausgehend 
langt nun Helmont zu der Annahme eines Förperlichen 
Dafeins. und einer räumlichen Ausbehnung der Dinge in 
der Welt nur dadurch, daß. er im Iebenbigen Leibe eine 
Vereinigung vieler folder Kräfte vorausfegt. Wir Haben 
bie Lehre des Paracelfus kennen gelernt, bag im Men 
ſchen viele Geifter. in Fehde oder in Frieden mit einans 
der leben, unter der Herrſchaft der Seele vereinigt. 


4) Caus. et in. nat. 36; blas hum, 15; 37; calor efficienter 
non digerit, sed tantum exeitative' 20. 





Me 


165 


Diefe Lehre bildete Helmont weiter aus, weniger in pſy⸗ 
chologiſchem als im phyſiologiſchem Sinn, indem er zwar 
bie Seele als Einheit anfah, im Leibe aber eine Berei⸗ 
nigung verſchiedener Samen ober Lebenefräfte nachzuwei ⸗ 
fen ſuchte. Er zog hierdurch eine Reihe von Bebanfen 
nſammen, welche in ber frühern Philoſophie zerſtreut 
dem neuern Monadenſyſtem vorarbeiteten. In einem fer 
den Theile des lebendigen Organismus findet er eine ihm 
tigene thätige Lebenskraft, alfo einen Archeus, welder 
feine eigene Materie fi bildet; aber alle biefe Lebins⸗ 
käfte werben durch eine allgemeine Lebenslraft des gan 
gen Organismus, einen herfpenden Archeus zur Einheit 
des Lebensproceſſes zuſainmengehalten. Ein jeder beſon⸗ 
dere Archeus muß alsdann die beſondern Verrichtungen 
verſehn, welche von ſeiner Seite zur Erhaltung des Le⸗ 
bensproceſſes beizuſteuern find). Der Herrſchaft des alle 
gemeinen Archeus entzieht fi ber einzelne Archeus nur 


in der Kranfheit. Im der Berbauungsipeorie, in welcher - 


Helmont mit befonderer Sorgfalt die verſchiedenen Grabe 
unterfhieb, werben. bie einzelnen Fermente der einzelnen 
Grade und ihre Gefpäfte unter der Herrſchaft des allge 


meinen Archeus genau beſtimmt. So breitet fi denn 


die Lebenskraft im Raume aus, weil bie einzelnen Les 


1) Archeus faber 6 sqq. Cum omnis actus corporems in 
corpus terminatur, hino fit, quod Archens, generationis- faber 
ac recior, se ipsum veatiat statim corporali amictu, — — Hic 
enim cor locat, ibi vero cerebrum designat atque ubique im- 
mobilem habitatorem praesidem ex universeli determinat juxia 
exigentias partium et destinationem fines in ohitum. usque. 
Darauf iſt vom universalis archeus influus die Rebe, weider von 
dem particulares viscerum archei unterſchieden wird, 





benslraͤfte, welche im lebendigen Körper vereinigt find, 
ihre beſondern Stellen im Leibe behaupten und nur durch 
bie: Herrſchaft· einer kraͤftigern Urſache zur Einheit des 
Lebens: verbunden find, .: 

Die Lebenskraft des Archeus ift jedoch noch immer an 
der Materie ‚gebunden ;. auch der herſchende Archeus if 
noch ein: ausgedehnter und theifbarer Körper, weil er in 
einer belebenden Luft wirlſam iſt. Dagegen hebt Hels 
mont hervor, daß die Seele als ein centraler Punkt ges 
daqtht werben -müfle, weil fie eine untheilbare Einheit 
babe ). Sie muß daher vom herſchenden Archeus unter 
ſchieden werden; dieſer iſt nur als Organ zu denlen, 
durch welches jene überallpin ihre Wirkungen verbreitet?). 
Doch müfen wir. au der Seele einen Sig im Leibe 
aufcpreiben, von welchem ans fie bie Herefchaft über ‚den 
herſchenden Archeus ausũbt; denn bie Erfahrung zeigt, daß 
Theile. bes Leibes ohne Gefar für das Leben der Seele 
entfernt werben Fönnen, wärend ber Verluſt oder die Zer⸗ 
Aörung ‚anderer Theile augenblidlichen Tod nach ſich zieht. 
Dur feine Erfahrungen Hält fi Helmont für berechtigt 
den Sig der Seele im Magenmunde zu fuchen, von 
welchem aus ſie mit ber Milz, dem Sitze des Archeus, 
in Berhindung ſtehn. ſoll. Dies iſt das Duumvirat der 
Kräfte, welche unſer leibliches Leben beherſchen 5). Sorge 
fältig - fucht Helmont den Gedanken abzuwehren, daß 
bie Seele ving ve den Sig, welchen fie im Leibe einnimmt, 


seae⸗ animte 5 1q- 


-:2) Ib. 12. Per ministrum organum archei onncta perfieit 


(sc: anima) radioque il’ vitali ubiris velut praesens adsintt. 
- 3) Ib. 5 9.5.26 og.; jun dunmriratus 8. 


4167 


zu einem Eörperlichen Weſen gemacht werbe; bagegen 
dient ihm zum Schuge bie Behauptung, daß fie in ihrem 
Gige nur ein’ punltuelles Sein Habe’). Ohne Beruh⸗ 
tung, wie das Geflien, wirft von dorther die Seele in 
allen Gliedern, durch befondere Theile befondere Geſchaͤfte; 
als ein ſolches Werkzeug wird vor aflen das Gehirn be⸗ 
trachtet, welches durch die Nerven bie Bewegungen ber 
Seele zur Ausführung bringe und ein Träger der finnli- 
den Wahrnehmung, des Gebächtniffes und der Einbil⸗ 
dungetraft fei ?). 

Doc ift auch die finnliche Seele der Mannigfaltigfeit 
aiht enthoben. Sie wird au von Helmont wie von 
Varacelſus als eine Herberge einander befeindender und 
unter einander verträglicher Gebanfen vorgeſtellt. Sie 
it dan Menſchen mit den Thieren gemein und vergängs 
lich wie dieſe. Der freie und vergängliche Wille, welcher 
an das Sinnliche fih Hefte >, mit aller Ichheit und 
Niftigfeit fol von uns überwunden werben. Alles finns 
lie Leben iR nur eine Form, welche auf eine Zeit lang 
den Schein der Subſtanz an fi trägt, aber als ſolche 
ſich nicht bewährt, fonbern im Tode fi auflöf; denn 
me in der Bereinigung ber ewigen Samen unter Herr⸗ 
ſcaft des Archeus und der Seele hat diefe Form ſich ges 





1) Sed anim. 18. Exorbitanti modo innest in punto cen- 
traliter ac velut in alomo. 


2) Ib. 32. 
3) Imago mentis 25. Nulla est homini potestas pernieiosior 
voluntate libera. — — Voluntas est potestas animae caduca. 


Dagegen ib. 27. Perit itague cum vita potestas volendi ac se 
manifestat voluntas substantialis, ab intellectu mentisque essen- 
ia nequaquam distincta. 


168 


bildet; verläßt fie dieſe Herrſchaft, fo ſtirbt das lebendige 
Weſen und jedes Element deſſelben kehrt in feinen Sa 
menzuftand zurüd 1). Anders ift es mit den Geifte (mens), 
dem Ebenbilde Gottes. im Menſchen. In ihm eröffnet 
ſich uns die wahre Einheit, die Eintracht der Gedanken 
welche nur. durch die Sünde zerſtoͤrt worden if, indem 
fie das fihnliche Leben herbeigezogen hat. Alles, was in 
der Seele ſich zerſtreut, der Verſtand, ber Wille und bie 
Liebe, if im Geiſte vereinigt zu einer Subſtanz. Nur 
in der finnlihen Seele werben diefe Thätigkeiten ausein⸗ 
andergegogen zu ber Unordnung und dem \nfrieben, 
welchen wir empfinden, wenn wir wollen, was wir nicht 
lieben, erlennen, was wir nicht wollen, und wollen, was 
wir nicht wiſſen ). Der Geiſt ſoll die finnliche Seele 
beherſchen, wie bie Seele die im Leibe zerſtreuter Libens⸗ 
träfte; die finnlihe Seele empfängt auch vom Geifk ipre 


Erleuchtung, obgleich fie eine eigene Kraft zu erlunen 


hat; aber in dem irdiſchen und fünbhaften Reben, in 
welden wir find, hat bie finnlihe Seele eine Herrſhaft 
über den Geift gewonnen und beugt ihn unter ein Ge 
ſetz, welches feinem Streben nad Eintracht zuwöer 
iR). In dem Gifte haben wir nun die wahre ud 


4) Maganm oportet 17 29.; =. 

2) Imago mentis 46. Patet, ergo in mente intellectum, vo- 
Inntatem atque amorem substantialiter unita, in anima vero sen- 
sitiva operationes distingui e radice facaltatum diversaram, dum 
intelligimus non desiderata, desideramus quoque, quae nolu- 
mus nec planc noscimus, — — Quae cuncla contingant in 
mortalibus, quamdiu sensitiva trahit facultates suas in multi- 
plicem divisionis alaxiam. _ 

3) Mentis complementum 8 sqq. Cogitat quidem sensitiva 


.\ 


| 


ewige Subſtanz des Menſchen zu erkennen; er if feine 
vergaͤngliche Form; wenn er nicht mehr gehört wirb von 
ven zeitlichen Geſchaͤften der finnlichen Seele, fann er 
das Bildniß Bottes rein in ihm hervortreten 2). Jetzt 
werben wir noch durch den Zwiefpalt unferer Gebanfen 
und durch bie Notpwendigfeit den Werkzeugen unferes 
ſiunlichen Lebens unfern Geift zuzuwenden im Bewußtſein 
uferer Einheit geftört; dann aber fol unfer Geiſt in 
der größten Einerleipeit und Einfachheit des Verſtandes, 
des Willens und der Liebe, feiner Einheit und feiner 
Berbindung mit Gott fih erfreuen 9). 

Helmont hält ſich jedoch davon zurüd, dieſe Gedan⸗ 
ten an das legte Ziel unferer Beſtrebungen weiter zu ver⸗ 
folgen; dies iſt nicht das @efchäft der mediciniſchen Fa⸗ 
eultät, welcher er angehört; in die Unterfugiungen der 
Xpeologie aber will er ſich nicht einlaffen. Go finden 
wir bei ihm dieſelbe Scheu, welche wir bei den Ariſtote⸗ 
lilern und andern Philofoppen diefer Zeit: bemerkt haben, 
die Scheu der Naturforfcher mit der Tpeologie in Streit 


humana -vi propria, sed illustratur a mente. — — Prout in 
Iuna solis lumen suum amittit calorem, — — sic et in vitali 
sensitiva radius mentis, licet nuditer sit intellectualis, trans- 
nigrat in dominium sensitivae adeoque et invenit ibidem legem 
terrenam legi mentis oppositam. 

1) Formaram ortus 23 sqq.; 96; ment. compl. 8. Es wer- 
bm forma substantialis, die vergängliche Form, welche nur eine Zeit 
lang dm Schein der Subſtanz an ſich trägt, und substantia-formalis, 
die wahre Subſtanz, melde die Form giebt, von einander unterſchieden. 

2) Imago mentis 43. Ergo amor desideriumve mentis non 
est functio potestatis appetitivae, sed est ipsa mens intellec- 
tmalis et volens, quae sub unitatem indivisibiliter sunt copulata 
in identitate et simplioitate quam maxima, 


4170 


zu gerathen. Er wird darüber nicht in Verdacht fallen, 
die tpeologifhen Überzeugungen zu verachten. Nur von 
der Theologie, wie fie gegenwärtig gefaltet iR, findet 
er fih zurüdgefioßen. Seine religiöfen Hoffnungen fegt 
ex auf das file Gebet und auf bie unmittelbare Erfah⸗ 
tung der göttlichen Erleuchtung. Er bezeichnet ben Wen 
depunft in ber Entwidlung ber’ Theofophie, wo bie res 
ligisſen Überzeugungen und bie phyſiſchen Unterfuchungen, 
welche in ihr ſich durchdrungen hatten, ſich wieder zu 
ſcheiden begannen, um bie Tegtern ungeftörter verfolgen zu 
Können, Mit feiner Abneigung gegen bie herſchende Theo 
logie, mit feinem Dringen auf bie niebere und bie hir 
here Erfahrung wird man es im Zufammenhang finden, 
daß er in den metaphyſiſchen ober allgemeinen Grund⸗ 
fügen der Wiſſenſchaft fehr roh iſt und daher der Sinn 
feiner Lehren nur ſchwer durch die Verwirrungen feiner 
Darfellung ſich hindurchſchauen laͤßt. 

Bor den frühern Theoſophen hat er vornus, daß er 
mande Auswüchfe der alten Lehre abgeſchnitten hat, 
Seine Scheu vor ben theologiſchen Unterſuchungen hat 
doch den günftigen Erfolg, daß er die Geheimniſſe Got 
tes nicht erforſchen will, daß er alle Anklänge an ben 
Pantheismus und an bie Erkenntnißlehre meidet. Auch 
die Einflüffe der Geſtirne und des Himmels auf bie all 
gemeine Belebung der Natur will er nicht erforſchen; 
den Lehren der Aſtrologie widerſpricht er vielmehr; die 
Beobachtung bes befondern Lebens, in ber. Erbfphäre ſeſ⸗ 
felt die Aufmerffamfeit des Naturforſchers. Wir würden 
‘es ihm auch als Vorzug anrechnen können, daß er 
das fittliche Gebiet von dem natürlichen, getrennt hielt, 


‚ 


174 
wenn nur feine Weife bie Trennung herbeizuführen, bie 
finnfige Seele aus dem Sündenfall hervorgehen zu laſ⸗ 
fen und durch fie den Unfrieben in die Welt zu bringen 
nicht gewalkfem bie Einpeit ber Welt zerriffe. Eben dies 
bringt eine Störung. in die pofitiven Lehren, welche ben 
Kern feiner Weltanficht bilden. In ber Natur will er 
den Frieden bewahren, welder von Gottes Gefeg über 
fie verbreitet wird. Daher fämpft er eifrig gegen bie 
Lehren, welde den Streit als etwas Nothwendiges in 
ber Schöpfung fegen. Er geht vielmehr darauf aus alle 
Keime des Lebens, alle einzelne Fermente, fo eigenthüm⸗ 
tiger Art auch ein jedes von ihnen fein fol, in befreuns 
deter Unterordnung unter ein allgemeines Geſetz fih zu 
benfen. Hierauf fügt. ſich der eigenſte Gedanke feiner 
Lehre. Im geitweiliger Unterorbnung bienender Kräfte 
unter einem Regeuten vollzieht fh das organifche Leben, 
indem doc eine jede Kraft nur aus fi ihre Entwicklung 
ziehen kann, und bie Materie bildet ſich nur durch den 
Zuſammenhang verfepiedener lebendiger Kräfte, welche 
ſich unter dem Herſcher des lebendigen Organismus zu 
einem Körper vereinen. Wenn biefer Gebanfe auf den 
Frieden der ganzen Natur ausgedehnt worben wäre, fo 
würde er auf / den Zufammenhang der ganzen Welt unter 
einem herſchenden Geſetze geführt .baben. Aber hieran 
verhindert es ihn, daß er für nöthig hält den begeprlis 
Gen Menſchen und die ſittliche Welt von der frieblichen 
Rofur durch eine tiefe Kluft abzufondern. Daher hält 
er. feine Oebanfen lieber bei der Unterſuchung ber einzel 
nen organiſchen Weſen in der Welt fe opne fie zu einer 
gemeinen Lehre über die ganze Welt zu verarbeiten, 


172 


In derſelben Weiſe ſucht er auch allein für fich fein Heil | 
ohne den allmäligen Fortſchritt des geiftigen Lebens zu 
bedenlen. Es find dies die Gedanken der Theoſophic 
welche zu begehrlicher Ratur ift, als daß fie bie Reife 
der Zeiten erwarten könnte, Ein plöglicher Abfall fol 
die Gefege der Welt brechen; in einem plöglichen Aufs 
ſchwunge des Geiſtes follen wir und wieder mit Gott und 
der Welt verföhnen. 


2 Robert Fludd. 


Einen Augenblid mäfen wir noch bei einem Englän 
der verweilen, um gu zeigen, wie weit bie Lehren ber 
Tpeofophie in allen Zweigen des germanifchen Stammes 
fi verbreitet Hatten. Der Däne Peter Severinus hatte 
im 16. Jahrhundert die Paracelfiiche Medicin in ein 
Syſtem gebracht, welches weite Verbreitung fand, In 
derfelben Zeit, in welder Helmont fie in den Nieder 
landen ausbilbete, empfal fie Robert Fludd in Eng 
land, obgleih damals fhon Bacon für eine nüchtern 
Naturforfgung den Weg gebahnt und vor den Über 
ſchwenglichkeiten der Chemie gewarnt hatte. Daß er für 
nöthig hielt in fleißigen Wiederholungen gegen dieſe Rich⸗ 
tung der Naturlehre feine Stimme zu erheben, beweiſ 
uns, daß fie viele und einflußreiche Freunde zählte. Nie 
mand aber war unter ihnen thätiger als Fludd. Im 
Jahre 1574 zu Milgate in der Grafſchaft Kent geboren, 
hatte biefer Mann eine Zeit lang Kriegsdienſte gethan, 
dann Tange in Frankreich, Deutfhland und alien zuges 
bracht. Als er nah England zurüdgefommen war, übte 
er die Arzneiwiſſenſchaft mit GTük aus bis zw feinem 


173 


Tode 1637. Auf feinen Reifen hatte er\ Diele gelehrie 
Berbinbumgen angefnäpft, in Deutſchland wollte er au 
die Rofenkreuger aufgefpärt haben, deren Ehrenreitung 
es mehrere Schriften wibmete. Seine Gelehrfamfeit in 
den geheimen Wiſſenſchaften war fehr umfaffend und bes 
fonders mit der Chemie Hatte er ſich fleißig beſchaͤftigt. 
Mit Helmont iſt er am eindringendem Geiſte nicht zu 
vergleichen, aber es treten doch bei ihm einige Züge der 
Beſtrebungen, in welden bie gelehrte Tpeofophie fih 
bewegte, deutlicher hervor als bei jenem Beitgenofien. 
Hierzu rechnen wir die Weife, wie er die geſchichtlichen 
Anfnüpfungspunfte der Tpeofophie behandelt. Fludd iſt 
der gelehrteſte unter den Tpeofophen genannt worden 
und ir ber That feine Schriften wimmeln von Anführun 
gen der alten Lehren. Ein Gegner der Peripatetifer und 
der heidniſchen Ppilofophie überhaupt, welche nur der 
Einbildungsfraft gedient habe 1), if er doch keineswe⸗ 
ges fo entbrannt, wie Helmont, gegen alles Unchriſtliche 
und gegen das Alterthum überhaupt, vielmehr eifert ex 
gegen bie Anmaßung der Neueren, welche alle Erfindun⸗ 
gen für eigenes Werk ausgäben®); er dagegen will nur 
auf die Philoſophie des Mofes uns zurüdfüßren; auf 
ben Hermes beruft er ſich, auf die Kabbaliſten, den Pa⸗ 
racelſus, den Nicolaus Cuſanus und die ganze Schar 
der Autoritäten, welche im Munde ber neuern Platonifer 
und Theofophen waren. Dabei ift er aber doch ben Ents 
dedungen der neuern Phyſik nicht abgeneigt, wenn fie 
mır mit feinen theofophifchen Anſchauungen ſich vereini⸗ 


1) Philosophia Mosaica (Goudae 1638) sect.I. lb. IE, 2 
1b. 1,2. 


174 


gen laffen. @ilbert’s Unterfuhungen über ben Magneten 
entlodt er feine ſchoͤnſten Säge, So begegnen“ ſich bei 
ihm die Beſtrebungen ber neuern und der alten Zeit. 
Wenn man freilich die Maſſe feiner Citate anfleht, bärfte 
man geneigt fein ven Einfluß ber alten Zeit bei ihm für 
flärfer zu halten, als das, was er der neuern entnommen 
hat. Auch iR er der Theologie noch ſehr ergeben; er 
ſchließt fie nicht, wie Helmont, von ber Naturforſchung 
aus, vielmehr meint er, wie die Kabbaliſten, alles in der 
Dffenbarung finden zu fönnen I). Zwiſchen der Thedlo⸗ 
gie und ber natürlichen Philofophie findet er nur.den 
Unterſchied, daß jene vom Mittelpunfte, von Gott, aus 
gehe und aus ber Duelle, a priori alles ableite, biefe 
dagegen vom Umfreife aus forſche und dutch bie Erfah⸗ 
rung zur Erkenntniß zu gelangen ſuche ). Aber Kenn 
wir nun dennoch fehen, daß er trog feiner unzähligen 
Anfüprungen aus der heiligen Schrift auf dem Wege der 
Philoſophie fortfäpreiten will, freilich in der Weile ber 
Theofoppen 3), fo werden wir gewahr, daß fein Ber 
fahren im Wefentlichen den Beftrebungen der neuern Zeit 
ſich zuwendet. Daher, wenn au bie Sinne ung zer⸗ 
freuen folfen, Täßt er doch das Zeugniß der Sinne im. 
und verfhmäht auch nicht, wie .Helmont ben Gebrauch 
der Vernunft und bes Beweiſes, fondern will biefen 
Mitteln nur nit allein vertrauen, weil fie. oft zu Jer⸗ 
thümern geführt hätten. Nur deswegen hält er es 
für geraten and die Heilige Schrift und bie Zeuguifle 


i) B. I, 4. 


2) Ib. prooem. 
)Lı 


\ 175 


anderer Heiligen Männer anzuziehen ). Freilich iR es 
nur bie Unglänbigfeit des Zeitalters, welche ihn aufs 
fordert durch augenſcheinliche Beweiſe die höpere Wahr 
heit zu unterftügen 9; aber daß er hierzu feine Zuflucht 
m nehmen ſich gebrungen ſieht, beweift bie Gewalt, welche 
die Richtungen der neuern Zeit aud auf diefe gläubige 
Seele ausäbten. ' 

Welches find nun die augenſcheinlichen Beweiſe, welche 
Fudd für feine Höhere Anftpauungen beibringt? Es if 
ein ganz einfacher Verſuch, es find bie Beobachtungen 
an einem phyffalifpen Inſtrument, welche ihm das Raͤth⸗ 
fel der Welt zu eröffnen fcheinen. Mit ihnen beginnt ex 

"feine Moſaiſche Philoſophie, durch fie denkt er die hercus 
liſche Arbeit in Bekämpfung des Unglaubens ſiegreich ber 
fegen zu Können 9). Das find die Wunder und Zeichen 
der Zeit, welche auch Fludd nicht verſchmaͤht. Sein Ins . 
frument ift das Thermometer in feiner älteften Gefalt. Er 
maßt ſich die Epre nicht am es erfunden zu haben; in einem 
wenigſtens 500 Jahre alten Manufcripte habe er bie Zeiche 
mung besfelben gefunden +). Es beweiſt, daß Luft durch 
die Wärme fi ausdehnt, durch die Kälte fich zuſammen⸗ 
Ühl. Darin liegt das Geheimnig, daß alles durch Ver⸗ 
dännung und Verdichtung hervorgebracht wird. In bem 
Inſtrumente wie in einer Heinen Weit verhält es fih 
völlig eben fo, wie in der großen Welt), Wärme und 





)1b.1,1;1,2 
2) Ib. I argum.; 1. 
3) Ib. Largum. 
4) 1b. 1, 2. 
9)1.1,5, 


476 

Kälte find bie thätigen Kräfte in ber Welt; jene wirkt 
verbünnend, biefe verdichtend; jene zeigt ſich überall in 
Berbindung mit dem Lichte und if auf das Licht zurüde 
zuführen; biefe findet fi mit ber Finſterniß verbunden 
und wird ihren Hrfprung in ber Finfterniß haben. Die 
activen Kräfte fegen aber auch paſſive Elemente voraus, 

das find die Trodenheit der Luft und die Feuchtigkeit des 
Waffers, melde aber auch auf das Waffer als auf bie 
Urmaterie zurüdgeführt werben können. Ale biefe 
Kräfte und Materien finden fi in dem kleinen Gefäße 
mit einander vereinigt und laſſen die Werke ber Natur 
in ihm wie in einem Heinen Bilde ſchauen. 

Wir fehen wohl, daß die Schlüffe, auf welche Fludd 
feine Lehre baut, ihm leicht von Statten gehen. In bas 
Einzelne feiner Naturlefre einzugehen ‚würde wohl nit 
der Mühe verlohnen. Es genügt ihre Verfahrungsweiſe 
bezeichnet zu haben. Wir haben nur noch ben Zuſam⸗ 
menhang zu erwähnen, in welchem fie mit feinen theoſo⸗ 
phiſchen Gedanken ſteht. Im ihnen fpielen die Gedanken 
des Nicolaus Eufanps bie Hauptrolle. Gott if eins 
und alles. Aus dem Nichts wird nichts; Gottes Macht 
aber if die Duelle aller Dinge); feine Potenz iſt die alle 
gemeine Materie; fie kann als das verborgene Licht ans 
gefehn werben, welches man auch das Nichts nennen 
fann, aus welhem alles geworben; denn alle Begenfäge 
find in ihm vereinigt, Wir müfflen das zufammengefal 
" tete unb das entfaltete Sein Gottes unterfpeiben. In 
Gott war alles, aber nur in ibenler Weiſe, fo Tange er 


1) Ib. I, 4; Il’argam.; IV, 1. 


177 


unentfaltet war, d. h. nur bie Ideen der weltlichen Dinge 
liegen in Gott; feine Güte aber will, daß fie in der 
wirllichen Welt offenbar werben. Da emaniren bie Kräfte 
aus ihm zu gefonbertem Dafein, welche in feinem ewigen 
und verborgenen Lichte eins find. Doc fol durch biefe 
Emanation das unveränderlihe Wefen der göttlichen Weis: 
heit nicht verändert werben !), Wenn wir aber gefunden 
haben, daß die Exfenntnißtheorie, an welche biefe Lehren 
des Eufaners fi angeſchloſſen hatten, ſchon hei Bruno 
abgefhwächt worden und in Berwirrung gerathen war, 
fo behaͤlt Fludd von ihr faum einen Schatten bei. Dies 
iR feiner theoſophiſchen Richtung entfprechend. Aber auch 
die metaphyfiſchen Begriffe, welche Bruno noch gepflegt 
hatte, treten bei Fludd nur in einzelnen, kaum merklichen 
Andeutungen hervor 2). Dagegen fegt fi ihm alles in 
phyfiſche Begriffe um und die Praris, durch welde er 
feine allgemeine Theorie beweifen will, it ihm das phy⸗ 
fe Experiment. In dieſer Berfaprungsweife gebraucht 
er befonders bie Erſcheinungen des Magnetismus zum 
Beweife, daß alles in der Natur von entgegengefegten 
Kräften beherfcht wird, welche in Liebe und Haß, in 
Sympathie und Antipathie fi begegnen, um zuletzt in 
die allgemeine Duelle aller Dinge, in die Identitaͤt Got⸗ 
tes, wieber einzugehn. Gott zieht mit magnetifcher Kraft 
ale Dinge an 5) und die magnetifche Kraft ift durch alle 
Dinge verbreitet; wie in ben Steinen, fo findet fie fih 


1) Ib. sect, I prooem.; lib. III, 2; 4; sect. II lib. 1 argum.; 2. 

2) So wenn er die Vielheit der Seelen aus der ſpecifiſchen Dif- 
ferenz der weltlichen Dinge ableitet. Ib. sect. IE lib. 1, 5. 

3) Ib. sect. 1 lib. III, 4; IV, 1; ect. II Jib. III argum. 
Geſch. d. Philoſ. x. 12 


178 


au in Pflanzen und Thieren; aber befonders leuchtet 
fie im Menſchen hervor, welder das Wunder des Thier- 
reiches if, wie ber Magnet das Wunder des mineralis 
Then Reiches. Der Menſch ift Mikrofosmus, in ihm 
müffen die Eigenfchaften aller Dinge und alfo auch des 
Magneten ſich wiederfinden; in jedem Menſchen iſt Chris 
ſtus, die Indifferenz der Gegenfäge; in ihm müſſen ſich 
daher auch die Gegenfäge ber Sympathie und Antipathie 
vereinigen, wie im Magneten). Da if Fludd ganz an 
ders als Helmont gefinnt; pie Gegenfäge, ihren Haß und 
Streit aus der Natur zu verbannen faͤllt ihm nicht ein; viel 
mehr findet er, daß fie nothwendig find um bie Verſchiedenheit 
der Dinge und ihren Zufammenpang unter einander zu 
unterhalten. Unmittelbar führt er fie auf Gott zurüd, befe 
ſen Einpeit der Grund aller Vielpeit if. Die göttliche 
Kraft wirkt in den natürlichen Dingen verdichtend und 
verbännend, in Lit und Finſterniß, in Haß und Liebe; 
die Sympathie der Dinge if im Lichte, die Antipathie 
in der Finſterniß Gottes gegründet; buch die” beiden 
Leidenfchaften bes belebenden Geiſtes, das Verlangen und 
den Zorn (concapiscentia, irascibilitas), dringt die gött 
liche Kraft hindurch 2). Diefe Gegenfäge haben ihre na 
türliche Wurzel in Golt, weil er ein verborgener Gott 
iſt, welcher ſich offenbaren will; aber body immer wieder 
fh in fih verbirgt, indem er auf fi reflectirt. Auf 
ſich veflectivend zieht er alles zufammen, if die Urſache 
der Kälte, der Finſterniß, der Verdichtung, des Haſſes, 
1) Ib. seot. IL. lib. II. membr. 11, 3; lib. II. membr. I, 1; 5. 


2) Ib. sec. 1 lib.II, 6; lib. UI, 6; sect. Il lib. I argum.; 


Kb, IE membr. 1, 1. R 


1m 


des Böfen, jebes Unfhönen und jeder Beraubung, bie 
aniehende Kraft, welde alles dem Mittelpunfte zuführt. 
Dagegen emanirend und fih offenbarend dehnt er alles 
aus nach dem Umfreife zu und iſt Die Urſache ber Wärme, 
des Lichtes, der Verdünnung, ber Liebe, alles Guten 
und Schönen und “jeder Bejahung, die abflogende Kraft, 
welche die ganze Natur ausgedehnt . Wie feltfam auch 
in diefen Borfellungen die Liebe mit der Abſtoßungskraft, 
der Haß mit der Anziehungskraft zufannmengeftellt wer⸗ 
den, Fludd laͤßt ſich dadurch nicht fören; eben fo wenig 


dadurch, daß in der Finſterniß, der Kälte und dem Haffe 


dieſer Welt der in ſich verborgene Bott feine Wirkungen 
haben und offenbar fein foll; er erfreut ſich feines Ger 
danfens, welcher in dem einheitlichen Grunde aller Dinge 
doch eine zwiefpältige Richtung gefunden hat um daraus 
die Orgenfäge der Welt erffären zu können. Die eine 
Richtung bezeichnet er als das Wollen, die andere als 
das Nichtwollen Gottes 9. Er will nicht eingeſtehn, 


4) Ib. sect. I Hb. III, 6. Ex istis ergo perspicne indicatur, 
quomodo hae duae virtutes oppositae, nimirum calidum et 
frigidum, ortum suum habeant ab uno eodemque apiritu in 
radicali essentia, qui in latente sua natura vices agit principii 
‚Änformis et tenebrosi, — — in quo siata videtur quoad nos 
quiescere et, circa abyssi centrum otiosus manere; et e contra 
in patenti sua dispositione naturam induit principü activi, in- 
formantis et lucidi, atque in isto statu apparet hobis agere et 
a centro circumferentiam versus movere radiosque suse per- 
fectionis undique per aquas ejaculare suamgue naturam vivifin 
“cam creaturis hac ratione oommunicare. 
2) 1b. IV, 1. Denique fons et origo lam privativi qua 
positivi agentis est vel noluntas vel voluntas, hoc est aut ne- 








gativa aut affırmativa solius unitatis aeternae. Ib. sect. II lib. I 


argum. 


12* 


480 


daß bie Unvolllommenheit ber Dinge biefer Welt ihren 
Grund in den Gefhöpfen habe, damit dieſe nicht in ir⸗ 
gend einer Weife die ſchoöpferiſche Tpätigfeit Gottes zu 
bedingen feinen Lönntenz daher führt er die Beraubung, 
welche den Gefchöpfen anflebt, lieber auf das Nichtwol⸗ 
Ten Gottes zurüd, welches darin gegründet if, daß er 
nur in feiner Reflerion auf ſich ſelbſt die ganze Fülle 
feines Weſens ausbrüdt. Es iſt dies eine neue Form, 
in welche die alte Rehre fi huͤllte, dag nur bie Thaͤtig⸗ 
leit Gottes nach innen, nicht aber feine Thaͤtigleit nach 
außen feine Bolltommenheit ausbrüde. 

Bon Helmonts Grundfägen weicht biefe Theoſophie 
fehr bedeutend ab, Wenn Helmont Gott und Welt in 
frenger Sonderung halten wollte, fo trägt Fludd fein 
Bedenlen alles Weltlihe zu einer unmittelbaren Lebens: 
äußerung Gottes zu machen; wenn Helmont die Ratur 
‚in vollem Frieden, das fittlihe Gebiet in. vollem Streit . 
erblidte, fo iR Fludd bemüpt ben Unterſchied zwiſchen 
beiden Gebieten aufzulöfen; wenn Helmont Gutes und 
BDöfes in firenger Scheidung auseinanderhielt, fo ficht 
Fludd amd im Streite und im Böfen eine unmittelbare 
"Wirkung Gottes, Zwar Fönnte es feinen, als wollte 
Fludd alles. auf ſittliche Unterſchiede zurüdführen, wenn 
er bad Wolfen und das Nichtwollen Gottes als die letz⸗ 
ten &ründe der weltlichen Dinge betrachtet; aber beide 
‚werben von ihm ben phyſiſchen Kräften des Lichtes und 
der Finfterniß ganz gleichgefegt, ja die Unterſchiede zwi⸗ 
ſchen Gutem und Böfem, welche auf ihnen beruhen, wer⸗ 
den als Dinge nur menſchlicher Rüdficht betrachtet, ja 
als Gegenfäge, welche durch die magnetifhe Kraft Gots 


481 


tes zur Einheit zurüdgeführt werben follten). Daher 
erſcheint dieſer Theoſophie alles als-ein phyſiſcher Vor⸗ 
gang. Selbſt der Teufel wirkt nur in phyfifcher Weiſe, 
nur nach dem Willen Gottes und wir dürfen ung baher 
auch nicht in einem thoͤrichten Aberglauben ſcheuen dieſel ⸗ 
ben Mittel zu gebrauchen, welche der Teufel anwendet 2). 
Anh von den deutſchen Theofophen unterſcheidet fi 
Fludd in ſehr merllicher Weiſe. Wärend bei jenen bie 
Theofophie einen ibenlen Schwung genommen hatte, iR 
fie bei ihm zur Praxis der Naturforfhung zurüdgelehrt. 
Seine Moſaiſche Philoſophie Hat es auf eine Empfehlung 
der magnetifcpen Eur durch Sympathie und Antipathie 
angelegt. Auf Bifionen beruft er ſich nicht; die tieffins 
nige, finnbildliche Auslegung eines Böhme, vines Weigel 
if ihm fremd; dagegen hat er ſich dem gelehrten Zuge 
der Zeit angeſchloſſen; Zeugniffe, welche bie Ausſagen 
der Heiligen Schrift und der frühern Myſtiler im gemeis 
nen Wortverftande nehmen, und ber augenfcyeinliche Bes 
weis des phyficalifhen Verſuchs find die Waffen, mit 
welchen er feine Erflärung der Natur in das Feld rüden 
laͤßt. Das legte Ziel der Dinge laun er natürlich nicht 
ganz außer Augen laſſen; aber er erwähnt es felten; 
feine Aufmerkfamteit ift auf ben gegenwärtigen Verlauf 
der Ratur und auf die praftiiche Anwendung der Theo⸗ 
fophie gerichtet. Sp wußte and biefe theofophifche For⸗ 
ſchung der Eigenthümlichkeit der Völker, unter welchen fie 
auftrat, ſich anzufämiegen. 





1) Ib. sect. II. lib. IM. prooem. 
2) Ib. I. membr. II, 6, 


4182 


So wenig als Böhme hat Fludd der, Theofophie neue 
allgemeine Gedanken zugeführt; feine Arbeiten zeugen ‚nur 
von einem fehr mittelmäßigen, Geiſte. Wenn hierin Hel⸗ 
mont glüdlicher war, fo beruht dies vorzüglich darauf, 
daß er den phyſiologiſchen Unterfuchungen fi zuwandie, 
melden bie Orundfäge der Theofoppie von ber allgemeis 
nen Belebung ber Natur näper fanden, als ber Phyft, 
in deren Erforſchung Fludd fi bewegte. Da jebod die 
DHHfit in jenen Zeiten der Phyfiologie unftreitig überlegen 
war, wurde durch bie Richtung, welche Fludd eingefhla 
gen hatte, bie Theofophie bem Gange ber Gelehrfamteit 
näher gerüdt. Seine Beweife unterfcheiden ſich nicht fehr 
von den Beweiſen anderer Gelehrten feiner Zeit außer 
dadurch, daß ſie voreiliger zum Höchften auffpringen. Den 
Zeitgenoffen erſchien daher auch Fludd bei weitem weniger 
parador als Helmont. Daß jedoch hieraus der Theofophie 
neue Kräfte hätten zumachen koͤnnen, ließ ſich nicht er⸗ 
warten. Sie ſuchte bei Fludd das Anfehn einer alten 
Lehre zu behaupten, wärend immer deutlicher wurbe, baf 
neue Lehren für die Wiffenfhaft gefucht werben müßten. 
Durch die Beobachtung der einzelnen Naturerfcheinungen, 
welchen Fludd ſich zugewendet hatte, war für bie feht 
allgemeinen Anſchauungen der Theofophie Feine neue Bes 
Tebung zu erwarten. Durch ihre Berufung auf. foldhe ein- 
zelne Erfahrungen gab fie vielmehr nur ber Gewalt nad 
welche bie ungläubige Richtung ber Zeit auf fie ausübte; 
vergebens verfuchte fie auf ihre. Gegnerin bie eigenen 
Waffen zu fchren. Aber wie hätte überhaupt die Tpeo- 
fophie dem Anbringen der neuern Zeit widerſtehen Tönnen? 
Sie war in fi ſelbſt gefpalten, wie wir an ber Zwie 


4185 


ſpaͤltigleit in den Lehren Boͤhme's, an dem Streite zwi. 
ſchen den Lehren Fludd's und Helmont's über die wich⸗ 
tigſten Fragen fehen, Seit Paracelfus hatte fie ihr Ab⸗ 
fehn auf die Erfahrung und den Berfud) genommen; aber 
fie mifchte diefe Gründe der Erfenntnig mit überſchwaͤng ⸗ 
ligen Deutungen und mit träumerifchen Gefüplen. Es 
war vorauszufehn, daß fie gegen das Anbringen bes 
Zweifels und gegen eine folgerichtigere Methode in ber 
Veobachtung der Natur fi nicht würde behaupten können. 


Neuntes Kapitel. 
Die ſkeptiſche Richtung der Franzoſen. 


Wenn wir bemerken, daß bis in das 17. Jahrhun⸗ 
dert hinein bei dem germaniſchen Zweige unſerer neuern 
Nationen die Theoſophie das lebendigſte Element ihrer 
philoſophiſchen Gedanlen geblieben war, ſo ſtellt ſich das 
mit in vollen Contraſt bie nüchterne Betrachtungsweiſe 
der Franzoſen in derſelben Zeit. Bei ipnen gewann ber 
Slepticismus ein entfdiebenes Übergewicht. Aus dem 
Vollsharakter der Franzoſen wird fih dies nicht ableiten 
Iaffen, der zu verfchiedenen Zeiten feine Empfänglichfeit 
fir religidſe und philoſophiſche Beſchaulichkeit gezeigt hat. 
Die Zeitverhaͤltniſſe aber machen e6 erflärtih. Die polis 
üiſchtirchliche Verwirrung, welche Frankreich lange ber 
herſchte, ohne daß ein durchgreifender Zug in Kunſt, 
Wiſſenſchaft, religiöſem ober politiſchem Leben der Geiſter 


4184 


auch nur in iprem Zwiefpalt fih bemaͤchtigt hätte, mußte den 
Zweifel naͤhren. Diefe Erfehütterung ihrer Überzeugungen - 
trieb aber die Franzoſen ſchnell zu einer wiſſenſchaftlichen 
Sammlung an und man wird nicht verfennen, daß ber 
Slkepticismus des 16. Jahrhunderts einen Haupthebel für 
die wiſſenſchaftliche Bewegung abgab, in welcher die 
‚Branaofen des 17. Jahrhunderts vafche Fortſchritte machten. 


1. Migel de Montaigne 


Nicht Teicht finbei man einen reichern Ausbrud der 
Stimmungen, wie fie von Bewegungen der Zeit einge 
geben werden, als in den Berfuchen Montaigne's. Nicht 
tief drüden fie feinem Gemüthe fih ein, aber eine leb⸗ 
hafte Phantafle erfaßt und verasbeitet fie zu einem Stoffe 
für die Unterhaltung, in welder eine Tiebenswürbige 
Eigenthumlichleit im Gefül ipres Werthes, aber ohne 
übertriebene Anfprüche offen ſich hingiebt. Diefe Eigen 
haften in einem Stile ausgedrückt, welcher beftändig ber 
lebt, naiv, von allem Geſuchten frei, der lautere And 
druck des Gedantens if und den Ton der flüchtigen Uns 
terhaltung auf das Vortrefflichſte zu halten weiß, haben 
den Berfaffer biefer ergebnißlofen Verſuche zu einem 
Lieblingsſchriftſteller feines Volkes gemacht. Er if als 
ſolcher von einer großen Nachwirkung gewefen, und wenn 
wir daher auch feine tiefe Philoſophie bei ihm finden, fo 
klingen doch viele Gedanken in feinen flüchtigen Außerun⸗ 
gen an, welche wir fpäter in viel ernſterer Behauptung 
bei den Franzöfifcpen Philoſophen wiederfinden werben. 
Wir koͤnnen an ipm nicht voräbergen, ohne uns feine 
Züge zu merken. 


4185 


Monteigne wurde 1533 im Perigord geboren auf 
der Befigung feines Baters, der Herrſchaft Montaigne. 
Ein fängerer Sohn ſollte er der furifiifchen Laufbahn fi 
wibmen und wurbe von feinem Vater, der in feiner Er⸗ 
schung ſehr paraboren Grundfägen folgte, einem Lehrer 
übergeben, welder bie Anweifung hatte ihn nur Lateiniſch 
teden zu lehren und von bem Gebrauche der Landesſprache 
ganz fern zu Halten, Wer Hätte erwarten follen, daß 
ans einer folgen Erziehung ber erſte Proſailer des neuern 
dFrantreichs hervorgehen würde, Im ben Wiſſenſchaften 
gut unterrichtet, im Berker mit ausgezeichneten Gelehr⸗ 
ten, welde im Hauſe feines Waters gern gefehen wären, 
bildete er ſich für die richterliche Laufbahn. Er war ber 
reits als Parlamentsrath zu Bordeaur befhäftigt, als er 
durch den Tob feines Vaters und feines ältern Bruders 
um Befig der Herrſchaft Montaigne gelangte. Er konnte 
nun feinem Hange zu einem forgenfreien Leben ſich über 
laſſen und den Spielen ber Phantafie nachhaͤngen, welche 
an Mannigfaktigfeit der Eindrüde und an den ſinnlich 
geifigen Genüffen der Geſchichte, der Wiſſenſchaften und 
der Dichtlunſt, aber befonders an dem Wetteifer gefelliger 
Mittheilung ſich nährte. Ohne fih ganz ben Geſchaͤften 
u entziehn, welche ein ehrendes Vertrauen ihm entgegen» 
brachte, mit einem vegen Gefül für wahre Freundſchaft, 
für das Wohl und Weh feines Landes, durd feine Ges 
"but an bie höchſten Kreife der Geſellſchaft Herangezogen 
und für die Ehren derfelben nicht unempfänglih, nahm 
er doch nur die Stellung eines befcheidenen Privatmannes 
in Anſpruch. Er befriedigte feine Luft an Reifen in 
Frankreich, Stalien, der Schweiz und Deutfhland; er 


\ i 186 
erfüllte feinen Geiſt gern mit großen Gedanken; aber er 
lehrte immer wieber an feinen heimifhen Herb zurüd, 
welcher ihm feinen perfönlichen Neigungen ohne Zwang 
nachzugehen geſtattete. Unfreitig hatte hieran bie Zer⸗ 
rüttung ber politiihen und kirchlichen Berpättniffe feines 
Baterlandes einen großen Antheil, Der latholiſchen Kirche 
als der Religion feiner Väter zugethan, ift ihm doch der 
fanatifche Eifer der kirchlichen Partei fremd. Er Tann 
überhaupt Feiner Partei folgen, wo fie dem Rechte fih 
entzieht und zur Gewalt greift. Er fieht wohl die Noth⸗ 
wenbigfeit im praftifchen Leben einer Partei zu folgen, 
aber ex Tiebt fie nicht; feine Augen find aud für bie 
Schwächen feiner Partei offen. Die Zerrüttungen feines 
Baterlandes, denen er nicht abhelfen lann, beflagt er, 
aber mit muthiger Seele. Laßt uns dem Schidfale Dant 
fagen, daß es und nicht in einem weichlichen und ſchwa⸗ 
hen Zeitalter geboren werben lieg. Im biefem Sinn 
iſt ihm fogar die Prüfung der religiöfen Wahrheiten durch 
die kirchlichen Parteiungen nicht zumider 2), Auch unter 
den Laſtern der verwilderten Zeit wußte er die Tugenden 
zu ſchgen, welche ſie an den Tag brachte. Aber mehr 
als die Lage ber Zeit Hält ihn fein eigentpümfiches Weſen 
vom öffentlichen Schauplatze der Welthändel zurüd. Bon 
Etienne de In Boetie, dem Freunde feiner reifenden Ju⸗ 
gend, fagt er: darum weil er er war, habe ich ihn ge⸗ 
‚ liebt, und weil ich ich ward). Diefer Gefinnung „gemäß 
Hält er überall auf feine Perföntickeit, feine Meinung, 
4) Essais II, 12. p. 778. (Paris 1657.). 


2) 1b. II, 15. p. 453. 
3) Ib. I, 27. p. 122. - \ 


187 


feine Neigung und Abneigung, Cr ſpricht von feinen _ 
Verſuchen: dies iſt ein Werk des aufrichtigen Glaubens; 
ich ſelbſt bin die Materie meines Buches, : Richts wil 
ex ausfprechen als fi ſelbſt, den’ unabhängigen Geiſt, 
welcher in ihm lebt. Da arbeitet er nun im Stillen an 
ſich; er ſucht das ruhige Plaͤtzchen in feinem Landhauſe 
auf, auch in feiner Seele ſucht er es . Hierin finden 
wir dog eine Ähnlichteit der Denkweife bei ihm und ' 
jenen Myſtilern, welde die Gelaffenheit ihrer Seele, den 
ruhigen Mittelpunft ihres innern Lebens auffuchten. Sollen 
wir ihn tadeln, wenn er fich felbft getreu blieb? Indem 
er dem Hange feiner Natur nachging, hat er bie Bers 
ſuche gefcprieben, welche eine unermeßliche Wirkung auf 
die Bildung feines Volkes gehabt haben. Im männlichen 
Alter gab er fie heraus; noch nachher aber bereicherte er 
fie fortwärend auch unter den Schreden bes Krieges und 
der Peſt, welche feine Befigungen heimfuchten, In biefen 
Beſchaͤftigungen ereilte ihm der Tob 1592. 
Von Montaigne iſt feine zuſammenhaͤngende Lehre zu 
erwarten. Er plaudert ſeine Einfaͤlle aus, die Einge⸗ 
bungen des Augenblids; er geſteht, daß er oft feine 
eigenen Worte nicht wiederverſtehe ). Wenn es hoch 
fommt, bräden feine Betrachtungen feine perſoͤnliche Übers 
zeugung aus, welche in ber gebildeten Geſellſchaft und 
für diefelbe ſich befeſtigt Hat. So wie fie Achtung für 
die Perfönlichfeit des Verfaſſers verlangen, fo find fie 
bereit einer jeben Perfonlichteit, welche nur nicht gegen 
1) Ib. n, 15. p-455. Fezaaye de soustraire ce coing A la 


tempeste publique, comme je fais un autre coing en mon ame. 
2) Ib. U, 12. p.415. \ 


U 


188 


. bie Sitten verftößt, Achtung zu gewähren. Aber ben 


beſtehenden Sitten im gefelligen Leben, in Staat und 
in Kirche follen wir gehorchen. Montaigne fegt im All⸗ 
gemeirien voraus, daß man Vernunft in allen Gebräuchen 
finden würde, wenn man ihren Gründen nachginge; aber 
er behält ſich auch fein gutes Recht vor diefe Dinge zu 
prüfen. Ehrfurcht gegen das Beſtehende empfielt er, 
weil alles ändern zu wollen nur mit einem völligen Um⸗ 
Rurz, mit Gewalt und Gefahr der perfönlichen Freiheit 
enden würbe; ben Neuerungen in ber Kirche iſt er nicht 
geneigt, wenngleich er fie für eine heilfame Schidung 
gelten laͤßt; zur Prüfung ber Tiefen der Religion, der 
Urkunden unferes Glaubens hält er die Menge nicht für 
befäßigt und: die pebantifche Gelehrfamfeit, weiche mit 
Erklärungen und Erklärung ber Erklärungen ſich plagt, 
nicht für berechtigt. Der menſchliche Geiſt bebarf. der 
Wiſſenſchaft, aber auch ber Zügel, des Gefeges und der 
Religion), Aber wenn er nun auch biefe Dinge für 
nothwendig erachtet, fo zeigt ihm bod feine Erfahrung 
und feine Gelehrfamfeit, welche vieler Zeiten und Bölter 
Sitten umfaßt, wie wenig Übereinkimmung und Dauer 
in ihnen if. Den Gefegen follen wir geboren; aber 
der Gefege find viele und die Wahrheit if nur eine). 
Er betrachtet Sitten und Geſetz als Ergebniffe mehr der 
Berhältniffe als des natürlichen Ganges der Dinge und 
der fh ſelbſt getreuen Vernunft. Durch Geburt und 
Erziehung werden wir Perigorbiner oder Deutfche; ebenfo 





1) 1b. 1, 12. p.408. 
2) Ib. p.425, 


. ‘ 469 
empfangen wir unfere Religion ). Un Montaigne ber 
merkt man ſehr deutlich, wie der weitere Blid über das 
menſchliche Leben und feine verfchlebenen Formen, welden 
die neuere Wiſſenſchaft eröffnet hatte, anfangs doch nur 
verwirrte, weil man die Grade ber Bildung und ipr 
Geſetz nicht zu erfennen wußte, Für das Alterthum hat 
er eine allgemeine Berehrung eingefogen, bas Chriſten⸗ 
thum weiß er zu fhägen, aud die Naturlaute der Volle⸗ 
poefie finden bei ihm ein empfänglihes Gemüth; aber 
in feinem Capitel über bie Gannibalen *) ſchildert ex bie 
Berwilderung dieſer Bölter fo reigend, fo übereinftimmend 
mit dem Gefege ber Natur, daß ex keinen großen Unter, 
ſchied zwiſchen ihrem Leben und dem Ideale der Platonis 
fhen Repubtit zu entdeden weiß. Hingebung an bie ber 
fehende Ordnung und Kritif über fie fireiten in ipm und 
biefer Streit verkündet fih in den eigenfinnigen Saunen 
feiner Ausfprüce. Er möchte zus Mäßigung ermahuen, 
zum Gehorfam gegen Sitte, Geſetz, Religion; wir follen 
darüber nicht zu fpigfindig grübeln; aber alsdann brängt 
ſich ihm der Gedaule an bie Verwirrungen der meunſch⸗ 
lichen Geſellſchaft auf und er preiſt die Wilden in Bra⸗ 
fin, die Cannibalen, glüclich, welche in Einfachheit 
und Unwifienheit ihr Leben dahin bringen ohne Bücher, 
ohne Geſetz, ohne König, ohne alle Religion. Parabosen 
follen wir fliehen; aber jegt iſt der Geif der Menſchen 
ausgelaflen, da muß man den Ausfchweifungen ber Neuerer 
feine Paradoxen entgegenfegen 5). In feinen Vorſchriften 
4) Ib. p.318. 


2) 1b. I, 30. 
" 3) Ib. II, 12, p.356; 408 og. 


4190 . 
für die Erziefung, welche die Grundfäge Rouſſeau's 
vorbereifeten, f&härft er ein, daß man feinen Zögling 
gewöhnen follte, nichts gegen die gebräuglihen Sitten 
- zu Hunz aber er fol auch nichts auf Autorität auneh⸗ 
men, ohne Gewalt und Zwang erzogen werben; man 
ſoll vor allem darauf ausgehn ihn bie Sachen ſelbſt 
prüfen zu laſſen, feine eigenen Neigungen und feine 
Natur zu erforfchen und biefe Eigenthihnlichfeit, welde 
ſich doch nicht übertwinden laſſe, in iprem Laufe zu för⸗ 
dern . So möchte er fih und Andere der allgemeinen 
Sitte unterorbnen, aber doch auch feine und Anderer 
Figentpümtichfeit ſchonen. Sein praftifher Verſtand ges 
bietet ihm ber gemeinen Meinung zu folgen; fein theores 
tiſches Urtheil aber Tann er nicht gefangen geben. 

Seine Anſicht von der Ppitofophie Hat er hauptſächlich 
in ziemlich weitläuftige Betragplungen über die natürliche 
Tpeologie Raimund’s von Sabunde niedergelegt I. Er 
giebt Fe unter dem Titel einer Apologie biefer Scheift, 
welche er in feiner Jugend auf Befehk feines Baters 
überfegt Hatte; aber fie enthalten bei Weitem mehr eine 
Widerlegung ihrer Orundfäge, Er vertheibigt den Rai⸗ 
mund gegen ben Vorwurf, daß er bie. Lehren der Reli⸗ 
gion einer Unterfuhung durch bie ‚Vernunft‘ unterzogen 
habe, Dies ſcheint ihm nicht verwerflih. Denn obgleich 
er befennt, daß er von der Theologie nichts verſtehe, ob⸗ 
gleih er behauptet, daß ber Glaube eingegoffen werden 
müffe, daß die Religion ein reines Geſchenk Gottes und 

i) I. 1.25. p.93 2q.; 96; 103; 105. . 

2) Ib. II, 12. 


19 


der Enthuſiasmus Höher fei als der Menſchei), möchte er- 
- doch die Anterſuchungen der Bernunft über den Glauben . 
nicht von der Hand weifen und hält es daher für nütz⸗ 
lich die Religion dur bie Vernunft zu unterflügen. Die 
Vernunft, wie ſchwach fie auch fein möge, miſcht ſich doch 
in alle unfere Angelegenheiten; ein großer Tpeil der reli- 
giöfen Lehren iR aus ihr hervorgegangen; wenn man bie 
Schwäche bedenkt, welche auch in unferm Glauben fih 
weigt, indem wir von ben Neuerern durch leichte Mittel_ 
‚ung fortreißen laſſen, fo möchte man fat bafür halten, 
daß aller unfer Glaube nur auf ſchwachen Gründen bes 
ruhte ). Daher find auch Raimund's Gründe nicht zu 
verachten. Man fieht hieran, daß Montaigne, wie in allen 
menſchlichen Dingen, fo auch in ber Religion zweierlei 
unterſcheidet, von” ber einen Seite das Natürliche und 
Goͤttliche, von der andern Seite die Zugaben einer ſchwa⸗ 
Gen Kunft, einer trügeriſchen Vernunft, um nicht zu ſa⸗ 
gen der Ausartungen ber Menfchen. Die alte Theologie 
if ihm auch Poeſie 5) und die Tpeologie, von welcher er 


1) Ib. p.315; 362; 413; 447.” Die Kußerungen Mont. über die 
Religion find fehr wechſelnd ; doch empfielt er überall den Glauben, wies 
wohl er gegen bie Einzelheiten des Glaubens vielerlei einzuwenden 
hat umd nach feinen ſkeptiſchen Anſichten in ihm auch wohl nur eine 
Schwache des Geiſtes, eine Nachgiebigkeit gegen die Autorität zu ver— 
mutpen ſich nicht enthalt. Ib. I, 26 p. 115. So hält er aud uns 
ter ‚allen Meinungen den Monotpeismus nur für die wahrſcheinlichſte 
und am meiften zu entſchuldigende. Ib. IE, 12. p. 372. Alles dies 
iſt aber nur im Sinn des Skeptikers zu nehmen, welcher auch die re— 
figisfen Überzeugungen nur deswegen billigt, weil er ihnen den Glau⸗ 
ben nicht entziehen Kann, j 

2) Ib. I, 12. p. 315. 

3) Ib. III, 9. p. 740, 


192 


nichts verſteht, iſt ihm doch als Menſchenwerk verdaͤchtig; 
er Hält die ſcholaſtiſche Theologie für fein weſentliches 
Beſtandtheil des Chriſtenthums. So fehr er Katholitk if, 
fo wenig ift er der Scholaſtil geneigt. . 

Montaigne vertheidigt feinen Schriftſteller auch gegen 
den Borwurf, daß feine Gründe ſchwach wären. Uber 
wie vertheibigt er ihn? Sie haben das gemein mit allen 
menſchlichen Gründen. Montaigne's Religion iſt das de⸗ 
mätpige Belenntnig der Schwaͤche unferer Bernunft D. 
Da bricht nun fein ſteptiſcher Sinn in voller Stärke durch 
und ergießt einen, Strom, der Zweifel, welche gegen ben 
Hochmuth unferer Wiſſenſchaft gerühtet find. Die Wiſ⸗ 
ſenſchaft zwar verehrt er als ein Erbtheil ſeiner Familie, 
als eine Sache menſchlicher Bildung und guter Erziehung; 
er fagt von ihr, wir ſollten fie nicht beherbergen, fondern 
heirathen 2); aber bies Fann ihn nicht abhalten Die flole 
und duͤnlelhafte Wiſſenſchaft zu verbammen; nur bie ber 
ſcheidene, demüthige Wiſſenſchaft, welche bie menſchliche 
Schwaͤche bebenft und in feiner Behauptung hartnäͤcig 
iſt, findet er lobenswerth. Sollte es ihm an Belegen, 
heit gefeplt Haben in einer. Zeit, welche von ber alten 
Säule ſich abgewendet Hatte, die Mängel des gewoͤhnli⸗ 
hen Unterrichts zu bemerken, die Pedanterei der Alten, die 
Dperflächlicpfeit der Neuerer zu firafen? Gin entſchiede⸗ 
ner Gegner der Scholafif fann er doch eben fo wenig 
Vertrauen zu den neuern Verſuchen faſſen. Die Schwä- 
chen der Schulweispeit, der Theologen, der Philologen 

und Philoſophen aufzuſuchen, das iR ihm eine froͤhliche 
1) Ib.Il, i2 p.321. 
2) Ib. I, 25 p. 114. 





183 
gb Gr verlangt dagegen praktiſche Weicheit. Wir 
ſollen für gute Bitten forgen, das liegt une viel näper 
ale über die Bewegungen des Weltgebaͤudes ju grüßeln. 
Dagegen unfere Wiſſenſchaft trägt zu unferer Hüdfelig« 
feit, zu unferer Tugend wenig ober gar aichts bei). 
Fir Tugend und gute Sitte legt er überall bie entſchie⸗ 
denſte Verehrung an den Tag, wenn auch feine fittkichen 
Orunbfäge und einzelnen Vorſchriften ein ſonderbares 
Gemiſch aus den Lehren ber Alten, aus der Froͤmmigleit 
des Chriſtenthums, ans der Klugheitslehre ber Politifer, 
aus den Erfahrungen bes Weltmanns an fid tragen), 
wenn er auch zuweilen die Mine annimmt, als wäre ihm 
‚ Me Tugend der Dienfchen verbächtig. - Unfere Leidenfchaften 
m beherſchen, das if größere Weisheit, ala alle Lehren 
der Logif und des Phyſikl. Da wirft er ſich denn wieder 
auf das Buch der Natur, welges und allenfalls alle ans 
dere Bücher entbehren ließe; bie gute Mutter Natur fol 
das Buch feines Schülers fein 3); da Tommt er wieder 
af das friebliche und Teidenfaftlofe Leben der Canni⸗ 
balen zurück. Der Natur vertraut ex; taflehb an ihrer 
Hand findet er ſich weiter N. Seine Sitten find natür⸗ 
lich, ohne Lehre, ohne Vorbedacht Haben fie ſich ihm 
entwickelt; fo iſt er zufällig zu feiner Philoſophie gelom⸗ 
men’), Unſere Leidenfchaft. aber hat alles verborben. 





1) Ib. p. 104; IE. 12 p. 313; 352. 
2) Ex vertpeidigt den Selbſtmord ib. I, 13; wie viel er den 
Polititern eintäumt, darüber f-unter anderm ib. III, 1. 
3). 1, 25 p. 9%; 9. ‚ 
4) Ib. p. 90. R 
5) Ib. II p. 399. Mes moeurs sont naturelles; je n’ai point 
Seid. d. Philof. x. \ 13 


198 


Zur. gefunden Natur follen wir qurädkehren; eine geſunde 
Seele. in einem. gefunden Leibe, ‚eine möndifhe Übung, 
vielmehr Übungen . des Leibes; ohne Körper find wir 
nichts; nicht. allgemeine Grundfäge der Wiffenfhaft, fon 
dern Natur und, Glaube fallen. uns Teiten 2). 

In diefen Gedanken hat er nun fehr viel gegen bie 
dogmatiſche Ppilofophie einzuwenden. Die Per des Men 
ſchen if} die Meinung, welche gu willen glaubt 2). Zu 
den wiberfinnigfien Eiufällen führt dieſe Meinung. Nichts 
iR fo abſurd, daß es nicht ein Ppilofoph gefogt haben 
folte 5). Um unfere natürliche Neugier zu -befriebigen 
“ müffen wir philoſophiren; aber unfere Philoſophie if nur 
eine Art von Poeſie. Welche fepöne Erfindungen hat 
man ba in allen Wiſſenſchaften gemacht. Den Himmel 
- hat man mit Epicyllen bereichert, den Menſchen mit ben 

Tpeifen feiner Seele, welchen man nad Gefallen ifren 
Sig im Leibe anweiſt. Die Naturforfhung, die Philo-⸗ 
ſophie ift ſehr ergöglich; Ihre Dichtungen unterhalten und; 
aber man mäßte ein Neuling in der Welt fein, wolle 
man ihre Erfindungen für bare Münge nehmen, Es 
find das Schönheitsmittel, wie fie mit Wiſſen aller Belt 
die Frauen anwenden um bie. Mängel ihres Leibes 
zu verbeden. Sie follen nicht täuſchen; fie find, nur 
ein Schmuck, welcher zu unferm Vergnügen erlaubt 


appellö- & les "bastir Is secours d’aucune philosophie. — — 
Nourelle figure, un philosophe impremedits et fortuit. 

4) Ib. I, 25 p.96; 105; 1, 26 p.115; 1, 12 p. 445. 

2) Ib. If, 12 p.353. La peste de Phommo c’est lopinion 
de sgavoir. J 

3) Ib. p. 300. 


198 
RD. Denn fo billig iſt er nun auch gegen feine. rg. 
ner, daß er ihnen nicht zutraut, fle wollten uns täufchen 
oder hätten fi getäuſcht. Die Dogmatiter find nicht fo 
gewiß in ihren Behauptungen, als fie zu fein die Mine 
annehmen. Ariftoteles if voller Zweifel; feine Lehre iſt 
Pyrrhonismus unter einer bogmatifchen Form 9, Eben 
fo iſt es mit Platon und andern Philoſophen. Mon- 
‚ tnigne kann fich nicht davon überzeugen, das Epifur, 
Platon, Pythagoras ihre Atome, Ideen, Zahlen für volle 
Baprheit genommen hätten. 

Die Gründe, welche er ben Dogmatifern entgegen 
fiel, Haben nicht viel Neues. Er wirft ipnen ihre Wir 
derfprüche vor. Kein Philoſoph ſtimmt mit dem andern. 
Wenn man fie einzeln hört, möchte man einem jeben 
trauen; aber bie Meinung des Einen erſchüttert die Lehre 
des Andern. Wenn er die Alten Tief, deren Worte er fo 
gern hören mag, ein jeder von ihnen. ergreift ihn; im 
Augenblick iR er feiner Meinung. Aber wie Tange wird 
es dauern? Schnell ergreift ipn ein anderer und macht 
ihn zu feinem Parteigänger, Wenn ein gelehrter Mann, , 
tie Lipfins, die Meinungen der Alten zufammenftellen 
wollte, welches fchöne Werk würde das abgeben. Aber 
in der That eine fhöne Sammlung von Widerſprüchen 9). 
Zu der Unſicherheit unferer Gebanfen geſellt fih bie Une 
ſicherheit der Sprache N. Bei dem Schwanlkenden aller 


1) Ib. p. 371; -392 aqq. Platon n’est qu'un poete decousn. 
2) Ib. p. 368. _ C’est par effet un pyrrhonisme sous une 
forme resolutive. 
- 3) Ib. p. 370; 425. 
4) Ib. p. 383. 
13* 


406 \ 


„ unferer Urtpeife möchte es wohl gerathen fein, an das 
Nächpe und Sicherſte ans zu halten, an uns ſelbſt. Mon 
taigne if nicht unempfänglih für den Zug feiner Zeit, 
welcher in der Selbſterkenntniß einen fihern Haltpuntt 
fügte. Die proftifpe Richtung feiner Lehre, melde in 
der Arbeit an fih ſelbſt, in der Maͤßigung der Leiden 
haften die Weisheit des Lebens fand, mußte ihm dieſem 
Auge befreunden. Wer fich nicht auf fi verficht, worauf 
möchte ber fih verſtehn Y%_ Montaigne weiſt auch die 
Exfenntniß unfer felbft nicht gänzlich zurüd, Er hält es 
für einen Fechterſtreich, in welchem man in der Verzweif⸗ 
lung fein eigenes Leben Preis gebe, wenn man behaups 
ten wollte, dag man von fi nichts wife. Man fieht, 
es leuchtet ihm ein, dag von ber Erfenntniß feiner ſelbſt 
bie größte Sicherheit erwartet werben müßte; aber einen 
Grundfag für unfere Wiffenfopaft weiß er hierin noch 
nicht zu finden. Vielmehr fallen ihm alle die Streitigfeis 
ten ein, welche über das Welen und ben Gig unferer 
Seele, über die Theile und bie Ergengung unſeres Körpers 
yon ben Philoſophen geführt worden find, und er ſchließt 
daraus, daß uns das Naͤchſte eben fo unbefannt if, als 
das Entfernteſte 2). Auch er hebt bei diefen Unter 
ſuchungen beſonders als eine ſchwierige Brage hervor, wie 
unſere Seele, ein geifliges Ding, mit einer köͤrperlichen 
Maſſe im Zufammenpang ſtehn könne. -Wir fehen es, 

s aber begreifen es nicht 9).  Grundfäge ber Mil 


1) Ib. p.407. Qui ne s’entend en soi, en quoi se peut-il 
entendre? 

2) Ib. p. 392; 408; 411. ' 

3) Ib. p. 392 2q. . ur 


ın 


ſenfchaft will er überhaupt nicht zugeben. Mit diefen 
Grundfägen tyrannifigen ung die Vhnloſophen ; wer kann 
fie beweifen? Wenn nicht Goit fle offenbart Hat, fo har 
ben ſie Teinen Grund, Es ift Tporheit auf fie zu bauen”), 
Benn wir dem vertiauen ſollen, was uns zunaͤchſt liegt, 
fo Hat unſer Sinn darauf Anſpruch als ſicherer Zeuge 
der Wahrheit zu gelten. Auch buch feine Neigung an 
das Natürliche ſich zu halten wird Montiigne aufgefordert 
den Sinnen zu trauen -unb wir fiiben-benn auch die 
Grundſaͤtze des fpätern. Senſualismüs vor ihm im Allge⸗ 
meinen ausgeſprochen. Die Sinne find ver Anfang und 
das Ende der menschlichen Ertlenntniß; nichts kommt der 
Gewißheit gleich welche ſie gewaͤhren 2). Aber frellich 
er kann auch ihnen "nicht vdllig vertrauen. ? Sollten “fie 
wohl in alles uns eindringen Iaffen?: "Mer 'melg, ob 
dem Menſchen nicht mehrere Sinne fehlen Nun werden 
wir durch die Übereisiftimmung unferer® Shen belehrt, 
wein uns aber ein Sinn fehlte, wurden tote" ih igtogt 
Verwirrung gerathen! follten md alfo wietüich mehrere 
Simme fehlen, fo wärben wir umftreitig über / die Natur 
der "Dinge im Danfefn tappen. Wir laſſen me nuch doh 
unſerũ Sinnen taͤnſchen. Sie fin ſchwach "And uünſtcher, 
Boten, welche und’ bie Wahrheit nit jußringen‘ fönnen, 
Da lann er voch dem ‚Sneretus, Vehen Worte er "gern e 





4).Ib. p. 393. - . 

2) Ib. p. 432 29. Toute connaissance 'achemine en nous 
par les sens; os'sont nos.maistres, — — Lä’science commench 
par eux et se resout en eux. — — Et selon aucuns, science 
west rien autre chose que sentiment, — -+ Les iens sont le 
commencement et la fin de Fhumaine connaissadoe.-—"— C'est 
ke privilege des sens d’estre l’exträme borne de notro apferdbvance. 


ins Munde fügt, den er ſogar ben Meilen, nennt, wicht 
beiſtimmen, wenn er die Täuſchung ber Sinne Teugmet; 
er Tann auch eben fg wenig. den Philoſophen ſich anſchlie⸗ 
Ben, welche behaupten, daß bie Sinne; nichts Wahres 
berichteten . Er bedenlt die Maudefbarfeit unferer Ur⸗ 
theile, welche na, Stimmung und Temperament verſchien 
den über denſelben Gegenftand ausfallen. Wie unſere 
Sinne ſich ändern, ſo äͤndern ſich auch bie Erſcheinungen. 
Sollen wir einen Richter ſuchen, avelcher über ihre wah⸗ 
ren · und falſchen Angaben entſcheiden Lönnte? über dicſen 
Richter würde op: ein anderex Rigter geſetzt werben 
můſſen, um feine Unparfeilichſeitſichex au fielen; „jo 
würbe man in das Unendliche bie Entfheidung zu ſuchen 
haben. ‚Die Bernunft tarn das. Richteramt über - ben 
Sinn nicht ‚Übernehmen; ‚denn, ‚jeber Vernuufigrund per ⸗ 
Tangt.einen anbgen Bernunftgrund zu ‚feiner Gtüge und 
wir ſehen uns dadurch nur immer ‚mieber .in das Unend⸗ 
Fie.getpieben 2). Die Vernunft, peren, wir uns zühmen, 
jſt nur viel trugeriſhex als der Sinn; fie if voll, Reiben 
ſchaft; . bie Leidenſchaft, die ‚Lüge des Menſchen · verdirbt 
den Sinn DW Alles iR im befändigen Fluſſe, das Obs 
jeci⸗ wie. „bag. Subjedt.:. Di Sappen ſelbſt fehen.. wir 
nicht, ſondern ur. ihre. Erſcheinungen; bie Äpntichfeit 
herjelben mit, ihren Getzenſtͤnden foͤnnen wir nicht durch 
Vergleichung beſtimmen, weil wir bie Gegenpände ſelbſt 
nicht kennen. Die Erſcheinungen wechſeln beränbig und 
wir ſelbſt sehiem w den ‚Erioeinuigen, welche von 


21 Ep 5 0. 
2) Ib. p. 4A42 44. 
BI 8,490 - 





a 
ana ——— seen pie ei aaa ee 
annehmen )J. 

Die Zweifel Rintaignes wrerbergen ‚feine Deigung 
wicht und eine billige Beurteilung der Distge vorzuhehal ⸗ 
ten. Nur den übertriebenen Anſprüchen der Bogmatiker 
auf eine ſtrenge Wiſſenſchaft werden fie; entgegengeſeta. 
Wenn uns die Ppilofophen. bei unſerm maturlichen Ur⸗ 
theil, bei unſerm Vertrauen auf bie Erſchrinungen der 
Sinne in dem Stande, weißer unferer Gehurt und Na⸗ 
tur gemäß if, gelaſſen Hätten, fo wuͤrden wir ihncn 
Recht geben: könnenz aber fie: haben und gu Midtens über 
die. Welt machen wollen”). Biwar bie. Waheſchtinlichleit 
der Alademiler billigt Montaigne nicht;er iſt geneigter 
den Ppyrrhoniern dad Lob der Folgerichtigleit zu gehen); 
aber wenn ber Pyrrhonismns die Erſahrung -angpeifen 
will, dann Tann er ihm feine Zuſtimmang "nik mehr 
ſchenlen; er ift- bereit. Auch den Beweifen: ber Goometrie 
ſch zu verfügen; wenn -fie gegen bie Erfahrung ſprechen 
follten ). Seiner Genzigipeis dem gefunben Menſchen⸗ 
vrrſtande zu folgen flept. nur ‚Die Furcht ge. Seite;. dech 

unjer Berfland nicht, recht geſund feinin möchte. ' Die 
Ratur Hat und wohl wie .andern Geſchoͤpfen ihr Beleg 
eingeflatigt, aber find wir ihm getreu geblleben : Wenn 
rein: ia und: wirkte, wurde es ‚über Uns eine untoibets 
Reptige Gewalt haben; aber in unfern Überzeugungen if 
aichts, was von ‚ot er zu wäre. Wir iaſen uns 









DR 203 4. 
Hl Ye 394 8gj > 
3) Ib. P.:866: og; pille 
4) Ib. p. 419. 





von Geſehen / zogieren, aber wie fdmantenn finb: fie. Mon 
dem einen wird das Geſetz ber Natur fo, wem bem 
andarn: anders ausgelegt. Da Reit Momfaigne in 
ahnlicher Weiſe bie Geſetze der Bölfer zufanmmen, wie 
ſpater Helvetins ‚es. that; um zu zeigen, daß bei. bem. eis 
E Wolfe Berbrohen WR, was bei dem andern fir löblich 
gehalten wirt: "En will' nicht damit beweiſen, daß Eu 
"tes mar Velre nur ich dem Wortfeit der Menſchen bem ⸗ 
theilt werde; ſondern er :will nur. zeigen, daß wir den 
geraden: Weg dir. Nalur nicht inne gehalten haben. Der 
Menſch iſt voller Lüge, feine Kup perfälfcht die Natur. 
Daher tennen wir uns auf nufſern gefunden Verſtand 
nicht veglaffen / und / Haben: vieimeht zu befürchten, daß we 
wir wichgre, ſchoͤne Vernuuft cinmiſchen, sine Bernni 
der gafunden Nadut" uns begegmet. 6.1), \ 
Ow’disfew: Sinde ſind mim feine-Rärdfien Geinde gu 
wen: wasgerichtet, was wit unfers Vernunfb zu nennen 
pen; 1 Mein’ Haimandı gem Dabunde zu ſaine Daupk 
ſatz vden Vorzag des Menſchen, die ehre, daße mn:dei 
Bwe Deriganger Welt fe, gemacht hatte, fo widerſpricht 
WE hierin Diontnigner Was iſt der Seine Menſch gogen 
die Große ty: Hlinmel, und der Welt Do Als den 
Vorzug des Wenſchen sähe! man: feine Bernunft. Die 
Deweife: aber, das des Menſch adeim Bernanft Habe, find 
ö Ni hp 38, — Mes eroyable , qwi ya de loix na- 
turellds, comme il’ke void 6s autres cfeatures; mais en’ nons 
elles sont perdues, cette belle raison humaine s’ingerant par- 
tout de maistriser ei commander, brouillant et confonlant le 
visage des choses selon sa vanit6 et inconstauce. —e 


amplius nostrum est, quod nostrum. dico, apis- De “ 
2) Ib. p. 322. \ 











. ungemägend." Bonn man ſich auf die Sprache des Mem 
fhen beruft, auch die Thlere Haben Sprache; wenn wir 
fe giicht verſteyn, fo iſt das mer umſer Fehler), Die 
geſell haftlichen Orbnungen, den Staat. finden wir in einer 
viel befferti Verfaffung bei den Bienen, als bei uns. 
Gewiß ohne Berfand laͤßt ſich eine ſolche Ordnung in 
ihtem· Berleht nicht denken ). Sogar daß die Thiere 
ohne elizion wären, Tann ber hartnaͤdige Vertheidiger 
der thierifchen Vernunft nicht zugeben, wenn er auch von 
der Neleglon der Tiere nur ſehr zweideutige Beweiſe 
anzufuhren iweih ). Bon ihrem Berflande geben die 
Thiere und diareichenbe Proben‘, fo daß Wir’ fzem Urs 
tpett wicht Felten inihr vertäuen als: dem unfern. Auch 
unferer Freihritn foßlen wir ung nicht ſehr rüpmen, Sie 
beruht auf dieſer Einbiidungskraſe, welche uns fo häufig 
in eiamrumegelmaͤhigen Lauf ſrurzt. Und überdies, wer 
vethurge und deun, Haß" dem Dyleren dein freier Wille zu 
Gebote ſeyr Wenn ich ailr meiner Aatze ſpiele, viel: 
leicht Toter Re mt mie ). Man- Mberredet fich / daß alle 
Tpötigfeiten der Thiere nur: von Infintf ansgehu. Man 
weiß nicht; welchen Borzug man ihren dadurch · vor den 
Menſchen eintäumtun Giudlich waͤren wir, wenn uffet 
Eben: wort ein unttuglichen Naturtriebe geleitet wiirde, 
Doch auch wir ſiab⸗nicht ohne /Juſtinkt. Unfere Freipelt 
dagegen, deren wir uns ruhmen, iſt nur Eitelleit, nur 
ſelbſt genögfame Anmaßung. Die. Mei der. Natur: er- 

1) Ib. p. 324. oe 

2) Ib. p. 326. 3 

3b. p: gor. . 2 ° “+ 
A) Ib. p. 324. — 


J 


‚Rest fich über alles; wir wurden beſſer Tun ip: zu per⸗ 
trauen, als unfern eigenen Kräften: etwas perdanlen zu 
wollen, ı Wären wir nur banfhar gegen Gott und hir 
Natur, wir würden eingeſtehn, daß Aallza wnb am ung 
einen Werth Hat, ihr Geſchenk iR und win er ‚bh 
“Gnade Gottes nichts find on a: 
So will Montaigne uns zur Demuth —— im 
dem er unſere Vernunft hevabſett. Er iſt vicht abgeucigt 
das hoͤchſte Gut in. ber Erkenntniß der Schwaͤche umſeres 
Urtheils zu ſuchen. Dieſe Unwiſſenbeit ad. Einfatt ſel 
auch das Chriſtenthum ‚empfehlen... Gott wird heſſer duich 
Nichtwiſſen als durch Wiſſen verehrt. Das Mefenninig 
feiner Unwiſſenheit⸗ if non Netur mit dem GSleuben ver⸗ 
bamden 2).. Dieſe Religion erbeht uns nur freilich nicht 
über die Thiere. In ihrey Ginfalt, in ihrran Gehorfud 
gegen. ben. Naturhrieb, in ihrer rägelfmit: von allen· An⸗ 
maßung bfrften wir «fie ſchon zom Mufen nehmen, : Waur 
muͤſſen und verkhieren um uns weiſe zu machen, wir ip 
fen, ung hlenden um uns zu leiten D. Darum weijſt auch 
Montaigne auf. die. Schwaͤchen unſeres deihes zuuck, pn 
welchen unfer Verſtand ergriffen werde. MWit ſind Suer 
und Aſche, als Erzeugniſſe ber Natuy ham: Wechſal um 
terworfeg. Eine Erhebung unheres Geiſtec Üben, den Koör⸗ 
per, eine — beider. von einander / wurdeern für 
x “in wid m Dur ’ 

1) Ib. p. 326 24.5329. 0q. I. m'eat pab —E— —— 
dacquerir uno plas belle rgcommandation, quo d’estre faroried 
de dien et de nature. Ib. p. 404. ni 

2) Ib. p.353 2qq.; 361. 


3) Ib. p.356. Il nous faut abestir pour . 
nous 6blouir pour nous guider. 














und Menfhen in Reben, für vonielie 
halten. Era 
Wo em men na file piaucen, welches er / in feinen 
Seele ſucht ? · Es beruht chen nur quf. jener Demuth aud 
Unterwerfung/ welche es ung empſielt H, Au: fin.Kehpfen 
ſich Hoffnung und Vertrauen. So wie er taßeud biahen 
ſich durchgefunden hat, der Natur vertrauend/ ſollte ar 
nicht ebenſo weiter geleitet werden? Grin. Zweiſel hai 
ben ihn auch -beighst, dag man das Ungewäpnfiche nicht 
für unmöglig hatten fol. Dem: Willen Gottes unde dee 
Racht unfexer Muster Natur ſollen wir wicht die Schtan⸗ 
ten fegen, ‚welche nus in unſerer Faftungetket liegan Ad 
Er vertraut dieſem Willen und dieſer Machts:ianen-über« 
giebt er fein Nahen. Dag iſt der durchlaufenda Gedanle, 
welcher feine, Velenntniſſe belebt. „Mon: ihm geheun ſein⸗ 
Zueifel aus. Litierqtur und Philelonbie ſollen uns van 
der: Ciafachbeit, von den. Heſehrn der; Natur: aicht emt · 
fernen, Mir. follen wit. pie Welt eanmſſen woſſen, win 
welche wir / kaum beimilh bei ung ſelbſt finde Die Mir 
loſophen vpermeſſen fich alles aut hrar Vernunft zu azir ⸗ 
hen aber hie; wahre. Berannft roppat num bei Goit; 
fein Gefchent iR es, wenn ein Stral Bu und zus 









D} y p. as. 
peut eſſeetuer 

2) Ib, 1,26 p.. } . 
damner aiosi resolument une chose pour fausse et impossible, 
cest se donner ladyantage d’aroir. dans sa teste leg, boynes et‘ 
limites de la volonts de dien et de la puissancg.de npatre märe 
nature. 1 m’y a pourtant point de plus nateble falie; au 
monde, „gpo,da ‚on,ramgngr A Ja: mequrg: de napfre ‚sappeitß ei 


suffisance. DE rer 


| 


Borimt 9. Gegen ‚eine: Folge: Vernunft hat er nfdits ein: 
zuwenden; nur gegen bie menfchliche Vernunft ſpricht er, 
welche von ber Natur ſich entferni hat. Die Vernunft 
Gottes, die wahre und einfache Vernunft lann er von 
dar Natur nicht trennen. Es iſt Op wahrſcheinlich, daß 
unſer Meiſter in feinem Werke ſich offenbatt habe; daher 
enpfielt er das Wert Rainund’s von Sabunde, welches . 
im Buche der Ratur ums ven Willen Gottes offenbaren 
win), Die wahrſcheinlichſte Meinung über bie Religion 
M die, weiche und Bott als Schöpfer der Welt, als ein 
Weſen völlet Güte barfieht, -Aber: er verehrt ihn als 
ein unbegröftiches Weſen ). Wit mögen ihn uns menſch⸗ 
lich vorſtellen, ihm mit Vernunft begaben; dem Beſten, 
was wir haben, aber wit müffen auch ven Thieren -Dies 
ſelbe Freiheit zageſtehn 9. Tieſer Aber bie Natur und 
Mer Bott nachzubenten / das IM'niicht feine Sache. Wenn 
et die Meinang bee Philoſophen aubſpricht; daß die Un⸗ 
terſachmag der Natur und verborgener Dinge unſern 
Gr veignuge und erhebe, fo ſebt er’ in Feiner Sinne 
hinzu, dies geſchehe And unfer dee Bedingung, daß wir 
daraus Vachruns ern Berg Ober r ® weiten zoͤgen *). 





1) bb. I, 12 p. 395. Car la wräie raison et essentielle, de 
gi noas desrobons Io mom A Yausser enseignen, elle logo 
dans ld’ sein de dieu; c'est la aon giste et sa retrhite, c'est de 
a dd elle part; qaand il pie a dien zous ei fkire voir quel- 
dee rayım. 

9-1. p. 3%. 

9 ib. p 372. 

N pe . l . 

+5) Top. 37. Voire & eei, qui wen‘ aoqufert® were m von 
verenoe et crainte d’en juger. 


208 

Es iſt nicht gu wertundern, daß ihm num Goit und Mar 
tur foR auf dasſelbe hinauszulaufen ſcheinen. Er Reilt fe 
being gewöpnlid; neben einander. Doch verwiſcht er den 
Gegenfag zwiſchen Schöpfer und Geſchoͤpf nicht. Zu die ⸗ 
fer Welt iR alles dem Wandel unierisorfenz wahr aber iR 
nur das Ewige. Alles, was durch den Menſchen hindurch ⸗ 
geht, iſt unſicher; nur was vom Himmel loumt iſt ſicher. 
Rur eine beſondere und. übernafürlihe Gnade kann uns 
vorbereiten, umbilden und ſtark machen ). Was wahr⸗ 
daft ift, dad iſt ewig, ohne Geburt, ohue Ende, ohne 
Veränderung in der Zeitz denn das Zeitliche iſt nick, 
fondern wird nur. Diefer Veränderung iſt auch die Nas 
tue unterworfen; nur Golt hat den Preis ewig zu fein 
Zu diefem Gedanken follen wir uns erheben. Welches 
elende und verworfene Ding wäre ber Menfch, Könnte er 
ſich nicht über die Menſchheit erheben. Aber dies vers 
mag er nur, wenn ihm Gott feine Hand bietet mit aus 
ßergewoͤhnlicher Hulfe. Da muß der Menf auf feine 
eigenen Mittel verzichten und durch himmliſche Mittel fh 
erhöhen laſſen. Nur unfer chriſtlicher Glaube, nit die 
ſtoiſche Tugend fanm eine ſolche göttliche und wunderbare 
Berwandlung Hoffen. 

Montaigne's Gedanken, ſehen wir, bringen nicht tief 





1) Ib. p. 418. 

2) Ib. p. 444 2q. O 1a vile chose — — et abjecte que 
Thomme, «il ne s’sleve au dessus de Phumanits. — — II 
stlevera, si dieu ui preste extraordinairement ia main; il s'6- 
lerera abandonnant et renongant & ses propres moyens ef de 
Iaissant hausser ei souslever par les moyens purement celesten, 
Cest d nostre foi chrestienne, non & ia vertu stoique de pre- 
tendre & cette divine et mirsculeuse metamorphose. 


in das Wefen der Dirige ein. Ste Bringen aud in ben 
Zweifeln, wehhe fie erregen, faſt mur bie Zweifel des 
Witertpums wirder in Erinnerung: Es iſt aber doch in 
ihnen der-Sinn. der neuern Zeit ſchon in vollem Durdy- 
bruch.· Von dem ſcholafiiſchen Grübeln über Gottes Wer 
fen und Werfe haben fie fih völlig Tosgefagt; nur das 
allgemeine Vertrauen auf eine übernatürliche Hülfe macht 
fich in ihnen noch geltend. Aber nur im Innern bes 
Menſchen wird ſie geſucht und hierin laͤßt fih eine Ber 
wandſchaft Montaignes mit den Myſtilern des Mittelal- 
ters nicht verlennen. Biel ſtaͤrker treten die Beftrebungen 
der neuern Zeit hervor. -Sie maden fih in ber Vereh⸗ 
rung geltend, welche der Natur gezolit wird. In dem 
Mage find fie vorherſchend, dag ſelbſt das Übernatärlihe 
nur wie eine Zurüdführung zur Natur erſcheint. Auf das 
Übel, auf das VBöfe, welches in der menſchlichen Geſell- 
ſchaft fi verbreitet hat, wird das größte Gewicht ger 
legt, Die Verfeinerung und das Verderben unferer Sit⸗ 
ten wird wie eine Art Exbfünde betrachte. Da möchte 
uns Montaigne zur Einfachheit der Natur zurädführen. 
In Gehorfam gegen das Geſetz der Natur würden wir 
eine ſichere Leitung finden. Aber unfere Erziehung, das 
allgemeine Beifpiel, unfer Hochmuth haben uns verdor⸗ 
ben; wir können der Natur nicht mehr getreu bleiben. 
Da erſcheint es und wie. eine göttliche Hülfe, wenn ber 
Raturtrieb die Schranten der Gewohnheit durchbricht, 
und befreit und an fein einfaches Geſetz heranzieht. Was 
hätten wir nun wohl mehr zu betreiben als biefes Geſetz 
zu erfennen? Aber Montaigne ann noch nit ber Er⸗ 
forſchung mit Vertrauen fih zuwenden. Sie fdeint ihm 


unfere Rehftegu:Aberfleigen; er fürdtet auch hier dem Truge ı 
menſchlicher Kunf zu begegnen. ‚Dem Wege bes praftis 
ſchen Lebens iſt ex Überhaupt genelgter als ber Wiſſen⸗ 
ſchaft. Auf’ ihm, fieht er eim, loͤnnen wir uns der Ges 
wohnpeit und dem Gefege nicht entziehn. Halb unwillig 
räth er und ihnen zu folgen. Uber es tröfet ihn doch, 
daß auch in ihmen die Natur mächtig fein dürfte. Sollten 
fie ber’ Allmacht unferer Mutter Natur, unferes Schö⸗ 
pfers wahrhaft fid entziehen können? So hofft er unter 
Reitung unbekannter, aber gütiger Mächte opne vieles 
Grübeln, in einer gemäßigten Geſinnung feinen Weg fin⸗ 
ben zu koͤnnen. 


2. Pierre Charron. 

Die Gedanken. Montaignes Iönnen wir bei vielen 
Granzöfifcpen Sleptilern fpäterer Zeit wiederfinden, werde 
ihnen nad verſchiedenen Geiten eine erweiterte Anwen⸗ 
dung gaben. Es war ihre. Aufgabe fie in eine wiffen- 
ſchaftlichere Form zu bringen, fie mehr. an bie Wege der 
Schule heranzuziehen. Unter ihnen iſt Montaigne's Freund 
und nähfter Nachfolger Charron merkwürdig. 

Pierre Charron, der Sopn eines Buchhändlers, wurde 
1541 zu Paris geboren. Er ergriff zuerſt bie Laufbahn 
eines Juriſten und war mehrere Jahre als Advolat am 
Yarlament zu Paris beſchaͤftigt. Doc entfprady. biefe Les 
bensweife ‚feinen Neigungen nicht; auch Hoffte er Feinen 
Erfolg. Daher wandte er ſich der Theologie zu und ew 
langte bald ben Ruf eines ausgezeichneten Prebigers. In 
dieſer Eigenfchaft diente er vielen Prälaten ber latholi⸗ 
fen Kirche, beſonders im fühlichen Frankreich. Der für 


niglichen Hartl zugtihau wurde er bes ‚gewöhnliche Pre⸗ 


diger ber Königin Margarethe. und felbft Heinrich. der IV, 
als er noch Proteſtant war, fol feine Predigten gern ger 
hört Haben. Er hatte ein Gelübde gethan in den Car⸗ 
thäuferseden zu treten. Als er es 1588 zur Ausführung 
bringen wollte, fand man, daß er für einen fo-firengen 
Orden zu alt fein. würde. Auch bie Coleſtiner wiefen 
ihn aus dieſem Grunde zurück. Das Urtheil ber Caſui⸗ 
fen ging nun dahin, daß er feines Geläbbes entbunden 
fei. In Bordeaux, wo er längese Zeit lebte, wurde er 
‚mit Montaigne vertraut, wie bie Teftamente beider Maͤn⸗ 
ner bezeugen; von Charron's Seite geben feine Schriften 
ein noch umfaſſenderes Zeugniß ab. Diefe Schriften gab 
ex in vorgerüctem Alter heraus. Außer feinen Prebige 
ten haben befonders die Werke über die drei Wahrheiten 
und über bie Weisheit Aufmerkfamkeit erregt. Das erfe 
if eine Vertheidigung ber Religion, beſonders der chriſt⸗ 
lichen und vor allen ber katholiſchen Kirche. Der dritte 
Tpeit, welder mit her letztern ſich beichäftigt, war ihm. 
die Hauptſache; er iſt dem Könige Heiarich IV. gewidmei 


und gegen Du Pleffis Mornays Schrift über die Kirche, 


gerichtet. Mit der Freimuthigleit, welche ihm eigen if, 
bellagte er in ihr bie Streitigkeiten über den Glauben, 
welche geeigiiet wären am meiflen gegen bie Wahrheit 
beöfelben zu zeugen 2). In ber Schrift über Die Weiss 
heit Hat man geglaubt eine ganz andere Überzeugung zu 
fioden als in dieſem Werke. Denn in ihr ſchont fein 
Zweifel auch die Schwäden unferer Religion nicht. Er 





1) Les trois verites Ill, 1. 


An 


ſieden in- fe: fariaielt: Menihligkeiten‘, daß a Berdacht 
cndert, fie Disfie. um SDianfhenmert, fein 2). _ Nach ber 
Anfipt! des Rerfaſſeros ledochſichan deide -Sihriften in 
Einklang. Me Krug du dar nuciten auf bie arſe; 
in jauer ſcuderd er muma die Schwache des Manſchen um 
im auß: Gettze Hülle aochtsenmnigen; welche biefe aufweiſt. 
Er iR. ponam überzeugt’; daß: auch dem: Beflen, waa der 
Renſch hegt, Scawuhhe und Boſes:ſich vugckellt. Dies git 
von itten und Staat, wio voni Religiovn. Daxum vrtachtet 
er dieſe Dinge micht. Die nwaher Religlon maͤchte er, von 
Aberglauben:. gereinigt‘ ſehenz ex niärke alcdaun eir Wert 
Gottes du ihr erdliden. Mom die Angriffe Eharsuws 
gegen bie menſchliche ‚Religion ‚Mitte, und Wiſſenſchaft 
waren ‚nik vhne abugriicpe- Übertreibung ‚ab untrefchit 
den uüht genug die Musariuug und, das Eihte an Ahuss; 
daher gaben ;fie Veranlaſſewage zu vielen Vorwarfen mad 
Anfeindungee. Mm fie’ pa :entieäften ſchrieb Charron 
eine ‚Heine Mbhanklung über, die MWeicheit, welde den 
Iopalt und die. Abßcht-feinsd; geößern Werkes ‚übte den⸗ 
ſelben Orgenfand Inrg: entufıkein:ıfotte. In einer: guei- 
ten. Aullage diefes MWerles wolltener die auſtoͤßigen Stellen 
mildern und verbeſſern. Aber dieſer Arheit aber ereilde ihn | 
1608, gu Varis ein ‚plögkiger Bot; Sein Freund Roche· 
meillet. wellendete bie, Aucgabe und ſaberwand bie Eehwie⸗ 
rigieiten, melche die Beröffsutigung. dertelbea u 

1) De'in wagense 11,15 V \ 

Ay Bhılabiene mich Des fen ie Par 108. am. 
4; für die Schrift de Ia’angesno habe ich aber. ing andere Hnsgehe 
Pat. 1631 gebraugt, welche die erfle Ausgabe Bordeaux 1601 mies 
dergiebt, weil dieſe den Sinn des Berf. ſrter u ejme die fpätee 
angebrachten Milderungen ‚und. Cuslaffungen ausbrü: 

Gef. d. Philoſ. x. mi 





= ı 
.Der Eintuß Montaiguen auf Charron iſtinicht zu den 
tkennen. . Sehr Häufig: gebehingkier.gemad: dieſelben Warte, 
«in welpen. fein” Ground: fehee: Zweifel autgedrudt -Yatıı. 
Auch an Allgemeinen HM die Wendung ifter Bebankın | 
ſehr äͤhnlich. Nur eb Thucronumie Bertabläge:füiner 
[mus praten,:aarıpesunfgen Aegempunigen Bürt 
hervor und: bringt. dis ‚abgeniffeigwm:und Mächtigen Ges 
danfen ‚Monlaignes: im: eile isgerapeteie--Koym: . Sein 
‚Stuben hiernach ſieht man. bafoirbersiran: ben Cinthrilun⸗ 
gen ↄwelche er überall anbeinge:. Wie. jehr.er- andy bie 
Schule; und ihre Meinungen flleht, fo. hat doch ſeine 
Schriſt über: die. Weisheit den Ginflüffen der Gelehrſam⸗ 
feit feiner Zeit ſich nicht "entziehen tonnen. E giebt ed | 
gumellen. ſelbſt an wo 5 ir" in ganzen Möfchnätten.- feiner 
Schrift dem Lipſius ober dem Du Vair gefolgt tz aber 
nah: ſonft yangen few Übenimgungen der Philsſophen, 
‚befonbers der Platoniſchen Schule an. Gtine- Zweikl | 
beruhn weſentlich nut darauf, daß ir: weber Die Gelehr⸗ 
famteit, no. Sie Bpitoggppienber: Menſchen fürugaiögend 
Hält uns eine ſichere Grundlage fur unſer flttliches Leben oder 
fũͤr die preliiſche Weis heit gu geben/ welche wis ſuchen ſollen. 
‚Deswegen entſcheidet edi ſich auch gegen ben Pptspomtsms | 
und für bie Wahrſcheinſtchkeitslehre der neuen Alademie), 
wenigſtens nidst gatz wie Disafaigne Mas fehtermmieihe 
diſchen Verfahren und aus vein abfpringenden: Oedanten ⸗ 
gange feiner. Zweifel, aus ben, waprfipeinfichen ‚Anna - 
mer feiner Schulbildung und aus der Freiheit ſeines 
Seifes‘ {m Kampf gegen die. Pebanten geht nun ‚sie 








H Tri de In sagenn.2, 4; kan | 
. | 


. A 


at 


feltſame Miſchunghxwor / weiche bod die Wendung der 
Zeit bezeichnet· und, nicht ohne philoſophiſche Antegun ⸗ 
gen iſt. So wie Mou⸗aigne empfielt auch Charron, daß 
wir in Bitten und Leheneweiſe der gemeinen Meintung: fol, 
gen ſollen; hiervon aber Tich ſich auch die gelehrte DIE 
dung der Zeit nicht treunen und noch weniger bie Reli 
sion mit ihrem: theologiſchen Gefolge. : Welchen Einfinh 
das lehtere auf:din-Äußernngen Eparrons gehabt hat, 
zeigt fi in der Umarbeitung feiner Schrift aber bie 
Veisheit. Um Feine freien Wußerungen zu verteidigen 
beruft er ſich darauf). dap. er wicht für Das Kloſter oder 
den Gewiſſensrath, ſondern für das bürgerfihe Beben, 
für. Die Weltlente geſchrieben habe 2); man dürfte ihm aber 
wohl dasſelbe Schuld geben, was Bruno dem Eufaher 
vorwarf, daß ihn / frin prieſterliches Srwaud zutveiten 
gehindert Habe. Die: Scene aber hat ſich geändert, das 
Verhältniß hat ſich jehzt umgelehrt, Wenn in fenem dau 


der Nachfolger, ſo iſt in- Diefem der Vorgänger freier. 


Dan: war iim Beßzriff zu einer ſrengern :Sitte zurtcizu⸗ 
kehren· Die Erfchatterungen des Vargerkrieges, deren 
Gewalt in den Schriften⸗Charron's deutlich. hervorbeich⸗ 
Yet, Hatten auch Die Weltleute belehrt, daß die Macht 


der / teligiöſen Überzeugungen. nicht verachtet werden dinfe, ° 


Wvgarron weiß ſie zu ſchonen, wie mannlich ‚and: ſeia 
Weiß: wen · Voructhellet ſich zu entriugen ſirebt. n 





Die Scrit über die Weispeit if eine Morale Oer 


verddent um ſo mehr -unfere Aufmerkſamteit, je feltener 
wir in dieſer Zeit ausführtichen philoſophiſchen Under fur 





PIE 





Hungen über das Aitiie Sehen apeguenı: Su fafl:das- 
ſelbe in feinem weiten Umfange...: Se Lhren find aoch 
aicht gu. ber. Magerfeit. zufauımemgeiprungpft, :twelge : bie 
Moral der fpätern Zeit zeigte. Eike Preben;bie-fatktik, „bie 
Padagogit, das Leben in Wiſſerſchaft und: Kun zn ums 
faflen; ;fie bringen auf die Gittlichleit inc Berufsleben and 
da der gaſelligen Gemeinſchaft mit der gamen, Menſchbeit. 
Doch ſchließen fie Das religisſe Raben: aus, welches Got 
ted Leitung überlafien werben wiiſſe, Aber welches menſch⸗ 
Hohe Weisheit nichts vermoͤge. Nur die äußern Wren- 
eu dieſes Gebiets wagen fie doch zu bexuͤhren. Zu dem 
nuinfaſſenden Plaue „feiner Ethil mag es beitragen, daß 
Charron in feinem Überblic üben, das finlidie. Leben. doch 
wicht unabhängig. son ben Alten äft:.. Bis perachtlich ipm 
auch die Pedamen erſcheinen, feine Lehnen über. die: Po⸗ 
U hat er größtendpeite von Lipßus gntnpmmen, melder 
die Lahren der Alten quszeg und; dan neuern Varbaltnij⸗ 
fen amupaflen ſuchte, Charron feigt fuberdies in feiner 
Ginspeitung der Moral den wir Eardinaltugenden der 
Mic, ‚freilich ia mancherlei Anbequrawngen · an bie / Denb 
sie der. Neutre, fo daß. wan wehl ſicht; Sie awentz 
die /Zorvzen der alten Sittenlelne in, gas: neue, umgeßab⸗ 
‚Mate, Reben: paſſen 3:., Die Uheraengungen jedoch, welch⸗ 
ſch von dieſem aus aufbrängen, ſtehen, nur-sie ae: m 
geordnete. Maſſe „den: Einhennn dm. ‚allen Eu; st 
gepũber. 

1. Rah ein andere fest, — inden enon 
au: einer ſelbſtandigen Gaßaltung des Gittenlehre ua ‚ges 


4) Dan vergleiche wie er die Tapferkeit als virtus Aberbaut 
nimmt. De la ng. m, 19, 1 





a3 


Iangen. Waͤrend ex bie Moral feiner Zeit erkätt, ver⸗ 
Höndet fi in ihm auch die emtfchiebene Neigung feiner i 


Zeit alles anf das Natürkihe qurüdzufügeen. Das filte, 
He Leben erſcheint ihm nur als das Leben. nach der 
Natur 3). Indem er- feinem fittlichen Zuge folgt,. cu 
pelb ex freilich vor allen andern Wiſſenſchaften bie Wiſ⸗ 
fenfihaft des Menſchen. ‚Das Studium des Menſches iR 
dee Menſch 9. Dur Heifen und bie Geſchichte follen 
wir ipn Rubiren.®). Aber die Geſchichte unferer Bldung 
iR dpm ein Chaos; ein. Gefeg in ihr Tann er nicht ent⸗ 
beiten. Der. Menſch hängt non ben Umfländen, von der 
Geburt, yon der Mifchung feines Temperaments, übers 
hanpt von ber Natur ab ). Beſſer daher, meint er, ik 
«6 ſich Teiten zu laſſen von der Natur und von Bott, als 
ſeiner dem Zufall preisgegebenen und verwegenen Freiheit 
zu folgen 9, Es u dies dieſelbe Richtung der Gedan⸗ 
ken, welche wir bet Montaigne fanden. 

Den Eintheilungen, welche er von ber. alten Philoſo⸗ 
phie entnahm, werben wir nicht nachzugehen haben; fie 
Mmd:nur loder um ſeine Gedanken herumgelegt. Auch ik 


anfı feine "einzelnen Äußerungen kein Großes Gewicht zu 


Wege; fe And oft fehr übertrieben nach ber Weiſe ber 
Stepiter, welche einem ſiarken Grunde einen eben fo 
Paten ET für gerathen hielten. Sie find 


2b. 11,3, 0 und fonft oft. 


2) B. 1,1,1. La vraie sciencä ei le vrai Minde de, Taomme, u 


Cem Yhomme. 
3) Traits 2, 1. \ 
YDelng.1,15,4 2: 
3) 1.1,8,7. 


A: 


auch eben fo ſchwanlend, hauptſaͤchlich wegen ber Mir 
fung der Denlweiſen, welche in dieſer Zeit ſich noch 
nicht abgellaͤrt hatte. Dies darf uns aber doc nicht ab⸗ 
halten in ihnen einen befändigen Grundton feiner Dratı 
weife anzuerlennen. 

Sein Sfepticisums beruht, wie.gefagt, auf —*8 
Grundlage. Durqdrungen von der überzeugung daß 
wir in einer zerrutteten Verfaſſung unſeres Lebens find, 
will er und anleiten erſt unſer Elend zu erkennen, alds 

dann heilſame Mittel zu ſuchen D. Ex dringt nicht allein 
auf Erlenntniß des Menſchen im Allgemeinen, ſondern 
auch im Beſondern auf bie Erkeuntniß ſeiner eigenen Pers 
fon ). Mit andern ſeiner Zeitgenoffen theilt er die ‚Ans 
ſicht, daß .die Erlenntniß unſeres Ich uns am nächſten 
liege. Die Seele weiß 'in- natürlicher Weiſe von: ſich 
ohne dieſe Wiffenfhaft erſt zu letnen; ſie if feine leere 
Tafel, in welche die Erfenntnig ihrer eigenen Kräfte erſt 
eingetragen werben müßte 5). Aber beunoc Hält Char⸗ 
von €8 für ſehr fpwierig zu ber rechten Erlenntniß von 
fich ſelbſi zu gelangen, weil wir durch ußerlichleiten 

durch allerlei Schminke entſtellt ſind ). Yan db: mehr 
haben wir die Pflicht alle:biefe Hinderniſſe unferer Seitn 
erlenntniß zu: burchbrechen und auf uns ſelbſt in arfayr 
nadten Wahrheit zurüczukommen *). Er paͤlt es für zu⸗ 

träglich zu dieſem Zwede uns mit andern Menſchen und 


iu ch 


1) Ib. I pre, EEE 
2) Ib. I, f, 1; traite 2, 1. 
3) De la 23g. I, 15, 11. an 
4) 1b. I, 1,65 6, 1; wait 2, 15 ©: 8 a 
5) De la sag. III, 6, 3. a Se en 





2 


aud wit ben Tieren zu verglichen; aber wir follen doch 
durch folge Mittel: und: wicht: recht fennen lernen. Der 
rechte Weg iſt ſich ſelbſt zu. vertcanen, mit ſich allein zu 
Rathe zu gehn. Aber bei dem vielen, was und nur ei 
nen Schein giebt, was uns nur angelommen if, hält 
Charron ein langes Studium unfer ſelbſt für noͤthig 2). 
Er iſt nicht der Meinung,’ daß bie Erfenntniß, welche 
wir unmittelbar von uns (elbſt ‚Haben, ſogleich unfer Wer 
fen uns entpüßlt. Der-erfie Schritt zur Selbſterkenntniß 
if feine Unmeffenheit über ſich ſelbſt, d. 5. über.ben wide 
tigfen Gegenfand umferer Erlenutniß, anzuerkennen ). 
Unfere Selbſterlenntuiß ſteht aber unter der Bedin⸗ 
gung der Erlenntniß Goites. Zwar um’ und zu bes 
mütpigen ruft uns Charron auch, wie Montaigne, dazu 
auf uns zu verihieren. und von den Thieren zu: lernen 5); 
aber er will doch dadurch die Vorzüge des Menfchen vor 
den Thiexen nicht befireiten; nur meint er, biefe Bors 
döge, der Geiſt des Menſchen, wären theuer erfauftz der 
Geiſt bringt vielleicht mehr Boͤſes als Gutes; er ift das 
beſte, aber auch das gefaͤrlichſte Geſchent ). Wie Mon- 
taigne will auch Charron nicht zugeben, daß der Menſch, 
welcher hier im Bodenfage der Welt ſtehe, der alleinige 
Zweck ber ganzen Welt fein ſollte ). Er bringt auch 
darauf, daß wir ben Unterfchieb zwiſchen Thieren und 
Menſchen nicht gar zu groß uns denfen, vielmehr aners . 


