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Full text of "Geschichte der Religionsphilosophie : oder, Lehren und Meinungen der originellsten Denker aller Zeiten über Gott und Religion"

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Religionsphilofi ophte 
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. Lehren und Meinungen 17 “ 
a originellften Denker aller Zelten " 


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hiſtoriſch dargeſtellt 


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Immanuel Berger. 


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8 5 bug der Langiſchen Buchhandlung 
a 2 54 1800. 


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er Liebe und Ergebenheit 


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Einleitung. 


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Es iſt eine ganz andre Sache, eine Geſchichte 
von Thatſachen und von Ideen zu ſchreiben. 
Thatſachen find etwas feſtes und beſtimmtes, 
über deſſen Beſchaffenheit man nicht zweifelhaft 
ſeyn kann, ſobald man hinlängliche Nachrichten 
daruber hat. Es faͤllt dagegen ſchon jedem 
Menſchen ſchwer ſeine eignen Ideen beſtimmt 


a Na ; noch ſchwerer iſt es die Ideen Ans 
drer beſtimmt aufzufaſſen; am ſchwerſten aber 

mit Andern über die beſtimmte Beſchaffenheit 
v. erhaupt und beſonders von ſolchen 


n Ideen üb 
1 rue hat, einig zu werden. 
Niemand kann daher weniger auf allgemeinen 
Beyfall rechnen als ein Geſchichtſchreiber der 
hilof phie, und keine Art von Geſchichtſchrei⸗ 
ern iſt wohl unrer ſich mehr uneinig als es die 

ichtſchreiber der Philosophie W 


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* 


Begriffen vom Atheiſums ſeyn mußte; nach wel⸗ 
denen es eben kein ausgemachter Glaubensartikel 


das Werk einer verſtaͤndigen Urſache ſey, für 1 


mittelt iſt, fo kommen die Quellen deſſelben 
| daraus auf Welt und Menſchen gezogen hat. 


* 


11 Einleitung. 
Um daher nicht gleich im Voraus Gelegen⸗ 
heit zur Uneinigkeit zu geben, will ich feine De. 
finition von Religion und Religionsphiloſophie 
voraus ſchicken. Denn eine jede Definition iſt 
ein Apfel der Zwietracht, wenn man ſie unter 
die Philoſophen wirft. Ich uͤberlaſſe es daher 
einem Jeden die Data welche ich in die Geſchichte 
der Religionsphiloſophie aufgenommen habe nach 
ſeinen eignen Begriffen zu pruͤfen. Im Gan⸗ 
zen wird doch wohl jeder mit mir daruͤber einig 
ſeyn, daß die Idee einer Gottheit fie mag nun als 
Einheit oder Vielheit gedacht, als Abſtraktum 
oder Concretum beſtimmt werden die Grund 
lage aller Religion ausmacht. Bey 2070 7 
nun dieſe Idee finde, fie mag aus einer Quel 
fließen aus welcher ſie will, den halte ich AN 

einen Theiſten. Daher iſt mir auch z. B. Epi 
kur kein Atheiſt, welches er nach andern 1 
nach den Plattnerſchen und Hemſterhuiſchen 


chen aber auch leicht die meiſten Bekenner der 
griechiſchen und roͤmiſchen Volksreligion, bey 


war, daß die Welt und ihre Zuſammenſetzung 5 A 
Atheiſten zu erklären feyn duͤrften. 
Wenn der Begriff von einer Gottheit un⸗ 
ter den Meinungen irgend eines Denkers ausge- 


Betrachtung; dann die Folgerungen ! 


Dieſe 


Einleitung. | u | 


Def Ordnung habe ich indeffen nur da 1 
vr wo über jeden dieſer Gegenſtaͤnde etwas 
neues und originelles zu finden war. Wo dies 
ſes nicht der Fall war, habe ich es unangezeigt 
gelaſſen, wie dieſer oder jene Philoſoph uͤber Ge⸗ 
genſtaͤnde dachte, bey welchen er blos den Mei⸗ 
nungen ſeiner Vorgaͤnger folgte. Denn es 
kommt bey einer Geſchichte dieſer Art nicht dar⸗ 
auf an wer etwas gedacht hat, ſondern was 
gedacht worden, aus welchen Quellen es N 
79 71 mit was Br Gruͤnden es Punk 1, 5 


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thümer werden indeſſen ihre Verbeſſerer finden, 


und dies wird Gewinn fuͤr die Wiſſenſchaft 


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ſeyn. — Ganz konnte ich mich jedoch hieran 


nicht binden, und manche Wiederholungen was 


ren unvermeidlich um den Faden des Ganzen 
nicht zu verlieren. 

Es findet bey einer Geſchichte von Ideen 
auch ein ganz andrer Pragmatismus ſtatt, als 
bey einer Geſchichte von Thatſachen. Denn That⸗ 
ſachen fließen immer aus andern Thatſachen bis 
ſich ihre Quelle entweder in Naturwirkungen 
oder in Ideen findet, zu welcher ſie jedoch nur 
lten, und nicht allemal auf den richtigſten We⸗ 
gen, von unſern Geſchichtſchreibern gefuͤhrt 
e. Ideen fließen hingegen Ac e 

aus 


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v Einleitung. 


aus andern Ideen, ſondern werden von brigi⸗ 


nell; Koͤpfen oft unmittelbar aus ihrem Genie 


oduzirt, wovon ſie oft nicht einmal ſelbſt einen 
Grund angeben koͤnnen Zuweilen kann dieſes 
zwar beſſer noch von Andern geſchehen, zuweilen 
a auch nicht. Man muß ſich daher hüten den 
Pragmatismus nicht zu weit zu treiben und einen 
| Zuſammenhang hineinzutragen wo keiner iſt. 
* Ich wage es daher nicht den Gang im 
Allgemeinen anzugeben, welchen die Ausbildung 
der Religionsphiloſophie genommen hat. Zu⸗ 
5 weilen ſieht man in der Geſthichte der Religions⸗ 
phil oſophie eine Idee durch Einbildungskraft 


entſtehen, und die Vernunft hinterdrein Gruͤnde 


=: diefelbe aufſuchen. Zuweilen geht es umge⸗ 
ehrt. Die Spekulation findet einen Begriff 
und die Einbildungskraft ſchmuͤckt ihn aus, und 
führt ihn dabey nicht ſelten über die Grenzen des 
Erweislichen hinaus. Bald verwandeln ſich 
phyſiſche Begriffe in metaphyſiſche, bald wieder 
metaphyſiſche in phyſiſche. 

Alle Religionsideen R nd ARE Zweifel phi⸗ 
loſophiſchen Urſprungs d. h. fie ſind durch 
Nachdenken entſtanden. Sie wurden aber 
auf eine doppelte Weiſe weiter fortgeleitet, l 
theils durch fortgeſetztes Nachdenken, theils BR. 
durch Tradition. Hieraus entſtehen zwey 
Haupttheile der philoſophiſchen Gedichte 
der Religion; nemlich die Geſchichte des 
frey en Nachdenkens über die Religion, oder die 
5 * Geſchichte der Beige ; 


„ 1 9 


Einleitung. 


phie, und die Geſchichte der durch Tradition 
fortgepflanzten Religionsideen, welche, da dieſe 
Tradition groͤßtentheils die Geſtalt der Offen⸗ 
barung annahm, auch die Geſchichte der Of⸗ 
fenbarungsreligionen heißen kann. Die er⸗ 
ſtere iſt diejenige welche ich hier vorgetragen 
habe. Beyde find ſchwer von einander zu tren⸗ 
nen, denn ſie erklaͤren ſich gegenſeitig; die Ge⸗ 
ſchichte der Offenbarungsreligionen iſt eben ſo⸗ 
wohl einer philoſophiſchen Behandlung faͤhig und 


mwuͤrdig, als die eigentliche Geſchichte der Reli⸗ 
gionsphiloſophie, und es finden ſich in ihr eben 
ſo viel Denkmaͤler von den Anſtrengungen der 
menſchlichen Denkkraft als in dieſer; nur daß 
ſie dabey nicht ſo frey handelt, ſondern immer 
irgend eine Autoritaͤt zum Grunde legt. Da 
man aber nur von einem freyen Nachdenken 
uͤber die wichtigſten Angelegenheiten der Menſch⸗ 
heit, wahre Aufklärung über die Ein ſichten er⸗ 
warten kann, welche die Vernunft innerhalb 
ihrer Grenzen von denſelben beſizt, ſo duͤrfte 
eine ſolche Trennung der Geſchichte des freyen 
und des an Offenbarungsbeariffe gebundnen 
Nachdenkens doch nicht zweecklos ſenn. 
Mas ich zur Geſchichte der eigentlichen 
Religionsphiloſophie rechne, wird man aus 
dem Buche ſelbſt erſehen. Ich fand für nöthig 
einige Uinterſuchungen über die Religionsbe⸗ 
griffe der aͤlteſten Völker vorauszuſchicken, um 
zu zeigen wie der philoſophiſche Urſprung der 
Religion ſich auch unter der wine 
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yı Einleitung. 4 


und unſcheinbarſten Huͤlle erkennen laͤßt. Auch | 
glaubte ich dieſes deswegen thun zu muͤſſen weil ö 
unſre meiſten philoſophiſchen Geſchichtſchrei⸗ | 
ber von den Religionsideen dieſer Voͤlker handlen, 0 
um doch etwas von der barbariſchen Philoſophie 
zu ſagen, von der fie überhaupt nicht viel wis 
ſen. Da ich nun gerade denjenigen Theil der 
Philoſphie behandle welchen ſie bey dieſen Voͤl⸗ 
kern an die Stelle der Philoſophie uͤberhaupt 
ſetzen, ſo glaubte ich ihn nicht uͤbergehen zu 
duͤrfen. Auch zeigt es ſich daß die aͤlteſten grie⸗ 
chiſchen Philoſopheme ſich nicht ohne Ruͤckſicht 
auf die Volksreligion, und die Ideen der grie⸗ 
chiſchen Volksreligion ſich nicht ohne die Re⸗ 
ligionsbegriffe andrer Voͤlker erklaͤren laſſen. 
Von den Hebraͤern habe ich nur fo viel geſagt, 
als ich ohne auf die ſpaͤterhin unter ihnen ent⸗ 
ſtandenen Offenbarungsbegriffe Ruͤckſicht zu neh⸗ 
men ſagen konnte. Die uͤbrigen Voͤlker, deren 
Rieligionsbegriffe andre Geſchichtsſchreiber der 
Philoſophie aufzunehmen pflegen, verweiſe ch 
inn die Geſchichte der Offenbarungsreligionen; 
als die Indier, Chineſer, Perſer, Eben ds 
hin rechne ich die ſpaͤtern Juden, die Cabbalis 
ſten und Rabbinen, die Philoſophie des Chris 
ſtenthums, der Kirchenvater, der meiſten Sch ⸗ 
laſtiker und überhaupt aller chriſtlichen Theol. 
gen, auch die Philoſophie der Araber, Auch 
glaube ich die Meinungen aller Myſtiker 
Schwaͤrmer und Theoſophen dahin verweiſen zu 
muͤſſen, weil ſie, wenn auch nicht durchgaͤngig 
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Einleitung. es 


| ee eſbuchenen Offenbarung, doch von 


Offenbarungsbegriffen die ſie mit ihrem innern 


Lichte verbanden ausgiengen. Endlich gehoͤrt 
auch alles dasjenige dahin, was wirkliche Phi⸗ 
loſophen zur Vereinigung ihrer Philoſopheme 


mit den Offenbarungsreligionen gethan haben. 


3. B. Leibntzens Abhandlung über die Ueber 


ſtimmung des Glaubens und der Vernunft; 
Kants Religion innerhalb der Grenzen der blo⸗ 


ßen Vernunft. Es iſt nicht zu laͤugnen, daß 


bey alle dieſem auch viel philoſophiſches Nach⸗ 
denken ftatt findet, aber immer gieng es doch 


entweder von Offenbarungsbegriffen aus, oder 


zweckte doch auf dieſelben ab, und das Wenige 
was etwa die Frucht eines wirklich unabhaͤngi⸗ 
gen Nachdenkens ſeyn dürfte, läßt ſich bey eins 


zelnen Per ſonen noch ſchwerer von dem übrigen 
abſondern als die Sonderung im Ganzen iſt. 
Es ſoll mir lieb ſeyn, wenn Jemand nach die⸗ 


yo Trennung eine philoſophiſche Geſchichte der 
Offenbarungsreligionen bearbeiten wollte, nch 


5 lieber aber, wenn ich kuͤnftig ſelbſt dazu im 


Stande ſeyn, und durch den Beyfall des Pub⸗ 


kums dazu aufgemuntert werden follte, 


So viel als moͤglich habe ich aus den Quel⸗ 


kun fig gefhöpft, und mic zur Bauthelung 


ihres Werths der lehrreichen Unterſuchungen eis 


nnes Meiners, „Plattner, Tiedemann, Buhle, 


Fuͤlleborn, Tennemann und andrer bedient. 
. ich es nicht thun e ich u 


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nt Einleitung. 

Maͤnnern ſelbſt gefolgt, und habe meine Leſer 
darauf aufmerkſam gemacht. Bey der Ge⸗ 
ſchichte der neuern Philoſophie mußte ich mich 
durch mancherley Umſtaͤnde genöthigt, kuͤrzer faſ⸗ 
ſen als ich gewuͤnſcht haͤtte und auch noch oͤfter 
den Urtheilen Andrer folgen. Doch werden 
meine Leſer nichts dabey verlieren, wenn ſie 
ſtatt der meinigen zuweilen die Reſultate der For⸗ 

ſchungen eines Schwab, Staͤudlin und Eber⸗ 
ſtein erhalten. | ee , 


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Einleitung 


BR S8. 

Erſtes Buch. Hiſtoriſch 1 philoſophiſche Unterfus 

8 der Grundideen der Religionen der älteften 
Voͤlker N 


Erſtes Capitel. Hebraͤer. 6 3 1:26 
Zwey tes Capitel Chaldaͤer s 26. 36 
Drittes Capitel. Phoͤnizier 2 Pi 36541 
Viertes Capitel Aegyptr⸗⸗ x: je 63 
Fuͤnftes Capitel. Griechen . 84 


Sechstes nnen Dichter Sheofogen der an 


chen 6 
g Hmoytes Bud. Vorbereitungen der Neliglonsobl⸗ 5 


= 


loiopbie bey den Griechen. : 
Erſtes Capite! Ueber die Nach forſchungen der 
Griechen nach ang erſten Urſache der Dinge 


_ Überhaupt u „96 101 
ae Capitel Thales 8 107: 109 
ittes Kapitel Anaximander 100 Anaximenes ma 119 
Viertes Capitel. Pythagoras „ 115131 
Künftes Capitel. Eleatiker⸗ 132147 
Sechtses Capitel. Heraklit D 8 1477183 
Siebentes Capitel Empedofles 154° 159 


Achtes Kapitel Leucipp und Demokrit s 1595 165 
Neuntes Kapitel. Sophiſten und Arheiften 166+ 174 
dae uch. Geſchichte der altern Religtonsphi. | 


loſoph 
Les Tapitel. Anaxagoras 0 157184 | 


Zbweytes Capitel. Sokrates 184 > 103 

. Drittes Capitel, Schuͤler des Sokrates 195 200 

iertes Capitel. Plato: D 201 220 

Be Capitel. Ariſtoteles⸗ 220: 233 
Sechstes Capitel. Epikur 2 110 248 

Siebentes Capitel Stoiker ® 2449273 

Achtes Capitel. Skeptiker = © 274312 


Neuntes Eapitel. Neuplatonikee „ 312.337 


Mr Zehntes 3 850 Scholaſtiker 6 „„ 338 373 


Viertes 


Inh 
aigner. Geſchichte der neuern „ 
loſo 
Erſtes Capitel. Erſte unabhangige Selb 
unter dem ons Skeptiker. Montagne ei 
ron. Hobbes A Seite 374386 
Zweytes Capitel. Carteſius 386, 396 
Drittes Capitel. Spinoza a 3901 
Viertes Capitel. Phyſikotheologen - 410 415 
Fuͤnftes Capitel. Leibnitz und Wolff > 416. 428 
Sechstes Capitel. Skeptiker und Naturaliſten 429 : 439 
Siebentes Capitel. ee Philoſophie 440.450 


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„ solgende Druckfehler dürften den Sinn entſtellen. 


"ei 32 eile 2 6 Kabiren ſtatt Kobiren. “ 
z befleckten ft. beflochten. | 
3 40 + 151 en ſt. Bochant. 5 
„ 43 10 nach: daß die Griechen -— iſt hinzuzuſetzen: f ie. 
„ 888 Anm. Z. 1. [ ingelle&u:le fi. intellecturale. 
110 8. 5. l. über das Unbedingte im menſchlichen Wiſſt en, ſtatt 
N uͤber das Unbedingte, unmenſchliche Wiſſen. 
2131 12 l. Timaͤus von Lokri ſt. Tim. v. Lokei 0 
2180 Anm. 3 4. v. unt I. 857016 fi. End e. 
189 3. 4. v. u 1. erſte bewegende ft. erſt bewog. * 
s 249 3 9. l. Befriedigung fanden ft. Befr. fordern. 7 
2 2061 ⸗ % I Inſtrumentalurſache ft. Wee en 
„273 21 einzelnen ſt. einzelner. 
2422731. l. Pyrrho ſt. Pyreho 
23 287 > I 1. auch kein materieller, denn ein materielles We⸗ 
ER fen ft. auch kein materielles Weſen vi 
298 >; 17. l. die Ueberſetzung des Ennius von Euhemerus Ge⸗ a 1 
1 gie der Goͤtter ſt. vor Fubu Geſch. d. 9 


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1. v Mer übrigens ft. die ubrigens. 5 335 
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Erſtes Buch. 


* 5 Erſtes Capitel. 


; Di aͤlteſte urſprͤͤngliche Philoſophie war ein 


5 


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Werk der Natur. Kein aͤngſtliches methodiſches 
Forſchen leitete die ältefien Denker auf die Säge 


welche fi ſie fanden, kein Ehrgeiz trieb ſie an ſie zu 


ſuchen. 5 Der Werth philoſophiſcher Wahrheiten 


ne 


konnte nicht eher erkannt werden, als bis man 
mehrere berfelben gefunden und geprüft hatte, und 
ihre Erfindung konnte nicht eher Ehre und An⸗ 
ſehn geben, nicht eher des Forſchens werth geach⸗ 


N tet * bis man jenen Werth erkannt hatte, 


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2... Buhl. Capitel 1. | 3 
Die aͤlteſten Philoſopheme waren sa er das — 4 
Reſultat eines natürlichen Beduͤrfniſſes, Das 
Bebduͤrfniß der Erkenntniß vblbſspbiſge Wahr⸗ 
heiten fuͤhlt nicht der ganz rohe Menſch, der nichts | 
als Befriedigung ſinnlicher Triebe begehrt, und 
mit nichts als mit dieſer Befriedigung beſchaͤftigt $ 
iſt. Ueber dieſen Zuſtand mußte die Menſchheit ni 
daher ſchon hinaus ſeyn, wenn fie geiſtige Beduͤrf 5 1 
niſſe ſollte fühlen koͤnnen. Die Menſchen, welche 
zuerſt philoſophirten, mußten ſich daher ſchon in ei⸗ 
nem gewiſſen Wohlſtande befinden, in welchem ſie 
nicht ihre ganze Zeit der Jagd, dem Feldbau, der 
Viehzucht oder der Fiſcherey zu widmen noͤthig hatten. 
Sie mußten Zeit und Muße zum Nachdenken ha⸗ 
ben, und dabey in einem Zuſtande ſeyn, in wel⸗ 
chem fie das Nachdenken überhaupt nicht ganz ent⸗ 
behren konnten. In einem ſolchen Zuſtande, wel⸗ 
cher die Erfindung philoſophiſcher Wahrheiten und 
Ihre Ausbildung bis auf einen gewiſſen Grad vor⸗ N * 
| zuͤglich begünftigte, befanden ſich zuerſt jene No- 1 
maden, welche betraͤchtliche Heerden hatten, die 
fuͤr ihre Beduͤrfniſſe ſorgten, und ein anſehnliches 
Hausweſen, von Weibern und Kindern, Knechten 44 
und Maͤgden zu beherrſchen, aber auch zu verſor⸗ 5 74 
gen hatten. Die Sorge fuͤr das Ganze erforderte 2 
Nachdenken von ihnen, bie Sorge für das Eins m 
| zelne 


7 al, 


2 Bruch I. Capitel r. RN 
ward ihnen von ihren Untergebenen abgenom⸗ 
men. Nachdenken war alſo ihr vorzuͤglichſtes Ges 
15 ſchaͤft. Da es nun nicht, fehlen konnte, daß es 
nicht gute Köpfe unter ihnen gab, welche mit der 
Sorge fuͤr ihre unmittelbaren Beduͤrfniſſe, vermit, 
telſt eines ſchnell umfaſſenden Blicks und guter 
Ordnung, die fie in ihre und ihrer Hausgenoſſen 
Geſchoͤfte brachten, bald zu Stande kamen ſo 
konnten fie ihr Nachdenken auch andern Gegenſtaͤn⸗ 
den widmen, welche über den Kreis ihrer haͤusli⸗ 
chen Beduͤrfniſſe hinauslagen. | 
Welcher Gegenſtand lag ihnen aber wohl 1 
her als die Frage: wer wohl das Ganze der 
Dinge ſo beſorgen möchte, wie fie felbft für 
das Ganze ihres Hausweſens ſorgten? Dies 
Hi ee ſie gar leicht auf den Begriff eines großen 
Mannes fuͤhren, dem ſie dieſe Beſorgung zuſchrie⸗ 
ben, und von dem fie Alles ableiteten, was nicht 
durch ihre eignen Kraͤfte und Bemuͤhungen zu Stande 
gebracht ward. 
| Die Beſchaffenheit folder urſpruͤnglichen na⸗ 
0 5 turlichen Philoſopheme richtete ſich uͤberall nach den 
g Umſtaͤnden, in welchen ſich die erſten Denker befan⸗ 
den, weil ſie ſelbſt ein Werk dieſer Umſtaͤnde was 
N ren. Es iſt daher ganz natuͤrlich, daß wir bey 
. den älteften Menſchen, von deren religioſen Begrif⸗ 
. 1 * fen 


4 Buch 1. Capitel 1. 


fen wir Nachricht haben, den Glauben an einen 
einzigen Gott antreffen. Denn da ſie Nomaden * 


waren, in deren patriarchaliſchen Verfaſſung alles 
von der oberſten Direction eines Einzigen abhing, 


fo konnte es gar nicht anders ſeyn, als daß ſi ſie 
auch, ſobald fie ſich jene Frags aufwarfen, nur 
einen oberſten Weltſchoͤpfer und Regierer annahmen. wi 
Es wäre widernatuͤrlich geweſen, wenn ſie zuerſt auf den 
Polytheismus gekommen waͤren, der nur bey einen 
ganz andern Art des Urſprungs religiöfer Ideen 


ſtatt findet. Man hätte daher gar nicht noͤthig ge⸗ 


habt, den Wonotheismus der alten Hebraͤer fuͤr 9 


ein Werk ſehr tiefer oder wohl gar uͤbernatuͤrlicher 
Weisheit anzuſehen, und ihn entweder aus den 
Myſterien der aͤgyptiſchen Prieſter, denen man eben 


ö deswegen eine ſehr tiefe Religionsweisheit zuſchrieb, 24 
oer aus einer beſondern göttlichen Offenbarung her⸗ 
zuleiten, oder ihn wohl gar zu bezweifeln, 8 


man ihn fuͤr eine Frucht einer ungleich größern 
Aufklärung hielt, als man jenen nomadiſchen Fa- 
milienvaͤtern zutraute. 


Die geſamte Religionspbilofopbie der 85. 5 
braͤer war ein Werk des Nachdenkens ihrer no⸗ 
madiſchen Vorfahren. Denn die Hanptgrundfäße 4 
ihrer Religion überhaupt liegen ſchon in den Bes 
griffen derſelben. Das, was Moſes hinzuthat, bes 1 


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. 5 Puch 1 Sapikkt 1 a 
1 traf größtentheils blos den aͤuſſern Cultus, und 
d Philoſopheme welche fpätere Denker unter ih⸗ 
nnen aus der Religion ſchoͤpften und mit ihr ver⸗ 
banden, beruhten ſaͤmtlich ſchon auf den Meinungen, 
welche ſchon Abraham, Iſaac und Jacob hatten. 
Die aͤlteſten Spuren der Religlonsphiloſophie der 
Hebraͤer und die eigenthuͤmlichſte Darſtellung ihrer 
0 wahren Geſtalt iſt daher in der Geneſis zu ſu⸗ 
chen. Zwar finden wir auch hier nicht ihren erſten 
Urſprung. Denn jene Erfindung der Religion ſelbſt 
muß alle den Menſchen vorhergegangen ſeyn, von 
denen uns die Geneſis erzaͤhlt; aber wir finden 
ſie doch ihrer Urquelle am naͤchſten. 
Wir finden auch in der Geneſis nicht eigentll⸗ 
he Philoſopheme, ſondern nur Beſultate eines 
philoſophiſchen Nachdenkens, wir erblicken un⸗ 
ter mancherley Einkleidungen und erkennen in man⸗ 


cherley Aeuſſerungen was jene alten Denker gefun⸗ 


den haben; wovon ſie ausgegangen find, vermögen 
wir nur durch wahrſcheinliche Schluͤſſe zu ergruͤnden. 
' Der religiöſe Geiſt der Geneſis weht uͤber 
den Ruinen von Jahrtauſenden, unter denen es 
ſchwer iſt, den eigentlichen Standpunkt und die 
ee des Religfonsgebaͤudes das fie ent⸗ 
hielten, noch ſchwerer aber den Erbauer deſſelben zu 
euträthſeln. So viel 1 gewiß, daß die Nachkommen 
Nis A 3 | 8 0 


7 


8 


5 


fahren, den er gekannt zu haben ſcheint, und den 7 
er und ſeine R achkommen, und mit ihnen alle die, 


ſchen Gehalt haben. Zwar hat man jenen ane, 1 


> 
* 


man dieſes thut, ſind blos grammatiſch, und als 
ſolche auch nicht einmal ſtreng beweiſend. Auch 


ben koͤnnen. Wenn nehmlich einige Stellen, a a 8 Ri 


| „ 
6 Buch J. Capitel 1. 3 
Abrahams den größten Theil ihrer religloͤſen Sen 
dieſem ihren Urvater verdankten, und daß Biefer 
viel von ſeinen religioͤſen Usberzeugungen aus ei ⸗ 25 
nem Nachdenken ſchoͤpfte, und durch daſſelbe aus⸗ 
bildete. Doch iſt es auch nicht zu verkennen, daß 4 
er ſelbſt ſchon Vieles von ſeinen fruͤhern Vorfahren 4 
entlehnte. Denn ſchon der aͤlteſte von feinen Vor⸗ | 


auf welche die religisfen Begriffe feiner Machkom 
men Einfluß hatten, für den erſten Menſchen ges 
halten haben, Adam, muß aͤhnliche Religionsbe⸗ 
griffe gehabt haben, wie ſie Abraham und ſeine „ 
Nachkommen hatten, wenn irgend die Nachrichten, 4 | 
welche die Geneſis von ihm giebt, einigen hiſtori⸗ 


Menſchen, die wir kennen, den Polytheismus zu⸗ 
ſchreiben wollen. Allein die Gruͤnde, mit welchen 


wuͤrde man nach denſelben den Polgtheismus nicht 5 ; 
ſowohl ihnen ſelbſt, als denjenigen, welche die Nach- 
richten von ihnen uns hinterlaſſen haben, zuſchrei⸗ f 


Gen. I, 26. * 22. von der Gottheit in der viel- 


ſochen Zahl zu ſprechen ſcheinen, welche jedoch nach 5 
einein 3 


nnn AR 8 * 5 
RR 1 6 N e enn 8 * 
N * * 1 ' "3 > E > 7 5 ; 5 “ 5 
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Buch J. Capitel “. 7 
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1 


55 . uicht ungewöhnlichen. Hebraͤsimus auch für | 
IN den ular ſtehen kann, ſo wuͤrde daraus gar 
1 nicht folgen, daß diejenigen, deren Geſchichte ſie 
19 beſchreiben, Polytheiſten waren, der Polytheismus 
1 wuͤrde vielmehr den Geſchichtſchreibern beyzulegen 


fen Hierzu kommt, daß, wie wir ſchon gezeigt 
RE haben, der Monotheismus den Menſchen, welche 
3 bey einer nomadiſchen und patriarchaliſchen Verfaſ⸗ 
5 ſung eine Religion erfinden weit natuͤrlicher iſt als 
der Polytheismus, und daß es unerklaͤrlich ſeyn 
7 würde, wie die Nachkommen Monotheiſten gewor⸗ 
Ey den wären, wenn die Vorfahren Polytheiſten 
waren. Ss | 
Wenn wir alfo gleich weit entfernt ſind die 
e derjenigen mitzutraͤnmen „ welche von den 
Kenntniſſen und der Philoſophie Adams viel zu er⸗ 
zählen wiſſen f wobey ſie, da ſie ihn fuͤr den erſten 
Menſchen halten „von der Vorausſetzung einer an⸗ 
9 debe Weisheit ausgehen, die ſie ſich nicht groß 
genug denken zu koͤnnen glauben, ſo iſt es uns doch 
15 wahrſcheinlich daß fon Adam gewiſſe und zwar 
unh Religionsmepnungen hatte wie Abraham. 
Ob er dieſelben zuerſt erfunden, oder wie es wahr⸗ 
90 ; ſcheinlicher iſt, ſchon auch von alteren Vorfahren, 
1 wenigſtens zum Theil empfangen hatte, laͤßt ſich 
5 ne ausmachen. Denn hieruͤber verlaſſen uns alle 
| | | A 4 biſto⸗ s 


er: ig ä 8 


7 a, a 
1 Buch l. Capitel ee = u 5 ha = 
biſtoriſhe Nachrichten, und führen uns nirgends je 
auf den erſten Urſprung der Reli onsideen, wel he 
ſie uns an den aͤlteſten 1 a eutdecken laſſen, 
zuruck. 5 
Wenn der Erzählung vom verlohtnen 
Paradieſe etwas hiſtoriſches zum Grunde liegt, ſo 15 1 
kann es nichts anders ſeyn, als daß die aͤlteſten 2 
Vorfahren der Hebraͤer urſpruͤnglich in einem Lande 2 
wohnten, in welchem die Natur alle Beduͤrfniſſe 
des Lebens ohne Cultur hervorbrachte, und daß 
ſie durch irgend eine ſchreckende Naturbegebenheit 
aus demſelben vertrieben wurden. Sie ſchrieben 
dieſe Begebenheit religioͤſen Gründen zu, indem ſie 
ſich an einem heiligen Baume vergangen, und da⸗ “2 
durch jene Strafe zugezogen zu haben glaubten. 4 
Dies zeugt von religiöfen Begriffen und vom Nach⸗ 
denken uͤber dieſelben. Die religioſen Begriffe wa⸗ 
ren ungefaͤhr dieſelben, welche wir in ſpaͤtern Zeiten 
bey ihren Nachkommen wiederfinden: Es iſt ein 
Gott, der von den Menſchen Gehorſam for⸗ 1 1 
dert, und fie für ihren Ungehorſam beſtraft. 25 1 
Auf die feinern Modifikationen der Religionsbe⸗ 4 
griffe in dieſer Erzählung wollen wir e 
Ruͤckſicht nehmen, weil ſich nicht beſtimmt ausma⸗ 
chen laßt, wie viel davon auf Rechnung der En, 
kleidung zu ſetzen ſey. | * — 
5 „ A 4 


18 ieh 


8 0 4 3 Sie berdeiſen m daß die 
= altern Vorfahren Abrahams an einen Gott glaub⸗ 


ten, mit dem die Menſchen in beſondern Verhaͤlt⸗ 


5 N niſſen ſtehen, der ein maͤchtiges Wei en ſey, und 


die Menſchen nach moraliſchen Geſetzen, die aber | 


freilich auf ſeiner Willkuͤhr beruhten, und unter 


+ 


vornehmſten wären, richte und behandle. 


Ohngeachtet nun Begriffe dieſer Art ſchon zu⸗ 


| N vor ſtatt gefunden haben mußten, ſo iſt doch 
Abraham hauptſaͤchlich fuͤr den Stifter der he⸗ 


blraͤiſchen Religion anzuſehen, und ihre Begriffe 


8 wurden von ihm, wo nicht entdeckt und ausgedacht, 


} e gewiß durchdacht und nach Gründen erforſcht, 
die fuͤr ihn befriedigend waren. hr hierzu gaben 
ihn feine Talente die Fähigkeit und feine an 


ſole Antrieb und Veranlaſſung. 

12 pe Schon in ſeiner Jugend brachte er ſeinen re⸗ 
Ugioͤſen Ueberzeugungen ein großes Opfer, indem 

f er um ihrer willen feines Vaters Haus und ſein 
Vaterland verlies, wahrſcheinlich weil feine naͤchſten 

5 . Verwandten mit ihm in Abſi cht auf die Religion 


| 5 e. dieſer Mrſachf zum zweytenmal ſeinen Wohn⸗ 


welchen Gehorſam und Verehrung gegen ihn die 


nicht harmonirten. Bald darauf veraͤnderte er aus 


do Buch J. Capitel 1. „ 
fiS. Dies mußte ihm die Religion — gi 
tig machen, und ihn zum fleiffigen Nachdenken über. 5 
dieſelbe veranlaſſen. Da nun noch dazu kam, daß 
feine religioͤſen Auswanderungen mit dem glücklich⸗ 9 
ſten Erfolge gekroͤnt wurden, und er durch dieſellßen ; 
in einen Wohlſtaud verſeßt ward, der alle feine 3 
Hofnungen und Forderungen uͤbertraf, ſo mußte 
ihm dieſes die Religion in dem reizendſten Lichte vi 
erfcheinen laſſ en. Er bildete ſich demzufolge einen 
Begrif von Gott, als einem menſchenfreund⸗ 
lichen Weſen, welches jedoch manchen Menſchen 5 4 
insbeſondere vor andern feine Freundſchaft ſchenke, 9 
und ganz beſonders ihm dieſelbe zugewandt habe. | 1 
Er glaubte in feinen Schickſalen die zuverlaͤſſigſten 16 
Beweiſe zu finden, daß Gott ihn beſonders beguͤn⸗ 
ſtige, und glaubte dieſe Gunſt durch jene vertrauens⸗ 
volle Aufopferung verdient zu haben. Eine der 
vorzuͤglichſten Eigenſchaften, welche er et 1 
Gott zuſchrieb, war Wahrhaftigkeit ‚ oder Treue 1 } 
als Freund und Bundsgenoſſe. Auf diefe: gründete 
er die Idee von einem Bunde, welchen er mit 
Gott ſchloß, und demzufolge er ihm treu zu dienen 
verſprach, und das gegenſeitige Verſprechen von in 
erhalten zu haben glaubte, daß Gott ihm eine zahle 
reiche Nachkommenſchaft geben, und dieſe eben y 
ug; wolle wie er ihn bezünſtigt he t 


** 
9 


r ei iu 1 ** . 
1 « * 


. Bic l. Capitel i. N 11 
4 Dir x Wund, welchen er in beſondern Unterredun⸗ 
gen mit Gott geſchloſſen zu haben glaubte, ward 
der Grund derjenigen Familienreligion, welche die 
Nachkommen Abrahams vor allen andern Menſchen 
auszeichnete, und in der Folge zur Volks, und 
Staatsreligion ward, als aus der Abrahamiſchen 
Familie ein Volk geworden war. 
Mit ſehr lebhaften Zuͤgen entworfen ſtand das 
7 55 Bild Gottes vor Abrahams Seele, die es ganzerfuͤllte. 
Seine Religion war ganz ein Werk der Linbil⸗ 
dungskraft. Der Weg, auf welchen er ſich zu 
ſeinen Ideen von Gott erhob, war nicht der einer 
ruhig forſchenden Vernunft. Nicht auf kalte ſchul⸗ 
gerechte Schluͤſſe bauete er feine Religionsbegriffe, 
ſondern er flog der Gottheit zu auf den Fittigen 
der Phantafie, Daß dieſes der Weg war, auf 
5 welchen er zu feinen religioͤſen Vorſtellungen kam, 
wird in den Nachrichten, welche uns die Geneſis 
ni, von ihm mittheilt, ganz und gar nicht verhehlt. 
Denn es wird deutlich darinn geſagt, daß es 
Traͤume waren, in welchen Abraham feine meiſten 
und wichtigſten Unterhandlungen mit Gott pflog. 
So machte er nach Gen. XV. 12. zuerſt den Bund 
| | mit Jehova, an den ſich alle ſeine übrigen religiös 
Pr Ideen anreihten, in tiefem Schlafe. Seine 
ee ‚she indeſſen fo ſtark geweſen zu 


e N ß E u 
* * ee; 


1 


12 Buch l. Capitel ss 


ſeyn, 525 er auch im wachenden Zuſtande goͤttliche ö 
Erſcheinungen zu haben glaubte, und daher natuͤr⸗ 7 
licherweiſe an einen ſichtbaren Gott glauben mußte, | | 
Eben fo lebhaft als dieſe religiöfen Vorfile n 
lungsarten der Phantaſie Abrahams vorſchwebten, 
eben fo kraͤftig wirkten fie auf fein Herz und auf 
ſeine Handlungen. Abraham empfand ſo ſtark 
fuͤr den Gott, den er für feinen Freund hielt, daß 
feine religiöfe Empfindung alle übrigen unterdruͤckte 
und daß er in einem Anfall vun religiöfer Schwaͤr⸗ 
merey feinen Sohn, der ihm über alles theuer war, 
feinem Gott opfern wollte, von der er zu einem 
ſolchen Opfer aufgeſodert zu ſeyn glaubte. Ein 
Beweis, daß ſein Religionsglaube uͤberaus kraͤftig, 
und doch nicht auf moraliſche Gründe gebaut wa! 
Sollen wir ihn deswegen, weil feine ReligiuR n 
Werk der Einbildungskraft war, aus der Reihe 
religiöfer Denker verbannen, und ſeiner nicht in 
einer Geſchichte der Religionsphiloſophie gedenken? 
O dann hätten wir uns in Acht zu nehmen, daß 
man uns nicht bewieſe, daß alle Philoſophie, aus 
einem gewiſſen Geſichtspunkte betrachtet, Werk der 1 
Einbildungskraft iſt! FR 
Nicht ganz dieſelbe Geſtalt, welche die Rel Be 
gion bey Abraham gehabt hatte, behielt fie bey 4 
feinen erſten Nachkommen. Das Verhaͤltniß, 8 1 
| RR welches | 


Rn 


Buch l. Gapitet 5 13 a 


welches f e zwiſchen der Gottheit und ſi 5 dark "RR 
men, war ſchon etwas verändert. Sie fahen Gott 


nicht ſowohl fuͤr ihren, als fuͤr den Freund ihres 
Vaters an. So gern ſie ſich alſo auch ſeines 
Schußes erfreuen mochten, und fo groß das Zus 
trauen war, welches ſie zu Gott hatten, ſo konnte 


doch nicht mehr die Innigkeit bey jenem Verhaͤlt⸗ 


niſſe ſtatt finden, welche Abraham dabey fühlte. 


| Iſaak ſcheint von eingeſchraͤnkten Geiſteskraͤften und 


daher wenig Denker in der Religion geweſen zu 
ſeyn. Es bleibt ihm daher nur das Verdienſt, 
daß er den, ſich allerdings vor den großen Haufen 
ſehr auszeichnenden Religionsbegriffen ſeines Va⸗ 
ters treu blieb, und ſie auf ſeine Nachkommen fort⸗ 
pflanzte. Jakob war ſchon von lebhafterem Geiſte. 
Seine Einbildungskraft beſchaͤftigte ſich vorzuͤglich 
in ſolchen Lagen, in welchen er der Religion be⸗ 


durfte, mit religioͤſen Vorſtellungen, und wirkte 


Traͤume, die vom Nachdenken über die Religion 


zeugen. So liegt ſeinem Traume von der Him⸗ 
melsleiter eine freilich ſehr ſinnlich vorgeſtellte dee 


von der Vorſehung zum Grunde. Unter Jakobs 


35 Soͤhnen, von denen die meiſten wohl uͤber die Re⸗ 


ligion wenig nachdenken, und ſie ſich wenig zu 


Herzen nehmen mochten, wirkte ſie vorzuͤglich auf 
| Joſeph. Auch er hatte Traͤume, die er nach re⸗ 


FR 


ie u 
78 


n i 


14 Buch I. Capitel 1. 4 
1 ligioͤſen Begriffen beurtheilte und auslegte. Ein N 
fo vorzuͤglicher Kopf wie er war, muß nothwendig 
über feine Religion nachgedacht, und er muß fie 
unſtreitig vorzuͤglicher gefunden haben, als die Re⸗ 
ligion der Egypter, in deren Geheimniſſe ſich eins 
weihen zu laſſen, er gewiß die beſte Gelegenheit 
hatte, da er der Schwiegerſohn eines egyptiſchen 
Prieſters war. Dies ſcheint mir ein ſtarker Ge⸗ 
genbeweis wider die von vielen gewagte Behaud⸗ 
tung zu ſeyn, daß die Religionsbegriffe der He. 
braͤer aus den Geheimniſſen der egyptiſchen bene | 
ſter ihren Urſprung haben. 

Bey den Religionsideen dieſer nomadiſchen 
Stammvater des iſraelitiſchen Volks verdient bes 
ſonders bemerkt zu werden, daß ſie ganz partiku⸗ 
lariſtiſch waren. Sie bekuͤmmerten ſich wenig um 
das allgemeine Verhaͤltniß der Gottheit zu der 
Menſchheit, ſondern glaubten mit ihr in ganz be⸗ 
ſondern Berhältniffen zu ſtehen, die ſie mit keinen 4 
andern Menſchen gemein haͤtten. Dies war eine 17 
natuͤrliche Folge des Urſprungs dieſer Religionsbe⸗ 9 
griffe und der anfaͤnglichen Richtung, welche ſie 15 9 
durch Abrahams Schickſale erhielten, die ihn vor⸗ 
zuͤglich zum Nachdenken über die Religion veran 
laßten, und dieſes Nachdenken leiteten. Jener Par⸗ ER 4 
tikularismus hat die ausgebreitetſten Folgen bis in 4 


2. 
1 


18 


die fpötken Bi, gehabt und U noch nicht allen 


9 auf unſer Religions ſyſtem verlohren. 
In das Zeitalter dieſer Nomaden gehört jene 
a Urkunde, welche wir an der Spitze der Ges 
neſis finden, ‚und welche eine Cosmogonie enthält, 
die ganz mit den Begriffen jenes Zeitalters uͤber⸗ 
einſtimmt. Zwar laͤßt es ſich nicht genau beſtim⸗ 
men, wenn ſie eigentlich ihren Urſprung genom⸗ 
men hat, doch druͤckt fie genau den Religionsglau⸗ 
ben Abrahams aus. Sie enthaͤlt naͤmlich denſelben 
Gedanken, welchen Abraham bey einer feierlichen 


Gelegen heit nach Gen. XIV, 22. aͤuſſerte: daß ein 


böchfter Gott ſey, welcher Himmel und Erde 
d. h. alles was da iſt, geſchaffen habe, ein 
Gedanke, der unſtreitig die Grundlage ſeiner ge— 
ſammten Religion sideen war. Ihrer Einkleidung 
nach ſcheint jene Erzaͤhlung beſtimmt geweſen zu 
ſeyn „ dieſen Gedanken conkret und ſo darzuſtellen, 
wie er den "größten Eindruck auf ſolche machen 
konnte, welche zu dieſem Religionsglauben einge⸗ 
weiht werden ſollten. Sie ſcheint mir alſo ur⸗ 


ſprünglich zur Mittheilung der Religion befiimmt 
geweſen zu ſeyn, welche die Abrahamiſche Familie 


auszeichnete. Dadurch, daß dieſe Religion durch 
mehrere Generationen hindurch vermittelſt dieſer Er⸗ 
abu fortgepflanzt wurde, ward ſie zum wee 


lar 


9 


16 Buch I. Capitel 1. 


lar, und fo vertrat ſte gewiſſermaaſen die Stelle | 


eines Glaubensbekenntniſſes dieſer Familienre⸗ 4 


ligion. Auf dieſe Weiſe laßt ſich ihre Erhaltung, 
"und zugleich die Wichtigkeit am beſten erklaͤren, wel⸗ 
che ihr Moſes beylegte, da er fie an die Spitze 
feiner Schriſten ſtellte, und bey feiner Gefeßgebung 
oͤftere Ruͤckſicht darauf nahm. Der Zeitpunkt ihrer 
Entſtehung ſcheint wenigſtens nicht ſpaͤter zu er 
als Abrahams Zeitalter, vielleicht entſtand fie viel 
fruͤher. Da Abraham aber zuerſt mit e 
Eifer ſeine Religion bey ſeiner Familie zu Wee. 


ſuchte, fo koͤnnte er leicht ſelbſt dieſe Erzählung 


abgefaßt haben, um ſich ihrer als 2 11 
Mittheilung zu bedienen ). | 


Unter den Religionsſchriften der Sanbe fin | 


den wir auch ein andres Dokument, welch 
orientaliſche Nomaden als Denker u 2 


fcher über die Religion darſtellt, und recht ei ei⸗ 1 3 


gentlich die Religionsphiloſophie dieſer Menſchen 
ee, 


4) Die Gründe aller dieſer Meinungen über die gie | 


ligionsideen der Stammvaͤter der Hebräer und ihre 
weitere Ausführung findet man in meiner praft 17 
Einleitung in das A. T. Thl. 1. beſonders in den 
Unterſuchungen uͤber das erſte Buch Moſis und in 
den Allgemeinen Bemerkungen uͤber die fuͤnf Bucher 


Dofis S. 398. f. „ 


8 ſchildert. 1 Dies ift das Buch Gibt Zwar iſt | 
es ohne Zweifel ein Gedicht, oder wenlgſtens eine 
mit vielen Dichtungen aus gemahlte Geſchichte. Aber 

der Dichter war ein ſehr kenntnißreicher Mann, 

w l her bey den vielen Kenntniſſen, die ihm zu Ge⸗ 

bote ſtanden, gewiß nicht fuͤr die Hauptſcene ſeines 

Gedichts einen Ort und ein Zeitalter gewählt has 

? ben wird, welches er nicht genau kannte. Auch 

le te der Dichter zwar hoͤchſtwahrſcheinlich in einem 
un Zeitalter als das patriarchaliſche war; aber 

es iſt außer Zweifel, daß er die Zeit feines Ges 
bit in das patriarchaliſche Zeitalter verſeßzte. 
Wir koͤnnen es daher mit Recht als eine Schilde⸗ 

: rung der Sitten und Denkungsart jenes Zeitalters 

i anſehen. Als ſolche dient es zu einem uͤberzeugen⸗ 

a den Beweiſe, daß man in jenen Zeiten über Rell⸗ 

5 gion zu phi ſophiren pflegte, und zeigt zugleich 
x efähr wie man es that. Es geſchah ſehr na⸗ 

1 türlich am erſten zu ſolchen Zeiten, da man durch 
irgend einen wichtigen Vorfall dazu aufgefordert 

war, wie hier durch die Ungluͤcksfaͤlle, welche Hiob 
erlitten hatte. Es geſchah in geſellſchaftlichen Un⸗ 

5 terrebungen, man trug ſeine Meinungen in langen 
Reden und mit aſſertoriſchen Behauptungen vor, 

5 ohne ſich jedesmal über die Gründe derſelben zu 

0 k ren. Man war über gewiſſe Hauptſaͤtze einig, 

RN. | von 


18 Buch J. Capitel 1. . 
von denen man ausgieng, und ſtritt ſich nur ent⸗ 
weder uͤber die Folgerungen, oder uͤber die Vor⸗ 
ſtellungsart, welche man ſich von jenen Hauptbegriffen 
zu machen hatte. Man ſchoͤpfte ſeine Behauptungen 
theils aus anerkannten Wahrheiten, die man von den 
Voreltern geerbt zu haben ſcheint, zum Theil aber 
bildete man ſie auch durch eignes Nachdenken, wo⸗ 
bey man Spiele der Einbildungskraft und Wirkun⸗ 
gen des Genies gern fuͤr uͤbernatuͤrliche W 
tungen und Eingebungen hielt. 5 5 
Die Religionsideen ſelbſt, welche das Buch 5 
Hiob verraͤth, waren in der Hauptſache dieſelben, 
welche wir bey den uͤbrigen Patriarchen finden. 
Die ſtreitenden Freunde waren daruͤber einig, daß 
ein hoͤchſter Gott von unumſchraͤnkter Macht 
fey, der Himmel und Erde gemacht habe, 
und daß dieſer Gott die Schickſale der Men⸗ 


ſchen beſtimme. Nur ſtritten fie darüber, nach 
welchen Grundſaͤtzen Gott mit den Wenfhen 


verfahre, ob nach moraliſchen oder nach will⸗ 
kuͤhrlichen? Der Streit wird im Ganzen ge⸗ 
nommen fo beygelegt, daß jene Grundſaͤtze dem 
Menſchen unerforſchlich ſind, daß dieſer es aber 
doch nicht wagen duͤrfe, ſie zu tadeln, ſondern ſi ſi ch 9 
mit he dem Willen Gottes Hein mie. 4 


das 


| Buhl Capitel r. 19 
Das Verhaͤltniß zu Gott, in welchem Hiob 
du ſtehen glaubte, erſchien ihm aber nicht von einer 
ſo vortheilhaften Seite wie dem Abraham. 5 Er 
wagte es nicht ſich einen Freund Gottes zu nen⸗ 
nen, ſondern war zufrieden damit fein Knecht zu 
ſeyn, und berief ſich nur auf die Treue, welche er 
ihm als ſolcher bewieſen haͤtte. So richteten ſich auch 
bey ihm, fo wie bey Abraham, feine religiöſen Vor⸗ 
ſtellungsarten nach den Ruinen in ke er 
un befand, 


Was von den Erſcheinungen Jehova's, von 
dem Gericht welches er hält, von den Söhnen 

Gottes, die ſich um ihn verſammlen, von dem Sa⸗ 

tan, der als Anklaͤger auftritt, und dem es uͤber⸗ 

laſſen wird, Hiobs Ungluͤck zu veranſtalten, geſagt 

wird, gehoͤrt zur dichteriſchen Einkleidung, und iſt 
nicht auf Rechnung des patriarchaliſchen Zeitalters 
zu ſetzen, ob es wohl nicht zu läugnen iſt, daß in 

demſelben ſchon der Glaube an Engel als Diener 
5 der Vorſehung ſtatt fand. Es iſt nicht einmal 
dem Dichter als feine wahre Meinung zuzuſchreiben, 
. da es ſich nicht ausmachen läßt, ob er dieſelbe da⸗ 
3 mit habe aͤuſſern, oder nur feinem Werke 
| eine 


B23: 


{ 


20 Buch J. Capitel 1. 
eine glänzende Einkleidung dadurch habe geben 
wollen). 


So harmoniren denn die älteften Denkmale, 


welche wir von den Religionsideen der nomadiſchen 
Hebraͤer haben, darinn, daß ſie zeigen, daß jene 
Nomaden wirklich uͤber ihre Religion nachdachten, 


ob ſie gleich die Eingebungen ihrer Phantaſie mit { 


den Reſultaten logiſcher Schluͤſſe verwechſelten, ja 
fie unftreitig noch über dieſelben hinausſetzten, ins 


dem fie fie für Funken eines göttlichen Feuers ans 
ſahen, welches eine höhere Begeiſterung in ihrer 


Bruft entzuͤndete. Auch ſtimmen fie ſowohl in Ab⸗ 


ſicht auf den Monotheismus als auf die Grundzuͤge 
des Verhäaltniſſes zwiſchen Gott und den Menſchen 
überein, wobey ſich jedoch unter Hiobs Meinungen 
weniger Hang zum Partikularismus findet, als un⸗ 


ter dem Abrahamiſchen. 
Ohne daß jene aͤlteſten Denker es ſich Bent 
bewußt waren, hatte die Anwendung des aus der 


Erfahrung abſtrahirten Saßes, daß alles ſeine 


Urſache 


*) Man ſehe hierüber Herrn D. Staͤudlins gelehrte 
und ſcharfſinnige Abhandlung: Ueber die Phlloſo⸗ 


phie, den Zweck und den Urſprung des Buchs Hiob 
in ſeinen Beitraͤgen zur Philoſophie und Geſchichte 
der Religion und Sittenlehre. Zweiter Band. S. 
132. u. f. 


Fe 


4 
x 


Bud I. Capitel 8 21 
Urſache habe, ſie auf den Begriff einer hoͤchſten 


f Urſache geführt. Daher verbanden fie. mit dem 
Begriffe von Gott, den eines Schoͤpfers des Him⸗ 


mels und der Erde. Die Idee deſſelben wuͤrde 
jedoch ganz' unfruchtbar fuͤr ſie geweſen, und ihnen 
hoͤchſtens als ein Gegenſtand muͤſſiger Spekulatio⸗ 
nen erſchlenen ſeyn, wenn fie nicht auch das Bes 
duͤrfniß eines Erhalters der Dinge und Re 


gierers ihrer Schickſale gefühlt hätten Dies 


allein gab der Idee von Gott bey ihnen ein großes 
Intereſſe, und ſie ſuchten ſich auch Begriffe uͤber 


das Verhältniß zu bilden, in welchem ſie mit ihm 


E 


44% 


fanden, Dieſe ſchufen fie ſich ganz ihren bisheri⸗ 
gen Schickſalen und Erfahrungen gemaͤß. Abra⸗ 
ham, der ſich durch das Opfer, welches er ſeiner 
Religion durch ſeine Auswanderung aus ſeinem 


; Vaterlande gebracht hatte, ein Verdienſt bey Gott 
erworben zu haben glaubte, wagte es ihn fuͤr ſei⸗ 


nen Freund anzuſehen, und ſogar, als ob er in 
gewiſſer Ruͤckſicht mit ihm auf einer Stufe ſtaͤnde, 


8 ein Buͤndniß mit ihm zu machen. Sein unene 
ee. wickeltes Gefühl führte ihn hierbey nicht ganz irre. 
Er ahndete dunkel, daß die Geſetze der Moralitaͤt, 
daß z. B. der Grundſatz, daß man Vertrage hal⸗ 
ten muͤſſe, auch dem hoͤchſten Gott Himmels und 


der Erde heilig ſeyn aue und daß der Menſch als 


| 9 5 ein 


j h 2 

22 Buch J. Capitel 1. 
ein freyes moraliſches Weſen in gewiſſer Rüͤckſicht 1 
mit dem hoͤchſten moraliſchen Weſen auf einer Stufe Ar 
ſtehe. Der Mangel dieſer Erkenntuiß führte ſeine 5 
ſpaͤtern Nachkommen ſehr oft irre, und in ihm liegt 3 
insbeſondere der Knoten des ganzen Streits, in N 1 
welchem Hiob mit feinen Freunden begriffen if. 
Die Wahrheit: daß der Wille der Gottheit 
keine regelloſe Willkuͤhr, ſondern der voll- E 
kommenſte Abdruck der hoͤchſten Moralitaͤt 5 
ſey, war das Unerforſchliche, was dem Hiob 2 


und feinen Freunden nach allen ihren Unterſuchun⸗ 5 
gen übrig blieb. Freilich würden fie dieſe Wahr⸗ 
heit nur dann ohne Widerſpruch haben auf den 
Kreis ihrer Erfahrungen anwenden koͤnnen, wenn 2 
ſie den Glauben an Unſterblichkeit der Seele da⸗ . 24 
mit verbunden hätten. Aber auf dieſen nahmen 
ſie bey ihren Religlonsmeinungen keine Ruͤckſicht 
und hatten davon hoͤchſtens nur dunkle Ahndungen, 5 
aber keine feſte Ueberzengung. Abraham, der mit 4 
ſeinem Schickſale auf der Erde, und mit dem Lohn 8 
der ihm für feine religioͤſe Treue geworden war, 
vollkommen zufrieden war, bedurfte dieſes Glau⸗ 9 
bens weniger, und er beruhigte ſich vo omme 3 
über die Zukunft, da er von Jehoba die Ber, 1 
heiſſung erhalten zu haben glaubte, daß er eine 
e Nachkommenſchaft haben, und ace. 
. eben 


* 


Buch I. Capitel 1e 23 
eben fo wie er den Schutz Jehova's genießen 
wuͤrde. | a 

Daß alle Begriffe von Gott, welche jene als 
ten Denker hatten, in eine ſehr menſchliche Form 
gegoſſen werden mußten, ſo bald ſie dieſelben feſt⸗ 
halten wollten, konnte bey ihrer Ungeuͤbtheit im 
Denken und Abſtrahiren nicht anders ſeyn. Da ſie 


glaubten, daß er ſichtbar erſcheinen konne, fo ſchrie⸗ 


ben ſie ihm eine Geſtalt zu, und zwar ſehr na⸗ 
türlich die menſchliche, doch fo daß fie behaupteten, 
daß die Geſtalt der Gottheit das Urbild ſey, nach 


welchem der Menſch geſchaffen worden wäre. Auch 


alle Verhäͤltniſſe, in welchen fie ſich mit Gott dach⸗ 
ten, waren nach menſchlicher Weiſe geformt. Sie 
dachten ihn entweder als Freund, oder als Bundes 
genoſſen, oder als Schußzherrn, oder auf eine an⸗ 


” dere menſchliche Weiſe. Da ihre Philoſophie noch 


unendlich weit von aller Critik entfernt war, ſo war 
es 0 unmoglich, dergleichen Abwege zu vermeiden. 
Faſt nur in dieſer Ruͤckſicht vervollkomm⸗ 


Ae Moſes die Grundideen der Religion der He⸗ 


bräer einigermaaßen, indem er mit der größten 
Strenge ein Bild der Gottheit zu machen verbot. 
Auch ſcheint er dadurch ſein Volk von den allzu 


7 conkreten Vorſtellungsarten von der Gottheit haben 


ablenken zu wollen, daß, ohngeachtet er ihnen den 


5 N it ER di B 4 | Gott 


. n 
Fr 


24 Buche Gasitei 1. 


Gott ihrer Vaͤter unter dem bedeutungsvollen Na⸗ f 


men Jehova ankuͤndigte, er doch dleſen Namen 
aus zuſprechen verbot, und ſie dadurch veranlaßte, 
fi) blos allgemeiner, das Weſen und die Eigen 
ſchaften Gottes im Allgemeinen bezeichnender Aus 
druͤcke von ihm zu bedienen. * 

Die Privatuͤberzeugungen dieſes großen Mans 
nes, der gewiß auch ein tiefer Denker in der Re⸗ 
ligton war, duͤrften ſich aus feinen Schriften ſchwer, 
und nie mit Gewißheit entraͤthſeln laſſen. Denn 
dieſe beziehen ſich durchgaͤngig nur auf die Reli⸗ 
gionsideen, welche er unter feinem Volke herrſchend 
zu machen ſuchte. Daß er nicht ſelbſt tiefere Res 


U * 4 
1 


ligionseinſichten gehabt haben ſollte, als die n eee * 
chaliſchen waren, für welche er feinem Volke allein | 


Empfaͤnglichkeit zutraute, iſt kaum zu vermuthen. 

Die uͤbrigen hiſtoriſchen Schriften der Hebraͤer 
zeigen größtentheild mehr wohin Mangel an Nach⸗ 
denken uͤber die Religion fuͤhren kann, als daß ſie 
Spuren von vernuͤnftigem Denken über bie Religion; 
enthalten ſollten. 

