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Full text of "Geschichte der Religion"

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Geſchichte 


»LRKReligi⸗u. 


Von 


Dr. Johannes Scherr. 


Sechs Buͤcher in einem Band. 


Leipzig 
Berlag von Otto Wigand. 
187. 


Kdıget 


2 3du ‚1930 
LIBRAUN 


Luc 4. V 


Dorwort. 


Die erfte Abtheilung dieſes Werfed (Buch 1— 2) ift im Jahre 
1855, die zweite (Buch 3— A) vor Jahresfriſt erfchienen. Indem ich 
jet die dritte und legte (Buch 5 — 6) der Deffentlichfeit übergebe und 
fomit die ganze Arbeit zum Abſchluß bringe, betone ich noch einmal 
fehon vor zwei Jahren Geſagtes, nämlich, daß ich meine Aufgabe nicht 
als Theolog, fondern als Eulturhiftorifer ind Auge faßte und zu loͤſen 
verfuchte. Es ift Damit angedeutet, daß ich ohne irgend eine vorgefaßte 
Meinung, ohne irgend einen Vorbehalt an meinen Gegenſtand herans | 
getreten bin und ihn mit dem ganzen Gleichmuth einer parteilofen Unter⸗ 
fuhung behandelt habe. Der Eulturhiftorifer hat nicht für diefe oder 
jene Religion als die „alleinſeligmachende“ zu plaidiren, fondern feis 
nes Amtes iſt es, die verfchiedenen ‚Entfaltungdformen der religiöfen 


— WI 0 — 


Idee in ihrem Werden, Wahlen, Vergehen aufzuzeigen, die religiondge- 
chichtlichen Acten zu fammeln und zu ordnen, darauf fein Referat zu 
bafiren und ald Refultat defjelben die Wirfungen des religiöfen Gedan- 
kens auf Bildungsgang und Sitte der Völfer nachzumeifen. 


Ohne unbefcheiden zu fein, glaube ich jagen zu dürfen, daß das 
vorliegende Buch der erfte Verſuch ift, von dieſem zugleich freien und 
gewiſſenhaften culturgefchichtlichen Standpunfte aus eine Univerfalhiftos 
tie der Religion zu fehreiben. Daß mein Unternehmen nicht ein durdh- 
weg gelungenes fei, habe ich am Schluß meiner Arbeit unbebenflic, zu- 
geftanden (III, A38), daß es feiner Natur nad) nicht ein durchweg 
gelungenes fein könne, "mögen Solche bejireiten, die mit dem Hochmuth 
eincs Spezialitätswiſſens die ganze Unbilligfeit des gelehrten Zunftzwangs 
verbinden. Mit Gegnern diefer Art ſich verftändigen zu wollen, wäre 
eitle Mühe; ebenfo, mit folcyen, denen der furor theologicus auch bei 
Beurtheilung hiftorifcher Schriften der einzige paffende Maßſtab fcheint. 
Sc habe bei Durchführung meines Werks von vorneherein darauf ver⸗ 
zichtet, den Beifall diefer oder jener dogmatiſchen, confellionellen oder 
ſchulphiloſophiſchen Partei zu gewinnen. 


Daher war ich auf das Gezeter der Fanatiker des Glaubens, wie 
auf das Kopfſchütteln der Fanatiker des Unglaubens gefaßt und fuͤhrte 
meine Arbeit zu Ende, ohne nach rechts oder links zu blicken und mich 
Einfluͤſſen von dieſer oder jener Seite her zu unterwerfen. Jedoch 
leugne ich nicht, daß ich mir nicht im Geringſten angelegen ſein ließ, bei 
Gelegenheit den Widerwillen und die Verachtung, zu verichleiern, welche 
mir bornirte ‘oder geheuchelte Ziondwächterei fowie aufgeblafene Krafts 
ftoffelei gleichermaßen einflößen. Was Iegtere indbefondere angeht, fo 











111 
7 


kann id) auch hier mein anbermärtd geaͤußertes Befremden nicht bergen, 
daß die Apoſtel bes materigliſfiſchen Evangeliums in ihrer Einjeitigfelt 
nicht merfen, mie fie zu Gunſten ber nieberträchtigften Stodiohberei 
Hanblangerdienfte verrichten, 

Gerade die Geſchichte der Religion ift, denke ich, wie für bie Zeloten 
des Glaubens fo auch für die des Unglaubens vol eindringlichfter Leh⸗ 
ren und Warnungen. Aber freilich, die Gefchichte ift Leider noch jetzt, 
was fie von jeher geweſen, — eine Kaſſandra. 

Da ich mid) über Plan und Methode meiner Arbeit in der „Ein⸗ 
leitung‘’ zum 1. Buch hinlänglic ausgefprochen habe, erübrigt mir an 
biefem Orte nur noch die kurze Bemerfung, daß ich in der Behandlung 
bes Chriſtenthums von ber gang und gäben Firchenhiftorifchen Weiſe 
abgegangen bin, indem ich die große Materie in ihre einzelnen Gebiete 
zerlegte und jedes berfelben biß zur Gegenwart herab durchmaß. Da 
muß ich nun allerdings dem Leſer zumuthen, mir mit Ausdauer zu 
folgen, glaube ihm aber in dieſem alle einen Flaren Einblid 
in den Entwidlungsgang der chriftlichen Religion verfprechen zu 
dürfen. 

In Organen der Kritik, welche zu den einflußreichften in Deutfch- 
land gehören, haben die vier erften Bücher meines Werkes einfichtige 
und wohlmollende Beurtheilungen erfahren, und aud) fonft ift mir von 
verfchiedenen Seiten her Danf und Aufmunterung zu Theil geworben. 
Ich that alfo recht, wenn id) beim Beginn meiner Arbeit des Glaubend 
lebte, daß es noch Menfchen gebe, welche nicht in der Vergottung von 
Koth und Gold die höchfte Weisheit, die einzigwahre Religion erbliden, 
fondern der Ueberzeugung anhängen, daß der Geift, nicht die Mechanik, 
die Zufunft bauen müfje und werde. Solchen Mitgliedern der „unbe⸗ 





=—— WW 


fannten Gemeinde“ mag aud) mein Bud) in feiner jegt abgefchloffenen 
Geſtalt nicht unwillkommen fein. — Allen im Baterlande, welche ſtre⸗ 
ben, hoffen und ſich mitten in den Miasmen der Schwindelpeſt die Seele 
geſund erhalten haben, meinen Gruß! 


Winterthur, am 18. April 1857. 


Johannes Scherr. 


Inhaltsverzeihniß. 


Erster Theil, 


Seite. 
1. Buch: Die Religion als roher Naturalismus. Ueber: 
gangsftufe zur religiöfen Syflematif . . . 1 


Erſtes Kapitel: Die Einleitung 3 
Zweites Kapitel: Religiöfee Borftellen, Glauben und Thun der Naturs 
völfer . . . . . . . 16 
Drittes Kapitel: Die Ateten i in Merito . . . . 0.8 
Biertes Kapitel: Die Inkas in Peru . . . 74 
1. Bud: Die Religion ale Syftlem. Die DR- Afiaten . . 9 
Erftes Kapitel: Die Arier; 1) Inder . . . 98 


Zweites Kapitel: Die Arier; 2) Perſer (Balırer, Iranier) . 186 
Drittes Kapitel: Die Ehinefen und Japaner . . . . . 194 
Viertes Kapitel: Der Buddhismus . . . . . . 222 


Zweiter Theil, 


IN. Sud: 1) Die Aegypter. 2) Die Wef:Afiaten (die Völfers 

fämme von Babylon, Syrien und Kleinafien). 

3) Die pelasgifhen Bölfer Griechen und Ramen). 1 
Erſtes Kapitel: Die Aegypter. 3 
Zweites Kapitel: Die Aegypter (Schluß) . . . . 33 
Drittes Kapitel: Die Babylonier, Syrier und Klein-Afaten 2.686 
Viertes Kapitel: Das Hebräerthum . . . . . ..% 
Künftes Kapitel: Die Hellenen oder Gelechen . 4146 
. Scehftes Kapitel: Die Römer . . . . . . 201 





IV. Bud: 1) Die Kelten. mas Slaven cn Binnen. 3) Die 
®ermanen . . 

Erftes Kapitel: Die Kelten 

Zweites Kapitel: Die Slaven und Finnen. 

Drittes Kapitel: Die Germanen 


Fritter Theil. 


V. Buch: Das Chriſtenthum 

Erſtes Kapitel: Eine untergehende Welt 

Zweites Kapitel: Eine untergehende Welt (Schluß) 

Drittes Kapitel: Blid auf die Philofophie des alterthume 

Viertes Kapitel: Das Leben Jeſun. . 

Fünftes Kapitel: Die Lehre Jeſu Ehrifti . . 

Sechſtes Kapitel: Entwidlung ber Seinlihen seine in den — Con⸗ 
feſſionen und Sekten 

Siebentes Kapitel. Der Cultus 

Achtes Kapitel: Die Kirche; ihr Kampf, ihr Triumph, ine Verfaſſung, 
ihre Spaltung: 

Neuntes Kapitel: Das fittiche und ſoziale geben ber Voller i im Ship 
thbum . . . . . 

Zehntes Kapitel: Die Wiſſenſchaft 

Elftes Kapitel: Die Kunfl . 

‚LU Anhang zum fünften Buch: Das Juden chum ü in der Seite Be 

VI. Bud: Der Jolam 

Erſtes Kapitel: Arabien . 

Zweites Kapitel: Mohammed und ber Koran . . . . 

Drittes Kapitel: Das moslemifhe Dogma . . . . . 

Viertes Kapitel: Der moslemifche Gottesdienft . . 

Fünftes Kapitel: Die moslemifche Sitten - und Mechtslehre 

Sechſtes Kapitel: Zur Geſchichte des Islam . . 


‚Seite. 


223 
225 
255 
289 


136 


161 


226 
283 


322. 


353 
359 
361 
370 
386 
398 
44 
418 


Seite 102 Zeile 18 v. 


Oruckfehlerverzeichniß. 


u. 


Theil J. 
ftatt „gleich““ lies „ungleich.“ 


Theil 


Seite 36 Zeile 13 v. u, flatt dem Apophi“ lies „den Apophi.“ 


40 


116 


9v. u. 
16 v, o. 


16 v. 


19. 
9». 
16 ». 
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1». 


9». 
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15». 
10». 
14 v. 
2». 
1». 
7». 
12 v. 
12». 


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® 
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55555 


SEE HB ES BO COS OO 


— „macht““ lies „wacht.“ 
— „B. Numeri“ l. B. Exodus.“ 


o. — „Klernä“l. „Kleonä.“ 
18 v. u. 


— „den Waldgeiſt, den Waſſermann“ l. „der W., 
der W.“ 

— „Tornaldar““ J. „Fornaldar.“ 

— „Gdallarhorn“ l. „GBiallarhorn.“ 

— „alte“ T. „alle.“ 

— „ESchlüſſel“ l. „Schuͤſſel.“ 

— „Dolchdrungene“ I. „Rolchdurchdrungene.“ 


Theil IM. 


. nach „Propheten““ tilge das Komma. 
. nach „Israeliten“ Tepe ein Komma. 


— „Secte“ L. „Seite.“ 


. nach „Familienleben““ tilge das Komma. 
nad „Mittelſtand“ feße ein Koınma. 

. ftatt , Statt findet‘. „ſtattfindet.“ 

. — „Peiris“ l. „Petri.“ 

. — „feine l. „kleinhicher.“ 

.nach „Geſetz“ tilge das Komma.“ 

. ſtatt „Mogonamie““l. Monogamie.“ 
. — „Beharden“ J. „Lollarden.“ 


Eeite 125 Zeile 11 v. 


— 173 
— 211 
— 211 
— 2185 
— 239 
— 243 
— 262 
— 298 
— 309 
— 311 
— 316 


— 332 
— 343 
— 351 
— 384 
— 429 
— 430 
— 431 


17». 
2». 
5», 

17». 
2». 
3». 

17». 
4». 

15 v. 
8v. 
5». 


2.0. 
3». 
Av. 
15 v. 
39. 
135 v. 
8v. 


— Vlll 





.iſt das Komma ſtatt nach tem Worte „nicht“ vor daſſelbe 


zu ſetzen. 


. Ratt ,, Namen‘ l. „Perſonen.“ 
. — „Innocenz IV. T. „Innocenz I.“ 


— „Peter von Eaftelnau‘ ‘I. ‚Arnoldvon Citeaux.“ 


. nach „Kirchengemeinſchaft““ tilge das Fürwort „ſiſch.“ 
.ſtatt „Afſſiſſi““ 1. „Aſſiſi.“ 

. — „heiligen Legende‘ I. „Heiligenlegende.“ 

. — „1360 1. 1260.“ 

‚nach „Literatur““ tilge das Wort „ſonſt.“ 

.ſtatt „die l. „dieſe“ (Weltanſchauung). 

. — „natürlichſten“ l. natürlichen.“ 

.nach „dem chriſtlichen Gott“ ergaͤnze: „iſt nur der Unter: 


ſchied zwiſchen dem heidniſchen und dem chriſtlichen 
Menſchen oder Volke.“ 


. nah „Michelangelo“ tilge das Komma. 

. ftatt „die Schilderung““ l. die ſe Sch.” 

. — „lieu“ l. „lien.“ 

nach „der ihrigen“ ſetze ein Komma. 

. flatt „gewiſſermaßen“ I. „gleichermaßen.“ 


— „Avigenna“ I. „Avizenna.“ 


u. — „Serne“ l. „Sterne.“ 


— —— — — — 


Schere’s 


Geſchichte der Neligion. 


Ardua res est, vetuslis novitatem dare, novis auctoritaiem, 
obsoletis nitorem, obscuris lucem, fastiditis gratiam, dubiis fidem, 
omnibus vero naluram et nalurae suae omnia. Itaque eliam non 
asseculis, voluisse abunde palchrum et magnificum est. 


Plinius, 








Fünftes Bud. 
Das Götiftentgum. | 


Erſtes Kapitel. 


Eine untergehende Welt. 


1. 


Wie einem Wanderer, der, von Hoͤhe zu Höhe klimmend, da in 
blühende Thäler oder fruchtreifende Ebenen, dort in weite Waldwildniſſe hin⸗ 
ein, hierhin auf prächtige Seeipiegel oder erhabene Gletfcherbildungen, dort- 
hin auf chaotifhe Felswüſten hinab geblickt Hat und endlich, auf einem 
hödjften Alpenfirn angelangt, rundum eine ganze Welt zu frinen Füßen aufs 
gerollt fieht, — fo wird dem Eulturbiftorifer zu Muthe, wenn er, die Er⸗ 
ſcheinungsformen der religiöfen Idee in vorchriftlicher Zeit binter ſich, zur 
Betrachtung des Chriſtenthums vorfchreitet. Vorher hatte er ed mit Localem 
und Nationalem zu thun, jegt befcäftigt ihn Menſchheitliches. Vorher 
hatte er den einzelnen Quellen nachzugehen, welche die ungeheure Arbeit jo 
vieler Völker und zahllofer Generationen am religiöfen Gedanken aufge- 
graben; jetzt ſteht er an einem weltgeſchichtlichen Strome, der feine Fluthen 
durch Jahrhunderte dahergewälzt Hat und durch Jahrhunderte dahinwälzen 
wird. Denn — wir haben e8 ſicher am Schluffe des vierten Buches gefagt — 
des Chriftenthums welthiftorifche Bedeutung ift die, daß es alle früheren 
Offenbarungen der religiöfen Idee zur Einheit einer Weltreligion zufammen« 
faßte. 

Die Betrachtung der vorchriſtlichen Religionsſyſteme, zumal des hebräi⸗ 
ſchen und des griechifch=römifchen, Hat in ihren Ausgangepunkten uns 
gezeigt, daß ein großer Umjchwung des geiftigen Lebens ter Völker ſich 
borbereitete 1). Wie diefer Umſchwung, von der Religion ausgehend und 





1) Bol. Theil II, ©. 144, 200, 220, 346. 
‚ 1 E} 





A 


allmälig alle Gebiete des Lebens ergreifend, wirklich eingetreten, wie das 
Chriſtenthum geworden und gewachſen, wie es fich ausgebreitet und wie es 
gewirkt bis auf Die Gegenwart herab, was fein Wefen fet und in welden 
Geftaltungen dafjelbe während des Verluftes von Jahrhunderten aufgetreten, 
— dies Alles Darzuftellen, wird die Aufgabe des vorliegenden Buches un⸗ 
ſeres Werkes ſein. 

WBecevor jedoch an die Löſung derſelben gegangen werden kann, verlangt 
die hiſtoriſche Treue und bie Durchſichtigkeit der Darſtellung einen prüfen⸗ 
den Blick auf den Boden, aus welchem das Chriſtenthum emporgekeimt und 
jo mächtig herangewachſen iſt. Demnach haben wir zusörderſt die jüdiſche 
und heidniſche Welt zur Zeit ihres Verfalls ins Auge zu faſſen. 

Denn nicht allein aus dem ideellen Gehalt des Chriſtenthums laßt fich 
die von ihm errungene weltgeſchichtliche Bedeutung erklären, ſondern viele 
mehr iſt zum klaren Verſtaͤndniß derſelben auch die Einſicht in. die Zeitver⸗ 
haltniſſe erforderlich, welche fein Auftreten fo ſehr beguͤnſtigten. Auch das 
ganz verſchiedene Verhalten des Hebraismus zum Chriſtenthum einerfeitß, 
des Heidenthums andererſeits, beruht auf der Verſchiedenheit der damals 
gegebenen Zufſtaͤnde, zumal der religiöſen. Dieſes und weiterhin die merk⸗ 
würdige Thatſache, daß das Chriſtenthum die heidniſche Welt erneute, waͤh⸗ 
rend die jüdiſche Nation ihrem Untergange nur um ſo ſchneller entgegen⸗ 
ging, beſtimmt uns, die religiöſen, ſocialen, politiſchen und literariſchen 
Verhaͤltniſſe des römiſchen Reiches von denen der Hebräer geſondert zu bes: 
trachten. 

Wir heben mit den legten an, weil das Chriſtenthum, unmittefßar: 
aus dem Mofatsmus hervorgegangen und in deſſen Entwicklungsgang vom. 
bereitet, als die menſchheitliche Frucht deſſelben anzufehen ift. 


2. 


Bur Zeit: Jeſu Chrifit mar die hebraͤiſche Surache, worin die Schriften 
des NM: T. verfaßt. find, der Maffe des jüdifchen Volfes fremd geworben; es 
herrſchte der aramätiche Dialekt, in welchen. auch Jeſus ferne Lehren: vor. 
trug. Das Althebraͤiſche mar nur. noch den Rabbinen und Höher Gebil⸗— 
deten in Palaͤſtina verſtändlich, weßhalb die Schriftgelehrten als eine eigene, 
von den Prieſtern verſchiedene Klaſſe überall' im neuer Teſtamente genannt 





+ 


werden. Obwohl nun die Sprache der Propheten zu den todten Sprachen 
gehörte, waren ihre Weiflagungen auf eine neue Theokratie und deren Haupt, 
einen ruhmvollen König aus Davids Geſchlecht, den man nad Pſalm 2,2 
und 45, 8 Meſſias, „den Geſalbten Gottes “nannte, in lebendigem 
Andenken geblieben 1). 

Ja, eben diefer dad Verſtändniß der Propheten erfchwerende Uns 
fand Hatte zur Folge, daß die Juden, feufzend unter dem harten Jod) der 
Römer und durch die Leiden der Gegenwart noch mehr zur Sehnſucht nad 
dem verheißenen Retter entflammt, viele Stellen des A. X. ald meſſianiſche 
Weiffagungen auffaßten, ohne ſich über deren "eigentlichen, dieſem Gegen- 
ſtande ganz fremden, aus dem Zufammenhang völlig anders zu erklärenden 
Sinn irgend welche Rechenichaft zu geben. Aus den gleichen Grunde zogen 
fie die fpecieller Tautenden Ausſprüche der Propheten den allgemeiner ge⸗ 
haltenen vor, fo taß z.B. allgemein erwartet wurde, der Meſſias müfle nad 
Micha 5, 1. 3. in Bethlehen geboren werden, und ebenfo gerne vergaßen 
fie der Hindeutung auf eine geiftige Wiedergeburt des Volkes, welche nad 
Jeremia (31, 31 fg.) mit der Zeit des Heils eintreten follte, 

Wie ſich ſchon der Väter Hoffnungen auf dad Kommen eined vollfom- 


menen, der Sünde und des Elends baaren Gottedreiches an das David'ſche 


Königsgeſchlecht geknüpft hatten 2) zunächſt als Sehnſucht nach der Wieder⸗ 
kehr einer ruhmvollen Vergangenheit: fo konnten auch die Zeitgenoſſen Jeſu 
ſich den verheißenen Retter nur in Geſtalt eines mächtigen Königs aus 
Davids Geſchlecht vorſtellen, eines Königs, welcher dad Joch der Römer zer⸗ 
brechen, Iörasl über alle Völker des Erdkreiſes erheben und.diefe zum Glau- 


ben an den Einen lebendigen Gott befehren würde). Auch ale Sohn 


Gottes, der vom Himmel herabfomme, außgeftattet mit übermenjchlichen 
Kräften, ward der Meſſias zum Voraus betrachtet 4). Man glaubte ferner, 
Elias oder ſonſt einer der alten Propheten, werde ald Vorläufer des Meſſias 
vom Himmel wiederkommen und allem Volk erſcheinen 8). 


— 


1) Dgl. dazu noch Daniel 9, 28. 
- 2) Sefaia 11, 4 u. 2; vgl. Matth. 20, 31. 21, 9. 22, 4148. 
3) Jefaia 2, 24; vgl. Mat. 10, B5—45. 11, 10. Apoſtelgeſch. 1, 6. 
Job. 6, 18. 
4) Dankl 7, 13 u, 44. Palm 8, 7; vgl. Matih. 16, 1, Ich. 8, 18. 
Matth. 14, 33. 
5) Matth. 16, 44. 17, 40-43; vgl. Maleathi 3, 4. 2, 3 (odet &, 8). 


f 


Vorwiegend weltlich Hatte ſich alfo die Mefflashoffnung bet der großen 
Mehrzahl der Zeitgenoffen Jeſu geftaltet. Nur die Erleren im Volfe Hatten 
die geiflige Seite ber theofratifchen Wieterherftellung über der weltlichen 
nicht außer Acht gelaffen ; fo weit aber die Weltgefchichte zurücreicht, bildeten 
die Epleren immer und überall die Minderheit. Die vorwiegend weltliche 
Auffaffung der mefftanifchen Stellen läßt fih Übrigens aus dem flttlich« 
religiöien Zuflande der Juden und Samariter leicht erflären. Zwiſchen den 
Legteren, einem Miſchlingsvolke aus Heiden und von Salmanaffar einft zu= 
rücgelaffenen Israeliten 6) und den Juden war feit dem Teupelbau Seruba= 
bels der gegenfeitige fanatifche Haß immer höher geftiegen und ward fort« 
während genährt durch ben Streit darüber, in weldem Tempel man Gott 
allein anbeten könne, ob im jüdifchen auf Zion, oder im ſamaritaniſchen 
auf dem Berge Garizim. Auch nad der Zerftörung des famaritanifchen 
Tempels durch Johannes Hyrfanus blieb Garizim der Sig des famaritifchen 
Eultus und der Streit mit den Juden unausgefodhten”). Im Uebrigen 
waren auch die Samariter von Meſſtashoffnungen erfüllt ®), zeigten fich 
aber empfänglicher für deren geiftige Auffaffuug, ſchon weil ihr fana= 
tifcher Nationalftolz nicht alles Maaß überfchritt, wie derjenige der Juden. 
Als Richtſchnur ihres Glaubens und Lebens anerkannten die Samaritaner 
einzig und allein die 5 Bücher Mofld, und verwarfen neben den übrigen 
Büchern des erſt gegen Iefu Zeit hin abgefchloflenen altteftamentlichen Ka= 
none auch die mündliche Ueberlieferung (Tradition). Betreffend die Aus— 
brüche des Hafled in gegenfeitigen Beichimpfungen und thärlichen Beleidi- 
gungen, gaben Juden und Samaritaner einander Nichts nach 9). 

Auf Religioſität und Sitte des jüdifchen Volkes Hatte zumal der 
Phariſäismus höchſt nachtheilig eingewirkt. Die Phariſäerſekte näm— 
lich, deren Urſprung hiſtoriſch nicht genau nachgewieſen werden kann, die 
aber zur Zeit Jeſu dogmatiſch in mehrern Schulen zerfiel 10), wußte ſich 
durch den Schein aͤngſtlich genauer Geſetzeserfüllung und durch allerlei dema— 


— — — ⸗ñht— 


6) 2 Könige 18, 9-42. | 

7) Joh. 4, 5-26 Joſephus, Antiquitt. 18, 4. 1. Züd. Krieg 3, 7. 32. 

8) Joh. 4, 28. 

9) Joſephus Antiquitt. 12, 4. 4. 18, 2.2. Luk. 9, 83. Rath. 10,8. 
Joh. 8, 48. 

10) Die Schulen des Hille! und Shammai waren am Bee. 


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7 


gogiihe Künfte bei dem. Volke fo einzufchmeicheln, daß fie einen entfcheiden- 
den fowohl moralifchen als politifchen Einfluß gewann und durch ganz Judaͤa 
und Galiläd ſich audzubreiten vermochte. Nicht in ihrer Glaubendlehre von 
guten und böfen Geiftern, noch von der Unflerblichfeit der menschlichen 
Seele11) und von der fittlihen Willendfreiheit unter Mitwirkung des 
Schickſals lag das Verderblihe ihrer Richtung, wohl aber in ihrem Fefthalten 
‚an der Tradition und in der Lehre vom Verdienſt guter Werfe vor Gott. 
Dadurch gemöhnten fie dad Volk, mehr Werth zu legen auf Aeußerlichfeiten, 
als auf die innere Weihe religiöfen Sinnes, eine hohe Meinung zu faffen 
von feiner Gerechtigkeit fowoHl den Heiden, als auch den übrigen Klaffen 
des eignen Volkes, zumal Sadduzäern, Zöllnern und Verbrechern gegenüber, 
gegen die im Lande wohnenden Römer als Unreine eine wabrhaft verlegende 
BZurüdhaltung zu beobadıten, fo Laß der Umgang mit ihnen möglichft ver« 
mieden wurde. Sie fihürten den Nömerhaß, wo ſie fonnten, flößten der 
Menge den Kleinigkeitögeift ein, welcher Kümmel und Raute an den Tempel 
verzehntete, vor dem Genuß eines Stückleins Brod die Hände wufh, am 
Sabbath beim Spazierengehen feine Schritte zählte, um ja nicht mehr als 
2000 Ellen Weges zu durchwandeln, und mit Alledem den Geiſt der Heuchelet, 
welcher an den’ Eden der Gaſſen betete und vor ſich ber pofaunen ließ, damit 
männiglid die frommen Herren Almofen austheilen fehe.. Was Wunder 
nun, daß ein Volk, vom Kleinigkeitägeifte beſeſſen, für das wahrhaft 
Große feinen Sinn mehr bat; durch Heucelfinn entwürbdigt, eine Beute 
demagogiſcher Heudjler wird, von blindem Gerechtigkeitsdünkel aufgeblafen, 
die Stimme der Wahrheit nicht mehr hört, von leidenfchaftlibem National 
ſtolz hingeriſſen, Eopfüber ind Verderben rennt? Ein Beweis, wie wenig 
ächte Neligiofttät mehr im Volke war, tft der Viehmarft fammt dem 
MWechölergeihäft im Vorhof des Tempeld und die willige Annahme der 
pharifäifchen Sagung, daß man hülflofe Eltern nicht mehr zu unterflüßen 
brauche, wenn das, was ihnen zu gute Fäme, dem Tempel vergabt würde 12), 


41) Joſephus, Jüd. Krieg 2, 8. 14, u.3, 8. 8 fagt ausdruͤcklich: „nad ihrer 
Lehre verweilen die Seelen der abgefejiedenen Guten im Himmel, bis fie nach Ablauf 
der Zeiten von da in andere, nun heilige Leiber zurückkehren, "während die Seelen der 
Böfen zur Strafe in die Unterwelt verbannt werden." Nach Luk. 20, 27—40 fcheint 
aber doch bisweilen eine etwas Fraflere Auffaſſung der Auferfehung unter ihnen ges 
waltet zu haben. 

12) Matth. 15, 5. Joh. 2, 14—16. 


8 


Natürlich wollten auch die Phartfäer, nach Art aller Heuchler, nicht umfonft 
heucheln, fondern benugten ihr Anfehen, um unter der Hand ihren perſoͤn⸗ 
lichen Vortheil zu verfolgen 13). Von den Zeiten der hadmonälfhen Dyna- 
ſtie her eine mächtige politifche Partei, behaupteten fi noch zu Jeſu Zeiten 
dis Mehrheit im Hohen Rathe der Juden, und zeigten fi) ald Rathsglieder 
aͤußerſt eifrig in Vollziehung des mofaifch.en Geſeßes gegen arme Sünder 
nad feiner ganzen Strenge 14). „Nicht zufrieden mit der dem Uebertreter 
auferlegten Strafe, gaben fle allem Volk das Beifpiel, dergleichen Unglüd- 
liche zeitlebens von jeglihem Umgang auszufchließen, wodurd der Geift ber 
Humanität unter der Menge ausgelöfcht wurde 15). 

Weit weniger Einfluß auf Moral und Sitte der Maflen hatte die 
Sekte der Sadduzäer, welche Dagegen bei den Vornehmen, als Gegner 
der pfeudodemofratiihen Pharifäer, in defto höherem Anſehen fanden. Alle 
Tradition flreng verwerfend, einzig an das gefchriebene Befeg, die Thora, 
fich haltend, Ichrten fie da8 Erfterben der Seele fammt dem Leibe, glaubten 
auch weder Engel noch Dämonen 16), Ohne Ausfiht auf Lohn oder 
Strafg nach diefem Leben, wollten fie die Tugend um ihrer ſelbſt willen ge= 
übt wiſſen, hielten mehr auf bie innerliche Geſinnung, als auf das Aeußere, 
erfchienen in ihrem Wandel und Urtheil ftreng, oft bis zur Härte, ohne jes 
doch dad weitichweifige Geremoniell der Phariſäer im Mindeften zu beob⸗ 
achten 17). Ihrer politifchen Parteiftellung nady waren fie Anhänger der 
Römer. Wenn .man die Darftellung des alerandrinifchen Philo von ihren 
Uebertreibungen entfleidet, fo wird wahrfceinlih, daß die Sadduzäer, 
wenigftend zum Theil, als Freidenfer , als Spötter über phartfäiiche Lehren 
und Mebertreter fireng jüdiſcher Abgefchloffenheit gegen die Heiden, aud eine 
gewifle Ariftofratie des Geiſtes in Juda repräfentirt Haben, Der Urfprung 
dieſer Sekte ift ebenfalls dunkel. Zadok, ihr angeblicher Stifter, mag ver⸗ 
muthlich eine durch ethmologiſchen Schluß aus dem Namen „Sadduzäer * 
fingirte Perſon ſein. 
| Die dritte Sekte der Juden und bie den geringften Einfluß auf das 


43) Motih. 283, 14. 

44) Joh. 8,3 fe. 

45) Zul. 7, 36—39. 18, 2. 

46) Joſephus: Antiquitt. 13, 10. 6. Luk. 20, 27. 
47) Joſephus, Jüd. Krieg 2, 8. 14. 








9 


Volk übte, waren die Eſſaer, welche unter dem Namen Aſidaͤer (hebr. 
Chasidim, die Frommen) zuerfi Maffab. L, 7, 13 oorfommen. Aehnlich 
ben ägyptiſchen Therapeuten aber nicht mit ihnen zu vermechfelu, bildeten 
fie eine religiöfe Ordensgeſellſchaft, deren Glieder der Mehrzahl nad) auf 
dem Lande lebten, Der Bund beftand aus lauter Männern, und beruhte auf 
Gütergemeinfchaft. Die Effäer waren der Ehe abgeneigt, wollten feine 
Waffen tragen, und opferten nie, obwohl fte in dem Tempel zu Ierufalem 
Weihgefchenfe und Abgaben ſchickten. Außer dem A. T., deſſen Schriften 
fie, wie die Pharifäer, jedoch mit mehr Redlichkeit, allegorifch außlegten, 
hatten fie noch andere heilige Bücher, welche fie fehr geheim hielten. Gie 
lehrten unabänderlihe Vorherbeſtimmung und zugleich Unſterblichkeit der 
Seele, übten Enthaltſamkeit, mieden und befeitigten mit ängflliher Ge⸗ 
nauigkeit jede Verunreinigung , hielten feine Sflaven und thaten nie einen 
Eid mehr, nachdem fie als neu Aufgenommene ihren Ordenseid abgelegt 
hatten. Die aufgehende Sonne begrüßten fie mit Hymnen und ließen, bevor 
Dies geſchehen war, fein weltliches Wort über die Lippen. Der Eheloſigkeit 
feiner Mitglieder wegen ergänzte ſich ter Orden durch neu Aufgenommene 
und war daher nicht ſehr verbreitet, obwohl zur Zeit des Flavius Joſephus, 
der jelbft einer feiner Novizen geweſen, in den Gegenden am todten Meere 
gegen A000 Efläer gelebt haben follen.1®) 

So abgeihloffen nun der Hebraismus nad den biöherigen Betrach- 
jungen der heitniichen Welt gegenüber erſcheint, fo eifrig ſuchte er gerade in 
dem vorliegenden Zeitalter unter ben Heiden Eroberungen zu machen, und 
zwar am meiften phariſäiſcherſeits, weil die Pharifäer ed für ein verdienft- 

liches Werk Hielten, einen Judengenoſſen (Proſelyten) zu gewinnen 19). 

Man unterſchied Proſelyten des Thores, d. i. in Israel anſaͤſſige Hei⸗ 
den, welche ſich zur Beobachtung der ſieben noachiſchen Gebote 20) verpflichtet 
hatten, und Proſelyten der r Gerechtigkeit, welche den ganzen Moſaismus, die 


— — — —— — 


18) Wir bemerken gelegenitic, daß in ven 40 er Jahren in Deutſchland ber Ben 
ſuch gemacht wurde, in Form einer augeblich alden Urkunde den Urfprung des Chriſten⸗ 
ihums fchlechtweg auf den Efiäismus zurüdgnführen. Die Idealiſtrung des Eſſaͤer⸗ 
ordens durch Philo mag zu diefer Myftification ermuthigt haben. Im Uebrigen ſoll 
nicht beſtritten werden, daß Eſſaͤiſches im Urchriſtenthum war. 

19) Maith. 33, 15. 

20) Enthaltung von Bottesläfterung, Goͤtzendienſt, Mor, Blutfchande, Raub, 
vom Genufle blutigen Fleiſches und von Witerfeglichfeit gegen die (jüdiſche) Obrigkeit. 


10 
"Männer durch Beichneidung und Opfer, die Weiber durch Taufe und Opfer, 
annahmen. Die meiften Heiden, welche aus wirklich religiöfem‘ Beduͤrfniß 
Proſelyten geworden, zeigten fich hernach fehr empfänglich für das Ehriften« 
thum, jodaß. die Profelytenmacherei der Pharifäer gewiſſermaßen als Vor⸗ 
arbeit für Die chriſtliche erſcheint 21). 


3. 


Die vorſtehend geſchilderten religiös—-ſittlichen Zuftände der Hebräer ent= 
ſprangen aber großentheils aus der politifchen und fozialen Stellung, welche 
fie damals einnahmen. Nachdem durch Judas Maffabi ein Schugbündniß 
mit den Römern gegen Syrien zu Stande gefommen, war der erfte Tritt in 
das Neg der großen Spinne geichehen, Rettung der Unabhängigkeit nicht 
mehr möglich, völlige Unterwerfung in Bälde zu erwarten. Unter Kürft 
Simon wurden die Juden „Freunde und Bundesgenoffen des römifchen 
Volkes“, ein Titel, der nicht, wie jo viele andere, weniger, fondern weit 
mehr zu bedeuten Hatte, als er fagt. Die Thronftreitigkeit zwifchen Hyr⸗ 
kanus II. und Ariftobulus II., welche beide die Vermittlung des Pompejus 
anriefen, verhalf zwar dem Hyrkanus zum Hohenpriefter- und Fürſtenthum 
über Juta, machte aber Tas jüdifche Volk den Römern tributpflihtig. So 
ſchüttelte das Heldengejchledht der Maffabäer oder Hasmonäer den Drud der 
ſyriſchen Tyrannei nur ab, um fein Volk den Römern als Teihte Beute 
preid;ugeben. Dabei handelte Judas Maffabi bloß unpolitiih, Hyrkan und 
Ariftobulus dagegen hantelten, ald wäre ihr Volk ein willenlofes Ding: 
fie madıten die Sache des Vaterlandes zu einer Privatftreitigkeit; auf ihnen 
Taftet die Schuld, obſchon aud ohne diefe dem Verhängnig nicht mehr 
audzuweichen war, Dem Hyrkanus ward der Edomiter Untipater als Pro«- 
furator von Cäfar zur Seite gejeht; nach der Bergiftung Antipaterd und 
mannigfadhen Kämpfen um den Thron erklärte dann auf Verwendung bed 
Triumvirs Antonius der Senat Antipaters jüngern Sohn Herodes zum Kö⸗ 
nig der Juden, im Jahre 40 v. Chr. Diefer, von Argwohn und Graus 
ſamkeit getrieben, vertilgte die legten Glieder ded hasmonäiſchen Stammes, 
Unter feiner Regierung ward Jeſus ChHriftus geboren; nicht lange hernach 


21) Apoſtelgeſch. 2, 10. — 16,14. — 8, 26— 28. 


11 


flarb Herodes. Man hat ihn den Großen genannt, wohl in Vergleihung 
mit feinen erbärmlichen Söhnen. Groß war er allerdings an Graufamfeit, 
jo daß Auguftus von ihm jagte, „es fei beſſer, des Herodes Ferkel, als fein 
Kind zu fein!). Bon den zahlreichen Hinrichtungen ihm abgeneigter Juden 
nicht zu reden, ließ er feine Gattin Marianne, feine Söhne Alerander und 
Ariftobulus aus Argwohn, den wirflih fchuldigen Sohne Antipater kurz 
vor feinem eignen Tode binrichten und „damit Ierufalem bet feinem Tode 
auch Thränen vergieße*, entbot er eine Menge vornehmer Juden nach Jericho, 
wo er krank lag, anordnend, daß fie bei feinen Tode hingerichtet werden 
follten. Groß war Herodes 1. auch in der Diplomatifchen Kunſt, den Man⸗ 
tel nach dem Winde zu hängen. Den Antonius verließ er klüglich nach der 
Schlacht bei Actium, weihte dem Octavian einen Tempel, befhwichtigte das 
murrende Volk jegt durch prachtuolle Verfchönerung des ferubabelichen Tem⸗ 
peld 2), dann wieder durch kluge Bürforge bei einer fchweren Hungersnoth. 
Doch beim Volke reichte er damit nicht aud. Durch feine Graufumfeiten, 
die Einführung fremder Kampfipiele und einer geheimen Polizei, dur 
mehrfache offene Verlegung des religiössnationalen Gefühls machte er feine 
Wohlthaten vergeffen, feine zahlreihen Siege, die Größe und den Glanz 
Judäas in Ausdehnung jeined Gebietes, in Verfhönerung Ierufalems durch 
pradhtvolle Bauten, in Gründung ganzer Städte. Kraft und Befonnenbeit 
in Gefahr hat er allezeit bewiefen ; feinem größten Feinde jedoch, fich felbft, 
hat er feinen Sieg jemald abgewonnen. Die Ohnmacht jeines Geiſtes ge« 
genüber feinen Leidenſchaften fühlte er oft; dann warfen ihn Reue und Ges 
wiſſensbifſe aufs Krankenlager. Uebrigens erfcheint er zum Theil auch ale 
ein Opfer veriworfener Günftlinge, die feine Schwächen kannten und ihm 
durch fchlaue Benugung bderjelben Herz und Lebensglück vollens ver« 
gifteten. — 


4. 


Der Tod Herodes J. rief verwidelte Thronflreitigkeiten hervor , deren 
Ergebniß war, daß Herodes Archelaus ald Ethnarch das halbe Reich, Hero⸗ 


4) Macrobius, sat. 2, 2. 
2) In feinem 18. Regierungsjahr. 


12 


des Antipad (dadurch der Landesherr Jeſu) Galilaͤa und Peraͤa, Philippus 
Batanen, Trachonitis und Auranitis, die Wittwe Salome eine Summe 
Beldes und etliche Städte erhielt. Sechs Jahre nadı Chrifti Geburt warb 
Archelaus infolge der vereinigten Klagen feiner Brüder, der Suden und der 


Samariter, welche feine Bedrückungen nicht länger zu ertragen vermochten, 


son Auguftus nach Bienna in Gallien verbannt. Bon da an wurden Judäa 
und Samaria, zur Provinz Syrien geſchlagen, durch römiſche Procuratoren 
(Landpfleger, Statthalter) verwaltet. Ste beforgten bie Faijerlihen Ein⸗ 
fünfte, übten richterliche Gewalt, zumal die peinliche Geridhtöbarfeit!), und 
hatten den Befehl über die in Judäa und Samaria liegenden Truppen. Ihr 
eigentliher Sig war Caͤſarea, von wo fle nur an hoben Feſten, um bie 
Ordnung unter den berbeigeftrömten Volksmafſſen aufrecht zu erhalten, und 
bei ſonſtigen befonderen Veranlaffungen nad Jerufalem hinauffamen. Laut 
Joſephus Angabe 2) befaß zwar der erſte Procurator, Goponius, die Blut⸗ 
gerichtäbarkfeit noch nit; Pilatus Hingegen, der zweite Bandpfleger unter 


Kaiſer Tiberius, übte fie nicht wur Jeſu, fondern nad den Berichten ber 


Evangelien aud vielen Andern gegenüber 3). Pontius Pilatus, jo ſchwach 
er ſich bei ber Verurtheilung Jefu zeigte und fo viel ihm damals daran ges 
legen ſchien, es mit den fanasifchen Juden ja nicht zu verderben, legte doch 
Feftigfeit genug an den Tag, wenn e8 galt, dem Kaifer zu dienen oder auch 
nur zu ſchmeicheln, eine Feſtigkeit, welde gegen den jüdiichen Fanatismus 
nicht die mindeſte Ruͤckſicht kannte. Als er die mit Bildern des Kaiſers ver⸗ 
zierten Feldzeichen nach Jeruſalem gebracht und daſelbſt offen zur Schau 
geſtellt hatte, eine Handlung, welche den Juden wie Kaiſervergötterung in 
ber heiligen Stadt vorkam, drohte er den darüber Aufgebrachten zuerſt, ſie 
niederhauen zu laſſen, wenn fle die Bilder des Kaijerd nicht duldeten, und 
gab erfi nach, ald der ganze von den Truppen umringte Volkshaufe fih auf 
die Erde niederwarf und Die Häupter den Todesftreichen beugte mit dem 


Auf: „Lieber den Tod erleiken, ald das Gefeg übertreten!* Später einmal- 


verwendete er den heiligen Schag (Korban) zum Bau einer Waflerleitung und 
ließ, flatt der hierüber tumultuarifch verfammelten Menge nachzugeben, den 
Schreiern Durch feine Soldaten mit Prügeln ven Mund flopfen. Es war 


4) Joh. 18, 31. 
2) Züd. Krieg 2, 8.1. 
3) Luk. 13,1. 


Ed 


13 


in ihm eine Aber brutalen Humors, bie ſich auch bei der Kreuzigung Jeſu 
nicht verleugnete: — der Landpfleger Tieß über das Kreuz die höhnifche In⸗ 
ſchrift fegen: J (esus) N (azarenus) R (ex) J (udaeorum). Rach zehnjähe 
tiger Verwaltung endlih beim Präfes von Syrien, Vitellius, angeflagt, 
ward er von diefem zur Verantwortung vor Tiberlus nach Rom geſchickt. 
Dies gefhah ungefähr drei Jahre nach EChrifti Tod. Zwei Jahre früher war 
der Vierfürft Philippus geftorben. Ungefähr fünf Jahre nach Ehrifli Tod 
reif’te der Mörder Iohannid des Täufers, Herodes Antipas, ein ſchwelgeri⸗ 
ſcher, Hinterliftiger Fuͤrſt, auf Betrieb feiner Gemahlin Herodias zum Kai⸗ 
fer Galigula, ſich die Königswürde von ihm zu erbitten. Statt diefe zu er⸗ 
langen, ward er nad Lugdunum (Lyon) verbannt, fein und des Philippus 
Land dem Herodes Agrippa übergeben, demfelben, auf deflen Geheiß der 
Apoftel Jakobus hingerichtet ward 4). Agrippa J. mußte ſich die Gunft des 
Volkes fo fehr zu gewinnen, daß es ihn bet einem öffentlichen, zu Ehren 
des Kaiſers veranftalteten Kampflpiel ald einen Gott begrüßte?), Sein 
Sohn Agrippa II. wegen willfürlihen Ab-⸗ und Einfeßens der Hohenpriefter 
bei den Juden wenig beliebt, hielt nad) tem Ausbruch des furchtbaren Ver- 
tilgungskrieges fortwährend die Partei der Römer, mie überhaupt Die Hero» 
dianer thaten, im Gegenfaß zu den nationalgefinnten Pharifäern. 

Mährend der Regierung Agrippa's 1. walteten keine Procuratoren im 
Lande. Nach feinem Tode eröffnete die Reihe derjelben Cuſpius Fadus, der 
die Häuberhorden zu bezähmen wußte. Unter feinen Nachfolgern fteigerte 
fofdatifcher Muthwille, Willlür, Bedrückung und Beftechlichfeit die Zer⸗ 
rüttung im Volke immer mehr. Die Räuberbanden (Sikarter) mehrten, bie 
Bande der Gefellfchaft löſten ſich, bis endlich unter Florus das radhedürftende- 
Volk in Maflen aufftand, um nad furdtbaren Kämpfen dad Opfer feines- 
meſſtaniſchen Wahnes, phärifätiher Hetzerei und römifchen Uebermuthes zu 
werden. 


8. 


Die Vergrößerung der Städte und die wachſende Verwicklung der po⸗ 
litiſchen Verhaͤltniſſe, ſowie die Zerſtreuung einer großen Zahl von Juden 


4) Apoſtelgeſch. 12,1 ff. 

5) Apoftelgefch. 12, 22. u. 23. Unglaublich bei der damaligen ſtreng theokra⸗ 
tiſchen Richtung der Juden, es fei denn, daß die feilen Herodianer zuerft riefen und fo 
bie übrige Menge-mit ſich fortriflen. 


44 


in alle Länder der Heidenwelt, hatten die von Moſes feflgefegte foziale Ord⸗ 
nung längft ihres fegensreichen Einflufied beraubt). Zwar wurten nach ber 
Nüdfehr aus Babylon Jubel- und Sabbathsjahr gewiſſenhaft gefeiert und 
Joſephus führt noch aus der Zeit des Johannes Hyrkanus eine Sabbaths⸗ 
jahrfeier an?). Mit diefen Einrichtungen erhielt ſich dann auch die Gliede⸗ 
sung der Hierardie bis in die legten Zeiten; aber die Anforderungen der 
römifchen Oberherrn nahmen wenig Rückſicht auf dieſe Einrichtungen und 
machten deren wohlthätige Zwede größtentheils illuforifh. War ein Sabs 
bathsjahr oder nicht, Die jährliche Steuer von 1 Denar auf den Kopf mußte 
bezahlt werden, ebenfo der an römiſche Nitter verpachtete Zoll, welche wieder, 
zumal in den Kafenftäbten, ihre Untereinnehmer, die „Zöllner“, hatten, 
Letztere, Die, nad Judenart, in Geldſachen audy nicht immer die Redlichſten 
bei ihrer Verwaltung fein modten, wurden als die Gehülfen der Unterdrüder 
von ihren fanatiichen Stammesgenoffen auf's Bitterfte gehaft, im Evanges 
lium mit den „Sündern*, im Talmud mit Räubern und Mördern zuſam⸗ 
mengeftellt 3). An ihnen lich der Fochende Grimm ber Pharifäer,, ber fid 
vor den Römern Duden mußte, feine ganze Stärke aus, ald an Sünden- 
böden des Nömerhafles. 

In den Antiquitäten des Joſephus (12, 3, 3) Anden wir zum erften 
Mal ausdrücklich erwähnt das Synedrium, den hohen Math der Juden, 
beftehend aus. den Hohenprieftern, Aelteften und Schriftgelehrten pharifäifcher 
fowohl als ſadduzäiſcher Partei. Diefe Behörde vereinigte die oberfte geießges 
berifche und adminiftrative Gewalt in Firchlichen Dingen mit der richterlichen 
Gewalt in Rechtsſachen, die einen ganzen Stamm, oder einen willfürlichen 
Krieg, oder ein Staatöverbrecdhen, oder endlich kirchliche Dinge betrafen. 
Präfident war gewöhnlich, wenn auch nicht immer, der im Amt befindliche 
Hoheprieſter. Wie vielfach übrigens die Gewalt des Synedriums theils Durch 
die Herodier, theild durch die Landpfleger eingefchränft wurde, läßt ſich aus 
Obigem erfehen. Ungeachtet einiger Aehnlichkeit mit dem Rath der Siebzig, 
welhen Mofed, und dem Öbergeridht, welches König Joſaphat errichtet 
hatte, iſt das Synedrium ein nicht mofaifches, früheftend unter feleuzidifcher 
Oberherrſchaft aufgefommenes Inftitut2). 


4) Bol. Thl. II., ©. 119 fg. 

2) Jüd. Krieg 1, 2. 4. 

3) Matth. 11, 19. Luk. 7, 34. 

4) Mof. 4, 11, 16. Chron. 2, 19, 8. 








15 


Auch das Synagogenwefen entftand erſt feit dem Exil. In der 
Synagoge (Berfammlungshaus) Hielt man zur Zeit Chriſti und feiner Apoftel 
nur am Sabbath Gotteddienf. Der Synagogenabwart begann mit einem 
Gebet, verlas hierauf Die der Reihe nad folgende Stelle des Pentateuch 
(Paraſche) und der Propheten (Haphtare) im Original, nebft aramälicher 
Ueberſetzung, und dann konnte zur Auslegung im freien Vortrag oder Ges 
fpräd) Ieder auftreten. Der Segen und das Amen machten den Schluß. Die 
Vorfteherfchaft der Synagoge befand aus einem’ „Oberften der Berfamm- 
lung“ in jevem Ort, wo fid eine Synagoge befand, und einem ihm beige- 
geben Rath von „Aelteſten“. Der Oberfte wachte über die Ordnung in den 
Verſammlungen, leitete mit dem Rath der elteften dad ganze Synagogen 
weien und hatte außer tem Abwart noch einen Diener unter fi, welcher 
ungefähr die Stelle eines Küfters verfah. In den Synagogen wurden auch 
irrgläubige und abtrünnige Juden gegeißelt. — 


6. 


Der Banatismus iſt Verweſungshauch einer im Herzen erflorbenen 
Religion. Das erhellt deutlich aus den jüdiſchen Geſchichten damaliger Zeit. 
- Den Biehmarft im Vorhof des Tempeld duldete man, über eine Heilung 
am Sabbath erhob fich entfetzliches Gefchrei. Daß Herodes einen goldenen 
Adler über einer Pforte des Tempels angebracht, entflammte die Geſetzes⸗ 
eiferer zur Wuth, einen Schwur beim Tempel oder Altar brachen diefelben 
ohne Bedenken. Iammergeichrei erhob fi beim Anblid der mit Tiberiud 
Bilde gezierten Beldzeichen, allein wenn Pharifäer der Wittwen und Waiſen 
Gut fich aneigneten, ertönte feine Klage. Die Religion der Juden war, fo 
zu fagen, Eind geworden mit ihrem National-Stolz und «Haß. Was von 
der Religion darüber hinaus geht, war unter ihnen kaum mehr zu finden. 
Die Form hatte den Geiſt, Ceremontendienft die Tugend verfchlungen. Wie 
es mit der fittlichen Gefinnung der Nation ftand, davon zeugt am beften das 
feit der römifchen Herrſchaft mächtig wuchernde Raͤuberweſen. Bald als 
Propheten, bald als Tyrannenſpieler fanımelten Abenteurer zahlreiche Ban 
den, auszuziehen auf Raub und Mord 1). Herodes und die Procuratoren 


4) Joſephus, Juͤd. Krieg 2, 22. 2. Antiquitt. 20, d. 1. 


16 


ſchickten zu wiederholten Malen Truppen gegen fle aus; vergeblih. Bald 
mußten Procuratoren fih bequemen, die Mäuber gegen Entrichtung einer 
Steuer zu dulden2). Ste felber mehrten deren Zahl dur Entlaffung der 
Gefangenen gegen eine Loskaufſumme. Im füdifchen Krieg bis zu deſſen 
Ende war der Einfluß der Raͤuber vorwiegend, ein Beweis, wie tief die 
öffentlihe Moral gefunfen war. Für den Geiſt damaliger Zeit bezeichnend 
iſt auch der Umftand, daß die Mäuber im großen Kriege den Namen Zelo⸗— 
ten, d. 5. Eiferer für Gott und fein Gefetz, annahmen. Diefe Dinge be— 
treffend, bezeugt der Jude Joſephus ſelbſt: „Wenn das Feuer an einem 
Punkte gedämpft war, fo brach, wie an einem kranken Leibe, das Fie- 
ber wieder anderswo aus *?). Wir machen nur noch darauf aufmerkſam, wie fehr 
die weltlichen Mefftashoffnungen das Volk für tie Stimme jedes Verführers 
empfänglich machen mußten. Ohne ſie wären nicht Yaufende bald dem Theu⸗ 
das, bald dem ägpptiichen Gaufler, bald jenen Schwärnern nachgelaufen, 
die in der Wüſte göttliche Wunderzeichen der Befreiung verhießen 2). 


7. 


Ueber Bethätigung des hebrälichen Geiſtes in Kunft und Wiffenfchaft 
ift aus diefer Zeit wenig zu melden. Die Poeſie bat Feine und befannten 
Erzeugniffe mehr hervorgebracht. Woher religiöje Lieder, wenn die Reli« 
gton nicht mehr Sache des. Herzens it? Malerei und bildende Kunft waren 
den Juden, wie vordem, fremd geblieben. Nur bie Baufunft lebte unter 
den Herodiern auf, wie nie mehr feit Salomond Tagen. Ihre Krone war 
der Tempel, den Herodes I. in größerm Maaßſtab ald dem falomonijhen aus 
weißem Marmor mit Goldverzierungen erbaute. Seine erhabene Pracht be⸗ 
wundernd, fuchten Die Mömer ihn bet Jeruſalems Eroberung mit änßerſter 
Sorgfalt zu ſchonen; aber in glühenten Schutt ſank das herrliche Bauwerf- 
zufammen, nachdem es dem Feldherrn Titus faum.vergönnt gewefen, einen 
Blick in fein Innered zu werfen. 

Was die Wiffenfchaften angeht, fo waren die Priefter, wie von Altera 


2) Joſephus, Antiquitt, 20, 11.1. 
3) Jüd. Krieg 2, 13. 6. 
4) Shendaf. 2,13, &u.85. 


17 


ber, die Aerzte ihres Volkes geblieben, in weldger Stellung fe unter Anden.‘ 
rem auch dem Teufelaustreiben oblagen, weil nad damaliger Anſchauung 
fallende Sucht und Geiſteskrankheit aller Art dem Innewohnen eines oder 
mehrerer Teufel zugeſchrieben wurde). 

Wie wir bereitd angebeutet, ward bie Sammlung der altteſtament⸗ 
fihen Urkunden Furz vor Ehrifti Geburt geichloflen; das Jahr des Ab- 
ſchluſſes ift unbeflimmbar. Philo fheint das A. T. als Ganzes anzuführen, 
nennt aber nicht alle einzelnen Schriften deſſelben. Joſephus erft führt in 


feiner Schrift gegen Apion faft alle altteft. Bücher auf und zählt deren 22. 
Die griechifche Ueberſezung ber altteſt. Schriften iſt De Wette zufolge bis 


130 v. Chr. ganz oder größten Theils vollendet worden. 

Um Eprifti Zeit blühten in Serufalem und vielen andern Städten be 
Landes hauptfächlich der Geſetzeskunde gewidmete gelehrte Schulen. Weiter 
bliende Lehrer mögen die Jünglinge wohl auch mit griechiſcher Literatur be⸗ 
fannt gemacht haben, wie denn Paulus, des Bharifäerd Gamaliel Schüler, 


. den Spruch 1. Kor. 15, 33: „Böje Geſchwätze verderben gute Sitten*, 
wvoͤrtlich von dem hellenifchen Dichter Menander entlehnt bat 2). 


Die Juden waren durch ihr Exil mit perfiihen Neligiondlehren, bes 
fonders der Damonologie bekannt geworden. Daher ihr kraſſer Teufelglaus. 


- ben zu Iefu Zeiten, gefördert durch die Vorftellung, daß. die Gögen ber 
Geiden eigentlich Teufel feien, welche die Menfchen zu ihrer Anbetung ver⸗ 


führt Haben, wodurch 3. B. der Götze Baal⸗Sebub untes dem Titel Beelze⸗ 


bub zum „Oberſten der Teufel“ erhoben. ward 2). 
Hinwieder hatte Uleranderd des Großen Zug die Juden mit griechiſcher 


Bildung und Religion bekannt gemacht, eine Bekanntſchaft, die ſich mit der 


Auswanderung einer immer größern Zahl nach Aegypten, beſonders nach 
Altxandrien, dem damaligen Hauptfig griechiſcher Cultur, fortwährend ſtei⸗ 
gerte. Unter den alexandriniſchen Juden fand zuerſt eine geiſtige Verſchmel⸗ 
zung des Hebraismus mit dem Hellenismus ſtatt, was auf die Geſtaltung 
der drei jüdiſchen Sekten auch im Mutterlande, befonderd auf Sadduzäis⸗ 
mus und Eſſäismus, jedenfalld nicht ohne Einfluß blieb. Die alerandris 


niihe Richtung fuchte entweder die jüdifchen Meinungen durch griechiſche 


* 


.— 
un — — ——— ⸗ 


1) Matth. 12, 27. 8,28. 17, 14 ff. 

1) Es iſt ein vollſtaͤndiger Zrimeter: pselgovasv 797 zejas! ouAlaı zaxab- 
3) Matth. 12, 24. 

Scherr, Geſch. d. Religion. III. 2 


18: 

Begriffe zu erklaͤren / oder ſib fuchte die heil. Bäder auch als⸗ Quellée ber 
griechifchen Vhiloſophie darzuſtollen und ward fo wahrſcheinlichſdie Mutter 
bes, allegorifhen:Shriftauslegung. Ihr vornehmfler - Reprä 
fentant ift der Jude Philo, geb. etwa 30 Jahre vor Chriſtus in Alerandrien: 
Unter feinen: zahlreichen Schriften ‚heben wir befonders feine: Apologie“ 
(Bertheidigungsichrift für die Juden) hervor. Er deutete den Mato in den: 
Moſes hinein, jo dag esralkgemeim hieß: „ Entweder: platonifirt Philo oder 
Plato philoniſtrt.“ Obwohl er daran feſthielt, das Moſes unmittelbare 
göttliche Belehrung empfangen habe, wußte er doch’ Fülgendes aus ihm her⸗ 
außzudenteln: „Die Welt fei aus zwei Prinzipien entfländen, der befchaffen« - 
heitölojfen Materie und Gott, als der Duelle alles Wahren, Guten: und 
Schönen. Gott hat fih in die Materie verfenkt, um daraus tie Welt zu 
ſchaffen. Sein Verſtand enthält das Muſterbild der Welt, jein Wille bie - 
Naturkraft der wirklichen Welt. Ohne unmittelbare göttliche Einwirkung 
aufi die Seele weiß: der Menſch nur, daß ein Gott ift, nicht wie er iſt.“ 
Man. fteht, wenn died Die Lehre des Moſes fein fol, fo hat er feine unmit« 
telbare Erleuchtung nicht von Bott, jondern von Philo empfangen. Trotzdem 
iſt Philo unter den Philofophen jenes Zeitalterd, obwohl der einzigenamhafte 
jüdeſche, doch nicht der geringfte gewefen: Er gehörte zu den Eſſaͤern, zeigte 
aber deſſen ungeachtet eine umfaſſende Theilnahme für alle feine Stammes⸗ 
genoſſen. Noch als Greis reiſ'te er im Auftrag ſeines Volkes zum Kaiſer 
Caligula, um ſeine Volksgenoſſen gegen die Verläumdungen eines Apion 
und Anderer zu vertheidigen. Nicht als Philoſoph, aber wohl als Geſchichts⸗ 
ſchreiber Hat ſichunter den Juden hervorgethan Flavius Joſephus, geb. 37 
nad Chr., wahrſcheinlich in Jeruſalem. Er ſchtieb in griechiſcher Sprache 
die. „güdifchen Alterthümer“ (Antiquitates), Die Apologie gegen Apion 
und: die Geſchichte des jüdiſchen Krieges, den--er perſönlich mitgemacht. 
Daß er auch letztgenanntes Werk von ſeinem Parteiſtandpunkt aus geſchrie⸗ 
ben, ſollte ihm nicht zu ſehr verargt werden. Außerordentliche Geiſtes⸗ und 
Willenskraft gehört Dazu, als unparteiifcher, unbefangener Geſchichtsſchrei⸗ 
ber Ereigniſſe darzuſtellen, in deren Verlauf man ſelbſt ſehr ſtark Partei ge= 
nommen. Die Schoͤnrednerei, welcher ſich Joſephus bei jeder Gelegenheit 
hingibt, war damals Mode. Bei allen Mängeln find feine Werke doch eine 
Sauptquelle für die Kenntniß damaliger Zeitumflände, 





1% 


Zweites Kapitel. 
@ine untergehende Welt. 
(Sätuß.) 


1. 


Don Ierufalem wenden wir und nad Rom, dem Schaufpiel des Unter« 


gangs der alten Gejellichaft von einem anderen Standpunfte zuzufehen, d. 5. 


und von den religiöfen, fittlichen, politifchen und literarifchen Zuſtänden 
der römifchen Welt zur Zeit ihres Berfalld ein Bild zu mahen. Wir wer⸗ 
den zu dieſem Ende bis in die Zeit der Antonine herabfteigen müffen, wo 


die Auflöfung der antifen Ideen, Sitten und Einridtungen ſchon ganz un« 


hemmbar geworden war. Die Betrachtung ber fpärlichen Lichtſeiten, der’ 
furchtbaren Schättenfeiten diefes Bildes wird erfennen Tafien, wad der Aus⸗ 
breitung des Chriſtenthums im römijchen Weltreich Hinderlich und was ihm’ 
förderlich gewefen. Der Gefammteindrud wird fein: dieſe verroftete Welt’ 


fonnte nicht mehr dauern; es mußte etwas Anderes fommen. 
Im Zeitalter des Auguftus war der alte Götterglaube bereitö allge= 
mein, bei den gebildeten Ständen wie unter der Mafle des Volkes, tief er⸗ 


ſchüttert. Schon Eicero hatte geäußert, ed glaube fein altes Weib mehr an’ 


r 


Bühne herab ſprechen laſſen: „ Warum fol ih, ein armer Sterblicher, nicht 


Elyſium und Tartarus. Ungeſcheut durfte Terentius, der 160 Jahre vor 
der Schlacht bei Actium geboren war, einen Wollüftling von öffentlicher 


thun dürfen, was tie Götter thun?“ 
Ennius, des Scipio Afrifanus vertrauter Breund, verjpottete in ſei⸗ 


nen Gedichten die Wahrfager und Zeichendeuter. Auguftus felbft zeigte fich | 


als einen Verächter der oberften olympifchen Götter. Unter Tiberius lie 
fid) feine Iungfrau mehr zur Priefterin der Veſta weihen, bid man den Veſta⸗ 
linnen neue wichtige Vorrechte ertheilte, und unter Claudius waren bie 


Geremonien zur Einweihung eines Supiterpriefterd wie diefenigen zur prie⸗ 


fterlicden Einfegnung der Ehen in Vergeffenheit gerathen, ein Hauptbeweis 
für den Verfall des Väterglaubens auch unter der ungebildeten Volksmenge. 
92 * 


» 


20 


Wodurch die Gebildeten zur Verachtung der althergebrachten Religion ge⸗ 
führt worden, wird die Darſtellung der literariſchen Verhältniſſe zeigen. 
Schwieriger möchten die Urſachen, warum der große Haufe fich vom der 
Volksreligion innerlich abgewendet, Far zu machen fein. Glückſeligkeit für 
fih und die Seinen hatte auch der Heide bei der Gottheit gefudht. Die 
follte der Preis feiner Opfer und Gebete und feines Gehorſams gegen bie 
Gebote der Götter fein. Allfaͤlliges Mißgeſchick fchrieb er dem Zorn irgend 
einer Gottheit zu, den er durch eigne Schuld auf fich geladen. Oder, wenn 
er fih Eeiner Schuld bewußt war, dem Neide der Himmlijchen. Diefen Zorn 
und Neid fuchte er, fei ed durch Opfer, fei e8 durch fonftige Bußhandlungen, 
zu beſchwichtigen. Nachdem aber die römifche Herrſchaft über ben ganzen 
Erdkreis ausgebreitet war und in Folge deſſen die Unterjochten Die Ohnmacht 


ihrer nationalen Schuggätter Fennen gelernt hatten, unter der Blutfaugerei 


römifcher Beamten feufzten, gegen die ſchändlichften Gewaltthaten der über- 
müthigen Sieger nirgends mehr Schug noch Hülfe fanden, als auch die rö« 
mijche Pleb8 von den Optimatenfamilien eine ähnliche Behandlung erfuhr 


und faft in allen Dingen die Schändlichfeit triumphiren, erhabene Tugend 


in fruchtloſem Ringen verbluten ſah: da fing das getäufchte Volk an, die 
Macht, die Gereihtigfeit, felbft das Dafein der bislang verehrten Götter zu 
bezweifeln: dad allgemeine Unglüd war der erite Todeöftoß in das Herz 
der vordhriftlichen Religionen. 

Andere Grundgedanfen bargen fi unter dem geheimnißrollen Schleier 
der ägyptiſchen, andere unter den Wollüften und Graujamfeiten der fyro= 
phönicifchen, andere unter den poetifchen Göttergeftalten der helleniſch-⸗römi⸗— 
fchen Religion. Ob nun auch diefe verfchiedenen Grundgedanfen dem Volfe 
nie Elar zum Bewußtfein gefommen fein mochten, fle waren doch wirkſam in 
. der Ahnung und dem Gefühl der Gläubigen. Al aber durch die Religiond« 
politif der Römer nad und nad) eine Vermifchung aller Eulte entftand,, fo 
daß die Oberherren die Götter der Beflegten auch unter Die ihrigen aufs 
nahmen und Hinwieder helleniihe und römifche Gottheiten nah Aſten und 
Afrifa wanderten, ta hatte die rein äußerliche Vermengung der prinzipiell 


fo verfhiedenen Religionen ein völliges Erfterben ihres idealen Gehaltes zur. 


Folge, womit ihnen auch im Gemüth der Menge der Lebensnerv entzwet 

gefchnitten war. | 
Vollends in Verachtung gerietb dad alte Götterwefen, nachdem bie 

römifhen Kaifer angefangen, ſich felbft und ihre Günftlinge noch bei Leb⸗ 


21 


zeiten vergöttern zu laſſen). Sejanus, des Tiberius Günflling, brachte 
feiner eigenen Gottheit Opfer. var, öffentlich, ungeftraft; ebenfo ber Kaifer 
Cajus Caligula, welcher ed mit Heeresgewalt hatte erzwingen wollen, daß 
feine Bildſäule, göttlicher Ehren zu genießen, im Tempel zu Jerufalem aufs 
geftellt werde, als ihn plöglich das Schwert der Rache traf. Seine göttliche 
Verehrung durch Opfer und Altäre, fowie fpäter die des Nero wagte der 
elende Senat nicht zu hindern, und nie mehr erholte ſich diefe vormals fo 
ehrwürdige Verſammlung von folder Schante. Sie fank vielmehr fo tief, 
daß Kaifer Domitian jedes feiner Edifte beginnen durfte mit den Worten: 
„Wir ald Herr und Gott verordnen.? — Mochte die Apotheofe der Katfer, 
zuerft nur nach ihrem Tode geübt, fi) auf die alt hergebrachte Hervenver- 
ehrung (Romulus) gründen; nur um fo lächerlicher und erbärmlicher er⸗ 
ihien dem natürlich unbefangenen Gefühl die göttliche Verehrung von Men⸗ 
fhen, weldye, halb wahnfinnig von Wolluft und Blutgier, von Geiz und 
Habſucht, Sklaven entmenjchter Dirnen und Xotterbuben, den Thron der 
Gäfaren ſchändeten, um meift unter ten Dolchen derer, welche ihnen ge⸗ 
opfert, ihr Leben auszuhauchen. 

Die Götter Homers und Heſiods, wie nicht minder die altrömiſchen 
Gottheiten, hatten ihrer nackten Natürlichkeit ungeachtet, einen gewiſſen fitt⸗ 
lichen Gehalt. Daß dieſer ſchon vor der Kaiſerzeit keinen Einfluß mehr übte, 
iſt ein fernerer Grund, warum die Glaubenslehren der Religion ſelbſt un« 
ter der Volksmenge ihren Boden verloren. Denn gleichwie mit der Reinheit 
religiöſer Ueberzeugung und durch dieſelbe die Sittlichkeit ſteigt, ſo fördert 
hinwieder die Sittlichfeit die religiöſe Ueberzeugung, fo erſchüttert auch Ent« 
ſittlichung den religiöſen Glauben ſelbſt. 

Zu Alledem kam nun noch die Erweiterung des Gedankenkreiſes unter 
dem Volke durch den vielfältigen Verkehr, den geiſtigen Austauſch aller Na⸗ 
tionen, welchen die Ausbreitung. des römijchen Weltreiches hervorgerufen, 
und der Einfluß der gebildeten Stände auf die ungebildeten, zwei Mächte, 
die auch den Handiverfer, den Bauer und gemeinen Soldaten zum grübeln- 
den Nachdenken über die Glaubendlehren antrieben und die Findlich naive 
Auffaffung der nationalen Religionen gewaltig erfchütterten. Dem Einfluß 





——— — 


1) Betreffend die Bergötterung des Caligula läßt Seneca einen der Götter fagen: 
„Sonft war es ein großes Greigniß, ein Gott zu werben, jeßt ift dies Feine Ehre 
mehr in der öffentlichen Meinung.“ 


2 


„ber gebildeten Spötter und Philoſophen widerfland keine geſchloſſene Prie⸗ 
‚Herkafte, fo weit das Eaiferliche, Szepter reichte. (Der aͤgyptiſchen fehlte zum 
„guten Willen die Gewalt.) Den letzten Reſt religiöfen Gefühl überwanden 
bei Vielen die Reize der Dichtung, unter deren Hülle Lucretius und Hora⸗ 
‚tus ihre epifuräifche Lebensanfhauung in die Gemüther einzufchmeicheln 
„mußten. " 


2. 


Zerftören ließ ſich die Volksreligion Teiht, nachdem die ihr zu Grunde 
liegenden Ideen aus Bewußtfein und Gefühl verfhwunden waren. Da aber 
die Philoſophie, ohnehin in viele Lchrmeinungen zerfplittert, von der Volks⸗ 
menge nicht verflanden ward und fomit auch nicht die Stelle der Volksreli⸗ 

‚gion vertreten Fonnte, fo that dies der Aberglaube, zu welchem ſchon von 
Alters her Stoff und Neigung genug vorhanden gewefen. — Daß die Rö« 
mer in ihrer Tagwaͤhlerei, in Beobachtung der heiligen Hühner, des Vogel- 
fluge® und der aufgefchnittenen Opferthiere, um hieraus zu weiffagen, fort« 

fuhren und bei ihnen auch dad Anſehen der ſibylliniſchen Bücher aufrecht 
blieb, daß die ärgften Spötter unter Hellenen und Römern in der Noth dem 

Apollon einen Dreifuß, in Krankheit dem Asklepios einen Hahn gelobten, 
wäre für fih allein nody nicht als ein Zeichen überbandnehmenden Aber⸗ 
glaubens zu betrachten. Wie die Römer von den Seelen der Verflorbenen 
dadıten, wundern wir und auch nicht über den Eraffen Beipenfterglauben, 
der fih fchon in der Erzählung von dem zweimaligen Geſicht des Republt« 
kaners Brutus, Cäfars Mörder, noch mehr in fpätern Geifterbefchwörungen 
fund gibt. Dies vielmehr iſt das untrügliche Zeichen des wachjenden Aber⸗ 
glaubens, daß man ſein Heil in den zuchtloſeſten Orgien orientaliſcher Culte, 

in der ausländifchen Magie aller Art zu ſuchen allgemein anfing. Vergeblidy 
hatte der Senat 53 vor Chr. den Tempel der Iſis und des Serapis zerftören 

Iaffen, derjelbe ward bald wieder aufgebaut. Der Iflss, Kybele- und Ado⸗ 
nisdienft nahm, felbft unter den Vornehmſten, immer mehr überhand und 

‚führte zu womöglich noch größern Scheußlichkeiten als die Bacchanalien 1). 
Was geraume Zeit vor ihnen im Geheimen war getrieben worden, ward 
Dur den ſyriſchen Sonnendienft ded Kaiſers Heliogabalus (219 nad Chr.) 


1) Bol. Thl. 11, S. 211— 12. 


"83 


‚und, die zur. Erforſchung der Zukunft eifrig geübte Kiuderſchlaͤchterei des Wales 
rianus (253 — 260. nach. Ehr.) nur. eineri groͤßern Oeffentlichkeit überliefert. 

Aus .Babylonien, Baläfina, Syrien und Aegypten ergoffen fiy Schaa⸗ 
von von Beirügern durch das ganze römifihe Mach, welche als Lraumbenier, 
Wahrfager, Wundesärzte,. Zauberer. bei Hehen und Niebern die bereitwilligfie 
Aufnahme fanden. Bei den Griechen hießen fie Goeten, bei den Mömern 
‚entweder Magier oder Chaldäer. ‚Einen Chaldaͤer als förmlich Angeftellten 
zu haben, gehörte bald bei den vernehmen Käufern Roms zum guten Ton, 
auch Könige und Fürften bedienten fich Diefer Leute, wie denn z. B. Herodes 
Arhelaus, nachdem fein Acht herodiſches Gewiſſen einen fatalen Traum ges 
träumt , etliche Wahrfager und Chaldäer kommen ließ, um ihre Auslegun- 
gen zu hören. Die Zauberer jüdifcher Abkunft rühmten ſich der Künfle 
Salomons, die Aegypter traten insbeſondere als Schlangenbeſchwoͤrer auf, 
Aber audy Ephefus in Kleinaſien war berühmt als ein Sauptflg der Zau⸗ 
:herei, vermutblih von ber myſtiſchen Secte ihres Artemiscultus ber. 
Plutach im Sympoſton erwähnt der epbeflfhen Zanberformeln CEykoia 
‚yodumora), weldre man in gewiſſen Faͤllen entweder herſagte oder, auf 
Bergamentftreifen gefchrieben,, als Amulete bei ſich trug. Nicht zufrieden, 
fh von Zauberern bedient zu fehen, ſtudirte man auch ſelber höchſt eifrig 
:die damals ſchon unterſchiedene weiße: und ſchwarze Magie. Als Frucht der⸗ 
artiger Studien trieben ärmere Weiber einen ſchwunghaften Handel mit 
Ziebeötränfen, mobei ed :begreiflich ohne: Gift nicht zu machen war. Vor⸗ 
nehme Römerinnen waren in Privatveriegenheiten -eifrige Dikettantinnen 
:Diefer ſchmutzigen und verbrechertichen: Wiſſenſchaft. Wie fehr ſchon zur Zeit 
»des Auguftus bie Liebeszauberei in Rom Mode-war, bezeugt-Virgil?). Bet 


2) In der Aeneis (IV., 478 fg.) fagt Dido zu ihrer Schwefler Anna : 
Preiſe mich gluͤcklich, o Schwefter! ich fand ein ficheres Mittel, 
Das ihn (den Aeneas) mir wiedergibt, wo nicht, von der Liebe mich Löfet. 
An des Oceanus Bränz’ und nahe der finkenden Sonne 
. Liegt ber Aethiopier äußerfies Land, wo der mächtige Atlas 
Auf der Schulter den Pol den ſternumſchimmerten drehet. 
Dorther zeigt ſich die Prisfterin mir des maſſiliſchen Bollks'. ... . 
Diefe verfpricht: durch Baubergefang bie Herzen zu Iöfen, - 
Welche:fie will, und andre mit Liebesqual zu beladen, - 
Flüffe zu · hemmen im. Sauf und zuruͤck die Sterne zu wenden; 
Auch beſchwoͤrt fie die Manen ber. Nacht... 


24 


- feinem Zeitgenoſſen Horaz erfcheinen diefe abergläubifchen Praktiken ſchon in 
. ihrer furchtbarſten Ausartung ?). Natürlich Fonnte ed damals, wie das in 
allen Perioden foztaler Auflöfung der Ball ift, nicht an Caglioſtros fehlen. 
In der Bahl derfelben erfreute fi befonderer Berühmtheit der mit Anfang, 
der priftlichen Zeitrechnung geborene Pythagoraͤer Apollonios von Tyana in 
Kappadokien. Er fland bei Kaifer Befpaftan im Anfehen eines Orakels und 
ed wurden ihm ganz ähnliche Wunderthaten zugefchrieben,, wie den Saint 
‚ Germain und Balfamo im 18. Jahrhundert. 


3. 


Während die Zerſtörung der alten Volksreligionen ſich dermaßen 
. Schritt für Schritt vollzog, gelangten höher Gebildete zu den Ideen des 
Monotheisſsmus, einer geiftiger gefaßten Unfterblichfeit und einer mehr ver⸗ 
innerlichten Frömmigkeit, wie dies im dritten Buch unferer Religiondge- 
ſchichte SS. 200 und 220 Dargeftellt worden iſt. Solche glücklicher orga- 
niſirte Geifter ftanden aber fo vereinzelt, daß fie keinen durchgreifend pofl= 
‚tiven Einfluß gewinnen fonnten. Um jo mächtiger wirkte auf alle tiefern 
Gemüther die Erwartung einer neuen beflern Zeit, wie fie ſich in einzelnen 
- Stellen der Dichter und in den durch das ganze Morgen» und Abendland 
verbreiteten meſſtaniſchen Prophezeiungen ausſprach. Zwar können wir, 
wenn Kirchenväter, wie Eufebius und Auguflinus, die berühmten Verſe der 
4. Efloge des Virgil, in welden der Dichter den zu erwartenden Sohn des 
Aſinius Pollio ald den Vorläufer der Wiederkehr des goldenem (faturninie 
fhen) Zeitalters feiert 1), ald eine unmittelbare Vorherverfündigung des 
Meſſias deuteten, diefe Deutung nur als eine ganz willfürliche bezeichnen. 
Dennoch aber ift gewiß, daß fi in dem bezeichneten Gedicht das fehnfüchtige 





3) Horat. epod. carm. V. 

4). Schon ift das Ende der Zeit nach dem Liede von Cumaͤ gefommen 
Und großartig Beginnen den Lauf ganz neue Geſchlechter. 
Schon kehrt Aſtraͤa wieder, es Fehrt Saturnus’ Regierung, 
Neue Geburten’ entfleigen num bald’ dem erhabenen Himmel. . 
Sei nur dem werdenden Knaben , mit dem fih das eiferne Alter 
Schließt und die goldene Zeit auffleiget dem fämmtlichen Exbfreis, 
Sei nur, feufche Lucina, ihm hold... . . 





25 


Gefühl der Nothwendigkeit einer durchgreifenden Veränderung ausfpriät. 
Und gewiß if ferner, daß im ganzen Orient, wohl durch die überall an⸗ 
fäfftgen Juden verbreitet, die Runde vom bevorftehenden Auftreten eines 
mächtigen Judenkönigs umging 2). 

In das Abendland, nah Rom felbft, drang das Gerücht in dieſer Ge⸗ 
ftalt: die Weltherrfchaft folle an das Morgenland gelangen und die Natur 
den König des Weltreiches unmittelbar erzeugen, eine Faſſung, welche wahr⸗ 
fheinlich unter Mitwirkung perfiicher Magier, die fich ihres Softofh 3) er» 
innerten,, entftand. Aehnlich faßte noch Domitian, 81 nah Chr., die mef- 
flantichen Prophezeiungen auf. Er hatte vernommen, daß aus Davids Ge⸗ 
fchleht ein großer König hervorgehen werde, und auch, daß die Ehriften 
Jeſum ihren König nennen. Da ed nun hieß, von Jeſu Bruder, Judas, 
feien noch einige Enfel am Leben, Tieß er diefe vermeintlichen Kronprätene 
denten aufipüren und vor fi bringen. Zum Glück benahmen ihm die 
fhwieligen Hände und die Tändliche Einfalt derjelben feine Herzensangſt, fo 
daß er fie unverfehrt entlieh. 

Mit nicht geringerem Erfolg, als diefe Hoffnungen, Prophezetungen 
und Gerüuͤchte, arbeiteten, wenn ſchon ganz wider Willen, jene Schriftfteller 
dem Chriftenthum vor, welche theils die Anthropomorphismen , theils die 
Widerſprüche der Volköreligionen in fehonungslofer populärer Sprache auf- 
deckten. Der bereitd erwähnte Ennius hatte die Schrift des Griechen Euhe⸗ 
meros überfegt, worin zu beweifen verfucht worden, daß die gefanmten 
Götter nur Menſchen feien, welde die Sage theild um ihrer Tugenden, 
theil8 um der Größe ihrer Gewaltthaten willen vergöttert habe. Beſonders 
zu beachten find aber die fatirifchen, vorwiegend in Gefprächöform gehaltenen 
Schriften des Lukianos von Samofata, welder im Beitalter der Antonine 
blühte. In feinen „Göttergefprächen * geißelte er die unftttliche Auffaffung 
der Gottheit, deren unendlich mannigfachen Geftaltungen der Hellenismus 
alle Schwächen, Keitenfchaften unt Lafter der verborbenften Menfchennatur 
zugeichrieben. Bei feinem regen Sinn für dad Schöne Eonnte nur ein ge= 
läutertes fittlihed Bewußtfein den Olymp mit folcher vernichtenden Satire 
angreifen. In den „Todtengelpräden * fpottet Lukianos der Unflerblichfeitd« 
Iehre, indem er barthut, wie die Seelen in der Unterwelt den Charafter 


— 


2) Sueton. Vespas. IV. Tacit. histor. V, 13. 
3) Vgl. Thl. I, ©. 181. 


826 


‚böweß irdiſchen Lebens fortwahrend: behaupten müßten. Das Stüd „Brus in 
dialektiſcher Noth“ deckt meifterhaft auf, wie: die Lehren von dem willfür« 
Fchen Walten der Götter „von ber, fittlichen Verantwortlichkeit der Menden 
und der Vergeltung in ber Unterwelt einerſeits, und die Lehre von der ewi⸗ 
‚gen Rothwendigfeit, alles Geſchehens, wanach Mötter. und Menſchen den brei 
Echickſalsſchweſtern (Moiren) unterworfen fein ſollen, mit einander in Wis 
derſpruch ſtehen. Die Ohnmacht der Götter, ‚ihre. Abhängigkeit vom Glau⸗ 
ben: der Menſchen ſchildert trefflich, Zeus in tragiſcher Stimmung“, in wel⸗ 
„her Satire die Götter in. voller. Verſammlung zuhören müſſen, wie der Epi⸗ 
‚Suräer Damis dem Stoifer Timokles aufs Glänzendſte beweift, es gebe feine 
Götter und von einer Weltregierung folcher ſei feine Rede. Die Götter 
ſelbſt ärgern fich über ‚die plumpe Ungeſchicklichkeit ihres Vertheidigers. 
Gerade aus der zerſetzenden Skepfis des Lukianos aber erfleht.man, 
welche. Sragen in fener Beit:religiöfer Auflöſung denfende Männer haupt⸗ 
ſachlich befchäftigten. Das war ein. Taſten und Suchen. nad) einer Weisheit, 
weldye dem Herzen den erfehnten Brieden geben. iollte, ein Forſchen über das 
.Meien der Gottheit, ein Fragen, ob die Menſchenſeele unfterblich fei oder 
‚nicht. ‚Seien die „NRecognitionen ". auch fälſchlich dem Römer Clemens zuge⸗ 
ſchrieben, nur ein vom Heidenthum nenbefehrter Chrift konnte die Worte 
‚schreiben, welche die bange Ungewißheit ‚der von: religidfen Zweifeln beſtürm⸗ 
‚ten Gemüther in jener Uebergangszeit ſo meifterbaft veranfchaulichen : — 
„u sch befuchte die. Schulen. der Philojophen ; dort fand ich Nachts, ald Auf- 
hauen ‚und Niederreißen der Syfleme und ‚vielfältigen Streit der Aufichten. 
„Bald flegte die Lehre, daß .die Seele unfterblich ſei, bald die entgegengeſetzte. 
Siegte jene, fo freute ich mich; -flegte.diefe, fo wurde ich traurig.“ Der 
Berfafler erzählt fobann, er habe nach Aegypten reifen und dafelbft durch 
‚einen Zauberer ‚einen Geift heraufbeſchwören laſſen wollen, um von diefem 
Gewißheit über die Unfterblichfeit zu erlangen. Auf die Warnung eines 
‚Breuntes jedoch, „die. Gottheit zume, wenn man die Seelen der Verſtorbe⸗ 
‚nen beunruhige,“ ‚habe er biefen Vorſat aufgegeben. 


4. 


Die Herrſchaft über den Erdkreis erkaufte der Roͤmer mit dem Verluſt 
ſeiner Buͤrgertugend. Die unermeßliche Beute der Heere und ihrer Feldherren 





„21 


Ind. ein, zu zügslfofem Beruf, und, verleidete dan Enkeln bie harte Arbeit, bie 
infache Lebendweiſe der Altporberen. Der Reichthum mehrte ſich bis zu 
dem. Grade, daß Cicero mit einem Vermögen von mehr als einer Millign 
Ahalern-noch nicht zu den reichen Senatoren gehörte und ein Verſchwender 
‚Rd aus Furcht vor Hunger und Kummer entleibte, nachdem fein Vermögen 
bis auf 250,000 Thaler abgenonmen. ‚Die Genußſucht Fannte feine Gren⸗ 
zen mehr. Während Dad Auge an die Pracht der flbergen und goldenen 
Geſchirre, der Edelſteine und Foftbaren Statuen. ſich gemöhnte, fammelten 
ſich die Erzeugniffe aller Länder und Meere bei einem einzigen Schmaus des 
‚Reihen, und als hätte die Seele ihren Sig im Gaumen aufgeſchlagen, er⸗ 
‚göpten ſich diefe an einem, Mahle von Nacdtigallenzungen, während ber 
Wahnfinn Anderer es Eöftlich fand, in Effig aufgelöfte Perlen zu verichlin- 
‚gen. Wer nicht reih war, machte Den unterthänigen. Schmaroger,, ‚oder 
jhlug ſich zum Proletariat, -defien Gelüfle man mit Brot- und Geldaus⸗ 
tbeilungen kümmerlich zu befchwichtigen wußte. Mit der Schwelgerei ver 
band fich die Unzucht in gräulichfter Ausdehnung und Geftaltung. Die Ehe, 
welcher meift Scheidung oder Vergiftung des einen Ehegatten ein Ende 
machte, hielt nicht ab vom fleiflichen Umgang. mit jeden beliebigen Gegen⸗ 
ftand des flüchtigen Triebes, und fand ihre äußerſte Herabwürdigung, als 
Caͤſaren, wie Nero, fih mit Jünglingen zu verbeiraten anfingent). Von 








1) Das Felt, welches der förmlichen Hochzeit Nero’s mit dem Freigelaflenen Py⸗ 
thagoras vorherging, befchreibt Tacitus (Annal. XV, 37) ſo: — Auf dem’ See des 
»Agrippa wurde ein Floß erbaut, anf welchem das zubereitete Mahl, von Schiffen ges 
‚zogen, ſich fortbewegie. Die Schiffe waren mit Gold und Glfenbein,aysgelegt, hie 
Ruder wurden von Buhlfnaben gehandhabt, die man nad) ihrem Alter und ihrer Ges 
übtheit in Wollüften einreihte. Aus entlegenen Grdgegenven hatte man Geflügel und 
Wildpret, aus fernen Meeren Fiſche herbeigeichafft. Auf den Dammufern des Teiches 
Randen Bordelle, angefült-mit vernehmen Brauen ; gegenüber erblickte man völlig 
„nadie Freudenmädchen, die ih in obfcönen Attitüden übten.. Hierauf unzüchtige Tänze, 
und als die Dunfelheit einhrach, erichalften weit umher der Hain und die. umliegenden 
Bebäude von Gefang und erglängten von Fackelſchein. Nero ſelbſt, in. natürlichen und 
widernatürlichen Lüften fehwelgend , fchien jede Art ſchaͤndlichſter Verworfenheit ers 
-[höpft zu haben, hätte er. nieht wenige Tage. nachher Kinen aus jener. lafterbefudelten 
Motte, - deſſen Name Pythagoras war, nad der Weile förmlichen Cheyerloͤbniſſes ges 
htiratet. Dem Imperatpr ward. ber feuerfarbene Brautſchleier übergehangen, man, ſqh 
‚Pieter, Mitgift, Brgutbett, Hochzeitsfackeln, — kurz, Alles. war zur Schau. geftellt, 
was ſelbſt bei der legitimen Verbindung mit, singen Weihe bie Schotten ber Nacht ver⸗ 





28 


“den Frauen ded Claudius, Meffalina und Agrippina, nicht zu reden, konnte 
felhft die Tugend und Milde eines Marcus Aurelius feine Kaiſerin Bauftina 
nit von hundertfachem Ehebruch abhalten; fie foll „oft in dem Unterften 
aller Sterblichen noch perfönliche Vorzüge entdeckt haben.” Die Früchte ber 
ichranfenlofen Unzucht brauchten Herzlofen Müttern nicht bange zu machen: 
das Gejeg erlaubte die Ausfegung der Kinder, und die Mehrzahl der. 
Mütter beeilte fih, nach der außerehelichen Niederkunft, zu zeigen, wie der 
Menih noch unter das Thier Herabfinken kann. Don elterlicher Erziehung, 
jelöft der ehelichen Kinder ‚, war nicht die Rede mehr. Schon Cornelia, der 
Gracchen edle Mutter, war ein Phönix unter den damaligen Müttern. Den 
Sklaven blieb die Erziehung der römifchen Knaben überlaffen. Verführung 
zu den unnatürlichften Zaftern war nicht felten die Beigabe dieſer ſaubern 
Erziehung; doch Fonnten die Sklaven ſich auf das Beifpiel der Eltern und 
übrigen Verwandten beziehen, welche, wie Quintilian Flagt, das Kind be= 
lächelten und küßten, wenn es ein recht unverfchämtes oder ſchmutziges Wort 
ausgeſprochen. 

Eine nicht minder ergiebige Quelle der Zerrüttung des Familienlebens, 
als Schlemmerei und Wolluſt, war die Sklaverei. Durch die zahlreichen 
Kriege mit Sklaven, zu welchen die Gefangenen herabgewürdigt wurden, 
reichlich verſehen, ward der Nömer harter Arbeit entwöhnt, die Roͤmerin 
aus einer betriebjamen Hausmutter in eine träge, putz⸗ und gefallfüchtige 
Gebieterin verwandelt. Uneingedenk, daß auch mancher freigeborne Römer 
fraft harter Schuldgefeße von jeinem Gläubiger zum Sflaven gemacht wor« 
den, galt der Sklave als eine Sache, mit welcher man alles Belichige an⸗ 
fangen dürfe. Sklaven und Sklavinnen waren die nähften Werkzeuge der 


— —— — — — 


huͤllen. — Wie hier, zeichnet der größte Geſchichtsſchreiber Roms noch an zahlreichen 
Stellen feiner Hiftorien und Annalen die ungeheure Sittenverderbniß der römiichen 
Koiferzeit. Ferner thun dies bekanntlich Suetonius in feinen Biographien der Cäfaren 
(befond. Tiber. 43 — 44), Betronius in feinen Libri Satiricon , diefem Cpos der Bäs 
deraftie, endlich der Cpigrammatiker Martialis, die Satirifer Berflus und Juvenalis. 
Des Legteren 6. Satire, deren Heldin die Kaiſerin Meffalina, ift das furchtbarfte 
Sittenbild, welches je entworfen worden. Wenn man biefe Schildereien lieft, begreift 
man, wie fehr Gregorovius („Figuren*, S. 368) recht hatte, von einem Tiberiuß, 
Galigula, Claudius, Nero zu fagen: „Diefen Menfchen warf eines Tages der Zufall 
die Welt mit allen ihren Genuͤſſen vor bie Füße; fie wurden darüber finnlos, fle hätten 
in ihrem Wahnſinn die Erde auf einmal ausfchlürfen mögen, wie ein @i.“ 


29 


Unzudt und des Ehebruchs; der wohlhabende Mömer lebte unter feinen 
Sflavinnen, wie in einem Harem. Bei großartigen Gaftmählern waren es 
wiederum Sflaven und Sklapinnen, welde ſich den thierifchen Trieben der 
trunfenen Gaͤſte, oft vor aller Augen, preißgeben mußten. Beim geringften 
Verſehen Eonnte ein tyranniicher Gebieter fle martern oder töbten. Die Mu- 
ränen in den Bifchteihen großer Herren wurden fett von dem Fleiſche zer 
hadter Sklaven. Berfauft zu werben an einen flrengern Herrn, war noch 
Das Mildefe, was man über Fehlbare verhängte. 

Wie erbarmenswürbig nahmen fie ſich aus mitten in foldem Familien⸗ 
eben, die griechiſchen Hausphilofophen der vornehmen Mömer, welche ben 
Herrn auf feinen öffentlichen Bängen begleiten mußten, damit er für einen 
Breund und Gönner der Wiffenfchaften gälte, oder ergebenft mit dem Vor⸗ 
Iefen einer moralijchen Abhandlung innehielten, wenn der Dame vom Haufe 
mittlerweile ein Billet zum ebebrecheriichen Stellvichein zugeſteckt wurde 2). 

Würdig folher Bamiltenverhältnifie waren die öffentlichen Volksfreu⸗ 
den. Schon Cäſar kannte das römifche Proletariat, welches um „Brot und 
Spiele* jeder Unterdrüdung feinen Beifall gab, jedem Frevler an der Re⸗ 
publik zujaudzte. Hatten ſich Doch die auserleienften Schwindler, die ges 
meinflen Strolde und Gaudiebe nad) und nadh in der genuß⸗ und induftries . 
reichen Weltftadt von allen Enden ſcharenweis zufammengefunden. Das gab, 
verbunden mit dem ſüßen Pöbel aus. Marius, Sulla’8 und Catilina's Tas 
gen, fihon eine rührfame Grundfuppe. Bon einem ehrenwertben Mittels 
ſtand; wie er unter der Nepublif geblüht, waren faum noch Spuren vor« 
handen. Vereint mit den Pöbelfcharen in ben riefigen Amphitheatern, 
ſahen die DVornehmen den blutigen Thier⸗ und Sladiatorenfämpfen zu, 
jauchzten, Elatfchten Beifall, wenn Hunderte zumal verröcdelnd im rothen 


2) Auch fie — die vornehmen blauftrümpfigen Damen — führen ihre Rhetoren, 
Grammatiker und Philofophen mit fih. Was aber das Luftigfte if, fie Hören die Vor⸗ 
träge ihrer Gelehrten nur am Putztiſche oder über der Tafel an. Da kann es denn oft 
der Ball fein, daB, während der Philoſoph in einer moralifhen Abhandlung begriffen 
ift, eine Zofe eintritt und der Gebieterin ein Briefchen ihres Geliebten einhändigt. 
Run muß der Sittenlehrer ſtehen und warten, bis fie ihrem Buhlen eine Antwort ges 
fchrieben,, und dann erſt hüpft fle wieder herbei, um die Tugenppredigt vollends anzu⸗ 
börn. Lukianos, „die gedungenen Belehrten” (36), in welcher Abhandlung die 
Stellung der griechifchen Bhilofophen in der Befellfchaft der römischen Kaiſerzeit Höchft 
ergoͤtzlich geſchildert wirt. 


35” 


Shnve ſich wälzten, frenten’ flih’nucdh” mehr der’ ſchamkoſen "Obfeönttäten;‘ 
welche auf den gewöhnlichen Theatern "dargeftellt wurden‘, machten‘ Chorus” 
mit den Zotenliedern des Poͤbels Get den prunkvollen Umzügen an den 
Gotterfeſten. Ja, Senatoren und adelige Matronen ließen fih herab, in 
der Arena als Gladiatoren zu kämpfen und Tiefen ihre Söhne und Töchter“ 
um Geld die zuchtlofe Bühne betreten: Im Raufh‘ und Tumult rafender ' 
Bacthanakten gaben ſich die vornehmften Römerinnen feldft Sklaven und 
Bladiatoren preis, ja fie thaten fogar, von unerfättliher Brunft und 
unerfättlicher Haßgier gleichermaßen’ geftachelt, in den Vordellen "Dienft. 
Die römifche Satire erftickt gleichfam in diefem Schmutz; fie kann den Folofz 
falen Stoff der Verworfenhett nicht mehr bewältigen. „Alles — fo brand⸗ 
markt Seneea feitie Zeit 9 — iſt voll von Verbrechen und Laftern. Es wird 
mehr gefrevelt, als durch Gewalt geheilt werden fünnte. Ein ungebeurer 
Streit der Verworferiheit wird geftritten. Mit jedem Tage waͤchſt Die Luft 
zur Sünde, mit jedent Tage finft die Scham. Verwerfend die Achtung 
vor allem Beſſeren, flürzt fich die Luft, wohin es ſei. So öffentlich iſt die 
Verderbniß geworden und in allen Gemüthern iſt fie fo maͤchtig, daß Un- 
ſchuld nicht mehr bloß ſelten, ſondern gar nicht mehr vorhanden iſt.“ 


5. 


Sittenloſtgkeit und Verbrechen verbreiteten ſich von Rom aus über 
ganz Italien. In die Provinzen ſandte es durch ſeine Proconſuln, Proprä- 
toren und Procuratoren, durch feine Heere und Feldherren Erprefiung, Ar⸗ 
muth und Mißhandlung; denn aus der Beute allein Fonnte der römifche 
Luxus nicht bezahlt werden. Einen Mapftab defielben gibt ed, wenn 
Plinius berichtet, daß ſich die Enkeltochter des im Orient durd feine Er— 
preſſungen verrufenen Collius bei Fackelſchein mit einem Schmude von 
46 Millionen Seftertien an Werth habe fehen lafien. So müheten ſich die 
Khifer Caltgula und Vitellius, je Die Steuer einer ganzen Provinz an einer 
. einzigen Mahlzeit zu verfchlingen. Heliogabalus wälzte fi nadt im Golbe ; 
das gehörte zu feinen größten Wollüften. Raub und Exrpreffung, fodann 
die gewaltigen Bauten, Straßen, Wafferleitungen, Brüden, Wälle, bet 


3) De ira, II, 8. 


3t‘ 


deren: Herſtellung immer die Provinzen‘ in Anfpruch genonnmen wurden; 

hatten zur Folge, daß ganze Laänder in Hungersnoth geriethen, Stadte unter 
ber Laſt ihrer Schulden erdrückt wurden. Was andy in Ruinen noch die 
Bewunderung der jpäteren Geſchlechter blieb, war der Fluch der damals 

lebenden. 

Wenn unter Auguſtus noch nach Möglichkeit Recht und Gerechtigkeit 
gehandhabt wurden, ſo trat von Tkberius an und unter deſſen verworfenen 
Nächfolgern die Umkehr alles Rechtes ein. Der tollen Willfür -auf Seiten 
der Herrfcher entſprach die Niederträchtigkelt auf Seiten der Unterthanen, 
die allgemeine Heuchelet und: Beigheit, das Spionenwefen , die bronzeſtirnige 
Angeberet „ die Beilheit der Beamten , die Brutalität ter Offlziere und Sole 
daten: gegen Behörden und Bürger: Im dieſem rajenden Strudel der Cor⸗ 
ruption erfihten die Tugend entweder geradezu als Verbredien oder machte 
wenigftend verbächtig und konnte die ſchamloſeſte Schlechtigfett mit Erfolg 
Anſpruch auf Loyalität erheben, 

Es Half‘ den Bewohnern des ungeheuren Meiches wenig, daß von 
Auguſtus an die römifche Rechtsgelehrſamkeit in Blüthe kam. - Ie genauer 
die Rechtsfäge formulirt wurden, defto weniger factiſche Geltung: hatten: fie - 
zu einer Zeit, wo die Gewalt Alles, die Menſchenwürde Nichts war. Alles, 
was die verftändigeren und wohlgefinnteren der Cäfaren zur Dämmung deg⸗? 
Verderbens verſuchten, erwies ſich als eitel, denn es half nur momentan, 
und nach ſolchen zeitweiligen Stillſtaͤnden nahm der Zerſetzungsprozeß in 
feinem Vorſchreiten nur noch koloſſalere Dimenſtonen an. Eitel waren die 
Senatöbefchlüffe gegen das Eindringen der unzüchtigen Eulte des Orients, 
wie gegen die freiwillige Proftitution der-patrizifchen Grauen. Jene drangen 
Immer wieder dur, diefe nahm ſich kaum die Mühe, einen bürchftchtipften 
Sihleier der Heimlichkeit umzuwerfen. Eitel erwies ſich das Ankaͤmpfen 
von Männern altrepublikaniſcher Gefinnung, wie der jüngere Cato einer’ 
war, gegen die Ueberfluthung des Sklavenflind und der Zuchtloſigkeit. Ver⸗ 
gebens auch Tießen ergrimmte PBatrioten die Skorpionengeißel der Satire mit’ 
furhtbarer Wucht auf die Ruͤcken ihrer Zeitgenoffen fallen. Mochte ein 
Caͤſar wie Trajan für eine Weile das Anfehen der Ehe wieder herftellen, 
mochte unter der Megierung der Antonine ein Schein von Glüd "über das’ 
weite Reich fich verbreiten, — ein Commodus genügte, um alle Beurühung 
trefflicher Vorgänger rafch wieder zunichte zu machen. Mochte ter Sodoms- 
apfel jenes Beitalterd bisweilen noch fo Hell glänzen, innerlich blieb er doch 


32 


faul. In einer folgen Welt mußten edlere Geifter zulegt auf die Anficht 
fommen, der Selbitmord ſei eine Tugend und die Sreiheit dazu ein Vorzug 
der Menichen vor den Göttern. 


6. 


Aller Eroberung und Unterbrüdung ift eine Gränze gefegt und den 
Weltreichen zum Glück der Menichheit Feine Dauer verliehen. Die Wölfin 
Ron hatte fich vollgefreffen von dem Raub der Welt, aber verbauen fonnte 
fie denjelben nicht. ALS die römische Republik nad Ueberwältigung der 
Nebenbuhlerin Kartbago, ihre Macht über ganz Italien und feine Infeln 
und dann immer weiter und weiter nach allen Himmelsſtrichen hin ausdehnte, 
begann auch fofort ihre lange und ſchreckliche Agonie. Der Kampf zwiſchen 
der ariftofratifhen Dligarhie und der Demokratie oder beſſer Demagogie 
war dad DVorfpiel zur Monarchie. Die geſchichtliche Nothwendigfeit der- 
jelben, in Julius Cäſar zu hellem Bewußtfein gefommen, ift heutzutage 
jedem Kenner der Geſchichte Kar. Der genialfte Römer mordete bie Res 
publik nicht, er beftattete nur ihre Leiche und trat die Hinterlaffenidaft an. 
Wie wenig Cäſars Mörder ihre Zeit Fannten, wurde ihnen bei Philippi 
bewiefen. 

Eine Republik ohne Republikaner, d. h. ohne eine ſtarke Majorität 
von arbeitſamen, ehrbaren und patriotiſchen Bürgern, iſt nur ein Phantom 
und daher konnte, nachdem Auguſtus die äußerliche Convenienz der republika⸗ 
niſchen Verfaſſung noch hatte fortbeſtehen laſſen, ſchon Tiberius durch Ver⸗ 
legung der Comitien in den Senat und durch fein Majeffätsgeſetz dieſen 
Schein vollends befeitigen. Der römiſche Senat war jeßt nur noch ber 
elende Handlanger orientalifher Deöpotenlaune. Palaſtrevolutionen be= 
flimmten fortan das Schickſal der römischen Welt. Unter dem Joch cäfarifch« 
prätorianifcher Tyrannei, im Taumel namenlofer Lüfte, büßten die Römer 
geiftige. Energie und phyſtſchen Muth ein. Die Wehrfraft beftand bald nur 
noch aus geworbenen Provinzialen und Barbaren. Dad Reich fam an 
Fremde. Beim Uniergang ded auguftiichen Haufes mit Nero, beim Erz 
löſchen des flavifchen mit Domitian beftieg zuerft ein Kretenfer, Nerva, 
dann ein Spanter, Trafan, den Thron der Cäfaren. Unter Diofletian ging 
die Siebenhügelftadt aud noch des Vorrechts verluſtig, die Reſidenz der 
Kaiſer zu ſein. 


33 


7. 


Wenn nad Vorſtehendem die mit Strömen von Ihränen und Blut 
bezahlte Ehre, dem roömiſchen Weltreih anzugebören, für tie Völker in 
politifcher und moralifher Beziehung eine traurige war, fo darf doch nicht 
verfchwiegen werden, daß die Ausdehnung dieſes Reiches über fo viele Ge⸗ 
flade und Provinzen die Eulturarbeit der Weltgefchichte bedeutend gefoͤr⸗ 
dert bat. Unter den befieren Kaifern zog die antike Civilifation immer 
weitere Kreife. . Die vielfachen Bedürfniſſe eines feineren Lebensgenuffes, 
duch die Wechfelbeziehungen von fo vielerlei Nationalitäten, Sitten, 
Klimate vermittelt, trieben ‚zur Entwicklung der Landwirthfchaft und ver- 
edelten den Gartenbau. Der Lurus in Bauten, Geräthen, Trachten und 
Waffen befchäftigte Millionen fleißiger Hände und führte einen allgemeinen 
Aufſchwung der Gewerbe und Künfte herbei, welche Ietteren freilich ſtets 
den Stempel der Nahahmung trugen. Die römifche Kunſt zehrte von ten 
hellenifchen Vorbildern , erreichte fie nur fehr felten, übertraf fie nie. Mit 
großer Sorgfalt wurde der materielle Verkehr ermuthigt und unterftügt. Der 
im Inneren des Reiches herrſchende Friede, die alle Provinzen durchſchnei⸗ 
denden und als in einem Focus in der Hauptftadt zufammenlaufenden prädh- 
tigen Heerftraßen, das im ganzen Reiche geltende gleiche Recht, Maaß, Ges 
wicht und Geld, — alles Liefes wirkte höchſt vortheilhaft auf Handel und 
Verkehr. Ebenſo ein weiterer Umftand ‚ welder aud die Ausbreitung des 
Chriſtenthums fehr begünftigte, naͤmlich, daß zwei Spraden die ganze 
sömifche Welt beherrichten, die lateinifche, in welcher alle adminiftrativen 
und gerichtlichen Verhandlungen flatt hatten, und die griechifche, ald univer« 
ſelles Organ aller höheren Bildung. 

Diefe war, wie Jedermann weiß, in Nom ſtets nur ein Sepling des 
Hellenismus geweien. Die Römer Hatten die hellenifchen Götter bei ſich 
eingebürgert !) und trieben dann aud Wiffenfhaften und Künfte, Beredt⸗ 
famfeit und Poeſte nach griehifcher Manier, wenn au nicht im griechiichen 
Geiſte. Denn das hellenifche Schönheitsideal blieb im Grunde den Römern 
doch ſtets ein fremdes, fünftlich anempfundenes, um nicht zu fagen, mit plumper 
Fauſt gewaltfom angeeigneted. Die rohen Anfänge der römiſchen Poefte 2), 


4) Bol. Thl. U, S. 207 fo. 
2) Carmina Saliaria, carmina amoebaea; ferner die Fescenninen und Atellanen, 
dialogifirte Farcen. 
Scherr, Geſch. d. Religion. 1. 3 





34 


aus welchen fih fpäter nur die eine eigenthümliche Dichtgattung ber 
Satire entwidelte, traten, als die Bekanntſchaft mit der helleniſchen Litera- 
fur gemacht war, ſpfort in den Hintergrund. Die Nävius und Ennius, 
Pacuvius und Attlus zwangen das nody ungelenke Yateinifche Idiom in grie⸗ 
chiſche Formen und Rhythmen. Plautus und Terenz verpflanzten die Charak⸗ 
tere, Motive und Situationen der „neueren * attiihen Komödie nach Rom. 
Lucretius, in feinem ſchon früheren Ortes berührten 3) Lehrgebicht De na- 
tura rerum ſchulte den praftiihen Realismus feiner Nationalität an ber 
philofophifhen Doctrin Epifurd und machte mit römiſcher Mannhaftigkett 
den Verſuch, die Grundfragen des Menſchendaſeins zu Löfen. An Energie 
ber Begeifterung und Leidenfhaft kommt feinem Gedicht fein anderes roͤmi⸗ 
ſches gleich. 

Nah dem Untergange der Republik erlebte, im Zeitalter des Auguftus, 
die griechifche Dichtung eine Nachblüthe in Iateinifcher Sprache. Die Poefte galt 
am Hofe der Gäfaren für einen integrirenden Theil der feinen Lebensart. Die 
Nachahmung griechiſcher Mufter, ſchon in den Gedichten des Batullus fein und 
geſchmeidig aufgetreten, erreichte jeßt, Durch große Talente gepflegt, den 
Bipfel der Eleganz. Wenn auch wenig felbftftändige Infpiration, jo legten 
die Poeten der augufliihen Periode doch viel Formenſinn an den Tag. 
Zwar zeigte diefe hofräthliche Dichtung natürlih kaum da oder dort noch 
eine verlorene Spur des altrepublifanifchen Nömerfinnes, doch verlteh ihr 
die Idee der Weltherrfchaft, freilich in der Verfon des Kaiſers angeſchmei⸗ 
delt, noch immer einen großartigen Hintergrund. An vollendeter Technik 
war fein Mangel. Birgilius lieferte in feiner Aeneis eine zwar an fchönen 
Einzelzügen reihe, im Ganzen aber Doch verfehlte Copie homerifcher Epit, 
erreichte auch in Nachahmung der Idyllik des Theofrit fein Mufter nicht und 
ſchlug nur in feinem trefflichen Kehrgedicht vom Landbau einen wahrhaft römi⸗ 
fhen Ton an. Im der Lehrdichtung und ihrem Nebenzweig, der Satire, 
hat überhaupt die römijche Mufe ihre beften Eingebungen niedergelegt. 
Horaz, als Lyrifer aus den Belelfen der Nachahmung nur in glücklichften 
Momenten herausgekommen, hat in feinen Epifteln und Satiren daB Thema 
des Nil admirari, d. 1. eines Heiteren Gleichmuths, der lachend „fein? Sach' 
auf Nichts geftellt”, in Tiebenswürdig geiftreicher Weiſe variirt. Seine 
Poeſie zeigt, daß felbft die beſten Geifter dem beginnenden Berfall der an⸗ 


3) Thl. 11, ©. 220. 





35 


fifen Welt nur noch epffurätfcheindifferente Itonie etttgegenzufegen hatten. 
Andere geniale Raturen ſchwammen behaglich mit dem Strome und verherr- 
lichten in melodiſchen Verien Die Ueppigfeiten der taͤſariſchen Roma. So 
die drei Meifter der Elegie, Tibull ), Properz und Ovid. In den Efegien 
des Erften Plingt ein füßer Ton idylliſcher Schwärmeret vor, in derien des 
weiten glüht heiße Leidenſchaft, in denen des Dritten ſplielt die Srivolität 
ber Zeit in taufend prismatifchen Farben. Später wich die horazifche Ironte 
and die ovidiſche Leichtfertigkeit der ſchrecklichen Sittenſchilderei einer Satire, 
deren Vertreter wir ſchon gelegentlich namhaft gemacht. 

In dem legten Jahrhundert vor und dem erſten nach Chriſtus gelangte 
die römiſche Gefhichtfchreibung zur höchſten Blüthe, während die griechtiche 
in Plutarch ihren legten großen Vertreter vorſchickte. Die feierlihen Perioden 
ber vergleichenden Biographien Plutarchs tönen wie das Grabgeläute einer 
Welt, deren Geſchichte uns die Meifter der hellenifchen Hiftorif, Herodot, 
Thukydides, Kenophon und Polybios, erzählten. Die hiftorifche Kunft der 
Römer Gebt mit Cäfard Commentarien über feine Feldzüge in Gallien an, 
ſchreitet in den herrlichen Monographien Salluſts über Catilina und Jugur⸗ 
iha, fowie im dem großen vaterländifchen Geſchichtswerk des Livius zur 
Bollendung vor und erreicht fle in ben Werken des Taritus. Diefe ftehen 
wie ein von der Hand der Nemefis errichteted Denkmal von Erz auf den 
Ruinen der alten Welt. | 

Die römifche Redekunſt Hatte in Cicero ſowohl theoretiſch als praftifch 
ihren bedeutendſten Pfleger gefunden. Bwar ein Demofthenes war Cicerd 
nit und fein Charakter ald Staatdmann wie ald Schriftfteller bietet der 
Blößen viele dar; aber wenn er, trog Alledem, von den Kathebern unferer 
Tage herab mißhandelt wird, fo gehört das zu den wunderlichen Ueber 
bebungen einer Zeit, deren Gelehrte durchſchnittlich wahrlich Feine Urſache 
haben, in Beziehung auf Mannhaftigkeit und politifhen Takt mitleidig auf 
den Ankläger des Verres und des Catilina herabzuſehen. Mit der Rhetorik, 
um deren Theorie Quintilian und der jüngere Plinius noch ſich verdient 
machten, bevor ſie in ſophiſtiſcher Künſtelei unterging, hatte andy die Juris⸗ 
prudenz als ſelbſtſtaͤndige Wiſſenſchaft ihren Aufſchwung genommen. Im 
den Kaͤmpfen zwiſchen dem republikaniſchen und dem monarchiſchen Prinzip 


4) Defien Elegienkranz Sulpicia gerechten Anſpruch hat, für das anmuthigſte 
Product der roͤmiſchen Literatur zu gelien. 
ge 


36. 


wurde der Grundftein zu jenem römiſchen Mechtögebäude gelegt, weldies 
fpäter unter Juſtinian durch die große Gefegedfammlung (Pandekten) feinen 
Abſchluß fand, — ob zum Heil oder Unheil der Menichheit, wollen wir bier 
dabingeftellt fein laſſen. | 

Die großartigen Anregungen, welde durd die Kriegszüge Alexanders 
des Großen und fodann unter der Herrichaft der Ptolemäer in Aegypten bie 
Realwiſſenſchaften empfangen hatten, wurden erft recht fruchtbar unter dem 
römifhen Weltregiment, welches die Auffaffung der Natur als eines großen 
Ganzen ermöglichte. Strabon und Claudius Ptolemäus cultivirten die 
Geographie, und das aſtronomiſche Syftem des Legteren ift bis auf Koper⸗ 
nifus in Geltung geblieben. Auch Botanik, Zoologie und Phyſtologie er⸗ 
fuhren vielfache Förderung und der raftlofe Beobachtungseifer des älteren 
Plinius machte in feiner Historia naturalis zuerft den Verſuch, die ganze 
fihtbare Schöpfung als ein Ganzes zu behandeln. Diefe Männer der 
Wiſſenſchaft waren die Glüdlichflen unter den damals Lebenden. Die reinen 
Naturgenüffe neidete ihnen Niemand und ihr Geift fand Feine Zeit, in den 
rings um fie Elaffenden Höllenpfuhl politifcher und fittlicher Fäulniß zu bliden. 

Aber leider Lienen alle Segnungen der Eultur unter einem verfunfenen 
Geſchlechte nur zur Verweichlichung und weiteren Förderung phyſiſcher und 
moralifcher Auflöfung und Zerfegung. Das römifche Weltreich war ent» 
ftanden, um die Weltreligion zu ermöglichen. Nachdem diefe geflegt, mußte 
es als ein fürderhin zweckloſes Ding zertrümmert werden. Denn überall 
. in der Geſchichte dient das Stoffliche nur tem Geiftigen. Der ideale Zweck 
baut Weltreiche und wirft fie nieder. Das rein Materielle war niemals 
Zweck des weltgefchichtlichen Prozeſſes und wird es niemals fein. 


Drittes Kapitel. 
Blick auf die Bhilofophie bes Alterthums. 


1. 


Unfere Einleitung in die Darftellung des Chriſtenthums zu vervoll⸗ 
ſtaͤndigen, tft e8 unerlaͤßlich, einen rafchen Blick auf die Gefchichte der an⸗ 


37 


tifen Philofophie zu werfen. Jedoch genügt die Betradhtung der religidien 
und fittlihen Seite derfelben für unferen Zweck, welcher darauf gerichtet ift, 
in Erfüllung eines früheren Verſprechens ?) die Entwidelungen der religiöfen 
Idee in den antiten Philofophemen nachzuweiſen und aud dadurch zur rich⸗ 
tigen Würdigung bes Chriſtenthums eine Stufe mehr zu bauen. 

Wenn wir bedenken, daß die griechiiche Philoſophie zuerft in Klein« 
aften (Milet) auffam, daß fle Anfangs, in der jonifhen Schule, fih auf 
dentende Naturbetrahtung (Phyfik im alten Sinne des Wortes) gründete, 
dag Thales von Milet, ihr anerfannter Stifter, geb. um 670 vor Chr., 
den Auf feines außerordentlichen Wiſſens befonders feiner Reife nad Aegyp⸗ 
ten verdankt haben fol, wie dann auch Pythagoras (blühte 540—500 
vor Chr.) erft nad) Tangen Reifen durch den Drient und Aegypten mit feiner 
Philoſophie auftrat: fo können wir nicht annehmen, der griechiſche Genius 
habe feine Philofophie ganz originell aus ſich felbft heraus erzeugt, fondern 
müffen vielmehr der Anficht Beiftimmen, es habe derfelbe mit Zugrunde- 
legung orientalifcher und ägyptifcher Ideen über Die Natur philofophirt 2). Die 
wenigen damals unter den Griechen vorhandenen Kenntnifje in der Natur- 
wifjenfchaft hätten, ohne folche Anregung von außen, fehwerlich zum For⸗ 
fen nad dem Urgrund der Dinge angeregt und die Philofopheme der 
joniſchen Schule erinnern allzu deutlich an tie kosmiſchen Götterbegriffe der 
Aegypter, als daß dieſe Aehnlichkeit eine ganz zufällige fein fünnte. Des 
Thales Lehre, der Urftoff aller Dinge ſei das MWaffer, aus deffen Verdich- 
tung und Verdünnung fie hervorgegangen feien und immerdar hervorgehen, 
wie nahe ſteht fle der ägspptifchen Lehre von Neith, ber Urmaterie, welche 
als ſchlammiges Waffer ſelbſtthätig fchöpferifche Kraft in ſich Hatte, aus wel⸗ 
der die ganze Welt hervorging ?). 

Allerdings ein geeigneterer Boden zur Entfaltung des philofopbifchen 
Gedanfens ald der Orient und Aegypten war der helleniſche. Gier barg 
keine Priefterfafte die höhere Weisheit in ängftlicher Verhüllung, bier galt 


41) Thl. n, ©. 199. 


2) Wir wiſſen recht wohl, wie fehr wir damit gegen die Meinung Solcher vers 
ſtoßen, welche, eine Art Zionswächter des Hellenismus, Hellas für Lirect vom Hims 
mel gefallen oder wenigftens für ein mit einer himmlifhen Mauer gegen die ganze 
übrige alte Welt abgefchlofienes Stüd Boden auszugeben lieben. Sie haben gerade 
fo recht, wie Andere, welche glauben, die Weltgefchichte habe eines fhönen Morgens 
das Chriſtenthum plößlich aus dem Aermel gefchüttelt. 

3) Bol. Thl. II, ©. 16-18. 


38 


die Freiheit der Individualitaͤt auch im Denken über die goͤttlichen Dinge 
und das Arbeiten mit Begriffen war dem griechiſchen Geiſte nicht weniger 
geläufig als die kuͤnſtleriſche Darſtellung ber Schönheitsideale. Daraus ex⸗ 
klaͤrt es ſich, daß in ber vorchriſtlichen Welt Hellas die claſſiſche Heimqt 
der Philoſophie wurde. 


2. 


Die Lehre des Thales, mit welchem die joniſche Schule hegiunt, haben 
wir beseitd angedeutet. Sein Nachfolger Anasimander von Milet (570 
vor Chr.) fegte ald Urgrund der Welt die räumlich unbegränzte Materie, 
welcher die Gottheit ald belebende und bewegende Kraft innewohne. Anarte 
mened von Milet (548 vor Chr.) nimmt als ben Urgruud der Welt bie 
ätherartige unfichtbare Luft an und nennt dieſe das urfprünglid Göttliche, 
welches fich in mehrere Götter individualiſtrt habe. Nah Heraklit von 
Ephefug (um 500 vor Ehr.) if der ewig ſich bewegende feurige Aether Urs 
grund der Welt. „Alles im Fluß“, ewiges Werden und Vergeben, heißt 
die Bormel feiner Weltanfhauung. Die Hemmung biefer Kraftbewegung er⸗ 
zeugt den Stoff; wo die Hemmung aufhört, löſt ſich der Stoff in feine 
Kräfte auf und dieſe kehren in ven Zuſtand des reinen Aethers zuriuf, Der 
seine Aether, in die Verdichtungen hinein ergoflen und darin rein (unver 
bichtet) erhalten, iſt die Weltvernunft und heißt in den einzelnen Körpern 
Seele, feien e8 Seelen der Menſchen oder der Götter, Die ewige Bewe⸗ 
gung des reinen Aethers if abſolute Nothwendigkeit, in welche, wie fte fich 
auch in ten Schickſalen offenbare, man fc ergeben muß, um ben Namen 
eined Weifen zu verdienen. In beſtimmten Weltperioden erfolgt eine allger 
meine Auflöfung in den feurigen Aether, Weltuerbrennung, 

Die eleatifche Schule Hat ihren Nomen von Elea, einer Heinen Stabt 
in Unteritalien. Als ihr Stifter ericheint Zenophaned von Kolophon in 
Jonien (um 555 vor.Chr.). Außer ihm find zu nennen Parmenides und 
Zenon, beide aus Elea. Vorzüglich in der Abficht, die unwürdigen Vor⸗ 
ftellungen von der Gottheit zu bekämpfen, ſprach Xenophanes den berühm⸗ 
ten Sag aus: „Die Bottheit ift dad Eind und Alles.“ Der Berückſichti⸗ 
gung werth ift fein Eühnes Auftreten gegen die Untbropomorphiömen der 
Volföreligion 1). Als abſolute Eigenfhaften der Gottheit nennt er: Ewig⸗ 


1) Bgl. Thl. II, ©. 200. 


39 


Seit, Unpeichrönftheit, Unveraͤnderlichkeit, zeing Geiſtigkeit, Selbſtbewußt⸗ 
ſein, Selbſtgenügſamkeit. Parmenides (um 456 nor Ehr.) bat mehr bie 
ꝓhyſitkaliſche Seite des Syſtemẽ ausgebildet. Sein Grundgedanke lautet: 
„Das Sein (die Gottheit) allein iſt, allea Uebrige iſt Nichtſein, bloßer 
Schein, alſo alle Wewegung und Geſtalt der Dinge, alle Schickſale u. |. f. 
gehören ind Gebiet des Sinnestäuſchung.“ Ban Zenon erwähnen wir, daß 
er die Menfchenfeele für die Harmonie der vier Elemente und nur. infofern für 
göttlich gehalten, ald in ihr das euer, dag reinfte Element, vorherrſche. 

Das pothagorätiche Syſtem, nad Pythagoras non Samos (580 —508 
vor Chr.) genannt, von feinen Schülern, nicht von ihm ſelbſt her Nachwelt 
überliefert, wendet fih dem Religiös⸗Sittlichen noch weit ernftlicher zu alg 
felbft das eleatifche. Ihm zufolge gibt es drei Urgründe der Welt: die 
Gottheit, die beichaffenheitölofe Materie uud den leeren Noum. Bon ber 
rein geifligen Gottheit wird die Materie zu den verichiedenften Atomen ge⸗ 
bildet, nad) den harmonifchen BVerhältniffen ber Stereametrie. Das Dode⸗ 
taëder iſt die Form ber Aetheratome, melde ald Weltieele alle Körper 
durchdringen und auch als einzelne Seelen erſcheinen. Die Gottheit hin« 
wieder durchdringt die einzelnen Seelen wit ihrer unmittelbaren Kraft, dar 
her die Menichenfeele aus einem gernünftigen, der Gottheit angehörigen, und 
aus einem unvernünftigen, dem bloßen Aether. angehörenden Theile beſteht. 
Daß beide Theile in völliger Harmonie mit einander ſtehen, foll des Men⸗ 
ihen Streben fein, und bis biefes Biel erreicht iſt, muß die: Seele vers 
ſchiedene Körper durchwandern, um endlich zur Gotibeit, welche in ber 
Sonne ihren Sig hat, einzugehen. WS Ausflüſſe des Gottheit, ähnlich 
ber Menſchenſeele, aber höhern Stufen angehärtg, werben bie Götter, Där 
monen und Halbgötter betrachtet. Auch Empedoklet qus Agrigent (um 
449 oor Ghz.) lehrte Die Serlenwonberung und zwar ip, daß die Seelen, 
urſprünglich Sind mit per Gottheit, Pflanzen⸗, Thier⸗ und Menfchenkörper 
zur Strafe durchwandern müffen, nach deren Abbüßung fie wieder mit ber 
Batibeit yereinigt werben. Das Eine Urweſen ber Belt if} der Sphaͤros, 
hie aus den vier Elementen beſtehende Kugel, weiche die Philia (Freund⸗ 
haft, Liebe) als Gottheit zufammenhält, während in den Elementen die 
Bwietradht waltet. Die auseinander gegangenen Elemente neu vereinigend, 
bildet die Philta die Tebendige Welt. 

Zum förmlichen Atheismus gelangt die Philoſophie in der Atomiftif 
bed Demofrit von Abdera (geb. 470 vor Ehr.); denn feing Dogmen über 


40 


bie Götter in den Zwifchenräumen ber verſchiedenen Weltſyſteme Yaflen ſich 
in feiner Theorie nirgends unterbringen, was unter Andern der Atomiftiker 
Diagoras mit Hefonderer Offenheit ausgefproden. Die ®rundprinzipien 
der Welt find nad) Demofrit die Atome, untheilbare Stofftheildhen von vers 
fhiedener Geftalt und Größe, der leere Raum und die bewußtlofe Noth« 
wendigfeit, welche die Atome in Bewegung fett und aljo die Welt bildet. 
Diefem Materialismus gegenüber machte Anaragoras von Klazomenä (geb. 
500 vor Chr.) den Nus (voüc), d. 1. die göttliche Vernunft, geltend, 
welche durch Entmifhung der das Chaos erfüllenden Atome die Welt ges 
bildet und fortwährend weiter bildet. Der Nus erfheint nicht nur als Bes 
weger, fondern auch nad Zwecken bandelnder Bildner der Stoffatome zur 
lebendigen Körperwelt. 

Mit Anaragoras fehen wir die philoſophiſche Verarbeitung der aͤghp⸗ 
tifchen Ideen erſchöpft. In feinem Nus iſt ein ganz geiſtiges, einheitliches 
und doch der Welt frei gegenüberftehendes Wefen gewonnen, defien Begriff 
bereit den alten Ideenkreis überfchreitet. Es folgte nun die Skepſis, um 
durch Niederreißen einen neuen Aufbau vorzubereiten. Wie ſie ſich zur 
Religion verhielt, ergibt fih aus den Stichwörtern ihrer zwei Hauptreprä« 
fentanten, von denen der eine, Gorgiad, und zuruft: „Nichts iſt wahr! ® 
der Andere, Protagorad, noch viel impertinenter: „ Alles ift wahr! * 2). 


3. 


Dem metaphuftichen Materialismus trat der ethifche nach, dem theore- 
tifchen der praftifhe. Die Skeptiker, unter dem Namen der Sophiften 
heute noch übel berüchtigt, gingen foweit, die allgemein geltenden fittlichen 
Speen als ſchlaue Erfindung der Schwächern zum Schube gegen das natürs 
liche Recht des Stärfern darzuftellen und die jeweilige Laune des Einzelnen 
zum Gefeg alle Thuns und Laflend zu erheben. Kritias, der Schlimmfte 
unter den dreißig Tyrannen Athens, verfocht die Freiheit com Sitten⸗ 
geſetz fogar mit der Behauptung, ſchlaue Staatömänner hätten den Götter⸗ 
glauben erfunden, um durch den Glauben an ſolche unfihtbare Zeugen von 
Vebertretung der Gefege abzufchreden. Ueberhaupt betrachteten Kritias und 








2) In feinem Buch über die Götter äußerte Protagoras unter Anderm: „Bon 
ben Böttern kann ich nicht wiflen, ob fie find, oder ob fie nicht find; denn Vieles 
hindert uns, das zu willen, fowohl die Unflarheit der Sache, ale die Kürze des 

menfchlichen Lebens.” 


4 


Genoſſen die moralifchen Gefege nur als nach und nach aufgedrungene bürger- 
lihe Geſetze und erklärten demgemäß jede Einfchränfung bes natůrlichen 
Triebes für naturwidrig. 

Dem Unweſen der Sophiſterei trat auf dem Gebiete der Philoſophie 
zuerſt Sokrates (geb. 469 vor Chr. zu Athen) mit Erfolg gegenüber. Er 
hat kein Buch geſchrieben, ſondern nur durch Darſtellung ſeiner ſittlichen 
Geſinnung in Lehre und Wandel gewirkt. Es iſt ſchwierig, feine eigen⸗ 
thümlichen Kehren Larzuftellen, ohne in Platonismen zu verfallen, weil 
Platon in feinen Dialogen den verehrten Lehrer redend einführt. Wo Xeno⸗ 
phon die Lehren des Sofrates entwidelt, ift zwar eine Vermengung mit 
platonifhen Sägen nicht zu beforgen, aber auch hier Feine Vollſtaͤndigkeit 
zu erwarten. Die Gottheit foll Sokrates aufgefaßt haben ald ewige, all⸗ 
gegenwärtige, allwifjende reine Vernunft, welche die Eörperliche Welt har⸗ 
moniſch und vernunftgemäß gebildet, damit die Menſchenſeelen felbftfländig 
und frei die Glüdjeligkeit erwerben Eönnen. Die wahre Glückſeligkeit aber 
befteht nach Sokrates in der durch Wiſſenſchaft und fittliche That erworbenen 
Seelenfreudigfeit. Das Dämonton, diefe innerlihe Stimme, welcher So⸗ 
krates fo gewiſſenhaft Taufchte, feheint er für eine Eingebung der Gottheit 
ſelbſt, die in einzelnen Lebensfällen ald Schutzgeiſt der Seele gegenwärtig 
fet, gehalten, fomit auch den andern Weiſen und nach Weisheit Streben- 
den zugeſchrieben zu haben. 

Mehr und minder einfeitig verfolgten die fofratifche Richtung bie 
Schule der Kynifer, geftiftet von Antiſthenes aus Athen, die Eyrenaifche 
Säule, geftiftet von Ariſtipp in feiner Vaterftadt Kyrene, die megarifche, 
geftiftet von Euflided aus Megara, und die elifh » erethrifche, welche letztge⸗ 
nannte für unfern Standpunkt ohne Bedeutung ift. — Antiſthenes hob bes 
fonder8 hervor die vernünftige Einrichtung der Welt, wodurd fie geeignet 
fei, die ſittlichen Zwecke des Tugendhaften zu verwirklihen. Im Hinblid 
auf diefe fittliche Weltorbnung der Gottheit ſprach er feinen Hauptſatz auß: 
„Xebe der Natur gemäß!” — Da aber die Kyniker befonders das freiwillige 
Entbehren der äußern Güter für Tugend, nur das Gute für fhön, nur das 
Böfe für häßlich erklärten, fo machten fte fih in ihrem Außerlichen Auftres 
ten vielfacher Mebertreibung ſchuldig, am meiften Diogenes von Sinope, der 
befanntlih Tange Zeit in einer Tonne wohnte und mit gutem Grund den 
Spignamen „der rafende Sofrates“ erhielt. Im Gegenſatz zur kyniſchen 
Auffaffung des Lebens hielt die Eyrenaifche für gut, was bie unabläfflg bes 





42 . 


wegte Seole zur fanften Ernegung bes Luft bringe; für böſe, was fie ſchmerz⸗ 
lich aufrege. Denn eines bayerhaften Pergnügens Genuß ſei das höchſte 
But und die Tugend nichts Anderes als die Fäbigfeit, ſolchen Genuß Ih 
zu verichaffen. Die megariſche Schule hefinirte Die Gotthieit ald Dad unver⸗ 
fnderliche Bute. 

Höhere Ehren noch ermuchien dem Solrated durch ben Ruhm ſeineß 
Schülers Ariſtokles, mit dem Beingnien Platan, geb. 429 nor Chr. Dier 
fer geniale Mann begriff die Gottheit als das vollkommen Byte, als der 
jelbftbewußten Urgrund aller Dinge, ohne und jedoch genägenden Aufſchluß 
zu geben, ob von dieſem Urgrund wie Die ewigen Ideen T) fo and die Mar 
terie audgegangen fei. Die aus Bermittlung Beider gefchaffene Welt ſtattete 
die Oottheit mit einey vernünftigen Seele (, Weltteele”) aus, damit fle hie 
höchſte Vollkommenheit erreiche. Leber dem ganzen Weltverlauf waltei 
Gott als Vorſehung, die auch das Kleinfe nicht unberückſichtigt läßt, Die 
Seele des Menſchen, weil mit Vernunft begabt, iſt göttlicher Ngtur. Wer 
nor ſie in den Leib eintritt, ſchaut ſie in der Sdeglwelt die ewigen Ideen au 
und erinnert Ach ihrer wieder währenh bes irdiſchen Daſeins. Durch 
Weisheit und Tugend erlangt fie nach dem Tode ein glückſeliges Long in 
dem ihr verwandten Geſtirn. Die Böfen müſſen His zu ihres Läuterung 
Thierleiber durchwandern2). Auch unglüdlige Schidfale müſſen nad 
Gottes Weltordnung dem Guten zum Beſten dienen, da fie feine Seek 
Jäntern ; nur der Böfe gebt ig Unglück unter. Die. Verbindung ber un« 
fiexblichen, Seele mit dem flerbligen Leibe zu erklären, nimmt Plato 959 
Mittelweſen eine aus feinen Körpertbeilen gebildete ſterbliche Seele an, 
welche zwei Kräfte, Much und Begierde, befigt. Demgemäß entſpricht bex 
unſterblichen Seele die Tugend ber Weisheit, der ferblichen entſprechen bie 
Rugenden ber Tapferkeit und der Selbfibehesrihung. Die Haxmonie dieſer 
drei, welche den Menfchen zur Gottähnlichkeit erhebt, iſt die Gerechtigkeit, 
Dad Streben nach dem Guten und Schönen, welches den Menfchen mit der 
Gottheit verbindet, und das zeine Wehlgefallen an dem Guten und Schö⸗ 
nen, welches andere Menſchenſeelen ziert, nennt Plato die Liebe. Die 
Götter hält er für die vernünftigen Seelen der leben Planeten und Dog 
dirſterne. 

9— ®. i. i ſelbſtſtändig gedachte Gattungsbegriffe, die Urbilder der Dinge. 
2) Doch ſchließt ſich Platon anderwärts in dieſem Punkt den Vorſtellungen des 
San an (Eipfion und Tartaros , vgl. Thl. II, &, 187-188). 


43 
PPlato gründete tie Philoſophenſchule der Älteren Akademie, welche 
nadı feinem Hingang zunaͤchſt yan feinem Neffen Speufippoß geleitet wurde. 
Diefer Platoniker beſtimmte die Gottheit al& das Ureins, den Grund de? 
Seins und der Zahl. Die Seele betrachtete er gewiflermaßen als einen 
Spielball der Daͤmonen, von denen bie einen fie zum Guten, bie andern 
zum Böſen bewegen. Xenofrates von Chalkedon, geb. 397 vor Chr., ar⸗ 
beitete durch fein Philoſophiren begeitg ſtark dem fpätern Neuplatonismus 
por. Gott, Ichrte er, ſchuf zuerſt die Ideglwelt, Dann die Moterie, hierauf 
zum Serrfcher über die Ipealwelt' eine männliche, zur Herrſcherin über 
Die Materie eine weibliche Gottheit, die Weltfeele. Diefe Beiden erf voll» 
bringen die Weltbildung, fchaffen die Dämonen, die Menfchenfeelen u. |. w, 
In feinem Beſtreben, die platonische Lehre möglichſt in mathematijche Bor 
meln zu faflen, nannte er die Seele eine fich felbf} bewegende Zahl. 

Dieſe Akademifer erfcheinen unbedeutend im Vergleich mit Dem größ⸗ 
ten Schüler Platons, Ariftoteles von Stagira in Thrakien, geb, 384 vor 
Bhr., der hinwieber Alerander den Großen feinen Schüler nannte. Die 
platouifche Ipeenlehre verwarf er zwar vollſtaͤndig; was er jedoch an beren 
Stelle jegte, hat neben ihr bis auf unfere Lage herab gleich maͤchtig auf die 
Entwidlung der Vhilofophie eingewirft. Die Gottheit des Ariſtoteles if} 
der abjolute Geiſt, dad Denken des Denkens, der erfie Beweger, emige 
Tätigkeit ihrem Weſen nach und doch felber ewig unbewegt, ſelbſtgenüg—⸗ 
fan, dad ewig felige Leben, dad Gute an ih. Ihr gegenüber ſteht die 
zaumlich ausgedehnte, zwar hefchaffenhettälofe, aber bildungsfühige Materie. . 
Die Gottheit wirft zunachfi auf biefelke pin als „reine Form“ (Morphe); 
i8 Die. Materie yon der Korın jo durchdxrungen, daß Iegtere in ihr zur trei⸗ 
henden Lebenskraft wird, wie z, B. beim Samenkorn, fo. wird die Form 
zur „Energie,“ nad vollendeter Geſtaltung der Materie enblih zur „ Enten 
lechie“, d. 5. Zweckhollendung, dem Organismus inwohnender, an ihn 
yollftändig ausgeführter Zweckbegriff. Ob auch die Matsrie qus Gott here 
vorgegangen, darüber finden wir bei Ariſtoteles eben ſo wenig einen gen 
nauen Ausſpruch wie bei Platon. In Beider Syflem fühlt mar immer noch 
den dualiftiſchen Haren. Die Serfe iR die Eytelechie des menſchlichen 
Körperd und leitet als folde die Ernaͤhuung, Empfindung und Bewegung, 
Zu Alledem empfing fle yon der Gottheit unmittelbar Die Bernunft, welche 
mit dem Körper und den nigdern Seelenthätigfeiten in keinem natürlichen 
Aufommenhang fight. Als göttliche Vernunft allein if} Die Seele unßerh⸗ 


44 


lich, fle hängt in diefer Beziehung nicht am Leibesleben und fo wird fle auch 
vom Tode des Leibes nicht berührt. Für das höchſte Gut erklärt Ariftoteles 
die Glückſeligkeit, worunter er die innerliche Befriedigung in angemeffener 
"Verwendung der dem Menſchen verlichenen Fähigkeiten und Kräfte verſteht. 
Tugend iſt ihm die Wertigkeit, bet jeder einzelnen Handlung bie vernunft⸗ 
gemäße Mitte zu finden, das Zuviel (z. B. Verſchwendung) und das 
Zuwenig (Geiz) zu vermeiden. Des Ariſtoteles nüchterne und gründliche 
Weltanſchauung, ſein auf Empirie gegründetes Denken ließen in ſeinem 
Syſtem keine Daͤmonologie aufkommen. 

Bon Ariſtoteles ging die peripatetiſche Schule aud, ſo genannt von 
den Spaziergängen in den Säulenhallen, welche das Lyceum (Lykeion) des 
Ariſtoteles zierten. Die Peripatetiker philoſophirten noch weniger ſelbſt⸗ 
ſtaͤndig ihrem Meiſter nach, als die Akademiker. Wir haben und daher 
nicht weiter mit ihnen zu beſchaͤftigen. 

Auch der Blüthezeit helleniſcher Philoſophie fehlte e8 nicht an Skep⸗ 
tifern. Unter ihnen heben wir hervor Pyrrhon aus Elis, einen Beitge- 
nofien Aleranderd des Großen. Er drang auf Zurüdhaltung jedes ent- 
fchtedenen Lirtheild über die Dinge und Ereigniffe der Außenwelt, weil bie 
finnlihe Auffaffung des Menfchen fehr unzulänglih, derſelben alſo nicht 
leichthin zu trauen ſei. 


4, 


Durch den ethiſchen Anftoß einerfeitö, welchen die Philofophen durch 
Sofrates erhalten, andererfeits durch Abnahme ber fuftembiltenden @eifles- 
kraft nach Ariftoteles Fam in die Philoſophie der Trieb nad möglichfter 
Popularifirung und bald wurde fie, als dad allgemeine Verderbniß und 
Elend mit dem römifhen Weltreih um ſich griff, Troft und Zufludt aller 
ebleren Naturen, den gemeineren freilih, mie einft den Sophiften, ei 
Werkzeug, die legten Reſte höhern Glaubens und frommer Scheu in ihrer 
und Anderer Bruft auszutilgen. 

Theils aus der Weltanfhauung des Heraflit, theils aus derjenigen 
der Kyniker bildete ſich die ftotfche Schule, deren Grundfäge von ihren drei 
Stiftern, Zenon, Kleanthes und Chryſtppos, gemeinfhaftlih ausgebildet 
wurden. Die Bekenner der Stoa badıten ſich Bott und Materie ald Eine 
untrennbare Wefenheit, innerhalb welcher nur der Unterſchied Statt findet, 
Daß Gott, zugleich als Atherartiger Wärmeftoff und als vernünftige gütige 


45 


Borfehung gefaßt, das Active, Weltbildende, die Materie, als befchaffen- 
heitslos gedacht, der paſſive Stoff der Welt if. Wie die Seele dem Kör- 
per, wohnt Gott der Welt inne. Die Stoifer fehauten daher die Welt an 
als „ein großes Lebendige." Wie derNaturlauf von Bott vernünftig und 
fittlich gut geleitet wird, fo foll auch der Menſch feine Glückſeligkeit in vers 
nünftigem und fittlic gutem Handeln finden; das heißt „übereinftimmend 
mit der Natur leben“, wie der Stoifer oberfte Regel lautet. Es gibt nur 
Eine wahre Tugend, die Weisheit, in welcher ſich die fittlihe Erfenntniß, 
die Mäßigkeit, Tapferkeit und Gerechtigkeit vereinigen. Neben guten und 
böſen nahmen die Stoiker auch „gleichgültige * Handlungen an. Bon den 
vernunftwidrigen Gemüthöbewegungen der Begierde, Furcht, Treude und 
Traurigkeit foll der Weife frei fein. Die irdiſchen Güter, Reichthum, 
Macht u. f. w., weil ſie fowohl zum Guten, als zum Böſen angewendet 
werden fönnen, find ihm etwas Gleichgültiges. Endlich nahmen die Stoifer 
periodifche Weltverbrennungen und neue Weltfhöpfungen an. Die Weifja- 
gung ehrten fie als Offenbarung ter Gottheit. Ihr Pantheismus, im Les 
ben alle rein perfönlichen Zwede verwerfend, Tieß Feine Unfterblichkett der 
Seele zu. 

Den geraden Gegenſatz zum Stoicismus flellt der Epikuräismus dar. 
Epifur, geb. 342 vor Chr. in Attifa, bildete aus den Prinzipien der ato— 
miftifhen und der Eyrenaifchen Schule folgende Weltanfhauung: — Es 
gibt zweierlei Grundurfachen der Welt, die Atome, unzählig, von fehr ver- 
fchiedener Geſtalt und Größe, mit urfprünglicher Bewegung (fenfrechter Fall), 
und den leeren Raum. Durch ihren ſenkrechten Ball geratben die Atome 
aneinander und bilden alfo die Körper. Die Götter, zwar menſchlich ge= 
ftaltet, doch ohne feften Körper und menfchliche Bebürfniffe, Ieben in den 
leeren Zwifchenräumen der Weltkörper ein ſeliges far niente, unbefümmert 
um Alles, was in der Welt vorgeht, — begreiflih, die Atome fchaffen ja - 
für fie! Die Seele des Menſchen befteht au8 vier Arten von Atomen, deren 
feinfte, in der Bruft wohnend, da8 Empfinden und Denken. verrichtet, Mit 
dem Tode hört die Seele auf, zu eriftiren; man fühlt ihn nicht, darum 
fhaudert auch der Weije nicht vor ihm, Des Lebens höchfter Zweck ift 
Wohlbefinden, denn Died entipricht der menfchlihen Natur, während die 
Unluft derſelben  widerftreitet. Körperliche Schmerzlofigfeit und unge» 
trübte Heiterfeit zu erſtreben, ift echte Lebensweisheit, Alles, was zu die⸗ 
fem Ziele führt, wahre Tugend, namentlich die Freundſchaft. 


46 

Mährend die Beiden vorgenannten Schulen am meiften Anhänger ges 
Wannen, ſuchten die neueren Akademiker, wie Arkefllaos von Pitane (farb 
341 vor Chr.) und Karneades aus Kyrene, der 155 vor Chr. als Ge⸗ 
fandter nach Rom reifte, die platonifch-fokratiiche Richtung mit geringen 
Erfolg weiter zu bilden. Beide neigten fih der Skepfis zu, indem ſte be⸗ 
Haupteten, nach Sokrates und Platond etgentlither Meinung müffe der ver⸗ 
nunftbegabte Menfch fein Höchftes Intereffe im Forſchen felber finden. Dem 
gemäß Ichrte Arkeftlaos, man könne die Urgrimde der Welt weder nad 
ihrem Dafein noch Weſen noch Verhältniß genau erkennen und dürfe alfo 
feine beſtimmten Behauptungen darüber aufſtellen. SKarneades, an einem 
fihern Maaßſtab der objectiven Wehrheit verzweifelnd, ſtellte eine Wahr⸗ 
ſcheinlichkeitslehre auf. 


Die Peripatetiker dieſer Periode waren faſt nur gelehrte Erklärer der 
ariſtoteliſchen Lehren und Schriften. Des hiſtoriſchen Intereſſes wegen 
nennen wir von ihnen den Kritolaos aus Phaſelis, welcher mit Karneades 
nach Rom reiſte, und Andronikos von Rhodus, welcher die durch Sulla's 
Eroberung von Athen nach Rom gekommenen Schriften des Ariſtoteles ord⸗ 
nete und bekannt machte. 


Den Skepticismus des Pyrrhon und der neueren Akademiker vollen⸗ 
dete Cicero's jüngerer Zeitgenoſſe, Aeneſidemos von Knoſſos auf Kreta. 
Wegen der ewigen Veränderlichkeit der göttlichen Subſtanz, behauptete et, 
dürfe keine Anſicht auf alleinige Geltung einer andern gegenüber Anſpruch 
machen, Gegen die Gültigkeit ded Begriff von Urſache und Wirfung 
machte er zehn Zweifelögründe geltend, hierin ahnlich dem engliichen Skep⸗ 
tifer David Hume, deſſen Kritik der Urſache jo anregend auf Kant ge— 
wirkt bat. 


6. 


Zu den Römern fam die Bhilofophie durch die Geſandtſchaft der 
Athenienſer, von welcher wir bereit8 zwei Mitglieder genannt Haben ; das 
Dritte war der Stoifer Diogenes von Seleufta. Zwar hatte fihon Enntus 
pythagoraͤiſche Säge in feine Gedichte eingemifcht ; aber e8 war bis zu jener 
Geſandtſchaft bei vereinzelten Anklängen geblieben. Anfangs war die Phi⸗ 
Iofopbie bei den Römern, wie die Griechen und griechiſches Weſen über- 
haupt, verachtet. Nach und nad) warb fie wenigftens als ein Mittel höherer 


#1 


Bildung, dann fogat vor Eingelnen als eine Duelle der Glüͤckſeligkeit ange 
fiber. Am meiſten Anhänger fand, wie begreiflih, der Epikataͤismus. 
Der Stoa huldigte Cato der Jüngere; ebenſo Cicero, was die praktiſche 
Seite feiner Anſichten bettifft, während er ſich in theotetiſchen Fragen der 
neueren Akademie zuneigte. Er war nicht. der Ginjige, ten man um fo 
gemiſchter philofophifcher Anfichten willen einen Eklektiker nannte. 
Jede Zeit des Verfalld in der PHilofophie bringt ſolcher oberflächliher Denker 
eine Menge hervor. Als vollftändiger Anhänger der afademifhen Schule 
wird der befannte Lucudus genannt, Den Steptifern ſchloß ſich Agrippa 
an, deſſen Zeitalter freilich ungewiß if. Man nimmt-an, er habe um 
Chrifti Zeit gelebt. Er beförberte den Verfall der Philofophie, indem er 
auf die Verjchiedenheit ihrer Syſteme aufmerkſam machte, die Subjectivität 
ber Vorftellungen, die Hypotheſenſucht, Die Girfel im Beweiſen an allen 
Spftemen tadelte, aber bei Alledem nichts Befferes aufzuftellen wußte, 


In der nachchriſtlichen Zeit finden wir nichts als mannigfache Ent- 
artung der bergebrachten philofophiichen Syfteme. Der Epikuräismus warf 
auch feine ruhig feligen Götter Über Bord, verläugnete alle Sittengefege, ward 
aus einer Philoſophie Entfhuldigungsgrund aller Laſter und ging unter 
im Schlamm äußerfter Gemeinfeit. Der Stoicismus feinerfeitS hatte con» 
fequenter Weile zur Rechtfertigung des Selbftmordes geführt. Unverän⸗ 
dert pflanzte er fich nur in Wenigen fort, wie z. B. in Bafllides, dem 
Lehrer des Antonin. Umſchrieben und vielfach abgeändert ward er durch 
Seneca, Mufontus Rufus, Epiktet, Arrian und den Kaifer Marcus Aus 
relius. Auch eine neuere Eynifche Schule tauchte auf, welche in Demetriuß, 
Seneca’8 Breund, und Demonar aus Kypern (2. Jahrh. nach Ehr.) Freis 
heit von Furcht und Hoffnung als ihren oberften Grundſatz aufftellte, und 
in Peregrinus Proteus zu orientalifcher, vermuthlich erheuchelter, Schwaͤr⸗ 
merei ausartete. — Wir finden ferner noch fogenannte Platoniker, In 
welchen der Einfluß orientalifcher Ideen bereits unverkennbar bervortritt. 
So Ichrte der früher genannte Plutarch von Chäronen die Weltfeele, daB 
Princip des Böfen, und die Materie ald gleich ewig neben Gott, dem Prin⸗ 
zip des Guten. 


Indifher Weisheit rühmten fich bereits die Neupythagoräer, deren 
Zahlenlehre auf die Geltung einer magifchen Wiffenichaft Anſpruch machte. 
Zu ihnen zähle man den befannten Apollonius von Tyana, welden die 


48 


heidniſchen Briechen Chriſto gern gegenüberflellten. Dielem mannigfacdhen 
dogmatifchen Unfinn begegnete der Arzt Sertus Empirifus aus Mytilene 
(Ende ded 2. Jahrh. nah Ehr.) mit feiner Fühlen Skepfis, die er als eine 
Art Heilkunde der von philofophifchen Irrthümern angegriffenen Geiſter bes 
trachtete. In jeinen Werken faßte er fo ziemlih vollftändig zulammen, 
was Treffendes gegen die dogmatifirende Philoſophie von jeher gejagt 
worden war. 


Den letzten Anlauf, bereitö im Kampfe gegen das Ehriftenthum, nahm 
die antife Philofophie im Neuplatonismus, zu deffen Erzeugung fie bie 
altindifcheägyprifche Emanationslehre 1) zu Hülfe rief. Bei ihrem Abſchluß 
fehrte alfo die alte Philoſophie, gleihfam , um noch Kraft zu gewinnen für 
die Tegten Athemzüge, zu ihrem Mutterfchooße, wenn auch nicht zu den 
gleichen Ideen zurüd, mußte aber erfahren, daß auch dort feine wahre 
Lebenskraft mehr vorbanten war. Dap.nicht blog Indien, fondern wirklich 
aud Aegypten den Neuplatonifern wieder Ideenftoff lieferte, darauf weit 
bedeutſam fchon der Umfland, daß das aͤgyptiſche Alerandrien der Haupt⸗ 
fig des Neuplatonidmus wurde. Selbft die jüdischen Neuplatonifer find von 
Alerandrien ausgegangen. Don biefen iſt und ſchon im erflen Kapitel einer 
begegnet, Philo. Hier nun haben. wir des, um 220 nad Chriſtus ent- 
flandenen Geheimbuches der Effäer zu erwähnen, der Kabbala. Ihr zufolge 
fol von Gott, dem unerfchaffenen Urlicht, zuerfi Adam Kadmon, der erſt⸗ 
geborne Sohn Gottes, göttliche Vernunft und Meſſtas zugleih, ausge⸗ 
gangen fein, fodann zehn Lichtfiröme, Sephirot, aus denen ſich vier Welten 
bildeten: die Höchfte Geifterwelt, die der noch unförperlichen, aber ſchon 
niedrigeren Geifter, die der verförperten Engel und die finnlih wahrnehme 
bare Welt. Der Menſch ift beftimmt, durch immer höher fleigenden Ver⸗ 
fehr mit ben Geiftern in den Buflänten der Verzüdung (Efftafe) zur 
Anfchauung Gottes zu gelangen, 


Zur eigentlih alerandrinifchen Schule gehörten Ammonios Sakkas, 
Plotinos, Porphyrios und Jamblichos. Durch Legteren kamen befonders 
bie fogenannten hermetifchen Schriften auf, d. i. eine Sammlung altägyp- 
tiſcher Offenbarungen, welche von dem ägpptifchen Gott Hermes Trisme⸗ 


1) Die Emanationslehre befteht, wie Jedermann weiß, darin, daß nach ihr eine 
Gottheit von der andern ausfließt, erzeugt, nihterfchaffen wird. Vgl. Thl. I, 
©. 109, und Thl. 11, ©. 19. 


giſtos 2) Herrühren follten. Jambliches farb um 333 nad Chr. — Die 
Lehre ded 205 n. Chr. geborenen Plotin war in Iren Grundzügen fol⸗ 
gende: — Gott if} die ewige und unveraͤnderliche Güte, Urquuell alles Seins. 
Ihm entfließt zuerfi der Mus, tie goͤttliche Bernunft, ald Geſammtheit 
der Ideen gedaht. Dem Nus emanirt die Weltfeele, deren höherer Thetl, 
der Logos, die Ideen des Nus auffaßt und von ſich ausgehen läßt den nie⸗ 
drigeren Theil, die ‘empfindende Seele, welder hinwieder die nach den 
Ideen die Welt bildende Naturkraft (Phyſis) entfließt. Die unterfie, aus 
der Phyſis gefommene Emanation, iſt die Materie, aus weldyer die Welt 
gebildet wird. Außer der Weltſeele find dem Nus noch die indiriduellen 
Seelen entflojfen, zu welden die Götter erfien Ranges in der Idealwelt, 
die zweiten Ranges vom Pirflernhimmel bid zum Monde, die Dämonen 
unter dem Monde und die Menichenfeelen gehören. Diefen bildet Die 
Phyſis ihre Körper aus der Materie. Wenn vie höhern Kräfte der Seele zu 
den niedrigen gänzlich herabgezogen werden, fo muß fe nach dem Tode Thier⸗ 
und jelbft Pflanzen körper durchwandern. Durch die Tugenden, deren 
höchſte die myſtiſche Vereinigung mit dem Ans if, wird die Seele zu ihm 
in ihre urfprünglide Heimat zurüdgerührt: — Bropheritches Schauen 
(Mantit) und Zauberfraft (Magie) find ſchon hienieden mit jener Gottinnig⸗ 
Brit ungertrenalicy verbunden. 

Noch weiter ward die Emanationdlehre von den atbentenfligen Neu⸗ 
ylatonifern getrieben. Diele traten aber erſt nadı dem Siege des Ghriften«- 
thums auf. Don ihnen feien genannt Plutarch von Athen (350—430 
nah Ehr.), Broflus von Konftantinopel (412—485) und Simplicius, 
Der die Aufhebung der athenienfifchen Philoſophenſchule durch Juſtinian 
(529) erlebte. Obgleich die athenienſiſchen Neuplatoniker wieder etwas 
mehr Gewicht auf wiflenfchaftlihe Form des Beweiſes legten, jo hatten 
doch auch ihre Philoſopheme gar keinen wiſſenſchaftlichen Zuſammenhang. 
Der ganze Neuplatonisnud ohne Ausnahme war phantaftiihe Träumerei; 
von einer philoſophiſchen Bearbeitung der Erfahrungdgrgenflände, vom 
wiffenichaftlicher Ableitung der Begriffe, von zmwingender Logik ift Feine 
Spur darin. Das gemeinfame Merkmal diefer Epigonenphilofophie war 
dad Wunderbare oder vielmehr Wunderliche, theoſophiſche und theurgifche 
Düftelet. Die augenfcheinliche Tendenz ging auf Stiftung einer Religions⸗ 
2) Wahrſcheinlich Tat, einer von den zwölf Göttern des zweiten Geſchlechts, 
Schirmgott der ägyptifchen Wiſſenſchaft. Vgl. Thl. I, &. 23. 

Scherr, Geſch. d. Religion. II, 4 


50 


pbilofophie, welche dem Chriſtenthum Oppofition maden follte. Aber 
e8 war das Alles nur noch das Stammeln und Lallen des vor Alter 
Eindifch gewordenen Genius von Hellas. Geftorben zwar ift damals die 
Philoſophie nicht, aber zu einem langen, langen Schlaf hat ſie fich nieder⸗ 
gelegt. 


Diertes Kapitel. 
Das eben Sein. 


1. 


Wir eröffnen die religtonsgeichichtliche Darftellung des Chriſtenthums 
mit der Schifverung des Lebens und der Lehre Jeſu von Nazaret, nach den 
Schriften des neuen Teftamentes, indbefondere nad Anleitung der Evange⸗ 
lien. Was die katholiſche Kirche außer dem Inhalt des N. T. als 
hriftliche Lehre geltend macht, wird ſich in der Bolge ald Lehrentwicklung 
fpäterer Zeiten ausweifen, als urjprünglicye Lehre des Chriſtenthums läßt 
fih einzig und allein ter Inhalt des N. T. fefthalten. Auf der andern 
Seite können wir ebenfowenig berüdfichtigen die Behauptungen der neueften 
proteflantifchen Theologenfchule,, welche e8 mit ihren Forſchungen nach ter 
echten Lehre Jeſu jelbft, im Unterſchied von den Lehrauffaffungen ber Apoftel, 
bis jegt zu feinem wiſſenſchaftlich feſten Refultate von irgend höherer Be—⸗ 
deutung gebracht bat. Auch ift der Streit über Echtheit und Abfuffungs«- 
zeit der neuteflamentlichen Schriften noch fo fehr in der Schwebe, daß wir 
auch hier Feinen-Boden finden, auf welchem wir feften Buß fallen fönnten. 
So dürfen wir denn von unferem parteilofen Stantpunft aus bei Betrady= 
tung der Lehre Ieju weder von einer paulinifchen Tendenz des Lukas, noch 
von einer ebionitifchen tes Matthäus, noch von einem Lehrgegenſatz zwifchen 
Johannes und den drei erften Evangrliften (Synoptifern) Notiz nehmen ; 
fondern wir müffen vielmehr als Lehre Jeſu faffen, was uns in den Evans 
gelien als Ausſpruch Ieju dargeboten wird. Was Hingegen in der Ge= 
fhichte und Den Briefen der Apoftel gelehrt wird, muß bei aller Ueberein— 
flimmung mit tem Sinn und Geifte des Meifters von deſſen ſelbſteigener 


51 


Lehre getrennt betrachtet und an die Spitze der Lehrentwicklung ge 
ſtellt werden. 

Das Leben Jeſu angehend, hat bekanntlich die Kritik daran noch mehr 
herumgearbeitet und gibt ed in der Literatur beinahe fo manches „Leben 
Jeſu“, als es fchreibfertige Theologen gab feit dem Auftreten von David 
Briedrih Strauß. Die Bemühungen der Harmoniften aber, wie der nega⸗ 
tiven Kritifer, auf dem weiten Gebiete der Wahricheinlichfeit Eonnten uns 
nur zu der Anficht bringen, das Leben Jeju möchte in den Evangelien, troß 
der in denielben zu Tage tretenten Widerſprüche, doch mit nıchr Hiftorifcher 
Treue dargeftellt fein, als in fänmtlichen Büchern über das Leben Jeſu 1). 
Zudem ift unfere Aufgabe bier keineswegs, uniere ſubjective wiſſenſchafiliche 
Anſicht über den eigentlichen Verlauf des Lebens Jeſu geltend zu machen, 
fondern einfach objectio Darzuftellen, wie nach übereinftimmenden Nachrichten 
der driftlihen Neligionsurfunden das Leben Jeſu verlief. Wo die Evan 
gelien in weientlichen gefchichtlihen Angaben, wie 3. B. in Betreff ber 
Meijen Iefu nach Jeruſalem, einander widerſprechen, Da werden wir, ohne 
zu entſcheiden, die verſchiedenen Angaben aufführen. 


2. 


Die Geburt Jeſu, des Sohnes der Maria, für teilen Vater Joſeph, 
der Zimmermann von Nazaret, ein Mann aus dem Geſchlechte Davids, 
galt, wird jo ziemlich allgemein in das Jahr 754 nad) Erbauung der Stadt 
Nom geſetzt. Da jedoch der dionyſiſchen Zeitrechnung, nach welcher das 
genannte Jahr beſtimmt iſt, ein Fehler von 4 Jahren zu viel nachgewieſen 
werden kann, fo fällt die Geburt Jeſu eigentlich in das Jahr 750 nach 
Roms Erbauung. 

- Hinfihtlich Der wunderbaren Erzeugung Jeſu aus dem heil. Geifte 
ohne Zuthun eines Mannes flimmen Matthäus und Lufas überein; Io» 
hannes faßt diefen Gegenftand ganz in philoſophiſcher Weiſe. Demgrmäß 
finden wir aud bei Matthäus und Lukas allein jene Erzählungen, welde 

4) Wir brauchen faum zu bemerken, daß ber Ausdruck „hiftoriiche Treue” cum 
grano salis zu verfiehen ſei, d. h. wir nehmen an, daß die Verfafler unferer evanges 
lifhen Quellen in guten Treuen gefchricben haben. Ebenſo wenig brauchen wir zu 
wiederholen, was wir fchon an fo vielen Stellen unferer Arbeit über den Nimbus des 
Munterbaren, womit die mythenbildende Volksphantaſte Die Berföntichfeit aller Pro⸗ 
pheten, Religionsfifter und Heilande umgab, zu fagen Gelegenheit hatten. 

4 % 


52 


die Geburt des Welterlöferd mit dem Schimmer himmliſcher Ericheinungen 
verherrlichen ; bei Matthäus den Stern, der die Magier aus dem fernen 
Morgenlande herbeiführt, einen Ausdruck der damals allgemein verbreiteten 
Meiftashoffnungen, bei Lukas die Engelericheinung, melde den Hirten auf 
dem Felde die göttlihe Würde und Sendung des Neugebornen offenbart. 
Ausschließlich diefen beiden Evangeliſten eigen find auch die, übrigend von 
einander abweichenden, Gefſchlechtsregiſter, mittelft welcher die Abkunft 
Jeſu dur Iofeph von David abgeleitet wird. — Markus beginnt fein 
Evangelium ohne alle dieſe Vorbereitungen fofort mit dem Auftreten JIo⸗ 
Hannes bed Taͤufers. Die Flucht der Aeltern Jeſu mit dem Knäblein nad 
Aegypten und ihre Rückkehr nach Serodes I. Tode erzählt Matthäus allein. 
Dagegen hat Lukas einen Bug ‚aus der Jugendgeſchichte Jeſu aufbewahrt, 
der die überraſchenden Bähigfeiten des Geiſtes und den tiefreligiöfen Zug 
des Gemürhes Jeſu ſchon in feinem zwölften Altersjahre erkennen läßt. 
Bon da haben wir feine Nachricht mehr über Jeſus, bie er, mit dem ges 
feglich beftimmten dreißigften Altersjahr zum Lchrer des Volkes (Rabbi) 
herangereift, fih von Iohanne® dem Täufer im Jordan die Weihe zu feinem 
welterneuernden Werke eriheilen läßt. Johannes nämlich, der Sohn des 
Priefterd Zacharias und der Eliſabeth, einer Verwandten der Maria (nad 
Lufad), war im 15. Negierungsjahr des Kaijerd Tiberius aufgetreten in ber 
umliegenden Landichaft des Jordan, im Hinblick auf die baldige Erfcheinung 
des verheißenen Meſſtas Buße predigend, aber auch durch jeine harte Lebens⸗ 
weife die Strenge feiner Predigt an ſich felbft darſtellend. Er kündigte ſich 
ausdrüdlich als den Vorläufer des Meſſias an, ertheilte Die Taufe im Jordan 
theild als Sinnbild der angelobten Buße, theild als vorbereitente Weihe 
zum Eintritt in das nahe Mefflasreih, und ward vom Volfe (mit Aus⸗ 
nahme der Schriftgelehrten und Prieſter) allgemein für einen Propheten ge⸗ 
halten. Ungeſcheut fprach er feinen Tadel über den blutſchänderiſchen Ehe 
bruch des Herodes Antipad aus, ward deßhalb ind Gefängniß geworfen 
und fpäterhin auf Anftiften der durch feinen Tadel mitbetroffenen Herodias 
enthauptet. Bei der Taufe Iefu im Iordan hatte Johannes ibn ald den 
verheißenen Meiftas erfannt ; da er jebodh neben feiner geiſtigen Auffaffung 
auch noch weltlihe Vorftellungen vom Meſſtas und deffen Neiche beibehal« 
ten, fo fandte er aus dem Gefängniffe zwei jeiner Jünger an Jeſus, der 
feine Miene machte, den Thron Davids wieder aufzurichten, mit der Frage: 
„Biſt du, der da kommen foll, oder müflen wir auf einen Andern warten? * 


ui 


| 53 
worauf ihn Joſus auf .feine uͤbermenſchlichen Thaten verwies mit der An⸗ 
deutung, ein weltliches Auftreten, irdifche Größe liege nicht im Zwecke feiner 
Sendung. — Jeſus ſelbſt, bevor er auftrat, zog ſich mach den Berichten 
der Spnoptifer in die Wüßte zuruͤck, we er vierzig Tage und vierzig Naͤchte 
faſtete. Dafelbft kam die Verfuhung über ihn in dreifacher Weile, ver⸗ 
bunden mit wunderbarer Entrüdung van Ort zu Ort; er überwand fie voll» 
fländig. Auf den Verſuchungsmythus ſpielt auch der GHebräerbrief (4, 15) 
an, indem e8 dafelbft heißt, Jeſus fei in allen Dingen verfucht worden, wie 
wir, dod ohne Sünde. 

Bevor wir nun auf dad öffentliche Wirfen Iefu eingehen, haben wir 
über die wichtige Frage nad jeiner Vorbildung eine kurze Bemerkung zu 
machen. War er wirklich jemald in Aegypten, fo ift er in ſehr jugendlichem 
Alter, gleich nad) Herodes I. Tode, in ‚feine Heimat zurüdgefehrt. Als 
Knabe Eonnte er Feiner andern Bildung theilhaft werden als einer folchen, 
wie man fie in den Synagogen und bisweilen im Tempel zu Jeruſalem fi 
anzueignen Gelegenheit hatte. Als Jüngling hingegen mag er, weil feine 
genane Belanntihaft mit dem Alten Teflament Kenntnip ber he braͤiſchen 
Sprache vorausſetzt, die damals gewöhnliche Bildung eines Rabbinen em⸗ 
pfangen haben. Es möchte erlaubt ſein, dieſe Bildung mehr noch eine 
ungewöhnliche, ſehr umfaſſende zu nennen, im Hinblick auf die lauten per⸗ 
fiihen, brahmaniſchen, chaldaͤiſchen und ägyptiſchen Anklänge im Chriſten⸗ 
thum. Wie ſie hineingekommen, ſteht dahin. Der Einfluß jener Glau⸗ 
bensſyſteme auf den Bildungsgang Jeſu iſt hiſtoriſch nicht nachzuweiſen, um 
fo weniger, da ſich die Verfafſer der Evangelien aus naheliegenden Grüns 
den wohl gehütet haben, nach diefer Seite hin Etwas verlauten zu lafien, 
Ein unmittelbarer Zuſammenhang der Lehre Iefu mit irgend einer Religion 
oder Philofophie läßt fih nur in Beziehung auf das Alte Teftament erwei⸗ 
fen; aber es ift hiebei wenigflens an die Modificationen zu erinnern, welche 
der Moſaismus durch das babyloniſche Exil erlitten hattet). 


3. 


Jefus trat auf mit der froben Borfchaft: „Das Reich der Himmel iſt 
genahet! Thut Buße und glaubet dem Evangelium!" — Er Iehrte in den 
Spnagogen am Sabbath, auf Bergeshöhen, an den Ufern des Sees Gene« 


4) Bol. Thl. II, ©. 118 fg. 


54 

faret, in der Eindte, wie im Tempel zu Jeruſalem; felbft beim fröhlichen 
Mahle entquollen Morte der Weisheit feinen Lippen. Welchen außerordents 
lihen Eindrud feine Reden auf die Zeitgenoffen machten, fehen wir in den 
Evangelien vielfah angedeutet. „Er redete als Einer, der Gewalt hat, 
und nicht wie die Pharifäer und Schriftgelehrten.“ Es bezeugten auch die 
Diener der Hohenpriefter, vergeblich abgefantt, ihn gefangen zu nehmen: 
„Noch nie hat ein Menfc fo geredet, wie dieſer!“ Nach den übereinftim- 
menden Berichten der Evangelien wurde aber die Wirkung feiner Lehre 
mächtig unterftügt durch zahlreihe Erweiſungen übermenjchlicher Kräfte. 
Er Heilte blind und lahm Geborne, Stummen verlich er Die Sprache wies 
der, befreite Blutflüſſige, Mondſüchtige, Wahnfinnige von ihren Leiden 
und machte Ausiägige rein, Alles augenblicklich, durch ein bloßes Wort, 
feloft einmal durdy bloße Berührung ohne fein Vorwiſſen 1). Er wird dar 
geftellt ald Herr über alle Mächte ter Natur durch göttliche Geiſteskraft. 
So in den Erzählungen vom verdorrenden Seigenbaum, vom Wandeln auf 
den Waſſer, von der Stillung des Seeflurmes, von der Verwandlung des 
Waſſers in Wein, von der Speifung der Fünf» und Viertaufende. Jeſus 
felbft berief ſich ſowohl dem Täufer, als feinen Gegnern gegenüber auf jeine 
Wunderwerfe ald Bürgſchaft feiner göttlichen Sendung). Sogar Todten⸗ 
erwefungen werden mehrmals von Iefu erzählt: die Erwecung feines 
Freundes Lazarus, des Jünglings zu Nain, der Tochter des Iairus. Mit 
Alledem verband Jeius cine vollendete Reinheit des Herzens und Wandels, 
die wirffamfte Befräftigung feiner Sittenlehre, jo daß er feinen Wider 
fadyern Die Stirne bieten durfte mit den zuverfichtlichen Wort: „Wer unter 
euch kann mich einer Sünde zeihen? * | 


A. 


Der Plan, an deſſen Erfüllung Jeſus mit hingebender Liebe und un« 
ermüdlichem Eifer arbeitete, war, ein Reich Gottes, auch Reich der Himmel 
genannt, auf Erden zu gründen, d. h. eine geiſtige Gemeinſchaft ins Leben 
zu rufen, deren Glieder alle, durch gegenſeitige brüderliche Liebe und kind⸗ 
liche Liebe zu Gott ald ihrem Himmlifchen Vater vereint, einander beiftehen 
in Bekämpfung alles Böſen, in Börderung ihres zeitlichen Wohlergehens 

1) Maith. 9, 20—22. 
2) Matth. 11, A und 8. Joh. 5, 36. 


55 


in ter Vorbereitung auf das höhere Geifterleben jenſeits des Grabes. Die 
hiwmliſchen Güter, deren alle Glieder des Reiches theilhaft werden follten, 
find Berzeihung der Sünden, Friede des Herzens, der Beiftand des heiligen 
Geiſtes zu allem Guten und das ewige Leben in feliger Verklärung. Buße 
und Glauben bezeichnete er als die Erforberniffe zum Eintritt in das Reich 
Gotted. Er verbehlte übrigens nicht, daß dies Reich nur nah und nad 
unter Den Menſchen verbreitet werden könne, und daß auch Unwürdige äußer« 
lich in diefe Gemeinſchaft eintreten werden, — Erſteres im Gleichniffe vom 
Senfforn, Lebtered im Gleichniſſe vom Unkraut des Adler, 

Bon dem angedeuteten Plan erfüllt, durchwanderte er das Land nad 
allen Nichtungen, empfängliche ®emüther für fein Reich zu gewinnen. 
Jenes fhönfte Wort des Alten’ Teflamentd !) in Erfüllung dringend, neigte 
er fi den Armen und Unterdrüdten („Mübfeligen und Beladenen *), ten 
Berftoßenen und Berachteten im Volfe zu („Zöllnern und Sündern*), und 
wenn bier eine Aeußerung perfönlichen Gefühls Taut werden darf, fo fagen 
wir, daß es der fhönfte Moment im Leben Jeſu war, als er mit himm⸗ 


liſchem Erbarmen die Ehebrecherin gegen ihre heuchlerifchen Anfläger in 


Schutz nahm. Bon den Prieftern und Schriftgelehrten, ſowohl phartfätfcher 
als fadtuzaiicher Partei, fühlte er ſich abgefloßen, zumal die meiften der⸗ 
felben theild aus gelehrtem Dünkel, tHeils aus Tugendſtolz von Buße und 
Glauben nichtd wifjen wollten. Dafür hatte er an Nikodemus und Joſeph 
von Arimathea, zwei angefehenen Männern, von denen der Erftere Mit- 
glied des Synedriums war, zwei Breunde, welde nad feiner Kreuzigung 
durch ihre muthige Treue die Apoftel beichämten. 


5. 


Der Apoſtel (Sendboten), welche Jeſus zu Gehülfen ſeines Werkes 
ausgewählt hatte, waren zwölf. Von dem weitern Jüngerkreiſe, aus wel⸗ 
chem er einmal ihrer flebenzig zur Predigt ded Evangeliums audfandte, 


4) Und er fam gen Nazarct, da er erzogen war, und ging in die Eynagoge nadı 
feiner Gewohnheit am Sabbath und fand auf und wollte lefen. Da warb ihm dars 
gereicht das Buch tes Propheten Jeſaia, und da er es aufſchlug, fand er die Stelle, 
wo gefchrieben ſteht: — Der Geiſt des Herrn iſt bei mir und er hat mich gefalht und 
geſandt, zu verfündigen bie frohe Botichaft den Armen, zu Heilen die wunden Herzen, 
zu pretigen den Gefangenen, daß fie [g8 fein follen,, und ven Blinden, daß fie ſehen, 
und ben Urterbrüdten, daß fie frei und ledig fein follen. Lukas 4, 16—18. 


ſind fie zu unterfcheiven als die zwolf Vertrauteſten, denen nad feinem 
Dingang von ter Erde die Reituug ber gläubigen Gemeinde und der evan⸗ 
gelifgen Miffton anvertraut war. Mit feltener Menſchenkenntniß Hatte 
Jeſus die Zwoölfe ausgewählt, hie Einen unter ihnen (Petrus und Andzeas) 
vom Bifchergewerbe, einen Andern (Matthäus), der freilich erſt nach des 
Meifters Hingang eigentlicher Apoftel wurde, von ter Bollftätte wegberufen. 
Das ehrenvolle Vertrauen Jeſu bat. einzig Judas von Iskara getäufct. 
Mit dem prophetiſchen Blick auf jein Kreuz ging Jeſu erſt ein Licht auf über 
den wahren Charakter diejes Mannes. — Indem aber der Meifter feine 
Lehre meift in fprüchwörtlicher oder parabolifher Form vortrug, wurde er 
jelbft von den Apoſteln nicht immer verſtanden. In folchen Fällen erklärt 
ihnen Jeſus Alles aufs Einläßlichſte. Es ſcheint, als habe er dieſe Korm 
der Rede gewählt, um das Volk zum Nachdenken anzuregen und die Em⸗ 
pfänglichen darunter zu veranlaflen, Daß fie Durch Fragen ihm perſönlich 
wäher träten?). Beſonders lange dauerte ed, umd zwar ganz begreiflicdher 
Weiſe, bis ſolche einfache Menfchen, wie die Apoflel waren, das Reich 
Gottes rein geiftig aufzufaſſen vermochten. Ihre weltlichen Borfellungen 
bierüber riefen bisweilen Rangftreitigfeiten unter ihnen hervor, „welcher 
son ihnen der Erſte fein werde im Reiche Gottes“, und naive Bitten Ein« 
gelner (der Zebebälden), „er möge fie in feinem Meiche au feiner Rechten 
und Linken figen laſſen“ . Dann ermahnte der Meifter zur Demuth, 
welche geiftig am meiſten erhöhe und in feinem Meidye zur oberften Hoheit 
verhelfe. Kurz vor feinen Heimgang fragten fie ihn noch: „Her, wirft 
du zu diefer Zeit dem Volke Israel das Reich wieder herftellen ?” 

Bon den Sendboten feines Evangeliums verlangte Jeſus, fle müßten 
diefem Beruf Alles opfern, fich demfelben ohne Rückhalt hingeben in frei= 
williger Armuth und Entbehrung. Er verlangte Died auch von dem weitern 
Süngerfreife,, welcher unter Oberleitung ber Apoftel diejelbe Aufgabe hatte. 
Daran gewähnte er feine Nachfolger, indem er mit ihnen auf feinen Reifen 
gemeinfchaftliche Kafle führte, aus welcher auch Almofen gegeben wurden 
amd deren Derwalter Iudas Iskariot war. Die Menge, welde ſich zu 
feiner Nachfolge drängte, fuchte Jeſus nit nur nicht zu tänfchen, er ver⸗ 
nichtete vielmehr ihre weltlichen Hoffnungen betreffend feine Nachfolge bald 


1) Bgl. Matt. 13, 11-16, 
2) Matth. 18, 1—B. 20, 20—28, 


67 


Einzelnen, ‘bald einer ganzen Verfammlung gegenüber mit ſchneidenden 
Worten 3), überall auf die rein geiftige Beichaffenheit feines Reiches hindeutend. 

Unter den zwölf Upofteln felbft waren die Drei vertrauteften Jeſu 
Petrus, Jakobus und Johannes. Dieje drei allein waren Zeugen feiner 
die Auferfiehung vorbildenben - Verflärung auf dem Berge. Den Simon, 
zubenannt Kephas oder Petrus (Fels), hatte Jejus offenbar zum Haupte Der 
Apoftel beftimmt. Nah Johannes (1, 43) hatte Jeſus tem Simon glei 
beim erften Zufammentreffen den bedeutungdvollen Beinamen gegeben ; nad) 
Matthäus (16, 16 fg.) verleiht er ihm dieſen Beinamen auf das Bekenntniß 
hin: „Du bift der Ehriftus, der Sohn des Iebendigen Gottes!“ und zwar 
mit den Worten: „Du biſt' Petrus, und auf diefen Fels will ich meine 
Kirche bauen, und die Pforten der Hölle werten ihn nicht überwältinen .“ 
Mir finden dann aud in der That den Petrus in der Apoftelgeihichte immer 
ald den Erften der Npoftel. Am Pfingftfefte tritt er allein und guet mit 
der Predigt des Evangeliums vor das Volf. 


6. 

Mit feinem Plan, das Reich Gottes auf Erben zu gründen, bing 
genau zufammen dad Auftreten Jeſu ald das Haupt dieſes Reiches, nämlich) 
ald ter Chriſtus oder Meſſias, der Befalbte Gottes, womit die Be⸗ 
zeichnungen „Sohn Gottes, Sohn Davids“ im N, T. ganz die gleide 
Bedeutung baben. Aus. der Brage des Kafaphas an Iefum: „Bit du 
der Chriſtus, der Sohn tes lebendigen Gottes?“ erhellt, daß die Juden 
jener Beit glaubten, der Chriſtus werde Gottes Sohn fein. Man gedachte 
biebei wohl der Stellen in Pſalm 2, 7: „Der Herr hat zu mir gejagt: 
Du bift mein Sohn; heute babe ich dich gezenget;* ferner bei Jeſaia 9, 5, 
wo der verheifene Netter genannt wird „ſtarker Bott“; endlich bei Daniel 


I) Marf. 8, 34. Matih. 8, 19-22. Joh. 6, 68. 66. Ruf. 14, 2538. 

4) Diele Hier nicht vollfländig angeführte Stelle ift es befanntlih, worauf 
die Gewalt des Papftes (als Nachfolger Betri) fih gründe. Die Auslegung der 
ganzen Stelle V. 17—19 lautet: „Du wirft die Hauptflüge der Chriftengemeinde 
fein und diefe wird von der Macht des Vöfen nie überwunten werden. os bu hies 
nieden an das Reich ter Himmel binden (in daflelbe aufnehmen) wirt, das wird auch 
im Himmel demielben angehören, und was du auf Erden davon trennen wir, wird 
auch jenjeits von demfelben getrennt bleiben. Darin beftcht vie „Schlüffelgewalt“ 
Petris. — 


58 


7, 13—14, wo der Menihenfohn, dem alle Gefchlechter und Völker und 
Zungen ewig dienen follen, in den Wolfen de8 Himmels herniederkommt. 


Was den orientalifchen Brauch angeht, welcher Liefer Bezeichnung des 
Meiflas zu Grunde liegt, fo berief ſich Jeſus felbft Darauf (Joh. 10, 34), 
daß Pialm 82, 6 die Häuptlinge des Volkes Götter genannt werden. 8 
fällt die mit der morgenländiihen Anſchauung zufamnen, wonad die 
Könige — (und der Meſſtas follte ja ein König fein) — Gottes Stellver⸗ 
treter auf Erden waren. Im Uebrigen war feine Idee vom Meſſias 
der hergebrachten diametral entgegengejegt. Sein Neid follte Fein welte 
liches fein und demnach auch nicht vermittelft ded Schwertes, fondern ver⸗ 
mittelft des Geiſtes begründet werden. | 


Der ihm Far bewußte Unterichied zwifchen tiefer Auffaflung des Meſ— 
flasthumd und der populären fcheint ſtets eins der Hauptmotive ſeines Hanse 
delnd geweſen zu fein. Daher hat er es auch vorfichtiger Weiſe vermieden, 
fi) auetrüdlih al8 ten Ehriftus zu befennen, bevor er feinen befannten 
feierlichen Einzug in Jerufalen hielt. Er begnügte ſich, als Chriftus zu 
lehren und zu wirfen, um fo Jedermann fehen und hören zu laffen, was 
von dem verheißenen Gottesreiche zu erwarten und was von dDemielben nicht 
zu hoffen fei._ War dad Gottesreich einmal geiftig aufgefaßt, fo mußte die 
geiftige Auffaffung aud auf den Meſſias übergeben und er Tann ald Meſſias 
erkannt werden, ohne daß er fih ausdrücklich dieſe Würte brilegte. Wäre 
er aber fofort mit Behauptung feiner Chriftuswürte aufgetreten, jo hätte 
die Menge ibn wahricheinlich mit Gewalt zum Könige maden wollen, das 
dur aber feinen Hauptzweck vereitelt und ſich felbft vorzeitig ind Unglück 
geftürzt. Jeſus wollte den weltlichen Meſſiashoffnungen nicht von ferne 
Nahrung darbieten,, eben fo wenig e8 wagen, Tenjelben gleich Anfangs ent⸗ 
gegenzutreten,, fondern fein Volk allmälig zur wahren Auffaffung ter Meſ⸗ 
flaswürde erziehen. Daß er diefen Plan verfolgte, beweift feine Srage 
an die Apoflel: „Wer fagen die Leute, daß ich ſei?“ Die Antwort fiel be= 
kanntlich unrichtig aus, worauf er die Apoftel ſelbſt um ihre Meinung fragte 
und von Petrus die richtige Antwort erhielt. Nah Marf. 8, 30 und Luk. 
. 9, 21 verbot er dann den Jüngern ernfllih, Jemand zu jagen, daß er der 
Ehriftus fei, und wenn Befefjene ihn Sohn Botted nannten, legte er ihnen 
Stillfhweigen auf). 


1) Mark. 3, 11. Luk. 4, 4. 


59 


Mit dem Einzug in Ierufalem begann Jeſus den Iegten. entfcheidenden 
Abſchnitt feines meſſianiſchen Werkes. Er ging mit prophetifcher Gewiß⸗ 
heit feinem Tode entgegen und brauchte von da an feine Würde nicht mehr 
zu verfchweigen. Auf dem @felsfüllen, begleitet von ben Iüngern, hielt 
er feinen feierlichen Einzug, dadurch ſich finnbildlih al8 den Meſſias Fund 
zu geben. Das Volk, durch die Art feines Einzuges an die meſſtaniſche 
Stelle beim Propheten Zacharias 2) erinnert, verfland die Kundgebung und 
begrüßte ihn als Meiftad mit dem Rufe: „Hoflanna dem Sohne Davids! 
Bepriefen fei, der da Fonımt im Namen des Herrn! Geprieſen ſei im 
Namen des Herrn dad fommentde Reich unferd Baterd David !* Sie ahnten 
nicht, daß;er komme, ſtatt des Thrones die Richtftätte zu befteigen und eine 
Dornenkrone auf fein Haupt zu feßen. Daher die Wuth der Enttäuichung, 
als"fte ihn gebunden vor Pilatus fahen: — „Kreuzige, Ereuzige ihn!* 
Nah feinem Einzug in Jerufalem nannte er ſich im prophetifchen Gleichniß 
von den Weingärtnern Gottes Sohn, und zwar feinen Gegnern gegenüber, 
welche hierauf die Anflage der Gottesläfterung gründeten. 


7. 


Mir find in diefer Darftellung betreffend Behauptung der Chriſtus⸗ 
würde von Seiten Jeſu den Synoptifern gefolgt; unferm Verſprechen ges 
mäß haben wir jedodh auch die ganz abweichende Erzählung des Johannes 
zu geben. Dieſem zufolge hat Jeſus nicht bloß eine, Sondern drei Reifen 
nach Jeruſalem unternommen 1). Bei Gelegenheit ter erftien nahm er die 
energiihe Neinigung des Tempeld vor und zwar unternahm er dieſe Reife 
unmittelbarnad feinen erften, bei der Hochzeit zu Kanaan verrichteten, von den 
Synoptikern nicht erwähnten Wunder. Seinen feierlihen Ginzug in Ierus 
jalem ald Meſſias laßt ibn der vierte Evangeliſt nach der dritten Feſtreiſe 
halten. Bei Johannes wird Jeſus gleich von vornherein ald Meiflad aner- 
fannt, indem diefer Evangelift ſchon im Kap. 1, 42 den Andreas zum 
Simon fagen läßt: „Wir haben den Meiflad gefunden”. Der Samariterin 





2) Rap. 9, 9. Frohlocke laut, o Tochter Zion! Jauchze, o Tochter Jerufalem ! 
Eiche, zu dir fommt dein König, der Gerechte, der Heiland. Demüthig iſt er; er 
reitet auf einem Efel und auf dem jungen Füllen der Efelin. 

1) Die Synoptifer verlegen den Hauptfchauplag des Wirkens Jeſu nach Galiläa 
und laſſen ihn nur das eine Mal, wo er den Tempel reinigt und hierauf den Kreuzes⸗ 
tod erleidet, nach Serufalem kommen. 


60 


am Brunnen gibt ſich Jeſus ſofort als den Meſſias zu erkennen, nimmt 
auch von den übrigen Samaritern die Anerkennung als Chriſtus entgegen, 
und bei ſeinem zweiten Aufenthalt in Jeruſalem urtheilt bereits ein Theil 
des Volkes: „Er iſt der Chriſtus“ 2). Ganz offen endlich nennt ſich 
Jeſus Gottes Sohn Joh. 10, 30 und 36, ebenfalls während! ſeines zweiten 
Aufenthaltes zu Jeruſalem. Deßwegen findet ſich im ganzen Johannis- 
evangelium Feine Spur von einem Verbot, ihn als den Chriſtus befannt zu 
maden, und das Bekenntniß Petri 3) iſt ganz anders erzählt, ale in r ben 
Eynoptikern 4, 


B. . 


Gewöhnlich nannte fih Jeſus den „Sohn des Menſchen“, dadurch 
andeutend, daß er der Menfchheit angehöre mit feinem Leben und Sterben 
und ald Menſch unter Menſchen wantle. Wir wollen daher, bevor wir dem 
Ausgang feiner Schickſale ſchildern, noch von feinen Verbältniffen zu den 


verſchiedenen Klaflen feiner Zeitgenofjen und ber reinmenſchlichen Seite ſeines 


Charakters reden. 

Als Brüder Jeſu werden Jakobus, Joſes, Simon und Judas genannt; 
ſte waren natürlich alle jünger ald er. Auch Schweſtern hat er dem Mar⸗ 
tus (6, 3) zufolge gehabt. Anfangs glaubten feine Brüder nit an ihn). 

Jeſus war von Haufe aud arm; feine Aeltern hatten bei der Darftellung 


im Tempel nur Tauben für ihn opfern können. Das Geſchick, in Dürftige 


feit großzuwachſen und arm zu leben und zu fterben ‚ bat er mit den meiften 
wahrhaft guten und großen Menſchen getheilt. Die rechten Helden ber 
Menfchheit finden nie ihren Kohn; wahrfheinlich, weil Fein Lohn ihrem 
Verdienſte gleihfomnt. Sefus nahm feine Bezahlung für feine Heilungen, 
dagegen ließ er fich gaftfreundliche Einladungen: und freiwillige Gaben von 


2) Joh. 7, 4. 

3) Joh. 6, 66— 71. 

4) Ganz confequent finden wir die Notiz, das Volk habe Jeſum zum Könige 
machen wollen, audy nur bei Johannes (6, 18). 