1.1, 1,629 
Y2B.1,1,5. . 
3) Ib. 11, 3, 9; traits 2, 7. 
4) De la 2ag. I, 8; 16, 3144 
51. 1,7,4 


lennen follen, daß in ber. Weit nur Brabunterfplehe fd, 
nichts, was nicht üͤhnlichteit mit dem andern Dingen hatee, 
kein Sprung in. der Natur H.“ Aber bermody fieht er im 
Menfigen. ein werkärztes Bild der Welt 2), in "feiner 
Serle, einen Heinen :Gott?). Du weifelt er auch wicht 
daran, daß Bott den Menſchen gefhaffen um die Wahr⸗ 
heit zu erleunen. Die Wahrhejt jedoch hat iften Sitz in 
Gott und daher Tann fir auch ur durch Gottes Hülft 
erlannt werden. Deswegen iſt -audy die Erlenntniß Got⸗ 
tes mit unferer Selbſterkeuntaiß auf das eugſte verbunden. 
Wir müfer uns demüthigen und auf Gott uuſere ganze 
Hoffnung ſetzen, dann werden wit auch in unſerer Seele 
bie Ähnlichleit mit Bott finden, welche ſie mehr als al⸗ 
les andere an ſich trägt. Dazu mäffen wir. und reini⸗ 
gen und. ausleeren bon allen Boruripeilen, welche und 
gegen die Wahrheit verbfenden; nackt und wie eine blanfe 
Tafel müſſen wir uns Bott‘ darflellen, dann wirb feine 
Offenbarung in uns einziepen . Die Verwandſchaft bie 
fe — Denkweiſe mit der ayſiiſcen Tpeologie 





1) B. 1, 8; 2 

2) Ib. 1,10, 2 

1.1, 9,1. 

41.1, 1,3; 18.5, 15; trait 4, 4. Que dien a bien 
eres Thomrie pour cognoistre ‚la verit6, mais qu'il ne la ‘peut 
cognoistre_de, soi, mi per aucun moyen humain et fant que 
dien mesme, au'sein duquel elle reside et qui en a fait venir 
Tenvie & Y’homme, la revele, comme il a, fait; mais que pour 
se preparer & cetie revelation et lui faire place, .il faut aups- 
ravant renoncer et chasser toutes opinions et cteamces, don! 
Pesprit est dejä anticip6 et abreuvö. et le Ini presenter nud et 
blano et le sousmettre & lui trös bankblehlent: Dineourd ohfestiens 
1, piteg B 


47 


der fräpern Jahrhunderte, welche wir fon bei Montaigne 
demerft haben, tritt Gier deutlich zu Tage. hartem bei 
ruft ſich ausdrüctich auf ſie; im der Nnesfeanaag ber 
myſterisſen Höge ber Wahrheit ſucht er bie Bernhigung 


unferer Seele. Weit entfernt davon den’ Zweifel als eine | 


Beuuruhigung auſeres Geiſtes gu Betrachten, rähmt en 
ihn ale die wahre Befriedigung unferes Grmäthe, als 
die Wiffenfhaft der Wiffenſchaften, die Gewißheit ber 
Gewißheiten in ber beſcheidenen Anerkennung ſowohl der 
menſchlichen Schwaͤche, als der möflerlöfen Höhe ver 
Wahrheit. Die, welche im Zweifel nur Unruhe erktiden, 


würden num von ihrer Leidenſchaft zu behaupten beuntus : 


higt und wüßten nicht, was Wien fel. Unſern Geiſt 
ſollen wir ausleeren um Bolt zu-empfangen. Das if 
die Unterwerfung unter einen Glauben, welpen wir ohne 
Zweifel anzunehmen haben; aber nur durch den Zweifel 
gelangen wir zu ihmz ihm dienen wir am befien, wenn 
wir die menfchlichen Meinungen, ſelbſt die Meinungen 
der religibſen Seften von uns fern halten 1). 


Demgemäß geht bie Sittenlehre Charron's zunäͤcht 


‚darauf ums von den Übeln zu befreien, in welden er ung 
verwickelt fieht. Er findet fie darin gegründet, daß wir 
von der Natur abgewichen find. Wie Helmont if er 
der Überzeugung, daß nur im Menſchen, in der Unruhe 
feines Geiſtes, der Orund des fihels liege und feine 
Sünde alles. Elend verſchuldet habe. Sie hat die Ord⸗ 
nung. ver Welt eh, den. Som Gones gene und 


i) Traita 4; 4. Telles gews nd sgaromı ven au va a u 
acarent que c'est que sgavoir. 


die natürlichen Strafen des Böfen herbeigezogen ). Als 
1ea aufer dem Menſchen folgt dem Gefege der Natur und 
findet in ihm feine Beruhigung; unfere Sünde aber if 


“den deind ber Natur), Es ft dies derſelbe Bug, wel⸗ 


er im Jahrhundert der Reformation auf. die Erbfünde 
alle Schwächen des Menſchen wälzen, weicher. Dontaigne 
gegen die menfchliche Kunſt eifern ließ um das natürlihe 
Leben zu empfelen. Die Natur hat alles wohl beflellt, 
ihrem Gefege follen wir folgen; dies Geſetz IR bie Bers 
uunft, das natürliche Licht, welches Gatt jedem Menſchen 
! verliehen hat 5). Dem Natürlichen ſetzt Charron das 
Erworbene entgegen, auf welches bie Peripatetiler des 
Mittelalters großes Gewicht gelegt Hatten; Charron bes 
trachtet es mit Mistrauen; ‚das Raturliche Hält er für 
beffer; es fcheint zumellen, als wollte er. das Erworbene 
ganz verwerfen*). Doc werden wir fehen, daß bieh 
nicht fein voller Ernf iR; nur gegen gewiſſe Arten des 
Angebifdeten ift fein Eifer gerihtet, in welchen er Aus ⸗ 
artungen der urfpränglicden Natur, Sünde und Folgen 
der menſchlichen uͤbertretung argwohnt. 


1) Deu eng. I, 6, 15 16, 33 11, 5, 18; 7, 10. 
2 15. 1, 3,85 9; Wale 2, 4 Lenemi de mature, gi 


est le peche. 
3) Delamg. I, 3, 4 40. fraits 2, 7. Le dernier po, 
mein qui guide et comprend. tous Jes autres, — — ont de jel- 


ter, sans cesse sa veue et sa pensee sur la loi de nature et 
tousjours la’croire et suivre comme’la regie premiere, soure- 
taine , universeBe et infalflihle ‚"qu’elle. est. — — C’ent la rai- 
son, l’&quits, la lumiere naturelle , que dieu a inspir6 em tout 
homme. 

' 4) De la 2ag..14,:3, 13. Le neturel mit micnz quo Tag 
». II, 14, 13. — J 


Zu viefen aber gehört ihm auch -unfere wiſſenſchaft ⸗ 
lige Bildung, wie fie gegenwärtig iR. Hierauf beruft 
fein Stepticismus, den wir etwas genauer in feinen ei 
xlnen Zügen betrachten mäffen. 


Charron iſt weit davon entferut alles Wiſſen des 


Menſchen verwerfen zu wollen, vielmehr hält er das rechte 
Biffen hoch und. rühmt befonders der moralifhen Philo⸗ 
fophie, welche er felbft betreibt, es zu Hohen Ehren nach, 
daß fie das Wilde in unferer Natur mildere, Neben ipm 
geſteht er auch der Naturichre ihren Werth zu 2). ben 
a beforgt, daß die Weife, wie wir bie Wiſſenſchaften 
treiben, viel Unnäges, viel Leidenfheft und Tporpeit in 
fd aufgenommen habe. Dergleihen will er entfernt 
wiſſen. Der Wiſſenſchaft fept er bie-Weidpeit entgegen. 
Bene er nun bemerkt, daß viele in der Einfalt der Sits 
ten, nur ber Natur folgend ihre Beruhigung finden, lann 
er ſich nicht. davon überzeugen, daß Wiffenfhaft zur Weis⸗ 
peit nöthig fei2). Die Wiffenfhaft if ein guter Stod; - 
man muß ihn aber zu gebrauchen wiſſen, ſonſt ſchadet er 
med). Zu den Ausartungen der Diſſenſchaft zaͤhlt er 
aber jedes allzu ſeſte Vertrauen auf die kunſilichen Mit« 
tel der Unterſuchang. Ex findet unfere Faſſungokraft be⸗ 
ſchraͤnkt und möchte und empfelen bei ben einfachſten und 
unmittelbaren Überjengurtgen unſeres natärlihen und fitt- 
lien Bewußtfeine ſtehen zu bleiben. In biefem Zee 
fett er aͤhnliche Überlegungen an, wie Montaigne, 
Die Bapıpeib waurde une ennaden⸗ wir lonnen aber: in 





1) I. HU, 4, 2204.5 will, > 
2) De la sag. II, 3,6; IM, 14, ge ie 5, 1: 
3) Trais 3, 1. 


ven Aublick nicht ertragen. Die Wahrheit wohnt bei 
Gott; Gottes Weſen aber geht über unſern Verſtaud 
hinaus. Wenn auch ohae wiffenſchaftlichen Beweis die 
Stimme der Natur uns davon überzeugt, daß ein Bott 
iR, fo müßten wir doch geftehn, daß wir ihn nicht begrei- 
fen töunen und nur mit Furcht dürfen wir über ihn zu 
eben wagen 1) Zwar wird baranf großes Gewicht ger 
legt, was auch ſchon Montaigne hervorgehoben hatte, daß 
wir Bott vertrauen dürften, daß er unfer Verlangen 
nach der Waprpeit in ums gelegt habe und daß er nicht 
Higen könne, daß wir daher. auch von ihm die Offenbar 
rung ber Wahrheit erwarten dürften und gewiß fein könn 
ten, daß alles wahr fei, was er duch Natur, Bemunft 
oder feine Propheten und verkündet habe >); auch auf 
die Grundſaͤte unferer Wiſſenſchaften würde bies ansgu 
dehnen fein, wenn es nur gewiß wäre, daß wir nicht 
durch falſche Grundfäge getäufht würden 5), wenn wir 
nur Gottes Stimme von der Stimme unferer Leidenſchaf⸗ 
ten gut genug zu unterſcheiden wäßten. Aber in und iR 
ein zwiefpältiged: Wefenz unfere verwegene Freiheit ges 
brauchen wir zu ıumferm Berberben; bie Mittel, welche 
wir zu unſerm Unterricht anwenden; bieten uns feine Si⸗ 
cherheit dar. Bet ber Betrachtung ‘ber eimelwen Zäpig: 
feiten, welde uns für die Erfenntnig beiwehnea, geht 
nun Charron' noch einen Schritt weiter; er. findet ‚nicht 

4) Los trois: vers I, 5; 10 p-41; deskunug. E 4, 9:.7, 
2; 11,5, 19; epistre p. 232; disoours chrestiens 1. p.11. 

2) De la sg. 1, 7,9. Dieu — — sanl ker ee 

quil dit, paroaquil le dit Traits 4, A, 

3) De la sag. 1, 7,9. I 


olein, daß 'unfer Erlernen beiheknft iR, fanbern auch 
daß ihm ein Zwieſpalt beiwohnt, welcher uns nit zur 
Ruhe gelangen laͤßt. Unſere Miltel zum Erkennen beru⸗ 
hen auf wnferer-Bernunft und auf der Erfahrung, wie 
fe durch unſere Sinne gewonnen wird; beide aber find 
dem Truge unterworfen 2), Was. die Sinne betrifft, fo 
wiederholt zwar Charron den Gay des Montaigne, daß 
fie der Anfang ‚und das Embe der menſchlichen Wiſſen⸗ 
ſchaft ſind 2); aber er findet bie Erfahrung doch noch weit 
ſchwäͤcher als die Vernunft und fegt alle bie. Seelenent⸗ 
widiungen, welche an das Sianliche fi auſchließen, weit 
herab unter die geiſtigen :Tpätigkeiten der Vernunft. umd 


des Verſtaundes. Vom Gedaͤchtaiß Hält er wenig. Auf. 


ihm beruht bee größte Tpeil der ſchlechten Gelehtſamteu, 
mit welcher wie in. der ſchlechten Erziehung erfüllt wer⸗ 
den, die. Maffen der Üserfieferungen, weiche uns. m 
Barartpeilen exfühen. Eben fo wenig ſcheint ihm bie 
Einbildungslraft zu taugen; fie if bie Mutter der Mei 
mungen ;' fie geigt uns bie Gegenſtände nicht wie ſie find. 
Beide. Gedachtniß und Ginbilbungekraft -Rehen dem Bew 
Rande nach, walcher die befle Seelenkraft iſts). Aber 
leider unſer Verfland if nicht unabhängig von den Sin⸗ 
nen, dem Gedaͤchtniß und der Einbildungoltuft. Da bes 





BEL 4: BE Bee 

MY os 

A D..1y145u8.-1Par Davis de. com Im. Ventendpment 
ost.Je priemiar, M plus cellente et prinalpala, ‚piene du hernoia. 
Sü.olle.;jous: bien, -toptı.va biem -et Ihhomme -ent.sage „..ot: am 
enhtreire , mi ele:se.mäcemie, laut na denirauep; en ısetünd 
lien est limagination; la memoire est la derniere. Ib. I, 








ne 
trögen ſich Sion und Beik gegenfeitig.). Mic bei. 
Momtaigne, wie bei ben Italieniſchen Peripatetitern, fo bei 
Charron herſcht ber Gedanbe au die unauflseliche Ver⸗ 
bindung zwiſchen Körper dub: Geiſt. Iwar ‚bie Hoffnung 
auf die Unferdlifeit umferer Seele hat er nicht aufge 
geben; der Weiſe ſoll den Tod verachten könmen in ber 
Hoffnung auf ein befferes Leben und den Tag feines Tor 
des als feinen Meiftertag anfehn 2); aber hier unten wer 
nigftens find wir mit unferm Leibe auf das engfle verbun⸗ 
denz er iſt unfer Werkzeug und unfere Geele fann ohne 
ein ſolches nicht fein. Wie non ein tüctiger Arbeiter 
feine Werkzeuge zu handhaben wiſſen muß, fo follen wir 
auch unfern Leib in unferg Gewalt zu bringen ſuchen; 
wir ſollen ihn nicht tyranniſiren, aber uns doch ale Herrn 
vesfelben betrachten. . Wenn wir ihn. num verflänbig zu 
beherſchen wüßten?Y. Nur in zu *bogmatifher Weife 
" fept uns Charron dieſe Gemeinfhaft unferes Geiftes mit 
dem Körper auseinander. Er flieht ſich der Platoni⸗ 
ſchen Lehrweife :an, welde den Geiſt und ben: Körper 
durch bie Seele ‚verbindet; ‚die Seele betrachtet er als 
den, Sig des ae Ze. und weil fe e nicht Bi 


[Ip B. Pa! 7 en ans 

2) Ib. 1, 15, 15; weitläuftig M & Barüber ib. I, 41, mw 
aud 8.18, der Selbftmord getabelt wird. 

3) 1.1, 9,1; I, 6,8 La nature tonb .d danze le 
corps comme instrument mecessaire à la vid; A! faht. que Te- 
Ysprit,'eomme le :prineipal, prenne Aal tuidlle.An corps. · — 11 
‚ei doit ‚done du agim..et non da series; I le.doit' trailer 
erime seigneur et.:non: Comme tyran, 4- .«=i" lei‘ imontrat " 
quil ne vi er pm“ ki, mais qeil ne: peut Wivre 'iei bas 
‚sans dui, '- RE INTER 





Drgan fein Tann, ſucht er ihreu Sitz im Sohirne; fie 
wird dadurch abhängig vom Teiaperamente des Gehirno und 
in den Streit gezogen, welden die verfchledenen phpfle , 
ſchen Eigenfchaften der Beſtandtheile des Gehirns unter 
einander führen D. Hierdurch iſt Die Seele gehindert ihre 
natürliche Weisheit zu üben; : das: Temperament des Orr 
hirns hindert fie 2). Aber noch viel fhlimmer iſt es, 
daß auch unfer Geiſt mit unferm Leibe nit frieblich le⸗ 
ben kann. Unfer Geiſt trachtet nach Gott, unfer Fleiſch 
nad der Materie, in welcher Charron nod immer das 
Böfe wittert. Die Seele IR wie ein Meiner Gott, der 
Körper iſt wie ein Düngerhaufen und eine Peſt. Beide 
lonnen wicht ohne einander fein und doch If zwiſchen iß⸗ 
ven ein beſtaͤndiger Streit 5). - Mit einem ſolchen Hader 
in der Zufammenfegung unferer-Natur verträgt fih nun 
gewiß die Ruhe der Stele nit, welche wir fuchen Follen 
und unter. welcher auch die Sicherheit -unferen Oedanlen 
gedeihen könnte. Deswegen hält Eharron- das Streben 
and ſicherer Wiſſenſchaft für vergtblich. Er ſcheint aber 
auch in der Sqchilderung dieſes Haders vergeffen zu ha⸗ 
ben, daß alles in der Natur friedlich geordaet fein follte, 
Bei. einet ſolchen Beſchaffenheit ünferes Innern’ würde 
es Bermeffenheit fein, wenn wir unfern Meinungen ver 





» 9) 1b. 1, 9, 2; 10, 2; 15, 2 29q. 
2) 1b. 1, 15, 112g. nt B 
3) 1b. 1, 9, 1. L’ame est comme un petit Je 6orps 





comme un fumier dt une peste; Ib. 2. L’esprit,; — — Timage . 
de la dirinit6, — — ne,respire que-Ie bien:et!le’kiell, oa il 


tend tousjours; la chaire au WBG Auer usjours 
au mal et A la maliere, ee 


rauen wolten, Aus der Meinung entipningt::bie Leiden 
ſchaft wnh in der Leiderſchaft iſt alles Übel gegründet 33 
Die Meinung iſt er geneigt für etwas Arsebüdeiet u 
halten ,.bie Leidenſchaft aber ‚für ein inneres üUbel zunferer 
Seele ). Vo diefen Übeln fiept er vnſere Stele wefüßk 
um) battet daber Bett. üpm :gegen fh ſelbſt zu ſuben. 
Die thoͤrige Selbſtliebe und Selbſtgenugſamleit fepeint 
ihm unſer bitterſter Feind 5). Freiheit von Mainung uud 
Leidenſchaſt iſt num die Predigt ſeiner Sittenlehre ). In 
dieſem Sinn ſieht er in jedem ſtarren Feſthalten an 
Grundſahen · eine Übertreibung ber Leidenſchaft; ſelbßz bie 
Übertreibung der Selbſtaufopferung, des erergiſchen Wil⸗ 
lens, verdammt er 5), ‚obgleich er fon gegen: jede Selbß⸗ 
ſucht eifert und die Stärfe..des Geiſte als die Summe 
Der Tugend verehrt... Die Freiheit umfereq Verſtandes 
ſollen wir gegen das Borurtpeil ber. Meinungen? bie 
Ereipeit unſeres Willens gegen die vberrſdan nalen 
ſchaften vertheidigen ). 

"lan Die Breipet unferet Verhanies gu: ganinmen, 
Lanpfielt er eines Geiſt, welcher bex allgenieinen Beirade 
hang RG diwendet (oapuit. aeiversel). Wirnfeflen und 
micht faugen offen durch „die Meinungen der Menſchen 
über Outes und Boͤſes, melde wa Larbasfitte nerſchie⸗ 
den find, welche oft dem Natürlihen und Beſſern wider: 





freiten. Wir follen als Bürger der Welt uns betrach⸗ 
ten, ein Bild unferer Mutter Natur in ihrer ganzen 
Mofeftät in uns darſtellen ). Zu bem Sreife der ein⸗ 
zelnen Borfepriften, welche ex iu biefem Sinn giebt, ge⸗ 
hören auch bie Stellen, welche den Theologen Anſtoß 
gegeben haben, weil fie das Schwanlende in ben reli⸗ 
siöfen Meinungen Hervorpeben. Auf die Äußerligleiten 
der Religion und bie mit ihuen verfnäpften Meinungen 
legt Charron nicht mehr Gewicht als auf die verſchiede⸗ 
nen Sitten ber Voͤller. Dadurch will er aber die Ehr⸗ 
furcht vor der Offenbarung nicht antaften, fo wie er 
aud den Gitten der Bölter feinen Gehorfam vorbehäft. 
Er nimmt beide ausdrücklich aus, wenn ex bie Freiheit 
bes Berftandes behauptet *). Nur kann ex ſich davon nit 
wrüdpalten zu befücdhten, daß in alle unfere menſchlichen 
Einrichtungen auch etwas Böfes fi eiamiſchen bürfie. 
Wir find frank; wir bebüsfen der Heilmittel; zu ihnen ger 
hören Sitten unb Religion; es wird Entjpulbigung finden, 
mern ſolche Heilmittel auch etwas an fih Boͤſes und 
Sqadliches gebrauchen 5). Seiner praftifhen Richtung 





1) I. I, 2, 5. Le vrai moyen d’obtenir — — cette belle 
libert& de jugement, — — c'est d’avoir un esprit universel, — — 
Estre eitoyen du monde. — — Il faut presenter comme en un 
tableau cetie grande image de nostre mere nature en son en- 
tiere majeste. 

2b. U, 2, 1. 

3) B. I, 4, 6.— Comme si pour estre bon, il falloit 
estre un peu mechant. Et ceci se voit non 'seulement en faict 
de la poliee et de la jüstice, mais encore en la religion, qui 
montre bien, que tonte la condaite humaine est bastie et faite 
de pieces maladives. 

Gðeſch. d. Philoſ. x. 15 


nach dringt Charron auf bie Freiheit des: Willens noch 
mehr als des Verſtandes. Wie fehr er auch die vers 
wegene Freiheit, welche dem Zufall. ſich überlägt, für 
gefaͤhrlich Hält, bie Freiheit des Willens iſt ihm dad 
das Hoͤchſte, was wir befigen. In ihr erblidt er in 
der That alles, was wahrhaft unfer if unb uns nicht 
genommen werben fann I. Diefe Freiheit zu bewahren 
ſchaͤrfen alle feine Regeln ein. 

Bon einem Wanne, welder von ber Lage der menſch⸗ 
lichen Dinge mehr Böfes fürchtet, als Gutes hofft, muß 
man erwarten, daß er vorherſchend verneinende Bor 
fohriften für das Leben geben werde, Dem widerſpricht 
Charron's Sittenlehre nicht. Die Ermahnungen, uns der 
Meinungen und ber Leidenſchaft zu entfchlagen, nehmen 
den breiteften Raum in feiner Weisheit ein. Doch bleibt 
er bei ipnen nicht fliehen. Die Summe der Tugend faßt 
er in den Begriff der Rechtſchaffenheit (prud’hommie, 
probit6) zufammen. Sie beſteht ihm darin, daß wir 
der Natur ober, was basfelbe ift, ber Bernunft folgen?). 
Hierin fieht er die Geſundheit der Seele). Die Regel 
der Rechtſchaffenheit, das Gefeg der Natur, die allge 
meine Vernunft, fieht Charron auch als das Gefeg Gottes 
an, welches in dem Innern eines jeden mit unverlöfd 
lichen Zügen geſchrieben fei. Alle gute Gefege find nur 


1) Ib. 1, 19, 1. La volonts — — senle est vraiment no- 
„ str et en nostre puissanoe, tout le reste — — nous peut esire 
oste, alterö et troubl6 par mille accidens et non la volonis. 
2) 1b. 11, 3, 10. Voici dono la wraie prad’hommie (fondo- 
ment de sagesse) suivre nature,. c'est. a dire la raison. 
3) 1b. 1, 11, 1. J 


An. 


ein Ausfluß dieſes oberſten Gefehed’Y: "Diet ARE 
fenpeit geht die gerade Bahn’ ihrer Regehuohneanberes 
zu beachten als bie innere Stimme‘""ößhe‘ viel · Wefens 
von fih zu machen, ſich ſelbſt vertrainndt?' Del Geſetze 
der Rechtſchaffenheit gegenäber foren tölr ‚eide MAafigt 
auf Lohn nehmen, nicht einmat auf dert Lohn) welchen 
die Religion und verheißt. Denn! dik‘ Rolldion iſt nut 
etwas Späteres, welcheserſt im gelellſchaftiichen Leben 
ung zumächftz das Gefeh det Ralllt I’ dägegen ‘das 
erſte und gebietet ung ohne ale Ruckſicht· Side Tiigenn; 
welche nur aus Furcht vor’ Strafe "oder · aus Hoffnung 
auf Lohn das Gute will, if nicht wahre Zügend; fie ift 
ſchwach, ſtlaviſch und veräͤchtlich. Die Religion ſelbſt 
erlennt dies an; nur ben Schwachen und Anfängern in 
der Weisheit kommt fie dutch Lockungen entgegen, erblickt 
aber nicht in der eigennügigen Tugeit, die vollfommene 
Sir. 4 u 
So wie aber Charron überall ein —** in unſeret 
Natur, das Allgemeine und dad Beſondere, beachtet und 
ehrt, fo ſchließen feine Vorſchriften an bie alfgemeine 
Regel der Natur auch bie Regel unferet beſondern Natur 
am Wenn auch nicht für alle natürlige Dinge, fo 
doch für den Menfchen behauptet Charron das Gefeg' des 
Ununterfpeidbaren. Er rechnet es zu den Werken der 
Vorſehung, daß fie Ordnung in, bie menſchliche Geſell⸗ 
ſchaft gebracht habe, indem fie jeden Menſchen von jebem 
andern verſchieden machte ). SH Hat * ſeine Eigen, 





1) 10. 11, 3, A; tnitd 2, 6; 7. 
2) De la sag. I, 5, 20; trails 4, 5. 
3) Les trois verites I, 9 p.37. 

15* 


= 


thögpfächfeit,; heine. seigene, Natur; dieſer ſoll ar. felgen; 
gegen Fee wůͤrde nur Thorheit uud Bermefien- 
beit fein; e6, wuͤrde heißen Gott; verſuchen. Jeder fol 
. RB 09 Mi selbß „Halten; fa Holen. fi ſelbt au lehen 
ſich getren a bleiben)... Megimegen legt Gharcen auf 
Die, Wehi deh Vezuttz des größe Gewicht. Er feet 
am and, baß, wir unfere Natur exlennen, wozu fie ſich 
eignet, md ihr: gemAß.eine, efimmte Labſbahn einfäte 
gen, welche, wjr jm Gange unſeres debens mit Erfolg 
und ip treuer Anhaͤnglichtait an unfern Beruf verfolgen 
koönnen ). Cbqrryn hatte felbf in ber Wahl feines Be 
rufs geſchwank; um fo. tiptiger mochte biefer Punkt ihn 
feinen, welcher von ben allgemeinen Gruubfägen feiner 
Sittenlehre ihm deutlich Yorgefprieben war. 
Das allgemeine Geſetz ber Natur zieht uns aber an 
die Ordnung ‚her Übrigen Melt heran, weil unfere Eigen, 
thümlicpteit nur für biefe Ordnung beſtimmt iſt 5). Hier 
bei bererte nun. Gharron, Sanpsfägtig unfere Vhitttn 
gegen bie menſchliche Gemeinſchaft. An fie verweiſt und 
der Beruf, welden wir waͤhlen follen. Wir follen da 
von Selbſtſucht frei leben, doch ohne uns felb zu opfern; 








1) De la sag. I, 3, 4; & 2. Car aller contre.son naturel, 

c'est tenter dien,.cracher cpnire Je ciel etc, Ih. Ul, 6, 229. 
sgavoir estre A soi; se tenir A soi. 
2) 16. 11,4, 1. Se dresser et former à un cerlain et as- 
sur& train de vivre, preudco une:veealion, & la quelle Fon soil 
propre. Ib, 2. C'est done une affaire de geand paids, que ce 
choix etc. 

3) 1. 11,3, 4. La raison pnirergellg,.— — par Ia quelle 
Yon agit selon dieu, selon aoi, selon nature, selon l’ordre et 
la police universelle da monde. 


unfere Freihelt muß ſich mit. den Pflichten für bie Gefell- 
ſchaft, welcher wir angehören, vereinigen laſſen 2). Hier 
hat man eime nach Freiheit singende Geste, wie fie in 
Garron Lebt, die härteflen Kämpfe gu beftehn. In ſei⸗ 
ner friſchen Natur ſedoch, welche den Scherz und die 
Sreudigfeit des Lebens liebt, ſchlagt er die Sotgen über 
diefe Dinge hinter ſich. Er vertraut Gott und der Na⸗ 
tur, welche und leitet, wenn er auch ihre weiſen Abſich⸗ 
ten in fo manchen Dingen, zu welchen wir uns gezwun⸗ 
gen ſehen, nicht zu erfennen vermag. In diefem inne 
wird man ihn eher zu nachgiebig als zu ſtarr gegen:ben 
Lauf des Lebens finden. Die menſchliche Natur verinägt 
un einmal die wahre Gereqhtigkeit nicht ). Zu den Büs 
gen der Weisheit gehört es, daß fie ber Rothwendigleit 
nachzugeben weiß 9. Go kommt in feinen Vorſchriſten 
über die Politit manches Bedeukliche vor. Berkellung, 
welche dem Privatmann nicht erlaubt fein würde, wird 
doch dem Bürffin gefleitet; was gegen Freunde aicht geht 
werben barf, iſt doch gegen die Feinde nicht nerboten ©. 
Charron, welcher gegen Lüge und Borurtheil fon uner- 
bitilich anfämpft, lann es doc zugeben, dag man in der 
Poluit aus Liebe zum Innern Frieden fogar ſich etwas 
beträgen laſſe. Typrannei zu ertragen ſei beſſer als Auf- 
ruhr 3). Man ſieht, daß er in Zeiten des Bürgerkrieges 
einen gründlichen Abſchen gegen feine Graͤnel eingeſogen 





has: Ans hörtefien: aber -teitt der bedenkliche Streit zwi⸗ 
ſchen feinem: Stuehen nach Frelheit und feiner Unterwer⸗ 
fung; unter eine. unbelannte und: unerforfehliche. Nothwen⸗ 
digkeit hervor, wenn er das Berhalten bes Weiſen gegen 
Geſetz, Sitte ‚und Religion ſchildert. Er zweifelt nit 
baranı. daß bie Religion der befte Theil ber Rechtſchaf⸗ 
fenheiss feiz: unter bem befondern Regeln für unfer Lehen 
Kell; er oben an, daß Religion und. Srömmigfeit ‚den 
erfen Rang unter unfern Pflichten einnehmen 1). Aber 
ſollte es Religion fein- dem Aberglauben zu dienen? 
Shamen;. in feiner Unterwürfigfeit gegen das allgemeine 
Befeg  muthet uns doch auch dieſe haͤrteſte Pflicht gu 
Seine Religion iR ganz innerliches Gefül; äußere Ge 
braͤuche und theologiſche Forſchungen über’ das, was doch 
unerforſchlich iſt, Hält er. für gleichgültig, wenn night 
für. Thorheit 2). Do darf der Weife auch dieſen 
Dingen ſich nicht entziehen; er muß den Lanbeöfitten 
und, Bandesgefegen folgen und barf in ner: Art den 
Sonderling ſpielen. Wie Montaigne empfelt Charröu 
ben. Gefegen und Gebräuchen bes Landes zu folgen, 
nicht weil fie. vernünftig, fondern weil fie gebräuchlich 
ſind. :Da ſcheut er die Neuerungen, bie Anmaßung 
der Menſchen, welche bie Welt beſſern wollen; fogar 
was der Vernunft und dem Naturgeſetze widerſtrebt, 
ſollen wir aus Gehorſam gegen das Geſetz und den 
Gebrauch des Landes thun. Wohin „reitet nun ber 
Weiſe feine Freiheit? Sie bleibt ungefährdet, indem er 
doch feinen Gedanken die Prüfung der Sitten und ör 


4) Ib. 14, 5; traitß 2, 6. Bu 
2) De la sag. II, 5, 14. Rasen 


3 


bräudpe exlaubt und wärend er äußerlich Gehorfam lel⸗ 
fit, innerlich: ganz anders denlt. Denn das ‚Äußere ger 
hört dem Geweinweſen, unfere Gedanlen aber gehören 
und. Das Bedenflige dieſer Vorſchriften, welche Auges 
ws und Inneres in Zwiefpalt fegen, bemerft Charron 
kibR, indem er pinzufept, fo fei mum einmal bie Welt 
beſchaffen 7. Auch in biefer Wendung. ber Gedanken 
verfüudet ſich die Neigung ber Zeit das geiſtige Leben in 
#9 zurädgugiehen unb bas Aufere feinen eigenen Geſehen 
m, überlaffen. Das if die Selbſterlenntniß, in welcher 
Charron die Ruhe feiner Secie und bus höhle Gut 
Mn. 

Man wird nun wohl nicht verfeunen, raß es eine 
dualiſtiſche Auficht IR, weiihe bie Schwankungen in Char⸗ 
tom Lehren hervorruft. Go. wie er vom theoretiſcher 
Seite die Überzeugung hegt, daß Fleiſch und Geiſt weder 
ohne u leben, wo mit einander ſich verföhnen 


4) I. 1,8, 7. Garder et obserrer de parole et de fait 
les loix et coustumes — — simplement pouf ce que sont loix 
et coustamen. — — C’est le fondement mystigus de leur au- 


torte. — — II arrivera quelquefois, que nous ferons par " 


une seconde, particuliere et municipale obligation — — ce qui 
est contre la premiere et plus ancienne, c’est à dire la nature 
et raison universelle; mais nous lui satisfaisons tenant nolre 
jügement et nos opinions saines et justes selon elle. Car aussi 
nous n’avons rien nostre et de quoi nous puissions librement 
disposer que”de cell. Le monde n’a que faire de nos persses, 
mais le dehors est engag& au public et lu; en devons rendre 
compie; ‚ainsi souvent mous, ferons justemgnt op que jusle- 
ment nous n’approuvons pas, Il n'y a remede, Ie monde est 
ainsi fait, 
2) Ib. 1, 12. 


können, fo ſchildert er ande von praltiſcher: Seite das 
weltliche und das geiſtige Leben ats "m Zwietracht mi 
einander ſtehend. Dem erſtern lann er nicht Untecht ger 
benz denn unſer Rußeres iſt unſern Nebenmenſchen und 
der ſutlichen Geſellfchaft verbunden. Daher eupfielt er 
uns auch die ‘äußern Güter zwar nicht zu lieben, aber 
fie doch zu achten and als Mittel:zu ſchatzen, deren Ber 
luſt nur im Frieden unſeter Seele and nicht Hören fol; 
ia feine Lebeneregeln näpern fich gutseilen den Kiugheits⸗ 
lehren eines Epikur 9). Aber alsdann findet er auch 
wieder das’ weltliche Leben in Streit mit dem Oewiſſen 
und mit den heiligſten Vorſchriften der Natur und em⸗ 
pfielt uns die Frrihtit unſerer ·Seelr zu dewahren, indem 
wir uns in das Heiligthum unferes Innen zuruchziehn. 
Eine gaͤnſliche Unverfoͤmichteit beider Arten des Lebens 
will er min wohl nicht behaupten; aber es iſt doch mir 
ein: mpftiſcher Hintergrund, auf welchem er ihre Verrini⸗ 
gung wie in einer Ahndung erblickt. Aufipn weift das 
Myſtiſche Hin, welches er in den Sitten und Gefegen ber 
Voͤller findet, „Ip wie die myſterioͤſe Höhe der Wahrheit, 
welche ex unferer angemaßten Wiſſenſchaft entgegenfegt. 
Auf dieſen myſtiſchen Hintergtund "bezieht ſich denn 
natürlich auch feine Hoffnung auf die höhfte Vollendung 
unferer Tugend. ° Unter ben tugenbhaften Menſchen, welde 
nur fparfam’gefät find, unterſcheidet er drei Arten. Eir 
nige find von Natur gutz durch ihre Geburt, ihr Tem 
perament, ihre erfie Erziehung werden fie in einer Teich» 
ten Weife auf den rechten Weg geführt. Mühſamer wird 


1) Ib. 111, 6, 9. 
2) Ib. II, 38, 1; 6. 


8 andern, welde eine folhe gute Natur nicht empfan⸗ 
gen haben; aber die Freiheit des Willens achtet: Charrot 
hoch genug um von ihr zu erwarten, daß fie ſelbſe das 
notürhiche Temperament überwinden Tönne; durch Philo⸗ 
ſophie follen die von Natur weniger Begünfigten zur 
Rechtſchaffenheit gelangen. Beide Arten ber Tugenbpaften 
haben jedoch noch nicht Die hoͤchſte Bolllommenheit ers 
teicht, welche dem Menſchen moͤglich if. Natur und 
Vernunft muſſen ſich vereinigen um das Beſte hervorzu⸗ 
bringen; die Tugend durch eine lange Übung geſtaͤrkt muß 
mr Rah werben, fo daß fie ohne Anfltengung des 
freien Willen fih in Thaͤtigleit fegt: erſt alsdann gelange 
der Menſch zu wahrer Weisheit). Mer mir burch 
göttlige Hülfe, meint Eharron, konnte dies: erreicht wer» 
den. Seine Äußerungen über bie Weife, wie Gott im 
Denfchen wirkt, find fretlich ſcwanlend. Zuweilen fcheint 
er anzunehmen, daß wir den natüstihen Befegen aus eiges 
tien Kräften fölgen koͤnnen und daß dies der vechte Weg fei 
uns zum Empfang: der gottlichen Gnave: vorzubereiten 9. 
Dies ſtimmt mit ‘feiner Unterſcheidimg der” beiden erfien 
Arten der tugenbhaften Menſchen; in dieſem Sinne be 
hauptet ex auch die Zreiheit des menſchlichen Willens als 
eine natürliche Babe, melde von defien Weſen nicht ges 
treunt werden koͤnne 3). Aber von der andern Seite ſin⸗ 
det er auch, daß ſchon zum Leben nad dem Naturgefege 
eine befondere Verleihung ber göttlichen Gnade gehöre *: 





N, 3, 110g 

2) Traits 2, 9. 

3) Les trois verites I, 11 p. 58. 
4) Traits 2, 9. 


Gott hat ſich die Seinigen erwählt ohne allen weitern 
Grund ). Sein verborgener Wille iß hierin wirtſam, 
den zu lennen und zur Richtſchnur unferes Lebens zu mas 
chen und. nicht obliegt; wir können ihn nur verehren 2), 
Wir werben hierdurch auf eine Gnade Gottes verwieſer, 
von welcher Eparron nicht viel geſprochen wiſſen will, 
wie er überhaupt yon Gott nur mit. Furcht redet. Doch 
nur von ihr erwartet er. bie Vollendung unferer Natur, 
zu welder das Gefeg ber Ratur nicht ausreicht 5). 

So zeichnet fi fein Slepticismus auf einem myſti⸗ 
ſchen Hintergruude ab. Wie verſtaͤndig auch die hralti⸗ 
ſchen Regeln find, welche er uns giebt, fie ſchließen doch 
die Wiſſenſchaft zwar nicht völlig aus, aber Laffen fie. in 
ihrer Strenge. als etwas überflüſſiges und unmoͤgliches 
fallen. Sie muß fi bequemen ‚den praltiſchen Meinun 
gen fih anzuſchließen, weil wir als unfähig angefehn 
werben bie geheimnißvolle Höhe der Wahrheit zu faſſen. 

ber barin unterfcpeibet ſich Charron von den Myſtilern 
F ältern und von ben Theofophen feiner Zeit, daß er 

‚ aufgiebt dieſe Tiefen der Waprpeit in irgend einem 
geheimen Wege zu erforfhen, daß er dagegen dem pral⸗ 
tiſchen Wege ſich zumendet und uns antreibt in ſittlicher 
übung den offenbaren Willen Gottes zu. unferer Richt 
ſchnur zu machen. Er weiß, daß hier Geheimniſſe liegen; 
aber nur in Verehrung, in. Furcht und Scheu gedeult er 
ihrer, uns vor Anmaßung warnend und zur Beſcheiden⸗ 
heit in unſerm Urtheil ermahnend. An bie Natur und 





4) Discours chrestiens 6 p. 50. 
2) Ib. 9 p.74; les bois ver. I, 1 p-6t. - > 
3) Traits 4, 6. . 


a8 ' 
bie. allgemeine Bernunft, welche in uns, in beſonderer 
Weiſe ipre Geſtalt erhalten hat, follen wir uns Kalten, 
der Welt, wie fie vorliegt, uns anfchließen, unferen Bers 
pälmiffen, den Sitten und Gefegen unferes Landes ges 
horſam fein, felbft wenn fie von menſchlicher Thorheit 
nicht frei wären; das übrige follen mir Gott überlaffen. 
So wendet er ohne Zögern der Richtung der neuern Zeit 
ſich zu, aber noch in ſleptiſcher Weife, weil ihm das 
Praltiſche mehr gikt als die Wiſſenſchaft, weil er unfere 
Kräfte der Größe unferer Wünfche nicht für gewachſen 
halt, Er weift uns daher zuerft darauf an uns ſelbſt zu 
erlennen; ba würden wir unfere Schwaͤche gewahr wer⸗ 
den. Wir würden da ein Doppektes, Geiſt und Körper, 
in uns erfennen; in dem Zwieſpalte biefer boppelten 
Ratur ſieht er unfer Schwanlen gegründet. Wir folten 
dem Geiſte, unferm beſſern Theil, Folge leiſten; aber 
der Geift iſt vom Fleiſche ‚abhängig; indem wir unfere 
Pflichten erfüllen, dürfen wir uns dem leiblichen Leben 
nicht entziehn, obwohl es uns zum .Wöfen verlodt. über 
dies boppelte Princip weiß uns Charron nicht zu erhe⸗ 
ben. Das. Weltliche fireitet in uns mit dem Oöttlichen; 
es iſt wohl nothwendig fo; Gott hat uns trog feiner uns 
enhlichen Güte und Macht nicht zu Göttern machen koͤn⸗ 
nen... So wie’ mın .biefer Sfepticisums es ablehnt die 
Grundfäge der Wiflenfhaft zu erforſchen und in bie 
Gründe: der Natur einzubringen, fo giebt er auch ber 
Rothwendigkeit nach uns ben Außen Gebraͤuchen zu für 
gen und ſtellt eine Unterſuchung berfelben nur zu dem 
Zwecke an das Trüglige und Unfichere in ihnen nachzu⸗ 
weiſen. Unfere Forſchung «weißt er zwar auf Natur und 


1 
weltiiches Leben an, bleibt aber an den Boten du: Bi 
fenfaft ſiehen. 


3. Franz Sanchez. 


Bei Moniaigne und Charron finden wir doch bie 
wiſſenſchaftlichen Beweggrunde bes Zweifels, welcher in 
biefer Zeit um ſich griff, mer nebenbei entwidelt;z wid 
man fie in ihrer Wurzel kennen Iernen, fo muß man fir 
bei Sande; aufſuchen. 

5 Zranz Sanchez wurde 1562 zu Bracara in Portugal 
geboren. Sein Bater war ein angefeßenen Arzt, wie 
eine Sage geht, von ſadiſcher Abſtammung; man weiß 
die Urſache nicht, welche ihn veranlaßte nad) Bordeaur 
überzufiebeln, wo fein Sohn Franz unter denſelben Cie 
flüſſen aufwuchs, unter welchen Mondaigne und Charron 
ihren Skepticismus ausgebildet hatten. Nachdem biefer 
feine erſte wiſſenſchaftliche Bildung erhalten, ging er nach 
Italien, wo er um in den Wiſſenſchaften ſich zu vervoll⸗ 
Sommnen mehrere Jahre verweilte. Schon :1586 wurde 
er Doctor und Profeſſor der Medien zu Moetitpellien 
Die bürgerlichen Unruhen aber vertrieben ihn won hier 
und einige Zeit ſcheint verfloffen zu fein, ehe er zu Tow 
louſe wieder einen feften Sig fand. Er wurde hier zw 
erh einem Krankenhauſe vorgefegt, dann Profeffor der 
Philoſophie und zuiegt auch der Mebisin. In dieſen 
Hantern lebte er als Arzt fehr geihägt und im Rufe eis 
nes frommen und vechtichaffenen Wandels bio 1632, bem 
Jahre feines Todes. Seine medieiniſchen und philoſo⸗ 
phiſchen Schriften Inmen größtenteils erft nach feinem 


Tode heraug 2), Doch war sine. Tepiige Hauptigrift 
ſchon fehper erſchienen du. -. : 

Samer Hatte von Jugend an mit ber Unterſuchung 
der Natur ſich befpäftigt; er hatte ihr fehr im Einzelnen 
feinga Fleih geiwidmek und wamenilih Die Anatomie bes 
wenſchlichen Körpers genau ſtudirt. Auch die gelchrten 
bulfsmitel für dieſe Unterfuchungen waren ihm genau 
belannt. Sein Aau verpflichtete ipm bie Schriften bes 
Ariſtoteles augzulegen 9). Aber er. fand, daß die Ratur- 
ſorſchung feiner, Zeit auf falſchem Wege fei und daß ber 
ſonders das Anſehn des Ariſtoteles ihr Schaden thue. 
Da bricht der Unmuth feiner Seele ſich Bahn und feine 
freimũthige und ſcharfe Zunge hält leinen der Bormärfe 
mräd, welche einem blinden Büprer der Blinden gemacht 
erden Können ). Nicht ohne Spott über fi ſelbſt ver 
ſpottet er die Ausleger des Ariſtoteles. Das gelchrte 
Treiben feiner Zeit befriedigt ihm mit. Die gelehrte 





1) Franc, Sanchez opera media: His juncti sunt traciatus 
güidem philosophici non insuhtiles. . Tolosse Tert. 1636. 4. 
3% citire feine philoſophiſchen Schriften, Fr. Sauchez traetatus phi- 

Norophici. Roterod. 1649. 12 

2) Sie fuhrt den Titel quod mihil zeitur und foll ſchon 1581 
Mu Lyen arſchienen fein. Mies Aft jedoch unwohrſtheinlich; er wor 
damals erſt 49 Jahre alt, In ihrer gegmpwärtigen Gefalt tenigfens 
Äf fie keine Jugendſchrift. Im feinen Schriften werden Werte er— 
wahnt, welche philoſophiſche Unterfuhungen zu verſprechen fiheinen, 
ſo din tracjatus de anima (de longit. et brev. vitae 7 p.353) und 
examen rerum gegm dm Bracaforius in. 8 p.357; 110g); 
fie ſcheinen verioren zu fein. 

3) In ihr. Arist, physiogn, gomm. p. 206, 

4) Vergl. quod nihil scitur praef. p. 8 sg; P. 48 sg. Ubi- 
Me Yagus, confusus, inconstans. De Ipng. et hrer. vitse 1. 


Erziehung gewöhnt: an Vorurtheile; fait‘ an die Natur 
ſich zu Halten um die Natur zu erfennen, Hält man ſich 
an Büder-). Die Schwierigkeiten verhehlt man; wer 
feinen Zweifel: befennt, wirb verfpottetz aus Selbſtſucht 
wollen. die Unwiſſenden gelehrt erſcheinen. Er moͤchte lie⸗ 
ber ſchweigen und einer ruhigen Betrachtung fi} ergeben; 
aber fein Amt zwingt ihn zu reden. Die unfinnigen Hy- 
pothefen, welche man mit Selbſtwertrauen vorbringt, lann 
er nicht mit Geduld anhören 2). Er ſchildert fich ſelbſt, 
wie feine gelehrten Forſchungen ihn miß Elel erfüllen, 
wie ex feine Geſundheit über fie verloren hat, ohne welche 
doch fein Werk gelingt, ohne welche auch Fein geſundes 
Denten möglich ift, wie er zornig feine Bücher zur Seite 
wirft, feine Studirſtube Richt, aller doch fich ſelbſt nicht 
entfliefen kann 9, Darum giebt er fein Forſchen nicht 
aufz bie Sorge- um: fein Wiffen quält ihn; aber durch 
den Zweifel hindurch muß die Wiſſenſchaft gewonnen 
werben. Es iſt ſchon ein Fortſchritt zu wiflen, daß man 
nicht weiß. Seinen Zweifel trägt er nun offen zur Schau, 
Allen feinen Schriften, .auch.denen, welche ſehr poſitive 
Lehren, feine Erfahrungen in der Medicin, Unterfuchungen 
über die Erfheinungen der Natur und Verſuche fie zu 
erllaͤren uns vorlegen, fügt er zum Schluſſe fein Was? 
hinzu. Eine Erlenntniß der Natur zu finden hat er 
darum nicht aufgegeben. Es iſt nun einmal ber menfhr 
lichen Natur gemäß die Wahrheit zu ſuchen; auch er 


1) Quod nih. so. p. 144 qq. 

2) De divinatione per somnam p. 183 sqg. Gegen bm Car 
danus. = 

3) Quod nih. sc. p.69. 


wo 

lann diefem Triebe nicht widerſtehn; aber er will fie in 
menſchlicher Weiſe ſuchen, der menſchlichen und feiner ei- 
genen Schwachheit eingedenk. Er hält fie zuerſt fih vor 
und vergleicht fie mit der unendlichen Aufgabe der Wifr 
fenfhaft. Darin beſteht fein Slepticismus 2), Er bes 
trachtet ihn nur als die erſte Stufe in der Erkenntniß 
der Wahrheit und iſt auch weit bavon entfernt zu ber 
haupten, daß wir auf ihr flehen bleiben müßten; vielmehr 
verfpricht er in feiner fleptifchen Abhandlung Bücher der 
Natur 2), in welchen er unftreitig die Ergebniffe feiner For⸗ 
ſchungen auseinanderfegen wollte, und eine andere Schrift, 
welche die rechte Methode des Forſchens lehren follte). 
Diefe Schriften find nicht erſchienen; aber auch feine vor⸗ 
handenen Schriften deuten an, was fie enthalten follten. 
Sein Zweifel fol nur zum Selbſtdenken ermahnen ). 

Ehe wir feine ffeptifgen Betrachtungen in das Auge 
faffen, müffen wir noch einen Punkt erwähnen, auf 
welchen biefelben fi öfters beziehen. Wenn Sande 
au als Mediciner bie Natur zu erforfchen fucht, if er 
doch nicht der Meinung, daß es nichts Höheres als bie 
Natur gebe. Er iſt vielmehr davon überzeugt, daß bie 
Grundfäge ber Mediein in der Philoſophie beruhn ) und 
daß die Naturwiſſenſchaft auf den Zuſammenhang aller 
Wiſſenſchaften uns hinweiſt. Was if dies für ein thoͤ⸗ 





1) Ib. praef; p: 5° 2qq. 

2) Ib. p. 39. 

3) Ib. p. 182. 

4) Ein von ihm Ofters wiederholter Spruch ift: quae docentur, 
non-plus habent virism, quam ab eo, qui docetur, accipiunt. 

5) Ib. praef. p. 11. 


riger Streit um bie Grenzen der verſchiedenen Lehrfaͤcher. 
Die Wiſſenſchaft iſt feine Sage des Gedaͤchtniſſes, welche 
nur verſchiedene Kreife der eingeſammelten Kenntuiſſe zu 
femmenzubringen ober nebeneingnberzufteflen hätte). Die 
Baprpeit, welche wir ſuchen, iſt nur eine; bie Grund 
füge der Wiſſenſchaft erſtreden fih über alles; nur weil 
wir alles zu umfaſſen uns unfähig finden, zerpflücen wir 
bie Wiſſenſchaften und zerfieuen das, mas zufammenge 
hört. Daraus entiprings jedoch nur unfere Unwiſſenheit. 
Unfere menſchlichen Wiſſenſchaften find Brußftäde; unfee 
Weispeit iſt Thorheit bei Gott 2). Durch dieſen Zufam 
menhang aller Wahrheiten wird Sanchez auf Gott als 
den allgemeinen Grund aller Wahrheit geführt. Um 
etwas recht zu erkennen, müßte man es geſchaffen haben; 
daher fann nur Gott, der Schöpfer afler Dinge, alles 
recht erlennen; zum Schaffen Gottes gehoͤrt fein Exfen 
nen ). Der Zweifel, welchen Sande hegt, ſtübt ſich 
auch darauf, daß die @rundfäge der Wiſſenſchaften, die 
Begriffserflärungen, von welchen aller, Beweis ausgeht, 
nicht bewieſen werben Können, daß wir ipnen vielmehr 
glauben möffen 9; dem Glauben aber fügt Sanchez die 


1) Ib. p. 38 1qq.; 4. 

2) Ib. p.54 qq. Cum omnia quisqae amplecti. non possel, 
bin aibi partem hano elegit, ille aliam discerpsif.. Hinc nihil 
scitar. Ib. p. 60 sq.; p. 65. Una solum scientia est, aut esset, 
si haberi posset in natura rerum, non plures, qua omnes res 
perfecte cognoscerentur, quando una sipp alüs omnibus perfecte 
cognosei non potest. 

3) Ib. 103. Neo enim perfecte cognoscere patent. quis, quae 
non ereavit. Neo deus creare potuisset nec oreata regere, quae 
non perfecte praecognovisset. Ib. p. 134. 

4) Ib p. 34; 53. f \ 


E71] 


Hoffnung und die Liebe zu, wenn er feinen Geiſ gegen 
die Furcht vor dem Nichts waffnen will 7). Genug wir 
ſchen, daß er eine Waprpeit annimmt, ihr glaubt, auf 
fie Hofft, welche weit über die einzelnen Dinge ber Ratur 
fih erhebt. In feiner Schrift über Länge und Kürze des 
kebens, welche unter feinen philoſophiſchen Schriften am 
weißen dogmatiſch gehalten iſt, erflärt er ſich auf das 
entſchiedenſte dafür, daß wir alles Natürliche auf eine 
Icpte übernatürlihe Urfache zurücführen müffen, auf einen 
durchaus unabhängigen Willen Gottes, welcher durch 
fein Raturgefeg gebunden if, fondern der Natur, feiner 
Maägd, ihre Ordnung vorfcpreibt. Möchte man ihn des⸗ 
wegen einen Unwiſſenden, einen gemeinen Handwerker 
nennen, er bleibt bei feiner Behauptung. Freilich kann 
ein jeder unwiſſende Menſch fagen, daß Gott die Urſache 
fet, aber auch der gelehrte Naturforfcher iR zuletzt dazu 
genötpigt. Ariſtoteles giebt mit Recht die Vorſchrift, daß 
wir nicht in das Unendliche zurüdgehn follen; ber heid⸗ 
niſche Philoſoph nimmt nur die Natur als die letzte 
Urſache an; die chriſtliche Ppilofophie, zu welcher Sanchez 
ih belennt, führt die Natur auf Gottes Willen zurück. 
Du fagft, das iſt bie Zuflucht des Unwiſſenden; allerdings; 
aber nicht minder des Philofophen; ber letztere unterfcheis 
det fi von dem erfien nur barin, daß er weiß, warum 
er zu biefem Meere des Unendlichen, aus welchem alles 
fließt, auch in der Aufſuchung der Urſachen zuletzt feine 
Zufucht nimmt, und daß er nicht in einem Sprunge zur 
Iepten Urſache fich flüchtet, fondern nur wie durch Stufen 





1)Ib. p AU. 
Geſch. d. Philoſ. X. 16 


22 


durch bie mittlern Urſachen zu ihr emporfteigt ). Mir 
finden alſo bei ihm dieſelbe Denkweife, wie bei ben mei- 
Ren feiner philoſophirenden Zeitgenoſſen und namentlich 
"bei den vorher betrachteten franzoͤſiſchen Sleptitern, mel: 
chen er in vielen Punkten fi anſchließt, er hält die Ra 
tur ſehr hoch und wendet ihr feine Forſchung zu; aber im 
Hintergrunbe feiner Verehrung für fie Tiegt ihm der Gr 
‚banfe an das Übernatürlthe). Nur will er beide, Ra- 
tur und Übernatürliches, weber in ber Sache noch in ber 
Wiffenfhaft von einander geſchieden wiſſen; durch bas 
Natürlicpe follen wir zu Gott emporfeigen, fo wie das 
Natürliche von Gott ausgegangen if. Diefer Steptiris: 
muß der Franzoſen des 16. Jahrhunderts if doch weder 
fo bodenlos noch fo ungläubig,. wie man zuweilen ge 
meint hat. 
Wenn nun auch Sande; nad Weife der Shepiite 
nicht felten in feinen Unterſuchungen abfpringt, fo beob- 


1) De long. et brev. vitae 10. Ignarus aeque ac philosophus 
deum causam omnium assignabit. Hoc ignarus inscienter, phi- 
losophus scienter assignabi. — — Praeterea philosophus non 
uno icta et saltu ad deum confugit, sed per naturales cansas, 
anquam per gradus ad eum tandem ascendet. — — Haec 
dicemus nos Christiani philosophi Ethnicus autem, cui de deo 
ita sentire cordi men sedet, respondebit, quia ita a natura 
praescriptum est. Utro autem horum modoram dicas, nil in- 
terest. Semper enim ad primam causam, quaecumqgue illa sit, 
fagis eamque ignorantise tue asylum eflicis, quemadmodun 
et ego. 

2) L. 1. Qui ergo in quaestionibus omnibus causas solum 
maturales et secundas assignant et quaerunt, neo ultra progredi 
volunt, stulti sunt et eo magis, quia id faciunt, ne ignari v0- 
eentur, si ad primam causam supranaturalemqug confugiant, 


x 


adtet er doch im Baden feiner Gedanken eine verſtaͤndige 
Drbmung. Er lobt überhaupt in allen Dingen ben Ver⸗ 
Rand und bie Vernunft. Zwar bemerkt er wohl auch, 
wie Montaigne und Charron, dag mande Tiere fi 
vernünftiger zeigten, als viele Menfchen 1; aber darum 
will er doch den Vorzug der menſchlichen Vernunft vor 
den Thieren nicht leugnen ). Nur die Ariſtoteliſche Lo⸗ 
gil iſt ihm nicht die wahre Kichterin über die Vernunft. 
&r wirft ihr die fingirten Begriffe vor, mit welchen fie 
fih beſchaͤftige; er empfielt uns ſtatt biefer Beſchaͤftigung 
mit Worten vielmehr an bie Sachen zu gehend). Die 
Schwächen der Demonftration find ihm nicht entgangen, 
daß fie auf unbewiefenen Begriffserflärungen und Grund» 
fägen beruhe, im Cirkel ſich herumdrehe, mit BWorterflä- 
rungen ſich fpeife*). Er kann ſich nicht davon Überzeugen, 
daß eine folde von einem nothwendigen Befege gebun- 
dene Verfahrungsweife die wahre Wiſſenſchaft gewähren 
follte, welche vielmehr nur in einem freien Geiſte wohnen 
und nur durch eine freie Auffaffung ber Gegenflände ge 
wonnen werben Könnte 5); er bemerkt auch, daß unfere 
Erlenntniß nicht fo methodiſch und ſyſtematiſch zu Stande 
lomme, wie Arifioteles annehme, ©). Aber dennoch bringt 
er fehe ſtark auf eine richtige Methode in unfern Wiſſen⸗ 





1) Quod nih. so. p. 69. 

2) Ib. p. 129. 

3) Ib. p. 30 2qq. 

4) Ib. p. 14 2q,; 20; 28. . 

5) Ib. p.34. Vera scientia, si quae esset, libera esset et a 
libera mente, quas si ex se non percipiat rem ipsam, nullis 
coacla demonstrationibus percipiet. . 

6) Ib. p. 67. 

16* 


a 


ſchaften; er weiß, daß in Lehren michls von größerer 
Wigptigfeit iR, als ſie; fle zu erforſchen und zu gebrauchen 
Hält er für eben fo nothwenbig als fhwer ?). Er vor 
wirft alfo nur bie falſche Metpode, welche im Gebrauch 
iſt. Was er an biefer tadelt Läuft wefentlich auf bad 
felbe hinaus, was ſchon die Philologen zu ihrer Reform 
der Logit geführt Hatte. Wir follen und weniger an bie 
Worte ald an die Sachen halten, der Natur folgen und 
in unmittelbarer Erfenntniß uns bes Wahren zu bemeis 
ſtern ſuchen 9. 

Aber eben dies findet er ſchwer, bie Natur der Sa⸗ 
Gen zu erforſchen. Der Dinge find gar zu viele und 
nur an das Allgemeine berfelben fih zu halten, bad 
ſcheint ihm unerlaubt. Denn den meiften unter den Phi⸗ 
Tologen ſchließt er fi auch im Streite gegen den Realis⸗ 
mus an. Er bezweifelt wohb fogar die Beſtaͤndigkeit der 
Arten in der Natur 9), laͤßt aber ohne % Zweifel feine 
andere Dinge ‚zu ald Individuen und befämpft wie Ni: 
zolius beſonders die falſche Abſtraction, welche ein AU- 
gemeines mit Ausſchluß des Beſondern annimmt. Daher 
ſcheint ihm jede allgemeine Regel unſtatthaft, welche Auss 
nahmen zulaͤßt ). Eben hierauf beruht der Unterſchied 

4) Ib. p. 151. Nihil enim untum in docendo momentım 
habet, quantum methodus, — — quaque uti scire non minus 
laboriosum ingenioque plenum est, quam utile, neo minus ra- 
rum, quam necessarium. 

2) Ib. p. 14; 16 2q.; 27, 160. 

3) Ib. p. 90. 

4) Ib. p. 67 sqq. Respondebis unam hirundinem non fa- 
cere vor, neo unum particulare destruere universale. Ego 
contra contendo universale falsum omnino esse, nisi omnis, 
quae sub eo conlinentur, ita ut sunt, et oompleciatur et affirmel. 


feiner Denrlart von ber Lehre der Philologen. Diefe 
glaubten mit dem Verſtaͤndniß der Sprache abzufommen ' 
und waren damit zufrieden den Sinn ber gewöhnlichen 
Meinung zu treffen; der gefunde Menfchenverhand, wie 
er feine Worte zu allgemeiner Berfländigung ausprägt 
und einer wahrſcheinlichen Meinung ihren Lauf läßt, 
ſchien ihnen zu genügen. Ähnlich dachten auch noch Mon⸗ 
taigne und Charron, wenn fie an ben gefunden, natür⸗ 
lichen Meuſchenverſtand und zu halten den Rath gaben, 
Dadurch laͤßt ſich Sanchez nicht befriedigen. Die Schule, 
lehrt ex, wie fie im Schwange iſt, will uns Erllaͤrungen 
der Sachen geben, aber das find alles oder faſt alles nur 
Worte. Ein jedes Wort wird wieder Durch ein anderes Wort 
erflärt, zuiegt kommt man auf ben allgemeinften Begriff 
des Seienden, welchen man nicht weiter erllaͤren Tann, 
fo daß mit dem Unerflärbaren der Schluß gemacht wird, 
Überdies wird Pi den Erklärungen ein jedes Wort durch 
mehrere Wörter erklärt, wärend das Wort dod nur eine 
Sache ausbrüden fol. Die eine Sache follte doch wohl 
nur durch einen Gedanlen ausgedrüdt werben, Alle 
Worte aber find aus der Meinung bes Volkes genom- 
men und die Meinung bes Volles if trügeriſch. Ver⸗ 
ſchiedene Schriftfieller gebrauchen basfelbe Wort in vers 
fQiedenem Sinn. Auf diefem Wege wird man zu feiner 
Erfenntnig der Wahrheit gelangen. Er giebt nur eine 
lange Reife von Worten ab, über welche man fireiten 
lann 2), * Man wird nicht verfennen, daß feine Zweifel in 


1) Ib. p. 14 sqq.; 18. In vulgo autem an aliqua certitudo 
& stabilitas? Nequieguam. Quomodo ergo in verbis quies 


"6 

diefer Richtung den Schritt in ber neuern Entwicklung 
der Wiffenfcpaften beginnen, durch welchen han von den 
Meinungen des gefunden Menſchenverſtandes zur gelehr⸗ 
ten Erforſchung ber Natur ſich hinwendete. “ 

Um nım an die Sache fich zu halten, mit welcher a 
beſchaͤftigt tft, feägt er, was bie Wiſſenſchaft fei. Spot 
tend ſagt er, die Natur wolle er bei Seite fegen und au 
die Definition des Ariftoteles fi Halten. Er findet fie 
dunkler als die Sache ſelbſt 2). Seine kritiſchen Bemer⸗ 
kungen über fie find nicht ohne Werth; fie. heben beden⸗ 
tende Fragen hervor. Er fieht eine Schwierigkeit darin, 
daß durch die Verbindung mehrerer Bebanfen eine Wiſſen⸗ 
Schaft erworben werden fol, Wie laſſen ſich mehrere mit 
tinander verbinden, da doc immer nur ein Gedanke der 
Seele gegenwärtig fein Tann ) Zwar feine die Häw 
fung der Erfenntniffe in unferem Gedaͤchtniß uns die Mög 
Tipfeit einer Berbindung mehrerer Gebanfen anſchaulich 
zu machen. Aber das Gedaͤchtniß würde doch nur ein 
Häufung der Erfenntniffe darbieten können, wenn ber 
einzelne Gebächtnißeindrudt eine Erlenntniß fein folk. 
Daß aber die Wiſſenſchaft ein Gedaͤchtnißwerk wäre, ge 
ſteht ſelbſt Arioteles nicht zu, wie es denn Sand 
nicht weniger befireitet, indem ex auch die Platoniſche 
Erklaͤrung unferer Ertenntniß durch bie -Wiedererinnerung 


unguam erit? Jam non est, quo fugias. Dices forsan quae- 
rendum esse, qua significatione, qui primum imposuit, usıs 
fuerit. Quaere ignitur; non invenies. Dieß iſt offenbar gegm die 
Meinung des Rijolius gerichtet. Ib. p. 20; 25. 

1) Ib. p.19 qq. 

2) Ib. pedöngg ' 


247 


als eine lecre Traͤumerei verwirft ). ine Verbindung 
der Gedcuken zur Wiſſenſchaft würde erſt gu Stande lom⸗ 
men koͤnnen, wenn es einzelne Erfenntniffe, ein Willen 
im Befondern,. gäbe. Aber was if. das Willen im Ber 
ſondern ? Es ergeben ſich hier dieſelben Schwierigkeiten, 
welche die Erklaͤrung der Wiſſenſchaft treffen. Das bes 
fondere Wiffen fol die Erkenntniß der Urfachen fein, 
Als wenn es nicht ein Wiſſen im Befonbern gäbe, Führt 
nicht. auch die Erleuntniß der Urſachen eines jeben ein 
sinn Dinges in das Unenblihe? Um ſolchen Schwie⸗ 
rigleiten zu entgehn meint man, das. Wiffen hätte nicht 
mit dem Einzelnen, fondern nur mit dem Allgemeinen zu 
thun; aber das Allgemeine ohne das Einzelne iſt nur 
eine leere Erfindung des Geiſtes. Dber man nimmt zur 
Erlenntniß Gottes al6 der lehten Urfahe feine Zuflucht, 
"Rößt aber auch dabei nur auf das Unerkennbare 2). Ger 
nug dieſe Erfkärungen der Wiſſenſchaft und des Wiffens 
bieten nur Schwierigkeiten dar, welche fig nicht loͤſen 
laſſen. 

Die Kritil der Ariſtoteliſchen Erklaͤrung bildet nur bie 
Cinleitung zu feiner eigenen Erklärung, welde er wieder 
der Kritik unterwirft. Er will feine Erflärung geben, 
damit er nicht allein etwas zu wiſſen feine. Seine Er⸗ 
Märung heine ihm wahr; andern würde fie vielleicht 
anders erſcheinen. Sie lautet, die Wiſſenſchaft fei bie 
volllommene Erlenntniß der Sache ). Hierauf flügt er 
feine Zweifel. Die Erklaͤrung iſt eine Worterklaͤrung; 

1) Ib. p.40 sgq. 


2) 1b. p.a gg. 
3) Ib. p.51. Scientia est rei perfecha cognitio, 





218 


fie fegt drei andere Worte voraus, bie Sache, die Er⸗ 
tenntniß und das Volllommene. Jedes dieſer Worte ver 
langt eine weitere Erflärung. Hierdurch find drei Tpeile 
feiner Unterſuchung angegeben, welche er im weitern Ver⸗ 
laufe feiner fleptifhen Betrachtungen im Weſenilichen 
ime Hält. 

Bei Betrachtung der Sache drängt ſich ihm fogleih 
die Frage auf, ob die Sage, der Gegenſtand der Willen 
ſchaft, unendlich fei oder endlich. Er überlegt dieſe Frage 
in verfepiebenen Beziehungen. Es kommt babei die Uns 
endlichkeit der Welt in iprer räumlichen Ausbehnung in 
Betrachtung; ſoll fie bejaht ober verneint werben? Au 
die Möglichkeit einer Bielpeit der Welten wirb berührt 
und die unendliche Tpeilbarteif der Dinge erwähnt. Nicht 
weniger-ift dabei die Frage nad ber unendlichen Dauer 
oder nad dem Anfange und dem Ende der Welt, nah 
der Einerleipeit der Materie oder der unendlichen Ber- 
ſchiedenheit derfelben. Daran ſchließt ſich auch die Frage 


nach der unendlichen Reihe der Urfachen an ober ob wir 


eine Tegte Urfache, einen Gott, anzunehmen haben, deſſen 
Gedanfe unfere Forſchung abſchließen, aber aud wieder 
auf das Unendliche uns verweiſen wäre. Sanchez ge 
lebt ung ein, daß er "geneigt fei die Unendlichkeit ber 
Gegenftände anzunehmen, obgleich ex fie nicht geſehn Habe; 
aber er behauptet fie au nur als eine Muthmaßung 
Die Philofophen Iehrten die unendliche Dauer der Welt 
und nach menſchlicher Vernunft möchte man wohl biefer 
Meinung beiftimmen; aber der Glaube. behaupte den Ans 
fang der Welt und das Ende berfelben nach ihrer gegen 
wärtigen Weiſe zu fein; darüber fönne man nur burh 


Offenbarung etwas wiffen; doch will er fi auch biefen 
Glauben nicht nehmen laſſen D. Wenn nun aber der 
Gegenſtand der Erkenntniß unendlich fein follte, möge ex 
in Gott ober in ber Welt geſucht werden, würben wir 
dann micht geſtehn mäflen, daß wir ihm nicht erkennen 
könnten? Der Zufammenhang der Dinge, über welchen 
Sanchez weitläuftiger ſich ausbreitet, indem er die Sym⸗ 
pathie und Antipathie der Dinge behauptet, die Ver⸗ 
wandtſchaft ber Wiſſenſchaften und ihr gegenfeitiges In⸗ 
einandereingreifen nicht aufgeben will, führt ihn zu dem 
Gage, daß nichts erfannt werben könne, wenn nicht 
alles extannt ſei ?). Aber alles zu erfennen verſtattet ung 
die Beſchraͤnltheit unferes Sinnes nicht und doch geht, 
wie unſere Philoſophen lehren, alles Erkennen vom Siun 
65). Die Beraͤnderlichleit der Oegenſtaͤnde bietet für 
Sanchez einen andern Zweifelsgrund dar, Mau wird 
die Trage nicht umgehn können, ob nicht auch die Acci⸗ 
denzen ber Gegenſtaͤnde erfannt werben müßten, wenn es 
folhe Accidenzen giebt, Sie find aber wanbelbar und 
bieten feinen beflänbigen Haltpunft für das Denfen dar. 
Daher haben viele die Accidenzen nur für Erſcheinung 
und Täufgung gehalten und doch greift ihre Erlenntniß 
tief in unfere Beurteilung ber Dinge ein). Die Acci⸗ 
denzen ſchreibt man den Judividuen zu; aber indem fie 
auf die Individuen übergehn, ſcheinen fie die Individuen 
ſelbſt aufzuheben; fie fügen ihnen etwas zu, fo daß fie 





4) Ib. 9.57; Sigg. 
2) Ib. p. 60 sqq. 

3) Ib. p. 80 sq. 

4) Ib. 9.56; 85 29. 


nicht biefelben Individuen bleiben; daher darf aud ber 
Zweifel an der Identitaͤt der Individuen nicht ohne Weis 
teres verworfen werben ). Man ſucht ſich gegen biefen 
Zweifel dadurch zu ſchühen, daß man die Identitaͤt des 
Individuums in der bleibenden Form ſucht; aber das 
Individuum beſteht nicht allein in der Form; ich bin 
diefer Menſch nicht allein, weil ich Seele bin, ſondern 
zu meiner Perſon gehört auch der Leib, welcher beftändig 
werhfelt. Überdies aber wäre hier die Frage nach ber 
Beſtaͤndigkeit der Zormen-und nad ber Einführung ber 
- Eorm in die Materie zu erheben, welche fo viele Unter⸗ 
ſuchungen der Philoſophen veranlaßt hat und niemals 
gelöf werden wird 2). Aber wenn man au bie Iden⸗ 
tität der Individuen zugeben wollte, fo find doch bie 
Individuen unerfennbar für bie Wiſſenſchaft, wie man 
einzugeftehn pflegt, weil fie- von unendlicher Zahl und 
von unendlicher Verſchiedenheit find, Man will daher 
die Wiſſenſchaft allein auf das Allgemeine richten, wel⸗ 
ches doch ohne die Individuen nichts und eine bloße 
diction iſt . 

In die Unterſuchung über die Gegenſtaͤnde des Erlen⸗ 
nens miſcht ſich die zweite Frage nach dem Erkennen na⸗ 
turlich ein, weil beide zu einander wechſelſeitig gehören. 
Auch find das Erkennen und fein Subject, die Seele, 
ih) B. p.88, Tania quippe est identitatis indivisibilitas, ut 
si punetum solum vel addas vel detraxeris a re quapiam, jam 
„non omnino eadem sit; accidentia vero de individui ratione 
sunt, quae cum perpetuo varientur, subinde et individuum 
variari contingit, B 

2) Ib. p. 89. 
3) Ib. p. 67 29g- 


ſelbſt Gegenſtaͤnde des Erkennens und gehören zu ben 

ſchwierigſten Gegenſtaͤnden unferer Unterfuhung 3. Die 
Seele aber koͤnnen wir von unferm Körper nicht trennen; 
beide bilden den ganzen Menſchen. Zum gefunden Er⸗ 
lennen wird daher auch die Geſundheit des Körpers wie 
der Seele verlangt, nicht allein bie Gefundheit des Ge⸗ 
hirns, weiches mit dem. übrigen Leibe zufammenpängt. 
Benn auch bie Seele die Haupturſache, das Princip bes 
Lebens, und der Leib nur ihr Werkzeug iR, fo haben 
doch beide nur in ihrer Verbindung mit einander ihr Les 
md, Die Frage über bie Möglichkeit einer Verbin⸗ 
dung des Leibes und ber Seele Hebt Sanchez nicht befon- 
ders hervor, vielleicht weil feine Anfihten hie und da 
an Materialismus fireifen; dagegen befcpäftigt ihn in Bes 
ziehung auf das Erkennen der Gegenſatz zwiſchen Sinn⸗ 
lichteit und Verſtand. Zuweilen Mingen feine Säge fehr 
ſenſualiſtiſch. Alles Erkennen geht von den Sinnen aus; 
die Vergleichung der Seele mit einer unbefchriebenen Tas 
fel ſcheint nicht unpaſſend; was über die Sinne hinaus⸗ 
geht, if nur verworrene Muthmaßung, nichts Sicheres; 
das Geiſtige der Dinge, das Einfache, Himmliſche kön⸗ 
wen wir nicht erkennen 5). Aber dieſe Säge dienen ihm 
nur dazu feine Zweifel zu begründen; denn darüber ift 
er nicht in Zweifel, daß alle unfere finnlihe Erkenntniß 
die Wahrheit der Dinge nicht ergreifen könne. Sie faßt 
aur das Außere ayf und bleibt an den Bildern ber Dinge 





1) Ib. p. 103 29. 


2) Ib. p.70; 130; 139 4q,; Akyniogn 0 gr de lung. 
brer, vit, 5; 9. 


3) Quod nih. sc. p.80; 99; 101; 128. 
. 


S 22 
hangen. Der Sinn erlennt nichts; er nimme nur auf. 
Sollten auch die Eigenfcpaften der Dinge richtig von ihn 
unterfhieden werben, fo würden wir doch alle Dinge 
durch ihn nicht wiſſen, fondern nur lennen, wie ber 
. Bauer. feinen Efel lennt 1). Auf ein foldes Kennen will 

nun Gandez unfere Fähigkeit zu erlennen doch nicht bes 
fepränft wiſſen. Daher behauptet er, es möchten wohl 
nur die Anfänge unferes' Erlennens vom Sinne ausgehn, 
und es beunruhigt ihn nur, daß unfere ſinnlichen Wahr⸗ 
nehmungen uns täufchen und nur beſchraͤnkte Fingerzeige 
uns geben, alfo nur ungenägende Anfnäpfungspunfte für 
das Erkennen barbieten möchten. Der ’leidenben daͤhig 
leit unferer Seele finnliche Eindrücke aufzufafien ſteht eine 
Unfäpigfeit derfelben Art zur Seite ). Bon ihr wird 
eine active Fäpigfeit zu erfennen unterſchieden, welche nur 
dem Menſchen zukommt, den Thieren fehlt, die Vernunft 
oder ber Berfland. Ihr kommt bie Erfindung der Wil 
fenfhaften und Künſte zu ). Sie wird ihm beglaubigt, 
wenn er auf fein Inneres biidt, Zur Erkenntniß der 
Wahrheit gehört es unfreitig, nicht allein das Aufere 
zu kennen, ſondern auch das Innere zu durchſchauen ). 
Die Wiſſenſchaft if ein inneres Schauen‘). Cine unmil 

4) Ib. p.99; 106; 126; de long. et brev. vit. 5. p. 346. 

2) Quod nih. sc. p.99. Mens a sensu acoepta considerat. 

. Si bio deceptus fuit, illa quoque; sin minus, quid assequitur? 

Imagines rerum tantum respicit, quas oculus admisit. Ib. 
p-128 sq. Est haec passiva potentia tentum, cui opponitur 
passiva alia impotentia, qua quis pluribus vel paucis, his vel 
iliis omnino ineptus est. 

3) Ih. praef. p. 8; p. 105 sq.; p. 129. 

4) Ib. p. 105 59.5 p. 111. 

5) Ib. p.35. Scientia autem nihil aliud est, quam interna vitio. 


telbare Erleuntniß muß der mittelbaren zum Grunde lie⸗ 
gen; die Werke des Berflandes, welche in und find, ers 
lennen wir nicht durch äußere Bilder, fondern fie offene 
baren ſich unferm Verſtande unmittelbar durch fich ſelbſt; 
was recht erfannt werden fol, muß ber Exrfennende uns 
mittelbar in fi exfennen . Daher will Sanchez, daß 
wir weiter nicht fragen follen, was Erlennen ſei; durch 
Worte desfelben Bedeutung können wir wohl darüber 
etwas fagen, aber innerlich wird es in uns erfahren, dann 
werben wir es willen). So wie Montaigee und Char⸗ 
ron auf die Selbſterlenntniß und zunächſt verwielen hat 
ten, und in aͤhnlicher Weile, wie Enmpanella das Erlenne 
dich ſelbſt ums zurief, will auch Sanchez bie Selbſu⸗ 
erkenntniß zum Ausgangspunlte unſeres Erkennens machen. 
Sie iſt die gewiſſeſte Erkenntniß, an welcher wir nicht 
zweifeln Können. Aber er beſchraͤnkt auch dieſe Erlenntniß 
auf die Gewißheit der Erſcheinungen, welche in uns ſind; 
fie beglaubige uns das Daſein, in welchem wir fo chen 
find, viel fiherer, als das Daſein der Kußenwelt uns 
beglaubigt werden lann; was aber biefe Erfcheinungen 
bedeuten, barüber gebe fie feine Wusfunft 9. Daher 


1) Ib. p. 107. Quae autem ab intellectu ipso omnino fiunt 
quorumgue ille pater est et quae intns in nobis sunt, non per 
alian species, sed per so ipsa se produnt et aslendunt intel- 
lectui. Ib. p. 112. Non per alind cognosci debet, quod per- 
fecte cognosci debet, sed per ipsum ab ipsomet oognoscente 
immediate. - 


2) Ib. p. 105. 
3) Ib. p.109 sq. Certus quidem sum, me nunc haee, quae 
seribo, cogitare ‚' velle scribere eto., — — sed cum considerare 


nitor, quid sit haeo cogilatio, hoc velle ete., — — sane defeit 


d 
2 


findet er zwar in der Erlenntniß unferes Innern einen 
figern Haltpunkt für unfer Forſchen, aber ex überlegt auf, 
daß vieles in und fi findet, was non und nicht gewußt 
wird; vieles kommt nur ald unverfiandenes Bild oder 
als Sache des Gedächtniſſes in uns vor; wir nehmen 
auch Falſches in uns auf ohne es für das zu erkennen, 
was es iR 1); daher fann nur eine ſehr vage Vorſtellung 
von uns ſelbſt uns zugefchriehben werden. Sanchez erin⸗ 
nert uns baran, daß bie Borftellung, welche wir: von 
unferer Seele haben, in das Unbeſtimmte fi ausbehnt. 
Hierin Haben die finnkichen Bilder, welde wir von den 
äußern Dingen haben, einen Borzug vor unferer Et⸗ 
kenntniß von uns felbftz jene zeigen beftimmte Umriſſe; 
wenn wir aber das Geiftige ober Überfinnliche zu beufen 
ſtreben, fo fepweift unfer Gedanle in’das Unbeftimmte 
aus; ed wird von uns in beffimmten Vorſtellungen ger 
dacht, aber wir meinen, es Tune noch mehr ſolcher Bor- 
ſtellungen faſſen, und es ſcheint ung daher als unendlich 
und unbegreiffich; zu einem Wiſſen beöfelben gelangen 
wir nicht N. So mögen wir wohl unzerer Bernunft ver 
trauen; aber welcher Vernunft vertrauen wir alsbann? 


cogitatio ete. — — Certitudine vincitur cognitio, quag de es- 
ternis per sgnsus habetur, ab ea, quae de internis, quae aut 
in nobis sunt, aut a nobis fiunt, trahitur. 

1) Ib. p.39; p. 105. 

2) Ib. p. 108 sqg. Sic speciem fingo terminatam quidem, 
sed cujus neutra extremitas terminata et perfecta est, sed quasi 
defectuosa, cum hao notione, quod non terminata sit neo ter- 
minabilis, quia ei in aeternum addi possunt partes infinitae ex 
utroque extremo. , 


AM - 


So viele verſchiedene Menſchen es giebt, fo viele Arten 
der Bernunft ſcheint es zu geben H. 

Do erſt bei dem dritten Punkte in der Erklärung 
der Wiſſenſchaft erwachen die Zweifel des Sanchez in ih⸗ 
zer vollen Stärke. Die Wiſſenſchaft fol die volllommne 
Erlenntniß der Sache fein. Hier treten beide zuvor bes 
trachteten Punkte zuſammen und fleigern fi zum hödhften 
Grabe. Zum Erkennen gehört Proportion des Erkannten 
und des Erkennenden. Wie würden wir nun aber eine 
folge Proportion für und in Anfpruc nehmen können, 
wenn bie zu erfennende Sache das Größte, das Unendliche 
der Philoſophen oder unfer Bott fein follte? "Das Un- 
endliche entflieht unfern Gedanken, weil wir ihm nicht 
gleichen. Eben ſo ergiebt es fi, wenn wir das Kleinfe 
erfennen wollen. Größtes und Kleinſtes können wir nicht 
fafen. Dürfen wir fie aber deswegen in unferer Wiſſen⸗ 
ſchaft übergehn, als wenn fie nicht vorhanden wären? 
Die volltommne Erkenntniß würde einen volllomumen Ers 
fennenden und eine volllommne Sache vorausfegen. In 
der Natur aber if keins von beiben zu finden®). In 
ihr iſt nur Vergaͤngliches, welches in beſtaͤndigem Wan⸗ 
del begriffen unſerer Erkenntniß ſich nicht ſtellen will, und 
wir ſelbſt gehoͤren der veraͤnderlichen Natur an und ſind 
in unferm Erkennen an ihre Mittel gewieſen. Daraus 
ergiebt ſich Feine beſtaͤndige Wiffenfchaft, viel weniger eine 
volltommne Wiſſenſchaft. Um eine ſolche zu haben müßten 
mir volllommen fein. Wenn es daher nur bewiefen wer 


1) Ib. p. 79. 
2) Ib. p-842q.; 180 sg. Perfecta eognilio perfectum reqnirit 
cognoscentem debiteque dispostam rem cognoscendam. 


ben könnte, daß wir etwas wüßten, fo wärben wir beim 
Zufammenhange aller Dinge eingeflehn mäflen, daß wir 
alles wüßten und baf alles in und wäre, weil wir alles 
nur in ung wiflen können. Aber dieo find leere Einbil⸗ 
dungen. Die Lehre, daß der Menſch die Meine Welt fei, 
wäürbe eine nothwenbige Folgerung aus der Annahme fein, 
daß wir eine volllommne Erlenntniß hätten, Aber bürfen 
wir biefe Folgerung zugeben, dürfen wir annehmen, daß 
im Menſchen der Eſel und ber Löwe fei? Cine ſolche 
Annahme läßt uns im Menſchen nur eine Ehimäre er⸗ 
bliden 2. Die vollfonmene Thaͤtigleit des Erlennens 
möüffen wir daher dem Weſen vorbehalten, weldes opne 
Mittel alles hervorbringt und die Wahrheit alles Seins 
in ſich trägt. Gott allein, welcher alles ſchafft, lann auf 
alles wiſſen ). Gott lebt das wahre Leben der Ruhe, 
ja er iſt das Leben, wir aber haben nur. einen Schatten 
des Lebens 5). 

Mon fieht, welches Hohe Ideal der Wiſſenſchaft San- 
chez im Sinn hat. Über die Geringfügigfeit der menfg- 
lichen Einſicht ſcheint es ihm weit hinaus zu gehen uud 
daher findet er ſich zum Zweifel: gebrungen. Sein Slep⸗ 
ticismus iſt in einem aͤhnlichen Sinn gefaßt, in welchem 
zu Anfang unferes Zeitabſchnitts Nicolaus Cuſanus die 
gelehrte Unwiſſenheit gepriefen hatte. Selbſt einige Säge 
laſſen die Verwandiſchaft beider Lehten erlennen. Nur 

1) Ib. p.382q. Atque 0 utinam probarent, nos aliguid 
scire; tuno enim concederemus illis conseguentiam „ seilicel, 
nihil sciri potest, quin sit in nobis, omnia sciantar, ergo 
omnia sunt in nobis. Nuno autem major dubia est, falsa minor. 

2) Ib, p. 103; 132 oqq. 

3) De long. et brer. vit. 3 p. 334. 





BT 


hatte Sanchez nicht die hohe Meinung: vom menſchlichen 
Verſtande, welche der Eufaner hegte. Bom Milrolosmus 
im Menſchen will er nichts wiſſen. Nach dem hohen 
Fluge der Platoniler, welche die neuete Philoſophie be⸗ 
gannen, hatten die wiſſenſchaftlichen Veſtrebungen ſich 
bedeutend herabgeſenlt. Uns fehlt, ſagt Sauchez, das Feuer 
des Geiſtes, welches in volllommner Erlenntniß ber Sache 
allen Zweifeln des wiſſenſchafttichen Nachdenlens aufzu⸗ 
ſproſſen verbieten könnte y. In Gehelm ‚müßte: uns ein 
neuer Geiſt zuwachſen, wenn wir volllommen erlennen 
ſollten; es iſt dies vieleicht möglich; aber ich habe es 
noch nicht erlebt. Darum will num Sanchtz die Moͤglich⸗ 
keit des Wiffens nicht beſtreiten; aber die Wirklichteit des; 
felsen. ann er nicht zugeben. Möglichteit oder Unmoglich⸗ 
feit zu bemeifen if nicht feine Sache; er ſpricht von der 
Erfaprung 9. Daher giebt er num auch nicht gänzlich 
auf eine Erfenntniß zu gewinnen, nur nicht eine volls 
fommne. Sie fol fiher und leicht ſich entwicleln; denn 
die verwidelten Tpigfindfgen Unterfuchungen haßt er; fie 
find weniger Unterfugungen als Betrug und -Pralereiz 
fie ziehen von den Sachen ab, welchen wir unfern Geiſt 
zuwenden follen I. 

Werfen wir nun noch einen Blick auf die Wiſſenſchaft, 
welche, und auf bie Methode, in welder er fie begrün- 
ben möchte. Auf die Medicin, auf die Erforſchung der 
Natur Hat er fein Auge geworfen. Gegen bie bisherigen 





1) Quod nih. sc. p. 99. 

2) Ib. 101 29. 

3) Ib. p. 181 sg. Mihi namque in animo est firmam et fa- 
üilem, quantum possim, scientiam fundare etc. : 

Geſch. d. Philoſ. x. 17 


Mängel dieſer Lehren iſt er nicht blind. Mit verbarges 
men Dünlitäten ber Dinge mag er ſich nicht abſpeiſen 
laffen. Die Behauptung derfelben iſt nur ein Belerntniß 
der Unwiſſenheit 7. Eben fo wenig mag er von den 
Eiaflüſſen der. Dämonen auf unfer Leben Hören Bir 
haben unfern Dämon in uns, unfern Geiß, guten und 
böfen; was ſuchen wir ihn außer uns 2)7 Aber auch 
die Grienutnig ber ſinnlichen Eigenſchaften der Dinge, 
welche nur Acciderzen find, genügt ihm nicht 5). Er 
möchte die innere Natur ber Dinge erforſchen. Bas er nun 
darüber exforſcha zu haben glaubt, befonders in Bejie⸗ 
hung auf unfer menſchliches Lehen, bas erinnert uns freis 
lich nur an die Meinungen feiner Zeit und erhebt ih 
über diefelben in nichts Wefentlihem. Als Beſtandtheile 
der Welt nimmt er Warmes und Feuchtes anz beide find 
auch in uns; eine eingeborne Wärme und Genchtigfeit 
find Grundbeftandtpeile unferes Leibes; jene giebt die 
Berm, diebe die. Materie desfelben ab. Um unſer leib⸗ 
liches Leben, über welches bie Seele die Herrſchaft führt, 
va naͤhren follen beide in einer beſtimuten Proportion 
‚erhalten werben *),. Man wird darüber Täceln ‚Einen, 
daß er biefe Theorie doch mit großer Zuverſicht der alten 
Elementenlehre enigegenfegt I; man wird aber darin, 
daß er nicht weiter zu kommen, nichts Befleres anzugeben 
weiß, den Hauptgrund feiner Zweifel erkennen, Über 





1) Ib. p.176; de divin. p. 243. 
2) De divin. p. 206 sqg. 

3) Quod nih. sc. p. 175. 

4) De long. et brer. vit. 11 2qq. 
5) Ib. 12 p.366. 


- 


viele anbere Naturforſcher feiner Zeit erhebt: er ſich nur 
dadurch, daß er feine Hppothefen nur mit Zweifel ber 
trachtet und auf eine genauere Methode in der Erfor⸗ 
fung der Dinge dringt. Der Philoſoph unterſcheidet 
fi feiner Meinung nad vom Unwiffenden nur dadurch, 
daß er feine Unwiſſenheit kennt und in ben Mittelurfa 
Gen, welche er nachweiſen Tann, nur etwas Borläufiges 
fieht; denn alles füprt er auf Bott zuräd, aber nicht uns 
wistelbar, fondern Hält ſich dadurch nicht für entbunden 
die mittfern Urfachen aufzuſuchen, weil ex weiß, daß Gott 
ohne diefelben in natürlichen Wege nichts vollbringt D. 
Benn nun aber Sandpez in der Erforſchung der Mittel- 
urſachen als Naturforſcher fein Geſchaͤft ſucht, fo iR ſchon 
ftüher bemerkt worden, daß er ben Methoden ber Ariſto⸗ 
teliſchen Schule, dem Beweife, der Definition, der Divi⸗ 
fon und was bahin weiter einfchlägt, fein Bertrauen 
entzogen hat. Er ſucht eine andere Methode, welche fih 
weniger an Worte, mehr an Sachen und die Erſcheinun⸗ 
gen der Natur Hält. Am zweierlei verweiſt er uns in 
diefes Methode, an ben Verſuch ober die Beobachtung 
und an dag Urteil der Vernunft, welches bie beobach⸗ 
teten Erfcpeinungen auelegt und zur Erlenntniß ber Dinge 
gebraucht. Weide Mittel find fehmierig und baher hatte 
Sanchez im Sinn genauer ihre Berfaprungsweife zu uns 
terſuchen. Wir fehen wohl, daß er damit beabfichtigte 
die Wege zu erforſchen, welche bie neuere Naturwiffen- 
ſchaft eingeſchlagen hat. Doc laͤßt er dadurch ſich nicht 
abhalten auch dieſe Methoden mit ſeinen Zweifeln zu be⸗ 





1) Ib. 11 p.360 ⸗q.3 12 p. 363. 
17* 


gleiten. Der Verſuch kann uns doch nur das Aufere 
der Dinge zeigen; das Urtheil, welches an ipn fh ans 
fließt, trifft alsbann auch nur das Äußere ober, wenn 
es darüber hinausgehen wollte, würbe es nur eine Con⸗ 
jectur darbieten D. 

Wir fehen, der Naturwiſſenſchaft zugewandt in ber 
Richtung, welche die neuere Zeit genommen hatte, ent 
wirft er ſich nach dem methodiichen Geifte, welcher in 
ihm Tebt, im voraus den Plan für fein Verfahren; aber 
er Tann fi dabei doch nicht enthalten auf bie Beſtrebun⸗ 
gen der frühern Ppilofophie zurädzufehn, welche ein viel 
höheres Ziel im Auge gehabt Hatten. Mit ihm, welches 
die Erfenntniß Gottes und der ganzen Welt umfafen 
ſollte, vergleicht er nun fein eignes Vorhaben und Tann 
ſich nicht verhehlen, daß es dem Ideal der Wiſſenſchaft 
weder dem Inhalte noch dem Verfahren nach entſpricht. 
Noch nicht ganz hat Sanchez die theoſophiſche Phyſik ver- 


1) De divin. p. 226. Observatio, discursus et ingenium, co- 
gitatio. Ib. p.294. Ratio cum experimento. Quod nih. seit 
p. 165 sq. Duo sunt inveniendae veritatis media miseris huma- 
nis, quando quidem res per se scire non possunt, quas si in- 
telligere, ut deberent, possent, nullo alio indigerent medio, sed 
cum hoc nequeant, adjumenta ignorantiae snae adinveners, 
quibus praeterea nihil magis sciunt, perfecte saltem, sed ali- 
quid pereipiunt discuntque. Ea vero sunt experimentum judi- 
ciumque, quoram neutrum sine alio stare potest, —- — Expe- 
rimentum fallax ubique diffeileque est, quod etai perfecte ha- 
beatur, solum quid extrinsece fiat ostendit, naturas autem re- 
rum nullo modo. Judieium super ea,-quae experimento com- 
peria sunt, fit, quod proinde et de externie solum utounque 
fieri potest et id adhuc male, naturas autem reram ex conjec- 
tura tantum, quas quia ab experimento non habuit, nec ipsum 
adipiscitur, sed quandogue contrarium aestimat. 


4 


geffen, welche das Innere aller Dinge durchſchauen, alles 
mit allem im Zufammenhang erfennen und bie Quelle 
aller Dinge in Gott erſchauen wollte; aber nur um einen 
wehmütpigen Abfchied von ihr zu nehmen wendet er 
ihr feine Gedanfen zu; er findet, daß ihr Unternehmen 
zu groß für die menfchliche Kraft ift und bequemt fih nun 
gu einer nüchternen Forſchung auf dem Wege der Erfah⸗ 
rung, Zwei Zeitalter ſcheiden ſich in ihm, das eine vol 
von jugendlicher Kühnpelt, das andere im Bewußtſein 
geſcheiterter Hoffnungen, mit beſcheidener Schägung feis 
ner Kräfte, fogar etwas gebehmüthigt, nicht ohne allen 
Muth zu neuen Unterſuchungen, aber doch voll von Zwei⸗ 
fein und gering von ber menſchlichen Kraft denfend. 
Nicht nad unferm Zwede mißt Sanchez unfere Kräfte, 
fondern nach unfern Kräften ſtect er ſich feine Aufgabe, 
Auch bei ihm ſtellt ſich daher ein Dunlismus heraus, in 
welchem er die erfennende Seele mit ihrem Gegenſtande 
vergleicht, und in jener den fichern Ausgangspunkt für 
unfer wiflenfchaftliches Denten fieht, biefen aber weit 
über die Faſſungslkraft unferer Seele findet. Hierauf ber 
rupt überhaupt die Denfweife diefer Franzoöſiſchen Step 
iiler. Bon den überfhwänglichen Hoffnungen der frühern 
Zeiten waren fie hergelommen, fie konnten biefelben aber 
nicht mit unfern Kräften in Einflang finden. Da wands 
ten fie ſich den naͤchſten Aufgaben unferes praftifchen Les 
bens und unferer wiſſenſchaftlichen Unterfuchung zu. 


° Dies war nun im Allgemeinen der Gang ber philos 
ſophiſchen Unterfuchungen im erflen Abfepnitte der neuern 


32 


Zeit gewefen. In einer gewaltſamen Aufregung ber Gei· 
fer, von verſchiedenen Seiten in Bewegung gefeht und 
daher mit einem: nicht veraͤchtlichen Reichthum von Bes 
danken ausgeflattet, war man zulegt zu dem Ergebniß 
gelommen, daß man fi zu befchränten habe, feine An- 
ſprũche mäßigen mäffe, daß es gerathen ſei zunaͤchſt nur 
nad einem ſichern Ausgangopunlte und einer fihern Me⸗ 
thode für die Unterfuchung ſich umzuſehn. Wir werden 
finden, daß der folgende Abſchnitt unferer Geſchichte von 
eben diefen beiden Punkten ausging. Die gegen einander 
anfämpfenden Bewegungen ber Wiſſenſchaft, welche wir 
durchlaufen haben, hatten die alte Rehrweife der Schola⸗ 
ſtiler fo gut wie befeitigt, an ihre Stelle andere Lehrwei⸗ 
fen des Alterthums, andere neu erfonnene Syſteme zu 
fegen verſucht, weil aber feine diefer Lehrweiſen vom er⸗ 
ſten leidenſchaftlichen Eifer des Kampfes frei war, Hatte 
auch feine zur Herrſchaft ſich erheben koͤnnen; fie mußten 
nun zu einer Verftänbigung unter einander ſchreiten und 
zu einer Unterfuchung der biöperigen Ergebniffe und bes 
biöherigen Verfahrens auffordern. Da konnte man fih 
nicht verhehlen, daß man doch bis jet glädliher in der 
Erfgütterung ber alten Schule, als im Aufbau einer 
nenen Wiſſenſchaft geweſen war, Es war ein Gefül ber 
Beſchaͤmung, doch nicht der Entmuthigung, was die ſlep⸗ 
tiſchen Gedanlen der Franzoͤſiſchen Philoſophen ausſpra⸗ 
gen. Den Ariſtoteles hatte man zum Überbruß geleſen, 
an den Blumen der Rhetorik Hatte man fih überfättigt, 
mit einer wůſten Gelchrfamfeit aus dem Alterthum ſich 
erfült, dem Platoniſchen Ideal der Wiflenfhaft, den 
Scpwärmereien der Theoſophie allzu lange nachgeſonnen; 


aud die Streitigkeiten der theologiſchen Schulen wollten 
feine Befriebigung gewähren; fie hatten nur ben verhee⸗ 
renden Bürgerkrieg, die Berrüttung des Staato, ber 
Kirche, der Sitten, die Berläugnung der Menſchlichteit 
zur Folge gehabt. Da wurde man bie Zerriffenheit ber 
bisperigen Bildung gewahr; man bemerkte, bag man 
zur zu häufig mit leeren Worten fh gefpeift Hatte, gab 
aber die Hoffnung nicht auf alkmälig weiter zu kommen, 
wenn man nur fi entſchließen koͤnnte an eine firenge 
Methode im Denken und an bie Natur ber Sachen fih 
zu halten. Sollte dies gud nicht ſogleich zu glänzenden 
Erfolgen führen und das Innere der Dinge eröffnen, fo 
würde es doch genügen eine Erlenntniß zu gewähren, 
welche für unfer praftifches Leben, für unfere Lage und 
Bedürfniſſe das Roͤthige leiſtete und zu der Faſſungskraft 
des Menſchen im richtigen Berhältniß fände, 

Man if geneigt geweſen biefen exften Zeiten ber 
neuern Ppilofophie nur das negative Berbienft zu Teipen 
die ſcholaſtiſche Lehre mit Erfolg befritten zu haben, um 
dagegen alle pofitiog Berbienfbe ben folgenden Zeiten vor⸗ 
qubehalten. Es iſt dies der gewöhnliche Irrthum bever, 
welche nur um den Abſchluß der Ergebniffe, nicht um bie 
Geſchichte des Geiſtes fih fümmern, in welher- fie ſich 
gegeitigt haben. Nicht alle Zeiten haben den Geiſt, wel⸗ 
her in das Verſtaͤndniß früherer geiftiger Entwicklungen 
einzubringen weiß. Nur buch pofitive Beftrebungen lie⸗ 
Ben die eingewurgelten Boruripeile ber Scholaſtik fi ber 
feitigen, eine bloß verneinende Kritit würde das nicht 
vermocht haben. Was die berühmteften Philofophen ber 
newern Zeit gelehrt haben, if großentheils nur bas ab⸗ 


gellaͤrte und ausführlich entwickelte Ergebniß ber voran⸗ 
gegangenen Bewegungen geweſen, und nur als ſolches 
wird man ed in feiner geſchichtlichen Bedeutung begreifen 
Können. - An Reife: ber Überlegung it die folgende Zeit 
dem betrachteten Abſchnitte überlegen; nicht aber fo an 
Fülle der Gedanken, an urfprünglicher Kraft, welde im 
Kampf mit feindlichen Gewalten fi bewähren ſollte. 
Die:folgende Zeit kam daqzu ſich felbft zu beicpränfen; man 
wird es nicht wunderbar finden, daß bie ihr vorausge⸗ 
hende Leprweife, ehe fie zu ſolchen Beſchraͤnkungen lam, 
einen groͤßern Reichthum der Gebanfen zu umfaffen firebte. 
Bir haben in unfern neueflen Kämpfen die Schwächen 
und Beſchraͤultheiten der neuern Philofophie Tennen ges 
lernt und dabei manden Gedanlen wieder erneuern ges 
lernt, welcher in ber Entwidlungsperiobe der neuern 
Zeit ſchon fehr Iebendig ſich geregt hatte, 

Was aber in diefer Periode tm Algemeinen mit Recht 
vermißt wird, iſt das ruhige, methodiſche Fortſchreiten. 
Muthmaßungen, Phantaflen, theofophifhe Schwärmereien 
machen fi Hreitz bie Logik wird nit felten verfpottet; 
dem geregelten Berfahren ber Scholaſtik fegt man häufig 
nur abfpringende wigige Einfälle entgegen; es find oft nur 
Vorahndungen fünftiges Beweiſe, welche ung hier begeg⸗ 
nen. Es gehört ſchon ein tieferer Blick dazu um in den 
umberfhweifenden Gedanlenwindungen biefer Zeit bie Bes 
weggrünbe zu entdecken. 