Die hebraͤiſchen Dichter und Phüssopben legen 
ihren Religionsideen überall bie patriarchaliſchen 
zum Grunde, und mahlen nur hie und da einzelne 


Eigenſchaften der Gottheit mit lebhaften Farben 7 95 
aus. Der neunzehnte und neunundzwanzigſte Pfalm 
tragen 


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Buch J. Capitel r. 28 


nagen den aus der Natur geſchöpften Bewels für 


5 das Daſeyn Gottes mit dichteriſchem Feuer und 


Glanz vor. Zuweilen kommen dieſe Dichter und 
Philoſophen auf das Problem über die moraliſchen 
Eigenſchaſten Gottes, welches im Buch Hiob ab⸗ 
gehandelt wird, wiſſen es aber eben fo wenig bes 
friedigend zu entſcheiden. Sie ſuchten indeſſen oft 


den zu weit getriebenen Partikularismus ar Volks 


zu verbeſſern und e een 


Von Religionsierthämern und Steiöghtiztei 3 


N gegen die Religion enthalten die Schriften der He⸗ 
braͤer viele Beyſpiele. Auch ſcheint ein gewiſſer 


Atheismus bey ihnen nicht ganz unbekannt gewe⸗ 


ſen zu ſeyn, der beſonders bey ſolchen Menſchen 


ſtatt fand, die keine Strafe ihrer Thorheiten und 
Laſter fuͤrchten zu duͤrfen wuͤnſchten, und ſich daher 


gewiß nicht auf philoſophiſche Grundſaͤtze ſtuͤtzte, 


= A A Auffallender iſt in der bebröiſthen Geschichte | 
ein ſtarker Trieb nach Gegenftänden religiöfer Ders 
3 den man beynahe eine Religions ſucht nen⸗ 


. = a — 
E 
r „ 


ſondern hoͤchſtens die vorhandnen Bewelſe für die 
Religion zu bezweifeln ſuchte. Daher ſprachen auch 


die Thoren nur in ihrem Herzen: Es iſt kein 


0 Gott, und ag es nicht laut werden. 


B 5 nen, 


8 


* 


26 Buch I. Capitel 2. 
nen, und als eine Krankheit des menſchlichen Ver⸗ 
ſtandes betrachten koͤnnte, weil er in den wider⸗ 5 
finnigfien Vorſtellungsarten feine Befriedigung eben 

ſo leicht und noch leichter fand, als in min en 
5 von der Gottheit. 9 


* 


* 


Zweytes Capitel. a 


‘ x N n x 
| Ez iſt nicht zu zweifeln, daß unter den unzaͤhl . 
baren Bewohnern jener Weltgegend, aus deren 5 
Schooße die ſo wichtig gewordene iſraelitiſche Reli⸗ \ 
ligion hervorgieng, von denen die meiſten ein aͤhn⸗ 4 
liches Nomadenleben führten wie die Stammvater der 4 
Iſraeliten, welches fie auf eine gleiche Weiſe zum 
Nachdenken uͤber die Religion einladen, und auf 4 
ahnliche Ideen führen mußte, ſehr viele waren, 
welche auf ihre Weiſe uͤber die Religion phile u 
phirten. Aber es find uns keine Nachrichten von | 
den Reſultaten ihres Nachdenkens uͤbrig geblieben. 
Nur aus dem Wenigen, was wir von den bey 
den groͤßten Voͤlkern jener Gegenden berrſchenden 
Religionsmeinungen wien, koͤnnen wir * 8 er⸗ 
ta ® 


sh Wr Rt ’ 


Bruch J. Capitel 22 27 
ſten Grundideen zurückſchliegen, welche wirklich ein 


0 Neſultat eines freyen nach 1 forſchenden 


9 ſehn mochten. 

Das Volk, welches jenen nomadlſchen Weifen 
am meiſten gleichzeitig war, und auch ihre Nach⸗ 
kommen durch den groͤßten Theil ihrer Geſchichte 
hindurch begleitet „waren die Chaldaͤer. Sie was 


ren zugleich das ältefte Volk ), das einen gewiſ⸗ 


ſen Grad von Cultur erreichte, von dem wir Spu⸗ 
ren in der Geſchichte entdecken. Wir beſitzen durch 
Herodot, Cteſias, Divdor von Sicklien, Arran und 
Strabo einige Nachrichten von ihrer Religionsver⸗ 
faſſung, die aber nur wenig Zuſammenhang haben, 
und nur unſichere Schluͤſſe auf die unter ihnen an⸗ 
genommenen Religionslehren erlauben. Einer ihrer 


Prieſter, Beroſus, hat ihre Geſchichte geſchrieben, 
& und Joſephus „Syncellus und Euſebius haben 


uns Fragmente davon aufbehalten. Aber eben ſo 


2 groß wie der Unterſchied zwiſchen einer Staatsreli⸗ 
gion und einer philoſophiſchen iſt, fo groß iſt auch 
- f der Unterſchied ai einem Prieſter und einem 


5 55 sr Philo⸗ 


* 


= 2 Daß d die e Chadder ein Volk, nicht eine beſondere 


Bolksklaſſe von Prieſtern, Gelehrten oder Wahrſa⸗ 


Um, 2 ö gern waren, ſagt Cicero de divinatione I. 1. Chal- 


dae, non ex artis ſed ex net vocabulo no- 
minati. 


u Buch I. Capitel 2. 


Philoſophen über die Religion. Beroſus zeigt fi 05 
in ſeinen Nachrichten ganz als Prieſter. Gewohnt 
durch unerhoͤrte Wundererzaͤhlungen als Prieſter 
zu imponiren, glaubt er dieſes auch als Ge⸗ 
ſchichtſchreiber zu koͤnnen, und macht ſich gleich 
dadurch verdächtig, daß er ſeinem Volke ein Alter 


von 150000 Jahren zuſchreibt, und von feinem 
aͤlteſten Zuſtande die abentheuerlichſten und wider⸗ 


ſprechendſten Beſchreibungen macht. Es laͤßt ſich 
auch leicht entdecken, daß er ſeine Denkwuͤrdigkeiten 
aus den mofalfchen Buͤchern, aus griechiſchen Fa⸗ 
beln und Philoſophemen zuſammengeſeßt, und nur 
weniges aus den Ueberlieferungen feiner eignen 


Nation entlehnt hat. Von demjenigen alſo, was 


von religioͤſen Ideen darin vorkoͤmmt, laͤßt es ſich 


nicht ausmachen, ob es jemals der Glaube irgend 
eines Menſchen geweſen ſey, noch weniger aber, ob 


ſich jemand irgend etwas dabey habe denken konnen. 
Es belohnt alſo die Muͤhe nicht zu erforſchen, wie 


eine Rosmogonie wie die des Beroſus jemals 


in dem Gehirne eines Menſchen habe ee 
koͤnnen. 

Nach ihm ſoll urſpruͤnglich ein Gott Bel vor⸗ 
handen geweſen ſeyn, der ein Weib Omoroka hatte, 
das ihm ſo lange Weile machte, daß er es einſt 
zum Aeekree mitten durchſchnitt, und aus dem 
: einen 


2 


A 
4 
1 


0 Theile den Himmel aus dem andern die Erde 


* 


„ 8 N 


* ö 4 0 


Boch l. Capitel „ 209 


wachte Darauf ſchnitt er ſich ſelbſt den Kopf ab, 


. 


und aus feinem Blute entſtand das Menſchenge⸗ 


ſchlecht. Der Gott ohne Kopf vollendete darauf 
die Schoͤpfung, ſchied Himmel und Erde, vertrieb 


die Finſterniß, und da die Erde noch nicht bevoͤl⸗ 
kert genug war, zwang er einen andern Gott ſich 


| felbft umzubringen, damit aus feinem Blute noch 


mehr Menſchen hervorgehen moͤchten. Wenn das 


nicht Unſinn iſt, fo muͤſſen es Hieroglyphen ſeyn, 


die man auch auf dieſe oder jene Weiſe zu deuten 
verſucht hat. Aber alle dieſe Deutungen ſind hoͤchſt 
unſicher, und erſt dann, wenn ſich eine davon ers 


weiſen ließe, wäre es der Mühe werth zu unter⸗ 


ſuchen, wie die Meinungen, welche unter jenen 
entraͤthſelten Bildern verborgen laͤgen, entſtanden 
ſeyn koͤnnten. Immer aber wuͤrde es ſehr zweifel⸗ 
haft bleiben, ob eine ſolche Kosmogonie wirklich das 


Kosmogonie z. B. der moſaiſchen, ſey. 
Die Nachrichten ; welche uns Diodor ) von 


den Meinungen der Chaldaͤer mittheilt, mit dieſer 
De. Kosmogonie vereinigen zu wollen, 


ſcheint 
0 Diod. 50 pibl. hiſt. lib, II. p. 143. ed. Wedelingt 


\ 


” Reſultat des Nachdenkens irgend eines frey über 
den Urſprung der Dinge forſchenden Menſchen, oder 
nur eine entſtellte Darſtellung irgend einer andern 


N T. 


7 


30 Buch I. Capitel 2. 


ſcheint mir ebenfalls eine ſehr Überflfiger Arbe 
zu ſeyn, bey der Witz und Scharfſinn einen weiten 
Spielraum haben, aber nichts gewiſſes ausgemacht 
werden kann. Sie fuͤhren aber doch nicht ſo wie 
jene auf bloße Wirkungen einer wilden Phantaſie 
zuruck, ſondern zeugen von wirklichem Nachdenken. 
Die Chaldaͤer hielten nach ihm die Welt. für, ewig, 
glaubten aber in den Bewegungen der Weltkoͤrper 
eine ſolche Ordnung und Regelmaͤſſigkeit zu bemer⸗ 
ken „die nicht durch Zufaͤlle oder mechaniſch *), ſon⸗ 
dern 


4) So glaubte ich a οαα in jener Stelle beym 
Diodor II. 143. erklaren zu muͤſſen. Sie heißt: 
er de ru & TH TE A dianocugou Jen 
177 mp9Y0r% YEyoOVEYCY , c 70 ends % 1 Ev EFT 
yıyopsvwv, A dg cru, A awronerwg, A 
60 %νντν ru */ / He Hj¶] nenupousvn IJewv pio 
cbvre hep. Herr Hofe, Meiners erinnert hierben 
ſehr richtig biſt. doctr. de Deo p. 84 daß aus dieſer * 5 
Stelle, wenn man ſie im Zuſammenhange ließt, 
nicht zu ſchlieſſen fey, daß die Chaldaͤer einen * SE 
zigen hoͤchſten Gott und eine Vorſehung geglau > 
haben. Aus den folgenden erhellt vielmehr, 0 
ſie das goͤttliche Urtheil, nach welchem die Ordnung 
der Weltkörper beſtehen ſollte, in die Geſtirne ſelbſt 

ſetzten, und dieſe für Götter hielten. So haͤtten 


fie fi 0 h mnie eehte wenn dies ſo 
ö N 5 ä ale „id 500 viel 


Buch I. Capitel 2. N 


N dern 0 00 einem beſtimmten und unansgefeßt bes 
N obachteten Urtheil der Goͤtter beſtaͤnde. Dieſe Goͤt⸗ 


ter waren, wie er weiter zeigt, die Geſtirne ſelbſt. 
Die Chaldaͤer legten alſo jenes vernünftige Urtheil, 
nach welchem ſich die Weltkoͤrper bewegten, in dieſe 
Weltkoͤrper ſelbſt, ohne ein Weſen von ihnen zu 
unterſcheiden, welches ihnen die Geſetze ihrer Bes 


wegung vorgeſchrieben habe. So ſcheinen alſo er 


Chaldaͤer die aͤlteſten Dantbeifäen in gewiſſen Sinne 
zu ſeyn. | 


Nach Anleitung der ſehr unvollkommenen Kennt; | 


niſſe, welche fie, von der Aſtronomie beſaßen, 


glaubten ſie an einigen der Geſtirne einen groͤßern 


Einfluß auf die Bewegungen der übrigen. zu bes 
merken, als an andern, ohne jedoch die geringſte 
Ahndung von einem allgemeinen Grabitationsſyſtem 


zu haben, nach welchem ein ſolcher Unterſchied des 
Eiuufluſſes wirklich ſtatt findet. Sie machten dem 


zu Folge gewiſſe Eintheilungen unter ihren Geſtirn⸗ 
i göͤttern, die weiter nicht hierher tere 


viel beißen ſollte als nach hen Willen. Es müß 
daher in dieſer Stelle von einer durch mechani⸗ 


Pi ſche Naturkraͤfte bewirkten Bewegung verſtanden 


werden, die bey den goͤttlichen mit Verſtand begab⸗ 
! tteen Geſtirnen nach der Meynung der Chaldaͤer fo wenig 
NE, ſtatt finden ſollte als eine zufällige. 


7 


17 


4.3 Buch J. Capitel 2. 


Da ihr Religionsſyſtem ganz aus theoretiſchen 5 
Meinungen entſprungen war, ſo konnte es keinen 


5 ſehr vortheilhaften praktiſchen Einfluß haben. Auch 


waren ihre Prieſter, welche am erfien fähig waren, 


die praktiſchen Folgerungen daraus zu ziehen, die 
laſterhafteſten und veraͤchtlichſten Menſchen, welche 
je gelebt haben, und ihr Religkonscultus ward, 


je nachdem es denjenigen, die das Volk vermittelſt 
deſſelben leiten wollten, vortheilhaft ſcheinen mochte, 
mit den größten Abſcheulichkeiten, mit Menſchen⸗ 
opfern, Unzucht u. d. gl. vermiſcht, ohne daß man 
ſagen koͤnnte, ſie haͤtten dadurch etwas den Grund⸗ 
fügen ihrer Religion widerſprechendes gethan, wenn 

| dieſe auch nicht gerade darauf hinleiteten. 
Da indeſſen das praktiſche Beduͤrfniß, wel⸗ 
ches den Menſchen zur Religion leitet, auch bey 


dieſem Religions ſyſteme feine Befriedigung ſuchte, 
ſo entſtand daraus die Aſtrologie mit alle ihren 
abentheuerlichen Mißgeburten. Man hatte aus 
den regelmaͤßigen Bewegungen der Geſtirne geſchloſ⸗ 5 


ſen daß ſie Verſtand haͤtten, und ſich mit freyem 


4 


Willen nach einer beſtimmten Ordnung bewegten. 


Die Schlußart war voͤllig dieſelbe, wie man aus 
den regelmäßigen Handlungen eines Menſchen auf 
ſeinen Verſtand ſchließt. Den Widerſpruch, wel⸗ 


cher zwiſchen einer beſtimmten nac Hand⸗ 


lungs⸗ 


Buch J. Cave B 33 


Inngsieife und freyem Wilen ſtatt findet, überfah 


man. Man bemerkte mancherley wirkliche phyfis 


ſche Einfluͤſſe der Geſtirne, beſonders der Sonne 


und des Mondes, auf unſere Erde, und glaubte 


noch mehrere eingebildete zu bemerken. Man glaubte 
dem zufolge berechtigt zu ſeyn, alle die Einfluͤſſe von 
ihnen zu erwarten, welche der natürliche Religions 


glaube hoͤhern Weſen überhaupt zuſchreibt, d. h. 
alle diejenigen, welche der Menſch nicht durch eigene 
Kraͤfte zu bewirken vermag, und von denen gleich⸗ 
wohl ſein Wohlſtand abhaͤngt. Sonſt iſt dle 
Phantaſie gewohnt, ſich ſelbſt ein menſchenähnliches 
oder metaphyſches Weſen zu ſchaffen, und an daſ⸗ 


ſelbe jenen Religionsglauben, oft mit der größten 
Staͤrke und Innigkeit zu heften. Hier mußte es 
der menſchliche Geiſt daher ſchon natürlich finden, 


deen Geſtirnen die Lenkung ſeiner Schückſale zuzu⸗ 


ſehr natürlich, daß diejenigen, welche zuerſt jene 
Schluͤſſe aus ihren Beobachtungen uͤber die Ge⸗ 


5 


trauen, da man bereits von ihren Einfluͤſſen ſo⸗ 
wohl als von ihrer een 5 0 haben | 
& a. | » 


Aber nun kam es Barauf an, ble Beſchaf⸗ 
fenbeie des Einfluſſes der Geſtirne auf die menſch⸗ 
lichen Schickſale naͤher kennen zu lernen. Es war 


ſtirne 1 von andern dafuͤr angeſehen wur⸗ 
e N C den, 


1 N 
8 


34 Vouch J. Capitel 2. 


den, daß ſie auſſer jener allgemeinen Kenntniß ih⸗ 5 


res Einfluſſes, auch noch beſondere Kenntniſſe von 


f ihrem Einfluſſe in beſondern und beſtimmten Faͤl⸗ 
len hätten; und eben fo natuͤrlich war es, daß 


dieſe der Verſuchung nicht widerſtehen konnten, ſich 


‚ihnen: dieſe Meinung ihrer 


das Anſehen, welches 
en ſchien, zu Nutze zu 


Zeitgenoſſen zu v 
machen. So ent 
der Taͤuſchung und 
größte Unheil auf 
fi ch unſchaͤdlich ſcheine en Irrthuͤmern. 

Die Religionsmeinungen der Chaldaͤer waren 


e Aſtrologie, ein Syſtem 
Betruges, welches das 
Erde geſtiſtet hat, aus an 


im ganzen Orient ſehr verbreitet, und ſi ſie hatten 25 


großen Einfluß auf alle benachbarte Voͤlker, 
auf Meder, Perſer und Phoͤnizier „vielleicht auch 
auf die Aegypter. Doch modificirten und verbeſe 
| ſerten dieſe Voͤlker zum Theil jene Meinungen, 
wie wir weiter ſehen werden. 19 Dr 

Bey den Chaldaͤern waren die Religionsbegeiffe 
aus einer ganz andern Duelle entſtanden, als bey 


der patriarchaliſchen Religion der Hebraͤer. Bey 


357 
2 


dieſen gieng ſie unmittelbar aus dem Gefuͤhl des 1 
praktiſchen Beduͤrfniſſes, der Voraus ſetzung des 
Einfluſſes eines hoͤhern Weſen auf die menſchlichen 


Handlungen und Schickſale hervor, und begruͤndete 
einen * W von der Sonkeits der zwar ſehr 
| . mene 


g 


1 AR: in Abſicht auf ſeine Eiigefeheänttheit 


| und Ünvollkoimmenheit, aber doch auch menſchlich 


in Ab ſicht auf die moraliſchen Eigenſchaften der 


menſchlichen Natur war, die man der Gottheit in 
höherem Grade beylegte, und dadurch alſo doch eis 


nen, obgleich unvollkommnen Begriff von der Gott, 


heit als einem moraliſchen Weſen erhielt. Bey 
den chaldaͤiſchen Sternanbetern hingegen „welche in 


ſpaͤtern Zeiten im Orient wieder unter dem Nas 
men der Sabier auftraten, gieng die Idee von 


hoͤheren Weſen aus einem theoretiſchen Trugſchluſſe 
hervor, nach welchem man regelmaͤßig ſich bewe⸗ 
gende Weſen fuͤr vernünftige und freye Weſen hielt. 


Da es der Weſen dieſer Art, die man beobachtete, 


mehrere gab, ſo mußte dieſe Art zu ſchließen noth⸗ 


V 


wendig auf Polhtheismus führen. Von ihren Ei⸗ 
genſchaſten erhellt aus dieſer Schlußart weiter 
nichts, als daß fie Verſtand und Willen hätten, 
und aus einer durch die Phantaſie ſehr vergrößert 
dargeſtellten Erfahrung, ſetzte man hinzu, daß fie 


| auch einen großen Einfluß auf die Menſchheit häts 


ten. Ob. ihr Verſtand weiſe und ihr Wille gut, 


ob alſo ein vorthellhafter oder nachtheiliger Einfluß 
von ihnen auf die Menſchhelt zu erwarten ſey, und 


« 
. 
85 


ob derſelbe ſich nach moraliſchen oder willkuͤhrlichen 
Grundſaͤtzen richte, darüber ließ ſich nach jenen 
Prämien ik ausmachen. Es fiand alſo der 
„ 2 Be⸗ 


uch l Capitals „ 


36 Buhl. Capitel 2. 


| Betrüͤgerey der Prieſter nach dieſem Religions ſo⸗ 2 
ſteme ein unbegrenztes Feld offen, die auch nicht 


5 ermangelt haben, es in ſeinen Folgen zu einem der 
abſcheulichſten zu machen, die je auf der Erde ſtatt 
gefunden haben. 

So groß iſt der Unterſchied 1 einer Re⸗ 


ligion die von moraliſchen Begriffen ausgeht, und 


bey der dieſelben geſetzgebend ſind, und einer ſol⸗ 1 
chen, bey der theoretifche Irrthuͤmer zum Grunde 
liegen, nach denen fi die moralifchen Begriffe rich. 


ten muͤſſen. 


Drittes Capitel. 


* 


Non den Chaldaͤern ſtanden woll bie Phöni 8 
zier mit jenen hebraͤiſchen Nomaden, von deren re⸗ 
ligtöſer Denkungsart wir die aͤlteſten Nachrichten A 
haben, in der naͤchſten Verbindung. Ein alter 
Schriftſteller, Eupolemus, den Eusebius) an⸗ 
führt; behauptete ſogar, daß fie von Abraham une 
terrichtet worden waͤren, welches aber wohl keine | 
Ruͤckſicht verdient, da er denſelben zugleich zum 15 
5 ai der Chaldaͤer und zum ee der Aſtro⸗ 4 
2 logie x 


“) Eufebii praepar. A IX, 17. 


» a 4 ” 
EEE N ER De FU TER ER EG 


Buch l. Cavitel N; 37 i ve 


logie hr von der, wie wir gezeigt haben, Abra⸗ 
bams Religionsmeinungen ſehr verſchieden waren, 


aus einer ganz andern Quelle floſſen, und auf ganz an⸗ 
dere Reſultate führten. Einige neuere Schriftſteller * 


; ben Abrahams Freund Melchiſedek fuͤr den Leh⸗ 
rer der Phönizier halten wollen. Allein feine Res 


ligionsgrundſaͤtze; welche Abraham fuͤr aͤcht erkannte, 
waren von den phoͤniziſchen eben ſo verſchieden als 
die abrahamiſchen, und entkraͤften vollends den ſehr 


ſchwachen Beweis, welcher auf der Aehnlichkeit des 


Namens Melchiſedek mit dem Sydek, den San⸗ 


chuniathon als den Vater der Kobiren, welche nach 


ihm phoͤniziſche Gelehrte oder Prieſter zu ſeyn 


5 feinen f anführt. 


Von den urſpruͤnglichen Philoſophemen der 


Phoͤnizier, welche Beziehung auf die Religion has 


ben, find uns durchaus Feine zuverlaͤſſigen Nach⸗ 


. 


richten übrig geblieben, von ihrer Religionsuͤbung 
ä haben wir ſolche, welche zeigen, daß ſie den Dienſt 
der Geſtirne mit der Verehrung vergoͤtterter Men⸗ 


ſchen verbanden, und ihren Cultus mit alle den 


Aofgenliäfeiten beflochten u welche ſich mit dieſen 
. | es 


8 Grotius, Cumberland und 5 e michae⸗ 

Bi ler in feiner Abhandlung über die n We, 
en Wien 1796, S. 59. 
€ 3 


38 Zug. Capitel 3. 


Religionsarten nur zu leicht verbinden laſſen. Sie 
waren thoͤricht genug zu glauben, daß ſie ſich des 
Schutzes eines Gottes verſichern koͤnnten, wenn fie 
ihn an goldne Ketten legten, und ſo weit von allen 
moraliſchen Begriffen von der Religion entfernt, 
daß Menſchenopfer unter ihnen gewohnlich waren, 
bey denen ſie ihre eignen Kinder nicht Ge 
Dies zeigt von einem tiefen Verderben ihrer Re 
gion, und vom Mangel an allem vernuͤftigen Nach⸗ 9 
denken uͤber daſſelbe. Was man ſonſt von ihren 1 
Religionsbegriffen bat entdecken wollen, beruht 
theils auf Schluͤſſen, die man von den Vorſtel⸗ 
lungsarten ſolcher Völker, mit denen fie in Dew 


4 
5 


bindung ſtanden, und auf die ſie Einfluß hatten, j 


auf die ihrigen gemacht hat, theils auf den Nach⸗ 
richten, welche Euſebius vom Sanduntathon, “ang 15 
behalten hat. f = 

Was die erſte Quelle betrifft, fo haben jene 1 
Schluͤſſe nur einen geringen Grad von Ueberzen⸗ 
gungskraft. Die Phoͤnizier ſtifteten viele Colonieny _ 
in welche fie allerdings ihre ganze Maſſe e von Ideen 
mitbrachten. Aber wir haben von den 1 
begriffen biefer 1 ſo wenige 1 


ard 


don, und das Wenige beftätigt. blos das er ge. ä 
ſagte. Ob griechiſche Staaten, und welche, den 
Bi 5 


— = 2 
= . 


are * Bu 
an 


viel von den ſpätern Ideen derſelben auf Rechnung 


jenes Urſrungs zu ſetzen ſeyn moͤgen. Bey denen 


Voͤlkern, mit welchen die Phoͤnizier blos in Han⸗ 


delsverbindungen ſtanden, ſcheinen ſie die gewoͤhn⸗ 
liche Politik handelnder Völker beobachtet zu has 


ben, ſich auf ihre Religions begriffe gar nicht ein⸗ 
zulaſſen. Sig ſcheinen indeſſen eher noch von ihnen 
manche religioͤſe Meinungen angenommen, als ſolche 


zu ihnen gebracht zu haben, und uͤberhaupt unter 
den Voͤlkern nur in Abſicht auf ihren Handelsgeiſt, 


ſonſt aber in keiner andern Ruͤckſicht originell ger 
weſen zu feon. 


| Vorzuͤglich ſcheint kein freyes ape n che 
5 Nachdenken über Religion bey ihnen ſtatt ges 
Pr funden zu haben. Dies iſt das einzige zuverlaͤſſige 
5 Reſultat „welches ſich mir aus dem berühmten 
Fragment des Sanchuniathon beym Euſebius ) 
fuͤr die Religionsgeſchichte der Phoͤnizier zu erge⸗ 
ben ſcheint. Ich brauche mich hierbey nur wenig 
a auf den hiſtoriſchen Werth deſſelben einzulaſſen, und 
will nur kurz meine Meinung daruͤber ſagen. 


Das 


7 


* eb praparat. evangel, ib, I. 10. ed. Vigerii 


9 


. . Cavitel 3. 1 


PR Aren Urſprung verdankten, iſt 60 ſehr zwei⸗ i 
felhaft, und eben fo ſehr iſt es die Frage: wie 


40 Buch J. Capitel 3. 
Das Wort Sanchuniathon ſcheint mir gar 
kein eigenthuͤmlicher Name geweſen zu ſeyn, fons 
dern einen Gelehrten oder Philoſophen uberhaupt 
bey den Phoͤniziern bezeichnet zu haben. Dies be⸗ 
ſtäͤtigt ſowohl die Erklarung des Theodoret, nach | 
welcher es einen Liebhaber der Wahrheit bezeichnet 
haben ſoll, als die des Bochant, der es durch 


Eiferer für die Lehre oder Gelehrſamkeit erklaͤrt ). 13 
Auch laßt ſich hieraus am erſten einſehen, wie 


mehrere Schriftſteller von Sanchuniathons aus ver- 
ſchiedenen Zeitaltern haben ſprechen koͤnnen. 


Die Theogonie und Rosmogonie ſelbſt, 


welche Philo von Byblus von einem ſolchem Sara 
chuniathon oder phoͤniziſchen Weiſen nach dem 728 


Euſebius entlehnt zu haben vorgab, enthaͤlt weiter gr 


nichts als Philoſopheme der Art, wie man ſie 9 


dem Orpheus zuſchreibt, und die von Thales deut⸗ 1 


licher und zuſammenhaͤngender gemacht worden a 


ſeyn ſcheinen, und griechiſche Mythen und re 


J Toren Werth kann man am been nach dem , 1 


; ‚Safe * 


0 Man fehe die Memoires fur les Pheniciens par 
M. Abbé Mignot** in der Hiftoire de Pacad. des 
Inſeriptions T. XXXIV. p. 64. und über das Ganze 
ee Meiners hift. de deo. P. I. p. 6 


Buch I. Capitel 3. 4 


Euſeblus ſelbſt darüber fällte ). Er fagt näms 
lich: Die Griechen hätten ſich dieſe Fabeln zugeeig⸗ 
net, und ſie weiter ausgeſchmuͤckt. Durch ihren 


Reitz hätten fie die Wahrheit ſelbſt unterdrückt; 
Denn, ſetzt er hinzu, unſre Ohren, die von Ju⸗ 


gend auf an dieſe Fabeln gewoͤhnt, und von vielen | 


Jahren her fuͤr dieſelben eingenommen worden ſind, 


betrachten ſie als ein geheiligtes Unterpfand. Das 
Alter, welches ihnen Wuͤrde glebt, macht es ſchwer, 
ſich von ihnen los zu machen, und ſo ſcheint die 


Wahrheit Fabel, Fabeln aber Wahrheit zu ſeyn“. 
Wenn das wirklich Worte eines Sanchuniathon ſind, ſo 


zeigt er ſich dadurch mehr als einen Weiſen, als durch 
alles uͤbrige was er erzaͤhlt, beweißt aber auch, 


daß er bey den Religionsbegriffen ſeines Volks nichts 


( 7 27 Fe 


2 
> BEE 


zu denken gewußt, und gar keine eigenthuͤmlichen 


Vorſtellungsarten deſſelben gekannt habe, weil er 
= uns fonft dieſe, und nicht diejenigen, welche fie 
von den Griechen angenommen hatten, mitgetheilt 
haben würde, Denn das Wenige, was darunter 


allenfalls phoͤniziſchen Urſprungs ſeyn koͤnnte, kommt 


i 0 gegen das griechiſche in gar keine Betrachtung, und 
* verliert ohne daſſelbe allen Sinn und eine 


5 50 22 Euſeb. praep. p. 39. D. 


1 E; Be 
. f 5 Viler⸗ 


P 


42 Buch J. Capitel Pr 


Viertes Capitel. 10 


Blei allen Völkern des Alterthums haben wohl | 
die Aegypter am meiften die Augen der Forſcher 

der Religionsgeſchichte auf ſich gezogen. Man hat 
faſt alle denkbaren Religionsarten bey ihnen gefunden, 
oder ihnen beygelegt. Herodot fand bey ihnen 
feine griechiſchen Fabeln und Myſterien, Plato, 
der in ſeinen Schriften ſeine Philoſopheme eher 5 
allen andern Menſchen als ſich ſelbſt zuſchreibt, vr 
legte ihnen einige derſelben bey, und ward dafür, 
vielleicht ſehr wider feinen Willen, für ihren Schuͤ⸗ 
ler gehalten; Diodor aus Sicilien hielt ihre 
Religion größtentheils für hiſtoriſch, und betrachtete 
ſie als Materialien für feine Geſchichte; Plutarch 


legte altplatoniſche ‚und Porphyr und Jamblich 4 
neuplatoniſche Philoſophie hinein; neuere Schrift⸗ 37 


ſteller haben bald eine verderbte, bald eine geheim⸗ | 4 
nißvoll verhuͤllte Offenbarungsreligion bey ben Aegyy⸗ 
tern geſucht. | | 


ergiebt ſich, daß alle die Quellen, welche wir für 


. 


Bouch J. Capitel a. 43 
Aus den Reſultaten neuerer Forſchungen *) 


die Religionsgeſchichte der Aegypter beſißen, mit 
großer Vorſicht gebraucht werden muͤſſen, und daß 


nach Abzug deſſen, was die Griechen durch Natlo⸗ Er 


nalſtolz, durch Schmeicheleyen und Prahlereyen der 


Aegypter, und durch den Hang, ihre eigenthuͤm⸗ 


liche Philoſophie uͤberall zu finden, verleitet, den 
urſpruͤnglichen Ideen der Aegypter hinzugefügt 


haben, nichts eigentliches übrig bleibt, als 


eine aſtronomiſche Beligionslehre, und ein 


religioͤſer Dienſt, welchen die Aegopter A 


Thieren leiſteten. Die erſtere war den Aegopten 5 
zwar nicht ganz eigenthümlich, hatte aber doch 5 
manche beſondere Modifikationen durch die indie 


duelle Lage dieſes Volks erhalten, daß die Griechen 


0 ſich nicht zuſchreiben konnten, der letztere aber war 
2. Me toll, daß ſie ihn ſich nicht zueignen wollten. 
Da wir nur in den urſpruͤnglichen Religionsmei⸗ 
nungen eines Volks Spuren des Nachdenkens uͤber 


| Religion ſuchen koͤnnen, fo haben wir hier allein 


auf dieſe Muaͤnde Rückſicht zu nehmen. 


Pr Eine f 
i A Vorzüglich aus den vortrefflichen, ſehr gelehrten und 


ſcharſſi nnigen Critiken des Herrn Hofrath Meiners 


in ſeinem Verſuch über die Religionsgeſchichte der 
aͤlteſten Völker, beſonders der Aegyptier. Göttin. 


gen 1775. 


* 


2 N 5 
44 Buch J. Capitel 4. 
Eine aſtronomiſche, oder eigentlicher due 2 55 
chronometriſche oder Kalenderreligion nennt 
man die Religion der Aegypter in ſo fern, als 
mit einem jeden ihrer Götter ein gewiſſer Zeitabs 
ſchnitt, ein Jahr, oder ein Cyclus von Jahren, a 
ein Monat, Woche oder Tag bezeichnet ward. So 
bezeichnete z. B. Neith das aſtronomiſche Jahr, 
Oſiris das Sonnenjahr, Iſis den Monat uͤber⸗ 
haupt, eine Claſſe von zwoͤlf Goͤttern die zwölf 
Monate, eine andere von Acht Goͤttern die Woche 
mit ihren ſieben Tagen, eine dritte noch manche 
andere Zeitbeſtimmungen. Die Prieſter dleſer Goͤt⸗ 
ter mußten ſorgfaͤltig darauf halten, daß dieſe Zeit⸗ 
beſtimmungen beobachtet wurden, ſie mußten den 
Anfang und das Ende einer jeden dieſer Zeitperlo⸗ 25 5 
den durch gewiſſe Ceremonien bezeichnen, und dm 
Volke bekannt machen. Auch waren die Tempel 
dieſer Götter. fo gebaut, daß Zeitbeſtimmungen an 
ihnen bemerkt werden konnten, ſo daß z. VB. die 
Sonne zu einer gewiſſen Zeit jährlich durch eln kiel ⸗ 
nes Fenſter an einen gewiſſen Ort im Tempel ſchien, 4 
und dadurch den Ablauf des Jahres anzeigte. So 
viel iſt durch die Beobachtungen einiger ſcharfſinni⸗ > 
gen und gelehrten neuern Forſcher e 


*) Man fehe Gatterer de theogonia Aegyptiorum in 4 


Commentatt. Soc. Reg. Scient. ad a *. et 53 3 
dad, © 


1 D 
ee 11 
* f 

Be Er 


Buch J. Capitel 4. 4858 
Allein wir dürfen hieraus eben ſo wenig ſchließen, 
daß die Götter der Aegypter weiter nichts geweſen 
waͤren als Kalenderzeichen, als man nach Jahr⸗ 
‚taufenden wird folgern Töhnen, daß die catholiſchen 
0 Chriſten nichts als Kalenderzeichen verehrt hätten, 
f weil ihre Heiligen den Kalender fuͤllen, ihre Tem⸗ 


peel mit Uhren verſehen find, welche zur Zeiteintheis 


lung dienen, und einige ihrer gottes dienſtlichen 
Perſonen fuͤr den richtigen a dieſer Uhren ſor⸗ 
080 muͤſſen. a 
Soͤttliche Verehrung ds Säriftzeidiens für 
eine Zeitbeſtimmung! ein Gott, der nichts weiter 
iſt, als ein Schriftzeichen, und ein Schriftzeichen 
welches ein Gott iſt! wer vermag ſich hierbey et⸗ 
was zu denken? welches Volk wird einem Schrift⸗ 
zeichen Tempel bauen, Opfer bringen und Prieſter 
fuͤr daſſelbe erhalten? Man betrachtet nach dieſer 
5 Hypotheſe die ganze Religion der Aegypter als elne 
Policeyanſtalt, die alſo im Grunde ganz und gar 
keine Religion wäre, Oder ſollte fie doch wirklich 
den Schein der Religion gehabt, das Volk wirklich 
etwas te als Kalenderzeichen unter feinen Goͤt⸗ 
| tern 


' claſſ. hiftor. et philolog. p. 1-57, und beſonders 
Phamenophis oder Verſuch einer neuen Theorie 


d über den Urſprung der Kunſt und Mythologie von 


Caarl sriedrich Dornedden, Göttingen 1797, 


46 Buch J. Capitel 4. | 
tern verſtanden, und nur etwa der Pollceymeiſter 
das ganze Geheimniß gewußt haben? Dann wären 
ja doch jene Goͤtter wenigſtens fuͤr das Volk etwas 
mehr geweſen als Kalenderzeichen, und es bleibt 
immer die Frage uͤbrig: was es ſi ch a rn 
und was fie ihm waren? | 
Dieſe Frage iſt in der That ſchwer zu brant⸗ | 

worten, und ich kann mich hier um ſo weniger | 
auf eine befriedigende Beantwortung derſelben eins 
laſſen, da ſich kein wichtiges Reſultat für die Ne 
ligionsphiloſophie daraus erwarten laßt. Vielleicht 
waren die Kalendergoͤtter der Aegypter gleich unſern i 
Kalenderheiligen vergoͤtterte Menſchen, wie Dio⸗ | 
dor von den meiften behauptet, der bey dieſer Bu 
hauptung vielleicht nur in ſo fern gefehlt hat, als | 
er bey den Aegyptern dieſelben vergoͤtterten Men⸗ | 
ſchen fuchte, welche die Griechen verehrten. Am 
naͤchſten aber liegt bey ſolchen Göttern, mit deren 
Namen man Zeiteintheilungen bezeichnete, freylich 

die Idee von vergoͤtterten Geſtirnen, welche auch 
durch die meiſten Nachrichten beſtatigt wird, nach 1 
welchen die Aegypter unter dem Oſiris die Sonne 
und unter den Iſis den Mond, und neben dieſen 
noch viele andere Geſtirne und Conſtellationen goͤtt⸗ 
lich verehrten. So waͤre der Urſprung eines Tbeils 


der Religion bey den Aegyptern derſelbe gewefen, 
N Wie 


„ ee tn Pe 1 


ur 


Buch J. Capitel 3 47 
EM bey den Chaldaͤern, toben ſich jedoch nicht aus⸗ 
machen läßt, welches von beyden Voͤlkern den 
Sterndienſt von dem andern angenommen habe, oder | 
ob fie nicht beyde vielleicht unabhängig von einans“ _ 
der darauf gekommen find, Wenigſtens nahm die 
Verehrung der Geſtirne bey den Aegyptern eine 
andere und vernuͤnftigere Richtung als bey den Chal⸗ 
daͤern. Denn ob es gleich auch bey ihnen nicht an 
aſtrologiſchen Betruͤgereyen gefehlt haben mag, fo 
erwarteten ſie doch nicht blos die Beſtimmung ih⸗ 
rer Schickſale, von einem geheimen und uͤberna⸗ 
tuͤrlichen Einfluß der Geſtirne, ſondern ſie bedien⸗ 
ten ſich des natürlichen Einfluſſes derſelben zu nuͤtz⸗ | 
lichen Zwecken, beſonders zu Eintheilung der Zeit, 
die ihnen der jaͤhrlichen Ueberſchwemmung des Nils 
wegen, von welcher die Fruchtbarkeit ihres Landes 
sang vorzuͤglich nothwendig war. N 
Eine andere hoͤchſt ſonderbare Richtung des 
eeliöfen Triebes finden wir in dem Thierdienſt 
der Aegypter. Sie leiſteten theils ganzen Claſſen 
von Thieren, theils einzelnen Individuen derſelben 
einen Goͤtzendienſt, bey welchen ihr Eifer in Ueber⸗ 
nehmung der groͤßten Beſchwerlichkeiten deſſelben, 
die Koſten, welche fie darauf verwendeten, und dle 
Bigotterie, mit welcher ſie denſelben behaupteten, 


5 ale Stufen des größten Fanatismus erreichte und 
! übers 


* 
* 


48 Buhl Capitel 4. 


uͤberſtieg, der je unter Menſchen f ſtatt gefunden 
hat, Sie errichteten ihnen Tempel, verordneten ih⸗ 
nen Prieſter und Prieſterinnen, brachten ihnen 


Opfer, und erflehten von ihnen Seegen fuͤr ihre 


Kinder. Sie beteten faſt alle vierfuͤßige Thiere in 
ihrem Lande, viele Gattungen von Voͤgeln, ſogar 
Gewuͤrme und Schlangen, und ſelbſt einige Fiſch⸗ 
arten an. Ste heiligten nicht blos nuͤtzliche, ſon⸗ 
dern auch ſchaͤdliche Thiere, und verfuhren dabey 
ohne alle vernuͤnftige Gruͤnde. Einige der nuͤtzlich⸗ 


ſten Thiere, wie z. B. Schweine und Eſel, wur⸗ g 


den von ihnen ſogar im hohen Grade verabſcheut, 
und zum Zeichen des Fluchs, welchen ſie auf ſie 


legten, an gewiſſen Tagen von Anhöhen herabge⸗ 


ſtuͤtzt. Aus den göttlichen Thiergeſchlechtern wählte 
ſich entweder die ganze Nation, oder einzelne Di⸗ 


ſtrikte, Städte und Dörfer ein beſonderes Indivi⸗ 
duum zum Schutzgott, und brachten es in einen 
fuͤr daſſelbe beſtimmten Tempel, wo man es mit = 
verſchwendiſcher Pracht bediente. Nicht blos die 3 
ihm beſtimmten Prieſter und Prieſterinnen, ſondern 3 


auch die angefehenften und edelſten Männer re ne, 


ten es ſich zur Ehre die heiligen Thiere zu bedie⸗ 
nen. Es waren ihnen Laͤndereyen zugetheilt, und 
reichliche Einkünfte, Auſſerdem brachten fie ihnen 


noch freywillig die koſtbarſten Leckerbiſſen, waͤhrend 


— By 
2 un A 2 en ie, 5 2 w 


ed ee 2 


Buch J. Capitel g. 49 
ſie ſich ſelbſt am nothwendigſten Lebensunterhalt 


abbrachen, und am Papyrus kauten, wohlfelle Kraͤu⸗ 


ter aßen, oder kuͤmmerlich von gedoͤrrten Fiſchen \ 


ſich naͤhrten. Selbſt den praͤchtigſten Schmuck und 
die ausgeſuchteſten Wohlgeruͤche verwendeten fie für 
die gegen dieſe Wohlthaten ganz unempfaͤnglichen 
Thiere. Man hielt ihnen einen Harem der ſchoͤn⸗ 
ſten Kebsweiber ihres E Geſchlechts, ja die Aegypter 


gaben ſelbſt nach Herodot (i, 46.) ihre eignen 


Weiber den haͤßlichſten Thieren preis. Wenn hei⸗ 
lige Thiere ſtarben, ſo wurden ſie auf die koſtbar⸗ 
ſte Art einbalſamirt und begraben, und nach Dio⸗ 
dor oft mehr als eine Tonne Goldes auf ein ſolches 
Begraͤbniß verwendet. Durch den Tod eines heis 
gen Thieres ward das Haus, der Diſtrikt, oder 
das ganze Land in die tiefſte Trauer verſetzt, und 
mit den ſchwerſten Trauerkoſten bedruͤckt. Die Er⸗ 
mordung dieſer Thiere, ſelbſt die unvorſetzliche, ward 
unvermeidlich mit dem Tode beſtraft, und wenn 


auch der Tod eines ſolchen Verbrechers das ganze 
Land in Gefahr ſetzte. Dabey waren fie fo wenig 


einig uͤber die Grundſaͤtze ihres Thierdienſtes, als 
conſequent in denſelben. Sie heiligten einzelne In⸗ 
Biidue mancher Thierclaſſen, und andere ſchlach⸗ 
teten und verzehrten ſie ohne Bedenken. So 
Pe fe z. B. Ochſen, un ſich aber 


1 8 | D der 


7 


x 1 


50 Buch J. Capitel 4 
der Kühe. Dagegen beerdigten fie gefallene Ochſen 
forgfältig, Kühe warfen fie in den Nil. Einige 
Diſtrikte verehrten gewiſſe Thiere, andere verabs 
ſcheuten fie, und ſchlachteten und verzehrten fie 
ohne Bedenken. Daruͤber fand unter ihnen die 
größte Erbitterung ſtatt, die oft in blutige Seite 
ausbrach. r 

Man hat mannichfaltige urſachen dieſer hoͤchſt 
ſonderbaren religioͤſen Erſcheinung aufgeſucht. Da 
der Urſprung derſelben uͤber alle Geſchichte hinaus 
liegt, ſo ſcheinen die Aegypter ſelbſt die Urſachen 
| derfelben nicht gewußt zu haben, oder doch zweifel⸗ 
haft darüber geweſen zu ſeyn. Herodot verſchweig 
ſie als heilige Geheimniſſe. Dem Diodor wurden 
mancherley Urſachen derſelben angegeben. Die erſte | 
war eine Sage, nach welcher ſich die Götter den 
Aegypter einſt in Thiere verwandelt haben ſollten, 
die zweyte eine andere Sage, nach welcher die 
Thiere Feldzeichen ſeyn ſollten, unter deren Anfuͤh⸗ 
rung man gluͤcklich zu ſeyn glaubte, „und fie daher 
aus Dankbarkeit verehrte, die dritte war die Nuͤtz⸗ 
lichkeit der Thiere. Eine vierte war die Politik 
‚ ber Könige, vermoͤge welcher fie jedem Diſtrikte an⸗ 3 
dere Goͤtterthiere zuzutheilen, fie dadurch in Unei⸗ 
nigkeit zu erhalten und Verſchwoͤrungen vorzubeu⸗ 1 


gen ne, en führt auffer dieſen drey 
| andere 


| 1 4 


10 Buch I. Capitel 4, 0 51 


andere Urſachen an: Die erſte iſt, weil die Aeghp⸗ 


ter an Seelenwanderung geglaubt, und daher den 
Seelen ihrer verſtorbenen Vorfahren in den Thie⸗ 
ren wohlzuthun gemeint hätten. Die andere ganz 
entgegengeſetzte Urſache iſt, man habe die Thiere 
fuͤr ein Eigenthum des boͤſen Gottes gehalten, und 
ſie geſcheut und ihnen geſchmeichelt, um ſeine Bos⸗ 
heit einzuſchlaͤfern. Die dritte Urſach iſt, weil man 
an den Thieren gewiſſe Aehnlichkeiten mit den Goͤt⸗ 
tern und ihren Eigenſchaften bemerkt haͤtte. Por⸗ 
phyr ſetzt hierzu noch eine Meinung, nach welcher 
die Gottheit alles beleben, und vorzuͤglich in den 
Thieren wohnen ſoll ). Unter den Meinungen 
der neuern zeichnet ſich die von Marsham und 
Dornedden aus, nach welcher die Thiere dadurch zu 
ihrer Verehrung gelangt waͤren, daß 1 man ſich ch ihrer 
als Schriftzeichen bedient hätte. Marsham glaubt 
h naͤmlich, man wäre, indem man die Gottheit und 
ihre Eigenſchaften mit dieſen Thieren bezeichnet 
hätte, am Ende dazu bewogen worden, ihnen einen 


vr Sonn der Vale beyzulegen, wos 


von 


er Man ſehe hierüber Meiners Abhandlung uͤber den 
5 Tuhierdienſt der Egyptier, und die wahrſcheinlichen 
Arſachen feiner Entſtehung und Erweiterung in ſei⸗ 


= 5 nen unc en phil. Schriften, Thl. I. S. 192 u. f. 


A 
. 


Be. $ 


52 Buch J. Capitel 4. 

von ſie nur Zeichen waren. Dornedden meynt da⸗ 
gegen, man habe ſie nur deswegen geheiligt und 
verehrt, weil es ſonſt ſchwer wuͤrde geweſen ſeyn, 
es im Gedaͤchtniſſe zu behalten, was fie als Schrift⸗ 
zeichen bedeuten ſollten. Man habe alſo blos, um 
dem Gedaͤchtniſſe zu Hülfe zu kommen, den Thie⸗ 
ren eine ſo auſſerordentliche Verehrung gewidmet 82 
Welch ein ungeheures Mittel zu Erreichung eines 
ſehr kleinen Zwecks! Es waͤre ſchon viel gewe⸗ 
ſen, wenn man jene herumlaufenden Buchſtaben 
nicht geſchlachtet hätte, weil man fie brauchte um 
dem Gedaͤchtniſſe zu Huͤlfe zu kommen. Aber ih⸗ 
nen Tempel zu bauen, ſie anzubeten, ihnen die 

koſtbarſten Geſchenke zu machen, um ihrer willen 
zu darben, ſich untereinander zu bekriegen, und 
Menſchen, um ihres unvorſaͤtzlichen Mordes willen 
zu toͤdten, — das wuͤrden gewiß die ungleich wohl⸗ 
thätigern Buchſtaben unſers Alphabeths, wenn fie, | 
wie die Zahlen bey Lichtenberg, im Wee 1 8 1 
nen koͤnnten, nicht verlangen! 4 
Keine der angefuͤhrten Urſachen dürfte „ 
an und fuͤr ſich hinreichend ſeyn, um jenes merk⸗ 
wuͤrdige Phaͤnomen zu erklaͤren. Alle zuſammen, ; 
7 12 55 oder 
„) Phamenophis von Dornedden beſonders in der Ab⸗ 


handlung über den ſogenannten Thierdienſt der 
Aegypten, S. 313. n. f. 


oder doch die meiſten derſelben, Können zwar zur 


Buch I. Capitel 4. 3 


Erhaltung des Thierdienſtes bey den Aegyptern 
beygetragen haben, aber zu ſeiner Entſtehung 


wirkten ſie gewiß nicht gemeinſchaftlich. Man hat 


um die Urſachen dieſes Thierdienſtes zu erforſchen, 
ſorgfaͤltig zu unterſcheiden, wodurch er urſpruͤnglich 
entſtanden iſt, und welche Gruͤnde die Aegypter be⸗ 
wogen habe, ihn beyzubehalten. Es iſt nicht vor⸗ 
auszuſetzen, daß dieſer Thierdienſt auf einmal 
durch einen gemeinſchaftlichen Einfluß des ganzen 


Volks entſtanden ſey. Denn welche Gruͤnde haͤtten 
ſtark genug ſeyn koͤnnen, ein ganzes Volk auf ein⸗ 


mal zu ſo wichtigen, beſchwerlichen und druͤckenden 


Veranſtaltungen zu bewegen, als dieſer Thierdienſt 


erforderte, welche Vorſtellungen hätten rührend ger 
nug ſeyn koͤnnen, es mit dem Elfer zu entflam⸗ 


men, mit welchem dieſer Dienſt von den Aegyptern 
geleiſtet wurde? Unter den angefuͤhrten Urſachen 


“find keine dieſer Art, wenigſtens konnte keine das 


x 


von auf einmal auf ein ganzes Volk mit der Kraft 
g wirken welche hier exfodert wird. Es iſt daher 
nicht zu zweifeln, daß dieſer Dienft einen ſchwachen 
| Urſprung gehabt habe, nach und nach zu der Höhe 
emporgewachſen ſey, welche er erreichte, und dann 
| durch die meiſten der angefuͤhrten Urſachen in Ver⸗ 


en mit der Macht der Gewohnheit dem Aus 
2 3 ſeebhn 


54 Buch J. Capitel 4. 


ſehn des Alterthums, dem Eigennuß der Prieſter, 
und jener beſondern Liebe, welche oft bey Menſchen 
zu gewiſſen Thieren ſtatt findet, erhalten worden ſey. 
Wir fragen indeſſen hier nicht ſowohl, warum 
die Aegypter bey ihrer gottes dienſtlichen Verehrung 
der Thiere ſo handelten, wie ſie thaten, ſondern 
was ſie dabey gedacht, und zwar urſpruͤnglich 
gedacht haben? Aus alle dem vorhergehenden laͤßt 
ſich dieſes nicht hinreichend beantworten, die Grie⸗ 
chen konnten es nicht ergruͤnden, und ſelbſt die ſpaͤ⸗ 
tern Aegypter, die ſich weiter nichts dabey dachten, 
als daß ſie der Autoritaͤt ihrer Vorfahren, oder 
den Vorurtheilen des großen Haufens, oder ihren 
perſoͤnlichen Vortheilen dabey froͤhnen mußten, wuͤr⸗ 
den wohl kaum haben ſagen konnen, was die er⸗ 
ſten Thieranbeter dachten. Auch uns wuͤrde die 
Frage unbeantwortlich ſeyn, wenn nicht neuere 
Reiſende an der entgezengeſetzten Kuͤſte von Afrika 


am Senegal, und bey andern wilden Voͤlkern, we 


che ungefähr auf derſelben. Stufe der Cultur ſtan⸗ 


den, auf welcher ſich die Aegypter befinden moch⸗ 


ten, als der Thierdienſt bey ihnen entſprang, aͤhn⸗ 


liche Gebräuche entdeckt hätten, nach welchen ſie f 


Gegenſtaͤnde goͤttlich verehrten, an denen auch der 4 
größte Scharfſinn nichts göttliches entdecken kann, 
wenn er ſich auch zu dem niedrigſten Begriff von 

Goͤtt⸗ 


7+ 


Buch J. Capitel 4. 55 


Goͤttlichkeit hevabläßt. Dieſe Segenflönde find uns 
| ter dem nach dem portugieſiſchen gebildeten Namen 
e e Fetiſche, und ihre Verehrung unter dem des 


Fetiſchismus bekannt. 


Vernunftgebrauch zu verrathen. Und doch war ſie 
wohl urſprünglich eine natuͤrliche Wirkung des re⸗ 


5 über erklärte ). Er ſagte: “es fey nicht der 


Auf den erſten Aublick ſcheint dieſe Aeuſerung 


der Religiofität ungebildeter Menſchen den gröͤbſten 


Aberglauben und einen gaͤnzlichen Mangel an allem 


ligisſen Triebes, und eine Folge eines obgleich be⸗ 
ſchraͤnkten, aber doch ſinnreichen Nachdenkens un⸗ 


gebildeter Naturmenſchen. Man höre, wie ſich 


einſt ein Wilder in Amerika, der als einen ſolchen 


„ religiöfen Gegenſtand, den er in feiner Sprache | 


einen. Manitu nannte, einen Stier verehrte „dar⸗ 


Br Stier ſelbſt, den er anbete, ſondern ein Manitu 


der Stiere, der ſich unter der Erde befaͤnde, und 


5 alle Stiere befeelte” ; er ſetzte hinzu: daß diejeni⸗ 
gen, deren Manitu ein Bär wäre, einen ähnlichen 


Baͤrenmanitu verehrten, und gab zu, daß es auch 


5 einen ſolchen Manitu des Menſchen gaͤbe. Man 


„ 


ſiegt 


. a M. fi ueber den Dienſt der Fetiſchengötter. Aus 


dem Franz. von de Broſſe. Berlin und Stralſund 
. 1785. S. 40. 
| ; E 4 


56 | Buch l. Capitel 4. 5 


ſieht bieraus, daß der urſprüngliche Ferien 
vorausſetzt: 1) Daß der Menſch ſich ein hoͤheres 
Weſen als Princip irgend eines Lebens, einer 
Kraft, oder einer Wirkung denke. 2) Daß er 
mit einem ſolchen Weſen in gewiſſen Verhaͤltniſſen 
zu ſtehen, und einen Einfluß deſſelben auf ſich und 
ſeine Schickſale zu erkennen glaube, und daher ge⸗ 
genſeitig auf daſſelbe zu wirken wuͤnſche. 3) Daß 
er, um den Begriff deffelben feſt zu halten, ihn an 
irgend einen ſinnlichen Gegenſtand knuͤpfe. 

Der rohe Naturmenſch iſt nicht fo fähig, Begriffe, 
die er durch bloſes Nachdenken gebildet hat, feſt⸗ 
zuhalten, ohne ſie an einen ſinnlichen Gegenſtand 
zu knuͤpfen, wie wir es ſind, die wir von Jugend 
auf zur Abſtraktion und zur Erſchaffung von Ge⸗ 


genftänden der Phantaſie angeleitet werden. Es 1 


iſt ihm daher ein Huͤlfsmittel für feine natürliche 
Logik, daß er einen ſolchen uͤberſinnlichen Begriff 


au etwas ſinnliches anknuͤpft. Der finnliche Ge⸗ N 


genſtand iſt ihm alſo eine naturliche Siero⸗ 
glyphe, gegen deren Gebrauch ſich gewiß nichts 
einwenden läßt, der vielmehr als ein Produkt na⸗ 
tuͤrlichen Nachdenkens Beyfall verdient. 

Dies fuͤhrt uns auf die Aegypter zuruck. Bey 3 
ihnen finden wir eine göttliche Verehrung von Ge ⸗ 
genſtänden, an denen ſich gar nichts goͤttliches und 

; ver⸗ 


Bus Gapitel | 37 
derehrungs würdiges erkennen läßt, wir finden fer⸗ | 
ner Hieroglyphen, d. h. willküͤhrliche Zeichen für 


SGegenſtaͤnde des bloſen Nachdenkens, d. h. für mr 
 überfinnliche Gegenftände. Die Aegypter verehrten 
alſo die Thiere, und wie wir es dem Juvenal leicht 


glauben konnen, auch andere Gegenſtaͤnde, als 
Hieroglyphen f und dachten ſich unter dieſen Zeichen 

urſprünglich nichts anders als das Bezeichnete. 
Hiergegen haͤtte nun die geſunde Vernunft ge⸗ 
wiß nichts einzuwenden, eben fo wenig als gegen 
jenen Fetiſchismus, den wir den reinen oder ur⸗ 
ſpruͤnglichen nennen koͤnnen. Aber dieſer Fetiſchis⸗ 
mus oder Hieroglyphendienſt, welches im Grunde 
eins und daſſelbe iſt, und wohl paſſender mit dem 
letzten Namen bezeihnet werden koͤnnte, ſcheint in 
ſeiner Reinheit nur ein vorübergehender fluͤchtiger 
Gedanke zu ſeyn. Er konnte ſchon bey denen, 
welche zuerſt einen uͤberſinnlichen Gegenſtand des 
Nachdenkens an einen ſinnlichen knuͤpften, um ihrer 
Phantaſie und ihrem Gedaͤchtniſſe zu Huͤlfe zu 
kommen „ausarten. Noch mehr aber war er der 
Ausartung unterworfen, ſobald er von feinem Er⸗ 

finder zu einem andern uͤbergieng. 