1) Joh. 7, 5. Man bat mit diefer Stelle die der Synoptiker, wo Maria und 
die Brüder mit ihm reden wollen, aber von ihm abgewieſen werden, in Verbindung 
gebracht, als Hätten ihn Mutter und Brüder von feinem fühnen Auftreten abzumahnen 
geſucht. Bol. Mark, 3, 31. Als die Kirche das Mariatogma fo zu fagen zur Bafis 
ber gamen Dogmatit machte, mußten. in Folge eines exregetiichen Machtipruches die 
Brüder Jeſu zu „„Betiern‘‘ und die Schweftern zu, Baſen““ werben. 


61 


Selten der Gläubigen bereitwilfig gefallen. Selbſt von Pharkfäern ließ er 
fih einladen, zeigte ihnen jedoch dentlich, daß er feinen Schmaus mit 
Schmeichelei bezahle. Don einem Sonderling hatte er durchaus Nichts an 
fih; er aß und tranf wie gndere Leute und mußte in Bolge deffen erfahren, 
wie die Scheinheiligen ihn einen Freſſer und Weinſäufer“ ſchalten 2). Bon 
feinen Jüngern verlangte er fein regelmäßige8 Faſten, noch die Beobachtung 
Fleiner Ceremonien, eben fo wenig eine durch pharijätiche® Üleglement be⸗ 
engte Sabbathäfeier. Freiſtanig fegte er fich über dergleichen Engherzige 
feiten hinweg und gab zu verfiehen, daß man, von einem neuen Geiſte er⸗ 
füllt, der alten Formen nicht mehr benöthigt fei?). Es iſt geradezu köſtlich 
zu hören, wie er bei jeder Gelegenheit die Formenreiter, Wortflauber und 
Geremontermeifter geißelte. Seiner Strenge nach diefer Seite hin entſprach, 
wie Schon berührt worden, fein mildes Erbarnen mit Schwäche und Fehl. 
Unerbittlih gegen die Tugendheuchler, war er gegen Irrende in Wort und 
That voll liebevoller Großmuth, und Humaneres als feine Parabeln vom 
verlorenen Schafe und vom verlorenen Sohn mag nicht gefunden werden. 


9. 


Neben diefem humanen Zug in feinem Charafter fällt der weltbürger- 
Tihe auf, welcher zur fjüdiihen Bornirtheit und Engherzigkeit einen fo 
ſchönen Gegenſatz bildete. Seinen periönlicdhen Wirkungskreis zwar be⸗ 
ſchräänkte Jeſus auf Paläftina, aber ſeinen Jüngern gab er Auftrag und 
Vollmacht, „bis an die Gränzen der Erde” die frohe Botſchaft zu tragen. 
Wo er bei Nichthebräern Vertrauen und Glauben fand, empfand er dop⸗ 
“ pelte Befriedigung und zu wiederholten Malen hat er geweiffagt, daß fein 
Reich unter den Heiden größere Ausbreitung gewinnen werde als unter den 
Juden !). ' 

Trotzdem kann es feinem Zweifel unterliegen, daß er auch patriotiſch 
fühlte, und deßhalb ein Regiment, wie das des „Fuchſes“ Heroded 2), von 
Herzen verachtete. Die welthiftorifche Miſſion Roms muß ihm Mar geweſen 
fein, denn er ließ feinen Haß gegen die Römer bliden. Im Gegentheil, 
in der befannten Gedichte von dem Zinsgroſchen anerkannte er ausdrücklich 


— — — — — 


2) Matth. 109, 19. | 

3) Marf. 2, 22. Luk. 8, 37. 

4) Matth. 8, 5—12. 185, 21-28. 21, 43. Joh. 10, 16. 

2) Luk. 13, 31 und 32. \ 


62 


die Berechtigung der römiſchen Weltherrichaft, flellte aber zugleih dem 
Mömerreih ein Gottesreih entgegen, dem politiſchen Realismus den reli⸗ 
giöſen Idealismus. 

Mit einem die Tiefen der Weltgeſchichte durchdringenden Blicke erkannte 
er ſeine Lehre als das hiſtoriſche, allein lebenskraͤftige Ergebniß des Hebrais⸗ 
mus, dieſen aber, getrennt von dem Chriſtenthum, als einen der hiſtoriſchen 
Entwicklung zum Opfer geweihten, abgeſtorbenen Organismus. Dieſer 
große Gedanke blickt aus den wenigen Worten, die Jeſus auf dem Beg zum 
Kreuze ſprach: — „Wenn dad am grünen Holze geichieht, was wird am 
dürren geſchehen?“ 
| Ein folder Monn mußte Beinde haben: das ift der Lauf der Welt. 

Wie jeder ungewöhnliche Charakter, wurde er viel geliebt, aber mehr noch 
gehaßt. Seine erklärten Feinde waren befanntlidy die meiften Priefter und 
die Schriftgelehrten phartfäiicher wie ſadduzäiſcher Partei. Zunächſt fühlten 
fih beide Sekten von ihm abgefloßen durch den Gegenfag feiner Lehre gegen 
beide. Die Pharifäer fonnten ihn nicht verzeihen, Daß er ihrem Gere- 
monienwefen entgegentrat, bejonderd daß er die Sabbathfeier jo menſchlich 
frei auffaßte ?); die Sadduzäer hingegen Argerten ſich, daß er mit fo großem 
Erfolge die Unfterblichfeit der Seele lehrte. Noch mehr erbitterte die 
Pharifaer fein Umgang mit Zöllnern und Sündern, feine Kühnheit, womit 
er vor allem Volk die phariſäiſche Heuchelei entlarnte, feine Ermahnungen 
zu Bejcheidenbeit, Demuth und Herzensreinheit. Nicht wenig plagte fie 
ferner der Neid wegen feiner zahlreichen Heilungen, weldje fte der Beihülfe 
Beelzebubs zuichrieben, und wegen der großen Volfömenge, die ſich zu feinen 
Lehrvorträgen drängte, ihm fogar in die Wüſte folgte. Am Herzen der 
Phariſäer und Sadduzäer nagte die öffentliche Beſchämung, welche fle da= 
vontrugen, fo oft fie Jeſus durch häflige Fragen ind Gedränge zu bringen 
ſuchten. Begreiflih, daß Neid und Rachſucht diefer Mächtigen balt die 
Entdeckung madıten, Religion und Staat feien in Gefahr. Die Pharifäer, 
denen es fonft auf einen Aufruhr mehr oder weniger nicht anfam, fürdhteten 
auf einmal das Einfchreiten der Römer, wenn man den Rabbi von Nazaret 
länger gewähren .laffe, und legten in der Unklage vor Pilatus eine diefem 
ſelbſt erftaunlihe Loyalität gegen den Kailer an den Tag. Die ganze Ma- 
nier, womit die jüdifche Priefterfchaft die Prozedur gegen den großen Re— 


3) „Der Sabbath ward um des Menſchen willen, nicht wc Zuufh um des 
Sabbaths willen‘. Mark. 2, 27. 


63 


former einleitete und turdführte, ift Hinlänglich charakterifirt, wenn man 
fie eine mufterhaft priefterlich-diplomatiiche nennt. Sid darüber zu ercifern, 
if fein Grund. Die jüdiſche Prieſterſchaft thar nur, was in ähnlichen 
Fällen jete Prieſterſchaft gethan hätte und thun würde 4). 


10. 


Sämmtliche Evangelicn erzählen, daß Jeſus die Art feines Leidens und 
Sterben lange vorausgeſehen, felbft zu wiederholten Malen vorausgefagt, 
und Daß er die Pläne ſeiner Beinde, wie dad Vorhaben ded Judas gekannt 
babe. Sie beridyren ohnedies noch viele andere Prophezeiungen Jeſu, unter 
welchen fi) beſonders diejenige auf die Zerftörung Jeruſalems auszeichnet, 
welcher eingetent fi die Chriflen, als das Kriegägewitter heranbraufte, 
aus Ierufalen entfernt und nad Pella geflüchret Haben. Meift bezogen ſich 
Jeſu Prophezeiungen auf das Shidjal feined Reiches auf Erden, wie z. B. 
in den Gleihniffen von Senfforn, vom Unfraut ded Aderd, vom Sauer 
teig, vom Nege, von den Weingärtnern. Einen prophetifchen Blick in 
die Tiefen des menjchlihen Herzens jchreiben Jeſu alle Evangeliſten zu; 
Sohannes läßt ihn außerden dem Nathanael und der Samariterin am Brunnen 
Thatfahen aus ihrer Vergangenheit enthüllen. Ein Verfud, den Meifter 
von feinem Entichluffe, freiwillig Dem Kreuze entgegenzugeben, abzubringen, 
ward von ihm mit Entſchiedenheit zurücyewiefen 1). Uber, ob er auch 
längft feinen Entſchluß gefaßt, hatte er in Gethſemane furz vor feiner Ge— 
fangenncehmung nod) einen harten Kampf zu beftchen, biß der Icgte Todes⸗ 
fhauer feiner menſchlichen Natur überwunden war. Daß Jeſus freiwillig 
ſeinem Tode entgegenging, finden wir überall betont als einen Umſtand, der 
für die Geſtaltung der Erlöſungslebre von höchſter Bedeutung ift?). Als 
Gedächtnißfeier feines erlöjenten Leidens ftiftete er in der Nacht, bevor er 
gefingen genommen ward, dad Abendmahl. Johannes erwähnt der Stif- 
tung deffelben nicht, ſondern gibt an deffen Stelle die Erzählung vom Fuß— 
waschen. Kurz vor der Stiftung des Abendmables entlarote Jeſus feinen 
Verräther mit jener ftillen Traurigfeit und Geiſteshoheit, weldye den Elen= 
ben ſchnell aus Tem Kreije der Getreuen wegicdeudhte. 


4) „Der Jude (Keger) wird verbrannt!’ Darin ſtimmen Kajaphas, Torques 
mada und Calvin brüterlich mit Leſſing's Patriarchen überein. 

4) Mark. 8, 27-33. 

2) Matth. 20, 28. 26, 52—856. Joh. 15, 13. 10, 17—18. 








64 


Es war am Abend des Donnerſtags in der Woche, in welder die 
Juden daß Feſt der ungeiänerten Brode feierten, als Jeſus mit den Apoſteln 
das ledte Paffahlamm af. Nach der Stiftung des Abendmahls fagte er den 
Apofteln ihre Schwäche und Berftreuung, dem Petrus ſeine Verlaͤugnung 
voraus, aber Keiner wollte ihm glauben. Dann ſchloß er die Feierlichkeit 


mit einem Lobgeſang und zog naͤchtlicher Weile mit den Apoſteln hinauf an 


den Oelberg, in den Baumgarten Bethfeinane. Hier verharrte er tn Ge⸗ 
bet, bis die Sendlinge des hohen Rathes, geführt von Judas, ſich zeigten. 
&r floh nicht, fondern ging ihnen mit gefaßtem Muthe entgegen. Judas 
machte der nach ihm benannten Sippfchaft Ehre durch den Verrätherkuß, 
wemit er den Meifter Eennzeichnete als den, welden die Motte zu ergreifen 
habe. Ihm warf Jeſus mit fanften Worten den Verrath, den SKriegerm 
die Feigheit ihres nächtlichen Einherſchleichens vor, mahnte Die Apoftel von 
aller Gegenwehr ab und ließ fich geduldig vor dad Synedrium führen ?), Die, 
falfchen Zeugen, welche man gegen ihn vorbrachte, widerſprachen ſich; erſt 
als Jeſus freiwillig und muthig befannte, er fei ter Chriſtus, fanden fle 
einen Grund, nämlich Gottcsläfterung, das Todesurtheil über ihn zu fällen. 


In Gegenwart des hohen Rathes, vielleicht von Rathsqliedern ſelbſt 4). 


ward Jeſus nun aufs Empörendſte mißhandelt. 


Da das Synedrium zu jener Zeit ein Todesurtheil zwar fällen, aber 


ohne Beiſtimmung des römiſchen Landpflegers nicht vollziehen durfte, ward 


Jeſus vor den Richterſtuhl des Pontius Pilatus geführt. Dieſer erkannte 
nach einigen kurzen Fragen ſeine Unſchuld und ſuchte ihn zu retten, obwohl 
Jeſus ihm mit dem sollen Bewußtſein meſſtaniſcher Würde antwortete und 
fi in feiner Weife zu irgend einem Widerruf oder zu einer Bitte herbeis 
lieg. Daß während der Verhandlung des Pilatus Gemahlin infolge eines 
warnenden Traumes Fürbitte für Jeſus einlegen ließ, erzählt Matthäus, 
daß Pilatus ihn zu Herodes geſendet habe, berichtet Lukas allein. Als die 
öffentliche Erklärung der Unſchuld Jeſu und ſodann die Zumuthung an das 
Volk, den Angeklagten ledig zu bitten, Nichts half, ſondern die von den 
Synedriſten aufgewiegelte Menge, nah Urt einer urtheilsloſen, niedere 
trächtigen Menge, ſtets lauter ihr: An’d Kreuz mit ihm! ſchrie, übergab 








3) Nur Johannes erzählt, Jeſus fei zuerft zu Annas, dem Schwirgervater des 
Kajaphas, ins Verhör geführt worden. | 
4) Matth. 26, 66-67. Mark. 14, 64—68. 





Pilatus ben Berurtheilten feinen unerbittlihen Feinden zur Ginrichtung, 
damit nicht etwa ein Aufruhr entflande. Zugleich aber wuſch er, nach Art 
der Achfelträger, vor allem Volke feine Hände, diefer fombolifchen Hand⸗ 
lung die Worte beifügend: „Ich bin unfdhuldig an tem Blut diefes Ge⸗ 
rechten ; ſehet Ihr zu“ 5). 

Gottesläfterung und Aufruhr gegen den Kaiſer in Anmaßung ter 
Königswürde über Judäa, das waren die zwei Klagepunfte, welche der bohe 
Rath vor Pilatus gegen Jeſus geltend gemacht. Um den erften dieſer Punkte 
hat fi der Zandpfleger, in fouverainer Verachtung defien, was die Römer 
jüdifchen Aberglauben zu nennen gewohnt waren, ficherlih wenig befüm- 
mert ; der zweite mußte ihm ald DBerleumdung ericheinen, da er aus Erfah- 
rung wußte, daß tie Ankläger Ieju jonft gar nicht jo eifrige Anhänger des 
Kaiſers waren, wie fie ſich fett anftellten. Obwohl ihn alio die bloße 
Furcht zur Verurtheilung Jeſu bewog, überließ er ihn doch ſchutzlos der 
Rohheit feiner Kriegsknechte, welche, der Chriftuswürde jpottend, ihn 
einen Purpurmantel umhingen, eine Dornenfrone auffegten, ein Rohr als 
Szepter in die Hand gaben, die Kniee vor ihm beugten und ihn dann wies 
derbolt anſpieen und ſchlugen. Unmittelbar vorher hatte Pilatus, nad) 
römiſcher Sitte, ihn noch geißeln laſſen. Johannes freilich läßt diefe 
Geißelung und Berfpottung der Verurtbeilung vorangehen und erzählt, 
Pilatus habe den Mighandelten in jeinem erbarmungswürdigen Zuftande dem 
Volke vor Augen geftellt, Mitleid für ihn zu erregen 6). 

Nachdem Jeſus die ganze Nacht hindurch den Verhören und Mißhand— 
[ungen auögefegt geweien, ward er zur Kreuzigung hinaudgeführt. Simon 
von Kyrene, der eben vom Felde kam, mußte von Den Mauern der Stadt 
bis nad) Golgotha dem Ermatteten dad Kreuz tragen”). Die Klage Jeſu 
über die Mütter Ierufalemd während feiner Hinausführung iſt dem Evans 
gelium des Lukas eigenthümlich ®). Laut den ſynoptiſchen Evangelien ward 
Jeſus Morgend um 9 Uhr, nad Johannes Mittags um 12 Uhr inmitten 
zweier Mörder and Kreuz geichlagen. Den betäubenten Myrrhenwein wies 
er zurüd, ertrug die Qual des Kreuzes mit ftiller Geduld, betete für bie 


5) Matth. 27, 24. 
6) Joh. 19, 1— 8. 
7) Johannes erwähnt diefes Umfangs nicht, :fondern läßt Jeſum das Kreuz 
felber trage > 
8) Luf. 23, 28, 
Scherz, Geſch. d. Religion. III. 5 


66 
höhnenden Todfeinde um Vergebung, empfahl dem Johannes feine Mutter 
Maria, tröftete den reumüthigen und gläubigen Mitgefrenzigten?). Drei 
Stunden hatte Jeſus am Kreuze gelitten, da kam eine Finſterniß über das 
ganze Land, welche von 12 bis 3 Uhr währte. Man fihreibt dieielbe, da 
das Paſſah immer zur Zeit des Vollmonds gefeiert ward und eine Sonnen⸗ 
finfterniß um den Vollmond unmöglich ift, auch weil nach den Synoptikern 
der Borhang im Tempel von oben bis unten entzwei riß, nach Ratthaͤus 
aber ein Erdbeben flattfand, den auffleigenden Dünfen und Staubwolken 
bed erfchütterten Erdbodend zu. Gegen dad Gnde der Finſterniß begann 
Jeſus mit lauter Stimme den 22. Pſalm zu beten: „Wein Gott, mein 
Gott, warum haft du mich verlafſen!“ Der nahende Tod unterbrad ihn. 
Sein letztes Wort war: „Es ifl vollbracht! Vater, in deine Hände hefeble 
ich meinen Geil!” . | 

Johannes thut weder der Binfterniß, noch des angeführten Gebetes 
Erwähnung. Seiner Darftellung zufolge rief Iefus: „Mich dürfte!“ 
worauf ihm ein Schwamm voll Effig gereicht wurde. Nach dieſer Labung 
endete er mit dem Furzen Ausruf: „Es iſt vollbracht!“ Johannes fügt diefer 
Erzählung hinzu, daß ein Kriegsknecht, um zu prüfen, ob Iefus wirklich 
ſchon todt wäre, ihn mit dem Speer in die Geite geflohen habe. 

So ſehr alle dieſe Darftelungen von einander abweichen, Sefus von 
Nazaret leidet und flirbt vor unjern Augen mit ungetrübter Hoheit des 
Geiſtes. Seinen Leichnam erbat fih Iofeph aus Arimathea von Pilatus 
und beftattete ihn niit Beihülfe von zwei gläubigen Frauen in feinem eignen, . 
in Felſen ausgehauenen Grabe. Johannes nennt aud den Nifodemus als 
Theilnehmer an der Beftattung Iefu. Preitag Abends vor 6 Uhr war das 
Grab gefchloffen. Matthäus berichtet, Pilatus Habe auf Betrieb der Hohen⸗ 
priefter und Pharifäer eine Wache vor die Gruft gelegt. Wenn bdiefes in 
der Abſicht geihah, allfällige Demonftrationen der Anhänger des Gefreu= 
zigten an feinem Grabe zu verhindern, fo war es fehr überflüffig. Die 
Jünger waren entmuthigt, zerftreut, ſchon bei der Gefangennehmung Jeſu 
entflohen. Selbſt der Fels (Petrus) hatte in ber ſchweren Prüfung ge- 
wanft und feinen Meifter verleugnet, während der Verräther Judas fidy 
verzweifelnd den Tod gegeben. Das Werk Iefu fhien mit feinem Leben 
vernichtet. r 


.——— 


9) Wir haben hier die verfchiedenen Darſtellungen zuſammengefaßt. Matthäus 


11. 


Daß bie zerſtreuten Apoſtel und Jünger ſich wieder janımelten, Helden: 
fraft und Todesmuth gewannen, Dad Evangelium durch den Erdkreis zu 
verbreiten, ſchreibt das Neue Teſtament der Auferfiehung Jeſu von den 
Tobten zu. Die Nacht vom Ffeitag auf den Samſtag, den großen Sah— 
barh und Die darauf folgende Nacht hindurch Tag er im Grabe. Am Sonn- 
tqg frühmorgens, ale etliche Jüngexinnen zum Grabe kamen, fanden fe 
Daffelbe offen und den Leichnam Jeſu nidt mehr darin). ngelerichei« 
nungen jedoch verfündigten ihnen. die Auferflehung des Gefreuzigten. 
Hierauf erfebien Der Auferflandene Einzelnen, Die das große Greigniß ten . 
Apoſteln verfündigten ; aber ihre Erzählung fand feinen Glauben, bis Jeſus 
ſelbſt den verſammelten Apoſteln erſchien. Soweit flimmen Die Berichte 
überein. Die einzelnen Erſcheinungen Jeſu aber werten ſehr verſchieden 
erzählt. Die meiften derielben hatten in: Jerufalem und deſſen Umgebung 
fatt; nur Matthäus und Johannes berichten auch von Erſcheinungen in 
Galiläa2). Irfus war aus dem Grabe auferftanden, aber jein Körper 
zeigt nicht mehr ale Kigenichaften eines menschlichen Leibeg. Bei ver 
ichloffenen Thüren tritt er plöglic mitten uuter Die Apoftel, von ten Zweien 
in Emmaus, die ihn lange nicht erfannt, „kommt er ungeſehen hinweg.“ 
Ungeachtet der Verwundungen am Kreuze erſcheint er bald in Jeruſalem, 
bald in dem entfernten Galilän. Vierzig Tage nah der Auferſtehung 
endlich fchwebt er zun Himmel empor, wie Paulus annimmt 3), mit vers 
Elärtem Leibe. Cr aß während Ter vierzig Tage nur noch, um zu zeigen, 
Daß er fein £örperloies Geſpenſt feit). ine klare Reihenfolge ter Er- 
fcheinungen Jeſu läßt fid) aus den Evangelien nicht herſtellen; Paulus hin⸗ 


und Markus ſagen ſreilich, beide Mitgekreuzigien hätten Jeſus verhöhnt. Johannes 
chweigt über das Benehmen derſelben. 

1) Es iſt ein tiefſchöͤner Zug in den evangeliſchen Berichten, daß fie die Anz 
hänglichfeit der Frauen an den Gefreuzigten über Tod unt Grab hinaus fortdauern 
laflen. 

2) Bei Markus verheißt zwar ber Engel auch) Erſcheinungen in Galiläa, aber 
es wird deren feine austrüdlich angeführt. 

3) Philipp. 3, 21. 

4) Luk. 24, 3643, 

5% 


68 


gegen macht den Verfuch einer ſolchen Darflellung 5), welche jedoch mit ben 
Berichten der Evangelien auch nicht leicht zu vereinbaren iſt. 

Die Himmelfahrt, welche vom Oelberg bei Ierufalem aus gefchehen 
fein foll, finden wir in den Evangelien und Briefen häufig angedeutet, fürm- 
ih erzäpft nur in den Evangelien des Markus und Lufad und in der Apo⸗ 
ftelgefchichte. Jedenfalls war die Auferſtehung und göttliche Erhöhung Sefu 
allezeit die Grundlage der apoftolifchen Predigt). Bei den Erfcheinungen 
vor den Seinigen wirfte Jeſus befonderd auf Befefligung des Glaubens und 
Ermuthigung Hin, ertheilte den Apoſteln Vollmacht zur Ausbreitung des 
Himmelreiches auf Erden, fegte die Taufe ald Zeichen der Aufnahme in die 
Gemeinfchaft der Gläubigen ein, verhieß die Ausgießung des heil, Geiftes, 
ber die Sendboten des Erangeliumd erleuchten, tröften und mit Wunder⸗ 
fräften ausrüften werde, und ordnete an, daß die Gläubigen vereint in Je⸗ 
rufalem diefe Feuertaufe erwarten follten”?). Lukas hebt in den even bes 
Auferftandenen befonters hervor die Belehrungen, wie fein Leiden, Sterben 
und Auferfiehen in den Schriften des A. T. geweiflagt fei. Als Pfingften, 
das Erndtefeft der Juden, erichienen war, Fam unter Sturmgebraufe in Ge- 
ftalt feuriger Zungen der heil. Geift auf die verfammelten Gläubigen her⸗ 
nieder, wandelte ihr Innerfled um und verlich ihnen bie verheißenen Wun⸗ 
dergaben, unter denen in der Apoſtelgeſchichte befonders die Sprachengabe 
hervorgehoben wird. Bon da an und zwar fofort begannen die Apoftel die 
Verfündigung des Evangeliums 8), 

85) 1. Kor. 18, A—8, 

6) 1. Kor. 15, 1 — 11. Apoſtelgeſch. 4, 9— 11. 5, 30— 31. 23, 6—9. 

7) Nach Johannes verheißt Jefus den Heil. Geift vor feiner Kreuzigung und teilt 
denſelben nad der Auferfiehung durch Anhauchen mit. 20, 22. Die Stellen 
Matth. 10, 20 u. Luk. 11, 13 enthalten feine wirflihe Weiffagung des Pfingſt⸗ 
wunders. 

8) Von ſeinem erſten Auftreten an bis zur Ausgießung des Geiſtes umfaßt das 
ganze Wirken Jeſu ungefähr drei Jahre. Sein Tod wird demzufolge in das Jahr 783 
nah Roms Erbauung gefegt (nach Lionyfifcher Zeitrechnung in das Jahr 787). 





— — 





Fünftes Kapitel. 
Die Lehre Jeſu Chriſti. 


1. 


Jeſus nannte feine Lehre mit Einem Wort das Evangelium). In 
welcher Form er feine Lehren vortrug, haben wir zum Theil bereitd erwähnt, 
machen aber hier noch aufmerkffam auf die Paradorie vieler feiner Ausſprüche, 
welche darin befteht, daß durch Uebertreibung in den Ausdrüden der dem 
Sprühmwort inwohnende Gedanfe um fo fchärfer hervorgehoben wird. Das 
(Scheinbar unfinnige) Paradoxon iſt vornämlich beftimmt, das Nachdenken 
anzuregen und irgend einen gewichtigen Gedanken in der Seele des Leſers 
oder Zuhörer tüchtig zu befeftigen. Wer nicht im Stande ift, Paradorien 
zu verftehn, wird an Ausfprüchen Jeſu, wie Matth. 5, 29 — 30; 39 - 42; 
19, 24. Luk. 6, 30. Joh. 6, 53 — 56, ſchweren Anftoß nehmen. 

Größere Lehrvorträge Jeſu finden ſich beſonders zahlreich im Johannes⸗ 
evangelium. Bon hoher Wichtigkeit ift die Bergpredigt Matth. cap. 5— 7, 
welche bei Lukas?) in bedeutend veränderter Geftalt erfcheint, dort aber freie 
lich als eine auf der Ebene gehaltene Rede bezeichnet wird. Man bat fie, 
nicht unpaflend, das Geſetzbuch des Neiches Gottes genannt. 

Was den Inhalt der Lehre Iefu betrifft, fo müffen wir zuvörderſt von 
derfelben einen Vorſtellungskreis, welcher mit ihrem Ideengang in Feiner 
nähern Beziehung fteht, in ten Auafprüchen Jeſu nur nebenhin berührt wird 
ud ohnedies größtentheild der Weltanfchauung des Neumoſaismus ange- 
hört, zu befonderer Betrachtung ausfcheiden. Wir meinen die Borftellungen 
betreffend die böfen Geifter. Wir fehen den Teufel und die Damonen ganz in 
den Sprachgebrauch der damaligen Zeit eingegangen, jo daß man dad Wort 
Teufel oder Satan oft ausſprach, ohne an das benannte Wefen felbft zu den⸗ 
fen. „Er bat einen Teufel! * hieß fo viel ald: „Er ift verrüdt!" Sefus 
fel6ft bezeichnet ‚den Judas Iskariot als einen Teufel und dem Petrus ruft 


4) Die frohe Boiſchaft (svayy&luov). 
9) 6,17— 49. 


70 


er einmal zu: „Hebe dich weg von mir, Satan“ 3)! Die Wahnfinnigen 
und Mondfüchtigen zwar behandelte Jeſus ald von Teufeln Befeflene, indem 
er fle, al8 wohnten wirklich Teufel in ihnen, befhalt. Wir haben aber auch 
eine Stelle, wo er von dem Ein- und Ausziehen böfer Geifter ganz bildlich 
redet, um anſchaulich zu inalben, wie der Menſch, wenn er nach der Beſſe⸗ 
rung in die Sünde zurückfalle, weit ärger werde, als zuvor), Ob Jeſus 
feine Warnung: „Simon, Simon, fiehe der Satan hat euer begehrt, euch 
wie den Waizen zu ſieben!“ buchſtäblich oder biltlich gemeint habe, follte 
nicht allzufchwer zu enticheiten fein). Ohne allen Zweifel bildlich zu ver- 
ftehen ift der Ausſpruch: „Ich fah den Satan wie einen Blitz vom Simmel 
fallen *®). Die beiden legtgenannten Ausfprüce Jeſu, verglihen mit feinem 
Wort bei Johannes (12, 31): „ Jetzt ift das Gericht dieſer Welt, jest 
wird der Kürft dieier Welt hinaudgeworfen werden !* weifen nun allerdings 
tarauf bin, Jeſus habe eine feinem Reich feindliche, periönliche Macht des 
Böien angenommen, Den Fürften diefer Welt nennt er als feinen und fet« 
ned Reiches Gegner auch bei Johannes (14, 30 und 16, 11). Ganz ans 
ders erfcheint der Satan in dieſer Auffaſſung, als in jener, wo er unter 
dem Namen Beelzebub als „ Oberfter der Teufel” genannt wird 7). Xebtere 
tft aber die Auffaffung der Bhariläer, auf welche ſich Jeſus nur um der 
Widerlegung willen einläßt. Obigen Stellen bei Johannes und Matthäus 
(12, 31) zufolge betrachtete Iefus den Satan als das gerade Gegentheil 
des heil. Geiftes, welcher die Glieder des Gottedreiches befeelt, wie der Sa— 
tan die „Kinder biefer Welt.” Im Gleichniffe vom Saͤemann ftellt Jeſus 
den Teufel dar ald den, der das Wort Gottes aus den Herzen der. Leichtfer- 
tigen hinwegnimmt, im Gleichniſſe vom Unfraut des Ackers als den Feind, 
der Unkraut unter den guten Waizen des Gottesreiches fäct. Die Stelle, wo 
der Teufel wirklich als Fürft der böfen Engel bezeichnet wird, hat Matthäus 








3) Joh. 6, 70. Marf. 8, 33: 

4) Matth. 12, 43 — 48. Luk. 11, 21-26. 

8) Luk. 22, 31.. 

6) Luk. 10, 18. Vielleicht eine Anfpielung auf Sefaia 14, 12: — „Wie bift 
du vom Himmel gefallen, du Morgenftern, Sohn der Morgenirötfe!" Da Morgen: 
ftern Yateinifch Lucifer heißt, fpätere Ausleger aber dieſe Stelle des, Fefain nicht, wote 
fie follten, auf Babel, fondern, eben geftügt auf jenen ähnlichen Aueſpruch Jeſu, auf 
ben Satan bezogen, fo erhielt derſelbe auch ben Maen Bacifer. 

7) Maith. 9, 34. 12, 24 — 37. 


71 


allein 8). Sie dürfte Daher wohl als eine Akkommodation an die herrſchen⸗ 
den Zeitvorftellungen, vielleicht auch als fubjective Auffaffung des Evange- 
liften betradjtet werden. — Merkwürdig ift ſchließlich noch Die Stelle®), wo 
Jeſus die ungläubigen Juden Kinder. des Teufeld nennt, weil fie die Werfe 
bed Zeufeld hun, ber „ein Menfchenmörber war von Anfang und der Vater 
aller Zügen. * Auch Hier läßt fich die geiftigere Auffaſſung des Teufels nicht 
verfennen ; feine Weſenheit ericheint wie in allen übrigen Stellen ver Evans 
gelten, wo Jeſus über ihn redet, mit Ausnahme von Matth. 25, 41, ganz 
ethifch genommen. Cine förmliche Lehre über die böſen Geiſter hat Jeſus 
nirgends gegeben und in den hauptiächlichen Xehrvorträgen erwähnt er ihrer 


gar nicht. Wie nahe Tag die Erwähnung des Teufeld, als Iefus ſprach: 


„Aus dem Innern des Menfchen, aus dem Herzen kommen hervor die böfen 
Anfhläge und verunreinigen den Menſchen!“ Eben darum find die Aus⸗ 
ſprüche der Apoſtel betreffend den Teufel auch nicht jehr häufig. Im zweiten 
Brief Petri wird bei der Schilderung des jüngften Tages des Satans nicht 
gedacht und Jakobus fagt in feiner Epiftel (1, 14) unverhohlen: „Ein 
Jeder wird verfucht, wenn er von feiner eigenen Luft (alfo nicht von Teufel) 
gezogen und angelodt wird. ” 

Aus Alledem dürfte vieleicht der Schluß gezogen werden, daß die Vor⸗ 
flelung vom Teufel und von den Dämonen urfprünglic nicht fo ganz we« 
fentlich zur Lehre Chriſti gehört habe, wie fanatifche Liebhaber des Teufels 
und der Verteufelung behaupteten und behaupten. Wäre es dem ruhigen 
Culturhiſtoriker erlaubt, gelegentlich von der Vergangenheit hinweg einen 
verachtungsvollen oder firafenden Blick auf die Gegenwart zu richten, fo 
müßten wir freilich fagen, daß dermalen ganz augenicheinlich jene Sorte von 
Teufeln, welche man dumme nennt, in ber Ehriftenheit außerordentlich ſich 
breitmachen. 

2. 


Grundlage der Lehre Jeſu Chriſti iſt die Annahme einer allgemeinen 
Erlöſungsbedürftigkeit der Menſchen. Dieſe Annahme baftrt auf 
der Vorausſetzung einer allgemeinen Sündhaftigfeit der Sterblichen. 
Ob fich diefe Borausfegung vor der Vernunft rechtfertige oder nicht, das zu 
unterfuchen ift nicht unjered Amtes: wir hatten nur die bezeichnete Grund⸗ 





8) Matth. 25, 4. 
9) Joh. 8, 30 — 44. 





72 


lage anzugeben und haben im Weitern den Um⸗ und Aufriß des Lehrgebäu- 
bes zu entwerfen, welches auf diefer Bafis fich erhob. 

Bon der Herridhaft der Sünde alfo, welche ſich kundgibt in der Schwäche 
des fittlihen Willens, in Unterdrüdung der fittlichen Breiheit und in Ver⸗ 
blendung betreffend das Heil der Seele, muß der Menſch erlöft werden und 
darum ift es notbwendig, daß er feine Schwäche und Verblendung erkenne, 
nach höherem Licht und höherer Kraft fih fehne. Die zu ſolcher Erkenntniß 
gelangt find, preift Jeſus felig in der Bergpredigt: — „Selig find bie Ars 
men im Geifte; denn ihrer ift das Meich der Himmel!“ Er ermuntert fle 
auch zum Gebet um jene höhere Kraft: — „Wie follte nit der Vater den 
heiligen Geiſt geben denen, die ihn (darum) bitten? * 


3. 

Jeſus erkannte aber gar wohl, daß Fein Menich völlig ſündlos, d. 5. 
fittlih vollfonmen werben könne. Er verwarf zudem die jüdijche Borftellung, 
durch gute Werke Iaffe fih vor Gott irgend ein Verdienſt erwerben, und rief 
daher feinen Jüngern zu: „Wenn ihr Alles werdet gethan haben, was euch 
befohlen war, follet ihr jagen: Wir find unnüge Knechte; denn wir tha= 
ten nur, was wir zu thun fhuldig waren.” Da ed nun dem Menichen uns 
möglih iſt, auch nad der Berzeihung feiner alten Sünden vor Gott ganz 
gerecht zu werden, fo verfündigte Iefus den Glauben als Erfaß der fitt- 
lihen Vollkommenheit, als diejenige geiftige Macht, welche dem Menfchen 
Brieden der Seele und ewig feliged Leben von Gottes Gnade erwerbe. 

Der Glaube in dem umfaflenden Sinne, wie Jeſus Chriftus ihn Tehrte, 
ift ein ganz neuer religiöfer Begriff. Er wird im grichifchen Tert des N. T. 
immer ausgedrückt durd ein Wort, welche eigentlih Vertrauen bedeutet, 
und Vertrauen ift allerdings der von Jeſu geforderte Glaube feinem Wefen 
nah. Wenn Jeſus einem Geheilten zuruft: „Dein Glaube hat dir gehol- 
fen!“ fo erfcheint dieſer Glaube offenbar ald flarfed Vertrauen auf Jeſu 
göttliche Würde und Macht von Seiten der Kranken. Bum Glauben gehört 
ferner, was man im gewöhnlichen Sprachgebrauch darunter verfteht, die 
Worte eines Sprechenden, Worte Jemandes, im betreffenden Fall die Lehren 
Jeſu, für wahr zu halten. In diefem Sinne fpriht Chriſtus: „Thue ich 
nicht die Werfe meines Vaters, fo glaubet mir nicht 1)!* Der Glaube 


1) 305. 10, 37. Vgl. Luk. 22, 67. 


73 


nimmt demnach ebenſowohl die Meberzeugung, als das Gemüth in Anfprud; 
er durchdringt den ganzen Menichen, weil aus wahrer tiefinnerlicher Ueber⸗ 
zeugung auch ſtets ein lebendiges Vertrauen, weiches fich nad dem Inhalt 
der Ueberzeugung richtet, hervorgeht. “Der Glaube an Gott und der Glaube 
an Chriſtus iſt ein und derfelbe?). Sein Inhalt läßt fi fo ausdrüden: 
In der Vieberzeugung, daß der allmächtige Gott unfer himmliſcher Vater und 
Jeſus, fein eingeborner Sohn, unjer alleiniger Erlöfer und Seligmader if, 
vertrauen wir auf Gottes Madıt, Weisheit, Liebe und Gnade und bauen 
darauf, daß wir dur Chriſtus Frieden auf Erden und ewige Seligkeit im 
Himmel erlangen 3). 
4. 

Den Glauben an Gott, dad Vertrauen auf ihn fuchte Jeſus wejentlich 
dadurch zu wecken, daß er dad Verhaͤltniß Gottes zu den Menſchen ald dad 
des Vaters zu den Kindern beſtimmte. War in den Schriften des Alten 
Teftamentes nur fehr felten 1) Gott als Vater aufgefaßt, fo ericheint er da⸗ 
gegen im Munde Jeſu vorzugsweife als folder. „Unjer Vater!” ift der 
Titel, unter welchem das berühmte Gebet Chriſti Gott anrufen lehrte. Nicht 
häufig und nur Verſtockten gegenüber betonte Jeſus die ftrafende Geredhtig- 
feit Gottes, während er defto häufiger Gottes väterliche Liebe und Fürſorge, 
Gnade und Barmherzigkeit hervorhob. 

Jeſus ift von Bott gefendet, dad Verlorene zu ſuchen und felig zu ma⸗ 
hen. Der Vater Tiebt die, welche feinen Sohn lieben und an deflen Sen⸗ 
dung glauben ). Auf Iefu Bitte gießt Bott den heiligen Geift auf die 
Gläubigen aus 3). Daß Gott inbrünftiged Gebet erhöre, lehrt das Gleich⸗ 
niß vom ungerechten Richter. Wer Buße thut und an Ehriftum glaubt, audy 
feinen Mitmenfchen jede Beleitigung verzeiht, dem ſchenkt er Verzeihung der 
Sünden und ewiged Leben. Den Unbußfertigen und Ungläubigen läßt er 
Beit zur Bekehrung. Sterben fie, wie fie gelebt, fo fallen fle in die ewige 
Strafe, welde über die Verſtockten zu verfügen vom Vater dem Sohne über- 


2) Joh. 12, Ad; 14, 1. 

3) ©. d. Belegfiellen bei Mark. 11, 22— 26; 16, 16. Maith. 7, 21; 17, 
20; 21, 22. Luk. 17, 6. Joh. 5, 24; 7, 38— 39; 8, 38—40; 12, 36; 
14, 12. 

1) 3. B. bei Maleach. 2, 10. 

2) Joh. 16, 27. 

3) Joh. 14, 16— 17. 


74 


geben 4). Die Juden, welche von jeher ihre Propheten verfolgt und ge⸗ 
tödtet haben, wird Bott nach der Kreuzigung des Sohnes mit vernichtendem 
Strafgeriht heimſuchen und fein Reich andern Völkern geben >). Jeſus wird 
von Gott getrieben, für die Erlöfung der Welt Marter und Tod zu erleiden; 
das iſt fein ewiger Rathſchluß). Die Liebe und Gnade Gottes in feinem 
Lehen und Leiten, nicht nur mit Worten, zu verfündigen, erfannte Jeſus 
als. feinen Beruf: „Wer mich geſehen bat, der hat ben Vater gefehen. * 
„®laubet mir, daß ih im Bater bin, und der Bater in mir iR”). * Weußer- 
licher Dienſt, religiöfe Uebungen, denen das Herz ferne bleibt, gelten vor 
Gott Nichts. „eher hin und lernet, was e8 heiße: Ich (Bett) will Barm⸗ 
herzigfeit und nicht Opfer.” Die aus Prahlerei Almofen geben und beten, 
„haben ihren Lohn dahin 8). Niemand darf Gott im Gebete nahen, er 
habe ſich denn zuvor mit feinem Bruder verföhnt 9). Das Gebet: des Selbfl- 
gerechten weift er von ſich ab; den Demürhigen nimmt er gnädig an. Das 
lehrt und dad Gleichniß vom Pharifäer und Zöllner. Ueberhaupt: „Gott 
ift ein Geift, und die ihn anbeten, follen ihn im Geifte und in der Wahr⸗ 
heit anbeten.” Auf die rein geiftige Natur von Gottes Wefen weifen alle 
Sittenlehren Chrifti unverfennbar hin. Die vollfommen reine Idee von 
Gottes Heiligkeit findet ihren Ausdrud in der Moral Jeſu, welche ja nichts 
Anderes, ald den Willen Gottes darftellen foll. | 
Da Iefus fo oft vom „DBater im Himmel * redet, möchte es fcheinen, 
er babe den Himmel ald die außsfchliegliche Wohnung Gottes betrachtet. 
Dod das innige Gottesbewußtſein Iefu („der Vater ift in mir”), fein Aus⸗ 
ſpruch: „Bitte den Vater, der im Verborgenen ift* — und endlich das Apo⸗ 
ftelwort: „Gott iſt nicht ferne von unfer einem Jeden; denn in ihm leben, 
fireben und find wir” — weifen beutlid genug auf Gottes Allgegenwart 
bin, fo dab die Bezeichnung „Vater im Himmel“ nur dazu beftimmt fein 
kann, einerfeitö die Erhabenheit Gottes, anderfeitd den Simmel als Offen⸗ 


4) Bergl. die Barabeln vom Unkraut des Aders und vom Netze, dazu bie Erzaͤh⸗ 
lungen vom „reihen Mann und armen Lazarus“ und von den Reihen, „deſſen Feld 
viel Frucht getragen", und Matih. 25, 46. Soh. 5, 24. 

5) Maith. 21, 33 — 44. 

6) Matth. 20, 28. 26, 39. 34. 

7) 30h. 14, 9—10. 

8) Matth. 6, 1— 8. 

9) Matth. 5, 23—24. Mark. 11,28. 


75 


barungdort feiner höchſten Herrlichkeit anzudeutei. Aus feiner unnahbaren 
Erhabenheit laͤßt fich aber Bott zu den Menſchen liebend, verſöhnend, rets 
tend hernieder. Cr hat feinen eingebornen Sohn gefendet, Die abgefallene 
Menſthheit geiftig zu erneuten, ein ſeliges Gottesreich in ihrer Witte zu ſtif⸗ 
ten, fle wieder zu ihrer ewigen Beftimmung und zur Aehnlichkeit mit ihm, 
dem Allheiligen, zurüczuführen. Die nun den Sohn bereitwillig annehmen, 
durch Buße und Glaͤuben in fein Rei eintreten und Ihrem Schöpfer aͤhnlih 
werden, nimmt er wieder als ſeine Kinder an. Dieſe Vorſtellung tritt ung 
entgegen im Gleichniſſe vom „berloriien Sohn“ Und in den Ausſprüchen: 
Liebet euere Feinde u. ſ. f., auf daß ihr Kinder ſeid eueres Vaters im 
Htinmel ſ0)12 Selig find die Friedferligen; denn fle werben Gottes Kin⸗ 
der heißen: „Die, welche gewürdigt werden, jene Welt zu erlangen, find 
den Engeln gleich und find Kinder Gottes * 11), Die irdifhen Schickſale der 
Menſchen beſtimmt Bott nicht immer nad dem Maße ihrer Tugend. Wen 
ein Unfall trifft, {ft deswegen noch nicht fündhafter, als der Verſchonte 12), 
Manche zwar flraft Gott mit äußerlichem Elend, damit fie fich befiern 19), 


ader manchen ſchweren Sünder läßt er im Weltgluͤck ungeftört ſchwelgen bid 


dh feinen Tod; dann jedoch tritt Die Vergeltung ein 14). Hinwieder müffen 
oft gute und fromme Menſchen hienieden Armuth, Elend, Verfolgung lei⸗ 
den; wenn fie Dad aber mit Gottergebung und Geduld ertragen, werden fle 
im Simmel ewig belohnt 15), 


5. 


Die Kehren Jeſu über feine eigne Perſon und Würde Haben wir großen⸗ 

theild im vorhergehenden Kayitel behandeln müſſen. Es bleibt und hier 
demnach nur nachzutragen, wie er fein Verhältniß zu Gott nüher deſtimmt. 
Sein Wohnen in Gott vor der Menfchwerbung (PBräeriftenz) Hören wir ihn 
nach der fonoptifchen Darftellung nur infowett andeuten, daß er fügt, er fei 
„son Gott gefendet* ; bei Johannes hingegen wird die Präeriftenz von Thin 
ſelber gelehrt in bein deutliden Andfprädhen: „IA bin vom Vater ausge 


10) Maich. 8, AS. 

411) Luk. 20, 35 — 36. 

12) uf. 13,18, 

13). Joh. 8, 14. 

44) Luk. 16, 19 — 31. 

15) Bol. obige Stelle; dazu Matth. 6, 11 — 12. 


% 


— —— 


76 


gangen und in bie Welt gefommen; wiederum verlafle ich die Welt und gebe 
zum Vater.“ „Wahrlih, ich fage euch: Ehe denn Abraham war, bin id 
geweſen.“ Auch das Verhältnis des Weſens Iefu zum Weſen Gottes findet 
ſich, von ihm ſelbſt näher bezeichnet, nur bei Johannes: „Ic und ber 
Bater find Eins." „Wie der Vater in ſich ſelbſt Leben hat, fo hat er au 
dem Sohne verliehen, in fich felbft Leben zu haben.“ Er ift die vollkom⸗ 
mene Offenbarung Gottes in menſchlicher Geftalt: „Wer mich geſehen hat, 
der bat den Vater geſehen.“ Die Spnoptifer enthalten Ausſprüche, in 
denen Iefus auf feine göttliche Herrlichkeit nach der Erhöhung von. der Erbe 

« hinweift1); auch bezeichnet er fich bei ihnen wie bei Johannes ald den Richter 
der Lebendigen und Todten )Y. Als Sohn Gottes fchreibt er fich Die Voll» 
macht zu, Verzeihung der Sünden und ewiges Leben zu fpenden 2), und will 
feine Lehre als das Wort Gottes angefehen wiflen 4). 

Hier iſt nun der Ort, davon zu handeln, wie Jeſus fein Verhältnig 
zu den Propheten des alten Bundes auffaßte. Er bezeichnete fi als den, 
welchen die Propheten dem Volfe Israel verheißen hätten. Daß fie den Meſ—⸗ 
flad einen König genannt, deutete er ganz in geiftigem Sinne, wie er ja 
auch das Neich Gottes, die neue Theofratie, rein geiftig auffapte. „Mein 
Reich,“ antwortete er dem Bilatus, „ift nicht von die ſer Welt. Erſt 
durch die Auferſtehung bet er die eigentliche Herrſchaft über fein Reich an⸗ 
getreten ; denn erft nach diefem Ereigniß fprach er die Worte: „Mir ift alle 
Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden.* Diele Reich umfapt alfo 
Himmel und Erde, nicht blos das Land Jsrael oder den Erbfreis, wie tie 
Propheten geweiflagt. Sein Reich auf Erben regiert Chriftus vom Simmel 
herab: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an dad Ende der Welt *5), 
Er regiert e8 durch den heil. Geift, der jein Stellvertreter auf Erden ift ©). 
Die Stellen der Propheten, welche er auf fein Leiden und Sterben bezogen 
baben muß, find, genau im Zufammenhang betrachtet, gar nicht, auch Feine 
einzige, über den Mefitas geredet. Das iſt ein unbeftreitbares Reſultat der 
altteftamentlihen Auslegung. Aber Jeſus hielt fi gar nidht an den Buche 





4) Matth. 26, 64. Mark. 14, 62. Luf. 22, 69. Maith. 28, 18. 
2) 30h. 5, 21 und 27. Matth. 24, 29— 51. 

3) Matth. 9, 2—8. Luf. 5, 18 — 36. Joh. 10, 27 — 29. 

4) 306.12, 40 — 80. 7,16. Matih. 21, 33 ff. 

5) Matih. 28, 20. 

6) 30h. 16,7. 13 — 18, uf. 24, 49. 





77 


ftaben, fontern an den Geiſt, nit an die Perſon, fondern an die Idee. 
Die in den Propheten audgefprochenen Ideen von flellvertretendem Leiten und 
fleghafter Auferftehung waren ihm Weiffagung auf die fpätere Verwirklichung 
derfelben in höherm Sinne. Daß Jeſus died Verbältniß fo aufgefußt, daß 
er überhaupt den Propheten gegenüber einen fehr freien Standpunft einge⸗ 
nommen, dafür haben mwir zwei ſchlagende Beweife. Der erfte ift, daß Jeſus 
auf die Brage der Jünger, warum nad Ausjage der Schriftgelehrten Elias 
der Vorläufer des Mefftas fein müfle, die merkwürdige Antwort gab, Jo⸗ 
hannes der Täufer fei Eliad geweien”). Man fleht, die Idee des Borlän- 
fer war in Johannes verwirklicht; in diefem Sinne nannte Jeſus ihn den 
Elias. Der zweite Beweis ift jene Streitfrage Jeſu an die Pharifäer: 
„Wenn David jelbft den Mefflad feinen Herrn nennt, wie ift er denn jein 
Sohn")? Jeſus fheint aus diefem Wideripruh den Schluß gezogen zu 
haben, der Mefftas fei dem Fleiſche nad der Sohn Davids, dem Beifte nad) 
Gottes Sohn, eine Lehre, die bei den alten Propheten nirgends audge- 
ſprochen ift. | 

Wie Iefus fagte: „Der Bater iſt in mir“ —, fo hat er ſich aud ein 
Innewohnen des heiligen Geiftes zugefchrieben 9). Im Weiteren bezeichnete 
er denfelben ald die Verheißung des Vaters für feine Gläubigen und fchrieb 
ihm die Kraft zu, Troft zu geben, in alle Wahrheit zu leiten und ein neues 
Leben in der Seele zu entzünden 1%). Zuſammen ‘genannt finden fidh der 
Bater, der Sohn und der Geift in dem einzigen Ausſpruch Jeſu: — „Gebet 
bin und machet zu Jüngern alle Völker, und taufet fie auf ven Namen des 
Vaters, des Sohnes und des heil. Geiſtes!“ Matth. 28, 19. ine eigent- 
lihe Dreieinigkeitslehre bat Jeſus nicht aufgeftellt. Sic; felbft und 
den heil. Geiſt hat er allezeit dem Vater untergeordnet, niemals gleich ge⸗ 
ſtellt. Er betrachtete ſich und den heil. Geiſt ausfchließlich als Werkzeuge 
Gottes zur Erlöfung der Menſchheit. Kosmifche Bedeutung hat er weder ſich 
felbft noch dem heil. Geiſte beigemeffen. 


6. 
Daß Iefus als Mittel zur Erlöjung der Menfchheit feine Lehre und fein 
. Borbild betrachtete, erhellt aus vielen feiner Ausfprüce, beſonders aus 


— — 


7) Matth. 17, 9— 13; vergl. Matth. 11, 14 und Maleach. 4, 8. 

8) Maith. 22, A — 46, 

9) Luk. 4, 18. Joh. 20, 22. 
10) Job. 3, 3— 8. Apoſtelgeſch. 1, 8 und andere fchon angeführte Stellen. 


= 


benen, die zur Befolgung ſeiner Lehre, zur Nachahmung ſtineg Finn und 
Wandels auffordern). Ya Vollendung feines Erlöfungswerfes jebod IR 
ihm offenbar fein Reiten und Sterben erfchienen. „Des Menſchen Sohn ift 
nicht gefommen, daß ihm gedient werbe, jontern dag er diene und fein Le⸗ 
ken zum Löfegeld gebe für Viele,“ d. h. er gibt fein Leben bin alß ſtellver⸗ 
tretendes Opfer für Viele, indem er den Tod erleidet, damit jeue Vielen 
den geifligen Tod, das ewige Verderben nicht erleiden müflen. Bei der Ein- 
jegung des Abendmahld ſprach Jeſus (nacı Lukas): „Mehmet, eſſet, dae 
iR mein Leib, ber für euch hingegeben wird,“ und (mad Matthäus): 
„Trinket aus diefem (Kelch) alle; denn das ift mein Blut, Das Blus des 
penen Bundes, weldes für Viele vergofien wird zur Verzeihung ber Sün⸗ 
den.“ Demgemäß erklärte Jejus fein Leiden und Sterben ald eig yon Gott 
durch ihn gegebened Pfand des neuen Bundes, kraft deſſen Gott dem Buß⸗ 
fertigen und Gläubigen Die Verzeihung der Sünden ſchenke, gleich wie beim 
Abschluß eines Bundes zwiichen Menſchen dad Blut des Dabei geſchlachteten 
Opferthieres als Pfand für die Erfüllung der gegebenen Verſprechungen 
galt. Die Rede Jeſu bei Iohgnues über das Eſſen ſeines Fleiſches und das 
Frinken feines Bluted bezieht ſich weientlid auf Pie gläubige Annahme dieſes 
goͤttlichen Gnadenpfandes. Daß Gott ſeinen Sohn hingibt in Schmach, 
Schmerz -und Tod, iſt her höchſte, aber nothwendige Beweis, daß er den 
Bußfertigen. und Gläubigen wirflih WBerzeihung „der Sünden und ewiges 
Leben ſchenke. Die Gewißheit Der göttlichen Gnade verichaffe id nur durch 
meinen freiwilligen Tod, dag war, ſcheint es, der Grundgedanke Jeſu, ald 
er ſprach: „Ich laſſe mein Leben für Die Schafe" — und: „Größere Kiche 

bat Niemand, als die, daß Einer fein Leben für feine Freunde läßt." Dar 
her ift fein Tod ein Opfer der Liebe zu den Menichen, cine That Des Ge- 
horſams gegen Bott. Das Abendmahl joll in allen Gläubigen dad Gedaͤcht⸗ 
nig dieſer liebevollen Hingabe auffriiben und zugleich Dant und Gegenliebe, 
auch brüderliche Liebe zu einander in ihnen erwecken: „Thut dieſes zu mei— 
nem Gedächtnifle! * „Das ift mein Gebot, daß ihr einander liebet, wie ich 
euch geliebt habe*2). Durch den Tod Jeſu wird Gott verherrlichet, weil 
darin feine Gnade ihre hoͤchſte Offenbarung findet: „Nun ift des Menſchen. 





— — 


1) Matth. 7, 24—27. Joh. 8, 81. Matth. 16, 24 — 28. Joh. 13, 18. 
Zuf. 14, 25 — 27. 
3) Ich 18,12. Dan beachte den Zyfammenpang mi V. 13. 


. 79 
Sohn verherrlichet , umd Gott iſt verherrlicht im ihm. IR nun Gott in ihm 
verherrlicht, jo wird Gott ihn auch in ihm felbft verherrlichen und wird ihn 
bald verherrlichen.“ Für Jeſus ift der Tod am Kreuze der Eingang zu ſei⸗ 
ner königlichen Herrlichkeit 3), der enticheidende Sieg über die Macht des 
BDöfen in der Welt). Durch feinen Tod geht er zum Vater und bercitet 
den Seinen himmlische Herrlichkeit®), für das irdiſche Leben ſchon tie Gabe 
des heil. Geiſtes 6). Mit dem Tob am Kreuze endet fich das Erlöſungswerk 
ded Menſchenſohnes: „Es if vollbradt I” 


7. 


Der Hingebung Jeſu ensipriht, den evangeliichen Berichten zufolge, 
feine Auferwedung vom Tode durch Gott. Es liegt Hierin die Beftätigung 
und Garantie, daß Jeſus wirflid ale Opfer des neuen Bundes geftorben, 
daß feine Hingabe in Reiten und Tod das von Gott gegebene Pfund der 
Sündenvergebung, ter Rettung vom Verderben, des ewigen Lebens fei: 
— „Alfo mußte Chriftus leiten und von den Todten auferſtehen am dritten 
Tage, und in feinem Namen Buße und Verzeihung der Sünden gepredigt 
werden allen Völkern von Jeruſalem aus *1), 

Mer nun nach diejer göttlichen Beflätigung des am Kreuz gefchloffenen 
neuen Bundes „nicht glaubt, der wird verdammt werden“ 2). Begründet 
erfcheint nun auch das Wort: „Wer fein Leben um meinetwillen verliert, 
der wird e8 gewinnen ® 8); ebenfo: „Ich bin die Auferftehung und dad Les 
ben ; wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich ſtürbe“; und: „Ich 
bin der Weg, die Wahrheit und das Leben: Niemand fommt zum Vater, 
als nur durch mich. * 

Der Tod und die Auferfichung Jeſu fcheinen nach feinen Ausiprüchen 
wefentlich dazu beftinnmt, die Menichen zum Glauben an Gottes verzeihente 
Gnade zu erwecken, dadurch aber zu einem geheiligten Wandel thrilß zu ver- 
pflichten,, theild zu ermurbigen. Gott verzeiht dem Bereuenden, und ver⸗ 


— 





3) Matth. 26, 64. 

4) Joh. 12, 23— 33. 

5) Joh. 12, 32. 14,2 —A. 

6) Joh. 16, 7. 

1) Luk. 24, 46— 47, Bol. Ich. 13, 32. 
2) Marf. 16, 16. 

3) Maith. 16, 28. 


80 

leiht ihm ſelbſt Durch feinen Geiſt Beiftand zu einem neuen, befferen Wan⸗ 
del und führt ihn dadurch feliger Unfterblichkeit entgegen, — dies Bewußt⸗ 
fein fol durch Sefu Tod und Auferfichung dem Menfchen eingehaucht werben. 
Bon jenem Iudengott aber, der nun einmal ein Opfer feines Grimmes ha- 
ben muß, denfelben an jeinem eignen Sohne fühlt und dann erft verzeihen 
fann, von diefem Wejen voll inneren Widerſpruches weiß Iefus, falls wir 
feine in den Evangelien enthaltenen Reden nicht etwa unrichtig auffaflen, 
Nichts In Iefu Ausſprüchen glauben wir überall den Sinn zu finden, 
‚ daß Gott von vorneherein Fein ewig zürnender Moloch⸗Schaddai feit),, ſon⸗ 
dern ein verjöhnliches und gnädiges Weſen. Diefer Auffaffung zufolge, 
welche ſich freilich Seitend der molodhiftjichen Blut- und Opfertbeorie des 
modernen Pietisnus Feines Beifall8 zu erfreuen haben dürfte, follte durch 
den Kreuzedtod Jeſu nicht der Gott, jondern der Menfc umgeflimmt wer- 
den. In der Paſſionsgeſchichte Chriſti bezieht fi) unferes Erachtens Alles 
auf eine Umgeftaltung des religidjen Bewußtjeind. Durch den Glauben an 
die Bedeutung des Todes und der Auferfiehung Chrifti wird den Menichen 
die Erlöfung von Sünde und Tod zu Theil. In diejem fubjectiven 
Sinn alfo bat Jeſus durch feinen Tod Verzeihung der Sünden und ewiges 
Leben für die Menihen erworben. Daß die Verzeihbung der Sünden 
objectiv von Gott nit erſt durch Jeſu Leiden und Tod erfauft werden 
mußte, beweifen am beften die wiederholten Zuficherungen Jeſu an Zeitges 
noſſen: „Dir find beine Sünden vergeben ;“ und die Lehre: „Wenn ihr 
den Menschen ihre Fehler vergebet, fo wird euer himmliſcher Vater euch auch 
vergeben, — Ausfprüde, die er lange vor feinem Leiden und ohne alle 
Hinweifung auf feinen Tod gethan. | 


8. 


Wie Jeſus das Reich Gottes auffaßte, haben wir ſchon in feiner Le⸗ 
bensgeſchichte berührt, fofern nämlich dieſe Auffaflung feinen zum Heil der 
Menſchheit befolgten Plan bedingt. Was aber Jeſus über dad Weſen, Die 
Beichaffenheit und das Wachsthum des Reiches Gottes lehrte, zumal in fo 
vielen Gleichnißreden, muß hier, wo es ji rein um Gedanken, nicht um 
Thaten handelt, in Kürze zufammengefaßt werben. 

Jeſus redet von dem Reiche Gottes oder Reich der Himmel in zwei⸗ 


4) Bol. Thl. II, S. 126 — 138. 





81 
fahen Sinn, bald in Hinfiht auf feine äußerliche Erſcheinung, bald in 
Hinficht auf fein wahres, tunerliches Weſen. Die das Evangelium äußerlich 
angenommen haben, bilden zufammen das Neid Gottes auf Erden feiner 
äußerlichen Erfcheinung nach. Eben wegen dieſer blos äußerlichen Annahme 
bleiben viele Glieder des Reichs innerlich doch „Kinder des Böſen“, nur 
die innerlih Umgemwandelten find die wahren „Kinder des Reiches.“ Uns 
würdige wird es im irdiſchen Meich Gottes geben bis and Ende der Welt; 
dann aber werden fle von den wahren Kindern des Reiches ausgeſchieden und 
ind ewige Verderben geftürzt. Dies finden wir gelehrt in den Gleichniſſen 
vom Unkraut des Ackers und vom Nege (Matth. Kay. 13). Auch das Gleiche 
niß vom Gaſtmahl 9) lehrt die Verwerfung ter Unwürdigen aus dem Gottes⸗ 
reich unter dem Bilde des Goftes, „der Fein Hochzeitliches Gewand an hat * 
und deswegen „binausgeworfen wird in die Finſterniß.“ Das Reich tes 
Himmels breitet fihb aus unter heftigem Widerſtand der Verſtockten: — 
„Von den Tagen Johannes tes Täufers bis jegt (da Chriſtus redet) Teibet 
das Neid; der Himmel Gewalt, und die ihm Gewalt anthun, nehmen ed 
weg” (nämlich fie verhindern Viele, in daffelbe einzutreten). Zuerſt wird es 
den Juden angeboten; diefe aber weifen e8 von fh, und jo wird ed den 
Heiden übergeben. Das lehren die Gfeichniffe vom Gaflmahl und von ten 
Meingärtnern. „Es werden von Aufgang und Niedergang, von Mitters 
nacht und Mittag Diele fommen und im Reiche Gottes zu Tiſche fien *2). 

Unfceinbar klein ift der Anfang des Reiches Gottes, unmerflich fein 
Wachſen, aber e8 wird ſich gewaltig auöbreiten über die Erde. Dies wird 
anschaulich gemacht in den Gleichniſſen vom Senfforn und von der Saat des 
Feldes 5). Wie der Sauerteig die Mafje des Mehls, fo wird das Neid 
Gottes die Maffe der Menfchheit durchdringen und veredeln ). Das Reich 
Gottes ift in dieſem Gleihnig ganz fo innerlich als die Gemeinichaft der 
Gläubigen und Erldften gefaßt, wie in dem Ausſpruch: „Das Reich Gottes 
fommt nicht fo, daß man es merken möge. Man kann nicht fagen: Siehe 
hier! oder: ftehe Dort! denn fiehe, das Reich Gottes ift innerhalb eurer." 
Zu der nämlichen Auffaffung des Reiches Gottes gehören die beiden Stellen 
Joh. 3, 3—5: „Wenn Jemand nit geboren wird von oben herab, fo 


41) Maith. Kap. 22. 
2) Luk. 13, 29. Vgl. Matıh. 8, 11 ff. 
3) Matth. 13, 31 — 32. Mark. A, 26 — 29. 
4) Matth. 13, 33. 
Scherer, Geſch. d. Religion. II, 6 


82 


Tann er das Reich Gottes nicht fehen* und: „Wenn Iemand nicht geboren 
wird aus Waſſer und Geift, jo kann er in das Reich Gottes nicht eingehen “5), 
Als Gemeinſchaft der Gläubigen und Erlöften genommen, umfaßt dad Reich 
Gotted Himmel und Erde, worauf fhon der Name „Reich der Himmel“ 
hinweift: — „Es werden Biele kommen und mit Abraham, Ifaak und Ja⸗ 
kob im Reich der Himmel zu Tifche figen* 6). Die Seligfeiten, welcher man 
im Reiche der Himmel genießt, werden nicht nur hier, fondern auch in ben 
Gleichniſſen vom Gaſtmahl und von den 10 Jungfrauen unter dem Bilde 
der Freuden einer Mahlzeit anfchaulih gemacht. Weil ſolche Seligfeiten im 
Reiche Gottes verheißen find, darum ſuchen auch fo viele Unwürdige in das⸗ 
felbe einzutreten. In der That, die Freuden des Himmelreiches follen an« 
Ioden ; aber wer ihrer theilhaft werden will, muß im Stande fein, um des 
Himmelreiches willen nöthigenfall8 Alles aufzuopfern, wie in den Gleich 
nifien vom Schatz im Ader und von der Perle gelehrt ift”). „Nöthigen- 
falls“, haben wir gefagt; denn Chriftus Hat in Bezug auf die zeitlichen 
Güter geäußert: „Trachtet zuerfi nach dem Reiche Gottes und feiner Ge⸗ 
rechtigfeit, jo werden euch diefe Dinge alle Hinzugethban werden. * Er heißt 
auch nicht allein bitten: „Es fomme dein Reich!“ fondern zudem: „Gib 
und unfer tägliches Brot! * 

Buße und Glauben find, wie wir ſahen, nöthig, um in das Reich 
Gottes gelangen zu können. Demuth, Sanftınuth, Friedfertigfeit, Stand⸗ 
haftigfeit in ungerechter Verfolgung, Verföhnlichkeit und Herzensreinheit 

zeichnen die Glieder des Himmelreiches auf Erden aus. Darauf weiſen die 
Seligpreifungen der VBergpredigt, fowie das Gleichniß vom gütigen Schuld⸗ 
herrn und bartherzigen Knechte hin, welchem gemäß aus dem Reiche Gottes 
Jeder, der nicht verzeihen will, verftoßen wird. Aus Alledem erhellt, daß 
Jeſus durd Stiftung des Gottesreiches nicht, wie Mojed, direkt eine neue 
foziale Ordnung aufzuftellen gedachte, fondern eine foldhe Umänderung viel⸗ 
mehr der geiftigen Macht feiner Lehre überließ. 

Als Zeichen der Aufnahme in das Außerliche Gottesreich fette Jeſus 
die Waffertaufe ein®),. Daß diefe nicht die Aufnahme in das innerliche 


8) Das Wafler ift hier Sinnbild der Taufe, welche dem Gläubigen ertheilt wird 
als Zeichen, daß ex durch den Glauben in das Reich Gottes eintrete. 

6) Matth. 8, 11. 

7) Matth. 13, 44 — 46. 

8) Matth. 28, 19. 


83 


Gottesreich bedeute, gab er zu verfiehen durch die Worte: „Wer glaubt 
und getauft wird, der wird felig werden; wer aber nicht glaubt, der wird 
verdammt werden.” Hätte er gefagt: „Wer nicht getauft wird, der 
wird verdammt werden, — dann wäre die Taufe allerdings die Aufnahme 
in das innerliche Gottesreich. 


9. 


Bon äußerſter Wichtigkeit und unberechenbarer weltbiftorifcher Wir⸗ 
fung war zweifeldohne der Grundſatz Jeſu, alle Menjchen ohne Unterſchied 
der Abflammung, des Ranges und Vermögens feien in fein Reich berufen, 
alle Völker zu Gliedern deſſelben beftimmt. Daß die Religion Jeſu alle 
Menſchen als Kinder eines Vaters, ald Theilhaber einer ewigen Beſtim⸗ 
mung einander gleidh wertbet, daß fie alle Menfchen einander als Brüder 
betrachten und lieben heißt!), — darin liegt ihr großer welthürgerlicher 
und: demofratifcher Charakter. „ES foll eine Heerde werden und ein 
Hirte" 2), d. h. die Menfchheit joll ein Organismus, eine Familie fein. 
Selbft den Ungläubigen und Böfen gegenüber gebietet Die ganze Bergprebigt 
Liebe und Großmuth, fchonende Duldung befonderd die Stelle Luk. 9, | 
49 — 56. Verſchiedenheit des Glaubens entbindet von den Pflichten der 
Näcftenliebe nicht; ſonſt hat dad Gleichniß vom barmherzigen Samariter 
feinen Sinn. 

10. Br 

Noch erübrigt aber, die ſchwierigſte Seite der Lehre Jeſu vom Reiche 
Gottes darzuftellen, nämlich das, was in den Evangelien von den legten 
Dingen gefagt iſt. 

Unvermuthet wird Chriftus in himmliſcher Herrlichkeit herniederfommen 
auf Die Erde, zu richten über die Lebendigen und bie Todten. Da wird 
alled Böfe für immer audgerottet, indem die Unbußfertigen und Ungläu« 
bigen, von den Kindern des Neiches gefondert, in die ewige Strafe ein- 
gehen. Die Kinder des Meiches aber werden „Ieuchten wie die Sonne im 
Meiche ihres Vaters 1), ähnlich den Engeln an Geftalt, unfterblich 
fortan 2). Gewaltige Zeichen werden dem großen Tage vorangehen; der nie 


41) Luk. 10, 35— 37. Matth. 22, 39; 7,12. 
23) Joh. 10,16. Bol. 17,20 — 21. 
4) Matth. 13, 43. 
2) Matth. 22, 30. Luk. 20, 34. — 36, 
6* 


berfommende Meſſtas wird alle Todten aufesweden, ſei's zum Gericht, ſeis 
zum feligen Xeben, und wer die ihm verliehenen Geiftesfräfte nicht zur Foͤr⸗ 
derung des Meiches angewandt hat), wer in thörichter Sicherheit dahin⸗ 
gelebt, flatt zu wachen und zu beten *), wer Chrifte blos dem Namen nad 
angehangen 5), wird ebenfowohl von der Herrlichkeit des Reiches ausge⸗ 
ſchloſſen, als der ganz Ungläubige. Belohnt und in einen höhern Wirs 
kungskreis verfegt werden hingegen Alle, die ihre Kräfte wohl gebraudt 
haben). Selig werben felbft die noch, welche erſt in fpätern Lebensjahren 
durch Bekehrung in das wahre Gottesreich eingetreten find”). Die ges 
naueften Lehren über das jüngfte Gericht finden ſich Matth. 25, 31—46 
und Luf. 21, 25—- 33. Von den Apofteln heißt e8, fie werden, auf Thro⸗ 
nen figend, die zwölf Stämme Israels richten ®). In den poetifch erhabenen 
Schilderungen vom Herniederkommen des Menſchenſohnes iſt mehrfach auch 
der Engel als feiner Begleiter gedacht. Der Ort, wohin die „ Kinder des 
Böſen“ verwiefen werden, wird bezeichnet als die Hölle, Gehenna 9), „wo ihr 
Murm nit flirbt und ihr Beuer nicht erlöfcht *, — eine Schilderung, deren 
bildliher Sinn fi nicht verfennen läßt. Der nämliche Ort wird bezeichnet 
als die „Außerfte Finfterniß, wofelbft jein wird Heulen und Zähneflappern *, 
was an die althebräifche VBorftellung von der Unterwelt, Scheol, erinnert 10). 
Man bat fih zwar verfucht gefühlt, dieſe beiden Orte als zwei verfchledene 
zu betrachten, in dem Sinne, daß die blos Leichtfertigen in den Scheol, die 
erklaͤrten Böſewichter allein in die Gehenna verwieſen werden; aber dieſer 
Unterſchied laͤßt ſich nicht durchführen. Vielmehr weiſt die verſchiedene Be— 
zeichnung des Strafortes auf bildliche Veranſchaulichung der ewigen 
Strafe hin. 


3) Vgl. das Gleichniß von den Talenten. Matth. 25, 14 — 30.. 

4) ©. das Gleichniß von den 10 Jungfrauen, Matth. 28, 1 — 13. 

5) Maith. 7, 22 — 23. 

6) S. das Gleichniß von den Talenten. 

7) ©. das Gleichniß von den Arbeitern im Weinberge. Matt, 20,1— 16. 

8) Matth. 19, 28. Luk. 22, 28 — 30. 

9) Die Schenna, eig. das Thal, wo früher dem Moloch Opfer verbrannt wor⸗ 
den, galt den fpätern Juden als Dit der ftrafenden Vergeltung nad) dem Tode, warb 
aber nicht mehr als "ein auf ber Oberfläche der Erbe befindlicher Ort betrachtet. 
Matth. 5, 29— 30; 25, 42. Dal. 13, 41—42. Luk. 16, 23 — 24. 

10) Matth. 8, 12; 25, 30. Meber die althebr. Vorfiellung vom Scheol vgl. 
Thl. II, S. 116. 


8 

Die Zelt, wann er herniederkommen werde zum Weltgericht, bezeichnet 
Jefus zwar als unbeftiimmt, doch nahe bevorſtehend: „Dieſes Geſchlecht 
wird nicht abgehen, bi8 Alles geſchehen ſein wird. Den Tag aber und bie 
Stunde weiß Niemand, auch die Engel im Himmel nicht, fondern allein 
mein Vater.” Die dringenden Warnungen vor thörtchter Sicherheit, welche 
Jeſus in den ſynoptiſchen Evangelien fo häufig ertheilt, weiſen deutlich auf 
baldiges, wenn auch überrafdendeB Eintreten des Jüngften Gerichtes 11). 
Bekanntlich ift dad jüngfte Gericht bis heute nicht eingetreten; alfo bat ent» 
weder Iefus tn feiner Zeitbeſtimmung ſich geirrt oder die Apoftel haben ihm 
mißverſtanden. Letzteres wird im 2. Briefe Petri (3, 8— 9) unverkenn⸗ 
bar angedeutet. Durch diefe LUinficherheit der Auffaffung betreffend die Zeit‘ 
des jüngften Gerichtes iſt auch viel Undlares in die Unfterblichkeitsiehre über- 
haupt bineingefommen. Daher werden uns theils folche Ausfprüce Jeſu 
überliefert, welchen zufolge bie Todten fchlafen bis zur Auferſtehung am letz⸗ 
ten Tage 12), theils ſolche, die uns Tehren, die Seele komme gleich nach dem 
Tode an den ihr gebürhrenden Ort12). Bel der Annahme, Jeſus habe das 
Weltgeriht als nahe bevorflehend angekündigt, fühlte man ſich natürlich 
micht veranlaßt, über den Zufland ver Seele gleich nah dem Tode genauere 
Beflimmungen zu ſuchen, und fo find wahrfcheinlich etliche Ausſprüche Iefu, 
bie fich näher darauf bezogen, verloren gegangen. Die unauslöſchliche Sehn⸗ 
fucht der Jünger nad) dem Eintritt des vollendeten Meſſtasreiches erklärt hin⸗ 
laͤnglich, warum fie des Mekſters Ansiprüche betreffend die Beit des Welt⸗ 
gerichted mißverſtehen Fonnten. 


11. 


Es ift bereits nachgewielen worden, daß Jeſus auch ein änßerliches 
Gottesreich auf Erden habe fliften wollen, als defien Glieder alle diefenigen . 
betrachtet werden, welche die Taufe auf den Namen bed Vaters, des Soh⸗ 
ned und des heil. @eiftes empfangen haben, Er felbft hatte ja ſchon ges 
tauft 1) und aus Juͤngern und Jüngerinnen eine Gemeinde der Auserwähl« 
ten (2eximöte, ecclesia) gebildet. Nur einmal zwar, in jener oben anges 
füßrten Stelle, wo dem Petrus die, Schlüffelgewalt * übergeben wird, hören 


11) Maith. 24, 48 — 81. Mark. 13, 33 — 37. Luk. 21, 34 — 36. 
42%) 306. 6, 39-40; 8, 28-29, 
413) Luk. 16, 22—23; 23,43. 

1) 305. 3, 26. 








wir Jeſus die Ekkleſta nennen; aber dies hindert kaum, anzunehmen, Sefus 
babe wirklih die chriſtliche Kirche als äͤußerliches Gottesreich, als neue 
Theokratie unter den Menfchen geftiftet. Gegenüber den Ausfprücden auf 
einen baldigen Eintritt des Weltgerichte weifen die Gleichniſſe vom Un⸗ 
Fraut des Ackers, vom Senfkorn, vom Sauerteig, vom Wachſen der Saat, 
fowie der Ausſpruch: „Siehe, ich bleibe bei euch alle Tage bis an das Ende 
ber Welt* auf ein längeres Fortbeſtehen der chriſtlichen Kirche auf Erden 
bin. Vermuthlich Hatte Jeſus unter dem baldigen Eintreten feines Reiches 
auf Erden die Ausgießung des heil. Geiſtes verflanden, wodurd er feiner 
Univerfaltheofratie auf Erben daB rechte Lebenselement zu ihrem 
Fortbeſtehen mitzutheilen gedachte, nach welder die Jünger erft als ges 
ſchloſſene Gemeinde auftreten und dieſelbe vermehren Eonnten. Mit der 
Geiftesmittheilung, dem eigentlihen Schöpfungsakt bes Gottesreiches auf 
Erden in ſelbſtſtaͤndig Außerlicher Ericheinung, mochte wohl der Eintritt des 
Reichs in feiner überirdiichen Herrlichfeit verwechfelt werden. Darum fin« 
den wir bei den Synoptikern jo feltene Berheißungen des heil. Beiftes und 
jo häufige Berfündigungen des nahenden Weltgerihts, während dem 
Johannes letztere durchweg fehlen, erftere hingegen der überwiegenden Mehr» 
zahl nach angehören 2). 


12. 


Für fein äußerliches Reich auf Erden nun ift die erhabene Sittenlehre 
Jeſu wefentlich beftimmt. Er entwirft in berfelben ein ideales Bild, wie 
jedes Mitglied feines Reiches zu werden ſich befireben folle. Jede feiner 
Sittenlehren ift Gottes Wille an die Kinder feines Reiches, Geſetz, in der 
univerfalen Theokratie1). Wir dürfen aber bie Sittenlehre Jeſu als allges 
mein befannt vorausfegen. Ihr Verftändnig erfordert weniger genaue Be⸗ 
kanntſchaft mit ter Schrift. Da außerdem eine einläßliche Darftellung der⸗ 
felben den Raum dieſes Buches überfehritte, fo müffen wir und begnügen, 
die merkwürdigften Seiten dieſes Moralcoder hervorzubeben. 

In der Bergpredigt (Matth. 5, 17—48) hebt Jeſus gefliffentlich her⸗ 
vor, welche Sittengeſetze der alten, nationalen Theokratie noch gefehlt 
haben. Da wird das Unvollſtaͤndige ergaͤnzt und Manches, was im alten 


2) Die Stelle bei Joh. 5, 28 ff. Hält die Zeit des Weltgerichtes ganz unbeſtimmt, 
faßt überhaupt den Gegenſtand ganz anders, als die Stellen der Synoptiker. 
1) Matih. 5, 19. 


87 


Geſetze noch erlaubt war, verboten, So verbot Moſes nur die vollendete 
Sünde: Mord, Todtfchlag und Ehebruch. Jeſus dagegen verbietet jchon die 
fündhaften Tendenzen und Vorſpiele: Streit- und Schmähfucht, fowie die 
Beihäftigung der Einbildungskraft mit wollüftigen Bildern und mahnt zu 
Nachgiebigkeit, und zu entfchtedenem Kampf wider die Gelüfte des Herzens 
(3. 21—30)., War es im alten Bunde erlaubt, ſich unter beliebigen 
Vorwänden von feinem Weibe zu fheiden, wenn man ihr nur im „ Scheides 
brief“ die Gründe jhriftlich angab, fo bezeichnete Jeſus den Ehebrud als 
einzigen Scheidegrund und den als einen Ehebrecher, der eine um dieſes 
Grundes willen Gefchiedene zur Ehe nehme (DB. 31— 32), Bei einer ans 
dern Gelegenheit 2) verordnete er zudem deutlich genug die Ehe zwifchen 
einem Manne und einem Weibe (Mogonamie), während im alten Bunde 
die Vielweiberei erlaubt war. Schon diefe eine Verordnung ift für das 
foziale Leben der Chriftenheit von unermeßlicher Tragweite geweien. Das 
durch ward das Weib von der orientalifchen Sklaverei befreit und zur gleich« 
berechtigten Gefährtin des Mannes, zur Hausfrau im rechten Sinne er 
hoben ?), 

Das alte Wiedervergeltungsrecht (jus talionis) hob er auf und gebot, 
lieber zur erſten eine zweite Kraͤnkung hinzunehmen, als Böſes mit Böſem 
zu vergelten (V. 38— 42). Die im A. T. wenn auch nicht ausdrücklich, 


2) Matth. 19, 3—8. Marl. 10, 2—12. 

3) Es ift jedoch unerläßlich , hier anzumerken, daß erft mit der Seit, wo die gers 
manifchen Völker die welthiftorifchen Träger des Chriſtenthums wurden, die foziale 
Stellung der Frau factifch eine würbigere ward, als fle im orientalifchen und griechiſch⸗ 
römifchen Alterthum gewefen. Die urgermanifche Heilighaltung des Weibes (vgl. 
Thl. II, S. 339), verbunden mit dem Auffommen des Mariaculis, war es, welde 
die Frau mit dem Manne auf die gleiche Stufe menſchlicher Geltung erhob. Die 
Anſchauung der Evangelien vom Weibe ift doch durchſchnittlich noch eine fehr oriens 
talifchsrohe. Die Apoftel, in ihrer Uebertreibung der durch das Chriſtenthum ges 
prebigten Entfinnlichung des Menichen, hielten ja die Che mehr nur für verzeihlich 
als für raͤthlich. So bekanntlich ſelbſt Paulus. Bit der asketiſchen Bewunderung 
des ledigen Standes flieg dann noch die Verachtung des Weibes ins Aberwißige. Die 
meiften Kirchenväter fahen die Ehe geradezu als etwas Unreines, alfo Verdammliches 
an. Gie,liebten es, in den ſchmutzigſten Ausdrüden von ber Verbindung zwifchen 
Mann und Weib zu fprechen. Das Beifpiel der Ehelofigkelt Jeſu verleitete file zu 
Schlußfolgerungen, wie fie der Bloͤdſinn nicht bloͤdſinniger aufftellen könnte. Wenn 
alfo irgendwo, fo ift die Eniwicklung des Chriſtenthums in Betreff des Verhaͤltniſſes 
von Mann und Weib eine fruchtbare geweſen. 


88 


doch indirect gegebene Erlaubniß, den Feind zu haffen, verwarf er, und 
fegte an deren Stelle dad ganz neue Gebot großmüthiger Feindesliebe 
(B. 43—44). US die zwei höchſten Gebote bezeichnete er die Liebe zu 
Bott und zum Naͤchſten, weil in ihnen die Erfüllung aller übrigen Gebote 
Iteget). Die biöher verfannten paffiven Tugenden, zumal Selbftverfäugs 
nung und Demuth, hob er nahdrüdlich Hervor, jene als die rechte Nachfolge 
feiner, diefe ald die wahre Hoheit und Stärfe des Geiſtes5). Hinwieder 
ermahnte er auch zur Standhaftigfeit in ungerechter Verfolgung, zu muthi« 
gem Vertrauen auf Gott und warnte vor feiger Menſchenfurcht, wie vor 
allzugroßer Aengſtlichkeit betreffend den Lebensunterhalt). Klugheit ſogar 
empfiehlt er feinen Jüngern, wie er auch felbft Klugheit Gibte, wo fie 
dem Gewiflen nicht zuwider war”). Ein Hauptgrundfag der Lehre Chriſti 
ift ferner, die geiftigen Güter Höher zu achten als die leiblichen, die 
bimmlifchen Höher als die weltlichen ): „Niemandes Leben befteht darin, 
dag er viele Güter Hat." Gleichwohl fol man die zeitlihen Güter nicht 
- verachten, fondern fie zur Wohlthätigkeit anwenden und ald Beweiſe der 
göttlihen Vatergüte wertbhalten®), Endlich nennt Jeſus als Hülfs- 
mittel zu einem gottgefälligen Wandel das Gebet und die Wachſam⸗ 
feit über ſich felbft, auch das Faſten. Aber nicht als aͤußerliches Wert 
ohne innerlihen Exrnft fol Beten und Faſten geübt werden, und eben fd 
wenig die Wohlthaͤtigkeit aus bloßer Eitelkeit; ſonſt haben ſte keinen Werth 
vor Gott 10). Geſinnung, Glauben und Wandel müſſe einander entſpre⸗ 
chen: das Heißt Gott verehren im Geiſte und in der Wahrheit: „Der gute 
Menfch bringt aus dem guten Schage feines Herzend das Gute hervor und 
ber böje Menſch bringt aus feinem böfen Schage Boͤſes hervor ; Denn an der 
Frucht erfennt man den Baum. * 


4) Matih. 22, 37—A0, 

5) Matth. 16, 24; 7, 13—14. uf. 9, 46—48; 22, 26. 
6) Matih. 5, 11—12; 6, 2534; 10, 38. 

7) Maith. 10, 1617. Luk. 16, 8. Ioh. 2, 28. 

8) Matth. 6, 1921. uf. 12, 18—21. 

O) Luk. 16,9. Matth. 6, 26-30. 

.. 410) Matth. 6, 148. 





— — — — 


Sechſtes Kapitel. 


Entwicklung der chriſtlichen Lehre in den Kirchen, 
Confeſſionen und Sekten. 


1. 


Der Umſtand, daß Jeſus kein Wort von ſeiner Lehre ſchriftlich der 
Nachwelt überliefert hatte, Die bildliche, paradoxe und unzufammenhängenbe 
Form feiner Lehre, endlich die Verſchiedenheit ihrer Auffafſung je nad) der 
Individunalität feiner Sünger, — das Alles hatte zur nothwendigen Folge, 
daß die von ihm ausgeſprochenen religiöfen Ideen ſchon in den Tagen ber 
Nipoftel den Lauf einer weit ausfehenden Entwidlung begannen. Da. war 
Behufd der Verbindung zwiſchen den einzeln ausgeſtreuten Ideen des Mei⸗ 
ſters noch fo Mandyes zu ergänzen, zu erſchließen, und weil die Apoftel, 
auch der fpäter berufene Paulus, ſich erfüllt wußten vom heil, Geifte, be⸗ 
trachteten fie die aus der Lehre Iefu gezogenen Folgerungen, jowie ihre Aus⸗ 
legung feiner Sprüche und Gleihniffe, mit vollfier Ueberzeugung als das 
Evangelium des Meifters feibft 1), fogar bei Lehrgegenkänden, über weiche er 
fich nicht ausgeſprochen hatte. Die Ueberzeugung von der Cchtheit ihres 
Evangeliums gründeten die Apoſtel, da noch feine Meligionsurfunden über 
die felbfteigne Lehre Chriſti gefehrieben waren, auf ihre Erinnerung an feine: 
Ausfprüche, indem „der heil. Geiſt fle erinnere an Alles, was Jeſus ihnen 
gefagt habe" 2). Paulus berief ſich in dieſer Hinſicht theils auf den heil. 
Geiſt, der in ihm jet, theils darauf, daß auch er den Herrn geſehen habe 2). 

Auf die Autorität der Apoftel fügte fih im Weiteren die Autorität der 
mündlichen Ueberlieferung von den Apoſteln, welche zunächſt Die unmittels 
baren Schüler derfetben in Unſpruch nahmen. So entfland die Iradi« 
tion ald Duelle der Ariftlichen Lehre. Später, als Niemand mehr ſich 
einen anmittelbaren Schüler der Apofel nennen Tonnte und ed unſicher ge= 


1) 1. Kor. 7, 40. Apoſtelgeſch. 11, 12; 4b, 28. 
2) Joh. 14, 26; 16, 19. 
3) 1. Kor. 9, 1. 


90 


worden ſchien, wer den heil. Geiſt habe oder nicht, nahm man an, der heil. 
Geiſt werde ſich wenigſtens durch eine Verſammlung der angeſehenſten 
Kirchenlehrer ausſprechen, und auf dieſer Baſis erhob ſich das Anſehen der 
das Lehrſyſtem weiter bildenden Kirchenverſammlungen, Concilien?). Zu⸗ 
letzt war es den römiſchen Biſchöfen vorbehalten, die Autorität der apoſto⸗ 
liſchen Tradition für ſich allein in Anſpruch zu nehmen und dieſelbe, im 
Fall eines Widerſpruches, höher zu ſtellen als die Beſchluͤſſe der Concilien. 
Damit war entweder die Offenbarung des heil. Geiſtes in der Kirche ge⸗ 
läugnet oder es entſtand ein Widerſpruch zwiſchen der apoſtoliſchen Tradi⸗ 
tion und dem Geiſte des Herrn, woraus dann leicht die mißliche Schluß⸗ 
folgerung ſich ergeben konnte, die Einwirkung des heil. Geiſtes ſowohl als 
der Tradition auf nachapoſtoliſche Lehrentwicklung ſei nur eine Illuſton, 
wenn nicht etwas Schlimmeres. Ein Hauptanlaß zu ſo weit gehender 
Selbſttäuſchung war jedenfalls, daß man die mündliche Tradition, nach⸗ 
dem ſie einerſeits durch die Einführung der Coneilien, andererſeits durch 
den Abſchluß eines kirchlich anerkannten Kanons des Neuen Teſtamentes 
hiſtoriſch überwunden war, noch immer zwiſchen beiden geltend zu machen 
beliebte. Beſonders bei den fpäter hinzugefommenen Dogmen wird deutlich 
genug hevvortreten , daß oft ein nicht fehr Heiliger Geiſt bei ihrer Sanction 
mitgewirkt hat. 

Nach diefen Bemerkungen verfähreiten wir Dazu, die Geftaltung ber 
Lehre Chriſti in den chriftlichen Kirchen zu verfolgen. Natürlich ift nicht 
beabfichtigt, eine vollfländige Dogmengefchichte zu jchreiben. Wir geben 
nur die Hauptzüge. Doc wird fih bei aller Kürze und bei firenger Feſt⸗ 
haltung unferes culturbiftoriihen Standpunktes nicht ‚vermeiden lafſen, 
fammtliche Lehrgegenfäge zu berückfichtigen, aus deren Kampf das lirchliche 
Dogma hervorgegangen. 

2. 

Zur Weiterentwicklung der Lehre Chriſti hat der Apoſtel Paulus 
vornaͤmlich in zwei Richtungen beigetragen: für's Erſte durch feine Lehre 
von der Rechtfertigung durch den Glauben, welche Chriſtus ſelbſt nicht in 
diefer deutlichen Form ausgeſprochen zu haben fcheint, firs Zweite. durch 
die Lehre von der Onadenwahl, von welcher aud einzelne Anklänge in den 


4) Als Muſter derfelben mochte bie Apoftelverfammlung in Ierufalem angeſehen 
werden. Apoͤſtelgeſch. 18, 1—29. 


91 


- Ausfprüden Chrifti felbft, wenngleich nicht in fo fchroffer Geftalt, zu finden 
find. Daß Paulus den zum Chriſtenthum übertretenden Heiden die Cere⸗ 
monien des mofatichen Geſetzes, zumal die Beſchneidung, erließ, und biefe 
äußerkihen „Werke * als unnöthig zum Heil bezeichnete, im Gegenfat zur 
fireng judaiſirenden Partei unter den Chriften, deren Glieder nachmals 
Ebioniten genannt wurden, — das war nur bie nothwendige Folge⸗ 
rung aus ſeiner Lehre von der „alleinigen Rechtfertigung durch den Glauben, 
nicht durch Werke, damit nicht Iemand fih rühme*1), Was für ein 
Glaube das jet, der vor Gott vechtfertige, darüber läßt Paulus Niemand 
im Unklaren, der die Stelle lieft: „In Chrifto vermag einzig der Glaube 
Etwa? , der durch die Kiebe wirkſam ift*2). Die Begründung diefer Lehre 
findet fih vornaͤmlich im Briefe an die Galater und in demjenigen an bie 
Römer 1, 17 6i8 7, 25. Der Gedankengang der Begründung ift unge⸗ 
fähr folgenter: — der Menſch wäre ſchuldig, das ganze Geſetz Gottes ohne 
die geringfte Ausnahme zu halten. Eine einzige leifefte Uebertretung jchon 
raubt ihm die Gerechtigkeit vor Gott und kann durch Feine nachherigen 
guten Werke aufgehoben werden. Da nun alle Menſchen Sünder find, fo - 
find fle audy alle ungerecht vor Gott und können durch ihre beften Werke 
feine Rechtfertigung erlangen, müßten mithin den Fluch der Lebertretung 
tragen und in das Berderben fallen, wenn Bott fich ihrer nicht erbarmıt 
hätte. Der aber öffnete aus freier Gnade einen neuen Weg zur Rechtferti⸗ 
gung, den Glauben an Jeſus Ebriftus, feinen. Sohn. Wer an dieſen 
glaubt, der erfüllt Alles, was Bott im neuen Bunde von dem Menfchen 
verlangt und wird daher vor Gott fo gerecht, als wäre er ganz rein von 
Sünden. Durd den Tod Jeſu nämlich ift die Strafe der Sünde ftellver« 
tretend für und erlitten, fomit für uns aufgehoben und der Gerechtigkeit 
Gottes genug gefchehen. Aber eben der Glaube an diefe Kraft des Todes 
Chriſti macht uns theilpaft der Freiheit vom Fluch der Sünde, von der 
Strafe des Geſetzes. Hinwieder zieht durd den Glauben der heil. Geiſt, 
das neue Keben in Chriſto, Chriftus felbft in uns ein und durchbringt uns 
immer mehr, jo daß wir als nee Geſchöpfe nicht mehr uns felbft, jondern 
Gott und Chriſto Ieben. Der Heil, Geiſt erweckt ja die Liebe zu Gott und 
Chriſto, das neue Leben ift ein Leben in der Liebe, tiefe aber die Erfüllung 


1) Gphel. 2, 8—9. 
2) Salat. 8, 6; 6, 18; vgl. 1. Kor. 13, 2. 


* 


92 


bed Geſetes. Darin vollendet ſich die Rechtfertigung vor Bott: wir find 
zur Kindichaft Gottes gelangt ®). 

Die Unterfuhung nun, woher der Glaube eigensfi fomme, führt zu 
ber Xehre son der Gnadenwahl (Prädeftination). Die Beranlaffung, 
diefe Lehre zu entwideln, war die Trauer des Pauhrs über den Yinglauben 
der Juden umd die patriotifhe Hoffnung, fle würden fich einſt doch noch be⸗ 
fehren. Das ſchwebte ihm ſchon vor, als er die berühmte Stelle Röm. 8, 
28-39 niederſchrieb, denn diefe leitete ihn fofort zur Betrachtung des Ver⸗ 
Hältniffes, in welchem damals die Juden zum Reiche Gottes flanden. Nicht 
in der beſten Uebereinſtimmung mit den Ausſprüchen Chrifti (Matth. 8, 
12—21, A3— 44) lehrt Paulus, Gott habe die Mehrzahl der Juden nur 
darum gegen den Slauben verftodt, damit die Heiden eingeladen würden 
in dad Reich Gottes. Set aber erft Die Vollzahl der Heiden eingetreten, 
fo werden auch die Juden, von ihrer Berftodung befreit, Dur den Glauben 
in das Reich Gottes gelangen. Died wird begründet dur die Lehre von 
der Gnadenwahl. Gottes Gnade iſt frei, durch Feines Menſchen Thun oder 
Lafien beftimmt. Die feine freie Gnade auserwählt, erweckt er zum Glau⸗ 
ben, die fie nicht außerwählt, verftocdt er gegen den Glauben, d. h. macht 
ihnen denfelben unmöglih 4). Auf die Frage: „Warum zürnt und denn 
Gott, daß wir nicht glauben?” antwortet Paulus: „Menſch, wer bil du, 
der du mit Gott haderſt?“ d. 5. Lie freie Gnadenwahl Gottes ift vollig uns 
erflärbard) ; denn „unergründlich find feine Gerichte und unerforſchlich feine 
Wege.” In diefer Schärfe hat Ehriftus die Prädeftination nirgends gelehrt, 
wenn auch einige feiner Ausſprüche auf eine Gnadenwahl hindeuten, wie 
z. B.: „Viele find berufen, aber Wenige auderwählt" — und „Niemand 
fann zu mir kommen, e8 ſei ihm denn gegeben von meinem Vater. * 

Der Brief des Jakobus, rühre derjelbe her son wen er wolle, ſtellt der 
Nechtfertigung „dur den Glauben allein” gegenüber die „Rechtfertigung 

3) Bol. 1. Kor. 9, 2152. Kor. 5, 19; 5, 18; 1. Kor. 3, 16 fg. 

4) Röm. 9, 14—18. 

5) Vol. Römer 8, 26 fg. Mit der Lieblofigkelt des Rauliniſchen Dogma's 
von der Gnadenwahl contraftiet übrigens ſehr fchön das befannie 13. Kapitel des 
4. Korintherbriefes. Es wird da (B. 2) ein Glaube ohne Liebe geradezu verworfen. 
Bon derartigen Gegenfägen und Widerſprüchen flrogen überhaupt, wie Jedermann 


weiß, die neuteftamentlichen Uxfunden. Die Theologie may diefe Begenfägt und 
Widerfprüce zu vermitteln ſuchen, die Tulturgeſchichte hat fie zu nottren. 


% 


aus den Werken"). Den Glauben ohne die Werke nennt er tobt und ver- 
gleiht ihn mit einem entfeelten Leibe. Hier iſt offenbar der Glaube als ein 
bloßes Fürwahrhalten genommen, nisht im Paulinifchen Sinne. 


3. 


Als eine wichtige Weiterentwidlung der Lehre Jeſu erfcheint ferner bie 
Logosidee des Johannes, welche ſich beſonders im erſten Kapitel feines 
Evangeliums darſtellt. Dad Weſen Jefu wird bier aufgefaßt als „das 
Wort (Aöyog), welches von Anfang an in Gott war, durch welches alle 
Dinge geworden, welches endlich in Iefus Chriſtus menjchliche Geſtalt anges 
nommen.” Daß dabei an ein Wort im gewöhnlichen Sinne nicht gedacht 
werben kann, verfteht fih wohl von ſelbſt. Dieſes Wort, der Logos, be⸗ 
zeichnet, denken wir, das Ideal, nad) welchem Gott die Welt, und zugleich 
das fittliche Ideal, nad) welchem er ken Menſchen ſchuf, ald wirkfamer Wille 
Gottes gedacht, daher ed auch ald dad „Licht und Leben" bezeichnet wird 
und Chriſtus ald das verwirklichte göttliche Ideal des Menjchen erſcheint. 
Diefe Lehre erinnert zwar nicht undeutlich an die Logoslehre des Alerandri- 
ners Philo, laßt fich aber gleichwohl vielleicht noch anders al8 aus dem Ein- 
fluß alerandrinifcher Meligionsphilofophte erklären, Chriſtus felbft hatte 
feine Lehre oft mit befonderm Nachdruck fchlechthin ale „dad Wort “ bezeich- 
net), auch ald dad „Wort Gottes" 2). Es kam hinzu, daß Gott nad) der 
moſaiſchen Urkunde und den Palmen durch fein Wort die Welt erfchaffen, 
Jeſus jelbft aber durch feine Zeichen ſchöpferiſche Kräfte an den Tag gelegt zu 
haben ſchien. Diefe drei Umftände zufammengefaßt mit dem weiteren, daß Jeſus 
fich felbft Gottes Sohn genannt, erklären die Entflehung der Logoslehre für ſich 
allein hinlänglih. Nähme man aber an, das Evangelium Iohannis fei wirf- 
ich unter alerandrinifhem Einfluß zu feiner Logoslehre gekommen, fo ließe 
fich nicht wohl begreifen, warum es gerade in der Zeit, wo der Kampf gegen 
den wirflich aus alerandrinifchem Einfluß Hervorgegangenen Gnoſticismus am 
beftigften entbrannt war, fo allgemeine Firchliche Geltung erringen Tonnte. 
Sp viel ift jedenfalls fiher, da die Logodidee die erfte religions⸗philo⸗ 
fophiiche Auffaffung des Weſens und der Perfon Chriſti if. 

Außer ihr findet fich in den kanoniſchen Schriften des N. T. noch eine 

6) Sat. 2, 14—26. 


41) Matih. 13, 21—23. Marl, A, 14. Joh. 12, 48. 
2) Luf. 11,8. 


94 | ® 


andere, nicht von Chriſtus felbft ausgeſprochene Lehre, welche ſich aber auf 
fein Erlöſungswerk bezieht. Wir meinen die Lehre con dem Herabſteigen 
des geftorbenen Chriftus in die Unterwelt (1. Betr. 3, 18—20 und 4, 6), 
den Scheol der Hebräer, um den in der Sündflut Umgekommenen das Evan- - 
gelium zu predigen und fie dadurch zu erlöſen 3), Daraus hat denn das 
apokryphe Evangelium Nikodemi ein Herabfahren Chriſti zur wirklichen 
Hölle, dem Orte der Verdammniß, gemacht und d hierüber die aberwißigften 
Dinge erzählt. 


4. 


Die judatfirende Partei unter den Ehriften, fhon von Paulus: in 
“feinen Epifteln eifrig befampft, führte den Kampf ein volles Jahrhundert 
hindurch, biß fie fich ihrer Mehrheit nach zu einer Ausgleichung herbeiließ. 
Ihre Mitglieder Tiebten e8, fich ald „die Armen diefer Welt” (Ebioniten) 
zu bezeichnen, welcher Name der halsſtarrigen Minderheit nad erfolgter 
Ausgleihung ald Seftenname blieb. Die Einen behaupteten die Verbind« 
lichkeit des altteftamentlichen Geſetzes ſammt der rabbinifchen Tradition für 
die Chriſten, die Milderen ließen einen Profelgtengrad der Heidenchriften 
zu. Das Chriftenthum galt ihnen demzufolge nur ald dad vervollkommnete, 
univerfell gewordene Iudenthum. Feſthaltend am Meiftasbegriff Täugneten 
fie die Ewigkeit des Weſens Chrifti und behaupteten theils, ex fei nur der 
Sohn des Joſeph und der Maria, theild, er fei in der Iungfrau Maria er 
zeugt durch den heil. Geift. Als Urkunde ihrer Anfichten find befonders 
die Glementinen erwähnenswerth, deren Lehren übrigens nicht weit von 
Gnoſticismus entfernt ſcheinen. 

Der Paulinismus ſagte aber dem qrifllichen Bewußtſein weit mehr- 
zu, da er durch die Lehre von der alleinigen Rechtfertigung durch den Glau- 
ben an Jeſus Chriſtus und daherige Verwerfung des Gefeged und der Rab⸗ 
binen Ehrifto exft feine volle welthiftorifche Bedeutung gab und das Ehriften- 
thum, vom Judenthum befreit, zur Selbftftändigfeit erhob. Um jo höher 
wurde feitdem das Wefen Chrifti felbft geftellt und die Logoslehre, welche 
biefem Erforderniß entſprach, brachte bald die völfige Ueberwindung bes 
Ebionitismus zu Stande. Kaum jedoch begannen die Ehriften hierüber ſich 


3) Die Stellen Eph. 4,9. Roͤm. 10, 7. Apoftelgefh. 2, 27 können unferes 
Erachtens nur vermöge eregetifcher Düftelei hiehergezogen werben. 


4 95 
zu einigen, fo regten auch ſchon die religionsphilofophifcgen Syſteme der 
Gnoftifer das Beſtreben an, die gegebenen Lehren des num emanziptrten 
Chriſtenthums in are Begriffe zu faffen, und fo mächtig wirkte durch ihn 
das hellenifche Element, der Drang nach begrifflicher Darftellung, daß fort» 
an eine Xehre nach der andern vorgenommen ward, um in allgemein aner- 
kannte begriffliche Form gebracht, d. h. zum Dogma geflaltet zu werden, 

Zuerft entfland aus Veranlaffung der Logodlehre der Streit zwiichen 
den Subordinattanern und Monardianern. . Die Erften hielten 
Chriſtus für ein ſchon vor feiner Menſchwerdung perfönliches, Bott eben⸗ 
bildliches, aber demfelben untergeordneted Weſen. Die Legtern betrachtes 
ten CHriftus entweder als bloßen Menfchen, durch den göttlichen Geift in 
der Jungfrau Maria erzeugt, oder für eine Offenbarung und Erfcheinung 
Gottes felbft auf Erden. Diejer Streit, fehon feit Mitte des 2. Jahrhunderts 
begonnen, endigte mit dem Siege der Subordinatianer und kirchlicher Ver⸗ 
werfung der beiden gegnerifchen Anftchten. 

Bevor aber das Verhältniß zwiſchen Gott, Ehriftus und dem heil. 
Geifte jeine Eirchlich ausgeprägte Form erhalten konnte, follte noch ein an« 
derer weit heftigerer Streit die Chriftenheit bewegen. 

Meber die Behauptung der von dem Presbyter Arius geftifteten 
arianiſchen Partei, der Logos ſei einft durch den göttlichen Willen aus Nichts 
geihaffen worden, erſtes Geſchöpf und Weltfchöpfer, daher nur ähnlichen 
Weſens mit dem Vater, flegte auf der Synode zu Nicäa die Partei des 
Biſchofs Alerander und ded Diakons Athanafius. Aber nur durch 
Fatjerlihen Machtſpruch ſetzte diefelbe als vechtgläubig durch die Formel: 
„Chriſtus ift der eingeborne Sohn Gottes, erzeugt aus dem Wefen des Va⸗ 
ters, Gott aus Gott, Licht aus Licht, erzeugt, nit erihaffen, gleichen 
Weſens mit dem Vater” 2). Dies gewaltthätige Verfahren war der Grund, 
warum der Streit nur um fo heftiger entbrannte und neue Parteien ſich 
bildeten, die ſemiarianiſche, welche behauptete, „der Logos fei zwar von 
Ewigkeit aus dem Wefen des Vaters gezeugt, aber ihm doch nur weſen s— 
ähnlich“, — und die der Anomoier, welche alle göttlihe Wefenheit 
Chriſti Taugnete. Die Synode zu Konftantinopel entfchied zum zweiten 
Mat den Sieg der Athanaflaner 2); aber die Arianer fanden ihnen noch 


1) 3. 3. 328. 
2) 3.3. 381. 


d 


% | . | 
Jahrhunderte lang in gleicher, oft überlegener Stärke gegenüber, bis end⸗ 
lich die ganze Kirche Das athanaſiſche Befenntnig annahm. Die Synode 


son Konflantinopel war e8 auch, welche die Weſenggleichheit des Heil. 


Geiſtes mit Gott dem Vater nad) Tangjährigem Schwanfen der Meinungen 
hierüber fefließte. Damit war dad Dogma der Dreieinigfeit abgefchlofien 
ind zwar jo: „Ein Gott, in ihm drei Perjonen, der Vater, und bie von 
ihm auögehen, der Sohn und der heil. Geiſt. Ihr Gemeinfames tft Die 
göttliche Weſenheit; aber jede hat ihre Eigenthiunlichkeit, Durch welche fie . 
Perſon iſt.“ In dem nad Athanaflus genannten Symbol wird dieſe Drei⸗ 
einigkeitslehre ald Summe des chriſtlichen Glaubens feflgefegt und von ihrer 
Annahme die Seligkeit abhängig gemacht, natürlich geftügt auf die Lehre 
von der Nechtfertigung dureh den Glauben, den man jedody damals bereits 
nicht mehr im paulinifchen Sinne verftand. Damit Fam der Entwiclungd- 
kampf der Logosidee für eine Weile zur Ruhe. Uber der theologifche Zank 
ruhte deßhalb nicht: — es erhob ſich fofort der pelagianifche Streit. 


5. 


Pelagius behauptete: Die fittliche Willendfreiheit ift dem Menfchen 
angeboren, das Böſe hingegen fo wenig, ald das Gute. Die Sündhaftige 
feit erjcheint daher, nur als gewordener Zuſtand, nicht ald urfprüngliche 
Berderbtheit der Menfchennatur. Alle Menjchen find durch Gotted Gnade 
zur Seligfeit beftimmt und berufen. Je nad feiner Vorherſehung, wie 
die Menfchen die natürlichen und geoffenbarten Mittel zum Heil benugen 
werden, bat Gott dieſe Mittel unter die Menſchen verjchieden auöges 
theilt. Es gibt verfchiedene Grade der Befreiung von der Sünde und ſo⸗ 
mit auch des Verdienſtes vor Gott. Diefen entfprechen verſchiedene Stufen 
der Seligfeit. Die höhere, das Himmelreich, fann nur durch Gefeg und 
Evangelium errungen werden, die niedrigere, als Vorbildung zu berfelben, 
auch von foldyen, die weder Gefeg nod Evangelium fennen, nämlih von ' 
Heiden und Kindern, auch ohne die Taufe. Letztere Stufe nennt Pe— 
lagius das ewige Leben. Gerechtfertigt wird ber Menſch nicht durch Bei— 
meflung fremder Gerechtigfeit, fondern dadurch, daß er ſich zu dem Grabe 
ber Tugend erhebt, welchen zu erreichen ihm nad den verliebenen Gaben 
und Heildmitteln möglich ift. 

Dagegen lehrte Auguftinus: In Adam haben alle Menfchen ges 


97 
fündigt 1). In Folge des Sändenfalls- der Menfcheneltern. ift Die Menſchen⸗ 
natur völlig verderbt an Seele und Leib, hat alle fittliche Freiheit einge⸗ 
büßt, feine Kraft mehr zum Guten, einzig zum Böſen. In Allen Herricht 
die fleifchliche Begier (ganz allgemein gefaßt) und bringt Alle unter die 
Knechtſchaft der Sünde. So viel an un liegt, können wir nichts Anderes 
als die Verdammniß verdienen. Nicht nur den Gang zur Sünde und bie 
Sünde jelbft, auch die Sünden Schuld haben wir von Adam ererbt. Die Erb⸗ 
fünde ift Strafe und nothwendige Folge des adamitifchen Sündenfalle. Als 
Sünder und Berdammte werden wir geboren. Nun aber beihloß Gottes 
unerforjchlicher, freier Wille, durd Chriſtus einen Theil der Menſchheit zu 
erretten. Gott erwählte einen Theil ver Menfchen, nicht alle, daß ihnen 
durch Geſetz und Evangelium die Möglichkeit des Heild gegeben werde. 
Unter diefen erwählte er wieder nur einen Theil; denn die Taufe, welche 
alle Chriſten empfangen, verichafft ihnen bloß die Erlaffung ver Erbfünden- 
fchuld, befreit fie jedoch nicht von dem innerlichen Bortwirfen der Erbfünde. 
Einer vorher beftimmten Anzahl ter Getauften wirt dann noch die innerliche, 
verborgene Wirfung des Heil. Geiſtes verliehen ald die wirkſame Gnade 
Gottes, welche Erleuhtung und Heiligung, dadurch aber Rechtfertigung und 
feligmachende Gerechtigkeit ſchafft. Unwiderſtehlich ift diefe wirffame Gnade 
in Folge von Gottes Allmacht. Die fle jedoch nicht empfangen, fallen, wie auch 
die ungetauften Kinder und die Heiden, in die ewige Verdbammniß. Dem⸗ 
zufolge hat Gottes unbedingt freier Wille von Ewigkeit: her unabänderlich 
die Einen zur Seligfeit, die Andern zur Verdammniß beflimmt. Bon einem 
Verdienſt des Menfchen vor Gott fann mithin feine Rede fein, nicht einmal 
bon einem eigenen Mitwirfen zu feiner Seligfeit: Gott thut Alles. 

Auf der allgemeinen Synode zu Ephefus wurden die Belagianer ver⸗ 


dammt 2), allein ungeashtet ſeines Sieges wollte der Auguſtinismus in feiner 


Schroffpeit weder unter den Glietern ter orientalifchen noch ter occidenta⸗ 


liſchen Kirche recht Wurzel ichlagen. Ja, gerade aud dem Schooße der abend⸗ 


laͤndiſchen Kirche, welche den Auguſtinismus geboren, trat bald der Semipes 
lagianismus hervor und wurde allmälig zur berrichenden Macht, auf Grund 
der vermittelnden Anſicht: die firtliche Kraft des Menfchen jei durch Adams 
Fall zwar nicht völlig verdorben, hingegen geſchwaͤcht. Die Gnade könne 


4) „In den Eenden Adams“, druͤckt ſich Auguftinus aus. 
29) 3.3.43. 
Scherr, Gef. d. Religion. IH. 7 


angensmmen oder auch zurädigewiefen werben ; jedoch vermöge ‚der Menfch 
ohne fie gar Nichts. Die ſtrenge Praͤdeſtination (Borherbeſtimmung zur Gelög- 
Seit oder Berdammnig) wart fallen gelaffen, ebenio auch jedes Verdienen 
ber Seligkeit. Dem Pelsgianismus gegenüber hob man befonber& hervor, 
dag die Wirkfamfeit der Gnade weſentlich am die Heilſmittel der Kirche 
Ghriſti, zumal an die Taufe gebunden ſei. 


6. 


Während fid) die Enticheidung des pelagianiichen Streiteö vorbereitete, 
erbob fi der nefterianifche, gleichfam als ein Kanıpf zwifchen den beiden 
großen Schulen des Orients, Antiochien und Alerandrien. Er betraf bie 
göttlihe und menjchlide Natur EHrifti in ihrem Verhaͤltniß zu einander. 
Neſtorius betrachtete die Nenſchwerdung Ehrifti ald ein Wohnungnehmen 
der göttlihen Netur in der menfchlidden. Beide wirken zufammen zu dem⸗ 
felben Zwede , find aber nur mit einander verbunden, nicht zur Einheit ver- 
fhmolzen, fo dag Ehriflus zwar eine einheitlihe Perſon ift, in derm 
Schickſak jedoch dad Eine nur feine menſchliche, das Andere nur feine gött- 
liche Natur in Aniprub nahm. Cyrillus von Alerandrien ftellte dem 
entgegen die förmlidie Menfhwerbung bed Logos in Chriſtus, Die gegen- 
feitige Durchdringung und Berfchmelzung feiner beiden Naturen. Chriſtus 
it der Gottmenſch, in welchem fi die göttlichen und menſchlichen 
@igenfchaften gar nicht mehr von einander unterfhheiden laſſen. Selbſt fein 
Leib ift den Logos eigenthümlidy geworden. Die oben erwähnte Synode 
zu Epheſus verdammte die Lehre des Neftorius. Die Gottmenfchlichkeit 
Chriſti nach Eyrillus blieb fortan allgemein anerkannte Kirchenlehre; aber 
bie Sekte der Neftorianer befteht noch Heutzutage im Orient. 

An dieſem Streite über die Raturen Chriſti Hatte jedoch die griechiſche 
Spigfindigkeit no nicht genug. Eutyches, Archimandrit in Konſtan⸗ 
tinopel, wagte die Lehre von der Vereinigung beider Naturen fo weit zu 
treiben, daß er behauptete, bie menſchliche Natur Chriſti fei in der gött« 
lichen völlig aufgegangen und mit ihr zu einer Ratur geworden. Nach 
mannigfachen vorangegangenen Schwankungen ward durch die allgemeine 
Synode zu Chalcedon 1) feftgefegt: Zwei Naturen find unvermiſcht, aber 
- auch ungertrennli in der einen Perfon Chriſti vereint. Die alexandri⸗ 





4) 3.3. 481. 


9 


niſche Richtung, welche bie göttliche Natur Eyrifi einieitig hervorgehoben, 
ohne jedod ganz dem Euthches beizuſftimmen, nahm an diefem Beſchlufſe 
Auſtoß und erhob fi Dagegen als monophyſitiſche Vartei. Obwohl 
jelbft wieher in verfchiedene Richtungen zerfallend „ blieb fie Doc fo mächtig, 
daß man fie mit der Kirchenlehre zu verfühnen juchte durch den Sag: Chri- 
flus habe zwar zwei Naturen, aber beide äußern ſich nur in einem Willen. 
Das rief aber uur wieder den monotheletifden Streit hervor. Den 
Abſchluß dieſer Meinungskämpfe über das gottmenſchliche Weſen und Wollen 
Chrifti bildete endlich der Beſchluß ter 6. dkumeniſchen Synode zu Konſtan⸗ 
tinopelD), welcher ald Kirchenlehre geltend machte: Verſchiedenheit der bei⸗ 
den Naturen Eprifti ungeachtet ihrer Vereinigung, demnach in phyſiſchem 
Betracht eigentlich zwei Willen Chriſti, einen göttlichen und einen menſch⸗ 
lihen, nur in moralifher Hinfiht Einheit Diefer beiden Willen. Die 
Monophyfiten ihrerjeitd nahmen feinen Antheil mehr an diefer letztgenann⸗ 
ten Fixirung der Firdlichen Lehre. Seit 536 bildeten fie in Aegypten die 
koptiſche, feit Anfang des 6. Jahrh. in Aflen die armeniſche Kirche 
und feit Mitte deffelben Jahrhundert in Syrien und Mejopotamien die Me- 
ligiondgemeinichaft der Jakobiten. 

Bon den Streitigkeiten, welche das Verhältniß der Perfonen der Drei⸗ 
einigfeit zu einander betreffen, fallen die beiden legten in das 8. Jahrhun⸗-⸗ 
dert. Die eine, gegen Die Adoptianer, warb nur innerhalb der abend- 
ländiſchen Kirche durchgefochten. Zwei fpanifche Biichöfe nämlich hatten die 
Lehre ausgebildet, feiner menfchlihen Natur nach fei Ehriflus nicht ur⸗ 
ſprünglich Gotted Sohn, fondern von Gott zu feinem Sohne angenommen, 
adoptirt. Diefe Lehre ward auf der Synode zu Aachen 3) verworfen und da⸗ 
gegen aufgeftellt, Chriſtus fet auch nach Annahme der menſchlichen Natur, 
hinſichtlich beider Naturen eben fo urfprünglich Gottes Sohn, wie vor der 
Menfchwerdung. Der Sohn Gotted und der Sohn ber Jungfrau iſt der⸗ 
ſelbe; denn auch die menfchlihe Natur Chriſti Hat Maria durch göttliche 
Beugung empfangen. Der zweite Streit, entflanden zwifchen ber morgen» 
und abendlaͤndiſchen Kirche, zu deren Trennung er Vieles beitrug, betrifft 
das Verhaͤltniß des Heil. Geifled zum Vater und Sohne. Shen im 
8. Sahrhundert viel auf Synoden des Abendlandes verhandelt, warb bie 


2) 3. 3. 68081, 
3) 3.3. 799. 
7% 


100 


r 


Lehre der römifchen Kirche, der heil. Geift ſei nicht nur vom Vater, ſondern 
auch vom Sohne audgegangen, von Ver durch den Patriarchen Photius 
1. 3. 867 nach Konftantinopel berufenen Synode der griechifchen Kirche ver⸗ 
worfen und Hierauf Bann und Entjegung über den Papft ausgeſprochen. 
Jede der beiden Kirchen blieb bei ihrer Lehre bis auf den heutigen Tag. 


Die übrigen kirchlichen Streitigkeiten, welche auf Feſtſtellung des Dog« 
mas Einfluß Hatten, betreffen nur noch Gegenftände des Eultus, nämlich 
die Bilderverehrung und da8 Abendmahl. — Vergeblid war eine 
Reihe griechifcher Kaiſer gegen die Bilderverehrung mit Gewalt eingefchritten 
und hatte Die Synode von Konftantinopel unter Konftantinus Kopronymus 4) 
diefelbe verworfen: die Anhänglichfeit der Menge an dieſe finnliche Manier 
der Religiondübung wurde dadurch nicht zerftört, um ſo weniger, da der 
Bilderdienſt an Rom einen Rückhalt hatte. Bei den Zuſtänden am byzan⸗ 
tinifchen Hofe muß es auch ganz in der Ordnung befunden werden, Daß 
dem Bilderdienft dort durch zwei rauen zu vollftändigem Triumph vers, 
bolfen wurde3). In der abendländiſchen Kirche Fonnte dieſe Verheidung 
des Chriſtenthums erft fpäter durchgefegt werden. Namentlich adoptirte bie 
germanifche Kirche, nachdem fte fih lange dagegen gefträubt 8), erft im 10. 
Jahrhundert die von Rom gewollte Bilderverehrung. 

Der Abendmahlöftreit, durch die Verwandlungslehre des Paſchaſtus 
Nadbertu angeregt, bewegte die abentländifche Kirche allein. ‚Hatte ſchon 
Papft Gregor der Große in irgend einer Dogmatifchen Verzückung flatt des 
Abendmahlsbrotes plöglich einen blutigen Finger in feiner Hand gefehen, 
galt zudem als Firchliche Lehre, daß auch der Leib Chriſti unmittelbar von 
Gott gezeugt, aljo göttlicher Eigenfchafien ebenfalld theilhaft fei: fo lag es 
nicht mehr fern, die bisher buchftäbliche Auffaffung der Worte: „Das ifl 
mein Leib, dad ift mein Blut!” zu vertaufchen mit ber Lehre, daß bei ber 
Beier des Abendmahls das Brot und der Wein in wirkliches Fleiſch und 
.Blut Chrifti fh verwandle, indem Gott den Leib Chrijti flet3 von Neuem 


4) 3.5. 754. 

85) Durch die Kaiferin Irene, welcher zu Gefillen im Jahre 787 die Synode von 
Nicaͤa die Bilder als Gegenftände Firchlicher Verehrung anerkannte, und durch bie 
Kaiferin Theodora, welche im Jahre 842 ein förmliches Siegesfeft der Bilderverehrer 
fiftete, 

6) Die von Karl dem Großen berufene Synode von Frankfurt (im Jahre 794) 
Hatte fich entfchieden gegen den Bilderdienft ausgefprochen. 


101 


erzeuge, wie einft im Leibe der Marie. Daburd werte, lehrte Radbert, 
das Abendmahl theils zu einem ſteks ſich wiederholenden Verſöhnungsopfer, 
theils zu einer ſtets erneuten Menſchwerdung Chriſti, letztere freilich im 
Leibe des einzelnen Chriſten. Zuerſt traten Rabanus Maurus, Ratram⸗ 
nus und Scotus Erigena gegen dieſe Lehre auf, und der Streit blieb damals, 
im 9. Jahrhundert, ohne kirchliche Entſcheidung. Als aber zu Anfang des 
11. Jahrhunderts Berengar von Tours neuerdings gegen die Verwandlungs⸗ 
lehre Oppoſition erhob, war die öffentliche Meinung ſchon ſo ſtark für die⸗ 
ſelbe eingenommen, daß Berengar durch ſeinen Freund Gregor VOL nur mit 
Noth vor dem Anathema errettet werden Eonnte. Die Lehre des Paſcha⸗ 
fiud erhielt volle Firdliche Sanction im Glaubensbekenntniß der großen 
Lateraniguode unter Papft Innocenz IM. im Jahre 1215. 


T. 


Während nun die Grundzüge des kirchlichen Glaubensſyſtems durch 
förmliche Veſchlüſſe der öfumenifchen und ſpäter ter fpeztell griechiſchen und 
abendländiichen Synoten ſich ausbildeten, entwidelten fich neben ihnen 
die übrigen Dogmen meift in ftillerer Weife durch tie Schriften der Kir- 
Yenväter, deren Anſehen die öffentliche Meinung für ihre Kehren gewin⸗ 
nen konnte. Aber auch die fpätern Theologen nahmen an Liefer Kortbils 
bung der Lchren noch Theil und ebenfo betingte theils der jeweilige Zuftand 
des fittlich-religiöfen Lebene unter den chriſtlichen Völfern, theils das In⸗ 
tereſſe der Hierarchie, endlich die Umbildung der ſocialen Verhältniſſe die 
Richtung , welche die Lehrentwicklung einſchlug. Wir ſehen uns daher ge⸗ 
nöthigt, jede einzelne Glaubenslehre in ihrer Entwicklung bis dahin zu ver⸗ 
folgen, wo wir oben abgebrochen haben, naͤmlich bis zum Beginn des 
Scholaſticismus in der abendländiſchen Kirche, welcher das Dogma als bes 
reits Abgeſchloſſenes mit Huͤlfe ariſtoteliſcher Denkformen zu durchdringen 
und zu begründen ſuchte. Zugleich weiſen wir darauf bin, daß in ber 
orientaliſch⸗ griechiſchen Kirche die Dogmengeftaltung mit dem Bilderftreit 
ihr Ente erreicht, um erft nah der Reformation wieder einen ſchwachen 
Anlauf zu nehmen, während in der abendländifch- römiſchen Kirche der 
Scholaftieisnrus nur eine neue großartige Bewegung in der Lehrentwicklung 
vorbereitete. | 
Die alten chriſtlichen Kirchenlehrer oder Kirchenvaͤter, wie man ſie zu 
nennen gewohnt iſt, find keineswegs anzuſehen als Solche, die ihre Lehren 


102 


allein aus den chriſtlichen Bewußtſein herausgebildet Hätten. Cie waren 
beinah alle mit den Philofophemen der Alten bekannt, befafien claffiſche 
Bildung und legten nicht felten eine große Originalität philofopbticher oder 
auch, wie z. B. Tertullian,, phantaflereicher Anfchanung an den Tag. Erft 
bei den Kirchenlehrern nach Auguftin fangt man dieſe Eigenfchaften zu vers 
mifien an. Die Kirihenlehrer vor Angufin waren die Wortführer der 
katholiſchen oder kirchlichen Partei gegen die Gnoſtiker und andere Häre- 
tiker, fowie der Ehriſten überhaupt gegen Iuden und Heiden. Begreiflich 
daher, daß fie viele chriſtliche Lehren im Gegenſatz wider die Genannten 
als Ausdruck ves kirchlich⸗ chriſtlichen Bewußtfeind genauer formuliren 
mußten. 


Nach diefen Bemerkungen beginnen wir die Darftellung der einzelnen 
Lehren in ihrer Entwidlung mit der Lehre von Gott, feinen Elgenſchaften 
und feinem Verhaͤltniſſe zur Welt. 


8. 


Inwieweit Chriſtus felbſt die altteſtamentliche Idee von Bott verbolle 
fommnete, haben wir geſehen. Er gab fie meiſt in Form populärer Bor« 
ftellung. Den Uebergang zu eigenfliher Begriffsbeſtimmung erkennen wir 
mit befonderer Deutlichleit in den Schriften des Apoſtels Paulus, wie im 
Ceangelium und den Briefen Johannis. Nicht zufällig, denn in den. 
Schriften dieſer beiden Richtungen treffen wir zugleich die theologiiche Spe⸗ 
enlation Aber das Weſen Chrifti und fein Erlöfungsweit. Hatte naͤmlich 
Gott durch die Erſcheinung Chriſfti im praftifch weligiöfen Bewuftfein eine 
ganz; andere Stellung genommen, als zuvor, Tv mußte mit dem Erwachen 
des Denkens über Chriſtus auch Das begrifflice Denken über Bott begin« 
nen, und je nad) dem Chriſtus gedacht ward, mußte auch der altteſtam ent⸗ 
liche Gotteßbegriff umgeflaltet werden. In den Anfichten der Gnofliker, 
der Montaniften und Ebioniten nuangirte ſich derſelbe mannigfaltig %). Im 


. 4) Die Gueſtiker Ichrten, wie belannt, einen Weltſchoͤpfet, welcher nicht Goti 
ſelſt Sei, und ein Bonewiglaiifein ter Materie neben Bolt. Die Montaniſten und 
Cbioniten accentuirten die Perfönlichkeit Gottes fo flark, daß fie ihm auch einen Körper 
beilegten. Auch der Kicchenvater Tertullian (Presbyter zu Karthago, fl. 220) 
neigte ſich diefer Anfiht zu. Dagegen verfchafften die Rirchenväter Origenes (um 
328 Presbyter zu Ehlarea) und Elemen®, Haͤupier der alexandriniſchen Schule, ihrer‘ 


188 


Algemeinen jedoch wurde Bott im panlinifhen Sinme*) als Inbegriff alles 
Seienden gefaßt und wurde dabei, ebenfalls nach Paulus’ Vergang 3), bie: 
Unerforſchtichten ſeines Weſens betont. 


In Betreff der Eigenſchaften Gotted richtete man n fein Augenmerk bes 
fonderd anf die Allgegenwart, welche mät ber Perfönlichkeit Gottes, und 
auf die Allwiffenheit, welche mit der Freiheit des Menſchen nicht leicht ver⸗ 
einbarlich fchten. Gleichwohl warb an beiden feftgehalten. Die Erfhaf- 
fung der Welt and Nichts ließ Die Kirchenlehre durch den Logos vermittelt 
werben. Der beibnifchen Lehre von der blinden Nothwendigkeit im Kauf 
der Schickſale ward eine väterliche Vorſehnng, den gnoftifhen Syfemen, 
weiche die Entfledung der Welt alß einen Abfall von der Gottheit betrach⸗ 
teten, ein gütigeö und weifed Walten Gottes In der Welt gegenübergeftrllt. 
Auch unter den Streittgfeiten über das Weſen Chriſti und fein Verhältniß 
zu Bott behauptete fich jene pauliniſch⸗platoniſche Anficht von der Unbegreif⸗ 
lichkeit des göttlichen Weſens und feiner abſoluten Exhabenheit über alles 
Endliche, zumal durch Baftlius den Großen, ©regor bon RHffa und Gregor 
von Nazianz. | 


9. 


Die Lehre von der Erlöſung und von der Verſöhnung zeigte in den 
exſten Iahrhunderten ebenfalld noch viel Schwanfendes, Die Gnofiker, 
ihrem tualifiichen Standpunkt zufolge, faßten die Erlöfung als eine Bes 
freiung aus den Feſſeln der Materie, die Ebtoniten ald Wiederherfichlung 
der reinen Iheofratie, Origenes nach dem Vorgang ded Evangeliums Jo⸗ 
hannis als das Erjcheinen des göttlichen Ebenbildes, von weldem über bie 
Menschen eine neue, göttliche, fittlich wiebergebärende Kraft audgegangen: 
ſei. Mehr an Paulus flo fh, was die Verfühnungslehre betrifft, die 
Genugthuungs⸗ (Satiöfactiends) lehre in ihres gnoſtiſchen und kirchlichen 
Geſtaltung an. Nach der gnofiichen Anſicht, zumal des Marcion, befreite 
Jeſu Tod die Menfchen aus der verberblicden Gewalt des von Gott unter« 
ſchierenen Weltſchöpfers, indem er jenen, den Gott ter Gerechtigkeit, zwang, 
Die gegen den fündenreinen Jeſus durch Bewirkung feines Todes begangent 





— — — 


Vorſtellung von Bott als einem reinen koͤrperloſen Geiſt (abſolutes Denken) die Herr⸗ 
ſchaft im kirchlichen Bewußtſein. 
2) „Bon ihm und durch ihn und in (zu) ihm find alle Dinge.“ Roͤm. 11, 36. 
3) Rim. 11, 33. Bol. 1. Kor. 2,9. und 1. Uimeih. 6, 15-40, 


104 


Ungerechtigkeit zu fühnen, welche Sühne in der Aufhebung des Verderbens 
für die Ehriften beſtehen follte. Die Kirchliche Lehre ſogar hielt den Tod 
Sefu nicht für eine Genugthuung gegen Gottes Gerechtigkeit, fondern für 
ein vom Teufel begangenes Unrecht, welches denfelben nötbigte, fein Hecht 
auf die fündigen Menfhen fahren zu lafien. Origenes vollends ſah Die 
Seele Jeſu für ein dem Teufel bezahltes Löfegeld an, wodurch aber der 
Teufel getäufcht worden, da er daflelbe annahm, ohne zu wiſſen, daß ihm 
über die Seele des Gottesſohns Feine Macht zuſtehe. Anderfeits freilich 
hielt fih Origenes an den Standpunft des Gebräerbriefed und betrachtete 
Jeſus als den ewigen Hohenpriefter, weldyer aus Liebe zu Gott ſich felbit 
zum Opfer dargebracht habe zur Tilgung ber Sündenſchuld aller vernünfe 
tigen Wejen und verſöhnend in diefem Sinne fortwirfe bis zum Ießten Tage. _ 

Das folgente Zeitalter Hielt in Auguftinus und Gregor von Nyffa an 
der Lehre von der Erlöfung durch rechtliches Verfahren, beziehungsweife 
durch Betrug gegen den Teufel, feſt, doch erhob ſich Gregor von Nazianz 
gegen ein dem Teufel bezahltes Löſegeld, während Andere flatt des Teufels 
den perfonificirten Tod als die betrogene Partei binftellten. Ferner ward 
in bibliſchem Sinne dad Leiden Chrifti als flellvertretend für die Strafe der 
Sünter gefaßt und ihm, als tem Leiden des Gottmenfchen, ein unend- 
licher Werth beigemeflen. Bei aller damaligen Hochftellung des Wefens 
Ehrifti Hat man durch die ſtrenge Prädeftinationslehre doch der umfaffenden- 
Bedeutung feines Erldfungswerfed großen Abbruch gethan. Vergleichen 
wir übrigens die damalige Erlöfungslehre mit derjenigen der Evangelien, 
ſo ftellt fih heraus, daß in Tegterer mehr althebräifche, in erfterer mehr 
römiſche Rechtsbegriffe hervortreten, wie fpäter in der Erlöfungslehre 
des Anfelm von Canterbury fich die germaniſchen Rechtsbegriffe geltend 
machen. 

Die dritte Periode konnte in ihren Wortführern, Gregor 1.1), Iſidor 
von Sevilla und Johannes Damascenus, ebenfowenig von der juridifchen 
Erlöſungs⸗ und Sühnungstheorie loskommen und Scotus Erigena fand 
mit feiner abweichenden Lehre zu hoch über feiner Zeit, daber vereinzelt im 
Meer tes Zeitbewußtfeins. 

Ueber tie Lehre von der Perfon Sri ift bei diefer Gelegenheit noch 
einiges Bemerkenswerthe nadyzutragen. — Da die Gnoftifer fi die Suͤnd⸗ 


1) Roͤnuſcher Bifhof 800-604, 


105 


Iofigfeit Chriſti nur erflären Eonnten durch Die Annahme, er ſei von jeber 
Berührung mit der Materie, dem Prinzip des Böſen, frei geblieben, fo 
waren ſie zu der Behauptung genöthigt, die irdifche Dafeindform Ehrifti jet 
eine bloß Scheinbar menfchliche geweien (Dofetismus), fet ed, daß 
fein Leib aus überirdifhen Stoff gebildet war und nur menſchlich ſchien, 
wie die Ginen annahmen, jei e8, daß fein Leib wirklich irdiſch, aber. nur 
von der Taufe im Jordan bie zum Eintritt des Leidens ald Außere Hülle 
zum Bwede menichlicher Mittheilung angenommen war, wie die Mehrzahl 
der Gnoſtiker glaubte: M @ 

Dem gegenüber hielten bie Kirchenlehrer, damit ihnen nicht am Ende | 
die ganze evangeliſche Geſchichte verflüchtigt werde, fireng an der. Xehre, 
Jeſus Chriſtus fei als wahrer, wirklicher Menſch don der Jungfrau Maria 
geboren. Man ſchrieb ihm einen wirklichen Menſchenleib zu und bald, un⸗ 
geachtet der pauliniſchen Lehre, daß „in Chriſto die Fülle der Gottheit leib⸗ 
haftig wohne“ und ungeachtet der Logoslehre, auch eine wirkliche Menſchen⸗ 
ſeele. Nachdem die Streitigkeiten über die Trinität und das Weſen Chriſti 
mehrmals nahe an den Doketismus geführt, und ſogar die Formel „Gott 
hat gelitten“, ſowie die Bezeichnung der Maria als „Gottgebaͤrerin“ ortho⸗ 
dor geworden, nachdem das Zeitalter der ökumeniſchen Synoden ſelbſt den 
Leib CHrifti zum göttlichen Logosleibe erhoben, blieb dennoch die Wirklich“ 
feit der menſchlichen Natur Ehrifti im Allgemelnen unumſtößliches Dogma 

der Kirche. 


10. 


Was die Lehre von der Menſchenſeele angeht, ſo finden wir in 
der aͤlteſten Zeit als herrſchende Anſtcht Ten Spiritualismus, d. h. die An⸗ 
ſicht, die Menſchenſeele ſei ganz geiſtigen Weſens. Als die Haupteigen⸗ 
ſchaften derſelben betrachtete man ſittliche Freiheit und Unſterblichkeit. Schon 
damals waren aber in Hinſicht auf die Entſtehung der Menſchenſeele drei 
Anſichten mit einander im Streite: — 1) Die Seele habe ſchon vor ber 
Zeugung eriftirt (Präeriften;); 2) die Seele fei bei der Zeugung von Gott 
geſchaffen worden (Creatianismus); 3) die Seele fei durch tie Zeugung 
von den Eltern auf dad Kind übergegangen (Traducianismus). Noch lehrten 
die meiften Wortführer,, die Sünde fei den Menfchen nicht angeboren,, fon« 
hern entftche Durch den freien Willen des Einzelnen. 

Die göttlicye Ebenbildlichkeit des Menfchen vor. dem Sündenfall ward 





106 


in der zweiten Periode der Kirchenväter in fo weitem Sinne geſußt, daß 
man fle fogar als eine Herrſchaft über die Irbiiche Schöpfung betrachtete. 
Dur den Sündenfall ging fie für Adam und alle feine Nachlommen 
verloren. Wie fee die Freiheit des Menſchen burg den Sieg beb 
Aaguftinismus an kirchlicher Anerlennung verlor, haben wir oben geſchen. 
Dark) den Semipelagianismus der öffentlichen Meinung geſchützt, durfte 
ſpaͤterhin Johannes Damascenud gleichwohl behaupten, durch den Schadens 
fall Habe der Menſch zwar einzelme Zuͤge der göttlichen Ebenbildlichkeit, doch 
die Freiheit und Kraft zum Guten nicht eingebüßt. Folgorichtig je nach 
ber Anficht von ber Freiheit des Menfchen und ber Entfichung der Sünde 
faßten die Kirchenlehrer auch Die Aneignung des in Chriſtus gegebenen Heils 
durch den Menfchen auf. In der Alteflen Zeit galt der rechtfertigende 
Glaube für völlig abhängig von dem Entſchluß des freien Willens; ein 
reiner Wandel nach den Vorbild Chriſti ward ald nothwendige Frucht defe 
felben gefordert. Die Snoflifer, die Auhänglichfeit an ihre phantaſtiſchen 
Philoſopheme mit dem Glauben verwechfelud, waren die Einzigen, welche 
das Fürwahrhalten als allein felig machend binftellten und verächtlich auf 
die Werke herabfaßen. Aber auch Die katholiſche Richtung wich ihrerfeits: 
bereit nom Paulinismus Daburd ab, daß fie eine Verdienſtlichkeit ber 
Werke annahın und meinte, man fönne vor Bott durch gewiſſe Werte mehr 
thun, als man fhuldig fe. Auguſtinus vermodte durch feine Lehre, daß 
der Glaube einzig die Wirkung der unwiderftehlichen Gnade Gottes fei und 
durch die Liebe rechtfertige, dieſer judaifirenden Richtung nicht zu wehren; 
ebenjo wenig Jovinianus) und Andere, welche die befondere Verdienſtlich⸗ 
feit der Werke beſtritten. Faſten, jungfränlider Stand und dergleichen 
Aenperlichkeiten galten dem kirchlichen Bemußsfein num einmal für verdienſt⸗ 
lich und dieſer Geiſt der Werkheiligkeit nahm im ber Kirche immer mächtiger 
überhand, bis er in der Lehre vom Ablaß auf bie Eipige getrieben wurde. 


11. 
Der Begriff von der Kirche ſcheint in. früheften Zeiten ſich der Lehre 
Ehrifti vom äußerlichen Gottegreich angefchloffen zu haben. Gegenüber ben 


4) Ein römischer Asket, wegen feiner Oppofition gegen die Berdienftlichkeit der 
Werke 388 aus der Kirche geſtoßen. Auguflinus war, wie allbefannt, Biſchof zu 
Sippe, 395430. | 


107 


Montaniſten 1), welche in der heche die Berwirflihung des geiftigen, inmmer« 
lichen Gottesreiches auf Erden zu ſehen verlangten, ſowir hernach im Gegen⸗ 
faß gegen die Rovatianer ), welche die Wiederaufnahme der Gefallenen 
verweigerten, hielt die katholiſche Richtung feſt an dem Beiſpiel bes 
Apoftels Paulus, ker den Korinthern einen reumüthigen Blutſchaͤnder zur 
Wiederaufnahme empfohlen 3) ımd überhaupt Milde gegen die Gefallenen 
geprebigt Batte4), und faßte jomit die Kinche als eine allgemeine Bil⸗ 
dungsanſtalt der Seelen für dad ewige Leben, nicht als bloße Ge⸗ 
meinfchaft der ſchon Geheiligten. „In der Kirkhe findet der ſündige Menfch 
fein Heil; wo die Kirche, da iſt auch der Geiſt Gottes; außerhalb ver. 
Kirche ein Heil”. In diefe Formeln faßten zumal Irenäus 5) und Cy⸗ 
prian 8) das katholiſch⸗kirchliche Bewußtſein. Da die Kirche nit nachgeben 
wollte, bildeten die Montaniſten und Rovatianer Sekten und betrahteten 
ſtch, wie gegenwärtig noch alle Seftiver, als die „Meinen, griechiſch 
Katharoi (zadapol), woraus für alle Sektirer der Name Katharer 
entftanden iſt ). — Der Wiederaufnahme Gefallener in die Kirche ging 
eime ſtrenge öffentliche Buße vorher. Die Kirchenbuße in ihren fpätern 
Unnimderungen ward aber nach und nah zum aͤußerlichen Werk, welchem 
man neben dem Slauben reihtferfigende Kraft zuſchrieb. Im auguſtiniſchen 
Zeitalter warb der novatianiſche Streit nochmals erneut durch die Dona⸗ 
tiſten 8), welche die Untreuen (3. 8. die in irgend einer Met unter den Ver⸗ 
folgungen den Glauben verfäugnet Hatten) und die offenbaren Sünder von 
dee Kirche ausſchließen wollten. Sie wurden befonders von Anguftinns be⸗ 
kampft. Diefer aber, fowie Die ganze katholiſche Richtung, Art wicht min⸗ 


4) Der Phrygier Montamus, aller Sekten Bater, verkuͤndete um 170 ſich 
[HR als die lebendige Offenbarung des MWaraklet (des Droͤſters, einer vom heiligen 
Geiſt unterſchiedenen Himmelokraft), durch welche Die. Kirche zur mahren Gereinde Dex. 
Heiligen vollendet werden ſolle. 

2) Novatian, Presbyter i in Rom um 251. 

3) 2. Kor. 2, 1—11. 

4) Bal. 6, 1—. 

5 Biſchof zu Lyon 177-—208. 

6) Bifchof zu Karihago 348. 

7) In deuticher Eorrumpirung „Reger,* ale Bezeihnung aller nichtorthodor⸗ 
lirchlich Glaͤubigen, daher auch von den Katholiten auf alle Nichtkalholiken und ums 
gelehrt von viefen auf jene angewendet. 

8) So genannt nach ihrem Stifter. Donatus, Biſchof in Numibien um 311. 


108 


der als die Donatiften an dem Irrthum, wer zur fihtbaren Kirche gehöre, 
fei dadurch auch ein Glied der unfichtbaren Kirche, des innerlidden Gottes⸗ 
reiches. Man bebachte nicht, daß unter den jegigen Verhältniſſen die alt» 
hergebrachte Bezeichnung der Kirche ald der „Einen, heiligen, allgemeinen‘ 
nicht mehr am beften paſſe. Vergeblich hatte. Tertullian, ungeachtet feiner 
Eingenommenheit vom Montanismus bierin feiner Beit voraudeilend, auf 
den Unterſchied zwifchen der fichtbaren und der unflchtbaren Kirche hinge⸗ 
wiefen. Es galt für gleichbedeutend, von der Kirche audgeftoßen und für 
einen ber Verdammniß Geweihten erklärt zu werden. So blieb die Lehre 
von der Kirche und bildete Die Grundlage der Hierardhiichen Theorie des 
Mittelaltere. — Die Lehre von der Kirche bedingte im Weitern weſentlich 
auch diejenige von den äußerlihen Gnadenmitteln, Sacramenten. Se 
fefter man die Kirche als die alleinige Heildanftalt glaubte, je Eräftiger man 
ihr „Geftiftet- und Durchdrungenſein“ vom heiligen Geift, geftützt auf das 
Pfingſtwunder, betonte, deſto höhere Kraft mußte man auch den äußerlichen 
Gnadenmitteln, welche die Kirche verwaltete, beimeflen. 

Von Anfang an war man einftinnmig in Auffaflung der Tauf e nicht 
bloß als einer aͤußerlichen Caͤrimonie zur Aufnahme in die Kirche, ſondern 
als einer inwendigen, Wiedergeburt, Erleuchtung und Heiligung durch den 
heiligen Geiſt,“ womit von Seiten des Täuflings dad Glaubensbekenntniß, 
von Seite des Taufenden die Sandauflegung fich verband. Eben dieſer Bes 
griff von der Taufe erregte jedoch bi8 ind 2. Jahrhundert hinein Meinungs 
verfihiedenheiten betreffend die Kindertaufe, welche, nachdem fie bereitö kirch⸗ 
liche Sitte geworden, Tertullian noch befämpfte, und zwar ganz confequent, 
da er unter der Kirche die Gemeinschaft der wirklich vom Geift Geheiligten 
verftand, Die Kindheit noch für das Alter der Unfchuld anſah und dafür 
hielt, die Kinder könnten Chriſtus noch nicht erfennen. Es mag fein, daß 
bie Apoftel ſchon hie und da Kinder tauften, aber feſtſtehender Brauch war 
e8 zu ihrer Zeit no nihtY). Die Kindertaufe ward Firdjlicher Brauch, 
einerfeit8 aus Oppoſition gegen die Ebioniten, welche inımer noch die 
jüdiſche Beſchneidung beibehalten, anderſeits durch die ſchon mit Origenes 
auftauchende Lehre von der Erbfünte. Einmal kirchliche Sitte geworden, 
trug ſie dazu bei, die Taufe überhaupt zu einem wunderbaren Myſterium 


— — 0 


9) Im 1. Korintherbrief (7, 14) werden die Kinder der Glaͤubigen „heilig“ ges 
nannt. Bei Entfiehung diefes Documents iſt alfo ber Teufel (der Erbfünte) noch 
nicht in den (ungetauften) Kindern gewefen. 


-r. 


109 


zu erheben ; tenn das war ja das Wunderbarfte, daß fie fhon auf die Kin⸗ 
ber die obengenannten Wirkungen ausüben follte. Am meiflen Bedeutung 
erhielt die Taufe dur den Auguflinismus, welcher ja, wie wir fahen, die 


Nichtgetauften für verloren erflärte. 


Nachdem aus den Liebesmahlen (Agapen) der erfien Chriſten die 
eigentliche Abenpmahlöfeier fih ausgefchieden, hieß dieſelbe Euchariftie, 
weil man dabei Bott danfte für die verlichene Nahrung, nach dem Vorbild 
Ehrifti bei der Einfegung des Abendmahls, fowie für Die Hingebung feines 
Sohnes in den Tod. Juſtinus und Irenäus bezeichnen es als ein Bott 
dargebrachted Dankopfer und fprechen bereits die Lehre aus, daß durch die 
Abentmahlsgebete mit Brot und-Wein das Fleifh und Blut Chriſti ver⸗ 
einigt werde. Zertullian dagegen nahm Brot und Wein ald Bild (Figura) 
bes Leibe und Blutes Chriſti, Drigened als dad ‚‚nährende und herzer- 
freuende Gotteswort, wie Chriſtus felbft das ewige Wort (Xogo8) ift.‘‘ 
Auch das Abendmahl ward jchon frühzeitig ala Myſterium geehrt, und zwar 
als ſolches, wodurd der Chrift theilhaft werde der Verzeihung der Sünden 
und des ewigen‘ Lebens. In der folgenden Periode Tagen die finnbildliche 
und die myſtiſche Auffaffung des Abendmahls ohne Eirchliche Enticheidung 
immer noch miteinander im Streite. Die Teßtere blieb noch jegt bei einer 
Art Mifhung der irdifchen Stoffe mit dem Fleiſch und Blute Ehrifti als 
des Logos ftehen. Die eigentliche Berwandlungslehre gehört erft dem Pas 
ſchaſtus Ratbertus an. Un die Vorftellungen vom Danfopfer ſchloß fich in 
der Abendmahlölehre der zweiten Periode bereitd diejenige von einem Sühn⸗ 
opfer, fo daß das Abendmahl als eine Wiederholung nicht nur der Menſch⸗ 
werbung , fondern auch bed verfühnenden Todes Chrifti erſchien. Die Ver⸗ 
wandlungslehre des Radbertus hatte ihre Erhebung zum Dogma bejonders 
dem Glanze zu verdanken, welchen fle der Machtvolllommenheit der Kirche 
zu verleihen ſchien. — Neben Taufe und Abendmahl wurden ſchon vor 
Anfang des 7. Jahrhunderts die Salbung und Handauflegung, die Priefter- 
weihe und die Ehe ald Sacramente bezeichnet. 


12. 


Der Betrachtung der Lehre von den legten Dingen haben wir einen 
Blick auf die Vorftellungen von den Engeln und Teufeln vorauszu⸗ 
fchiden. 

In Anfnüpfung an die Stelle im 2. Petrusbrief (2, A), wo die Teufel 


110 


als gefallene Enge bezeichnet werben, gakten bie Engel ſchon in der älteften 
Beit ald fitelich freie Weſen, wie die Menſchen, jebod mit höheren Kräften 
begabt. Der altıeflamentlihen Vorftellung von den Engeln al Boten und 
Dienern Gottes zufolge theilte man ihnen, je nad) den verſchiedenen Graden 
ihrer Würde, verſchiedene Aemter zu und dachte He bald ald Schußgeifter 
einzelner Menſchen, bald ganzer Gemeinden und ganzer Völfer. Chriſtus 
felbft Hatte ſchon von Schugengeln der Kinder geredet, und die Offenbarung 
Johannis fprady von Engeln einzelner Gemeinden, wie von folden, die über 
Naturkräfte gefeßt feien!). Die Teufel ihrerfeitö erfchienen im Kampfe des 
Ehgiitentfumd gegen das Heidenthum der chriftlihen Phantafle ald Vor⸗ 
fampfer Des letztern. Ihrem Einfluß wurde die Verehrung der alten Göt⸗ 
ter, wie die Sittenlofigfeit, der Aberglaube, das Zauber» und Wahrfager« 
wefen ber Heiden zugeichrieben. Die hriftlichen Märtyrer fegten den Sieg 
Ehrifti über die teufliſchen Gewalten fort und wurden daher bald den Engeln 
als Mitkämpfer zur Seite geftellt. 

Auf jener Synode zu Nicka, welche den Engeln fammt den Heiligen 
Anrufung, der Trinität allein Anbetung zugefland, ward den Engeln, 
geflügt auf die Ausfprüche vieler Kirchenväter, ein feiner Körper aus Aether 
und Licht zugeichrieben ; die große Lateranſynode 1215 ſprach ihnen dagegen 
alle Körperlichkeit ab. Die hierarchiſche Stufenordnung der Engel ward 
sorzugsweife durch Gregor den Großen in der katholiſchen Kirche verbreitet. 
Sie unterſcheidet, theild nad altteſtamentlichen, theild nach paulinijchen 
Stellen 2), in 3 Ordnungen 9 Arten der Engel, unter weldyen befonderd die 
Eherubim und Seraphim, die Thronen und Erzengel hervorzuheben find. 

Der Fall unter den Engeln ward theild von Hochmuth, theild von 
gegenfeitiger Verführung abgeleitet, bis zum 5. Jahrhundert auch aus der 
Liebe zu Töchtern der Menichen 2). Später ließ man den Iegteren Grund 
fallen und hielt im Uebrigen die neuteflamentliche Anfchauung von Satan 
und feinem Reiche feft, welches dem Reiche Gottes gegenüberftehe und deſſen 
Werke zu zerftören Chriftus gekommen ſei ). 

1) Matth. 18, 10. Offenb. Joh. 2, 1—17; 16, 2—5, 10 - 12, 18., Gegen 
bie hierauf baſirte Verehrung der Engel fheint die Stelle Offenb. Joh. 19, 10 ges 
richtet zu fein. 

2) Jeſ. 6,2. Kol. 1,16. Epheſ. 1, 21. 4. Theſſ. 4, 16. 

3) Benef. 6, 2. Bgl. 1. Kor. 14, 10. 

4) 1. pi. Joh. 3, 8. 





111 


13. 


Nach den früher angeführten Ausſprüchen Chriſti, nach dem Wort des 
Paulus (Philipp. 1, 23), endlich nach 1. Petr. 3, 19 und 20 nahm man 
in der älteften Zeit an, die Seele des Guten gehe gleich nach dem Tode ins 
Paradies, die des Böfen in die Unterwelt, Hades, Scheol. Die Aufer 
ftehung erwartete man erft beim Wiederkommen Chriſti zum Weltgericht. 
Noch lebendig zeigte fich der Reſt jüdiſcher Mefftashoffnungen in der 
baldigen Erwartung des taufendjährigen Reiches, welches Chriſtus auf 
Erden fliften würde und in welchem die Frommen herrſchen follten 
(Chiliasſsmus). 

Zwar hat ſchon Origenes, geſtützt auf das N. T., dem Chiliasmus 
im kirchlichen Bewußtſein jede Stütze genommen; aber dennoch hat faſt jedes 
Jahrhundert noch ſeinen Weltuntergangspropheten hervorgebracht und dazu 
Thoren, die ihm glaubten. Nach dem Vorgange des Paulus lehrte Ori⸗ 
genes eine Wiederbringung aller Dinge Y. Im 2. Brief Petri iſt eine 
Verbrennung der Welt, aus welcher ein neuer Himmel und eine neue Erde 
hervorgehen ſollen, verkündigt 2). 

Im folgenden Zeitraum lehrte Auguſtinus, auf alt und neuteflamente 
liche Ausſprüche 3) geflügt, eine Abbüßung der hienieden noch nicht hin⸗ 
reihend gefühnten Sünden in Beuerqualen vor Eintritt des Weltgerichtes, 
Diefer Glaube an dad „Fegefeuer“ ward im 6. Jahrhundert durd 
Gregor ten Großen in der Kirche berrichend. Wie in der erften Zeit, ward 
die Auferftehung aud in der auguſtiniſchen Periode bald mehr bald weniger 
finnlih aufgefaßt, die Seligkeit nad Matth. 5, 8 ald „Anſchauen Gottes‘ 
befinirt, die Ewigfeit der Verdammniß nad, dem Weltgericht durch Augu⸗ 
flinus begründet, durch Diodor von Tharjus 4) und Theodor von Mopfue« 
ftia 5) beftritten. Das folgende Zeitalter hielt an der Ewigfeit der Höllen- 
ftrafen feft. Scotus Erigena erneute, auch bier ohne Einfluß auf das 


1) 1. Kor. 18, A— 28. 

2) Kap. 3,3. 10—13. Vgl. mit diefer Stelle die Dogmen der perfifchen und 
ber germanifchen Religion über die fchließliche Verbrennung und Wiedererneuung der 
Belt, Thl. I, S. 181; Thl. II, S. 330-333. 

3) Makkab. II, 12, A3—46. 1. Kor. 3, 18. 

4) Biſchof 378—98. 

5) Biſchof 393—429. 


112 


kirchliche Bewußtfein, die Lehre von der Wiederbringung aller Dinge. Seit 
Origenes galt die Zeit der Wiederkunft Chriſti zum Weltgericht im kirch⸗ 
lichen Bewußtfein allgemein für völlig unbeſtimmt. 


14. 


Im Mittelalter begann die Entwidlung der Kirchenlehre zu floden. 
Die Scholaftiker hatten ala bloße Schultheologen , die das überlieferte Dogs 
menmaterial wifjenichaftlich zu ſyſtematiſtren fuchten, wenig Einfluß auf 
die Geftaltung des Dogma's, weil dieſes ſich meiſt nur- noch im Interefie der 
Hierarchie weiterbildete. Wir müffen daher die nähere Würdigung bed 
Scholaſticismus dem Kapitel über die hriftliche Wiffenfchaft vorbehalten. 

Der Hauptpunft, wo wir eine Einwirkung des Scholaſticismus auf 
die Kirchenlehre wahrnehmen , ift die Verfühnungätheorie. Nach germanis 
hen Ehr- und Rechtöbegriffen ftellte Anfelmus von Canterbury 1) folgende 
Satisfactions⸗ (Genugthuungs-) Ichre vom Tode Ehrifti auf: — Durch tie 
Sünde hat der Menfch Gottes Ehre verlegt; foll er nun ſelig werden, fo 
inuß er Gott Genugthuung dafür Teiften, vermag es aber nicht. Diefe Ges 
nugthuung ,. ald Herftellung der Ehre Gottes gefaßt, übernahm Chriſtus, 
der Gottmenſch. Er litt, weil er jündlofer Menfh war, unfhuldig, daher 
ftellvertretend für die fündigen Menfchen, die Strafe der Sünde, den Tod, 
Dadurch, und weil Chriſti Tod zugleich eine freiwillige That ald des Got— 
tesſohnes, fomit von unendlihem Werthe war, ift die Ehre Gottes wieter« 
bergeftellt, zugleich Gottes Gerechtigfeit erfüllt, und fo fann nun Gott den füns 
digen Menſchen die Strafe der Verdammniß erlaffen und die Seligfeit ſchenken. 
— Diefe ganze Theorie ward zwar nicht zum Dogma erhoben, Dafür hatte ſte 
aber zur Folge, daß trog des Widerflandes von Seiten Bernhards von 
Glairvaur und Anderer die alte Lehre vom Recht des Teufels auf die ſün— 
digen Menfchen überwunden ward und durch Thomas von Aquino auch die 
Lehre von der Unendlichkeit ded Verdienſtes Chrifti die päpftliche Anerken— 
nung erwarb 2). 

Die fchon vorhandene Werfheifigfeit de8 Zeitalters fand ihre Begrün= 
dung in den Syſtemen der Scholaftifer, zumal des Thomas von Aquino, 
Der Glaube erhält jeine rechtfertigende Kraft nur durch Die Liebe, hieß es; 


1) Starb 1109 als Erzbifchof daſelbſt. 
2) Durch eine Bulle Clemens’ VI., 1343. 


-\ 





113 


die Liebe aber zeigt fi in ben Werfen. Daher find bie, zumal von ber 
Kirche vorgeichriebenen Werfe, Zaften, Ulmofengeben, Wallfahrten, Ger 
ſchenke an die Kirche u. f. w., verdienſtlich, fle erwerben bie Gerechtigkeit 
vor Bott. — Ur, fehr alt, wie wir gefehen haben, waren die Lehren, daß 
die fihtbare Kirche die Gemeinfhaft der Heiligen fet und daß man vor Gott 
mehr thun könne, als man zur Seligfeit nöthig Habe. Daraus geitaltete 
fih im Mittelalter die Anſchauung von einer Solidarität der Kirchenglieder 
in dem Sinne, daß Diejenigen, welde zu viel. thun für ihre Seligkeit, 
durch ihren Ueberfluß an guten Werfen den Mangel berer erfegen können, 
welche zu wenig thun. Da nun zu erfterer Klaſſe Hauptfächlich die März 
tyrer und übrigen Heiligen zu gehören ſchienen, fleigerte fich die Verehrung 
derſelben bis zur Verehrung ihrer körperlichen Ueberrefte (Reliquien), 
denen man wunderbare Kräfte beimaß?). Aus dem großen Schatz der 
überverdienftlichen Werfe fpendete Die Kirche dem Sünder um Geld (— das 
follte gefprünglich eine Buße fein —), fo viel er zur Tilgung feiner Sünden 
fhuld bedurfte, und verficherte ihn dann durch Abfolution der Verzeihung 
feiner Eünden. Das war der Ablaß. Begreiflih Hinderte die vom 
Bapft bevollmächtigten Ablaßfrämer Nichts, Verzeihung ſelbſt für noch zu 
begehende Sünden zu verfaufen, und das kirchliche Bewußtjein der rohen 
Maſſe fträubte fich dagegen keineswegs. 

Das Mittelalter hat auch die Behauptung von ber Freiheit. der „längſt 
verehrten Gotteögebärerin” Marta von der Erbfünde aufgeftellt. Hierüber 
führten dann die Dominikaner als Thomiften (Anhänger des Thomas von 
Aquino) und die Franziskaner als Scotiften (Anhänger des Scotus) einen 
höchſt erbaulichen Streit, welcher ein merfwürdiges Licht auf die Erfüllung 
mönchiſcher Keujchheitögelübde geworfen bat. Da die Freiheit von. der 
Erbfünde mit dem Ausdruck „unbefledte Empfängniß“ bezeichnet 


3) Der Reliquiendienft, im fpäteren Mittelalter bis zur Tollheit gediehen (f. u.), 
fand übrigens ſchon frühzeitig ſarkaſtiſchen Widerſtand. Ein byjantiniſcher Boet, 
Chriſtophoras, richtete 3. B. ſchon um 650 eine Anzahl fatirifcher Samben gegen die 
fhwunghafte Reliquienfrämerei, welche ter Mönd) Andreas damals trieb. Nachdem 
der Satirifer dem Moͤnch vorgeruͤckt, derfelbe habe bereits 10 Hänte des Märtyrers 
Profopios, 15 Kinnbacken des heiligen Theotoros, 8 Füße des heiligen Neftor, A 
Köpfe des heiligen Georg und 5 Brüfte der heiligen Barbara, die er demnach zur 
Hündin made, in den Han bel gebracht, verfpricht er, ihm noch viel werthvollere 
Reliquien, z. B. den Daumen des dreimal feligen Henoch und das Gefäß Elias des 
Thisbiten, umfonft zu liefern. | 

Scherr, Geſch. d. Religion. III. . 8 


114 


wurde, fo kann man ſich denfen, in weldhen Liebenswürdigkeiten die Mönde 
beider Barteien ſich erihöpften*). Der Streit ift bis in die zweite Hälfte 
tes 19. Jahrhunderts unerledigt geblichen. Da aber Haben wir es felber 
erlebt, daß Bapft Pius IX. Die unbefledte Empfängniß der Maria zum 
katholiſchen Dogma erhob. 

Zur Zeit des Petrus Lombardus 5) erhielt die kirchliche Lehre von ten 
Sacramenten ihren Abihluß, indem deren ſteben fejlgeftellt wurden: 
Zaufe, Birmelung, Beichte, Abentmahl, Ehe, Priefterweihe, 
Icgte Oelung. Mit Beftiegung der Trandjubftantiationslehre ward das 
Abendmanl zum Opfer (Meßopfer), wobri ter Pricfter jedesmal Leib 
und Blut Chrifli aufs Neue zum Sühnopfer für Die Sünten der Welt dar⸗ 
bringt. — Der Papſt, als Inhaber der Tratition von Petrus und Paulus 
ber, ward von der Kirche ald untrüglicher Stellvertreter Ehrifti auf Erden 
anerfannt und von Da an auch der Öruntfag firengfter Unduldſamkeit gegen 
die Ketzer aufgejtelle und beobadıtet. Denn je fefter die Einheit der Kirche 
äußerlich geworten, deſto gewaltthätiger mußte Dad Intereſſe der Aufrecht- 
haltung dieſer Einbeit ib geltend madhen. — In Hinſicht der Lehre von 
den legten Dingen hielt Die Kirde am Fegefeuer und ter Ewigkeit der Höl⸗ 
Ienftrafen fi. Durch Scelenmeffen glaubte ſie die Abgefchiedenen fchneller 
aus Tem Fegefeuer befreien zu können. Tem Ablaß ward fogar bin und 
wieder tie Mache zugeichrichen, augenblidlih aus dem Fegefeuer zu erlöjen. 
Gerne epferte ja Die Liebe der Hinrerblichenen ibren Icgten Pfennig, um 
die verftorbenen Eltern, Geſchwiſter und Freunde der Feuerpein zu ledigen. 


15. 


Faſt bei jedem Schritt der Kirche in der Weiterentwidlung des Dog« 
ma's hatte jich eine arößere oter Fleinere Partei, Die nicht mit demijelben 
einverftanten war, von ihr loßgetrennt. Als aber Die Lehrentwidlung nach 
und nad) ind Stoden gerieth, wandte fih ter Blick Vieler auf tie Vergan⸗ 
genbeit und ihr religiöſes Vewußtſein trat in Widerſpruch nicht mehr bloß 
mit einzelnen Lehrbeſtimmungen, ſondern mic der Geftaltung und Tem Lehr— 
ſyſtem ter Kirde im Ganzen. Schon feit dem 9, Jahrhundert ſoll fih in 


4) Tie heilige Brigitta hatte Bifionen für, Lie heilige Katharina gegen die unbe= 
fleckte Empfaͤngniß. 
8) Biſchof von Paris, 11809. 


115 


den Bergthälern Biemonts ein Bölflein von der weitern Entwicklung der 
Kirche in Lehre, Eultus und Hierarchie fern gehalten Haben. Dort fanden 
die Anhänger des Petrus Waltus!), Walbdenfer genannt, nachdem fie 
in Bann getban worten, die allgemeinfte und bereitwilligfte Aufnahme für 
ihre Lchren. Anfangs nicht daran denfend, fi von der Kirche lodzureißen, 
anerfannten fie dieſelbe erft dann nicht mehr als die ädıte Kirche Chriſti, 
nachdem ihnen verboten worden, einander ohne Zuziehung von Geißlichen 
im Evangelium, auf welches fie Glauben und Leben gründeten, zu unter« 
richten. So waren fle die erften Vorläufer der Reformation, die Erften, 
weldye die Schrift höher ftellten ald die Tradition der Kirche. 


Auch die Myftifer des Mittelalters halfen, indem fle das religidje Be— 
dürfniß mit dem Geifte des Evangeliums flatt mit den Dogmen und Geris 
monien der Kirche zu befriedigen juchten, die. Reformation vorbereiten. Der 
Dominifaner Meifter Eckart ) und feine Ordendgenoffen, die berühmten 
Pretiger Johannes Tauler?) und Heinrich Seuffe (Sufo®), ferner der 
von Nikolaus von Bafel geftiftete, in Oberdeutfchland und weit den Rhein 
binab verbreitete Gcheimbund der „Gottesfreunde“ ®), dann die von Ger- 
hard Groot in den Niederlanden geftiftete Gefellfhaft der „Brüder des 
gemeinſamen Lebens,“ aus deren Reiben Thomas von Kempen (fl. 1471) 
hervorgegangen, des weltberühmten Buches „De imitatione Christi“ Autor, 
— endlich der unbekannte Verfaffer ter aus dem Ende des 14. oder dem 
Anfang des 15. Jahrhunderts flammenden „ Deutjchen Theologie* — alle 
tiefe gründeten die Neubelebung der Religiofttät auf Chriftum felbft und 
die geiftige Gemeinfhaft mit ihm, woturd das Anfehen der Heiligen und 
der kirchlichen Ceremonien als SHeildvermittler im Volksbewußtſein bedeu⸗ 
tend herabgefcgt wurde, ohne daß Die genannten Prediger ed felber beab- 
ſichtigten. Weit verbreitet, obwohl ihwerlid, wie Johannes von Müller 
meint, von geflüchteten Manichäern berrührend, waren unter @remiten, 


1) Bürger von yon, aufgetreten um 1160. 

2) Starb um 1328 in Eöln. 

3) Starb 1361 in Etraßburg. 

4) Eturb 1365 in Ilm. . 

8) Ucber tie bis neuchtens noch fehr dunfel geweſene Geſchichte der „Gottes⸗ 
freunde“ vgl. K. Schmidt in der Feftichrift „„Bafel im 14. Jahrh.“ ©. 263 fg. 
und 3 Falke in der ‚‚Zeitfche. für teutfche Kulturgeichichte‘‘, 1856, Maiheft, 
©. 495 fg. ' 

g* 


116 


Beghinen, Begharden und Beharden des Mittelalters rationaliftifch = freie 
Meinungen fowohl über die Kirche, wie über die Würde Chriſti felbft ®), 
verbunden mit einer an Pantheismus flreifenden Naturreligion 7). 

Theils ein freiered Denfen der Geifter im Allgemeinen, theild neue 
Dekanntfchaft mit den faft vergeflenen Schriften des alten und neuen Teſta⸗ 
mentes in ihren Urſprachen war durch die Neubelebung der clafftihen Studien 
von Italien aud angeregt worden. Hier hatte um die Mitte des 14. Jahr⸗ 
hunderts Petrarca die römifchen, Boccaceio die griechiſchen Claſſiker wieder 
aus ber Vergefienheit hervorgezogen. War auch die von Letzterem gemein 
fhaftlih mit Leontius Pilatus zu Florenz eröffnete griecifche Schule bald 
wieder in Verfall geratben, fo brachte der byzantinifche Gejandte Emanuel 
Chryſoloras, welder, an der Rettung Konſtantinopels verzweifelnd, in 
Italien eine neue Heimat gefucht und gefunden, das Studium der griehijchen 
Elafjiker noch während des nämlidhen Iahrhuntert3 neuerdings in Auf— 
nahme, Der Hof der Medici in Blorenz ward der Mittelpunft der an bie 
Claſſiker fih anfnüpfenten humaniſtiſchen Biltung, welde ſich von ta 
auch nad) dem übrigen Europa verbreitete, überall die möndiich verfinfterte 
Welt erhellte und befonderd in Deutfchland Lie bedeutentften Geifter für ſich 
gewann. Die Ueberſetzung des Platon durch Marſtlius Ficinus war der 
erfte Keim einer neuen Richtung in der Philofophie: ed erhoben fidh Die 
Platoniker als freie gegen die im Dienft der Kirche ftchenden Schulphilo- 
fophen, die Scholaftiter. 

Bon der griechifhen und römiſchen Literatur vermittelte Johannes 
Reuchlin 8) den Uebergang zur hebräiſchen. Nachdem er ſich von Juden die 
Kenntniß ter hebräifchen Sprache erworben, erforjchte er die Schriften des 
alten Teſtamentes in der Urfprade und verbreitete mit Eifer Diefen neuen 
Zweig theologifcher Gelehrſamkeit unter feinen Beitgenoffen. Von nun an 
wurde die Erklärung ter alt und neuteftamentlichen Urkunden in ihren Urs 
ſprachen eine Hauptaufgabe der Theologen von humaniftifcher Richtung und 
führte die Begabtern zu immer bedenflichern Vergleichungen der Kirchen 


6) Auch ein Anderer, als Chriftus, Fönne Gottes Sohn werden; denn der gute 
Menſch fei der eingeborne Sohn Gottes, Ichrte hie und da die ‚geheime Religion‘‘. 

7) Aud in der Laus fei Gott, wie im Menfchen, fagten nad Johannes Vitos 
duranus die thurgauer Begharten. Die Bezeihnungen Begharden und Beghinen 
ſtammen bekanntlich von dem altteutfchen Verbum bedgan, beien. 

8) Sebürtig aus Pforzheim, 1455 — 1822. 


117 


Iehre und Kircheneinrichtung mit der Schrift. Die biöher gebrauchte, ob⸗ 
wohl von der unwiſſenden Geiftlichfeit ebenfalld wenig gefannte, Tateinifche 
Bibelüberfegung, Vulgata genannt, erlitt, da man jetzt die Originale 
verſtand, ihres verderbten Terted wegen Anfechtungen von allen Seiten, 
Bon 1460 an jehen wir in Deutjichland, Frankreich und Italien Bibelüber- 
jegungen erjcheinen und der Schrift wandte ſich fhon damals zu, wer immer 
mit den Firchlich-religiöfen Zuftänden unzufrieden war 9). 

Der Geift des Humanismus, in den clafftihen Studien wieder aufgelebt, 
durch die um die Mitte des 15. Jahrhunderts von unferem Johannes Guttenberg 
erfundene Buchdruckerkunſt mit raftlofen und unhemmbaren Schwingen ver⸗ 
ſehen, dann durch Reuchlins philologiiches Genie zuerft auf die Schriftfor« 
[hung gewandt, diefer Geift regte ſich glorreich insbeſondere in feinen deut— 
chen. Trägern 19). Er zumeift Hat jene tiefeinfchneidende Kritik des mittel« 
aterllichekirchlichen Glauben? und Lebens angefacht, auf welcher die Refor⸗ 
mation fußte. 


16. 

Aber fchon vor der humaniftifchen Bewegung und außerhalb ihrer Kreife 
waren Vorläufer der Reformation aufgetreten, welche vom kirchlich-theologi— 
ſchen Standpunft aus gegen firdhliche Mißbräuche kühn eifernden Tadel erhoben, 
einen Tadel, der feldft einen vollftändigen Brudy mit tem Papſtthum Feined« 
wegs ängfllich mied. Freilich gelang e8 der Kirche vorerft noch, die Tauteften 
diefer reformatorifchen Stimmen im Rauche des Scheiterhaufend zu erſticken. 

Arnold von Brescia — ein Schüler Abälards, 1155 zu Nom ver- 
brannt — war weniger wirkſam durd feinen an manichäifhe Anſchauungen 
erinnernden Myſticismus als vielmehr durch feine energijchen Beſtrebungen, 
die Verfaffung des Elerus nad dem Vorbilde der apoftoliihen Einfachheit 
zu reformiren. Er ſah den Glanz, den Reichthum und die Macht der Cleri— 
fei, diefe Quellen ihrer Ueppigfeit und zum Theil des kirchlichen Verfalls 
überhaupt, mit voller Ucberzeugung als ein Werk des Teufeld an, lehrte, 
daß ten Geiftlichen Feine weltlichen Güter gebühren und drang auf die Ruͤck— 
febr zur Simplizität der apoftoliichen Kirche. Die weltlihe Macht des Pap⸗ 
ſtes fchaffte er mit Hülfe der Römer ab und Tieß ihm nur das kirchliche Re— 


— — —— 





9) Wir werden im Kapitel von der chriſtlichen Wiſſenſchaft die einzelnen Bibel⸗ 
uͤberſetzungen vor Luther anführen. 
10) Bon diefen, wie von den Humaniften überhaupt, haben wir an fpäterer Stelle 
mehr zu reden, in den Kapiteln von chriftliher Wiflenfchaft und Kunfl. 


118 


giment, den Zehnten und freiwillige Gaben der Gläubigen, bis ihn bie 
@iferfucht des neu errichteten Senated in einem fchnöten Bergleih ten 
"Bapfte preis gab. — Johannes Wicliffe, feit 1372 Profeffor der Theo⸗ 
Iogie in Orford, Iehrte und fchrieb gegen das Papſtthum, den Miß⸗ 
brauch des Banned, dad Möndthum, die Ohrenbeichte, den Ablaß, 
den Heiligen - und Bilderdienſt und die Lehre vom Fegefeuer. Auch trat er 
gegen die Trandfubflantiation auf mit der Behauptung, Chriſtus fei nur 
geiftig im Brot und Wein ded Abendmahles gegenwärtig. 

Durch Wieliffe's Schriften angeregt, beftritt Johannes Huf!) die 
Entziehung des Kelches beim Abendmahl, und flellte, im Uebrigen feſthal⸗ 
tend am fatholifhen Dogma, die Lehre auf, die wahre Kirche, deren Haupt 
Chriſtus allein, fei die Gemeinſchaft der von Ewigkeit zur Seligfeit vorher⸗ 
beftimmten Chriften und nur in diefer üben die Saframente thre erlöſende 
Kraft. — Girolamo Savonarola, der „Prophet von Ylorenz 2), ver⸗ 
fündigte eine allgemeine, gründliche Neformation der Kirche, die von Flo⸗ 
renz ausgehen werde. Er bewirkte turd feine Predigten in genannter Stadt, 
wenigftend vorübergehend, eine firenge Sittenreform und Ichrte, geſtützt anf 
das Evangelium, das Heil nicht durch die Heiligen, nod durch eigne Werke, 
fondern durd die Gnade Gottes in Chriftus fuchen. Den über ihn geiprodes 
nen Bann erflärte er für kraftlos ald Verlegung des höchſten Gebotes, der 
Liebe, und appellirte fterbend von dem irdiichen Papft an den himmliſchen, 
Jeſus Chriſtus. 

Mochte ſich die Kirche dieſer „Ketzer“ gewaltſam entledigen, immerhin 
konnte ſie ſich nicht verhehlen, daß ſelbſt von Seiten treuefter Anhänger 
ſchon lange lauteſte Klagen über die freſſende Verderbniß erhoben worden. 
Der Minorit Alvarus Pelagius forderte und hoffte um 1330 die Wieder- 
geburt der Kirche vermittelfi neuer Heiligung der päpftlichen Würde in ber 
Öffentlichen Meinung. Peter d'Ailly (ft. 1425), ald Wortführer der gallis 
Fanifchen Kirche, verlangte Behufs einer Reform der Kirde an Haupt und 
Gliedern eine allgemeine Kirchenverſammlung. Ebenſo Johanned Gerfon, 
feit 1395 Kanzler der Univerfität Paris, welder zugleid) das Studium der 





4) 1415 auf dem Concilium zu Conftanz verbrannt. Aus Beranlaflung diefes 
„Keberbrandes“ entftanten der furchtbare Huffitenkrieg und die Sekte ver Utraquis 
fen, welche den Kelch auch den Laien darbot. Auf die Keldyentziehung werden wir im 
vächlten Kapitel zurückkommen. 

2) Verbrannt 1408, 


199 


Schrift und Berbefferung der Volkserziehung empfahl. Nikolaus von Cla⸗ 
menge (fl. 1425) ſchilderte mit glühenter Beredtſamkeit die Verſunkenheit 
‚der Kirche, verfündigte das ihr nahende Gericht und fah ihre alleinige Ret⸗ 
tung in geiftiger Erneuerung und tiefer Demüthigung. Und wirklich, die 
allgemeinen Goncilien kamen endlich, bauptfähhlich veranlaßt durd Die gegen« 
feitige Verfluchung dreier Gegenpäpfte, durch das große Schis ma. Zu 
Gonftan; ward ein neuer Bapft, Martin V., gewählt, jedoch die Reformation 
fel6ft auf ein neues, binnen fünf Jahren abzuhaltendes Coneil verfpart. 
Aber erſt 1431 verfammelte fich daffelbe in Bafel. Als nun diefes mit der 
Meformation Ernft machen wollte, ward es durch die Schlauheit und Ge⸗ 
waltthätigfeit de8 Papſtes Eugenius V. allmälig in eine einfeitige Partei⸗ 
ftellung gedrängt und mußte ſich zulegt auflüfen, ohne Die angeftrebte große - 
Reform der Kirde durchgeführt zu haben. Den Grundſatz jedoch, daß ein 
allgemeines Concil über dem Papſt flehe, hatten diefe Kirchenverfammlungen 
fefigeftellt und dieſer Grundfag, verbunden mit der allgemeinen Mipftim«- 
mung gegen die römifche Gurie, wurde ein neued und mächtiged Motiv der 
Neformation, welche endlich in Deutfchland durch Die Ausfchreitungen des 
Ablaßhandels, in der Schweiz durch die freie Predigt de8 Evangeliums ge⸗ 
gen dad Verderben in Kirche und Staat zum Ausbruch gebracht wurde. 


17. 

In Hinftht der Lehre Eehrte die Reformation theild zum Auguftinis- 
muß, theils zu den Anſchauungen der erflen Jahrhunderte nad) Chriſtus zu⸗ 
rück. Dem Anſehen der mündlichen Tradition, welche die Kirche für fich in 
Anſpruch nahm, ftellte fie mit Erfolg die Autorität der Schrift, zumal des 
neuen Teftamentes, gegenüber und behauptere, ausſchließlich auf die Vibel 
Glauben und Leben gründen zu wollen. Anfangs war fie nicht gewillt, den 
Glaubendzwang der kirchlichen Tradition mit demjenigen des Buchſtabens 
zu vertauſchen, fondern nahm der Schrift gegenüber das Necht der Aus⸗ 
legung in Anſpruch, wobei ſie fich jedoch ausdrücklich gegen das Hineinirayen 
fubjeetiver Meinungen in die Schrift erklärte. Da jedoch hiemit die Ber- 
nunft, ohne daß man ed merkte oder merfen lafjen wollte, zum Maaßſtab der 
Schrift erhoben worden war, geberdete fich die Befreite in den Lehren der 
Wiedertäufer, ſowie etlicher frei geſinnter Theologen (z. B. des Johannes 
Denck, Michael Servet, Sebaſtian Franck) etwas überkühn, und ſo ordnete 
denn beſonders die lutheriſche Richtung die Vernunft dem Glauben unter, 


120 


die obrigkeitlih anerkannten Parteien ftellten Glaubensbekenntniſſe (Sym- 
Sole) auf und die unbändigen Geifter wurden bald dem Symbolzwang 
unterworfen. Dieſer, obwohl nur in der Iutberifchen Kirche zur abfoluten 
Herrfchaft gelangt, ging nämlih auch auf die zwingliſch-calviniſche Kirche 
über, äußerte ſich vorzüglich hart in den Befchlüffen der Dordrechter Synode 
und gewann jelbft in der reformirten Schweiz bedeutenden Einfluß, freilich 
nicht in dem Maaße, wie bei den Rutheranern, Daß fih mit dem Spmbols 
zwang aud der Buchflabendienft vereinigte, erhellt am beutlichften aus der _ 
Formula Consensus eeclesiarum Helvelicarum reformatarum, 1675 von 
dem züricher Profeſſor Heidegger verfaßt, worin ald Glaubensartifel geltend 
gemacht wird, daß felbft die Vocalzeichen des hebräifchen Textes des A. T. 
vom heil. Geiſt eingegeben feien Y. 

Die proteftantifche Kirche beider Nichtungen Eonnte deffenungeadhtet 
nit umhin, grundjäglic immer die Schrift über ihre Symbole zu ftellen. 
Der Streit beider Richtungen über einzelne Xehren wies unaufhörlich und 
gewaltig auf die Verſchiedenheit der Schriftauslegung hin. Daher blieb das 
Prinzip der prüfenten Vernunft, wenn aud öffentlich mipfannt, im Ver⸗ 
borgenen lebendig als das wahre Prinzip der Reformation überhgupt. Bon 
der Kirche verftoßen, ward es, theild als philofophirende, theils als objectiv 
audlegende Vernunft, in erſterm Betracht zur denfenden Vermittlung bed 
Blaubensinhaltes, in Tegterm zur Seftftellung des obfectiven Verftändniffes 
der Schrift, Prinzip der freien Wiffenfchaft. Dies ift der Grund, warum 
die Kirchenlehre der Zutheraner und Neformirten faft ohne Ausnahme bis 
jegt bei den einmal aufgeftellten Befenntniffen geblieben ift, während neben 
ihr, Eirchlich zwar geduldet und theilweile unterftügt, aber nicht anerkannt, 
die Lehrentwicklung in der Wiffenfchaft ausfchließlich weiter fchritt. Demzu« 
folge haben wir im vorliegenden Kapitel nur von den eigenthümlichen Lehren 
der Iutherifchen und reformirten Kirche, fowie der Sozinianer und Arminia 
ner, endlich von den legten Firchlichen Lehrbeflimmungen der römifchen und 
griechiſchen Kirche zu handeln und müffen vie wiſſenſchaftlich theologiſche 
Lehrentwicklung nad) der Reformation in dad Kapitel von der driftlichen 
Wiſſenſchaft verweifen. 


4) Das Punctationsſyſtem, wodurch in der urfprünglich der Vocalbuchſtaben 
entbehrenden Hebräifhen Schrift die Vocale bezeichnet werden, fam erſt durch alls 
mäliges Einverftändniß der jüdifch maforetifchen Gelehrtenſchulen, jedenfalls nicht vor 
dem 6. Sahrh. nach Ehr., zu Stande. 


121 
18, 

Die proteftantifche Kirche in ihrer Geſammtheit hielt feft an den drei 
dfumenifchen, oder, wie nıan fie nannte, ächtkatholifchen Symbolen, dem 
apoftolifhen, den nicäniſchen und dem athanaſianiſchen!) 
Symbol, in welchem fie den reinften Ausdruck der biblifchen Grundlehren zu 
finden glaubte. In folgenden Lehrfägen hingegen ftellte fie fich dem gegebe- 
nen Fatholifhen Dogma gegenüber: — Die Cchriften des alten und neuen 
Teftamented find unter göttlicher Eingebung (Inipiration des heil. Geiftes) 
gefchrieben. Der Schrift kann die mündliche Tradition der Kirche an göttlicher 
Autorität nicht gleichgeftellt werden. Sie ift die alleinige Erfenntnißquelle des 
hriftlichen Glaubens. Jedes firhliche Dogma und jede Firchliche Einrichtung, 
welche fich nicht aus der Schrift herleiten Taffen, werden ald Menſchenſatzun⸗ 
gen verworfen. — Die Fatholiichen Theologen, zuerft des guten Glauben, 
alle Lehren und Einrichtungen ihrer Kirche Tiefen fih aus der Schrift ab⸗ 
leiten, beftritten in der erften Beſtürzung bie oberfle Autorität der Schrift 
nicht. Als fie jedoch im Verlauf ded Kampfes mit den Reformatoren eines 
Andern belehrt worden, machten fie die Firchliche Tradition, weil diefelbe 
‘von den Apofteln herrühre, zu einem Prinzip der Schriftauslegung und 
ftellten. fie al8 zweite Erfenntnißquelle der göttlihen Offenbarung neben 
die Schrift. In ihrer Oppofition gegen den Calvinismus des Cyrillus Lu— 
karis ſchloß ſich auch die griechiiche Kirche der Beſtimmung des tridentiner 
Conciliums an: „Die Autorität der Kirche jet fo groß, als die der Schrift. 
Beider Anſehen flüge jih gleichmäßig auf das Innewohnen des heil. Geiſtes. 
Dad Anſehen der mündlich von den Apofteln her überlieferten Dogmen gelte 
fo viel ald das der gefchriebenen.* Nur darin unterfcheidet fich Die griechifche 
Kirche von der römischen, daß fle als apoflolifche Tradition allein die Con⸗ 
eilienbefchlüffe vor der Kirchentrennung anerkennt, währent die römiſche 
Kirche eine in ihr immer fortdauernde apoftolifche Tradition behauptet. 

Die von den Neformatoren mit dem größten Nachdruck wieder hervor- 
gehobene pauliniiche Lehre von der alleinigen Mechtfertigung durch den 
Blauben erforderte zu ihrer Begründung wieder ein Zurückgreifen auf den 
Auguftinismud in den Dognen von der Erbiünde und von der Onaden« 


1) GEs trägt nur den Namen des Aihanaflus, ift aber nicht von ihm felbft verfaßt 
“und wird daher nach feinem Anfangswort beſſer Symbolum Quicunque genannt. 


'122 


wahl 2). Die Erbfünde, ward allgemein angenommen, pflanzt fih fort durch 
die natürliche Zeugung, indem, wie die Lutheraner annahmen, die Seelen 
felbft durch die Zeugung fortgepflanzt werden (Traducianismus), oder, wie 
bie Neformirten lehrten, die Seele bei der Zeugung von Gott neu gefchaffen, 
aber durch den fleifchlihen Samen verunreinigt wird (Creatianismus). 
Zwingli betrachtete die Erbfünde blos als natürliches „ Gebreften *, welches 
der Menfh ohne feine Schuld an fich habe; doch die Iutherifchen und 
reformirten Befenntnifle befteben darauf, fie als angeborene wirflide Sünde 
und Schuld anzufehen. Daß durch die Erbfünde, obgleich fie nicht zum 
Weſen des Menfchen gehöre, doc, die ganze Natur des Menſchen verderbt 
jet und er in Bolge derfelben von Natur nur Neigung und Kraft zum Böfen 
habe, darin flimmen alle Meformatoren und die Symbole beider proteftan- 
tifchen Kirchen überein. 

Der conſequenten Aufftellung Zwingli’3 und Calvins, daß Gott die 
einen Menſchen von Ewigfeit her zur Seligfeit, die andern zur Verdammniß 
beftinnmt habe, und daß demmac auch das Böfe von ihm , vorhergeordnet“ 
worden fei, hat fich Feine der Befenntnißichriften der Reformirten ftreng ans 
geichloffen. Vielmehr lehren fie, Gott habe in Bezug auf den von ihm vor⸗ 
hergeſehenen und zugelaſſenen Sündenfall die Gnadenwahl vorgenommen, 
aber auch in dem Sinne, daß die nicht zur Seligkeit Erwählten, die gütte 
liche Gerechtigkeit zu offenbaren, ind Verderben fallen. Die Lutheraner da⸗ 
gegen Ichren, Gott wolle im Hinblid auf Ehrifti Verdienſt von Ewigfeit 
ber, daß alle Menfchen durch ihn felig werden. Wem das Heil in Chriſto 
nicht angeboten fei, (3. B. den Heiden) dem gefchehe Dad aus unbekannten 

2) Wir bemerken bier gelegentlich, daß die paulinifchzauguftiniiche Doctrin von 
ber alleinigen Rechtfertigung durch den Glauben zur Zeit der Reformas 
tion auch im Schooße der römifchen Kirche, ganz unabhängig von Luther, ihre Des 
fenner,und Märtyrer Halte. Zeugniß dep ift das berühmte Büchlein „Bon der Wohls 
that Chriſti“, zuerft in Venedig 1842 erfchienen. Nachdem bdaffelbe in zahllofen 
Gremplaren verbreitet und in bie meiften europäifchen Sprachen überfegt worden war, 
wurde es, von der römifchen Inquifttion fchon 1548 verdammt, yon der Eurie fo eif- 
rig verfolgt, daß man es vollftändig vernichtet und verloren glaubte, bis fo ziemlich 
gerade 300 Jahre nach feinem erften Erfcheinen ein italifches Gremplar in der Bücherei 
des St. John College in Cambridge wieder aufgefunden wurde. Daß Nonio Pa⸗ 
leario der Berfafler dieſes Firchengefchichtlich fehr wichtigen Documents war, ift jet 
wohl unzweifelhaft. Er wurte um feines Buches willen als fiebzigfähriger Greis zu 
Mom verbrannt. 