Dennod wird man fie nicht verfennen, wenn man 
nur einigermaßen Ausgangspunkte und Enbpunfte biefer 
Zeit zufammenzurechnen weiß. "Stellen wir eben einan⸗ 
der die Gedanken des Nicolaus Eufanus, mit welchen 


wir begonmen, und bie Gedanlen das Sanchez, mit wel 
Gen wir geichloffen haben, fo werden wir ihre Berwandts 
ſchaft nicht überfepen können. Sie dringen beide darauf, 
daß zum Willen die Erfenntniß des ganzen Weltzuſammen⸗ 
hangs, das innerlihe Durchſchauen ber Dinge in einem 
Dt, der alles anf feinen legten Grund zurädführe, ges 
hören wärbe; fie gweifeln beide, ob ein ſolcher Blick in 
voller Algemeinpeit uns verſtattet fein möchte, nur if 
der Zweifel bei Sanchez viel ſtaͤrker ausgedrückt, als beim 
Eufaner. Wärend ber letztere und wenigftens eine Annähes 
rung an das Ideal der Wiſſenſchaft in einem unendlichen 
Streben geflattet und eine myftijche Ergänzung unferer pers 
ſoͤnlichen Unfähigkeit dur den Glauben und die Gnade 
Gottes und hoffen läßt, erblickt ber erſtere uns nur in weites 
ſter Gerne von unferm Ziel und verſchmaͤht jedes unwiſſen⸗ 
ſchaftliche Hülfsmittel, um uns nur auf bie natürlichen Mit⸗ 
tel anzuweiſen, durch welche wir eine menfchliche Wiffenfchaft 
von der Ratur in der Arbeit des Verſuchs und des Ur⸗ 
theils über ihn wenigſtens vermuthungsweiſe gewinnen - 
könnten. Die Anfiht vom Ziele if diefelbe geblieben; 
aber das Bertrauen auf menſchliche Kräfte und menſchliche 
Mittel Hat ſich geſchwaͤcht und daraus hat ſich ergeben, 
daß wir und befcpränfen und mit unfern Mitteln haus⸗ 
halten möfjen. Auf. biefen Erfolg hatte bie ganze Ent 
widlung der zwiſchen dem Eufaner und Sanchez liegen⸗ 
den Zeit hingearbeitet. Er beruht wefentli darauf, dag 
die religiöfen, fittlihen und wiſſenſchaftlichen Borberungen 
der Bernunft mehr und mehr an die natürlichen Bebin- 
gungen, unter welchen wir in ber Welt ſtehen, heran» 
gezogen wurben. Inter Berüdfihtigung berfelben mußte 


man lernen, daß der denfende Geiſt, wie gern er bie Bande 
der Natur ſprengen moͤchte, doch in Gehorſam besfelhen 
fich fügen müffe, ſelbſt wenn er fie zu Aberwinden lernen 
follte. Die Naturanſicht der Dinge machte fi auch in 
Beziehung auf ben Menſchen geltend. Man bemerkte vie 
taufend Fäden, welche und an das irdiſche Leben heran⸗ 
ziehn; in einem religiöfen Fluge uns über basfelbe zu 
erheben, konnte man nit ohne Weiteres geſtatten; wir 
gehören der Welt anz ihr Wert muſſen wir betreiben 
yelfenz daß wir ihr alleiniger Zwech, nicht auch als Mit 
tel ihr dienſtbar fein follten, glaubte man nicht mehr bes 
haupten zu Können. 

Diefer Zug den Menſchen und feine Wiſſenſchaft an 
die Natur heranzuziehen geht durch diefen ganzen Abſchnitt 
unferer Geſchichte hindurch; ihm hat nichts wiberfichen 
koͤnnen. Auch bie Philologie und die Theologit dieſer 
Beiten, welche neben ber Naturforfchung den größten 
Einfluß behaupteten, haben ſich ihm anſchließen mifen, 

Was die Tpeologie betrifft, fo mußte die katholiſche 
Partei zugeftehn, daß alles, was dem weltlichen Leben 
fich anfcpließt, feine eigenen Gefege habe; fie mußte bem 
leiblichen Leben und allem, was ihm bient, alfo auch der 

. Naturforfchung, feinen Lauf laſſen; fie konnte nicht ver 
meiden, daß von der Betrachtung diefer Dinge aus Grund 
fäge aufgeftelt wurden, welche mit den Lehren der Theo⸗ 
Ingie in Widerſpruch ſtanden, wenn man fih nur dazu 
bequemte einzugeſtehn, baf über bie weltliche Forſchung 
hinaus ein höheres Gebiet bes geiſtigen Lebens liege und 
daß zu deffen hoͤhern Zwedten die Geſetze der Ratur durch⸗ 
brochen werden Tönnten, ein Eingeſtaͤndniß, welches nit 


zu ſchwer Halten fonnte, wenn man im Bewußtſein uns 
feres beſchraͤnlten Erlennens weniger auf ben allgemeinen 
Zufammenhang aller Dinge als auf die Forſchung im 
Einzelnen fein Augenmerk gerichtet hatte, Die proteſtan⸗ 
tiſche Theologie, viel weniger als bie latholiſche bemüht 
das Weltliche Lehen in Unterwürfigfeit unter der geiſtigen 
Gewalt zu erhalten, konnte, dem Zuge nad allgemeiner 
Bildung, nach der Erfenntniß der Welt und ber Natur 
nit widerſtehn; ihre eigenen Kräfte hatte fie aus biefem 
Zuge verſtaͤrtt; wir fehen fie daher ſelbſt bie Phyſik pfle⸗ 
gen und in den natarlichen Trieben, in ben eingebornen 
Begriffen der Vernunft eine Stüge für die Religion fu 
den. Es gehen daraus bie Anfichten hervor, welche wir 
bei Tausellus gefunden haben, daß bie Philoſophie der 
Grund der Theologie fei, daß fie Gottes Macht und 
Eigenfchaften, wie fie in der Natur fih zeigen, aber nicht 
feinen Rathſchluß über die Menſchen erfunde, daß bie 
Natur, ein far allemal von Gott geſchaffen und georbnet 
feiner Leitung durch die Vorſehung bebürfe, fondern ihr 
ten unwandelbaren Gefegen folge, wärend nur ber ſchwache 
Menſch die Beipülfe Gottes in Anſpruch zu nehmen habe 
und nur durch fie ferner Befimmung zum ewigen Heil 
thellpaftig werben könne. Durch allen Einfluß, melden 
bie Theologie gegenwärtig noch ausübte, ließ fih nur fo 
viel behaupten, daß außer bem Gebiete des natürlichen 
Lebens, welchem man feine Selbſiſtaͤndigleit und fein ei⸗ 
genes Geſetz zugeftehn mußte, noch ein höheres geiftliches 
Leben und Sein anzuertennen fein, ein Dualismus zweier 
von einander abgefonberter und durch nichts höheres ver- 
bundener @eblete, welder mod geraume Zeit in der 


meuern Denlweiſe fih behauptete. Bon biefen Bahnen 
Ienfte nun freilich die vollothümliche Richtung der Theo: 
logie bei den Proteftanten ab, aber nur um eine theofos 
phiſche Anficht zu begünſtigen, welche die Religion mit 
einem Naturproceß zu verwechſeln in Gefahr war und 
ohne Zweifel das fittlihe Leben in das Gebiet des Na 
türlichen zog und den natürlichen Gegenfägen unterwarf. 

In dem Einfluffe, welchen die Philologie auf ben 
allgemeinen Gang der Wiflenfchaften ausübte, Tann man 
zwei Richtungen unterſcheiden, eine vorherfchend reale und 
eine vorherſchend formale. Die letztere, überwiegend bei 
den Lateinifchen Philologen, beſtritt bie alte Logik und 
Metappyfi um an deren Stelle eine Anſicht der Dinge 
zu fegen, welche dem gefunden Menfchenverfande, ber 
natürlichen oder gewöhnlichen Denk» und Rebeweife fh 
anſchließen folte. In ber Übung des Redens und des 
Schreibens, in welder bie Alten uns die beften Muſter 
barböten, hoffte fie eine einfache Logik auszubilden, welde 
uns fähig made über alles zu urtheilen. Aber diefe Lo: 
git erſchien ihr doch nur als ein Werkzeug zur Erkennt 
niß der Sachen, in welcher wir uns an bie Erfahrung 
zu halten und durch Induction vom Befondern zum Als 
gemeinen aufzuſteigen ‚hätten. Hierüber. gerieth fie, wie 
wir an Nizolius fehen, in bie Gefahr in Materialismus 
zu verfallen, weil fie durch die Erfahrung an das Sinnliche 
ſich gewiefen ſah. Es iſt offenbar genug, wie biefe Rich⸗ 
tung der Philologie an die Schranken unferes Verſtaͤnd⸗ 
niffes und gemahnen mußte, ja den Sleptieismus begün⸗ 
Rigte, indem fie von der ſchwanlenden Grundlage der ges 
wöhnlichen Denke und Rebeweife ausgehend, ber Rhetoril 


fih zuwendend nur Wahrſcheinlichleit in unfern wiſſen⸗ 
ſchaftlichen Unterſuchungen uns verſprechen konnte. Vom 
Skepticismus trennte fie nur der Glaube an die Weisheit 
der Sprade und an die Vorkreffliäfeit der Schulbildung 
in ben philologiſchen Übungen, wärend eben jene Weis⸗ 
heit und dieſe Schulbildung praftifgen Menſchen und 
Naturforſchern ſehr ungenügend zu fein ſchienen. Einen 
hoͤhern Schwung nahm bie reale Richtung ber Philologie, 
welche in ihrem allgemeinen wiſſenſchaftlichen Einflug den 
Platon und den Arifisteles zu Muftern fih genommen 
hatte. So lange bie Liebe zur Platonifchen Philoſophie 
in ihr vorherrſchte, begünftigte fie unfreitig eine For⸗ 
hung, welche bie Höcften Aufgaben der Wiſſenſchaft 
nicht zu ſchwer fand. Wir haben gefehn, wie Ficinus 
die mittlere Stelle, welche die unfterbliche Seele des Men⸗ 
ſchen inne Hat, wie Pico die Würde des Menſchen über 
alles prieß. Der Gedanle an unfere Verwandiſchaft mit 
der ganzen Welt, welche mit uns in allen ihren Theilen 
das Leben gemein haben follte, ja an unfere Verwandt⸗ 
ſchaft mit Gott fehlen zu den kühnſten Hoffnungen für 
unfere Wiſſenſchaft zu erheben. Aber wie alle Überliefes 
rang aus früherer Zeit die Farbe der Gegenwart ans 
nimmt, fo war au der Platonismus der neuern Zeit 
nicht bei den metaphyfiihen Fragen feſtzuhalten. Erkennt⸗ 
niß der Welt, der Natur und Macht über die Natur 
ſollte er gewaͤhren; nur unter dieſer Bedingung konnte 
man ſich ihm ergeben. Da geſellte ſich die Theoſophie 
m ben geheimen überlieferungen der Platoniſchen und 
der Vorplatoniſchen Schule. Der Ariſtoteliſchen Phyſik 
ſchien man nur dadurch gewachfen zu fein, - dag man 


0 


Üe eine tiefere, die Geheimniſſe der Natur eröffnende 
Phyſil zur Seite ſtellte. Wer jedoch mit ber Natur fih 
einläßt, der bereite ih vor die Macht ihrer Rüdwirkung 
zu empfinden. Gar bald mußten ba bie ſchwaͤrmeriſchen 
Hoffnungen fhwinden, in unmittelbarer Auſchauung ober 
in einer geheimen Überlieferung den Schlüffel zum Innern 
der Natur zu finden. Wir find zwar verwandt mit Bott, 
aber feine unmittelbare Erleuchtung können wir nicht er⸗ 
tragen; wir find verwandt mit den natürlichen Dingen, 
eine fympatpetifche Liebe verbindet uns mit ihnen; aber 
wir haben auch den Haß zu überwinden, welcher bie Dinge 
und und untereinander entzweit. In biefen Betrachtungen 
entging man ber Berzweiflung an aller menſchlichen Wiſſen⸗ 
ſchaft nur dadurch, daß man die Arbeit des Verſuchs über 
nahnm, welche und einen Blid in die Geheimniſſe der Natur 
vermitteln koͤnnte. Wir fehen nun bie Platoniter allmälig 
mehr von bes metaphyfiichen Forſchung eblommen und zu 
phyfiſchen Unterfuggungen fi) bequemen. In einer ähnlichen 
Bewegung finden wir auf) bie reale Richtung ber Philo⸗ 
logen, welche der Wiederherſtellung ber echten peripatetis 
ſchen Lehre ſich befliß. In ihr bildete ſich immer flärter 
die Anſicht aus, daß der Menfd- in feiner Philoſophie 
nur die Natur erforſchen folle, fo wie er in feinem Le⸗ 
ben an die Bebingungen der Natur gebunden ſei. Schon 
Yomponatius drang mit Nachdruck auf bie. Abhängigkeit 
bes Menſchen von’ feinem Leibe, durch welchen ex mit 
ber übrigen Welt im Zufammenhang ſtehe. Nicht min 
der behaupteten diefelbe Caͤſalpiaus, Zabqrella, Eremonis 
mus, indem fie nur noch hinzufügten, daß alle weltliche 
Dinge ihr geiſtiges Leben nur in Verbindung mit bem 


A. 


ri 


Woteriellen haben tinnten. Zulegt fam man fogar zu 
der Meinung, daß auch Bott in philoſophiſchem Wege nur 
in Verbindung mit der Welt und der ewigen Bewegung 
der Materie ſich beufen laſſe, daß ihn aber als ewigen 
Iwed und zeine Intelligenz zu denken nur ber Tpeologie 
etoımme, Go Hatte ſich aus den zwiefpältigen Meinuns 
gen der Zeit eine dualiſtiſche Auſicht herausgebildet, welche 
in verſchicdenen Lehrweiſen ſich zu erfennen gab. Um den 
Hader zwiſchen Philoſophie und Theologie zu entgehu 
trennte man beide von einander, ohne eine höhere Eins 
hei. füu beide. zu ſuchen; in ber philoſophiſchen Lehre 
nopm man wieder ein Doppeltes an, Geiſt und Körper, 
Gates und. Böfes, Liebe und Haß, deren Verbindung 
unter einanber als Problem vorlag. Go wie am Ende 
unſeres Zeitraums bie Lehre bes Campanella biefen Dua⸗ 
liomus offen in dogmatiſcher Weiſe ausſprach, fo lag er 
den Zweifela ber Franzoͤſiſchen Philoſophen zum Grunde 
wand ſelbſt in der Tpeofoppie Bohme's und Helumons 
fand er nach verſchicdenen Seiten zu feine Bertretung. 

Dualiſtiſche Lehren find gu verſchiedenen Zeiten aufs 
getreten; ber. befondere Charalter berfelben hängt von 
der verfihiebenen Miſchung ihrer Beſtandtheile ab. In 
diefer liegen auch die Keime zu ber fpätern Entwicklung, 
welche aus dem Dualismus hervorgehen muß, weil 
bie Wiſſenſchaft Einpeit ihres Princixs zu ſuchen hat. 
Wir dürfen es: nicht unterlaſſen bie beſondern Lehren in 
das ‚Ange zu faffen, melde in biefem newern Dualismus 
fi begegueten. Wir wollen hierbei zuerſt das Berhäkt- 
niß betrachten, in welches bie verſchiebdenen Zweige der 
Wiſſenſchaft ſich zueinander felten, 


Bon dieſer Seite zieht kein charakteriftifcher Zug der 
Zeit unfern Blid flärker auf fih als bie Abfonberung 
der Ppilofoppie von der Theologie, Bon ber Scholafif, 
welche alles Wiſſen auf die Theologie bezogen und bie 
weltliche Erlenntuiß vernachlaͤſſigt hatte, war man immer 
mehr abgefommen. Man hatte aber auch noch nit anf 
gegeben für die menſchliche Vernunft eine endliche Ber 
friedigung zu ſuchen und da die Philofophie fie nicht zu 
gewähren ſchien, vertraute man noch den Verheißungen 
der Theologie. Diefe Trennung zweier Lehren, bie in ih⸗ 
sen Ausgangs und Enbpunften auseinandergehen folten, 
Hat fi doch nur allmälig vollzogen. Unſtreitig hatten 
bie erfien Bewegungen der.neuern Philoſophie, wie Ri⸗ 
colaus Eufanus und die Platonifche Schule fie einleiteten, 
noch nicht das Beſtreben Theologie und weltliche Wiſſen⸗ 
ſchaſt von einander abzufondern. Nur das war in ihnen 
ausgefprochen, daß die rechte Tpeologie nur durch bie 
Extenntniß der Welt hindurchgehn koͤnne. Auch die Theo⸗ 
foppie, welche aus ihnen hervorging, ſuchte Philoſophie 
und Theologie in Vereinigung zu erhalten. Aber dieſe 
Vereinigung beider unterſchied ſich weſentlich von der, 
welche die Scholaſtiler im Sinn getragen hatten. Die 
Erforſchung des innern Lebens und der Natur trat an 
die Stelle der Unterſuchungen, welche abſtracte Begrift 
au beſtimmen ſuchten ober an Ueberlieferungen der heili⸗ 
gen Schrift und der Kirche ſich anſchloſſen. Dabei laſſen 
fich freilich noch fehr bedeutende Schwankungen bemerken. 
In den Gebanfen eines. Paracelfus, eines Jacob Böhme, 
welche noch fpäter große Nachwirlungen gehabt haben, 
werben wir das Beſtreben gewahr bie ganze Welt ald 


eine Offenbarung des götilicken Willens und als eine 
heilige Geſchichte zu begreifen; aber wir fehen in ipnen 
auch fehr entſchieden die Anficht vertreten, daß alles in 
dieſer Welt nur in einem Naturproceſſe ſich entzweit und 
verbindet und dieſer Streit der weltlichen Kräfte doch nur 
ein Symbol des ewigen Friedens if, Der Dualismus 
dieſer Anſicht laͤßt ſich nicht verlennen, welche Beſtrebungen 
auch gemacht werben ihn zu überwinden. Vergleicht man 
damit Helmont’s Lehre, welche aus denſelben Quellen ger 
fofen war, fo findet ſich als Ergebniß diefer Beſtrebun⸗ 
gen deutlich ausgeſprochen, daß wir doch in das innere 
Heiligthum Gottes auf dem Wege phyſiſcher Forſchung 
nicht eindringen koͤnnen, daß dies vielmehr der Theologie 
oder der Religion vorbehalten ſei. Und mäffen wir nicht 
fagen, daß biefer gelehrte Zweig der Tpeofophie, welchem 

‚  Helmont angehörte, doch einen großen Vorzug vor ihrem 
Deutſchen Zweige hatte, weil er zu einer genaueren Beob⸗ 
achtung der Natur gefommen war? Die Schwäche ber 
Tpeofophie, an welcher fie. zu Grunde gehen mußte, bes 
ruht hauptſaͤchlich auf ihrem Mangel an Methode; ale 
fie nun zu einer Apndung ber Methode in ber Erfor⸗ 
ſchung der Natur kam, mußte fie fih zu dem Dualismus 
befennen, welcher in der Phyſik nur einen Schatten und 
“eine Vorbereitung für die Theologie ober die höhere 
Weispeit- fieht. Dies Endergebnif finden wir in der Pla⸗ 
tonifhen Schule überall mehr oder weniger ausdrüclich 
anerkannt. Auch Patritius, auch Giordano Bruno ziehen 
fib von dee Metaphyſik zurüd, “bezeichnen die phyfiſche 
Unterfuchung als ben Zwed ber Philofophie und bie Theo⸗ 
logie als das Bewußtfein ber höpern re welche 

Geſch. d. Philoſ. x. 


274 


die Philoſophie nicht gewähren koͤnne. Bon den philolo⸗ 
giſchen Beftrebungen um die Form der Philofophie war 
nicht zu erwarten, daß fie einer Bereinigung ber Philo⸗ 
foppie mit der. Tpeologie ſich günfig erweifen würden; 
bie entſchiedenſte Entwicllung derſelben, welche Nizolius 
vertritt, trug vielmehr auf eine gaͤnzliche Trennung bei⸗ 
der an. Dasfelde Ergebuiß hatten aber auch die philo⸗ 
ſophiſchen Unterſuchungen, welche an die proteſtantiſche 
und katholiſche Theologie ſich anſchloſſen, aus Gründen, 
welche in ihrer Natur Tagen und von uns Hinlänglig er⸗ 
Örtert worben find. Am deutlichſten ſprachen bie Lehren 
des Campanella und des Taurellus fie aus. Wenn jener 
die Forſchungen ber Philofophie empfal, fo geſchah es 
nur, weil er biefelben als eine Pflicht unferes weltlichen 
Lebens anfah, welches zu unferer Erhaltung dienen und 
auf uns ſelbſt uns zurüdführen ſollte, aber doch nicht im 
Stande wäre ſich ſelbſt von feinen natürlichen Störungen 
zu befreien. Unter den Entwidlungen unferes weltlichen 
und finnlichen Lebens ahndet er alsdann einen verborges 
nen Plan Gottes, welden wir nur muthmaßten und 
über welchen: nur bie Theologie Aufſchluß geben könnte. 
Taurellus dagegen bemüht fih uns zu zeigen, daß bie 
Philoſophie zwar die Gefege der Natur und in ihnen bie 
Allmacht und Volllommenheit Gottes uns estennen laſſe, 
daB fie aber doc den Willen Gottes mit und Menſchen, 
das Wert feiner Vorſehung uns nicht verkünden koͤnne. 
So bleibt ihr, was bie Tpeologie allein weiß, ber Weg 
zu unferm Helle verbomgen und in richtiger Folgerung 
zieht Hieraus Zaurellus den Schluß, daß die Ppitofophie | 
uns nur der Berzweiflung überlaffe. Die Reinigung der | 


peripatetiſchen Lehre erwägne ih nur mm daran zu erin ⸗ 
nem, daß fie in immer flärfern Zügen ben Gegenſatz 
zwiſchen theologiſcher und Be u u 
geſucht Hatte. un 

So wie die Theologie von ver Yptofoppie PM 
ſchieden worden war, fo fonnte auch die Metapyyfiß nicht 
mehr. auf der Höhe fih erhalten, welde.fie faͤcher auge ⸗ 
ſtrebt Hatte. Sie wurde immer mehr nur als ein Mittel 
betrachtet, durch welches bie Unterfuchungen. über;bie Welt, 
befonbers über die Natur betrieben und bie Gxenzen ui 
ſchen Philoſophie und Theologie feſtgeſtellt werbenitöuns 
ten. Diefe Richtung verfolgten vornehmlich - die neuern 
Veripatetiler, welche in Bott zwar ben: Zweck, aber nit 
die bewegende Urſache der Welt fahen, bie.Erforihung 
des Böttlichen von der Phyſik und das. Sein Gottes von 
der Ewigkeit der Welt abhängig machten. Demfelben 
Ziele zu, nur in einer andern Richtung firebten bie. Ges 
danken ber Platoniler, wenn Patritius und ‚Biordano 
Bruno zwar das Unendliche der Welt und: bes. natürlis 
den Werbens zum Gegenftande ihrer. philoſophiſchen Bor« 
ſchung machten, aber doc zugeflanden, daß biefe Unend⸗ 
lichleit der Unendlichteit und Ewigkeit Gottes nicht glei 
fomme und daß unfere weltliche Forſchung Feine endlihe 
Befriedigung in dem Fluſſe der. Erfheinung finden Tune, 
Bon allen Seiten tritt hierbei ber Gedanke hervor, daß 
die Gefege ber Welt oder ber Natur feine Eingriffe aus 
einem höhern Gebiete verfatten und Keiner weitern Fort⸗ 
bildung bebürftig find. Hoͤchſtens giebt man gu, daß die 
Natur- zu ihrem Beſtehn des Beiſtandes Bohtes bebärfe; 
eine ber Natur gegenwärtige Macht Gottes‘ über fie fin« 

18* 


den nur hie erträglich, weldje geneigt find Gottes Macht 
mit der Macht ber Natur in gleicher Bedeutung zu nehmen, 
Sehr ‚allgemein find die Brundfäge verbreitet, welche Te⸗ 
leſius und Campanella deutlich ausſprachen, daß bie Ne 
tur ſich ſelbß exhalte, daß fie weder einer Vermehrung, 
noch einer Verminderung fähig fe, Zwar pflegte man 
noch Zwede der Natur anzunehmen; aber in ber fih 
Bleibleibenden oder nur im Kreislaufe fi ermeuenden 
Natur mußte es ſchwer halten ſolche Zwede nachzuweiſen. 
Dex Zwedbegriff wurde daher immer mehr fallen gelaſſen 
obsötnur im verborgenen Hintergrunde des weltlichen Le⸗ 
bens geahndet. . 

> Unter ber Herrſchaft diefer Denkweiſe konnte die Eihil 
feine" günftige Pflege erwarten. Die Peripatetifer fegten 
fie zu einer praktischen Kunft herab oder glaubten von 


phyfifgen .Grundfägen aus über fie Lit verbreiten zu 


toͤnnen. Teleſius und Campanella finimten hierin bei und 
wollten. das weltliche Begehren anf die finnlichen Triebe 
und Affeete der Seele und zulegt auf Selbfterhaktung zu⸗ 
rüdfüpren.. Auch Giordano Bruno und die Theofoppen 
waren geneigt das fitliche Lehen nach Analogie des Nu 
turproceſſes ſich zu denfen. In. vielen Gedanken klaugen 
auch die Anſichten wieder an, welge das Gute mit bem 
Angenehmen verwechfelten und die Theologen brachen bem 
weltlichen Leben -feine Spige ab, indem fie das höre 
Gut außer Berbindung mit bemfelben ſetzten. Am un 
verlennbarſten äußerte ſich bies in ben politiichen Theo 
vien ber latholiſchen Theologen. Die Herrſchaft über das 
weltliche Leben wollten fie dem Stante überlaffen, aber 
den Staat betrachteten fie nur als das Ergebniß eines 





277 


willlurlichen Vertrages und nur durch feine Unterwerfung 
unter bie Kirche follte ipm feine Bedeutung "für den letz⸗ 
ten Zwed unfered Lebens vermittelt werden, Es if ein 
eigen der Zeit, daß niemand in biefem Abfchnitte ber 
Geſchichte die Rechte des fittlichen Lebens Träftiger ver⸗ 
kat, als die Franzoͤſiſchen Skeptiler, Montaigne und 
Charron. Wenn der letztere in bem Bilde, welches er 
von der Weisheit entwarf, noch den Verſuch einer fyfles 
matiſchen Ethik machte, fo zeigt feine ſleptiſche Denkweife 
deutlich genug, daß man in biefer Zeit die menſchliche 
Bifenfpaft für unfäpig hielt uns ben richtigen miktlern 
Weg dur den Gehorfam gegen Sitte und Gefeg und 
durch die perfönliche Freipeit hindurch zu zeigen. Nur 
indem ex diefe der Innern Denkweife vorbehielt, jener das 
äußere Leben untertwarf, glaubte er eine Auskunft gefun⸗ 
den zu haben, werrieth aber dadurch zugleih den Zwie⸗ 
fpalt, welchen feine Zeit zwiſchen äugerm und innerm Leben 
ſah. Im Hintergrunde diefer Lehre konnte man wohl bie 
Hoffnung auf eine weitere Ausgleichung erbliden, wenn 
fie auch die verborbenen Sitten auf einen Trieb der Na- 
tur zurüdguführen gerieigt fehlen; aber es zeigte fih auch 
hierin die weit verbreitete und flarfe Neigung mehr ber 
Natur als der Vernunft zu vertrauen. 

In allen diefen Gedänfen über bie Haupitheile ber 
Wiſſenſchaft giebt fih das Beſtreben nach einer gänzlichen 
Umgeſtaltung derſelben zu erfennenz ihm ſetzte aber die 
Krone auf, was man in der Logik unternommen und 
ſchon zu einem beftimmten Ziele durchgeführt hatte, Man 
wird das Gewicht nicht verfennen, welches bie Beſtre⸗ 
bungen ber Philologen nach Vereinfachung der Logik hat 


278 


ten. Alle die Gebanten, welche in der Ariftoteliſchen Lo⸗ 
git die Erlenntnißlehre betreffen, Hatte man der Pſycho⸗ 
Angie zugewiefen; die Kategorien waren der Metaphyſil 
vorbehalten worben; für die Logik blieb nichts übrig als 
die Unterfahungen über bie Bormen des Denkens, welche 
man aus einer Beobachtung über die Formen unferer 
ſprachlichen Ausfagen zu entnehmen ſuchte. So ik die 
Logik gu der Geſtalt gefommen, welche fie durch ben Ber 
lauf der nenern Philoſophie beibehalten hat. Sie if ein 
Erzeugniß des von uns betrachteten Zeitabfepnittes; ber 
Nominalismus hatte ihr vorgenrbeitet und mit ihr über- 
trug ſich aud ber Nominalismus auf die neuere Philo⸗ 
ſophie fat ohne Beſchräͤnkung. Durch ihre Vereinfa⸗ 
chung jedoch verlor die Logik auch an ihrer wiſſenſchaft 
lichen Bedeutung. Die Stimmen erhoben ſich, welcht 
fie für Seinen Theil, ſondern nur für ein Werkzeug ber 
Philoſophie erllaͤrten; auch bie einflußreiche peripatetiſche 
Schule und Campanella wollten ihr nur dieſen Rang | 
zugeſtehn. Schon hatte fih die Meinung erhoben, daß 
fie nur für Wortgefechte brauchbar fe. Daß man nun 
bei diefem Ergebniſſe hätte fiehen bleiben können, daran 
wäre freilich nicht zu denfen gewefen. Man bedurfte eis 
nee philoſophiſchen Unterfuhung über bie Methode der 
Wiſſenſchaften, welche auch die Gründe bes Exfennend 
nicht unberäprt laſſen konnte, Aber die Ariſtoteliſche 8 
sit, die Theorie des Beweifes vom Allgemeinen aus, 
wollte Hieszu nicht genügen. Die Lulliſche Kunſt, welhe 
man wieber hervorzog, gab noch weniger Befriebigung. 
Der Gang der Unterſuchungen, in welchen man ſich ver 
fegt ſah, mußte weiter leiten. Diefe hatten ohne Zwei⸗ \ 


Pu | 


fel vorherſchend ihr Abſehn auf bie Phyſik genommen, 

da die Teologie von der Philoſophie ausgeſchieden, 
die Metaphyſik abgeſchwaͤcht, Ethik und Logik faſt gam 
beſeitigt waren. Pl den Forſchungen in der Natur⸗ 
Ihre mußten daher auch bie Unterfuhungen ansgehn, 
welche eine neue Methodenlehre begründen follten. Im 
Gange dieſer Zeit fehen wir nun immer flärker bie Ges 
danfen hervortreten, welche uns in ber Entwidlung unfes 
res Geiſtes an unfer leibliches und finnliches Leben. bin 
den wollen. Nicht allein Peripatetifer, wie Pomponas 
tius, wiefen auf diefe Verbindung hin, ſelbſt die Theoſo⸗ 
phen konnten fie nicht verkennen. - In ihrem Beſtreben 
die Natur zu durchſchauen fahen fie ſich an die Erfah⸗ 
tung verwiefen, wie dies ſchon Agrippa und Paracelfus 
begriffen. Wenn man auch in der Weife der Platoniker 
den Ideen der Vernunft vertrauen wollte, fo Torinte man 
doch davon nicht ablommen, daß äußere Anregungen we⸗ 
nigſtens Beranlaffung zur Erkenntniß der Natur uns dar⸗ 
bieten müßten. Wenn nun fon Platoniker und Peripas 
tetiler auf die Erfahrung als auf ven Ausgangspunkt des 
Erlennens hinwieſen, fo betrachteten es die Skeptiler als 
tinen allgemein zugeftandenen Sag, daß alle unfere Er⸗ 
lenntniß von ben Sinnen beginne, Stärfer und ſtaͤrker 
trat die Neigung zum Senfunlismus hervor; bie zu den 
änferfien Folgerungen ſchritt fie fort. Nicht allein konnte 
Cemoninus es als ein allgemeines Ergebnig der wiffen- 
KHaftlichen Bildung ausſprechen, daß es feine angeborne 
Begriffe gebe, fondern Telefius und Campauella entwidels 
ten auch ſchon eine zufammenhängende Lehre darüber, 
daß umfere weltliche Erkenntniß überall von der Natur, 


d. h. vom Sipn fih belehren laſſen müfle, daß unfer 
weltlicher Verſtand nur auf einem Empfinden gleihfem 
aus ber Gerne, auf einer Nachwirkung abgeſchwächter 
finnlicher Empfindungen beruhe und ügfere weltliche Wiſ⸗ 
ſenſchaft anf Geſchichte, d. h. auf Empirie hinauslaufc, 
ja die Meinung, welche Campanella ausſprach, war in 
Umlauf gelommen, daß wir im Gedanlen der Gubflan 
nichts anderes als nur eine Sammlung ber Tpeitoorfel- 
lungen fegen, welche die finnlichen Einbrüde uns gebragt 
haben. Hiermit ſtimmt auch im Wefentlihen bie Mei⸗ 
nung bes Nizolius überein, daß bie wahren Einpeiten der 
Ratur nur in der Sammlung der befonbern Gegenflände 
unferes Denfens beſtehn. Es läßt fi erwarten, daß die 
Philoſophen, welche diefer Richtung folgten, für das mer 
thodiſche Verfahren in Entwidlung unferer natürlien Er 
lenntniſſe die Induction empfalen. Was Arifoteles über 
fe mehr angedeutet als entwickelt Hatte, wurde jegt mit 
Vorliebe hervorgeſucht, beſonders von den naturforſchen⸗ 
den Peripatetifern, die von ber Erfahrung zur Erlennt⸗ 
niß allgemeiner Geſetze auffleigen wollten. Sie empfalm 
neben dem abfleigenden das auffteigende, wie Gäfalpinus, 
ober neben dem analptifchen das ſynthetiſche Verfahren, 
wie Zabarella, mit bem Anſpruche fogar als das allei⸗ 
nige Verfahren ber fpeculativen Wiffenfchaften zu gelten, 
Noch weiter ging Nizolius, deſſen Methode ber Zufam- 
menfaffung tichts anders ale Induction bezwedte, der um 
biefer Metpode Bahn zu machen bie Abftraction vom Bes 
fondern beftritt und zu bem Ergebniffe gelangte, daß bie 
Wahrpeit der allgemeinen Säge nur auf ber Feſtſtellung 
der Sprache beruhte. Mit einer ſolchen Aügemeinpeit, 


welche durch bie Erfinder der Worte feſtgeſtellt werde, 
mochten fih nun wohl bie Philologen begnügen, aber 
gewiß nicht die Richtung ber Zeit, welche nicht an bie 
Sprade, fonbern an die Sachen fih halten wollte, welche, 
wie Sanchez es ausſprach, bie philologiſchen, durch Aus⸗ 
nahmen beſchraͤnkten Regeln verſchmaͤhte um bie unver⸗ 
brichlichen Regeln der Natur zu finden. Wenn nun in 
allem dieſem bad Streben nad Umgeftaftung der wiſſen⸗ 
ſchaftlichen Methode fi verkündet, fo hatte man aud bes 
seits die Wege im Auge, durch welche eine fruchtbare 
Induction fi durchführen laſſe. Wie überfliegend auch 
die Gedanken der naturforſchenden Theoſophen ſein moch⸗ 
ten, fo fann man doc einem Paracelſus, einem Helmont, 
einem Fludd nicht abſprechen, daß fie auf Beobachtung 
und Verſuch als auf die rechten Wege bie Geheimniffe der 
Natur zu belaufen ausbrädlich hinwieſen. Daß aber 
die ungeregelte Art, in welder fie felbft zu Werke gingen, 
fi abklären würde, ließ ſich von dem ffeptifchen Geiſte 
erwarten, welcher in fleigendem Maße um fih griff. Wir 
ſehen dies wirklich geſchehen an der befonnemen Vorſicht, 
mit welcher Sanchez vor allen Dingen eine richtige Mes 
thode für die Naturfvefchung forderte und auffellen wollte, 
indem er Beobachtung und Verſuch zu Grundlagen bes 
verfländigen Urtheils zu machen gebot, B 
Mit den Umwandlungen in ber Erlenntnißlehre fliehen 
Umwandlungen in ben Anfiten über das Sein der Dinge 
im natürlichen Zufammenhange. Das Wewicht, welches 
man auf Erfahrung und finnlihe Empfindung legte, bie 
Aufmerkfamfeit, welche man den Methoden ber Naturfors 
ſchung zuwandie, mußte dazu führen, bag man bem Wer 


‚den, dem Ginulichen unb Materiellen, der Nothwendig⸗ 
keit des Naturproceſſes die größefte Bebeutung beilegte. 
Bir haben bemerkt, daß ſchon Nicolaus von Eufa und 
Pico den Grundfag ausſprachen, daß alles Gefgaffene 
durch das Werden hindurchgehn möäfe. Immer mehr 
war biefer Sag zur Anwendung gelommen, wenn er 
auch vornehmlich nur in Beziehung auf den Menfchen ges 
braucht wurde und einige ihn nur unter ber Bedingung 
des Günbenfalls gelten liefen. Die Lehren, welche bie 
Notpwendigfeit der Gegenfäge in der Welt behaupteten 
und alles Weltliche im Streit ſtehen ließen, fanden bie 
fem Grundfage zur Seite, Aber ſchon hatte auch Plethon 
behauptet, daß alles auch im Einzelſten nad Nothwen⸗ 
bigfeit werde, und bie Lehre vom allgemeinen Zuſam⸗ 
menhange aller Dinge, welche faſt allgemein anerkannt 
wurde, fehlen dem beizuſtimmen. Da war es nicht zu 
verwunbern, baß man bie Sittenlehre entweder ganz aus 
der Philoſophie entfernte oder das fittliche Leben. nad 
Analogie des Naturproceſſes fi) dachte um ben fatalifti, 
fen Anfihten Raum zu laffen. Wir haben daher auch 
bemerten müflen, daß ſchon Valla und Pomponatius nur 
mit Mühe die Greipeit des Willens zu behaupten mußten, 
daß Helmont nur dadurch das fittliche Leben reiten zu 
tönnen glaubte, daß er es von dem natürlichen Geſetzen 
abſchied und in ein höheres myſtiſches Gebiet hinüber: 
fügtete, dag Eharron, obwohl er einfah, da alles, was 
uns wahrhaft angehört, auf unferer Breipeit berupe, doch 
unfern Willen von der Natur leiten ließ, das Außere 
unferer Handlungen dem allgemeinen Gefege Preis gab 
und nur unfer Inneres uns frei bewahren wollte, Apn- 


liche Grundfäge, wie fie für bie Betrachtung der menſch⸗ 
lien Dinge geltend gemadt wurden, mußten auch in 
der Theologie fi erheben. Zwar wurde die Schoͤpfungs⸗ 

lehre noch im Allgemeinen beibehalten und wenn auf 
"  Anflänge der Emanationdlehre ſich nicht felten vernehmen 
liegen, fo wurde fie doch in ihrem ganzen urfprünglicen 
Sinne nicht erneuert; aber fehr entſchieden machte fi die 
Meinung geltend, welche Bruno, Weigel, Böhme vertheis 
digten, daß Gott nothwendig fchaffe und ohne Schöpfung 
gar nicht gedacht werden könne; ja Cremoninus, obgleich 
er behauptete, daß alles Immaterielle nur nad) Analogie 
mit unferer Seele gedacht werden Fönnte, fand es doch 
umwürdig für Gott ihm einen Willen beizulegen. Diele 
Denfweife. finden wir im Algemeinen bei den fpätern 
Seripatetifeen in Italien herſchend; fie ergiebt ſich aus 
der Lehre, daß Gott nur Zwei, aber nicht wirkende Urs 
ſache der Welt fei. Noch fanden ihr freilich andere Leh⸗ 
ten zur Seite, die Gottes freien Willen in der Welt 
Idöpfung behaupteten; aber auch bei ihnen finden wir die 
Neigung ſich erheben die Wirkfamteit Gottes in der Regie⸗ 
zung ber Welt zu befepränfen. Wie Sanchez und die ges 
meine Meinung der Philoſophen behaupten, daß wir nur 
durch Mittelurſachen zu Gott auffeigen ſollen, fo fol 
auch von der andern Seite Gott in feiner Hersfchaft über 
die Welt der Mittelurfachen ſich bedienen; die Natur wer 
nigſtens bedarf, wie Telefius lehrte, Feiner göttlichen Mit- 
wirkung und in die Natur, wie Taurellus fagte, greift 
die Borfepung Gottes nicht ein. Das Beſtreben bie Ra⸗ 
fur methodiſch und nach unverbrüchlichen Gefegen zu ers 
ſorſchen fpten darauf führen zu mäffen, daß bie natürliche 


Welt ungeört und unabhängig von frembartigen Einflüf- 
fen ihren gefegmäßigen Berlauf habe. 

Hierbei Tonnte es nicht ausbleiben, daß man anfing 
das fittliche Lehen nach Grunbfägen zu beurtheilen, welche 
ben Geſchmad der Naturanfiht an fih trugen. Selbſt bei 
edel gefinnten Naturen, wie bei Thomas More, bei Mes 
lanchthon, bei Montaigne, haben wir eine Neigung zur 
Gludſeligleitslehre angetroffen. Man glaubte dem natür⸗ 
lichen Leben bes Menſchen nachgeben zu müffen, daß es feine 
Befriedigung fuchen dürfe. Die Natur ſchien ein göttliches 
Net zu haben, welches man gegen Willkür und Verbil⸗ 
dung in Schug nehmen müßte. So vertheibigten die far 
tholiſchen Theologen bie unveräußerlichen. Rechte der Rus 
tur gegen bie Wilfür des Stantövertrages; fo verthei⸗ 
digten Montaigne und Charron die natürliche Erziehung 
gegen den Zwang ber gelehrten Schule und hielten das 
Leben nad dem Gefege der Natur für das weiſe Leben. 
Nicht fern Ing die Folgerung, welche Bruno zog, daß 
wir bas wahre Gut nur in dem Sichausleben einer jeben 
natürlichen Kraft durch den Wandel aller Geftalten hin⸗ 
durch zu fuchen Hätten. Bei der geringen Sorgfalt, mit 
welcher man in biefer Zeit bie fittlihen Begriffe ausbil⸗ 
dete, konnte biefer Denfweife noch eine uneigennägige 
Sittenlehre zur Seite gehen, wie Pomponatius und Char 
son eine ſolche im Sinn trugen; aber es blieb zu beſor⸗ 
gen, daß bei genauerer Forſchung die Folgerungen nicht 
ausbleiben würden, melde aus ber Zurüdführung des 
fittlichen Lebens auf den natürlichen Trieb fich ziehen ließen, 
und bei der Lockerung ber fittlichen Bande, welde ein- 
getreten war, lonnten fie nicht lange auf ſich warten laſ⸗ 


fen. Wie bebenftich find fo manche Äußerungen der Brans , 
zoͤſiſchen Steptiter in biefer Richtung; aber noch Tange 
nicht lommen fie dem gleih, was in berfelben Richtung 
die Ralieniſchen Pppfiter behaupteten, wenn Telefins und 
Campanella in dem Streben nah Selbſterhaltung den 
Grund aller unferer weltlichen Afferte und Begehrungen 
erblidten und Cremoninus alle wiſſenſchaftliche Moral 
auf Die Grundfäge der Naturwiſſenſchaft zurüdführen 
wollte, Es iſt wahr, daß Campanella dabei in der Liebe 
unferes beſondern Seins auch die Liebe des allgemeinen 
Seins nachweiſen zu fönnen glaubte; es IR wahr, daß 
in biefer Zeit man das geifliche Leben noch dem’ welt⸗ 
lichen Leben zur Seite zu ſtellen pflegte; aber dies konnte 
wenig für die Ppilofophie verfhlagen, da die, welche fo 
taten, die Unterfuchung des geiftlichen Lebens von ihr 
fern Halten wollten. 

Die Folgerungen aus dem eingefhlagenen Wege er- 
geben ſich jedoch noch viel reichlicher nad) der Seite der 
phyſiſchen Lehren. Um es kurz zu fagen, wenn man auch 
nach dieſer Seite zu noch nicht zu einem entſchiedenen 
Materialismus lam, fo zeigte fh doc eine Neigung zur 
materialiſtiſchen Denkweife ohne allen Zweifel. Schon 
Nicolaus Cuſanus hatte das materiehe Sein aller welt, 
lichen Dinge behauptet, indem er bemfelben nur eine geis 
fige Grundlage in dem fGöpferifgen Vermögen Gottes 
unferzog; hierin folgte ihm Bruno, der nur noch weiter 
in einem enthufiaſtiſchen Lobe der Materie, der allgemeinen, 
der göttlichen Mutter. aller Dinge, fih erging. Das alte 
Velnafesmichts der Materie zu behaupten, Tag nicht in 
der Richtung biefer Zeit; Pico warnte davor bie Materie 


au verachten. In den Lehrweiſen ber Phyſiler war ber 
Say zur Geltung gelommen, daß alles in dieſer Welt im 
Zufammenhang ftehe, daß alles im Raume verbunden fei; 
ſelbſt die himmliſchen Intelligenzen wagte man von biefem 
Geſetze nicht zu entbinden, ſollten fie auch nur, wie Ei 
falpinus lehrte, mit ber reinen, von feber befondern Bes 
ſchaffenheit freien Materie, verbunden fein. Aus den ch 
sen ber Theofophen, welche Geiſtiges und Koͤrperliches 
immer in Bergleihung ſtellten, konnte eben fo leicht die 
Neigung gezogen werben alles auf bas Körperliche wie 
alles auf das Geiſtige zurüdzuführen. Auf das entſchie⸗ 
denſte aber wandten fih ben materialiſtiſchen Borftellungen 
die Lehren zu, welche von ber Erkenntniß und. dem Bil 
len des Menfchen ausgehend zu der Anficht geführt wur 
den, daß ohne koͤrperliche Beipülfe uns fein Wiffen und 
fein Wert gelingen Tönne, daß eine Gemeinschaft unſerts 
geiftigen Lebens mit der Materie anzunehmen fei und baf 
dieſe nur unter ber Bedingung uns zukommen fönne, baf 
unfer Geiſt mit dem Körper in Berührung ſtehe. Hier 
dur fam bie Anficht zur Geltung, baß ber Geiſt, wel 
Her mit dem Körper in Beräprung flehe, nichts anderes 
als ein feiner Körper fein könne, weil nur ein Körper 
den andern zu berühren vermöge. Die Theorien ber Ant, 
welche in biefer Periode den größten Einfluß ausübten, 
zogen nach biefer Seite hin. Haben mir doch geſehn, 
daß ſelbſt Melanchthon dieſer Einflüffe ſich nicht erwehren 
lkonnte. Da begegnen uns an allen Stellen in den Leh⸗ 
ren biefer Zeit die Außerungen, welde bie Belebung 
der Materie von ber eingebornen Wärme ableiten ober 
die Seele und den Geift mit einem Flämmepen, einem 


warmen Hauch, einem Lichte vergleichen, ober in irgend 
einer Weile die Verbindung bes Geiſtes oder ber Seele 
mit dem groben Leibe durch eine feinere Materie vermits 
ten wollen, aber dies immer nur Fönnen, indem fie von 
dem Unkorperlichen die Vorſtellung eines Koͤrperlichen fi 
machen. 

Doch der Richtung der Gedanlen, welche alles Erken⸗ 
nem und alles Sein auf die Natur, auf die Methode der 
Sfaprung, fa auf das Sinnliche zurädführen wollte, 
hielt fi) eine ambere zur Seite, Die Lehre von den ange 
bornen Begriffen wurde noch von ben Platonilern vertre⸗ 
ten und vom den Ariftotelifern war fie noch nicht aufger 
geben, Neben der Methode des Aufſteigens vom Beſon⸗ 
dern zum Allgemeinen nahınen noch fo bedeutende Lehrer 
wie Caͤſalpinus, Zabarella und Nizolius and bie entge- 
gengefepte Methode des Abfleigens vom Allgemeinen zum 
Befondern an und dagegen, daß mit bem Beſondern zu⸗ 
gleich das Allgemeine erfannt werde, wie Zabarella bes 
hauptete, Hatte nicht einmal Eremoninus etwas einzuwen⸗ 
den. Die, welche der Naturforſchung ſich zugewendet 
hatten, waren doc über ihre Methode noch keinesweges 
fiber. Neben dem Natürlichen hielt man and das Über- 
natürliche in Ehren; felb fo entichiebene Phyfiter, wie 
Telefius, Caͤſalpinus, Helmont, mochten es nicht aufge 
den, wenn fie es auch für feinen Gegenfland der philo⸗ 
ſophiſchen Forſchung hielten. Wenn bie Verbindung uns 
ſeres Geiſtes mit dem Körper unfer ganzes Weſen an bas 
Köͤrperliche heranzuziehen ſchien, fo ſchien nicht weniger 
unſere Verwandſchaft mit Gott uns des Goͤttlichen theil⸗ 
haſtig zu machen. Diefe Würde bes Menſchen, welche 


man behaupten zu muͤſſen glaubte, ſchien ihn zu befähi⸗ 
gen. felbk Gott zu ſchauen; um wie viel mehr mußte fie 
es moͤglich machen, daß er in ſich bie Ioeeg, ber Dinge 
fände und das Innere der Dinge durchſchaute. So lange 
man im Menſchen das Ebenbild Gottes fah, konnte man 
ihm auch zutrauen, daß er in anderem Wege als durch 
ſeine ſinnliche Empfindung zur Erfenntniß gelange. Es 
lam hinzu, daß die Überzeugung fehr allgemein verbreitet 
war, daß die Einheit ber Welt in ihrem Principe, das 
Spfem aller Dinge und aller Begriffe von uns erfannt 
werden müſſe und daß unfere Vernunft nach biefer Er⸗ 
kenntniß firebend auch das Vermögen zu ihr und beglau⸗ 
bige. Nicht allein die Platoniler und Theoſophen, auch 
bie Peripatetiker und Phyfller waren hiervon erfüllt und 
felbR die Sleptiler mochten nicht Teugnen, daß alles in 
allem fei und in allem erfannt werben müſſe, daß der 
Zufammenpang aller Urſachen, die Sympathie aller Dinge 
uns aufforbere jedes Einzelne in feiner Gemeinſchaft mit 
dem Ganzen zu denken. Wir haben gefehn, daß noqh 
Sanchez diefe Anſicht als eine allgemein zugeſtandene 
anſah. 
Aber es if auch nicht zu verkennen, daß die Uberzen⸗ 
gung von der hohen Würde des Menſchen im Sinfen be 
geiffen war, Mit wie Ichhaften Farben hatte im Anfang 
unferer Periode Pico die Hoheit des Menſchen geſchildert; 
wie ex frei fei von jeder Befonderheit der Natur und zu 
allem fih machen fönne, Wenn Nicolaus Eufanus auf 
eingehanb, daß alles in der Welt durch Beſonderheiten 
contrahirt fei, fo fand ihm dabei doch fein Say zur 
Seite, daß alles in allem fei, und, bie Macht Gottes in 


An 


feigen Geſchoͤpfen das Höcfte zu verwirklichen hätte er 
ſich nit entreißen laſſen. Wie großen Nachdruck auch 
die Theoſophen auf bie Eigentpümlicfeit der Dinge leg⸗ 
ten, fo erblidten fie doch in ihr etwas Wunberbares, eine 
mpfifche Gemeinfhaft mit Gott, und bie Lehre von ber 
Heinen Welt im Meuſchen, welche alles in fih darzuſtel⸗ 
len und zu umfaffen beſtimmt fei, galt ipnen, wie faſt 
allen Philoſophen dieſer erſten Entwiclung, als ein all⸗ 
gemeiner Glaubensartilel. Der Nachhall dieſer Gedan⸗ 
ten iſt nun freilich auch am Ende’ unferes Abſchnitts noch 
nicht verflungen. Weigel vertheidigte noch mit fefter 
Übergengung die Allmacht Gottes in feinen vernünftigen 
Geſchöpfen; wenn die wahren Subflangen der Welt 
auch im Äußern verſchieden find, fo iſt dod im Innern 
Weſen alles dasfelbe und im einzelnen Sein liegt feine 
Beſchraͤnlung, weil jedes ohne den übrigen Dingen etwas 
zu rauben das Ganze in fi umfaſſen kann. Aber was 
hätte wohl bie Meinung dieſes unfgeinbaren und in Dun⸗ 
felpeit verhüllten Theofophen zu ‚bedeuten gehabt gegen 
bie Behauptungen fo vieler anderen berühmtern Philofos 
phen: Behauptete doch ein anderer Tpeofoph, Helmont, 
daß die Greatur als folhe unvollklommen fein müßte, 
und hierin hatte er unſtreitig eine weit verbreitete Mei⸗ 
nung für fi. Zwar behauptete noch Bruno die Voll⸗ 
lommenheit der Welt und jedes einzelnen Dinges in ihr, 
teil Gott nichts unvolllommenes hervorbringen koͤnne; 
aber er mußte auch feine Beſchränkungen hinzufegen; in . 
jedem Gefchöpfe ift zwar alles, aber nicht, wie in Gott, 
infamımen und in ewiger Einheit; fonbern nur nad) ein. 
ander und, in befändigem Kampfe ber Gegenfäge wach⸗ 
Geſch. d. Philof. x. 19 


0. 


fen alle Boßtommenpeiten einem jeden Dinge zu. Bar 
wollte auch Caͤſalpinus unfere Hoffnungen auf ein un 
ſterbliches Lehen und anf ein reines Dafein der vernänf- 
tigen Seele in der Welt nicht aufgeben; aber daß ein 
folches durch unfere eigene freie Thätigfeit gewonnen 
werben Tönnte, vermochte er nicht einzufehn; ein Natur: 
proceß, der Tod, follte es herbeiführen und dabei doch 
eine Bereinigung ber Seele mit der reinen Materie blei⸗ 
ben. Der Annahme, daß die Gefhöpfe der Welt unvolls 
tommen fein und bleiben müßten, fanden fehr allgemein 
verbreitete Anfichten zur Seite. Für fie ſprach die Lehre 
von ber Nothwendigkleit der Gradunterſchiede in der Welt, 
die Lehre vom Sündenfal, einem Grunde nicht alkin, 
fondern auch einem Zeichen ber Unvollkommenheit der ge 
falenen Gefchöpfe, nicht minder die Lehre von ber Roth⸗ 
wenbigfeit der Gegenfäge und ihres Kampfes unter ein 
ander in einem befländigen Werden. Je mehr man ber 
Erfahrung der welttichen Dinge fih zuwandte, um fo 
weniger fonnte man. dem Glauben der Vernunft an bie 
Vollkommenheit ihrer Beflimmung vertrauen. Das für 
perliche Dafein ſchien als eine nothwendige Schranfe mit 
dem Dafein ber Vernunft in der Welt verbunden zu 
fein. Schon Pomponatins hatte hierauf in Bezug auf 
den Menſchen verwiefen; mit iminer größerer Maht 
drangen bie fpätern, Peripatetifer darauf, daß bies für 
alle Dinge der Welt gelte. Da traten die Zmeifel 
gegen die Lehre vom Mikrokosmus immer flärfer hervor. 
Wenn au Charron in unferer Seele ein verfürztes Bil 
der Natur fieht, auf eine vollſtaͤndige Entwicklung dei 
felben in unferm Wiffen Hat er die Hoffnung wufgegeben; 


R a n 
er ſindet, daß det Menſch eine praktiſche Weispeit ſuchen 


ſoll, weil die Wiſſenſchaft feine Kräfte überſteigt. Wenn 


aud Sanchez nicht leugnen mag, daß wahres Wiſſen nur 


in der Erlenntniß des Zuſammenhangs aller Dinge ge⸗ 
wonnen werben tönnte, fo fann er body nicht begreifen, , 


daß in der befondern Form des Menfhen alle Formen 
ber Dinge ſich darftellen folten. Er giebt daher Gas 
Wiſſen in feiner Bolfommenpeit auf. Die Ppilologen, 

wielche dev Rhetorik geneigter waren als ber Logif, hats 
ten ſchon lange daran gewöhnt für die Menfchen, weiche 
wie die Nachteulen das volle Lit der Wahrheit nur 
blendet, nur einen Schein der Wahrheit, nur, eine Wahr⸗ 
ſcheinlichleit in Anſpruch zu nehmen. 

Doch haͤtte man in dieſen Zeiten dem Gedanken nicht 
Raum geben moͤgen, daß alles in dieſer Welt nur ein 
Spiel der lebloſen und bewußtlos wirkfamen Materie 
ſei. Vielmehr die, welche ber Materie das größte Lob 
zollten, wie Bruno, gingen nur barauf aus fie mit Les 
ben auszuftatten und an die mit Vernunft wirtende Form 
heranzuziehen. Überall find wir in diefem Zeitraum auf 

den Gebanfen geflogen, baß Leben durch die ganze Welt 
ſich verbreite, und in diefem Gedanken lag etwas, was 
von dem ausſchließlichen Wege einer dem Empirismus 
und Senfualismus, dem Materialismus und Mechanis⸗ 
mus fih zuneigenden Naturforſchung zurüchhalten mußte, 
Denn in der Erfahrung Ing eine allgemeine Verbreitung 
des Lebens nicht vor und in dem Leben ber Dinge fuchte 
man eine urfprüngliche Tpätigfeit derfelben. Nur finden 
wir freilich, daß auch diefe Lehre von der allgemeinen 


Belebung und Befeelung der Natur und von ber in ihr 


19* 


herrſchenden Bernunft von ihrer urfprünglichen Kraft nach⸗ 
gelaſſen Hatte und zu Beſchraͤnkungen ihrer Allgemeinheit 
gefommen war. Nicolaus Eufanus und die Platoniter 
hatten fie zu verbreiten gewußt; ben erſten Theoſophen 
war fie Mittelpunkt iprer Lehre geweſen; aud bei ben 
Deutſchen Tpeofophen erpielt fie ſich forttärend. Weigel 
dachte fi die Natur noch in einer ganz idealiſtiſchen 
Weiſe und wenn auch Böhme Beifiges und Körperliges 
in einander miſchte, fo konnte doch das verklärte Licht, 
in welchem ihm alles erfchien, für einen Vertreter berfek 
den Denfweife gelten. Aber wir haben auch nicht unde 
merkt laſſen fönnen, daß die theoſophiſchen Lehren in ih⸗ 
ver vollsthũmlichen Geſtalt allmälig von iprem Einfuf 
verloren hatten," und in der gelehrten Form, welde fie 
bei Helmont und Fludd annahmen, wurde fhon der Err 
fahrung und dem koͤrperlichen Dafein viel größeres Ge⸗ 
wicht beigelegt. Konnte doch Helmont ſich nicht verlug: 
nen, daß zwar das Natürliche von innen, das Künplide” 
aber von außen gebildet werde, und wenn er auch feinen 
natürlichen Principien, den Fermenten und Samen, ein 
innerlich bildende Kraft zuſprach, fo follte fie doch an 
eine materielle Grundlage gebunden fein und nur cin 
dumpfer Naturtrieb war es, was er ihnen als wirkende 
Kraft beilegen Fonnte, Noch entſchiedener wandte ſich bie 
- einflußreihe Schule der Peripatetiter den Meinungen iu, 
welde das Geelenartige und Berfändige nur in einem, 
beſchraͤnlten Kreife der Welt zulaſſen wollten; Die Lchre 
des Gäfalpinus, daß obgleich alles in ber Welt belebt 
fel, dog nicht alles Seele habe, bezeichnet hierin einen 
deutlichen Wendepunkt, Nur in den herſchenden Tpeilen 


995 - 
der Welt glaubte man Seele annehmen zu dürfen, noch 
weniger aber ſchien der Berftand in der Welt verbreitet 
a fein. Wenn man nun bebenft, wie fehr dagegen bie 
Lehren im Vorſchreiten waren, daß alles an bie Materie 
Rd anſchließen mäffe, daß die Seele oder der Geiſt nur 
ein feinerer Körper fei, bag bie materiellen Dinge in 
der finnlichen Empfindung ihrer felöft lebend nur nad 
Selbſterhaltung firebten und ihr weltlicher Verſtand nur 
in der Sammlung und Verwandlung ihrer Empfindungen 
beſtehe, fo bürfterman wohl die Beſorgniß für gegründet 
halten, daß diefe Richtung der Lehre über die vorher 
bezeichnete bald das Übergewigt gewinnen würde. Dan 

"füge dann noch hinzu, daß bie Lehren von der Idee, 
von dem allgemeinen Leben der Welt, von dem Mikro: 
fosmns und was fonft im Geſichtskreiſe der Platonifchen 
Säule und ber Theoſophen Tiegt, mit Aberglauben ſich 
vergefellichaftet und mehr in einem fühnen Fluge ber 
Phantaſie, als in methodiſcher Weiſe fih begründet hatten. 
Je mehr nun der Aberglaube ſank, fe flärfer dagegen 
das Streben nach methodiſcher Erforſchung der Dinge 
hervortrat, um fo weniger war bie Hoffnung vorhanden, 
daß jene Lehren gegen ihre mächtigen Gegner fi würden 
behaupten koͤnnen. Sollten fie es dennoch unternehmen, 
fo mußten fie unftveitig nach feſtern Grundfägen fih um- 
ſehn und. in einer. metpobifchern Weiſe fich zu begründen 
fügen. Und Hierzu war denn aud ein Anfang gemacht 
worden. 

Sehr allgemein wurde der Satz anerlannt und von 
Agrippa, vom Charron, von Campanella ausdrücklich 
ausgeſprochen, daß Gott wahrhaft ſei und uns nicht 


294 


taͤuſchen fönne. Er konnte als der Ausbrud der Übergeu 
gung gelten, daß wir allen notpwendigen Grunbfägen un⸗ 
ferer Bernunft vertrauen dürften. Was aber für Grundfäge 
unſerer Vernunft man nothwendig anzuerfennen Hab, 
darüber herſchte Streit; beider Neigung für ben Empiriömus 
und Genfualismus tauchten die Meinungen auf; dab 
Gott in weltlicher Weife nur durch die Sinne fih offen 
bare und wir nur bem einen Grunbfage zu vertrauen 
Hätten, daß die finnlihen Erfpeinungen uns nicht täufg 
ten. Mit dem Senfualismus machte auch der Materia⸗ 
lismus ſich geltend und es ſchien vielen, ald würde durch 
die Sinne nur bie Wahrheit der Körperwelt uns beglau⸗ 
bigt. Dagegen wußte fi aber bod eine andere Betrach⸗ 
tungsweife zu behaupten. Ficinus "hatte von Proculus 
gelernt auf die reflerive Thätigfeit der Seele zu achten. 
Der Körper bewegt fich nicht; theilbare Dinge können von 
einem ihrer Theile auf den andern wirken; dies if aber 
feine veflerive Tpätigkeit ; bie Seele bagegen, ein untfeil 
bares Wefen, wirft auf ſich felbR zuräd. Die Berüd⸗ 
ſichtigung  diefer vefleriven Tpätigfeit mußte den Platon 
tern und Theofophen am Herzen Liegen. Nur unter ihrer 
Borausfegung ließ ſich bie NRüdtehr, die Reflerion ber 
Dinge auf ihr Prineip, die lebendige Entwicklung eines 
jeden Samens aus ſich felbft behaupten. Die veflerise 
Tpätigkeit im Innern des thaͤtigen Dinges ſelbſt ſchien 
dieſer Betrachtungsweiſe viel begreiflichet als bie kranf- 
tive Tyaͤtigkeit, welche aus dem Innern bes thätigen 
Dinges heraus auf ein anderes übergeht, und wenn 
Agrippa diefe als ein wunderbares Werk betrachtete und 
forderte, fo lann dies als eine erſte Anregung des Zwei⸗ 


2 


feld angefehn werden, welchen fpätere Zeiten gegen bie 
urſachliche Verbindung der Dinge unter einander erhoben. 
In demfelben Sinn ſprach Paracelfus den Grundfag aus, 
HB alles nur von innen aus fi entwidle, und Weigel 
ſildete ihn zu ber idealiſtiſchen Anficht aus, daß alles Le⸗ 
kn und Weſen ber Dinge nur im Innern berfelben wur⸗ 
de und ſaͤbſt die ſinnliche Empfindung nur als eine in⸗ 
wre Entwidlung des empfindenden Wefens zu betrachten 
fi. An den Zug folder Gedanken fließt auch die Lehre 
son der Trägheit des Körpers fih an, welde in Gegen- 
ag gegen bie Tpätigfeit der Seele von Ficinus an bis 
u Campanella mit immer ſtärkeren Folgerungen behauptet 
wurde. Schon Agrippa und Patritius hatten daraus ges 
ſchloſſen, daß der Körper ald unwirkfam angefehn wer⸗ 
den müſſe; Telefius hatte e8 zum Grundfage feiner Nas 
turlehre gemacht, daß die Materie und auch bie Kräfte 
der Natur unveränderlih wären und Cäfalpinus war for 
gar zu ber Folgerung gefommen, daß bie Natur nur als 
ein Princip des Leidens betrachtet werben dürfe, Unbes 
freitbar ſchien daraus hervorzugehn, daß wenn Bewegung 
und Thätigfeit in der Welt fein follten, fie von einem 
"zein materiellen Dafein nicht" ausgehn koͤnnten, daß wenn 
eine fortfepreitende, auf einen Zweck gerichtete Entwidlung 
anzunehmen wäre, noch andere als die natürlichen Kräfte 
in Bewegung gefegt, werden müßten. Daher finden-wir 
auch die Peripatetifer bereit die bewegende und die Zwed- 
urfache noch, immer von. der materiellen’ Welt zu Untere 
fpeiden, wie. wenig fie aud ein materienlofes Dafein in 
der Welt zugeben wollten. Wie wenig nun auch biefe 
Lehren frei von Borausfegungen waren, welche zu ber 


23 
fireiten man nicht verfehlte, fo bot doch bie Lehre vor 
der Trägpeit des. Körpers einen Haltpunft bar, wel: 
Ger nicht geftattete die Nothwendigkeit bes Unterſchie 
des ſwiſchen Koͤrper und Seele außer Augen zu ſehen 
In Beriehung auf ihn ſchien es als allgemeiner Grund 
fag feftzufiehen, daß ohne Sinn, ohne Empfindung feine 
ſelbſt kein Ding Princip einer Tpätigteit ober Berände 
zung werden würde. In dieſem Sinn legte ſelbſt Tele 
ſius den thätigen Kräften in der Natur Empfindung ihre 
felöft bei. Man. bemerlte nun aber auch, daß bie re 
flerive Tpätigfeit der Seele iprer Natur nad auf dat 
reflectirende Weſen befchräntt bleibe. ben hieraus gin 
gen jene Lehren des Agrippa yon bem Wunberbaren ih 
der tranfitiven Tpätigfeit, des Paracelfus und Weigels 
von der Entwiclung aller weltlichen Dinge nur in ihren 
Sinern hervor. In völliger Allgemeinheit fprach daher 
auch Cäfalpinus den Sag aus, baf ber Verſtand Got 
tes und 'ber weltlichen Dinge immer nur fi und fee 
eigenen Gedanken zu erkennen vermöge und Eremonins 
zoͤgerte nicht ihm hierin beizuſtimmen. Diefe Erkenntniß 
feiner ſelbſt, wie beſchräult fi auch fein moͤchte, galt 
nun für das und zunaͤchſt liegende, für das wichtigſte 
Fundament unſerer Erlenntniß. Montaigne und Chatron 
hoben fie hervor als Anfangspunft unſerer Weisheit. 
Wenn auf Sanchez zweifelte, ob wir einen beftimmten 
Begriff von unferer Seele uns machen fönnten, fo war 
es ihm doch unbedenklich gewiß, daß bie Erſcheinungen 
unferes Innern und näher lägen, als alle Erkenntniſſe 
‘des Augen, daß von ber Erkenntniß unfer ſelbſt alle 
Unterfuhung ausgehn müffe. Eben fo ſprach es Weigel 


297 


nad dem Borgange bed Paracelfus ans, dag wir in uns 
alle Wahrheit finden müßten und alles Leruen nichts an⸗ 
ders fein koͤnnte als ſich ſelbſt erlennen. Wenn wir dieſe 
Reihe übereinflimmender Ausfagen überſehn, fo werden 
wir es nicht als einen vezeingelten Einfall des Campa⸗ 
nella, ſondern als eine Frucht der Zeiten erlennen, daß 
er den alten Satz des Auguſtinus, ih denke, alſo bin ich, 
als den oberſten, jedem Zweifel enthobenen Grundſatz 
der Philoſophie aufſtellte. 


Es war nun aber nicht die unbeſchrantie Bernunft, ” 


welcher man vertraute, fondern der beſchraͤnkte Stand» 
punkt unferer denkenden Seele follte die fihere Grund⸗ 
lage für unſere wiſſenſchaftlichen Unterfucjungen abgeben. 
Die denlende Seele oder den individuellen Geiſt Hatte 
man in feinen Befcränfungen Tennen gelernt; feine 
Schranlen fanden ihm in der unendlichen und in das 
Unendliche theilbaren Welt ber Körper entgegen. Den 
Gegenfag zwiſchen beiben hatte man immer fefter in das 
Auge zu faffen begonnen. Vom Körper: hatte ſchon Fiei⸗ 
nus bemerft, daß die Ausdehnung im Raume feine un 
terfcheidende Eigenfchaft ſei. Patritius wiederholte dies; 
die Peripatetifer, Gäfalpinus, Zabarella, Eremoninus 
fimmten bei. Es war zur herrſchenden Denkweiſe ge 
worden, daß alles, was in ber Welt fein Dafein in der 
Wechſelwirlung der Dinge betpätige, im Raum feine 
Ausdehnung haben müfe. Unter biefen Dingen hielt es 
ſchwer der Serle ihre Stellung zu ermitteln. Nur fo 
viel fhien gewiß, daß fie denfend in fih ihr Sein und 
Leben habe. Dieſen Gegenfag zwiſchen Körper und Geiſt 
drückte Cremoninus am befttumtefen aus, indem er dem 


\ 


Körper die Ausdehnung, dem Geiſte das Denken als Ei: 
genſchaft beilegte. Mit der Ausbehnung aber Tommi dem 
Körper Tpeilbarteit zuz dem Geiſt dagegen, welder nur 
in fi denft, wird Untpeilbarfeit zugefchrieben; er wird 
als Fndividuum gedacht. Schon Fieinus Hatte bies he 
vorgepoben; Immer flärfer aber war man hierauf Hinge 
trieben worben, fe mehr man die Natur des Zufammen- 
gefegten gu bedenlen anfing und davon fi überzeugte, 
daß man nun aud nad untheilbaren Beſtandtheilen bes 
Zufammengefegten fuchen mäflee Dit der Einfachheit 
der alten Elemente fonnte man fich nicht mehr zufrieden 
geben, Die Lehre von förperlichen Atomen im Sinn ber 
Alten tauchte wohl wieder auf, aber bis jetzt ohne wiſſen⸗ 
ſchaftlichen Nachhalt zu finden. . Dagegen die Teeoſophen 
beriefen fi in ihrer Naturlehre auf die Samen als auf 
die einfachen Kräfte in der Natur und Helmont fprad es 
aus, daß bie Fermente, die Grundlagen ber Samen, als 
durchaus untheilbar angefehn werben müßten. Nach dem 
felben Ziele firebte die Lehre bes Giordano Bruno von 
ben Monaben, welche bie untheilbaren, ihrem Begrife 
nad beſtimmten Einheiten in der. Zufammenfegung ber 
wanbelbaren förperlihen Erſcheinung abgeben folten. 
Freilich diefe Gedanken über das Untpeilbare in der Belt 
waren nur wenig wiſſenſchaftlich feſtgeſtellt; fie ſchwaulten 
noch darüber, ob bie untheilbaren Elemente als körperlich 
oder als geiftig gebacht werden follten. Aber die Mei⸗ 
nung neigte ſich unftreitig zu dem letztern. Wenn Bruno 
feine Monaden auf Begriffe zurädfüprte, fo hatte er 
dabei wohl gewiß etwas Geiftiges im Sinne. Die Fe 
mente Helmon’ts aber waren aus ber Lehre des. Par 
7 


0 


celſus hervor gegangen, daß ber Geift aus vielen Gei⸗ 
fern zufammengefegt ſei; feine Bermente betrachtete er 
nun wohl als phyſiſche Kräfte, aber erft durch ihre Zus 
fammenfegung unter einem herſchenden Archeus follten 
fie körperliche Ausdehnung getwinnen. Und in ähnlicher 
Weife wollte auch Bruno ben Unterfchieb zwiſchen Kör⸗ 
per und Seele darauf zurädführen, daß .jener die Zuſam⸗ 
fegung ber beherſchten Monaben, biefe die herſcheude 
Einheit in diefer Zufammenfegung ſei. Noch entſchiede⸗ 
ner drang Gäfalpinus darauf, daß wir ber Seele nur 
ein punltuelles Dafein beilegen bürften und auch Hehmont 
wendete biefer Annahme ſich zu, indem er für nöthig. hielt 
vom Archens, der über viele Fermente ſich ausdehnen 
möüffe, die Seele zn unterfcheiden. 

Wir werden nun freilich in biefen Gedanken der Zeit 
noch nichts zum Abflug Reifes erfennen; aber fie ent 
hielten fruchtbare Keime für die künftige Unterſuchung. 
Die fpätere Philoſophie if auf fie zurückgelommen. Ihr 
ten Grund hatten fie in dem ©egenfage zwiſchen dem 
Körperlihen und dem Geiſtigen, welche als zwei durch⸗ 
aus verſchiedene Arten von Subſtanzen angefehn wurden 
und doch im Menſchen und in der Welt miteinander in 
Berbindung flehn follten. Das Problem, weldes hierin 
liegt, trat mit immer flärkerer Kraft hervor. Anfangs, 
als man die Verbindung zwifchen Körper und Geiſt noch 
mehr aus einem allgemeinen weltlichen Geſichtspunlte " 
betrachtete, wurde es zwar anerlannt, aber man dachte 
es leicht befeitigen zu können. Man hielt ſich, wie Fici⸗ 
nus, wie Leonicus, an den allgemeinen Gedanken, daß 
Gradunterſchiede in der Welt nöthig wären, daß zwi⸗ 


ſchen dem Bewegten und bem unbeweglichen Princip ber 
Bewegung ein Sichſelbſtbewegendes, alſo eine reflettirende 
Seele, in der Mitte liegen müſſe. Je mehr aber die 
Unterfugung auf das Befondere einging und bei der 
Brage bie befondere Natur des Menſchen in das Auge 
faßte, der aus Körper und Geiſt zuſammengeſetzt doch 
eine einige Subſtanz fein follte, je mehr man dabei den 
volllommenen Gegenfag zwiſchen Körper und Geik be: 
date, um fo weniger kounten ſolche allgemeine Annap- 
men über bie Grabe bes weltlichen Dafeins als ausreis 
hend erſcheinen. Die Anfipten der Platoniker umd ber 
Theoſophen, daß die Seele als Mittleres zwiſchen Kir 
per und Geiſt ober der Geift als Mittleres zwiſchen 
Körper und Seele den Zufammenfang zwifchen beiden 
Gliedern bes Gegenfages herſtellen Könnte, mußten fih 
um fo mehr als ungenügend erweifen, je geneigter man 
-war in bem vermittelnden Gliede ſelbſt nur einen feinen 
Körper zu erlennen. Schon hatte Patritius es ausgeſpro⸗ 
en, daß der träge Körper, welcher für ſich Feine Tpär 
tigleit hat, auf den Geiſt nicht wirken könne, ſchon hatte 
er darauf gebrungen, daß ber Körper nur Koͤrperliches 
beräpren und nur, durch Berührung, alfo auch nur auf 
Koͤrperliches wirken könne und Eremoninus und Campa⸗ 
nella hatten diefem Gage beigeſtimmt. Nur als ein Aus: 
funftsmittel der Verzweiflung konnte man es anfehn, 
wenn Nigolius die Zufammenfegung bes Menfchen ans 
Leib und Seele als ein Duaficontinuum bezeichnete. Auch 
die Annahme der Peripatetifer, daß bie Seele bie Form 
des organifchen Körpers fei, wollte ben Peripatetilern 
ſelbſt nicht mehr genügen.“ Zabarella hatte um bie Thaͤ⸗ 


30 J x 


tigfeiten der Seele zu erklären zu der Unterfcheibung der 
afffirenden von ber informirenden Form feine Zuflucht 
nehmen müflen; Eremoninus war genöthigt geweſen um 
bie Verbindung des Körpers mit der Seele ſich vorſtell⸗ 
bar zu machen zwiſchen beide das eingeborne Warmk bes 
tirperlichen Temperaments einzufchieben. Sole Unter 
ſcheidungen Tonnten nur barauf hinweifen, baß hier ein 
Problem vorlag, weldes feine Loͤſung noch erwartete 
und ſtark genug angeregt war um zu immer neuen Ver⸗ 
ſuchen es zu loͤſen aufzufordern. 

Wir Haben eine Reihe von Gebanfen angeführt, welche 
die Grundlage für den fpätern Gang ber nenern Philos 
ſophie abgaben. Mehr und mehr Hatte fi das Bebürfe 
niß geltend gemacht der Erfahrung und den Ginnen in 
unferer Erlenntniß ihr Recht widerfahren zu laſſen; mehr 
und mehr hatte man einfehen gelernt, daß wir in unferm 
weltlichen’ Leben von ber Natur abhängig und an die Bes 
dingungen bes Förperlichen Dafeins gebunden find; aber 
den Forderungen ber Vernunft, welche auf ein allgemeis 
nes und inneres Verſtaͤndniß ber Dinge bringt, hatte 
man doch nicht entfagen können. Dem Drange nah Er⸗ 
weiterung unferer Erfahrung und nad) finnlicher Befrie⸗ 
digung ſetzte fih das Bewußtſein entgegen, daß wir 
in und unfern fehlen Haltpanft zu fuchen hätten; das 
Bedürfniß der Befinnung auf ſich ſelbſt wirlte der Zer⸗ 
ſtreuung entgegen, welche uns in bie Weite und unbe⸗ 
Rinmte Maſſe der Erfahrungen verlodt; es füprte auf 
den Gebanfen eines einfachen Mittelpunktes für unfere 
dorſchungen. Beide Richtungen in der wiſſenſchaftlichen 
Unterfuchung hatten fi noch nicht weder völlig abgefon- 


302 


dert, noch gegenfeitig ausgeglichen, weil noch feine Si 
cherheit über die einzufchlagende Methode herſchte, wenn 
aud das Streben nach einer ſolchen immer deutlicher zu 
Tage geireten war. Bei biefer Lage ber Dinge mußte 
eine dualiſtiſche Anfiht vorherſchen, wenn auch bie Hoff- 
nung alles auf ein einiges Princip zurüdführen zu Fönnen 
nicht aufgegeben war. Am wenigften waren gewiß bie 
Tpeofophen dem Dualismus geneigt; aber wie üppig 
fhießen einem Böhme, einem Fludd die Gegenfäge em⸗ 
por; wie zwingen fie bie nothwendige Wurzel berfelben 
bis in Gott zu verfolgen. Wenn Helmont ben Frieden 
der Natur, des volltommenen Werkes Gottes, zu be 
haupten fuchte, fo konnte er body die Welt ber Menſchen, 
die am Sündenfall und feinen Folgen ertranft find, bie 
fem Frieden nicht anſchließen und daher fielen ſich ihm- 
die Gebiete des Natürlichen und des Siltlichen, des Phir 
loſophiſchen und des Theologiſchen wie zwei Wiſſenſchaf⸗ 
ten, die feine Gemeinſchaft unter fi haben, einander 
„entgegen. Auch die Theologen hatten wohl ein Intereffe 
daran alles unter ein Princip und unter bie Fahne der 
Kirche zu vereinigen, vor allen die katholiſchen. Wir 
fehen es an den hierardifchen Gedanken des Eampanella. 
Aber niht allein die Klugheit vieth ihnen die weltliche 
Macht und Wiſſenſchaft zu fhonen; fe konnten fich auch 
des Gedanfens nicht erwehren, daß die Natur und das 
weltliche Leben ihre eigenen Geſetze hätten, welche bie 
Tpeologie weder erforfpen, noch leiten Fönnte; da über 
ließen fie denn die weltliche Wiffenfchaft ihrem Lauf und 
wagten nur zu hoffen, daß er den verborgenen Rathſchlaͤ⸗ 
gen Gottes ſich fügen werde. Und hätten num wohl 


D 


Pr 





303 


die proteſtantiſchen Theologen mehr zu leiten vermocht ? 
Bir fehen vielmehr, daß fie den Anfichten des Taurellus 
nicht wiberftehen konnten, welcher bie Natur ihren eigenen 
Gefegen überließ und ihre Erforſchung der Philoſophie 
anvertraufe, wärend. die Tpeologie nur die Rathfchläge 
Göttes über die Menfchen und das Werk feiner Vorſe⸗ 
hung in der Leitung dieſes abgefonderten Gebietes, fo 
weit fie uns durch Offenbarung befannt geworden, zu 
erforfehen Habe. In dieſer Abfonderung der Ppilofos 
phie und der Theologie von einander liegt ber tieffte 
Grund des Dualismus, welder in diefer Zeit ſich ver- 
breitete, Auf das deutliche ſprachen ihn bie Peripatetis 
ter aus, welche meinten in der Philofophie nur vordrin⸗ 
gen zu können unter der Vorausfegung, daß Gott und , 
Belt ‘von Emigfeit her neben einander befländen, „daß 
jener der Zwed diefer fe, welcher aber .nie von ung er- 
teiht würde. Wenn nun au die Platonifer, ein Pa- 
tritius, ein Bruno, eine innigere Verbindung ber Welt 
mit Gott im Sinn trugen, in einer ähnlichen Weife lie- 
ben fie doch die Vereinigung beider zu Teinem Ende kom⸗ 
men. Die Welt hatte man vor fih, in der Seele follte 
fie ſich abbilden; aber aud hier glaubte man einen un- 
überwindlichen Unterfchied zu erkennen. Denn die Welt 
erblidte man im Raume; man fah fie nur als Körpers 
well an, welder die innere Welt der Seele, bie Welt 
des Denkens, als ein durchaus Verſchiedenes ſich entge⸗ 
genſtellte. Wie Theologie und Philofophie fih von ein- 
ander abgefondert hatten, wie Gott und Welt neben ein 
ander getreten waren, ohne daß man über ihr Verhält⸗ 
niß eine Entſcheidung gefunden hätte, wie man den Streit 


304 


ber Gegenfäge in. der Welt zu vereinigen geneigt war, 
fo bot nun biefer Gegenfag zwiſchen Körperwelt und 
Geifterwelt das allgemeinſte Problem für bie Unterfuhung 
dar. Ein folder Dualismus konnte denn freilich nit 
befriedigen; man lonnte ſich durch ihn nur aufgefordert 
fühlen feftere Grunbfäge und Methoden für das willen 
ſchaftliche Denken zu ſuchen unb den Übergang hierzu 
müßte der Zweifel machen, welchen wir in verſchiedenen 
Gefalten an dem Ende unferes Zeitabſchuitts hervorbre⸗ 
en fehen, fo wie er ſchon lange im Berlauf Besfeben 
fich genaͤhrt Hatte. 

Nur die wichtigſten Punkte haben wir hier zuſammen⸗ 
geftelt, welche in dem abgelaufenen Zeitraume zur Sprache 
gekommen waren um für die fpätere Forſchung die allge: 
meinften Anregungen abzugeben. Noch andere Gedanfen 
hätten wir erwäpnen koͤnnen, bie ſocialiſtiſche Denkweiſe, 
welche Morus angeregt, welche Campanella fortgeführt 
hatte, die Lehre vom Staatsvertrage, welche wir bei Ma 
riana in ihren erfien Keimen bemerkt haben, bie Anfichten, 
welche Montaigne und Charcon über die Erziehung in 
Anſchluß an die Natur ausgeſprochen Hatten. Wir werden 
biefe und andere vereinzelte Gedanken ähnlicher Art nicht 
überfehn bürfen, eben fo wenig als bie tiefern, mehr auf 
die Einheit der Wiſſenſchaft vorbringenden Beſtrebungen, 
welche wir bei einem Nicolaus Eufanus, bei den Plato⸗ \ 
nifern und bei ben Tpeofoppen gefunden haben. Aug 
fie weifen auf die Zukunft hin. Aber wenn fene doch 
nur als vereinzelte Beftrebungen untergeorbneter Art an- 
geſehn werben koͤnnen, fo trat dagegen das theoſophiſche 
Element in der Denlweiſe dieſer Zeit nur als eine phan⸗ 





taſtiſche Aptbing eincs hahlen Sefammenpangs der Dinge 
und der Wiffenſchaften auf, welche erſt in Meiterer Ferne 
eine wiſſenſchaftliche Forun geminnen ſollte. imoͤchſt Hatte 
fich das Beſtreben Intner nichr auf · eine fahliche der Uns 
ſchauung zugangliche · Erfeinini gerichtet. Der Zweifel 
trieb dazu an eine ſichere Methode für dieſe Erkenutniß 
zu fuchen; man wollte lieber wenig, aber füher das Ein 
jelne, dad Zumäcftliegende wiffen, als mit hochfliegenden 
und weiten, aber nur in umbefitmmter Geſtaltung jerein- 
menden Gedanken ſich anſchwellen. Dabei Tonnten die 
Gedanken des Cuſaners, der Platoniler, der Theoſo⸗ 
phen nur in den Hintergrund zurücktreten, weil man 
um wenig fein Augenmerf darauf richtete, daß für bie 
Wiſſenſchaft die Erfenntnig des Allgemeinen, das Stra 
ben nach dem letzten Grunde und nad) dem letzten Zweck 
eben fo fiher, nahe liegend und nothwendig if, als 
die Handgreifficfeit des Einzelnen. Daher iſt das 
Beftreben der tiefern Denker bes von uns geſchilder⸗ 
ten Zeitraums von weniger unmittelbarer Nachwirkung 
geweſen, als der Dualismus, welcher an bie einzelnen 
Gefalten der Koͤrperwelt und an bas unmittelbare Bes 
wußtſein unferes Ich ſich feſthielt, und es war viel fpätern 
Zeiten vorbehalten das Recht der Philofophie an deu 
Gedanten der Einheit aller Wiſſenſchaften zu vertheibigen. 
Es möge uns vergönnt fein dies voch an einem beſon⸗ 
dern Punkt zu veranfhaulihen. Der großartige Gedante 
des Nicolaus von Eufa alle Gebiete des Denfens vom 
Begriffe des Wiffens aus einer Kritif zu unterwerfen iſt 
gewiß nicht verloren gewefen, aber in wie unfheinbarer 
Beife Hat er anfangs nachgewirlt, bis er in Kant’ Kri⸗ 
Gef. d. Philof. x. 20 


tit eine volfändigere Vertretung fand. Zei entgegen 
gefegte Punkte faßte er -zufammen um das -Banze zu um⸗ 
ſchreiben, auf ber einen Seite daq Verlangen unferer Ber: 
nunft nad) dem Wiffen und die Aufgabe der Wiſſenſchaft 
alles in allem zu denlen, auf.ber. andern Seite bie Noth⸗ 
wwenbigfeit von ung ſelbſt auszugehn unb bie Befcpränft: 
heit des Allgemeinen in dem beſondern Sein. bes den: 
tenden Individuums, Beide Seiten ſprach ber Eufaner 
in allgemeinen Grundfägen aus, die eine in dem Gate, 
dag überall alles in allem fei, die andere in dem Gage 
des Nichtzuunterſcheidenden, daß alles in jedem nur in 
behſonderer und befepränkter Weife ſei. Beide Säge hören 
wir durch den ganzen Verlauf diefer Zeiten nachklingen; 
aber immer mehr wirb ber letztere vor dem erſtern vor⸗ 
herfchend, ‚immer bringenber werden wir auf bie Be 
ſchraͤultheit unſeres Seine und „unferes Erlennens hinge⸗ 
wieſen. Belanntli hat Leibniz beide Säge in feine Phi⸗ 
Iofophie aufgenommen; aber viel beftimmter und nad 
brüdticher dringt er doch auf die Nothwendigkeit ber Be 
ſchraͤnktheit für alle Geſchoͤpfe und der Say des Nichtzu⸗ 
unterfcpeidenden if in feinem Munde viel berühmter ge 
worden, .ald der Sag, daß in jeder Monade bie ganze 
Welt ſich abſpiegele. 


Bi 





- Viertes Buch. 


Bacon’s Reform der Philoſophie und die ihr 
zunaͤchſt liegenden Zeiten. 


20* 





Ber» Google 








Erſtes Kapitel, 
Bacon's Reform der Philofophie. 


Blieher Hatten die Engländer nur einen geringern intheil 
an ben Entwidlungen der neuen Philoſophie genommen. 
Auf ihren Schulen Rand die ſcholaſtiſche Ppilofophie, nas 
mentlich Die nominaliſtiſche Logik, noch in vollem Anfehnz die 
Platoniſche Philoſophie, bie alchimiſtiſche Tpeofoppie Hatten 
einen Eindruck bei ihnen gemacht; fie hatten Theil genommen 
am den Beftrebungen in der Wieberherfiellung der Wiſſen⸗ 
ſchaften; die Unterfuhungen über die Phyſil machten bei 
ihnen Fortſchritte und trieben ſelbſt zu allgemeinen Theo⸗ 
rien über bie Natur anz es waren aber bis zu Anfange- 
des 17. Jahrhunderts bei ihnen Feine Verſuche hervor⸗ 
getreten, welche an allgemeinem Einfluß. auf die philoſo⸗ 
phiſchen Beftrehungen der neuern Wölfer mit den Werten 
des Italiener, der Deutichen und ber Franzoſen fih hät 
ten meſſen können. Ju dem Hin« und Herfluthen der 
Meinungen Hatten fie ſich zurüdgehalten um auf einmal 
in der Entſcheidung ber Zeiten ihr Urtheil in bie Wag⸗ 
ſchale zu legen. Mit Recht flieht man die Reform ber 
Philoſophie, welche Bacon beabfihtigte und in Gang 
bruchte, als das Wert an, welches zuerſt Epoche ig der 
Entwidlung der neuern Ppifofoppie gemacht hat. 


310 


Branz Bacon, der zweite Sohn des Nicolaus Bacon, 
welder unter der Königin Eliſabeth das Amt des Groß⸗ 
fiegelbewaprers lange Zeit und mit Ruhm verwalkt 
hatte, wurbe zu London am 22. Januar 1561 geboren, 
Bon einem früpreifen Berfande fah er ſchon als Shi 
fer der Cambridger Univerfität die Gebrechen ber bishe 
rigen Philoſophie ein. Kaum Hatte er die Univerftät 
verlaffen, als er bei den Gefhhäften der Engliſchen Ge 
fandifhaft zu Paris verwandt wurde, Ein Züngling 
von 19 Jahren entwarf er hier feine Bemerkungen über 
den Zufand Europa's. In feiner Laufbahn als Staats⸗ 
mann wurbe er jebor durch den Tod feines Waters uns 
terbrochen, welcher für feinen jüngern Sohn zu ſorgen 
verſaͤumt hatte. Er mußte die Laufbahn eines Advoca-⸗ 
tem ergreifen um fi ſelbſt feinen Weg zu eröffnen. Dich 
ein umfaffendes Stublum der Engliſchen Gefege und durch 
Beredtfamfeit, in welcher. ipn unter feinen Randalesten 
feiner feiner Zeitgenoffen zu übertreffen ſchien, zeichnele 
er fih in biefer Laufbahn aus, indem er zugleich in ben 
Wiſſenſchaften fortarbeitete und von dem lebhaften Bes 
wußtſein ihrer gegenwärtigen Gebrechen zu dem Plan 
ihrer voͤlligen Umgeſtaltung fih erhob. Noch gegen das 
Ende ſeines Lebens erwaͤhnte er eine Jugendſchrift, welche 
er: vor 40 Jahren unter dem Titel die größte Geburi 
ber Zeit in demfelben Sinn verfaßt hätte, in welchen 
er durch fein ganzes Lehen ohne Nachlaß an ber großen 
Inſtauration ber Wiſſenſchaften arbeitete). Die Wahr⸗ 
beit diefer Angabe if} nicht zu bezweifeln; feinen unab⸗ 

1) Epistola ad Fülgentium. In der Kusgabe feiner Werte vor 
Mallet , weidhe ich citire, II p. 404. 


4 


laͤſſigen in. gleichmößiger Richtung. forkgefepten Fleiß ber 
zeugen bie umfaflenden Arbeiten ſeiner Schriften. Bon 
einem hohen Ehrgeiz erfüllt, Iegte er ben Werken feines 
Geiftes die hoͤchſte Bedeutung bei, Gelbft feine Reden 
und feine Briefe wollte er nach dem Beifpiele der Alten 
aufbewahrt wiſſen ). Er hoffte die Alten zu übertreffen, 
weil die gegenwärtige Zeit dem Alterthum weit voraus 
geeilt fei durch Erfindungen und Entdedungen ber größ- 
ten Art, durch bie Buchdrucerlunſt, die Entdecung ber 
neuen Welt, eine gereinigte Religion, eine lange Erfah⸗ 
rung; durch Frieden in Staat und Kirche begünftigt fieht 
er ein neues Blüthenalter der Wiſſenſchaft herannahen. 
Den Beihäftigungen mit ber Wiffenfchaft hat er fein Les 
ben gewibmetz er findet in ihnen feinen Beruf; er bezeich⸗ 
net fih als einen Mann, welcher dem Gelehrtenſtande 
angehört. Doch war fein Lehen und fein Geift getheilt. 
Nicht allein feine Bebürfniffe, welche durch Prunkfucht 
übermäßig anwuchſen, fondern auch fein Ehrgeiz zogen 
ihn zu den öffentlichen Geſchaͤften und ließen ihn Staats, 
ämter fuhen. Nah dem Tode feines Vaters war ihm 
eine vornehme Verwandtſchaft geblieben. Der berühmte 
und einfußreihe Lord Schagmeifter Burleigp war fein 
Oheim; deſſen Sohn Robert Cecil firebte mit ihm im 
Staatsbienfte empor und hatte ihn ſchnell überflügelt, 
Eine aͤhnliche Laufbahn nad dem Beifpiele feines Vaters 
mußte ihn loden. Er wurde auch bald, in feinem 28. - 
Jahre, unter die außerorbentlichen Advocaten ber Krone 
und in ben Rath der Königin aufgenommen. Im Un- 





1) Letters 293 p. 737. 


bae 

terpanfe Verfihffien ip feine Wertbifumtei, fein 24 
und feine gewinmenden.,: gefälligen Sitten einen beden⸗ 
tenden Eieflug. Aber ein geihellter Charakter, wie der 
feinige, vol von Ehrgeiz, der doch ohne Kraft großer 
Entfpläffe war, konnte fein Vertrauen erwerben. Eine 
Oppoſition, welche er gegen bie Vorſchlaͤge ber Krone 
im Unterhaufe unterkügt hatte, zog ihm die Ungnade der 
Königin zu. Im feinen Briefen fehen wir ihn fih de 
möüthig entſchuldigen, in Unterwürfigteit Beförberungen 
nachſuchen, dann wieder in Vorwürfe gegen feine Ber 
wandten ausbredjen, weil er von Ihnen ſich verlaffen fah. 
Da wandte er ihrer Gegenpartei fi zu; in dem Gunſt⸗ 
linge ber Königin, dem Grafen Eſſer, ſchien ihm ein 
neuer Glüdsfern aufzugehn. Er unterflügte ihn mit 
feinen Rathſchlaͤgen, welche zeugen, wie wenig bedenllich 
er im Gebrauch der Mittel war), Eſſex erwies fih 
gegen ihn als einen eifrigen und treuen Oönner, als 
einen großmäthigen Freund; aber die Abneigung ber Kö⸗ 
nigin gegen Bacon und das Gewicht der Gegenpartei 
Konnte er nicht überwinden. Die Unbefonnenpeiten , der 
Trotz und bie Empörung bes koͤniglichen Günflings 
flürzten Bacon nur noch tiefer. Als Effer von feinem 
Berhaͤngniß ereilt worden war, ba lieh fih Bacon dazu 
gebrauchen den Prozeß gegen ihn einzuleiten und nad 
Effers Hinrichtung auch noch dazu durch eine öffentliche 
Schrift dad Verfahren gegen ihn zu rechtfertigen. Wenn 
feine Feinde beabfichtigten Bacon in der Öffentlichen Mei⸗ 

4) Seine Rathſchlage find ſchriſtlich erhalten. Maciavel?s Grund: 


ſate find zwar nicht ganz die feinigenz; doch führt er fie öfter an und 
meint, daß in ihnen die Menſchen geſchildert werden, wie fie find. 








33 


mung herabzufegen, fo lounten fie hierzu fein geſchickeres 
Mittet wählen. Far den Verrath ber Freundſchaft, wel⸗ 
Gen man ihm vorwarf, konnte eine Apologie feines Ver⸗ 
fahrens, welche er ſpaͤter veröffentlichte, leine genägende 
Eutfchuldigung aufbringen. Unter ber Regierung Eliſa⸗ 
beihs blieb Bacon ohue Beförderung. Um fo eifriger 
wandte er fi ber aufgehenden Sonne zu als Jacob I. 
den Thron beſtieg. Bei biefem Könige empfal er fi 
durch feine Gelehrſamleit und feine Schriften und durch 
feine gewandte und fügfame Geſchaͤftsführung. Nicht 
ohne Hülfe unwurdiger Ränfe ſtitg er num allmälig in 
Staatsämtern empor, befonbers ſchnell, nachdem fein Vet⸗ 
ter Robert Cecil geftorben war und er in bem Günftlinge 
des Könige Georg Villiers, der zum Herzoge von Bu⸗ 
@ingham erhoben wurde, einen neuen Gönner gefunden 
hatte, Im Sinn der unbeſchraͤnkten Monarchie war er 
der eifrigſte Vertheidiger der Vorrechte der Krone. Die 
Belohnung für feine geſchickten Dienfte war das Amt bes 
Großſiegelbewahrers, zu welchem bald bie Würden bes 
Lord Kanzlers, des Barons von Verulam und Vicegra- 
fen von St. Alban gefügt wurden. Aber fo wie er fih 

ald Werkzeug einer ſchwachen und wilfürlien Regie 

rung hatte gebrauchen laſſen, fo wurde er auch von ihr 

aufgeopfert. Bacon war vier Jahre in den höchſten Ams 

tern gewefen, als Jacob gezwungen wurde ein Parlia« 
ment zufammenzurufen. Da erhoben fi die Beſchwerden 

der Gemeinen. Die Klagen erfiredten fi nicht allein 

auf Maßregeln, fondern auch auf Perfonen. Einer der 
Hauptangriffe wurde gegen bie Beſtechlichleit Bacon's 

gerichtet. Der große Juriſt Englands, Eduard Cole, 


314 


welchen Bacon durch Raͤnke von feinen hopen Stiellen 
verdraͤngt, ben gänzlich zu beſeitigen es ihm nicht an 
Willen, aber an Macht gefehlt halte, war fein- Haups 
gegner. Die Gemeinen brachten gegen ihn eine Unterſu⸗ 
Yung im Oberhaufe zu Stande, welche bald von einigen 
Fallen zu einer immer größern Zahl ſich anhäufte, As 
Bacon zum Berhör geforbert wurde, erſchien er nicht 
und entſchuldigte ſich durch den ganzen Verlauf der Ber 
handlung mit Kranfpeit. Er hoffte, der König würde 
die Sache niederſchlagen; bann ſuchte er mit einem als 
gemeinen Gefändniß “und der Entfagung auf fein Amt 
abzufommen, fah ſich aber doch zulegt zu einem Geftänd- 
niffe im Einzelnen gegwungen, in welchem er fih in 28 
Fällen für der Beſtechung ſchuldig belannte. Er wurde 
verurtheilt zu einer hohen Geldſtrafe, zur Haft im Tower, 
fo lange es dem König gefallen würde; für immer wurde 
er für .unfäpig erflärt ein öffentliches Amt zu befleiden 


ober im Parliament zu figen und aus bem Bereich des 


Hoflagers verbannt. Man hat Entfhuldigungsgrände für 
den großen Denler geſucht. Man meint, wenn ex fih 
hätte vertheibigen dürfen, würde feine Schuld geringer 
erſcheinen; aber ber König hätte ihm die Vertheidigung 
verboten um ihn für Buckingham, den größern Berbreder, 
bügen zu laſſen; man meint, bie Verbrechen, welche ihm zur 
Laſt gelegt wurden, hätten nur in zu großer Nachficht gegen 
Unterbediente beftanden, Aber alles dies reicht nicht im 
Geringfien aus. Sein Bekenntniß, daß er ſich felhft 
babe beſtechen laſſen, liegt in ungweibentigen Worten vor 
und; daß ihm zu Gunſten Budingpam’s Unrecht geſche⸗ 
ben fei, darüber findet fi feine Spur feiner Klage 


As 


Seine eigene Entfulbigung lautet ganz andere; er habe 
nie im Rufe eines geizigen oder habfüctigen Mannes 
geſtanden; nie zu Gewaltmaßregeln, fondern nur zu fanfe 
ten Mitteln gesathen; er hoffe Tein verborbenes, fein bes 
ſtochenes Herz, Feine Gewohnheit in Beſtechlichleit zu 
haben, ‚wenn er auch gebrechlich fei und theilhaben follte 
an ben Misbraͤuchen der Zeit). Beſtechlichleit war ohne 
Zweifel häufiger zu feiner Zeit als gegenwärtig; auch 
die Härte, welche er in einigen Zällen zeigte, muß 
man fih püten nad unfern jegigen Sitten gu beurteilen; 
überhaupt würden wohl wenige feiner Verbrechen ober 
feiner politiſchen Künfte fein, welche. nach ben gewöhnlis 
chen Grundfägen der damaligen Politiler fih nicht recht⸗ 
fertigen oder in ein milderes Licht fegen ließen. Aber 
es empört uns einen Mann in ihm zu fehen, weicher in 
wiſſenſchaftlicher Hinfiht fih ſelbſtaͤndige Bahnen brach 
und die Grundfäge der Religion und der Tugend im 
Munde führte, wärend er in feinem öffentlichen Leben 
ber breitgetretenen Straße des Laſters folgte und ſcham⸗ 
108 fi erniebrigte um eine glänzende Rolle fpielen zu 
Können). Seinen politifchen Ehrgeiz hatte er hart ges 





1) Lett.253. An dem König. I hope I shall not be found to 
have the troubled fountain of a corrupt heart in a deprared 
habit of taking rewards to pervert justice, however I may be 
frail and partake of the abuses of the times. 

2) Begen die ſchwachen Entfhuldigungen, mit welchen man Bas 
con’8 Charakter hat reiten wollen, ſtechen die Urtheile ſehr ſcharf ab, 
melde die neuefte ausführliche Beſchreibung feines Sehens enthält. J. 
Campell's Live of the Lord Chancellors II p. 266—433. Ih- 
nen ſtimmt Macaulay in Edinburgh Review LXXXIII p.311 2gg. 
bei. Aus der erſten Schrift führe id einige Stellm an, dm zu zei 


6 


büßt; aber doch war er nicht geheilt werben. Die Reue, 
welche ex über feine Verbrechen belennt, laͤßt Teine tiefe 
Ertenminiß derfelben ahnden. Nach feiner Verurtheilung 
wurde ex von feiner Haft im Tower ſogleich und bald 
aud von feiner Geldſtrafe durch bie Gnade des Königs 
entbunden. Er bot diefem feine Dienſte als Schriftſteller 
an, erhielt wieder Zutritt zu ihm und erwirkte zulegt 
einen allgemeinen Erlaß feiner Strafe. Bon ber öffent: 
lichen Schande, welche er auf fi geladen Hatte, fehen 
wir ihn wenig berührt, Mehr drüdten ihn die Schulden, 
welche er durch verſchwenderiſches Leben auf fih gehäuft 
hatte. Er ift unahläffig bemüßt, dieſe Laſten durch die 
Gunft des Königs und Buckingham's ſich zu erleichtern 
und feinen alten Einfluß bei ihnen wieder zu gewinnen. 
Entmuthigt zeigt er ſich weder in feinen politifchen Plaͤ⸗ 
nen noch in den gelehrten Arbeiten, welche er fest nicht 
mit größerm Eifer, aber mit größerer Muße wieder vor 
nahm. Bon biefen erwartete er doch einen größern Ruhm 
als von feinem politifchen Leben. Nur kurz vor feinem 
Tode ſcheint er politifchen Plänen entfagt zu haben, doch 
ſchwerlich feiner Eitelleit, da er noch die Bewahrung feir 
ner Briefe empfal, die am flärffien von feiner Schande 


gen, daß auch Engländer ihren berühmten Landsmann nire noch firen 
ger beurtheifen als ih. P. 424. He had no moral courage and 
no power of self-sacrifice or self-denial P. 428. He was 
without. steady attachments as well as aversions, — — regard- 
less of friendahip or gratitude, he was governed hy a selfih 
view of his own interest. P. 432. To gain professional ad- 
vancement, official station and political power, there was no 
baseness to which he was not ready to submit and hardiy any 
crime which he would not hare been willing to perpetrate. 


7 


zeugen. Durch wängvflhtige- Berſuche beſchleunigte er 
1626 feinen Tod. 

Über den getheilten und ſchwachen Charalter Bacons 
fen. man nicht in Bweifel fein. In einem Briefe an 
Tomas Bobley gefieht er dem großen Irrthum feines 
Lebens, daß er durch innern Beruf zu den Wiſſenſchaften 
gezogen in die Gefchäfte des öffentlichen Lebens ſich geworfen 
habe, bei welchen fein Geift nicht ward). Richt opne Trauer 
fann man bemerken, daß er biefe Untreue gegen feinen Beruf 
einem Gelehrten belennt ohne die Stärke in fih zu fin 
den fie zu beſiegen. Sein. Befenntniß iſt anf ber Zunge, 
aber nicht in feinem Herzen. Ehrgeiz und Eitelfeit waren 
die Herfchenden Leidenfchaften. diefes Mannes, welder fehr 
weife Lehren auf den Lippen führte, wärend er ben Thor⸗ 
beiten der Welt frönte‘, von ihnen zu ben niebrigfien 
Borten, zu verbrecheriſchen Thaten fih fortreißen ließ. 
So eitel waren feine Gedanten, daß er das Schimpf- 
tige feines Lebens nicht fühlte, Seine Seele if zur 
Milde gemeigt, aber er läßt fih zu den härteſten Maß⸗ 
regeln gebrauchen; ohne Anpänglichkeit an Perfonen oder 
an fein Volk ſucht er nur feinen Glanz, einen Glanz in’ 
den nichtigſten Dingen. Seinen Worten if nicht zu 
trauen, kaum wenn er im Namen der Wiffenfchaft zu 
ſprechen ſcheint. Fur die Kirche England's giebt er feine 

1) Leu. 77. 1do oonfess, since 1 was of any understan- 
ding, my mind hath in effect been absent from’ that I have 
done. — — ‚ Knowing my self hy inward calling. to be. fitter 
io hold a book than to play a-part, ] have led my life in ci- 
vl causes, for which 1 was not very fit by nature and more 
wfit by the preoccupation of my mind. 