Der Grund dieſer Ausartung fo wie der 
meiſten Verderbniſſe aͤchter religioͤſer Ideen, war 
115 1 n. Verwechſelung des ſubjekti⸗ 
8 5 ven 


58 Buch! I. Gavitel 4 4. * . 
ven in den religioͤſen Begriffen, mit dem ‚obs 
jektiven, welche von jeher in der Religionslehre die 
groͤbſten Verwirrungen geſtiftet hat, und doch ſehr gr 
leicht und natuͤrlich, den wiſſenſchafllichen Denker 3 
ſelbſt ſchwer zu vermeiden, dem ungebildeten aber 1 0 
faſt unvermeiblich it. Jene Verbindung der durch 5 
Nachdenken gefundenen Begriffe von hoͤheren 95 ers IH 
ſinnlichen Weſen mit finnlichen Gegenſtaͤnden, wur RE 
von den urſpruͤnglichen Denkern willkührlich 1 en 
aus klugen Abſichten gemacht. Sie war alſo voll- 
kommen fubſentte, So lange ſie als ſubjektiv ber 1 
trachtet , mußte fie nicht allein vollig unſchid⸗ 1 
lich, ſondern ſelbſt nuͤtzlich feyn, und dem Get icht . 
niſſe ſowohl als der Phantaſie zu Huͤlfe kommer 5 
Aber nur zu leicht vergaß man, daß dieſe Verbin- 4 
dung des ſinnlichen mit dem uͤberſinnlichen ſub⸗ 5 4 
jeftio und willkͤhrlich war. Man fieng an, m ; 
für eine weſentliche und nothwendige Verbindung 
zu halten, welche wirklich zwiſchen jenen Gegenſtän⸗ 3 
den ſtatt fände, und alfo objektiv waͤre. DIR, ; 
kam es, daß man die Eigenſchaften des Zeichens 4 
und des Vezeichneten voͤllig mit einander verwech⸗ . i 
ſelte. Man widmete dem ſinnlichen Gegenſtande 1 
die Verehrung, welche dem uͤberſinnlichen gebührte, 
und legte dem höheren Weſen die Sigenfüaftendee 4 
5 bey, 10 dem man ſich anfaͤnglich ohne alle 3 
| weitere 


# 


weitere Beziehung an jenes hatte erinnern wollen. ä 


So entſtanden aus der Vermiſchung des Begriffes 
der Thiere und der Götter Gegenſtaͤnde einer reli⸗ 


gioſen Verehrung, die nicht widerſprechender, und 


ein Cultus, der nicht unvernünftiger ſeyn konnte. 
Das bisher geſagte reicht vollkommen hin zu 
Ar wie der fo unvernünftige‘ Thierdienſt der 


2 Aegypter aus vernuͤnſtigen Nachdenken durch eine 


® Teichte Verirrung entſtanden ſeyn kann, und genuͤgt 
BE überhaupt, die irrigen Begriffe zu entwickeln, die 
5 iin; zum Grunde lagen. Nicht voͤllig aber moͤchte 


dadurch der ungemeine Eifer erklaͤrt ſeyn, mit wel⸗ 
chem die Aegypter die druͤckenden Gebräuche dieſer 
undernänftigftei aller Religionsarten beobachteten. 
Dieſe Erklarung gehört nur in fo fern hierher, als 


dadurch die Richtigkeit der angegebenen Grundideen 
RR des ögyptiſchen Thierdlenſtes beſtaͤtigt wird. Ich 
Kr glaube daher, daß der Grund jenes Eifers eben 
darinn lag, daß man lebende und empfindende We⸗ 
ſen an die Stelle der Goͤtter ſetzte, bey denen man 
voraus ſetzen und wahrnehmen konnte, daß die ih⸗ 


nen gewidmete Verehrung wirklich etwas auf ſie 
wirkte, welches bey bloſen metaphyſiſchen und durch 


Een | © - 


7 * 


die Phantaſie e Goͤttern W fat 


an 1 
60 Bruch J. Capitel 4. 
Es bleibt nur noch die Frage uͤbrig: ob und 


wie dieſer Thierdienſt mit dem oben angeführten 


Sterndienſt zuſammen hieng? Urſpruͤnglich ſcheint 
dies nicht der Fall geweſen zu ſeyn, wie aus dem 
ſehr verſchiedenen Urſprunge beyder erhellet. Der 
Thierdienſt ſcheint Alter zu ſeyn, weil er die Frucht 
einer Stuffe der Cultur iſt, auf welcher ſich die 
Menſchen eher befinden, ehe ſie zu ſolchen Begriffen 


gelangen koͤnnen, wie der Sterndienſt vorausfeßt.. 


Sobald aber die Aegypter dieſen erfunden, oder 
von einem andern Volke angenommen hatten, konn⸗ 
ten ſie beyde leicht mit einander verbinden, indem 
ſie Thiere zur Bezeichnung der Geſtirngöͤtter waͤhl⸗ 
ten, und verbanden fie auch wirklich. Ihre reli⸗ 
gioͤſen Begriffe erhielten dadurch eine neue und 
ſonderbare Miſchung, die nicht wenig dazu beytra⸗ 


gen mußte, ſie ſo raͤthſelhaft zu machen 0 wir 


ſie wirklich finden. 


Man hat neben den religioͤſen Vortele ge 5 
ten, welche der Sterndienſt und der Thierdienſt 


der Aegypter vorausfeßen, und die ſich, wie wir 
gezeigt haben, urſpruͤnglich allerdings auf Nachden⸗ 
ken gruͤnden, ihren Prieſtern eine geheime phi⸗ 


loſophiſche Theologie zuſchreiben wollen). Al 


lein aus hiſtoriſchen Gruͤnden EM ſich eine ſolche 
richt 


) M. ſ. Vogels Verſuch über die Religion der alten 


Aegypter unb Griechen, Nuͤrnb. 1793. 4 S. 131. 


u, 
ee 


1 
1 
f 
2 


Philoſopheme damit verbanden. Sie bequemten 
ſich daher bey ihren Erklärungen nach den Meinun⸗ 
gen, welche ſie bey demjenigen, der ſie darum fragte, N 
bemerkten, oder vorausfeßen konnten, und ſpeißten 


| haupt ihrer Religion eine beſondere Wichtigkeit 
ben. Aber ſie glaubten dieſes am beſten da 


Buch l. erte d. | 61 


nicht erweiſen. Es läßt fih auunche Saheen⸗ 
lich machen, daß bey jenen Prieſtern nicht viel Nach⸗ . 


denken über die Religion zu ſuchen iſt *). 


Eine ſolche geheime Theologie koͤnnte nun ent⸗ 5 Ba 
weder wirklich in Verbindung mit ihrer Volksrelt⸗ | 
gion geweſen ſeyn; fie koͤnnte eben die vernünft⸗ 7 
gen Begriffe erhalten haben, welche derſelben zum 
Grunde lagen, und die wir zuvor entwickelt haben. 
Sie konnte zugleich den Schluͤſſel zu alle den Ver⸗ 
irrungen enthalten haben „durch welche dieſe Volks⸗ 1 


religion eine ſo ſonderbare Geſtalt erhalten bat. a 
Allein von dem allen findet ſich in den mancherley RE 


Erklärungen, welche die agypttſchen Prieſter von 


ihren religidſen Gebräuchen machten, keive Spur. 


Sie wollten zwar, beſonders bey den Griechen, gern 


für aufgeklärter gelten als das Volk, und Übers = 


thun zu koͤnnen, wenn fie griechiſ ſche Mythen 


einen Herodot mit TE und moßerigfen Deu: 
a Pr Art ungen . 


ar 3 * * 
0 . a 
NE) 
. 7 


= Meiners FREE der „ ättefien Völker. ve 
S. 256. u. f. Hiſtoris doctrinae de vero Dee. Kat 


. 28. leg 


N 


62 Buch l. Capitel 4. 


tungen, einen Plato mit Phloſophemen 1 N 
Diodor mit Geſchichten ab. Es iſt ſelbſt, wie 
aus dem obigen erhellet, nicht einmal wahrſchein⸗ 
lich, daß ſie die wahre Quelle ihrer religiöſen Ge⸗ 
brauche kannten. Denn hiſtoriſche Nachrichten konn⸗ 
ten ſie davon nicht haben, weil ihr Urſprung in 
ein Zeitalter faͤllt, von dem keine Geſchichte her⸗ 
kommen kann, und ihn durch philoſophiſche Unter⸗ 
ſuchungen zu ergruͤnden, ſo wie wir es gethan ha⸗ 
ben, würde eben diejenige philoſophiſche und reli⸗ 
gioͤſe Aufklärung vorausſetzen, welche wir re 
bens bey ihnen ſuchen. 
| Es berechtigt uns alſo nichts , irgend“ eine 
geheime Theologie bey den aͤgyptiſchen Prieſtern 55 
vorauszuſetzen „die fie als eine beſtimmte und bes 
gruͤndete Wiſſenſchaft beſeſſen, und einander ſelbſt 
insgeheim und etwa auch aufgeklaͤrten Fremdlingen 
mitgetheilt hätten. Es iſt zwar nicht zu zweifeln, 
daß es auch unter ihnen Denker gegeben haben 
mag, die ſich zu reineren Religlonsbegriffen erhes 
ben. Aber es läßt ſich nicht erweiſen, daß ſolche a 
ein Eigenthum ihres ganzen Ordens durch Mit \ 1 
theilung geworden ſeyen. Es läßt ſich vielm e 5 Be, 3 
vorausſetzen, daß es bey einer ſo eben us 
in Unſinn uͤbergegangenen Religion, deren vernuͤnf⸗ 
gen Urſprung fie ch einfahen, mehr Religions- 


a: 2 5 7 


1 


Euch 1. Capitel 4. 368 


veraͤchter und Gotteslaͤugner unter den aͤgyptiſchen 
Prieſtern gegeben haben mag, als bey irgend einer 


andern Religion, und daß ſie ſich daher ihrer Re⸗ 


ligion nur als eines Gaukelſpiels zur Taͤuſchung 
des Volks, und zur Befriedigung ihres Eigennu⸗ 
Bes und ihrer Herrſchſucht bedient, und dadurch 


ihre Thorheiten und Verderbniſſe ins keine, 
vermehrt au mögen. | 


Fuͤnftes Capitel. Bi 


Bi. | keinem Volke des Alterthums haben wohl 


einzelne Menſchen ihre Anlagen bis zu einem ſo 


hohen Grade von Vollkommenheit ausgebildet als 


bey den Griechen. Denn ob es gleich ein Vor⸗ 


urtheil iſt, wenn man, wie es jetzt gewiſſermaaſen 


Mode iſt, von den Griechen wie von einer hoͤhern ER 
Menſchengattung ſpricht, hinter welcher die übrige, Sr 


2 
1 * 


; | ſelbſt die gegenwärtige Menſchheit im Ganzen ge 4 


nommen weit zurück ſteht, die von den uͤbrigen 1 
= pen nie erreicht worden iſt, ja vielleicht nm 


. ſeyn ſollz ſo iſt es doch gewiß, daß ein⸗ 


zelne 


64 Buch I. Capitel 5. 

zelne Helden, Geſetzgeber, Philoſophen, Dichter 
und Kuͤnſtler unter ihnen ſich ſo weit über ihre 
Zeitgenoſſen erheben, daß nicht leicht Beyſpiele un⸗ 
ter andern Voͤlkern von Menſchen gefunden werden, 
die ſich in einem ſo hohen Grade vor ke: Glei⸗ 
chen auszeichneten. 

Dieſe Bemerkung, welche ſich durch die ganze + 
griechiſche Geſchichte hindurch bis zu den Zeiten 
hin, da die Griechen ausgebluͤht hatten beftätigt, 
giebt uns den Schluͤſſel zu der Entſtehungsart 
eines Hauptbeſtandtheils ihrer rellgioͤſen Ideen 
nemlich zu ihrer Menſchenvergoͤtterung. Es 
iſt ſchwer zu erklaͤren, wie Menſchen ihres Glei⸗ 
chen je in einem ſo erhabenen Lichte betrachten 1 
konnten, daß fie mit der Perſon von Individuen 
aus ihrer Mitte den Begriff der Goͤttlichkeit zu 
verbinden faͤhig waren, jenen Begriff in dem ſchon 
das Uebermenſchliche liegt, und dem daher jeder 
Menſch durch ſeine Exiſtenz ſelbſt zu widerſprechen 
ſcheint. Nur da kann dieſes daher ſtatt finden, g 
wo einzelne Menſchen ſich ſo weit uͤber ihres Glei⸗ 
chen erheben, daß die Uebrigen ſich die Erhabens 
heit ihrer Eigenſchaften gar nicht zu erklaͤren wiſ⸗ 
ſen, und ſie eben ſo unbegreiflich als unerreichbar 
finden. Wo der Menſch einmal etwas Unbegreif⸗ | 
liches gefunden hat, da wird es ihm leicht noch 

mehr 75 | 


a 


Buch J. Capitel 3 


We bergleichen zu vermuthen. Er freuet ſich ein } 
Subjekt gefunden zu haben, an welches er alles 


was ihm unbegreiflich iſt anknuͤpfen kann, und 


glaubt durch dieſe Anknuͤpfung ſelbſt das Uabegreif⸗ 


liche begriffen zu haben. So konnten die aͤlteſten 


rohen Griechen, die ſo weit unter der Hoͤhe zu⸗ 


ruͤckblieben, zu welcher ſich Einzelne unter ihnen 


— 


erhoben, oder zu erheben ſchienen, durch Bewun⸗ 
derung ihrer Geiſtes⸗ und Koͤrperkraͤfte, durch 


Furcht vor ihrem Heldenarm und durch Dankbarkeit 


für die Wohlthaten die fie von ihnen empfangen 
hatten, auf den Gedanken kommen, daß dies die 


Weſen waͤren, an deren uͤbermenſchliche Kraͤfte zu 


glauben und von welchen die Lenkung ihrer Schick⸗ 


ſale zu erwarten, ſie das zur Religion leitende 


- Gefühl ihrer Beſchraͤnkung trieb. 


Es läßt ſich nicht erweiſen ob je ein Menſch 


bey ſeinem Leben im Ernſte ſey vergöttert worden. 


Denn Vergötterungen welche in ſpaͤtern Zeiten der 
Stolz von Tyrannen erzwang, oder die Schmeices 
ley niedriger Sklavenſeelen erzeugte, kommen hier 


nicht in Betrachtung, wo nur von Wirkungen ei⸗ 
nes freyen Denkens die Rede ſeyn kann. Der 


Tod, ſollte man glauben, widerſpreche aller Men⸗ 
0 ſchenbergötterung, und zeige dieſe kindiſche Operation 
8 es * Verſtandes in ihrer ganzen Bloͤße. 


E Aber 


6 Buhl. Capitel 5. 
Aber nein, wir fehen die Griechen auch an ben 
Graͤbern ihrer Götter knieen und hören wie fie 


bey ihren Feſten und Myſterien die Begraͤbniſſe 


der Unſterblichen feyern. Der Glaube an Unſterb⸗ 
lichkeit des beſſern Theils des Menſchen muß mit⸗ 


hin bey ihnen uralt geweſen, und ſo wie der Glaube 


an Götter überhaupt, allem methodiſchen philoſo⸗ 
phiſchen Raiſonnement vorhergegangen feyn. 


Dieſer Glaube aber konnte bey ihnen der Mens 
ſchenvergoͤtterung ſchon die Hand bieten. Wenn der 
Tod das Daſeyn der Menſchen in den Augen von ih⸗ 
8 res Gleichen nicht aufhebt, fo läßt er. fie in einem 
ungleich ſchoͤnern Lichte erſcheinen, indem er fie von 


alle den Flecken reinigt, welche ſie an ihrer wahren 1 


Geſtalt ſehen, indem er den Tadler verftummen 
laßt, der ſich ſchaͤmt fo ungroßmuͤthig zu ſeyn, je⸗ rd 
manden zu ſchmaͤhen, der ſich nicht verantworten | 
kann, und indem er alles, was zuvor unbegreiflich 


an einem bewunderten Menſchen war, in noch ges 


heimnißvollere Schleyer huͤllt, hinter welchen die 
Einbildungskraft alles zu vermuthen wagen darf, da 
fie ſicher iſt, nicht vom Gegentheile überführt zu 


werden. Auch verwandelt der Tod oft Haß in Liebe, E | 


und Unzufriedenheit in Sehnſucht, Liebe aber läßt er 
noch ſtaͤrker und heller emporflammen. So konnten 
cm 


18 1 * 
l 
HN 


Wir finden Menſchenfiguren mit dem Diadem 


der Goͤttlichkeit geziert, zwar auch dey andern Voͤl⸗ 
kern des Alterthums, einen Mithras bey den Pers 


fern *) einen Belus bey den Babyloniern. Aber bey 
ihnen ſcheint man mehr Goͤtter vermenſchlicht als 


Menſchen vergoͤttert zu haben. Denn da die Grund⸗ 
lage ihrer Religion Feuer⸗ und Sterndienſt war, 


und ſie dieſe Gegenſtaͤnde nicht abbilden konnten, ſie 


aber als Koͤnige und Beherrſcher der Welt betrach⸗ 


teten, ſo waͤhlten ſie als Symbol derſelben Bilder 


von Königen, welches dann in fpätern Zeiten, da 
man der Menſchenvergoͤtterung von den Griechen ges 


wohnt war, Veranlaſſung gab, die Geſchichte irgend 


eines fruͤhern Koͤnigs an das Goͤtterbild zu knuͤpfen. 


Was ſich ſonſt etwa von goͤttlichen Menſchen bey den 
Voͤlkern des Alterthums findet, haben ſie entweder 


von den Griechen angenommen, oder es iſt ihnen 
von denſelben angedichtet worden. 


Menſchenvergoͤtterung findet ſich alſo im Alter⸗ 


thum vorzüglich bey den Aue Die urſache „ 
wie 


9 Cudworth ſyſtema intellectual c. not, Moshem, * 


Jenae 1733 fol. p. 327. 
| 


| € 2 


Buch 1. Capitel 5. 67 | 


vorzügliche Menſchen noch leichter nach ihrem Tode 
vergöttert werden, als bey ihrem Leben. 


Dee Buch I. Capitel 5. 


wie wir gezeigt haben darinn, weil ſich bey ihnen | 


mehr als bey allen andern Völkern einzelne Indivi⸗ 
duen vor ihres Gleichen auszeichneten. Eine andere 


Urſache war, weil die Griechen, ſo ruͤhmlich ſie ſich 


auch in der Folge zur Originalität erhoben, doch ur⸗ 


ſpruͤnglich kein originales Volk waren. Von den ur⸗ 


ſpruͤnglichen Griechen den eigentlichen Autochthonen 


hat die Geſchichte nur wenig Spuren aufbewahrt, 
aber auch wohl eben ſo wenig der Geiſt der folgenden 
Zeitalter. Griechenland verdankt ſeine erſte Cultur 
fremden Ankoͤmmlingen. Seine gluͤckliche Lage, 
welche es mit mehrern Meeren in Verbindung ſetzt, 
machte es fruͤhzeitig zu einem Sammelplaß fremder 
Coloniſten. Dieſe waren groͤßtentheils Abentheurer 


die mehr von der Natur als vom Gluͤcke beguͤnſtigt 


waren; Maͤnner von vorzuͤglichen Talenten die in ih⸗ 
rem Vaterlande keinen angemeſſenen Wirkungskreis 


fanden, ſich mit andern unternehmenden Koͤpfen ver⸗ 


banden, und im Anbau von Gegenden die, wie ſi e 


. ſelbſt, von der Natur reichlich beſchenkt, von Men⸗ 


ſchen aber verlaſſen waren, ihr Gluͤck ſuchten. Da⸗ 


durch ward Griechenland ſehr bald ein Brennpunkt, 
in welchem fi die Strahlen der hoͤchſten menſchlichen 


Energie vereinigten; ; dadurch entſtand aber auch j jene 


* Ungleichheit unter ſeinen Bewohnern welche machte, 
daß ein Theil den andern für Götter anſahe. Wenn 


5 


\ 


Buch . Gavitel „ 69 


0 dem wllden Urgriechen, der in Hölen wohnte, von 


Eicheln und Wurzeln lebte, mit Muͤhe auf Baum⸗ 


rinden uͤber Fluͤſſe ſchwamm, und nicht einmal den 


Gebrauch des Feuers kannte, in großen wohl aus⸗ 
geruͤſteten Schiffen der kunſtreiche Aegypter kam, 


und feſte Gebäude anlegte; wenn der ſchlaue Phönts 


das Geſchenk des Oelbaums das Leben verſußte; 


ster ihm feine kuͤnſtlichen Handelsprodukte brachte; 
wenn der verſtaͤndige Creter ihm die erſten Begriffe 


von buͤrgerlicher Geſellſchaft beybrachte, und durch 


wenn der wohlthaͤtige Sicllianer ihn den Feldbau 


lehrte; wenn er dieſe Fremdlinge alles durch Eiſen 


wunderung und Dankbarkeit zur Menſchenpergoͤtte⸗ 
rung leiten? Die Erfahrung neuerer Zeiten lehrt 


tloirten Leuten in Bewegung gefeßt wird, ſehr leicht b 


und das Eiſen ſelbſt durch Feuer zwingen ſah, wie 


leicht konnte ihn da nicht Furcht und Hoffnung, Be 


uns, daß die Ideen roher Wilden, wenn ihre Phan⸗ 


taſie durch die Erſcheinung von Fremdlingen aus cul⸗ 5 00 


den Gang gehen, welcher zu dieſem Ziele führt ). 
So fuͤhrten die Umſtaͤnde in welchen ſich Grie⸗ 
chenland befand, als bey ihm der erſte Grund zu 


. dem gelegt wurde, was es in der Folge ward, ſehr 


8 
e 


va 


ö 9 zur Menſchenvergoͤtterung, die jedoch alle⸗ 
\ | E 3 mal 


5 M. ſ. Meiners Verſuch über die Religionsgeſchichte 


der n Volker S. 34. 8 


u 
0 . 1 


70 Buch J. Capitel 5. 
mal mehr eine Tochter dunkler Gefühle als deutlicher 

Begriffe und eines freyen Nachdenkens iſt. Sie 

kann auch nicht die erſte Aeuſſerung des religioͤſen 
Triebes ſeyn. Denn wenn man Menſchen das Praͤ⸗ 
dicat der Goͤttlichkeit geben ſoll, fo muß man- ſchon 

vorher ſich einen Begriff des göttlichen 1 
haben. 


Auch hatten die aͤlteſten Griechen ine fon 
religioͤſe Begriffe, ehe jene fremden Coloniſten zu ih⸗ 
nen kamen und ihrem religioͤſen Triebe die Nichtung 
zur Menſchenvergoͤtterung gaben. Herodot fagt „): 


8 Die 
* ö 1 75 


*) Herodot. II. 52 p. 109 ed. Gronov. Lugd. Bat. 
1715. Ein alter heiliger Name bey den Pelaſgern 
war die Kabiren. Man ſieht aus der angeführten ö 

Stelle, daß er nicht auf beſtimmte Götter z. B. auf 

Kaſtor und Pollux bezogen werden darf, wle man 
ihn zuweilen erklaͤrt hat. Er war vielmehr ein 85 
gemeiner Goͤttername und bezeichnete Götter uͤber⸗ 
haupt. Die richtigſte Ableitung deſſelben iſt unſtrei⸗ 
tig von III welches in allen orientaliſchen Dialek 
ten Größe bezeichnet. Der Gott Hiobs ſelbſt wird | 
Cap. XXXVI. 5. 922 IN genannt. Die Wei⸗ 2 1 
nung welche Sokrates beym Plato im Eratylus aͤuſ⸗ f 
ſert, nach welcher die aͤlteſten Griechen die Geſtirne N 

verehrt hätten, iſt nicht unwahrſcheinlich, ans 
kann wenigſteus von einem Theile derſelben gelten. % ® 


Doch 4 4 


Syn SAT * Fr 2 
1 “N | 1 

ne, x 
az 

h 


Buch J. Capitel 5. m. 
| ae Pelasger beteten vormals zu den Goͤttern, und 
opferten ihnen. Namen aber gaben ſie ihnen nicht, 


ſetzt Ger rec), und eingetheilt hatten”. Herodot lei⸗ 


denn ſie hatten noch keine gehoͤrt. Goͤtter nannten 
Setzer, Ordner) weil ſie alle Dinge in Ordnung ge⸗ 


tet hierauf nach ſeiner Lieblingsmeinung welche ihm 
die ſchlauen aͤgyptiſchen Prieſter, die ihm ſehr zu 


imponiren wußten, annehmlich gemacht hatten, die 
Götternamen aus Aegypten her. Wenn man 
auch dieſe hiſtoriſche Herleitung eben fo wie jene 
etymologiſche auf ihren Werth beruhen laßt, fo er⸗ 


hellt doch ſo viel aus der Stelle, daß die aͤlteſten 


Bewohner Griechenlands, ſchon eine Religion, und 


wahrſcheinlich eine einfachere und natuͤrlichere Reli⸗ 


gion hatten, ehe die Umſtaͤnde ihr nachmaliges aus 


ſo mancherley Beſtandtheilen zuſammengeſetztes Goͤt⸗ 
be terfoftem herbeyfuͤhrten. Der Analogie zu Folge, 
duͤrfte die aͤlteſte Religion der Griechen ein aͤhnli⸗ 
5 Seuſtiſnus geweſen ſeyn, wie er ſich bey den 
| E. 4 | 44 


Doch kann fie nicht als ein hiſtoriſches Zeugniß be⸗ 
trachtet und mit der Nachricht des Herodot in Pa⸗ 


5 15 rallele geſetzt werden. Denn Sokrates aͤuſert ſie als 
R 1 eine bloße Vermuthung um ſeine mehr witzige als 
ernſthafte Ableitung des Wortes 9e von 1 an⸗ * 175 


‚Anbringen | 


J 


fie diefelben (Here, nach Herodots Etymologie; 


. 


** 


72 Buch J. Capitel 5. 

aͤlteſten Aegyptern und andern Voͤlkern findet, die 
mit ihnen auf einer gleichen Stufe der Cultur | 
‚fanden. Auch ſcheinen die heiligen Eichen und 14 
Tauben zu Dodona wan auf Fetiſche ban 
deuten. 

Jene Gremdlinge⸗ welche Griechenland bes. 
kerten, und anbauten, waren indeſſen auch nicht 
ohne Religion. Man pflegte zwar in ihrem Zeit- 
alter mit dem Vaterlande gar leicht auch die vaͤ⸗ | 
terliche Religſon zu verlaſſen. Auch waren die 
neuen Ankoͤmmlinge in Griechenland unſtreitig käl⸗ 
ter gegen ihre eigenthuͤmliche Religlon, als fie in 
ihrem Vaterlande geweſen ſeyn wuͤrden, ſonſt wärs 
den fie nicht geduldet haben, daß fich bey den ein- 
gebohrnen Griechen unter ihren Augen und durch 
fie ſelbſt veranlaßt, eine beſondere Religion bil⸗ 
dete. Demohngeachtet brachten fie mancherley Sa⸗ 
gen, Begriffe und Meinungen aus ihrem Vater⸗ 8 
lande mit, welche in der Folge Beſtandtheile der 
Religion des Landes wurden, in welchem fie ſich 
anbauten. Da es uns hier nicht ſowohl darum zun 
thun iſt, die Volksreligion der Griechen zu erkla ⸗ 
ren, als Spuren originellen Nachdenkens in der⸗ 4 
ſelben aufzuſuchen, ſo konnen wir uns auf dieſe 
Theile der griechiſchen Religion die ſich ſchon als 
nicht originell ankuͤndigen, weil fie von andern 

Voͤl⸗ 


Buch I. Capitel s. 73 
Voͤlkern nach Griechenland mitgebracht wurden, nicht 
einlaſſen. Sie trugen aber nicht wenig dazu bey, 
das griechiſche Religionsſyſtem noch verwickelter zu 
machen, als es ſeinen uͤbrigen heterogenen ah 
theilen nach ſeyn mußte. 

Als jene Fremdlinge ihr Vaterland verließen, 
da mußten ſie das Vertrauen zu ihren vaterlaͤndi⸗ 
ſchen Göttern aufgeben, da fie ihnen entweder nicht 
maͤchtig oder nicht gütig genug zu ſeyn ſcheinen 
N mußten, um ſie in ihrem Vaterlande zu erhalten 
und zu begluͤcken. Die Liebe zu ihren Mitbuͤrgern, 
wenn ſie nicht ſchon durch die Betrachtung erkaͤltet 
war, daß ſie es waͤren, um derer willen ſie von 
dem Platze weichen mußten, den ihnen die Natur 
angewieſen zu haben ſchien, mußten ſie beym ewi⸗ 
gen Abſchiede aus ihrem Herzen reißen. Sie war⸗ 
fen ſich mit Muth und Vertrauen in die Arme 
der Natur. Meere flutheten ihnen entgegen, 
Stürme umbraußten ſie, der Donner rollte über 
ihrem Haupte. Nahrungsmittel hatten fie viel- 
leicht nur auf kurze Zeit bey ſich, fuͤrchterlicher 
Hunger drohte ihnen, wenn ſie nicht am wohlthaͤ⸗ 
tigen Buſen der fruchtbringenden Erde Nahrung 


fanden. Was war natuͤrlicher, als daß fie wuͤn⸗ 


\ fen mußten, das unbezwingbare Meer, der to⸗ 
bende Sturm, und der brüllende Donner möchten 55 
e E 5 un⸗ 


3 x } | 5 j . a 
74 Buch I Capitel 5. 


unter der Aufſicht höherer Weſen ſtehen, die ihre 8 


Gewalt zu zuͤgeln faͤhig wären, daß ſie in der 
Erde eine wohlthaͤtige Mutter z ſehen wuͤnſchten, 
die ihre Gaben ihren Kindern gern mittheilt? die 


Schrecken des Meeres haben von jeher den rohen 


Schiffer zur Religion gefuͤhrt, ſie lehren noch jetzt 
den wildeſten Matroſen beten. Jener Wunſch 
mußte bald zum Glauben, der Glaube zur Reli⸗ 
gion werden. 

So trat bey den neuen Vevoͤlkerern Grie⸗ 


chenlands an die Stelle ihrer vaterlaͤndiſchen Relis 


gion, gegen welche ſie durch die Entfernung aus 
ihrem Vaterlande kalt geworden waren, eine deſto 


waͤrmere Verehrung perſonificirter Naturwir⸗ 


kungen. Freilich mochten noch manche andre theils 
bekannte, theils unbekannte Urſachen dazu beitra⸗ 


gen, daß Griechenland der Hauptſitz einer Reli⸗ 


glon ward, die ſich zum Theil auf perſonificirte 


Naturwirkungen gründete. Eine der vornehmſten 


dieſer Urſachen war unſtreitig, daß es ſelbſt groͤß⸗ 
tentheils Naturgegenſtaͤnde waren, an welche man 


in dem Vaterlande der neuen Eee die Reli⸗ 


Bio geknüpft hatte. 
So gieng aus Menſchenvergztterung und 


Perfonificirung von Naturwirkungen, in Verbin⸗ 
dung mit mancherley Sagen, Begriffen und Mer 


788 


Buch J. Capitel z. 75 
nungen welche die neuen Anköͤmmlinge ans ihrem 
Vaterlande mitbrachten, die Religion Griechen⸗ 
lands hervor. Die erſten Coloniſten verehrten die 
Natur und duldeten die Menſchenvergoͤtterung bey 
den urſpruͤnglichen Bewohnern, auch befoͤrderten fie 
dieſelbe wohl, da ſie ihnen gewiß manche Vortheile 
brachte. Ihre Nachkocngen wußten beydes mit 
einander zu verbinden, und die vergoͤtterten Men⸗ 
ſchen mit den perſonificirten Naturkraͤften in eine 
Claſſe von Weſen und zum Theil in dieſelben Per⸗ 
ſonen zu verſchmelzen. Beyde Beſtandtheile der 
griechiſchen Religion mußten ſich nach den übrigen 
mitgebrachten Begriffen entweder modificiren laſſen 
oder ſie ſelbſt modificiren. So erhielten die Dich⸗ 
ter welche zuerſt die Volksreligion Griechenlands in 
Zuſammenhang zu bringen ſuchten, einen reichhal⸗ 
tigen Stoff zu ihren Theogonieen und Kosmos 
gonieen. 
Die Fundgrube der Dichter i die Phantaſie. 
Sie war zwar auch die Quelle aus welcher jene 
Religionsbegriffe der Griechen überhaupt herfloffen, 
aber der Unterſchied zwiſchen dem Dichter und dem⸗ 
jenigen der ſich eine Religion bildet, iſt der, daß 
es dieſen, wenn er fie auch blos aus der Einbil⸗ 
ent ſchoͤpfen ſollte, um Wahrheit, jenen 
e. nur um Reitz und Anmuth ſeiner Vorſtel⸗ 
4 2 lun⸗ 


Bu Capitel 5. 
lungen zu thun if. Wir konnen daher auf die 


mancherley Verzierungen, welche die Religlonsideen 8 


der Griechen durch ihre Dichter und vorzuͤglich durch 
Homer und Heſi od erhielten, hier nicht Ruͤckſicht 
nehmen. Die Grundſtoffe, aus welchen ſie die | 
Gewebe ihrer Phantaſie verfertigen, bleiben uͤber⸗ 
all diejenigen welche wir als die Hauptbeſtand⸗ 
theile der griechiſchen Religion entwickelt haben, 
und weiſen alſo auf dieſelben Operationen des % 
Nachdenkens zuruͤck, mit denen wir es bier — 
zu thun haben. | | 
h Nur eine Idee berdicht hier unſre Aufmerk⸗ | 
ſamkeit. Dies ift die von einem hoͤchſten Schick⸗ 

ſal, einer unvermeidlichen Nothwendigkeit 
(sıca sınapuevn) welche nach Homers Vorſtellungs⸗ ; 
art über alles und ſelbſt über die Götter herrſchte. 
Sie mußte dem Dichter dienen, um alle Wider⸗ 
ſpruͤche in den Charakteren ſeiner Goͤtter und in 
ihrer Händlungsweiſe aufzulöfen. Sie ſcheint aber 


doch mehr als bloße Maſchinerle des Dichters zu 2 4 
ſeyn. Sie ſcheint ihren Grund in der Unzulaͤng⸗ 5 A 


lichkeit der griechiſchen Religionsbegriffe überhaupt 
zu Auflöſung der Probleme, um welcher willen 
der Menſch ſich eine Religion erdenkt, zu haben, 
eine Unzulänglichkeit die freilich niemand ſtärker 


füblen mußte, als ein epiſcher Dichter, welchen 1 


den 


— 


| Buhl. Capitel 8 


den Sufammenhang des ganzen Schickſals merk! 


würdiger Menſchen, ja ganzer Staͤdte und Laͤnder 
mit aufmerkſamen Blick uͤberſchaut, um aus ih⸗ 


nen große Dichtergemaͤhlde zu bilden. Vieles davon 


8 


konnte man fi aus Religionsbegriffen, aus den 
Willen der Goͤtter, aus ihrer Liebe und ihrem 
Haſſe gegen einzelne Perſonen und aus den Be⸗ 
dingungen an welche ihre Macht geknuͤpft war, 
erklaren. Was mbrig blieb, warf man in eine 
Idee zuſammen, welche alles Unbegreifliche in ſich 
begreifen mußte. 

Die Religion der Griechen hatte bey alle dem 


0 Widerſprechendem was ſie in ſich ſchloß, doch im 


Ganzen genommen, mehr einen vortheilhaͤften 


als einen nachtheiligen Einfluß auf die Sitt⸗ 


lichkeit. Zwar war ihr religioͤſer Cultus keines⸗ 
weges frey von den Abſcheulichkeiten welche irrige 
Religionen zu erzeugen pflegen. Denn ſie brachten 
den Göttern ſelbſt in gewiſſen Faͤllen Menſchen⸗ 
opfer *). Auch war reine Sittlichkeit keinesweges 
der Charakter welchen ſie an ihren vergoͤtterten 
Menſchen gefunden, oder ihren vermenſchlichten 
Göttern beygelegt hatten. Aber fo viel Unſittlich⸗ 
keiten se diefe Götter, nach den Erzählungen, 

1 welche 


9 6 in dite Themiſt I. 466. 519 ed. Reisk, 
Meiners hift. de Deo. p, 209. 


* U 


— 


€ 


78 Buch J. Capitel 5. 
welche man von ihnen hatte ſich erlaubten, fo 
wagten es doch die Griechen nicht alles das ſich 
ſelbſt zu erlauben, was ſie ihren Goͤttern nachſag⸗ 
ten. Sie wußten wohl, daß man ſich ſelbſt bey un⸗ 
ſittlichen Menſchen mehr durch Sittlichkeit, als durch 
Unſittlichkeit empfiehlt, wenn man ſich nur nicht 
das Anfehn giebt durch ein ſittliches Betragen ihre 
Unſittlichkeit beſchämen zu wollen, ſondern vielmehr 
durch Beſchraͤnkung ſeiner eigenen Begierden den 
ihrigen deſto freyern Lauf zu laſſen ſcheint. Sie 
ſchloſſen hieraus, daß dieſes bey den Goͤttern auch 
ſo ſeyn werde. Hierzu kam noch der Charakter 
der Großmuth und Wohlthaͤtigkeit gegen die Mens 
ſchen, der den Goͤttern bey alle ihren Fehlern doch 
immer blieb, und welcher auch bey ihren Verehrern 
dieſe Geſinnungen befoͤrderte. Die grlechiſche Reli⸗ 
gion trug ſchon dadurch zur Moralitaͤt bey, daß ſie 
die Götter als moraliſche Weſen betrachtete, welche 
den Werth der Sittlichkeit und Unſittlichkeit zu er⸗ 
kennen faͤhig waͤren, und ſie ward dadurch daß ſie 
ihren Goͤttern große moraliſche Fehler zuſchrieb, 
weniger ſchaͤdlich als diejenigen Religionen, deren 
Goͤtter gar keine Beziehung auf Moralität hatten. 
Es gab bey den Griechen eine Religionsanſtalt, 


welche von vielen andern Voͤlkern auf mancherley { 


Weiſe nachgeahmt worden iſt, und in welcher man 
hr den 


5 


Bruch I. Capitel . 70 
den 6 läſſel zu den Grundbegriffen ihrer Volks⸗ 
religion, oder auch zu reinern Begriffen welche fie 


neben der Volksreligion hatten, geſucht hat. Dies 


waren ihre Myſterien, religioͤſe Feſte, welche zu 


gewiſſen Zeiten und an beſtimmten Orten vorzuͤg⸗ 
lich zu Eleuſis gefeiert wurden, und zu welchen 


niemand hinzugelaſſen wurde, als Perſonen, welche 


ſich mit gewiſſen Ceremonien dazu hatten einweihen 


laſſen, und deren Verſchwiegenheit man ſich durch 
Drohungen der ſtrengſten Ahndung verſichert hatte. 


Man hat behauptet, daß bey dieſen Myſterien den 
Eingeweihten auch gewiſſe geheime Religionslehren 
waͤren mitgetheilt worden. Welches aber dieſe 


Lehren waren läßt ſich nicht mit Gewisheit aus⸗ 


machen. Nur aus den Wirkungen, welche die My⸗ 


ſterien auf die Griechen und auf ihre Volksreligion 


Aufferten, läßt ſich einiges ſchließen. Bey weitem 


der größte Theil der Griechen ließ ſich in die My⸗ f 


ferien, vorzuͤglich in die Eleuſiniſchen einweihen, 
und die Uneingeweihten waren nur ſelten Aus⸗ 


nahmen. Sie waren fuͤr dieſelben im hoͤchſten 
Grade eingenommen, leiteten ihre Einführung von 


den Goͤttern ab, und betrachteten ſie als eines der 


wohlthaͤtigſten Geſchenke der Götter welches fie ſelbſt 


dem Ackerbau an die Seite feßten. Demohngeachtet 
bemerkt man aich, 3 der große Haufe der Grie⸗ 


| chen 


TER N * 
80 Buch l. Capitel 5. 
chen dadurch in der Religion wirklich aufgeklärter ge⸗ 
worden waͤre. Der Poͤbel hieng zu allen Zelten mit 
dem größten Eifer an feinen Fabeln, und Verfol⸗ 
gungen ſolcher Maͤnner, welche Verachtung gegen 
dieſelben und reinere n verriethen „ waren 

nicht ſelten. 

Nichts deſtoweniger waren auch Maͤnner, 
welche ſich notoriſch uͤber die Volksreligion erhoben 
haben, für die Myſterien im hohen Grade einges 
nommen. Cicero *) nennt Eleuſis „das heilige 

und verehrungswuͤrdige, wo zu ſeiner Zeit Voͤlker 
und Menſchen aus den entfernteſten Weltgegenden 
eingeweiht wurden. Dein Athen, fagt er zum 
Attikus hat viele herrliche Einrichtungen und Er⸗ 
findungen gemacht, aber keine die den Vorzug 
vor den Myſterien verdiente, wodurch wir aus der 
roheſten Wildheit zur ſauften Menſchlichkeit ge⸗ 
mildert, und aus dem geſeßzloſen Leben zur buͤrger⸗ 
lichen Geſellſchaft ausgebildet werden, wo wir, wie 
es heißt, die Weihe des Lebens, in der That aber die 5 
achten Grundſaͤtze der Lebensweisheit empfangen 
haben”. Der Redner Ariſtides erklärte noch im 
zweyten Jahrhunderte nach Chriſti Geburt den 
Tempel zu Eleuſis fuͤr den ene Tem⸗ 
i „ 
* Cie. de Nat. Deor. I. 0 de Leg. u. 14. Orat. i in 
Verrem. he 72. 


\ 


Ane 4. « * nf * —— - 
N 2 8 N ‘ f N. 
* N 7 
1 Wi) 
177 


N 


N. Buch l. Capitel3. 55 a 
A pel es Menſchengeſchlechts, und Dröteitäede 


| * noch im vierten Jahrhunderte dem Kat: 
ſer Valentinian, die Abſchaffung der Myſterien, 
weil den Griechen alsdann ihr Leben freudenlos 


ſeyn wuͤrde, wenn die allerheiligſten Myſterien, 


von denen ſie die Wohlfarth des ganzen menſchli⸗ 
m Geſchlechts abhängig glaubten, zerſtört wären ). 
Hieraus laͤßt ſich ſchließen, daß die Elenſini⸗ 


ſchen Myſterien das Volk keinesweges in ſeinem 


Religionsglauben ſtoͤrten, daß fie aber doch auch 
für den Aufgeklaͤrten etwas enthielten, was fie 
ihm ſchaͤtz bar machte. Wie ſich dieſes beydes vers 


einigen ließ, laßt ſich erklären, wenn man auf die 


Eintheilung der Eleuſiniſchen Myſterien in kleine 


und große achtet. In die kleinen Myſterien wurde 


der größte Theil der Griechen bis auf wenige 
f Ausnahmen eingeweiht. Sie beſtanden in drama⸗ 
‘ tiſchen Darſtellungen der Vorſtellungen der Volks⸗ 
a religion, und dienten dazu, dem Volke dieſelben 
llebhafter zu machen. Mehrere diefer Vorſtellun⸗ 


gen betrafen vorzuͤglich die Freuden Eliſi ums, und 
die Qualen des Tartarus, und dienten dazu, den 


| Glauben an 8 der Seele, und an Be⸗ 
| 5 loh⸗ 
0 Ariſtides Opp. T. I, p. 256. Ed. 8, leb. Zofimus 

1 v Hit. lib. IV. e 
1 1 5 F N 1 | 


. 
„ 3 


« 
* 


- 7 


82 Buhl. Capitel 5. 
lohnungen und Strafen. nach dem Tode, dem 


Volke feſter einzupraͤgen. Dies mußte natürlich 


zugleich die Zufriedenheit des Volks, dur 


nung reitzender Ausſichten jenſeits des Grabes, | 


und die Moralität deſſelben durch Erinnerung an | 


eine kuͤnftige Vergeltung befördern. So ward 


durch dieſe kleinen Myſterien die griechiſche Volks 993 


religion eigentlich praktiſch gemacht. 


In die großen Myſterien wurden nur Mäns Er 


ner von vorzuͤglichem Anſehn und Geifteskräften 4 


eingeweiht. Sie enthielten daher auch unſtreitig 
Dinge, wodurch vorzuͤgliche Koͤpfe befriedigt wer⸗ 
den konnten. Daß fie Aufſchluͤſſe über. den wahren 


Werth und die Grundlagen der griechiſchen Volks⸗ | 
religion ertheilten, iſt ſehr wahrſcheinlich, ſo wie 


auch, daß ſie zugleich Gruͤnde enthielten, welche 


die Eingeweihten von der Nothwendigkeit uͤberzeug⸗ 


ten, dieſe Aufſchluͤſſe dem Volke geheim zu halten ). 
Was ſie aber an die Stelle der von ihnen aufge⸗ 


hobenen Volksreligion ſetzten, läßt ſich wenigen 


mit Gewißheit ausmachen. Zwar iſt es ſehr 
wahrſcheinlich, daß man in e die Lehre von 


einem 


*) Auguſtin. de civit. Dei. 10. 29: ueberhaupt= 
Herrn Hofrath Meiners vortreffliche Al | 


über die Myſterien der Alten, in feinen vermifchr A 


ten phil. Sariften Th, III. 8. 164 . 7 


Buch J. Eapitel s. 8 


einem hoͤchſten und in ſofern einzigen Gott int ele 


ner vollkommneren Geſtalt vorgetragen habe, als 
ſie die Volksreligion enthielt. Weniger wahrſcheln⸗ 


lich iſt es, daß man dieſe Lehre mit überzeugenden‘ 
Gruͤnden unterftüßt, daß man vollkommen reine 


Begriffe von Gott gelehrt, und insbeſondere, daß 


man ihn als Schoͤpfer und Erhalter der Natur 
dargeſtellt habe. Denn zu dieſen reinern Religions- 
begriffen erhoben ſich die griechiſchen Phiioſophen 
erſt nach und nach, als die Myſterien ſchon laͤngſt 


eingefuͤhrt waren. Wie haͤtten die erſten Stifter 


derſelben, die in einem ſehr rohen Zeitalter lebten, 
zu dieſen Begriffen kommen koͤnnen? Wie haͤtten 


U 


die Philoſophen noch lange Zeit hindurch über dieſe 
Lehren viel unvollkommnere und irrigere Dinge ſa⸗ 


gen koͤnnen, wenn fie, die doch unſtreitig in diefe. 


großen Myſterien eingeweiht waren, in denſelben 


eines beſſern belehrt worden waͤren? Und wie haͤt⸗ 
ten endlich von den Philoſophen ſelbſt jene Lehren 
vorgetragen werden duͤrfen, wie es einige derſelben 
thaten, wenn fie hätten fuͤrchten muͤſſen, ſich das 
durch der Entweihung der Myſterien e zu 
5 machen? f 


Wir werden alfo in den Myſterien der Stier 


chen P und wenigſtens in den duͤrftigen Nachrichten 
. die er son ihnen haben, vergebens eine vollkomm⸗ 


a 52 | nere 


A „ 
1 


84 Buch J. Capitel 6. ER a 
nere Religionsphiloſophie ſuchen, als in ihrer 
Volksreligion. Mehr Befriedigung wird uns die 


Unterſuchung uͤber die ee 93 8 & 
Piitofophen gewähren. | ; 


* 


Sechstes Capitel. 


. | RE 
Ragin vertrat in den aͤlteſten Zeiten bey den ö 


Griechen die Stelle der Geſetze, und diente in der 9 


Folge dazu, die Geſetze einzuführen, und fie dem 
Volke heilig und ehrwuͤrdig zu machen. Ehe Ge⸗ 
feßgeber unter den Griechen auftraten, waren Dich 
ter, und zwar religiöfe Dichter, ihre Lehrer und Lei⸗ 
ter. Dieſe Dichter ſind es, welche zuerſt den Na⸗ 
men der Theologen erhalten haben, aber wohl 
eben ſo wenig als die meiſten unſerer Theologen 
Religionsphiloſophen waren. Homer und Heſiod 1 
gehören gar nicht hierher. Homer zeigt in feinen 4 
Gedichten ein Genie, dergleichen nur dann und 


wann ein gluͤckliches Jahrhundert erzeugt. Ein 7 


Wunder wäre es daher, wenn das Zeitalter der 
Entſtehung der Homeriſchen Gedichte auf einmal 
eine ganze ſo erhabne Menſchenclaſſe, Homerliden 
genannt, erzeugt haͤtte. Noch ne * das 

en 


Ra Buch I. Capitel 6. 85 
Wunder geweſen, wenn alle dieſe Menſchen, die 
doch gewiß alle Driginalgenies ſeyn mußten, wie 
aus einer Form gegoſſen geweſen waͤren, und fo 
ganz aus einem Tone geſungen haͤtten, daß ihre 
mannigfaltigen Geſaͤnge ſich von ſelbſt in ein Ge⸗ 
dicht, wie die Sliade oder Odyſſee, zuſammengefuͤgt 
‚hätten, oder doch hätten zufammenfügen laſſen *). 
Homer bleibt mir alſo der heilige Name eines 
einzigen und untheilbaren großen Mannes. Aber 
ein Theologe war er nicht. Er ſang was ihm 
ſein großer Geiſt zu ſingen trieb, und ſtellte dar, 
was ihm edel, ſchoͤn und darſtellungswuͤrdig unter 
den Gemaͤhlden, welche ſeine Phantaſie aus den 
8 Sagen 125 Vorzeit geſchoͤpft, oder ſelbſt erſchaffen 
F 3 hat⸗ x 


2 Diese Gründe ſollen durchaus nur als Gründe für 
| meine ſubjektive Ueberzeugung uͤber dieſen Gegen⸗ 
ſtand gelten. Ich habe Herrn Prof. Wolfs Gruͤnde 
fur feine Meinung nicht gehörig geprüft, und bin 

vielleicht auch nicht faͤhig dazu. Doch habe ich die 

5 Odyſſee mit Ruͤckſicht auf feine Hypotheſe geleſen, 

und getraute mir damals aus jedem Geſange der⸗ 

N ſelben die Exiſtenz von allen vier und zwanzig zu 

bewelſen. Auch bin ich bey maucherley Unterſu⸗ 
dungen über das orientaliſche und griechiſche Als 
ttterthum auf mehrere Gründe geſtoßen, welche es 

phioͤchſt wahrſcheinlich machen, daß die Schreibekunſt 
weit älter iſt als die homeriſchen Gedichte. 


9 


86 Sud . Saure 6. 


hatte, zu ſeyn ſchlen. Was man in fpätern gel 
ten fuͤr einen theologiſchen und religiöfen Gebrauch 
von ſeinen Dichtungen machen wuͤrde, ließ er ſich 


wohl ſo wenig traͤumen, als der hebraͤiſche Saͤnger 


der Lieder der Liebe, daß man ihn einſt zum Vor⸗ 


bildner einer myſtiſchen Hochzeit machen wuͤrde. 


Auch ſtrebte er, wie wir ſchon bemerkt haben, ſei⸗ 
nen Dichtungen nicht Wahrheit, ſondern nur Ma 
tiſchen Werth zu geben, 

Heſiod war mehr Theolog, aber ig: ie 
wenig Philoſoph als origineller Dichter. Sein 
Verdienſt beſteht blos in Zuſammenſtellung der 


mannigfaltigen religiöfen Sagen, Begriffe und 
Meinungen ſeines Volks. Unbekuͤmmert um ihre 
Entſtehung und ihren philoſophiſchen Werth ſtellte 7 


er ſie hin wie er ſie fand, und that vielleicht nur 


hier und da etwas davon oder dazu, um ihren 


Zuſammenhang zu befoͤrdern. 
Ein ziemlich neologiſcher Theologe kehr Zeit 
ſcheint Orpheus geweſen zu ſeyn. Mehrere Sce⸗ 


nen aus ſeiner fabelhaften Geſchichte ſcheinen uf 


Streitigkeiten zu deuten, die er deshalb theils mit 
den Großen theils mit dem Poͤbel hatte. Ariſto⸗ 


teles ſcheint zwar ſeinen uͤbriggebliebenen Schriften . 4 
zu Folge die Extſtenz des Orpheus bezweifelt in 
haben, da er nur einmal von den ſogenannten 4 


* Or⸗ 


32 


* i 
/ 


| Buch l. Capitel 5. 87 
Orphiſchen Gedichten ſpricht; nach dem Cicero 


2 läugnete er fie ſogar ausdruͤcklich “). Da indeſſen 


ältere Schriftſteller als Ariſtoteles: Herodot, Plato, 
Demoſthenes und Iſokrates von einem Orpheus 
ſprachen, und ſich kein Grund einſehen laͤßt, warum 
man einen erdichtet haben ſollte wenn keiner geweſen 
ware, fo iſt feine wirkliche Exiſtenz wenigſtens wahr⸗ 
ſcheinlicher als ſeine erdichtete. Er ſoll in Aegyp⸗ 
ten geweſen ſeyn, und nach der Behauptung eini⸗ 
ger Schriftſteller von den Aegyptern viel gelernt, 
nach andern aber ihnen vieles gelehrt haben. 
Vielleicht fand beydes Statt. Er ſoll der Urhe⸗ 
ber der Samothraciſchen Myſterien ſeyn, die je⸗ 
doch nach andern Nachrichten Altern Urſprungs zu 
ſeyn ſcheinen, und daher von ihm vielleicht nur re⸗ 


5 formirt wurden. Myſterien dieſer Art wurden 


wahrſcheinlich zuerſt den wilden Bachusfeſten ent⸗ 
b gegengefeßt, indem fie nach gewiſſen Regeln und 
Ordnungen gefeiert wurden, da Regelloſigkeit der 
weſentliche Charakter jener war. So ließe ſich ein 
Grund denken der ihn He , fih den Orgien 

F 4 der 


) Ariftoteles de anima I, 5. erwahnt der Orphiſchen 
; Gedichte durch: ra Oi nahsusve , Cicero 
72 de nat. Deor. I. 38 ſagt: Orpheum poetam docet 
a Ariſtoteles numquam fuifle et hoc Orphicum car- 
N men Pythagorei ferunt cuiusdam fuifle Cercopis. 


88 Buch l. Capitel 6. | 
ber thraziſchen Weiber zu widerfeßen, und dadurch 


ihre Wuth zu weißen, durch die er feinen, Tod 
fand. 8785 


Von den Gedichten, die ihm 9 wer⸗ | 


den, ift es ausgemacht, daß ſie weit ſpaͤtern Ur⸗ 4 


ſprungs ſind, indem ſie platoniſche, ſtoiſche, ja 
ſelbſt chriſtliche Idee verrathen. Man hat daher 
ſehr irrig aus ihnen zu erweiſen geſucht, daß Or⸗ 
pheus einen einzigen wahren Gott nach reinen Bes 


griffen gelehrt, daß er in der Schoͤpfungslehre mit 


Moſes uͤbereingeſtimmt, ja ſelbſt die Dreyeinigkeit | 
gelehrt habe ?). Die untergeſchobenen Orphiſchen \ 
Gedichte, welche wir jetzt haben, feinen indeſſen 
nicht auf einmal in ihrer gegenwärtigen Geſtalt ent⸗ 
ſtanden, ſondern nach und nach immer mit neuen gu 
füßen verſehen worden zu ſeyn. Euripides, Sokrates 
und Plato haben ſchon Orphiſche Gedichte 15 7150 
und nur der letztere ſcheint ihre Aechtheit bezweifelt 
zu haben. Auch werden die erſten, welche So 
dichte unter dem Namen Orpheus verfertigt haben 
ſollen in eine ſehr frühe Periode verſeßt. Cicero 7 
und Suidas nennen als den Verfertiger der Der, 4 
phiſchen Gedichte einen Pothagorder re von 
14 dem 

*) Cud worth fyftema intellecturale. p. 24¹ a 0 352. 


Mosheim ſtimmt indeſſen nicht in Eudwotths un⸗ 
kruliſche Traͤume ein. 


| Buch l. Cain . : „ e 
0 1155 meter nichts bekannt iſt. Sextus Empirikus f 
| ſchreibt fie einem andern Pythagoraͤer Onomakri⸗ 
tus zu, der zur Zeit des zweyten Perſiſchen Krie⸗ 
ges lebte, und von dem Piſiſtratiden Hipparch aus 
Athen verbannt worden war, weil er eine falſche 
Prophezeyung des Muſaͤus gemacht hatte, nachher 
aber wieder mit ihm verſoͤhnt, und dem perſiſchen 
Feldherrn Mardonius empfohlen ward, bey dem 
f er ahnliche Kuͤnſte trieb ). Ich weiß nicht ob 
Serxtus auſſer dem Vermuthungsgrunde, daß, wer 
einmal ſtiehlt immer ein Dieb iſt, andere Gruͤnde 
m hatte, dem Onomakritus die Unterſchiebung dieſer 
Gedichte zuzuſchreiben. Wenn aber Onomakritus 
bey den Orphiſchen Gedichten eben ſo verfuhr, wie 
er nach dem Herodot mit den Ausſpruͤchen des 
0 Muſäus that, fo hat er dieſelben nicht ſowohl 
ganz untergeſchoben als nur verfaͤlſcht, und von 
0 denjenigen Gedichten, welche zu Platos Zeit unter 
ſeinem Namen herumgiengen, koͤnnten wenigſtens 
einige ihm eigenthuͤmliche geweſen ſeyn. Ohngeach⸗ 
tet dleſe nun in der Folge immer mehr verfaͤlſcht 
wurden, ſo könnten doch auch wohl diejenigen Ge⸗ 
FS dich⸗ 
9 Herod. VII. 6. Man 1 Meiners hiſt. de 


Deo p. 187. ſeg. I. C. G. Gerlach commentatio de 
ih er örphicis. Gotting. 1797. 


9... Buhl; Capitel 6. 

dichte, welche noch feinen Namen führen, einige 
Achte Ideen von ihm enthalten. Es verdiente alfo 
vielleicht die Muͤhe, dieſe Spuren des Geiſtes des 
älteften Alterthums in dieſen Gedichten aufzuſuchen. 
Für Religionsphiloſophie und ihre Geſchichte dürfte 
indeſſen wohl nur wenig Gewinn aus ihnen zu 
ſchoͤpfen ſeyn, da die Hauptideen dieſelben ſind, 
welche ſich behm Homer und Heſiod finden, und 
der griechiſchen Volksreligion überhaupt zum Grunde 
lagen, und ſich nur durch eigenthuͤmliche Namen und 
Bezeichnungen unterſcheiden. Er ſcheint die Entſtehung 


des Weltalls zuerſt aus dem Waſſer hergeleitet, oder | 


wenigſtens die erſte Veranlaſſung zu dieſer Herlei⸗ 


tung, die Thales weiter ausbildete, gegeben zu has 


ben ). Demoſthenes ſagt von ihm: “Orpheus, 
der uns die heiligſten Myſterien gelehrt hat, ſagt: 


dag die unerbittliche und ehrwuͤrdige Dike (die Goͤ⸗ 
tin der Gerechtigkeit) am Throne des Zeus ſiße, 


und die Aufſicht über alle menſchliche Angelegenheis 
ten führe”. Unter den Orphiſchen Hymnen fängt: 
ſich wirklich die ein und ſechszigſte noch ſo an: f 


91 


SEiaoch l. s. 
9500 8 finge das Auge der Dike, der umherſchauen⸗ | 


r | den ſchoͤngeſtalteten, 
Die am heiligen Throne des Koͤniges Zeus ſitzt ). 
Es wuͤrde dem Orpheus Ehre machen, wenn wir 
dieſe Nachricht, welche zugleich das beſtaͤtigt, 


was wir vorhin von dem überbleibenden aͤcht 


| orphiſchen Nachhall in den ihm zugefchries 

benen Hymnen geſagt haben, ſo erklaͤren könnte, 
daß er zuerſt mit der griechiſchen Volksreligion 
Begriffe von Gerechtigkeit verbunden haͤtte. So 

waͤre er zugleich der erſte re Theologe zu 
nennen. 