123 


Gründen zur Strafe. Wem es angeboten fei, ohne daß es ihn zur Seligkeit 
führe, deſſen verfehrter Wille trage Die Schuld, 

Die Wiedergeburt oder Bekehrung kann nur Durch Die wirfiame Gnade 
Gottes, die der heil. Geift ift, zuftuntefommen. - Hierin ſtimmen alle drift- 
lichen Kirchen überein. Daß der Menih vor der Wiedergeburt ichon man⸗ 
ches Bottgefällige thun könne und das Mitwirken feines freien Willens zur 
Wietergeburt etwas Verbienftliches fei, lehrt feit der Reformation die fa= 
tholiſche Kirche. Die griechiſche Kirche, von jeher am wenigften vom Au⸗ 
guftinismus berührt, betont die Minvirkung des freien Willens bei der Be⸗ 
fehrung am flärfftien: „Die göttliche Gnade erleuchte Alle, wie ein Licht in 
die Finſterniß fcheinend; dann werte denen, vie ihr gehorchen und mitwirfen 
wollen , die befontere Gnade ertheilt, 'welche fie, mithelfend und die rechten 
Kräfte darbietend und Beharrlichkeit wirkend, gerecht und zur Seligfeit be= 
ſtimmt madıe. Eine Mitwirkung des freten Willens behauptete auch Melanch⸗ 
thon, In Bolge des 1558 Tarüber entftantenen ſynergiſtiſchen Streites 
zwiichen Amsdorf und Bfeffinger beſtimmte dann die Formula concerliae, 
daß nicht nur der erfte Anftoß zur Befehrung von der Gnade ausgehe, fon- 
dern Daß auch die Bekehrung von der Gnade allein gewirkt werte, wobei ſich 
der freie Wille ganz paſſiv verhalte. Hinwieder beſtimmte daſſelbe Symbol, 
dem von Flacius vertretenen andern Extrem gegenüber, daß der menichliche 
Milte allerdings die Freiheit habe, die göttliche Gnade anzunehmen oder ihr 
zu witerftreben,, welche Freiheit die determiniftifchere reformirte Lehre läng— 
nete und die göttliche Gnade ald „unwiderſtehlich“ bezeichnete. — 

Durch Die Sünde hat der Menfch das Heil verloren. Wiedergewinnen 
kann er es nur durch Rechtfertigung vor Bott. Dieſe fchenft ihm Verzeihung 
der Sünden und das Erbe ded ewigen Lebend. Die Rechtfertigung jelber 
wird und zu Theil durch Gottes wirffame Gnade, den heil. Geifſt. Von 
diefer gemeinfamen Wurzel find wieder verfchtedene Lehrzweine ausgegangen, 
deren klare begriffliche Auseinanderjegung die Kämpfe des Reformationszeit⸗ 
alters veranlaßten. Die Lutheraner und Reformirten lehren mit ängftlich 
Durchgeführter Gonfequenz die Rechtfertigung durch den Glauben allein, 
nämlich jo: — Zuerſt wirft der heil. Geift eine gründliche Zerknirſchung 
bes Herzens über den ganzen fündhaften Zuftand der Seele, hierauf den 
®lauben, d. h. das fefle Vertrauen, daß Gott dir um des Verdienſtes 
Chriſti willen die Verzeihung der Sünden und das ewige Leben jchenke. 
Um dieſes Glaubens allein, nicht zugleich um der guten Werke willen, die 


124 


als nothwendige Frucht aus demfelben hervorgehen, rechnet dir Gott die 
Gerechtigkeit ChHrifti zu. Nicht als wäre der Glaube felbft ein verdienſtlich 
Merk, Gott wirkt ihn ja; aber da der wahrbaftige Gott in den Glauben 
das fihere Bewußtfein der Begnadigung und Kindfchaft Gottes gibt, fo 
gibt er auch die Verzeihung der Sünden, die Kindfhaft und mit ihr das 
Erbe ded ewigen Lebens ſelbſt. Der Gläubige aber erfennt und fühlt leben- 
Dig die Liebe Gottes, welche in foldher Begnadigung liegt. Dies weckt in 
ihm die Eindliche Gegenliebe, deren Folge die Heiligung ift, und fo geht der 
rechtfertigende Glaube der Heiligung voran. 

Dagegen ſetzt die Eatholifche Kirche die Rechtfertigung, welche fie nicht 
für ein bloßes @erechterklären, fondern für ein wirkliches Gerechtmachen 
hält, in die Wiedergeburt und Heiligung, flatt in den Glauben. Um des 
Verdienftes Chrifti willen wird dem Menfchen die wahre Liebe zu Gott ein- 
gepflanzt und mit diefer die Gerechtigkeit Chrifti felbftl. Buße und Glauben 
bereiten den Menſchen erſt auf diefe innerliche Umwandlung und fomit auf 
die Rechtfertigung vor. Die Rechtfertigung fommt alfo nach dem Glauben, 
nit durch den Glauben. Ueberhaupt kennt die Fatholifche Kirche eine 
abfolute Necdtfertigung vor Gott nur für die, welde das Geſetz Gottes 
nad ihrer Wiedergeburt ganz erfüllen, und fie behauptet, daß dies in der 
That möglich fei, weil fle die aus Unwiffenheit oder Uebereilung begangenen 
Behltritte nicht für Sünden anfleht. Ja, fle halt ſowohl die guten, aus der 
Liebe zu Gott entipringenden Werke, wie die Empfänglichfeit für Gottes 
wirfjame Gnade für verbienftlih und Iehrt, ed gebe gewiſſe evangelifche 
Näthe (die drei Mönchsgelübde: Unbedingter Gehorfan, Armuth und Ehe— 
lofigfeit), deren Befolgung zur Seligkfeit nicht norhwendig und daher ein 
überſchüſſiges Verdienſt fet. 

Jede wirkliche Sünde muß der Katholik dem Prieſter, als ſeinem geiſt⸗ 
lichen Richter beichten. Dieſer legt ihm irgend ein Bußwerk auf, wodurch 
für die verübte Sünde Genugthuung geſchieht, wie z. B. Faſten, Beten, 
Wallfahrten, Almoſenſpenden. Nach vollbrachtem Bußwerk ertheilt der 
Prieſter Verzeihung der Sünde kraft feiner Schlüſſelgewalt (Abfolution). 
Wer eine Sünde nicht beichtet, kann fie auch nicht büßen, und daher auch 
feine Berzeihung derjelben erlangen. Die auf Erden verfäumte Buße muß 
im %egefeuer nachgeholt werten. Von der genugihuenden Buße Tann bie 
Kirche durch den Ablaß dispenfiren, indem fie, wie ſeines Ortes oben bes 
merkt worden, die Genugthuung durch Uebertragung überfchüffiger Ver- 


125 


dienfte aus ihrem geiftlichen Schage bewirkt. Auch die Qualen des Weges 
feuers fünnen aus dem gleichen Grunde durch den Ablaß abgekürzt werben, 
Den Gelderwerb beim Ablaß hat das tridentinifche Konzil abgefhhafft. Die 
läßlichen Sünden, welde man nit zu beidhten bracht, können entweder 
durch freiwillig übernommene Büßungen oder fonft gute Werfe getilgt 
werden. " 

Mit dieſen Lehren flimmt die griechifche Kicche im Allgemeinen über- 
ein; nur verwirft fie das Fegefeuer, den Ablaß und das Bezahlen der Todten⸗ 
meſſen, faßt auch die tägliche Buße betreffend die läßlichen Sünden in ftren- 
gerem Sinn. Den im Mittelzuftand eines gepeinigten Gewiffens befindlichen 
abgejchiedenen Seelen bringen die. Todtenmeffen Abkürzung"ihrer Bein nicht, 
weil, wie die römijche Kirche lehrt, Gott dadurch für deren ungebüßte 
Sünden Genugthuung geſchähe, fondern weilf dur flo, wie durch Gebete 
und gute Werfe der Hinterbliebenen, Gott fchneller zur Barmherzigkeit be= 
wogen wird.. 


19. 


Die Lehrverfchiedenheit in der Rechtfertigungstheorie erſtreckt ſich auch 
auf die mit ihr genau zufammenhängende Lehre vom Werf und Verdienſte 
Chriſti. Die Lutheraner und Reformirten betrachten fein Leiden und Ster⸗ 
ben nad) der Theorie des Anfelmus für ein unendliched Verdienſt des fün- 
denreinen Gottmenfchen vor Gott, entfprechend [ver unendlichen Sünden« 
ſchuld der Menfchen, fomit ald Genugthuung ſowohl für die Erbfünde, als 
für die Thatfünden fammt und ſonders; nur beichränfen die flreng calvini=. 
ftiihen Befenntniffe die Genugthuung blo8 auf die Sünden derer, die von 
Ewigkeit her zur Seligfeit erwählt feien. 

Die Katholifen reden von einem überſchuͤſſigen Verdienfte Chrifti, bes 
haupten aber defjenungeachtet, Chriftus habe blos die Schuld der Erbfünde 
und die ewige Strafe ber Thatfünden für uns abgebüßt, nicht jedoch Die 
zeitlichen und Begefeuerftrafen, welche die Menfchen felber abzubüßen hätten. 
Dies erklärt, warum die Fatholifche Kirche, ungeachtet ihrer Rechtfertigungs⸗ 
Iehre, tie Nothwendigkeit und das Berdienft der Büßungen, der guten 
Werke, der Seelenmeflen u. |. w. geltend madt. Es erklärt, warum fie 
außer Chriſtus auch die Heiligen zu Mittlern zwifchen Gott und Menſchen 
erhebt. Denn da Chriſtus nicht für die zeitlichen und Segefeuerftrafen genug 
getban, fo müfjen die Heiligen durch ihre überfchülfigen Verdienſte biefe 





126 


Genugthunng zumwege bringen, wenn wir ſclbſt un& nicht geirauen ober zu 
bequem find, frlber Genugithunng bicfür zu leiſten. Die grichiide Kirche 
beihränft zwar tie Genugtthuung Etrifti für unıcre Eünten nicht joweit, 
Ichri aber, daß der Menich ohne eigne gute Werke ter von Chriſtus erwor⸗ 
benen Euntenvergekung nicht thrilhafı werte. 

Beireffend tie Berjon Ebrifti haben tie Lutberaner, ihre Abentmahld« 
Ichre näber zu begründen, Die neue Lehre von den „beiden Ständen Ehrifli * 
aufgebradt und fic iſt ihr ausſchlienliches Gigenthum geblieten. Ter Begriff 
ter communiatıo ichomatuıın, d. h. „Miitbeilung der götilidhen Wujeitat, 
Krafı, Herrlichkeit unt Wirkung an tie menſchliche Natur in Chrius* ſollte 
namlid dazu dienen, das Genichen des wirfliden Fleiſches und Blutes 
Ebrifti beim Abendmahl von Eriten Der Gläubigen zu erflären, fonnte aber 
ſelbſt ter Bemerkung gegenüber, daß in Dem leidensrollen Lrben und Wirken 
Ghrifti auf Erden wenig von den göttliden Eigenſchaften Der Allmacht, Alle 
wiffenbeit und Allgegenwärtigfeit zu ſehen jei, nur feftachalten werten durch 
die Beflimmung, während Ted Standes der Ernictrigung, von ter 
Empfängniß im Mutterlribe bis zur Auferitebung, hate Chriftus dieſe gött⸗ 
liben Gigenſchaften verborgen und hinterbalten, nad abgelegter Knechtsge⸗ 
ftalı hingegen, im Zuflante der Erhöhung von ter Anferftchung an offen» 
bare er tieſelben vollig, und aud wir werden einſt Ticie feine Herrlichkeit 
fhauen von Angeſicht zu Angefidt. Eine „neue ” Xchre nannten wir Die von 
ten Ständen Ehrifti, weil Die Kirchenväter wehl von Ernietrigung unt Er=- 
böbung Ehrifti geredet haben, jedoch ohne dies auf die Mitibeilung ter 
gönlihen Eigenſchafien an jeine menſchliche Natur zu beziehen, noch Den 
Austind von „zwei Ständen Ehrifti* zu gebrauchen. 

Nach dieien Erörterungen können wir geiroft auf Die Abweichungen Der 
Kirchen in Ter Ab: ndmohlälchre übergehen. Das tritentiner Goncil erneute 
Die drei hergebrachten Beninmungen uber Dad Abendmahl: — daſſelbe dürfe 
von den Laien nur unter Einer Geſtalt genoflen werten, Durch Die Worte 
der Conjecration werde die Verwandlung in Fleiſch und Blut Chrifti bes 
wirft und es fei eine unblut'ge Wiederholung des Opfers Chriſti turd ten 
Priefter (Mebopfer). As eigentliche Communion,, d. h. wenn ed von Ten 
Laien geneſſen wird, bringt Tas Abendmahl nur Verzeihung der läßlichen 
Sunten und Kraft zur Herligung; al8 Meßopfer Hingegen, wobei der Abende 
mahlégennß nur von Seiten des Prieſters flatıfindet, dient es zur Buße 
und verſchafft Genugthuung für die ärgiien Totjünten, ſelbſt zu Ounften 


127° 


Abwefender und Verflorbener. — Bis zur Zeit ihres Streites mit CHrillus 
Lukaris hatte die griechliche Kirche nach. Öregor von Nyſſa gelehrt, durch 
Einwirkung des angerufenen Chriſtus werden Brot: und Wein des: Abend- 
mahles in dem Sinne zu Leib und Blut CHrifti, wie einft durch die Menſch⸗ 
werbung feine menſchliche Natur vergättlicht worden fei, nämlich durch Alte 
nahme der heilfamen Eigenſchaften des Leibed und Blutes Chrifti, nicht im 
Sinne fubftantieller, wefentliher Verwandlung. Im Gegenjag gegen Cy⸗ 
rillus Lukaris aber nahm auch die griechifche Kirche die Transſubſtantiation 
an. Aud das Meßopfer gilt in der griechifchen Kirche, nur wird. ihm. Feine 
genugthuende Kraft zugefchrieben und tie. Communion auch von den Laien 
in beiderlei Geftalt gehalten. 

Die Iutherifche Lehre weift Verwandlung und Opferbegriff von Abends 
mahl zurüd ynd druͤckt ſich ſo aus: Leib und Blut Chriſti ſind im Wein 
und Brotedes Abendmahles weſentlich, wirklich, aber unſichtbar vorhanden; 
ſie werden auch von den Unwürdigen mündlich genoſſen, kommen aber in 
dad. Brot und den Wein nicht durch Conſecration des Prieſters, ſondern 
durch das mächtige Einſetzungswort Chriſti ſelbſt, welches beim Abendmahl 
wiederholt wird. Die göttliche Eigenſchaft der Allgegenwart, welche dem 
Leibe Chriſti zukommt und feit feiner Erhöhung geoffenbart wird, erklärt 
diefe feine leiblidye Gegenwart beim Abentmahle. Chrifti Leib kommt freilich 
nicht in die irdifchen Stoffe durch Wiederholung der Einfegungsworte allein, 
fondern durd die Communionshandlung im Ganzen, wenn fte vorgenoms« 
men wird nad) feiner Einſetzungsvorſchrift. Daher ift Chriftus nicht im Brot 

. und Wein, außer wenn fie zur Communion gebraudyt werden. Die Anbes 
tung der Hoſtie ift zu verwerfen, nicht minder dad MeBopfer und die Com⸗ 
munion in Einer Geſtalt. Denen, die das Abendmahl gläubig genichen, 
verichafft ed die Gewißheit der Verzeihung ihrer Sünden und des ewigen 
Lebens und ſtärkt ihren Glauben. Wer es unwürdig genießt, dem gereicht 
.ed zu Gericht und Verdammniß. Unwürdig genießen es freilich nicht die 
Schwachgläubigen, fondern, die ohne Neue, Bußfertigfeit, Vertrauen und 
gute Vorfäge daran theilnehmen. 

Zwingli feinerfeitö faßte befanntlich die Einfegungdworte: „Das tft 
mein Leib, das ift mein Blut!" finnbildlih: „Das bedeutet meinen 
Leib, bedeutet mein Blut! und Eonnte alfo eine weſentliche Gegenwart des 
Leibe Chrifti beim Abendmahl nicht zugeben. Dafür Ichrte er einen geis 
ſtigen Genuß tes Leibes Chriſti durch Anjchauung des Glaubens, d. i. eine 





128 


dankbare, Iebendig vergegenwärtigende, tröftende und erfreuende Erinnerung 
an fein erlöfendes Leiden und Sterben, zugleich eine erneute Einfehr Chriftt 
in das ‚Herz feiner Gläubigen, Beides vermittelt durch gläubigen Genuß bes 
Abendmahles. An Zwingli halten ſich hierin die älteren Symbole der Re— 
formirten, die jüngeren mehr an Calvin, welcher zwar die Allgegenwart des 
Leibes Chrifti und auch deffen Gegenwart im Abendmahl heftig beftritt, die 
Lehre aber fo formulirte: Vermittelſt des Glaubens, alfo für die Ungläus 
bigen nicht, finde ein geiftiged Genichen der lebendigmachenden Kraft, welche 
dem Leibe Chrifti eigenthümlich fei, und eine geiftige Einwirkung des gan 
zen Chriftud auf den Communizirenden beim Abendmahle ftatt; die Ungläu« 
bigen empfangen die leeren Zeichen. | 

Wie in der Lehre vom Abendmahl, fo auch in der von der Taufe cha- 
rafterifiren ſich Katholizismus und Lutherthum in ihrer vorwiegesd myftifchen, 
die reformirten Befenntniffe in ihrer rationaliftifch«fpeculativen Richtung. 
Die Katholifen befchreiben die Wirkungen der Taufe als Befreiung von der 
Schuld der Erbfünde und der vor der Taufe begangenen Thatfünden, jo daß 
auch die von der Erbfünte zurüdbleibende Neigung zum Böſen nicht mehr 
als Sünde angerechnet wird. Soll die Taufe dieſes wirken, muß ber er- 
wachfene Täufling Glauben an das Evangelium haben ; bei Kindern gilt der 
Glaube ihrer Eltern, Pathen und der Kirche für ftellvertretend. Da die 
Taufe zur Seligfeit abfolut nothwendig ift, fo daß vor der Taufe geftorbene 
Kinder verdammt find, fo bat die katholiſche Kirche ſelbſt den Laien Die 
Bornahme ter Nothtaufe erlaubt 1). Obwohl nun Lie Lutheraner die Taufe 
ebenfalls für nothwendig zur Seligkeit erklären, verwerfen fie doch die Noth⸗ 
taufe und das erjcheint, wenn man blos auf die Symbole fieht, als eine 
Härte gegen Kinder, die vor der Taufe flerben zu wollen fcheinen. ber die 
alten Dogmatifer, unter ihnen befonderd Hollatius, fprechen es deutlich aus, 
die vor der Taufe Berftorbenen feien um defmillen nicht verloren, weil Die 
Taufe von Gott verordnet fei, welcher, wenn er fte felbft unmöglich mache, 
noch andere Mittel Habe, zu erlöfen und felig zu madıen. Im Uebrigen 
wirft nach Iurherifcher Anſicht die Taufe Verzeihung. der Erbfünde, ohne 
doch deren Nachwirkung in Form fündlichen Hanges zu tilgen. Sie wirft 
durch den heil. Geift die Anfänge tes Glaubens, ift der Eintritt der gött- 


1) Die griechifche Kirche flimmt in Auffaſſung der Taufe mit der römischen 
überein. 





129 


lihen Gnadenwirkung auf die Seele des Chriften. So erfcheint ſie als das 
Sarrament der Wiedergeburt. Der Auffaflung Zwingli's zufolge „bringt 
die Taufe die wirkſame Gnade nicht mit ſich, fondern die Kirche bezeugt, daß 
dem, der fie eınpfängt, Gnade geworden ſei.“ Calvin nahm die Taufe als 
göttliches Zeichen und Pfand der Sündenvergebung und der Wirkung bed 
heil. Geiſtes zur Wiedergeburt, defien Erfüllung eintrete, fobald im Bes 
wußtjein ded Menſchen der Glaube erwacht ſei. Die Kindertaufe verthei⸗ 
digte er ald Aufnahme der Kinder in Gotted Volk und Familie, verwarf 
aber die Nothtaufe ebenfalld, da Gott die vor der Taufe geftorbenen Kinder 
durch den heil. Geift von der Erbjünde erlöfe und wiedergebäre. 

Darin gingen Lutberaner und Meformirte einig, auf Grund der 
Schrift nur Taufe und Abendmahl als Sacramente, d. I. von Gott durch 
Ehriftus verordnete Gnadenmittel anzuerkennen. Die übrigen fünf Sacras 
mente der römifchen Kirche verwarfen fle als nicht von Chriflus eingefekt. 


20. 


Betrachten wir jest die Lehre von der Kirche, fo finden wir, daß, 
ungeachtet ihrer Trennung von der orientalifcdyegriechiichen und fpäter von 
den beiden proteftantifchen Kirchen, die römifche fih für die allein wahre 
erklärte. Sie nur fei die einige, apoflolifche, Heilige Kirche Chriſti, außer 
welcher fein Heil zu finden, das Reich Gottes auf Erden, deflen fiht- 
bares Haupt, als Stellvertreter Chrifti und Nachfolger Petri, der Papſt 
ſei. Dieſelbe ausschließliche Geltung nimmt die griechifche Kirche für fich in 
Anſpruch, nur daß fle Ehriftus als ihr alleiniges Oberhaupt, deſſen Vikare 
bie Bifchöfe feien, betrachtet und ſich die „orthodore * Kirche nennt, wähs 
rend tie römifche den Titel der „alleinfeligmachenden * liebt. Die Prote— 
ftanten beider Richtungen dagegen juchten fih zum Begriff einer durch die 
ganze Chriftenheit verbreiteten Kirche zu erheben, freilich nicht ohne ſchwan⸗ 
kende Beflimmungen, mit mehr oder weniger Glüd, So gerathen 3.8. 
die Lutheraner in Gefahr, ihre eigne Kirche als die allein wahre zu bezeich 
nen durch die Beſtimmung, die wahre Kirche fei da, wo das Wort Gottes 
und die Saeramente recht verwaltet werben. In ähnliche Gefahr begeben 
fich einzelne reformirte Bekenntnifle, indem fie ald Kennzeichen der Achten 
Kirche Chrifti bald die rechte Verfündigung des göttlidhen Wortes allein, 
bald jammt diejer die rechte Verwaltung der „von Chriſtus felbft eingeiegten 
äußern Zeichen, Bräuche und Ordnungen“ nennen. Den Uebergang zu 

Scherr, Geſch. d. Religion. 1. 9 





130 


einer Elarern Begriffsbeflimmung bei den Lutheranern bildet der Ausſpruch 
der Apologie des Augsburgifchen Bekenntniſſes: Die Böſen feten nur äußer⸗ 
lich, nicht innerlid Glieder der Kirche. Daraus geftaltete fich Die Lehre, 
die Kirche jei die Gemeinfchaft aller auf Chriſtus Getauften, die durch das 
Wort und die Sacramente verbunden und gebeiligt find oder noch geheiligt - 
werben follen., alfo im weitern Sinne eine Gnadenanſtalt. In ihr fei aber 
enthalten die innerliche Kirche, d. t. die Gemeinfchaft der innerlich durch 
den Glauben mit Chriftus verbundenen Chriften, der wahre geiftige Leib 
Chriſti. Noch deutlicher bezeichneten Zwingli und Calvin die allgemeine 
fichtbare Kirche als die von Chrifto geftiftete Bemeinfchaft aller Getauften 
und unterſchieden diefelbe von der unjichtbaren Kirche als dem unflchtbaren 
Reiche Gottes, beitimmten auch, die unftchtbare Kirche zerfalle nicht, wie bie 
fihtbare , in verfchiedene Partikularkirchen ?). 

Beide proteftantijche Kirchen betrachten Chriſtus, der Feines fichtbaren 
Stellvertreter8 bedürfe, als das unfichtbare Haupt der allgemeinen Kirche. 
Beide fammt der römischen Kirche untericheiden zwifchen einer ftreitenden 
und triumpbirenden Kirche 2), deren erflere auf Erden, deren letztere im 
Himmel gedacht wird ; nur darin von einander abweichend, daß die Prote- 
ftanten die Schledhten und Böſen nicht zur flreitenden Kirche rechnen, wie die 
römtfche Kirche. Immerhin wird die Kirche auf Erden, wie man ihren Bes 
griff faflen möge, als flreitend wider das Reich diefer Welt gedacht. 


21. 


Die Lehre von den guten und böſen Beiftern hat in der luthe— 
riichen Kirche weit höhere Berüdfichtigung gefunden, als in der reformirten. 
Defien ungeachtet Hat die, freilich in der deutfchen Schweiz nicht angenom« 
mene, gallifanifhe Gonfeffion dem Dogma von den Engeln und Teufeln 
einen befondern Artikel gewidmet: „Gott hat auch die unſichtbaren Geifter 
gefchaffen, von denen bie einen Eopfüher ind Verderben flürzten, Die andern 
im Gehorſam verbarrten. Jene, durd eigene Bosheit verborben, find Die 
immerwährenden Feinde alled Guten und daher der ganzen Kirche, diefe, 
durch Gottes reine Gnade bewahrt, dienen dem Ruhm der Kirche und dem 





1) Dadurch wird alfo auch den Mitgliedern der gegnerifchen Partikularkirchen 
ein Antheil an dem unfichtbaren Gottesreiche eingeräumt, eine Regung von Toleranz, 
die insbefondere bei Calvin auffällt. 

2) Ecclesia militans und ecclesia triumphans. 


131 


Heil der Erwählten.“ Das Wirken der Engel und Teufel auf den Men- 
hen wurde aber von den reformirten Befenntnifien und Theologen darum 
weniger hervorgehoben, weil die Lehre, daß Gott audy das Böſe, den Fall 
der Engel und Menfchen, freilich in anderer Weiſe ald das Gute, vorber- 
geordnet, nidht bloß zugelaſſen habe, zu den Hauptgrundfägen des 
reformirten Syſtems gehört, während die Lutheraner die Entflehung des 
Böfen nur theilmeile vom Satan und theilwelfe vom freien Willen des 
Menihen herleiten. Die Iutberifchen Symbolifer find neueftens deſſen 
- bewußt worden, daß fle mit ihrer Dämonenlehre nahe an Dualismus ftreis 
fen. Der’ Teufel ald dad Haupt ter gefallenen Engel fleht mit feinem 
Neiche dem Reiche Gottes Tämpfend gegenüber. Die ganze nichtchriftliche 
Welt ifl ihm unterthan, auch die Chriftenheit Tann fi vor ihm nur fchügen 
durch Gottes Wort und Iebendigen Glauben. Alles Uebel, alles Böfe auf 
Erden rührt von ihm her. Durch jeine Lift hat ex ſchon die erflen Men- 
fihen verführt, deren Nachkommen nun zur Strafe in feine Gewalt gegeben 
find, aus weldyer fie nur durch die Taufe erlöf worden find. Go wäre 
alfo der Uinterfchied zwifchen Ungetauften und Getauften diefer: gegen Iene 
übt er Gewalt, gegen Diefe mannigfaltige Lift. Dem Volksglauben, daß 
man mit dem Teufel um Reichthümer, Beihülfe zur Unzucht, und ähnliche 
Süßigfeiten einen Bund machen könne, feheint Luther im großen Katechis- 
mus nicht ganz abhold zu fein. Möglicherwetfe können ihn feine herenrich- 
terlihen Nachtreter auch mißverftanden haben !). Don den guten Engeln 
wird gelehrt, fie feien Schuggeifter und Fürbitter der Brommen, den Men⸗ 
ſchen an Weisheit und Heiligkeit überlegen, aber deßwegen noch keine Ver⸗ 
ehrung verdienend. 


22. 


In der Lehre von den legten Dingen unterſcheiden ſich die prote- 
ftantifchen Kirchen von der Eatholifchen und griechtichen hauptſächlich da⸗ 
durch, daß jene bie Zeit der Vorbereitung auf die Seligfeit auf das irdiſche 
Dafein beihränten, und demnach glauben, Jeder fomme unmittelbar nad) 
dem Tode in den Zuftand, der ihm gebühre, entweder in die ewige Selig- 
feit oder in die ewige Verdammniß, — dieſe hingegen lehren Mittelzuflände 


1) Bol. den Zufammenhang der Stelle in Müllers ſymboliſchen Büchern der 
“ evangelifch = lutherifchen Kirche, ©. 387. 
9 * 


132 


nach dem Tode, durch welche die nicht ganz der Seligfeit noch ganz der Bers 
dammniß Würdigen ihre-Sünden vor Eintritt des Weltgerichtes abzubüßen 
haben. Die griechifche Kirche verwirft dabei das Fegefeuer und die Wir⸗ 
fung der Meſſe zur Genugthuung für die ungebüßten Sünden über das 
Grab hinaus. Denen, die für ihre bereuten Sünden noch eine Zeitlang 
im Jenſeits geftraft werden, kann man von Gott durch Gebete, Todten« 
meſſen und gute Werke fehnellere Verzeihung verfchaffen; aber felbft die 
Frommen gehen nicht ſogleich zur.vollen Seligfeit ein. Die römifche Kirche 
hat im tridentiner Concil ihr Anathema ausgeſprochen über Alle, die irgend - 
einem reuigen Sünder jo vollfommene Verzeihung beimeflen, daß er im 
Begefeuer nichts mehr abzubüßen hätte. Die unbußfertig in Todſuͤnden Ge⸗ 
fterbenen werden zwar aud von der römiichen Kirche ſofort ewiger Ver⸗ 
dammniß überwiefen, ebenfo die ganz Heiligen dem Himmel; aber hin— 
fichtlich der vor der Taufe verfiorbenen Kinder redet fie von einem beſondern 
Ort der Unfeligkett gerade über dem Fegefeuer, über welchen ſich hinwieder 
derjenige Himmel befindet, in welchem bie vorchriſtlichen durch Chrifti 
Höllenfahrt erlöften Srommen wohnen. 

Darin flimmen alle Kirchen überein, daß Chriſtus am jünagflen Tage 
wieder erfcheinen wird, die Todten zu erweden, über fie und die noch Lebenden 
Gericht zu halten. Dann werden die Gerechtfertigten ihre ehemaligen Leider 
in verflärter Geſtalt wieder erhalten und fo der ewigen Seligkeit genießen, 
welche im „Schauen Gotted von Angefiht zu Angefiht” beſteht. Die 
Teufel und die Ungerechtfertigten hingegen werden ewiger Verdammniß über 
liefert 1). Die Proteftanten bezeichnen in Bezug auf die Todten das Welt- 
gericht als das öffentliche Gericht, welches das gleich nach dem Tod erfolgte 
verborgene Gericht beftätige. Unter den Reformirten wurden nach Calvin 
und Beza's Vorgang Gradunterſchiede in der Seligfeit und Verdammniß 
zugegeben, auch zeigte ſich fpäterhin eine Hinneigung zur Lehre von ber 
MWiederbringung aller Dinge, da Gott fein werde Alles in Allen, zumal 
nad) 1. Kor. 15, 26 ff. Mit dem jüngften Gericht tritt zugleich das Ende 
der Welt ein‘, welches die belgische Confeſſion nach 1. Betr. 3, 7 als eine 
Läuterung der Welt durch Feuer darftellt. 


1) Im Kapitel von der chriftlihen Kunft werden wir fehen, wie die Volks: und 
Dichterphantafle das Dogma von der himmliſchen Seligfeit und der höllifchen Ber: 
dammniß geftaltete. 


* 


133 


23. 


Die geiftige Bewegung des Reformationdzeitalters rief, ſowohl wäh- 
rend ihres Derlaufes ala in ihren ſpaͤtern Nachwirkungen, eine Menge von 
Seften hervor, von denen wir nur bie Soztnianer, Armintianer 
und Ianfeniften bier näher ind Auge faflen, — die beiden, erfteren 
Selten, weil ihre abweichenden Lehren in ſyſtematiſchem Zufammenhang 
ſtehen, die Tegtgenannte, weil fie die einzige Erfcheinung diefer Art inner⸗ 
halb der römiichen Kirche nach der Neformation iſt 1). 

Mas Lälius Sozinus von Siena, feit 1551 in Züri, von eigen« 
thümlicher Auffafjung des Chriſtenthums in friebliebender Stille für fi 
ausgedacht, entwickelte jein Neffe Fauſtus Sozinus zum Syſtem und fand 
Anhänger für daffelbe unter den Unitariern Polens 2). Dafelbft fliftete er 
die Kirhengemeinfchaft der Sozinianer, deren Hauptfig Krakau war, 
Der Sozinianismus tft ein moralifivended, rationaliſtiſches Syflem. Die 
Erbfünde läugnend, ftellt. e8 als Folge des erſten Sündenfalld nur die allges 
meine Sterblichkeit der Menſchen und ihre angeborene Geneigtbeit zur 
Sünde auf. Dabei iſt aber doch dem Menſchen fo viel Willensfreiheit geblie- 
ben, daß er fih ver Sünden hüten fann, wenn er will; doch bedarf er zur 
Erfüllung der Gebote des göttlichen Beiftandes, welcher durch Gottes Wort 
und unmittelbare, göttlihe Erleuchtung des Herzens jedem Chriften zu 
Theil wird. Demzufolge gibt e8 feine andere Präbeflination, als die, daß 
Bott die Gläubigen und Gehorſamen zum ewigen Leben, die Ungläubigen 
und Ungehoriamen zur ewigen Verdammntß beftimmt hat, und zwar hängt 
biefelbe nicht von Gottes Vorſatz allein, fondern auch vom günftigen oter uns 
günftigen Erfolg feined Wortes bei den einzelnen Individuen, vom Wollen 
und Thun des Menichen ab. In Harmonie mit dieſen Sätzen fteht die 
merkwürdige Lehre der Sozinianer von der Berfon Chriſti. Chriſtus war 
bloßer Menfch ohne göttliche Natur noch Weſensgleichheit mit Gott (Ebio⸗ 
nitismus); ungeachtet er von Gott jelbft im Echvoße der Jungfrau Maria 
erzeugt worden und vollfommen ſündlos geweſen. Da er ald Menich das 
Göttliche nicht erfennen konnte, mupte er, feine göttliche Lehre zu empfans 


— 


1) Der übrigen Sekten, welche mehr nur in vereinzelten Punkien von der kirch⸗ 
lichen Doctrin abweichen, wird im Kapitel über tas Kirchenwefen gedacht werten. 

2) Unitarier (von unitas) find Chriſten, weldye das Dogma von der Dreis 
einigfeit verwerfen. 





134 


gen, nad 30h. 3, 13; 6, 36, 8, 28 vor dem Antritt feines Lehramtes 
in den Himmel entrücdt werden. Obwohl er nicht anders fonnte, ala Gott 
gehorchen, ward er zur Belohnung feiner Mühſale und Leiden zur echten 
Gottes erhoben, mit Macht über alles Erichaffene befleidet und fo zum 
wahren Gott, weldem nähft dem Vater Anbetung gebührt, umgewandelt. 
Das joll und, die wir ungeborjam fein können, mächtig zum Gehorſam 
‚gegen Gott aufmuntern. — Bon Sacramenten wollen die Sozinianer 
Nichts wiffen. Sie betrachten diejelben einfach al8 Geremonien, bie Chri⸗ 
ſtus angeordnet, laſſen aud die Taufe nur für befehrte Iuden und Heiden 
gelten, für Ehriftenkinder fei fte unnöthig. Die Einfegungsworte des 
Abendmahls nehmen fie bildlich und betrachten ed weſentlich als Gedächtniß⸗ 
mahl und Danffeier für die durch Chriftus erworbenen Gnadengaben. Nach 
dem Tode eriftiren die Seelen zwar fort, aber ohne Bewußtſein bis zur 
allgemeinen Auferftebung , wo dann die Seelen der Srommen-andere, neue, 
verflärte Zeiber empfangen und mit biefen zur ewigen Seligkeit eingeben, 
während die Böfen, weil ihnen ein neuer Leib verfagt wird, gänzlicher Ver⸗ 
nichtung anheimfallen. Merfwürdig ift hiebei die philoſophiſche Anſchau⸗ 
ung, daß Seelen ohne Leib kein Bewußtfein haben Fünnen. 

Im Schooße der niederländiſch reformirten Kirche, deren Glaube 
wefentlich unter Calvins Einfluß ftand, erregte die Wiederbelebung der 
Zwinglifchen Anfichten über Erbfünde und Abendmahl durch Arminius, 
feit 1603 Brofeflor in Leyden, eine heftige Spaltung , welche, zulegt auf 
politifches Gebiet hinübergeipielt, mit der Ausftoßung der Arminianer oder 
NRemonftranten 8) aus der Kirche durch die Synode von Dordrecht (1619) 
endigte. Nach dem Tode ihred Hauptgegnerd, Morig von Oranien, wur⸗ 
den die Arminianer im Lande geduldet und errichteten ein eigened Kirchen 
weien. Eigenthümlich ift ihnen die Lehre, dag Ehrifti Genugthuung für 
die Sünden der Welt nur durd göttliche Gnade zureichend fei und dem 
Gläubigen nicht die Gerechtigkeit CHriftt, ſondern um Chriſti Verdienftes 
und Gehorfamd willen die Gerechtigkeit überhaupt zugerechnet werde. 
Ebenſo ſchreiben fle Dem Glauben weientlih tn Hinfiht der ihm entſprin⸗ 
genden guten Werke rechtfertigende Kraft zu. 

Was ſchließlich den Janſenismus betrifft, ſo knüpft fi derſelbe als 


— — —— ...— 


3) Sie nannten das Betenntniß, welches fie fchon 1610 ben nicderlandiſchen 
Staͤnden vorlegten, die Remonſtranz, daher ihr Parteiname. 


135 


an feinen Anfangepunft, wie Jedermann weiß, an das Buch, in welchem 
Cornelius Janſe 4) den auguftinifchen und pelagianifchen Lehrbegriff mit zu« 
flimmender Betonung des erfleren erörtert und damit zugleich die Moral bes 
Jefuitismus angegriffen hatte. Dieſes Buch ward nach feines Verfaflers Tode 
von einem feiner Freunde herausgegeben und durch Papft Urban VIII. als 
Feßerifch verdammt (1642). Don daan begann, befonders durch fo begeifterte 
Männer wie Du Berger und Anton Arnault angefacht, der faft hundertjährige 
Kampf der Ianfeniften gegen die Jeſuiten als Vertreter der auf die Spige 
getriebenen Werkheiligfeit, bis 1719 der Janfenidmus in den Niederlanden 
ein eigned Kirchenwejen gründete. Der Ianfenismus, deſſen glänzendfte 
Polemik Blaife Pascal durch feine berühmten „‚Lettres Provinciales‘ 5) 
geführt Hat, Tieß die Einrichtungen der römischen Kirche unangefochten, nur 
beftritt er die Verbienftlichfeit der Werke und erhob die fittlihe Wiederge- 
burt durch den Glauben und die Heildanftalten der Kirche zur alleinigen Be« 
dingung der Nechtfertigung vor Gott. Die Machtvollkommenheit des Pap⸗ 
ſtes focht er nur inſofern an, als der Papſt fich ein untrügliches Urtheil über 
rein wiſſenſchaftlich-hiſtoriſche Fragen, wie z. B. Janſe dieſen oder jenen Satz 
wirklich gemeint habe, erlaubte. — Die janſeniſtiſche Doctrin, von den Paͤp⸗ 
ſten beſonders wegen ihrer Verwandtſchaft mit den proteſtantiſchen Lehren ge⸗ 
fürchtet, unterlag in ihren Beſtrebungen, die römiſche Kirche ſittlich zu refor⸗ 
miren, weil fie verfannte, daß das römiſche Dogmengebäude, fo, wie es 
war, fiehen oder fallen mußte. Innerhalb dieſes Gebäudes eine, und wenn 
auch nur rein fittliche, Reform verſuchen, dad war ein Irrthum, welchen 
die Sanfeniften mit vielen Schmerzen und Thränen bezahlten. Die Jeſuiten, 
flüger, energifcher und confequenter als ihre Gegner, mußten über bie janfe 
niftifche Halbheit triumphiren und die Zerftörung der idyllifchen Ianfeniften- 
colonie Portroyal durch die Dragoner Ludwigs des DVierzehnten (1709) 
war nur eine Ginichärfung der alten Xehre, daß man den Despotismus nie 
ungeflraft reizt, wenn man weder den Willen no die Kraft Hat, ihn ganz 
zu Boden zu werfen, | 


4) Get. als Biſchof von Ypern 1638. , 

8) Der vollftänrige Titel diefer Streitbriefe, welde, 18 an der Zahl, vom 
Januar 1656 bis zum März 1657 erfchienen, lautet: Les Provinciales, ou lettres 
&crites par Louis de Montalte à un Provincial de ses amis et aux R. R. P. P. Jesuites 
sur la morale et la politique de ces peres. — Blaife Pascal ift geboren zu Efermont 
41623 und flarb zu Paris 1662. Seine ‚‚Pensdes‘‘, worin er, was er in den Lettres 
polemiſch ausgeführt, philofophifch zu begründen fuchte, erfhienen 1687. 


136 


Siebentes Kapitel. 
Der Cultus. 


1. 


Bir find im rorigen Abichnitt der innerliben Pegriitdentwidlung 
tes Glaubens ter drifllihen Gemeinde Schritt für Erin nachgegangen. 
Jetzt liegt und ob, auch Lie äuperlihe Entwidlung dieſes Glaubens aufzu- 
zeigen. Temzufolge ſchließt ſich an tie hiſtoriſche Tarftellung der Kirchen- 
Ichre, mit terielben parallel gehend, tie Geſchichte Ted Eultus, welcher ja 
nur die öffentlihe Kundgebung des jeweilig in Der Gemeinde vorbantenen 
Glaubens durch Diele iſt. Erſt in fpäteren Zeiten begegnet uns eine Ab⸗ 
irrung des Cultus von dieſem feinen uriprünglichen Weſen, intem einzelne 
gottestienflliche Handlungen (wie 3. B. Taufe, Abendmahl, Iegte Oelung) 
außerhalb ver veriammelten Gemeinde verrichtet werten 1). 

Wie aber in unjerer Betrachtung der Lehrentwidlung tie abweichenten 
Meinungen ver zahllojen Sekten nicht ſpeziell berüdfidhtigt werben fonnten, 
fo audy nit in ter Geſchichte des Eultus die jektirerijch = gotteötienftlichen 
Hoımen. Das Wichtigſte hierüber wird jedoch in der Beichichte des Kirchen— 
weiens jeine Stelle finden. Eben jo wenig läßt fi Hier ihon die dem Eul- 
tu8 tienende Kunft näher ind Auge füflen, denn audy Diejer Gegenftand er- 
fordert feine eigne, in fi abgerundete Darftellung. Läßt es ſich ferner 
nicht beflreiten, daß Die Entwidlung des Kirchenwefend nad feiner äußern 
und innern Seite weientlih auf die Zortbiltung des Cultus eingewirkt hat, 
fo kann doch um deßwillen in diejem Kapitel noch nicht genauer auf tie 
Entſtehung und Audbildung der Hierardie oder auf die Ausbreitung der 
Kirche unter der Heitenwelt eingetreten werden. Endlich haben wir, un- 
ferer Begriffsbeftimmmng getreu, auch gewiffe, cultifchen Gandlungen ähn- 
liche Aeußerungen des flttlichereligiöjen Volkslebens, wie 3. B. die Geifler- 
und Zänzerzüge des Mittelalters, vom Gebiete des Eultus außgefchieden. 

Nachdem wir fo dad zu behandelnde Gebiet abgegränzt haben, bleibt 


— — 


1) Die Taufe Neubekehrter durch die Apoſtel außerhalb ter Gemeindeverſamm⸗ 
lung kommt hier begreiflih nicht in Betracht. 





137 


und ald Meft ver Vorarbeit noch feine Eintheilung. Am bequemften wird 
ſich wohl die Entwicklung des Cultus darfiellen Iafien, wenn wir ihn bes 
trachten nach Zeit, Inhalt und äußerlicher Erſcheinung, fo daß wir zunädft 
eben von den heiligen Zeiten, fodann von der Liturgie, d. i. den einzelnen 
gotteödienftlihen Handlungen in ihrer georbneten Reihenfolge, und endlich 
von den Außerlichen Hülfamitteln, wodurch man mehr umd mehr die Wir 
fung des Eultus auf die Gemüther zu unterflühen ſuchte. Wie nämlich der 
Eultus zuvörderft Ausdruck des Glaubens der Gemeinde ift, fo bat er in zwei« 
ter Linie die eben fo wichtige Bedeutung eines weſentlichen Mittels zur Be⸗ 
lebung des Gemeindeglaubens, zur Förderung geiftiger Einheit der Ge⸗ 
meinte. Die Entwicklungsſtufe, welche der Eultus je in einem gegebenen 
Zeitalter erreicht, veranfchaulicht daher zugleich, wie der kirchliche Glaube 
beichaffen tft, und durch welche Mittel man benfelben beleben zu können 
meint, — ein unmwillfürliches Zeugniß bes fittlich-religtölen Zuſtandes, in 
welchem fich das jeweilige Zeitalter befindet, von dieſem fich jelber vor den 
Augen der Nachwelt außgeftellt. 


2. 


Eigentliche Formen des Cultus Hatte Ehriftus nicht verordnet, wohl 
aber theils durch fein eigened Beifpiel theild durch Empfehlung gemeinfamen 
Bebetes und Einfegung des Gebächtnißmahles für fein Leiden und Sterben 
feine Gemeinde zu gemeinfamem Austrud bes ihr innewohnenden reltgiöfen 
Lebens angewielen ?). So finden wir denn die Gemeinde der erfien Chriſten 
nach der Erhöhung des Meifterd einmüthig verfammelt, verharrend in Ge⸗ 
bet und Flehen, fchon vor der Geiſtesausgießung. Nachdem diefe erfolgt 
und die Geneinte ſchon bebeutend angewachfen war, verfammelten ſich Bie 
Mitglieder täglih im Tempel zur Andacht, und hielten in Privathäuſern 
ihre gemeinichaftlichen Mahlzeiten, Später Agapen, Liebedmahle genannt 2). 
Nah dem Borbild Ehrifti Iobten fie bei jedem Mahle Gott in gemein« 
ſchaftlichem Gebet, jowohl für die zeitlichen Gaben, als für die durch Chri⸗ 
ſtum vollbrachte Erlöjung. Außerdem feierten die erften Chriften, io lange 
fie bloß zu SIerufalem eine Gemeinde bildeten und größtentheils aus ehe⸗ 
maligen Inden beftanden (Iudenchriften),, die fämmtlichen jüdischen Feſttage 


1) Matth. 18, 1920. 
2) Apoftelgefch. 1, 14; 2, 4647. Agape (aͤycinn) von dyanalı (ayanda 
und dyanlw, vom Stamm äydu), ich ſchaͤtze Hoch, verehre, liebe. 





138 


fowie auch den Sabbath. Uber die Entflehung von Ghriftengemeinden in 
beidnifchen Städten hatte auch die Gmanzipation des Chriſtenthums vom 
Mofaigmus in Hinficht des Eultus zur nothwendigen Folge. Für Ges 
meinden , die ganz aus ehemaligen Heiden beftanden, hob Paulus die Beob⸗ 
achtung der Tage, Monate und Jahre, welche nach jüdiſchem Beleg für 
heilig galten, auf 5), Gemifchten Gemeinden rieth er, e8 folle in An⸗ 
fehung der Seterzeiten jede Partei die andere unangefochten bei ihrer Weiſe 
lafien, ob man bie jüdiſchen Feſte und heiligen Tage feire oder nicht, Beides 
folle um Ehrifti willen geſchehen ))Y. Wahrjcheinlich hatten auch die Ges 
meinden außerhalb Jeruſalems Anfangs täglich ihre -Zufammenkünfte. Ein» 
zelne Tage der Woche wurden erft als heilige hervorgehoben, als die Zahl 
der Chriften für tägliche Zufammenfünfte zu groß und ber Gegenfag gegen 
das judenchriftliche Element immer fchroffer ward. 

In der unmittelbar. nachapoftolifchen Zeit treten als Faſttage unter den 
Heidenchriften hervor Mittwoch, Freitag und Samflag, Die beiden erfteren 
zwar nur bis Mittagd 3 Uhr gefeiert, ber Teßtere insbeſondere von der 
tömifchen Kirche im Gegenſatz gegen die Sabbathfeier der Judenchriſten als 
Safttag gehalten. Mittwoch und Freitag galten dem Andenken an daß Lei⸗ 
den und Sterben Chriſti. Der Sonntag, ald Auferftehungstag Chriſti, 
war fodann der vierte, der fröhliche Feiertag. An den genannten vier 
Tagen der Woche pflegten fih, zumal- während ber Verfolgungszeiten die 
chriſtlichen Gemeinden entweder bei Nacht oder um Die Morgendämmerung 
zum Gotteöbienfte zu verfammeln. 

Durd die Verordnung des Kaiferd Konflantin, woburd am Sonntag 
alle weltlichen Geichäfte mit Ausnahme dringender Feldarbeiten und ber 
Breilaffung der Sklaven unterfagt waren, wurde der Sonntag zum Haupt« 
feiertag der Woche erhoben. Als das Abendmahl zum Meßopfer geworden, 
wurde an allen Werktagen um 12 Uhr Mefle gelefen. Die Mefle ver- 
drängte nad) und nad den andern Gottesdienft an ten Werktagen. Den 
Beſuch der Meſſe und Litanei am Mittwoch, Freitag und Samflag in der 
Brohnfaften gebot aber die Synode zu Mainz allem Bolfe, nachdem die 
Theilnahme an ten Wochenmeflen geringer worden. Die Reformation 
machte ihrerfeitö den Wochenmeflen, wie der Meffe überhaupt und den Faſt⸗ 
“ tagen, ein Ende. Dafür wurden in der lutherifchen und reformirteg Kirche, 


3) Gal. A, 9—10. 
4) Röm. 14, 4—6. Kol. 2, 16—17. 


139 


freilich ohne daß man ſich an die althergebradhten Wochenfafttage band, 
Wochengottesdienſte mit Predigt, Gebet und Geſang eingerichtet, welche ſich 
in einzelnen Ländern noch bis Heute erhalten haben. Als Wochenfaſttag 
hat fich bei den Katholiken ber Freitag behauptet. Auch der Aſchermittwoch 
erinnert noch an das chriſtliche Alterthum, wo, wie bereits bemerkt, jeder 
Mittwoch ein Faſttag war. Wie die Feſtſetzung der Wochenfeiertage, ſo be⸗ 
ſtimmte das Leiden und die Verherrlichung Chriſti auch die jährlich wieder⸗ 
kehrenden Hauptfeſte mit ihren Feierzeiten. Dem Andenken an das Todten⸗ 
opfer Chrifti weihten die kleinaftatiſchen Gemeinden den 14. Tag bes 
Monats Nifan 5), indem fle Chriftus als das wahre Paflahlamın betrach⸗ 
teten. Biel nun ſchon die Zeit dieſes chriftlichen Feſtes mit dem jüdifchen 
zufammen, fo mußte vollends die Aehnlichfeit der Namen beider Befte 
(Paichafeft vom griech. muoyeıv, leiden, und Paflahfeft vom hebr. pasach, 
übergehen, sorübergehen) einen jchweren Verdacht auf Vermiſchung des 
Jüdischen mit dem Ehriftlichen erwedten. Daher erhob fid unter den übrigen 
Theilen der Kirche, welche am Sonntag nach dem erften Brühlingsvollmond 
die Auferftehung und am Freitag vorher den Tod Ehrifti feierten, beſonders 
die römische Kirche gegen jene Beflzeit der Kleinaitaten und um 190 drohte 
ihnen bereitd der römiſche Biihof Victor mit Auffündung der Kirchenges 
meinichaft, ein Benehmen, weldes man in jenem Beitalter noch mit der 
lauteften Mißbilligung zu züchtigen wagte. Erft die Synode zu Nicaͤa er⸗ 
ledigte diefen Streit zu Gunften der römifchen Kirche. Weit 325 ift die 
Beitbeftimmung für Charfreitag und Oftern in der ganzen Kirche fich gleich« 
geblieben. Dem Auferfichungdfefte ging übrigens eine vorbereitende, der 
Betrachtung des Leidens Chrifti gewidmete Baftenzeit voran, welde, ans 
fangs in den verfchiedenen Theilen der Kirche von ungleicher Dauer, endlich 
übereinftinmend auf 40 Tage feftgefegt wurte. Jeder hohe Feſttag ward 
mit einer Nachtfeier (Vigilia) eingeleitet. Später nannte man aud das 
Singen gewiffer Palmen nebft den Gebeten am Vorabend des Allerfeelen« 
tage® oder" einer wichtigen Todtenmeſſe Vigilien. 
Bevor das GChriftenthum fich unter die Germanen verbreitete, hieß das 
Bert des Todes und der Auferftehung allgemein Paſchafeſt, welcher Name 


85) Nifan hieß der erſte Monat der Hebräer, welcher mit dem erften Neumond 
nach der Tags und Nachigleiche des Frühlings begann. Der 14. Nifan flel daher 
um die Zeit des erſten VBollmondes nach dem Acquinoctium. An dieſem Tage feierten 
die Juden das Paſſahfeſt. 


140 ’ 


fih bei den romanifchen Bölfern erhalten hat. Bet den Deutſchen aber er- 
hielt das Auferftehungsfekt den Namen Oflern (engliih Easter) von ber 
Frühlingsgättin Oftara (angelfähftich Eastre ©), deren Feſt gefeiert wurde, 
fobald man das erfle Veildhen gefunden. Das Zufammentreffen dieſes chriſt⸗ 
lichen Feſtes mit dem heidniſchen Frühlingsfeſte in der Zeit und theilweiſe 
auch im Sinne mag die Verbreitung des EhriftentHums unter den Ger- 
manen nidyt wenig gefördert haben. Auferfiebung war ja die Loſung beider, 
An das Kreuz und Auferſtehungspaſcha ſchloß ſich eine Beflzeit von 50 Tas 
gen, Pentekoſte, deren Iegter Tag ald das hohe Pfing ſtfeſt anfangs allein 
hervorgehoben ward zum Andenken an die Ausgießung de heil. Geiſtes. 
Dieje 5Otägige Feſtzeit feierte die Verherrlichung Chriſti, welche von der 
Auferftehung an eingetreten. Im 4. Jahrhundert wart aus dieſer Feſtzeit 
no der vierzigfte Tag als Feſt der Himmelfahrt hervorgehoben?), Die 
Pentekoſte traf mit der den ganzen Monat gehaltenen Waifeier der Ger⸗ 
manen zujammen. Die Beiftedausgiegung vom Himmel ber fand bei ihnen 
um fo Schneller Anklang, da ſte an ein Herntederfteigen der fegnenden Götter 
auf die Erde während des Blüthenmonds Mai geglaubt hatten, Darum 
find auch fo viele der heidnifchen Bräuche, welche die Maifreude Fundgeben, 
im chriftlichen Deutfchland bis auf diefen Tag lebendig geblieben. — Als 
Nebenfeier erjcheint im nadapoftolifchen Zeitalter dad Epiphanien=-, d.h. 
Eriheinungsfeft Chriſti, vielleicht zuerft von den Gnoftifern audgegangen, 
weldhe am 6. Iaguar .die Verbindung des Logos mit dem Menfchen Jeſu bei 
feiner Taufe im Jordan feierten. Die Kirche feierte während der drei 
erfien Jahrhunderte denfelben Tag zum Andenken, dab das Innewohnen des 
Logos in Jeſu ‚bei der Taufe geoffenbart worden. In Bolge der Lehrbes 
flimmungen über die Gottgleichheit des Weſens Chriſti und deſſen Verbin⸗ 
dung mit der menfchlichen Natur ſchon im Mutterfeibe verbreitete ſich gegen 
Ende des A. Jahrhunderts von der römiſchen Kirche aus die Feier der Ge— 
burt CHrifti, ald Erſcheinung ded Logos im Fleiſche, am 25. December. 
Der Epiphanientag ward daneben ald Tauffeft begangen. Im 7. Jahr⸗ 
hundert erhielt auch der erſte Januar feine Bedeutung ald Feſt der Beichnei- 
dung Chriſti, und unter den Proteflanten iſt am Neufahrötag noch Tange 
Dank gefagt worden für das foftbare, weil auch erlöfungskräftige Tröpf- _ 
lein Blut, welches Jeſus bei jeiner Befchneidung verloren. Die vier— 
6) Bol. Thl. I, S. 299. | 
7) Geftügt auf Apoſtelgeſch. 1, 3. 


141 


wöchentliche Borbereitungszeit auf Weihnachten, der Advent, ward dur 
Gregor den Großen feſtgeſetzt, to daß nun eine dritte Beflzeit, deren Mittels 
punkt das Geburtöfeft Chrifti, dauernd von Ende Nonember bis zum 
6. Ianuar, abgeſchloſſen neben den Beiden andern fland. Im Abendlande 
trat mit dem Ende des 4. Jahrhunderts eine allmälige Aenderung in der Ber 
deutung des Epiphantenfefled ein: e8 wurde bezogen auf die Erfcheinung der 
Weiſen aus dem Morgenlande, worin ja ebenfalld ein Offenbarwerden der 
göttlichen Weſenheit Jeſu lag. Im Uebrigen fiel auch die chriſtliche Wei h⸗ 
nacht mit einem Feſt des germaniichen Heidenthums zufammen, mit dem 
Julfeft®), welches nadı dem Fürzeften Tag gefeiert, die Wiedergeburt ber 

Sonne froblodend begrüßte. Hier alfo Wiedergeburt des allbelebenden 
Tagesgeſtirns, dort Wiedergeburt der Menſchheit durch Einkehr des Gött⸗ 
Tichen in ihr. Der deutſche Chriſtbaum mit jeinen fchimmernden Lichtern 
fomboliftrt anmuthig die Verfchmelzung diefer Ipeen. 


3. 


Die vorerwähnten drei Feflzeiten bildeten feit dem Abichluß der dritten 
die Grundzüge des Kirhenjahres, an welche fih, zunädhft audgehend 
von der Verehrung der Märtyrer (Blutzeugen), im Lauf der Zeiten eine 
Menge anderer Feſte und Beiertage anfchlofien. Denn, wie das Heiden» 
thum1), wollte auch das Chriſtenthum neben dem Gottespdienft feinen 
Hervencult haben, Diefer chriſtliche Heroendienft erhiehereine reiche und 
reichfte Entfaltung, als die Kirche, nach erlangter Herrfchaft im römifchen 
‚Weiche, der allmäligen Abſchwaͤchung des religiöfen Lebens unter ihren 
Sliedern Halb bewußt geworden, zu den beldenmüthigen Opfern der Vers 
folgungszeit als zu Heroen aufzublidlen begann. Zuerft freilich feierten nur ein« 
zelne Gemeinden die Todedtage ihrer Märtyrer auf deren Gräbern ald Tage 
ihrer Geburt zum höhern Leben in der Herrlichkeit (natalicia). Allein da 
die paulinifche Lehre von der Unverdienftlichfeit ber Werke praftifch inımer 
mehr in Bergefjenheit gerieth, da ſchon Origenes ed fr annehmbar erklärte, 
daß „alle Hingeichiedenen Heiligen die Liebe gegen die auf Erden Zurüd« 
geblieberien bewahren und diefe durch ihre Bürbitten vor Gott vertreten ;* 
‚ ba er fogar behauptete, „wie wir durch das theure Blut des Herrn erfauft 
worden, fo können wohl auch Etliche durch das theure Blut der Märtyrer 
8) Vol. Thl. U, ©. 388, 

4) Bol. Thl. II, S. 183 fg. und ©. 300 fg. 


142 


erfauft werden;* da endlich Cyprian und Euſebius 2) in diefen Ton ein- 
flimmten: fo Eonnte es nicht fehlen, daß-an den Martyrertagen bald ein 
wahrer Heroencultus geübt wurde. 

Jede Kirche verehrte ihre beſondern Heiligen und hatte daher ihre be⸗ 
fondern Märtyrertage. Das Zuſammenſchließen der geiammten Kirche zu 
fefterer Einheit rief confequent dem Befte aller Märtyrer in der griedgifchen 
Kirche am Sonntag nah Pfingften, das Feſt aller Heiligen in der römifchen 
Kirche am 1.November hervor. Mit der ſteigenden Vergottung Chriſti wäh. 
rend der Streitigfeiten über feine Logodnatur wuchs ſodann auch Tas Anſehen 
feiner Mutter Maria und dies hatte die Einfegung von zwei Marienfeften 
zur Folge, des „engliſchen Grußes“ oder „Mariä Verkündung“ am 
25. März, und des „Kirchgangs“ oder „Mariä Reinigung” am 2. %e- 
bruar. Späterhin fügte die germanifche Kirche nach der zuerfl von Epipha⸗ 
nius 3) verbreiteten Sage, daß die verftorbene Maria vor den Augen der 
Jünger in den Himmel erhöht worden, das Feft „Mariä Himmelfahrt * am 
15. Auguft, hinzu. Schon 1140 feierten die ritterliden Domherrn von 
Lyon das Feſt der „unbefledtten Empfängniß Mariä”, welches aber erft im 
14. Iehrhundert allgemeine Verbreitung fand. 

Hatte man nun einmal den fpäteren Märtyrern ihre Ehrentage gege- 
ben, fo durften billig die Apoftel nicht vergeflen werden, um fo weniger, 
da man felbjt den Opfern des bethlehemitifchen Kindermordes, als Märtyrern 
für Ehriftus, dee 28. December, „der unfchuldigen Kindlein Tag”, weihte, 
Als Natalitie der Apoflel Petrus und Paulus brachte das auf dieſe feine 
Hauptmärtyrer, flolge Rom den 29. Juni in allgemeine Aufnahme, dazu 
das Feſt des Lehrſtuhls Petri, „Petri Stuhlfeier* den 22. Februar zum 
Andenken des Tages, da der Herr dem Petrus die Schlüffelgewalt über⸗ 
geben. Endlich ward als Gedaͤchtnißtag Iohannes des Täufers ter 24. Juni 
feftgefegt und fortan gefeiert. Daß diefer Tag befonders in Deutfchland zu 
fo großem Anfehen gelangte, erklärt fich daraus, daß er zwſammentraf mit 
dem altheidniſchen Feft der Sommerſonnenwende. 

An den Heiligendienſt ſchloß ſich ſpäterhin der Reliquiendienſt, und 
auch dieſer dat feine Feſte gefunden in der „Kreuzerhöhung“ am 14. Sep⸗ 


2) St. 340 ala Biſchof von Bäfarea. 
3) Seit 367 Biſchof von Conftantia auf Eypern, der Vater aller Kegerriecher, 
ausgeitattet mit der merkwürdigen Gabe, Dinge zu fehen,. die nicht find, und Ber: 
dammte zu wittern, wo noch Geiſt und Leben waltete. 


143 


tember zu Ehren des von Kaifer Heraklius angeblich wieder eroberten 2) und 
in der „Kreuzfindung* am 3. Mai zu Ehren des von Helena, der Mutter 
Konftantins, angebli wieder aufgefundenen Kreuzes Chriſti. Auch den 
Engeln ward ihr @ultustag.e Im 7. Jahrhundert feierte Rom zuerft das 
Beft des Erzengeld Michael und die Deutichen nahmen daſſelbe zum Erfag 
für ihre Wodandverehrung willig an. Nach den Engeln erhielten ferner, 
von Glugny aus, auch die armen Seelen ihren Gedenktag. Seit Anfang 
des 11. Jahrhunderts feiert Die Kirche am 2. November das „Belt aller 
Seelen" zu ihrer Erlöfung aus dem Fegefeuer. Endlich durfte die Kirche 
ihrer eignen Verherrlichung gedenken. Papft Urban IV. erhob 1264 dag 
„Fronleichnamsfeſt“, weldes bisher in feinem ehemaligen Sprengel Lüttich 
gefeiert worden, zum allgemeinen Kirchenfefte. Der Triumph des Glaus 
bend an die Verwandlung der irdifchen Stoffe beim Abendmahl war ja 
jelbftverftändlich der Triumph der Kirche felbft, welche durd, jenen Glauben 
den Gipfel des Anſehens und der Madıt über die Gemüther erzeichte. Einen 
ganz andern Sinn haben die „Kirchweihfefte”, welche von jeder Gemeinde 
ſchon in derjenigen Beriode gefeiert wurden, wo ber Kirchenbau fich erſt recht 
zu entwideln begann. Da wird nicht die Kirche als religiöfe Gemeinfchaft 
verherrlicht, fondern die Erinnerung an die Einweihung des Kirchengebäubes 
aufgefrifcht und die Freude am Cultus überhaupt auögetrüdt. Unter den 
Kirchweihfeſten ift eins der befannteften das der „ Engelweihe“ zu Einftedeln 
in der Schweiz. — Sehr einträglicy für die paͤpſtliche Curie wurde die Ein« 
führung der „Subeljahre* durch Bonifaztus VIII., welder feftiegte, Daß 
alle 100 Jahre den bußfertigen Befuchern der Apoftelfirchen in Rom, den 
Mömern 30, den Bremden 15 Tage lang vollkommener Ablaf für die Sün« 
den. des ganzen Lebens ertheilt werde. Das geſchah 1300 nah Chriſti 
Geburt. Noch beſſer fpeculirten die folgenden Päpfte, von denen Clemens VI. 
das Jubeljahr alle 50, Urban VI. alle 33 und Paul U. alle 25 Jahre 
wiederfehren hieß. . 

Nach der Neformation haben fih von den bier genannten Feſttagen 
in der Iutherifchen Kirche erhalten der Kirchweihtag und der Allerfeelentag, 
jegt Todtenfeſt genannt ; von den Heiligentagen, befonder8 in Würtemberg, 
Peter und Raul, Johannis des Täufers Tag, Stephanus, Mariä Ber 
Fündigung und Reinigung, anderwärtd auch Michaelis als Engel» und 


4) Heraflius ließ das Kreuz auf Golgatha wieder aufrichten, daher „Kreuzer⸗ 
hoͤhung.“ 





144 


Kinderfefl. Unter den Reformirten findet ſich nach größere Ungleichheit. 
Bon den Heiligentagen, deren Feier bie und da geblieben ift, nennen wir Stes 
pbanus, Johannes, Peter und Paul, Maria Verkündigung. Leitend bei ber 
Abihaffung von Weiertagen war das Sichabwenden der Reformation vo 
der Legende. Die meiften beibehaltenen Feſte und Heiligentage gründen fi 
anf die heil. Schrift. — Die lutheriſche und reformirte Kirche feiern das 
Jubiläum der Reformation, von 1517 an gerechnet. Erſtere hat ihre 
jährliche Neformationsfeier tbeild am 31. Oktober, theils am 25. Juni; 
die reformirte Schweiz, mit Ausnahme von Graubündten und Thurgau, am 
Dreifaltigkeitöfonntag. — Die Baftenzeiten der Eatholifchen Kirche wurten 
in den proteflantifhen auf Bußtage eingefchränft. 


A. 


In dem Gottesdienfte der erften Ehriftengemeinde zu Ierujalem fehen 
wir bereits alle Hauptfeiten des @ultus, wie ihn die fpätere Entwicklung der 
Kirche fortbildete, enthalten: das Gebet, die Predigt und bie Ver⸗ 
waltung der Sacramente. Die Chriftengemeinde machte damals 
noch Elite große Bamilte aus, welche in den täglichen Liebesmahlen die Ge⸗ 
meinſchaft des leiblichen. und geiftigen Lebens zugleich barftellte. Der 
Mpoftelgeichichte zufolge darf mit einiger‘ Sicherheit angenommen werben, 
e8 habe in der apoftolifchen Zeit zweierlei religiöſe Berfammlungen gegeben, 
bie einen zur Abhaltung der Liebesmahle, die mit Dankgebeten für bie ir« 
diſche Speife und die Wohlthat der Erlöfung dur Chriſtus verbunden 
waren und in der Beier des Abendmahles ihren Abichluß fanden, Die andern 
zur Erbauung der Gemeinde durch Borlefen von Stellen des A. X. und Bors 
träge derer, die fih vom Geifte zum Reden getrieben fühlten!). Bei den 
Heidenchriften fcheinen bie Liebesmahle nicht fo häufig gefeiert worden zu 
fein, obwohl fie auch bei ihnen mit dem Abendmahl verbunden waren. 
Merkmürdig iſt der in Korinth eingeriffene, von Paulus gerügte Mißbrauch, 
daß daſelbſt nach altgriechifcher Sitte bei Gaftmählern Jeder feine befondern 
Speifen und Getränke mitbrachte und für fich allein genoß, wodurch ber- 


1) Auch in den heidenchriſtlichen Gemeinden burfte früher reden, wer ſich dazu 
getrieben fühlte, bis Paulus dem Redeeifer bes fchönen Gefchlechtes ein Ende machte 
mit dem berühmten: ‚‚Taceat mulier in ecclesia!‘‘ (Das Weib fehweige in der Ges 
meinte!) Bermuthlich fchien Gefahr vorhanden, es möchte der natürliche Redetrieb 
der Frauen nach und nach mit dem Antrieb des Geiftes verwechfelt werden. 


145 


eigentliche Zwed der Agapen, die Darftellung brüderlicher Gleichheit Aller 
durch Genuß der gleichen einfachen Speifen, vereitelt zu werben drohte 2). 
Paulus war e8 ebenfalls, der dem „Zungenreden * in der Gemeindeverfamm« 
lung ein Ende machte, weil dies für die Wenigften verftändliche Neben in 
der Verzüdung, wobei der VBerzüdte ganz in fein eignes religiöſes Leben 
verfunfen war und der Außenwelt völlig vergaß, nicht zur gemeinfamen Er⸗ 
bauung dienen fonnte, fondern in die Einfamfelt paßte ?). 

Die Privathäufer, in denen die Chriftengemeinden ſich verfammelten, 
entiprachen den jüdiichen Synagogen. Wehnli verhielt e8 ſich mit ber 
Benugung de8 A. T. zur Erbauung auch diefe Art der Andachtsübung Schloß 
fih dem jüdiſchen Eultus an, nur daß auch aus den Apofryphen des A. T. 
vorgeleſen ward, ‚und mit der Schriftbetrachtung freie Predigt des Evange- 
liums oder Vorleſen eines Paulinifchen Briefes, Letzteres freilich zuerft nur 
bei den Heidenchriften, abwechfelte. Schon in der apoftolifchen Zeit ertön⸗ 
ten Lobgefänge, meift Pialmen, deren Gebrauch wieder dem jüdifchen Eul- 
tu8 entlehnt war, wie denn Chriſtus felbft nach vollendetem Pafſſahmahl mit 
den Jüngern einen Lobgeſang gelungen hatte Beim Scluffe des Lie⸗ 
besmahles, welches wahrjcheinlich aus dem jüdiſchen Paſſahmahl bervorges 
gangen, ward zum Gedächtniß des Todes Chriſti und zur Erneuerung ber 
geiftigen Gemeinichaft mit ihm) nach feinem Beifpiel das Brot gebrochen 
und unter Alle vertbeilt, und der Kelch voll Weines machte die Hunde. 
Das war die urfprüngliche Abendmahldfeier bei Juden = und Heitendriften. 

Wo bereitd eine Chriftengemeinde befland, ward die Taufe Neubefehr- 
ter ebenfalla in der Berfammlung vorgenommen und zwar auf den Qlauben, 
daß Iefus der Chriſtus, Gottes Sohn fei. Darin allein fcheint urjprüng« 
lich das bei der Taufe abzulegende Glaubensbefenntniß beftanden zu haben. 
Das fogenannte apoftoliihe Symbolum ift bedeutend fpäter entflanden und 
bat auch feine Geftalt mehrmals gewechielt, bis es fidh in der gegenwärtigen 
Form firirte. Vor dem A. Jahrh. zeigen fich nur unſichere Spuren befielben. 
Die ältefte Formel finden wir bei Marcellus von Ancyra (337). Sie ent« 


2) 1. Ror. 11, 17—22. 

3) Welches eigentlih die Sprache der „Zungenredenten“ geweſen, darüber if 
man gegenwärtig noch nicht einig. Paulus erlaubt übrigens das Zungenreden in ber 
Berfammlung unter der Bedingung, daß Leute mit der Gabe, es auszulegen, da feien. 
4. Kor. 14, 27 und 28. 

4) 1. Ror. 10, 16. 

Scherr, Geſch. d. Religion. IM. 10 


146 


hält zwar bereitö alle Artikel, aber es mangeln noch viele nähere Beſtim⸗ 
mungen 5). Außer diefer brachten die folgenden Zeiten noch ſechs andere 
Zormeln hervor, deren legte, dem griechiſchen Pfalter des Papftes Gregor J. 
entnommen, das apoftolifche Bekenntniß in feiner gegenwärtigen Form mit 
Ausnahme des Artifeld von der Höllenfahrt, flatt deſſen ein Hernieberfleigen 
in die Unterwelt gelehrt wird, enthält, Unſer apoftolifhes Symbol flammt 
mithin aus dem Anfang des 7. Jahrhunderts. Die Kirche machte von die⸗ 
fem Glaubendbefenntnig Gebrauch bei der Taufe von Kindern und Katechu⸗ 
menen ; es ward auch bei der Abendmahläfeier und in der griechifchen Kirche 
vollends bei jedem Gottesdienſt verlefen. 


8. 


Sehen wir im apoftolifhen Zeitalter den Cultus, als gemeinfames 
Opfer der Herzen vor Gott, no im innigften Zufammenbang mit dem fitt« 
lich⸗religiöſen Leben der Ehriften überhaupt, fo fängt in der nachapoſtoli⸗ 
. Shen Periode bereit die Trennung des Cultus vom fittlichereligiöfen Leben 
an und das Folgende wird zeigen, daß mit ber wachlenden Entfaltung des 
Cultus in Formelweſen und Schaugepränge auch jener Riß immer Elaffen« 
der wird. 

Daß die Abhaltung der Agapen auf den Sonntag befchränft wurde, 
läßt fi zwar aus dem Anwachſen der Gemeinden begreifen; daß aber auch 
eine Abſchwaͤchung der brüderlihen Liebe und des Gleichheitsgefühls zu den 
mitwirfenden Urſachen gehörte, erhellt daraus, daß die Agapen ſchon zu 
Anfang des 5. Iahrhunderts aufgehört Hatten. ine weitere Abweichung 
treffen wir bei ber Feier des Abendmahles ſelbſt. Beror nämlich Die Ger 
meinde betete um den heiligen Geift, Daß er ihr Brot und Wein zum Leib 
und Blut Ehrifli machen möge, brachte fie mit feierlichem Lob⸗ und Dank— 
gebet unter Emporhebung des Brotes und Kelches als finnbildlicher Zeichen 


5). Wir feben es, aus dem Griechiſchen überfegt, zur Vergleichung hierher. — 
„Ich glaube an den allmädhtigen Bott, und an Jeſus Chriftus, feinen eingebornen 
Sohn, unfern Herrn, der gezeugt ift vom Heil. Geifte mit Maria, der Jungfrau, der 
unter Pontius Pilatus gefreuzigt und begraben worden und am britten Tage aufer- 
fanden ift von den Todten, emporgefliegen in die Himmel und fich gefegt hat zur Rech⸗ 
ten des Vaters, woher er Fommt, zu richten die Xebendigen und Todten; und an den 
heiligen Geift, eine heilige Kicche, Berzeihung der Sünden, Auferftehung des Fleiſches, 
ewiges Leben.‘ 


147 


fi ſelbſt Gott zum Opfer bar, ein Uct, welcher in der apoſtoliſchen Zeit 
nicht vorfam und in ein einzelnes Moment des Gottesdienſtes zuſammen⸗ 
drängte, was eigentlich der Brundgedanfe des ganzen Botteßdienfled war. 
Die noch vorhandenen alten Liturgieen 1), in ihren Beſtandtheilen ge⸗ 
hörig geficdhtet, fowie die betreffenden Stellen der Kirchenväter laffen erfen- 
nen, daß damals der Gottesdienſt fchon ziemlich weitläuftg eingerichtet und 
genau formulirt war. Wir verfuchen in Kürze ein Bild von bemfelben zu 
entwerfen. 

Der Gottesdienft hatte drei Hauptbeftandthbeile, den erbaulichen, an 
welchem allein auch die Katechumenen und Büßenden theilnabmen, fodann die 
Anbetung oder dad Opfer, endlich die Beier ded Sacramented. Der erfle 
Theil begann mit Gebeten für die Katechumenen, die Büßenden und bie 
eigentlichen Gemeindeglieder, auch für tie Befeflenen, wenn eö deren gab. 
Der Geiftliche betete laut vor, die Gemeinde befräftigte fein Gebet mit lau- 
tem Amen oder fonft entiprechenden Worten. Hierauf folgte die Vorlefung 
aus der Heil. Schrift bald des alten, bald des neuen Teflamented, woran 
Auslegung und Ermahnung ded Geiftlichen fih anſchloß. Die jeweilige 
Taufe Scheint am Schluß des erſten Saupttheild vorgenonmen worden zu 
fein; denn bevor das „Opfer * begann, mußten die Ungetauften und Büßen- 
den fihh entfernen. Worin das Opfer befland, haben wir bereits angeführt. 
Es ward eingeleitet mit einem kurzen Segensſpruch über die Gemeinde, 
welche denfelben erwieberte, Nun Fam die gegenfeitige Begrüßung mit dem 
heiligen Kuß?) und hierauf die Collecte für die Armen 3), meift in Lebens⸗ 
mitteln beftehend, aus welchen dann Brot und Wein für da8 Opfer und das 
Abendmahl ausgefondert wurden, Das Opfer ſelbſt, Euchariſtie, d. h. 
Dankfagung, genannt, ward von dem Geifllihen im Namen ber Gemeinde 
an einem Tifch, ber ald Altar diente, dargebracht. Das Opfergebet begann 
mit der Präfation, einem Wechſelgeſpräch zwifchen dem Geiftlihen und der 
Gemeinde. Rad dem erfien Opfergebet fang oder ſprach Die Gemeinde 
die Worte des jefaia’fhen Lobgeſangs: „Heilig, heilig, heilig iſt der Herr 


— — 





1) Liturgie (Asszovpyle) griechiſches Wort für Dienſt im Allgemeinen, Gottes⸗ 
dienft im Befonderen. 

2) Die Geſchlechter fagen aber von einander gefondert. 

3) Die Eollecte für die Armen, welche im apoftolifchen Zeitalter in ganz freier 
Weile außerhalb der Berfammlung ftatt Hatte, ift hier bereite zum Cultus geworben. 
Die Folgen ließen nicht auf ſich warten. 

10* 


148 


Bott Zebaoth! Himmel und Erde find feiner Ehre voll d)!* War der Lob⸗ 
gefang verflungen, fo erinnerte der Geiſtliche, wie Chriſtus das Gedaͤchtniß⸗ 
mahl feines Todes eingefegt habe mit dem Befehl, bei jedem Genuß deſſel⸗ 
ben feinen Tod und feine Auferfiehung zu verfündigen, worauf die Gemeinde 
dies in kurzen, feierlichen Worten that. Die Opferbandlung endete mit 
der allgemeinen Zürbitte für die Kirche, die Berfolgten, die Kranken, jelbft 
für die heipnifche Obrigkeit, und dem Gebet des Herrn. Jetzt erfi kam 
als dritter Haupttheil die eigentliche Kommunion, wobei Brot und Wein 
unter Abfingen von Hymnen auögetheilt wurden. Mit Dank⸗ und Segend- 
gebeten fchloß die Communion. Weil man das einmal gefegnete Brot von 
der Kraft des Logos durchdrungen glaubte, ward ed den bei der Gommunion 
nicht Anwefenden zugefandt. — Die Taufe beftand damals noch allgemein 
im Uintertauchen des Täuflings. Mit ihr verband ſich bereits der Erorcid- 
mus, d. 5. dad Herausbeſchwören des Teufeld aus dem Täufling, weldhes 
die Iutherifche Kirche beibehalten hat. Mochten das Abſchwören des Götzen⸗ 
dienfteß bei der Taufe und Die Erinnerung an das Teufelaustreiben durch 
Chriftus zur Entflehung des Erorcismus mitwirken, der Hauptentſtehungs⸗ 
grund defielben Liegt jedenfalls in der damaligen Lehre, daß der Teufel das 
Eigenthumorecht über jeden Menſchen befige, der nicht durch Chriſtus erlöſt 
worden. Zugleich ward die Taufe theild in Nachahmung der jüdiichen Be⸗ 
fihneidung, theild um die Wiedergeburt befehrter Heiden und Juden durch 
Beränderung des Namens außzudrüden, zum feierlichen Anlaß der Namend« 
ertheilung. Da in jener Beit die Kindertaufe noch nicht allgemein und bie 
Bahl der Neubekehrten groß war, fo bildeten die noch lingetauften, aber 
dem Chriſtenthum Zugewandten eine eigne Klafje, die der Katehumenen. 
Dieſe wurden in der äriftlichen Religton mit Zugrundelegung der bei der 
Taufe auszufprechenden Befenntnipformel unterwiefen. — Schon in den 
Tagen der Apoftel war die Taufe keineswegs immer mit der Handauflegung 
verbunden 5), die apoftolifchen Väter verbanden dieſe Handlungen gewöhn- 
lich mit einander. Als jedoch das Anfehen der Bifchöfe flieg, nahmen fie 
die Handauflegung, durch welche der heilige Geift mitgetheilt werden follte, 
als ihr ausſchließliches Vorrecht in Anſpruch. In Folge deſſen Fonnte fie 
mit der Taufe nur noch verbunden werden, wenn der Bifchof taufte; früher 


4) Sefaia 6, 3. 
5) Apoſtelgeſch. 8, 14—17. 


149 


oder fpäter ward fle aber jedem Betauften ertheilt als „Befräftigung * der 
Taufe, Iateinifh Birmelung‘), Schon in der älteflen Kirche wurden bie 
Neophyten nach der Taufe mit wohlriehendem Del (Chriſam) gefalbt zu Strei- 
tern Chrifti, Im der griechifchen Kirche blieb die Salbung durch den ge⸗ 
meinen Priefter gleich nach der Taufe; im der römifchen ward fie mit der 
Firmelung verbunden unt aljo dem Bifchof zugetheilt. Auch Die Beizies 
hung von Pathen ald Zeugen der Taufe flammt aus der nachapoftolifchen 
Periode. Bei erwachfenen Täauflingen bürgten fie für deren Aufrichtigkelt, 
bei Kindern für eine chriſtliche Erziehung. 

Bereits hatte auch die Ehe, weil von Chriſtus ausdrücklich geheiligt, 
ihre beſondere Einſegnung, welcher, wie heutzutage noch, die Promulgation 
voranging. Die Brautleute wurden nach vollendeter Communion vom Geiſt⸗ 
lichen vor verſammelter Gemeinde getraut. In die naͤmliche Zeitperiode 
weiſen die mit kirchlichen Feierlichkeiten verbundenen Leichenbeſtattungen zu⸗ 
rüd. Am jeweiligen Todestage eines lieben Hingeſchiedenen ſpendete man 
in ſeinem Namen für die Armen oder den Altar, damit ſeines Namens im 
Kirchengebet Erwaͤhnung geſchaͤhe. Vom Ende des 3. Jahrhunderts an 
wurden, in Erinnerung an altheidniſche Sitte, auf den Gräbern der Mär- 
tyrer Mahlzeiten gehalten, wogegen die Kirche lange Zeit zu kämpfen hatte; 
denn fie felbft hielt auf den Gräbern der Märtyrer fürmlichen Gottesdienft 
unter Geſang, Vorlefen der heiligen Bücher und Gebet um die Fürbitte die- 
fer VBollendeten, wie ſchon Cyprian berichtet. 


6. 


Mit der Erhebung des Chriſtenthums zur Staatöreligion begann das 
Hineindringen.der großen Mafjen in die Kirche, dad äußerliche Chriſtwerden 
jener gegen das Religiöfe innerlich Gleichgültigen, welche auf Befehl des 
Fürſten eben -fo gehorfam den Unendlichen anbeten, wie fle den Priap 
füflen. Dies der Erflärungsgrund, warum die bereitd in den Cultus ein« 
gedrungenen heidniſchen Elemente von 312 an immer mehr die Oberhand 
gewinnen. 

Die abergläubigften Vorftellungen mußten in den Cultus eindringen durch 
Beiſpiele, wie das des Konſtantinus, welcher ſich mit keinem andern als dem 
Waſſer des Jordan wollte taufen laſſen. Daß nicht blos die an das gelobte 


6) Bon firmare, bekraͤftigen. 


150 


Land ſich anfnüpfenden Heiligen Erinnerungen e8 waren, welche die Wallfahr- 
ten dahtn hervorriefen, bezeugt der Ausfpruch bes Hieronymust), „nicht das 
fet löblich, nur in Serufalem geweſen zu fein, ſondern in Serufalem gut ge= 
lebt zu Haben.” Aus den Wallfahrten gingen, wahrfcheinlich Durch den 
Einfluß des Biſchofs Ambroſtus von Malland zum allgemeinen Firchlichen 
Eultact geworden, die Proceſſtonen oder Bittgänge hervor, ein Brauch, wel⸗ 
her ſchon im Heidenthum vielfach geübt worden und noch jetzt gelibt wird. 
Einft war man unter Vortragung der Götterbilder um die Felder gezogen, 
Sructbarfeit zu erflehen; jegt z0g man unter Vortragung des Kreuzes, 
fpäter auch der Seiligenbilder und Reliquien, um die Kirchen, an nähere 
oder entferntere Orte, um Verzeihung der Sünden, Abwendung oder Auf« 
hören der göttlichen Strafgerichte zu erbitten. 

Die Kaiferin Mutter, Helena, gab durd ihre Auffindung des vorgeb⸗ 
Itchen Kreuzes Chrifti dad Signal zum Neliqwienaberglauben, welcher den 
angeblichen Kleidern, Gebeinen und andern Veberreften Chriſti und der 
Heiligen magiſche Kräfte zuſchrieb. Erft im Mittelalter jedoch wurden bie 
Reliquien zu förmlidrer Verehrung in den Kirchen aufgeftellt. — Gegen die 
einreißende Verehrung ber Chriftus= und Heifigenbilder durch Niederfallen 
und Anbeten eiferte fhon Auguſtinus. Welchen vergeblichen Kampf fpäter 
die griechifchen Katfer dagegen unternahmen, haben wir oben erwähnt. Nom 
begünftigte hier und immer das Eindringen des Heidniſchen in den chriftlt« 
hen Eultus aus „Mitleid mit der Schwäche des unmündigen Volkes“, aus 
„pädagogiichen Rückſichten.“ Danf dem Heiligen Umbroflus ward aud die 
Anrufung der Engel in den Eultus aufgenommen, weil es unbillig ſchien, 
ihnen geringere Ehre zu erweifen, als den Heiligen, um fo unbiliiger, da 
man bereits nicht allein Märtyrer zu verehren anfing, fondern auch Solche, 
die während ihres irdifchen Dafeins theils durch auffallende Frömmigkeit, 
theils durch ausgeſuchte Selbftpeinigungen oder Welffagungen u. dergl. die 
Bewunderung ihrer Zeitgenoffen erregt hatten. 

Gheterbild und Göttermythus, Hetligenbild und Heiligenlegende, das 
läuft einander aufs Schönfte parallel. Es ift daher begreiflih, daß beim 
Beginn der Bilderverehrung agch die Erfindung von wunderbaren Geſchich⸗ 
ten über die Heiligen zur Blüthe gedieh, zumal ſchon die faljchen Evange» 


4) Gebürtig aus Stridon, Vorfteher eines Vereins von Eremiten und frommen 
„Grauen zu Bethlehem, 331—420. 





151 


Hen vurch ihre Erzählungen über Chriftus ſelbſt an den Tag gelegt hatten, 
wie man kindlich und fromm dichten könne. Das Mittelalter benugte dann 
bie ſchon vorhandenen Legenden vielfach zur Erbauung der Gemeinde anflatt 
der Predigt über die heilige Schrift, ja feine Mönche Teifteten das Unerreich⸗ 
bare in felbfleigener Erfindung neuer Legenden über ihre Ordensheiligen. 
— Im Uebrigen charakteriſirt e8 den Unterſchied zwifchen dem Cultus ber 
griechifchen und dem der römiſchen Kirche während des Zeitraumd vom 4. 
bis 11. Jahrhundert, daß in erfterer das erbaufiche, in letzterer das Titur« 
gifche Element vorzuherrichen begann. Die griechifhe Geſchwaͤtzigkeit gefiel 
fi in fünftlichen, prunkhaften Predigten über die fhlichten Worte der Schrift 
und die Kunft des Redners Iohnte lautes Beifallklatfchen feiner gleichgeſtnn⸗ 
ten Gemeinde. Die römiſche Kirche ihrerſeits hatte den Kirchengeſang, 
vornehmlich durch die Bemühungen des Ambrofius, zu einer anerkennens⸗ 
werthen Stufe fortgebilvet, und feſtſtehende Formeln für das Gebet, für die 
Spendung ber Sacramente, für die Wechfelreden zwiſchen dem Geiſtlichen 
und der Gemeinde (Kitanei), kurz eine vollftändige Liturgie, geſchaffen. 
Aus Altherkömmlichem und neu Hinzugefügtem hatte in der Mitte des 
5. Jahrhunderts ſchon Leo der Große ein vollſtaͤndiges, Sacramentarium“ 
zuſammengeſtellt und ſich bemüht, demſelben allgemein kirchliche Geltung zu 
verſchaffen. Mit einigen durch tie Paͤpſte Gelaſius und Gregor I. anges 
brachten Veränderungen warb es endlich unter Gregor M. zu allgemeiner 
Geltung in der abendlaͤndiſchen Kirche gebracht. Da erft durch dieje Litur⸗ 
gie die Schlußworte der heiligen Handlung: Ite, missa est! allgemein ges 
bräuchlich wurden, fo fdheint das Abendmahl mit dem von diefen Worten 
dbgeleiteten Namen „Mefle* erft damals allgemein bezeichnet worden zu 
fein. Gregor VI. war es auf, welcher den Völkern des Abendlandes 
fammt jener Liturgie das Latein als ausſchlfeßliche Sprade des Tirchlichen 
Eultus aufzwang. Nur die Predigt blieb der Landesſprache überlaffen und 
ward fpäter von den deutfhen Myſtikern mit großem Erfolg in der Volks⸗ 
ſprache gehandhabt. Obwohl nun die genannte Liturgie ald vom Apoftel 
Petrus überliefert galt, ſahen fih die fpätern Päpfte doch gendthigt, viel⸗ 
fache Aenderungen an derfelben vorzunehmen, beſonders nachdem durch den 
volländigen Sieg der Transfubftantiationsichre daB Meßopfer zum Mittels 
yunft des ganzen Gottesdienſtes geworden war. Es müßte jedoch für uns 
fern Zweck zu weit führen, die ganze römifche Liturgie, wie fie ſeitdem im 
Geltung geblieben, näher darzuſtellen. Die beſte Kenntniß davon gewinnt 


152 


man durch eigne Anſchauung des katholiſchen Gottesdienſtes. Wir führen 
nur noch an, daß die Seelenmeſſen ſchon vor der kirchlichen Feſtſetzung der 
Verwandlungslehre eingeführt wurden, daß im 12. Jahrhundert, um ein 
Berfchütten des Blutes Chriſti zu verhüten, den Laien der Kelch allmälig 
entzogen ward?) und daß, was das Erhauliche angeht, nach der Reforma⸗ 
tion auch in der Fatholiichen. Kirche die Predigt nach Stellen der Schrift 
wieder zu höherer Geltung gelangt iſt. 

In Hinfiht des Cultus hat Die Reformation nicht eben zur apoftoli- 
ſchen Zeit zurüdgeführt. Statt des Sacramentes ward die Predigt nad 
Texten der Schrift zum Hauptflüd und Mittelpunft eines jeden, felbft des 
Feſtgottesdienſtes. Die Abendmahlsfeier zog ſich auf beftiinmte Befttage 


zurück. Die liturgiſche Einheit hörte auf; jede der Iutheriichen oder refor« 


mirten Landesfirchen befigt nun ihre eigene Liturgie, faft jede ihr eigenes 


Geſangbuch. Während in der fatholifchen Kirche der Volksgeſang mehr, 


wenn nicht ganz zurüdigetreten ift, herrſcht er allein im Iutherifchen und re= 
formirten Gottesdienſt. Spuren der Litanei finden ſich gegenwärtig in 
Preußen. Das Abendmahl wird bei den Lutheranern am Altar empfangen 
(wandelnde Communion), auch hier und da in der reformirten Kirche; in 
etlichen Landeskirchen der Iegtern wird e8 von Bank zu Bank ausgetheilt 
(figende Communion). Un die Stelle der Firmelung dur den Biſchof 
trat in der proteflantiichen Kirche die Confirmation als feierliche Be⸗ 
flätigung des Taufbefenntniffes durch die nach empfangenem Unterricht mün« 
dig gewordene Jugend. Der Abendmahlsgenuß vor der Trauung wurde 
abgeichafft. Leichenreden eriegen nun bie Todtenmeflen. Gin Verſuch der 
preußiſchen Regierung, eine gemeinjchaftliche Liturgie (gende) für die unirte 
Iutherifchereformirte Kirche berzuftellen, iſt an dem theologifchen Parteigeift 
unfered Jahrhunderts geſcheitert. 


7. 


Chriſtus ſelbſt, der den Vater im Geift und in der Wahrheit anbeten 
lehrte, hatte ed nicht verfchmäht, bei der Stiftung feines Gedaͤchtnißmahles 


2) Zur gleichen Zeit wurden die noch ungefirmelten Kinder vom Abendmahl 
ausgeſchloſſen. Seit die Kindertaufe allgemein geworden, hatte man nämlich die 
Kinder zum Abendmahl gelaflen. Diefe Verfügung war alfo nur eine Ruͤckkehr zur 
alten Katehumenenordnung. — Damit vom Blute Chriſti Nichts vergeudet werde, 
mußten nun auch die Schnurrbärte der Priefter befeitigt werden. | 


153 


7 


fowohl ald in feinen Gleichniſſen an die finnlihe Auffaffung des Menjchen 
anzufnüpfen. Denn in Sachen der Religion bat auch die Sinnlichkeit ihr 
Recht, gerade in dem Maaße, als fie geeignet ift, religiöfe Gemüthsftim⸗ 
mungen zu erwedfen oder wenigftens zu erhalten und zu fördern. Da fid 
nun bie Kirche von Anfang an ald eine Erziehungsanftalt zum religiöfen 
Glauben und Keben betrachtete, fo Fonnte fle im Eultus, ihrem Hauptmittel 
zur Erreichung dieſes Zweckes, der Sinnlichkeit ihr Recht nicht vorenthalten. 
Daß fie jedoch dieje Berechtigung der Sinnlichkeit nach und nad zu weit 
ausdehnte, in ihrer Geflaltung nad der Reformation hingegen zu fehr bes 
fchräntte, wird unfere Betrachtung der äußerlichen Erfcheinung des Eultus 
zeigen. Zu dieſer rechnen wir die Ogte feiner Ausübung, Die dazu ges 
brauchten Geräthichaften und Stoffe, und die dabei vorgenommenen Geremo« 
nien, von denen wir hier freilich nur der wichtigſten gedenken fünnen. Ihre 
vollftändige Aufzählung und Gefchichte würde ein dickes Buch füllen. 

Wie bereitd angeführt worden, veriammelten fidh die erſten Chriſten 
in Privathäufern, zu Rom während der Verfolgungen oft in den Katakom⸗ 
ben, engen, unterirdifchen Höhlen und Gängen, welche urfprünglic Puzzo⸗ 
langruben gewefen waren und Dad Hauptmaterial zu dem feflen Mörtel der 
Römer geliefert hatten. Bald wurden einzelnen Chriften ihre geeigneten 
Häufer abgefauft, um biefelben zu Verſammlungsorten herzurichten. So 
ein Xocal erhielt dann, weil man den beidnifchen Namen Tempel noch 
fcheute, Eurzweg den Namen Ekkleſia, Verſammlung der Auserwählten, 
Es waren große, von Säulen geflügte Säfe, in welchen fih ein erhöhter 
Plag für die öffentlid) Redenden und Betenden und ein einfacher Tifch zur 
Qustbeilung des Abendmahles befand. Zu Anfang des 3, Jahrhunderts 
erhoben fi die erſten Kirchen. Unter den Kaifern Philippus Arab und 
Gallienus, welche den Chriften Ruhe ließen, nahm der Kirchenbau einen fo. 
allgemeinen Aufihwung, daß Diocletian bereit wahre Prachtgebäude vor« 
fand, als er die Zerftörung der Kirchen befahl. Schon fehr frübzeitig Hatte 
man die Kirchen mit Vorliebe über den Gräbern berühmter Märtyrer erbaut 
und daher heißen folche Botteshäufer in der griechifchen Kirche Martyrien, 
in der römiihen Memorien. Die practvollften und zahlreichſten Kirchen 
erhoben fich aber erfi nad) dem Siege des Chriſtenthums über das Heiden- 
thum. Da wurden auch die fchönften heidniſchen Tempel in chriſtliche Kir⸗ 
chen umgewandelt, in Rom z. B. das Pantheon und die Tempel der Veſta, 
der Fortuna, des Saturn, des Romulus und Remus und des Kaiſers An⸗ 


154 B 


toninus. Bezeichnend iſt dabei, Daß den Göttern und Heroen, welchen jene 
Tempel geweiht geweſen, entſprechende Heilige im Beſitze folgten. Das Pan⸗ 
ſheon weihte Bonifazius IV. der ſeligſten Jungfrau und allen Heiligen. 
Marta erhielt die Tempel der Veſta und der Fortuna, Die Maͤrtyrerbrüder 
Kosmas und Damlanus bezogen den Tempel des Romulus und Remus, 
Auch die fhönften Baſiliken 1), urfprünglih zu öffentlichen Gejchäften 
beftimmte Prachtgebaͤude der Römer, wurden von Konftantin an in Kirchen 
verwandelt. Die Baftlifa war ein Tängliches Viereck, von doppelten oder 
vierfahen Säulenreihen der Länge nad durchzogen, und enbdigte in ein 
Halbrund. Das ward nun fo ziemlid die allgemeine Bauart audı der neu 
errichteten Kirchen. Auc den Namen empfingen die Gotteshäujer von ben 
Baſtliken, freilich mit der Deutung beffelben in ten Sinn: „Haus des Kö— 
nigs aller Könige.” Uebrigens wurden bie Kirchen auch anders genannt, 
in der griechiſchen Kirche Kugsaxn (oöxda) — woher der Name Kirche — 
d. 1. Haus des Herrn, gleichbebentend mir dem lateinifchen Wort Dominica, 
abgefürst Dom. Es Tag der Form der Bafllifa nahe, dem Bauſtyl der 
Kirche das lateiniſche lange Kreuz zu Grunde zu legen. Der untere Theil 
des laͤngern Kreuzſchenkels bildete daB eigentliche Schiff der Kirche, in wel⸗ 
ches man von Abend her eintrat. Gegen Morgen, am obern Theil des 
Kreuzes fland das Sanctuarium oder Helligthum, wo der Altar, Hinter ihm 
die Site der Gefftltchen und eine oder zwei Kanzeln flanden. Kleinere 
Kirchen hatten die ebenfalls altheidmifcdhe Geſtalt der Rotunde. Die Ver= 
Bindung derſelben mit der Baftlifa rief jene großartigen byzantiniſchen Bau⸗ 
ten hervor, üßer deren Kreuzdurchſchnitt ſich als Sinnbild des Himmels eine 
hochgewölbte Kuppel erhob. In der griechiſchen Kirche hatten aber damals 
auch nicht wenige Gotteshaäuſer das gleichſchenkelige griechiſche Kreuz zur 
Grundlage. Daß man in alle Kirchen von Abend her eintrat und die Ge— 
meinde ihr Antlitz gen Morgen zu richten genöthigt war, hatte feinen ſtun⸗ 
bildlichen Grund. Es follte dadurch daran gemahnt werden, daß Chriftus, 
die Morgenfonne des neuen geifligen Tages, im Ortent erfchienen und, wie 
Baſilius fagt, daß das Paradies, welches wir erftreben, einft von Gott im 
Morgenland erfchaffen worben ſei. Im Allgemeinen Hatte damals jede Kirche 


1) Basilica nach Vitruv (V, 1) ein öffentliches Gebäude am Marft, beſtimmt 
zur Ausübung der Rechtöpflege, auch Handelszweden dienlid, im Innern mit doppels 
ten Säulengängen verfehen. Das urfprünglich griehiiche Wort (BaosAsxös) bedeutet 
bekanntlich Föniglich, Baoskın (odxia) Eönigliche Wohnung, Palaſt. 


" 155 
vier Abtheilungen, welche die vier Hauptklaffen ver Ehriften darſtellten: 
1) den Borhof für die Büßenden und Katechumenen, 2) den eigentlichen 
Tempel oder die innere Halle für die vollberechtigten Gläubigen, 3) den 
Chor für die Sänger und niederen Kirchendiener, und 4) das Heiligthum 
im engern Sinne, wo gebetet, gepredigt ımd die Spendung der Saeramente 
vorgenommen wurde. Dad Heiligthum war durd Schranken "und Bor 
Hänge vom übrigen Kirchenraum getrennt. Der erhöhte Stuhl (Kathebra) 
des Biſchofs ftand Hinter dem Altar, rechts von ihm die Stühle der Priefter, 
links die der Diafone. 0 

Bereits auch waren die Wände der Kirchen mit Bildern auß der heil. 
Geſchichte ausgeſchmückt. Selbſt die Dreieinigfeit wurde abgebilbet: Gott 
Bater in Geftalt eines Greiſes, Chriſtus als Lamm oder auf einem Lamme 
ſtehend, der heilige Geiſt nach einer Stelle des Johannisevangeliums (1, 32) 
in Taubengeſtalt. Dieſe Bilder waren gemalt oder in Moſaik eingelegt und 
wurden noch nicht verehrt. Erft die halberhabenen Bilder und vollends 
die Statuen riefen die Bilderverehrung hervor, da ſte entſchiedener zu finns 
licher Erfcheinung famen und daher dem finnlich « religiöfen Bedürfniß mehr 
fihmeichelten. Uebrigens bezeichnete Die Kirche, plauflbel genug, die Kirchen⸗ 
bilder ald „die heiligen Schriften Solcher, welde nicht leſen könnten.“ 
Buerft fanden fih die Bilder der Märtyrer nur in den Maͤrtyrerkirchen. 
ALS aber die Heiligenverehrung überhand nahm, füllten ſich alle Kirchen mit 
ihren und anderer Heiligen Bildnifſen. Zu Verzierungen der Kirchen wur⸗ 
ben auch rein ſymboliſche Bilder, wie der Sich, das Lamm, der Weinſtock, 
der Adler u. a. m. angewendet. Das Kreuz war zur Zeit Konflantins des 
Großen zu Rom und in andern Stäbten auf den Marktpläben aufgerichtet, 
zur Zeit des Chryſoſtomus begegnete es Einem bereitd auf allen Wegen ımb 
Stegen. 

Wie fih der Kirchenbau vom 7. Jahrhundert an weiter entwicelte, 
wird das Kapitel von der Ariftlihen Kunft nachweiſen. Hier nur noch 
dies: — Ie mehr die Predigt im Cultus zurüdtrat, defto weniger wurde 
beim Kirchenbau auf die akuſtiſchen Verhältnifie Rückſicht genommen. Auf 
der Höhe ihrer Entwicklung ſchien es die Firchliche Baufunft weſentlich dar⸗ 
auf abgeiehen zu haben, daß in den weiten Domen gleichzeitig möglichft 
viele Meſſen gelefen werden könnten. Begreiflich mußten daher die Kirchen 
nad) der Reformation wieder zur Grundgeſtalt einfacher Hörfaͤle zuruͤckkeh⸗ 
ven, damit der Hauptzweck des proteftantifthen Cultus, die Predigt, mög⸗ 


156 ® 


lichſt gefördert werde. — In der älteren Beit ward bin und wieder durch 
Sammerichläge auf Metall zum Bottesdienft eingeladen. Im 7. Jahrhun⸗ 
dert ertönten zum erflen Mal Kirchengloden und fie find vielleicht die erfte 
Beranlafjung zur Errichtung von Kirchthürmen geweien. Eins der mäd- 
tigflen Mittel, auf die Sinne der Gläubigen zu wirken, waren fie jedenfalls 
und find ed jetzt noch. Erſt mit den Glocken Täutete die Kirche ihren vollen 
Triumph ein. 


8. 


Schon im 2. Jahrhundert ward der Zifch, worauf dad Abendmahl 
verwaltet wurte, wegen des der Communion vorangehenden Dankopfers 
Altar genannt. - Anfangs waren diefe Tifche von Holz oder Stein und 
wurden nicht geweiht. Von Konftantin an famen die mit Bold, Silber 
und Edelſteinen verzierten Altäre auf. Pulcderia, bed Theodofius Schweſter, 
ſchenkte fogar der Kirche zu Konflantinopel einen ganz goldenen Altar, und 
vom Beginn ded 6. Jahrhunderts an wurden die Altäre auch eingeweiht. 
Inder Folge gingen fie über die einfache Form eines Tifches hinaus und 
wurden mit Eoftbaren .Teppichen und entlich mit Reliquien, Heiligenbildern 
und Blumen belaftet. Im 6. Jahrhundert, ald das Mefjelefen überhand 
nahm, wurden mehrere Aktäre in einer Kirche errichtet und fie mehrten ſich 
allmälig dermaßen, daß im 8. Jahrhundert Karl der Große die Errichtung 
„überflüffiger Altäre“ verbieten mußte, Die heiligen Gefäße, deren man fich 
von Anfang an zur Beier des Abendmahls bediente, waren der Kelch und 
die Brotjhüffel (voran, patena). Zuerſt unſcheinbar an Stoff und 
Form, wurden fe befonders unter dem prachtliebenden Konftantin häufig 
aus Gold und Silber verfertigt. Die Spezialgefchichte diefer Kirchengeräthe 
und der mit derielben eng zufammenbängenden Berwandlungslehre enthält 
eine Maſſe jublimen und fubtilen Blödfinns, womit wir und weiter nicht 
befafien wollen 1). Seit dem 13. Jahrhundert hörte das bedeutungsvolle 
Brotbrechen bei der Communion auf, weil dad Brot zu ganz Heinen Oblaten 
gebacken wurde, damit vom Leibe Chrifti Nichts verunehrt werde. Geit Die 
Mefle ald Opferung des Leibes Chriſti Durch den Priefter betrachtet wurte, 
heißt da8 Abendmahlsbrot Oblara (Opfer, vom lat. offerre) oter Hoftie 


— — — — — — 


1) So verbot z. B. die Synode ‚von Tribur (895) ben Gebrauch hoͤlzerner 
Abendmahlskelche, damit „das Holz nicht fuͤrder Chriſti Blut einſauge.“ 


157 


(eigentl. Opferthier). Die Proteftanten haben, um das Brotbrechen mög⸗ 
lich zu machen, wieder größere Brotlaibchen eingeführt. Die feierliche Ems 
porhebung der Hoftie bei der „ Wandlung * in.der Meſſe laͤßt fich bis ins 
10. Jahrhundert zurücdverfolgen und ſchon im 12. Jahrh. gab bei dieſer 
„&levation * eine Glocke den Gläubigen das Zeichen zur Anbetung der Ho⸗ 
ftie, zuerft im Erzbischum Tours, bald darauf in der ganzen römiſchen 
Kirche. Durch dergleichen Neuerungen im Eultu8 pflegte man die kirch⸗ 
liche Feſtſetzung einer biäher beftrittenen Lehre, im gegebenen Ball der 
Trandfubftantiationdlehre, norzubereiten.. Wurden fle von ber Maffe gut. 
aufgenommen, fo wagte man getroft auch die entipreihende Neuerung in der 
Lehre 2), 


9. 


Im Vorhofe der Baſiliken befanden fih Brunnen oder fonftige Waffer- 
fammler, daneben Kanne, Becken und Mufchel, damit der Chrift vor dem 
Eintritt ind Gotteshaus feine Hände wajche, mit reinen Händen ben Leib 
des Herrn zu empfangen. Mit dem Verſchwinden der Vorhöfe vom 7. Jahr⸗ 
Hundert an fand die Waſchung in einem Becken innerhalb der Kirche ftatt. 
Der heilige Ort verlieh im Volksglauben dem darin befindlichen Wafler eine 
befondere Weihe, jo daß zum Bwede der Reinigung ein bloßed Belprigen 
mit demfelben hinreichend ſchien. Die Priefter, welche dem Teufel nicht 
bloß eine Herrfchaft über den natürligen Menfchen, fondern aud über die 
Elemente der Natur beizumelfen anfingen, gingen noch weiter und weißten 
das Sprengwafler durch Auötreiben des Teufels unter Beichwörungsformeln. 


2) Die Geftaltung der Transfubftantiationsichre in der römifchen Kirche gab 
einen Hauptflügpunft für Hierarchifche Anfprüche ab. Es wurde von biefem Punkte 
aus während des Mittelalters das Unglaublichfte behauptet und angeftrebt. So ver- 
bot auf einer Synode vom Jahre 1099 Papft Urban, daß irgend ein Geiftlicher in ein 
Dienftverhältniß zu einem Laien träte, weil es fhändlih wäre, daß hochheilige Pries 
fterhände, weldhe — was nicht einmal einem Engel vergönnt fei — in der Mefle „ven 
allmädtigen Gott felbft fabrizirten“, Laienhänten dienfibar wären, welche 
täglich und nädtlich durch unfaubere Berührungen befleckt würden. — Webrigens 
hegte und predigte noch der Hofprebiger Ludwigs XIV., der befannte Sefuit Bourdaloue, 
ganz diefelbe Anficht. Den Prieftern, meinte er, gebühre größere Ehre als der Sung- 
frau Maria, weil Jeſus Chriftus, unfer Bott, im Leibe der Jungfrau Maria nur eins 
mal Fleiſch geworden, während er tagegen in den Händen ber Priefter tagtägli, fo 
oft fie Meſſe läfen, Fleiſch werde. 


158 


Vergebens eiferten angejehene Kirchennäter dagegen als eine heibnifche 
Uebung 1); die Befprengung der Gläubigen durch den Priefler mit dem 
Weihwedel, dad Sichbetupfen mit Weihwafler in Borm des Kreuzes ward 
zulegt allgemeiner Cultusbrauch. 

Waren in den Tagen der Verfolgung die Chriften oft genöthigt ge« 
weien, ihre nächtlichen oder unterirdiichen Zufammenkünfte mit Lichtern 
fünftlih zu erbellen, jo bewog das Wohlgefallen am Lichtglange und ſinn⸗ 
bildliche Deutung der brennenden Lichter auf Ehriftus, das „Licht der Welt“, 
die zur Herrſchaft gelangte Kirche, die Lichter auch am hellen Tage für ihren 
Gottesdienſt beizubehalten, und das Eonftantinifche Zeitalter zeigte feine 
Prachtliebe in Anfhaffung Eoftbarer Kirchenleuchter 2). In fpäterer Zeit 
fam die „ewige Lampe” auf, wahrfcheinlich veranlaßt durch das Gleichniß 
Ehrifti von den zehn Jungfrauen. WIE die Heiligen vollftändig die Stelle 
der alten Bötter eingenommen und zu Nothhelfern der Gläubigen gewor- 
den waren, fing man an, Wachskerzen ald Opfergaße vor ihren Bildern zu ' 
verbrennen; man that ihnen auch Gelübde und widmete ihnen nad Erfül« 
lung gewifjer Wünſche oder nach Rettung aus Gefahren Votivtafeln. 

Die innerliche, aber nur deflo wirkfamere Reaction des Juden- und 
Heidenthums gegen daß flegreiche Chriſtenthum knüpfte endlich felbft an den 
Geruchsſinn der Gläubigen an. Noch der Kaiſer Theodoſtus hatte jeden Ge⸗ 
brauch des Weihrauchs felbft im Privatleben aufs Strengfte unterfagt. 
Was Half e8? Im 5. Jahrhundert hauchten bereits Käftchen und hohle 
Thierbilder ihre Weihrauchdämpfe über den Uktar, das Opfer und Die Prie- 
fir. Im 12. Jahrhundert famen die jchwingenden Rauchfäfſer auf, womit 
man die Reliquien und Heiligenbilder, Altar, Opfer und Priefter beräu— 
herte. Man gründete dieſe Ceremonie auf das A. T. und die Offenbarung 
Johannis (8, 3—6). Die proteftantifche Kirche hat-all dies Prächtige und 
Sinneberaufhende des Cultus entfernt. Befonderd die Bilderflürmer ver 


1) Juſtinus Martyr bezeichnete diefelbe noch als eine Erfindung der Teufel zur 
Nachäffung der Taufe. Was zu feiner Zeit erft vereinzelt vorfam, flegte fpäter durch 
den Nberglauben der Menge und deſſen Pflege durch die Priefter. Wirklich hatten die 
Heiden bei der Pforte ihrer Tempel heiliges Wafler zum Beſprengen, auch Weihwebel, - 
womit ihre Priefter das Volk befprengten.. Das Wafler wurde mit Salz gemifcht und 
ebenfalls von den Prieftern geweiht. 

2) Das Auffommen der Kirchenbeleuchtung am hellen Tage mag auch durch bie 
Erinnerung an den Leuchter des juͤdiſchen Tempels mit veranfaßt worben fein. 


159 


reformirten Kirche wollten Nichts mehr in der Kirche ſehen, als weiße 
Mauern ?).. Nur die Iutheriiche Kirche behielt den Altar bei, in der refor⸗ 
mirten wird meift der Taufflein in einen Abendmahlstiſch umgewandelt. 

Längft waren in Griechenland die Waflerorgeln befannt geweien. Die 
erfte Windorgel joll Hieronymus im Jahre 400 in Jerufalem gehört haben. 
Im Abendlande, befonders in Deutfchland, vervollkommnete fich Died herr⸗ 
liche Inftrument ſehr ſchnell. Da aus Mangel an Volksbildung der Ger 
meindegejang bald ſehr unordentlich geworden, hatte Papft Vitaltanus im 
7. Sahrhundert denfelben durch Errichtung kirchlicher Sängerchöre zu er⸗ 
jegen geſucht, welche von nun an in der Kirche immer allgemeiner in. Aufe 
nahme famen. Doch, ein Sängerchor erfeßte die majeftätifche Gewalt des 
Bemeindegefanges nit. Darum führte derfelbe Papft die Orgel zur Bes 
gleitung des Kirchengefanges ein. Die Drgeln erhielten prächtige Verzie— 
rungen und wurden fo beliebt, daß die Legende ihre Erfintung ter heiligen 
Cäcilia zufchrieb, welche in einer Weiheflunde der Engel Lobgefang vernom⸗ 
men und hierauf begnadigt worden, durch Lied Inftrument die himmlifchen 
Sarmonieen flerblichen Ohren nahe zu bringen. Die Bilderftürmer ber 
Reformation zertrümmerten in ihrem Vandalismus auch die Orgeln. In 
der Iutherifchen Kirche zwar wurden bie Orgeln beibehalten, in ber refor« 
mirten aber, zumal in der fchweizerifchen, jchaffte man fle ab, bis einzelne 
Städte im 18. Jahrhundert diefelben wieder einführten. 


10. 


Sp lange noch Erwachſene getauft wurden, erihienen die Tauflinge 
in.weißem Gewande, zum Zeichen, Daß fie den neuen, gereinigten Menfchen 
nermittelft Des Bades der Wiedergeburt anzögen. Bei der Trauung vor 
der Gemeinde war die Braut verfchleiert und bekränzt. Trotzdem, daß ſich 
die Scheidung der Cleriker von den Laien früh bemerkbar machte, fam doch 
lange Jahrhunderte hindurch fein eigentlich priefterliched, nur für den Eul« 
tus beflimmted Gewand auf. Die lange Stola, die furze Dalmatika, 
dic Alba, von ihrer weißen Barbe jo genannt, wurden bis ind 9, Jahr⸗ 
hundert von den Prieftern jowohl im Privatleben, wie beim Gottesdienſte 
getragen. Dann erſt ward verordnet, daß der Prieſter die Alba, in welcher 
er den Gottesdienſt verrichte, außerhalb der Kirche nicht tragen dürfe. Nur 





3) Die freilich unfäglich troſtlos weiß find. 


160 


die Veränderung der Kleidermode unter den Laien erhob biefe von ben 
Prieſtern beibehaltenen Kleidungsſtücke allmälig zur Prieſterkleidung. Aus 
dem runden, geichlofienen Oberrod, den die Römer früher auf Reifen und 
Märfchen trugen, entwickelte ſich zuerſt das vorgeichriebene Alltagsffeid, dann, 
als die Laien ihn nicht mehr trugen und die Priefter fi feiner nur noch 
bei Ausübung des Eultus bedienten, das mit Gold, Silber, Evelfteinen und 
Perlen verzierte Mefgewand. Die proteftantifchen Geiftlichen wählten 
als ihre cultiſche Kleidung den einfachen, ſchwarzen Chorrod. Da und dort 
brachte die franzöftfche Revolution jenes fchattenähnliche ſchwarze Mäntel- 
hen der franzöftihen Abbes in Aufnahme, jenes Teichte Ding, welches hin- 
ten wie eine Schürze über den Brad herunter hängt. ' 

Wie alles Uebrige im Cultus, fo veräußerlichte ſich endlich auch das 
Gebet. Schon im 4. Jahrhundert Hatten die Einfledler der Thebais ihre - 
Gebete nach einem Kerbholz abzuzählen begonnen. Viel und lange beten 
galt dem überhandnehmenden Geifte der Werfheiligkeit für etwas Verdienft« 
liches, und es ift ganz folgerichtig, auch religiöfe Verdienfte, wenn man 
foldhe annimmt, gerade fo zu zählen, wie verdiente Taglöhne. Aus dem 
Kerbholz der Mönche und Einftedler entftand der Roſenkranz, welder 
je zehn Fleinere und eine größere Kugel funfzehn Mal enthält. Bei jeder 
fleinern wird ein Ave Maria, bei jeder größern ein VBaterunfer (Paternoster) 
gebetet. Im 13. Jahrhundert fam er durch die Domtnifaner, deren Ordens⸗ 
flifter ihm Die vorgefchriebene Geftalt gegeben haben foll, in allgemein kirch— 
lihen Gebrauch ). Im früheften chriftlichen Alterthum betete man mit 
ausgebreiteten Armen, um fo dem Leibe die Geftalt des Kreuzes zu geben. 
Dean beichrieb Kreuze mit den Händen bei jeder heiligen Handlung, insbe⸗ 
fondere bei der. Taufe und Benediction (Segensertheilung), ebenjo fpäterhin. 
beim Eintritt in Die Kirche und beim Hinausgehen, nachdem man zuvor die 
Finger in Weihwaffer getaucht. Auch bei Haufe befreuzigte man ſich ſchon 
frühe, vor wichtigen Unternehmungen, in Gefahren, beim Beginn der Mahl- 
zeit u. ſ. w. Bis zum 5. Jahrhundert war die Bekreuzigung nur eines 
Körpertheils, der Stirne (ald Sig des Geiftes) oder des Mundes (ihn vor 
fündlichen Reden zu behüten) oder der Bruft (Sig der argen Gedanken) ge= 


4) Der Rofenfranz findet fich bekanntlich auch bei den Bupphiflen und Moham⸗ 
medanern. Heibnifche Völker von hoher geiftiger Regſamkeit, wie bie Hellenen und 
Germanen, hatten ihn nicht. 


161 
braͤuchlich, hernach befchrieb man das Kreuz über alle dieſe drei Theile 
(deutſches Kreuz) oder ſtatt des Mundes über die beiden ‚Schultern (lateini⸗ 
ſches Kreuz). Gewöhnlidd wurde beim , Kreuzmachen“ die Dreieinigkett 
angerufen. Buerft ein Hülfsmittel fittliher Wachſamkeit, ward die Bekreu⸗ 
zigung bald und immer mehr für ein Mittel von magiſcher Kraft gegen den 
Fürſten der Hölle und ſeine Dämonen gehalten. 

Ein Heraustreten des Cultus aus der Verſammlung der Gemeinde 
erkennen wir beſonders in der Nothtaufe, in der Privatcommunion und der 
letzten Oelung. Die Nothtaufe war eine Folge der nachauguſtiniſchen Lehre, 
daß ungetauft verſtorbene Kinder nicht ſelig würden. Auch in der proteſtan⸗ 
tiſchen Kirche iſt fle Hin und wieder ertheilt worden, wo nämlich der Volks⸗ 
glaube flärfer war, als der Geiſt der Neformatoren. Aus der früher er- 
wähnten Sitte uralter Zeit, das übriggebliebene Nachtmahlsbrot für die zu 
Haufe gebliebenen Gläubigen mitzunehmen, entfland die Mitteilung des 
Sacramentes an Sterbende. Im 12. Sahrhundert ward die „letzte Delung” 
Todkranker ebenfalls zum Sacrament erhoben. 


Achtes Kapitel. 


Die Kirche: ihr Triumph, ihre Verfaſſung, ihre 
Spaltung. | 


‘ 1. 


In den beiden vorhergehenden Kapiteln iſt dargeftellt worden, wie bie 
Baflung der Lehre Chriſti im Verlaufe der Jahrhunderte theoretifch ſich ent» 
widelte und wie die jo außerordentlich wandelbare Theorie im Eultus den 
entfprechenden praftiichen Ausdrud fand. Jetzt find tie Wandelungen ber 
religiöfen Gemeinfchaft zu betrachten, welche von Ehriftus unter den Men⸗ 
hen geftiftet wurde. Wir Handeln aljo in diefem Kapitel von der Hrift- 
lihen Kirche im weiteften Sinne des Wortes; denn fernab von ber hiſto⸗ 
rifhen Betrachtungsweife Tiegt jener Particularismus, welcher in dieſer oder 
jener Kirche oder Confeſſton die „allein feligmachende * erblidt. Wir ver 

Schere, Geſch. d. Religion. IM. 11 


162 


fieben daher unter der Kirche Chriſti die Geſammiheit derer, welche Jeſus 
von Nazareth als den Chriſtus anerkennen, weil dies das Gemeinſame aller 
chriſtlichen Fractionen iſt. 

Die rein aͤußerliche Entwicklung der Kirche vollzieht ſich im ihrem 
Kampf gegen dad Juden⸗ und Heidenthum von den älteften Zeiten bis auf 
die Gegenwart. Ihre rein innerliche Entwicklung ftellt ſich dar in der Ge- 
fhichte der Kirhenverfaffung. Eine Bolge der Entwidlung in Lehre, 
Eultus und Verfaſſung, aber bie äußere Geftaltung der Kirche bebingent, 
ift die Geſchichte der Kirchentrennungen, welde unter Anderm -aud das 
Sektenweſen zu berühren bat. Don dieſen drei Gefichtspunften aus wird 
ſich Die Kirchengeichichte im eigentliden Sinn des Wortes eben fo Harald 
erihöpfend darlegen laffen. Die Anfnüpfungspunfte an die Entwidlungs- 
geichichte der Lehre und des Cultus werben ſich von jelbft in genügender 
Anzahl darbieten. 


2. 


Das EhriftentHum war aus dem Schooße des Judenthums hervor⸗ 
gegangen; unter den Juden war der erfte Wirfungsfreis feiner Apoftel; Die 
Eriftenz des Judenthums bedrohte es zuerft und hatte daher von dieſer 
Seite Her die erſten Anfechtungen zu beftehen. — Die Apoftelgefchichte ta- 
tirt das erſte jelbfiftändige Auftreten der Gläubigen ald Gemeinde, den 
erfien Eroberungszug des Chriſtenthums in das Gebiet ded Hebraismus, 
son der Geiſtesgusgießung am Pfingſtfeſt, wo die Gläubigen ausgerüſtet 
wurden mit den nöthigen Waffen (Geifteögaben, Charismen) zur Eroberung 
des Erdkreiſes. Wie immer man fih dieſe Wunderlegende zurecdtlegen 
möge, bei Gelegenheit irgend eines außerorbentlihen Ereigniſſes muß bie 
Mittheilung des „Geiftes“ vermittelt Handauflegung ber Apoſtel, dieſe 
Durch die Geſchichte des Cultus zu hiſtoriſcher Gewißheit erhobene Thatfache, 
Ihren Anfang genommen haben; denn der allgemeine Glaube der erften 
Jahrhunderte an den Erfolg der Handauflegung läßt ſich kaum anders er- 
flären. 

Gleich nach der Geiſtesausgießung find der Gemeinte, laut der Apoſtel⸗ 
seichichte, Durch eine Rede des Petrus bei 3000 Seelen Hinzugefügt worden ; 
daranter helleniftiiche Juden (die unter den Heiden wohnten und aufs Feſt 
mach Ierufalem gefommen waren) und Profelyten (Sudengenofjen), welche 
Ießtere bereitö das heidenchrifiliche Element in der Gemeinde vertraten. 


0 PTODEe, "REDET FEVE UOR 


268 


ech dachten, wie es ſcheint, die Synedriſten an Fein Cinſchreiten; wer⸗ 
muthlich, weil ſie mit der perſönlichen Unterdrückung Jeſu auch feine Sade 
dvernichtet zu Haben meinten, Als aber die Predigt der Apoſtel Petrus und 
Johannes von dem Auferflandenen im Tewpel vor allem Volk Aufſehen er- 
regte, erhob fich beſonders die fabbugatfche Partei gegen die, und Die Übrigen 
Rathsglieder widerſetzien ſich den Gewaltthätigfeiten gegen die Apoſtel um 
jo weniger, da in der Prebigt ber Apoſtel nom gekreuzigten und aufer⸗ 
Randenen Meſſtas ein Vorwurf auch. gegen fie als Mitſchuldige feiner Kreuzi⸗ 
gung enthalten war. : Nur der Pharifüer Gamaliel. warnte, unter Hin⸗ 
wetfung auf die bereitö erfehienenen falfehen Propheten Theudas und Judas, 
allzuweit zu gehen, worauf fid) der Rath, da die Apoſtel ſchon Gefängniß- 
ſtrafe erlitten, begnügte, ihmen Streiche geben zu laſſen, mit dem firengen 
Verbot, jemald wieder dergleichen Lehren vorzutragen. Aber fie Zehrten 
ſich nicht daran und wirkten nur um fo eiftiger fort. 

Eine weitere Verfolgung ging etwas fpäter von dem Geſatzeseifer der 
„harifäifchen Partei aus. Der Diakon Stephanus, der Erſte jener Rich⸗ 
ung unter den Chriſten, welde die Losreißung des Ghriftenthums som 
Mofaismns erftrebten, hatte die Unzulänglichteit des moſaiſchen Geſetzes und 
Gottesdienſtes in öffentlicher Synagoge, dann auch vor dem hoben Mash 
serföchten. Cr wurde dafür gefleinigt und derſelbe Saulus, welcher fpäter« 
Bin dieſe naͤmliche Richtung zu ihrer durchdachteſten Ausbildung bringen 
follte , ſah damals dem Märtyrertode ſeines Vorgaͤngers mit Wohlgefallen 
gu, ja er wird als der Eifrigfe bei der mit Stephanus Hinnichtung aus- 
brechenden allgemeinen Ghriftenverfolgung zu Jeruſalem genannt. Dieſe 
MBerfolgung bezeichnet den Beginn der Verbreitung bes Ehriſtenthums außer 
halb Jeruſalews. Philippus firente mit großem Erfolg den Samen daß 
Esangeliums in Samaria aus. Andere flohen nach Damaskus und fuchten 
dort dem Evangelium Anhänger zu gewinnen. Damals find die erſten 
Sendboten Chriſti auch nach Antiochien, ber,gewaltigen Sauptſtadt Sprieus, 
gekommen. Auf die Nachricht von dieſer weitern Ausbreitung bed Chriſten⸗ 
thums verlangte Saulus Vollmacht vom Synedrium, die Verfolgung auch 
in Damaskus zu beginnen, ba ward er, wie er im erſten Korintherbrief 
415,8) ſelbſt andeutet, durch sine Erſcheinung Ehriſti bekehrt. Stattnen 
die Chriſten in Damaskus zu verfolgen, predigte er daſelbſt fofort den Glau⸗ 
ben an Chriſtus und ward mit knapper Noth vor der Wuth der enttaͤuſchten 
Juden errettet. Die Bekehrung bed Saulus, welche zwiſchen 35— 41 nach 

11* 


164 


Chr. Geh. geſetzt wird, ift eins der folgenveichfien Greignifle in der Kirchen⸗ 
geihichte. Er war Schüler des Phariſäers Gamaliel, ein feuriger Eiferer 
für das Geſetz Mofls, ein durchaus offener Charakter, und plöglih, äußer- 
li wenigftens nicht vorbereitet, {fl ex der Mann, welcher dem Geſetze Mofls 
den Todesſtoß verfegt und das Chriſtenthum zur Weltreligion erhebt! 
Dergleichen Feuergeiſter find in ihren plöglichen Umwandlungen wie eine 
Kugel, die, im faufenden Fluge auf einen undurchdringlichen, elaftifchen 
Gegenſtand ſtoßend, mit eben fo großer Heftigkeit die entgegengefegte Rich⸗ 
tung einſchlaͤgt. = 

| Während fih das Wirken des großen Heidenapofteld in Damaskus 
vorbereitete, fühlte fih aud Petrus, der Kauptapoflel „Derer aus der Be- 
fihneidung *, durch eine „Höhere Erleuchtung * auf die Befehrung der Heiden 
hingewiefen und begann diefelbe mit dem römiihen Hauptmann Cornelius 
zu Joppe. Mit Geſchick vertheidigte er ſich hierüber gegen die Vorwürfe 
der fireng moſaiſch Gefinnten im jüdiſchen Lande. Auch zu Antiochia gab 
e8 bereitö Heidenchriſten, welche von helleniftifchen Juden aus Eypern und 
Cyrene befehrt worden waren. Sicherer, als in Damaskus, Tonnte Pau⸗ 
lus 1) hier feine Wirkſamkeit fortiegen. -Barnabad, ber. ihn aus feiner 
Vaterſtadt Tharſus abgeholt, war fein Mitarbeiter in Antiochia. In diefer 
Stadt erhielten die Gläubigen von ihren heidniſchen Gegnern zuerft den Na⸗ 
men Chriftianer. Bon den Juden wurden ſie verähtlih Galiläer 
oder Nazaräer, fpäter au von den Heiden Nazarener genannt. 

Die zweite Chriftenverfolgung zu Ierufalem, nur gegen einzelne 
Sührer der Gemeinde gerichtet, erhob Herodes Agrippa, um, wie Die 
Apoftelgeichichte andeutet, fich bei den Juden beliebt zu machen und durch 
folchen Eifer für das Geſetz Moſis viel Unmoſaiſches in feinen Handlungen 
zu bebedien. Jakobus, den Sohn des Zebebäuß, Ließ er mit dem Schwerte 
hinrichten, den Petrus in Ketten legen. Er machte aber der Verfolgung ein 
unfreiwilliges Ende, indem er an einer efelbaften Krankheit verfchien. Die 
erfte Mifftonsreife des Paulus, in Begleitung des Barnabas unternommen, 


4) Man vermuthet, Baulus fei fein Name als römifcher Bürger, Saul fein 
jüdifher Name geweien. Daß er von Apoſtelgeſch. 13, 9 an immerfort Paulus 
genannt wird, hat wohl feinen Grund fchwerlich in der Belehrung des Sergiue Paus 
Ius, fondern darin, daß die Apoftelgefchichte mit jenem Kapitel die Erzählung feiner 
Miffionsreifen beginnt, durdy welche fein römifcher Name befonders berühmt geworden 
war als gebräuchlicher Name bes Heidenapoftels. 








nn 165 


wird ziemlich übereinflimmend in das Jahr 44 geſetzt. Don Antiochien 
aus gingen fie nach Seleucia und fhifften von da nad ber Inſel Cypern, 
wo fie den Statthalter befehrten. Weiter ging bie Neife nach den Flein« 
aftatiichen Landſchaften Pamphylien, Piſidien und Lykaonien, dann wieder 
durch die nämlichen Bezirke zurück nach der Küftenftabt Attalia, von wo fie 
nach Antiochien zurückkehrten. Auf diefer Reiſe predigte Paulus überall 
zuerft in den jüdifchen Synagogen, wo folche vorhanden waren. Die Hei⸗ 
ben hörten ihre Predigt theild in diefen Derfammlungen , theild warb ihnen 
das Evangelium bejonderd vorgetragen. Die fireng mofaifch gefinnten Ju⸗ 
ben jtritten zuerft mit den Apofteln in den Synagogen. Als fie jedoch mit 
geiftigen Waffen Nichts ausrichteten, machten file Gebrauch von ihrer allbekann⸗ 
ten Gefchicklichkeit, Aufruhr zu erregen, und hegten, wo ſie fonnten, ben 
heidnifchen Pöbel zu Gewaltthätigkeiten gegen Die Apoſtel. Das war außer» 
halb SIerufalems, zum Theil auch in biefer Hauptſtadt ſelbſt, der Juden 
Kampfweiſe gegen das Chriſtenthum. Nachdem die Apoftelverfammlung zu 
Jerufalem ungeachtet eifriger Vorftellungen, die von gläubig gewordenen 
Pharifaern ausgingen, beichloffen Hatte, den Heiden, welche Ehriften wer⸗ 
den wollten, die Beſchneidung zu erlaffen, und nur die Befolgung der vier 
noachiſchen Gebote von ihnen zu fordern, unternahm Paulus, abermals von 
Antiochien aus, feine zweite Belehrungsreife um das Jahr 50. In Bes 
gleituung von Timotheus und Silas befuchte er die in obgenannten klein⸗ 
aftattfchen Städten geftifteten Gemeinden, durchzog Phrygien, Galatien und 
Myften und fegte von Troas nach der Infel Samothrafe, von da nad Mace⸗ 
donien über, wo er zu Philippi und Teffalonich Gemeinden grüntete. Weiter 
predigte er dad Evangelium in Berve und Athen. Einen längern Aufent- 
halt nahm er zu Korinth. In Epheſus fodann ward er wohl aufgenommen, 
blieb aber nicht ange daſelbſt, fondern reifte über Eäfaren nach Ierufalem. 
Auch auf diefer zweiten Reiſe erfuhr Paulus in Theffalonih und Beroe 
Proben von der Aufwieglerfunft der Juden. Ihre Läfterungen in ber 
Synagoge zu Korinth bewogen ihn, die Juden dajelbft aufzugeben und fid 
den Heiden zuzuwenden. Bon Antiochien aus unternahm Paulus jpäter 
feine dritte und letzte Mifftonsreife um das Jahr 54, hauptſächlich zur 
Stärfung und Vergrößerung .der bereitd geftifteten Gemeinden in Ephefus, 
Macedonien, Griechenland und Troas. Während eines längeren Aufents 
Haltes zu Epheſus erhoben fid zum erften Mal, ohne von den Juden anges 
ftiftet zu fein, die Heiden gegen ihn. Der Silberarbeiter Demetrius fanımt 





166 

feinen Zunftgenofien, denen nicht mit Untecht bange war um den Berluft 
bes reihen Gewinns, welchen ihnen die Nachbildung des hochberuͤhmten 
Dianentempels in Silber brachte, erregten einen Aufſtand gegen bie &hriften, 
jeboch ohne weiteren Erfolg. Durch Varſtcht entging Paulus auf biefer 
feiner dritten Reiſe den Nachflellungen ver Juden. Bu Jeruſalem ſelbſt 
aber, wo er zur Beler des Mflnofkfefles eingetroffen, erregten bie daſelbſt 
anweſenden aftatifihen Juden einen fo gewaltigen Aufruhr gegen ihn af& 
Berftörer des mofaifchen Geſetzes, daß die Römer nur mit Mühe fein Leben 
retteten. eine weiteren Schickſale find bekannt. Don der römifchen Ge⸗ 
fangenichaft aus wirkte er noch durch Briefe und Sendboten auf die von ihm 
geftifieten Gemeinden. Im der großen Chriftenverfolgung unter Nero fol 
er enthauptet worden fein. ' 

In Rom war eine Ehriftengemeinde durch Iudenchriften ſchon vor dem 
Jahre 54 gefliftet worden. Gegen Enbe des 1. Jahrhunderts zeigen ſich 
Ehriftengemeinden bis an Den Euphrat Hin, ferner in Aegypten (Alexan⸗ 
drien), im proconfularifden Afrika, in Spanien, Gallien und Britannien, 
ohne daß fih deren Urfprung mit hiſtoriſcher Sicherheit nachweiſen Tiefe. 
Die Widerſtandskraft des Judenthums war mit der Berflörung Ierufalems 
gebrochen. Von da an mußten die Juden Bei den heitnifchen Chriſtenver⸗ 
fülgungen die Gelegenheit fuchen , ihren Eifer für das Geſetz an den Chri⸗ 
fen zu bethätigen. Nur in jenem legten furditbaren Auffladern bes jüdi⸗ 
fihen Nationalgeiſtes unter Sadrlan, als in dem „Sternenfohn” der 
erwartete Meffias begrüßt worden und unter beffen Anführung das. Teßte 
jüdische Heer Paläſtina durchzog, konnte Moſes noch einmal an den verhaß⸗ 
ten Nazaraͤern gerächt werden ohne Beihülfe der Heiden. Als Rom damals 
die Macht des Judenthumd vernichtete und auf den Zrümmern von Jahve'a 
Tempel die Statue des Jupiter Capitolinus aufrichtete, Hatte fein eigener der 
ſetzungsprozeß durch das Chriſtenthum fehon begonnen. 


3. 


Mit Nero begann das bisher meift gleihgültige oter aus Geringe 
ſchaͤtzung nachſichtige Heidenthum feinen Kampf gegen Dad ChHriftenthum, zwar 
noch nicht aus prinzipiellen Gründen, wie fpäter die befferen Kater, Trafan, 
SHadrian, Antonimus der Philoſoph, Severus und Diocketian diefen Kampf 
führten, fondern zunähft aus Rachewuth Aber die Verbrenmng Noms, 


162 


welche der kaiſerliche Phantaſt ſelbſt angeordnet, um ſich Troja's Band recht 
lebhaft zu vergegenwärtigen, deren Anſtiftung ex jedoch bald auf die Chriften 
zu fchieben für gut fandt). Der in Rom herrſchende Haß gegen bie Iuden 
umfaßte auch die Ehriften, aber bio&, weil man fle al& eine jüdiſche Sekte 
Betrachtete und zum Theil mit jenen Zeloten unter Judas dem Gauloniten, 
die auch Galiläer genannt wurden, verwechfelte 2). Daß Nero zum Schilde 
feiner eignen Sicherheit fkatt der Juden die Chriſten wählte, hatten Erftese 
wefentlich einigen mächtigen Zürfprechern unter Nero's Künftlingen zu. veus 
danfen. Diele erfte Chriftenverfolgung in Rom war bie Urſache, daß Mom 
den Chriften ald da8 zweite Babylon erfchien, deffen Untergang ,: ihrem 
Glauben zufolge, die Offenbarung Johannis weiffagte, und Nero ald der 
Antichrift,, welchen die Offenbarung darftellte als das Thier mit den ſieben 





1) Der ſtrenge Tacitus, gewiß fein Freund Nero’s, läßt es indeſſen unentfchieden, 
ob Nero wirklich der Anftifter des Brandes geweien. Sequitur clades, forte an dolo 
principis , incertum , nam utrumque auctores prodidere. Annal. XV, 38. 

2) Wir werden unten fogleich auf die Gründe zu fprechen fommen, welche ben 
Römern die Ehrifen verdächtig machten. Hier fei der berührt, daß jene auch in ben 
Schriften der Kirchenväter häufig betonte Gcheimnißthuerei, womit die Chriften ihre 
gottesdienftlichen Uebungen vollzogen, namentlih das Myfterium des Abendmahls, 

bei den Heiden den allerfhlimmften Argwohn erwedte. Selbft wiſſenſchaftlich und 

fittlich fo hochgebildete Mönner, wie Tacitus, blickten auf die Chriſten mit unver⸗ 
bolenem Abfıheu. Man höre nur des großen Geſchichtsſchreibers berühmten Bericht 
über die Gürifßienverfolgung unter Nero: — „Um das Gericht — (daß er der Anz 
Bifter des Brandes von Rom ſei) — zu vernichten, unterſchob Nero Schuldige und 
belegte diejenigen mit den ausgeluchteften Strafen, welde, wegen ihrer Abfcheulichs 
feiten verhaßt, vom Pöbel Ehriftianer genannt wurden. Diefes Namens Urheber, 
EHriftus, war unter des Tiberius Regierung von bem Procurator-Bontius Pilatus 
Bingerichtet worden. Der heillofe Aberglaube, für den Augenblick unterdruͤckt, brach 
neuerdings ana, nicht nur in Judaͤa, dem Mutterlande dieles Unheila, fondern quch 
in Rom, wo ja überallher alles Scheußliche und Schmachvolle zuſammenſtroͤmt und 
Anhang gewinnt. Nun wurden zuerſt Solche ergriffen, die ſich dazu — (zum Chri⸗ 
ſtenthum) — befannten, dann auf deren Angabe eine große Menge, nicht ſowohl bes 
Verbrechens der Brandfiiftung als vielmehr des allgemeinen Hafles der Menfchheit 
Ueberwiefener. Ihre Hinrichtung ward mit Hohn begleijet, indem fie, in Thierfelle 
gehäft, von Hunden zerfleifcht wurden oder, mit Bed; überzogen, bei einbrechender 
Ounkelheit als Fadeln brannten. Deßhalb regte Ach für die allerdings Schulkigen 
und mit Recht auf unerhörte Weiſe Veftraften-bas Mitleid." Annal. IF, 44. Gueton 
(Nero, 16) bezeichnet Die Christiani als ein genus hominum superstifionis novae ac 
malifieae feine Menfchenart von neuem und bösartigem Aberglauben). 


168 


Köpfen und fieben Hörnern, defien Zahl 666 iſt?). In der Verfolgung 
unter Nero foll audy Petrus den Maͤrtyrertod erlitten haben. Das Schick⸗ 
fal der übrigen Apoſtel gehört großentheild den Dichtungen der Legende an. 
Unter ihnen foll blos Johannes eined natürlichen Todes geftorben fein. 

Bei der bier gebotenen Gelegenheit bemerken wir, daß, was die Blut⸗ 
zeugen der Religion Chriſti angeht, die Zahl der Märtyrer durch Die Legende 
ohne Zweifel bedeutend übertrieben worden ift, da und dort geradezu in’s 
Ungeheuerliche. Indeffen das tumultuarifche Verfahren des heibnifchen 
Volkes bei den ChHriftenverfolgungen, die Ausdehnung bes römiſchen Reiches 
und die vielfache Willfür der Provinzialbeamten gegen die Ehriften laſſen 
ed anderweitig bedenklich ericheinen, die Zahl der Märtyrer in dem Maaße 
zu befchränfen , wie Gibbon e8 verfucht hat ). Der begeifternde Gedanke: 
„Durch die Nachfolge ded Kreuzes Chriſti gehe ich fofort ein zu feiner Herr⸗ 
lichkeit”, ftärkte ſelbft Jungfrauen und Unmündige, die größten Qualen mit 
bewundernswürdiger Gelaſſenheit zu ertragen, verleitete aber auch, beſonders 
in fpätern BVerfolgungen, verbunden mit der geheimen Begierde nach den 
kirchlichen Ehren des Martyriums, Viele, die Bluttaufe recht abfichtlich zu 
ſuchen. Gleihwohl Eonnten die edleren Gemüther unter den ‚Heiden ſolche 
Obmacht ded Geiftes über die Todesfchauer der Leiblichen Natur nicht ohne 
hohe Bewunderung anfhauen. Auf die Bewunderung aber folgt leicht Die 
Zuneigung zu einer Sache, die mit ſolchem Heldenmuth verfochten wird, 
und aus dem Blute Eines Märtyrerd erwuchſen zehn neue Befenner Chriſti 5). 
Hinwieder wußte die Kirche ihre Glieder vor furdtfamer Verläugnung des 
Glaubens aufd Nachdrüdlichfte abzufchreden durch die Schmady der Aus⸗ 
floßung (Excommunication), weldhe fie über die Treulofen verhängte, fowie 
durch die ſchwere, Tangmwierige. Buße, die ein Abtrünniger bis zu feiner 
- Wiederaufnahme durchzumachen hatte. Wer auch nur ein Gremplar der 
heil. Schrift an die Heibnifhe Obrigkeit ausgeliefert, oder ſich von einer 
heidnifchen Magiftratsperfon das falfche Zeugniß hatte ertheilen laſſen, er 
habe den Göttern geopfert, wurde ausgeſtoßen und Fonnte nur durch jene 
Bußen zuletzt Verzeihung erlangen. | 


3) Diefe Fabbaliftifche Bezeichnung bes Namens Offenbarung 13, 18 ergibt nad 
den Sahlenwerthen des hebräiichen Alphabets die Worte Kesar Neron, Kaiſer Nero. 

4) Hist. of the deel. and fall of the Rom. emp., chap. 16. 

5) Wir bemerken Hierbei, daß Märtyrer nur Diejenigen genannt wurden, 
welche um Ehrifti willen den Tod erlitten; Belenner oder Confeſſoren hin⸗ 





169 


4. 

: Daß die Römer, welche bisher gegen alle ausländifchen Religionen 
fo tolerant geweſen 1), das Chriſtenthum mit folder Beharrlichkeit auszu⸗ 
zotten fuchten, daß von ihnen aus der- Berfolgungsgeift auch auf die übrigen 
heidniſchen Völker überging, daß Volk und Obrigkeit fi gegen die neue 
Religion fo oft vereinten, das hat zwei Hauptgründe: den Volkshaß gegen 
die Chriſten und die Leidenfchaften oder bie Stantögrunbfäe der jeweiligen 
Kaiſer. 

Der heidniſche Volkshaß traf die Chriſten, wie wir bereits bemerkt 
haben, zunächſt als jüdiſche Sekte, denn die Juden, ſeit ſie im Reiche ge⸗ 
nauer bekannt geworden, hatten ſich durch ihr abgeſchloſſenes Weſen, ihre 
Verachtung gegen die Heiden als Unreine, ihren wüthenden Fanatismus, 
ihre Geneigtheit zu Empörungen, wo immer ſie ſich befinden mochten, die 
entſchiedene Abneigung des heidniſchen Volkes zugezogen. Dazu mochte 
auch beitragen ihre bildloſe Gottesverehrung, welche im roͤmiſchen Reiche 
allein fland und für „Atheismus“ erklärt wurde, als müßte, wer fein 
Gottes bil Kat, überhaupt keinen Gott haben. Der nämlidhe Borwurf 
traf mit doppelter Härte die Chriften, weil fle noch einen weit auffallendern 
Abfcheu gegen alles fogenannte Ghgendienerifhe an den Tag legten. — 
Hatten ferner die Juden ſich begnügt, ihre Religion den Heiden gegenüber 
"zu behaupten, ohne offene und entſchiedene Angriffe gegen das Heidentfum 
zu unternehmen, fo erklärten dagegen bie Chriften alle Heidenthümer für 
Ausgeburten der Hölle, die Götter für Teufel, welche die Menfchen zu ihrer 
Anbetung verführt hätten 2), und bie Götzendiener ſelbſt für eine Beute der 
ewigen Verdammniß, von welcher einzig die Bekehrung zum chriſtlichen 
Glauben erretten könne. Bald, verkündigten fie, bald. werde Chriſtus 
wiederfommen in Herrlichkeit, dem neuen Babel zum Untergäng, den Un⸗ 
gläubigen zum Gericht, den Seinigen zur unfterblichen Verherrlichung. 
Solche Lehren der Undultfamfeit riefen naturgemäß auch auf Seite ber 


gegen die, welche Drohungen und Qualen zum Trotz Chriftus laut befannten, aber 
nicht hingerichtet wurden. 

4) Bel. Thl. II, ©. 201 und 219. 

2) Daß fchon die Juden einzelne heibnifche Götter zu Teufeln degradirt hatten, 
it früher gezeigt worden. Die Chriften dehnten nad) dem Vorgang bes Paulus 
(1. Korinth. 10, 48— 22) dies Verfahren nur weiter aus. - 


+70 


Heiden Unduldfamfeit hervor. Die Beihimpfung ihrer Religion erregte 
ihren Grimm, die Verfündigung des nahenden Untergangs den Verdacht, 
als gingen die Chriſten auf den Umſturz alles Beftehenden aus, 

Bis auf Konftantin blieb der riftliche Gottesdienſt den Heiden gegen 
über ein Myſterium. Da er feinem Hauptbeflandtheil nach ein Opfer war, 
zu welchem nur die vollberechtigten Glieder der Gemeinde zugelaffen wurden, 
und häufig nächtlicher Weile flattfand, fo fuchte Neugier oder Argwohn den 
Schleier des Beheimniffes zu Füften, und es gingen im Volk entfehliche Ge⸗ 
rüchte um über blutige Kinderopfer, antbropophagiihe Mahle und abe 
ſcheuliche Wolluſtübung bei den gotteddienfllihen Verfammlungen ber 
Chriſten. Begreiflih! Denn die Heiden felbft Hatten ſolcher Myſterien ge⸗ 
nug, und die Katholiken, d. h. Die der redhtgläubigen Kirche angebörigen 
Ehriſten waren Teidenfchaftlich genug, tie Sektirer vor den Heiden derartiger 
Bränel zu bezüchtigen, wie denn die Sektirer ihrerſeits die Katholifen mit 
gleicher Münze bezahlten 3). 


3) In neuerev Zeit. hat &. F. Daumer („Geheimnifie des chriſtlichen Alters 
hums“, 1847) dic von ben griechiſch⸗roͤmiſchin Heiden gegen die Chriſten geſchleuderte 
Yuflage des Kannihalismus wieder aufgefriiht. Daumer betrachtet das Chriſßenthum 
als eine Fortſetzung des althebräifchen Keuer: und Molochdienftes und daher ift ihm 
der chriftliche Gott ein „Moluchftier und Molochofen“ (a. a. O. 1, 15 fg.). Am 
Schhufle feiner zweibäntigen Unterfuchung kommt er zu dem Schluß, daß „Religion 
und Gulius des chriſtlichen Alterihums über ale Maßen geaufam und gräulich gea 
weſen, Haß die Gebräuche des Abendmahls und der Meſſe, die meientlichfien in bielgs 
Religion, in vollfommen anthropothyſiſchen und anthropophagiſchen Cultusacten bes 
ftanden, daß hiebei eine Unzahl ganz eigentlicher und förmlicher Menichenopfer ger 
fallen, indem man Kinder und andere Menfchen mordete, und daß diefe namenlofe 
Barbarei etwas rem Prinzipmäßiges, ſchon in den erften Anfängen (des Ehriftens 
thums) nthaltenes gewefen fei“ (II, 2683-69). Daumer läßt ſich feine Mühe veuen, 
feine Leſer zu uͤberzeugen. Gr weiß 3. B. auf's Genguchle zu erzählen (I, 79. fg.) 
wie Chriſtus mit feinen Jüngern bei Einfegung des, Abendmabls eigentlich ein Find 
verzehrt und wie Sudas Sfchariot, aus Abſcheu vor ſolchem Rannibalismus, die anthras 
pophagiiche Gefellfchaft beim Hohen Rathe denuncirt habe. Da in Daumers Augen 
Ehriftus einmal ein Molochiſt war, jo fieht und hört er aus der ganzen Gefchichte des 
Chriſtenthums nur molochiftifche Gräuel heraus. Da wird er denn manchmal, natür⸗ 
lich unfreiwillig, wahrhaft fomifh. So, menn er (I, 93 fg.) zu beweifen fucht, das 
Wort Sefu: „Lafjet die Kindlein zu mir kommen!“ fet eigentlich eine molochiſtiſche 
Dpferformel geweſen. Trotz allen diefen-Ausfchreitungen tee Conſequenzmacherei muß 
aber bemerkt werden, Daumer hätte gar nicht fo unrecht, wenn ex fi darauf bes 
fchräntte, zu fagen, ver Menfchenopfercult habe mit dem Chriſtenthum keineswegs fein 


r72 


Die Abfonderung der Ehriften von allem übrigen Volk nit nur im 
Gottesdienft, fondern auch in Sitten und Gebraͤuchen und in der Lebendweiſe 
erregte ihnen ebenfalls viele Feinde. Selbft bei Gaſtmahlen wagten fie nicht 
zu genießen von dem Fleiſche eines Thieres, weldyes den Göttern geopfert 
worden, noch brachten fie aus: ihren Bechern die gebräuchliche Kibation dar. 
Ihren Abſcheu gegen alles an ben: Götterdienſt erinnernde Bildwerk an Ge⸗ 
rärhen, Kleidern und Wohnungen Iegten-fle unverholen an den Tag, Ges 
ſellige Freuden flohen, den Glanz des Luxus verachteten ſie. Theater, 
Tanze, Ihierhegen, ſelbſt feögliche Weifen der Muſik galten ihnen für Ver⸗ 
fuchungen des Teufels. - Ein ödes, völlig freutlofes Dafein fihien der 
Sterblichen zu warten, wenn dieſe büftere Sekte Meifter werden ſollte. 


Ende erreiht. Auch noch im. Chriftenihum wurden Menſchen geopfert. Dies leug⸗ 
nen, heißt eine ganze Menge von Zeugniſſen der Gefchichte und Sage, mißachten. Das 
Chriſtenthum hat befanntlich die Opferidee nicht verworfen; es hat an die Stelle des 
Thieropferd nur ein höheres, ein hödhftes ‚ das des Sohnes Gottes, gefebt. Behaup⸗ 
ten, mit diefem einen und hoͤchſten Opferact fei eben für immer die Sühne vollzogen 
worden, heißt der Rirchengefchichte ins Geſtcht fchlagen. In der Meſſe wurde und 
wird ja täglich die Opferung Ehriſti wiederholt und täglich ißt der Priefler ben Leib 
und trinft das Blut Chriſti. IR es da fo wunderbar, menn während des chriſtlichen 
Alterthums und während des Mittelakters der rohe Sinn der Menge ihre altheidnifchen 
Borftellungen vom Werth des Menſchenopfers durch das chriftlihe „Myfterium” bes 
Fräftigt fand? Gewiß nicht. Und ift es wunderbar, daß in Zeiten, wo Briefter heute 
Meile lafen und morgen etwa wieder dem Thorr opferten,, die Leute auf den Einfall 
Samen, tem Ghriftengott, welcher fih den eigenen Sohn zum Opfer bringen liche, 
müßte auch die Opferung von andern Kindern wohlgefällig fein? Ghenfalls nicht, 
wenigftens in den Augen eines Unbefangenen nicht. — Höchſt auffallend hinfichtlich 
der Fortdauer des Menfchenopfercults im Chriſtenthum ſind einige Aeußerungen in 
Luthers „Tiſchreden“ (zuſammengeſt. von C. Seifart im „Deutſchen Mufeum“ 1853). 
Es wird da förmlich und beſtimmt gefagt, der im Mittelalter bei „unferen Borfahren“ 
eingeführte Menſchenopfergräuel habe bis in Die Zeiten der Reformation fortgedauent 
und erſt Kaiſer Karl V. habe ihn abgeſchafft. Noch Kaiſer Morimilian L, der „legte 
Mitter“, habe die Gewohnheit gehabt, in Kriegsgefahren Menfchenopfer zugeloben, mie 
Sephta, und dann den Grften Beften, der ihm begegnete, wirklich zu opfern. — 
Daumer führt (Jahrb. f. Wiflenfchaft und Kunſt, I, 87) aus Harthaufens „Studien 
über Mußlands Innere Zuſtaͤnde“ auch ein unverdaͤchliges Zeugniß an, Daß im Inneren 
Rußlands „Seibfiverbrennungen, Selbftenimannungen und anthropophagiſche Paſcha⸗ 
mahle noch immer im Schwange gehen.” Namentlich werde da zur Feier ter Oſter⸗ 
nacht einem jungen Mädchen bie linfe Bruft abgeſchnitten, in eine Schüflel aelegt, in 
Heine Portionen zerfchnitten und von fimmtlichen Anwefenten als heiliges Mahl ges 
noflen. 


172 


Weſſen Herz noch an den Lebensgenüflen und Schönheiten ber alten Götter⸗ 
welt hing, mußte ſich aufgefordert fühlen, das Ghriftenthum auf Tod und 
Leben zu bekämpfen. 

Den Haß des Volkes gegen die Chriften fhürte vollends das Intereffe 


der Priefter, deren Anſehen zu jhwinden drohte, deren Tempel immer ſpär⸗ 


lichere Weihgefchenke und Opfergaben eintrugen, fowie die Gewinnfucht der 
Goeten, Magier, Gaufler, welde immer fchlechtere Geſchaͤfte machten. 
Diefen Haß nährten auch die Beforgniffe der Künftler und Handwerker, 
welche Götterbilder oder fonft Gegenftände des Luxus verfertigten und nur 
durch das Aufkommen des Heiligentienfied und eined glänzenden Cultus 
unter den Ehriften allmälig getröftet werden konnten; ihn unterflügte endlich 
die Habſucht vieler Großen, welche gar zu gern das Vermögen der Ehriften 
einzogen, fowie die Raubluſt des Pöbels und feine Sucht, recht viele Gegen- 
flände öffentlicher Hinrichtungen zu gewinnen. 

Seit Nero's Tode Hatte die chriftliche Kirche fih 26 Jahre Tang 
‚(68— 94) ungeftört im Reiche ausgebreitet, da flörte der Argwohn Domis- 
tians, zu deflen Ohren das Gerücht von dem kommenden Reiche Chriſti in 
arobfinnlicher Auffaffung gelangt war, den Frieden der Kirche durch den 
Befehl an die Statthalter aller Provinzen, die Chriſten als Weinde des 
Reichs zu verfolgen. Unter ihm ward ber römifche Biſchof T. Flavius 
Clemens, ein Neffe Veſpaſtans, den die unächten „ Clementinen ” als einen 
Schüler tes Petrus bezeichnen, als „Atheiſt“ enthauptet. Es kam den 
ChHriften wohl zu Statten, daß fie von allgemein gehaften Unmenſchen, wie 
Nero und Domitian, verfolgt worden ; denn auf die Ermordung Beider folgte 
auch für ſie, wie für Die übrigen geplagten Unterthanen, eine Zeit der Ruhe. 
Men ein Tyrann mißhandelt, der fommt dadurch flet3 in einen beflern Auf. 
Erft der treffliche, aber dem alten Götterglauben ohne philofophiiche Skru⸗ 
pel ergebene Trafan verfolgte die Chriften aus Grundfag, als Sole, Die 
fi gegen göttliche und menſchliche Majeftät auflehnten ) und bem erneuten 
Verbote geheimer. Gefellichaften zuwider fortfuhren, durch ihre Firchliche Ge— 
meinfchaft einen Staat im Staate zu bilden. Trajan erkannte, wie tief auch 
das alte Staatöleben vom alten Götterglauben durchdrungen fei, wie Die 
Aufrechthaltung der bürgerlichen Ordnung nicht allein von der obrigfeitlichen 


4) Die Chriften weigerten fich naͤmlich, den Bildniſſen verflorbener oder lebender 
Kaifer die vorgefchriebenen Ehren zu erweiſen, verlagten aber fonft den bürgerlichen Ge⸗ 
horfam keineswegs, nahmen auch an feinen Smpörungen theil. 


- 


173 


Gewalt, fondern auch von dem Slauben der Völker an die Götter als 
Schirmer des Staats von jeher abhängig geweien, mit. wie gutem Grund 
endlich wichtige Staatshandlungen ftetd von religiöjen Geremonten begleitet 
oder oft durch Drafel der Götter geleitet worden waren. Deßwegen fchien 
ihm das Wohl des Staated von der Aufrechthaltung des Väterglaubens 
ungertrennlich und jeder Angriff auf den letzteren ein Verbrechen gegen bie 
Öffentliche Wohlfahrt. Mit feinem Breunde Plinius dem Iüngern, damals 
Statthalter in Pontus und Bithynien, vereinigte fih Trajan dahin, Die 
Ehriften jollten nicht aufgefucht, aber auf eine mit der Unterfchrift des 
Klägers verſehene Klagefchrift hin verhört und, wenn fie den Göttern nicht 
opfern wollten , beftraft werden 5). 








5) Das 10. Buch der Spifteln des Plinius enthält feine Korrefpondenz mit dem 
Kaiſer. Der 96. (97.) diefer Briefe ift eines der merfwürdigften Documente über das 
Urchriſtenthum und über das Verhalten der römischen Staatsgewalt zu demfelben. 
Plinius Schreibt: — „Bis jetzt Habe ich es bei denen, welche mir als Chriften angegeben 
wurden, auf folgende Weife gehalten. Ich fragte fie, ob fie Epriften wären? Wenn 
fie geſtanden, fragte ich fie zum zweitens und brittenmale, und drohte ihnen mit der 
Todesftrafe ; wenn fie beharrten, ließ ich fie Hinrichten. Denn ich war überzeugt, daß, 
was e8 auch fei, was fie eingeflanden, wenigftens ihr Ungehorjam und ihre unbeugs 
fame Hartnädigfeit geftraft werden müfle. Andere, welche von demfelben Wahnfinn 
angeftecft waren, babe ich ‚weil fie römifche Bürger waren, aufzeichnen laffen, um fie 
nah Rom zu fenden. Bald zeigten fi) nun, weil fich das Verbrechen wie gewöhnlich 
durch die Verhandlung verbreitete, mehrere Gattungen beflelben. Ich erhielt eine 
Schrift ohne Namen, die das Berzeichniß vieler Namen enthielt, welche läugneten, 
Ehriften zu fein, oder je geweſen zu fein, und welche, indem ich ihnen das Gebet vors 
ſprach, die Götter anriefen, und deinem Bilde, das ich zu diefem Endzwede mit den 
Bildniſſen der Götter hatte bringen laſſen, mit Wein und Weihrauch-opferten, auch 
außerdem Ehriftum läflerten: Dinge, zu welchen, wie man fagt, die ächten Ehriften 
nicht gezwungen werden können. Diefe nun glaubte ich loslaſſen zu fönnen. Andere, 
von einem Angeber als Ehriften angegeben, befannten fich als Chriften, läugneten es 
aber bald wieder : fie feien es geweien, haben es aber wieder aufgegeben, einige vor 
drei Jahren, einige vor mehreren Jahren, einige fogar vor zwanzig Jahren. Alle 
beteten dein Bild und bie Bildniffe der Götter an, auch fluchten fie Ehriftus. Sie 
behaupteten aber, ihre Schuld und ihr Irrthum habe hauptfächlich darin beftanden, 
daß fie an einem gewiflen Tage vor Tagesanbruch zufammengefommen jeien und Chris 
flus, als einem Gotte, zu Ehren unter einander ein Lied gefungen, und ſich durch 
einen Cid, nicht zu einem Verbrechen, fondern dazu verbunden haben, feinen Diebs 
ſtahl, einen Raub, keinen Chebruch zu begehen, ihr Wort nicht zu brechen, fein 
Hinterlegtes Qut auf Verlangen abzuläugnen ; hierauf feien fie gewöhnlich auseinander 
gegangen und nur zu einem Allen ohne Unterfchied gemeinfamen, jedoch unfchuls 


474 


Daß Die Edicte Trajans und Domitians fortwährend in Kraft blieben, 
jegte die Chriften auch unter günftiger geſtimmten Kaifern vielfachen Miß- 
Handlungen aus. Defto weniger blieben die von Trajan angeordneten 
Rechtsformen in Kraft. Der Iegte Ueberreft republikaniſcher Freiheit fchien 
fh unter Hadrian, feinem Nachfolger, dadurch geltend machen zu wollen, 
daß das Volk, wenn es um die Arenen oder ſonſt bei öffentlichen Feſten ver⸗ 
ſammelt war, mit tobendem Gebrüll die Hinrichtung der Chriften forderte, 
und fie meift auch erhielt. Diefer ſchandbaren Lynchjuſtiz, welche befonders 
in Kleinaften und Griechenland geübt wurde, machte Hadrian erft auf bie 
Borftellung des Profonjuld Granianus hin ein Ende. Sie kehrte wieder 
unter Markus Aurelius, dem Philofophen, der als Stoifer dem Unfterblich« 
feitöglauben ber Ehriften feindlich war und außerdem Trajans Stagtsmaximen 
buldigte. In Smyrna und Galiien begann die Verfolgung mit öffentlicher 
Mißhandlung der Ehriften durch den heidnifchen Pöhel. Die Obrigkeit trat 
niemals ernſtlich dagegen auf, wenn ſie auch einige Ordnung in die Schlädhs 
terei zu bringen wußte. "Unter Septimius Severus gelangte Die Lynchiuſtiz 
in Afrika zur Blüthe, fowie er, früher ein Beſchützer der Chriften, das Ver- 
‚bet erlaſſen Hatte-(i. 3. 202), zum Chriſtenthum oder Judenthum über⸗ 
zutreten. Den Zwiſchenraum der Ruhe bis auf Derius unterbrach nur dir 
turze Verfolgung unter Mariminus, ber die Chriſten haßte, weil der fonft 
fo grauſame Garacalla, fein Vorgänger ,. ihrer gefchont hatte. Die unter- 
befien an Ausdehnung mächtig gewachſene, aber im Geifte vieler ihrer Glie⸗ 
der gefchwächte Kirche traf 250 ein harter umfafjender Schlag durkh das 
Ediet des Derius, alle Chriſten follten auf einen beftimmten Termin vorges 
laden und aufgefordert werden, die gotteödienfllichen Bräude der Staatd- 
zeligion zu verrichten. Die fih Weigernden follte man mit ber Folter 
zwingen, die Hartnädigen Hinrichten.. Nun begann der Pöbel die Häufer 
der Chriften zu erbrechen, zu plündern, zu verwüflen und die Geächteten 
ſelbſt unter Mißhandlungen vor den Richter zu fihleppen. Der Schreden 
und die Qualen brachten Viele zum Abfall, eine Thatſache, welde die da⸗ 
digen Mahle wieder zufammengefommen ; was fe jedoch nach einem Edicte, in welchem 
ich deinem Befehle zu Folge die Privatvereine verboten hatte, aufgehört haben zu thun. 
Um fo nöthiger hielt ich e8 aber, von zwei Eflavinnen, welche Diakoniffinnen genannt 
‚wurden, bie Wahrheit durch die Folter zu erforſchen. Sch entdeckte aber Nichts als 


einen verkefeten und ungemefienen Aberglauben, und vo bie foͤrmliche Unterſuchung 
auf, um deine Beſehle zu vernehmen, u | 


176 


maligen Kirchenlehrer nicht fchmerzlich genug beflagen zu künnen meinten. - 
Weſentlich aus gefälliger Nachgiebigfeit gegen den heidniſchen Volkshaß ver⸗ 
folgte dann Gallus die Chriften (252). Die Chriſten hätten, als eine ver⸗ 
heerende Seuche hereinbrach, die öffentlichen Gebete und Opfer an die 
Götter mitmahen follen. Ihre Weigerung erneute im Bolt den alten 
Wahn, der beionderd zu Trajand Zeiten unter den ungebilveten Ständen . 
herrſchend geworden zu fein ſcheint, um der Ehriften willen jende der Götter 
Zorn Hungerönoth, Seuchen, Dürre, Ueberſchwemmungen, Erdbeben, 
Kriegeunglüd. Je mehr nun das Reich fanf und Die Kirche wuchs 6), um 
fo entfchiedener ward auch von Gebildetern alles öffentliche Linglüd den 
Chriſten ald Erregern des Götterzornes beigemefien. Daß ließ fih auch der 
altersihwache Balerian von dem Agyptifchen Zauberer Macrianıd weismachen 
und die Verfolgung wüthete, bis der greife Schwachkopf zum Fußſchemel des 
perfifchen Königes Sapor geworden. Sein Sohn Gallienud machte der 
Verfolgung durch förmlichen Erlaß ein Ende. Unter Gallus und Balen« 
tinion hatte die allgemeine Stondhaftigfeit der Gemarterten gezeigt, ‚in der 
decifchen Verfolgung ſei die Spreu einftweilen vom Korne gefoben. — Die 
legte große Chriftenverfolgung, welche nur durch das jchonende Verfahren 
des Cafard Konftantinus Feine allgemeine ward, hatte flatt unter dem Kaifer 
Diocletian, der, von den Caäſar Galerius überredet, durch jein Verfol⸗ 
gungsedict das Chriftenthum gänzlich zu vertilgen fuchte. Beſonders hatte 
es dies Edicet auf Vernichtung der Bibeln abgejehen. Sklaverei verhängte 
es über die Chriften niedern Standes, zerftörte alle Breiheitshoffnung chriſt⸗ 
liher Sklaven, nahm den Chriften alles Klagerecht und damit den richter⸗ 
lihen Schuß, entfegte die vornehmern Ehriften aller Würten und Aemter, 
Wiederholte Feuersbrünſte in jeinem Palaſt, von Galerius, hierin einen 
zweiten Nero, den Chriſten aufgebürbet, bewogen Diocletian zu noch fchär« 
ferem Verfahren, bis endlich das Edict erging, alle Chriften mit den äußer⸗ 
ſten Mitteln zum Opfern zu nöthigen. Uber ſchon waren die Zeiten ded 
allgemeinen Chriftenhafles vorüber und zuletzt erlahmten alle Werkzeuge der 
Reaction im Kampfe gegen die hriftliche Revolution. Dabei Tönnte es auf⸗ 
fallen, daß meift nur die vergleichungsweiſe trefflichiten Imperatoren bie 
Chriſten verfolgten, während Narren und Ungeheuer, wie ein Eommobus, 


6) Diefes Wachſen bezeugt mehr ale alles Andere die begendariſche Uebertreibung 
in den auf uns gelommenen Berfolgungsberichten., 


176 - 


ein Heliogabal und Baracalla, ihrer fhonten, wenn das nicht daraus leicht 
fih erflärte, daß eben nur die guten Kaifer von der antiken Staatsidee er- 
füllt waren und diefelbe aufrecht zu erhalten fuchten. 


.5. 


Durch den unermüdlichen Belehrungseifer feiner Bekenner hatte fich 
das Chriſtenthum ſchon zu Tertullians Zeiten (Anfang des 3. Jahrh.) von 
einer Gränze des Mönerreiches bis zur andern, ja weit über diefelben hin⸗ 
aus bis unter Die Germanen einerfeitö, die Perſer und Armenier ander 

ſeits, verbreitet. Dazu half die Blüthe des Handeld und Verkehrs, wie 
der Eriegerifche Marich der Legionen gegen die überallher drohenden Feinde 
des Meiches. Auch innere Gründe wirkten mehr und mehr zur Ueberhand- 
nahme der neuen Religion mit. Die Standhaftigkeit ihrer Bekenner unter 
den Verfolgungen konnte ihres moraliſchen Eindrucks auf die Heiden nicht 
verfehlen. Die Gebildeten unter den Letzteren wurden einestheils durch die 
Bemühungen der chriſtlichen Apologeten, bon welchen wir in dem Kapitel 
‘über die chriftliche Wiffenfchaft reden werden, überzeugt oder anderntheils 
durch die tugendhafte Lebensführung vieler Ehriften gewonnen. Auf bie 
Maflen dagegen wirkte anziehend der Befig der Wunderkraft, in welchem die 
Kirche angeblich ſich befand und nicht weniger jener mächtige Zug, welchen 
eine im Siegen begriffene Sache ftet8 auf die Menge übt. Endlich hatte 
das Chriftenthum noch den großen Bortheil, daß es der im römifchen Welt- 
reih bis zur Monftrofität gefteigerten polytheiſtiſchen Berbrödelung und 
Berfahrenheit gegenüber als ein wohlgefügter Organismus daftand. 

Zunächſt zwar dauerte nad Diocletians Abdankung die Ehriftenver- 
folgung im Orient fort, bald jedoch flimmte eine tödtliche Krankheit den 
Galerius milder. Sein Nachfolger in der Herrfchaft des Oftens, Marimin, 
wollte eben die Verfolgung erneuen, als er im Kampfe gegen Licinius, ben 
einen der beiden Herrſcher des Weftend, umkam. Licinius, der das ge= 
meinfchaftlich mit Konftantin verfündigte Toleranzedict feinerfeitß gebrochen, 
ward von Xepterem gejchlagen und ber Herrſchaft beraubt. Als Allein- 
herricher verfündigte nun Konftantin Glaubens⸗ und Gewiſſensfreiheit im 
ganzen Reiche (324), wie er fie früher in Gallien aufrecht erhalten, fo 
lange er nur dieſe einzige Provinz beherricht hatte, 

Man bat über die Beweggründe Konflantind zu dieſem Schritte, fowie 
zu feiner jtetS größeren Begünftigung der Ehriften im Verlaufe feiner Re» 


—— 0 


# — 


177 
gierung vielfach hin und her geftritten. Geſchichtlich erweisbar ift nicht, 


daß feine Mutter Helena ſchon vor 324 eine Chriftin geweien und ihn in 


der hriftlichen Religion habe erziehen laſſen. Bon noch geringerer hiſtori⸗ 
fcher Bedeutung, d. h. von gar Feiner, iſt auch die befannte, von Euſebius 
erzählte Legende, Konftantin jei zum Chriftenthum befehrt worden dadurch, 
daß ihm vor der Enticheidungsfchlacht gegen Kicinius am Himmel ein ſtrah⸗ 
lendes Kreuz erichienen ſei mit der Umſchrift: „In hoc signo vinces.“ Die 
biftorifchen Motive für Die Bekehrung des Imperatord liegen nicht im Bes 
reiche der Mythen. Konftantin mochte durch die zahlreichen Chriften am 
Hofe feined Vaterd die neue Religion Tennen, -ihre Anhänger achten gelernt 
haben. Seinem Regentenblicke fonnte die Macht der chriftlichen Partei und 
deren Bedeutung für jeine Plane, die Bürgfchaft tiefer Unterthänigkeit, 
welche in der hriftlichen Lehre vom duldenden Gehorfam gegen die Obrig- 
feiten lag, die fleghafte Gewalt der Begeifterung, welche daͤs Beldzeichen des 
Kreuzed feinen zahlreichen chriſtlichen Kriegern erwecken mußte, nicht ent« 
gehen. Darum erklärte er ſich zum Schirmherrn der Ehriftenheit. Auf 
der andern Seite konnte ihm aud nicht. verborgen bleiben, daß die Ehriften 
nod in der Minderheit wären und daher die Heiden nicht geradezu in ihrer 
Religion gefränkt werden durften. Endlich jchwankte fein eignes Gemüth 
noch immer zwifhen chriftlichen und heidniſchen Vorftellungen. Deswegen 
blieb er Anfangs bei dem Grundfage allgemeiner Duldung ftehen, behielt 
die Würde eines Bontifer Marimud bei, verordnete fogar ein regelmäßiges 
Befragen der Haruſpices und empfing die hriftliche Taufe erſt Furz vor fei« 
nem Tode. 


6. 


Das Chriſtenthum war durch Konfltantin Staatsreligion geworden, 
ohne daß er es förmlich dazu erklärte. Die Duldung nämlich umfaßte alle 
Religionen und ſchloß nur entjchieden unſittliche Culte aus; aber den Vor⸗ 
zug hatte das Chriftenthum vor den übrigen Religionen des Neiched, daß 
der Kaiſer ſelbſt fih zum Schirmherrn Firchlicher Nechtgläubigkeit aufwarf, 
indem sr nicht nur die Synode von Nicaͤa zufammenberief, fondern auch 
ihren Schlußnahmen feine förmliche Genehmigung ertheilte und den Gehor⸗ 
ſam gegen biefelben bei Strafe der Verbannung befahl. Durch diefe Stel- 
lung zur oberften Staatögewalt ermuthigt, im Begriffe, gegen Anders⸗ 
denfende unter den Chriſten ſelbſt aller Duldſamkeit zu entjagen, ward bie 

Scherr, Geſch. d. Religion. IM. 12 


T78 


faum zuvor verfolgte Kirche von Berfolgungsgelüften gegen bad Heiden- 
thum ergriffen. Die erflen Schritte Konflantind gegen das Heidenthum 
waren Der Art, daß fle den Heiden jelbft nicht auffallen fonnten, da der rö⸗ 
mifche Senat und etliche Kaiſer früberhin Aehnliches gethan. Gr verbot 
alle Wahriagerei, mit ihr die Orakel der Götter, zerfiörte phönikiſche Tem⸗ 
pel wegen unzüchtigen Götterdienfted und ſchaffte die Prieſter des Nil ab. 
Zur Bersubung vieler griechiſchen und aflatiichen Tempel aber ftanden ihm 
Bischöfe und chriſtliche Beamte bei, mit jenem Eifer, welchen früher die Hei⸗ 
den in Beraubung und Zerflörung chriſtlicher Kirchen an den Tag ges 
legt. Nachdem dad Beifpiel des Kaiſers die Menge der Unentſchiedenen, 
Grundſatzloſen und mit der Religion Speculirenden für das Chriſtenthum 
gewonnen batte, durfte fein Sohn Konſtantius bereits wagen, bie Schlie⸗ 
ßung der heidniſchen Tempel zu befehlen und die „Götzenopfer“ bei Strafe 
der Hinrichtung und Confiscation zu verbieten. Freilich konnte dies Edict 
wegen der noch immer vorhandenen großen Menge der Heiden einſtweilen 
nicht durchgeführt werden. Auch hatte Konſtantius, und dies thaten nad) 
ihm noch ſechs Kaiſer, den Titel eines Pontifer Maximus ebenfalls ange⸗ 
nommen, ja es geduldet, daß der Senat ſeinen Vater Konſtantin nach deſſen 
Tode unter die Götter verſetzte. Solche Inconſequenz trug begreiflich Vie⸗ 
led dazu bei, die Kraft des genannten Edictes zu lähmen. Die arianiſche 
Spaltung war ein weitere Hinderniß der völligen Untertrüdung des Hei- 
denthums, deſſen Anhänger durch gewaltiames Verfahren zu erbittern fich 
jede der kirchlichen Parteien ſcheute. 

Unter der Regierung Juliand des „ Abtrünnigen * machte dad Heiden-- 
thum feine legten Anftrengungen, dem Chriſtenthum den Sieg zu entreißen. 
Die Unthaten feiner Faiferlichen Verwandten hatten, im Bunde mit pfäffi« 
ſchem Zwang, ſchon die Kindheit dieſes Fürften gegen das Ehriftenthum er- 
bittert.. „Der Nomantifer auf dem Throne der Cäfaren*1) erblickte dem 
Chriſtenthum gegenüber das Heidenthum im idealifirenden Lichte einer gro⸗ 
Ben Vergangenheit und fuchte durch Neformirung des Tegtern den Lauf der 
Geichichte aufzuhalten. Die Ehriften zwar wagte-er nicht offen zu verfolgen, 
aber er verbot ihnen, in den Schulen zu lehren, .entfernte fie aus öffentlichen 
Aemtern und Würden, befahl ihnen, die zerflörten Tempel wieder herzu⸗ 


4) Unter diefem Titel hat, wie Jedermann weiß, D. Fr. Strauß die Iulian’fche 
Reaction mit feinfter Ironie Harafteriftrt. 


179 


fellen, die dazu gehörigen Schäge und Grundflüde wieder zurüdzugehen, 
ſchenkte den heitnifchen Prieftern die feit Konftantin der Kirche beflimmten 
Unterflügungen aus den Staatdeinnahmen, verbot die Bermächtniffe zu 
Gunſten der Kirche und ihrer Diener und würdigte Die riftliche Hierarchie - 
auf alle Weile herab. Dieje Verordnungen riefen einerfeits Gewaltthätig⸗ 
Feiten des heidniſchen Pöbeld, andererſeits vielfache Empörungen der Ehris 
fen hervor. Julian war nahe daran, dad Neich in allgemeinen Bürgerkrieg 
zu ſtürzen, al8 ihn der Todesſpeer eined Perſers -mitten if feiner thatenrei- 
en Laufbahn unterbrah 2). Sein Nacjfolger Jovian befannte ſich ſofort 
Öffentlich als Chrift und hob ſämmtliche Edicte Suliand auf. Dagegen er« 
ließ er zu Gunften der übrigen Religionen. ein allgemeines Toleranzedict, 
von defien Wohlthaten nur die Magie ausgenommen war. Auch Valenti- 
nian hielt den Grundfaß allgemeiner Toleranz aufrecht und ließ nur Die 
unzüchtigen Urten des Götterdienftes, fowie im Einverfländniß mit den aufs 
geflärteften Heiden, die nächtlichen Opfer nicht mehr zu. Gegen die, aller⸗ 
dings vielfach in verhrecheriiche Praktifen (Liebestränfe, Giftmorde u. ſ. w.) 
audgeartete Magie jedoch erhob er eine fo allgemeine und graufame Verfol⸗ 
gung, daß man diefelbe den Hexenprozeſſen Fühnlid an die Seite ftellen 
Rarf, 

Balend, der Bruter und Mitregent Valentinians, verfolgte in ſei— 
nem Gebiete die Athanaflaner, und man fah das merkwürdige Schaufpiel, 
wie ein heidnifcher Minifter dieſes Kaiſers fich die Gunft der Artaner durch 
Grauſamkeit gegen ihre Mitchriften erwarb. MUeberwältigt von dem Ein- 
fluffe der chriftlichen Geiftlichfeit, befonders des Biſchofs Ambroſtus von 
Mailand, vernichtete endlich der Kaifer Theodoflus die Macht des Heiden- 
thums vollftändig. Nachdem der römiſche Senat, bisher feiner Mehrheit 
nach den alten Göttern ergeben, nun aber durch die Anwefenheit des Theo⸗ 
doſtus eingefchüchtert, mittelft förmlichen Beſchluſſes den Göttervater Jupiter 
und die Seinen abgefegt hatte und das Verbot des alten Götterdienftes von 
dem verfammelten römifchen Volke angenommen worden war, erhob fih im 
ganzen Reiche ein wahrer Verheerungsſturm gegen die Tempel und Götter 
bilder, nicht felten unter dey Anführung hriftlicher Bifchöfe. Hier und da, 
3. B. in Ulerandrien, vertheidigten die Heiden ihre Heiligthümer mit Erbite 
terung, doch überall vergebens. Leider verfchonte die barbarijche Wuth bes 

2) 3. 3. 363. 
12% 


180 


Erzbiſchofs Theophilus von Alerandrien nicht einmal die berühmte Biblio⸗ 
thek der Ptolemäer, wie denn das Chriſtenthum in ben erften Beiten feines 
Triumphes einen wahrhaft blödfinnigen Vertilgungsfampf gegen die herr⸗ 
lichen Vermaͤchtniſſe der antifen Kunft und Poefte entwickelte. Der Moͤnchs⸗ 
geift ließ fich Damals in dem ganzen Glanze feiner Stupidität fehen. Doch 
fehlte e8 in dieſer Götterbämmerung alles Schönen zum Glück auch nicht an 
rühmlichen Ausnahmen. 

Bis zur Regierung des Juſtinian wahrte das Heidenthum feine legten 
Lebensfunken bauptfählic in den neuplatonifchen Philoſophenſchulen. Die 
Philoſophen, obſchon fle zuerfl den alten Glauben untergraben, follten feine 
legten Bertheidiger fein. Das Chriſtenthum hatten fie befämpft weſentlich 
aus Abneigung gegen alle Bolföreligion, wohl auch, weil es nidt in ihre 
hergebrachten Denkformen bineinpaßte. Die Unedleren ihrer Zunft hatten 
fogar den Fanatismus des heidnifchen Pöbels gegen die Ehriften gehetzt. 
Nun aber waren fie längft wieder friedliche, unſchädliche Gelehrte geworden, 
wandelnde Ruinen einer vergangenen Beit. Dennoch ſchloß Juſtinians 
graufamer Befehl ihre Schulen zu Athen, wo fie noch eine Nachblüthe er» 
lebt Hatten (529). . Somit durfte man zu einer Zeit, wo die Chriſtenheit 
großentheild ſchon wieder heidniſch geſinnt war, wenigftens nicht mehr 
heidniſch denken. 


7. 


Indem wir das Chriſtenthum in ſeiner Verbreitung außerhalb der 
Grenzen des römiſchen Reiches verfolgen, müſſen wir in die Zeiten vor 
Konſtantin zuruͤckgreifen. In Perſten ſoll ed vor Ende des 2. Jahrhunderts 
Eingang gefunden haben. Ungeachtet ihm dafelbft die feftgegliederte Prie⸗ 
fterfafte der Magier, feit 227 auch eine neu belebte, an Monotheismus freie 
fende Religion gegenüberfland, war es doch zu Konftantind Zeiten jo weit 
verbreitet, Daß der perfliche König von einer Verfolgung nur dur Konſtan⸗ 
tins mächtiged Fürwort abgehalten werben fonnte. Im A. Jahrhundert 
ſtanden die faft in ganz SBerfien verbreiteten Chriflengemeinden unter dem 
Metropoliten von Seleucia. Aber der Umſtand, dag ſeit Konflantin das 
Chriſtenthum in dem benachbarten Armenien das Uebergewicht errungen, 
bie enge Verbindung der perfifchen Chriften mit der römischen Reichskirche, 
deren Kaiſer jo häufige Kriege gegen Perflen führten, und die Unduldſam⸗ 
keit der Magier erregten ebenjowoh! das Miptrauen als den Religiondeifer 


der perſiſchen Könige, fo daß von 343 an eine faft ununterbrochene Verfols 
gung begann. Nur die von den orthodoxen Kaiſern verfolgten Sekten fan« 
den Schuß bei der perſiſchen Politif, fo Die Magufäer und Manichäer. Auch 
in dem, 429 eroberten Armenien wurden die Ehriften von den Magiern ver⸗ 
folgt. Das Ehriftentbum in Perften jelbft unterlag fammt der Religion 
der Magier erft dem flegreichen Islam. — Gibbon nimmt an, das Chris 
ſtenthum fet in Aethiopien erft ſeit Konftantin mir Erfolg verfündet wor« 
den; doch beutet die Erzählung der Apoftelgeichichte von der Belehrung des 
Känmererd aus Aethiopien Darauf, das Chriftentbum habe ſchon während 
des 1. Jahrhunderts Einfluß in Aethiopien gewonnen, was. fi um fo eher 
annehmen läßt, als fein Erfolg in diefem Lande gar nicht von dem Einfluß 
ber römifchen Katjer abhängig war. Dagegen vermochte das Beilpiel Kon 
ftantind die Könige von Armenien und Iberien, dad Chriftenthum anzuneh⸗ 
men. Arabien beſaß während der drei erften Jahrhunderte nur wenige Ehri« 
” flengemeinden. Späterhin theilten fich dafelbft die alte Nationalreligion, 
das Chriftentbum und das Judenthum in die Herrichaft, bis Mohammed 
auftrat. | | 
Im 4, Jahrhundert war das Chriſtenthum in Britannien herrſchend 
geworden. Don hier aus verbreitere (um 430) der Brite Patric! daſſelbe 
in Irland, Columba unter den Pikten in Hochſchottland (um 535). Die 
Ungelfachfen, deren Invaflon das Ehriftenthum nad Wales und Northum⸗ 
berland zurüdgedrängt, wandten ſich demſelben nur zögernd zu, feit der Kd- 
nig Ethelbert von Kent durch Miſſionäre Gregors ded Großen fi hatte 
befehren laſſen. Die Zugeftänpnifle diefes fchlauen Kirchenfürften, welde 
ber lebenefrohen Sitte der Angellachfen gemacht wurden, fchjeinen nothwen⸗ 
Dig geweien zu. jein, um Diefen germanifchen Stamm nicht von vornherein 
abzufhreden. Daß die Kelten in Gallien, Britannien und Irland daß 
Chriſtenthum ohne dergleihen Zugefländniffe und jchneller angenommen 
hatten, als die Angelſachſen und fpäterhin die Sachſen felbft, mag wohl 
barauf zurüdzuführen fein, daß der Druidismus einerjeitd dem Chriſten⸗ 
thum verwandte Elemente in fid entwidelt hatte, andererjeitö aber jeine 
foziale Organifation ſchon zu verrottet war, um eines bedeutenden Wider⸗ 
flandes fähig zu fein. 
Unter den germanifhen Stämmen waren jedod die Gotben die Erften, 
unter welden fidy das Chriſtenthum verbreitete. Da einestheils der Glaube 
an eine Bortdauer nach dem Tode fih bei ihnen am hödften ausgebildet 


181 


182 


hatte und fe anderntheil® die beleibigte Gottheit nur durch Menfchenepfer 
recht verföhnen zu koͤnnen meinten, fo waren fle für: dad Evangeliun vom 
am Kreuze geopferten und wieder aufgeflandenen Chriſtus unſchwer zu gr» 
winnen. Unter den heidnifchen Katiern Valentinian und Gallienus (253 
— 268) hatten fle viele CHriften aus dem Reiche gefangen fortgeführt und 
waren bereits in großer Zahl von denfelben befehrt worden. Die Beichlüfie 
des nicäniichen Goncils unterzeichnete unter Andern auch ein Biſchof der 
Gothen, Namend Theophilus. Unter den aus Kappadocien weggeführten 
chriſtlichen Gefangenen hatte ſich auch Ul fila (Wulfla — Wölfle) befuns 
den. Dieſer, um 348 zum Biſchof geweiht, hat das Meiſte zur Ausbrei⸗ 
tung und Befeſtigung der chriſtlichen Religion unter den Gothen gethan. 
Er überſetzte die heilige Schrift ins Gothiſche, ſich eifrig bemühend, für die 
neuen Ideen den entſprechenden Ausdruck zu finden 1). Er war es auch, 
der die gothiſchen Chriſten zum Arianismus leitete, ein böchſt folgenreicher, 
zum Theil unheilvoller Schritt. Die Niederlaffung der Gothen in Möſten 
anter dem arianifchen Katier Valens befeftigte fle im Arianiemus. Zu 
Anfang des 5. Jahrhunderts hatte das ChriftentHum unter den Weflgotben 
(diefe nämlich find unter den bisher allgemein genannten Gothen zu vers 
ftehen) vollftäntig geflegt und auf ihren Groberungszügen befehrten die 
Meftgotben auch ihre Stammverwandten, die Oftgokthen in Pannonien, 
ebenfo die Burgundionen, Sueven und VBandalen. Don diefen ſämmtlich 
arianiſchen Stämmen verfolgte nur einer die Athanaflaner in den erober» 
ten Provinzen, naͤmlich die Bandalen unter Genſerich nach der Eroberung 
von Nordafrika. 

Die Hriftfihe Lehre von der Dulpfamfelt und der Großmuth, tie — 
freifih vergeblih — Streiche mir Streichen zu vergelten verbietet, wider⸗ 
ftand ter flreitbaren Sinnesmweife der Germanen höchlich. Sie mußten das 
Her erfl erfahren, daß wenigftens die Kirche es mit Dfefer Lehre keineswegs 
fo buchſtaͤblich nahm, mußten erft durch der chriſtlichen Weſtgothen glänzende 
Siege überzeugt werden, daß der Ehriftengott ein ſtarker Sort und daß Hel⸗ 


1) Die Bruchſtuͤcke diefer gothiſchen Bibelüberfekung, aufbewahrt in den Codex 
argenteus zu Upfala, in dem Codex Carolinus zu Wolfenbüttel und in einem Codex 
der Ambrofana zu Mailand, And uns Deutfchen, audy ganz abgeiehen von ihrem Ins 
halt, heilig. Denn, wie befannt, bilden fe das ältefte Denkmal unferer Sprache, 
find die Urquelle deuticher Sprachwiſſenſchaft. Ausgabe von Gabelentz unt Löbe, 
Altenburg und Leipzig 1836. Ausg. von Mafmann, Stuttg. 1856. 