Biebe zu enfennen, wie für dem qhritüichen Glauben; ab 
feine Liebe zum Chriſtenthum wird ſehr verdächtig, wenn 
man feine hriflichen Paradoren lieſt . Zu feinen Gum 
Ken dürfen wir wohl annehmen, daß biefes Werlchen 
uur ein unzelfer Ausbrud) eines (päter unterbrüdten Inc | 
fels fei, weil er fonft ein vollendeter Heuchler ohne Zwei, 
ſelbſt in den vertraulichſten Außerungen, ſelbſt in ben 
Spielen feines Geiſtes gewefen fein müßte). Nur fer 
nen Tpaten, feinen Werten Tann man trauen. Diebe | 
zeugen eine aufricptige Liebe zur Naturwiſſenſchaft, welche 
mit feinem Talente und feinem Ruhme verwaqhſen in 
Bei allen feinen Staatsgeſchaͤften, bei feinen Arbeiten für 
bie Geſchichte Englands, bie Gerichte und bie Verbeſ⸗ 
ferung des Gerichtsweſens hat er noch Zeit gefunden bie 
umfaffenbfien Sammlungen und Tatwürfe für die dhyfl 
zu unternehmen und auszuführen. Sein neues Organen 
bat er wohl zwoͤlfmal umgearbeitet. Wir können nift 
daran zweifeln, daß bei biefen Arbeiten fein Geiſt und 
feine Liebe gegenwärtig war. Da war er mit großen 
Plänen und weiten Ausſichten beſchäͤftigt. Aber wir für 
Gen dabei vergeblich nad einer tiefern Erregung feiner 
Seele, Das Äußere und bie Weite ber Naturerfheinun 


1) Die christian paradoxes erſchienen nach feinem Tode 16455 
fie ſlellen bie fheinbaren Widerfprüce des qriftuchen Glaubens im 
grelften Lichte dar. Daß er biefe abſichtlich gepäuften und unve 
bauten Widerfprüche mit dem credo, quia absurdum est (de augm: 
scient. IX, 1 p.263) niedergeſchlagen Habe, iſt nicht glaublich. Die 
Echtheit der paradoxes ift doch ohne Grund bepieifelt morben. 

2) Man vergleie fein Glaubensbekenntniß, feine Gebetformein, 
feine Überfegung der Palmen. 


39 


gen ziehen feinen Blick anz aber ex lann fd nicht zuſam⸗ 
mennehmen; ex if in Gefar über das Außere ſich felhp 
zu verlieren. Die Wahrheit lodt ihn; aber es lodt ipn 
nicht minder der Schein. 

Unftreitig hat hierauf feine Anſicht von der Wahrheit, 
welche er erforfchen wollte, den ftärffien Einfluß ausgeübt 
und wir können es daher nicht unterlaffen, hier ſogleich 
feine Äußerungen über biefen Punkt zu erwähnen, welche 
freilich eben fo ſchwankend find, wie feine Handlungs 
weife uns als unzuverläffig erſchien. Er giebt ung öfters 
zu erfennen, daß die Wiffenfchaft nicht des Nutzens wegen 
geſucht werben fohte; auch Glanz und Ruhm follen bei 
ihr unbeachtet bleiben H; er erinnert und baran, daß 
Berftand und Wille, Wahres und Gutes zufammengehör 
ren 2) und fo möchte er bie unbebingte Würde der Wiſ⸗ 
ſenſchaft zu vertheidigen ſcheinen. Aber er hat doch an 
der falſchen Ppilofophie der frähern Zeiten auch dies aus⸗ 
zuſetzen, daß fie für das Leben der Menſchen feine Frucht 
getragen habe, und fordert von ber Wiſſenſchaft, daß fie 
feine mäffige Forſchung feiz fie fol zum Gebrauch und 
zur Handlung führen, nicht allein Erkenntniß, fondern 
auch Macht über die Natur gewähren 5); biefe beiden 
ſcheinen ihm zufammenzufallen 9, und er fegt nun ohne 
Bebenfen den Zwed ber Wiſſenſchaften nicht in die Ers 
kenntniß, fondern darin, daß fie das menſchliche Leben 


1) De dign. et augm. scient. I p.45; VII, 1.196; org. 
nor. 1, 119. \ 

2) De dign. et augm. se. V, 1. 

3) Ib: UI praef.:p. 62; inst. magna p. 18. 

4) Inst. magna p. 19; nor. org. 1, 3. 


mit neuen Erfindungen und Hulfsmitteln bereichern H. 
Aus einer Bergleihung feiner nicht fehr genauen und nicht 
ſehr gleichmäßigen Auferungen wird man gewahr, daß 
es im wenigftens eben fo ſehr auf das Rüglihe als auf 
das Wahre in der Wiſſenſchaft ankommt. Gegen ben 
Ariſtoteles bemerft er, daß mar Gott und den Engeln das 
beſchauliche Leben und die Wiſſenſchaft zukommen; ber 
Menſch dagegen ſei auf das gemeinnügige Lehen ange⸗ 
wieſen ). Daher empfielt er uns auch Demuth und ei⸗ 
nen beſcheibenen Zweifel) und es beruhn hierauf feine 
Außerungen, welche Verehrung für die Religion zur Schau 
tragen. Die Erlenntniß des Menſchen fol durch Weis 
gion befcpränkt und auf Nugen und Handlung bezogen 
werben*). Unfer Wiffen ift nur unvofommen; es beruft 
auf einem Leiden unferes Geiſtes durch den Sinn; an 
ders freilich iſt es im Stande ber Glorie, aber ihn für 
nen wir nur hoffen; fegt find wir auf den Glauben an 
gewieſen, welcher beffer iſt als unfer gegenwärtiges Wiſ⸗ 
fen, weil er uns mit Gott in Verbindung feht; da ſol⸗ 
Ten wir unfere Vernunft unterwerfen und je abgeſchmad⸗ 
ter und unglaublicher und etwas erſcheint, um fo mehr 
ſollen wir es glauben 9. Den Atheismus verwirft Ba⸗ 





1) Nov. org. 1, 81. Meta sutem scientiarum vera et lagi- 
ma non alia est, quam ut dötetur vita humana novis invenlis 
et copii . 

2) De dign. et augm. so. VII, 1 p. 198. 

8) Inst. magna p. 10; nor. org. I, 66. 

4) Of the interpretation of nature p. 72, AIl knowledge is 
to be limited by religion and to be referred to use and action. 

5) Ib. p. 72 2q.; de dign. et augm. sc. IX, 1 p. 26% 
Quanto igitur mysterium aliquod diviaum fuerit magis absonun- 


con, weil er. ber Würde des. Menſchen zu nahe trete; 
denn er leugne bie Verwandtſchaft des menfchlichen Geis 
Res mit Gott, durch welche allein doch der Menfch über 
die Thiere und über ſich felbR) erboben werde. In bie 
ſem Sinn fegt er nun auch unſer ſittliches Streben, wel⸗ 
ches auf unſere Ähnlichkeit mit Gott gehe, viel höher als 
unfer Streben nach Etkenntniß und treibt und an unfer 
Heil, unfere verlorene Unſchuld durch die Religion zu fuchen, 
fo wie wir unfere verlorene Herrſchaft über die Natur 
durch Kunſt und Wiſſenſchaft wiederzugewinnen fireben folr 
Im), Aber wenn ihn ſolche Gedanken zu Gott, zum 
fitliden und refigiöfen Leben führen, fo läßt er von 
ihnen fich doch nicht fortreißen auf eine wiffenfpaftliche 
Erörterung diefer Dinge einzugehn, vielmehr ſchiebt er 
alles dies ber Theologie zu, wärend er nur die weltliche 
Wiſſenſchaft in feine Unterfuhung ziehen wil. Da vers 
gißt er feinen Spruch, daß des Menſchen Werth nur 
auf feinem Geiſt, fein Geif nur auf feinem Wiffen bes 
ruhe 2), und überläßt fih dem Glauben, in welchem er 
noch einen andern Werth und eine andere Würde bes 





et incredibile, tanto plus in credendo exhibetur honoris deo et 
ft vietoria fidei nobilior. — — : Dignius quidem est credere, 
qua seire, qualiter nuno scimus, In scientia enim mens hu- 
mana patitur. a sensu, qui a rebus materiatis resilit, in fide 
autem anima patitur ab anima, quae est agens dignius. - Aliter 
se res habet in tu gloriae; tuno siquidem cessabit fides 
alque cognoscemus, sicut et cogniti sumus. Christian para- 
dozes 1. 

1) Essays civil and moral 17 p. 324 (sermones Adeles 16). 

2) In praise of knowledge p.69. The mind is the man and 
the knowledge of the mind. A man is but what he knowelh. 

Geſch. d. Philoſ. x. 21 





Menſchen anerkennt, ahne irgend ein Bemüpn ipn zum 
Wiffen zu erheben, Die Wiffenfcpaft führt nur zur Ber 
wunberung Gottes; feine Geheimniſſe Läßt fie unerforſcht H. 
Die Unterfugungen über das hödfle.Bnt hat das Chris 
flenthum befeitigt; wir ‘And Kinder und fönnen es nur 
in der Hoffnung befigen ®). Auch bie Unterfuchung über 
bie vernünftige Seele wird mefentlih der Theologie zus 
gewieſen ). Im ber Religion und im fittlichen eben 
ſollen wir und an den pofitiven Ausſpruch, an das Ger 
feß halten, weldes willlüͤrlich feſtgeſtellt wirb, wie dir 
Geſethe des Staats, ja wie die Befege des Schachſpiels. 
Was wir über das Sittengefeg durch das Licht der Natur 
wiſſen fönnen, if unzureichend und laͤßt. ſich nicht weiter 
wiſſenſchaftlich verfolgen, weil es nicht durch Die Sinne und 
die Bernunft in wiſſenſchaftlicher Methode erörtert werben 
ann, fondern nur durch einen Funken gleichfam unferer 
urfprünglichen Reinheit, durch das Gewiſſen oder einen 
innern Inftinft erleuchtet ) . Hierdurch laͤßt ſich Bacon 
nun freilich nicht abhalten auch philoſophiſche Betrachtun⸗ 


1) De dign. et augm. sc. I p.30. 
2) Ib. VII, 1 p.196. 
‘3) Ib. IV, 3 p. 132. 

4) Ib. IX, 1 p.263 sq. Die natürfihe Sittlichkeit beruht auf 
einem eingebomm SWefreben nach dem Guten fomohl für die Inbir- 
duen, als für die Gemeinfaft der Menfihen. Ib. VAT, 1 p. 197. 
Die Pflichtenlehre gegen die Eimzelnen wiſſenſchaftlich auszuführen 
wirb beſonders abgelehnt; zerfireute Bemerkungen über fie wären gt: 
geben worden und fo wäre es auch beſſer als ein Syſtem zu fuhm; 
denn die Erfahrung müffe lehren ; allgemeine Betrachtungen aber bräd: 
ten feinem Rugen. Ib. 2 p. 209. 


323 


gen über das filtliche Leben des Menſchen anzuſtellen; 
aber er entfchulbigt ſich deswegen gegen die Theologie, 
welche dies als einen Eingriff in ihr Gebiet betrachten 
fönnte; er meint, die Philoſophie folte fih als eine ges 
ſchite Magd ber Tpeologie erweiſen und müßte daher 
auch etwas betreiben, was ihrer Gebieterin in die Hand 
atbeiten Fönnte). So wenig will er es Wort haben, 
daß feine Lehre auf eine Befreiung der Philoſophie von 
ihrer theologiſchen Knechtſchaft ausgehe. Ihm fcheint nun 
Regerei doch noch ſchlimmer als Sittenfofigfeit 9. Er 
ifert gegen jene befonbers, weil fie den Frieden ber 
Kirche ſtöre, und bie kirchlichen Streitigkeiten gelten ihm 
für eins der größten Übel, beſonders weil fie bie Forts 
ſchritte der Wiffenfhaften hindern 5). In diefer Betrach⸗ 
tung geht er nun wieder fo weit, daf er, alle Würde 
des Menſchen unbeachtet, den Aberglauben doch noch für -' 
ſchlimmer Hält als den Atheismus, denn der letztere flöre 
weder Sitten noch Staaten und laſſe die natürliche Phi⸗ 
loſophie ihre ruhigen Fortſchritte machen, wärend ber er⸗ 
ſtere nicht allein alles dies in Gefar bringe, nicht allein 
Aller Meinung über Gott fih enthalte, ſondern auch ger 
gen die göttliche Majefät und Güte fireite ). Diele 
Auferungen ſtehen nicht in ber genaueften Übereinftims 
mung; im Allgemeinen aber Teuchtet aus ihnen hervor, 
daß Bacon die menschliche Wiſſenſchaft doch nicht bis in 





1) Ib. vn, 3 p. 206. 
2) Essays civil and mor. 3 p.308, 
3) Lett. 99 p. 583. 
4) Ess. civ. and ‚mor. 18 (serm. id, 17); leit. 92; nor. 
08.1, 80. - ‘ 
21* 


324 


ihre Höhen Aufgaben verfolgen will, daß er gering von 
ihr denft, weil in ihre Tiefen einzugehn ihm ber Muth 
fehlt, wie umfaflend er auch fie. in der Breite ausbehnen 
mödte. Hierin werben wir eine neue Duelle feines ges 
fpaltenen Sinnes finden. Nicht allein das wiſſenſchaft⸗ 
liche und das auf den Nuhen gerichtete praktifche Leben 
fallen ihm auseinander, ſondern auch feine veligiöfen 
Überzeugungen haben nicht die Kraft feinen ganzen Mens 
ſchen zu durchdringen; feine Erkenntniß läßt er faR ohne 
Berüprung mit feinem veligiöfen und fittlichen Bewußt⸗ 
fein dahingehn. Man wird fi nicht darüber wundern 
Tönnen, daß er für eine Wiſſenſchaſt, die ihm nicht allein 
tief unter dem Glauben fleht, fondern auch nur eine 
Magd der Tpeologie und ber nüglichen Künfte abgeben 
ſoll und in bie Tiefen des fittlichen Lebens nicht ein 
dringen vermag, feinen Wunſch feines Eprgeizes aufjus 
opfern im Stande war, 

Seine Werke tragen den Charakter des Mannes an 
ſich. Der mannigfaltigfien Art verbreiten fie ſich über 
alles. Man. erftaunt über den Umfang feiner Arbeiten, 
über bie Gewanbtpeit und Selbfänbigfeit, mit welcher 
er in jebem Fache fih bewegt. Aber viele von feinen 
Unternehmungen find unfireitig nicht aus feinem eigenen 
Geiſte hervorgegangen, fondern es iſt in ihnen ein Nach⸗ 
Hang fener phifologifhen Redelunſt, welde über alles 
ſich zu verbreiten, über alles ein Urtheil zu haben fih 
vermag. Er hatte den Ruhm eines berebten Schriftſtel⸗ 

"ters und ba bebiente fih denn die Königin Eliſabeth, 
wie er fagt, gern feiner Feder und nach feinem Fall trug 
ex felbft dem Könige feine Feder zum Gebrauch an und 


bat ihm die Aufgaben zu flellen, welche ex ausführen 
ſollte H. Vieles, was er unternommen hat, feine Arbei⸗ 
ten über die Geſchichte Englands, feine Entwürfe für ein 
Digeftum der Englifchen Geſetze, hängt nur mit ben -Ber- 
hältniffen feines praftifchen Lebens zufammen. Anderes, 
wie feine theologiſchen Abhandlungen, feine refigiöfen 
Betrachtungen, feine Überfegungen einiger: Pfalmen in 
Engliſche Verſe, berüprt fein religiöfes Leben, welches nur 
in fehr loderem Zufammenhange mit feiner Wiſſenſchaft 
Rand. Nur die Werte, welde zu ber großen von ihm 
beabſichtigten Wiederherſtellung ber Wiſſenſchaften gehören, 
find als die Fundgruben feiner Philoſophie anzuſehn. 
Bon feinen übrigen Schriften haben feine politiſchen und 
moraliſchen Verſuche (sermones fideles) ben größten Bei⸗ 
fal gefunden; er felbft legte auf fie den größten Werth. 
Man könnte erwarten, in ihnen am meiften den ganzen 
Mann heroortreten zu fehn; denn fie haben Montaigne's 
Berfuche zu ihrem Mufter genommen; aber ihrem Muſter 
fommen fie bei weitem nicht gleich; bie allgemeinen Bes 
trachtungen, welde fie enthalten, Yaffen falt, wie ein 
Berk der Nahahmung; weder durch einen wiflenfchaftlis 
hen Faden, noch durch ben Ausdruck einer belebenden 
Perfönlicpkeit werden fie zufammengehalten. Wie Bacon 
au mit andern Werken zu thun pflegte, hatte er diefe 
Lieblingsſchrift zuerft in Eugliſcher Sprache aufgefegt, 
alsdann aber überfegte er fie in das Lateiniſche, wobei er 
auch wohl fremder Hülfe ſich zu bedienen pflegte; denn 
er war ber Überzeugung, daß Werle in den neuern Spras 





"4) Lett. 270. 


Gen nit lange dauern würden; feinen Werken dagegen 
in der allgemeinen Belehrtenfprache verfprach er Unferb- 
lichteit y. Seine Schreibart iſt nicht fehr gewählt, gu 
weilen fogar nachlaͤſſig; fie verbindet aber. eine leichte 
und Mare Berebtfamteit mit Reichthum an Gebanfen. Er 
liebt allgemeine Bemerkungen, welde in treffenden Ge⸗ 
genfägen, in wigigen Wendungen ipren Gegenſtand in 
das Licht fegen und fehr Häufig eines bildlichen Aus . 
druds fih bedienen. Solche Bilder wiederholen fih bei 
ihm öfters far mit denfelben Worten; aber au in kb 
nen Wiederholungen ermäbet ex nicht, weil man äberal 
in feinen Schriften den umfaſſenden Geiſt gewahr wird, 
welcher in einer großartigen Überfiht das Feld ber Bil: 
fenfpaften ermeſſen hat, 

Wir Haben erwähnt, daß Bacon ſchon in früper'Ju 
gend den Plan zu einer Reform ber Wiffenfchaften ent 
worfen hatte. ine lange Zeit ließ er vergehen, che er 
ihn veröffentlichte. 1605 gab er feine Schrift über bie 
Würde und die Fortſchritte der Wiffenfchaften in Englis 
ſcher Sprache heraus, welche mit großen VBermehrungen 
1623 in Lateiniſcher Sprache erſchien. Das neue Orga 
num ließ er 1620 erſcheinen und furz darauf folgte fein 
große Inflauration, welche den ganzen Plan feiner Ar 
beiten vor Augen legte. Diefe Werke ſtehen im Zw 
fammenhang unter einander und ans ihrem Inhalt wie 
aus gegenfeitigen Berufungen auf einander erſieht man, 
daß fie zu gleicher Zeit in Angriff genommen und weil 
geförbert wurden. Don feinem ganzen Plane- bilden bie 


1) Serm. Adel. in der Deblcation an Budingpam; Rawley in 
d. Borrede zu Bacon WE. b. Malt p. 20. , 


327 


erwähnten Werle nur den erſten und zweiten Theil eines 
Ganzen, weldes auf ſechs Theile berechnet war, und 
au der zweite Tpeil, das neue Organum, if nicht voll 
endet ). Zu allen übrigen Tpeilen hat Bacon nur 
Anfänge, zu der Naturgeſchichte zwar ziemlich ausfähr- 
liche, aber doc gegen das Ganze des Unternehmens ges 
halten nur den Heinften Theil gegeben. Sein Plan war 
m umfaflend, als daß er ihn auszuführen bie Hoffnung 
hätte hegen können; zut Ausführung verlangt er Jahr⸗ 
hunderte; er wünfcht für biefetbe die Hülfe der Könige 
und Großen; er möchte; daß Ihrem Zwede bie Lehr⸗ 
anfalten von ganz Europa fig umgeſtalteten und in eine 
engere Verbindung unter einander traͤten; er feinerfeits 
will nichts vollenden, nur anregen; er vergleicht fi mit 
dem @lodenläuter, welcher andere zur Kirche zufammens 
tuft ). So wie er vor voreiliger Syſtemmacherei warnt, 
fo will er keine Theorie aufſtellen, leine Schule ſtiften; zu 
einer allgemeinen Theorie ſcheint ihm ſeine Zeit noch nicht 
reif ). Daher begnügt er ſich damit eine ſichere Orund⸗ 
lage für das künftige Syſtem zu ſuchen, eine Methode 
für die weitere Forſchung anzugeben und Gefihtspunfte 
aufzuftellen , welche bei der Anwendung der Methode im 
Auge zu behalten fein wurden. 





1) Diefer Punkt, welchet gewöhnlich nicht beachtet wird, get aus 
org. IK, 21 hervor, wo der Plan der weiteren, Unterſuchung gegeben 
wird, Nur der erfle Theil diefes Planes If ausgeführt worden. 
Vergl. aud) historia naturalis et experimentalis b. Mallet p.23. 

2) De dign. et augm. sc. II praef. p.62 sq.; IX, 1 p. 26757 
hist, nat. p.23; lett. 78; 82 p. 567. 

3) De dign. et augm. so. I p.44; nor. org. I, 66. 


Sein Plan if anf eine gämliche Umgeftaltung ber 
weltlichen Wiſſenſchaft abgeſehn, dem Charalter unferes 
Zeitabſchnitts gemäß, welcher entſchloſſen war ganz von 
vorn anzufangen, nachdem man lange vergeblich, bei 
den Alten ſichere Grundlagen für die Philoſophie zu fin 
den gehofft hatte. Bacon. meint, ihm werde man «6, 
Hleih wie dem Aerander, zum Rahm anrechnen, bag er 
getvagt habe das Eitele.gu:merahten und an eine Yölige 
Wiederherſtellung der. Wiffenfchaften von ihren erſten 
Grundlagen aus zu denfrg-3. „Die alte Philofophie Hält 
er nur für eine Mnabenpafte.Wifenfhaft. Glücklich wir 
ben wir fein, wenn mir gne- leere Tafel wären um bie 
Wahrheit aufgehmen zwi;fönnen ohne von dem Unſrigen 
beizumiſchen; aber wir, haben es mit angebilbeten Bors 
urtpeilen zu thun -unb.mit den angebornen Neigungen 
unferes Geiſtes zu kämpfen. Da Fämpft num Bacon 
gegen voreiliges Urtheil, gegen die Einbildungen, melde 
uns täufchen. Es if ein Haupffehler, daß wir geneigt 
find zum Algemeinen zu eilen und aus wenigen Fällen 
ſogleich eine allgemeine Regel zu ziehen 9. Bacon wil 
dem Geifte nicht Flügel leihen, fondern ihm ein bleiernes 
Gewicht anhängen. Nur ganz almälig, in einem ruhi⸗ 
gen und ununterbrochenen Fortſchritte vom Niederen zum 
Höhern, vom Befondern zum Allgemeinen follen wir zur 
Erlenntniß d der Wahrheit gelangen ). Er bekämpft nun 

1) Inst. magna p.3; 5. Missis philologieis. Ib. p.7; org. 
nor. I, 31. Instauratio facienda est ab imis fundamentis, Ib. 
97. Non est spes nisi in regeneratione scientiarum. 

2) Inst..magna p. 15. 

3) De dign. et augm, se. V, 2 p. 141. 

4) Org. nor. 1, 19; 108. Hominum intellectuj non plane 





alle Berurtheile, die Idole unferes Geiſtes; wir follen 
fie nicht mit den Ideen verwechſeln, melde Gott feinen 
Geſchoͤpfen eingebrädt habe 2). Nach feiner Weiſe ſucht 
er fie forgfältig einzutheilen; er unterſcheidet die allge⸗ 
meinen Borurtheile der menſchlichen Art, die befondern 
Borurtpeile der Individuen und. fügt noch andere Hinzu, 
welche theils aus den. Täufhungen der Sprache, theils 
aus den falfchen Theorien der Schule entfpringen 9. 
Die beiden letzten Arten hat er befonders im Auge, in 
dem er bie Ppilologen und bie abergläubifche Berehrung 
der alten Philoſophie beſtreitet. Er möchte reine Bahn 
machen. Alte und Neuere haben die Natur verfaͤlſcht; 
Hinten Hat Theologiſches, Arifoteles Logiſches, Proculus 
Matpematifches in fie eingemifchtz bie Chemiler find von 
wenigen Erfahrungen aus fogleih zu einer. allgemeinen 
Theorie forigeſchritten; ebenfo haben auch Telefius und 
Gilbert gefehlt, Wir dagegen follen uns an bie reine 
Roter Halten, an das Licht der Natur und bie Erfah⸗ 
tung 5). Baron nennt baher fein Verfahren die Ausle⸗ 
gung der Natur im Gegenfag gegen bas alte Verfahren, 
welches nur ein Borausgreifen des Geiſtes geweſen feit). 

So ſcheint es, als wollte Bacon ganz reine Tafel 
machen, ganz von vorn anfangen und nichts als Wis 


addendae, sed plumbum potius et pondera, ut cohibeant om- 
nem saltum et volatum, Ib. II, 37. 

1)1.1,2. 

2) Idola tribus, specus, fori, theatri. De dign. et augm. zc. 
V,4 9.153 2qg.; org. nor. I, 38 aqg. 

3) Org. nor. 1, 51; 127. 

4) Ih. praef. p, 273. Altera ratio sire via anticipatio men- 
is, altera interpretatio natura a nobis -appellari, oonsuerit, 


ſenſchaft anertennen, was feine Borgänger geleifet haͤt⸗ 
ten. Aber er gleicht doc nicht jenen Geiſtern, welde 
um von Grund aus alles zu beſſern für noͤthig halten 
alles Bergangene zu verneinen. Vielmehr bei einer ſol⸗ 
en Neuerung, wie er fie beabfichtigt, iſt die Mäßigung 
zu bewundern, welche ihm fein welterfahrener Sinn ein: 
giebt. Nicht allein im Allgemeinen gefeht er ein, daß 
nicht alles Alte zu verwerfen fei, daß auch bie Früpern al 
tüchtige Führer ſich erwieſen hätten; nicht allein beſchraͤnli 
ex feine vorher angeführten Säge dahin, dag man bis 
per nur nicht mit Einfiht in den richtigen Weg geforfht 
habe, fo daß au feine ganz ſichere Wiſſenſchaft Habe zu 
Stande fommen können 2); fondern er fepreitet auch ſo⸗ 
gleich dazu das bisher in den Wiſſenſchaften Geleifete 
zu unterfuchen um es, foweit es irgend tauglich, zu fer 
nem Werke zu benugen. Sein ausführlichftes Werk über 
die Würde und Fortſchritte der Wiflenfchaften iſt größten: 
theils biefem Zwede gewidmet. Es fo eine Eintheilung 
der Wiſſenſchaften geben, aufzeichnen, was in jedem 
Zweige derfelben bisher geleiftet worden, was noch ver- 
mißt werde, und dabei Proben von dem geben, was zur 
Ausfühung der Lüden gethan werden könne. Dabei fann 
er num freilich die Schwächen der bisherigen Wiſſenſchaft 
nicht übergehn. Befonders den Ariftoteles als den Be 
herſcher der Schule mit feinen ſcholaſtiſchen Genoffen muß 
er befämpfen. Er wirft ihm vor, er habe nach Weife ber 
Dttomanen geglaubt nicht ficher herfchen zu können, wenn 
ee nicht feine Brüder getöbtet hätte; aber er giebt auf 


1) Inst, magna p. 10. 





eben hierdurch zu erfennen, daß er in ber Weisheit der 
alten Philoſophen noch mande Schäge für verborgen 
halte 235 er ſucht dieſelben fogar in der Mythologie der 
Griechen auf, welche er für eine in Bildern verhüllte Phys 
Mund Moral HAM; er Iobt befonbers die Methode 
des Demokrit, welche uns die Natur zu zerlegen anweife, 
wenn er auch deſſen allgemeine Grundſaͤtze über die Prin⸗ 
cipien der Natur nicht billigt und ihn tadelt, weil er die 
Berbindung bes Zerlegten vernapläffige I; und fo iR er 
überhaupt bemüpt die Lehren des Alterthums für feine 
neuen Unternehmungen zu benugen. Seine Kritik der 
biöperigen Seiftungen wird man im Allgemeinen nicht zu 
Äreng,' eher zu nachſichtig finden. Eben fo entſchieden wie 
die Dogmatiker tadelt er die Steptifer. Er erwähnt zus 
weilen die Ähnlichkeit, welche fein Unternehmen alle bis⸗ 
beige Wiſſenſchaft in Zweifel zu ziehen mit der Weife 
der Skeptiker habe; aber wir follen weder alles behaup⸗ 
ten, noch alles bezweifeln, wir follen nicht zweifeln um 
zu zweifeln, fondern um Sicheres zu finden *). 

In feiner Mufterung des gegenwärtigen Standpunftes 
der Wiffenfchaften fönnen wir jedoch nicht umhin viel 
Auffallendes zu finden. Wie fehr er auch gegen ein alls 
zuſchnelles Auffliegen zum Allgemeinen fi) erflärt, dennoch 
will er der erfien Philoſophie und ber allgemeinen Wiſ⸗ 
ſenſchaft, welche wie von einem hohen Thurme alles 


1) De dign. et ang. sc. I, 4 p. 107. 

2) Ib. II, 13 p.81 sqq.; de sapientia veterum. 

3) Org. nor. 1, 51; 57. 

4) De dig. et augm. w. I p. 455 IN, 4 p. 106; org. nor. 
praef. p. 271. 


3.2 ol 
überblide, ihr Recht bewahrt wiſſen. Nur von einer ' 
hohen Warte koͤnne man bie entferntern und die innern 
Theile der Wiſſenſchaft erblicken !) Seine Eintheilung der 
Wiſſenſchaften konnte nur durch eine allgemeine Überfiht 
begründet werben, Daher iſt er auch gegen die Zeriplit 
terung der Wiſſenſchaft, gegen die Abfonderung ber einen 
Wiſſenſchaft von der andern, ald wenn bie eine ohu 
die andere nicht befiehn Könnte. Cr iſt ſich der Einheit 
aller Wiffenfhaften bewußt, welche von der Philoſophie 
vertreten werben fol, und weift auf bie gemeinfame 
Duelle aller Erlenntniß zuruch?). Er will daher auch 
Sittenlehre und Raturphilofophie mit einander verbunden 
wiflen ). Died würde vortrefflich klingen, wenn wir 
nicht beforgen müßten, daß Bacon feinen eigenen Grund 
fügen ungetreu würde, indem er bie Theologie von der 
Philoſophie ſcheidet und beide auf verſchiedene Quellen 
der Erlenntniß zurücführt 9. Noch beſorgter werden 


1) De dign. et aug. ec. I p. 44. Prospectiones fiunt e tur- 
ribus aut locis praealtis et impossibile est, ut quis explorel 
remotiores interioresque scientise alicujus partes, si stet super 
plano ejusdem scientiae neque altioris scientiae velut specalam 
conscendat. 

2) 1b. I, 1 p. 93 sq. ; IV, 1 p, 117. Hoc pro regula po- 
natur generali, quod omnes scientiarum partitiones ita intelli- 

“ ganfur et adhibeantur, ut scientias potius signent, quam secent 
et divellant, ut perpetuo evitetur solutio contiauitatis in scien- 
tüis, Hujus enim contrarium particulares scientias steriles red- 
didit et erroness, dum a fonte et fomite communi non alun- 
‚tur, sustenlantur et rectificantur., Org. nov. I, 107; of ihe 
interpr. of nat. p. 85. 

3) De dign. et augm, sc. I p. 45. 

4) Ib. I, 1. p.9. 1— 


535 
wir um feinen Weg, wenn Bacon uns feine Anfiht von 
der erften Philoſophie auseinanderfegt. Denn die allge- 
meinen Grundfäge mehrerer oder aller Wiſſenſchaften, 
welche er aufſtellt, finden wir zwar mit Verſtand ent- 
worfen und bemerfen mit Vergnügen, wie fie darauf 
ausgehn mehr ala bie alte Metapppfik fruchtbare Begriffe 
für die Unterfuhung des Einzelnen geltend zu machen 2); 
aber wir fehen doch auch gar keinen Verſuch von ihm 
gemacht diefe allgemeinen Lehren mit feinem Begriffe von 
der Wiffenfchaft überhaupt in Verbindung zu fegen. Eine 
Erflärung der Wiſſenſchaft fehlt bei ihm nicht; fie bebeus 
det ihm das Bild der Wahrheit; die Wahrheit des Seins 
und die Wahrheit des Erfennens find ihm dasſelbe, nur 
daß diefe in veflerivem Stral auffaffe, was jene in bis 
tectem Stral zu erfennen gebe 2); aber fie bleibt unbe 
mußt; Feiner der allgemeinen Grundfäge für bie Wiſſen⸗ 
fhaft, welche er aufftellt, wird von ihr aus abgeleitet. 
Und fo fehen wir in der That feinen wefentlichen Unter 
ſchied zwiſchen diefen oberfien Grundfägen, welche Baron 
als Teitende Gedanfen für feine Unterſuchungen gebraucht, 
und zwifchen ben erflen Begriffen der Metaphyſik, vor 
deren Annahme er ung nicht dringend genug warnen lann, 


1) Dies gilt befonders von der Weife, wie er die Lehren über bie 
conditiones rerum adventitiae oder transcendentes, bie er als 
modale Betrahtungsiveifen anſicht, behandelt wiffen will. Ib. II, 1 
P-95; 4 p.90. Cs ift dies ein Gedanke, welcher bei ihm noch fehe 
unentroidelt iſt 

2) Ib. I p.41. Quae (sc. scientia) nihil aliud est, quam ve- 
ritatis imago. Nam veritas essendi et veritas cognoscendi idem 
sunt nec plus a se invicem differunt, quam radius directus et 
reflexus, 


35 


weil fie auf voreiliger, verwegener Abſtraction ber 
zupten 2). 

Genau genommen mag nun hierin wohl ein unauf- 
gelßfter Widerfprud in Bacon’s Denkweiſe liegen; abe 
es verrathen ſich doc Mittelglieber, durch welche er er⸗ 
Märtip wird. Seine ganze Einteilung der Wiſſenſchaft 
nemlich und die daran fi anſchließenden Gedanken über 
den gegenwärtigen Zuftand der Wiſſenſchaften und mas 
für fie weiter zu Teiften fein möchte, haben wir nur a 
etwas Borläufiges anzuſehn. Darüber fpricht er fich felht 
deutlich genug aus); es liegt dies aber auch feinem 
ganzen Plane zur Reform der Wiffenfchaften zum Grunde. 
Denn dieſe fol erſt beginnen und zuerſt eine figere Bi: 
ſenſchaft begründen, nachdem ber Boden der bisherigen 
Denfweife unterfucht worden if. Wir haben baher auf 
die allgemeinen Grunbfäge der erflen Philofophie, welche 
er aufzäplt, nur als vorläufige Annahmen anzufehn. Ba⸗ 
con hegt die richtige Anfiht von dem Berhältniffe der 
wiſſenſchaftlichen Erlenntniß zu der gewöhnlichen Bor- | 
ſtellungsweiſe; aus diefer heraus bildet ſich jene; ‚man 
lann diefe nicht ſchlechthin befeitigen ohne jener ihren na 
türlichen Boden und den Stoff ihrer Rahrung zu entziehn; 
aber dennoch werben alle Vorſtellungen ‘des gemeinen ke⸗ 
bens und auch ber gelehrten Bildung von der wiflen 
ſchaftlichen Forſchung nur als vorläufige Annahmen ber 
handelt werben können, weil fie erſt die Wiſſenſchaft aus 
den Schwankungen der Meinung herauszieht. Es wird 
nur darauf anfoınmen, ob Baron nun auch wirklich ale 





4) Inst. magna p. 3. ‘ 


2) De dign. et augm. sc. VI, IR 19. 


Borfielungen ber gemeinen Meinung und der gelehrten 
Bildung bei feinen wiſſenſchaftlichen Unterfuhungen nur 
als etwas Borläufiges behandelt. 

Hieran jebod muß man zweifeln. Wir wollen es 
ihm nicht zum Tadel anrechnen, daß er von vornherein 
die Einheit der Wiſſenſchaft vorausfegt, denn die Hhilo⸗ 
ſophie wird fie anerkennen müſſen; aber fo wie er fie 
annimmt, ift fie doch nur eine Vorausſetzung, welche als 
fiiper von ihm angefehn wird, ohne daß fie eine weitere 
Rechtfertigung gefunden hätte. Noch ſchwerer iſt unftreis 
tig der Fehler, dag er trog ber Einheit der Wiſſenſchaft 
annimmt, daß fie in Theologie und Philoſophie fi ſpal⸗ 
tet, und nachher ‘glaubt die Tegtere ohne bie erſtere durch⸗ 
führen zu fönnen, als wenn fie die einzige Wiſſenſchaft 
wäre, Man könnte dies als einen Nothbehelf anſehn 
um fi gegen bie theologifchen Vorurtheile der Zeit zu 
fügen. Im diefem Sinn ſcheint er ſich zu äußern, wenn 
ex. meint, das menfchlihe Wiſſen ſolle der Theologie 
feinen Schaden thun und bie Religion verbiete die Nas 
turforſchung nit). Aber feine Borausfegungen über 
die Theologie gehn in ber That weiter, Er gebraudt 
die theologiſchen Säge um philoſophiſche Vorausſetzungen 
zu vedifertigen und um das Gebiet der Philofophie zu 
beicpränfen. Das erftere gefchieht, wenn er ben Grunde 
fag, daß bie Größe der Materie immer biefelbe ‚bleibe 2) 
durch bie Behauptung unferftügt, daß Gott die Materie 
auf einmal ganz geſchaffen, aber erft naher allmälig ges 





1) Inst, magna p. if. 
„ 2) De dign. et augm. sc. III,1 p.94. Omnia mutantur, nil 
interit. — — Quantum naturae necKinnitur nec augetur, 


bildet Habe), Das andere giebt ſich in nach auffallen 
derer Weife zu erfennen. Seine Erklärung ber Wien 
Theft, daß fie das Bild der Wahrheit fei, wird nur 
dazu gebraucht die Hoffnung auf die natürliche Erkenni⸗ 
niß der Wahrheit und zu benehmen. Die Anfchauung 
der Waprpeit fol uns Gott doch nur durch die Mittel 
der Religion verleihen, unfere menſchliche Wiſſenſchaft 
iſt weit davon entfernt fie erreichen zu fönnen 2). Wenn 
Baron zum wiſſenſchaftlichen Forſchen uns ermunten 
win, fo äußert er zwar, Gott habe den menfchlichen Geif 
zum Spiegel feiner Werke gemacht ); aber er bebenft 
auch die Unvolllommenheit der menſchlichen Exfenniniß 
und rechnet es zu ben verberblichften Vorurtheilen, daß 
der Menſch gleichſam Norm und Spiegel der Natur fei, 
und alsdann tft nicht mehr davon die Rede, daß Erin 
nen und Sein nur wie veflectirter und directer Stral zu 
einander ſich verhielten, fondern die Unäpnlichkeit zwiſchen 
ber Welt und dem Geifle des Menſchen kann kaum od 
genug angefhlagen werben), Nun will zwar Baron 
die natürliche Wiſſenſchaft nicht ganz von ber Erfahrung 
des Bötilichen zurüdhalten, aber es iR doch nur ein 
Funfe der Wiflenfchaft, welcher ihm bis zu dieſer Höhe 
hinanzureichen fein. Sein Ausſpruch if berühmt, daß 
ein Teichtes Koften der Philoſophie wohl zum Atheismus 
führen fönnte, daß aber ein tieferes Erſchoͤpfen derſelben 


1) Ib. I p.46. 

2) Änst. magna p. 19. 

3) De dign. et augm. sc. I. p. 29. 

4) Ib. V, 4 p. 155 eff; natural history cent. X in. 





857 


zur Religion zurädfähre 2). Denn die Unterſuchungen 
der Ratur könnten ung lange bei den Mittelurfacdhen: Fef 
halten, aber je tiefer wir in ihre Kenntniß -eindräugen, 
um fo. mehr würden wir gewahr werben, daß--idi' ber 
Raturorduung göttliche Weisheit und Borfehung wahe 
ten. Der Atheismus fei auch mehr auf den Lippen der 
Menſchen als in ihren Herzen und Dott Habe keine Wun⸗ 
der geihan um ihn zu widerlegen, fondern bag Wunder 
der ganzen Welt habe Hierzu ausgereicht. Aber alles dies 
leitet feiner Meinung nad doch nur zur Bewunderung 
Gottes an, zur Anerfennung feines Ruhmes, ‚feiner Macht 
und feiner Weispeit und die- natürliche Theologie reicht 
nur zur Widerlegung des Atheismus aus und zur- Ber 
hauptung des Naturgefeges, aber nicht zus Begrändung 
der Religion und zur Erkenntniß des Willens Gottes 2). 
Wir Haben diefe Anſicht ſchon bei Taurellas gefunden; 
mit ihr ſtimmt das überein, was Bacon im Allgemeinen 
von den menſchlichen Wiffenfcpaften vorausſetzt. Er ver⸗ 
gleicht ſie mit Pyramiden, welche zu ihrem Erdgeſchoſſt 
die Erfahrung ober: die Geſchichte hätten, "Die: Grunde 
lage ber natürlichen Ppitofoppie würde baper bie Natur 
geſchichte fein. Auf fie folgten zwei Höhere Seſchoſſe. die 
Phyſil und bie Metaphyſik und bie Spike ver Hiramide 
bifdete zulegt das höͤchſte Naturgefeg, das: Werk, welches 
Gott von Anfang bis zu Ende wirle. Dies: ſer dit eeytn 
1) De ip. & augm. se. 1 p. 30. Lover‚gustuk in philone« 
phia:movere forlasse ad atheismum,, sed pleniores hadstan: ad 
religionem reduoere. Eesays civ. and mor. £7 (serm.' fd. 16Ni 
2) De diga. et augm. sc. I p. 30; 49; IH, 2 p. 96; A p-tftz 
IX, 1. p.263; es. eiv. and mer. 17; medit; sacrae p. 401 4q. 
Geſch. d. Philof. x. 22 


des Parmenides und bes Platon, daß alles in einer Stu⸗ 
fenleiter zur Einpeit aufſteige. Die brei erwähnten Ge 
ſchoſſe bildeten nun für hie, melde von eigener Wiſſen⸗ 
ſchaft aufgeblaſen wären, gleichſam die drei Berge, welde 
die Giganten aufeinanbertpürmten um den Himmel zu 
ſtürzen; für die aber, welche ihrer Eitelkeit ſich bewußt 
wären und alles auf den Ruhm Gottes zurüdführten, 
wären fie wie der dreimalige Ausruf: heilig, Heilig, her 
lg. Dieſe Anfiht ſtimmt auf das Beſte mit feiner Ber 
hauptung, daß die Wiſſenſchaft nur eine ſei; aber einge 
den bes Vorzuges, welden die Theologie vor den übli⸗ 

gen Wiſſenſchaften Haben fol, und der Befchränktpeit un " 
ſerer natürlichen Erlenntniß, ſchließt Bacon ihr aud die 
Meinung an, dag man mit Recht zweifle, ob bie menſch⸗ 
lie Forſchung bis zum Gipfel der Wiſſenſchaft gelangen 
tönne 2). Die hierin ausgebrüdte Befchränfung der nos 
türlichen Wiſſenſchaft durch die Theologie bfeibt natürlich 
auch nicht dabei ſtehn uns von ber Erkenntniß bes Gi⸗ 
pfels der Natur auszufchliegen; fie dehnt ſich auch auf 
die Erfenntniß .unfer felbR aus. Bacon unterſcheidet bie 





i) De. dig. et augm. sc. III, 4 p. 109. „Sunt enim seien- 
ae insiar pyramidum, quibus hintoria et experientia tanguam 
basis unica wubsternuntur; ao proinde basis naturalis philoso- 
pkiab est historia naturalis; tabulatum primum a basi est phy- 
sica,. vertici proximum melaphysica; ad conum quod altinel 
et punctum verticale (opus quod operatur deus a principio us- 
que ad finem, summariam nempe naturae legem) haesitamus 
merito, an humana possit ad illud inquisitio perlingere. Cae- 
kerum haec tria — — sunt apad homines propria scientia in- 
flatos di theomaı tanquam (tes moles giganteae, — — apud 
eos.vero, ui se ipsos exinanientes omnia ad dei gloriam re- 
ferunt, tanquam trina illa :axclamatio, Sancte, Sancte, Sancte. 





2 


ſiunliche Seele, welche nur durch die Elemente hervorge⸗ 
bracht werde, von ber vernünftigen Seele des Menſchen, 
welche göttiher Art und son Bott eingeblafen fein foll; 
jene Hält ex nur für einen Körper, welcher durch Wärme 
unfihtbar gemacht werde; in dieſer ſucht er den Vorzug 
bes Menſchen. Aber er entfcheidet fi auch dafür, daß 
die Unterfuhung über bie vernünftige Seele weſentlich 
der Theologie angehöre I. So macht er denfelben Uns 
terſchied geltend, welcher dem Telefius dazu gedient hatte 
die phyſiſchen und die theologifchen Unterſuchungen ges 
trennt zu haltenz auch iſt Bacon mit dieſem Philofophen 
der Überzeugung, daß bie Wege, in welden Gott unfer 
ewiges Heil betreibt, den Befegen der Natur nicht unters 
worfen find 9. Diefe Borausfegungen dienen nun allen 
feinen wiſſenſchaftlichen Unterfuhungen zur Richtſchnur; 
er nimmt fie nicht vorläufig an um fie durch weitere For ⸗ 
fung zu berichtigen oder feſtzuſtellen; fonbern fie gelten 
ihm als Grundlage feiner Unternehmungen. 

Wenn er baber der Reform der weltlichen Wiſſen⸗ 
ſchaft fi zumendet, fo giebt er ſich allein der Naturwiſ⸗ 
fenfhaft pin. Seine Eintpeilung der weltlichen Wiſſen⸗ 
ſchaften ſcheint zwar etwas anderes zu verfprechen, aber 
im Berlauf der Unterſuchung teitt überall das Beſtreben 


1) Ib. IV, 3 p.131 0q.; org. aor. H, 40 p.361 24. Der 
Grgenfag zwiſchen Korperlichem und Unförperlithem wird von Bacon 
nicht ſtreng gehalten, wie man am ausführlihften aus nat, history 
cent. X ficht. 

2) A confession of faith p.454. The ways and proceedings 
of God with spirits are not included in nature, that ia in the 
laws of heaven and earth. 

22* 


hervor die Tpeile der Wiffenfchaft, welche der Natur nicht 
anzugehören feinen, entweder fallen zu laſſen ober an 
bie Erlenntniß ber Natur heranzuziehn. Bacon theilt bie 
Wiſſenſchaften nach den Bermögen der menſchlichen Serle 
ein, dem Gedaͤchtniß, der Phantafie und ber Bernunft, 
in Geſchichte, Poeſie und Philofophie 3. Aber die Poeſie 
laͤßt ex bald fallen, indem er fie mehr für einen Traum, 
für ein Spiel der Phantafie als für eine Wiſſenſchaft er 
tennt 9, und die Geſchichte iR nur ein Borfpiel der Bil 
ſenſchaft; fie gewährt fein Lit, fondern führt nur zum 
Lichte 5); wir fahen fon, daß fe nur die Grundlage 
der Wiffenfchaft abgeben ſollte. Die Philofophie alfo al⸗ 
fein befauptet den Rang ber Wiffenfchaft. Drei Gegen 
fände der Unterſuchung werden ir zugemwiefen, dev Menſch, 
die Natur und Gott ). Aber mit Gott fi zu beihäf- 
tigen fommt der Ppilofophie doch entweder gar nicht ober 
nur in einem. äußert befchränkten Sinne zu. Mit dem 
Menſchen ſcheint fie tierer ſich einlaffen zu follen. Bacon 
zaͤhlt ung eine Reihe. von Wiffenfchaften auf, welche teils 
den Körper, theils die Seele des Menſchen betreffen und 
unter dem, was er als noch vermißte Wiſſenſchaft unferer 
Unterſuchung empfielt, fliehen fehr bedeutende Aufgaben | 
dieſer Art; aud werden faft alle Unterfuchungen ber | 


1) De dign. et augm. sc. A, 1 p.64. 

2) Ib, 4 p.93;5. V, 1 p 138. 

3) Ib. UI, 1 p.98. Humi incedit et ducis potius offcie, 
quam lucis perfungitur. 

ALL 

5) So eine anatomia comparata (ib. IV, 2 p. 124), feilid 
nicht ganz im Sinn fpäterer Forſcher, eine philoſophiſche dergleichende 
Grammatit (ib. VI, 1 p. 160 eg), nicht ohne fyine Bemerkungen. 





— 


sa 


ältern Ppitofophie, beſonders Logik und Ethik, unter biefe 
weitſchichtige Abtpeilung gebracht. Unterſuchen wir jedoch 
feine Gedanlen über. die Antpropologie genauer, fo ſehen 
wir nicht ab, wie er dazu gelangen will fie von ber Na⸗ 
turppitofoppie abzuſondern. Wenn er zur Unterſuchung 
über den Menſchen übergeht, erinnert er ſelbſt an ®die 
Einpeit aller Wiſſenſchaften; die Erlenntniß des Menfchen 
lönnte als Zweck aller Wiſſenſchaft gelten ; fie würde 
‚aber doch nur ein Theil der Erkenntniß der Natur fein 2). 
Dasfeibe ergiebt fih für die Ethik, weil fie in den nas 
türligen @efegen, welche die Erhaltung, Fortpflanzung 
und Fortentwidiung der Dinge zu ihrem Zweck haben, 
ihre natürlige Begründung finden würde, weil fie daher 
von ber Naturphilofophie nicht getrennt werben bürfe 2). 
Durch den Rüdblid auf die Geiſter, welche den Geſetzen 
der Natur nicht unterworfen find, würde er vielleicht in 
dieſer Anficht geftört werben können; denn in ber Ent« 
widlung ber menſchlichen Dinge herſcht der Zufall, wie 
er fagt, unter ber Leitung der Vorſehung Gottes 5); aber 
feine Philoſophie hat es doch ausſchließlich mit ber Auf 
findung ber Gefege der Welt oder ber Natur zu thun. 
Wie die Etpit fo will er auch die Logik an bie Naturs 
philofophie heranziehn. Dasfelbe gilt von ben mathema- 
tifchen Wiffenfchaften. Er tadelt es, daß bie Mathemas 
tifer der Aſtronomie ſich bemächtigt haͤtten; auch Optil 


4) Ib. IV, 1 p. 117. Haec scientia homini pro fine est 
scientiarum, at naturae ipsius portio tantum. 


2) Of the interpr. of nat. p. 86. 
3) Instaur. magna p. 5. , 


. 32 
und Muſil wären durch den vorherſchenden Einfluß der 
Matpematit verborben worben. Die Mathematit fol 
mur als ein Anpängfel der Phyſtt betrachtet werden und 
wie die Logik der Naturphiloſophie dienen . Wir ler⸗ 
nen nun bie Naturphilofophie als bie Mutter und die 
Burzel aller Wiſſenſchaften kennen. Das Verderben der 
Wiſſenſchaften if es gewefen, daß fie von ihrer Wurzel ſich 
losgelöft haben, als wenn fie für fi gedeihen Lönnten, 
Dapin Iauten feine lagen, daß ber Naturphiloſophie 
bisher zu wenig Fleiß zugewendet worben. Die Ratur⸗ 
philofophie wird nun als bie allgemeine Wiſſenſchaft den 
beſondern Wiffenfcpaften entgegengefegt 9. Wir Können 
nicht zweifeln, feine Wieberperftellung ber Wiſſenſchaften 
geht mur auf eine Reform ber Naturwiſſenſchaft ans. 
Das will es fagen, wenn er in ber Weife der philoſo⸗ 
phirenden Ppilologen auf die Erlenntniß der Sachen bringt 
und uns auffordert, den urfprünglichen Berlehr des Geis 


1) De dign. et augm. sc. III, 4 p. 101; 6. Nescio enim, 
quo fato fiat, ut mathematica et logica, quae ancillarum loco - 
erga physicam se gerere debeant, nihilo minus certitadinem 
Prae se jactanies dominatum contra exercere praesumant. Ib. 
IV, 1. p. 117. Die Mathematik hält Bacon hoch, aber mur als ein 
Wertzeug der Phyfit, weiche fie nicht Gervorbringen konne; fie ſol 
nur zur Beftimmung der phnäfhen Erſcheinungen dienen. Org. nor. 
1,96; 11,8. 

2) Org. nor. I, 74; 79. Atque haec ’ipsa (sc. naturalis 
Pphilosophia) nihilo minus pro magna scientiarum matre haberi 
debet. Omnes enim artes et scientiae ab hao süirpe rerulse 
poliuntur fortasse et in usum effinguntur, sed nihil admodum 
orescunt, Ib. 80. Nemo exspeciet magnum progressum in 
scientiis, — — nisi philosophia naturalis ad scientias particulares 
Pproducta faerit et scientiae parliculares rursus ad naturalem ’ 
Pphilosophiam reductae. Of the interpr. of nat. p. 86. 


343 


Res mit den Sachen wiederherzuſtellen 5 unter den Sa⸗ 
hen verfteht er die Natur, " 

Man wird nun weiter fragen müſſen, ob Bacon wer 
nigſtens in dem Theile der Philoſophie, welchen er umzu⸗ 
gefalten unternahm, in der Raturwiſſenſchaft, von Vor⸗ 
urteilen fich frei gehalten- habe. Diele Frage kann unab⸗ 
hängig von ber Frage, ob er mit Aufrichtigkeit angenom- 
men habe, daß die Natur von Gottes Borfehung ge- 
föaffen fei und regiert werde, beantwortet werben; denn 
ein oberſtes Naturgefeg, durch welches alles gefeitet werde, 
gleihgättig ob es von Gott ſtamme oder nicht, nimmt 
er unſtreitig an. Ein folches Naturgefeg zu erforfchen, 
darauf iſt der Bwert feines ganzen Werkes gerichtet. 
Es Hält dieſen Zwed nur für höher, als daß er nicht 
verzweifeln follte ihn zu erreichen; aber fein Verfahren 
fegt ihn überall voraus. Denn von der Bafis bes Mans 
nigfaltigen und Befondern will er zum Gipfel der Ein⸗ 
heit und des Allgemeinen vorbringen. Daher warnt er 
ums davor, bag wir die Natur nicht als urſprünglich 
gefpalten uns denken möchten. Das höchfte Naturgefeg 
follen wir nicht für eine Abſtraction halten2). Eben des⸗ 
wegen verwirft er bie Atomenlehre, weil fie bie Zufammens 
foffung der Ratur zu einer Einheit vernachläffigt, und bes 
freitet die abſtracte Materie ber Peripatetifer, weil fie das 





1) Inst. magna p. 35 5. 

2) Org. nor. II, 26 p.341. Verum in his diligens est ad- 
hibenda cautio, ne intejlectus humanıs — — praesupponat 
hataram velut a radicihus esse multiplicem et divisam atque 
ülteriorem naturae unionem tanquam rem supervacuae subtili- 
fatis et vergentem ad merum abstractum fastidiat et rejiciat, 


Ma 


eine Princip, weiches er annimmt, in Materie und ber 
wegende Urſache ober in Materie und Form zertheilt H. 
Daher findet, er in der Materie dia ungerRörbare Kraft, 
welche weder vermehrt / noch ‚vermindert werben könn, 
gleichſam die vrine Nothwendigkeit?), und ſchließt fh 
an ben Grundſatz Mochiavellis an, daß der Untergang 
ber . Dinge dur die Zurädfüprung auf ihre Principien 
abgehalten werde 7. Es Liegt in biefer Denkweiſe, daß 
er der Trägheit ber Materie widerſpricht und gegen bie 
Peripatetiler den Lehren anderer Vorgänger und Zeige 
noffen fish anſchließt, weiche in die Materie ein Princh 
der Bewegung legten. Er iſt aber deswegen auch gegen 
die firenge Unterſcheidung zwiſchen Körper und Geil, 
meiche die : Peripatetifer geltend gemacht hatten, und 
nimmt an, es wohne. ein eingeborener Beift in todien 
wie in Iebendigen Dingen, welcher ber Werkmeiſter alles 





1) Parmenidis, Telesii et Democriti philosophia p. 323. Pri- 
mum autem ens non minus vere debet existere, quam quae 
ex eo fluunt,, quodammodo magis; authypestatum enim est ei 
per hoc religun. — — Omnes fere antiqui — — in hoc con- 
venerunt, quod materiam activam forma nonnulla et forman 
soam dispensantem atque intra se principium metus habentem 
posueront. Neque aliter cuiquam opinari lieebit, qui non eı- 
perientiae plane desertor esse velit. Ib. p. 328. Tam enim 
est principü, ut res in illud solrantur, quam .ut res ex ilo 
gignantur. 

2) Ib. p. 339 sg. Omnium virtatum longe potentissima ei 
plane insuperahilis et veluti merum fatum et necessitas. Ürg. 
mov. II, 48 p. 373. Vergl. über die ganze Vorftellungsweife die 
Erklärung der Geficte des Pan. De dign. et augm. sc, I, 13 
p-81 sqg; de sap. vet. 6. 


3) De dign, et augm. sc. II, 1 p. 9. 


deffen.fei, was im Körper ſich bilde). Wie Telefins 
und andere ſchließt er ans der Anziehungs⸗ und Abſto⸗ 
Fungekraft des Körper, daß allen Dingen Begehren und 
Verabſcheuen und alfo auch Empfindung beiwohnen müfle, 
wiewohl er deswegen nicht auch Sinn und Seele ihnen 
beifegen will ), Apnlich wie Cäfalpinus, welcher zwar 
überall in der Natur belebte Materie, aber nicht Seele 
gefegt Hatte. So vereinigt Bacon bie materielle, die for⸗ 
melle und bie bewegende Urſache im Begriff des oberfien 
natürlichen Princips und will, daß wir dieſe drei Urſachen 
als mit einander verbunden in der Natur erforſchen ſollen. 
Dagegen entſcheidet er fi gegen bie Aufſuchung der 
Endurſachen in der Natur, Er rechnet fie zu den Vor⸗ 
urtheilen bes gelehrten Dünfels. Zwede gehören mehr 
der Natur des Menfchen, als des Weltalls anz fie mögen 
wohl in der Natur vorhanden fein und find den phyfi⸗ 
ſchen Urſachen nicht zuwider; aber wir können mit ihnen 
nichts anfangen, nichts durch fie bewirlen; an bie ma- 
terielten, formellen und bewegenden Urfachen müflen wir 
uns halten, wenn wir Wirkungen in ber Natur hervor 
bringen oder bie Wege, in welden bie Natur wirkt, er⸗ 
tennen wollen. Daher bürfen Zwerurfadhen wohl in ber 


1) Hist, vitae et mortis p. 111. Spiritus innatus, qui om- 
nibus tangibilibus sire vivis sire mortuis inest. Ib. p. 145. 
Spiritus omnium,, quae in corpore fiunt, fabri:sunt atque opi- .- 
fices. Das tangibile und ber spiritus werden einander entgegenge- 
fett. Org. nov. 11, 7. 

2) Org. nor. Il, 48 p.379. Sumus enim in ea opinione 
inesse corporibus oinnibus desiderium assimilandi non minus 
quam coeundi ad homoginea. De dign. et augm. so, IV. 3 
p-135 eq.; nat. hist. cent. IX in. 


Metappyfit, aber nicht in ber Phyſil zugelaſſen werden; 
fie gehörten nit der natürlichen Philoſophie, fondern 
der Theologie an, weil fie unter den Begriff der Bor 
fehung Gottes fielen 2). 
j Unſtreitig iſt dieſe Annahme eines oberſten Naturgt ⸗ 
ſehes und die Weiſe, wie Bacon ihr gemäß das Princip 
der Natur ſich denkt, voll von unbegründeten Voraus- 
fegungen, welche mehr durch gelehrte Abnelgungen ale 
durch eine unbefangene Naturanfiht eingeflößt werben, 
Site geht davon aus, daß die Natur aus ihren Urſachen 
erflärt werden müffe, nimmt aud die Ariſtoteliſche Ein 
teilung der Urſachen an ?), wendet fi aber von der 
Erforſchung der Zwecdurſachen ab. Der materiatififhen 
Erflärung if fie günftig, indem fie jede Wirffamfeit der 
Dinge aus der allgemeinen in der Materie liegenden 
Kraft ableitet ) und dabei bie fpecififcgen und verborger 
nen Qualitäten der Dinge beſtreitet 9. Dagegen ent 
ſcheidet fie fi gegen bie rein mechanifche Erklaͤrungsweiſe 
und gegen den Atomismus, denn jeder Fleinfte Materien⸗ 
theil enthaͤlt nach Bacon’s Anfiht vom oberfien Peinch 
der Natur eine geiftige Kraft in fih, melde durch Ab 
neigung oder Zuneigung Beränberungen hervorbringt; bie 
Annahme unveränderliher Elemente der Natur erfcpeint 


* 4) De dign. et augm. sc. II, 4 p.109 sg; 5 p1115 org 
nor. I, 48; 65; II, 2. Causa finalis tantum abest, ut prosit, 
ut etiam scientias corrumpat, nisi in hominis actionibus. De 
taphyſit und Theologie, welche Bacon fonft unterſcheidet, fall hier 
zuſammen. 

2) Org. nor. II, 2. 
3) Hist gravis et levis p. 106. 
4) De dign, et augm. sc. III, 5 p. 112; org. nor. I, 66. 


347 


ihm daher als völlig der Natur zuwider 2); man müffe 
daher nicht darauf ausgehn alles auf ben Stoff zurädzu 
bringen ober nachzuweiſen, daß die Natur alles nur durch 
mechaniſche Bewegung nach Weife ber menſchlichen Kunf 
hervorbringe 9. Die Annahme von Atomen verwirft er 
als eine müffige Speculation, ohne zu berüdfichtigen, 
daß feine Annahme bes oberſten Naturprincips auch nur 
eine möüffige Speculation iR; wenn er aud ber Zerlegung 
der Natur und der Erforſchung des Kleinſten ein großes 
Gewicht beilegt, fo ſchredt ihn doch feine Scheu vor dem 
Unendlichen ab die legten und Heinften Befanbtpeile der 
toͤrperlichen Dinge erforſchen zu wollen I. 

Doc Vorausfegungen über bie Principien der Natur, 
welche den legten Zwed der Naturforſchung abgeben, fonnte 
Bacon nicht vermeiden, wenn er einen Plan für fein gan- 
zes Wert fig entwerfen wollte. Ein folder war nicht 
möglig ohne den Zwech im Auge zu haben, ſelbſt auf 
bie Gefar hin, daß der Gedanke des Zwecks zu den Ans 
ticipationen bes Geiſtes gehören bürfte, welche Bacon 
furchtete. In einer ſeltſamen Weife ift hierin feine Kühn⸗ 
heit mit feiner Vorſicht gepart. Bor allen Dingen will 
er eine fihere Grundlage gewinnen und ein voreilis 
ges Auffleigen vermeiden; feinen Zwed möchte er des⸗ 
wegen auch nicht zu hoch fih ſtecken. Sein Plan nimmt 
nun folgende Geſtalt an. Zuerſt nad ber ‚vorläufigen > 


1) Org. nor. II, 8. 

2) De diga. et augm, ac. III, 5 p.108. 

3) Ib. III, 1 p.94. Natura se potissimum prodit in minimis. 
Nov.. org. 1, 48; 51. Melius est secare naturam, quam abstra- 
here. Ib. I, 66. 


Eintpeilung ber Wiffenfhaften will er ſich Vorſchriſten 
für bie Methode in Erklarung ber Natur entwerfen, daun 
bie breite Bafis ber Naturphilofophie in der Naturger 
ſchichte legen. Nachdem fie gelegt iſt, denlt er doch nicht 
ſogleich daran das zweite Geſchoß ſeiner Pyramide zu 
beſteigen und die Phyfit auszuführen, ſondern er ſchiebt 
noch zwei mittlere Stufen ein, von welchen eine (scala 
intellectus) an ausgezeichneten Beifpielen bie Anwendung 
feiner Methode auf bie Naturgefchichte zeigen, die andere 
eine Probe der Phyſil gleihfam in Vorahndungen geben 
fol (anticipationes philosophiae secundae), Erſt nah 
allen diefen Vorbereitungen denkt er zur Phyſit ober zur 
zweiten Philofophie aufzufleigen, von welcher er jedoch 
geſteht, daß er Feine Hoffnung Habe fie ausfüpren zu - 
tönnen; er überläßt es den weiteren Fortſchritten ber 
Menſchheit die Grundlagen der Wiſſenſchaft, welde er 
zu. legen benft, zu weiterem Aufbau zu benugen ). Go 
iR fein Plan beſchaffen; nicht einmal bis zur Metaphyft, 
dem dritten Geſchoſſe feiner Pyramide, viel weniger zur 
Exfenntmiß des allgemeinen Naturgefeges, ber. Spige des 
> Ganzen, will er fih erheben, ja er zweifelt, ob biefe 
Spige überhaupt menschlichen Kräften erreichbar fei. Er 
entwirft einen Plan, weiß über ben Zweck desſelben man 
ches zu befahen, manches zu verneinen, gefleht aber, daß 
er ihn nicht Senne, ja daß er dem Menfchen überhaupt un 
erfennbar fei. Können wir uns darüber. wundern, baf 
bie Zeichnung feines Plans nur fhmanfende Lmriffe zeigt? 
In der That feine Unterſcheidung der Phyſil von der Mr 





1) Inst. magna p.12 sqq.; p1& 


348 


taphyſtt fm uns ſchwerlich über das Verhaͤltniß beider 
Wiſſenſchaſten aufflären. Die PEHfE fol nur bie mates 
tiellen Dinge unterfuchen, welche in Bewegung und ver 
änderfih find, daher nur mit der materiellen und bewe⸗ 
genden Urfache zu thun haben, die Metaphyſil das mehr 
Abftracte und Befländige in der Natur zeigen, fie fol 
die Idee und den Geiſt bedenlen, die Formen der Dinge 
und die EndurfahenY). Wir haben aber früher gefehn, daß 
ee die Endurfachen in der Natur ganz bei Seite legen zu 
laſſen empfal und das er die formelle Urſache in der 
genaueften Vereinigung mit ber bewegenden und materiel⸗ 
Ten gedacht wiflen wollte. Unſer Erſtaunen über biefe 
Verwirrung Tann nur gefleigert werben, wenn wir fin« 
den, daß Bacon trog feiner Erklärung der PHHfit dieſe 
Wiſſenſchaft wefentli auf die Erkenntniß der Formen rich⸗ 
tet, unter welchen er bie allgemeinen Naturgeſetze verfteht, 
und demzufolge auch gegen bie Verzweiflung eifert, welche 
die Erlenntniß derfelben aufgiebt, ja dag er die Form ohne 
Weiteres für die Sache felbft ‚oder bie Sache nur für 
die Erſcheinung der Form erflärt 9). Faſt noch ſchwieriger 


4) De dign. et augm. sc. III, 4 p. 99; org. mov. 11; 9. 

2) Nor. org. Il, 2. Licet enim in natura nihil vere ezistat 
praeter corpora individua edentia actus puros indiriduos ex 
lege, in doctrinis tamen illa ipsa lex ejusque inghisiio pro 
fundamenta est tam ad sciendum,'quam ad operandum, Eam 
autem legem ejusque paragraphos formarum nomine intelligi- 
m Ib. 3. Qui formas novit, is naturae unitatem in materiis 
dissimillimis complectitar. — — Ex formarum inventione se- 
quitur contemplatio vera et operatio libera. Ib. 13 p.325. Cum 
enim forma rei sit ipsissima res, neque differat res a forma 
aliter, quam differunt apparens et existens aut exterius et inte- 
rius aut in ordine ad hominem et in ording ad universum etc. 








350 


möchte es alsdann ſcheinen das Verhaͤltniß zu entwirren, 
in welchem Phyſik und Metaphyſil zur erſten Philoſophie, 
d. h. zu den allgemeinen Grundſaͤtzen aller. Wiſſenſchaften, 
ſtehen ſollen; deun es wird wohl aus allen dieſen Unbe⸗ 
ſtimmtheiten hervorleuchten, daß ihr Grund eben darin 
liegt, daß Bacon verfhmäpt hat über. die oberflen Grunds 
füge der Wiſſenſchaft eine methodiſche Rechenſchaft ſich zu 
geben. 

Haͤtte er nicht in der Entwerfung feines Planes an 
den berühmten Spruch denfen follen, welder aus feinem 
eigenen Munde ift, daß die Wahrheit leichter aus bem 
Iertpum als aus ber Verwirrung emportaucht I? Dog 
feine Weife diefen Spruch zu gebrauchen lann ung über 
feinen Plan aufklären. Er macht ihn geltend für eine 
vorläufige Induction, welche er für nöthig Hält, weil wir 
nur durch den Berfud weiter kommen können 2). . Für 
etwas anderes koͤnnen wir auch feinen Plan nicht aus 
fehn. Cr flellt vorläufig gewiſſe Formen ober Begriffe 
auf; die weitere Unterfuchung fol fie prüfen. Beſonders 
der fünfte Theil feines Plans geht von ſolchen Ariomen oder 
Anticipationen aus, welche nur als vorläufige Ruhepläge 
- angefehn und allmälig verbefiert werben follen 7; auch 
feine Naturgefgichte will er nad) einer weder zu firengen 
noch zu laxen Methode ausführen; beides mache nur 


4) Ib. 11, 20. Citius emergit veritas ex errore, quam ex 
„ sonfusione, 

2) L1 Quod genus tentamenti permissionem 'intelleeius 
sive interpretationem inchoatam sive vindemiationem primam 
appellare censuerimus. 

3) Inst. magna p. 18; opp. II p. 344 sq. 





3 


weitlaͤuftig; ev betrachtet fie als einen Entwurf, welder 
is Sortgange der Forſchung von ſelbſt ſich verbeſſern 
werde), und ſelbſt feine Meihodenlehre giebt er nicht 
für volllommen aus; die Kunſt zu erfinden muß mit ben 
Erfindungen wachſen 2). So ift es nun unftreitig auch 
mit feiner Unterfuhung über das Berhältuig der Wiſſen⸗ 
haften zu einander beſchaffen. Die bisherigen Einthei⸗ 
lungen nimmt er an um an ihnen weiter ſich zurecht zu 
finden z die Erfahrung wird fie berichtigen. Aus ber 
Mitte der gewöhnlichen Vorſtellungsweiſe heraus will er 
fig weiter helfen®.. Zwar fagt er, die Übereinftimmung 
der Bölfer- Töune nur in ber Theologie als ein gültiger 
Beweis angefehen werben); aber er laͤßt ſich doch wenige 
Rene anfangs von dieſer Übereinfimmung ober don ber 
gefunden Vernunft der Philologen leiten. ' 

Dabei iR er fi wohl bewußt, daß fein Ausgangs⸗ 
punft keine vollſtaͤndige Sicherheit biete und er giebt daher 
ale Zweit feiner Unternehmung nur an, baß er bie Grade 
der Gewißheit feſtſtellen wolle 5. Dies hofft er burg 
eine fihere Metpobe in ber Ausbildung ber Erfahrung 
zu gewinnen, welche er den fpielenden Verſuchen und 
der vagen Erfahrung als die gelefrte und mit den Mit- 


1) Parascene ad hist. nat. p. 3. 

2) Nor. org. I, 130. 

3)..Opp- II p.344. Neque enim homines aut omnes aut 
omnino aut siatum a receplis et credilis abducere conamur. 
Sed— — dum ad altiora rapimur, in receptis el cognitis Yol- 
vimur et circuxaferitur. 

4) Redargutio philosophiarum p. 113, 

5) Nov. org. praef. p. 271. Nostra autem ratio, — — ut 
cerütudinis gradus constituamus. 


tein ber Kunft erworbene Grfahrung entgegenfet?). 
Dies ift die Reform der Ppitofoppie, welche er beireikt, 
daß er nicht in das Unbekimmte hinein taſten, fonbern 
voraus ben Weg fehen wi, welchen wis zu gehen haben, 
Erſt muß man das Licht anzänden und alsdann mit:befien 
Hulfe den Weg fugen®). Daher iſt ber erſte Theil fer 
ner Arbeit auf eine neue Logis gerichtet auf ein neues 
Drganon, welches das Ariſtoteliſche verdrängen fol). 

Der alten Logik fpricht er- nicht alle Brauchbarleit ab. 
Er findet fie brauchbar für.die gewoͤhnlichen Geſchäfte 

" des praftifchen Lebens, auch für bie. Theologie. und für 
das Disputiren. Aber die Natur if feiner als der prob 
tiſche Verſtand des Menſchen; die Freiheit und bie Tiefe 
ber Ratur zu ergründen iſt bie bisherige Logit mict im 
Stander). Sie. befhäftigt ſich nur mit dem Syllogiemus, 
mit der Auffindung der Beweiſe vermittelſt ber Mittelber 
griffe; dies nennt man Erfindung; aber die wahre. Ev 
findung beſteht Hierin nicht; man beweiſt dadurch au 
Säge, welche ſchon gefunden worben waren ‚und bringt 
„feine neue Erlenntniſſe hervor; nur eine geſchickte Anotd⸗ 

nung des Gewußten wird dadurch erzitit. Der Splo 
gismus beſteht aus Sägen, die Gäge aus Worten und 
Worte bezeichnen Begriffe; wenn nun bie Begriffe, aus 
welchen die Splogismen fi aufbauen, falſch won ben 

1) L 1; ib. 1, 100. Vags enim experientia-— mera pal- 
patio est et homines potius stupefacit, quam informat. 1.199; 
de dign. et augm. sc. V, 2 p. 142 

2) Nov. org. I, 82. Verus experientiae ordo , prime de 
men accendit, deinde per lumen iter demonstrat. 


3) Inst. magna p. 13. 
4) Ib. p. 10; 14; de dign, et augm; sc. V, 2 p. 141. - 





33. 

Sachen abſtrahirt fein follten, fo würde das ganze Gebaͤube 
aufammenfärzen!). Es Liegt Hierin ber Hauptvorwurf, 
welchen Bacon ber Ariſtoteliſchen Logit macht, dag fie 
nemlich nicht zeige, wie bie allgemeinen Begriffe fih 
bilben und allmälig von den Sachen abgenommen werben. 
Sie fpringe fogleih von ben. befondern Erfahrungen zu 
allgemeinen Grunbfägen über. Zwar erwähne fie. die In⸗ 
duction als die Grundlage afler unferer wiſſeunſchaftlichen 
Grundfäge, aber fie zeige nit, wie fie geſchehn müfle, . 
allmälig von den niebern zu hen mittlern Begriffen aufs 
Reigend um erſt zufegt die allgemeinften Begriffe und 
Grundfäge zu erreihen. Diefes fehlerhafte Verfahren 
hält Bacon für den rund alles Unheils in den Wifs 
ſenſchaften 9. Bom Allgemeinen oder von Begriffserllä⸗ 
zungen follen wir nicht ausgehn; wenn dies auch in ber 
Matpematit Sicherheit gewähren Könnte, fo ift dies Ver⸗ 
fahren in ber Phyſik doch nicht anwendbar 5). 

Hiermit iR über den Weg entſchieden, welchen Bacon 
ung zeigen will. Die rechte Induction allein fatn ung 
helfen 9. Im ihr allein fieht er die wahre wiſſenſchaft⸗ 
liche Metpode, von feiner Anſicht geleitet, daß bie Wif- 

1) L.1. Nam syllogismi ex propositionibus constant, proposi- 
tiones ex verbis, verba notionum tesserae sunt. (Quare si notio- 
nes ipsae, quae verborum animae sunt, male et varie a rebus 
abstrahantur, tota fabrica corruit. Ib. V, 3 p. 147 sq,; nov. 
org. I, 14; inst. magna p. 14. . 

2) Nor. org. I, 19; 22; 69. Modus ille inveniendi et pro- 
bandi, ut primo principia generalia constituantur, deinde me- 
dia axiomata ad ea applicentur et probentur, errorum mater 
est et scientiarum omnium calamitas. Inst. magna p. 14. 

3) Nor. org. I, 59. 

4) Ib. I, 14. Itaque spes est una in inductione vera. 

Geld. d. Philof. x. 23 


ſenſchaften den allwalig auffteigenden Pyramiden gleichen, 

Zwar erwähnt er neben dem auffeigenden auch das abs 

ſteigende Verfahren, aber nur in einer Apnlihen Weiſe 

wie Zabarella, als das Berfahren ber praftiichen Wiſſen⸗ 

"haften, wo von ben allgemeinen Grundfägen zw den 
Berten, zu iprer Anwendung im Einzelnen, fortgeſchrit⸗ 
ten werben foll um von ihnen aus neue Beftätigungen 
für die Induction gu gewinnen 2); was alfo die wiſſen⸗ 
ſchaftliche Bedeutung beteifft, fo fol das abfleigende Ber 
fahren dem auffleigenden nur als Mittel dienen. Rad 
dem er aber mit manden feiner Vorgänger in der Ber 
nadpläffigung der Juduction den Mangel ber Arifotelis 
ſchen Logik erfannt hat, und in der Überzeugung derer, 
welche der Erfahrung allein vertrauen, rüſtet er fih nun 
auch genaue Borfäriften für die Induction zu geben, 
Hierin erkennt man das, was feine Phllofophie vor al 
Ten andern auszeichnet, daß er eine Induction will, welde 
mit Nothwendigkeit ſchließt, welde volfändig iR und 
alles bedenkt, was bei Unterfuchung eines Naturgefeged 
za bebenten iſt 2). Die gewöhnliche und kunſtloſe Indus 
tion taugt eben fo wenig wie ber Syllogismus; eine 
Induction durch bloße Aufzäplung weniger Fälle if eine 
lindiſche Sache; fie lann durch ein jebes Beiſpiel vom 
Gegentheil widerlegt werden. Zur rechten Induction ge⸗ 
hoͤren aber Mittel, welche bisher leinem Sterblichen in 
den Sinn gelommen find 5). 


4) Ib. 1, 103; de dign. et augm. sc. III, 3. 

2) Inst. magna p. 14. 

3) Nor. org. I, 69. Iuductio mala est, quae per enumera- 
ionem simplicem prineipia eoneludit scientiarum, Ih. 105. In- 





Die Grundlage biefes neuen Verfahrens, welches ex 
lehren will, wird man aber nicht unterfuchen ‚können ohne 
einen Blick auf die Naturgeſchichte zu werfen, ben folgen 
den Theil feiner großen Wieberherfiellung der Wiſſen⸗ 
ſchaften. Denn es wird niemanden .entgehn, daß feine 
Beſchreibung der Methode im neuem Organon doch nur 
eine Anticipation feines Geiftes if. Die wahre Induc- 
tion muß natürlich von dem Beſondern, von dem niebrig- 
fen Geſchoß der Wiſſenſchaft ausgehn; die Geſchichte der 
Natur bleibt ihm bie erfle Grundlage aller natürlichen 
Philoſophie. Im dem Enttvurfe nun, welchen Bacon von 
ihr giebt, teitt er nicht weniger als in andern Zweigen 
der Wiſſenſchaft als Reformator aus. Der bisherigen 
Raturgeſchichte wirft er vor, daß fie weniger auf ben Zur 
fammenhang ber Natur, als auf bie befondern Arten ber 
Dinge gefehn, mehr die Verſchiedenheit ber Dinge als 
ipre Zufommenfaffung zu einem Ganzen bedacht habe. 
Die großen Maffen der Natur, welche man mit dem Nas 
men ber Elemente bezeichne, fol fie zuerſt unterſuchen; 
unter dem Namen ber großen Sammlungen flellt er fie 
den Arten der Dinge, ben Heinen Sammlungen (collegia 
majora, minora) entgegen. Denn bie Naturgeſchichte 
hat ein Bild der ganzen Welt zum Zwei, Dabei will 
Baron au nicht übesfehen haben neben den vegelmäßis 
gen Bildungen der Natur (generationes) die unregelmäs 
higen Bildungen der Misgeburten (praetergenerationes) 





ductio enim, quae procedit per enumerationem simplicem, res 
puerilis est et precario concludit et periculo exponitur ab in- 
stantia contradictoriä. Nur Platon hat die wahre Induction vers 
ſucht, aber nur im Gebiete der Ideen. Inst, magna p. 14. 

23* 


346 


und bie Werke der Kunſt. Er Iobt ben Plinius, daß er 
diefe in die Naturgeſchichte aufgenommen habe. Es iſt eine 
feiner feinen Bemerkungen, welche ihn hierin leitet. Die 
freie Natur fegt er der unfreien, buch Zwang gepreßten 
Natur entgegen und macht barauf aufmerffam, daß in 
biefer, in den Ausnahmen von der Regel, das Geſeh, 
in dem Widerflande gegen die Gewalt bie Kraft ber Na⸗ 
tur am fRärkften fi verrathe ?). Aber vor allen Dingen 
werben wir es dod an biefem feinem Plane der Natur⸗ 
geſchichte loben müffen, daß er in ihm feinem Gebanfen 
an bie Einheit der Wiſſenſchaft getreu bleibt, wenn es 
und auch bedenklich machen follte, ob er micht durch bie 
Einmiſchung der Werke der Kunf bie ganze menſchliche 
Geſchichte in feine Abſchilderung ber Welt einzuflechten im 
Werte habe. 

Wenn es auf eine Prüfung feiner Methode ankommt, 
fo liegt eine andere Bedenklichleit noch näher. Wir ber 
merften früher, daß er in ber Naturgefcpichte Feine zu 
Rrenge Methode beobachtet wiffen wi. - Und doc follte 
man glauben, in ihr beginne ſchon die Induction, das 
methodiſche Verfahren, wie er auch felbft der gewoͤhnli⸗ 
en, nur erzäplenden feine beffere Raturgefchichte als bie 
inductive entgegenfegt 9. Sollten wir nun nicht glauben, 
bag eine ſolche nur durch Hülfe genauer Unterſchiede, ei⸗ 
ner genauen Elaffeneintheilung durchgeführt werden Könnte? 
Bacon berechtigt uns felbft zu dieſem Glauben, indem er 
ſolche Eintheilungen der Natur, wie fie fo eben von und 

1) Parasc. ad hist, nat. p. 3 sqq; de dign. et augm. sc. II, 


2; nov. org. I, 98. 
2) De diga. et augm. sc. II, 3. 


387 


angeführt wurben, geltend macht, überall in feinen Wer⸗ 
fen Eintheilungen zum Grunde legt und feinem Plane 
der Reform eine Eintpeilung der Wiſſenſchaften voraus 
ſchict. Woher find num diefe Eintheilungen? Man wirb 
nicht fagen Tönnen, daß fie burd bie Induction begründet 
wären, dg fie ber Induction zum Grunde gelegt werben, 

Um dieſe Bebenflihkeit zu würdigen müflen wir die 
Quellen unterfuchen, aus welchen Bacon bie Geſchichte 
der Natur fchöpfen will. Er betrachtet biefe Geſchichte 
als die Materie zum Aufbau feiner Wiſſenſchaft 2), von 
den Sinnen ſoll fie uns dargeboten werben. Bacon 
fließt fich ‚Hierin an die ſenſualiſtiſche Richtung an, 
welche Telefius und andere Philoſophen eingeſchlagen hat 
tm Den Sinn fann er nit genug preiſen; von ihm 
haben wir alles zu entnehmen, was wir von natürlichen 
Dingen wiffenz er iſt das Licht, welches und Gott verliehen 
hat e). Was von ben natürlihen Dingen gilt, gilt auch 
von geiftigen Dingen und aller Wiffenfhaft 9); denn Ba- 
ton unterfepeibet zwei Arten bes Sinnes, die Wahrneh⸗ 
mungen bes Außen Sinnes und bie Wahrnehmungen bes 
Geiſtes ). Seine ganze Reform fol nur darauf aus 
sehn von den befondern Wahrnehmungen der Sinne als 
mälig zur Erkenntniß des Algemeinen aufzuleiten 9. Den 





1) L. L: Materia prima philosophiae; sylva atque supellex. 
Nor, org. I, 98. 

2) Inst, magaa p. 15. Sensüs, a quo omnia in naturalibus 
Pelenda sunt, misi forte libeat insanire. Nat. hist, cent. X 
P.189.° The sense, which is God’s lamp. 

3) De dign. et augm. sc. II, 1. 

4) Nor. org. 1,-41. 

91,19. 





von Tauſchungen gereinigten Sinn will ex frei machen 
und in feine Rechte wieder einfegen 9. Der Unterridt, 
melden die Sinne uns geben, iſt ihm der Unterriht 
durch die Sachen ſelbſt; ber Verſtand ſoll nur bie Ein 
drüde reſlectiren, welche die Sachen auf ihm gemacht 
haben ). Wer in der Weiſe der Alademiler bie Genif; 
heit der menſchlichen Wahrnehmungen angreifen wolk, 
der würde die Wifienfhaft ihrer Wurzeln berauben?). 
Der Sinn ergreift das Bild feines Objects unmittelbar | 
und giebt uns die Gewißpeit feiner Wahrheit 9. 
Freilich auch die Hülfe des Verſtandes will Bacon 
in den Wiflenfepaften nicht ganz entbehren. Er wil fr 
zur Induction gebrauchen, welche allein ihm ein richtiges 
Urtheil verfhafft I. Aber er verwechfelt ihn unfkreitig 
mit ber Phantafie, wenn er feine umherſchweifende Bil 
tür durch eine fefte Regel binden will; wenn ex ihnfelhf, 
nicht aber den phantaftifhen Misbrauch feiner Begrift 
durch merpanifche Mittel verbeſſern will. Bacon vergleiht 
fein Unternehmen mit dem Berfahren, welches durch fin 





1) Soripta in naturali et universali philosophia praef. p 217. 
Nos vero sensum nec contradictione violavimus neo abstractione 
destruimus, — — ut alii professione quadam, nos re ipsa sen- 
sum tueri videamur atque philosophia una fere eademgue sit 
cum sersu restituto et liberato. 

2) Nor. org. 1, 41. 

3) De dign, et augm. sc. V, 2 p. 141 sq. Sensuum percep- 
tiones calumniabantur, unde sientias radicitus evellebant. 

4) Ib. 4. Sensus in objeolis suis primariis simul et objeci 
speciem arripit et ejus veritati consentit. 

5) Inst. magna p. 15. Intellectum nisi per inductionem ejus- 
que formam legiimam judicare mon posse. 





389 


liche Werkzeuge die Geſchiclichleit der Hand zu unterfägen 
weiß; durch dasfelbe foll der Verſtand vermittelt mecha⸗ 
niſcher Hülfen erfegt, vegiert und meiſtens überflüffig ges 
macht werben. Dem feharffinnigen Blick des Genies will 
er nichts überlaffen; ber augenſcheinliche Beweis durch 
den Sinn und den Verſuch fol die Höhen und Tiefen 
der geifigen Berfchiedenpeiten ebnen ). Aus diefer Bere 
wechslung des Verſtandes mit ber Phantafie entfpringt 
ihm _ein tiefer Verdacht gegen alles, was ber Verſtand 
in der Deutung ber Natur leiſtet. Er verklagt daher 
den Berfland, daß er einem unebenen- Spiegel gleiche, 
welcher bie aufgefangenen Stralen nicht getreu wiebergebe, 
fondern feine Natur der Natur der Dinge einmiſche 2). 
Man kann fih nur darüber wundern, daß ein fo geifls 
reicher Mann, wie Bacon war, fo fehr bie Kraft des 
Geiſtes in ber Deutung ber Natur, in der Entwicklung 
der Wiſſenſchaft verlannte. Wenige Jahre, meinte er, 


1) Nov. org. praef. p.271; I, 61. Nostra vero inveniendi 
scientias ea est ratio, ut non multum ingeniorum accumini et 
robori relinquatar. Ib. 122. Nostra enim via inveniendi scien- 
tias exaequat fero ingenia ei non multum excellentiae eoruln 
reliquit, cum omnia per certissimas regulas et demonstrationes 
transigat. Intellectum non contemnimus sed regimus. De in- 
terpr. nat, p. 244. Nostra autem ratio — — est, — — ut men- 
tis opus, quod sensum suhsequitt — plerumque rejicia- 
mus, — — Restat unica salus ae sanitas, ut — — mens jam 
ab ipso prineipio nallo modo sibi permitlatur, sed perpetuo 
regatur ac res veluti per machinas conficiatur. Nicht nad) feiner 
eigenen Regel foll der Verftand geleitet werden, fondern wie die Hand 
durch den Cirkel oder dad Lineal, 

2) Nor. org. I, 41. Estque intellectus humanus instar spe- 
culi inaequalis ad radios rerum, qui suam naturam nalurae re- 
rum immiscet eamque detorquet et inficit. 









würden genägen, wenn eine nach feinen Vorſchriften ans 
gelegte Naturgefcpichte getvonnen wäre, durch den verflän« 
digen Gebrauch berfelben bie Naturphilofophie zu vollms 
den H. Und dennoch rühmte er feinem Werke nad, daß 
es eine wahre und dauerhafte Ehe zwiſchen der empiri- 
fen und der rationalen Kraft der Seele flifte 9. 
Bean Bacon in biefer partetifchen Entſcheidung des 
alten Streites zwiſchen Sinn und Verſtand bem letztern 
doch noch einigen Antpeil an dem wiſſenſchaftlichen Ges 
fchäfte einräumen wollte, fo berupt dies hauptſaͤchlich 
darauf, daß er dem Sinn zwar weniger mistraut als 
dem Berftande, ipm aber doch nicht völlig vertranen lann 3). 
Es find zwei Mängel, welche er ihm vorwirft. Dass 
felbe, was dem Verſtande vorgeworfen wurbe, fält ihm 
zur Laft, die Einmiſchung nemlich vom Seinigen oder 
dag er alles nur nad der Analogie des Menſchen, aber 
nit des Weltalls auffaffe; hieraus geht fein Jrrthum 
hervor; überdies aber findet ihn Bacon zu wenig fehaxfe 
finnig um die Zeinheiten der Natur zu überwinden 9), 
In der Weife, wie Bacon biefen Mängeln zu begegnen 
hofft, zeigt fich feine Parteilichfeit für die finnliche Erkennt⸗ 
niß fehr deutlich, 
Was zuerſt die fogenannten Sinnentäufgungen ber 


1) Parasc. ad hist. nat. p.2. 

2) Inst. magna p. 11; nor. org. I, 95. 

3) Inst. magna p. 15. Magno prorsus errore asseritur sen- 
sum esse mensuram rerum. — — Intelleotus, qui ad errorem 
longe proclivior esse deprehenditur, quam sensus. 

4) L.1. Duplex autem est sensus culpa, aut enim destituit 
nos aut deeipi. — — Nam testimonium et informatio sensus 
semper est ex anologia hominis, non ex analogia universi. 
Nor, org. I, 41; 50; 69. 


36 


trifft, fo findet Bacon, daß in ihnen der Fehler nicht 
ſowohl an der Wahrnehmung als am Verſtande liege, 
welcher aus ber richtigen Wahrnehmung voreilige und 
falſche Schläffe ziehe). Die unmittelbaren Wahrneh⸗ 
mungen ſpricht er baher von Verdacht frei ober will ih⸗ 
nen wenigſtens Teinen großen und unheilbaren Betrug 
aufbürben ). Zuweilen Sönnte der Sinn zwar täufchen; 
aber er zeige auch feine Täufcungen an und verbeflere 
ſich ſelbſt, indem er auf untrügliche Wahrnehmungen fi) 
zurüdführen laſſe I. Dies fol durch Vernunft und alls 
gemeine Ppilofophie geſchehn 9); aber es fheint, daß 
Bacon den Gebrauch der Vernunft und ber allgemeinen 
Philoſophie auf den Verſuch und auf den Bergleih aͤhn⸗ 
licher Faͤlle befcpränfen wi, und beſonders auf ben ers 
ſten legt er das größte Gewicht, indem er unferer ſinn⸗ 
lichen Wahrnehmung einen fihern Maßſtab des Wahren 
an die Hand geben fol. Da würde ber Sinn nur über 
das Experiment, das Experiment aber über die Natur 
richten 5). Gleichſam als wäre bie ſinnliche Wahrneh⸗ 


1) De dign. et angm. sc. V, 2 p. 141 eg. Debuerant autem 
(se. Academici) potius defectum hao in parte imputasse mentis 
tum erroribus, tum contumaciae et pravis demonstrationibus et 
modis ratiocinandi et eoncladendi ex perceptione sensuum per- 
peram institutis, 

2) Nor. org. I, 16. 

3) Ib. praef. p. 271. Ut sensum per reduotionem quandam 
tueamur. Inst. magna p. 15. 

4) Nor. org. II, 40 p.365. Magna fallacia sensuum, nimi- 
rum quod constituant lineas rerum ex analogia hominis et non 
ex analogia universi, quae non corrigitur, nisi per ralionem 
et philosophiam universslem. 

5) Ib. I, 50. Omnis verior interpretatio naturae oonficitur 


mung des Verſuchs den Mängeln menſchlicher Anffaflungt- 
weile überpoben. Die Prüfung und Berbefferung ber 
ſinnlichen Auffaffung wird dadurch nur auf andere fan 
liche Eindrüde qurädgefüprt. 

So wie den Jrrthum, fo auch bie Ungenauigfeit des 
Sinnes Hofft er vorzüglich durch den Verſuch zu über 
winden. Auf ihn fest er viel größere Hoffnungen als 
auf die Infirumente der Beobachtung H, ohne daß er bie 
Gleichartigleit und den Unterſchied beider genauer cs 
widelte. Beide fallen ihm unter den Begriff der menſch⸗ 
lichen Kunſt und Bacon legt deswegen auch ber Unter 
ſuchung der Kunſtwerle, wie wir fahen, für feine Natur⸗ 
geſchichte einen großen Werth bei. Die Natur folen 
wir durch wafere Werke überwinden; wir überwinden fie 
aber nur, indem wir und an ihre Geſetze anſchließen und 
ige geborgen). Daß nun dieſe Überwindung der Ru 
tur durch die Kunſt nicht ohne den Verſtand und die Er 
findung des Menſchen geſchehen Tönne, verficht fih von 
ſelbſt ). Auch Hier finden wir den Verfiand im Bunde 
mit der erfinberifhen Einbildungskraft; aber Bacon mid 
traut ihm in dieſem Gebiete nicht, weil er in den Werfen ber 
Kunf an die Natur ſich anſchließen muß; der operative 


‘per instantias et experimenta idonea et apposita, ubi sensus 
de experimento tantum, experimentum de re ipsa judicat. 

1) Inst. magna p. 15; de dign. et augm. sc. V, 2 p.142; 
nor. org. I, 50; 69. 

2) Fu magna p. 19. Natura — — parendo Yineitur, Nor. 
org. 1, 

3) ” dign, et augm. sc. V, 2 p. 142. Haec igitur res ipsa 
est, quam paramus, — — ut scilicet mens per artem fiat re- 
bus par. 


Weg fepeint ihm deswegen ſicherer als ber vein wiffen⸗ 
ſchaftliche Gebrauch des Verſtandes, welcher leicht von 
Borurtheilen und leeren Einbildungen fich leiten Täßt 2), 
Bon den Werfen ber Kunſt, welche in die Erforſchung 
der Natur eingreifen, giebt aber Bacon dem Verſuche 
den Borzug vor den Werkeugen ber Beobachtung, weil 
die Natur der Materie gebrüdt, eingeswängt, gereizt und 
genedt fein will, wenn fie ihre Geheimniffe und verra- 
then foll. Er vergleicht fie mit dem Proteus, weicher 
nur gebumden feine Drafel abgab 2). Der Widerſtand 
der Materie gegen die Vernichtung iſt hierbei das Mittel, 
durch weldes wir ihrer Geheimniſſe uns bemädtigen 
tönmen, Indem wir fie prefien, möchten wir fie vernich⸗ 
ten; fie aber muß ſich dem widerfegen, indem fie zu ihrer 
Erhaltung auf ihre Prineipien zurüdgeht; da offenbart 
fie nun ihre Empfindlichleit; da zeigen fi bie feinern 
Samen, welde in ihr liegen, bie Formen, welche in ihr 
verborgen find 5. Diefe Anfiht von der Macht des Ber 


ı 

1) Nov. org. U, 4. 

2) De dign. et augm. sc. II, 2 p.68. Neque Protheus se 
in varias serum facies vertere solitus est, nisi menicis arcie 
comprehensus; similiter etiam natara arcie irritata et vexala se 
clarius prodit, quam cum sibi libera permittitur. De sap. vet. 
13; inst. magna p. 14; 17. 

3) De sap. vet. 13. Nihilominus, si quis peritus natarae 
minister vim adhibeat naturae — — tanquam hoc ipso desti- 
nato et proposito, ut illam in nihilum redigat, illa contra, cum 
annihilatio — — fieri non possit, in tali necessitate posita in 
miras rerum transformationes et efigies se vertit, adeo ut 
tandem veluti in orbem se mutet et periodum impleat et quasi 
se restituat, si vis continuetur. Nat. hist. 800. Matter is like 
a common strumpet, that desires all forms. Ib. 907. The pri- 
mitive nature of malter and the seeds of things. 





ſuches hängt mit einer ber feinen Unterſcheidungen Bas, 
soms zufammen, melde er zwiſchen Empfindung und 
Wahrnehmung des Sinnes macht. Sie beruft auf feiner 
ſchon erwähnten Behauptung, daß auch unbeſeelte Dinge 
Empfindung zeigten in Anziehung und Abſtoßung, in Bes 
gehren und Flucht, daß der Materie eine tHätige Kraft 
beiwoßne, welde in ihrem Widerſtande gegen die Ber- 
nichtung ſich zeige und auf ber Empfindung ihres Geins 
fig gründe ). Eine ſolche Empfindlichteit, eine Immates 
viele Kraft in der Materie, findet Bacon in unzäpligen 
Naturerſcheinungen angezeigt, in der chemiſchen Wahlver⸗ 
wandiſchaft, in ber Schwere, im Magnetismus, in ber 
Electricitaͤt; es IR eine Sympathie unter ben natürligen 
Dingen, welche ihre Geheimniffe verrätp 9. Die Em: 
pfindung, welche allen Dingen beiwohnt, if viel feiner 
als die Wahrnehmung der Sinne; Bacon bemerkt an 
manden Verſuchen, wie fie Unterſchiede entdeclen laſſe, 
welche der Wahrnehmung entgehnz er behauptet, daß fie 
ſelbſt in die Ferne dringe und die Zukunft vorherfage; 
als ein Mares Beifpiel dient ihm befonders bie Empfind- 
lichteit des Wetterglafes. Hierin offenbart fih ihm als 
dann ein neues Mittel, welches und beſſer als ber Sim 
in die Geheimniffe der Natur einführe und uns bie felr 
nen Unterſchiede derſelben eröffne ). Wenn er hierdurch 


1) De dign. et augm. so. IV, 3. Differentiam inter perceptio- 
nem et sensum bene enucleatam dehuerant philosophi tractali- 
bus suis de sensu et senesibili praemittere, ut maxime funde- 
mentalem. Nat. hist. cent. IX in. p. 165. 

2) Nat. hist. 800; 906; 907. 

3) Ib. cent. IX in. And sometimes this perception in some 


365 


die Schwaͤthe des Einnes zu überwinden hofft, fo iR es 
offenbar, daß er hierbei nicht dem Berftande, fondern 
einer feinern finnlihen Empfindung vertraut. 

Wenn man alles bies überlegt, fo wird man nicht 
vertennen, daß Bacon bie Begründung ber philoſophi⸗ 
fen Wiflenfhaft durch die Geſchichte oder bie Erfah⸗ 
rung ?) nur auf bie finnlihe Wahrnehmung zurädführen 
will. Der Verſuch fol nur zu ficherern und feinern Wahr⸗ 
nehmungen führen, indem er die Empfindlichleit der Mas 
terie dazu erwedt ihre Geheimniſſe den Sinnen offen dar⸗ 
zulegen. Dies ſtimmt mit feiner Anſicht von der Phyſit, 
welche er ausbilden will, auf das Beſte überein. Denn 
dieſe Wiſſenſchaft Hat es mit zwei Aufgaben zu tun, nem⸗ 
lich die Geſtaltungen und die Umwandlungen der Materie 
au entdeden, welche beide im Fluſſe der Dinge verborgen 
find 2), nicht wie bie Chemiker durch den Vulcan, fon 
dern durch bie Minerva, durch den verfländigen Verſuch, 
will ex biefe verborgenen Sachen an ben Tag bringen 5). 
Es wird dabei der Grundſatz geltend gemacht, daß jede 


kind of bodies is far more subtile than the sense, so that the 
sense is but a dull thing in comparison of it. — — It is ano- 
ther key to open nature as well as the sense and sometimes 
better. Bacon nimmt aud eine unmittelbare Empfindung der imma= 
teriellen Geiſter in der Materie an und mehr als fünf Sinne. Ib. 694. 
4) De dign. et augm. sc. Il, 1 p.65. Historiam et eupe- _ 
rientiam pro eadem re habemus, quemadmodum etiam philoso- 
phiam et scientias, 


2) Ib. III, 4 p.105; nor. org. II, 9. Inquisitio — — et 
latentis processus et latentis schematismi — — constituat phy- 
sicam. 


3) Nor. org. II, 6 2gq. 


' 366 

Wirfung - ver Natur im kleinſten oder wenigſtens in ſo 
Heinen Fortſchritten gefipehe, daß fie ben gewöͤhnlichen 
Waprnehmungen der Dinge fig entziehen *), ein Grund 
fag, welcher von entfdeibender Wichtigkeit für Bacons 
Verfahren if und unficeitig die fruchtbarſten Anwendungen 
in ber neuern Phyſit gefunden hat. Es wird aber nieman⸗ 
dem enigehn, bag er nur zu genauerer Erforſchung ber 
finnlihen Erſcheinungen antreibt. 

Bas nun aber Bacon von der Naturgeſchichte für bie 
Begründung der Induction erwartet, entſpricht fehr wer 
nig den Grundlagen, welche er ihr gegeben hat. Seine 
eigene Berfahrungeweife durch den Berſuch die Erſchei⸗ 
nungen ber Dinge bervorzuloden hätte ihm darauf auf 
mextfam machen follen, bag wir nicht Individuen, fon 
dern nur ihre Erſcheinungen wahrnehmen, Er aber meint 
annehmen zu dürfen, daß unmittelbar Individuen diuch 
den Sinn von und erkannt würden), und gelangt yon 
diefem Sage aus zu ber Behauptung, daß bie Geſchichte 


im eigentlichen Sinn es nur mit Individuen zu thun 


habe 9). 

Diefe Annahme jedoch zieht ihn noch keinesweges aus 
feiner Berlegenpeit um eine genügende Grundlage für feine 
Induction. Er lam den Einwurf nicht überfehn, daß 


4) L.1. Cum enim omnis actio naturalis per minima trans- 
igatur aut salteın per illa, quae sint minora, quam ut sensum 
feriant. De dign. et augm. sc. III, { p.94. Natura se potissi- 
mum prodit in minimis, ein Gag brr erſten Philoſophie, nelder 
als Norm für die Phyfit gilt, 

2) De diga. et augm. sc. II, 1 p.65. Individua sola sen- 
sum percellunt, ' 

3) Ib. p. 64. Historia proprie individuoram est. 





367 
die Individuen unüberfehbar find und daß wir daher im 
Aufſteigen von ihnen zu allgemeinen Ergebnifien nur in 
einen unendlichen Proceß verwidelt werben würden. Ges 
gen ihn erklärt er ſich fehr entſchieden als gegen eine durch» 
aus falfhe und verderblihe Annahme; aber feine Außer 
tungen find bunfel und laſſen in der That faum eine 
Spur des Grundes entdeden ). 

Noch von einer andern Seite her kommt er hierbei 
in das Gedraͤnge. Er kann es nicht überfehn, daß bie 
Naturgeſchichte nicht ſowohl um die Individuen, als um 
die Arten der natürlichen Dinge ſich befümmert. Um das 
gegen feine Anfiht von ber Geſchichte zu vertheibigen 
führt er an, daß die Unterfuhung der Misgeburten, alfo 
auch der Individuen nicht vernachläffigt werben dürfe, 
gleichfam als wenn biefe Unterfuhung nicht doch nur zur 
Kenntniß der Arten verwendet würde; er Bringt auch in 
Anſchlag, daß wir Individuen, welche in der Natur eins 
sig in ihrer Art find, wie die Sonne und ber Mond, bes 
fonders zu erforfchen hätten, obgleich er fonft richtiger bes 
merkt, daß wir nicht ablaffen dürften folde individuelle 
Dinge (instantiae monadicae) unter ein allgemeines Ger 
eg zu bringen 9). Aber trog aller diefer Einwürfe kann 


1) Bist. nat. praef. p.1& Dt mittant illam cogitationem, " 
quae facile hominum mentes oocupat et obsidet, licet sit fal- 
sissima et perniciosissima, eam videlicet, quod rerum particu- 
lariem inquisitio infinitum quiddam sit et sine exitu. — — Par- 
ticularia autem et informationes sensus (demtis individuis et re- 
rum gradibus, quod inquisitioni veritatis satis est) oomprehen- 
sionem pro certo neo eam sane vastam aut desperatam pa- 
iuntor. 
2) Nor. org. II, 28. 


368 


er es nicht unterlaffen dem gewoͤhnlichen Verſahren bet 
Naturgefchichte ſich anzuſchließen. Wenn fie von den Ins 
dividuen fogleih zu ben Arten auffpringt, fo glaubt er 
dies daraus rechtfertigen zu loͤnnen, daß in der Natut 
alles in ähnlicher Weiſe ſich gefalte, fo dag man alk 
Dinge derfelben Art Ienne, wenn man ein Individuun 
lenne 2). Worauf biefer allgemeine Grunbfag beruf, 
finden wir bei ihm nicht weiter ausgeführt. 

Man wird bemerfen, daß Bacon hierbei bie Begriffe 
der Arten, welche durch eine genaue Induction erſt ge 
funden werben folten, als ſchon feſtgeſtellt vorausſtht. 
Er bleibt aber auch hierbei nicht ſtehen. Er will viel⸗ 
mehr zwei Arten der Begriffe feiner Induction zu Grunde 
legen, weil er meint annehmen zu fönnen, daß fie we 
nigſtens nicht fehr täufchten; es find Dies die Begriffe der 
niedrigſten Arten und deſſen, was er unter den Namen 
unmittelbarer Wahrnehmungen zufammenfaßt. Wenn er 
von den Iegtern auch zugiebt, daß fie zuweilen täufchten, 
fo meint er doch, in Vergleich mit den abſtracten Begrif- 
fen der bisherigen Phyſil dürften fie für ſicher gehalten 
werben). Es liegt hierin ein deutliches Geſtaͤndniß, daf 


1) De dign, et augm. sc. I, 1 p.64 sq. Eui enim hisloria 
naturalis eirca species versari videntur, tamen hoc fit ob pro- 
miscuam rerum naturalium (in plurimis) sub una apecie sili- 
litudinem , ut si unam noris, omnes noris, 

2) Nor. org. I, 16. Notionum infmaram specierum, homi- 
nis, canis, columbae, et prehensionum immediatarum sensus, 
calidi, frigidi, albi, nigri, non fallunt maguopere. Ib. 60 wer- 
den doch Weifpiele täufchender Begriffe der Icgtern Met zugegeben. De 
digu. et augm. sc. III, 4 p. 108 werben diefelben als formae pri- 
marae classis, de interpr. naturae p. 256 als naturae simplices 


369 


die Induction auch nicht einmal begonnen werben fan 
ohne die Borausfegung allgemeiner Begriffe, welche nur 
aus der gemeinen Meinung fi) herausgreifen laſſen, wenn 
nicht die Induction durch ein anderes wiſſenſchaftliches 
Verfahren ergaͤnzt wird. 