5 Wie vom Dichter zum Profaiften, fo machte 

a auch Pherecydes welchen die Griechen nach Or⸗ 


pheus unter ihren aͤlteſten Theologen nennen, vom 


Dichter zum Philoſophen e Uebergang. Den 
5 bange Fragmenten nach zu urtheilen, y welche uns 


von 


2) Demofthenes Orat. I. in Ariſtogit, ed. Reiske 


Vol. I. p. 772: la. % c N N GEuvaV 


Amy NV d rag Kyiwrarag juiv TEÄSTEE naradeikac 


"Op@svs rag T Ye Ag Y O ar a6 


11 mar Ta roy nvgpumuv eDopäv, 
Die örte Orphiſche Hymne faͤngt ſo an: 
1 oe, Opus Amns lle muÄıdepnsoc ayAuouopdou 
* H . ane ape er 990 is 18981 
| 


\ 


Bu m 
ee — 


Tr 


92 Buhl, Capitel 6, 


von ihm übrig geblieben ſind, war aber ſeine 


Proſe weit dunkler als die Verſe Homers und 


Heſiods. Er ſoll nach dem Diogenes Laertius ) 
ein Buch geſchrieben haben, welches fi fo anfieng: 
„Jupiter, die Zeit und die Erde waren immer”. 
Ein ſehr ſchwacher Grund liegt hierinn zu der 


Behauptung, daß er ſich von den andern Dichtern 
dadurch unterſchieden haben ſolle, daß er lehrte 
jene Urprincipien waͤren ewig geweſen, da ſie 
nach andern Dichtern entſtanden ſind. Ariſtote⸗ 
les 1) ſagt von ihm: Pherecydes und einige ans 


| dere 


> SE 


— 


*) Diogenes Laert. I. XI. 6. oder I. 119. Hermias | 


Irriſio gentil. Phil. p. 178 ed. Colon 1686 erklart 
dieſe Behauptung des Pherecydes bo, daß ſie eine 


pythagoräifche Lehre zu ſeyn ſcheint. Er ſagte 


Segenv dec fe xD? So αν Zuyva, um Y 


N Kpovov, Taue uE rey aS ατ, Y N ẽ ds e 


, Kpovov de vov xegovov. d Mev Ba lie roiev, 


7 Je n To rage, o de Apo, Ev c r YIVOREVE. 


Wenn Pherecydes Lehrer des Ppthagoras war, 4 ‘ 


‚hätte dieſe Erklärung viel für ſich. 
) Ariſtot. Metaphyf, XII. 4. ed. du Val. T. II. ik 


Ospenvörs Az SN ο TIvsg TO ae ‚apwrov 


apısov TNS, Pleſſing verſteht im Memnonium II, 


327 nr Stelle ganz 0 0 ‚wenn er fie fo erklärt: | 
Pie 


— 2 et 


Buch I. Cat 3 93 


101 Theologen, die nicht in lauter Fabeln ſpra⸗ 
chen behaupteten: daß das erſte Urprincip das 
| Beſte geweſen ſey. Dies bezieht ſich auf die 


Frage, welche er in dieſer Stelle abgehandelt, ob 


die Praͤdikate gut und ſchoͤn den Urelementen der 


. Dinge zu geben wären, oder ob es Begriffe find, 
welche dann erſt, nachdem die Dinge ſich bis auf 


einen gewiſſen Grad aus ihren Urelementen ent⸗ 
wickelt hatten, entſtehen konnten. Pherecydes ges 


hört unter diejenigen, welche das erſtere behaupte⸗ 


u 


ten und lehrten, daß das Urprincip der Dinge 


gut ſey. Dies moͤchte indeſſen noch ziemlich dun⸗ 


kel ſeyn, wenn es nicht durch das, was Ariſtote⸗ 
les hinzuſetzt, deutlicher wuͤrde. Spaͤtere Philo⸗ 
ſophen ſagt er, hätten daſſelbe behauptet als: 


Empedokles und Anaxagoras, unter welchen jener 
die Freundſchaft, dieſer den Verſtand beyde alſo 
moraliſche Urprincipien angenommen haͤtten; hier⸗ 


aus ſieht man, daß in der Lehre des Pherecydes 


der * Keim der Idee von einer moraliſchen 
Ur⸗ 


pherecpdes und einige Andere, nahmen zum erſten 
Erzeuger der Dinge das Beſte an. Apısov iſt hier 

nicht Subjekt, ſondern Praͤdikat, wie aus dem vor⸗ 
ee ee erhellt. 


4 


er 


94 Buch I. Capitel 6. 


Urſache der Welt lag, die in der Folge von . 


Anaxagoras und Sokrates weiter entwickelt ward. 


Von dieſen aͤlteſten Volkslehrern welche die 


Griechen durch Religion zu bilden und zu leiten f 


ſuchten, unterſchieden ſich ihre Geſetzgeber das 


durch, daß fie nicht blos vorübergehende , Stims 


mungen der Gemuͤther des Volks zu bewirken, 


ſondern bleibende Grundſaͤtze bey ihnen feſtzuſezen 
ſuchten. Hierzu war ein feſter und bleibender 
Entſchluß eines jeden Volkes, dem fie Geſetze ga⸗ 


ben, erforderlich, welcher allein durch die Ueber⸗ 
zeugung bewirkt werden konnte, daß dieſe Gefeße 
gut und weiſe waͤren. Sehr natuͤrlich kamen ſie 


dadurch auf den Gedanken, ſie von den Göttern 


£ 


abzuleiten, und vorzugeben, daß ihnen dieſelben un⸗ 


mittelbar von den Goͤttern offenbart worden wa ⸗ 


ren. Viele benutzten dieſen Gedanken zu einem 


ſolchen Vorgeben, als Minos, der ſich auf die 


Offenbarung des Zeus bey den Kretern; Lykurg, . 
der ſich bey den Spartanern auf das Orakel zu 


Delphi berief. Andre wußten die Ideen der Volkes 


religion unmittelbar zu benußen, um ihren Ge⸗ 


ſeßzen Eingang und Gewicht zu verſchaffen. So 4 


Zaleufus der von feinen Landsleuten, die vom 
Werth der Geſetze ſchon zuvor uͤberzeugt waren, 


zum Gefeßgeber gewählt wurde. Cicero, Diodor 
ON 


Aa Eavitel6. u 
von Siellien und Stobaͤus ), haben uns den Eins 3 
gang feiner- Geſetze aufbehalten, der zwar nicht 
wortlich fo gelautet haben mag, wie fie. ihn uns | 
mittheilen „aber doch gar wohl dieſelben Gedan⸗ 
ken enthalten haben kann ). Unſere Bürger: 
ſollen ſich vor allen Dingen uͤberzeugen, daß Goͤt⸗ 
ter ſind. Sie ſollen den Himmel betrachten, ſeine | 
Pracht und Ordnung, und bedenken, daß dieſelbe 
nicht durch Zufall oder durch Menſchenwerk ent⸗ 
ſtanden iſt. Sie moͤgen dadurch die Götter vereh⸗ 
ren, und ſie als Urheber alles Guten was die 
Menſchen haben betrachten lernen. Sie mögen. 
ihre ( Gemuͤther rein vor allen Verbrechen bewah⸗ 
ren, indem die Götter keinen Wohlgefallen an den 
verſchwenderiſchen Gaben der Boͤſen haben, wie 
elende Menſchen j ſondern durch Tugenden und gute 
Geſinnungen verehrt ſeyn wollen!. Es iſt wahr, 
daß dieſe Gedanken eines beſſern Zeitalters wuͤr⸗ 
dig zu feon ſcheinen, und daß fie mit manchen 
Aeuſſerungen des Plato in ſeinen Buͤchern von den 
ger nd Aehnlichkeit 3 Sie enthalten 
a aber 
) Cicero de legibns II, 7. Diod, Sic. bibl. XII. 84. 
85. T. II. p. 491 ed. Weſſel. Stobaeus de legibus 
et conſuet. c. 42. 
) M. ſ. Herrn Hofrath Heynens Legum Locris a 


1 Zaleuco ſeriptarum fragmenta in feinen Opuſculis II 
pe. 73 fd. Meiners hiſt, de Deo, p. 220. | 


96 Buch J. Capitel 6. 
aber doch nichts was nicht mit der griechlſchen 
Volksreligion beſtehen koͤnnte. Sie ſprechen we⸗ 


der fuͤr noch gegen ihre beſondern theoretiſchen 
Vorſtellungsarten. Nur ihre praktiſche Anwendung 


war fuͤr ihr Zeitalter vielleicht neu und auszeich⸗ 


nend, doch aber wie mir es ſcheint nicht ſo ſehr, 
daß nicht ein weiſer Geſetzgeber, ein Mann der 
gewiß viel Zeit und Kraͤfte dem Nachdenken ge⸗ 
widmet hatte, darauf hätte kommen können, be⸗ 
ſonders wenn er, wie Zaleukus aus der Schule 
des Pythagoras war, der ganz dieſelben Grund⸗ 


füge in Abſicht auf die Volksreligion durch Lehren 


Rund Vorſchriften zu verbreiten fuchte, ). Bey den 
alten hebraͤiſchen Volkslehrern, die doch auch nicht 
viel gebildeter waren, als dieſe Griechen, un ud 
Aeuſſerungen dieſer Art nicht ſelten. Wenn i 

Lokrenſer demohngeachtet abergläubiſch und laſter 
haft waren, ſo beweißt dieſes weiter nichts, als 


0 


ö 


ü 


daß die Geſetze des Zaleukus mit den meiſten und f 
trefflichſten Geſetzen ein gleiches Schickſal baten. . ö 


*) M. ſ. Meiners Geſchichte d. Wife I, * * 


Zbeytes 


Buch II. Capitel n. 97 
3 weytes Buch. 
| Erſtes Eapitel, 


Es 955 noch einen en in das Heiligthum 
der Religion den die Griechen fanden. Sie ſuch⸗ 


ten eine erſte Urſache der Dinge, und fanden 


* 


* 
8 


die Gottheit. Bey den aͤlteſten griechiſchen Die 
tern war ein ſolches Urprincip der Dinge eine 
bloße Nebenidee, welche durch die Perfonificatios 
nen einzelner mächtig wirkender Naturkraͤfte in 
Schatten geſtellt ward, und durch den mächtigen 
Willen, welcher ihren vergoͤtterten Menſchen zus 
a überflüßig gemacht zu werden fehlen. Ari⸗ 
ſtoteles ſcheint daher zweifelhaft darüber zu ſeyn, 
ob er den Heſiod ſeiner Idee vom Chaos wegen 
unter die Forſcher nach der erſten Urſache der 
Dinge kachnen fol *). In eben diefem Verhaͤlt⸗ 

niſſe 


%) Ariſtot. Metaph. I, 4. Trorrsbceis gdy ric He 
doe Tοοοντον Öyryons To Fowrov navy 8 rο απνν,t, 


epcora 7 amısvpiav eU roc 80 aIyusv ws apXTy, 


lange Zeit der Fall geweſen ſeyn. Man begnuͤgte 


98 Buch II. Capitel 1. 


niſſe befanden ſich die uͤbrigen aͤlteſten griechiſchen > 3 
Dichter und Volkslehrer welche bald die Nacht, 
bald das Meer, bald die Liebe zum Urprincip der 
Dinge machten. Es ſcheint eine Art von Keßerep 
gegen die griechiſche Volksreligion geweſen zu ſeyn, 770 
nach einem ſolchen Urprincip zu forſchen, da man 
die Götter hatte, von denen man ſonſt Alles ab⸗ 
leitete. Doch mußten Griechen, welche uͤber ihre 
Volksreligion nachdachten, bald fuͤhlen, daß dieſe 
Goͤtter nicht hinreichend wären, das Daſeyn des 
Ganzen zu erkla laren, indem fie ihrer urſpruͤngli⸗ 
chen Idee nach entweder Menſchen waren, deren 
Daſeyn nebſt dem Daſeyn der Dinge, mit welchen 5 
ſie in Verhaͤltniſſen ſtanden, wieder eine Erklarung 
bedurfte, oder Symbole einzelner Naturkräfte wel 1 
die Frage nach dem Ganzen, nach ſeiner Entſtehung 5 
und Zuſammenſetzung übrig ließen. Wie indeſſen 
die Philoſophie ſich oft es muß gefallen laſſen, ihre 4 
Fragen von der Volksreligion mit einer Inconſe⸗ 5 
quenz beantwortet zu ſehen, ſo mag es auch lier 


— 


ſich mit dem Daſeyn der Goͤtter, forſchte nicht nach 
ihrem Urſprung, hielt ſie wie Pherecydes für ewig, 
oder huͤllte wie Homer alles unter den Mantel 
der W Nothwendigkeit. 


Einige Denker fiengen nach und nach an, ei⸗ 


nen Nebenweg zu ſuchen. Sie giengen davon aus, 


daß ſie nach der Materie fragten, aus welcher die 


Welt gebildet ſey. Eine Zeitlang begnuͤgten ſie 


ſich, bald dieſen bald jenen Gegenſtand dafür ans 
zunehmen. Die Frage nach der Urſache, durch 
welche die Welt gebildet worden ſey? ſcheinen ſie 
| hierbey nicht ganz vernachlaͤſſigt, ſondern fie aus 
ihrer Volksreligion beantwortet zu haben. Denn 
die Bemerkung, daß das Holz, aus welchen ein 
Tiſch beſtehet, ſich nicht ſelbſt zum Tiſch gemacht, 
das Erz aus welchem eine Bildſaͤule gegoſſen ft, 
ſich nicht ſelbſt zur Bildſaͤule gemeiſſelt habe, mußte 


ſie wohl ſehr bald lehren, daß mit Beantwortung 


der Frage, aus was fuͤr einem Stoffe die Welt 
gebildet ſey? noch nicht alles abgethan waͤre. Aber 


auch dieſe Frage konnte man ſich einigermaaſen, 


0 wenn auch nicht vollig befriedigend, aus der Volks⸗ 
religion beantworten. Bald aber fieng man an, 


das Unbefriedigende der Volksreligion über dieſen | 
Punkt zu fühlen, und gieng daher einen Schritt 


weiter von derſelben ab, indem man ein verſtaͤu⸗ 


diges Weſen annahm, welches die Welt gebildet 
be. Die Volksreliglon fieng an den Vortheil 


zu fuͤhlen welchen die Philoſophie hierdurch über 
b. Bee hatte, und verfolgte des halb einen 
3 Di 2 | Anaxa⸗ 


. D 
VAN 4 55 

N 2 8 * 
. 92 ER 
AR . 


ji | Sich l. Gaviteti, | 9 


100 Buch II. Capitel 1. 
Anaxagoras und Sokrates. Aber ihre Verſolgun⸗ 


gen bereiteten der Philoſophie nur neue Triumphe. 


Es war ſchon ein großer Gewinn fuͤr die 


Philoſophie, welchen jener erſte Schritt mit ſich 


führte. Man war zuvor nicht fähig geweſen, ſich 
andre als individuelle Gegenſtaͤnde, andre als con⸗ 


krete Urſachen und Wirkungen vorzuſtellen. Jett | 
ward die Abſtraktion feiner und allgemeiner. Man 


ſieng an, ſich allgemeine Urſachen der Dinge zu 
denken. Anfaͤnglich dachte man auch dieſe Urſa⸗ 
chen oder vielmehr Urſtoffe blos ſinnlich, Waſſer, 
Luft, Feuer und Erde. Dann vermißte man, 


wenn man einen einzelnen Urſtoff dieſer Art an⸗ 

nahm, die Bewegung, wozu kein Grund in einem 
einförmigen Urweſen lag. Man nahm daher meh⸗ 
rere Urweſen an, die ſich durch chemiſche Wirkun⸗ b 
gen wechſelſeitig in Bewegung ſetzen konnten, als 


das Warme und das Kalte, das Fluͤſſige und das 


Trockne. Auch verſuchte man den Grund der Ber 
wegung der Urſtoffe dadurch zu erklaren, daß man 
ihnen moraliſche Eigenſchaften als Neigung und 


Abneigung, Liebe und Haß zuſchrieb. Dann ſah 


man, daß an bloßer Bewegung nicht genug ſey, 


ſondern daß die Bewegung, durch welche ein fo 


wohlgeordnetes Werk, wie der Weltbau iR, zu 2 


8 gekommen ſeyn ſollte, auch eine zweck m 
ee 


Buch II. Cuvitel 1: 2.008 
mäßige Bewegung ſeyn muͤſſe. Eine zweckmäßige 


75 Bewegung konnte nur von einer verſtaͤndigen Urs 


ſache herkommen, die jetzt um ſo leichter angenom⸗ 
men werden konnte, da man ſchon zuvor den Ur⸗ 
ſachen der Dinge mige Eigenſchaften zuge⸗ 
ſchrieben hatte. f 
Dies ſcheint mir der Gang im allgemeinen ge⸗ 
weſen zu ſeyn, welchen die raiſonnirende Vernunft 
bey den Griechen nahm, um zu dem Begriff einer 
verſtaͤndigen und moraliſchen Welturſache zu gelan⸗ 
gen, der dann als man ihn einmal gefaßt und auf⸗ 
zuſtellen gewagt hatte, der Religionsphiloſophie 
ihr wahres Feld eroͤffnete. Man hat dabey bisher 
gewoͤhnlich uͤberſehen, daß die Volksreligion die 
güden ausfüllen mußte, welche wir in den Syſtemen 
der aͤlteſten griechiſchen Philoſophen entdecken, die 
uns daher größtentheils als wahrhaft kindiſche Ver⸗ 
ſuche erſcheinen. Die Nachrichten der Alten von fih⸗ 
nen, geben uns nur das Eigenthuͤmliche zu erkennen 
was jeder derſelben behauptete, ohne zu zeigen, wie 
ſie ſich dasjenige, zu deſſen Ekklaͤrnng ihre eigen⸗ 
thuͤmlichen Lehren nicht hinreichen, vermittelſt der 
{ Wolköreligion, erklärten. 


102 Buch II. Capitel 2. | 


Zweytes Capitel. 


D hales von Milet, in Jonien, wird von den 


Alten allgemein für den erſten erklart, welcher über 
den erſten Urſtoff der Dinge zu philoſophiren anfteng, 
und das Waſſer dafür erklaͤrte. Man ſieht offen⸗ 
bar, daß er hiermit blos die Frage beantworten 
wollte, woraus alles entſtanden ſey? Die Beant⸗ 
wortung derſelben lag gewiſſermaaſen auſſer dem 


Kreiſe der grlechiſchen Volksreligion, und war alſo 


eigentlich ein Gegenſtand des Nachdenkens für einen 
Philoſophen. Doch konnte ſie leicht ſo beantwortet 
werden, daß ihre Beantwortung den Ideen der 


Volksreligion nicht widerſprach, und die Antwort, . 


welche Thales darauf gab, ſcheint ſelbſt mit ihnen 
uͤbereingeſtimmt zu haben, ja vielleicht aus ihnen ge⸗ 
ſchoͤpft zu ſeyn. Denn das Meer oder der Ocean 


war ſchon laͤngſt von den theologiſchen Dichtern fuͤr 
einen der aͤlteſten Götter erklaͤrt worden. Orpheus 5 


ſcheint insbeſondre den Ocean, welcher ſeine Schwe⸗ 


ſter Thetys heurathete, fuͤr den Urheber des ganzen 5 


4 


Stammbaums der phyſiſchen Götter erklärt zu bee; BB 9 
ben. * 1 


* 


3 
* 


+ 


ben. Dem zufolge erklirt auch Age 95 
die Orphiſche Lehre fo, daß aus dem Waſſer, wel⸗ 
ches ſich zu Schlamm verdickte, alles entſtan⸗ 
den ſey. 12 
Thales hatte alfo bey Beantwortung der Friss 
. woraus Alles entſtanden ſey? vielleicht kein andres 
Verdient, als- daß er die Ideen der Volksreligion 
Fe entwickelte, und ſie von ihrer mythiſchen 
Hülle entkleidete. Vielleicht lagen alſo in der grie⸗ 
dich Volksreligion die einzigen "Gründe, warum 
Thales das Waſſer fur den Urſtoff der Welt anſah. 
Ariſtoteles a) deutet ſelbſt auf dieſen Urſprung der 
Thaletiſchen Lehre hin, doch ſtellt er neben denſelben 
noch die Vermuthung, daß Thales das Waſſer fuͤr 
, allgemeinen Urſtoff gehalten habe, weil alle Nah⸗ 
wungsmittel feuchter Natur ſind, weil die Waͤrme 
ſelbſt aus Feuchtigkeit entſteht, welches wohl nicht 
unrichtig durch die gewohnliche Erſcheinung erklaͤrt 
wird, bey der man ſagt, daß die Sonne Waſſer 
ziehe, und weil der Samen aller Dinge feucht iſt. 
Dieſe Gruͤnde ſchließen indeſſen die aus der Volksre⸗ 


ligion entlehuten nicht aus, und Eönnen ſehr wohl 
G 4 5 neben 


J 


ER 1 2 Atbenagoras legat. pro Chriſt. p. 144. ed. Re- 


Ye 5 chenb. 


r, Ariſtot. . I. 3. 


FR 


104; Such ! I. apitel , 
neben ihnen beſtanden haben. Es ware dann ein 
weiteres philoſophiſches Verdienſt des Thales gewe⸗ 
ſen, ſeine Behauptung, wenn er ſie auch aus der 
Volksreligion ableitete, doch nicht blos auf ihre 
Autoritaͤt, ſondern auch auf Gruͤnde der en | 
fahrung ſtuͤtzen zu wollen. BC 
Wenn Thales ſich die Frage, 5 woran ales N 
entſtanden ſey? aufgeworfen und beantwortet hatte, | 
fo mußte ihn, wie auch Ariſtoteles bemerkt, die 
Natur der Sache ſelbſt dahin treiben zu fragen, wo⸗ 
durch es entſtanden ſey? Diefe Frage konnte er ſich 
aus ſeiner Volksreligion ſo beantworten: durch die 
Macht und den Willen der Götter. Man hat ao 
nicht noͤthig, darüber weiter zu ſorſchen, ob Tha⸗ 9 
les das Waſſer aus gleichartigen oder verfchiedenen 4 
Theilen beſtehend gedacht, nnd ob er ſich die Ver⸗ 
wandlung des Waſſers in Dinge anderer Art durch 
Verdichtung und Verduͤnnung, oder auf eine andre 
Weiſe gedacht habe. Es laͤßt ſich hieruͤber kein Ei 
entſcheidendes Zeugniß der Alten anführen „ und 
er kann gar wohl hierüber gar nicht gedacht, ſondern 
in der Macht der Götter hinlänglihe Befriedigung 
gefunden haben. Dagegen muß er unter dieſer Vor⸗ 
ausſetzung die Götter ſelbſt für nicht entſtanden und 
ewig gehalten haben. Eine ſolche Behauptung 9 
kann dep ihm gar nicht eee ee 0 1 
f den, 


99 


Buch Il. ewitd 3 * e 


PR da an; „den einige ſeinen Lehrer, an⸗ f 


dre ſeinen Schuͤler nennen, und der wenigſtens ge⸗ 
4 wit ſein Zeitgenoſſe war *), daſſelbe behauptete. 
Hiermit ſtimmt auch Diogenes von Saerte überein m, 
der unter feinen Ausſpruͤchen den anführt: das Als 
teſte der Dinge iſt Gott, denn er iſt unerſchaffen. 
Ob ich gleich den Nachrichten dieſes Schriftſtellers 
ni keinen großen Werth beylege, ſo finde ich doch in den 
übrigen theologiſchen Behauptungen des Thales, 
welche er anführt, unter der Vorausſetzung „daß er 
dabey ſeiner Volksreligion, nicht aber ſeinem waͤßri⸗ 
gen Princip gefolgt ſey, nichts ſeinem Zeitalter wi⸗ 


derſprechendes. Sie ſind folgende: die Welt iſt das 


ſchoͤnſte, denn ſie iſt ein Werk Gottes. Man braucht 
aus dem Singular Oeos welchen Diogenes hlerbey 
braucht, nicht zu ſchließen, daß er den Thales die 
Einheit Gottes behaupten laſſe, und etwa aus die⸗ 


ſem Grunde den ganzen Ausſpruch verwerfen. 


Wo von einem Gott die Rede iſt, werden des⸗ 
wegen die übrigen nicht ausgeſchloſſen. Im Grunde 
ſagt Thales auch hierdurch weiter nichts, als was 


Ariſtoteles den Pherecydes ſagen laßt. Diogenes 


0 G 5 En ſagt 


k 


* 
1 


) M. ſ. Meiners Geſch. der Wiſſenſchaften I. 354 wo 5 ! 


25 998 das Zeitalter des one ſehr forgfältig w 
ſtimmt iſt. N 
5 Diog, Laert. I. 35. 


* 


Seele oder ein goͤttliches Weſen ausgedehnt ſey, 


106 Buch II. Capitel 2. 
ſagt ferner: Thales wurde gefragt: ob es den 
Göttern wohl unbemerkt bliebe, wenn ein Menſch | 


boͤſes thut? Auch nicht einmal wenn er böfes denkt, 


antwortete dieſer. Wenn man dieſes nicht im 
ſtrengſten Sinne nimmt, ſo wird man bey den 
aͤlteſten griechiſchen ans aͤhnliche e 
finden. 

Jetzt laßt ſich auch erklären wie Thales habe 
behaupten koͤnnen: alles ſey voll von Goͤttern oder 
Daͤmonen. Dies war nichts anders als Entwick⸗ 1 


lung eines Theils der Begriffe, welche ſeiner Volks⸗ 


religion zum Grunde lagen, und durch welche Na⸗ 
turwirkungen und Naturgegenſtaͤnde vergoͤttert wur⸗ 
den. Er ſagte vielleicht damit für ſein Zeitalter 
etwas Neues, weil man jene urſpruͤngliche Ent⸗ 
ſtehungsart der griechiſchen Volksreligion nicht 
mehr kannte. Aber im Grunde zeigte er doch nur 
damit, daß er das Weſen derſelben tiefer eingefehen 
hatte als Andre, behauptete aber nichts originelles. . 
Hoͤchſtens dehnte er dieſen in der Volksreligion 4 


liegenden Grundfaß weiter aus, als er durch die 94 


Mythen ſelbſt ausgedehnt wurde. So ſcheint es 
eine Erweiterung dieſes Satzes geweſen zu ſeyn, 
wenn er behauptete, daß durch das Ganze eine 


wie 


Buch Il. Eapitel d 


wie auch Ariſtoteles vermuthet *), und eine Ans 
wendung deſſelben aufs Einzelne, wenn er behaup⸗ 


tete, daß der Magnet eine Seele (einen Daͤmon) 


habe, weil er das Eiſen an ſich zieht *). 


Man hät auch nicht nöthig, dieſe Behaup⸗ 


tung weiter auszuſchmücken und dem Thales den 
Gedanken einer Weltſeele zuzuſchreiben, der im 


Grunde jener Lehre daß alles voll von Goͤttern 
ſey, gerade entgegen iſt, denn wo waͤre dann noch 


Plaß für eine Weltſeele? Plutarch und Stobäus 
haben ie ſehr falſch aus Nike Sage gefols 
gert 


5 188 de anima I, 5. Kar ev rw dd de rec 
urn (Y νν per a Saciy. oe igοε U. ©x- 
h 1 due wysy mayra nanpy Iewv et. 


Si 2 Ariſtoteles de anima I. 2. Eoıns de zu ease 15 


hi; E DV M ονNνẽisꝓ ,., N Tı 2 1 
BIN Urohaußavew, eımep Tov AuJoveQy V exe OT: r 
og ngo ze Ariſtoteles nimmt hier Vox in einer 


Bedeutung, in welcher es Thales wahrſcheinlich 


nicht nahm, um ſein Princip von der Bewegung 
Von des Steins nicht eine Seele wie die menſch⸗ 
llche, ſondern einen Dämon, wie die Daͤmonen, 
welche die griechiſche Religion den Bergen, Fluͤſſen, 
Baͤumen u. ſ. w. zuſchreibt. | 


[er 


bey ihm zu finden. Thales dachte ſich unter der 


1 
* 


* 4 


108 Buch II. Capitel 2. 
gert ). Was Cicero dagegen dem Epikuräer 
Vellejus vom Thales ſagen läßt, ſtimmt ganz 
mit dem uͤberein was wir bisher von ihm geſagt 


haben, und enthält kürzlich die Theologie dieſes 


alten Denkers. Thales ſagte: das Waſſer fey 
der Urſtoff aller Dinge, die Gottheit aber fe 
das vernünftige Weſen, welches alles aus dem 


Waſſer bildet ). Nur das erſtere behauptete 1 


Thales als Philoſoph, das letztere als Anhaͤnger 
der griechiſchen Velksreligion. Anaxagoras dage⸗ 
gen war der erſte, der es auch als Philoſoph be⸗ 
hauptete, wie wir weiter ſehen werden. | 


Die Beſchuldigung des Thales, daß er ein 4 
Atheiſt geweſen ſey, faͤllt jetzt von ſelbſt weg. 1 


Sein waͤßriges Pine koͤnnte allenfalls zum 4 


Abele f 


) Plut. de plac, Phil. I. 7. Seni El. 5 1. 3. | 
p. 54 ed. Heeren. 2 
) Cic. de nat. Deor. I. 10. Thales Milefius qui 

primus de talibus rebus quaeſivit, aquam dixit ini- 
tium rerum, deum autem eam mentem, quae.ex 
aqua cuncta fingeret. Die Stelle welche darauf 
folgt iſt ganz verdorben. M. vergl. übrigens: 
C. A. Doederlini Animadverſionis : hift. erit. de 
. Thaletis et Pythagorae theologica ratione 1750. 
Göß über den Begriff der Geſchichte der Philoſophle 
und uͤber das Syſtem des Thales. Erlangen 1794. 


— 


Buch II. Gapite 1 1009 
Atheismus geführt haben, wenn er weiter nichts 


behauptet hätte, Aber es iſt gewiß, daß er es 
nur neben Klon: Rane e 


ee 


Jun andre Philoſophen aus Milet werden ge⸗ | 
woͤhnlich dem Thales an die Seite geſetzt, und 
als ſeine Nachſolger betrachtet. Anaximander 
und Anaximenes wählten denſelben Gegenſtand 
der Unterſuchung, welchen Thales gewaͤhlt hatte, 
nemlich den Urſtoff der Dinge. Der erſtere ſcheint 
dabey nicht blos auf das erſte Entſtehen der Dinge 
ſondern auf ihre unaufhoͤrliche Veranderung geach⸗ 
tet zu haben. Er fand das Waſſer nicht veraͤn⸗ 
derlich genug, und nahm daher einen unbeſtimm⸗ 
ten Urſtoff an. Die Alten, welche ihn meiſtens 
ohne viel von ihm zu wiſſen, blos um ihre Ge⸗ 
lehrſamkeit zu zeigen, anführen mochten, ſcheinen 
ihn oft mißverſtanden zu haben, indem ſie ſeinen | 
\anbeftimmten Urſtoff (rege) blos Unbeſtimmt⸗ 
heit in Ruͤckſicht des Raums und alſo Unendlich⸗ 
keit zuſchreiben, und indem ſie gerade gegen feine 
A 01 e ae e Wurf durch dieſe 
oder 


0 Buch II. Capitel 3. 
oder jene Eigenſchaften zu beſtimmen ſuchen. Der 
Begriff des Unbeſtimmten kann ſehr mannigfaltig 
gefaßt und ſehr fein daruͤber philoſophirt werden, 
wie man jeßt ſieht, da man ſo viel und ſo fein 
über das Unbedingte unmenſchliche Wiſſen philoſo⸗ 
phirt hat. Er iſt an ſich ein negativer Begriff, 
wird aber ſogleich poſitib, ſobald er auf etwas be⸗ 
ſtimmtes bezogen wird, eine Beziehung die ihn im 
Grunde ganz aufhebt. Jedes Beſtimmte kann in 

gewiſſer Ruͤckſicht unbeſtimmt ſeyn. Wird er nun, | 
nur in Ruͤckſicht auf feine Unbeſtimmtheit aufge 
faßt, ſo kann es eben ſo viel unbeſtimmte Gegen⸗ 
ſtaͤnde geben als beſtimmte und die Mannigfaltig⸗ 
keit der Begriffe des Unbeſtimmten ins Unendliche 


vervielfältigt werden. Es duͤrfte alſo wohl ſchwer 6 


ſeyn zu ſagen, welchen unter den unzähligen mögs 

lichen Begriffen des Unbeſtimmten ſich Anaximan⸗ 
der bey ſeinem aS gedacht habe. Am ſicherſten 
wird man indeſſen wohl gehen, wenn man den 
einfachſten der ſich denken läßt, für den Begriff 
dieſes alten Philoſophen hält. Er ſcheint alſo nur 4 
fo viel damit haben ſagen wollen: Es laſſe ſich 4 
kein beſtimmter Naturgegenſtand als Urſtoff an⸗ | 
nehmen, wie etwa Thales das Waſſer, oder Phe⸗ 


recydes die Erde dafür annahm, ſondern er muͤſſe 


ein Mittelding zwiſchen den allgemeinften Natur⸗ 
. fofen 


> 


Buch II. Capitel 3. ar 


ſtoffen und z. B. duͤnner als Waſſer, dichter als 


Luft, groͤber als Feuer, feiner als Luft, geweſen | 


ſehe. 


liegt es, daß er durch alle Dinge verbreitet ſeyn, und 


alles erfuͤllen muͤſſe, und daß ihm nichts anders 


als noch hoͤherer Urſtoff zum Grunde liegen koͤnne. 
Der Urſtoff muß alſo grenzenlos ſeyn, in Abſicht 
des Raums und der Zeit. Dies mußte ſchon Tha⸗ 


les dabey denken, wenn er ſich den Begriff eines 


Urſtoffs deutlich dachte. Man glaubt alſo mit 


Unrecht in dem Worte ameıpoy welches Anaximander 
von dem Urſtoffe braucht, einen Grund zu finden, 
daß er dem Urſtoffe zuerſt das Praͤdikat der Unbe⸗ 


grenztheit und Unendlichkeit gegeben habe. 

Durch dieſe Unendlichkeit aber wird der Urſtoff 
noch nicht fuͤr das göttliche, Weſen erklaͤrt „wenn 
gleich dies Prädikat in einen ausgebildeten Syſtem 


des Monotheismus oder Pantheismus dem goͤttlichen 


Weſen gegeben wird. Anaximander war weder Mo⸗ 
notheiſt noch Pantheiſt. Sein Urſtoff war überhaupt 
nichts göttliches, wenn er ihn ſich auch als unendlich 
dachte. Er beantwortete eben ſo wie Thales nur 
die Frage, woraus die Welt entſtanden ſey? und 


überließ, eben fo wie er, die Frage, wodurch ſie 


entſtanden ſey? der Volksreligion zur Beantwortung. 


Schon in dem Begriffe eines Urſtoffs der Dinge 


9 
N 


7 


112 Buch II. Capitel 3. 


Atheiſten gehalten werden. 


a 


ganzen philoſophiſchen Geſchichte nicht hat ). 


25 4 * ö 12 1228 vi 


Er kann alſo eben ſo wenig als jener für einen 


2 


Aus einer burkeln und wahrſcheinlich verdor⸗ 
benen Stelle des Cicero hat man die Nachrichten 
von Anaximanders Syſtem ſehr zu bereichern ges 
ſucht. Cicero läßt den Epikuraͤer Vellejus fagen 9 
Anaximandri opinio eſt nativos eſſe deos, longis 
intervallis orientes occidentesque, eosque innu- 
merabiles eſſe mundor. Doss letzte Wort, welches 
der Stelle eine ganz andre Bedeutung giebt, fehlt 
in manchen Handſchriften, und iſt daher ſehr ver⸗ 
daͤchtig. Ohne daſſelbe hat Anaximanders Mel⸗ 
nung wenig von der griechiſchen Volfsreligion abs 
weichendes. — Mit demſelben enthält fie eine 
ungeheure Paradoxie, aus der ſich ein Pantheismus 
heraus erklaren läßt, der feines Gleichen in der 


Allein alle Si, Nachrichten, welche Cicero den 
| Eh 


*) Cie, de nat. Deor. I. Io. 


*) M. f. Tiedemanns Geiſt der ſpekulativen 833 a 
pbie Th. I. S. 55. Eufeb. praep, evangel: I. g. 9 
ſagt: Anaxiwander babe behauptet alles Entſtehen 
und Vergehen der Dinge komme von einer immer⸗ 
währenden kreisfoͤrmigen Bewegung der Welten her. 
Von abwech ſelnden Entſtehen und Vergeben der Wels, 
ten, wie es Tiedemann verſtanden hat, ſagt er nichts. 


Buch II, Capitel . 


g Epikuraͤer von den Behauptungen andrer Philofos 1 
phen geben laͤßt, ſcheinen eben keinen großen 


Werth zu haben, da die Epikuraͤer eine beſondre 3 N 
Stärke darinn ſuchten, die Meinungen aller ans, 


dern Philoſophen auf die äuſſerſte Spite zu ſtellen, 
und fie dadurch lächerlich zu machen. In dieſem 


Charakter aber läßt Cicero den Vellejus ſprechen, 


der auf dieſe Weiſe in der unmittelbar vorherge⸗ 
henden Stelle den kugelrunden Gott der Gtoffer, 
der in ewiger Bewegung iſt, und bald verbrennet 
bald den, lächerlich gemacht but 


Ei EEE ſcheint be ſchon mehr 


als Thales um die Art und Weiſe, wie aus ei 


nem Urſtoffe eine Welt habe werden koͤnnen, ſich 
bekuͤmmert, und uͤber mancherley Erzeugungen und 
Veränderungen in der Koͤrperwelt verſchiedene Hy⸗ 
potheſen gewagt zu haben. Nur ſo viel moͤchte 
| ich unter den, mit unter laͤcherlichen Meinungen, 
| welche ihm die Alten zuſchreiben, ſuchen, z. B. 
unter der Behauptung, daß die Menſchen aus 


Fiſchen entſtanden waͤren, daß die Erde urſprüng⸗ | 


lich mit einer feurigen Rinde umgeben geweſen 
wäre, die zerplatzt, und aus deren Bruchſtuͤcken die 
Geſtirne gebildet worden waren. Er ward dabey 
von ſpaͤtern Schriftſtellern und andern, die ſeine 
| Sara H Mei⸗ 


. 


114 Buch II. Capitel 3. 
Meinungen weiter fortpflanzten, gewiß ſehr oft 
mißverſtanden. N 

Es iſt die Frage, ob ihn einmal Apakinier 
nes, den man als feinen Schüler nennt, recht ver⸗ 
ſtanden hat. Denn dieſer ſcheint wieder einen 
Schritt zuruck gegangen zu ſeyn, indem er wieder 
einen beſtimmten Urſtoff der Welt, nemlich die 
Luft annahm. Spaͤte Schriftſteller *) behaupten, 
er habe gelehrt, auch die menſchliche Seele fey 
nichts anders als Luft. Vielleicht hatte er nur 
geſagt, das belebende Princip im Menſchen ſey die 
eingeathmete Luft. 

Durch dieſe weitern Verſuche des Nachden⸗ 
kens über den Urſtoff der Dinge, ſcheint die Reli⸗ 1 
gionsphiloſophie zwar unmittelbar nichts gewonnen 
zu haben. Indeſſen war es immer vorthellhaft 
für fie, wenn man mehrere Arten von Urſtoffen 
der Welt anzupaſſen verſuchte, weil dieſes eine 
weitere Beleuchtung der Weltentſtehung veranlaſſen, | 
und die Frage, wodurch ſie entfianden fe? im 


mer näher herbeyfuͤhren mußte. „ 
| . ) Simplicius in Phyf, Arift. p. 6. Piatarchur de f 
Plac. I. 3, Stobaeus p. 296. > A 


Viertes 


Buch II. Capitel 4. 1 115 


Viertes Capitel. 


N. Philofophie des Pythagoras befand ſich, 
eben fo wie die feiner Vorgaͤnger, blos auf dem 
Wege iu einer philoſophiſchen Religlonstheorte, 
ohne eine ſolche wirklich in ſich zu enthalten. So 
viel ſich aus den ſehr zweydeutigen aͤchten Ueber⸗ 
bleibſeln der Philo ſophie des Pythagoras erkennen 

laßt, ſchloß ſich dieſelbe bey ihm ſelbſt und ſeinen 
aͤlteſten Schülern an die Volksreligion an, der ſie 
ſehr eifrig anhiengen, ohne daß ſie gewagt haͤtten 
4 derſelben philoſophiſche Lehrſaͤtze an die Seite, oder 
gar entgegen zu ſeßen. Wenn dieſes mehrere ſpaͤ⸗ 
tere Pythagorzer thaten, ſo geſchah es entweder, 
weil ſi ſie die urſprünglichen Grundfäße des Urhe⸗ 
bers ihrer Philosophie nicht kannten, oder ſi ch Dies 
felben durch eignes Nachdenken zu veraͤndern oder 
zu berbeſſern für berechtigt hielten, wobey ſie das 
5 Beyſpiel andrer Philoſophen, welche eine eigens 
| thuͤmliche Religionsphiloſophie hatten, nachahmten, 
und beſonders häufig Platoniſche 80 mit den 
> Pythagorälſchen derben 5 


Ha Dir 


16 Buch II. Capitel 4. 


Der Philoſophie des Pythagoras 4 eben 
jener dunkle und vieldeutige Begriff des arsıpov 
zum Grunde, welcher die Philoſopheme des Anaxi⸗ 
manders ſo dunkel macht, und ſich in unſerer 
Sprache gar nicht mit einem Worte ausdruͤcken 
laßt. Ariſtoteles ) hat dieſem Begriffe und der 
Entwickelung deſſelben ein ganzes Vuch in ſeiner 
Phyſik gewidmet, ohne welches wir noch weniger 
elnſehen würden was die alten Philoſophen dabey 
dachten. Jenes arelpon konnte dem Sprachgebrauche 
nach bedeuten, wie Ariſtoteles bemerkt: 1. das 
Undurchdringliche, 2. das Unermeßliche, 3. das 
Unvollendete, 4. das Unbeſtimmte, 5. das, wozu 
ſich immer noch etwas hinzuthun laͤßt, 6. das ins 
Unendliche theilbare *). Man denke was ſich aus 
ſolch einem Begriffe alles machen laͤßt! beſonders, 
wenn man ihn wie die Pythagoraͤer und Plato 
fuͤr eine Subſtanz haͤlt, wogegen Ariſtoteles ſehr 
richtig zeigt, daß er nur ein Accidenz ſey. Als 
Subſtanz betrachtet, nahm ihn Pythagoras, ſo 
wie es vor ihm Anaximander gethan hatte, Pr 
den Urſtoff der Dinge an. 


g x 7 
®) Ariſt. phyf. aufcultat, III. e. 4 = fin; 
*) Arift. auſc. phyſ. III. c. 6. 9. 10. 11. 


75 


Buch II. Capitel 4. 17 


Alle jene Proͤdikate des ameıpon aber paſſen 
MR auf keinen denkbaren Begriff beſſer, als auf den 
einer Zahl; nichts iſt undurchdringlicher, nichts un⸗ 
ermeßlicher, nichts unvollendeter, nichts unbeſtimm⸗ 
ter nichts theilbarer als eine Zahl. Wie leicht 
war es daher einem Denker, der noch nicht durch 
die mannigfaltigen Erfahrungen, welche die philo⸗ 


ſophiſche Geſchichte uns vorhaͤlt, gelernt hatte, wie 
leicht das Spiel des Scharfſinnes mit bloßen Be⸗ 


griffen taͤuſcht, beyde Begriffe für eins und dafs 


ſelbe zu halten, und Zahlen fuͤr den Urſtoff der 
Dinge anzunehmen? Aus Zahlen laͤßt ſich un⸗ 
endlich viel machen, wie die Arithmetik lehrt. Aus 


dem Urſtoffe der Dinge mußte ſich auch unendlich 


viel machen laſſen. Eine neue Aehnlichkeit beyder! 


Aus Zahlen als Punkte genommen, ihr urfprängs 
liches und natuͤrliches Schema, laſſen ſich Linien, 
aus Linien Flaͤchen, aus Flaͤchen Koͤrper machen. 


Körper waren es ja eben „dle aus dem Urftoffe 


entſtehen mußten! So war ja mit der Arithmetik 


und Geometrie, der Lieblingswiſſenſchaft des Py⸗ 
thagoras, die er ſo anſehnlich durch neue Erfin⸗ 
dungen bereicherte, zugleich, die Wiſſenſchaft der 


Entſtehung der Welt aus ihrem Urſtoffe gefunden! 


Es war ſehr natürlich, daß Pythagoras dieſe 
nu unter feine philoſophiſchen Lehrſaͤtze auf, 
9 3 | nahın, 


118 Buch II. Capitel 4. 
nahm, und ihr mannigfaltigen Einfluß auf andre 
Reſultate ſeines Nachdenkens erſtattete. Es macht 
ihm aber Ehre, daß er den Muſen wegen derſel⸗ 
ben nicht eine Hekatombe opferte, fo wie wegen 
der Erfindung des Verhaͤltniſſes der Quadrate am 
rechtwinklichen Dreyek, deren Zuverlaͤſſi igkeit ihm 
daher wohl evidenter ſeyn mußte, als die ei 
Zahlenſyſtems. 

Schon in dieſem Kreiſe von er * man | 
die Religionstheorie des Pythagoras geſucht. Well 
aus der Eins das ganze Zahlenſyſtem hervorgeht, 
nannte fie Eudorus *) den hoͤchſten Gott. Niko⸗ 
machus *) ein Pythagoraͤer des zweyten Jahr⸗ 
hunderts nach Chriſti Geburt, nannte eben dieſe 
Monas Gott, gab ihr aber zugleich die widerſin⸗ 
nigſten und widerſprechendſten Praͤdikate. Eben fo 
machte er es mit der Dyas, welche auch ſchon an⸗ 
dre der Monas an die Seite, oder auch wohl 
über ſie ſetzten, weil aus dieſer allein kein Ver⸗ 
haͤltniß entſpringt. Andre glaubten in der Trias 
die hoͤchſte Grundurſache zu finden, weil in dieſer 


die Monas und Dyas ſich verbinden. Dies war 


* ber Theologen een welche 
une e 
) Eudorus ap. Simplic. i in phyf. Ant. 1 I. 
**) Photius Cod 187. p- 237. ed. Haeſchel. RR 
ners Geſch. d. Wiſſenſch. I. 538. | 


Bruch II. Capitel 4. 119 
gern überall die Dreyeinigkeitslehre finden wollten. 
Nikomachus weiß einer jeden Zahl eine beſondre 
Goͤttlichkeit zuzuſchreiben, bis zu der Zehn, welche Py⸗ 
thagoras als die vollkommenſte Zahl betrachtet hatte. ö 
| Dieſe nennt er den uͤbergoͤttlichen Gott, den Gott . 
der Goͤtter, und ſchreibt ihr alle Vollkommenheiten 
zu, welche ſein verbranntes Gehirrn erdenken 
konnte. Von dieſer Fahlenvergoͤtterung läßt 
ſich aus den altern und aͤchten Nachrichten, die bes 
ſonders beym Ariſtoteles zu ſuchen ſind, nichts 
erweiſen. Denn wenn es gleich unlaͤugbar iſt, 


i daß Pythagoras die Zahlen als Urſtoffe der Dinge 


betrachtete, und daß er manche Zahlen fuͤr wichti⸗ 
ger anſah als andre, ſo folgt doch hieraus noch 
nicht, daß er fie für göttliche Weſen hielt. Als 
Urſtoffen kamen ihnen alle die Eigenſchaften des 
Areipov zu, es wurden alle Dinge von ihnen her⸗ 
gelei. et, es wurden ihnen Praͤdikate gegeben, welche 
der Gottheit nach theiſtiſchen Begriffen zukommen. 
Aber es fehlten ihnen andre weſentliche Praͤdikate, 
welche ihnen haͤtten gegeben werden muͤſſen, um 
eine Religion zu begruͤnden. Nach dem Ariſtote⸗ 
les ſprechen die Pythagoraͤer den Urſtoffen ſogar 
geradezu die Praͤdikate gut und ſchoͤn, d. h. alle 
moraliſche Eigenſchaften ab, und behaupteten, das 
en 96 3 4 Gute 


120 Buch IL Capitel 4. 
Gute und Schoͤne haͤtte ſich erſt me Entſtehung 
der Dinge entwickelt ). Wet N 8 
Man hat indeſſen noch in at SR J 
ſchen Meinungen Grundbegriffe einer philoſophiſchen 
Religionstheorie aufgeſucht. Das Syſtem des Pr 
thagoras war nicht durchaus conſequent, und man 
hat es, weil man eine ſolche Conſequenz durchgängig 
in demſelben finden wollte, oft ſehr falſch beurtheilt. i 
Wenn Pythagoras ganz conſequent gedacht hätte, 
fo hatte er die Entſtehung aller Dinge und alle Eigen⸗ 
ſchaften derſelben a priori aus den Zahlen und aus 
den Verbindungen und Verhaͤltniſſen derſelben ablei⸗ 
ten muͤſſen. Er that es auch wo es ſich nur mit ei⸗ 9 
nigem Scheine thun ließ, z. B. ſelbſt in der Moral. 
Wo es aber nicht angieng, da machte er es, wie es 
bis jetzt noch alle Syſteme welche von Saͤtzen a priori 
ausgegangen find, gemacht haben, er nahm die Er 
fahrung zu Huͤlfe. Aus dieſer ſchoͤpfte er, wie es 
ſcheint, ohne alle Principien und blos durch Rathen | 
feine zehn Kategorien oder Grundbegriffe mit ihren 
Gegenſaͤtzen, auf welche fein Zahlenſyſtem wohl 
weiter keinen Einfluß hatte, als daß es ihre Anzahl 
beſtimmte. Eben daher nahm er auch mancherley 
Eigenſchaften, welche er ſeinem unbeſtimmten Ur⸗ 
ſtoffe gab. eie Eigenſchaft, welche mit ſeiner 
geome⸗ 
©) Arift. Metaph. XII, 4. 


Buch II. Ci PR e 


gemeinen. Theorie noch die meiſte Verwandſchaft 
hat, war, daß er ſeinen Urſtoff auch den Raum 
nannte, weil dieſer fo wie die Zahlen bie: Dinge 
von einander unterſcheidet. Der Raum umgiebt 


nach Pythagoras die Welt, und ſie zieht ihn in 


ſich hinein, wie ein Thier den Athem in ſich zieht. 
Der eingeathmete Raum iſt eben der Urſtoff der 


Dinge, und heißt als ſolcher Aether, ein Stoff, 


der zwar durch das Einathmen ſchon etwas groͤ⸗ 


1 


— 


ber geworden zu ſeyn ſcheint, als das Arstpo, 
aber noch immer fein und unbeſtimmt genug iſt, 
daß noch alles aus ihm gemacht werden kann. 
Concentrirter Aether iſt Feuer, und der Haupt⸗ 
fiß deſſelben das Centralfeuer, welches als der 
vorzuͤglichſte unter allen Körpern den Mittelpunkt 


des Ganzen einnimmt. Dies Centralfeuer, ſo 


wie der Aether, iſt alſo im Grunde immer nichts 


anders als jener Urſtoff, welches nicht aus der 
Acht zu laſſen iſt. Aus dem Centralfeuer geht 


alle Wärme hervor, welche die übrigen Körper 
durchdringt. Aus ihm eutſtehen die vorzuͤglichſten 


; Weſen, die Goͤtter und die Seelen der Menſchen. 


Um daſſelbe bewegen ſich alle Himmelskörper, auch 
die Erde, welche durch ihre Bewegung um das 


Centralfeuer an und Nacht bervorbringt 9. Es 


| 5 Ariſt aufe, phyſ. IV. 6. de coelo II, 13. 


122 Buch II. Capitel 4. 

iſt nicht ganz ausgemacht, daß Pythagoras unter 
dem Centralfeuer die Sonne verſtanden habe. 
Mehrere Pythagoraͤer unterſchieden das Central⸗ 
feuer von der Sonne *), und es bleibt immer 


ſonderbar, daß Ariſtoteles in der Stelle, in wel⸗ 
cher er der Bewegung der Erde um das Central⸗ 


feuer gedenkt, und da wo er ſie widerlegt, nicht 
mit einem Worte die Identitat deſſelben mit der 
Sonne erwähnt. Die Hypotheſe der Pythagoraͤer 
mußte dadurch eine ganz andre Geſtalt gewinnen, 
wenn ſie die Erde um die Sonne, und nicht um 
ein willkührlich angenommenes Centralfeuer ſich be⸗ 


wegen ließen, und er wuͤrde fie nicht mit der kur⸗ 


zen Bemerkung haben abfertigen koͤnnen: daß die 
Pythagoräer die Erſcheinungen nicht nach ihrer 
Natur, ſondern nach 2. Be n 


gen erklaͤrten. 


Das Centralfeuer, oder der Aus fluß deffelßen, 
der Aether, kann auch nur fehr uneigentlich die 
Weltſeele genannt werden. Denn es iſt und 


bleibt licht anders als der Urſtoff der e 1 


*) Philolaus ap. Stob, ecl. phyl. I. Vol. I. p. 488. N ö 


ed. Heeren. Timaeus Locr. de anima mundi ap. 


Gale Opufe. mythol. p. 550, Alexander Polyhi⸗ 
ſtor. ap. Diog. Laert, VIII, 26. e 1 
d. Geſch. d. Phil. I. 366. 


K 
An 


Buch II. Capitel a. 123 


Die Seelen der Goͤtter und Menſchen ſind zwar 


aus ihm geformt, aber ſie haben in ihrem Ur⸗ 
ſtoffe noch nicht die Eigenſchaften, welche ſie durch 
ihre Form erhalten. Denn dem Urſtoffe legten 
die Pythagoraͤer wie Ariſtoteles (Metaph. XII, 4) 
ſagt, keine moraliſchen Eigenſchaften bey, ſondern 
4 den ausgebildeten Gegenſtaͤnden. Das Verhaͤlt⸗ 
niß des Urſtoffes zu der Welt iſt nicht daſſelbe, 
welches das Verhaͤltniß der Seele zum Koͤrper iſt, 
daher ihn auch Pythagoras lieber mit einem 
Weltathem als mit einer Weltſerle verglichen au 
haben ſcheint. | 
Es kommen daher dem Centralfeuer und dem 
| Aether zwar alle die göttlichen Eigenſchaften zu, 
welche dem Urſtoffe der Welt uͤberhaupt zukom⸗ 
men, und zwar vielleicht noch in einem höhern 
Grade, in ſofern es der vollkommenſte Urſtoff iſt, 
und aus ihm die vollkommenſten Weſen, hervorge⸗ 


hen. Aber von den eigentlichen Goͤttern ſcheint es 


Pythagoras noch genau unterſchieden zu haben. 
Er nannte es daher auch nur die Wache oder die 
Wohnung des Zeus, uud auch ein ſpaͤterer Py⸗ 
thagoraͤer Philolaus *) giebt ihm keinen andern 
Namen als den: der Heerd des Ganzen, das 
Haus des Zeus, die Mutter der Götter, den Als 


8 | tar 
) ap. Stobaeum l. e. 


— 


5 
1 


9 

124 Bouch II. Capitel 4. | 
tar und den Innbegriff der Natur. Eben "biefer 
ſetzt ihm ein andres aͤuſſerſtes, alles umgebendes 
Feuer an die Seite, worunter er unſtreitig den 
zuſſern von der Welt noch nicht eingeathmeten Yes 
ther verſteht. So ſcheint auch Pythagoras die 
uͤbrigen Geſtirne nicht ſowohl ſelbſt fuͤr Goͤtter 
als nur fuͤr heilige Wohnungen derſelben geben 

zu e. 


Man ſieht alfe, daß 3 feinen richti⸗ 4 
gen Begriff von dem Syſtem des Pythagoras hats 
ten, welche bald dieſe bald jene von ſeinen Ideen “2 
für den Gott dieſes Philoſophen hielten. So 3 
glaubt ihn der Eplkuraͤer Vellejus beym Cicero Et 
dadurch lächerlich. zu machen „ daß ſein Gott, für | 
welchen er die, ihm auch im Grunde nur ange⸗ 
dichtete Weltſeele anſieht, dadurch in Stücken ge⸗ 


riſſen wuͤrde, wenn die Seelen der Menſchen von $ 
ihm genommen wurden, und dadurch zu widerle⸗ 77 
gen, daß die Menſchenſeelen allwiſſend ſeyn müßs 4 


ten, wenn ſie Theile der Gottheit waͤren. Man 
kann ihm dies zugeben, und es wird zur Beſtät⸗ 4 
N ” Cic. de nat, Deor. I. 11. Es gilt hier iR 


was oben von der oberflächlichen und falſchen Aud- 


legungsart geſagt worden iſt, welche die Epiku⸗ 


raͤer von den Behauptungen andrer Philosophen : 


W 


den durch das Ganze verbreiteten urſtoff nicht fuͤr 


eine Weltſeele, und die Weltſeele nicht fuͤr Gott 
hielt, weil ſich eben fo etwas abſurdes unmittel⸗ 


bar daraus folgern laßt. Nach eben dieſer irrigen 


Vorausſetzung, daß Pythagoras den feurigen Ae⸗ 


f ther fuͤr goͤttlich gehalten habe, behauptete Alexan⸗ 
der der Polyhiſtor ), daß er Sonne, Mond und 


Sterne, für Götter erklaͤrt haͤtte. Noch weiter 


ſind diejenigen von der Wahrheit entfernt, welche 
behaupten, Pythagoras haͤtte die Sonne fuͤr das 
hoͤchſte göttlihe Weſen gehalten ). Dies grüns 
det ſich auf die Meinung, daß die Sonne und 
das Centralfeuer af lbe fey, ag he gar 
nicht erwieſen iſt. 

Der ſtaͤrkſte Beweis aber, daß ee 
innerhalb ſeines philoſophiſchen Syſtems keine 
Theologie gehabt habe, iſt die Aufmerkſamkeit und 


Verehrung welche er der Volksreligſon widmete. 
Sein philoſophiſches Syſtem ſcheint auf fi ie keinen 


weitern Einfluß gehabt zu haben, als daß er be⸗ 


hauptete, die Götter wären auch aus dem allge⸗ 


meinen Urſtoff, und zwar aus der Quinteſſenz 


5 e, N dem Centralfeuer entſtanden, ſie waͤren 
| des⸗ 


* ap. Diog. Laert. VIII, 25 
20 Tennemann RR, d. Phil, I. 128. 


— 


Buch II. Capitel 4. 125 . 
gung ber Behauptung dienen, daß Pythagoras 


| Br a 
126 Buch II. Capitel 4. 
deshalb mit den Menſchen⸗ und Thierſeelen, welche 
eben daraus entſtanden waͤren, verwandt, und 
ſorgten darum fuͤr ſie. Er unterſchied ſich dadurch 
von den aͤltern Dichtern und Theologen „welche | | 
den Göttern entweder gar keinen oder einen Urs f 
ſprung aus dem Chaos zuſchrieben. Sonſt nahm 
er den Volksglauben wie er ihn fand, und ſcheint * 
blos einige genauere Beſtimmungen der Rangord⸗ 
nungen und Claſſen der Goͤtter verſucht zu ha⸗ 
ben *). Auch ſcheint er nicht ganz mit den die 
Goͤtter herabwuͤrdigenden Fabeln, zufrieden gewe⸗ 
ſen zu ſeyn, welche die Dichter von ihnen erzäh⸗ 
len, wenn anders einer Wundererzaͤhlung des Hie⸗ 
ronymus von ihm, nach welcher er in die Unter⸗ 
welt hinabgeſtiegen ſeyn und daſelbſt die Seelen 
des Heſiodos und Homers, wegen der Fabeln, die 
fie den Goͤttern angedichtet hätten, beſtraft gefee 
hen haben ſoll, etwas Wahres zum Grunde 4 
liegt *). | 
Verehrung der Götter, war eine der 5 4 
lichſten Vorſchriften, welche Pythagoras ſeinen J 
Schuͤlern und den Mitgliedern, der von ihm ge⸗ 4 
ſtifteten Geſellſchaft einſchaͤrfte. Die Pythagoräer 4 
kleideten ſich nur in ſolche ie welche man 
fuͤr 


— 


*) Meiners Geſch. d. Wiſſenſch. L m 541. 
* Me Laert, VIII, 21, 


P * 
vw“ 


eren, 4 * 
m 51 1 N \ 


Buch I. Capitel 2 kay 
fuͤr gottgefällig hielt, enthielten ſich aus Froͤm⸗ 


migkeit von vielerley Speiſen, lehrten und wohn⸗ 
ten faſt nur in Tempeln und heiligen n, 
Sie beteten oft mit Andacht bey den Bildniſſen 
und Altaͤren der Götter, weil ihr Lehrer geſagt 
hatte, man koͤnne die Sitze der Götter nie in gu⸗ 
ter Abſicht beſuchen, ohne ſie beſſer zu verlaſſen, 
als man ſie betreten habe. Sie unterredeten ſich 
oft uͤber die Verehrung der Goͤtter und ſangen ih⸗ 
nen täglich Lobgeſaͤnge. Bey jedem Mahle goſſen 
fie Wein zu Ehren der Götter aus, und raͤucher⸗ 
ten ihnen Weihrauch. Sie opferten den Goͤttern z 
doch haufiger Mehl, Kuchen und Weihrauch als 
blutige und koſtbare Opfer, indem ſie behaupteten, 
daß nicht koſtbare und praͤchtige Opfer, ſondern 
Reinigkeit des Herzens und der Hände dem Op⸗ 
fernden die Gnade der Goͤtter verſchaffe »). 
Es kann ſeyn, daß Pythagoras dieſe Froͤm⸗ 
migkeit mehr aus Politik, um ſich und ſeinem Or⸗ 
| den Anſehn bey dem Volke zu verſchaffen, als 
aus Ueberzeugung uͤbte und empfahl. Dann wird 
aber gewiß eben dieſe Politik ihn veranlaßt haben, 
nichts in fein philoſophiſches Syſtem zu verweben, 
was der Volks religion entgegen zu ſeyn ſcheinen 
e, und den Goͤttern des Volks weder ſeine 

Zah⸗ 
| er Meiers Geſch. d. Wiſſeuſch, I. 481. 


ye. 