183 


venrubm auch Vekennern des Kreuzes zu: erringen möglich fiel. Aus dem⸗ 
felben runde hatten die Yranfen, obwohl ihrer viele ala Söldner der römie 
fchen Caͤſaren fich befehrt Hatten oder von den chriſtlichen Bewohnern: er+ 
oberter Ranüfiniche befehrt worden waren, ihrer großen Mehrheit nach am 
Hribenthum:feftgehalten, bid angeblich das erfolgreiche Gebet ihres Helden⸗ 
königs Ehlodiwig in der Schlacht bei Tolviacum (Bülpid) fie ebenfalls von 
der Obmacht des Chriftengotted überzeugte (406). Den König taufte- ber 
Erzbiſchof Memigius von Rheims 2). Dem Beifpiel des ftegreichen Fuͤrſten 
und feines Volkes folgte ein großer. Theil der durch jene. Schlacht unterwor⸗ 
fenen Alemannen ; ihr füdlicher Theil jedoch; der zwiihen dem Rhein und 
den. Alpen wohnte, ward erſt durch irifche Milflonäre, Bridolin (A. 514), 
Gallus und Columban (feit 614), für das Chriſtenthum gewonnen. Baly 
nach ihrer Belehrung zum Ghriftenthum überhaupt wurden die Rongebarben 
durch den Einfluß ihrer Königin Theodelinde, der Verehrerin Gregors Des 
Großen, zum Athanaſtanismus binitbergesogen (600). 


8. 


Unter. dem Schutz der fraͤnkiſchen Könige, als bevollmädtigter Apoftel 
Gregors des Großen, verbreitete Winfried oder Bontfactud das Chriſten⸗ 
thum zwiichen Rhein, Donau, Saale und Unftrnt. Als Burgen des neuen 
Glaubens errichtete er Klöfter, von: benen aus Geſittung und bie friedliche 
Beichäftigung des Aderbaues unter den: Reubelehrten verbreitet wurden. 
Ebenfo trefflich erwielen fich die Klöfter in der Naͤhe der Grenzen ald Bor 
burgen gegen. dad Heidenthum. Ueberall organifirte Bonifacius Landes» 
firhen und unterwarf diefelben dem apoflolifhen Stuhl, 
als deſſen Gtelfsertreter er felbft von Mainz aus, mit der Würte eines 
Erzbifchofs bekleidet, die deutſche Kirche regierte. Der „Apsflel’der Deuts 
ſchen“ ward 755 von den heibnifcdyen Briefen -bei feinem zweiten Bekehrungs⸗ 
verſuch erichlagen 1). Erſt nach ihrer Unterwerfung dur die Franken ber 
kehrten ſich die Frieſen. 


2) Die Franken nahmen das athanaſianiſche Bekenntniß an. Ihre Siege und 
Eroberungen trugen das Meifle zur allmaͤligen Unterdruͤckung des Arianiennre: bei. 

1) Bunfen, zu defien unbebingten Verehrern ich übrigens nicht gehöre, hat, wie 
mirfegeint, in feinen „Zeichen der Zeit” E, 78 fg.) die beſte, weit parteiloſeſte Würs 
digung der Wirkfamfeit des-Bonifacius gageben. 





184 


Bis dahin waren alle heidniſchen Völker, die fich befehrt Hatten, durch 
ganz friedliche Mittel für das Chriſtenthum gewonnen worden. Wit Karl 
denm Großen beginnen die gewaltfamen Bekehrungen, weldye von der gefun- 
kenen geiftigen Kraft der Kirche das fprechendfte Zeugniß geben ). Bevor 
wir zur Erzählung berjelben vorgeben, vergegenwärtigen wir uns raſch bie 
hohe Bedeutung der Völkerwanderung für die Ausbreitung tes Chriſten⸗ 
thums. Daß diefe ungeheure Umwälzung, die Völkerwanderung, gerade 
dann eintrat, als das Chriſtenthum den Sieg im römifchen Weltreich errun- 
gen hatte, öffnete diefer erobernden Religion ein Feld der Wirkfamfeit, wel⸗ 
ches ihr fonft ganz oder größtentheils verfchloffen geblieben wäre. Die Bes 
flegten mußten felbft ihre Befleger dem Chriſtenthum unterwerfen: fo woll 
ten es die Weltgeſchicke. Hinwieder ſollte das verdorbene Weſen der Römer 
und Griechen an der unverdorbenen Jugendfriſche der Germanen ein Mi⸗ 
ſchungselement empfangen, welches ſich kraͤftig genug erwies, das ſchon ent⸗ 
artete Chriſtenthum vor gaͤnzlichem Verſinken zu bewahren und, durch die 
neue Religion befeelt, eine neue Welt an der Stelle der zufammenflürzenden 
zu geftalten. Das Chriſtenthum, weldes die ſchlummernden Keime des 
deutfchen Geiſtes zu den herrlichſten Entwidlungen wedte, bat Die germani⸗ 
ſchen Stämme zu Herrſchern Europas, ja des ganzen Erbballd, erhoben. 
Es Hat die Abneigungen ber Nationalitäten gemildert und alle Völker, 
welche die große Wanderung mit ihm in Berührung brachte, mit Ausnahme 
der Hunnen, mit den Bewohnern bes römifchen Weltreiched zu einer Fa⸗ 
milie zu verbinden verſucht. 


9. 


Der Erfte, welcher mit dem Schwerte zum Glauben an den Gekreuzig⸗ 
ten befebrte, war Karl der Große, der mächtige Branfenfaifer. Ihm, der 
durch paͤpſtliche Weihe das abentländiiche Kaiſerthum in feiner Perfon bat 
erneuen und auf den fränkftichen Herrfcherfiamm übertragen lafien, ſchien es 
doppelte Pflicht, fi nicht nur als Schirmherrn, fondern auch als Mehrer 
und Förderer der Kirche zu bewähren. Der Beſchimpfung des bimmlifchen 
Königes durch, Gögendienft”, fo weit fein Arm reichte, ein Ende zu machen, 
paßte gar wohl zu feinen auf Errichtung eined germaniſch⸗römiſchen Kaifer- 


3) Es fol damit nicht gefagt fein, von da an feien alle Belchrungen gewalts 
fam vor ſich gegangen ; aber wir werten von nun an beren genug antreffen. 


j 185 


% 

thums geridgteten Groberungsplanen. Zudem begriff er die nivellirende 
Macht des Chriſtenthums jehr gut: kein ſtärkeres Mittel gab es, den flarren 
Nationalgeiſt der Sachſen zu beugen. Schon vor feiner Kaiferfrönung 
hatte er daher die Sachen mit Gewalt zu befehren gefucht, aber erft drei 
Sabre nachher (803) war ihre Unterwerfung und Außerliche Belehrung voll» 
endet. Wie gewaltthätig er bei feinem Bekehrungswerke verfuhr, ift in je⸗ 
dem nicht gar zu einfeltig pfäfflihen Schulbuch des Breiteren zu Tejen 1). 
Wenn man aber dieſe fchlächtermäßigen Bekehrungen betrachtet, fo kann 
man daraus lernen, wie tief dad Chriftenthum binnen acht Jahrhunderten 
von feiner idealen Höhe herabgefunfen. 

In Skandinavien wehrte theils die Eriegerifche Wildheit ber. Bewohner, 
theils die Höhere Ausbildung bed germanifchen Religionsſyſtems dad Chri⸗ 
ſtenthum am längften unter allen. germanifhen Stämmen ab. Jütland, 
Dänemark, Schweden und Norwegen empfingen die erfien Keime des neuen 
Glaubens durch Die unermüdliche und unerfchrodene Thätigkeit des Ans⸗ 
garius, eines Mönches aus dem Kloſter Corvey. In Daͤnemark gelangte 
das Chriſtenthum zur Herrſchaft unter Knut dem Großen (1015 — 1030), 
welcher die daͤniſche und britiſche Krone auf feinem Haupt vereinigt hatte. 
Sauptfächlich von England aus ward das Miſſionswerk auch in Norwegen 
und Schweden mit Eifer fortgefegt. In beiden flegte das Chriſtenthum 
um ‚die Mitte des 12. Jahrhunderts. In Island, der Heimat: der Edda, 
erhob fih das Kreuz im 11. Sahrhundert durch norwegiſche Chriften, gleiche 
zeitig in dem feit 972 bevölferten Grönland. Die Belehrung Böhmens 
war mittlerweile (Ende des 9. Jahrh.) von der griechischen Kirche aud bes 
gonnen worden. Die römiſch⸗ germaniſche Kirche vollendete aber erſt feit 
dem politifchen Anſchluß Böhmend an Deutfhland (10. Jahrh.) die Aus⸗ 
rottung des bortigen Heidenthums und gewann dadurch Böhmen für fich; 
ſpaͤterhin ebenfo das von Böhmen aus befehrte Polen. In beiden Ländern 
hatte das Beifpiel der Fürſten dem Chriſtenthum Bahn gebrochen. Dafjelbe 
war der Val in Rußland. Da Mohammedaner, Juden, griechifche und 
römische Chriſten den Großfürſten Wladimir (fl. 1045) mit Bekehrungs⸗ 
verſuchen bedrängten, fanbte er zehn feiner verfländigften Unterthanen in 


1) Neben Karl dem Großen hat ſich unter den Völkern germanifhen Stammes 
durch graufamen Befchrungseifer befonders der König Olaf Tryggvafon von Norwe⸗ 
gen den Namen eines Heiligen erworben. 


186 


verſchiedene Länder, um alle bie cancursirenden Meligiowen genau zu vruͤfem 
Dir griediihe Cultus beſtach das Urtheil diefer Asgefandten am meiften, 
duher der Großfürſt mit ben -Bojaren des Meiches beichloß, man wolle fl 
ber. griechifchen Kirche zuwenden. Er zwang durch die Eroberung Cherfons 
den Kauiſer Bafllins IE, ihm feine Schweſter Anna zu vermählen. Nach 
Gewährung dieſes Wunſches nahm er ſammt feinem Bolt die Taufe im 
Dniepr. 

Seit 863 hatten griechiſche Rifftonäre and die Bekehrung ber Sla⸗ 
ben in Mähren begonnen ; zu Ende ded 9. Jahrhundertö war der eine der⸗ 
‚felben, Metbodius, bereitd? Oberbifchof von Mähren. Nach jeinem Tode 
wußte Rom auch diefe Provinz der griechifhen Kirche abzugewinnen. Die 
Bommern, Wilsen und Obotriten, unter denen ſich der Cultus des ſlavi⸗ 
fen Heidenthums am böchften ausgebildet hatte, widerſtanden ebenſo Hartz 
nädig den Waffen, wie den Mifftsnären Polens und Deutſchlands. Ends 
lich von Boleslav MI. unterfocht, ‚Tiefen fick die Bommern taufen (1128): 
Die übrigen Stämme der. Wenten beflegte und zwang zur Belehrung der 
Sachſenherzog Heinrich der Löwe, 1142 — 1162: — Im 9, Jahrhundert 
erloſch der’ ſchwache Reſt griechiichen: Heidenthums, welder fi unter ben 
Marnoten im Peloponnes erhalten hatte. Die feit 865 beflehende bulga⸗ 
vifche Kirche wurde ein Zankapfel zwiſchen Rom und Konfkantinopel. Im 
11. Jahrhundert  fiegte durch Stephan, den: erfien chriſtlichen Fürfien? ber 
Magyaren, das Chrifienthuum auch in Ungarn, Tem altrömiſchen Bannoniem 
Die Finnen unterwarf und nöthigte zur Belehrung. im 12. Jahrhundert 
Erich der Heilige, König von Schweden. Theils durch Schug gegen ihre 
Feinde, theils durch den Ritterorden der Schwertbrüder, den Biſchof Als 
brecht von Riga. 1.202 geftiftet, am wenigften dur das Evangelium, wur⸗ 
den big 1211 auch die Bewohner von: Lievland und Eſthland, letztere zus 
gleich mit: Hülfe der Dänen, befchet. Die Preußen angehend; waren: feit 
dem 10, Jahrhundert an ihrem: Mßtrauen alle Bekehrungaͤverſuche geicheis 
tert. Sie hatten Gelegenheit geamg gehabt, zu bemerken, um was fir höchft 
weltticher Zweche willen :polniiche und deutſche Fürften fib fe: eifrig um: ihr 
Gechonbeit: befämmerten.. Zulegt, ald fie wieder ein Blutbad unter ben 
Ehriften ihres Landes angerichtet hatten und in Polen eingebrochen waren, 
ließ ſich der. zu Hülfe gerufene deutiche Mitterorten 1226 Preußen ſchenken 
und führte bis 1283 gegen Died unglüdliche Wolf einen Vernichtungsfrieg, 
Durch Anlegung fehler Städte und Burgen und Herbeiziehung zahlreicher 


187 


veutſcher Eoloniften ward endlich die Chriſtianiſtrung Preußens erzwungen. 
— Dem litthauifchen Großfürften Sagello genügte die Hand der polniſchen 
Thronerbin, das Chriftentium anzunehmen, feinem Volke weißwollenes Ge⸗ 
wand ald Pathengeſchenk und dad Beifpiel feines Fürften, daffelbe zu thun 
(1386). Daß bei allen diefen Völkern ſelbſt wichtige heidniſche Bräuche 
Jahrhnunderte nach ihrer Befchrung fih erhielten, Darüber wirb ſich Niemaud 
wundern, ber bedenft, daß die Bekehrung zum Chriſtenthum jett Karl dem 

Gtoßen fehten mehr etwas Anderes war, als eine Pelzwaͤſche unter dem Her⸗ 
ſagen gewiſſer Formeln 2). 


10. 


Waͤhrend das Chriſtenthum, das Schwert als umgekehrtes Kreuz in 
der Hand, feinen Siegeszug durch Europa vollendete, erhob ſich gegen feine 
affatiichen und afrifanifchen Länder, fogar nah Spaniens Eroberung das 
mächtige Frankenreich bedrohend, das halbmondförmige Schwert des Islam. 
Has Refultat des großen Kampfes zwiſchen Chriftenthum und Moham- 
medanerthum, anf welden wir im 6. Buch zurikdfommen werben, war 
einftweilen die Herrihaft des Islam über die Hämushalbinſel, Kleinafien, 
SHrien, Arabien, Aegypten und Die ganze Nordküſte Afrikas, jedoch fo, daß 
in Aften etliche chriftliche Sekten, im europätfchen Thetl ded Reiches, befon⸗ 
Ders in Morra, die griechiſche Kirche ſich unter der urſprünglichen Bevölke⸗ 
rung erhielten. 








2) D. h. damit begnuͤgten ſich im der Regel die Bebehrer, welche wohl wußten, 
warum fie ihren Profelgten tas Joch des neuen Glaubens fo leicht und fanft als mög» 
lich zu machen ſich bemühten. Allein es wäre doc rein unbegreiflih, mie gerade die 
Germanen — tenn diefe haben wir hier vornehmlich im Auge — die eigentlichen welts 
Hiftorifchen Träger des Chriſtenthums bitten werden koͤnnen, wenn ben Außerlichen 
Bekehrungsgruͤnden und Belehrungsmitteln nicht hoͤchſt bedeutende innerliche zu Sülfe 
gelommen wären. Ich finde dieſe, abgefehen von ber germanifchen „Innerlichkeit” übers 
haupt, insbefondere in den Aehnlichkeiten zwifchen altgermanifch-heidnifchen und chrifts 
liben Dogmen. Den „flarfen und eifrigen Gott“, ben jüdiſch⸗chriſtlichen Jehova, 
konnten die Germanen, welche den Jorn der Goͤtter durch „Manblot“ (vgl. Thl. 1, 

S. 341) zu fühnen gewohnt waren, unfchwer fich gefallen laſſen. Dee chriſtliche Teu⸗ 
ſel entforad, ganz gut ihrem Loki, wie ihre Genien und Helden den chriſtlichen Heiligen 
entiprahen. Die Wunder Odhins und Thorrs machten ihnen auch die Ehrifti glaubs 
haft, die Lehre von ber Unfterblihfeit der Seele war ihnen von Haufe aus geläufig 
und dad Dogma vom füngften Gericht konnte ihnen ganz gut als eine Verfion ihres 
eigenen von der Goͤtterdaͤmmerung erſcheinen. 


9 


188 


Zum Erfah für jene Einbußen ſchloß aber die Entdedung Amerikas 
und die Findung des Seeweges nad Oftintien dem Ehriftenthum neue Ge⸗ 
biete befehrerifcher Ihätigfeit auf. Freilich merfien die Eingebornen Ame⸗ 
rifad bald, daß die neue, mit Gewalt ihnen aufgebrungene Meligion ihre 
Sklaverei zu verewigen beftimmt wäre. So gelang ed denn dem Fanatis⸗ 
mus der Spanier nur, die Azteken und Inkas zu vernichten, nicht aber, fie 
zu befehren. Nachdem die befehrungßeifrigen Dominikaner dies eingefehen 
hatten, errangen fie, den edlen Lad Caſas an der Spike, bie Losſprechung 
der Indianer von der Sklaverei, freilich mehr nur in der Theorie als in der 
Praris. Das Unglüd ihrer Brüter erregte bei den übrigen Stämmen ber 
Indianer fo großes Mißtkauen gegen die hriftliche Religion, daß ihnen auch auf 
dem Weg der reinften Milde wenig mehr beizufommen war. Nur den Jefuiten 
in Paraguay, welde Liſt und Milde mit weifer Berechnung der indianiſchen 
Gemüthsart verbanden, gelang es, daſelbſt eine blühende Golonie unter den 
Indianern zu gründen. Da wurden die hriftlichen Indianer zu fleißigen 
Arbeitern und guten Kindern, welche die Bäter Iefuiten wirflic lieb hatten, 
Die rohe Bauft der Staatögewalt, welde fpäter die Iefuiten ihres rothen 
Kindergartens in Paraguay beraubte, hat wieder Alles verdorben. 

Wie das Chriftentfum in China, Oftindien, Afrifa, kurz unter den 
Völkern beinahe aller Farben und Zonen im Laufe der geographiichen Ent« 
deckungen mehr oder weniger Eingang gefunden, kann hier nicht naher dar⸗ 
geftellt werden. Wir verweilen hierüber auf die Geſchichte der Miſſionen 
und begnügen uns, einige befonders Wichtige hervorzuheben. Um die Mitte 
des 16. Jahrhunderts Hatte der Jeſuit Xaver das Chriſtenthum in Japan 
gepflanzt. Daß er auch dort, mitten im Heidenthum, Roſenkraͤnze, Colibat, 
Mönche und eine Art Papſt vorfand, ſchien ihm anfänglich eine Nachaäffung 
des Chriſtenthums durch den Teufel!). Bald aber erkannte er, wie günftig 
biefer Umftand ber Verbreitung des römiſchen Chriſtenthums unter den Ja⸗ 
panefen wäre. Nach feinem Tode erhob fih, da die Iefuiten nur den aufe 
erftandenen, wohlweislich nicht den gefreuzigten Chriſtus predigten, die ja= 
panifche Kirche zu hoher Ausdehnung und Madıt. Aber zu früh zeigten bie 
Patres ihre Herrfchergelüfte, zu forglos ihre fleifchlichen Schwachheiten, fo 
daß ſich von 1587 an eine faft ununterbrochene Chriftenverfolgung erhob, die 








1) Ein Puritaner hätte daraus gefchloflen, die römifche Kirche Habe den Teufel 
nachgeahmt, vieleicht Hiftorifch richtiger, wenngleich ebenfalls unHöflich genug. 


® 


189 


mit Ausrottung des Chriſtenthums und der Sperrung Japans gegen das 
ganze Ausland endigte. 

Die katholiſche Miſſton Hat in neuerer und neuefler Zeit nach allen 
Himmeldgegenden bin eine fehr umfafjende Thätigkeit entwidel. Ob ihrer 
Anftrengung die Erfolge entfprechen, ift noch nicht zu entſcheiden. Dik pro⸗ 
teftantifche Miffton wetteifert mit ihr, ift aber weitaus in den meiften Fällen 
nur der Pionier engliicher und yankee'ſcher Handelgintereffen. In Wahre 
heit, der Welthandel ift der eigentliche Mifflonär unferer Tage und injofern 
er allmälig auch die entfernteften und roheften Völker des Erbballd in ben 
Bereich materieller Eultur Hereinzieht, muß er mit oder wider Willen, aud 
der Träger geifliger Bildung werden. Das Chriſtenthum, fo wie ed num 
einmal geworden, hat tieffte Schattenfeiten, aber feine Lichtfeite, feine civi⸗ 
liſtrende Macht, follte darob nicht überjehen werden. . 


11. 


Der äußeren Ausbreitung der hriftlichen Kirche entiprah ihr Ausbau 
im Innern. Mit ihrer Vergrößerung ward ihre Organifation immer com⸗ 
pltcirter und zugleich weltliher. Die Geſchichte der Kirchenverfaflung ftellt 
und die allmälige Entwidlung der Kirhenherrfchaft (Hierarchie) einer- 
feitö, die immer größere Ausartung der Kirhenzucht andererfeitd vor Au« 
gen. Die Darflellung der Iegtern wird daher den paffenden Uebergang zur 
Geschichte der Kirhentrennungen bilden. 

In der Gemeinde zu Jeruſalem, welche theild zur Beftreitung der Lies 
besmahle, theils zur Unterflügung der Armen, der Wittwen und Waifen 
unter ihren Gliedern eine aus freiwilligen Beiträgen gebildete Kaffe führte, 
beforgten zuerft die Apoftel die Leitung aller das Gemeinwefen betreffenden 
Angelegenheiten. Die Eiferfucht der helleniſtiſchen Glieder gegen die rein 
jüdifchen, betreffend die tägliche Armenbeforgung, veranlaßte die Apoftel, 
von der Gemeinde fieben Armenpfleger (Diakonen) wählen zu laſſen. 
Später mag eine Ähnliche Veranlaffung die Wahl von Gemeindeälteften 
EPresbytern) nah dem Vorbilde der jüdiſchen Synagogenverfaſſung 
hervorgerufen haben. Dieſelbe wird zwar in der Apoftelgefchichte nicht er⸗ 
zählt, aber (Rap. 11, V. 30) bereits voraußgefegt. Die wachſende Zahl 
ber Gemeindeglieder erforderte gebieteriich ſolche Arbeitötheilung in den 
Dienft des Wortes, dem die Apoftel, die äußere Keitung der Gemeinde, der 
die Preöbpter, und die Armenpflege, welcher die Diakonen vorftanden. Die 


480 


Erbauung der Gemeinde blich deſſenungeachtet nach wie vor ein Hecht Aller, 
die fich dazu getrieben fühlten, und mit dem Hirtenamte der Presbyter war 
die Ausübung eines bejondern Lehramtes noch nicht verbunden. Als eigent- 
liche Gemeinde vor ſteher, deren Verfammlung an der Stelle des Syne⸗ 
driums über die wichtigften Angelegenheiten entihied, galten (nach Apgſch. 
15, 6) nur die Apoftel und Presbyter ; die Diakonen waren bloße Kirchen 
diener, wie ſchon ihr Name anzeigt. | 

Die heidendriftlichen Gemeinden empfingen weſentlich diefelbe Ber» 
faflung ; doch Fam unter ihnen zuerſt die Bezeihnung der Xelteften ald Aufs 
feher (Erioxonos, Biſchöfe) auf, ein unter den Griechen und Römern 
zur Bezeichnung politifcher Aemter fehr gebräuchlicher Name. Zu fünmts 
lihen Gemeindeämtern wurden Die Gewählten durch, Handauflegung und 
Gebet eingeweiht, um ihnen ‚dadurch Die zu jegendreihem Wirken nothwens 
digen Geiftesgaben (Charismen) zu verfchaffen. Dies war die priefterliche 
Ordination in ihrem Keime. Noch während der apoftolifchen Zeit wurden 
auch Brauen dem Dienft der Gemeinde gewidmet und zwar ald Diakoniſ— 
fen, welche die Armen ihres Geſchlechts zu beforgen hatten. 

| Noch während der apoftolifden Zeit wurde mit der wachienden Zahl 

des Gemeindeglieder die Lehrgabe teltener, jo daß die Gemeinden hei der 
Mahl von Presbytern wefentlih auf Lehrbefähigung Rückſicht zu nehmen 
anfingen. Im 2. Jahrhundert war die Firchliche Rede und mit ihr die Ver- 
waltung der Sacramente bereitd Borrecht der Kirchenvorfieher geworden ; 
deswegen erſchienen diefe ald von heil. Geift beſonders Begabte, demnächſt 
ald von Gott befonderd Bevorzugte oder Erwählte und wurden daher mit 
dem Gefammtnamen Kleru8 bezeichnet im Gegenjag zum übrigen Ehriften- 
volfe, den Laien (von Auog scil. Feod, Volk Gottes). Durch ſolche 
. Erneuerung des altteftamentlichen Prieſterthums erhielt erft die feierliche 
Handauflegung ihre Bedeutung ald Ordination, d. h.. Aufnahme in den 
geiftlihen Stand. 

Eine Behörde, wenn fie zu tücdhtiger Gefhäftsführung befähigt jein 
fol, bedarf immer eined Vorſitzenden, der ihre Verhandlungen leitet. 


1) Klerus, vom griechifchen xAngos, bezeichnet eigentlich das 2008, unter Hin- 
weifung darauf, daß Gott durch das Loos die Erwählung des Matthias zum Apoftel 
fundgegeben. Apoftelgefh. 1, 26. „Wem Gott Berftand giebt, dem giebt er das 
Ant.” Später ward daraus: „Wem Gott das Amt giebt, dem giebt er auch Ver⸗ 
fand.” \ 


191 


Griftiged Uebergewicht und Organiſationstalent machen ſich aber zulegt in 
allen Behörden geltend. Daher kam ed, daß unter den Presbytern, welche 
Anfangs wahrſcheinlich abwechſelnd den Berfig führten, nah und nad die 
Sitte auffam, dem ausgezeichnetſten Mitglied den beftäntigen VBorfig zu üben 
teagen. Dieſes, da feine Aufſicht am meiften in Anſpruch genommen wurde, 
ward ſchlechthin der Auffeher, Biſchof genannt, ein neues Amt, welchen: das 
Intereffe der kirchlichen Einheit im Kampfe gegen. dad Heidenthum immer 
mehr Obliegenheiten und Rechte übertrug. Anfänglich wurden die. Bifchöfe 
von.den Preöbptern, ipäter von den andern Bilchöfen durdy Handauflegung 
geweiht, zuvor aber von ihrer Gemeinde gewählt. Ihnen allein ftand bie 
Firmelung, die Ordination, die Einweihung ber Heiligthümer, die Verwal⸗ 
tung der kirchlichen Einfünfte zu. 

Das Verbot ded Paulus, rivatfireitigfeiten vor beidnifche Richter zu 
bringen, hatte den Presbytern richterliche Gewalt über die Gemeindeglieder 
verichafft. Diefe ging nun ebenfalls auf die Bifchöfe über, ‚dauerte aber, 
was die Laien anbelangt, natürlich nur bis zur flaatlichen Anerkennung des 
Chriſtenthums. In Angelegenheiten von hoher Bedeutung hatten die Bi⸗ 
fchöfe Rath und Einwilligung der Presbyter einzuholen. Als Nachfolger 
der Apoftel und Stellvertreter Chrifti war jeder Biſchof in feiner Gemeinde 
Gott allein verantwortlich, von feinem auswärtigen Bilchof abhängig. Dap 
jedoch das Anjehen der Bifchöfe um fo höher ftand, je größer ihre Gemein- 
den waren, liegt in der Natur der Sache. 

Bis zum Ende ded 3. Jahrhunderts hehielt die Gemeinde dem Klerus 
gegenüber das Mecht der Ercommunifation und Wiederaufnahme, der Bis 
fchofswahl, der Beftätigung vom Bifchof getroffener Preöbyterwahlen und 
der Begutachtung in wichtigern Dingen. Da die Leitung der Gemeinten, 
verbunden mit dem Lehramt, immer jchwieriger ward, fo wurde auch den 
Diakonen Antheil an den kirchlichen Functionen gegeben und wurden fie in 
Folge deſſen ebenfalld durch Ordination des Biſchofs in den Klerus aufge 
nommen. Die Weiterentwicklung des Cultus erforderte ſodann auch die 
Aufftellung niederer Kirchenamter, der Oftiarien, Lectoren, Exorciſten und 
Akoluthen 2). Auch die Unterbiafonen in größern Städten gehörten dieſem 
niedern Klerus an. Ein Auffteigen durch diefe Stufenleiter der Hierarchie, 
welches praftiich geübte Kirchenvorfteher bildete, fand Häufig ſtatt. Aus 


2) Thuͤrhuͤter, Borlefer, Tenfelsbeichtwörer und Aufwärter. 





192 


der freien und vertsauliden Berathung einzelner Biſchöfe über die im 
2. Jahrhundert allmälig ſtaͤrker hervortretenden Lehr⸗ und Kirchenzuchtſtrei⸗ 
tigkeiten, zugleich im Hinblid auf die Apoftelverfammlung zu Ierufalem, 
und weil das Anſehen der dortigen Wutterfircye mit ter Zerflörung der 
heiligen Stadt erloſchen war, entflanden zu Anfang tes 3. Jahrhunderts 
die Provinzialignoden, an welchen die Bifchöfe der jeweiligen Hauptſtadt den 
Borfig führten. In den öffentlich gehaltenen Sigungen diefer Synoden 
flimmten die Biſchöfe, biöweilen unter Zuzug von Presbytern und Confeſ⸗ 
foren, über Angelegenheiten der Kirchenlehre und Kirchenregierung nad 
freiem Ermefien ab. Dadurch wurde die Einheit des Glaubens, des Cul⸗ 
tus und der Berfaffung gefördert, aber zugleich den Bifchöfen der Provinzials 
hauptflädte (Metropoliten) ein überwiegendes Anfehen gegeben, wel⸗ 
ches ihnen fpäter zur Herrſchaft über die Biichöfe der betreffenden römiſchen 
Provinz verhalf. Im 3. Jahrhundert Hatten die Metropoliten von Ans 
tiochien, Alerandrien und Rom bereitd überwiegenden Einfluß auf die ganze 
hriftliche Kirche, ja der römifche Bifchof erfreute ſich des größten Anſehens, 
weil die Sage ihn zum Nachfolger des Apofteld Petrus erhob und die Welt« 
fladt auch in den Gemüthern der Chriftenheit Gefühle der Ehrfurcht wach 
erhalten hatte. 


12. 


Konftantin I. war es abermals, von deflen übel angewandtem Eifer 
die weitere Ausbildung und Verſchlechterung der chriſtlichen Hierarchie aus⸗ 
ging. Die Bereicherung der Kirche und ihrer höhern Diener durch ihn 
legte den Grund zu jener Geldgier, welche von nun an dem Geifte des 
Chriſtenthums ebenfo mächtig ald flörend entgegentritt. Kat auch die Wii- 
tenfchaft jene Eonftantinifche Schenkung an den römifchen Bifchof Sylveſter J., 
in weldyer ganz Italien und andere Provinzen des Abendlandes enthalten 
geweien fein follen, als eine der keckſten Bälfhungen, welche fih Rom je= 
mals erlaubte, nachgewiefen, fo ſteht doch feft, daß Konflantin eine jährliche 
Steuer zu Eirchlichen Zweden anordnete und allen feinen Unterthanen gefeß- 
lich erlaubte, ihr ganzes Vermögen der Kirche zu vermachen. Berner, daß 
er in jeder Stadt des Reiches regelmäßige Getreidelieferung für die chriſt⸗ 
lichen Armenfonds anwies, die Bifchöfe jelbft mit reichlihen Geldipenden 
unterflüßte und, zumal den römifchen Bifchof, mit großem Grundbeſitz aus⸗ 
flattete. Bisher waren für die Armen, für den Unterhalt des Gotteödien- 


193 


ſtes und der Geiftlichen immer nur freiwillige Steuern der Gläubigen "ges 
floffen. Man hatte diefelben von jeher als Gott dargebrachte Opfer betrach⸗ 
tet und Jeder hatte eine Ehre darein gefeßt, den Andern an Breigebigkeit 
zu überbieten. Daraus entwidelte fich fodann der Glaube an eine Ver⸗ 
dienftlichfeit folher Opfergaben vor Bott, welche mit dem Werthe derfelben 
in Verhaͤltniß flehe, und fo glaubte denn Konftantin die Yehlgriffe feiner 
Regierung, feine Tyrannei, feine gewiſſenloſe Politik und feine Laſter durch 
defto höhere Freigebigkeit gegen die Kirche und ihre Diener abbüßen zu koͤn⸗ 
nen. Derfelbe Wahn trieb eine Vielzahl der ferbenden Begüterten zu 
den reichſten Vermächtnifien, der lebenden zu Schenfungen an die Kirche. 
Je weiter im Verlaufe der Zeiten das Heidenthum zurüdgebrängt wurde; 
deſto mehr bereicherte fich Die Kirche mit den Ländereien, Einkünften und 
Schaͤtzen der verödeten oder zerflörten heibnifchen Tempel, Gegen Ende 
des 5. Jahrhunderts wurde aber durch gefegliche Beflimmung dad Einfom- 
men jedes Bisthums in vier Theile zerlegt, deren erfler dem Biſchof, ter 
zweite der niederen Geiftlichkeit, ‚der dritte Den Armen, der vierte dem öffent» 
lichen Gotteödienft zu gute Fam. Die Befreiung des Kirchenguted von der 
Staatöfteuer (Immunität) erſtrebte fhon die Synode von Ariminum ; 
doch der Kaiſer Konftantius ging auf das ungereimte Anfuchen nicht ein. 

Die hriftliche Hierarchie, welche in den Tagen der Verfolgung der 
Kirche Einheit und Kraft zum Widerftande gegen die Staatögewalt verlie- 
ben, bildete, fobald Konflantin das Chriſtenthum unter den Schub des Ge⸗ 
fees geftellt hatte, einen nun anerkannten Staat im Staate. Ihre Ber- 
faffung trat unverändert ein in die Reichsverfaſſung, ja Konſtantin erhöhte 
das Anfehen der Biichöfe durch die ihnen erwiefene übertriebene Ehrfurcht 
und beging außerdem den großen Fehler, die fortan unnöthig gewordene 
Gerichtsbarkeit der Biichöfe felbft in weltlichen Angelegenheiten anzuerfen- 
nen. War ed zwar von Konſtantins Zeiten an den Laien auch erlaubt, vor _ 
den weltlichen Richter zu treten, fo durften Doch die Bifchöfe nur von Ihres⸗ 
gleichen, bie Klerifer nur von ihren Bifchöfen gerichtet werben und der welt 
liche Richter war gehalten, die Urtheile dieſer geiftfichen Richter zu voll⸗ 
ziehen). Oft diente die geiflliche Gerichtsbarkeit dazu, ber Verfolgung 
Andersdenkender Nachdruck zu geben. 








— 


1) Man wollte dadurch die Vergehungen der Geiſtlichen vertufchen, um Seandal 
zu vermeiden. Konſtantin kannte dieſe Abſicht wohl und ging darauf ein mit der 
Scherr, Geſch. d. Religion. II. 13 


14 


Die raſche Aushreitung des Chrißenthums frit Konflantin trug weient« 
fi zur Entftehung folder Bisthümer bei, welche ganze Provinzen umfaß⸗ 
ten. Das Met der Bifchofswahl blieb dem Volke, in Verbindung mit dem 
nieberen Klerus, noch geraume Zeit, nur verhinderte dies nicht, daß von 
den Bandidaten der Bifhofswürde hie und da die verwerflichfien Mittel, wir 
3. B. Beſtechung und Intrigue gegen ihre Mitbewerber, mit Erfolg ange⸗ 
wendet wurben. Ie mehr das Kirchenwefen in ber Hierarchie Form uud Ger 
ftalt gewann, deſto Iehhafter fühlte man das Bedürfniß, die. kirchlichen 
Rechtagewohnheiten und Befege nieberzufchreiben. So entflanden zunädft 
die apoftoltifhen Conſtitutionen, deren erſte 6 Bücher Das Kirchen⸗ 
techt des 3. Jahrhunderts enthalten. Im A. Jahrhundert wurden fie nad 
den geänderten Rechtöverhältniflen eingerichtet und wurde ihnen daß 7. und 
8. Buch beigefügt. Geſetzliche Geltung erhielten aber die Gonftitutionen 
niemals, wohl aber zu Anfang des 6. Jahrhunderts die 50 erften. Artikel 
der apoftolifhen Canones, welche aus den Eonftitutionen und den 
Synodalbeſchlüfſen des A. Jahrhunderts zuſammengeſetzt worden. Unter 
Juſtinian wurden dann die kirchlichen Gefetze, ſoweit fie zu Staatsͤgeſetzen 
erhoben waren, unter die Inſtitutionen, Pandekten und 168 Novellen“ 
des großen Corpus juris aufgenommen. 


13. 


Dem Kirchenrecht ber germanifchen Völker drüdte das eigenthümlich 
germanifhe Lehnsweſen (Feudalismus) fein beionderes Siegel auf. 
Sowohl berechnende Bolitit als werkheilige Frömmigkeit bewpg Die ger 
manifchen Zürften, den Biſchöfen Land und Leute zu verleihen und bie 
Biſchöfe weigerten ſich nit, die alte, durch das Chriſtenthum im römischen 
Reiche wenigftend theoretiſch abgethane Schmach der ‚Sflaverei durch ˖ den 
Befitz von Leibeigenen zu erneuen, Seit die Klöſter ald Burgen der Kirche 
jenfeit8 der Alpen fo hohe Bedeutung gewonnen, empfingen aud ihre Aebte 
- Land und Leite zu Lehen, Dadurch wurden fie fammt den Bifchöfen Va⸗ 
fallen ihres Lehnäheren. Zu den Einkünften diefer Güter gejellie ſich nach, 
und nach der Zehnten, der endlih unter Karl dem Großen zum Staatd- 
gefeg erhoben wurde, nachdem feine göttlihe Einſetzung mit dem unermüd⸗ 
lichſften Eifer aus dem Alten Teftament nachgewiefen worten war. Die 


Öffentlichen Erklärung, „er würde, follte er felbfl- einen Bifchof am Chebruch ertappen, 
feinen £aı lichen Mantel über den Sünder breiten ! !“ 





190 


Mahl der Bischöfe ging vom Könige ober auf befien Vorſchlag von Klerus 
und Laien aus. In Cieilſachen anerfannten Bilhöfe das Königliche Bericht, 
in peinlihen Brozefien wurden fie von Ihreögleichen gerichtet. In ihrem 
Gebiet übten fie eigene Gerichtsbarkeit und waren fleuerfrei, jebosh von ber 
Heeresfolge nur perfönlich, nicht in Bezug auf ein zu ſtellendes Contingent, 
ausgenommen !); inter den fränkifchen Königen übten die Grafen bie 
peinlihe Gerichtsbarkeit auch über die Unterthbauen der Biſchöfe. Ws 
Kronvafallen hatten die Biſchöſe Sig und Stimme auf den Meichötagen,. 
weil dajelbft geiftlihe und weltliche Angelegenheiten verhandelt. wurden. 
Diefe Verhältniſſe knüpften zwar die Kirche enger an den Staat, ver» 
lichen ihr aber dafür um,jo Höhere weltliche Macht. Als fpäterhin ber 
Stant der Gemeinfreien immer mehr vom Adel unterdrücdt wurde, üben 
gaben Tauſende ihr Gut den Biſchöfen und Klöflern und empfingen es hin⸗ 
wieder von ihnen zu Lehen, weil. in jenen Zeiten barbarlidher Gewaltſam⸗ 
feit der Schwächere noch am meilten Schuß von der. Kirche erwarten konnte, 
von ber Kirche, die, fo verderbt fie auch bereits fein mochte, damals doch die 
einzige Macht war, welche wenigſtens einigermaßen die Sache der Humanität 
vertrat. Die Erhebung der päpftlihen Macht konnte aber das Vaſallen⸗ 
serbältniß der Biſchöfe und Aebte nicht ungetrübt laſſen. „Kein Knecht 
kann zwei Herren dienen“, ſteht geichrieben. Daher mußte ed, ale erſt 
die Tiara in Mom feffaß, zwiſchen Bapft und Kaiter zu Auseinanderfegungen 
über dad Verhältniß zwifchen der geiftlichen und weltlichen Gewalt. kommen. 
Dies führt uns auf die Entflehung des Bapfttbumd, . 


14. 


Auf der Synode zu Nicäa waren die allmälig erworbenen Metropofi- 
taurechte der Bifchöfe zu Rom, Antiodien und Ulerandrien förmlich aner« 
kannt worden, fo namlich, daß man dem römifchen, Bifchof ald dem Nach⸗ 
folger des Betrus.da8 oberite Unfehen unter den Dreien zugefland. Biſchof 
Damafus (366— 384) erhielt vom Kaifer zuerfi dad Recht, Streitigkeiten 
außerhalb feiner Diöcefe Ichlichten und Appellationen gegen den Ausſpruch 


— — —— rn — 


1) Wie Jedermann weiß, machten aber im Mittelalter viele Bifchöfe und Achte 
von ihrer perfünlichen Befreiung vom Kriegspienft feinen Gebrauch. Im Gegentheil, 
biefe Prieſter der „Religion der‘ %iebe und Duldung“ gehörten oft zu den tapferften 
Haudegen, zu den erbarmungstofeiten Gengern und Brennern. Ueberhaupt läßt ich 
auf Chriſti Lehre eine ſchaͤrfere Satire nicht denken, als dag Mittelalter war. 

13# 


196 


anderer Metropoliten annehmen zu dürfen. Nachdem jedoch Konflantin das 
reigend gelegene Byzanz zur eigentlichen Hauptftadt feines Meiches erhoben 
und ihm feinen Namen verliehen, erhob das Concil von Konftantinopel den 
Biſchof der neuen Mefldenz ebenfalls zum Metropoliten mit dem Range bed 
zweiten im Reiche und demfelben Vorrecht, welches der roͤmiſche Bifchof be⸗ 
ſaß. Bon da an firitten fi die Bifchöfe von Mom und Konftantinopel um 
die Oberherrſchaft, die von Alerandrien und Anttochten traten ihnen gegen 
über zuräd und firitten ſich felbander um ba8 höhere Anichen. Um nun 
den Brundfag der Gleichheit unter den Metropoliten nit aufzuheben, wur⸗ 
den die von Rom, Konftantinopel, Alerandrien und Antiochien zu Erz⸗ 
bifhöfen erhoben, eine Würde, welche im 5. Jahrhundert den früher allen 
Bilhöfen zufommenden Namen des Patriarchats erhielt. Die Gewalt⸗ 
thätigfeit des Dioscurus von Ulerandrien gab dem Goncil zu Ehalcedon 
Beranlaffung, ihn abzufegen und dadurch dem Uebergewicht Alerandriens 
über Antiochien ein Ende zu machen. Die Eroberungen der Araber endlich 
benahmen beiden Patriarchen die Möglichkeit, ihr Anſehen fürberhin gegen 
die von Hom und Konftantinopel geltend zu machen. 

Ohne fih auf die Spigfindigfeit der byzantiniſchen Theologie, welche Die 
Blaubenshändel jener Zeit hervorrief, tiefer einzulaffen, nahınen die römi- 
ſchen Biſchöfe mit ſchlauer Politik vorwiegend ‘Partei gegen Diefenigen von 
Konftantinopel, vertheidigten daher das athanaflanifche Bekenntniß gegen 
das arlanifche und erndteten die größten Vortheile vom Siege des Athana⸗ 
flanismus. Rühmten fie ih auch, nur vom Kaiſer felbft gerichtet werden zu 
dürfen; fo ſchien ihnen doch ein weit größerer Ruhm, ſich in geiftlichen 
Dingen felbft vom Kaiſer unabhängig zu behaupten. Das bewiefen fie den 
arianiſchen Kaifern gegenüber, und erhöhten dadurch ihr Anfehen in den 
Augen ber rechtgläubigen Welt. Ueberall fandten fe ihre Vicarien bin, 
Appellationen an den römiichen Stuhl zu "bewirken und gute @elegenheiten 
zur Einmifhung in fremde Händel auszufpähen. Kräftig unterflügten ſie 
ihre Sreunde, welche ihren Beiftand durch Bugeflänpniffe erfauft hatten. 

Den Ausſpruch Chriſti, weldher Simon ald den Feld der Kirche bes 
zeichnet hatte, auf die angeblichen Nachfolger ?) des Stmon Petrus beziehend, 
trat Leo der Große am gewaltigften mit den monarchifchen Anſprüchen des 


4) Ob Petrus uͤberhaupt jemals in Rom geweſen, iſt noch ſtreitig; daß er da⸗ 
ſelbſt die Biſchofswuͤrde bekleidet habe, dafuͤr hat man keinen einzigen hiſtoriſchen Be⸗ 
weis und alle Wahrſcheinlichkeit ſpricht dagegen. Die Sage von Petri Biſchofthum 


197 


römischen Stuhls auf die gefammte chriſtliche Kirche hervor. “ Er unterwarf 
fi} die von den ariantichen Bandalen bebrängte afrifanifche Kirche, machte 
fein ſchiedsrichterliches Anſehen über die Kirche Balliend geltend, bewog 
Balentinian III. zu dem Geſetz, welches die höchſte richterlihe und geſetz- 
gebende Gewalt in der Kirche dem römtichen Stuhl übertrug, aber einfl« 
weilen nur im den noch nicht verlornen Provinzen des Abendlandes Geltung 
erlasıgen fonnte. Leo war es, der die Synode zu Ehalcedon durch feine 
Bicarien (Legaten) regierte; nur vermochte ex daſelbſt nicht zu hindern, daß 
dem Patriarchen von Konftantinopel Dienämliche Gewalt über die morgen- 
länd iſche Kirche ertheilt ward, die er ſelbſt durch Valentinian über Die 
abendländifcde erlangt hatte). 


15. 


Das abendländifche Kaiſerthum neigte fich immer mehr feinem. Unter⸗ 
gang entgegen. Eine Provinz nach der andern ging an die erobernden Ger⸗ 
manen verloren. Beft fland die Macht der Kaifer nur noch im Oſten; 
Rom und Italien blieben nicht felten bülflos fich felbft überlafien. Die 
römiſchen Bifchöfe nun, an Grundbeſitz, obrigfeitlicher Gewalt und mora⸗ 
liſchem Einfluß die Größten Italiens, waren e8, auf welche. fi in Zeiten 
der Hülflofigfeit Aller Blicke richteten, und nicht vergebend. Beſonders 
als die Longobarden Italien überſchwemmten, fchafften fie Geld, Truppen 
und Proviant zur Vertheidigung gegen dieje graufamen Dränger, Eauften 
Gefangene los und linderten nach beflen Kräften das allgemeine Elend. 
Dadurch erhob fich ihr Anfehen über dasjenige des fernen und ohnmaäͤch⸗ 
tigen Kaiſers. Zur Entihädigund für die gebrachten Opfer erhielt Gregor 
ber Große vom Kaifer die weltliche Gerichtsbarkeit über. jeine Grundfaflen, 
nebft dem Recht, die weltlihen Obrigkeiten in den Landſtrichen, wo 
St. Peters Patrimonien lagen, zu wählen!). Als fodann (726) zwifchen 





— — 


iſt offenbar erſt zu der Zeit entſtanden, als einzelne Biſchoͤfe ſich uͤber ihre gleichſtehen⸗ 
den Brüder zu erheben anfingen, alſo früheſtens im 2. Jahrhundert. 

2) Leo's Grifteshoheit und Beredtſamkeit Toll bekanntlich auch den Hunnen Attila, 
bie „Godegiſel“, zum Rüdzug aus dem zitternten Stalien vermocht haben. Der Zus 
fammenhang bes Creigniſſes iR freilich nicht ganz Har, indeſſen hat es das Anichen 
des römiichen Stuhles unzweifelhaft bedeutend erhöht. 

1) St. Peters Patrimonium (Erbe St. Betere) heißt der dem römischen Bifchof 
zugehörige Orundbefig. Durch diefen Namen fol das göttliche Recht auf befagtes 
Grundeigenthum bezeichnet werden. 








198 


Papft ) Gregor I. und dem Kaifer der Bilderſtreit entbrannte, nahm om 
und Italien, ſelbſt mit den Waffen, für Gregor Partei. Der Gtatihalter 
des Kaiferd wurde aus Mom vertrieben und der Papft als das weltliche 
Oberhaupt Roms und des dazu gehörigen, Bisher von dem Statthalter re= 
gierten Gebietes anerfannt. Es war aber natürlich nit bloß der Eifer für 
hie Bilder, was die Italiener zu folchen Schritten bewog. Ste wollten ih 
vornämlid von dem Drud tes Faiferlichen Steuerweiens befreien, Der 
Streit Gregors H. mit Leo dem Iſaurier bezeichnet den Anfang ber Epoche, 
da die Paͤpſte fich den germanifchen Fürften zuwandten. Gregor, obwohl 
er die Eroberungdpläne ded Longobardenkönigs Liutprand vereitelt Hatte, 
war der erfte Papft, welcher fih von einem germantichen Fürften, von Lint⸗ 
prand felbft, Orundeigenthum fchenfen ließ, und zwar ſolches, das dieſer 
Fürſt dem Kalfer weggenonmen. Gregor IM., wegen feindieliger Politik 
von Liutprand in Die Enge getrieben, rief den fränkifchen Hausmaler Karl 
Wlartell zu Hülfe, welder jedoch nur vermittelnd dazwilchen trat. Gregors 
Nachfolger, Bapft Zacharias, fchloß Frieden mit den Longobarden und ver⸗ 
pflihtete zugleihh den Hausmaier Bipin durch Entbindung von feinem 
Unterthaneneide gegen das meroningifche Königshaus dem römiſchen Stuhle. 
Pipin, um die Gewiſſensſkrupel feiner Franken zu beſchwichtigen, ließ fich 
von Bapft Stephan I. die königliche Salbung ertheilen und befreite ihn da⸗ 
für von der drohenden Macht des Longobardenkönigs Aiſtulph 3). Vergeblich 
forderte der oſtrömiſche Kaiſer Konflantin V. feine den Longobarten ent 
riffenen Provinzen zurüd; der Papſt erhielt von Pipin das römifhe Ducat 
nebft dem @rarchat von Ravenna und die Bentapolis. Dafür verkich 
Stephan, um ja nicht ald Bafall des Ffankenkönigs zu erſcheinen, biefem 
und feinen Söhnen den Titel eines römtfchen Patricius. Damit war bie 
Lostrennung des Papſtes von der Oberhoheit des Kaiſers von Oftrom vollendet. 


16. 


Maͤchtig förderte bie Weiterentwicklung des Papftthums jener Tag, 
da Bapft Leo IM. Karl den Großen zum römifchen Katier Frönte (Weihnacht 


2) Papſt (ndnas, d. i. Bater) bie der römifche Bifchof ſchon feit dem 6. Jahr⸗ 
hundert. 

3) Zwei Mal zog Birin beswegen über die Alpen. Das zweite Mal zögerte er 
fo lange, daß der heil, Perrus felbft vom Himmel her ihm einen Brief ſchiden mußte, 
bevor er fich zur Rettung des Bapftes aufmachte. 


289 


799). Nach der Theilung des ftaͤnkiſchen Reiches gerlerh zwar dad nette 
Kaiſerthum eine Zeit lang in Verfall; aber ſeit ſeiner Wiederherſtellung 
durch die Ottonen galt es für Pflicht jedes deutſchen Königs, die römiſche 
Kaiſerkrone zu erwerben. Mit den Ottonen begannen die verhaͤngnißvollen 
Nömerzüge. Bis auf Heinrich IV. nahm fein deutſcher König die Kaifer- 
krone ald eine Gabe des Papſtes an?).. Der Rampf dieſes uriglücklichen 
Fürften gegen Gregor VII. änderte die Verhaͤltniſſe. — Bevor wir bieſen 
Kampf betrachten, haben wir noch einige Veränderungen in der Stellung 
der Bifchöfe und Synoden anzuführen, und.auf Die „ Decretalen * bes Pſeu⸗ 
doiſidorus einen Blick zu werfen. 

Der Berfall der Föniglichen Gewalt nach dem Erlöfchen des Karolingere 
flamms hatte zur Bolge, daß die Bifchöfe vom König unabhängiger wurden, 
von ihm nur noch die Belehnung durch Ueberreichung von Ring und Stab 
(Inseftitur) empfingen und zum Heerbann ihr Gontingent fellen muß 
ten. . Als die natürlichen Buntesgenoffen des Königs (beziehungsweife des 
Katierd) gegen tie hohe Ariftofratie errangen fle auch die peinliche Gerichts« 
barkeit in ihrem Gebiet, melde früher die Grafen geübt hatten. — Die 
öfumenifchen Synoden, unter Konftantin als oberſte Behörde der ganzen 
Kirche entſtanden, hatten eigentlid) mit ber 680 81 zu Konſtantinopel 
gehaltenen ein Ende genommen. Im Widerſpruch gegen die factiſch einge⸗ 
tretene Trennung wurde die darauf folgende zu Nicda noch als fiebente öͤku⸗ 
menifche,, son der griechiſchen Kirche ſodann die zweite trirllanifihe, von det 
römijchen Kirche die zu Sardica als achte oͤkumeniſche geltend gemadt, 
Später hielt die römiſche Kirche ihre beſonbdern Synoden, namentlich die vor 
den Königen und Kaiſern berufenen, welche über Päpfte richteten ; dann bie 
fogenennten Lateran⸗Synoden ?), welche das päpftliie Anfehen ſelbſt über 
die Concilien erhoben und die Infallibilität Der letzteren auf die Päpfte über⸗ 
trugen. — Im 9. Jahrhundert wurde zuerft von den Dectetalen Pſeudoifidors 
Gebrauch gemacht. Im Vertrauen auf den damaligen Mangel an aller ®e- 
ſchichtskenntniß hatte ein für das Papſtthum Begeifterter e8 unternommen, 
einer nach Biſchof Iſidor von Hitpalid genannten Sammlung kirchenrecht⸗ 
licher Artikel eine Anzahl erdichteter kitchenrechtlicher Beſtimmungen, welche 








1) Die Demtüthigung, den Untergeßenen des Papſtes vorzuftellen, bat auch von 
Karls des EOroßen Nachkommen nur Kaifer Ludwig H., Sohn Lothars J., ſich gefallen 
laffen. 

2) Bom Lateran-Balaft in Rom, der früheren Neſdenz der Mpfte. 


200 


von 91—384 entflanden fein follten, beizufügen. Der fromme Betrüger, 
welcher fich dadurch vermuthlich ganz im Stillen den Himmel zu verdienen 
meinte, hat in feiner Plumpheit Rechtszuſtände, die im 9. Jahrhundert erft 
im Werden begriffen waren, nämlid die Vereinigung ber höchſten geſetz⸗ 
gebenden,, beauffihtigenden und richterlichen Gewalt über Die Kirche in der 
päpftlihen Würde, als in den erſten vier chriftliden Jahrhunderten ent 
ftanden hingeſtellt. Rom machte von dieſer Faͤlſchung den umfaflendften 
Gebrauch unt ließ fie erft fallen, als diefelbe der proteftantifchen Kritif gegen« 
über gänzlich unhaltbar geworden war. 


17. 


Das von Karl dem Großen berrührende, durch Otto den Großen er» 
neute Geſetz, daß jede Papſtwahl nur mit Genehmigung des Kaiſers gültig 
ſei, war durch Heinrich III. abermals befräftigt und dadurch die Unterord⸗ 
nung des Papſtes unter den Kaifer neuerdings feftgefept worden. Aber 
bald nach dem Tode dieſes Eraftvollen Kaiſers ließ Papſt Nikolaus II., um 
bie päpftliche Würde dem Einfluß der römiſchen Adelsparteien zu entziehen 
und fie wo möglid auch vom Faijerlichen Anſehen unabhängiger zu machen, 
durch eine Synode zu Rom ein eigenes Collegium errichten, welchem fortan 
die Wahl des Papſtes allein zukommen follte, das Collegium der Gar- 
dDinäle, damals zufammengefegt aus den angefehenften Geiftlihen Roms und 
ben ſteben ſuburbikariſchen Bifchöfen. — So flanden die Sachen, ald Hilde⸗ 
brand, ber. fchon mehr al8 einen feiner Vorgänger nach feinem Willen geleitet 
hatte, unter dem Namen Gregor VII. den apoftolifchen Stuhl beftieg (1073). 

Der Kampf des jungen Heinrich IV. gegen die aufrührerifchen Sachſen 
einerjeit8 und die in Deutſchland eingerifiene Simoniet) andererjeits 
gaben dem genialen, vom höchſten Gefühle feiner Stellung erfüllten Gregor, 
welcder fi zuvor von dem Könige hatte beflätigen laffen, die gewünſchte 
Beranlaffung zum Streit mit der oberften bürgerlichen Gewalt um die Ober . 
herrſchaft in der Ehriftenheit. Der Plan Gregors, — übrigens keineswegs 
glei bei Anfang des Streites in feinem ganzen Umfang bervortretend, 
fhwerlicy fogar in dDiefem Umfang vorbedadıt, jondern vielmehr erft im Ver⸗ 


1) Die Simonie, d. i. der Kauf und Berkauf geifllicher Pfründen und Würden, 
zum Theil eine natürliche Folge des Lehnsweſens, hat ihren Namen bekanntlich von 
Simon dem Zauberer, der apoftolifche Gewalt um Geld erwerben wollte (Apoflelges 
ſchichte 8, 18—24). | 


201 


laufe des Kampfes fi entwidelnd — der Plan Gregors ging dahin, die . 
hoöchſte geiftliche und weltliche Gewalt im Papfte zu vereinigen, und zur 
Behauptung derfelben alle Beiftlichen von weltlicher Herrſchaft und bürger- 
lichen Berhältnifien ganz unabhängig zu machen. Dies zu erreichen, ver⸗ 
bot er die Inveftitur mit Ring und Stab durch die Hand weltlicher Kürften, 
forderte den Lehns⸗ und Hultigungseid von den Erzbiſchöfen, maßte ſich das 
Net an, durch die Gewalt des Bannes felbft den Raifer feiner Würde zu be= 
rauben, und veranlafte dad Kirchengefeß allgemeiner Ehelofigfeit (Cöli⸗ 
bat) der Geiftlihen2). Dafjelbe, von dem Papfl auf drei Borwände ba⸗ 


2) Gregors Plan wurde und wird natürlich ſehr verichieden beuriheilt. Man 
kann der Senialität und Energie des Papſtes alle Gerechtigfeit widerfahren laflen und 
dennoch , namentlich wenn man nicht aufhören will, ein Deutfcher zu fein, fein Werk 
entfchieden verdammen. Gr trat auf für die „Freiheit der Kirche” , wie er fagte, und 
hat doc auf die furchtbarfie Knechtichaft der Menfchheit hingearbeitet. Gr trat auf 
für die Cinheit der Kirche” und doch führten feine Reformen geradewegs zur Spals 
tung ber Chriftenheit. Er trat auf für die „Reinheit der Kirche“ und doch ift fein 
Coͤlibatsgeſetz, deſſen Durchſetzung er wefentlich einem urtheilsloſen Voͤbel verdankte, 
welcher die Geiſtlichen mit brutaler Gewalt zwang, ſich von ihren Frauen zu trennen — 
die Quelle namenloſer Laſter und Graͤuel geworden. So raͤchte ſich die Vergewalti⸗ 
gung des Geiſtes und der Natur. Das Ideal des Papſtihums mag ein ſolches ſein, aber — 

Waͤre der Geiſt nicht frei, dann waͤr' es ein großer Gedanke, 
Daß ein Gedankenmonarch über die Geiſter regiert. Platen. 

- ine erſchoͤpfende, auf genaueſte Bergleihung der Quellen geſtuͤtzte hiſtoriſche 
Würdigung des großen Streites zwiſchen weltlicher und geiſtlicher Macht am Ausgang 
des 11. Jahrhunderts, des Kampfes zwifchen Deutfchland und Rom hat uns neuerlich 
Hartwig Floto gegeben (Kaifer Heinrich ter Vierte und fein Zeitalter”, 1886). 
Bloto iſt gerebt. Wr fagt (11,.274): — „Immerhin ift anzunehmen , daß der letzte 
Grund feiner (Gregors) Bläne ein guter war und daß er aufrichtig für da® Wohl ber 
Shriftenheit zu wirken glaubte. Das ift aber auch faft Alles, was man ihm zum Lobe 
nachſagen kann. Denn es iſt ſicher, daß er fi) täufchte, wenn er feine Reformen für 
heilſam hielt, und es ift ficher, daß er fchlechte Mittel anwandte, um fie durchzuführen. 
Gregor war ohne Zweifel ein großer Mann: er beuutzte den günftigen Moment, um 
Sachen anzubahnen,, die noch heute beſtehen. Wir fehen noch heutiges Tages die 
Dionumente, vie er errichtet bat: das Edlibat, Deutichlands Zeriplitterung und bie 
Spaltung der Kirche. Allein es war nicht Die zwingende Kraft feiner Ideen, fondern 
bie Jugend Heinrich und die Untreue der deutichen Fürften, was ihm oder vielmehr 
feinen Nachfolgern den Sieg verſchaffte. Die Intereffen des Papitihums und die 
Snterefien der deutfchen Küriten gingen himmelweit auseinander, aber in dem einen 
Punkte trafen fie zufammen : in der Grniebrigung des Kaiſerthums. Darum haben 
die Bäpfte mit deutichen Fuͤrſten Buͤndniſſe geſchloſſen wider die deutfchen Kaiſer und 
auf diefe Weife endlich den Sieg davon getragen.“ 





Li — — — — 





firt ®), konnte allerbing® erſt lange nachher zu veilflänkiger Durchführung ge» 
bracht werben 4). Inteflen gebührt Gregor unzweifelhaft der traurige Rahm, 
dad Band zwiichen Priefterlichem und Menſchlichem zericmitten zu haben. Auch 
ber paͤpftliche Anſpruch auf unbebingte Oberherrlichkeit aber den Klerus 
fand Anerkennung , denn bald nach Gregor ſuchten alle Biſchöfe die Veſtäti⸗ 


| |— — 


3) GErſtens, der Apoſtel Baulus (1. Kor. 5, 11) habe geboten, „fo Jemand tft 
ein Hurer oder ein Geiziger oder ein Abgöttifcher oder ein Läfterer oder ein Trunken⸗ 
bold oder ein Räuber, mit demfelbigen follet ihr Nichts zu Ichaffen haben.“ Gre⸗ 
gor nahm alfo Die Ehe für abfolut identifch mit Hurerei. — Zweitens, das gefammte 
katholiſche Bolk beftehe aus Chriſten, die in Der Ehe, oder aus folchen, die jungfräus 
Ich (eben. Gin Laie, der im Coneubinat lebte, müßte ercommunicirt werden ; um 
wie viel mehr nicht Die Priefter? — Wiederum nimmt hier Gregor She und Concu⸗ 
Binat für daſſelbe. Daß ein fo bedeutender Geiſt zu folcher Sophifterel griff, ift wahr⸗ 
haft klaͤglich. Bor Gregor lebten bie Priefter in der She, nad ihm lebten fie im 
Coneubinat. Das der Hiftorifche Unterſchied. — Drittens, die Päpfte Leo I. und 
Gtegor T. haben ten Brieftern vom Subdiafonus aufwärts die Ehe unterfagt. — Dies 





beweiſt wur, daß es ſchon vor Gregor VII. Gregote gegeben. Der wahre Grund bes 


Eölibatsgefepes mar natürlich ein ganz anderer: bie Prieflerehe wurde verboten, um 
bie Eirche gänzlich dem Einfluß der weltlichen Nacht zu entziehen, die Briefter zu ent 
menfchen und dadurch zu unbedingt willfährigen Werkzeugen der vom Papft geibten 
Theofratie zu machen. Wer, wie ich mir befien bewußt bin, über dem Unterfchied 
zwilchen Katholicismus und Proteflantismus völlig parteilos Acht, wirb zu einer ans 


. been Anficht über das Eölibat unmöglich gelangen können. Aber es charafterifirt den 


ZJohannes von Müller, der ja, während er in feiner Geſchichte der ſchweiz Eibge⸗ 
noſſenſchaft taeiteifchen Republikanismus erfünflefte, vor jeder Macht roh, — baß 
er die fublime Entdeddung machte, das Coͤlibat ſei für das Mittelalter nicht nur noth⸗ 
wendig, fendern auch heilfam gewefen,, denn „ohne daſſelbe wäre Das Prieſterthum zu 
einer Kafte geworden.” Freilich, wenn man die fhamlofen Schmeicheleien kennt, 


‚ womit Müller einen Jerome von Weſtphalen überfchüttete, wird Einem auch jene Be: 


haußtung nicht fehr auffallen. 

4) Gs gereicht den deutſchen Bifchöfen jener Zeit zu großer Ehre, daß weitaus 
die meiſten derfeiben von dem Verbot der Prieſterehe durch Gregor gar feine Notiz 
nahmen. Wo bie Creaturen des Papſtes es thaten und das naturwidrige Gefetz durch⸗ 
ſetzen wollten, hatten ſie von Domherrn und Pfarrern einen Widerſtand zu befahren, 
der manchmal lebensgefaͤhrlich für fie war. So der charakterloſe Erzbiſchof Siegfried 
von Nainz auf einer dortigen Synode im Herbſt 1078. Es gelang, das Cölibat in 
Deutſchland allmaͤlig durchzufuͤhren, als die Agenten des Papſtes beutelüſterne Raub⸗ 
riner und den füßen Poͤbel aufftifteten, mit ven ſchaͤndlichſten Brutalitaͤten gegen die 
verheiratdeten Pfarrer vorzugehen. Uebrigens konnte noch hundert Jahre nach Er⸗ 
laſſung des Gölibatsgefeges ein Biſchof von Erfurt an Bapft Merander II. berichten, 
daß in feinem Sprengel faſt ſaͤmmiliche Pfarrer in ber Ehe lebten. 


gung ihrer Würde in Mom. Der Streit Aber tie Inveſtitur wurde durch 
das zwiſchen Kaiſer Keinrich V. und Papſt Ealiztus IE. vereinbarte Wonnſer 
Goncordat 1122 beigelegt, welchem zufolge die Wahlen der Biſchöfe und 
Aebte inı dentichen Meiche in des Kaiſers oder feiner Abgeotdneten Gegen⸗ 
wart, ohne Simonie und Gewaliſamkeit, durch Klerus und Bolt vor fi 
gehen follten. Der Kaiſer follte die Gewählten vermittelt des Scepters 
mit den Reichslehen belehnen, der Papft aber fie vermittelſt Ringes und 
Stabes inveſtiren. 

Was Gregor VII. gewollt, Innocenz m. vollbrachte ed. Unter ihm 
gelangte das Papftthum auf den Gipfel ſeiner Machthöhe. Die Fürſten des 
Abendlandes beugten ſich ihm und, dem „heiligen zömifchen Reich deutſcher 
Hation* das Joch feines Willens auflegend, ſetzte er das Geſetz durch, daß 
jeden vom Papft ausgeſprochenen Bannfluch des Reiches Acht beigefügt 


‚werben müfle. Während des Lebens von Innocenz galt in Theorie und 


Braris der Grundſatz, daß der Papft Richter und Herr ſei über alle Kaiſer, 
Könige und Bölfer der Erde. Der flolgefte Traum, welchen die Theokratie 
je geträumt, jchten in Erfüllung gegangen zu fein. Für eine Weile war 
Ber Gedanke des Papfithuns, die Staatögewalt vollſtaͤndig zu zeripkittern 
send auf dem allgemeinen Mivellement einen Hoheprieftertbron zu erhöhen, 
gur sat geworben. 


. 


18. -. 


So lange der Kirchen noch nicht viele waren, wurden Gottesdienſt und 
Seelforge von den Kloftermönden einerieitd, von den Bijchöfen und ihren 
Canomici 1) (fpäter Domherrn) andererfeltd verwaltet. Mönde und 
Canoniker waren die einzigen niederen Cleriker der Karolingerzeit. Aus den . 
Domberren bildeten ſich die biſchöflichen Kapitel. Den Archidiakonen über 
gaben die Biſchöfe allmälig die Ausübung der Gerichtsbarkeit in ihrem Mas 
men. Der. Verfall des canoniſchen Lebend im 10. Jahrhundert theilte die 
Domkapitel in geiſtliche und weltliche Glieder. Letzteren ward nad Wieder 
herſtellung de® eanoniſchen Lebens mindeften® der Dienft eines Subdiakonen 
übertragen. — Nachdem die Zahl der Kirchen durch Fromme Stiftungen fi 
vermehrt datte, wurde das Recht der Bifchöfe, die Pfründen ihres Gprem 


4) Sie Hatten ihren Namen von dem canoniſchen Leben, zu welchem fie ſeit der 
Karolingerzeit verpflichtet waren. 





204 

gels zu beſetzen, vielfach beſchraͤnkt durch das Batronatörecht, welches die 
Nachkommen der Stifter in Anſpruch nahmen. — Mit dem zunehmenden 
Verfall des kirchlichen Lebens ließen die biſchöflichen Domherren ihre Ber» 
richtungen immer häufiger durch Vicare verſehen. Die Biſchöfe übergaben 
die ihrigen gern den fogenannten Chor⸗ oder Weihbifchöfen. Den Archi⸗ 
diakonen fegten ſie ein richterliches Collegium meift weltlicher Offizialen zur 
Seite. Predigt und Seelforge wurden den Pönitentiarien, auch Bfarrer 
genannt, übergeben. Bu Pfarrern waren ſchon früher die Canonici auf 
den PBatronatöpfründen geworben. 

Längſt hatte fih das Collegium der Cardinäle zum geiftlichen Rathe 
des Papſtes, jowohl in Verwaltung feiner weltlichen GHoheitsrechte, wie 
in Eirhlihen Dingen erhoben: Aber erft dad Concil zu Konſtanz fprad bie 
Anerkennung diefes Collegiums als einer: Firdlichen Behörde aus. Dieſen 
Beſchluß lieh fih Rom gefallen; die gleichzeitige Beftimmung hingegen, daß 
alle Nationen des Abendlandes im Garbinalcollegium vertreten fein follen, 
blieb fo gut wie unerfüllt. — Seit der Trennung von der abenblänbifchen 
Kirche. behauptete der Patriarch von Konftantinopel fih als das Haupt der 
morgenländifch » griechifchen,, jeboch flet8 unter Oberhoheit des Kaiſers. 
Seit der Eroberung Konftantinopeld durd die Türfen fland der Patriarch 
von Konftantinopel unter der Hoheit des Sultans, ihm zur Seite die aus 
den Metropoliten gebildete befländige Synode. Diefer Hierarchie blieb 
bürgerliche Gerichtöbarkeit über die Chriften. 


19. 


Daß vie papſtliche Unfehlbarkeit ſich über diejenige der allgemeinen 
Soncilten erhoben habe, davon legten feit der zweiten Hälfte des Mittel⸗ 
alterd die „Bullen“ und Breven, durch welche der Nachfolger Petri aus 
eigner Machtvollkommenheit neue Kirchengeiege erließ oder beflehende aufe 
bob, dad deutlichfte Beugnig ab. Was vor Gregor VIl. ohne Widerrede ges 
golten, daß ein allgemeines Eonciltum Aber dem Papft ſtehe, mußte zu 
Konftanz und Vaſel wieder ausdrädlich in Anfpruch genommen und neuer- 
dings als Kirchengeſetz ausgefprochen werden. Bald darauf kam die Refor⸗ 
mation. Obwohl nach diefer großen Kirchenſpaltung die römifch-Fatholiiche 
Kirche auf ihrem mit Mühe behaupteten Gebiete fi wefentlich gleich blieb, 
ſah ſich doch das Papſtthum gezwungen, eine ganz andere Stellung gegen 
die fatholifchen Fürſten anzunehmen. Von Bann und Interbict Eonnte wenig 








205 


mehr die Nebe fein. Der Geiſt der Reformation drang unmerflic immer 
tiefer in die gebildeten Klaſſen der Katholiken ein und ber Erfolg war, daß 
die Päpfte ihre und des übrigen Klerus rechtliche Stellung nach und nad. 
jedem einzelnen. katholifchen Staate gegenüber durch Concordate feſtſetzen 
mußten. Dabei ging die geiftliche Gerichtsbarkeit über Die Laien, mit Aus⸗ 
nahme des Kirchenſtaates, allgemein, über die Kleriker ſelbſt faft überafl 
verloren. Gegenwärtig wird auch im fatholifhen Geiſtlichen der Staats⸗ 
hürger joweit anerfannt, daß er in Einil- und Criminalprogefien dem welt« 
lichen Richter Rede zu ſtehen hat. Nur in reinkirchlichen Dingen gilt noch 
das Kirchenregiment, erlafien die PBäpfte noch ihre Breven und uͤben das 
Recht der Exrkommunication!). 

Mas das proteftantifche Kirchenweſen angeht, ſo bildete es fich unter 
Mitwirkung der betreffenden Landesherren und Obrigkeiten ſehr verſchieden⸗ 
artig aus. Als allgemein anerkannter oberſter Grundſatz galt zwar das 
allgemeine Prieſterthum der Chriſten (nach 1. Petr. 2, 9) mit Aufhebung 
des Unterſchiedes zwijchen Klerus und Laien, doch ebenfo allgemein ward ber 
geiftliche Lehrftand, gegründet auf die Predigt des göttlichen Wortes in der 
Schrift, aufrecht erhalten. Den Kern der proteftantifchen Geiftlichfeit bilde— 
ten von nun an überall die Prediger oder Pfarrer, denen in größern 
Stadtgemeinden meift Helfer (Diafonen im neuern Sinn) zur Predigt, 
zum Jugendunterricht und zur Seeljorge beigegeben wurden. In Deutich- 
Iant und mehr noch in der Schweiz ward die Pfarrwahl großentheild den 
Gemeinden übergeben ; wo Bijchöfe gewaltet, fam die Befegung ber geift- 
lihen Pfründen an die Gonftftorien. Die Patronatörechte wurden auch 
fürderhin anerkannt. Je nad der. flaatlichen Bora, welche die Reformation 
vorgefunden,, beftimmte fich die Kirchenverfaflung in ben verfchiedenen Län 
dern. Im lutherifchen Deutfchland ging die Macht der Hierarchie auf den 
Landesheren über, in deffen Namen die Eonfiflorten, Superintendenten an 
des Spige, das Kirchenregiment übten. Die Synoden wurden beibehalten, 
aber nur aus Geiftlichen und Mitgliedern weltlicder Behörden ohne Zuzies 
. bung von Gemeindeälteften zufammengefegt. In: Schweden und der eng« 
liſchen Hochkirche behielten die Biſchöfe die kirchliche Oberauffiht. In der 
deutjchen Schweiz bildete fich eine republitaniich » ariftofrariiche Verfaffung, 


* 4) Der Begriff „veinkiechliche Dinge“ ift freilich in einigen neueren Concordaten, 
-3. B. dem öftreichifchen,, wierer ein außerordentlich dehtibarer geworben. 


inhems hier Die aberſte Eirhlidde Betzörde, Die regelmäßig fi verſammelnde 
Syrode, aus den Pfartern des Kantond und etlichen Abgeordneten des 
großen oder Kleinen Raths zufammengeirgt wurde. In Genf geftaltete ſich 
Die Kirchenverfafſung demokratiſch, durch Galvind Einfluß. Er errichtete 
ein geifliches Gericht, befichend aus den. von der Gemeinde gewählten Aelte⸗ 
Ben und den Pfarrern, zur Aufrechthaltung der Kirchenzucht. In Franlk⸗ 
reih und Schottland wurde dieſe noch Follsgialifche Presbyterialverfaffung, 
meldge am meiften an bie urchriſtliche erinnert, zur ſynodalen fortgebildet. 
Nach vielfachen Umgeftaltungen hat die genferifche Kirchenverfafſung ihren 
Demofratiichen Charakter darin behauptet, daß feit 1847 ein vom allen res 
formirten Bürgern gewähltes, aus geiftlichen und weltlichen Mitgliedern 
beſtehendes Conſiſtorium die oberfte Firchliche Behörde bildet. 


Das Rirhengut wurde bei Belegenheit der Reformation größtentheild 
von den Landeöherren eingezogen und es Fann feinem Zweifel unterliegen, 
daß dieſe Manipulation die meiften Fürſten für das „gereinigte Wort Gottes“ 
günftiger flimmte als alles Andere. Auch die republifaniichen Obrigfeiten 
haben allmalig baare Befoldung der Geiftlichfeit aus der durch Einziehung 
der Pfründgüter bereicherten Staatskaſſe eingeführt. Daß den Bilhöfen und 
Pfarrern der engliichen Hochkirche die Einkünfte der alten Kirchengüter un« 
geſchmaͤlert blieben, hat ſchon die jchreiendften Mebelftänte zur Bolge ges 
habt, zumal den, daß die geiftlichen Verrichtungen meift um den kümmer— 
lihften Lohn PVicaren übergeben werden, während der reiche Pfrüntbefiger 
fih tem Müßiggang überläßt. 


In Rußland ſchuf Peter der Große 1721 als oberfte kirchliche Behörde 
des Reiches die „Heilige Synode” aus vom ihm felbft hiezu gewählten Prü« 
Iaten. Unter der Synode fliehen die Erzbifchöfe und Biihöfe, die Syuode 
ſelbſt unter dem Czaren, — alfo vollfländiger GEaäjaropapismus Se 
der Fülle ihrer Machtvollkommenheit zog Katharina 11. fämmtliches Kirchen⸗ 
gut ein und ſetzte eine beſtimmte Befoldung für die geiftlichen Stellen aus ver 
Staatökafle feft. Der Klerus verdient den Namen einer Kafte, weil in Ruß⸗ 
laud ter geifllihe Stand erbli iſt. Daher die geiftige Unfähigkeit fo vieler 
Popen. Die niebere @eiftlichkeit Der ruifiichen Kirche befleht aus den Litur⸗ 
gen und den Prieftern. Bu den Kiturgen gehören die Sänger, Vorleſer 
und Diafonen , zu den Prieftern die Bopen und die Protopopen oder Erz⸗ 
priefter. Die Arhimandriten, Aufſeher der Aebte, fichen an Rang gleich 


unter den Bilhäfen. Mur aud Den Kionergeiſtlichen werden die Biſchöfe, 
Metzopstisen und Patriarchen genammen ; die Briefter und Siturgen bringen 
eß bochſtent zum Erzprieſtoer. 


20. 


Die im Vorſtehenden ffizzirte Entwidlung der Hierarchie aus den be⸗ 
ſcheidenſten Anfängen fann nicht völlig verftanden werben, ohne Veruͤckſich⸗ 
tigung der zugleich mit ber Hieratchie und geoßentheild in deren Inter⸗ 
ehe fih entwidelnden Kirchenzucht. Diefe war die ſchärfſte Waffe, 
mis welcher Bifchöfe und Päpfte ihre Anſprüche durciepten. Außerdem 
eined der ergiebigften Mittel zur Bereicherung der Kirche und ihrer Diener 
und endlich eine Haupturſacht der zunehmenden Kirchenzerſplitterung. 

Die. Kichenzucht jeit den Tagen des Theodoſius hat wohl die zahlreich“ 
fien und furdtbarften Graͤuel hervorgerufen, welche Die Erde jemals getragen 
bet. Sie nahm Ihre Anfänge in der Beitrafung des Ananias und ber 
Sapphira durch Perrust) umd in der Ausichliegung eines Blutſchänders 
aus der Egrinthiihen Gemeinde auf Betrieb des Paulus?2). Der Haupt- 
grundfag, von welchem die Ausfchliegung aus der Gemeinde (Ereommuni« 
fation) ausging, war der Ausſpruch des Paulus: „Gott wird die, fo 
draußen find, richten.“ Der uranfängliche Zwed der Kirchenzucht, welche 
Anfangs weientlih in ber Ercommunifation bei größeren, in Ermaßnung 
durch die Gemeindevorfieher bei geringeren Bergehungen beſtand, war, die 
Kirche als „Gemeinſchaft der Heiligen“, ala deu „geifligen Leib Chrifti” 
rein zu erhalten. Unter den größeren Bergehungen verftand das apoftolifche . 
Zeitalter jegliche Art von Gößendienft, Anzucht, Trunkſucht, Unxedlichbeit 
und Gewaltthätigfeit. Im 2. Iahrhundert mollten bie Montawiften son 
einer Wiederaufnahme der Ercommunicihzten Nichts mehr willen, uneinges 
denk der Milde, mit welcher einft Paulus den reuigen Blutſchänder zur 
Wiederaufnahme empfohlen. Da nun die Kirche auf das Recht der Be» 
gnadigung nicht verzichten wollte, ſah fie ſich genöthigt, die Karren Montas 
niften felbft auszufchliegen, auß gleichen Grunden fpäterhin die Novatianer 
und Donatiften. Bugleich verleitete das Ueberhandnehmen des Gnoſticis⸗ 
mus, welcher die Willkür einer dichteriſchen Phantaſte an die Stelle der 
ſchlichten apoſtoliſchen Tradition zu fegen und Heidniſches in das Chriſten⸗ 

1) Apfielgeice. 8, 111. 

2) 1. Korinth. 3, 1.13. — 2. Kor. 2, I—11. 


208 


thum einzumifchen drohte, die Kirchenzucht auch auf dad Gebiet des Glaubens 
auszubehnen 'und die Gnoftiker ebenfalls von der Kirche auszuichließen. Da⸗ 
durch ward bereits nicht nur Meinheit des Lebens, fondern. auch Heinheit 
und Einheit des Glaubens zum Zwede der Kirchenzucht erhoben. 

In den Zeiten der Verfolgung befaß die Kirche bereits ein ausge⸗ 
bildetes, ſtrenges Bußſyſtem für die Abtrünnigen jeder Art. Oft erfiredte | 
fih die auferlegte Buße auf daB ganze Leben des Ausgeſtoßenen. Strenges 
Baften, öffentliche Demüthigung in jeder Gemeindeverfammlung , Aus- 
ſchließung vom Abendmahl u. A. m. gehörten zu dieſen Bußen. Was hier 
die Kirche um ihrer Selöfterhaltung willen that, wurde oft durch die Autos 
rität der Belenner und Märtyrer gemildert. Sobald Provinzialfgnoden 
entflanden waren, nahmen fie das Hecht det Ercommunitation gegen ganze 
firchliche Parteien in Anſpruch. „Weil außerhalb der Kirche Tein Heil“, 
hielt es die Synode zu Nicaͤa und hielten ed nach ihr alle folgenden öfumenifchen 
Synoden für gleichbedeutend, von der Kirche auszufchließen oder den Fluch 
über die Irrgläubigen audzufprechen 9). . Die Ercommunifation erhielt 
natürlich durch die allgemeinen Concilien der ganzen Kirche die umfaffendfle 
Bedeutung und Eonnte felbft Dadurdy nicht geihwäcdht werden, daß hie und 
da andere ökumenifche Concilien denfelben Fluch über die Mehrzahl der 
Theilnehmer an einem vorhergehenden Concil ausfpracen. 

Seit Konſtantin wurde die Entbindung von Kirchenbußen (Dispen- 
fation) immer häufiger und wurden die Bußen ſelbſt, beſonders was flit« 
Tide Vergehungen betraf, bedeutend gemildert. Bereits Hatten die Bifchöfe 
die Berhängung der Kirchenbußen nebſt dem Bann an fich gezogen, und 
zum heil erlaubte der Zuſtand ihrer eignen Sittlichkeit feine zu große 
Strenge mehr gegen die armen Sünder. Unter Leo dem Großen wurde, 
als nothwendig zur Berzeihung der Sünden (Abſolution), Das geheime 
Bekenntniß, die Beichte, eingeführt, freilih nur für Die abendländifche 
Kirche. 
Die Kirche ſollte ihrem Haupt nur ſo lange aͤhnlich bleiben, als ſie, 
gleich ihm, in Niedrigkeit und Verfolgung lebte. Je mehr fie erſtarkte, deſto 
mehr verlor fie den Geiſt ihres Stifters. Haß und Unduldſamkeit traten 





— — 


3) „Avasnua loro, Anathema über ihn oder fie!“ ſo lautete der Fluch, deſſen 
eigentlicher Sinn ift: „Sie feien dem Gerichte Gortes übergeben!“ weil fie, nicht mehr 
zur Gemeinfchaft der Heiligen gehoͤrend, die Verzeihung der Sünden und das ewige 
Leben eingebüßt haben. 


. 209 
an dieſes Geiſtes Stelle. Hatte die Kirche fich früherhin mit Ausſchließung 
der Keßer begnügt, fo fing fle unter Theodoſtus an, dieſelben zu verfolgen. 
Unter feinem Mitregenten Marimus floß (385) zum erfien Mal Menichen« 
blut, um des Glaubens willen von Mitchriſten vergofien. Briscillianug, 
Bifchof von Avila in Spanien, ward nebft etlichen feiner Genoſſen, vor⸗ 
nämlich auf Betrich des lafterhaften Bifchofd Itharius, um irrtgümlicher 
Glaubensmeinungen willen vom Faiferlichen Präfekten in Trier gefoltert und 
hingerichtet. Selbſt Ambrofiud von-Mailand und Martin von Tours, die 
beiden Bifchöfe, weldye den Priscillian und feine Genoffen verdammt hatten, 
erflärten laut ihren Abſcheu gegen dieſe ſluchwürdige, in ihren Folgen ſo 
inhaltſchwere That?). 


21. 


In der deutſchen Kirche konnte die Kirchenzucht erſt im 8. Jahrhundert 
eingeführt werden und zwar, weil daſelbſt von Alters her jedes Verbrechen 
mit Geld („Wehrgeld“) hatte gefühnt werben können, nur durch die kaiſer⸗ 
liche Einführung der biſchöflichen Sendgerichte. Auf fchwere Verbrechen 
jegte Die Kirchenzucht Geißelung,, Baften, Eheverbot, Gefängnig und Bann, 
verbunden mit der Todesſtrafe. Wer freiwillig feine Bergehungen beichtete, 
kam mit einer verhältnigmäßigen. Geldftrafe Davon, welche Anfangs zu 
Gunften der Armen eingezogen wurde. Jedem Biſchof blieb in feinem 
Sprengel das Recht, zu bannen, nämlich aus der Gemeinfchaft der Chriſten. 
Den umfaffendften Gebrauh vom Bannftrahl machten jedoch die Paͤpſte. 
Seit Gregor VII. zitierten Kaifer und Könige vor dieſer geiftlichen Waffe, 
auch wenn fte fih im beſten Rechte befanden. Der Glaube der Völker war 
des Bannes Macht, der Fürften Ohnmacht. Das 11. Jahrhundert fah auch 
das Interdiet entfliehen, jenen päpftlihen Machtſpruch, kraft deſſen alle 
kirchlideen Berrichtungen in dem bezeichneten Landſtrich aufgehoben wurden. 


— —— — — — 


4) Zur Lichtſeite der damaligen Kirchenzucht gehoͤrt, daß ſelbſt der Kaiſer Theo⸗ 
doſtius ſich derſelben unterwarf. Er hatte die aufruͤhreriſchen Bewohner von Theſſalonice 
groͤßtentheils ohne Unterſchied des Alters und Geſchlechts niedermetzeln laſſen. Dafuͤr 
verweigerte ihm der muthige Ambroſius den Zutritt zum Abendmahl, bis der Autokrat 
vor allem Volke im Dom zu Mailand für feine Grauſamkeit knieend Buße gethan 
hatte. Meberhaupt muß anerkannt werden, daß die Mittel der Kicchenzucht das ganze 
Mittelalter hindurch oft die einzigen waren, tie vichifche Brutalität der Machthaber 
wenigſtens einigermaßen zu bänbigen. 

Scherr, Geſch. d. Religion. IN. 14 


u 


210 . | | 


Zuerft nur gegen Landfriedensbruch geriähtet, warb dieſer Völkerbann be» 
fonder& in der Hand des dritten Innocenz zum unfehlbaren Mittel, durd daß - 
erſchreckte Volk ven hartnädigen Fürften zu bezwingen. Die Obrenbeichte 
erhob Innocenz II, zum allgemeinen Kirchengeſetz, zur unerläßlichen Bes 
dingung ter Seligfeit. Aber dadurch ward nicht audgefchloffen, daß man 
Berzeibang der Sünden, Ablaß, nicht auch fürderhin, wie ſchon jeit den 
erfien Kreuzzügen, auf andere Weife erlangen fonnte. Da die Sendgeriäte 
allmälig wieder zum altgermantichen Brauch der Geldbußen für Alles und 
Jedes zurüdigefehrt waren und von den dadurch vermehrten Summen aud 
die Kirche außer den Armen ihr Scherflein zu nehmen begonnen hatte, fo er⸗ 
theilten Bifchöfe und Paͤpſte Ablaß auch ohne Beichte und Gericht, un weni⸗ 
ger mühſam zu Gelde zu fommen. Anfangs hatten freilich die Bischöfe nur 
einzelnen Heiligthümern dad Hecht verliehen, ihren Befuchern Ablaß zu er- 
theilen, und aud die Päpfte hatten Anfangs ten Ablaß nur zu dem Zwede | 
verkauft, um Geld für die Kreuzzüge zu erhalten. In foldhen Dingen 
machen fich jedoch die Conjequenzen raſch und von ſelbſt. Warum follten 
die Päpfte den reichen Ertrag des Ablaßhandels nicht für fich felbft behalten, 
wie fie im 14., 15. und 16. Jahrhundert wirklich thaten? Wollten fie und 
ihre Nepoten, Courtijanen und Künftler nicht auch leben und zwar möge 
Lichft gut Teben? In Folge deſſen verkauften Eurz vor der Neformation die 
Adlagfrämer ihre Waare unter Ausdrüden, welche Reue und Buße für über- 
flüfftg zur Vergebung erflärten, und dod hat die Kirche in thren redht- 
mäßigen Organen diefe Bedingungen der Sündenvergebung niemald aufge 
geben. Der Ablaßfram ift jeit der Neformation verſchwunden, der Ablaß 
*felber nicht. 


22, 


Schon Yuftinian hatte durch Verfolgung der Sektirer, die er durch 
tyrannifche Gefege zum Aufftand reizte, um ihnen mit befferem Nechts« 

- grund beifommen zu können, mehrere Provinzen entvölkert. Auf das Gut⸗ 
achten des Abtes Theophaneß, daß ed mit dem Geifte des Evangeliums über 
einftimme, Keßer zu verbrennen, hatte fodann die orientalifche Kirche viele 
Manichäer dem Peuertode überliefert. Zu Anfang des 11. Jahrhunderts 
erlitt eine aͤhnliche Sekte das gleiche Schiekjal in Orleans und einigen an— 
beren Städten Branfreichd. Das Concil zu Verona hatte auf Beranlaffung 
von Papſt Lukas I. bereits weltlichen und geiftlichen Gewalten die Aufs 


. 211 


ſpürung, Berfolgung und Beftrafung der Keger auferlegt im Jahr 1184. 
Da gaben die unglücklichen Albigenfer Innocenz IV. die erwünfchte Gelegen⸗ 
heit, unter Gewährung des Ablaffes für alle Iheilnehmer den Kreuzzug 
gegen die Reber zu predigen. Im fürchterlichften Gemetzel erſcholl die 
Stimme ded Leguten Peter von Baftelnau: „ Schonet Keinen; der Herr 
kennt die Seinen!” und die Findliche Unfchuld bfutete für Kegereien, von 
denen ſie feine Ahnung hattet)... ' 

-Den Thaten der päpftlichen Kreuzfahrer in der Provence folgte dann 
auf dem vierten Xateranconcil (1215) die Einfegung der Inquifition durch 
Innocenz. Diefem Olaubendtribunal ward die Vollmacht ertheilt, nöthigen« 
falls unabhängig von den Biſchöfen der Kegeret überall nachzufpüren, durch 
Zeugniffe und Folterqual jeder Art jeden des Irrglaubens irgendwie An— 
gefchuldigten oder auch nur überhaupt Verdächtigen zu überweifen und 
ihn hierauf — dadurch fuchte die Kirche ihr „ecclesia non sitit sangui- 
nem zu retten — dem ftrafenden Arm der weltlichen Gerechtigkeit zu über⸗ 
liefern, Bald darauf fliftete der heilige Dominicus gegen die Keger den 
nad ihm benannten Mönchsorden und organiftrte aus den -eifrigften Mit— 
gliedern beffelben die „ Miliz Chriſti“, welche, als, Familiaren“ der Inqut« 
fition thätig, den traurigen Ruhm ſich erwarb, im Haffinement der Ent- 
menſchung ed am weiteften gebracht zu haben. Nur die nordifihen Heren« 
richter könnten diefen Ruhm der ſüdlichen Keßerquäler beeinträchtigen. 

Dieffeitd der Alpen wollte nämlich die eigentliche Inquifition im gane 
zen Umfang ihrer ſchrecklichen Thätigkeit nicht fo recht gedeihen. Was 


1) Lenau hat in feinen ‚‚Albigenfern‘‘ das berühmte Bild vom Glaubensloͤwen 
gezeichnet: — 
Inbruͤnſtig küßt ihm — (dem Gekreuzigten) — Innocenz die Wunden, 
Ein zahmer Leu, der ſeinen Herrn beleckt; 
Doch hat die ſcharfe Zunge Blut geſchmeckt 
-Und feine Wuth iſt losgebunden. 
Der Leu brüllt auf und hat mit ſeinen Krallen 
Wuthblind den eignen Meiſter angefallen, 
Er hat ſein Bild ſchon halb zerriſſen 
Und meint es immer noch zu kuͤſſen. 
Vom Blute ſeines Herrn berauſcht, 
Durchtobt die Welt der grimme Leu; 
Wohin das Ohr des Wandrers lauſcht, 
Hoͤrt er der Opfer Wehgeſchrei. 
14* 





212 . 


Deutihland insbefondere angeht, fo hatte ſich hier der vom Papft zum ober⸗ 
ften Keberrichter beftellte Marburger Mönch Konrad durch feinen. ra⸗ 
fenden Fanatismus bald. bei Geiftliden und Laien fo verhaßt gemacht, 
daß es allgemeine Billigung erfuhr, als ihn 1233 einige Mitter todtichlu« 
gen. Dafür aber gelangten, jeit 1484 Innocenz VIII jeine Bulle gegen 
Zauberei erlaffen, bei den deutfchen und den andern nordifhen Völkern bie 
Herenprozefle zu folcher Blüthe, daß ſelbſt die von der fpanifchen Inquifition 
veranftalteten kaum damit zu concurriren vermochten. Und wie denn die 
Deutichen von jeher in allen Dingen gründlich waren, ftellten die beiden 
für Oberdeutſchland erwählten Herenrichter, Heinrich Inftitor und Jakob 
Sprenger ein Handbuch der Herenrichterei zufammen, den „ Herenbammer 
(malleus maleficorum) *, welcher, „mit dem Geifer eines vor Fanatismus, 
Habſucht, Wolluſt und Grauſamkeit wahnfinnig gewordenen Mönchs ge⸗ 
ſchrieben“ 2), bei den Hexenrichtern bald canoniſches Anſehen erlangte, So 
hatte Deutfchland doc feine Inquifttion ; denn Zauberei galt zugleich für 
Keberei und umgefehrt, nur daß an den Zauberern nicht bloß die beleidigte 
Majeftät der Kirche, fondern auch die beleidigte Mafeftät Gottes zu rächen 
war. Woher aber die Wuth gegen alle Ketzerei feit dem 11. Jahrhundert? 
Die Ketzer waren nicht mehr unfchätliche Theofophen, oder Leute von ſchwär⸗ 
merifhen Anfichten in bloßen Glaubenslehren, fonvern fle griffen das An⸗ 
fehen der Hierarchie an und damit ihren Geldgewinn, ihre Herrſchſucht, ihre 
Lüfte. Weniger gefährlich fei ed, meinte man, Etwas wider Gott ald witer 
den Papſt zu lehren. 

Die Macht der Inquifition erreichte ihre Vollendung durch Gregor IX., 
| welcher durch feine Bulle vom Jahr 1231 alle Keger excommuniecirte und 
fie dem weltlichen Gericht zu übergeben befahl. Nicht genug, dab Ludwig 
der Heilige die weltlichen Behörden Frankreichs der Inquiſition dienſtbar 
machte, dafjelbe that auch Ferdinand der Katholiſche von Spanien, Letzterer 
vornämlich in der Abftcht, Die Keer unter den gewaltfan befehrten Juden 
und Mauren auszurotten. Wo einmal und fo lange die Inquifttion herrfchte, 
war die Gewifiendfreiheit verloren, erftarb jede geiftige Negung, umlauerte 
allgemeine Spionage das öffentlihe und Banitlienleben, gingen Treu und 
Glauben unter, wurden die Heiligften Bande der Blutönerwandtfchaft zer⸗ 


2) Koͤppen im feiner trefflihen Abhantlung über Heren und Herenprogefle in 
Wigand's „Vierteljahrſchrift““ f. 1844, Bo. 2. 


213 


rifſen. So wirkte die Inquifition im Allgemeinen. Spanien indbefondere 
Bet fie entuölfert und zu Grunde gerichtet. Man Tann von dieſer Inſti⸗ 
tution kaum fpredhen, ohne daß fih Einem feder Blutstropfen in den 
Adern empört. Dennod begnügen wir uns, mit Zahlen nachzuweifen, wie 
fie in Spanien geraft bat. Don 1481 bis 1808, wo fie durch Napoleon 
aufgehoben wurde, find durch die fpanifche Inquifition 34,658 Menfhen 
lebendig, 18,049 in efligie verbrannt, 288,214 zu Galeeren oder: Kerker, 
alfo. im Sanzen 340,921 als Ketzer oder Zauberer oder Heren verurtheilt 
worden. Nach Napoleons Sturz führte Ferdinand VH. die Inquiſition 
wieder ein. Die Nevolntion von 1820 machte ihr ein Ende für immer (?). 
In Rom felbft ift gegenwärtig die Inquiſttion kaum noch mehr als ein ge⸗ 
heimes Polizeigericht 3). 


23. 


In der Geſchichte der Kirchentrennungen finden wir je nach dem 
Beitalter, welchem dergleichen Spaltungen angehören, ſehr verſchiedene Ur« 
fachen derfelben. In den Jahrhunderten der Verfolgung entflanden wirfs 
liche Sekten nur aus dem Grunde, weil einzelne Barteien eine ftrengere 
Läuterung der Kirche verlangten, ald die Kirche gewähren fonnte. Unter 
Konftantin bildete fih aus demſelben Beweggrunde die Donatiftenfefte, 
welche theild den geiftigen Waffen Auguftins, theild den Legionen der Kai— 
fer nad langem Kampfe unterlag. Die D onatiften hatten, durch harte 
Geſetze Ronftantins erbittert, zuerft die Waffen erhoben. — Freiwillig trennte 
fih von der Kirche und fliftete eine eigene Sefte unter den Gothen der, we 
gen jeiner Strenge gegen fehlbare Geiftliche ungerecht verfolgte Audius von 


— 





3) Um diefen Abfchnitt zu fürzen, fagen wir nur noch, daß feit ter Reformation 
in den proteflantifchen (wie auch In den katholiſchen) Ländern die Kirchenzucht allmätig 
laxer geworden if. An einzelnen Fanatikern und fanatiihen Thaten, die fi) da und 
dort bis zu inquifitoriicher Sraufamfeit fleigerten, hat es indeflen aud im Proteſtan⸗ 
tismus Feineswegs gefehlt. Die durch Calvin veranlaßte Berurtheilung und Hinrich: 
tung des Miguel Serveto in Genf (1583) war 3. B. ein Ausfluß der proteftantifchen 
Kirhenzucht, welcher mit höchfter Ehre in den Annalen ter ‚Santa Gafa‘’ zu Matrid 
paradiren fönnte. Die Sophtsmen, womit der finftere Calvin fi felber und. womtt 
Andere ihn zu entſchuldigen fuchten, find geradezu laͤppiſch. Es ſteht feſt, audı der Pror 
teftantismus hat Scheiterhaufen gefhürt. Unter den blutigen Verfolgungen, welche 
von der griedhifchen Kirchenzucht ausgingen, ift etwa das cäfaropapifliihe MWürhen ans 
zuführen, womit zur Zeit Peters des Großen in Rußland gegen die Rasko Initen (Alt⸗ 
gläubigen) verfahren wurbe. 





214 


Mefopotamien. Seine asketiſche Sekte nerfhwand nach der aligemeinen 
Annahme des Arianismus von Seite der Gothen. Die wegen ihrer Ar- 
Beitfchen und Verachtung Tirchlicher Ordnung von felbit aus der Kirche ge⸗ 
ſchiedenen Maffalianer, ebenfalld tem 4. Jahrhundert angehörig, Biel 
ten fi bi8 ind 7. Iahrhundert. Die Briscillianiften wurden wegen 
gnoftifcher Anfichten über die Berfon Eprifli, wegen Verwerfung ber Ehe und 
aller thierifhen Nahrung von der Kirche ausgefchlofien, behaupteten ſich jedoch, 
durch das Blut ihrer Märtyrer in ihrem Glauben beftärkt, bis ins 6. Jahrh. 

Die weit verbreiteten Manicäer, deren Sekte von dem Durd die 
Saflaniden vertriebenen Magier Mani zu Anfang des 3. Jahrhunderts ges 
fiftet worden, wurben von der Kirche niemald anerkannt. Der Grund⸗ 
gedanfe ihres Lehrſyſtems, welches Parfismus, Mithrasreligion, Buddhis⸗ 
mus und Chriftenthum mit einander vermengte, war, die Entftehung der 
Melt fei ein Abfall von der Gottheit, die Entwidlung der Welt eine all« 
mälige Rückkehr zu Gott, durch Befreiung des Kichted von der Finfterniß, 
eine Befreiung, welche zwar Chriſtus begonnen habe, weldje jedoch zu volls 
enden, Mani gejendet worden ſei. Diefe Weltanfbauung feflelte viele Ge— 
müther jo flarf, daß der Manichäismus trotz der blutigſten Verfolgungen 
ſeine Ausläufer bis tief ins Mittelalter hinein getrieben hat. 

Das zunehmende Verderbniß der Kirche rief die Sekte der Pauli— 
cianer ins Leben, welche fo genannt wurde, weil ihr Stifter, Konftantinus 
mit dem Beinamen Sylvanus, durch die Lectüre Des neuen Teſtamentes bes 
geiftert worden war, nad dem Mufter ded Apofteld Paulus wieder ächt 
apoftoltihe Gemeinden zu gründen, denen er denn auch Den Namen pauliniſcher 
Bemeinden gab, um 660. Die PBaulicianer flügten fih ganz auf das neue 
Zeftament, verwarfen das alte und fämmtlidhe neuen Dogmen und Cultus⸗ 
formen der Kirche, auch das Moͤnchsweſen. Nadı mannigfachem Wechſel ihrer 
Schickſale wurden ſie vom Kaifer Alexius Comnenus unterworfen, und 
ihrer Viele zur Kirche zurüdgeführt. Doch find die Paulicianer ded Hä— 
musgebirges auch gegenwärtig nod nicht verſchwunden. Um die Mitte 
ded 11. Jahrhunderts war unter ten Baulicianern felbf die dualiſtiſche 
Sekte der Bogomilen entſtanden. Ihre Anficht dreht fih um ben Gegen⸗ 

ſatz zwiſchen Satanael (Satan) and Logos (Ehriftus), Beide Söhne des 
alleinigen guten Gottes. Dem Satanael ward die Urheberſchaft ded ganzen 
ihnen 10 verhaßten Kirchenweſens zugefchrieben. 

Seften anderer Art entflanden aus den Kämpfen, welde Die Entwick⸗ 


215 


Yung bes kirchlichen Lehrbegriff3 erregte, Wir haben die meiften derſelben 
im Kapitel von der Lehrentwiclung genannt. Unter ihnen find Die Aria⸗ 
ner die wichtigfte, eigentlich Feine Sekte, ſondern geradezu eine Gegenkirche. 
Sie verſchwanden nach vielen blutigen Kämpfen und Verfolgungen, in Ber 
tracht deren die Athanaflaner weder ihnen, noch fie ihren Gegnern viel vor⸗ 
zuwerfen haben, erft im 7. Jahrhundert, nachdem die Longobarden, die letz⸗ 
ten Arianer, fih dem Athanaſianiſchen Bekenntniß zugewandt. 

Der ganze Mömerbrief des Apofteld Paulus. legt Zeugniß dafür ab, 
daß auch bei bedeutenden Berfchtedenheiten in den Blaubensanfichten kirchliche 
Gemeinſchaft und Firchlicher Friede unter wahrhaft chriſtlich Gefinnten mögs 
lich, ja Pflicht if. Statt deſſen hatte tie Kirche, äußerliche Glaubens⸗ 
anſichten mit dem inneren Glauben, der da fellg mache, verwecfelnd, 
angefangen, dur Mehrheiten die Minderheit zu verdammen. Sind der 
artige Befchlüffe wirklich Dur) Eingebung des heiligen Geiftes gefaßt wor» 
den, fo ift es ſehr verwunderlich, daß der Streit fo oft fich erneuerte und 
dag zulegt zwei ungefähr gleich flarfe Barteien einander gegenfeitig aus der 
Kirchengemeinſchaft fich außfließen, wie dies bei dem großen Schisma zwi⸗ 
fen der morgenlänbifchen und ber abentländifchen Kirche geſchehen ifl. 
Politiſche, Flimatifche und nationale Motive haben hierbei ficherlich mehr 
gethan ald Abweichungen in Blaubendmeinungen. Der Streit bob damit 
an, dag Bapft Nikolaus J., von dem abgefegten Patriarchen Ignatius aufges 
best, die Wahl des byzantintichen Batriarchen Phottus für ungültig erklärte 
und denfelben bannte. Photius feinerfeits ſprach 866 ebenfalld den Bann 
and gegen den Papft und klagte in einem Kreisichreiben die römifche Kirche 
der willfürlihen Veränderung bed Symbolums, der Faſten am Samflag 
u. f: w. an... Dafür wurde, als ein Regierungswechſel ihn geftürzt, feine 
Abfegung auf der Synode non Konflantinopel 869 durch die päpftlichen 
Legaten beftätigt. Im 11. Jahrhundert erneute der Patriarch Michael 
Cerularius den Kampf, indem er den von Photius gegen Mom ge= 
ſchleuderten Anklagen Borwürfe über das Cölibat ber Briefter und den Ge 
brauch umgefäuerten Brote beim Abendmahl beifügte. Der Papft gab hie 
Vorwürfe zurüd, und das Wortgefecht endete den 16. Juli 1054 damit, 
daß die päpftlichen Legaten den Bannfluch gegen den Patriarchen auf. den 
Hochaltar der Sophienkirche legten. Gerularius, an derSpige einer Synode; 
bannte hierauf den Papſt ebenfalld. Von ta an vermocten weder die Ve⸗ 
drängniſſe ‘der griechifchen Kaifer nad die Verhandlungen der. Synoden zu 


tuden hier Die aberſte Eiräliche Behörde, bie regelmäßig ſich verfammelnde 
Spuode, aus den Pfarrern des Kantons und etlichen Abgeordneten des 
großen ober Eleinen Math zufammengeisht wurde. In Genf geftaltete fidh 
die Kirchenverfaſſung demokratiſch, durch Galvind Einfluß. Cr errichtete 
ein geiſiliches Gericht, beſtehend aus den. von der Gemeinde gewählten Aelte⸗ 
Ben und den Pfarrern, zur Aufrechthaltung der Kirchenzucht. In Frank⸗ 
reih und Schottland wurde dieje noch Follsgialifche Presbyterialverfafſung, 
welche am meiften an bie urchriftliche erinnert, zur ſynodalen fortgebildet. 

Mash vielfachen Limgeflaltungen hat die genferifche Kirchenverfaflung ihren 
Demofratiichen Charakter darin behauptet, daß feit 1847 ein von allen res 
formirten Bürgern gewähltes, aus geiftlichen und weltlichen - Ritgliedern 
beficheudes Conſiſtorium die oberfte kirchliche Behörde bildet. 


Das Rirhengut wurde bei Gelegenheit der Reformation größtentheils 
von den Kandeöherren eingezogen und es Tann feinem Zweifel unterliegen, 
daß diefe Manipulation die meiften Fürſten für das „gereinigte Wort Gottes * 
günftiger flimmte ald alles Andere. Auch die republifaniihen Obrigfeiten 
haben allmältg baare Befoldung der Geiftlichfeit aus der durd Einziehung 
der Pfründgüter bereicherten Staatskaſſe eingeführt. Daß den Bifchöfen und 
Pfarrern der englifhen Hochkirche Die Einkünfte der alten Kirchengüter un- 
gefehmälert blieben, hat ſchon die jchreiendften Mebelftände zur Bolge ge 
habt, zumal den, daß die geiftlichen Verrichtungen meift um den fünımer- 
lichften Lohn Vicaren übergeben werden, während der reiche Pfründbeſttzer 
fih tem Müßiggang überläßt. 


In Rußland ſchuf Peter der Große 1721 als oberfte Eirchliche Behörde 
bes Reiches die „heilige Synode“ aus von ihm felbft Hiezu gewählten Pra⸗ 
laten. Unter der Synode fiehen die Erzbifchäfe und Biſchöfe, die Synode 
ſelbſt unter dem Gzaren, — alſo vollftändiger Gäjaropapismug. Se 
der Fülle ihrer Machtvollkommenheit zog Katharina 11. ſämmtliches Kirden- 
gut ein und ſetzte eine beſtimmte Bejoldung für die geiftlichen Stellen aus ver 
Staatskaſſe fe. Der Klerus verdient den Namen einer Kafte, weil in Ruß⸗ 
land ter geiftlihe Stand erblich ift. Daher die geiftige Unfähigkeit fo vieler 
Popen. Die niedere Geifilichkeit der .ruiftichen Kirche beflcht aus den Litur⸗ 
gen und den Prieftern. Bu den Liturgen gehören die Sängers, Vorleſer 
und Diakonen, zu den Prieftern die Bopen und die Protopopen oder Erz⸗ 
priefter. Die Arhimandriten, Aufſeher der Aebte, fichen an Rang gleich 


ter ben Diichäfen. Mur aus den Kionergeiſtlichen werden die Biſchöfe, 
Metropoliten und Patriarchen genemmen ; die Priefter und Liturgen bringen 
eß bochſtene zum Erzprieſter. 


20. 


Die im Vorſtehenden ffizzirte Entwicklung der Hierarchie aus den be⸗ 
ſcheidenſten Anfangen fann nicht völlig verftanden werden, ohne Berüdfid« 
tigung der zugleich mit der Gierarchie und geoßentheild in deren Inter⸗ 
ee ſich entwidelnden Kirchenzucht. Diefe war bie ſchärfſte Waffe, 
mis welcher Bifchöfe und Päpfte ihre Anfprüce burchiegten. Außerdem 
eineß der ergiebigften Mittel zur Bereicherung der Kirche und ihrer Diener 
und endlid) eine Kaupturfache der zunehmenden Kirchenzerfplitterung, 

Die, Kirhenzucht jeit den Tagen des Theodoſtus hat wohl die zahlreich⸗ 
fien und furdtbarften Sräuel hervorgerufen, welche Die Erde jemald getragen 
hat. Sie nahm ihre Anfänge in der Beftrafung des Ananiad und ber 
Sapphira durch Petrus!) und in der Ausſchließung eines Blutfchänders 
aus der korinthiſchen Gemeinde auf Betrieb deö Baulns?). Der Haupt- 
grundfag, von welchem die Ausichliegung aus der Gemeinde (Ercommuni- 
kation) ausging, war der Ausfprud des Paulus: „Gott wird die, io 
draußen find, richten.“ Der uranfängliche Zwed der Kirchenzucht, welche 
Anfangs weientlid in der Exrcommunilation bei größeren, in Ermahnung 
durch die Gemeindevorfieher bei geringeren Bergehungen beſtand, war, die 
Kirche als, Gemeinſchaft der Heiligen", als den „geifligen Leib Ehrifti“ 
rein zu erhalten. Unter den größeren Bergehungen verftand das apoftolifche 
Zeitalter jegliche Art von Gößendienft, Unzucht, Trunkſucht, Unredlichbeit 
und Gewaltthätigfeit. Im 2. Jahrhundert mallten Die Mantaniften von 
einer Wiederaufnahme. der Excommunicirten Nichts mehr willen, uneinge- 
denk der Milde, mit welcher einft Paulus den reuigen Blutichänder zur 
Wiederaufnahme empfohlen. Da nun die Kirche auf das Recht der Men 
gnadigung nicht verzichten wollte, ſah ſie fich genöthigt, die ſtarren Monta⸗ 
niften felbft außzufchließen , aus gleigen Gruͤnden ipäterhin die Nevatianer 
und Donatiſten. Bugleich verleitete das Ueberhantnehmen des Gnoſticis⸗ 
mus, welder die Willfür einer dichteriihen Phantafle an die Stelle der 
ichlichten apoftolifchen Trarition zu fegen und Heidnifches in dag Chriften« 

1) Apnfielgeich. 5, 11. 

2) 1. Rorinih. 5, 1-—13. — 2. Kur. 2, 1—11. 


thum einzumifchen drobte, die Kirchenzucht auch auf das Gebiet des Glaubens 
auszubehnen und die Gnoſtiker ebenfalls von der Kirche auszufchließen. Das 
durch ward bereits nicht nur Meinheit bes Lebens, fondern auch Reinheit 
und Einheit des Glaubens zum Zwecke der Kirchenzucht erhoben. 

In den Zeiten der Berfolgung befaß die Kirche bereits ein audges 
bildetes, firenges Bußfpfiem für die Abtrünnigen jeder Art. Oft erſtreckte 
fih die auferlegte Buße auf das ganze Leben des Ausgeſtoßenen. Strenge 
Baften, öffentliche Demürhigung in jeder Bemeindeverfammlung, Aus—⸗ 
ſchließung vom Abendmahl u. A. m. gehörten zu diefen Bußen. Was bier 
die Kirche um ihrer Selbfterhaltung willen that, wurde oft durch die Auto- 
rität der Bekenner und Märtyrer gemildert, Sobald Provinzialiynoden 
entflanden waren, nahmen fie das Hecht det Excommunikation gegen ganze 
kirchliche Parteien in Anſpruch. „Weil außerhalb der Kirche Fein Heil”, 
hielt es die Synode zu Nicaͤa und hielten es nach ihr alle folgenden ölumenifchen 
Synoden für gleichbedeutend, von der Kirche außzufchließen oder den Fluch 
über die Jrrgläubigen audzufprechen 3. Die Excommunikation erhielt 
natürlich durch die allgemeinen Goncilien der ganzen Kirche die umfaffendfte 
Bedeutung und fonnte felbft dadurch nicht geihwächt werden, daß hie und 
da andere ökumeniſche Concilien vdenfelben Fluch über die Mehrzahl der 
Sheilnehmer an einem vorhergehenden Concil ausfpracen. 

Seit Konftantin wurde die Entbindung von Kirchenbußen (Dispen- 
fation) immer häufiger und wurden die Bußen jelbft, befonderd was fitt« 
liche Vergebungen betraf, bedeutend gemildert. Bereits hatten die Bifchöfe 
die Verhaͤngung der Kirchenbußen nebſt dem Bann an ſich gezogen, und 
zum Theil erlaubte der Zuſtand ihrer eignen Sittlichfeit feine zu große 
Strenge mehr gegen die armen Sünder. Unter 2eo dem Großen wurde, 
als nothwendig zur Berzeihung der Sünden (Abſolution), das geheime 
Bekenntniß, die Beichte, eingeführt, freilich nur für die abendländifche 
Kirche. 

Die Kirche ſollte Ihrem Haupt nur fo lange aͤhnlich bleiben, als fie, 
glei ihm, in Niedrigkeit und Verfolgung lebte. Ie mehr fle erflarkte, deſto 
mehr verlor fie den Geiſt ihres Stifters. Haß und Unduldſamkeit traten 





3) „Avasnua loro, Anathema über ihn oder fie!“ fo lautete der Fluch, defien 
eigentlicher Sinn ift: „Sie feien dem Gerichte Gottes übergeben!” weil fie, nicht mehr 
zur @emeinfchaft der Heiligen gehörend,, die Verzeihung der Sünfen und das ewige 
Leben eingebüßt haben. 


209 


an dieſes Geiſtes Stelle. Hatte die Kirche ſich früherhin mit Ausſchließung 
der Ketzer begnügt, fo fing ſie unter Theodoſtus an, dieſelben zu verfolgen. 
Unter feinem Mitregenten Maximus floß (385) zum erften Mal Menichen- 
blut, um des Glaubens willen von Mitchriſten vergoffen. Priscillianus, 
Bifchof von Avila in Spanien, ward nebft etlichen feiner Genoſſen, vor⸗ 
naͤmlich auf Betrieb. des laſterhaften Biſchofs Ithaeius, um irrthümlicher 
Blaubensmeinungen willen vom Faiferlichen Präfekten in Trier gefoltert und 
hingerichtet. Selbſt Ambrofius von Mailand und Martin von Tours, die 
beiden Biſchöfe, welche den Priscillian und feine Genofjen verdammt hatten, 
erklärten laut ihren Abfcheu gegen .diefe ſluchwürdige. in ihren Folgen ſo 
inhaltſchwere That). 


21. 


In der deutſchen Kirche konnte die Kirchenzucht erſt im 8. Jahrhundert 
eingeführt werden und zwar, weil daſelbſt von Alters her jedes Verbrechen 
mit Geld („Wehrgeld“) hatte geſühnt werben können, nur durch die kaiſer⸗ 
liche Einführung der biſchöflichen Sendgerichte. Auf ſchwere Verbrechen 
jegte die Kirchenzucht Geißelung, Baften, Eheverbot, Gefängnig und Bann, 
verbunden mit der Todesſtrafe. Wer freiwillig feine Bergehungen beichtete, 
fam mit einer verhältnigmäßigen. Geldftrafe davon, melde Anfangs zu 
Gunften der Armen eingezogen wurde. Jedem Biſchof blieb in feinem 
Sprengel das Recht, zu bannen, nämlich aus der Gemeinfchaft der Chriften. 
Den umfafjendftien Gebrauch vom Bannftrapl machten jedoch die Paäpſte. 
Seit Gregor VII. zitierten Kaifer und Könige vor dieſer geiftlichen Waffe, 
auch wenn fie fich im beften Rechte befanden. Der Glaube der Völfer war 
des Bannes Macht, der Bürften Ohnmacht. Das 11. Jahrhundert ſah au 
das Interdiet entfteben, jenen päpftlien Machtſpruch, kraft deſſen alle 
kirchlichen Verrichtungen in dem bezeichneten Landſtrich aufgehoben wurden. 


— — — — —— 


4) Zur Lichtſeite der damaligen Kirchenzucht gehoͤrt, daß ſelbſt der Kaiſer Theo⸗ 
doſtus ſich derſelben unterwarf. Er hatte Die aufruͤhreriſchen Bewohner von Theſſalonice 
groͤßtentheils ohne Unterſchied des Alters und Geſchlechts niedermetzeln laſſen. Dafür 
verweigerte ihm der muthige Ambrofius den Zutritt zum Abendmahl, bie der Autofrat 
vor allem Bolfe im Dom zu Mailand für feine Grauſamkeit fnieend Buße gethan 
hatte. Ueberhaupt muß anerfannt werden, daß die Mittel der Kirchenzucht das ganze 
Mittelalter hindurch oft die einzigen waren, tie viehifche Brutalität der Machthaber 
wenigſtens einigermaßen zu bändigen. 

Scherr, Geſch. d. Religion. 1. 14 


DE — — 


210 


Zuerſt nur gegen Landfriedensbruch gerichtet, ward dieſer Völkerbann be⸗ 
ſonders in der Hand des dritten Innocenz zum unfehlbaren Mittel, durch das 
erfchredte Volk ven Hartnädigen Zürften zu bezwingen. Die Ohrenbeichte 
erhob Innocenz II. zum allgemeinen Kirchengefeg, zur unerläßlichen Bes 
Dingung ter Seligkeit. Aber dadurch ward nicht ausgeichloflen, daß man 
Berzeihang der Sünden, Ablaß, nicht auch fürderhin, wie ſchon feit den 
erften Kreuzzügen, auf andere Weile erlangen Eonnte. Da die Sendgeriäte 
allmälig wieder zum altgermantihen Brauch der Geldbußen für Alles und 
Jedes zurüdgefehrt waren und von den dadurch vermehrten Sunimen aud 
die Kirche außer den Armen ihr Scherflein zu nehmen begonnen hatte, fo er⸗ 
theilten Bifchöfe und Päpfte Ablaß auch ohne Beichte und Gericht, um weni⸗ 
ger mühfan zu Gelde zu fommen, Anfangs hatten freilich die Bifchöfe nur 
einzelnen Heiligthümern das Hecht verliehen, ihren Befuchern Ablaß zu er» 
theilen, und aud die Päpfte hatten Anfangs ten Ablaß nur zu Dem Zwecke 
verfauft, um Geld für die Kreuzzüge zu erhalten. In foldhen Dingen 
machen fich jedoch Die Conſequenzen rafh und von ſelbſt. Warum follten 
die Päpfte den reichen Ertrag des Ablaßhandels nicht für fich felbft behalten, 
wie fie im 14,, 15. und 16. Jahrhundert wirklich thaten? Wollten fie und 
ihre Nepoten, Courtiſanen und Künftfer nicht auch Ieben und zwar möge 
lichſt gut leben? In Folge deſſen verkauften kurz vor der Neformation bie 
Ablaßkrämer ihre Waare unter Ausdrüden, welche Neue und Buße für über- 
flüfftg zur Vergebung erflärten, und doch hat die Kirche in ihren rechte 
mäßigen Organen diefe Bedingungen der Sündenvergebung niemald aufges 
geben. Der Ablaßkram ift jeit der Neformation verſchwunden, der Ablaß 
*felber nicht. 
22, 
Schon Yuftinian hatte durch Verfolgung der Sektirer, die er durch 
tyrannifche Sefege zum Aufftand reizte, um ihnen mit befjferem Rechts⸗ 
- grund beifommen zu können, mehrere Provinzen entvölkert. Auf das Gut- 
achten des Abtes Theophaned, daß ed mit dem Geifte des Evangeliums nber- 
einftimme, Keber zu verbrennen, hatte ſodann die orientalifche Kirche viele 
Manichäer dem Peuertode überliefert. Zu Anfang des 11. Jahrhunderts 
erlitt eine Ahnliche Sekte das gleihe Schickſal in Orleand und einigen an— 
deren Städten Frankreichs. Das Concil zu Verona hatte auf Veranlaffung 
von Papſt Lufad I. bereitd weltlichen und geiftlichen Gewalten die Aufr 


w 211 


fpürung, Berfolgung und Beftrafung der Keter auferlegt im Jahr 1184. 
Da gaben die unglücklichen Albigenſer Innocenz IV. die erwünfchte Gelegen⸗ 
heit, unter Gewährung des Ablafjes für alle Theilnehmer den Kreuzzug 
gegen die Keger zu prebigen, Im fürchterlichflen Gemetzel erſcholl die 
Stimme des Legaten Peter von Baftelnau: „ Schonet Keinen, der Herr 
kennt die Seinen!” und bie kindliche Unfchuld Hlutete für Kegereien, von 
denen fte Feine Ahnung battet).. . 

Den Thaten der päpftlichen Kreuzfahrer in der Provence folgte dann 
auf dem vierten Lateranconcil (1215) die Einfegung der Inquiſition dur 
Sunocenz. Dieſem Glaubendtribunal ward die Vollmacht erteilt, nöthigen« 
falls unabhängig von den Biſchöfen der Keberet überall nachzufpüren, durch 
Zeugniffe und Folterqual jeder Art jeden des Irrglaubens irgendwie An— 
gefhuldigten oder auch nur überhaupt Verdächtigen zu überweifen und 
ihn hierauf — Dadurch fuchte Die Kirche ihr „ecclesia non sitit sangui- 
nem zu retten — bem firafenden Arm der weltlichen Geredhtigfeit zu über- 
liefern. Bald darauf ftiftete ‚der heilige Dominicus gegen die Keßer den 
nad ihm benannten Mönchsorden und organiftrte aus den eifrigften Mit- 
gliedern beffelben die „ Miliz Chrifti”, welche, als, Bamiltaren * der Inqute 
fition thätig, den traurigen Ruhm ſich erwarb, im Raffinement der Ent- 
menfchung e8 am mweiteften gebracht zu haben. Nur die nordifchen Heren« 
richter könnten diefen Ruhm der füdlichen Ketzerquäler beeinträchtigen. 

Dieffeitö der Alpen wollte nämlich die eigentliche Inquifttion im gan« 
zen Umfang ihrer fchredlichen Ihätigfeit nicht fo recht gedeihen. Was 


1) Lenau hat in feinen ‚‚Albigenfern‘’ das berühmte Bild vom Glaubensloͤwen 
gezeichnet: — 
Inbrünftig Tüßt ihm — (dem Gefreuzigten) — Innocenz die Wunden, 
Ein zahmer Leu, der feinen Herrn beledt; 
Doch hat die Scharfe Zunge Blut geſchmeckt 
-Und feine Wuth ift losgebunden. 
Der Leu brüllt auf und haf mit feinen Krallen 
Wuthblind den eignen Meifter angefallen, 
Er hat fein Bild ſchon halb zerrifien 
Und meint e8 immer noch zu kuͤſſen. 
Bom Blute feines Herrn beraufcht, 
Durchtobt die Welt ver grimme Leu; 
Wohin das Ohr des Wandrers laufcht, 
Hört er der Opfer Wehgeſchrei. 
14* 





fenſive wieter zur Öffenfive vorzugehen. Die „Miltiz Chrifti*, jetzt nicht 
mehr aus plumpen Dominifanern, fondern aus feinen Jeſuiten beftehend 1), 
hielt nicht nur den Siegedlauf ded Proteflantigmus durch Europa auf, ſon⸗ 
bern griff diefen auch in feiner eigentlichen Heimat, in Deutfchland, mit Er- 
folg an. Die Fatholifche Kirche hat im Grunde alle Urjache, den Reforma⸗ 
toren danfbar zu fein, denn die Neformation ift für fie ein Mittel der Neu—⸗ 
beiebung und Wiederfräftigung geworden. 

Dies gefagt, überbliden wir zum Schluß des Kapiteld die im Vor⸗ 
fiehenden noch nicht berührten Anläufe und Erfolge ter Reformation und 
dann noch die Seftenbildung, wie fle von der Reformationgzeit bis auf uns 
fere Tage herab zu Tage getreten ift. 

England hatte der ebenſo eitle als gewaltthätige und graufame König 
Heinrich VII. feit 1532 vom römifhen Stuhl lodgeriffen. Nirgends war 
die Meformation jo ganz und gar äußerlich, fo ganz und gar dad Werk per⸗ 
fünliher Willkür wie bier. Unter der Regierung von Heinrichs Tochter 
Elifabethb wurde dann dad Meformwerf mit etwas mehr Ernft angefaßt und 
durchgeführt. Die von einer Synode zu London 1562 angenommenen 39 
Glaubendartifel, welche zwiichen Katholicismus, Luthertfum und Calvinis⸗ 
muß die Mitte Halten, find 1571 durch eine Parlamentsacte beftätigt wore 
den ald Grundlage der reformirten Kirche Englands2). In Schottland 
hatte vor Allen Johann Knor den Calvinismus befördert durch feine feurige 
Beredtiamfeit. Gegen tie Regentihaft für Die unmündige Maria Stuart 
ſich empörend, rief die reformirte Partei Tie Königin Eliſabeth um Beiftand 
an und brachte dadurch 1561 einen Parlamentsbeſchluß zu Stande, kraft 
deflen die Reformation in Schottland nach Calvins Lehre eingeführt wurde. 
Der Adel that hiebei aud) dad Seine und erhielt zum Lohn dafür den größ« 
ten Theil des kirchlichen Grundbeftged. — Die proteftantifhen Niederländer, 
d. h. die fleben zur Utrechter Union vereinigten nördlichen Provinzen der 








4) Auf den Jeſuitismus kommen wir im folgenden Kapitel zurüd. 

2) Diele „reformirte“ Kirche wurde aber fogleich nad) Ihrem Siege zur Berfole 
gerin gegen bie fogenannten Buritaner, welche in firenger Befolgung der Lehre 
Calvins die halbkatholiſch⸗biſchöͤſliche Verfafung der anglikaniſchen Kirche verwarfen 
und eine presbyterianifche Kirchenverfaffung wollten. Die fchroffite Fraction der 
Presbyterianer waren befanntlich tie Bramniften oder Sndependenten, welde der 
große Oliver Cromwell unter der Regierung Karls I. zu einem welthiftorifchen Siege 
führte. 


a 


223 


Niederlande erfochten gegen die Inquifitoren und Generale ihres Despoten 
Philipp A. son Spanien mit der Sicherung des evangelifchen Glaubensbe⸗ 
Fenntniffes zugleich ihre politijche Unabhängigkeit (1609). Hier entiprang 
alſo, wie in England, aus der religidfen Reform die ftaatliche Revolution. 
— Mit Ausnahme des ruifiichen Reiches, blieb fein Land Europa's von der 
Meformation unberührt. In Frankreich, Polen, Ungarn und Siebenbürgen. 
behaupteten fich die Neformirten als eine mächtige Bartei. Gaͤnzlich ausge⸗ 
sottet wurden fle in Italien und Spanien, lange Zeit ſchwer bedrängt in. 
Oeſtreich, Baiern und den deutſchen Erzbisthümern. 


27. 


Unter den Sekten, welche die geiftige Bewegung der Neformationgzeit- 
ins Dafein rief, haben wir der Socinianer und Urminianer bereitd 
früher gedadt. Die Wiedertäufer, deren erſter Sturm und Drang 
durch das Schickſal Thomas Münzers und Johann Bodolts von Leyden abge= 
fühlt worden, gaben die communiftijch = Demofratijche Seite ihrer Meinung, 
- auf und fammelten ſich unter Leitung des Menno Simon feit 1536 zu ftillen 
Gemeinden, welche unter ihren Angehörigen ftrenge Kirchenzucht hielten 
und nad) dem Buchflaben der Schrift Eid, Krieg, gerichtliche Klage, Ehe— 
fheidung, die nicht durch Ehebruch begründet fei, verboten. Nach ihrem. 
Reformator wurden fie in der Folge Mennoniten genannt. — Die reformirte 
Kirche war überall zu jehr Staatöfirdye geworden und wirfte dadurch erfäls 
tend auf tiefere Gemüther. Hohles Wortgezänf war großenthrild an die 
Stelle der erbaulichen Predigt getreten, Die Kirchenzucht ichien Manchen allzu= 
fehr vernachlaͤſſigt, Hinwieder galt Glaubens⸗ und Gewiffensfreiheit auch in. 
reformirten Ländern noch zu wenig, geiftlicher Ehrgeiz Einzelner fonnte in 
der Kirche nicht genug Nahrung finden; zudem bot die Erforichung der 
Bibel fo viele Anfnüpfungspunfte für die religiöfe Phantaſie und endlich 
hatte die Meformation feinen ſehr beimerfbaren Einfluß auf Die Läuterung 
des fittlichen Lebens geübt. Dies find die Urſachen, aus welchen nach dem. 
Stoden der reformatoriichen Bewegung eine ſolche Maſſe von Sekten ent: 
ſtand. 

Der Schuſter Georg For gründete 1649 in England die ,Geſellſchaft 
der Freunde", welchen die Welt den Spottnamen der Quaker (Zitterer) 
gegeben hat. Sie ftellen die unmittelbare Eingebung (Inipiration) des Heil, . 
@eiftes, welche fie Jedem der Ihrigen beimeflen, an Autorität der heil.. 





224 


Schrift gleich, verwerfen Kriegsbienft, Eid. und Zehnten und alle bürgerr 
liche Rangordnung und zeichnen ſich auch Außerlihb aus durch ihre gleiche 
förmig fchlihte Tracht. Der daheim erlittenen Verfolgung müde, zog ein 
Theil von ihnen unter William Penn nad) Amerifa und gründete daſelbſt 
1681 die Stadt Bhiladelpbia. 

Im Jahr 1722 ftiftete Ludwig Graf von Zinzendorf die „Brübder- 
gemeinde * am Hutberge, welche er jedoch als Glied der augäburgifchen Con⸗ 
fefftondverwandtfchaft und zugleich Der bifchöflichsenglifchen Kirche anerkennen 
ließ, weshalb die Herrnhuter nicht al8 wirkliche Sekte zu betrachten 
find. Die Brüdergemeinde fchließt Angehörige aller nichtkatholffchen. Con⸗ 
feiftonen in fih. Das geiflige Band der Einheit ift die innige Erfaffung 
des erlöfenden Kreuzed Chrifli in Glauben und dankbarer Liebe; dad äußere 
Band eine bifchöflich » presbpteriale Verfaffung , welche aber die Verpflich⸗ 
tungen der Glieder gegen die Landeskirche nicht aufhebt. Zinzendorf ſelbſt 
lieg fi von einem mährifchen Bifhof, Jablonsky, zum erften Biſchof feiner 
Gemeinde weihen. Bür fih und feine Nachfolger nahm er das Hecht des 
Bindend und Löſens in Anfpruch, die mildefte Form des Bannes, nach dem 
Evangelium. Zinzendorfs Plan fcheint gewefen zu fein, im Geifte der Apoſtel 
den Hader der reformirten Confeſſtonen allmälig zu tilgen und die Grundlage 
einer wahrhaft unirten Kirche zu legen. Daß Die Kiebeöglut feiner Gemeinde 
für Chriftus fih in allzufinnlihen Bildern auödrüdte und ihre Andacıtd« 
bücher heute noch von Blut und Schweiß und Thränen überquellen, iſt 
größtentheild dem Einflug der Hallenſer Pietiften auf Zinzendorf zuzu⸗ 
Schreiben. Duldſamkeit gegen Angehörige aller Confeiftonen hat von jeher 
die Brüdergemeinde, wohin fie kam, ausgezeichnet. " 

Der von Sohn Wesley 1729 gegründete Methodiften verein, ſo ge⸗ 
nannt wegen ber ängftlich ſtrengen Lebensart ſeiner Glieder, wurde erſt durch 
die Unduldſamkeit der anglikaniſchen Geiſtlichkeit von der Kirche losgeriſſen. 
Die Methodiſten konnten ſich mit ten Herrnhutern in England nicht ver« 
einigen, weil fie einen ſchmerzlich gewaltſamen Durchbruch der Gnade für 
nothwentig zur Seligfeit hielten. Sie gründeten Daher ein eigenes Kirchen 
wefen mit ftrenger Kirchenzudt. In England und Amerifa hat der Metho« 
dismus weite Verbreitung erlangt, vornämlich durch die populäre Bercdt- 
fanıfeit feiner Prediger. 

Emanuel Smwedenborg, ein geiftreicher Naturforfcher, gründete 1743 
die „ Kirche des neuen Jeruſalem“, aufgefordert, wie er meinte, durch eine 


225 


Dffenbarung Des Herrn. Geſpraͤche mit den Geiſtern der Vorwelt und der 
Geſtirne boten ihm den Stoff zur Aufſtellung feiner neuen Lehre, Die mit 
Zuröcdiegung Des erlöfenden Todes Chriſti hauptſächlich die Menfehwertung 
Gottes hervorhob und die Schrift allegoriſch auslegte. Die Getftererichei- 
nungen Smwedenborgs find von der neuern Wiflenidaft einem ſomnambulen 
BZuftande einzelner Gehirntheile im BZuflande des Wachens zugeichrichen 
worden und jedenfalls ift ed für Die Nealität Dieler Eriheinungen ein 
mißficher Umftand, daß Swedenborgs Geifter jo ganz in feinem Sinne rede> 
ten. In England, Nortamerifa, Schweden und Würtemberg zählt ber 
Ewedenborgianiämus DBefenner. 

Zu den Erfheinungen religiöier Bhantaftif auf Dem Gebiet Der Seften- 
Hildung gehören auch Die von Gichtel geitifteten Engelbrübder, welde 
gleich den Engeln ohne Sorge und Arbeit leben wollten; dann dir Sh a⸗ 
fers in Nordamerifa, welche in communittiicher Oemeinfaurfeit leben, den 
gefchlechtlichen Umgang verwerfen und zum ©ottestienft — tanzen ; ferner 
die Brüggler und Antonianer in der Schweiz, welche, weil Die Gläu— 
bigen nach ihrem Dafürhalten nicht jündigen können, Lie Unzucht ald einen 
gottesdienftlichen Met betrachten, und andere dergleiden Ihoren mehr. Gin 
Abſenker des Methodismus gründete im Waadtland unter dem Einfluffe der 
fehr zweideutigen Frau von Krüdener 1818 die feparatiftifchen Gemeinden der _ 
(fpottweife fo genannten) Momiers. Ihre lebensfeindliche Kopfhängerei 
und zudringliche Vrofelgtenmacherei regte dad Volk gegen fie auf. — Die 
-Seften ter Darbyften und Irvingianer, beide nad ihren Etiftern 
genannt, find Producte des an phyſtſchem und religiöfen Nebel reichen Eng 
lands. Jene verwerfen alles äußere Kirchenwefen ſammt dem geiftlichen 
Lehrftand ; dieſe rühmen ſich, Die Gabe Ted „Zungenredens“ in ihrer Ges 
meinde empfangen zu haben, und haben ten alten Kobl vom baldigen Naben 
des Weltgerichtd wieder aufgewärmt. Nordamerifa, Das Seftenparadieß, 
bat endlih aud tie Monftrofttät des Mormonismus Hervorgebradt. 
Bermittelft des unerhört Täppifchen Märdend von den wiederaufgefuntenen 
Schriftplatten des fabelhaften Buches Mormon bat John Emirb 1830 Die 
Sekte Ver Mormonen geftiftet und Tieje „Heiligen der legten Tage” Icben 
jegt im Lande Utah am großen Salzſee in einer Art jüͤdiſch⸗chriſtlich-Jan— 
Bockolt'ſcher Gütergemeinihaft und Vielweiberei. 

Zu großen Erwartungen ließ fidy die religiös» reformifttiche Vewegung 
an, welde in Gen wierziger Jahren unſeres Jahrhunderts in Deutichland 

Scherr, Geſch. d. Religion. IM. 15 


226 


zum Ausbruch Fam. Es zeigte fi) aber bald, daß dieſe religiöſen Strebungen 
eigentlich nur verhaltene Politif waren, wie denn ja wir Deutichen flet& 
geneigt find, für die verfagte politifche Thätigkeit Erfag zu juchen in einer 
den Glauben betreffenden. Zudem hingen die deutſchkatholiſchen, 
lihtfreundlihen und freigemeindplidhen Bewegungen jener Zeit 
mehr oder weniger eng mit den wiflenfchaftlichen Kämpfen zufammen, welche 
von 1830 an in Deutichland gegen alle kirchliche Autorität geführt wurten. 
Ronge und Ezeröfi auf der einen, Rupp, Uhlich und Wislicenus auf der 
andern Seite wandten nur unbewußter oder bewußter, zurüchaltender oder 
offener die Reſultate Hegel'ſcher Philoſophie auf die kirchlichen Zuſtände an. 
Den äußeren Anſtoß zum Deutſchkatholicismus, mit welchem die Freien Ge— 
meinden auf proteftantiichem Gebiet parallel gingen, gab, wie befinnt, das 
Aushängen des „Rodes Chriſti“ zu Trier. Wer jegt unbefangen auf die 
kurze deutichkatholiiche und lichtfreundliche Herrlichkeit zurückblidt, wird fagen 
müflen, der ganze Lärm fei nur eine Demonſtration des Kiberalidmud ge= 
weſen. Man fagte in der Borm von deutſchkatholiſchen und freigemeint- 
lihen Goncilienbefhlüffen, was man in politiſchen Zeitungsartifeln und 
Reden nicht fagen durfte. Der große Revolutiondverfuh von 1848 hat 
dann das Intereffe an jenen religiössreformiftiihen Anläufen vollftändig 
fortgefegt. Es hätte demnach der Gewaltsmaßregeln der Regierungen gegen 
Deutjchkarholifen und Breigemeindler Faunı bedurft. Die allgemeine Jmpo⸗ 
tenz unferer Zeit zu religiöfen Schöpfungen hatte ſich in der Sache, gegen 
welche ſoviel gehäſſige Maßregelei aufgeboten wurde, unzweifelhaft genug 
geoffenbart. 


Neuntes Kapitel. 


Das fıttliche und foziale Leben der Völker im 
Ghriftenthum. 
1. 


Der Spruch: „Un ihren Srüdten jollt ihr fle erfennen!* womit 
Ehriftus den Unterjchied zwifchen Achter und falſcher Brömmigfeit kenn⸗ 


227 


zeichnete, läßt fich swanglos auf das Chriſtenthum felbfi anwenten., Wo 
daffelbe in feinem Kern und Geift erfaßt worden, hat e8 Segen geftiftet; 
wo es hingegen nur äußerlich befannt wurde, da haben unter drifllichem 
Deckmantel Heucelei, Niederträchtigfeit, Bosheit und Graufamfeit namens 
los Schändlicdyes vollbracht. So, wie die gefellihaftlichen Verhältniſſe nun 
einmal waren, fonnten Die guten Früchte des Chriſtenthums weit mehr nur 
im Privatleben gedeihen, al8 in ter Ocffentlichfeit, und darum wird auch 
die Schilderung, welde wir von den Wirfungen der riftlichen Religion auf 
das fittlihe und foziale Leben der Völfer im vorliegenden Kapitel zu geben 
verſuchen, die Schattenjeiten unverhältnigmäßig hervorzuheben fihrinen. 
Die Geſchichte Hat ſich aber natürlich nicht ausdrücklich zu verwahren, daß fle 
nicht Darauf ausgehe, Aergerniß zu geben, und überdicd kann fie hier noch 
ten Chriften das tröftliche Wort fügen, die zu berührenten Aergerniſſe feien 
nur Rejultate der allmäligen Berfälihung der chriftlichen Idee geweien. 
Indeſſen auch an Lichtjeiten fehlt e8 nicht und ein unbefangener Sinn wird 
jolde finden in dem Einfluß des Chriſtenthums auf dad ehelihe Leben, 
auf Die Veredlung ter Volksſitte, auf die IJugendbildung, auf Die Förderung 
ber Mildthätigkeit, des humanen Vorſchritts in Anerfennung der Menſchen⸗ 
würde und jener idealen Gefühlsweiſe, welche um des Bleibenten willen das 
Bergängliche aufzuopfern bereit iſt. Hiezu in ſchroffem Gegenfage ftchen 
freilih die Erfcheinungen des Aberglaubend und Fanatismus, die Juden⸗ 
Ichlächtereien, die Folterkammern und Scheiterhaufen der Inquiſition, die 
Hexenprozeſſe, der Jeſuitismus, tie Neligiondfriege, das Muckerwejen. Gute 
und ſchlimme Regungen mifchen fih in den Erfcheinungen der dhriftlichen 
Askeſe, des Ordensweſens, der Möncherei und Nonnerei und felbft in jenen 
Ausbrüchen ter Volköfatire, weldhe den audgearteten Cultus durch muth- 
willige Nachaͤffung feiner Acte verhöhnte. Die fozialen Einflüffe des Chri⸗ 
ſtenthums machen ſich bemerkbar im Ausbau der Hierarchie, welcher ſchon 
früheren Ortes betrachtet wurde, ferner in den Kreuzzügen, in den Bauerne 
friegen, in der Heiligung der Monardie durch die fatholifche und die pro= 
teftantifche Kirche, in tem Auftauchen fozialiftifcher und communiftifcher 
Weltbeglüdungsfyfteme. " 

Nachdem wir fo die Umriffe des zu durchmeflenden Kreiſes angegeben, 
verfihreiten wir dazu, die einzelnen Erfcheinungen deſſelben in die geſchicht⸗ 
liche Beleuchtung zu rüden, merfen aber zugor an, daß dies und das, welches, 
fireng genommen, hieher gezogen werben fönnte oder follte, in einem ber 

15* 


228 


nod) folgenten Kapitel berührt werden wird oter auch in einem der vorher» 
gehenden ſchon berührt worten if. 


2. 

Ehriftus Hatte in mehrern feiner Ausiprücde die Monogamie geheiligt, 
Paulus zwar die Unterordnung des Weibes unter den Mann 1) entichieden 
‚gelehrt und dem Weibe in der Verfammlung Stillihweigen auferlegt, aber 
dennod) einerſeits auch den Ehemännern ihre Pflichten gegen die Frauen einges 
ihärft, andererieitö die beiten Geſchlechter moralifch einander gleichaeftellt 2). 
Endlich hatten Chriſtus und feine Apoftel faum eine Sünde jo ſchwer ver- 
"pönt, wie die Unzucht und Den Ehebruch indbejondere 3). Damit griff das 
Chriſtenthum das Grundübel an, welches das eheliche Leben der alten Welt 
zerrüttet hatte, und wo es fich der Herzen bemächtigte, ftellte es die Reine 
heit ter Ehe, die Würde und den moraliichen Einfluß des Weibes ald Gat- 
tin und Mutter ber. Uber fchweren Stand harte es damit felbft unter 
feinen Bekennern, einen immer jchwerern Stand, je mehr die Religion Jeſu 
felbft in Dogmatik und prunfendes Kircdhenweren audartete. Dafür zeugt 
eine Reihe von Ausſprüchen berühmter Kirchenväter, welche in Predigt und 
Schrift auf die Veredelung des weiblichen Geſchlechts und des ehelichen 
Lebens bingewirft haben. Von hoher Bedeutung und trefflich geeignet, 
ben fchroffen Segenfag zur Stellung des Weibes in der altheitniihen Welt 
anſchaulich zu machen, ift die Schilderung tes Verhältniffes zwiichen hrifte 
lihen Ehegatten, welche und Tertullian entwirft: „Welche Eintracht Herricht 
zwiichen zwei chriftlichen Gatten, Die durch diejelbe Hoffnung, Durch daffelbe 
Gelübde, durch dieſelbe Megel des Lebens und des Gehorſams verbunden 
find! Sie bilden in Wahrheit einen einzigen Leib, den ein und diefelbe 
Seele belebt. Gemeinichaftlich beten fie, gemeinschaftlich geben fle ſich den 
Uebungen der Buße und der Religion hin. Das Bild ihres Lebens tft eine 
gegenſeitige Unterweiſung, eine gegenſeitige Ermuthigung und Unterſtützung. 

1) SphHef. 8, 22—24. 1. Timoth. 2, 8-18. 


2) Sphef. 5, S—33. 6, 1—3. Kol. 3, 418. 19. 1. Kor. 7, 2—5 und 
10—16. 

. 3 Val 5, 19. Matth. 8, 27—32. Chr. Baur in Tübingen behauptet zwar, 
die Briefe an die Cyheſer, Kolofler und den Timotheus feien feine Acht paulinifchen ; 
aber diefe Behauptung ſteht noch nicht unangefochten und die Kirche hat fie wenigſtens 
fhon frühe als Acht anerkannt, daher fich nach denfelben gerichtet, und dasift uns bier 
die Hauptſache. 


229 


In der Kirche und am Tijche des Herrn jebt ihr fie gemeinschaftlich. Allee 
ift unter ihnen gemeinschaftlich, Die Sorgen und Verfolgungen, die Freuden 
und Vergnügungen. Nichts haben fie vor einander geheim; gleiched DVer- 
trauen verbinder fie Beite und gegenſeitige Dienſtfertigkeit.“ — Es ſpre⸗ 
chen auch deutliche Zeichen dafür, daß tie Faſtencur des Chriſtenthums weit‘ 
mehr auf die Brauen ald auf die Männer fittenbefernd gewirkt habe. Unter 
Kaiſer Valens ſcheinen mehr [pie Männer, als die Frauen, ſich den Lüften 
ihrer heidniſchen Vorfahren wieder überlaffen zu haben, ald fie den hungerne 
den Gothen das Brot um ihre IJungfrauen und Iünglinge verfauften, an 
der blühenden. Jugend dieſes Volkes ihre Vegierden zu fühlen. Auch ala 
die Germanen über das Reich hereinbrachen, wählte jo manche Frau und 
Jungfrau ten freiwilligen Tod, um ihre Reinheit zu wahren ; die aber der 
roben Gewalt nicht hatten entgehen können, fuchten unter Thränen ihren 
Troft bei der Kirche, Deren Kehrer die Opfer der Gewaltthat von der Echuld 
des Ehebruchs und der Unzucht frei ſprachen 4). 

Bei den germaniichen Stämmen ftand, wie wir wiffen, Das Weib in 
hohen Ehren, ehe fie das Chriftenthum annahmen. _ Doc fonderbar, gerade 
ihre Vermiſchung, felbft die bloße Berührung mit den chriftlichen Bewoh⸗ 
nern des römiſchen Reiches ſcheint ihrer Keuſchheit und ehelichen Treue 
großen Eintrag gethan zu haben. Die Sittengeſchichte des Mittelalters 
liefert und eine Menge Beiipiele von leichtfertigften Eheſcheidungen, von 
Berlobungen ſchon in der Wiege aus -politifchen Rüdfichten, von ſcham⸗ 
lofeftem Ehebruch und ins Große getriebener Unzudt. Von den Tagen der 
Zroubadourd an big zur Meformation ſcheint Das Ehriftenthum den geringe 
ften Einfluß auf die Reinheit der Sitten überhaupt und auf die Heiligung 
der Ehe im Beionderen geübt zu haben. Hatte auch die Kirche die Ehe 
zwiichen Verwandten bis zum flebenten Grad hinaus und die Eheſcheidung 
gänzlid verboten, ſie ſelbſt Tod ſorgie auf der andern Seite wieder durch 
den Ablaß und dur Ungültigerflärung fürftlicher Ehen unter dem Bor: 
wand allzu naher Verwandtſchaft Dafür, Daß man ihre Strenge in ſolchen 
Dingen nicht allzu jehr fürdte. Selbſt die folidere Bürgerlichfeit wußte 


— — — — — 


4) Selbſt der ſtrenge Auguſtin beflagte dabei nur, „es babe vielleicht beim Cr⸗ 
dulden folcher Gewaltthat eine gewile fleiichliche Luft troß alles Eträubens ter Seele 
nicht ausbleiben fünnen.” Ihm gerade märe es wohl angeftanden , dicie Bemerfung 
zu unterdrücken. 


230 


den rajenden Ausbrüchen der MWolluft einzig ten Damm entgegenzufegen, 
daß fie durch Errichtung reicher Bordelle („ Brauenhäufer *) wenigftend Ord⸗ 
nung in die Ausſchweifung zu bringen ſuchte. Skate, daß im Mittelalter 
die häuslihe Tugend nicht Fräftiger aus ihrer Verborgenheit hervortrat. 
Die Autoren jener Zeit gedenken ihrer Eaum vor al tem Wuft öffentlicher 
Sittenlofigfeit, welcher ihrem Auge überall entgegentrat. Bei Alledem trug 
der Mariencultus Dazu bei, in Hohen und Niebrigen ein mehr oder weniger 
lebhaftes Bewußtfein von der Würte reiner Weiblichkeit zu bewahren, und 
war auch die Frau in rechtlicher Veziehung wenig mehr ald die Magd ihres 
Ehemannes, fo ward fie doch durch Die geiellige Sitte ter ritterlid-roman« 
tifchen Gefellfihaft zu einer höheren und freieren Stellung erhoben. Wenig 
ſtens auf jo lange, bis die Courtoiſte ter Blüthezeit dieſer Gefellichaft 
im 14. und 15. Jahrhuntert in wüfter Roheit und Zuchtloſigkeit unter« 
ging ?). 

Die Reformation, indem fie das Volk wieder mit den Urfunten des 
Chriſtenthums befannt machte, trug Vieles dazu bei, Zucht und Ehrbarkeit 
in gefchlechtlichen VBerhältniffen wieder mehr zur Geltung zu bringen. Bes 
ſonders republifaniiche Otrigfeiten erließen eine Reihe firenger Sittenman- 
date. Wir erwähnen nur des Zürcher Mandats von 1532, welches das Tan 
zen mit nadtem 2eibe, das Umwerfen der Jungfrauen beim Tanze u. dgl. ver⸗ 
bietet- In deutichen Städten fing man an, Mitglieder des Rathes ale Auf- 
jeher bei den Tänzen hinzuſtellen, damit wenigſtens die gröbften Ungebühr- 
Tichkeiten unterblichen. Im Allgemeinen tft zu bemerfen, daß die Reforma⸗ 
tion, wo fle Durch den freien Bürgerfinn getragen wurte, die Reinheit Des 
ehelichen Lebens, die öffentliche Zucht und Sitte allmälig wieder hergeftellt 
hat. Wurden do in ſolchen Städten, welche vor ter Acformation Bordelle 
gehalten hatten, nad der Neformation unverbefferliche Lufltirnen erfäuft, — 
freilich ebenfall8 wieder eine Uebertreidbung! In monarchifchen Staaten, be= 
fonderd Deutſchlands, Kat die Erajfe Unfittlichfeit vieler Fürften Ten reintgen- 
den Einfluß der Meformation lange Zeit gehemmt. Aber auch da fehlte es 


— — — 


5) Man muß die Sittenprediger jener Periode leſen, um zu erfahren, wie es mit 
Sitte und Ehrbarfeit in ter „guten, alten, frommen Zeit” eigentlich beftellt mar. Und 
(hen früher, fchon von Anfang an lauerte in der Bluͤthe ter mittelalterlichen Remantif 
der Wurm der Sittentofigfeit. Vgl. in meiner „Geſchichte tentfeher Eultur und Sıtte” 
die beiten Kapitel „Die ritterfich:romantifche Gefeflichaft” und „Die ritterlich:romans 
tifche Literatur”, S. 96— 146. 


231 


nicht immer an fühnen Predigern, welche fürflliche Chebrecher Aug’ in Auge 
zu ftrafen mwagten. Nachtem- die Reformation in flarrer Orthodorie vers 
fnöchert war, trat ter Syener’jche Pietismus vielfady als Beförderer einge— 
zogenen und reinen Yamilicnlebens auf. An den Fleinen Höfen Deutſchlands 
verbrängte er bie und da als eine neue Mode die gefchlechtliche Brivolität, 
entartete aber dafür in der Hofluft bald zu pedantifcher Frömmelei ®). 

Wohin wir gegemwärtig unfere Blicke wenden, überall in criſtlichen 
Staaten ift die rechtliche Stellung des Weibes durch beſondere Geſetze be— 
ſtimmt und zwar ſo, daß es dem Manne nirgends, mit Ausnahme Eng» 
lands 7) und Rußlands, rechtlos oter als bloße Magd gegenüberficht. Dazu 
hat allerdings ter Humanismus ber Aufflärungeperiote viel beigetragen; 
aber eben diefer Humanismus war feinem gefunden Kerne nach wiederum 
nur das Chriftentbum in einer freieren Born. Uebrigens hatten tie Re— 
‚formatoren ſchon dadurch, daß fie die Eheſcheidung ſowie die Wiedervers 
heiratung des unſchuldigen Theiles bewilligten, ebenſo durch Uebertragung 
der Eheſachen an die weltlichen Gerichte, geſetzliche Beſtimmungen über die 
rechtliche Stellung der Frauen veranlaht8). Das Weib ift in unſern chriſt⸗ 
lichen Staaten tem Manne infoweit gleich geftellt, daß ed alle Gaben feines 
Geiſtes und Gemürbhes geltend machen, fi ungehenmt in feinem Wirkfungd« 
freife bewegen, fogar einen beberrfchenden Einfluß auf den Mann gewinnen 
Tann. Daß die Geſetze ihm das Leberfchreiten feines Wirkungskreiſes theils 
ſchwer, theils unmöglich machen, dient zu feinem Hell. Die emanzipationd- 
ſüchtigen Brauen der Gegenwart werden von den tiefer blickenden Geiſtern 
ihres eignen Geichlechts mit Recht betauert. Die Breibeit, welche fle zumal 
im freien Amerika noch erjtreben zu müffen meinen, fit feine antere als bie 
Zreibeit des Unfinne. 


HH M. Burthold hat in Raumers „Hift. Taſchenbuch“ (Jahrg. 1852 und 
4853) ein hoͤchſt anichnuliches Lebensbild der frommen Yürften - und Grafenhöfe im 
proteftantifchen Deutichland gezeichnet. 

7) Die Ehegefege dieſes Landes find eine Schmach, von welcher es unbegreiflich ift, 
daß ein eivilifirtes Volk fie dulden kann. Rechtlich ift Tas englifche Cheweib geraden 
die Eflavin tes Mannes. Man ſehe die Schriften ber beräßmten Mr. Norton, der 
Enkelin des großen Sheridan, über dieſes Thema. 

8) Die Fatholifihe Kirche Hatte zwar factiſche Ehefcheidungen nicht hindern, aber, 
weil fie jede diefer Shen als kirchlich fortbeftehend anſah, die Wieberverheiratung nicht 
geftatten Fönnen. 


232 
3. 

„Wer unter euch der Größte jein will, Der fei Aller Tiener; und wer 
unter eudy Der Vornehmſte fein will, der ſei Aller Knecht!“ hatte Chriſtus 
deinen Jüngern zugerufen. Dadurch, jowie durch feine Lchre von der Näch⸗ 
ftenlicbe und von der ewigen Beſtimmung aller Menſchen; durch die Demuth 
endlich, mit welder er den Sflavendienft verrichtete, feinen Jüngern Die 
Füße zu waſchen, bat Chriftus die Sflaverei, Died zweite Orundübel der alten 
Welt, im Prinzip zerflört.. Der tem Paulus zugeichriebene Brief an Phi— 
lemon brachte den Gegenjag des chriſtlichen Geiſtes zur Sklaverei bereits in 
praktiſche Anwendung. Da wird, der ganzen antiken Weltanfhauung zum 
Trotz, ein entlaufener Sklave feined Herrn Bruder genannt und demfelben 
zur Breilaffung empfohlen. Unter den Kirchenvätern war Eyprian einer der 
Erften, weldye für des Sflaven Menſchenwürde in die Schranfen traten. 
Er jchreibt an Demetrian: „Du verlangft von deinem Sklaven, daß er Dir 
ergeben jeden Augenblid zu Dieniten ftehe. Iſt diefer Sflave weniger 
Menſch ald tu? Er tritt in die Welt ein unter denſelben Bedingungen, 
wie du; er gleicht Dir in Geburt und Tod; er hat wie du eine vernünftige 
Seele, er ift zu derfelben Hoffnung berufen und für da8 gegenwärtige Leben, 
wie für die Zufunft, Denjelben Gejeßen unterworfen.” In Wahrheit, wenn 
die Kirche in einer einzigen Beziehung dem Geifte ihres Stifterd treu ge— 
blieben, fo war es in Bezug auf die Milderung und DVerwerfung der 
Stfaverei. Bid zur Zertrümmerung des römifchen Reiches Durd dic Bars 
baren ward fie nicht müde, auf Milderung des Looies, wo möglich auf Frei— 
laffung der Sklaven binzuwirfen. So verfaufte Ambroſius, als ihn fonft 
Nichts mehr geblieben, die foftbaren Kirchengefäße, um von den Barbaren 
Gefangene loszufaufen, und behalf ſich mit hölzernen Abendmahlskelchen. 
Ganz aufheben jedoch lich fidy die Sklaverei durd feinen Machtſpruch, ohne 
daß zugleih die ganze alte Welt felbft wäre aus ihren Angeln gehoben 
worten. 

Nachdem die Germanen filh der Weltherrichaft bemächtigt hatten, trat 
an die Stelle ter antifen Sflaverei die Leibeigenſchaft nach ten Gruntjägen 
des altgermaniichen Herkommens, nebft Der an das Lehnsweſen gefnüpften. 
Hörigfeit. Auch da konnte die Kirche nicht durch Machtfprüche abbelfen. 
Dafür erhob fie mwenigftend die Breilaffung von Hand = oder perfönlichen 
Leibeizenen in der öffentlihen Meinung zu einem der verdienftlicften Werke 
und vrellzog diefelbe unter kirchlichen Ceremonien. Dadurch war die Leib— 


| 0. 


233 


eigenichaft an und für ſich gerichtet, weil ald etwas Gott Mipfälliges hin⸗ 
geſtellt. Es ift unrichtig, was cin Hiftorifer dem andern nachſchreibt Die 
Leibeigenfchaft fei fchon im 15. Iahrhundert aufgehoben worden. Bere 
langten Loc; die Bauern zur Reformationgzeit, bevor ſie Die Waffen ergriffen, 


in ihrem Manifeft unter Anderm auch, gänzliche Aufhebung der Leibeigens, 


Schaft", eine Forderung ‚ welche fie nebft den übrigen auf die heilige Schrift 
gründeten. Die Haus- und perfönliche Leibeigenſchaft war ed allein, vie 
im 15. Jahrhundert durch kirchliche Gelege aufgehoben wurde. Erſt die 
menjchlich-freie Zeit, während welcher das Chriftenthum wefentlid als Geift 
der Humanität waltete, begann, wie befannt, Die völlige Vernichtung der 
an Gruntbefig gefnüpften Leibeigenſchaft. Währent aber jo in Europa die 
Sklaverei allmälig der chriſtlichen Idee von der Gleichheit und Bruderſchaft 
der Menſchen wich, ohne ſchon völlig vertilgt zu fein 1), wucherte fle in Amerika 
zur üppigiten Giftblüthe auf. Die jpanifchen Konquiftadoren machten die 
Indianer au Sflaven, um an dieſer Barharei zu Grunde zu gehen, und 
etwas ſpäter fam Der Oräuel des Negerhandeld auf. Noch find weder die 
Bemühungen einzelner Neligiondgefellidaften, wie der Quäfer, nod) Die An— 
firengungen einzelner großiherziger Männer, wie die des unfterblihen Wil- 
berforce, noch erleuchtete Staatsbejchlüffe, wie die des franzöſiſchen Convents 
und des britiſchen Parlaments, noch die Beſtrebungen der nordamerifani- 
ſchen Abolitioniſten vermögend geweſen, Der Abſcheulichkeit des Negerhan⸗ 
dels und der Negerfklaverei in Ländern, die ſich chriſtlich nennen, ein Ende 
zu machen. 


4. 


Auf die Jugendbildung hat das Chriſtenthum sehr heilſam theils 
durch den Religionsunterricht, theils dadurch eingewirkt, daß ed dic Volks⸗ 
ſchule ins Leben rief. Das Heiden- und Judenthum hatten die Jugend des 
Volks vernachläſſigt; nur höhere Schulen für das reifere Jugendalter gab 
es im römiſchen Reiche, als das Chriſtenthum den Kampfplag betrat. 
„Laſſet die Kinder zu mir kommen und wehret es ihnen nicht; denn ihrer 
ift das Reich Der Himmel!* Diefes große Wort Chrifti, wenn auch oft 
vergeffen, bat der kindlichen Jugend ihre Wichtigkeit in Den Augen der drift- 
lichen Melt gegeben, indem ed dic hohe Beltimmung des Kintes, feine 


41) Rußland, Polen, Donaufürftenihümer. 


234 


Anſprüche auf geiftige Ausbildung zum erfien Mal ausſprach. Mit Diefem 
Wort im Herzen haben Lie edelſten Freunde ter Menſchheit fib Tem ſchönen 
Werke der Iugentbildung gewidmet. 

Zuerft freilich begnügte ſich tie Kirche, Die Eltern und Patben bei Der 
Taufe ihrer Kinder zu einer chriſtlichen Erziehung derſelben zu verpflichten. 
Das elterliche Haus, Die Familie mußte vor Allem durch den Geiſt tes 
Chriſtenthums umgebildet werten. Der höheren Schulen freilih, wo 
Jünglinge für den geiſtlichen Stand herangebildet wurden, entflanten ſchon 
im 2. Jahrhundert etliche, Die Katechetenſchulen nämlich, deren berühmtefte 
fib zu Alerandrien und Antiohien befanden. Im 5. Jahrhundert traten 
an deren Stelle tie Kathedral⸗ und Episkopalſchulen, weldhe nebſt der Theo⸗ 
logie auch die fieben freien Künfte lehrten. Bald Tarauf wurden in ten Stätten 
die ſogenannten Parochialſchulen errichtet, in denen Knaben und Jünglinge 
tie Anfangsgründe weltlicer Wiffenichaft Iernten. Doc die eigentlide 
Volfsihule begann erſt, als Karl ter Große und Alfred ter Große ten 
Pfarrern jeder Gemeinde die Unterweifung ter ihnen anvertrauten Jugend 
im Lefen, Schreiben, Latein und Kirchengeſang zur Pflicht machten. Dane⸗ 
ben ließ Karl an feiner Hofjchule fähigern Knaben höheren und niedrigeren 
Standes durch feinen Freund Alfuin Unterricht inden fiehen freien Künſten er⸗ 
teilen. Befontere Volksſchulen fiftete Damals auch Biſchof Theodulf von 
Orleans in jeinem Sprengel. Aber alle dieſe edlen Schöpfungen welkten 
nad tem Tode ter Stifter bald dahin. Tie Pfarrer ſanken ebenfalld in 
den alten Schlentrian zurüd unt begnügten fih, ihrer Jugend bis zur Fir— 
melung das apoftoliiche Glaubensbekenntniß einzubläuen. Im 13. Jahre 
hundert nahmen fi die Bettelmönche der verwahrloſten Jugend an, errich® 
teten in ihren Klöftern Volksſchulen, übernabmen felbft in Städten ten 
Jugendunterricht, veranlaßten aber durch ihre öftere Weigerung, die Jugend 
fhreiben zu lehren ?), mande Stadtbehörde, eine eigene Stadtfchule zu er= 
richten. Auch die Ganonici, welde im 9. Jahrhundert die Stiftöichulen, 
eine Art niederer Gelchrtenfchulen, übernommen, waren allmälig faul ge= 
worten. An ihrer und der Pfarrer Stelle wurde herumziehenden Mönchen 
oder Studenten der ganze Jugendunterricht übergeben. Aus dieſen Leuten, 
die niemals Icbenslänglich angeftellt, fontern nur für einige Zeit gedungen 





— — — 


1) Damit feine allzuſtarfke Concurrenz im einträglichen Buͤcherabſchreiben 
auffime. 


235 


wurden, bildete fid der Stand der Schullehrer, welcher bei allen feinen Berrich- 
tungen den Pfarrern untergeben war, gleichſam als eine Klaffe nicderer Kle- 
riker. Es muß bei diefen Berhältniffen befonterd mit dem Neligionsunters 
richt übel beftellt gewelen fein; denn tie Neformatoren hielten für noth⸗ 
wendig, ben Unterricht der Jugend in der Religion wieder den Pfarrern zu 
übergeben, und die Apologie der Augsburger Confeſſton wirft den Katholi⸗ 
fen, bei welchen die alten Schulverhältniffe noch beibehalten wurten,, vor: 
„Bei unfern Gegnern gibt ed gar feine Katecheie für Die Knaben. Bei un 
werden die Pfarrer und Kirchendiener gezwungen, die Jugend Öffentlich zu 
unterrichten und abzuhören, und dieje Einrichtung trägt Die beften Früchte“. 

Die Erfindung der Buchtruderfunft, welche erft tie Einführung von 
Lehrbüchern möglich machte, fowie die theilmeife Trennung des Religions» 
unterrichts von Den übrigen Fächern tur die Neformation, rief in ten 
proteftantifchen Zändern die Gründung regelmäßiger Dorfichulen bervor. 
Vreilih gab e8 im 16. Jahrhundert noch der Schulen genug, wo der Lehrer 
nichts Unteres ald den Katechismus behandelte. Unter Den Katholiken ha— 
ben nach der Reformation befonders die Iefutten fich des Iugendunterrichtes 
bemächtigt.. Allein diefer Schuleifer, weientlid im Dienfle der Ordens⸗ 
zwecke ſtehend, erftrecfte fih mehr auf die Kinter der Wohlhabenden und der 
unterfien Volksklaſſen und legte einen großen Werth auf todten Mechanis- 
mus in der Jugendbildung. Auf proteftantiichem Gebiet nahm ſich der 
Spener⸗Francke'ſche Pietismus beſonders eifrig des Schulweſens an, brachte 
aber bei der Jugend nicht viel Beſſeres zuwege, als einen frömmelnden Ans 
firih. Erft im 18. Jahrhundert nahm das Schülweſen einen anerfennens- 
wertben Aufibwung durch Bajedow, den Vhilanthropen unt Rationaliften, 
welcher die Realfächer zur Grundlage des Unterrichts zu erheben fuchte, und 
den genialen, gemütblichen Schweizer Peſtalozzi, welcher, zwar durch Rouffeau 
mit angeregt, Loc nad) eigenen Ideen mit einem Herzen voll Yiebe die Bil- 
dung des ganzen Menſchen, nah Berftand unt Gemüth, anftrebte und durch 
feine Methode des Anfhnuungsunterrichtes das Clementar- und Realſchul⸗ 
weien reformirte. Der Geift des Achten Chriſtenthums war es, welcher in 
dieſes edlen Mannes völliger Hingebung an das Volksſchulweſen zu Tage 
trat und am gewaltigften zur Förderung deffelben nicht nur in der Schweiz, 
fondern auch im übrigen Europa beigetragen bat. 


- 


236 


5. 

Nicht minder groß war der Einfluß des Chriſtenthums auf Die Förde⸗ 
rung der Mildthätigkeit. Die gebildetſten Völker der altheitnifhen Welt, 
Griechen und Römer, hatten ihre Armen vorwiegent aus Staatöflugheit 
Öffentlih unterflügt. Am beiten hatte noh das moſaiſche Geſetz für Die 
Armen geforgt. Aber von Hffentlihen Anftalten für Arme und Kranke, 
von wohltbätigen Vereinen, von jener Liebe vollends, welche ſich tröftend 
zu denn Verbrecher bernicderneigt, if in der ganzen vorcriftlicen Welt 
feine Spur zu finden, wenn man nit etwa Dad Prytancion der Athener, 
in welchem nur hochverdiente Greiſe auf Staatdfoften geipeift wurden, zu 
den wohlthätigen Auftalten rechnet. Ungeachtet aller Begünſtigungen durch 
das mojatfche Gefeg und ungeachtet Ted phariſäiſchen Geifted, welcher das 
Almoien zu Den verdienftlien Werfen rechnete, waren zur Zeit Jeſu die 
Armen aud in Juda ganz auf Den Bettel angewieien, die Wahnſinnigen und 
Ausjägigen ſich jelbft überlaffen. Anders fam ed jegt. Selbft arm, ein 
Bore und Vorbild der erhabeniten Liebe, legte er feinen Gläubigen beſon⸗ 
ders die Urmen und Kranken and Herz, und nahm fi der Verbrecher mit 
rettendem Erbarınen an: — „Alles, was ihr einem dieſer Geringften ges - 
than haben werdet, das habet ibr mir getban!* „Ic bin nicht gefonunen, 
zu berufen Gerechte, fjondern Sünder zur Buße.“ „Die Gejunden bedürfen 
des Arztes nicht, jondern die Kranken.” Tiefer Geift der Barmherzigkeit 
bat feine Kirche nie verlaſſen, fondern im Lauf Der Zeiten nur verfchietene 
Beftalt angenommen,’ — mitunter freilich eine bedenkliche. 

Schon Chriftus jelbft- hatte mit feinen Apoſteln eine gemeinſchaftliche 
Armenfaile geführt (Joh. 12, 4—8). Nach jeinem Hingang jegte bie 
Chriſtengemeinde in Ierufalem dieſelbe fort. Aus den freiwilligen, oft jehr 
bedeutenden Beiträgen Der Begüterten ward täglich eine Almoienipendung 
an die Armen, beſonders Wittwen und Wailen beftritten, ein Oefchäft, wel» 
ches wegen feiner wachfenden Ausdehnung bald ſteben Armenpflegern (Dia⸗ 
Eonen) übertragen wurde. Zur Zeit der großen Hungersnoth ſammelte 
Paulus in ten Gemeinden von Mafedonien und Adaja eine Kicheöfteuer für 
Die Gemeinde in Ierufalem. Im 2. und 3. Jahrhundert ward Die Armen- 
fteuer, meift aus Naturalien beftehend, während des Gottesdienſtes, unmit⸗ 
telbar vor ker Euchariſtie, ald Gott wohlgefälliged Danfopfer dargebradt 1). 


4) Aus diefer Armenfteuer find fpäter Die Kirchenfleuern entſtanden, welche bie 
zur Reformation meift in einen Opferftod geworfen wurten, feit ter Reformatien 


237 


Aber auch außerhalb Ted Gotteödienfted erwieſen die Chriften ihre thätige 
Bruderliebe gegen Arme, Kranfe und Gefangene auf die thätigfte Weife. 
Die Satire Lufiand, welche an dem Beifptel des Peregrinus Proteus dar- 
ftellt, wie leicht die Mildthätigkeit der damaligen Chriften durch Schwindler, 
die „in Chriſtenthum machten *, mißbraucht werden fonnte, tft gerade das 
glänzendſte Zeugniß für den Geift, der damals die Kirche befeelte. 

Als die hriftliche Kirche durch Konftantin zur Staatöfirche geworden, 
trat fie als Bermittlerin zwifchen die Geber und Empfänger hinein , ftiftete 
zahlreiche Armenanftalten und Spitäler, erwirkte im Namen der Armuth 
die reichften Gaben und Vermächtniſſe und ftellte dieſe gefliffentlich als vers 
dienftliche Werfe dar. Dadurdy ward die freie Wechfelwirfung zwischen Bes 
güterten und Dürftigen geflört. Der Wohlthäter dachte bei feinen Gaben 
bald mehr an ſich ſelbſt, nämlich an fein Seelenheil, als an den Armen: 
Die Liebe wich einem gläubigen Egoismus. Eben deßwegen ragen Geflal- 
ten der aufopfernditen Bruderliche, wie Ambroſtus, Baulinus?2), Gregor 
von Nazianz, Johannes Chryſoſtomus 2) u. A. m. fo hoch über ihr Zeitalter 
hervor und fünpfen fo gewaltig gegen den einreißenden Mangel an wahrer 
Näcftenliebe. Boll Entruͤſtung ruft Ambroſtus den Reichen ſeines Zeit—⸗ 
alters in der Schrift über Naboth zu: „Ihr ſchmücket die Wände und ent— 
blößt die Menſchen. in nadter Menſch jchreit nor deiner Thür und du 
vergint ihn. in nackter Menſch fehreit und Du, du grübelſt nach, mit wel= 
chem Marmor du deinen Borbof ſchmücken wolle. Ein Armer bitter um 
‚Brot und erhält keins; ein Menich bittet um Brot und dein Bferd zerbeißt 
das Gold mit feinen Zähnen. Welches Gericht bereiteft du ir, o Reicher! 
Das Volk hat Hunger und du verjchließeft deine Speicher. In deiner Madıt 
ſteht es, Diele vom Tode zu erretten, und du willſt nit. Wine einzige 
Gemme deines Ringes könnte das Leben einer ganzen Schaar erhalten“. 
Eben fo polizeiwidrig redet Baulinus in feiner Schrift über den Armen- 
kaſten: — „Die Armen erwarten euch an den Pforten der Kirche; ſie heften 
ihre Augen auf euch, beobachten euere Ankunft und verfolgen einen jeden 
eurer Schritte. Ihre durch Hunger geſchwächte Stimme richtet an euch 
flehentliche Bitten; fe rufen eure Iheilnahme zu irgend einer Erleichterung 


aber in einigen Ländern duch Aufheben tes Klingelbeufsls zu Gunſten der Armen 
eingefammelt werden. 

2) Um 390 in Barcelona. 

3) Erzbiſchof von Konftantinopel, ſtarb 407 im Exil. 


238 


ihres Elended an. Hütet euch, ihre Klagen in Murren zu verwandeln, 
hütet euch, daß nicht Scufzer gegen euch auffteigen zum Vater der Waiſen, 
zum Beſchützer der Wittwen, zu dem Gott, weldyer in der Berfon ter Armen 
leidet“. Hören wir endlich nod einen Vater der griechifchen Kirche! GB 
ſchadet Nichts, fondern belehrt nur, daß La Mennais und andere „ Schwär- 
mer“ der neuften Zeit gar Feine neue Sprache geführt haben. Gregor von 
Nazianz ergeht ſich in folgenden ragen und Schilderungen: — „Wir folls 
ten die Armen den linbilden der Witterung ausgeſetzt laflen, während wir 
in bequemen und prädtigen Häufern wohnen, welde mit Erelfteinen aller 
Barben geziert find, überall von Gold und Silber erglänzen und ten Blick 
auf Die audgeiuchteften Gemälde hinziehen! Die Armen flerben vor Kälte 
in ihren zerriffenen Gewändern und unter den Lumpen, die fle kaum bedecken, 
und wir, wir jchleppen hinter und lange fliegente Kleider, gewebt aus Lin⸗ 
nen und Seite! Die Armen leiden Mangel an den nothwendigften Lebend- 
mitteln, und ich, ich ſchwimme in allen Ledereien! Sie liegen Hingeftredt 
vor unjern Pforten, abgemattet und ſchmachtend vor Mangel, Faum im 
Stande, deutliche Worte zu ſprechen, manchmal nicht im Stande, die Hänte 
auszuſtrecken und fih zu ten Füßen der Reichen hinzuwerfen oder fie mit 
ihrem Sammer zu rühren; und wir, wir fchlafen in weichen Betten, welche 
forgfältig gegen die Strahlen des Tages geihügt find!“ 

Nachdem im 5. Jahrhundert die blutige Verfolgung der Keßer begon⸗ 
nen, fing Die Kirche an, die Werke ter Barmberzigfeit wejentlih auf Die 
Rechtgläubigen zu Geichränfen, und immer mehr machte fih der Grundſatz 
geltend, gegen Solche, die von der Kirche verfloßen worden, fei man aller 
Chriftenpflidt entbunden. Abgeſehen davon, nahmen auch die Klöfter, 
zunächft hervorgegangen aus felbftgewählter Armuth, an der Beforgung der 
Armen und Kranken theil. Wohl famen Zeiten, wo aud die Priefter und 
Mönche, durch den Reichthum ihrer Pfründen verdorben, tie Pflege der 
Armuth verfäumten; doch jelbft in den finfterftien Zeiten des Mittelalters 
finden fi ehrenhafte Ausnahmen. Papfte, wie Gregor der Große, und 
iogar ein fo undultjamfter und gewaltthätigfter Menfch, wie Innocenz III., 
werden von unverbächtigen Zeugen ald Väter der Armen, ber Wittwen und 
Waifen gepriejen. Zudem fonnte alle Werkheiligfeit nicht hindern, daß 
auch Laien fih mit wahrer Nächftenliebe der leidenden Menfchheit annahmen. 
So die Landgräfin Elijabeth von Thüringen, welde im Spenden, wie in 
der Kranfenpflege, gleich Unvergeßliches Teiftete. Im Hinblid auf tie bes 





239 


dauerliche Abweichung der biöberigen Mönchsorden von ihren Pflichten ge= 
gen die Armuth fliftete Franz von Aſſiſſt, gerührt durch das Evangelium 
vom reichen Iüngling, feinen Bettclorden, die Franziskaner im Jahre 1209. 
Selbft nur von Bettel lebend, theilte dieſer Orten, jo lange er noch unver« 
borben blieb, das Exbettelte mit den Armen. In Bolge der Reformation 
ward das Armenwefen in den proteflantiichen Ländern der Kirche entriffen 
und zur Staatsſache gemacht. inen Theil der cingezogenen Kirchengüter 
beftimmte man zu Armenfonds der berreffenden Ortſchaften, befontere Ver⸗ 
mächtniffe für Die Armen bildeten andernorts das Almojengut. Dieſe Ar⸗ 
mengüter, jowie die Spitäler und Armenhäuſer, wurden fortan, bisweilen 
mit Zuzug der Ortögeiftlichen ,. von weltlichen Behörden verwaltet unter 
Dberaufficht der Regierung. Wo die Spendgüter den Bedürfniffen der Orts⸗ 
armen nicht genügten, half die Privatwohlthätigkfeit aus. So ſtand ed mit dem 
Armenwefen in den proteftantifchen Rändern, bis die erneute Zunahme der 
Bevölkerung nach den Dreißigjährigen Kriege, der wachiente Steuerdrud, 
die Zollſchranken, der fleigende Luxus, endlich die Fabriken das drohende 
Geſpenſt des Pauperismus heraufbefhworen. Da erft raffte fich der Bros 
teftantismus wieder zu umfaffenterer Sorge für das Armenweſen auf. 
Mittlerweile hatte Vincentius von Paula, geb. 1576 in der Gascogne, 
den Geift werfthätiger Liebe innerhalb der Fatholifchen Kirche zu neuem Le⸗ 
ben angefadt. Er ftiftete ten Priefterorden der Miſſion, deſſen Glieder 
verpflichtet waren, Durch Seelforge und Milvthätigfeit Die Kranfen zu trö« 
ften, die Urmen aus der Noth zu ziehen, die Verbrecher aus ihrer leiblichen 
und geiftigen Berfunfenheit zu erheben. Im Verein mit der Frau von Le 
Gras, fliftete er auch, angeregt Durch den von Branz von Saled 1610 er= 
richteten Orten der Bifttantinnen, den berühmten Verein der „ barnıherzigen 
Schweſtern“ (Filles de la charite). Ihm ift auch die Errichtung des erften 
Findelhauſes zu verdanken. Eine treffliche Anregung hätte Brande, der Er⸗ 
bauer des Waijenhaufes in Halle (1694), der proteflantifchen Kirche in der 
Richtung freier Wohlthätigkeit gegeben, wäre nur der Gegenjag ter Ortho⸗ 
torie zu feinem an ſich achtungswerthen Pietismus nicht zu ſchroff geweien. 
Aber die freie Liebe ward durch dieſen Gegenjag in den Augen Vieler zur 
Parteifache des Pietismus und ward es immer mehr, einen je auffallenderen 
Anſtrich fich die Pietiften gaben. Died war ter Grund, warum Francke's 
Beiipiel nicht jo allgemeine Nachahmung hHervorrief, wie man es hätte 
wünjden follen. Die Pietiften, fich ſelbſt überlaffen, wirkten nun in ihrer 


240 


Weile als freie Bereine fort, die Stuatöregierungen blieben bei ihrer büreau- 
kratiſch⸗geſetzlichen Armenpflege, bis in unſerem Jahrhundert Lie Arnen- 
frage die drennenpdfte aller Zeitfragen geworden if. Denn mit der über: 
Bandnehmenden Serrfchaft des Induſtrialiomus wächſt auch in ungcheurer 
Progreſſton das Broletariat, und wenn wir auch nicht leugnen wollen, daß 
manche der gegen das prolctarifche Elend und die prolctarifche Verſumpfung 
neueften® ergriffene Mittel, wie 3. B. die „Innere Miſſton“, ganz gut ges 
meint jein mögen, jo iſt doch klar, daß ſte zu der Größe des Uchels in einem 
Fläglichen Mißverhältniß ſtehen. Aber nicht der chriftlien Idee fallt Das 
zu Laft, ſondern vielnrehr jenem totalen Abfall von ihr, welder die ſelbſt⸗ 
ſüchtige Geldmacherei ald Scele Der Geſellſchaft proclamirt bat. 


Nur eine ganz unbiftoriihe Anihauung kann überjehen, daß Tas 
Chriftentgum durch alle die Jahrhunderte ſeines Beſtehens herab in feinen 
beften Trägern jencd himmlische Erbarmen des Menſchen für ten Menſchen, 
weldyed der Habbi von Nazareth lehrte, gepretigt hat. Und nicht allein 
gepredigt. nein, auch berhätigt. In der Geſchichte der chriſtlichen Mildthä— 
tigfeit und Opferfreudigfeit gibt cd eine ununterbrodgene Reihe von Män- 
nern und Frauen, von Chriften und Ehriftinnen, welchen die Gloriole der 
Heiligkeit um die Schläfe zu legen fein fühlender Menſch, ob er fih zum 
chriſtlichen Dogma befenne oder nicht, auch nur einen Augenblick fid) beſin— 
nen wird. Breilich find das nicht immer und nur folde Heilige, welche 
die Kirche kanoniftrte. Allein wad man auch von Kirche und Kirchenge— 
ſchichte halte und mag man felbft fo weit gehen, die letztere mit Görhe in 
ihrer Totalität für weiter Nichts als für eine „ Miihung von Irrthum und 
son Gewalt“ anzufehen, — fein Wiffender und Unbefangener kann leug- 
nen, daß nicht nur die Schillerrihe Tugend des £ategorifchen Imperativs, 
fondern aud die jpeziftfchschräftliche Fein „leerer Schall iſt. 


Die hriftlihe Tugend quoll und quillt aus dem Spiritualismus und 
Idealiomus der hriftlichen Idee, weldher dem Materialiemud und Realismus 
der antifsheidnifchen Idee des entjchiedenften entgegenftebt. Diefer chrift- 
liche Idealismus Hat in feinen Ausfchreitungen Thörichtefles und Unjeligftes 

zu Stande gebracht: düftere Weltentiagung und aberwigige Selbftpeinigung, 
wahnftnnige Bußkrämpfe, rafende Thaten des Banatiöınus, rine unheilvolle 
Bergötterung des Pfaffentbums. Aber auf der andern Seite, wie hat er 
im Größten und Kleinften das altheifige Wort bewährt: „Est Deus in 


21 


nebis!“ Gr bet die enimergte und verrottate Welt des roͤmiſchen Reiches 
in das Verjüngungsbad ſeiger ſteragen Moral gezwungen; er frohlockte auf 
den in Qualen zuckenden Lippen der Blutzeugen der erſten Kirche, wie auf 
den Lippen der zahlloſen Märtyrer der Geiſtesfreiheit, welche die Inquiſition 
bluten und brennen lich ; er hegeißleste Die Böhler zu jener Völkerwanderung 
in unigelehrter Richtung, zu den Kreuzzügen, welde, indem fie Abendland 
und Morgenland mit einander in Berührung brachten und Die sreidentelie 
ihren Bölfer aus der Dumpfheit mittelalterlicher Abſonderung herausriſſen, 
einen unermeßlich guten Einfluß auf den cultusgefchichtlichen Prozeß geübt 
haben. Und weiter war ed dieſer Idealiomus, der Die poetische Welt eines 
Wolfram von Eſchenbach, eines Dante und Milton ſchuf; er war 8, Der 
einem Mafael, einem Sorreggie, Murillo und Dürer.den Binfel führte, ber 
die Donriffe eines Erwin von Steinbach und eines Heinrich Sunere ent⸗ 
warf, der den Myfifern des Mittelalterd, einem Tauler, Suſo und Thomas 
son Kempen die Herzenslaute einer wunderbaren Beredtſamkeit eingab. Der 
chriſtliche Idealismus war eb ferner, welder in den Reden, Schriften und 
Handlungen der Reformatoren aufſtand gegen den üppigen und habgierigen 
Materialiamus einer Kirche, deren Haupt fih nicht ſcheute, von Den Lufl- 
binnen Roms ald Abgabe den fogenannten „ Mildzind" zu erheben, und 
als dann die Herzen im Lutherthum immer mehr verödeten und eine ver⸗ 
Inöcerte Dogmatik die Kanzeln mit dem Wortgezänf leerer Unterſcheidungs⸗ 
lehren erfüllte, da war er es wieder, welder den frommen Spener zur 
Stiftung feiner „Collegia pietatis‘‘ anregte, die freilich fpäter ſchnoͤde ent⸗ 
arteten. Und bis auf unfere Tage herab iſt der chriſtliche Idealismus wach 


ad thätig geblieben und mitten in dem wilden Getöſe des Geldeultus wirkt 


ex feine fillen Wunder, mitten in den grimmigften Wüthen Der Nevakıtion 
erhebt er die leuchtende Friedendvalme. Am 23. Februar 1848 tobte der 
Kampf in den Straßen von Paris. Un einer Straßenecke wurde. nach mör⸗ 
deriſchem Gefecht ein Wachthaus von den Infurgenten erflürmt. Einige 
per Sieger, vom Kampfe erhitzt, wollten zur Miedermetzelung der gefangenen 
Soldaten ſchreiten. Doch legt ſich ihr Mordzorn bald. Mur Einer will 
fish nicht zufrieden geben. „Man Hat meinen Bauder gemordet“, zuft ar 
wilthend nud, — „ib muß wister Einen morden!“ Da entwaffnet +in 
Proletarier ven Rachedurſtigen durch die Brage: „Aber wen wollteft du 
denu morden, der nicht aud) dein Bruder wäre?" — Ich wüßte in der gan⸗ 
zen modernen Gejchichte Feinen zweiten Zug, der an einfacher. Gräfe Bien 

Schere, Geſch. d. Religion. TH. 16 


gleihfäme. Grinnern wir und dieſes Lichtfſtrahls chriſtlichen Idealismus 
in dem Dunkel, welches wir jet zu durchſchreiten haben. 


6, 


Die Machtgröße des Aberglaubens im Chriſtenthum Hat ihren 
wefentlichen Grund in der innerlich durchaus unvollfländigen Meberwindung 
des Heidenthums durdy das Chriſtenthum. Auf diefem Mangel baftrt die 
Vermiſchung jüdifch- hriftlicher Vorftellungen mit den Borftellungen der 
verfchiedenen Heitenthümer. Ausgehend vom biftorifch gegebenen Wunder⸗ 
und Teufelöglauben, nahm dad Chriſtenthum, je mehr Völker es eroberte, 
tefto mehr auß den uriprünglichen Religionen derſelben in fih auf, Naͤher 
angefehen, zweigen ſich im chriftlichen Aberglauben verjchiedene Stoffgebiete 
aus. Als das erfte erfcheint das, indbefondere von Ennemoſer ſchriftſtelle⸗ 
riſch cultivirte 1), Gebiet des thierifchen Magnetismus, der Sympathie und 
des Somnambulismus, weldyes überall der altheidnifchen Zauberei und 
Wahrfagerei zu Grunde lag. Ein zweites Gebier ift der Glaube an die 
Macht der Heiligen über bie £örperlidye Natur, ein dritted die poctifche Per⸗ 
foniftcation des Bien, ein viertes die der Menjchenjeele angeborne, in Ge⸗ 
fpenfterfeherei u. dgl. m. ausgeartete Unſterblichkeitsahnung, ein fünftes 
der Glaube an den Einfluß der Geflirne auf die irdiichen Weſen, beſonders 
die Menichen. — Dieſe Stoffgebiete fchieden fih im Bewußtſein der chriſt⸗ 
lichen Bölfer in zwei einander entgegengefegte, und zwar, was die Aus⸗ 
übung des Aberglaubend betrifft, in das Gebiet kirchliche Wunder 
wirfung, und in daß verbotene Gebiet der Magie, deren Unterſcheidung 
in weiße und ſchwarze von der Kirche nie audbrüdiih anerkannt wor⸗ 
den iſt. Im Mittelalter und noch lange nach der Reformation haben flu- 
pide Pfaffen und ungebildetes Volt Alles, was ſie nicht verflanden, in dem 
Tiegel der Magie geworfen. So ward befanntlih Albertus Magnus um 
feines Wintergarten willen für einen der größten Zauberer gehalten und 
die Erfindung der Buchdruderkunft für eine Eingebung des Teufeld erflärt. 
Als die Hexenprozeſſe in ihrer fenerrotben Blüthe ftanden, war es gefähr- 
Tih, mehr zu wiſſen, als andere Menichenkinder. Die Entſchuldigung mit 
„weißer Magie* war nicht immer ein Schugmittel harmloſer Alchhymiſten. 


4) „Geſchichte der Magie.” „Der Magnetismus im Berhältniß zur Natur 
und Religion.” 