Die Vorausſetzung ber niedrigſten Arten erklaͤrt ſich 
aus dem Verfahren der Naturgeſchichte, wie Bacon fie 
vorfand und wie fie noch immer betrichen wird. Daß 
aber Bacon bei biefer Vorausſetzung nicht ſtehn bleibt, 
fondern die Begriffe der unmittelbaren Wahrnehmungen 
hinzufügt, dazu bewegt ihn die Bemerkung, daß die For⸗ 
men der. niebrigfien Arten zu verwidelt, zu wenig einfach 
find, um fie ſogleich einer wiſſenſchaftlichen Unterfuchung 
vum Grunde legen zu fönnen. Die Natur will zunächft 
im Meinften, im Einfachſten erfannt fein. . && wird das 
ber den weitern Fortſchritten ber Naturerlenntniß vorbe⸗ 

- halten auch die zufammengefegtern Formen, zu welchen bie 
Arten der Dinge gehören, zu unterſuchen und zu erfen« 
went), Deswegen will er in der Induction zunaͤchſt 
darauf ausgehn die einfachen Formen der Ratur Zu erfor» 
ſchen. Was dies zu bedeuten habe, Tann niemanden ent 
gehn. Bacon wendet fi dadurch von der Erforfhung 
der organifhen Natur ab, welde in ber Naturgefchichte 


bexichnetz fie follen zuerft populari ratione angenommen, nachher - 
durch die Kunſt zu wahrerer Einfachheit gebracht werden. 

1) De dign. et augm. sc. III, 4 p 108. Substantiarum enim 
formae, — — species inguam creaturarum, — — its perplexas 
sunt et complicatae, ut aut omnino de iis inquirere frustra sit, 
aut inquisitio earum, qualis esse potest, seponi ad tempus et 
Postquam formae simplicioris naturae rite exploratae sint et in- 
ventae, tum demum institui debeat. 

Geſch. d. Philoſ. x. 24 





370 


vorherſcht, und fordert und auf im ber Phyſil vorherſchend 
der tobten Natur unfer Augenmerk zuzuwenden. 

Dies gefpiept num aber in einer Weife, welche uns 
darauf aufmerlſam macht, daß Baron feinesweges mit 
feiner Polemik gegen bie abftracten Begriffe es barauf 
abgefehn Hat fie ganz aus der Philoſophie zu verbannen; 
vielmepe die Unterfuchung der abfiracten Begriffe, welche 
aus unmittelbare: Wapınchmung uns befannt würden, 
ſoll feine Ppyfit hauptſächlich befhäftigen. In diefen ab 
ſtracten Formen, behauptet er, beſtehe das @efeg der Ro 
tur; er ſieht fie für bie Sache ſelbſt and. Nur bien 
beftimmipeit der Grenzen, in welcher bie abſtracten Ber 
griffe gewöhnlich gehalten würden, moͤchte er vermieden 
fehen und bringt daher darauf, daß wir unfere abflrac 
ten Ariome immer durch allmaͤliges Auffteigen in ber 
Stufenleiter der Begriffe in gehörigen Grenzen halten 
ſollten 9). Wenn wir nur fagen Tönnten, daß bie Weil, | 
wie er fein Verfahren begründet, uns hierzu die Ausſicht 
eröffnete. Aber die unmittelbaren Wahrnepmungsbegrife, 
von welchen wir ausgehen follen, des Warmen und des 
Ralten, des Dichten und des Dünnen und wie fie weit | 
beißen, find doch keinesweges durch ein ſolches allmäliget | 
Auffteigen von ihm gehörig begrenzt worden, und bie 
Weiſe, wie er fie angewandt wiflen will, verſpricht noch 
weniger Sicherheit. Ipren Nugen ſieht er nemlich haupt⸗ 
ſaͤchlich darin, daß fie zu einem abgefürten Weg in ben 
Tangen Umſchweifen der Erfahrungswiſſenſchaften gebraugt 


1) Nor. org. I, 13; 17. 
2) Nov. org. 1, 104. 


5A 


werben Fönnten . Dan fieht wohl, die Menge ber bes 
fondern Faͤlle der Erfahrung weiß er doch nicht zu ber 
wältigen und er if daher gendtpigt auf ein abgefürztes 
Mductionsverfahren zu finnen. 

Seine Beſchreibung des Induetionsverfahrens geht nun 
von der Borausfegung der vorher erwähnten unmittelba⸗ 
ven Wahrnehmungsbegriffe aus. Die Unterfuhung der 
Natur bezieht fih immer auf eine beſtimmte Form oder 
auf ein beftiimmtes Gefeg der Natur, welches in Frage 
fommt oder als ein Problem für weitere Unterfugung 
vorliegt. Dies Geſetz kann nur als eine Vorausfegung 
gelten, Bacon bemerkt aber doc fehr richtig, daß in der 
Unterfuchung fehr viel darauf ankomme der Natur bie 
rechten Bragen vorzulegen und forbert zu diefem Zwecke 
eine fpecielle Logik, Die verfländige Frage fei die Hälfte . 
der Wiſſenſchaft und Platon habe fehr richtig bemerkt, 
daß der, welder frage, ſchon in einem allgemeinen Ber 
griffe das, was er erforſchen wolle, im Geiſte tragen 
müffe um nachher einfehn zu Können, daß feiner Frage 
Genüge geſchehn fei. Daher fei ohne eine Anticipation 
der Antwort eine gefhicte Unterſuchung nicht moͤglich 2. 

Wenn nun hierin deutlich ausgeſprochen ift, daß. die 


4) De dign. et augm. sc. IH, 4 wird der erſte und wichtigſte 
Nugen diefer phyſiſchen oder auch metaphyſiſchen Begriffe darin ges 


funden, quod scientiarum omnium officium sit et propria virtus, " 


ut experientiae ambages et itinera longa, quantum viritatis ratio 
permiltit, abbrevient. 

2) De dign. et augm, sc. V, 3 p.148 »q. At pradens in- 
terrogatio quasi dimidium scientiae. — — Ideirco quo amplior 
et certior fuerit anticipatio mostra, eo magis direota et com- 
pendiosa erit investigatio, 

24° 


378 


Juduction nidt ohne die Boransfegung eines allgemeinen 
Begriffs ins Werk gehen lann, fo iſt ihr weiterer Bers 
Tauf von weiteren Boransfegungen auch nicht unabhängig. 
Es kommt bei ihr darauf an durch Unterfuchung der ber 
fondern Faͤlle, welche unter den vorausgefegten allgemeis 
nen Begriff fallen, diefen genauer zu beftimmen. „Bacon 
aber will diefe Bälle nicht in der zufäligen Weiſe fallen, 
in welder fie in unferer Erfahrung ſich darbieten, ſon⸗ 
dern er geht auf eine Ordnung berfelben unter gemile 
vorausgefepte allgemeine Elaffen aus. Zuerk ſoll eine 
Tafel der Fälle aufgeftellt werben, in melden der vor 
ausgefepte Begriff oder die Form und Natur des zu um 
terfuchenden Gegenſtandes in ben verſchiedenſten Materien 
vortomme 3. Hierauf fol eine andere Tafel folgen, in 
welcher die Faͤlle verzeichnet werden, welde biefer Forn 
oder Natur beraubt find. Um jedoch hierbei nicht in das 
Unendliche geführt zu werden, will Bacon, dag wir mır 
die auffallenden Berneinungen hervorheben, indem wir 
die verneinenben Faͤlle ben bejahenden zur Seite und mit 
ihnen in Vergleich ſtellen 2). Zulegt ſoll noch eine britte 
Urt der Fälle bemerkt werden, in welder der Grad des 
Vorhandenſeins oder der Abweſenheit ber vorausgefegten 
Natur zur Frage kommt ). Man wird es an bien 
Anforderungen, welche für bie Induction geftellt werden, 
Tobenswerth finden, daß Bacon das wiſſenſchaftliche Ver 
fahren nicht leicht macht, fondern eine fo große Volfän 
digleit erreichen möchte, wie nur immer möglich fein dürfte. 

1) Nov. org. II, 11. Tabula-essentiae et praesentise: 

2) Ib. 12. Tabula declinationis et absentiae. 

3) Ib. 13. Tabula graduum sive comparativae. 


Pi 





373 


Des wegen legt er auf das negative Berfahren das größte 
Gewicht. Er fah ein, wie ſchon bemerkt, daß eine Zus 
duction nichts tauge, welche durch den erſten beften Fall 
des Gegentheils über den Haufen geworfen werden könnte, 
Er fordert daher eine Induction, gegen welche fein Fall 
aufgebracht werben fönnte, und bie Vollſtaͤndigleit feines 
Berfahrens berupt daher auf der Ausſchließung aller vers 
neinenden Faͤlle. Wo in einer Induction bie widerfpres 
enden Fälle nicht berüdfichtigt und befeitigt würden, da 
Teile fie nichts; die Macht der verneinenden Infanz fei 
größer als bie ber bejahenden; nur nad einer volllom⸗ 
menen Befeitigung aller übrigen Formen ober allgemei- 
nen Begriffe fönne man zu einem befahenden Ergebniffe 
gelangen ). Er bezeichnet hierdurch fehr richtig bas ins 
directe Verfahren, welches er zur Prüfung der allgemei- 
nen Grundfäge durch bie Erfahrung einfhlagen will, 
Aber er bemerkt nicht, dag um alle mögliche Faͤlle des 
Gegentheils ausſchließen zu loͤnnen, es nöthig fein würde 
eine Eintheilung zu haben, welche von einem ſchon feſt⸗ 
fiehenden allgemeinen Begriff aus alle mögliche Fälle bes 
fimmte, und daß ohne eine folhe Eintheilung die mög- 
lichen Fälle des Gegentheils in das Unendliche gehn wür⸗ 
den, Daher laͤßt er auch wieder in feinen Vorfchriften 
von der Strenge feiner eigenen Forderung nach und ver⸗ 
Tangt nur eine fo viel als möglich vollſtaͤndige Befeitis 


4) De dign. et augm. sc. V, 2 p.140. Ubi’non invenisar 
instantia contradiotoria, vitiose coneluditur. Nor. org. E, 46, 
In omui axiomate. vero constituendo majer est vis instantiae 
megativae. Ib. 105; IN, 15; de interpr. nat. p.255. Post re- 
jecionem aut negatiomem eomplelam manet forma et aflirmatio. 


374 


gung der widerſprechenden Bälle), ober macht die vers 
neinenden Bälle, damit fie nicht in das Unendliche gehen, 
von ben befahenden Fällen abhängig, indem wur eium 
jeden bejahenden Falle ein verneinender Fall zur Geik 
geſtellt werden fol ®), Hierin Liegt offenbar ein Cirlel 
im Beweife, indem die Vollſtaͤndigkeit bes ausfchliehen 
den von ber Bollſtaͤndigleit des bejahenden Weges, welde 
durch jenen bewieſen werben fol, abhängig gemacht. wird. 
Wir werben nicht nötpig haben genauer in bie einzel 
wen Vorſchriften einzugehn, welche Bacon für die Auele⸗ 
gung der Natur durch die Induction giebt. Sie laufen 
darauf hinaus eine moͤglichſt volänbige und nah ie 
ſtimmten Claſſen georbnete Aufzaͤhlung ber Bälle zu ge 
winnen, welche bei ber Unterfucung eines befiimmtn 
Naturgefeges in Frage kommen dürften. Die Auffellung 
der Elaffen, wenn fie wiffenfhaftlichen Werth Haben ſollte, 
würde einen allgemeinen Begriff, von befien Eintpeilung 
fie ausginge, vorausfegen; einen ſolchen aufzuweiſen un. 
terläßt aber Bacon; er zählt feine Claſſen nur auf; fie 
treten überdies oft unter fepr unbeſtimmien und figätlis 
Gen Namen auf, als Inftanzgen z.B. des Kreuzes, ber 
Ebeſcheidung, der Pforte, der Wege. Bacon hat fie opne 
Zweifel aus feinen Erfahrungen in der Naturforſchung 
. entnommen; wir wollen nicht leugnen, daß fie nach der 
1) Nor. org. 1, 105. Per rejectiones et exelusiones debi- 
tas; — — post negationes tot, quot sufficiunt, super affirma- 
tivas ooncladero. Bu 
3) Ib. II, 12. Hoc vero infinitam esset in omnibus. lis- 
que subjungenda sunt negativa afßrmativis et privationes inspi- 
eiendae tantum in iis suhjeclis, quae sunt maxime cognata il- 
His alteris, in quibus natura data inest et comparet. 





Analogie" feiner Erfahrangen näglihe Winfe für das, 
was in ber Beobadtung zu beachten wäre, abgeben konn⸗ 
ten; daß fie aber ber neuern Naturforſchung ben Weg ger 
wiefen hätten, wirb niemand erwarten; noch weniger lonn ⸗ 
ten fie derfelben eine unfehlbare Bahn vorſchreiben. In 
ijrer Aufftellung herſcht nur der allgemeine Gedanke, daß 
eine Auswahl unter ber unendlichen Menge ber Bälle 
getroffen werben müffe. Daher wird au die ganze Abe 
teilung des neuen Organen, welche über dieſe Claſſen 
der Juſtanzen handelt, bie Lehre von den Prärogativen 
ber Inſtanzen genannt ?) und es leuchtet daraus bie Abs 
ſicht hervor die Natur nicht als eine ungefonderte Maffe, 
fondern als ein geordnete Gemeinweſen aufzufaffen. Wir 
lernen hieraus, was Bacon unter dem abgekärzten Wege 
der Erfahrung verfland, welden er und leiten wollte, 
Seine Verfahrungsweiſe veranfpaulicht den Gebanten, 
daß man nicht ohne Voräberlegung und ohne Plan beobs 
achten und Verſuche anftellen ſolle; woher: aber ber Plan 
10 entnehmen ſei, darüber ertheilt er feine Auskunft. 
Man wird wohl nicht fagen fönnen, daß Baron’s 
Beſchreibung feiner Methode ed und verſchmerzen laffe, 
daß fein Zeitgenofie Sanchez biefelbe Aufgabe, welde er 
ſich geſtellt Hatte, micht zur Ausfüprung brachte. Sie if 
ſehr überfcpägt worden, wenn man fie als die Vollen⸗ 
dung der Theorie über die inbuctive Methode gepriefen 
bat. Er ſelbſt Hat fie dafür nicht ausgegeben. Denn 
ſelbſt ſein Organon iR in der Mitte abgebrochen. Man 
hat es übermäßig bedauert, daß Baron durch feinen po⸗ 





4) Ib. 1, 21 29. 


litiſchen Ehrgeiz ſich abhalten Heß feine große Wiedether⸗ 
Rellung ber Wiſſenſchaften zu voflenden; denn fo gu 
auch fein wiffenfgaftlicher Epegeiz war auf eine Bol: 
dung feiner Wiederherſtellung hatte er es doch nicht abs 
veichn. Bedauern Tann man wur, daß fein Organen 
nicht ansgefäprt wurde und daß er auch bie übrigen 
Theile der Wiederherſtellung der Wiſſenſchaften niht fo 
weit förkerte, wie er es wohl gelonnt hätte. Wenn anf 
die Proben, welche er von feiner Naturgefcpichte gegeben 
pat, wicht ſehr viel verſprechen 5 wenn es auch an 
lannt iR, daß feine Verfuhe und Beobachtungen werig 
Werth haben, baß die erfien Grundfäge der neuern Ro 
turlehre von ihm verfannt ober nur fehr ungenau aufge 
faßt wurben, baf er noch weniger ein erfinderifcher Geh 
in der Phyſil war, fo wäre doch von ihm zu erwarten 
geweſen, daß er uns eine genauere Rechenſchaft über bie 
Weife gegeben hätte, wie er den Verſtand zwar leiten, 
aber doch eingreifen laſſen will in bie Ausbildung ber 
Erfahrung. So wie uns die Beſchreibung feiner Me: 
thode vorkiegt, giebt fie über dieſen entſcheidenden Punkt 
feine genügende Auskunft. 

Und dennoch müflen wir in biefer Beſchreibung das 
Hauptverdienſt Bacon's und feine epochemachende Wirl⸗ 
ſamkeit ſuchen. Denn alles, was er ſonſt für die Philo⸗ 
fophie oder im Beſondern für die Phyfit in Anregung 


1) Sie gleichen ſcht den Problemen des Ariſtoteles, welche er fahl 
ioöt. De dign. et augm. sc. II, 4 p.106. Der Plan in ifnm 


iſt nicht ſtreng gehalten; denn an mehreren Stellen fagt er, er wolle . 


nur erzählen und zur Prüfung vorlegm; an vielm andern Stelm 
entſcheidet er fih doch für Dinge, melde wir jegt als Mberglauben 
erkannt haben. 


3 


webracht ‚hat, bietet wenig Entſcheidendes und Bebrutens 
des dar. Geine Eintheilung der Wiſſenſchaften if vers 
worren und leidet an einem innern Widerſpruch, indem 
“fie auf der einen Geile bie Einheit aller Wiſſenſchaften 
- fih.zum Ziele fegt, auf der aubern Seite darauf ausgeht 
die Theologie. und mit ihr den wahren Gehalt des filtli- 
den Lebens von der wiſſenſchaftlichen Unterfuhung aus⸗ 
zuſchtießen. Zwar. läßt fih in den allgemeinen Betrach⸗ 
tumgen, welde Bacon über die Wiſſenſchaft anftellt, die 
Neigung nicht verfeunen alles an bie Naturwiſſenſchaft 
hetanzuichn und die Grundfäge, welche in biefer geltend 
gemacht werden, würden in felgerihtiger Durchführung 
unftreitig ergeben: haben, daß ihr die Enifcheibung über 
alle theorttiſche Aufgaben zufallen mäffe; aber eine folde 
Folgerichtigleit iſt auch von Bacon nicht zu erwarten, 
weil er es aufgiebt bie letzten Ergebuiffe feiner Unterſu⸗ 
chungen ziehen zu:tönnen. Um fo weniger fann er beab⸗ 
ſichtigen die Phyſtt zur unbebingten Herrſchaft über alle 
BWiffenfcpaften zu erheben, fe mehr er fih davon zurüd« 
Hält den Zwestbegriff in die Naturforſchung einzumiſchen, 
wärend. er ihn dod dem menfchlichen Leben und bem 
Walten der Borfepung über die Natur vorbepält. Ver⸗ 
worren {f feine Eintpeilung der Wiſſenſchaften auch, weil 
fie. des Verhaͤltniß der erſten Philoſophie zur Naturwiſſen 
ſchaft nicht genauer zu beſtimmen weiß. Gr ſchwanlt 
über dasſelbe, weil er in feiner Methode der Naturfor⸗ 
fung allgemeine Grundfäge nicht entbehren Tann und 
doch von eben dieſer Methode verlangt, daß fie feine 
Vorurtheile hege und alle allgemeine Grundfäge mit Mis- 
trauen betrachte. Was feine Leiftungen für bie Phyſit ber 


tet, fo wollen wir nicht verlennen, daß er fehler 
Gedanken in Anregung gebrocht · hat. Wir rechnen dahin 
daß er bie Anwendung ber Naalogie im der Unterſuchung 
der Natur empfal D, daß ex gegen alle vereinztlte Süße 
„Ritt, wele der allgemeinen Hegel ih zu entziehen [dei 
nen, mithin auch gegen bie fpecifiicken ober verborgen 
Eigenfpaften der Dinge; welche umter lein allgemeines 
Geſet fid vereinigen ließen?), daß er anf die Erkenab 
niß der Ratur im Aleinen drang, ſowohl was ihre Seſtall 
als was ihre Veränderung beiseffe, daß er enzpfal zu 
nachſt bie einfachen Formen, bie Gefege ber undrganifgen 
Natur zu unterfuchen und die Phyſik auf dem operativen 
Wege des Verſuchs zu beireiben. Hierbamch befonders 
hat er der mechaniſchen Vorſtellungeweiſe der Ppätern Zeiten 
einen mächtigen Vorſchub geleitet und man wird auf 
nicht leugnen fönnen, bag ihm hiervon ein Bernmtieia 
beitoopnte, indem er einfah, daß ber Verſuch und bie 
wienſchliche Kun nichts anderes vermöge als bie Dinge 
durch Bewegung in neue Berfmüpfunden zu brkagen 9). 
Aber man fann ihm doch in allen biefen Beziehungen mır 
zugeſtehn, daß er durch feine geiſtreichen Bemerkungen 
vielfach angeregt habe; was er in ihnen ausſprach, war 
nit neu, fondern ſchon Lange hatten die Ppyfiter alter 
und neuerer Zeit biefelben Grundfäge ausgefprochen und 


1) Nor. o org. 11, 27. 

, 2) > hält er individuelle Symyethien nicht für unmägl 
Natur. hist, 911. 

3) De dign. et augm. 20. II, 2 p 66. Homisi guippe in 
naturam nullius rei polestatem esse praeterquam-motus, ut sci- 
licet corpora nataralia aut admoveat aut amoreat. Descr. glob. 
intell. 2 p.290. 


PT 


3” 


im ihren Unterfachungen geltend gemacht... Er ſteht in 
diefen Dingen nicht höher als etwa ein Teleflus, Caſal⸗ 
pinus ober Cremoninus. Geine allgemeine Naturanficht 
ſchließt fich den ‚Lehren des 15 und 16, Jahrhunderts im 
Weſentlichen an, wenn fie au nad Bnlritung früherer 
Forſcher manches Übertriebene und Abergläubiſche defeitigt 
hat. Die Lehren von der empfindlichen und begehrlichen 
Materie, von den inwohnenden Geiftern, welche in Sym⸗ 
pathie und Antipathie wirken, leiten feine Anſichten im 
Guten und im Böfen und das Wahre und das Irrige, 
weldpes ihnen zum Grunde liegt, wird von ihm giemlich 
bunt durch einander gewirrt. 

Was nun aber Bacon's Beſchreibung ſeiner Methode, 
der Induction, betrifft, ſo werden wir von vorn herein 
darauf verzichten miuſſen in ihr eine erſchöpfende Unterſu⸗ 
chung über ihren Gegenſtand zu finden. Aus doppelten 
‚Gränden konnte fie dies nicht werden, theils weil er fie 
dazu. nicht machen wollte, theils weil er in ihr allein die 
richtige Methode der wiſſenſchaftlichen Erkenntniß erblidte. 

Was das Erſte betrifft, ſo hielt er zwar die Induc⸗ 
tion für das einzig richtige Verfahren in allen Wiſſen⸗ 
ſchaften, aber feine Vorſchriften berüdficktigten doch nım 
die Naturwiſſenſchaft. Hieraus ergab ſich ihn, daß er die 

" Befonderheiten, von welhen die Induction ausgehen 
muß, ohne Weiteres zu Algemeinpeiten erhob. Wer ein 
Individuum kennt, kennt alle Individuen derfelben Art. 
Die allgemeinen Formen der Natur, die Begriffe des 
Warmen und des Kalten, bes Dichten und des Dünnen, 
ſollen uns unmittelbar duch befondere Wahrnehmungen 
befannt werben. Dies it unftreitig nicht der gründliche 


Weg der Unterfuhung; Bacon ſelbſt verbammt ihn in 
feinen allgemeinen Forderungen, welche er an bie Judre⸗ 
tion ſtellt; in den Wiſſenſchaften, welche die Werte un 
Entwidlungen der Vernunſt erforſchen, verfahren wir 
gründlicher; wir Halten da jeden beſondern Fall für wert) 
der Beachtung. Aber die Naturwiſſenſchaft kümmert fih 
wit um die Kenntniß der Individuen und ihrer beſon⸗ 
dern Lebensacte, fondern faßt fogleih das allgemeine Se 
feg in das Auge, weil fie mit Dingen zu thun hat, in 
welpen nur ber allgemeine Zufammenpang der Erſchei⸗ 
nungen ein wiſſenſchaftliches Intereſſe darbietet. Bon bie 
fem Beifpiele laͤßt Bacon fi leiten; feine Unterfugung 
der Methode unferes Dentens if von feinem befondern 
Intereſſe für die Naturwiſſenſchaft befangen und feine 
Methodenlehre lann daher auch nur für eine beſondere 
Art der Wiſſenſchaften von Werth fein. 

Unfern zweiten Grund wirb man anerfennen müffen, 
wenn man beachte, wie Bacon durch fein Mistrauen ges 
gen die allgemeinen Grundfäge in’ ber Wiflenfchaft bau 
geführt wurde nur das für richtig anzuerkennen,. was 
durch befondere Erfahrungen fi beglaubigen Ließe, aber 
dennoch in feinem Verfahren vom Beſondern aus überall 
fich genöthigt fah allgemeine Grundfäge und Begriffe vor 
ansyufegen. Das ganze Unternehmen Bacon's geht barauf 
aus vor der Unterfuchung des Einzelnen eine allgemeine 
Regel für das wiſſenſchafiliche Verfahren aufzuſtellen. Es 
würbe dies etwas durchaus Widerfinniges fein, wenn 
nicht vorausgefegt würde, daß allgemeine Regen allen 
befondern Unterfuhungen zum Grunde liegen. Daher 
verwirft Bacon auch nicht ſchlechthin die erfte Ppilofoppie, 


fonbern will fie nur näher an die Erfahrung heranziehn. 
Daher gilt es auch als allgemeine Regel für feine Nas 
turforſchung, daß bie Natur überall gefegmäßig verfahre. 
Seine Unterfuhung der Induction fucht alfo zwar eine 
Lüde in der bisherigen Logik auszufüllen, indem fie aber * 
da6 Eingreifen des Allgemeinen in bie Erleuntniß vom 
Beſondern aus unberädkfihtigt laͤßt, bett fi nur eine 
andere Läde in der Erkenntniß der wiſſenſchaftlichen Me 
thode auf. Diefe wird am fühlbarften darin, daß feine 
Induction überall Eintpeifungen vorausfegt, welde nur 
von dem eingetheilten allgemeinen Begriffe aus gerechte 
fertigt werben könnten. In feiner Beſchreibung der In⸗ 
duction iſt einer der wichtigen Punkte das große Gewicht, 
welches er auf die Befeitigung aller negativen Inſtanzen 
legt. Nur durch fie würde das voreilige Aufſteigen zu 
Allgemeinen Ergebniſſen vermieben-werben fünnen und e6 
wigt fih Hierin auf das entfciedenfte der Ernſt, mit 
welchem er auf Vollſtändigkeit der Induction dringt. Die 
Sefeitigung aller negativen Inſtanzen fegt aber ohne 
Zweifel eine volRändige Eintheilung des allgemeinen Bes 
griffs voraus und daß Bacon es nicht für nothwendig 
gehalten hat feiner Theorie der Induction eine Tpeorie 
der Eintheilung zur Seite zu flellen, muß als ein Mans 
gel feiner Methodenlehre angefehn werben, welcher ſich 
nothwendig baraus ergab, daß er nur das auffleigenbe, 
Aber nicht auch das abfeigende Verfahren unterſucheũ 
wollte, 

Diefe Mangelpaftigfeit feiner Methodenlehre fließt 
ihm aus feiner Neigung zum Genfualismus und feine 
Neigung zum Senfunlismus hängt mit feiner” einfeitigen 


Vorliebe zur Naturwiſſenſchaft zuſammen. Wie es allen 
einzelnen Wiſſenſchaften geht, wenn fie aus ihrem natir⸗ 


lichen Zufammenhange mit dem allgemeinen wiſſenſchaft⸗ 


lichen Leben herausgeriffen werben, daß fie die Deden⸗ 
tung ihres Geſchaͤfts nicht gu durchſchauen wiflen, fo be 
gegnet es auch der Phyſik Bacon’s. Er begreift, dab 
bie Wiſſenſchaft es ſich zum Zwed machen muß die Dinge 
nach ihrer abfoluten Wahrheit, nad der Analogie des 
Weltalls, wie er fagt, zu erfennen. Gr will fie aber 
dog nur dur den Sinn erforfhen. Daß die Phyft, 
welche bie Natur in ihren finnlichen Erſcheinungen auf: 
faßt, die Welt nur wiedergiebt, wie fie im Menſchen fh 
abbildet, daß fie ohne bie Phyſiologie bes Menſchen niht 
verfianden werben kann, ift ihm wie fo manchen andern 
Phyſilern entgangen. Cr hat fein Abſehn auf die einfas 
hen Formen ber unorganifhen Natur genommen, weil 
bie zufammengefegten Formen ber organifhen Natur ihm 
als unbegreiflih oder wenigſtens als eine fpätere Aufgabe 
der Forſchung erſchienen. Wie hätte es anders fein kön 
nen, da bie orgauiſche Natur ohne Zwecke nicht gedacht 
werben fann und er die Zwede der Natur von feiner 
Unterfuhung ausfhloß. Wenn er aldbann bie einfogen 
Formen der Natur unterſucht, fo achtet er wenig darauf, 
daß fie nach allgemeinen Befegen der Mathematik, welche 
wir nach den Geſetzen unſeres Berflandes entdedten, von 
uns beurtheilt werben müffen. Daher kommt es, af 
feine Phyſik und die Gefege der Erfcpeinungen in unferm 
Jnnern für Gefege des Weltalls verfauft und nur barum 
bemüpt if die Weiſe zu beobachten, wie in unfern Sin 
nen und in unſerm Berflande die Erſcheinungen ſich re 


flectiren. Geltfam genug hat diefer Meifer der Beobach⸗ 
tung nicht beobachtet, daß der Berfiand, indem er bie 
Wiſſenſchaft will, nicht ohne Zwede arbeitet. Bacon ſelbſt 
fann diefe dem wiſſenſchaftlich Denfenden zunächft liegen⸗ 
den Zwecke nicht unbeachtet laſſen; an fie knüpft er feine 
Methode an; und dennoch follen bie Zwedbegriffe ber 
Naturforſchung fremd bleiben, dennoch möchte er den Ver⸗ 
Rand zu einem mechaniſchen Verfahren zwingen und ihm 
wo möglich nichts der finnlihen Faßlichleit gegenüber 
einräumen, 

Bei allen biefen Mängeln feiner Methodenlehre werben 
wir nicht Teugnen wollen, Daß fie von entſcheidendem Einfluß 
auf die Entwidlung der neuern Philoſophie und Wiſſenſchaft 
gewefen if. Schon der Gedanke Bacon’s if von mächtigen 
Gewichte, daß man an einer vollſtaͤndigen Induction nicht 
verzweifeln dürfe. Er bezeichnet den Eutſchluß der empiris 
ſchen Wiffenfhaft ihre Aufgabe, wie unabſehlich fie auch ſchei⸗ 
nen möchte, ungeflört von allen philoſophiſchen Bedenklich⸗ 
feiten, mit eifernem Fleiße durchzuführen. Wenn man eine 
Bereinigung der Empirie und der Philofophie hofft, wenn 
man beiben irgend eine Verbindung unter einander zugefteht, 
fo wird man nicht leugnen koͤnnen, daß ein ſolcher Entſchluß 
vom größten Einfluffe auf die Philoſophie fein mußte, Aus 
ihm geht der Überblid Bacon’s über alle Wiſſenſchaften 
hervor, welcher freilich feine Schwächen hat, aber doch 
einen Berfuh machte aus der alten Verwirrung buch 
einen neuen Irrthum herauszulommen, Man wird nicht 
überfepen tönnen, wie bie Methode Bacon’s in biefer 
Beziehung einen fehr großen Einfluß auf bie Ermeiter 
vung des wiſſenſchaftlichen Blides ausgeübt hat. Bon 


384 


der andern Geite aber hat feine Methode auch darauf 
Yingewirft ben Blick in der Beſchraͤnkung zu ſchaͤrfen. 
Hierauf geht er aus, indem er Theologie und Sittenlehre 
von feinem Unternehmen ausſchließt, auf die Naturphilo⸗ 
fophie ſich befcpränft, in der Naturphiloſophie wieder em⸗ 
pfielt zum Behufe der Induction einen befondern Begrifi, 
ein Gefeg der Natur zur Erforſchung fi vorzulegen, in 
der Unterfuhung besfelben die Bälle zu theilen und nad 
einem beftimmten Schema die Erfahrungen zuſammenzu⸗ 
Rellen, eben fo einen beftimmten Plan beim Verſuche 
fi vorzufieden und in dem beflimmten Kreife feiner Uns 
terſuchungen überall auf das Kleinſte in den Geſtalten 
und in den Berwandlungen ber Dinge zu achten. Diele 
allgemeinften Vorſchriften für alles wiſſenſchaftliche dor⸗ 
fen, daß wir unfern Blid zu einer allgemeinen Umſchau 
über bie ganze Dannigfaltigfeit der Erſcheinungen erweir 
tern und baß wir unfern Blid ſchaͤrfen follen in der dar 
ralteriſtiſchen Auffaffung eines jeden befondern Gegenſtar⸗ 
des, hat feine Methode auf eine fehr eindringliche Weiſe 
und vergegenwaͤrtigt. 

Diefe Berdienfe Bacons werden auf das beutlihfte 
in das Licht treten, wenn man fein Verfahren mit ber 
Weiſe anderer Ppilofoppen feiner Zeit vergleiht. Man 
bat ihm befonders zum Werbienft angerechnet, daß er 
von ber Autorität der alten Phyſik befreite. Hierin hatte 
er jedoch viele Vorgänger, vor allen andern bie Chemi⸗ 
ter, die Theofophen, welche eben fo, wie er, auf bie Et⸗ 
fahrung, die Beobachtung und den Berfud drangen. 
Aber feine Umſicht führt ipn zur Vorſicht in dem Aufbau 
feiner Lehre. Mit feinem Landsmann und Zeitgenofen 


An 


Hude Hat er es gemein, daß er:.handgreiflihe und au⸗ 
genſcheinliche Beweiſe verlangt; aber Fludb..begnägt ſich 
wit !einen Erperiment um ſeine allgemeinken Behauptun⸗ 
geu zu beftätigen, Bacon dagegen verlangt um ein Ergeb⸗ 
niß ür.ein:befchränktes..@ebiet der. Natur ſeſtzuſtellen bie 
weiteſte Umſchau, welche alles ſcheinbar Widerſprechende, 
das gehoffte Erzebniß Beſweitende unſerer ſorgfältigſten 
Beachtung empfielt. Wenn auch ſeine Eintheilung ber 
Inſtanzen ſonſt feinen wiſſenſchaftlichen Werth. haben 
ſollte, ſo hat fie. bo das Verdienſt die weite Aufgabe 
eines ruhig abwaͤgenden Verfahrens in ben Erfahrungs⸗ 
wiſſenſchaften uns zu seranfchaulichen. Daß Bacon uns 
an die Ratur verwieß, hat er mit vielen feiner Vorlaͤu⸗ 
fer und Zeftgenoffen:gemein, unter andern mit den Fran⸗ 
zoͤſiſchen Ethilern, einem Montaigne und Eharron, mit 
welchen er auch den fleptifchen Geiſt und vieles in der 
moraliſchen Betragptung. ber Dinge tpeilte. Wie fie machte 
ex das Natürliche auch im Menſchen geltend, aber er zieht 
ſich davon zurüd dieſe Umterfuchungen weiter zu verfolgen, 
‚weil fie ihm zu verwidelt ſcheinen; er fegt die menſchliche 
Kraft und Kun gewifiermagen im Gegenfag gegen 
die einfache Natur, welde er erforfchen möchte, wärend 
die Franzoͤſiſchen Ethiler bie Natur im menſchlichen Leben 
unterfuchen und fie zur fittlihen Macht erheben wollten. 
Diefe Beſchraͤnkung feines Blids hat er mit der Einfel- 
tigfeit, ja mit der Roheit feiner fittlichen Bildung gebüßtz 
aber eben hierdurch gelang es ihm den Zweifel jener Fran⸗ 
zofen zu überwinden, welcher baran fih anſchloß, daß 
fie in den Entwidiungen der Sitten und ben mit ihnen 
beicpäftigten Wiffenfcpaften fein Geſetz und feinen fihern 
Geſch. d. Philoſ. x. 26 


= 

Borticpritt Faden onnten. In der Unterfuhang.. ber 
mechaniſchen Geſete, der einjachſten Borgänge ie ;der 
Natur, and der Kanſte, weiche durch bie. Mechanik der 
Natur Here werden, findet er einen immer weitergreis 
fenden Fortſchriti, auf ihn gründet er feine Hoffnung, 
dag wir au in ben Wiſſenſchaften immer weitet kom- 
men werben, weil mit uuferer Macht über bie Natur and 
unfere Einſicht im ihre Geſetze im. Wachſen Kern 
fein mug). 

Ia einem ungewößnlichen Grade Dergegemmärtigt au 
das ganze Wefen dieſes außerorbentlichen Mannes ein 
fonft wohlbelanute Erfahrung. In feiner: Theologie und 
feinen futlichen Orunbfägen iſt er mict: allein fhmah, 


fondern audy roh, noch über das Maß, welches von fer 


ner Zeit erwartet werben Fonnte; dagegen.hat er in feinem 
Beſtreben die Reform der Naturwiſſenſchaften einzuleiten 


mit der äußerfien Veharrlichteit gearbeitet; ‚fein fcpmiegle | 


mer Geiſt weiß fih der Natur zu fügen, aber um fie pu 
bewältigen. Hierin entfaltet fig die gunge Stärke feine 
wiſſenſchaftlichen Charakters. .. Ex gehoͤrt zu ben Menſchen 
welde die Harmonie ihres Weſens einer einfeitigen Wirk 
ſamteit zum Opfer gebracht haben. In ihm ſpricht fd 
die Regel aus, daß man einfeitig verfahren müße, wenn 
man dic ſtärkſte Wirtſamleit gewinnen will. Eine gro 
Wirkfamteit Hat er in der That gewonnen, indem er al 


1) De dign. et augm. sc. I p. 42. . Hine nempe faotem ect, 
ut in arlibus mechanicis primi inventores pauca excogilaveril, 
tempus reliqua suppleverit et perfecerit, at in scientiis primi 
autores longissime penetraverint, tempus plurima detriverit et 


sorruperit. Derfelbe Gedanke wiederholt ſich bei ihm oſters 





ein wiſſenſchaftliches Parteihaupt ben. Meg begeichwet hat, 
welchen die Neigung feiner Zeit einfchlagen. wollte... Kir 
bat. feine Partei geleitet and den allgemeinen. Bkın ent⸗ 
worfen, nad welcher. mus die einzelnen @litoer er 
im Oingelnen zu arbeiten haben würden . 





Zweues Kapitel, 
Die ‚natürliche Religion’ und das Na⸗ j 
‚‚Iurreht., 


- Eins .Reform ber: Philoſophie, wis, fie. Bacon: wollu, 
welche ben: Sinn allein : zum. Richter. der Wahrheit uud 
die Natur allein zum Gegenſtande der philofophiſchen Bow 
ſchung zu machen. beabſichtigt, lonnte zu leiner Zeit unfer 
ter neuern Philoſophie opne Widerſpruch bleiben. Der 
Senſualismus faud nad immer feinen Widerſacher im 
Rationalismus. und die Auſprũche, weiche Theologie und 
Mosal auf philoſophiſche Begründung machten;: waren zu 
tief eingewurhelt, als. daß fie buch biofe Abtehnung ſih 
hätten befeitigen. Taffen. : Die, ſchonenden ‚Former, in 
welchen Bacon feine,Reprem vortrug, lonnten ben Wider⸗ 
ſpruch gegen ihn maͤßigen, aber gegen feine. Meinungen 
lonnte er nicht ausbleiben., MWix. werden jetzt die Kehren 
unterſuchen müffen, in welchen er fh ausſprach, freilich 
in einer nur fehr bedingten Weiſe, ſo daß man aus ihr 
hätte. abmehmen koͤnnen, da. ‚ber ſenſualiſtiſche Rataralisr 
mus bald in nes ſtaͤlerer U no weiten! mathen 
würde, ni 
Wenn. man an Basen Abe war, 26 vie. Pb 
25* 


Infopble das Übernatärkiche zu meiben habe, fo folgte doch 
hieraus nicht, daß jede theologiſche und moraliſche Unter⸗ 
ſuchung der Philolophie framb bleiben mäfle. Es fchien 
vielmehr einleuchtend, daß in der Religion und. im fittli- 
en Leben auch eiwas Natürliches walte und bie. Erfor- 
ſchung desſelben mußte ald Aufgabe der Philoſophie er- 
feinen. Kur der fleptiihe Sinn Bacon’s konnte davor 
uurũchſchreden dieſe freilich ſeht serwidelten Gelege zu 
ergründen. In dem Streite, welcher über die Grunbfäge 
der Religion und dei Politik herſchte, "forderten Theolb⸗ 
gie und Rechtswiſſenſchaft dazu auf die allgemeinen Ente 
‚Mheidungsgrände aus der Natur der. Dinge in ber Philos 
foppie zu ſuchen. Richt allein:füpnere Geiſter verzweiſel⸗ 
ten nicht ¶darau ſolchen Aufforderungen gu genügeh; eb 


mußte auch einleuchten, daß wir für die Bedürfniſſe des 


praftifgen Lebens fie nicht aufgeben dürften. 

Bir. Reben hier an den erſten Urfprüngen zweier ber 
fonderer philoſophiſchen Wifienfaften, wie fie and in 
wog größerer Anzahl aus den Bedärfniffen ber neuem 
° Zeit und aus .den. Überlieferungen . ver alten Büdunz 
heraus fi bildeten. Das Alterthum hatte Feine Anfon- 
derung der Theile der Philoſophie von ihrem :-ganzen 
Körper gelaunt: Nachdem aber einzelne philoſophiſche 
Lehren :dem Ganzen entwachſen waren,’ fipien esnicht 
unmöglich fie als befondere Wiſſenſchaſten zu behandeln, 
wie Grammatit, Ryetorik und’ andere früßer mit der Phi⸗ 
Tofophie verbundene Wiſſenſchaften zu einer felbpfRändigen 
Behandlung gefommen waren. Bacon felbſt fchien hierzu 
das Beifpiel gegeben zu haben, indem er bei allem feinem 
Dringen auf Einpeit der Wiſſenſchaft doch die Phyfil 


befonders als philoſophiſche Wiffenfchaft zu behandeln. un 
ternahm. Die Reigung der Zeit der Erfahrung. nachzu ⸗ 
gehn Rimmte hiermit zufammen; denn die Erfahrung kennt 
fogteich bei ihrem Beginn verſchiedene Gebiete der Unters 
ſuchung. Für die genauere Erforſchung einzelner. Anfgas 
ben der philofephifcken Unterfuchung waren ſolche Abfons 
derungen nicht ohne Erfolg, aber unftreitig waren fie 
auch der Berfuhung ausgefegt über bie befondern Ber 
därfniffe der Erfahrung den Zufammenhang aller Wiſſen⸗ 
ſchaften außer Auge zu verlieren. 

Es ann nicht auffallen, daß vor allen übrigen eins 
zelnen philoſophiſchen Wiſſenſchaften, welche in der Bolge 
der Zeit hervortreten follten, die Unterfuchungen über die 
Religion und über das Recht hervortraten. Theologie 
und Jurioprudenz mußten zur Ausbildung biefer Lehren 
auffordern. 

Dan wird auch nicht überfehen, daß in den Unterfur 
ungen biefer beiden halb philoſophiſchen, halb empiri« 
ſchen Wiffenfchaften ein gemeinſchaftliches Princip ſich 
regte. Die natürliche Tpeologie und das Natürrecht gin⸗ 
gen beide darauf aus Erzeugniffe der vernünftigen Bil⸗ 
dung auf bie Natur zurädzufüpren. Auch theilen fie das 
Beftreben das Theologifche und das Politifhe, welche in 
diefer Zeit noch fehr genau verbunden waren, von ein⸗ 
ander abzufondern, weit fie beide in abgefonderten Lehren 
unterfuchten. Sie haben dadurch der religiöſen Duldung 
und der Trennung des Staats von der Kirche Vorſchub 
geleiftetz es war aber nicht zu erwarten, daß fie ben An⸗ 
forberangen ihrer Zeit hierin genügen würden, welde 
von einer folhen Trennung noch weit entfernt war, 


| 
Faß zu gleicher Zeit erhielten dieſe beiden. Theile der 
Fpgefoppie eine Beßalt, in welcher fe nachher Iange mu | 
mit. Mänderungen im Einzeinen ſich erhalten haben | 
Keum hatte Bacon 4820 fein mene® Organum befenat 
gemacht, als 1624 Eduard Herbert in feiner Gcprift-über 
die Maprdeit die Brundfäge ber natirlichen Religion und 
4625 Hugo Brotius in feiner Schrift über das Reht 
des Krieged und bed Friedens bie Grwebfäge bes Ba 
turrechts entwidelte. 

1. Eduard Lord Herbert von Cherbury. 


Er ſebſt Wat fein Leben befchrieben, zwar nur für 
feine Jamilie, aber mit um ſo fieumgeren Wahrheiteliebe ). 
Die Sähiderung,. welche ex von ſich giebt, läßt einen 
der ſeltſamſten Menſchen in ihm erlennen. Geboren 1581 

auf einem Landgute Eyton in Shropſhire gehörte er ein 
abligen; Familie au, welche durch Reichthum, Mast und 
Tapferkeit in der Geſchichte Englands ſich ausgezeichnet 
Hatte. Der alteſſe Sopn, früh in Wiſſanſchaften and rit- 
tarlichen Rünften erzogen, mit einer reichen Erbin ſeines 
Hauſes vexhriraihet, war er bereits in einer zufriedenen 
Che Bater mehrerer Kinder, und hatte in ſeiner Graf 
ſchaft bie gewößnligen Üimier und van Hofe die gewöhn 
lichen, Ehren empfaugen; mit den Wiſſenſchaften befhäf 
tigt, doch nicht ald Gelehrter, ſondern wir es einem Dane 
von abfigean Stande zu geziemen ſchien, verſprach ihm 
fein Leben einen ruhigen Verlauf. Aber ihm ſchien es 





- 4) The fife of Edward Lord Herbert of Cherbury. Written 
by himself. London 1770. 4 Ben Horaz Wolpole herausgegein 


unwardig in ber Dumfelgeit und im ber Umkunde ber wei⸗ 
ten Belt zw bleiben; daher entichloß er ſich fremde Läns 
ver zu ſehn und den Ruhm der Tapferbeit auf dem feſten 
Lande zw ſuchen. Mt Jahre Hat er fo vollbragt, if 
durch Frantreich, Holland, Deutfchland, bie Schweiz und 
Ralien gezogen, im Berfehr mil'Bchehrien, an Höfen, im 
deldlager und in Zweitämpfen. fak ohne andern Zwmed als 
um feines -Thatfraft Raum zu geben und ben Ruhm eines 
tabellofen Ritters zu bewaͤhren. Wer bie Schilderung eines 
Don Duizote zu übertrieben findet, laun in feinem Leben 
die Züge: leſen, aus‘ welhen fie zufammengefegt if 2). 
Gegen dis Ungläubigen Hätte er gern feine Waffen vers 
"fait; er war im Begriff ein Regiment für Venedig zu 
werben, als er :oon Jacob I. zu feinem Gefanpten in 
Franlveich befimmt: wurde. . Er vertrat in Paris das 
Interefie feines. Aönigs, feines Volkes und des prote⸗ 
ſtantiſchen Belennmiſſes mit Muth und nicht ohne glüde 
liche Erfolgt. Im Sinn des friehfertigen Könige wer 
fein Hauptanftung. den Frieden aufrecht zu erhalten und 
dies war nicht weniger. im Sinn. des Gefandien, weicher 
in einer komm verträglichen Miihung Liebe zum. Frieden 
mit kriegriſchem Thatendurſt, pebantifhen :Eprgefül und 
praleriſcher Selbſtgefaͤllgleit verband. Schon Immer hatte 
er eine lebhafte Vetruhniß über die Entzweiungen empfuns 
den, welche die Verſchiedenheit der Religion in Europa 
entſlammte; in Franlreich, da: er gegen bie. Mefle des 
Vürgexfsieges zu wirlen haste, ſtciterte ſich dieſes Gefül 





i Watpole lact von ihm: dehnen 0 Don Qui wu 
ho Klo of Pin .n1. 


und erregte fein wiſſenſchaftliches Nachdenken. Hieraus 
iR feine Schrift über bie Wahrheit hervorgegangen, welhe 
ex 1624 zu Paris herausgab. Er hatte fie dem Hugo 
Orotins und dem proteſtantiſchen Tpeologen Daniel Tile⸗ 
aus, mitgetheilt und war von ihnen zum. Druck ermunten 
worden. Doc fonnte dies feine Zweifel, ob ex mit eis 


„nem fo pasaboren Werle hervortreten bärfe, micht gan 


beſeitigen. Er wandte fi daher in Gebet zu Got, 
dem Geber des äußern und bes innern Lichtes, ihm 
ein Zeichen zu geben. Ein domnerartiges Geha 
von heiterem Himmel ſchien ihm fein Vorhaben zu bili- 
gen. Die Gedanfen, melde er in biefer feiner Haupl⸗ 
ſchrift entwidelte, hat er nachher noch in andern Schriften 
ausgeführt und befonders auf die Beurtheilung der heid⸗ 
nischen Religion angewendet. Nachdem er von feiner Ge 
ſandtſchaft zurlcigefehrt war, blieb gr den wiſſenſchaftlichen 
Beſchaͤftigungen getreu ; außer jenen philoſophiſch theelo ⸗ 
giſchen Schriften ſchrieb er das Leben Heinrichs VIHL und 
fein eigenes Leben. Die unduldfame Regierung Karel. 
ttieb ihn in das Lager des Parlinments und zur Verthei⸗ 
digung der unterbrüdten Presbyterianer. Doch muß er 
mod, ehe et 1648 ſtarb, erfahten haben, daß die Partei, 
für deren Dulbung ex gewirkt Hatte, nicht weniger un 
duldſam als" ihre Oegner ſich erweiſen würde, 

Bon feinen Scplfften kommt pler hauptlaͤchlich nur feine 
Sqrift Über die Wahrheit in Betrachtüng D. Ziemlich 
ausfüprlic Tept ſie feine Gedanlen auseinander, mit vie 

1) Sie iſt in wiederholten Muflagen verbreitet worden. Iqh ge 


drauche Me dritte Huflage: De veritats prout distinguitur a rere- 
latone, a verisimili, a possibili et a falso. 1656. 12. Ihr iſt 


385: 


Ten! Wiederholungen, nicht in der. been Ordnung. Zwar 
läge fie eine Wannigfaltizkeil gelehrter Kenntniſſe durch⸗ 
Biden, trägt aber doch · den Charakter eines bloßen Lich- 
habers der Wiſſenſchaften an:fiip, weicher von der Schul 
gelchrfamtelt wenig hält und mit’ den zu feiner eigenen 
Berufigung ausgebildeten Übergeugungen an bie allgemeine 
Bildung der höheren Stände ſich wendet. Im Charalter 
der fegt angebrochenen Periode ſucht er eine durchgängige 
Reform der Wiffenfcaft zu begründen und bie Haltung 
feiner Schrift-M daher fehr polemifch, aber wie ein Mann, 
welcher nicht darauf ausgeht Gegner in ber Litteratur 
zu überwinden, hat er es nicht mit Einzelnen, fondern 
mar mit der herfchenden Dentweife feiner Zeitgenoffen zu 
thun; er nennt daher faft nfe feine @egner, Wie Bacon 
will er auch mit die aliere Denkweiſe ganz verwerfen, 
fondern nur die Wurzeln ihrer Irrtümer. : Obgleich er 
an der Raturwiffenfipaft Antheil nimmt und die neuern 
Forſchungen in ihr empfiehlt H, trifft feine Reform doch 
nicht die Phyſik, fondern die Theologie und die Grund⸗ 
füge des fittlichen Lebens. Im feinen Unterfuhungen 
ſpricht ſich eine Aufrichtige und einfache Wahrheitsliebe aus, 

Vorurtheile, wie Bacon, beftreitend muß er mit Zwei⸗ 
feln beginnen. Aber feine Zweifel find nicht fo allgemein 


beigebrudt de causis errorum, de religione laici, überdies einige 
Gedichte, von welchen die, erften aud in Herbert’ Leben ſtehen. Für 
die Schrift de religione gentilium erroramgue apud eos causis 
gebraude ich bie Ausgabe Amstelod. 1663. 4. 

1) Aus feiner Lebensbeſchreibung S. 31 fieht man, daß er ben 
Parocelfifchen Lehren des Dänen Severinus beſonders zugethan iſt, 
und feine allgemeinen Lehren zeigen auch, daß die Vorſtellungsweiſe 
der Theoſophen einen bedeutenden Einfluß auf ihn ausgeübt hat, 


amsgebehnt wie Dacon!s. Mit Zweifeln,: welche in da6 
Unendliche gehen, will er nichts zu thus haben ; alle Zaci⸗ 
fel End auf befimmte Fragen zu. befüränfen 7). Gein 
ſchlichter Waprheitefinn findet, daß die Wahrheit netäre 
Up, der Irrthum uud. das Falſche nur Abirruugen von 
der Ratur find, Daher hat ihm das Falſche enge Gren⸗ 
zenz weder bie Sachen, noch der Berfiand können ſalſch 
fein; jedes Ding iR wahrz nur der Unverſtand irrt, wenn 
aud der Verſtand nicht wiſſen lannz nur in der Erſchei⸗ 
nung der Dinge oder in deu Gchlüflen, welche wir-ans 
ihr ziepen, lann ZTäufgung ohwalten 2), und übeml 
seht das Falſche yon einem Wahren ans, wie bie Er 
ſcheinung von eiuer Sache und hie Schluͤſſe von einem 
Grundfage. Daper gilt es ihm als ein algemeiner Grund- 
fap für feine Borfpung, daß jeder Irrihum, ſei «6 in 
ber Religion, fei es in ber Philoſaphie, auf Wahrheit 
berube und feine noch ſo widerfinnige Meinung ohre 
Wahrheit fein loͤnne 9. 

Kein Buchergelehrter Hat er weniger, als Bacon in 
der Beſtreitung des Vorurtheils gegen bie Philoſophie 
her Schule zu kaͤmpfen; ar laͤßt fie gelten ohne viel auf 
fie zu halten; ale ein Mann der vornehmen Welt und 
des praltiſchen Lebens hat er es wit zwei Feinden zu thun, 
mit ſolchen, welde alles auf die Sinnlichkeit zurückführen 
wollen und die höhern Zmwede des kebens verachten, und 
mit folgen, welche durch Aberglauben und das gegen 
wärtige p proftifge Leben verkerben oder von ihm abziehen 

1} —X aeiotieas. De vorit g. 202. 


2) Ib. 9305; 318; 320 4 
3) Ib. 250; 26; 202, 


wollen. Er iſt chen fo weit denen entferat ſich an das 
Sinnliche fefſela zu Taffen, als durch die fpern Befme⸗ 
bungen unferes Geites dem Sinnlichen und Irdiſchen 
ſich entrüden zw wollen. Er waß daher zucrſ aachweiſen, 
ed gebe für uns etwas Höheres, als das Gianliez ale⸗ 
tan fann die weſere Frage eintreten, wie unſer Berhal⸗ 
den gegen dasſelbe ſein ſoll. 

Dew Senſualiſten geſteht ex zu, im Sinn haͤtten wir 
nen. Zeugen der Wahrheit. Der äußere Siam eröffnet 
ms Die Äußere Wahrheit. Aber follen wir niet auch 
eine Norm für die Innere unb- fir bie ewige Bapıheit in 
uns haben 3%: Zur Estenmieig der Wahrheit gehört 
dreierlei, ein Vermoͤgen zu erkennen, cin Gegenſtand bes 
Erlenrens und ein Mittel, welches das Berhältnig zwi⸗ 
ichen den Permögen: bes Exfenaenden und bem Gegen⸗ 
Rande pesbeifüprt ). Von Diefen darin Fommt aber das 
Bermögen zu erlennen zuerſt im Frage, denn yon unſerm 
Vermögen muß unfer Grfeuman ausgehn. Daher nimmt 
der Zweiſel Herbert’s überhaupt bie. Geftalt an, daß en 
die Frage verlegt, aus welchem Vermoͤgen beweiß du 
deine Erlenumiß I? Gr geht alſo auf eine Leyre vom 
Erlenntnißvermoͤges aus, wie wan gu unlern Zeiten ge, 
" fagt Haben würde, Io bes Anterſuchuug jener Frage 
findet er das Neue feiner dehre. So viel er wiſſe, meint 
er, habe er zuerſt die Bremen und Zwedn aler menfär 
lichen Vermögen befiimmt H. 





1) Ih. praef. 
2) Ib. p. A qq. “ 
3) Ex qua facultate probas? 
4) Ib. praef.; p. 195. 


Dos jedoch ſeine Geckhungen über dieſen Punkt ia 
guter Drbnung durchgeführt wären, können wir nicht ber 
haupten. Er. unterfceidet die Waprpeit der Sache, welche 
der @egenfand der Erlenatniß if, bie Wahrheit ber Er⸗ 
ſcheinung, welche die Erkenntniß der Sache vermittelt, 
die Wahrheit der Borkellung (oonceptas), in welder 
wir die Erſcheinung auffaffen, und bie Wahrheit des 
Berftandes, welcher die Sache erfennt ?), und findet, baf 
die Waprpeit überhaupt auf Übereinftimmung (conformi- 
tae) berupt, auf Übereinfimmung des Dinges mit fh 
febk, der Erſcheinung mit ber Sache, der Borfellung 
mit der Erfheinung und des Berflandes mit allen dieſen 
Gegenſtaͤnden, welche ex beurtpeilt 9. Bon allen dieſen 
Beftimmungen fpringt er aber. aldbald zu einer gan alls 
gemeinen Betrachtung ab, welche mur zeigt, daß feine 
Lehre über die menfchlihen Vermögen von Boransfegun 
gen der frühen Philoſophie nicht unabhängig if. Er ik 
davon überzeugt, daß in uns Vermögen liegen, welche 
weit über alles Irdiſche hinausgehn, das Bollfommene, 
Ewige und Unendliche umfaffen, daß Gott das mahrt 
Obiect unferer Erfenntniß (9. Gott hat uns eine 
Sehnſucht nach dem eroigen Leben eingepflanzt und dadurch 
ſich ſelbſt, welcher das ewige Leben iſt, ſchweigend ange 
deutet, alsdann aber auch, weil feine menſchliche Vernunft 
ihn in feiner Unendlichleit faflen kann, fi in dieſer Welt 
deutlich offenbart ). Denn das Unendliche überfteigt uns 


1) Ib. p. 7. 
2) Ib. PA 2q; 16. 

3) The life p.22. 

4) De relig. gent. 2 p.5. 


39 
fere Borſtellung und wird nur im Endlichen und anter 
den Berhättnifien der Zeit gefaßt 9. ‚Die göttlichen-Kräfte 
aber ſind unbeſchraͤnkt und durchdriugen :peswegen alles, 
ſelbſt das Koͤrperliche 9). Wie follten fle: nicht: in der 
Belt offenbar werden und unfern Geiß; erreichen. können. 
So wie: alleo Endliche im Unendlichen umfaßt: fein muß, 
fo werden wir auch iin Zeugniß, - ein Sild oder: Zeichen 
de6 Unendlichen in allem Endlichen annehmen. müffen, 
beſonders im Menſchen, welcher das hoͤchſte aller -Iedenbis 
gen Weſen iſt 5). Die Religion, die Verehrung des un 
endlichen Gottes, iſt der letzte Unterſchied des Menſchen 
und Herbert zweifelt daher, ob es wahre Atheiſten geben 
koͤnnte; fie würden «nicht anders als Wahnfinnige--oder 
Bernunftlofe fein. Überall verkündet ſich Die Vorfe⸗ 
hung Gottes; nichts iſt umſonſt, nichts ohne Zweck und 
ie tiefer wir in die Unterſuchung unſer ſelbſt eingehn, um 
fo mehr erlennen wir bie Spuren ber göttlichen Weisheit, 
Der menſchliche Leib if} das größte Wunder und Herbert 
empfielt daher die Anatomie, weil fie am deutlichen bie 
göttliche Weispeit zeige; er ‚meint, fein Anatom könne 
Atheiſt fein ⸗). In unferm Verſtande wird nun auch das 
Bermögen Liegen müflen bie Werfe dieſer Weisheit zu 
erlennen. Es iR etwas Analoges zwiſchen unferm Ber 
mögen zu erlennen und zwiſchen den Gegenfänden ber 
Erlenntniß; im feinen @efegen entſpricht der Milrolos⸗ 





1) De verit. p. 34. 

2) Ib. 46 29. 

3) Ib. p.73; 86; 316 eq. 

4) Ib. p. 223; 273. Religio hominis ultima differentia. 
5) The life p. 36. 


ws 
mh dem Malceloomus. Eben ſo wieie Wahrheiten giebt 
6, als es Unterſchiede der Dinge ı giebt,“ unb fe wick 
Unterſchiede ber Dinge es giebt, ehe ſo viele Bermögen 
*— eb in a0) . 

Mir (chen, es ſiad meiaphyfiſche Geurdiäge, welche 
feine Unterſuchungen keiten, imt:vorfentkichen biefelhen Grund ⸗ 
füge, welche feine ſchon bemerkte Voelicbe für die Theo 
ſophae erwarten lich. Bon. einem. oberſten Princip, von 
Geit, einem unkoͤrperlichen unendlichen Weſen, geht alles 


aus; aus ber Einheit entſaltet ſich alles zur Maunigfal⸗ 


tigkeit. Das Riedere iR dem Hoͤbers, das Manuigfaltige 
vera Einen in alen Grader br6 Seins unterwarien; bir 
Materie. wirb vom Leibe, dar. Leib vom Geiſte, der Geil 
von Sott beherſcht D.. Das iſt der Wag-der Borſchung, 
welche som Allgemeinen zum Beſondern fortſchreitet, in 
welchem aus dem Einen das Viele. ewanirt z umzelehrt 
AR der Weg unſerer Erlenntniß, welche von Befonden 
zum ‚Allgemeinen gelaugt 3. Daher. iß ber. Rörper von 
Natur weniger erkennbar, als die Seele; der Koͤrper 
erhält den wahren Geiſt und das Sinnliche fans. als 
sin Hinderniß: der -Erkenntpiß.: angefehn werben Der 
Heiß, deſſen nadtes. Weſen in Verſtand und Glauben 
beftehk, ‚firebt. über alle Schranken hinaus, verachtet den 
Tod. ober ſehnt fi mad ihn; feine. Hoffnung iſt, daß 
ſelb das Unendliche ſich ihm eröffnen werda *).. Bit fir 
1) De verit. p. 10; 13; 38. Tot sunt facultates, quot reram 
differontine et vice versa. Ib... u... 

2) ib. p. EL 111; 116; 270. 

3) Ib. p. 


4) Ib. Hi an agq. Berludetur demum. 
inßnitam, 





] 

ler Maqht werden wir von Sott regiert, da wir.uuferer 
Freihelt noch nicht völlig..mädtig ſind. Deun wie das 
Embryo ſich ſelbſt nicht lennt, fo liegen wir. uns ſelbſt 
verborgen in dieſer Welt eingeſchloſſen und harren des 
Tages, der und yon dieſem Körper. und dieſer Welt be 
freien und bie. Erlenntniß unfer ſelbſt und unſeres GOrun⸗ 
des bringen ſoll 2). Wir werden nicht nöͤthig Haben dieſe 
theoſophiſchen Gedanken Herberns weiter zu verfolgen, 
unfere Aufmetkſamkeit hat ſich vielmehr dem Neuen zuzn⸗ 
wenden, welches ex am fie anſchließt. 

Oierbti werden wir nun bemerken müffen, daß er. bie 
theofpphifcgen:. Lehren von Schwaͤrmerei frei Hält, indem er 
und anweiſt von Niedern zum Hoͤhern, vom Befondern zum 
Allgemeinen ufgufteigen. Dies ſtimmt mit Bacon’s Methode 
überein, voch kann Herbert den ſenſualiſtiſchen Neigungen " 
feiner Zeitgenoffen. ſich nicht ergeben. Er erklärt ſich gegen 
die Lehre von der Ieeren oder von der abgefchabten Tafel, 
indem er meber zugeben Tann, daß wir von Natur leer, 
no durch die Sünde ausgeleert find. Unſer Vermögen 
zu erfennen inüffen wir bei uns tragen, wenn aud bie 
üußern Objecte es zur Thaͤtigleit anregen mögen, fo liegt 
doch das Vermögen über Wahres und Falſches zu ent 
ſcheiden in unſerm Geifte und wenn wir alles, was von 
außen empfangen wirb, von uns .abziehen, fo bleibt uns 
noch immer unfere eigene Natur). Der Sinn ift zwar 

4) Ib. p.314. Numinis vi tacita regimar in nostrum jus 
non salis asserli, donec isto exoludemur et o6rpore et mundo: 
2) Ib. p.68. Quod teoum ad objecta dücis, dos naturae 
est. — — - Apage igitur jstos, qui: mentem: nostram tabulam 


rasaım sive abrasam ömse praedicant, quasi-ab objectis habere- 
mus, ut in illa denuo agere possimus, 


ein Zeuge, aber nicht ber Wichter der Wahrheit 1).. Hier- 
bei Rügt ſich Herbert auf allgemeine Begriffe oder Grand: 
füge, gegen welche niemand. ireiten durfe und welche er 
als Ausiprüde: des: natürlichen Inſtinlts in ung betrach⸗ 
det). Weit gefeplt,. daß fie. als Ergebniſſe ber. Erſah⸗ 
zung. angefehn werben Fönnten, laun vielmehr Feine Beob⸗ 
achtung oder Erfahrung opne fie vollzogen werben. Ber 
füge und Schtäfe folgen ſolchen Brumbhägen, welde 
als Gebote ‚der Natur von ums nach fiherem Inſtiult 
anerfannt werben müflen 9). . Wenn wir. bad; mas Her 
bert hierüber vorbringt, ale gerichtet. gegen bie. Lehren 
Bacon’d uns denken, ſo werben wir es nicht ohne Gr 
wit finden. Er macht darauf aufmerkfam, .baf: allen 
unfern Erfahrungen, Beobachtungen und Verſuchen uns 
ſere eigene Natur vorausgeht, in bie Ergebaiſſe des cm 
piriſchen Verſahrens fi einmiſcht, ja die Entſcheidung 
über dieſelben abgeben muß. Anſtatt uns nun Beſorg⸗ 
niß über ſolche Einmiſchungen von. unferm Eigenen zu 
erregen, wie Bacon gethan hatte, Rüpt Herbert vielmehr 
alle Sicherheit unferes Geiſtes auf ſie. Was urfpräng 
Hd in umferer Natur liegt, muß uns begleiten, daher in 
uns allgemein fein. und. in- allen. unfern. befonberw Tätige 
leiten fi) geltend machen. Go ift es. mit ben allgeme 
nen Brundfägen, welche uns in allen Erfahrungen, unter 


1) Ib. p.40. 

2) Ib. elenchus verhorum zu Anfang der Schrift. . 

3) Ib. p.2; 35. Tantum absst interea, ut ab exzperienlis 
et.obserratione deducantur elementa aive: prineipia ista sarra, 
w sine eorum aliquibus sive saltem aliquo neque .experiri ne- 
que quidem ohseryare possimus, Ih. p. 37; 60;. 68. 





jedem Ginneneindrude begleikn 23, Der Sim Tann uns 
immer nur Zeitliches und Beſerheres Ichzen, wir tragen 
aber and) etwas bei nuus, welches und. ewig und in all» 
gemeiner Weife beimohnt, unfene eigene Natur 2). - Die 
fen uns urfprüngli briwohnenden Vermögen haben wit 
vor allem andern Glauben zu ſchenlen, vor allem übrigen, 
was durch ben. Sinn obenhurd. Überlegung‘ und. Schluß 
in und eingetragen wirhg: es beglaubigt ſich ‚fer. 
Daher kann „Herbert. quch ‚han: Zweifeln gegen die allge 
meinen Orunkfäge nicht. beiſtimmen, vielmehr ohne eine 
genauere Unterfuhung ‚besfelben. im Beſondern anzuftellen 
if er davon. überzeugt, daß as ſolche Grundfäge giebt, 
welche die Natur alle Menſchen, ja alle lebendige Weſen 
gelehrt Hat, Über fie. mug seine allgemeine Übereinſtim⸗ 
mung ftattfinden und bie Aufſuchung folder Säge, welche 
alle Welt anerkennt, iß ihm deswegen auch, von großer 
Wichtigkeit. Er glaubt, dag man in dieſem Wege zu 
mathematiſcher Gewißheit würbe gelangen loͤnnen *). Er 





4) 1b. p.57; 85. Post commianer igitar notitias sive doctri= 
nam inslinctus natnralie in. homine gradaim: et successive sese 
ad objeota explicantes particulares quaedam notitiae et sensus 
suboriuntur, a suis facultatibus particularibus conformatae. 

2) Ib. p.65; 112. 

.9) Ib. p.195 »q. Instinetua naturalis sive notitiad commu- 
nes a se ipsis unice fidem oblinent.et gupra raianem, i.e, dis- 

* eursum eredi postulant Idem .de fsculiatibus reliquis existi- 
mandum est, quae imprimis ab inferiöribus facultaibnn infor- 
mari dedignantur. Ideo sensui interno circa objecium suum 
Potias quam sensni externo et sensui exierno denique polius 
guam dicursui credendum est. Ib. p. 208. 

4) Ib..p.49. Summa igitur veritatis norma erit consensus 
universalis. Ib. p.55; 62. Nunguam aatis interea hortari pos- 

Geſch. d. Philof. x. 26 


J 


unterfpeidet dabei allgemeine Kenntniſſe, welche ueipräng: 
lich vom Infint und getehrt werden, und andere, welche 
nur durch Folgerungen uno einlenchten, und giebt jenen 
den Borzug vor dieſen in Beziehung: auf ihren Vorrang 

. ber Eutſtehung nach und auf ihre Sicherheit ). Demi 
alle Folgerungen ſcheinen ihm; wer menfälichen Schwach⸗ 
yeit unterworfen zu fein, wärend bie allgemeine Natur 
und ſicher leitet 9). Diefen Umerſcheidung folgend if er 
zwar nit ohne alles Mistrauen gegen allgemeine Säge, 
aber doch leinesweges im dem Umfange, in welchem bie 
Sranzöfiigen Gteptifer und Bacon es ausgeſprochen hat⸗ 
ten. Befonders den allgemeinen Grundfägen: ber Sitten 
lehre vertraut .er ; ‚in ihmen findet er bei vielen Abweigun 
gen des Urtheils im Beſondern bie größte Übereinim- 
mung im Allgemeinen, welche in demſelben Grade feine 
andere Wiſſenſchaft außer der Mathematil aufzuweiſen 

hdabe 5). Im einem wölligen ‚Gegenfag gegen die Aufiht 
Bacon’ meint er daher, daß die veligiöfen und ſittlichen 
Waprpeiten unferm Wefen näher und ſicherer wären, als bie 
phyſiſchen Wahrheiten, obgleich auch dieſe mit jenem in einer 
ſichern und fletigen Verbindung fänden 9. Die urfprängli- 
Gen allgemeinen Erlenntniſſe find ihm als unferm Wefen ans 
sumus lectorem nostrum, ut ex consensu universali communia 
in⸗ principia — — seligant, in ordinem denique digerant et 
tanquam providentise divinae universalis ideam et typum opli- 
mum habeant. ib. p.72; 271. 

1) Ib. p. 62; 76 2qq. 

2) Ib. p.77. 

3) Ib. p.143. De morali philosophie summus consensus; 
iota enim est nolitiae cummunis, quod in reliquis scientüis, misi 
fortasse mathematitas excipias, non datur. 

4) 1b. p. 54. 





gehörig auch der Zwed unferer Wiſſenſchaft, wärend bie 

fianlichen Eindrüde nur als Mittel ongeichn werden bürr 
fen, durch welche wir zur Erleuntniß der Obieete gelan⸗ 

‚gen follen, und er lann ſich nicht genug darüber wundern, 
daß fo viele, welche nur dem Sinn vertrauen wollten, 

B beim Mittel Rechen geblieben find. Y,.., Der Sian. gehört 
nur zu den Tpätigfeiten und kann vabır auch nur Thaͤ⸗ 
tigleiten zur Erkenntniß bringen, nicht aber Dinge ober 
die Vermögen ber Dinge, aus welpen ihre Thätigfeiten 
hervorgehn. Er bezeugt nur ein Ergebniß aus der Wech⸗ 
ſelwirkung zwiſchen unſerm innern Vermögen. und dem 
äußern Objecte 2). Daher achtet auch Herbert die Ger 
ſchichte, welche Bacon zur Grundlage unferer Wiſſenſchaf⸗ 
ten machen wollte, nur für ein geringexes Wert; fie lann 
fih der Überlieferungen nicht ntiölagen und. sewäpet wur 
Wahrſcheinlichkeit 5). 

Diefe Anfänge des Streites wiſchen dem nenern Em 
ſualismus und Nationalismus entalten freilich viel Un⸗ 
Mares und fegen meiſtens der einen Behauptung nur, eine 
andere entgegen; aber einen Hauptpunlt ſiellt doch Her⸗ 
bet an die Spige feiner Unterſuchungen, welcher geeige 
net war ſelbſt feine Geguer für fi zu gewinnen, Mon⸗ 
taigne und Charron weren.geneigt gaweſen in den gYger 
meinen Grunbfägen unferes Denfens. Muafpräge dea na · 





Mb. p.94. Mirum est interea, guomodo in denn, ie. 
in media via, haeserint plurimi. Ib. p. 106. ° :" 

2) 1b.p.56. In actam i.e. in sensum. Ib. p. 93. 2q. " Quod 
igitar sentis, neque est facultas sive visinterna aese explicans 
Deque objeetum, sed aelionym resultantia ododan ex collisione 
et coneursu mutuo oriunda. ’ 

3) Ib. p.296. 

ö 26* 


türligen Infinkts anzierfommen; au Bacon hatte ihnen 
hierin beigeftimmt, wenigſtens in Beziehung auf bie allge: 
meinen Srundfäge unferes Handelns. Diefelbe Denlweiſe 
macht Herbert geltend zur Vertheidigung ber allgemeinen 
Grundfäge überhaupt. Ein urfprünglicher natürlicher In⸗ 
ſtinkt, welcher uns zus Wahrheit führt, iſt ihm das obere 
Bermögen, welches uns in allen unfern Tpätigfeiten leitet; 
alle übrige Vermoͤgen für bie Erkenntniß, ber innere, 
der äußere Sinn und das Schließen, gehen von biefem 
Infinfte aus und werden von ihm regiert D. - Diefe Be 
Jauptung unterflügt Herbert durch eine Bemerkung, welche 
ganz im Sinn der neuern Senfualiften- und der herſchen⸗ 
den Neigung zur Phyſil if. Die allgemeinſte Tpätigfeit 
dieſes Inftinfts, in welcher Menſchen, Thiere, Pflanzen 
und alle natürliche Weſen übereinſtimmen, iR das She 
ben ſich ſelbſt zu erhalten. Darin liegt das oberſte Ge⸗ 
feg der Natur, welches im Jnſtinkt aller lebendigen Ber 
fen fi verfändet, welches ſelbſt die Elemente zum Bis 
derſtand gegen feindliche Kräfte aufruft; wo Bewußtſein 
fich regt, da wird das Bewußtfein dieſes Befeges nicht 
fehlen können, durch bie Obfecte nur erregt, aber nicht 
von ihnen in die lecte Tafel der Geele eingefchrieben, 
fondern aus der Innern Natur aller Dinge hervorquel⸗ 
lend ). "Wir haben gefehn, mie allgemein verbreitet in 
biefer Zeit die Berufung auf dieſes Naturgefeg war; wir 
werben finden, deß ſie noch immer Rärfer ſich ausſprach. 





1) Ib. p. 46 Pr 282. ; 

2) Ib. p. 40; 54; 815 140. Cojus (sc. instinetas naturalis) 
summa lex propria illa conserratio, quae in omnibus desori- 
bitur, 








4085 


Herbert rief, indem er auf daeſelbe ſich bezog, bie Ber- 

ehrung des allgemeinen Naturgefeges zur Beflätigung der 

allgemeinen Gefege des Berflanbes auf. 

Der Begriff des natürlichen Infinfts, welcher zunächk 
auf die Erhaltung feiner ſelbſt geht, findet nun aber in 

einer ungezwungenen Weife noch eine viel weitere Aus: 

dehnung und hierauf gründet fi das Vertrauen Herbert’s 


auf die allgemeinen Begriffe überhaupt. Wenn man nicht 


zu leugnen Willens war, daß die Geſetze der Natur von 
Bott abhangen, fo konnte es feine Schwierigkeit haben 
in dem natürlichen Iuftinft ein Werk der Vorſehung Got⸗ 
tes zu erbliden. Das Streben nah Erhaltung feiner 
ſelbſt iR eine Erweifung der allgemeinen Vorfehung, welche 
Herbert die Natur nennt, im Gegenſatz gegen die befon- 
dere Borfehung oder die Gnade 1). Die Erhaltung ſei⸗ 
ner ſelbſt treibt aus den Dingen ihre Thaten heraus, fie 
iſt daher praltiſcher Art und deswegen konnte Herbert die 
praftifchen ober fittlihen Grunbfäge ald bie erfien, dem 
Juſtinkt zunächſt liegenden betrachten. - An das Geſetz der 
Selbſterhaltung ſchließen ſich alsdann noch andere prak⸗ 
tiſche Geſetze an. Der Inſtinkt treibt zuerſt die innern 
Tpätigfeiten heraus, die innern Thaͤtigkeiten führen aber 
auch zu koͤrperlicher Äußerung und alles dies geht auf 
einen Zwed, im Allgemeinen auf das allgemeine Gut, 
welches die ewige Seligkeit iſt ). ine bebeutende Er⸗ 





1) Ib. elench. verb. 

FR) Ib. p.81; 140. ‚Proximo sequuntur loco internae faculta- 

(et, quae ea ratione instinotui maturali subjiciuntur, qua omnia 
in beatitadinem aeternam tanquam finem ultimum, relata sunt, 
— — Quemadmodum igitur sub instinotu maturali faculiateg 


A086 


weiterung erhäßt aber biefe Lehre noch durch bie Betrach ⸗ 
tung, daß der Inſtinkt um die Erhaltung des einzelnen 

Dinges zu betreiben auch die Erhaltung ber Abrigen Dinge, 
mit welden das einzelne Ding zufammenhängt, nicht ver⸗ 
nagläffigen darf. Daher dehnt er ſich auf die Erhaltung 
der Art, ber Gattung und ber ganzen übrigen Welt aus, nur 
in der Weiſe, daß die Vorſehung Gottes ihn zunächſt anf 
das Naͤchſte gerichtet hat um mit der Borfehung für das 
Ganze auch bie Borfehung für das Befondere zu verbins 
den. So ergiebt es fi, daß der natürliche Juſtinlt auch 
die algemeinen Begriffe beglaubigt, welche ber Zuſammen⸗ 
hang des Ganzen fordert, bie Begriffe des Schönen und 
des Guten, fo wie aller natürlichen Orbnungen, in wel 
en wir uns an das Weltall anſchließen ?), 

Dan fieht, daß diefer Betrachtungsweiſe bie Ordnung 
des Erfennens in ganz entgegengefegter Weife fih dar 
ſtellt, als wie fie im Sinne der Senfualiften gedacht wurde, 
Nicht vom aͤußern Sinn geht das Erfennen aus, fondern 
von innen heraus bildet es ſich unter der Herrſchaft ei⸗ 


internae — — ita sub istis facultates corporeae militant. — — 
Hano igitur (so. bealitudinem aelernam) guo more sub ratione 
scilicet conservationis propriae consectantur omnia. Ib. p.262. 

2) Ib. p.56. Instinctus naturales sunt actus facultatum i- 
‚larum in omni homine sano ef integro existentium, a quibus 
communes illae notitiae circa analogiam rerum internam, cü- 
jusmodi sunt, quae circa causam, medium et finem rerum, 
bonum, malum, pulchrum, gratum ete., maxime ad individui, 
speciei, generis ei universi conserralionem facientes, per-ie 
etiam sine discursu comformantur. Ib. p. 72 sq. Nisi’enim ex 
communi illa sapientia nalurae lex intus rogata mutuum rerum 
vetaret interitum, in se alternis vioibus ita saerirent omaia, ut 
nihil non subito periret, 


ned allgemeinen Raturgefehes, welches alles zuſammen⸗ 
Hält und dem natürlichen Infliefte Die Kenntniß des All⸗ 
gemeinen entlodt. Diefem allgemeinen Beſtreben, welches 
auf die Erhaltung bes Einzelnen als eines Gliedes im 
großen Ganzen ausgeht, fließen ſich alsdann ber Innere 
und der änfere Sinn und zuletzt auch die Bolgerungen 
des Schlußverfahrens au, welche die allgemeinen Orund⸗ 
füge des natürlichen Infinkts auf die befondern Erfah⸗ 
tungen der Sinne anwenden. Hierdurch ſoll ein allges 
meines und höchfes Gut ‚gewonnen werben. Jn ber 
Berfofgung desfelben können uns bie Ginne Aörenz auch 
bie Freiheit in unfern Folgerungen Tann irren; aber zulept 
bleibt doch alles unter bem allgemeinen Gefepe ber Bor . 
fehung, welches ben endlichen Frieden herbeizuführen ver⸗ 
ſpricht H. 

Man wird aber auch bemerken, daß dieſe Lehre die 
Ratur in Beziehung auf einen Zweck ſich denft. Hierin 
iR fie den Lehren Bacon's durchaus entgegengefegt. Sie 
fügt fih auf die allgemeinen Säge, daß nichts umfonft 
fi, daß weber die Natur noch Gott im Nothwendigen 
etwas verabfäumen oder im Zufäligen etwas Überflüſſi⸗ 
ges herſtellen könne, Der Zwed aber, welcher im Allge⸗ 
meinen verfolgt wird, bie ewige Seligkeit, liegt weit über 
das hinaus, was durch bie Erhaltung feiner felbft, feiner 
Art und Gattung, ja der Ordnung des Weltalls erreicht 
erben könnte. Es ift vielmehr alles auf eine weitere 
Entwicllung und ein dortſchreiten im Leben der Dinge 
angelegt, fo daß ſogar die Hoffnung auf die Erfennte 





1) Ib. p. 104. 


niß des Unendlichen, wie wir fahen, und nicht abgeichait⸗ 
ten werden ſoll. Daher: betrachtet Herbert bie Ratur nicht 
als eine mechaniſche Iufaummenfegung tobter Maſſen, fon 
dern nach der Welfe der Theoſophen fieht ex überall le⸗ 
bendige Samen oder, wie er fi auszubrüden Tiebt, eine 
plaſtiſche Kraft, welche unzerſtoͤrbar den Dingen beiwohne 
und bie Reime eines viel volllommenern Lebens in ſich 
enthalte, als das if, welches dieſe Exde und gewähren 
tann. Hierin if feine Hoffnung auf ein unſterbliches Les 
ben gegründet, welches in ber Erhaltung feiner felbft nur 
feine · unvergaͤngliche Grundlage hat!), Bon der plafis 
ſchen Natur, welche wenigſtens vermuthungsweiſe auch 
mit ber Weltſeele gleich gefegt wird, leitet Herbert den 
Zufammerhang der Seele mit dem Körper ab 2); aber 
nur ber Körper geht uns im Tode verloren; bie plaſtiſche 
Kraft bleibt uns, in Verſtand und Willen ſich entfaltend; 
fie wirb auch den Zufammenpang mit der übrigen Belt 
wieberperftellen; einem neuen Körper, eine beflere Mas 
terie, welche. und dargeboten werben bürfte, wirb fie mit 
fih zu vereinigen wiffen 5). Hierbei ſchließt nun Herbert 
die Entwidlungen ber Freiheit nicht aus. Bon einem nas 
türlihen Iufinkt zwar Teitet er alles ab; an ihm und feis 
nem Streben nad der einigen Seligfeit bleiben wir zu jeber 
Stunde gebunden und unfere Freiheit fann biefen Zweck niht 
verrüden; aber unfer innerer Sinn beglaubigt uns bod 
unfern freien Willen in fo weit, taß mir Gewalt über 





1) Ib. p. 117; 281; 313; the life p. 22. 
2) De verit, p. 113. 
3) Ib. p: 117 29. 





208 

bie Mittel zu unferm Ziele haben ), vom Anfang bis zu 
Ende. Der Anfang if der natärlihe Inftinkt, das Enke 
die Freiheit; denn in ihr finden wir das Bild der Unends 
lichteit Gottes und nur durch fie haben wir etwas, was 
wir mit Recht das Unfrige nennen können. Alle übrige 
Bermögen des Menſchen liegen daher zwiſchen dem In⸗ 
ſtinlt und der Freiheit des Willend und dienen nur ale 
Mittel von jenem zu biefer zu gelangen 9. So will er 
von ber Natur zur Freiheit uns führen; aber wie fehr 
auch feine Säge über die Freiheit nach der Lehre der No- 
minaliften ſchmecken 9, von der Nätur, welche zum Ziele 
füprt, macht ex doc die Entwiclungen unferer Freiheit 
abhängig; denn von bem Unendlichen, der Macht Gottes, 
weiche in der Natur waltet, wird alles Endliche ums 
ſchloſſen. J 

Hierin verlündet ſich die ſittliche Richtung, welche durch 
Herbert's Lehren hindurchgeht. Sie wendet ihn der Reli⸗ 
gion zuz denn die Religion beſteht ihm im ſittlichen Le⸗ 


4) Ib. p.106. Circa finem non sumus liberi. — — Circa 
media tamen — — libere nosmet ipsos habemus, quod quidem 
ex sensu interno constat, 

2) Ib. p. 105 sqq. Quatenus igitar homo liber est, infini- 
tus est. — — Est igitur instinctus naturalis et in homine et 
in animalibus religuis prima Yacultatum, libertas arbitrüi ultima. 
Inter quas cunctae facultates reliquae ita intercedant, ut actio- 
nes maxime necessariae proximo post instinctum naluralem se- 
quantur loco. — — Necessariae actiones nostrae non sunt. — — 
Quae spontanese actiones, solummodo sunt nostrae. 

3) Gegen die Determination des Willens durch den Verſtand ſtrei- 
tet er, wei jebe Bacultät ihre eigenen Tpätigkeiten Habe und der Wille 
iſt ihm eine befondere Facultat. Im der Wahl der Mittel herſcht Bill- 
tür und libertas ad opposita. Ib. p. 106. \ 


ben, welches nad; Bott ald dem hoͤchſten Gute ſuebt. 
Jede Tugend iſt zum Preife Gottes; alle Tugenden ger 
pören zufammen und möffen ſich gegenfeitig mäßigen; in 
jeder einzelnen würden wir Übertreibung zu fürchten has 
ben; fie haben eine jede für ſich nur einen beichränften 
Werth; dies gilt ſelbſt von ber zeligiöfen Berchrung 
Gottes, welche auch übertrieben werben lannz nur in der 
Gemeinſchaft mit allen übrigen Tugenden if fie wahre 
Religion I. Go wie die Erlenntuiß aller Wahrheit lei⸗ 
tet num Herbezt bie Religion von ber Natur und dem. 
Infintte ab. Denn in ipmen findet er, wie wir fahen, 
die allgemeine Verehrung Gottes, welche in allen Dingen 
uns’ leiten fol. Die befonbere Gnade, welche uns in ir 
gend einer Offenbarung zu Tpeil werben kann, darf bie 
allgemeine Gnade oder Borfehung Gottes nicht verdeden ). 
Es iR gottlos die Natur, welche die allgemeine Vorſe⸗ 
hung Gottes if, anzullagen 5). Wir willen, daß es 
anch falſche Religionen giebtz wir bedürfen daher auch 
eines Prüffleins ber Religionen. Einen folgen werden 
wir nur im Prüfften aller Wahrheit finden Finnen, d.h. 
in ben allgemeinen Grundfägen, welche und der Zufinft 
an bie Hand giebt). Auf ipnen berupt die latholiſche, 
d. h. die allgemeine Kirche, deren Urtheil Herbert ale 
feine Lehren unterwirft 9. Nichts kann wahr fein, was 

1) The kife p.37 qq. " 

2) De verit. p. 268 sq.; 287. 

3) Ib. p. 73. 

4) Ih. 9.265; 282. . 

5) Ib. p. 267; 283. Has autem sunt omBino ‚notitise com- 


munes, ex quibus vera ecolesia catholica sive mniversalis con- 
stat. De rel. gent. 16 p. 231. 


44 
unfera allgemeinen Grunbfägen wiberfpriht. Über die 
Bernunft Tann wanches hinausgehn, was nach wahrſchein⸗ 
lichen Gründen angenommen werben barf, aber ohne 
Bernunft Tann nichts von und gebilligt werben ). Dar 
her ſetzt ſich Herbert dem blinden Autoritätsglauben ent- 
gegen. Der Glaube habe nur Werth, wenn er wahr⸗ 
haft unfer Glaube fei, d. h. nicht der Meinung eines Ans 
dern folge; jeder fönne von Bott nur nad) feinem eige⸗ 
men, nicht nach fremdem Glauben beurtpeilt werden 2), 
Seinen Glauben an die Offenbarung verſichert er nun 
oft; aber dieſen hiſtoriſchen Glauben an die Autorität 
Anderer follen wir wohl unterfheiben von bem Glauben 
an Bott und bie Natur, melde in unferm Gewiſſen 
ſpricht 5). Sein Streit if nun gegen bie Verlaͤumder 
der Natur gerichtet, als wenn fie verborben wäre und 
uns einen falfchen Weg zeigen loͤnnte. Gie Hat immer 
das Böfe verabfheut 9. Zwar Tann Sünde unfere Na⸗ 
tur verunteinigen, und verblenden, ber Gtrafe ung ſchul⸗ 
dig machen und von ber Seligleit uns zurädpalten; Her- 
dert iſt fogar bereit zugugeben, baf eine Sünde mit dem 
Willen Gott zu beleidigen eine ewige Strafe verdienen 
würbes aber eine folhe Sünde und daher auch ſolche 
Strafe Hält er für unmoͤglich. Die natürlichen Faͤhig ⸗ 
feiten, welche Gott auf fih und bie ewige Seligfeit ger 
richtet hat, ließen fi) zwar in Schlaf wiegen und buch _ 
die Abweichungen der Freiheit vom natürlichen Wege zu 


4) De causis error. p. TI. 
2) De verit. p.266., 

. 9b. p. 8. 
4) Ib. p. 132. 


42 


Srrtpümern verleiten, aber ausrotten ließen fie ſich nicht"). 
Den Menſchen kannſt du nicht ausziehn; bie Freiheit 
lann den Sinn bes Böttlichen nicht ausloͤſchen . Hierin 
geht Herbert fo weit, daß er fogar zwifhen Tugend und 
Lafter nur einen Oradunterſchied findet”). Im der mitt, 
lern Raufbapn, in welcher unfer Leben verläuft, können 
wir weder ganz gut, noch ganz böfe fein. Daß wir fün- 
digen Können, gehört zu ben geheimen Rathſchluſſen Got⸗ 
te6 ); wenn wir aber gefündigt haben, fönnen twir auch 
durch aufrichtige Neue uns wieder zu Gott befehren und 
feiner Bergeipung tpeilhaftig werben; daß bies nit aus 
freiem Willen geſchehn könne, iſt eine heilloſe Lehre. Zwar 
fol ung die Verzeihung unferer Miffetpaten nicht zu leicht 
gemacht werben; .aber eben fo wenig kann Herbert bie 
Lehre billigen, daß der Sünder der Gnade Gottes niht 
mehr theilhaftig und gänzlich verworfen fe. Daß Gott 
uns aus’ reinem Wohlgefallen verbammen follte, wider 
ſpricht feinem Weſen 9. 

Die Artikel des Glaubens, welde Herbert aus ber 
naturlichen Religion zieht, find fehr einfach. Es if ein 
hoͤchſter Bott; wir follen ipn verehren; Tugend und Froͤm⸗ 
migfeit find bie vorzuͤglichſten Theile ber Gottesvereh⸗ 
tung; über unfere Sünden follen wir Schmerz empfinden 
und und ihnen entfchlagen; in und nad biefem Leben if 
von der goͤttlichen Büte und Gerechtigkeit Lohn und 





4) Ib. p. 104; the life p. 37 qq. 

2) De verit. p.103. Negamus te. beminem exuere posse. 
3) Ib. p. 41. , 

4) Ib. p. 280. 

5) Ih 1.270; 218 2q.; 288. - 





45 


Strafe zu erwarten 1); bies find bie fünf Artitel, welde 
fh unter den Deifen durch das Anfehn Herberns ver» 
breitet haben 9. Er behauptet, daß fie algemein von 
alten Bölfern anerfannt und nur durch Zuthaten willlür⸗ 
iger Art verbeit worden wären. Solche Zuthaten er⸗ 
ſcheinen ihm als ein natuͤrlicher Erfolg ber öffentlichen 
Gottesverehrung, zu welcher wir doch verpflichtet wären, 
weil eine fo öffentliche und mächtige Sache, wie die Re 
figion, nicht innerhalb ber Privatwohnungen fi) würde 
verſchließen Laffen. Er verwirft auch die Ceremonien bee 
oͤffentlichen Religion nicht; fie dienen zum äußern Schmud, 
dürfen aber nicht zum Wefen der Religion gemacht wer⸗ 
den; man foll fie auch zu Täfigem und unziemendem 
Vomp nicht anwachſen laſſen ). Die religiöfen Tugen- 
den Bleiben ber Haupttheil des Gottesdienſtes; aus ber 
Hoffnung fol uns Glaube, aus dem Glauben Liebe, aus 
der Liebe Freude und zulept ewige Seligleit erwachſen *). 
Daß feine fünf Artilel zur Seligfeit genügen, if Herbert 
beſcheiden genug. nicht behaupten zu wollen; tenn .bie 
Gerichte Gottes. wären uns verborgen; aber er hält es 
eben deswegen auch für verwegen das Gegentheil behaup⸗ 
ten zu wollen 9. 

Wenn er fih nun zurüdhält von. der Berwerfung 
aller Zufäge zu der natürlichen Religion, fo beruht dies 


1) H. p. 268 sqg.; de-relig. gent. 1 p.2; 14; 15, 

2) Er ruhmt fih ihrer Erfindung, welche ihn: glüdtier gemacht 
habe als jeden Archimedes. De rel. gent, 16 p. 218. B 

3) De verit. p. 271; 283. ” 

4) Ib. p.274. 

5) De rel. gent. 15 p. 217. 


414 


darauf, daß er neben der allgemeinen Vorſehung Gottes, 
zu welcher auch die natürliche Religion gehört, noch bie 
beſondere Borfepung zugiebt, Wie bei den Theofophen, fo 
ſpielt dei ihm das Princip der Individuation eine große 
Rolle. Go viele Unterſchiede es giebt, fo viele Wahrheiten 
giebt es, bie Unterſchiede aber gehen aus dem Principe ber 
Individuatlon hervor, welches in Bott liegt, weil alles End» 
liche vom Unendlichen umfaßt wird. &o wie nun das Uns 
endliche, fo find auch alle Unterſchiede un beftändig gegen» 
waͤrtig und unfer Berkand bebarf nur der Erregung um fie 
zu erlennen. Dies iſt die Analogie, welche zwifchen nuſerm 
Berftande und der Welt fattfindet 2). Ihr zufolge haben 
wir nun aber au ein jeder ein ‚befonderes Wefen, für 
welches auch die göttliche Borfehung im Befondern wirft. 
Daher fteht die befondere Gnade mit ber allgemeinen Nas 
tur unter der hoͤchſten Vorſehung. Hierzu kommt noch, 
daß Herbert meint, der Menſch fei einer befondern. Vor⸗ 
forge würdig als das Höchſte der: Schöpfung ). Au 


vdieſen Glauben an die befonbere Gnade Gottes hält 


Herbert für allgemein verbreitet und beweiſt dies aus 
dem Glauben aller Bölter an bevorzugte Menſchen, Orte 
und Handlungen, ‘aber befonders.an bie Macht bes Ges 
bets, weldes Gottes befondere Borfehung anruft und 
feine Hülfe erbitten zu Fönnen überzeugt if’). . Daher 
i) De verit. p.10 sq.; p- 13 2qq. 
2) Ib. p. 73. Ideo quia in homine religua animantia perfici 


volsit deus, facultates ad virtutem et religionem ultra commu- 
nes indidit. Ideo denique providentiae universalis_sive maturao 


“ et particularis sive gratiae summa quaedam -providentia datur 


utramque temperans. 
3) Ib. p.269; 272. 


a5 


entzieht er fich nicht dem Glauben an Wunder, welche 
nur nit Im Widerſpruch mit den Gefegen der "Ratur 
ober dem Weſen der -Dinge ſtehen bürfen, und an befon- 
dere Dffenbarungen, welche uns Gott unmittelbar oder, 
durch, Hülfe anderer Geifter im Traume oder im Wachen 
fenden koͤme H. 

Hierdurch wird es ihm nun moͤglich neben der natür⸗ 
lichen eine poſitive Religion anzuerlennen. Ein allgemei⸗ 
nes Übereinfommen über bie Weiſen ber oͤffentlichen Got⸗ 
tesverehrung kann auf befondern Offenbarungen Gottes 
beruhn; den Anordnungen der Kirche über diefelben Glau⸗ 
ben zu ſchenlen Hält Herbert für fromm 2). Alles dies 
läuft aber nur auf Zufäge zu der natürlichen Religion 
hinaus. So wie man feit Tanger Zeit gelehrt hatte, daß 
dem natürligen oder göttlihen Rechte durch das pofktive 
Geſetz etwas zugäfegt werben Bönne, fo nahm Herbert” 
dasselbe auch für die natürliche Religion an. Die Gnade 
Tegt zu, gleichfam einen Gipfel des Guten; ihre Zufäge 
müffen aber nach ben Regeln der natürlichen Religion, 
d. 5. nach den allgemeinen Orundfägen ber Vernunft beur⸗ 
theilt werden). Nach feiner religiöfen Duldung ift er 
mum aber geneigt nicht zu großes Gewicht auf die pofi⸗ 
tiven Zufäge zu legen, weil fie ben Streit über religiäfe 
Dinge erregt haben. Er betrachtet fie mit Mistrauen; 
— 


1) Ib. p.284; 289 sqq.; 296 2q. 

2) Ih. p.285. 

3) Ib. p.266. Quapropter ex sapientia universali praecog- 
nita religionis sancienda sunt, ‚ut qnicquid deinde ex vero fidei 
dietamine adjectum fuerit, tanquam superliminare et fastigiatum 
aliquid substractione ista fulciatur. 


x 


46 

Die einfache Wahrheit, welche alle Menſchen auerlennen, 
iſt uns naturlicher als bie verwiclelten Irrthumer der Res 
ligionen. Manche von ihnen haben die Phantaſien der 
Digter oder bie Erfindungen ber Philoſophen beigemifcht 
ein noch größerer Theil ſcheint dem Vetruge ber Prieſtet 
zuzufallen D. Gott in feinen Werken zu verehren war 
dem Menſchen natürlich; in her koͤrperlichen Natur des 
Himmels fah man die Seele der Welt, in ber Seele ber 
Welt Bottz aber dieſe urfpränglie Religion lich die 
Verehrung Gottes bald auf feine einzelnen Werte über 
tragen und bie Priefter fanden +6 vortheithaft fich ſelbſt 
eine höhere Würde anzumagen, indem fie als Dolmetſcher 
göttlicher Befehle fi darſtellten. So find verſchiedene 
Arten des Gottesdienſtes herſchend geworben). Die 
monnigfaltigen Geſtalten ber pofitisen Religion if: Her 
bert geneigt meiftens auf die Millkür des wmenſchlichen 
Geiſtes zurüdzuführen. Doc vertraut er, daß unter dem 
veligiöfen Irrihum noch immer ein Bewußtſein der m | 
tuͤrlichen Religion fih erhalten habe und fieht die Philo⸗ 
fophen ber Heiden als Träger dieſes Bewußtfeine An, 
welches in der prißligen Religion eine allgemeinere An 
erfennung ſich verfhafft Habe. Die Wiederherſtellung der 
natürligen Religion bildet ipm das Weſen des Epriftens 
thums, welchem aber durch ben hierarchiſchen Trug auf 
wieder viel Unreines und der Streit der Parteien fih 
angefegt habe 5). 





1) 1b. p.272; de rel. gent. passim. 

2) De rel. gent.2 p. 12 24; 3.19; 9 p.57. In corporea coeli 
nalura animam ejus, in anima coeli deum ipsum venerabantur. 

3) Ib. 16 p.230. So wie er die heidniſche Religion einey Kri 





aad 


Seine Loprk geht nun· auf vinr Reinigung: des Epri- 
flen ſhums · von: fol den Satahen ns gen macht aber babei 
nur im Allgemeinen feine Zweifel gegen bie poſtlive Re 
ligion geltent, Den Buntleis:, and Wundern und Propher 
zeiungen verwoinft: Ei: zwar /imicht zänzlich, aber hebt doch 
die Schwierigleit ves Bermeifed :im hochſten Grade her⸗ 
vor ). Alles inne poſttiuen Religion: mürbt auf. der 
Wahrhaftigleit der Hefündemi Offenbarung beruhũ. "Diefe 
erlennt er tm: Migenspimerm anz iIn«feinem eigeuen Leben 
will er ihre Zeichen erfahren haben; uber jeder Beweis 
derfelben iR midlkh, > Geben wird feine. befanbere. Offen⸗ 
barung in feinen Yanstn: gegeben; ihm bezeugt fie fein 
Gewiſſen; aber kaun ww: diefelbe Ubetzeagung him An⸗ 
dern gewähren? :: Was nicht auf ben Ausſagen der allge⸗ 
meinen. Natur beruhe/ kann nicht auf den allgemeinen Be 
fall des menſchlichen Geſchlechts rechnen ). Herbert daher 
bei aller. Hochachtung für die heilige Schrift und / die chriſ⸗ 
liche Überkieferung. kann ihgen doch nichts. anderis zugeſtehn, 
als daß fie in Übergisfkinmmueng. mit der naturlichen Reli⸗ 
gion und, auf glaubwarbigen Zrugniffen betubend Wahr⸗ 
ſqheinlichteit gewähren amp zur "Erregung. unſerer From⸗ 
migkeit geeignet ku 9 ‚wur der. Beate, weiche die 


tie unterworfen hatte ; an. 6 u ac im nt m 
ligion erwarten, bie, er aber nicht. ausgefühst hat. 

1) De verit. p. 308. 

2) Ib. p.284. Neque enim ad humanım genus spectare 
posse videtur, quod facultatum indicio communi non cbnstat. 
Ib. p. 288 24. Quod enim tanquam revelatum ab’aliis. aceipitur, 
non jam revelatio, sed 'traditio, sive kistoria habenda est. 

3) Ih. p. 203; 298 2qq. Die feitige Sqhriſt ſel verilatis eiri⸗ 
tate donata; die Heifige Geſchichte biete zwar nichts, was nit durch 

Geſch. d. Phileſ. x. 77 


8 


allgemeinen Brunkfäge wnh: ‚ben: iungre Rrhterfnht und | 


gewähren, laun kein AnfenchnBeugniß,.: der Wapıhei ſich 
vergleichen. eb ml ner 
Raqchdew fo viele Nachfelger. herdert Auf berfelben Bahn 
gewandeit, ſollte die Rihtungıfeinot Weges. xicht ſchwer zu 
erlennen fein, Er nennt fh ‚cine Laien in der Theslogie, 
auch in der Geleheſamleit iſt ca urx Liebbaber, doch glaubt 
er über Thealegie und Gelchr ſornleit sin vollgüktiges Urtheil 
su haben, Er verttant aben dem gaſachen Menſchenver⸗ 
Rande, dem naturlichen Jaftinkte, ein würdiger Naqhfolger 
der Theoſophen aus der Schule des Yaracelſus. Sein Kampf 
AR gegen die wohlgeſchulte, genen die aherladene Gelehrſam⸗ 
Seit, welche über ungeprüfte: odre unwerßetibene überlieferun⸗ 
gen bie Natur und den Gruud deu, Dernänftigen Bildung 
vergefien hat. Giegen bie ausgsinetenen. Bahnen des Bor⸗ 
urtheils find feine Griffe fäpm und; zumeilen glüdlich. 
Er hat sin: Gefäpl der Rranfpeit, welche im Streite der 
religioͤſen Meinungen fi erzergtihat; er moͤchte ber Em 
pfiadlichkeit / ſeuern, welche über die: geringfügigen Abwei⸗ 
quugen bie: Übereinfiunmung an Wehenttichen zu überfer 
ben in Gefar gerath. Man Hat ihn daher zu ben dati⸗ 
tudinatiern gezaͤhlt, aber. er gehört vielmehr. zu den Maͤn⸗ 
nern, welche in allem Poftiven nur den menſchlichen Zus 
fag und eine willlürliche Verſtellung der urfprünglichen 
Natur argwopnen. Dem natürlichen Inftinkte vertrauend, 
welcher in uns wohnt, vbegünſtigt er die Meinungen nicht, 





die Objecte und unfere Fahigkeiten erkannt werben könnte; aber fie 
vertrete die Stelle der Objecte, gebe bie fihdnften Beifpiele der allger 
meinen und befondern Vorſchung Bottes. und bie allgemeinen Grund: 
Füge wurden durch fie auf das träftigfte angeregt. 