* * 


128 Buch II. Capitel 4. | 


Zahlen, noch feinen Aether, noch en 8 


an * ‚ zu ſetzen. a 
8 den angeführten und dale andern weh 
ſerungen ſcheint zu erhellen, daß er auch die Volks⸗ 


religion zu verbeſſern und manche edlere Ideen mit 


ihr zu verbinden ſuchte. Aber es darf auch nicht 


verſchwiegen werden „daß er Aberglauben, Myſti⸗ 


cismus und Schwaͤrmerey beguͤnſtigte, ob ihm gleich 
bey weitem nicht alle die ungeheuren Ausſchweifungen 


zur Laſt zu legen find, welcher ſich feine Schuler : 


ſchuldig machten. Dieſe ruͤhmten ſich der genaueſten 
Vertraulichkeit mit goͤttlichen Naturen, und wunder⸗ 


ten ſich, wenn jemand ſagte, daß er noch niemals 
einen Dämog geſehen habe. Sie glaubten Erſchei⸗ 


nungen abgeſchiedner Seelen zu haben, und an ge⸗ 
wiſſen Zeichen erkennen zu koͤnnen, ob die Geſtalten, 
welche ihnen in Traͤumen vorkamen, Seelen von le⸗ 


benden oder verſtorbenen Menſchen ſeyen. Sie rie 
fen die Geiſter ihrer verſtorbenen Freunde hervor, 


und hoͤrter Stimmen aus ihren Graͤbern. Sie 


glaubten die Zukunft aus allen Arten von Vorbedeu⸗ 
tungen, aus dem Fluge und Geſchrey der Voͤgel, 
aus Träumen, Stimmen und andern Dingen ent⸗ 
raͤthſeln zu koͤnnen ). Es laͤßt ſich nicht ausma⸗ 
chen, wie vielen Antheil die Lehre N 
ſielbſt 

*) Menners Geſc. d. Wiſſenſch. I. 482. 


4 


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a 
* * 3 a 
3 ai ae Der * 


* 


R een 11 EN, KEN = 
e f 


Buch II. Capitel 24. ag 
ſelbſt an dieſen Aus ſchweifungen hatte, ſo viel iſt 
aber gewiß, daß, wenn ſie dieſelben auch nicht ver⸗ 
anlaßt haben ſollte, ſie doch nicht hinreichend war, 
n zu verhuͤten. a 

Dem bisher geſagten zu Folge gieng alſo | 
aus dem Syſteme des Pythagoras noch keine phi⸗ 
loſophiſche Religionstheorie hervor. Demohngeach⸗ 
tet diente es dazu, eine ſolche fuͤr ſpaͤtere Philo⸗ 
ſophen immer noch mehr vorzubereiten und naͤher 
herbey zu fuͤhren. Er blieb nicht bey dem bloßen 
Urſtoffe und einigen ſchwachen Verſuchen, aus dem⸗ 
ſelben etwas zu machen, ſtehen, ſondern er machte 
auf die Ordnung und Schoͤnheit des Ganzen, die 
aus ihm entſtanden war, aufmerkfam, Zwiſchen 
dem Urſtoffe und dem Entſtandenen ließ er freilich 
noch eine große Luͤcke, aber eben dieſe ward in 
der Folge der Plaß, welchen die phitofophifche Res 
a. einnahm. | 
Ohne mich hier auf die Streitigkeiten aa 
lasen „welche uͤber die Aechtheit und das Alter des 
Ocellus Lukanus geführt worden ſind, will ich 
hier nur zeigen, daß das Syſtem dieſes Pytha⸗ 
goraͤers nach der Darſtellung deſſelben, welche 
Bardili geliefert hat, das bisher geſagte betätigt, 
und zugleich durch daſſelbe erlaͤutert wird. Ocellus 
behauptet, die Welt ſey ewig, Er theilt ſie in 
. Be; J | bie 


130 Buch II. Capitel 4. 
die Welt uͤber und unter dem Monde; alles ent⸗ 


ſteht in ihr durch Zeugung. Die Sublunariſche 5 


Welt iſt der veraͤnderliche Theil, der ſich leidend 
verhaͤlt und in ſich erzeugen läßt. Der uͤber dem 
Monde iſt wirkſam und thaͤtig, und enthält den 

Grund von allen Arten der Abwechslung und den 

Veränderungen in der ſublunariſchen Welt. Es iſt 
alſo eine ewige SE jung in der Welt. Dies 
ſcheint blos eine andre At der Darſtellung derjenigen 
Behauptung zu ſeyn, welche Pythagoras ſombo⸗ 
liſch durch das Einathmen des Urſtoffs ausdruͤckt, | 
wovon wir oben geſprochen haben. Erſt bey feinen + 
moraliſchen Lehrſaͤtzen nimmt Ocellus die Götter zu 
Huͤlfe. Er eignet ihnen Unſterblichkeit, Einfluß 
auf die Menſchen und eine gewiſſe Aufſicht über fie zu. Ai 
Dieſe Art der Exiſtenz hatten fie durch eine ewige | 
Nothwendigkeit. Er ſchreibt ihnen auch Einfluß auf 
die ganze Einrichtung der menſchlichen Natur zu, in⸗ 
dem er die menſchlichen Begierden von den Göttern. | 
ableitet und behauptet: Gott habe den Menſchen 
durch eine ununterbrochene Zeugung, eine Art von 
Unſterblichkeit geſchenkt. Dies hebt Bardili als ei⸗ 
nen Widerſpruch des Ocellus gegen ſich ſelbſt her⸗ 
aus, weil er die Einrichtung der Natur zuvor noth⸗ 
wendigen und ewigen Geſetzen, hier aber den Göts 


tern zuſchreibt. Er glaubt den Widerſpruch damit 


| | zu 


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* 5 1 3 47 


Buch II. Capitel 4. 131 
zu loͤſen, daß er meint, Ocellus verſtehe unter der 
Gottheit die Welt, die ewige Natur. Wenn aber 
DOeellus als Pythagoraͤer ſeine theologiſchen Ideen 
blos aus der Volksreligion nahm, ſo ſieht man ſehr 
wohl ein, warum er der Goͤtter erſt im moraliſchen 
Theile feiner Lehren gedenkt, und ihnen einen fo 
maͤchtigen Einfluß auf die Menſchen zuſchreibt, 
ohne daß er die Welt fuͤr die Gottheit darf auge⸗ 
| ſehen haben. i N 
| Weit mehr unterſcheidet ſich von täter a 
ſtellung der Lehren des Pythagoras das Syſtem ' 
des Timaͤus von Lokei, welches ebenfalls von 
Bardili ſehr lichtvoll auseinandergeſetzt worden 
iſt. Der Satz: Drey Dinge waren es \ durch 
welche das jetzige Weltſyſtem zu Stande kam, 
Gott, die Idee und Materie widerſpricht geradezu 
den erſten Grundſätzen der Philoſophle des Pytha⸗ 
goras nach der obigen Darftellung. Dagegen iſt 
dieſer Saß ganz platoniſch, wie uͤberhaupt das 
Syſtem des Timaͤus mehr Aehnlichkeit mit dem 
platoniſchen Syſteme, als mit irgend einem pytha⸗ 
E goraͤſchen bat 2 i 
1 Fuͤnf⸗ 
1 M. ſ. Epochen der vorzüͤglichſten philoſophiſchen | 
. nebſt den noͤthigſten Beplagen. Erſter 


Theil, 
J 2 


132°. Bull. Capitel 5. 


Fünftes Capitel. 


Fan ruͤher als die ubrigen aͤlteſten Pblſpben Grie⸗ 
chenlands, gelangte Kenophanes zu einem Ziele, 
bey welchem jene auf einem langſamern, aber ſiche⸗ 
rern Wege endlich auch ankamen, naͤmlich zu ei⸗ 
ner rationalen Theologie. Kenophanes hatte 
den Weg dahin zuruͤckgelegt, auf den Fluͤgeln der 
idealiſirenden Einbildungskraft „ und getrieben von 
einem genialiſchen Geiſte des Widerſpruchs, gegen 
einfeitige und unbegruͤndete Behauptungen. Er 

N | | na, 


Theil, von Chriſtoph Gottfried Bardili. Halle 
1788. Es befindet ſich in dieſem Buche als Bey⸗ 
lage eine Darſtellung der Syſteme des Ocellus 


und Timäus, nebſt einem Verſuche ihre Aechthelt 
zu vertheidigen, die beſonders Meiners hit. + 3 


Deo p. 312 feqg. Geſch. d. Wiſſenſch. Bd. I 
S. 584 f. Philol. Bibl. 1. 85. S. 204 ſcharfſinnig 
beſtritten hat. Tennemann hat im Syſtem der 
Platoniſchen Phil. Bd. I. durch Vergleichung der 
Schrift des Lokriers mit dem Platoniſchen Timaͤus 
die Unächtheit von jener zu zeigen geſucht, „die ich 1 
denn nach dem Obigen auch lieber zugebe, als 2 Be 
mae des Der: | 


Buch II. Capitel . 33 
war an's Ziel gekommen, ohne zu wiſſen wie, und 
wagte daher nicht mit voͤlliger Zuverlaͤſſigkeit zu 
behaupten, daß das Ziel das einzige wahre, und 
der Weg der richtige fen, den er gegangen war. 
Er ward es zum erſten Zweifler. | 


Auch er gieng vom Nachdenken uͤber die Na⸗ 
tur, ihr Daſeyn und die Gruͤnde deſſelben aus. 
Seine Vorgänger hatten ſtillſchweigend als Grund⸗ 
ſaß angenommen: aus Nichts wird Nichts, und 
hatten daher allemal ein Etwas vorausgeſetzt, 
| woraus Alles entſtanden ſeyn ſollte. Jenes Et⸗ 
was aber, Feuer, Waſſer, Luft, ein Chaos, oder 
ein unbeſtimmter Urſtoff war in jeder Ruͤckſicht 
unzureichend, das aus ihm entſtandne, zu erklaͤ⸗ 
ren. Dies ließ ſich auf mancherley Weiſe zeigen. 
. Ariſtoteles *) hat uns aber vorzuͤglich ein Dilemma 

ä | 32 e 7 


4 ) Ariftoteles de Xenophane Zenone et Gorgia 
Cap. 3. M. ſ. Buhle de Ortu et progreſſu Pan- 
theismi inde a Xenophane usque ad Spinozam in 
Comment. Soc. Reg. Scient. Gotting. Vol. X. 
p. 157 feg. wo p. 163 gezeigt iſt, daß das dritte 
und vierte Cap. dieſes Fragments, ohngeachtet ſie 
als Lehre des Zeno überfchrieben find, vom Xe⸗ 
nophanes handeln, auch Spalding Commentarlus in 
primam partem libelli de Xenophane, Zenone et 

| Pos Berolin. 1793. 


134 Buch II. Capitel 5. 
aufbewahrt, durch welches Kenophanes es bewies. 
Alles Entſtandene , fagte er, muß entweder aus 
etwas Gleichem oder aus etwas Ungleichem ent⸗ 
ſtanden ſeyn. Das Gleiche kann nichts Gleiches 
hervorgebracht haben, weil es ſonſt nicht von ihm 
zu unterſcheiden ſeyn wuͤrde. Sollte es aber aus 
etwas Ungleichem entſtanden ſeyn, fo müßte es aus. 1 
Nichts entſtanden ſeyn. Aber aus Nichts wird 
Nichts. Er glaubte mithin in dem Begriff des 
Entſtehens ſelbſt einen Widerſpruch zu finden, 
und es blieb ihm nichts übrig als ein Seyn, und 

zwar ein ewiges Seyn einer wenne 
Subſtanz. N 


Dieſe große Idee halte er blos durch Ver⸗ 1 
nunftſpekulatlon gefunden. Er wußte fie nicht mit 5 N 
der Erfahrung zu vereinigen; doch meinte er ſeiner u 
Vernunft mehr glauben zu muͤſſen, als ſeinen — 4 


Sinnen und ſeiner Erfahrung. Seine Idee, eine 1 
der erhabenſten, die je in eine menſchliche Seele 
gekommen iſt, erſchien ihm höher, als alle feine 
bisherigen Begriffe. Er verglich ſie mit den er⸗ 9 
babenſten Vorſtellungsarten, welche er bisher ger Be 
habt hatte, um in ihnen Praͤdikate zur weitern 
Ausſchmuͤckung, ſeiner an ſich eben ſo einfachen | 
als großen Idee zu finden. Die hoͤchſten Be⸗ 


griffe, welche er en waren die Mahitgern 1 


Bor 


Wenne aa bee x 64 * 
[u \ % 4 * 


unterſcheiden wußte. Dieſe verband er mit ſeiner 
Idee, indem er ſie theils noch reiner und voll⸗ 
kommner dachte, als ſie in der Volksreligion ſelbſt 


gedacht wurden, theils ihnen dadurch einen beſon⸗ 
ders hohen Werth gab, daß er ſie einzig und al⸗ 


lein von ſeiner ewigen und unveraͤnderlichen Sub⸗ 
ſtanz praͤdizirte, die, er in ſofern den einzigen 


Gott nannte. \ 


An und für ſich ſelbſt liegt in her Idee des | 
Kenophanes gar kein Grund, fie mit religißfen 


Praͤdikaten zu denken. Die Praͤdikate der Ver⸗ 


nunft und Empfindung, der Allwiſſenheit und All⸗ 


macht, welche er ſeiner ewigen Subſtanz giebt, 
laſſen ſich auf keine Art aus ihrem Begriffe ber 
weiſen, und eben ſo wenig aus andern Begriffen, 


0 da der Begriff von ihr ſelbſt ein Urbegriff ſeyn 


ſoll, dem nichts höheres zum Grunde liegt. Er 
verfuhr alſo inconſequent, indem er ſeiner Idee 


religiöſe Praͤdikate gab, und wuͤrde ihr dieſe Praͤ⸗ 
dikate gewiß nicht gegeben, und jene ewige Sub⸗ | 


ſtanz nicht Gott genannt haben, wenn nicht ſchon 


zuvor Religionsbegriffe vorhanden, und die hoͤch⸗ 


ſten geweſen wären, welche Tenophanes kannte. 


Man kann alſo auch eigentlich nicht fagen, daß in⸗ 


J 4 a e | 


Buch II. Capi B "Ag, 


"Borflellangsarten feiner - Volksreligion von den 5 
Goͤttern, die er ſehr wohl von den unwuͤrdigen zu 


6 3 


/ ALT EN 
een 
; i ; 


22" Buch II. Capitel 5. | 
nerhalb ber Philoſophie des Kenophanes der Grund 
zu einer eigentlichen und confequenten Religionstheo⸗ 
rie gelegen habe, und daß er nach Anleitung ſeiner 
Ideen religioͤſe Begriffe gefunden haben würde, 
wenn ſie nicht ſchon da geweſen waͤren. — Jetzt 
wollen wir ihn ſelbſt in den wenigen dichteriſchen 

8 Fragmenten, die uns mehrere Schriftſteller von ihm 
| aufbewahrt haben ) ſprechen laſſen: | 
| Das weiß kein Sterblicher gewiß, und keiner | 
Wirds je ergründen, was ich von den Göttern - 
5 Und von dem Ganzen ſage. Wer das Rich⸗ 
NR >. tige aa 
17 Darüber teife, hätte doch für ſich Pi. N 
Noch immer nicht Gewißheit. Ueberall 


5 Herrſcht nichts als Meinung). 
Dies gilt nur als Vermuthung und Wahr⸗ 
ſcheinlichkeit! x?) 
Es iſt ein Gott, der größte aller Götter 
| x 8 8 7 Und 


) und die Herr Fuͤlleborn geſammelt, u Infanımens 731 
| geſtellt und geſchmackvoll uͤberſetzt hat. Ich gebe 1 
nach dieſer Ueberſetzung. S. Fuͤlleborns Beyträge 

St. 7. | 

an) Dleſe Verſe führt Sextus Empiriens anadv, Math. 
VII, 49 und 110. g Sn ae 
vnn) plutarch. Amator. ö neh 


f * r r n 

n Ar Hr ik 2 
i 19957 4 
* * N N 4 


EN 
Noch an Verſtand den Sterblichen * 

Er ſieht und denkt, und hoͤret überall **) 
Durch Weisheit lenkt er Alles ohne Muͤhe .). 


5 Wir alle find aus Waſſer und aus Erde ffff) 


Buch Il. Eapitels. * 5 
0 Und FIRE: ähnlich meder an Geſtalt 


Die Menſchen waͤhnen daß die Götter, ſo 
wie ſie 
| Gebohren werden, und, wie ſie Gewand 
Und Form und Stimmen haben f). 
Ja wären Loͤw' und Stier mit Händen nur 
Verſehen, um zu mahlen und zu thunn 
Was Menſchen koͤnnen; fi cher wuͤrden ſie N ni 
Die Götter mahlen, wie fie felber find, 5 14 
Und ihnen Körper geben, die den ihren 
Vollkommen glichen ff). c | 
Aus Erd' iſt Alles: Alles wird zu Erde ff) a 
Die Götter haben nicht vom Anfang Alles 
e 38 Dem 


Y clemens Alex. Strom. V. p. 6er und Euſeb. 


Praep, Evang. XIII, 13. p. 678. 
u) Sextus adv. Math. IX, 144. 


bu) Simplicius in Phyſ. Ariſt. 
0 m Clemens Strom, V. 601 Euſeb. Praep. XIII. 13. 


p. 678. f * 
1) Clemens et Euſeb. I. c. | 1 


a ’ 
II) Sextus adv. Math, X. 313. Stobaeus 1. p. 294 


ed. Heeren. 


+itt) Sextus adv. M. IX. 361. X. 315. 


138 Buch II. Capitel 5. 


Dem Sterblichen verliehen: dens fin- 
det er 


Durch langes Forſchen erſt das weer ). 


Auſſer den in dieſen Fragmenten 5 | 
Begriffen von der Gottheit, verdient noch bemerkt 
zu werden, daß Tenophanes derſelben eine KRu⸗ 
gelgeſtalt gab, wahrſcheinlich um anzudeuten, daß 
ſie ſich in allen ihren Theilen vollkommen gleich 


ſey, daher er auch behauptete, die Empfindungen | 
der Gottheit wären fi durchgängig gleich. 


Sehr merkwuͤrdig aber iſt es, daß Nenopha⸗ 
nes dem Begriffe einer bloßen Vernunftidee voll⸗ 
kommen gemäß, laugnet: daß Prädikate der Zeit 
und des Raumes auf die Gottheit anwendbar waͤ⸗ 
ren. Nach ihm war ſie weder grenzenlos noch 


unbegrenzt, weder beweglich noch unbeweglich. Er 1 


ſcheint dabey jedoch nicht bedacht zu haben, daß, | 
was eine Kugelgeſtalt haben foll, im Raume exiſti⸗ 
ren muͤſſe, daher er auch wohl dieſe Geſtalt nur 
als Schema ſeiner Veri gehraucht haben ö 4 


duͤrfte. | X 


Man hat eine theologiſche Vorſtellungsart u wie 
die des Keuophanes gewöhnlich Pantheismus ge 
nannt. Es iſt fonderbar, daß man zuweilen die 

| felbe 
*) Stobaeus I. p. 224. ed, Heeren. K 


Buch II. Capitel 5. 1390 
ſelbe für atheiſtiſch erklaͤrt, oder doch wenigſtens 
mit dem Atheismus in eine Claſſe geſetzt hat. 
Sie iſt demſelben noch weit mehr als der Theis⸗ 
mus entgegengeſetzt. Denn ſie iſt im Grunde ein 
übertriebner Theismus, welcher der Idee von 
Gott eine ſo weite Ausdehnung giebt, daß da⸗ 
durch das Daſeyn aller andern Gegenſtaͤnde auſſer 
ihm verdrängt wird. Wenn es daher moglich 
| waͤre, daß ſich jemand dadurch an einem Gegen⸗ 
ſtande verfündigen koͤnnte, daß er die Exiſtenz deſ⸗ 
ſelben leugnete, fo würde ſich der Pantheiſt nicht 
ſowohl an Gott als an den Cirarathappe 85 
Gott verſündigen N 
Wie Kenophaned feine aus der bloßen Spe⸗ 
kulation geſchoͤpfte Idee von Gott mit der Erfah⸗ 
rung und dem Daſeyn der ſinnlichen Gegenſtaͤnde 
vereinigte, daruͤber fehlt es uns an hinlaͤnglichen 
Nachrichten. Wir wiſſen nur ſo viel, daß er durch 
den Widerfpruch der Erfahrung gegen ſeine Idee 
| ſich in Zweifel verwickelt ſahe, aus denen er ſich 
nicht zu helfen wußte. Zwar hatte er nicht ei⸗ 
gentlich die Maxime des Zweifelns, und war da⸗ 
915 N her 
9) Man wuͤrde ihn daher mit mehrem Recht, eben fo 
wie Sichten (S. deſſen gerichtliche Verantwortung 


S. 58) einen Akosmiſten als einen Atheiſten nen⸗ 
nen koͤnnen. 


140 Pe Il. Capitel N. 


ber nicht eigentlicher Skeptiker, ober beg ein 1 ’ 
felnder Dogmatiker ). 

Am wenigſten konnte er ſeine Ideen von der 
Gottheit mit der Volksreligion vereinigen, ob er 
ſie gleich wie vorhin gezeigt worden iſt, im Grunde 
aus derſelben ſchoͤpfte “). Er verwarf ſie daher 
mit einer Freymuͤthigkelt, die ihm eben fo zur 
Ehre gereicht, wie den Griechen in Italien die 


Toleranz, welche ſie gegen ihn uͤbten, und die | | 
Achtung die fie ihm feiner freyen Denkungsart 


ohngeachtet bezeugten. Sie legten ihm fogar Fra⸗ 


gen über religloͤſe Gegenſtaͤnde vor, die er . J 


fo vernuͤnftig als freymuͤthig beantwortete. Weft 
ſanatiſcher behandelten die Athenienſer einen Anaxa⸗ 4 
goras, Protagoras und Sokrates. b 


Seine Verwerfung der Volksreligion war 
ubrigens eine eben fo natürliche Folge als ein ſiches 
res Kennzeichen davon, daß er in feiner Philoſophie 4 
eine eigenthuͤmliche Religionstheorie zu haben glaubte. 4 
Wir haben dieſelbe daher bey den bisher betrachteten \ 
griechiſchen Philoſophen auch nicht gefunden, weil 

ſie 


9 M. vergl. Staͤudlins Bain und Bor des Ri 
Skepticismus S. 178 f. 5 — 


*) Diog. Laert. IX. 18. Sent. Emp. ann 289. 
IX, 193. 5 f 


# 


pr 


Woch II. Gapitel 5 RR? N 


fe ihre Pblsſepheme durchgängig an die Vorſtel x 


ungen der g anfchloffen. 


Daß di Verbindung welche Kenöphanes zwi⸗ 
Then feiner ewigen Subſtanz und der Idee von der 
Gottheit machte, nicht nothwendig war, beweißt 
auch dieſes, daß ſein Schuͤler Parmenides, ohnge⸗ 
achtet er von derſelben Idee ausgieng, dieſe Verbin⸗ 
dung nicht ſchloß. In den von ihm uͤbrig gebliebe⸗ 


nen Fragmenten ) bezeichnet er die einzige Sub⸗ 


ſtanz nirgends, als die Gottheit. Er beginnt ſein 
philoſophiſches Gedicht von der Natur mit einer my⸗ 


 thifäpen Fiktten, welche auf Ideen der griechiſchen 


Volksreligion hindeutet, und wenigſtens fo viel bes 


— 


weiſt, daß ihm dieſe Ideen nicht ſo zuwider waren, 
wie feinem Lehrer Renophanes. Er läßt ſich durch 


zwey griechiſche Goͤttinnen, Themis und Dike, in 


das Heiligthum einer andern Goͤttin fuͤhren, deren 
Namen er nicht nennet, welche ihm die Lehren der 
Wahrheit enthuͤllt. Von der Göttin Dike fagt er: 


— 


Dies 


9 Die Suͤueborn ebenfalls überſetzt, und mit aus 


gebreiteter Gelehrſamkeit erläutert hat, im ön Stuͤck 


\ feiner Beytraͤge zur Geſch. der phil. 


142 Buch II. Capitel 35. 
Dies bleibt ewig wahr und feſt 
Daß nie etwas aus Nichts von ſelbſt entſteht: 
Und Dike laͤſſet nicht entſtehen nicht 
vergehn, ſie haͤlt des Ganzen Bande 805 
In einer andern Stelle ſagt er: | 327 
Es haͤlt das All die mächtige Nlothwendig 
keit (wvayxy) 
In der Begränzung Banden eingeſchränkt. 
Und weiter: 
| Auſſer dem was if u 
Giebt es ſonſt nichts, und wird es nimmer geben, 
Das Schickſal (ug) hat es ganz und unbe⸗ 4 
weglich, und feſt gemacht. 3 
Dann ſpricht er noch von einer Goͤttin in I 1 
Verſen: 99 


S 
m — 
E 


Die dichter € Elemente find | 
Gebildet aus unreinem Feuer, und 
Aus Nacht die andern. Unter ihnen iſt 4 
Das Reich der Flammen. Und in ihrer Mitte 7 
Die Goͤttin, die das große All beherrſcht. | 
Von ihr ſtammt groͤbere Erzeugung und 
Vermiſchung, daß das Weibliche ſich mit 9 
Dem Maͤnnlichen, und dies mit jenem 8 — 3 
Von allen Göttern ferme ſie e 0 
Den Eros. * W 


baus *) vergleicht, nach welchen Parmenides daſſelbe 
| Wefen: das Princip aller Bewegung und Erzeu⸗ 
| gung, die Goͤttin, Regiererin „die Inhaberin der 
Hoße, das Schickſal, die Vorſehung, die Welt⸗ 
ſchoͤpferin die Nothwendigkeit und Dike nennt, und 
wo er ſagt: daß alles durch Wothwendigkeit 
beſtimmt wird, ſo wird man leicht einſehen, daß die 


Religionstheorie des Parmenides aus philoſophiſchen 


und Volksideen zuſammengeſetzt, aber von der ſei⸗ 


nes Lehrers ſehr verſchieden war. Sein Fatalis 


mus ſcheint ſich indeſſen mit der Idee einer einzigen 
Subſtanz conſequenter verbinden zu laſſen, als der 
Pantheismus des Kenophanes. Denn Fatalismus 
ſcheint in ſeinem Syſtem vollig die Stelle der Reli⸗ 


gion eingenommen zu haben. Die Idee von einer 


eiſer⸗ 


) Stobseus T. I. p. 482. ſd. ed. Heeren. Die Dich⸗ 
tung von dem Feuerkranze des Parmenides ſcheint 
Stctobaͤus eben fo wenig verſtanden zu haben, als 


der Epikuraͤer Vellejus beym Cicero de Nat. Deor. I. 


11 welcher keinen Sinn darinn zu finden geſteht. 
Nach dem obigen Fragment waͤre der Feuerkranz 
nur der Sitz der Goͤttin nicht die Goͤttin ſelbſt ge⸗ 
weſen. Die andre Stelle ſteht beym Stob. I. p. 158. 
Es iſt jedoch zweifelhaft, ob fie vom Demokritus 


gilt oder vom Parmenides. M. ſ. Fuͤlleborns Bey⸗ 


träge St. VI. p. 99 und 102. 


Wenn man dieſes mit ein paar Stellen beym Sto⸗ 


1, 


244 Vuch II. Capitel 5. 


eifernen Nothwendigkelt war zwar nicht neu. Sie 
war, wie wir geſehen haben, ſchon vom Homer mit 
den Mythen der Volksreligion verbunden worden. 
Aber ſie duldete doch, obgleich im Grunde auch nur 
durch eine Inconſequenz, neben ſich den Glauben an RE 
Götter, Beym Parmenides ſcheint fie dagegen diese 
ſen Glauben ganz verdraͤngt und er ſelbſt mit den 


Goͤtternamen als mit Dichterbildern nur geſpielt, 


und ſie vielleicht blos aus Klugheit gebraucht zu 
haben. | 

Man dürfte alfo dem Parmenides wohl nicht 
Unrecht thun, wenn man ihn fuͤr den erſten Athei⸗ 
ſten unter den griechiſchen Philoſophen halten wollte, 
Er war es imenigftend | in fofern, als die Idee von der 
Gottheit innerhalb ſeines Syſtems keinen Pb 
fand, 

- Daß es nicht nothwendig war, mit der Idee 
von einem Ganzen (EY aal rav) den Begriff der 
Gottheit zu verbinden, beftätigen auch die Mei⸗ 
nungen des ieliſſus, welcher etwas ſpaͤterhin 
im Ganzen eben die Grundfäße hatte, welche Xes 
nophanes behauptete. Cr unterſchied ſich von die⸗ 
ſem und dem Parmenides hauptſaͤchlich dadurch, 
daß er die Weltſubſtanz materiell *) dachte. Dies 

| mußte 


*) Meiners hift. de Deo p. 335 506 Buhle Lehre 
buch d. Geſch. d. Phil. I. 299. 


NR) 1 1 
Ä 


mußte die Verbindung derſelben mit der Idee von 
der Gottheit noch mehr erſchweren. In den Frag⸗ 
menten eines von ihm gefchriebenen Buches, welche 
1 * Simplicius 9 aufbewahrt hat, findet fü ch 
daher auch nicht eine Spur dieſer Verbindung. 
Stobäus c) fagt zwar, er habe die Elemente 
Goͤtter und ihre Vermiſchung die Welt genannt. 
Durch das was er hinzuſetzt, zeigt er aber auch 
daß Menlſſus mit dem Goͤtternamen ſehr freyhge⸗- 
big war. Er nannte die Seelen goͤttlich, und 
diejenigen welche dieſelben rein erhalten. Dage⸗ 
gen ſagt Diogenes Laertius 1 Meliſſus habe 
von den Göttern geſagt, es laſſe ſich nichts mit 
Gewißheit von ihnen behaupten, well keine Er, 
* von ihnen u en. 


vor Da Meliſus Feldherr und Staatsmann + war, 
ſo mag er wohl Gruͤnde genug gehabt haben ‚ fein 
Artheit von den Goͤttern zuruͤckzuhalten, fuͤr welche 
ſich in ſeinem Syſtem im Grunde wohl eben 1 
wenig Plat finden 2 als in dem des 
menides. | | er 
BSR. d w 1 Cie 


9 Simplicius ad Arifot, 1 A 1. 55 ete. 
9 Stobaeus Ecl, phyf. p. 60. | 
35 Ne Diog. Laert, IX, % | 


K 


Buch II. Capitel u s 5 


146 Buhl Eavits. 


Einer der ſcharſſinnigſten Köpfe, welcher aus 
der eleatiſchen Schule hervorgieng, war Zeno. 
Das, was er ſic von dem Stifter derſelben am 
meiſten zu eigen gemacht hatte, war fein Hang 
zum Zweifeln. Bey ihm war es aber nicht mehr 


bloßer Hang, ſondern Maxime gegen alle dogmati⸗ 


ſchen Behauptungen das Gegentheil zu vertheidi⸗ 


gen. Er ſcheint daher die Lehren des Xenopha⸗ 
nes nur in ſofern brauchbar gefunden zu haben, 
als ſie den Behauptungen andrer Philoſophen ent⸗ 
gegengeſetzt werden konnten, und betrachtete fie 
ſelbſt nicht weniger mit ſkeptiſchen Augen als andre. 
Daß er aber, ſo viel wir wiſſen, die Verbindung 
theologiſcher Begriffe mit der Idee von einer eins 


zigen Weltſubſtanz nie zum Gegenſtande feiner = 
Skepſis gemacht hat, beweißt ebenfalls, daß er 


ſie nicht als etwas Weſentliches im She des 
eee betrachtete. 925 e 
Es duͤrfte alſo wohl ermiefen 4 sa Bde 
theologiſchen Ideen des Kenophanes. keines veges 
originelle und ſeinem Syſteme weſentliche Pbieſs⸗ 
pheme waren, ſondern daß ſie nur zufällig von ihm 
damit verbunden wurden, weil er nichts böberes 
kannte, wodurch er ſeiner Idee von einer ewigen 
Weltſubſtanz, fuͤr die er den groͤßten Enthuſias⸗ 


mus 5 


ö 
ö 
4 


er 


Buch 1 eme. le 


| mus 1 einen groͤßern Glanz geben konnte, 


als durch die Praͤdikate der Göutihkeit, ehe er 


n r e re 


| ſtand, Oh welhen ihn die ältern e e, n a 
phen geknuͤpft hatten, an die Betrachtungen uͤber 


den Urſprung der Welt. Diogenes und Suidas 


machen ihn zn einem Schüler des Nenophanes, 


und nach einer Stelle welche der erſtere aus Hera⸗ 


Flits- Schrift ſelbſt anführt, ſcheint er wenigſtens 


den Kenophanes gekannt, ihn aber eben ſo wenig 
für einen ächten Philoſophen erkannt zu haben, 


4 as d Se und Pythagoras“). Aus den 


bleibſeln ſeiner in ein ſo tlefes Dunkel ge⸗ 


| hüllen Philo ſophie, daß ſelbſt Sokrates ſie nicht 


ganz zu verſtehen geſtand, ohngeachtet er dasje⸗ 


nige, was er verſtanden hatte, fuͤr vortrefflich er⸗ i 
| Hark; erhellt auch nicht, daß en Lehren 


auf 
die dert IX. 1 um 3. ® 
| - 8 2 


148 Buch II. Capitel 6. 
auf ſeine Meinungen einen großen Einfluß gehabt 
hätten. Nur die Maxime des Zweifelns ſcheint | 
er in feiner Jugend von ihm angenommen, zu ha⸗ 
ben, wogegen er in ſeinem Alter ſtrenger Dogma⸗ 
tiker wurde. Auch ſcheint er durch Kenophanes eis 
nen ausgebreitetern Begriff von dem Weltganzen er⸗ 
halten zu haben, als ſeine Worgänger. in Jonien ® 
hatten. PN: 
Von Pythagoras ont e er die Idee entlehnt | 
haben, daß Feuer der Urſtoff der Welt ſey, wenn 
er nicht durch eigenes Nachdenken darauf kam. 
Doch verfuhr er bey weiterer Erklarung, wie die 
Dinge aus Feuer entſtanden ſeyn koͤnnten, mehr 
nach der Weiſe der altern joniſchen Philoſophen 
als nach der des Pythagoras. Er ſuchte nemlich 
aus der Natur und den bekannten Eigenſchaften 
des Feuers ſelbſt zu zeigen, wie die Dinge aus 
demſelben entſtehen koͤnnten, und brauchte dabey 
nicht wie die Pythagoraͤer bloße Hypotheſen und 


a priori angenommene Saͤtze. Auch gieng er noch . 


weiter als die Jonier vor ihm. Er gab nicht 
blos einen Urſtoff an, aus welchem alles ge formt 
ſeyn ſollte, ſondern auch ein Princip, nach wel⸗ 
chem die Dinge aus dem Feuer entſtanden ſeyn, 
und überhaupt alle Veränderungen in der Welt 
vorgehen ſollten, nemlich die N wodurch 

N alle 


ii 


Buch II. Capitel 6. 140 
alle "Dinge, aus dem Einen Urſtoffe, in den ſie 
ſcch zuvor befunden haͤtten, abgeſondert werden, 
und alſo entſtanden waͤren, und Einigkeit wodurch 
ſie wieder zerſtoͤrt wurden, indem ſie in Eins zu⸗ 
ſammenflöſſen. Er nahm an, daß ein ſolcher 
Wechſel unaufhörlich unter den Dingen erhalten 
würde. Einen Grund deſſelben konnte er nicht an⸗ 
e, und behauptete daher daß jener Wechſel 
ſchlechthin nach den Geſetzen der Nothwendigkeit 
50 fände *). Er lehrt daher, wie Clemens von 
ee ) von ihm ſagt: das Univerſum hat 
weder ein Menſch noch ein Gott gebildet, ſondern 
es war immer und iſt und wird ſeyn, ein immer 


lebendes Feuer, das ſich nach beftimmten Sn V 


. and wieder * 


* RM Hirn 


„ Aeres Geſetz der Reethwendigkelr been 

aer dasjenige, nach welchem ſich alles richten 
ren Er hielt alſo nur diejenigen Menſchen 
für vernünftig, welche dieſes Gefeß erkennen, und 
darnach urtheilen und handeln, als nach einem 
allgemeinen Vernunftgeſetz. Er vergleicht ſie mit 
Wachenden, ſo wie diejenigen, welche es nicht er⸗ 
kennen mit Schlafenden. Dies ſcheint mir der 
r oeh cet wahre 5 


5 5) Spline in Arift, Phyf. Aufc, 6, 1. 
9 Meiner Alex. Strom. I. V. 


4 
, 


150 Buch II. — 


wahre Sinn einer Stelle zu ſeyn, welche Sertus ) 5 4 
aus ſeinem Werke anführt, und aus welcher er | 
die wunderliche Meinung ableitet, daß eine gött, 
liche Vernunft die Menſchen umſchwebe und von 
ihnen eingeathmet werde, wenn ſie wachen, „ nicht 
aber wenn ſie ſchlafen, daher der Menſch un wa⸗ 
chenden Zuſtande nach der allgemeinen, im ſchla⸗ 
fenden aber nach ſeiner beſondern nene 
Vernunft denke und een 8 
) Sextus Empir. adv. Math. vn, 126. iz Die Bote | 
welche Gertus aus dem Buche des Heraklit von 
der Natur anführt, find: Ae rede corroc, abu- 
vr NV ret avöpwren, nat posen 7 ansası 
HR RHBTRYTES TO TOWwToV. YIUvWREVOV Yap Kari roy 
A roο, amsıpoı E0InaTı e ον,ẽ ers wa 
‚EOYWV TOIETWV , OHOIMY EyYW bins, 677,77 Soc 
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ravrog diorungews, do Nd rı av Kurs rie kvnenc- | 
 HOIUWUNTWUEN, badete, . de a ‚dinawper, Ya 
dos J. | 


10 Buch II. Cunts, N 
eine ſo beſtimmt gedachte Nothwendigkeit, 
5 e diejenige / welche Heraklit annahm, laͤßt auch 
in der That keine Gottheit übrig. Ihre Geſehe 
konnte er ſich immer als Vernunftgeſetze denken, 
ohne deswegen ein vernuͤuftiges Weſen anzuneh⸗ 
© men, dem er ſie beylegte. Sie wurden ihm Ver⸗ 
nunftgeſeße, in ſofern ſie durch die Vernunft des 
Mia en erkannt wurden, und da er ſie einmal 
für die Geſetze erkannte „ durch welche die ganze 
1 Natur regiert wurde, ſo mußte er es freilich vers 
| nünftig finden, wenn die Menſchen ſie zu erkennen 
ſuchten, und nach ihnen ſich richteten. Plato, 

| Ariſtotel s und Cicero wiſſen auch nichts von dem⸗ 
| Amir: s. Sextus über je Stelle geträumt 
| Wh. 
ben ſo 3 bürſte es auß ee 
10 en daß Heraklit jenes ewige Feuer ſich als 
| Weltſeele gedacht habe, Ariſtoteles druͤckt ſich dar⸗ 


uber zu dunkel aus ). Eher koͤnnte er ſich die 


Entſtehung der Dämonen und Seelen aus einem 
Rei ohngefähr auf eben die Art gedacht ha⸗ 
| K 4 f a 8 A ben, 


| 9 Arik. de anima I. 2. Er ſpricht in dieſer Stele 


auch von der Seele des Menſchen nicht von der 
Weltſeele, und ſagt daß Heraklit, das Athemholen 
für die Seele des Menſchen, und zugleich für das 
Princip aller übrigen Theile deſſelwen gehalten habe. 


132 Bruch II. Capitel 6. | 
ben, wie die Pythagoröer, ohne deswegen dieſem 
Seelenprincip Denken: and. ang beyzu⸗ 
legen. In s 
Eine Stelle beym Dingen gaertius 5) ſchelnt 
anzudeuten, daß er eben ſo wie Thales behauptet 4 
habe: alles ſey erfüllt von Daͤmonen. Wenn wir 
dieſes auf eben die Art auslegen wollen, wle wir 
es bey Thales gethan haben, fo märe dies eine | 
Erklarung geweſen, zu welcher ihn die Volksrell 
gion veranlaßt haͤtte. Denn ohngeachtet er den 


Göttern ausdruͤcklich allen Antheil an der We: 


ſchoͤpfung abſprach, ſo koͤnnte er ſich doch in ans 4 
dern Ruͤckſichten nach dem Volksglauben akkom⸗ | 
modirt, und müßte deswegen feine Philoſophie 
demſelben nicht geradezu entgegen geſetzt Kae 
Denn die Lehren der griechiſchen Volksreligion n über 
die Weltentſtehung und Weltſchöpfung waren Fehr 
unbeſtimmt, und ließen der Peloſoptze frehes 1 
Felde „Nee EEE 9 


e 
Er ſoll indeſſen doch mit Homer ſehr u 


frieden geweſen ſeyn, und in ſeiner Kraftſprache 
erklart haben, daß er werth ſey, mit Nutzen ge⸗ N 
peitſcht zu werden. Der Grund hiervon aber ſoll 5 
nach 3 Plutarch kein andrer genefen 1 85 ai 
95 Diog, Laört. I, 7. | 


1 4 * 
— 7 
1 u E . P 
2 0 11 * REN 
\ 
3 \ x 


EN NN N! 1 . N 


I. Capi s. 183 
wis he ich ige, Sie Henk 5 


| 1 m Dr Grund ales Eniſehens hien . 


Wenn Heraklt wirklich dem Volksglauben | 


Re nachgab, ſo durfte dieſes doch wohl mehr 


| aus Klugheit und Akkommodatlon geſchehn ſeyn, 


als aus Ueberzeugung. Denn ſein Syſtem hat 
1 0 ſtarke Tendenz zum Atheismus. Da 


nn ohnehin nicht befriedigend erklaren 


ö wie er es mit der Erfahrung vereinigte, ſo 


| tape ſich ſich auch nicht beſtimmen, ob es nicht mit 


den Ideen der Volksreliglon in ſofern ſie als 
Sach n der Tradition und N een, 


„ habe dee ene ri n ng 


1 3 1 A WN ine W n ane I: III ER 


m * = 2 4 
den r re ws A * 18 
f . W be lin: A TEEN 
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un 3 Art 1 


Gan e K 5 Siebeutes 


Siebentes eee 


u 


3 al e 65 22 PIE 

| #2 . 

Ale u bisherigen Dillofopkeme fast Empedokles 
zuſammen, und bediente ſich ihrer zur Erklarung 
der Naturgegenſtaͤnde auf eine Art, bey welcher f 
er, wie ihn auch Ariſtoteles beſchuldigt, feinen 
Grundſaͤtzen nicht immer ganz treu geblieben zu 4 
ſeyn ſcheint, daher ſich auch wohl ſchwerlich ein 
zuſammenhaͤngendes Syſtem aus den Behauptun⸗ 
gen, welche die Alten von ihm aufbewahrt haben, 
zuſammenſtellen laſſen duͤrfte. Er war zugleich ein 
trefflicher Dichter und eifriger Naturſorſcher. Den 
Dichter konnte bald dieſe bald jene Idee fo begei⸗ 
ſtern, daß er ſie fuͤr die erhabenſte und wichtigſte 
von allen an ſah, nach welcher die juͤbrigen beur⸗ | 
theilt werden mußten; dem Naturforſcher konnte 


bald dieſer bald jener Naturgegenſtand ſo wichtig 


und einflußreich erſcheinen, daß er die Natur der 
uͤbrigen von ihnen ableitete. Die Philoſophen vor 

ihm hatten ſich in alle vier Elemente getheilt, und nd 
der eine dieſes, der andere jenes für den Urſtoff j 
der Dinge angenommen. Eine noch Älter Meinung 
war, daß das Ganze aus einem Chaos, einem 


unbe⸗ N 


| | Buch II. Capitel 7, 1253 
ub a Urſtoſfe heroorzegangen fep. Beyde 
Meinungen wußte Empedokles ſo zu verbinden, 
daß ſich zuerſt die vier Elemente aus dem Chaos 
entwickelt hatten. Auf das unentwickelte Chaos 
wendet er die Idee des Kenophanes von einer 
einzigen Weltſubſtanz an, und nannte es daher 
vielleicht auch nach dem Beyſpiele dieſes Philoſo⸗ 
phen, Gott. Nur ſchrieb er ihm dieſen Namen 
nicht fo einzig und vorzugsweiſe zu, wie Kenopha⸗ 
nes ſeiner ewigen Weltſubſtanz, denn er nannte 
auch die Elemente Götter. Dabey ſpricht er noch 
| von andern Goͤttern, welche aus den Elementen 
: erzeugt worden waͤren. Dies waren wahrſcheinlich 
die Goͤtter der Volksreligion. Als den Grund 
der Entwicklung der Elemente aus dem Chaos 
nahm er wie Heraklit Zwietracht und Freundſchaft, 
oder wenn man mit dieſen bildlichen moraliſchen 
Ausdrücken hyſiſche verwechſeln will, Anziehung 
und Zu uͤc ig oder Sympathie und Antipa⸗ 
thie an. Dieſe ſetzt er zuweilen den uͤbrigen Ele⸗ 
N menten ſo an die Seite, daß ſie mit ihnen in eine 
i Claſſe zu gehoͤren ſcheinen. Von der Wirkſamkeit 
der Sympathie und Antipathie giebt er keinen 
Grund an, als daß fie ſchlechthin in der Natur 
der Dinge ſtatt fände, Doch band er ſie nicht an 
55 dachvenbts⸗ Geſetze wie geratii, fondern bes 


5 | ! haup⸗ 


* 


16 Buch II. ve 7. 5 
Haupfete, baß die Dinge hl Zufall in die Ver⸗ 
bindung gekommen waren, iin welcher fie ſich bes 
finden. Dieſe Idee ſcheint ihm beſonders eigen⸗ 
thümlich zu ſeyn, und er führte fie mit Dichter⸗ 


geiſt aus. “Wald fonderte ſich dieſes bald jenes 


Element zuerſt aus dem All ab. Bald vereinigs 


ten ſich dieſe Theile der Elemente bald jene. Da⸗ 4 


ber glengen vor der zweckmäßigen Zuſammenſeßung 


der Naturgegenſtände, vermittelſt welcher ſie jetzt 


beſtehen, mehrere unregelmaͤßige vorher, die nicht 
beſtehen konnten. Es entſtanden Koͤpfe ohne 


Hälfe, Füge ohne Körper, Ungeheuer, die halb 


Menſchen halb Thiere waren, u. ſ. w. Dies 


waͤhrte ſo lange bis zweckmaͤßige Zufammenfeguns 


gen entſtanden, die fortdauren konnten t 4 
Die Fähigkeit andre Gegenftände auſſer ſch 3 


wahrzunehmen, leitete Empedokles bey den em: 


pfindenden Weſen, von der Verwandſchaft ab, in 


welcher fie vermittelſt ihres Urſtoffes zu den wahr⸗ 
genommenen Öegenftänden ſich befinden. Die See⸗ . 
len der Menſchen waren nach ſeiner Meinung aus 


allen vier Elementen zuſammengeſetzt, und die Gs 
feße der Anziehung und Zurückſtoßung der einzel- 


nen Theile herrſchten in ihnen. Vermittelſt eines 
jeden dieſer Theile erkennen die Seelen die Gegen⸗ 


fände, 1055 denſelben verwandt ſind. So er⸗ 
klaͤrt 


| Buch Il. Capt. 187 
klaͤrt Aristoteles die dicterſhen Ausdrücke ae 
Philosophen wenn er ſagt: 


5 er Durch Erde erkennen wir Erde, durch Waſſer h 
A das Waſſer Bu 
Durch aß, di kimmlifihe Luft, durch Feuer 
e verzehrendes Feuer 
| dae burt ‚Siebe, Haß durch ha traurigen, 


anne: sh eh | 
5 Aus diser MBefätiptung zog er eine 0 

Want Folge auf die Eigenſchaften der Gottheit. 
Die Gottheit, worunter, wenn er fie abſolut nennt, 
das Eine Ganze, das unentwickelte Chaos, in 
b welchem noch alles Eins iſt, verſtanden werden 
muß, beſitzt den geringſten Grad von Erkenntniß, 
weil in ihr die Theile noch nicht entwickelt ſind, 
welche in der menſchlichen Seele ſich gegenſeitig er⸗ 
kennen. Dagegen iſt ſie das ſeeligſte Weſen, weil 
ſie die Zwietracht nicht kennt. Hieraus kann man 
ſchließen, welche Begriffe Empedokles mit der 
Gottheit der Elemente verband, und was ihm die 
Gottheit uͤberhaupt war. Sie war ihm, wie dem 
Kenophanes, nichts als ein bloßer Name den er 
a Aare ee en N | 


' 


a ! d * Da 
A \ * ! l 
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& 94 aut. Metaph. UI. 4. de anima I, 2. 


hf 


158 Buch II. Emite7. 


Da Empedokles aus den Elementen nebſt | 
den übrigen Weſen auch ein oͤttergeſchlecht ent- 
ſtehen ließ, fo erhielt ſeine Phantaſie dadurch 2 
Stoff, ſich eine ganz beſondre Daͤmono ologie u 
bilden. Dieſe ſcheint theils darinn beſtanden zu | 
haben, daß er fo wie die Pythagoraͤer und Hera⸗ 
klit einen feurigen Urſtoff der Daͤmonen und Sees 1 

len annahm, theils in andern Behauptungen, nach 
welchen er den reinſten und erhabenſten Dämonen 
Geſtirne zum Sitz anwies. Vorzuͤglich merkwuͤr⸗ 
dig aber iſt ſeine Lehre von der Seelenwanderung 8 
wegen deß Princips das er dabey annahm. Er 
behauptete nämlich, die Daͤmonen, welche eigentlich 
feine aͤtheriſche Körper bewohnen, wuͤrden, wenn 
fie ſich gewiſſer Vergehungen ſchuldig machten, in 
gröbere, menſchliche und thieriſche Körper gebannt, 
uund muͤßten dieſelben fo lange durchwandern, bis 
| Fe ihre Verbrechen abgebuͤßt hätten. Die Seelen 
5 der Menſchen haͤtten daher zuvor ſchon andre Koͤr⸗ 4 
per bewohnt, ehe fie mit den menſchlichen verein 
nigt wurden. Nach dem Tode aber wuͤrden ſie 1 
5 5 entweder in die Geſellſchaft der reinen Dämonen 1 
| zurückkehren, wenn ſie ſich derſelben würdig ge⸗ EB 
macht hätten, oder wenn ſie ſich durch Mord und 1 
Fleiſcheſſen entweihten, zur Strafe in andre thies 4 
riſche . ſogar in Pflanzen einwandern muͤſ⸗ E 
. x i rd fen. 4 


. 


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7 „u . * 
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w. Diefe Lehre an ſich, konnte Empedokles leicht 
aus den Myſterlen mehrerer Völker, und ſelbſt 
der Griechen entlehnt haben. Aber es iſt ſonder⸗ 
bar, daß, da er ſich auf dieſe Art eine morali⸗ 


ſche Vergeltung dachte, ſich keine Spur findet, 


daß er auf die Idee eines ue eee be 
A gerieth. | 

Die Retitonaphilofophie dürfte Wich die 
* dieſes feurigen Kopfes wohl ſehr in Gefahr 


ug . Capitel 1 


gerathen ſeyn, auf Irrwege geführt zu werden, 


ee er vielen u aße ſie gehabt Ve 


bern greifen Piftfopken ten faft 


1 . — | 2 erſchöpft zu has 


velcher die Vernunft verſuchen konnte, 
ſich den Urſprung der Welt aus Materie, und 
und Mate, zu denken. Neben den bisher er⸗ 
wähnten, ſcheint nur noch eine Art derſelben denk⸗ 


bar zu ſeyn, und dieſer bemächtigte ſich ein phllo⸗ 


ſophiſcher Geiſt, von dem wir faſt weiter nichts 
0 * Namen denen und dies wiſſen, daß 


ER} * er 


TR 


1 
* 1.8 


| und verbunden wurden. Dieſe Ideen f 


66 Buch II. Capitel g. 
er aus mancherley Grunden kein G 1 1 


durch und durch ein materielles Weſen ſeyn wollte. 


Alle vorhergehende Philoſophen waren von einem 
Urſtoffe ausgegangen, den ſie ſich als ein Gan⸗ | 
zes dachten, welches durch Zerſtuͤckelung, Tren⸗ 


nung und Abſonderung ſeiner einzelnen Theile, den 


mannigfaltigen Gegenſtaͤnden in der Welt ihr Da⸗ 


ſeyn gegeben hätte. Xenophaues, den, oder deſſen 


Schüler Parmenides man für Leucipps Lehrer 
hält, blieb ſogar bey dem Gedanken des Einen 

Ganzen ſtehen, und idealiſirte ihn in ſo hohem | 
Grade, daß er ihn auf die wirklichen Gegenftände 
nicht mehr anzuwenden vermochte. Leucipp ſchlug 
daher einen ganz entgegengeſetzten Weg ein. Er 


gieng von ganz einzelnen Gegenſtaͤnden aus, und 


verſuchte das Ganze aus ihnen zuſammenzuſehen. 
Er nahm als Urſtoff aller Dinge eine zahle 
Menge untheilbarer Koͤrperchen an. Zum Schau⸗ 


| laß wies er ihnen einen unendlichen leeren Raum 


an, und als Miitel ſie in einen Zuſammenhanz 
zu bringen, nahm er eine ewige Bewegung unter 
ihnen an, durch welche ſie unaufhoͤrlich getrennt 


ſchlechthin , als beſtehend durch das — 2 
n ge es eee pe haͤtt 


nicht eee Er ee daher in 90 | 


urſpruͤnglichen Beſchaffenheit jener Atomen ſelbſt 
eine Verſchiedenhelt an, durch die es moͤglich ges 
macht wurde, daß aus ihnen mannigfaltige Dinge 

5 mn konnten. 


Bey einem Systeme, wie dieses it, Bleibt | 


nun n freilich kein Grund übrig, „das Dafeyn einer 


Gottheit anzunehmen, und wir finden auch keine 


Hr Nachrichten „daß Leucipp auf dieſelbe Ruͤckſicht geg 
nommen habe. Demohngeachtet wußte fein Schuͤ⸗ 
ler Demokrit welcher Leucipps Syſtem mit vie⸗ 
N. lem Scharfſinn ausbildete, Ideen von Goͤttern da⸗ 


mit zu verbinden. Die Veranlaſſung hierzu gab 
ihm, wie alle den Altern Philoſophen, welche rell⸗ 


3 giöſe Ideen mit ihren Rinnen verbanden, 


00 olkt ksreligion. 8 
Es koͤnnen verſchledene Ursachen ſtatt gefuns 


N den haben, welche die Philoſophen veranlaßten, 


h ihren Phitofophemen auf die Volksreligion 


ö ickſicht zu nehmen, welche wir auch ſchon hier 
ben da angedeutet haben. Theils konnten die 
= Eindrücke welche der Volksglaube von ihrer 


Jugend her auf ſie gemacht hatte, eine Macht 


4 uͤber ſie behaupten, gegen welche ihre Philoſophie 


— 


ar ihne vermochte. Sie ſahen die Meinungen 
a des Volksglaubens fuͤr ausgemachte Wahrheiten 
N | L 0 an 

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an, hielten es fuͤr gottlos an ihnen zu Be 


und glaubten, daß über ihre Gruͤnde dachten 4 


und an ihnen zweifeln einerley ſey. e 
daher nur uͤber dasjenige zu philoſophlren, in Ans 
ſehung deſſen die Volksreligion ihnen freyes Feld 
ließ, und woruͤber durch dieſelbe nichts beſtimmt 


war. Dies ſcheint mir bey Thales und den le 
tern joniſchen Philoſophen der Fall geweſen zu 4 


ſeyn. — Andre wurden durch die Achtung, 
welche ſie gegen das Alterthum hatten, bewo⸗ 
gen, die Lehren zu beguͤnſtigen, oder wenigſtens 


zu ſchonen, welche durch daſſelbe ehrwuͤrdig gewor⸗ 


den waren. Bey allen alten Voͤlkern, und bey 
vielen Neuern hat das Alterthum einer Meinung 
ſehr oft die Stelle der Gruͤnde vertreten muͤſſen, 
und nicht ſelten die vernuͤnftigſten und evidenteſten 


x Gegengruͤnde uͤberwogen. Es war daher von je⸗ 


4 


her die Fräftigfte Stuͤtze der Volkerreligtonen, uud 


aͤuſſerte ſeine Kraft nicht blos bey dem gedanken, 
loſen großen Haufen, ſondern ſelbſt bey Denkern. 


Mehrere alte Philoſophen duͤrften daher ee 1 
daſſelbe bewogen worden ſeyn, da, wo wo ſie keine 


Gruͤnde für die Meinungen der Volksreligion ſahen, 
vorauszuſetzen, daß die Alten doch wohl ſolche ge⸗ 
habt haben koͤnnten, die ſie nicht wußten. Sie 


waren daher zu unentſchloſſen, die . derer “ 
fe 


2 


N s 3 2 
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n 


| Buch 1, ‚ Capitel$. Ale 
fie ich bewußt waren, jenen inbekaurten entgegen 


5 s, feßen, die ihnen vielleicht eben deswegen um 


3 75 deſto wichtiger ſchienen, weil fie, ihnen unbekannt 
waren, und ſuchten lieber ihre Meinungen mit der 
Volksreligton zu vereinigen, als fie auf Koſten 
derſelben zu erheben. Der einzige Xenophanes 
macht hier eine Ausnahme, indem ſeine erhabene 
Idee von der ewigen und einzigen Subſtanz, ihn 
mit einem Enthuſiasmus erfuͤllt hatte, welcher ſo⸗ 
wohl das jugendliche religioͤſe Gefuͤhl, als die 


N Ehrfurcht des Alterthums bey ihm uͤberwog. Po⸗ 


litik mag auch wohl mehrere alte Philoſophen 
theils bewogen, theils mitgewirkt haben, fie zu 
IR bewegen, der Volksvorurtheile zu ſchonen. Dies 


war wohl vorzuͤglich bey Pythagoras der Fall, 


bey men jedoch die Politik zugleich durch edlere 
0 e unterſtuͤtzt ward, indem er in der Volks⸗ 
0 religion zugleich Mittel fand, die Moralität * 
Volks zu befoͤrdern. 
i Hab Demokrit unterſcheidet ſich von den abe, 
henden Philoſophen ſehr vortheilhaft dadurch daß 
er den Volksglauben weder ohne Unterſuchung an⸗ 
nahm, noch auch ganz gleichgültig gegen denſelben 
war. Er machte ihn zum Gegenſtande einer phi⸗ 
5 Ya loſophiſchen Unterſuchung, bey der er freilich nicht 
x ſiehr as aewefen zu feyn ſcheint. Sextus 
a en it Ems 


1 
Ne 
\ 


W Buch ll. eite 8. 