243 


Nur ein Gebiet ded Aberglaubens wußte fi im Mittelalter zwiſchen dem 
kirchlichen Wunder und der Magie in der Schwebe zu erhalten, nämlich die 
Aftrologie. Chaldäifchen Uriprungs, und gegründet auf die Betrachtung 
der Geſtirne als beſeelte Weſen, kam fie von den Arabern Spaniens und 
Sieiliens zu den Chriſten, wo der Stern der morgenländifchen Magier über 
Bethlehem bald die kirchlichen Zweifel gegen fe beichwichtigte. Wurden 
auch von den Chriften die Geſtirne nicht mehr für befeelte Weſen angeſehen, 
fo betrachtete man doch ihren Lauf als Offenbarungen Gottes über das 
Schickſal der Menſchen, fchrieb ihnen verichiedene Temperamente und Wir- 
kungsarten zu und ftellte das Horoffop, die Nativität, je nad den Annah⸗ 
men ihrer Eigenfchaften. Mars z. B. wart gewöhnlich als unheildrohen⸗ 
der, Jupiter ald glüdbringender Stern betrachtet. Auch die Gimmelsräume 
theilte man ein in verfchiedene Käufer, 3. B. des Lebens, des Reich⸗ 
thums u. f. w., welche dem bei der Geburt eines Menichen in ihnen erfcheis 
nenden Geftirne wieder eine befondere Bedeutung gaben. Der aftrologiiche 
Aberglaube unterflügte mächtig den Glauben an unbedingte Vorberbeftims 
mung der Schickſale. Diele Fürften, felbft Papfte, Hatten ihre Aftrologen. 
Bur Reformationszeit ward die Aftrologie beſonders von Melanchthon eifrig 
betrieben. Wallenftein nährte mit ihr feine verderblichen Hoffnungäträume 
und, wer follte e8 glauben? felbft Kepler, der Vater der neuern Aftronomie, 
verwarf die Aftrofogie nicht ganz, fuchte fle vielmehr anf neue Prinzipien zu 
gründen, unter andern auf den Einfluß, welchen die Lichtſtrahlen der Sterne, 
befonders der Planeten, auf die Bewohner der Erde ausüben follten. 
Darum fpuft denn die Aftrologie auch heute noch. 

Schon in den neuteflamentlihen Schriften fehen wir die Wunderfraft 
der Kirche im Kampf gegen die Zaubereien und Weiffagungen des Heiden⸗ 
thums. Die Upoftelgefhichte 3. B. erzählt, wie Baulus aus einer Sklavin 
den Wahrfagergeift austrieb und dafür von den Herren berfelben verflagt 
wurde. Die Zauberei überhaupt, wurbe fie von jübifchen oder heidniſchen 
Goeten geübt, galt ſchon den Apofteln für ein Werk des Teufeld. Die . 
Kirche nad) Ronftantin, je träger fie ward im Kampf gegen das Böſe felbfl, 
richtete ihre Waffen um fo eifriger gegen den Teufel und feine Dämonen. 
ge mehr der Beift Lügenhafter Phantafterei und frommen Betruges Volt 
und Klerus unterwarf, deflo reichlicher fprubelte ber Born der heiligen Le⸗ 
gende. Die Heiligen fpielten mit den Naturkräften, wie mit gehorfamen 
Kindern. Ihre flerblichen Ueberreſte, deren Aechtheit zu bezeugen ein 

16* 


244 


Traum genügte, wirken größere Wunder, als fie von Chriſtus ſelbſt erzaͤult 
werden. Auzuſtinns joger Tegt in feiner Schrift vom „eldre Gabueh * 
Beugniß ab für unzaͤhlige Wunder, welche die Refiqwien des heil, Stepha⸗ 
nnd, auıh in feinem eignen Sprengel, gewirkt haben follen. Außer ven 
Weliquien warb auch das Kreuzſchlagen und Tas Beiprengen mic Weihwaſſer 
Gchutzmittel gegen daͤmoniſche Einflüffe. Im Fahre 373 tritt Die Ausaͤbung 
heidniſcher Bauberei im romiſchen Reiche zuerfi wieder grell hervor. So 
ungerecht in vielfacher Hinſtcht das Verfahren Valentinians L dagegen 
war, es fanden ſich wirklich eine Menge Zauberbücher vor (autch der junge 
CThryſoſtomus beſaß ein ſolches) und die Häufige Anwendung von Liebes⸗ 
tränfen , fernbin tödtenden Holz⸗ und Wachsbildern, Geiſterbeſchwörung, 
Wettermachen u. dal. m, ward bei vielen Angeſchuldigten comflarirt ®). 
Shen damals ward den weiblichen Geſchlecht eine wichtige Noble in Dielen 
Dingen zugerheilt. Die Heren jind nicht erſt im Mittelalter erfunden 
worden ®). Der Groreismus, die Damonenaudtreibung, blieb ſeit Konſtan⸗ 
tin Die einzige Art dor Krankenheilung, welche die Geiftlihen, als Work⸗ 
zenge des heil. Geiſtos, übten. Dafür ward er mit der Zaufe verbunden, 
um ben feine Goͤgen abſchwoͤrenden Heiden dem Einfluß derielben zu ent⸗ 
giehen ; wie denn bekanntlich die Götter Der Heiden nicht für leere Sinbäl⸗ 
dungen, fondern für böje Geiſter angefchen wurden. Als die Kindertaufe 
allgemein geworden, ward der Ezorcißmus gleihwohl nice abgefchafft. Ihn 
unterftügte bald die Lehre, Daß jeder Menſch von Geburt an unter des Teu⸗ 
febs Gewalt Wehe. Davon überzeugt, ſetzte Luther für die Taufhandlung 
die Formel fehl: „Bahre aus, du unreimer Geiſt, und gib Raum dem helli⸗ 
gen Geiſt!“ Der Exorcidinns galt den Lutheranern als eines der Haupt⸗ 
merkmale kerchlicher Rechtglaͤubigkeit den Reformirten gegenüber. Der 
tutholiſche Klerus übt ihn heutzutage noch. Daher könnte von dieſen Mrak⸗ 
tiken des Exorciſirens und Bannens, wie aus Dem Mittelafter, — wo ein⸗ 
mal ein Biſchof von Kauſanne zum Beſten des Gedeihens der Salmen die 
»Olutegel und ein andermal ein Biſchof ven Chur die gefräßigen Maibäfer 
dannte, — ſo auch aus newer und neueſter Zeit Ergotzlichſtes berichtet mer⸗ 


— — — 





2) D. h. die Angeſchuldigten bekannten ſich zu dem Wahn, daß fie bie. ihnen 
ſchuldgegebenen zauberiſchen Praktiken wirklich üben koͤnnten. 
3) Das Wort „Here“ kommt vom althochdeutſchen hazus, hazusa, hazasa, 
mittelhd. (aber fetten) hegıse. Noch His ins 16. ımd 17. Jahrhundert wird dinfer 
Bezeſchnung das ort „Wnholde” (mascul. Unholdaere) vovgejogen. 


v 


245 


den, wen Dazu Raum wäre. Auch deſſen enthalten wir und, jenes Gebiet 
des pfaͤfflichen Betrugo und der gläubigen Dummheit zu betreten, we, in 
alter und neuer Zeit, Gracifire und Heiligenbilder weinen, bluten und bie 
Augen versehen, daB Bint des heiligen Januarius fläifig wird, Engel das 
Hand der Maria nad) Lereto tragen, — furz, wo die Märkenfabrifation 
hufteriicher Moͤnchs⸗ und Nonnenphantaite oder hierarchiſcher Pfiffigkeit in 
vollem Gang ift. Dergleichen gehört doch mehr in eine Geſchichte der 
menfchliden Narrheit ald in eine Gefchichte Der Religion. | 
Wenn auf dem berührten Felde die Wunderſucht mehr eine fpezifiich 
hriftliche Färbung trägt, To iR Dagegen in dem Glauben an bie Gottes⸗ 
urtheile, welcher in dem mittelalterlichen Prozeßverfahren «ine jo bedeutende 
Rolle fpielt, Altheidniſches nur etwas verchriftlide. Das germanifche Hei⸗ 
denthum hatte. den Göttern, als höchften Schügern des Rechtes, in zweifel: 
haften Nechtsfällen ein unmittelbared Eingreifen zu Bunften des Schuld» 
Iojen und zu Ungunften des Schuldigen zugefchrieben. Demzufolge war bie 
Berufung auf ein Gottesurtheil (Ordal 2)) unter die altgermanifchen Rechts⸗ 
bräuche aufgenommen worden. Wenn ein Ankläges den Neinigungdeid 
des Angeflagten und feiner Eideshelfer nicht traute, jo Eonnte er einen ge⸗ 
. richtlichen Zweikampf mit dem Gegner fordern, als ein Gotteönetbeil. Oder 
ein Angellagter, wenn er Feine Eideshelfer finden konnte, durfte es ver- 
juchen, durch Zweifanıpf mitt dein Anfläger ſich zu reinigen, oder dadurch, 
daß er fich einer andern Art von Gottrdurtheil unterwarf. Die gewöhn⸗ 
lichſten Arten waren die Feuerprobe und die Waſſerprobe, denen beſonders 
auch angeklagte Frauen unterworfen wurden, wenn fie. Keinen fanden, der 
ihre Schuldlofigfeit tin Zweifanpf mit dem Ankläger vertreten wollte. Die 
religiöfe Ehrfurcht wor der Heiligkeit der Orbalien hatte ſich jo tief dem Be⸗ 
wußtſein der germanischen Bölfer eingeprägt, daß die Kirche e8 mit dieſem 
heidnifchen Brauch machte wie mit noch vielen anderen. Sie adoptirte den⸗ 
felben, gab ihm ihre Weihe und bereicherte ihn nambaft. So fannte das 
Mittelalter Proben mit kaltem und jiedendem Wafler, das Wegichreiten 
über heiße Kohlen oder glühend gemachte Pflugſcharen, das Aufaſſen um 
Aragen glähenten Eiſens als Ordalien, ferner Die Krınzpeode, die Abend⸗ 


4) Ordäl, wovon das lat. ordalium, iſt die angelfaͤchſiſche Form des Wortes. 
Die althochdeutſche lautet urteili. Vgl. Grimm „Deusfche Mechtoallerthüter“, 2. 9. 
©. 908-937, wo der Gegenſtand erjchoͤphend abgehandelt iR. 


246 


mahlsprobe, dic Probe des geweihten Biſſens, entlih das Bahrrecht 3). 
Daß mit allen diejen Berufungen auf tie Gerechtigkeit Gottes viel Mißbrauch 
und Schwindel getrieben wurde, unterliegt gar keinem Zweifel, und daß bie 
Ordalien fhon im 13. Jahrhundert der Spott der Bernünftigen waren, 
bezeugt und einer der hellſten Denker des Mittelalters 6). An die Stelle der 


5) Ergreifend if die Uebung des Bahrrechts im 17. Abenteuer der Nibelungen: 

noih gefchildert: — 
Die Nacht war vergangen, man fagt’, es wolle tagen; 
Da ließ die edle Fraue zu dem Münfter tragen 
Siegfried den Herren, ihren lieben Mann. 
Mit ihr gingen weinend, was fie der Freunde gewann. 
Da fie zum Münfter famen, wie manche Glocke Hang! 
Da hörte man allenihalben manches Pfaffen Sang. 
Da kam der König Gunther herzu mit feinem Bann 
Und auch der grimme Hagen: fle hätten’s klüger nicht gethan. 
Sie hielten ih am Leugnen. Kriemhilte da begann: 
„Ber daran unfchuldig, leicht iſt es dargethan; 
Gr darf nur zu der Bahre hier vor dem Volke gehn, 
Da mag man gleich zur Stelle fih der Wahrheit verfeh'n.“ 
Das ift ein großes Wunder, wie es noch oft geſchieht; 
Wenn man den Mordbefledten bei dem Todten fiebt, 
So bluten ihm die Wunden, wie es auch jebt geichah ; 
Daher man nun der Unthat ſich zu Hagen verſah. | 
Die Wunden floflen wieder fo flark als je vorher. 
Die erſt fo mächtig Hagten, fie weinten nun noch mehr. 
Da ſprach König Gunther: „Run hört die Wahrheit an: 
Ihn erfchlugen Schaͤcher, Hagen hat es nicht gethan.” 
„Mir fine diefe Schächer“, ſprach fie, „wohl bekannt ; 
Nun laß es Gott noch rächen von feiner. Freunde Hand !. 
Gunther und Hagen, ihr habt es wohl gethan.“ . 
Da wollten wieder flreiten die Degen in Siegfrieds Bann. 

6) Sottfried von Straßburg, der Dichter des Triftan. V. 15648 fg. erzählt er, 
wie die des Chebruchs mit Triftan angefhuldigte Iſolde ſich dem Gottesurtheil tes 
Tragens eines glühenden Eifens untertwirft. Vermittelſt eines ebenfo finnreidhen als 
komiſchen Cinfalls macht das fchöne und geiftvolle Weib die ganze Geremonie zu einer 
luſtigen Poſſe, deren Ausgang Gottfried mit ter ihm eigenen koͤſtlichen Ironie dar⸗ 
ſtellt: — 

.... Amen, ſprach bie fchöne Ifot. 
In Boitcönamen fle griff es an 
Unt trug es, daß ſie's nicht verbrann. 


247 


Gottedurtheile trat Dann allmäkig, oft noch mit jenen verbunden, eine ſcheuß⸗ 
liche Bolterfunft , welche bei und in Deutſchland namentlich dann raffinirt 
ausgebildet wurde, al8 im 16. Jahrhundert ber inquifitoriſche Prozeß den 
Anklageprozeß verdraͤngte. 


7. 


Wir wenden uns zu dem Zauber⸗ und Hexenweſen der mittelalterlichen 
und ſpaͤteren Zeit, ſagen aber ſogleich, daß wir das ungeheure Material, 
welches aus dem orientaliſchen, aus dem griechifch⸗römiſchen, keltiſchen, 
flaviſchen und germaniſchen Heidenthum tm chriſtlichen Volksglauben fi 
angeſammelt, nicht in feinem ganzen Umfange hier betrachten köͤnnen. Wir 
haben es nur mit den vorragendſten Spitzen des Zauber⸗ und dvexenglau— 
bens in der chriſtlichen Welt zu thun 1). 

In dieſem Drama, welches komiſch wäre, wenn ihm nicht die furcht⸗ 
barſten Bräuel anhafteten,, jpielt der Teufel eine Hauptrolle. Ganz folge 
richtig, da ja das chriſtliche Dogma die Natur als einen Abfall von Gott 
faßte, entlehnte der hriftliche Teufel von tem großen Naturgoti der Alten, 
vom Pan, die Geftalt. Im diefer trat er in der Anſchauung der Kirche an 


Da war wohl offen erfläret 

Und all ver Welt bewähret, 

Daß der viel tugendhafte Chrift 
Hanthierlich (wintschaffen) wie ein Aermel if. 
Er fügt fich bei und fchmiegt fi an, 

So man es mit ihm fügen fann, 

Alfo gefüge und alfo wohl, 

AS er mit allem Rechte fol. 

Er ift allen Herzen gleich bereit 

Zum Trug wie zur Wahrhaftigkeit. 

Iſt es Ernſt oder ift es Spiel, 

Er ift je ſo wie man ihn will. 

1) Den auf dem Zaubergebiet weniger oder gar nicht Heimifchen verweife ich auf 
den fchon früheren Ortes berührten „Derenhammer“ (malleus maleficarum) von 
Sprenger und Eonforten, das reichfte Arfenal mittelalterlicher Barbarei. Werner 
auf Anhorns Magiologia, Haubers Bibliotheca magica , Horfts Zauberbibliothef, 
Brimms Deutfche Mythologie (Abſch., Teuſel““ und ‚Zauber‘, 3.9. 936-1058), 
Soldans Seh. d. Herenprogefle, Köppens Abhandlung über Heren und Hexen⸗ 
prozeſſe in Wigand's Vierteljahrsfchr. f. 1844, II., 1— 74 und auf das Kapitel ‚‚Zaus 
berweien und Hexenprozeß““ in meiner ‚‚Beich. deutlicher Gultur u. Sitte‘ S. 352 fg.. 


246 


die Stelle Der noch lunge Beimlich wereßrten heidniſchen Götter, Fiftete ir 
ein eigene® Hei, beffen Unterthanen Zauberer und Seren waren, ebenfo 
einen eigenen Cult und benahm ſich überhaupt als „Affe Gottes". Ihm 
zu Ehren wurden die „Herenfabbatbe” gefeiert und in Deutſchland galt ale 
fein Hauptfeft Die Walpurgisnacht auf dem Blocksberge 2). Dan fand feine 
Ausübung Der Magie mehr möglich ohne einen Bund mit dem Teufel, Eraft 
deſſen ter Bethörte ihm feine Seele verihrieb mit dem eignen Blute, wo. 
gegen ihn der Teufel in tie Geheimniſſe der Zauberei einweißte, ihm zügel⸗ 
Infen Genuß natürlicher und widernatürlicher Wolluſt verfcaffte, ihm Reich⸗ 
thümer, Kriegöglüd u. a. m, zuwandte. Da im altgermaniiden Heiden⸗ 
thum befonders die Weibes im Rufe des Befiges höherer Gcheimnifle und 
Kräfte gehanden Hatten, Da man nicht vergaß, wie durch dad Weib die 
Sünde in die Welt gekommen, da ferner dem ſchwächern Geſchlecht Die Reis 
gung zu binterliftigen Hülfamitteln vorzugẽeweiſe zugeichrieben wurde, Schön 
heit und Häßlichfeit der Weiber auf Viele zu allen Zeiten einen dämoniſchen 
Einfluß ausisbten und endlich die phantaftiider angelegte Natur des Weibes 
ſelbſt oft verdäctige pſychologiſche Ericheinungen hervorrief: jo Hand beſon⸗ 
ders das weibliche Geſchlecht im Verdachte Der Zauberei und des Bündniſſes 
mit dem Teufel. Manchmal glaubten die Angeſchuldigten, durch den Gebrauch 
narfotifher Salben, beionderd aus Bilfenfraut, in franfhafte Träune ver» 
ſetzt, felbft an ihre Zuftfahrten auf dem Beienftiel, an ihre Bublichaft mit 
dem Teufel und den Herenmeiftern, an ihre Arafı, Krankheiten und ver⸗ 
beerende Gewitter zu verurfachen. — Was fle aber jelbft nicht glaubten, 
lehrte fie die Zolter glauben oder wenigftend befennen 3). Wie der Teufel 
ein Gegenreich zum Reiche Gottes gegründet, im Gegenfag zum menſchge⸗ 
wordenen Gottesſohn mit einer menſchlichen Sungfrau den Teufelsſohn 
Merlin gezeugt hatte und den Heroen der Kirche gegenfiber Bauft und Don 
Juan zu Heroen feines Hollenreiches erhob, fo war er, Darauf deutete unver⸗ 
fennbar feine Bodögeftalt, aud der Widerpart der reinen hriftlichen Liebe 
und demaufolge ein neuer Baal, Herr der ausſchweifendſten Unzucht. Daher 


9 Hier klingt fo weht Germaniſch⸗Heidniſches duch, denn bie erſte Mainacht 
mair die Beit eines gennanlichen Opferfeſtes und der alten Maiverſammlung tes Botles. 

9) „Du ſollſu fa din geioltert werden, daß bie Gemne durch dich fſcheint/ — 
Imatete tie Hurlersfenmel beiı der Bolterung. einer Gexe. In meinem werhln. eitirten 
Bu habe ich ©, AB die vestotellazikhe, Darftrllung ber Folterumg einer fdywan.ger 
ren Frau, die ac Haze yeozefflet wurde im J. 1001, eingeruct. . 


258 


feine‘ vorwiegende Meigumg , das weibliche Geſchlecht in feinen Dienſt zu 
ziehen. Die Hexenrichter aber waren mit dieſer Seite der Sache fo wene 
traut, daß Ar mis Hülfe des Kelten phyſivlogiſche Spezialintten hernuszu⸗ 
bringen wußten, welche maw fonft kaum durch nıifeoftepifche Unterfuhung 
hätte ermitteln können . Außerdem ftoht fe, daß der Hexemprozeß fin 
ale damit Beidgäftigten, vom Denuneinnten, Ankläger und Richter — oft 
eine und dieſelbe Berion — bis zum Genfer, ein höchſt einträglidies Ges 
ſthäft war; denm die Gabe der Singerichteten verfiel dem Fibcus, d. h. 
großentheils den fungirenden Oriſilichen, Juriſten, Spiowen und Genfern. 
Das Voelk harte wirklich nicht Unrecht, wenn ed in feinen Sagen bdiefen 
Teufel, der vie Geifilichen und Herenrichter, feine erbittertften Feinde, fo 
ſehr bereicherte, oft als einen gar „dummen Teufel“ abfahren lieh. 

Daß der Eintritt in des Teufel Band und Meich mit einer Abſchwö⸗ 
wg Gottes, Chriſti, der Kirche, Tarz des ganzen. Chriftentkumd verbunden: 
gedacht wurde, ift ſehr begreiflich. Weniger begreiftich ift die Ausfage des 
heiligen Officiumd son Rogeofin. in Spanien, der Zeufel drüde den Neu⸗ 
aufgenommenen Die Figur einer ganz kleinen Kröte in den linken Augenſtern 
ein. Man wird fich weder darüber, noch über irgend eine andere Tollheit, 
Widernatürlichkeit und Scheuplichfett im Zauber» und Hexenweſen wandern, 
wenn man Die totale Berteufelung ter Matue und des Menſchen, wir diefe 
Sorte von Ehriftentbum fie zumege gebradıt, im Auge behält: Auch über 
Die Infzenefegung der Hexenſabbathhe durch cine tollgewordene Phantafle’ 
verwundert man fid) Bann nicht. Der Hexenſabbath tft Mittel -.und Glauz⸗ 
punft der Herenreligion. Die Seren und Zauberer fommen zu demfelben, 
nachdem fie ſich mit der aud dem Fett ungetaufter Kinder, Wolfswurzel, 
Mauchskappenu. dgl.m. bereiteten Hexenſalbe eingeriohen, auf Böcken, Ofen⸗ 
gabeln, Beſenſtielen durch die Luft geritten. Jedes Land hat jeine Ver⸗ 
fammlungsorte, Deutfchland die meiften und unter diefen wieder als Lieb⸗ 
lingdftätte den Broden. Die Verſammlung hebt gewöhnlich um 9 Uhr 
Abends an und endigt um Mitternacht. Sie beginnt damit, daß Alles vor 


4) Alles nach Anweiſung bes Hexenhammers. Der alte ehrbiche Sauber ſagt 
deßhalb, der Nırtor dieſes Buches Imbe „mehr wie ein Henker ale wie ein Geiſtticher 
geſchrieben und wie ein Merk, der etliche hardels ansgshuret:hat." Köppen been 
treffrud, ker Hexenhammer, welcher canoniicdee Anfehen erlangte, fei ,‚mnit.dem 
Grifer eines vor Fanatiemus, Hakfude, Wolluſt und Henkersluſt wahnfiunig gewor⸗ 
denen Moͤnchs geſchrieben.“ 


250 


dem Teufel niederfällt,, ihn unter Berlängnung Gottes Herr und Meiſter 
nennt, ibm die linfe Hand, den linken Fuß, die linke Seite, die Genitalien 
und den Hintern füßt®). Wei befonders feierlichen Anläften beichten ſodann 
die Zauberer und Hexen dem Zenfel ihre Sünden, welche darin beſtehen, 
daß fie Kirchen beſucht, Die Geremonien des chriſtlichen Gottesdienſtes mit- 
gemacht und zu wenig Böfes gethan haben. Der Teufel legt ihnen Bußen 
auf und ertheilt Die Abſolution. Dann celebrirt er höchſtſelbſt die Teufels» 
mefle und ftellt feinen Anhängern ein Paradies in Ausfibt, weldes das 
chriſtliche weit hinter ſich laſſe. Zum Danke küßt man ihm abermals ben 
Hintern, wobei er zur Anerkennung der Hultigung Geſtank von. fih gehen 


läßt. Zum Schluß der Meffe theilt er das Abendmahl in beiterlei Geſtalt 


aus ©); aber die hölliſche Hoftie iſt fchwarz und zähe wie eine alte Schub⸗ 
ſohle und der Trank aus dem hölliſchen Kelch bitter und ekelhaft. Hierauf 
beginnt der Tanz, wobei Alle das Geficht nach der Außenfeite ded Kreifes 
ehren, und dad Schmaufen an den von dem hölliſchen Wirtbe bereiteten 
Zifchen. Aber die Speifen und Getränke ſchmecken fchlecht und wiberwärtig. 

Während des Schmauſens und Tanzen vermifcht ſich der Teufel mit allen 
Anweſenden fleiſchlich indem er den Männern ald Succubus, den Weibern 


als Incubus beiwohnt 7) und befiehlt, fein Beifpicl nachzuahmen, worauf er 


die Derfammlung mit der Ermahnung entläßt, möglichft viel Böſes zu- 
thun. Die Namen Gottes oder Chriſti oder der Jungfrau Maria auszu⸗ 
ſprechen, ift beim Herenfabbath ſtreng vervönt; aud das Wert Salz darf. 
nicht gehraycht werben. :Zum Schluß der ganzen Beier brennt ſich der 


nn nn 


5) Satan erſcheint beim Hexenfabbath gewöhnlich in finfterer Haltung. Halb 
Menſch, Halb Bo, fit er auf einem ſchwarzen Thron. Gr bat eine Krone 
von Heinen Hörnern auf und außertem noch ein großes Horn auf ber Stirne, 
von ‚welchen ein flarfer Lichtichein ausgeht. Seine großen runden @ulenaugen leuch⸗ 
ten in fchredlichem Glanze. Seine Finger laufen in Krallen aus, feine Yüße 
gleichen Gaͤnſefüßen, am Kinn Hat er einen Ziegenbart und am Hintern einen langen 
Schwanz. j 

6) Natürlich, denn dies galt damals für ketzeriſch. 

7) Die ältefle urfundliche Erwähnung einer Buhlichaft zwiſchen Teufel und Here 
if, fcheint es, die, welche in einem zu Touloufe 1278 verhandelten Hexenprozeß vor: 
fommt. Bol. Soldan, a. a. D. 147. Wie fehr mußte Doc das Bewußtfein einer 
Zeit verteufelt und verthiert fein, welche glauben Fonnte, Mädchen gäben ihre Jungs 


fräutichfeit, Frauen ihre cheliche Treue preis, um dafür Die dewohnung eines ſceu⸗⸗ 


lichen Bockes einzutauſchen. 


- oh. 


251 


große Bod zu Afche, welche unter alle Hexen ausgetheilt wird, als ein Mittel, 
ſchaͤdliche Werke zu thun. 

Die Folgen des Zauber» und Herenglaubend waren entfehzlich. Eine 
Bulle des zuchtloſen Papſtes Innocenz VIII. gab 1484 das Signal zur 
großen Herenhag und Deutfchland hat den traurigen Ruhm, daß es das 
ſchreckliche Glaubensgeſchäft am gründlichſten und methodifchfien getrieben. 
Im Jahre 1489 erſchien der Hexenhammer und mit Diefem „Liber sanctissi- 
mus‘ in der Sand gingen Theologen und Juriſten an die Arbeit. Die 
„ Maleflggerichte* wurden etablirt, und da Alles, aber auch gar Allee, ſelbſt 
das Widerfprechendfte, Schönheit und Haͤßlichkeit, Sittfamfeit und Lüder⸗ 
lichkeit, Klugheit und Einfalt, fromme Inbrunſt und Gleichgültigkeit, Reich— 
thum und Armuth, Stärke und Schwäche, Glück und Unglüd, in den Ber- 
dacht der Hererei bringen Fonnte, fo begannen bald in deutichen Landen 
maflenhafte Hexenbrändes). So auch im übrigen Europa). Und bie 
Reformation war weit entfernt, dem Gräuel zu feuern. Im Gegentheil. 
Iſt doch Luther ſelbſt befanntlid ein leidenſchaftlicher Teufelögläubiger ge⸗ 
wefen 19%) und die proteflantiichen Theologen und Juriften gaben fih alle 
Mühe, ihre katholiſchen Eollegen in hexenbrenneriſcher Verfolgung bed Teu⸗ 
feld noch zu übertreffen. Es ift buchſtäblich wahr, Daß namentlih am 
Ausgang ded 16. und in der erften Hälfte des 17. Jahrhunderts Deutſch⸗ 
land und Europa von Scheiterhaufen rauchte, auf welchen unglückliche rauen, 
Mädchen, Kinder fogar ein qualvolles Ente fanden, nachdem man ihnen 
durch ſcheußliche Martern das Bekenntniß von uUnmoͤglichem ausgepreßt 
hatte. 

Vergebens hatten Pr von Anfang an denfente Männer gegen den 
graufamen Unftnn erflärt 19). Ihre Stimmen verhallten in dem Lärm einer. 


8) „Sinäfcherungen ter Unholden“, war ber offizielle Ausdrud für dieſe Juſtiz⸗ 
morde. 

9) Ratürlich trugen Spanier und Bortugiefen mit der Inquifttion auch den Heren> 
prozeß in ihre überjeeifchen Kolonien. In den puritanifchen Colonien von Nordamerika 
ſah befonders das Jahr 1692 zahlreiche Herenbraͤnde. 

10) So zwar, daß er nicht nur auf der Wartburg dem Teufel das Dintenfaß 
nachwarf, fondern die Bretinen (Kilkroͤpfe“, ‚„‚Wechfelbälge‘‘) für Fruͤchte der Buhl⸗ 
f@aft des Teufels mit Heren erflärte. 

11) In einem 1489 erfchienenen ‚‚ Schön gefprech von den Onholden‘‘ behauptet: 
ber Berfafler, Uri Molitor, das ganze Herenwefen fel auf evtel dantaſtiglein und‘ 
Eynbildung‘‘ zurädzuführen. 





allgemeinen Tollwuth. In ter zweiten Hälfte bes 16. Jahrhunderis hatte 
der niederländiihe Prieſter Cornelius 2008 ausgeſprochen, der Gerenprosß 
ſei nur eine Art neuer Albgmie, vermittelft weicher man aus Menſchenblut 
Geld umd Silber mache, — hatte aber dieſen Ausſpruch theuer bezahlen 
mäflen. Im Jahre 1631 verrichtete Friedrich von Spree, ein Mitglied 
deſſelben ZJeſnitenordens, weicher fo viele Hunderte, ja Zaufende von Kerre 
verbvannte. eine That ewelfier Tapferkeit, indem er fein Buch Cautio erimir- 
nalts gegen den Hexenprozeß veröffentlichte 12). Aber fein Auftreten wiefte 
je wenig, daß der son ihm befänpfte Gräuel jeine größte Ausdehnung erſt 
jegt gewann. Der niederländiſche Arzt Balthaſar Becker (. Peienewe 
Märelde 1694) und der Beutiche Gelehrte Thomafius, weicher von 1701 — 
+2 verihiedene Traktate gegen Zuuberglauben und Gerenprogeß erjcheinen 
ließ, nahmen Spre'8 Oppofition wieder auf und führten fle weiter. Erſt 
mußte aber da® ganze „ Jahrhundert der Aufklärung” zu Ende gehen, bever 
der Gerenprogeß befeitigt wurde. Den legten Herenbrand im großen Styi, 
webri 97 Perſonen gemordet wurden, veranflaltete der Erzbiſchof von Salz» 
burg 1678. Als legte Hexe im beutichen Reich wurde 1749 zu Würzburg 
Dit flebzigiährige Nonne Dario Renata Gänges verbrannt. Die cite 
Sezenkinrichtung auf beutichem, und zwar vroteſtantiſchen Boden hatte 
41783 zu Glarus flatt. 

Doch gerade das Jahrhundert ber Aufllärung , weiches dem Maleftz⸗ 
gericht ein Ende machte, hatte, wie Jedermann weiß, in Sachen des Abe 
glaubens ebenfalls feine ſchwachen Seiten, ja ſchwaͤchſte. Theils die von der 
Treimaurerei fi} auszweigende Geheimbündelei, theild Die Uebertreibungen 
des Mesmeriöomus, theil® Die alten Beobleme der Alchymie unterhielten den 
Glauben an die Herftellung des Steined der Wellen und des verjüngentem 
Lebenselixirs, an Goldkocherei, Wahrfagerci und Geifterbeichwörung. Zus 
mal m den höheren, weil blaftrten oder in dem „Sturm und Drang ” einer 
aährenden Zeit unficher nad „ Höheren * taftenden Stänten 13). Der gläu= 


. 49. Die edle Maunn warf barin ten Herenrichtern die Werte ins Gefit: ‚Yrierr 
Lich ſchwoͤre ich, daß unter den Bieten, weiche ich wegen angeblichen Hexerei zum Scheis 
terhaufen begseitete (als Beichtenter) , niit Eine war, von welcher man, Alles genau 
erwogen, hätte fagen firmen , fie fei ſchuldig geweſen, und das Mänsliche theilten min 
zwei andere Theologen aus ihrer Praris mit. Aber behandelt Kirchenobeve, behandels 
Bichier, dehundelt mi fe, wie jene Uingiädliichen,. untermertt and benteßben Martern, 
us ihr werdet in unas Mira: Hauberct entnesten‘‘ } 

13) Willen. wir doch, daß felbft ein Goͤthe noch in veileren Jümmlinvojtcheen eifrig 


bige Wahn erganiftrte ſich in Den Mamerlogen von ber „Trietn Obier- 
sen; *, De ſich für eine Kortfegung des ſabel haften Roſenkyenzer⸗Dunded aus⸗ 
gaben, in Wabrheit uber Die Organe des Jeſuitiomus waren. In dieſer 
Sphäre, wo ſich mpfifche Sentimentalitaͤt krankhafte Bunderfucht, Induſtrie⸗ 
xuterlichteit und bierarchiſche Schlaicheit wunder ſam miſchten, biähten bie 
großen Wuntermäuser und Schwindler, ein SalntBermain, Gaglioſtro 
und Caſanova, welcher Iegtere feine Freundin, die Marquiſe d Urf, für bie 
ihr abgeſchwindelte Million ſchwauger zu machen verſprach sem — Mond. 
Die Aufflaͤrung ſuchte den Obſcurantiomus vergeblich mit ſeinen eigenen 
Waffen zu ſchlagen, indem fie dem entarteten Freimauterorden den 1776 
son Weishaupt und Bwadh geftifteten Geheimbund der, Illuminaten“ ent⸗ 
gegeniegte.. Im Uebrigen hat das 19. Jahrhundert dem 18, in Sachen bed 
Abberglaubens nicht eben ger viel vorzuwerfen. Im Bolte ift der Zauber- 
md Herenglauben noch immer lebendig, und was die, Gebildeten“ angeht 
— nun, wir haben ja glüclich das „odiſch⸗magnetiſche“ Zeitalter erlebt, 
wo ber Aberwig deB iſchrückens, des Geiſterklopfens und Der Vſychogra⸗ 
vhenmantik epidemifth graffiste. Mur die Formen des Linfinas find andere 
und, glüdlicher Weite, mildere geworden. 


8. 


Die Lehre von der alleinigen Rechtfertigung burd den Glanben, ver⸗ 
bunden mit jener buhftäblicen Auffafſung des Glaubens, welche vergißt, 
daß Liebe das untrügliche Merkmal desd redhtfertigenden Glaubens fein ſoll, 
— biefe Lehre iſt bie Duelle des chriſtlichen Fanatismus geworden. Ber 
anders glaubt, als wir, den verfludst die Kirche, den verdammt Bott ſelbſt. 
Den aber Gott richtet, wie follten ihn die Menschen nicht ſtrafen? Wehe 
lichten follten fie no& gegen ihn zu erfüllen Haben? Auf biefen Ermäyun- 
“gen, Fommen fie nım zum Bemußtfein oder ſchlummern fle in den dunkeln 
Tiefen des Gemäthes, beruht aller Fanatismus. Es verficht ſich dabei ton 
felbſt, daß Herrſch⸗ und Habfucht der Geiſtlichen und Weltlichen bei den 
Ansbrũchen der Unduldſamkeit meiſt eine ſehr wichtige Rolle geſpickt haben. 
Selten war die Schlechtigkelt um religidſe Begründung verlegen. 

Als mit dem Erldſchen des Heidenthums vie Serſolgengeſucht der Ehri⸗ 


mit Studien zur Findung tes „Steins ber wi und der Fimgfrankichen Erde 
ch veſchaftigte. 


2354 


ſten keinen andern Gegenſtand mehr hatte, kamen die Juden an die Weiße. 
Diele Unglücklichen, nirgends unter chriſtlicher Gerrihaft zum Grundbeftg 
berechtigt, waren genötbigt, fidy auf den Handel zu verlegen. Diefer ver- 
Ihaffte ihnen Geld, welches fie, entgegen der kirchlichen Anfhauung, auf 
Zins anlegten, wodurch fie aber in den Ruf des Wuchers geriethen. Der 
Haß ihrer Schuldner, das Gelüft derſelben, von Täftigen Glaͤubigern befreit 
zu werden, die Habſucht und Willfür der Fürſten fchärften den Fanatismus 
gegen die Judenſchaft in allen Ländern Europas. Meift aber war der Anlaf 
zur Berfolgung Aufreizung von priefterlidher Seite, leidenſchaftlich⸗religidſe 
Aufgeregtheit der Maſſen, öffentliches Unglück, Anſchuldigung auf Mißbrauch 
von Hoſtien und anderen chriſtlichen Heiligthümern oder auf Mord von 
Chriſtenkindern zu geheimen religiöſen Zwecken. 

Schon im 6. Jahrhundert hatte der Pobel von Rom und Ravenna 
die Juden mißhandelt, geplündert und ihre Synagogen verbrannt. Aber 
Theodorich wußte bald Ordnung zu ſchaffen, ſo daß dieſe Judenverfolgung 
eine vereinzelte blieb. — Spanien hat die traurige Ehre, die Reihe der 
großen Judenverfolgungen zu eröffnen. Seit Hadrian befanden ſich da- 
ſelbſt zahlreiche Judencolonieen. Um 612 zwang Eifebut, König der Wefl- 
gothen, 90,000 Juden zur Annahme der Taufe. Die Widerftrebenden 
wurden gemartert und ihr Vermögen eingezogen. Der Klerus äußerte ſich 
zwar gegen das Aufzwingen der Taufe, verpflichtete aber die einmal gewalt« 
fam Getauften, bei der Kirche zu bleiben. Als daher häufige Rüdfälle ins 
Judenthum erfolgten, verbannte ein Nachfolger Sifebuts alle Juden aus 
feinem Gebiete und eine Kirchenverſammlung zu Toledo verpflidhtete jeden 
König des Reichs zu dem Eide, dies Edict aufrecht zu erhalten. Es verſteht 
fi, daß die Hart bebrüdten Juden den Mauren die um 711 erfolgte Erobe⸗ 
rung Spaniens aus beften Kräften erleichterten. Wirklich befanden fte ſich unter 
mohammedanifcher Herrſchaft weit befier, als unter chriſtlichen Fürſten. — 
In Deutfchland gab zuerft die ungeheure Aufregung ber Kreuzzugszeit zu 
Judenſchläͤchtereien im ausgedehnteften und graufamften Maaße Beranlafiung. 
Die einmal gegen Die Raͤuber des heiligen Grabe entflammte Wuth richtete 
fih aud gegen die Nachkommen derer, bie den Herrn gekreuzigt. Alle 
Feinde des Chriftenthums ſchonungslos zu vertilgen, ſchien ja überhaupt 
verdienftlih. Das ihnen geraubte Gut mochte als irdiſcher Lohn foldhen 
Verdienſtes gelten. Als das kreuzfahrende Geftndel unter Peter von 
Amiens, Walther und Gottſchalk 1096 nad Trier Fam, ſtürzte es fi) auf 





2355 


die unglücklichen Juden. Der Kleinere Theil der Gemeinde, welcher ſich in 
die Burg des Biſchofs Egilbert hatte retten können, mußte den Schuß beifel- 
ben durch Annahme des Chriſtenthums erfaufen. Gleicherweiie haufte der 
Böbel in Meg, Köln, Mainz, Worms und Epeier. Die Kreusfahrer unter 
dem Grafen Emmicho bezeichneten ihren Weg am Main unt längs ber 
Donau bi8 in das Innere von Ungarn mit dem Blute der Juden. Am 
Rhein follen damals 5000, in Mitteldeutihland 12,000 Juden dem 
Schwerte der Kreusfahrer erlegen jein. Während des zweiten Kreuzzuges 
1146 ging es nicht befier. Der Mönch Rudolf, welder den Kreuzzug in 
den Mheingegenden predigte, rief die Waffen der Kreuzfahrer audy gegen bie 
Juden auf. Die Kreuzfahrer aller Nationen benahmen ſich nicht edler. Bei 
der Erſtürmung Ierufalems ward feines Juden geichont, das Feuer ver⸗ 
zehrte ihre Synagoge jammt den zahlreich darin Verſammelten. 

Es würde und zu weit führen, alle Judenſchlaͤchtereien aufzuführen. 
Sie kamen in allen Ländern der Chriftenheit vor und waͤhrten, auf Antrieb 
der Inquifition, am Iängften in Spanien. Aber auch in Deutfchland nahmen 
fle mit den Kreuzzügen keineswegs ein Ende. Das ganze 13. und 14. Jahrhun⸗ 
dert hindurch und noch bis ins 15. hinein genügten die albernften Anfchul« 
digungen, Ströme von jüdiſchem Blut vergießen zu machen. Im Jahre 
1298 3. B. mordete in der Gegend von Würzburg und Nürnberg ber Pöbel 
unter Anführung des Edlen von Rintfleifh an 100000 Juden, „darum daß 
fie die große Bosheit getrieben mit unferes Herren Leichnam. * Die ſchreck⸗ 
lihe, unter dem Namen des „großen Sterbent“ oder des „Schwarzen 
Todes" von 1347— 1350 wüthende Peſt wurde den Juten ald „ Brunnen 
vergiftern* ſchuld gegeben und ſtachelte die chriftliche Mordluſt zu furchtbarer 
Rafereit). Die Menge wüthete finnlos, wie es ihre Art ift, aber die eigent- 


— oo... — —— — — — 


1) Ein treffliches Bild der Judenſchlachten hat Th. Meyer⸗Merian nach zeitgenoͤſſi⸗ 
ſchen Chroniken in der Feſtſchrift, Baſel im 14. Jahrhundert““, S. 151—190 geieichnet. 
Beim Betrachten deſſelben, und wenn man es mit den zahlreichen in Wort und Bild 
uns überlieferten, anderen unmenfchlichen Bladercten und Beinigungen zufammenhält, 
welchen die Juden das ganze Bittelalier hindurch und bis in die neuefle Zeit herein 
unterworfen wurden, muß man in der Erhaltung des jüdifchen Volkes eines der größs 
ten Wunder der Weltgefchichte erfennen. Die Juden haben von den Ghriften linges 
heures erbuldet, und wenn fie ſich dafür in igrer Weife zu rächen fuchten, wer Tann es 
ihnen verdenten? Ihr Jahve war ja fein Bott der Gnade, fondern der Mache und 
konnten fie etwa von den Ghriften Duldung und Erbarmen lernen? Bgl. Depping: 


lien lieheber der Judenſchbächtewien wußten wohl, warum fie jene dequ 
xeisten. Der Ehroniſt Koamad von Prag hat das Rechte getroffen, wenn er 
ſchon im Betreff der Judenmorde zur erſten Arsugpugägelt märuft: „lie 
viel Geld Haben die Juden damals werinten!" Das wars. Die Meichthü⸗ 
wer, welche fich in den ſchuutzigen Judengaffen (Gihemo’s) angefammelt, 
waren zu lockend. 


9, 


Yinter den Ehriflen ſelbſt bat ter Kanatiömus als bitterfie Frucht Die 
Meligionsfriege hervorgerufen, die mit dem Aufſtand ber Gircum- 
cellionen in Afrika gegen Lie kaiferſiche Macht im 4. Jahrhundert begannen 
und in den Streitigkeiten zwiſchen Arianern und Athanaſianern fi fort- 
fegten. Zur Zeit der Kreuzzüge kamen danı die Kämpfe zwiſchen Griedgen 
md Lateinern, etwas ſpäter Die Bertilgungdfriege gegen Die Albigenſer. 
Wie dad große Schidma in der abendländiſchen Chriftenheit, die Reforma⸗ 
tion, von den Huffitenfänpfen an, eine ganze Meihe von Meligiondkriegen in 
Deutſchland, in der Schmeig, in Frankreich und in den Riederlanden Geruor= 
‚tief, wie und in welchem Grade diefen Kämpfen polttifche umd foziale Ele⸗ 
mente fich beimifchten, — wie namentlich Deutfchland durch das unerhörte 
Mißgeſchick, genannt der dreißigjährige Krieg, politiſche Macht, WohtRam, 
Bevölkerung und Bildung zunal einbüßte, — Dies Alles kann bier eben 
nur berührt werben. Ebenſo, wie in England dad Prinzip der Reforma- 
tion im Puritanismus feine politiſch-demokratiſchen Conſequenzen zog und 
fegreich geltend machte, — im Puritanismus, welcher, eine ber größten 
fittlihen und ſozialen Erfiheinungen im der germanifch-chriſtlichen Welt, 
zwar nah kurzer Herrſchaft im Muttetlande der monarchiſchekirchlichen 
Reaction erlag, dafür aber jenſeits des atlantifchen Ozeans zur nordameri⸗ 
Eanifchen Republik, als zu einer neuen Welt, dad Bundament gelegt hat. 

"Dagegen ift gerade hier, bei Berührung der Religionskriege, wie mir 
ſcheint, die rechte Stelle, von der Sefellihaft Jeſu zu reden, und wen 
auch keineswegs eine Geſchichte, fo doch eine Eharakteriſtik berielben einzu⸗ 
flechten. 

Der Jeſuitismus iſt Die Negeneration des Katholicismus. Aus Spa⸗ 
„Die Juden im Mitelalter““; Schubt: „Jüdiſche Wierkudrkigkelten‘; Miller: ‚Bu 
ben Iudenſgoitblidern. (Beitiche. fF. d. Culaurgeſch. ERBE, &. MB far). 


267 


nien, ber alten Heimat des Fanatismus, ging er hervor. Geſtiftet 1540 
durch Inigo de Loyola, wurde die Geſellſchaft Iefu in überrafchend kurzer 


Zeit ein Inflitut, welches der päpfliche Stuhl mit ungeheurer Wirkung dem _ 


proteſtantiſchen Geiſt entgegeniegte. Die Beichlüffe des tridentiner Coneils 
von 1562, welde die Entwidlung des Ratholicismus zum Abſchluß brach⸗ 
ten, laſſen die Thätigkeit des Jeſuitenordens, welcher zuvor ſchon an Eatholis 
fchen Höfen Deutihlands Eingang gefunden, deutlich fpüren. Sie boten 
der Keperei den Kampf auf Leben und Tod. Der Jeſuitenorden führte 
ihn. Die Jeſuiten entwarfen die große Fatholifhe Kombination, welche 
“ Europa umfaßte und, geflügt auf die fpanifche Macht, durch das Scheitern 
ber Anicläge Philipp's IL. auf England, wie durd die Ihrongelangung 
des Bearners (Heinrich's IV.) in Frankreich zwar gehemmt, aber nicht auf« 
gegeben wurde. Der Jeſuitismus wollte die ganze Erde zu einer Art Gottes⸗ 


flaat im Sinn des Katholiciömus, zu einer Domaine des Papfles machen, 


der natürlich eine Marionette in den Händen des Ordens fein follte und 
war. Jedem freien. Gedanken nicht nur, nein, dem Gedanken überhaupt 
auf den Kopf zu treten, an die Stelle ded Denfend ein unflares Kühlen zu 
fegen, mit unerbörter Spftematif und Gonfequenz die Verdummung und 
Verknechtung ber Maſſen durchzuführen, gefcheidte Köpfe, die Reichen und 
Mächtigen, die einflußreichen Leute jeder Art durch blendende Vortheile an 
ſich zu fehleln, die vornehme Geſellſchaft zu gewinnen vermittelft einer Moral, 
welche durch ihre Clauſeln und Vorbehalte zu einem Compendium des 
Laſters und Freveld wurde !), die Armen durch Beachtung ihrer materiellen 


4) Diefe Moral it allbekannt, fo daß wir nur ein paar charalteriſtiſche Proben 
anführen. Der jeſuitiſche Cafuiſt Gscobar lehrt: „Man darf denjenigen toͤdien, welcher 
uns beohrfeigt hat, obwohl er flieht, vorausgeicht, daß man es nicht aus Haß oder 
Rachſucht thue und dadurch etwa übertriebene und flantsgefährliche Mordthaten veran⸗ 
laſſe“. Der Jefuit Lamy verfündigt: „Es iſt einem Prieſter oder Mönche erlaubt, 
einen Berläumder zu tödten, der ſtandaloͤſe Beichuldigungen über feine Gemeinfchaft zu 
veröffentlichen droht”. Der Zefuit Filutius beſtimmt: „Ciner heimlichen Hure iſt man 
Gewiſſens halber noch weit eher Lohn ſchuldig, als einer öffentlichen ; denn bie heimfiche 
Hingebung des Weibrs iſt weir mehr werth als diejenige ber öffentlichen Dirne. Daſſelbe 
gilt von dem einer Jungfrau, Braut oder Nonne verfprochenen Hurenlohn‘‘. Wiederum 
ſpricht Escobar: „Ciner Hausfrau ift erlaubt, zu fpielen und zu diefem Zweck von dem 
Geld ihres Ehemannes zu nehmen““. Auch tröftet derfelbe: „Eine unlautere Abſicht 
wie 3. B. die Weiber mit wolluͤſtiger Gier betrachten, verbunden mit tem Beftreben, 
die Mefle gebührend zu höxen, hindert nicht, daß die Mefle vor Gott rechtfertige‘ ! 

Scherr, Geſch. d. Religion. III. 17 


i 








258 


Beduͤrfniſſe zum Dank zu verpflichten, Hier der Ginnlichfeit, dort der Babe 
ſucht, hier der Gemeinheit, dort dem Ehrgeiz zu fchmeicheln, Alles zu ver⸗ 
wirren, um endlich Alles zu beberrfchen, die Civilifation untergehen zu 
laffen in einer bloßen Vegetation und die Menſchheit in eine Schafheerde 
‚umzuwandeln: — darauf ging die Geſellſchaft Jeju aus. Ihre Organifa- 
tion war großartig und bewunderungswürdig. Hier war in diametralem 
Gegenfag zu der auf Befreiung des Individuums gerichteten Reformations⸗ 
idee das völlige Hingeben der Individualität. an ein Ganzes vollfländig 
durchgeführt. Das Herz des Iefuiten ſchlug in der Bruft ſeines Ordens. 
Nie Hat ein General gehorfamere, unerfchrodenere, heldenmüthigere Solda⸗ 
ten gehabt, als der Jeiuitengeneral, und nie auch wurde ein Heer mit meifler- 
bafterer Strategie geführt, als die Eonipagnie Iefu. In ewiger Proteus- 
verwandlung und doch ſtets diefelbe führte fie den nimmer raftenden Krieg 
gegen die Freiheit. Alles wurde auf Diefen Zweck bezogen und Alles mußte 
ihm dienen. Der Jeſuit war Gelehrter, Staatdmann, Krieger, Künftler, 
Erzieher, Kaufmann ; aber ſtets blieb er Jeſuit. Er verband fich heute mit 
Königen gegen dad Volk, um morgen ſchon Dolch oder Giftphiole gegen die 
Kronenträger in Anwendung zu bringen, weil bei veränderter Gonftellation 
der Vortheil ſeines Ordens dies erheifhte. Er predigte den Völkern die 
Empörung und ſchlug zugleich ſchon die Schaffote für die Mebellen auf. Er 
fharrte mit geiziger Hand Haufen von Gold zuiammen, um fie mit freigebi= 
ger wieder zu verfchleudern. Er durchſchiffte Meere und durdwanderte 
Wüften, um unter taufend Gefahren in Indien, China und Japan das 
Chriſtenthum zu predigen und ſich mit von Begeifterung leuchtender Stirne 
zum Märtyrertod zu drangen. Gr führte in Südamerifa das Beil und den 
Spaten des Pflanzers und gründete in den Urwildniſſen einen Staat, wäh- 
rend er in Europa Staaten untergrub und über den Haufen warf. Er zog 
Armeen als fanatifcher Kreugprediger voran und leitete zugleich ihre Be⸗ 
wegungen mit dem Beldmeßzeug des Ingenieurs. Gr fhweigte das Ge⸗ 
wiſſen des fürftlichen Herrn, welcher die eigene Tochter zur Blutichande vers 
führt, wie da8 der vornehmen Dame, welche mit ihrem Lakaien Ehebruch trieb- 
und ihre Gtieftinder vergiftet hatte. Kür Alles wußte er Troft und Rath, 
‚für Alles Mittel und Wege. Er führte mit der einen Hand Dirnen an da& _ 
Lager feiner prinzlichen Zöglinge, während er mit der andern die Drähte ber 
Maihinerie in Bewegung ſetzte, welche den Augen der Entneruten die 
Schreckbilder der Hölle vorgaufelte. Er entwarf mit gleicher Geſchicklichkeit 


* 


. 259 


Staatöverfaflungen, Zeldzugspläne und riefige Handelscombinationen.. Er 
war eben jo gewandt im Beichtfluhl, Lehrzimmer und Rathefank, wie auf 
der Kanzel und auf dem Disputirfatheder. Er durchwachte die Nächte Hin- 
ter Actenfascifeln, bewegte ſich mit anmuthiger Sicherheit auf dem glatten 
Parquet der Paläfte und athmete mit ruhiger Faſſung die Peflluft ber 
Lazarethe ein. Aus dem goldenen Kabinet des Bürften, den er zur Aus 
rottung der Ketzerei geſtachelt, ging er in die fchmußtriefende Hütte der Ar- 
muth, um einen Ausfägigen zu pflegen. Bon einem Herendrande kommend, 
ließ er in einem frivolen Höflingdfreife ſchimmernde Leuchtkugeln fkeptifchen 
Wiges fleigen. Er war Belot, Breigeift, Kuppler, Faͤlſcher, Sittenprediger, 
Wohlthaäter, Mörder, Engel oder Teufel, wie die Umflände es verlangten. 
Er war überall zu Haufe, denn er hatte fein Vaterland, feine Familie, Feine 
Sreunde ; ihm mußte dad Alles der Orden fein, für welden er mit bewun- 
derungswürdiger Selbflverläugnung und Thatkraft lebte und flarb. Nie, 
fürwahr, hat der Menfchengeift ein ihm gefährlicheres Inftitut gefchaffen, als 
den Jeſuitismus, und nie hat ein Kind mit fo rüdfichtslofer Entſchloſſenheit 
feinem Vater nad) dem Leben gefirebt, wie dieſes 2). 


10. 


„Wer zu mir fommen will, der verlaugne ſich ſelbſt und nehme fein 
Kreuz auf fih und folge mir nah *! Diefer Zuruf Jefu Chrifti, nebft dem 
Ausſpruch des Baulus: „Die Ehrifli find, haben ihr Fleiſch fammt feinen 
Begierden und Lüften gefreuzigt*, — bat die Askeſe ind Leben gerufen, 
d, h. die Hebung in der Abtödtung des Fleiſches. In dies große Gebiet des 
irchlichen Lebens gehört"das Faſten, die Selbflpeinigung und Selbſternie⸗ 
drigung, das Cölibat (Ehelofigkeit), die Möncherei und daB Eremitenweien, 





2) Ich habe mir erlaubt, diefe Charakteriſtik des Sefuitenordens aus meiner Geſch. 
deutſcher Cultur und Sitte (S. 277 fg.) Hier zu wiederholen, weil fie mir gerecht 
fcheint. Wenn ich das Weſen des Sefuitismus darin fehe, daß er ein Krieg auf Leben 
und Tod nicht allein gegen ’diefe oder jene Form bes Denkens fei, fontern gegen das 
Denfen, gegen die Bethätigung der menſchlichen Bernunft überhaupt, fo Bin ich neues 
ſtens in diefer Anficht nur noch beftärft worden durch das Verfahren der frommen 
Väter gegen ten armen Günther in Wien. Diefer Mann hatte ſich fein Leben lang 
eine beifpiellofe Mühe gegeben, das Fatholifhe Dogma, an weldhem er mit ganzer Seele 
hing, ſpeculativ zu rechtfertigen. Aber zu diefem Bwede mußte er denken. Das war 
fein Verbrechen und deßhalb ließen ihn die Sefuiten durch die roͤmiſche Curie vers 
dammen. 

17° 


260 


Das Ballen, im Orient allgemein gebraͤnchlich, von Jeſus felbft ald ein 
Huͤlfſmittel zus Erhebung des Geiſtes über Verſuchung und Traurigkeit be⸗ 
zeichnet, aber keineswegs als regelmaͤßige Uebung verordnet!), iſt von den 

ZJuden auf die Chrifien übergegangen. Demzuwider wurden ſchon früher 
beſtimmte Faſttage felgeiegt und die katholiſche Kirche hat eine Anzahl der⸗ 
felben gegenwärtig noch beibehalten ; auch Die lutheriſche kündigte noch hier 
und da Öffentlidte Fafttage an. Im Allgemeinen unterſcheidet ſich das hrift- 
liche Faſten, nınwenslich der Eurspäer, vom altfübiiden dadurch, daß es ſich 
hauptſaͤchlich auf Enthaltung von Fleiſchſpeiſen bezieht, wobei jedoch dem 
Fiſchen kein Fleiſch zugeichrieben wird, obwohl fie bekanntlich nicht aus 
Sauter Gräten beſtehen. Das vierzigtägige Baften vor Oſtern bat tie Bäl- 
fer durch Erneuerung der altrömtidıen Saturnalien einigermaßen mit ſich zu 
derfoͤhnen gewaßt. Die Mummerei der deutichen Faſtnachtszeit und des 
italieniſchen Carneval it aber nicht immer von der Kirche ungerügt geblie⸗ 
ben; denn ernfte Stimmen klagten darüber: — „Da die Ehriften an dieſen 
Tagen vorſätzlich raſeten, um vor den Faſten den alten Adam nod einmal 
austoben zu laſſen, fo banden fie Larven vor, tauſchten in ihren Kleidun⸗ 
gen die Geſchlechter, gaben fidh ungefcheut Dem Bacchus und der Venus hin 
und hielten allen Muthwillen für erlaubt. * 
Die Selbfiprinigungen zur Ertödtung bed Fleiſches wurden in der 
"Kirche erſt recht Mode, als fonft Niemand mehr tie Chriſten peinigte, außer 
fie ſelbſt. Konnte vie Gewaltthat der Heiden Feine «Heiligen mehr machen, 
‚fe machten Me Ghriſten durch Grauſamkeit gegen das eigene Fleiſch ſich ſelbſt 
zu Heiligen. Die heftige Meigung der Orientalen und Afrikaner zer 
Wolluſt was uͤbrigens wine eben fo wichtige Beranlaffung zu ſolcher Askeſe. 
. Darım ift fie auch von ihnen ausgegangen. Daß geflebt der heil. Hierond⸗ 
mus in einer Epiftel an Euſtachius ehrlih ein. Ihn felbft, der zwar von 
Geburt Erin Drientale war, aber in Rom die Ausſchweifungen kennen gelernt 
hatte, peinigte während feines Aufenthalts in der Einöde die Sinnlichkeit 
dermaßen, daß er ſich halb todt faftete, fich mit einem groben Sad bekleidete, 
‚feinen Uugen den Schlaf vermehrte und.oft laut auffchreiend feine Bruft mit 
Bäuften und: Steinen jhlug?). Das merkwürdigſte Beiſpiel eines Selbft- 


9) Matth. 6, 16-1859, 14-47, | 
2) Ruther, in feinen Tifchreden Graukf. A. v. 3. 2576, Fol. 3225), ſpricht in 
feiner derben und braftifchen Manier davon, daß „auch die Heilige Bäter in der Rinden 





—— m —— — — - 


an 


quälerd it Simeon Stylites, Der Säulenheilige, ein Syrier von Geburt, wel⸗ 
der 30 Jahre lang auf einer 60 Fuß hohen Säule aller Unbill des Witte 
rung treßte. Gr verſchied auf feiner Säule (im 3. A541), nachdem er wäh- 
rend der ganzen Zeit Schanren von Wallfahrera Buße gepredigt, hen Horden 
ber Araber Recht gefproden und ſelbſt dem Kaifer feine Hatbfchläge ertheilt 
hatte. Eine beſonders gebräuchliche Art, fich zu Fafleien, war bie Geißelung 
entweder mit eigener oder von frem.er Sand. Im Mittelalter wurde fir 
aufs Eifrigfte angewendet. Höchſt eigenthümlich muß die Breude Konıada 
von Warburg, des Beichtvaters der Landgraͤfin Eliſabeth von Thüringen, 
geweien fein, dab es ihm gelang, durch Geißelungen das Irdiſche in jeinem 
Beichtkind zu ertötten. Auch die Enthaltung vom Genuß des Weines ge 


hüört zur Askeſe und galt ſchon im 2. und 3, Jahrh. bie und da für ver⸗ 


dienſtlich. Im Mittelalters ward Die Selbfiquälerei immer erfinderiider. 
Man waltfahrtete mit Erbien in den Schuhen, trug Eifenringe oder Ketten 
am ven Leib und einzelne Glieder und brachte ſich die 7 Wunden deö Gar 
löfers bei. Ind Groteske fallen die Selbfterniedrigungen, welde Hd im 
13. Jahrhundert Jakobus de Benedictis anthat. Bet der Hochzeitäfeier 
feiner Nichte erſchien er, die Eitelfeiten der Welt zu verböhnen, mit geihrer- 
tem und gefedertem Leibe. Ein ander Dal erfchien er fplitternadt, einen 
Sattel auf dem Rüden und einen Zaum int Munde, auf allen Bieren Fries 
hend, vor allem Volke auf öffentlichen Marfte, jo daß männiglich ſich ent- 
fegte._ Als Damiani und die Bettelorden mit beredter Zunge die Geißelung 
als eines der verdienflichften Werke empfahlen, erhoben ftch von Perugia 
aus und ſteckten mit ihrem Wahnfinn aud das Übrige Italien an lange 
Büge Büßender, die, entblößt bis zum Gürtel, fich öffentlich bis aufs Blut 


haben Fleilſchliche lüfe gehabt, daarumb man den Celibatum meiden vnd sinfam leben 
fliehen fol.“ Gr jagt unter Anderem: „Sanıt Augußinus, ſchon ein alter Mann, 
Magt wber die naͤchtigen Pollution. S. Hieronymus flug feine Bruß mit einem 
Steine, fo befftig war er angefochten, gleichwol welt es nicht helfen , kondte dem vhel 
wicht ſteuwren vnd fondte bie Jungfraw io er gu Rom am Tang geſehen Hatte, vicht 
auß dem Hertzen fchlagen. Franciſeus der Barfüßee Moͤnch machte Schmeeballen, herbei 
nd füflet fie, daß jm die böfe Luſt vergehen folt. Sauct Benedicius legte ſich uniee 
wie Dörner. Denn wenn jm die böfe Luft enfame, fo zog er ſich nacket auf und Irgis 
ſich in die Döner vnd zerkratzt den Arß gar wol. Bernharbus-caftenste ſich vnd machte 
fein Leib ſo muͤde und malt, daß jm der Athem jo vbel and und roch, dag nisments 
vmb jn bleiben kondte“. 


262 


geißelten?). Doch der , ſchwarze Tod" mußte erft feine Hippe ſchwingen, 
bevor das nüchternere Deutſchland (1349) von jener geiftigen Veſt angeftedt 
wurde. Bon da an fam es in Uebung, bei großen Landplagen dur 
Beißlerzüge die zürnende Gottheit zu verföhnen. Es bildeten fi ſogar 
förmliche Geißlervereine und das tolle Weſen nahm überband, bis das 
Goncil von Conſtanz abmahnte und an einzelnen Orten, wie 3. B. in Thů⸗ 
ringen, das geiftlide Bericht einfhrit. Nur allgemah und nicht ohne 
Widerftand nahm die Beißelepivemie ein Ente, um fortan im flillen Kaͤm⸗ 
merlein ihre Macht auszuüben. Das würdige Seitenftüd zu den Flagellan⸗ 
ten bildeten zur jelben Zeit die Tänzer, in denen ſich der finnliche Bußkrampf 
kaum minder graufam äußerte. Wie jenen die Arm- und Rückenmuskeln, 
fo zuckten diefen die Beinmuskeln convulftvifh vor Höllenfurdht und Buß⸗ 
fertigteit,, daher ihr Tanz ebenfalls anftedend war. Die Erorciflen fanden 
an diefer Tanzwuth ein ſchönes Object der Wirkfamkeit und glaubten die 
tänzerifche Beſeſſenheit vornämlich durch Anrufung von Sancı Veit heilen 
. zu können. Bon daher flammt die Benennung Beitstanz. 

Großes Unheil bat der Ausſpruch des Apoſtels Paulus angerichtet: 
„Wer feine Toter zur Ehe gibt, thut wohl, wer fie aber nit zur Ehe gibt, 
der thut beſſer“. In den erften Jahrhunderten fon las man dergleichen 

3) Der Beginn des Flagellantismus im Großen, der Anfang der Geißelfahrten, 
iR, wenn auch die ganze Erſcheinung mit Wahrfcheinfichfeit auf den heil. Antonius von 
Vadua (ft. 1231) zurüdgeführt werden fann, wohl unzweifelhaft in das Jahr 1360 zu 
feßen. Damals, wo Italien in Folge der Kämpfe zwilchen Raifer und Bapft zur Wüfte 
geworden war, wo die furchtbare Zerrüttung aller fozialen und moralifchen Berhältnifie 
eine ſchwaͤrmeriſche religiöfe Aufregung begünftigte, wo endlich die welſiſch⸗paͤpſtliche 
Partei nad den Siegen Manfreds und der Shibellinen einem neuen Smpuls mit Bes 
gierde nachkam, — damals ging von der welfifhen Stadt Perugia der Ruf zur Buße 
und zu einer allgemeinen Geißelfahrt aus. Vgl. MeyersMerian a. a. O., we ©. 
191 fg. diefer Gelehrte eine ſehr fleißige und anfchauliche Schilderung des flagellantis 
fhen Treibens gegeben hat, und Förſtemann: „Die chriſtlichen Geißlergeſellſchaften““. 
Zeitgenoͤſſiſche Quellen find: Die Limburger Chronik, die Elfaͤſſiſche Chronik von Clo⸗ 
fener und Koͤnigehoven, die Oberrheinifche Chrenik, Wurſtiſens Baslerchronif, das 
Chronikon des Albert von Straßburg. Die Limburger Chronik beſchreibt die ,, Gei⸗ 
feler‘‘ in ihrem Bericht über das Jahr 1349 ausführlich. Deutfchland muß ordentlich neu 
aufgeatmet haben, als es von den Schredien des fchwarzen Todes, ber Judenfchlachten 
und Beißlerzüge erläft war. Die Limburger Chronik fagt: „Darnach (1350) da das 


Sterben, die Geißelfahrt und Judenſchlacht ein Ende hatte, Hub die Welt wieter an zu 
leben und fröhlich zu fein.‘ 


- — — — — - -- 





263 


Stellen nicht immer im Zufammenbang. Bereits im 2. Jahrhundert galt 
das Gelübde ewiger Keufchheit für verdienfllih, die Ehe der Beiftlichen, 
beſonders das Eingehen der zweiten Ehe, ward feheel angefehen, Sungfrauen 
gelobten fih ald Bräute dem Herrn und wagten es, nicht immer ungeftraft, 
durch vertrauted Zufammenleben mit Geiftlichen auf jhwefterlichem Fuße der 
Macht des geſchlechtlichen Triebed Trog zu bieten. Bu Anfang ded A. Jahr⸗ 
hunderts tauchten ſchon bie und da Belege auf, weldhe dem Klerus die Ver⸗ 
ebelihung nad der Ordination verbieten wollten, ein deutliches Zeichen, wie 
das Volk auf äußerlihe Auszeichnung des Kleriterd Werth zu legen anfing, 
und zugleih, wie mächtig jener finftere Geift war, welder den Naturtrieb 
als etwas an fih Sündliches verdammte. Zu Nicäa verhinderte der Wider⸗ 
fand des firengen Confeſſors Paphnutius, der geichlechtlid in völliger Ent- 
haltſamkeit gelebt, allgemeine Gölibatgefege. Aber die trullanijche Synode 
verpflichtete die Bifchöfe, fih von ihren Gattinnen zu trennen. Seit 385 
beſtimmten einzelne Provinzialſynoden des Abendlandes nur die Subdiako⸗ 
nen dürfen ihre Frauen behalten. Daß Anfehen der in Ehelofigfeit leben⸗ 
den Mönche ſtimmte zulegt die öffentliche Meinung für allgemeine Ehelofig⸗ 
feit der Geiſtlichen 4), Wie endlich Gregor VII. die Ehelofigfeit der Geiſt⸗ 
lichen zum allgemeinen Kirchengefeg erhob, haben wir gefehen. Furchtbares 
Sittenverderbniß unter der Beiftlichkeit, gefleigert bis zur unnatürlichfien 
Berirrung, war tie Folge. Im Mittelalter; dem geſchlechtlich⸗naiven, 
erregte dad Concubinat der Beiftlichen weniger Aergerniß. Nach der Refor⸗ 
mation, ald die Kirchenzucht der Fatholifchen Kirche und die öffentliche Mei⸗ 
nung bierin firenger wurden, mußte der Kindermord öffentliches Scandal 
gerhüten. Im neuerer Zeit gehören Prozeſſe, wie der des Pfarrers Riem⸗ 
bauer, zu ten furdhtbarften Anklägern des Cölibats. Luther und Zwingli 


4) ,, Aber darnach, da die Zeit deß zorns, wütens vnd blindheit kam, nam die 
Lügen vberhand und trieb die Wahrheit auß, alſo, daß fle auch das arme, vnſchuldige 
Weiber Böldtin gar verachteten für groffer Heiligkeit und heuchelen. Doch Löfet vieler 
einiger Spruch Chriſti alle re Argumente und Gruͤnde auff, verwirfft und macht fie zu⸗ 
fhanten. Nemlih, Bott fchuff ein Männlin und Frewlin. Wiewol die lieben Vaͤte 
(Kirchenvaͤter) vngeſchickt vnd vngereimt gnug vom Cheſtande ſchreiben. Warlich 
groſſe Narren finds geweſt, die mit vielen Geſetzen die Che, ſo doch Gottes ordnung 
vnd geſtifft iſt, nicht haben woͤllen freylaſſen vnd geſtatten. Es iſt fürwar ein wuͤnder⸗ 
lich und vnſelig Mandat vnd verbot, die Ehe nicht zuzulaſſen, fo doch der heilige Mann 
Baphuutius das Eheliche Beylager eine Keufchheit Heißt‘. Luthers Tifchreben, 
Fol. 329, . | 


‘ 


264 


haben durch Wort und Beifpiel die Ehe wieder gehelligt und den Getftlichen 
wieder zum ganzen Menfchen gemacht. 


11. 


Zum Gebiet der chriftlihen Aokeſe gebört als ein Haupttheil das Ein⸗ 
ſtedler⸗ und Mönchsweſen, deſſen Geſchichte jo. reich ift an Beweiſen ‘Alles 
überwindender Willengkraft, wie an’ abſchreckendſten Erſcheinungen der 
Graufamkeit und des religioſen Wahnfinns. Sie zeigt uns eben jo häufig, 
daß der Sterbliche nicht immer ungeftraft die Schranken feiner körperlichen 
Natur vergißt, als fie und darauf hinweiſt, wie viel unabhängiger der 
Menjchengeift von feiner irdiſchen Hülle iſt ‚ al8 der gemeine Materialismus 
unferes Beitalters glauben machen will, Freilich wurde dieſe Geiſteskraft 
der Askeſe zumeift an den Unflnn verfehwendet; allein wer Welt und Men⸗ 
fen fennt, wird fih darüber nicht allzufehr ärgern. Es war eines der 
wahrften Worte, die je geiprochen wurden, als Schiller fagte: „Berftand 
tft fletß bei Wen'gen nur gewefen “. 

Schon im 3. Jahrhundert, als die Berfolgungen des Derius und Dioele⸗ 
tian ſtrengeren Kirchenlehrern für Strafgerichte Gottes über die allmälig 
entartende Kirche galten, trat eine moraliſche Scheidung unter den Chriſten 
ein in Solche, die ſich nur zur Befolgung der eigentlichen Sittengeſehze ver⸗ 
pflichtet hielten, und Solche, denen völlige Weltentſagung für das allein 
wahre Chriſtenthum galt, die jedes weltliche Vergnügen für eine Berlodung 
bes Teufels hielten und die Erde als ein von Gott verordnete Jammerthal 
- betrachteten. Je mehr die EhHriftenheit in die gegebenen Weltverhältniffe . 
bineingezogen wurde, defto flärker empfanden dieſe einjeitigen Eiferer den 
Trieb, die Welt zu fliehen ; denn fie bedadhten nicht, daß das Chriſtenthum 
in die Welt eingehen müſſe, um diefelbe zu überwinden. Zu den berühm⸗ 

teften Eremiten des 3. Jahrhunderts gehört Paulus von Theben, welcher 
ſeit der Verfolgung unter Decins in einer Höhle der Wüfte, nur. von 
einer Valme genährt, fein Leben zugebradht hatte, bi8 ihn 340 Anto= 
nius flerbend fand. Diejer, gebürtig aus der Thebaiß in Aegypten, 
durch die Erzählung des Evangeliums vom reichen Jüngling, wie fpäter- 
bin Franz von Affift, Heftig erichüttert, hatte Haus und Familie ver⸗ 
laſſen, un in der Wüſte ganz der „Himmlifchen Philoſophie“ gu beben. 
Zum Berge Kolzim am rorhen Meere, wo er fih aufhielt, z0g der Muf feiner 


265 
Bikonen ?), jeiner Wunderkraft und firengen Lebensweiſe bald Taufente 
von Nachahmern hin. Da fekbft Konſtantin dem Wundermann Aegyptens 
tiefe Verehrung bezeugte und dadurch das Leben in der Entfagung in den 
Augen des Volkes zur Heiligenwuͤrde erhob, fo vereinigte fih mit der Wun⸗ 
derſucht aud) der Ehrgeiz, die Wüſte mit Eremiten zu bevölfern. Auch das 
weibliche Gefchlecht folgte dem allgemeinen Zuge und bald fah ſich Pacho⸗ 
mins, ein Schüler des Antonius, veranlaßt, um 340 auf der Niliniel Ta- 
benna Klöfter für die beiderjeitigen Geſchlechter zu gründen. Dazu mochte 
tun unter Anderem auch das Vorbild der alten Therapeutengemeinden be⸗ 
wegen. Die Lebensregeln, welche er feinen Klöftern gab, wurden von ber 
Ueberſchwaͤnglichkeit, welche das Mönchsleben mit demjenigen der Engel vers 
glich, als die englifche Disziplin bezeichnet. Die volkreihe Stadt Oryrhyn⸗ 
dub widmete fih, getrieben durch das Beifpiel der nahen Klöfter, zum größe 
ten Theile dem Mönchsleben. Zehntauſend Frauen und zwanzigtauſend 
Männer gaben fich den mönchiſchen Lebendregeln hin. Ungefähr um die 
naͤmliche Zeit ftiftete Hilarion in der Wüfte Gaza Klöfter nach eigener Regel. 
Bon dort aus verbreiteren fie fich ſchnell und zahlreich über ganz Baläftind. 
An der Küfte des ſchwarzen Meered gründete Bafllius, Erzbiſchof von Eä- 
farea, um 360 eine Menge von Klöftern, wiederum nach befonderer Regel. 
Daffefbe that um 370 der Biſchof Martin von Tours in Gallien. Um 341 
führte Athanaſtus, des Antonius Freund und Verehrer, das Mönchsweſen 
auch in Rom ein und in Eurzer Zeit erhoben ſtch zahlreiche Klöfter auf den 
Trümmern der heidnifihen Tempel, felbft inmitten des Forums. Gegen 
Ente des A. Jahrhunderts war Faum mehr ein Land der Chriftenhett zu 
finden, wo nicht bereits Klöfter eriftirt hätten, 

So verfihieden die Ordensregeln waren, alle Iiefen hinaus auf blinden 
Gehorſam gegen die Befehle des Kloſtervorſtehers (des Archimandriten oder 
Abtes), Abtödtung der finnfichen Triebe, völlige Armuth und gänzlide 
Weltentfagung. Furchtbare Strafgeſetze wußten ten Gehorſam aufrecht zu 
erhalten. Kerker, Geißelung bis aufs Blut, überrriebene Baften. waren 


—h — 


4) Die Cinſamkeit, verbunden mit Aufechtungen der Wolluſt und harter Asleſe, 
fpiegelte feiner Acht ägyptiihen Phantafle allerlei teuflifche Erfcheinungen vor. Webers 
haupt hat die Askeſe bei vielen Gremiten und Mönchen oft ſolche Vorfpiegelungen ber 
Phaniafie hervorgerufen. 86 erfihienen ihnen gute und böfe Geiſter, fie vernahmen 
überiedifche Stimmen, Himmel und Hölle öffneten ſich vor ihrem innern Auge. Diefe 
Phantasmen find zu einem unerichöpflichen Born ter Heiligenlegende geworben. 











266 


anf geringe Bergehungen geiegt. Die Sedulbsübungen, welche den aͤgypti⸗ 
fchen Mönchen auferlegt wurden, beftanden meift in frudtlofer Anftrengung 
ihrer körperlichen Kräfte. Im Uebrigen erhielten fi die Mönche tiefer 
erften Zeit durch die Arbeit ihrer Hände, durch Land = und Gartenbau, wo 
dies anging, oder in der afrikaniſchen Wüſte durch Flechten von Matten und 
anderem Beräthe aus Palmenfafern. Anfangs wurde gegen Diejenigen, 
welche wieter in die Welt zurüdfehren wollten, Teine Gewalt geübt. Als 
aber der Fanatismus für das „englifche Leben * erft erflarkt war, ließ man 
nad) vollendetem Noviziat (Probezeit) den Eintretenden unverbrüchliche Treue 
ſchwören und Staat und Kirche vereinigten ſich, den eidbrüchigen Flüchtling 
der Strafe. feined Vorgeſetzten auszuliefern. Nur Wahnfinn oder Tod 
konnten fortan den Unglüdlichen befreien, welchen Mißhandlungen, Nacht⸗ 
wachen, Baften, Unterdrückung aller natürlichen Triebe mit ſich jelbft entzweit 
batten2). In der Kleidung richteten fih die Mönche gewöhnlich nach der 
Natur und Lebensweife ihres Lantes. Vorgeſchriebene Ordenskleider kamen 
erſt fpäter auf. Aber ſchon damals raftrten. ſich bie Mönde das Haupthaar, 
den Sklaven „ähnlich zu jheinen. Im 5. Jahrhundert ahmte dies ber 
römische Klerus infoweit nad, daß er fi eine Platte auf dem Scheitel ſchor 
(Tonfur des Petrus). Die britiiche Kirche blieb bei der ohnehin landes⸗ 
üblichen Abſcheerung des Vorderhauptes (Tonſur à la Paulus). Um alle 
Augenluft zu meiden, bevedten die Mönche ihr Haupt mit einer Kapuze. 
Die älteſten Klöfter Aegyptens beflanden aus ſchlechten, in regelmäßige’ 
Straßen eingetheilten Hütten, einer Kirche, einem Krankenhaus, einigen 
Geſchaͤftszimmern, einem Garten und Brunnen, Alles durch eine gemeinſchaft⸗ 
liche Mauer gegen bie Außenwelt abgefperrt. Die Mönde der firengeren 
Orden fchliefen auf dem nackten Erdboden oder auf Matten oder einem rohen 
Tuch. Nachts wurden ſie zu beſtimmter Zeit durd ein Horn⸗ oter Trom⸗ 
petenfignal zum gemeinfamen Gotteödienft gewedt. Daß ein folches Leben 
bei gemöhnlichen Naturen alles wärmere Gefühl ertödten mußte und ben 
legten Reſt des Gemüthslebens in Teidenfchaftlihen Glaubenseifer zuſammen⸗ 
drängte, verſteht ſich von ſelbſt. Dies und der unbedingte Gehorſam, ſowie 
der Mangel an Geiſtesbildung, eignete die Mönche zu einem gefährlichen 


— — — — 


2) Opfer fallen hier, 
Meder Lamm noch Stier, 
Aber Menfchenopfer unerbört. 
Goͤthe. 





367 


Heer in der Hand gewaltthätiger Biichöfe, welches in Glaubensſachen oft 
mit Kauft und Knittel entſchied. Die kaiſerlichen Truppen follen einen 
Kampf mit ihnen weit mehr, ald mit den wildeflen Barbaren geſcheut haben. 

Durch die Stiftung der Klöfler war aber das Einfledlerwefen keines⸗ 
wegd aufgehoben worten. Es gab vielmehr Asketen, denen felbit das 
Klofterleben nicht ſtreng genug war, theild weil fie ſich felbft noch flärker 
quälen und erniedrigen wollten, ald die Ordensregeln geftatteten, theil® 
weil ſte die völlige Einſamkeit, fomit die gänzliche Unterdrüdung des Ge⸗ 
felligfeitötriebes,, in den Klöflern vermißten. Deßwegen verfchmähten die 
Einen das Klofterleben von vorneherein, Andere verließen Die Klöfter, um 
als Anacoreten zu leben. Die Kloftermönde hießen im Gegenfag zu diefen 
Cõnobiten (gefellig Lebende), Die Anachoreten übertrieben die Selbſt⸗ 
peinigung und Selbfterniedrigung bis zum Aeußerften. Im buchſtäblichen 
Sinne nahmen fie dad Kreuz Chrifti auf ſich, trugen ſchwere Ketten, Bein⸗ 
fhienen, Arm» und Haldbänder von Eifen. Männliche und weibliche Ein⸗ 
fledler entjagten felbft den Kleidern, fo daß ihre Leider ſich nach und nad 
mit Haaren bedeckten. Dazu gehörte no, daß Etliche in Mefopotamien 
den Nebufadnezar nadrahmten, und St. Ephraͤm hat eine begeifterte Lobrede 
auf diefe grafenden Heiligen verfaßt. 

Schon im 4. Jahrhundert begannen die Klöfter ſich zu bereichern 
durch die großartigen Beichenfe Derer, welche das „engelgleiche Leben” 
bewunderten, durch die Opferfreudigfeit der Novizen, welche beim Eintritt 
meift alle ihre Habe auf das Klofter übertrugen, und durch zahlreiche Ver⸗ 
maͤchtniſſe. Diele betrachteten zwar ihre Geſchenke ald Wohlthaten zu Gunr 
fien der Armen und allerdings verwendeten die Mönde und Nonnen, fo 
fange fle noch nicht felbftfüchtig und üppig geworden, den größten Theil der 
milden Gaben zum angegebenen Bwede. Doc nicht lange widerſtanden fie 
dem dämonifchen Einfluß des Reichthuma. Die Arbeit ruhte, die Klöfter 
wurden rei und die Noth der Zeit nicht minder, als der Hang zu ſorg⸗ 
loſem Müßiggange lockte Tauſende in die „beiligen-Mauern*. Man wähne 
nicht, Daß diefer Uebelftand verborgen geblieben ſei. Schon zur Zeit des 
Chryſoſtomus fuchten die Vernünftigern dem Zudrang zum Möndeleben 
gu fleuern. 

Bei allen Schattenfeiten jedoch, welche das Mönchsweſen von Anfang 
an darbietet, Darf nicht vergeffen werden, daß es der Wiflenfchaft bedeutende 
Dienfte geleiftet Hat. Es gab doch auch Anachoreten, welche ihre Einſamkeit 


— —— — — — 


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22 
* 


44 


buch das Sindium kirchlicher une weltlicher Wiſſenſchaft zu erheitern 
wußten. Sie haben viele griechiſch⸗ römiſche Caſſtker durch ihre Abſchriften 
der Nachwelt erhalten. Die Mönche von Aegypten, von Gallien und Italien 
befehäftigten ſich, fo viele ihrer Dazu Geſchick und Neigung hatten, mit 
Bücherabfchreiten. Befonders lenkte Eafliodor die Mönche feines Kloſtert 
Vivareſe auf gelehrte Studien hin, denen er einen hinlaͤnglich weiten Spiel 
raum geflattete. Am meiſten bat fih um Wiſſenſchaft, Schulweien ums 
Urbarmachung öder Landſtriche der Benebietinerorben verdient gemacht. Er 
trägt den Damen feines Stifter, des Benedict von Nurfia, welcher ihn 529 
im Kloſter Monte Caſſino nach milden aber mit unverbrũchlichen Gelübden ver» 
bundenen Regeln gründete. Durch dieſe Stiftung nad neuer Hegel trat Bene» 
dict als Reformator des in Ueppigkeit und Unfittlichkeit verfunfenen Klofter- 
lebens auf. Zeugniſſe folhen Berfalld And die Verbote des 6. umd 7. 


: aligemeinen Concils, es dürfte feine Brau eine Nacht in einem Mannsflofter 


: und fein Mann eine Nacht in einem Zrauenflofter zubringen, au bürften 


A Beine aus beiden Geſchlechtern gemiſchte Klöſter errichtet werden. 
‚rc Das abendländifche Mönchsweſen hat in vielen Beziehungen einen ganz 


andern Charakter angenommen , ald das morgenländiiche und afrikaniſche. 
on Selbftpeinigung ward, beionderd was dic Faflen betrifft, bei Weitene 


* nicht in dem Maaße wie im Orient und in Afrika übertrieben. Im Allge⸗ 
- meinen neigten ſich die europäifchen Möndıe mehr zu geiftiger Beichäftigung 


I 206) 


hin. Seit dem 10. Jahrhundert galten Die Klöfter nit mehr als Laien⸗ 
gemeinden; ihre Bewohner traten in den geiftlichen Stand und fingen ſeit 
dem 11. Zahrhundert an, zur Verrichtung weltlicher Geſchäfte Laienbrüder 
aufzunehmen. Die Entfichung von Kongregationen, deren Stellung zu den 
kirchlichen Obern ſehr verſchieden war, die Bervielfältigung der Orbensregeln, 
das Beftreben, den Geift jeded Ordens durch defien Gewand anfchaulich zu 
"machen, 'veranlaßten die Entfichung befonderer Orbenstrahten. Durch 
Entziehung von bifchöflicher Aufftht wurten die meiſten Orden unmittelbare 
Diener des Papſtes, und die Mönche vornämlich waren das flegreidhe Heer, 
welches dem Gölibatögefeg Gregors VIL., oft mit Gewalt, Beltung ver⸗ 
ſchaffte. Ihr wohldisziplinirter Banatiömus war überhaupt die furdyt- 
barfle Waffe der Paͤpſte gegen Irrichrer und Sekten. Zum Kreuzzug gegen 
Die Mohammedaner, wie gegen bie Ketzer wußten fle die Völker mit gleicher 
Kraft zu begeiſtern. Ihre großen Veflgungen, Anfangs durch Bebauung 
weiter Wildnifie erworben, fpäter durch Geſchenke und Erbichaften vermehrt, 


289 


Verichafften ihnen auch große weltliche Gewalt; denn kraft des Tehnsrecktes 
erwarben fe ſich dur dieſelben zahlreiche Bafallen, wie denn 3.2. im 
11. Jahrhundert der Abt von Lorſch 1200 Mitter zum Kriegsdienft ftellte. 
Außerdem erklärten ſich viele freie Bauern, um den Plackereien der adeligen 
Eeuteſchinder zu entgehen, zu Unterthanen ter Klöſter. Aber mit Reich⸗ 
thum und Macht wuchs auch die Lieppigfeit und linfittlichfeit ber Klöfter. 
Bon den reihen Bewohnern Clugnys berichtet der heil. Bernhard, fle Hätten 
ſich allzeit die feinften Stoffe für ihre Gewaͤnder ausgeſucht, in Bezug auf 
die Weine meifterliche Kennerſchaft an den Tag gelegt und auch die Koch⸗ 
Eunft nicht verachtet. Died waren noch barmloje Mängel. Inden Zeiten 
ibreß tiefften Verfall, im 14. und 15. Jahrhundert, Hatte die Möncherei 
und Nonnerei befanntlicd noch ganz andere aufzuweifen und bat fie nrit 
naioſter Schamlofigfeit auch wirklich . aufgewiefen. Die Schwänfe= und 
Sotenliteratur ded 14. und 15., die grobianiiche des 16. Jahrhunderts gibt 
ausreichendes Zeugniß, wohin ed damals mit den drei Möfterlichen Gelübden, 
Gehorſam, Armuth und Keufchheit, gelommen war. 

In das Volksleben, in die Eirchlichen und fozialen Bexhältniffe des 
ſpaͤteren Mittelalters haben beſonders bie zu Anfang des 13. Jahrhunderts 
gegründeten zwei großen Bettelerven der Dominikaner und Branzißfaner 
lebhaft eingegriffen. Jene, -geftiftet durch den farsatifchen Spanier Domi- 
nifus Guzman und zunachft gegen die Albigenier beflimmt, hatten ben 
Rampf gegen tie Ketzerei, diele, von dem „feraphiichen Bater*, dem angeb- 
lichen Wundertbäter und wirflihen Schwärmer und Kyniker gran von 
ARE geſtiftet, hatten Bußpredigt und, Arwennficge zum uaupingenden 
Oꝛdenszweck. Beide Orben fanden vermittelſt ihrer Mrdensgenerale unter 
alleinigem Gehorſam des Papfted, welcher Durch die Heere von Bettelmönden 
üser die Hergen der Bölfer gebot. Beide bemärhtigten fi des Bemüther 
durch ſteißige Benupung des Vorrechts, überall Beichte zu hören, geriethen 
aber dadurch nicht felten in ärgerliche Streitigkeiten mit der übrigen 
Geiſtlichkeit. Aus beiden Orden find berühmte Univerſttätslehrer her⸗ 
vorgegangen, Zwei große Parteien unter den Schulaftifern tragen ihre 
Namen von Bettelmönden, die Thomiften von dem Dominikaner Ihomas 
von Amino und die Scotffien von dem Franziskaner Duns Scotus. 
Ranger ald tie Domintfaner blieben die Franziskaner dein Gelübde frei⸗ 
williger Armuth getreu, und aud dann, als die Franziskanerklöſter ſich reich 
gebettelt hatten, war der Geiſt des Stifters noch fo mächtig, dab fid die 


2710 


Partei der Spiritualen, welche an jenem Geluͤbde fefthielt, vom Orden aub« 
fhieb und e8, nach mannigfachen, oft blutigen Verfolgungen,, gegen VPaͤpfte 
und Inquifitoren durdhfegte, als Brüder der firengen Obfervanz unter eige- 
nen Vorſtehern anerkannt zu werden. Während dieſes Kampfes hatten bie 
Spiritualen eine dem Papſt entſchieden feindfelige Stellung angenommen 
und den Kaifer Ludwig den Baier gegen jenen mädtig unterflügt. Sie 
waren die einzigen Mönche gewefen, welche dem päpftlichen Interdict gegen 
die Faiferlih gefinnten Städte und Länder zum Trog die kirchlichen Bunctie= 
nen dafelbft ausübten. 

In Hinfiht des Cultus wurden etliche Orden von fpezieller Beftim- 
mung gefliftet,, wie 3. B. der Servitenorden zur Beier der göttlichen Jung⸗ 
frau und ihres Schmerzes, im Jahr 1233. Gegen die Zeit der Reforma- 
tion hin war das Mönchsweſen in allgemeinem Berfall begriffen. Die 
Mirakel ihrer Drdensheiligen fanden wenig Glauben mehr. Die Unwiffen- 
beit, Roheit und Sittenlofigfeit der Mönche waren Gegenſtände allgemeinen 
Spottes und Aergerniffes. In den Nonnenflöftern wurden bie Wände gar 
zu laut von Kindern befchrieen. Wenig half es, dag. tie Päpfte faft alle 
Drvendftifter Heilig oder wenigſtens felig geſprochen Hatten, die über» 
fchüffigen Verdienſte derfelben ſchienen dur die Sünden ihrer Ordens⸗ 
glieder vollftändig aufgebraudt zu fein. Man kam allmälig zu der Er- 
kenntniß, dab das Mönchsleben kein befonderes Verbienft vor Bott begründe, 
wie die Kirche lehrte; und wer noch Ablaß begehrte, nahm ihn lieber aus 
dem allgemeinen Schag aller Heiligen, als von demjenigen eines einzelnen 
Ordens, z. B. von demjenigen ber Franziskaner, deren Portiuncula⸗Ablaß 
ihnen beſonders große Reichthümer verjchafft hatte. Es konnte auch nicht 
viel zur Befeſtigung mönchiſchen Anfehens beitragen, Daß Knaben bisweilen 
die Würde ton Aebten befleideten, und noch wentger, daß die gefammte 
Möncherei fih zum Dämpfer des neu erwachten Lichtes bergab. Gleichwohl 
ift in Deutſchland von einem Mönche die Reformation ausgegangen, mie 
denn die Beſſeren dieſes Gefchlehts far immer in offenen oder geheimen 
Bwieipalt mit der Kirche geratben find). Die geiflige Schwingung des 





3) In ofenen Gegenſatz zu der Kirche war beſonders der 1260 von Gherardo 
Segarelli gegründete Apoftelorden getreten, welcher die Armuth des apoflolifchen Lebens 
wiederherzuftellen unternahm und das Kommen des Reiches Gottes verfündigte. Unter 

* dem Mailänder Dolcino artete der Orden (eine Art Bettelorden) aus, doch zählen wir 
” u feinen Ausartungen nit, ‚daß er das Schwert gegen die Inauifltion ergriff. 


. 271 
Reformationszeiralter bat übrigens, wie auf den Katholicismus überhaupt, 
fo auch auf die Moͤncherei und Nonneret wenigſtens einigermaßen reformi- 
ftifch eingewirft. Dann haben das 48. und 19. Jahrhundert tüchtig unter 
den Klöftern aufgeräumt, aber in unferen Tagen vermehren ſich dieſe An⸗ 
ftalten wieder in fehr beveutendem Maaße. Go ebbt und flutet die Mei- 
nung der Menfchen über das, was fie für religiöß und verdienſtlich halten. 

In weit geringerem Grade als in der äbendländifchen Möncherei findet 
fi Bewegung, Entwicklung und Veränderung im Mönchsweſen ber griechie 
ſchen Kirche, obwohl es in dieſer eine fo hervorragende Rolle fpielte, daß 
die meiften Biihöfe aus ben Mönden gennmmen wurden. Der griedhifchen 
Kirche eigenthümlich ift aber der Mönchöverein der Heſychaſten, ſpottweiſe 
Nabelbeihauer genannt, welchen der Abt Barlaam 1340 auf dem Berge 
Athos entdeckte. Ohne die Vermittlung Chriſti meinten diefe Schwärmer 
durch flille Beichaulichkeit, vornämlich, wie Barlaam fagte, durch Yirirung 
ihres Blickes auf den Nabel, in einen Zuſtand verjegt zu werden, wo fle 


"mit Teiblihem Auge Lad unerfchaffene Gotteslicht fchauen könnten. Drei 


Synoden zu Konftantinopel fanctionirten 1341—50 nad den feinften Er⸗ 
Örterungen und gröbften Prügeleien zwifchen Hefochaften und Antiheſychaſten 
das Streben ter ſtillen Mönche; nur follten fie bedenfen, daß jenes anſchau⸗ 
bare Gotteslicht dem eigentlichen Weſen Gottes untergeordnet fe. Das 
ganze Curioſum erinnert fehr auffallend an die brahmaniſche Joga ). 

12, 

Dom Mönchswefen find einzelne Befellfchaften und Orden ausgegangen, 
weiche einen befonderen Zweig des chriftliden Affochttionslchens bildeten. 
Man liebt es, unfer Jahrhundert als das Zeitalter der Affociation zu bezeich- 
nen, aber noch in weit höherem Grade verdient Das Mittelalter dieſe Bezeich⸗ 
nung. Wir können jebod aus der bunten Fülle des chriftlichemittelalter- 
lichen Bereinswefens nur einige der bedeutendften Erfcheinungen herausgreifen. 


‚Wer jene Bülle Eennt, weiß, daß namentlich auch die im Urchriſtenthum lie⸗ 


gende Idee des Communismus wiederholt und vielfach nach Verwirklichung 
rang. Balls die Eommuniften unierer Tage die Kirchengefchichte genauer 
fennten, würden fie ſich weniger mit Originalität bräften. „Alles ſchon 
dagemwejen. * “ 


4) Bol. Thl. I, ©. 128, bef. Anm. 6. 


272 


Eine der merkwürbigften, jedoch keineswega mönchiſchen Affociationen 
des Mittelalters waren die Bauvereine oder Bauhütten. In den altrömi- 
ſchen Bauvereinen Britanniend Hatte dad Chriſtenthum befonders fchnelle 
Aufnahme und mächtigen Schuß gefunden. Diejenigen Bauvereine, welche 
zur Zeit Gregors des Großen daB altbritifche Kirchenthum gegen dad rö« 
mifche bewabrten,, hielten auch feft an den altrömiſchen Formen ihrer Aſſo⸗ 
ciation , ſoweit ſich diefelben mit dem Chriſtenthum vertrugen. Don einem 
ſolchen Bauverein, demjenigen in Dorf, der 926 eine eigene Verfaflung 
aufftellte, verbreiteten fih die Bauvereine über England und den enropäilchen 
Gontinent. Ihr Zweck war wefentlih die Förderung der kirchlichen Bau⸗ 
kunſt. Und fo Großes zu ſchaffen, wie die Nachwelt ihnen in der That zu 
vertanfen bat, bedurften fie firenger gefellichaftlicher Ordnungen. Der 
Meifter der Hütte führte die Sittenpolizei über die Genoſſen und ſaß dem 
von ihnen frei erwählten Schöffengericdhte vor. Lüderliche Mitglieder wur« 
den ohne Gnade außgeichloffen, Verlegung des Baugeheimniffes, weldyes 
aus Furcht vor Entweihung fireng bewahrt werden mußte, nicht minder Die 
PBrofanation der geheimen rfennungdzeihen (Wortzeihen, Gruß und 
Handſchenk) ward fireng geahndet. Sämmtliche Bauhütten Deutſchlands 
waren untereinander verbunden. Als Großmeiſter derſelben ward der Mei⸗ 
ſter der Straßburger Haupthütte anerkannt. Als die Franzoſen zu Ende 
des 17. Jahrhunderts Straßburg wegnahmen, ging der deutſche Bauhüt⸗ 
tenbund einer raſchen Auflöſung entgegen. Im 17. Jahrhundert waren in 
England unter denſelben Vereinsformen und Symbolen Vereine von nicht 
bauenden oder „angenommenen Maurern“ entſtanden, welche ſich die Be⸗ 
förderung der Humanität, die Erbauung der Menſchheit ſelber zu einem 
wahren Tempel Gottes als Zweck vorſetzten. Vollſtaͤndig ward dieſer Zweck 
ausgeſprochen durch Errichtung der Großloge, der erſten eigentlichen Frei⸗ 
maurerloge, in London 1717, von welcher ſich die Freimaurerei in Kurzem 
über das übrige Europa, beſonders das proteſtantiſche verbreitet hat. 
Welchen Schwankungen die Freimaurerei in der Folge unterworfen war, 
haben wir erwähnt. Von jefuitiſch⸗myſtiſchen Zuthaten reinigte ſich die 
deutſche Maurerei 1782 auf dem großen Convent in Wilhelmsbad bei Ha= 
nau und nahm das Syflem des Eflefticiamus au, d. 5. fie erhob zum 
Grundfag die praktiſche Humanität und Religtofttät mit Beifeitefegung aller 
eonfeiftonellen Unterfhiete. Im Uebrigen haben Maurer, wie Friedrich 
der Große, die Freimaurerei ein „großes Nichts“ oder eine „erhabene Kin⸗ 





— —ä·. „ EEE — SE 


— 


273 


derei’’ genannt. Gegenwärtig ift fie faum noch mehr als eine Abart ber 
geheimen Bolizei in den Händen der Bureaufzatie. 

Auch den Kriegerftamd ſuchte das Chrjſtenthum, fo viel es in feiner 
wittelalterlihen Borm konnte, zu durchdringen, In den Kreuzzügen er» 
wuchs, weſentlich veranlaßt durch Entſtehung der geiſtlichen Ritterorden, 
allmaͤlig die Vorſtellung von Dem chriftlichen Ritterthum als einem idealen 
Orden, deſſen Mitglieder zur Vertheidigung Der Kirche, der Wittwen und 
Waiſen, wie zur Meidung ungerechter Fehde verpflichtet ſeien. Dieſe Vor⸗ 
ſtellung beſiegelte die Kirche durch die religiöſen Ceremonien, durch welche 
fie den Eintritt des Edelknechtts, welcher als Nobize des Ritterthums er⸗ 
ſchien, in den Ritierſtand verherrlichte. Durch Gebet, naͤchtliche Waffen⸗ 
wache an heiliger Stätte, Beichte und Communion mußte er ſich vorberei⸗ 
ken auf den Ritterſchlag, den er nach abgelegtem Rittergelübde ) im Kreiſe 
von Rittern und Damen empfing. Das Ritterſchwert reichte ihm, mährend 
er im weißen Gewande des Täuflingd vor dem Altar knieete, die Hand des 
Prieſters. Der ritterliche Brauendienft fand feine religiöfe Begründung 
oder Rechtfertigung in tem durch die Kreuszüge aufs Höchſte gefleigerten 
Mariencultus, Die Kreuzzüge gaben auch den Anſtoß zur Gründung der 
geiftlichen Nitterorben der Templer und der Johanniter oder Hoſpitaliter 
(ipäter Rhodiſer und Maltefer genannt). Halb Priefter, halb Ritter, wa⸗ 
sen die Mitglieder zum Kampfe gegen die Ungläubigen verpflidtet. Die 
Templer nahmen ein frühes und tragifches, die Maltefer ein ſpaͤtes und 
Schmähliches Ende. Auch die Orden ter Deutſch⸗Herren und der Nitter 
von Calatrasa (in ihrer erfien Geſtalt) beruhten auf jemen möngpifch-ritter- 
Lichen Prinzipien. ° Erſtere fochten, wie Templer und Soßanniter gegen die 
Sarazenen, ihrerjeitd gegen die Heidnifchen Slaven in Breußen und Lit⸗ 
thauen, Xegtere gegen die Mauren in Spanien, Die weitere Geſchichte Dies 
fer Orden gehört nicht hieher. In unferen Tagen gibt es bekanntlich der 
Orden und der Ritter unzählige und ift das Ordensweſen an einem Punft 
angelangt, wo die. Erhabenpeit aufhört und die Lärherlichfeit beginnt. 


13. 
Bei all ihren milden und graufamen, erbabenen und aberwißigen 
Eigenſchaften befaß die Hriftliche Kirche auch Humor. Sie ließ ihre Heilige 





41) Welches neben den obengenannten Berpflichtungen auch die Treue gegen ben 
Lehnsherrn enthielt. 
Scherr, Geſch. d. Religion. II. 18 


274 


ſten Anſtalten, deren Ausartung ihr wohl bewußt war, ungeſtraft zu gewiſ⸗ 
fen Zeiten verböhnen und gab fogar ihre Diener zur geiftlichen Poſſenreiße⸗ 
rei her. Nur bisweilen machte fie zu biefen Ausſchreitungen ein firenges 
und zorniges Geſicht und dann ergingen biſchöfliche und päpftliche Verbote 
gegen den Unfug, die aber wenig halfen. Erſt die Reformation bat ter 
Mutter Kirche ihre humoriſtiſchen Anwandlungen vergeben gemacht. Aber 
doch hat fie ſich erft in unferen Tagen auch noch des Lächelns entwöhnt, 
welches fie bis dahin wenigſtens zur Carnevalszeit ihren Kindern im Süten 
und Norden gezeigt hatte. 

Früher, vor der Neformation, war das, wie ſchon geiagt, anders. 
Die chriſtlichen Feſte geflalteten fih da jehr oft zu heidniſch audgelaffenen 
Suturnalien. Zu Weihnachten miſchte in Sranfreih das Volk unter Die 
kirchlichen Gefänge allerlei Gaſſenhauer, oft unjauberfte. In Deutfchland 
hielt der Pöbel in der Chriſtnacht auf den Kirchhöfen unzüchtige Tänze. 
In vielen Gegenden war ed Brauch, daß am zweiten Öftertage die Weiber 
ihre Männer prügelten, welchen Liebeödienft die Männer am dritten Tage 
erwiederten, um anzudeuten, daß man in der chriſtlichen Ehe ſich gegenfeitig 
beffern folle, und zu verhindern, daß zu diefer Zeit Eines vom Andern die 
eheliche Pflicht fordere. Am Ofterfeft jelber erzählten die Geiſtlichen zur 
Entihädigung für die traurige Baftenzeit allerlei Schnurren und Schwänfe 
von der Kanzel herab, und je heller tie Gemeinde auflachte, defto beffer. 
Dies Oftergelächter galt zudem als &reudenzeichen über die Auferftehung 
des Herrn. Alle dieſe und noch andere Weihnachts- und Öfterpofien in 
der cisalpiniihen Kirche find ganz offenbar ein Nachklang der germanijch- 
und Eeltifch=heidntichen Winterfonnenwende- und Brüblingsopferfefte und 
der Damit verbunden gewejenen Aeußerungen ter Volksluſt. 

Frankreich, wo die Luft an den „ Eartcaturen des Heiligſten“ am lau⸗ 
teften und unbezähmbarften geweſen zu fein fcheint, war auch die Heimat 
des berühmten „ Efelöfeftes * zu Ehren der Jungfrau Maria und zum Ge- 
bächtniß ihrer Flucht nach Aegypten: Auf einen abgerichteten Eſel ſetzte 
man das ſchönſte Mädchen der Stadt mit einem hübfchen Knäblein im Arme. 
Geiftlihkeit und Volk geleiteten in feierlicher Prozeſſion diefe heilige Familie 
in die Kirche und flellten fle neben den Hochaltar. Hierauf ward die Meſſe 
geleſen; beim Schluffe jedes Abſchnittes Derjelben brachte Die Verſammlung 
ein lautes, einſtimmiges ,Hinham! Hinham! ” an und freute fih, wenn 
der Eſel in die verwantten Töne einftimmte. Zum Schluß der Meſſe yahte 


% 





275 


ber Priefter flatt des Amen und Segens drei Mal und die Verfammlung 
hahte ihm drei Mal nad. Die Beierlichkeit jelbft endete mit dem Abfingen 
der berühmten Eſelshymne, deren Strophen in lateinifcher, der Refrain 
aber in franzöfticher Sprache abgefopt waren. Am Schluß der Hymne 
mußte ber „Herr Eſel“ (Sıre Asnes) niederfnien, wahrfheinlih, um ſich 
für die widerfahrene hohe Ehre zu bedanken, wenn nicht gar um das Ge— 
bet zu parodiren. Dem Eſelsfeſt kann man, mie e8 jcheint, den hriftlichen 
Urſprung nicht abſprechen, es fei denn, daß man die Beranlafjung zu der⸗ 
gleichen Boffen überhaupt in dem heidniſchen Sinn ſuche, welcher ver Kirche 
des Mittelalters noch ſtark in den Gliedern ſteckte. Auf das römtfche Hei⸗ 
denthum dagegen, nämlich auf die Saturnalien, weldye das goldene Zeital⸗ 
ter der Gleichheit unter den Menfchen feierten, führt Flögel mit Recht das 
„Narrenfeſt“ zurück!). Es wurde in den Tagen von der Weihnacht bis 
am Sonntag nadı Epiphanias gefeiert, meift jedoch, z. B. in Paris, am 
Neujahrstage. In Brankfreih war es vornämlich beliebt; aud) in Spanien 
aber ward ed gefeiert, denn ſchon 633 erhob das Concilium zu Toledo 
fihh dagegen. Im 10. Jahrhundert führte Theophylaktus, der Patriarch 
von Konftantinopel, daſſelbe in der griechifhen Kirche ein, wofelbft c8 erft 
200 Jahre nachher abgefchafft wurde. In Frankreich machte erſt 1552 ein 


4) In feiner „Geſchichte des Grotesffomifchen.” Er gibt folgende Schilderung 
nad) ten Quellen: — „Dean erwählte in den Thurmfirchen einen Narrenbifchof oder 
Narrenerzbiichof, und zwar unter den lächerlichften Geremonien. Hierauf führte man 
ihn mit großem Bomp in die Kirde. Auf dem Zuge und in der Kirche felbit tanzten 
und gaufelten fie, die Gefichter beichmiert, oder mit Laryen angethan, und verkleidet 
in Weibsbilder, Thiere oder Poſſenreißer. In den Kirchen, welche unmittelbar un: 
ter dem Papft fanden, erwählte man einen Narrenpapft, dem man den päpfllichen 
Schmuck mit eben fo lächerliden Geremonien anlegte. Der NRarrenbifchof hielt als⸗ 
dann einen feierlichen Gottesdienft und fprach den Segen. Die vermummten Geift: 
lichen betraten das Chor mit Tanzen und Springen und fangen Sotenlieder. Die 
Diakonen und Subdiafonen aßen auf dem Altar vor. der Naſe des Priefters, welcher 
Meile las, Würfte, fpielten vor feinen Augen Karten und Würfel, thaten in's Rauch⸗ 
faß flatt des Weihrauchs Flecke von alten Schuhſohlen, Tamit ihm der häßliche Ge: 
ftanf in die Nafe fahre. Nach der Meſſe lief, tanzte und fprang Jedermann nad) fei: 
nem Gefallen in der Kirche herum und erlaubte fich die größten Ausſchweifungen, ja 
Einige zogen fi) fogar nadt aus. Hierauf feßten fie rich auf kothbeladene Karren, 
ließen fi durch die Stadt fahren und warfen den fie begleitenden Pöbel mit Koth. 
Dft ließen fie ftil Halten und machten mit ihrem Körper die geilften Gebärden, die fie 
mit ten unverfchämteften Reden begleiteten.” 

18* 





276 


Parlamentsbeſchluß dem Narrenfeſt ein Ende. Was Deutſchland angeht, 
ift es auffallend, daß nur aus den rheiniſchen Städten ganz fihere Nachrich⸗ 
ten von der Feier des Narrenfefles auf und gefommen find. Es kann dies 
fer Umſtand die Anſicht befräftigen, daß dad ganze Feſt, weil nur in mehr 
tomanifirten Gegenden heimlich, roͤmiſch⸗heidniſchen Uriprunges geweſen ſei. 


14. 


Auf die Bilder ernfler Askefe, wobei ter Menih oft in Grauſamkeit 
gegen fih ſelbſt verfällt, refigiöfer Bemeinfdhaft und des Umſchlagens reli- 
giöfer Bräuche in rohnärrifche Luftbarfeiten mag nicht ganz unpaffend das 
Bild des Muckerthums folgen, weiches den chriſtlichen Affociationdtrieb mit 
asfetifcher Grauſamkeit und frecher Wolluft in abichrediender Miſchung vers 
bindet und dieſe Mifchung zum verbrecdherifhen Wahnwitz potenzirt. Das 
Weſen der Muckerei ift die Berinengung von Geifl und Fleiſch, Befriedigung 
des Geſchlechtstriebes unter frommer Maske, in feiner Vollendung ſogar 
Heiligung der Unzucht zum Gottesdienſte, ganz der alte Baald- und Aſche⸗ 
radienft der Syrer und Phöniker!). Darauf deutet treffend der freilich 
erft 1835 in Königsberg aufgefommene Name „Muder*, in der Jäger- 
ſprache dortiger Gegend bie techniſche Bezeihnung des männlichen Hafen, 
welcher fich bekanntlich durch feine Geilheit auszeichnet. 

Schon 2. Timoth. 3, 1—9 ſchildert prophetifch die fommenden Irr⸗ 
lehrer als „graufam, Die Wolluft mehr liebend als Gott, Häuferihleicher, 
welche die Weiblein gefangen führen. “2, Berri 2, 10—22 werden die 
bereit aufgetretenen Irrlehrer beichrieben und non ihnen gefagt, „fie Locken, 
indem fe aufgeblafene Worte der Eitelkeit reden, durch Fleiſcheslüſte, durch 
Geilheit auch die, fo den im Irrthum Wandelnden wirklich entronnen wa⸗ 
ren.” In der That ift von einzelnen gnoftiihen Seften befannt, Daß fie 
bereitd die Unzucht in die Religionsübung eingeführt haben. Späterhin 
verbargen die Kloftermauern die Chriften diefer Sorte, und im Mittelalter 
treten dergleichen Erfcheinungen wefentli zu Tage an Geſellſchaften, welche 
außerhalb der Klöfter herumpagirten. Zu diefen gehören die durch Amal⸗ 
sid v. Bena und David von Dinanto zu Anfang des 13. Jahrhunderts ge⸗ 
ftifteten „ Geſchwiſter des freien Geiftes, “ deren fhlechtere Partei den Grund⸗ 
jag verfündigte, keine irdiſche Luft könne den im Herzen wohnenden Got⸗ 


1) Bl. Thl. II, S. 67 fg. 


277 


tesgeift trüben, und auf Löfung ber Ehe und Vernichtung alles Cigenthums 

Binfteuerte. Die „Apoftelbrüder * fodann unter Dolcino und feiner Frau 

Margaretha Rellten unter andern religidien Grundgefegen auch das auf, 
„Mann und Weib mögen ohne Unterfchied zufammmenliegen. * 

Das Gericht der Kirche welches dieſe Schwärmer ausrottete, baunte 
den Geift der Wolluft wieder in die Klöfter. Daher war c8 erft dem bie 
Klöfter auflöienten Proteftantismus vorbehalten, das Muderthum wieder 
seht in Flor zu bringen. Der Halle'ſche Pietismus, eine Entfeflelung der 
religiöfen Individualität von den Banden Eirchlicher Orthodorie und zugfeich 
eine Nenbelebung des Myſticismus, trug in feiner Lehre vom gewaltſamen 
Durchbruch ter Gnade die Keime ausichweifender Schwärmerei. Unwiſ—⸗ 
fende und zugleih hochmüthige Menjchen, welde als Propheten auftraten, 
bildeten den Uebergang von dem älteren Pietiömud zur moternen Muderei. 
So der Sporergeielle Roienbah und der Schuſtergeſelle Daut mit feiner 
„ Donnespofaune * vom nahenden Weltgericht. Die Muderei ſelbſt trat ind 
Leben einerfeitd durch den Bandweber Elias Eller von Ronsdorf, welder 
fily für den Herrn Chriflus, feine Frau für Die Zionämutter audgab und 
die Ronsdorfer Sekte ſtiftete, anderfeits dur Eva Buttler, welcher Die ſo⸗ 
genannte „buttler'ſche Rotte“ ihr Entflehen verdanfte. Diefe „Inſpirirten“ 
wiederhelten die Grundſätze ter Gejchwilter des freien Geiftes, hielten um 
bes ihnen innewohnenden Geiftes willen Alles für erlaubt und überließen 
fihh allen Ausfchweifungen der Geſchlechtsluſt. Ebenfalls zu Anfang Des 
18. Jahrhunderts traten bie Gebrüder Kohler im Banton Bern als Pros 
pheten des nahenden Weltgerichtes auf. Die Gräuel der Ausfchweifung, 
welche die von ihnen geftiftete „ Brügglerfette* Gefudelten und zu welchen 
fie das ſchamloſeſte Beifpiel gaben, entichuldigten fie mit dem Schriftwort: 
„Den Heinen ift Alles rein.” Den Wiedergebornen, und als ſolche bes 
zeichneten fie ſich felbft und ihre Heerde, den Wiedergebornen , lehrten fie, 
gereiche Nichts mehr zur Sünde 2). 

Das 19. Jahrhundert weift nicht weniger abfchredende Erfheinungen 


ps - — —— —— 


3) Die Affenſchande des Cultus dieſer Sekte iſt theoretifch dargelegt in tem bes 
ruͤchtigten „Gliederbuͤchlein“, welches noch jeßt da und dort in der Schweiz Unheil 
anrichtet. — Zu den Gontraften des Jahrhunderts der Aufklärung gehörte es auch, 
daß in dem friedrichifch aufgeflärten Berlin um 1780 ein gewifler Rofenfeld , feines 
Zeichens ein Schaͤfer, fich ein förmliches Harem von 7 Maͤdchen hielt , die für ihn ars 
beiteten umd mit welchen er ale „Meifins“ in „Gottes Namen“ Unzucht trieb. 





278 


der Muderei auf. Abgeſehen von dem für das Altlutherthum ſchwärmen⸗ 
den Paſtor Martin Stephan, welder aus Stocklutheranern eine beiondere 
Sefte gebildet hatte, diefelbe zur Auswanderung nach Amerika bewog und 
fein Anjehen als Seftenbifhof zur Schändung vieler Ausmwanderinnen miß⸗ 
brauchte, fehen wir den Cultus der Wolluft förmlich organifirt in den kö— 
nig&berger Bonventifel, weldem die beiten Prediger Ebel und Dieftel vor- 
ftanden, im Jahre 1835. Wie die Beiden in praktifcher Anwendung der 
Theoſophie ded I. H. Schönherr den Geſchlechtsgenuß durch den Beift zu 
heiligen ſuchten, dürfen wir Anſtands halber nicht beſchreiben. Wir be= 
merfen nur, daß der Hauptzweck der von ihnen veranftulteten Berfammlun« 
gen die Ausübung der Unzucht in verfchiedenen Graden war, von denen der 
erfle, die demüthige Hingabe des Körper zu wollüftigen Manipulationen, 
als Act der Heiligung bezeichnet wurde. Die höchſten Grade follten zur 
Erzeugung des Meſſias beftinnmt jein. Ein Dupend Jahre vor dieſer wü⸗ 
ſten Komödie der Brömmelei im Deutichen Norden hatte im deutfchen Süden 
das Muckerthum eine wüfte Tragödie aufgeführt. Im Dorfe Wildensbuch 
an der Nordgränze ded Cantons Zürich hatte Margaretha Peter, eines ver⸗ 
möglichen Bauers fhöne und begabte Tochter, einen Brömmlerfreid um ſich 
verfammelt, in welchem fie als Prophetin galt. Die Prophetin trieb aller⸗ 
let Muckeriſches, unter Anderem auch Ehebrud mit einen frommen Schu 
ſter, wobei die Gattin deſſelben eine evelfte That beroiicher Frauentreue 
vollbrachte, indem fle, ihren Mann vor Schmach zu bewahren, das Kind 
der Prophetin, welche ihr häusliche Glück zerftört Hatte und an weldye fie 
keineswegs glaubte, für ein von ihr felber geborenes ausgab. Im Jahr 
1823 erfolgte dann die Wildensbucher Kataſtrophe. Mit der Wolluft ver⸗ 
band fi die mörderiiche Graufamfeit. In Margaretha hatte fidh bie fire 
Idee ausgebildet, fie müfle zur Erlöfung der Ihrigen den Satan überwine 
den und ed fünne dies nur durch ein Blutopfer geſchehen. So lieh fle denn 
im Kreife ihrer Familie und anderer Gläubigen zuerft ihre Schwefter Elifa- 
beth und dann fich ſelbſt Freuzigen. Die nah Ruchbarwerdung der That 
aus der Nachbarfchaft herbeigeeilten Pietiften frohlockten beim Anblid des 
bluttriefenden Hauſes und der Leichen Ter „neuen Märtyrerinnen.” Einer 
rief: „O könnte auch ich flerben wie diefe Heiligen! * Ein Anderer beflagte 
nur, daß das Opfer nicht am Charfreitag gebracht worden fei. Angeſichts 
diefed Gräuels bat man, denfen wir, doch wohl nicht fo ganz Unrecht, von 
einem Molochismus im Chriftenthum zu fprechen. Die Gegenwart freilich 


— - — Ds — — nr — 


279 


bat gelernt, die pietiſtiſchen Myſterien ſorgſamer zu verbergen, Faͤllt aber 
bie und da ein Blig der Deffentlichfeit in dieſes Dunkel, fo zeigt er und 
mitunter Geftalten wie Die jenes Chefs einer pietiftifchen Sekte, weldyer vor 
einigen Jahren zu Lauffen in Würtemberg die eigene Tochter ſchaͤndete und 
Dann die Frucht diefer Blutichande erwürgte. 


15. 


Schon mehrmals haben wir die Kreuzzüge berühren müſſen und e8 
wird jegt nicht zum Ichten Mal fein, daß wir ihrer erwähnen. Cine Er⸗ 
zählung Diefer ungeheuren Bewegung in der Chriftenheit wäre übrigens rein 
überflüfftg. . Wir deuten nur an, daß man wohlthut, die Kreuzzugszeit 
nicht in die Graͤnzen der Periode einzujchließen, welche mit der Kirchenvers 
fammlung ‚von Clermont (1095) beginnt und mit dem Verluſt von Ptoles 
mais, als der legten chriftlichen Veſte in ‘Paläftina, endigt (1291). Die 
Kreuzzüge, d. h. der Kampf zwifchen der hriftlichen und mohammedantfchen 
Welt, deſſen Idee die Seele des Mittelalterd war, begannen, als der Is⸗ 
lam, wie wir im fechften Buch jehen werden, zuerft ſein erobernded Schwert 
gegen Die chriftliche Welt erhob, und erft der Fall von Granada und die 
Serfhlaht von Lepanto machten ihnen ein Ente. Der Zweck, welchem die 
Kreuzzüge im engeren Sinne, d. h. die Kriegsfahrten nach dem gelobten 
Zande, 7 Millionen Chriſten geopfert hatten, wurde nicht erreicht; denn bie 
mit fo viel Mühfal, Tapferkeit und Menfchenverluft eroberten heiligen Stäte 
ten gingen nad) kurzem Beflge wieder verloren. ber wie zumeift nicht die 
Abfichten Der Menfchen, fondern die von ihnen kaum geahnten Folgen ihrer 
Handlungen die Gejchichte machen, fo Hat die durch Die Kreuzzüge vermit- 
telte Berührung zwiſchen Morgenland und. Abendland höchſt bedeutende 
welthiftorifche Einflüffe geübt. Man kann geradezu ohne Uebertreibung ſa⸗ 
gen, die Rückwirkungen der byzantiniſchen, farageniichen und mauriſchen 
Welt auf die abendländiiche haben den in Barbarei ſtockenden Entwicklungs⸗ 
prozeß der legteren erft recht in Gang und Fluß gebracht. Diefe Lichtfeite 
ter Erfcheinung ift jo mächtig, daß die Schattenfeite, nämlich die außeror⸗ 
dentlihe Erhöhung des Anfehens des römifchen Stuhls durch die Kreuze 
züge,, fein allzu ſtarkes Bedenken erregen fann. Allerdings, einen Triumph 
ohne Gleichen hat das Papftıhum in den Kreuzzügen gefeiert. Hier erſchien 
die abendländifche Chriftenheit zum erflen und letzten als eine Heerde und 
dieje Heerde folgte begeiftert dem Winfe des römiſchen Hirten. 


16. 


Auf vie politiſche Berfaflung der Staaten hat das Chriftenthum zu 
Seiten einen unverfennbaren und unmittelbaren Ginfluß geübt. In den 
Tagen der Berfolgungen predigten die Kirchenlehrer unbetingte Unterwer- 
fung unter die heidniſchen Obrigfeiten; nur durch Dulten foflte der Glaube 
gegen fie behauptet werden. Die Chriſten folgten wirflih dieſen Ermah- 
nungen und ſchloſſen felbfi die verfolgenten Kaifer in ihr Gebet ein. Als 
Konftantinus gegen feine Mitregenten kämpfte, behauptete Die Kirche fein 
goͤttliches Recht auf Den Thron und heiratete ihn als einen von Bott ges - 
fepten Fürſten, wie einft David und Salomo geweien freien. Eine Zeit lang 
behielten zwar die chriſtlichen Kaifer Die aus tem römiſchen Heidenthum 
ſtammende oberſte Priefterwürde des Pontifer Marimus bei, erſchienen aber 
gerade and dieſem Grunde nicht ald Häupter ver Kirche, waren vielmehr in 
kirchlichen Dingen ter Hierarchie untergeorbnet. Als Theodoſius den Ver⸗ 
fuch machte, dieſe Trennung der weltlichen und geiſtlichen Gewalt anzutaſten, 
wies ihn Ambroſtus aufs Entſchiedenſte zurück. Er geſtattete ihm nicht, 
Innerhalb des durch ein Bitter abgeſchloſſenen Heiligthumes feinen Sig zu 
nehmen. Unterhalb des Gitters zu den Laien mußte fi der Gebieter des 
Ervfreifed feßen. Der Bejlgnahme der Bafllica Portia durch die Kaiferin 
Yuftina , die Vormünderin des minderjährigen Kaiſers Gratian, widerfegte 
tb Ambrofius mit den Worten: „Der Tribut gehört dem Kaiſer, Bott vie 
Kirche; diefe kann nicht dem Kaiſer zuftehen ; die Autorität Des Kaiferd er» 
Rredt fih nicht über den Tempel Gottes. Der Kaiſer ift in der Kirche, 
nicht über Der Kirche, “ 

Die Krönung Karls, des Branfenfönigs, zum Kaiſer in der St. Pe- 
terskirche zu Rom burch Die Hand des Papſtes rief das heilige römifche Reich 
ins Leben. Die Kaiſerwürde zwar erhielt dadurch befontere Weihe in den 
Augen ter Völker, aber jener verhängnißvolle Krönungsact wurte die Ba⸗ 
fd der Anfprüche der Päpfte auf die Oberherrlichkeit über Kaiſer und Reich, 
fiber die ganze Ehrtftenheit überhaupt. Im der Stunde, wo Karl fid von 
dem Papſt die Rrone auflegen ließ, wutde die Drachenſaat gefätt, welche 
nachmals in den Känıpfen zwifchen dem „geiſtlichen“ und tem „weltlichen * 
Schwert fo üppig aufgewuchert und für unfer drutſches Vuterland zu einem 
unermeßlichen Nationalunglück ausgefthiagen if: Im Writtelafter wurden 
auch tie Könige ter Abrigen chriſtlichen Staaten bereits als Me Gelalkten 


281 


Gotteß betrachtet, und befondere Titel, wie 4 B. „ apofivliſche Majeflät “, 
dienten dazu, das Königthum zu heiligen. Die Reformation, weil fie fig 
zunächſt an das Volk wandte und Luther ſelbſt, Eraft feiner Meformator- 
würde, einen Gefalbten des Herrn, Heinrich VII. von England, ſehr deſpek⸗ 
tirlich behandelte, ſchien Anfangs das göttliche Recht des Katferd und der 
Könige Hintanzufegen. - Doch erfhroden über die Auslegung Ted Evange⸗ 
Hums durch die-unglüdlichen, durch die feudaliſtiſche Brutalität ver Fürſten, 
Evelleute und Pfaffen zur Verzweiflung getriebenen Bauern, begann Luther 
anbedingten Gehorſam gegen die Obrigfeiten zu predigen und lehrte, die 
.Hriftliche Freihelt habe mit der ſozialen und politifchen Nichts zu ſchaffen. 
Luther erhob die proteftantiiden Fürften zu Häuptern der Kirche in ihren 
Lanten und begründete ihre Selbſtherrlichkeit durch die Lehre, dem Kaiſer, 
als Feind des Evangeliums, fet man in Sadyen, welche ten Glauben bi= 
rühren, teinen Gehorſam ſchuldig. Die Lehre vom befchränften Unter⸗ 
thanenvirftand und son der Kürftenmadt „von Gottes Gnaden“ iſt eben⸗ 
falls auf Luther zurüdzuführen. Dagegen befeelte die von der Schwetz 
Audgegangene refarmirte Kirche ein vorwiegend republikaniſcher Bei. 

Innerhalb der katholiſchen Kirche brachten die Iefutten die Lehre auf, 
Die Fönigliche Gewalt ruhe, unabhängig von der Kirche, auf dem Willen des 
Volkes ;'wenn jedoch das Seelenheil der Völker es fordere, könne der VBapft 
bie Könige abfegen,, die Inquifition gegen fie einfchreiten, ver für das Heil 
ber Kirche Begeiiterte fie ermorten. Dergleichen Marimen wechſelten aber 
mit ter mehr oder weniger Eirchlich-unterwürfigen Geſinnung der Könige, 
Im Allgemeinen bat bis auf heute die Kirche jo viel als mögli in die welt« 
lichen der Staat fo viel ald möglich in die geifllichen Angelegenheiten ein⸗ 
gegriffen. War man bisweilen des Kampfes müde, jo fchloffen geiftliche 
and weltfihe Gewalt Concortate und Compromiffe mit einander. In 
weldem Verhältniß Heutzutage das Chriftenthum zum Staat ſtehe und ums 
gekehrt, davon ſchweigt Die Gefchichte — einftweilen. 


17. 


Wir fchließen das Kapitel mit einer kurzen Sinweilung auf die com⸗ 
muniftijchen und ſozialiſtiſchen Syſteme, fofern dieſelben auf das Ehriftenthum 
Bezug genommen haben. Somit ift ed nicht an uns, das „Utopien * de 
Thomas Morus, vie „ Sonnenftadt * &ampanellas, die „falenttutiche Repub⸗ 
Ht* Senelons, die „ Dceana * Harringtons, dieſe harmlofen Rachahmungen 





282 


der platoniſchen Republik, einer ernſten Beachtung zu würdigen, fo bezeich⸗ 
nend für die fozialen Zuftände der Zeiten, in welchen dieſe Männer gelebt 
. haben, das Mifbehagen an der Wirklidyfeit ift, woraus die genannten So⸗ 
zialiyfteme hervorgegangen find. Auch der Contrat social Rouffeaus, die 
communiftiichen Syſteme Mably’s und Morelli’s und ter praktiſche Commu⸗ 
nidömus Baboeufs find ganz aus freiem philofophifhen Nachdenken, ohne 
Berüdjihtigung des Chriſtenthums, entſtanden. Mit Berufung auf die 
Heil: Schrift Hingegen haben ſchon die Gejchwifter des freien Geifted den 
pollendeten Communismus gepredigt und die Wiedertäufer zur Zeit der Re⸗ 
formation denfelben verfochten. Ginzelne Vereine und Orden haben den 
Communismus geübt, ohne ihn für Die ganze Staatsgeſellſchaft empfehlen 
zu wollen. So lange bie erften Chriften noch eine Gemeinde waren, hielten 
fie ebenfalls, aber mit der Erlaubniß, daß der Einzelne nebenbei immer noch 
Privateigentfum befigen dürfe, eine Art Bütergemeinichaft. Vom 17. bis 
zum 19. Jahrhundert tft der Communismus nie mehr vom dhriftlichen 
Stantpunft aus als allgemeine Gefellihaftsordnung empfohlen worden. 
Auch der Gründer des modernen Sozialismus, der Graf von Saint-Simon, 
geftorben 1825, wagte es nicht, feine Theorie ausdrücklich auf Das Ehriften- 
thum zu gründen, fondern meinte zur Ausführung Lerfelben eine neue 
Neligion „ die er in feiner Schrift „dad neue Chriſtenthum“ niederlegte, 
fliften zu. müffen. Zwar wollte er, indem er die Religion der Bruterliebe 
verfüntigte, feine neue Liebe, nur eine neue Aufgabe der Liebe predigen ; 
aber er Ichließt jene Schrift mit dem Aufruf, ed möchten fich die Menjchen 
verbinden, Dad Reich Gottes auf Erden herbeizuführen, indem fle die Reli⸗ 
gion der Liebe zu einer Neligion der Freude und des Genuſſes machten. 
Die St. Simon’fche Affociation, gegründet zu dem Zwecke, den Arbeiter» 
ftand in. die ihm gebührende Stellung einzufeßen, in ihren Formen insbe» 
fondere durch Bazard weiter fortgebildet, ift eine nach dem Bilde ter Firdh- 
Tihen geftaltete Hierarchie, deren Haupt, alle weltliche und geiftliche Macht 
in fich vereinigend, Jedem die feinen Fähigfeiten entſprechende Stellung an- 
weift. Jedes Erbe joll dem Staat zufallen und durch die Banfanftalten 
deflelben je dem Fähigſten übergeben werden, um damit weiter zu wirth⸗ 
haften. Sp wollten zwar St. Simon und die Sceinigen Nicht vom 
biftoriichen Chriſtenthum wiſſen, aber fle entlehnten unbewußt feine Haupte 
grundfäge und Lie Formen feiner Hierardie. Fourier unt die ganze Reihe 
ber fpäteren Sozialiſten verjchmähten es Dagegen nicht, bei günfliger Gelegen⸗ 


263 


heit das Anfehen bes Chriſtenthums für ihre Sache flreiten zu laſſen. Unter 
den deutſchen Communiſten hat Weitling ganz offen dad Chriſtenthum für 
feine Zwecke audzubeuten geſucht. 


Zehntes Kapitel. 
Die Wifſenſchaft 


1. 


Der culturgeichichtlihen Methode unferer Betrachtung der Religions» 
biftorie getreu, gehen wir. bei Einräumung eine® Platzes für überfichtliche 
Darftellung der Wiflenichaft im Chriſtenthum mit möglichfter Tiberalität zu 
Werke. Iſt doch außer der chriftlichen Feine andere Religion von ihren Be⸗ 
Tennern jo wiflenichaftlid aufgefaßt und verarbeitet worden und in feiner 
anderen hat das wifjenfchaftliche Leben To fehr auf das religiöfe zurückge⸗ 
wirft. Denn wenn auch bei den hindoftanifchen ‚ altägyptiichen und mosle⸗ 
mifchen Gelehrten theologifche und philoſophiſche Studien blühten, die 
Bölfer find von denfelben unberührt geblichen. Dagegen fteht e8 unzweifels 
baft feft, daß die denfente Erfaffung und Verarbeitung der hriftlihen Ideen 
in Theologie und Philoſophie auf die Völker felbft mächtige Einflüffe geübt 
bat und zu einem der gewaltigften Motive der modernen Civiliſation ge= 
worden ift. j . 

Hiermit gehen wir fogleih an die Sache ſelbſt, fo zwar, daß uns 
zunaͤchſt die äußere Gefchichte Der vom Chriſtenthum unmittelbar hervor⸗ 
gerufenen theologifchen Fachwiſſenſchaften befchäftigen wird, während fpäter 

zur Sprache fommen joll, wie Theologie und Philofophie zum Ideengehalt 
der chriftlichen Meligion fich verhalten haben. 


2, 


Unter allen Wiffenichaften brachte Das Chriſtenthum, weil e8 von feinen 
Gegnern bereit3 im 2. Jahrhundert wiffenfchaftlicd angefochten wurde, zuerft 
die Apologetik hervor. Rhetoren und Philofophen griffen es an, 


284 


hetoren und Bhilvfophen vertkeidigten es. Im Allgemeinen führten die 
Apologeten der griehiichen Kirche den Kampf vorwiegend nit philoſophi⸗ 
fher Begründung, Diejenigen der abendländtichen, zumal der afrikaniſchen 
Kirche mehr mit dem Gewichte der Thatfachen, wodurd fie die politiichen 
und moralifchen VBorurtheile, die volksthümlichen Verdächtigungen und An⸗ 
jhuldigungen gegen die Chriften zu widerlegen fuchten. Unter denen, welche 
das Chriftenthum in öffentlihen Schriften angriffen, find befonderd zu nens 
nen: der Rhetor Bronto, Lehrer ded Marcus Aureliud, Apulejus, ein 
myſtiſcher Philoſoph und Priefter des Mithras; gegen Ende des 2. Jahr⸗ 
bundertö, ter ſchon öfter erwähnte Lukianos und vor Allen Celſus, deſſen 
„ Wahrbaftige Rede“ (AAnIns Acyos), um 150 geſchrieben, erft bei« 
nahe ein Jahrhundert fpäter in den acht Büchern ded Origines gegen Celſus 
eine entſprechende Beantwortung fand. Zu den hervorragenden Apologeten 
der abenvdländifchen Kirche gehören Minutius Felix, ehemals Rhetor, defien 
Dialog „ Ortavianus” zu den beften Apologieen des Chriſtenthums gehört; 
ferner Tertullian, deſſen „Apologetieus * der betreffenden Wiſſenſchaft ihren 
Namen zu geben würdig war, und Arnobius, deffen „fleben Bücher gegen 
die Heiden“ in weit höherem Grade die Schwäche des Heidenthums ent⸗ 
hüllen als fie das Chriſtenthum in vortheilhaften Lichte darftellen. Größer 
iſt die Zahl der griechiſchen Upologeten. Schon um 130 (nad Anders 
126) übergaben Quadratus, Biſchof von Athen, und Ariflides, «in ehemali⸗ 
ger Philoſoph, dem Kaiſer Hadrian Apoingieen für die Ehriften. Die 
zwei Upologieen, welche Juftinus der Märtyrer den Antoninen überreichte, 
am fle von der Verfolgung der Ehriften abzubringen, zogen ihm erbitterte 
Beinde unter den heitnifchen Philojophen zu, von denen befonderd Einer, 
Crescentius, nicht ruhte, bis Juftinus (um 165) den Maͤrtyrertod erlitt. 
Mit weniger Geſchick führte (um 170) ſein Schüler Tatian den Vertheidi⸗ 
gungskrieg in ſeiner, Anſprache an die Hellenen*. Die Widerſprüche der 
philoſophiſchen Syſteme gegenüber der Einheit der göttlichen Offenbarung 
baͤcherlich zu machen, wählte ſich Hermias zu feiner Aufgabe. Mit mehr 
Würde vertheidigte Athenagoras in jeiner Schugfchrift vie Chriſten vor 
Marcus Aurelius. Die Erhabenheit der chriftlichen Moral über die Philo- 
fopheme des Heidenthums, die Kogoslehre, nebft antern Grundlagen des 
Ehriftenthums hat er mit philofophifchem Geiſte in diefer Schrift (, Geſandt⸗ 
ſchaft Geireffend die Ghriſten“) ind Licht geſtellt. Theophilus von As 
thechien bemühte fih in feinem Werte „Ueber den Glauben der Ehriften *, 


285 


weniger tie volkathümlichen Berläumbungen gegen die Chriften zu wider⸗ 
legen, als vielmehr die Grundlehren des Chriſtenthums und deren Vorzüge 
gegenüber Heidnifchem Aberglauben und heidniſcher Philofaghie auseinander 
zu fegen. Auch dad Beitalter Konſtantins brachte noch Apologeten hervor. 
Unter ihnen gehört Lactantiud Firmianus, Verfaffer Der „thealogiichen In⸗ 
-Ritutionen *, terlateiniihen, Eufebius son Caͤſarea, welder mit drei Schriften 
als Apologet auftrat, der griechiſchen Kirche an. 

Nachdem das EChriftentkum den Sieg über daB Heidenthum davon 
getragen, ruhte Die Apologetik, bis Alanus ab Insulis, ein Ciſtercienſermönch, 
tm 12. Jahrhundert eine Bertheitigung des katholiſchen Glaubend gegen 
die Ketzer, Juden und Mobammerdaner für nothwentig hielt. Im 13. Jahr⸗ 
Gundert richtete Themas von Aquino feine ,„ Sunme fatholiicher Glaubens» 
wahrheit * gegen Heiten, Iuden und Mohammedaner. Apologieen, nicht des 
katholiſchen Glaubens, ſondern ded Chriſtenthums überhaupt, erfchienen erſt 
wieder gegenüber dem Deiemud ter engliichen Freidenker, meift von engli- 
fchen Geistlichen verfaßt, zu Denen unter andern Richard Barter, Etwarb 
Chandler, Nathanael Lardner gehören. Don herporragender Bedeutung iſt, 
daß felbfi Heroen der Naturwiſſeuſchaft und Mathematik, wie Newton, Hal⸗ 
fer und Euler, fi) des Chriſtenthums mit großer Vorliebe angenommen 
haben. Die berühmtefte Apologie des Chriſtenthums, welche in neuerer 
Seit eribien, find wohl die zum erften Mal 1799 veröffentlichten „Reben 
über die Religion an Die Gebildeten unter ihren Verähtern“ von Schleier⸗ 
macher. 


3. 


Neben der Apologetik entwickelte ſich im Schooß ber Kirche die Wiſſen⸗ 
ſchaft der Exregeie (Schriftaualegung) des alten und neuen Teftamenteß, 
Schon im 2. Jahrhundert war namlich eine Sammlung der neuteſtameni⸗ 
lichen Schriften tem A. T. zur Seite geftellt worden, aber noch zur Zeit des 
Eufebius von Caſarea beſtand Dem Zeugniß feiner Kirchengeſchichte zufolge u 
ein Unterſchied zwifchen den anerkannten (öuoAoyovuere) und zweifelhaften 
Schriften (iwrsäeysusru). Erſt die Provinzialfgnoden von Hipporegius 
(393) und Karthago (397) ſetzten den neuteftamentlihen Kanon feft und 
die allgemeine Kirche anerfannte die dort für Glaubendregel erklärten 
Schriften (Kanon) ohne förmlichen Beichluß eines öfumenifchen Conciliums. 
Die chriſtlichen Belehrtenfhulen von Alerandrien und Antiochien widmeten 





286 


ſich mit bejonderem Eifer der Schriftauslegung. In Alerandrien galt die 
allegerifchphilofophiiche Exegeſe, als deren berühmtefter Vertreter Origi⸗ 
ned erfcheint ; in Antiochien die hiſtoriſch⸗ſachliche Exegeſe, deren Zweck⸗ 
mäßigfeit befonders in ten Anſichten des Theotorud von Mopſueſtia zu Tage 
tritt. Dieſer nämlidy hielt viele jogenannte meflianifche Weiffagungen für 
unbewußt ideelle Beziehungen auf den Mefitae und das Hohelied für daß, 
was es ift, für ein Liebeslied. Zwiſchen diefen beiden Schulen vermittelnd 
haben Hieronymus von Stridon und Auguftinus fich vielfach um die rechte 
Shhriftauslegung bemüht. Auguſtinus war der Erfte, welcher ſich das Ver⸗ 
haͤltniß der einander fo oft widerfprechenden vier Evangelien Flar zu machen 
ſuchte. — Im Mittelalter, wo die heil. Schrift nach und nach faft ganz 
vergeflen wurde, hatte die Exregefe Berien, um dann durch den Humanidmud 
zu neuem, vielgeftaltigem Lehen erwedt zu werden. In den Streitichriften 
und Difputationen der Reformationszeit fpielte fie eine wichtige Rolle. 
Luther zeigte eine große Zirtuofttät in der Schriftauslegung, aber nicht 
jelten auch eine große Rechthaberei. Seine buchſtäbliche Auffafjung ber 
auf Einfegung des Abendmahls bezüglichen Ausſprüche Chriſti drang gegen 
Bwingli’s philoſophiſchere Auslegungsweife wifjenjchaftlih nicht durch. 
Außer Calvin und Beza hat ſich vornämlich der Niederländer Hugo Grotiud 
(im 17. Jahrh.) um die Schriftauslegung verdient gemadt. Innerhalb 
ber Eatholifchen Kirche, welche zu Trident die Bulgata für den einzig gülti- 
gen Tert der Schrift erklärt hatte und wo zudem ter Papſt fich die allein 
richtige Exegeſe vorbebielt, war eine wiflenfchaftlihe Schriftauslegung un= 
möglich geworden, bis die Sanfeniften fch derfelben annahmen. Die Er— 
läuterung des N. T. Durch Paſchaſtus Quesnel hat hiebei einen erbitterten 
Kampf der Curie mit den Breunden der Schrift hervorgerufen. Auch in der 
lutheriſchen Kirche hatte Die Schriftauslegung der Orthodorie weichen müffen. 
Spener und Srande regten fie zuerft wieder an. Michaelis, ein Zögling 
des halle'ſchen Waifenhaufes, gehört nebft Ernefti und Senler zu den Be— 
gründern der rein wiflenjchaftlichen Eregefe. Diefe mußte aber, bevor fte 
ihren ganz unbefangenen Standpunft erreichen konnte, erft noch durch 
Supranaturaligmus und Rationalismus hindurch, deren jeder ihr nach 
feiner Weiſe Gewalt anthat 1). Die neuefte Eregefe verdient den Namen 
der hiftorifch«ritifchen Auslegung. 


1) Die Wuntererflärungen der Rationaliften, befonders tes übrigens hochacht⸗ 
baren Paulus, füllen einen ſchweren Anekdotenkaſten. 





287 


Mit ter Exegefe eng verbunden ift die Einleitungsmwiffen- 
haft, welche die Fragen über Entflehung und Aechtheit der Heil. Schrif⸗ 
ten zu beantworten ſucht. Aus der von Andreas Öflander, dem Verfaffer 
der proteflantiichen Evangelienharmonie (1537), herſtammenden Harmoniſtik, 
weldye die vier Evangelien mit einander in Webereinflimmung zu bringen 
fuchte, entwidelte fih durd Storr und Eichhorn tie Evangelienkritif. Die 
Hypotheſe des Letztern von einem den Drei erften Evangelien zu Grunde lies 
genden Urevangelium brach der neuen. Wiffenfchaft die Bahn und zeugte 
Dafür, wie tief der Glaube des Zeitalterd an die unmittelbare Eingebung der 
Evangelien durch -den Heil. Geift erfchüttert fei._ Die eingeichlagene Bahn 
ward in der Bolge auch von Schleiermacher, De Wette, Eredner und Anvdern 
betreten, bis David Friedrich Strauß in feinem „Leben Jejfu 2)” Tie Un⸗ 
glaubwürdigfeit aller Evangelien darzuthun ſuchte und den mythiſchen 
Stantpunft geltend machte, vermöge deſſen die evangelifche Befchichte in 
fagenhafte Dichtung und der perfönliche biftoriihe Chriſtus in einen unper⸗ 
ſönlichen, idealen fih verwandelte 3) — ein Refultat, welches aus der Ueber⸗ 
tragung des Neubegelianismus auf die Kritif der Evangelien hervorging. 
Diefer Richtung gehört auch Bruno Bauer an, welcher die verneinende Kritik 
mit Außerfter Schärfe bis zu ihren Außerften Confequenzen führte). Da⸗ 
gegen hat die Tübinger Schule unter Chriſtian Baur die „geichichtliche 

2) Grfchien zuerft 1838. 

3) „Mit Beifeiteftellung der Begriffe von Unfündlichfeit und fchlechthiniger Voll⸗ 
fommenbeit als unvollziehbarer,, faflen wir Chriftus als denjenigen , in defien Selbſt⸗ 
bewußtfein die Einheit des Göttlichen und Menfchlichen zuerft mit einer Energie auf: 
getreten ift, welche in dem ganzen Umfange feines Gemüthes und Lebens alle Hemmun⸗ 
gen diefer Einheit bis zum verfchwindenden Minimum zurüdträngte; der infofern 
einzig und unerreicht in ter Weltgefchichte fteht, ohne Laß jedoch das von ihm zuerfl 
errungene und ausgeſprochene religiöfe Bewußtfein der Läuterung und Weiterbiltung 
durch die fortfchreitende Entwidelung des menschlichen Geiftes fich entziehen dürfte”. 
Diefer Sag von Strauß enthält die Duinteflenz feiner Kritif des Chriftentyums. Wir 
fommen unten auf Strauß zurüd. 

4) Kritik ter evangel. Sefchichte der Synoptifer und des Sohannes, 1841—42, 
Das Endergebniß der Bauer’fchen Kritif geht bekanntlich über das ber Strauß’fchen 
weit hinaus. Bauer zufolge ift Markus, bei welchen die Empfaͤngniß und Geburt 
Sefu noch als eine natürliche erfcheint, ter Urevangelift, welchen dic antern abge: 
fhrieben und in tbeologifchen Ablichten verändert haben. Die Erörterung dieſer Ab⸗ 
fichten führt zu dem, Facit, das Cyriſtenthum fei eine Schöpfung ter theologiichen 
Phantafie und Tendenz. 





288 | 


Kritik“ zu hohem Anfehen gebracht, und wenn etwa auch dieſe nicht ganz un« 
befangen fein follte, fo läge der Grund gewiß nur in der Einfeitigkeit, mit 
welcher tie Hegel'ſche Weltanſchauung die Geichichte behandelt, und Die darin 
beſteht, daß fie bie Geſchichte als eine logiſch nothwendige Emifaltung der 
abſoluten Idee mit Verkennung des Prinziys der Freiheit betrachtet. Es 
verſteht ſich oon ſelbſt, Daß das evangeliſche Chriſtenthum immer übel weg⸗ 
kommt, wenn ed mit dem Maaßſtabe eines philoſophiſchen Syſtems, ſei es 
bewußt oder unbewußt, gemeflen wird, 

Durch Michaelis find au Exegeſe und Kritik bed alten Teſtamentes 
wifſenſchaftlich angeregt worden. Hier durfte ſich die Wiſſenſchaft ſchon freier 
Kewegen und war nud dem flörenden Einfluß philoſophiſcher Eyſteme weni. 
ger audgefegt al8 bei Ver Bearbeitung bed neuen Teſtamentes. Breilid war 
#3 den „glaubigen Eregeten” fatal genug, daß mande für mefllanifch gel 
tende Stellen im Lichte umbeiangener Forſchung ihren prophetiſchen Werth 
einbüßten, Uber dieſe Einbußen wurden reihlich aufgewogen durch die po⸗ 
#tiven wiſſenſchaftlichen Mejultate, welche Gelehrte, wie Geſeniue, Ewald, 
Digig, Meier u. a. m. auf dem Gebiete altteftamentlicher Bibelforfchung 
gewannen. 


4. 


Die Wiſſenſchaft der Kirchengeſchichte iſt für die allgemeine 
Religionsgeſchichte inſofern von Wichtigkeit, als He die denkende Selbſt⸗ 
erkenntniß der chriſtlichen Kirche darſtellt. Ihr Begründer war Euſebius 
von Caͤſarea (315— 380), deſſen Kirchengeſchichte bis 324 reiht. In der 
Entwicklung diefer Wiſſenſchaft laſſen ſich ungefähr fünf Hauptperioden 
unterfcheiden. Die erfte, während welder das Chriſtenthum in Europa 
noch um die außjchliegliche Herrfchaft Fampfte, ſtellt und die Kircgengefchichte 
noch nicht als eine allgemeine dar, weil die Nationen noch nicht zu einer 
Familie dur das Chriftenthum verbunden waren, Während der zweiten 
Periode zeriplittert fih die Kirchengeſchichte in Chronikjchreiberei und Legen⸗ 
dendichtung, bis Lie Kritif des Laurentius Balla über die angebliche Schen« 
tung Konftantind einer wiflenfchaftlichern Behandlung Bahn brach. Die 
dritte Periode, wo die Gelehrten der getrennten Kirchen die Kirchengefchichte 
im Interefje ihrer Eonfejftonen darftellten, begann mit den „ Magdeburger 
Centurien“ des Flatius Illyricus und Genoſſen, welchen der gelehrte Jeſuit 
Cäfar Baronius.(1588) feine „kirchlichen Annalen * gegenüber flellte. Die 





x 


289 


proteftantifche, wie. bie katholiſche Kirche, beide hatten und haben begreiflic, 
ein hohes Interefie, die Rechtmäßigkeit ihrer Exiſtenz möglichft genau aus 
der Kirchengefchichte nachzumweifen. Die confefftonelle Kirchenbiftorie erſtreckt 
ſich Daher neben der höher entwickelten biß auf Die Gegenwart. In der vier 
ten Periode that ſich der Gegenſatz zwifchen der freifinnigen rein wiffen- 
ſchaftlichen und der pietiftifhen Richtung hervor. Im erfteren Sinne 
Ihrieben 3. B. Mosheim und Semler, im Teßteren Arnold. Beide Parteien 
aber flanden im Gegenfaß zur Kirche wegen der darin herrfchenden Ortho- 
dorie, wie denn alle Orthodorie auf Verläugnung der Gefchichte beruht. In 
ber fünften Periode (neuefte Zeit) ift zur unparteiifch fachlichen Behandlung 
der Kirchengeſchichte mit Marheinecke's Verſuch auch die philoſophiſch con⸗ 
ſtruirende hinzugetreten. Die antikirchliche Tendenz hat im Allgemeinen 
aufgehört. Durch freifinnigen Geiſt und hiſtoriſche Unparteilichkeit zeichnen 
ſich die kirchenhiſtoriſchen Werke von Gieſeler, Haſe und Niedner aus. 

Den Uebergang von der Kirchengeſchichte zur Dogmatik bildet die 
Dogmengeſchichte, welche die Entwicklung der chriſtlichen Glaubens⸗ 
lehre darſtellt. Auf die Entwicklung dieſer Disziplin, ſowie auf die der 
Dogmatik ſelbſt, hier einzutreten, iſt überflüſſig, denn beide theologiſche 
Fachwiſſenſchaften find in ihrem Borfchreiten wefentlih von der Entwiclung 
tes Firchlichen Lehrbegriffs abhängig oder aber fte richten ſich nach der außer» 
Eirchlichen Geftaltung der religiöfen Ideen. In erfterer Beziehung können 
wir auf früher Geſagtes zurück, in leßterer auf nody zu Sagendes vorwärts 
weifen. — Neben dem Inhalt des Glaubens, mußte auch die Stttenlehre 


“ des Chriſtenthums zu einem @egenftande befonderer wifjenfchaftlicher Be—⸗ 


arbeitung werden ; denn die moralifchen und dogmatischen Lehren fliehen mit 
einander in einem geiftigen Zufanmenhang, der fih als Syſtem darftellen 
läßt. Eine wiffenichaftlihe Darftellung des chriftlihen Moralfyftens fuchen 
wir aber bei den Kirchenvätern vergebens. Noch erfchienen chriſtlicher Glaube 
und chriſtliche Sittlichfeit al8 ein untrennbared Ganzed. Nur Anfänge 
diefer Wiffenfchaft in fehr freier Form flellen uns der „ Pädagogos * des Cle⸗ 
mens von Nlerandrien und die Schrift des Ambroftus „über die Pflichten der 
Geiſtlichen“ dar. Erft im 12. Jahrhundert, als der Gegenfag zwifchen 
Glauben und Sittlichfeit auch gar zu grelf hervortrat, wurde die chriſtliche 
Moral zur Wiflenfhaft und zwar durch Abälards Werk: „Ethik, oder: 
Erfenne dich felbft"! Die folgenden Scholaftifer, mit Ausnahme bed 
Thomas von Aquino, der in feiner Summa die Moral großentheild nad 
Schere, Geſch. d, Religion. I. 19 


ud 


290 


der Ethik des Uriftoteles behandelte, erzeugten durch Einmiſchung des bürs 
gerlichen und canonifhen Rechtes in tie Moral die Caſuiſtik, d. h. ein 
Syſtem von Berhaltungdregeln für jeden denkbaren Gewiſſensfall. Sie if 
ein Spiegel des ſchwankenden Zuftandes, in welchem fich die fittliche Ueber⸗ 
zeugung des Mittelalterö befand. Ihre Repräſentanten find Raymund von 
Pennaforte im 13., Bartholomäus de ©. Concordia im 14., Angelus te 
Glavafto im 15. Jahrhundert. ine ehrenvolle Ausnahme von dieſem Treis 
ben machten die Myſtiker, von weldyen befonderd Hugo und Richard von 
St. Victor und Thomas von Kempen Erwähnung verdienen. Sie ſchrieben 
zwar feine Moralſyſteme, hielten aber doch die rein chriftliche Moral: Des 
muth, Liebe, Nachahmung Chrifti, in ihren Schriften aufreht. Die Huma- 
niften, befonderd Erasmus in feinem „Handbuch des dhriftlichen Streiters *, 
hielten hriftliche und philofophiidhe Moral für Eins und Daffelbe, nämlid 
für das oberſte Vernunftgefeg. Die vorwiegenden Glaubenäftreitigfeiten 
der Reformationgzeit liegen Fein beſonderes Interefle für die wiflenfchaft- 
liche Geftaltung der Dioral auffommen. Der Erfte, welcher innerhalb der 
proteftantiichen Kirche eine chriftliche Ethik herausgab, war 1577 Lambert 
Daneau (Danäus). Die Iutherifhe Orthodorie, welche die „ Werke“ immer 
mehr hintanzufegen begann, ließ aber die Moralwifjenjchaft Grachliegen ,. bis 
einerfeitd der Pietismus, andererfeitd die Leibnitz-Wolff'ſche Philoſophie, 
jener aus praktiſchen, dieſe aus theoretiichen Motiven, das Interefje daran 
aufs Neue wachriefen. Beide Richtungen in Behandlung der driftlichen 
Moral, fowohl die praftiiche ald die fpefulative, haben, jedoch ohne Die 
hriftliche Moral von einer philofophiiden Weltanfchauung abhängig zu 
machen, De Wette und Schleiermacher, in neueſter Zeit Rothe mit einander 
zu verbinden geſucht. 

Wie auf proteſtantiſchem, ſo erregte die Moralwiſſenſchaft während des 
17. Jahrhunderts eine große Bewegung der Geifter auch auf fatholifchem Ge⸗ 
biete, Die Iefuiten hatten die von den Scholaftifern überlieferte Caſuiſtik auf 


die Spige getrieben. Ihr Prinzip war der Probabiliämus, d. h. ein Gegen 


überftellen Fircylicher Autoritäten in jeder Gewiſſensfrage ohne definitiven 
Entfcheid, ein mehr ober minder Billigen gewiffer Handlungen. Diefer 
vollftändigen Auflöfung der chriftlihen Moral traten die Janfeniften mit 
Geiſt und Eifer entgegen, bejonderd. Bascal in feinen Lettres Provinciales. 


- Wie wenig damald Die katholiſche Hierarchie auf Hriftliche Sittlichfeit Hielt, 


beweift am beften das Verbot der genannten Schrift durch Papſt Urban VIII. 


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291 


auf Betreiben der Jeſniten, welche feine beffere Widerlegung derfelben zuwege⸗ 
bringen Fonnten. 

Auch die Wirkfamfelt des geiftlichen Standes felbft ift wiffenfchaftlich 
beleuchtet worden. Die praftifche Theologie zerfällt aber je nach den Haupts 
feiten geiftlicher Thätigfeit wieder in verfchiedene Wiflenfchaften: Homiletif, 
Katechetik, Liturgif, Paftoralwiffenfhaft (Lehre von ber 
Seelforge). Die frühefte und genauefte Bearbeitung ift der Homiletik 
(Lehre von der geiftlichen Redekunſt) zu Theil geworden. Keime derfelben 
finden ſich ſchon bei Chryſoſtomus (‚‚mwegs begwovuns‘‘). Auguftin war 
der Erfte, welcher eine wirkliche Homiletik audarbeitete (De doctrina chri- 
stiana). Diefe Homiletif blieb im Gebrauch bis zur Reformation. Das 
Mittelalter hat Feine geliefert, weil während befjelben die kirchliche Redekunſt 
gänzlich in Verfall gerathen war; die myſtiſchen Volföprediger aber waren 
feine Iheoretifer noch Redefünftler, jondern redeten von der Leber weg. Die 
Homiletif der Humaniften ſchloß fih an die claffifche Mhetorif an; die von 
Reuchlin (1502) gründete fih auf die Negeln Quintiliand und Cicero's 
mit Beibehaltung des driftlichen Standpunftede. Nach der Reformation 
artete die Homiletif der Lutheraner aus in die engherzigfle Pedanterie. 
Sie nahm ſchon deßwegen einen beichränftern Charafter an, als die reformirte, 
weil unter den Zutheranern der alte Perifopenzwang (das Predigen nad) für 
jeden Feſt- und Sonntag vorgejchriebenen jährlich wiederkehrenden Texten) 
beibehalten wurde. Der Pietisnus hat hier ebenfalld zum Beſſeren geführt, 
ließ jedoch feine Predigtweife bald in übertriebene Formloſigkeit ausarten. 
Das Gemüthlid- Fromme der pietiftifchen Bredigtweije mit dem Rhetoriſchen 
der orthodoren zu verbinden, verfuchte Mosheim in jeiner „Unweifung, 
erbaulidy zu predigen®. Die fonthetifche Predigtweiſe, weldye weſentlich 
auf fireng logifcher Zerglieterung eines vom Tert abgeleiteten Thema's 
beruht, hat vornämli Reinhart ausgebildet und theoretifch in feinen „ Ges 
ftändniffen” begrüntet. Die analytifche, freiere Predigtweife, welche mehr 
den Gedanfeninhalt des Terted entwickelt, ift von Lavater, Herder, Schleier: 
macher, Dräjefe u. U. geltend gemacht worden. Gine Vermittlung Dieler 
beiden Richtungen fucht die neuefte Zeit in ihren Vertretern, zumal in den 
homiletifchen Werken von Palmer und Mlerander Schweizer. Innerhalb 
der katholiſchen Kirche ift die geiftliche. Redekunſt feit der Neformation 
wieder mehr in Yufnahme gekommen. Im 17. und 18, Jahrhundert hat 
beionterd Frankreich große Kanzelredner (Boſſuet, Blechier, Bourdaloue, 


19° 


292 


Maflilon, Bridaine) hervorgebracht, jedoch ohne daß die Homiletik als 
Wiſſenſchaft durch bedeutende Werke theoretifch gefördert worden wäre. — 


5, 


Schon in der Gefchichte der Firchlichen Lehrentwidlung haben wir 
darauf hingewieſen, daß diefelbe mit der mwiffenjchaftlichen Entwidlung Der 
religiöjen Ideen ja nicht zu verwechieln ſei. Jene beruht wefentlidh auf 
Tradition, Schriftautorität, hierarchiſchem Intereſſe und volksthümlichem 
Aberglauben; dieſe hingegen weſentlich auf der philoſophiſchen Bearbeitung 
der religiöſen Vorſtellungen, alſo auf der Freiheit des denkenden Indivi— 
duums. Daß die Religionsphiloſophie durch ihre Forſchungen nach dem 
Weſen und den Eigenſchaften der Gottheit, nach Entſtehung der Welt, nach 
der Natur des Menſchen u. A. m. auch zur Speculation über andere, nicht 
religiöſe Gegenſtände geführt wurde und ſich alſo zur allgemeinen Philoſo— 
phie erweiterte, liegt in der Natur des menſchlichen Geiſtes. Das Verhält— 
niß der hriftlichen Theofophie und Philoſophie zur Kirchenlehre hat fih im 
Lauf der Zeiten fehr verfchieten aeftaltet. In den erften Jahrhunderten 
juchte die Philoſophie fich theils felbft zur Kirchenlehre zu erheben, theils 
nahm fie, von der Kirche zurücgeftoßen, eine tiefere Auffaffung des Ehriften- 
thums für fh in Anspruch und ließ die Kirchenlehre ald Volksreligion ge— 
währen. In der langen Periote der Scholaftik fuchte die Philoſophie die 
allgemein von ihr anerkannte Kirchenlehre denfend zu durchdringen und auf 
Bernunftfchlüffe zu gründen. Mit dem Auftreten der Platoniker befreite fie 
fid) vom Dienft der Kirchenlehre, blieb aber in ihren meiften Syſtemen ab⸗ 
hängig theild von Plato, theild vom Chriftenthum überhaupt. Erft mit 
Carteſtus trat die Philofophie ganz felbftftändig auf. Aber durch die Wol: 
fianer ward der alte Scholaſtieismus auf yproteflantiihem Boden erneut, 
während die englifchen Freidenker offen gegen die Kirchenlehre auftraten N), 
Die durch Kant gegründete Tranfcendentalphilofophie erhielt fich allezeit ganz 
unabhängig von der Kirchenlehre; doc firebte ihre idealiftifche Seite 
(Schelling, Schletermader, Hegel) das Chriftentbum (nit die Kirchen 
Iehre) auf die Form des reinen Begriffs zurüdzuführen, während Die rea- 


1) Die Wolfianer fuchten freilich nicht die Kirchenlehre, aber boch die mefentlichen 
Lehren des Ehriftenthums du ch Vernunft und Schrift zu begruͤnden. Das iſt eben 
gebundene, unfreie Philofophie — Scholafticismus. 


293 


Iftiihe Seite (Herbart) das religiöfe Gebiet möglihft vermied. Der 
Matertalismud der franzöftichen Encyklopädiften Hingegen erhob ſich mit ent- 
ſchiedener Beindjeligfeit gegen das Chriftenthum felbft. Sein Nachhall ift 
ber gegenwärtige Materialismus der Phyſtologen. Die übrigen philofo= 
phiſchen Richtungen der Gegenwart fireben die ewigen Wahrheiten des 
Chriſtenthums, ob fie nun deren viele oder wenige gelten laffen, mit dem 
wiffenichaftlichen Zeitbewußtjein zu vermitteln. — Nach diejer Grundirung 
wollen wir näher auf die einzelnen Saupterfcheinungen der hriftlichen Theo⸗ 
jopbie und Philofophie eingeben. 


6. 


Der Onofticismugt) ift entflanden aus dem Eintreten des Chri- 
ſtenthums in den alerandriniichen Nenplatonismus. Das Gemeinfame fafl 
all’ ter zahlreichen Syſteme, in weldye er ſich ausbreitete, war das Streben, 
das Chriftenthum als die abjolute Religion denfend zu begreifen, den tiefften 
Urgrund des Böſen zu erforichen 2), die Nothwendigfeit und das eigentliche 
Weſen der Erlöfung nachzuweiſen. Als die abiolute Religion ließ ſich das 
Chriſtenthum in dreifacher Weile je nad feinem Verhältniß zu den vors 
chriſtlichen Religionen auffaffen. Entweder ließ man das Chriftenthun, 
ganz umvorbereitet durch Judenthum und Heidenthum, dieſen als falichen, 
den Namen „Religion * nicht verbienenden Religionen gegenübertreten, was 
einzig der Gnoſtiker Marcion (um 150) in jeinem vorwiegend ethiſchen 
Syſteme that; oder man erfannte in den vordrifllichen Religionen einen 
nody unentwidelten Keim ewiger Wahrheit als Vorbereitung auf das die 
Wahrheit vollfommen offenbarente Chriſtenthum, und diefer Anficht hul⸗ 
digten die meiften Syſteme, das des Bafllived, Saturninus, Valentinus (um 
140), das der Ophiten u, A. m. Endlich konnte man die abfolute Religion 
als uranfänglide Offenbarung Gottes, die durch Chriſtus nur zu allgemei⸗ 
nerer Geltung gekommen jet, betrachten. Dies thaten vom Standpunft 
des Heidenthums aus die Anhänger des Karpofrated (um 140), indem 
fte Heidntjche Weltweile (Pythagoras, Platon, Epiphanes, den Sohn des 
Sarpofrated) neben Chriftus als Träger der Uroffenbarung verehrten, das 








41) Bon yrooss, Erfenntniß, im Gegenfag zum Glauben, über deſſen Inhalt 
man nicht nachforſcht. j 

2) Hierin machen die Karpokratianer, welche den Unterfchied zwifchen Gut und 
Böfe für bloße menſchliche Cinbildung erflärten, eine Ausnahme. 


294 


jüdifche Geſetz hingegen für ein Werk der abgefallenen, weltſchaffenden Engel 
anfahen. 

Dur ihre Forſchungen nach dem Urſprung des Böfen wurden die 
meiften Gnoftifer zu einem mehr oder minder deutlichen Dualismus geführt. 
So fett 3. B. Valentinus ald die zwei Orundurfachen ver Welt Den tiefen 
Urgrund alles Seins (Budos) und die weienlofe Materie (xhwuu), Mar⸗ 
cion den „gütigen Gott”, als deſſen erfte Offenbarung der „gerechte Welt- 
ſchöpfer“ ericheint, und den Teufel, Baftlides „ten unbefannten Gott“ und 
das „ Chaos, die Wurzel alles Uebels“. Zur Erklärung über den Urfprung 
des Böfen diente zum Theil auch die vielfach geftaltete Emanationdlehre der 
Onoftifer, aber noch weit mehr zur Speculation über Die Erlöfung und die 
Perſon des Erldfere. Nach Baftlides vereinigte ſich die erfte der göttlichen 
Emanationen (voös), die ewige Vernunft, mit Dem Menſchen Jeſus bei der 
Taufe im Jordan, die Menfchenfeelen durd Befreiung von dem anhängen- 
den Materiellen zu reinen Geiftern zu erheben. Der Iudengott, Vorſteher 
der fieben zulegt emanirten Geiſter, hat mit ihnen die Welt erfchaffen und 
ift betreffend das Erloͤſungswerk unbewußt ein Beförderer deſſelben gewor- 
den. Nach Valentinus gibt es zwei zur Wiederberftellung der Sarmonie 
im Geiſterreich beſonders beitimmte Aeonen (emanirte Geifter): Chriſtus 
und ten heil. Geiſt. Dieſe Zwei, dem ganzen emanirten Geifterreich ema⸗ 
nirt, erzeugen und fenden den „Wetter * Jeſus, welcher fih mit Dem vom 
Weltfchöpfer (Iudengott) gefandten Meſſtas bei der Taufe vereinigt, um Die 
Seelen der Menfchen wieder von den Banden der Materie zu befreien, bie 
Einen an die Graͤnze des Geiſterreiches, die Andern, nämlich die rein geift- 
lichen (pneumatifhen) Chriften in das Geiſterreich felbft zurückzuführen. 
Marcion jedoch betrachtet den Erlöfer nicht als Emanation, jondern als 
perſönliche Offenbarung des bisher verborgenen „gütigen Gottes * in Jeſu, 
denn Gefchöpf des „gerechten Weltfchöpfers*, um die Macht des Teufels zu 
überwinden, durch Erwedung reiner Liebe zum „gütigen* Gott die Men- 
ſchen von der frafenden Gerechtigkeit des Weltfchöpfers zu erloͤſen und zur 
vollkommenen Seligkeit zu führen. 

Die Gnoſtiker ſuchten ihre Syſteme nicht zur Kirchenlehre zu erheben, 
fontern fahen meift in ſtolzer Abgeichloffenheit auf den volfsthümlichen 
Kirhenglauben herab. Gnoftifchen Anſichten Huldigten auch Apologeten, 
wie Tatian und Arnobius. Der chriftliche Neuplatonifer Syneflus, 410 
zum Biſchof von’ Ptolemais geweiht, anerkannte den befiehenden Kirchen« 


295 


glauben ungeachtet feiner tualiftiichen Phtlofopheme, deren Eonfequenz ihm 
den Glauben an die Auferfichung des Leibes und den Untergang der Welt 
nicht erlaubte. Dagegen fuchte die rein chriftliche Gnoſis der Alerandriner 
Clemens und Origines beſtimmend auf die Kirchenlehre einzuwirfen. Sie 
konnten ohne das Wiſſen keinen rechten Glauben, ohne den Glauben kein 
rechtes Wiſſen anerkennen. Glauben und Wiſſen ſollten nach Origines 
durch allegoriſche Schriftauslegung allein vermittelt werden können. Durch 
die Philoſophie dachten die Alexandriner den Glauben zur Vollendung zu 
erheben. Das Syhſtem des Origines, frei von Dualismus und Emana⸗ 
tionslehre, gründet ſich auf philoſophiſche Auffaſſung der Dreieinigkeit. 
Eigenthümlich derſelben iſt die ſtrenge Unterordnung des Logos unter Gott 
Vater, des heil. Geiſtes unter den Logos. Die Dreiheit erſcheint dem 
Origines als die nothwendige, ewige Form der Selbſtoffenbarung des Einen 
Gottes. Bekanntlich war der Origenismus der Kirche zu philoſophiſch; ſie 
eilte, ihn beſtmöglichſt auszuſcheiden (origeniſtiſcher Streit). Mit philoſophi⸗ 
ſchem Geiſte hat unter den Kirchenvätern nur noch Auguſtin ſein, wie er 
meinte, kirchliches Glaubensſyſtem aufgeſtellt. Das Schickſal deſſelben in der 
Kirchenlehre iſt früheren Ortes berührt worden. 


7. 


Den Inhalt der chriſtlichen Offenbarung hatte Origines als den 
alleinigen Gegenſtand der Philoſophie bezeichnet und der letztern ſomit ihre 
Graͤnze angewieſen. Den Uebergang zur Scholaſtik, welche die Schranke 
der Kirchenlehre als Gränze der Philoſophie betrachtete, bildet im 9. Jahr⸗ 
hundert Johannes Scotus Erigena mit ſeinem Hauptwerk De divisione 
naturae. Nehnlich den Alexandrinern, erklärte er die wahre Philoſophie 
für die wahre Religion und die wahre Religion für die wahre Philoſophie. 
Sein Syſtem ift vorwiegend pantheiftiich, da er Die ideale und finnliche Welt 
ala ein bloßes Sichmodifiziren und Geftalten der Gottheit betrachtet und 
eine allmälige Rückkehr derfelben in die zöttliche Wefenheit annimmt. Die 
(platonijche) Idealwelt bezeichnet er als erichaffen und doch felbft jchaffend, 
als den Inbegriff aller unfichtbaren Urſachen der fidhtbaren Dinge, - Um die 
in das Materielle verfunfenen Menjchen zu ſich zurüdzuführen, hat Gott ſich 
noch einmal unmittelbar in die Materie verfenft und ift in Jeſu erfchienen. 
Darum wird Feine Seele verdammt bleiben. 

Mit Scotus Erigena begann diejenige Richtung der Philofophie, 


296 

welche die allgemeinen Begriffe oder Ideen (universalia) ald außerhalb des 
menschlichen Denkens für fi beftchend (real) annahm und daher als Rea⸗ 
lismus bezeichnet wurde. Unter den NRealiften der erſten fcholaftiichen 
Periode, weldye mit dem Nominaliften Johannes Roscelinus (1090) endet, 
find zu nennen Gerbert von Aurillac (farb als Papft Stluefter II), Berengar 
von Tours, Lanfranc und Anfelmus, Erzbiichöfe von Canterbury. In diefer 
erften Beriode, welche nod nicht zum eigentlichen, weientlid ariftoteliichen 
Scholaſticismus gehört, Herrichte die platonifche Richtung allein. Die durch 
Bekanntſchaft mit den Arabern vermittelte ariftotelifche Philoſophie rief den 
Nominalidmus hervor, d. b. die Anſicht, daß die Univerfalien bloß im 
menfchlichen Denken erifliren und ihre Nealität einzig im Individuellen 
haben. Roscelinus ging ſoweit, die Univerjalien ald bloße Worte (nomina) 
zu bezeichnen, woher Dieje ariftotelifche Richtung ihren Namen erhielt. Das 
Meberhandnehmen ded Nominalismus, welches die Vhilofophie tiefer in das 
Falte Gebiet der Logik hineinzog, wedte ten philoſophiſchen Myſticiomus, 
welcher fich vorwiegend mit Meligionsphilofophie von praftiicher Richtung 
beichäaftigte und als feine Hauptaufgabe erfannte, den Weg zur innigften 
Vereinigung der Seele mit Gott nachzuweifen. Neben den beiden Bictoren 
ift von den Moftifern Bernhard v. Clairvaur zu nennen, welcher als des 
Menschen höchſte Beftimmung die felige Anichauung mit Gott, wodurch bie 
Seele in Gott überfließe, bezeichnete. 

Ungeadtet erſt in der 3. Periode der Scholaftit (1250 — 1320) 
die ariftotelifche Philojophie vollftändig befannt wurde, gelangte doch 
der Realismus wieder zu ausfchließlicher Herrſchaft. Dagegen that fich 
innerhalb defjelben ein neuer großer Gegenjag auf, hervorgerufen durd 
Zhomad von Aquino und Dund Scotud. Die Berfchiedenheit beider 
Syſteme, aus welchen ein auch nach der Reformation fortdauernder Schul- 
zanf hervorging 1), beruht wejentlich auf drei Punkten. Thomas erklaͤrte, 
daß die Univerlalien, bevor ſie fich mit der Materie verbinden, nur Der 
Möglichkeit nach vorhanden feien, jobald fte fich aber mit der Materie zu 
Individuen verbunden haben, feien fte Feine wahren Univerfalien mehr. 
Duns Scotus hingegen behauptete, die individuellen Dinge jeten nur Spie- 
gelbilder der an fich eriftirenden Univerfalien, weldye die Kraft befigen, Durch 
Individualiftrung der Materie in die Erfcheinungswelt einzutreten, Werner 


1) Die Jefuiten erklärten fi gegen die Brancisfaner für Thomas von Aquino. 





297 


erhob Thomas die Erfenntniß Gottes, als den höchſten Zweck des Menfchen, 
zur Hauptaufgabe der Theologie. Duns Scotud hingegen, welchem bie 
Seligkeit als. höchſter Zweck des Menfchen galt, faßte die Theologie ald aus⸗ 
Schließlich praktifche Wiffenichaft. Dies kam daher, weil Thomas den Ver⸗ 
Hand, Duns Scotus den Willen für die höchfte Geiſteskraft des Menfchen 
anſah. | 

In der legten Sauptperiode der Scholaftif (1320— 1561) nahm ber 
Nominalismus den Kampf mit dem durch Thomas von Aquino erfchütterten 
Nealismud von Neuem auf und gelangte endlich zum Siege, vornämlich 
durch Wilhelm von Okham, Iohannes Buridan 2) und Gabriel Biel, Die 
immer mehr in abfurde Spibfindigfeit, in die Dialektif des „Höheren Blöd⸗ 
finns * 3) ausartende Scholaftif verlor ihren Einfluß auf die hriftliche Theo⸗ 
logie und rief eine zweite Reihe von Myflikern hervor, deren Bertreter dad 
Ewige weientlic durch Gefühl und Willen zu erfafien ſuchten. Johannes 
Gerfon (geb. 1363) erklärte das unmittelbare Erkenntnißvermögen des Ueber⸗ 
finnlichen für bes menfchlichen Geiſtes höchſte Erfenntnigkraft und die my⸗ 
ftijche Theologie, da fle ich auf innere Erfahrung eines frommen Strebend 
gründe, für die wahre Philoſophie. Raimund de Sabunde (un 1436) 
fuchte das Verſtaͤndniß der geoffenbarten Religion vermittelt frommer 
Naturbetrachtung. | 


8, 


Während die Scholaftif allmälig erlofch, machte die durch das erneute 
Studium des platonifchen, ariftotelifchen und ftoifchen Syſtems, fo wie durch 
das einft ſchon von Roger Bacon (geb. 1214) angeregte Studium der Natur- 
wiflenfchaften geläuterte Wiffenfchaftlichfeit den Verſuch, felbfiftändig,, ohne 
Ruͤckſicht auf Die Kirchenlehre, zu philoſophiren. Merkwuͤrdiger Weife finden 
wir aber die philoſophiſchen Syſteme der Reformationdzeit faft alle in Ita⸗ 
lien, wohl aus dem Grunde, weil die Ideenbewegung Deutfchlands, Frank⸗ 


2) Autor der berühmten Kabel vom Bel, welcher aus efelhaften Serupeln zwifchen 
zwei Heubünbeln verhungerte. 

3) Welche alles Ernſtes Fragen discutirte wie diefe: „Kann Gott etwas Ge: 
ſchehenes völlig ungeichehen machen und demnach aus einer öffentlichen Dirne eine 
Jungfrau? Wie viele Engel haben Platz auf einer Nadelſpitze? Warum hat Adam 
von einem Apfel und nicht von einer Birne gegeſſen? Wie hätte Chriſtus die Er- 
löfung vollbracht, falls er in Geſtalt eines Kürbifies auf die Welt gekommen wäre?“ 


298 | oo 


reichs und Englants damals Hauptfächlich auf das praktiſch und kirchlich 
Religiöſe gerichtet war. Der deutfhe Theoſoph, Jakob Böhme, ift der erfte 
wichtige Philoſoph innerhalb des ſchon befeftigten Proteſtantismus. 

Mit Uebergehung der Philoſopheme deutſcher Platoniker dieſer Zeit 
(Reuchlin, Agrippa von Nettesheim, Paracelfuß) wenden wir und ſogleich 
zu den italiſchen Philofophen )). Girolamo Cardano (geb. 1501) erfaßte 
Bett ald das eine ewige Sein, die Well aber als die Entfaltung feines 
Lebens. Bott der Dreieinige, ald welcyer er Almacht, Anſchauung des Un⸗ 
endlichen und Liebe in fich vereinigte, iſt das felbftbemußte Leben ter Liebe. 
Des Menſchen Geift ift ewig, weil er Gott, die Welt und das Unendliche 
in fig aufnehmen kann, fie immer mehr vollendet und nicht alter. Der 
Geift wird immer wieder geboren und nimmt neue Lebendformen an 
(Seelenwanderung). Als Narurforfcher hat Cardano ſich eine eigenthüm⸗ 
liche Raturphilofophie gebildet, melche er aber mit feiner Lehre von Gott in 
feinen foftematifchen Zufammenbang bradyte. Die drei überall ſich offen- 
barenden Prinzipien: Materie, Form und Seele, die Sympathie, melde 
das Univerſum beberricht, bringt er in Feine anfchautiche Beziehung zum 
görtligen Walten. — Die Weltprinzipien des Bernardino Teleflo (geb. 
1508) find: Gott, der die Menſchenſeelen fchafft, die Materie und deren 
Dewegen: Wärme und Kälte Bei ihm berricht die auf bloße Sinnes⸗ 
wahrnehmung, ftatt auf Vernunftfchlüffe gegründete Betrachtung der Dinge 
(Senfualisnus) zu fehr vor, als aß er in Gott die rechte Einheit des Als 
hätte erfaſſen köͤnnen. Gr ift fo wenig Xheolog, daß er felbft die Ver⸗ 
werfung derjenigen unter feinen Anfichten, weldye der Kirchenlehre oder der 
heil. Schrift zuwider wären, für billig Halt. Für die Geſchichte der Philo- 
fopbie jheint uns fein Syſtem wichtig als bie erfte Probe eines entſchiede⸗ 
nen Senfualidmus. — Die Weltanfchauung ded Giordano Bruno (gefl. 
auf dem Scheiterhaufen der Inquifition zu Rom i. 3.1600) ift ein Ratur= 
philofophle und Theologie phantaftevoll verfchmelzender Pantheismus, wel⸗ 
cher immer und überall im Weltganzen eine unendliche Harmonie ſucht und 
findet. Das Sein Gottes ift, Bruno zufolge, dad Sein ſchlechthin, aber es 


1) Eine fo einläßliche und treffliche Darlegung dieſer italiſchen Philofophie, wie 
fonft meines Wiſſens in der deutfchen Literatur fonft nirgends, findet fih in Moriz 
Carriere's bekanntem Buch: „Die philofophifche Weltanfchauung der Reformationg- 
zeit“, ©. 318—606.. Ich muß mich natürlich unverbältnißmäßig viel kürzer faffen, 
verdanfe ihm aber viel, 


299 


muß als That gedacht werden. Gott, die höchſte Intelligenz, erſchließt ſich 
in- der Welt, um fein eigenes Wefen anzuſchauen; der göttliche Geift oder 


die abfolute Einheit ift zugleich Das, welches begreift und welches begriffen 


wird. Die Materie fegt Bruno nicht außer, jondern in Bott; denn Gott 
als der Allgegenwärtige tft nicht der Raumlofe, fondern nur der Dur feinen 
Raum Beſchränkte, vielmehr der allen Raum Erflllende, und Eins ift die 
Materie oder der Leib, Eins die Form oder die Seele, Ein ewiges unendliches 
Sein. Die göttliche Borfehung iſt Eins mit der Freiheit und Nothwendig⸗ 
feit, nämlich als Selbftbeflimmung. Als fchöpferifche Weſenheit nennen 
wir Bott den Vater, ald die den Dingen eingeborene Kraft und Weisheit 
Sohn, endlich Geiſt als die Liebe, welche durch die Betradhtung der Schönheit 
erzeugt wird und das Endlihe zum Unendlichen zurüdführt. Die Liche wirft 
in dem Menfchen die Wiedergeburt des Geiftes und Gemäthes, kraft welcher 
die Gottheit in ihm Wohnung nimmt. Die Seele ift unſterblich. Je nad) 
ihrem höheren ober njedrigeren Streben wird fie nach dem Tode in einen 
höheren oder niedrigeren Leib, in eine höhere oder niedrigere Welt wan⸗ 
dern, — Cäſar Bantni (als „Atheiſt“ verbrannt zu Toulouje 1619) mag 
des frivolen Wiges wegen; den er gegen Eirchliche Dogmen richtete, als ein 
Vorläufer Voltaire's angejehen werden. : Sein Gottesbegriff reiht an den 
Bruno’ihen nicht Hinan. Auch Vorklänge des modernen Materialismus 
finden fich in feinen Schriften. So, wenn er fagt, die Seele ſei in jedem 
Körperteile ganz und nichts Anderes als ber felbfibewußte Nervengeift, 
deflen gute und ſchlimme Neigungen von den Samen und Säften abhängen, 
welche in unſer Wefen eingehen. — Tomaſo Campanella (geb. 1568) ver- 
räth in feinem Syſtem noch die meifte Abhängigkeit vom Platonismus und 
ftreift nahe an Dualimus. Das Entftchen der endlichen Dinge aus Gott, 
dem unendlichen, ewigen Sein, welches dreieinig ift in Macht, Weisheit und 
Liebe, kann er nur dadurch erflären, daß er dad Nichtfein mit feinen brei 
Prinzipien: Ohnmacht, Unmiffenheit und Haß ald Begränzung bed Seins 
auffielt. Daher haben alle endlichen Dinge Theil eben jo wohl am Sein, 
ald am Nichtfein. In Gott eriftiet zuerft die Idealwelt, angefüllt mit 
Engeln, die man Tugenden nennt. Sie denfen die Iteen. Auf der Ideal⸗ 
welt beruht die mathematifche Welt, worin die Geifter die geometrifchen 
Körper bilden. Auf diefer endlich beruht die materielle Welt, beflehend 
aus der Materie, Wärme und Kälte. In allmäliger Reihenfolge biltet 
Gott diefelbe zu Himmel und Erde aus durch Die Nothmentigfeit, das 








300 


Shidial und die Harmonie. Die von der Materie gefeflelte Seele kehrt durch 
die göttliche Hülfe der Religion wieder zu Gott zurück. Seligfeit ifl die Er- 
fenntniß, daß wir in Gott find und Gott in und. Campanella Hofft eine 
Wiederbringung aller Dinge, wo alle Seelen zum Bater zurüdfehren und in 
ihm wechfellofe, unvergängliche Seligfeit genießen werden. 

In Deutſchland bat zu Anfang des 17. Jahrhunderts ein einfacher 
Handwerker, Jakob Böhme (geb. 1575), die chriſtliche Idee mit philoſophi⸗ 
ſchem Genie durchdrungen und dadurch Ter nordiidhen Myſtik den vollkom⸗ 
menften Austrud verlichen. Nah Böhme iſt Gott die ewige Einheit, ver 
ewig ſich in ſich ſelbſt gebärende Wille. Als Wille ſchlechthin ift Bott der 
Bater, als Geminh und Gerz des Willens (das Wort) der Sohn, als 
Auszahg vom Willen und Gemüth die Kraft und ter Geil. In folder 
Dreieinigfeit iſt er ewig feiner felbft bewußt. Wie Bruno bezeichnet aud) 
Böhme Gottes Denken ald Schaffen. Intem Gott das Wort ewig aus 
fih ſelbſt gebiert und durch das Wort alle Dinge Schafft, gebiert er alle 
Dinge in fih ſelbft. Darum nennt Böhme dad Weltall den Leib Gottes, 
Inneres und Aeußeres in feiner Einheit den lebendigen Bott. Die Notb- 
wendigfeit der göttlichen Selbſtbeſtimmung bringt, wie alle andern Gegen⸗ 
ſätze, jo auch den Gegenſatz des Guten und Böfen hervor. Das Vöſe ifl 
nothwentig zur Offenbarung des Guten. Sofern nun Bott das Böje nur 
zur Offenbarung ded Guten will, ift es für ihn aufgehoben. Im Menfchen 
erfcheint das Böje ald der von Bott fi jcheidende, das Fürſichſein begeh⸗ 
rende Wille. In der Liebe zu Bott und ten Menfchen einiget fidh Die Seele 
wieder mit dem göttlichen Willen und empfindet nun Gott ſelbſt ald Liebe, 
während fie ihn zuvor ald Zorn empfunden bat. Als Chrifus geboren 
wurde, ward Gott ald Menfch geboren; aber Chriſti Seele ift eine Greatur, 
wie Die unfere, nicht vom Himmel herabgebracht. Chriſtus, der mit Gott 
vollkommen geeinigte Menſch, muß in und geboren werten; Dann geben 
wir ein in Gottes Willen und haben Berzeihung der Sünden?) Die 
äußere Menſchheit Ehrifti mußte am Kreuze erfterben, damit durch biefe 
völlige Hingabe das ewige Wort in der Menfchheit allein herrſchend werde, 


2) Denfelben Gedanken hat auch ein jüngerer Zeitgenofle Böhme’s, der myflifche 
Poet Johann Scheffler (Angelus Silefius), in feinem „Cherubinifhen Wanders⸗ 
mann“ fehr prägnant ausgeſprochen: — 

Wird Chriſtus tauſendmal zu Bethlehem geboren 
Und nicht in dir; du bleibft doch ewiglich verloren. 


301 


Durch den Slauben an Chriftus erflirbt die Ichheit und kommt das ewige 
Wort zur Herrichaft au in und. Der Tod führt aus dem Reiche der 
Natur ind Reich der Himmel, wo Alles Harmonie, Ruhe und Freude ifl. 
Die Höllenqual der Böfen faßt Böhme Ähnlich wie Bruno, nur ohne See⸗ 
Ienwanderung. 8 wird jede Seele das, was ihrer herrichenden Begierde 
entfpricht. 


9. 


Frankreich hat waͤhrend dieſer Periode ſtatt aufbauender Philoſophen 
Skeptiker hervorgebracht. Michael Montaigne (geb. 1533) ſuchte durch 
den Satz, daß die Vernunft nicht im Stande ſei, die Wahrheit zu erken⸗ 
nen, die Offenbarung aber allein die Wahrheit enthalten könne, ſeine 
Zweifel an der chriſtlichen Religion zu beſchwichtigen oder wenigſtens zu 
verhüllen, wogegen ſein Schüler Pierre Charron den Skepticismus gegen 
die Religion wandte mit der Erflärung, daß feine Meligion, auch die 
hriftliche nicht, dem angeborenen Tugendtrieb des Menfchen ganz genüge. 
Aus dem franzöflfchen Sfepticismus aber ging das Syflem des Garteflus, 
welches felbft mit dem Zweifel beginnt, hervor. René Descarted (geb. 
1596) ward der Befreier der Philoſophie von der Theologie und dem alt- 
claffiihen Syſtemen. Aus allen Zweifeln bleibt, fo lehrt uns Garteflus, 
nur die Eine Gewißheit übrig: „Ich denke, daher bin ich* (cogito, ergo 
sum). In Folge deffen unterfucht Garteflus das denkende Ich und findet 
darin eine Anzahl angeborener Begriffe und Wahrheiten. Zu den angebo« 
renen Begriffen gehört befonderd die Idee eines volltommenften Weſens 
(Gottes), welche dem Menfchen nur von dieſem felbft mitgetheilt fein kann. 
Auf die Gottesidee gründet ſich alle Gewißheit der Philoſophie. Wahre⸗ 
Subftanz, d. H. Grund feiner feldft, ift nur Gott. Subſtanzen im weitern 
Sinne, d. 5. Dinge, die den Grund ihres Seins einzig in Gott haben, 
find Geift und Materie. Das Attribut (d. h. weſentliche Eigenfchaft) des 
Geiſtes iſt das Denken; das Attribut ber Materie Die Ausdehnung. Gleich 
Anfangs Hat Bott die Welt vollendet geichaffen und durd feinen fortwäh- 
renden unmittelbaren Beiftand (coneursus) wird fle erhalten. Der Menſch 
bat eine immaterielle Seele-(denfende Subftanz), welche von dem Körper 
ihrer Natur nad) ganz verfchieden tft und in der Zirbeldräfe ihren Sit hat. 
Beil die Thiere nicht denken, fo haben fie Feine Seele und find daher bloße 
Automaten. Indem Descarted vermittelt diefer Grundgedanken daB Prin⸗ 


302 


Ay aänzlicher Borausfegungslofigfett in der Philoſophie und das Ausgehen 
der Speeulation vom felbftbewußten Ich geltend machte, indem er endlich 
den alten Gegeniag von Geiſt und Materie ald den Gegenſatz der Begriffe 
von Denfen und Sein ind Bewußtfein hineinſtellte, bat er der modernen 
Bhilofophie ihre Sigenthümlichkeit gegenüber der antiken verliehen. 