. 49 
welche alle unſere Grlenminig der Wahrheit von außen, 
von den Ginnen erwarten; fo wie er von ber Geſchichte 
der Bernunft nicht mehr ale eine Ersegung unferer alls 
gemeinen Kenntnifle erwartet, fo fol auch die Geſchichte 
der Natur und nichts mehr bieten, Das Sinnliche if ihm 
ziemlich gleichgültig, weit ihm fein Inſtinkt eine religiöfe 
Belehrung über das Sittiche und Überfinnlihe vers 
ſpricht. Im diefer Weiſe glaubt er in Befig einiger Wahr⸗ 
heiten den Wandel der finnlichen Körperwelt überflogen 
zu haben. Er achtet nun aud die wandelbaren Entwid« 
lungen ber Vernunft gering, obgleich er anerfennt, daß 
wir von ber Natur zur Freiheit entlaſſen werden follen, 
und im Vertrauen auf die innere Stimme fommt es ihm 
wenig darauf an den Plan ber Borfehung zu erforfchen, 
welcher bie veligiöfen Entwidlungen der Menfchpeit ges 
leitet hat. Dex Jerthum, welchen er mit zahlreichen Nach⸗ 
folgern teilt, beruht weſentlich darauf, daß Überzeuguns 
gen, welde bie Frucht der Zeiten geweſen find, für ur⸗ 
fprüngliche Ausſprũche der Natur gehalten werben. Aber 
darauf berupt bie Kraft feiner Lehre, daß er dem Bor- 
urtpeile widerfpricht, welches unfere Natur für gänzlich 
verdorben Hält und die xeligiöfe Überzeugung, wie fie 
auch im Laufe der Zeit fih offenbart haben möge, von 
ihrer natürlihen Grundlage ablöfen wil, Was er in 
diefem Sinn gegen die verwidelten Streitigfeiten ber Theo⸗ 
Togie vorbrachte, mußte ſich einer Zeit empfehlen, welche 
ermũdet im religiöſen Kampfe alles auf das Urſprüng⸗ 
liche gurädfüpren wollte, in der Welt nichts höheres kannte 
als das Gefeg der Natur und in ihm das höchſte Ges 
feg Gottes, wenn nicht Gott felbft, zu erkennen glaubte, 
27* 


2. Die Borgänger des Bugs Grotius im Ra— 
turreht. 

Rad dem Borgange Melanchthons waren unter den 
Proteſtanten wiederholte Verſuche gemacht worden bie 
philoſophiſchen Lehren über Net und Glaat weiter zu 
entwickeln. Die Ergebniſſe waren jedoch mur gering und 
hatten feine durchgreifende Anerlennuug ſich zu derſchaf⸗ 
fen gewußt. Den beſten Männern, welche an ihnen ar⸗ 
beiteten, lann man doch nur als Vorarbeitern des Hugo 
Grotius Bedeutung beilegen I. 

Schon der Juriſt Johann Oldendorp, ein Zeil 
genoſſe Melanchthon's, der feine Anhänglichkeit an bie 
Reformation durch manderiei Anfeindungen hatte bäßen 
müffen, bis er als Profeſſor zu Marburg Ruhe fand, 
fuchte eine Vereinfachung ber Jurisprudenz durch die Zu⸗ 
rüdführung ihrer Grundſaͤtze auf die Vernunft zu gemin 
nen. Das Recht der Natur Teitete er von dem Funlen 
des göttiichen Lichts oder der Vernunft ab, welcher nad 
dem Sandenfall den Denſchen Abrig geblieben 2). Das 
bargerliche Recht iſt dh eine genauere Beſtiaimung ober 
Ausdehnung des naturlichen Geſetzes nach wahrſcheinli⸗ 
chen Gründen, welche in verſchiedener Weiſe ausfällt, 
weil ‚fie nach den drei Formen des Staats und nach am 
dern Umfländen fi gu richten hat ). Das natikilih 

1) Vergl. C. von Kaltenborn die Worläufer des Quge: Gratis 
auf dem Gebiete des jus naturae et gentium fo wie der Yotitif im 
Reformationsgeitalter. Leipj. 1848. Die Sqhriſten Olddorp’s, Han 
ming’3 und Winters citite ih nach der Autgabe, welche dieſer Schrift 


beigefügt in 
2) Juris naturalis et cirilis elsayayz; tit. I. 
3) Ib. de. IV p.17. 


Geſet iſt durch die Offenbarung veröffentlicht worben und 
überall ſollte man in der Unterfuhung des Mechte auf 
die Offenbarung zurüdgepn, denn in biefer fei die-Norm 
für die Erklärung des Naturrechts zu fuhen). Seine 
dorſchungen ‚über das Einzelne gehen aber nicht weiter 
als auf eine Zurädführung der verſchiedenen Rechtsfor⸗ 
men auf die gehn Gebote”). Es if hierin kein weſent⸗ 
licher Fortſchritt gegen ben Standpunkt zu entbeden, wel- 
sen ſchon Melanchthon eingenommen hatte, 

Weiter vorzudringen firebte Nicolaus Hemming, 
ein Daͤniſcher Theolog, welcher bis zu feinem Tode an Ende 
des 16. Jahrhunderts mit den Theologen feines Vaterlan- 
bes zu Rreiten hatte, In feiner Schrift über das Naturger 
feg if der Berfu merkwürdig alles nad mathematifcher 
Methode zu beweiſen. Die Philsfophie des Rechts, in 
ihren: Grundfägen von ber Moral abhängig, if nicht 
weniger genau zu beweifen als die Matpematit 5). Das 
Geſetz der Natur if uns im Gewiſſen geſchrieben, von 
Gott eingebrüdt, allgemein für alle Vernunft; Hemming 
führt es auf einen Inftinkt der Natur zurück ). Es bes 
herſcht das öfonomifche und das politiſche Leben, welche 
beide das geiſtliche Leben zum Zwed haben. Wie Me 
lanchthon bezieht nun auch Hemming die Gefege der ers 
fen Tafel auf bie Iegtere, die Geſetze der zweiten Tafel 
auf die beiden erſten Arten des Lebens 5). Aber er wil 


1) B. tit. I p. 11; tit. IV p 15 
2) Ib. tit. V. 

3) De lege natarae p. 29 sq. 

4) Ib. p. 32. “ 
5) Ib. p. 36 29. 


doch nichts auf Offenbarung gründen, vielmehr fehen, 
wie weit unfere, wenn auch durch die Günde verdunlelte 
Bernunft reicht. Hierbei geht er aber auf fehr allge⸗ 
meine Betrachtungen aus, indem er nicht allein das reiht: 
liche auf das ſittliche Leben zurüdführen will, fonbern 
auch bie Unterordnung ber Stände im Staat, damit ber 
Anarchie begegnet werde, auf die Grade der Dinge nad 
Raimundus Lullus zurädbringt, das Geſetz ber Natur 
in fo weitem Sinn faßt, daß ſelbſt das Geſetz des Er⸗ 
lennens ihm zufaͤllt, die Earbinaltugenden des Platon, 
die Eintheilungen der Gerechtigkeit, welde Ariſtoteles ger 
geben Hatte, zur Entwidlung feiner Lehren gebraucht d), 
genug in elleltiſcher Weile die Lehren der frühern Philo⸗ 
foppen benugt. So glaubt er, daß es gelingen werde 
das bürgerliche Recht auf das natürliche Geſetz zurüchu⸗ 
bringen, indem er dabei die Billigkeit im weiteſten Maße 
berädficptigt haben will 2. 

Diefelde Zurüdführung des Rechts auf das fittlihe 
Gebot Hatte Albericns Gentilis im Auge, ein Jtalie⸗ 
niſcher Juriſt, welcher dem proteftantifchen Glauben zuge 
than feine Zuflucht erft in Deutſchland, nachher in Eng 
land, wo er 1611 als Profeffor zu Orford farb, Hatk 
ſuchen müffen. Seine Schrift über das Recht des Kriv 
ges if merkwürdig, weil fie als nädfte Vorläuferin des 
Hugo Grotius in einem ähnlichen Unternehmen angefehn 
werben muß. Er fpricht gegen bie Feinde des Naturrechte, 
indem er ed aus einem unveränderlichen Inftinft der Rv | 
tur ableitet, obgleich ex geſtehn muß, dag Irrthum und | 

1) Ib. p.34 sq.; 36; 42. . | 

2) Ib. p. 42. | 

| 





Leidenſchaft ſo mächtig ſind uns. fehb der Natur unge 
treu werben zu: laflen und daß bie Sünde nur einen 
Theil des göttlichen Rahts.fn und unverbunfelt gelaffen 2). 
Den Krieg ſieht er als einen Beweis hiervon an, denn 
der natürliche Inſtinkt könne ihn nicht billigen. Wenn 
alle Menſchen ihrem natürlichen Triebe folgten, fo würbe 
Seine Zeindfepaft unter ihnen herſchen, weil uns aus uns 
ferer Verwandiſchaft unter einander nur die Neigung zur 
Gefelligfeit und gegenfeitige Liebe ſtammt, welche über 
alle Voͤller, Bollögenofien und Barbaren ſich erfiredt 2). 
Aber ein Recht erhalten wir. allerdings auch zum SKriege, 
wenn mir ungerecht angegriffen werden und fein höherer 
Nichter vorhanden iſt, welcher zwiſchen uns und unfern 
Feinden entigeiden fann. Dann bürfen wir unfer Recht 
veriheibigen und es beruht daher auch der Krieg auf nas 
türlihem Rechte und ſetzt den Begriff der Gerechtigkeit 
voraus). Daher. fohen wir auch im Kriege das Recht 
bewahren und eingebent ber natürlichen Verwandtſchaft 
unter allen Menſchen ihn in menſchlicher Weife führen. 
Hieräber geht Gentilis in viele einzelne Unterfuchungen 
ein, welche jeboc eine zu wenig philoſophiſche Haltung 
zeigen, als daß wir fie hier weiter verfolgen bürften. 

- Bebeutender als die vorher angeführten Verſuche iſt 
das, was Benedict Winkler, ein deutſcher Juriſt und 
Zeitgenoffe des Sugo Brote +), für das Naeh uns 

H De jaro bei I, 1 p.5; 10. 

2) Ib. 1, 15 p. 107 sqq,; II, 2 p.475. 

3) Ib. 1, 2 p.20; 3 p.22 2q.; p-3l sg; 13 p. 92 sg. 

4) Seine Sgrift principioram jur Mbri V it m. Sepp 
1615 erſqhienen. 





ternahm. Davon ausgehend, daß feine einzelne Wiſſen⸗ 
ſchaft ihre Grundſaͤte beweiſen kömie, fordert er daß bie 
Rechtewiſſenſchaft gu ihrer Begrädbung auf bie allgemei⸗ 
nen Duellen aller Wiſſenſchaſt urüdgepen müfle. Diele 
Quellen aber ſucht ex in zwei allgemeinen Wiſſenſchaften, 
der Philoſophie und der Theologie ?). Alles Recht geht 
vom Befege Gottes aus und Die Rechte der Eimeinen 
fliegen nur aus dieſem Gefegez denn Geſetz und Recht 
verhalten fih wie Urſach und Wirkung zu einander 2). 
Die göttliche Gerechtigkeit iR daher auch das Vorbild der 
menſchlichen und bie Vernunft follte. fie uns offenbaren, 
Da jehoch diefe durch die Sande verdunlelt worden, kaun 
unſere menſchliche Philoſophie das Reit nicht allein aus der 
Bernunft fhöpfen, ſondern wir. beduͤrfen zur Erkenntniß 
desfelben in feinem gangen Umfange der. Offenbarung 5). 
Bott als der Grund aller Dinge, als die Quelle alles 
Nechts, welches nur mittelbar von der Dbrigkeit fommt, 
Hat alle Weſen mit .fih und alle Menſchen unter einans 
der in Liebe werbunden und dieſe ik das volllommene 
Naturgeſetz. Daher gehört auch bie Religion, welche 
ihr Weſen in der Seele hat, dem Naturrechte an. Sie 
iſt aber, wie die Sagen jetzt ſteha, nur durch Offenbar 
sung uns zugänglich und nur unter Grommen wird bas 
Gefeg der Liebe annäperungsmeile geübt. Im allgemeir 
nen Berfehre der Menfchen muß an-bie.Stele ber Liebe 
die Klugheit treten und dabei auf das Urtheil der Menge 


ren 





1) Prioe. phil. I, 27504 = . 
2b. U, 1.966. en ” 
3) Tb. 1, 3 9.56; 58; Gh nggı 





ABS 


gefehn werdent). Daher haben wir zwei Arien des 
Naturrechts zu umterfpeiden, das früpere und das 
ſpaͤtert. Das frühere, welches vor dem Hall des Men 
fen galt, umfaßt alle Moral; das fpätere gilt für alle 
Bölter und wird daher das Vollerrecht genannt ). Da- 
her betrachten Theologen und Juriſten das Recht von 
verſchiedenem Standpunkte. Der Theolog, welcher alles 
auf das ewige Heil bericht, bedenkt das frühere Naturs 
recht; der Juriſt Hat nur das Theilchen bes Gefeges im 
Ange, welches nach dem Ball übrig geblieben if, und 
forgt für das zeitliche und politiſche Wohl des: Menfchen. 
Darum hat fi aber auf die Rechtswiſſenſchaft als eine 
Dienerin der Theologie zu betrachten, weil das politiſche 
Wohl dem ewigen Heile dienen fol. Seitdem Sünde 
und Leidenfcpaft die Menſchen beherſchen, iſt es nothwen⸗ 
dig geworben das urfprüngliche Naturrecht, fo weit es 
mit unfern gegenwärtigen Zuftänben beſtehen kann, mit 
Schutzmitteln zu umgeben und hierzu fol das Recht der 
Juriſten dienen *). 

Diefe Schutzmittel führen aber auch noch zu einer 
dritten Art des Rechts, zum pofitiven Rechte. In dem 
aurfprünglichen Gefege der Liebe beflanden weder Eigen 
thum noch Sklaverei, noch Vertraͤge; fle find erſt einge 
führt worden, als an bie Stelle ber Liebe Leidenſchaft 
getreten war. Da if Ungleipheit unter den Menſchen 


4) Ib. I, 15 '3'p. 62; DI, 1.p. 69. 

2) 1b.1,3 9.63 2q; II, 6 p.89. 

3) Ib. I, 7 9.72; V, 13 9.188. J 
4) Ib. IV, 1 p.95; 2 p.97. wu 


entftanden, wärend früher alle ſich gleich waren ?). Dieſe 
Einrigtungen, obgleid nicht im Einklang mit dem Geſehze 
ber Liebe, ſind doch nicht opne Vernunft eingeführt worben, 
weil wenigſtens bie äußere Gerechtigleit gefhügt werben 
mußte, nachdem bie innere verloren war. Die Rechts⸗ 
wiſſenſchaft hat nur jene zu beforgen, weil ber Menſch 
das innere Herz nicht beurtheilen lann und bloße Ge 
danfen bie politiſche Zucht nicht ſtören ). Die Vernunft: 
mäßigfeit jener Einrichtungen wird von Winkler mehr 
vorausgeſetzt ald bewieſen; er fügt fih weſentlich nur 
darauf, daß fie bei vernünftigen Tpieren nicht vorkom⸗ 
men, wohl aber bei allen Dienfchen, unter allen Völkern, 
Daper follen fie als Sache des Voͤllerrechts und als 
Grundlage bes bürgerlichen ober pokitifhen Rechts gelten. 
Diefe dritte Art bes Rechts entfpringe aber erſt aus ber 
Einrichtung des Staats. Im Vöoͤllerrechte bilden ale 
Menſchen gleichſam einen Staat *). Wegen ber Verſchie⸗ 
denpeit der Menſchen haben ſich aber verſchiedene Staa⸗ 
ten gebildet und Obrigfeiten eingefegt um das natürliche 
Recht duch Macht zu fügen‘. Wie fepr nun auf 
Winkler der Willfür der natürlichen Bernunft vertraut 
und fie in Feſtſtellung der poſitiven Geſetze walten laͤßt ), 
fo verläßt ihn doch der Gedanke nicht, daß hinter der 
Wilkür der Menfchen noch ein tiefeser Grund des pofitis 
ven Rechts zu ſuchen fein dürfte, und dieſer Gedanle 





1) 1b. 1, 9 p.75; I, J IV, 12.P-112 4 
2) I. 1,7 p.72. 
3) Ib. IV, 5 p. 100. 
4) 1b. 1, 3 p.63 2q. J 
5) Ib. V, 1 p. 120. wish bo IR." 








427 


tritt zuweilen in fehr ſchlagenden Bemerkungen hervor. 
Die Geſellſchaft der Menſchen entfieht nicht plöglich, nicht 
in einem Entſchluſſe; fie wäh im Berborgenen und Vie 
Vollendung der Geſellſchaft im Volke ergiebt ſich allmälig 
aus niedern Graben der Gemeinſchaft; fo iſt auch bie 
Gewohnheit früher als das pofitive Gefeg ). Die pofis 
tiven Gefege find veränderlih, aber nicht ohne Grund 
follen fie verändert werben; fie ſtammen aus Gott, wel 
ger der Obrigkeit in ber Gefeßgebung als feines Mittels 
ſich bedient. In allen Arten des Rechts iſt nur eine wir⸗ 
tende Urſache, die Vernunft, und nur ein Zweck, das Gute; 
die politifche Geſellſchaft hat ihre Vorbilder und Keime 
in der Natur und in Gott, welcher ber Grund aller 
Dinge iſt ). Diefen Grund zu erforfcpen, dazu möchte 
Winkler die Juriften anleiten. 

Bon den Vorgängern des Hugo Grotius iſt Winfler 
unftreitig ber bebeutenbfle. In das Einzelne jedoch drang 
er nicht tief ein; alles, was bei ihm über die allgemei⸗ 
nen Grundfäge hinausgeht, behandelt nur einige Streit: 
fragen, welde. den Juriften befonders nahe liegen, im 
etleltiſchen Sinne eines gemäßigten Platonismus. Seine 
Unterfuchungen über das Recht beruhen auf einer umfichtigen 
Überlegung über die menſchliche Geſellſchaft, wie fie von 
der Erfahrung an bie Hand gegeben wird, Dennoch 
brachte fie nicht zu Wege, worauf die Richtung der Zeit 
binaxbeitete, nemlich bie Rechtslehre als eine befondere 
Wifſenſchaft zü faffen, welche unabhängig von den Bors 


4) Ib. V,:3 p.124; 130. 
2) 1b. 1,1; V, 7 p.136; 13 p.183; 15 pa. 


ausfegungen ber Tpeologie und ber Metaphyſit ſich durch⸗ 
fahren ließe. Dies hat erſt Hugo Grotius verſucht und 
iſt dafür mit dem Beifall feiner und der folgenden Zeit 
überhäuft worden. 


3. Hugo Grotius. 

Geboren 1583 zu Delft, aus einem ebien und anges 
fehenen Geſchlechte, lam Hugo Grotius bei ausgezeichne⸗ 
ten Gaben und einer forgfältigen Erziehung in jungen 
Jahren zu einer einflußreihen Stellung in der Verwal⸗ 
tung feines Landes. Zu dieſem Zwede hatte er ſich der 
Reqhtswiſſenſchaft gewidmet. Er gehört aber zu den Mäns 
nen, welde durch eine umfaflende Gelehrſamleit einen 
allgemeinen Ruhm in den Wiſſenſchaften ſich zu begründen 
wußten. Seine Ausgaben und Überfegungen alter Cloſ- 
fifer, feine Lateiniſchen und Holändifhen Gedichte, feine 
Geſchichtswerle, feine juriſtiſchen und politischen Scpriften, 
feine umfaflenden theologifchen Arbeiten wurden zu dem 
Beſten gezaͤhlt, was die Zeit brachte. Sein Leben greift 
tief in die theologiſchen und politiſchen Händel des 17. 
Jahrhunderts ein 1)3 wir würden uns zu weit verirren, 
wenn wie es in feinen Einzelheiten ſchildern wollten, 
Es if befannt, daß er für die Freiheit des menſchlichen 
Willens fireitend der Partei der Remonſtranten ſich an 
ſchloß und mit ihr fiel, Gefangenſchaft dulden mußte 
und in einer Büchertifte verſchloſſen feine Freiheit gewann, 
aber fein Baterland. zu meiden genöthigt war. In Par 





1) Bergl. H. Luden Hugo Grotius mi lns Okt und 
Säriften. Be. AG. : - 





289 

ris fand’ er Zuflucht und Unterfkägung. Oiler gab er 1625 
fein berüpmteß Wett über Das Recht bes Krieges und 
des Friedens heraus, welches faſt allein won allen feinen 
Sihriften unfere Aufmerffamkeit fordert. Nachdem. die 
Hoffnung geſcheitert war in feinen Baterlande eine nöl- 
lige Wiederherfiellung zu erlangen, verbrachte er ben letz⸗ 
ten Theil feines Lebens bis zum Jahre 1645 in Schwe⸗ 
diſchen Dienften, zu melden ihn Orenfierna berufen hatte, 
als Geſandter am Zranzöftihen Hofe, weniger ausgezeich ⸗ 
net in Geſchaften, als in den Werten dee Belchrfambeit, 
welche er durch fein ganzes Leben mit Liebe betrieb. 

Den Erfolg,. welchen feine Schrift über das Recht 
des Krieges und des Friedens I) gehabt hat, verdankt 
fie nicht allein dem Inhalte ihrer Lehren, fondern auch 
dem Ruhme bes Verfaſſers, dem gewählten Lateiniſchen 
Ausdrude, der methodiſchen Genauigkeit, mit welcher die 
Lehren an Begriffserllaͤrungen und Eintheilungen gebun⸗ 
den werben, ber Gelehrſamteit und dem Geſchmadce, mit 
welchen alles durch Beifpiele und Auoſpruche ‘der Alten 
erlaͤutert wird, und vor dem der Maͤßigumg und dem 
wilden Sinn, mit welchen fie Menſchlichteit, Treue nad 
Schonung ſelbſt unter den Schreden des Krieges empfielt. 
Hugo Grotius ſelbſt, indem er ben Plan ſeines Wertes 
auseinanderſetzt, Tegt beſonders darauf Gewicht; daß er 
feine Orundfäge über das allgemeine Recht aller Voͤl⸗ 
Ser den. unmenſchlichen Gemohnpeiten.. bes Krieges entge ⸗ 
gergufegen für nöthig gehalten habe >. Sein Plan. u 

1) 36 gebrauche die Ausgabe Hayası Com. 1680, wie un. 


die Schrift de marilibero angefügt iR. 
2) De jure belli ao pacis prol. 28.19; 


40 

fprändt fich: hierauf nicht; ex wi vielmehr für die deechts⸗ 
wiſſenſchaft überpaupt arbeiten und ihr erſt Die Form eis 
ner Wiſſenſchaft geben, indem. er ihre natürlichen und 
ewigen Grunbfäge aufſtellt uud von ber Willlür des por 
Rlinen Rechts ausſcheidet, weiches in beftänbigem Fluſſe 
feiner Ratur nad feiner wiffenfpaftligen Bebandlung 
fähig fei!); aber der Titel, welgen er feinem Werke 
‚gegeben, bie Ausfäprung, welche ben Titel nicht außer 
Augen läßt, eben: fo ſehr als einzelne Kußerungen 9), ge: 
ben zu erlennen, daß jene Rücſicht befonders von ihm 
beachtet wurde. 

Bas ihn nun von feinen Vorgängern im Ganzen ſei⸗ 
mes Unternehmens unterſcheidet, ift bie Strenge, mit 
welder er auf das Gebiet der Rechtswiſſenſchaft ſich bes 
fgränft. Er will über das Recht philofophiren, glaubt 
aber nicht nöthig zu haben dabei allgemeinere Grunbfäge 
der Philoſophie zu Rathe zu ziehen; wenn fie ſich auf 
draͤngen, fo geſchieht es wider feinen Willen. Eben fo 
fließt er die Theologie aus, obwohl fie feinen Gedan⸗ 
entreife ſehr nahe ſteht. Geine Haltung gegen die Theo 
logie iR fehr bezeichnend für feine Anfiht- vom Natur⸗ 
seht. Er behauptet noch den alten Bang ber Rechts⸗ 
lehrer das allgemeine Geſetz als das Erſte und die Rechte 
der Einzelnen nur als eine Folge des allgemeinen Rech ⸗ 

1) 1b. 30 2q. 

°2) H. Grotüi epistolae (Amstelod. 1687) 280 p.104. Libris 
de jurs belli et pacis id praecipue propositum habui, ut feri- 
tatem illam non Christianis tantum, sed et hominibus indignam 
ad bella pro Iubita auseipienda, pro lubita gerands, qusm glis- 
cere tot populorum malo quotidie video, gqentım in me essel, 
sedarem. Ib. 875 p.384. . 





tes anzufehn; Gott Hat Befege in den meuſchlichen „Bei 
geſchrieben; er iR ber Grund nicht allein ber ftir 
hen Unterſchiede und des allgemeinen Naturrechts, auch 
nicht allein der offenbarten Geſetze ber.fübifchen md der 
chriſtlichen Religion, fondern aud ber. poftiven Gefege 
des Staats H. Aber das Recht. ſcheint ihm eine Sache 
zu fein, welche ganz unabhängig vom Sein und Willen 
Gottes gedacht werben kann; wenn aud Gott nicht wäre, 
würde Recht doch Recht bleiben, und feine Natur iR fo 
unveraͤnderlich, daß fie auch von Gott nicht geaͤndert 
werben kann. Eben fo wenig als Gott wollen kann, daß 
Widerſprechendes wahr ſei, eben ſo wenig lann er Recht 
in Unrecht verwandeln 2). Da nun aber doch bie pof- 
tive Gefeggebung Gottes durch bie Offenbarung ihre Ber- 
änderungen erfahren hat, fo betrachtet er fie auch nicht ale 
Beſtandtheil des natürligen Rechts. Er unterfcheidet 
daher au, in ähnlicher Weife wie Herbert, die Glau⸗ 
bensartifel der natürlichen Religion, welche dem natürli⸗ 
chen Recht angehören, deren Berlegung alfo auch beſtraft 
werben darf”), von den Zufägen, welche bie pofitive 


1) De mari libero dedic. p. 1 »q.; de jure belli ao pac. prol. 
12; 1,1, 15. 

2) De jure belli ac pac. prol. 11. Die Nehtsfäge würden 
wahr fein, etiam si daremus non esse.deum. Ih. I, t, 10, 5. 
Est autem jus naturale adeo immutabile,' ut ne a deo quidem 
mutari quest. — — Sieut ergo, ut bis duo non sint quatuor, 
ne a deo quidem potest effici, ita ne hoo.quidem, wt u qued 
intrinseca ratione malum est, malum non sit, 

3) Ib. 11, 20, 44 sqg. Seine Artikel bes natürlichen Glaubens 
find noch beſchrankter als Herbert’85 fie fliegen’ die : öffentliche Ver⸗ 
chrung Gottes und die Unſterblichkeitslehre aus. Ib: 49. Mie Her⸗ 


Belgien gebrait yabe und melde fjm als cine Chir: 
fung des natürlichen Rechts erfheinen ). Bon allen 
folgen Zufägen follen mir num abfehn, wenn wir bie 
naturlichen Gebote uud Grundlagen des allgemeinen Rechts 
erforigen wollen. 

Doc find ihm dieſelben wit in ber Natur aberhanpt, 
ſondern in ber menſchlichen Natur begründet. Zwar ers 
insert ex fih an das allgemeine Naturgefep, welches ei- 
nem feben Dinge bie Erhaltung feiner ſelbſt mit allen 
üpren Folgen verjgreibt; aber bie Erpaltung ber Perfon 
ſoll auch nur der Expaltung bes Höhen in uns, ber 
Bernunft, dienen ®). Daper gefällt ihm auch nicht bie 
Crtlärung des Naturrechts bei den alten Juriſten, welde 
behauptet, daß die Ratur es alle Thiere gelehrt Habe, 
vielmehr dem Vieh komme Seine Gerechtigleit zu, außer for 
fern ein Schatten der Vernunft in ihm fein möchte 5), Der 
Menſch dagegen Reht im Gegenſatz gegen bie Raturz ihm 
dat Bott die Herrſchaft über bie Natur verlichen ). 
Sein Borzug nor allen übrigen Geſchoͤpfen iſt der Trieb 
aus Geſelligkeit, welcher in Seiner andern Art ber Tiere 
in foldem Grade und folder Ausbildung gefunden werde, 
mit welchem feine Sprachfaͤhigkeit zufammenpänge, durch 
welchen fein Eigennug beſchraͤnkt werde und welder um 





Wert if er auch fehr wichani und Halt bie Teranung der Proteflan- 
ten son der Batholifgen Kirche nicht für geredjtfertigt; er arbeitete an 
einee Bereinigung der Kirchen. S. die Stellen, welche Anden S. 300ff. 


hat. 
1) De jure beili ac pac. II, 1, 10, 1; 13, 1 24 
2b. 1l,2,1,124 
8) 1b. I, 1,11, 2. 
%1.D,2, 2,1. 





13 

ter ber Leitung allgemeiner, dem Verſtande inwohnender 
Grundfäge fiehe ). Auf dem Iegtern Punkt Tiegt befon- 
ders Gewicht; es iſt nicht ein Juſtinkt, welcher wie 
ein äußeres Princip ber Einfiht uns zur Bewahrung ber 
Geſelligkeit führt, fondern in ung ſelbſt Hegt das Urtheil 
über Recht und Unrecht, welches nach dem Gebote ber 
richtigen Vernunft und der gefelligen Natur von und ger 
fält wird. Auf die Bewahrung ber Gefelligfeit zweckt 
daher. alles Recht ab 9. 

Daher Iegt nun Grotius in allen feinen Unterfuchungen 
über das Recht dad größte Gewicht auf die und einges 
bornen Urtpeile und Beflrebungen 5), Die Rechtswiſſen⸗ 
ſchaft fol auf ihre ſichern Grundfäge zurüdgebracht wer⸗ 
den durch bie Erfenntnig ber uns eingebornen Begriffe. 
Eine populärere Erkenntniß des Rechts laͤßt fih freilich 
wohl durch die Erfahrung beffen, was als Recht gilt, 
erreichen; fie bietet aber immer nur Wahrſcheinlichleit; nur 
a priori {ft eine fihere Erforſchung des Naturrechts mög« 
199, Ein fiherer Sinn in der Erkenntniß der allge 
meinen Rechtswahrheiten Ieitet und; ex hat biefelbe Un- 
trügfichfeit,, wie der gefunde äußere Sinn 5). Democh 
will Grotius nicht behaupten, daß in den moraliſchen 
Wiſſenſchaften diefelbe Gewißheit erreicht werben Lönne, 
welde der Mathematik beiwohnt. Ihn ſchreckt, daß uns 


1) Ib. prol. 6 sq.; 9, 2. Den übrigen Tieren gefteht Gr. nur 
din principium intelligens extrinsecum zu. 1b. IL, 20, 5, 7. 
2) Ih. prol. 8; 1, 1, 10, 1; 11, 20, 5, 1. 
3) Ib. 111, 19, 1, 2. Societatem, quam ingenerarit natura, 
41. 1,1, 12, 1. 
5) Ib. prol. 39. v 
elch. 8. philoſ. x 28 


234 


fere Vernuuft durch die Günbe verbunfelt if. Daher 
lauten bie Ausfprüce des Gewiſſens nicht überall entſchei⸗ 
dend. Die Regel, wo du zweifelſt, da handle nicht, läpt 
ſich in praftifhen Dingen, wo bie Noth zum Handeln 
drängt, nicht durchführen; mit dem Ariſtoteles meint er 
aud dem Wahrſcheinlichen mäßten wir folgen und den 
Rath der Erſahrenen nicht verſchmaͤhn; zwiſchen dem Acht 
und dem Unrecht ſchiebt er das Erlaubte ein, über wel⸗ 
ches uns bie Wapl zuſtehe, fo daß in ſittlichen Dingen 
nicht ſolche reine Gegenfäge herfchend wären, wie in der 
Mathematit 1). Alles dies giebt zu erkennen, daß im 
die Unſicherheit feiner algemeinen Grundfäge zit gan 
entgangen iſt. 

Den Grund feiner Säwanfungen wird man im Als 
gemeinen barin erbliden Können, daß er von einem Ideal 
der menschlichen Gefelligfeit ausgeht, welches er mit der 
Wirklichteit nicht in Übereinftimmung findet, und dah m 
doch feine Vorſchriften über das Recht der Mirklihteit 
anpaffen und fruchtbar für das Handeln machen wil. 
In aͤhnlicher Weife wie Winkler unterfpeidet er das erft 
oder reine Naturrecht, weldes vor allem Eigenthum, ja 
vor jeder menſchlichen That befland, von bem zweiten | 
Rechte, welches Eigenthum, Verſchiedenheit der Böll 
und Staaten, Sklaverei und Krieg vorausfegt 2). Hier. 
durch aber befonders wird fein Begriff vom Naturrecht 
fopwanfend, daß er das Iegtere, obgleich es feiner An⸗ 
ſicht nach nicht aus der natürlichen, ſondern aus ber dit 


1) Ib. n, 23, 1.090. 
2) Ib. 11, 2, 2,158, 1,1; 22, 11. 





435 


dorbenen Vernunft ber Menfchen hervorgegangen iſt, doch 
als Naturrecht betrachte, Das Ideal der menſchlichen 
Gemeinſchaft wird von ihm nicht allein als Zweit, fondern 
auch als urfprünglich vorhanden gefegt, ja er meint in 
jener urfprünglichen Gemeinſchaft hätten wir bleiben Töns 
nen, wenn wir ber Sitteneinfalt und der Liebe, uns 
nicht entſchlagen hätten. Wenn er auch bie Sitteneinfalt 
nicht Hoch anfchlägt, vielmehr Unkunde und Roheit in ihr 
erbiickt, fo gilt ihm doch die urfprüngliche Menfchenliebe 
für etwas Volllommenes, welches auch jegt noch in ber 
Gütergemeinfchaft. erreicht werden koͤnnte D. Diefe Mens 
ſchenliebe, welche uns befielt unſern Nächften zu Tieben, 
zwar nicht über uns ſelbſt, aber doch wie ung ſelbſt ), 
welche uns auch im Feinde, ja im Tprannen und Räuber 
den Menfchen erkennen und jede Verſchiedenheit der Völ⸗ 
fer überfehen Täßt, fo daf bie Führer ber Välfer vor als 
lem Dienfchenfreunde fein ſollen 5), fie ik nun der Grund⸗ 
gebanfe feines Naturrechts. Aber daß er aus ihm bie 
Grunbfäge feiner Rechtslehre nicht ableiten Tann, Teuchtet 
hervor aus feinen Klagen, daß die Gebote des Natur« 
rechts in Bergeffenheit gerathen und bag nun neue. Ber 
träge gefeploffen werben müßten um fie wieder geltenb 
zu machen, weil viele Völker das Naturrecht für verfäprt 


1) Tb. II, 2, 2, 1 sqq. Neque is status durare non potuit, 
si aut in magna quadam simplicitate perstitissent homines aut 
vixissent inter se mulua quadam eximia caritate, 

2) Ib. I, 3, 3, 3. Proximum amsre juxia nos ipsos, non 
prae nobis ipsis. 

3) Ib. prol. 24. Reges, qusles exigit aapientiae regula, non 
unius sibi creditae gentis habere rationem, sed totius humani 
generis. Ib. I, 19 1, 2. Hostes homines esse non desinust. 


28* 


436 ’ 


hielten H. Da Iernen wir nun einen andern Raturzus 
Rand kennen, welcher freilich erft durch ben Sündenfall 
entflanden fein fo, aber jebt als Grundlage der Rechts⸗ 
einrichtungen gilt. In ihm iſt es nit gegen die gefel- 
Hge Natur bes Menſchen gegen Feinde ſich vorzufehn 
und alles, was bie erſten Gebote der Natur von und 
fordern, widerſpricht in ihm dem Kriege nit, vielmehr 
begünfigt es den Krieg”). Daher wird nun aud bie 
Sefelligfeit unter den Menfchen nicht als urſprünglich 
and von Natur gegeben betrachtet, fonbern es wird vor⸗ 
ausgefegt, daß mehrere Völker unter den Menſchen ſich 
ſcheiden und ein jedes von ihnen einen Fünftlichen Körper . 
bildet ), welcher Staat genannt wird, auf dem Willen 
und der Übereinfunft ber Menſchen beruht und durch 
Vertrag zu Stande kommt H. Eine folde politiſche Vers 
einigung ſoll den Zwedt Haben öffentliche Ruhe und Frie⸗ 
den hervorzubringen ober bie Liebe unter den Bürgern 
gu näpren, welche nun nicht mehr natürlich iſt ). Zwar 
wild nun Grotius nit, daß bie Furcht ber Menſchen 
vor einander Grund des Rechts ſei ); eben fo wenig 
giebt er zu, daß bie rechtlichen Einrichtungen bes Nutzens 


4) B. U, 15,5; 11, 3,2, 1. 

2) Ib. I, 2, 1, 4, Inter prima natorae nihil est, quod beilo 
repugnet, imo omnia potius ei favent. Ib. 6. Non est contra 
socielatis maturam sibi prospicere — — ao proinde neo 'vis, 
quae jus alterius non violat, injusta est, 

3) Ib. I, 9, 3, 1; 8, 2. Corpora artificialia, res artifi- 
cialis. 

4) Ib. prol. 15. 

5)1. 1,4, 2, 134, 2 

6) Ib. prol. 19. 


AZ 


wegen entſtanden ſeien aber ex Tann doch nicht leugnen, 
daß wir bes Schutes durch das Recht gegen bie Gewalt 
bebürfen und baß viele Rechtsformen :einen Ruten bes 
zwecken ). Es bleibt ihm hierauf nur übrig von dem 
Einriptungen des Rechts, welche er vorfindet und nicht 
tadeln fann, anzunehmen, daß fie zwar nicht aus. reiner 
Natur oder Vernunft hervorgegangen find, aber doch 
nichtö gegen bie Natur und Vernunft vorſchreiben dürfen): 
Der Doppelfinn, welcher in ber Anfiht des Grotius 
vom Naturzuſtande und vom matürlichen echte Liegt, 
seht durch alle feine Rechtslehren hindurch und erleichtert , 
es ihm Einrichtungen des Lebens, welche nur durch mans 
cherlei Vermittlungen gerehtfertigt werben fönnen, als 
unmittelbare Folgen ber menschlichen Natur barzuftellen. 
Treue und Glauben find ipm natürlich und das hoͤchſte 
Band der menfhlihen Gemeinfhaft). Daraus leitet 
er ohne Weiteres bie rechtliche Gültigkeit ber Berfpres 
Hungen und Verträge nad Naturseht ab und weiter 
fortſchreitend auch die rechtliche Verbindung, im Staate 
und ber verſchiedenen Voͤller unter einander im Voͤller⸗ 
rechte 9. Aber von der andern Seite hat auch die Sünde 
Mistrauen unter ben Menſchen zur Folge gehabt und es 
iſt nun erlaubt und Recht zu den Werfen des Krieges, 
zu Liſt, Lüge und Gewalt, zu fchreiten, wenn auch biefe 





4) Ib. prol. 46; 18; I, 4, 14. Civitas coolus perfectus libe- 
roram homimum juris fruendi et communis utilitatis causa 20- 
eiatus, * 

2) Ib. II, 3,,5 29. Humana jura multa constituere possunt 
praeter naturam, contra naturam nihil, 

-3) 1b. 11, 19, 1,2. 
4b. 1, 11,4; 12, 7:10, 05,1. - 


28 - 

Dinge weniger loöblich nach der urfpränglihen Natur 
des Menſchen, als nothwendig unter den gegenwärtigen 
Berhäftnifien find 2). Im Allgemeinen aber wird man 
Grotius geneigt finden die Bründe des Rechts aus der 
unverborbenen Natur des Menſchen abzuleiten und dage⸗ 
gen bie Sant des Mistrauens, welche bie Sünde unter 
die Menſchen gefreut hat, nur als einen Grund ber 
Abſchattungen unter ben rechtlichen Verhaͤltniſſen zu be⸗ 
traten. Daher vertraut er auch auf die allgemeine Mei⸗ 
nung der Menſchen in ber Beurtfeilung des Rechts nicht 
ſehr und entſcheidet ſich fehr flarf gegen die Anficht, dag 
nach weit verbreiteter Sitte oder Gewohnheit das Recht 
feſtſtehe. Weit verbreitete Gewohnheiten haben zwar ges 
woöͤhnlich einen vernünftigen Grund unb bie Sitten ber 
Bölter tragen auch zur Einrichtung poſitiver Gefege bei; 
aber die Gewohnheit IR doch nur eine Art des poſitiven 
Rechtes, welche ber Kraft bed ewigen Gefeges der Natur 
nichts entziehen fann 2). 

Das natürlige Recht fol nun die Grundlage des 
pofitiven Rechts werben, weiches vom Staate ausgeht 3). 
Der Staat aber wird nach Arifotelifcher Weife als die 
volllommene Bereinigung ber Menſchen betrachtet, welche 


allen Serärfnifen der Eingefaen genügt. Weil die na⸗ 
— ñ — 

4) Ib. IE, 1, 6 2qq., wo wataufug über die Rotplüge gehan⸗ 
delt wird. Die fung des Knotens Negt darin, daß Cr. annimmt, 
das natürliche Mecht auf Wahrheit könne wie in einem Bertrage aufs 
gegeben werben. Ib. 11; II, 4, 2. 

2) 1b I, 1,145 11, 20, 41; de mari lib. 7 p.20. Con- 
saetudo enim est species juris positivi, quod legi perpetuae 
abrogare non polest. . 

3) De jare belli ao pac. I, 1, 14. 


turliche Familiengemeinſchaft nicht ausreicht, haben fih 
viele Familien mit einander ‚verbunden aus dem allgemeis 
nen Geſelligkeitstriebe der Menſchen. Sie bilden nun 
ein Bolt, weldes, wie erwähnt, als ein Fünftlicher Koͤr⸗ 
per angefehn werben Tann. Doch folgt Grotius biefer 
Analogie nicht unbedingt; er ſchließt fi auch.“ehen fo 
wenig an die hierarchiſche Anfiht an, welde die Kirche 
mit der Seele, ben Staat mit dem Leibe verglich, viel⸗ 
mehr findet er, in Widerſpruch mit beiden Analogien 
auch im’ Bolfe und im Gtaate eine Seele oder einen, 
Geiſt, welcher die; Würger wie organifhe Glieder verei- 
nigt. Die Seele’ des Staates iſt das Geſetz und eben 
darin beſteht der Unterſchied zwiſchen einem Bolfe und einer 
Näuberbande, daß jenes zum Zwedce bes Rechts verbun⸗ 
den iR). Das erfte Erzeugniß des Volles if aber die 
oberſte Gewalt, durch welche der Staat zufammengehals 
ten wird. Sie if gwar beim Volle als dem allgemeinen- 
Subjecte der höchſten Macht; da aber nur durch ein bes 
fonderes Werkzeug die Rechte bes Volles vertreten wer⸗ 
ben fönnen, hat fie zu ihrem eigentlichen oder naͤchſten 
Subjerte die Obrigkeit, möge fie aus einer ober aus 
mehrern Perfonen beſtehn. Daher bleibt die oberſte Ge⸗ 
wallt nicht beim Volle, ſelbſt wenn fie bei ihm zuerſt ge 
weſen fein follte, was Grotius nicht einmal ohne Auss 
nahme zugiebt 2). Dur ſtillſchweigende Einwiligung 


1) 1.1, 9, 3, 1. Ein spiritus oder nad) ſtoiſchem Sprach⸗ 
gebrauch eine is verbindet das Bolt. Ih. I, 3, 2, 1 sg. Rec- 
.-tus'Dion Chrysostomus, ‘qui leges — — dicit esse in civitate 
ut mentem in corpore humano. 
2)1b. 1,3, 7, 1. Summae potestatis subjectum commune . 


fon man fi) feiner Freiheit begeben und eine Gewal⸗ 


herrſchaft kann baper zum dechte werben. Was anfınys 
eine Sache bes Willens war, wird fpäter eine Sathe 
der Notwendigkeit). Dabei fept Grotius eine fo is 
ige Bemeinfgaft zwiſchen Obrigleit und Unterthauen 
daß auch ihre Verbrechen ihnen gleichfam gemeinfhaftlih 
find und dieſe für jene zur Strafe gezogen werden ke 
nen. Obgleich dies ſeiaem Nechtsgefüle widerſtreitet, weiß 
er doch die Mechte des Krieges. nicht anders fi zu erllä⸗ 
ren ). Der Wille wird num zwar als der erſte Ente 
hungsgrund bes Gtantes und des poſitiden Rechts ange 
fehn, fo dag pofitives und willlürliches Recht als gleich⸗ 
bedeutend gelten und die Obrigkeit darüber nad Gefal⸗ 
len beftimmen- fol I; aber wer auch: hierans Berfhie 


est civitas. Ib. 3. Subjectum propriam est persona una plı- 

‘resve. Ib. 8, 1; 11, 9, 3, 1. Die Unterfagungen über den Ott 
Find bei Grotlus nur fehr beiläufig. Er ift der Monarchie günftiger, eu 
dem Freiſtaat, obwohl er dem Könige eine unbebingte Gewalt nidt 
sugefteht. Ib. I, 3, 9. Die Nachteile der monarchiſchen Herfiheft 
gefteht er ein, glaubt aber, fie Könnten ausgeglichen twerhen dur 
ihre Vortheile und im Staate fei überhaupt nichts Bolltommenes ubg: 
lich. Ib. I, 3, 8, 1; 17, 2. 


ij 1. I, 8, 8, i3. Quae ab inilio est voluntatis, post , 


vero effectum habet necessitatis. Ib H, 4, 14, 1. Name 
quae vi parta primum sunt imperia, possunt ex voluntate u- 
cita jus firmum accipere et voluntas aut ex initio constitali 
imperii aut ex post facto esse potest talis, ut jus det, quod in 
posterum a voluntate non pendeat. 

2} 1b. U, 21, 2; 7; 10. Die Schuld will er doch nigt gm 
übergehen laſſen, wenn aud die Strafe, der Radıtfeil aus der Gr 
meinfgaft erwachſe. Er beruft ſich auf dab dyyıa, müga dä 
Ib. 11; 12 

3) B. 1, 1,9; 13; 14 


aM 


denheit ber Befege in verfiebeuen Staaten hexvorgehe 2), 
fo ſoll doch ‚feine Willlur, nicht eiumal die göttliche, wie 
ſchon bemerkt wurde, bas natürliche Recht befeitigen koͤn⸗ 
„men, fondern nur Zufäge und Scharfungen besfelben Tann 
das pofitive Gefeg bringen, ſofern es wahre Vexpflich⸗ 


“tungen für und enthalten fol. Wenn die Willkür, wenn 


felbf der. Krieg erlaubt if, fo doch mur unter bar Bedin⸗ 
gung, daß der Geſelligkeit der Menſchen dadurch Fein 
Abbruch gehhehe, ſondern nur bie geſtoͤrte Geſelligleit 
wiederhergeſtellt werde. Deswegen iſt ber Krieg nur. bes 
driedens wegen und im Kriege ſchweigen zwar die geſchrie⸗ 
benen, aber nicht die ungeſchriebenen Geſetze 2. 

Um nun hierdurch der Güktigfeit pofitiver Geſetze 
nicht zu nahe zu treten maß Grotius darauf ausgehn 
wenigſtens bie Hauptbeſtimmungen derſelben ‚auf bie Na 
dur zurüdzufüßren.,. Man hat nit mit Unrecht ‚gefagt, 
daß fein Naturrecht hierdurch wefentlih eine Abſtraction 
aus dem Roͤmiſchen Rechte geworden. Wir werden im 
Algemeinen zu ſchildern Haben, wie er hierbei verfäprt. 
Bon dem natürlichen Rechte ausgehend, welches ber Menſch 
über die.ganze übrige Natur erhalten ‚haben fol, findet 
ex hierin ſchon einen Anfang des Eigenthums. Er flellt 
es als allgemeinen Rechtsſaz auf, daB einem jeben das 
Seine zufomme und durch gemeinfame Hülfe Aller ber 
wahrt werben folle, Diefer Say würde auch gelten, 
wenn Sein Eigenthum im frengern Sinne wäre, benn 

unſer Körper, unfer Leben und der freie Gebrauch des⸗ 


4) Ib. prol. 40. 
2) Ib. prol. 26; I, 2,1, 5. 


felgen iſt unfer natürlidges Cigenthum, welches von nie 
manden angegriffen: werben fol 1). Hiermit iſt der erſe 
Grund für das perſonliche Reqht gelegt. Jeder ik bem⸗ 
fen diefes fein Recht gegen angerechte Angriffe zu ſchüten 
und darf, ja fol auch dieſes natürliche Recht Anderer 
vertheidigen ?). Daher ik Selbſthülfe ein natkrlihe 
Recht und alle Mittel, welche zu -feiner Handhabung 
nöthig find, find erlaubt, fo daß ein unbeſchraͤnktes Recht 
‘gegen ben Beleidiger, ſelbſt über fein Leben darad ur 
waͤchſt 5). Das perfönliche Recht erweitert fich zum fad- 
lichen durch bie-Einfäprung des Eigentpums, Kbnofl 
Grotius meint, unter ber Borausfegung einer ausgexich⸗ 
neten Menſchenliebe hätte alles in Gutergemeiuſchaft blei⸗ 
ben tönnen, giebt er doch auch der Meinung vad, dah 
"die Entftehung des Eigenthums ein natürkicper Gortifritt 
in der menſchlichen Geſellſchaft fei, welchet daraus fer 
vorgegangen, daß die Berſchiedenheit der Menfhen fe 
nicht in der alten Einfalt der Sitten und in ber Gemein 
ſchaftlichleit des Beſitzes beſtehen, fonbern zur Theilung 
der Büter ſchreiten Heß. Hierbei laͤßgt er nun nicht, wie 
feine Lehre oben lautete, die Bölfer aus den Fawilien 


1) 1b. 1,2, 1,5. Quod facile intelligi potest Iocum habi- 
turum, eliam si dominium, quod nos ita vocamus, introdu- 
tam non esset, nam vita, membra, libertas sic quoque propria 
eaique essent. 

2) Ib. 1, 5, 1. Nataraliter quemque sui juris esse vindicen; 
ideo manus nobis datae. Ib. 2, 1. 

3) 1. 1,2,1,4; 1, 1, 10,1. Qui infaria me parat af 
ficere , is mihi eo ipso dat jüs — — adversus se in infnitum, 
quatenus aliter malum illud a me arcere nequeo. Die Bahrir 
tungen folgen nun freilich , aber nur gezwungen. 


445 
zuſammen wachfen, fondern umgefehrt bie Familien aus 
den Böltern ih audfceiden. Anfangs Hätten nur bie 
Böller den Beſitz bes Bodens getheilt und. jebes Bolt, 
hätte fein Land in Gemeinfhaft befeflen, alsdann aber 
hätte auch jede Familie ihr Eigentfum an einem befon⸗ 
dern Teile‘ des Landes gewonnen; eben fo wäre auch 
das Eigenthum allmaͤlig fortgefepritten von dem Beſitze der 
weglicher ‚zu bem. Befige unbeweglicher Sachen D. Do 
fol diefe Vertheilung des Eigenthums nicht allmälig. über 
alles fich erſtreden; es giebt auch Dinge, . weldhe immer 
Gemeingut bleiben follen, wie das Meer und bie Luft 2). 
Auch Hört das, was Eigenthum geworden, nicht völlig 
auf Gemeingut zu fein; denn im Willen derer, welche 
das Eigenthum einfüprten, konnte es nicht liegen bie ur⸗ 
fprünglicge Gleichheit, nad welcher den Menſchen über- 
haupt die brauchbare Natur gehört, gänzlich aufzuheben. 
Daher wacht in der .äuferfien Noth, bei einem allgemeis 
nen Bebürfniffe das natürliche Recht Aller auf Alles wies 
der aufs daher hat auch bie Obrigfeit das Recht auf AL 
les, wenn es ber Öffentliche Nugen verlangt 5). Wenn 
nun biefe Gedanken über das urſprüngliche Gemeingut 
und das allmälige Fortſchreiten in der Theilung der Gü- 
ter die urfprängliche Einheit der Menſchheit vorausfegen, 
fo ſchwankt doch Grotius zu bes entgegengefegten An⸗ 
nahme, daß bie Menfhen urfprängli vereinzelt find, 
alsbald hinüber, wenn von den urfprünglichen Erwerbs⸗ 
arten nad natürlichem Recht bie Rede if. Als folde 
1) Ib. U, 2, 2,3 09. 


2) .U, 2,3, 129. 
3). 1, 2,6; 11, 19, & 


x 


. 


A44 


betrachtet er die Befigergreifung und bie natuͤrlicht Ac⸗ 
eeſſion ). Die legtere aber, foweit fie naturmepttih ih, 
gilt ihm mar als eine Borkfegung ber erſtern, wie did 
auch mit ber Formirung ber Ball iR "I; die erſtere dage 
gen betrachtet er als etwas Urfprüngliches, indem mit 
der Herrſchaft, welche der. Menſch über die Ratur erhal 
ten hat, auch ſogleich das Recht verbunden iR, dep eu 
jeder gebrauchen und verbrauden barf, was er mil fir 
nen Kräften ergreifen kann, ohne daß ihm ein Anden 
hindern dürfte. So wie er über bie Schwierigkeit, 
welche in dieſer Lehre liegen, geriuge Sorge fih malt, 
fo findet er auch bie Übertragung des Eigenthums lift 
und ber Natur gemäß; bas volle Eigenthum muß geflat 
ten, daß wir es and) aufgeben und an Andere. geben können, 
Tauſch, Kauf und andere Arten der Berträge über Eigen⸗ 
thum, wenn fie aud im Einzelnen Schwierigleiten maden, 
liegen doch im Allgemeinen in ber Natur der Sade ). 
Selbſt bei den Teftamenten macht ihm fein Gedanke, daß doqh 
kein Eigentpum seines Eigenthum fei, nicht das geringfte 
Bedenken; er erklärt es für natürliches Recht, daß jeder 
über fein Eigenthum auch nach feinem Tode verfügen 
tönne5), Bei der Inteftaterbfolge findet ex größere Schwi⸗⸗ 
rigleit; vieles entipreche in ihr nur natürlicher Bermu 
thung und fei nicht nothwendig aus natürlichem Net, 
daher herſchten auch große Verſchiedenheiten in ben | 
1). 1,3, 158,1, 2; 8, 809g. 





2) Ib. U, 3,3. 

3) Ib. 1, 2,2, 1. Nam quod gquisque sie ——— 
ei eripere alter nisi per injariam non. poterat. 

y1.1,6,17,2 

5} Ib. 11,6, 14, 1. 


I. 


AA 


Rimmungen des pofitisen Rechts über fie; aber,im All⸗ 
gemeinen entſpraͤche es doch bem Naturrechte, daß beim Man⸗ 
gel einer Erklärung über den Tegten Willen über ihn nad 
einer. Vermuthung entſchieden würde 1). Verträge, welche 
auf fünftige Leiftungen gehen, follen nach Naturrecht ver⸗ 
binden,. weil ja alle menſchliche Gefelligfeit auf ‚Treue 
und Glauben berupe, nur ber Rechtsſicherheit wegen, 
welche zur Bermeibung des Streits gefucht werben müffe, 
fol jedes Verſprechen in ber bündigfien Weife gegeben 
werden 2, Gewiß nicht mit Unrecht hat man gefagt, 
Grotius Habe mehr die Teeren und unbewachten Stellen 
der Rechtsphiloſophie durch ſtillſchweigende Vorausſehun⸗ 
gen angedeutet, als bie Grundbegriffe des Rechts zu eis 
ner Haren und fharfen Entwidlung gebracht 5). 

Wir müflen noch etwas genauer feine Säge über das 
Perſonenrecht betrachten. Der vorher angeführte Sag, 
daß ein jeder von Natur feines eigenen Rechtes Verthei⸗ 
diger fei, läßt eine hartnädige Vertheidigung der perfün« 
lichen Freiheit erwarten. Aber Hugo Grotius wird als⸗ 
bald zu Beichränfungen jenes Satzes geführt um für bie 
tihterliche Gewalt Play zu gewinnen. Die Gerichte über 
das Recht find zwar nur menschliche Einrichtungen, aber 
es iſt doch der natürlichen Vernunft gemäß, daß ein- jes 
der einem Schiedsrichter fich unterwirft und nicht mehr “ 
auf eigene Hand ſich Recht verſchafft N). Hierdurch wird 


VY B. I, 7, 3; 10, 2; 11, 1. 

2). 1, u. 

3) Hartenfteig Darftellung der Rechtsphil. des H. Grot. Abh. d. \ 
phit. hiſt. Claſſe d. Sädf. Gef. d. Wiſſ. 3. L ©. 4865 543. 

4) De jure belli ac pac. 1, 3, 1, 2. 


A168 
jedem bis auf wenige Ausnahmen das naturliche Retht 
gewonnen fein eigenes Recht unmittelbar zu vertheidigen 
und man begreift in der That nicht, wie Grotins be 
haupten Tann, daß bie natürlichen Rechte nicht erlöfden 
Könnten. Wenn es aber noch beim Schiedsrichter ficken 
bliebe! Wir ſehen vielmehr die freiwillige und augendlic⸗ 
liche Unterwerfung alsbald in eine erzwungene von ber 
weiteſten Ausdehnung fich verwandeln. Durch das Rehht 
des Gerichts wird jeder einem Höhern unterworfen, wel⸗ 
her ein Zwangsrecht über ihn ausübt, ſogar über jede 
moraliſche Handlung 3. Daher hat bas allgemeine Reht 
ſeine mehr verneinende, als befahende Kraft; es beitade 
tet die Perfon nicht als einzelne, ſondern als einen Zeil 
der Rechtsgeſellſchaft, welche feinen Widerſpruch gegen 
ſich duldet 9. In diefer Richtung ber Gedanken wird 
nun der Einzelne nicht mehr als Einzelner, fonbern ald 
einer Befammtpeit angehörig betrachtet und für jede Or 
fammtpeit das Recht geltend gemacht, daß ber größer 
Theil den Heinern verpflichte und für das Ganze gelte’). 
Es gehört diefer Richtung an, daß Grotius bie Freipeit 
der Perfon micht fehr achtet. Er vertheidigt bie Sie 
verei als dem natürlichen Rechte gemäß, fogar als ver 
einbar mit dem Chriſtenthum, obgleich er bie unbebingle 


1) 1.1.3, 17, 1; 11, 25, 3, 4. Nam par parem cogere 
mon potest, — — at superior cogere potest etiam ad alia, quꝛe 
virtus quaelibet praecipit, quia in jure proprio superioris, qu 
superior est, hoc est comprehensum. Daher wird aud der Br 
Ieidigte für Höper als der Beleidiger angefehn, weil jener fein Acht 
von biefem erzwingen kann. Ib. II, 20, 3. 

2) Ib.I, 1,3, 1. 

3) Ib. IE, 5, 17. Pars major jus habet integri. 


447 


Sklaverei verwirft . Die Unterwerfung der einen Per⸗ 

fon unter die andere if ihm dem Naturrechte nicht aus : 
wider, fie fann vielmehr unmittelbar oder durch Verge _ 
ſellſchaftung geſchehn 9. Bon der letztern Art ift bie ins, 
terwerfung, welche im Familienleben ſich ergiebt. Denn 
obgleich die Epe nur eine Vergeſellſchaftung, nit eine, 
Unterwerfung ift, fo folgt doch in natürlihem Wege bie 
Untertverfung des Weibes unter ben Mann aus ihr wer 
gen bes natürlichen Vorzugs, welchen biefer vor, fenem 
hat 5); in derſelben Weife ergiebt fi auch bie Unterwer⸗ 
fung der Kinder, fo Tange fie der Familie angehören, une 
ter die Eltern, weil jene durch biefe ernährt werden H. 
Die Unterwerfung unmittelbar kann durch Verträge bes 
dungen werden in- verfchiedener Weife, wenn jemand in 
eines andern Familie ſich begiebt und in das Recht der 
Kirder kommt, wenn er ſchlechthin feiner Freiheit entfagt 
um dagegen Nahrung zu erhalten. Auch im öffentlichen 
Rechte widerfpricht es der Natur nicht, wenn ein Voll 
einem Herſcher oder -ein Volk einem andern Bolte fih 
unterwirft., Bon allen dieſen Weifen wird nod die Uns 
terwerfung unterſchieden, welche als Strafe aus einem 
Verbrechen folgt 9. Grotius behandelt alle diefe Fälle 
nur fehr kurz ohne zu bemerien, wie bamit bie natür⸗ 
liche Gleichheit der Menſchen und ihr unveräußerliches 





1) Ib. H, 5, 26 2gq. , 

2) Ib. 1, 5,& 

3) 1b. 11,5, 1;8 

4) 1b. I, 5, 229g. Das Recht‘ der. Eiteen wird ſehr weit 
ausgedehnt, Ib. 5. il 

5) Ib. I, 5, 26 2qq. i 


a8 


Meist ſich ſelbſt Recht zu verſchaffen Behchn Tann. Im 
ſchwebt der gegenwärtige Rechtszuſtand im Staate vor; 
ex zweifelt nicht daran, daß er dem natürlichen Rechte 
entſpreche, möge er in ber Weife einer Vergeſellſchaftung 
ober einer Unterwerfung zu Stande gekommen fein. Er 
unterfepeidet auch nur beiläufig die patrimoniale und bie 
durch Vertrag gegründete Herrſchaft des Staates. 

Für fein Kriegsrecht aber iſt ihm das Strafrecht von 
befonderer Wichtigfeit. Er ‚geht von ber Anfiht aus, 
daß ein jebes Verbrechen eine Verlegung ber natürligen 
Geſelligkeit iR und verlangt daher bie Strafe ald Wie 
derherſtellung der verlegten Gefelligfeit 2). Das Berbres 
chen iſt daher nicht allein gegen ben Beleibigten, ſondern 
gegen die Geſellſchaft gerichtet, weswegen Grotius auch 
den öffentlichen Ankläger fordert 2). Neben dieſer Anficht 
von dem allgemeinen Zwede ber Strafe läuft jedoch eine 
andere Anfiht von einem dreifachen Zwedce derſelben 
einher, für den Beleidiger nemlich, für ben Beleidigten 
und für die Geſellſchaft. Kür den Verbrecher foll die 
Strafe zur Beflerung bienen, für den Beleipigten nicht 
allein zu Schabloshaltung, ſondern auch zur Sicherung 
gegen Tünftige Beleidigungen; den legtern Zweck hat fie 
auch für die Geſellſchaft, indem fle nicht allein den Ver⸗ 
brecher, fonbern aud anderg vom Verbrechen abihredt), 
Zwar fol nun bie alte Freiheit eines jeben zu ſtrafen 
bleiben, aber e6 wird doch aud für biefen Theil des 
Rechts als beffer angefehn, daß ber Richter das Straf⸗ 

4) Dies wird etwas unbeftiumt ausgebrüdt » u, 17,1. 


2) Ib. II, 20, 15. 
3) Ib. I, 20, 5 299. - 








A493 


ami übernehme. Keine Strafe fol über die Schuld hin 
qusgehn; doch wird dadurch bie Todesſtrafe auch für ger 
ringere Verbrechen nicht ausgeſchloſſen; denn bei der Ab⸗ 
wägung der Strafe iſt nicht allein bie Größe der Schuld, 
fondern aud der öffentliche Augen zu berüdfichtigen 1). 

Der Krieg hat bie naͤchſte Berwandtfcaft mit der 
Strafe; denn Krieg ohne Urſache iſt thieriſch und gerechte 
Urſachen zum Kriege laſſen ſich nur in einem zugefügten 
Unregt entdeden 2). Wenn aldbann feine Genugthuung 
gegeben wird und das Gericht fehlt, weldes die Strafe 
verhängen Könnte, fo beginnt der Krieg, welcher ber Nas 
tur nad als gerecht zu adpten ift und mit jedem Rechts⸗ 
ſtreit Über zugefügtes Unrecht verglichen werben Tann ). 
Daher tommt aud nach Naturrecht dem Privatmann nicht 
weniger ald dem State das Recht zu Krieg zu führen. 
Der Krieg kann mit der Todesſtrafe verglichen werben, 
welche der Einzelne wie der Staat verhängen darf, for 
bald ein gefärliches, dem Tode gleih zu achtendes Un- 
echt zugefügt worden if *). 

‚Aber bie Gefelligfeit fol aud) unter verſchiedenen Böl 
tern und Staaten nicht verlegt werben. Gaſtfreundſchaft 
und Handel unter ihnen gehören zum Naturrecht; es bes 
ſteht unter ihnen eine natürliche Verwandiſchaft, welche 


1) 1b. II, 20, 8,5; 9, 5; 28. 

2) Ib. 1, 1, 1, 4; 22, 2. Das dandwerk der Miethöfoldaten 
iſt verwerflich. Ib. I, 25, 9. 

3) I. Il, 1, 2, 1. Ac plane quot actionum forensium 
sunt fontes, totidem sunt belli, nam ubi judicia deficiunt, inci- 
pit bellum. 

4) Ib. 1, 2, 2 299; 3, 1. 

Geſch. d. Philof. x. 29 


viele Bündniffe nur in Erinnerung bringen I). Obwohl 
die Chriſten ein engeres Bundniß unter einander haben, 
hebt doch die Verfepiedenpeit der Religionen das allge 
meine Bundniß aller Bölfer nit ,auf 2). Hierauf beruft 
das Boͤlterrecht, welches in Üsereinfimmung der meifen 
oder aller Bölter ſich gebildet hat und vom natürlichen 
Rechte zu unterſcheiden iſt °). Der Krieg unter verfhiebe- 
nen Vollern if daher au nur erlaubt zur Wiederherſtel⸗ 
lung der Gefelligteitz er fol zum Frieden führen und 
mit Menſchlichleit geführt werben, damit man um fo 
Teichter ſich verföhnen könne. Da der gerechte Krieg nur 
zur Abwehr bes Unrechts geführt wird, fo giebt Grotius 
zwar zu, daß in ſubjectiv er Meinung ein Krieg gerecht 
fein könne von beiden Selten, aber in Wahrheit hat bie 
eine Partei immer Unrecht ). Auch moraliſche Verpflich⸗ 
dungen, obgleich fie der Geſelligleit anzugehören ſcheinen, 
follen wicht durch Krieg erzwungen werden 5), Mit feir 
ner Lehre, daß alles, was aus einem ungerechten Kriege 
bervorgehe, fein wahres natürliches Recht begründe 5), 
dürfte es im Widerſpruch ſtehn, dag er den Krieg inis⸗ 
billigt, welcher her Breiheit wegen unternommen werbe?). 
Aus aͤhnlichen Gründen Hält er auch den Krieg der Um 
tertpanen gegen bie oberſte Gewalt im Staate für unge: 
recht, obgleich er viele Fälle anführen muß, in welden 

1) 1b. 1, 15, 5. 

2) Ib. II, 15, 8; 12; 20, 43 44. 

3) Ib. prol. 17. 

4). U, 23, 18. 

5) Ib. I, 22, 16. 

6) 1b. II, 10, 3. 

7) Ib. 1, 22, 11. 








AS - 

diefe Regel ſcheinbar verlegt werden durfe). a ber 
bürgerfihen @efelfihaft hat bie Obrigkeit eine Ohmacht 
über bie Unterthanen gewonnen; fie barf hen, Widerſtand 
gegen ihre Anorbnung verbieten und. wird bies nicht un« 
terlafien haben), Daß. dies dem Noeturrechte gemäß 
fei, dürfen wir nicht zweifeln, da yon Natur ber Menſch 
nicht allein nach Gefelligteit, ſoudern nad utiger und 
georbneter Geſelligleit ſtrebt 3. — 

Das Urtpeil, welches wis über ‚das wen des Gro⸗ 
tius ausſprechen muͤſſen, hat hie Geſchichte Langſt gefaͤltt. 
Bon den beiden Zwecden, welche er verbiaden zu können 
meinte, hat er nur den einen erreicht. In feiner Schrift 
wird der andere nur als Nebenzwert aufgeführt und wir 
zweifeln nicht, daß es im Sinn des meuſchenfreundlichen 
Mannes Tag, jenen Höher zu haften als bisfan; ja er 
würde fi wohl baräber getröftet haben, daß es ber wiſ⸗ 
fenfpaftliche Zwed war, welder ſcheiterte, wenn er die 
Erfolge feines Werkes für ben praltiſchen Appel - hätte 
vorausfehen fönnen. Grotins hat ein hervorragendes Ans 
fepn in der Begründung des mildern Völtersehts für, 
Krieg und Frieden gewonnen, weldes die ruhigen Zei⸗ 
ten unferer neuern Geſchichte haben auflommen fehen. 
Auf- fein Anfehn Hat man fih berufen, wo die Grund⸗ 
füge desfelben geltend gemacht werben follten. Aber ſol⸗ 
len wir fagen, daß die eiferfüchtige Wiſſenſchaft feine Ner 





- 1I.1,4,2;7,15. Summum imperiam tenentibus re- 
sisti jare mon posse. Die folgenden $$. führen die ſcheinbaren 
Ausnahmen an. 
21.1,4,2,1. 
3) Ib. prol. 6; &. . 
29* 


benbulerin dulde Gewiß konnte fie einem Manne ſich 
nicht ergeben, welcher ihre Zwecke nur nebenbei betrieb. 
Seinen zweiten Zwed, bie wiſſenſchaftliche Begründung 
der Rechtswiſſenſchaft, hat er nicht erreicht. Wir ſehen 
ihn nur ſchwanken zwiſchen dem unveräußerlichen Natur⸗ 
rechte der Einzelnen ſich ſelbſt Recht gu ſchaffen, zwiſchen 
dem Naturrechte der friedlichen Geſelligkeit, welches alle 
Menſchen zu einer Rechtsgemeinſchaft vereinigen ſoll, und 
wwiſchen dem Rechte des Volles, welches feinen Staat auf⸗ 
richtet und ſeine oberſte Gewalt beſtellt um dem getraͤumten 
Naturrechte Schranken zu ſetzen und Sitte und Ordnung mit 
Macht zu handhaben/ Einem folhen Schwanken zu begeg- 
nen dazu reichte eine verflänbige Überlegung nicht aus, welche 
nur die gegebnen Zuftände und bie Denkweife einer gebil- 
deten Zeit beachtet ober darauf finnt, wie der biöherigen 
eine beffere Übung untergefchoben werben könne, dagegen bie 
allgemeinen Grundfäge der Wiſſenſchaft zu berühren ſcheut, 
weil- fie bee praftifchen Beſtrebung fern zu ſtehn fcheinen. 
In noch weit größerm Maße iſt dies dei Grotius 
als bei Herbert der Fall. Es iſt ein fehr zweibentiges 
Lob, wenn man ihm nachrühmt, ba er mehr als feine 
Vorgänger bie Grundfäge der Rechtslehre von den Uns 
terſuchungen über die allgemeinen Grundfäge der Wiſſen⸗ 
ſchaften ausgeſchieden habe. Er Hat dadurch den Bedärfe 
niſſen einer praktifchen Wiffenfchaft fih anbequemt opne 
au beachten, daß in ben Wiſſenſchaften bie Tpeilung ber 
Arbeiten nicht dasfelbe Recht hat, wie in der Prarid. 
Die Folge hiervon iſt nicht ausgeblieben. Er möchte und 
für Natur verkaufen, was die Vernunft in einer weit 
vorgeſchrittenen Entwidlung zu Stande gebracht hat. 





ABS 


Hierin Tiegt das Geweinſchaftliche feines Naiurrechts mit 
der Naturreligion Herbert’s., Denn wenn dieſer aup - 
nicht verſchmaͤhte auf die Gründe unferer Erlenntniß in 
feinen Unterſuchungen einzugehn, ſo beachtete er doch bie 
Verbindung derſelben mis den Gründen bes Seins nicht 
und in feiner oberflaͤchlichen Vorſtellung von dieſen glaubte 
ex in aͤhnlicher Weiſe wie Grotius dem urſprünglichen 
natürlichen Bewußtſein das zuſchreiben zu können, was 
nur aus den Anlagen ber Natur bie Vernunft durch lange 
Erfahrung und Übung hat ausbilden koͤnnen. Beide ha⸗ 
ben hierdurch der naturaliſtiſchen Richtung, welche bie 
neuere Philofophie einzuſchlagen begonnen hatte, mächtig in 
die Hände gearbeitet, indem ſie zwei ber wichtigfien Zweige 
der vernünftigen Bildung, die Religion und das Recht, 
als unmittelbare Ansfüffe des Naturtriches erſcheinen 
liegen. 


Drittes Kapitel, 
Thomas Hobbes. 


Tpomas Hobbes wurde 1588 zu Malmesbury, einer 
Heinen Stadt in-England, wo fein Bater Geiſilicher war, 
geboren und erzogen. Seine gelehrte Bildung erhielt er 
zu Oxford, wo er bie Logik der Nominaliſten kennen 
Ternte, deren Grundfäge einen bedeutenden Einfluß auf 
feine Dentweife gehabt haben, wenn er auch von ben 
Ergebniffen diefer ſcholaſtiſchen Philoſophie wenig befrie⸗ 
digt wurde. In feinem zwanzigſten Jahre trat er in bie 
Tamilie Cavendiſh, welde in ihm einen treuen Diener 


gewann, ein großes Vertrauen auf ihn fepte, ihn mit 
Liebe pflegte und durch fein games Leben ihm einen f- 
ern Haltpunft darbot. Der Bater des Haufes, bald 
nachher zum Grafen von Devouſhire erhoben, übergab 
ihm feinen Gopn zur Erziehung, welcher nicht viel jün 
ger war ale Hobbes felbft und von welchem er wie ein 
älterer Freund behandelt wurde. Mit feinem Zögling 


"machte er die Retſe darch Franfteih, Italien und Deutfche 


land und als berfelbe ſich verheirathet hatte, blieb er als 
Geheimfchreiber bei ihm. Durch feinen vornchmen Freund 
kam Hobbes in Belanntfhaft mit Ednard Herbert und 
mit Franz Bacon, ber ihn bei Überfegung feiner Schrijf⸗ 
ten in’ das Lateiniſche benugt haben fol, Durch feine 
Neifen ſedoch war er in der alten Literatur zurüdtgefom« 
mm, fo daß er einen erneuten Fleiß daran fegen mußte 
um in ipr wieder feß gu werben. Er fcheint fih im die 
fer Zeit feines Lebens mit ihr und ber Beachtung der 
politiſchen Berpältniffe feines Vaterlandes far ausſchließ⸗ 
lich befcäftigt zu haben. Schqu fruh ahndete er bie 
Verwirrungen, in welche England durch den Bürgerkrieg 
gefürgt werden follte, und unternahm daher bie Über- 
fegung des Thulydides, eines feiner wenigen Lieblinge, 
Ichriftſteller, in das Engliſche um feinen Randsleuten ein 
abſchreckendes Beiſpiel der Demokratie vorzulegen. Ben- 
famin Jopnfon, einer feiner Freunde, Half Hierbei feinem 
wenig gebildeten Stil nad. Der frühzeitige Tod feines 
Sönners und Freundes des Grafen von Devonfhire un 
terbrach 1628 auf eine kurze Zeit feine Verbindung mit 
deſſen Familie. Die Trauer über den Verlaſt eines Mannes, 
der ihn noch vor feinem Tode in ben Stand geſetzt hatte 


\ 





a5 
bei feinen mäßigen Bebürfnifien ein unabhängiges Lehen 
zu führen, veranlaßte ihn zu feiner Zerfireuung das Ans 
erbieten anzunehmen als Fuhrer eines vornehmen Enge 
landers Clifton zum zweitenmal nach Paris gu gehn. 
Hier fing er in feinem 41. Jahre an Matpematit aus 
dem Euflides zu fiubiren und fand an dem bündigen Zus 
fammenhange diefer Wiflenfchaft das größte Vergnügen. 
Die Methode berfelben dehnte er bald über die Unterfu- 
dung der Natur aus, indem er nad ben mechaniſchen 
Gefegen ber Bewegung alles zu begreifen dachte. Bon 
Paris berief ihn die verwittwete Gräfin von Devonfpire 
nad England zurüd um die Erziepung ihres Sohnes zu 
leiten, worauf er fieben Jahre verwandte, Es waren 
dies die fruchtbarſten · Jahre feines Lebens, in wel 
chen er erſt fein, Syſtem ſich ausgebildet zu Haben ſcheint 
und den Grund zu faR allen feinen fpätern Arbeiten Iegte, 
Auf einer brüten Reife nach dem Sefllande mit feinem 
Zöglinge kam er mit dem Pater Merfenne, einem Mit 
tefpunkte der Parifer Geleprfamfeit, in vertraute Belannt-' 
ſchaft und in Italien mit Galilei im Verkehr, Merfenne 
gründete, wie Hobbes ſelbſt fagt, feinen Ruf in ber Philoſo⸗ 
phie. Wenig oder nichts murbe damals von ihm nieder 
geſchrieben; ex überdachte nur die Grundfäge und Folge 
zungen feiner Denkweiſe, von welcher er eine Umwaͤlzung 
her Gedanlen erwartete zum Beflen der Menſchheit und 
zu feinem eigenen Nachruhm. Nachdem die Erziehung 
feines Zöglings vollendet war, lehrte er mit ihm nach 
England zuräd und lebte einige Jahre in gelehrter Muße 
in deffen Haufe, neben einigen Spielen bes Geifles mit 
Ausarbeitung feines Syſtems beſchaͤftigt. Die bürgerlis 


lichen Umuben ließen ihn aber nit bie Theile feines 
Spfems in georbneter Folge vornehmen. Als bie Unru⸗ 
den der Presbyterianer in Schottland brohender wurden 
in England das kurze Parliament zufammentrat, ſchrieb cr 
eine kurze Abhandlung zur Bertheibigung ber koͤniglichen 
Gewalt, die Grundlage bes dritten Theils feines Sp⸗ 
ſtems. Diefe Abhandlung wurde damals nicht gedruckt 2), 
aber feprifttich verbreitet und zog dem Verfaſſer ernftliche 
Misbilligung zu, fo daß er fein Leben für gefährdet hielt, 
als das lange Parliament berufen wurde, Daher ging 
ex 1640 nach Frankreich. Hier lebte er zu Paris im Ver⸗ 
kehr mit Derfenne, der ipn auch in Berbindung mit 
Gaſſendi, Descartes und andern Gelehrten Frankreichs 
brachte. WIE der Prinz Earl, naher König, im Exil 
in Frankreich lebte, wurbe Hobbes fein Lehrer in der 
Matpematit. Er war fortwärend mit feinem Syſtem bes 
ſchaftigt und Heß in Berüdfigtigung der poltifgen Um⸗ 
Mände den britten Theil befielben, bie Schrift über ben 
Staatsbürger, zuerſt in Lateiniſcher Sprache erſcheinen. 
Hierauf folgte der zweite Theil desſelben, über den Men⸗ 
fen, zuerſt in Englifper Sprache. Aber zu gleiher Zeit 
entwickelte ex auch feine politiſchen und kirchlichen Grund» 
fäge in einer noch ausfuͤhrlichern Engliſchen Schrift, dem 
Leviathan. Diefes Werk zog ihm die Misgunſt als 
ler Parteien zu, beſonders ber lirchlichen Parteien, weil 





1) Bielleicht iſt diefe Abhandlung Ste Meine Schrift human na- 
wre or the fundamental elements of policy, welche zwar erft 
1650 gebrudt wurde, aber in der Debication das Datum 9. Mai 
1640 trägt, alfo kurz nach Auflöfung des kurzem Parliaments dedi⸗ 
cirt wurde. 


a7 


er hier noch ausführlicher als in feinem Werte über den 
Staatsbürger bie Abhängigkeit der Kirche vom Staate ber 
hauptete, aber auch der Politifer, nicht allein derer, welche 
die Freiheiten Englands vertpeibigten, fondern aud ber 
Königlichgefinnten, weil er bie abfolute Gewalt des Staats 
unter einer jeben Regierungsform geltend machte. Er hatte 
einige Stellen einfließen laſſen, welche das Berfahren derer 
qu rechtfertigen feinen, welche nach Befiegung ber föniglichen 
MWacht der revolutionären Regierung in England fi unters 
worfen hatten, Er ſelbſt hatte in Langer Verbannung feine 
Mittel exfpäpft und ſcheint geneigt geweſen zu fein mit dem 
langen Parliamente feinen Frieden zu fliegen. Hierzu 
wurde er nun getrieben, als bie latholiſche Geiflichkeit in 
Sranfreich ihn zu befeinden anfing und zu gleicher Zeit der 
König Karl II. ihm feine Gnade entzog und den Hof verbot. 
Er kehrte daher nach England zurüd, wo er von nun an 
unter dem Schuge und in der Familie feines ehemaligen 
Zöglings des Grafen von Devonfpire Iebte, in freunds 
fpaftlichem Umgange mit den berüpmteften Schriftfielern 
feiner Zeit, eineim Harvey, einem Gelben, einem Cowlep, 
doch auch in einem beflänbigen Streit mit Theologen, 
Juriſten, Matpematifern und Phyſilern, unter welchen ber 
sonders Wallis fein heftiger Gegner war. Nachdem Karl 
U. nad England zurüdgefehtt war, hatte er ihn wieder 
zu Gnaden aufgenommen und mit einem Jahrgelde bes 
dacht, konnte ihn aber doch nicht davor fügen, daß fein 
Leviathan und fein Buch über den Staatsbürger vom 
Varliamente verurtpeilt wurden und er in Gefar fam 
wegen Keperet öffentlich angegriffen zu werden. Er lebte 
nun ein vüftiges Greifenalter in der Zurüdgezogenpeit 


bei feinem Gönner opne merlliche Abnahme feiner geiſti⸗ 
gen Kräfte, beſchaͤftigt mit wiſſenſchaftlichen Arbeiten zum 
Theil von ſehr großem Umfange. Erſt in feinem SO. 
Jahre gab diefer merkwürdige Greis fein Syfem in vol⸗ 
Tem Umfange heraus, in einer Lateiniſchen Ausgabe ſei⸗ 
ner Schriften, im Auslande, weil in England dem Drude 
Hinderniffe ſich entgegenfegten; in feinem 86. Japre un⸗ 
ternahm er es die Jliade und die Odyſſee in Eugliſche 
Berfe zu überfegen und vollendete in lurzer Zeit bas 
Bat, Ga bis zu feinem Todesjahre 1679 fuhr er fo 
fort in jedem Jahre Werke erſcheinen zu laſſen. Seine 
lette Schrift war ein weitläuftiges Geſpraͤch, wehhes ben 
Engliſchen Bürgerkrieg auseinanderjegt und beurtpeilt, 
Gegen den Willen des Königs gab er den Drud beöfels 
ben zu. 

Hobbes hat ſehr ungleiche Beurtheilungen erfahren 
und in der That eine ungleiche Mifhung in ben Elemen- 
ten feines Lebens laͤßt fich wicht verfennen. Wer der Mei⸗ 
mung iR, daß Gutes und Böfes im Menſchen fih nicht 
vertragen, wird bei den ohne Zweifel verderblichen Grund⸗ 
fügen, zu welden er fi befennt, nur dazu geführt wer- 
den können alles Befunde und Gute, was er mit Eifer 
bepauptet, nur für Heuchelei zu halten. Aber wir haben 
in ihm die Frucht einer Zeit, welche in geifigen und 
politiſchen Kämpfen mit ſich uneinig war; leidenſchaftlich 
hat er an ihnen Tpeil genommen, in Folgerungen, welche 

den Schein Halter Überlegung und einer eiſernen Folge⸗ 
richtigkeit an ſich tragen, aber einer ruhigen Prüfung doch 
den Kampf ihrer Widerſprüche nicht verbergen können. 
Die Grundfäge, welche er belennt, laufen auf unbarm ⸗ 





Be '') 
herzige Selbſtſucht hinaus; fein Eigennutz aber lehrt ihn, 
daß der Menſch ohne Zoͤgern, ohne Vorbehalt an ein 
Gemeinweſen ſich anſchließen mäfle, mit Verleugnung ſei⸗ 
ner ſelbſt, ſogar feiner Überzeugungen, nur nicht feines 
ewigen Helle. Es laͤßt fih nicht erwarten, daß er hierin 
feinen Grundſfaͤtzen getren geblichen fein follte, wenn er 
aud treu feiner Partei. gedient hat. Man hat ihm vor⸗ 
geworfen, daß er im Herzen Bottesleugner geweſen fei, 
obgleich er ohne Unterlaß und durch Feine Veranlaſſung 
gedrängt zum Chriſtenthume ſich bekennt, wie er basfelbe 
faffen zu müffen glaubt. Zu feiner Vertheidigung gegen 
biefen Vorwurf hat man nicht mit Unrecht feine aufrich⸗ 
tige Anhaͤnglichleit an die Engliſche Kirche angeführt, 
welche er bewies, als ihm bei einer gefaͤhrlichen Krank⸗ 
beit Pater Merſenne die Tröftungen ber katholiſchen Kirche 
darbot, er fie von fih wies, aber bald darauf nach Eng- 
liſchen Gebraͤuchen betete und das Abendmal genoß. Der 
Gottes leugner ſoll auch eine abergläubifche Furcht vor Ge⸗ 
ſpenſtern gehegt und deswegen bie Einſamleit geflohn haben. 
Die Wahrheit iſt, daß er Geſpenſterfurcht mit aͤußerſter Ver⸗ 
achtung ſtrafte und bei ſeinen Arbeiten die tiefſte Einſamleit 
ſuchte. Selbſt ſeine Gegner geſtehen zu, daß er ein redlicher 
Mann geweſen ſei und ein Leben ohne Argerniß geführt habe. 
Dabei aber wird man in ſeiner Bildung Einſeitigleit und 
in Folge derſelben widerſtreitende Elemente nicht überſe⸗ 


hen koͤnnen. Die eine Grundlage feiner Bildung lag in \ 


der alten Litteratur. Er war aber fein Freund einer alles 
umfaſſenden Gelehrſamleit. Seine Lieblingsſchriftſteller 
hatte er inne; er beſchraͤnkte ſich eben auf fie. Eine ein- 
feitige Vorliebe Heß ihn einige Geſchichtſchreiber, Dichter 


D 


N 


260 


und Mathematiler des Alterthums fchägen, wärend ex 
ügren Zufammenpaug mit ber ganzen Geſchichte und Bil⸗ 
bung des Alterthums verachten zu bürfen glaubte. Die 
Poeſie erſchien ihm nur. als ein Spiel unferes Geiſtes, 
in welchem Sinn ex fie ſelbſt übte, one große Auſprüche 
zu machen, fo wie benn überhaupt Gefchmad in der Dar- 
legung feiner Gedanken ihm eine ſehr untergeorbmete 
Sache war. Noch weniger galt ihm bie Philoſophie 
und bie ganze Wiffenfchaft der Alten mit Ausnahme ih⸗ 
ver Matpematif. So Hatte er ſich doch größtenteils don 
diefer Grundlage feiner Bildung loegeſagt. Das Be- 
wußtfein davon, daß er eine völlige Umwandlung der 
Wiſſenſchaft für nöthig Halte, ſpricht ih ohne Rücpalt 
in feinen Werken aus. Die andere Grundlage feiner 
Bildung, das Chriſtenthum, erſchien ihm doc in einem 
andern Lite. Die Religion überhaupt galt ihm als 
Gottesverehrung, welche im Bewußtfein der Schranfen 
des Geiſtes und der Natur gegründet if; fie weiſt uns 


‚daher auf das Übernatürlihe pin, zu welchem bie natür⸗ 


lie Wiſſenſchaft feinen Zutritt hat. Hobbes gehört gu 
den Raturforfcpern, welche in ver Weiſe eines Telefius, 
eines Baron, eines Carteſius das Natürliche und das 


Nbernaturliche für die Erfenntnig als zwei ganz geſchie⸗ 


dene Gebiete anſehn. Wärend die Wiffenfhaft nur das 
erfiere lennt, darf fie das andere vorausfegen. Überdies 
aber beachtet Hobbes auch die praltifche Seite der Reli⸗ 
sion. In den Bürgerkriegen hatte er das Verderbliche 


„ber Religionöftreitigkeiten lennen gelernt. Er fand das 


Übel darin gegrändet, daß die Geiſtlichkeit fih anmapen 
wollte aud über Angelegenheiten bes weltlichen Gemein⸗ 





A6A 


weſens zu entſcheiden. Da if fein Kampf gegen bie Hier 
rarchie der katholifchen Kirche gerichtet, die ihm auch als 
ein Überbleibſel des mittelalterlichen Aberglaubens ver» 
haßt iR. Was von der Hierarchie in ber proteſtantiſchen 
Kirche übrig geblieben if, faͤlt in dieſelbe Verdammung; 
die Kirche aber, deren Nothwendigleit und genaue Ver⸗ 
bindung mit dem Gemeinweſen ihm doch einleuchtet, will 
er nun dem Staate zu völligem Gehorfam unterwerfen. 
Hierdurch wird ihm alles, was in der Religion über den 
Gedanken des Übernatürlihen und unferes. abhängigen 
Verpältniffes vom Übernatürlichen zur Erreichung unferes 
Heiles hinausgeht, zu einer Sache äußerkicher Anordnung, 
zu einer Übereinkunft über geroiffe Symbole, in welden 
wir unfere Verehrung und unfern Gehorfam gegen Gott, 
aber auch zugleih gegen den Staat zu erfennen geben. 
Und fo wie er nun allen Sachen der Übereinkunft ein 
großes Gewicht beilegt, fo entzieht er auch den Symbo⸗ 
len ber Kirche feine Ehrfurcht nicht, obwohl ex alle weis 
tere Überlegung der Wiſſenſchaft davon entfernt halten 
möchte. Seine Wiſſenſchaft iR deswegen ohne Zufammen- 
hang mit den mächtigfien Intereffen des Geiſtes, mit 
den lebendigen Trieben der Phantaſie und des Gemüthe, 
wie er fie ſelbſt bezeichnet, nur eine Sache der Berech⸗ 
nung. Aber au in der Durchführung dieſer Berechnung / 
welche von Religion und ‚Mhöner Kunf fi ganz entfernt 
halten fol, verfährt er nicht ohne Einfeitigkeit und felt- 
fame,. nur ihm verdedte Widerſprüche. Er rechnet mit 
Begriffen oder Worten, welche beide er für dasfelbe hält, 
deren willlürliche Feſtſtellung er von vorn herein annimmt, 
Aber dennoch glaubt er damit die Sachen zu treffen und 


Geſede aufftallen ya Tonnen, mehhe jeder Willie entye- 
gen find. Die Wapıpeit des Algeweinen verwirht er; 
aber dennoch gilt ipm die Weife der Mathematik vom 
Algemeinen auf das Befonbere zu fchließen. für bie allein 
richtige Methode die Wahrheit zu erforfhen. Die Siune 
find ihen der Ausgongepuntt für ‚alles Erkennen; aber 
* der Jnduction entzieht er ſich und ſpringt ſogltich durch 
die willarliche Feſiſtellung ber Worte zum Allgemeinen 
über. Bon bex Herechnung ausgehend, follte man glaus 
ben, würde er die. Arlipmetit zur Grundlage feiner Un⸗ 
terfudgungen wachen, aber in feinem Streite mit Wallis 
zeigt er ſich ganz ankere gefinnt. Geinen Gegner durch 
philologiſche Genauigleit und logiſche Schärfe in ben 
Begriffebeſtimmungen eben fo überlegen, wie in umfaffen- 
der Kenntniß der mathematiſchen Technil gegen ihn zu⸗ 
rudſtehend, möchte er die Auwendung ber Arithmetil auf 
die Geometrie lieber garz befeitigen, Man hat biefen 
Eigenſinn, welcher ihm dem Tabel aller Motpematifer 
zuzog, daraus erklären wollen, daß ex erſt bei ſehr vor 
gerüdten Jabren zu feinen mathematiſchen Arbeiten kam; 
ex hat aber vielmehr darin feinen Uxfprung, daß er bei 
allen feinen Berechnungen. der Begriffe doch eine mater 
viele Grundlage alles Seins behauptete und deswegen 
die körperlichen Verhältnifie der Geometrie ihm das Erſte 
Find und die arithmetiſchen Berechnungen nur au das Körs 
perliche fih auſchließen ſollen. Jn ſolchen Einfeitigfeiten 


befangen ſucht nun Hobbes ſeine Staͤrle in einer hart⸗ 


nädigen Folgerichtigleit feiner Schluſſe, welche feine 
aͤußerſte Folgerung ſcheut und nur ba ihre Schwächen 
verraͤth, wo von verſchiedenen Ausgangspunlten aus ent⸗ 








gegengefegte Ergebniſſe hervortreten wollen. „Der Gieenge 
feiner Folgerungen iſt er ſich bewußt. und nicht ſelten 


ſpricht ſich fein Selbſtgefül nicht praleriſch, aber mit aller 


Härte aus, welche das Bewußtſein eines überlegenen 
Talents in einer .einfoitigen Fertigleit zu. begleiten pflegt. 
Man yat dies als Eitelteit ihm ausgelegt und wir wol- 
len nicht behaupten, daß er von allen Anwanblungen der⸗ 
felben frei geweſen; aber fo weit. wurbe er von ihr nicht 
beherrſcht, daß ex zu allen feinen Arbeiten eine zaͤrtliche 
Borlicbe getragen hättez nur die Schärfe ‚feines wiſſen⸗ 
ſchaftlichen Verfahrens laͤßt er ſich nicht rauben. Ihr 
vertrauend tadelt er ſelbſt in ausführlicher Erörterung bie 
Elemente des Eullides, feines Lehrmeiſters, welchen ex für 
den einzigen wiſſenſchaftlichen Geiſt unter den Alten gels 
‚ten laͤßt. Auf diefer wiſſenſchaftlichen Genauigkeit in feir 
nem Berfahren beruhen feine Erfolge. Er ift von einem 
folgen Bewußtſein derſelben erfüllt. Niemand, meint er, 
würde das Licht, welches der größte Theil feiner Werke 
in der Welt verbreitet habe, auslöfgen Können, auch er 
ſelbſt nicht, follte ex es auch wollen N ' 

Es kaun hiernach nicht verwundern, daß er die mas 
thematiſche Methode in hohem Grade verefrt. Sie iR 
die Methode aller feiner philofophifhen Werle ). Er 
lobt fie als die ſicherſte, welche von unfcpeinbaren, jeber- 


1) An answer to bishop Bramhall p. 459. 

2) Ich bediene mid der Originalausgabe feiner phitofophäfchen 
Sqhriften · Thomae Hobbes opera philosophica, quae Jatine scrip- 
sit omnia. Amstelod, 1668. 4, und der Sammlung feiner Engliſchen 
Schriften: The moral and political works of Th, Hohbes. 
Lond. 1750. fol. " 


mann verftaͤndlichen Orundfägen aus Schritt vor Gärit 
vorſchreitend Die wigtigfen Bolgerungen zu ihrem Erzth⸗ 
niß habe H. Aber er tadelt, daß fie noch nicht in ihren 
weiteſten Umfange angemenbet worden. In aͤhnlicer 
Weiſe, wie Bacon, hat er den Nutzen für das menſch⸗ 
lie Leben im Auge ®) und da finbet er nun, daß die 
Matpematit mit allen ihren Erfindungen und bie Phyfl 
mit allen ihren unflpern Hypotpefen 3) doch viel wenig 
gu bedeuten haben als bie Moral und bie Politil, melde, 
ſollten fie auch nur vor Schaden uns bepüten *), deh 
die wichtigſten Guter des Lebens im Ange hätten. Geger 
diefe dürften Mathematit und Phyſit nur wie ein Epkl 
gelten 9. Geine Abſicht iR daher darauf geridtet der 
Potitit eine eben fo feRe Grundlage und Methode u 
geben, wie die Matpematit fie lange ſchon befkt‘)- 
Er betrachtet aber :die Ethit und die Politif als Theit 
der Phyſit, welche auch durch die Hülfe der Matpemati 


4) Hum. nat. 13, 3 p. 30; examinatio et omendatio malhe- 
maticae hodiernae p. 18. 

2) Leviath. 46 p.396; de corpore 1, 6. Ad commola 
nostra, — — ‘ad vitae humanae usus. Die Luft am Bifen 
foü nicht fo hoch angefhlagm werden. De homine 10, 4 pfli 
11,9. 

3) Probl. phys, dedic.; exam. et em. math. hod. p.3l; ie 
corp. dedic. - 

4) De corp. 1, 7. 

5) Quädratura eirculi dedie. Scio philosophiam seriam uni- 
cam esse, quae versalur circa pacem et fortunas oivium, prir- 
eipalem, caeteras nihil esse praeter ludum. 

6) A dialogue between a philosopher and a student of he 
common laws p.539; exam. et em. math. hod. p. 18; de corp. 17: 





in eine heffere Form gebracht werben ſoll H, und fann ſich 
daper. ber Aufgabe. nicht entziehn den ganzen Körper der 
Philoſophie in Unterfuhung zu nehmen. Nur die Polis 
it- iR fein Hauptzweck; die äbrigen Theile der Philoſophie 
find nur in kurzen Entwürfen von ihm behandelt wor⸗ 
den, in welchen er fi erlaubt das von Andern fon 
Ausgefüßrte vorauszuſetzen. 

Die Ppitofoppie fol ihm. nun ein firenges Ganzes 
bilden, weldes in einer Verlettung von Schlüffen durchs 
zuführen fein würde. Erſt hierdurch werde fie eine Wiſ⸗ 
ſenſchaft, eine allgemeine Wiſſenſchaft, welche alles Er⸗ 
lenubare umfaſſen und durch Vernunft und Schluß ber 
greifen fol. Dieſer Wiffenfhaft flelit er die Er- 
fahrung entgegen, melde nur Kenntniß der Thatſachen 
gewähre, nur eine geſchichtliche Kenntniß biete, aber nichts 
Zufammenpängendes, Teine allgemeine Wiſſenſchaft ges 
währe. Die Erfahrung bringe uns nur eine Wieberer- 
innerung an bie Folge der Erfheinungen, gebe aber kei⸗ 


, f B . 
1) Exam. et em. math. hod. p. 22.‘ Bergl. jedoch Leviath. 9 


p. 131; de corp. 6, 6; 17. Hobbes iſt der Einteilung ber Pie , 


loſophie nicht ganz ficher. 

2) Exam. et em. math. hod. p.20. Una est omnium reram 
scientia universalis, quae appellatur philosophia, quam sic de- 
finio:, philosophia est aocidentium, quae apparent ex cognitis 
eorum generalionibus et rursus ex. cognitis 'accidentibus gene- 
rationum, quae esse possunt, per rectam rationem cognilio 
acquisita. Hierbei denft Hobbes an den Gegenfag zwiſchen analptis 
fer und ſynthetiſcher Metpode, welcher feit den log iſchen Unterfus 
ungen der neuern Peripatetiter viel beſprochen wurde, ohne daß 
man etwas Genaues über ihn ermittelt hätte. Auch Hobbes hat über 
ihn mandes, aber nur Ungenügendes. De corp. 6, 4 sqq.; 20, 
65 cf. ib.25, 1. B 

Geſch. d. Philof. x. 30 .. 


‚ 


men allgemeinen Echluß ab; die Wilenfhaft dagegen ſol 
wicht bei den Thatſachen ſtehn bleiben, fondern ipre Ur⸗ 
ſachen erforſchen und durch allgemeine Schläffe unkrög- 
Ude Wahrheiten erlennen Ichren 3. In biefem Ginn 
läßt er ſich nicht felten ſehr veraͤchtlich über bie Erfah 
zung aus und betrachtet bie Naturgeſchichte, wie hoch 
fie auch Bacon gehalten hatte, nur als etwas Kindiſches 9. 
Man wird nit verlennen, daß Hobbes in der Bezeichnung 
dieſes Begenfages das Ideal der Philoſophie, wie er es 
ſich denft, befchreiben will; in der Ausführung feiner Po⸗ 
Hitit ſieht er ſich felbft genöthigt von ber Strenge feiner 
Metpode nachzulaſſen. Im firengen Wege ber Bifen- 
ſchaft, meint er, würde man nur durch Geometrie und 
Phyfit zur Erlenutniß der Gemuͤthsbewegungen gelangen, 
welche bein fittlichen Leben der Menſchen und ihrem Staate 
zum Grunde liegen; aber es gebe auch einen kuͤrzern Weg, 
weichen man hierzu einfchlagen könne, indem ein jeder 
nur auf feine eigene Erfahrung von ſich ſelbſt zurädge 
hend die Gründe finden könnte, welche zur Bildung eines 
Geweinweſens uns antreiben 5). Sollte er vieleicht ber 
merkt haben, daß ‚von den geometriſchen und phyfifgen | 
Lehren über ‚die Bewegung doch fein völlig geebneter . 


1) Exam. et em. matb. hod. p.16; de. cerp. 1,2; 6, 1; 
25, 8; ham. nat. 4, 6; 10. Baporicaon ooncludeth nothing 
universally. 

“ 2) Exam. et em, math. hod. p. 181. . 

3) Ib. 6, 7. Sed eilam ii, qui priorem pariem philose- 
phiac, nimirum geometriam et physicam non didicere, ad prin- 
cipia tamen philosophise civilis methode analylica perrenire 
possunt, — — ld quod per unius cujusque proprium animum 
examinanlis experienliam cognosci potest, 


483 


Fottſchrin zu den: Beweguigen‘ ber Seele fih ergeben. 
wi? Auf jeden Fall weren.übkr. hicrin eine Anbeque⸗ 
mung an bie gemein verſaͤndliche Denlweiſe erblicken můf⸗ 
fen, welche nicht erwarten laͤßt, daß er einen ununter⸗ 
brochenen wiſſenſchaftlichen Bang 'npu denfelben Grunde 
ſãtzen aus durch feine ganze Lehre durchführen werde. 
Die Erfahrung, welche er. vorher ziemlich ſchnöde von 
der Wiſſenſchaft ausgeſchloſſen hatte; laͤßt er nun doch 
auf eine bedenkliche Weiſe in die Entwidtung der Bir 
ſenſchaft eingreifen. j 

Noch bedenfticher iſt das, was er über Die Rolle der 
Bermunft in der Wiffenfpaft Außert.-. Unter Vernunft 
verficht er nur das Vermögen: zu:fgließen. Wenn 
wir nad richtigen Grunbfägen richtig folgern, fo.Idgwe 
wir und richtige Vernunft bet wenn. wir ‚bagegenzu 
widerſprechenden Folgerungen kommen, fo Halten wir dies 

- für vernunftwibrig." Da alles Schließen auf dem Sage 

des Widerſpruchs beruht, gilt dieſer auch für den Grund 

aller Philoſophit 2). Die richtigen Grundfäge für das 

Schließen Teitet aber Hobbes ohne Ausnahme aus Bes 

griffserflärungen ab. Alle Ariome will er aus der Ma- 

thematit und ber Philofophie -entfernt wiſſen, indem er 
behauptet, daß fie aus Begriffserflärungen bewieſen wer⸗ 
den koͤnnten ). Alle Begriffserflärungen find aber nur - 
4) Hum. nat. 5, 12; de-cive 2, 1 not.; de corp. 1, 3. 
2) De corp. 2, 8. Hujus axiomafis certitudo — — prin⸗ 
cipium est et fundamentum omnis ratiocinationis, i. e. omnid 
philosophiae, Hum. nat. 5, 12. 


3) De corp. 3, 9; Leviath. 4 p. 109; exam. et em. mh, 
hod. p. 27. 


30% 


Namenerlärungen‘. und die. Namen haben wir ben Din⸗ 
gen wißtürkich beigelegd-}).. Es bam ihm wohl nicht un 
-befannt geblieben: feim.,2. af er mit der Lehre Wilhelme 
von Decam, .beffen Logik zu feiner, Zeit zu Oxford ge 
lehrt und wieder aufgelegt: wurde, übrzeinfiimmte, wenk 
ex behauptete, daß ale, Wiſſenſchaſt nur auf richtigem 
Gebrauche der Ramen beruhe. Die Namengeber und bie, 
welche ihnen beifimmten, Haben willlärlich die erfien Wahr⸗ 
heiten feſt gefept. Alle; Wähzpeit beruht auf Überein- 
Tunft, fo wie in der Rebe, fo in den Gedanfen;. Ausbrud 
ver Gedanken ia der Sprache und Gedanken hängen zu⸗ 
fammen, Den Sägen legen wir Wahrheit bei, wenn fie 
zwei Zeichen derſelben Sache mit einander verbinden, ober 
work: Zeigen perſchiedener Sachen von einander auszuſa⸗ 


gen · und verbieten. DE Wahrheit beſteht nur in der 


Ausfage, nicht ia der Soͤche ). Daher laͤuft das wiſ⸗ 





i) De corp. 3, 9. Sunt primas autem” (sc. propositiones) 
aihil aliud praeter definitiones vel defnitionis partes et hae solao 
principis ‚demonstrationis sunt, ‚nimirum verilates arbitrio lo- 
quenlium- audientiumque factae e} propterea indemonstrabiles. 
Exam. et em. math. hod. p.27 sq., wo erwähnt wird, daß die 
Höchften Gattungen mir durch Beiſpiele erflärt werden könnten. Bus 
weiten fheint es, als wollte er eine Benennung der Dinge nach ihrer 
Natur annehmen (ib. p48); aber aus mehrerm Grunden entſcheidet 
er ſich doch dafür, daß fi m nur auf Willtür beruhe. De corp. 2, 4; 
hum. nat, 10, 2 

2).De corp. 3, 2; 7. Veritss enim in diöto, non in re 
copgistit, Ib. 8. Veritates omnium primas orias esse ab arhitio 
eorum, qui nomina rebus primi imposuerant vel ab aliis posita 
acceperunt.‘ Leviath. 4 p. 109. True and false are attributes 
"of speech, not of things. Jeder Streit läuft daher nur auf Wort: 
ſtreit hinaus. Exam. et em. math. hod. p. 13. 





fenſchaflliche ‚Dehten airf-iein Motten oder Subtrahiren 
von’ Worten! und Bogiffen hinausnnd befehb iin seinem 
Rechnen saltı Worten, weiheigut Bozeichaung ber Gndhen 
dienen. Nur in einer ‚nein Musheignäng. heſchicht dies 
im Schluffe ale Yin Gage unh zaflulärrnunft iii uchts 
weiter als ein ſolches ·Rechnen 2); Hierin vaterfcheiden 
ſich die Menſchen vonoden nmucninfliger Wieren; Rie ha⸗ 
ben / Sprache und daria beſteht thoe Vernuuft / Dirnm/ 
genden Übrigen Thieren auch wohl Virſtand au Denlemzu ⸗ 
ſchreiben; aber fie konnen dasſcabr hüht in willlarlichen 
Zeichen Ausdrucken und vahrvikohimt! ihnen Tehı: Wiffen 
ſchaft· und ‘feine Vernunftu Ju Moci Diefe Aufſteht. legt den 
Sprache Bas: größte Gewtcht beis- alle veruuuftige· inz 
richtungen / des Lebensberuen auf ihr YenrWaa [dpa 
daß ſiendie ¶ Wiffenſchaſs mir A mar Bien Sri 
und ‚ben: Überkinfunft uiqe. nagätl 3°. ——— 
: Wenn:iwir bei: eigemwiffenſchafttichen MamesSäge 
fi ehwidgtn :fehen,, welche ‚nie Miſfenſchatt ſortitf cher⸗ 
Abfegew, ſo werben wir wohl avuchateni Bikakeh ‚eng: fi 
nid ohne einen geheimen Vorbehalt· auozriorochen "weit 
den. Hobbes lann vach feinen Bchro! um nen: Bonninft 
nicht / Jugeben, daß: fie” etmwsMägebörkesn johläinterised - 
fHräntt ‚man. auch : den. — DE NP 771 17907707 
. Brain en ln Trmie 
-4).De worpi 1, 2. Recht, iteque Re doea one · 


raliones animi, additionem et subtractionem. Ib. 4; 6; Le- 
viath. 5 p. 112. Reason — — is nothing but reckoning. 
"2)-Eöviath.:2 p. 103; 4° pr Hif:"E8’ wild Babel’ Verftand im 
engern und fin weitern Sinn unterſchieden und tm enftenti Sinti’ den 
unpernhntigen Thicren ahgefproden. De hol, do; r" '39;- de 
comp. 3,80. . . 
3) Ds hom. 10, 3 p. 59 2q. J 














möchte. Ban Turn mußt gewahr werben, daß ihn in 
feine Lehre von Bermunft- und Wiſſenſchaft befaubers feine 
und ongehomme Vegxiffe keimohnen fellien, sutiut er, ſo 
würben fie und -Igtmerogegenwägtig fein, was Son leinen 
nuſtrer Begeiffe glfagt (werden töaute?). Die. Sprache 
iR eben mur etwas Erworhenes md: daher lann auch bie 
Bernuuſt, weiche auf ihn beraht, zur etwas Erwotbeucs 
fein D.. Dennod tedet Hebbes nicht felten von der Ber 
amaft als von etwaa war: Amgebesitem. Selbſt die Phi⸗ 
leſophie beircheet erials ive· oulaliche; dem Menſchen 
angehpene Meruaftz.welde: nun: durch Kun‘ weiter · aus 
gebildet tuwähen. follte 3).,5 Sole dich auch aur heißen, 
daß Dit: Menſchen, Yon Matanivan: den smveruünftigen 
WyiexpD unierjieben, hie Faͤhiglein ver Sprache in jhrem 
angebornen Wefen trügen, fo wadehe da doch voraraſehen, 
vapzeiner hüpere . mta liche Anlage · zur Erienninig: der 
Wehtpeit: ihaen beittähnte, deren Ausbildung wicht als 
köln’ von Billär:-obfängig!-Teia twärde. Auf eine mas 
törliche- ana gefepmäßigr Entwidlung. einer ſolchen hoͤbern 
Anlage deuien:nisle. Saͤte unſeres Philoſophen pin. Ju 
dieſen. Sinn wish die Vernunft als ein von Ratur ‚und 
eingepfangindn Gefess, welches in umferm Innern uns ein ⸗ 
gegraben iſt, als ein göttliches Geſetz ober ein und ein, 
grborme bomiges Bun verepit und ihr foger bie Er⸗ 





1) Objectionen in PRRER wedilsinnes 8 (Cart. op. 
Francof; 1692). 