Empirikus fuͤhrt uns zweyerley Quellen an, 1458 
welchen er den Volksglauben erläuterte. Demo⸗ 


critus ſagte nad ihm *): die Alten betrachteten 
die Himmelserſcheinungen, Donner, Blitz, Wet⸗ 


terleuchten, Sternſchnuppen, Sonn ⸗ und Mond⸗ 


finſterniſſe. Sie wurden dadurch erſchreckt und 
glaubten, daß Götter die Urſachen davon waͤren. 
Dies ſetzt voraus, daß fie ſchon Begriffe von Goͤt⸗ 


tern hatten, welchen fie jene Wirkungen zuſchrei⸗ 
ben konnten, und erklärt alſo noch nicht was zu 
erklären war. Demokrit leitete daher den Begriff 
von den Goͤttern noch von einer andern Quelle, 
nemlich von wirklichen Erſcheinungen goͤttlicher Ge⸗ 


ſtalten her, die den Menſchen vorkommen Eönnten 
Dieſe Erſcheinungen ſtellte er ſich als Geſtalten von 
ungeheurer Groͤße vor, die zwar nicht unzerſtoͤrbar, 


aber doch auch nicht leicht zerſtoͤrbar waren, die mit 
den Menſchen ſpraͤchen, und ihnen die Zukunft ver⸗ 


kuͤndigten. Einige dieſer Erſcheinungen hielt er für 
wehlthätig, andre für ungluͤcksbringend, und ſoll 


daher den Wunſch geaͤuſſert haben, daß ihm nur 


wohlthätige Erſcheinungen vorkommen möchten. Aus 


ſolchen Erſcheinungen meinte er, hätten die Men⸗ 
ſchen ſich Vorſtellungen von Göttern gebildet, da es 
on n Gott gebe, der eine arne Natur 

batte. 


*) Sent. Ens. adv. Math. IX. 24 und 19. 


Buch Il. Capitel 8. 163 


5 f * Sextus unterſcheidet dieſe Erklärung der 
Entſtehung des Religionsglaubens zwar von der 


des Epikur, welcher ihn aus Traumerſcheinungen 


herleitete. Ich ſehe aber keinen rechten Grund die⸗ 
fer Unterſcheidung, und bin daher auch geneigt zu 


glauben, daß Demokrit, von dem Epikur vieles an⸗ 
genommen hat, ebenfalls nichts anders als Traum⸗ 
geſi chter, die er für bedeutend hielt, bey dleſen Er⸗ 


f ſcheinungen ſich dachte. Dennoch ſcheint Demokrit 
geglaubt zu haben, daß dieſen Erſcheinungen etwas 


Reales zum Grunde liege, und daß es wirklich 


Ds 


uͤbermenſchliche Weſen gebe, denen er den Namen b 


der Goͤtter zugeſtand. 
| Hier ſehen wir alſo, wie ein Philoſoph, dem | 


fein eigentliches Syſtem nicht die geringſte Veranlaſ⸗ 
ſung zu religiöſen Ideen gab, ſondern fie vielmehr 
€ ganz zu verbannen ſchien, demohngeachtet Meinungen 
dieſer Art an daſſelbe zu knuͤpfen wußte. Eine fo 
5 willkührliche Anknuͤpfung aber mußte freilich jeder 


Art des Aberglaubens frehen Spielraum laſſen, wie 
denn die angeführte Daͤmonologie des Demokrits 
dem menſchlichen Verſtande eben nicht viel Ehre 
macht. Nur eine vernünftige Religlonsphiloſophie 


| iſt im Stande, aberglaͤubiſche Vorſtellungen zu ver⸗ 
bannen, denen felbft der ſtrengſte Materialismus | 
* Se Platz übrig laͤßt. 


23 8 Neun⸗ 


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SEN 


1 „ 24 
ER 


7 777 
7 


Neuntes Capitel. 


Pa 10 1055 ſo unvollkommenen Zustande, ber | 
vielmehr bey dieſem gaͤnzlichen Mangel aller vernünf⸗ 5 
tigen Religionsphiloſophte, ſollte man erwarten, 
daß die Anzahl derer, welche die Wahrheit aller re⸗ 
ligiöſen Ideen geläugnet haͤtten, ſehr groß geweſen 5 
ſeyn müßte. Wir haben indeſſen nur wenig Nach⸗ 
richten von Atheiſten aus diefer Periode, 9 99 


auch dieſe lebten nur zu Ende derſelben. Wenn man 
nemlich ſo billig ſeyn will, die unvollkommenen religib⸗ 


ſen Ideen der bisher genannten Philoſophen von f 
dem Vorwürfe des Atheismus zu befreyen, der 1 


auch in der That fehr unſchicklich ſeyn, und den fie 
mit dem groͤßten Theile der Griechen uͤberhaupt thei⸗ 
len würden, ſo bleibt niemand übrig, der den Na⸗ 
men eines Atheiſten mit einigem Scheine führen 


koͤnnte, als Protagoras von Abdera, Prodikus von 
Ceos, Kritias und Diagoras von Melos; 9 
Protagoras, ein Schuͤler Demokrits, der 


ſich zuerſt den Namen eines Sophiſten oder Weis⸗ 


heitslehrers gab, war ein Mann von großem Scharf⸗ 


ſinn, und vielleicht der erſte Philoſoph, welcher den 
Idealismus bey ſich ſelbſt zum Bewußtſeyn erhob, 


wie 


— 


166 Buch II. Capitel 2. 


Be, Kuß l. Cineto. N 
i DR ans fur Satze erhellt: kin he Menſchen 


iſt das wirklich, was er ſich vorſtellt; auſſer dem 
Vorgeſtellten giebt es nichts Wirkliches, und was 


fi gar kein Menſch vorſtellt, iſt gar nichts). — 


Daß die Anwendung dieſes Saßes auf die Ideen 


des Religions glaubens ihn in die größten Schwierig⸗ 


keiten verwickeln mußte, kann die philoſophiſche 


Geſchichte unſrer Tage lehren. Denn wenn die 


Götter bloße menſchliche Ideen waren, ſo waren ſie 
nicht viel, waren ſie aber dieſes nicht, ſo waren ſie 
Bi gar nichts. Hieraus laßt fi erklären, wie er eine 
5 Schrift von den Göttern mit den Worten anfangen 
f konnte: Von den Göttern kann ich nicht ſagen vb 
| fie e ſind, oder ob ſie nicht ſind. Denn vieles hin⸗ 
dert die Eniſcheidung hieruͤber; die Dunkelheit der 
Sache, und die Kuͤrze des menſchlichen Lebens ). 
Er ward wegen dieſer Schrift aus Athen verbannt 
5 und fü e ſelbſt öffentlich, auf dem Markte verbrannt. 
BER So eiferſüchtig bewies ſich die Volksreltgion gegen 
N bloße Zweifel, | 


Ein andrer Sophift prodikus a aus 0 — 


5 man gewöhnlich auch unter die Atheiſten rechnet, 


i Br 


) Sent Br. Hypatypof. Pyrrhon. I. . 
g a *#) Sext. Emp. adv. Math. IX. 56. Diog. Laert. 
XX. 357. Cic, de nat. Deor. I. 12. Qaintil, inſt. 
ö 300 or. III. I. 


is Buch II. Capitel9. 
duͤrfte vielleicht mehr praktiſcher Atheiſt geweſen ſeyn 


als theoretiſcher. Denn er war ſehr lafterhaft, ohn⸗ 
geachtet er der Erfinder einer trefflichen moraliſchen 
Dichtung, der Wahl des Herkules war. Des 
Atheismus iſt er beſchuldigt worden, weil er die 
Religion vom Eigennutz ableitete, und behauptete, 
die Meuſchen hätten diejenigen Dinge, welche ihnen 
nüßlich wären: Sonne, Mond, Fluͤſſe und Quellen 


zu Göttern gemacht. Als Beyſpiel davon, führte | 


er die Aegypter an, welche den Nil verehrten. Wenn 
er dieſes ausſchlieſſend behauptete, und keine andre 
Entſtehung der religioͤſen Ideen anerkannte, ſo dürfte 
er freilich vom Atheismus nicht frey zu ſprechen ſeyn. 

Aus einer andern Quelle leitete Kritias, einer 
von den dreyßig Tyrannen, welche die Spartaner 
“über Athen ſetzten, die Religion her, und zeigte 
durch ſeine Ableitung die in folgenden Verſen, die 
uns Sextus Empirikus von ihm aufbewahrt hat, 
enthalten iſt, daß er die Religion zwar für eine bel 
ſame Sache hielt, aber ſelbſt keine hatte. 


Einſt handelten die Menſchen regellos 4 928 ; 


Und thieriſch, nur Gewalt beherrſchte de;, 15 - 
Der Edle hatte keinen Vorzug, 5 
Auch duldete der Frevler keine Strafe. 8 
5 Da, glaub' ich machte man die Strafgefege, 
Damit ace gebieten {era N 


Der 


x Such ll. ewig 169 
2 Der Menschheit, und den Frevel unterdrückte; 1 
Eu RN Wer ſich vergieng der ward beſtraft. h 
1 an Es hielten alſo die Geſeze i / 
Die Menſchen ab vom offentlichen Unrecht, 
Doch thaten fie es heimlich deſto mehr. — 
3 n ich war ein weiſer kenntnißrei⸗ 
e reicher Mann 
* De ſtrebte etwas zu erfinden, | 
Was Sterbliche mit banger Furcht erfüllte, 
7 Wenn heimlich etwas boͤſes ſie vollbringen, 8 
2 5 Ja reden nur und denken wollten. 5 
Drum fuͤhrte er die Gottheit ein, | 
Ein Weſen, welches unvergaͤnglich lebt, 
. alles hört und ſieht, verſteht und wahr⸗ 
| nimmt 
und 5 öheter Natur iſt — alles hört, 
Wos Menſchen. ſprechen, wie 12 handeln, 


| 5 600 e, du a ſchweigend nur was Boͤſes f 
| nr denkſt, 


Die Gluten merken's! fie find einſichtsvoll! 
So ſprach der Mann, und dadurch fuͤhrte er 
N Die heilſamſte der Lehren ein, und barg 
Die Wahrheit unter Taͤuſchung. — 
Dort aber zeigte er der Goͤtter Sitz 
15 Menſchen von woher er wußte, daß 
| 0 Kir | 145 Die 


4 Buch II. Capie 9. & 8 > 


Die meiſte Angſt und Schrecken ſie be 
In jenen obern Regionen, wo der Bliz 
1 DORCRDFELUE wo des Donners Stimme rolt 


Im Sternumkraͤnzten Himmel jenem en | 


Werke ars; 
Der kunſterfuͤllten Meifterin, der Zeit. 
Von wo der Sterne Feuerbaͤlle fallen 1 


U 


Und Wolkenbruͤche auf die Erde ſtroͤmen. 5 1 


AP dieſe Schrecken ſtellte er vor Augen 
Der Menſchen, und wies eine angemeßne 
2 Wohnung 
Der Gottheit zwiſchen ihnen an. 
So tilgte er den Frevel gegen die Sethe, 


So glaub' ich uͤberredete zuerſt 2 
Die Menſchen jemand, daß es Götter 
he * une | 
task e 


) Sext. Emp. IX. 54. Plutarch, de plac. phil. 1 7. 4 


fuͤhrt einige von dieſen Verſen als ein Fragment 
aus dem Siſyphus des Euripides an. Sie könn 
ten aber demohngeachtet dem Kritias gehöre: 
wenn ſie auch Euripides dem Siſyphus in den Da 
gelegt haͤtte. Denn dieſer Tragiker ſoll ſich öfter der 
Arbeiten andrer bey ſeinen Werken bedient haben. 


So erzaͤhlt Diogenes Laertius von ihm, daß ihm 


Sokrates dabey geholfen habe. Diog. Laert. II. 
5. H. 18. Kritias hatte zwar auch den Sokrates 


gehort % | 


N 
3 Ja 
* x ne — 
2 1 a 
Bart AR: 


Bll.ouch II. Eapiehig fr 
ö 100 Es war ſehr unweiſe von einem Manne, der | 
ſelbſt ‚Gefeßgeber und Herrſcher ſeyn wollte, daß 
er durch Aeuſſerung ſolcher Meinungen Grundſätze 
zu erſchuͤttern ſuchte, die er doch wenigſtens fuͤr 
eine ſehr heilſame Stͤͤtze der Geſetze anerkannte. 
Man ſieht hieraus daß leichtſinnigen Menſchen nichts 
heilig iſt, wenn es darauf ankoͤmmt . ae 
und Scharfſinn zu zeigen. 
5 Den Kritias ſchuͤtzte fein Anſchn vor der 
Strafe, welche Protagoras erfahren hatte, und 
die auch Diagoras von Melos dulden mußte. 
a Dieſer begnuͤgte ſich nicht, die Goͤtter zu leugnen, 
und ihre Entſtehung aus unſtatthaften Gruͤnden 
herzuleiten, welche ihre Exiſtenz verdaͤchtig mach⸗ 
ten, ſondern er griff den Glauben an ſie gerabe⸗ 
zu in einer Schrift an, in welcher er, wie 
der Titel (or aroropvig ovrec) andeutete, die Götter | 
von ihrer Burg herabftürgen wollte. Da von der 
Schrift nichts mehr uͤbrig iſt, ſo find die Gründe 
mit welchen er es that, unbekannt. Vekannt 
| ab iſt es, daß die Quelle, aus welcher ſein 
Atheismus floß, nichts weniger als philoſophiſch 
war. Er hatte ein Gedicht geſchrieben, welches 
gehoͤrt und könnte in ſofern ſpaͤterhin erwähnt 
| werden. Da er aber ſich eigentlich zu den Sophl⸗ 
"Ken hielt, fo habe ich ihn hier mitgenommen. 


x 
2 
E 

5 . 

* 44 
8 
* 
2 
1 * 


7 Buch II. Capitel 9. 
ſich mit bi Worten anfieng: Alles kommt von | 
der Gottheit und dem Gluͤcke. Dies Gedicht 
ward ihm entwendet, der Entwender ſchwor 
es ab, daß er es ihm geſtohlen habe, und las 5 
bald darauf das Gedicht mit großem Veyfall, als 
ſein eigenes ab. Diagoras erwartete, daß die 
Goͤtter dem Betruͤger ſogleich für feinen Meineid- 
firafen wuͤrden, da aber dieſes nicht erfolgte, 7 ſo 
verwandelte ſich ſeine Bigotterie in Atheismus. 
Er ſchrieb jene Schrift, ward deswegen vor Se 
richt gefodert, und als er nicht erſchien, ein Preis 4 
auf feinen Kopf gefeßt. Auf der Flucht vor die⸗ 4 
fer Verfolgung kam er um. Hätte er zuvor aufs 
geklaͤrtere Religionsgrundfäße gehabt, fo wuͤrde er 
nicht fo fönell von einem Extrem in d andre 
gefallen ſeyn. 4 
Ganz neuerlich hat ein Gelehrter den Wage | 1 
ras mit Gruͤnden gegen die Beſchuldigung des 
Atheismus vertheidigt, welche, wenn ſie befriedi⸗ 
gend waͤren, dienen wuͤrden, alle diejenigen davon . 
freyzuſprechen, welche von den Alten des Atheis⸗ 
80 beſchuldigt wurden ). Seine Bertfebigung 4 
*) Ueber den Atheismus des Diagoras von Melos. 
Vom Herrn Prediger Thienemann. Mit Anmer: 


kungen des Herausgebers in Suͤlleborns 19 A 
gen St. XI. S. 15: 64. a 


8 n ER 


7 
1 


| Su II. Gavitel : 
| kast in der Hauptſache darauf hinaus, daß der 
Name ages von den Alten oft auch ſolchen gege⸗ 
ben wurde, welche nur die Goͤtter der Volksreli⸗ 
gion läugneten. Aus eben dem Grunde waren 

ſchon einige Kirchenvaͤter geneigt, den Diagdras 
nicht allein gelind, ſondern ſelbſt guͤnſtig zu beur⸗ 
N theilen. Allein um einen Menſchen, welcher ſeine 
vaͤterliche Religion verläugnet, von der Beſchuldi⸗ 
gung der voͤlligen Irreligioſitaͤt frey zu ſprechen, 
muß ſich zeigen laſſen, was für Religionsbegriffe 
er an die Stelle derjenigen geſetzt habe, welche er 
aufgab. Man müßte alſo zur Entſchuldigung des 
Diagoras und andrer, die man gern mit ihm aus 
gleicher Verdammniß retten moͤchte, zeigen, woher 
ſie andre Religionsbegriffe gehabt haͤtten, wenn ſie 
die ihrer Volksreligion verwarfen. Nun haben wir 
aber gezeigt, daß alle bisherige Philoſophen keine 
eigenthümlichen Religionsideen innerhalb des Ges 
biets ihrer Philoſophie hatten, ſondern ſie ſaͤmmt⸗ 
uch von dem Volksglauben entlehnten, und nur 
mitunter nach ihren Philoſophemen modifizirten. 
Der erſte Urſprung unabhängiger philoſophiſcher 
Religionsbegriffe iſt, wie wir weiter zeigen wer⸗ 
den, erſt nach dem Anaxagoras zu ſuchen. Nun hätte 


zwar Diagoras weil er ſpaͤter lebte, ſchon von 


9 * Philoſophen Religionsbegriffe annehmen, 
5 11 | e 


— 


174 Buch II. Capitel 9. 
und dabey ſo wie es ihm ſelbſt widerfuhr, von 
den Athenienſern des Atheismus beſchuldigt 1 1 
den koͤnnen. Allein keiner von den Alten ſagt, 
daß er ein Schuͤler des Anaxagoras geweſen ſey. 
Die meiſten ſtellen ihn vielmehr mit Demokrit zus | 
4 ſammen, und Seſychius macht ihn geradezu zum 1 
Schüler deſſelben. Von Demokrits Religionsbe⸗ 
griffen aber haben wir gezeigt, daß ſie weiter 4 
nichts als eine ziemlich ungluͤckliche philoſophiſche — 
Erklaͤrung des Volksglaubens waren. Wenn Dia⸗ 
goras den Volksglauben ſelbſt aufgab, ſo bedurfte 
er auch dieſer Erklärung nicht, und es mußte ihm 
bey ihrer ſonderbaren Beſchaffenheit leicht werden, 
| fie aufzugeben „wenn er auch ſonſt dem Syſteme 
ſeines Lehrers, mit dem ſie nur wenig Zufammens \ 
hang hatte, treu blieb. Da es ſich alſo nicht zeigen 
läßt, woher Diagoras andre Religionsbegriffe er⸗ 
halten konnte, wenn er feine Wolföreligion aufgab, 
ſo duͤrften diejenigen Nachrichten der Alten wohl die 4 
richtigſten von ihm ſeyn, welche behaupten daß er 4 
gar keine en n bahnen n ba a 1 4 


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| ; Drittes 


a Capitel. Rn | 


Di au Quellen der Materie, aus welchen die Phi 
loſophen Prineipien der Weltentſtehung und Welt⸗ 
bildung ſchöpfen konnten, waren erſchoͤpft. Keines 
der verſchiedenen Elemente, aus welchen ſie dieſelbe 


herzuleiten verſucht hatten, war hinreichend dazu, ja 
nicht einmal in ihrer Verbindung konnten die bishe⸗ 


rigen Principien der Weltbildung den freyen und 
kritiſchen Denker befriedigen. Da eroͤffnete auf ein⸗ 


mal Anaxagoras der Phiioſophie ein weites Feld, 


auf welchem ſie neue Unterſuchungen anſtellen konnte, 
N um im unendlichen Raume der Spekulation die Ur⸗ 
18 3 welche das Ganze in 8 


Er nahm eine ewige Materie als den Urfioff 


an, f woraus alles gebildet ſey. Er dachte ſich dieſe 


| = Materie in einer unendlichen Zahl von Urbeſtand⸗ 


en urfpränglig 2 5900 hi Leucipp es ge⸗ | 
„„ 


176 Buch III. Capitel 1j 
than hatte. Er unterſchied ſich aber von dieſem 
Denker dadurch, daß er ſchon in dieſe Urbeſtand⸗ 
theile den Grund zu der verſchiedenen Qualität der 
Dinge ſetzte, welche Leucipp blos aus ihrer verſchie⸗ 
denen Zuſammenſeßung hergeleitet hatte. Er nannte | 
dieſelben Homoiomerien, welches beydes gemeln⸗ 
ſchaftliche und ähnliche Urbeſtandtheile bedeutet. Sie 
follten nemlich gemeinſchaftliche Urbeſtandtheile aller 
Dinge, und ſich ſelbſt untereinander in ſofern aähn⸗ 
lich ſeyn. Aber nur ähnlich, nicht gleich, denn es 
lagen in ihnen ſchon ſelbſt weſentlich verſchiedene 
Qualitäten. — Leucipp hatte feine Atomen nach 5 


BL ſchlechthin nothwendigen Geſetzen in einer beſtaͤndi⸗ 


gen Bewegung ſtehend gedacht. Auch hierbon gieng 125 
Anaxagoras ab. Er dachte ſie ſich urſpruͤnglich ru⸗ 
hend, und ſetzte den Grund ihrer era in el, 
nen von denſelben verſchiedenen Verſtand. 

| Diefer von der Materie verfchiebene 1 die 
rohe Materie zu einer Welt ausbildende Verſta d, 
war die fruchtbare Idee, welche den Keim zu einem 
ganzen Stammbaum nener philoſophiſcher Syſt me 
enthielt. Beym Anaxagoras ſelbſt waren die 
Ideen, welche dieſem Syſteme zum Grune * 
freilich nur noch Embryonen. 
Die Wirkſamkeit dieſes Beflandes auf dle 
Welt war nur ſche each und t. ckte 


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n 77 RB 

NP} rei 9 
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Bud Ill. Capital 1 a 17 


980 86 bl nur darauf, daß er den Urbeftanbtheien a 


7 den erſten Auſtoß zu ihrer Bewegung gab. Die 8 


1 


Bewegung ward der Grund der Abſonderung ih⸗ 


rer verſchiedenen Qualitäten, aus welchen denn 


verſchiedenartige Dinge entſtanden. Alles was ſich 
hierauf weiter aus der mechanſſchen Bewegung der 
Dinge erklaren laßt, erklaͤrte Anaxagoras aus der⸗ 
ſelben, und nur, wo die ſe nicht hinreichte ließ er 
die Wirkſamkeit des Verſtandes eintreten. Plato 
und Ariſtoteles tadelten ihn deswegen, und ſagen, 


er habe unterlaſſen, zu zeigen, wie der Verſtand 


alles nach Ideen und Zwecken eingerichtet habe. 


| Er bediene ſich deſſelben nur wie einer Maſchie 


zur Weltbildung wenn er in Verlegenheit ſey, don 


welcher Urſache er etwas ableiten ſolle. Souſt 


mache er aber alles andre zur Urſache als den 
Veerſtand ). Es wuͤrde ungleich beſſer um die 


Phyßtk ſtehen, wenn unſre Philoſophen und Na⸗ 


Fele dae ‚ae, Sfr, dee, un ni 


5 ſo oft aus Trägheit zu einer auſſerweltlchen ver⸗ 


fländigen Urſache ihre Zuflucht. zur Erklärung! von 


Erſcheinungen genommen hätten, deren Urfachen fie 


in W Sinnenwelt haͤtten auffuchen ſollen. Man 


2 7 91228 0 feht 
ae ern. 


N 4 
22 44 Lil Er 


Ki u 2 Plato aan 0. 46 dat. net. 1. b gg 
9 * ar 08 | M e e ee e eg 


* 
3 


178 Buch III. Savite * 


ſieht indeſſen doch aus dieſen Vorwuͤrfen fo viel, 
daß er den Verſtand mehr als eine Watururſache 
betrachtet, welche mechaniſch auf die Materie wirkt, 


als daß er ihn voͤllig wie ein vernünftiges Weſen, 


nach freygedachten Zwecken hätte handeln laſſen. 
Er hatte ſich alſo den Begriff eines weltbildenden 
| Verſtandes noch nicht vollig entwickelt, und war 
zufrieden Rin ihm den erſten Grund der Bewe⸗ 
gung gefunden zu haben, we er in der Ma⸗ 
terie vermißte. 

Daher waren auch die Praͤdikate, welche 1 
dem weltbildenden Verſtande gab, ſehr einge⸗ 
ſchraͤnkt. Er legte ihm eine Erkenntnißkraft bey, 
welche in dem Begriffe eines auf alle Dinge wir⸗ 
kenden Verſtandes liegt, alſo eine Art von All⸗ 
wiſſenheit; eine große Kraft zu wirken, welche 
ebenfalls zu ſeiner Allwirkſamkeit erfordert wird, 
mit der er aber keine frege Wirkſamkeit verbunden 
zu haben ſcheint, daher fie wohl nicht Allmacht 
genannt werden kann. Doch betrachtete er ſie als 
unabhängig in ihrem Wirken, welches er nothwen⸗ 
dig thun mußte, wenn der Verſtand die erſte und 
oberſte Urſache ſeyn ſollte. Er ſcheint auch da⸗ 
durch das Prädikat eines nüchternen. Philoſo⸗ 
phen, welches ihm Ariſtoteles giebt, verdient zu 
haben, daß er von anderweitigen Eigenſchaften des 

welt⸗ 


r 
r 
1 1 2 

„ 


Buch ll III. Eavitel . 179 a 


 weltbildenden Verſtandes nichts lehrte, als von fols 
cen, welche er gerade zur Weltbildung nöthig 
fand, und welche dazu dienten, ihn von der Ma⸗ 


terie zu unterſcheiden. Wenigſtens iſt dasjenige, 
was er von der Subſtanz des Verſtandes gelehrt 
haben ſoll, ſehr wenig und unausgemacht, und es 
iſt wohl Mißverſtand, wenn man ihn demſelben 
Praͤdikate geben laͤßt, durch welche er mit der 


Materie Gleichheit oder Aehnlichkeit zu erhalten 


ſcheint/ z. B. daß die Subſtanz deſſelben aus dem 


feinſten Aether beſtehe. 


Gott nannte Anaxagoras den weltbildenden 


| Verſtand nicht; wahrſcheinlich weil der Goͤtter⸗ 


name durch die Volksreligion zu ſehr herabge⸗ 
ſunken war, als daß er ihn fuͤr ein ſo erhabenes 


Weſen wie er ſich den weltbildenden Verſtand 
| dachte, haͤtte paſſend finden koͤnnen; vielleicht auch 


um den uͤbeln Folgen zu entgehen, welche ihm die⸗ 
ſes bey den Anhaͤngern der Volksreligion hätte 


zuziehen. koͤnnen, die ihn aber demohngeachtet um 
untergeordneter Behauptungen willen, die der 


| Volksrellgion entgegen zu ſeyn ſchienen, oder viel⸗ 


aus Athen verbannten. Demohngeachtet erreicht ö 


leicht auch um ſeinen Freund Perikles zu kraͤnken, 


5 der Begriff ſeines weltbildenden Verſtandes die 
I value Idee von der Gottheit nicht, und man 


M 2 | würde 


* 


Sartre * 
e 
>. 2 


180 Buch III. Capitel 1. 
wuͤrde ihm daher wenn man ihm einen Namen 
geben wollte, den ihm ſein Urheber nicht gab, wohl 
eher eine Weltſeele als Gott nennen konnen. Es 
lag daher auch in der Philoſophie des Anaxago⸗ 
ras keine eigentliche Theologie, ob ſie gleich mehr 
als irgend eine andre zur Ausbildung einer philo⸗ 
ſophiſchen Theologie beytrug. a 


Die Quelle des Begriffes des weltbildenden 
Verſtandes koͤnnte beym Anaxagoras ſchon die 
Aufſuchung eines von der Materie verſchiedenen, 1 
und auf dieſelbe urſpruͤnglich wirkenden Weſens : 
geweſen ſeyn. Denn wenn er in der Materie 
durchaus keinen Grund der Weltbildung fand, 
wenn er denſelben auſſer ihr ſuchen wollte, ſo blieb 
nichts übrig als ihn in einem Geiſte oder Ver⸗ 
ſtande zu ſuchen. Die übrigen Praͤdikate welche 
er ihm gab, ergeben ſich aus dem Verhaͤltniſſe 
dieſes Verſtandes zur Materie, wie wir gezeigt 
haben. Man hat indeſſen noch andre Quellen der 
Theorie des Anaxagoras angegeben, worunter 
wohl diejenige, welche die Veranlaſſung dazu beym | 
Hermotimus von Clazomene ſucht, am meiſten 
Aufmerkſamkeft verdient. Sie ſcheint nämlich ein 
neues Beyſpiel zu der Bemerkung zu ſeyn, daß 
die Einbildungskrafe En dem Raiſonnement 

den 


| Em IM, l. Capie B 
l Vorſprung abgewinnt, und oft die Veranlaſ⸗ 
fung zu den Entdeckungen deſſelben wird. 


Die Nachrichten der Alten von dieſem Her⸗ 
motimus ſtimmen darklun mit einander überein: 
daß feine Seele unabhängig von feinem Körper 
gewirkt haben ſoll. Dies konnte auf mannigfals 
tige Weiſe ganz natürlich zugehen. Hermotimus 
konnte ein Schlaſwandler ſeyn, er konnte fieber⸗ 


hafte Phantaficen oder Verzuckungen haben. Auch 


durfte er nur ein ſehr lebhafter Traͤumer ſeyn. 
Der Grund hiervon konnte in einer ſehr lebhaften 
Einbildungskraft oder in einem krankhaften Zu⸗ 
ſtande liegen, wie bey Nikolai, der aber kluͤger 
war als Hermotimus, und die Geiſter, welche 
ihm erſchienen, mit Blutigeln vertrieb). Dafür 
werden ihm aber auch die Berliner, die ebenfalls 
kluger find als die Clazomenier, wohl ſchwerlich 
für einen großen Philoſophen anſehen, oder ihm 
en gar einen Tempel erbauen, wie es dieſe dem Her⸗ 
motimus thaten, nachdem fie ihn in einem Zus 
ſtande einer ſolchen Geiſtesabweſenheit für tod ges 
halten, und verbrannt hatten. Daß die Sage 
hieraus ein Wunder machte, war eben ſo natuͤr⸗ 
| lich, fo wie auch daß bie Alten, welche dieſe Sage 
SR N. 


* M. f. die Beriiniſchen Blätter von 1799. 


182 Buch III. Capit el r. 


erſt mehrere Jahrhunderte nach Hermotimus auf⸗ 


zeichneten es als ein Wunder erzaͤhlen. 


Ein Zuſtand dieſer Att, er mag nun ſeinen 
Grund gehabt haben, worinn er wolle, mußte 


den Hermotlmus, wenn er irgend fähig war, 


nachzudenken, auf den großen Unterſchied zwiſchen 
Leib und Seele aufmerkſam machen. Er mußte 
daraus fe zern, . daß Leib und Seele verſchieden 


waren, 2. daß die Seele unabhaͤngig von dem Koͤr⸗ 
per wirken, 3. daß der Leib aber nicht unabhängig. 


von der Seele thätig ſeyn koͤnne. So durfte er 
durch einen Zuſtand der Art, von welchen die Er⸗ 
zahlungen in unſern pſychologiſchen Magazinen im⸗ 


mer noch den groͤßten Raum einnehmen zu einem 

der erſten Pſychologen gebildet worden ſeyn. 
Wenn er nun die hier gemachten Beobach⸗ 

tungen auf die Welt im Ganzen uͤbertrug; wenn 


| ihn die Bemerkung, daß fein Körper nicht unab⸗ 


haͤngig wuͤrken koͤnne, auf den Gedanken brachte, 
daß die Materie es uͤberhaupt nicht koͤnne, ſo 


mußte er nothwendig faſt ganz auf daſſelbe Sy⸗ 6 | 


ſtem kommen, welches Anaxagoras lehrte. Da 
Anaxagoras aus eben der Stadt mit Hermotimus 
war, ſo iſt die Vermuthung freilich ſehr wahr⸗ 


ſcheinlich „daß er fein Syſtem von ihm angenom⸗ 


men habe, ob gleich Ariſtoteles nur ſo viel ſagt, 


” 


daß 


nnen. 
vs 


RER 


Buch III. Capitel t. 183 


daß er es eher als jener behauptet haben ſolle. 


Dem nüchternen Anaxagoras kann immer das Ver⸗ 


dienſt bleiben, auf philoſophiſche Gründe zuruͤckge⸗ 


fuͤhrt zu haben, was der phantaſtiſche Hermoti⸗ 
mus nur als ein Produkt ſeiner Einbildungskraft 


auufgeſtellt hatte *), 


Mit dem Anaxagoras zugleich und wie es 
ſcheint, ſo daß ſie von ihm gelernt hatten , ohilos 
fophirten Diogenes von Apollonia und Arche⸗ 
laus. Sie ſcheinen nach den wenigen Nachrich⸗ 
ten welche Simplicius von ihnen mittheilt nichts 
originelles gehabt, ſondern nur eine Vereinigung 
zwiſchen den Ideen des Anaxagoras und denen 


von aͤltern Philoſophen zu treffen geſucht zu haben. 


Sie folgten unter den ältern joniſchen Philoſophen 
dem Anaximenes darinn, daß fie die Luft für das 
Urprincip der Welt annahmen, und die Denkkraft 
mit derſelben verbanden. Dadurch hätte die Phi⸗ 
loſophie einen guten Theil der Schritte zuruck thun 


eee welche ſie durch Anaxagoras vorwaͤrts ge⸗ 


* Rn M 4 . than 


*) Man vergl. Herrn Prof. Carus gelehrte und ſcharf⸗ 

g ſinnige Abhandlungen: De Anaxagoreae Cosmo- 
theologiae fontibus 1797 und über die Sagen von 
Hermotimos aus Klazomene, in Suͤlleborns Bey⸗ 

traͤgen St. 9. auch: Anaxagoras und fein Zeitgeiſt 
St. 10. S. 162282. 


a E⸗ iſt allgemein anerkannt, daß die geſammte f 
Phghiloſophie der Griechen durch Sokrates eine 1 


a li Be: 
PET ey 
3 Den ER 


184 Buch Ill. Capitel 2. 
than hatte. Aber man mußte bald fühlen, daß 
eine ſolche Verbindung noch unnatuͤrlicher und un⸗ 
gegründeter fen, als wenn man in die Materie 
ſchlechthin den Grund der Weltbildung legte. 


l 
* 


Zweytes C apitel. 


72 


ganz neue und ſehr vortheilhafte Richtung erhielt, 


4 * 
* 


indem er ſie von Spekulationen uͤber die allgemeine N 
Natur der Dinge, die man noch viel zu wenig: 4 
kannte, um gründlich über fie philsſophiren zu kön⸗ f 
nen, abzog, und auf die Natur des Menſchen fixirte. 
Dies hatte auch fuͤr Religionsphiloſophie ſehr wohl⸗ | 
thaͤtige Folgen, indem Sokrates, wenn er auch 
nicht unterſuchte, was Religion an ſi ch ſey, doch 
deſto heller ins Licht ſeßte, was fie den Mens 
ſchen iſt. * 
So vortrefflich ER 5 Sokrates die prakti⸗ 
ſche Selte der Religion herauszuheben wußte, ſo 
kann man doch nicht ſagen, daß er die theoretiſchen | 
Religionsbegriffe um einen Schritt weiter gebracht 
habe. Er legte feinen Lehren über die Religion 
ſchlecht 


> 


N U 
— 2 
” * 


Buch III. Capitel . 183 
ſchlechthin und ohne Einſchraͤnkung die Religion ſei⸗ i 


„ nes Volks zum Grunde. Er ſprach durchgehends 


von den Göttern, und wenn hier und da unter den 
Aeuſſerungen bey Xenophon und Plato, die man 
mit dem meiſten Rechte für ſokratiſch halten kann, 


é Hess in der einfachen Perſon vorkommt, ſo iſt 


entweder von einem einzelnen Gott der Volksrelil⸗ 


gion, oder von dem Genius des Sokrates, oder 
von der Gottheit der Götter überhaupt, d. h. von 


ſolchen Praͤdikaten derſelben die Rede, welche ie 


ten 20 dein und ro deuoviov welches collektive Bes 


nen gemeinſchaftlich zukommen und ihre Mehrheit 
nicht ausſchließen. Eben fo iſt es mit den Wor⸗ 


nennungen der Götter überhaupt find, dergleichen 


wir in unſrer Sprache nicht haben, und wodurch 


* 


den Menſchen alles Gute mitgetheilt haben, und 


nicht beſtimmt wird, ob man einen oder mehrere 
Goͤtter annehme. Etwas aͤhnliches hat in unfrer 
Sprache das Wort Obrigkeit, welches in einer 


Republik ſowohl als in einer Monarchie gebraucht 


werden kann. Ich zweifle daher ſehr, daß So⸗ 


krates die Einheit Gottes erkannt haben dürfte, | 
Ihn bewog die wohlthaͤtige und weiſe Einrichtung 
der Natur zum Beſten der Menſchen hauptſaͤchlich 


dazu, das Daſeyn von Goͤttern anzunehmen, welche 


fortdauernd für fie ſorgen. Warum hätte er es 


he 0 1 er 
ei — * 5 
5 
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E . 4 
e \ 2 


M; ge⸗ 


* 


ſeyen? Er bewies ferner das Daſeyn der Götter 
aus der allgemeinen Meinung der Menſchen welche 


daß es Menſchen Wr „die an einen wu Gott 


den Vorbedeutungen und Rathſchlaͤgen eue 


dualität verwebt war. Der Glaube an Mantlk 
oder Vorbedeutungskunſt, war in ſeinem Zeitalter 


e 
n 


188 Buch III. Capitel 2. 
gerade widerſprechend finden ſollen, daß mehrere 
Goͤtter ſich zu einem wohlthaͤtigen Zweck vereini⸗ 
gen, und wenigſtens in dieſer Ruͤckſicht gleiche Ge⸗ 
ſinnungen haben ſollten, beſonders da der Cha⸗ 
rakter der Goͤttlichkeit ohnehin vorauszuſetzen ſcheint, 
daß alle diejenigen, welche ihn haben gleichgeſinnt 


a 


daſſelbe behauptet. Die allgemeine Meinung ſeiner 
Zeitgenoſſen und Vorfahren, aber ſprach für meh⸗ 
rere Goͤtter, und er wußte vielleicht nicht einmal, 


glaubten. 


ae 8 


we 
Sein vorzuͤglichſter Beweis war endlich von 


welche, wie er glaubte, die Götter den Menden 
ertheilten. Dieſer Grund mußte fuͤr ihn am uͤber⸗ 
zeugendſten ſeyn, da er ganz mit ſeiner Indivi⸗ 


allgemein, und noch lange nach ihm hiengen ihm 8 4 
ſelbſt die aufgeklaͤrteſten Maͤnner noch eifrig an ), | 9 
ſo wie noch im vorigen Jahrhunderte nicht allein 

N N e ö 


©) Meiners üb. d. Genius d. Sokrates in ſ. ver⸗ 3 
miſchten Scufen Bd. 3. | 07 


Buch III. Capitel . 187 


alle kleine, ſondern auch ſo große Maͤnner, wie 
1 Grotius an Aſtrologle glaubten *). Sokrates | 
glaubte daher auch daran, und fah es für einen 
; Theil der Wirkungen der goͤttlichen Vorſehung an, 

ö daß die Goͤtter den Menſchen weiſe Rathſchlaͤge 
| - über Dinge ertheilten, welche auſſerhalb des Ges f 


k ſichtskreiſes ihrer eignen Einſicht lagen, und ihnen 
doch zu wiſſen nöthig waren. Sokrates hatte aber 


N. auch noch beſondre Gründe, an die Mantik zu 


glauben. Er war durch das Orakel des Apollo 


zu Delphos für den weiſeſten unter den Griechen 
erklart worden. So groß auch die Beſcheidenheit 


dieſes wahrhaft großen Mannes ſeyn mochte, ſo 
ernſtlich auch ſeine Erklaͤrung, daß dieſes nur da⸗ 
von zu verſtehen ſey, daß er einſehe daß er nichts 
wiſſe, gemeint ſeyn mochte, ſo konnte es doch nicht 


fehlen, daß dieſe Erklarung wenigſtens nicht et⸗ 
was dazu beytragen mußte, | feinen Glauben an 


das Orakel zu Delphos zu ſtaͤrken, und vielleicht 
war es eben dieſes, was die ſchlaue Pythia beab⸗ 


ſichtigte. Sokrates glaubte ferner auf eine ganz 


beſondre und ausgezeichnete obgleich bey andern 


EP 5 5 — 5 a en 
SE ee re en ae en x S 


OR nicht ganz ugewößlige Weiſe goͤttlicher 
7 b Rath⸗ ; 
| 2 Grotius de veritate rel. chrift. nimmt Beweiſe für 


die Wahrheit des ee N aus der Aſtrolo⸗ 
gie her. 


m 


188 Buch III. Capitel: n. 
Rathſchlaͤge und Vorbedeutungen gewuͤrbigt zu 
werden. Dies war was er unter feinem Dimos 8 
nion verſtand *), welches er keinesweges für ein 
beſondres goͤttliches Weſen, ſondern nur für eine 
beſondre Aeuſſerung der Vorſorge der Goͤtter für 


ihn uͤberhaupt angeſehen wiſſen wollte. Daß So⸗ 


krates in dieſem Punkte ein Schwaͤrmer war, if J 
nicht zu laͤugnen, aber hat es wohl je einen gro⸗ 5 ö 
fen Mann ohne einen Anſtrich von Schwaͤrmereng 


gegeben? Der auf eine vermeinte unmittelbare 


Wahrnehmung und Erfahrung ſich gruͤndende 
Glaube an Mantik, konnte aber den Sokrates 1 


auch auf keinen andern Religionsglauben führen, 


als auf den an die Volföreligton, und alfo an die 
Mehrheit von Göttern. Wie viel Sokrates von 1 
den nähern Beſtimmungen dieſes Glaubens, be 
ſonders von feiner hiſtoriſchen und mythiſchen Seite 4 
annahm, laͤßt ſich nicht ausmachen, da er ſich nie \ 
daruber erklärte. Er dürfte indeſſen wohl vieles 1 
von den Ideen der alten Dichter angenommen ha⸗ 1 
ben, da er ſie fuͤr goͤttlich begeiſterte Maͤnner hielt, 4 
und er ſich über das, was ihm darunter unerklärlich 4 
und widerſprechend erſcheinen mußte, durch ſelne 
Meinung von ſeiner, oder welches daſſelbe if, von 


der menſchlichen Erkenntnißſchwaͤche and Unwiſſen⸗ 


*) Xenoph. Apol, Soer, A 


Rn 4 


* r 
9 8 1 935.5 


Buch III. Gay a 
hellt beruhigen konnte. Will man ja bey ihm Re, 


lüglonsideen überhaupt von den Ideen feiner Volkes 


. 


religion unterſcheiden, ſo kann man ſagen: daß 
ihn die weiſe und wohlthaͤtige Einrichtung 
der Natur, und die vortheilhafte moraliſche 


Wirkung der Beligioſitaͤt auf die Menſchen, 


von der Wahrheit und den Werth der Res 
ligion überhaupt, die Mantit aber von fei 
ner Volksreligion überzeugte, 

Man hat oſt, aber wie ich glaube nicht mit 
binlänglichen Gruͤnden behauptet, daß (Sokrates 
in ſeinen Religions meinungen dem Anaxagoras 


gefolgt ſey, und die Ideen deſſ elben erweitert 
und ſie praktiſch gemacht habe. Wir haben ge⸗ 


zeigt daß Anaxagoras gar keine eigentliche Reli⸗ 
gionsphiloſophie hatte, ob feine Behauptungen 
gleich dazu führen konnten. Sokrates aber ſchoͤpfte 


feine Religtonsbegriffe aus einer ganz andern 
Quelle, als Anaxagoras die von ſeinem weltbilden⸗ 
den Verſtande. Anaxagoras brauchte dieſen blos 
als eine Maſchine, um der weltbildenden Bewe⸗ 
gung den erſten Stoß zu geben, und da er eine 
ſolche erſt bewegende Urſache innerhalb der Mate⸗ 
rie nicht finden konnte, ſo nahm er das einzige 


Weſen dafür an, welches ſich auſſerhalb der Mas 


lere er laͤßt, einen Verſtand. Sokrates 


mochte 


* 


* 


190 Buch Ill. Capitel * 
mochte mit dem allgemeinen Begriff der Welt, 5 
den er einen von den Sophiſten erfundenen Nah⸗ 1 
men nannte ), nicht einmal etwas zu thun haben, 
| weil er ihn für üͤberſchwenglich hielt. Er hielt 
deswegen alle Syſteme über Weltbildung für un⸗ 


nutz und die menſchliche Erkenntniß überfchreitend, | | 


ja er ſuchte ſelbſt manche Meinungen des Anax l 
goras, z. B. die, daß die Sonne eln feuriger „ 


Stein ſey, ausdruͤcklich zu widerlegen IB Wenn 4 
Sokrates aus goͤttlichen Werken das Daſeyn der 


Götter bewies, fo war es daher nicht ſo wohl 


aus der allgemeinen Weltbildung, als aus der 


Bildung des Menſchen, und der Dinge die dem 4 
Menſchen nuͤtzlich ſind. Auch dieſes daß er nicht | F 


von allgemeinen fondern von individuellen Wirkun⸗ 4 


gen beym Beweiſe für das Daſeyn der Götter 1 
ausgieng, mußte ihn beym Polytheismus erhalten. 4 
Sokrates machte vortreffliche praktiſche An⸗ 4 
wendungen von den Ideen der Volksreligiou de⸗ 4 
nen er folgte. Daß dieſe ganz neu waren „ läßt E 
ſich indeſſen nicht geradezu behaupten. Sie liegen 1 
zum Theil unmittelbar in den Weſen jeder Rel 4 
gion und mußten daher ſchon laͤngſt vor Sokrates ö 
daraus entnickelt worden ſeyn. Wenn wir die 
| | Art 

*) Xenoph, Mem. Socr. I. 5. 18. | 
) Ibld. IV. 7. §. 6. 7. . 


| N wa / x 
U le 5 %; 4 


Buch Ill. Capitel s. 201 


i Art und Mile genauer Tennten, wie weiſe und 
tugenöhafte Griechen ſchon laͤngſt vor ihm ihren 


Religionsglauben anzuwenden wußten, fo müßten 
wir ſie entweder mit den Meinungen des Sokra⸗ 
tes hieruͤber uͤbereinſtimmend finden, oder es fuͤr 


N unerklaͤrlich halten, wie ein Volk, das vorzuͤgliche 


555 Geiſtes kraͤfte hatte, ſo lange an leeren Fabeln habe 


hängen koͤnnen. Die griechiſche Volksreligion würde 
uns überhaupt dann in einem ganz andern Lichte 


erſcheinen, als nach den gewoͤhnlichen Vorſtellun⸗ 


gen der Dichter, die nur das heraushoben was 


fuͤr die Phantaſie Reitze hat. Anwendungen die⸗ 
ſer Art mochten daher ſchon zuvor, beſonders bey 
den Myſterien gemacht worden ſeyn. Vorzüglich 


aber ſcheinen ſie, wie wir ſchon oben bemerkt has 


. ben, die Ppthagoraer gemacht zu haben. 


Eine beſonders merkwuͤrdige Anwendung da⸗ 


f bon machte Sokrates auf die Unſterblichkeit der 


Seele. Er gründete ſie vorzuͤglich darauf, daß 
er die Natur der Seele fuͤr göttlich hielt. Da er 


5 nun die Götter für unverganglich hielt, fo nahm 


10 


er auch die menſchliche Seele dafuͤr an. Hieraus 
folgt nun keinesweges daß er die Gottheit fuͤr ein 
materielles Weſen gehalten habe, von welchen die 
menſchlichen Seelen als Theile abgeriſſen wuͤrden. 
N gründete anftreitig jene ag der menſch⸗ N 

x | lichen 


Pe 


. Götter Vernunft befi ist. | Dabıy er le 0 
doch auch aus der Mantik und andern aberglö bi⸗ 
ſchen Vorſtellungen Beweife für die unte. 
der Seele. . 
Bey alle dem iſt die Derkungsent des Er, 
krates uͤber feine oäterliche Religion in vieler Hin⸗ 
ſicht muſterhaft für alle Anhänger positiver Rel i 
gionen. Er ließ die unweſentlichen Beftimmungen 
feiner Religion, die beſondern Namen, Sa, | 
und Attribute der Götter fo viel als möglich uns 3 
berührt, ober ſuchte, wo er ihrer erwähnte, 8 
einen moraliſchen Sinn unterzulegen. Nur selten 
bedient er ſich daher eines beſondern Goͤttern | 
mens, ſondern er nennt gewöhnlich . die Götter 1 
überhaupt. In Anſehung der Verehrung der b 
Goͤtter behauptete er: daß der nach den Gefegen . 
und Gewohnheiten eines jeden Staats eingerichtete 3 
Gottesdienſt der beſte, und den Göttern ‚angenehmfie . f 
ſey. Dies zeigt daß er auch die beſondern Sm 
deſſelben fuͤr unweſentlich hielt, ob er gleich mit 
vielem Eifer die Pflicht die Götter zu verehren * | 
haupt vertheidigte, und fie forgfältig nach ich den! „ 
ſetzen ſeiner Vaterſtadt verehrte. Auch dieſe L ehre 
von der geſetzlichen Verehrung der Götter war — 9 
var om fondern,, urſpruͤnglich durch das 
ER Ora⸗ 


| Bu III. Covittl ö 

Deubel bes Apollo zu Delphos ertheilt worden, 
deſſen Vorſteher, nach dieſen und andern Merkma⸗ 
len zu ſchließen nicht gemeine Religionseinſichten 
gehabt haben muͤſſen. | 


Drittes Capitel. 


— 


Ul. den Schuͤlern des Sokrates blieb Ke. 
nophon den Lehren ſeines Meiſters RL getreu⸗ 
ſten. Sein Leben war zu thätig, als daß er ſich 
auf eigne Spekulationen haͤtte einlaſſen konnen, 
wozu man ihm die Anlage wohl nicht abſprechen ! 
kann. Wenn er auch nicht wie Sokrates auf eine 
ganz beſondre Weiſe durch ein Daͤmonion geleitet 
zu werden glaubte, ſo hielt er doch viel auf die 
Mantik, und ſchoͤpfte Vorbedeutungen aus Traͤu⸗ 
men, aus andern Zeichen z. B. aus dem Nieſen, 
vorzuͤglich aber aus den Eingeweiden der Opfer 
thiere. Er glaubte richtige Grundſaͤtze der Aus⸗ 
legung dieſer Vorbedeutungen zu beſitzen. Der 
N richtigſte war wohl, daß er annahm, die Rath⸗ 
ſchlaͤge der Götter ſtimmten allezeit mit der geſun⸗ 
den Vernunft überein und günſtige Zufaͤlle ließen 
in RETTEN TI m 


Sokrates. In feinen ſokratiſchen Geſprächen be⸗ 


Laertius erhellt. Auf die Einheit Gottes kann 


mine und nur die autem ee zu ih⸗ 4 


194 Vug n. 5 ig 5 1 
ihn auch in allen den Faͤllen, die und 5 kannt 

worden ſind, dieſe Uebereinstimmung finde de en * 
Aeſchines war einer der treuſten Schüler 1 


N 


trachtet er die Tugend als Geſchenk und Einge⸗ a 


bung der Götter, und leitet die Unſterblichkeit BE | 


Seele von ihrer Goͤttlichkeit ab. Nichts als Ans. 
wendung einer veredelten Volksreligion! 


Schon etwas weiter entfernten ſich die cyni. 1 
ker von ihm. Antiſthenes der Stifter, dieſer 
Schule, fol in einem Buche, welches von der 
Natur handelte, behauptet haben: es gaͤbe nur ei⸗ 
nen Gott der Natur, aber viele Volksgötter. 
Dieſer Gott gleiche keinem Dinge und könne daher 
aus keinem Bilde erkannt werden ). Antiſthenes 
ſcheint ſich weit mehr auf theoretiſche Spekulatio⸗ 
nen eingelaſſen zu haben als Sokrates, wie aus 
dem Verzeichniſſe feiner Schriften beym Diogenes 


er durch den Grundſaß der Sparſamkeit geleitet 


worden ſeyn, welcher in ſeiner ganzen Phitofophie 
herrſcht, welche überall fo wenig Beduͤrfniſſe al 


Mr Mr. 


6) Cie. de Nat. Deor. I. 18. Lactant. Div. ink. 1 5. 
Clem. Al. e p. 46. 


4, 


| eh, un. Cet . 
e Befriedigung zuläßt. Nun bedarf aber die 
Natur nur eines einzigen Gottes. — So konnte 
75 Antiſthenes darauf kommen, die Zahl ihrer Urheber 
und Regenten bis auf einen zu beſchraͤnken. Doch 
erhellt aus dieſer, ohnehin nicht auf ganz unver⸗ 
daͤchtigen Zeugniffen beruhenden Behauptung, noch 
nicht, daß er die Volksgoͤtter geradezu deren, 
fen habe. 

Sein Schuͤler Diogenes von Sinope, 
ſpricht in den Anekdoten welche vor ihm erzählt 
werden, gewöhnlih von mehrern Göttern. Er 
wagte es indeſſen mit ſeiner gewoͤhnlichen Freymuͤ⸗ 

5 thigkeit auch den religiöfen Aberglauben anzugrei⸗ 
fen, in ſofern er moraliſch ſchaͤdlich werden konnte, 
a er behauptete, es ſey laͤcherlich, ſeine Ge⸗ 
ſchaͤfte zu vernachlaͤſſigen, um zu Tra umdeutern zu 
gehen, fie um Rath zu fragen; den Göttern für 

Erhaltung der Geſundheit zu opfern, und ſie ſelbſt 
durch Unmäßigkeit bey den Opferfeſten zu zerrüts 
ten. Vorzuͤglich aber verſpottete er die Meinung, 5 

daß Räuber und Mörder durch Reinigungen und 

Einweihungen in die Myſterien ein ſeliges Leben 
nach dem Tode erlangen koͤnnten, Maͤnner aber, 

wie Ageſilaus und Epaminondas, wenn ſie jene 
Gebrauche unterlaſſen haͤtten, ſich im Pful des 


Taertarus waͤlzen muͤßten. Er ſcheint überhaupt 60 


17 N 2 den 


* 


196 Buch III. Capitel 3. 1 
den Gebräuchen der Buͤßungen nicht guͤnſtig gewe⸗ 
ſen zu ſeyn, indem er zu jemanden, den er ſich 
beſprengen ſahe, ſagte: Ungluͤcklicher! weißt du 
nicht, daß du ſo wenig von moraliſchen Verge⸗ 
hungen als von Sprachfehlern entſuͤndigt werden 
kannſt? Auch war er ein Gegner unanſtändiger 
Geberden und Stellungen bey gottesdienſtlichen 
Gebraͤuchen, und erinnerte einſt ein Weib, das 


ſich auf eine unanftändige Art vor einem Goͤtter⸗ 4 


bilde niedergeworfen hatte, über dieſe Unſchicklich⸗ 
keit; wobey er hinzuſetzte: alles ſey von Goͤttern 
erfuͤllt; ein Satz, der ſich zwar auch mit der grie⸗ 
chiſchen Volksreligion vereinigen läßt, aber doch 
der rohen Vorſtellungsart nach welcher die Bild⸗ 9 
ſaͤule der Gotthelt mit ihr ſelbſt i 19 7 2 
entgegen iſt. 
Von Gebeten um beſtimmte Güter war er 
kein Freund, und behauptete, die Menſchen erbäs . 
ten ſich öfter was ihnen gut zu ſeyn ſchiene, als 
wirklich gut wäre. Doch behauptete er den Göt 
ten gehöre Alles, und alles Gute komme von den 
Goͤttern, weswegen er im Scherz den Schluß zu 
1 machen pflegte: Freunde haben alles unter ſich 2 
gemein, die Weiſen ſind Freunde der Goͤtter denen 
Alles gehoͤrt; alſo gehört Alles den Weiſen ). 
| ; Uns 
9 Diog. Laert, VI. | 


ee 


Buch III. Capitel z. 197 


Miegariker von den Lehren des Sokrates ab. 


Sie verbanden damit die Künfte der ſophiſtiſchen 
Dialektik und manche Behauptungen der eleatiſchen 
Schule. Vielleicht bedienten fie ſich aber dieſer 


5 auch nur bey ihren ſophiſtiſchen Streitigkeiten, weil 


ſie viel paradoxes haben, und den Meinungen der 
meiſten andern Philoſophen entgegengeſeßzt ſind. 
Von den lehren des Sokrates ſcheinen ſie auch 
nur in ſofern Anwendung gemacht zu haben, als 


fe . Gegenſtaͤnde bey ihren Diſputationen 


waͤhlten. In Rückſicht auf Religion wird von 


|  -uflides, dem Stifter dieſer Schule erzählt, er 


habe nach dem Sokrates gelehrt, daß es ein einzi⸗ 
ges hoͤchſtes Gut gebe, und daß daſſelbe mit vers 


ſchiedenen Namen, „unter andern auch Gott geuannt 


werden konne. Hieraus ſcheint ſich zu ergeben, 
daß er den theoretiſchen Begriff des Renophanes 
von einer Weltſubſtanz, auf den praktiſchen vom 


5 Ungleich weiter als die Cyniker wichen die 


hoͤchſten Gute anwendete und beyde mit einander | 


gewiſſermaaſen verband, wo nicht verwechſelte. 


Aus einer Verbindung dieſer Art mußte ein hoͤchſt 
Nate Begriff entſtehen, welcher manche wis 


derſprechende Praͤdlkate in ſich faßte. Wir kennen 
die Behauptungen nicht, auf welche Euklides ſelbſt 


w al Begriff gefuͤhrt wurde. Aber es fin⸗ 


N 3 | den 


7 0 Yo 


198 Buch III. Capitel 3. | 


den ſich hier und da mehrere Raifonnements zlterer 


und neuerer Philoſophen, die vom hoͤchſten Gute 
ſprechen, als ob es ein unabhaͤngig exiſtirendes 


Weſen waͤre, und as viel a 


‚enthalten, . lage 
Euklides von Megara ſcheint ee mit der 


Benennung Gott eben fo willkuͤhrlich umgegangen 
zu ſeyn, wie Kenophanes, der ohne hinreichenden 


Grund dazu zu haben, ſeine Weltſubſtanz ſo nannte; 


wenn er das hoͤchſte Gut Gott zu nennen erlaubte. 
Denn, wenn man ſich auf andre Weiſe einen Begriff 


von Gott gebildet hat, ſo kann man dieſen wohl in 
einer gewiſſen Beziehung das hoͤchſte Gut nennen, 
da denn dieſe Benennung nichts anders bedeutet als 


das hoͤchſte moraliſche Weſen und die Quelle alles | | 
Guten für den Menſchen. Verſteht man aber dar⸗ 


unter nach Sokrates einen gewiſſen Zuſtand menſch⸗ 
licher Vollkommenheit, welchen der Weiſe ſich zum 


Ziel ſeines Strebens zu machen hat, ſo wird man 
dieſen Zuſtand nur ſehr uneigentlich Gott nennen 
konnen. Ein ſolches Spiel mit leeren und unent⸗ 
wickelten Begriffen iſt indeſſen ebenfalls oft von aͤl⸗ 
tern und neuern Philoſophen getrieben worden. Die 
Religionsphiloſophie duͤrfte daher durch dieſe Anwen⸗ 1 
dung welche Euklides von der Idee von . wachte 4 


nichts gewonnen haben. 


es. 


9 

— . 

> Er 

75 2 

2 

EEE. 

22 . 