Was die Carteflaner Beulinr und Malebrandhe vergeblich auſtrebten, 
den Dualismus zwijchen Sein und Denken aufzuheben, gelang befler, wie⸗ 
wohl keineswegs ganz, dem großen Juden Baruch Spinoza (geb. 1632 in 
Amſterdam). Bon Gartefius entlehnte er den Begriff der Subſtanz, ver- 
volltändigte ihn aber dahin, daß er alle näheren Beſtimmungen, weil dies 
jelben doch nur Negationen enthalten würden, von ihm ausfhlog. Den 
Dualismus des Carteſtus juchte Spinoza dadurch zu heben, daß er Denken 
und Ausdehnung (cogitatio et extensio) für die beiden einzigen Attribute 
erklärte, unter welchen der menſchliche Berftand die Subſtanz anzuſchauen 
vermöge, ohne daß doch Diele Attribute der Subflan; wirklich zukommen. 
Ulle Eörperlichen Dinge find nur Mobdiflcationen der Ausdehnung, alle gei- 
fligen Individuen nur Modificatiouen des Denkens. Gegenfeitige Einwir- 
fung des Körperlihen und des Geiſtigen auf einander fchließt Spinoza 
firenge aus; fte ift bloß ein das menſchliche Vorftellen täufchenter Schein. 
Dagegen findet zwiichen der Ordnung und dem Zuſammenhang der förper- 
lichen Dinge einerſeits und der geifligen Dinge andererſeits eine vollftändige 
Uebereinftimmung flatt, jo daß z. B. jede Veränderung im Körper einer 
Veränderung In der Seele, und jeder Zuftand der Seele einen Zuftande 
tes Körpers entſpricht, weil ja Körper und Serle eigentlidy in der Subſtanz 
daſſelbe find, nur unter verfchiedenen Uttributen angefchaut. Seiner Sub⸗ 
ftanz, deren Begriff das alleinswahre Sein tft, ſpricht Spinoza, obwohl er 
fie Gott nenni, alles Selbftbewußsiein und allen Willen ab. Da der 
Menſch nur aus zwei Modiftcationen befteht, nur eined ter zahllofen ver⸗ 
fhwindenden Momente der Subflanz if, fo hat er Eeinen freien Willen, 
jondern iſt von allen Seiten ber determinirt (zum Wollen und Handeln ge= 
zwungen). Gonfequent hebt Spinoza auch den realen Unterjchied zwiſchen 
Gut und Böſe auf. Böſe oder Sünde nennt der Menich nur, was einem 
ihm feſtſtehenden Begriffe von Vollkommenheit nicht entſpricht; dad Voll 
fommene aber ift die Subſtanz, ohne welche auch das Böje nicht geſchieht. 
Erkenntniß und Liebe Gottes ift die höchſte Tugend, zugleich die wahre 
Seligfeit. Mit dem Tode hört die Individualität, das Selbfibewußtfein 


303 


der Seele auf, da fa bie Zerſtörung des Leibes auch Die Auflöfung der 
Seele, als ihrer entfprechenden geiftigen Modification, zur Folge haben 
muß. — Carteſius und Spinoza übten auf die philoſophiſche Auffaffung ber 
Religion feinen unmittelbaren Einfluß. Diefer ift erſt fpäter, mit der 
Wiebererwedung Spinoza's durch Schelling, mit Macht Hervorgetreten. 
Dagegen haben die gleichzeitigen englifchen Freidenker auf die philoſophiſche 
Behandlung des Chriſtenthums um fo bedeutender eingewirkt. 


10. 


Die Entdeckung Amerika's (1492) und des Seeweges nach Oftindien 
(1498) hatte den Geſichtskreis der chriſtlichen Nationen erweitert und die 
Erde aus einer flachen Scheibe unwiederbringlich in eine Kugel umgewandelt. 
Kopernicus ſodann (geſt. 1543) hatte es gewagt, die Erde um die Sonne 
kreiſen zu laſſen und damit der menſchlichen Eitelkeit, welche das von ihr 
bewohnte Sandkorn als den Mittelpunkt des Weltalls betrachtete, einen ge⸗ 
waltigen Stoß verſetzt. Kepler ergründete eben die Geſetze der Planeten⸗ 
bahnen, Galilei aber erfand das Mikroſkop, richtete zuerſt das Teleſkop 
nach den Geſtirnen und ward der Vater der Phyſik, als Bacon von Veru⸗ 
lam (geb. 1561) das Syſtem der Wiſſenſchaften reformirte, indem er die 
Philoſophie auf die Erfahrung zurüdführte, alle Weltanſchauung auf er- 
fahrungsgemäße Naturpbilofophie gründete und den ganzen Wuſt abſtracter 
Theorien und überlieferter Vorurtheile aus der Philoſophie verbannte. Da⸗ 
durch ward ſowohl der kirchliche Autoritaͤtsglaube tief erſchuͤttert, als auch 
die Freiheit des Denkens wieder hergeſtellt. Es konnte daher nicht fehlen, 
daß ſich das befreite Denken auch an die Kirchenlehre und an die geoffenbarte 
Religion ſelbſt machte. 

Die engliſchen Freidenker legten zuerſt mit vollem Bewußtſein die 
Vernunft als oberſten Maßſtab an ten Offenbarungsglauben 1). Der Erſte 
unter ihnen iſt Herbert v. Cherbury (geb. 1521). Ueber das Verhältniß 
des Glaubens zur Vernunft ſprach er folgende Anſicht aus: „Beide haben 
ihr eigened Gebiet, und der Glaube kann nur dad Anjehen haben, welches 
ihn die Vernunft zufpridt. Er kann nur dann feſtſtehen, wenn er ber 


nn | 


41) Ausfuͤhrliche Darlegungen des englifchen Freidenkerthums geben, wie befannt, 
Schloffer (Gefch. d. 18. Jahrhunderts, Bd. 1.), L. Noack (die Freidenfer in der Re⸗ 
ligion,, Bo. 1.), 9. Hettner (Literat:irgelch. d. 18. Jahrhunderts, Pb. 1). 


304 


Bernunft nicht zumiderläuft und den Schuß der Priefter verbient nur ber- 
jenige Theil feines Inhaltes, welcher aus ten Grundlehren der rechten Ver⸗ 
aunft zufammengefegt if.“ In Folge diefer Anficht hat Herbert 5 Grunds 
artifel der Vernunftreligion aufgeftellt, von denen er behauptete, daß fle 
den Kern des Ghriftenthung enthalten. Da wir bier unter den englifchen 
Freidenkern nur Locke und Tindal einer nähern Betrachtung unterwerfen 
können, fo wollen wir die Stellung der Uebrigen zum Chriſtenthum in 
Furzen Sägen bezeichnen. Thomas Hobbes war ein Päpftler im Sinne der 
anglikaniſchen Kirche. Er geftand nämlich einzig dem Staatsoberhaupte 
das Recht zu, Megel und Richtſchnur für die Auslegung der heiligen Schrift 
aufzuftellen. Nur foweit follte die Autorität der Offenbarung gelten, als 
fle durch die Autorität de8 Souverains geheiligt werde. Blount wollte Fein 
Wunder ohne Prüfung der Gewährsmänner glauben. Entfchieden wurden 
die Wunder und Weifjagungen der Schrift beftritten von Collins (welcher 
ben Namen „Breidenfer * (Free-thinkers) aufgebradyt bat), Woolfton und 
Annet, während Toland die betreffenden Stellen für bloße Erziehungsmite 
tel der Vernunft erklärte. Shaftesbury faßte als das Weſen des Ehriften- 
thums die Sittlichkeit, von welder alle Glückſeligkeit abhänge. Chubb 
fuchte als eigentliche Lehre Chrifti nachzuweiſen, dag Nichts als die Ueber⸗ 
einftimmung der Seele und tes Lebend mit der ewigen Megel des Rechten 
den Menfchen Gott angenehm machen könne; daß wir uns, von diefer Ne- 
gel abgewichen,, einzig durch Buße und Beflerung der göttliden Gnade ver⸗ 
fihern können; daß endlid Bott die Welt mit Gerechtigkeit richten und 
Jedem nach feinen Werken vergelten werde. 

John Locke (geb. 1632) beftritt die Behauptung des Carteflus, daß 
es angeborene Ideen gebe, und lehrte, daB die Seele ihren ganzen Inhalt 
den Eindrüden zu verdanfen habe, weldye die materiellen Dinge auf fie ma= 
hen. Aus ten einfachen Ideen, welche der Berftand theild durch die Sinne, 
theils durch Reflerion erhält, bilden fi) die zufammengefeßten der Mori 
(3. B. des Raumes, der Zeit und des Denkens) der Subftangen und Ver⸗ 
hältniffe. Aus den einfachen und zufammengefegten Ideen bilden ſich die 
Erkenntnifſe. Zur Offenbarung ftellt ſich ſein Syſtem alfo: „Eine Offen- 
barung kann Feine neuen Vorftellungen geben und die Nefultate der Ver 
nunff , nur beſtäͤtigen, aber nicht widerlegen; im Gegentheil Hat die Ver⸗ 
nunft. allein. zu entfcheiden, ob etwas für Offenbarung Ausgegebenes wirf« 
lich Offenbarung. fei oder nicht." — Nach den die Stügen des Autoritäts- 


glauben® zerflörenden Arbeiten feiner Borgäuger begann Matthäus Tindal 
(geb. 1656) den Aufbau des erften deiſt i ſchen Syſtems. Wan erflärt 
oft für Deismus die Anfiht, daß Bott feit der Schöpfung nicht mehr un⸗ 
mittelbar, fondern nur durch die ein für alle Mal gegebenen Naturgeſetze 
und Naturfräfte in der Welt fortwirke, gleich einem Uhrmacher, der eine 
nur einmal des Aufziehens bebürftige Uhr zuwege gebracht und ihre auf- 
gezogene Mafchine dann ſich felbft überläßt. Doch diefe Nnficht läßt ſich 
weder in Tindald, nod in Morgans und Bolingbroke's Werken nachweifen. 
Bollkändig entwidelt haben wir fie erft in dem von K. Bogt aus dem Eng⸗ 
liſchen überfegten Buche „Natürliche Gefchichte der Schöpfung“ gefunden. 
Bielleiht haben die Gegner Tindals Anftchten bis zum läppifchen. Epiku- 
raͤiomus entftellt nur in der. Abſicht, jeine Behauptungen betreffend die Of⸗ 
fenbarung Gottes, die Erhörung des Gebets u. f. w. lächerlich zu machen, 
Betreffend die Offenbarung lehrt er: „Obwohl Gott fein Geſetz durch Chri⸗ 
flus äußerlich verfündigen ließ, fo hat er e8 doch noch beftändig allen Men⸗ 
ſchen, ſowohl Chriften als Nichtchriſten, ind Herz gepflanzt." Hinſichtlich 
des Gebetes hebt Zindal hervor, der Menſch könne durch daflelbe die ewige 
Weisheit nicht beftimmen, wie fte bei ihrer Fürforge für alle Geichöpfe han⸗ 
dein folle, noch Gott überreden, bie ewigen Geſetze zu ändern, bie er vor 
der Weltfchöpfung feftgeftellt habe. um alle Dinge in ihrem georbneten - 
Gang zu erhalten. Die Unveränderlichkeit des Naturgeſetzes, weldes 
Zindal zufolge Bott felbft niemals übertritt, war den Wundergläubigen 
natürlich ein Dorn im Auge; noch mehr, daß Zindal.offen erklärte, er 
wolle zwar die Dreieinigfeit Gottes und die Gottmenſchlichkeit Ehrifti nicht 
läugnen, fet aber doc) nicht gefonnen, Etwas zu glauben‘, was nicht die 
Brüfung der Vernunft aushalte. 


11. 


In Deutfchland if das Freidenkerthum aus den freieren Elementen 
der Reformation hervorgegangen und Hat ununterbrochen feine Bertreter 
gefunden bis auf den heutigen Tag. Wie kühne Behauptungen ſchon vor 
Zutgers Zeit audgelprochen wurden, zeigt dad Beiſpiel des Hermann Ryofi⸗ 
wyk, welcher in den Niederlanden die Anftcht verbreitete, weder Chriſtus 
fet Gottes Sohn, noch die Bibel ein göttliches Buch, das ganze Chriſten⸗ 
thum vielmehr Thorheit und Unfinn. Unter den Freidenfern der Reforma⸗ 
tionszeit ift beſonders Sebafttan Brand hervorzuheben, welcher die Bernunft 

Gere, Gef. d. Religion. U. 20 


für das innere uud. eigentliche, Die Sibet nur für daS äuferlihe Wort Got⸗ 
ted erllänte, in dee Vibel Nichts fir Gottes Wort anetannte, als was dem 
twwers Gotteßtwons bee iprnunfs entipeedie ,, und daher ber Buchfinben Den 
@chrift „des Irufela Sig, Gieg und Schwert.” nannte, im Begenfag zu 
Suther, der Die Bernumfs „des Keufeld Gerne ſchalt. 

Da die Leibnit ⸗Wolſſche Philaſoyhie auf das deuiſche Freidener ihnm 
in feiner Geſtalung als Naturaliamus feinen Einfluß geübt hat, fo wollen 
wir bie Geſchichte deſſelben fortſegen, bevor wir zu Leibniigz übergehen. 
Die von Mathiak Kauten geſtiftete Partei der Gewiffener (um 1872) 
wollte das Gewiſſen alo die albeinige Quelle bes Religion auexfenuen. Kau- 
rad Dippel (geb. 1073) forderte auf zu freier Schriftauslegung durch Yen 
heiligen Grit, dor jedein Ausleger fort und fort fich mittheile. Die che 
bang der Dernunfs über bie Bibel ipracı Edelmann (geb. 1698), der nich 
umgetriebene Obyſſeus ter beutichen Denfircibet im 18. Jahrhundert, am 
sohtommenfien aus. „Zur Regel meines Glaubens und Lebens“, ſprach 
eo, „IM mir Nichts als die Vernunft gegeben.“ „Wo ihr nicht den Ich 
gen Bott andens konnen lernen wollt, ald ihn ewere Hexenlaterne, die Bio 
bei, faſt durchgehendo heſchreibt, fo werdet ihr ihn nimmermehr kermes 
bernen.* Edelmanns Grundanſicht ſtützt ſich auf Verallgemsinerung Des 
johannetfhen Logodolehre:· „Der Logos, welcher von Anfang hei Gott war, 
MR nicht bloß in Jeſu, fontern in allen Menſchen Fleiſch geworden *1). 

Eine vollflännig abgerundete, son der Theologie ganz unabhängige 
Weltanſchauung tritt um& nad. Spinvza's Shſtem ſofom in dein Leibnitz ſchen 
entgegen. Gottfried Wilhrim Leibnitz. (geb. 1646) ging in feiner Mona⸗ 
denlehre war ebenfulld, wie Syinoza, vom Begriffe der Subſtanz aus, de⸗ 
finirte jedoch denſelben ganz anders. Die Subſtauz iſt nach Leibnitz thätige 
Kraft, welche nach allen Seiten hin abſtoßend wirft, daher reine Individua⸗ 
litaͤt Monade. Er dachte fich eine unendliche Vielheit von Monaden, weil 
das Sein einer Anbinidualität dad Sein unendlich vieler anterer Indivi⸗ 
Iuaßteten vorausfege, und bie Monade ſelbſt als. unendlich Kleines, ale 
Put. Die Gottheit iſt ebenfalls Momabe, aber diejenige, deren ſchöpfe⸗ 
riſcher Wille alle übrigen Monaden durch Ausſtralung (.Efulguratien“) 

1). Da haben, wir alio ſchon den „idealen Chriſtus“ des David Friedrich Strauß 
Nichts Neues unter der Sonne! Reichlichſtes Material zur Kenniniß und Beurtheilung 
Dippels und feiner Nachfolger liefert dir „Bibliochek der deutſchen Auſrer des 18. 
Jahrhunderts“ von Martin v. Geiſmar. 


37 


ſchafft. Je nachdem eine Monade der göttlichen Vollklommenheit in höherem 
oder geringerem Grabe theilhaft iſt, beſitzt fie eine hellere oder truͤbere Vor⸗ 
ſtellung vom ganzen Univerſum, iſt fie ein hellerer oder trüberer Spiegel 
beffelßen.. obwohl fie gegen alle übrigen Monaden vollfommen abgeichkoffen 
bleibt. Da alle Veränderungen in einer einzelnen Monabe von Gott aus⸗ 
gehen, jo muß ſich das ganze Unizerfum darnadı richten, daher 3. B. jeder 
Beränkerung in der: menſchlichen Seelenmouade eine ähnliche Veränderung 
in den Monaden des Körpers entiprechen. Darin befteht die von Leibnig 
jo genannte präflabilirte Garmonie. Der legte Zwed der Weltfchöpfung 
ift Die Errichtung eined Gottesreiches. Diefen zu erreichen, flimmt Die Has« 
monie bed Nasurreiched mit der Harmonie der moralifhen Welt zufammen 
zu einer höchſten Harmonie, Eraft welcher das Gute ſtets belohnt, das Böſe 
ſteis beftraft wird. Da nun die ganze Welrharmonie im Dienfte des Guten 
ſteht, fo ift die vorhandene Welt die befle, bie gefchaffen werben konnte 
(Optimismus). Von den angeborenen Ideen lehrt Leibnitz, fie ſeien nur 
ber Anlage nah in der Seele enthalten. Die Seele tft als Subftanz 
unfterblih. Das Böfe läßt Gott nur zu, weil ohne daſſelbe weber fltt- 
liche Freiheit noch Tugend eriftiren Eönnen. Es tft nichts Neales, ſondern 
geht aus den obenerwähnten größern oder geringern Unvollkommenheiten 
der Monaben hervor und kann demnach die Weltharmenie nicht flören. — 
Ehriftian Wolf (geb. 1679) bat viele Gedanfen von Leibnig in fein Syſtem 
aufgenommen, die Monabologie jedoch bedeutend abgeändert. Gr umfaßte 
alle Wiffenfchaften zu einem Syſtem der Philoſophie, welches er in einzelne 
Disziplinen zergliederte. Die Haupttheile feines Wiflenfchafteniofems find 
die theoretifche und die praftiiche Philaſophie. Zur erſtern gehört bie 
„notüriche Theologie *, ald deren Stifter Wolf befonders großen Einfluß 
erlangt bat. Da er bie Philofophie befkimmte als die „Wiflenichaft tes 
Möglichen“, d. h. Defien, was feinen Widerſpruch enthält, ſo fuchte er die 
Theologie weſentlich auf diejenigen Lehsen des Chriſtenthums zu beſchränken, 
welche einander nicht widerfpzechen. Die Wolflaner, unter denen Bilfinger, 
Baumeifter, Baumgarten und Meier zu nennen find, fuchten die Vhiloſophit 
ihres Meifters in den einzelnen Disziplinen auszubauen. Die Theologen 
von Wolffcher Richtung behaupteten die Nothwendigfeit des philofophifchen 
Beweifes für die Kehren der Grifflichen Meflgton. 

Un die populär gewordene Wolf'ſche Philoſophie ſchließt Eh Sie 
beutiche Yaurflärung, Freiheit von. jehem Autoxitätszwange in religlöſen 

20* 


308 


und wifienfhaftlihen Dingen war ihre Loſung, die Glückſeligkeit des Indi⸗ 
viduums der Zweck ihrer Forſchungen und Beftrebungen. Daher ward bie 
Unfterblichkeitöfrage beſonders lebhaft beſprochen (Moſes Mendelsſohn), 
das Chriſtenthum als Gluͤckſeligkeitslehre dargeſtellt (Steinbart), das Moral⸗ 
lehren in der Philoſophie (Garve, Engel) und auf der Kanzel Mode 2), über 
das hiſtoriſche Chriſtenthum aber ein merfwürbiger Wirrwarr von Meinun⸗ 
gen Toßgelafien. So ftellte Reimarus (1694 — 1765), Verfaſſer der 
„Wolfenbüttler Fragmente“, das Unternehmen Jeſu als einen verfehlten 
Empörungsverfuch dar, welcher dann durch eine vorgebliche Auferftehung zu 
Ehren gefommen ſei. Wünfch Hielt Iefus für einen redlichen Schwärmer, 
der ein Opfer feiner Täufchung geworden, Venturini übte feine Phantafle 
in der „natürlichen Befchichte ded großen Propheten von Nazareth". Die 
Sittenlehre des Chriſtenthums Hat Mauvillon (1787) angegriffen. Der 
Philoſoph Eberhart flellte Sokrates und Ehriftus auf eine Linie. Bahrbt 
endlich wollte das Chriſtenthum wieder bei den PHilofophen „zu Ehren 
Gringen* dadurch, daß er in feinen Briefen über die Bibel Alles, was ind 
Gebiet des Wunderbaren flteifte, befeltigte. — Ueber biefe werfeltägigen 
Aufklärer erhob fi das auffläreriiche Genie eines Leſſing, wie ſich der 
Thurm einer gotbifchen Kathedrale über an feinem Fuße Elebenden Trödel» 
buden erhebt. Leffing war auf allen Bebieten feiner umfaffenden wiffen- 
ſchaftlichen Thätigkeit derfelbe Eenntnißreiche, Elare, maßvolle und humane 
Mann. Die Krone feiner theologifchen Autorſchaft bilden jene unvergleich⸗ 
lichen, bie befte deutſche Profa enthaltenden, durch die Herausgabe der 
Molfenbüttler Bragmente (1774) veranlaßten Streitfchriften gegen den 
Hamburger Hauptpaſtor Götze. Er machte darin geltend, daß das Chriften- 
thum äfter ſei, als das erft innerhalb der Kirche entflandene neue Teftament, 
welches er als einen bloßen Bauriß des chriſtlichen Glaubens bezeichnet. Er 
tadelte das einfeitige Feſthalten der Broteftanten an dem gefchriebenen Wort, 
wodurd der lebendige Geiſt der Kirche zu fehr In den Hintergrund gedrängt 
worden ſei. ine abgerundete theologifche Anficht Hat Leffing übrigens 
bekanntlich nicht aufgeftellt. Zu feinen Grundgedanken gehört, daß er die 


2) Rifolai, der Typus der Aufklärung in der Bluͤthe ihres utilitarifgen Proſais⸗ 
mus, zeichnet in feinem „Sebaltus Nothanfer“ folgendes Ideal eines Pretigers: „Er 
(diefer Brediger) war beftändig befliffen,, feinen Bauern zu predigen, daß fle früh auf: 
fließen, ihr Dich fleißig warten, ihren Acker und Garten aufs Beite bearbeiten follten. * 


309 


Dffenbarung nicht als eine fett beftimmter Zeit abgeichlofiene, fondern als 

fortwährende, flufenweife Erziehung des Menfchengeihledhts durch Gottes 

Geiſt betrachtete. Leſſing ift für Deutſchland und die Welt der eigentliche Vor⸗ 

läufer und Wegbahner einer tieferen und ideelleren Geiſtesrichtung geweien. 
12. 

Bon Locke's Senjualismus ging Eondillacs (geb. 1715) Syſtem aus, 
welches weſentlich in dem Verſuche beftand, die ganze geiftige Thätigkeit bes 
Menſchen als eine flufenweile Entwiclung ter finnlihen Empfindung dar- 
zuftellen. Er nannte den Menſchen das vollfommenfte Thier, jedoch ohne 
die Materialität der Seele zu behaupten oder das Dafein Gottes zu Täugnen. 
Charles de Bonnet (geb. 1720) leitete durch die Behauptung, alle menſch⸗ 
liche Seelenthätigfeit jei bloße Bolge der Nervenbewegung, den Senfualis- 
mus zum Materialismus hinüber. Die moralifhen Confequenzen des Ma⸗ 
terialismus zog Helvetius (geb. 1715), indem er auch den fittlichen Willen 
der finnlihen Empfindung unterwarf und die Selbftliebe zum Brinzip 
aller Moral erhob. Den Materialidömus vollendete La Mettrie (geb. 
1709). Die Seele, behauptete er — die Seele iſt der denkende Theil des 
Körpers, das Gehirn. Mit dem Tod ift die Voſſe ausgefpielt. Der Glaube 
an Gott hat keinen vernünftigen Grund ; nur durch den Atheismus Tann bie 
Welt wieder glüdlih werden. Die von Diderot und d'Alembert heraus⸗ 
gegebene philofophifche Encyklopädie wandte die Weltanichauung auf alle 
Berhältndffe des Lebens an, freilich mit jener Delicatefie, ohne welche man 
den Sranzofen Nichts plaufibel machen kann. Dem Allem fügte der durch 
Mevifton tes Calas'ſchen Prozefied zuerft berühmt gewordene Voltaire 
(1694— 1778) feinen beißenden Spott, feinen von Esprit funfelnden Wig 
über die dogmatifchen Lehren des Chriſtenthums, über die Perſönlichkeiten 
und Wunder der Bibel bei, fo daß jene Revolution, in deren Verlauf das 
Chriſtenthum abgeichafft wurde, in der öffentlichen Meinung Frankreichs bie 
kraͤftigſten Keime anfegte 1). Die Deutfchen, bei deren höhern Ständen 


— — eier —— 


1) Voltaire's Haß gegen das kirchliche Chriſtenthum ſteigerte ſich bekanntlich zu 
dem Wuthwort: ‚‚Ecrasez !’infame!‘* Der Diderot'ſche Bere: 
Et des boyaux du dernier pretre 
Serrer le cou du dernier roi — 
führte diefes Thema weiter aus, weldyes aus der Theorie in die Praxis zu überiegen, 
die franzöfifche Revolution alles Ernftes verfucht hat. Wie Jedermann weiß, war übris 


310 


fett Ludwig XIV. franzöftiches Wefen für guten Xon galt, nahmen den Bot⸗ 
tairismus mit Vergnügen auf, und während Friedrich der Große in diefer 
Binſicht ziemlich Flein war, meinten die übrigen deutſchen Nachahmer da⸗ 
durch groß zu fein. Die Voltaire'fche Weife, Über Das Religiöſe zu ſprechen, 
hatte übrigens ſchon vor ihm der Englänter Bolingbrofe angeftimmt, nur 
bat Voltaire ernfllicher auf den Glauben an Gott und Linfterblichkeit gehal- 
ten, als jener Philoſoph der Blaftrtbeit, welcher die Kirche nur als Staats⸗ 
inftitut, vie hriftliche Meligion nur als Zaum und Zügel des ungebilbeten 
Poͤbels gelten ließ. 

Der aufrichtigſte und genialſte aller franzöſtſchen Philoſophen diefe® 
Zeitalters iſt Iran Jacques Rouſſeau (geb. 1712). Ungeachtet feiner 
großen @infeitigfeit in Würdigung der menſchlichen Gultur und in ten 
Brundfägen der Erziehung, iſt er nicht nur ein wahrer Apoſtel Des anges 
borenen Menſchenrechtes geworden, fordern fein Idealismus hat audy zugleich 
ein wohlthätiged Gegengewicht gegen Den Alles blafirenden Matertaliömuß 
gebildet. Als ein Mann von Gerz, dem bie Religion und das Denken zus 
gleich Sache des Herzend waren, hat er bie ernften Angelegenheiten ver 
Menſchheit ftets mit einer Würde beiprochen, vor welcher Voltaire und die 
Materialiften beihämt flehen mußten. ®ott, fittliche Freiheit und Unfterb- 
lichkeit der Seele Hält ex feſt, betrachtet Das Leiden und Sterben Chriſti tt 
tiefer Verehrung, und betreffend die unbegreiflichen Stellen des Evangeliums 
räth er jene Befheidenheit an, weiche hienieden auf völlige Gewißheit ver⸗ 
zichtet, in der Hoffnung, jenfeitd zum Schauen zu gelangen. Freilich nimmt 
er bei Alledem ten übrigen Reltgionen gegenüber eine ähnfidye Stellung ein, 
wie Leffing in feinem Nathan: Alle Religionen find tem Bildungsltende 
jedes Volkes angemeſſene Heilsanſtalten. Jeder foll nad feiner Religion 
leben. Damit übereinſtimmend ließ auch ber alte große Fritz, Jeden nach 
feiner Facon felig werten *. 


13. 
Die Borläufer der Tranfcendentalphilofophie, an welche der Begründer 


ber legteren, Kant, unmittelbar anfnüpfte, waren der Schotte Hume (geb. 
1711), welcher dad Ich, die Seele, für eine Einbildung erflärte, und der 


gens der Spötter Voltaire auch zugleich Prophet. In feinem befannten Briefe an 
Ehauvelin (dat. vom 2. April 1764) hat er die Revolution des Beflimmteflen vor: 
hergefagt. Ich komme im folgenden Kapitel auf Boltaire zuruͤck. 


Year Berkelch (geb. 1088), wilder bloß vonfektden Weſen wirkliche Eriſten; 
yeidwicb, abe koͤrperlichen Dinge dagegen flir weimeinfe, durch Bstt gewitkie 
Bestellungen hielt. Inmanuel Rant (geb. 4724 zu Königsberg) legte fein 
vrhiloſovhiſches Syſtem nieder in einer Meihr von Merken, als even widhtigfie 
he „Mritif ber reinen Veruunft“ amd vie „ Kritik der vaaltiſchen Bernanft * 
gu betrachten find. Wie wir aus feinen „Vreiegomena* jehen, if Kent 
vornaͤmlich durch Die Unterjudumg Hume's über den Wegriff. von Urſache 
und Wirkung zu feiner „Kritik des Erkenntnißvermögens“, Deren Reſultat 
et Ten „Teanicendentaden Idealiemus“ nennt, geführt worden. Der Gtund⸗ 
gedanfe feines Syſtems beftche Darin, daß wir in uns sinerfeitd Dentformen 
vorfinden, welche nicht ans ber Erfahrung hersorgehen, dieſelbe vielmehr 
Überfleigen (daher Die Bezeichnung „tranfcenbental‘*), daß wir aber anderem 
fine Die reale Griſtenz einer Außenwelt auzunehmen Durch die Grfahrung 
gezwangen werden, jedoch nicht im Stande And, deren Brfßandtheile, die 
Dinge an ſich, im ihrer Weſenheit zu erfermen. Zu Den ſubjertiven Denb 
formen gehört unter andern auch das Verhältniß von Urſache und Wirkung, 
Da jede Erfenntnig aus Erfahrungsſtoff und Darauf angewenbeter Denke 
form beſteht, fo gibt es feine aus bloßem Denfen gewonnene Erfenntniß und 
jo gehört indbejondere die Erfenntniß des Ueberſinnlichen ind Gebiet der 
Unmoͤglichkeit. Was von der zeimen Beruunft ansgefchlofen werben muß, 
das Ueberſinnliche, finder aber feine Heimat im Gebiet ver praftifchen Men 
wanft, welcher wicht die Erbenntuiß, fondern ber Wille, die erfahrungagemäß 
vergefundene firtliche Freiheit, angehört. Die Uwtesjschmeg über Die Rich⸗ 
eng, welche ver Wille annehmen foll, führt zumäft anf den „ latrgorkſchen 
Inperatio*, d. h. Die innere Nöthigung zum Guten, ſodann auf bad höchſte 
Bat als Birk bed Willrns. Das hürhſte But, beſtehend in ber mit höchſter 
Glückſeliakeit verbumtenen höchſten Tugend, erfordert ga feiner Realiſirung 
einerfeks vie Unfterblichkeit der Geele, andeverfrits das Dafrin Gottes, ala 
des Urcheberd der natürlihften und fittlichen Weit, als deu whetften Intellis 
genz, welche unfern ſittlichen Baftand fenut ımd uud darnach vergilt- 

Was Kants übrige religisie Grundſähe angeht, je hut er dieſelden im 
einem beſondern Werke: „Die Religion innerhalb der Granzen ber zeinen 
Beraunft” — zufammengefaßt. «Gier ‚gründet er die Religion dutchweg 
auf vie Moral, erklaͤrt den hiſtvriſchen Schalt der Schrift Für gleichgültig, 
den mornlifchen für die Hauptſache und flellt ald das Weſen aller religiöſen 
Entwicklung ven allmäligen Uebergung vom Kirdenglauben zum WBernunfle 


818 


glauben hin. — Unter. den Anhängern bes Kantiſchen Kriticismus, welder 
das Syſtem weiter ausbauten, haben fih Reinhold, Fries und Rrug am 
meiften audgezeichnet.. Der Kantianismus bildete ſich aber auch eine ſtarke 
Partei unter den Theologen. Der Rationalismus Der. Wolfichen Theologen, 
mit dem der Kantianer vereinigt, trat nun erft recht in entſchiedenen Gegea⸗ 
fag zum Supranaturaliömus und jo flanden ſich damald zwei große Theo⸗ 
logenparteien gegenüber: die rationaliftifche, welche alles nicht Ra⸗ 
tionale ausſchied, mit .einjeitig moralifirenter, und die fupranaturali«- 
ſtiſche, welche das biftorifche Chriſtenthum als übernatürliche Offenbarung 
fefthielt, mit einfeitig dogmatifirender Richtung. Den Rationaliömud ver» 
traten als Dogmatifer Wegicheider und Brerjchneider, Röhr mehr ale 
Sournalift. — Den auf Bernunft und Willen gerichteten Prinzipien Kants 
gegenüber juchte Jakobi (geb. 1743) auch das Gefühl wieder in feine Rechte 
einzufegen. Er behauptete die Möglichkeit einer Erkenntniß bed Ueber⸗ 
finnlihen und fuchte diefelbe zu erweiſen durch Annahme der auf Nöthigung 
des Gefühle berupenden „VBernunftanfchauung *, welche freilich im Grunde 
als ein ganz Unbeſtimmbares ericheint, 


14. 


Der tranfcendentale Idealismus Kants entwickelte ſich zunächſt ein⸗ 
ſeitig zum ſubjeetiren Idealismus des älteren Fichte (geb. 1762), welcher 
einfach darin beſteht, daß Fichte nur das Ich als real annimmt, die ganze 
Außenwelt hingegen zum weſenloſen Product des vorſtellenden Ich verflüchtigt. 
Das Cogito, ergo sum des Carteſius verwandelte er in den Satz: „Ich bin Ic 
und fege mich felbft *. Das unbekimmbare , Ding an fi *, welches Kant noch 
hatte ſtehen laſſen, warf er weg und faßte das Ich als fich felbft und alle Bilder 
der Außendinge, legtere in Form des Nicht⸗Ich, unaufhörlich erzeugend, als 
bad abjolute Werden, welches zugleich menfchliched Subject ift. Fichte bat dies 
unhaltbare Syſtem nachmals aufgegeben und in einen dem Schelling’ichen 
ähnlichen objectiven Idealismus umgewandelt. Schellingd Naturphilofophie 
war ihm aber hierin bereitd zuvorgefommen. Hatte Fichte das Ich zum abfo- 
Inten Werden gemacht, fo faßte Schelling ſeinerſeits das abfolute Werden als 
das Ih im unendlichen Sinne, d. h. ald das Weltih, welches in der Ratur 
als unbewußte Vernunft wirft, beiden Organismen zum Bewußtfein übergeht 
und im Menfden zum Selbfibemußtjein gelangt, Scellings Bhilofophie 
iſt zunaͤchſt Naturphilofephie. Die ſchiefe Richtung, welche er der Natur⸗ 


313 


wiſſenſchaft gegeben hat und weiche ‚auch das Genie feine® Schülers Olen 
micht zu rechtfertigen vermadhte, ſpricht fich beutli in. den Gägen aus: 
„Ueber tie Natur philefophiren, Heißt fo viel als bie Natur fhaffen *. 
„Die Darfiellung der Identität: der Natur mit der Ideenwelt iſt durch bie 
Naturphiloſophie zu leiſten“. Diefen Grundfag der Identität zwiſchen 
Sein und Denken, weldem bie Schelling’fche Philofophie au den Namen 
der Identitaͤtsphiloſophie verdanft, finden wir in. Schellingd Syſtem überall 
durchgeführt. In der Identität des Geiſtigen und Körperlichen beſteht im 
das Abſolute (Bott). Die.Ipentität des Seins und Vorſtellens, wo das 
Angeihaute zugleich das Anfchauende ift, macht das felbftbewußte Id aus. 
Die Weiterentwidlung ded Syſtems, wo das Abfolute bereitd als abjolute 
Bernunft (Identität des -Objectiven und Subfectiven) gefaßt wird, ift auf 
die Hinneigung Schelling® zu Spinoza zurüdzuführen. Zur Theoſophie 
endlich geftaltete fih feine Weltanfhauung durch dad Studium der My 
flifer , beionderd Jakob Böhmes. Nun ericheint ihm das Böſe als der 
menichliche Eigenwille, auf deflen Kampf mit dem göttlichen Univerſal⸗ 
willen die Gefchichte beruht, Chriſtus als dad menſchgewordene Prinzip der 
Liebe, welches den Willen. des Menſchen mit dem Willen Gottes verjöhnt, 
das Ziel aller menſchheitlichen Entwicklung als die vollendete Herrſchaft des 
Univerfalwillend, wo. Gott Alles in Allen fein wird. 

Der Umſchwung, welcher durch Schelling in der Philojophie eintrat, 
hatte in der Theologie ſchon mir Herder (geb. 1744) begonnen, ein Ein⸗ 
kehren ver Geiſter in die Tiefe, ein Stihabwenden vom Sfepticidmud und 
oberflichlicher Verftändigfeit sugleih. Herder hat durch feine rein menſch⸗ 
liche, Den @eift alter Zeiten durchdringende Auffaflung die Bibel wieder zu 
höherem Anichen gebracht, die Verwechfelung theologifcher Tehrmeinungen 
mit der Religion ſelbſt zu befeitigen geſucht, bie Religion zur Sache des 
Gemüths, des innerften Bewußtfeind gemacht. Feſthaltend an dem hiſtori⸗ 
ſchen Chriſtus, hob er an ihm mit Vorliebe das Menſchliche hervor und 
ſtellte das Goöttliche des Gottesſohnes gern in Geſtalt des menihlich Edlen 
und Liebenswürdigen dar. - Ein theologiſches Syſtem hat Herder jedoch fo 
wenig entworfen als Leſſing. Dieje beiden großen Männer konnten fih an 
dem Ruhm genügen laffen, den Humanismus des 18. Jahrhunderts am 
edelften wiflenfchaftlih zur Geltung gebradht zu haben. — Die Leffing- 
Gerder'ſche Richtung in der Theologie ſehte mit großem Erfolg Schleier 
macher (geb. 1768) fort. In freier Benugung Schelling'ſcher Brundfäge 


814 


machte er den Gedanken Ber Immanenz Sortes (das Imemchnen des göte- 
Uchen Weſens im der Weit) theslogüſch wirkſann und frgte Die Religion im 
tie Beſinnachelt des Gefühle, alle Wegehenheitn ale Haublungen Gottes 
vorgufteflen und Gott als lebendige Binheit Des AUs, fi sei aber won 
Alm gänzlich mbhängig zu übten. Was ihm um der Kircenlehre utıht Halte 
Gar ſchien, gab er kuͤhnlich auf, hielt Dagegen ale Grandiage des Chriſten⸗ 
ubams den hiftoriſchen Chriſtus ſeſt, wie er einſt geiebt habe, jegt noch 
verſoulich fortlebe und geiſtig einwirke anf die Kirche. Chriſtliche Religiv⸗ 
Maät it ibm, mit Chriſtus In Geiſtes⸗ und Herzendgemeiwichuft zu treten 
as in ihm zu loben. 


15. 


Unter allen philoſophiſchen Syſtenen Kat wohl das KHegel’fche den 
tefften und umfaifendfien Einflug auf die Entwidlung ber religtöſen 
Sven fih zu werichaffen gewußt. — Hegel (geb. 1770) begreift als Ba6 
Abſolute nicht mehr das Ich oder das Werden uber die Vernunft, ſondern 
Die Idee, welche in unmittelbarer Exifbenz der Lebendprozeß, in ihrer Diüffe 
song gedacht, das Wahre und Sute ik. Dieſes ganze Leben des Univerfwnd 
beſteht in der Selbſtentwicklung ver abſoluten Idee. Indem bie Idee fich 
ihrer ſelbſt entäußert, iſt fie die Natur. In des Natur entwidelt fie ſich 
ſtafenweiſe 618 zum Menichen empor, in welchem fie zum freien, vernünftigen 
Sch wird und ebenfalls frufenweiſe ihre Selbftbefreiung zum ſelbſtbewußten, fltt« 
lichen Geiſte vollbringt. Die Selbſentwicklung ber Idee innerhalb der Natur 
bat die Naturphiloſophie, die Selbſtentwicklung ber Idee tm Menfchen Hat 
Die Geiſtesphiloſophie darzuſtellen. — In Recht und Staat erfheint bie 
abſelute Idee ald der objeetive Geiſt. Im Staate iſt die Geſammtheit ber 
Dwoect, der Einzelue dad Mittel, der Staat daher, indem er die Handlungen 
wer Einzeinen beauffichtigt und leitet, ber ſtitliche Geiſt. Inſofern ericheint 
Die Weltgeſchichte (die Geichichte der Staaten in ihrer Wechſelwirkung) als 
der Entwicklungsprozeß des ſtitlichen Geiles: „Die Weltgeſchichte iſt ons 
Betgeriht*. — Zum abſoluten Geiſte wird die Idee in Kunſt und Reli⸗ 
gion, durch jene koinmt fbe zur Anſchauung, durch biefe zur Vorſtellung. Des 
Veſtimmung gemäß, dafı das Beten aller Biligkon in der Berfögnung bes 
Endlichen mit dem Unendlichen, des Menſchen mit Gott, befieht, unterſchei⸗ 
der Hegel drei Staufen der Religeon: Die Matmreligion, im welcher Gott 
noch weientitch als Naturmacht erſcheint; die Keligion ber gelftigen Indisi⸗ 





315 


dualitaͤt, in welcher die Sottheit entweder als Eine ober als mehrere geiftige 
Individunalitaͤten erfägeint (Juden einerſeits, Romer und GSriechen anderer 
ſeits); die abſolute Religbon, dad Chriſtenthum, welche die Werfähuumg 
gwiſchen Bott und Menſch vollzieht, indem fle das Göusfiche und Menſchliche 
in dem Gottnenfchen Ehrifius vereinigt und Bott offenbart ald den ficdh 
ſelbſt Entaͤußernden (Bater), als den aus feiner Allgemeinheit und Unend⸗ 
Achkeit in die Beflimmung Der Endlichkeit Herausgetretenen (Sohn) und 
48 den auß diefer Entäußerung zu ſich Zurückkehrenden Cheil. Geil). Se 
RR benn die Dreieinigfeit nur die abfolnte Idee In Form des Vorſtelleus. 
Daher die Hegel’ihe Oruntanfiht: Man fege an die Stelle ber Vorftellung 
den reinen Begriff, jo erfennt man dad Chriftenthum und die abfolute Phi⸗ 
Tofophie ald Ein umd Daſſelbe. | 

Unter Hegeld zahlreihen Anhängern und Schülern haben, während 
Herbart leibnigifche und Eantifche Prinzipien eigenthbümlich weiter bildete, 
Daub uud Rofenfrang befonderd Dad Gebiet der Pipchologie, Band die 
Mehtsphilofophie, Henning die Logik, Hotho, Bifkher und Ruge die Aeſthe⸗ 
it, Michelet Die Moral umd Geſchichte ver Vhlloſophie, Strauß, Fenerbach 
und Marheinecke die Meligionsphilofophle bearbeitet. Die Schule hat ſich 
aber in eine rechte und linke Seite getheilt. Die Hegelianer der Linken, 
auch Jungbegelianer genannt, find jelbfiftandig über Hegel hinausgegaugen. 
Beſonders Strauß, Beuerbah und Ruge. Dieſer vornebmlid ale Hand» 
huber einer glänzenden Kritik, deren Organ die „Halliſchen“, nachmalb 
„Deutſchen“ Jahrbücher waren und welche vom theologiſchen, philoſophi⸗ 
ſchen und literariſchen Gebiet allmälig ſehr einflußreich auf das politiſche 
und ſoziale hinübergriff, bis alle bisherigen religiöſen, philoſophiſchen, 
(dievamiichen , volitijchen und ſoezialen Standpunkte glüdlid „überwunden ® 
wıren, d. b. auf Dem Papier. Aus feiner Meligionsphiloiophte zu 
fchließen, hatte Hegel (das behaupten auch die Hegelianer der redhten Seite) 
an der hiſtoxiſch wirklichen Erſcheinung Chrifti feftgehalten. Strauß dagegen 
het die Perſon Chrifti ald eine nie dageweiene, fondern als eine nur my⸗ 
chiſch entflandene dargeſtellt. Chriſtus tft ihm Die bloße Idee der Gottinenſch⸗ 
lichkeit im Gewand des religiöſen Mythus und, von dieſem Gewand ent⸗ 
kleidet, niemand Anderes als die mit dem Abſoluten ſich Eins wiſſende 
Menſchheit. Es war der Evangelienkritik der Tübinger Schule (Chr. Baur, 
Schwegler, Zeller) vorbehalten, einen hiſtoriſch wie llicen Jeſus wieder an 
die Stelle dieſes idealen zu fegen. 


316 


Zubwig Feuerbach endlich hat ſich gänzlich von aller biäherigen, au 
von der Hegel'ſchen Philoſophie loßgefagt. Er wollte eine neue Philoſophie, 
Die „Bhilofophie des Menfchen *, gründen , deren höchſtes Brinzip die Ein⸗ 
beit des Menfchen mit dem Menſchen ſei. Die Philoſophie tritt fortan im 
die Stelle der Religion; denn in dieſer „verhält ſich der Menſch zu Bott 
nur als zu dem Andern feiner ſelbſt“, ein Standpunkt, der aufgegeben wer⸗ 
den muß. „Einſamkeit it Endlichkeit und Befchränftheit, Gemeinſchaftlich⸗ 
Seit ift Kreiheit und Unendlichkeit. Der Menſch für ſich iſt Menſch im ge⸗ 
wöhnlidhen Sinn, der Menſch mit dem Menſchen — die Einheit son 34 
und Du — if Bott“ 1). 


1) Feuerbach iR von den chrenhaften feiner Gegner als ein durchaus ernfler und 
reblicher Denker anerkannt worden. In der That kann Nichts verfehrter fein, ale 
diefem Manne Frivolität vorzuwerfen. So, wie Feuerbach thut, fpricht und ſchreibt 
nur eine innige, mannhafte, muter tiefen Schmerzen errungene Ueberzeugung. Was 
es eine urfprünglich wei, ſanft und gläubig angelegte Natur, wie Feuerbach if, 
loſtet, um zu einem foldyen Refultate zu gelangen, davon haben freilich weder die Kris 
volen noch die Fanatiker eine Ahnung. Unter aflen Umfänden lohnt es ſich der 
Mühe, daß man eine ſolche Ericheinung beachte. Feuerbach fagt: „Das Geheimniß 
der Lehre von Bott ift die Lehre vom Menfchen“. Hiervon ausgehend hat er das Ergeb⸗ 
niß feiner Sebanfenarbeit in feinen „DBorlefungen über das Weſen der Religien” 
(Sämmtl. Berfe, Bd. 8, S. 21 fig.) in diefen Sägen bündig zufammengefaßt: — 
„Die Theologie if Anthropologie‘, d. h. in dem Begenflande der Religion, 
ben wir griechiich Theos, deutich Bott nennen, fpricht ſich nichts Andres aus als das 
Weſen des Menſchen, oder: der Gott der Menfchen if nichts Andres als das vergötterte 
Weſen des Menfchen, folglich die Religions: oder was eins ift, Gottesgefchichte — denn 
fo verfchieten die Religionen , fo verfchieden find die Goͤtter, und die Religionen fo 
verfchieden, als die Menfchen verfchieden find — nichts Andres, als tie Befchichte der 
Menſchen. So gut, um ſogleich diefe Behauptung an einem Beifpiel, das aber mehr 
als ein Beifpiel ift, zu erläutern und veranſchaulichen, der griechifche,, römifche, übers 
haupt heitnifche Bott, wie felbR unsre Theologen und Philoſophen zugeben, nur ein 
Gegenſtand der heidnifchen Religion , ein Weſen ift, welches nur im Glauben und in 
der Vorſtellung eines Heiden, aber nicht eines chriftlichen Volkes oder Menſchen Eris 
flenz Bat, folglich nur ein Ausdruck, ein Bild des heibnifchen Geiſtes und Weſens if; 
fo gut iſt auch der chriſtliche Bott nur ein Gegenftand der chriſtlichen Religion, folglich 
auch nur ein harafteriftifcher Ausdruck des chriſtlichen Menichen-Geifles und Welens: 
Der Unterſchied zwifchen dem Heidnifchen Gott und dem chrütlichen Gott oder Volke. 
Der Heide ift Patriot, der Chriſt Koemopolit, folglich ift auch der Gott der Heiden 
ein patriotifcher, Der Gott der Chriften dagegen ein fosmopolitifcher Gott, d. h. ter 
Heide hatte einen nationalen , befchränften Gott, weil der Heide ſich nicht tiber die 
Schranke feiner Rationalität erhob, die Ration ihm über den Minfchen ging; der 





47T 


Nachdem der idealiftiſche Pantheiomus der Hegel'ſchen Schule Die per⸗ 
fönliche Unſterblichkeit neuerdings in Frage geftellt, nachdem Marheinecke 





Chriſt aber hat einen univerfellen, allgemeinen, bie ganze Welt umfaflenden Gott, 
weil er ſelbſt fich über die Schranfe der Nationalität erhebt, die Würde und das Weſen 
des Menfchen nicht auf eine beftimmte Nation einfchränkt. Der Unterfchied zwifchen 
dem Polytheismus unt Monotheismus iſt nur der Unterfchied zwifchen den Arten und 
der Sattung. Der Arten find viele, aber die Gaitung ift nur Eines, denn fie iſt es 
$o, worin die verſchiedenen Arten übereinfiimmen. Go gibt es verfchiedene Menſchen⸗ 
arten, Raflen, Stämme oder wie man es fonft nennen will, aber fie gehören doch alle zu 
einer Gattung, zur Menfchengattung. Der Polytheismus ift nur da zu Haufe, wo 
fih der Menfch nicht über den Artsbegriff des Menfchen erhebt, wo er nur ten Men⸗ 
ſchen feiner Art als feines Gleichen, als gleichberechtigtes, gleichbefähigtes Weſen ans 
erfennt. In dem Begriff der Art liegt aber die Vielheit, folglich gibt es ba viele 
Götter, wo der Menſch das Weſen der Art zum abfoluten Wefen macht. Zum Mono⸗ 
theismus erhebt fi aber da der Menſch, wo er fich zum Begriff der Gattung erhebt, 
worin alle Menfchen übereinfimmen , worin ihre Art⸗, ihre Stammes», ihre Natios 
nal-Unterjchiede verfchwinden. Der Unterfchied zwiichen dem Ginen, oder was eins 
ift, allgemeinen Gott der Monotheiften und den vielen, oder was eins iſt, befonderen 
Rational-Bdttern der Heiden oder Polytheiſten iſt nur der Unterfchied zwifchen den 
vielen verichiedenen Menfchen und zwifchen dem Menfchen oder der. Gattung, worin 
Alle eins find. Die Sichtbarkeit, Handgreiflichkeit, kurz Sinnfälligfeit der polytheiftis 
fchen Götter ift nichts Andres als die Sinnfälligfeit der menfchlichen Art: und Natio⸗ 
nalunterfchiede,, der Grieche 3.3. unterfcheidet fich ja fihtlih, hHantgreiflich von andes 
ren Bölfern — die Unftchtbarfeit , Unfinnlichkeit der monotheiſtiſchen Götter iſt nichts 
Anderes als die Unfinnlichkeit, Unfichtbarkeit der Gattung, worin alle Menſchen über: 
einftimmen, die aber nicht als folche ſinnlich, handgreiflich exiſtirt; denn es exiſtiren ja 
nur die Arten. Kurz der Unterfchied zwifchen dem Polytheismus und Monotheismus 
reducirt fi) auf den Unterfchied zwifchen Art und Gattung. Die Gattung ift allers 
dings unterfchieben von der Art, denn in ihr laſſen wir ja eben die Unterichiede weg; 
aber deßwegen ift die Gattung nicht ein eignes, felbfiftändiges Weſen; denn fle ift ja 
nur das Gemeinfame der Arten. So wenig der Battungsbegriff des Steine ein fo zu 
fagen übermineralogifcher Begriff iR, ein Begriff, der über das Bebiet tes Steinreiche 
Binausgeht, ob er gleich verichieden ift von dem Begriff des Riefels, des Kalks, des 
Flußſpaths, ja gar keinen beſtimmten Stein ausfchließlich bezeichnet, eben weil er alle 
befaßt; eben fo wenig fällt auch der Gott überhaupt, der eine und allgemeine Gott, 
von dem alle die körperlichen, finnlichen Bigenfchaften der vielen Goͤtter abgeftreift 
find, außer das Weſen der menſchlichen Gattung; er if vielmehr nur der vergegens 
flänplichte und perfonificirte Gattungsbegriff ter Menſchheit. Oder deutlicher ausge⸗ 
druͤckt: find die polytheiſtiſchen Goͤtter menfchliche Weſen, fo iſt auch der monothei⸗ 
ſtiſche Gott ein menſchliches Weſen, ſo gut als der Menſch, ob er gleich uͤber die vielen 
beſonderen Menſchenarten hinausgeht, uͤber dem Juden, dem Griechen, dem Inder 
ſteht, deßwegen doch kein uͤbermenſchliches Weſen iſt. Es if daher nichts thoͤrichter, 





bie Berfiellung vom reinem feligen Leben im Ienfeits in die eines feligen 
Lehent im Disffeits aufzulöfen und Feuerbach überhaupt aus die Stelle deu 
theologiſchen die anthropologiſche Weltanſchauung zu ſezen unternommen 
hatte, trat dieſer Speculation der naturwifſenſchaftliche Naterialismus 
neueſter Zeit zur Seite, verfochten insbeſondere von Moleſchott, Vogt, 
Büchner, bekaͤmpft von anderen Naturforſchern, wie Liebig und Schleiden 2). 
Es laͤßt ſich nicht verkennen, daß die materialißiſche Richtung des Beitaltent 
ihres philoſophiſchen Ausodrucks bedarft hat, um zu erfahren, wo ſie aus⸗ 
münden müßte. Im Uebrigen hat der modernfſte Materialismus gerade 
Durch feine Verachtung aller ſpeculativen Philoſophie on den Tag gelegt, 
daß er. die geiflige Seite des Menfchen zu wenig, kenne oder berüdjichtige 
und bie Erledigung der Borfragen, welche zum Aufbau einer Weltan⸗ 
ſchauung gehört, gänzlich vernadzläfftgt Gabe. Die Geſchichte beginnt besrit® 
über ihn wegzufchreiten, wie fie über den ebenfo einfeitigen Idealismus 
Berfeley’3 und Fichte's Hinmweggefchritten if. 


16. 


Die großartigen Vötlerbewegungen ber napoleoniſchen Zeit haben iu 
der Theofogte eine Reſtauration zur Folge gehabt. Im der deutſchen Bur⸗ 
ſchenſchaft erwachte ein begeifterte8 Streben nach volksthümlicher Religiofttät, 
weldem ſelbſt des Standpunkt. Schleiermachers nicht niehr genügte. Die 
Romantik. der in Amt und Würden getretenen Burichenfchafter gebar die 
newe Orthodorte, welche den Wortglanben ber alten mit ber Gemuͤthlichken 
dee Pletismus verband und fih dabei der Formen moberner Bildung bes 

iente. Einer ihrer älteflen und ehrlichſten Vertreter war Klaus Harms, 
zu den neueren gehören Gengftenberg und Leo. Cine beſonders firenge, 
ſpezifiſch lutheriſche Partei, welcher ſelbſt Hengſtenberg nicht mehn „gläubig.” 
genug iſt, hat ſich ſeit einigen Jahren bemerkbar gemacht. Ste verwirft alle 
Kritik der Schrift, alle Philoſophie und haͤngt ſich an die Lutheriſche Lehte 
als wenn man den chriſtlichen Bott nom Himmel auf die Erbe kommen läßt, den Ur⸗ 
fpeung der chriſtlichen Meligion aus ber Offenbarung, eines von. Menſchen unter fi - 
denen. Weſena ableitet. Der chriftliche Gott if. eben fo gut in und aus dem Menfchen 
entſprungen als der heidniſche. Gin auberer Gom als der heaidniſch⸗ if er nur deß⸗ 
wegen, weil auch der chriſtlicha Menfdrein anderer if, abs der haidniſche“ 
2) Das phaloſephiſche und foziale Credo der materialiſtiſchan Schule gibt Boyd 
in feiner. Stesitjcyeift „Röhlenglaube und Wigenfhefi“, 1. Aufl, ©. 123-123. 


— —— — — — — —— 


388 
ya völligen Verderbaiß der menſchlichen Mater, nen ber Unhigkeit Art 


Versenfi, Dan Goͤuliche zu begreifen. Bei Alledem fehlt es nicht an 


Xhenfogen, weiche eine zwiſchen ven Frinemen mermwilitcinte Richtung ein⸗ 
halten und eine chriftlidwreligiäie. Lebenſsauſchauuug gar wohl mit wiſſen⸗ 
ſchaftlicher Auffaffung zu vereinigen. willen. Gehen Member, ehwohl er in 
ber Miffenfchaft Da& Erbauliche zu ſehr hervorhoh, regat dieſe vermittelnde 
Richtung an, Ulmann, Julius Möller, Nitzſch Rothe ſatzten Diejekhe fort, 
Tholuck hat wenigftens den alten mechaniſchen Infpiratienäbegriff aufge 
geber und eine durch Gott gewirkte.innene Erregung. an beffen Stelle geſetzt. 
Die ſchweizerijch⸗reforminte Kirche ſtelli bieten Männern Alexander Schweb⸗ 
ger. Gagenbach und Schenkel zur Seite. — Mit nit unbebeutenten Go 
folge wirft gegemmärtig auch eine, lauge Brit ulht gebührend beachtete phi⸗ 
loſophiſche Richtung, deren Vertveter, der jüngere Fichte, Weiße, Wirth, 
Ulrich, Chalybaͤus und Carriare, die Wiſſenſchaft mit vielen hervorragenden 
Asbeiten bereichert haben. Caxuriare begeichnek ihre Eigenthamlichtein fa: 
„Nieſe Richtung bekämpft ſemohl den Pantheismus, ald ben Deismud, und 
weiſt zugkeich ben Kern: beider zu, bevahren. Ste han die Idee eis ſawohl 
unendlichen als ſelbſthewußten, der Welt einwehnenden und fd im eignen 
Weſen ala Perſoönlichkeit erſaſſenden Gattes aufgeftellt und entwickalt, fe 
ſucht Natur und Geſchicuue in. Seit, Gurt in Natur und Geſchichte zu 
begreifen *. 
17. | 

Nachdem wir der Entwaicklung son Theologie und Philoſophie im deut⸗ 
ſchen Proteſtantismus lange unausgeſetzt nachgegangen, fordern Ericheinum 
gen auf dem kathaliſchen Gebiet unfere Aufmerlſamkeit. — Im 18. Jahr⸗ 
haudert war fethi: in dem tieforfunfenen Italien wieder eine lkitfländig 
seiigiäfe Weltanſchauuug erwacht. Un Giordane Bruno anknüpfend, be 
tradyteie Vico das Univerſum als Die Offenbarung der. ewigen Ideen 
Gotta: — „Bon Sort, in Geta, zu. Bott And alle Dinge“. Den Begeiff 
Bed Mesichen fiehe er nicht im bloßen Iidividuum, nielmehr in bar Gier 
ſammtheit bes Menſchen ung deven Schickſalen verwirklicht. Den Bantkeitr 
uud Schellings und Gegelß nerpflangen Inter Gioberti auf incliſchan Boden. 
o Dası Weſen“, faga er, „.Ichafft: die Criſtenzan, die endliche Walt geht: aus 
dem Mnendlkhen harnor, welches fie: durcharingt und erhaälz“. Die Wahr⸗ 
heiten der Väiteksphie wart. er: auch für Das religiöſe Gebiet gelb. 


Derfelsen Richtung huldigte Mamiani, welcher ih kühn genug dahin 
audſprach, der Entſcheid der Vernunft fei aller kirchlichen Autorität vorzu⸗ 
zieben. Gegen das Ghriftenthum erklärt er ſich nicht, fondern will die Leh⸗ 
ren befielben auslegen im Sinne ter freien Bernunft, der Duldung und 
Liebe. Cine Kritik des Bewußtfeins, ähnlich der Kantiſchen, hat Galuzzi 
unternommen. Dem religiöfen Nihiliemus ergab ſich Bonavino, die Unter⸗ 
ordnung der Vernunft unter die Autorität des katholiſchen Glaubens ver- 
fündigte Ventura. 

Die politiiche Reftauration in Frankreich rief auch die religtöfe hervor. 
Letztere begann aber noch unter der Herrfhaft Napoleons und hatte ſich 
fogar fchon unter der Schreddenäherrfchaft vorberetiet. Den Anfang machte 
die katholiſche Myſtik St. Martins, deren Geiſtes⸗ und Gemüthötiefe Viele 
wieder für das Ehriftentbum gewonnen haben mag. An ihn fchlofien fi 
Ghoteaubriand und die Frau von Stasl, welde das Chriſtenthum von 
aͤſthetiſcher Seite empfahlen. In feinem berühmten Buch ,‚Genie du 
Christianisme‘‘ hat Chateaubriand die Bertheitigung des romantifchen 
Katholicidmus geführt. Plumpere Reflauratoren find die Theofraten De 
Maiftre und Bonald gewefen. Befonders der Erftere ftrengte fich ungeheuer 
an, die Vernunft der Infallibilität des Papfles zu unterwerfen und die 
tühnflen Hoffnungen Gregors VII. in ein philofophifches Syſtem zu brin⸗ 
gen. Ein extremer Kopf konnte durch das Befeg des Gegenfaged wohl zu 
ſolchen Philofophemen getrieben werden in einem Lande, wo man wenige 
Jahre zuvor das Ehriftenthum abgeſchafft hatte. An De Maiftre und Bonald 
ſchloß fich zuerft au Lamennais an, kam aber bald von dieſer Anſicht ab 
und wollte die Vernunft nur dem in der Kirche vertretenen Urtheil der 
Mehrheit unterwerfen. As ihm jedoch diele Mehrheit felbft unbequem 
ward, fand er für gut, an dem Urtheil der eigenen individuellen Vernunft 
feflzubalten. Durch Eoufin, den eleganten Efleftiker, wurde das Hegel'ſche 
Syſtem in Frankreich befannt, obwohl er feinerfeitd den Theismus verthei⸗ 
digte. Ungeachtet feines Theiömus aber nahm er gegen das Chriſtenthum 
eine fonderbare Stellung ein. „Das Chriſtenthum“, äußerte er, „bat noch 
300 Jahre im Leibe; darum ziehe ich vor ihm billig den Hut ab. * 

Am tiefflen wurde der Katholiciemus im Deutfchland vom Geiſte ber 
Wiffenfchaft berührt. ine Tavaterifähefentimentale Richtung, jedoch ver⸗ 
bunden mit edler Duldfamfeit, erkennen wir in dem Biſchof Johann Michael _ 
Seiler (geb. 1751), äfthetifhen Ratienalismus in den Schriften Heinrichs 


son Weſſenberg. Dom Kantiſch⸗Fichte ſchen Stampunkt aus ſuchte Georg 
Sermes das katholiſche Dogma zu begründen. In feinem Syſteme geht ex, 
wie fon Carteſtus, won Zweifel aus, um zur Wahrheit durchzudeingen. 
Als genialer, Eoumpffertiger und terroriſtiſcher Verteidiger des hierarchiſchen 
Karbolieteums iſt Joſeph von Görres berühmt geworben. Einer der 
wiſſenſchaftlichfien katholiſchen Theologen der neweßen Zeit war aber Adam 
Möhler, weldher aus ber Rüſtkammer der idealiſtiſch⸗pantheiſtiſchen Philo⸗ 
fophie die Waffen zur Bekämpfung des Proteſtantiomus und zur philofor 
phiſchen Bertheidigung bed katholiſchen Dogma’s entlehnt bt. Neueſtenß 
HM beſonders der Verſuch Günther's, die katholiſche Glaubenslehre fperufatte 
zu rechtfertigen, im katholiſchen Deutſchland nicht, ohne Wirkung geweſen; 
aber die papfläiche Curie Bat, wie ſchon früher gelegentlich bemerkt werden; 
biefen wohlgemeinten Berfuch ale ketgeriſch verworfen. Man fell nick 
denken, fondern bloß glauben — hierin wenigſtens fimmen der Tatheltiche 
und ber proteflantifche Hierarchismus brüderlichſt zuſammen. 


18, 


Die den Hrifllihen Nationen eigenchümlichen Anſtalten zur Pflege der 
Miſſenſchaft find die Univerſttäten. Bon ber Akademie, worin Blato, dem 
Ayfeion, worin Ariftoteleß, der Stoa potlile, worin Bewen feine Schüler um 
fi verfammelte, unterfcheiden fle ftch weſentlich durch ihre zunfigemäßre 
Berfaffung, welche ihren Mitgliedern von jeher gewiffe Vorrechte gegeben, 
durch die Mehrzahl ihrer Xehrer, den größeren Umfang ihrer Wiffenichaften, 
weldye feit alter Beit in vier Sauptgebiete (Facultäten) eingetbeilt worden 
find, und endlich) namentlich dadurch, daß fle die Religion in wiffenichaft 
licher Form behandelten, während jene griechiſchen Schulen eben ausſchließ⸗ 
lich Philoſophenſchulen mit beftimmter ſyſtematiſcher Nichtung gewefen find. 
Die ältefte, im 11. Jahrhundert geftiftete Univerfität, Bologna, war An- 
fangs bloß eine nach dem Muſter der altrömiſchen eingerichtete Nechtsichule, 
Um die Mitte des 13. Jahrhunderts wurden tie hohen Schulen son Paris 
und Oxford, wo zuerft nur Theologie und Philoſophie gelehrt worden, zu 
Univerfitäten im wiſſenſchaftlichen Sinne badurh, daß aud alle übrigen 
Wiſſenſchaften in das Gebiet ded Lehrftoffs aufgenommen wurden. Anfaͤng⸗ 
th verftand man unter Univerfität (universitas) nar die Gorperationen ber 
Schüler (Bologna) oder der Lehrer (Sorbonne in Parid); ven. nun. aber 
eine Anfinlt, wo die Geiammtheit der Wiſſenſchaften gelohnt wird. Um ſich 

Scherr, Geſch. d. Religion. IN. 21 


dieſen aͤlteſten Uiniverfitäten gegenüber das gehörige Anſehen zu verihaffen, 
fuchten die jüngeren meift paͤpſtliche Stiftungebriefe nad und auch ohne 
dies verfäumten die Bäpfte nicht, dieſe Sige ter Wiſſenſchaft, melde im 
Mittelalter meiſt die Leitſterne ber öffentlichen Meinung waren, durch 
Gunſtbezeugungen fh zu verpflichten. Im 13. Jahrhundert entflanden 
noch Die liniverfitäten von Cambridge, Salamanca und Liffaben, im 14. 
Jahrhundert die von Rom, Pavia, Lyon, Avignon, Prag, Wien, Heidel⸗ 
Berg, Köln und Erfurt, im-15. Jahrhundert Die von Turin, Florenz, 
Glasgow, Bordeaur, Ingolftadt, Würzburg, Leipzig, Roſtock Greifswalde, 
Breiburg, Bafıl, Tübingen, Wittenberg, Uipfala uud Kopenhagen. Das 
Beitalter der Reformation errichtete aus Kirchen⸗ und Kloftergütern die 
Univerfitäten von Marburg, Königäberg,, Genf, Jena, Straßburg, Leyden, 
Helmftedt u. a. m. Im den Gebieten ter Reformation wurden bie alten 
Univerfitäten umgeftaltet und nebft den neuen fchlagfertige Heerlager bes 
PBroteflantismus. Geflaltete ſich die Univerfität Wittenberg zur Haupt⸗ 
burg des orthodoren Lutherthums, fo errichtete dafür ber calviniſtiſche 
Berliner Hof eine Hauptburg Ted Calvinismus in der Univerfität Halle. 
Aber gerade dieſe Parteiftellung Hat der Pflege ter Wiffenfchaften auf den 
Univerfttäten oft ungebübrliche Feſſeln angelegt und jegt noch üben gewille 
Geiſtesrichtungen auf dieſe Gelehrtencorporationen eine vereinfeitigende, 
Die Breiheit der geiftigen Entwicklung befchränfende Gewalt aus. So oft 
indeſſen die Umiverfitäten die Kortbildung der Wiffenfchaft zunftmäßig oder 
kirchlich einfeitig beichränkt haben, die Heroen der Wiflenfchaft find doch 
großen Theile an diefen Stätten gebildet worden und haben bafelbft den ber 
fruchtendften Wirfungsfreis gefunten. 


— — — — — 


Elſtes Kapitel, 
Die Kunſt. 


1. 


Eine untergehende Welt reißt auch das Schöne in ihren Trümmer⸗ 
flurz. Doch daſſelbe bleibt, weil ewig, nicht für immer unter den Ruinen 
eines vernichteten Gefellfchaftöbau’& begraben, fondern es feiert, ſobald die 


323 


ungeheure Kataflrophe verraufcht ifl, immer wieber feine Auferfiehung und 
hebt jein Rillmächtig Leben von Neuem an. Vom Often her erbob fid der 
fpirituelle, vom Norden ber fanı der materielle Orkan, welche mitſammen 
bie entnervte, alt und Eindiich gewortene Roma zu Boden warfen. Man 
möchte jagen, Ehriftenthun und Bermanenthum hätten ſich auf den Ruinen 
der antiken Welt die Hände reichen wollen zu dem Bunde, durch welden 
jenes in diefem erft recht feine weltgefchichtliche Bedeutung gewonnen. Wo 
aber, wie bier gefchab, einc große Idee die rohe Naturfraft zu ihrem Träger 
gewinnt, da mag dad Befichende auf Verheerung und Berftörung ſich gefaßt 
maden. Nicht umſonſt floßen wir in den Schriftwerfen der römijchen 
Kaiferzeit auf Männerblide, welde voll geheimen Grauens nah Judaͤa 
ſowohl als nad den germaniſchen Wäldern gerichtet find. Die Ahnung 
erfüllte fih, die große Göttertämmerung brach herein. Eine Welt. voll 
Schönheit — aber einer Schönheit, teren Bildungen bis an die Schultern 
in den Sumpf fittliher Fäulniß verfunfen waren — erlag dem germani- 
hen Streithammer und der Keule einer fanatifhen Mönderei. Konnte der 
germanifche Eroberer, noch heiß vom Zorne der Schlacht, die maßvolle 
Plaftik der griechifchen Kunft refpectiren , er, deſſen religiöfe Phantafle in 
Schöpfung Eolofjaler Nebelgebilde fich gefallen hatte? Mußte der ChHrift, zu 
einer Zeit, wo die tiefe Milde und Liebe der Ausfprüche Jeſu fchon fo viel- 
fach vergeflen und verfchollen war, nicht bei der erften Gelegenheit eine zer- 
ſtöreriſche Fauſt gegen die Götterbilder erheben, er, deffen Glaubensgenoſſen 
man gemordet, weil ſie vor dieſen Götterbildern nicht anbetend und opfernd 
hatten knieen gewollt? Jean Paul Hat nicht übertrieben, wenn er, vom 
zerſtöreriſchen Walten des Chriſtenthums in deſſen erſtem Siegedfieber redend, 
fagte, daſſelbe habe wie ein jüngfter Tag die ganze Sinnenwelt mit allen 
ihren Reizen vertilgt und zu einem Grabhügel zufammengedrüdt. Allein 
er ſelbſt gibt den Schlüffel zu diefer Erjcheinung,, indem er hinzufügt, alle 
Erdengegenwart fei durch das Chriftenthum zu Himmelszukunft verflüchtigt 
worden. Gerade das ift der Punkt, auf welchen man aufmerkffam machen 
muß, wenn man das feindjelige und verheerende Verhalten des jugendlich 
maßlofen Chriſtenthums gegen die antife Cultur und Kunft nicht ungerecht 
beurtheilen will. 
2, 

Das Chriftenthum war die Reaction des einfeltigen Spiritualismus 

gegen den einfeitigen Materialisınus der heidniſchen Welt. Es Hilft Nichts, 
21* 


884 


mit Platen zu beklagen, daß die Erſcheinung des Chriſtenthums in ein ver⸗ 
derbtes Beitalter gefallen fell). Gerade weil das Heitenthum zu dem ge» 
worden, was es zulegt war, mußte das Chriſtenthum kommen. Nach den 
wuthenden Orgien, in welchen die antike Welt den letzten Heft ihrer Lebens⸗ 
kraft ausgeraft, that Die chriſtliche Faſteneur der Menſchheit noth. Ertrem 
ruft dem Extrem. Das Ehriſtenthum iſt ebenſo weſentlich idealiſtiſch, als 
dad Heidenthum realiſtiſch war. Dieſe Gegenſäthe traten an zu einem 
Kampf auf Leben und Tod. Aber der chriſtliche Idealiomud entwickelte eine 
Energie, wie fle der heidniſche Realismus in feiner Verrottung nicht aufzu⸗ 
Bieten vermochte. Er erlag und über feiner Leiche erhob der Sieger einen 
wilden Triumphſchrei. Mit maßlofefter Verachtung blickte ter Geift auf die 
Natur herab, bis wieder für dieſe die Zeit der Heaction gefommen war. Die 
chriſtliche Idee ſpitzte füch zu einer totalen Verwerfung des Nasürlichen und 
Wirklichen zu. Den Alten war das Diefſeits Alles, das Jenſeits Nichts 
geweien. Das Ehriftenthum kehrte das Verhältnig um. Es proclantirte 
die Erde ald ein total Berwerfliches, den Simmel als das allein Gültige 
und Erſtrebenswerthe. Wit fanatiſchem Ingrimm verwarf ed Die „Welt 
und daB „Bleifh". Im der erflen Epiftel Iohannis?) fleht geſchrieben: 
„Habt nicht die Welt lieb, noch was in der Welt il. So Iemand die Welt 
lieb Hat, in dem tft nicht die Liebe des Vaters. Denn Alles, was in der 
Welt ift, nämlich des Fleiſches Luft und der Augen Luft: und heffärtiges 
Leben, iſt nicht vom Bater, fondern von der Welt. Und die Welt vergehet 
mit ihrer Luft; wer aber den Willen Gottes thut, der bleibet in Ewigfeit*. 
Bier ift firengfle Verwerfung der Welt, ihrer Schönheit, ihrer Luſt ge= 
fordert. Der Chriſt foll ih von der Welt, von der Wirklichkeit, vom Irdi⸗ 
ſchen ab⸗ und mit all feinem Sinnen und Trachten dem Ienjeitd, dem Ueber⸗ 
trdifchen zuwenden. Er foll unaudgefegt daran arbeiten, das Fleifch aus⸗ 
zuziehen, um ganz Geifl zu werben. 

Allein die Welt, die Wirklichkeit, die Materie iſt nun doch einmal ba. 
Selbſt die ſchwindelndſte Abſtraction, die verzückteſte Nyſtik kann fich dieſer 
Thatſache kaum auf Augenblicke entſchlagen. Wie half ſich das Chriſten⸗ 


1) Chriſtus erſchien; doch leider in hoͤchſt unſeligem Zeitraum, 
Als ſich das Menſchengeſchlecht neigte zu tiefem Verfall. 
Langſam drang ſein lehrendes Wort in barbariſche Seelen, 
Drang in verderbte zugleich, die es ſophiſtiſch entweiht 
2) Ray. 2, V. 15—17. | 


328 


thum dagegen? Sehr einfach dadurch, daß es das ganze Gebiet der Materie 
denn Widerſacher Gottes zuwies, dem Teufel. Die große Verteufelung der 
Menfchheit hob an: dem chriftlichen Bewußtſein in jeiner ſtrengſten Con⸗ 
fequenz war die Welt nur eine Teufelei. Nichts Naturloferes, Gottver⸗ 
laſſenered als diefer fpiritualiftifche Schwindel des Chriſtenthums in Der 
Blüthe feines Wahns. WUberwig aller Art, tollſte Willkür war das noth⸗ 
wendige Reſultat. Das Heidenthum hatte die Natur vergättert, das Chris 
flenthum verteufelte fie. Am liebften Hätten die chriftlichen Asketen und 
Enthuflaften ſie ganz. gelengnet, aber da Dies felbft dem Wahnſinn unmög⸗ 
lih war, mußte man fich jo zu jagen begnügen, ſie wenigſtens möglichſt 
ſchwarz anzuſtreichen. Es iſt unglaublich, zu was für rohen und flupiden 
Anſchauungen der fpiritualiftiiche Zelotismus gelangte. Alles Natürliche 
und Naturgemäße war ihm zulegt Tenfelöwerf. Kein Wunder daher, daß 
ehriftliche. Asketen von ihrem Haß gegen die Natur bis zur Selbſtentmannung 
fid treiben liegen. - 

Der Grieche hatte die Schönheit angebetet. Als jene attifche Hetäre, 
ber fhaumgeborenen Aphrodite gleich, in der nachıen Herrlichkeit ihrer Schön⸗ 


‚heit aus dem Waſſer der Bat von Eleufld auftauchte, begrüßte das am Ufer 


seriammelte Wolf dieſe Erfcheinung als eine Offenbarung des Göttlichen 
mit lautem Frohlocken. ine chriftliche Verſammlung hätte darin nur eine 
Dffenbarung von Teufliihem gefehen. Die Anwendung hiervon auf dad 
Verfahren der Ehriften gegen die heidniſchen Kunſtideale und Kunſtſchöpfun⸗ 
gen ergibt fih von felbfi. Die heidnifchen Göttermythen, die heidnifchen 
@Bötterbilder, die ganze wunderbare Fülle von Schönheit, welche das claſſiſche 
Altertum in Wort, Bild und Schrift gefchaffen — das Alles -erichien den 
Chriſten als Teufelswerk. Die Heidnifhen Götter felb waren ihnen Teufel 
und es ift charakteriftifch, daß in der mittelalterlicden Sage vom Tannhäufer 
die Odttin Venus, die holdfelige Mutter der Liebe, als eine „Zeufelin* auf 
tritt. Die chriftlichfpiritualiftiiche Anficht, dad Alles, was wir umter beim 
Begriff Natur zufammenzufaflen pflegen, nur ein teufliiher Abfall von 
Gott, nur ein Widerfpiel des Grifles fet, führte in den erften Jahrhunderten 
des Chriftenthun zu einer förmlichen Achtung der Schönheit. Was natür« 
lich, was ſchön, war fatanifch, alfo verwerflich. Der Menſchenleib ſelbſt 
wurde, ald Verführer zu Teuflifchem, zu einem Gegenſtand bes Abſcheu's. 
Die Welt war eine Eitelkeit, ein Jammerthal, höchſtens gut genug zu einer 
Vorbereitungsfchule für das Ienfeits, Allerdings wirkten, neben ber fpirir 


326 


tualiftifhen Idee des Ehriftenthums, noch antere Motive zur Bildung Piefer 
Anihauungsweife mit: die aus dem Judenthum überfommene Vorftellung 
eined firenggeiftigen,, bildloſen Gottes, der Anblick der moralifhen Ver⸗ 
fumpfung des Heidenthums, welche tem chriſtlichen Sitteniveal fo grell 
widerſprach, und endlich der Haß gegen Eultformen, deren Nichtbeachtung 
oder Verachtung fo viele Taufente ton Märtyrern mit dem Leben bezahlt 
hatten. Diefer Haß war nur conjequent, als er, zum Siege gelangt, an bie 
Stelle des Schönen das Efelhafte fette und auf die Altäre, von welchen die 
herrlichen Geflalten ter olympifchen Götter Herabgeflürgt worden waren, ten 
haͤßlichen Moder ter Heiligenffelette erhöhte. 

Aber die Schönheit und ihre Offenbarung in den Künften gehört nun 
einmal zum Leben und leben mußten tie Chriften doch, aller Himmelsſehn⸗ 
jucht zum Trog. Die Natur blühte fort und fort und zeigte ihren undank⸗ 
baren Kindern in jedem Frühling die bolde Schönheit ihres nie alternden 
Antliges Tächelnd wieder. Der Himmel leuchtete und die Geſtirne rollten 
in ihren ewigen Bahnen, unbefümmert um alle die Weltgerichtöviftonen eines 
finfteren Fanatismus. Die Welt lebte von Neuem auf nad furchtbaren 
ErfYütterungen, auf den Gräbern einer untergegangenen Geſellſchaft richtete 
fich eine neue wohnlich ein und, ach, das, Fleiſch“, das verachtete und ver⸗ 
worfene Fleiſch machte bald alle feine Rechte wieder gebieteriich geltend. 
Der Aſchermittwoch des Urchriſtenthums fonnte nicht ewig währen. Das 
unaustifgbare Verlangen des Menfchen nad Barbe, Ton und Bild, nad 
bildlicher Anſchauung feiner Ideale, nah Schönheit und Beitfreude erwachte 
mit verdoppelter Stärke wieder und wandte fich, mit jchlechtverhehltem Seh⸗ 
nen zu den der Berflörung entgangenen Schönheitsreften des Heidenthums, 
gottesdienſtlichen Uebungen, wie zu dem geielligen Spielen und Vergnügun— 
gen der Vergangenheit zurück. Es war hohe Zeit, dem Realismus bedeu⸗ 
tende Ginräumungen zu machen, wenn der Idealismus nicht Gefahr laufen 
follte, feine Faum erlangte Herrichaft wieder zu verlieren. Die Kirche, Flug 
wie fle war, erfannte dad und fanctionirte, — wenn auch widerftrebend, mit 
vielen Seufzern über die menſchliche Schwäche und nicht ohne offizielle 
Proteſterhebung gegen die „Werke des Teufels“ — factiſch Die Thatſache, 
daß der Menſch nicht lauter Geift fei und daß demnach auch feine Sinne 
einigermaßen Anſpruch auf Befriedigung hätten. 

Die Folge bievon war die Entwicklung des chriftlichen Cultus und Die 
Entfaltung der chriſtlichen Kunſt. Jenen Haben wir in einem früheren 





— — 


— — — — | [ui — 


Kapitel. betrachtet und wir weiſen auch im Betreff einiger. künſileriſchen Mo- 
mente auf daffelbe zurüd?). Dieje führen wir jest in ihren bedeutendſten 
Phaſen vor, natürlich mit Vermeidung des Detaild, welches in die Aeſthetik 
und Kunftgefchichte gehört. Würde jedoch bier noch die Frage aufgewarfen, 
ob denn nicht im dhriftlichen Dogma ſelbſt ein Punkt vorhanden gewefen, 
son welden das chriftliche Kunſtideal ausgehen fonnte und mußte, fo gaben 
wir zur Antwort: allerdings. Diefer PBunft war die Vorſtellung vom 
Bottmenfhen. Bott war Fleiſch geworden, er war fichtbar in der 
Körperlichkeit erichienen — warum follte feine Erſcheinung nicht in Bild 
und Farbe feftgehalten werden Dürfen? Died einmal zugegeben, zügerte Die 
hriftliche Kunft, zumal bei wachjendem Heroen = oder Heilligendienft, nicht 
mehr, alle Anregungen der antiken zu benußen, um einen vollſtändigen chriſt⸗ 
Tihen Olymp zu fchaffen. Freilich war Anfangs noch der Spiritualiduns 
fo mächtig, daß dad Dieffeitd nur für eine Folie des Jenſeits galt und Alles, 
auch in der Kunft, auf eine Vergeiſtigung, oder hriftlich. zu iprechen, auf 
eine Verklärung des Irdifchen hinauslief. Daher in der altchriftlichen Kunft, 
und auch fpäter immer wieder, fo oft das altchriftliche Ideal zu neuen An⸗ 
jehen kam, die asketiſche Vernachläfſigung der fchönen Leibesformen, die 
hektiſch⸗ himmelsſehnſüchtigen Gefichter, ter verachtungsvolle Bild auf Das 
„Fleiſch“. Sonft aber brach der ganze blühende Realismus des hellenifchen 
Heidenthums in die hriftlihe Kunſt herein, um in den höchſten Aufichwüns 
gen derjelben eine vollentete Verſchmelzung mit dem Idealisſsmus zu erleben, 
eine wahrhafte Irandfiguration, im höheren als im kirchlich⸗beſchränkten 
Sinne. 
Dies vorausgeſchickt, reden wir zunächſt von der Architektur, dann 
son Biltnerei und Malerei und endlich von Muſik, Scaufpielfunft und 
Poeſte. 2 Ä 
3. 

Es liege in der menfchlichen Natur, dag beim Beginn einer neuen 
Weltperiode, fo ſchroff auch immer die Idee derjelben dem Beifte der vorher⸗ 
gegangenen entgegenftehen mag, die Prarid der Anfnüpfungen an das Ver 
gangene nicht entrathen kann. Nur allmälig fchafft fi eine neue Welt- 


3) 3. B. in VBelreff der Ausbildung der Liturgie, in welder, wie Jedermann 
weiß, die Anfänge der chriſtlichen Dramatik wurzein, und in Betreff der Bauart der. 
älteften chriſtlichen Kirchen. 


328 


anſchauung Bormen, die ihr. adäquat find. Hunächſt bedient fie ſich bes 
bereit vorhandenen ; aber fie bildet Diefe, indem fie fie mit ihrem Geiſte 
erfüllt, nach und nad vollfländig um, bis fie zuletzt Ichäpfungsnädtig genug 
ift, ihren eigenften Gedanken zur finnlichen Erfcheinung zu bringen. Dies 
gilt auch von der Baukunſt im Chriſtenthum. Wie wir im Kapitel vom 
Cultus ſahen, eignete fich die Kirche zunörberft die Bafllifen des griechifch⸗ 
sömiichen Heidenthums zu gotteßdienfllichen Bweiden an ober errichtete in 
diefem Styl neue Gotteshäuſer. Später beveicherte fih ter altchriſtliche 
Styl durd Adoption und reichliche Anwendung des römiſch⸗bhzantiniſchen 
Auppelbaue’s. Im 10. Iahrhundert, wo die Emanzipation Des ChHrifllichen 
vom Antiken ſchon bedeutende Worſchritte gemacht Hatte, Fam der Bauſtyl 
auf, welchen man jegt den romaniichen zu nennen pflegt, wriler, unter ben 
Boͤlkern romaniihen Stammes entwickelt, von diejen aus im die Laͤnder ber 
abendländiichen Kirche fid) verbreitete. Ex behielt Die Grundform ver ali» 
chriſtlichen Baflifa bei, an die Stelle der flachen Bedeckung der Naume aber 
fegte er das Gewölbe und bradıte dafleibe in der Form des KHalbfreifes 
(Halbrundbogens) zu der mannigfachſten Durchbildung und Gliederung. 
Roc war aber In diefer Ardhiteftonif viel zu viel Antikes zurüdgeblieben, 
als daß ſchon in ihr das Ideal chriſtlicher Baufunft zu voller Erſcheinung 
gelommen wäre. | 

Die chriftliche Ider, d. h. die Emportragung der Seele über dad Ir⸗ 
diſche, baufünftleriich zu verwirklichen, war, nachdem fich Die Kraft des roma⸗ 
niſchen Styls im 12. und 13. Jahrhundert erfchöpft hatte, jeuer Architeftur 
vorbehalten, welche man gewöhnlidy die gothifche nennt, Die aber von neue⸗ 
sen Kunſthiſtorikern mit Recht als die germaniſche bezeichnet wird, weil 
fie zu Der angegebenen Zeit in allen germaniidyen oder wenigftend vom Ger 
manismus getränkten Rändern mit gleicher Energie hervorgetreten ift was 
diejelben mit colofjalen Monumenten bedeckt hat. Ueber den Urfprung des 
germanijchen Bauſtyls, deſſen Hauptmerfmal, wie Federmann weiß, der 
Spitzbogen iſt, hat man viel geſtritten und es fehlt nicht an gewichtigen 
Stimmen, welche die Entſtehung deſſelben auf orientaliſch-ſarazeniſche Ein— 
flüſſe zurückleiten 1), Wie mir ſcheint, thut es auch der Erhabenheit 


1) Schon Sörhe nannte den Kölner Dom „eim ſchöne ſarazeniſche Blume, im 
Abendland entfaltet”. J. Bram (Geſch. d. Kunſt, I, 10) will den Uriprung der 
Borhif ſtatt im himmelanſtrebenden Sinn tes germanischen Mitielalters vichnelge 


* 


829 


der. germantiden Architektur Eeinen Eintrag, wenn ſich Die abſolute Ori⸗ 
ginalitaͤt derſelben nicht beweiſen ließe. Gibt es denn überhaupt eine 
abſolite Originalität? Der germaniſche Bauftyl beweiſt ja ſeine germaniſche 
Natur gerade dadurch, daß er univerſell alle vorhandenen brauchbaren archi⸗ 
tektoniſchen Elemente, altchriſtliche, srientaltiche und romanifche, in ſich aufs 
nahm und Tas Vorhandene mit feinem Geiſte, mit feiner tiefen Iunerlich« 
keit durchhauchend, für alle Zeit das Ideal des chriſtlichen Tempels ſchuf. 
Denn er bat, im directen Gegenſatz zum griechiſchen, den Olymp zur Erbe 
herabzichenden und daher breit und wohlig ber Erde fich anſchmiegenden 
Tempel, die hriftliche Idee der Vergeiftigung des Irdifchen voll und gan 
zur Erideinung gebradt, indem er feine Dome, au welchen Alles in bie 
Höhe Airebt, als eine verſteinerte Himmelsſehnſucht in die Lüfte fleigen ließ. 
Die ven ber Tradition geheiligte ſymboliſche Kreuzform ber altchriftlicken 
Bafllifa mit ihren drei weientlihen Theilen: Vorhalle, Schiff und Chor, 
bat auch die germaniſche Architeftur beibehalten ; ſonſt aber arbeitete fie in 
dem ihr eigentgümlichen Geiſte. Dem Spigbogen gefellte fie Gurtgewölbe 
und Strebepfeiler, von denen letztere nad außen den eigentlichen Mauerkern 
bildeten und in mannigfaltiger Gliederung als theils in Giebeldächer theilb 
in kleine Thürme auslaufende Stügen die Fintönigkeit der Mauerwand aufs 
hoben, währen? fie im Innern als cylindriſche Säulen mit elaftiicher Kraft 
aufichießend mit den Blaͤtierkronen ihrer Kapitäͤle In die Gurte der Wölbung 
fi verflochten. Was die Außenſeite ihrer Tempelbanten angeht, jo hat Die 
Gothik ihren größten Reichthum an des Bagade und den Thärmen ent 
faltet. Die Ornamentif der erfleren haͤuft fih um und ber dem Haupt⸗ 
yortal. Die Uebergiebelung defielben conftruirt ſich zu einem beſonderen 
Zwiſchenbau, in deflen Witte ein müchtiges Prachtfenſter (die Roſe) das 
Licht in das Mittelſchiff des Münſters firdmt. Die Thürme, in welchen der 
himmelanftrebende Grundgedanke des ganzen Baues potenzist wiederkehrt 
und deren gewöhnlich zwei Die Fagade frönen oder doch krönen ſollten, ſtei⸗ 
gen, dur ein vielgliedriges Pfeilerfoften belebt, zunächft viereckig anf. 
Das Obergeſchoß dagegen Hat meiſt eine achtedige Grundform ımb von da 
aus fpringt Die achtſeitige, Aligranartig durchbrochene Spige wunderbar kühn 
und ſchlank aufiwärts, ein fteinerner Stral, und da, wo an ihrem äußerften 


— — — 


geradezu und ganz ſpeziell in der ſarazeniichen Architeliur der Tulun⸗Moſchet in Kairo 
finten, von wo dieſer Bauſidvl durch die Mormennen nach Europa gekommen ſei. 


330 


Ende die acht Rippen ſich zufammenfchließen,, breitet eine in Kreuzesform 
gemeißelte Blume Ihre Blätter dem Ihau des Himmels entgegen. — Dies 
im Allgemeinen der Charakter des chriftlich-germanifhen Tempelbau's. 

Größeres als feine Servorbringungen und der chriſtlichen Idee nur halb⸗ 

wege fo Entiprechendes hat die Architektur in ber chriftlichen Welt nie wie⸗ 

ver geichaffen. Dan muß die Wirkung von Kathedralen, wie die Straß«- 

durger und Kölner find, jo recht empfunden haben, um-zu wiffen, was die 

mittelalterliche Hingabe an das riftliche Glaubensideal, zu deren Organen 

die in einem früheren Kapitel erwähnten Baugefellfchaften fih gemacht 

hatten, zuwege bringen fonnte. Später, zur Zeit der Renaiſſance, gewann 

das antike Element in der Baufunft wieder flarfe Geltung und feither ift, 

ganz abgeiehen von dem platten Ungeſchmack der Zopfs und Perrücken⸗ 

yeriode, in der Architektur eine oft wunderlichſte Miihung von antiken, 
byzautiniſchen, orientaliſchen, romaniſchen und germaniſchen Elementen und 

Motiven herrſchend geworden. Zu einem eigenthümlichen, ihre Seele ver» 

körpernden Bauſtyl bat es Die moderne Zeit noch nicht gebracht; es wäre 

denn, daß man in Fabriken- und Kaiernenfyl eine Berförperung diefer 

Seele erbliden wollte. 


4, 


Nachdem „der Bund ber Kirche mit ten Künften * 1) einmal gefchloffen 
war, wurden neben der Architektur auch die biltenten und redenden Küsfke, 
Bildnerei und Malerei, Muſik und Poeſte, dem Cultus dienftbar gemacht. 
So lange der ipeziftich chriſtliche Geiſt in der Kirche wach und mächtig blieb, 
zeigte auch die ganze fünftleriiche Thätigkeit einen jchroffen Contraſt gegen 
die Formenſchonheit und Sleifcheöfreude bes Heidenthums auf. Die bildende 
Kunft der Alten hatte ihren höchſten Triumph in der vollendeten Nach» 
ſchöpfung des vollendeifien Gebildes der Natur, d. i. der Menſchengeftalt, 
geſucht und gefunden. Die hriftlihe Kunft nun, getreu ihren am Ein⸗ 
gang dieſes Kapiteld entwidelten Ideal, wollte mehr. Denn überall über 
der Natur ein „höheres Wahen“ vorausjegend, wollte ſie dieſes Walten 
seranichauliden, weldes die natürlichen Erſcheinungen durchdringe und dem 


1) Unter diefem Titel hat A. W. Schlegel in einem befannten Gedicht das 
Thema behandelt, welches uns hier beihäftigt. GE if intereflant zu fehen,, wie der 
„Reuromantifer* fih Mühe gibt, zu katholiſtren, und wie duch all den katholiſchen 
Pomp feiner Berfe die veotehantifche Rüchterngeit Ducchicgeint. 





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fich die Menfchenfeele entgegenzumenden babe, „wie die Pflanze tem Licht“. 
Mit einem Wort, die antife Kunft bat die ſchöne Sinnlichkeit, die chriſt⸗ 
liche hatte das jchöne Gemüth zum Vorwurf. Jene hatte Wundervolles 
geſchaffen, indem fie fih begnügte, Natürliches in harmoniſchem Gleichmaaß 
darzuftellen, dieſe konnte zunachft nur Rohes und Unzulängliches zuwege 
bringen, weil ihr Streben, rein @eiftiged zu veranfchaulichen, im Grunde 
ein fünftleriih unmdgliches war. Erft dann, ald das Heidnifche Kunſtideal 
im Chriſtenthum wieder foweit mächtig geworden, daß es die ewige Wahr⸗ 
heit, der Menich fünne über den Menfchen nicht hinaus, den chriftlichen 
Künftlern fühlbar machte, begann der Auffchwung der bildenden Kunſt in 
der hriftlichen Welt. | 

Bevor mit der ſtillſchweigenden Anerkennung jenes Satzes eine chriſt⸗ 
liche Mythologie ſich entwickelte, oder, mit andern Worten, bevor in der 
Vorſtellung vom Gottmenſchen der künſtleriſche Accent allmälig von der 
erſten auf die letzte Sylbe hinüberrückte, brachte es die altchriſtliche Kunft 
nur zu einer dürftigen Symbolik oder vielmehr Hieroglyphik ), aus welcher 
ſich freilich fpäter die ganze Fülle ſymboliſcher und allegoriiher Darftellung 
herausbildete ; ferner zu Anfängen der Bildnerei in kirchlichen Brachtgeräthen 
und Prachtgewändern, in Elfenbeinfchnigereien , in reliefartigen und flatuae 
rifhen Darftellungen; endlich zu Verſuchen in der Mofaif-, Wand - und 
Zafelmaferei. Auch die Illuſtrirung der heiligen Echriften vermittelſt 
Miniaturmaferrien Fam fon frühzeitig vor, gelangte aber erft weit ipäter 
zu hoher Bollendung. Mit den Ueberbleibjeln dieſer altchriſtlich⸗byzantini⸗ 
fchen Bildnerei und Malerei, deren Tippen in der orientaliſch⸗griechiſchen 
Kirche bis auf den heutigen Tag flehend geblieben, bat man befunntlich 
zur Neftaurariondzeit modifche Abgötterei getrieben, welche die abſonderlich- 
ſten Kunſtſchrullen zu Tage förderte, jetzt aber verſchollen iſt. 

In der Periode des romaniſchen Kunſtſtyls, welcher das frühere Mittel⸗ 
alter beherrſchte, erhob ſich die bildende Kunſt, beſonders in Deutſchland und 
in Italien, über die engen Schranken des Byzantismus. Die Einflüſſe der 
Antike gewannen allmälig Boden gegenüber der flarren Tradition. Die 
Technik in Bildnerei und Malerei vervollfonmte fih und im den Geftalten 


— 


2) In diefer Bilderfibrift bedeutete 3. B. der Weinſtock den Grlöfer, ebenfo der 
Fiſch und das Lamm, das Schiff die Kirche, das Kreuz den Opfertod, die Leier den 
Sottesdienfl, Der Palmzweig ven Heiland als Sieger über den Top. 


333 


küͤndigte fich die Berichuselzung des hellenifchen und des chriſtlichen Ideale 
fhon leife an. Doc behielten in dieſer Periode, wie aud in der folgenden 
des germaniichen Style, Bildnerei und Malerei noch vorwiegend den decora⸗ 
tiven Charakter, und was aud) im Einzelnen die Stein und Metallifulptur, 
bie Wand» und Tafelmalerei Vortreffliches leifteten, im Ganzen blieben fie 
der Arditektur unterthan, deren Werke fie iymüden mußten. Was ind« 
beſondere tie Bildnerei angeht, To hat fie ed, jo lange ſie eine ſpezifiſch 
&riftliche war, zu einem jouverainen Auffichſtehen, in der Weile der antiken, 
nie gebradt. Sie bewegte ſich baher mit Vorliebe in ter Sphäre des 
Reliefs, weil fie in dieſer Form am paflendfien als architeftoniiche Zierde 
terwendet werten fonnte. In der Sladmalcrei, die freilich erfi am Ende 
bes 15. und zu Anfang des 16. Jahrhunderts zu höherer Blüthe gelangte, 
fiberte ſich die hriftliche Baukunft einen neuen Schmuck. Jenes gebänpfie 
und doch phantafliiche Licht, jenes träumerifche Helldunfel, welches mit Glate 
malereien bedeckte Benfter in das Innere der gothiſchen Münfter falten laſſen, 
ſtimmte jo recht zur chriſtlichen Andacht. Im Uebrigen macht ſich in den. 
Werken ber bildenden Kunft ded Mittelalters Häufig ein fatirifcher Zug be= 
merkbar. Wie der Volfögeift es Tiebte, in ben früheren Orts berührten 
Narren» und Ejelöfeften Die kirchlichen Geremonien poſſenhaft zu traveſtiren, 
fo liebte es die mittelalterlige Kun, vermittelt groteöfer Bildungen bie 
Ausicreitungen der Pfaffgeit zu perfifliren, ja nicht felten auf das Dogua 
felöft ein ironiſches Streiflicht zu werfen. | 
Mit dem 15. Jahrhundert begann die Entwidlung der Kunft des 
modernen Styls, auf welche Die in immer größerem. Umfange wieder 
erwachende und gepflegte Kenntniß des claffiihen Alterthums son mafe 
gebendem Einfluß war. Cine Zeit bob an, in welcher Lie fünftlerifhe Ver⸗ 
bindung des chriſtlichen Ideallsmus mit dem antifeheidnifchen Realismus ſich 
vollzog. Das im Katholicismus zur Meife gediehene mythologiſche und 
fomboliiche Element befleibete ſich mit helleniſch ſchönen Formen und von 
Stufe zu Stufe fchritt Die Kunft vor, bis in den Gebilden eines Mafael das 
chriſtliche Kunftideal, das Durcleuchtetiein des Natürlihen vom Geifligen, 
Die Verklärung des Irdifchen zum Himmliſchen, die Erhebung des Menſch⸗ 
fihen zum Göttlichen, erfüllt wurde. In den florentinifchen, umbrifchen 
und venetlanifchen Malerſchulen und ihren vorragendften Meiftern (Xeonardo 
ta Vinci, Correggio, Micdyelangelo, Buonarotti, Rafael Santi, Tiziano) 
ſehen wir diefe Kunſthöhe in ihrer ganzen Größe, Farbenherrlichkeit und 


— — 





333 
Anmuth entfaltet: unvergleichlihe Majeftät in Buonarotti’s Propheten und 
Sibyllen, unvergleihliche Gottmenſchlichkeit in Rafaels Madonnen und 
Chriſtusbildern, eine bis zur heidniſchen Fleiſchesfreudigkeit geſteigerte 
Farbenpracht und Anmuth in den Gemälden Tizians, der ja dem chriftlichen 
Olymp zur Seite kühn feine wundersollen Benusbilder aufftellte Mit 
weit größerer Strenge, als bie Italiener, kamen bie- Meifter der beutichen 
Schule, ein Hand Holbein, Lucas Kranach und Albrecht Dürer, den Forde⸗ 
zungen des hriftlichen Idealismus nach und namentlich erjcheint in Dürers 
Geftalten die fittlidre Idee des Chriſtenthums in’ ihrer größten Reinheit. 
Dagegen flug in der. niederländifchen Schule des Peter Paul Rubens ber 
Idealismus in blühendſten Realismus um und modiflzirte ſich dieſer in den 
Werfen der holländiſchen Maler zu keckſtem — und derbſtem Materialismus. 
Die fpanifche oder, genauer geſprochen, die ſevillaniſche Malerfchule des 17. 
Jahrhunderts hatte das Eigenthümliche, daß fie im Idealiftiihen und Reali— 
fttichen gleich art war. So insbeſondere ihr Großmeifter Murillo, welcher 
tim Genrebild die vollendetfte Naturwahrhett erreichte, während er in der 
chriſtlich mythologiſchen Malerei den höchſten Schwung religidfer Begeifte 
rung mit holdfeligfter Anmuth verband. 

Die Reformation if der bildenden Kunft nicht günftig geweien. Zwar 
die Reformatoren ſelbſt waren der Mehrzahl nach keineswegs fo bilderſtür⸗ 
merifeh gefinnt, wie viele ihrer Anhänger es waren; allein der Geift der 
Reformation drängte doch überall vom Aeußerlichen auf das Innerliche, vom 
Mythologiſchen zum Begriff, vom Symbol und Bild zu Wort und Shift 
zurück und äußerte fih dann im calviniftifchen Puritanerthum geradezu 
tunftfeindlich und oft vandaltfch genug. Auch die Fatholifche Kunſt ſank am 
Ende des 17. Jahrhunderts in rafchen Berfall, nachdem fie in Italien ſchon 
früher das finnlihe Element auf Koften des fpirituellen effecthafcherifch be⸗ 
gimftigt hatte. Eine zweite Schöpfungäperiode der modernen Kunfl brach 
erft wieder mit dem Ende des 18, und dem Anfang des 19. Jahrhunderts am. 
In die Lorbeeren derjelben theilen ſich hauptſächlich eine deutfche, eine fran- 
zöftiche und eine belgiſche Malerſchule, fowie die Meifter der monumentalen 
Maſtik der Neuzeit, welche aber ganz entjchieden mehr vom Hellenismus als 
som Chriſtenthum infpirirt wurden. 


334 


5. 


Bon allen Künften hatte ſich am früheſten die Muſitk mit dem chriſt⸗ 
lichen Cultus verbunden. Bieter fie doch dem Menfchen ein nächſtliegendes 
Mittel zur Ausftrömung jeiner Gefühle. Die Pialmen und Hymnen famen 
aus dem Judenthum in das Chriſtenthum berüber und jene tiefen Herzens⸗ 
töne ter Hebräifchen Lyrik wurden und blieben der Grundklang des chriſt⸗ 
lichen Kirchengeſanges. Er tönte ſchon, bevor es noch eine Kirche gab, 
ſchon bei dem Abendmahl Chriſti mit feinen Jüngern, dann bei den Agapen 
ber erfien Gemeinden. Die Kirche begriff bald Die Vortbeile,, welche Mufif 
und Befang als Andahhtsmittel darboten. Bon dem Eoncil von Laodicea 
(364) an, welches zuerft tie Einführung regelmäßiger Kirchengeſaͤnge decre⸗ 
tirte, dann weiter von Ambroflus und Papſt Gregor I. an, mwelder Letztere 
den Shoralgefang begrüntete, war die Hierarchie für Entwidlung der Muſik 
nad Zheorie und Praxis unausgeſetzt thätig. Aus dem Choral mochte fich 
der vierſtimmige Geſang entwideln,, aber zur Ausbildung der Harmonie hat 
das Eingreifen der Inſtrumentalmuſik und vor Allem der Orgel das Weſent⸗ 
lichfte gethan. Mit der Vervolllommnung der Saiten- und Bladinftrumente, 
fowie ter Orgel, ging e8 freilich nur langfam vorwärts. Erſt 1444 foll 
Meifter Droßdorf aus Mainz die erfte große Orgel mit Pedal gebaut haben 
und die Scheidung des Pfeifenwerks in beflimmte Regiſter kam erfi im 16. 
Jahrhundert Hinzu. Die Theorie war der muflfaliihen Praxis vielfach 
porausgeeilt, indem fchon zur Zeit Friedrich Barbaroſſa's Meifter Franko 
aus Köln die höchſt bedeutſame, mannigfachfte Vorſchritte von Melodie und 
Harmonie begründende Erfintung des Menfuralgefanges gemacht hatte. Im 
15. Jahrhundert entwidelte fih die Figuralmuſik und von da an geflaltete 
ſich Geſang und Muſik in der römiſchen Kirche immer Funftreicher, fo daß die 
Gemeinde dieſen Verfchritten nicht mehr folgen konnte und die Ausübung 
der Kirchenmuſik Sängern und Muſikern von Fach anheimficl. Große 
Zondichter kamen diefem Fünftlerifhen Drang im Katholicidmus zu Hülfe, 
befonders in Italien. So im 16. Jahrhundert Paleftrina, im. 17. Mar⸗ 
cello und noch im 18. Pergoleſe. Aber es ließ fich nicht überfehen, daß bie 
italifche Muſik, wie von der Gemeinde, fo auch vom Kirchlichen mehr und 
mehr ſich emanzipirte und häufig in weltliche, fogar in finnlichelüfterne 
Weiſen auslief. Die Reformatoren, und vor Allen Luther, bemühten fi 
energifch, den ſchon damals opernhaft außgearteten Kirchengefang wieder zu 


335 


feinen Wefen zurüdzuführen, d. 5. ihn wieder zur Sache der Gemeinde zu 
madyen. Und damit war der Einfluß der Reformation noch nicht erichöpft. 
Wenn fle ſich zu den bildenten Künften cher feindſelig verhielt, fo war fie 
Dagegen für die Muflf von ebenjo tiefgreifender ‚ala nachhaltiger Anregung. 
Machte fie doch die Religion, welche zu einer Sache äußerlicher Convenienz 
geworden war, wieder zur Sache ded Gemüthes und mit diefer Einkehr des 
Menſchen in ſich felbft war auch der Grund gelegt zu jener großen Neform 
und Vollendung der Muſik, welde zu den fihönften Thaten des deutſchen 
@eiftes gehört. Denn in Deutichland wurde, während die italifche und 
franzöftihe Muflf in zopfiger Verjchnörfelung und wüften Opernipectafeb 
anterging,, eine Tondichtung wach, welder Fein anderes Volk etwad auch 
nur annähernd Ebenbürtiges entgegenzuftellen hat. Nachdem in der erften. 
Hälfte des 18. Jahrhunderts Bach und Händel dem religtöfen Tonftyl jeine- 
claffliche Geftalt gegeben, begründete Gluck einen edleren dramatiſchen Styl. 
in der Muſik und verſchmolz Haydn in feinen großen Tongemälden daß reli« 
gidfe Element mit dem weltlichen in anmuthigfter Weile. Auf dieſe Vor⸗ 
gänger folgten dann Mozart und Beethoven, welche die deutſche Tonſchöpfung 
vorerft gerade fo zur Vollendung und zum Abſchluß brachten, wie Göthe und 
Schiller mit der Poefte tbaten. _ 


6. 


Gegen feinen andern Zweig der antifen Kunft hatte fih das Ehriften- 
thum mit dem Grad von Born und Energie erhoben, weldyen e8 gegen die 
Schauſpielkunſt in ihrem ganzen Umfang entwidelte, und man muß fagen, 
daß es Hier im vollften Rechte war. Nicht nur bie niedrigeren Gattungen. 
der Schaufpiele, die wüften Thierhetzen und die graufamen Gladiatoren⸗ 
kaͤmpfe, forderten die chriſtliche Oppofttion in tie Schranken, fondern au 
das eigentliche Drama. Gegen die furdtbare Entartung defielben im römi⸗ 
fhen Reiche boten die Kirchenväter das ganze Beuer ihrer ftrafenden Beredt⸗ 
famfeit auf. Einer derfelben, Chryſoſtomus, bezeichnete die Theater ale 
„Wohnungen des Teufeld, Schaupläge der Unſittlichkeit, Xehrfäle der 
Schwelgerei und Ueppigkeit, Gymnaſten der Ausfchweifung, Katheber der 
Peſt“ — eine ebenfo firenge als wahre Charakteriftil. Denn wie das an- 
tife Drama aus gotteßdienftlichen Uebungen hervorgegangen war, fo theilte 
ed in feinen letzten Zeiten auch ganz den fittlichen Verfall der heidniſchen Re⸗ 
ligion. Nicht mehr befchritten die erhabenen Geftalten eines Aeſchhlos und 


336 


Sophokles die Bühne, fondern dieſelbe war nur noch der Schauplatz ge- 
meinfter Gankelel und der Befrietigung Haflrten Braufamfeits - und Wol⸗ 
Iuftfigel®. Wie weit mußte es mit einer Geſellſchaft gekommen fein, weldge 
die Tragif darin fand, daß man Verbrecher Die Rollen des Herafles und 
Daͤdalos zu fpielen zwang und die Unglücklichen auf der Bühne ſelbſt einen 
fhredlichen Rartertod finden ließ1)! Dies für Die Grauſamkeit des Publi⸗ 
eumd. Bür feine Wolluft waren Komödien da, in welchen die mythologi⸗ 
fhen Licbeöfzenen der Paſiphae mit dem Stier oder der Leda mit dem 
Schwan in nadtefler Ratürlichkett gefpielt wurden, und andere, we nackte 
Zänzerinnen obfeöne Batefzenen aufführten?). Kein Wunder, wenn bie 
. Kirche diefe von Blut und Schmup ſchlüpfrige Bühne entfchieben verdammte 
und, in Erneuerung altrepubfitenifch-römifcher Anſichten über Schaufpieler 
md Schaufpielerinnen,, diefe mit den Kupplern und Luſtdirnen in eine 
Klafie ſetzte und für ehrlos und infam erflärte. 


Aber das Chriſtenthum follte auch auf tiefem, wie auf fo vielen ande- 
zen Bebicten noch, erfahren, daß fein Wort von tes Geiſtes Stärfe und des 
Fleiſches Schwäche umgefehrt am allerwahrften fei. Denn auch bier beflegte 
das lebensluſtige, „ fündige Fleiſch“ den asketiſchen Geiſt oder nöthigte ihm 
wenigftend weitgehende Conceſſionen ab. Die „ Augenluft*, von welcher bie 
oben citirte Epiftel Johannis, wahrſcheinlich mit fpezieller Rüũckſichtnahme 
auf das Theater, verdammend gefprocden, wollte fi nicht bannen laffen. 
Da half kein Gedonner kirchenväterlicher Berettiamfeit, da frommten feine 
oft wiederholten antitheatralifchen Concilienbeihlüffe. Das ‚‚Panem et 
circenses‘‘! blieb auch noch im Chriſtenthum bie Lofung der Menge und 
überdies hatte die Vollziehung der firchlichen Evicte gegen das Schaufpieler- 
volf ihre Miplichkeiten in Zeiten, wo ein Zufall die verbußltefle und ver= 
worfenfte aller Komöbdiantinnen, welde feit Beſtehen der Welt die Bretter 


— — — — — 


4) In der Rofle des Herakles den Flammentod auf dem Oeta, in ber Rolle des 
Daͤdalos das Zerrifienwerden durch ten Minstaures im vabyrinth, wobei ein wüthen: 
der Eder den Minotauros „machen“ mußte. 


3) Se befonders in der berüchtigten Komödie „Majınna“, welche aus ber Zeit 
des Konſtantin ſtammt. Wie fche das Publicum. auch das chriſtliche noch, an diefem 
ärgerlihen Stüd hing, verräth ter Umfand, daß die Aufführung der Majuma bie zu 
den Seiten des Honorius und Arfadius nicht weniger als acht Mal verboten und doch 
immer wieder erlaubt wurde. 


337 


a 
betreten, in der Perfon der ſchönen Theodora, der Gemahlin Juftiniang, 
zur allgebietenden Kaiferin des römiſchen Reiches erheben Eonnte. 

Unter ſolchen Umftänden machte es die Kirche mit dem Schauſpiel—⸗ 
weien, wie fle unter ähnlichen mit Anderem that. Was fie nicht bewaͤl⸗ 
tigen Eonnte, das eignete fle fich an And verwandte e8 „ad majorem Dei 
gloriam“. Wer nicht in Abftractionen lebt und fich fein abftractes Bild von 
den Menſchen macht, wird ſich kaum einfallen laſſen, dieſe Politik der Kirche 
zu rügen. Indem fie e8 mit Menſchen zu thun hatte, wie fle nun einmal 
find, handelte fte, wie fle mußte, ald fie, wie die übrigen Künfte, fo auch 
die Schaufpielfunft in den hriftlichen Eultus einführte und dadurch fance 
tionirte, um fo mehr, da der vom Heidenthum entlehnte theatralifche 
Apparat Durch Die gotteödienftlichschriftliche Weihe zugleich fittlich geläutert 
wurde. Bald war die oberfle Direction de? ganzen Schauſpielweſens bei 
der Kirche und fo kann Das moderne Drama einen nicht weniger religiöien. 
Urfprung für fid in Anſpruch nehmen ald das antife 3). 

Die Kirche mußte fh, nad Tangem vergeblichem Kampfe gegen Lie 
„Augenluſt“ ihrer Gläubigen, damit zufrieden geben, dieſe Luft wenigftend 
auf fromme Gegenftände zu Ienfen. Bu diefem Zwecke benutte fie die ſchon 
im Cultus der Urfirche liegenden dramatiſchen Elemente 2), um dieſelben im 
Verlaufe der Zeit zu einem vollftändigen liturgijchen Drama, zur Meſſe aus- 
zwbilden. An dieſes gotteödienftliche Schaufpiel reihten fih dann bald 


- andere firhliche Dramen an, die biblifh-mäthologifchen „Mofterten *, jo 


genannt, weil fie ſich mit den Geheimniſſen ded chriſtlichen Dogma's vor⸗ 
zugsweiſe bejihäftigten. Zuerſt wurden in den Kirchen an den großen chrifte 
Tichen Beften, bejonderd zur Weihnachts- und Öfterzeit die Szenenfreife, 
welche die Geburt, die Paffton und den Tod Jeſu umſchloſſen, von den Geifte 
lichen dramatifch dargeftellt, — Anfangs pantomimifch,, dann dialogiftrt, 
und zwar Letzteres jo, daß früher der Dialog im Eirchlichen Latein, ſpäter 
aber in den verjchiedenen Zandesiprachen verfaßt war. Aus diefen Myfterien 
ift das Drama aller europäifchen Kiteraturen erwachlen; in der ſpaniſchen 
aber blieben fe unter dem Titel Autos (Acte) auch ſpäter eine ſtehende 
Titerarifche Gattung und erhielten dort auch die vollendetfte poetiſche Geftalt. 
Bei Aufführung der Myiterien hatten die Kirchenräume die Schaaren Der 


3) Dgl. Thl. I, ©. 196. 
4) Die Wechfelreten des Priefters, des Diakonus und der Gemeinde. 
Scherr, Geſch. d. Religion. III. 22 


338 


frommen Zuſchauer bald nicht mehr faffen fünnen And man war daher ge⸗ 
nöthigt geweien, auf Kirdhöfen und anderen freien PBlägen die heilige 
Schaubühne aufzuſchlagen, welche fih nah und nach mit izeniihem Apparat 
aller Art, bunten Coſtüms, Decorationen, Flugmaſchinen und Verſenkungen 
bereiherte). Das alte und dad geue Teſtament und alle die Märtyrer 
geichichten und SHeiligenlegenten lieferten die Stoffe. Selbſtverſtändlich 
war die Dramatifirung noch eine ſehr rohe). Sie war nicht mehr als 
eine planloje Aufeinanterfolge von in epiſcher Breite fih abwidelnden Sze- 
nen, deren erfte manchmal mit der Weltſchöpfung anhob und deren legte mit 
dem Weltgericht ſchloß. Da iſt e8 denn begreiflich, daß fo ein Myfterium oft 
mehrere Tage, ja eine ganze Woche dauerte und daß man, die Geduld der 
Zuſchauer zum Audharren zu bewegen, mitunter zu dem Mittel greifen 
mußte, an das vollftändige Anhören eines dieſer unendlichen heiligen Schau- 
fpiele eine Ablaßertheilung zu fnüpfen”). Selbfiverftändlih ift auch, daß 
bei einer Erweiterung der Myſterienſpiele, weldye oft in einem Stüd hun⸗ 
dert Acteurs und ganze Schaaren von Engeln, Teufeln, Heiligen und 


5) Die Möyfterienbühne war gemöhnlih in drei Etodwerke getheilt: das obere 
ftellte den Himmel vor, das mittlere die Erde, das untere die Hölle. 

6) Nach unferem Gefühl oft fogar eine frech traveſtirende, blasphemifche,, nach 
mittelalterlid‘em freilich , wie die Berehrer des Mittelalters ın foldyen Fällen zu fagen 
pflegen, nur eine naive. Alt, in feinem vortrefflihen Bud „Theater und Kirche“ 
(S. 389) führt an: — In einem franzöflihen Müyfterium fah man während der 
Kreuzigung und Grablegung Ehrifti Bott ten Bater oben auf feinem Himmelsthron 
fchlafend. Zwifchen ihm und einem Engel, ter ihn wedte, entipann fich folgender 
Dialog. 





Eng. Pöre Eternel, vous avez tort, 
Et devriez avoir vergogne; 
Votre fils bien-aime est mort, 
Et vous dormez comme un yvrogne, 
Gottvater. Il est mort? 
Eng. D’homme de bien. 
Gottvater. Diable m’emporte, qui en savais rien. 

7) Unter ver Regierung Heinriche IV. von England wurde zu Cheſter ein Myſte⸗ 
rium von der Weltfchöpfung und tem Weltuntergang aufgeführt, welches eine volle 
Woche lang fpielte. Iedem, welcher diefem Schaufpiel ununterbrochen anwohnen würde, 
war ein taufendjühriger Ablaß zugeſichert. Bgl. Collier, Hist. of English dram. poetry, 
11, 173. . In Frankreich hießen die kirchlichen Schaufpiele Mysteres, in Deutfchland 
Weihnachts: und Ofteripiele (Paſſionsſpiele), in England Miracle-Plays (Wunder: 
fpiele), in Spanien Autos, in Italien Vangelii oder Commedie spirituali, 


339 


Kriegsknechten auf die Muͤhne führte, der Klerus nicht mehr alle Rollen bes 
ſetzen konnte. Man mußte alfo die vagirenten Joculatoren, Hiftrionen 
und Spielleute zur Aushülfe nehmen und bald agirten mehr Laien als 
Kleriker die Firchlihen Dramen. Hiemit war der erfte Schritt zur Emanzi⸗ 
pation des Theaterd von der Kirche angebahnt. in zweiter gefchah da⸗ 
durch, daß ſich dem bibliſch⸗mythologiſchen Myſterium als eine weitere dra⸗ 
matiſche Gattung die moraliſche Allegorie geſellte, die „ Moralität *, deren 


Charaktere PVerfonificationen von Tugenden und Kaftern waren. Gegen 


Ende des Mittelalters finden wir die Myſterien und Moralitäten in den 
Händen eigener Spielgeiellihaften, der fogenannten Pafftonshruderfchaften, 
die im Vorſchritt der Zeit dem weltlichen Element in den geiftlichen Spielen 


einen immer breiteren Raum geflatteten. In der Mitte des 15. Jahrhun«- 


derts ſehen wir die weltliche Komödie als „Fafſtnachtsſpiel“ in den deutſchen 
Städten ſchon feleftftändig neben der kirchlichen ftehen. Damals begann ſich 
in Italien auch die. Oyer zu entwideln und etwas fpäter, zur Neformationg- 
zeit, finden wir neben diefen von der Kirche emanzipirten dramatiſchen Gat⸗ 
tungen das gelehrte Schuldrama floriren, in welchem die Reminiscenz des 


claſſiſchen Alterthums den Ton angab. Dieſe Reminiscenz beſtimmte, wie 


befannt,, die Geftaltung der dramatifchen Poefle Italiens, Frankreichs und 
zunächft auch Deutfchlande. Nur zwei Ländern, England und Spanien, 
war ed gegönnt, unbeirrt von antifen Vorbildern, auf nationalen Grund» 
lagen eine reichfle dramatiiche Literatur aufzubauen. 


7. 


Es fonnte nicht fehlen, daß die hriftliche Idee in ihrer erſten Strenge, 
Herbigfeit und Düfterniß auch die Poefle, dieſe ewige Tröfterin und Jugend⸗ 


verleiherin der Menfchheit, zu den „verdammlichen itelfeiten der Welt * 


warf. Jedoch griff, wie in Betreff der Muflf, fo ebenfalld in Betreff der 
geiftigften Kunſt ſchon fehr frühzeitig eine mildere Anſchauung Platz. Die 
dichteriſchen Bücher des alten Teſtamentes übten zu bedeutenden Einfluß auf 
die Bekenner des neuen, als daß eine Fortführung der in jenen angeſchlage⸗ 
nen Töne hätte ausbleiben können, und wo noch ein Bedenken gegen die 
Handhabung poetiſcher Formen auftauchte, half man ſich daruͤber hinweg, 


indem man der „yheidniſch⸗weltlichen“ Dichtung eine „chriſtlich⸗geiſtliche 


entgegenſetzte. Auf Originalität hat dieſe altchriſtliche Poeſie geringe An⸗ 
ſprüche. Ihre Vorbilder blieben, wie ſchon angedeutet worden, einestheils 
22* 


340 


der Jubel⸗ und Klagegefang der hebrätfchen Pijalmiften, anterntbeils Die 
viftonäre Orakelſpendung der hedrätihen Propheten. In Wiederaufnahme 
des Iegteren Elemente ſchuf die Poeſie der Urfirche jenes merfwürbige Werk, 
welches unter dem Titel der „ Apofalypfe (Offenbarung) Johannis * in den 
Kanon der neuteftamentlihen Schriften aufgenommen wurte. Die Apofa- 
Inpfe gehört zu den feltenen Hervorbringungen der Phantafle, welche die 
Signatur eines ganzen Zeitalters geben. Die bizarren und furdtbaren Vi⸗ 
flonen eines Ezechiel und Daniel find bier noch überboten. Der Gegenfak 
der Kriftlihen Himmelsſehnſucht gegen die heidniſche Erdenfreutigfeit in 
feiner ganzen Schroffheit, aller Schmerz, aller Zorn, alle laute Klage und 
geheime Siegeshoffnung des unter Verachtung und Verfolgung ringenten 
neuen Glaubens {ft hier in Bildern von ätzender Schärfe dargelegt, welche 
zuweilen Die Seele triumphirend emporflügeln in die efftatifhen Wonnen 
des himmlischen Jeruſalem, noch öfter aber fie mit der Wucht einer unge⸗ 
heuren Traurigkeit zu Boden drüden!). Kein Wunder, daß die Apofalypie 
unter Denen, welden fle nicht ein Dichterwerk, fondern eine Yuntgrube 
gläubiger Grübelei ift, fo viele Verrückte gemadıt bat. 

Roſenkranz hat vorgefchlagen 2), zu befferer Ueberjichtlichkeit der Steale 
äriftliher Poefte drei große Kreife anzunehmen, den der griechiicheorientali« 
ſchen, den der lateiniſch-romaniſchen und den der germanifch-proteftantifchen 
Kirhe. Der Charakter des erften wäre die „Refignation *, der des zweiten 
tie „Nitterlichkeit*, der des dritten die „Selbftgewißheit*. In weiterer 
Ausführung deſſen beftimmt dann der genannte Nefihetifer die Neflgnation 
als tie „noch negative Baflung der Freiheit als Gehorfam gegen das 
Dogma*, die Ritterlichfeit ald „pofttive Geftaltung der Freiheit ald Kampf 
für da8 Dogma*, die Selbftgemwißheit endlich als „abjolute Manifeftation 
der Freiheit ala Kritik des Dogma’3 und ald Vorbehalt der Kritik für alle 
feine praftifchen Gonfequenzen“. Wer nicht einen unbedingten Aberwillen 
gegen das Handtiren mit philofophifchen Kategorien hat, Fann fi am Ende 
diefe Schabloniflrung der PVoefte im Chriſtenthum gefallen laſſen, d. H. im 


1) „Die Poeſie der Propheten Hat fi bis zu jener bittern, heftigen, ſchoͤnheits⸗ 
feindlichen Lauge hinaufgefleigert, womit viele Blätter der Apofalypfe überzogen find, 
welche chlorartig allen Lebensrofen die Röthe abägt und das Leben zu einem verbranns 
ten Eactusflengel macht mit wenigen übertriebenen Blüthen, zu einer heißen Sand: 
wüfte mit wenigen Oaſen“. Fortlage, Geſch. d. Poeſie, ©. 154. 

2) „Die Poefie und ihre Gefchichte”, S. 408 fg. 


. — — — — 


341 


Großen und Ganzen; im Einzelnen aber ift fle nur mit demjelben Zwang 
durchzuführen, der ſolchen Schablonifirungen überhaupt anhaftet. Denn die 
taujenderlei Modificationen und Nuancen, welche zu allen Zeiten in Auf- 
faffung, Werthung und Wirkung des Chriſtenthums ſich kundgaben, ſprachen 
ſich auch in der chriftlichen Poeſte aus. 


8. 


Die Väter der griechifchen Kirche waren die älteften chriftlichen Dichter 
und für den älteften derfelben Fann Klemens von Alerandrien (um 200) 
angeſehen werden, der Verfafler eines berühmten Hymnus auf den Sotes 
Ehriftus. Ihm reihen fich bis ins 5. Jahrhundert hinein Gregoriod von 
Nazianz, Upollinaris von Laodifeia, Syneſios von Kyrene und Methodios 
von Patara an. Dad cdharafteriftiiche Merkmal diefer alerandriniichen und 
byzantinifhen Hymnenlyrik if die Verbindung der bebräifchen Pſalmen⸗ 
inbrunft mit der würdevollen Einfachheit hellenifcher Formen. Der Ton 
diefer altchriftlichen Gefänge ift in der That ein reflgnirter, adfetiicher ; es 
find Lieder, wie fie im Schooße einer leidenden und ftreitenden Kirche ent« 
ftehen Fonnten und mußten. In der Tateinifchen Kirche, in welcher die 
Hymnenlyrik durch den berühmten Mailänder Bifhof Ambroftus eingeführt 
und durch Papft Gregor I. weitergebildet wurde, kündigt fidh der Triumph 
des Chriſtenthums ſchon frühzeitig dichteriih an. Doc erft mit den 11, 
Jahrhundert, wo der Eieg der römifchen Kirche fchon entichieden war, bes 
ginnt ihr Belang machts und prachtvoll aufzutönen. So ein Pradtlied 
kirchlichen Triumphes ift des Cardinals P. Damtani (ft. 1072) Hymnus 
auf die Sreuden des Paradiejes!). ALS ein Gegenftüd zu dieſem triumphi⸗ 


1) Der fromme Dichter beginnt feine Schilderung, in welcher tie riftlichen 
PVorftellungen von den himmlifchen Wonnen in der abentländifchen Kirche zuerft eine 
feſte poetiſche Geflaltung erhielten, mit einem fehnfuchtsvollen Aufblid aus bem biefleis » 
tigen „Cxil“ nad) dem jenfeitigen „Vaterland“ und fährt dann alſo fort: — 

Ach, wer fchildert Das Entzüden in des Friedens ew'gem Stral, 
Wo fich aus lebend’gen Perlen bebet der Baläfte Zahl, 
Wo von Bold die Tiiche jchimmern in dem hochgewoͤlbten Saal. 


Denn aus Grelfteinen find die Häufer diefer Stadt gebaut, 
Und belegt mit reinem Golde werden Straßen bier gefihnut, 
Ohne Schmug und Unreinheiten, fein Getöf’ auch macht fich laut. 


312 


renden Frohlocken kann der dumpfdröhnende Donnerton betrachtet werden, 
womit in dem allbefannten, mit ziemlicher Sicherheit Dem Minoritenmönd 


Winters Kälte, Sommers Hitze drüden niemals diefen Ort, 

Wieſen grünen, Saaten reifen, Bäche Honigs fließen dort, 

Und in ew’gem Frühling blühen hier die Rofen fort und fort. 
Balſam ſchwitzt, es glüht der Safran, Lilien blühn im weißen Kleid, 
Wo der Duft von edlen Hoͤlzern und Aromen iich zerftreut, 

Und in grünen Wältern reifen Früchte ver Unfterblichfeit. 


Sonn’ und Mond find bier erlofchen, wie auch der Geſtirne Heer, 
Denn das Lamm taucht ſelbſt den Wohnort ein in feines Kichtes Meer, 
Gin nie untergeh'nter Tag if, Nacht und Zeiten find nicht mehr. 

Auch die Heil’gen glänzen jeder wie die Sonne Hell und far, 

Bringen nah vollbrachtem Siege jubelnd Preis und Ehre tar, 
Ueberzählend ihre Kämpfe, der befiegten Feinde Schaar. 


Aller Kehl it abgewaſchen, alle Lockung, aller Schmerz, 
Und das Fleiſch ift Weit geworden, Leib und Geift find nur Bin Herz, 
Sie genießen ew’gen Frieden, aller Streit fanf niederwaͤrts. 


Und fie ziehn in ihren Uriprung, vom Beweglichen befreit, 
Schaun die gegenwärt’ge Wahrheit ohne Schein und ohne Kleid, | 
Trinken aus lebend'gen Quellen urgeborne Süßigfeit. | 


Daher ſchoͤpfen fie des Lebens ewige Srneuerung, 
Klar, lebendig, lieblich ohne jegliche Berminderung, 
Ohne Krankheit, immer blühend, ohne Alter, ewig jung. 


Daher ziehn Re unvergaͤnglich's Dafein, denn es flarb der Tod, 
Daher blühn fie Hell und grünen, denn in Roth fam hart die Noth, 
Und tas Recht ift abgerungen, womit lang der Tod gedroht. 


Und fie fennen den Allweifen, Nichts ift ihnen unbekannt, 
In der Sremten Bruft Geheimniß dringt ihr Heiliger Verftand, 
‚ Und ihr Wollen und Rit-Wollen ruht auf Ginem Gegenftand. | 


Und wenn Jeder gleich ter eignen Arbeit Früchte ernten muß, 
Streut die Liebe Allen reichlich doch aus ihrem Ueberfluß; 
Und fo wird, was Einer ernfet, allen Andern zum Genuß. 


Um ven heil'gen Leichnam Sammeln fie wie Adler fh zumal, 
Wo ſich mit den Engeln leget Heil’ger Serlen große Zahl, 
Und die Bürger zweier Welten effen Brod von Einem Mahl. 


. Und Genuß hier und Begierde quillt im unerfhöpften Fluß, 
“ Denn die Reizung ſchafft nicht Qual hier, der Genuß nicht Ueberdruß, 
. Der Genuß treibt nur zur Reizung, und die Reizung zum Genuß. 


ü 343 
Thomas von Gelano (um 1250) zugeichriebenen ‚Dies irae dies illa“ — 
die Schrecken des Weltgerichte8 verfündigt werden. Ein Jahrhundert früber 
hatte Bernhard von Clairvaur in feinem „Jesu duleis memoria* — und 
anderen Hymnen feinem driftlichen Stoicismus begeifterte Worte geliehen 
und fpäter verherrlichte Thomas von Aquino das Fronleichnamsfeft in einem 
myſtiſchen Hymnus und ſang der Mönch Jacoponus fein ſüßmelancholiſches 
„Stabat mater“. 

Wenn man dieſen Fortgang der kirchlichen Hymnologie mit Aufmerk⸗ 
ſamkeit anſieht, ſo bemerkt man unſchwer, daß die chriſtliche Poeſie von ihren 
erſten ſchüchternen und asketiſchen Tönen ſchon zum Reicheren, Vielgeſtaltige⸗ 
ren und — Sinnlicheren vorgeſchritten iſt. Wir nehmen das letztgebrauchte 
Wort ſelbſtverſtändlich im beſten Sinne, nämlich in dem von Natur. Es 
ift überhaupt ein Irrthum, zu glauben, die Freude an der Natur fet im 
‚ Chriftenthum nit frühzeitig wieder erwacht. Selbſt ſchon zu einer Zeit, 
wo ter fpiritualiftifche Enthuflasmus des Chriſtenthums mit größter Ver⸗ 
achtung auf das Natürliche und Wirfliche herabſah, hatte fich fogar ein fo 
mönchiſcher Charakter, wie Baſtlius der Große war, nicht enthalten können, 
in einem Briefe an Gregor von Nazianz dem Ausdruck feiner finnigen 
Naturfreude Raum zu geben, und mit Recht hat Humboldt diefen Brief als 
ein Beugniß poetiicher Landſchaftsmalerei angeführt 2). Aber das Ver⸗ 
balten der Ehriften zur Natur war nicht dad naive, unbefangene der Hel⸗ 
lenen. Der Chriſt konnte freilich ſeine Augen der Herrlichkeit der Natur 
nicht auf die Länge verſchließen. Er mußte, ſofern ihn die Askeſe nicht 
gefühllos oder wahnfinnig gemacht, die Natur bewundern und lieben. Allein 
diefe Bewunderung und Liebe war eine fo zu fagen nur im Geheimen zu 
befriedigende. Die Reize der Natur waren für ihn verbotene, Daher nur 


—— nn — — — 


Aus der ſuͤßen Floͤtenſtimme quillt der Bach der Melodie, 
Inſtrumente, ſüß den Ohren, toͤnen jauchzend Harmonie, 
Denn ſie fingen Preis dem König, welcher ihnen Sieg verlieh. 


Gluͤcklich, gluͤcklich ift die Seele, die vor ihrem König fteht, 
Unter deren Füßen unten ſich des Weltall Are dreht, 
Sonn’ und Mond git den Geſtirnen ferne nur vorübergebt. 
(Fortlage's Ueberf.) 
88 if nicht unintereffant, die Schilderung des hriftlichen Paradieſes mit ter des mos⸗ 
lemitchen zufammenzuhnlten. ©. u. 6. Buch, 3. Kap., 5, Anm. 12. 
2) Kosmos, II, 27. 


344 


mit einem geheimen Schauder und Grauen betrachtete und genoſſene. Aus 
dieſer Dämonijchen Reizung und Lockung und der geheimen Angft davor ift 
| jenes romanttiche Naturgefühl entiprungen, weldes in der modernen Poefte 
: und Kunft eine fo höchſt bedeutende Rolle Ipielt. 

Der in Frage lebende Brief des Baſilius bietet auch noch einen weiteren 
Geſichtspunkt. Es findet ſich nämlich darin eine mythologiſche Anfpielung, 
die jich im Munde eines Kirchenvaterd und Anachoreten ziemlich jonderbar 
audnimmt, Wir Dürfen aber nicht vergeflen, daß die Väter der Kirche 
durdichnittlich in der clafjlichen Literatur wohlbewandert waren, und mochte 
Diefe auch zu den „verdammlichen fleiſchlichen“ Dingen gehören, dennoch 
fonnten die frommen Männer dem Zauber ded Menſchlich-Schönen, welder 
in der antifen Mythologie und Poefle waltet, nicht immer widerftehen. Sa, 
noch mehr, wir floßen in der altchriftlihen Dichtung auf Werke, deren 
Verfafſer bei den „armen blinden * Heiden die umfaffendften poetifchen An⸗ 
leihen machten, woraus fid dann der wunderlichfte Durcheinanter von Chrifte 
lihem und Helleniihem ergab. So, um cin berühmtes Beifpiel anzufüh« 
ren, in dem Paſſtonsſpiel Xguorös zuoywr, angeblih von dem ſchon ge= 
nannten Gregor von Nazianz verfaßt, mit wahrhaft großartig ungenirter 
Benügung bed Euripites3). Aller Wohlgemeintheit ungeachtet, welche 
nian diefem Stück zuerfennen mag, fann man doch nicht umhin, zu 
lächeln, wenn die Jungfrau Maria, nachdem ihr das bevorſtehende 
Leiden ihres Sohnes angekündigt worden, ihren Schmerz in Worten 
Luft macht, welche Euripides feinen Hippolytos ſprechen ließ, als Liefer 
von der blutfchänderifchen Liebe ter Phätra zu ihm unterrichtet wor- 
den ward), 

Ein weit reinerer und originalerer Ton als in derartigen Mifchwerfen 
hob in der chriſtlichen Poeſte zu Elingen an, ald nach verftummtem ungeheu= 
ren Getöfe der Völkerwanderung in der Farolingijchen Zeit die chriftliche 
Idee dad germanifche Gemüth zu erfüllen und zu bewegen begann. Zu 
erörtern, wie bie chriftlich-geiftliche Eultur in das Germanenthum einging 
und wie ſich allmälig aus ber lateiniſch-geiſtlichen Dichtung die deutjch- 


— — 





3) Vgl. über dieſes merkwuͤrdige Product altchriftiher Dichtung die treffliche 
Abhandlung, welche Elliſſen feiner mit einer metrifchen Heberfegung begleiteten Tert⸗ 
ausgabe vorfegte. „Analekten der mittels und neugriechiichen Literatur”, J. 

4) Q yaia unteg, nAlov Ü' avanıuyai! cet. Xe. r. 267. Hipp: 601. 





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— — — — — — — 


345 


geiftliche heraudbiltete, ift hier nicht ver Ortd). Wir jprechen daher nicht 
von den einichlägigen Bemühungen eined Hraban, Norfer, Williram und 


Anderer, felbft von der möndijchegelehrten, althochdeutichen, ald Spradys 


quelle außerordentlich wichtigen Evangelienharmonie des Benedictinerd Ot⸗ 
frid, welche in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts gedichtet wurde, — 
wohl aber furz von, der etwa zwei oder drei Jahrzehnte früher entflandenen 
altſächſiſchen Evangelienharmonie „Heliand“ (Heiland). Dieſes in Stab⸗ 
reimen gedichtete, auf die Berichte der Evangelien baſirte Epos iſt ohne 
Frage das eigenthümlichſte Werk germaniſch-chriſtlicher Ppeſte. Mit der- 
ſelben wunderbaren Naivetät, womit Homer feine Götter ſprechen und huns 
deln laͤßt, iſt hier der Stoff der evangeliſchen Geſchichte behandelt. Ein 
zweites derartiges Werk exiſtirt nicht. Ton und Färbung find ganz germa- 
niſch-national. Keine Spur von mönchiſcher Gelahrtheit. Alles volks— 
mäßig, klar, ruhig, echtepiih. Der unbefannte Dichter hat Dem Geiſt des 
Chriſtenthums einen germanischen Leib gegeben. So ſchildert er un die 
Hofhaltung des Herodes als die eined altfüchflichen Herzogs, läßt den Chriſtus 
wie einen germanijchen Adaling unter feinem Dienftgefolge erjcheinen und 
macht aus der Bergpredigtverfammlung ein deutſche Herzen anheimelnded 
altgermaniiches Volksthing. 


9. 


| Die Kreuzzüge — in der umfaflenden, an früherer Stelle von uns 
dDargelegten Bedeutung gefaßt — führten jene Blüthe der mittelalterliche 
hriftlichen Poefte herauf, welche wir die ritterliche Romantik zu nennen pfle- 
gen. Morgenland und Abendland, bag durch Byzanz vermittelte Wieder- 
erivachen der antifen Erinnerungen, die Einflüffe arabijcher Cultur und das 
riftlich-Tpiritugliftifche Liebesidenl verbanden fih zur Schöpfung einer poetie 
ſchen Welt, deren Seele die Minne war, ſich offenbarend ald Gottedminne 
und al& Trauenminne Mittelpunkt diefer romantiſchen Wunderwelt blieb 
das farholiiche Dogma, aber gerabe weil tiefes Dogma nad) allfeitiger fünft- 
lerijcher Geſtaltung rang, mußte der chriftliche Spiritualismus dem realifti= 
jhen Prinzip in der Poefle die weitgehennften Einräumungen madhen. In 
ber That jehen wir denn guch den bluͤhendſten Realismus in den romanti⸗ 


8) Bine fleißige und reihe Sammlung der altdeutſch⸗geiſtlichen Dichtung. gibt 
Sötefe in feinem „Mittelalter“, Abfchn. 2, 3, 4. 


346 


ſchen Regionen walten, weldye Dame „Aventüre * ald Mufe durdichweift, 
einen Realismus, hinter welchen der chriftliche Idealismus oft jehr beſcheiden 
zurüdıritt. 

In der Provence zunähft, dann in Nortfrankreih äußert fih die 
ritterliche Romantif lyriſch, didaftiih und epiih. Die farolingiichen und 
bretoniſch⸗keltiſchen Sagenkreiſe liefern vorwiegend das Material. Aber ein 
höherer Gehalt wird dieien Stoffen erft eingehaudt, eine edlere Kunftform 
erhalten fie erft in Deutichland, wo Nitterepopde und Dinnegeiang zur 
Bollendung geführt werden. Die Höhepunkte dieſer deutſch⸗romantiſchen 
Nitterdichtung bezeichnen ald Lyriker Walther von der Bogelweide, ald Epiker 
Wolfram von Eſchenbach und Gottfried von Straßburg. Wolframd Par⸗ 
zival ift eine8 der merfwürbdigften Werke des Menſchengeiſtes, ein pſycholo⸗ 
giſches Epos voll Tieffinn und Gedanfenhohheit. Gottfried Triftan da⸗ 
gegen gehört zu dem Anmuthigften, was die Poeſte je geſchaffen. Wolfram 
ift myſtiſcher Ipealift, Gottfried lebensfreudiger Realiſt. Jener fchöpft feine 
Infpiration aus der himmlifchen, diefer die feinige aus der irdiſchen Minne. 
Im Parzival ringt die Hriftliche Himmelsſehnſucht, im Triftan pulftrt die 
heidniſche Leidenſchaft. Wolfram laßt den Gott, Gottfried läßt den Men⸗ 
fen triumphiren. Beide Dichter fiellen in fih den großen Gegenſatz 
zwifchen Idealismus und Realismus dar, welder ſich fpäter in der deutſchen 
Literatur noch oft wiederbolte!). Eigenthümlich ift das Verbältnig der 
volfsmäßigen deutſchen Heldendichtung zur ritterlicheromantijchen Kiteratur. 
Die altnationalen Gagenfreife, von fahrenden Sängern Jahrhunderte lang 
durch mündliche Tradition fortgepflanzt und dann zu Anfang des 13. Jahr⸗ 
hunderts von kunftmäßigen Dichtern überarbeitet, bewahrten ihre heidniſche 
Natur. Der Stolz des germanijchen Heldengelanges, das Nibelungenlied, 
iſt im Wefen und Ton durdaus heidniſch. So au die Gudrun und das 
Eleine Heldenbuch. Chriftliches wird zwar Häufig darin erwähnt, aber 
ganz beiläufig und aͤußerlich. Diefg grandioſe Epik ift naiv finnlich, welt⸗ 
lich, heidniſch. 

Das Ziel, welches zu Anfang des 13. Jahrhunderts der Deutſche 
Wolfram mächtig angeſtrebt hatte, die Geſtaltung der chriſtlichen Idee zu 
einer Univerfaldichtung,, erreichte im 14. der Italiener Dante. Man bat 
ihn nicht mit Unrecht den Homer des Chriſtenthums genannt, denn wie bie 





1) Klopftod und Wieland, Schiller und Göthe, Börne und Heine. 


% 


347 


homeriichen Gefänge das Helleniihe Dogma mythologiſch auseinanderfalten, 
fo thut Dante's große Dichtung, die Divina Commedia, mit dem chriſt⸗ 
katholiſchen. Die göitliche Komödie löſt das Dieſſeits ind Jenſeits auf, 
verfluͤchtigt den Realismus des Menſchendaſeins in die phantaſtiſchen Zus 
kunftswelten der Hölle, des Fegfeuers und des Himmels. Durch einen 
Genius von ungeheurer Energie iſt in Dante's Gedicht dad ganze unermeß⸗ 
liche Material, welches heidniſche und chriſtliche Phantafte ſeit Jahrhunderten 
und Jahrtauſenden zur Conſtruction eines vorgeſtellten, gehofften ſowohl 
als gefürchteten Lebens nach dem Tode aufgehäuft hatte, zu einem Rieſenbau 
verwendet worden, der feines Gleichen nicht hat?). In diefem Wunderbau 
ift Alles myſtiſch, ſymboliſch, allegoriich ; das Wirkliche erfcheint als unmög« 
lid, das Unmögliche als wirklid. Mit unvergleichlicher Meifterichaft hat 
der Dichter im Fortgang feiner Wanderung durch die Welt der chriftlichen 
Mythologie den Entfinnlihungsprozeg veranfchaulicht, welchen dem hriftlichen 
Dogma zufolge die Menſchenſeele durchmachen joll. Im Inferno ftehen wir 
noch auf dem realen Boden der Leidenjchaften, aber wie wir mit dem Dichter 
aus den Höllenbulgen heraus und die Stadien des Yegefeuerberges hinans 
Reigen, bleibt Schritt für Schritt alles Reale Hinter und zurüd und im 
Paradiio vollends geht allmälig die ſinnliche Begreiflichkeit ganz aus. Da 
wandeln wir in der Aetherluft der reinen Idee und alle Vorftellungen ver- 
fäufeln zulegt in efftatiihen Wonnen, für die e8 feinen Ausdruck mehr gibt. 
Das Fleisch ift Geiſt geworben. 

Dante's Komödie fieht am Eingang der ttaliihen Literatur als Die 
größte Leiftung derfelben. Hier war die Fatholiiche Idee zur großartigften 
dichterifchen Erfcheinung gefommen und fogleih trat ein Niedergang Liefer 
Idee ein. Das antife Element wurde in der italifchen Poefte neben dem 
hriftlihen mächtig. Weniger deutlich erkennen wir dad in der hriftlich- 





2) Es fieht zu vermuthen, daß Dante eine äußerliche Anregung zur Schöpfung 
der göttlichen Komödie duch den franzöflihen Minftrel Raoul de Houdan erhalten 
habe, welcher um 1190 Das Gedicht „‚La vove vu la songe d’Enfer‘‘ verjaßt hatte. 
Selbftverftändlich haben die antifen Mythen vom Elyſium und Tartarus auf die Ges 
ftaltung der chriftlihen Vorftellungen von Himmel und Hölle eingewirft. Falls Dans 
te's Name nicht dadurch entweiht würde, möchte ich fagen, daB für Deutfchland der 
Pater Kochem eine Art vollsmäßiger Yante geworden if. Sein „Himmelsihlüffel“ 
läßt befanntlich die Folterphantafte aller Inquifltoren und Herenrichter Hinter ſich. 
In dieſem grotesfen Buch feiert die hriftliche Mythologie ihr „Narren: und Gjelsfeft“. 


348 


platoniihen Sentimentalität Der Sonnettendichtung des Petrarca, aber ſehr 
deutlih ſchon in der Norelliftif des Boccaccio, welder tie Möndyerei mit 
dem Spottgelücdhter beidniicher Fleiſchesluſt überſchüttet. Dieſer Zug von 
Ironie und Spott zieht fih auch Turd Lie romantijche Epik ter Pulci und 
Arioſto jehr vortretend hindurch, und wenn ed; tem Taſſo mit tem chriſt⸗ 
katholischen Ideal hoher Ernſt war, io iſt er in jeinem aroßen Kreuzzugs— 
gedicht Tod ein zu offenfuntiger Nachahmer ter antifen Epifer geweien, als 
dag fein Werk für einen reinen Ausdruck jenes Ideals gelten könnte. Noch 
entjchiedener und geradezu Tominirend tritt die antife Reminiscen; in Des 
Portugieien Samoed herrlichem Heldenlied von den Yufiaten auf. Da wird 
ſchließlich die hriftlihe Verteufelung der heidniſchen Götter ganz fallen ge= 
lajjen und werden, wenn auch mit Unhängung allegoriider Deutung, die 
Umarnungen helleniiher Nymphen criftlihen Helten ala lodendfte Beloh— 
nung für beftandene Gefahren und Mühſale Hingeftellt. — Biel reiner und 
firenger ericheint das katholiſch-romantiſche Ideal in der ſpaniſchen Poeſie. 
Nachdem der Kreuzzugsgeift in den Romanzen vom Eid eine jhönfte Ver: 
förperung gefunten, fam Die ganze Ritterwelt zu breitefter Darlegung in 
jenen Romanen, weldhe man nad ihrer typiichen Hauptfigur Almatiromane 
zu nennen pflegt. Allerdings fand dieſe Ritrerdichtung, wie ihre höchſte 
Vollendung, jo zugleih auch ihre Vernichtung durch das mit Recht welt— 
berühmte Buch des tieffinnigen Cervantes, welcher Den Gegenſatz von Ideas 
lismus und Realismus mit fouverainer Genialität zu einer Tragikomödie 
des menſchlichen Lebens geftaltete und an dem Schidjal des edlen Mancha- 
ners nachwies, Daß der Menſch nicht ungeſtraft die Verhältniſſe der Wirk— 
lichfeit mißachte- Dennoch aber trieb erſt nach Cervantes das katholiſche 
Dogma in Spanien ſeine reichſten und prächtigften poetiſchen Blüthen, in 
den Dramen eines Zope und Calderon. Hier wird die chriſtliche Himmels— 
ſehnſucht zur Verzückung, die kaum mehr vom Wahnfinn zu unterſcheiden 
iſt, die chriſtliche Rechtgläubigkeit zu fanatiſcher Ausſchließlichkeit, die Glau— 
bensbegeiſterung zu wilder Graufamkeit. Es iſt etwas Mänadenhaftes, Or- 
giaſtiſches in dieſer Lope-Calderon'ſchen Dichtung. Sie haucht einen narko— 
tiſchen Duft, welcher die Sinne umnebelt und das Herz zuſammenſchnuͤrt. 


10. 


Das Prinzip der Glaubensautorität, die katholiſche Idee, wie ſie im 
ſpaniſchen Drama des 17. Jahrhunderts ihre vollſte und blendendſte poetiſche 


349 


Darftellung gefunten, hatte fih an der Reformation zu neuer Lebensfaͤhig— 
keit aufgefrifcht. Nur im Gegenfag zum reformatorifhen Germanismus 
war der Romanismus zu jenem energiichen Abſchluß gelangt, welchen ihm 
Die Befchlüffe ded Tridentiner Concild gaben. Das proteftantifhe Prinzip, 
die, freie Selbftbeflimmung des Individuums, das „Ideal der Selbftgewiß- 
beit *, ift feiner innerften Natur nach eben fo weſentlich germanifch, als der 
Katholicismus wefentlich romanifch iſt. Die beiden großen Gegenfäge im 
biftoriichen Chriſtenthum, die fatholiihe Veräußerlihung und die proteflan- 
tifche Verinnerlichung defielben, blieben auch nattonal abgegränzt, Denn die 
bleibenden Eroberungen, welche der Proteftantißmus unter den romaniſchen 
Völkern gemadıt, ſtatuiren höchftens eine Ausnahme von der Regel. Auch 
in Betreff der poetifchen Production. Denn wenn aud, um einige vor= 
zagendfte Beifpiele anzuführen, zur Reformationszeit ein Rabelais die Spring- 
flut feines cynifhen Sarkasmus gegen den Fels der Kirche anbranden ließ; 
wenn fogar fchon früher ein Pulci das Eirchliche Dogma ganz offen verhöhnt, 
ein Arioſto taffelbe ironisch belächelt, ein Macchiavelli die jeſuitiſche Caſui— 
ftil, bevor es einen Jeſuitenorden gab, in feiner zügellofen Komödie La 
Mandragola blutig gegeißelt hatte — nirgends doc war e8 zu einem ent= 
ſchiedenen Bruch mit der Hriftlichen Autorität gefommen. 

Der germanijche Ernft vollzog diefen Bruch. Die Bibel einerfeit, 
das claſſiſche Alterthum andererjeitd wurden für die Völker germanifchen 
Stammes die Grundlagen einer neuen Weltanfhauung. Der Kampf der 
Freiheit gegen die Autorität begann auch in der Poeſte. Diefer Außerte ſich 
zunaͤchſt vorwiegend polemiſch und Iegte überall den Maafftab einer verftän- 
digen Kritik an die Vergangenheit. So in den religids-politiichen Faſt⸗ 
nachtöfpielen jener Tage; fo in den Werfen jener Reihe von Babuliften und 
Satirifern, welche von Brandt bis auf Fiſchart herabreicht; fo in der bei 
aller abfichtlichen Unclaffleität dennoch clafftfähen Satire der Epistolae viro- 
rum obscurorum, welche aus den Kreifen der deutſchen Humantften bervors 
gegangen iſt, wo der Wig des Erasmus und der edle Enthuftasmuß des Uls 
rih von Hutten den Ton angaben!). Bezeichnend ift auch, daß auf der 


1) Erhard, in feiner „Geſchichte des Wieteraufblühens wiſſenſchaftl. Bildung *, 
11, 380, weift mit nicht geringer Wahrfcheinlichfeit nach, daß der erſte Theil der „Duns 
felmännerbriefe” von Johann Erotus verfaßt fei. Seine Mitarbeiter feien Peter Eber⸗ 
bady und Herinann von Nuenar gewelen. Zum zweiten Theil könne Hutten beige: 
fteuert haben. 


350 


Bränzicheide des 14. und 15. Jahrhunderts Das uralisgermanifche Thierepos, 
welches fi im Verlaufe Der Zeit zur derben Ironifirung des Pfaffenthums 
beraufgebildet batte , in dem niederdeutfchen „Reinefe Vos“ feinen dichteri= 
fen Abſchluß fand. Als poſitive Dichteriihe Schöpfung konnte tie Refor⸗ 
mationdzeit in Deutidhland zunächſt nur das proteftantifche Kirchenlied auf⸗ 
weiten, zu welden Luther die marfige Weiſe angegeben hatte. 

Dagegen ſchickte der germaniicye PVroteftantismus in England zwei 
Dichter vor, durch welche das proteftantiicde Prinzip feine höchſte poetiiche 
Weihe erhielt: Shakſpeare und Milton. Wir nehmen natürlich das Wort 
Proteftantismus hier nicht in dem engen confeiftonellen, ſondern im weiten 
und weiteſten Sinn. Proteſtantismus ift und alfo Die freie Selbftbeftim- 
mung des Menichen und in diefem Sinne nennen wir Chaffpeare einen pro= 
teftantiichen Dichter. Der wunderbare Genius tiefes Mannes, tem ohne 
MWiderrede der Thron des Univerjaldichters der modernen Welt eingeräumt 
ift, wußte Nichts von Dem mittelalierliben Gebuntenjein des Geiſtes. Das 
kirchliche Dogma hat ihm nicht imponirt. Die Charaftere, die er geichaffen, 
find frei, ſie beſtimmen fich jelbft, ihre Handlungen find Acte ihres Willens. 
Sie find feine ſchemenhaften Darionetten an den Drabten des firdlichen 
Dogma’d und der kirchlichen Moral, fondern Menſchen, volle und ganze 
Meniden, von innen heraus lebend, auf fich felbft geftellt. Nun aber ſteht 
dem freien Menichenwillen ein Ewiges, Geheimnißvolles gegenüber, was die 
Menſchen Verhängniß, Schidial, fttlidie Nothwendigfeit, Gott nennen. An 
diejer Schranke bricht ſich die menſchliche Selbftgemißheit ; fie geht an ihr zu 
Grunde, falls fte nicht zugleich Selbftbeichränfung if. Das if Shafipeare’s 
Tragik. Die menicliche Freiheit artet leicht in Willtür aus, welde im 
Anrennen gegen jelbftgefeßte, unweſentliche, nichtige Schranfen ein eitled und 
thörichtes Spiel treibt, in deſſen Verlauf fie haltlos in fi) zuſammenbricht, 
um aus ihrer Vernichtung das Rechte hervorgehen zu laflen. Das ift 
Shakſpeare's Komif. So hat Shafipeare in Tragif und Komif, zwiſchen 
welchen” jein tiefernfler und zugleich olympifch beiterer Humor tie vermit⸗ 
telnde Brücke ſchlägt, die ethiiche Idee des Chriſtenthums in ihrer ganzen 
Tiefe erfaßt. Milton feinerfeits verficht in feinem großen Gericht vom ver- 
lorenen Paradies ebenfall8 die proteflantifche Idee der Freiheit, aber nicht fo 
faft in dem weltweiten Shakſpeare'ſchen als vielmehr in dem begränzteren 
Sinne des Puritanismus. Die Schranke, an welcher hier die menſchliche 
Selbftbeftimmung zu Grunde geht, ift nicht das ewige Sittengefeß, ſondern 


351 


das bibliſche Dogma in ſeiner puritaniſchen Auffaſſung. Hierin liegt der 
Grund der dogmatiſchen Verkümmerung der großen Ingention von Miltons 
Merk, hierin auch der weitere, warum Klopſtocks Verſuch, den von Milton 
angeichlagenen Tonim 18. Jahrhuntert fortzuführen, nur eine fehr vorüber- 
gehende Wirkung gethan hat. 

Denn dieje 18. Jahrhundert ging, wie Jedermann weiß, recht eigent« 
lich darauf aus, alle Schranken der gefchriebenen und traditionellen Autori« 
tät niederzuwerfen und die Prinzipien der Reformation vom religiöien aud 
auf die übrigen Gebiete des Lebens herüberzupflanzen. Der Geift dieler 
Beit war ein hriftlicheidealiftiicher, jofern er ein weientlich Eosmopolitifcher 
war; er war aber aud ein antifsrealiftiicher, jofern er die Gruntfäge des 
Humanismus allieitig zur Geltung zu bringen ſuchte. Die religiöfe Sfep- 
tik, von den englijchen Breidenkern auf die franzöflichen Encyklopädiften üher« 
gegangen, hatte hier, nachdem das antike Schönheitsiteal in der franzöſiſchen 
Tragödie zum Eritifchen Mefler geworden, eine deiftiiche Poefte erzeugt, ale 
deren Hauptrepräfentant Voltaire erfcheint. Er übergoß die Eirchlichen Dog« 
men, die Hierarchie, das biftoriihe Chriftentyum überhaupt mit der Lauge 
bitterften Spotte8 2), aber zugleich anerkannte er huldigend die Grundlehren 
des chriftlichen Glaubens und der chriftlichen Sittenlehre). Er war jo fehr 
Deift, daß er in Verjen, die zu feinen glängendften gehören, den berühmten 
Ausfpruh that, wenn Gott nit wäre, müßte man ihn erfinden ?). Im 


—_ _ — — 


2) Die Quinteſſenz deſſelben iſt zuſammengefaßt in der 1722 geſchriebenen Epi⸗ 
ſtel an Uranie (l.e Pour et le Contre). 

3) Keiner ter Zeloten, welche eine wüthende Grimafle fchneiten, fo oft Vol⸗ 
taire's Name genannt wird, würde es zu jener hohen Anficht des ethiſchen Prinzips 
im Ehriftenthum bringen, welche Voltaire in feiner Alzire Darlegt, da, wo er den Chris 
ften Gusman zu dem Heiden Zamore fagen läßt: — 

Des dieux que nous servons connais la difference: 
Les tiens t’ont commande& le meurtre et la vengeance; 
Et les miens, quand ton bras vient de m’assassiner, 
M’ordonnent Je te plaindre et de te pardonner. 
&) Ils (les peuples) ont adoré tous un maltre, un juge, un pere; 
Ce systeme sublime à I’homme est necessaire:: 
{ C’est le sacre lieu de la socidte, 

Le premier fondement de la sainte equite, 

Le frein du scelerat, l’esperance du juste. 

Si les cieux, depouilles de leur empreinte auzuste, 





352 


deutſchen Rationalismus und Humanidmus wurde dann dieſes deiftiiche 
Prinzip zum weltbürgerlichen Idealismus erhoben und erhielt feine claiitiche 
dichteriſche Geſtaltung in Leſſings Nathan, dieſem, Bild edelfter Menſchheit *. 
Houffeau, flatt wie Voltaire an den „ Esprit“, appellirte an das Gemüth 
und ſetzte Dem bibliihen Evangelium ein Naturevangelium, der geoffenbar= 
ten Religion die natürliche entgegen, Deren Eredo er immer und üferall, am 
beredteften aber in der berühmten Profession de foi du vicaire savoyard 
verfündigte. Auch Rouſſeau ift ein Gläubiger, aber flatt ein Theologe zu 
fein, ift er ein Menſch. „Wage es, ruft er jeinem Emil zu, — ten Philos 
fophen gegenüber Bott zu bekennen! Wage c8, den Unduldiamen gegenüber 
Humanität zu predigen!“ Der enthuflaftiiche Ruf nad Natur und Freiheit, 
welchen Roufſeau erhoben, fand Iauteften Wiederhall in Deutjchlant. Hier 
nahmen ihn die, Stürmer und Dränger * auf, welchen Gerber, in Fortſetzung 
der Mifflon Leffings, als Fritiiher Bannerträger voranſchritt. Göthe und 
Skhiller erhoben dann die naturaliftiiche Wreiheitdidee der Sturm- und 
Drangperiode in die Sphäre der Kunft. Wie fi die beiden großen Män- 
ner im eben befreundet waren, jo ergänzen fich ihre Werfe gegenieitig. Hier 
ift das Ideal der Humanität, in welchem Heidnifches und Ehriftliched, ge— 
läutert im euer der modernen Bildung, zum modernen Griechenthum ver= 
fhmilzt, voll und ganz zur poetijchen Erſcheinung gefommen. Abgewandt Beide 
dem kirchlichen Dogma und oft in den jchärfften Ausdrüden dicje Abneigung 
manifeftirend, find doch Göthe und Schiller vom lauterſten und innigften reli= 
giöſen Gefühle befeelt. Ueberall ift und wirft in ihnen der Gott. Wunder- 
bar haben fie die Verteufelung ter Natur überwunden und im Menſchlich⸗ 
Schönen herrlih das Göttliche aufgezeigt. Die Göthe⸗Schiller'ſche Poeſte 
ift die Summe einer adhtzehnhundertjährigen Bildungsgefchichte der Menſch— 
heit. Daher wird ed auch Jahrhunteste währen, bis wieter fo eine „ Men— 
ſchengeſchick beſtimmende“ Dichtung gereift it. Was einftweilen nady Göthe 
und Schiller Dichterifch zu Tage getreten, ift bei aller Genialität im Einzel— 
nen doch im Ganzen nur Unfertiges, Unreifed. Die durch EChateaubriand 
in Sranfreich, tur die romantiiche Schule in Deutſchland begründete mit— 
telalterlichefatholiftrende Reaction gegen ten humaniftifhen Idealismus Hat 
zwar der Contrerevolution Sandlangerdienfte geleiftet, aber Fünftleriih nur 


Pouvaient cesser jamais de le manifester, 
Si Dieu n’existait pas, il faudrait l’inventer. 





... 393 


fohr wenig Bleibendes geichaffen und ift dann, an ſich felber verzweifelnd, 
theils in quietiftiiche Blafirtheit, theild in wilde Berriffenheit umgeſchlagen. 
In dem Sumpf der Blafirtheit verſchwanden die deutfchen Romantiker. Die 
rothe Fahne der Zerriffengeit und Verzweiflung — einer wirklichen ober 
blo8 gemachten — ſchwang Byron Hodhtrogig gen Simmel und ihm find in 
Deutſchland Heined) und feine Schule, in Branfreih Hugo und feine neu⸗ 
tomantiichen Anbänger nadgeganyen. Bon einer „Pocfle und Kunft der 
Zufunft * wird dermalen viel geiproden und geichrieben, aber die wirkliche 
Erſcheinung derfelben {ft jelbft am fernften Saum des Horizontes der Ge⸗ 
genwart noch nicht wahrzunehmen. 


Anhang zum fünften Bud. 
Das Judenthum in der chriſtlichen Zeit. 


1. 


Mährend das Chriſtenthum ſich ſtets in höherem Maße als welt- 
erobernde Religion bewährte, in die Eigenthümlichkeiten aller Nationen ein⸗ 
ging und alle Gebiete Des geiftigen Lebens durchdrang, erwies ſich das 
Judenthum, deffen Anhänger durch Die legte große Niederlage unter Bar⸗ 
Cochbah noch weiter über den Erdkreis zerftreut worden, al8 die confervative 
Religion, welde ſchon wegen ihres nationalen Charafterd und mehr nody 
wegen der Verwerfung ihrer geichichtlich » nothwendigen Entwidlung im 
Chriſtenthum, Feiner jelbftftäntigen Entwicklung mehr fähig ſein konnte. 
Zugleich aber bietet und die weitere Gefchichte des Judenthums den in der 
Weltgeſchichte einzigen Anblick eines Volkes, welches, obwol es Feine Heimat 
mehr befigt und feinen Staat mehr bildet, doc nicht in die übrigen Völker 
anfgegangen if, fondern fich als eine geiftige Einheit behauptet hat. 

Man hat die Entftehung der neuen Geſetzbücher, die Beränderungen in 


— mn 


5) Melcher aber doch zwei Gedichte geſchrieben hat, die zu den fchönften gehören, 
welche überhaupt im und vom Chriftenthfum hervorgebracht wurden ; — die „Wall: 
fahrt nach Kevlaar“ und das Nortfeebild „Frieden“. 

Scherr, Geſch. d. Religion. IM. 93 


der Berfaffung der jüdiſchen Religiondgenofienidiaft und im Eultus, die 
Beripaftung Der Juden in Selten als weitere Eutwiciungen bed Judenthums 
anfehess wollen ; aber es wird fi bri näherer Betrachtung zeigen, Daß das⸗ 


felbe in allen dielen Dingen theils an das Althergebrachte gefeſſelt geblieben, 


theils unter dem Einfluffe des Chriſtenthums und des Islam geftanden ift. 
Die Leiftungen juͤdiſcher Belehrten vollends in ter Philoſophie bangen ganz 
son Einflüffen ab, welche dem Judenthum fremd find. Ein Mofes Maimo⸗ 
nides, Spinoza und Mendelsfohn philofopbirten fo wenig im Geifte des 
Judenthums, ald Arifigteles im Geiſte der homeriſch⸗heſtiodiſchen Volförelis 
gion philofophirt hat. Ein kurzer Ueberblick über Die Geſchichte des Juden 
thums feit den Zeiten Hadriand wird vorftehende Behauptung beftätigen. 


92, 


Von den Phariiäern her waren mündliche Ueberlieferungen neben dem 
moſaiſchen Gefege im Gebrauch. Als nun mit bem Tempel auch dad mo= 
ſaiſche Prieftertfum ein Ente genommen, erhoben fid die Synagogenlebrer 
(Nabbinen) zu Erben der Vriefler una Hohenprieſter. Die Rabbinen lei⸗ 
teten die Gemeinde nah der Halacha, d. h. dem allgemein anerfannten 
Herkommen. Unter ihnen bildete ſich zwar die Tradition mündlicher Ge⸗ 
ſetze weiter, aber gegen Ende bes 2. Jahrhunderts verſchwand ber Urheber 
dieſer Tradition, der Pharkjäismus, in Verachtung gefallen burd die nier 
drige Scheinheiligfeit feiner Glieder, und mit ihm zugleich ter Sadduzaäis⸗ 
mus, gegen welchen cinige der neueren Gelee fpeziell gerichtet waren. Die 
Samariter verwarfen conjequent au die rabbinifche Tradition. Ihre 
firenge geiflige Abgefchloflenheit, gegründet auf das alleinige Feſthalten am 
geichriebenen Gelege Moſis, hat fie jo vereinzelt, Daß ihrer gegenwärtig nur 
noch ein paar Hunderte vorhanden fein mögen. 

Die rabbiniſche Tradition fahte um 230 n. Chr. Jehuda der Heilige 
in der Miſchna zuſammen, einem neuen Geſetzbuch, weldyes unter den Ju⸗ 
den bald allgemeine Gültigkeit gelangte. Statt wie zuvor dem alten Teſta⸗ 
ment, wandte fidh jegt das Stutium (Gemara) allgemein der Mifchna zu. 
Um 359 wurden fänmtlihe Commentarien zu derfelben gefanımelt und 
daraus, mit Bugrundelegung des Mifchnatertes, entftand ver Talmud, def= 
jen erſte Redaction Die Bezeichnung der Jeruſalemitiſchen führt. Erſt der 
fogenannte Babylonifche, weil von den batylonifchen Rabbinen Aſche und 
Abina redigirte, Talmud erlangte jedoch allgemeine Anerkennung. Auch die 


— — 





3 


freie Umerbeitung ded Talmud, welche im 12. Jahrhundert Mofe Ben Mai⸗ 
mon (Maimonides) unter dem Einfluß arabiſch⸗ariſtoteliſcher Philoſophie 
vdruahm, kam unter dem Titel, Jad Chaſaka“ bei den Inden gu großem An⸗ 
ſehen, wenigſtens unter den heller denkenden. Daß unermeßliche Raterial, 
waß die verſchiedenen Mebactionen,; Erweiterungen und Erlaͤuterungen der 
Talmude anhäuften, wurde dann poetiſch ausgenützt von Selten: jener 
in pulgär⸗ aramäiſcher Sprache ſich bewegenden Dißtung, welche vie 
Hagada (d. 1. Geſagtes) heißt). - Mofe Corduero brachte im 16. Jahres 
hundert die von Alters ber traditionell unter den Juden fortgepflanzte my⸗ 
ſtiſch⸗ magiſche Geheimlehre der Kabbala, welche zu fo viel Humbug und 
Schwindel Veranlaſſung gegeben, zum Abſchluß. Sie enthält, in einer 
dunfeln und bilderreichen Sprache verfaßt, ein wunderlichſtes Geuiſch von 
jüdifchen, perſiſchen, aͤgyptiſchen, griechiichen und arabtichen Anſchauungen 
und Meinungen. 


3. 


Die Berfaffung der Judengemeinden bat ſich nad) den politiſchen Ver⸗ 
bältniffen der Völker gerichtet, unter denen „Iirael in der Zerſtreuung“ 
lebte. Die in Palaͤſtina zurücgeblichenen Iuten errichteten aus den anges 
fehenften Rabbinen das aliherkömmliche Synedrium, deſſen Vorfiger den Ti- 
tel Naſt führte. Unter Jehuda dem Heiligen aber exiflirte fon Fein 
Synedrium mehr. Er, der Nafl, war nur noch Vorſteher eines geifflichen 
Berichtes, weldyes aus ihm ſelbſt und zwei Beiſttzern befand und bie Befug« 
nif der Verhängung von Geißelung und Bann befaß. Die babylonifchen 
Judengemeinden fanden anfänglid) unter einem rein weltlichen Oberhaupte, 
dem Reſch⸗Glutha, d. h. Haupt ber Coloniſten. Um 260 errichtete dieſer 
zwei einander beigeordnete rabbinifche Gerichtshöfe, den einem in Nahardea, 
den andern in Sura, wo ſich die beiden wichtigſten Rabbinenſchulen befan- 
den. Im 8. Jahrhundert Famen durch die Bekehrung eines Fürſten der 
Ehafaren am kaspiſchen Meer Juden auf den Thron dieſes Reiches. Dritte 
halb Jahrhunderte hindurch Herrfchte daſelbſt ſtets ein Jude mit einem: juͤdi⸗ 
fchen Miniſter und einem aus Juden, Ehriften und Mohammedanern gebils 
deten Math. Allgemein galt der Brundfag ber Oteligiondfreiheit. Inter 


4) Eine Sammlung Hagadifcher Gedichte, ind Deutfche übertragen, gibt: Jolo⸗ 
wie?’ 3 „Polyglotte der oriental. Bocfle*, ©. 286-316. 





23* 


386 


der maurifchen Herrihaft in Spanien entftanden ebenfalld rabbiniſche Ge⸗ 
richtshöfe, welche ihre Sprüche nach Maßgabe des Talmud fällten. Der 
Islam, insbeſondere der mauriich-fpanifche, befchämte überhaupt im Mittel« 
alter die hriftliche Intoleranz gegen die ISuden, von welder wir im 9. Ka⸗ 
pitel des 5. Buches gehandelt haben!). Erſt der Humanidmus des 
18. Jahrhunderts und mehr noch die franzöftiche Revolution und die Na- 
poleon’sche Geſetzgebung begannen die barbarifchen Feſſeln zu brechen, in 
welche das mittelalterliche Ehriftenthum die Judenſchaft gefchlagen hatte. 
Napoleon, um den Juden Gelegenheit zur Aeußerung ihrer bürger- 
lichen Gefinnung nad den Grundfägen ihrer Religion zu verfchaffen, berief 
auf den 10. Juli 1806 alle jüdiſchen Notabeln Frankreichs zu einer Ver: 
fammlung nad Paris. Diefe erklärte ſich mit Berufung auf einen frühe- 
ren Synodalbeſchluß für die Monogamie, für Eheſcheidung nur unter Bes 
willigung ter Landesgeſehe und die Schließung gemifchter Ehen mit Ehriften. 
Sie verwarf den Wucher, erflärte Branfreih für dad Vaterland der darin 
wohnenden Juden und ſprach cd aus, daß der Einfluß der Habbinen nur auf 
dem Herfommen berube. Dadurd befriedigt, berief Napoleon den großen 
Sanhedrin, d. h. dad jüdifche Synedrium für ganz Sranfreich, ald oberfte 
Behörde der Judenſchaft, um die Beſchlüſſe der Notabelnverfammlung zu 
fanetioniren, was auch wirflih geſchah. Schon zuvor war die von neun 
Notabeln in Verbindung mit Faiferlihen Commiffarien entworfene Verfafz 
fung der Judenfchaft eingeführt worden. Kraft diefer flanden je 2000 Ju— 
den unter einem Confiflorium, alle Eonftflorien des Reichs unter einem 








4) Unter dem Schuge moslemifcher Toleranz war dann auch jene neuhebräifche 
Gultur in Spanien zur Blüthe gefommen, welche in den Werken ber ſpaniſch⸗juͤdiſchen 
Dichterichule, deren Hochmeifter Juda Ha⸗Levi (geb. um 1080) if, einen fchönen Bei- 
trag zur Weltliteratur geliefert hat. Bol. Iolow’gza.a. DO. S. 317—337. Die fuͤdiſchen 
Philoſophen, an deren Spike der fhon genannte Maimonides fteht, waren auch Lie 
bauptfächlichften Vermittler zwifchen der arabifchsariftotelifchen Philofophie und ter 
chriſtlichen Scholaſtik. Ueberhaupt verdanft die Wiflenfchaft den aus der pyrenaͤiſchen 
Halbinfel nach dem Norden gewanderten füdifchen Gelehrten viel. Im Uebrigen ift 
zu bemerfen, daß der Fühnfte, originellfte und edilfte Denker, welchen die neuhebräifche 
Bildung hervorgebracht hat, Baruch Spinoza, fein großes pantheiftiiches Syſtem nur 


: Schaffen konnte, nachdem er fi von allen Borausfegungen des Mofaismus wie des Rab- 





binismus freigemacht hatte. Auch Mofes Mendelsfohn war fein Jude mehr; ſonſt 
hätte er nicht den mißlungenen Verſuch machen fönnen, die Denffreiheit als jüdifch- 
religiöfes Prinzip nachzuweiſen. 


357 


Gentralconftftorium in Paris. Seit 1831 wurde fogar die frühere Bes 
fimmung, daß die Rabbinen von ihren Gemeinden bejoldet werden müß- 
ten, aufgehoben und die Befoldung der Rabbinen ebenfalld dem Staat 
überbunden. — In ten legten Jahrzehnten hat tie „&manzipation der 
Juden“ in allen civilifirten Ländern Europa's zu weitläufigen geletgebes 
rifhen Erörterungen geführt. In England, Belgien, Deutichland und Hol- 
land machte dieſe Emanzipation auch praftifche Vorfchritte, welche der bür- 
gerlihen Gleichberedhtigung der Juden mit den Chriften mehr oder weniger 
nahe kommen. Völlige Befreiung vom Joce der mittelalterlichen Barbarei 
haben jedoch die Juden vorerft nur in Branfreih und Nordamerika erlangt. 


Schfles Bud, 
Der Islam ä 


—— — — 
« 





Erftes Rapitel. 
A abien. 


1. 


Wenn dad Buch vom Chriſtenthum, ungeachtet wir befliffen waren, e8 
nah Möglichkeit zu fürzen und zufanımenzudrängen, ung unter der Hand zu 
einem Umfang angeſchwollen, welcher zu dem ter übrigen Bücher unſeres 
Werkes in mißlichem Verhäͤltniß ſteht, io fönnen. wir, Dagegen glei) zu An⸗ 
fang dieſes ſechſten und letzten Abichnitted dem Leſer die beruhigende Vers 
ſicherung geben, daß er hier nicht jo lange feftgehalten werden foll, wie dort. 
Nicht etwa, ald ob der breife Raum dort; der fhmale hier durch Sympathie, 
und Untipathie bedingt wäre — jeder Einfidhtige wird, glauben wir, und 
das Zeugniß geben, daß wir mit Der Unbefangenheit, wie fie dem Cultur⸗ 
hiftorifer zukommt, fämmtliche Erfheinungsformen der religiöfen Idee bes 
tradıtet haben — nein, die außführlidyere Behandlung des Ehriftenthums, 
die gedrängtere de8 Mohammedanerthums war und iſt, wie übrigens Jeder 
mann weiß, durch die Natur der beiden Religionen geboten. Die reihe in⸗ 
nere und äußere Entwicklungsgeſchichte, wie das Chriſtenthum ſie beſitzt, geht 
dem Islam ab. Zwar dort, wie Hier, wurde das Dogma firirt, al⸗ 
lein ſchon der Umſtand, daß biefe Firxirung im Chriſtenthum zu verſchiede⸗ 
nen Zeiten, nach langen Zwiſchenraäumen vor ſich ging, während fie im Mo— 
hammedanismus mit Abſchluß des Koran ein für allemal geſchah, begründet 
einen höchſt bedeutenden Unterſchied. Freilich hat auch der Islam, wie das 
Chriſtenthum, ſeine Mythenbildung, ſeine Tradition, ſeine Sekten, ſogar 
feine Philoſophie; aber alle dieſe Entwicklungsſtadien halten mit denen des 
Chriſtenthums keine Vergleichung aus. Der Jolam iſt ſtarr, ſchroff, ſtei⸗ 


362 


nern wie fein monotheiſtiſches Symbolum; das Chriſtenthum flüfftg, bieg- 
fam, vielgeftaltig, in einem unendlichen Entwicklungsprozeß begriffen. Ent- 
lich iſt dieſes univerfell, weſentlich kosmopolitiſch, jener ſpezifiſch orientalifch, 
ſo ſehr, daß ſelbſt der bedeutendſte Sektenzwieſpalt, welcher in feinem 
Schooße entſprang, der zwiſchen Sunniten und Schiiten, wie wir ſehen wer⸗ 
den, ſeinen letzten Grund in einem Haremszank hatte. Daher auch bog, 


der mohammedaniſchen Ausbreitungs: und Eroberungspolitif ungeachtet, im 


Islam der religiöfe Gedanke, obgleih von Chriſtenthum vielfach beeinflußt, 
vom Idealen und Menfchheitlichen wicder zum Realen und Nationalen zurück. 
2. 


lee — 
Von der ſyriſchen Wüſte im Norden begränzt, dehnt ſich, von einem 
Volke ſemitiſchen Stammes bewohnt, die Halbinſel Arabien zwiſchen 
dem rothen Meer im Weſten und dem perſiſchen Golf im Oſten nach Süden 


weit in die indiſche See hinaus. Dieſem weiten Raum, welchet unge⸗ 


faͤhr 50,000 Quadratmeilen enthalten mag, verliehen feine Gtänzinarken, 
Meer und Wüfle, von Alters her den Charakter einer Abgeſchloſſenheit, 
welche Sahrtaufende hindurch bewahrt wurde. Wenigſtens von denen feiner 
Bewohner, welde ſich als die eigentlichen Gingeborenen und Söhne des 
Landes anzuſehen liebte, bon den Arabern, bie ſich Bedewinen (Beduinen), 
d. i. Beinohner der Wüfte nannten. Es paßt jedod die Vorftellung, vie 
füßarenartige, welche wir mit diefem Worte zu verbinden pflegen, nicht ganz 
auf die Wohnſttze der äditen Nraber. Denn die von ihnen bewohnte Hoch⸗ 
Häche, obgleich ungeheure Sandfteppen In fich bergend, bietet doch nicht das 
einförmige Bild einer Sahara. In das arabifhe Plateau find wildzerrif- 
fene Schluchten eingeſprengt, wo ſich Ouellen- und Regenwaffer zu Baͤchen 
ſammeln, welde ihrerſeits weiterhin Die Sohlen unt Seiten fantvaler Thaͤ— 
ler mit Grün beffeiden. Ueber der Flaͤche weiter Steppenſtriche tagen ſchroff 
jene feltfamen Felskegelbildungen auf, wie fie duch der Salbinfel ves Sinai 
ein fo bizarreß Nusfehen geben, 'und hinter den wandelbaren Hügeln bes 
Slugfandes hervor blühen dem Techzenden Auge des Wanderers Oafen ent- 
gegen mit ihren Weideplägen, Brunnen und Dattelpalmen. Im Ganzen 
hat diefe®Land mit feirien plöglichen Uebergängen- vom wildeſter Eindde zur 
feppigfeit tropifcher Vegetation, init jeiner Abgeſchloſſenhelt und Unzirgäng- 
lichkeit , mit feinem den größeren Theil bed Jahres. über waltenlofen Firma 
ment, aus welchem bet Tage eine brennende Sonne Ihre Stralenguͤſſe nieder⸗ 


—. 





363 


fendet , während bei Nacht die Geftirme groß und klar herableuchten — Dies 
ſes Land mit frinen prächtigen Gewittern, mir feinen Sandhofen auftbüre 
menden und fortwirbeinden Oxfanen, mit jeinen Luftipiegelungen und ras 
jenden Wolkenhrüchen Hat etwas an's Unheimliche ſtreifendes Figenthümliches 
die Phantafte in hohem Grade Aufregended und Wacherhaltendes. Aber 


“nicht: ganz Arabien iſt fo ein Wüſtenplatean. Nah drei Seiten.fällt bie 


arabifche Hochebene jeewärtd ab und zwilchen fie und die obengendnnten 
Meere und Golfe iſt ein jchmaler Küftenftrih eingelagers, deflen Boden 
ſchon in altefter Zeit um feiner Sruchtbarfeit willen weitberühnt war. Gier 
gedieben die £oftbarften Fruͤchte und Gewürze, und wie bie phyſiſchen Lebens⸗ 
bedingungen andere waren, al& im Innern, jo waren auch Beichäftigungen und 
Sinnedart der Bewohner von denen ihrer Stammgenoffen beteutend verſchieden. 


3. 
In den Küſtenlandſchaften der Halbinfel ſaß in Dörfern und Städten 
ein betriebſames Geſchlecht. Emſige Bodencultur zeitigte eine Mafie ander» 
wärs vielbegehrter Produkte, Das Meer lud zur Verſchiffung berielben en, 


regte alfe den Handelsgeiſt an und diefer entwidelte, verbunden mit dem 
Sinn für feineren Lebensgenuß, welcher fih im Gefolge bes Wohlſtandes 


‚überall einfellt, die erfindfame Kunflfertigkeit der Küftenbeuöfferung, Un⸗ 


tes diefes alſo war ſchon frahzeitig eine ſeßhafte, Aderbau, Gewerbe und Han⸗ 
tel treibende Givilifation daheim, welche, wenn auch von vorherrſchend ma⸗ 
terieller Richtung, immerhin eine bebeutende geiflige Begabung und Regſam⸗ 
feit vorausſeht. Die Wüſtenſtämme bagegen waren Tein fehhaftes, fondern 
ein nomadiſches Bolt, Ste wohnten eigentlich gar nicht, fondern zogem mit 
ihren Heerden waftät von Weideplatz zu Weideplatz. Schon dieſe Unſtäte 
bedingte jenen. dem aächten Araber unaustilgbar eingeborenen Zug und Hang 
der Abentenerlichktit. Der Beduine war, was er noch jetzt iſt, Hirt, Jaͤger, 


Krieger und Raͤuber, gewöhnlich das Alles zuſammen. Ehafe, ſtameele 


und Pferde machten feinen Reichthum aus; ſte waren der Gegenſtand feiner 
friedlichen Beichäftigungen ald Hirt und ebenjo das Ziel feiner Tapferkeit 
und Beuteluſt als Krieger und Wegelagerer. Bon Jugend auf. durch bie 
Mühiale, Wechſelfälle und Gefahren bed Lebens in der Wüfte geſtählt, früh⸗ 
zeitig gewöhnt, Alles nur won ſich ſelbſt oder höchſtens nach von feinem 
Stayme zu erwarten, erwies der Beduine als erften, Charakterzug sin un⸗ 
bandige® Freiheitsgefühl, weichem ganz natusgemäß ein aͤußerft veizbares 


364 


und eiferfüchtiges Ehrgefühl ſich gefellte. Damit verband ſich weiter eine 
wilde Racheluſt, die mit todverachtender Kühnheit und zugleich mit ſchlaue⸗ 
ſter Lift nach Befriedigung trachtete. Im Berneren eine ritterliche Gaſtlich⸗ 
feit und Galanterie, Treue in Freundſchaft und Haß, Freude am Helden 
baften und Wagnifvollen, entlid „eine höchſt feurige Phantafle, die im 
Sinnlihften zu jhwelgen liebte und doch daneben wicder eine Kraft der Ab- 
firaction bewährte, wie fie nur wenigen Völkern eigen if. If fa doch das 
femitiiche Abftractionsvermögen, wie e8 ſich in dem abftracten, flarr jenfeiti- 
gen Gotteöbegriff des hebräifchen und miohammedaniihen Monotheismus 
offenbart, vielleicht Das größte, welches die Welt geſehen. 


4, 


Wenn je der Sap, daß die Poeſie die höchſte Blürhe des intellectuellen 
Dafeins eines Volkes fei, auf eine Nation angewendet werden darf, jo muß 
er von den Bewohnern ded alten Arabiens gelten, Der Araber iſt ein ges 
borener Babulift und Mährcenfreund von Anfang ber geweſen. Er ift es 
jegt noch und wir werden ſeines Ortes Gelegenheit haben, zu fehen, wie bie 
arabiiche Gultur auf der Höhe ihres Glanzes eine Bülle von Werfen der 
Phantafle hervorbrachte. Ziemlich einfeitig freilich ift die arabiſche Dich- 
tung immer geblieben: fie hat es weder zur höheren Epik nody zur höheren 
Dramatik gebradt. Das lyriſch⸗didaktiſche Element einerſeits, das ditaf- 
tifch»epifche andererfeitd war und blieb flet3 in ihr tonangebend. Der vor⸗ 
mohammedanifchen Zeit eignet die größere Originalität und Kraft, ter 
mohammedanifchen die formale Verfeinerung. In der alten Zeit war die 
Poeſie der natürliche Ausdruck jeder höheren Stimmung. Der altarabiiche 
Dichter war. zugleich auch Held und Übenteurer, oft der Prophet und Schieds⸗ 
richter, immer der Liebling feined Stammes. Diefe wilden Kinder einer 
wilden Natur haben, wenn man dad Unfehen der Dichter und Dichterinnen 
unter ihnen in Betracht zieht, das bichteriiche Wort offenbar ald eine Offen- 
barıng von Göttlichem betrachtet und verehrt. Die wildbizarren Natur 
ſzenen des Landes, der Stolz auf eine unvermijchte Abkunft, Die Begebniffe 
einiamer und gefahrvoller Wüftenftreifereien „ der Breiheit Hochgefühl, ber 
Tapferkeit und Abenteuerluft rubelofer Drang, Lobpreifung der Kühnheit 
"und Gaftlihkeit, Hohn über Beigheit und Kargheit, die unaufhörlichen 


Fehden der Stämme unter einander, der Blutradye unverbrüchliches Gefep, 


endlich eine Ziebe, wie fte jo herzig und glähend zugleich nur in Zeiten mög⸗ 





365 


lich war, wo das Weib, noch nicht zur Haremsbewohnerin erniedrigt, "dem 
Bewerber als freie Perfönlichfeit gegenüberſtand — dieſe Motive befeelen 
und tragen die altarabiiche Volkspoeſie, welche man kennen muß, um bie 
Energie zu begreifen, womit diefed Volk, als feine Stunde gekommen, er» 
obernd aus feinen Steppen hervorgebrochen. 