. 2):Ba cerp«-6, 2. 

3) B. 1,1. Philosophia, Le ro natura, in omei ho- 
mins innata est. 


44 


lenatnitßz des Zufliuftigen, zugeſchritben 1). Nicht weniger 
entfernt es ſich von der Anßcht, datz wir nun. durch die 
Sprache Berrvunft haben, wenn Hobbes bebenntet, bag, 
es. für alle Menſchen nur eine Vrrmunft gabe , obgleich 
er in ſeinen Brweiſen daftzr, daB die Sprache auf Mill⸗ 
küx berube, nicht umhin kann die Verſchiedenbeit der Spron 
ben u berudſichtigen. Ja in biefer Richtung feiner. Ge⸗ 
baufen geßeht er. ſogar zu, daß zwar ben eimelae Men 
ohne Übereinkunft der Sprache keinen Beweis durch Morte 
mäzde führen.önnen; daß er aber doch fähig fein. mürde 
Vie Wahrheit einaſehn und.zu philoſophiten 5: Es wird 
fich hieran nicht verleunen Iaffen, daß in der Gntwül 
kung feiner. Gedanken gwei verfehledene.-unk:, ii Wider⸗ 
ru; ſtehende Begriffe von der. Vernunft. fich eingeſchli⸗ 


Sen, haben. "Wer dirs Überfhen folte,: marde dadurch 


ti Verftͤndniſſe feiner. un pr wauſtrach gehört 
fepen. u 2 

: Das auffallendfe Zeigen: ver wiegen Ric 
bangen feiner .Denkweife findet ſich in feinen : "Bußerungen 
über „bie Vigericen im Wenelner. ‚Bir, haben “ 





1) De eire dedic, Ineipit in ipsis dubitahdi tenebris Alam 
quoddam rationis, cujus ductu evaditur in’ Iucem elärfssimam'} 
ibi prineipiam dooendi est. : Ib. praf,, wo die dielagnipa -ratio- 
nis als leges näturales anigsfehn werben, wie dieß dfters von Hobbes 
geigieht. Ib. 3, 31. Praesentia sensibue, fulura ralione per- 
cipiuntar. Ib. 4, 1; 14, 4 Naturalis (sc, jez) ea est, quam 
deus omnibus hominibus patefeeit per verbum-auum aeternum 
ipsis innatam, nimirdm rationem nataralem. Leviash. 31 p. 255. 
God declareth his laws — — by the diolates of natural reason. 

2) A dialogue p.590. 

3) De corp. 6, 11. 


472 


ſehn, wie gering er die Erfahrung achtet; die Erinne⸗ 
rung, welche die Erfahrung begleitet, wird ihm nicht hör 
der gelten Können. Wenn er nun aber Die Wiffenſchaft 
der Vernunft auf · dir Beilegung -der- Namen zurädfäprt, 
fo wird es ihm wohl ſchwerlich entgehn können, daß er 
fie zu einer Bade des Gedäͤqtniſſes, der Erinnerung an 
die einmal fefkgefkellten Namen oder gu einer Sache der 
Erfahrung mat. Es fehlen uicht die: beſtimmteſten Er⸗ 
Märungen darüber, daß er. diefer Folgerung ſich nicht ent⸗ 
ieden fan. : Bon der erfien Phuloſephle ſagt er, dap fr 
Niugheit im richtigen Deſmiren fei, welche durch bie Er⸗ 
fahrung des Sprachgebrauchs gewonnen werde). Ei 
zogert aldbann aud nicht zu bekennen, daß alle Wiſſen⸗ 
ſchaft Erinwerung ſei ). Wenn er auch geſchichttiche 
Kennieig und wiſſenſchaftliche Evtdenz unterſcheidet, fo 
laufen iin Body beide auf Erfahrung hinaus. Es erſcheint 
ihm nun als der ſtarlſte Beweis für die Wahrheit eines 
Sapes, wenn in ipm alle Menſchen übereinſtimmen, ob- 
gleich ex. auf das Zeugniß der Menge nur wenig Gewicht 
Iogen ann, weil er findet, baf. nur wenige eines ger 
nauen Sprachgebrauchs fich befleißigen ). Noch von eis 
ner anbern Seite her giebt fih dieſer Widerſpruch in den 
Grundlagen feiner Denlweiſe zu erfennen. Seine Ans 
fit von ver Wiſſenſchaft hat die größte Apatigkeit mi 





1) Exam. et em. ‚math. hod. 2. Et 'baec quidem sive 
peritia sie prudentia recte definiendi, quae aequiritar expe- 
rientia circa verborum usum, vocatur pbilosophia prima. 

2) De eivo 18, 4. Neque temere olim a Platone diotum 
est scientiam esse memoriam. 

3) Hum. nat. 6, 1; Leviath. 9 p. 130. 

4) Hum. nat. 13, 3. 


473 


der Richtung, welche die nominaliſtiſchen Philologen ver⸗ 
folgten; wit ihnen theilt er aber auch die Richtung bir 
neuern Wiſſenſchaft auf die Erlenntniß des: Reale In 
ihr erflärt er fi ‚dafür, daß es bei Unterſuchung der 
Wahrheit auf bie allgemeinen Kategorien wenig anlomme; 
wir follen vielmehr bie Sachen / in das Auge faſſen D. 
Aber er lann ſich doch nicht verhehlen, daß nad ſeiner 
Erklärung von der Vernunft und: der Wiſſenſchaft aus 
der Beilegung der Namen feine Erkennmiß der Sachen 
füh ergebe. Da kommen nun ſehr ſteptiſche Erllaͤrungen 
über das, was wir unſer Erfennen nennen, zu Tage) 
Wir fleigen nicht in die Sachen hinein; in, allem unferm 
Denken bleiben wir nur: bei uns; follten wir auch die 
Größen und’ Bewegungen der Himmelslichter und bes 
Erde berechnen, wir bleiben dabei immer nur ruhig in 
unferer Stubirßube, wohl gar in ber Finſterniß und rech⸗ 
nen nur die Erſcheinungen und Borflelungen in uns ſelbſt 
zuſammen 9. Bon der Subflanz der Dinge haben wir 
feinen Begriff, die erſte Materie, an welcher alles haften 
ſoll, iſt uns unbefannt, und wenn wir auch das Dafein 
der Subftanz. erfäliegen tönnen, fo haben wir. doc feine 
Borfielung von. ihr 5). Hierbei wirb nun zugegeben, daß 


1) De corp. 2, 16. 
2) De corp. 7,1. Immo vero, si ad ea, quae ratiocinando 
facimus, animum diligenter.advertimus, ne stantibus quidem 
rebus aliud computamus, quam phantasmata nostra ; non enim, 
"si coeli aut terrae magnitudines motusque compntamts, in coe- 
lum ascendimus, ut ipsum in partes dividamus aut motus ejus 
mensuremus, sed quieti in museo'vel in tenebris id faeimus. 
3) Obj. in Cart. med. p.87. Notavi saepius ante neque dei 
neque animaeo dari ullam ideam, addo jam neque substantine; 


4174 


unfere Wiſſenſchaft doch nicht bleß eine Kenntniß vom 
Namen und Worten if, ſondern auch Vorſtellungen, wenn 
auch nicht von Gubfangen, und gewaͤhrt und nur gleich⸗ 
ſam um unferm: ngefiämen ‚Verlangen nach der Erfeunt- 
niß der Sachen nachtegeben, weint Hobbes, wir fönnien 
As wohl act, was mit'citem Rauen beuannt werke, 
eine Sache mentien 2). 

. Um nım ſolche auffallend Biberfpräie: in der Lehre 
über Bernunft und Wiſſenſchaft ſich begreiſlich zu machen, 
muß man: im feine Gedanlen über die Entſtehung unferer 
Erlenntniſſe eingehn. Trot ſeiner entſchiedenen Apneis 
gung gegen die Methode Bacon's ſtimmt er über den 
Udprung unferer Exfenntniß mit-ipm überein. One al, 
les Btdenlen belennt ex fih zum Senfunlismus; Wir bes 
wertten ſchon feine. Abneigung gegen’ bie. Lehre von den 
angebormen Begriffenz afle Gedanken. kommen uns viel⸗ 
mehr von den Sinnen. Wir koͤnnen urſprüngliche und 
abgeleitete Erlenatniſſe unterſcheiden; die erſtern find finn- 
liche Empfindungen, die andern find Nachwirkungen, Eos 
pien der Empfindungen in unferer Serlt ). Hierzu ge⸗ 
Hört alles, was wir im Gedaͤchtniß. haben. CEingedent 
fein heißt nichts anderes ald empfindet, daß. man em⸗ 





substantia enim ut quae est materia subjecta noeidentibes ei 
mufationibus, sola ratiocinalione evincitur, neo tamen concipi- 
tar aut ideam allam nobis exhibet. 

1) De corp. 2, 6. 5 

2) Leristh. 1 p.9. The original of tham all (the thong 
of man) is that which we call sense, for there is no concep- 
ion in a man’s mind which has not at first totally or by parts 
bean begotien upon the organs of sense. The rest are deri- 
ved from that original, Ib. 9 p. 130; hum. nat, 6, 1. 


875 


pfunden habe. Sogar · die Grienniniß · aus Offenbarung 
erllaͤrt: daher Hobbes, wie Gampancfe, :mır aus einem 
Sian für das bernatürliche ). Emyfietung nennen: rnit 
den Sinneneindruch, wein und was. Objett desſelben ge⸗ 
genwaͤrtig ig. wenn das Obhect cutfomd Wwird/ die: ven 
ihm: erregte Vorſtellung desſelben aber’ bleibt, fie. nennen 
wir das Ginbildung, Imagination. Daß die eiuntal-erregte 
Vorſiellung du: uns bleibe; geht and: der natlrlichen "Forts 
pflatzuug der: Bewegung in bens; khewegten Gegenſtaude 
hervor, ſo mie. au das in: Newegung geſetzte Waſſer 
nicht plötlich ſtill ſieht, ſoudern ſich fortbewegt. Nur wire 
dunkiere :Emmpfindung iſt die Vewegung unferes Einhils 
bungetraft, weil: andere gegenwärtige ſinnliche Eindrude 
fie abſchwoͤchen. Bird alsdann die Bemegung. unfenen 
Einbitbungäfraftı wieber. bush: eine. fpätere Urſacht ara 
Räntt, fo: entſaeht die Wfeberrrinuenung, bie. Tpätigfet 
des Gedaͤchtniſſes, welche wie ein ſechſter Sinn angefehe 
werden kann *). Hobbes weicht iin dieſen Beſchreibungen 
ber Thaͤtigleiten, welche in unſerer finnlichen Seele vor⸗ 
gehn, von ben Lehren ber peripatetiſchen Schule nicht: we⸗ 
ſentlich ab, jegt ſich aber den Lehren entgegen, welche ſehr 
verbreitet in ſeiner Zeit allen Dingen, Empfindung beilegen 
. wollten: ; Daß alle Dinge für äußere. Eindrüde empfäng- 
lich find und gegen. fie ihre Rücwirtung haben, fanır er nicht 
leugnen, aber er. brhauptet, dag zum Empfinden noch mehr 


2) De corp. 1, 8; de cive 15, 3; Leriath. 31 p. 255. 
3) Hum. nat. 3, 13 6; Leriath. 2;. de oorp. 25, 7. 


476 
bangen empfinden und ſie alsdann beurthellen. Das er⸗ 
Mere geſchleht durch das Bebächtniß, indem wir nom unferer 
früpern Enpfladuug mu wiſſen durch eine foßgenbe Ems 
pſtudung, welche Der frühen Empfindung fih. noch be 
wußt IR). Darch dieſe Aunahme denkt Hobbed: bie re» 
Wertes. Tpätigfeit. im Grlennen · zu exfegen, . Gie feht vor» 
aus; "daß dir Sinneneindrude wicht ſogleith wirder aus⸗ 
gelsſcht werden, wenn. fie zur Empfindung: kommen ſollen. 
Beau es teine bletbende Einbrüge gäbe, fo würde feine 
Vatigleit des Gedachtniſſes fein, durch wehhe wir unfere 
Eapfiadungen empfänben. und und berfelben bewußt. wärs 
den. Das Beurteilen unſerer Empfinbdngen entfpringt 
aber etſt dutch ben Mechfet. der, Eindeace, ohne weihen 
wir fie wicht unterſcheiden und mit einander vergleigen, 
alſo tein Urtheil über fie fällen Ebunten,. Daher ſind 
teſthalten und Abfonbern ber Eindrüde für" das: Eupfin- 
den nöthig. Und da wir nicht bepaupten Können, dah 
dieſe beiden Punkte beinallen Dingen. vorfommen, welche 
änfere Eindräde empfangen, fo dürfen wir au nicht 
annehmen, daß alle Dinge empfinden 2). Hieraus ergieht 
ſich mun auch, daß eine Folge der Vorſtellungen, welche 
ſich von einander unterſcheiden und mit einander vers 
binden laſſen, bei allen empfindenden Weſen vorlommen 
muß. Hierauf beraht das Zuſammenrechnen und Abzles 
hen der Vorſtellungen, weldes wir deuten und -difcuriren 





-4) De corp. 25, 1. Sed quo, inquies, sensu contemplabi- 
mur sensionem? Eodem ipso. Seilicet aliorum sensibilium, 
etsi praetereuntium ad aliquod famen tempus manen3 (manen- 
tiam ?) memoria. 

2) De-corp. 25, 5 ng; de kom. 2 p. 18. 


Di 


Dir 


nennen, „ Wenu man dies Verftaud, nednt, fo: wird. man 
aud den Tpieren, welche Empfindung haben, wie wir, den - 
Verſtand nicht abſprechen dürfen. Es findet dabei Ratt ein 
Hervorsufen einer Borftellung durch eine andere, welche als 
eine Erinnerung oder als ein Zeichen jener angelehn werben 
Kann ?), Die Folge der. Vorſtellungen kann jedoch in einer or⸗ 
dentlichen oder in einer unregelmäßigen Weiſe vor ſich gehen; 
das erftere gefchieht, wenn bie urſprüngliche Folge der Empfin» 
durgen vorwärts ober rüdwärtd: beobachtet wird, fo daß wir 
das Frügere auf das Spätere, das Spätere auf das Frühere, 
dabei auch eingerechnet, was gleichzeitig geſchah, ohne 
Sprünge in gleihmägiger Weiſe folgen laſſen. Dies if, 
was wir Erfahrung nennen 2). Sie wohnt aud den uns 
vernänftigen Tieren und zuweilen in höherem Grabe 
als den Menſchen bei. Aber mit Sicherheit laͤßt fih aus 
ihr nichts erſchließen, denn alle die Zeichen, welche wir 
durch die Erfahrung von ber Folge früherer Empfinduns 
gen empfangen und bewahren, gewähren nur eine Bers ” 
mutpung ‚darüber, daß au Tünftig eine aͤhnliche Bolge 
ſich ergeben werde. Es laͤßt fih erwarten, daß Ähnli⸗ 
ches wiederkehren werde; aber wenn wir auch immer Tag 
und Nacht einander haben folgen ſehen, fo dürfen wir 
daraus doch nicht fließen, daß es immer fo geweſen 
oder daß es immer fo fein werde. Erfahrung. giebt 
Klugheit, aber nicht Weisheit, nicht Wiſſenſchaft. Nim⸗ 


4) Hum. nat. 4; Leviath. 2, 3. Mental discourse. 
2) Hum. nat. 4, 6. Experience — is nothing else but re- 
membrance of what anteoedents have been followed by what 


consequenis, u 


er 


Ars 
wende 1 om dr in almles Erin 


weh . 
Diefe fenfuaitige Erklarung unferer Erlenntniß führt 


alſo doch aur zur Wahrſcheinlichleit, welche eine kluge Er⸗ 


wartung bes Bufünftigen uns gewaͤhren könnte. Dieſer 
Mann, welcher in feinen Lehren mit ber größten Zuver⸗ 
Ft auftritt, ruht doch im allen feinen Behauptungen 
auf einem fehe ſleptiſchen Grunde und ik ſich befien 
wohl bewußt. Won ber natheligen Wiſſenſchaft, weiche 
aus unfern ſianlichen Bäpigleiten uns zuwaͤchſt, iR es ger 
fagt, daß alle Wiſſenſchaft und aller Verſtand bes Den 
ſchen nichts anderes iR als ein Tumult unferes Geifes, 
der von ben äußern, unfern Sinn brüdenben Gegenſtaͤn⸗ 
den und erregt werde). Wir fehen wohl, warum er 
der Methode Bacon's nicht vertrausm lann. 

Aber hierbei fann er nun doch nicht ſtehen bleiben 
uns nur Mutpmaßungen und Wahrſcheinlichleiten zu ger 
Ratten, Er kennt die Gewißheit der allgemeinen Säge 
aus der Matpematit, deren Methode er verehrt. Dapır 
greift er zu meuen Unterſcheidungen. Zeichen und Namen 
find: von verſchiedener Art. Die Zeichen find von natür⸗ 





1) Leviath. 3; hum. nat. &, 7 sqq.; 10. For though a man 
have always seen the day and night to follow one another 
hitherto, yet can he not thence conclude they shall do so ar 
bat they have so eternally. Experience concladeih nothing 
universally. If the signs hit twenty times for one missing, a 
man may lay a wager of twenty to one of ihe event, but may 
mot conclade it for a truth. Ib. 8, 3. 

2) De cive 15, 14 p118, Quae (sc. scientia et inteleeins) 
in nobis nibil aliud sunt, quam suscitatus a rebus extornin om 
‚gana praementibus animi tumultus, 


lichem Urſprunge, von derſelben Art, wie die Stepkiter, 
wie Wilhelm son Occam fie beſchrieben hatten, erimernde 
Beiden, wie die Wolfe an’ den Regen, wie der Seufzer 
an ben Schmerz erinnert; fie find nicht in unferer Gewaltz 
bie Namen dagegen find willkürlich, in unferer Gewal 
und fönnen daher ganz nach unferer Wilifär gebraudt 
werden; fie geben uns Kennzeichen der Dinge ab, d. h. 
der Borftelungen, welche wir früher in uns gehabt has 
ben und durch ihre Hülfe bringen wir aud unfere Bors 
fellungen in unfere Gewalt, indem wir durd fie an dies 
felben erinnern, fo daß wir in jedem Augenblide im 
Stande find. die Vorfiellung uns hervorzurufen, welche 


mif dem Nanien verknüpft if. Erft durch dieſe Erfindung’ 
der Ramen werbem wir befähigt eine nach unferm Willen \ 


georbnete Folge ber Vorftellungen hervorzubringen 2). 
Indem wir fo bie Folge der Borflellungen in unfere Ge⸗ 
walt bringen, machen wir fie auch uns erfennbarz denn 
mur das ift erlennbar für uns, was in unſerer Gewalt 
iſt). Die Worte, deren Bebeutung wir nun einmal 
feſtgeſetzt haben, dienen alsdann unſerm Gedaächtniß und 
bringen es hervor, daß wir nun für immer etwas ausſa⸗ 
gen koͤnnen, weil wir einmal beſchloſſen haben, daß der 
Name dieſe Bedeutung haben und daß zwei oder mehrere 


Namen für dieſelbe Sache fein follen. So gilt der Sag 
ohne Ausnahme für immer, daß der Menfc ein vernünf- 


1) Notae und signa werden unterſchieden; die Namen werben als 
notae gebraucht, zuerft für uns felbft zur Erinnerung, alsdann aber 
auch zur Mittheilung für ander, Ham. nat. 5; de sorp- > u 3 
de hom. 10, 1; Leviath. 5 p. 112. 

2) De hom. 10, 5. - 


tiges Tpier it, weil wir fegefept haben, daß Nuih 
und vernünftiges Thier uns basjelbe bebeuten ſollen. 
Yaf diefem Wege gereinnen wir ewige Waprpeiten; denn 
der Name bleibt und. behauptet feine Bedeutung, wenn 
auch die Sache, welche dadurch bezeichnet wird, gar nit 
vorhanden fein folte). Wir gewinnen dadurch auf 
allgemeine Wahrheiten, welche für alle Bälle gelten, weil 
die Worte, welche wir. einmal für alle in einer beſtimm⸗ 
tem Bedeutung feſtgeſtellt Haben, eine unendliche Bedew 
tang haben). Bei biefer Erklärung, wie wir zu ber 
Aveſage allgemeiner und ewiger Wahrpeiten gelangen, 
bleiben bie Sachen ganz außer Spiel; denn es handelt 
ſich in ihr nur um Namen, dur welche wir andere Ras 
men zufanmenfaffen und welche wir alsdann von biefen 
Namen allgemein ausfagen können 5). Diefe nominalis 
ſtiſche Denkweife über die allgemeinen Begriffe oder Worte 
wird von Hobbes ohne weitern Beweis angenommen. 
Es giebt nit Allgemeines außer Namen. Hobbes geht 
hierin noch weiter als Nigolius, indem ex auch das Ganze, 


4) Obj. in Cart. med. p.91. Etsi nullus angulus existeret 
in mundo, tamen nomen maneret et sempiterna erit veritas 
propostionie its, riangulam ent habens tres angulos duobus 
rectis aequales. 

2) De corp. 6, 11. Ohne Worte würden wir für einen jer 
den befondern Fall befonders unterfuchen müffen. Id, quod per vo- 
cabulorum usum, quorum unumguodgue universale singulariam 
rerum conceptus denotat infinitarum , necesse non est. 

3) Ib. 2, 9. Est ergo nomen hoc universale non rei alicu- 
jus existentis in rerum natura neque ideae sive phantasmatis 
alicujus in animo formati, sed alicujus semper vocis sive no- 
minis nomen. Ih. 2, 10, wo auch die nominaliftifcje Terminologie 
nomina primae et secundae intentionis angewendet wird. 


2 


welihes durch ben; allgenseinen: Rumbi-iyadiileigufaht 
werde, nicht weiter in Betracht zicht, ſondrrü aure inbis 
vibuelle Dinge in der Weile der ſchblaſtiſchen / Moulinals⸗ 
ſten als das Wahre in. den Weit: anerkauntwiſſen null 
Er. bedarf nun natũrlich. auch Teines beſondern Verindgund 
unſerer Seele: für die Grleuminip. dee: Allgerheikeny: fon 
dern der Verſſand ii: engem Sinne,n wit en;.mar..ben 
Menſchen zulommt, iſt ihm nar / eine Nhaͤtiglekt bes Eine 
bildungokraft, welthe die Bedeutung bes Ramen ſich merkt 
und verſteht 23, .::Auf! deeſe Meifenertlärti fich ihm, “wis 
Dior Menfcpen yzürieinenı "aflgemeinen Wiſſtuſch aft gelangen 
können, under drr Borausfegung ‚ daß ſienzun einer ÜBerk 
eintunft über die Vebdeuung dar / Namen Fomnet., {weis 
lich der ſchwierige Panlt, wie /eine ſolche unter⸗ ihurn ſigß 
bilden moge wird⸗ von ihm ſibetzangen⸗ 11409. ui.“ 
Da jeboig: hei':biefer Ertläͤrung Bes Wigfenfihaft nichta 
fur / die Erlenniniß der Sachen abfaͤllt;. ſicht: ſuh Hobbae 
gendthigt· noch zw · einer andern Vorausfetzung⸗ ſelus · gu ⸗ 
flucht zu nehmen. Er gehti dadon aus die Enwpfindung als 
die Grundlage aller· Erleuutniß gencuern zu⸗ umtetſuchen. 
Nach ſeiner Weiſe bagmmbrrgimit einer Erllaͤruug derſelben 
Um fle:zu verſtehn uni ſſen wir jedvch· bemerlen, iidaß er 
hietmit!-einen nenen Anläuf in der Eatwickſungn heiner 
Gebdanlen nimmt. Die MPhiloſophie verfolgt past vorſchie⸗ 
dene Methoden.v Die reine:gept: von dex Entſtehuug auq 
und zieht aug ihr die Folgerungen oder Birfungen; „die 
andere. oedi. Boah irfungen, aus und. Aa ‚haiaus 
1) Ham Dat Fr & Nothing. universal kur num 
4 p. 108. Eure Be Te 
2) De ;corp. 2. Mi u ine on ne ns 
Geſch. d. Philof. X 








Vie mögtiher-Mintfiehung ober bie moͤglichen Unfacen ab. 
Die erſte Methode wird von der erſten Ppilofophie, von 
der. Mathematil und von der matpematijchen Mechanil 
beobaihtet, bie ‚andere. non: ber Phyſil. Im jenen Bil 
fenfaften::paben wir es mit den Namen und Definitiss 
men, welde wir ſelbſt made, und mit ihren untrüglien 
Folgerungen zu thunz .in ber Phyſtk dagegen ‚gehen wir 
‚ von ben Phänsmenen :oder Wirkungen der Natur aus, 
. welche und. durch dies Sinne bekannt find; dieſe haben. wir 
nicht in unſerer Gewalt und bie Principien baher, von 
welden wir in ber Pyyſik ausgehen muͤſſen, werben auch 
nicht: in allgemeiner Weile von uns feſtgeſtellt werden 
Lingen ,.fondera wir beobachten ſie nur als eimas, mad 
im Beſondern u votkommt ober was in feiner Einzelpeit 
vom Schöpfer der Welt hervorgebracht worden iB.N. 
Daher Haben. init auch von der Matur nur geringe Erlennt ⸗ 
29 und ihre Erllaͤrung Fans: nur Moͤgliches und Wahr⸗ 
ſqeinliches, aber nicht Nothwendiges aufftellen 3." :Das 
urfprängliche Phänomen, von welchem alle natürlicge Er⸗ 
tenntuiß ausgehn muß, if: um! bie Empfindung. Wir 
erfahren; .daß.bie Worfellungen in uns ſich ändern, je 
nachdem ‚die Sinnenwertzeuge zu biefem oder jenem Ger 
genfanye gewendet worden. ‚Daraud erkennen wir, daß 
vie Empfindung eine Veränderung bed empfinbenden Koͤr⸗ 
pers feid). Wit die Empfindung,-fo auch das Denten, 
„De corp. 25, 1. Principia igitur, "unde pendent, quao 
sequuntur, non facimus nos neo pronunelsinus ‚universaliter ut 
definitiones, sed a naturae conditpre ih ipsis rebus posita ob- 
servamas,.nec universaliter prolatis, sed dingulis ulimer. 
2) De hom. 10, 5; de oorp. 1, 5. 
3) De corp. 25, 1. Ad hanc autom inquisitienem condacit 








‘ 483 
wehrt aus.ihr herpargeht. ı Dafer :katund, Hobbes ver 
Adudig darauf zurũck, daß Empfinbung und / Deulen nur 
Beraͤnderungen des Koͤrpers find. Es berußt. hierauf fein 
Melerialieums, d. h. ſeint Lehre, daß: allea lorperlich ſei, 
was wir in und ober ‚außer: uns erlennen koͤrnen. Sub ⸗ 
ject der. Philoſophie iſt ‚ber: Koͤrper, melchen: einer. Veraͤn ⸗ 
derung uerworfen iß. Jede Wiſſenſchaft hat der Koͤr⸗ 
per zu ihrem Gegenſtande De Selbſt der Puntt muß ihm 
daher ‚eis: Möuper.. fein-unb “nicht wenigen die: Linis und 
bie Flaͤcht. Er rechnet es den. Mathemetilera als ichler 
au, daß fie. biefe: Grenzen: „des Koͤrpers aldı cas Unloͤr⸗ 
pexliches angeſehn, daß fie fogar ı die Untheilbarleit des 

- Punktes; behauptet. haͤtten. Der Punkt iß..igmnne cin 
Ungetheilies, micht sein Untheilbares; ex bezeichnet, nur den 
Möxper, deſſen Gräfe; nüht in. Beirat Tom, und ‚in ' 
ahnlicher Weife Speicher Fch. and Aber ‚Binie-and, Flaͤcht 
auge?) Es iſt nur. ein. Jerthum der Philofoppen. wenn 
fie. das Abſtracte fürsfüß, den ‚Gedanken: ohne: Den, den⸗ 
Barden: Wryer, deuten wollen Ds. Jedes Subieat:iß; Kür 
port dem Gedanlen köͤnren ir wirkt won: heykenfonden 
Moittie trennen 9, 1 Des Weifl “ nichts "außen: einen, Ber 
ed 1 in voii ννν e 
prünsdlocd tnbadrvara: planthimatg:moniia rtyn Jeseiskinpdr za« 

4;mova ‚abinde, ogifi,qt zeigen, © —— Are 
modo, in naum, modo in aliud öbjeotum® Conver- 

1" "&enerattilt” erid' el’gelehnt;"" &x'qub Ahtelligitur esse 

a eotpoti⸗ aenuantis maias ag. sein 

1) De carp. 1, 8; exam. et em. math. had. p. 19.- 

2) Exam, etıam,.nıaih, hedı;pi26; 39. Pupeium est’ gor- 
pus, \cajus non consideratiui we quantitas, In. A, 
3) De:corp. 3, 4. en J 

4) Obj. in Cart, med. p. 81. 























' Asa 
wegung in gewiſſen Teilen des orgoniſchen Körpers’). 
Bir wiärden diefen Saͤtzen vieleicht Tnchr vertrauen fin 
nen, wenn fie niht auf bie Empfindung :afs das wrfprüng 
liche Ypänoimen zurüdgeführt · wurden. Aber Hobbes ſelbſ 
belehrt uns, -daf die Gubflanz, als welche er den Kin 
per anſieht/ wicht darch den: Sinn erkannt, fondern dard 


die Verauaft erſchloſſen werde; er behauptet basfelbe von 


der Materie, welche den Veraͤnderungen unterworken fei, 
und von. berermpfindenden Seele ). Man wirb ſich du 


her ſchwerlich der Folgerung entzogen: fönmen, daß bie 


Behauptung, die Empfindung und das Denten ſeien Ver⸗ 
änderungen bes empfindenden und denlenden Körpers, nur 
aus :der Annahme eines willkurlichen Spracgekauds 
fließe, da Hobbis gleich neben ferien materialiſtiſchen Sag 
den allgemeinen Grundfag feiner Erkenntnißtheorie Pell, 
daß die Bernunft nichts don der Natur. der Sachen, ſon⸗ 
dern nut: ehwas von ihren Namen erſchließen koöͤnne 9. 

: -Dafer:treuzt ſich denn auch in dleſer phyſiſchen Lehre 
in der Dhaet in ſeltſamer Weiſe der ſteptiſche Sinn: .deö 
Bobbes ·mit ſeinen [ehr dogwatiſchen Behauptungen.· Dan 
ſollte neinen er haͤtte gegläubt den letztern um Jo: freien 
Raum geben zu dürfen, je problematiſcher ihm überhaupt 
das Gebiet · der Phyfit: iſtznn auf· owelches feine Erllaärung 
ver Ercſindung nut vs" Dentens whs' rufe: "Aber feine 
Säge werden doch zuch cher it, eifigt fo. iberfigti 
den Überzeugung. ausgeipepgen; Daß man lam un) 
— 


ran ses Dom 








1)"1.-9.83: !Mens. aihil:aled orit prasterquam' ring in 
partibus geiblisdetn esrpotis‘ ohgemiai,“i ."i 1 - 
2) Ib. p. 81; 86; 87. 5 
3) Ib. p. 83. ea he 
J 








, a0 


men Tann, daß ex des ſleptiſchen Brundes aller feiner, 
Lehren ſich durchgaͤngig bewußt geblieben ſei. Seinen. 
phyſiſchen Erflärungen legt er allgemeine @rundfäge uns. ' 
ter, welche Hlingen, als ‚machten, fie auf mehr Anſpruch 
als Moße Namenerfläraugen-zu fein. An der Spige. ders 
felben fleht der Satz, daß nichts feinen Anfang nehme, 
won, fih ſelbſt, fondern von der Thätigfeit einer andern, 
unmittelbaren Urſache außer ihm felbft jedes anfangen, 
müſſe zu fein. Diefer Gag wird alsdann auf das, . 
Körperlispe angewendet. Kein Körper Tann fih felbf ber 
wegen ober in Ruhe fegen; ber Körper, welcher ſich be⸗ 
wegt, wisd ſich immerfort bewegen, der Körper, welcher 
ruht, wird immerfort ruhen, wenn nicht ein anderer Kör⸗ 
per Ruhe oder Bewegung in ihm hervorbringt, und zwar 
muß der: letztere mit dem erſtern unmittelbar im Raume 
in Retiger Berbindung ſtehn 2). Mit diefen Sägen vers 
bindet fi ein anderer Sa; daß feine Urfade etwas ans. - 
deres in einem andern Dinge, pervorbringen könne, als was, 
ihr beimopnt, und es wird babei vorausgeſetzt, daß jebe, 
wirlende Urfage nur in Bewegung wirkt und alfo auf, 
aur Bewegung hervorbringen lann ). Alles wird daher 
nur in Bewegung und jede Beränderung der Dinge läuft, 





n Offiberty and mecemity p. 483. Nothing takeıh begin- 
ning from itself, but from the action of some other immediate 
agent without itself, 

2) Propl. phys. 1 p.7; de Lorp· 8,19; 9, 2; 30, 2. Eis 
nem.gefpaffenen Körper eine Kraft beizulegen ſich felbft zu bewegen 
würde heißen ihn vom Schöpfer unabhängig machen. 

3) Ham, nat. 2, 9 Nothing can make any thing which is 
not in itself etc. 


a46 


auf Bewegung ber Theile des Körpers hinaus 9... Die 
formalen und Endurfachen find daher and) aus der Ru 
turlehre zu entfernen und auf die Bewegenden-oder wir⸗ 
enden Urſachen zurüdzufähren). Die Anwendung biefer 
Säge auf die Eiflärung unferer Empfindung ergiebt ih 
mm opne Schwierigkeit. Da bie Fnnlihe Empfindung ' 
eine Veränderung bes empfindenben Körpers ik, fo Tanıl 
fie nur hervorgebracht werben durch bie Bewegung, durch 
den Drud eines andern Körpers auf den empfindehben 
Körper, diefer pflamt fi alsdann tard die Ginnesor- 
gane und die Rerven fort bis in das Janerſte des Ichen- 
digen Weſeno, erfährt aber von ihm eine Gegenmirkung, 
weil jeder bewegte Körper dermöge der Bewegung ober 
bes Strebens nad, Bewegang, welde ihm beimohnen, 
Widerſtand leiſtet. Wenn biefer eine Zeit Tang dauert 
undſtark genug iſt um eine dleibende Rachwirkung zuräd- 
zulaſſen, damn ergiebt ſich die Vorſtellung, welche durch das 
Streben nach außen ein Bild des außern Gegenſtandes uns 
entwirft 3). Die Empfindung iſt alſo eine Bewegung des 
empfindenden Loͤrpers, nicht ſowohl des Sinnenorgans, 
als des ganzes Thieres, eine Bewegung welche von außen 
erregt nach außen zurückwirlt, und die Vorſtellung des 


1) Probl. phys. ded.; exam. et em. math. hod. p.56; de 
comp. 9,9.  . 

2) De corp. 10,1. -—  - | 

3) 1b. 25, 2. Sensionis immedistam causam one in eo, 
quod sensionis organum et tangit et premit, — — Sensio en | 
ab organi sensorii conalu ad extra, qui generatur a conatu | 
ab objecto versus interna eoque aliquamdiu' manenie per reac- | 
tionem factum phantasma. Ib. 3. Si reactio satis fortis ail, | 
‚efcit phantanına, 


“a - 

äußern Gegenſtandes iſt · nichts anderes als bie: Iehte Wire 
fung dieſer Beivegung ; fie unterfeibet: fih ‚von ber. Em- 
pfindung nur wie das Gewordene nom Werben })..... Diefe 
Erklärung wird noch durch andere Annafinen ergänt, welche 
auf Beobachtungen des phyſi ſiologiſchen Proceſſes beim 
Empfinden ſich gründen. Hobbes nimmt an, daß die Be- 
wegungen in der Empfindung, man ben Sinuenwerlzeugen 
nad dem Gehirn ſich fortpflangen . und - von da bie zum 
Herzen dringen, welches erſt die Gegenwirkung nad aus 
fen leiſtet und daher für das Organ des Empfindens fo 
wie überhaupt des Lebens angefehn wird 2), 

‚Hierbei bleibt ſich nun Bobbes ſehr gut bewußt, dah 
alles in unſerer ſinnlichen Vorſtellungsweiſe nur Bewe⸗ 





gungen darſtelle, wenn auch nur kleinſte Bewegungen, 


welche für Ruhe genommen werben; von ſolcher Art iſt 
+2. das Streben nad; Bewegung 3. Daher will er 
alles aus Bewegung erflären und die Phi ioſophie ift ihm 
nichts weiter als Erlenntuiß der bewirlten und ber be⸗ 
wirtenben Bewegungen in ihrem Zufammenhang 9 Nur 


4) 1b. 25, 3. Phantasma enim est sentiendi acius nequo 
üffert a sensione aliter, quam feri difert a faclım. en, quae 
differentia in instantaneis,nulla est, Fit autem phantasma in 
instante. \ J J 

2 lb. 25, 4; 12. 

3) Ib. 15, 2. Constum esse malum per- apatiam et tempus 
minus, quam quod detur, i..%. determinetur sive expositione 
vel numero assequsiur, i. e. per punclum. Xuf conatus unb 
nizus täuft daher ein großer Theil feiner Mechanik hinaus, MBabet 
wird überall fo wie Fein untheilbarer Raum, fo auch keine untheil— 
bare Zeit angenommen, ‚damit alles. auf Quantität zurüdgeführt wer⸗ 
dem konne, wenn auch auf Heinfte, d. h. undertchendare Quantitt. 

4) Ib. 1 2;25,1. , Baer 


288 
eine Kette von Wewegangen koͤnnen wir erkennen. In 
der. Geometrie fol daher auch alles ans ber Entfiehung 
der Figuren abgeleitet werden; jede Figur iR etwas, was 
auß einer Bewegung hervorgegangen 2). Nicht anders 
iſt es mit den ſinnlichen Befcpaffenpeiten, welche wir 
wahrnehmen. Sie find nicht etwa Eigenſchaften, welche 
den Koörpern außer uus beigelegt werben bürften, ſondern 
nur Eiſcheinungen, welche auf Bewegungen unferes Ins 
nom beruhn und hervorgebracht worben find durch andere 
Verseguingen des Außer. Daß fie uns Gigenfchaften 
der Körper zu fein ſcheinen, AR der Betrug bes Siunes, 
von welgem Hobbes mit Bacon fagt, daß er durch den 
Sinn verbeffert werben müfjeN). Alle Verſchiedenheit 
der Körper läuft daher auf Verſchiedenheit der Bewegun⸗ 
gen ihrev intern. Theile hinaus 5) und die finnliche Em⸗ 
pfindung iſt ungenau, weil fie zwar das Ganze der Be: - 
wegungen {n unferm Innern darſtellt, aber doch die ein⸗ 
zelnen Bewegungen, welche man unterſcheiden muß um- 
ihre Urſachen erfehmen zu Ternen, nicht zur Unterſcheidung 
bringt 3). In ber Reife dieſer Folgerungen ergiebt ſich 
nun, daß alles, was wir vorftellen, nur auf Erſcheinun⸗ 
gen d.h. Bewegungen binausfäuft. Befonders am Lichte 
und an ber Farbe fucht er nadzumeifen, daß fie in Be⸗ 


)1.6,4 . . 

2) Hum. nat, 2,4 sqq.; 10. And from hente also it followeth, 
Ahat wathsoever accidents or, qualities our senses make us think 
there be in the world, they be not there, but are seeming and 
apparitions only. The things that reeBy.are in the world without 
us are those molions by which these seemings are caused. 

8) De corp. 21, 5. 

4) 1b, 6,2, 


" wegungen beſtehn, welche in unſerm Innern von außen 


erregt werdenz fur Adeidengen der Dinge werben: ſie nun . 


faͤtſchtich gehalten; ſie ſind nar Dilder, die in ber Be⸗ 
wegung unferer Einbildungekraft ſich drzeugen Y. Er 
ſpricht es alsdann auch ganz im Allgemeinen ans, daß 
Bewegungdir einzige Urſache ſei und daß wir fir uns 
mittelbar ertennen ), weil fle im Urphaͤnomen, der Em⸗ 
Pfindung, von uns erfannt wirb; Es bleibe hierbei nur 
weideutig/ 0b er meint, daß dieſe unmittelbare Erleunt⸗ 
niß, welche et und zuſchreibt, eine Erfenmtnig ber Bes 
wegung überhaupt als der allgemeinen Urſache ober nur 


der befondern Bewegung if, wie ſie fo eben in der Em - 


pfindung ſich beglebt. Das Teptere wurde richtig: fein; 
wenn man den Begriff der Bewegung in der allgemeinen 
. Bedeutung nimmt, in welchem Hobbes ihn geltend macht; 

‘das erſtere dagegen entſpricht der allgemeinen Theorie, 
welche er für die Erflärung ber Erſcheinungen aufſtellt, 
fireitet aber “freilich mit feinem Sage, daß wir immer 
nur Befonderes unmittelbar erfahren und erfennen:Fön« 
nen. Dabei aber ift Hobbes fich fehr wohl bewußt, daß 
alle die Bewegungen, welche wir in unſerer Empfindung 
haben, nur in uns gefunben werben, und den Gebanfen 
an das Auere leitet er nur ‚baraus-ab, daß wir durch 
die Gegenwirkung gegen den äußern Eindeud nad außen 


ung bewegt fühlen und deswegen bie Vorſtellung eines .. 


Außern uns bilden, auf welches wir alsdann die Erſchei⸗ 
nung übertragen, obgleich fie- nur in uns vorhanden iſt 5). 
1) Do hom. 2 7.9. j 


2) De corp. 6, 5. 
3) Ham. nat, 2,9. Ara — end that as im 


0 B 

Um: biefe völlige Eubfectivität aller unſerer Vorſiel⸗ 
bangen uns auſchaulich zu wachen bedient fi Oobbes nad 
einer Boransfegung. Er nimmi an, daß alle Dinge. aus 
Ber une vernichtet wärben unb nur ber denlende Meunſch 
übrig bliebe. Diefer würde alsdann doch mit feinen Bor 
ſtellungen reinen; denn bie Bewegungen feiner Gedan⸗ 
len würden doc bleiben; er würde auch dieſe Gebanfen 
außer ſich herausſtellen, weil er wohl wüßte, daß die Bes 
wegungen in ihm nicht von der Kraft feines Geiſtes ab⸗ 
Vingen, Er würde fi daher eine äußere Welt vorſtel⸗ 
en, wie er witklich gegenwärtig eine ſolche ſich benft, 
obgleich er niemals. aus ſich herausginge, ſondern Immer 
nur’ mit feinen Vorßellungen beſchäftigt bliebe 1). Die 


äußere Welt aber würbe er im Raum ſich vorſtelen wüß- " 


fen; benn ber Raum iß nichts anderes als bie Worfelung 
einer Sache, welche erifict; fefern ſie exiſtirt ). Im 
dieſer Erklärung. wird nicht berüdfihtigt, daß bie Vor⸗ 
ſtellung des Raumes doch nur von ber Vorſtellung eines 
außer uns feienden Dinges abgenommen werben ſollte, 


vision, so aleo in cogceptiaus that arise from other senses, the 
subject of their inherence is not in the abject, but in the 
sentient. 

+1) Ib 1, 7, de corp. .T, 1. - 

2) De‘corp. 7, 2. Jam si meminerimus seu phanlasma ha- 
buerimus alicujus rei, quae exstilerat ante suppositam rerum 
externarum sublationem, neo considerare velimus,: qualis ea 
res erat, sed simpliciter, quod erat extra animum, hebemus 
BD qnod »ppellamus spatium, imaginarium quidem, quia me- 
ram phantasma, sed tamen illad iplum, quod ab omnibus sic 
appellator. — — Spatium est phantasma rei existentis, qua- 
tenus existentis. Daranf folgt die Erklärung der Beit (ib. 3), welche 
phantasına motas iſt. 


a 
unfträltig am uud? beni Gedenlen· uuſeres Geiſtes unter 
den Gedarlen / der raͤumlichen Dinge: unierbriugen zu füns 
wen, Hobbes:zieht hieraus daßo bienallgemeknfien: Arien 
ber: Phanomene Vewrgunt: und Größe ſind, neinlich rät 
liche Sroͤße, welche bie Geometrie unterſucht 3, uud: es 
ſcheint ihm hierdurch feine: materieliſtiſche Auſicht gerecht · 
fertigt, daß wir: alle Erfheinungen alo Erſcheinungen, 
welche an Korpern vorlommon / zu trembert haben ). Doch 
gteift hierdel unſtreitig auch :ein allgemeiner Grundſat 
der alten’ Metaphyſthurit ein; won deren Einflüffen Habe 
bes nicht vollig ſuh befreit hat. Er überlegt, daß wir 

- jedes Aecidens einer Subflang.beilegen müffen; ſolche die 
Mreidengen :tragenbier. Subſt anzen find die Dinge, welche 
wir «16 außer unſerer Einbifbungetraft: im Raum’ aid 
gedehnt und alſo :ald Körper uns denken mäffen 5). Min 
ſedes Accidens iſt daher nur‘ die Weiſe eines Körpers 
undebenſor iſt auch jede Urſache, d. h. jede Bewegung 
nur: als Accidens eines Ebrperso zu betrachten ). In 
derſelben Richtung behauptet Hobbes, es ſei richtiger zu 

asin/ wir ſaͤhen vie So, als wir fühen ‚das Sit 





N Exam, e4.gm, math, nod p D 

2) De corp. 1, 4. Effectus autem et phdenemena sunt cor- 
porum Tadlıkates re Potehtiael 
i .8) De worg"8, 1..° "Die Annahme einer Brenichtung der aufem 
j. necengg exgq est, ut creatum illud 
‚non modo veeupei aliquam, dicti spati partem 

idat &t codxtehdatur, sed etiam bang aliquid, 






quod appellari solet propter extensionem quidem corpus, prop- 
ter independentiam aulem a nostra oegilätione aubalstens ‚per 
se, — — suppositam et subjectum. 2. 

4) 1b. 8,2; 9, 8. 1 


w . 
ober die Barde, müb:winiempfänten bie Mörper, als wir 
empfänden bie Aecidengen dexielben.2), obwohl. er nicht 
vetlennen Sana, Daß eigentlich nur die Wirkungen ‚ber 
äußern Dinge, die Bewegungen in. umferm :Ianeın, vom 
und empfimben werden. Erſt durch dieſe Unterſchiebung 
der bewegenden Subſtanzen unter bie Bewegungen, welche 
wie in und empfinden, und buch jtae Üservagung der 
Borſtellung deb Naumts, weiche · mer. in unſerer Einbils 
dung ſich findet, auf den Gedaunlen der äußern Dinge 
und alebaan auch auf unſern Bei fommt Hobbes zu 
feinem Materialiemus.  €6 iR um fo offenbarer, daß 
er hierin weit über die. Brundfäge feines Senfualismus 
Vinausgeht, fe eitſchitdener er ſich dafür ausfpricht, daß 
wir die Identitaͤt der Dinge, von welcher doch der Bes 
griff der Subſtanz abhängig ik, nur in relativer Beden« 
tung anzunehmen haben ?), :und je deutlicher er auch 
"darüber fh iR, daß der Begriff der Duantität, welchen 
er nur anf bie raͤumliche Ainsbepnung Bereht, eins telas 
tive Bedeutung habe 5). J 

Wir werden nun wohl nicht derau wWeiin können, 
daß ex die Borauefegungen ber mechaniſchen Phyſik find, 
welchen Hobbes folgt, indem er über die Grundlagen feis 
nes fubjectiven Senfualismus fih yereigt, - ‚In, ‚der uns 


mittelbaren Empfindung ber Berändesungen- in anferm . 


Innern ‚findet ex den erſten Antnupfungspuntt für unfer 

Denen. , Es ſteht ihm aber ale allgemeiner, Grundſatz 

feſt, voß. jede Veränderung eine Bewegung im Daum feiz 
1) 1.25, 3. \ ö 


2) Mb. 11, 7. 
3) 1b. 12,2; 13,1. 


vide Tank Rund: die Weudadeneugu: melche Sein. in; mie 
empfenden, ‚nuv:iin: einer: räumliches Bewegung, heſteha. 
Auth· zilt· ihm / betnallgemeine Grundlad, daßze jede Bewe⸗ 
ding einebewegte Subſtanz vorausſetze, welche glaich 
der Bewegeag, im. Raum fein muß, autgebebnt in ibm 
weil alles im. Raum /ausgedehmt, iR,ıdeit Nuntt fonderr 
ein Koͤrpet. Hierauf beruht die Foren aller unlerer Auge 
Tagen, welche ebbes, wie ſehr er auche gegen alle allge ⸗ 
meine, obfsctiv gültige: Orundfäge fi: Aaͤubt, dennoch 
als algemeined:@efeg für allessunfen:Deufen anerlenn 
Da fegeniwirinun in :jedem Gage witer.dem æinen Rar 
men vie oonczete Sache und. legen tr unter; dem ander 
Namen ihr Acridens bei; Diefeß:fomamd und gehk.im Werke 
ſel der: Bewegangen, wärend : die. Subſtanz, der ausge⸗ 
dehnte Korper, ohne ;Weränderäng .leiht undı nicht: ver⸗ 
gegn: kann 9.1: Daher: wird muh PerlBrundfog: behauptet, 
daßzudie Materie vder / der Käfpehıweher vermehynt iuoh 
vermindert / werden tantl 2). :i Mumie: Acejdengen / oben; Ber 
Wegungen gehen · von adran rinen⸗ uf/ den andern Körper 
üben, indeia der bewegende. Korget feine: Beweguug 
anf: dei! veweglem rabertraͤgt.n Da, haben wir dern Pie 
Prouditato / /weicherĩ wir fen; Subfeoteni.ıbeifegen ‚:inldrnig 
Veſa hen mahufchn/welche Mie Bewegung hervorbtiugan dd, 
undes lädt vſich An: der. Wekt:kigerzufammenhängenäe 
Rittei von! Bewegangen, ausmeiderimllesı erktärt enden 
muß. Im Zufammenhange ber Eefgeinungen entſteht 


ad. Don ie u NUR] 





)1.3,3 * 
2) Ib. 6, 8; 8, 14. Die erſte Materie 2 auge Kup. Alle 
gemein genommen. Ib. 8, 4. , 
3) 1b. 3, 3. 








Mine Thatigkeit/ zu wegen wit‘ die; ange: Siehe: der .Ber 
wegunges der Die Kanye: Matur miktwittte.1). Dahar iR 
auch alles in der. Veltnnothwendig und: nur beziehungs⸗ 
weiſe Köunen wit vomsarmae :Befkäägen fpseihen3) „dir 
Utſacht über, now wähher: alles abhängt „haben wir is 
dem · Zuſaluminſonmen: aller der Accidenzen zu. huchen, 
weiche ſowohln din Aätigen als im Weibentien Koͤrper lie⸗ 
gen’®)..- Be. ſehon in / der Erflärungsunie ,hwelche hier 
eingeſchlagen wird eine · Reihe von allgemeihen Gruude⸗ 
Fügen zuſammentteten, welche Hobbes vnßreitig aus ben 
Geſeten unſeres : Vreſtandes fdhöpftz: bag: fin wlllkir 
A: vurch unſern Sprachzebrauch „fi ———— 
were mom wohl werlidh zugehen Kinmeim.; an 
:"Spnen- folgmb -Gberläßt er. ſich nun ganz eier me 
—8 kehrweiſe. MDer Meiſch/ an doſſen Ewpfin⸗ 
Owen unſere: Keuntniß ivon ber: Ketle Der. Bewegungen 
A: ahfließt, Hi: nach Hchbes: ein⸗ Junſtlich. guſammen⸗ 
gefepteb: lebendiges Wen,  tiner: Maſchine / vergirichbar··). 
n ·welcher das Herzieinen@pringiedergebin Mrruen Bän 
Ber; hle Belenfe Räpen: verkraften In / dieſer Maſchint 
dot der Ooiſ als ine Beivegeäde: Mani fehti Gtelle; aber 
wc: mar. durch äußede Bewegungen: feinehbewegende ſtraft 
hun.» Brgyes bie Einnahme non @htigenn . melde 
Hein. Norper wären; firekttd: Hobbes fehr seifgig >. @eiß 
: m 2 Akdernkiraßh: "ee mathe Rärpee: var⸗ ſolchez 
eins Ba TE Ha en u, 
1) Ofliberty and nec. p-48t. 
2) De corp. 
“3 — Ai 


4) Leriath. p. 
5) Hum. nat. 6, 9. 










—ELE 
41,848 ,8 






. 


aeð 

Seuheit / daß er micht auf die Sinne wirlt. Deig ik 
eine Setle annehmen dürften, „melde, ganz. in allen. Thei⸗ 
len des ‚belebten, Körpers gegenwärtig. wäre; if eine Un⸗ 
gereimtheit. Die Annapane. unloͤrperliches Geiſter iſt Hob " 
bes geneigt. quf_die, Macht der Kinbiunggkraft zurüchzu⸗ 
führen, . welhe-im der heidniſchen. Religion ſehr groß ge⸗ 
weſen waͤte, und die chriſtliche Lehre. von. mnförperlichen 
guten und :höfen Engeln leitet : er aus Überbleibfeln der 
heidniſchen Finſterniß ab 3. Selbſt Gott haben · wir wicht 
für unlorperlich anzuſehn⸗ Boa ihm :tönnen wirwenig 
fageny.: weil er. unendlich und und unbegreiflih if; doch 
haben ‚wir:wen.:ihut anzueriennen,. daß er. iR und außer 
"ung iſt dies ſchließt feine Korperlichleu in- Rd, Oobbes 
beruft ſich auf Ausſagen der Kirchenväter, beſondars des 
Tertullian, un zu geigen, daß dies micht gegen den chriſt· 
lichen Glauben iſt. Die Körpentifeit Gottes zu leugnen 
wärke.ihm. dem Atheismus gleich kommen. Gott iſt ein 
einfacherreiner und : feiner und: umetibficpev; körperlichtt 
Geiſt 2). Seine Lehre, welche wen der: Bewegung: in ‚der 
Zeit und im Raum andgeht, kaun weder Allgegeuwart 
ohne:.räumlidge Auodehnung noth Ewigteit ohne--umende, 
The, Zeitdamer fidh .denfen 9... .. Ber 

+ Seine: materialiſtiſche Auſicht führt: ihn ur „aladerfür 
hang. ber.Rörperielt,. Dog:dringt ex nicht eben tief in 
die Phyſit Hins,. En: fiept. in ihr einesweil fih ‚aushre& 


tende Sphüͤre ber Forſchumg, welde: auezafũllen ‚ar feine — 





4) Ib. 11, A sgq.; Leviath. 45; up. thai reput. ot Dh Hob- 
bes p.692. mod sb. " 
9) Deicive.1%, 14; an: ansiwenito; bishop Branihal - «0. 

3) Of lib. and nec. p. 482. - 


Hoffimng hat; Daß wir / allmaͤlig bar) Sie Erfahrung 
da Apr weiter: fomunen worden, bezweiſeit / ce näht; aber 
fein ſteptiſcher Sinn geattet Ip: wicht: anumgmen ; daß 
wir in der Erlemtniß der Natar, über. melde: wir nur 
wenig. vermögen ‚. gu. einem Benügenden Ergebniſſe gelan- 
gem famten. Es iſt yon früher erwähnt: worden, daß 
ſeiner Meinung. nach die Erforſchuatz der Urſachen von 
den Grſchelunngen ans und: immer mur erlaubt eine mög⸗ 
Ude Entſtehungoart : verfefben anzunehmen. Nur fo viel 
AR: gewiß, daß alle Erſcheinung auf Bewegung bee: Kör: - 
per zurüdgefährt werden muß; alles. unders beruht. auf 
. meho ober weniger: wahrſcheinlichen/ Berinutgungen.‘ Die 
Sqhwierigleiten / melde stm Begriff ber: Bertgumg liegen, 
ſcheiaen ihm zwar undedeutend d;.abik Die Berkettung 
der Bewegungen führt ihn im das Unendliche / und er muß 
ſich eingeſtehn, daß feine Faſſungskraft Bası. unendliche 
wicht: zw erreichen vermag; daher muß: evı befennen, bie 
Urſachen bis: anf ihren erſten Ueiprung:zurädzufügren ver⸗ 
wegen Bett ).Durch unſer Beſſteben die Dinge zu 
erllaven / werden wir zwar auf den Gedauten des Unend⸗ 
lichengefuͤhrt ; abge In ihm liegt naur⸗ eia Weleminig: uns 
ſerer Unwiſſenheit I. Hobbas enthaͤlt ſich zwar nicht an⸗ 
uinehnlin, daß die Welt /aaendlich ſei, aber auch hierin 
fieht er: nur ein Zeitchen / von den Grafen sunferer. Er⸗ 
benutuiiß. Weil/ die unendliche Kette, desilkfüchen. nur 
durch ſtetige Berbinduntz ihrer Stier, 101 heſder beweg · 
4) De oorp. Yyhki ur ach ol nd re BEI 
2) Ib. 7, 2; 26. 1; de hom. 1, 1. 


-3) Leviath, 12 9.146 ;0ider, ie. 165 1 Ira rc ned. 
p · 84. I 


a40/ 


ten Körper, zufammeiigehalten wird, verwirft er das 
Leere und ſucht · noch undere phyſiſche Beweiſe gegen das⸗ 
ſelbe aufzubringen 1). Aber feine eigene Anſicht von der 
phyſiſchen Zuſammenſetzung der Welt weiß er nur auf 
Hypotheſen zu /bauen, deren Unſicherheit ihm nicht ent⸗ 
geht 2). Sie hat mit den Grundſätzen, welche Bacon 
in die Naturforſchung ‚eingeführt Hatte, das Beſtreben ge 
mein das Kleinfte im Raume und in ber Zeit.zu erfor 
ſchen. Daher. nimmt Hobbes Heinfte Körper. oder. Atome, 
wenn aud nicht im ſtrengen Sinn, und kleinſte Bewe⸗ 
gungen an, welde in dem bloßen Streben nad Bewer 
gung gefucht werben. ; Auf feine Hypothefen genauer ein⸗ 
zugehn wird nicht möthig fein, da fie feinen bedeutenden 
Einfluß auf die fpätern Unterfuhungen gehabt haben. 
Dagegen richtet fih die Unterſuchung feiner Ppilofo- 
phie mit größerer Hoffnung und mit größerem Gifer ber 
Frage nad den Bewegungen unferes fittlichen Lebens zu. 
Hier ſcheint ihm ein leichteres Feld für unfere Erfenntnig 
ſich zu eröffnen, weil wir diefe Bewegungen in unferer Ges 
walt haben und alles, was Sache unferer Kunf, auch 
Sage unferer Erlenntniß if. Doch darf auch diefes Ger 
biet den Gefegen der Natur nicht entzogen werden. Die 
Berdegungen unferes Innern find nur Erfolge der Ber 
wegungen, welche von außen in uns gefommen find, 
Wir unterfopeiden zwei Arten der Bewegungen unferes 
Innern, die unmilfürlihen Bewegungen, zu welden bie 
Einbildungskraft nichts beiträgt, und bie willlürlichen 





1) Probl. phys. 3; do corp. 26, 2 agg. . 
2) Man findet fie de corp. 26, 5. 
Geſch. d. Philof, x. 32 


208 
Bewegungen, welche bei allen Tpieren vom Begehren 
und Verabſcheuen ausgehn und mit ben Thaͤtigkeiten der 
Einbildungsfraft zufammenpängen. Jene werden einger 
Randenermaßen von äußern ‚Bewegungen erregt; aber 
auch dieſe haben feinen andern Grund; denn bie Bewe- 
gungen unferer Einbildungstvaft, non welchen unfer Bes 
ehren und Verabſcheuen abhängt, find nur Überbleibfel 
anferer Empfindungen und behaupten als ſolche ipre bes 
wegende Kraft, obgleich wir fie nicht wahrnehmen . 
Bir unterfeiden aud finnfihe Empfindung und Gefül 
des Angenehmen und des Unangenehmen; ber Unterſchied 
zwiſchen beiden beſteht aber nur batin, daß die ſinnliche 
Empfindung das Beſtreben nach außen bezeichnet, welches 
aus dem Widerfande unferes Herzens gegen die von aus 
Ben kommende Bewegung entfpringt, wärend das Gefül 
nur das Beftreben nad innen bezeichnet/ welches bei je⸗ 
der Bewegung ſtattfindet 9. Der Unterſchied zwiſchen 
dem angenehmen und dem unangenehmen Eindrud beruht 
darauf, daß jener die Lebensbewegung fördert und ſtaͤrkt, 
dieſer fie’ hindert und ſchwaͤcht. Die-Erinneruug des Ans 
genehmen zieht aber in natürlicher Folge das Begehren, 
die Erinnerung bes Unangenehmen das Verabſcheuen nad 
ſich, und Luſt und Begehren, Unluſt und Verabſcheuen 





1) Leriath. 6 p. 116. 

2) De corp. 25, 12; de hom. 1f, 1. Voluptas autem et 
molenlia etsi sensiones nen dicuntur, differunt tamen in hoc 
tantum, quod sensio sit objecti ut externi propter reactiohem 
sive resistentiem, quae fit ab organo, et proinde consistit in 
conalu organi extrorsum, voluptas autem consistit in passione, 
quae fit ab actione obfecti et est conatus introrsum. 


AB 


verhalten fih zueinander nur wie Gegenwärtiges und Zu⸗ 
lünftiges; daher find die Urfichen des Empfindens auch 
die Urſachen des Begehrens und Berabfgeuens 2). In 
ähnlicher Weife ergeben ſich auch ans äußern Urfachen die 
Affecte und Leidenfchaften . unferer ‚Seele; ‚melde: Hobbes 
nad dem Vorgange des Telefius, nur weiläuftiger als 
fein Vorgänger befpreibt und auf befondere Abſchattun⸗- 
gen unferes Begehrens und Verabſcheuens :zurädführt 2). 
Hierbei wird nun berädfihtigt, daß von äußern Utſachen 
aus eiae lange Kette von innern Bewegungen, von Ber 
gehrungen und Verabſcheuungen, ſich bilden kann, in wel⸗ 
her jene entgegengeſetzten Bewegungen ſich gegen einan⸗ 
der abwägen. So lange in einer ſolchen noch keine Ent⸗ 
ſcheidung eingetreten iſt, nennen wir fie Überlegung, das 
Ende derſelben aber heißt Wille 5).- So lange tun bie 
Überlegung das Ende noch nicht erreiht hat, fagen wir, 
bag. win.frei find oder. die Wapl Haben zu entgegerigefeg: 
ten Entfchlüffen. Aber fälſchlich nur wird die Freiheit dem 
Villen beigelegt; denn der Wille hat nicht mehr die Wahl, 
fondern iſt entſchieden und abhängig von dem legten Ber 
ſchluſſe des Verſtandes, welcher als Befehl an den Wils 
len ergeht Y. Nicht der Wille ſondern der Menſch iſt 
frei und eine völlige Ungereimtheit iR es, welche aller Er⸗ 
fahrung widerfpricht, zu behaupten, daß wenn wir wollen, 
es in unferer Freiheit ſtaͤnde nicht zu wollen). Dan 

1) Do hom. 1,1. ©: ' 

2) De corp. 25, 13; de hom. #2; Leriath. 6. 

3) De corp. 25, 13; de Kom. 4, 2; Leviath. 7 p. 122; 
hum, nat. 12, 2 b 

4) Of lib. and nec. p. Adt;- 188. i 

5) Leviath. 21 p. 189; de hom. 11, 2. 

32* 


Tann Gponianet und Feeiwilliges muierfheiben; unter je 
nem Tan. man, ſolche Handlungen verſtehn, welche aus 
den eigenen Bewegungen singt, Diuges hervorgehn, un⸗ 
ter ;biefem; folge Hardlungen, welche erſt nach vorherge ⸗ 
bender Überlegung. sefolgen 21; ıaber. in beiden Bäßen if 
nicht das Wegehren oder ber. Wie: frei, ſondern nur bie 
Dandlung.*}...:Abey auch Ainfe iſt wicht ſrei von Rothe 
wenbigktitı..jonbern nur ‚non Zwong. Denu jede Be 
wegung iß- der, nothwendige ers aus der Summe der 
witrniefenden Urſachen, welche in den frühern, die jedige 
Bewegung hervorxbriagenden Dewegungen liegt. Mit 
Recht werden. wir das Aufammsntreffen allen Urſachen, 
welche zu einem--Erfolge führen, den Rathſchluß &ottes 
negnen, und daß dieſem Rathſchluſſe irgend etwas ſich 
entziehen. koͤnnte, if gine gottloſe Behauptung. 9. Die 
Natur if} die Kun, durch welcht Gott die Welt retziert, 
und. den Geſetzen derſelben, her Verkettung den Bewer 
gungen, welche er. in fie gelrgt hat; würden wir nur ver⸗ 
gehlich widerſtreben *)... Die Rothwendigfeit ber: Exfolge 
widerſpricht aber. der Freipeit, der Handlungen nicht; denn 
Breipeit nennen wis nur bie Abwefenpeit des Zwunges. 
Sie’ findet Hatt,. wenn fein aͤußeres Hinderniß, feine äu⸗ 
pm. Gegenwirlkung vorhanden if, weiße eine Urſache ab ⸗ 





n ot üd. and ner. part. 

:2) De’hoin. 11, 2; de corp. 25, 3. 

3) Of lib. and nec. p.472 sg. That which I .aay’nedessils- 
teth and determinateih every ↄetjon — — is (he sum of all 
things which being now existent spnduoe .and concur 10 Ihe 
production of that action hereafter, whereof if any ame thing 
were wanling, the effect could not he produced. 

4) Leviath. p. 97; 31 p.255. 





hielte ihrer eigenen Natur nach zu wirken. In biefem 
Sinne kommt Breipeit auch den unverninffigen Dingen, 
ja der unbelehten Natur zu. . Wir ſagen in diefem Sinne 
vom Wafler, welches in einem Canal opne Hinderniffe 
abläuft, daß es frei ablaufe 33. Hobbes geſteht die Ge⸗ 
färligpfeit feiner Lehre für ſolche ein, welche von Leiden 
ſchaſten fi beivegen laſſen; nur ber wiffenfhaftlih den⸗ 
fende Mann könne fie ertragen. und daher will er fie der 
"Menge vorenthalten 2); aber er gefteht nicht ein, daß 
durch die Gleichſetzung des Handelns der Vernunft mit 
den Wirkungen der natürfichen Dinge bie fittliche Zur 
rechnung aufgehoben werde, Er beruft fh vielmehr auf 
den Apofel Paulus um zu behaupten,” daß Gott ıyın 
einmal Gefäße der Ehren und der Unehren gemacht habe), 

Demnach gebt nun feine Sittenlehre durchaus von 
den natürlichen Begehrungen und Antrieben der menfchli- 
ven Seele aus, in jedes. empfindende Wefen firebt von 
Natur nad der Erhaltung feiner ſelbſt, weil fie bie erſte 
Bedingung alles Woplfeine if; es ſtrebt alsdann auch 


1) Ib. 14 p.151; 21 p. 188. Liberty or freedom signifßeth 
properly the absence of opposilion (by opposition | mean ex- 
ternal impediments of motion) and may. bp applied no less to ir- 
rational and inanimate creatures, {han to rational. — — ‚But 
when the iinpediment of motion is in the conslitution of the 
thing itself, we use not to say, rants (he liberty, but the 
power to more. Of lib. and nec. p.-478 2q.; 483. The water 
is sald to deacend freely or to have liberty to .desoend. by the 
channel of the river, because there is no impediment that way, 
hut mot aorons, because Ihe hanks are impediments. De 
ve 9,.9. 

2) Of lib. and neo. p. 477. 

3) Ib. p. 473 2q. 












02 
nad Genuß des Angenehmen und Entfernung des Unange- 
nehmen und Sicherung für die Zukunft wird dabei in mas 
tarlicher Weiſe in unfere Überlegungen eingerechnet ?). 
Bas begehrt wird, nennen wir gut, was verabſcheut 
wird, böfe. Aber alles dies richtet ſich nach Zeit und 
Umfänden; alles wird gefhägt nach dem Nutzen, welden 
es gewährt. So find Reichthum, Freundſchaft, Wiſſen⸗ 
ſchaft und Kunſt, fo IR fogar bie Weisheit nur deswe⸗ 
gen gut, weil durch fie Nugen gewonnen wird 2), in 
höchſtes But, die Olüdfeligfeit, welche das Ende alles 
Guten wäre, Tann in dieſem Leben nicht erreicht werden. 
Wenn e6 erreicht wäre, würde nichts weiter begehrt werten; 
es würde dadurch Empfindung und Leben aufgehoben fein. 
Daher können wir nur nad) einem Fortſchritt im Gewinn 
der Lebensgüter fireben. Ohne einiges Ungemach Fönnen 
die menſchlichen Dinge nicht bleiben. Das Leben if eine 
ſtetige Bewegung, welde im Cirkel geht, da fie nicht in 
grader Linie in das Unendliche fortfpreiten kann 5). , A 
les unfer Streben iſt daher auf Genuß gerichtet, aber 
nicht auf Genuß ber Gegenwart, weil nur in der unger 


1) De hom. 11, 5 »q. Bonorum autem primum :est sua 
euiquse conservalio. Natura enim comparatum est, ut cupiant 
omnes sibi bene esse, Cujus ut capaces esse possint, necesso 
est cupiant vilam, sanilaleı et uiriusgue, quantum fieri polest, 
securitatem futuri temporis. , 

2) Ib. 11, 4. Bonum relative dicitar ad personam, ad lo- 
cum et ad tempus. Ib. 6 2qq. 

3) Ib. 11, 15. Vita molus est perpeluus, qui, cum’ recia 

progredi non potest, converlitur in motum eircularem. De 
cive 6, 13. Res humanae sine süiquo incommodo esse non 
Possunt, 


505 

hemmten Bewegung bes Lebens Genuß liegt und das 
Begehren immer nur auf etwas Zukünftiges gehn lann. 
Bon der unvernünftigen Begierde, welde das gegen 
wärtige Gut, obgleich mit ihm unvorhergefehnes Ubel 
zufammenhängt, den fünftigen Gütern vorzieht, follen 
wir ung frei machen und es wird und deswegen auch 
Mäßigkfeit empfolen . Aber nur auf die Erhaltung bes 
Lebens unter ben geringften Hemmungen, mit der wenige 
ſten Gefar für die Zukunft kann Hobbes das Abfehn un⸗ 
ferer Bernunft richten. Sein Senfualismus kennt auch 
feinen andern Genuß als den finnlihen, ohne jedoch die 
grobfinnlihen Genüffe, die Lüfle des Fleiſches, hochzuhal⸗ 
ten, weil fie Efel und Sättigung mit ſich führen und 
einige von ihnen in übelem Geruch ſtehn; die innern Bes 
wegungen bes koͤrperlichen Geiſtes feinen ihm bei weis 
tem den Vorzug zu verdienen 2), 

Hierzu kommt, daß fein Nominalismus ihm in folge 
richtiger Weife zu einer ſelbſtſuͤchtigen Moral treibt. Jede 
gefellige Gemeinfhaft wird aus Selbſtliebe, nicht aus 
Liebe zu unfern Gefellen geſucht und Hobbes widerſtreitet 
daher aud ber Lehre des Ariftoteles, daß der Menſch 
von Natur ein politifches Thier ſei ). Aber dabei vers 
Tennt er doch nicht den allgemeinen Zufammenhang, in 
welchen bie Bewegungen bes Individuums mit den Bewer 
gungen in, der Außenwelt fiehen. Daher-bei der Ver: 
gleihung der Güter, welche er anftellt, hat ihm nicht 


1) De cive 3, 32. 

2) Ih. 6, 13. 

3) De eive 1, 2. Omnis igitur societas vel commodi causa 
vel gloriae, hoc est sui, non sociorum amore contrahitur, 


0a 
allein das länger bawernde vor dem färzern, fondern. auch 
das weiter verbreitele den Vorzug vor bem nur auf wer 
nigere Individuen befepränkten 2). Hieraus ergeben ſich 
Milderungen feiner eigennügigen Sittenlehre. Er ermahnt 
uns zur Dankbarkeit, zur Berſoͤhnlichteit; unſern Freund 
‚follen wir lieben wie uns ſelbſt; das allgemeine Natur - 
geſet ſchaͤrft ung die Regel ein, welche jedem bei ruhigem 
Gemüthe einleuchten werde, daß wir feinem andern thun 
ſollten, was wir nicht felh von andern dulden moͤchten 2). 
Bei den Geſetzen, welde uns die natürliche Bernunft 
giebt, Hält er die Folgerichtigleit hoch, welche wir im 
Leben wie in den Wiſſenſchaften beobachten follenz fie 
weit und dazu an nüchtern zu überlegen und nüchtern zu 
leben 5), und alle Bewegungen nad demſelben Gefege 
zu beurtpeilen, mögen fie in uns ober außer uns fih beges 
ben. Es iſt daher wohl nicht gegen die Folgerichtigkeit 
feiner phyſiſchen @rundfäge, wenn er trotz feiner ſelbſt⸗ 
ſüchtigen Sittenlehre noch nügemeinere Naturgefege für 
unfer Handeln anerfennt, welche uns mit andern zu ſitt⸗ 
licher Gemeinſchaft verbinden. Er faßt fie unter das all 
gemeine Gefeg der Menſchenliebe (caritas) zufammen +). 
Schwieriger würde es in der That halten aus feinen 
phyſiſchen Orundfägen über die allgemeine Berkettung als 
ler Bewegungen bie Borausfegung zu rechtfertigen, von 
welcher feine ſelbſtſüchtige Sittenlehre ausgeht, daß nem⸗ 
lich ein ſelbſtaͤndiges Syſtem der Bewegungen in jedem 


1) De hom. 11, 14. 
2) De eive 3, 8; 10; 26; 4, 12. 
3) 1b. 3, 25. ‘ 
4) De hom. 13, 9. 


508 


einzelnen lebendigen Weſen ſich finde, welches nad ber 
Erhaltung ſeiner ſelbſt und ſeiner ungehemmten Bewe⸗ 
gungen ſtreben müſſe. 

Hobbes iſt nicht ohne ein Bewußtfein der Sqrwit· 
keiten, welche ſich aus dieſer Vorausſetzung für das Sy⸗ 
ſtem feiner Sittenlehre ergeben und nur durch eine Reihe 
‘anderer Borausfegungen. gelangt er dazu feinen allgemeinen 
Borfcpriften für das fittliche Leben einigen Halt zu geben. 
Hierzu genügt noch nicht, daß ben einzelnen lebendigen 
Weſen, ja faſt allen Körpern bie Eigenfchaft beigelegt " 
wird in der Weiſe, in welder fle öfters bewegt worden 
find,- eine Gewohnheit der Bewegung anzunehmen. Denn 
es laſſen fih daraus wohl einigermaßen die Sprache und 
die Folgerungen der Vernunft ableiten, fo wie bie eigens 

_ Hümlichen Sitten, welde im einzelnen Menfchen ſich 
ausbilden I, Es folgt aber daraus noch nicht, daß 
diefe Sitten für gute oder böfe, für Tugend oder Las 
ſter nach allgemeiner Schägung gehalten werben. Denn 
ein jeder, meint Hobbes, würde doch nur nad feinem 
Vortheil und nad feinen Sitten das Gute und das Böfe 
beurteilen. Bon dem Standpunkte des einzelnen Mon⸗ 
ſchen aus erwartet er daher Feine Feſtſtellung des Sprach⸗ 

gebrauchs über Gutes und. Böfes und weiß deswegen 
feinen andern Weg hierzu anzugeben ald die Bereinigung 
der Menfhen zu einem Staate, in’ welchem beftimmte 
Regeln über Gutes und Böfes feftgefegt würden. Seine 
Moral wird hierdurch von der Politik abhängig). Zwar 

1) Hum. nat. 5,14; de hom. 13, 1 2qq, 


' 2) De cive praef.; de hom. 10, 5; 13, 8 sg. Qnoniam 
autem non eadem omnibus bona et ala sunt, conlingit eosdem 


kehauptet er, daß von Ratur, d.h. durch bie ung beis 
wohnenpe Vernunft gewiſſe allgemeine Befege in ung Lies 
gen, nad welcher wir Recht und Unrecht, Gutes und 
Böfes beurtpeilen Können; aber ein jeder Tann fih auch 
nach feinen eifentpümlichen Sitten ipnen entziepn und es 
würde nicht einmal der Bernumft gemäß fein ihnen zu fol 
gen, wenn wir nicht erwarten bürften, daß aud von ber 
andern Seite die übrigen fie gegen und beobachteten. 
Diefe Erwartung rechtfertigt aber erſt der Staat, welcher 
diefe Geſetze gewäprleiftet; ohne ipn würden fie wohl 
vor anferm innern Ricpter, dem Gewiſſen, aber nicht vor 
dem äußern Richterſtul uns verpflichten ), d.h. wir 
würden uns felbft perfönlich nach ihnen beurtheilen, aber 
ein allgemeines Urtheil würde daraus fih nicht er- 
geben. Daher will er auch die Gefege der Natur nicht 
im eigentlichen Sinm Gefege genannt wiſſen, außer fofern 
fie von der Offenbarung oder vom Staate ausgefprochen 
worden find). Gegen die Annahme des Grotius, dag 
durch die Übereinfimmung aller Voͤller oder der weiſeſten 
Boͤller ein natürliches. Recht feſtgeſtellt werben fönnte, 
wendet er ein, daß Übereinfimmung unter allen Bölfern 


mores ab his laudari, ab illis culpari. — — Quod tamen de 
hominibus eatenus intelligendum est, quatenus homines tantum, 
mon eliam qualenus cives; nam eorum, qui extra ciritatem 
sunt, alter alterius sententiam sequi non obligatur, in ciritate 
vero pactis‘obligantar. Ex quo intelligitur scientiam moralem 
" aullam habere posse eos, qui homines considerant per se et. 
quasi extra socielatem civilem, propter defectum mensurae 
certae, qua virtus et vilium aestimari et definiri possiat. 
1) De cive 3, 27. 
2) De cive 3, 33; de hom. 13, 9. 


7. 
fich nicht nachweiſen Tiefe und daß jedes Bolt ſich 
> für das weiſeſte halten würde. Mit den Dingen, welche 
Bortheil und Nachtheil betreffen, iſt es anders’ als mit 
den Lehren der Matpematif. Im dieſer Täßt fih wohl ein 
gleihmäßiger Sprachgebrauch und ein gleihmäßiges Ur⸗ 
theil erreichen; in Dingen aber, über welche die Menfchen 
ftreiten, zeigt der Streit das Gegentheil; denn auch der,. 
welder gegen bie übrigen fireitet, gehört zu den Men⸗ 
fon). 

Dog fpielt ihm auch hierbei die Zweideutigleit, in 
welcher er das Wort Vernunft gebraucht, einen Streich, 
indem fie ihn annehmen läßt, daß es ein natürliches Recht 
gebe, zu welchem und bie Vernunft verbinde, nemlih 
das Recht, welches uns antreibe im Staate Frieden zu 
ſuchen 2). Wohl an feinem Bunte, feiner Lehre tritt 
diefe Zweidentigfeit offener an den Tag. Die Vernunft 
fon nur auf ‚der Übereinkimmung der Sprache beruhn; 
über Recht und Unrecht aber giebt es feine Übereinfins 
mung der Sprache; es würde alfo folgen, daß es über“ 
Recht und Unrecht auch feine Entfheidung der Vernunft 
gebe. Diefer Folgerung entzieht fih Hobbes, indem er 
noch eine- andere Folgerichtigfeit der Vernunft anntıhmt - 
als die, welche auf dem folgerichtigen Gebraud der Sprache 
beruht. - Er glaubt, ein jeder, welcher feiner Vernunft 
getreu bleibe, müfle Frieden mit den übrigen Menſchen 





1) De:corp. pol. 1, 2, 1. . 

2) L.1. There can therefore be no other law of nature 
than reäson, nor no other'precepts of natural law, ihan those 
which declare unto üs the ways of peace, where the same may 
be obtained, and of defence, where it may ‚not, ’ 


oder Guy für unvermeidlichen Krieg ſuchen. Wer 
dies nicht thut, widerſpricht ſich. Die Vernunft gebielet 
Brieden, und jedes Unrecht, welches ben Frieden fört, 
iR ein Widerſpruch gegen ſich ſelbſi ). Hierauf beruht 
feine ganze Lehre vom Staat. 

ũhalich wie Mariana leitet er fie durch eine Unter- 
fugung über den Naturzußend ein. Bon Natur bat ein 
jeder das Recht und das Streben fih zu erhalten, bie 
@üter des Lebens zu genießen, daher auch auf alle Mit 
tel, welche hierzu dienen können. Bon dieſem Streben 
wird ein jeder beherſcht mit derſelben Stärke der Notb⸗ 
wendigleit, mit welcher der Stein zu Boden fällt. Dies 
iR die Summe des Naturrechts und ber Freiheit, welche 
ein jeder hat, feine matüslichen Kräfte nach richtiger Ver⸗ 
nunft zu gebraudien um fein Leben und feine Glieder, fo 
viel er Tann, zu. vertpeibigen 2). Was aus biefem Nas 
turrechte in richtiger Holgerung abgeleitet werden fann, 
iſt ewiges, unveränderlihes und unverkußerlihes Recht, 
fo wie alle Gefege der Natur unveränderli und ‚ewig 
find). Wir haben hierdurch das Recht auf alles, auf 
die übrigen Meuſchen chen fo. fehr als auf bie andern 
Ergeugnifje der. Ratur *). Daß die Menſchen von Natur 
1b 1, 145 de eive 1, 13. Quicnmgue igitur manendum 
in eo sialu ‚censuerit, in quo omnia Jicgaul omnibps, cpntra- 
adieit sibimet ipsi, Ib, 3, 3, Est itaque injuria absurditas quae- 
dam in conversatione, sicut absurditas injuria quaedam est in 
disputatione. Leviath. 14 p. 152. 

2) De eive 1, 7; Leriath. 14 p. 152; de cov- pol. I, 1, 
9 HD eive 3, 29. Leges naturae immutabilen et aeiernae sont. 


4) Lovinth. 14 p. 152. Me Menſchen haben Recht auf alet, 
even to one another's body. 





An. 


zu einauder :in :einem andern Verbaͤltniſſe ſtehn ſollten, 
aid zu andern Dingen, füllt dem. Hobbes nicht ein. Weil 
aber ‚alle: Menfhen gleiches Recht. auf alles haben, :ift 
dieſes Nalurrecht einer völligen. Rechtsloſigkeit gleich zu 
Sägen), : Kein ausſchließliches Recht auf eine Sache 
findet..Gierbei ſtattz das Eigenthum if erſt eine. Folge 
Des Gtants.2). Daher iſt auch der Streit um Beſitz und 
Gebrauch der Güter. im Naturzußande unausbleiblich. 
Hobbes will zwar nicht zugeben, daß feine Sthiderung 
der Menſchen im Raturzuſtande vorausfege, fie wären 
von Natur: böfez er gefteht fogar zu, daß fie. ein natür⸗ 
liches Beßreben: hätten mit einander in gefelligen Verkehr 
zu.treten; aber dies genügt doch feinesweges um’ gegen 
den natürlichen ' Streit über den Beſitz der Güter und 
ohne künſtliche Bereinigung ficher zu ſtellen 5). Jeder muß 
feinem. Nasurtriebe folgend für fih und feine. Sicherheit 
forgen; einer fann einem andern trauen wegen des ei⸗ 
gennügigen Beſtrebens, welches alle beherſcht. Mögen 
fie nun’ bejgeiden oder gewaltfamer Neigung fein, feiner 
fann es vermeiden den andern zu verlegen, wenn er. fih 
ſicher fielen will gegen die Berlegungen, weiche ihm von 
andern drohen +). - Das natürliche Recht an alles Tann 


1)’ De cive,4,.10. . Natura dedit unienigue jun in omnia. 
Ib. 11.. ‚Effeciys ejus juris idem pene est, ac si nullum om- 
nino jus exstiterit, u “ 

2.6, 18. B 

3) Leviath. p. 97; 14 p.169; de eivo 1, 2 init der Anm.z 5, 1. 

4) De cire praef. Affectus ahimi, qui a natura animali pro- 
fieiscuntur, mali non sunt ipsi,; sed actiones inde provenientes 
malae aliquando sunt. Ib. 1, 4. Voluntas laedendi omnibus 


“0 


feiner den Äbrigen zugeſtehn; daher hat jeder Verlehun⸗ 
gen feines natürlichen. Rechts vor allen übrigen zu fürch⸗ 
tem und deutlich zeigt die Erfahrung, wie diefe Furcht 
unter allen Menſchen herſcht und wie daher jeder gegen 
alle fih fiper zu Rellen ſucht y. Die Gründe der Furt 
verſtaͤrlt Hobbes dur die Betrachtung ber. Gleichbeit 
aller Menſchen. Wenn auch ber eine Rärfer, der andere 
ſchwaͤcher iR, fo wohnt doc allen Menſchen die gleiche 
Staͤrle bei feinem Nädfen das äußerfe Übel, den Tod, 
bereiten zu können 9). Der Naturzuſtand iſt daher ein 
Krieg Aller gegen Ale). Er würde. aber das erfie Na- 
-turgefeg, welches auf Erhaltung feiner ſelbſt geht, ohne 
Erfolg laffen; damit wir ihm Erfolg fihern, muß aus 
jenem Naturgefege ein zweites gezogen werben, welches 
und gebietet Frieden zu fuchen, fo weit wir ihn erreichen 
fönnen, fo weit aber nicht, uns die Mittel zur Abwehr 
im Kriege zu verſchaffen +). Beides wird dadurch erreicht, 


quidem inest in statu maturao, sed non ab eadem causa ne- 
que aeque xulpanda. 

1) Ib. prach . 

2) Ib. 1, 3; 3, 13; de corp. pol. I, 1, 2; ‚Leviath. 13 p. 149. 
Aus der Gleichheit der Menfchen folgt auch, daß Ariſtoteles mit Un— 
recht behauptet, einige Menſchen wären ven Natur zu Sklaven ber 
ſtimmt. 

. 3) De corp. pol. 1, 1, 12; Leviam. is p. 149; de cive praef.; 
4, 12. Ad naturalem hominum proclivitatem ad se mutuo la- 
cessendam — — si addas jam jus omnium in omnia, quo 
alter jure invadit, alter jure resistit atque ex quo oriunlur om- 
aium adversus Omnes perpeiuae suspiciones, — — negari non 
potest, quin status hominum naturalis, antequam in socielstem 
eoiretur, bellam fuerit, neque hoc simpliciter, sed bellum om- 
nium in omnes. \ 

4) Leviath. 14 p. 152; de eive 1, 1; 15. 





Ba 


daß eine Geſellſchaft der Menſchen pufammentritt, in wel 
er die Mitglieder fi gegenfeitig Frieden und Hilfe ger 


gen ihre Feinde verſprechen. Kin gemeinfamer Wille 


den. Frieden zu .erhalten und gegen auswärtige Feinde zu 
vertpeidigen muß in ihr herſchen. Wir. nennen eine 
ſolche Geſellſchaft den Staat 1). Nicht in Vehlwolen, 
ſondern in Furcht hat er ſeinen Grund. 

Merkwürdig iſt es, wie in unſerm Philoſophen eine 
unbefcpränfte Berehrung der Natur mit einer far eben fo 
unbefcpränften. Verehrung der Kunft fi begegnet, Dem 
Naturgefeg unterwirft er alles; aber in der menfchlihen 
Geſellſchaft Hat die Natur doch nicht fo viel Gewalt ihr 
eigenes. Wert vor der Zerflörung zu fihern. Die Natur 
treibt die Menſchen zum Kriege unter einander an; au 
eine friedliche Vereinigung derfelben durch einen Trieb 
der Natur iſt nicht zu denken. Hobbes Teugnet die Zwecke 
in ber Natur in der Erzeugung des Menfchen nicht; mer 
glauben follte, der Menſch würbe opne Hülfe des Geiftes 
hervorgebracht, der müßte felbft ohne Geift die Natur bes 
trachten 2); aber für die Erhaltung: des Menfchengefchlechts 
hat die Natur doch feinen Trieb erwedt. Hierin haben 
fogar die unvernänftigen Thiere einen Vorzug vor .bem 
Menſchen; fie werden durch eine natärlihe Harmonie 
verbunden; ber Menſch dagegen hat die Kunft zum Ers 


1) De cive 5; 9. Ciritag — — est persona una, cujus vo- 
luntas ex pactis plurium hominum pro voluntate habenda est 
ipsoram omaium, ut singulorum viribus et facultatibus uti pos- 
sit ad pacem ei defensionem communem. 


2) De hom. 1 p.8. 


sa 


fan erhälten D. Ms -ein großes Product diefer Kunſ 
ſqildert uns nun Hobbes den Staat, als den Leviathan, 
einen ſterblichen Gott, welchem wir unter der Herrſchaft 
des unſterblichen Gottes unſern Frieden und unſere Ver⸗ 
theidigung verbanfen )Y. Nur unter feinem Schutze wer 
den wir aller Güter der Bernunft theilhaftig. Im Nas 
turzufande herſchen Leidenfhaft, Krieg, Furcht, Armuth, 
Schmutz, Bereinfomung, Barbarei, Unwiflenpeit, Wild- 
heitz im Staate herſchen Vernunft, Friede, Sicherheit, 
Keichthum, Schmuck, Geſelligkeit, Zierde, Wiſſenſchaft, 
Wohlwollen 9. Alles dies wird dadurch hervorgebracht, 
daß wir aus der Menge der Menſchen einen künſtlichen 
Körper bilden; denn als folder iſt der Staat anzufehn *). 
Wir bemerken, daß Hobbes, indem er den Unterfuhungen 
über die menſchliche Kunf fi zuwendet, doch nicht ver- 
sißt die Erzeuguiffe derfelben in dasſelbe Licht zu fellen, 
in welchen er die Erzeugniſſe der Natur erblidte. 

Wem Hobbed uns beweifen will, dag ber Menſch 
von Natur feine gefellige Gemeinfchaft habe, mie andere 
Tpierarten, fo führt er eine Reihe von Gründen an, 
welche meiſtens von geringem Belang find. Das Wir 
tigRe ‚möchte fein, daß der Menſch den bewaffneten und 
viel bebärftigen Tpieren angehört, welde nicht fo leicht 
in geielige Gemeinſchaft fi fügen und daß die Sprache, 


N Leviath. 17 p. 171. The agreement of these creatures 
is natural, that of men is by covenant only. 

2) L.L This is the generation of,that great Leviathan or 
rather, to speak more reverendy, of that mortal God, to which 
we owe, under the immortal God, our peace and defence. 

3) De eive 10, 1. 

4) De corp. 1, 9; de corp. poL 1, 6, rn 


, 





43 


welche ihn vor allen andern Tpieren auszeichnet, ihn 
noch unverträglicher, zur Vergleihung feiner ſelbſt mit 
Andern, zu ehrgeigigem Wetteifer, ju Streit und Betrug 
geneigt macht. Aber in der Sprache, ber Duelle vieler 
Übel, iſt auch das Heilmittel bereitet: Durch fie iſt der 
Menſch befähigt Vernunft zu Haben, fi mit andern zu⸗ 
fammenzufcharen, einen Körper des Gemeinwefens, tinen 
Staat, einzugehen, welder im eigentlichen Sinne des 
Wortes bei andern Tpierarten nicht angetroffen wird, 
Dur feine Sprache wirb er nicht beffer,, aber mächtiger 
durch Bereinigung der Kräfte Vieler zu einem Zwede 1). 
Einen Vertrag können weder Thiere unter fih noch mit 
den Menſchen eingehnz er wird durch bie Sprache ver 
mittelt und auf ihm beruht der Staat 2), 

So wie nun bie Sprache eine Sache der Willkür if, 
fo aud der Staatövertrag. Hobbes benft fh, daß zur 
Entſtehung des Staats eine hinreichende Anzahl von 
Menfgen in dem Willen übereinfommt fi gegenfeitig 
Frieden und nah außen Schug zu gewähren). Ihe 
ren Willen zur Übereinfunft muß fie ausfprechen. oder 
durch fihere Zeichen zu ‚erfennen geben; wenn er audges 
ſprochen if, hört ihre Freiheit auf und es beginnt ihre 
Benitung dem ausgefprogenen Willen getreu zu blei⸗ 


1) Leriath, 17 p. 170sq.; de hom. 10, 3. Quod i imperare et 
imperata intelligere possumus, beneficium sermonis est et qui- 
dem maximum. — — Oratione homo non melior fit, sed po- 
tentior. De cive 5, 5. Bei den unvernünftigen Thieren findet nur 
consensio, aber nicht una voluntas ſtatt, welche zum Staate nöthig 
if. Lingua tuba quaedam belli ent et.seditionis. 

2) De eive 2, 12. 

3) Ib. 5,3. 

Geich. d. Philoſ. x. 33 


512 


ben; denn ber Wie if der Abſchluß der Überlegung, 
welche die Freipeit beendigt 1). Gleichſam als wenn der 
Wille den Bertrag zu erfüllen nicht eine neue Überlegung 
erforderte, ald wenn nicht fpätere Beweggründe ben Wil 
Ien ändern Tönnten und dürften. Hobbes flellt an bie 
Spige der übrigen Naturgefege, welche an bie Nöthigung 
zum Staatsvertrage ſich anſchließen, das Gefeg, daß 
Verträge gehalten werben müßten 2); er fügt eine Reihe 
anderer abgelciteter Naturgefege hinzu, welde und im 
Algemeinen begreiflich machen follen, daß wir den Frie⸗ 
den und ben Bortheil der bürgerlichen Geſellſchaft, der 
wir und angefchloffen haben, wie unfern eigenen Frieden 
und Bortheil betrachten follen; er gründet fie weſentlich 
auf den ſchon erwähnten Sag, daß wir einen Wider: 
ſpruch, eine Ungereimtheit begehen würden, wenn wir 
Berträge fehlöffen und nicht getreu das Bertrauen bewahr⸗ 
ten). Die Nöthigung zum Staatsvertrage bleibt immer 
diefelbe; fie Tiegt in dem Naturgefege, welches ung ge 
bietet Frieden und Sicherheit zu ſuchen, ſobald wir eins 
mal das Elend bes Naturzuftandes erfannt haben‘). Er 
iſt unfreitig ein Freund der Folgerichtigfeit; aber man 
"wird bezweifeln bürfen, ob feine Grundfäge über bie zu- 


9) Ib. 2, 7; 10. Promissa — — signa sunt voluntatis, hoc 
est ultimi actus deliberandi, quo libertas. non praestandi tolli- 
tar, et per consequens aunt obligatoria. Ubi enim —8 de- 
sinit, incipit obligatio. 

2) Ib. 3, 1. Pactis standum esse. 

3) Ib. 3, 209. 

4) Ib praef. Homines omnes ex eo siata misero et odioso 
necessitate naturae suae, simul atque miseriam illam intellexe- 
rint, exire velle. 


318 


fällige Zufammenfegung der menſchlichen Natur, über die 
relative Einerleipeit der Perfon und über bie allgemeine 
Berfettung ber Bewegungen, welche doch gewiß in bie 
willkürliche und künſtliche Zufammenfegung des Staats 
frembartige Beweggründe einführen wird, im geflatten 
möchten eine ungeflörte Folgerichtigfeit in den Begehrun⸗ 
gen des Staatsbürgers zu fordern. Offenbar fegt er 
in dieſen Lehren einen tieferen Zufammenhang der ver 
nünftigen Begehrungen voraus, als fein Begriff der buch 
Wilfür der Sprache begründeten und durch Willtür des - 
Staatsvertrags gefiperten Bernunft zu tragen vermag. 
Hobbes gefteht num zwar ein, daf ber Staatsvertrag 
aus Furcht geſchloſſen werde, findet aber hierin feinen 
Mangel, welcher feine Gültigkeit gefährden koͤnnte; Ver⸗ 
träge aus Furt verpflichten, wenn. fie nur Erlaubtes 
verſprechen; von folhen Verträgen würbe nur ein bür- 
gerliches Gefeg, welches gewiſſe Verträge für ungültig 
erflärt, entbinden können Y. Die Übereinkunft bes Staats⸗ 
vertrages verfpriht eine Leiftung für die Zufunftz bie 
Sicherung des Verſprechens gewährt das Gemeinwefen, 
deffen Wille mächtiger ift als der Wille einer jeden ein- 
zelnen Perfon und vor dem daher jeder Einzelne ſich fürch⸗ 
ten muß 2). Damit diefe Macht des allgemeinen Willens 
durch nichts gehemmt werbe, müſſen aber auch alle, welche 
den Staatsvertrag ſchließen, dem Gefammtwillen ſich un- 
terwerfen, über eine Form übereinfommen, in welcher ber 





1) Ib 2, 16; de corp. pol. I, 2, 13. 

2) Contractus und pactum (covenant) werben unterfchlebenz ber 
Staatsvertrag ift von der legten Art. De cive 2, 9; Leviath. 14 
p. 163. \ . 


33* 


316 


allgemeine Wille fid zu erlennen giebt, alfo eine Dbrig- 
leit beſtellen, fei es in einer Berfammlung oder in einer 
einzelnen Perfon, und dieſer Obrigkeit fih unterwerfen. 
Er hierdurch kommt die wahre Einigung des Gemein 
weſens zu Stande 2), Sie fließt den Begenfag zwiſchen 
dem Unterthanen und ber hoͤchſten Gewalt in ſich. Da 
allein von dem Schutze der Obrigkeit ber Friede und ber 
ruhige Beſitz des Eigenthums abhängt, unterwirft ſich 
der, welcher ben Staatsvertrag eingeht, dem Willen der 
Gefammipeit und ber Obrigfeit ganz und erhält alle feine 
natärlichen Rechte nur wieder zurüd, fo fern fie durch 
den Staat ihre Befätigung erhalten 9. Die höhfte Ge 
walt der Obrigkeit, weil ipr alles Recht zu gründen zu⸗ 
tommt und alle Kräfte der Einzelnen übertragen werben, 
muß im vollfommenen Staate fo groß fein, wie nur im⸗ 
mer von Menſchen fie übertragen werben lann; fie muß 
abfolut fein 3). Sie if die Seele des Staats, Feinen 


1) De eivo 5, 4 ugq.; 6, 3. Die drei pacta, unionis, consti- 
tationis und subjectionis, werden noch nicht ganz genau unterſchie- 
den, indem Hobbes die unio erft durch die subjectio oder submissio 
ſich volziehn Täft. . 

2) De ehe dedie.; 3, 16 2gq.; 5, 6 2qg.; 6, 15; de hom. 
13, 9. Leges naturales constituta civitate legum civilium fiant 
pars. 

3) Leviath. 17 p. 171; de cive 5, 11. In omni ciritate homo 
ille vel concilium illud, cnjus völuntati singali voluntatem suam 
— — subjecerunt, summam poiestategp — — habere dicitar. 
Quae potenias — — in eo consistit, quod unus quisque eivium 
omnem suam vim et potesiafem im illum hominem vel conciium 
transtalit. Ib. 6, 13. In omni ciritate perfecta — — esse 
summum in aliquo imperium, quo majus ab hominibus jure 
conferri non potest. 


"ar. 


andern Gefegen unterworfen ald ben ewigen Geſetzen 
der Natur. Den Staatsbürgern bleiben feine andere 
Rechte vorbehalten als die natürlichen Rechte ſich und ihr 
Leben und alles, was theurer if als das Leben, zu ver- 
theidigen ). Dem Stante und ber Obrigkeit kommen 
alle Befimmungen über Recht und Unrecht zu; wir find 
ihnen zum Gehorfam verpflichtet, noch ehe wir willen, 
was wir für Befehle erhalten werden 2). Der undefchränf: 
ten Gewalt der Obrigfeit fih zu unterwerfen Tönnte viel» 
Teicht hart fcheinen, aber bie Unterorbnung unter fie würde 
doch dem Kriege Aller gegen Alle vorzuziehn fein und 
eine hoͤchſte Gewalt müßte im Staate vorhanden fein; 
wollte man eine beſchraͤnlende Gewalt über fie fegen, fo 
würbe biefe bie hoͤchſte fein”). Wenn der Staat gegrün⸗ 
det iſt, zweifelt Hobbes aud nicht daran, bag wir nad 
natürlichem Gefege das Recht Haben jeden zu zwingen 
ſich dem Staate anzufpließen und der Obrigfeit unbedingt 
ſich zu unterwerfen, wenn er nicht freiwillig ſich hierzu 
verfieht. Der Naturzuftand verleipt das Recht des Zwan⸗ 
ges an jeben, welcher die Macht dazu hat, Daher darf 
auch gegen bie Einfegung der höchſten Gewalt niemand 
ſich widerfegen, welcher ihr nicht widerſtehen kann 9. 


1) De cive 2, 18; 6, 13; 18, 1. 

2) Ib. 5, 8; 6, 16; 14, 10. Ubi obligamur ad obedientiam, 
antequam sciamus, quid imperabimur, ibi in omnibus obedire 
obligamar. Ib. 17, 10. 

3) Ib. 6, 18 sg. Si enim potestas ejus limitaretur , necesse 
est, ut id Rat & majori potestate, Ib 10, 1. 

4) 1b. 1, 14. In statu hominum naturali potentiam certam 
et irresistibilem jus conferre regendi imperandique in eos, qui 
resistere non possunt. Leriath. 16 p. 172. . 





518 


Bei den Unterfuchungen über das Berhältniß zwiſchen 
Obrigkeit und Unterthan behält Hobbes den Unterſchied 
im Ange zwifhen dem, was über dasſelbe naturrechtlich 
und allgemein feRfieht, und mas willfürlih und verän- 
derlich in ihm iR. Nothwendig vertritt die Obrigkeit ben 
allgemeinen Willen des Gemeinweſens. Sie beruht auf 
feinem befondern, fondern nur auf, bem allgemeinen Ber- 
trage, aus welchem der Staat hervorgeht. Daher Fann 
fie gegen feinen befondern Bertrag fehlen und durch feis 
nen Bertihg und durch fein befonderes Gefeg gebunden 
werden. Ihre Richtſchnur if nur das Naturgefeg und das 
Öffentliche Wohl 1). Bon ihr geht jedes Gefeg und je 
des Recht aus; die Gewohnheit und bie Weisheit ber 
Rechtsverſtaͤndigen lann Fein Recht bilden, wenn nicht das 
Anfehn der oberften Gewalt ſtillſchweigend ober ausbrüd« ' 
lich hinzutritt ). Nicht duch Verträge, fondern burg 
Strafen forgt die Obrigfeit für die Sicherheit; Geſetzge⸗ 
bung, das Schwerbt der Gerechtigkeit, das Recht über 
Krieg und Frieden, über alles Eigenthum der Un 
texthanen, ſogar über ihre Meinungen, fofern fie dem 
Öffentlichen Frieden gefärlich werden fönnten, kommt ber 
Obrigkeit zu ), ohne daß fie verantwortlih wäre ). 
Strafen darf fie über alle ihre Unterthanen verhängen 
ohne Beſchraͤnkung, nicht aus Race für das Vergangene, 


'1) De cive 6, 16; 7, 14; 12, 4; Leviatb. 18 p. 172. 

2) A dislogue betw. a philos. and a stud. of comm. laws 
p- 590. It is not wisdom, but authority, that makes a law. 
De cive 14, 15. 

3) De cive 6, 5 2qq. 

4) 1b. 8, 12. 