_ 


Buch III. Capitel 3. 199 

Schon aus dieſer willkuͤhrlichen Anwendung des 
8 Gottes erhellet, daß die Megariker, wenn 
ſie uͤberhaupt ein Syſtem hatten, wenigſtens für: die 
Religionsphiloſophie keinen Plaß in demſelben fan⸗ 


den. Noch mehr wird dieſes dadurch beftätigt, daß 10 
ſie, wie Gertus Empirikus von dem Megariker 


Alexinus erzaͤhlt *), die mit der Religion in Zuſam⸗ 
menhange ſtehenden Behauptungen andrer Philoſo⸗ 
phen lächerlich machten, oder wie von Stilpo er⸗ 
zählt wird, auch der Volksreligion fpotteten. | 

Am weiteſten wich Ariftipp von feinem Lehrer 


DR Sokrates ab, und ſchlug einen Weg ein, der ihn 
ſelbſt zum! Lehrer der Niedertraͤchtigkeit, und ſeine 


Schüler zu öffentlichen philoſophiſchen Vertheidigern 


des Laſters machte. Einem feinen Wolluͤſtlinge wie 


Ariſtipp war, mußte die Religiofität eines Sokra⸗ 


eine unnuͤtze Burde zu ſeyn ſcheinen, die er weg⸗ 
warf, ob es auch gleich ſeinem Syſteme zuwider 


geweſen wäre, ſich durch Beſtreitung des religloͤſen 
Glaubens Unannehmlichkeiten und Gefahren zuzu⸗ 
ziehen. Wahrſcheinlich ließ er daher als Philoſoph 
die Religion ganz unberuͤhrt. Seine Schuͤler ver⸗ 


banden die Sophiſtik mit feinem Syſtem ünd wur⸗ 
den wahrſcheinlich eben dadurch ſo inconſequent, ſich 


durch Beſtreitung des Goͤtterglaubens Verdruß zu⸗ 


95 zuziehen. Dies that beſonders Theodor, welcher 


. die 


2 Sent. Emp adv. Mat. IX. 108. 109. 


200 Buch III. Capitel 3. | 
die Götter. geradezu angriff, und deswegen aus 


Athen verbannt wurde, doch iſt nicht bekannt mit 


welchen Gruͤnden er dieſes that. Bekannter iſt es 
von ſeinem Schuͤler Euhemerus der den griechi⸗ 
ſchen Religionsglauben mit hiſtoriſchen Gründen. zu 
widerlegen ſuchte. Noch irreligioͤſer als Theodor, 
ſprach fein Schuler Bion ohngeachtet er erkannte 
daß Srreligiofität nicht wohl mit Freymuͤthigkeit bes 
ſtehen koͤnne, und zuletzt wieder ſo in Aberglau⸗ 
ben zuruͤckſank, daß er ſich in feiner letzten Krank 
heit durch aberglaͤubiſche Buͤßungen zu retten ſuchte. 
Man hat oft behauptet dieſe Cyrenaiker haͤtten nur 
den Volksglauben, nicht die Religion uͤberhaupt be⸗ 
ſtritten. Allein ihr philoſophiſches Syſtem hat eine | 
zu ſtarke Tendenz zum Atheismus, als daß man g 
\ ‚glauben koͤnnte daß fie bey ihrer Beſtreltung der 
Volksreligion doch andre und beſſere Religlonsleh⸗ 
ren erkannt haͤtten. 


Viertes i 


Buch III. Capitel . s 


Viertes Capitel. 


Eben der religioͤſe Geiſt, welcher in den lehr⸗ 
reichen Geſpraͤchen des Sokrates lebt, weht auch 

in den Philoſophemen feines großen Schülers 
Plato. Getrieben von einem hohen philoſophi⸗ 
- Shen Dichtergeiſte ſuchte er alles zu idealiſiren, 
oder mit Idealen in Verbindung zu fegen. Dies 


gab ſeinem ganzen Denken einen religiöfen Schwung 


und Religion erkennt man als den Schlußſtein ſei⸗ 
nes geſammten Lehrgebaͤudes und zugleich als das 
Bindungsmittel welches die Beſtandtheile deſſelben 
in ihren einzelnen Fugen zuſammenhaͤlt. Aus res 
ligloͤſen Begriffen erklärt er das Daſeyn der Welt 
und ihre Einrichtung; von der Religion waren 
großentheils feine Ideen von der menſchlichen Seele 
und den Gründen ihrer Fortdauer entlehnt; Re⸗ 
Yigfon ſtellte ihm das Ideal der Tugend und den 
Grund der Heiligkeit der buͤrgerlichen Geſetze auf; 
Religion ward daher von ihm für eine der wich⸗ 


tigſten Staatsangelegenheiten erklaͤrt. 


Es giebt daher mehrerley Eingänge in das 
77 Heiligthum der platoniſchen Religlonsphiloſophie, 
und fie iſt einer verſchlebenen Darſtellung von 
1 N 5 meh⸗ 


2 Buch III. Capitel 4. 


mehrern Seiten faͤhig. Sie ließe fi ch dels 


phyſiſche Theologie, als Cosmotheologie, als Pſp⸗ 


chotheologie „als Moraltheologie und als politifche ; 


Theologie darſtellen. In alle dieſen Formen wuͤrde 
ſie ſehr wichtig erſcheinen, und ſich an den ganzen 


Mikrokosmos platoniſcher Ideen anknüpfen laſſen, 


und es duͤrfte ſchwer zu entſcheiden ſeyn, welche 


von dieſen Darſtellungsarten die wichttne n und all⸗ 


umfaſſendſte ſeyn wuͤrde. 


In jedem ſeiner Dialogen, in welchen Plato 


von theologiſchen Ideen ſpricht, oder ſprechen laͤßt, 
weiß er ihnen daher ein neues Intereſſe zu geben, 


und vergebens ſucht man in einem einzelnen die 


Hauptſumme ſeiner Theologie, ſo ausführlich er hr 


ſich auch in einigen derfelben darüber verbreitet. | 
Marſilius Sicinus hat im Dialog parme⸗ 
nides die innerſten Heiligthuͤmer der platoniſchen 
Theologie geſucht, glaubt aber, daß um fie darinn 
zu finden, ein hoher Grad von Nuͤchternheit und 


Freyheit des Geiſtes erfordert werde. Dagegen 1 
behaupten neuere Forfher *) daß man, um eine { ö 
geheime Theologie in diefem Dialog zu finden, zus 


vor von dieſer Idee eingenommen ſeyn muͤſſe. 
Und in der That ſcheint dieſer Dialog, welcher 


von 


9 Tiedemann Dialogorum Platonis argumenta p. 340. 


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— — f . r 
et Se, SR 0 * — 

W 0 


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Buch III. Capitel 4. 203 
von der eleatiſchen Idee des Einen handelt, mehr 
ein Verſuch durch Huͤlfe der Dialektik metaphyſi⸗ 
ſche Wahrheiten auszumachen, dergleichen man in 
der Philoſophie oft, aber mit wenigem Gluͤcke ges 
macht hat, als eine Unterſuchung theologiſcher Ge⸗ 
genſtaͤnde zu ſeyn. Denn die Idee der Eleatiker 
von der Einen allgemeinen Subſtanz „ward, wle | 
wir oben gezeigt haben, von Kenophanes blos will⸗ 


kluͤhrlich, von Parmenides aber gar nicht mit der 


Theologie verbunden. Daher iſt auh in dieſem 
ganzen Dialog von derſelben direkte gar nicht die 
Rede. Eben ſo wenig iſt die Platoniſche Reli⸗ 
gionsphiloſophie im Philebus zu finden, in wel⸗ 
chen ſie die Neuplatoniker und beſonders Proklus 
ſuchten. Deſto mehr beſchaͤftigt ſich Plato im Ti⸗ 
maͤus mit Religionsbegriffen. Hier knuͤpft er an 
den Saß: daß alles feine Urſache habe, unmittels 


bar den Begriff eines Welterbauers, welcher, 


wie er behauptet, ein Weltideal nöthig gehabt 
hat, nach dem er die Welt formte. Der Grund 
| welchen er hatte die Welt zu erſchaffen, war ſeine 


995 Guͤte, daher auch die Welt die beſte iſt. Da es 


nun nichts beſſeres giebt, als was Verſtand hat, 
Verſtand aber ohne Seele nicht denkbar iſt, fo 
ward die Welt ein beſeeltes Thier. Dann zeigt 
dieſer Dialog weiter die Art und Weiſe der Welt⸗ 
N er⸗ 


BT Eu 
as > 


20% Zus III. > Cavitel 4. 
5 crſchuffung nach den Begriffen „welche Plato pop 


den Zwecken der Dinge hatte, und zum Theil nach 
den Behauptungen von der thieriſchen Natur der 
Welt. Auch ſucht er ſeine Ideen an die mythi⸗ 


ſchen Theogenieen und Cosmogonieen anzuſchließen. 


Die vornehmſten Werke des Vaters der Welt wa⸗ 


ren die Geſtirne, welche zugleich die oberſten Goͤt⸗ 


ter ſind. Dieſe erzeugten die uͤbrigen Daͤmonen, 


z. B. Oceanus, Thetys, Jupiter, Juno, von des 
nen die Alten erzählen, welche ſelbſt Goͤtterſoͤhne 


waren, und denen man daher dasjenige, was ſie 
von dem Urſprunge ihrer Eltern fagen, glauben 
muß. Den Untergöttern ſchenkte der Welturheber 


Unſterblichkeit, ohngeachtet fie an ſich nicht unzer⸗ 


ſtörbar waren, und überließ ihnen die Schoͤpfung 
weiter fortzuſetzen. Sie ſchufen zuerſt den Men⸗ 


ſchen nach weiſen und wohlthatigen Abſichten. Um 


dieſe zu zeigen, verbreitet ſich der Dialog uͤber die 
ganze Anthropologie ſehr ausfuhrlich. Dann ſpricht 
er von Entſtehung der unbelebten Theile der Welt, 
welche der Schöpfer aus einer unbeſtimmten Ma⸗ 


terie formte, die feinen Abſichten nicht ganz ent⸗ 


ſprach, die er aber ſo gut einrichtete, als es moͤg⸗ A 
lich war. Die Thiere laͤßt Plato endlich durch 
Seelenwanderung entſtehen, indem die menſch⸗ 


| lichen Seelen in Thiere ene die mit ihren 


Cha⸗ 


Buch ul. empire BEN © 
‚Charakteren die meiſte Aehnlichkeit haben, 2 B. 
eiltle Menſchen werden Voͤgel, wilde und gügeljofe, 
werden Raubthiere, dumme, werden Fiſche. e 
größte Theil des Dialogs iſt ein ſchoͤner Traum, * 
in welchem Plato durch ſeine Einbildungskraft ſich | 
weit “über die Gränzen des Erweislichen kae 
Tan laßt. ’ - | 
Mit dieſen Ideen ſtehen zunaͤchſt Wage 
in Verbindung, welche Plato im Politikus durch 
einen Fremden unter dem Titel einer Sage vor⸗ 
tragen laͤßt. Gott iſt der Beweger der Welt. 
So lange er die Bewegung derſelben ſelbſt regiert 90 
geht alles zut. Von Zeit zu Zeit aber überläßt * 
er die Welt als ein ee Thier ihrer eig⸗ 
nen Bewegung. Da geht denn alles verkehrt u 
zu Grunde, bis Gott die Zuͤgel der Weltregierung 
wieder ergreift. Dieſe Behauptungen ſind ein be⸗ 
quemes Mittel das Uebel in der Welt zu erklaͤ⸗ 
ren. Zugleich aber erklaren ſie auch die Dichter⸗ 
fabeln von dem goldnen Zeitalter unter Saturns 


1 und dem ſilbernen unter Jupiters Regierung. 


Fruchtbarer ſind die Ideen des zehnten Buchs 
von den Geſetzen. Hier ſetzt Plato den Glau⸗ N 
ben an Goͤtter und ihre Regierung der Welt als | 
eine geſetzliche Pflicht feſt. Er tadelt daher mehr 
rere der altern Philoſophen und Dichter, welche 
* ent⸗ 


A . ad, 


x „ . 5 OR 
20 Buch III. Capitel 4. 


entweder atheiſtiſche oder unwürdige Ideen von den 


Goͤttern verbreiteten, und alles entweder vom Zus, 


fall oder natuͤrlichen Wirkungen ableiteten. Dann 
unternimmt er das Daſeyn der Goͤtter ſelbſt zu 
beweiſen. Er geht dabey von der Bewegung aus, 
in welcher ſich die Koͤrper, vorzuͤglich die Geſtirne 


befinden. Alles was ſich bewegt, wird entweder 

. durch ſich ſelbſt oder etwas Anders bewegt. Was 1 
ſich ſelbſt, oder etwas anders in Bewegung ſetzt, 

iſt eine Seele. Alſo muͤſſen alle in Bewegung be⸗ 


findliche Koͤrper Seelen haben. Alſo haben alle 
Geſtirne Seelen. Dieſe Seelen ſind Daͤmonen oder 
Goͤtter, und ſo kommt er auf den Saß, daß Alles 
von Göttern erfüllt ſey. 

A Darauf fucht er aber auch die Vorſehung der 


Götter zu beweiſen. Er geht davon aus, daß er 


ihnen die höchfte moraliſche und intellektuelle Voll⸗ 
kommenheit zuſchreibt. Da ſie nun dieſe beſitzen 


und die Welt hervorgebracht haben, ſo werden ſie 


auch fuͤr ihre Erhaltung auf die vollkommenſte 


Weiſe ſorgen. Wohlfarth und Vollkommenheit des 
Ganzen (owrypix . apern 8 ol) iſt der Zweck 


der goͤttlichen Vorſehung. Manches was dem 
Ganzen heilſam iſt, faͤllt den einzelnen beſchwerlich. 
Daher die ſcheinbaren Uebel in der Welt. ueber⸗ 
haupt genommen aber weiſen die Goͤtter jeder Seele 


ſo⸗ 


2 
— 


| Buch III. Eapite 4. 207 
Gohl. im beben als nach dem Tode den Plat an, 
welcher ihr zum Beſten des Ganzen zukömmt. Das 
durch ſucht er zugleich die Einwuͤrfe gegen die Vorſe⸗ 


hung zu widerlegen, welche von der Gluͤckſeeligkeit 


der Laſterhaften und dem Ungluͤck der Tugend haften 


15 hergenommen find. Auch widerlegt er das Vorur⸗ 


theil, als ob die Götter durch Geſchenke und Opfer 
der Laſterhaften gewonnen werden koͤnnten. Nach 
dieſen Grundſaͤtzen beurtheilt er die Geſetze, welche 
der Staat in Ruͤckſicht auf die Religion zu ge⸗ | 
Ä ben hat. | Zuge 


Der Dialog Epinomis von zweifelhafter 
Aechtheit, enthaͤlt auch mehrere theologiſche Ideen 
von zweifelhaftem Werth. Dle Zahlenlehre wird 
in demſelben nach pythagoraͤiſcher Weiſe als die erſte 
und goͤttlichſte Kunſt geprieſen. Ihr folgt die Theo⸗ 
logie die hier ebenfalls als eine Lehre von den Gees 
len der Weltkoͤrper dargeſtellt wird. Hiermit ſteht 
die Lehre von Dämonen in Verbindung „ welches 
4 unfichtbare Weſen find, die jedoch zuweilen ſichtbar 
werden koͤnnen. Gegen die Menſchen find fie fehr 
wohlwollend geſinnt, und machen die Mittelsperſo⸗ 
nen zwiſchen ihnen und den Goͤttern aus. Wer die 


Goͤtter, und die rechte Art und Weiſe fie zu verche 


| ren Are der iſt weiſe und gluͤcklich. Daher muͤſ⸗ 
kg ſen 


208 Er III. Caitel . 


ſen die Verwalter 25 Geſetze vorzüglich jene wir 


ſenſchaften ſich zu erwerben ſuchen. 


Ob Plato gleich mit vielem Scharffi inn man⸗ 


chen der aͤltern Fabeln von den Göttern einen phl⸗ 
loſophiſchen Sinn unterzulegen ſucht, ſo zeigt doch 
fein zweytes Buch von der Bepublik daß er 


ihnen nichts weniger als einen unbedingten Werth 
beßylegte. Hier behauptet er nämlich mit eben fo 
viel Eifer als Freimuͤthigkeit, daß alle unmorali⸗ 
ſche und unwuͤrdige Fabeln von den Göttern, ſelbſt 


manche Homeriſche und Heſiodeiſche in einem gu⸗ 
ten Staate nicht geduldet werden duͤrften, damit 
die Buͤrger nicht an denſelben ein böfes Beyſpiel 
nähmen, oder ſich die Vorſtellung machten, daß 
die Goͤtter, von denen ſolche Uugerechtigkeiten und 
Laſter erzählt werden, wohl ſelbſt den Ungerechten 


und Laſterhaften nicht abhold ſeyn duͤrften. Die 


Götter werden zugleich gegen die Beſchuldigung 
vertheidigt, welche ſich aus manchen Fabeln er⸗ 


giebt, daß ſie den Menſchen aus Bos heit und 
Leldenſchaften Boͤſes zufügen, und es wird bes 


hauptet „daß ſie nur den Boͤſen Strafen anferles 


gen zu ihrer Beſſerung, die ihnen 1 vielmehr 


nuͤßlich als ſchaͤdlich ſind. 


| Im ſechsten dieſer Buͤcher ſcheint Pute un⸗ 
ter dem Namen der Idee des Guten von dem 


höhe 


79 
9 


| maͤus als den Vater der Welt beſchreibt. Er 
ſagt daß die Kenntniß dieſes hoͤchſten Guts die 


| erſte und er habenſte Wiſſenſchaft ſey, und giebt zu 


erkennen, daß fie zu hoch für feine gegenwärtige 
Unterredung ſey. Er will daher nur von einem 
Abkömmlinge des hoͤchſten Guten ſprechen, welcher 
demſelben ahnlich iſt. Als ſolchen beſchreibt er den 
Sonnengott und ſchließt dieſe in ein ſymboljſches 
und myſtiſches Gewand gehuͤllte Betrachtung, mit 
den Worten: „die Sonne giebt den ſichtbaren Dins 
gen nicht allein die Sichtbarkeit, ſondern fie beför⸗ 
dert auch ihre Erzeugung, ihr Wachsthum und 
ihre Nahrung, ohne doch ſelbſt eine erzeugende 
Kraft zu ſeyn. — So erhalten auch die erkenn⸗ 

baren Gegenſtaͤnde von dem, Guten nicht allein ihre 


Erkennbarkeit, ſondern auch ihr Seyn und ihre 


Subſtanz, ohne daß doch das Gute ſelbſt eine 

Subſtanz fl. Es iſt vielmehr über alle Sub⸗ 

ſtanzialität an Wurde und Macht erhoben ) . 
Dos 


15 Es kann wohl ſeyn daß dieſe dunkeln Worte, die 
einen Lichtſtrahl aus der eſoteriſchen platonifchen 


Philoſophle (wenn es eine ſolche gegeben hat), zu 


. ſcheinen könnten, ſich nach jedem philo⸗ 
8 ſophi⸗ 


1 Duc III. ein, 209 | 
bochſten Weſen zu reden, welches er im Ki, 


— 


+ 


210 Bug III. Enviket 4. 


Das zehnte Buch enthält zubörderſt Myth N 


fig eine Erklärung, aus welcher etwas deutlicher 
erhellt, was Plato unter den Ideen dachte, welche 


er als Urbilder der wirklichen Dinge darſtellt. | 


Gott hat von jeder Art von Gegenſtaͤnden nur 
eine einzige Uridee erzeugt, welche dasjenige ent⸗ 
haͤlt was den einzelnen Gegenſtaͤnden dieſer Art 
gemeinſchaftlich iſt, z. B. nur eine Idee eines 


Menſchen. Hätte er zwey oder mehrere hervorge⸗ 


bracht, ſo waͤren ſie nicht Urideen geweſen, ſon⸗ 
dern haͤtten eine andre gemeinſchaftliche Uridee vor⸗ 


ausgeſetzt. Dies iſt vollig unverfiändlih, wenn 


man 


ſophiſchen Syſteme deuten laſſen; mir iſt indeſſen 


ihre Uebereinſtimmung mit Ideen der neuſten idealiſti⸗ 
ſchen Philoſophie vorzuͤglich auffallend geweſen. 


Ich ſetze ſie ſelbſt her, um die Richtigkeit meiner 
Ueberſetzung pruͤfen zu laſſen: rov Av Tas op- 
eve, E MOVOU of. 1 TE op ονοννντνt Te 
\ psxew On ανν Kal 12 yevaoıy au avänv nos 
TpoßyV’ 8 yEvsSıy avrov ovTro. rg 7 xx TOIG 
YIyUWaHoREVOIOG  TOWUy AN ovov 70 yıyvwansehas 
Davos uno re uyaJe mapsıraı AN A To Eva TE 
Ha TNY CRY e MUTOIG v -· 10 SG α 
oro Ts yasa, ad eri erene, rie Sciag 
peo He nos dv ν,H vmepexovroc. Plat. de 1 
I. VI. p. 687. F. ed, Francof. 1702 fol. 


= 


Sit III. us l. 1 


f 1 fh unter den Ideen etwas anders als auge 
ö meine Vorſtellungsarten denkt, und ſie als reale 


oder ſubſtanzielle, nicht aber als ideale nur in ei⸗ 


ner Intelligenz und für dieſelbe erte Gegen 
| ſtaͤnde betrachtet. 5 
Dann ſucht er die Unſterblichkeit der Seele 
daraus zu beweiſen, daß es kein Uebel für dle 
Seele giebt, en fie zerſtoͤrt werden könnte. 
Sie kann nemlich durch Untugend welche das eins 
zige Seelenuͤbel iſt „ zwar verderbt. aber nicht zer⸗ 
ſtoͤrt werden. Da nun alſo die Seelen im Tode 
dieſelben bleiben, welche fie zuvor waren, die Goͤt⸗ 
ter aber die Tugendhaften lieben, und die Laſter⸗ 
haften haſſen, ſo werden ſie nach dem Tode jene 
belohnen, dieſe beſtrafen. Die Art und Weiſe 
dieſer Vergeltung hüllt Plato hier in eine Fabel, 
welche mit den Ideen der griechiſchen Volksreligion | 


K viele Aehnlichkeit hat. Es erſcheint darinn eine 


. ungeheure Lichtſaͤule, welche als die Axe der 
ganzen Welt dargeſtellt wird. Es laͤßt ſich nicht 
mit Gewisheit behaupten, in wiefern Plato hier⸗ 
durch den hoͤchſten Gott habe bezeichnen wollen. 
| Wenn ihm dieſe Idee wirklich eigen war, ſo war 
fie ihm unſtreitig nur eine ſymboliſche Vorſtellung 
des hoͤchſten Weſens, als Urhebers der i 
der e Welt. 
9 2 Zu 


a | Buch Ill. Capitel 4. 


Zu den verhoͤltniſſen der Götter gegen 2 
die Menſchen und den Wirkungen, welche fe 
unter ihnen hervorbringen, gehoͤrt auch die Be⸗ 1 
geiſterung der Dichter, welche Plato im Jon 
den Sokrates einem epheſiſchen Rhapſoden einde⸗ 
monſtriren laßt, der ſich ſelbſt darüber wundert, | 
da ihm Sokrates zeigt, daß er ſelbſt mittelbar 
von den Göttern begeiſtert werde, wenn er ein ho⸗ 
meriſches Gedicht vortrage. Wie der Magnet ei⸗ 
nen eiſernen Ring anzieht, und dieſem die Kraft 
mittheilt andre anzuziehen, ſo daß daraus eine 
magnetiſche Kette entſteht, fo begeiftern die Goͤtter 
den Dichter, der Dichter den Rhapſoden, und der 
Rhapſode die Zuhörer. Die Beweiſe, daß dieſe 
Begeiſterung etwas auſſerordentliches und goͤttliches 
ſey, werden vorzuͤglich aus den auſſerordentlichen 
Ruͤhrungen zur Freude und beſonders zur Trau⸗ 
rigkeit und Thraͤnen hergeleitet, welche die Leſung 
und Anhörung der Dichter bey Zuhörern hervor⸗ 3 
bringt, die ſonſt keine aͤuſſere Urſache zur . 1 
oder Traurigkeit u. d. gl. haben. ei 

Daß Plato, fo wie Sokrates auch Träume, 
Vorbedeutungen und Orakel für göttlich gehal⸗ f 
ten habe, erhellt aus dem Phaͤdo und Crito, | 
und das letztere beſonders aus der Apologie des 4 
Sokrates. Daß die Sprache uͤberhaupt einen 


goͤtt⸗ ‘ 1 4 


Buch III. Enpitel. 213 


5 göttlichen Urſprung habe, ſcheint er jedoch nach 


dem Cratylus zu ſchließen, nicht angenommen 0 


5 haben. 


Einen ganzen Dialog, den zwepten Aleibia⸗ 
des widmet Plato der Lehre vom Gebet. Es 


wird dabey vorausgeſetzt, daß die Goͤtter dle Ge⸗ 


bete der Menſchen hoͤren und erhoͤren. Doch wird 
auch behauptet, und mit dem Beyſpiel des Oedi⸗ 
pus belegt, daß die Goͤtter den Menſchen zuwei⸗ 


len Bitten um Dinge gewaͤhren, die ihnen ſchaͤd⸗ N 


lich ſind. Daher wirb empfohlen, beym Gebet 


vorſichtig zu ſeyn, und es den Göttern ſelbſt zu 


uͤberlaſſen, was fie den Menſchen Gutes gewaͤh⸗ 
ren wollen. Zugleich wird erinnert, daß dle Goͤt⸗ 


ter nicht auf den Werth der ihnen dargebrachten 
Geſchenke, ſondern auf das Herz des Betenden 
ſehhen. 
Fruchtbarer vit als in ſeinen derelchen 
Ideen iſt Plato in praktiſchen Anwendungen 


von Rellgionsbegriffen. Die Goͤttlichkeit der menſch⸗ 


lichen Seele „welche er in mehrern feiner Dialogen 
behauptet, aus welcher er die Gruͤnde für ihre 


7 Fortdauer nach dem Tode zum Theil ableitet, und 


die er beſonders im erſten Alcibiades zum vor⸗ 


nehmſten Gegenſtande der Selbſtkenntniß macht, 


; a tom ſehr gute Gelegenheit die Lehren der Mo⸗ 


O 3 e 


214 Buch III. anne 


ral, au Religionsibeen anzuknuͤpfen. Die bon ihm 175 


behauptete Aehnlichkeit der Menſchen mit Gott iſt 
theils eine naturliche theils eine moraliſche. Die 
natürliche beſteht vorzüglich darinn, daß er die 


menſchlichen Seelen eben ſo wie die Götter als 


Principien einer unabhaͤngigen und urſprüͤnglichen 
Bewegung betrachtet; die moraliſche beſteht in den 
Anlagen zur Tugend, und wird erhoͤht var die 
Tugend ſelbſt. | 
rn St Den Büchern von den Gefegen trägt 
Plato vorzuͤglich ſeine Moral vor. Im vierten 
dieſer Bucher trägt er die Bewegungsgruͤnde 
vor f welche die Menſchen zur Geſeczlichkeit leiten 


ſollen, und die er zur Vorrede ſeiner Geſetze ge⸗ 


macht wiſſen will. Sie ſind von der Religion 
hergenommen. Die Götter belohnen die Guten, 
welche ihnen ahnlich find, und beſtrafen die Unge⸗ 
rechten und Zuͤgelloſen, die ihnen unaͤhnlich ſind. 


Daher ſollen die Menſchen die Goͤttern nachahmen 


und ſie verehren. 


Im fuͤnften Buche wird bee ver⸗ | 
trauen auf die Bottheit im Unglüd empfohlen. 
Der Tugendhafte wird von den Goͤttern nicht ver⸗ 


laſſen, ſeine Tugend bleibt nicht unbelohnt, daher 
muß er die Leiden geduldig, mit Hoffnung und 


Vertrauen daß er bald wieder gluͤcklich ſeyn werde, 


ertra⸗ 


— 


Buch III. Capitel 4. 215 
‚ertragen. Da er in dieſem Buche von der Ein⸗ | 
theilung des Staatseigenthums ſpricht, ſo ver⸗ 


15 ordnet er den Göttern einen anſehnlichen Theil 


deſſelben einzuraͤumen. 

Mit der Sorge des Staats für den Sfr 
fentlichen Gottesdienſt beſchaͤftigt ſich auch das 
ſiebente Buch, wo von religioͤſen Spielen, und 
das achte wo von Feſten und Opfern die Rede 
iſt. Das neunte Buch erklaͤrt die Verbrechen ges 
gen die Götter, beſonders den Tempelraub, für 
die ſchwerſten unter allen; das zehnte von dem 
wir ſchon vorhin geſprochen haben, empfiehlt Re⸗ 
ligtoſität unter den Staatsbuͤrgern auf alle Weiſe 
zu verbreiten. Das eilfte endlich empfiehlt die 
Verehrung der Eltern aus dem Grunde, weil es 
viele Beyſpiele gebe daß die Goͤtter die Verwuͤn⸗ 


ſchungen der Altern uͤber ihre Kinder int 


haͤtten. f 
Im Phaͤdo wird der Selbstmord als eine 
Verletzung der Pflichten gegen die Goͤtter vorge⸗ 
ſtellt, indem der Selbſtmoͤrder den Poſten vera 
laͤßt, welchen ihm die Götter angewieſen haben.) 
Im Sutyphro endlich handelt Plato die 
Lehre von der Heiligkeit und Gottesverehrung 
ausführlich ab. Ein undankbarer Sohn beruft 
ſi 1 in ane um ſich zu rechtfertigen auf das 
75 „ Bey⸗ 


216 Buch III. Capitel 4. 
Beyſpiel des Jupiter der nach der Fabel ſeinen 
Vater vom Throne ſtieß. Sokrates zeigt ihm 
das Unsernünftige dieſer Fabel aus richtigen Be⸗ 
griffen von der Heiligkeit der Goͤtter. Heilig iſt 
was den Göttern gefällt. Wenn nun den Goͤt⸗ 
tern bald das Gute und bald das Boͤſe gefiel, 
ſo wuͤrden ſie ſich ſelbſt widerſprechen. Sie koͤn⸗ 
nen alſo nichts als das Gute wollen, und zwar 
nur darum weil es gut iſt. Hierauf unterſucht er 
weiter, ob wohl das Gute und das Heilige Eins 
und daſſelbe ſeyp. Es wird beſtimmt, daß das 
Gute uberhaupt von weiterm Umfange ſey als 
das Heilige, und dieſes vorzüglich dasjenige ſey, 
was die Menſchen thun, indem ſie die Götter 
verehren. Dann kommt er weiter auf den Zweck 
der Gottesverehrung. Sie kann nicht ein Handel 
| zwiſchen Menſchen und Goͤttern ſeyn, da die Men⸗ 
ſchen den Goͤttern Geſchenke machen um wieder 
ſolche von ihnen zu erhalten, weil die Menſchen 
den Göttern Überhaupt nicht nuͤtzlich werden koͤn⸗ 
nen. Es werden durch dieſen Dialog einige un⸗ 
wuͤrdige Vorſtellungen von der Gottesberehrung 
aus dem Wege geraͤumt, ihre wahre Natur u 

ihr Zweck aber bleiben unbeſtimmt. 
Dies dürften die Hauptideen der glätenfien 
TRUE und zugleich die RUE derſelben 
ſeyn. 


’ * 


Buch III. Cavite Be 217 


been Ich wage es nicht fie in einen foftematie 
ſchen Zuſammenhang zu bringen, ſo leicht dieſes 


auch ſeyn möchte, weil es mir nicht einleuchtet, ob 


und in wiefern Plato überhaupt ein philoſophl⸗ 


ſches System gehabt habe, noch weniger aber, wie 
weit man es aus ſeinen Dialogen mit Zuverlaͤſſig⸗ 
keit ſchöͤpfen könne „). Nur 25 noch einige Be⸗ | 
merkungen darüber. 

Nato ſcheint der erſte unter den griechtſchen 
Philoſophen zu ſeyn, welcher, wenn nicht eine 
Religlon unter feinem Volke bereits vorhanden ge⸗ 


Pe weſen wäre, eine ſolche durch ſeine Pyhiloſopheme 


rer 


ES 


rr 
* 27 - 2 un 


— 


hervorgebracht haben wuͤrde. Da aber theils eine 


ir Volksreligion, theils einige Philoſopheme, welche 


mit Religfon in Verbindung ſtehen, ſchon vorhan⸗ 
den waren, ſo hatten dieſe großen Einfluß auf 


ſeine Religionsphiloſophie. s durfte ſich ſehr 
| en machen laſſen, daß dieſelbe ganz aus 


> 2 5 den 


ER 9 Ben prof. ee konnte bey ſelnet lm 


2 Bekanntſchaft mit Plato dabey zuverſichtlicher zu 
Werke gehn, daher ich diejenigen welche eine mehr 
foffematifche Darſtellung der platoniſchen Theolo⸗ 


„ N gie verlangen, an ihn verweiſen muß. Ich haͤtte 


1 ihn ganz zum Fuͤhrer waͤhlen koͤnnen, und wurde 
vielleicht beſſer gethan haben. Aber es macht mir 
mehr Vergnügen, wo es möglich iſt, aus den 
* Quellen ſelbſt zu ſchoͤpfen. 


218 Buch III. Capitel 4. 


den Lehren des Anaxagoras von einem weltbilden⸗ 
den Verſtande, und aus den Meinungen der Volks⸗ 3 


religion, beſonders nach der moraliſchen Ausbil⸗ 


dung welche ſie durch Sokrates erhalten hatte ent 


ſtanden ſey. Ph 90 on 
Das vorzüglihfte Verdienſt, welches ‚für 


Plato dabey übrig bleiben möchte, duͤrfte ſeyn, 


daß er die hoͤchſte Welturſache, welche Anaxago⸗ 


ras nur als ein verſtaͤndiges Weſen darſtellte, als | 
ein moraliſches und im hoͤchſten Grade gutes Wer | 


fen vorſtellte. Mit dieſer hoͤchſten Welturſache, 


dem Vater der Welt, welcher der Idee des höhe 


ſten Guten entſpricht, haben jedoch die Menſchen 4 


nach der platoniſchen Theologie wenig zu thun. 


Sie ſtehn blos in Verhaͤltniſſen mit den Untergoͤt⸗ f 


tern von welchen ſi e auch erſchaffen worden ſind, 


und im Grunde nicht einmal mit dieſen unmittel⸗ 
bar, ſondern mehr mit den Daͤmonen, welche die 


Mittelsperſonen zwiſchen ihnen und den Göttern 


ausmachen. Es war daher ſehr gut, daß Plato 


auch die Götter und Däntonen als vollkommene 


gute und moraliſche Weſen darſtellte, und alle „ | 


moraliſche Fabeln von ihnen verwarf. 1011 


Die Einheit Gottes wird daher von n Plato BI. 


keinesweges auf die Weiſe gelehrt, wie in den 


neuern chriſtlichen und philoſoptziſchen Syſtemen. 


er 


Buch III. Capitel 1055 219 


Er erkannte einen böchſten Gott, aber neben ihm 
auch viele andre Goͤtter. Dieſe waren aber fuͤr 


die Menſchen mehr Gegenſtaͤnde des Vertrauens 
und der Verehrung als der hoͤchſte Gott. Daher, 
ſobald von den Verhältniſſen der Gottheit und der 
Menſchen die Rede iſt, allemal von den Göttern 
nie von dem hoͤchſten Gotte geſprochen wird. Ei⸗ 


nige platoniſche Meinungen, welche mit der Theo⸗ 
logie im Zuſammenhange ſtehen, ſind zwar merk⸗ 


wuͤrdige Produkte des über religiöfe Gegenſtaͤnde 
philoſophirenden Verſtandes, aber doch im Grunde 
bloße Verirrungen deſſelben. Z. B. die Lehre 


von den Ideen, insbeſondre von dem Weltideal, 

und von der Weltſeele. Sie haben daher der 

Religions wiſſenſchaft keinen Gewinn gebracht, ihr 

aber doch auch im Grunde keinen Schaden zuge⸗ 
fuͤgt, man müßte denn die wunderlichen Meinun⸗ 
| gen über die platoniſche Dreyeinigkeit dahin rech! 
nen, welche ſie zum Theil veranlaßt haben, und 
die bier keine weitere Rückſicht verdienen. 


Es darf endlich auch nicht unbemerkt gelaffen 


. werden, daß durch Plato manche veligiöfe Vor⸗ 


urtheile, wenn auch nicht erzeugt, doch beguͤn⸗ | 


. ſtigt wurden. Hierher gehoͤren auſſer dem Glau⸗ 
5 sen an Träume, Vorbedeutungen und Orakel, der 


Glau⸗ 


RL ! : ee 4 
. NR SER 


220 Bu 1. Capitt 5. 


Glaube an die Begeiſterung der Dichter, an 150 
Wirkſamkeit des elterlichen Fluchs, und beſonders 
die Meinung, daß die Götter den Menſchen zus 


wellen Bitten erfüllen die ihnen nachtheilig 


ſind *). 


Fuͤnftes Capitel. 


F ur den noch groͤßern Schuͤler des großen Plato, 
für Ariſtoteles, war die Idee einer Gottheit, we⸗ 
der ein Beduͤrfniß des Herzens noch der Einbil⸗ 


dungskraft wie fuͤr ſeinen Lehrer. Er wich von 
ihm vorzuͤglich darinn ab, und erhob ſich auch 


wohl hauptſaͤchlich dadurch uͤber ihn, daß er allen 


Einfluß des Herzens und der Einbildungskraft 


auf die Philoſophie zu verbannen ſuchte, und ſie, 
was fie wohl tinmer ſeyn ſollte, zu einem Werke 
des reinen Verſtandes machte. Aber auch für 


den Verſtand iſt die Theologie ein Beduͤrfniß. 


Dieſe Wahrheit, welche man jetzt ſehr verken 1 
9 ſich in der e 7 Arſſtorles. | 


.*) Dies letzte Vorurtheil wertete Jeſus mit ile 


Weisheit. M. ſ. Luk. XI. 5. 13 und meine moral. 


Einleitung ins N. T. Thl. II. S. 53. 


* 8 
8 


* 


Bi In. Carittl „ 221 
‚im 5 nit wie Plat darauf aus, überall re⸗ 
ugtoſe Ideen zu finden, oder ſie anzuknuͤpfen, ‚und 


doch fand er ſie, und ſah ſich, ohne es zu ſuchen, 
genoͤthigt ihre Realität anzuerkennen. Das kleine 


Gebiet welches die Religionsphilofophie innerhalb 
des Syſtems des Ariſtoteles gewiſſermaaſen mit 
Gewalt behauptet, macht ihr daher unſtreitig mehr 
Ehre, als der große Einfluß, welchen ihn Plato 


freywillig zugeſteht, und ſelbſt mitunter aufdringt. 


Ariſtoteles fuͤhrte das Daſeyn und die Be⸗ 
ſchaffenheiten der Dinge auf die einfachſte und all⸗ 


gemeinſte Erſcheinung zuruͤck, welche wir in der 


Erfahrung wahrnehmen, auf Bewegung. Er 
nahm einen allgemeinen Zuſammenhang der Bes 
wegung durch das ganze Weltall an, welches er 
in ſeiner Phyſik als eine große Maſchine betrach⸗ 


tete, in welcher die einzelnen Triebraͤder immer 


durch allgemeinere in Bewegung geſetzt werden. 


\ Die größten Maſſen der Bewegung enthalten die 


Veweguugen der Himmelskörper. Dieſe waren 
ihm die allgemeineren Triebräder, und die aͤuſſerſte 


7 Sphäre des Himmels das oberſte und allgemeinſte 


unter ihnen allen. Er nahm dieſe Bewegung, 


und folglich die Welt uͤberhaupt, fuͤr ewig an. 
Er dachte ſich alſo eine Reihe von Bewegungen, 
von denen immer eine die Urſache der andern 


war. 


* 


8 


22 Buch III. Eaptter 5. 
war. Die letzte und äufferfte aber Aal & Ur 


fache geweſen. Daher nahm er als ſolche einen 
oberſten Beweger an „ der ſelbſt unbeweglich 


waͤre. w 
Als phyſiſche Urſache betrachtet, it der 
oberſte Beweger einzig, ewig, wie die Bewegung 


ſelbſt, einfach und unkoͤrperlich, und von unend⸗ 


lichem Einfluffe auf das Ganze, was durch ihn 
in Bewegung geſeßt wird. Der Begriff deſſelben 


duͤrfte wohl als der eines reinen Handelns zu con⸗ 
ſtruiren ſeyn. In, feiner Phyſik wo Ariſtoteles 


die erſte Urſache der Bewegung nur im allgemei⸗ 
nen betrachtet, braucht er von ihr den Namen 


Gott nicht. In einer andern Stelle aber, wo er 
fie in einem beſtimmten Verhältniffe zu der Welt 
als Erzeuger der in derſelben vorhandenen Dinge 
betrachtet, nennt er fie Gott, und ſchreibt ihr zus 


gleich die allgemeine Bewegung zu *). 


Man hat oft behauptet, Ariſtoteles habe den | 


Himmel. überhaupt oder insbeſondre die äufferfte 


Sphäre des Himmels unter der Gottheit verſtan⸗ | 


den. Allein ohngeachtet die aͤuſſerſte Himmels⸗ 


ſphaͤre die Urſache der Bewegung der übrigen 5 
Welt iſt, ſo unterſcheidet er doch davon auch eine 


hoͤhere Urſache, wodurch dieſe bewegt wird, und 


die 


*) De gener. et corrupt. II. 10. 


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16 6 Buch Ul. Covitel N. I 223 
die er ben erſten unbeweglichen Beweger nennt (ro 


| mpurov Aue anivyrov *). 


Auch hat man den Gott des Ariſtoteles eine 


. Weltſeele genannt. Allein dies iſt er eben des⸗ 
wegen nicht, denn eine Seele iſt nach dem Be⸗ 
griff des Ariſtoteles ein Weſen, welches ſich ſelbſt 


bewegt; der Gott des e aber iſt unbe⸗ 
weglich. 1 

Da Ariſtoteles nichts Erperüiges und mate⸗ 
rielles als den erſten Beweger annehmen konnte, 


ſo blieb ihm wie dem Anaxagoras nichts uͤbrig, 


als einen Verſtand dafuͤr anzunehmen, und den 
erſten Weltbeweger als ein vernuͤnftiges Weſen zu 
betrachten *). Die Wirkſamkeit Gottes beſteht 


. in ewiger Erhaltung der ewigen Bewegung. Wie 


er ſie aber erhalte bleibt unerklaͤrt. In Ruͤckſicht 


auf ſich ſelbſt aͤuſſert Gott gar keine Wirkſamkeit, 
weil er nichts bedarf. Es bleibt fuͤr ihn keine 


V Phyf. Aufe. VIII, 6, 
0 Phyt. VIII. 5. 


Thaͤtigkeit übrig, als eine anſchauende (Fewpyrm). 
Fraͤgt man aber was die Gottheit anſchaue, ſo 
giebt Ariſtoteles keine befriedigende Antwort dar⸗ 
auf. Er zeigt daß Gott ſich weder mit der Be⸗ 


trachtung der Welt beſchaͤftigen koͤnne, weil dieſe 
föleäter iſt als er ſelbſt, noch mit der Betrach⸗ 


tung 


\ 


224 Buch iI. wit a 3 
tung feiner ſelbſt, weil wir es ſelbſt bey einem 
Menſchen für unſchicklich halten, ſich mit Be 
trachtung ſeiner ſelbſt zu beſchaͤftigen. Was Gott 
aber kezudten⸗ läßt Ariſtoteles uns zu haben 
übrig ). - 
| Ariſtoteles betrachtete Gott lg BR die 15 
erſte Urſache, und den hoͤchſten Sweck des 
Ganzen. Cauſal⸗ und Finalzuſammenhang brach⸗ 
ten daher nach ihm die Reihe der Dinge in einen 
in ſich ſelbſt zuruͤckkehrenden Zirkel. Der Unter⸗ 
ſchied welchen wir zwiſchen Natur und Gott ma⸗ 
chen, fand daher bey ihm nicht „ ſondern 
Natur und Gott waren ihm daſſelbe, wie ſie es 
im Grunde in jedem conſequenten philoſophiſchen 
Syſteme ſeyn muͤßten. Gott wird daher auch 
von ihm das hoͤchſte Gut genannt, welches wohl 
nichts anders ausdruͤcken ſoll, als daß er unter 
allen Dingen den hoͤchſten Werth habe, und im 
Beſitz desjenigen ſey, wornach alle andre Weſen 
ſtreben ). Es wird ihm daher auch die hoͤchſte 2 
Seeligkeit beygelegt, fo langweilig auch fein Zus 
ſtand nach den bisher angefuͤhrten Ideen zu ſeyn 
ſcheint. Die Seeligkeit Gottes charakteriſirt Ari⸗ 
Wee 1 als Seifgenungfamtet, und er⸗ 
| laͤutert 


*) Magn. Moral. II. 15. 
r) De coel, II. 12. 


e 
LTR N BR - 
. * u * 


1 1 Ruh IM, Capitel „ 235 


ite . noch mehr dadurch Ne er zeigt, 0 


1 Die Gottheit bedürfe keines Freundes 59). 


Da die Pa, a dem Ariſtoteles nichts an⸗ 
n nach demjenigen Zuſtande iſt, 


10 ER als ein Str 
in welchem ſi ſich die Gottheit befindet, ſo folgt noth⸗ 
wendig daraus, daß ſie derſelben nicht bedarf, und 

uͤber ſie erhaben iſt. Er zeigt dieſes auch in Be⸗ 

ziehung auf einzelne Tugenden. „Die vollkommne 

Seeligkeit, ſagt er ) iſt eine anſchauende Wirk⸗ 

ſamkeit; das erhellt auch daraus, daß wir die 

Soͤtter für die ſeligſten Weſen halten. Denn was 

ſollen wir ihnen fuͤr Handlungen zuſchreiben? Ge⸗ 


rechte? Aber fie würden lächerlich erſcheinen, wenn 


man ſich daͤchte, daß fie untereinander Verträge 
beobachten, Depoſita herausgeben und dergleichen. 
Tapfere? Aber dann muͤßten ſie ja um der Ehre 


willen Furcht und Gefahren dulden! Wohlthaͤtige? 


Aber wem ſollen ſie Geſchenke machen? Auch 
ware es abgeſchmackt Geld oder etwas dergleichen 
bey ihnen anzunehmen. Handlungen der Maͤßi⸗ 


gung? Aber dieſes Lob waͤre eine Laͤſterung, weil 


die Goͤtter keine unedlen Begierden haben. Man 
| mag alſo alle Arten von Handlungen betrachten, 

„„ ſo 
) Ethic. Eud. VII. 12. 
0 **, Ethic. Nicom. X, 8. 


8 


A PP K * 4 x 2 1 7 * N N 


226 Buch III. Capitel z. 
ſo werden ſie zu gering, und der Götter. unwür⸗ ur 
dig erſcheinen. Gleichwohl nimmt man allgemein 
an, daß ſie leben und thaͤtig ſind, und nicht ſchla⸗ 
fen, wie Endymion. Wenn man aber einem le⸗ 
benden Weſen das Handeln abſpricht, was bleibt 
ihm uͤbrig als eine anſchauende Thaͤtigkeit? Die 
göttliche Wirkſamkeit, welche ſich von der gewoͤhn⸗ 
lichen Gluͤckſeligkeit unterſcheidet, kann alſo nur in 
Spekulation beſtehen!. Hieraus zieht der Philos 
ſoph weiter die Folge, welche wir vorzuͤglich bes- 
merken wollen, da fie die einzige praktiſche Fol- 
gerung ſeyn dürfte, welche er aus feinen theolo⸗ 
giſchen Begriffen hernimmt: Unter den menſch⸗ | 
lichen Handlungen iſt daher diejenige, welche dieſer f 
| 


1 


am ähnlichften iſt, die beſeeligendſte. Dies erhellt 
auch daraus, weil bey den uͤbrigen Thieren, denen 8 
keine Gluͤckſeligkeit zukommt, dieſe Art von Thaͤ⸗ 
tigkeit nicht ſtatt findet. Das goͤttliche Leben iſt 
durchgängig gluͤcklich, das menſchliche nur in ſofern 
es jener Art zu exiſtiren aͤhnlich iſt. Den Thie⸗ 
ren kommt keine Glüͤckſeeligkeit zu, weil keine 
Spekulation bey ihnen ſtatt findet. So weit ſich 4 
die Spekulation erſtreckt, fo weit geht auch die 
Gluͤckſeeligkeit. Je mehr ein Weſen ſpekulirt def 
glückfeeliger iſt es, und zwar nicht durch ihre Re⸗ ; 
fultate, ſondern durch die, Spefulation ſelbſt. 4 
Denn 


\ 


1 


Buch III. Capttl z. 5. 227 

5 a fie er hat einen abſoluten Werth, ſo bei; bie 
1 Seeligkeit ſelbſt Spekulation iſt“. 
3 Aus dieſer Stelle erhellt deutlicher was 
3 Ariſtoteles ſich unter der goͤttlichen Seeligkeit durch 
Spekulation dachte. Sein Geiſt der ſich unauf⸗ 
hoͤrlich mit den erhabenſten und ſcharfſinnigſten 
Spekulationen beſchaͤftigte, fuͤhlte ſich durch nichts 
gluͤckſeeliger als durch eben dieſe Spekulation. Dies 

trug er auf das hoͤchſte Weſen uͤber, und ohnge⸗ 
achtet er glaubte, daß dieſes weder ſich ſelbſt noch 
die Welt zum Gegenſtande feiner Spekulation ma⸗ 
chen koͤnne, ſo ließ es ſich doch denken daß fuͤr 
den hoͤchſten Geiſt auch auſſerdem noch Gegenſtaͤnde 
dr Spekulation ſtatt finden konnten. a 
Ariſtoteles hielt, wie aus eben dieſer Stelle 
erhellt, das ſpekulative Leben fuͤr das wuͤrdigſte 
5 und gluͤcklichſte für den Menſchen. Doch wollte er 
nicht daß es in muͤſſigen Spekulationen beſtehen 


ſeollte, ſondern die Handlungen des Menſchen fol 


len mit feinen Spekulationen uͤbereinſtimmen, und 
SR ihre Nichtigkeit und ihren Werth bewähren. Dies 
% fagt ı er gleich im folgenden Capitel, deſſen Schluß 
fuͤr uns in mehrerer Ruͤckſicht merkwuͤrdig iſt. 
Nachdem er gezeigt hat, daß der Weiſe auch ohne 
0 große Macht und Reichthuͤmer glückfeelig ſeyn koͤnne, 
und dieſe Behauptung durch Zeugniſſe andrer Phi 
ie f 9 3 55 | Io dx 


28 Buhl. Capitel s. 


loſophen beſtätigt hat, ſetzt er hinzu. 57 „Dieſe 
(Zeugniſſe) dienen hierbey allerdings auch zur Ue⸗ 


berzeugung. Bey praktiſchen Gegenſtaͤnden aber 
wird die Wahrheit aus dem Leben und den s and⸗ 


lungen erkannt. Denn dieſe find das vornehmſte. | 


Das vorhin geſagte muß daher auf Handlungen 
und Leben bezogen und gebilligt werden, wenn es 
damit uͤbereinſtimmt. Stimmt es aber nicht da⸗ 
mit überein, fo iſt es für leeres Wortgepraͤnge zu 


r 
3 ih & 
g 1 


* c nn = * pr ve 1 


halten. Wer alſo nach ſeiner Vernunft handelt, — 
wer ſie auszubilden ſucht, und in die beſte Ver⸗ 


faſſung geſetzt hat, der iſt der gottgefaͤlligſte, denn 
wenn die Goͤtter ſich um menſchliche Dinge befüms 
mern, wie es ſcheint daß fie es thun, fo dürfte 


es vernuͤnftig ſeyn, anzunehmen, daß ſie an dem⸗ 
jenigen, was das Beſte und» ihnen ſelbſt Aehn⸗ 
lichſte iſt, am meiſten Wohlgefallen haben, das 
iſt aber die Vernunft; daß ſie alſo diejenigen 


welche dieſelbe lieben und ſchaͤtzen, als ſolche be⸗ 
lohnen, die Etwas das ihnen theuer iſt befördern, 


und recht und gut handeln. Daß aber dieſes 94 
vorzuͤglich bey den Weiſen ſtatt findet, iſt leicht 
einzuſehen. Er iſt alſo den Goͤttern am wohlge⸗ 1 
fälligften, und dürfte daher auch wohl der glückfees 7 


ligſte ſeyhn. So waͤre der Weiſe auch von dieſer 
Seite der begluͤckteſte. 


7 Diefe 1 


a, 


Buch III. Capitel 5. 229 
m Dieſe Stellen des Ariſtoteles, welche in Ruͤck⸗ 
bit auf feine geſammte Theologie merkwürdig 
find, "bedürfen weiter keiner Erläuterung in Ab⸗ 
ſicht auf ihren Inhalt. Sie zeigen deutlich wie 
weit ſich der Elnfluß theologiſcher Ideen auf die 


praktiſche Philoſophie des Ariſtoteles erſtreckte und 


was er von der göttlichen Vorſorge für die Men⸗ 


ſchen hielt. Eine allgemeine Vorſehung, ein großer 
Weltplan, welcher durch die ganze Maſſe der Be⸗ 
5 wegung, welche von Gott aufgeregt wird, voll⸗ 
ſtireckt und auf Gott ſelbſt als ſeinem lezten Ends 


zweck zuruͤckgefuͤhrt wird, folgt aus den obigen 
allgemeinen Behauptungen des Ariſtoteles. Aber 
eine ſpeclelle Vorſehung welche den Menſchen als 


Selbſtzweck behandelt, laͤßt ſich ungleich ſchwerer 
daraus ableiten. Ariſtoteles ſcheint fie daher nur 
9 eine wahrſcheinliche Behauptung gelten zu laſ⸗ 


ſen „ um zu zeigen, daß wenn fie ſtatt faͤnde, 
auch dann der Weiſe am gluͤckſeeligſten ſeyn würde, 

Ariſtoteles ſpricht in dieſen Stellen von Goͤt⸗ 
tern, nicht aus ſchlieſſend von einem einzigen und hoͤch⸗ 
fen Gott. Er legt ihnen jedoch in der erſten derſel⸗ 
ben Selbſtgenungſamkeit bey, welche er anderwaͤrts 
dem hoͤchſten Weſen zuſchreibt. Was er alſo hier 


von Göttern überhaupt fagt, kann auch von dem 


I 


er Gott verſtanden werden. Ich wage es 
| ? 3 nicht 


230 Bouch III. Capitel EG 


nicht zu entſcheiden, ob er, wenn er von mehrern 


Goͤttern hier und in andern Stellen ſpricht, ſich 


blos zu der Volksmeinung herabgelaſſen, u 


lich mehrere Untergötter neben dem höchſten 


angenommen habe. Das letztere iſt mir 4 
wahrſcheinlich, da Plato und andre Philoſophen 
den Begriff eines hoͤchſten Gottes mit dem von an⸗ 
dern Goͤttern zu vereinigen wußte, und Ariſtote⸗ 
les den Geſtirnen und untern Sphaͤren Seelen bey⸗ 


legt, wiewohl er ſie deutlich von dem hoͤchſten Gott 


unterſcheidet ). Was hinderte ihn, fie auch Goͤt⸗ b 
ter zu nennen, da der Begriff der Goͤttlichkeit uͤber⸗ 
haupt von ihm nirgends feſtgeſetzt, wenigſtens 
nicht fo beſtimmt wird, daß er nur ausſchlieſſend 
einem einzigen und hoͤchſten Weſen augetheilt wer⸗ 


den koͤnne? 


Je mehr ſich Plato in ſeinen Büchern von 550 5 


Republik mit Religionsangelegenheiten befchäftigt, 
deſto weniger thut es Ariſtoteles. Nur einmal ge⸗ 


denkt er behlaͤufig der Verehrung der Götter, und 
verordnet, daß wuͤrdigen und angeſehnen und vor⸗ 
züglih alten Männern, welche eine ehrenvolle Ruhe 2 


von Ihren ER, verbient en das 
Prie⸗ 


) De coelo II. 12. 


Buch III. Capitel 3g. 23 
| Prieſterthum zu ertheilen ſey ). Dabey ſuchte er 
die öffentliche Religion z u manchen andern nützlichen 
BEN P Zbwe⸗ 
2 De republ VII. 9. Tro yap ruav ro, be- 
mei Tu D TY den — mperei de 727 Jepæ- 
e¹E 5 6050 eic Jseg. Uebrigens vergleiche 
man über die Theologie des Ariſtoteles Herrn Prof. 
Vaters Theologiae Ariſtoteleae vindicias Lipf, 
12795 und vornemlich des beruͤhmten und verdlenſt⸗ 
vollen Herausgebers des Ariſtoteles, Lehrbuch der 
Geeſchichte der Philoſophie Th. 2. Kein Theil der 
Geeſchichte der Religions philoſophie hat wohl mehr 
Schwierigkeiten als die Theologie des Ariſtoteles. 
Ich fühle ſehr wohl, daß ich nicht im Stande gewe— 
ſen bin alle Dunkelheiten derſelben aufzuhellen, und 
ihre ſcheinbaren Widerſprüche entweder zu' heben, 
oder die wirklichen als ſolche zu zeigen. Es kommt 
hierbey ſehr viel daranf an, daß uͤber die Aechtheit 
oder Unaͤchtheit des vierzehnten Buchs der Me⸗ 
taphyſik entſchieden wird. Wenn es keine andern 
Gründe für die Unaͤchtheit deſſelben giebt als einige 
Widerſprüche gegen andere Behauptungen des Ari⸗ 
ſtoteles, welche Buhlens Lehrbuch IT 545 anführe, ſo 
dürften ſich dieſelben wohl noch heben laſſen. Wenn 
aber auch die Unächtheit deſſelben erwieſen waͤre, ſo 
entſtünde eine neue Frage über feinen Werth, da 
es, wenn nicht den Ariſtoteles ſelbſt, doch gewiß 
einen Mann zum Verfaſſer hat, der mit der Philos 
ſophle des Ariſtoteles ſehr vertraut war. Ich habe 
um dieſer Zweifel willen keinen Gebrauch davon ma⸗ 
908 wollen. 


— 5 ) 


* 


Pr 7 


232 Buch III. Capitel J. 
Zwecken im Staate zu benutzen. So ſollten z. B. 
die Guͤter der Staatsverbrecher zum Beſten der 
Religionsäbung confiſcirt werden, um zu verhuͤten, 
daß der Staat nicht ungerecht gegen ſie zu verfah⸗ 

i ren verleitet wuͤrde, wenn ſie zu ſeinem eignen Be⸗ 
fien eingezogen wuͤrdenn Schwangere Weiber ſoll⸗ 
ten um ſich | Bewegung zu machen, täglich zum 
Tempel der Geburtsgoͤttinnen gehen, und daſelbſt 
beten. — Den Monarchen giebt er den Rath, 
ſich durch Religioſitaͤt Anſehn vom; Volke zu er⸗ 
werben. 


Die Dunkelheit und Uubeftamthet des Ari⸗ 
ſtoteles in ſeinen theologiſchen Ideen, war die Ur⸗ 
ſache warum er ſowohl als ſein Schuͤler Theo⸗ 
phraſt von Vellejus beym Cicero *) der Incon⸗ 
ſequenz und Unbeſtaͤndigkeit in theologiſchen Mei⸗ 
nungen beſchuldigt werden konnten. Vielleicht kam 
es eben daher, daß ſein Schuͤler Heraklides 
Pontikus ſo weit herabſinken konnte, daß er ſich 
ſelbſt fuͤr einen Gott gehalten wiſſen wollte, und 

dieſes durch einen Verſuch, welcher einen lacher⸗ | 
lichen Ausgang hatte, zu beflätigen ſuchte e). | 

Eben daher konnte auch einer feiner Nach⸗ 
folger Strato von Lampſakus den hoͤchſten 1 

| 20 bes 


r * 


— 


5) Cie. de nat. Deor. I. 13. 
) Diogenes Laert. V. 89. 90. 


5 


Buch III. Capitel 5. 233 
des Ariſtoteles ſelbſt uͤberfluͤſſig finden, und ver⸗ 
ſuchen das Daſeyn aller Dinge und ihre Beſchaf⸗ 
fenheit aus phyſiſchen Urſachen, und den für note 
wendig angenommenen Eigenſchaften der Dinge zu 
erklären. Daß er deswegen für einen Atheiſten 
zu halten ſey, laͤßt ſich nicht zuverlaͤſſig behaupten. 
Denn er konnte bey dieſen Meinungen immer noch 
5 Untergötter annehmen, oder den Glauben der 
Volksreligion damit verbinden. Unwahrſcheinlicher 
iſt es daß er ein Pantheiſt geweſen ſeyn fene 
wofuͤr ihn einige gehalten haben ). 