Diefe altarabijche Lyrik, oft flarf mit epifchen Tönen verfegt, oft die 
daftiich zum Sinn», Sprüch⸗- und Räthielwort ſich zujpigend, Hat einen 
eigenthümlich rapiden, wortfargen Ausdruck, der Diction ter Edda nicht 
unähnlid. In Beziehung auf ihre Form der Sylbenmeſſung Ten Endreim 
gefellend, gibt fie, voll von Fühnen und bligenden Bilvern , fletd nur Die 
- Sauptinomente, alle Nebenumftände der Bhantafie des Hörers überlaflend. 
Ihre älteften Pfleger, wie jener unheimliche Nede und Räuber Taabbata 
Scharran und jener berühmte Bogenſchuͤtze und Läufer Schanfara, find vom 
Nimbus der Mythe und Sage umgeben. Durch mündliche Ucberlieferung 
fortgepflangt, zeugten die alten Lieder ſtets neue Sproffen und fo konnte 
Abu Temmam im 9. Jahrhundert nad) Ehriftud die Gefänge von 521 Dich« 
tern und 56 Dichterinnen in feinem berübinten Liederbud „Hamafa * ſam⸗ 
meln. Später fchloflen ſich dieſer Sammlung noch weitere an. Uber die 
gefeiertften, die eigentlich claſſtſchen altarabiſchen Nationalgebichte find die 
fieben , Moallakat“, verfaßt von Amru, Hareth, Tarafa, Suheir, Antara, 
Lebid und Amrilfais, Diefe Gefänge find Ergebniffe der Dichteriichen Wett⸗ 
fänpfe, welche alljährlih auf der menſchenwimmelnden Meſſe zu Okhadh 
abgehalten wurden und die außerordentliche Theilnahme Der arabifchen Be⸗ 
völferung hinlänglich bezeugen. Das Gedicht, welches den Preis erhielt, 
wurde jeded Mal mit goldenen Lettern auf perfliche Seide geichrieben und 
zum ewigen Ruhme des Dichterd am Eingange des uralten Nationalheilig⸗ 
thums der Kaabah zu Meffa aufgebangen, woher der Name (Monllafat, d. i. 
die aufgehangenen, Gedichte nämlich 1)). 


5. 


Eines dürfte bei Betrachtung Der altarabifchen Volksdichtung ſehr auf« 
fallen: die fpärliche Aeußerung fpezifiichereligiöfer Gefühle. Die religiöfe 





4) Bol. Rofenmüller im 6.Br. der „Nachträge zu Sulzers allg. Theorie der 
fchönen Kuͤnſte“ Hammer: Geſch. d. arab. Literatur. Weil: die poet. Lit. d. 
Araber vor und unmittelbar nad Mohammed. Rüdert: Die Hamafa, überfegt und 
erläutert. Rückert: Amrilfais, der Dichter und König. Altmann: Die Wüllens 
harfe, eine Sammlung arabifcher Volfelieder. 


366 


Stimmung mangelt freilich nidyt völlig, aber man kann fi Ihren Ausdruck 
faum bager denfm. Daher gewährt die Hamaija keine ſehr feften Anhalts⸗ 
punfte zur Befimmung deflen, was die alten Araber geglanbt haben. Ein 
ſyſtematiſches Glauben war unser ihnen jedenfalls nicht vorhanden, aber 
ſchon in den älteften Volksliedern fehen wir jenen fataliſtiſchen Zug, weldyer 
nachher im Islam dogmatifche Geſtaltung gewann, fehr poſttiv auftreten. 
Die Ineinsbildung des Gotteßbegriffes und des Schickſalsbegriffes fcheint 
demnach altarabiſch zu ſein ?). Werner Hat man zwar fe die Behauptung 
aufgeftclit, die Araber vor Mohammed Hätten immer nod eine, wenn auch 
vielfach polytheiſtiſch verbunfelte, Erinnerung an den urſprünglichen Mono⸗ 
theiomus der femirifchen Bölkerfamilte bewahrt; allen wir haben feined Or⸗ 
tes gefehen, daß die Vorftellung von einem urfprüänglidden Monotheismus 
der Semiten überhaupt eine ganz willfürliche iſtz). Wie die übrigen ſemi⸗ 
tifchen Stämme, huldigten in alter Zeit auch die Araber einer Naturreligion, 
weldye aber bei ihnen nicht zur Schaffung concreter menflicher Götterfor⸗ 
men vorſchritt, fondern zum Fetiſchismus entartete. Das Idol trat an Die 
Stelle der Idee, und, wie da& fo in der Naturreliglon, ja In der Religion 
überhaupt zu geben pflegt, die anfänglichen Symbole des Göttlichen wurden 
zu dieſem felbft, die Zeichen zu Weſen. Das waren die Götzen, gegen welche 
Mohammed eiferte. 

Aller Religion Grund und Anfang, des Menfchen Gefühl feiner Ab⸗ 
bängigfeit von der Natur, hat auch die alten Araber zur Verehrung wohl⸗ 
thätiger oder fhredlicher oder aud nur befonders auffälliger Naturdinge 
geführt. So erwiefen fie Ehrfurdt den Geſtirnen und ſchrieben benfelben 
einen beilfamen oder auch unbeilfamen Einfluß zu, fo hatten ihnen Quellen 
und Bäche etwas Goͤttliches, was ſtch in einem waflerarmen Rande leicht be⸗ 


4) Bol. das Gericht „Duldmuth und Ausdauer? in Rüderts Hamafa, I, 76. 
2) S. Thl. II, Kay. 3, auch Kap. 4, 13 und noch befonders Anm. 16. Aller: 
dings kommen in den altarabifchen Gedichten manche Stellen vor, welche auf eine ge: 
läuterte Vorftellung von Bott fchließen laſſen. So heißt es z.B. in der Moallafa 
des Suheir (MR. H. 1, 147 fg.): 
Berberget nicht vor Gott, was ihr hegt in eurer Bruft, 
Berheimlihenn! Was Bott ihr verbergt, ift ihm bewußt — 
allein Suheir war ein Zeitgenoſſe Mohammeds, und daß deſſen Lehre auf ihn einges 
wirft, zeigt gleich der Nachfag zu der angeführten Stelle: 
Sei es nun aufgehoben und in das Buch geſtellt 
Zum Tag der Nechnung, ober die Strafe gleich gefällt. 





367 


greift; fo waren ihnen feltfam geformte Belfen und Berggipfel heilig, ebenſe 
ungewöhnlich geftaltete oder gefärbte Steine 3), und galten ihnen auf) ge⸗ 
wiffe Ihiere für Wohnſitze übermenſchlicher Weſen. Da war denn allen 
den zahlloien Bizarrerien fetiichiftiichen Aberglaubend Thüre und Thor 
geöffnet. Daß ferner ein Volk, welches jo viel auf unvermijchte Abkunft 
hielt, aus eine Art Cultus der Vorfahren hatte und die Gräber derfelben 
heilig hielt, {FR gang in der Drönung. Der Glaube an eine Fortdauer 
nach tem Tode, wenn er überhaupt vorhanden, war jedenfall ein fehr un: 
beftimmter, übereinftinnmungdlojer. Dagegen umterliegt e8 feinem Zweifel, 
daß die altarabifche Religion, wie jede Religion, aud ihren Bottesdienft 
hatte. Mit Gebeten, Gelübden und Baften ſuchte man die überirdifchen 
Mächte zu verföhnen und zu gewinnen. Gegen bie als böfe gedachten 
wandte man mancherlei Zauberpractifen, Amulete uw. dgl. m. an und guten 
und böfen brachte man Opfer dar, wobei die alten Araber, ald Achte Seniiten, - 
wohl mitunter auch den Menichenopferbraud übten. Endlich mag bei der 
fhroffen Zerflüftung der Stammeögenoffenfchaften noch mit ziemlicher 
Sicherheit angenommen werten, baß jeder Stamm feinen eigenen Stammes⸗ 
gott oder Stammesfetiſch hatte. 

Das Gefagte gilt, wie für die Beduinen, im Allgemeinen aud) für bie 
Küftenbewohner. Nur waren bei diefen, in Bolge ihres Handelsverkehrs 
mit den Nahbarvölfern, die einheimifchereligiöien Vorftellungen fehr bedeu⸗ 
tend mit fremden verfegt. Bedenkt man, wie fehr Mohammed auf den 
Ueberlieferungen ded Moſaismus fußte, wie fehr er diefelben bei feinen 
Landsleuten als befannt voraußfegte, und ferner, wie die Araber vermittelft 
des Glaubens an ihre angebliche Abſtammung von I8mael, dem verfloßenen 
Sohne Abrahams, den Gedanken der Blutsfreundichaft mit den Hehräern 
fefthielten, fo wird man nicht anftehen, zu fagen, daß insbeſondere die culti« 
pirteren Araber, die Städtebewohner, fchon frühzeitig mit den religiöfen 
Anfhauungen des Hebräismus befannt geworden fein müſſen. Ebenfalls 
weift der altarabifche Geifterglaube die Einflüffe der perſiſch⸗juͤdiſchen Lehre 
von den Engeln und Dämonen deutlih auf. Sodann fonnte auch das 
Chriſtenthum den Arabern nicht unbekannt geblieben fein, da fte lange vor 


— nn 


3) Der altarabifche Brunnens und Steincult Hat fi mit Modiftcationen auch 
noch im Islam erhalten. Er wurde aus Göttertienft Reliquiendienf. Vgl. was 
unten im 4. Kav. vom Brunnen Zem:Zem und vom fchwarzen Etein in der Kaabah 
in der Beſchreibung diefes Tempels gefagt iſt. 


PS 


368 


Mohammed mit Ehriften in friedliche und feindliche Berührungen gefonımen 
waren. Alle dieſe religiöfen Elemente, heimiſche und fremde, wirrten fidy 
unvermittelt Durcheinander. Und der Wirrwarr befriedigte das religiöje Be— 
türfniß nicht nur nicht, fondern brachte ed nicht einmal in feiner ganzen 
Tiefe zum Bewußtfein. in dunfles Gefühl des Mangel einer religiöfen 
Einheit mußte freilich fhon lange durd die arabiſchen Stämme gehen, Denn 


ſonſt wären die Erfolge des Islam unbegreiflicd ; aber bevor der Mann auf- 


ftand, der diefen Mangel Allen Elar machte und zugleih Abhülfe deſſelben 
bot, begnügte man ſich mit einem fehr Außerlichen Griag. Es war Lies 
dad religiöfe Band, welches Lie Wıllfahrt nach ter Kaabah in Meffa um Die 
arabiſchen Stämme ſchlang. In dieſem uralten Nationalheiligthum, welches 
im Befig des Stammes Koreiſch und von demſelben erbaut war 9), flanden 
bie verichiedenen Sole "altarabiichen Gottesdienſtes. Es mag Tas Allem 
nach eine wunderliche Götterverſammlung gewefen fein. Aber fo jebr harte 
ſich die Vorftellung von der Heiligkeit dieſer Stätte dem arabijchen Bewußt- 
fein eingeimpft, daß der Jolam wohl die Bögen in ver Kaabah zerichlagen, 
jedoch) den Tempel ſelbſt in feinem Anjehen nicht ernietrigen konnte, fondern 
noch erhöhen mußte. Die Kaabah ift gleichlam ter Durchgangspunkt des 
alten Araberthums ind neue geweſen unt jo ift fie aus einem nationalen 
Heiligthum zum beiligften Ort der mohammetaniichen Welt geworben. 


6. 


Jahrhunderte waren über dad alte Arabien hingegangen, wirkungslos, 
wie Wolfenfchatten über den Spirgel der See binftreiben. Wenn aud 
nicht mehr in den Küftenlantichaften, jo hHerrichte Doch im Inneren des 
Landes noch immer ein fozialer Zuftand, wie er, dem Buch der Geneſis 
zufolge, ſchon in den Tagen der hebräiſchen Patriarden geweien war. 
Beduinenicheichd, wie Abraham einer gewejen, führten über Die einzelnen 
Stimme ein patriarchalifches Regiment, gegründet auf eine beifpielloje 
Zähigkeit der Staummesüberlieferungen,, welde bis ind Einzelnfte nachzu— 
weifen vermochte, wie und in welchem Grade der Stammfürft mit Jedem der 
Etammgenoffen blutöverwandt war. Zwiſchen den einzelnen Stämmen gab 





4) ©. den 16. Doppelvers in der Moallafa tes Suheir (R. H. 1, 147). Die 
Lıgende freilich will, tie Kaabah fei von feiner geringeren Perſon als Jomael im Ver: 
ein mit feinem Bater Abraham erbaut worden. 





899 


ed Freundſchaften, aber noch weit mahr Feindſchaften, verurſacht einestheils 
durch Die ſehr laren argbiſchen Begriffe vom Mein und Dein, anderntheils 
durch Dad Gebot der Plutrache, welches Jahrhunderte hindurch eine ununter⸗ 
bradyene Kette non Wechſelnwrden ſpannte. Trog ererbten Haſſes unter 
einander betradgteten ſich jedoch die Bebewinen hinwieder als zuſammenge⸗ 
hoͤrend. namlich ten Staͤdiebewohncen gr ‚gegenüber, weldye ber aͤchte Wüſten⸗ 
araber ald vom arabiſchen Prinip der Unvermiſchtheit des Blutes und der 
Sitte abgefallen anſah, während ihrerſeits dieſe, Abgefallenen“ ihre Stam⸗ 
mesbrüder in der Wüſte als Bettler und Räuber verachteten, dabei aber doch 
im Geheimen die Reinheit des Blutes und der Sprache dieſer Barbaren 
bewunderten und beneideten ). Das große Vermittlungsmotiv zwiſchen 
den Bölfern, das gegenieitige Iutereffe, war aber auch bier thätig und 
brachte die fchroffen Gegenſaͤtze zwiſchen nomadiſchen und feßhaften Arabern 
vielfah zum Schpeigen. Dann fo einfach Die Beriuindfie ber Wüſtenbewoh⸗ 
ner waren. ihre Befriedigung mußte doch theilweife in den Städten gefucht 
werten, wohin aud) Die Rohproducte der Nomadenwirthſchaft gebracht wur« 
den, um in den Handel zu fommen. Ueberdies hatten die Städtebewohner 
ihrerfeit gemichtige Gruͤnde, nrit den Beduinen freundliche, auf gegenfeitigen 
Vortheil baflrte Berhältniffe zu unterhalten, wenn die Handeldkarawanen, 
welche auf dem Landweg vach Syrien und den Euphratländern gingen 
oder van dorther Famen, die Wüſtenſtraßen ungefährbet yafliren ſollten. 
Für alle hieie materiellen Wechſelbeziehungen zwiſchen Wüſte und 
Sur, Beduinenthum und Civiliſotion bildete Wekfa, gerade wie für bie 


zerfahrenen religibſen Anſchauungen, den Sammelplatz und Mittelpunkt. 


Dieſer Ort mußte alſo aus beiderlei Urſachen weitbekannt und hochangeſehen 
ſein im Lande, um ſo mehr da ihm die Rolle des Verwittlers zwiſchen den 
Gegenſaͤtzen qrabiſchen Lebens weſcatlich erleichtert wurde durch den Umſtand, 
daß ſeine Bewohnor großen Theild zugleich Hirten, Ackerbauer, Händler und 
Krieger waren. Mekka vereinigte demnach, mie es, örtlich angeſehen, zwi⸗ 
ſchenr der t Waſtenhochebene und dem Küſtenland mitten inne lag, in feinen 


4) Ruh in der Zeit nach Mohammed nor. Am Kingang ber 32. Malame bes 
Hariri erzählt Hareth Ben Hammam: — „Mi trieb in meings Jugend ein Geluͤſte 
aua ven Städten in die Wülle, zum Umgeng mit den freien Leuten, welche wohnen 
unter den Haͤuten (der Zelte), um zu lernen ihre Sitten, bie ungefärbten,, and ihren 
teogigen Stolz, Jen angrexhten,, ſammt ihrer Zunge Meinheit, dev arabiſchen Mebe 
Fejnheit“. Müderis Hariri, 1, 3. 

Scherr, Geſch. d. Religion. II. 24 


370 


Mauern die verfchtedenen Elemente des Araberthums. Es mußte Daher 
von größter Vedeutung jein, daß gerade an diefem Drte der Mann aufftand, 
welcher ter gefchichtöioien Abyeichloffenbeit Arabiens ein Ende machte. Bon 
Mekka aus, dem Brennpunft feines phyſiſchen und intellectuellen Lebens, 
brady das arabiſche Volf, nicht aufgerieben, fondern nur geflählt dur jahr- 
bundertelange innere Fehden, erobernd auf die Bühne der Weltgeicbichte 
hervor, unwiderſtehlich gleich den Wüftenorfanen feiner Heimat. 


nn nn 


weites Rapitel. 
Mohammed und der Korant). 


1. 


Legendarifche Pietät will den Stammbaum des arabifchen Propheten 
bis zu Jsmael binaufleiten; doch begnügt ſich die rechtgläubige Genealogie 


4) Mohammed hat leider unter feinen Zeitgenofien feinen Biographen gefunten, 
der mit nüchterner Treue die Lebensgefchichte des Propheten aufgezeichnet hätte. So 
war denn, als überhaupt biographiſche Aufzeichnungen über Mohammed begannen, die 
Berfon und Geſchichte defleiben ſchon mit jenem Wufl von Fabeln umgeben, womit die 
Bollsphantafle, und vollends bie orientalifche, die menfchlihen Züge der Heilande und 
Propheten ins Uebermenfchliche zu fleigern, d. h. zu verzerren liebt. Fuͤr die befte 
Biographie des arabifchen Propheten galt lange die von dem berühmten arabifchen 
Gelehrten Ismael Abulfeda verfaßte, duch 3. Gagnier ins Latein übertragen 
‘(De vita et rebus gestis Mobammedis, Oxon. 17233). GEndlich unternahm es ein 
deutfcher Orientaliſt, &. Weit, auf der Balls ganz neuer Forſchungen das Leben 
Mohammeds zu fchreiben („M., fein Leben und feine Lehre, aus handſchriftl Duellen 
und dem Koran geichöpft“, 1843). Dies ift meines Wiflens bie befte bisherige Leis 
fung auf diefem Gebiete, neben welcher das hübfch erzählte „‚Life of Mohammed‘: von 
Waſhington Irving feine wiflenfchaftlihe Beteutung bat. Bor einiger Zeit börte 
ich, es ſei in Galeutta eine neue, auf ganz neu in oftindifchen Archiven aufgefundene 
Urkunden geftügte Lebensgefchichte des Propheten erfchienen, von einem bdeutfchen 
Forſcher (Dr. Sprenger) engliſch gefchrieben. Ich konnte mir aber weder dies Buch 
verſchaffen noch überhaupt etwas Näheres darüber in Srfahrung bringen. — Mas 
den Koran angeht, fo find tarüber zu vergleichen Sale (Obserrat. hist. et crit. sur le 
Mahometisme), Hammer: Purgftall (die bezügl. Aeußerungen in den Fundgruben 


3 


— — — — — 


371 


gewöhnlich damit, dem Stifter des Islam zwanzig Ahnen zu geben. Jeden⸗ 
falls war feine Bamilie, dem Stamme Koreiſch angehörend, eine zu Mekka 


ſehr angefehene und in ihren befieren Tagen mit.der Hut der Kaabah und - 


mit der Bewirthung der Walltahrer betraut geweien. Noch der Großvater 
des Propgeten, Abdalmuttalib, Hatte Diele geehrte Stellung eingenommen. 
Unter feinen Söhnen aber Fam die Bamilie herunter und die Habe feines 
zehnten oder elften Sohnes Abdallah befchränkte ſich auf etliche Kameole 
und Schafe und eine abyifiniihe Sklavin. Diefem armen Abdallah — 
die wahren Helden der Menfchen kommen ja far fletd aus den Hütten, nicht 
aus den Paläften, — gebar jein Weib Amina im April 571 den Knaben 
Mohammed oder, wie der Name eigentlid lauten follte, Muhammad, d. i. 
der Bielgeprieiene. Abdallah flarb fchon zwei Monate nach der Geburt 
feines Sohnes und ijeine Wittwe und Waiſe hatten alle Prüfungen ber 
Dürftigfeit zu erfahren. Nur mit Mühe konnte Amina für ihren Knaben 
eine beduinifhe Amme gewinnen, wie die mekkaniſche Sitte e8 wollte. 
Später freilich bat man, was Amina's Schwangerfichaft betrifft und Moham- 
meds Geburt und Kindheit, die allerpräcdtigften Wunder gedichtet, aber wir 
befaffen und nur ganz gelegentlich Damit und befchränfen und überhaupt auf 
die vorragendften thariächlien Züge im Leben des Propheten. Wer bie 
Mythenbildnerei der moslemiſchen Kirche noch nicht kennen follte, Tann die 
des Orients, in der Geſch. d. osman. Reiches, in ter Geſch. d. arab. Literatur), 
Weil (Hikorifcyekritifche Binleitung in den Koran), Gräße (Allg. Literaͤrgeſch. I, 
308 fg.). Ueber die rechtliche Ceite des Koran bat Tornaumw eine vortreffliche 
Monographie gegeben („Das Moslemifche Recht“, 1855): An Berdeutichungen der 
Bibel des Islam if fein Mangel. Abgeſehen von einer älteflen, durch Schweigern 
nach einer italifchen Verſion 1616 angefertigten, befigen wir eine von Wahl („Der 
Koran oder das Geſetz der Moslemen“, 1828) und eine neuere von Ullmann („Der 
Koran, aus dem Arabifchen wortgetreu neu überlegt”, 1840, 3. Aufl. 1844) ; außer: 
dem metrifch überſetzte Bruchitüde von Hammer. — Ueber den Islam an fi und 
über fein Berhältniß zum Ghriftentgum haben außer den ſchon Genannten von Deut: 
ſchen geichrieben Möhler, Maufe, Gerod, Krafft, Geiger, Rofenkranz, 
Kolb, Döllinger, Abeken u. A. Sehr zu berüdfichtigen find die bezüglichen 
Abfchnitte in Gibbons Hist. of the decl. and fall of the Rom. empire, (Chap. 80 — 
81). Endlich darf nicht überfehen werden die geniale Charafteriftif, welche Carlyle 
in feinen Lectures on heroes, bero-worship and the heroic in history von Mohammed 
gegeben hat (im Orig. pag. 68 seq., in der Neuberg'ſchen Ueberſ. S. 74—137). 
Ueber das Chalifat Hat wieter &. Weil das beteutenpfte Werk geliefert („Geſch. d. 

Chalifen“, 1848 fg.). 


24* 


372 


bunten Schöpfungen berfelben bei Abulfeda, Irving und in den Anmerkun- 
gen bes Weil'ſchen Buches nachleſen. Als Probe mag hier fichen, daß Die 
Schafe, wenn fie an dein Kinde Mohammed vorübergingen, fi ehrfurchts⸗ 
sol verbeugten, daß der Mond, wenn Ihm der Knabe aus der Wiege zu- 
winkte, fich zu demſelben Herunterneigte und daß das Wunderfind unmittel⸗ 
bar nach feiner Geburt fprechen konnte — Hierin abrigens Jeſn nachſtehend, 
welcher nadı moslemiſcher Tradition fon im Mutterleibe jeinem Naͤhrvater 
Joſeph eine von diefem an Frau Marta gerichtete ffeptifche Aeußerung ſehr 
nachdrücdtich verwied. Seltfamer Welfe gefhah neben ven vielen über- 
flüffigen Wundern, welche Mohammeds Wiege umgaben, gerade das eine 
nothwendige nicht, die Heilung des Anaben von epiteptifchen Unfällen, welche 
auch no dm Mann peinigten. 
| 2. 

Sechs Jahre alt, verlor er feine Mütter und bald darauf auch feinen 
GSroßvater Abbalmuttalib. Seines Vaters Brüder Abu Talib und Zubeir 
nabmen ſich des Verlaflenen an und er machte, heranwachſend, mit Tiefen 
Beiden Oheimen mehrere Hanbelsreifen. Zwanzig Jahre alt, hat er zuerft in 
einem Treffen geftanden,, in einer Fehde, welche die Koreifhiten gegen die 
som Stamme Hawazin führten. In feinem fünfundzwanzigſten Jahre be⸗ 
gegnet er und wieder, ald Viehhirt in der Umgebung von Meffa, dann kurz 
darauf al® Gefchäftsreifenter eines Leinwandhändlers Namens Saib. An 
diefer Stellung wurde er mit einem gewiflen Hakim befannt und dieſer 
empfahl ihn als Gefchäftsführer feiner Tante, der reichen Kaufmannswittiwe 
Chadidija. Die anerkannte Treue und Redlichkeit Wohammeds war der 
Grund diefer Empfehlung, welche eine höchſt bedeutende Wendung in fein 
Leben brachte. Denn aus dem gefchäftlichen wurde bald ein trauteres Ver- 
haͤltniß zwifchen Herrin und Diener. Als Mohammed von feiner zweiten &e- 
ſchaͤfisreiſe heimkehrte, ſah Chadidia von der Terraffe ihres Haufed aus, wie 
zwei Engel mit ihren Sittigen den Heimkehrenden beſchatteten, d. h. die gute 
Mirtwe hatte ihren ſchönen und brasen Geſchaͤftoführer lieb gemonnen. Kurz 
darauf heirateten fe einander, nachdem Chadidja ihren Vater Chumweilap, 
der Nichts von einem armen Eidam wifjen wollte, im Weinraufch feine Ein⸗ 
willigung abgeliftet hatte. Mohammed erwies ſich dankbar. Er hielt jeine 
Frau Chadidja fo hoch, daß er hei ihren Lebzeiten, um ihr Verdruß und 
Aerger zu erfparen, feinen außerordentlich großen Luſttrieb möglichſt baͤn⸗ 


378 


digte und ihr, nachdem fle geftoshen, das liebenollf und ehrendſte Andenken 
bewahrte. Es gefchah daher ganz im Sinne des Propheten, wenn Der 
Koran die Chadidja zum Range einer vollfommenften Frau erhob 1). Nah 
feiner Verehelichung bat Mohammed bis zu feinem vierzigſten Lebensjahr 
als Kaufmann gelebt. Dann ift er ald Prophet aufgetreten. Doch muß 
ihn ſchon zuvor Höheres als der Handel beiehäftigt haben, fo fehr, daß er 
dem legteren feine rechte Aufmerkiamfeit mehr ſchenkte. Darauf deutet 
wenigſtens die Nachricht, er ſei feines erheirateten Vermögens verkuftig ge 
worden. Auf die Beichäftigung mit Höheren als merfantilen Dingen weiß 
der Umſtand, Daß Mohammed viele Zeit dem einfamen Nachdeufen widmete 
und fid zu dieſem Zwecke bald allein bald wit Chadidja in eine Höhle des 
Berged Hara zurücdzog, tagelang, wochenlang. In diefer beſchaulichen Ein» 
famfeir mag ihn dad Geheimniß jeiner Befimmung zuerft Mar geworden 
fein. Er batte jo ziemlich alle Seiten des arabiſchen Lebens kennen gelernt: 
er hatte in der Wüfte und in Städten gelebt, er war Hirt und Händter, 
arm und reich geweſen und hatte aud) den Krieg geiehen. Alle dieſe Lagen, 
Beichäftigungen und Erfahrungen hatten ihm feine Befriedigung gewährt. 
Wie alle Menfchen, in welchen der Genius lebt, dachte er mehr an Audere 
als an ſich ſelbſt. Ihn erbarmite die nationale Zerfahrenheit feines Volked, 
al& deren Grund er nit Recht den Mangel einer einheitlichen Religion, eines 
oberjten, mächtigen und umfaffenden religiöfen Gedankens erkennen mochte. 
Nah Art tharkrüftiger Naturen verihmähte er aber, über feiner Erfenutniß 
elegisch zu brüten. Er ſtellte fein Licht nicht unter den Scheffel, es forte 
vielmehr über ganz Arabien hinleuchten, und wehe denen, die es zu löſchen 
verſuchen würden. Es käßt ſich nicht leugnen, mit Adhtarabiicher Berftän- 
Digfeit und Schlauheit, aber zugleich nicht minder mit aͤchtarabiſcher Dee 
geifterung und Tapferkeit ging Mohammed an fein Werk. 


3. 


Des Beftimmteflen verneinen wir, wie die unbefangene Betradgtung, 
zweifeldohne thun muß, gleich hier die Zrage: IR Mohanımed «ein Betrü⸗ 
ger geweien? Wir finden e8 fogar feltiam, daß noch Irping!), der doch 


4) Die vier vollfommenften Frauen find nach dem Koran: Mirjam, die Schwes 
ſter Moſe's, Marin, die Mutter Jeſu, Ehadidja, die erfle Gattin Mohammeds, 
um Fatima, des Propheten einziges hinterlaſſenes Kind, mit Ali vermäblt. 

4) Life of Mebammed, chep. 16. 





374 


font ein Mann von Geiſt und Geſchmack iſt, ſich damit abgeben mochte, 
diefe Trage alles Ernſtes zu erörtern. ine weltgeichichtlihe Bewegung, 
wie der Islam war, fann zu ihrem Grundmotiv nicht den Betrug haben. 
Man gründet überhaupt nichts Großes und Trauerntes auf Lug und Trug. 
Sp auch Feine Religion. Erſt dann, wann der religiöie Gedanke fich zu 
verbunfeln anfängt, fucht und findet er in dem Betrug einen zweibentigen 
Helfer. Mohammed war ein Menfch von Ueberzeugung; fogar, wenn man 
will, ein Fanatifer war er, wie denn wahrhaft Bedeutendes eigentlich gar 
nie ohne einen gewiffen Grad von Fanatismus geleiftet wird. 

Als fcharf beobachtender und die gewonnenen Anfhauungen denfend 
verarbeitender Mann hatte er auf feinen Meilen die Religtonen der Juden 
und Ehriften näher fennen gelernt. Was von feiner Befanntfchaft mit einem 
chriſtlichen Mönch, Namens Neftor, welcher ihn unterrichtet und ihm fein Pros 
phetenthum gemweiflagt haben foll, berichtet wird, hat einen zu Icgendenhaften 
Auſtrich, um fehr ind Gewicht zu fallen. Indeflen fegt fein Wiffen von Jũdi⸗ 
fhem und EChriftlichem einen Umgang mit gebildeten Juden und Ehriften um 
fo mehr voraus, ald er, der „ungelehrte Prophet, * wie nicht zu fchreiben jo 
auch nicht zu Iefen verfland und demnach auf mündliche Belehrung über die 
heiligen Schriften und Bräude der genannten beiden Religionen angewiefen 
war. Daß er unter den @inflüffen von tiefen beiden Seiten ber die Selbſt⸗ 
ftändigfeit feines Gedankens wahrte, zeugt für die Eigentbiimlichfeit feines 
Genius. Man bat da leicht fagen, nur die Eitelkeit habe ibn neben Tem 
Mofaismus und dem Chriftenthun eine dritte Religion fliften laſſen. 
Diefe Unterftellung ift weiter Nichts als ein jüdiichschriftlihes Vorurtheil. 

Daß der vage Sternendienft und der plumpe Fetiſchismus jeined Volkes 
inhaltslos und nichtig fei, Dad war Mohammedd Orundgedanfe.. Bon 
diefen Bunfte aus fann er auf Reform. Diejed Wort ift aber vielleiht ein 
übelgewähltes, weil unzulänglicyes. Denn wir leugnen entichteden, daf die 
Araber vor Mohammed unter den abgöttifhen Symbolen von Menichen- . 
und Thiergeftalten oder anderen Fetiſchen ein einiges höchſtes Weſen ver- 
ehrt haben. Das tfl Hier, wie überall, wo fpätere Betrachter ihre eigenen 
monotheiftiihen Anftchten den polytheiftiichen Völkern angedichtet haben, 
unwillfürlidh, wie wir zugeben. Mohammed fand in Arabien nur ein viel- 
götteriiches Bewußtfein vor und der Monotheismus, weldhen er an deſſen 
Stelle feßte, ift weientlich fein Werl. Er war jedoch weit entfernt, fi an⸗ 
maßlich als den erften Berfündiger der wahren religidjen Idee binzuftellen: 


375 


er gab fih nur für den Vollenver des Werfes von Adam, Noah, Abraham, 
Mofed und Jeſus 2). Er ließ Die hebräiſche Tradition gelten unt bis zu 
einem gewiffen Bunft auch die hriftlihe. Er verehrte in Moſes den Her⸗ 
fteller des Begriffes eines geiftigen, außerweltlidyen, einzigen Gottes. Er 
verehrte in Jeſus den großen Reformer des Judenthums, weldyer dieſes zum 
Humaneren fortzubilten und vom leeren Beremonienwefen zu reinigen unter« 
nommen hatte. Dennoch genügte ihm weber das Judenthum noch da 
Chriſtenthum. Jenes nicht, weil es die Reform durch Iefus- verworfen, 
dieſes nicht, weil ed Durch die VBergottung Jeſu den monotbeiftiihen Gotteds 


begriff getrubt hatte. Er wollte alio ein Drittes: den moſaiſchen Grund⸗ 


gedanfen der Einheit, Alleinheit und Geiftigfeit Gottes, verbunden mit 
einer Religiondübung welche, entgegen dem jüdiichflarren Ceremoniendienſt, 
die humanen Elemente des Chriſtenthums zur Entwidlung bringen follte. 


Hierin nun, ſcheint ung, liegt ver Kern des Islam, aber auch ſeine 


Schwäche, — Dir Schwäche, welche jedem Eflefticismud anflebt. Moham⸗ 
med hatte ohne Zweifel eine Ahnung von Ten bildenden und humanifirenden 
Elementen im Chriſtenthum, vermöge welcher diefes das Judenthum über- 
wand, weil er aber die chriftliche Idee einer Verföhnung von Gott und 
Menſch, Geiſt und Natur nicht zu faſſen verſtand, beraubte er feine Reli« 
gion ter Entwidlungsfähigkeit und ſetzte mit feinem. woſaiſch⸗ſtrengen 
Gottesbegriff zugleich eine Stabilität, weldye nothwendig zu der Ausſchließ⸗ 
lichkeit des Judentbhums zurücführte. Die Ereluflvität, die Intoleranz liegt, 
was auch ältefter und jüngfter Zelotismus fagen mag, nidt im Weſen des 
Chriſtenthums; wobl aber liegt fte im Weien des Islam und daher gereicht 
ed feinen Befennern um jo mehr zur Ehre, wenn fie trogdem vielfach eine 
größere Toleranz bewieien als die Ehriften 3). 


2) Diele Fünfe gelten ven Moslemin als ächte und wahre Propheten des alleinigen 
Gottes vor Mohammed. Nach einer anteren Trabition fpannt fich freilich eine Kette von 
nicht weniger als 124,000 Bropheten.unt Anofteln von Acam bis zu Mohammed herab. 

3) E86 ift ein großer auf Mohammed Haftender Mafel, daß er von an’änglicher 
Toleranz zur Intoleranz rüdwärts fchritt. Jener fchöne, Duldſamkeit athmende Vers 


des Koran (Sura 5, B. 78): — „Diejenigen, weiche glauben, Juten, Chriſten und 


Sabäer, wer an Gott alaubt und an ten füngfien Tag und gute Werke übt, der hat 
Nichts zu fürchten und wird nicht betrübt“ — murde fpäter förmlich widerrufen durch 
mebrere andere, insbelondere aber durch tiefen: — „Wer einer andern Religion als 
dem Islam anhängt, ter fintet durch fie feine Aufnahme bei Bott und gehört in jener 


Welt zu den_ Verdammten“ (S. 3, B. 84). Da haben wir ben befimmteften Ans 





4. 


Menn ein ungewöhnlicher Geift einmal zum Gefäß eines großen Ge⸗ 
dankend geworden iſt, jo läßt ihm Liefer weder Naft noch Ruhe mehr. Die 
beherrſchende Idee erfüllt das ganze Weien des Menſchen, pulftrt in jeder 
feiner Adern, vermiſcht fich mit allen ſeinen Vorſtellungen und verleiht ſei— 
nem ganzen Daſein einen erhöhten Schwung. Ein Enthuftasmus, der To 
den Menſchen in feinem Innerften aufrüttelt und fein Nervengeflecht in 
Schwingung verfegt, bringt leicht eine Eranfhafte Reizung mit ſich, die in 
phantaflevollen Naturen zu fomnambuliftifcher Efftafe id fteigert. So eine 
Natur war aber Mohammed und zudem, wie wir fchon Angedeuter haben, 
eine epileptiihe. Daraus, meinen wir, erklärt ed ſich, daß die ihn erfül- 
Iende Idee ihm zuleßt viſtonär gegenftänplidh wurde, daß er das, was er 
dachte und wollte, in himmliſchen Traumgeftchten zu erbliden glaubte. Die 
moslemiſche Tradition drüdt diefen pfychologiſchen Prozeß jo aus: Im vier- 
zinften Lebensjahre Mahonımeds erfähten ihm der Engel Gabriel ald Ueber⸗ 
Bringer der görtlihen Offenbarung und befahl ihm, dieſelbe als Propbet des 
hoͤchſten Gottes den Menſchen mitzutheilen )). So wurden dem Bropheten 
Me einzelnen Abſchnitte Des Koran dur den genannten Engel geoffenbart. 

In den erflen drei Jahren nach feiner „Erleuchtung“ hat ſich Moham⸗ 
med nur feinen vertrauteften Breunden mitgetbeitt. Zuerſt der Chadidja, 
die ihm nicht nur Braun, ſondern auch inniufte Breuntin war. Chadidja 
empfing die Mittheilumg mit Begeifterung , beieitigte Die Zweifel ihres Gats 
ten, beftärkte ihn in feinem Vorhaben und ward feine erfte und eifrigfte 
Jüngerin. Durd ihre Mitwirkung ward der erfte Pleine Kreid von Beken⸗ 
nern des Idlam gewonnen, Abu Bekr und Othman, die nachherigen Cha⸗ 
lifen, Mohammeds Sklave Zeid und fein junger Vetter Ali, „der Löwe 
Sotted *, ferner Abdurrabman, Saad, Talha und Zubeir. Die Eleine Ge— 
meinde verfammelte fich im Geheimen zu Gebet und Betrachtung und ver⸗ 
ſtaͤrkte ſich zwar allmälig, namentlid durch den Beitritt von Frauen, hatte 


ſpruch auf Alleinſeligmacherei. Freilich gibt es eine Tradition, weldyer zufolge gerade die 
8. Sure tes Koran, in welcher tolerantere Meußerungen vorkommen , die zuletzt durch 
den Propheten feinen Anhängern miigetheilte wäre. Dies bewirfe, daß Mohammed 
am Ende feines Lebens wieder duldfamer geffimmt gewefen ſei. Moͤglich, daß dem fo 
war; aber in dem kriegeriſchen Tumult, ven der Islam nach des Propheten Tod erhob, 
verhallte bieſe Mahnung zu. Dulpfamkeit. 

1) Die Schhilderung der Bifionen I. bei Weil, S. 42 fa. 





aber bald auch Hohn, Waberſtaad und Verfolgung ja befahren Virke 
Wiperwärtigfeiten wuchſen, ald Mohammed nach eitiiger Zeit Offemekich in 
der Kaabah jeine Lehre zu verfüntigen begannen hatte. Mngeſehenſte Maͤu⸗ 


ner des Stammes Koreiſch, ja aus der Reihe ferner nächſten Berwandten 


traten gegen den Propheten auf, und wie das in ähnkichen Fällen auch 
anderwaͤrts geſchah, forderten die Widerſacher vor alten Dingen, er möge 
Much Wander den Wahrheitsbewris für ſeine Sendung führen. Da gab 
er denn, wie eiaft auch Zarathuſtra in ſolcher Rage gethan haben ſoll ®}, 
wiederholt die Antwort, er ſei nicht neinndt, Wunber zu thun, fondera nur, 
den Menichen das ihm von Bott geoffenbarte Buch zu bringen, deſſen Ins 
bat Wunders genug ſei. Ä 

Die Koreiſchiten jedoch jahen die Sache anders an. WimestGeils von 
dem Standpunkt aus, welchen die Mittelmäßigkeit bem Genius gegrnüber 
einzunehmen pflegt, anderntheils unter dem Geſichrepunkt ihres Intereſſeb 
als Huͤter der Kaabah, welches fie durch die nent Lihre geführben glaubten. 
Endlich mag zur Ungunſt, welche Mahommed erfuhr, auch ber Umſtand 
mitgewirkt haben, daß er nicht mehr reich war. Cinem Reichen pftegen iu 
die Menſchen Alles zu verzeihen, nie aber einem Armen Geiſtesgröße und 
Seelenhoheit. Indeſſen vergrößerte ſich doch allmälig die moslemiſche Ges 
meinde und zuweilen erlebte der Prophet die Freude, einen heftigſton We 
derſacher zu befebren. So den Omar, einen der angefehenften Männer 06 
Stammes Koreiſch, ſpäter als zweiter Chalif eine der Grundfäulen des 
Jolam. Solchem Gewinn hielt ein großer Verluſt die Waage, der Tod 
Chadidja's. Kines Erſatzes bedürftig,, fuchte denjelben der Prophet, in dem 
Verlöbniß mit Aiſcha, der. ichönen, klugen und räͤnkevollen Tochter Abu Welrs; 
aber Aiſcha war feine Chadidja und fo bat fich denn Mohammed von pet an 
den Fordernugen feined glübenden Zemprraments im Umgang mit den Frauen 
ruͤckhaltslos Hingegeben. Er, der in jungen Jahren der alternden Chadibja, 
übereinftimmenden Zeugniffen zufolge, die Treue gehalten, war im alten 
Tagen Befiger eined Harems von Brauen und. Kebfinuen. 


5. 


In diefer Beit unabtäfflger Aufregung, 100 von einem Tag zum andern 
ber Erfolg mit der Verfolgung und umgekehrt wechſelte, icheint das viſto⸗ 


— — — ———- 


2) Vgl. Thl. I, ©. 166. 


·2 


378 


näre Element in Mohammed ganı aufrrorbentlih mächtig geworden zu fein. 
Berzudung folgte auf Berzüdung, Erideinung auf Erſcheinung. Wenigſtens 
fegt Die mos lemiſche Tradition in dieſe Periode eine Fülle von Viſionen 
und Öffenbarungen, welche Dem Bropheten wurten. Da werden und Rüffe 
zugeworfen,, die freilich nur etwa Der &laube Fnaden kann. Das berühm- 
tefle dieſer Geſichte iſt Mohammeds Nachtreiſe von Mekka nach Ieruialem 
und von da durch die ſieben Himmel!). Aber „der Prophet gilt Nichts in 
jeinem Heimarlande*. Dem Koreiſchiten genägten Diele Traummunder nicht, 
oder vielmehr war es zwiſchen ihnen und Mohammed ſchon fo weit gefom- 
wen, daß eine Katafleophe unausweihlihd war. Mehrmals ſchon Hatte er 
vor feinen Feinden aus Mekka weichen und mit jeinen Anhängern in der 
Wüfte, in Höhlen und Schluchten Zuflucht ſuchen müſſen. Immer zwar 
war er wieder in die Baterflatt zurüdgefehrt, aber jegt mehrten fi die 
Anzeichen, daß die Koreifchiten zum Aeußerſten zu fchreiten ſich entfchloflen 
hatten, um des Menfchen ledig zu werden, den fie nur für einen eingebil- 
deten Störenfried anfahen, welcher die Frechheit hatte, fle aus ihrem behag⸗ 
lihen Schlendrian aufzurütteln. Inwieweit fle das belichte Moment der 


— —— — — — 


1) Das if allerdings eine Offenbarung, naͤmlich eine glaͤnzendſte der arabiſchen 
Bhantafle. Mohammed machte die Reife auf dem Wunderroß A Boraf (der Blitz), 
welches ihm der Engel Gabriel zu diefem Zwecke zuführte. Das Roß hatte, wie menſch⸗ 
liche Sprache , fo auch ein menſchliches Seficht, aber die Backen eines Pferdes; feine 
Augen waren wie Hyazinthen und funfelten wie Sterne; feine ganze Geſtalt firalte von 
GErelfleinen und feine Arlerflügel glänsten wie Sonnenftralen. — Im fiebenten und 
hoͤchſten Himmel wurde der Prophet von Abrakam empfangen. Diele Wohnung der 
Seligen it aber von fo überfchwänglicher Herrlichkeit, daß feine Menichenzunge fie be: 
ſchreiben kann. Was aber von einem der feligen Bewohner gefagt wird, reicht hin, 
eine Vorſtellung von den übrigen zu geben. Nämlich fo ein Infaß des fiebenten Him⸗ 


mels übertrifft an Größe die ganze Erde; er befigt 70,000 Köpfe, jeder diefer Köpfe 


aber wiederum 70,000 Munde, jeter dieier Munde 70,000 Zungen und jede dieſer 
Zungen fingt in 70,000 verfchiedenen Sprachen unabtäffig das Lob tes Höchſten. — 
Sehr wunderbar ift auch der zur Rechten von Allah's unfihtbarem Thron ftehende Lo⸗ 
tosbaum Sidrat. Jedes Samenforn feiner Früchte umfchließt eine Houri, d. 5. eine 
jener ewigen Himmelsjungfrauen, welche zur ®lüdicligfeit der wahren Gläubigen bes 
fimmt find. — Nachdem Mohammed getanfenfchnell noch einen ungeheuren Raum 
vol blendenden Lichtes und tieffler Finſterniß dDurcheilt Hatte, fah er fich zwei Bogens 
fhüfle weit von Allah’ Gegenwart entfernt. Aber das Antlig Gottes war mit 
20,000 Schleiern bedeckt, denn der Anblick deſſelben müßte jeden Menfchen auf der 
Stelle vernichten. 


379. 


„Meligionägefahr* gegen die Neuerer wirkfam machten, ift nicht ganz klar. 
Es wird aber wohl auch Hier bedeutend mitgelpielt haben. 

Mohammed hielt der Gefahr bis zum Aeußerſten Stand. Er fühlte, 
wie wichtig e8 war, gerade. von Mekka aus feine Lehre Vorfchritte machen zu 
laflen. Und fie hatte auch wirklich fchon beträchtliche gemacht. Die für die 
Folge widhtigften in der Stadt Medina, wohin fie durch, Wallfahrer gebracht 
worden, denen fie der Prophet auf einem Hügel bei Mekka gepredigt hatte. 
Nach Medina richteten fich daher die Blicke Mohammeds, ala feine und feiner 
Befenner Stellung in Mekka unhaltbar geworden. Die moslemiſche Ges 
meinde ſiedelte nach Medina über, doch blich der Prophet ſelbſt mit Abu Bekr 
und Ali in Mekka zurück, bid er feine Stunde, feine Minute mehr vor dem 
Mortfiahl der Koreifihiten fiher war. Schon hatten die Meucelmörter 
näcdhtlicher Weile Mohammeds Haus umzingelt, da erfl entwich er vor 
ihnen, mit Anwendung ächtbeduiniſcher Lift 2), Er entfam mit Abu Bekr 
nach mancherlei Faͤhrlichkeiten glücklich nach Medina, wo er mit Jubel em⸗ 
pfangen wurde und wo ſich bald alle jeine Anhänger um ihn fammelten. 
Bon diejer Hidjrah (Flucht) des Propheten im I. 622 n. Chr. datirt 
die modlemifche Zeitrechnung. 


6. 


Nun verbindet fih in Mohammed mit dem Amt des Bropheten. das 
des Kriegerd und Zürften. Aeußerlich zwar blich feine Fürſtlichkeit vorerft 
noch von jehr beduinifcher Einfachheit, wie die Hochzeit feiner geliebten 
Torhter Fatima mit dem treuen Ali darthut, welche lange nad der Ueberſited⸗ 
lung nach Medina flattgefunden zu haben ſcheint 1). Weußerlicher Glanz 
gab aber damals feinen Maaßſtab für arabiſche Macht. Beweis hierfür iſt, 
dag Mohammed, trotz feines aͤrmlichen Haushalts, bald im Stande war, 


— — -_ _— 


2) Alt legte fich, mit Mohammeds Kleidern angethan, fo im Haufe nieder, daß 
ihn die lauernden Koreifchiten von außen fehen fonnten. Sie hielten -ikn für Mo⸗ 
hammed und glaubten daher, es jei überflüfftg, die übrigen Theile des Haufes zu bes 
wachen. So gelang es dem Propheten, auf der entgegengelegten Seite unbemerft 
über die Mauer hinunterzufteigen. 

1) Die ganze Ausfteuer des Paares beftand aus zwei Nöden, zwei fllbernen 
Armbändern, einem Becher, einer Handmuͤhle, zwei Waflergefäßen , einem Trinffruge 
und einem ganz armfeligen Bette. Der Hochzeitsſchmaus war auch patriarchaliſch 
genug; er beſchraͤnkte ſich nämlich auf eine Echüffel voll Datteln und Dliven. 


380; 


ale Heeresflerſt feiner Behre mit Tem Schwerte Nachdruck an geber. Er 
hielt hiebei an dem richtigen Gedanken feſt, daß der Gewinn Metka's für 
feine Gache entſcheidend ſein mäßre, und fo ſehen wir dan Team vun Medina 
aus angriffoweiſe gegen bie Koreiſchiten vorgehen, nachdem er ben Krieg 
genen die Ungläubtgen fürmlich als vin Gebot Gottes procamirt hatte. 
Seinen erfin Sieg gegen die Kodetſchiten gewann er bei Vedr. Inteflen 
wären die genenfeitigen Kriegsfahrten vorerſt meiſt nur beduinifche Raubzuͤge, 
Razzin’s Im altnationaten Styl, und lange ſchwankte die Entfcheidung. Eine 
erſte Bereunung Mekka's mißlang, aber anderwärts gewann der Prophet 
Terrain; allmälig fo viel, Laß die moraliſche Ruͤckwirkung auf die Korriichi⸗ 
ten nicht ausblieb. Mehrere Häuptlinge Terjelden anerkannten ten Pro⸗ 
pheten, fo 3. B. der gefürchtete Khaled, der ſtch ipäter den Titel „ Schwert 
Gottes“ erward. Endlich, zu Ende des Jahres 629, war Mohammed im 
‚Stande, mit eimen Heer von zehntauſend Streitern vor Mekla zu rüden, 
une nach furzer Belagerung zog er im Jannar 630 als Sieger in die heilige 
Stadt ein. Die verſtockteſten Koreifchiten vrrfielen wem Tode, ſonſt aber 
ließ Der Steger eine Auge Mäßigung walten. Die Kaabah wurde, nade= 
dem die Gögenbilder zerichlagen worden, zum Haupttempel des Islam 
geweiht. 

Gerade aber die Reinigung des Nationalbeiligthums von den Spuren 
der Stololatrie brachte unter ſolchen arabiſchen Stänımen, welthe noch an der 
alten Religion fefthielten,, eine große Gonföderatien zumege, deren Made 
Mohamined durch die im Februar 636 im Thale bei Honain gefchlageme 
Schlacht brach. Bon da an gebot er uͤber Arabien und konnte feine Waffen 
bereits aach Syrien tragen, gegen den Kailer von Byzanz Doch war dies 
nur ein erfier Anlauf des Yalam anf ter Bahn der Ersderung. Der Pro⸗ 
phet mo@te fühlen, daß zunaͤchſt in Atabirn felbft nach genug zu thun fei, 
um baflelbe auf dem Fuß der neuen Lehre zu organiftren. Das that er denn 
auch) von Medina aus, weldhe Stadt er mit Recht fehr lichgewonnen hatte. 
Im zehnten Jahre der Hidjrah machte ex noch eine Wallfahrt nad Mekka, 
welche durch Zahl und Glanz ſeines Sefolged und durtch Die allgemeine Ber- 
ehrung, die ihn dabet entgegenkam, zu einem wahren Triumphzug feines 
Propherenthums wurde. Nad Medina zurückgekehrt, erkrankte er, nachdem 
er ſchon auf der Reiſe den Gefährten feine Ahnung vom Nahen des Todes⸗ 
| ongelö uisgetheilt und aud bei Liefer Gelegenheit wieder, wie öfter ſchon 
Berfuchen, feine Perſon zu vergottea, gegemüber, alles Grnftes betont Hatte, 


381 


er ſei ein Menſch wie andere. Seine ſtrankheit nahm zu, obgleich ex Fah, 
Die Gemeinde im Glauben zu Härten, no täglich im Die Moſchre fchlenpte 
und ypredigte. Die Nachrichten über feine Lehten Lebendtage weichen ſehr 
won einander ab und fo iſt auch nicht mit völliger Sicherheit ausgemittelt, 
ob her 7. oder B. Juni des Jahres 632 fein Todestag it 3). Kiniges über 
feinen Ausgang ficht jedoch Feft. In feiner Leuten äffentlichen Rede ſprach 
er au der befiuumenten Gemeinde unter Anderem: „Ich hörte, der Kan eures 
Bropheren erflille euch mit Schredden. her bat ie ein Prophet vor mir 
ewig gelebt, daß Ihr glauben Fünntet, ich würde mic nie von ech Inennem ? 
Ich wankere Zegt zu meinem Herrn, euch aber ermahne id) gu gegenſeitiger 
Eintracht.“ Auf Dem Stevbrlager ſcheufte ex feinen Gflnuen hie Freihnit 
und befahl, alle Beld, was in feiner Kafle ſai — es mar wenig gemag, 
fecha bis fieben Denare — an die Urmen zu vertheilen. Wepor er bad Me⸗ 
mußtfein verlor, hat er gebeket: „Gott fiche mir hei im Tohesfamapfe ! * 
Dann iſt er in den Arsen der Mifcha perſchieden mit hen Warten: „Bm Kam 
höchſten Befährten im Raradiefſe!“ An der Stelle, mn fein Krembenleger 
geſtauden, wurde ihm fein Grab gegraben, jeht das Ziol der Wilgenfahrt von 
Millionen 3). 


7, 


-Sür einen wahrkakt Berufenen und Begeifterten wird den Saifter des 
Yalanı Seder anfehen, der unbefangen as ihn heramiriet. Immer hilicken amd 
der mizatulofen Berzerrung ſeines Bibdes durch die legendenſüchtige Kyrdition 
menſchlich edle Züge. Gr ſelbſt, wir wiederholen es, trat jedem Bergettungs⸗ 
verſuch entgegen. Als ein Meubeschrter ihn fragte: „Bft du Gottes Sohn?” 
gab er zer Antwort: „Wort bat feinem Sohn; er wand nicht gezeugt und 
zeugt nicht.“ 

Die arabifche Myrhonſucht Hat natürlich fid) beeilt, audy Die harperliche 
Erſcheinung Mohammeds mit dem Nimbus des Wunderbaren zu umgeben 1). 


— — 





2) Die meiſten moelemiſchen Lebenobeſchreiber Mahammeds geben den Monag, 
den 438. Tag des Rabia⸗l⸗Awwal don 14 Bahare der Hidjwah an. 

8) Wir fommen unten m A. Rap. darauf zusüd. 

1) Er konnte von hinten fo gut fehen wie vom vornen, denn ex hatte zudidgen den 
Schultern zwei Augın, fo Heim wie Nadelöhre, womit er Dusch Me Kleider ſah. Kaein 
Speichel konnte das Seemaſſer verſiͤißen. aim Schweißtronien glichen Beten , fie 
wurden als Aroma gebraucht, u. dgl. m. 





R 


382 
Wiſchen wir dieſen Nebel von ſeinem Bilde, ſo bleibt immerhin noch eine 
ſtattliche Perſonlichkeit übrig. Mittlerer Statur, Hatte er einen wohlgeform⸗ 


ten Kopf, ein rundes, rothwangiges flarfbebartete® Befiht, eine lange ' 


ſchmale Nafe, eine hohe Stirne, große fhwarze Augen. Obwohl, wie wir 
gemeldet, oft die Beute einer ſchrecklichen Krankheit, war er auödauernd im 
Ertragen von Hunger und Durft, Hige, Froſt und Strapazen aller Art, ein 
kühner Reiter, perfönlich tapfer, ein ſcharfblickender Anführer, umſichtiger 
Volitifer. Dabei im Benehmen von mildem Ernft, im Umgang von an« 
muthiger Leusfeligkeit, in feinen Blanen und deren Durchführung von tiefer 
und umfaflender Menſchenkenntniß geleitet. Gewöhnlic, wortfarg, erhob er 
ib, wenn Drt und Stunde e8 forderte, zu einer unwiderftchlichen Berebt- 
ſamkeit, die in gewaltigen Worten die Unfchauungen feiner glühenden, von 
frühauf mit den Erzeugniſſen der Volkspoeſte feines Rantes genährten Ein⸗ 
bildungskraft außftrömte. Daß Liebe zu den Menſchen der Grundzug feines 
Charakters war, mögen nur Solche bezweifeln, welde nicht willen oter nicht 
wiffen wollen, daß er fidh jelbft die größte Frugalität der Lebensart aufer- 
legte, um dem rafllojen Hange zum Wohlthun nachleben zu fünnen, der ihn 
befeelte und fid immer in anſpruchloſeſter Form, oft fogar humoriſtiſch 
äußerte2). Er liebte überhaupt einen harmlofen Scherz und zeigte fidh den 
Menſchen ftets fo zugänglich und nachſichtig, wie er fi den Thieren mit⸗ 
leidsvoll erwies. Nur nah einer Richtung Hin, im Umgang mit den 
Weibern, hat er, wenigſtens nach abendländifchen Begriffen, die Schranfen 
der Maͤßigung durchbrochen. Weihrauchdüfte und eines Weibes Umarmun⸗ 
gen, batergefagt, entflanmten mehr als alled Andere feine Andacht im Gebet. 
Es mag fo fein. Er konnte auch, abgejehen von den hergebrachten Liebeöbräuchen 
im Orient und von der altarabiichen Sitte der Vielweiberei, auf fein ganz 
außergewöhnlich feuriges Naturell, auf feine faft märcenhafte Lendenfraft 
fih berufen). Und wenigflend war er fein geheimer Wollüfling. Er 


nn un 


2) Als ihn einft einealte Frau bat, er möchte doch für fie beten, daß fie ins Pas 
radies füme, verfegte er: „Es kommt feine alte Frau ins Paradies.” Da aber hier: 
über die Alte in Thränen ausbrach, tröftete er fie, unter Berweifung auf den 38. Vers 
ber 86. Sura des Korans, damit, daß Gott im Paradiefe die alten Weiber wieder zu 
Sungfrauen umgeftalte. Uebrigens iſt die angegogene Stelle und mehr noch eine weitere, 
Sura 33, Bers 37, 28, 34, ein fchlagender Beweis gegen die irrige Meinung, der 
Jolam ſpreche den rauen die Seele und die Unfterblidyteit ab. 

3) Er that au fo. Wenigſtens berichtet Petrus Pafchaftus bei Maracci (Pro- 
dromus Alcoran, IV, 8585) nad) arabifchen Quellen: — Sibi rober ad generationem 











383 


barg die Befriedigung glühender Triebe nicht hinter der Maske der Gleis 


nerei. Ueberhaupt war in diefem großen Manne, welder eine der größten 
Mevolutionen der Weltgeſchichte gemadıt, etwas Offenes, Ehrliches, Biede⸗ 
res, jo gar nichts Muckerhaftes, und da er in feltenflem Maaße Genie und 
Einfachheit, Herzensgüte und Ihatfraft vereinigte, fo durfte ihn Carlyle 
wohl einen urjprünglichen Wenichen nennen und — in der Garlyle’ ſchen 
hohen Bedeutung des Wortes — einen Helden u 


quantum triginta viri habent inesse jactaret, ita ut unica hora posset undecim femi- 
nis satisfacere. Nach Abulfeta (de vitaM. p. 140) äußerte fih Ali, als er den Leich- 
nam des Propheten wuſch, noch viel erprefflver, fehr naiv bewunderungsvell. 

A) Cariyle fchließt Seine bereits oben eitirte Charakteriſtik Mohammeds mit den 
Worten: „Für die arabifche Nation war es — Mohammeds Auftreten — wie eine 
Geburt aus der Finſterniß zum Licht. Arabien wurde erfi mit Hülfe deſſelben leben⸗ 
dig. Bin armes Hirtenvolf, unbemerkt feit der Schöpfung der Welt in feinen Wuͤſten 
umherziehend: da ward ihnen ein Heldenprophet herniedergefandt mit einem Worte, 
das fie glauben Eonnten, und fiehe da, das Unbemerfte ward weltbefannt, das Kleine 
ift weltgeoß geworden. Innerhalb eines Jahrhunderts darauf reicht Arabien mit einer 
Hand nad) Granada, mit der andern nad) Delhi. Stralend in Tapferkeit und Herr: 
lichfeit und hellleuchtentem Genius, glänzt Arabien lange Jahrhunderte über einen 
großen Theil der Welt. Glaube ift groß, befeelend. Die Geſchichte eines Volkes wird 
fruchtbar, geifterhebenp, gruß, fobalo es glatıbt. Diele Araber, der Mann Moham- 
med und das Bine Jahrhundert, iſt es nicht, wie wenn ein Funke gefallen wäre, Gin 


Bunfe, auf eine Welt von dem, was fhwarzer, unmerfbarer Sand fchien? Der Sand 
erweift fich als entzünpliches Pulver, lodert himmelhoch von Delhi bis Granada! Ich \ 


fage, der große Menich iſt immer wie ein Blitz vom Himmel; die übrigen Menfchen 
warten aufihn gleih Brennftoff und dann flammen auch fie auf.” — Fr. Kolb in feiner 
Abhandlung über den Islam (Staatsler. v. Rotteck und Welder, 2. A. VII, 383) 
Außert: „Am wahrfcheinlichften däucht uns, daß (in Mohammed) drei verfchiedene 
Momente wirkten: Streben nach einem tem Bolfe Gluͤck verheißenden Ziele, eigene 
Schwärmerei und felbfifüchtige Zwede.” Zugegeben, biefes ſtrenge Urtheil ließe fich 
in allen Theilen rechtfertigen, müßte man dann nicht fagen, ungefähr das nämliche 
Urtheil könnte über alle Religionsſtifter, wie über alle weitgefchichtlichen Charaktere 
überhaupt, gefällt werden? Ganz fo, wie hier ein Ehrift über Mohammed, Außerten 
fih Heiden und Juden über Chriſtus. Vom Standpunkt des berühmten Buches De 
wribus impostoribus aus fann man noch weiter gehen und fagen: alle Religionofliftung 
iſt nur ein felbftfüchtiger Betrug. Ob aber diefer Standpuntt der hiſtoriſchen Betrachtung 
ſtandhaͤlt, ift eine andere Frage. — Gelegentlich weile ich bier noch den oft gehörten Vor⸗ 
wurf zurüd, Mohammer habe tie Ausbreitung des Jslam vermittelt des Schweries 
beiohlen. Ja wohl, aber wo hat es denn je eine weltgefchichtliche Revolution geges 
ben, bei welcher nicht das Schwert in erſter oder lepter Kinie mitwirfte? Ic meine, 





. 8. 

Die Heilige Meligionturtunde der Mohammeraner ift bekauntlich der 
Koran. . Dead Wort bedeutet „das Bud“ !) oder „Die Schrift “, alio ganz 
bafielbe, wad „Bibel*. Dieſe Bibel des Islam iſt in ihren einzelnen Thei⸗ 
len des Werk Mohemmeds, aber nicht als Ganzes, d. h. der Prophet hat 
den Juhalt Rischweife und zu nerichiebenen Zeiten feinen Anhängern mit 
getheilt, aber die Zulaumeenfellung rührt nicht von ihm felber her. Er hat 
nicht einmal die Sammlung befohlen. Einzelne Stüde hat er, wie es fcheint, 
diefem oder jenem diktirt; wenigften® befanden fich hei feinem Tode Koran- 
fragmente, auf Pergament, auf Leder, auf Balmblätter gefchrieben, in ner 
ſchiedenen Händen. Undere waren darch Audere vermittelt Aufwendiglen⸗ 
and vufbewahrt worden. Da Mh aber fihen unter Mohammeds näcftem 
Rahfolger ‚Abu Bekr, die Nothwendigfeit, die heiligen Docımmente zu fam- 
meln, fühlbar madıte, fo beauftragte der Chalif den ehemaligen Geheim⸗ 
ſchreiber des Propheten, Zeid Ibn Thabit, mit diefer Arbeit. Schon un- 
ur dem Chaliſen Othman gingen jebach in dan Abſchriften des Koran jo 
wiele veviiedene Leſsarten um , daß Zeid eine nochmalige Redaction unten 
nehmen mußte. Diejer wurde dann canoniſches Anfeben zuerfannt. Oth⸗ 
man ſandte Abfchriften davon in alle bedeutenden Städte des Reiches und 
befahl zugleich, alle früheren zu vesbzeunen. Es iſt ſelhſtverſaͤndlich, daß 
Dem fremmen Glauben ter Mohammedauer ter Inhalt ihrer Bibel, wiie 
don glaͤubigen Juden und Eheiflen der Inhalt der ihrigen als unmittelbaze 
göttliche Offendarung gilt. Die Urſchrift des Koran, fagt der orthutore 
Moslem, ift von Urkeginn an im fichenten Himmel vorhanden geweien. 

Der Koran, mie er ungs jetzt vorliegt, if befauntlih in 114 Suren 
(Abichnitte) eingesheikt, devan jede wieder in eine guößere ober Sheineue An⸗ 
zahl von Sägen oder Berfen zerfälli. Man theilt diefe Suren au ein in 
ſolche, welche während des Propheten Aufenthalts in Meffa, und in jolche, 
welche während feines Aufenthalts in Medina geofienbart wurden, in 
mekkaiſche und mebinenflirhe Suren alio. Es harrſcht aber in Dem Bu in 
Bezichung auf Eintkeilung und Zeitbeftimmung rin gesßer Wirnwarx wa 
der Medaetor deſſelben ift offenbar fo willtürlich verfahren, wie e8 eben ber 


m Ehrißmmihem AR, twenigfene was die Praxis angeht, durchaus nicht berechtigt, 
vom Jolam feine Belehrungsart zum Borwurf zu mahen. 


1) Daher heißt der Aoran auch ſchlechtweg Al Kitah (dad Buch, die Schrift, eigtl 
kLeſen oder das zu Leſende). 


N 


— — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — DE 


— — — — — — — — — —— — — — — 


Bufull wollte. Einige der Suren find von uwerhaͤltuißmuͤßiget voͤnge, an⸗ 


- Bere befichen nur aus ein paar Sägen. Jede Sura führt einen eigenen, son 


einem in tr vorkommenden Stichwort oder Bild hergenommenen Titel, ber 
of barock lautet („die Aub”, „ber Elephant“, „der Bucflabe Kaft,., &x 
machte ein zorniges Geht“ u. aäͤ. m.). Dis Bolumen Des Koran erreicht 
nicht die Hälfte Dde8 Umfangs ber. Bibel. Den Styl des Koran angehen, 
Wer in einer Urt poetiſcher Profa geichrichen, die Häufig am Ende ber Zei⸗ 
Ton veimt. Die rhyrhmifſche Proſa, wie fte ſteis Klingt, wenn fie ſich erft.auß 
Ber gebundenen Redeweiſe berawszubißsen angefangen Bat, gab num ein wib⸗ 
Üged Gefäß für die Biflonen, Ermahnungen, Drohungen und Vorſchrifton 
des Propheten ab. Nicht felten fpricht er als wahrer Dichter, noch öfter 
ber ale Rhetor. Sehr oft Freilich iſt der Woran breit, ſchwülſtig verwon- 
vom — von einer methobiihen Gliederung feiner Lehren, von einem fogi- 
ſchen Organismus iſt feine Spur in ihm — viele Stellen jedoch beurkunden, 
dag ber Prophet, fortgerifien von dem Fruer feines Glaubens, für Anfchnuun⸗ 
gen voll glühender Bhantafle auch einen echt dichteriſchen, hinreißend mäch⸗ 
tigen Ausdrud gefunden. . Den börhften Schwung der Energie des Zornes 
erreicht der Koran, wo er die Schrecken des jüngfien- Berichte und die Qua⸗ 
ten der Hölle jchildert, die höchſte Anmuth und Seterlichkeit, wenn er die 
Belohnung der Seligen im Paradieſe befchreibt 2). Jener wunderbar naiv 


epifche Zauber, welchen wir in dem biblifchen Buch der Genefld bewundern, 


geht dem Koran gänzlich ab. Die biblifhen Gefhichten von Abraham bis | 
CHriftus werden zwar in unendlihen Wiederholungen aufgetiicht, aber mit 
wunderlihem Märchenkram verbollhornt. Bid zum Meberbruffe ehrt 
die Schöpfungdgeichichte wieder und jpielt dabei der Teufel (I5lid) eine 
große Rolle. Ebenſo unleidlih oft müflen wir den Aufruf zum heiligen 
Kampfe mitanhören. Den ganzen Koran in einem Zuge durdhzufefen, tft 
eine der ermüdendften Lejearbeiten, die e8 geben Tamm). 





2) Wir werden Gelegenheit haben, Proben aus dem Koran zu geben. Dieaußer: 
ordentliche Wirkung, welche derſelbe auf die Araber machte, foll durch die befannte | 
Geſchichte von der Belehrung des gefeterten Dichters Lebid eviwiefen werben. Lebid 
hatte fi geweigert, an Mohammeds Sendimg zu glauben; als er aber die Verſe 17 | 
uud 18 der 2. Sura vernahm, riß er befhämt feine an der Kaabah aufgehangene 
Moallaka herab und brkannte ich zum Jolam. 

3) Ich kann mid) felbft durch eine fo große Autorität, wie die Hammers if, nid; 
zu einem andern Urtheil uͤber ven literariſchen Werth des. Korans, al6 das oben ge- 
gebene ift, beftimmen laffen. Hammer nemmt (Bundgr. d. Orients, I, 35) ven Komm 

Schere, Geſch. d. Religion. I. 25 


Der Koran, Te, wie er nun einmal if, gibt die canoniſche Norm für 
Dad religiöſe, ſoziale und politiſche Leben ber Belenner des Pro— 
pheten. Er lehrt den Islam, wie Mohammed feine Meligion nannte, 
d. 5. die Ergebenheit, bie abfolute Unterwerfung unter das Schickſal, als 
den Willen Gottes). Er flatuirt die Unzertrennlichkeit des religiöſen und 
des bürgerliden Geſezes und demnach auch die Vereinigung der höchſten 
geiſtlichen und weltlichen Macht in einer und derfelben Hand. Sein In- 
halt iſt alio zugleich Dogmatik, Ritualgeieg, Sitten- und Rechtslehre. Nach 
diefen drei Seiten bin werden wir ihn auch einer Betrachtung unterziehen, 
fobald wir Hier, wa® das Dogma betrifit, ichon oben Angedeutetes noch ein- 
mal betont haben: — naͤmlich, dad Mohammed feine Lehre nicht ale etwas 
unbedingt Originale gab. Es wäre died auch ein jehr eitled Linterfangen 
gewefen. Die Hauptquelle des Islam iſt ganz augenſcheinlich ber Hebrais⸗ 
muß, aber fie bat fich mit fehr bedeutenden Zuflüffen aus der. altperftichen 
und der chriſtlichen Religion vermifht. Auch ift, namentlich in den mosle⸗ 
miſchen Religionsbräuchen, einiges Altarabiſch⸗Heidniſche zurüdgeblieben. 

Der dogmatifche, rituelle und rechtliche Inhalt des Koran beſtimmt 
alſo den Inhalt der drei zunachfi folgenden Kapitel). 


Drittes Kapitel. 


Das moßlemifhe Dogma. 


1. 


Das Dafein Gottes, d. h. der Glaube daran, ift Grunddogma jeder 
Religion. Der Menſch glaubt, es fei ein Weſen über ihm, er verehrt, 


das Muſterwerk arabifcher Dichtfunft. Weil dagegen (d. poet. Lit. d. Araber, S. 
60) zuerkennt dem Koran nur „vollendete Rhetorik.“ Nach meinem Gefühl kommt 
an aͤchter Poefle Nichts im Koran den altarabifchen Gefängen eines Schanfara, Ans 
tara und Amrilkais gleich. 

4) Islam fommt von der Wurzel Selame, Unterwerfung, Hingebung. Gin Mos- 
lem ift alfo ein fi Hingebender (an Bott), ein Glaubender. 

5) Die moslemifche Theologie bezeichnet die Dogmenlehre, die Cultlehre und die 
MRechtslehre mit den Ausdrücken Usul ed-din, Feru' ed-din, ’Jime fikh. 





387 


fürchtet, Tiebt dafjelbe, erwartet von ihm Hülfe in diefem, Seligfeit in einem- 
zufünftigen Xeben. Die Idee des Dafeind der Gottheit ift alfo der Punkt, 
von welchem alle Dogmatik audzugehen bat. Auch die moslemifche; nur 
will fie es nicht Wort haben, fofern fle fagt, das Dafein Gottes ei eine fo 
bedingungsiofe Vorausfegung, die Borftellung davon fei jedem Menfchen fo 
eingeboren, daß ed nicht nur rein überfluͤſſig, fondern jogar fündhaft wäre, 
nod davon zu fprecdhen, Diefen ureingeborenen Begriff die Menfchen erft Ich» 
ren zu wollen. Es ift, meint der Moslem, rein unmöglich, nicht zu wiffen 
oder gar zu bezweifeln, daß Gott if. Das Sein Gottes erft bemeifen zu ı 
wollen, wie es bie hriftliche Philofophie aller Zeiten mit fo großer Mühe 
waltung fich angelegen fein lieg, würde einem Modlem, wenn überhaupt | 
als begreiflich, jedenfalls als eine todeswärdige Ketzerei vorkommen. Die I 
moslemiſche Theologie fängt daher damit an, das Wefen Gottes zu bes 
flimmen. Hieran reiht fte die übrigen Grunddogmen des Islam und fo er» 
halten wir deren fünfe: — 1) das Teuhid, die Einheit (und Eigenfchaften) 
Gottes; 2) das ’Edolet, die Gerechtigkeit Gottes (Prädeftination); 3) das 
Nebüwwet, da8 Prophetenthum; 4) dad Mi’od, das kuͤnftige Leben; 5) das 
Iınamet, die Erbfolge der Imame 1). 


2, 


„Kein Gott außer Gott!“ lautet dad Symbolum des Islam). 
Allah?) ift der eine, alleinwahre Bott. Er hat fein Weien in fich ſelbſt, 
genügt ſich felbft, tft weder gezeugt noch zeugt er. Er ift bad Centrum, in 
welchem ſich Alles vereint, er erfüllt mit der Unendlichkeit feines Weſens das 
Weltall, defjen Urheber und Regierer er iſt. Von Ewigkeit zu Ewigfeit iſt 


1) In der Auffaflung einiger diefer Dogmen weichen die beiden großen Selten 
des Islam, die Sunniten und die Schiiten, von einander ab. Ich werde diefe 
dogmatifchen Unterfchiede, welche übrigens mehr aus einem politifchen als religiöfen 
Zwielpalt der genannten Sekten erwuchſen, einftweilen angeben. Der Urfprung des 
Zwiefpalts wird weiter unten im Kapitel berührt werden. — Wo ich im Kolgenden 
Koranfiellen anführe, find diefelben entweder der Ullmann’fchen oder der Sams 
mer ’fchen Berdeutfchung entnommen, fo zwar, daß Eitate in ungebundener Mede ber 
erfteren, in gebundener der leßteren angehören. 

4) Lo illahe illallah. 

2) Zufammengezogen aus al und elah. Wie ſprachlich, To auch begrifflich ſtimmt 
dieſe Benennung Gottes — Allah bedeutet der Verehrungswürbige, Grhabene — mit 

den hebräifchen Bezeichnungen der Gottheit (E), Eljon, Elohim) überein. 
25 % 


Ze 7 


378 


näre Element in Rohammed ganı anfirrorbentlich mächtig geworben zu fein. 
Verzückung folgte auf Berzüdung, Ericdeinung auf Erſcheinung. Wentaftens 
fegt die mos lemiſche Tradition in dieſe Periode eine Külle von Viſtonen 
und Offenbarungen, welde tem Propheten murten. Da werden und Nüfle 
zugeworfen, die freilich nur etiwa der Glaube Fnaden fann. Das berühm⸗ 
tefte diefer Geflchte it Mohammeds Nachtreife von Mekka nad Ieruialem 
und von da durch die fleben Himmel 1). Aber „der Prophet gilt Nichts in 
feinem Heimatlande*. Den Koreiſchiten genügten dieſe Traummunder nicht, 
oder vielmehr war es zwilchen ihnen und Mohammed ſchon fo weit gefom- 
men, daß eine Kataflrophe unausweihlih war. Mehrmals fhon hatte er 
vor feinen Beinden aus Meffa weichen und mit jeinen Anhängern in der 
Wüfte, in Höhlen und Schluchten Zuflucht fuchen müffen. Immer zwar 
war er wieder in die Vaterflatt zurüdgefehrt, aber jegt mehrten fich die 
Anzeichen, daß Die Koreiſchiten zum Aeußerſten zu fchreiten ftch entfchloffen 
hatten, um des Menfchen ledig zu werden, den fie nur für einen eingebil- 
deten Störenfried anſahen, welcher die Frechheit hatte, fie aus ihrem behag⸗ 
lichen Schlendrian aufzurütteln. Inwieweit fie das belichte Moment der 


— — — — — 


1) Das iſt allerdings eine Offenbarung, nämlich eine glaͤnzendſte der arabiſchen 
Phantafle. Mohammed machte die Reife auf dem Wunderroß A Boraf (der Blitz), 
welches ihm der Engel Gabriel zu diefem Zwecke zuführte. Das Roß hatte, wie menſch⸗ 
liche Sprache , fo auch ein menschliches Schicht, aber die Backen eines Pferdes; feine 
Augen waren wie Hyazinthen und funfelten wie Sterne; feine ganze Geftalt ftralte von 
Grelfteinen und feine Arlerflügel glänzen wie Sonnenftralen. — Im fiebenten und 
hödften Himmel wurde der Prophet von Abrakam empfangen. Diele Wohnung der 
Seligen it aber von fo überfchwängficher Herrlichkeit, daß feine Menfchenzunge fie be: 
fhreiben fann. Was aber von einem der feligen Bewohner gefagt wird, reicht hin, 
eine Vorſtellung von den übrigen zu geben. Nämlich fo ein Infaß des flebenten Hims 


mels übertrifft an Größe die ganze Erde; er befigt 70,000 Köpfe, jeder dieſer Köpfe 


aber wiederum 70,000 Munde, jeder dieier Munde 70,000 Zungen und jede dieler 
Zungen fingt in 70,000 verfhhiedenen Sprachen unabläffig das Lob tes Hoͤchſten. — 
Sehr wunderbar ift auch der zur Rechten von Allah's unfichtbarem Thron ftehende %o: 
tosbaum Sidrat. Jedes Samenforn feiner Brüchte umfchließt eine Houri, d. h. eine 
jener ewigen Himmelsjungfrauen, welche zur Sfüdicligfeit der wahren Gläubigen be⸗ 
ftimint find. — Nachdem Mohammed getanfenfchnell noch einen ungeheuren Raum 
vol blendenden Lichtes und tiefer Yiufterniß Durcheilt hatte, fah er fich zwei Bogens 
fhüfle weit von Allah's Gegenwart entfernt. Aber das Antlig Gottes war mit 


20,000 Schleiern bedeckt, denn der Anblick deſſelben müßte jeden Menſchen auf der 


Stelle vernichten. 





379. 
„Religionsgefahr“ gegen die Neuerer wirkfam machten, ift nicht ganz Elar. 
Es wird aber wohl aud Hier bedeutend mitgefpielt haben. 

Mohammed hielt der Gefahr bi zum Aeußerſten Stand. Er fühlte, 
wie wichtig ed war, gerade. von Mekka aus feine Lehre Vorichritte machen zu 
laſſen. Und fie Hatte auch wirklich ſchon beträchtliche gemacht. Die für die 
Folge widhtigften in ver Stadt Medina, wohin fie durch Wallfahrer gebracht 
werden, denen fie der Prophet auf einem Hügel bei Mekka gepredigt hatte. 
Nach Medina richteten ſich daher die Blicke Mohammeds, ala feine und feiner 
Bekenner Stellung in Mekka unhaltbar geworden. Die moslemiſche Ge⸗ 
meinde fledelte nach Medina über, doch blich der Prophet ſelbſt mit Abu Bekr 
und Ali in Mekka zurüd, bis er feine Stunde, keine Minute mehr vor dem 
Mordftahl der Koreifchiten ficher war. Schon hatten die Meucelmörter 
nädhtlicher Weile Mohammeds Haus umzingelt, da erfl entwich er vor 
ihnen, mit Anwendung ächtbeduiniſcher Lift?) Er entkam mit Abu Bekr 
nach mancherlei Fäprlichkeiten glücklich nah Wetina, wo er mit Jubel em⸗ 
pfangen wurde und wo fih bald alle jeine Anhänger um ihn fammelten. 
Bon dieſer Hidirah (Flucht) des Propheten im I. 622 n. Chr. Datirt 
die moslemifche Zeitrechnung. 


6. 


Nun verbindet fih in Mohammed mit dem Amt des Propheten das 
ded Kriegerd und Bürften. Aeußerlich zwar blich feine Fürſtlichkeit vorerft 
nod von jehr beduinifcher Einfachheit, wie die Hochzeit feiner geliebten 
Tochter Fatima mit dem treuen Ali darthut, welche lange nach der Ueberſited⸗ 
lung nad Medina flattgefunden zu haben ſcheint 1). Aeußerlicher Glanz 
gab aber Damals feinen Maafftab für arabiihe Macht. Beweis hierfür tft, 
dag Mohammed, trog feines aͤrmlichen Haushalts, bald im Stande war, 


3) Alt legte fih, mit Mohammeds Kleidern angethan, fo im Haufe nieder, daß 
ihn die lanernden Koreifchiten von außen fehen fonnten. Sie hielten ihn für Mos 
hammed und glaubten daher ,»e8 fei überflüfftg, die übrigen Theile des’ Haufes zu bes 
wachen. So gelang ed dem Propheten, auf der entgegengeleßten Seite unbemerkt 
über die Mauer Hinunterzufteigen. 

1) Die ganze Ausfleuer des Paares befland aus zwei Möden, zwei filbernen 
Armbändern, einem Becher, einer Handmühle, zwei Waflergefäßen , einem Trinffruge 
und einem ganz armfeligen Bette. Der Hoczeitsihmaus war auch patriarchalifch 
genug; er befchräntte fich nämlich auf eine Echüflel voll Datteln und Dliven. 


«als Hecrrofteſt feiner Beer mis tem Schuetie Reifen a irn. Gr 
hielt hiebei an tem richtigen Gedsaten feR, vaß der Grwinn Mekka’s für 
ieine Gate enfiseitent ſein weißer, ums io ichen wir ifn Tenn von Medina 
aus angılfidwriie gruen die Koreiſchiten vorgehhen, nabtem er Deu Rrieg 
genen Lie Unglänbigen formlib als ein Gebet Gottes yrociamirt hatte. 
Seinen erien Gieg gegen tie Roreiiddten gewanu er bei Der. Iutefien 
waren Die gegrmieitigen Aricgöfahrten vorerä mei nur betuinikbe Raubzäge, 
Kazia’s tm altnationelen Styl, und lange idywanfte Die Enıfhridung. Cine 
erſte Beremuung Wells’ mißlanz, aber anderwärtd gewann ter Bropket 
Zerrain; allmälig io viel, daß Die moraliſche Rüdwirkung auf vie Aorriichi- 
ten nit ausblieb. Mehrere Häuptlinge Terjelben auerlaunten ten Bro- 
vheten, fo 3. B. der gefürdtete Khaled, der ſich ipätır den Titel „ Sqhwert 
Gottes" erwarb. CEnptidy, zu Ende des Jahres 629, war Mohammed im 
Stande, mit einem Heer von zehntaufend Streitern vor Metla zu rüden, 
une nach furzer Belagerumg zog er im Ianuar 630 als Sieger in die heilige 
Start ein. Die verſtockteſten Koreiſchiten vwerfielen wem Tode, jonſt aber 
ließ der Sieger eine Auge Mäßigung walten. Die Kaabah wurde, nad 
dem die Bögenbilder zericlagen worten, zum Hampttenpel bed Iölam 
geweiht. 

Gerade aber die Reinigung des Nationalbeiligthumd von den Spuren 
ver Itolelatrie brachte unter ſolchen arabiihen Stämmen, weldhe noch an der 
alten Religion fefihielten, eine große Confödrration zumege, deren Made 
Mohammed durch die im Februar 630 im Thale bei Honain geichlageme 
Schlacht brab. Bon da an gebot er über Arabien und konnte jeine Waffen 
bereits aach Syrien tragen, gegen den Kailer von Byzunz. Doc war dies 
nur ein erfier Anlauf des Jolam auf ter Bahn der Eroberung. Der Pro⸗ 
phet mochte fühlen, daß zunädk in Arabien ſelbſt nech genug zu thun fei, 
um daſſelbe auf dem Fuß der neuen Lehre zu organiftren. Das that er denn 
auch von Medina aus, welde Stadt er mit Recht fehr liebgewonnen hatte. 
Im zehnten Jahre der Hidjrah machte ex noch eine Wallfahrt nad Mekka, 
welche darch Zahl und Glanz feines Gefolges und durch die allgemeine Ber- 
ebrung, die ihm dabet entgegerrfam , gu einem wahren Triumphzug feines 
Prophetenthums wurde. Nach Medina zurüdgekehrt, erkrankte er, nachdem 
er ihon auf der Meile den Befährten feine Ahnung vom Nahen ded Todes- 
omgel& mitgetheilt und auch bei Liefer Gelegenheit wieder, wie öfter ſchon 
Verſuchen, feine Merſon zu vergeben, gegenüber, alles Gruſtes betont Hatte, 





981 


er fr ein Menſch wie anbere. Seine Arandheit nahm zu, obgleich er ih, 
Die Gemeinde im Glauben zu flärken, no täglich im die Moſchee fihlepnte 
und predigte Die Nachrichten über feine Leiten Lebendtage weichen ſehr 
son einamber ab und fo ift auch nicht mit völliger Sicherheit ausgemättelt, 
ob ber 7. ober 8. Juni des Jahres 632 fein Todestag iſt 2). Einiges üher 
feinen Ausgang fehst jedach feſt. In feiner Leuten öffentlichen Rede fvrach 
er zu der hefümmmenten Gemeinde unter Anderem: „Id hörte, Der Kan eures 
Bropberen erfillle euch mit Schredden. Aber bat je ein Prophet vor mir 
ewig. gelebt, daß ihr glauben Fünntet, ich würbe mic nie vom euch nennen ? 
Ich wankere Jet zu meinem Herrn, eu abar ermahne ich zu gegenſeitiger 
Eintracht.“ Auf dem Stevbrlager fchenfte ex feinen Gklanen hie Freiheit 
und Hefahl, alled Beld, was in feiner Kafle fei — es mar wenig gem, 
fech8 bis ſieben Denare — an bie Armen zu vertheilen. Vevor ar Das Me: 
mußtfein verlor, hat er gebetet: „Gott Aiche mir Hei im Todetfampfe!“ 
Damm tft er in den Armen der Mifcha verfibieden. mit Don Warten: „Im Kam 
höchſten Brfährten im Paradiefe!“ An der Stelle, mn fein Kranbenleger 
geſtauden, wurde ihm fein Grab gegzaben, jeßt das Biel der Wilgenfahrt yon 
Millionen 3). 


7, 


Für einen wahrhaft VBerufrnen und Begeifterten wird Zen Saifter bed 
Jalam Zeder anſehen, der unbefangen an ihn heramiritt. Inner baicken aus 
ber miratuloſen Verzerrung ſeines Bilbdes durch die legendenſüchtige Tyndition 
menſchlich edle Züge. Gr ſelbſt, wir wiederholen es, trat jedem Bergettungß- 
verſuch entgegen. Als oin Reubeẽehrter ihn fragte: „BER du Gottes Sohn?” 
gob er zur Antwort: „Wort hat Seinen Sohn; er ward nicht gezrugt and 
geugt nicht.“ | 

Die arabiſche Mynhenſucht Hat natürlich ſich beeilt, auch Die härperliche 
Erſcheinung Mohammeds mit dem Nimbus des Wunderbaren zu umgeben 1). 





— 


2) Die meiſten moslemiichen Lebenobeſchreiber Rehammeds geben tn Monag, 
don 18. Tag des Rabia⸗l⸗Awwal des 14 Dahres der Hidjwah an. 

8) Wir lommen unten im A. Any. darauf zus. 

1) Er konnte von hinten fo gut fehen wie vom vornen, denn ex hatte zutſchen den 
Schultern zwei Augın, fo Mein wie Madelöhrs, womit er Dusch De Kleider (ah. Kein 
SEheichel konnte das Seemaſſer verfäßen. Gaime Euhweißtronien. glichen Peacken, fie 
wurden ale Aroma gebraucht, u. dal. m. 


382 


Wiſchen wir diefen Rebel von feinem Bilde, fo bleibt immerhin noch eine 
ftattliche Berfönlichkeit übrig. Mittlerer Statur, hatte er einen wohlgeform- 
ten Kopf, ein runtes, rothwangiges flarfbebartetes Beficht, eine lange ' 
ſchmale Naſe, eine hohe Stirne, große ſchwarze Augen. Obwohl, wie wir 
gemeldet, oft die Beute einer ſchrecklichen Krankheit, war er auddauernd im 
Ertragen von Hunger und Durf, Hihe, Frof und Strapazen aller Art, ein 
fühner Reiter, perfönlich tapfer, ein ſcharfblicender Anführer, umſichtiger 
Volitifer. Dabei im Benehmen von milden Ernft, im Umgang von an- 
muthiger Leutfeligkeit, in feinen Blanen und deren Darchführung von tiefer 
und umfafiender Menihenfenntniß geleitet. Gewoͤhnlich wortfarg, erhob er 
fih, wenn Ort und Stunde es forderte, zu einer unwiderfichlichen Berebt- 
famfeit, die in gewaltigen Worten die Anfchauungen feiner glühenden, von 
frühauf mit den Erzeugniffen der Volköpoeſte feines Lantes genährten Ein⸗ 
biltungsfraft außftrömte. Daß Liebe zu den Menſchen der Grundzug feines 
Charakters war, mögen nur Solche bezweifeln, welde nicht wiflen oder nicht 
wiffen wollen, daß er ſich ſelbſt Die größte Frugalität der Lebensart aufer- 
legte, um dem rafllojen Hange zum Wohlthun nachleben zu können, der ihn 
befeelte und fih immer in aniprucdlofefter Korm, oft fogar humoriſtiſch 
äußerte2). Er liebte überhaupt einen harmlofen Scherz und zeigte fi den 
Menſchen ſtets fo zugänglid und nachfichtig, wie er fi den Thieren mit⸗ 
leidsvoll erwies. Nur nah einer Richtung Hin, im Umgang mit den 
Weibern, hat er, wenigftend nach abendländifchen Begriffen, die Schranken 
der Mäfigung durchbrochen. Weihrauchdüfte und eines Weibes Umarmun« 
gen, hat er gefagt, entflammten mehr ald alles Andere feine Andacht im Gebet. 
Es mag fo fein. Er fonnte auch, abgeichen von den hergebrachten Liebeöbräuchen 
im Orient und von der altarabiichen Sitte der Vielweiberei, auf fein ganz 
außergewöhnlich feuriged Naturell, auf feine faft märdenhafte Lendenkraft 


— — nn 


2) Als ihn einſt eins alte Frau bat, er moͤchte doch für ſie beten, daß ſie ins Pa⸗ 
radies kaͤme, verſetzte er: „Es kommt Feine alte Frau ins Paradies.“ Da aber hier⸗ 
uͤber die Alte in Thraͤnen ausbrach, troͤſtete er ſie, unter Verweiſung auf den 38. Vers 
der 36. Sura des Korans, damit, daß Gott im Paradieſe die alten Weiber wieder zu 
Jungfrauen umgeſtalte. Uebrigens iſt die angezogene Stelle und mehr noch eine weitere, 
Sura 33, Bers 27, 28, 34, ein Ichlagender Beweis gegen bie irrige Meinung ‚der 
Jolam ſpreche den Frauen die Seele und die Unfterblichkeit ab. 

3) Er that auch fo. Wenigfens berichtet Petrus Paſchaſtus bei Maraeci (Pro- 
dromus Alcoran, IV, 585) nad) arabifchen Quellen: — Sibi robar ad generationem 








— m 57 a unit 1 —— — 


383 


barg die Befriedigung glühender Triebe nicht hinter der Maske der Gleis 


nerei. Ueberhaupt war in diefem großen Wanne, welder eine der größten 
Mevolutionen der Weltgeichichte gemacht, etwas Offenes, Ehrliches, Biede⸗ 
res, jo gar nichts Muckerhaftes, und da er in feltenftem Maaße Genie und 
Einfachheit, Herzensgüte und Ihatfraft vereinigte, fo durfte ihn Carlyle 
wohl einen uriprünglichen Menſchen nennen und — in der Garlyle’ichen 
hohen Bedeutung des Worted — einen Helden‘). 


nn — — — 


quantum triginta viri habent inesse jactaret, ita ut unica hora posset undecim ſemi- 
nis satisfacere. Nach Abulfeta (de vitaM. p. 140) äußerte ſich Ali, als er den Reich: 
nam des Propheten wuſch, noch viel expreffiver, fehr naiv beivunderungsvell. 

4) Cariyle fchließt feine bereits oben citirte Charakteriſtik Mohammeds mit den 
Worten: „Für die arabilche Nation war es — Mohammeds Auftreten — wie eine 
Geburt aus der Finſterniß zum Licht. Arabien wurde erſt mit Hülfe beffelben leben⸗ 
dig. Bin armes Hirtenvolf, unbemerkt feit der Schöpfung der Welt in feinen Wüften 
umberziehend : da ward ihnen ein Heldenprophet herniedergefandt mit einem Worte, 
das fie glauben konnten, und fiehe da, das Unbemerkte ward weltbefannt, das Kleine 
ift weltgeoß geworben. Innerhalb eines Jahrhunderts darauf reicht Arabien mit einer 
Hand nach ®ranata , mit der andern nach Delhi. Stralend in Tapferkeit und Herr: 
lichfeit und heilleuchtentem Genius, glänzt Arabien lange Jahrhunderte über einen 
großen Theil der Welt. Glaube ift groß, befeelend. Die Geſchichte eines Volkes wird 
fruchtbar, geifterhebend, gruß, fobalo es glaubt. Diefe Araber, der Mann Moham: 
med und das Eine Jahrhundert, iſt es nicht, wie wenn ein Funke gefallen wäre, Gin 
Bunfe, auf eine Welt von dem, was ſchwarzer, unmerfbarer Sand ſchien? Der Sand 
erweißt ſich als entzuͤndliches Pulver, lodert himmelhoch von Delhi bis Granada! Ich 
füge, der große Menich ift immer wie ein Bliß vom Himmel; die übrigen Menfchen 
warten aufihn gleich Brennftoff und dann flammen auch fie auf.” — Fr. Kolb in feiner 
Abhandlung über den Islam (Staatsler. v. Motte und Welder, 2. 9. VII, 353) 
äußert: „Am wahrfcheinlichfien däucht uns, daß (in Mohammed) drei verfchiedene 
Momente wirkten: Streben nad einem tem Volke Glück verheißenpen Ziele, eigene 
Schwärmerei und felbftfüchtige Zwecke.“ Zugegeben, diefes firenge Urtheil ließe ſich 
in allen Theilen rechtfertigen, müßte man dann nicht fagen, ungefähr das nämliche 
Urtheil Eönnte über alle Religionsflifter, wie über alle weltgeſchichtlichen Charaktere 
überhaupt, gefäflt werden? Ganz fo, wie hier ein Ehrif über Mohammed, äußerten 
Ach Heiden und Juden über Chriſtus. Vom Standpunkt des berühmten Buches De 
tribus impostoribus aus fann man noch weiter gehen und fagen: alle Religionefiftung 
iR nur ein ſelbſtſuͤchtiger Betrug. Ob aber diefer Standpunkt der hiſtoriſchen Betrachtung 
ſtandhaͤlt, iſt eine andere Frage. — Gelegentlich weile ich hier noch den oft gehörten Bors 
wurf zurüd, Mohammer babe tie Ausbreitung des Jslam vermittelt des Schweries 
beiohblen. Ja wohl, aber wo bat es denn je eine weltgefchichtliche Revolution gege⸗ 
ben, bei welcher nicht das Echwert in erſter oder letzter Linie mitwirkte? Ich meine, 


—— * 


[|—n 


. 8&. 

Die Heilige Religiondurkunde der Mohanmmedaner ift bekauntlich der 
Koran. .Ded Wort hebentet „das Bud" !) oder „die Schrift“, alio ganz 
bafielbe, was „Bibel“. Dieſe Bibel des Jalam iſt in ihren einzelnen Thei⸗ 
len des Wert Mohammebs, aber nicht als Ganzes, d. h. der Prophet hat 
den Juhalt iackweiſe und zu verichiebenen Zeiten jeinen Anhängern mit⸗ 
gerbeilt, aber die Zufammenftelung rührt nicht von ihm felber ber. Er hat 
nicht einmal die Sammtung befohlen. Einzelne Stücke hat er, wie es ſcheint, 
biefem oder jenem diktirt; wenigfiens befanden fich hei feinem Tode Koran« 
Fragmente, auf Pergament, auf Leder, uf Balmblätter goſchrieben, in. ner- 
ſchiedenen Händen. Undere waren dauch Audere permittelft Muiwendigler- 
und vufbewahrt worden. Da Mb aber ſchon unter Mohammeds naͤchſtem 
Rabfolger , Abu Bekr, die Nothwendigkfeit, die heiligen Docımente zu fam- 
meln, fühlbar machte, fo beauftragte der Ehalif den ehemaligen Geheim⸗ 
ſchreiber des Propheten, Zeid Ihn Thabit, mit diefer Arbeit. Schon un⸗ 
er Dem Ghalifen Othman gingen jedach in dan Abſchriften des Koran jo 
wiele vevilhienene Leſsarten um, daß Zeid eine nechmalige ORtedaction unter⸗ 
nehmen mußte. Diejer wurde dann canonifihed Anfeben zuerfannt. Orh⸗ 
man fandte Abfchriften davon in alle bedeutenden Städte des Reiches und 
hefabl zugleich, alle früheren zu verbrennen. Es if ſelhſtverſaͤndlich, Rab 
Sem frammen Glauben der Mohammedauer ter Inhalt ihrer Mibel, wie 
don glaͤubigen Zuden und Ehriſten der Inhalt ter ihrigen ale unmittelbase 
göttliche Offenbarung gilt. Die Urſchrift des Koran, fagt der orthotore 
Moslem, ift von Urkeginn an im fichenten Himmel vorhanden geweien. 

Der Koran, wie er uns jeht vorliegt, if befauntlig in 114 Suren 
(Abicheitte) eingetheikt, Devon jede wieder in eine guößere ober fleinere Au- 
zahl von Sign oder Berfen zerfällt. Man theilt diefe Suren au ein in 
ſolche, weiche während des Propheten Aufenthalts in Mekka, und in foldye, 
welche während feines Aufenthalts in Medina geoffenbart wurden, in 

mekfaiihe und mebinenfiiche Suren alio. Es harrſcht aber in Dem Bud in 
Deziehung auf Eintkeilung und Zeitbeflimmung ein geefer MBirmmarr uud 
der Redaetor deſſelben ift offenbar fo wiltfärlidh verfahren, wie es eben der 
dae Chriſtenchum iR, wenigfiens was die Praris angeht, durchaus nicht berechtigt, 
vom Jolam feine Belehrumasart zum Borwurf zu machen. 
4) Daher heißt der Arsen auch fdiebiweg Al Kitah (das Buch, die Schrift, eigtl 
Lefen oder das zu Leſende). 








385 
Bufall wollte. Einige der Suren find von uwerhaͤltnißmuͤßiget Binge, an⸗ 
vere beſtehen nur aus ein paar Sägen. Jede Sura führt einen eigenen, von 
einem in ihr vorfommenden Stichwort oder -Bild-hergenommenen Titel, ber 
oft bare Inutet („die Zub", „ver Elephant“, „der Buchſtabe Kaf?, „ & 
machte ein zurniges Geftht" u. d.m.). - Das Bolumen Des Koran erreickt 
nicht Die Hälfte Des Umfangs der Bibel. Den Styl des Koran angehen, 
Mer in einer Urt portifher Profa geichrieben, die Häufig am Ende ber Zei⸗ 
Ten reimt. Die rhyrhmiſche Proſa, wie fie ſteis klingt, wenn fie ſich erſt 8 
Der gebundenen Redeweiſe herauszubilden angefangen Bat, gab nun ein wil⸗ 
Üges Gefäß für die Biflowen, Ermahnungen, Drohangen und Berfchtiften 
des Propheten ab. . Nicht felten fpricht er als mahrer Dichter, noch öfter 
aber als Rhetor. Sehr oft Freilich ift der Woran breit, fihwülkig verwor⸗ 
vom — von. einer merhobiichen Gliederung feiner Lehren, von einem fogi- 
ſchen Organismus it feine Spur in ihm — viele Stellen jedoch beurkunden, 
daß der Prophet, fortgeriffen von dem Beuer feines Glaubens, fir Anfchaumms 
gen voll glühender Bhantafle auch einen echt dichteriſchen, hinrveißend mäch⸗ 
Aigen Ausdruck gefunden. Den höthſten Schwung der Energie des Zornes 
erreicht der Koran, wo er die Schreden des jüngfien Gerichts nnd die Qua⸗ 
ten der Hölle jhildert, die höchſte Anmuth und Feierlichkeit, wenn er die 
Belohnung der Seligen im Paradiefe befchreibt 2). Jener wunderbar naiv 
epifche Zauber, welchen wir in dem biblifhen Buch der Genefld bewundern, 
geht dem Koran gänzlich ab. Die bibliſchen Gefchichten von Abraham bis 
Chriſtus werden zwar in unendlihen Wiederholungen aufgetiicht, aber mit 
wunderlihem Märchenfram verballhornt. Bid zum Ueberdruffe kehrt 
die Schöpfungsgefchichte wieder und fpielt Dabei der Teufel (Iblis) eine 
große Rolle. Ebenſo unleidlih oft müffen wir den Aufruf zum heiligen 
Kampfe mitanhören. Den ganzen Koran in einem Zuge durcdhzufefen, ift 
eine der ermüdendſten Xefearbeiten, die ed geben kann ?). 








2) Wir werden Gelegenheit haben, Proben aus dem Koran zu geben. Die außers 
ordentliche Wirkung, welche derfelbe auf die Araber machte, foll durch bie befanmte | 
Geſchichte von der Belehrung des gefeterten Dichters Lobid eviniefen werben. Lebed 
hatte fich geweigert, an Mohammeds Sendimg zu glauben; als er aber die Berfe 1:7 | 
uud 18 der 2. Sura vernahm, riß er befhämt feine an der Kaabah aufgehangene 
Moallaka herab und befannte fich zum Jolam. 

3) Ich kann mid) ſelbſt durch eine fo große Autorität, wie die Hammers iR, nid; 
zu einem andern Urtheil über den literarifchen Werth des. Korans, als das oben ge: 
gebene ift, beftimmen laffen. Hammer nennt (Fundgr. d. Orients, I, 25) ven Kovan 

Schere, Geſch. d. Religion. I. 25 


Der Koran, fo, wie er num einmal if, gibe die comewiidge Asım für 
Das seligiäfe, ſo ziale um yoliniidge Leben der Belrmner des Pıre- 
pheten. Er letzet en Islam, wie Mobammeb jeine Religion nannte, 
». h. tie Ergebenheit, die abielnte Unterwerfung unter dad Schidial, als 
den Willen Gottes). Cr Ratuirt Die linzerrennlidgfrit tes religisien und 
geifiligen und weltlicgen Nacht in einer unt berielben Hand. Gein In- 
yalt iR alio zugfeig Dogmatit, Rituelgrieg, Eitten- un Redttichee. Rad 
fobald wir hier, was DaB Dogma betrifit, idden oben Angedeutetes noch eim- 
mal betont haben: — namlich, dab Mohammer ieine Lehre nicht als cımas 
unbedingt Originale gab. Es wäre dies auch ein ſehr eitles Unterfangen 
geweſen. Die Hauptquelle des Jelam iſt ganz augenſcheinlich der Gebrais- 
mus, aber fie hat ſich mit ichr bedeutenden Zufläflen aus der altperſiſchen 
und der qchriſtlichen Religion vermiſcht. Auch if, namentlich in den moßle- 
milden Religionsbräuden, einiges Altarabiſch⸗Heidniſche zurüdgeblichen. 

Der togmatifhe, rituelle und rechtliche Inhalt des Koran beflimmt 
alfo den Inhalt der drei zunachft folgenden Kapitel). 


Drittes Kapitel. 


Das moslemiſche Dogma. 


1. 


Das Dafein Gottes, d. h. der Glaube daran, ift Grundtogma jeder 
Religion. Der Menſch glaubt, es jei ein Weien über ihm, er verehrt, 


das Muſterwerk arabiiher Dichtfunſt. Weil dagegen (d. port. Lit. d. Araber, S. 
60) zuerkennt dem Koran nur „vollendete Rhetorik.“ Nach meinem Gefühl fommt 
an Achter Poefie Nichts im Koran den altarabiichen Gefängen eines Schanfara, Ans 
ara und Amrilfais gleich. 

4) Islam fommt von der Wurzel Selame, Unterwerfung, Hingebung. @in Mos- 
lem iſt alfo ein ſich Hingebender (an Bott), ein Glaubender. 

5) Die moslemifche Theologie bezeichnet die Dogmenlehre, die Gultlehre und die 
Mechtslehre mit den Ausdruͤcken Usul ed-dia, Feru’ ed-din, ’Jime fikh, 


387 


fürdhtet, liebt daſſelbe, erwartet von ihm Hülfe in diefem, Seligfeit in einem- 
zufünftigen Leben. Die Idee des Daſeins der Gottheit if alfo der Punkt, 
von welchem alle Dogmatif auszugehen bat. Auch die moslemiſche; nur 
will fie ed nicht Wort haben, jofern fie fagt, das Dafein Gottes jei eine fo 
bedingungslofe Vorausfegung, die Vorftellung davon fei jedem Menichen fo 
eingeboren, daß ed nicht nur rein überflüſſig, fondern jogar fündhaft wäre, 
nody davon zu Ipredhen, dieſen ureingeborenen Begriff die Menfchen erft leh⸗ 
ren zu wollen. Es ift, meint der Moslem, rein unmöglich, nicht zu wiflen 
oder gar zu bezweifeln, daß Gott ifl. Das Sein Gottes erft beweifen au | 
wollen, wie es bie chriftliche Philofophie aller Zeiten mit fo großer Müh« 
waltung fi) angelegen fein ließ, würde einem Moslem, wenn überhaupt |. 
als begreiflich, jedenfalld als eine todeswürdige Kegerei vorfommen. Die 
moslemiſche Theologie fängt daher damit an, das Wefen Gottes zu bes 
flimmen. Hieran reiht fle die übrigen Grunddogmen des Islam und fo er» 
halten wir deren fünfe: — 1) das Teuhid, die Einheit (und Eigenfchaften) 
Gottes; 2) das ’Edolet, die Gerechtigkeit Gottes (Praͤdeſtination); 3) das 
Nebüwwet, das Prophetenthum; 4) das Mi’od, das fünftige Xeben; 5) das 
Imamet, die Erbfolge der Imame1). 


2, 


„Kein Gott außer Gott!" Iautet das Symbolum des Islam). 
Allah?) tft der eine, alleinwahre Gott. Er hat fein Welen in fich felbft, 
genügt fich felbft, tft weder gezeugt no) zeugt er. Er ift das Centrum, in 
welchem ſich Alles vereint, er erfüllt mit der Unendlichkeit feines Wefens das 
Weltall, deſſen Urheber und Regierer er ift. Von Ewigfeit zu Ewigfeit iſt 


1) In der Auffaffung einiger diefer Dogmen weichen die beiden großen Sekten 
des Islam, die Sunniten und die Schiiten, von einander ab. Sch werde biefe 
dogmatifchen Unterfchiede, welche übrigens mehr aus einem politifchen als veligiöfen 
Zwiefpalt der genannten Sekten erwuchſen, einftweilen angeben. Der Urfprung des 
Zwiefpalts wird weiter unten im Kapitel berührt werden. — Wo ich im Bolgenden 
Koranftellen anführe, find diefelben entweder der Ullmann’fchen oder der Sams 
mer’fchen Verdeutſchung entnommen, fo zwar, daß Eitate in ungebundener Rede der 
erfteren, in gebundener der leßteren angehören. 

1) Lo illahe illallah. 

2) Zufammengezogen gus al und elah. Wie. fprahlich, To auch begrifflich ſtimmt 
biefe Benennung Gottes — Allah bedeutet der Verehrungswürdige, Grhabene — mit 

den hebräifchen Bezeichnungen der Gottheit (El, Eljon, Elohim) überein. 
— 25* 


er, ohne Grlelı un WBohazuz ut temneh säremmeun:ı Birem Ürre- 
en Monsıkridmus ciupichärten. wirt ker Koran nie mie zu mir wale- 
Ber Ginkrir Gottes ivgenkwir Eix:raı ıbun fgazır. ae urben tem Gögen- 

Tient namentlich ang ie eriüluhbe Srkre son ter Trteitir AL 
Un tod blich Tiefer Farre unt ri’rriuctige Monstteiäunnd zit Dam; 
conieauent. Wäre er Vieles zeblieben io mufte tie Berürkkun; einer Bintel- 
Aufe mwiiben Gottheit und Menibbrit zanz umırrkleiken, was nid: zeihab. 
Sei eb, daß ter yerfiide Duslimnd, weldier in tpiterer Zeit ten Meiaitnnd 
gefälit batte ꝰ), Yierin für den Ilam masgebent war, ſei es, ta) Mobrermrt 
Die altarabiiä- populäre Tamesuenichre ıu ichenen harte oter x ibrer !eiber 
nicht zu entidlagen vermeibte, oter iei es, daũj dieſe beiten Bert ;uiammra= 
wirften, genug, Die Beifter frielen im meoalcmiiken Berupiirin cine ’chr 
bedentente Holle. Die Engel freilib Ant, wie Seikörfe, ie auch ichlechtbin 
nur Boten und Diener Gottes. Anters icheint es ih mit den Tjinnen zu 
verhalten. Ich Tage abſichtlich iheint, denn das Berbilmig Dirier Geifter 
M im Koran nirgends recht Flar und beflimemt angegeben. Dieſe Diinnen 
"bildeten Allem nach, wie bei den jütiiden Rabbinen, io auch bei ten Arabern 
eine zwiſchen Nenſchen und Engeln mitten inne ſtebende Glafte geifterbafter 
3) Sage: Es iR nur ein einziger Bott! — Tennch haben He Gott Geiñer zus 


geſellt (gieigehelit), die er ſelbſt geſchaffen, und in Unwiſſenbeit haben fie ihm Söhne 
und Tödgter angedichtet. Lob und Breis fei ihm allein und fern von ihm Alles, was 
fie ihm beilegen. Der Shöpvier des Himmels und ter Erde, wie jollte er einen Sohn 
haben, da er ja keine Frau bat! Er iſt der Schöpfer aller Dinge und ihm Ant alle 
Dinge befannt. Das iſt Gott, euer Herr; es gibt feinen Bott. außer ibm, tem Schöpfer 
aller Dinge. Darum dienet nur ihm, tenn er trägt Sorge für Alles. Kein Geſicht 
kann ihn erfaflen, doch er erfaflet jenes Geſicht. Er if ter Unerforichliche unt All: 
wiſſende. Sura 6. Es gibt Ungläubige — (Lie Ehriften) — welche fagen: Gott 
iR der dritte von Lreien. Es ift aber nur ein Bott. Sur. 5. Vgl. außerdem über 
das Grunddogma tes Islam Sur. 9, B. 30— 31; ©. 16, B. 53; ©. 18, V. 110; 
©. 19,8. 36; S. 21, 3. 108, 5.22, ®. 12; ©. 23, V. 92. Endlich faßt 
die 112. Sura das moslemifhe Symbol noch einmal energifch zufammen: — 

Gott ift Einer, " 

Er ift von Ewigfeit; 

Er ward nicht gegeugt 

Unt bat nicht gezeugt ; 

Ihm gleich ift Keiner ! 

4) Bgl. Thl. II, ©. 116 fo. 


389 


Beben. Ihre Bertennung ift ein Collectivname für gute ſowohl ala böſe Geis 

fer, Genien und Dämonen im perſiſch⸗jüdiſchen Sinn). Das Haupt der 

Dämonen ift der Satan, Ibis, offenbar ein Abklatſch des perſtſchen Ahri⸗ 

man und ganz im perflich-rabbintichschriftlichen Sinn der Widerſacher Got- 

tea, ber Berbörer der Menſchen. Dabei ift e8 aber eigen, daß der Koran 

fich ängſtlich bemüht, zu verküten, daß man diefen Widerpart Gottes dieſem 

etwa zur Seite, beziehungdweife gegenüber flelle, Das Dafein tes Satans | 
wird nicht geleugnet, er ift, aber er ift nur dann, wenn man Ihn anruft, | 
d. b. an ihn glaubt, was unfehlbar zur Bertammniß führt). Bei Vers 

gleichung ſaͤmmtlicher Stellen des Koran über die Geißler fann man ſich un⸗ 

ſeres Erachtens kaum des Gedankens entfchlagen, der Islam habe durch Her⸗ 

beiziehung der Geiſterlehre den Verſuch machen wollen, ein Band der 

Vermittlung zwiſchen Gott und Menſch zu knüpfen, habe das aber nicht zu⸗ 

wegegebracht. Fehlt doch, wie bekannt, das Moment der Vermittlung, der 

Berföhnung dem Jelam ganz. 

3. 


Das Dogma von der Geredhtigfeit Gottes enthält die Lehre von der 
Vorherbeſtimmung, jenen Fatalismus, weldyen wir nach den jetigen 
Hauptträgern ded Islam, einen türfijchen zu nennen pflegen. Wie ſich 
aber die menſchliche Vernunft gegen die Identität von Gerechtigfeit und 
Präteftination mit Recht empört, fo ift auch die moslemiſche Lehre von der 
Vorherbeflimmung fehr widerfprudhsvol. An vielen Stellen wird mit 
fchneidender Schärfe ausgefprochen, daß Gott jeden Ding und jedem Mens 
fihen jein Schickſal unwiderruflich vorberbeftimmt Habe und nur Solide 
den rechten Weg führe, welche er wolle t). An andern dagegen wird ebenfo 


5) Bon den Geiftern redet der Koran in den Suren &, 6, 7, 48, 72. 
6) Ich Füge meine Auffaffung des moslemifchen Satans insbefondere auf diefe 
Stelle der 4. Sura: — Wer Gott ein anderes Wefen zur Seite feßt, dem verzeiht er 
nicht. Sie (die Ungläubigen) rufen außer ihm weibliche Gottheiten an und den aufs 
rührerifchen Satan. Gott hatte diefen verflucht, worauf er (der Satan) fagte: Nun 
will ich einen beftimmten Theil deiner Verehrer nehmen und verführen und ihnen verz. 
botene, böfe Begierden einhauden. Wer num außer Gott den Satan fi zum Be⸗— 
fhüger wählt, der wird augenfcheinlich feinen Untergang finden. Satan verforicht: 
ihnen wohl und regt ihr Verlangen auf; aber was der Satan verfpricht, ift nur Trug. 

Ihre Wohnung wird die Hölle fein und fie werden feine Ausflucht finden. 
1) Jedem Dinge haben wir feine Hare und beutliche Beftimmung gegeben ; einent 
jeden Menſchen haben wir fein Geſchick vorherbeftimmt. Sur. 17, B. 14. Gott leitet 


3% 


ſcharf betont, daß Jeder dereinſt für jein Glauben, Thun und Laffen werde 
ſtrenge Rechenſchaft ablegen müflen?). Der Widerfpruc if Far. 
Allerdings ift es fo recht die Aufgabe des Glaubens, Widerfprüde für 
Nichts zu achten, Widerfprechendfle zu glauben. Der Glaube fann nidt 
nur Berge verfegen, fondern auch Thäler ausfüllen, d. h. er fdhreitet, wie im 
vorliegenden Falle, über die weite und tiefe Kluft der Widerfprücde in einem 
Dogma hinweg, ohne fie auch nur zu bemerken. Daß nicht alle Augen für 
das Vorhandenſein folder Klüfte blind find, das ift der Urfprung aller 
Kegerei und Sektirerei. Auch im Islam, wo gerade das Dogma von ber 
Praͤdeſtination den bedeutendftien Riß in die Einheit der moslemiſchen Welt 
verurjachte. Hier if der Punkt, wo die Scheidung der Sunniten und 
Schiiten eine wirklich innerlidhe, geiftige, religiöfe Bedeutung bat. Die 
Sunniten_befennen ſich nämlid zum Dogma der Vorherbeſtimmung in ſei⸗ 
FR ſtarrſten Folgerichtigkeit und ſprechen demnach dem Menfchen die Freiheit 
des Willens unbedingt ab. Sie find Kataliften im firengften Wortfinn und 
Daher naturgemäß auch Banatifer. Die Schilten dagegen fahen bie Flaffende 
Kluft des Widerſpruches und fprangen nicht hinüber. Sie fanden, tie ewige 
Vorherbeſtimmung fei mit der Gerechtigkeit Gottes unvereinbar, und weiter, 
daß, wenn der Menſch jenfeitö für feine Handlungen gerichtet werden folle, 
er diefjeitö die Fähigkeit haben müfle, überhaupt zu handeln. Sie flatuirten 
alſo bie Willensfreipeit bed Menichen, halfen fih aber, um dad Vorherwiſſen 
Gottes nicht leugnen zu müffen, damit, daß fle annahmen, die Handlungen 
eines jeden Menſchen feien von Uranfang in das, Buch der Geſchicke“ einge- 
‚tragen, d. h. Bott befannt. Man bat um dieſer abweichenden Auffaffung 
des zweiten moslemiſchen Grunddogma's willen die Sciiten als tie Prote— 
flanten und Nationaliften des Islam bezeichnet. Die letztere Bezeichnung 
mag angehen, aber um die erftere gelten zu laffen, müßte man vergeflen, 
daß gerade ein Hauptmitbegründer des Proteſtantismus, Calvin, die Prä⸗ 
deftinationdlehre in wahrhaft juunitifcher Strenge faßte 3). 





auf den richtigen Weg, wen er will. ©. 2, V. 209. Dazu vgl. S. 2, B. 6; S. G, 
B. 38; ©. 16, B. 96 und noch eine ganze Menge ähnlicher Stellen. 

2) An jenem großen Tage (des Gerichts) wird Jeder nach feinen Handlungen den 
Lohn empfangen ; Gott weiß, was Jeder gethan. S. 39, B. 70. Der Barallelftellen 
find ebenfalls fehr viele, faſt zahllofe. 

3) Weil (HiR. krit. Einf. i. d. Koran, S. 95 fg. Bol. auch Weil, Geſch. d. 
Ehalifen, II, 262) fucht fehr fcharffinnig nachzuweiſen, dab Mohammed felbft keines⸗ 





391 
4. 

Das: dritte moslemiſche Grunddogma ftellt, wie oben angegeben wars 
ben, die Lehre vom Prophetenthum (Nebuwwet) fell. Es geht darauf 
aus, dem Begründer des I8lamı eine unzweifelhafte Autorität zu verleihen, 
Die Lehrfäge von Bott und von feinem Bropheten find unzertrennfich mit 
einander verbunden. „Gott ift Gott und Mohammed: ift jein Prophet *. 
Wohlverftanden, Mohammed ift der Prophet. Allerdings nicht der erfte 
und einzige der Propheten I), aber er tft der endgültige Vollender des Pro⸗ 
phetentbums 2). Die Offenbarung von Gottes Wort iſt fo weientlih an | 
ihn gebunden, daß der Glaube an eine nicht durch Mohammed vermittelte 
Offenbarung ein falicher it). Demnach wäre der rechte Glaube 
an Gott durd den Glauben an Mohammed bedingt. Der 
Koran kommt fehr häufig auf diefen Punft zurüd, Er polemiſirt, ‚wenn 
auch in achtungsvollfter Form, bei diefer Gelegenheit haufig gegen Chriſtus, 
d. 5. gegen defien VBergottung. Die Chriſten fagen, heißt e8 in der 19. 
Sura, der Allbarmherzige habe einen Sohn gezeugt; daß iſt ein ungeheuers 
liches Borgeben! Und in der 5. Sura: Chriftus if weiter Nichts als ein 
Bejandter; vor ihm find andere Gefandte hergegangen und feine Mutter war 
ein gewöhnliches Weib. Weiter wird in der 4. Sura ganz deutlich zu ver⸗ 
fteben gegeben, dag Chriftus weit entfernt geweſen, fich felber zu vergotten. 
Es heißt da: Chriftus ift nicht jo Hoffärtig, daß er ſich weigern follte, ein 
Knecht Gottes zu fein. Mohammed nennt aud ſich einen bloßen Knecht 
Gottes, aber allerdings in dem Sinne, in welchem ſich der Papſt einen 
Knecht der Knechte Gottes titulirt: denn, wie gefagt, er ift der Prophet der 
Propheten, das Siegel an der durd ihn ein für allemal abgefchloffenen Urs 
funde der Offenbarung. — Auch binfichtlich dieſes Dogma's eriftirt zwi⸗ 
hen den Sunniten und den Schiiten eine Meinungsverſchiedenheit. Jene, 
geftügt auf die Koranftelle (S. 40, B. 57), wo Mohammed aufgefordert 


wege das Dogma von der Borherbeftimmung in befien nachmaliger Starrheit gewollt 
habe, fondern daß es in diefer Starrheit erft dann zur Geltung gefommen-, als bie 
Chalifen, politiſcher Zwecke wegen, eines blinden Fatalismus und des daraus refultis 
renden blinden Gehorſams ter Moslim bedurften. 

4) S. 0. Rap. I, 3. 

2) Mohammed ift der Gefandte Gottes und das Siegel aller Propheten S. 38, 
B. 38. Dazu vgl. ©. 2, B. 209: ©. 6, B. 34; ©. 21; S. 40, V. 78,848. 
02,6.94,8.2. 

3) ©. die eben citirten Suren und dazu noch bie weiteren 3, B, 19. 


wird, täglich zu beten, damit ihm Bart feine Sünden vergebe, behaupten, 
des Brophet und Me Propheten überhaupt jeten der Sünde unterworfen ge⸗ 
Weien, wie die übrigen Menſchen, aber durch befondere göttliche Gnade van 
dar Strafe für ihre Berfehlungen befreit worden. Die Schiiten dagegen 
wehmen an, Die Propheten feien durchaus reine Wengen geweien, denn fie 
hätten unmöglich fündigen können. 


5. 


Das vierte modlemiſche Hauptdogma umfaßt die Unſterblichkeit der 
Seele, die Auferſtehung von den Todten, das jüngſte Gericht, die Beloh⸗ 
nung der Guten und die Verdammung der Böſen 1). Das Ganze iſt zwei⸗ 
ſeldohne den yerflichschriftlichen Vorſtellungen nachgebildet, aber im Einzel⸗ 
nen ebenſo geſchickt als umfläntlich auf die heißsblütige Phantaſie der Araber, 
af die ſinaliche Anſchauung der Orientalen berechnet. Die Lehre von ber 
Unſterblichkeit der Seele ift Die Baſis der Lehre von ben legten Dingen. Si— 
(die Ungläubigen) fagen: Es gibt kein andered Leben, als unfer hieſiges im 
diſches Daſein, und wir werden nicht wieder auferwedt. Sollteft du fie 
aber ſehen, wenn fie einſt vor ihrem Herrn ericheinen und er fie fragt: IE 
die Auferficehung nun nicht wahr geworben? ba werben fie antworten: 
Wohl ift fie wahr, o Herr! Und Bott wird jagen: Nehmet nun hin die 
Strafe dafür, daß ihe nicht glauben wolltet 2). Ihr (Menſchen) müßt fter« 
ben, aın Tage der Auferſtehung aber werdet ihr wieder auferwedt 3). Blaue 
bet an Gott und an den Tag des Gerichts! ) 

Nach feiner Weije wiederholt der Koran die Lehre vom Weltgericht, 
som „großen Tag”, vom „Tag der Trennung” (der Guten von den Böſen) 


— nn 


41) Ich könnte hier auch noch die Geſchichten von der Schöpfung, vom Sündenfall 
(Apielbiß) im Baradiefe, von der Sündflut u. f. w. berühren, erachte e&.aber für Raums 
verichwentung, ta der Koran diefe Mythen durchaus der Bibel nachgebildet und nur 
mit märchenhaften Arabesken verziert hat. Das Verhaͤltniß Gottes zu den Menſchen, 
wie es in diefen Geſchichten im Koran zu Tage tritt, if ganz das bibliſche. Auch bie 
Schutzen gel⸗Lehre des Islam if der perſiſch⸗jũdiſchen homogen. Sie findet fi am 
befimmteften ausgeiproden S. 11, ®. 61 und ©. 13, V. 13. Die leptere Stelle 
lautet: — Ein jeter Menfh hat feine Engel, die (von Bott herabgelandt) einander 
ablöfen, vor und hinter ihm Heugehen und auf den Befehl Gottes ihn bewachen. 

2) Sur. 6, V. 29—30, 

3) Sur. 23, 2. 18. 

4) Eur. 2, 8. 179. 





| 


— — — — — — 


383 


fehr oft und eindringlich. Aber man muß die einzelnen Beſtimmungen Die« 
fer Lehre im ganzen Buch zufammenfucen. Gin türflicher Gotteagelehrter, 
weldher im 16. Jahrhundert ſchriab, Mehemed Bir Ali, Hat die einzelnen 
Szenen des Geritätages fo zulammengehellt?): — Wann bie Beik des 
jüngßen Gerichtes heraunaht, gibt der Engel Ißrafil mit feiner Bofaune baa 
ZBeichen. Des Befehles Allah's jeden Augenblick gewärtig, hält Liefer En⸗ 
gel das Mundflü feiner Poſaune beändig an den Mund. Sobald Ißra⸗ 
fil den Befehl empfangen, Häft er, und es gibt einen entjeglichen Schall, dex 
alles Lebende tödtet, dem blaſenden Engel miteingerechnet. Vierzig Jahra 
laug bleibt die Welt aukgeſtorben; dann erweckt Allah den Ißrafil wieder. 
Dieſer ſtößt ein zweites Mal in die Poſaune und von dem zweiten Schall 
werden alle Todton lebendig 6). Die Auferfiandenen find ganz ohne Beflei- 
dung; been aber, welche Propheten und Heilige geweien, ſchickt man geflügelse 
Himmelörofle (Borals) entgegen und Eoflbare Stoffe aus dem Paradieſe. 
Sie fleiden fig in letztere, befleigen die erſteren und reiten auf ihnen ind 
Paradies, wo fie in Schatten von Allah's Thron ſich niederlaffen. Die übri= 
gen Menschen ſtehen zuianımengedrängt, hungernd, durſtend und ſchwitzend, 


8) Nach einer Mittheilung im „Magaz. f. d. Lit. d. Ausl.“ 1886, Nr. 102. 

6) Wann in die Poſaune geRoßen wird, dann wird Alles, was im Himmel und 
auf Erden ift, leblos niederfürzen, nur die Wefen ausgenommen, welche Gott davon 
ausfhlicht. Und wann wieder in die Bofaune geftoßen wird, dann werden fie fi 
wieder aufrihten und um fih bliden. Und die Erde wird leuchten Durch das Licht 
ihres Herrn und das Buch (worin die Handlungen aller Menſchen gefchrieben find) 
liegt offen und die Propheten und Mörtyrer treten als Zeugen auf und in Gerechtig⸗ 
feit nur wird gerichtet zwifchen ihnen und Keinem Unrecht geichehen. Sur. 39, 2. 


-68—69. Das Weltgericht wird eingeleitet durch den Weltuntergang. So heißt es 


in der 69. Sura: 

Warm in die Bofaune geblafen wirt mit einem Stoß, 
Werden Erde und Berge zerrifien werden durch einen Stoß. 
An jenem Tage fällt die einfallende Stunde, 
An jenem Tage geben die geipaltenen Himmel zu Grunde. 

Und in dee 77. Sura: — 
Bei den auf einander folgenden Sendungen vom Himmel, 
Bei der Sterne Getuͤmmel, 
Bei den Gageln, welche tie Fluͤgel ausbreiten, 
Dei den Berien des Koran, weldge die Wahrheit deuten, 
Melde Grmahnungen geben, 
Verheißungen und Drohungen für diefes und jenes Leben — 


394 


indem die Sonne ihren Köpfen bis auf eine Meile nahe rückt ). Funffigtauſend 
Sabre fang — (nach andern Angaben nicht fo lange) — müſſen fle in dieſem 
Buftande verbarren. Unterdeſſen werben alle Bücher eingereicht, weldhe bie 
Engel über den Lehenswandel der Menſchen geführt haben, und Allah ver- 
hört die Seelen ohne Vermittlung eines anderen Welens. Auch eine Wage 
wird aufgerichtet, in welcher man das Gute und das Böſe gegen einander 
abwägt. Die Seelen, deren Gutes überwiegend iſt, kommen in dad Para⸗ 
Died, Diejenigen, an denen das Böfe überwiegt, in die Hölle — es ſei denn, 
daß Allah ihnen verzeihe oder daß Propheten oder Heilige fie ihrer Fuͤrbitte 
würdigen follten. Dod kann Bürbitte nur flattfinden, wenn die Seele 
glaäubig aus dem irdiſchen Dafein gefchteden if. Wer im Glauben flirbt, 
aber ob der Schwere feiner Sünden Feiner Verzeihung und Feiner Fürbitte 
theilhaft geworden, der muß Fürzere oder Tängere Zeit im Höfllenfeuer bren⸗ 
nen und wird dann ind Paradies entrüd. Ein Atom: des wahren Glau⸗ 
bens ſchützt übrigens fchon wider die Emwigfeit der Höllenqual®). Ueber 
die Hölle hinweg wird eine Brüde (A Sirat), welche fo dünn wie ein Haar 
und fo fharf wie ein Schwert tft, nah dem Paradiefe führen?). Alle 
Seelen müffen über dieſe Brüde gehen. Einige fommen mit der Schnellig- 
keit des Blitzes hinüber, andere mit der eines rennenden Pferdes, wieder 
andere im Paßgang, wieder andere ſchleypen fich unter der Laft ihrer Sünden 








—- 


Es kommt der verheißene Tag: 

Wenn die Sterne ohne Licht bleiben 

Und die Himmel ſich zerfpalten, 

Wenn die Gebirge zerftäuben 

Und die Gottgefandten Wache halten. 

7) Das flimmt freilich nicht ganz mit dem „Beripaltenfein“ der Himmel, aber 

Bolgerichtigfeit in den Details muß man im Koran fo wenig fuchen als in anderen 
Religionsurkunden. 


8) Der Islam ſtatuirt alſo Feine Ewigkleit der Höllenſtrafen. Er folgt hierin 
nicht der chriftlichen, fondern der milderen zorsaftrifchen Anſchauungsweiſe. Berg. 
Thl. II, S. 181 folg. Nur für die Nichtmoslim gibt es nach ter fpäteren intolerans 
teren Anficht des Propheten (f. o. Rap. II, 3, Anm. 3) eine ewige Verdammniß. 

9) Die Brüde Tfchinevad des Zend: Avefta. Bol. Thl. I, S. 180, Anm. 2. 
Im Uebrigen ift fo zu fagen auf biefer Brüde vom Erhabenen oder Furchtbaren zum 
Burlesfen und Lächerlichen auch nur ein Schritt. Einer Legende zufolge verwandelt 
fih nämlich beim Uebergang über al Sirat Mohammed in einen Foloflalen Widder und 
fammtlihe Moslims fegen ſich in Gehalt von — Flöhen in feinen Pelz. 





395 


wanfend vorwärts und noch andere flürzen, wenn fle die Brücke kaum betre= 
ten haben, häuptlings in den Höllenſchlund hinab. 


Immer, wo er von ben legten Dingen ſpricht, wirkt der Koran tief⸗ 
ergreifend: Da zeigt fih Mohammed als rechter Dichter. Seine Sprache 
iſt hier felder wie der Schall. der Gerichtöpofaune, welcher verſtockte Ge⸗ 
wifien erbeben macht 103. Die Schilderungen des Ortes der Pein durch⸗ 
weht etwas wie Höllenglut, die am gewaltigften aufichlägt, wo des Gerichte 
gedacht wird, welches der Lügner, der Verleumder und ter Wucherer harrt 11). 
Bon dem dunfelrorhen Hintergrunde der Höllenbilder heben ſich dann vie 
Gemälde paradiefticher Seligfeit nur um fo reizender ab. In Wohlgeruch 
athmenden Schattenhainen, durchmurmelt von ftlberhellen Quellen, bat der 
feltge Gläubige feinen Wonneflg. Die Tieblichften Früchte, die füßeften 
Meine, fredenzt von anmuthigen Paradiefesjünglingen, erfreuen ihn und in 
den Armen fchwarzäugiger, von Schönheit und ewiger Jungfräulichfeit fira« 
lender Houri's foftet ex ftetd erneute Freuden 12). 

10) So die 101, Sura: — 
Die klopfende Stunde, was ift die klopfende Stunte? 
Und von der Hopfenden Stunde wer gibt dir Runde? 
Es ift der Tag des Gerichts, wo die Menfchen wie Heufchreden verfireuet vom Wind, 
Die Berge gleich gefrämpelter Baumwolle find. 
Und weflen Wagfchale finft, dein wird's im ew’gen Leben gut; 
Und weſſen Schale fleigt, finft in die Flammenwuth. 
Weißt du wohl, was da ift die Blammenwuth? 
Es ift der Hölle brennendſte Blut. 
41) Weh' dem Lügner, der den guten Namen ftreift! 
eh’ dem, der nur Schäße auf Schaͤtze häuft, 
Weil er ewig fich auf feinen Reihthum fleift. 
Weh'! Hinunter in die Höllenflampfe (Al Hutama)! 
Weißt du, was das ift, die Höllenftampfe? 
Feuer Gottes ift es, hochaufragend, 
Ueber Herzen wild zufammenfchlagend, 
Blut, wie in ein Gewoͤlbe zufammengebogen, 
Flammen, hoch wie Säulen aufgezogen. Sura 104. 
12) Die Gerechten trinfen Wein, gemifcht mit Flut vom Kampherquell ; 
Davon trinken die Diener Gottes, dad Wafler leitend von Stell’ zu Stell’, 
Die ihr Wort hielten und den Tag fürdhteten, deſſen Uebel weit wird Freifen, 
Die aus Liebe Gottes fpeiften die Armen, Sklaven und Waifen, 
Sagend: wir fpeifen euch Gottes wegen und wollen weber Bank noch Lohn, 
Wir fürchten vom Heren den Tag voll Trog und Hohn. 





Der Koran, fo, wie er nun einmal if, gibt die canonifde Norm für 
Das religisfe, foziale und politiſche Leben der Beienner bed Pro 
pheten. Er Ichkt den Islam, wie Mohammed feine Meligion nannte, 
d. 5. die Ergebenheit, die abjolute Unterwerfung unter das Schickſal, als 
den Willen Botte8?). Er flatuirt die Unzertrennlichkeit des religiöſen und 
des bürgerlichen Geſetzes und demnach auch die Bereinigung der höchſten 
geiſtlichen und weltlichen Macht in einer und verfelben Hand. Sein In» 
halt iſt alio zugleig Dogmatik, Ritualgefeg, Sitten- und Rechtölehre. Nach 
diefen drei Seiten bin werden wir ihn auch einer Betradytung unterziehen, 
fobald wir bier, was das Dogma betrifft, ichon oben Angedeutetes nody ein- 
mal betont haben: — nänılid, dad Mohammed jeine Lehre nicht ald etwas 
unbedingt Originaled gab. Es wäre dies auch ein jehr eitles Unterfangen 
gewefen. Die Hauptquelle des Islam iſt ganz augeniceinlid der Hebrais⸗ 
mus, aber fie bat fich mit ſehr bedeutenden Zuflüffen aus der altperflfchen 
und ber hrifllichen Religion vermiſcht. Auch if, namentlich in den mosle⸗ 
miſchen Religionsbräuchen, einiges Altarabiſch⸗Heidniſche zurüdgeblieben. 

Der dogmatifhe, rituelle und rechtliche Inhalt des Koran beflimmt 
alfo den Inhalt der drei zunächſt folgenden Kapitel 5). 


Drittes Kapitel. 


Das moslemiſche Dogma. 


1. 


Das Dafein Gottes, d. h. der Glaube daran, ift Grunddogma jeder 
Religion. Der Menſch glaubt, es fei ein Wefen über ihm, er verehrt, 


das Muſterwerk arabifcher Dichtfunft. Weil dagegen (d. poet. Lit. d. Araber, S. 
60) zueriennt dem Koran nur „vollendete Rhetorik.“ Nac meinem Befühl kommt 
an aͤchter Poeſie Nichts im Koran den altarabifchen Gefängen eines Schanfara , Ans 
tara und Amrilfais gleich. 

4) Islam fommt von der Wurzel Selame, Unterwerfung, Hingebung. Gin Mos- 
lem iſt alfo ein ſich Hingebender (an Gott), ein Glaubender. 

5) Die moslemifche Theologie bezeichnet die Dogmenlehre, die Cultlehre und die 
Nechtslehre mit den Ausdrücken Usul ed-din, Feru’ ed-din, 'Ilme fikb, 





387 


fürchtet, liebt Daffelbe, erwartet von ihm Hülfe in diefem, Seligfeit in einem- 
zufünftigen Xeben. Die Idee ded Daſeins der Gottheit if alfo der Punkt, 
von welchem alle Dogmatif auszugehen bat. Auch die moßlemifche; nur 
will fie ed nicht Wort haben, jofern ſte fagt, das Dafein Gottes jei eine fo 
bedingungsloſe Vorausfegung, die Vorftellung davon fei jedem Menſchen fo 
eingeboren, daß ed nicht nur rein überflüfftg, fondern jogar fündhaft wäre, 
noch davon zu ſprechen, Diefen ureingeborenen Begriff die Menfchen erft Ich» 
ren zu wollen. Es ift, meint der Moslem, rein unmöglich, nicht zu wiffen 
oder gar zu bezweifeln, daß Bott if. Das Sein Gottes erft bemeifen zu ı 
wollen, wie es bie chriftliche Philofophie aller Zeiten mit fo großer Müh« 
waltung fich angelegen fein ließ, würde einem Moslem, wenn überhaupt 
als begreiflich, jedenfalld al8 eine todeswürdige Keperei vorfommen. Die 
moslemiſche Theologie fängt daher damit an, das Wefen Gottes zu be= 
flimmen. Hieran reiht fle die übrigen Grunddogmen des Islam und fo ers 
halten wir deren fünfe: — 1) dad Teuhid, die Einheit (und Eigenfchaften) 
Gottes; 2) das ’Edolet, die Gerechtigkeit Gottes (Prädeftination) ; 3) das 
Nebüwwet, das Prophetenthum; 4) das Mi’od, das fünftige Leben; 5) das 
limamet, die Erbfolge der Imame), 


2, 


„Kein Gott außer Gott!" Tautet dad Symbolum des Islam). 
Allah?) ift der eine, alleinwahre Gott. Er hat fein Welen in fich ſelbſt, 
genügt fich felbft, ift weder gezeugt noch zeugt er. Er ift das Centrum, in 
welchem ſich Alles vereint, er erfüllt mit der Unendlichkeit feines Wefens das 
Weltall, deffen Urheber und Regierer er ift. Bon Ewigfeit zu Ewigkeit iſt 


1) In der Auffaflung einiger diefer Dogmen weichen die beiden großen Sekten 
des Islam, die Sunniten und die Schiiten, von einander ab. Sch werde dieſe 
dogmatifchen Unterfchiede, weldye übrigens mehr aus einem politifchen ale religiöfen 
Zwielpalt der genannten Sekten erwuchfen, einftweilen angeben. Der Urfprung des 
Zwieſpalts wird weiter unten im Kapitel berührt werden. — Wo ich im Folgenden 
Koranftellen anfuͤhre, find diefelben entweder der Ullmann’fchen oder der Sams 
mer ’fchen Berdeutfchung eninommen, fo zwar, daß Eitate in ungebundener Rebe ber 
erfleren, in gebundener der legteren angehören. 

4) Lo illahe illallah. 

2) Zufammengezogen aus. al und elah. Wie ſprachlich, fo auch begrifflich ſtimmt 
diefe Benennung Gottes — Allah bedeutet der Verehrungswürbige, Grhabene — mit 
den hebräifchen Bezeichnungen der Gottheit (EI, Eljon, Elohim) überein. 

. — 25 % 


888 


er, ohne Seflalt und Wohnung und dennoch allgegenwärtig. Dielen ſtren⸗ 
gen Monotheismus einzuſchärfen, wird der Koran nicht nmide und mit wahr⸗ 
haft Priegerifchem Bigoridmus wird Alles verworfen, was dem Dogma vun 
der Einheit Gottes irgendwie Eintrag ihun könnte, alfo neben dem Gögen- 
dienft namentlich auch die hriftliche Lehre von der Trinttär 3). 

Und doch blieb dieſer ftarre und eiferſüchtige Ronotheismus nicht ganz 
eonfequent. Wäre er diefes geblieben, jo mußte Die Borftellung einer Mittel- 
ftufe zwiſchen Gottheit und Menſchheit ganz unterbleiben, was nicht geſchah. 
Sei e8, daß der perfifche Dualismus, welcher in fpäterer Zeit den Moſaismus 
gefäliht hattet), Hierin für den ISlam maßgebend war, jeies, daß Mohammed 
Die altarabifch-populäre Dämonenlehre zu ſchonen hatte oder ſich ihrer felber 
nicht zu entfhlagen vermochte, oter fei es, daß dieſe beiden Motive zuſammen⸗ 
wirkten, gemug, die Beifter ſpielen im moslemijchen Bewußtſein eine ſehr 
bedeutende Rolle. Die Engel freilich find, wie Geſchöpfe, fo auch ſchlechthin 
nur Boten und Diener Gottes. Anders Scheint e8 fih mit den Djinnen zu 
verhalten. Ich fage abſichtlich ſcheint, denn das Verhältniß diefer Geiſter 
tft im Koran mirgends recht klar und beflimmt angegeben. Diefe Djinnen 
"hildeten Allem nad, wie bei den jüdifchen Rabbinen, fo auch bei den Arabern 
eine zwifchen Menfchen und Engeln mitten inne ftehende Claſſe geifterhafter 


3) Sage: Es iſt nur ein einziger Gott! — Dennoch Haben fie Gott Geiſter zus 
gefellt (gleichgefteflt), die er ſelbſt geihaffen, und in Unwifienheit haben fie ihm Söhne 
und Toͤchter angedichtet. Lob und Preis fei ihm allein und fern von ihn Alles, was 


fie ihm beilegen. Der Schöpfer des Himmels und der Erde, wie ſollte er einen Sohn 
haben, ba er ja feine Frau hat! Er iſt der Schöpfer aller Dinge und ihm fint alle 


Dinge befannt. Das it Gott, euer Herr; es gibt feinen Gott außer ihm, dem Schöpfer _ 


aller Dinge. Darum dienet nur ihm, denn er trägt Sorge für Alles. Kein Geficht 
Tann ihn erfaflen, doch er erfaflet jedes Seftcht. Er if der Unerforfchliche und Al: 
wiſſende. Sura 6. GEs gibt Ungläubige — (die Ehriften) — welche Sagen: Gott 
ift der dritte von dreien. Es ift aber nur ein Gott. Sur. 5. Pol. außerdem über 
das Grunddogma des Islam Sur. 9, V. 30— 31; ©. 16, B. 53; ©. 18, V. 110; 
S. 19, V. 36; S. 21, V. 108; S. 22, V. 12; ©. 23, V. 92. Endlich fat 
die 112. Sura das moslemiſche Symbol noch einmal energiſch zuſammen: — 

Gott iſt Einer, 

Er ift von Gwigfeit ; 

Er ward nicht gezeugt 

Und hat nicht gezeugt ; 

Ihm gleich ift Keiner! 

4) Bol. Thl. I, S. 118 fo. 


389 


Weſen. Ihre Benennung ift ein Collectivname für gute fowohl als böfg eis 

fier, Genien und Dämonen im perfifch-fübifchen Sinn). Das Haupt der 

Dämonen ift der Satan, Ib1is, offenbar ein Abklatſch des ‚perfifchen Ahri⸗ 

man und ganz im perflichrabbiniichschriftlichen Sinn der Widerſacher Got» 

tes, ber Bethörer der Menſchen. Dabei ift ed aber eigen, daß der Koran 

fh ängftlich bemüht, zu verhüten, Daß man dieſen Widerpart Gottes diefem 

etwa zur Seite, beziehungdweife gegenüber ſtelle. Das Dafein des Satans | 
wird nit geleugnet, er ift, aber er ift nur dann, wenn man ihn anruft, | 
d. b. an ihn glaubt, was unfehlbar zur Verbamimnig führte). Bei Ver- 

gleichung ſämmtlicher Stellen des Koran über die Geiſter kann man ſich un⸗ 

ſeres Erachtens kaum des Gedankens entfchlagen, der Islam habe durch Her- 

beiziehung der Geiſterlehre den Verſuch machen wollen, ein Band der 

Vermittlung zwiſchen Gott und Menſch zu knüpfen, habe das aber nicht zu⸗ 

wegegebracht. Fehlt doch, wie bekannt, das Moment der Vermittlung, der. 

Berföhnung dem Jelam ganz. 

3. 


Das Dogma von der Gerechtigfeit Gottes enthält die Lehre von der 
Vorherbeſtimmung, jenen Fatalismus, welchen wir nach den jegigen 
Hauptträgern ded Islam, einen türkischen zu nennen pflegen. Wie fi 
aber die menſchliche Vernunft gegen die Identität von Gerechtigkeit und 
Präteftination mit Recht empört, fo ift auch Die moslemiſche Lehre von der 
BVorherbeftimmung fehr widerfprudsvol. An vielen Stellen wird mit 
fhhneidender Schärfe ausgeiprochen, daß -Gott jedem Ding und jedem Mens 
ſchen jein Schickſal unwibderruflih vorberbeflimmt habe und nur Solde 
den rechten Weg führe, welche er wolle). An andern dagegen wird ebenfo 


— 


8) Bon den Geiſtern redet der Koran in den Suren 4, 6, 7, 48, 72. 
6) Ich füge meine Auffaffung des moslemifchen Satans insbefondere auf diefe 





Stelle der 4. Sura: — Wer Gott ein anderes Mefen zur Seite ſetzt, dem verzeiht er 


nit. Sie (die Ungläubigen) rufen außer ihm weibliche Gottheiten an und den aufs 
rührerifchen Satan. Gott hatte diefen verflucdht, worauf er (der Satan) fagte: Nun 
will ich einen beftimmten Theil deiner Verehrer nehmen und verführen und ihnen verz. 
botene, böfe Begierden einhauden. Wer nım außer Gott den Satan fih zum Be⸗ 
fchüger wählt, der wird augenfcheinlich feinen Untergang finden. Satan verfpricht: 


ihnen wohl und regt ihr Berlangen auf; aber was der Satan verfpricht, if nur Trug. 


Ihre Wohnung wird die Hölle fein und fie werden Feine Ausflucht finden, 
1) Jedem Dinge haben wir feine Hare und deutliche Beſtimmung gegeben ; einen 
jeden Menſchen haben wir fein Geſchick vorherbefimmt. Sur. 47, B. 14. Gott leitet 


390 


ſcharf betont, daß Jeder dereinft für jein Glauben, Thun und Laffen werde 
ſtrenge Rechenſchaft ablegen müflen?). Der Widerfpruch iſt Har. 
Allerdings ift ed fo recht die Aufgabe des Glaubens, Widerfprüde für 
Nichts zu achten, Widerfprechendfled zu glauben. Der Glaube fann nit 
nur Berge verfegen, fondern auch Thäler audfüllen, d. h. er fhreitet, wie im 
vorliegenden Falle, über die weite und tiefe Kluft der Widerfprüche in einem 
Dogma hinweg, ohne fie auch nur zu bemerfen. Daß nicht alle Augen für 
das Vorhandenſein folder Klüfte blind find, das ift der Urſprung aller 
Keperei und Sektirerei. Auch im Islam, wo gerade dad Dogma von ber 
Präbeftination den bedeutendften Riß in die Einheit der moslemifchen Welt 
verurjachte. Hier iſt der Punkt, wo die Scheidung ber Sunniten und 
Schiiten eine wirklich innerlidhe, geiſtige, religiöfe Bedeutung bat. Die 
Sunniten_befennen ih nämlih zum Dogma ber Vorherbeſtimmung in feis 
— ſtarrſten Folgerichtigkeit und ſprechen demnach dem Wenſchen die Freiheit 
des Willens unbedingt ab. Sie find Fataliſten im ſtrengſten Wortſtun und 
daher naturgemäß auch Fanatiker. Die Schiiten Dagegen ſahen die Flaffende 
Kluft des Widerfpruches und fprangen nicht hinüber. Sie fanden, tie ewige 
Vorherbeftimmung ſei mit der Gerechtigkeit Gottes unvereinbar, und weiter, 
daß, wenn der Menſch jenfeitö für feine Handlungen gerichtet werden folle, 
er dieſſeits die Fähigkeit haben müfle, überhaupt zu handeln. Sie flatuirten 
alſo bie Willensfreiheit de des s Menfchen, halfen ſich aber, um das Vorherwiffen 
Gottes nicht leugnen zu müffen, dam damit, daß fie annahmen, die Sandlungen 
| eines jeden Menſchen feien von Uranfang in das „ Buch der Geſchicke“ einge» 
tragen, d. h. Bott befannt. Man bat um dieſer abweichenden Auffaffung 
des zweiten moölemifchen Grunddogma's willen die Schiiten als die Prote— 
flanten und Rationaliften des Islam bezeichnet. Die letztere Bezeichnung 
mag angeben, aber um die erflere gelten zu laſſen, müßte man vergeflen, 
daß gerade ein Hauptmitbegründer des Proteftantisnus, Calvin, die Brä«- 
deſtinationslehre in wahrhaft junnitifher Strenge faßte 3). 


auf den richtigen Weg, wen er will. S. 2, V. 209. Dazu vgl. S. 2, V. 6; S. 6, 
B. 38; ©. 16, B. 96 und noch eine ganze Menge ähnlicher Stellen. 

Z) An jenem großen Tage (des Gerichts) wird Jeder nach feinen Handlungen den 
Lohn empfangen ; Gott weiß, was Jeder gethan. S. 39, B. 70. Der Barallelftellen 
find ebenfalls ſehr viele, faſt zahllofe. 

3) Weil (HiR. krit. Cinl. i. d. Koran, S. 95 fg. Vgl. auch Weil, Geſch. d. 
&halifen, 11, 262) fucht fehr fcharffinnig nachzuweiſen, daß Mohammed felbft feines 


391 


4. 

Das: dritte moslemiſche Grunddogma ftellt, wie oben angegeben wors 
ben, die Lehre vom Prophetentbum (Nebtuwwet) feſt. Es gebt darauf 
auß, dem Begründer des Islam eine unzweifelhafte Autorität zu verleihen, 
Die Lehrfäge von Gott und von feinem Propheten find unzertrennlich mit 
einander verbunden. „Gott ift Gott und Mohammed: ift jein Prophet *. 
Wohlverftanden, Mobammed ift der Prophet. Allerdings nicht der erfte 
und einzige der Propheten 1), aber er ift der endgültige Vollender des Pros 
phetenthums 2). Die Offenbarung von Gottes Wort ift fo wefentlih an 
ihn gebunden, daß der Glaube an eine nicht Durch Mohammed vermittelte 
Offenbarung ein faliher id). Demnach wäre der rechte Glaube 
an Öott durch den Blauben an Mohammed bedingt. Der 
Koran kommt fehr häufig auf diefen Punkt zurüd, Er polemiflrt,, wenn 
auch in achtungsvollſter Form, bei diefer Gelegenheit häufig gegen Chriſtus, 
d. 5. gegen deſſen VBergottung. Die Ehriften fagen, beißt es in der 19, 
Sura, der Allbarmherzige habe einen Sohn gezeugt; das ift ein ungeheuer« 
liches Vorgeben! Und in der 5, Sura: Chriftus ift weiter Nichts als ein 
Geſandter; vor ihm find andere Gefandte hergeaangen und feine Mutter war 
ein gewöhnliches Weib. Wetter wird in der A. Sura ganz deutlich zu vers 
ftehen gegeben, daß Chriftus weit entfernt geweſen, ſich felber zu vergotten. 
Es heißt da: Ehriftus ift nicht fo hoffärtig, daß er ſich weigern follte, ein 
Knecht Gottes zu fein. Mohammed nennt auch fidh einen bloßen Knecht 
Gottes, aber allerdings in dem Sinne, in welchem ſich der Papft einen 
Knecht der Knechte Gottes titulirt: Denn, wie gefagt, er ift der Prophet der 
Propheten, da8 Siegel an der dur ihn ein für allemal abgeichloffenen Urs 
funde der Offenbarung. — Auch hinfichtlich dieſes Dogma's eriftirt zwi⸗ 
fhen den Sunniten und den Schliten eine Meinungdverfchiebenheit. Jene, 
geftügt auf die Koranftelle (S. 40, B. 57), wo Mohammed aufgefordert 


wege das Dogma von der Vorherbeſtimmung in defien nachmaliger Starcheit gewollt 
habe, fondern daß es in diefer Starrheit erft dann zur Geltung gekommen, als bie 
Ehalifen, politifcher Zwecke wegen, eines blinden Fatalismus und des daraus refultis 
renden blinden Gehorfams der Moslim bedurften. 

1) S. o. Kay. UI, 3. 

2) MNohammed ift der Gefandte Bottes und das Siegel aller Propheten S. 33, 
B. 38. Dazu vgl. S. 2, B. 209; ©. 6, V. 34, ©. 21, S. 40, V. 78; S. 4, V. 
62; 6.94, V. 2. " 

3) ©. die eben citirten Suren und dazu noch die weiteren 3, 5, 19. 


wird, täglid zu beten, bamit ihm Gott feine Sünden vergebe, behaupten, 
des Prophet und die Propheten überhaupt ſeien der Sünde unterworfen ge= 
weſen, wie die übrigen Menſchen, aber Durch beſondere göttliche Gnade van 
dar Strafe für ihre Berfehlungen befreit werden. Die Schiiten dagegen 
nehmen an, Die Propheten feien Durdsaus reine Menſchen geweien, denn fle 
Hätten unmöglich fündigen können. 


5. 


Das vierte moßlemiihe Hauptdogma umfaßt die Unſterblichkeit der 
Srele, dic Auferſtehung von den Todten, das jüngfle Gericht, die Belob⸗ 
nung der Guten und die Verdammung der Böien!). Das Banze iſt zwei⸗ 
felGohne den perflichschrifllichen Borftellungen nachgebildet, aber im Einzel« 
nen ebenfo gefchickt ald wuftänklich auf die Heighlütige Phantafie der Araber, 
anf die finaliche Anſchauung der Orientalen beredinet. Die Lehre von Der 
Unſterblichkeit der Seele ift Die Bafld der Lehre von ben legten Dingen. Sie 
(die Ungläusigen) fagen: Es gibt fein anderes Leben, als unfer hieſiges ir⸗ 
diſches Daſein, und wir werden nicht wieder aufermedt. Sollteſt du fie 
aber ſehen, wenn fie einft vor ihrem «Deren ericheinen und er fie fragt: I 
die Auferfichung nun nicht wahr geworden? da werben fle antworten : 
Wohl ift fie wahr, o Herr! Und Bott wird jagen: Nebmet nun hin die 
Strafe dafür, daß ihr nicht glauben wolltet 2). Ihr (Menfchen) müßt ſter⸗ 
ben, am Tage der Auferflefung aber werdet ihr wieder auferwedt 3). Glau⸗ 
bet an Gott und an den Tag tes Gerichts! 4) 

Nach feiner Weije wiederholt der Koran die Lehre vom Weltgericht, 
vom „großen Tag”, vom „Tag der Trennung“ (der Guten von den Böfen) 


— — — — 


1) Ich koͤnnte hier auch noch die Geſchichten von der Schoͤpfung, vom Suͤndenfall 
(Apfelbiß) im Paradieſe, von der Suͤndflut u. ſ. w. berühren, erachte es aber für Raums 
verſchwendung, da der Koran dieſe Mythen durchaus der Bibel nachgebildet und nur 
mit märchenhaften Arabesken verziert hat. Das Verhaͤltniß Gottes zu den Menſchen, 
wie ed in diefen Geſchichten im Kovan zu Tage tritt, if ganz das bibliſche. Auch bie 
Schugengel:Lchre des Islam iſt der perſiſch⸗jũdiſchen homogen. Sie findet ih am 
beflimmteften ausgelproden ©. 11, 8. 64 und ©. 13, B. 12. Die leptere Stelle 
lautet: — Ein jeter Menfch hat. feine Engel, die (von Bott herabgefandt) einander 
ablöfen, vor und hinter ihm hergehen und auf den Befehl Gottes ihn bewachen. 

2) Sur. 6, B. 29—30, 

3) Sur. 23, ®. 18. 

4) Sur. 2, B. 173. 





393 


ſehr oft und eindringlih. Aber man muß die. einzelnen Befimmungen die⸗ 
fer Lehre im ganzen Buch zufammenfuchen. Gin türkiſcher @otteögelehrter, 
welcher im 16. Jahrhundert ſchriab, Mehemed Pie Ali, Hat bie einzelnen 
Szenen des Gerichtätages fo zulammengeßellt 5): — Wann bie Zeit des 
jüngßen Gerichtes herannabt, gibt der Engel Ißrafil mit feiner Poſaune bad 
Beiden. Des Befehles Allah's jeden Augenblick gewärtig, hält dieſer En⸗ 
gel das Mundftü feiner Poſaune befländig an den Mund. Sobald Ißra⸗ 
fil den Vefehl empfangen, bläft er, und es gibt einen entſetzlichen Schall, den 
alled Lebende tödter, den blaſenden Engel miteingerechnet. Vierzig Jahre 
lang bleibt die Welt autgeſtorben; dann erwedt Allah den Ißrafil wieder. 
Dieter flößt ein zweites Mal in die Poſaune und von dem zweiten Schall 


werden alle Todton lebendig 6). Die Auferfiandenen find ganz ohne Bellei- 
bung; denen aber, welche Propheten und Heilige geweien, ſchickt man geflügelie 
Simmelsrofle (Borals) entgegen und Eoftbare Stoffe aus dem Paradise. 
Sie kleiden fi in letztere, befleigen die erfleren und reiten auf ihnen ind 
Paradies, wo fie im Schatten von Allah's Ehren fich niederlaffen. Die übri« 
gen Menschen ſtehen zuiammengedrängt, hungernd, durftend und ſchwitzend, 


8) Nach einer Mittheilung im „Magaz. f. d. Lit. d. Aust.“ 1886, Nr. 102. 
6) Wann in die Bofaune geſtoßen wird, dann wird Alles, was im Himmel und 

auf Erden ift, leblos nieberflürzen, nur Die Wefen ausgenommen, welche Gott davon 
ausſchließt. Und wann wieder in die Poſaune geftoßen wird, dann werden fie fi 
wieder aufrichten und um fih bliden. Und die Erde wird leuchten durch das Licht 
ihres Herrn und das Buch (worin die Handlungen aller Menfchen gefchrieben find) 
liegt offen und die Propheten und Märtyrer treten als Zeugen auf und in Gerechtig⸗ 
feit nur wird gerichtet zwifchen ihnen und Keinem Unrecht gefchehen. Sur. 39, V. 
68—69. Das Weltgericht wird eingeleitet durch den Weltuntergang. So heißt es 
in der 69. Sura: 

Wamnm in die Bofaune geblafen wirt mit einem Stoß, 

Werden Erde und Berge zerriflen werden durch einen Stoß. 

An jenem Tage fällt die einfallende Stunde, 

An jenem Tage geben die gefpaltenen Simmel zu Grunde. 

Und in dee 77. Sura: — 

Bei den auf einander folgenden Sendungen vom Himmel, 

Bei der Sterne Getümmel, 

Bei den Bagrln, welche vie Klügel ausbreiten, 

Bei den Berien des Koran, weldge Die Wahrheit deuien, 

Welche Ermahnungen geben, 

Verheißungen und Drohungen für dieſes und jenes Leben — 


a 0. —— .. -- 


— — 


394 


indem die Sonne ihren Köpfen bis auf eine Meilenaherüdt”). Funfzigtauſend 
Jahre Tang — (nach andern Angaben nicht To Tange) — müflen fie in dieſem 
Buftande verharren. LUnterdeffen werben alle Bücher eingereiiht, weldhe Die 
Engel über den Lebenswandel der Menſchen geführt haben, und Allah ver⸗ 
hört die Seelen ohne Vermittlung eineg anderen Weſens. Auch eine Wage 
wird aufgerichtet, in welcher man da® Gute und das Böfe gegen einander 
abwägt. Die Seelen, deren Gutes überwiegend ift, fommen in dad Para⸗ 
die, diefenigen, an denen das Böfe überwiegt, in die Hölle — es jei Denn, 
dag Allah ihnen verzeihe oder daß Propheten oder Heilige fie ihrer Yürbitte 
würdigen follten. Doch kann Yürbitte nur flattfinden, wenn die Seele 
gläubig aus dem irdiſchen Dafetn gefähteden tft. Wer tm Glauben flirbt, 
aber ob der Schwere feiner Sünden Feiner Verzeihung und Feiner Bürbitte 
theilhaft geworden, der muß fürzere oder Tängere Beit im Höllenfeuer bren⸗ 
nen und wird dann ind Paradies entrückt. Ein Atom des wahren Glau—⸗ 
bens ſchützt übrigens ſchon wider die Ewigfeit der Höllenqual®). Ueber 
die Hölle hinweg wird eine Brücke (Al Sirat), welche fo dünn wie ein Haar 
und fo fcharf wie ein Schwert iſt, nad dem Paradiefe führen?). Alle 
Seelen müflen über diefe Brüde gehen. . Einige fommen mit der Schnellig- 
feit des Bliges hinüber, andere mit der eines vennenden Pferdes, wieder 
andere im Paßgang, wieder andere fchleppen fid) unter der Laft ihrer Sünden 








— * 


Es kommt der verheißene Tag: 
Wenn die Sterne ohne Licht bleiben 
Und die Himmel ſich zerſpalten, 
Wenn die Gebirge zerſtaͤuben 
Und die Gottgefandten Wache halten. 
7) Das ftimmt freilich nicht ganz mit dem „Zerivaltenfein“ der Himmel, aber 
Bolgerichtigfeit in den Details muß man im Koran fo wenig fuchen als in anderen 


 Religionsurfunden. 


8) Der Islam flatuirt alfo Feine Ewigkeit ber Höllenftrafen. Gr folgt hierin 
nicht der hriftlichen, fondern der milderen zoroaſtriſchen Anſchauungsweiſe. Vergl. 
Thl. 11, S. 181 folg. Nur für die Nichtmoslim gibt es nach der fpäteren intolerans 
teren Anficht des Propheten (1. o. Rap. II, 3, Anm. 3) eine ewige Verdammniß. 

9) Die Brüde Tfchinevad des Zend - Avefta. Bel. Thl. I, S. 180, Anm. 2. 
Im Uebrigen ift fo zu fagen auf diefer Brüde vom Erhabenen oder Furchtbaren zum 
Burlesken und Lächerlichen auch nur ein Schritt. Einer Kegende zufolge verwandelt 
fih nämlich beim Uebergang über al Sirat Mohammed in einen Foloflalen Widder und 
fämmtlihe Moslims fegen fi in Beftalt von — Flöhen in feinen Pelz. 


395 


wanfend vorwärts und noch andere flürzen, wenn fle die Brüde kaum betre⸗ 
ten haben, haͤuptlings in den Höllenſchlund hinab. 


Immer, wo er von ben legten Dingen ſpricht, wirkt der Koran tief⸗ 
ergreifend. Da zeigt ſich Mohammed als rechter Dichter. Seine Sprache 
iſt hier ſelber wie der Schall der Gerichtspoſaune, welcher verſtockte Ge⸗ 
wifſſen erbeben macht 10). Die Schilderungen des Ortes der Pein durch⸗ 
weht etwas wie Höllenglut, die am gewaltigſten aufſchläͤgt, wo des Gerichtes 
gedacht wird, welches der Lügner, der Verleumder und der Wucherer harrt 11). 
Von dem dunkelrothen Hintergrunde der Höllenbilder heben ſich dann die 
Gemaͤlde paradieſtſcher Seligkeit nur um fo reizender ab. In Wohlgeruch 
athmenden Schattenhainen, durchmurmelt von ſilberhellen Quellen, hat der 
ſelige Gläubige feinen Wonneſttz. Die lieblichſten Früchte, die ſüßeſten 
Weine, kredenzt von anmuthigen Paradieſesjünglingen, erfreuen ihn und in 
den Armen fchwarzäugiger, von Schönheit und ewiger Jungfräulichfeit ſtra⸗ 
lender Houri's foftet er ſtets erneute Freuden 12). 

10) So die 101, Sura: — 
Die Hovfende Stunde, was ift die Flopfende Stunde? 
Und von der Flopfenden Stunde wer gibt dir Runde? 
Es ift der Tag des Gerichts, wo die Menfchen wie Heufchreden verfiteuet vom Wind, 
Die Berge gleich gefrämpelter Baumwolle find. 
Und weflen Wagfchale finft, dem wird's im ew’gen Leben gut; 
Und weflen Schale fteigt, finft in die Flammenwuth. 
Weißt du wohl, was da ift die Flammenwuth? 
Es ift der Hölle brennendſte Blut. 
11) Weh' dem Lügner, der den guten Namen ftreift! 
Meh’ dem, der nur Schäge auf Schäge häuft, 
Weil er ewig fich auf feinen Reichthum fleift. 
eh’! Hinunter in die Höllenftampfe (Al Hutama) ! 
Weißt du, was das if, die Höllenftampfe? 
Teuer Gottes ift es, hochaufragend, 
Ueber Herzen wild zufammenfchlagend, 
Glut, wie in ein Gewölbe zufammengebogen, 
Blammen, body wie Säulen aufgezogen. Sura 104. 
412) Die Gerechten trinfen Wein, gemifcht mit Blut vom Kampherquell ; 
Davon trinfen die Diener Gottes, das Wafler leitend von Stell’ zu Stell”, 
Die ihre Wort hielten und den Tag fürchteten, deſſen Mebel weit wird freifen, 
Die aus Liebe Gottes fpeiften die Armen, Sklaven und Waifen, 
Sagend: wir fpeifen euch Gottes wegen und wollen weder Dank noch Lohn, 
Wir fürchten vom Herrn ben Tag voll Trog und Hohn. 


386 


6. 

Das fünfte Dogma, das von der Erbfolge der Imame (Imameı), 1% 
ein von Sunniten und Schiiten ſehr verſchieden gefaßtes. Seine Natur 
iſt, wie wir oßen anmerkten, mehr eine politifche als religiöfe und der Ur⸗ 
fprung feiner verfchiedenen Beltung bei den beiden grofien Sekten des I6r 
am muß geradezu in einer Haremsintrigue gefucht werden. Aiſcha, die 
Tochter Abu Behr, nach dem Tode der Chadidja des Bropheten einfluß⸗ 
reichſte Frau, obgleich fie ihm mehr ale einen Verdruß verurfachte und 
fogar ihre eheliche Treue bei einer Gelegenheit. in ſehr zweideutigem Lichte 
erfhien, — dieſe Aiſcha haßte den tapfern Uli, den Gatten von Moham⸗ 








Deßwegen fchirmte fie der Herr vor'm Uebel diefes Tages, gab ihnen heiteres 
Geficht und Freude, 

Er lohnte ihre Geduld mit dem Paradies und mit Seide. 

Dort ruhen fle auf weichen Matten, fühlen weder Froſt noch Hitze, 

Es wallen über ihnen fühle Schatten und Früchte neigen fih von der Bäume 

Ä Spike. 

Es freiien Schalen aus Silber und Becher aus Glas, 

Gefäße aus Silber von gehörigem Maaß. 

Sie trinken Becher, gemiicht mit dem Gewürz Sendſchebil, 

Bon dem Duelle genaunt Selfebil. - 

GEs Freifen um fle ewige Jünglinge, zerſtreuten Perlen gleich, 

Und ſchauſt du näher, flieht du ewige Gnade und das himmliſche Reich. 

Im Kleide aus grüner Seite, mit Gold gefickt, 

Sind fie mit filbernen Armbäntern gefchmüdt ; 

&8 tränfet fie der Herr mit reinem Trank, 

Das ift ihr Lohn, das ift für ihre Deühe der Dank. Sura 76. 

In der 38. Sura (B. 49 fg.) heißt es: — Wahrlich, die Frommen follen 
einen herrlichen Aufenthalt haben, namlich Etens Gärten, deren Bforten ihnen offen 
find. Sie können ch dort niederlaffen und von allen Arten Früchten und ®etränfen 
fordern. Neben ihnen werten fein Jungfrauen mit keufchen Blicken und von gleichem 
Alter mit ihnen. Die Uebelthäter aber follen einen ſchlünmen Aufenthalt haben, 
nämlich die Hölle, in welder fie brennen ſollen. Welch ein elentes Lager iſt dies! 
Stinfendes und heißes Wafler und noch Anteres mehr der Art follen fe foften. — 
Vgl. über Himmel und Hölle noch die Sura2 (B. 27), 38 (B. 17), 43 (B. 66 fg.), 
70 (8. 7 fg.), #7 (3. 16 fg.). Wie ſchon oben bemerft worten, iſt es irrig, zu 
meinen, Mohammed babe den Frauen Unflerblicfeit und Seligfeit abgeiprochen. 
In der 33. Sura heißt es ausprüdlih: — Für die gläubigen Bänner und Frauen, 
"für die wahrhaftigen, getultigen und demüthigen Männer und Frauen, für die 
Almoſen gebenden und faftenten und für die feufchen Männer und Frauen, die oft 
Gottes eingedent find, hat Bott Berföhnung und großen Lohn bereitet. 





397 


eds Tochter Fatima, umd fette alle Hebel tn Bewegung, um. die Ernennung 


des Gehaßten zum Nachfolger des Propheten zu hintertreiben. Mohammed 
hatte die Schwachhetit, diefen Ränfen nicht entſchieden genug entgegenzir- 
treten. Wenigſtens unterließ er es, den Alt beflimmt genug als feinen 
Nachfolger zu bezeichnen. Zwar that er auf der Hüdfehr von feiner Ab⸗ 
fhiedswallfahrt nach Mekka die Aeußerung: „Wer mich liebt, der wähle 
auch Ali zum Freunde (maula). Gott ſtehe dem bei, der ihn befchügt, und 
verlaffe den, der ihn anfeindet”. Allein die Neider Ali's fanden in dem 
von Mohammed gebrauchten Ausdruck einen Doppelfinn, welchen fle zu ihren 
Bunften auslegten 1). Sie brachten e8 daher, hauptſächlich durch die Ma⸗ 
chinationen der Aiſcha, dahin, daß nach dem Tode Mohammeds von der 
Verfammlung der Gläubigen (Djemo’ er) nicht Ali, fondern Abu Bekr zum 
Statthalter (Chalif) des Propheten gewählt wurde. Auch fpäter wurde 
Ali noch zweimal übergangen, indem ihm Omar und Othman vorgezogen 
wurden, und ald er beim Tode des legteren endlich zum Chalifat gelangte, 
vermochte er es feinem Haufe dennoch nicht zu erhalten, wie wir jeined Ortes 
ſehen werden. 

Die Sunniten nun Teugnen eine erbliche Berechtigung zur Herrſchaft 
über das Volf der Moslim und behaupten, nur die bier erften Chalifen, 
Abu Bekr, Das Othman und Ali, feien, weil von der Djemo' et gewählt, 
aͤchte Imame d. h. die wahren und gefeglichen Lenker ber Gläubigen tn 
geiſtl ihen und. weltlichen Dingen ‚gewejen. Die Schiiten dagegen fafien das 
Dogma vom Imamet fo, daß Ali und feine Nachkommen ein erbliches Recht 


dazu gehabt und daß demnach fomwohl die drei erften Chalifen als auch Die, . 


welche fpäter die Söhne Ali's vom Chalifat verdrängten, fammt und fon« 
ders Ufurpatoren gewejen feien. Nach ſchiitiſchem Glauben erbte ſich die 
oberfte geiftlihe und weltliche Regierung der Moslim in dem Geichlecht 
Ali's und Batima’d fort. , Nur die Nahfommen Ali's find den Schii ächte 


Imame, Als den zwölften und Iegten verehren fie den Mohammed Mehdi, 
welchen fie bei allen Verſammlungen redhtgläubiger, d. h. ſchiitiſcher Mos⸗ 


lim noch jetzt unſichtbar zugegen glauben. Natürlich haſſen und verfolgen 
ſich die beiden Sekten gegenſeitig als Ketzer. Die Sunni?), deren Haupt—⸗ 


— — — nn 


1) Das Wort maula bedeutet ebenſogut Herr und Gebieter als Freund und 
Beſchuͤtzer. 

2) Dieſen Namen haben ſie von der Sunna, d. i. von der Sammlung von 
Lebensregeln für die Glaͤubigen, welche aus den Reden und Handlungen des Pro⸗ 


ige die Türkei und Aegypten find, haben ihren Gegnern, deren Hauptßg 
Perfien if, den Schimpfnamen Schi, d. i. Abtrünnige gegeben, ter aber 
son dieſen, wie es mit foldden Bezeichnungen zu geben pflegt, als Ehren⸗ 
name aboptirt wurde. 


Diertes Kapitel. 
Der modlemifhe Gottesdienſt. 


1. 


Man hat gejagt und oft wiederholt, daß ein Unterſchied fei zwiſchen 
Dogmatik und Religion, ja fogar, Laß in der erfleren geradezu der religiöien 
Idee Widerſprechendes jein könne und nicht felten wirklich ſei. Die Anficht 
mag auf dem philojophifhen Standpunkt ihre Berechtigung haben und läßt 
fid) aus der Dogmengeſchichte aller Religionen zweifeldohne begrünten. Die 
rein culturhiſtoriſche Betrachtung darf aber der philoſophiſchen Kritik des 
Inhalts ter Dogmatik ſich entſchlagen; fle faßt denielben einfach als ten 
theoretiichen Theil eines Glaubensſyſtems und iſt daher berechtigt, zu jagen: 
das Togma ift die Seele der Religion. Dieje Seele jhafft ſich ihren Leib, 
den Cult. Die praftiiche, die gotteöbienftliche Seite der Religion iſt der 
jeweiligen theoretiichen Entwicklungsſtufe fo ziemlich überall adäquat. Den 
reihften, am meiften künſtleriſch organifirten aller Culte befigt ohne Frage 
der Katholicismus und ed entſpricht der Fatholifche Gottesdienſt vollftäntig 
dem Eatholijchen Dogma, welches, in Berüdfihtigung der finnliden Seite 
ber Menicdyennatur, durch Herbeiziehung und Geltendmadhung mythologis 
jeher Elemente ten chriſtlichen Spiritualismus der jinnlihen Begreiflichfeit 


pheten, wie mündliche Tratition ſolche angeblich aufbewahrt hatte, geſchöpft fint. 
Die authentiiche Zufammenflellung der Sunna rührt von Abdallah Mobammed Ben 


— — — 


Jsmail el Dſchaafi, genannt EI Bochari (ft. 869 n. Chr.), her. Die Schiiten 


verwerfen die Sunna, die Sunniten dagegen halten die VBorfchriften derfelben neben 
denen des Roran für verbindlihd. In ihrem Berhälmiß zur Tradition könnte man 
alfo die Sunni die Katholifen, die Schii die Proteflanten des Islam nennen. 


aa ma (| - va — 


399 


näher zu bringen ſuchte. Micht ganz folgerichtig perhaͤlt ſich der moſaiſche 

Cult zum moſaiſchen Dogma. Dem ſtarr abſtract⸗monotheiſtiſchen Gottes⸗ 

begriff des Hebraismus wäre ein noch einfacherer Gottesdienſt, als der 

bebräifche war, entſprechend geweſen. Es ſcheint aber, daß Moſe feinen 

durch den Aufenthalt in Aegypten an reiche Cultentfaltung gewöhnten Volke 

in dieſer Hinſicht nicht allzu wenig habe bieten dürfen, und dann haben wohl 

auch die prächtigen Culte ihrer ſyriſchen Nachbarn auf den der Juden Ein⸗ 

fluß geübt. Weit confequenter, ald im Hebraismus, ift im Islam das Ver⸗ 

hältniß zwifchen der Seele und dem Leibe der Religion, zwiſchen Dogma 

and Eult. Die firenge Feſthaltung des Begriffes eines jenfeitigen, leib⸗ 

und bildlofen. Gottes verwehrte jedes Herantreten der Künfte zum Gottes⸗ 

dienft als gögendieneriih. Einzig und allein die Architektur durfte im 

Dienfte der Religion thätig fein, aber auch fie mußte fih — wenigftens jo 

lange nicht fremde Bildungselemente in den Islam eingegangen — auf das 

Allernothwendigfte beſchraͤnken. So fehlt denn dem moslemiichen Cult das 

Element der Schönheit. Das modlemifche Ritual entbehrt aber nicht nur 

des aͤſthetiſchen Moments, ed hat überdies etwas Abftractes, fo zu fagen 

Vereinzelndes, denn allen Beobadhtern ift im Gottesdienſt des Islam ein ı 
gewifler Mangel an Gemeinſamkeit aufgefallen), Der Moslem | 
fheint das, was die Chriften unter „ Erbauung der Gemeinde“ „Andacht ı 
ber Gemeinde”, „Gottesdienſt der Gemeinde“ verftehen, gar nicht zu | 
fennen. Sein Cult ift, obgleich nicht immer vom Einzelnen geübt, dene : 
noch weſentlich Sade des Einzelnen. Der Islam kennt aud keine 

kirchlichen Gnadenmittel, keine Sacramente, und es darf alfo der Aus⸗ 

druck, moslemiſche Kirche“, wenn er überhaupt gebraucht werden will, nur 

in ganz äußerlihem Sinne verftanden werden. 


2, 


Die vier großen Pflichten des moslemiſchen Gotteödienfted find: 
1) das Gebet, 2) das Baften, 3) dad Almofengeben, 4) die Wall- 
fahrt nad Meffa. 

Das Gebet (selat) gilt für die erfte und höchfte Eulthandlung. Sie 
vornehmlich reinigt Die Seelen). Es ift daher nicht zu verwundern, daß 
die Vorfchriften über diefe gottesdienftlihe Uchung bis ind Einzelnfte gehen. 

1) Bal. insbeiondere Abeken, „das relig. Leben im Islam”, S. 17 und 37. 
1) ©. über das Gebet die Roranfuren 2, 3, 7, 9, 20, 23, 29, 50, 


400 


Meidung ), Stellung und Baltung des Körpers, Belt, Hahl und Reihen⸗ 
folge ter Gebete, dies Alles und noch vieles Andere iſt genau feſtgeſetzt. 
Der Betende muß fi mit dem Geficht zur Kebleh, d. i. nach der Himmels“ 
gegend wenden, wo dad Bauptbeiligtbum des Idlam, die Kaabah, Tiept; ex 
muß zuerft Rraff aufrecht flehen, mit geman an einander gefthloffenen Yüßen, 
dann figend die vorgeſchriebenen Berneigungen abfhum, wobei mit der Stirne 
die Erde zu berühren und wohl Darauf zu achten ift, daß Tein unreiner Ge 
genftand berührt werde. Bünfmal des Tages wird gebrtet und zwar — ba, 
: wie befannt, im Drient der Tag mit den Abend anhebt — beim Untergang 
der Sonne, bevor dieſelbe gänzlich verſchwindet, Denn nach Sonhenanter 
gang bis gegen Mitternacht bin, ferner kurz vor oder während ber Mitier⸗ 
naht, dann bei Sonnenanfgang und endlich zu Rittag. Zu jeder biefer 
fünf Tages» und Rahtzeiten ruft — weil der Iſslam keine Glocken Bat — 
von der Balerie der Mofcheenminarets herab der Muezzin fingend die Glaͤu⸗ 
bigen zum Gebet auf). Wo er au ſei — nur nicht an einem unreinen 
Drte — gehorcht der Moslem, gänzlich unbekümmert um die Außenwelt, 
dem Ruf und verrichtet unter mancherlei Wendimgen und Neigungen die 
vorgefhrtebene Anzahl von Gebeten. Den Inhalt derfelben bilden An⸗ 
tufungen und Lobpfeifungen Gottes, wobei das „Allah akbar“ (Gott fi 
groß!) Häufig wiederkehrt, ferner Segensſprüche auf den Propheten, Bit⸗ 
ten um Seil und Gedeihen, Citate aus dem Koran. Den Haupfbe 
flandtheil des moslemiſchen Gebetes macht Die Cingangdfure des Koran 


2) Männern ift es erlaubt, nackt ihr Gebet zu verrichten; nur die Schamtheile 
müſſen bedeckt fein. Die Frauen dagegen muͤſſen beim Beten vollſtändig angezogen 
fein und dürfen nur das Geficht, die Hände und die Füße bis zu den Knöcheln unbe 
deckt haben. 

3) Mit der Formel: 

Lo illahe illallah! 

Gott iſt groß! Gott iſt groß! Gott iſt groß! 

Ich zeuge, daß kein Gott iſt denn Allah! 

Gott iſt groß! Gott iſt groß! Gott iſt groß! 

Ich zeuge, daß Mohammed iſt der Prophet Goites! 

Kommt zum Gebet, kommt zum Gebet! 

Herbei zum Tempel des Heils, herbei zum Tempel des Heils! 
Gebet ift befler ale Schlaf, Gebet ift befler als Schlaf! 

Gott ift groß! Bott iſt groß! Gott ift groß! 

Außer Allah Fein Gott! 


vw zz“ 


101 


83). Sie ik in der mohammedaniſchen Welt ganz das, was in bet 
hriftlihen das Vaterunfer. 


3. 


Das Faften (saum) iſt eine Abſchwächung deg Opfers und zwar des 
Menſchenopfers. Statt fein Leben darzubringen, quält der Menſch feinen 
Leib durch Enthaltung von gewohnten, beziehungsweife nothmendigen Ges: 
nüffen. Das moslemifche Geſetz kennt verfchiedene Bafttage im Laufe des 
Jahres, welche jedoch nur für verdienftlich, nicht für geboten gelten. Geboten 
jedoch, durch den Koran, iſt die große Baftenzelt während des ganzen Mo⸗ 
nats Ramazan, in welchem der Prophet die erſten göttlichen Offenbaruns 
gen empfangen haben ſoll. Da muß vom Sonnenaufgang bis nach Sonnen⸗ 
untergang alle Tage des Monats, hindurch unverbrüchlich. aefaftet. werden. 
Nur Kinder unter fleben Jahren, Kranke, MWahnfinnige, Kindbetterinnen. 
und Reiſende find davon ausgenommen. MWährerrd der angegebenen Tages: 
zeit ift der Genuß jeglicher Speile verboten. Auch darf nichts Flüſſtges 
mit dem Munde berührt, ja nicht einmal der eigene Speichel verſchluckt wer⸗ 
den. Tabakrauchen und das Einathmen von Wohlgerüchen iſt unterfagt ; 
ebenfo das Einnehmen purgirender Medizin, endlich das Baden und bie 
geſchlechtliche Beiwohnung. Jede Verlegung einer diefer Vorfchriften, ſowie 
das Ausiprechen einer Lüge, macht die Faſten gänzlih ungültig und bie 
Wiederholung derfelben nothwendig. Außer den Ramazan⸗Faſten gibt e8 
aber noch ein Faſten in Folge eines Gelübdes (nezr) und das mit dem foge- 
nannten Sähnopfer (kefforet) verbundene Baften. Der Moslem thut nänt- 
lich Gelübde, zu einer Heftimmten Zeit zu fuften, nah Mekka zu wallfahren, 
befondere Gebete zu verrichten, befondere Almofen zu geben oder auch für 
eine beflimmte Zeit der Frauen ſich zu enthalten, — entweder rein „urh 
Gottes Willen“, wo alfo die Opfernatur des Gelübdes deutlich zu Tage 
tritt, oder um dadurch von Gott etwas Bewünfchtes zu erlangen oder ſich bei 
einer Unternehmung den göttlichen Beiftand zu fihern. Das Kefforet da= 
gegen {ft eine Eulthandlung, welche dem Moslem in gewiſſen Bällen zur 


4) Im Namen des allbarnherzigen Gottes! Lob und Preis Bott, dem Welten: } 
herren, dem Allerbarmer, der da herrichet am Tage des Gerichts. Dir wollen wir ! 
dienen und zu die wollen wir flehen, auf daß du uns führeft den rechten Weg, den ' 
Weg derer, die deiner Gnade ſich freuen, und nicht den Weg derer, über welche bu: 
zürneft, und nicht den Weg ber Irrenden. 

Scherr, Gef. d. Religion. I. 26 





402 


Büßung unfreiwillig begangener Sünden oder zur Reinigung von Ver⸗ 
geben vorgefchrieben iſt 5). 


4. 


Die altberühmte arabiſche Gaſtfreiheit hat durch den Islam die höchſte 
religiöſe Weihe erhalten. Der Koran erhob die patriarchaliſche Milde gegen 
. Bedürftige zu einer Religionspflicht, das Almoſenſpenden zu einem Cultact. 
Dieſe Pflicht, dieſen Act ſchreibt der Koran an ſehr vielen Stellen und nicht 
ſelten in Ausdruͤcken vor, welche an Humanitaͤt aͤhnlichen Vorſchriften des 
Evangeliums durchaus nicht nachſtehen. Auch wurden und werden die Ge⸗ 
bote der Mildthätigkeit von den Moslim eifrigſt befolgt, wie die zahlloſen 
frommen Stiftungen im Orient, die Schulen und Spitäler in den Städten, 
die Karavanjeraid und Brunnen an den Wüftenftraßen und dergleichen An⸗ 
ftalten mehr beweifen. Auch auf tie Sklaven, welche in der moslemiſchen 
Welt entſchieden viel humaner behandelt werben als in der chriſtlich⸗ ameri⸗ 
kaniſchen, erftredt fid) die milde Fürſorge, ja jogar auf Thiere, wie der be= 
kannte Taubenipital bei der Bajazid⸗Moſchee in Stambul und die Kapenitiftung 
in Damadfus zeigen. Das moslemijche Geſetz handelt von der religiöfen 
Pflicht der Wohlthätigkeit unter dem Titel „Abgabe vom Eigenthum * 
(zekat) und untericheidet einen nothwendigen oder gebotenen und einen bloß 
angerathenen Zekat (zekat wodjib und zekat sunnet). Der erſtere muß 
von jedem freigeborenen und volljährigen Modlem nad Maaßgabe ſeines 
Vermögens entrichtet werden. Der Ertrag dieſer Steuer füllt an Arme, 
als welche alle betrachtet werden, die nicht für ein Jahr die Mittel zum 
Lebensunterhalt befigen, an Schuldner, welche ihre Schulden ſchlechterdings 
nicht aus eigenen Mitteln bezahlen können, an Fremde, die ohne Subſiſtenz⸗ 
mittel find, an Unglaͤubige, welche den Gläubigen im Kriege beigeftanden. 
Dann wird der gebotene Zefat noch verwendet zum Loskauf von Sklaven, 
die von ihren Herren fchlecht behandelt werden, ferner zur Erbauung von 
Moicheen, Schulen, Grabmälern, Brüden, Brunnen und zur Einridtung 
anderer gemeinnüßiger Unftalten. Die Verwendung des bloß angerathenen 
Zekat ift natürlich der Willkür des Einzelnen überlaffen 2). 


85) Tornauw, d. moslem. Recht, S. 180. 
1) Ueber den Zefat vgl. die Koranſuren 2, 48, 50, 57. 





403 


5. 


Die Wallfahrt nach Mekka (el Heddj) ift eine gottesdienftliche Uebung, 
melde ter Koran (Sur. 22) jedem Moslem vorfchreibt. Jeder Gläubige 
joll, ftreng genommen, wenigftend einmal in feinem Leben die Kaabah, das 
Haus, weldyes Abraham zum Tempel des wahren und einigen Gottes erbaute, 
pilgernd betreten. Dieje Pflicht erfüllt zu Haben wird in der ganzen mo⸗ 
hammedaniſchen Welt als ein großes Verdienſt und Glück betrachtet und 
jeder von diefer Wallfahrt Zurüdgefehrte führt mit Stolz den Ehrennamen 
eined Hadſchi (Pilger). Indeſſen ift e8 bei den bedeutenden Koften und 
Opfern, welche mit diefer Reije verbunden find, ſchlechterdings unmöglich, 
dag alle Bekenner des Islam diefelbe unternehmen, und Mohammed felbft 
icheint dies bei Zeiten eingejeben zu haben. Wenigſtens werden auf münd«- 
liche Ausfprüdhe des Propheten die näheren Beflimmungen zurüdgeführt, 
welche in modlemifchen Gefeg betreffd der Wallfahrt nach Mekka gültig find. 
Demzufolge ift diefe nur Pflicht unter folgenden Bedingungen. Der Pilger 
muß perjönlich frei, d. h. Fein Sklave, volljährig, im vollen Beſitz der Ver⸗ 
ftandeöfräfte und der Gefundheit fein; er muß ferner die zur Reiſe nötbige 
Zeit haben und gewifje Garantien der Sicherheit des Weges, endlich fo viel 
Nermögen, daß e3 zu feinem Unterhalt auf der Meije und zur Subflftenz 
jeiner Bamilie während feiner Abwefenheit ausreiht. Man fieht, dieje Be⸗ 
flimmungen find dehnbar genug, um die Fahrt nach Mekka zu feinem abio- 
Iuten Müffen zu mahen!), Die auf der Wallfahrt zu beobachtenden 
rituellen und moralifchen Vorjchriften gehen ind Einzelnfte. Tracht, Reini⸗ 
gungen, Gebete, Ceremoniel, innere und äußere Lebensführung auf der 
Hins und Herfahrt und am Ziel der Pilgerjchaft ſelbſt, Alles ift dem Hadſchi 
aufs Genauefte vorgezeichhnet und es beftehen Die vornehmften Cultbräuche 
bei und in dem Heiligthum der Kaabah in Umgängen um daflelbe, im Her⸗ 
jagen gewiffer Gebetformeln, im Küſſen ded con Abraham beim Bau 
des Tempeld geweihten jchwarzen Steind, im Trinken aus dem Brunnen 
Zem⸗Zem und endlich im Darbringen eined Opfers (Kurban). in Theil 
des geopferten Kameeld, Stiered oder Schafes wird von den Pilgern 


1) Die Schüten laflen es zu, daß die Wallfahrt nach Meffa durch Stellvertreter 
um Lohn abgemacht wird, wie es ja auch bei den Katholifen Wallfahrer „im Tag: 
lohn“ gibt. 

26* 


404 


ſelbſt verzehrt, das Uebrige den Armen ausgetheilt?). Mit der Wall- 
jahrt nach Mekka wird die nach Medina zum Grab des Propheten verbun⸗ 


23) Ich halte es fuͤr angemeſſen, in dieſer und der folgenden Note von den in 
weiteren Kreiſen noch wenig bekannten zwei Hauptheiligthümern des Jolam eine aus 
Burdhardts Travels in Arabia und Burtons Pilgrimage to EI-Nedinah and Meccak 
ausgezogene Beichreibung zu geben. Burckhardt war Befannsfich der erfie Europäer, 
weicher die Kaabah, Yurton der erfte Europäer, welcher das Grab des Propheten fa. 
Burdharbis Schilderung der Kaabah ift im Nachſtehenden durch den Bericht Burtons 
berichtigt und ergänzt. Ich kürze übrigens beide Beichreibungen nach Möglichkeit. 