9 


ſondern zur Sicherung für die Zukunft, zur Beſſerung 
oder zur Abfchredung ?). Die befondern Verträge der 
Bürger nimmt fie unter ihre Gewähr und beflätigt auch 
das Naturgejeg, welches uns anweiſt bei Streitigfeiten 
über das Recht unter den unparteiiſchen Schiedsrichter 
und zu fielen). Wir fehen, Hobbes ift gegen die Theis 
lung der Gewalten im Staate; fie ſteht mit dem Begriffe 
der höchſten Gewalt in Widerſpruch und widerfpricht alfo dem 
Naturrechte, weiches bie Höchfte Gewalt im Staate forbert 5). 
Alles aber, was Hobbes in der angegebenen Weiſe 
aus dem Begriffe des Gemeinwefens als Naturreht abs 
leitet, trifft doch nur eine Gebanfeneinheit. Die höchfte 
Gewalt beruht ihm, nicht anders als ben- Fatpolifchen 
Politilern, bei der Menge bes Volles; fie bleibt fortwäs 
rend bei biefer, fo daß Hobbes nicht im geringfien daran 
aweifelt, daß alle Bürger die Obrigkeit zu jeder Zeit auf⸗ 
hebtn oder anders übertragen könnten. Nur hütet er ſich 
vor dem Irrthum derer, welche unter dem Volle nur bie 
Unterthanen mit Ausfhluß der Obrigkeit verfiehen. Eis 
nigfeit des Willens im Volle würbe nicht fattfinden, 
wenn die Menge des Volles eine Anderung der Obrig- 
teit wollte, die Obrigkeit aber nicht *). Hierin zeigt ſich 
am deutlichſten, daß bie Einheit des Volles nur ein Ge 
banfending ift, deffen Wille niemals eine Wirkung haben 
wurde, wenn nicht eine willluürliche Übereinkunft über die 
höcfte Obrigkeit hinzuträte. Wie Orotius nimmt Hob⸗ 


1) 1b. 3, 11. ” 
2) 1b. 2, 11; 3, 20. 

TA: 

4) Ib. 6, 20. 


bes an, daß in Gtanten, welche durch Übereinfunft ent- 
Behen, fie durch den Willen ber Mehrheit zu einem recht⸗ 
lichen Befande klomme. Sollte auch jemand den Willen 
der Mehrpeit in der Einfegung der hoͤchſten Gewalt nicht 
theilen, fo würde doch die Mehrheit fih nicht abhalten 
laſſen ipu durchzuführen und der dagegen ſtimmende Theil _ 
würde alsdann nad dem Rechte der Natur ald Feind 
behandelt und zur Unterwerfung gezwungen werben 2). 
Aber eine andere Sache iſt ed nun, nachdem der Staat 
dur Einfegung ber Obrigkeit fih eine Verfaſſung gege⸗ 
ben hatz durch eine folhe Berfaflung wird das Recht ber 
Mehrheit aufgehoben und es haf alsbann nur noch bie 
Obrigkeit das Recht über den Willen des Gemeinweſens 
zu entſcheiden, möge bie höchſte Gewalt in der Hand ei- 
nes Mannes oder einer Berfammlung ber Bürger fein). 
Die netürlipe Gleichheit der Menſchen hört auf, fobald 
bie politiſche Ungleichheit beginnt. Die höchſte Gewalt 
im Staate iſt nur dadurch, daß die Unterthanen der 
Obrigkeit/ ſich volllommen unterwerfen. Daher pflanzt ſich 
auch die Obrigkeit durch ihre eigenen Anordnungen fort; 
durch die Unterwerfung der Unterthanen hat ſie auch das 
Recht erhalten ihre Nachfolger zu beſtellen ohne gefeg- 
He Befchränfung. Selb ungerechten Befehlen der 
Oprigfeit zu gehorchen find wir nun verpflichtet mit eins 

1) Ib. 6, 2. Quod si quis nolit consentire, caeteri sine eo 
eiritatem nihilo minus inter se constituent. Ex quo fiet, ut 
civitas in dissenticntem jus suum primaevum retineat, hoo est 
jus belli ui in hostem. . 

2) Ib. 6, 20. Durd die Gonftituirung des Staats iR das Dolt 


aufgehoben. Ib. 7, 5; 8 Populum ut personam unam summo 
imperio — — tranalato non amplius esistere. 


iger Ausnahme ſolcher Befehle, welche nicht weniger hart 
oder härter als ber Tod fein würden Y. Den Tyrannen« 
morb billigt natürlich Hobbes nit. Die Obrigfeit, melde 
mit Recht herſcht, für tyranniſch zu halten ift ſchon ein. 
Irrthum; für ihre einzelnen Handlungen if fie niemanden 
verantwortlich; wenn fie aber nicht mit Recht herſchen 
ſollte, würde fie gar nicht Obrigfeit, fonbern ein Feind 
des Staates fein 2). Auch die Obrigkeit, welche in ein« 
zelnen Faͤllen Ungerechtes gebietet, gewährt doch "immer 
noch die größte Wohlthat, bie Sicherheit des Gemeinwe⸗ 
fens, und daher find wir ihr Unterwerfung ſchuldig. Nur 
wenn bie rechtmäßig eingefegte Obrigfeit ung Schug zu 
gewähren bie Macht verloren haben ſollte, ſpricht ung 
Hobbes vom Gehorfam gegen fie frei), Die Härte, 
mit welcher Hobbes den Gehorfam gegen. bie vechtmäßige 
Obrigkeit einforbert, ſucht er nur dadurch zu mildern, 
daß er zwifgen Recht und Übung ber höchften Gewalt 
unterfheibet; wärend er’ jenes auf das Unbedingtefte ans 
ſtrengt, meint er, daß biefe in den äußerften Grenzen ber 
Billigkeit gehalten werden ſollte *). 

Es kann auffallen, daß Hobbes, ähnlich wie Grotius, 
nur nachträglich den natürlichen von dem künftlich gebil- 
deten Staat unterfcheidet I. Da ex von ber Naturlehre 
ausging, hätte man das Umgefehrte erwarten Fönnen. 
1) B. 6, 13; 12,2. 

2) Ib. 12,3. - 

3) De corp. pol. II, 1, 5; upon the reputation p. 690. Pro- 
tection and obedience are relative. Diefer Grundfag war ten 
Royaliften im Eril anftdfig. 

4) De cive 13, 1. 

5) Ib. 5, 12; Leviath. 17 p. 171 29. 


Der Grund Hiervon liegt aber wohl darin, daß der nas 
türlige Staat doch aud gewiſſermaßen durch Kunft gebil⸗ 
det und mur zufammengefegter if, als ber Fünflich gebil- 
dete; denn wärend biefer auf einem, beruht jener auf 
‘vielen Berträgen. Er hat feinen Grund in der Unterwer ⸗ 
fung der Schwaͤchern unter den Stärken. Hobbes unter: 
ſcheidet hierin wieder zwei Bälle, nemlich die Unterwerfung 
der Überwwunbenen unter den Sieger und bie Untertwers 
fung der Kinder unter bie Eltern 3. Aus ber erſtern 
geht die Herefcpaft des Herrn über bie Sklaven, aus 
der andern bie patrimoniale Herrſchaft hervor. Beide 
vereinigen ſich mit einander, weil fie im Weſentlichen auf“ 
derfelben Grundlage beruhn I. 

Die Herrfhaft über Sklaven unterſcheidet Hobbes von 
der Herrſchaft über Gefangene, welche in Keiten gehalten 
und nur durch Gewalt zur Arbeit gebracht werben. Das 
Recht ſolche Gefangene zu Halten folgt aus dem Krieges 
rechte. Hartnädigen Beinden dürfen wir jede Macht uns 
zu ſchaden nehmen. Aber dadurch, daß wir ihnen das 
Leben ſchenken werben fie noch nicht verpflichtet ung zu 
ſchonen; Flucht und Toͤdtung ihres Gewaltherſchers if 
ihnen erlaubt; zwiſchen ihnen und uns befteht Fein Bere 
trag. Wenn wir dagegen ben Sklaven eine weitere Frei⸗ 
heit ſchenken, ihnen fogar Güter bes Lebens als Eigen 
thum zu erwerben geftatten, fo ſetzt dies Unterwerfung 

‚des Slklaven und Vertrauen bes Herrn, einen Vertrag 
zwiſchen beiden voraus, burch welchen ber Herr bie Frei⸗ 


yILı 
2) De cive 8, 1. 


x 


heit von Ketten und Banden gewährt, der Sllav Gehor⸗ 
fam verfpricht in gleichem Maße, ald wenn er in Ketten 
und Gefängniß läge), So ift für den Staat, welcher 
in dieſer Weife ſich bildet, die unbeſchraͤnkte Herrſchaft 
der Obrigkeit geſichert. 

Verwidelter it das Rechtsverhaͤltniß der Kinder -zum 
Bater. Daß bie Kinder vom Bater ihre Geburt haben, 
giebt ihm kein unbedingtes Recht über fie, befonders weil 
auch die Vaterſchaft unſicher iſt. Der Mutter fommt bie. 
natürliche Herrſchaft über das Kind zu, nicht als Mutter, 
fondern weil fie das Kind zuerft in ihrer Gewalt hat. 
Sie Tann es ausfegen ober aufziehn. Wenn fie aber 
das letztere thut, fo wird dabei ber Vertrag vorausgeſetzt, 
daß es nicht erwachfen ihr Feind werben ſolle, welches 
im Stande der Natur nicht, ausbleihen würde. Daher 
ſteht das erzogene Kind vertragsmäßig unter ber Herrs 
ſchaft der Mutter, welche das Kind aufzieht. Doch würde 
diefe Herrſchaft auch auf jeden andern übergehn können, - 
welcher das Kind aufzöge. Auch wenn die Mutter, welche 
das Kind aufzieht, in der Herrſchaft eines andern iſt, 
erwirbt biefer zugleich mit der Herrfchaft über die Mutter 
die Herrſchaft über das Kind. Es folgt daraus, daß 
auch das nachwachſende Geſchlecht unter die Herrſchaft 
der rechtlich beſtehenden Obrigkeit kommt. Es folgt daraus 
nicht minder, daß der Vater, welchem die Mutter in der 
Ehe ſich unterworfen hat, hierdurch Herr bes Kinde 
wird. Die Ehe. betrachtet Hobbes als einen Vertrag, 
durch welchen die Sram unter bie Gewalt bed Mannes 


1) 1b. 8, 309g. 


kommt, nicht weil bie rau fopwäder als der Mam 
iR, fondern weil nad unfern willlürlichen Einrichtungen 
die Herrſchaft in ber Ehe wie im Gtaate beim Manne 
iſt . Hierans fliegt nun alles andere, was zur Herſtel⸗ 
lung eines patrimonialen Reiches gehört. Der Bamilien- 
vater gewinnt bie unbefhränfte Herrſchaft über feine Frau, 
ihre Kinder, über bie Sklaven und ihre Nachkommen⸗ 
ſchaft und es Täßt ſich denfen, daß auf diefe Weiſe ein 
Staat fi bildet, welcher hinreichende Macht befigt um 
innere und äußere Sicherheit zu gewähren, Die Berpält- 
niſſe in ihm werben alsdann in berfelben Weiſe fih ge 
alten, als wenn er durch fünftliche Einrichtung entſtan⸗ 
den waͤre 2). 
Da nun aber im Staate alles von der oberſten Ge⸗ 
walt abhängen ſoll, fo beruht auch die Verſchiedenheit 
der Staatsformen nur auf der Weiſe, wie die oberſte 
Gewalt beſtellt iR. Es iR folgerichtig von Hobbes ger 
dacht, daß er dabei mur bie Zahl der Perfonen in der 
oberfien Gewalt berüdfihtigt, weil alles von ihrer per⸗ 
ſoͤnlichen Willlür abhängen und im Naturzuflande alle 
Perſonen gleich fein follen. Demnad find drei Arten ber 
Staatsverfaffung möglich. Entweder kann bie hoͤchſte Ge 
walt beim ganzen Volle, ober bei einigen Vornehmen 
oder bei einem Manne fein. So unterſcheiden wir Des 
mokratie, Ariftofratie und Monarchie. Die beiden erſten 
werben jedoch auch bem dritten entgegengefept, weil 
ie mit einander gemein haben, daß .bei einer Mehrheit 


1) 16.9, 129g 
2) 1b. 9, 10. 


325 


ober einer Berfammlung der Bürger bie Gewalt if, und 
fallen deswegen für Hobbes meiftens unter denſelben Ges 
ſichtspunkt. Tyrannei dagegen, Oligarchie und Anarchie 
Odlokratie) gelten ihm nur als Schimpfnamen 1)y. Wenn 
er nun feiner Gewohnheit nach von dem ünflich einge⸗ 
richteten Staate ausgeht, fo ift ihm freilich die Demo- 
kratie vor allen andern Formen bes Staates. Denn 
auerft muß die ganze Bürgerfhaft über die Staatseinrich- 
tung entſcheiden I. Nachdem aber Berfaffung angeords 
net ift, eriflirt das Volk nicht mehr, fondern nur die 
höchſte Gewalt hat das Wolf zu vertreten und ihr allein 
iſt Gehorſam zu leiſten 3). - Bon den drei Formen bes 
Staats ift aber die Monarchie bei weitem bie beſte. Die 
Gründe, melde Hobbes für dieſen Say geltend macht, 
follen nur Wahrſcheinlichkeit gewaͤhren; Hobbes meint, es 
wäre dies ber einzige Satz in feiner Lehre vom Staats⸗ 
Bürger, welden ex nicht fireng bewieſen hätte. Mir 
werden nicht nöthig haben in alle Erwägungen ber Nüge 
lichkeitstheorie einzugehn, welche Hobbes hierbei vor⸗ 
Bringt. Es mag erwähnt werden, baß er bie Gefahren 
großer Verſammlungen zur Berathung bes Gemeinwohls 
weitlaͤuftig erörtert und hervorhebt, wie fie ber leiden 
ſchaftlichen und Leidenſchaften erregenden Berebtfamfeit eine 
verberblihe Gewalt geben, wie fie Bartionen begünftigen 


1) Ib. 7, 1 sq.; Leviath, 19 p. 177; de corp. pol. I, 1, 3. 
* 2) De corp. pol. 1, 2, 1; die Veſchrankung auf den küͤnſnich 
eingerichteten Staat liegt in de cive 7, 5. 
3) De cire 7, 5; 8..q,; Il. . 
4) Ib. praef. Quam rem unam in hoc libro non demon- 
stratam, sed probabiliter positam esse profiteor. * 


828 


und bie unwiſſende Menge zur Gewalt reizen; ex if da⸗ 
von überzeugt, daß ein verländiger Mann bei weiten 
Höger ſei, als die große Zapl des Volles, und meint, 
daß die Freiheit der Einzelnen fich beſſer dabei flehe, wenn 
fie nur einem Manne, als wenn fie der Mafie des Bol 
les unterworfen if. Auch der erblichen Monarchie redet 
er das Wort, indem er es als nügli für das Voll au 
fieht, wenn es von ber höchften Gewalt als ein Erbei⸗ 
genthum betrachtet und wie in einer väterlichen Herrſchaft 
behandelt würde 1). Nicht ganz in Übereinkimmung mit 
feinem Eintpeilungsgrunde zieht er doch die Ariſtolratie 
näher an die Monarchie als an bie Demokratie heran, 
weit fie Erblichleit begünftigt, weil fie die Berathung an 
wenige bringt und befländiger if als der Wanlelmuth 
der Demokratie). Es. liegt aber freilich in feiner Denl⸗ 
weife im Allgemeinen, daß er- bie AriRofcatie der Demo- 
tratie und die Monarchie der Arifiofratie vorziehen muß, 
weil fene mehr, biefe am meiften vom Naturzuſtande des 
Krieges Aller gegen Alle fi entfernt. 

Die Berüdfiptigung der Zeitumftände, welde durch 
alle feine politiſchen Lehren hindurchgeht, fpricht ſich doch 
in feinem Theile derfelben fo ausführlich aus als in ſei⸗ 
nen Lehren über die Verhältniffe des Staates zur Kirqhe. 
Bei der unbebingten Herrſchaft, welche er der oberfien 


4) De cive 10, 3 »qg.; de corp. pol. 11, 5, 3 aqg.; Leviath. 
19 p. 178 2qq.; vita Hobber. p. 118. Et quantam coeta plus 
sapit unus homo. 

2) De cive 10, 19. Von einer andern Überlegung iſt es, daß 
Demokratie doch im Wefentlichen nur Ariſtokratie ſei, nemlid Her: 
ſchaſt der Redner. De corp. pol. IL, 5, 3, 


227 
Gewalt im Staate ſelbſt über die Meinungsäußerungen 
ber Bürger beilegte, mußte ihm bie Unabhängigkeit, welche 
die Kirche forderte, den. größten Anftop.geben. In ben 
firchlich⸗ politiſchen Bewegungen feines Vaterlandes ſah 
er bie Gefärbung bes Friedens, welche die Anſprüche auf 
tirchliche Freiheit nach ſich ziehen müßten, in rohefter.Geftalt 
vor ſich auffteigen. Er zögerte nicht biefen Eingriffen der 
Religion in bie Rechte des Staats ſich entgegenzufegen. 
Den katholiſchen Tpeologen, von welchen feine Staats: 
lehre manden Grunbfag geborgt hatte, mußte er. wider⸗ 
ſprechen, weil fie die Herrfchaft über die Seele von der 
Herrſchaft über den Leib unterfhieden, wärend ihm ein 
folder Gegenfag fremd. wat. In vollem Widerſpruch ge- 
gen fie erklärte er die höchſte Gewalt für die. Seele des 
Staats und in einer ziemlich weitläuftigen Unterfuhung 
beſtritt er die Lehren Bellarmins ?). Gegen die Proteftan- 
ten, welche fih auch auf ihr Gewiſſen, auf die heis 
Tige Schrift und auf befondere Erleuchtungen beriefen, 
machte er die Trüglichkeit in den Ausfagen des Gewiſſens 
und bes Glaubens geltend 9 und’ befritt bie Erleuchtun⸗ 
gen, welde und den Sinn ber heiligen Schrift eröffnen 
ſollten, indem ex dagegen bie vernunftmäßige Auslegung 
der heiligen Schrift mit feiner Staatslehre in Übereinftim- 
mung fand, aber auch der Überzeugung war, daß in ber 





4) Leviath. 42 p. 344 2gq. 

2) Hum. nat. 6, 8. Conscience I therefore define to be 
opinion of evidence. Ühnlich über Glauben. Ib, 11,8. Doch 
haben wir gefehn, daß er auf das Gewiſſen als forum internum 
Gewicht fegte. Berg. Leviath. 15 p. 164.: Auch hier ift eine gwei⸗ 
beutigkeit feines Sprachgebrauchs nicht zu verkennen. 


’ 
[3 


Bibel viel Dunfeles liege, welches aufzuhellen uns nicht 
gelingen würde, und baß es baher am gerathenften fei, 
an bie deutlichſten Ausſprüche ber Schrift fih zu halten ?). 
So findet ſich Hobbes in einem Streite mit allen kirchli⸗ 
Gen Parteien feiner Zeit. Geinen wiſſenſchaftlichen und 
politiſchen Anfichten Tann er nicht entſagen; er ift vielmehr 
davon überzeugt, bag im gegenwärtigen Vollksglauben 
und in ben Lehren ber Theologie noch ſehr viel von dem 
Reiche der Finſterniß herſche, welches von der Wiſſen⸗ 
haft und dem wahren Olauben befritten werben müfle). 
Religion und Glauben will er nicht beflteiten. Die Res 
Tigion if ein natürlicher Affect 5), welcher zwar Teicht mit 
Aberglauben ſich mifcht, aber von ihm gereinigt werden ann. 
Der Glaube beruht im Vertrauen auf Andere und ihre 
Worte, und da Hobbes in der Feſtſiellung der Sprade 
und in ber Bewahrung ber Berträge auf das Bertrauen 
das größte Gewicht legt, fo fonnte er auch ben Glauben 
nicht gering achten; er iſt vielmehr geneigt in ihm ein 
Wert Gottes in uns zu erbliden, in demfelben Sinn, in 
welchem Gott alles wirken fol. Daher war es auch 
eine unerläßlihe Aufgabe für ihn zu beweifen, baß feine 
Lehre von der höchſten Gewalt im Staate dem göttlichen 
Rechte nicht widerſpreche, weder fofern es durch die Natur, 
noch fofern es durch die Offenbarung verkündet ift 9). 


1) HRım. nat. 11, 8; Leriath. 32 p. 262; 34 p. 277 2q. 

2) Der vierte Theil des Leviathan ift gegen diefeh Meic der Fin: 
ſterniß gerichtet. 

3) De hom. 12, 5. 

4) Hum. nat. 11, 9; Ler. 43 p. 362 a 

5) De eire praef.; Leyiath. 31. 


Sehr tief jedoch werben wir nicht in den vhiloloyhi · 
ſchen Gedanlen dirſes Mannes zu forſchen hoben, zoenn 
wir feine theologiſchen Lehren antwickeln wollen. Nach 
der ſenſualiſtiſchen und ſteptiſchen Haltung: finer. Philoſo⸗ 
phie konnte er es zur für eine Verwagenheit halten irgend 
eine philoſophiſche Lehre über Gott aufpyfehen.. Selbft 
die Gründe feines Überzeugung vom Sein; Gutied. tzeten 
teinasweges in befriedigender Weife bei ip. heraus. 


Den Beweis für das Sein Gottes aus feinem Begriffe . 


verwirft er, weil wir feinen Begriff von. Gott Haben 2), 
Bon dem Unendlichen Fönnen wir ung keine Vorſtellung 
machen und doch haben wir alle unſere Erkeminiſſe von 
unſern Vorſellungen. Deu eingigen Beweis, welchen wir 
für das Sein Gettes führen könnten, würhe doraus 
fließen, daß mis für elle Dinge ber Welt eine Macht 
anzunepmen haben, wehhe fie hervargebracht oben geſchaf⸗ 
fen hat, Diefer Beweis ſcheint ihen zuwailen zu, gewögenz 
aber er bemerit and wieder, feine. Philekophie Töne be⸗ 
weiſen, daß hie Welt nicht ewig. fei. Die Erfenntuih 
dea Ewigen hat ſich Gott vorbehalten; üben Gwigleit 
und Unendlichleit und über ihr Gegentheil linnen nur 
die entſcheiden, welche Gatt in, religiäfer Offenbarung zu 
feinen Dieneen beſtiumt hat⸗). . Daher sechnet er auch 
den Atpeisuus zu den Sünden nur aus Unwiſſenheit, 
welche nicht als Verbrechen ber Bürger beftraft, ſondern 
nur als dem Stante feindlich behandelt werden ſollten 9. 





1) Obi in Cart med. 88. “ 

2) Hum. nat. 11, 2; de corp. 26, 1; up. ia vop p- 2 
»9,; Leviath. 11 p- 140.09. . 

3) De eiro 14, 19. 

Geld. d. philoſ. x. 34 


880 


Beine Meinung Jedoch ſpricht er ohne Zweideutigleit da⸗ 
Hin aus, daß wir einen Anfang und Schöpfer der Welt 
anzunehmen haben, indem ihm die unenblüche Welt ebenfo 
unbegreili wie der unendliche Gott if. - Auch die Weis⸗ 
peit in der Zufammenfegung bed menſchlichen Körpers 
ſcheint ihn davon zu Überzeugen, daß wir nicht allein 
einen allmächtigen Schöpfer, fondern auf eine Intelll⸗ 
gem zum Bau der weltlichen Dinge anzunehmen haben h. 
Er entſcheidet ſich daher auch gegen die Anſicht, daß Bolt 
als Wehfeele "ober als bie Gefammtpeit der - weltlichen 
Dinge zu betrachten ſei, hält vielmeht am dem Gebanfen 
eines unendlichen geifigen und perſoͤnlichen Weſens feh, 
welches aber auch um Subſtanz zu fein Körper fein müffe9. 
Im Begriff Gottes liegt es, daß ex nicht allein, wie 
andere Gubflangen ,: in ſich, fondern aud von ſich iſt . 
Sonſt aber entſchuldigt ſich Hobbes /mit der Unbegreiflid- 
teit Gottes, wenn er in weitere Unterſuchungen über ſei⸗ 
men Begriff nicht eingeht. - Nur zweierlei Arten ber At⸗ 
tribute dürfen wir Gott beilegen, ſolche, welche unfere 
Unfäpigteit ihn zu begreifen ausdräden, und folge, welde 
ihm unfere Verehrung bezeugen 9. Jene find nur ver 
neinender Art. Unter ihnen ‚führt Hobbes an, daß wir 
Gott weder Verßand noch Willen beilegen dürften; Ber 
Rand nicht, weil alles Berfländniß-von den Sinnen fommt 


4) De bom. { p:8; an answer to bish. Bramb. p.431 24. 
9) De ciro 15, 14; an answer io bish. Bram. p-432 10. 
wo auch die Kusbrüde natura naturans- und natura naturata abge⸗ 
lehnt iverden. Ib. p. 446. — 
3) An answ. to bish, Bramb. p. ax.. 
4) Human nat. 11, 3. 3 





Ss 


und Gott feine: She haben Fin’; Witten nicht, weil 
- ei nichts zu begehcen hat.Die· andere Art der Attribute 
Oottes legt ihm meiſtens mur im hoͤchſten ABrabe bei, was 
wir an und werthſchaͤtzen, drudt nur ein: Verhaͤltniß zu 
ung aus und ſoll nicht ſein Weſen, ſondern nur unſere 
Verehrung und ·Unterwurfigleit unter feine Gebote bezeich⸗ 
nen 9.. Nur dieſe Miribute. beruühren unſere Frommigleit 
und haben Beziehung auf bie oͤffentliche Gottecverchrung . 

Die Unterſuchung ũber dieſe laͤßt ihm. doch ziemlich 
aubfuhrlich in den poſitiven Glauben eingehn, welcher un⸗ 


ter uns verbreitet iſt. Er darf ihn nicht verachten, weil 


er eine große Macht im Staate ausübt, Ju ähnlicher 
Weiſe wie Herbert iſt er bemüpt ihn von Aberglauben 
zu reinigen und auf. eine einfache Formel zurädgubringen, 
welche mit den Zweden bes ‚Staats: in keinen Streit ger 
rathen kann, Dabei iſt er aber weit davon entfernt bem 
Staat bie Herrſchaft über bie Kirche zu geben; er betrach⸗ 
tet ihn vielmehr nur: als ben Stellvertreter berfelken, in 


dem er das allgemeine Reich Gottes “ale die Voraus⸗ 


ſetzung der Religion anſieht, den Staat aber als den 
Vollſtreder des goöͤtilichen Willens in dieſem Reiche. Die 
usfprüngliche ober natürliche Religion denlt Ner ſich nem⸗ 
lich in einer aͤhnlichen Weiſe, wie den Naturzuſtand übers 
haupt, als eine Verwirrung ber verſchiedenſten Annahmen, 
als einen Streit Aller gegen Ale über die Weifen, wie 
Goit verehrt werden follte 2. Um biefen Streit. zu ver» 


1) B. 11,4; de eive 15, 14. Daß ihm Inteligenz beigelegt 
wird, iſt ſchon erwähnt worden; auch rbitrium tommt Abm. zu. 
De hom. 14, 1. 

2) Leviath, 12; de civa 15, 17. 

D 34 * 


welden put der Otaatıbin äußere Gottesverthrung zu ord ⸗ 
nen und darf fie swhnem;.. weil, der innern Srörmmigkeit 
daraus cha Nachlpeil erwachſen laqn ). ODobbes unier ⸗ 
ſcheidet aber auch van Wer natiliqn die poſitive oder 
dung .übernatürfiche Offenbarung vertundee Religion. 
Das Reich Gottes exfeectt ſich ie weiteßen Sinne über 
Die ganze Well; vom ihm jedoch fpeicht man zur im uns 
eigentfigen Sinne, denn es würde auch bie natürlichen 
Dinge und bie Feinde Gottes umfaſſen; im eigentlichen 
Sinne laſſen ſich zum Reiche Boltes nur die Menſchen 
wählen, weiche ihm Verehrung und Gehorſam zollen; alle 
dieſe hängen der natürlichen Religion au. Es widerſpricht 
dem aber auch nicht, daß. Bott ein beſonderes Reich ger 
ſtiſtet Hat unter feinen Erwäplten®). Ihnen hat er fir 
nen Willen in befondexer Weife offenbart, in dreifacher 
Weile, darch Moſes, durch Chriſtus und durch bie Apo⸗ 
ſtel ), aber immer dutch Menſchen, welchen die Erwähl- 
ten als Stellvertretern Sottes Glauben und Gehorſam 
fcholdig find. . Ihr Glaute hängt an bie Autoritaͤt der 
Siellvertreter Gottes ober. ſeiner Propheten und es if 
der einzige Glaubensartilel, welcher zur Tpeilnahme an 
das Gotteoreich Henkgt, daß wis den Propheten Gottes 
veritanen ). Über dieſen GBinkbentastiet hat nun die 





1 De cell, 

2) Leristh, 13 p. 146; 31 p. 235 2q, Daß dies ein eigentliges 
Rep, eine Monardjie tm weltlichen Simne, ein Vertrag Gottes mit 
den Menſchen ſei ib. 35. 

3) Ib. 16 9167; 42 p. 317 sq. Die dreifache Offenbarung ent⸗ 
ſoricht den dest Perfonen der Trinitat. 

4) 1b. 43 p.363. The (anum necessarium) only arte af 
faith, which the scripture macketh simply. nenenyary to salra- 





Regitrung des Staats Ice BrBahhiernt eh aſt bie notha 
wendige Bebiagung far die eilaahme am⸗ Gottearicht 
Dagegen verlangt weder "bipiYeife mad: Per sheug, Bund 
eine. Trennung des weitlihcampTbetugeiftlühen. Reichen; 
vielmehr beide geben Geſetze ıniihtjaßtein. fuͤr die: Moitrexer⸗ 
ehrung, ſondern auch Frites weuliche Leors und Die, 
weltllche Hertſchaſt · iR hard inein / Theil :beniRekig ion, 
Hobbos fucht weitlkuftigrigunGbenmefen; daß dies untet.dien 
Theolratie des Juden / ſor heweſen: hei/ deh aber aunch Ehti ⸗ 
Mus dark nichts geäͤndent habdıEu.marlite: fein: Reich 
im dieſer: Welt Riften, ſoubera: kun: Sure: Leher und. Ubrun 
rebung die Menſchen auf fein laaftigea Roich magrhesitienn 
Er ſoſtelt feinen Siaat, TondernhefhhtB Untedvieign . 
leit gegen die Dörhgkeik“ Red Biniftiges Meichsigh cabarı, 
ten). "hen fo: haben es dinıMifeftel: gemacht. ¶ Minen 
ESteliperhoiter Chritti ;Fübent.: tote Richh; haͤuen wir hn 
aber auch, ſo Würde er doch · ebenſo wenig welttiche Macht: 
haben, Bu errtius ‚eine ſolche ” ws m ‚mie 
h I 
on, id this, that Jeaus is Site ch. —E —XR 
"3 imderstond ihs king, which Gad ‚had: beloto ‚promised., by 
the prpphete of fhe old: estamgnt,.. to.send in ıhe world, tg 
reign — — under himself eleraafly and to gire hm that eferz 
nal ie, which ah lost by%ihe sin of Adam." liſterblichteit! det 
Secle mohrd' ans nicht von Mater ; ſondem aus Gnade bei. Ib. 44 
p. A7. Die Ungerehten trifft emigen Tod. An answ.,to 
Brauh. p. Ai. Über die Auferflegung herſchen ſehr finntiie 
flefunäch." Leriath. 38 8.297 sql; 41 p.6i6: ; 
N Levimdı 12; p. 146: Im the Kingdom. of Gad Ihe: polier 
and laws civil are a part of religion and therefore the distin- 
ction of temporal and spiritual ——— bur vo a ‚pie 
2) De eire 17,6. ° : . 
3) Leriath, 42 p.317; 319. 





















weliliche Macht IR WeiniOtäntergebliehen; alle Denken 
gen der Vutger firb"dminkE Gewalt der Obrigkeit; ipr 
iR durqh die offenbarte Religion nur eine göttliche Autos 
ritit zugewachſen und ſodar ‚bie Autorität aller Offenba ⸗ 
run · gewinni Geſetzeclraft nur dadurch, daß fie zum Ge⸗ 
ſetze bes Staats erheben wirbt). Die Obrigkeit iR zw 
gleich Vorccttterin Den Sgeißligen: Gewalt, Weltliche und 
geiſtliche Hercſchaft za · oennen /iſt/ verderblich; in biefen 
Leben diebt. es Tate :andekenfs idies zeilliche Oerrſchaft 
und der·Unterſchiedzwiſchen Kirche und Stans beſteht 
nur vatin, daß man die Umerthanen unterſcheidet, ſofern 
fo Deeujchen unbe ſefern fe Chriſten find. Das Gemein⸗ 
wrfen ieh! Staat Sofern ‚Die Unkertpanen. Menfipen, 
ſicche) ſafern fie Eprifteit ati”). -Hietaus- folgt,. daß 
in ühter ‚Wprißliheh Mengechie des. Rönig Biſchof · und 
Hier chriſtlichen Gemeinde iR; aur der Koönig hat 
feine Sewall anpitttehhanınhn--@ottz alle übrige Seiſtliche 
haben ihr :geifllichen Anſchn von ihm ). Hobbes zieht 
die Folgerungen des proteſtantiſchen Kirchenrechts, wel⸗ 
ches des Obrigleit des Landea ‚die Sorge für bie Got⸗ 
tedverehrung berträgk, in? dein Sinne der unbedingten 
Berthchaft, weiche er” fux den dtieben des Staats for⸗ 
dert. Die Kirche eines jeden ‚Landes iſt eine Sache für 
ſich und wird nach verfiedenen Geſchen regiert. "Mit 
den Landesgeſeten aber fann das Gewiſſen des Chriſten 
niemals im Streit gerathen, weil er das Gebot Hat der 
Obrigleit in allen Stüden gehorſam zu fein. ı Gein 





9).Ib. 42 9.300; 329. j 
2) Ib. 39 p.306; de cive 17, 21. 
3) Leriath. 42 p. 341. BE 


Glanbe an Chriſtum und alles, wad im ihm liegt, blaibte 
dabei wine freie Meinung. Venn die Ohrigleit ·chriſtlich 
iſt, ‚fo theilt fie dieſelbe wit den. Unterthanen; ſollte fie 
nicht chriſtlich fein, ſo wärbe ſich Kein Erund denlen laſ⸗ 
fen,: warum fie Unterihanm- Rrafen ſollte, welche an das 
aufünftige Rei; Eprifi glauben, aber: ſonſt den weltlichen 
Geſetzen der. ungläubigen Obrigfeit in allen Dingen, Ges 
horſam leiſten . Wir ſehen Hier, daß Hobbes doch eine 
freie Meinung geleitet, welche durch die Geſetze des 
Staats nicht verbdten werben ſoll; aber: #6 :ik: freilich 
eine Meinung, welche ſich gang innerlich "hält und in 
feine äußere Handlung umſchlaͤgt. Kußeres: und. Inneren 
ſind ihm doch. nicht. ohne alle Arenuhmt⸗ fa uberelnſinn 
mung mif.einamberın,s = in 
Was wir: nad Betrathtung feines. Bitongegunget 
erwarten mußten, :untgegengefegte Nichtungen in ber dir 
fammenfegung feiner. Gedanken/ iſt und in xcichlichem 
Maße entgegengetteten: ¶ Ergriffen von den Vrhzerbumgen, 
welche Bacon in weiteſter Auedehnung geltend gemacht 
Hatte, alles in unſerer Wiſſenſchaft von ber: ſinulichen Er⸗ 
fahrung abzuleiten/ lounte er: doch bi-mptpemakiiche Mes 
whode des Beweifes yon allgemeinen. Gruitfäpen aua 
wicht ·aufgeben 3 r wutfchloß ſich licber Ale: Wiſſenſthaft 
und alles Denken‘ der: Bernmft: ala eine. Sache ſprachli⸗ 
cher Übereinkunft zu: betreiben. In ſeinem Senſualismua 
geht\er weit geñug einzuſehn, daß wir burg unfere Eu⸗ 
pfindungen / nur zur Erlenntaiß einer Reihe von Upatfas 
chen oder innen Vewegungen kommen können; abe die 
Bm Bra ee) 


1i) Leviath, 2 p · aonya p· zoꝛ q. 





- 5 


Ente" der Naher möge er vo wit enbehern 
um er bequenue fi) Daher days das Innere Wexben in 
eine Bewetang bes Mıpers 'wuziicgen uud anzunehmen, 
dag wir durch dasfelbe einen Beweis vom Daſein der 
Eoerperwell ethielten. Seite Leher bildete ſich wm zu 
einem ent hicdenen Materialleius ans and die Weit er⸗ 
ſchlen hin als eine grohhe Kette archaniſcher Bewegungen. 
Dies anf: das ſiuiche Leben tea Menſchen angeminbt 
nie zum Gataliomus führen; mem aber daraus auch 
zu Yolgen:fdpen; vaß wir den matiniigen Zußändee ms 
nicht entziehen Zönmten, fo :gfanhie Hobbes in der willlur⸗ 
gem Eimeiptang der Sproche, anf welcher bie cenſch⸗ 
liche Bersiunft berufen fellte, und im willlarlichen Ber 
trage ein Mittel zu finden uns dem Naturzuſtande bes 
erieges Miet gegen Wlle zu Berheben. In ven eingeinen 
Dinger uber Kopera, melde. ex amahm, glaube er 
zwar Tainen ändern Drieb za erkeanen als ben Trieb der 
Gelbſiervaltung and feine Siktenlchee huldigte baper and 
dpme Rudchalt den Egoiemus, aber er meimie doch auch 
Die agheit des enfihen werde ausreichen durch bie 
Erfindung der Sprache za der allgemtinen Einſicht zu fuh⸗ 
von, baf wir mar dorch unbebingte Unterwerfung weiee 
die Obrigkeit Brichen "und Sicherheit gewinnen kdnnten, 
"ja rthob biefe Klagheit zu einem allgemeinen Gefege 
der wmenſchtichen Mod und ſthich ſelbſt den Gedanken 
nicht aus, daß unter:der-Herefihaft bes, Staats das Bob 
teoreich ſich verbreilen und alle Menſchen zu einer Oerde 
verſanuneln fol: So Tante wu. für die bunzerliche Dede 
nung bie Weihe der Religion gewinnen; fo konnte er 
auch das Willkurliche an: ein allgemeiaes Befey dar Na⸗ 


= 


tar heranziehen. Bein Rominallemus ſchien zwar Tenct 
wei Die Wahrheit wer Individuen anerkennen; ber er 
huldigte doch auch dem Gedanten an win allgemeines Nas 
turgeſet, welches alte Individuen beherſche. 

Die entgegengeſetzten Richtungen In feiner Lehre ließen 
nit erwarten, daß fie eine volle Wirkung haben würde. 
Er M daher auch nicht Haupt’ einer Schule geworden, 
Aber bie Schärfe Feiner Gebanten, welche bie äuferfien 
Bölgerungen nicht ſcheute, prägte ſich künſtigen Forſchern 
ein und die Neigungen, welchen er Folgte, Sagen zu feht 
{m der Michtung! der neuern Zeit, als daß ſie nicht wei⸗ 
tere Erfdige Hätten Haben ſollen. Im Allgemeinen be⸗ 
vetſchte ihn das Bokteben feiner Zeit nach Erkenntniß 
vor Ratur, Er ſah, daß mir dabei von den Simen 
ansgehen fen, daB wir um bie Erſcheinungen rein 
«ufzufaffen, aur det Finuligen Empfindung vertrauen fol 
len; aber firengeb als andere Naturforſcher erlannie er 
auch, daß unfere Empfindungen ums michts anderes bir 
Blaubigen als Erſchelnungen in und und Sam dadurch 
den Gedanfen nahe, welche in ber Emtötflung bes neueta 
Senſuallamus zum ſudjectiven Slrptiriemus Yeführt ho 
ben. Ex nahm auch das Beheben feiner Zeit wach ma⸗ 
thematiſcher Erltantaiß web nach Anwendang derſelhen 
auf die Naturlehte auf und ſtrebte nun bie Methede der 
Mathematik in einer noch ſtrengern Weiſe, als es biäher 
Bergen war, auf alle Wiſſenſchaften auszubehnen. Das 
matpematifihe Verfahren galt ihm für. das Berfahten der 
Vernunft Aberhaupt und das Denfen für. ein Rethnen; 
hierdurch allein meinte er einen wiſſenſchaſtlichen Safe 
meihung der Bebanfen gewimen zu koͤnnen, Wekherübet 


die Erlenntniß der Erſcheinungen hicausgiage. Aber er 
erfaunte auch beſſer als andere mathematiſche Naturfors 
ſcher, daß die Begriffe, welche wir zur Beſtimmung der 
Erſcheinungen gufammenzechnen, weit davon entfernt find 
die objective Natur der Dinge uns zu verrathen; er hielt 
fie nur für willlürliche Beſtimmungen einer Sprache, über 
weiche wir übereinfommen, und ſchloß hieraus, daß alle 
Wiſſenſchaft, welche über bie Erſcheiaungen hinansgch, 
wur eine Sache willfürliher Wortbeftimmung ſei. Uns 
Preitig ein fehr entſchiedener Ausdrud bes Zweifels. Doch 
in feiner vollen Bedeutung Tam er bei Hobbes nicht zum 
Ausbruch. Er zog bie Folgerungen ‚nicht, welche nahe 
iu liegen ſcheinen, wenn man bie Verſchiedenheit ‘der 
Sprachen bedenkt; er hatte vielmehr im Sinn, daß bie 
Sprache wenigſtens in einigen Gebieten: unferes ‚Denfens 
auf allgemeingältige Weiſe ſich feſtſtellen laſſe; unter ber 
Willkür der Vernunft ſcheint ihm doch noch eine tiefere 
Weispeit ber Natur verborgen zu liegen. Hierin leitet ihn 
ohne Zweifel bie Neigung feiner. Zeit in ber Natur ‚eine 
obfechive Wahrheit zu finden; er Uberläßt-fih ihr, indem 
« feinen Materialiemus ausbildet. ine geheime Nei⸗ 
gung hatte ſchon fange den materialiſtiſchen Vorftellungen 
wugrführt; Hobbes gab’ ihr zuerft ihren Lauf ohne alle 
Beipränfung, inbem er ſelbſt von der Unbegreiſlichteit 
Gottes fi nicht abhalten ließ zu behaupten, daß um 
etwas zu fein er Körper fein muͤſſe. Dieſes Bereben 
eine vbjective Lehre von der Natur zu gewinnen iſt nun 
unftreitig der maͤchtigſte Hebel in feinen Denfweife. Er 
beweiſt ſich als folder, indem er ihn. dazu füge auch das 
Beben bey Bernunft, welche durch ihre Willlür den Ge⸗ 





“a 


fenen pr Metz (ih. gu enffepn.Aibelnt, dem, Sayfs; be, 
Nothwendialeit u. underiperfen, Da exrſchejnt ihm alles 
in. „eiger- unüberfehbaren Verlettung der Bewegungen, 
welche die. Natur, zufammenpält, obgleich er dieſes Gefrg 
ber Natur nicht fehen, ſondern nur.ahnden. lann; da 
wird auch das Handeln des Menſchen, ſein Staat und 
feine Kirche diefem Geſehe umterworfen. Dieſer Zweig 
feiner Philyſophie, welcher wit der menſchlichen Getell. 
ſchaft ſich beſchaͤftigt, iſt vom Hobbes am forgfältigken 
und am meiſten in einem eigenthuͤmlichen Sinne ausge ⸗ 
bildet worden ; er hat auch bie maͤchtigſten Nachwirlungen 

in der folgenden Zeit gehabt. Doc ſchließen fh auch 
in ihm. ſeine Gedanken nur an die frühen Entwicclungen 
der Philoſophie an. Die Lehren, daß alle naturlichen 
Veſtrebungen auf Selbferhaltung ausgingen, daß unfere 
Affecte and -Leivgufgaften: in phyſiſcher Weiſe aus dem 
Triebe zur Selbſterhaltung floͤſen, Hatten ſchon Teleſius 
und Eremonfni- yorgeipggen, bie. Lehven vom. Staatsver⸗ 
trage und pon ber Sonveränetät des Volles Haben win 
bei -Molina, der latholiſchen Theologen und. Grotius 
gefunden, '.bie Lehre, von ber Vertretung der lirchlichen 
Sntereffen; durch den Staat war ‚von ben Proteflanten 
gelomman. „Die politiſchen Yeroegungen feiner Zeit nach un⸗ 
bedingter Monarchie hinſtrebend gaben ihm die maͤchtigſten 
Anregungen für feine Polilik ab. Wenn er. behauptete, 
daß in der Offenbarung nichts gegen die Vernunft ſein 
dürfe und dag wir in willkürlichen Beſtimmungen über 
die‘ Gottesvpexehrung unfern Willen in Oehorfam gefqn⸗ 
gen zu geben hätten i), fo hatten hieran Taurellus und. 

1) Loriaib. 32 p. 202. 





942 . 
geſchehe, obwohl ex ſich zeſtehen muß, daß unfere Et⸗ 
faprung weder weit nöd ſcharf genug iſt um alles Ge 
ſchehen überbliden- oder durchſchauen zu Können, Wenn 
er alsdann aber von der andern Seite bemerkt, wie un- 
fere Erfahrung zu befchräntt iR, um eine vollfommene 
Allgemeinheit unferer Erfenntniffe und gewähren zu koͤn⸗ 
nen, nimmt er feine Zuflucht zu der Wilfür unferer 
Sprache und fein Beſtreben if nun nur barauf gerichtet 
eine Wiſſenſchaft für den Menfcpen auszubilden. Cr hat 
es alsdann nur darauf abgefehn bie Wiffenfchaft als eine 
nöglihe Kunf auszubilden. Dieſe beſchraͤnkte Nützlich⸗ 
leitslehte laͤßt ihn jedoch in der That eine natürliche Ge 
meinſchaft unter den Menfchen vorausfegen, welche burg 
Kunf nur unterfügt und entwickelt werben foll in ber 
Übereinkunft dee Sprache wie des Staates. Durch Ver⸗ 
einigung unferer Kräfte follen wie nun Macht und Sir 
cherheit gegen bie Zufäle des Lebens ung gewinnen. Of⸗ 
fenbar {ft diefe Seite der Lehre von ihm vorherſchend 
und mit Vorliebe ausgebildet worben, indem die Staates 
lehre fein Hauptaugenmert war. Daher fommt es, daß 
feine Säge nur in einem -Tüdenhaften Zufammenhange 
unter einander ſtehn und von ihm nicht ausgeführt wor 
den iſt, wie wir in einer ununterbrochenen Seite von Urs 
ſachen und Wirkungen ſtehend, auch in der Willkür unfes 
ser Vernunft, Sprache, Staat und Kirche ausbildend an 
das allgemeine Geſetz der Ratur und anfchliegen und bie 
Zwede der Natur oder ber Borfehung ausführen helfen. 











Biertes Kapitel,“ 
Peter Gaſſendi. 


Noch einiges müffen wir über eimen Mann hinzufügen, 
welcher im Kreife ber philofophirenden Gelehrten aus ber 
erſten Häffte des 17. Jahrhundert nit ohne mannigfa- 
hen und weitverbreiteten Einfluß war. Wenn er auch 
weniger durch eigentpämlichen Geift und erfinderifhe Gabe 
als durch Gelehrfamfeit glänzte, fo machte ihn doch bie 
Vielſeitigkeit feiner Forſchungen und der gemäßigte Sinn, 
in welchem er alles - prüfte, ‘vor vielen andern geeignet 
einen Abbrud der Stimmung zu‘ geben, welde zu ſeiner 
Zeit unter den Gelehrten herſchend war. 

Peter Gaffendi wurde 1692 zu Chanterſier, einem 
Heinen Orte in der Nähe von Digne, in ber Provence 
geboren, Bon geringem Herfommen ſuchte er. im geiffi- 
den Stande ſich emporzufchwingen und erlangte durch 
Fleiß und geiſtige Regſamleit bald ben Ruf eines ausge 
zeichneten Gelehrten. Zu Lehrämtern in Digne und Air 

“befördert hatte er die Ariftotelifche Philoſophie vorzutras 
gen, wärend er ſchon durch feine Arbeiten in der Mather 
matif, in der alten Literatur und ber neuen Philoſophie 
zu freiern Anſichten gefonmen war und befonderd die 
ffeptifchen Lehten des Bives und bes Charron auf Ihn 
Eindrud gemacht Hatten, Daher!ttug er bie Lehren des 
Ariſtoteles nicht ohne kritiſche ⸗Bemerlungen vor, aus 
welcher feine erſte Schrift, paradoxe Übungen gegen bie 
Ariſtoteliler, hervorging. . Nachdem er bio geiſtlichen War⸗ 

den erhalten hatte und Probſt zu Digne geworden war, 
würbezer vurch Geſchaͤfte feiner: Kirche nach Paris ge⸗ 


su 


füpet, wo er bald in ber gelcpeten Geſellſchaft ſich eis- 
bürgerte und zuletzt ſich nieberließ, indem er durch Rider 
lien befimmt warde bie Profeffur ber Mathematik am für 
niglichen Collegium anzunehmen. Er fand in Umgang 
oder im brieflichem Vertehr wit den berũhmteſten Dännerz 
feiner „Zeit, wit Merſenne, Hobbes, Descartes, Baliki, 
in vertrauter Freundſchaft mit dem Sleptilet La Mothe 
le Bayer, Im die philoſophiſchen Streitigkeiten feiner 

Zeit wurde er oft gegogen, wie feine kritiſchen Schriften 
gegen Fiudd, Herbert, Descartes beweiſen, obwohl er 
von frieblicher Bemüthsart war. Großen Fleiß verwandte 
er auf die Erklärung ber Eyiluriſchen Philoſophie, ans 
welcher ex vieles für fein eigenes philoſophiſches Spſtem 
entuahm. Erſt nach feinem Tode, welcher 1655 eintrat, 
wurde dies Syßem belannt gemacht. 

Der Ruhm und Einſiuß Gaſſendis bei feinen Zeitge ⸗ 
noſſen beruhte hauptſaͤchlich auf feinen umfaſſenden Keunt⸗ 
niſſen, ebenſo fehr in der alten und neuern Philoſophie 
und Litteratur als in der Mathematik und Phyſil. Nicht 
ohne Grund hat Bayle von ihm gefagt, er fei unter ben 
Ppilologen der größte Philoſoph, unter den Philoſophen 
der größte Philolog geweſen. Durch bedeutende Erſin⸗ 
dungen glängte ex nicht; dem neuern Entwidlungsgauge 
der Viſſenſcheſten Hatte er ſich dach nicht mit Eutſchieden ⸗ 
beit angeſchloſſen; gegen was Copernilaniſche Syſtem hatte 
er noch ſeine Zweifel; die theologiſchen Tragen. will er 
aroar nicht der Philoſophie beimiſchen, weil wir im biefer 
mas dem Lichte der Natur zu folgen ia, und über 





1) Ei, 9.00 In dee Auchehe ſann Mh Hgi 1058 


alles, woräber die latholiſche Kirche nicht entſchieden hat, 
will er ſich feine Freiheit vorbehalten, im allem übrigen 
aber bindet ihn ber Aueſpruch der Kirche, welche von 
ſeiuen Vorfahren ihm Gdeufommen iſt . Wenn ex auch in 
feinen philoſophiſchen Unterſuchungen feiner Autorität fol⸗ 
gen will, fo gehört doch ſeine Darſtellungsweiſe noch fehr 
dex frühern Zeit an, in welcher man er. nach Unterfu- 
Gang. aller alten Autoritäten zur Entſcheidung kommen 
fonnte. Er ficht: an ber Grengſcheide ber Zeiten, welche 
von ber Rahehnung des. Alterthums zu der entichiebenen 
Reform_ber Philoſophie in neuen Sphemen fih wandten, 
Sein. @eift iſt daher u nicht ſehr entſchieben, vielmehr 
durchaus ſleptiſch gefimmt, fo daß er überall, wo über 
die Erſcheinuugen hinausgegangen wird, nur Wahrſchein⸗ 
lichleit findet, warn er ‚dans freilich einen mittleren Weg 
zwiſchen Shepticigmus und Dogmatismus finden wil?). 
Obgleich die Phoſtt ihm her Haupttheil ber Philoſophie 
iR, weil, fie. allein über die Wapıpeib der Dinge uns 
untersichtet 5). fünbet:.en doch, daß fie am meiſten gegen 
den Dogmatismus ſpreche, weil wir ung glüdtih fhägen 
müßten, wenn wir in. ihr chwas Wahrſcheinliches ente 
deden Kännten.*%. Die Principien der Natur als folhe 
loͤnnen wir wicht. beweiſen, ſondern nur annehmen ). 
Dennoch will ex dem Slepticismus ſich nicht ergeben; 
wenn. er behaupie, daß nichts ſei, fo. liege hierin ein Wis 





1) Synt. phil, ib, progem.-® p. 29 b,.2q.- 

2) LLʒ log. II, 5; instit. log. p. 104. a. 

3) Lib. prooem. 1; phys. prooem. p. 125. a. 

4) Log. U, 5 p.79. 

5) Phys. sect, 1 1. III p.275. b. .r 
Veſch. d. Philol. X 35 


derſpruch; denn wer fo etwas behaupte, ber fege in ſei⸗ 
nem Behaupten und Schließen fein eigenes Sein voraus H. 
Der Sleptiler muß doch die Wahrpeit der Ericheinun 
gen zugeſtehn; auch braucht man ihm wit zugugeben, daß 
fie nur erinnernde Zeichen abwerfen, ſondern unſere 
Schluſſe fuhren uns auf Entbedung verborgener Dinge. 
Gaffendi um dies zu zeigen führt freilich folche Bei⸗ 
fpiele an, welche nur gegenwärtig verbergene Erſcheinun ⸗ 
gen uns entbeden laſſen 9; aber. aus feinem philoſophi⸗ 
fen Spfteme fehen wir, ba er der Meinung if, wer 
nigftens in wahrſcheinlichen Muthmaßungen könnten wir 
aud zu den Gründen der Erfheinungen vorbringen. So 
entſchlaͤgt er fi aber der Strenge wiſſenſchaftlicher For⸗ 
ſchungen und fucht nur die Meinungen anderer Philoſo⸗ 
phen prüfend die wahrſcheinlichſten Muthmaßungen zu 
gewinnen. Wenn er fi) den Meinungen des Ariftoteles 
entzogen hat, fo iR er dagegen ben Meinungen des Epi⸗ 
tur in bie Hände gefallen. Gr: folgt ihnen zwar nicht 
ohne Abänderungen, aber doch eben nit andere als bie 
Philoſophen unferes vorigen Zeitabſchnitts den Meinuns 
gen anderer alten Philoſophen zu folgen pflegte. Bir 
würden baher in ber Tpat geneigt fein ihn feiner Denf« 
weife nach jenem Abſchnitte zuzurechnen, wenn wir wicht 
zu beachten Hätten, baß er doch in ber Haltung feiner 
Unterfüchungen mit ber von Baeon eingeleiteien Reform 
in ber mannigfaltigßen Berürung ſteht und' daß felbk 
feine Erneuerung der Epiluriſchen Atomenlehre ein ber 
» . 


1) Log. Il, 5 p.80. a, 
2) Ib. p-B1. bog. 





847 


deutendes Glied für bie —— Gut. der 
neuen Philoſophie abgegeben hat. 

Seine Lehren hat er in ein — nſcnverngeleii- 
welches ber Eintheilung ber alten Philoſophie Folgt. 
Aber die Logik ift ihm mir Einleitung und Werkzeug für 
die Erfenntnig und die Ethil behandelt er in einem kur⸗ 
zen Abriffe, in welchem er nür bärftig bie Lehren. ber 
Alten zu wiederholen : uwbigu prüfen. weiß; dagegen. if 
ihm die Phyſik die Hauptſache, bie: eigenfliche theoretiſche 
Ppitofophie, die Lehre von der Wahrheit; ſie wird von 
ihm in allen ipren Theilen, welche denn doch fehr dem Arts 
ſtoteliſchen Schema gleichen, fehr ausführlich behandelt 2). 
Er findet es nicht unmöglich in ihr ‚von ‚allgemeinen 
Grundfägen auszugehn, welche ber alten Metaphyſil glei⸗ 
hen würden; weil aber folhe.Grundfäge fehr dem Streit 
ausgefegt fein bürften, wählt er lieber den Weg bie eingel- 
nen Theile der Phyſik zu.unterfuchen, um aus ihnen die 
allgemeinen Grundſaͤtze abzunehmen 2). 

Dies Verfahren ſtimmt mit ſeiner Grtenntniplehee 
überein, indem er ohne Bedenken non ber ſinnlichen Ets 
kenntniß des Befondern alle unfere Wiſſenſchaft ableitet. 
Unfere Seele ift eine leere Tafel, in welde alles buch 
die Sinne eingefchrieben werben muß. Nichts iſt im Ber⸗ 
flande, was nicht zuvor in ben Sinnen war, Dem 
Mangel eines Sinnes folgt auch der Mangel der ipm 
entſprechenden Erlenntniß 9. Carteſius Hatte fehr Unrecht 


1) Lib. prooem. 1. 

2) Phys, prooem. p. {31 2q. 

8) Inst. log. 1 p.92.b. Omnis, quae'in mente Imbetur, idea 
ortum ducit a sensibus. . 


35* 


4“ 

die Lehren Bacon's zu veckhmihen. und dem Berfiande 
za vertrauen, als koͤnnte er ohne Hülfe der Sachen die 
Wahrheit erlennen ?). Nur in unferer Einbildungskraft 
bilden fi, nachdem wis von. ben Sinnen bie erfien Bor- 
Rellungen von den Dingen empfangen haben, andere Bor 
ſtellungen aus, weil fie die Faͤhigleit hat die erfien Bow 
Rellungen umgubilben.. So gewinnen wir aus einfachen 
Waprnefmungen dur .Zufammenfegung bie Vorſtellung 
des goldenen Berges; aus. ber: Wahrnehmung des Den 
ſchen geht uns durch Vergrößerung die Vorſtellung bes 
Niefen, durch Verkleinerung die: Borftellung des Zwerges 
hervor und nod andere ſolcher Berwanblungen ber ur 
ſprunglichen Vorſtellungen durch bie Einbildumgskraft wers 
den angefuhrt 7). Ähnlich wie Hobbes denlt ſich Gaſſendi 
die Thaͤtigkeiten ber Einbildungskraft als einen natürlichen 
Berlauf von. Bewegungen, iweicde aus ben urfprünglichen 
Bewegungen..ded Sinnes mis Nothwendigkeit erfolgen. 
Sie fliegen alle die Erfcheinungen in ſich, melde die 
feüpere Seelenlehre als Thätigkeiten des Ormeinfinns, ber 
Beurtheilungslꝛaft, des Gebätniffes und der Ppantafie 
son den Tpätigfeiten. ber. Einbildungsfraft hatte unter 
ſcheiden wollen, indem Gaffendi nur einen und benfelben 
Proceß der Bewegungen in unferer Seele anerfennt, wel⸗ 
Ger mit der Verlettung ber Bewegungen in unfern Ner- 
sen und in unferm Gehirn in Zuſammenhang ſteht I. 
Die Vorftellungen bes Einbildungsfraft fieht er ald eine 
fach an, obwohl fie fehr zufammengefegt fein können, ins 

1) Log. II, 6 p.90. a. . 


2) Inst. log. I p.%. b sq.; disqa, met._p. 301. a. 
8) Phys, soot. iil membr. II L VIII, 2 qq. 


dem er fie im Gegenſatz ſich dentt ‘gegen bie zuſammen⸗ 
gefegten Säge oder Ustheile, in welhen er erſt ben bes 
jahenden oder verneinenden Ausbru der wahren ober 
falſchen Gedanken erwartet, Dennoch Tann er es nicht 
für gleihgältig Halten, wie wir die Vorftellungen unferer 
Einbildungskraft bilden, da fie die Grundlage alles uns 
ſeres Dentens enthalten ſollen iy. Der erſte Theil feiner 
logiſchen Anweiſungen haubelt baher von ber richtigen 
Einbildung von welcher er verlangt, daß fle der Sache 
entfprehe 9. Es iſt hierbei Borausfegung, daß wir Sas 
Gen, einzelne Dinge oder Subſtanzen wahrnehmen ober 
empfinden koͤnnen 5), weil nur unter biefer Vorausſetzung 
aud die Einbildungskraft eine richtige Vorſtellung ber 
Sachen ſich abſtrahiren lann; daher ſetzt auch Gaſſendi 
mit feinem Führer Epikur, daß es nicht nöthig ſei das 
Dafein der körperlichen Subſtanz zu beweifen, weil fie ber 
Sinn vor allen andern Dingen ige *).. Und doch, wenn 
er genayer unterfucht, muß er nach Campanella's und 
„Anderer Borgang eingeflehn, daß wir nur ſinuliche Qua⸗ \ 
litaͤten, nicht aber Körper ober andere Subſtanzen wahr 
nehmen, und meint nun, erſt durch Induction erſchloͤſſen 
wir, daß verfhiedenen ſinnlichen Dualitäten eine ges 
meinfame Subſtanz, ein Körper, zum Grunde liege und - 





1) Inst. log. 1 p.92, a. 

2) Ib. p.92. b. Die 4 Theile der Bogif, bene imaginari, bene 
proponere, bene colligere, bene ordinare, entſprechen den Lehren 
vom Begriff, vom Urtheil, vom Schluß und von der Methode nah 
der Weife der alten Logik. Log. 1, 6 p.87. a; inst. log. praef, 
p-9. a. ’ 

3) Inst. log. 1 p. 92. a. ö 

4) Phys, set. ĩ L TIL, 1 p. 231. b. 


ber Gedanle einer ſolchen bliebe uns immer ehwas Dun 
Bes und Berpüßtes . Diefe Anficht mußte ipm um fo 
mehr einleuchten, fe weniger er geneigt war ben wahren 
Gudfanzen, welche er annahın, den Atomen, bie Quali⸗ 
täten zuzuſchreiben, welche wir an ihnen wahrnehmen. 
Man wird hiernach nicht erwarten können, bei ihm 
eine irgenb wie genaue Erflärung über das zu finden, 
was durch die finnlihe Waprnehmung und Einbildungs- 
kraft zu unferer Erkenntniß Tommi. Kaum wird es und 
noch verwundern können, daß er felbt von ben Zwedbe⸗ 
griffen, die er ber Naturforſchung bewahren möchte, fo 
fpricht, als lägen fie unfern Augen und Sinnen offen vor). 
Dies maß nun feine ganze Erlenntnißlehre ſchwanlend 
machen. Wenn er folgerichtig auf feiner ſenſualiſtiſchen 
Grundlage hätte fortbauen wollen, fo würbe er der Mes 
tpode der Induction haben folgen mäflen. Er legt au 
wirllich auf die auffleigende Reihe der Begriffe großes 
Gewicht, welche durch Sammlang und Abſtraction aus 
den beſondern Wahrnehmungen allgemeine Begriffe bilden 


5) Ib. lb, VI, 1 p.372. =. Nihil autem praeter qualitates 


a sensibus pereipitur. — — Et quamris oculus dicatur videre 
mon tanfum colorem, sed coloratum etiam corpus, atiamen 
hoc ipsum esse coloratum — — qualitas est; 'quod autem sub- 


stantiam, cui insit, simul nominamus, ob inductionem facimus, 
qua subesse aliquod subjectum qualitati ratiocinamur. — — 
Quod caput est, cum commune subjectum substantiamve esse 
in confesso sit, ea tamen semper obvelata manet, neque aut 
intelligere aut dicere, cujusmodi sit, possumus, nisi per ipsas, 
quibus efflcitur quaeque sensibus patent, qualitates. Diaqu. 
met. p.323, b; 325. b: 
4) Phys. sect. TI membr. post. 1. II, 3 p.231. 


1 


fol), und wenn er auch, aͤhnlich wie Zabarella, zwei 
Methoden der Wiſſenſchaft unterſcheidet, die analytiſche 
oder aufſtelgende and die ſynthetiſche ober abſteigende, 
and in der gegenfeitigen Probe, welde bie eine für bie 
andere abgiebt, ben wahren Faden ber Ariadne für ben 
ergarten der Wiſſenſchaft findet), fo iſt ed doch un⸗ 
zweifelhaft, daß er bie auffteigende Methode als ben 
wahren Weg der Natur betrachtet, auf welchem wir un« 
fere Kenntniffe erlangen I, wärend ihm die abfleigende 
Methode nur als ein fpäteres Werk der Kunſt erſcheint. 
Aber er Tann ſich doch der Induction Bacon’s nicht voͤl⸗ 
Hg anvertrauen; benn er bemerkt fehr richtg, daß fie zu 
threr -Bolftändigfeit- einen allgemeinen Sag vorausſetzen 
würde, welder bie Eintheilung ber durch Erfahrung zu 
erforſchenden Glieder enthalten müßte, und ba fie daher 
in der That nur eine Art des Schlußverfahrens vom Als 
gemeinen aus fel. Daher wendet er fih auch biefem 
Schlußverfahren zu *), beflen Formen er nach der Weife 

4) Inst. log. I P.93 2q. j 
- HIb. IV p. 121. a sgq. Daß Babarella ihn hierin leitete, geht 
hauptſachlich daraus hervor, daß Gaſſ. eben fo tie Zab. dabei die 
Werſchiedenheit ber theoretifchen und der praktifchen Wiſſenſchaſten im 
Auge hatte. Übrigens iſt die Unterfheidung beider Methoden fehr 
ungenau, teil verſchiedene Arten der Analyſe und Syntheſe unter ein⸗ 
ander gewirrt werden. 

9) Ib. I p. O3; IV p. 122. b. 2q. 

4) Log. 11, 6 p.90. a. Quamquam, cum in syllogismo sit 
re-ipsa robur nervusque omnis raliocinii et ne inductio quidem 
quidquam probet, nisi quia virtute syllogismus est (ob intellec- 
tam nimirum generalem propositionem, qua enunciatur omnia, 
quae enumerari possunt singularia, esse ea, quae sunt’enume- 
rata, nullumve assignari Pose, quod non sit ejusmödi) injuria 
profecto videtur syllogismus improbari, Inst. log. HIT p. 113. a, 


der Arifoteliler auseinanderſett, und findet im ihm alles 
wiffenfgafttidge Verſaheen begrändet, Gr umterfepeibel * 
baper au eine doppelte Evidenz, bes Simes nemlich 
und ber Vernunft‘). Der Ieptern zu vertrauen wird er 
unftreitig befonders - durch die Mathematit angewiefen 
welche feinen Fleiß bei@äftigtes ex hofft durch fie ſoga 
verborgene Brände der Erſcheinungen zu entbeiien 2). Den 
noch Tann ex ſich nicht enthalten ben Gap bes Ariſtoteles 
zu billigen, daß im Fall des Streites zwiſchen Bernunft 
und Sinn dem letztern mehr zu trauen ſei als ber er⸗ 
ſtern 5). Begreiflih genug, weil der Sinn bie urfpräng- 
liche Duelle aller unferer Erlenniniß fein fol, Wir aber 
werben denn freilich wohl urtheilen mäflen, ba Saffendi 
war von Grunbfägen ausgeht, welche dem Senſualiemas 
huldigen, aber auch allgemeine Grunbfäge der Bernusft 
nicht von fig alyumehren weh, deren Urſprung er ſich 
nicht ertlaͤren Tann, 

Seine Erlenntnißtheorie ſtiumt mit feiner Seelenlehre 
überein. Er findet es nemlich noͤthig bie vernünftige 
Seele des Menſchen von ber thieriſchen Seele zu unters 
ſcheiden. Daß ex hierdurch genoͤthigt wird zwei Seelen 
des Menſchen anzunehmen, ſcheint ihm eben fo ſtatthaft, 
wie bie gewöhnliche Annapıne, daß ber Menfh aus Seele 
und Leib zufammengefegt fei N). Die Gründe, welche für 
die vernünftige Seele ſprechen, beruhen darauf, daß wir 
eine immaterielle Tpätigfeit in uns anzunehmen haben, 





4) Inst. log. II 9.103. b. 2q. 

2) Log. II, 5 p.81. b. 

3) Inst. log. IV p. 122. a. B 

4) Phys. sect. III membr. por a ul, —XX 


wärend bie thieriſche Seele für ein materielle Weien gilt. 
Es werben bafür mehrere Beweiſe "angeführt. Unſer 
Berfland kann Dinge denlen, welche nicht finnlih find, 
wie Bott, das Leere, das Allgemeine, bie Tugenden und 
bie Berhältnifie der Dinge... Er iſt der-Reflerion faͤhig, 
bean er exfennt-fein Erlennen amd beſtimmt fich zum Er⸗ 
lennen; er Sann baher kein Körper fein, weil fein Kin - 
per auf ſich ſelbſt gurüdwick. Biele Gedanlen unferrs 
Berftanbes gehen weit über alles hinaus ‚ was: bie fine 
liche Einbildungskraft ſich vorſtellen laun, beſonders der 
Gedanke des Unendlichen )Y. Wenn auch dieſe Gründe 
nicht mit der. wänfchenswertpen Genauigleit eniwidgt 
werben, fie haben doch Gewicht. An biefe Behauptung 
der immateriellen Seele flieht ſich alsdann auch die 
Lehre won ber Unſterblichleit derſelben an, welhe mer 
ſentlich auf ihre Sörperlofigfeit ſich ſtüht ?). Es ſchließt 
üch wicht minder die Fraoge an nah der Verbindung ber 
immateriellen Seele wit dem Körper. Gaſſendi ſucht fie 
au ‚beantworten, indem ex unſerer vermänftigen Seele eine 
Neigung ur finnlihen Einbildungskraft zuſchreibt, durch 
deren Hülfe fie denfen und ſchließen müffe und. durch des 
ren Vermittlung. fe alsdaun auch in-Berbindung mit dem 
Körper trete ). Aber der Schwierigleiten, welche in 
allen dieſen Unterſuchungen über die immaterielle Seele, 
über ihr Weſen, ihr Fortleben nach dem Tode und ihre 
Verbindung 'mit dem Reibe liegen, beſonders für feine 
feafuatififge Dentweife, iß ih Gaſſendi auch fehr gut 
DmıiK, 2 p.41 sg; Aa 24 


2) Ib. XIV, 2 p.620. a, 
3) In IX, 2 p. M.. h. ⸗qq. i. 








554 


bewußt. Er beginnt damit, er habe feine Hoffuung bie 
Nalur der, Seele zu erſchauen; man bürfe aber doch nicht 
in Unwiſſenheit darüber bleiben, wie weit die Philoſophen 
in der Unterfuhung berfelben vorgeſchritten wären; er 
fließt damit, er wolle nur, wie er in ber Dunfelpeit 
fet, fo lallend etwas Wahrſcheinliches über die Seele vor⸗ 
tragen D. Wie Hätte es andere fein können, ba er ſich 
eingeſtehn muß, daß wir, fo lange wir im Körper find, 
durch den Sinn unfere Borftellungen bildend, auch nur 
Sinnliches und Koͤrperliches, daß wir baher ſelbſt Gott 
und nicht weniger unfere Seele nur als einen feinen Koör⸗ 
per uns vorſtellen fönnen. Was wir unförperlich zu nen⸗ 
nen pflegten, verbiente dieſen Ramen nur in Vergleich mit 
einem gröbern Körper. Dadurch will er zwar nicht behanp- 
ten, daß es Feine unförperlie Gubflanz gebe, aber daß 
eine ſolche von uns nicht gebadht werben koͤnne, fo Tange 
wir diefem Leben angehören, ſcheint ihm leinem Zweifel 
unterworfen zu fein ®. Hieraus iſt beutlich genug, daß 
auch alle die überfinnlichen Erkenntniſſe, welche aus dem 
einen Berflande gezogen werben follen, ſeinen Zweifel 
‚ unterliegen. 

Seine Lehre von ber Seele hat Gafſendi — der 
alten Philoſophie als einen Theil der Phyſik behandelt. 
Schon Hieraus wird fih ergeben, warum er die Seele 
vorherſchend als · bewegende Kraft betrachtet und alles, 

‚was er über ihre Selbfbeftimmung beifägte, nur als ein 
beitäufiger Zufag erſcheint. Geine phyſiſche Betrachtungs⸗ 





DR.LI, —E 2 p.20. 
2) Phys. sec. LLIV, 8.9.297, by soct MEL IX PARB 1. 


\ - 
385 
weiſe ift aber noch außerdem von ber Art, daß fie we⸗ 
nige und nicht fehr günftige Anfnüpfungspunfte für die. 
Seelenlehre darbietet, Wir haben bemerkt, daß er, obs 
gleih die Sinne nur Qualitäten und erfennen laſſen folls 
ten, doch mit dem Epilur behauptete, die Sinne bejeug ⸗ 
ten und vor allen Dingen das Daſein ber Körper, und 
fo wurbe er denn auch dahin geführt zunächft die Welt 
als Körperwelt zu unterſuchen. Der Betrachtung des mas - 
“ teriellen Principe fickt er nur einige allgemeinere Unter⸗ 
ſuchungen voraus. Sie betreffen die Einheit ber Welt, 
welche doch nur aus Gründen bes religiöfen Glaubens 
angenommen wird 1), und bie tranfoendenten Bedingungen 
der Körperwelt, nemlih Raum und Zeit, Hierbei fol 
auch das Dafein bes Leeren bewiefen werden, theils wie 
es über ale Welt hinaus fih erfitede, theils wie es zer⸗ 
freut in der Welt fei, damit die. Bewegung Raum finde. 
Dafür fann er freilich die Sinne nicht zu Zeugen aufrus 
fen; aber Schlüffe aus Erfahrungen entnommen führen 
darauf und ſelbſt, daß es maflenweife vorfomme, follen 
Verſuche beweiſen 3. Alles dies dient natürlich zur Bes 
gründung der Atomenlehre, welche in ben Unterſuchungen 
über das materielle Princip den Mittelpunlt abgiebt. 
Wir haben gefehn, tie Bacon und Hobbes darauf 
gebrungen hatten, daß wir das Kleinſte in ‚ver Natur 
erforſchen müßten um ihre Geheimniſſe zu ergründen, 
Wie Bacon nicht allein auf die Heinften Proceffe und 
Bewegungen, fonbern aud auf bie kleinſten Formen ber 
Koͤrperwelt die Aufmerffamfeit gerichtet hatte, fo war 


* 4) Phys. sec IL1, 2, 
2) B. LII, 2;3 3;4. 


auch von Hobbes, vieleicht nit ohne Einwirkung Gaſ⸗ 
fees, die Annahme Meinfer Körper empfolen worben. 
Die Atomenlehre Gaſſendis ergiebt ih hieraus wie eine 
durch bie Zeit gereifte Frucht unb er pat in Beziehung 
auf fie nur das Verdienſt in Anſpruch zu nehmen, daß 
er bie Beſtrebungen feiner Vorgänger und Zeitgenofien 
in eine beſtimmtere Geſtalt brachte, Und hierzu war ihm 
überdies feine Keuntniß der Epiluriſchen Philoſophie 
bebaiſlich, welcher ex. faR in allen Punkten ber Atomen 
lehre beiſtimmte. Dem Grundfage folgend, daß in ber 
Natur niches ans nichts werde und nichts in nichts ſich 
verwanbeln laſſe 2), macht er bie Erfahrung geltend, dag 
die Natur alles aus bem Kleinſten und in ummerklichen 
Abänderungen bilde, wobei nad dem Borgange ber Alten 
befonbers der Nahrungsproceh hervorgehoben wird, und 
fügt daran die Forderung, daß man in der Anafyfe der 
Erſcheinungen auf ein Leptes kommen müſſe 2). Die 
Lehre von ber Theilbarkeit des Körpers in das Unend⸗ 
liche ſcheint ihm daher fehr widerfinnig”). Wenn auch 
der kleinſte Körper noch unterjcpeibbare Theile haben muß, 
fo folgt daraus zwar, daß ex nicht ſchlechthin das Kleinfe 
iR, aber feine Tpeile Können’ doch fo genau mit einander 
verbunden fein, daß es Feine Kraft in ber Natur giebt, 
welche fie treanen Eönnte, und alddann werben wir ihn 
ein Atom nennen bürfen 9. Mehr von dem allgemeinen 





4) Ib. LIU, 1 p.234. e 

2) Ib. 5 p.250. b. 

3) Ib. p.261. b. . 

4) Dies ift dem Gartefius entgegengefeht, wel ger die Atemenlehre 
aus dem Grunde beſtritt, weil Gott alles, was Theile hätte, würde 


’‚ 


8337 


malhematiſchen Begriffe des Körperd ale von ber Erfahr 
zung: ausgehend, ſtimmt Gaffendi auch darin mit dem 
Epilur überein, daß die Atome Teine ſinnliche Eigenſchaf⸗ 
ten haben, wiewohl er eingefehn hatte, daß unfere. Siune 
nur finnliche Eigenfpaften erkennen. Die Atome find ihm 
nemlich fo Heine Körper, Kap fie durch feinen Sinn er⸗ 
kannt werben Können, etwas durchaus Unſinnliches; bie 
Dugalitäten der Körper find dagegen nur Arten ihrer Zur 
Tarmmenfegung, Die Atome find nichts weiter als Koͤr⸗ 
pe; ihre Aufainmenfegung aber macht den Körper zu eis 
mem fo ober fo beſchaffenen Körper). Daher werben 
denn Wärme, Licht, Farbe, Ton und andere ſinnliche 
Beſchaffenheiten oder Erfpeinungen nur ans ber Zuſam⸗ 
menſetzung und Bewegung ber Atome erffärt. Gaſſendi 
Konnte nit wopl-überfehn, daß er durch biefe Lehre non 
"ven Atomen weit über das ſich verſtieg, was feine Füh⸗ 
zerin, bie ſinnliche Wahrnehmung, im beglaubigte, und 
daher betrachtet er auch den Atomismus nur als eine 
wabhrſcheinliche Hypothefe 2. 
Für die Atome bleibt ihm nun zunächft nichts weiter 
übrig außer Groͤße und Figur des Körpers; daß fie duch 





teilen tönrien. Ib.256. b, Adnotaro ante lubel aiei Kroner, 
mon ut vulgo 'putant, — — quod partibus careat,. sed quod 
ita solida et, ut ita dicam, dura compactaque sit, ut divisioni, 
sectionive et plagae nullum locum faciat, seu quod ntlla vis 
in natura sit, quae dividere illam possit. 

4) b.1. VI, 1 p.372. a. sq. Hinc potest quidem qualitas ° 
definiri modus sese habendi substantiae sen status et oonditio, 
qua materialia principia.inter se commista se habent 

2) Ib. 1. I, 5 p.258. b.; 8 p.279. Videri possa atomos 
pro materiali rerum principio primaye materia admilti. 


558 


ihre Undurchdringlichteit der Bewegung anderer Körper 
einen Widerfland entgegenfegen, glaubt Gaſſendi nach dem 
Borgange des Epikur nicht befonders hinzufegen zu müf- 
fen, weil bie eine allgemeine Eigenſchaft des Körpers 
ſei Hz doch wird daraus die Bewegung abgeleitet, welche 
ein Körper dem andern mittpeilt (motus reflexus) 2). 
Biel bedenklicger iſt es, daß Gaffendi ben Momen auch 
Schwere beilegt, wie Epilur gethan hatte, und fogar, 
feinem Meifter getreu, die Abweichung ber Atome von 
ihrer grablinigen Fallbewegung zu vertheidigen geneigt iſt, 
obwohl er einige Befchränfungen beifügt, um nicht eine 
grundloſe Bewegung zugeben zu müflen. Das Reinhy- 
pothetiſche in dieſer Annahme vertheidigt er dadurch, baf 
wir alle Principien nur annehmen, aber nicht beweiſen 
könnten ). Durch diefe Annahmen greift ex hinüber in 
bie Unterfugungen über das bewegende Princip, indem 
er die Schwere als eine den Atomen innerliche und 
eingeborne Neigung zur Bewegung betrachtet oder als 
eine Kraft, durch welche fie ſich ſelbſt bewegen können *). 
Dies widerfpricht feiner Lehre, daß fein Körper, ja über 
Haupt feine Subſtanz, auf ſich ſelbſt zurüdwirten koöͤnne 9), 
es widerſpricht auch der Anſicht, daß die Atome nur der 
materiellen Urſache angehören , von welcher die wirkende 
Urſache unterſchieden wird. Daher fieht er fih denn auf 
genoͤthigt Hinzuzufegen, bie Bewegung der Atome wäre 





4) I. 6 p.267. 4. 

2) Ib. 7 p.274. a 

3) Ib. 7 P.275 294. 

4) Ib. 6 2.266. b; 7 p.273. b. 
5) Disp. met. p. 332. b. 


> 


2 359. “ 
dog im Testen Grunde nur auf Gott zurüdzuführen 1), 
In ihm nemlich erblidt er nicht allein die erſte bewegende 
Urſache, ſondern auch den Schöpfer aller Dinge. Einen 
ſolchen anzunehmen wird er freilich nur durch ungenügende 
Gründe bewogen, man müßte denn meinen, daß feine 
Abweichungen von ben fenfualififcgen Grundfägen ihm 
ein Recht gäben zu behaupten, daß ber Begriff Gottes 
unferm Geifte von Natur eingepflanzt ſei ). Mit der 
wirkenden nemlich verbindet er die formende und .bie 
Zwedurſache, ber: allgemein verbreiteten Vorſtellungsweiſe 
folgend 5) und Iegt befonders auf die letztere Gewicht, 
indem er, wie ſchon bemerkt, bie Unterfuchung der Zwecke 
aus der Phyſik nicht verbannt wiffen will, ſich vielmehr 
der Meinung, dag Ordnung und Schönpeit in der Welt nur 
zufällig fih fänden,, mit allem Eifer entgegenfegt. . Bon 
da ſchwingt er fih hinauf zu dem Gedanken nicht allein 
eines verflänbigen Regierers, fondern auch. eines Urhebers 
der Welt, weicher als Gott von uns verehrt wird 9), 
und behauptet nun, daß Gott die Atome aus nichts ges 
ſchaffen habe; denn der Urheber der Natur werde durch 
die Gefege der Natur nicht gebunden 5). Durch biefe 
- Annapıne iſt nun freilich allem genug geſchehen. Die 





1) Phys. sech IL IN, 7 p.270. b. 

2) Ib. 1. IV, 2 p.290. Anticipatio generalis; ab ipsa natura 
impressa quaedam nolitia dei. 

3) Ib. 1. 

4) Ib. L 1, 2 p.144. a; LIV, 2, 

5) Ib. L AH, 1 p.234, a. Autor naturas legibus naturae non 
adstringitar ac infinita pollet vi, qua distantiam illam quasi in- 
nitam superat, quae interjacet inter aliquid’ et nihil, 


“0 . 
Affen, Gottes reiht mm aus andy ‚lien: Dingen eine 
Wirkfamseit witgutpeiten). Bon. ben Minmen würde 
man nun au fegen Tönen, baß fie. nicht ſich ſelbſt be: 
wegen, ſoudern von Gott betvagt werben, weider igmen 
aur eine innerlich beiwohnende, nicht von außen wiigetheicte 
Mewegung beigelegt habe. Gefienti ergeht ſich im ber 
Uufzäplung ber verfdiebenen Mögkipkeiten, wie den Alo⸗ 
men Bewegung: beiwohnen Söune, and feine Sppotheſen 
über Die Gründe der Natur Inffen im der Tat einen ſehr 
breiten Saum für bie verſchiedenſten Arten ber Raturer⸗ 
Mkrung. Hierzu gehoͤrt es auch, daß er. in feiner An⸗ 
nahmen über die allen Dingen inwehnende Bewegung, 
über das Lehen, welches dadurch ben naturlichen Diügen 
beiwoput, über bie Weltfeele, weiche vertheilt über alle 
Atome vie Lebenowaͤrme überall verbreitet, von ben 
Anſichten theoſophiſcher Naturforſcher wicht ger: zu weit 
Rp entfernt, Raw das. will er verhäien, daß bie alles 
befeelenbe Kraft nicht ale ein unfürperlihes Weſen ger 
dacht werbe 2 anch will ex nicht zugeben, daß die ber 
wegende Kraft, welche den Atomen angefchaffen iſt, eine 
Vergrößerung ober Verminderung erfahren fönnte; dies 
geſtattet die Beftänbigleit der Natur wicht. Das fih 
gleich bleibende Naturgefeg vertpeibigt er gegen willlür⸗ 





1) 1b. 8 p.280. a. 
2) 1. .1. 6; lib. IV, 8 p. 334. a. Nihil quidem. aliunde 


quidquid ent calidum est corpus. 


sh 


liche Antisgiken2).- Daß unter ſolchen Annahmen auch die 
fein inte, welde eind Dahre Eamadlung, ein Fortſchrei⸗ 
den im Wehen dem: „Bermarererpiplie,- Marien, ricũ 
beachtet zu haben. 

Dog feine Lehrd iſt an theen Zope ig. ſo en⸗ 
menhaͤngend, daß wir hieraus Nachtheile für feine Ethit 
zu erwarten haͤlten. Im! diefem Theile vertheidigt er viele 
mehr die Freiheit der Vernunft, ſeltſamer Weife in einem 
Anfange, ben wir aben wohl vorausnehmen Dürfen. - Er 
findet -fie mit der Epihurifhen Atomenlehre in Einklang; 
weit diefelbe: die Abweichung bei Atome von ber Falllinie 
ſich vorbepatien Hatte. "Wir: Bemerten ſchon, daß Gaſſendi 
bierin mit einigen Befdrähftingen beiſtimmte; biefe bes 
zwechken geltend zu machen, daß auch die Abweichungen 
nad natürlichen und notwendigen Gefegen geſchehn mäßs 
ten, und hierin geht er fo weit vorwärts, daß er die Seele 
als eine Maſchine betrachten farm 9). Einen beſſern Ans 
lauf die Freiheit des Willens zu reiten wärbe nian darin 
finden fönnen, daß er .auf ‚bie höhern Kräfte unferes 
Geiftes ſich beruft, welche er nicht für materiell: gelten 
laſſen wollte, In Bezug auf fie lehrt er Freiheit von 
Spontaneität. unterfiheiden, d. h. von. ben eingebor⸗ 
nen Bewegungen der Dinge, indem er nicht zugeben 
Tann, daß der Stein in feinem Tale frei ſei ). Seiner 





wo 





1) 1b. L IV, 8 p.336. a. Unum omnino supponere par est, 
mempe quantacungue fuit atomis mobilitas ingenita, tantam con- 
stanter perseverare. — '— Id nempe, ut oausa reddatur, unde 
sit tanta motuum vicissitudiaumgne- in universo constantia, 

2) Eth. III, 2 p.839. 

3) Ib. 1 p.822. b. 

Geld. d. Philoſ. x. 36 


Anſicht nad Tann die Feriheit nur in ‚des Mahl nuter 
enfgegengejepten Hanblungen. kofehn und ſedt daber bie 
Inbifferenz des Wiens voran... ‚Hierbei jedoch ergiebt 
fich die Schwierigkeit, wie der Wille gleichgültig -fuh ver⸗ 
halten könne, ba er doch unpyritig vom Verſtande beftimmt 
wird. Sie wird nicht unpaffend dadurch gelöf, daß wir 
unfern Verſtand für eben fo inrifferent Halten mifen wie 
‚unfern Willen; die Unentidiebeußeit beider muß Hand in 
Hand gehn. Daher liebt Gaſſendi hie Wahrſcheinlich⸗ 
keit fo fehr, ein Nachllang des Slepticismus feiner Lands⸗ 
leutez fie bietet ihm das Mittel die Freiheit unſeres Wil⸗ 
lens zu reiten. Go wie unfer Berfiand bie Wahl hat 
wiſchen den wahrſcheinlichen Annahmen über Gutes und 
Boͤſes, fo bleibt auch dem Wien diefe Wahl). Doch 
lann ſich Gaſſendi bei aller feiner Vorliebe für die Wahr⸗ 
ſcheinlichteit nit verheplen, daß in ipr nur eine Unvoll⸗ 
tommenpeit unferes Verſtandes liege und daß biefelbe auch 
auf bie Freiheit, welche er uns bewahren will, übergeht 
müffen Daher Hofft ex vom fünftigen Leben, daß es von 
diefer Freiheit, die bem Scheine bes Guten folge, uns 
befreien werde). 

Diefe Hoffnung unterlägt.er nun nit au in feiner 





4) Ib. p. 824. a. Volnntas ita exoitatur, ut illius functio 
non secus judieium, quam velati umbra ‚sorpus "eomitetur. — — 
Constat profecto indifferentiam, quae in voluntate reperitur, 
üsdem omnino passibus, quibus indifferentiam intellectus ince- 
dere. Videtur autem indiffrenda intellectus in eo esse, quod 
non ita uni judieio de re visa adhaereat, quin ad aliud de ea- 
dem judiciam illo dimisso ferri valeat, si se aliunde obtulerit 
major verisimilitado. . 

2) Ib. p.825. a. 


565 
Ethik geltend zu machen. Das Guie if für dieſes Lehen nur 
ein Ideal, welchem wir uns nur in weiter Ferne nähern 
tönen. Es wügbe in der umgeflörten Olüdfeligfelt ber 
ſtehn, welde der Genuß oder bie Mare Anfhauung uns . 
gewähren umß. Daß «s erreichbar fein werde im künfti- 
gen Leben, gehört zu feinem vefigiöfen Glauben 1). Aber 
wenn er und nur gegeigt ‚Hätte, wie wir in biefem Leben 
uns ifm nähern Tönnten: Daß ex hierzu feine Anftalt 
macht, if kurz dadurch geſagt, daß er aud in der Ethil 
den Epilur zu feinem Führer nimmt. Es iſt wahr, er 
mildert deſſen Sittenlehre, aber im Ganzen bleibt fie doch 
diefelbe. Daß alle Lur vom Fleiſche ſtamme, ſoll Epis 
tur nicht gelehrt Haben). Die Luſt, nach weicher wir 
fireben follen, befteht nun in der Ruhe bes Geiſtes und 
in der Schmerzlofigfeit des Körpers und wirb ausbräd- 
lich als Zuftand, nicht als Weife des Strebens ober des 
praltiſchen Lebens betrachtet ). Die Ruhe der Seele bes 
ſteht ihm weſentlich in der Freiheit von Leidenſchaften und 
befonbers von ber Reue . Alles dies wollen wir ihm 
gern zu Gute ſchreiben; es zeigt ſich darin bie Mäßigung 
in feinen Meinungen, welde nicht gern das Außerfte zu⸗ 
Täßtz aber unfreitig wär feine Neigung zur Atomenlehre 
‚nicht ohne Einfluß auf feine Moral und führte es herbei, 

daß er das Einzelne in feiner Abfonberung vom Ganzen 

1) Eh. 1, 1 p. 662. a. 

2) Ib. 2. 

3) Tranquillitas animi et indolentia corporis. Status, quo 
melior appeti non potest. Ib. 1 p. 661. a. Animus ift bie im⸗ 
materielle Seele, welche von der materiellen anima „unterfihieben wird, 


Phys. sect. III membr. I 1. III p. 237. b. 
4) Et. 1,5 p. 715. b. 


feRpalten möchte; uniiseitig wor aud feine Borliebe für 
die Raturforſchuag ipm eine Berlecung das menfchlühe 
Leben nur im Lichte des matürlichen Lebens zu betrachten. 
Er veripeibigt daper die Ausſprũche der allen Juriſten, 
welche das Naturrecht au auf die unvernäuftigen Thiere 
ausdehnen, und nimmt für hie Menfchen nur noch ein 
engeres Naturrecht in Anſpruch. Er geficht zwar zu, die 
Mengen wären von Ratur zus Oefelligkeit und zum 
Staateleben beftimmst, aber leitet ben Staat doch nur von 
einem Vertrage ab, ber zum Augen ber Eimelien ge 
ſchloſſen werde. Wenn er alsdam die Geſetze der Natur 
entwirft, welde wir in unferm ſittlichen Leben befolgen 
follen, fo leuchtet aus ihnen her emtihiebenfe Eigennug 
feiner Sittenlehre uns entgegen. Sein erſtes Geſetz der 
Natur iR, daß ein jeder begepre, was ihm gut, vor 
theilbaft ober angenehm iſtz das zweite, daß ein jeber 
ſich mehr liebe als die andern; babur fol zwar die 
Wopttpätigfeit nicht ausgeſchloſſen werben, aber jeder fol 
fe nur zu feinem Vortheil üben; fein drittes Naturgefeg 
verlangt, daß ein-jeber fein Leben und den freien Gebrauch 
aller feiner Kräfte vertpeidige, und wenn alsdann das 
vierte Naturgeſetz zum gefelligen Leben und auffordert, 
fo iR es num, weil unfere Natur der Hülfe andeser bedarf 
und in dem gemeinen Beften unfer eigener Bortheil. einge- 
ſqhloſſen iR?). Es Bleibt fein Zweifel übrig, daß dieſe Sitten, 

1) Ib. I, 5 p.794 aqq.; p. 800. bag. Secundo, ut quisque 
se amet plus quam caeteros. — — Vulgare est, quod dicitar, 
quemque caritatem bens ordinatam a Be ipso incipere, neque 
id profeoto injuria. — — Quatenus quisque benefacit, cum suo 
emolumento facit aut oerte faoere sp puiat. Ib. p. 801. b. U 
amet commune bonum, quo intelligit contineri suum. 





lehre nur auf dem Boden der natürkichen Triebe gewach ⸗ 
fen if, welche auf die Erhaltung feiner ſelbſt und feines 
vergängligen Lebens befihränkt werben. Alles, was Bafr 
fendi von höhern Beſtrebungen in ſich tragen mochte, ver⸗ 
weit er in das Gebiet der übernatürlihen Offenbarung, 
wärend feine Philofophie nur das entwideln will, mas 
vom Lichte der Natur uns gelehrt wird 1). 

Aus dem Zufammenhange feiner Lehren leuchtet es 
deutlich hervor, daß Gaffendi nicht zu den Männern ger 
zaͤhlt werben darf, welche in eigenthümlichen Beife ber - 
Philofophie neue Bahnen gebrochen haben. Das Erfolg. 
reichſte in feiner Lehre iſt bie Verteidigung des Epikusi, 
ſchen Atomismus geweſen. Auf fie hatte die Entwicclung 
der neuern Philoſophie allmälig hingeführt und zu glei 
her Zeit mit Gaſſendi ergriffen daher auch andere Mäns 
ner biefelbe Hypotheſe. Gaſſendi iſt in der Geſchichte 
der Philofophie nur vorzugsweife vor ihnen zu erwähnen, 
weil er mit größerer Gelehrſamleit, klarer und überficht- 
licher den ganzen Zufammenhang bes atomiſtiſchen Sp- 
ftems auseinanberfegte, feine Anwendbarkeit auf die bes 
fondern Lehren der Phyſik, wie fie im Geifte der neuern 
Naturforſchung ſich ausgebildet Hatten, zu zeigen ſuchte 
und überdies in dem gemäßigten Sinne, welcher ihm bei« 
wohnte, Vorſchlaͤge zur Milderung desſelben zu machen 
wußte, weiche es mit dem herſchenden Syſtem ber Theo⸗ 
Togte als vereinbar esfpeinen ließen. Daher Haben fih 
ſpaͤtere Naturforſcher auf ihn geflügt. Für bie Wuͤrdi⸗ 
gung deo Ganges, welchen bie neuere Philgfophie einge 


1) Ib. 6 2.809. a. 


flogen Hat, wird man biefen Punkt nit überſehn bür 
fen. Gonft finden wir bei ihm nur einen ſleptiſchen Gein 
zu bemerten, welchen zwar bie Erforſchung der Natur 
anzieht, welder von ihr weitere Aufichlüffe erwartet, dazu 
die Halfe der Mathematit und der Sinne in Anſpruch 
nimmt, aber zwiſchen ben zufälligen unb befonbern Wahr⸗ 
nehmungen der inne und ben allgemeinen unb nothwen⸗ 
digen Wahrheiten der Mathematik keinen feften Bund zu 
ſtiften weiß. Daher ſchwankt er in fo vielen Entſchei⸗ 
dungen, bringt die Beſchraͤnltheit des menſchlichen Erken⸗ 
nens in Anſqhlag und begnügt fh mit dem Waprfchein 
lien, Wie fehr auch feine allgemeinen Säge über bie 
Wiſſenſchaft, welche er in der Logik vorträgt, dahin aus 
Iaufen, daß wir nur ben Sinnen vertrauen können, bie 
Logit gilt ihm boc zu wenig, als daß er über fie feinen 
phyfiſchen. Sägen entfagen mögte, welche auch metaphy 
fiſchen Begriffen Raum geſtatten und feinen theologiſchen 
Überzeugungen nicht alle Ausficht auf Betätigung abſchnei⸗ 
den. Aber weder in ber Theologie noch in ber Phyſil 
tann er feften Fuß faflen. Sein ſchmiegſamer Geiſt finnt 
nur auf Mittel, durch welche den Meinungen des gefunden 
Menſchenverſtandes Genüge geſchehn und zwiſchen ber Über: 
zeugung bes Chriſtenthums und ben Lehren aus natürlichem 
Lichte ein leidliches Abkommen getroffen werben möchte, 

Je weniger num Gaſſendi darauf Anſpruch machen 
lann durch ‚eigene Erfahrungen zu glänzen, um ſo geeig⸗ 
neter ift die Sammlung feiner Meinungen uns ein Bild 
von der Stimmung unter ben philoſophirenden Gelchrten 
zu geben, wie fie unter ben Einfläffen der Reform Ba- 
con's und che ber Nationalismus ber Carteſianiſchen 





367 


Säule durchdrang, fih im Allgemeinen geftaltet hatte. 
Es wird. fi nit verfennen laſſen, daß die Neigung ıben 
Sinnen zu vertrauen und von ihnen aus die wiſſenſchaft⸗ 
liche Erlenntniß zu betreiben im entſchiedenen Übergermichte 
war, Sie hatte ihre Nahrung aus dem Streben nad 
Erkenntniß der Natur gezogen. . Natürlihes und Sinnlis 
ches wurden nun meiftens als gleichhebeutend genommen 
und was ſinnlich ift, ſchien auch zugleich Förperlich fein 
zu müflen. Man war nahe daran alles für natürlich 
und nothwendig, für ſinnlich und Förperlich zu erfläsen, 
das fittliche Leben auf den natürlichen und ſelbſtſüchtigen 
Trieb nad Selbfterhaltung und ſinnlichem Wohfgefül zus 
rüdzuführen, die Freiheit des Willens zu leugnen und 
alles Geiftige für einen feinen Körper zu erflären. Doch 
fehen wir an Gaffendi, daß man doch nur mit Zögern 
diefen Weg ging; wir fehen es auch an Andern, fogar 
an Hobbes und Bacon, doch wird man den Gaffendi 
weniger als Andere im Verdacht haben fönnen, dab er 
nur aus Heuchelei feine Behauptungen gemäßigt ober bes 
ſchraͤnlt habe. Sreilih, wenn man bie Gründe für jenes 
Zögern Hört, fo koͤnnte es Teicht nach der Denkweiſe un, 
ferer Zeit, bei Männern, welche ihren Dienft faR auss 
ſchließlich der Erkenntniß der. Natur gewidmet hatten, für 
Heuchelei gelten, wenn fie behaupteten, neben ben Lehren 
der natürlichen Wiſſenſchaft noch ein übernatürliches Licht 
anzuerfennen. Aber man wirb bebenfen müflen, daß den⸗ 
felben Männern auch die Erfahrung far alles galt und 
daß bie Erfahrung ihrer Zeiten eine andere war ale bie 
Erfahrung der unſrigen. In jener Zeit waren bie relis 
giöfen Erregungen des Geiftes fehr allgemein verbreitet 


und: fanden faft unbeſchraͤnkten Glauben. Auch Rand ber 
Glaube an fie nit ohne vermittelnde Gtägen ba. Die 
religidſen Überzeugungen nur auf die natürliche Religion 
aurädzußeingen war man noch nicht geneigt. Herbert Hatte 
uur eben angefangen bie Züge ber natürlichen Religion 
au entwerfen; er hatte fie auf natürlichen Juſtinkt zurüd- 
geführt und leinesweges geleugnet, daß die Empfindun- 
gen biefes Juſtialts auch zu einer übernatürtichen Höhe ſich 
Reigen ließen. Auch Hobbes, welcher ihm folgte, wagte 
diefe Bepauptung nicht. Nur darauf hatten die Philoſo⸗ 
phen diefer Zeit ihr Augenmerk gerichtet, daß bie natürs 
lichen Gefege durch das Übernatürliche nicht gebrochen 
werden durften. Wenn man auch das Menſchliche an 
die Natar heranzuziehen ſuchte, fo war man doch bie 
dahin noch nicht vorgeſchritten das Menſchlicht und Ber: 
nänftige in ganz gleiche Linie mit dem Natürlichen zu ſtel⸗ 
Ten. Bacon lehrte zwar, daß die Natur nur durch Ge 
horſam überwunden werbe; aber er wollte fie doch durch 
menfpliche Kunft prefien und überwinden laſſen. Wir 
ſehen noch immer den Gegenſatz geltend gemacht zwifchen 
den allgemeinen Erfenntnifien der Vernunft und ben br 
fondern Erkenntniſſen der Sinne. Wenn auch Bacon's 
Zweifel jenen das Vertrauen zu entziehen geſucht hatte, 
fo blieb ihnen doch ein mächtiger Schutz in ber Überzeugung, 
melde die allgemeinen Lehren ber Mathematik einflöften. 
Batow's ſenſualiſtiſche Methode bot zu viele Schwächen 
dar, als daß man ohne Bedenken ſich ihr hätte ergeben 
Hnnen, und Gaffendi war farffinnig genug zu bemer- 
ten, daß fie nur auf einem ‚erbeten Schluß vom Allge 
meinen aus beruhte. So Fonnte fih die Meinung be 


: 


869 


haupten, daß bie Sinne zwar bie erfte Grundlage unfe- 
ver Erfenntniß blieben, aber doch die höhern Gebanfen 
unferer Vernunft in die Geſtaltung unferer Wiſſenſchaft 
einzugreifen nicht abgehalten werben dürften. Selb bie 
Anſicht des Hobbes, daß die allgemeinen Säge der Wil» 
ſenſchaft nur auf fprachlicher Wihfür umd einem künſtli⸗ 
en Übereinfommen beruhten, war nicht dazu geeignet 
hierin zu erſchüttern. Denn wurbe doch bie Sprache von 
ihm als die Vernunft bes Menfchen verehrt, welche ihm 
Erfag für den Mangel feines natürlichen Inſtinkts leiten 
ſollte, und fah doch Hobbes die Kunft und die Überein- 
unft des Menfchen in Sprache, wie im Staat als bie 
Grundlagen feiner höhern Bildung an und verehrie die 
mathematifche Methode trog ihres Urfprunges aus ber 
Sprache als die wahre Stüge der Wiſſenſchaft. So waren 
denn in ber Sprache und ber Kunft bes Menfchen wenigſtens 
Mittelglieder zwiſchen dem Natürkigen und bem, was höher 
iſt als die Natur, für die Borfkelungsweife jener Zeiten 
gegeben. Man Konnte fih num benfen, daß bie Vernunft 
das fortfege, was die Natur begonnen hätte, und in ber 
That waren hierzu Herbert und bie Begründer des Na- 
turrechts bereit, wenn fie pofitive Religion und pofitives . 
Recht an die natürliche Religion und das natikliche 
Recht ſich anſchließen Liegen. Von hieraus waren bie 
Schritte nicht weit, welge zu den Annapmen eines über 
natürlihen Verſtandes und übernatürlicher Wirkungen 
Gottes führten. Dazu konnte man um fo leichter geführt 
werben, fe weniger man doch in ber trägen Körperivelt 
den Urfprung ber Bewegung ſuchen mochte. Das Bil. 
Fürkiche gänzlich auszufcheiden, dazu war man doch nicht 


870 


sefommen. Man glaubte es nur nicht erllaͤren zu loͤnnen 
und fo wurde denn alles Poſitive, welches im Fortgang 
der Geſchichte ſich bildet, nur den Unterſuchungen ber 
Ppiloſophie entzogen. Dies konnte man um fo Teichter 
ſich gefallen laſſen, fe ferner der Gebanfe an eine einige 
Wiffenfhaft Rand, je williger man ſich in die Schranfen 
unferer Erlenntniß fügte und bie einzelnen Tpeile des 
menſchlichen Wiſſens, ja der Ppitofophie auseinanderfals 
len ließ. In der Philoſophie aber, das if Feine Frage, 
war die Neigung alles nur als etwas Aatürliches zu bes 
traten ohne Beſchraͤnkung herſchend. Sie folte nur 
Lehre aus natürlichem Licht feinz was hätte fie anders 
lehren loͤnnen als Natürliche? Mochte es daher auf 
dem Menfchen überlaffen bleiben an das Übernatirlide 
gu glauben; bem Philoſophen war es höchſtens verfattet 
auf dasfelbe einen Blick zu werfen um fid feiner menſch⸗ 
den Beſchraͤnliheit bewußt zu bleiben. Das Pofitioe 
der Offenbarung und das Pofitive bes Staats und ber 
Gefege wurden von den Forſchungen der Philoſophie aus 
geſchloſſen. Es war zu erwarten, ob ſich diefe Tpeilung 
der Gebiete unferes Nachdentens würde behaupten kin 
nen; ſollte dies nicht ber Fall fein, alsdann ließ ſich 
wohl erwarten, daß alles, was bisher bem Gebiete bed 
Übernatürlichen zugerechnet worden war, zum Natücligen 
herübergegogen werden würbe. Der Anfang, welchen Her 
bert gemacht hatte, war doch · nicht ungeſchickt angelegt, 
Die allgemeinen Begriffe der Bernunft fand er in natür 
lichen Trieben gegründet," welche uns bem gefelligen der 
ben, ber Sittlichleit und der Religion zuführen, indem fie 
und untereinander und mit bem Gründe unferes Lebens 


“ 


851 


verbinden. Auf dieſelben natürlichen Triebe beriefen ſich 
die Begründer bed Naturrechts um zu zeigen, daß auch 
das pofitive Recht feinen natürlichen Urfprung habe. Kür 
die wachſende Neigung der Natur auf ihren geheimften 
Pfaden zu folgen war von hieraus fein weiter Schritt 
bis zu der Annahme, daß ale Vernunft, alle Sitilichteit 
und alle Religion nur als Erzeugniffe natürlicher Triebe 
angefepn werben dürften, 





Göttingen, . 
gedrudt in der Dieterichſchen Univ. ⸗Buchdruckerri. 
(®. Sr. Kafıner) - 


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