Die Kaabah fleht in einem von einer Mauer umfchlofienen länglichen Viereck, 
welches 257 Schritt in Me Länge und 210 Schritt in die Breite mißt. Diefer vffene 
Platz ift an der Oſtſeite von einer Säulenhalle umſchloſſen, deren Pfeiler in vierfacher 
Meihe Reben. Bon biefer Säulenhalle aus führen mehrere grpflaftente Wege nach ter 
Kaabah im Wittelyunft des Biereds. Das heilige Haus if ein länglichee maſſiver 
Bau, welcher 85 Fuß Länge, 45 Fuß Breite und 30—40 Fuß Hoͤhe hat. Das aus 
grauem Mekka⸗Geſtein aufgeführte Gebäude ficht auf einer 2 Fuß hehen Grundlage, 
und da fein Dach flach ift, fo gleicht es im der Berne einem voltfommenen Cubus. 
So, wie es jetzt lebt, wurde es im 3. 1629 umgebaut. Der einzige auf ter Nordfeite 
befindliche Eingang hat eine Thüre, welche ganz mit Silber überzogen und mit golde: 
nen Zierrathen verfehen ik. An der Südoflede der Kaabah, nahe ver Thüre, befindet 
fi der berühmte „Ichwarze Stein“ (Hedjar eleswed), über defien Urſprung eine Menge 
von Sagen umgeht, von denen bie meiften höchſt abgeichmadt find. Die gäng und 
gäbfte bringt diefen Stein, wie den Urfprung ter Kaabah Überhaupt, mit Abraham in 
Berbintung. Es if dieſer ſchwarze Stein ein unregelmaͤßiges Eirund von etwa 
7 Zoll Durchmeſſer mit einer wellenförmigen Oberfläche, welche aber durch die Millio⸗ 
nen Berührungen und Küfle abgenügt if. Bin maffiver Bogen von Gold biltet die 
Einfafiung des Steines. Auf der Nordfeite der Kaabah, hart an ter Mauer und 
gerade neben der Thüre, Befindet fi im Boden eine mit Marmor leicht bekleidete Hoͤh⸗ 
lung, groß genug, um drei Perfonen Raum zum Eigen zu laffen. Hier zu beten wird 
für fehr verdienfttich gehalten, denn diefe Höhlung foll der Ort fein, wo Abraham mit 
feinem Sohne Jömael den Kalk und Thon netete, defien fie zur Erbauung der Kaabah 
benöthigt waren. Auf ber Nordweſtſeite der Kaabah if Die berühmte goldene Waller: 
rößre, durch welche Das auf dem Dach des Gebäudes gefammelte Negenwafler ber: 
unterfirömt und zwar auf ein fehr ſchoͤnes Mofaikpflafter. An diefem Plab, behauptet 
die moslemifche Legende, liegen Ismayl, der Sohn Ibrahims (Abrahams) und feine 
Mutter Hadjirah (Hagar) begraben. Rund um die Raabah fäuft der fogenannte 
GL Mataf, d. i. der Blag des Herummwandelnd, ein, mit grauem, vom den Füßen der 
Gläubigen wie Glas polirtem Granit gepflaftertes Eirund, umgeben von zweiunt: 
dreißig fchlanfen vergoldeten Pfeilern, zwifchen welchen je fieben Glaslampen hängen, 
die nah Sonnenuntergang angezündet werden. Unter ven fapeflmartigen Gebaͤuden, 
welche innerhalb der Mingmauer der Kaabah Reben, nimmt nach dieſer felbfi an Heilig⸗ 
keit den erfien Rang ter Makam ein, welcher den Brunnen Zem⸗Zem umfchliegt. 


803 


den 2). Ein dritter außerordentlich heiliger Ort ift die Moſchee Masjid⸗el⸗ 
Aska in Ferufalem, ein vierter die Aa Sofla zu Konflantinopel, ans einer 


Diefe Kapelle Hat eine viereckige Geftalt und der Cingang öffnet ih nach Süpdoft. 
Dee Raum, weicher den Brunnen enthält, if mit Darmoren von verſchiedener Farbe 
verziert. Die Mündung des Brunnens felbft ift von einer fünf Fuß hohen und etwa 
zehn Fuß im Durchmeſſer haltenden Mauer umgeben. Auf diefe fiellen füch die Leute, 
weiche das Waſſer in ledernen Bimern heraufjichen. Das Waller aus dem Brunnen 
Zem⸗Zem ift von falzig bitteren Geſchmack und verurfacht keit Diarrhde. Es wird, 
zum Trinken und zu Abwalchungen gebraucht, in hoher Berehrung gehalten, obgleich 
Burton feinen Gläubigen davon trinfen ſah, ohne daß der Trinfende ein fehr fchiefes 
Geficht dazu machte. Das Wort Zem⸗Zem felbft ift zweifelhaften Urfprungs, indem 
ed Binige ableiten von Zam-Zam oder Murmeln des Waflers, Andere von Zam! Zam! 
(Fülle! Fülle! nämlich die Ylafche), dem Ausrufe Hagars, als fie den Duell zuerſt 
erblickte. Dem mittleren Teil der Fronte der Kaabah zugemantt, fteht der Mambar, 
d. i. Die Kanzel der Moſchee, aus feinem weißem Marmor gearbeitet. Bine ſchmale 
Treppe führt zu der Stelle des Chatyb (Predigers uber welcher fi ein vergoldeter 
obelisfartiger Spigthurm erhebt. Hier wird an Kreitagen und an gewiſſen Feſten den 
Pilgern gepredigt. u ” 

3) Die Stadt Metina, von den Arabern Wedinetsel:Rabi, d. i. Stadt des Pro⸗ 
pheten genannt, liegt auf einer großen Hochebene Mittelarabiens, in einer 12 (engl.) 
Meilen ringsumher heiligen Gegend, welche eine Menge von Heiligthümern, Mofcheen, 
Kapellen, Brunnen, Grabmälern u. f. w. enthält. Intereſſant ift in der hübſchge⸗ 
bauten Stadt mit etwa 16,000 Einwohnern das bunte Gemifch der Vevoͤlkerung, 
welde aus Hier zurücdgebliebenen Pilgern aller muelemifchen Racen befteht und von 
ber Kübrung, Bewirthung und Anbettelung der Pilger lebt. Das Intereflantefte der : 
Statt jedoch ift die von ferne golden bligende Moſchee, in welcher die Geheine Mos: 
hammeds ruhen und welche daher Masjidsel-Nabawi heißt. Sie bildet ein längliches, 
von vier größeren und zwei Feineren Minarets überragtes Viereck. Burton fagt, ee 
fei beim Herantreten an das hochheilige Gebäude ſehr entiäufcht worden. Der Weg 
zu demfelben fei von gemeinen Baraden und Buben eingeengt, und je näher er die 
Moſchee felbit angeſehen habe, deſto mehr fei fie ihm wie ein ungeheurer Raritäten: 
laden vorgelonnmen, vollgepropft mit barbarifcher Zierrath und überladen mit ärmlichem 
Schmuck. 6 gelang dem fühnen Englänter, in der Geſtalt eines andäctigen Pils 
gers tie heiligen Raͤumlichkeiten genau zu betrachten. Die eigentliche Moſchee Heißt 
Haram. Außerdem find nody merfwürdig die Quelle, der Garten und der Redner⸗ 
Ruhl des Propheten, Sowie das Kenfter, zu welchem der Engel Gabriel hereinflog, 
wenn er die himmlifchen Botfchaften an Mohammed beftellte. Mohammed ift be⸗ 
kanntlih an dem Ort, wo er flaxb, d. i. in dem Zimmer feiner Frau Aiſcha, bes: 
graben worden. Diefer Raum nun bildet in dem ſüdweſilichen Winfel der Mofchee 
ein großes unregelmäßiges Biere, welches nad) allen Seiten durch eine breite PBaflage 
von der Mofchee felbft geichieden it. Im biefem Viereck befindet ich das Maufoleum, 
eingefchlofen von einem doppelten Bifengitter, innerhalb beflen ber Vorhang Herabs 


406 


chriſtlichen Baſtlika in eine türktfche Moichee verwandelt, unter deren Kuppel 
der moßlemifchen Legende zufolge der Prophet Elias dereinft feine Antacht 


hängt, welcher die Gräber Mohammeds und ber beiden erften. Ehalifen, Abubefr und 
Dmar, verhüllt. Gin auf tem Vorhang angebrachter Rofenfranz von Perlen mit 
einem Stern in der Mitte bezeichnet das Grab des Propheten. Den Stern nennen 
die Moslim das „Juwel unter den Juwelen des Paradieſes.“ Burton dagegen 
meint, das Ding fehe ganz fo-äls, wie der Stöpfel zu einer gewöhnlichen Wafler: 
flaſche. Ueber Grab und Sarg des Propheten gibt es verichiedene Lesarten. Der 
einen zufolge beftcht der Sarg aus einem fchwarzen Marmorblod, nach einer andern 
liegt Mohammed tief in der Erde in einem mit Silber befchlagenen Sarge von Eben⸗ 
holz, eine dritte läßt den Leichnam des Propheten fammt feinem eifernen Sarge bireft 
in den Himmel gefahren fein. In Wahrheit ſcheint etwas Beſtimmtes hierüber Nies 
mand zu wiflen; denn fo oft der Borhang erneuert werden muß, nimmt man dazu Die 
Nacht und zu Arbeitern gläubigfte der Gläubigen, welche um feinen Preis der Melt 
Sarg oder Grab felbft anzubliden wagen würden. Auch Burton Fonnte dem Allers 
heiligften, d. 5. dem Sarge des Propheten, nicht ganz nahe treten, wie Dies überhaupt 
Jedermann firengfiens unterfagt it. Das Heiligihum ift mit geblümten Tapeten belegt, 
mit grünen Ziegeln gedeckt, mit fellfamen Arabesfen bemalt und Nachts mit Kante 


. Iabern von geichnittenem Glas erleuchtet. Burton fagt, bei Tage habe das Ganze 


ziemlih ärmlicd und ſchmutzig ausgeſehen, bei nächtlicher Beleuchtung aber habe es 
ganz den Eindeud einer wunderlichen Theaterbeforation gemacht. — Burton fah wähs 
rend feines Aufenthalts in Medina auch die große alljährlich von Damaskus her foms 
mende Pilgerfaravane in der heiligen Stadt anlangen. Es geſchah dies während der 
Nacht und der folgende Morgen, erzählt Burton, beftralte eine ganz neue, über Nacht 
wie aus ber Erde hervorgezauberte Welt. Bwilchen den Häufern von Medina war 
eine große Stadt von Zelten emporgewachfen, wie Baläfte mit Harems, Küchen und 
Ställen, mit vergeldeten Sinnen und koflbaren Shawigebängen, mit Bavillons, Be⸗ 
ſuchs⸗ und Schlafzimmern; weiße, graue, grüne Zelte als Brivatwohnungen oder als 
Buben, aus denen Tabak, Frucht: und Spezereihändier fchrieen. Dazwiſchen ragten 
große weiße, fyrifche Dromebare empor, an deren Hödern braune Beduinen Flebten, 
ferner Arnauten, Türken und feuerblickende kurdiſche Reiter in ihren malerischen Trach⸗ 
ten, perfifche PBilgrime, vor Ermüdung in Ohnmacht fallend, rufende Scherbetvers 
fäufer, fromme Hadſchi's, einander’ floßend und rämpelnd, fo daß bald hier bald dort 
einer unter die Fuͤße der Kameele oder unter die Seile der Zelte putzelte, Ranonens 
donner von der Bitadelle, lautes Gefreifch von Frauen und Mädchen in dichtverfchlofs 
ſenen Sänften, dus denen fie doch ganz frei herausfollerten, wenn bie Träger über die 
Stride und Pflöde der Zelte fielen; weiterhin eine kuͤhn daher reitende Gruppe ara⸗ 
biſcher Scheils, den Arzah (Kriegstanz) aufführen, im Tanze ihre Gewehre losfenernd, 
Schwerter ſchwingend und ſich dazu in wahnfinnigen Sprüngen windend und drehend, 
fo daß die hellfarbigen Lumpen ihrer Anzüge luftig im Winde flattern, mit ihren unge- 
heuren Speeren ftoßend und fuchtelnd’oder diefelben Hoch in die Luft werfend, unbe: 


& 





407 


verrichtet hat, — und außerdem gibt e8 in allen dem Islam zugewandten Län⸗ 
dern noch eine Menge von Wallfahrtöflätten, häuflg die Grabmäler berühm⸗ 
ter Heiliger, Glaubenskaͤmpfer, Geſetzlehrer, frommer Dichter. 


6. 


Gottesdienftlihe Pflichten der Moslim find ferner: 1) der Krieg 
gegen die Ungläubigen; 2) die Reinigungen; 3) die Be 
ſchneidung. — „Befämpfet fie (die Ungläubigen), bis alle Verſuchung 
(zum Gögendienft) aufhört und die Religion Allah's allgemein verbreitet iſt“! 
befiehlt der Koran t) und wiederholt fchärft er den Djehod, d. i. den Krieg 
gegen die Ungläubigen, d. i. gegen alle Nichtmoslim, ein 2). Die näheren Be» 
flimmungen des Glaubenskrieges find, daß er unternommen werden foll gegen 
alle Ungläubigen, welche ſich der moslemiſchen Botmäßigkeit nicht unterwerfen 
wollen; ferner gegen foldye Ungläubige, weldye, unter moslemiſcher Herrfchaft 
lebend, den Gehorfam und die Steuerzahlung verweigern ; endlich gegen Mo8«- 
lim felber, wenn fie fidy gegen die Imame auflehnen. &8 ift alfo zweifellos, 
daß die Verbreitung des Islam vermittelft des Schwertes für ein verdienftliches 
Merk galt und daß, wie ſchon weiter oben berührt wurde, Mohammed felbft 
von feinen früheren toleranten Anftchten zu gewaltfamen überging. So 
lange die jugendliche Erpanflufraft des Islam währte — und fie währte 
Jahrhunderte hindurch — vollbrachte er vermittelft des Djehod gewaltige 
Eroberungswunder, aber gerade dieſes rein äußerliche Verbreitungsmittel 
zog den inneren Wurmfraß der moslemiſchen Welt groß. So iſt dem 
Rauſch jugendlichen Fanatismus greifenhafte Erftarrung auf dem Fuße ge= 
folgt. Sowie der Islam aufhörte, zu erobern, war im Grunde feine welt 
gefchichtliche Rolle ausgeipielt. — Der gotteddienftliche Act der Reinigung 
(Tehoret) ift offenbar nur die religiöfe Weihe gefundheitpoltzeilicher Vor⸗ 


fümmert wo und auf wen fie berunterfallen — und zwifchen all tiefem bunten Ge: 
wimmel und Getöfe da und bort ein wanfendes, zulammenbrecdentes, zerlumptes 
Menichenbild, leiſe betend und mit hohlen Augen umberblidend nad einem ruhigen 
Winkel, um dafelbft, auf heiligem Boden, das lebte und höchſte Ziel zu erreichen, 
ten Tod, 

1) Sura 8, B. 39. In derfelben Sura läßt Mohammed Allah zu den Engeln 
fagen: „Ich bin mit euch, ftärfet daher die Gläubigen; aber in die Herzen der Uns 
gläubigen will ich Furcht bringen. Darum hauet ihnen die Köpfe ab und hauet ihnen 
ab alle Enten ihrer Finger. Cs gefchieht dies deßhalb, weil fle Gott und feinem Ge: 
fandten widerſtrebten.“ 

2) Sur. 9. Sur. 49. 


208 


ſchriften ). Der Moslem muß ſich reinigen (wachen) vor der Verrichtung 
des Bebeted, vor Antritt der Wallfahrt, vor der Berührung bed Koran, 
nad dem Beiſchlaf, nad Verrichtung der Nothdurft, nach dem Samenergußñ 
im Schlafe, nach Berührung noch nicht erkalteter Leichname, nah Waſchung 
von Leichnamen. Ebenſo die moslemiſche Frau nah dem Beiſchlaf, nach 
der Menſtruation, nach dem Gebaͤren. — Wie bei dieſen Reinigungen, iſt 
auch bei dem Gebot der Beſchneidung der Knaben, welche meiſt vom achten 
bis zum zehnten Lebensjahr vorgenommen wird, das ſanitariſche Moment 
vorwiegend. Die Opferidee, welche der jüdiſchen Beſchneidung zu Grunde 
lag, iſt bei der moslemiſchen ganz in den Hintergrund getreten. 


7. 


Eine geſchloſſene Prieſterkaſte kennt der Jolam nicht, ja nicht einmal 
ein Prieſterthum, ſofern dieſes auf einer eigenen Weihung beruht. E 
bedarf keiner ſolchen, um zu den geiſtlichen Verrichtungen zugelaſſen zu wer⸗ 
den, und dieſe find eben auch nur ein Beruf, wie ein anderer. Das mos— 
lemiſche Dogma anerkennt Feinen heiligen Geift und weiß daher auch von 
feinem möyftiichen Fortpflanzen deffelben vermittelft der Priefterweihe. Mo⸗ 
hammed hat allerdings eine Theofratie geftiftet, infofern die höchſte geiftliche 
und weltliche Macht bei feinen Stellvertretern, den Chalifen, war. Allein 
das Papſtthum oder, wenn man will, der Rafaropapismus des Chalifats 
hat befanntlich Feine dauernde Herrſchaft über die moslemifche Welt ſich zu 
erhalten gewußt. Wir Fommen im zweitnächſten Kapitel auf diefen Punkt 
zurüd und jagen bier nur, daß von der politifchen Zertheilung ded Mohanı= 
medanerthums aud die religiöfe Oberhauptöfrage abhängig wurde. Die 
große Mehrzahl der Sunniten verehrt in dem türfifhen Sultan (Padiſchah) 
den den Ehalifen, das Oberhaupt des Glaubend und den Stellvertreter des 
Propheten. Do if den Sunniten von Bez und Maroffo nicht der tür⸗ 
fifche,, fondern ihr eigener Sultan Glaubensoberhaupt, während bei den 
Beduinenſtämmen der arabifchen, fyrifchen und afrifanifchen Wüften die Anne 
erfennung eined ſolchen Oberhauptes, wenn überhaupt vorhanden, nur eine 
nominelle iſt. Die Schiiten betrachten den Schah von Perſien ald Inhaber 
des Chalifats. — gIm türftfchen Reiche gibt es eine Art Hierarchie, doch iſt 
bie Gliederung derfelben eine ziemlich kofe. Das Organ, vermittrift deffen 


3) Ueber das Gebot der Reinigung f. Kor. Sur. 4, B, AG; Sur. 8, V. 8—9. 








109 


ber Sultan die geiſtliche Sette.feines Machtnollkommenheit Ferhätigt, IR der 
Großmufti, gewöhnlicher Scheich hl Islam (Heltefter Ted laubent 
genannt), welchen man mit Unwenbung eines abendlaändiſchen Begriffes Cult⸗ 
miniſter titulieen Tann, Er tft Präſident der Verſiammlung der Ulema, zu 
welcher, Rreng genommen, alle zur @eiftlichkeit und Gerichtapflege gehören⸗ 
den Perſonen zählen, Die aber allınälig Die Stellung eines kleineren Colle⸗ 
giums, einer Urt von Oberconfiftorium, eingensmmen bat, unter welchem 
die Beiftlichen und Kischendiener höheren und niederen Ranges (Imame, 
Khatibs, Sänger, Vorleier, Gebetausrufer u. I. w.) Raben, ſowie bie hack 
Anleitung des Koran Recht fyrechenden Nichter (Radis), — Die Mönderei] 
bat der Prophet nicht befohlen, ſondern cher quadrücklich verworfen). ! 
Dennoch Hat der Islam jeine Mönche, Derwiſche („ Armt .), welche bis 
drei @elübbe ber Armuth, des Geharfams und Kry Keußbbeit ablegen und 
theils ald wandernde Bettler (Fakire), teils unter der Zeitung von 
Scheicha in Changahs oder Tekies (Klöſtern) leben, welche meift reich dotirt 
find. Schon die erſten Chalifen ſollen, wie mönchiſche Legenden woellen, 
Derwiſchvereine geſtiftet haben; geſchichtlich aber ſteht, unſeres Wiſſens, wur 
feſt, daß erſt im 3. Jahrhundert der moslemiſchen Zeitrechnung die Möncherei 
im Islam auffem, Bon da ab vermehrten ſich die moslemiſchen Mönchs⸗ 
orden raſch und ihre Geſchichte ift im Guten und Schlimmen fo ziemlid die 
der hrifkligen. Auch Heilige Asketen (Santons) und Einſtedler (Ma- 
rabuts) bat ter Islam. Sie fiehen bei ber Menge in großem Anſehen 
und ihre Gräber werden oft zu Wallfohriöflätten. Natürlich iſt mit dem 
Mönhsweien auch eine legendarifche Literatur großgeworden, die an Wun⸗ 
berbarfeit der chriſtlichen Nichts nachaibt. 


8. 


In den Blüthezeiten der moslemifchen Macht und Cultur bat ſich im 
Morgenland und Abendland (Spanien) die arabifche Architektur in Ers 


bauung graudioſer und zierlicher Moſcheen (Medschid) kunſtreich ſehen Jaſſen. 


Immerhin aber entſprachen und entſprechen dieſe Tempel mit ihren anmuthig 
geſchwungenen Kuppeln und ſchlanken Minarets dem ſtreng monotheiſtiſchen, 
allem Mythologiſchen todfeindlichen Gottesbegriff des ISlam. Nie wurden 
und werden im Innern Gemälde oder Statuen geduldet; Koranverſe in zier⸗ 


4) Sura 3, Gura 87. 








wei 


410 


licher Goldſchrift waren und find der einzige Schmud ber nadten Wände. 
Eine Kanzel für den Borlefer oder Prediger und Fußteppiche für die knieen⸗ 
ben Antächtigen find die einzigen Geräthfchaften. Im Borhofe der Moſchee 


: fehlt nie der Springgquell, damit die gefegliche Reinigung vor dem Gebet 


verrichtet werden fann. — GEbenſo einfach wie das Innere der Moicheen ift 
der Borteödienft in denfelben. Wenn er nicht ein privatlicher, d. h. Das 
Gebet Einzelner iR, fo befteht er in dem Bortrag von Abſchnitten aus dem 
Koran dur den fungirenden Imam, welcher mitunter ter Vorlefung mora= 
liſche Erörterungen und Ermahnungen beifügtl. So beionderd am Frei⸗ 
tag, dem Sabbath der Moslim, welder der „Tag der Berfammfung “ 


heißt, übrigens keineswegs fo fireng gefeiert wird wie der jüdtiche oter auch 


nur mie der Sonntag der Chriften. — Der Islam hat auch feine heiligen 
Seiten und_religiöjen Feſte. Unter den erſten find befonders zu erwähnen 
die drei heiligen. Nächte, in welchen der Prophet empfangen, geboren und _in 
den Himmel erhöht worden; unter biefen das Feſt des kleinen Beiram, 
am Ende des Ramadan, der vier Tage lang währende modlemifche Carneval 
mit feinen raufchenten Luſtbarkeiten, und der große oder Kurban Beiram 
(Opferfeft) während des Pilgermonats. Bei Gelegenheit dieſes Feſtese, 
welches ; zum "Andenfen an die beabfichtigte Opferung Iſaaks durch Abraham 
gefeiert wird, werben eine Maſſe Rinter, Schafe und Ziegen geichlachtet, 
deren Fleiſch man an die Armen vertheilt. Uebrigens richtet fi Die Wie- 
derfehr diefer Feſte nach dem orientaliichen Mondjahr, und da dieſes gegen 
das Sonnenjahr zu furz ift, jo fallen dabei jene finnigen Beziehungen der 
Feſte anderer Religionen zum Naturleben ganz weg. Raſtloſes Losbrennen 
von Echießgewehren aller Art, Beuerwerfe und buntefte Beleuchtung- ver 
Mofcheen und Minarets find unerläßliche Bedingungen moslemiſchen Feſt⸗ 
jubels. Eine vorragende religiöſe Geremonie bei diefen Feſten ift das 
„Bifr“, d. i. die Erwähnung des Namens Gottes 1). — Endlih erwähnen 


— — — —— - 


4) Abeken (a. a. O. 24) beſchreibt als Augenzeuge das Zikr fo: — Da ſtellen fid 
eine groͤßere oder geringere Anzahl Menſchen, Derwiſche oder auch einfache Laien, in 
einen Kreis, bald ſich bei den Haͤnden faſſend, bald vereinzelt; und waͤhrend zu dem 
Klange eintoͤniger Muff Sänger, wie fle ſonſt auch bloß zur Unterhaltung des Volkes 
dienen, religiöfe Hyınnen und Liebeslieder voll finnlicher Glut in den Worten und 
myflifcher Bedeutung im Einne abfingen, reeitirt der Kreis bald die Glaubensformel 
des Islam: Es ift fein Gott außer Bott und Mohammed if der Geſandte Gottes! 
bald, weil auch diefe Worte noch zuviel find für den inneren Ueberſchwang, den ein: 


| 
| 
| 


411. 


wir Hier noch, daß ber Jolam vom Meliquiendienft keineswegs ganz frei iſt. 
Mantel, Bart und Fahne des Vropketen werden nämlich ale Heiligthümer 
aufbewahrt und mit größter Wachſamkeit vor profanen Blicken gehuͤtet. 
Alljaͤhrlich am 15. Tag des Ramadan bezeugt der Sultan dieſen Reliquien 
feine Ehrfurdt. Außerdem iſt es religiöfer Brauch, bei großer Kriegsnoth 
die heilige Fahne öffentlich auszuhängen, und ſtets noch hat der Anblid der⸗ 
felben feine fanatiftrende Wirkung auf die moslemiſche Volksmenge geübt. 
Soweit freilich find Die Moslim im NHeliquiendienft nie gefommen, daß fie, 
wie die Chriften thaten, das angebliche Praputiun ihres Propheten und die 
angebliche Milch feiner Mutter abgöttifch verehrt hätten. 


Fünftes Kapitel. 


Die moslemiſche Sitten- und Rechtölehre. 


1. 


Wenn man die arabifche Breude am Yabuliren bedenkt und die heiß⸗ 
blütige Maͤrchenphantaſtik vieler Stellen im Koran , insbefontere die Schil⸗ 
derungen von Paradied und Hölle, ind Auge faßt, fo dürfte ed parabor 
flingen, wenn wir lagen, der Islam jei die nüchternfte aller Religionen. 
Eine nähere Betrachtung dieſes religidien Syſtems wird freilich den gethanen 
Ausfpruch rechtfertigen. Denn wirklich der Jslam iſt, ob auch einzelne 
feiner Dogmen mit dem ganzen Bauber phantaftevoller Arabeskenmalerei 
umgeben feien, in feinem Kern und Weſen profatfch, vorwiegend praktiſch 
und auf praftifche Ziele gerichtet. Da iſt feine Spur von jenem poetifchen 


fachen Namen Gottes: Allah! Allah! immer wiederholend, unter wechſelnden Bies 
gungen und Stredungen, Lie, wie Lie innere Aufregung ſich gewaltfam fleigert, oft zu 
epileptifchen Zufällen werden und den Cindruck einer dämonifchen Raferei machen, in 
welcher der Name Gottes kaum noch verftändlich, faft wie eine Blasphemie, aus dem 
halberſtickten Gemurmel der heiferen Kehlen heraustönt und ten Hörer mit Enifeßen 
erfüllt. Diefe Begeifterten find wie an eine höhere Macht dahingegeben,, fie wähnen 
fich gleihfam von dem Namen Gottes in Befiß genommen und beherrfcht. Am allges 
meinften ift die Theilnahme an diefen Zikrs wohl in den Ländern arabifcher Zunge, 
während fie in der Türkei fih mehr auf die Derwilche zu befchränfen ſcheint. 


418 


Hau und Duft, welcher auf wealshriligen Masurrefigionen Legt und Deflen 
das Chriſtenthum fo viel aus dem Heidenthum herübergenemmen bat. Eine 
echte Zeugung des zeflestivenden Verſtandes, ſpraug der Zlam aus dem 
Saupte des großen Mannes vom Stamme Koreiſch, der, weil er wußte, 
daß das Rüchtern⸗Rationale der Menge vermittelſt bunter Rhetorik einge⸗ 
ſchaeichelt werden muß, die berübrten Arabedken um feine Lehrſätze ſchlang, 
rhetoriſche Blumenguirlanden. Es iſt von Vedeutung, daß Mohammed ent- 
ſchieden und zu wiederholten Malen erklärte, er ſei kein Dichter und wolle 
beiner fein. Sein Werk war im der That vorwiegend Verſtandeswerk. Daher 
:die kahle Broia des mosiemiigen Eultus, der Mangel des Zufammenhauss | 
mit dem Naturleben, die Abweſenheit aller Naturſymbolik. Erſt ta, wo der 
Ilam mit den religiöfen Anfchauungen eines Volkes arifcher Abkunft in 
Wechſelbeziehung tritt, erft in Perſien fommt, wie wir im folgenden Kapitel 
fehen werden, in feine theiftifche Starrheit ein beieelend pantheiftifcher 
Hauch. In feiner Urfprüngficgkeit und Reinheit verrieth der Islam nicht 
die geringfte Neigung zu philofophiicher Speculation. Beftimmt und bes 
feblshaberi wie fen Symbolum trat er vor die Völker mit den Worten: 
Glaubt mich und befolgt meine Borfchriften! Das reicht aus für dieſes und 
jenes Leben. — Es ift auch wahr, der Koran hat fürforglich das Dieffeits 
and Jenſeits in den Kreis feiner Lehren gezogen und dad Daftin des Mos—⸗ 
tem in einer Weiſe geregelt, die einem gläubigen Gemüth vellfommen genü- 
gen kann. Mit leichter Mühe lieh ſich deßhalb auf koraniſcher Grundlage 
ein vollſtaͤndiges Gebäude moskemiſcher Sitten» und Rechtslehre aufführen, 
das wir im Folgenden wenigflens in feinen Haupttheilen muftern wollen, 
indem wir aus dem PBoltzeigefeg, aus dem Bürgerlichen Recht umd aus dem 
Gtrafrecht die wichtigften Beſtimmungen anführen. 


2. 


In den Bereich der Geſundheitspolizei fällt die Adoption des mofai- 
ſchen Verbote, Schweinefleiſch zu effen, da dieſe fette Speife in heißen 
Klimaten leicht Krankheiten veraulaffe. Aus dem gleichen Srunde ift auf 
ber Genuß des Fleiſches Erepirter Thiere umterfagt. Mitualer Natur da 
gegen ifl dad Verbot, dat Fleiſch von Thieren zu effen, bei deren Schlad- 
tung die Nennung des Namens Allah's unterlaffen worden. Ethiſche Bes 
deutung hat die Unterfagung des Trinfens von Wein, an welche fich freilich 
bie „Aufgefläten* unter den Moslim zu Feiner Zeit fehr gekehrt Haben, 





418 


Als Belofmuing vieſſritiger Enthaltſumkleit von Geramfchenten Gerraͤnken wird 
ben Soligen im Jenfeits das Kredenzen einer Art von Wein in Kunst 
geſtellt, welchen nicht berauſcht. Mit dem Verbot des Weins Mt ang 


verbunden das ber Glückoſpiele um der aberglaͤnbiſchen Rontbefengung und 
Zeichendeuiung 1). 


3. 


Auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechtes find zumächfl Die Ehrgefege 
vorragend. Hier tft aber bie wunde Stelle des Islam. Geb es, daß Mo- 
Hammeb Aberhaupt ſich fcheute, der tiefeingewurzelten orientaliſchen Gewohn⸗ 
beit der Bielweiberei entgegenzutreten, fei ed, daß fein perſönlicher Wollufl- 
bang ibm die Gefahr eines folchen Verſuchs in vergrößerten Muaßſtab erſchei⸗ 
nen ließ, genug, er konnte fih zu tem reinen Begriff dee Ehe, zur 
Menegamie nicht erheben. Mit Geflattung der Polygamie waren alle bie 
unberechenbaren fittlicden Schäven janetionirt, welche in feßer Geſellſchaft 
wuchern, wo die fefte Grundlage aller Kultur, die Heiligkelt der Familie, in 
polygamiſche Zerfahrenheit ſich auflöſt. Trotzdem muß zugeflanden werben, 
daß durch die Beitimmungen ded Koran über die ohelidten Berhältniffe die 
Stellung der Frauen im Orlent wenigftend einige Verbeſſerung schiekt, 
indem der maßlofen Willkür des Mißbrauchs der Frau von Selten bed 
Mannes doch einige Schranken gefrgt wurden — Die moslemiſche Ehe if 
ein Vertrag, welder bie eheliche Beiwohnung zum Bwede bat. Es wurd 
unterfthieden 1) die beſtaͤndige Ehe, 2) die geltweilige Ehe (meldde übrigens 
nur bei den Schiiten Geltung hat) und 3) die Ehe mir Sklavinnen. Im 
Allgemeinen gilt die Borfchrift, dab der Moclem vier rechtmäßige Frauen 
haben dürfe („befländige @de*) und außerdem Sklavinnen zu Beiichläferie- 
nen nad Luft und Vermögen („zeitiweilige Ehe") Hat ihm aber eine Dex 
legtern ein Kind gebowen, fo darf er fie weder verkaufen noch verſtoßen, es 
fei denn, daß fle des Ehebruch8 überwieien würde. Bei Eingehung der Ehe 
muß die Braut von guter Herkunft (d. h. nicht unehelich geboren) und von 


4) ©. beſ. Kor. Sur. 2, 5, 6. In Betreff des zuletzt erwähnten Verdores heißt 
es in der 5. Sura nachdrücktich: — O ihr Gläubigen, wahrlich ver Wein, das Spiel 
nnd Looswerfen iR verabfchenungemiärbig und ein Werk tus Gatans; vermwihe fie, 
auf daß es euch twohlergehe. Durch Wein und Spiel will der Satan nur Feindfſchaft 
und Haß unter euch Miften ımd euch vom Denen an Con und von der Verrichtung 
bes Gebeis abbringen. 


44 


tadellofem Wandel, ferner mannbar und jungfeäulih fein (d. h. falls bie 
Ehe nicht mit einer Wittwe oder einer geſchiedenen Frau geſchloſſen wird). 
Nicht nur die Zuſtimmung bed Vaters oder des ſtellvertretenden Verwandten, 
fondern aud die der Braut muß eingeholt werden. Die befläntige Ehe it 
dem Moslem nur mit moslemifchen Frauen, die zeitweilige auch mit hrife 
lichen und jüdiihen gefattet 1). Ehehinderniſſe find insbefondere nahe 
Blutöverwandtidaft, Verwandtihaft dur die Amme, Schwäͤgerſchaft, 
Schonvorhandenſein der geieglichen vier Brauen, Nichtbefig der Geiſteskraͤfit 
und gewifle körperliche Mängel, die dem Bwed ber ehelichen Verbindung 
widerfpredgen. Der Koran geht biebei in fehr fpeziell phyñologiſche Vor ⸗ 
ſchrifien ein und regelt auch das eheliche Leben bis ind Einzelnfle. Den 
Brauen insbejondere wird, ein fittfames, zuͤchtiges und ſchamhaftes Betragen 
nahdrudiam eingejhärft: nie follen fie fi völlig nadt erbliden laſſen, ſelbſt 
von ihrem Gatten nicht, nie Gefiht und Bufen einem fremden Wanne ent 
blößt zeigen und alle Bewegungen und @eberden vermeiden, weldye ihre ver- 
borgenen Reize enthüllen fönnten 2). Der Abſchluß der Ehe erhält durch 
Verrichtung religiöjer Bräude, namentlich durch Reinigungen und @ebktt, 
die religiöfe Weihe. Unerläßlicy if ed, dag Bräutigam und Braut, wenn 
fie ſich zur erfien Umarmung anıhiden, auerufen: Bismallah, d. i. im Re 


men Gotteö! ein Ausruf, den der wahre Modlem überhaupt von der Wirge | 


bis zum Grabe myriadenhaft gebraudt und ohne den er weder das Bröfte 
noch das Kleinfte vornimmt. Hat der Moslem nur eine Brau, fo ie 
verpflichtet, je die vierte Nacht bei ihr zugubringen ; hat er vier Frauen, jo 
muß er bei jeder derjelben von vier Nächten eine zubringen. _ Die Frau 
fann jedoch den Mann von diejer Verpflichtung entbinden oder auch die ihr 
gehörige Nacht einer Mirfrau abtreten. Streng geboten ift hinſichtlich du 
Leiſtung der ehelichen Pflicht von Seiten des Mannes, daß er mit feiner 
rechtmaͤßigen Frau oder mit jeder feiner rechtmäßigen alle vier Monate ein 





AM Die 8. Sara Ratwirt gar feinen Unterfchied zwiſchen der @he mit moslemiſcha 
Frauen. Es heißt da: — Auch iſt es eudy erlaubt, m 
big find, und auch freie Frauen von Denen, welde die 
Guden und Chriſten), wenn ihr ihnen ihre Morgen 
em lebet und fie nicht zu Epebrecherinnen und Beifchläie 


eiblicher Wohlanfändigfeit. legt ausführlich dar dk 


415 


Mal den Beifhlaf vollziehe.. Ausdrüdlic wird befohlen, vor jeder ehelichen 
Beimohnung die Seele zu weihen (durch Gebet oder Almojen 3)). Der 
anın muß der Braut eine Morgengabe geben — offenbar eine Milderung 
Des alten Weiberfaufeds — und hat vor Entrichtung derfelben Fein Recht 
auf Die ebeliche Zärtlichkeit der Frau. Der Gatte ift verpflichtet, die Oattin 
zu ernähren unt ihr Wohnung und Kleidung zu geben. Er darf fie nicht 
Ihlagen. Er hat dagegen das Nutnießungsredht an dem ganzen Vermögen 
Der Frau und dieje darf ohne feine Einwilligung feine Berbindtichfeit ein- 
chen, feinen Vertrag abfchliegen. Im Ganzen blickt aus den moslemiſchen 
Ehevorſchriften, ſo weiten Spielraum fie dem Naturtrieb laſſen, doch das 
Beſtreben hervor, Maßloſigkeiten zu verhüten. Gegen die Hurerei hat der 
Prophet mit ſehr ſtrengen Worten geeifert?). Er ließ es ſich, wie der Koran 
bezeugt, auch angelegen fein, das Loos der Frauen möglichft ficher zu ftellen. 
Zwar heißt e8 in der 2. Sura V. 320 ganz nad) moſaiſchem Vorgange: 
oe Die Männer follen der Weiber Herren fein“! Doc zugleich auch, nadıdem 
den Frauen Pflichterfüllung eingefchärft worden: „Die Männer müſſen ſich 
gegen die Weiber nad Gerechtigfeit bezeigen*. Die Eheicyeidung iſt zwar 
zunähft ganz der Willfür des Mannes anheimgegeben, indeſſen hat das mos⸗ 
Lenrijce Recht diefe Willfür doch fo fehr mit Elaufeln eingehegt, daß bie 
Braun fo ziemlih vor Unbilligfeit geihügt if. Bei einer Scheidung muß 
Der Dann der geichiedenen Brau ihr beigebrachtes Vermögen herauägeben 
/ Sit Re kann ſich, nach Ablauf einer gewiſſen Friſt, wieder verheiraten. 
Her Fender aus der getrennten Ehe vorhanden, fo bleiben nad funnitifchem 
te Söhne bis zur Beihneidung, die Töchter bis zum Eintritt der 


I 

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Men . 

) Kinn Mation bei Der Mutter; nach jchiltiichem dagegen bleiben fänmtliche 


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en Der moßlemifchen Ehegefege nicht weiter befaflen, aber wir 
3 


3 Fo 2, DB. 224. Die Worte im nämlihen Bers: „Die Weiber find euer 
fen e in euswer Ader auf welche Weile ihr wollt" — haben zu ffandalöfen 
fagen elle Vaantaflung gegeben, indem einige Erklärer behaupteten, nach dieſer 
Ä Rein, 705, U es erlaubt, auf widernatürlihe Art der Frau beijuwohnen. Untere 

4) 8, iq Mmmed BHcabe dicen Ausiprudy nur geihan zur Entkräftung der jüdifchen 
Sure, Gin, BSeiſci fa Fa parte postica würden gefundere und begabiere Kinder erzeugt. 
fen, CU [, Pure 2235 D einen Hure follt ihr mit hundert Streihen geißeln! Der 
v. 1_, Toy Konzexre 35rau ald nur eine Hure oder eine Gögendienerin heiraten und 
N eisze ma -Dauurer ober Goͤtzendiener zum Dannı nehmen türfen, Sur. 24, 


j 


deln Pool Giedener Gatten bei den Vater. — Wir dürfen und hier mit den 


x 


als 


konnen verfichern, daß ſchon ein fluͤchtiger Ueberblick derſelben genͤgk, um 
Die gaͤng und gäbe Meinung zu widerlegen, die modlemiſche Frau jet eben 
gar Nichts als ein Mittel männlicher Lufbefriedigung, als ein Kinder- 
erzeugungs inſtrument. Freilich if damit noch lange nicht gefagt, daß der 
Islam dem Weibe die ihm gebührende ſoziale Stellung einräune. Der 
Grundfag der Polygamie verwehrt Died und Hammer⸗Purgſtall hat in feiner 
Charakteriſtrung des Berbälmtfied von Mann und Frau in modlemifchen 
Ländern ebenſo wahr als fein darauf hingewieſen, daf die moslemtichen 
Sprachen das Wert „Haußfran“ nicht kennen). In der Zirrfet bat 
jedoch neueflend das Findringen abenbländiicher Caltur der Bielweiberei bes 
beutenden Abbruch gerhan. Anch ift dort der Handel mit weißen und fogar 
mit fhwargen Sflaninnen verboten worden, 


4. 


Ein großes bürgerliche Verdienſt erwarb fi Mehammed durch feine 
Reform des arabiſchen Erbrechtes. Die Srundfäge, welche der Koran in 
dDiefer Beziehung aufftellte, zeugen Aberall von Vernunft und Billigkeit und 
es fommt Ieptere namentlich auch Ben Frauen zu gut. Die Formen teſta⸗ 
mensarifcher Berfügung find genau geregelt, Ebene umſichtig und zugleich 
human erweiien fi die Vorſchriften des moblemiſchen Nechtes in Betreff der 
Sigenthuunsvenhäliniffe, weiter die Befkimmungen uber Kandel und Wandel, 
Kauf und Verkauf, Schuldenmeſen, Miethverträge, Pfandweſen und gericht 
liches Beufahzen in Civilſachen. Der oberſto Rechtoſatz im modleniichen 
Prozeß iſt: bei allen Handlungen ver Modlim wird flet# die gute Abficht 


3) Der Stufengrad, auf welchem das Weib als Frau, Gemahlin, Beiichläferin 
fieht, wird in den vorderafiatifchen Sprachen, wie in den europäifen, zwar Far abge: 
ftyattet, aber feine der erſteren hat in Wort für die eigentliche Hausfrau, fondern nur 
für den Hausherren, welchen der Perfer Ketchoda, d. i. Gadenherr nennt, woraus das 
vertihe „Satte* entkanden. Bel den Übrigen Benennungen ter Verhältnifie des 
Weibes zuin Manne liegt der Begriff abgefonderter Eingeſchloffenheit oder eines Ge: 
maches zmm Grande. Das arabifche Wort „Harem“, irrig in Europa für gleichbe: 
deutend mit Lottergemach gehaften, bezeichnet den Begriff unantaſtbaren Cigenthums; 
des Perſers „Schebiſtan“ bedeutet das Racht⸗ oder Schlafgemach, und des Türken 
„Odalik“ ſteht zunaͤchſt dem deuiſchen Frauenzimmer. Der Morgenlaͤnder betrachtet 
alfo die Weiber in der gewoͤhnlichen Bezichung nicht als Perſonen, aber auch nicht als 
Sachen, fondern als einen abgefchloflenen, für Fremde unantaflbaren Raum der Luft, 
als ein Gemach, wie auch das deutfche „Gemachel oder „Gemahl“ aueweiſet. Geſch. 
d. osman. Reiches, III, 213. 





47° 


(bona fides) vorausgeſetzt. Geſtändniß, Zeugenausfagen und Eid find bie 
brei Beweismittel. „Dem Kläger die Zeugen, dem Bellagten der Eid“ — 
ift mo8lemifche Nechtöregel. Einen Dunkeln Fleck bildet im Rechtscoder des 
Idlam das Kapitel som Sflavenrecht, obgleich, wie ſchon früher bemerkt 
worden, der Modlem feine Sklaven durchfchnittlich viel milder behandelt als 
der amerifanifche Pflanzer. Sind dod in den moslemifchen Staaten von 
jeher und in zahlreichen Fällen Sklaven zu den höchſten Würden emporge- 
fliegen und fogar Eidame von Sultanen geworden. Streng genommen 
dürfen nur im Kriege mit Ungläubigen gemadjte Gefangene in das Sklaven⸗ 
verhältniß treten, allein dermaten gibt es in allen mosfemifchen Ländern 
weiße und mehr noch ſchwarze Sklaven und Sklavinnen, weldhe nicht durch 
Krieg, fondern durch Raub und Kauf in die @ewalt ihrer ‚Herren gefommen 
find. Breilaflung findet flatt gegen Entihädigung oder durch ben freien 
Willen des Herrn bei feinen Lebzeiten oder durch teftamentarifche Verfügung 
bei jeinem Tode. Die Freigebung eines Sklaven ift eine gottgefällige Hand» 
lung, aber Rectgläubigkeit, d. i. Bekenntniß des Islam von Seiten des 
Sflaven, ift unerläßliche Bedingung derfelben. Eine Sklavin, die ihrem 
Herrn ein Kind geboren, erhält zwar dadurd noch nicht das Hecht auf Frei⸗ 
laflung, aber fie wird nach dem Tode des Herrn in das Erbtheil ihres Kin- 
des eingerechnet und erlangt dadurch die Freiheit. 


5. 


Criminalſtrafen konnen (ſollen) bloß verhängt werden gegen Solche, 
die bei Begehung des Verbrechens volljährig und im vollen Beſttz ihrer 
Verſtandeskraͤfte geweſen find. An Weibern dürfen überhaupt Feine Stra⸗ 
fen vollzogen werden, wenn ſie im Zuſtand der Menſtruation oder der 
Schwangerſchaft find oder fo lange fle ihr Kind an der Bruft nähren. Gül⸗ 
tige Beweismittel tm Strafprozeß find nur Geftändniffe oder Zeugenausſa⸗ 
gen. Auf Teichteren Vergehen fteht Forverliche Züchtigung (Peitfchenhiebe 
auf Rüden und Schultern, djeld), auf Sapitalverbrechen die Todesftrafe, ge⸗ 
wöhnlich vermittelft des Schwerte oder des Galgens vollzogen (ketl). Jede 
Strafe ift öffentlich zu vollziehen. Die fpätere Sriminalpraris hat jedoch 
die mildere Straftbeorie, wie fle im Koran dargelegt ift, vielfach verfchärft. 
Bon einzelnen Verbrechen und Beftrafungen heben wir hervor: die Verleum⸗ 
dung, welde mit 80 Beitichenhieben beftraft wird; Die Trunfenheit, welde 


ber gleichen Strafe unterliegt; den Diebflapl, welder nah Verhaͤltniß mit 
Scherr, Gef. d. Religion. II. 27 


418 


Verſtummelung an Hand und Fiß oder mit Tebenslänglicher Einſperrung nes 
fähnt werden muß ; die Kuppelei, auf welcher 75, den widernatärlichen Umgang 
yon Weibern unter einander, äuf welchem 100, die Päveraftie zwifthen Mitt 
Verjährigen, auf welcher ebenfalls 100 Peitſchenhlebe ſtehen. Die. Strafe 
der Päderaftie zwifchen Volljaͤhrigen ift der Tod. Auf Abfall vom Glauben, 
auf Raubmord, Nothzucht, Blutfchande ſteht ebenfalls der Tod. Der Ehe: 
bruch wird, wenn feine Berfhärfungsgrane vorliegen, bei beiden Geſchlech⸗ 
stern mit 100 Peitſchenhieben, bei erſchwerenden Udfländen mit dem Xpde 
Beftraft 2). Die ehebrecheriſche Sklavin kommt mit 50 Peitſchenhteben weg. 
Der Ehebruc eines Unglaͤubigen mit einer moslemiſchen Iran hat ſtets die 
Strafe des Ketl zur Folge. Ausdrücklich ift im moslemiſchen Geſetz das 
Recht der Blutrache anerkannt. Wer einen Mord oder Todtſchlag verhßt, 
iR mit feiner Berfon den Angehörigen des Getödteten verantwortlih. Die 
Berfon oder die Berfonen, welchen das Recht der Blutrache zufteht, Tann 
oder können aber auf Bollziehung berfelben verzichten und ſich mit einem 
Sühnegeld (Weergeld) abfinden laſſen. Mit den Rückfällen nimmt es dad 
moblemiſche Recht fehr fireng. Wer ſchon dreimal beſtraft worden iſt, er- 
leidet beim vierten Vergehen ſchlechterdings die Todesſtrafe. 


Sechſtes Kapitel. , 
Zur Geſchichte des Islam. 


1. 


Nach des Propheten Hingang wurde offenbar, daß ber Islam noch 
keineswegs unerſchütterlich daſftand auf dem Wuͤſtenſand Arabiens. ALS 


4) Um die Thalfrage Bes Chebruchs zu beſahen, find, A Falle Ya’ Gefl aont̃ 
vorliegt, vier männliche Zengen von untadelhaften Wandel oder drei maännliche umd 
zwei weibliche Zeugen erforderlih, — wie man ſieht, eine fchwierige Beweisführung. 


Der Koran fagt in der 4. Sura in Betreff des Chebruchs der Frauen: — Wenn eure 


Frauen ſich durch Chebruch vergehen und vier Zeugen aus eurer Mitte bezeugen dies, 


fo kerkert ſie (die Schuidigen) in turem Haufe ein, Bis der Tod fe befreit Oder Bott 


ihnen fork ein Beftetungkinilel dmori, 


118 


micht Mehr die anerkannte Autorität eitteß genialen Mannes oͤppoſitionelle 
Negungen niederhielt, traten dieſe alsbald herbor. "Bad unbaͤndige Frei⸗ 
heitbgefuͤhl der Beduinen fand das Joch deß neuen Glnubens zu ſchwer. 
Das Gebot firetigen Faſtens und allzuhäufigen Betens, wie das Verbot bed 
Wilhes, machke die Söhne der Wüfte mit Sehnſucht nah den Tareren Ord⸗ 
hungen des urväterlichen Glaubens zurückblicken. Politiſche Motive mehrten 
die Unzufriedenheit. Die einzelnen Stäunne fühften ſich unbrhaglich in dem 
Verband eines wenn auch immer noch Ioderen Staatöwefens. Insbefondere 
rührten fih Die Koretfchiten wieder, denn fle hatten die Einbuße ihrer 
domintrenten Stellung unter den arabiſchen Stämmen nöd nicht vers 
ſchmerzt, und verriethen die Abſicht, ſich ber Berrſchaft ded Chalifats 
miicht zu fügen. Bi dieſen Mißlichkeiten kam noch das haͤßliche Zerwürfniß 
An Ver Familie des hingegangenen Propheten, ein Befwärftiß, welchts, wie 
wir üben (Ray. 3, 6) fahen, Die dogmatiſche und politifihe Geſtaltung ver 
moslemifhen Welt beeinflußte. Indeſſen waren die Gefährten Möhammebs 
Männer, die bei Fortführung feines Werkes vor Widerwärtigfeiten und 
Hinderniffen nicht zurüdichraden. Wie bedrohlich die Umflände fein moch⸗ 
. ten, Alles, was Arabien an heißem Glaubenseifer, Begeifterung für eine 
große Idee, ichlauer Politik und sodverachtender Kuͤhnheit beſaß, ſtand doch 
auf der Seite des Wlam und fo wußte Abu Bekr feinem Chalifat bald Ach⸗ 
tung zu verfchaffen. Die meuteriſchen Koreiſchiten wurden durch Gewähe 
tung von allerlei Vortheilen gewonnen, die bereinzefteh Aufftände anderer 
Stämme mit Energie niedergefchlagen. Aber das genügte dem Chalifen 
und den Häuptlingen feines Raihes nicht. Diefe Männer erfannten, daß 
durd den Islam das arabifcge Wefen in feinen Tiefen aufgewühlt worden 
fet, daß der neue Glaube ein Element der Bewegung in das Volk gebracht 
habe, welchem, wenn es wicht Unheil feiften folkte, ein neues und weites Feld 
der TIhätigkeit angewtefen iverden müßte. Man Betonte daher mit Entſchie⸗ 
denheit das Gebot des Islam, die Ungläubigen zu bekehren oder wenigftend 
der Herrfchaft der Moslim zu unterwerfen, und eröffnete durch Aufpflanzung 
der Fahne des „Heiligen Krieges * der arabiichen Kriegs⸗ und Beuteluſt ein 
unermeßliches Gebiet. Auf der Bahn der Eroberung flürzte ſich Arabien 
mit wilder Thatkraft in die Weltgeſchichte. Als eine neue geſchichtliche 
Nacht erhob fi der Islam und begann das Antlig des Morgenlandes um⸗ 
zuwandeln. Das euer, welches in Der Abgeſchloſſenheit der arabiſchen 
Halbinfel angezündet worden, ging flammend und’freffend durch die orien« 
27* 


420 


talifche Welt, Heil und heiß auf in den Sübweflen des Occidents herüber- 
fchlagend. „Das Baradies ift nor euch, Tod und böllifches Feuer hinter 
euh!* Das war der Auf, womit moslemiſche Heerführer ihr jugendkraͤf⸗ 
tiged Bolt auf altersihwade Völker ſchleuderten. Schaar auf Schaar, den 
Koran in der einen, Schwert und Brandfadel in der andern Hand, brach 
aus den arabifhen Steppen hervor. Bor ihnen her ging ein Schredien des 
Unerhörten, gleich der lähmenden Macht einer ungeheuren Naturkataftrophe?). 


2. 


Es ift nicht unferes Amtes, den moelemiſchen Eroberern auf ihren 
Wegen nahzugehen. Wir bezeichnen die Richtung derſelben nur von ferne 
und verweilen den Lefer hinſichtlich der politiichen Schickſale des Islam auf 


4) Ein deutſcher Dichter, Julius Moſen, in feinem lange nicht nach Verdienſt 
gefchägten „Ahasver“, Hat die Erhebung des Islam mit unvergleichlidher Gnergie 
geſchildert: — 

Hörft du den Samum aus der Wuͤſte braufen ? 
Staubfäulen fehreiten riefenhaft voraus, 

Die gleich den Rreifeln in ſich felber faufen. 
Hoͤrſt du das Land von taufend Roſſen flampfen, 
Das Berge beben? Oder will zu Staub 

In Rauch und Wirbel ſich die Welt verdbampfen ? 
Mer hält den Halbmond auf in feinen Bahnen? 
Wild lechzen unter feinem Zeichen auf 

Zum heißen Himmel blutigrothe Fahnen. 

Da fprengt einher, da naht mit Ungewittern 

Das Schreden Gottes, des Propheten Heer 

Mit Donnerruf, daß alle Herzen zittern. 

Allah iſt groß! Bewaltig das Berhängniß, 

Das Schwert ein Schlüffel zu dem Paradies ; 
Erfenntniß ſprengt der Meufchheit das Gefaͤngniß! 
Allah ift groß, fo weit fein Odem wehet, 
Mohammed fein Prophet, foweit im AU 

Die Sonne leuchtet und der Halbmond gehet ! 
Allah ift groß! Sein Reich ift zu erflreiten! 

Der Moslem flürzt duch Blut und Tod hinein 
Auffauchzend in das Meer der Seligfeiten. 

Allah ift groß! Wer ift, der feiner ſpotte? 

Ihr Sögendiener, Heuchler, wehe euch ! 

Der Moslem kommt, — am Boden heult die Rotte.. . . 


— - — — — — uw 


— — — — — — 


Aal 
Weils Ehalifengefchichte und Hammerd Osmanengefchichte. Uebrigend Fennt 
ja jeder Schulfnabe die Geichichte des Mohammedanerthums, wenigftens in 
ihren Umrifjen. — Das byzantiniſche Griechenthum hatte in Syrien den 
erften Anprall der Streiter ded Islam auszuhalten und hielt ihn fchlecht ges 
nug aus. Syrien und Paldftina wurden von den Moslim erobert, welche 
jofort im Sturmlauf durch die mefopotamische Ebene nach Perſten vordran⸗ 
gen und nad blutigen Kämpfen in der Entſcheidungsſchlacht bei Kadefta die 
Macht des Tegten Königs der Ormuzdreligion von Iran vernichteten (634 
n. Chr.). Und wie über das Zend-Avefta, fo triumphirte ber Koran, von 
feinen Befennern über den Indus getragen, auch über die Beda’8'). Ganz 
Aften von den phönikiſchen Geftaden bis zum Ganges gehorchte dem Cha⸗ 
lifenfchwert, welches fich mit jchwerer Wucht von Syrien aus auch auf 
Aegypten legte und ſich von da meiter und weiter die Nordfüfte Afrika’s 
entlangſtreckte. Tarik trug e8 zu Anfang des 8. Jahrhunderts chriftlicher 
Zeitrehnung über die Meerenge von Gibraltar, und nachdem bei Xeres de 
la Brontera die Weftgothen ihm erlegen, überflutete der moslemijche Erobe« 
rungäftrom ganz Spanten. Er brandete fogar nordwärt3 über den Granit- 
wall der Pyrenaͤen hinaus, aber bei Tours und Poitiers ftellte ihm germa- 
niſche Tapferkeit einen Damm entgegen, der den wüthenden Strom zurück— 
fluten machte (732). 

Während fo im Abendland die Macht tes Islam auf Spanien bes 
ſchränkt wurde, hatten Inzwijchen im DMorgenland Moslim ihr Schwert gegen 
Moslim gekehrt. Nachdem die beiden Nachfolger des erften Chalifen, Omar 
und Othman, meuchlerijch ermortet worden, fehlen des Propheten Schwies 
gerfohn Alt endlich zu feinem Rechte zu gelangen. Er wurde in Medina 
zum Chalifen auögerufen, allein fein Beind Moawijah aus dem’ mächtigen 
Haufe Omeljah, Statthalter von Syrien, erhob gegen ihn die Fahne der 
Empörung. Bergebens erwies Ali in ſchrecklichen Schlachten feine edle 
Heldennatur. Er erlag dem Dold eines Meuchlerd (660), feine Familie 
ging unter und das Chalifat kam an die Omeijahden, unter welchen die 
Moslim gegen Kleinaften, fowie gegen tie Infeln des ägäifchen und mittel« 
ländifchen Meeres Groberungszüge machten. Schon jegt wurde auch Kon⸗ 
ftantinopel von ihnen beſtürmt, aber erft weit fpäter, unter den türfilch« 


— — — — — 


4) Aber nur poliifh. Während die ſproͤde Ormuzdreligion unter den Schlägen 
des moslemifchen Schwertes in Splitter ging, vermochte diefes Schwert bie elaftifche 
Zaͤhigkeit des Brahmanenthums nicht zu überwinden. 


414 

tabellofem Wandel, ferner mannbar und jungfraͤulich fein (d. h. falls die 
She nit mit einer Wittwe oder einer geſchiedenen Frau geichlofien wird). 
Nicht nur die Zuftimmung des Vaters oder des flellvertretenden Verwandten, 
ſondern audy die der Braut muB eingeholt werden. Die befläntige Ehe ift 
dem Moslem nur mit moslemiſchen Frauen, die zeitweilige auch mit chrifl- 
lihen und jüdiichen geftattet 3). Ehehindernifie find insbeſondere nabe 
Dlutsverwandtihaft, Verwandtfhaft durh die Amme, Schwägerichaft, 
Schonvorhandenſein der geieglichen vier Frauen, Nictbefig der @eiftesfräfte 
und gewifle körperliche Mängel, die dem Zwed der ehelichen Verbindung 
widerfprechen. Der Koran gebt hiebei in jehr fpeziell phyilologiiche Bor- 
ſchriften ein und regelt auch das eheliche Leben bis ind Einzelnfle. Den | 
Srauen insbeſondere wird ein fittfames, züchtiges und ſchamhaftes Betragen 
nahdrudiam eingeichärft: nie follen fie fi völlig nadt erbliden laſſen, ſelbſt 
von ihrem Gatten nit, nie Gefidht und Buſen einem fremden Manne ent 
blößt zeigen und alle Bewegungen und Geberden vermeiden, welche ihre ver- 
borgenen Reize enthüllen könnten2). Der Abſchluß der Ehe erhält durch 
Berrichtung religiöjer Bräuche, namentlih durch Meinigungen und Gebete, 
die religiöfe Weihe. Inerläplich ift ed, dag Bräutigam und Braut, wenn 
fie ſich zur erſten Umarmung anıdiden, aufrufen: Bismallah, d. i. im Na- 
men Gotted | ein Ausruf, den ber wahre Moslem überhaupt von der Wiege 
bis zum Grabe myriadenhaft gebraucht und ohne den er weder das Größte 
noch das Kleinfte vornimmt. Hat der Moslen nur eine Frau, ſo iſt er 
verpflichtet, je die vierte Nacht bei ihr zugubringen ; hat er vier rauen, fo 
muß er bei jeder derſelben von vier Nächten eine zubringen. _Die Frau 
fann jedoch den Mann von diejer Verpflichtung entbinden oder aud) Die ihr 
gehörige Nacht einer Mitfrau abtreten. Streng geboten ift hinfichtlidy der 
Zeiftung der ehelichen Pflicht von Seiten ded Mannes, daß er mit feiner 
rechtmäßigen Frau oder mit jeder feiner rechtmäßigen alle vier Monate ein 


— — — 





1) Die 5. Sura ſtatuirt gar keinen Unterſchied zwiſchen der Che mit moslemiſchen 
oder juͤdiſchen und chriſtlichen Frauen. Es heißt da: — Auch iſt es euch erlaubt, u 
heiraten freie Frauen, die gläubig find, und auch freie Frauen von Denen, weldye bie 
Schrift vor euch erhalten haben (Juden und Chriſten), wenn ihr ihnen ihre Morgens 
gabe gebet und züchtig mit ihnen lebet und fie nicht. zu Ehebrecheringen und Beifchläfe: 
rinnen machet. 

2) Die Vorſchriften weiblicher Wohlanfläudigfeit. legt ausführlich dar die 
24. Sura, 








415 


Mal den Beiſchlaf vollziehe. Ausdrücklich wird befohlen, vor jeder ehelichen 
Beimohnung die Seele zu weihen (durch Gebet oder Almojen ?)). Der 
Mann muß der Braut eine Morgengabe geben — offenbar eine Milderung 
des alten Weiberkaufes — und hat vor Entridhtung derjelben Fein Recht 
auf die eheliche Zärtlichkeit der Frau. Der Gatte ift verpflichtet, die Gattin 
zu ernähren und ihr Wohnung und Kleidung zu geben. Er darf fie nicht 
ihlagen. Er hat dagegen dad Nugnießungdreht an dem ganzen Vermögen 
der Frau und diefe darf ohne feine Einwilligung Feine DVerbindtichfeit ein- 
geben, feinen Vertrag abichliegen, Im Ganzen blickt aus den moslemiſchen 
Ehevorſchriften, fo weiten Spielraum fie dem Naturtrieb laflen, doch das 
Beftreben hervor, Maßlofigfeiten zu verhüten. Gegen die Hurerei hat der 
Prophet mit jehr ftrengen Worten geeifert*). Er ließ es fich, wie der Koran 
bezeugt, auch angelegen fein, das Loos der Frauen möglichft ficher zu ftellen. 
Zwar heißt e8 in der 2. Sura V. 320 ganz nad mofaiihem Vorgange: 
„Die Männer jollen der Weiber Herren fein“! Doch zugleich auch, nachdem 
den Frauen Pflichterfüllung eingefchärft worden: „Die Männer müflen fi 
gegen die Weiber nad) Gerechtigfeit bezeigen*. Die Eheſcheidung tft zwar 
zunächſt ganz der Willfür des Mannes anheimgegeben, indeflen hat das mos⸗ 
lemiſche Recht diefe Willfür doch fo jehr mit Blaufeln eingehegt, daß die 
Brau To ziemlih vor Unbilligkeit geſchützt iſt. Bei einer Scheidung muß 
der Dann der geſchiedenen Frau ihr beigebracdhtes Vermögen herausgeben 
und fie kann fih, nad Ablauf einer gewiflen Frift, wieder verbeiraten. 
Sind Kinder au der getrennten Ehe vorhanden, fo bleiben nadı funnitiichem 
Recht die Söhne bis zur Beſchneidung, die Töchter bis zum Eintritt ber 
Menftruation bei der Mutter; nad ſchiitiſchem dagegen bleiben fänmtliche 


Kinder geichiedener Gatten bei dem Vater. — Wir dürfen uns bier mit den. 


Einzelnheiten der moslemijchen Ehegejege nicht weiter befuflen, aber wir 


3) Sur. 2, B. 224. Die Worte im nämlihen Bers: „Die Weiber find euer 
Acker; kommet in euren Ader auf welche Weife ihr wollt“ — haben zu ffandalöfen 
Gontroverfen Beranlaflung gegeben, indem einige Grklärer behaupteten, nach diefer 
Koranſtelle fei es erlaubt, auf widernatürlihe Art der Frau beizuwohnen. Untere 
fagen, Mohammed habe diefen Ausſpruch nur geihan zur Entkräftung der jüdifchen 
Meinung, im Beiſchlaf a parte postica würden gefundere und begabtere Kinder erzeugt. 

4) Kine Hure und einen Hurer follt ihr mit hundert Streichen geißeln! Der 
Hurer fol feine andere Frau ald nur eine Hure oder eine Gögendienerin heiraten und 
eine Hure foll nur einen Qurer oder Gögeudiener zum Dann nehmen türfen. Sur. 24, 
B. 1—2, 


\ 


418 


tönten verſtichern, daß ſchon ein Rüdhtiger Ueberblick derſelben genäigt, um 
Die güng und gäbe Weinung zu widerlegen, die modlemiſche Frau ſei eben 
gar Nichts als ein Mittel männlicher Lufbefriedigung, als ein Kinder⸗ 
erzeugungs inſtrument. Freilich if damit noch lange nicht gefagt, daß ber 
Islam dem Weibe die ihm gebührende ſoziale Stellung einräume. Der 
Srundfag der Polygamie verwehrt dies und Hammer⸗Purgſtall hat in feiner 
Charakteriſtrung des Verbälmiffes von Wann und Frau in moslemiſchen 
Ländern ebenfo wahr als fein darauf hingewieſen, daß die moslemiſchen 
Sprachen dab Wert „Haußfrau* nicht Fennen®). In der Türkei bat 
jedoch neueflend das Findringen abenbländiſcher Caltur der Bielweiberei be 
deutenden Abbruch gethan. Anch tft bort ber Handel mit weißen und ſogar 
mit ſchwarzen Skflavinnen verboten worben. 


4. 


Ein großes bürgerliche Verdienſt erwarb fi. Mohammed durch feine 
Reform des arabiichen Erbrechtes. Die Grundfätze, welche der Koran in 
Diefer Beziehung aufftollte,, zeugen überall von Vernunft and Billigfeit und 
ed fommt letztere namentlich auch ven Frauen zu gut. Die Formen teſta⸗ 
mentariſcher Berfügung find genau geregelt. Ebenje umfidhtig und zugleich 
human erweiien fi die Vorſchriften des moſslemiſchen Rechtes in Betreff der 
Sigenthumsverhältniffe, weiter die Befkimunungen aber Handel und Wandel, 
Kauf und Verkauf, Schuldenmeien, Miethverträge, Pfandweſen und gericht: 
liches Beufahzen in Civilſachen. Der oberſte Rechtaſatz im moBdlenrijchen 
Mrozeß ift: Hei allen Handlungen der Moslim wird ſtets die gube Abficht 


8) Der Stufengrad, auf welhem das Weib ald Frau, Gemahlin, Beifchläferin 
fieht, wird in den vorderafiatifchen Sprachen, wie in den europäifhen, zwar Far abge: 
ſthattet, aber feine ber erſteren hat din Wort für die eigentliche Hausfram, fondern nur 
für den Hausheren,, welchen der Berfer Ketchoda, d. i. Gatenherr nennt, woraus das 
vertfhe „Batte* entRanten. Bel dem Übrigen Benennungen ter Verhältnifie bes 
Weibes zum Manne liegt der Begriff abgefonderter Singefchtoffenheit oder eines Ge: 
maches zum: Grunde. Das arabiſche Wort „Harem“, irrig in Europa für gleichbe: 
deutend mit Lottergemach gehakten, bezeichnet den Begriff unantaſtbaren Eigenthums; 
deo Perſers „Schebiftan* bedeutet Das Nacht: oder Schlafgemah, und des Türken 
„Obdalik“ ſteht zunaͤchſt dem deuiſchen Frauenzimmer. Der Morgenlaͤnder betrachtet 
alfo die Weiber in der gewoͤhnlichen Bezichung nicht als Perſonen, aber auch nicht ale 
Sachen, fondern als einen abgeichlöflenen, für Fremde unantaflbaren Raum der Luft, 
als ein Gemach, wie auch das beutiche „Gemachel⸗ oder „Gemahl“ ausweiſet. Geſch. 
d. osman. Reiches, III, 213. 


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417 
(bona fides) vorausgefegt. Geſtändniß, Zeugenausfagen und Eib find bie 
drei Beweismittel. „Dem Kläger die Zeugen, dem Beklagten der Ein * — 
ift moßlemifche Rechtsregel. Einen dunfeln Fleck bilder im Rechtscoder des 
Jolam das Kapitel vom Sklavenrecht, obgleih, wie ſchon früher bemerft 
worden, der Moslem feine Sklaven durchſchnittlich viel milder behandelt ale 
der amertfanifche Bflanzer. Sind doch in den moslemifchen Staaten von 
jeher und in zahlreichen Fällen Sflaven zu den höchſten Würden emporge⸗ 
fliegen und fogar Eidame von Sultanen geworden. Streng genommen 
bürfen nur im Kriege mit Ungläubigen gemachte Gefangene in das Sflaven- 
verhältniß treten, allein dermalen gibt e8 in allen moslemiſchen Ländern 
weiße und mehr noch ſchwarze Sklaven und Sklavinnen, welche nicht durch 
Krieg, fondern Dur Raub und Kauf in die Gewalt ihrer Herren gekommen 
find. Freilaſſung findet flatt gegen Entihädigung oder durch den freien 
Willen des Herrn bei feinen Lchzeiten oder durch teftamentarifche Berfügung 
bei ſeinem Zode, Die Freigebung eines Sklaven iſt eine gottgefällige Hand⸗ 
lung, aber Redhtgläubigkeit, d. t. Befenntniß des Islam von Seiten bes 
Sklaven, ift urerläßlihe Bedingung derſelben. Cine Sklavin, die ihrem 
Herrn ein Kind geboren, erhält zwar dadurch noch nicht das Recht auf Frei⸗ 
laflung, aber fle wird nad) dem Tode des Herrn in das Erbtbeil ihres Kin- 
des eingerechnet und erlangt dadurch die Freiheit. 


5. 


Criminalſtrafen können (follen) bloß verhängt werden gegen Solche, 
bie bei Begehung des Verbrechens volljährig und im vollen Bett ihrer 
Verftandesfräfte geweien find. An Weibern dürfen überhaupt Feine Stra- 
fen vollzogen werden, wenn fie im Bufland der Menftruation oder der 
Schwangerfchaft find oder fo lange fle ihr Kind an der Bruſt nähren. Gül- 
tige Beweidmittel im Strafprogch find nur Geftändnifje oder Zeugenausſa⸗ 
gen. Auf Teichteren Vergehen fteht Förverliche Züchtigung (Peitfchenhiebe 
auf Rüden und Schultern, djeld), auf Eapitalverbrechen die Todesftrafe, ge= 
wöhnlich vermittelft des Schwerted oder des Galgens vollzogen (ketl). Jede 
Strafe ift öffentlich zu vollziehen. Die fpätere Eriminalpraris hat jedoch 


die mildere Straftbeorie, wie fle im Koran dargelegt iſt, vielfach verfchärft. 


Bon einzelnen Verbrechen und Beftrafungen heben wir hervor: die Verleum⸗ 
dung, welde mit 80 Beitichenhieben beftraft wird; die Trunfenheit, welde 


ber gleichen Strafe unterliegt; den Diebſtahl, welcher nach Verhaͤltniß mit 
Scherr, Gef. d. Religion. III. 97 


116 


kbnnen verſtchern, daß ſchon ein Mächtiger Ueberblick derſelben genäͤgk, um 
Die gaͤng und gäbe Neinung zu widerlegen, die moolemiſche Frau ſei eben 
gar Nichts als ein Mittel männlicher Lufbefriedigung, als ein Kinder⸗ 
erzeugungäinfirument. Breifi iR damit ned Iange nicht gefagt, daß der 
Islam dem Weihe die ihm gebührende foziale Stellung einräume. Der 
Srundfag der Polygamte verwehrt dird and Hammer⸗Purgſtall Bat in feiner 
Charakteriſtrung des Verhälmiffes von Mann und Brau in moslemiſchen 
Ländern ebenio wahr als fein darauf hingewleſen, daß die moslemiſchen 
Sprachen das Wort „Hausfrau nicht Eennend). In der Tuͤrkei bat 
jedoch neueſtend das Findringen aBentländiicher Cultur Der Bielweiberei bes 
deutenden Abbruch gethan. Anch tft Dort ber Handel mit weißen und ſogar 
mit ſchwarzen Sklavinnen verboten worden. 


4. 


Ein großed bürgerliche Verdienſt erwarb ſich Mohammed durch feine 
NReform des arabiſchen Erbrechtes. Die Orundfäge, weldye der Koran in 
Diefer Beziehung aufftellte, zeugen überall von Vernunft and Billigkeit und 
es fommt Ieptere namentlich auch Ben Frauen zu gut. Die Formen tefla- 
mensarifcher Berfügung find genau geregelt, Ebenje umfidtig und zugleid 
human erweiſen fich die Boricriften des moßlenmmifden Rechtes in Betreff der 
Sigentbumbverhältniffe, weiter die Beſtimmungen aber Handel and Wandel, 
Kauf und Verkauf, Schuldenmeien, Miethverträge, Rfandweſen uad gericht» 
liches Beufahsen in Civilſachen. Der oberſte Rechtoſatz im modlemijchen 
Bogen | ift: bei allen Handlungen ver Modlim wird fletd die gute Abficht 


8) Ya Stufengrab, auf welchem das Weib als Frau, Gemahlin, Beifchläferin 
fieht, wird in den vorderaftatifchen Sprachen, wie in den europäifhen, zwar Mar abge: 
ſthattet, aber feine ber erſteren bat ein Wort für Die eigentliche Hausfrau, fondern nur 
für den Hausherren, welchen ber Berfer Ketchoda, d. i. Gadenherr nennt, woraus das 
veartiche „Batte* entlanden. Bel den Übrigen Benennungen ter Verhältniffe des 
Meides um Manne liegt der Begriff abgefonderter Eingefchkoffenhett oder eines Ge: 
maches zum runde. Das arabifdhe Wort „Harem”, irrig in Europa für gleichbe: 
deutend mit Lottergemach gehnften, bezeichnet den Begriff unantaſtbaren Cigenthums; 
des Perſers „Schebiſtan“ bedeutet das Nacht⸗ oder Schlafgemach, und des Türken 
„Odalik“ ſteht zunaͤchſt dem beutichen Frauenzimmer. Der Morgenfänder betrachtet 
alſo die Weiber in der gewoͤhnlichen Bezichung nicht als Perſonen, aber auch nicht ale 
Sachen, jondern als einen abgefchlöflenen, für Fremde unantaflbaren Raum der Luft, 
als ein Gemach, wie andy das deutſche „Gemache “orer „Gemahl“ ausweiſet. Geſch. 
d. osman. Reiches, III, 213. 


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417° 


(bona fides) vorandgefegt. Geſtändniß, Zeugenausfagen und Eid find die 
drei Beweismittel. „Dem Kläger die Zeugen, dem Beklagten der Eid“ — 
ift modlemiſche Rechtsregel. Einen dunkeln Fleck bilder im Nechtöcoder des 
Jolam das Kapitel vom Sklavenrecht, obgleich, wie ſchon früher bemerkt 
worden, der Moslem feine Sklaven durchfchnittlich viel milder behandelt als 
der amerifantiche Pflanzer. Sind doch in den moslemifchen Staaten von 
jeher und in zahlreichen Fällen Sflaven zu den höchſten Würden emporges 
fliegen und fogar Eidame von Sultanen geworden. Streng genommen 
dürfen nur im Kriege mit Ungläubigen gemadjte Gefangene in das Sklaven⸗ 
verhältniß treten, allein dermalen gibt es in allen mosfemifchen Ländern 
weiße und mehr noch ichwarze Sklaven und Sklavinnen, welche nicht durch 
Krieg, ſondern Durch Raub und Kauf in die Gewalt ihrer Herren gekommen 
find. Breilafjung findet flatt gegen Entſchaͤdigung oder durch den freien 
Willen des Herrn bei feinen Lchzeiten oder durch teftamentarifche Berfügung 
bei ſeinem Tode, Die Freigebung eines Sklaven iſt eine gottgefällige Hand⸗ 
lung, aber Redhitgläubigkeit, d. t. Bekenntniß des Islam von Seiten des 
Sflaven, ift urierläßliche Bedingung derfelben. Eine Sklavin, die ihrem 
Herrn ein Kind geboren, erhält zwar dadurd noch nicht das Hecht auf Frei⸗ 
laflung, aber fie wird nach dem Tode des Herrn in das Erbtbeil ihres Kine 
des eingerechnet und erlangt dadurch die Freiheit. 


5. 


Eriminalftrafen können (follen) bloß verhängt werden gegen Solche, 
die bei Begebung ded Verbrechens volljährig und im vollen Beft ihrer 
Verftandeskräfte geweien find. An Weibern dürfen überhaupt feine Stra- 
fen vollzogen werden, wenn fie im Bufland der Menftruation oder ber 
Schwangerſchaft find oder fo lange fle ihr Kind an der Bruft nähren. Gül- 
tige Beweismittel im Strafprozeß find nur Geftändniffe oder Zeugenausſa⸗ 
gen. Auf Teichteren Vergehen fteht Forperliche Züchtigung (Peitichenhiebe 
auf Rüden und Schultern, djeld), auf Gapitalverbrechen die Todesftrafe, ge⸗ 
wöhnlich vermittelft des Schwertes oder des Galgens vollzogen (ketl). Jede 
Strafe ift Iffentlich zu vollziehen. Die fpätere Griminalpraris Hat jedoch 


die mildere Straftheorie, wie fle im Koran dargelegt tft, vielfach verfchärft. 


Bon einzelnen Verbrechen und Beftrafungen heben -wir hervor: die Berleums 
dung, welde mit 80 Peitſchenhieben beftraft wird; die Trunfenheit, welche 


ber gleichen Strafe unterliegt; den Diebflahl, welcher nach Verhaͤltniß mit 
Scerr, Geſch. d. Religion. III. 27 


418 


Verfiümatilung an Sand und FA über mit Lebenslänglicher Einſperrung ge⸗ 
fühnt werben muß ; die Kuppelei, auf welcher 75, den widernatärtichen Umgang 
yon Weibern unter einander, Auf welchem 109, die Päderaſtie zwiſchen Mitt 
Berjährigen, auf welcher ebenfalls 100 Peitſchenhtebe ſtehen. Die. Strafe 
der Päderaftie zwifchen Voljährigen ift der Tod. Auf Abfall vom Stauden, 
auf Raubmord, Nothzucht, Blutfchande ſteht ebenfalls der Tod. Der Ehe 
bruch wird, wenn feine Berfhärfangsgrane vorliegen, bei beiden Geſchlech⸗ 
tern mit 100 Peitſchenhieben, bei erſchwerenden Umſtünden mit den Ipde 
beftraft ?). Die ehebrecheriſche Sklavin kommt mit 50 Peitſchenhieben weg. 
Der Ehebruch eines Ungläubigen mit einer moslemiſchen Frau hat ſtets die 
Strafe des Ketl zur Folge. Ausdrücklich ift im moslemiſchen Brfeg das 
Recht der Blutrache anerkannt. Wer einen Mord oder Todtſchlag verkbt, 
iſt mit feiner Perfon den Angehörigen des Grtödteten verantwortlih. Die 
Berfon oder Die Berfonen, welden das Recht der Blutrache zufteht, Tann 
oder können aber auf Boltziehung derfelben verzichten und fi mit einem 
Sühnegeld (Weergeld) abfinden lafſen. Mit den Rückfällen nimmt es dad 
moslemifche Recht fehr fireng. Wer ſchon dreimal Heftraft worden #fl, er⸗ 
leidet beim vierten Vergehen ſchlechterdings die Todesſtrafe. 


Sechftes Mapitel. 
Zur Geſchichte des Islam. 


1. 


Nah des Propheten Hingang wurde offenbar, daß ber Islam noch 
keineswegs unerſchuͤtterlich daſtand auf dem Wüͤſtenſand Araͤbiens. Als 


— — 





4) Am die Thalfrage ves Chebruchs zu beſahen, find, in Falle Yen’ Geflakeniß 
vorliegt, vier männliche Zeigen von untadelhaften Wandel oder drei maͤnnliche umd 
zwei weibliche Zeugen erforberlih, — wie man fieht, eine fchwierige Beweisführung. 
Der Koran fagt in der 4. Sura in Betreff des Chebruchs der Frauen: — Wenn eure 
Frauen ſich durch Chebruch vergehen und vier Zeugen aus eurer Mitte bezeugen dies, 
fo kerkert fie (die Schuidigen) in eurem Haufe ein, bis der Tod fe befreit öder ct 
ihnen fonft ein Beftekungeminel anliſt. 


EEn mu un Ten a ker 


115 


wicht itehe die anerkannte Autorieht eitteß genialen Mannks oppoſitlonelle 
Wegungen niederhielt, traten dieſe alsbakd herbor. Bad unbändige Frei⸗ 
heitsgefühl Ver Beduinen fand das Joch bed neuen Glaubens zu ſchwer. 
Das Gebot ſtrengen Faſtens und allzuhäufigen Betens, wie das Verbot deb 
Wilhes, machke die Söhne der Wüfte mit Sehnſucht nalh den laxeren Ord⸗ 
nungen des urväterlichen Glaubens zurückblicken. Politiſche Motive mehrten 
die Unzufriedenheit. Die einzelnen Staͤmme fühlten ſich unbehaglich in dem 
Verband eines wenn auch immer noch lockeren Staatsweſens. Insbeſondere 
rührten ſich die Koreiſchiten wieder, denn fie hatten die Einbuße ihrer 
dominirenden Stellung unter den arabiſchen Stämmen noͤch nicht vers 
ſchmerzt, und verriethen die Abſicht, fich der Herrſchaft bes Chalifats 
niicht zu fügen. Zu dieſen Mißlichkeiten kam noch das häßliche Zerwürfniß 
An ver Familie des hingegangenen Propheten, ein. Zerwürfniß, welches, wie 
wir Eben (Rab. 3, 6) fahen, Die dogmaliſche aid politkfche Geſtaltung ver 
moslemiſchen Welt beeinflußte. Indeſſen waren die Gefährten Möhanimeds 
Männer, die bei Fortführung feines Werkes vor Widerwärtigfeiten und 
Hinderniffen nicht zurüdichradten. Wie bedrohlich die Umſtaͤnde fein mode 


.ten, Alles, was Arabien un heißem Glaubenseifer, Begeifterung für eine 


große Idee, ichlauer Politik und woduerachtender Kuͤhnheit beſaß, fland doch 
auf der Seite des Wlam und fo wußte Abu Betr feinen Chalifat bald Ach⸗ 
tung zu verſchaffen. Die meuteriſchen Koreifchilten wurden durch Gewäh- 
rung von allerlei Vortheilen gewonnen, die vereinzelten Aufſtaͤnde anderer 
Stänme mit Energie niedergeichlagen. Uber das genügte dem Chalifen 
und den Häuptlingen feines Raihes nicht. Diefe Männer erfannten, daß 
durch den Islam das arabifche Wefen in feinen Tiefen aufgewühlt worden 
fet, daß der neue Glaube ein Element der Bewegung in das Volf gebracht 
habe, welchem, wenn es nicht Unheil fliften folkte, ein neues und weites Feld 
der Thätigkeit angewiefen erden müßte. Man Betonte daher mit Entſchie⸗ 
denheit das Gebot des Islam, die Ungläubigen zu bekehren oder wenigftend 
ber Herrſchaft der Moslim zu unterwerfen, und eröffnete durch Aufpflanzung 
der Fahne des „heiligen Kriege * der arabiichen Kriegs⸗ und Beuteluft ein 
unermeßliches Gebiet. Auf der Bahn der Eroberung flürzte ſich Arabien 
mit wilder Thatkraft in die Weltgeſchichte. Als eine newe gefchichtliche 
Macht erhob fich der Iölam und begann das Antlig des Morgenlandes um⸗ 
zuwandeln. Das euer, weiches in der Abgefchlofienheit der arabijchen 
Salbinfel angezündet wurden, ging flammend und'fteffend durch bie orien« 
77° 


420 


talifche Welt, Hell und Heiß au in den Sübweften des Occidents herüber- 
fehlagend. „Das Paradies ift vor euch, Tod und bölliiches euer hinter 
euh!* Das war der Auf, womit moölemifche Heerführer ihr jugentfräf: 
tiged Volk auf altersſchwache Völker ſchleuderten. Schaar auf Schaar, den 
Koran in der einen, Schwert und Brandfadel in der andern Hand, brach 
aus den arabifchen Steppen bervor. Bor ihnen her ging ein Schreden des 
Unerbörten, glei der laͤhmenden Macht einer ungeheuren Naturkataſtrophe ?). 


2. 


Es ift nicht unfered Amtes, den modlemifhen Eroberern auf ihren 
Wegen nachzugehen. Wir bezeichnen Die Richtung derfelben nur von ferne 
und verweifen den Leſer Hinfichtlich der politiihen Schickſale des Islam auf 


4) Sin deutfcher Dichter, Sulius Mofen, in feinem lange nicht nach Verdienſt 
geihägten „Ahasver“, hat die Erhebung des Islam mit unvergleihliher Cnergie 
geſchildert: — 

Hörft du den Samum aus der Wuͤſte braufen ? 
Staubfäulen fchreiten riefenhaft voraus, 

Die gleich den Rreifeln in fidy felber Saufen. 
Hörft du das Land von taufend Roſſen flampfen, 
Daß Berge beben? Oper will zu Staub 

In Rauch und Wirbel fich die Welt verbampfen ? 
Mer hält ven Halbmond auf in feinen Bahnen? 
Wild lechzen unter feinem Zeichen auf 

Zum heißen Himmel blutigrothe Bahnen. 

Da fprengt einher, da naht mit Ungewittern 

Das Schreden Gottes, des Propheten Heer 

Mit Donnerruf, daß alle Herzen zittern. 

Allah iſt groß! Gewaltig das Berhängniß, 

Das Schwert ein Schlüffel zu dem Paradies ; 
Erkenntniß ſprengt der Menfchheit das Gefaͤngniß! 
Allah ift groß, fo weit fein Odem wehet, 
Mohammed fein Prophet, foweit im AU . 

Die Sonne leuchtet und der Halbmond gehet ! 
Allah if groß! Sein Reich iſt zu erſtreiten! 

Der Moslem flürzt durch Blut und Tod hinein 
Aufjauchzend in das Meer der Seligfeiten. 

Allah ift groß! Wer ift, der feiner ſpotte? 

Ihr Goͤtzendiener, Heuchler, wehe euch ! 

Der Moslem kommt, — am Boden heult die Rotte.... 


Aal 
Weils CHalifengefchichte und Hammers Osmanengeſchichte. Uebrigens Fennt 
ja jeder Schulknabe die Geſchichte des Mohammedanerthums, wenigſtens in 
ihren Umrifſen. — Das byzantiniſche Griechenthum hatte in Syrien den 
erften Anprall der Streiter des Islam auszuhalten und hielt ihn fchlecht ges 
nug aus. Shyrien und Paldftina wurden von den Moslim erobert, welche 
fofort im Sturmlauf durch die mefopotamiicdhe Ebene nach Perſten vordran⸗ 
gen und nad) blutigen Kämpfen in der Entſcheidungsſchlacht Hei Kadefta die 
Macht des Tegten Königs der Ormuzdreligion von Iran vernichteten (634 
n. Chr.). Und wie über dad Zend⸗Aveſta, fo triumphirte der Koran, von 
feinen Befennern über den Indus getragen, aud über die Veda's). Ganz 
Aften von den phönikiſchen Geftaden bis zum Ganges gehorchte dem Cha⸗ 
lifenſchwert, welches ſich mit jchwerer Wucht von Syrien aus auch auf 
Aegypten legte und fich von da weiter und weiter die Nordfüfte Afrika’s 
entlangſtreckte. Tarif trug e8 zu Anfang des 8. Iahrhunderts chriftlicher 
Zeitrehnung über die Meerenge von Gibraltar, umd nachdem bei Xeres de 
la Brontera die Weftgothen ihm erlegen, überflutete der moslemijche Erobes 
rungäftrom ganz Spanien. Er brandete fogar nordwärts über den Granit- 
wall der Pyrenäen hinaus, aber bei Tours und Voitiers ftellte ihm germa⸗ 
nifche Tapferkeit einen Damm entgegen, der den wüthenden Strom zurüd« 
fluten machte (732). 

Mährend fo im Abendland die Macht Des Islam auf Spanien be⸗ 
fchränft wurde, hatten Inzwiichen im Morgenland Moslim ihr Schwert gegen 
Moslim gekehrt. Nachdem die beiden Nachfolger des erften Chalifen, Omar 
und Othman, meuchleriſch ermortet worden, ſchien des Propheten Schwies 
geriohn Alt endlih zu feinem Rechte zu gelangen. Er wurde in Medina 
zum Chalifen ausgerufen, allein fein Feind Moawijah aus dem mächtigen 
Haufe Omeijah, Statthalter von Syrien, erhob gegen ihn die Fahne der 
Empdrung. Vergebens erwied Alt in fchredlihen Schlachten feine edle 
Heldennatur. Er erlag dem Dolch eined Meuchlerd (660), feine Bamilie 
ging unter und dad Chalifat Fam an die Omeijahden, unter weldyen die 
Moslim gegen Kleinaflen, ſowie gegen Die Infeln des ägäifchen und mittel« 
Tändifchen Meeres Eroberungszüge machten. Schon jegt wurde auch Kon⸗ 
ftantinopel von ihnen beflürmt, aber erft weit fpäter, unter den türfifch- 


— — — —— rn 


4) Aber nur poliiſch. Während die ſproͤde Ormuzdreligion unter den Schlägen 
des moslemiſchen Schwertes in Splitter ging, vermochte diefes Schwert die elaftifche 
Zähigfeit des Brahmanenthums nicht zu überwinden. 


4 . 
gamanifdien Sultanen, erlag, wie befannt, bie Hauptfaht Hfkrams, Lam 
Ielam. Zweiundneunzig Jahre nah Ali's tragiſchem Yusgang volzog 
Abbas an den Omeijahden den Spruch der Nemefid. Das ganze ameie 
jahdiſche Haus wurde ausgerotter, mit Ausnahme ded Abdexrahman, welcher 
fih, nach Spanien rettete und dort ein von dem morgenländifcgen unabbhänr 
giges Ehalifat gründete, mit der Hauptſtadt Cordoba. 

Die Chalifen der abbaſidiſchen Dynaftie ſchlugen ihre Reſidenz in Bag- 
bad auf und herrſchten bis ind zweite Jahrzehent des 9. Jahrhuudertaà mis 
großem Glanz, Bon da an zerfiel das morgenländifhe Chalifat, biß es von 
feinen Prätorianern, den aus ihren Stammfigen in ten. hochaſiatiſchen 

‚Steppemwildnifien gekommenen, fpäter nach einem ihrer Häuptlinge, Dömgn, 
benannten Zuranistu (Türfen, Seldſchuken) geftürzt wurde (1258), 
Gin Schattenchalifat vegetirte bis 1538 in Arghpten. Seitdem führssn bie 
tütkiſchen Sultane_ den Ehalifentitel, welder. aber. von ben Shliten nicht 
gnerfannt wurde. Wo nicht die Türken herrſchten, zerbröckelte dag moale⸗ 
mifche Gebiet 1 in größere oder Meinere Reiche. Zeitweilen bauten mos⸗ 
lemiſche Herricher in Perfien und Indien mächtige Staaten auf. Das abend⸗ 
laͤndiſche Chalifat in Spanien erlag im Laufe der Jahrhunderte inneren 
Zwiſten und den aus ihren Bergafglen in Afturien und Galizien wieder an⸗ 
griffsweife gegen den Halbmond vorgebenden Ghriften. Die Schlacht von 
Toloſa brach für immer das Uebergewicht des Islam auf dex pyrenätichen 
Halbinjel (1212) und die Eroberung Granada's durch die katholiſchen Kö— 
nige (Berbinand und Iſabella) unterwarf. dig letzte Stätte moslemiſcher Herr⸗ 
haft im Abendland dem chriſtlichen Regiment, (1492). Der Türfen- 
ſchrecken, welcher von Konſtantinopel aus die Chriſſenheit fo lange in Athem 
gehalten, fing feit dem Sieg der chriſtlichen Klotten bei Lepanto (1571,) feine 
Furchtbarkeit zu verlieren an. Sodann vernichteten ihn der glorreiche Wi⸗ 
derſtand der, Bürger des belagerten Wiens und die Siege ber deutſch-kqiſer⸗ 
lichen Heerführer in den legten Derennien, des 17. Jahrhunderts völlig. 
Seither ift das türkifhe Reid, immer ynayfhaltfamer- gefunfen und es hängt 
dermalen feine Eriftenz überhaupt von der Gnade, d, h. von ber gegenjeitis 
gen Eiferfucht der europälichen Großmaͤchte ab. Der Auggang bes, Kampfeq 
zwifhen Kreuz und Halbmond, im Mittelalter das eigentliche Agene Dex 
Weltgefchichte, ift jet nur noch eine Frage der Zeit; denn bie Ueberlegen⸗ 
heit der chriſtlichen über die moelemiſche Welt ſteht laͤngſt unzweifelhaft feft- 


423 


d. 


Daß Cholifat, als Caͤſaropapismus, entwickelte einen Despotiömus, 
welcher in der moslemiſchen Welt unzählige Empörungen, Palaftrevolutig- 
nen, Bruͤderzwiſte und Bürgerkriege hervorrief. Die großen bynaftifchen 
Wechſel und Kämpfe find im Vorſtehenden angedeutet worden. Hier fei 
jegt. kurz noch eigiger Erſcheinungen religiögelogialer und religiösepolitiicher 
Natur gedacht, welche im Laufe der Zeit Die moslemifche Geſellſchaft von in- 
nen heraus mehr ober weniger erichütterten.. Es hat dem Slam nie an 
Keztzern gefehlt, aber fie untericheiden ſich von den chriſtlichen dadurch, daß 
ſie ſich ſelten damit begnügten, freiere Anſichten in religiöſer Beziehung zu 
hegen und zu lehren, ſondern daß fie vielmehr gewöhnlich zugleich die Fahne 
des Aufsuhrd, gegen, Die Despotie der Chalifen oder Sultane erhoben. — 
Das Vorbringen des Islam nad Perfien und Inbien, hatte Die Mahamme⸗ 
daner mit den zeligißfen Anſchauungen dieſer Länder. befannt gemadt und 
mir werben weiter unten fehen, daß aus ber Durdringung des Mohamme 
danigmus mit dieſen Anſchauungen fpäter die moslemifche Myftif und Theo⸗ 
ſophie entiprang, Schon im 2. Jahrhundert der Hidjrah aber ftanden in 
ter Landſchaft Khorafſan zwei Häretifer und Mebellen. auf, Mawendi und 
Mokaunnaa (der, verichleierte Prophet“), von denen jener das brahmanifche 
Dogma gon der Seelegmanderung dieſer eine willfürlich aus dem Parfld- 
mus gezpgene Üreigeifterei in den Islam einzuführen verfuchte. Lnlange 
darauf Riftete ein gewiſſer Babek die Sekte der Churremije (d. i. der 
Sröhlichen), indem er epikuräiſche Freiheit und Gleichheit, Gemeinschaft der 
Güter und der Weiber predigte. Unter dem Chalifat der Ahbaflden grün- 
dete Saffan Sſabbah den Geheimbund der ISmaeliten oder Bates 
niten, in deſſen höchſtem Grad, den, Eingeweihten als einziges. Dogma der 
Sup: „Nichts glauben und ſich Alles erlauben!" verfünbigt wurde. An 
zweihundert Jahre lang verhreitete dieſer Bund permittelft ſeiner Werkzeuge, 
ber mordhereiten Affaffigen, deren Namen noch jegt von dem romantifchen 
Zauber geheimen Grauens, umgeben if, Furcht und Entfegen durch die mos⸗ 
lemiſche Welt, nem Banuftrol der geiftlichen, dem Schwert ber weltlichen 
Macht trpgend, in feinen legten Meſten erſt Durch den Mongolen Timur aus⸗ 
getilgt. — Ein hoͤchſt merkwürdiger, religihſe, politiihe und fozialg Ele— 
mente in fich vereinigender Auffiond, welder. dag ganze Türkenthum yon 
Alten umgeftalten au wollen ſchien, erhob ſich im Jahre 1420. der chriſtlichen 


424 


Hera. Der Grieche Dukas hat ausführlichen Bericht Darüber erflattet 1), Doch fo, 
daß von einem tieferen Verftändniß der Sache bei ihm offenbar feine Rede 
war. Es muß damals eine höchſt lebhafte Bewegung der Beifter durch die nicht» 
offizielle türfifche Welt gegangen fein, Ideen leuchten auf, die ihrer Zeit um 


Jahrhunderte, wo nicht un Jahrtaufende voraneilen; aber die wüften Wogen. 


brutaler Gewalt fchlagen fogleich wieder über ihnen zufanımen. Wie es fcheint, 
hatte die ungeheure Verwüftung, weldye die Züge Timurs hinter ſich zurüds 
ließen, erwähltere @eifter und edlere Gemüther dem Gedanken einer durchgrei⸗ 
fenden religiöfen und ſozialen Reform zugänglidy gemacht. Berflich-moslemiiche 
Myſtik, jüdifche und chriftliche Anfchauungen gaben ben Anftoß dazu. Drei 
Männer waren die Träger des Reformverſuches oder, wenn man will, des Auf- 
ruhrs: der berühmte Nechtölehrer und Heeresrichter Bedreddin, ein höchſt 
begabter Landmann, Böreflüdfhe Muſtapha, und der jüdiſche Rabbi 
Torlaf. Bedreddin gewann in der europälichen Türkei die „@ebildeten“ für 
feine Bläne, Torlak in Aften die Derwiſche, Böreklüdfche die Kandbewohner. 
Er lebte und lehrte als Einſtedler auf dem Berg Stylarios, am füblichen 
Ende der Bucht von Smyrna, Chios gegenüber. Seine Anhänger nannten 
ihn Dede Sultan. Seine Predigt ging auf allgemeine Toleranz und Ver⸗ 
brübderung der Menfchen unter einander, ohne alle Rückficht auf die Verſchie⸗ 
denheit des religiöfen Bekenntniſſes, — alfo auf völlige Gleichheit und Güͤ⸗ 
tergemeinfchaft. Nur die Weiber follten von diefer ausgenommen fein. Als 


die Erhebung immer größere Dimenflonen annahm, übertrug Sultan Mo— 


hanımed I. dem Statthalter von Sſaruchan, Sisman, die Unterwerfung der 
Empörer. Allein Sisman ward in den Schluchten des Stylarios von den 
Anhängern des Dede Sultan gefchlagen und fammt feinem ganzen Heere 
vernichtet. Ein zweiter türkiicher Heerführer, Alibeg, erlitt am Stylarios 
ebenfalld eine fo furchtbare Niederlage, daß er nur mit Wenigen entkam. 
Jetzt ſezßte Mohammed 1. eine Armee von 180,000 Mann unter feinem 
Sohn Murad und dem Großweſir Bajeſid Paſcha gegen die Rebellen in Be- 
wegung. Unter furdtbarem Gewürge wurden bie Päͤſſe des heiligen Ber- 
ges erftürmt. Böreklüdſche, in die Hände der Sieger gefallen, wurde nad 
Epheius gebracht und dort den furchtbarſten Foltern unterworfen, um ihm 
einen Widerruf abzuprefien. Er blieb ſtandhaft. Nun nagelte man den 

1) Edit. Javarin. p. 49 sq. Sammer (Geſch. d. osman. Reiches, I, 293 folg.) 


folgt mehr türfifchen Quellen, befonders dem Neſchri; feine Darftellung ſcheint uns 
aber von Boreingenommenheit gegen bie Aufftändifchen zu zeugen. 


— — — —t— 





425 


Märtyrer in Kreuzesform auf ein Brett und hieb vor den- Augen des ſter⸗ 
benden Gefreuzigten alle feine Sünger zufammen , die feine Lehre nicht ab⸗ 
fhwören wollten. Sie flürzten ſich mit den an ihren Meifter gerichteten 
Worten: Vater Sultan, dein Reich komme zu uns! fröhlich in die Säbel, 
Nach Böreklüdſche's Ausgang wurde auch Torlaf geichlagen, gefangen und 
bingerichtet, ebenfo Bedreddia. Die Reformation des Islam war gefchei« 
tert, aber noch lange glaubten die zerftrenten Lieberrefte ihrer Anhänger, 
Dede Sultan walle noch immer lebend auf Erden. 

Eine genauere Befanntfchaft mit den Bevölkerungen der moßlemijchen 
Gebiete zeigt und überhaupt von Jahr zu Jahr mehr, daß neben der ver⸗ 
fnöcherten Ortbodorie Ted Islam ein buntes Seftenweien eriftirt, welches 
die ganze Scala reltgiöjer Vorftellungen durdläuft, vom ſchlechtmaskirten 
Fetiſchismus an bis hinauf zu freimaureriichem Nationalismus. Abgeſehen 
von ganzen Bölferichaften, welche, wie 3.38. die Defiden?), vom Moham⸗ 


— — 


2) Die PYeſiden (Jezidi), in Kleinafien, Armenien und Kurdiſtan zerftreut 
wohnend, gelten für „Teufelsanbeter.” Die Ehrfurcht, welche fle der Sonne und den 
Geſtirnen, dem Licht und Feuer zollen, fowie ihre firengen Reinlichkeitsbraͤuche, laſſen 
vermuthen, daß dunkle Traditionen tes chaldäifchen Sabäismus und des Parfismus 
unter ihnen fortleben. Dancben aber auch jüpdifche, chrififiche und moslemiſche Vor⸗ 
ttellungen. Der berühmte englifche Reiſende Layard hat ſich in neuerer Zeit lange 
unter ten Jezidi aufgehalten, als Gaſt ihres oberfien Scheichs, und hat, was er da 
beobachtete, im 9. Rapitel feines Werkes über „Nineveh und feine Ueberreſte“ nieder: 
gelegt. Layard zufolge fcheinen die Sezidi allerdings das böfe Princip, den Scheitan 
(Satan) als das höcfte zu verehren. Sie vermeiden es aber mit ängftlicher Schen, 
feinen Namen auszufpredhen, und nennen ihn Melek el Kuht (mädrtiger Engel) oder 
Melet Ta—us (König Pfauhahn). Sie beſitzen aud ein Idol des Melet Ta—us, die 
Bronzgefigur eines Vogels, welche aber nicht ale Fetiſch, ſondern nur als Symbol 
betrachtet werde. Der Scheitan ift, wie fie glauben, der Anführer der Engel. Gr 
erleidet jegt feine Strafe für feinen Aufruhr wider Gott, aber einft werde er, mit 
diefem verföhnt, wieder zur himmlifchen Macht und Herrlichkeit eingehen. (Nachklang 
des zoroaſtriſchen Dogma’s von der endlichen Berföhnung Ormuzds und Ahrimans?) 
Den Satan müfle man fürchten und verehren, denn jeßt habe er die Macht, den Men: 
fchen zu ſchaden, und fpäter die Mittel, fie zu belohnen. In Chriſtus fehen die Jezidi 
einen hochgeſtellten Engel, in Mohammeb. einen Propheten, wie auch Abraham ein 
folcher war. Sie glauben an die Kodmogenie der Geneſis und halten überhaupt das 
Alte Teftament, wie das Gyangelium und den Koran, für verehrungswürdige Bücher. 
Den Miſchmaſch des jezidiſchen Rituale harakterifirt es, daß die Jeſiden ihre Kinder 
zugleich der Taufe und der Beichneidung unterwerfen, fein Schweinefleifch eſſen, aber 
Wein trinken und die Sonne als ihre Kiblah anfehen, d. h. als den Punkt, welchem 





’ 


18 


medagiamus nur, einige. Lehrſaͤge oder rituclle Vorſchtten angenpnugn” ha⸗ 
ben, im Uebxigen aber, ein vages Gemengſel von jüdiſchey, chxiftlichen und 
heidniſchen Vorſtellungen ihre Religion nennen, — bet Die, Bezeichnung Ihr 
lqm foft fo vielerlei einzelne Bildungsgrade und Meinungen, wie hie Der 
zeichnung Chriftenthum. Während, das kirchliche Dogma in flareer Ent⸗ 
wichlungqlofigkeit verharrte, ließen es vorgeſchrittenere Meißen binzer ſich, 
um, ſich gelänterteren Anſchauungen und einer Moral zuzuwenden, deren 
Zorderungen die der edelften Humanität ſind 2). 


beim Seht das Geſichi zugekehrt werden muͤſſe. Layard erzaͤhlt, er habe ſich große 
Muͤhe gegeben, zu erfahren, ob der jezidiſche Glaube etwa mit dem Manichäismus 
aulemmenhänge.; er babe aber barüber nisht, den geringflen Aufſchluß erhalten kännen. 
3) Als Zeugniß deſſen ſtehe hier das falgende, aus der „Wuͤſtenharſe“ von, 

3. Altmann entlehnte arabifche Spruchgedicht: — 

Eh' Sad Ben Malik, der geheißen ward der Weile, 

Antrat aus diefer Welt die große Himmelsreife, 

Sprach er: Gs neiget ſich mein Tag, ihr meine Erben, 

O Söhne, kommt herbei und lerne! von mir flerben. 

Ih hinterlaſſe nicht euch Schäge zum Vexmaͤchtniß, 

Dips, letzte Wort doch leb' in euch als mein Gedaͤchtniß. 

Er ſprach: Den Narren dreht das Leben fich in Kreiſen; 

Gin Baradielespfad, ein g’rader, iſt's dem Weiſen. 

Das Eein Hat keinen Werth tem, der das Ziel verfennt ; 

Doc hohen Werth hat's dem, der es ein Gottſein nennt, 

Allah fei dein Gehet am Abend und am Morgen, 

Dank, ihm für Lieb’ und Luft, dank ihm Tür Leid und Sorgen. 

Trag deinen Kummer fill, dein GLüc theil' mit den. Leuten, 

Laß deineg Serle Gold bie ganze Welt erbeuten, 

Der Ahnen rühm' did) nicht und nicht mit Meichtgum praje; 

Haft heine tu, dem Heren der Welt den Dank bezahle. 

‚Der Armuth ſchaͤm dich nicht, lern' Müh' und Roth erdulden, 

Stirbft du, bezahlet, Gott den Glaͤuh'gern deine Schulden. 

Arm kamß tu auf die Welt, arm trägt man Dich zu Grabe, 

Mer zwifchen Armuth wohnt, was iſt denn deſſen Habe? 

Auf Tugend ſteh' dein Sinn, fie darfſt du leid erwählen, 

Und moßieſt bu. Be felhh aus Allah's Händen fehlen. 

Bertraug nicht ber Welt, ftüg’ dich auf eig ne Kraft, 

Sei wie ein Gifeppfeil an einem Cichenſchaft. 

GlaybR vu, ein Freund fei bein, dann ſei ihm tzeu wie Gold, 

Dad fordre nicht, daß er im Jammer dir fei hold. 

Je Mind'retz du verhoffſt in dieſem armen Zehen, 

Sp mehr, wird dir vielleicht durch. Echichalsbuld gegeben, 


Aa 


Am Grafen, ahen murbe, ſeit der KHreuzigung deß Reformers nam. Paxge 
Gtylarios nur. nach, ein Verſuch zur Umgeſtaltung des Jolam, vom BUND I Unte. 
beraus gemacht: Der Ahebe deſſelben war Mohammend Ahbsel > Raben, be 8 

(ach, 1728), den? Shlfter Dex wadı Ihm benapnien Seüe der, Wo bebi 

Wechabiten) Der Kern von Wahgbs, Lehre ii ratianalißiſcher Deiamus 
Ihr Prediger, durch eifrige Stadien geichult, wandte ſich mit auffläreriſcker 
Polemik gegen den Legendenwuſt, welder, im Laufe der Zeit das moslenuſche 
Dogma um⸗ und ühermucert batda, foxderta eine venaunftmäßlge Erflaͤrung 
beR Koran, verwarf; alle Zradition, eifexie gegen bie überagäßige, Verabxung 
des Propheten ala; gegen Abgötterei und verlangte. daß die Moelim aus. dem 
Schlamm ber Ueppigkeit energiſch ſich aufraffen ſollten. Nachdem der nqut 
Prophet den Fürſten von Derajeh und Lahſar, Ebn Sehud, für feine Lehre 
gewonnen und zum weltlichen Oberhaupt (Emir) der Sekte erflärt hatte, 


Durch Wiperfpruch reis’ nicht don zorn’gen Dann, o Kind, 

Durch Sanfimuth Heil du ihn non feinem. Fehl geſchwind. 

Nicht laß ob deinem Grall das Norgenroth ſich heben, 

Soll Gottes Sonne denn auf einem. Sumpfe ſchweben? 

Bergib mit Huld, o Rind, bein, der dein Herz jerreißt, 

Wie Allah gnädig ſelbſt dem Satan fich erweilt. 

Huͤll' ganz in Tugend dich, wie in ein Kleid von Gold, 

Doch bleib’ auch dem, der nadk in Laſtern gehet, Hein. 

Oft ſcheint auch wohl dem, Blick zu fehlen nur das Sei, 

Indeß ter Nachbar trägt es um die Schuliern weit, 

Der Schein betrügt das Herz, der Schein betrügt den Sinn, 
- Lern’ ihn beherrfchen, Sohn, und groß IR bein Gewinn. 

Erkenn' als wahr nicht an den Wahn, das Borurtheil; 

Das. Necht ſej heine Macht, die. Wahrheit fei dein Heil, 

Gerecht fei Jedermann und thu' nad deiner Pflicht, 

Doch rige leicht das Herz des Feind's, zerreiß' es nicht. 

Die Tugend fei der Stab, daran dir des Propheten 

Himmlifche Fahne weht, laß Jeden davor beten. 

Sie fei dir nicht ein Pfeil, der in ein Herz Ach taucht, 

Daß ſchwarzer Dampf. aufftrigt, ala wenn. ein Opfer raucht. 

Sie fei, wenn Nichta mehr dich, den frzien ei, grregt, 

Der Engel, der dein, Herz vor Allah's Fuͤße legt, — 

So fprab Ben Malik, der geheißen ward der Weile, 

Eh’ er von diefer Welt antrat die Himmelsreife. 

So ſprach er und nach mehr der Spruͤch' ht’ er geſprochen, 

Doch .pibglih, ſchwieg er.Rill, fein Auge.wan gehraden, 


128 


breitete ſich Diefe vermittelt Sener und Schwert raſch unter den arabifchen 

t Stämmen aus. Die Schwäche des türkiihen Reiches ermöglichte es fogar 
den Wahabi, nad blutigen Kämpfen die heiligen Städte Mekka und Medina 
zu erobern (1806). Die Pforte rief den Paſcha von Aegypten Mehemed 
AU und defien Stieflohn Ibrahim gegen die Empörer auf. Unter Fuͤhrung 
dieſer beiden Generale gewann bie Orthodoxie entſcheldende Stege über dir 
Rrform (1815). Die Häuptlinge der Wahabi wurden gefangen und bin- 
gerichtet. Sobald aber Mehemed Ali feine Truppen aus Arabien zurück 
gezogen hatte, erhoben fi die Wahabi abermals in Waffen, und da fie ſich 
innerhalb ihrer Stammgebiete halten, fcheint die türfifche Deglerung ganz 
auf ihre Unterwerfung verzichtet zu haben. 


4. 


Wie alle großen geſchichtlichen Bewegungen, trug auch der Islam im 
erſten Ungeſtüm feiner Jugend etwas Zerſtöreriſches in ſich. Wie alle Re⸗ 
volutionen, bedecte auch die moolemiſche, wo immer fie den Fuß hinſetzte, die 
Erde mit Trümmern. Kein Denkmal der Geſchichte, kein Werk der Fröm⸗ 
migfeit, und Kunſt war den Streitern Allah's heilig. Im Gegentheil un- 
heilig und verhaßt war ihnen Alles, was das Schönheitögefühl der alten 
Völker gefchaffen und die Wuth chriſtlicher Mönche noch unzerſtört gelafſen 
hatte. Denn das Alles erſchien den Moolim nur als Zeugniß ſtuchwuͤrdigen 
Goͤtzendienftes. Gewiß muß uns ein höchftes Gefühl der Achtung vor der 
Eulturarbeit des clajftichen Alterthums durchdringen, wenn wir bedenfen, 
daß e8 und, allen VBerwüftungen durch dhriftlichen und moslemifchen Sana= 
tiömus zum Trotz, noc eine ſolche Fülle von geiftigen und künſtleriſchen 
Schägen überliefern fonnte. Indeſſen führte, wie im Chriſtenthum, jo auch 
im Islam die ewige, unvertilgbare Freude des Menfchen am Schönen eine 
glückliche Reaction herbei. Als die arabifche Invaflon im Morgenland und 
Abendland die Geſtalt feiter Herrichaft gewonnen hatte, flellten ſich auch, 
mit den Mitteln, fie zu befriedigen, die Bedürfniffe höherer Bildung und 
feineren 2ebendgenuffes wieder ein. Die glanzuollen Höfe der Chalifen 
aus dem Haufe Onteljah zu Damasfus und zu Cordoba, die Hofhaltungen 
der Abbaſiden zu Bagdad, der Gasneviden in Perflen, der Pataniden und 
der Moguls in Indien wurden zu Sipen arabijcher Wiſſenſchaft und Kunft. 

Die moslemiſche Kun hat es jedoch nie zu der Fülle und PVielfeitig- 
keit gebracht, zu welcher die chriſtliche aufblühte, fobald dieſe, nachdem fte 


423 


Den einfeitigen Spiritmafiamus Hinter fich hatte, anfing, die Subſtanz der 
riftlichen Idee allfeitig in ſchönen Formen zu entwideln und alle Künfte in 
den Dienft der Kirche zu berufen. Der fireng feftgehaltene Grundfag, daß 
die bildliche Darftellung, befonders die der menſchlichen Geſtalt, verwerflid 
fei, beichräntte die bildende Kunft der Moslim auf die Architektur, während 
unter ihnen -von den redenden Künften auch nur eine zu höherer Entwidlung 
fam, die Poeſie, und wieder Diefe nur in Epik, Lyrik und Didaktik. Denn ' 
die höchſte postifche Gattung, bie Dramatik, brachte ed in der moslemiſchen 
Welt kaum zu roheflen Anfängen. weil die Seele der dramatifchen Kunfl, . bie 
freie : Selbfibeftimmung des Menſchen von der Wucht de. fatalikiichen Dog⸗ 
ma's erdruͤckt wurde. 

Die moslemiſche Baukunſt, price ‚wir aud die faragenifche und, mit 
befonderer Rückſicht auf Nordafrika und Spanien, die mauriſche zu- nennen 
pflegen, hat alle Länder, wo ber Islam berrichte und herrſcht, mit Monu- 
menten bebedit. Ihre bedeutenbften Hervorbringungen find Moſcheen, Bur⸗ 
gen und Palaͤſte. Der Moſcheenbau weit zwei Hauptformen auf. Die 
eine, dem altchriftlichen Baſilikenftyl verwandt, ifl der große, quadratiſche, 
mit Arkaden umgebene Hof; die andere ift der geichloffene, gewölbte und 
betuppelte Tempel, auf deflen Form der byzantiniſch⸗römiſche Styl Einfluß 
gehabt haben mag. Im arciteftoniidhen Detail zeigt fih Eigenthümliches, 
eine zwiefache Bogenform nämlich, Die des Hufeiſenbogens und die des Spig- 
bogen, welche lettere, auf altorientaliichen Cindiichen) Vorbildern berubend, 
in der chriſtlich⸗abendlaͤndiſchen Architektur eine viel größere Bebeutung 
erlangte ald in ber modlemiihen. Die Ornamentit ber Iegteren ift reich 
und phantaftifch,, aber zugleich, da fle von eigentlicher Geſtaltenbildung ab⸗ 
firabiren mußte, doch wieder monoton, Sie muß. fih allzufehr auf An⸗ 
wendung von geometrijchen Linien und Yiguren, auf Nachbildung von 
Blätter und Blumenwerk beſchraͤnken. Im Allgemeinen darf man fagen: 
der Charakter Ter modlemifchen Baufunft ift nicht Erbabenheit. Das Groß- 
artige, Erhebende, den Geiſt in flaunende Bewunderung Verjegende gebt 
ihr ab, Dagegen bezaubert fie durch die Zierlichfeit ihrer Formen, die wirfs 
fame Bertbeilung von Licht und Schatten, den Reichthum und die Zartheit 
ihrer Ornamente, die wie von Feenhand geſchaffen ſcheinen. Ihre Mofcheen, 
Palaftyallen und Kioske find gewiffermaßen geeignet , die Sinne angenehm 
zu erregen, wie die Seele in vage Träumereien gu wiegen. Reiſende von 
fiharfer Beobachtungsgabe verfihern, das Geheimniß des ſüßen Nidts- 


Has, dir, RE" Wer Drientalen, Werbe Etnem ek War, weni van or 
Werkung aibel?miſcher Wihrwerke erſahren hube 1). 


5. 


Winwal aus Ihrer halbinfulakiſchen Wöpefärtnfferigett tzetausgetreten, 
ervberren He Araber nicht nur Ränder und Neere, ſondern wich We Reife 
ves Wiſſens. Für dieſes hochbegabte, jugendfriſche Bott wurde bie Be 
ridtung MM denn Acdeeneſerungen griechiſch⸗raͤmiſcher Culinir geiſtig ſo be⸗ 
Wudtenv‘, Val es as der Hand des erſturrten Buränrineriätiits Me Mifften 
Adernehmen konnte, im Jahrhunderten, we die Finſterniß trier Wirken 
über der Ghriftenheit brütete, die Leuchte antiker Bildung ver vem OriAuen 
Ya wahern tind To Hodh'Entbor zu hatten, daß ein Siverſchein derſelben auch 
An vie mönthiſch verfinfierte Zeit des Wendlandes hetrinfiel. Wie ſchvn 
verichrt worden, waren eb insökfondare die Höfe der Chaliſen aus dem 
Gathfe Abdas In Bagdud and der Chatifen Aus dein Hauſe Oxiefirh in Tot 
vvoda, Wo arabdiſche Wiſſenfchaft und Kunſt am frucheſten Bluͤthhen frieb Ad 
Drqre reifte. Fuͤr Bagbad bezeichnet Der Name Eis Abigemia (Ben Stun, 
ft. 1068), für Corvoba der Name Averross (Abul Walid Moßkränheb En 
Ahned On Nohanmer Ebn Roshd, fl. 1217) Den Mittel⸗ und HEHE 
puikt etner wiſſenſchafttichen Thaͤrigkeit, zu weicher Ueberſehumgen gtkecht⸗ 
Mer Bücher , beſonders ver Werte des Arifloteles, trs Arabiſche We Alt 
derung gegeben Hatten und die ſtch im den Dißgipiiien der Muthemarik, 
Aſtrondinie, Phyſik, Heilkunſt, Geſchichtfchreibung, Theologie und Pilofe- 
phie dindig nrähle. Iht Charakter war freilich weit mehr nur ein erhalte a ver als 
ein ſchopferiſcher, aber gerabe die erhaltende Thaͤtigkeit der atabiſchen Gelehr⸗ 
faukrit verdient, wie Jedernann weiß, in hohem Srade die Dankbarkett ves 


4) Dieſe Bauwerke, ſelbſt mur die bedeutendften, einzeln aufzuzaͤhlen, iſt natürlich 
hier nicht der Ort. Sind ſie doch in Kunſtgeſchichten und Reiſehuͤchern oft genug 
beſchrieben worden. Ich moͤchte nur in Betreff der mauriſchen Denkmale auf der 
wyetndiſthen Halbinfel verweiſen auf Be Sthilverung derſelben durch M. Willtöiriin 
I „Zei· Fahe m Spanien und Poͤringal“) und in Betteff der moeleniſchen Baufen 
in DRifdien af den · 8. Vnnb der Reiſe am vie Wett“ von Graf Goͤrg. Zn Hgterem 
Buch (S. 498 19.) findet ih namentlich eine ausführliche und meifterhafte Beſchrei⸗ 
bung ber „erften architeftonifchen Zierte Indiens“, des Taje Mahal, d. i. des Tems 
'pels, welchen Schah Jehan (ft. 1688) in der Nähe von Agra über dem Grabe feiner 
Hentingsgerählin Modmtäz Mahal erbaute, Sörk ſagt, dieſes Maufdleum mache 
un Cinbrucdleines! Follitherkxs, Den fein irdiſches Webaͤube nahhe konnue ⸗ 


— — — — — 


abe, Don Arabien fted gtoßenthells zuzuſchteibn, baße dle Farei 
der elaſſiſchen Bildung inz Mitteliilter Ginüberhefkitet würden: — bimdt iſt 
Alles geſagt. 

Mit'der Virbteffing des Idlaim in Vorderaſten und Spanien ſewann 
ich der Strom arabiſcher Poeſte an Brefte und Ausbehnuig, aber er blißle 
zuglelch die Kräft aid urfprüngfidge Ortginalitkt ein, welche die altärabifce 
Dichtung ausgezeichnet hatte. Wie der Islam ſelbſt, ME Huch) die hoerifche 
Titeriitur deffelben eine Miſchung verichtebeher Eleinenle und 8 haften 'an 
ihr dußerdem woch die Makel höſtſcher Speichelleckerei imd jener raffinirten 
(Kiliitelr,, welche überall einzutreten pflegt, ibo der Auell wifhrändtiäger 
Anfpiration verſtegt. Dies gilt namentlich von ber arabifchen Lyrik nach 
Mohammed, welthe in Ihn Vuxcid, Motenebbi und Toghrai glanzende Re⸗ 
präfentänten ſtellte 1). Auf dem Felde der Didaktik erweiterten Meidäni, 
gBamathſchari und Schakruh den altarabifchen Bnomenvorrarh zu Lehrbich⸗ 
rungen, welde das zanze Gebiet der Moral umfaffen, uͤnd än die ziemlich 
mythiſche Verſon des Fabeldichters Lokman knuͤpft ſtch bie Enlwicklüng Deb 
Apologs, welche dann in dem Thierepos vom dummen und argliſtigen Schal 
Mi (, Kalilah ve Dimmah *) ihren Abſchluß fand. Inſofern inch die 'drke 
biſche Maͤrchendichtung und Novelliſtik eine ſtark vidaktiſthe Faätrbung krug, 
haͤngen dieſe Gattungen mit der Fabelpoeſie genau zufammen. Mohammed 
hatte zwar gegen die Märchenluft ſeinteð Volkes geeifert, aber wie vergeblich, 


4) Der berühmtefte dieſer drei it Motenebbi, welcher mit Wahrheit von ſich ges 
fagt hat: 
„Mich kennt das Roß, kie Nacht, das Schlachtrevier; 
Der Schlag, der Stoß, die Feder, das Papier.“ 
Gr wurde 968 im Kampfe mit raͤuberiſchen Beduinen erſchlagen, nach einem Leben 
voll bunter Abenteuerlichkeit. Sein Name bedeutet „ter Prophet fein Wollende * 
und war ihm zum Spott gegeben worden. Denn beim Beginn feiner Laufbahn hatte 
er den mißglüdtten Berfuch gemacht, in Mohammeds Fußftapfen zu treten, und deßhalb 
Am Styl des Koran zu den Bewohnern ver Wuͤſte geſprochen: 
Bei dem Serne, der geht, 
Bei dem Dom, ber fich dreht, 
Bei der Nacht, bei bem Tag, 
Berſlucht ſei, wer glanben nicht mg ! 
Ich ſtehe Hei Bekannten, 
Din fruͤhern Sottgefandten, 
Ya Gott will mir erlaufen, 
Zu regeln ten Glauben. 


TER" 
‘ 


438 


zeigt der Umſtand, daß es ſchon unter dem Ghalifen Omar gewerbömäßige 
Erzähler gab, welde für den Märchenhunger ihrer Zuhörer von allen Eden 
und Enden ber phantaftiihen Stoff herbeiſchafften. So haͤufte fih nad 
und nad ein ungeheures Material von wunderbaren Geſchichten, welches, 
fpäter vielfach mod vermehrt und überarbeitet, jezt unter dem Xitel der 
Märchen von taulend und einer Naht („ Elf Leila“) weltberuͤhmt il. Neben 
Diefer unerjchäpflichen Fundgrube orientalifcher Einbildungsfraft ſteht als 
Schatzkammer arabifchen Wiged und Humors die in gereimter, mit Verſen 
seich durchwirkter Proſa ſich bewegende Makamendichtung mit ihren kunſt⸗ 
vollen Wort⸗, Buchſtaben⸗ und Raͤthſelſpielen, welche durch Hariri (fl. 1121) 
auf ihren höchſten Gipfel geführt wurde 2). — Als die arabiſche Macht in 
Vorderaſten der Invaſion hochaſiatiſcher Horden erlag, verloſch dort auch 
das Licht arabiſcher Wiſſenſchaft und Poeſie. In Spanien hinterließ das 
Araberthum feinen chriſtlichen Beflegern eine Erbſchaft der Bildung, Die 
nomentlih, wie im elften Kapitel des Buches vom Chriſtenthum erwähnt 
worden, auf die Anfänge der abendländifchemittelalterlihen Dichtung Ein- 
flug übte, Im Morgenland felbft jedoch trieb ner Islam, befruchtet Durch 
altperfliche und indiſche Ideen, in der neuperfiichen Literatur noch feine 
prachtvollſte Gulturblürhe. 


6. 


Schon unter Omar wurde Perften eine Provinz bes Chalifat3 und 
der Islam verdrängte die Ormuzdreligion. Im Geheimen hingen freilidy 
nod Viele derfelben an, indbefondere in den öſtlichen Gegenden des Landes. 
Andere wanderten nad Indien aus, wo befanntlich noch jet viele Befenner 
des Parftsmus leben, freilich eines zur feellofen Mumie gewordenen Parfis⸗ 
mus, Einige Jahrhunderte Tang befand ſich dann in Perfien der Prozeß 
einer neuen Gultur in ‚wilder Gährung, bis die Miſchung perfticher und 
arabifcher Elemente zu einer leidlichen Klärung gediehen war. Ihren Aus- 
drud fand dieſe perflich-arabifche Bildung in der neuperflfhen Sprache, 


2) Diefe Krone orientaliicher, Nopelliſtik hat bekanntlich Fr. Ruͤckert durch eine 
wunderbare Nachbildung, in weldyer der Meichthum, die Biegfamfeit und der Wohllaut 
unferer Sprache einen höchften Triumph. feiern, der deutſchen Literatur angeeignet. 
(„Die Berwandlungen tes Abu Seid von Serug ober bie Natamen des Hariri“, 
3. Auflage. 1844.) 





— En — m 


433 


welche fihon zur Zeit der Saffaniven das Pehlwi zu verdrängen angefangen 
batte und in den Tagen, wo unter den moslemiſchen Dynaftien der Sama« 
niden und Gasneviden Perfien zu ruhigeren und georbneteren Buftänden 
gelangte, als eine reiche und entwidelte Schriftiprache feflgeftellt war. 

Es gibt zwei wahrhaft productive Perioden perftfcher Literatur. In der 
erften verfchmolz ſich das arabifcheabenteuerlidhe Element des Iölam mit- den 
religiößcheroifchen Traditionen des alten Perferthums und aus dleſer Miſchung 
ging jene romantifche Epif hervor, die in dem Schahname des Firbuft gipfelt. 
Wir haben von diefem größten Dichterwerk des Orients ſchon früheren Ortes 
ausführlich gerebet 1) und Eönnen uns daher hier begnügen, zu fagen, daß 
dDaffelbe nicht vermöge, fondern im Gegentheil trotz des Jolam geichaffen 
wurde. Denn nicht dad modlemifche, ſondern das zendaveflifche Dogma tft 


die Seele des Schahname. Im der zweiten Periode nahm der perſiſche I8- 


Iam den Bantheismus Indiens in ſich auf und fhuf eine myſtiſche Lyrik, eine 
pantheiftifche Theofophie, welche die höchſte Stufe philofophifcher Weltan- 
ihauung im Islam ausmacht. Wir verweilen noch einen Augenblic bei 
dieſer bebeutendften inneren Entwidlungsphafe des Mohammedanismus. 
Den äußeren Anftoß zur perflihen Myſtik gab der von Abu Hafchem 
um die Mitte des 8. Jahrhunderts n. Chr. geftiftete moslemiſche Mönchs⸗ 
orden der Sufi 2). Der Dichter Senaji (fl. 1180) verlieh dann in feinem 
myſtiſch⸗didaktiſchen Buch „ Hadika“ dem Sufismus zuerft poetifche Geftalt. 
Aber erft als die Einbrüche der Mongolen in Perfien Alles in Frage ftellten 
und das drohende Chaos die Menfchen zur Einfehr in fich ſelbſt nöthigte, 
gelangte die myſtiſche Lehre zu größerer innerer Vertiefung und zu größerer 
äußerer Geltung und Wirkſamkeit. Die Einwirkung des brafmanifchen 
Dogma ift augenſcheinlich. Denn die perfifche Myſtik laͤßt ſich ganz gut in 
bie brahmaniſche Borderung zufammenfafien: Die menſchliche Ichheit (Be⸗ 
fonderheit) foll in die göttliche Allgeit aufgelöft werden ?). Der Menfch ver- 
nichtet, bet lebendem Xeibe, fein Sch, um fich in Gott wiederzufinden und in 
und mit Gott ewig zu leben, in und mit Gott, der in Allem der Eine ift. 
In der unendlichen Anfchauung dieſes All⸗Einen zu leben, das ift die voll« 
fommenfte Stufe der Heiligkeit, dies daB Biel, nach welchem der wahre Sufi 


41) Thl. 1, S. 185 —194. 

2) D. i. der Wollebekleiveten, von souf,, souf Boll. 

3) Bel. Thl. I, ©. 128. 
Scherr, Geſch. d. Religion. II, | 28 


434 


ringen fotl®). Bwar bat man behauptet, der perfiihe Pantgeismus nuter- 
ſcheide fi vom indiſchen Dadurch, dab er Die Perſönlichkeit Gottes feſthalte. 


4) Der Sufi Ferideddin Attar (erſchlagen 1226) fingt: 

Wem Goit vergoͤnnt, ein Wiſſender zu fein, 

In deffen Herzen wohnt nur Gott allein; 

Ihn kümmert nicht, was ihm die Welt auch ſchicke; 

Sa, auf fich ſelbſt nicht wirft er feine Blicke. 

In Ibm (Gott) vernichtet fein heißt Willen nur; 

Nicht weiß, wen noch des eig’'nen Dafeins Spur. 

Der Wiffende ſtrebt nicht nach beiden Welten ; 

Mur Bott allein, fon Nichts kann für ihn gelten; 

Auf Goties Antlitz ruht des Geiſtes Bid, 

Vom eignen Selbſt bleibt Fein Gefühl zuruͤck. 

In den Anmerkungen zu ſeiner trefflichen Verdeutſchung von Sadi's Roſengarten 

(S. 241) faßt K. H. Graf Weſen und Form des Sufismus in dieſen Sätzen zuſam⸗ 
men: — „Die Sufl, deren Urſprung ſich in die Anfänge der Herrſchaft des Islam 
in Perfien verliert, bilden nicht etwa eine einzige, durch eine genau formulirte Lehre 
von den uͤbrigen Mohammedanern unterfihiedene Seklle, fie ind felbR in eine unzaͤh⸗ 
ige Menge von Selten oder Schulen geiheilt, die aber alle in der Hauptſache überein: 
fimmen, nämlid in dem Streben, fid) über die äußeren Formen ber Religion zu 
erheben und durch ein myſtiſches Verſenken in bie Tiefen der Gottheit fih von den 
Feſſeln des irdifchen Dafeins zu befreien und zur Cinheit mit Gott zu gelangen. So 
mannigfaltig die Lehren find, welche die einzelnen Schulen über die Art und Weile 
auffteflen, wie man zu diefem Siele gelangen fann, fo flimmen fie doch im Allgeıneinen 
darin überein, daß es vier Hauptftufen gibt, die der Suft zu durchlaufen hat, bevor er 
daſſelbe erreicht. Die erſte Stufe ift die des Gefehes, auf welcher die gewöhnlichen 
Menſchen, denen der Sinn für das Höhere nicht aufgegangen iſt, ftehen bleiben ; durch 
genaue Beobachtung der im Islam vorgefihriebenen Gebote und Gebrauche bereitet 
ſich der Strebende zur Aufnahme der höhern Wahrheit vor. Dann ſucht er einen durch 
feine Erleuchtung und Heiligkeit ausgezeichneten Pir oder Scheich, d. h. Alten, auf, 
ſchließt ic ihm als Jünger an, gelobt ihm unbedingien Gcherfam, und gelangt fo 
auf die zweite Stufe, welche der Pfad genannt wird, wo er die Beobachtung ber relis 
giöfen Gefege und Ceremonien als etwas Neußerliches und Todtes von ſich wirft, oder 
fie nur noch beibehält, um vor dem Volke nicht als ein Ungläubiger zu erfcheinen und 
fein geheimes Wiſſen deſto fiherer bewahren zu koͤnnen, wo er von dem Eörperlichen zu 
dem geiftigen Gottesdienſt auffleigt. Mur große Frömmigkeit und geiſtige Kraft kann 
aber den Suft befähigen, fidy fo von den Banden des Gefepes Ioszumaden, um Gott 
im Geiſte und in der Wahrheit anzubeten und auf biefem engen und rauhen Pfade zu 
gehen, ohne zu ſtraucheln. Iſt es ihm aber gelungen, gläubig und Heilig darauf fort- 
zuwanbeln, fo erreicht er die dritte Stufe, die des Willens, wo er, im Befite ükerna= 
tüclicher Ginficht, den Engeln bes Lichtes gleich ifl, die an dem Throne Goties fichn. 


235 


Aber bet näherem Bufehen verſchwindet biefer Unterſchied, oder wo er 
hervortritt, ſteht er einer Scheinconceiflon an die modlemiſche Ortbobexte 


ſehr ähnlich. 

Eine Heihenfolge großer Dichter, unter denen wieder Dſchelaleddin 
Rumi, Sadi und Hafis vorragen, unternahm es, biefen philoſophiſchen Pan⸗ 
theismus didaktifch und lyriſch zu predigen. Mewlana Dſchelaleddin Mumi 
(1207—1273), die „Nachtigall des beſchaulichen Lebens“, fliftete Dem 
Orden der tanzenden Derwiiche („ Mewlewi *), welche, um den in der Mitte 
Killfigenden Scheich beim Klange der Trommel und Ylöte unter dem Aus- 
ruf „Allah hu!“ im Kreife fich drehend, durch diefen Eultact das Sichdrehen 
und Schwingen aller Weſen um das N: Eine fpinbolifiren 2). Sein doppel- 
gereimteß Lehrgedicht „ Mesnewi“ iſt das Brevier der Mewlewi, aber höch⸗ 
ſten Schwung nimmt feine Myſtik in den Ghafelen feines Diwan, Hier 
tönt ber perſiſche Pantheismus bithyrambifh auf, Wohin der Dichter 
blickt, überall fieht er nur das All-Eine 6). In taufend Geflalten offenbart 


Dann bat er nur noch einen Schritt zu thun, um bie vierte, bie hoͤchſte Stufe, das 
Ziel, nad) dem feine Seele feufzt, zu erreichen, das Ziel der Verfenfung in die Bott: 
heit, des völligen Cinsſeins mit Gott. Dieſes hoͤchſte Ziel erreichen nur wenige Aus- 
erwählte während ihres irdifchen Daſeins; biefes find die heiligen Lehrer, um welche, 
wie um höhere Weſen, zahlreiche Schüler fich fchaaren, mit dem Wunfche, ihrer gött- 
lichen Erleuchtung theilhaftig zu werden und fih von ihnen auf den Pfah der Wahrheit 
leiten zu laflen. 
8) Ich kenne zwei Ghaſele Dichelaleddins, welche eigens für den Tanz der Mew⸗ 
lewi gebichtet wurden. Beide enthalten die Aufforkerung zu dem myſtiſchen Reigen: — 
Schal’ o Trommel, ball’ o Flöte! Allah hu! 
, Wall’ im Tanze, Morgenröthe! Allah hu! u. ſ. f. 

Das zweite ift tieffinniger. Es beginnt mit den Worten: 

Tritt an zum Tanz! Wir ſchweben in dem Reih'n der Liebe, 

Mir ſchweben in der Luſt und in der Bein ber Liebe — 
und endigt mit dem Vers: 

Ih kann die Raͤthſel alle dir ber Schöpfung jagen, 

Denn aller Raäthſel Löfungswort ift mein, ber Liebe. 
Bine hoͤchſt anfchauliche Schilderung des Tanzes der Mewlewi findet ſich bei Hailbrons 
ner („Morgenland und Abendland,“ I, 94 fg.). 

6) Ich fah empor ımd fah in allen Raͤumen Gines, 

Hinab in’s Meer und fah in allen Wellenfchäumen Eines. 

Sch ſah in's Herz, es war ein Meer, ein Raum ber Welten, 

Bol taufend Trkum’, ich ſah in allen Träumen Eines. 

| 28* 


436 


es fich, immer anders und doch Immer Dafielbe. Nie und nirgends, darf 
man ohne Anftand behaupten, bat die myſtiſche Ekſtaſe ihr Sicheinsfühlen 
mit der Weltfeele glänzender manifeftirt als in den Ghaſelen Dſchelaleddins, 
welcher ein jauchzendes Credo der Durchgottung bes Univerſums angeftimmt 
hat ). Er ift e8 auch geweien, welcher mit aller Entfchiedenheit der pharifät- 
fhen Werkheiligfeit im J8lam entgegentrat und namentlid dem Gultgebot des 
Wallfahrens eine Höhere Deutung gab®). Bon den Werken des Mos⸗ 
licheddin Sadi (1175—1263) kommt Hier der Mofengarten („ Guliſtan *) 
in Betracht. Das audy in Deutichland fehr bekannte und geſchaͤtzte Buch iſt 





Du biſt das Erſte, Lepte, Aeußre, IJunre, Ganze; 
Es ſtralt dein Licht in allen Farbenſaͤumen Eines. 
Du ſchauſt von Oſtens Gränze bis zur Graͤnz' im Weſten, 
Dir blüht das Laub an allen grünen Bäumen Eines; _ 
_ Bier widerfpänft’ge Thiere zieh'n den Weltenwagen ; 
Du zügelft fie, fie find an deinen Bäumen Gines. 
Luft, euer, Erd’ und Waſſer find in Eins gefchmolzen 
In deiner Furcht, daB dir nicht wagt zu bäumen Eines. 
Der Herzen alles Lebens zwiſchen Erd’ und Himmel . 
Anbetung dir zu fchlagen foll nicht fäumen Eines. (Ruͤckerts Ueberſ.) 
7) So 3. 3. in dem befannten, oft citirten Ghaſel, welches anhebt: 
Sch bin das Sonnenftäubchen, ich bin der Sonnenball; 
Zum Stäubchen fag’ ich: Bleibe! und zu der Sonn’: entwall’ ! 
und mit den echipantheiftifchen Berfen fchließt : 
Ich bin der Wefen Kette, ich bin der Welten Ring, 
Der Schöpfung Stufenleiter, das Steigen und der Fall. 
Ich bin, was iſt und nicht it. Ich bin, o der du's weißt, 
Dichelaleddin, o fag’ es: ich bin die Seel’ im ALL! 
8) In folgendem fchönen, von Rofen überfegten Ghaſel: — 
° Die Pilger, die zur Kaabah ausgegangen, 
Wenn endlich fle zum Ziele hingelangen, 
Seh'n fie ein Haus von Stein, erhaben, heilig, 
- Bon fahlen Thalabhängen rings umfangen. 
Sie ziehen aus und hoffen Gott zu fhauen, 
Sie ſuchen viel, umfonft ift ihr Verlangen ! 
Doch fchallt wohl eine Stimme aus dem Tempel, 
Weaenn deſſen Schwell’ inbrünftig fie umfangen : 
1 „Was betet ihr zu Thon und Stein, ihr Thoren? 
- Das Haus verehrt, nach dem die Reinen rangen, 
Des Herzens Haus, das Haus des Wahren, Einen — 
O felig, die in diefen Tempel drangen!“ 


eine Art morgenländifchen Gefellfchaftäfptegeld oder auch, wenn man will, 
eine Art „Anwetfung zum feligen Leben“, d. h. es Außert fih darin nicht, 
wie in den Diwanen Oſchelaleddins, eine träumerifhe Gotttrunfenheit in 
dithyrambiſchen Lauten, fondern eine fpruchfertige, die Erſcheinungen des 
Lebens mit hellem Auge meſſende Weisheit gibt praftifche Regeln, die aber 
doch wieder nicht ohne myſtiſch⸗poetiſchen Anhauch find. Denn auch — 
Sadi war Pantheift. Zugleich jedoch ift in ihm-ein Zug von Nationalismus, 
vielleicht fogar von Skeptik, Anfäge zu jener Ironie, welde dann in.den 
Liedern bed Mohammed Schemseddin (d. i. Glaubensfonne), genannt_Hafis 
(d. i. der_Bewahrer, Auswendigwiffer , nämlich des Koran) mit fouverainer 
Macht Hervorbridt. Hafis (ft. 1389) if von allen morgenländijchen Dich⸗ 
tern im Abendland, wenigftens in Deutfchland, am populärflen geworben 9). 
Er war Suft, Pantheiſt, Myſtiker, zugleich der kühnſte Ketzer des Orients 
und ein frommfter Moslem. Sofern man wenigftend den höchſten Grad 
der Glaͤubigkeit in der ſelbſtbewußten Einheit mit Gott ſehen will. Bei 
Hafis iſt überall die Materie vom Hauch des Göttlichen durchgeiſtigt, das 
Weltall von der Gottheit durchdrungen. So konnte er in der Wirklichkeit 
eine Verförperung des Ideals erblicken, eine „„befte Welt“, und mit gott 
trunfenem Enthuſtasmus zum beiteren Genuß diefer beften Welt auffordern. 
Es tft ihm vollkommener Ernft, wenn er fingt, auch Kuß und Wein jeien 
göttlich, aber wer ihm das als Frivolität anrechnen wollte, müßte überhaupt 
bie pantheiftifche Weltanfchauung als frivol verwerfen. Wenn man endlich 
betrachtet, mit welcher überlegenen und göttlich heiteren Ironie Hafis feine 
Polemif gegen allen Egoismus, Buchftabendienft, Pfaffen» und Philifter- 


geiſt führte, fo Eommt man unfchwer zu der Anftcht, diefer perftiche Poet ſei 


der freiefte Geift gewefen, welchen der Orient überhaupt hervorgebracht hat. 
Insbeſondere find feine Lieder die genialfte Manifeflation der Sreieit und 
des Humanidmus im Islam. 

In Hhafis Hatte diefer eine Stufe erreicht, von welcher er entweder zu 
neuen Entwidlungen vorfchreiten oder aber wieder zurüdfinten mußte. 


9) Hauptfächlich durch die Verdeutichung feiner Gedichte durch Daumer. NIE 
eine fo bedeutende Leitung, Eünftlerifch genommen, dieſe Berbeutichung anerkannt 
werden muß, fo ift doch zu fagen, daß diefelbe weit mehr eine Umdichtung iſt, und zwar 
im weiteften Sinne des Wortes, als eine Meberfegung. ine Lefe Hafis’fcher Gedichte 
von verfhiedenen Weberfebern gibt Jolowiczs „Polygloite d. oriental. Poeſie,“ 
S. 545559. 


Lange konnte der Dithyrambos der perfifcken Myftit nicht währen, und da 
felb der Hafis'ſchen Weltfeligfeit immer noch ein flarker Zug moslemifchen 
Fataliomus angebaftet hatte, fo kann es kaum befremden, daß bei erfolgtem 
Müdgang der perfifchen Eultur die muftifche Efflafe zu trägem Quietismus er- 
ſtarrte. Diefe qnietiftifche Erflarrung , welche feitber das Hauptmerkmal der 
moß8lemifchen Eultur geblieben, Fündigte ſich bereitö am Ausgang des 14. Jahr: 
hunderts in der perflfchen Literatur an, deren mit Hafis entichwundenen 
Genius das Talent eines Mewlana Oſchami (fl. 1492) nicht wieder zurüd- 
zubringen vermochte. Schon in der berühmten Fabelnſammlung der „An- 
wari Soheili* wird die indiſch⸗bhuddiſtiſche Gleichgültigkeit als höchſte Weis: 
beit und Tugend gepriejen 10) und an die Stelle des weltgeſchichtlichen Pro- 
zeffeß tritt die beſchauliche Kirchhofäruhe. Im diefer Dammert der Geift de 
Islam, in der türfifchen Literatur nur als ſchwacher Nachhall arabticher und 
perfiicher Vorklänge aufgetreten, feit Sahrbunderten dahin. Ob er ſich je 
wieder zu neuen Offenbarungen aufraffen wird — wer mag e8 fagen? 


— — — — 


Wir ſtehen am Ende unſerer Wanderung durch das weite Gebiet der 
Entfaltungsgeſchichte der religiöſen Idee. Der Leſer, welcher mir mit Ge⸗ 
duld bis hieher gefolgt iſt, wird mir das Zeugniß nicht verſagen, daß ich 
mich redlich bemühte, Feine auch nur irgendwie bedeutende Seite dieſes uner⸗ 
meflichen Gebietes unbeachtet zu laſſen. Möge e8 mir, wünfche ich, einiger 
maßen gelungen fein, ihm bie Mühfale des Tangen, fehwierigen und ermüben- 
ben Weges zu verbergen. 

In Betreff der Mängel meines Buches habe ih ein fo lebhaftes Ge- 
fühl, als es nur der ftrengfte Kritiker haben fann. Seit dem Erfcheinen 
des erften Theild hat die Spezialforihung namentlich in Beziehung auf den 
alten Orient Manches zu Tage gebracht, was jeßt jenen Abſchnitten zu gute 
kaͤme. Ich würde daher bier thunliche Berücfichtigung dieſer neuen Ent- 


— nn 2 


10) SR einer Belt Befig für dich zerronnen, 
Set nicht im Leid darüber — es ift Nichte; 
Und haft du einer Welt Beflg gewannen, 
Set nicht erfreut darüber — es iſt Nichte. 
Vorüber geh’n die Schmerzen und bie Wonnen, 
Geh' an der Welt vorüber — es if Nichts. (Grafs Heberf.) 


— — — — 


0 439 


deckungen — fofern fie, was zuwetlen der-Ball, nicht bloße Hypotheſen find 
— verſprechen, wenn nicht bie Ungunft einer Zeit, welche für höhere und 
höchſte Ideen und Probleme meift nur eine fpärlidhe und verdroffene Aufe _ 
merffamfeit hat, die Ausftcht trübte, daß mein Buch in zweiter, vervollkomm⸗ 
ter Seftalt erfcheinen fönnte. So, wie die Sachen fichen, muß ich mid) be= 
gnügen, zu fagen: Einzelnes mag man tadeln, und zwar mit Net, das 
Ganze aber dürfte felbft ein firenges Urtheil gelten laſſen als den erſten Ver⸗ 
juch einer mit unbefangenem Geifte gefehriebenen vollftändigen Gefchichte der 
Religion. 

Die religiöfe Zeugungskraft der Weltgefchichte ſcheint einflweilen er- 
fchöpft zu fein, im Großen, wie im Kleinen. Im Großen, denn im Orient 
hat feit dem Islam, im Occident Hat feit der Neformationdzeit die religidfe 
Idee nichts Weltgefchichtliches mehr geichaffen. Im Kleinen, denn von 
äußerlihen Gewaltmitteln, welche gegenwärtig fo vielfach in religiöfen Din- 
gen den innerlichen Trieb erfegen follen, wird Niemand im Ernſte Gutes 
erwarten. 

Biele Anzeichen fprechen dafür, daß wieder einmal ein Tag der Welt- . 
gefchichte fich dem Abend zuneige. Der große Motor unferer Zeit, der In⸗ 
duftrialismus, wird feine Miffton vollenden, d. h. er wird nicht raften noch 
ruhen, bis er die legten Reſte des Feudalismus vom Erdboden weggefegt hat. : 
Das ift fein Recht. Seine Schuld wird fein, daß er in ungezügelter Herrſch⸗ 
ſucht und wüthender Gier nach Gewinn auch alle Tempel vertilgen wird, die 
dem Böttlihen und dem Menfchlichen, den ewigen Idealen errichtet find, um 
auf den Trümmern derfelben das goldene Kalb zu inthronifiren. Menfchen 


- mit Herzen fo hart wie der untere Müplftein und mit Stirnen von Erz wer⸗ 


den um dieſen Götzen den Reigen tanzen. Aber mitten in den Bacchanalien 
eine bleternen und ſchmutzigen Materialismus wird eine furchtbare Nacht 
die entgötterte Welt, die poeftelofe Geſellſchaft überrafchen. Die Geſchichte 
der Menfchheit zählt mehr als eine folde Nacht voll ungeheurer Zerftörung. 
Doch immer ift dieſen Nächten wieder der Morgen gefolgt. Die Finfterniß ift 
ſtets mit dem Lichte ſchwanger und aus dem Grabe einer Welt grünt und 
blüht eine neue auf. Dfchelalebdin fingt: — 


Wohl endet Tod des Lebens Noth, 
Do ſchauert Leben vor dem Ton, 
Das Leben fieht die dunkle Hand, 

Den hellen Kelch nicht, den fie bot. 


So ſchauert vor der Lich’ ein Herz, 
Als wie vom Untergang bebrohi; 
Denn wo tie Lich’ erwachet, Richt 
Das Ich, der tunfele Despot. 

Du laß ihn flerben in ter Nacht 
Und athme frei im Morgenroth! 


Druck von Dito Wigand in Leipzig. 


Negiiter. 


(Die römische Zahl bezeichnet den Theil oder Band, die arabifche die Seite.) 


A. 
Abendmahlslehre III, 126 fg. 
Abendpmahlöftreit II, 100. 


Aberglaube im Ehriftenthum III, 242 fg. 


Abhängigfeitsgefühl des Menfchen I, 4. 
Ablaß II, 113, 210. 
Adityas I, 106. 
Adonai II, 112. 
Adonis II, 78. 
Adoptianer III, 99. 

. Adrafteia II, 186. 
Negypter II, 3 fg. 
Aeſchylos II, 196. 
Aether IL, 161. 
Ngapen III, 109, 137. 
Agathodämon II, 187. 
Agni l, 104. 
Ahriman I, 170. 
Ahuras 1, 169. 
Aides (Ais) II, 164, 183. 
Mi II, 299. 
Albigenfer III, 211. 
Albordfch I, 98, 174. 
Alfadhir II, 313. 
Alfar II, 326. 

Allah II, 387. 
Amazonen II, 83, 
Amor II, 208. 
Amppitrite II, 179. 
Amſchaſpands I, 171. 
Amun II, 16 fg. 
Anahidäa I, 173. 
Anahuac I, 83, 
Ananga I, 112. 
Nnath IL, 26. 
Anaragoras III, AO. 
Anarimanter III, 38. 
Anarimenes 111, 38. 


Anninga I, 41. 
Anthropomorphismus II, 161, 178. 
Antifipenes III, 4. 

Anubis II, 26. 

Anufe II, 19. 

Aphrodite II, 163, 170. 

Apofalypie II, 340. 

Apokryphen II, 98. 

Apollo II, 208. 


. Apologetif III, 283 fg. 


Apophi II, 23. 

Apoſtel IIT, 88. 

Apfaras I, 103. 

Arabien, Land und Volk IN, 361 fg. 

Ares II, 174. 

Arges II, 163. 

Arier I, 98 fg. 

Nriofto III, 348. 

Ariftipp II, 41. 

Ariſtophanes II, 196. 

Ariftoteles III, 43. 

Arius III, 98. 

Arminiancr II, 134. 

Arnold von Brescia III, 117. 

Artemis II, 175. 

Arueris 1, 23. _ 

Afchera II, 68 fg. 

Aſen II, 313. 

Nienheim IL, 312. 

Asgard Il, 312, 

Aſidäer III, 9. 

Askeſe, die indifche I, 129. 
— die chrifiliche III, 289 fg. 

Asklepios II, 179, 

Asfı II, 310. 

Aflaffinen III, 423. 

Nitarte I, 73 fg. 

Afteria IL, 162. 

Afträos II, 162. 


442 


Afuren I, 106. 
Asvinen 1, 108. 
Atbanaflus III, 98. 
Atlas II, 162. 

Atiye II, 82. 
Audhumbla II, 307. 
Aufklärer III, 307 fg. 
Auguflinus III, 96 fg. 
Aum I, 107. 
Auftralier I, 19. 
Avataren I, 120. 
Averroẽs III, 430, 
Avizenna III, 430. 
Azieken I, 40 fg. 


B. 
Baal II, 68 fg. 
Baaltis II, 68 fg. 
Baau II, 77. 
Babel III, 423. 
Babylonien II, 61. 
Bad III, 338. 
Bacchus II, 210. 
Bacon, Roger III, 297. 


Bacon, von Berulam IH, 303. 


Baiwe I, 4. 
Baldur III, 314. 
Bann Ill, 209. 
Barden II, 234 fg. 
Bafiliken III, 184. 
Bauhütten III, 272. 
Bauer III, 287. 
Baur III, 287, 318. 
Bedrebdin III, 224. 
Beelzebub III, 17. 
Beethoven Ill, 338. 


Begharden und Beghinen III, 116. 


Beheſcht I, 179. 
Beiram III, 310. 
Bel lI, 63, 87. 
Belbogi II, 261. 
Belen 11, 239. 
Bellona II, 206, 
Belfta II, 308. 
Beltis II, 63, 87. 
Bergelmir II, 308. 


Beichneidung, die der Neger I, 33. 
— die der Aegypter II, 30. 
— die der Hebraͤer II, 134. 
— bie der Moslim II, 408. 


Bhagavadgita I, 149. 
Bhavani 1, 109. 
Bibel N, 98 fg. 
Bifroͤſt I, 312. 


Bilbog II, 262. 
Bilderverehrung III, 100. 
Bjelbog II, 263. 

Boa 1, 41. 

Boccaccio III, 348. 
Bog II, 261. 
Bogdo⸗Lama I, 242, 
Bob II, 269. 

Böhme III, 300. 
Bonald III, 320. 
Bon-fu I, 236. 

Boͤr II, 308. 
Boͤrekluͤdſche III, 224. 
BoresSeth II, 28. 
Bragi II, 314. 
Brahma, das I, 107. 
Brahma, der I, 109. 
Brahmanen 1, 117. 
Bretfchneider IIl, 312. 
Briareos II, 163. 
Brontes II, 163, 
Bruno III, 298. 
Bubaſtis, |. Anath. 
Buddha I, 223 fg. 
Buddhismus 1, 222 fg. 
Bundeheich I, 162. 
Bundeslade II, 124. 
Buonarotti II, 332. 
Buri II, 308. 
Buſchmaͤnner 1, 16. 
Büßerlegenden, indifche I, 130. 
Byron III, 383. 


@. 
Galderon III, 348. . 
Galifornier I, 16. 
Calvin III, 220. 
Camokẽs Ill, 348. 
Gampanella III, 299. 
@anones Ill, 194. 
Cardano III, 298. 
Gardinäle III, 200. 
Garriere III, 298, 319. 
Garteftus, f. Descartes. 
Cäfar I, 232. III, 38. 
Genteotl I, 88. 
Geres II, 210. 
Geridiwen II, 239 fg. 
Gervantes III, 348. 
Chalifat III, 397. 
Chalifen III, 408, 421 fg. 
Chalybäus III, 319. 
Chariten II, 178. 
Chaſeph II, 189. 


+ 





Chateaubriand III, 320. 
Cherubim II, 114. 
Chiliasmus III, 111. 
Chineſen I, 194 fg. 
Ehriftenverfolgungen III, 186 fg. 
Chriſtliche Lehrentwicklung III, $9 fg. 
Chriſtenthum IH, 1 fg. 
Chriſtus III, 87. 
@icero II, 220. III, 3%, 47. 
Coͤlibat IH, 201, 262 fg. 
Communismus II, 361. 
Concilien III, 90. 
Condillac III, 309. 
Eonfeffionen II, 89 fg. 
Eonfurius, f. Kongstfe. 
Eonftitutionen, apoflolifche IH, 194. 
Eorreggio I1l, 332, 
Couſin III, 320. 
Greatianismus III, 122. 
Cultus, Begriff deflelben I, 18. 

der der Naturreligionen I, 19— 42, 
der aztefifche 1, 63 fg. 
der peruanifche 1, 82 fg. 
der brahmanifche I, 182 fg. 
ber zoroaftrifche I, 183 fg. 
ber chineftiche I, 208 fg. 
ber buddhiſtiſche I, 233 fg. 
der ägyptifche II, 33 fg. 
ber babylonifche II, 64. 
der fyrifsphönitifche H, 68 fg. . 
der phrngifche II, 80 fg. 
der bebräifche IL, 119 fg. 
der beflenifche II, 188 fg. 
der römifche II, 213 fg. 
der Eeltifche IL, 247 fg. 
der flavifche II, 274 AR 
der finnifche II, 288. 
der germanifche IL, 336 fg. 
der chriftliche III, 136 fg. 
der moslemifche III, 398. 
Eyriflus III, 98. 
Gzart II, 269. 
Ezernobogi Il, 261. 
Gzernybog II, 269. 


D. 


Da Du a ED a a En u 


Dagon II, 68. 

Dairt II, 221. 

Dalai:tama, f. Tale⸗Lama. 
Dämoheneult, mongolifcher I, 44. 
Dante III, 346 fg. 

Deismus III, 308. 

De Maiftre III, 282. 

Demeter I, 164, 181. . 


Ebioniten IH, 91. 


Demofritos II, 39. 

Derketo II, 68. - 

Derwiſche TIL, 409. 
Descartes III, 301. 
Deufalion II, 170. 
Deutfchkatholifen III, 223. 
Deva I, 103. 

Dews I, 171. 

Diafonat IT, 189. , 

Diana II, 208. 

Dichtung, altchriftliche IIL, 341 fg. 
Dido-Anna II, 75. 

Diehod III, 407. 

Diinnen Il, 388. 

Dinge, bie legten III, 83 fg. 134 fg. 392 fg. 
Diogenes III, 41. 

Dionyfos I1, 181. 
Doͤckalfar Il, 326. 

Dogma, das moslemifche III, 386 fg. 
Dogmengefchichte II, 289, 
Dom II, 154. 

Domherren III, 203. 
Domoviesdufi II, 264. 
Donar II, 299. 

Donatiften III, 213. 
Druiden II, 231 fg. 281 fg. 
Druidinnen II, 234 fg. 
Dryaden II, 182. 

Dſchami III, 438. 
Dfchelaleddin III, 4385. 
Dürer III, 333. 


. Durga I, 109. 


Dusdähtfchitfch I, 42. 
Duzakh I, 176. 
Dvergar II, 326. 


Edart III, 118. 

Edda (ältere und jüngere) H, 304 fg. 

Edelmann III, 306. 

Eheweien, chriftliches III, 3238, 262, 
— woslemiſches III, 413 fg. 

Eileithyia IL, 17. 

Einherier II, 313. 

Einfiedlerweſen III, 264 fg. 

Eir II, 316. 

Eisriefen, f. Hrimthurfen, 

& 11, 112. 

Elben II, 302. 

Elfen II, 243. 

Gtion II, 112. 

@lohtm II, 112. 

Elyſion II, 188. 


444 


Embla II, 310. 
Encyklopaͤdiſten HI, 309. 
Engel, im Hebraͤismus II, 114. 


— im Chriſtenthum III, 109, 130. 


— im Sslam III, 388. 
Engelbrüber III, 2328. 
808 Il, 162. 
Gpyifuros III, 48. 
&pimetheus II, 162. 
Episfopat III, 190. 
Epistolae vir. obscur. Ill, 349. 
Erebos II, 161. 
Grinnyen II, 163, 183. 
Erloͤſungslehre III, 103 fg. 
&tos II, 160, 177. 
Erwin von Steinbach III, 241. 
@ielsfeft III, 274. 
Eſſäer III, 9. 
Eſus II, 239. 
Cuchariſtie III, 109, 147. 
Guhemeros 111, 28. 
@uflites III, 41. 
Gumeniten I], 183. 
@uripides Il, 196. 
Ewald III, 288. 
Exegetik 111, 288. 
Grorcismus III, 244, 


8. 

Fafire IIL, 409. 
Fanatismus, chriſtlicher III, 253. 
Faſten III, 260, 401. 
Faftnachtsfpiele III, 339. 
Fatalismus, moslemifeper III, 389. 
Yatum II, 208. 
Faunus IL, 206, 
Febris II, 206, 
Teen Il, 241. 
Tegefeuer III, 111. 
Fenris II, 318. 
Feruers I, 169. 
Feſte, die chriftlichen III, 139 fg. 

— die moslemifchen II, 410. 
Fetiſche I, 32. 
Fetiſchismus I, 18. 
Setifchmänner I, 33, 
Feuerbach III, 316. 
Fichte, d. ä. I, 312. d. j. II, 319. 
Fides II, 206. 
Fimbultyr II, 334. 
Finnen II, 227, 284. 
Firduſi I, 183. III, 433. 
Fifchart III, 349. 
Blagellanten, |. Geißler. 


Flora II, 206. 

%0 I, 199. 

Foraſizzo II, 299. 

Forfetti II, 314. 

Kortuna II, 208, 

Fourier III, 282. 

Brand III, 308. 

Stande III, 239. 

Freia II, 316, 320. 

Freidenker, die englifchen II, 303 fg. 
— bie deutfchen III, 305 fg. 

Freimaurerei IL, 272. 

Kreir II, 320. 

Frigg II, 318. 

Sriffa IL, 299. 

Fro IL, 299. 

Frouwa II, 299. 

Fulla II, 316. 

Furien II, 212. 


G. 
Gaͤa II, 189. 
Gajatri I, 126. 
Galilei III, 303. 
GSandharven I, 108. 
Ganeſas I, 112. 
Ganyınedes II, 178. 
Gefion II, 316. 
Geißler III, 261 fg. 
Senefis, Buch der II, 101. 
Benugthuungsfehre IH, 103. 


. Germanen II, 289 fg. 


Geſellſchaft Jeſu III, 286 fg. 
Gefenius III, 288. 

Ghebern 1, 139. 

Giganten II, 163. 

®imil II, 338. 

Gioberti IH, 319. 

Gitagovinda I, 123, 150. 
rieverung D et Religionegeficte l, 
Gluck III, 

Gnall, m 

Gnatenmahl II, 92. 
Gnoſticismus III, 293 fg. 
Goldalter II, 327. 

Gorinia II, 264. 

Gorotman I, 179. 

Görres II, 321, 

Goſchurun 1, 175. 

Göthe III, 352, 

Gott, hriftliche Lehre von III, 102 fg. 
Bottesdienft, f. Eultus. 
Sottesfreunte III, 118. 
Götterdämmerung, f. Ragnarok. 


13. 


2 


Gottesgerichte, die der Neger I, 34. 


Gottesurtheil IH, 248 fg. 
Gottfried von Straßburg III, 346. 
Grazien, f. Ehariten. 

Gregor der Siebente III, 200. 
Griechen, 1. Hellenen. 

Groot III, 118. 

®ünther III, 321. 

Gwarthawn II, 243. 

Gyges II, 163. 

Gypti II, 6. 


H. 
Hades II, 187. 
Hafis III, 437. 
Hagada III, 388. 
Hagenbach III, 319. 
Halacha III, 3854. 
Halbgötter II, 184. 
Hamäfa III, 368. 
Händel III, 335. 
Haraveks I, 91. 
Hariri III, 432. 
Harpyien II, 179. 
Har:Seph IL, 20. 
Hathor II, 19. 
Hausgeifter IL, 302. 
Havamal II, 344, 
Haydn III, 338. 
Hebe II, 178. 
Hebräertbum II, 90 fg. 
Hegel III, 314. 
Heiligendienft III, 142, 243 fg. 
Heimdall II, 314. 
Seine III, 383. 
Hel II, 318. 
Helden, germanifche II, 300 fg. 
Heliand III, 348. 
Helios II, 162, 179. 
Hellen II, 170. 
Hellenen II, 146 fg. 
Hellia II, 300. 
Helvetius III, 309. 
Hemera II, 161. 
Hengftenberg III, 318. 
Hephäftos II, 173. 
Hera II, 164, 173. 
Herafles IL, 184. 
Heraklitos II, 38. 
Hercules li, 213. 
Herter III, 313. 
Hermes II, 174. 
Hermes, Georg III, 321. 
Hermetifche Bücher II, 14. 


Heroencult der Griechen II, 183. 
Herrnhuter III, 224. 
Heflodos II, 183, 157. 
Heftia II, 164, 178. 
Herenhammer, f. Herenwefen. 
Herenfabbath, f. Hexenweſen. 
Herenwefen III, 244, 247 fg. 
Hidjrah Mohammeds II, 347, 
Hilft II, 287. 

Hindoftan, Land und Leute I, 98 fg. 
Hiob, Buch II, 144. 
Hitopadefa I, 149. 

Hitzig II, 288. 

Hlin U, 317. 

Hluodana II, 299. 

Hnoß II, 316. 

Hödur II, 314. 

Hohepriefter II, 122. 
Hoheslied II, 143. 

Holbein III, 333. 

Holda II, 299. 

Hom I, 163. 

Homeros II, 153, 187. 
Homiletif III, 291. 
Homorofa IL, 62. 

Honover I, 169. 

Horagalles I, AO. 

Horatius III, 34. 

Horen II, 178. 

Hornophre IL, 17. 

Horus 11, 21. 

Hrimthurfen II, 307. 
Husdao I, 177. 

Hugo IN, 383. 
Huißilopotchli I, 89 fg. 
Huirtocihuatl I, 59. 
Humanismus III, 116, 349. 
Hünen IL, 302. 

Huß II, 118. 

Hyiſos II, 10 fg. 

Hylas II, 83. 

Hymenäus II, 209. 

Hyperion II, 162. 


3. 
Jahve II, 112. 
Safobi III, 312. 
Sama I, 106. 
Sanfe III, 138. 
Sanfenismus Ill, 134 fg. 
Sapan I, 219 fg. 
Sapetos II, 162. 
Iblis III, 385, 389. 
Spafeld II, 337. 


-— 1-8 . 


Idealismus, der chriſtliche III, 840 fg. 
Sehova II, 112. 
Sefuitismus, ſ. Geſellſchaft Jeſu. 
Jeſu Leben III, 80 fg. 
Jeſu Lehre MI, 69 fg. 
Jezidi, f. Defiden. 
Smamet III, 396, 
Immunitaͤt ui, 193. 
Imuteph II, 23. 

Inder I, 98 fa. 

Indianer I, 20 fg. 

Sindra I, 104. 
gubußrialiömus III, 139, 
Inkas 1, 

innere en II, 240. 
Innocenz der Dritte III, 203. 
Inquifition III, 211 fg. 
Interdict III, 209. 

Sinti (Intip) 1, 80. 
Sinveftitur III, 199. 

Joga I, 129. 

Jogi, f. Joga. 

Joh II, 19. 

FJoͤrdh II, 316, 321. 
Jörmungandr II, 318, 
Zötunen II, 322. 
Fötunbeimt II, 310. 
Jovis II, 204. 

Stan I, 187. 

Iris II, 178. 

Ifis II, 23 fg. 

Islam III, 359 fg. 386. 
Jubeliahr II, 120. 

Juda Ha⸗Levi III, 356. 
Suoenehlahten m̃, 284 fg. 
Judenthum, das in ber Geitichen Belt 

III, 353 fg. 
Zugendbildung, chriſtliche IN, 283. 
Juksakka I, 40. 
uno II, 208. 
Jupiter II, 208. 
SJutribog II, 268. 
Suvenalis II, 211. III, 38. 


K. 
Kaabah III, 368, 404. 
Kabbala III, 383. 
Kaiomorts I, 175. 
Kaleda IL, 263. 
Kali 1, 109, 
Kalidafa I, 180. 
Ramadeva I, 112. 
Kamidienft I, 220, 
Kamos II, 68. 


Kanaan, ſ. Palaͤſtina 

Kant III, 310 fg. 

Kaftenweien, inpifches I, 117. 
—  ägyptifcen II, 48. 


Katechetik IH, 291. 


Ratechumenen III, 148. 

Katharer III, 107. 

Kawe II, 288. 

Kebleh (Kiblah) Ill, 400. 

Kefforet III, 401. 

Kelten II, 225 fg. 

Kepler in, 303. 

Keto i, 170. 

Ketzer, ſ. Katharer. 

King, heilige der Ehinefen I, 200. 

Kirche, Begriff der III, 106, 129 fg. 

- Kampf, Triumph, Berfaflung, 

Spaltung ber IIl, 161 fg. 

Kirchen III, 89. 

Kirchengefchichte III, 288. 

Kirchenväter III, 101. 

Kirchenverfammlungen, f. Concilien. 

Kirchenzucht III, 207 fg. 

Klerus III, 190. 

Klöfter, |. Moͤnchsweſen. 

Kneph II, 16 fo. 

Koatlicue I, 88. 

Kolpios II, 77. 

Koltki II, 264. 

Kongstfe I, 199 fg. 

Köos II, 162. 

Kopernicus III, 303. 

Koppa I, 419. 

Koran III, 370, 384 fg. 

Korybanten II, 81. 

Kottos II, 163. 

Kranach IN, 333. 

Kreugzüge III, 279. 

Krios Il, 162. 

Krifchna I, 121 fg. 

Krodo II, 268. 

Kronos II, 162 fg. 

Kunottari II, 288. 

Kunft, aztekiſche I, 73. 

peruanifche I, 91. 

indifche 1, 147 fe. 

chinefifche I, 211 fg. 

ägyptifche II, 51 fg. 

griechifche II, 198 fg. 

römifche II, 216. 

keltiſche IL, 247. 

hebräifche III, 16. 

chriſtliche III, 322 fg. 

moslemifche III, 424 fg. 


u MH Min 


Kupalo II, 263. 

Kupay I, 82. 

Kutka I, 42. 

Kybele (Kybebe) II, 79 fg. 
Kyflopen II, 163. 


L. 

Lado (Lada) II, 263. 
Lakſchmi I, 109. 
Lamaismus I, 240, 
Zamenais III, 320. 
Lao⸗tſe I, 201. 
Zaren II, 208. 
Larven II, 207. 
Leben, fittliches und fogiales im Chriftens 

thum III, 226 fg. 
Led II, 263. 
Leibnitz III, 306, 
Lel II, 263. 
Lemuren II, 207. 
Leo III, 318. 
Leſchie II, 264. 
Leſſing III, 308. 
Leto Il, 162. 
Zeufothea II, 180. 
Richtfreunde III, 228, 
Liebig III, 318. 
Ljosalfaheim IL, 312. 
Ljosalfar IL, 326. 
Litanei III, 181. 
Liturgie II, 147. 
Liturgik III, 291. 
Locke III, 304. 
Lofo 11, 316. 
Logosidee III, 93. 
Lohho (Loko) II, 299. 
Lofi II, 317 fg. 
Zope III, 348. 
Zucretius II, 220. III, 34. 
Zufianos III, 28. 
Zuther III, 217 fg. 


M. 
Ma II, 82. 
Macchiavelli III, 349. 
Machinito I, 28. 
Mager I, 160. 
Magie III, 242. 
Mahabharata I, 149. 
Mahan-Atma I, 107. 
Maja I, 118. 
: Maimon (Maimonides) II, 888. 
Malina 1, 4. 
Mama Dello Huasko I, 79. 


#47 


Mama Duilla I, 80. 
Manabozho I, 23, 

Manen II, 206. 

Manichäer III, 214. 
Manitu I, 21. 

Manko Kapakl, 79, 
Mannus 11, 301. 

Mantik 11, 192. 

Manu I, 102, 

Marabuts IIL, 400. 
Marcello II, 334. 

Märchen, arabifche III, 432. 
Marheinecke II, 317. 

Mars II, 204, 208. 
Märtyrer III, 141, 168. 
Maruts I, 106. 

Marzana Il, 269. 
Materialismus III, 309, 318, 
Mepdizin-Beutel I, 238. 
Medizin Männer I, 27. 
Melkaͤrth II, 78. 

Men II, 82. 

Menes II, 9. 

Mengetfe I, 201. 

Mendtios II, 162. 
Menichenopfer, 1. Eultus. 
Menth II, 19. 

Mercurius II, 208. 

Diern I, 08. 

Meichia und Meſchiane L, 176. 
Meſſe IIL, 181. 

Meſſias I, 8 fg. 
Methodiſten III, 224. 
Metropoliten III, 192. 
Mewlewi 1Il, 435. 

Mexiko I, 49 fg. 

Meritli 1, 54, 60. 

Mali l, 87. 

Michaelis III, 286. 
Michelangelo, f. Buonarotti. 
Midgard II, 310. 
Midgardichlange Il, 318, 331. 
Mildthaͤtigkeit, chriftliche FH, 286 fg. 
Milkom 11, 68. 

Milton III, 350. 

Minerva II, 208. 
Pinnetrinfen Il, 340. 
Mifchna III, 354. 

Mifttcha I, AB. 

Mithras I, 173. 

Mirkoatl I, 59. 

Mnemofyne II, 162. 
Moallakat, die und ihre Berfuffer III, 368, 
Mohammed II, 370 fg. 


448 


Moͤhler III, 321. 

Mokannaa III, 423, 

Molefchott III, 318. 

Moloch II, 71 fg. 

Momiers III, 228. 

Möndeweien III, 264 fg., 409. 

Mongolen 1, 43 fg. . 

Montaigne III, 301. 

Moralitäten III, 339. 

Moralwiſſenſchaft III, 289. 

Morana II, 269. 

Mören II, 186. 

Mormonismus II, 228. 

Morsfoj Ezar II, 264. 

Mofcheen III, 409. 

Mofe II, 104 fg. 

Montenebbi III, 431. 

Mozart III, 338. 

Muderthum III, 276 fg. 

Muoi II, 23. 

Murillo III, 333. 

Mufen II, 178. 

Muspelheim II, 312. 

Muspilli II, 332. 

Mutter, die idväifche IE, 210. 

Mylitta IE, 63 fg. 

Myfterien II, 337. 

Myſtiker des Mittelalters III, 148. 
— perſiſch⸗moslemiſche III, 433 fg. 

Mythologie I, 18. 


M. 
Najaden II, 182. 
Narrenfeft III, 278. 
Nafiräer II, 128. 
Naſtrand II, 338. 
Neander III, 318. 
Neger 1, 29 fg. 
Nehalennja II, 299. 
Neith II, 16 fg. 
Nemeſis II, 186. 
Nephthys II, 23. 
Neptunus II, 209. 
Nereus II, 179. 
Nerthus II, 299. 
Neforius II, 98. 
Netpe II, 22. 
Neuplatonismus III, 48 fg. 
Nezr HI, 401. 
Niang I, 31. 
Nibelungenlied III, 346. 
Niflheim II, 312. 
Mifihel 11, 312. 
Nike II, 179. 


Nil⸗Okeamose II, 23. 
Niördr II, 319. 

Nirwana I, 229 fg. 
Nisroch II, 88. 

Nikfch III, 310. 
Rornen II, 311. 
Numanf Madana I, 23. 
Nymphen 11, 182. 


D. 
Dannes II, 62. 
Ochfih:Häddäh I, 24. 
Odhin II, 308, 313 fg. 
Degir II, 322. 
Dergelmir, f. Ymir. 
Dfeanos II, 160. 
Okodil I, 41. 
Omphale II, 83. 
Opfer, f. Eultus. 
Opferidee I, 12. 
Ops II, 210. 
Optimismus I, 10. 
Orakel, griechifche II, 192. 
Ordal, f. Gottesurtheil. 
Orden III, 271 fg. 
Oreaden II, 182. 
Origines III, 298. 
Ormuzd I, 170 fg. 
Ofiris II, 23 fg. 
Dfflan II, 238. 
Oſtara II, 299. 
Difrid IIT, 348. 
Ovidius Il, 219, III, 38. 


8. 
Pagoden I, 1385. 
Palaͤſtina II, 91 fg. 
Baleftrina III, 334. 
Pallas II, 162, 
Pallas Athene II, 178. . 
Paltar II, 299. 
Ban II, 182. 
Pandora II, 169. 
Papſtthum IT, 198 fg. 
Parabrahma 1, 107. 
Paradies, das chriftliche III, 343 fe. 
— das moslemiſche III, 398 fg. 
Bariah I, 118. 
Parmenides II, 39. 
Barfen I, 159. 
Barvati I, 109. 
Parzen, |. Mören, 
Bafagier III, 216. 
Pascal II, 138, 


Paſcht II, 16 fg. 
Paſtoralwiſſenſchaft III, 291. 
PBatriarchat II, 196. 
Paulicianer III, 214. 
Paulus III, 90 fg. 

Pe ll, 19. 

Pelagius III, 96. 
Pelasgifche Völker II, 146 fa. 
Pelasgos IL, 148. 

Bele I, 37. 

Penaten II, 205. 

Perahta (Berchta) IL, 299. 
Perkunas II, 2685. 
Perkuna⸗Tete II, 268. 
Perſephone II, 182. 
Perſes IL, 162. 

Peru 1, 74 fg. 

Perun II, 263. 

Veicheräh I, 16. 
Peſtjungfrau II, 272. 
Petrarca III, 348. 

Phan II, 20. 
Pharifäismus III, 6 fg. 
Pharmuthi II, 23. 

Philo II, 18. 


Philofophie des Alterthums III, 36 fg. 


Phöbe II, 162. 

Phoöbos Apollon I, 173. 
Phorkys 11,179. 

Photius II, 218. 

PBhtah II, 19 fo. 

- Bifollos II, 265. 

Pitris 1, 106. 

Platon III, 42. 

Plinius 1, 38. 

Pluto II, 211. 

Poefte der Hebräer II, 141 fg. 
Pogoda Il, 263. 

Pohyviſt II, 264. 

PBolarvölfer I, 39. 

Polel IL, 263. 
Polyneſier I, 36 fg. 

Bomona Il, 206. 

Pontos II, 160. 

Porewit II, 267. 

Bofeidon II, 164, 179. 
Potrimpos II, 268. 
Prädeftination II, 92, 
Prediger (Salomo’s) II, 144. 
Presbyterium III, 189. 
Briapos II, 182. 

Prometheus II, 162, 168, 
Bropheten, die hebräifchen II, 106 fg. 
Brofelyten IU, 9. 


19 


Proſerpina II, 211. 
Proteftanten III, 219. 
Broteus II, 180. 

Prowe II, 268. 
Pfalmen II, 142. 
PBuranas I, 103. 
PBuritanismus III, 2856. 
Pyrrhon III, 44. 
Pythagoras III, 37, 39. 
Bythia II, 193. 


D. 
Duafer III, 223. 
Quetzakoatl I, 83. 
Quirinus II, 208. 


Ra II, 19. 

Rabbinen III, 354. 
Rackſchas I, 106. 
Radegaſt IL, 267. 
Radien⸗Atzhie I, 39. 
Radien-Kidde I, 39. 
Rafael III, 332. 
Ragnaröf II, 330 fg. 
Pama I, 121. 
Ramajana, f. Rama. 
Ramazan II, 401. 

Pan II, 322. 

Panna II, 23. 
Rationalismus III, 312. 
Rawendi II, 423. 
Recht, das moslemifche III, 411 fg. 
Religionsfriege III, 286. 
Reliquien III, 113, 142. 
Remonftranten, f. Arminianer. 
Reftauration III, 318 fg. 
Reto IL, 22. 

Reuchlin IH, 116. 

Rhea II, 162, 181. 
Rieſen II, 302. 
Ritterthum III, 273. 
Roöhr III, 312. 
Romantik III, 348. 
Römer II, 201 fg. 
Romulus II, 213. 
Roufſſeau IH, 310, 352. 
Rubens III, 333, 

Ruge III, 318. 
Rugiäwit 11, 267. 
Ruſalki II, 264. 


Sacramente III, 108 fg. 
Sadduzaͤer II, 8. 


450 


Sadi III, 436. 

Saga II, 316. 

Saint Martin IN, 320. 
Saint Simon Ill, 282. 
Sakjamuni I, 224 fg. 
Sakti I, 109. 

Salambo II, 76. 

Sälde Il, 302. 

Sandon II, 83. 
Santons III, 409. 
Saraffa I, 40. 

Sarzapi Il, 30. 
Sarasvati I, 109. 
Sartan II, 88. 

Satan II, 115, 389. 
Sate Il, 19. 

Saturnus II, 210. 
Satyın II, 182. 
Savonarola III, 108. 
Sarnot II, 299. 
Schaddai II, 130. 
Schahname I, 188 fg. 
Schai Il, 23. 
Schamanismus I, 17, 
Schang⸗ti I, 204. 
Scheich⸗üͤl⸗Islam III, 489. 
Schelling III, 312. 
Schibleh I, 48. 
Schidfal II, 185, 302, 311. 


Schiiten (Schii) II, 387, 390 fg. 397. 


Schiller III, 382. 
Schisma III, 119. 
Schleiden III, 318. 
Schleiermacher II, 313. 
Schweizer IIL, 319. 

Seb II, 22. 


Seelenwanderung, bruhmanifche I, 139. 


— buddhiſtiſche I, 232. 
—  ägyptifche II, 31 
Seiler III, 320. 
Sekten III, 89 fg. 213 fg. 
Selene II, 163. 
Semiramis Il, 89. 
Senafi III, 433. 
Seneca IIl, 47. 
Senfualismus III, 309. 
Seoſeres I, 48. 
Seraphim II, 114. 
Serapis, ſ. Sarzapi. 
Seuſſe (Sufo) IH, 118. 
Sevech IL, 16 fg. 
Shafers III, 223. 
Ehafipeare III, 3850. 
Eilene II, 182. 


Silvanus II, 206. 

Simonie III, 200. 

Simzerla II, 263. 

Sinear, f. Babylonien. 

Siöfn II, 316. 

Sirenen 1, 180. 

Sittenlehre, die moslemifche II, 413 fg. 
Siva I, 109 fg. 

Sfalta II, 308. 

Sfepticismus I, 6 fg. 

Sklaverei in der hriftl. Welt IIT, 232 fg. 
Sfuld II, 311. 

Slaven II, 258 fg. 

Snotra II, 317. 

Sofrates III, 41. 

Sol II, 208. 

Soma:Öpfer I, 106. 
Sonnenjungfrauen I, 83 fg. 
Sophiftif II, 40. 

Sophokles IL, 196. 

Soſioſch I, 181. 
Sozialismus III, 281. 
Sozinianer III, 133. 

Spener III, 241. 

Spinvza III, 302. 

Sprüde (Salomo’s) II, 148. 
Stamana:-Gautama 1, 224. 
©ti I, 109. 

Staäl, Frau von III, 320. 
Stedinger III, 216. 

Steropes II, 163. 
Storjunfare I, 4. .- 
Strauß III, 287, 318. 
Stribog II, 264. 

Styr II, 160. 

Sudra I, 227. 
Süpfee-Infulaner 1, 34 fg. 
Sufismus III, 433 fe. 
Sunniten (Sunni) i 387, 300 fg. 307. 
Supranaturalismus III, 312. 
Suttur II, 329, 331. 

Sutra I, 227. 

Swantomwit II, 266 fg. 
Swartalfar II, 326. 
Swedenborg III, 224. 
Symbole III, 120 fg. 

Syn Il, 317. 

Synagogen III, 18. 
Synedrium IH, 14. 


T. 


Taate II, 21. 
Tabu I, 36, 38, 
Tacitus 11, 293, 336. IM, 27, 98, 


— 
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Zap I, 107. 

Tale⸗Lama I, 240. 

Talmud II, 384. 

Tanfana II, 299. 

Tangaloa I, 37. 

Taphne II, 23. 

Taran I, 239. 

Tartaros II, 160, 188. 

Tat I, 23. 

Tauler III, 118. 

Tehoret III, 407. 

Telefto III, 298. 

Tellus II, 210. 

Tempel, der falomonifihe II, 128. 
Teofalli I, 82, 64. 

Teofualo I, 69. 

Teotl I, 82, 56. 

Terminus II, 206. 

Teftament, altes II, 98 fg. 
Teihys II, 160. 

Tegkatlipofa I, 59. 
Teufel IN, 109, 130, 247 fg. 
Teules I, 52. 

Teutates II, 239. 

Teutonen Il, 292, 

Thags I, 127. 

Thaumas II, 179. 

Theia II, 162. 

Themis II, 162. 

Theofratie, moſaiſche A, 106. 
Thetis IL, 179. 

Thierdienſt, ägyptifcher II, 34 fg. 
Thomas von Kempen III, 118. 
Thorr II, 314. 

Thoth, f. Taate. 
Thrymskvidha II, 322. 
Thurfen II, 302. 

Tien I, 204. 

Tiermes 1, 41. 

Titanen und Titaniden II,-102 
Titanomadie II, 168. 

Tiziano III, 332. 

Ttafatefolotl I, 89. 

Zlalof I, 89. 

Tleps I, 48. 

Tme II, 23. ° 

To nie und Todtenfeſte, ſlaviſche RE, 


Toltefen I, 83. 

Tonatiuh I, 87. 

Torlaf III, 424. 
Torngarſuk I, 42. 
Tradition III, 89. 
Traducianismus III, 1232. 


Triglaw II, 268. 
Teimurti I, 109. 
Ttitonen II, 180. 
Tſcherkeſſen I, 47 fg. 
Tfchernoibeg H, 264. 
Tſchinevad I, 179. 
Tſchurs II, 263. 
Tfchustfe 1, 201. - 
Tugend, die chriftliche III, 240. 
Tuifto (Tuisko) IL, 308. 
Tupan I, 20. 

Turan I, 187. 

Zürfen IIL, 422. 

Tyche II, 187. 
Typhoeus TI, 167. 
Typhon II, 23. 

Tyr II, IA, 


U, 


Uboze II, 264. 

Nifka III, 188. 
Uller II, 314. 
Ullmann III, 349, 
Ulriei III, 319. 
Univerfitäten 111, 321 fg. 
Uranos II, 160. 

Urd II, 311. 

Uſchas I, 108. 
Utgarblofi II, 328. 
Utraquiften III, 118. 


8. 
Paisja I, 118. 
Bampyrismus 11, 278. 
Panini III, 299. 
Paruna I, 104. ° 
Vedanta⸗Philoßophie I, 108. 
Veda's I, 102. 
Vendidad⸗Sade I, 162. - 
Benus II, 208. 
Verbreitung des Chriſtenthums III, 190 fg. 
Berfall der alten Welt IH, & fg. 
Berföhnungslehre III, 109. 
Berteufelung III, 338. 
Vertumnus II, 206. 
Veſta II, 209. 
Beftalinnen II, 214. 
Vico III, 319. 
Victoria II, 206. | 
Vinci, Leonardo da Ill, 332. 
Virakocha I, 79. | 
Pirgilius III, 24, 34. 
Pirtus II, 206. 
Bifcher III, 318. 


Biſchnul, 109 fg. 
Bispered I, 162. 

Boat III, 318. 

Bol II, 299. 
Boltöpoefle, ſlaviſche II, 283. 
Volla II, 299. 
Boltaire III, 309, 881. 
Böluspa II, 304 fg, 
Brita I, 106, 
Bulcanus II, 208. 
Bulgata I, 117. 


.Wahab III, 427 fg, , 
Wahabi, ſ. Wahab. 


Waidelotten und Waibelottinuen I, 276. 


Wainaͤmoͤinen II, 286. 
Waldenſer III, 118, 
Waldgeiſter II, 302. 
Waldindianer, füdamerifanifche I, 19 fg. 
Waldnomaden des Nordens I, 38 fg. 
Walhall II, 313. . 
Wall II, 314. 
Walfüren Il, 314. 
— Walther von der Bogelweibe II, 319, 
Wanadis II, 319, 
Banaheim II, 312. 
Wanen II, 320. 
Wara II, 317. 
Waflergeifter II, 302. 
Maflerhölle II, 336. 
We II, 308. ° 
Wegſcheider III, 312, 
Weiße II, 319. 
Weltanſchauung, anthropologiſche I, 8. 
theologiſche I, 8. 
Werdandi II, 311. 
Wesna II, 269. _ 
Weſſenberg II, 321. 
Wichte II, 308. -- 
Micliffe III, 118, 
Widar II, 314. 
Miedertäufer III, 223. 
Wila II, 270. 
Wilen II, 270. 
Wili II, 308. 
Wirth III, 319. 


Bi t, die im C | 
| —5 e im Chriſtenihum II, 


8 
MWittiwenverbrennung, I, 144 fg. - 
Wodan II, 298. 
Wokoſch II, 263. 
Wolf III, 307. 
MWolfenbüttler Fragmente III, 308. 
Wolfram von Eſchenbach IM, 346. 
Woloß II, 263. 






an 


&. 
Zatrija I, 117. 
Zenofrates IH, 43. 
Xenophanes 11I, 38. 
Ziubteuftli I, 89. 


9. | 
Dang I, 202. er 
PYeſiden II, 4285. . 


Mogdraftl II, 314. | 
Pmir II, 306. 

Dn 1, 202. 

Zamtid, 31. 

Zambianchi I, 31. 

Zanchor I, 31. 1 
Barathuftra I, 162 fg. ’ 
Baruana I, 168. 
Zauberei, Religion der I, 17. N 
Baubertrommel I, 40. 

Bauberweien, |. Hexenweſen. t 
Zekat III, 402. | 
Seller III, 318. 

Beloten IH, 16. 
Bemargla II, 264. 
Bem-Zem IH, 367, 404, 
Bend:Avefta I, 162. 
Zendvolk I, 97. 

Benon III, 44. 

Zeus II, 164 fg. 172 fg. 
Siewonia II, 269. 

gift III, 410, 
Binzendorf III, 224. 

8io II, 299. 

Znitſch II, 263. 
Zvroaſter, |. Zarathuſtra. 
Zofim II, 263. 





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