* Buhle de ortu et progreſſu Pantheiſmi in Com- 
ment. Soc. Sc. Gotting. T. X. Plattners phil. ö 
ee N‘ I. H. 923. Anmerk. | 


P 5 Slcedstes 


5 


234 Buch III. Capitel 6. 


Sechstes Capitel. 


Neben Plat und Ariſtoteles wird Epikur ber 
quem einen Platz finden, weil er das Unzureichende | 
der Gründe aufdeckte, auf welche ſich die Reli⸗ 
glonsmeinungen dieſer Philoſophen ſtuͤtzten und das 
durch veranlaßte, daß man fie in der Folge zu 
verbeſſern ſuchte. Seine eigene Religions philoſo⸗ 
phie iſt zwar im Ganzen weit unvollkommner, ent⸗ 1 
hält aber doch Keime von Wahrheiten, welche in 


ihrer vollkommnen Geſtalt zu ihren wichtigſten | 
Gründen gehören, und feßt ſich einigen aberglaͤu . 
biſchen Meinungen entgegen, welche von jenen Phi⸗ 
loſophen beguͤnſtigt worden waren. 

Epikur verwarf die Teleologie der So⸗ 
kratiker und Platoniker, welche einerſeits zu uns 
vollſtaͤndig war, und auf die man anderſeits zu 
viel gebaut hatte. Er behauptete daß es nicht 3 4 
nothwendig ſey anzunehmen, daß die Dinge welche | 
zu gewiſſen Zwecken dienen, gerade um dieſer 
Zwecke willen gemacht ſind, daß z. B. das Auge 
zum Sehen, das Ohr zum Hören gemacht ſen. 
Er glaubte daß dieſe Eigenſchaften der Dinge 
durch Zufall entſtanden, und dann erſt, da ſie ein⸗ 

mal 


7 „ 


| Buch Il. . Capitel 6. N 
sek: ihre Beſchaffenheit erhalten hätten, auf ge 
| wiſſe Zwecke bezogen, und ſie zu erreichen ange⸗ 
wendet worden ſeyn koͤnnten. So ungeheuer dieſe 
f Voraus ſetzung iſt, ſo war ſie doch weder neu 
noch eines Philoſophen unwuͤrdig. Schon Ems 
pedokles hatte fie, wie wir gefehen haben, ges 
| macht, und mit vielem Aufwande von Einbildungs⸗ 
kraft annehmlich darzuſtellen geſucht. Sie zeugt 
von einer ſehr weitgehenden Abſtraktion, ohne welche 
keine, irgend bedeutende Philofophte möglich iſt. 
Aber fie iſt unvollendet wenn man dabey bey der 
55 Wirkſamkeit des bloßen Zufalls ſtehen bleibt. 

Geſetzt es waͤre moͤglich, daß der Zufall die klein⸗ 


*** 


ſten Theile in einen gewiſſen Zuſammenhang brin⸗ 


gen koͤnnte, iu welchen fie beſtehen koͤnnten, nach⸗ 
dem unzählbare andere Verſuche ihrer Zuſammen⸗ 
feßung vergeblich geweſen wären, fo müßte es eln 
Geſetz geben, wodurch beſtimmt wuͤrde, unter wel⸗ 


155 chen Bedingungen ein Zuſammenhang der Dinge 


überhaupt ſtatt finden koͤnnte. Dieſes Geſetz würde 
denn eigentlich als Weltregierer zu betrachten ſeyn, 
und eine neue Unterſuchung über den Urheber deſ⸗ 
ſelben veranlaſſen. Erſt mit dieſer Unterſuchung 
wuͤrde der Gang geendigt, und zu befriedigenden 


1655 Reſultaten gefuͤhrt werden, welchen die philoſophi⸗ 
0 rende Vernunft des Spitar eingeſchlagen iſt. Ue⸗ 


f bein 


236 Buch III. Capitel 6. 


brigens war dieſe Einwendung im Grunde dieſelbe 
welche Kant gegen die dogmatlſchen Behauptungen, 


von einer objektiven und auf Erfahrung gegründe⸗ 


ten Teleologie gemacht hat, nur daß Epikur die 
Teleologie ganz umzuſtuͤrzen, und ihr andre dog⸗ 
2 Meinungen entgegen zu feßen ſuchte, Kant 
ſie hingegen in ihre ſubjektiven Schranken zuruͤck⸗ 
wieß, innerhalb welcher ſie das Ziel erreichen kann, 


zu welchem er ſie freilich noch nicht gefuͤhrt hat. 


Dabey ſuchte Epikur vorzuͤglich die Meinun⸗ 
gen zu widerlegen, welche Plato und Sokrates von | 
der Beſchaffenheit der Naturzwecke behauptet hatte, 
und nach welchen ſie das Wohl der Menſchen 
durchgaͤngig beabſichtigen ſollten, indem er die vie⸗ 
len Uebel, welche die Menſchen treffen als Gegen⸗ 
beweis anfuͤhrte. Dieſen Beweiſen haben die Ver⸗ 


theidiger einer wohlthaͤtigen Einrichtung der Na⸗ 


tur fo lange auf mannigfaltige Weiſe auszuweichen 


geſucht, bis man erkannt hat, daß die mohlthätigen 


Zwecke der Natur ſich nicht durch Erfahrung be⸗ 
weiſen, und ihre Zwecke überhaupt fi) aus ders 
ſelben nicht erkennen laſſen, ſondern nach Ver⸗ 


nunftideen beurtheilt werden muͤſſen. 


Gegen die Theologie des Ariſtoteles gilt vor⸗ 
zuͤglich die Einwendung, daß ſich gar kein Grund 


elnſegen laßt, warum die Gottheit fi mit Bes 
115 we⸗ 


N RE u nee N 
RN 14 ee 5 
. 


— 


Buch III. wit 65 ah. 


wegung der Welt beſchaͤftigen follte, Wenn ſie 
ſi ch ſelbſt genung, wenn ſie uͤber die Welt ſo weit 


erhaben iſt, daß fie dieſelbe nicht einmal ihrer Be⸗ 


- 1 trachtung wuͤrdigt, warum wendet ſie eine ſo un⸗ 
geheure Kraft an, fie in ewiger Bewegung zu er⸗ 
halten? Epikur macht dieſen Grund gegen alle die⸗ 


jenigen geltend, welche eine ſchaffende oder bildende 
Einwirkung der Gottheit auf die Welt annehmen. 
Er fragt nach dem Grunde welchen die Gottheit 


| bewogen haben ſollte, eine Weit zu ſchaffen, ſie 
in Bewegung zu feßen, oder aus einem rohen 


Urſtoffe zu bilden; Die Antwort welche Plato hier⸗ 


auf gab: die Güte Gottes habe ihn dazu bewo⸗ 


gen, war bey ihm nicht angewendet, da er bie 


Welt nicht für einen Beweis der goͤttlichen Güte 
anſehn wollte. Ariſtoteles hatte ſchon alle Thaͤ⸗ 
tigkeit von der Gottheit ausgeſchloſſen, auſſer der 
| contemplaliven „weil fie, um das hoͤchſte Gut zu 


erreichen, derſelben nicht beduͤrfe. Epikur gieng 
noch weiter, und behauptete ſogar daß die Seeltg · 
keit der Gottheit, durch eine ſo große Arbeit, wie 


geſtoͤrt werden muͤßte. Er glaubte alſo vielmehr 
Gründe ‚gefunden zu haben, warum eine hoͤchſte 


Gottheit, wenn eine waͤre, die Welt nicht wuͤrde 


ehe haben, als ſolche, vermöͤge welcher ſie es 


haͤtte 


die Welterſchaffung und Erhaltung, nothwendig 


238 Buch III. Eapitel . | 
hätte thun ſollen; und betrachtete alſo die Melt 


mehr als einen Gegenbeweis gegen das Daſeyn 


einer Gottheit, als wie einen Beweis für daſſelbe. 
Ein richtigerer Begriff von der moraliſchen Natur 
der Gottheit zerſtoͤrt leicht dieſe Sophiſtereyen, aber 
ein ſolcher war zu ſeiner Zeit er b vor- 
handen. 
Noch ungleich ſchwaͤcher iſt der Grund, wel⸗ > 
chen Epikur hiermit verband, daß nemlid das N 
Univerſum zu groß ſey, als daß es von einer ein 
zigen Gottheit gebildet ſeyn, und durch dieſelbe re⸗ 
giert werden koͤnnte. Ein ſonderbarer Widerſpruch 
zeigt ſich hier beym Epikur in Anſehung der An⸗ 
wendung ſeiner Denkkraft. Dem Manne der den 
ungeheuren aber ausſchweiſenden Gedanken einer 
Weltbildung durch Zufall faſſen konnte, ſchien die 
ungleich regeimaͤßigere Idee einer Alles bildenden 
und regierenden Gottheit zu ungeheuer zu ſeyn! 
Demohngeachtet hatte Epikur Religionsideen 
mit ſeinem philoſophiſchen Syſteme verbunden, 
und zwar nicht ſo ganz inconſequent, wie man oft 
von ihm behauptet hat. Er nahm das Daſeyn 
goͤttlicher Weſen aus dem Grunde an, weil 
der Glaube an dieſelben unter allen Voͤlkern und 
Menſchen verbreitet iſt. Dies war ein Grund, 
deſſen ſich Sokrates bedient und den ſelbſt Ariſtote⸗ 
les 


AAN RONALD ANDERE 1 Wee 


a uch III. Capitet 6. 239 
les nicht ganz unbedeutend gefunden hatte Aber 
keiner von ihnen hatte den Werth deſſelben philoſo⸗ 
phiſch beſtimmt, oder ihn aus hoͤhern Gründen abs 
geleitet. Dies that Epikur. Er behauptete die 
Menſchen glaubten deswegen allgemein an Goͤtter, 


weil ſi fie einen Begriff a priori (FpoAyYw) von 


denſelben haͤtten. Die Sinne aber, die Begriffe 
a priori und die Empfindung ſah Epikur fuͤr die 
Quellen der Wahrheit, und die Evidenz (evapysız) Ä 
für ihr Kriterium an *). In diefem Beweiſe für. 

5 das 


a | * Diog. Laert, X. 20. Ev rowev rw zavovı Ae o 
Erimepos up Ty5 oAyIsing wm Tag e, 
nat rag mpoAmyas na ve ra. Die po ur 
erklärt Diogenes im folgenden Cap. durch Mun re 
o, eEmIev Pavsvros. Dies wären alſo, wie 
auch aus der weitern Erlaͤuterung erhellt, Begriffe 
a priori im relativen Sinne, d. h. Begriffe, die 
wir uns durch ſchon gehabte Erfahrungen gebildet 
haͤtten, und die wir nun nur in Beziehung auf eine 
neue Erfahrung Begriffe a priori nennen koͤnnten. 
In dieſem Sinne würde es ganz widerſinnig ſeyn, 
zu behaupten, daß die Menſchen von den Göttern 
eine mpoApıv oder Begriffe a priori hätten, Denn 
wie ſollten fie ſich dieſelben durch Erfahrung ers’ 

waorben haben? Cicero erflärt daher die 2e 
In dieſer Ruͤckſicht unſtreitig weit richtiger, wenn er 

„ | fie- 


240 Buch III. Capitel 6. 


das Daſeyn der Goͤtter liegt der erſte Keim M 
einem ſubjektiven Beweiſe fuͤr das Daſeyn Gottes 
überhaupt, und er macht daher dem Scharffinn 
und dem philoſophiſchen Blick des Epikur unſtrei⸗ 
tig mehr Ehre, als man ihm bisher dafuͤr hat 
widerfahren laſſen. Er war freilich auf einen ſehr 
ſchwachen Grund gebaut, da ihn Epikur nicht auf 
eine Analyfe der menſchlichen Natur, fondern auf 
die Erfahrung von einem allgemeinen Glauben der 
Menſchen gruͤndete; indeſſen wird er doch dadurch 
nicht geradezu umgeſtoßen, wenn man ihm, wie die 
Alten thaten, einzelne Atheiſten, oder wie die Neuern 
thun koͤnnen, ganze Nationen entgegenſetzt, bey 
welchen keine Spur eines Glaubens an Gott ge⸗ 
funden wurde. Denn Epikur koͤnnte immer noch 

eins 


fie infitas vel potius innatas cognitiones, de nat. 
Deor. I. 17 nennt. So wären es Begriffe a priori 


im abſoluten Sinne, die aller Erfahrung vorher⸗ Eu 


gehen, und von derfelben ganz unabhängig find. 


Nur in dieſem Sinne laͤßt es ſich verſtehen, wie . 0 
Epikur behaupten konnte, daß die Menſchen ſolche 5 


Begriffe von den Göttern haͤtten, und den allge⸗ 
meinen Glauben derſelben an Götter als einen Be⸗ 
weis dafuͤr anfuͤhren konnte. Hieraus erhellt aber 
auch daß er es mit dieſem Beweiſe ernſtlich mente 
der allerdings viel ſcheinbares hat. 


Buch III. Capitel s. 241 
einwenden, daß jene Menſchen ihre Begriffe von 
der Gottheit entweder nicht entwickelt oder abſicht⸗ 
lich verdunkelt hätten. 

Ungleich ſchwaͤcher und unphiloſophiſcher + waren 
A Beweiſe, welche Epikur fuͤr das Daſeyn der 
Götter führte. So behauptete er als ein allgemeis 
nes Natutgeſetz eine allgemeine Symmetrie in der 
Natur (swovowe) nach welcher jeder Art von Dins 
gen eine andre von entgegengefeßten Eigenſchaften 
entgegengeſtellt waͤre. Weil es nun ſterbliche We⸗ 
ſen gaͤbe ſo muͤßten auch unſterbliche vorhanden ſeyn. 
Nach dem Sextus Empirikus *) behauptete 
Epikur, die Menſchen hätten urſpruͤnglich durch 
Traͤume einen Begriff von Goͤttern erhalten. 
Dies widerſpricht nicht geradezu dem vorhergehenden. 
Denn auch andre Philoſophen des Alterthums un⸗ 
terſchieden zwiſchen den Gruͤnden des Glaubens an 
Goͤtter und der Entſtehungsart deſſelben. Er 
konnte denſelben auf natürliche Begriffe gründen, 
welche den Menſchen eigen ſind, und behaupten, 
daß fie durch Träume geweckt werden müßten, 
Daraus folgt noch nicht, daß er jenen Gruͤnden 
nicht einen hoͤhern Werth beylegte, als den Traum⸗ 
bildern zukommt. Uebrigens folgte er bey dieſer 
475 | Ei Mei⸗ 
9 Sext, Emp. adv. Math, IX. 24. 


\ Q 


242 | Buch III. Eapitel 6. | 5 } 
Meinung fo, wie wi vielen andern dem Des | 
mokrit. ’ 


Es war ge wenn Eptur nach die⸗ 
fen Beweiſen für das Daſeyn der Götter ihnen 
eine menſchliche Geſtalt giebt. Denn die Ge⸗ 
ſtalt unter welcher die meiſten Menſchen Goͤtten 
glauben, iſt unſtreitig menſchenaͤhnlich, wie ſchn 
Kenophanes, obgleich in einer ganz andern Abſicht 1 
bemerkte. Auch konnte fie Epikur unter allen vonn 
Menſchen denkbaren Geſtalten wohl mit Recht fr 
die wuͤrdigſte für Goͤtter erklaͤren. Indeſſen hätte 9 
es ihm als Philoſophen mehr Ehre gemacht, wenn 
er es bey dem allgemeinen Begriffe der Menſchen 
von den Goͤttern haͤtte bewenden laſſen, und auf 2 
dieſe ſinnliche Vorſtellungsarten ſich dabey m. 
eingelaſſen hätte. 

Dies that er wirklich in Abſicht der Dichter⸗ 9 
fabeln, die er verwarf, beſonders in ſofern ſie et⸗ EB 
was von den Göttern behaupteten, wodurch dem 3 
Begriffe von ihrer vollkommnen Seligkeit Abbruch u 
gefhah, als Kriege, Kämpfe, Wunden, Haß, 
Klagen, Ausſchweifungen u. d. gl. Denn Epikur 
betrachtete die vollkommne Seeligkeit der Goͤtter ; J 
als einen der vornehmſten Beſtandtheile des Ber 
griffes welchen die Menſchen a priori von denfee 
ben haben. Dagegen erlaubte er ſich ſelbſt eine 

"Bu 


> 


70. 2 g 1 


Buch III. Capitel 6. 243 
Behauptung die mehr eines Fabeldichters als eis 
; nes Philoſophen wuͤrdig iſt, indem er gewiſſe Zwi⸗ 


1 ſchenrzume zwiſchen den Welten (intermundia) 


annahm, in welchen er den Goͤttern ihre Woh⸗ 
nung anwies, um ſie für Regen und Schnee zu 
ſichern. N 
Man hat oft behauptet, die Begriffe des Sy 

kur von den Göttern hätten mit feiner Atomen» 
hre, die er von Demokrit und Leucipp annahm, 
. beſtehen konnen, und er habe daher das Da⸗ 
ſeyn der Götter nicht im Ernſte angenommen, ſon⸗ 
dern nur deswegen mit ſcheinbaren Grunden bes 
hauptet, um ſich vor den Verfolgungen des Poͤ⸗ 
bels und der Prieſter zu ſichern. Allein ohngeach⸗ 
tet er bey feiner Erklärung der Entſtehung der 
Welt durch eine zufällige Verbindung der Atomen, 
allerdings keinen Grund hatte, ein von der Welt 
verſchiedenes hoͤchſtes Weſen anzunehmen, welches 
er auch nicht that, ſo konnte er doch damit eben 
ſo gut wie Demokrit Meinungen von Göttern vers 
binden, welche eben ſowohl aus Atomen entflanz 
den waren wie die Menſchen, und die uͤbrigen 
Gegenſtaͤnde in der Welt, und nur eine vollkomm⸗ 
nere und gluͤcklichere Compoſition hatten als dieſe. 
Die Götter, welche alle Philoſophen vor Anarxa⸗ 
goras annahmen, waren, wie wir gezeigt haben, nichts 
Q 2 ans 


244 Buch III. Capitel 6. 
anders als Weſen, welche aus demſelben Urſtoffe, 
aus Feuer, Waſſer, Luft, Aether u. d. gl. ent⸗ 
ſtanden waren, aus welchem fie die übrige Welt 
entſtehen ließen, nur daß ſie vor den uͤbrigen Ge⸗ 
genftänden in der Welt die hoͤchſten Vorzüge hats 
ten. Freilich ſcheint alles dasjenige was aus Ato⸗ 
men entſtanden iſt, der Vergaͤnglichkeit ſehr unter⸗ 
worfen zu ſeyn, daher auch Demokrit ſeine atomi⸗ 
ſtiſchen Goͤtterphantome nicht fuͤr unvergaͤnglich hielt. 
Epikur, welcher die Unſterblichkeit der Götter als 
einen Hauptbeſtandtheil des menſchlichen Begriffs 
a priori von denſelben betrachtete, ſicherte ſeinen 
Goͤttern die Unvergaͤnglichkeit dadurch zu, daß er 
behauptete, die Atomen welche von ihren Weſen 


verlohren giengen, wuͤrden unaufhoͤrlich durch neue 


erſeßzt. 

Daß er übrigens, nicht fo ſehr wie der Stol⸗ 
ker Poſidonius, und viele andre nach ihm behaups 
tet haben, den Verſtoß gegen die Volks meinungen 


fuͤrchtete, erhellt auſſer ſeiner ſchon angefuͤhrten 


VPerperkung der Dichterfabeln, auch daraus, daß 


er die Wahrſagerkunſt, welche im Alterthume in 


dem groͤßten Anſehen ſtand, und ſelbſt von einem 


Sokrates, Plato und Ariſtoteles in Schuß genom⸗ 


men ward, verwarf. Nur die ſcheinbare Verwer⸗ 


fung derſelben hatte dem Sokrates hauptſäͤchlich den 
| Tod 


Er 


Buch III. Gavitel 156 


Tod bereitet, und Epikur hätte pon dieſer Frei⸗ 
geiſterey alles fuͤrchten muͤſſen, wenn er überhaupt 
etwas fuͤrchtete, und fie alſo vor allen Dingen 
vermeiden muͤſſen, wenn er überhaupt au Furcht 
525 Meinung zurück zielt. 


Aus den Begriffen Epikure von der Selig⸗ 
keit der Götter, fo wie aus denen des Ariſtoteles 
von ihrer Selbſtgenungſamkeit, geht die Meinung 
hervor, daß ſie ſich mit Lenkung der menſchlichen 

Angelegenheiten nicht beſchaͤftigen. Indeſſen duͤrfte 
| doch wohl nur fo viel daraus folgen, daß ſie ſich 
daraus kein ernſthaftes Geſchaͤft machten, aus 
welchem Beſchwerlichkeiten fuͤr ſie haͤtten entſtehen 
koͤnnen. Denn in einem Briefe welchen Diogenes 
Laertius dem Epikur beylegt ), ſagt er: „Halte 
dies für die Hauptgrundſaͤtze einer guten Lebens⸗ 
philoſophie: Erſtlich, daß Gott ein lebendiges un⸗ 
dergängliches und ſeeliges Weſen iſt, wie e der 

2 3 all 


#) Diog, Laert, X. 27. Wenn diefe Briefe auch un⸗ 
aͤcht ſeyn follten, fo muͤſſen ſie doch im Geiſte Epl⸗ 
kurs geſchrieben ſeyn, und wenigſteus eben ſo viel 
zur Beſtimmung feiner Grundſaͤtze gelten, als als 
les andre was Diogenes Laertius von ihm ſchreibt, 
beſonders da dieſer unter allen Schriften Epikurs, 
die er kannte, dieſe Briefe aus waͤhlte, um durch fie 
einen. Begriff von feinem Syſtem zu geben. 


246 Buch Il. Cosi, 


allgemeine Begriff von Gott lehrt. lege eb nichts i f 


bey, was ſich mit ſeiner Underzänglichkeit und 
Seeligkeit nicht verträgt. Schreibe ihm aber ales 


zu, was zu Erhaltung ſeiner Unbergänglichkeit u und 


Seeligkeit gehoͤrt. Denn es ſind Goͤtter, weil ihre 
Erkenntniß evident iſt. So find fie aber nicht wie 
ſie der Poͤbel glaubt, denn dieſer iſt in ſeinen Be⸗ 


griffen von ihnen inconſequent. Es iſt daher nicht 


gottlos die Goͤtter des Poͤbels zu laͤugnen, gott: 
los aber iſt es den Göttern die Meinungen des 


Poͤbels zuzuſchreiben. Denn die Vorſtellungsarten 1 


des Poͤbels von den Goͤttern ſind keine Begriffe 
a priori ſondern Vorurtheile. Daher wird den 
Böſen von den Göttern das groͤßte Unglück 
zugeſchickt, Gutes aber den Guten. Denn 


da ſie Wohlgefallen an den Tugenden ba 3 


ben die ihnen eigen find, fo beguͤnſtigen fie 
die, welche ihnen ähnlich find; Alles aber, 
was nicht fo iſt, verwerfen fie”, 


Diefen Worten nach hätte Epikur alſo feiner. | 


Religionsphiloſophie auch ein praktiſches Inter⸗ 
eſſe und zwar im Grunde daſſelbe zu geben ge⸗ 
wußt, welches Plato dem ſeinigen gab, das fi 


auch auf nichts anders als auf Aehnlichkeit mit 1 
den Göttern gründet, Dies enthielt zugleich einen et 


Grund zu der en 24 Götter, welche Ei 
’ ' hin kur 


7 uch 


1 


vo 


a 


Bus UI. Capitels 247 


1 bur ſeinen Schuͤlern ſorgfaͤltig einſchaͤrfte. Nach 
dem Cicero wäre indeſſen der Grund dieſer Ver⸗ 
ehrung reine Achtung der Erhabenheit und Vor⸗ 
trefflichkeit der göttlichen Natur geweſen, eine uns 
eigennuͤtzige Öotteöverehrung, auf die ſich die Epi⸗ 
kuraͤer etwas einbildeten. | 


Auch baburch erwarb ſich Epikur wenigſtens 
ein negatives Verdienſt um die Religionsphiloſo⸗ | 
phie, daß er der Lehre vom Fatum, welche 
' ihr bochſt gefährlich if, ſobald ſie eonſequent durch⸗ 
geführt wird „und die in den meiſten bisherigen 
philoſophiſchen Syſtemen ausdruͤcklich oder ſtill⸗ 


* ſchweigend geherrſcht hatte, nachdruͤcklich wider⸗ 


ſprach. Eine Stelle ſeiner Briefe welche mehrere 
0 hierher gehörige Ideen kurz zuſammenfaßt, bezeugt 
auch dieſes: „Wen haͤltſt du wohl, für vortreffli⸗ . 
cher als denjenigen, der würdig von den Göttern 
denkt, der den Tod nicht fuͤrchtet, und vernuͤnftige 


Einſichten von den Zwecken der Natur hat, der 


das hoͤchſte Gut von der Seite faßt, von der es 
am erreichbarſten iſt; und in dem hoͤchſten Uebel eis 
nen kurzdauernden Schmerz erkennt; der die 

Nothwendigkeit, die einige zur Gebieterinn 


der Natur machen, laͤugnet; und alles theils 


5 tkm Zufalle theils von uns ſelbſt ableitet, Denn 
928 2 4 die 


. 4 
7 u 
0 ** 


— 


248 Buch III. Capitel 6. 
die Nothwendigkeit kennt kein Geſetz, der Zufall 
ift unbeftändig, was aber aus uns ſelbſt entſpringt, 
iſt frey, daher es auch gebilligt und getadelt wer⸗ 
den kann. Daher iſt es beſſer, ſich durch die 
Götterfabeln, als durch das Fatum der Phyſiker 
leiten zu laſſen. Denn jene haben die Ehre der 
Götter zur Entſchuldigung, dies aber iſt eine 
grundloſe Nothwendigkeit“. Im Ganzen genom⸗ 
men, duͤrfte daher die Religionsphiloſophie durch 
Epikur, theils ohne, thells ſelbſt wider feinen 
Willen wohl mehr gewonnen als verlohren ha⸗ 
ben *)., Bu | 7 
) M. vergl. äbrigens auſſer Cicero, Cukrez, Dio⸗ 
genes Laertius, und Gaſſendi, Meiners Ab⸗ 
handlung über Epikurs Charakter und deſſen Wis 


derſpruͤche in d. Lehre von Gott in deſſen verm. 
Schriften Th. 2. S. 45. f. | 


Siebentes 


* 


4 


Buch III. Capitel 7. 249 


Siebentes Capitel. 


ö F. länger die Griechen philoſophirten deſto mehr 
verlohr ihre Philoſophie an Originalitaůͤt. Ihre 
fruͤhern Philoſophen hatten nach und nach die 
möglichen Meinungen über. die Natur der Dinge 
5 und ihre Erklaͤrungsgruͤnde erſchoͤpft, ſo daß den 
ſpaͤtern nichts uͤbrig blieb, als entweder einem un⸗ 
ter ihnen zu folgen, oder von Allen dasjenige zu 
waͤhlen, was ihnen am beſten ſchien, oder wenn 
fie bey Keinem Befriedigung fordern, Alles zu 
bezweifeln. 

Diejenigen welche zuerſt den Weg des Wöb⸗ 
lens einſchlugen konnten natuͤrlich damit noch die 
meiſte Originalitaͤt verbinden, und die meiſten wirk⸗ 
lich oder ſcheinbar neuen Saͤße aufſtellen. Dies 


RN thaten die Stoiker. Unter dieſem Namen ver⸗ 


ſteht man eine Auswahl von griechiſchen Philoſo⸗ 
phen, welche eine Auswahl von Lehren fruͤherer 
Philoſophen trafen, die ſie entweder annahmen 
oder kritiſirten und verbeſſerten, und von denen 
uns die Alten nur eine Auswahl von Meinungen | 


ihrer vornehmſten Lehrer hinterlaſſen haben. Ein 


25 . genau zuſammenhaͤngendes und von 


5 25 Wi⸗ 


* A * N 9 7 5 1 


25 Boch III. Capitel 7. 
Widerſpruͤchen freyes Syſtem ihrer Lehren buͤrfte 
fi daher wohl kaum entwerfen laſſen, wenigſtens 
kein ſolches, von dem ſich behaupten läßt, daß es 
wirklich ganz in dem Kopfe eines unter A ei 
ſtirt habe. Ä 
Sie ſuchten im Ganzen genommen, die Re 
ſiſchen und metaphyſiſchen Meinungen ihrer Vor⸗ 
gaͤnger mit einander zu vereinigen. Hieraus geht 
das Eigenthuͤmliche ihrer Theologie hervor, ei⸗ 


ner Wiſſenſchaft, die durch ſie eine viel weitere | 1 


aber auch unbeſtimmtere Aus dehnung erhalten hat, 
als ſie zuvor gehabt hatte. Sie wußten dieſelbe 
indeſſen recht gut in vier Abtheilungen einzuthei⸗ 


len in deren erſter ſie das Daſeyn der Gottheit, 


in der zweyten ihre Beſchaffenheit, in der dritten 
ihre Weltregierung und in der vierten ihre Fuͤr⸗ 
ſorge fuͤr die menſchlichen Angelegenheiten zeigten. 

Bey ihnen wird es vorzuͤglich auffallend, wie 
ſchwankend und unbeſtimmt im Alterthume der 4 
Begriff der Gottheit war; denn fie gaben die 
ſen Namen bald dieſem bald jenem Gegenftande, 
bald mit weiterer bald engerer Ausdehnung, und 
laſſen daher bald an eine Einheit, bald an eine 
Vielheit goͤttlicher Weſen denken. Sie nennen 1 
nemlich Gott bald die ganze Welt, bald den Ur: 25 € 
ſtoff der Welt, Feuer oder Aether, bald bas Prin- 1 

5 RR ah, 


Buch III. Capitel 7. 281 | 
ab, wodurch die Welt gebildet ward, bald die 
Melt + Seele, bald das Naturgeſetz des Zuſam⸗ 
menhangs der Gegenſtände, bald das Sittengeſeßz, 
bald die Sonne, bald die Sterne, bald das Schick⸗ 
ſal *). Unter dieſen verſchiedenen Benennungen 

ſollen ſie jedoch nach Laktanz und Diogenes Laer⸗ 
tus ®*) ein und daſſelbe Weſen verſtanden haben. 
Dabehy ſprachen ſie noch oͤfterer als von einem 
Gott „ von Goͤttern in der mehrern Zahl, bedie⸗ 
nen ſi 0 dabey der Ramen der griechiſchen Volks⸗ 
götter und ſuchen die Fabeln von denſelben bald 
auf dieſe bald auf jene Weiſe zu erklaͤren. 
Wie fie und andre Philoſophen vor ihnen 
den Namen Gott auf eine ſo verſchiedene Weiſe 
brauchen konnten, laßt ſich nur dann einſehen, 
wenn man bedenkt ö daß dieſer Name kein eigen⸗ 
4 thümliches Erzeugniß der Philoſophie, ſondern aus 
der Volksreligion in ſie hinuͤber gekommen war. 
Durch die Volksreligion aber ward der Begriff 
welcher mit dem Worte: Gott, verbunden werden 
ſollte, ſehr wenig und ſehr unſi cher beſtimmt, be⸗ 
ſonders da die Philoſophen über die Entſtehung 
des Glaubens an Volkshoc felof nicht einig 
a waren. 


U 


N ; 9 M. . Tiedemanns Syſtem d. ſtoiſchen Phil. 8b. U. | 
* RR ©. 186. | 


* ®*) Lactant. div. inft. I. 5. Dios. „aert. VII. 135. 


1 


252 Buch III. Capitel 7. 
waren. Jede perſonifizirte, phyſiſche oder morali⸗ 
ſche Kraft, jedes phyſiſche oder metaphyſiſche Prin⸗ | 
cip konnte daher Gott genannt werden, und man | 
konnte dem, der es von einem ſolchen Gegenſtande 
brauchen wollte, mit nichts beweiſen, daß er dazu 
nicht berechtigt ſey. 
ö Demohngeachtet thaten erſt die Stoiker, 1 | 
‚man fälfchlih ſchon weit Altern Philoſophen, bes 
ſonders den Joniſchen zugeſchrieben hat: fie nann⸗ 
ten den Urſtoff woraus die Welt gebildet iſt, und 
die Urſache wodurch ſie gebildet iſt Gott, ohn⸗ 
geachtet ſie beyde innerhalb der 8 ſelbſt ſuch⸗ 
ten. Plato und Ariſtoteles nannten zwar die Ur 
fache der Weltbildung und leßterer beſonders die 
der Weltbewegung, welche ihm die Form der 
Weltbildung war, auch Gott, aber ſie unterſchie⸗ 
den dieſelbe von der Welt und ihre Lehre von 
dem hoͤchſten goͤttlichen Weſen eben dadurch von 
der Lehre der Stoiker, die es mit der Welt oder 5 
einem ihrer Theile und Eigenſchaften ser 
felten. 

Man hat geſagt, daß die Stoiker die Ein⸗ 
heit Gottes behauptet haͤtten. Dies gilt nur 
von ihrer Idee von Gett, wenn ſie dieſelbe in dern 

Bedeutung der Welt, oder des allgemeinen welt⸗ 1 
bildenden oder belebenden e das fie a 1 


Buch III. Capitel 7. 283 
oft als Weltſeele darſtellten, nahmen. Dann be⸗ 


haupteten fie nur eine Gottheit, weil es nur eine 


- Melt giebt. In dieſem Sinne ſpricht Antonin 
von der Einheit Gottes *). Dies ſchlieft aber 
nicht die Befugniß aus, welche ſie ſich anderwaͤrts 
erlaubten, den Namen Gott auch von andern 
und eingeſchraͤnkten Weſen zu brauchen, deren meh⸗ 
rere neben einander beſtehen konnten. In ſofern 
behaupteten ſie auch nur die Einheit eines hoͤch⸗ 
ſten Gottes, neben welchen mehrere niedere ſtatt 
fanden, die aber auch in ihrer Art einzig ange⸗ 
ſehn werden mußten, 3. B. nur ein Sonnengott, 
nur ein Gott des Meeres u. ſ. w. Man hat 
ihnen überhaupt die Lehre von der Einheit Gottes 
mehr durch Schluͤſſe beygelegt, als daß ſie dieſelbe 
ausdruͤcklich behauptet hätten. Dies iſt offenbar 
in der Stelle, welche man dafür aus dem Athe⸗ 
nagoras anfuͤhrt der Fall *). Antonin behaup⸗ 
tete ſie eben ſo gewiß blos in dem angezeigten 
Sinne, denn er verehrte bekanntlich mehrere Goͤt⸗ 
ter, und | Plutarch“) den man auch für diefe 
Behauptung anführt, ſpricht ausdruͤcklich blos von 
8 e Zevs, und ſucht die W da⸗ 
it 


254 Buch III. Capitel 7. 

durch zu beſtreiten daß er ihnen zeigt, ſie müßten, 

wenn ſie conſequent ſeyn wollten, nicht einen einzi⸗ 
gen Apollo wie ſie thaͤten, ſondern mehrere anneh⸗ 
men, weil ihnen nach jedesmaliger Verbrennung der 

Welt ein neuer noͤthig waͤre. Eben ſo ein neuer 

ik u. ſ. w. Be 
Nach dem bisher gefagten werden die Be 
weiſe, welche die Stoiker für das Daſeyn eines 

göttlichen Weſens fuͤhrten einlenchtender ſeyn. 4 
Es waren deren mehrere, fie wurden von meh 
rern ſtoiſchen Philoſophen geführt, und find uns 
vorzüglich von Cicero und Sextus aufbehalten wor⸗ 
den. Sie führten insgeſammt mit mehrerer oder 
minderer Ueberzeugungskraft auf das Daſeyn einer 
Gottheit, oder vielleicht richtiger geſagt einer Gott 
lichkeit in der Natur, wobey jedoch einige, und zwar 
vorzuͤglich diejenigen, welche Cicero anfuͤhrt, mehr | 

das Daſeyn mehrerer Götter, andre das von eis ö 4 
nem allgemeinen und hoͤchſten goͤttlichen Weſen be R 
ö gruͤnden. a 
ER Die Stoiker alſo führten für die Eriſten der u 
Gottheit den uͤbereinſtimmenden Glauben des 
menſchlichen Geſchlechts an dieſelbe, die Erſcheinun⸗ 1 
gen der Goͤtter welche von vielen Geſchichtſchrei⸗ 
bern erzählt werden, die Vorbedeutungen, und die 5 4 
Wahrſagerkunſt an. Dies waren die . 1 
1 e 


Buch III. Capitel 7. 238 
BVeweiſe, die vorzüglich für den Volksglauben gel⸗ 
ten, und deren ſich ſchon die Sokratiker oft fuͤr 
denſelben bedient hatten ). 
Scharfſinniger, und eines Philoſophen wuͤr⸗ 
diger iſt folgender Beweis, den Cicero dem Chry⸗ 
ſippus beylegt: Wenn es etwas in der a 
giebt, deſſen Hervorbrin, gung menfchliche Vernu 
und Kraͤfte uͤberſteigt, ſo iſt der Urheber deſſelben 
gewiß fuͤr beſſer als Menſchen ſind, zu halten. 
Nun koͤnnen aber die Himmelskoͤrper und alle dies 
jenigen, welche von immerwaͤhrender Natur ſind, 
von Menſchen nicht hervorgebracht werden. Ihr 
Urheber iſt alſo beſſer als Menſchen. Ueber⸗ 
menſchliche Weſen aber werden mit Recht Götter 
genannt. Denn nur Götter können die Menſchen, 
welche im Beſitz der Vernunft ſind, an Vorzuͤgen 
uͤbertreffen. Es waͤre unſinniger Stolz, wenn die 
Menſchen glauben wollten, daß es keine beffere 
Weſen gäbe als fie find. Es giebt daher A 
eine Gottheit. Dieſer Beweis wird noch dadurch 
verfiärkt „daß Chryſipp zu zeigen ſucht, die Erde 
ſey zu ſchoͤn um blos zu einer Wohnung fuͤr Men⸗ 
ſchen gemacht zu ſeyn. Sie ſey gewiß ein Wohn⸗ 
platz für Götter. Hierzu kommt noch, daß gewiß 
alles „ 00 weit vorzuͤglicher iſt als die 
75 1 - 5 Kan 
5 2 Cie de Dat. Deor. II. 2-4 | 


256 Buch III. Cavpitel 7. 


Erde, die von der dikſten Luft umgeben iſt, da⸗ ? 


her es ſich noch weit mehr als einen Wohnplag 
fuͤr Goͤtter denken läßt. 


Dieſem Beweiſe der von der Eingeſchränkt⸗ | 


heit der menſchlichen Eigenſchaften hergenommen 
iſt, ſetzten fie einen andern an die Seite, welcher 
gerade von dem Gegentheil, nemlich von der Vor⸗ 


trefflichkeit der menſchlichen Natur entlehnt war, 


und den ſie mit den Sokratikern gemein hatten, 


ihm aber doch eive andre Wendung geben. Die 


Vernunft ſelbſt welche der Menſch beſitzt, kann er 
nirgend anders als von einem hoͤhern und goͤttli⸗ 
chen Weſen her haben. Alle Urſtoffe aus welchen 
der menſchliche Koͤrper beſteht, Feuchtigkeit, Waͤrme, 


feſte Theile und Luft, ſind von dem allgemeinen 


Urſtoffe, aus welchem die Welt beſteht hergenom⸗ 
men. Es muͤſſen daher der Welt dieſelben Ei⸗ 


genſchaften, welche der Menſch hat, und zwar in 
hoͤherm Grade zukommen. Am meiſten gilt dieſes 


von der Vernunft, welche der Menſch unſtreitig 


auch von der Welt erhalten haben muß, da er 


alles uͤbrige von ihr hat. Alſo muß der Welt 
auch Vernunft zukommen. Dies wird auch damit 
bewieſen, daß die Welt, welche das Beſte unter 
allen Dingen iſt, auch im Beſitz der beſten Eigen⸗ 


ſchaft ſeyn muß, RE der ge, bat, dies iſt 


aber 


F ͤDN ⁵⁰ꝗ w * 


Bud iu. epi 7. 287 ö 
aber die Vernunft. Die Veruünftigkelt der Welt 
aber beweiſt noch uͤber dieſes die in ihr herrſchende 


Ordnung, der Jahrszeiten, der Ebbe und Fluth Ä 
| wc des Laufs der Geſtirne. 


Dieſe Beweiſe, welche Cicero den kuclllas 
in einem Athem fuͤhren laßt, zeigen daß er es für 
elnerley hielt, das Daſeyn von Göttern, und eines f 
durch die ganze Welt verbreiteten goͤttlichen We⸗ 
ſens, oder mit andern Worten die Ne 
der Welt zu beweiſen ). | 

Die Beweiſe der Stoiker für das Daſeyn der 


Gottheit, welche Sertus Empirikus anführt, 
gründen ſich theils auf die Nothwendigkeit eine 
urſprünglich bewegende Kraft in der Natur anzu⸗ 


nehmen, theils auf das Beduͤrfniß einen Grund 
des Zuſammenhanges der Naturgegenſtaͤnde zu fin⸗ 
den, theils auf die Idee eines Weſens von hoͤch⸗ 


ſter Vollkommenheit, auf welche die Stufenfolge 


* 


in der Natur führt, bey der man bemerkt, daß 
immer ein Weſen beſſer iſt als das andre, und 


alſo ein beſtes ſeyn muß, welches der Menſch we 
gen ſeiner vielen eee nicht ſeyn 
khan BE nölsut.- 1 180% 5 10 

9 — de nat, Deor. 1. 6. 

*) Sext, Erg air Math. dB 75, 78, 85. 

e et 2 a iel 


N 


2588 Buch III. Capitel 7. ee 
Am merkwurdigſten find die, obgleich noch 
ziemlich unvollkommen moraliſchen Beweiſe der 
Stoiker, welche Sextus anführt: Sie ſchloſſen 
aus den Begriffen von Pflichten gegen die Götter, 
welche die Menſchen als Vorſchriften der Vernunft 
anerkennen, daß eine Gottheit exiſtiren muͤſſe ). a 
Alle dieſe Beweiſe vereinigen ſich dahin, der 
Welt alle Praͤdikate der Goͤttlichkeit zuzuſchreiben, 
und fie zur Gottheit zu machen, und ſchließen alſo 
daraus, daß eine goͤttliche Welt aülin, daß a Er 
Gott ſeyn muͤſſe *). il | 
Durch die Auffuchung der eee Voll⸗ 
kommenheiten der Welt, wodurch ſie ſich vor den 
Stoikern, die nur die für die Menſchheit wohl: 
thätigen Einrichtungen derſelben vorzüglich bemerle 
ten, auszeichneten, bahnten die Stoiker der Phys | 
ſikotheologie den Weg. Durch ihre Weltvergoͤtte⸗ 
rung aber brachten fie viele Verwirrung in die 
Religlonsphiloſophie; denn wird das Prädikat der | 
Goͤttlichkeit der Welt im Ganzen gegeben, ſo er⸗ 
ſcheinen viele Theile und Eigenſchaften der Welt 
als das gerade Entgegengefeßte der Goͤttlichkeit. 
Es entſteht daher die Frage, welchem Theile oder 
welcher Eigenſchaft es eigentlich eien dieſe 
be⸗ 


x 


®) Sext. adv. Math, IX, 131, 189 iM 1 
» Cie. de nat, Deor. AT 8-15. Sext, adv. Math, | 
IX. 111. N 4 X 4 


R i 5 5 7 / ra 


Buch Ill. Cavitel 7. 9 259 


alte deteten die Stoiker auf verſchiedene Weiſe, 
bald iſt es der Urſtoff der Welt, bald ihre Form, i 
bald ihr Zuſammenhang, bald ein allgemeines 
Princip der Weltbewegung überhaupt, bald bes 
ſondre, einzelne Theile derſelben bewegende Kräfte, 
bald ein allgemeines Ideal unter welchem fie die 
Welt uͤberhaupt als das vollkommenſte Weſen 
denken, bald eine beſondre Claſſe vollkommner We⸗ 
ſen in der Welt was ſie mit dem Pfübkte! det | 
| Goͤttlichkeit bezeichnen. 1 
Es läͤgt ſich daher nicht viel im auge wee | 
von den Eigenſchaften ſagen, welche ble Stoiker 
der Gottheit beylegten, ſondern es kommt auf die 
Beſchaffenhelt des Gegenſtandes an, auf walhen 
5 den Begriff der Goͤttlichkeit gerade bezogen⸗ 
Nach dem Diogenes Laertius “) war bey | ih⸗ 
nen der Begriff der Welt ein hoͤherer Begriff 
2 als der oon Gott. Denn ſie nahmen das Wort 
Wen u dreyfacher Bedeutung. Sie nannten for 


Gott ſelbſt, in ſofern er das ganze Weſen des ” 


| Weltſtoffs ausmacht, un vergänglich und ohne Ur⸗ 
ſſprung, und der Urheber des ganzen Zuſammen⸗ 
hangs der Dinge iſt, und in genen Zeiträumen 
barg n in ſich ſelbſt ben und ihn wies 

25 ver an VII. ER 138. | hy; 


80 
> 
* * 


260 Buch III. Capitel 7. 
der aus ſich erzeugt. Auch nannten ſie die Welt 
das Syſtem der Himmelskoͤrper, und drittens ſaß⸗ 
ten ſie beydes Gott und das Sternenſyſtem un⸗ 
ter der Benennung Welt zuſammen. In ſofern 
nannten fie auch die Welt den Junbegriff des 
Ganzen „oder das Syſtem des Himmels und der 
Erde und der in ihnen befindlichen Naturgegen⸗ 
fiände, auch das Syſtem der Götter und Men⸗ 
ſchen und der Dinge die für beyde da find. Aus 
dem obigen iſt leicht zu verſtehen, wie fe or alle 
dieſe Begriffe kommen konnten. e 
In beſonderm Verſtande definirten fie Gott 
als ein lebendiges Weſen, welches unſterblich, dere 
nünftig, wollkommen, oder durch Vernunft glück; 
ſeelig iſt, welches unempfänglich für alles Böfe iſt 
und fuͤr die Welt und die Dinge in der Welt 
| ſorgt. Auch nannten ſie ihn den Urheber und Va⸗ 
ter des Ganzen ). Hierbey ſcheinen ſie die 
Norhwendigkelt gefühlt zu haben, Gott von der 
Welt zu unterſcheiden. 1 a» 
Die Stoiker giengen bey der phyſi (hen. 9 
mechaniſchen Erklarung der Natur der Dinge ſo 
weit zurück, daß fie Feuer als die erſte und all⸗ 
gemeinſte Urſache derſelben annahmen, und ihre 
Erzeugung und Berföhrung in 1 ſuchten. 
mr Die⸗ 
*) Diog. Laert, VII. 147. 


1 


Buch III. Capitel 7. 261 
i Dieſes Urfeuer oder dieſen Aether, welches daſſelbe 
iſt, konnten ſie aber nicht von Gott unterſcheiden 
und ihn etwa für ein Werkzeug ſeiner Macht hals 


ten, ſondern ſie betrachteten ihn als Gott ſelbſt. 


Im engern Sinne war ihnen alſo Feuer die Sub⸗ 
ſtanz oder das Weſen Gottes, im weitern das 
ö durch das Feuer erzeugte, nemlich die Welt ſelbſt, 

wie aus der zuvor angefuͤhrten Definition erhellt. 

In jedem Sinne aber hielten ſie die Gottheit fuͤr 

materiell en Sie nahmen alfo die Inſtansmag⸗ 

talurſache für einerley mit der abſoluten, elne phi⸗ 
loſophiſche Oekonomie, die in der That in vielen 

Fallen nicht zu tadeln iſt. Sie nannten jenes Ur⸗ 

feuer vernuͤnftig; wie es dies ſeyn koͤnne, unter⸗ 


nahmen fie weislich nicht zu zeigen; daß es aber 


vernünftig ſey, bewieſen fie daraus, weil es ein 
ſo vernünftiges Werk ww die Welt iſt ee 
bracht habe. 


Sa Auf eben dieſe Weiße ſuchten fie in Gott 


nicht ſowohl den Grund der phyſiſchen und mora⸗ 
liſchen Ordnung der Dinge, ſondern ſie hielten lihn 
ee u. n ah So laßt es ſich ver⸗ 
* ah ee . 
2 9 Euſeb. praepar. ee xv. 16.  wupvospov 
hlut. de plac. phil. I, 6. Tlveupn "voepov mupwösg 
Diog Laert. VII, 156. Ane uro 1% fe O. 
cm ewas up re 155 1 70 


m 2 1 
1055 N] 


* 


262 Buch II. Capitel 7. 


ſtehen wie ſie Gott eln ewiges und „ unverön⸗ x 
derliches Naturgeſetz nennen konnten). 

Da ſie Gott als eine allgemeine vernuͤnftige 
Urkraft betrachteten, ſo folgt ſchon von ſelbſt, daß 
fie ihn für allmaͤchtig allwiſſend und allge⸗ 8 
genwaͤrtig halten mußten. Seneca behauptet aber 
auch ausdruͤcklich, daß Gott die geheimften king 2 
ken der Menſchen wiſſe **). | 

Die Güte Gottes beweiſen ſie theils aus der | 
Vortrefflichkeit feiner Regierung, theils daraus, 
daß er vermoͤge feiner Welsheit keines Zorns fü . 
hig ſey, und daß er, wenn er es waͤre bey ſeiner 
unumſchränkten Macht die groͤßten Zerſtoͤrungen 
anrichten mußte, weil ſchon ein zorniger Menſch, 
wenn er Macht beſitzt, großen Schaden thut 5e). 

Daß die Idee eines Weſens, wie ſich die 
Stoiker Gott dachten, auch ſehr paſſend mit dem 
Namen Weltſeele bezeichnet werden konnte, iſt 
leicht einzuſehen. Man hat jedoch den ſtoiſchen = | 
Gott unter diefem Namen, ſich nicht anders vor⸗ 4 
zuſtellen, als er bisher beſchrieben worden iſt, noch 
weniger aber dabey an ein von Gott verſchiedenes 
Weſen zu denken, wie Dan Plato * 


eee 
3 
1 nr 
4 K 


Die 
) Cic. de nat. Deor. L. 14. 
J #*) Seneca ep. 83 de vita beata c. XX. / 
a Lactant. de ira Dei c. V. N 
7) Tiedemanns Syſt. d. ſtoiſch. Phil. 80 II. S. 118. 


* 


Buch Ill. Capitel 7. 263 


Die Stoiker ſchrieben der Gottheit mit der 


Wider auch Freyheit des Willens zu. Dieſem 


widerſprechen ſie nicht dadurch, wenn ſie oft vom 


a Schickſal/ Fatum, oder von nothwendigen Ge⸗ 
feßen reden, von welchen ſie behaupten, daß ſich 


Gott ſelbſt unabaͤnderlich nach ihnen richte. Denn 


fie dachten ſich dieſe Geſetze als von Gott ſelbſt 


feſtgeſetzt, und lehrten, daß er deswegen nie von 


ihnen abweiche, weil ihn nie eines Entſchluſſes ge⸗ 


teue ). Sie glaubten dieſe Geſetze in der Phyſik 


auffinden zu koͤnnen, und nannten fie Asyas ore 


rue, Gedanken, welche zuvor als Ideen oder Maxis 


men in dem goͤttlichen Verſtande lagen, ehe ſie auf 


die Natur angewendet wurden *), und gleichſam 
den Saamen aller kuͤnftigen Formen und Veraͤn⸗ 
derungen der Dinge enthielten. Sie wußten hier⸗ 
durch ſehr gluͤcklich der zur Traͤgheit im Forſchen 


(ignava ratio) verleitenden Gewohnheit alles uner⸗ 
klaͤrliche unmittelbar von der Gottheit abzuleiten, 


von der einen Seite, und dem trreligiöfen abſoluten 
Naturalismus auf der andern Seite auszuweichen. 
Schon aus den bisher angeführten Behaup⸗ 


tungen erhellt, daß die nnen, wenn ſie irgend 


Rt in ons 


| 9 Senec- de benef, VI. 23 ˙ 
m Plattners phil. Aphorismen F. 975 S. 357 


0 1 9 


* 


* 


264 Buch III. Capitel 7. 
conſequent waren, die Lehre von der Vor FEN 


mit ihrer Theologie verbinden mußten. Auch für 


ten ſie unter der dreyfachen Art von Beweiſen, 
welche ſie fuͤr die Vorſehung hatten, die erſte aus 
dem Begriffe von der Gottheit ſelbſt, die, zweyte 
Gattung derſelben iſt von der in der Natur be⸗ 
merkbaren Lebenskraft und die dritte von der vor⸗ 
trefflichen Einrichtung und Cioöur der an 
e ver) 

Die aus dem Begriffe ı von Gott * bon 
9 hergenommenen Veweiſe fuͤr die Vorſe⸗ 
hung gruͤnden ſich darauf, daß es kein wuͤrdigeres 5 
Geſchaͤft für die Gottheit giebt, als die Weltre⸗ 
gierung, daß es ihr Schande machen wuͤrde, wenn 
fie ſich durch Menſchen an Verſtand, Tugend und 
Geſelligkeit, und einer darauf ſich gruͤndenden Thaͤ⸗ 
tigkeit uͤbertreffen ließe, daß denn noch ein höheres 
Weſen als ſie die Welt regieren muͤßte, und fi ie 
mithin nicht im Beſitz der hoͤchſten Vollkommen⸗ 1 
heit waͤre, daß endlich die Erfahrung lehre, daß 
die Geſtirne welche göttlicher Natur e can 4 
mächtigen Einfluß haben. 0 | 

Die auf die allgemein verbreitete cee 
in ber Natur ſich gründenden Beweiſe, beruhen 
auf manchen eigenthuͤmlichen Auſichten, welche die 

Stoi⸗ 8 


1 


” Cie: de 91 Deor. II. 30. 31. 


Buch III. Capitel 7. 265 
Stoiker von der Natur hatten. Sie ſchloſſen da 
bey gewoͤhnlich daß eine Vollkommenheit die einem 
ſchlechtern Gegenſtande, oder einem Theile des 
Ganzen zukommt, dem Beſſern und dem Ganzen 
nicht fehlen „dürfe, daß z. B. die Organiſation, 

welche die Pflanzen aus der Erde hervortreibt, auch 
der Erde ſelbſt eigen ſeyn muͤſſe, daß die Luſt, 
wodurch die lebendigen Geſchoͤpfe ſehen und hoͤren, 
auch mit ihnen ſehen und hören muͤſſe. Da nun 
durch die Luft alles zuſammenhaͤngt, ſo iſt eine all⸗ 
gemeine Lebenskraft durch die Natur verbreitet ). 

Sie giengen hiervon zu den aus den weiſen 
Einrichtungen in der Natur hergenommenen Be⸗ 
weiſen uͤber, indem ſie bemerkten, daß, wenn man 
bey Kunſtprodukten einen vernünftigen und wetſen 
Urheber voraus ſetze, ſolche von Naturprodukten an 
Vollkommenheit weit uͤbertroffen werden, die alſo 
9 auf eine ungleich hoͤhere Weisheit kiahatuns; Für 
die weiſe Einrichtung der Natur fuͤhrten ſie die 
gutberechnete Stellang der Geſtirne, wodurch ver: 
hindert wird, daß ſie als feurige Koͤrper keinen 
Schaben thun, ſondern vielmehr fehr nüßlich wer⸗ 
den, die Regelmaͤſſigkeit ihres Laufs, die Stellung 
der Erde im Mittelpunkte der Welt, ihre man⸗ 


. dialen e das Menſchengeſchlecht welches 


| a e ie 
J Tic. de nat, Deor. II, 33. u 


„ 


266 Buch III. Capitel 7. En 
zu ihrem Anbau und Verſchoͤnerung auf dieſelbe 
geſetzt iſt, die Schönheit des Meers, feiner In⸗ 
ſeln und Kuͤſten, die unzählbare Menge ſeiner Be⸗ 
wohner, die Luft, ihre zweckmaͤßige Verduͤnnung 


und Verdichtung zur Befruchtung der Erde und 4 


Erhaltung der Thiere durch das Athmen, und 
endlich den Aether an, von dem ſie ſich als von 
der Sphäre des Laufs der Geſtirne deſto erhabes 
nere Vorſtellungen machten, je weniger fie ihn 
kannten. Hiermit verbanden fie dann noch Bes 
trachtungen über die weiſe Erhaltung ber Wel, 
und aller ihrer Theile ). hi 

Für die Vorſehung Gottes für das Wiens | 
ſchengeſchlecht, führten fie noch e Mee vn i 
weiſe aus dem Bau des menſchlichen Korp 3 
ſonders aus ſeiner Geſtalt, den Sinnen, ihrer 
Feinheit und Richtigkeit, aus den Kraͤften der Seele 
und aus der Einrichtung der Welt zum Beſten 
des Menſchen. Dabey ſuchten fie noch insbeſondre 
zu erweiſen, daß die göttliche Vorſehung ſich auf 
alle Individuen des Menſchengeſchlechts erſtreckt v). | 


Man fieht hieraus, daß die Stoiker darauf 0 


ausgiengen, alle die Bewelſe zu erfehöpfen, welche | 


es ee der Erfahrung warfen 12 0 9 


daß 


*) Cap. 36- Fl. 
2% Senec. de benef. vn 23. Cie. de! 5 II. 54 - 66. 


\ 


Buch lll. cam. 450 
aß elne . die Welt regiere und verſorge. 
Den aus eben derſelben zu ſchoͤpfenden Gegenbe⸗ 
weiſen, ſtellten ſie ein Theodicee oder Apolo⸗ 
gie des Uebels entgegen. Sie ſuchten alſo zuerſt 
zu zeigen, daß, was wir Uebel nennen, in Anſe⸗ 
hung des Ganzen kein Uebel iſt weil die Welt 
als Gottheit gedacht, thoͤrigt handeln würde, wenn 
fie ea hervorbraͤchte, was ihr nicht zutraͤglich 
ware E Sie ſuchten dabey die Summe des Ue⸗ 

bels ſo viel als moͤglich zu verringern, und zu 
zeigen, daß kein Uebel ohne Annehmlichkeit ſey *). 

Zur Erklärung des Uebels konnten fie nicht wie 
Plato eine urſprͤngliche bösartige Beſchaffenhelt 
der Materie behaupten, weil fie auch die Materie 
als ein Produkt, oder vielmehr ein Edukt Gottes 
N betrachteten, und ihm wenigſtens eine unbegraͤnzte 
Gewalt über dieſelbe zuſchrieben. Sie lehrten das 
her eine nothwendige Verbindung zwiſchen dem Gu⸗ 
ten und Boͤſen, indem fie behaupteten, daß von 
zwey entgegengeſetzten Dingen keines ohne das an⸗ 
dre ſeyn koͤnne, daß nichts wahr ſeyn koͤnne, wenn 
nichts falſch wäre, nichts gerecht wenn nichts un⸗ 
gerecht wäre, ſo auch nichts böfe, wenn nichts gut 

alen Dies ſuchten ſie auch durch bie Erfahrung 
a zu 
5 Antonin u, 3. IV, 23. VI. 7. X. 9 
ei 1a. IH, 2. 


268 Buch III. Capitel 7. 
zu beſtaͤtigen. Sie zeigten z. B. daß der Bau 
des menſchlichen Koͤrpers nicht ſo vortrefflich ſeyn 
koͤnnte ohne eine gewiſſe Zartheit und Schwaͤche 
feiner Theile, daß aber Krankheit und Verletz bar⸗ 
keit eine nothwendige Folge dieſer Zartheit ſeg“). 
Das Unglück des Tugendhaften erklaͤrten j 

fie insbeſondre theils aus der angeführten nothe 
wendigen Beſchaffenheit des Guten und Boͤſen, 
theils daraus, daß es ihnen zur Uebung ihrer Tu⸗ 
gend nuͤtzlich ſey, und andern zum Beweiſe diene, 
daß alles was ſie fuͤr Uebel halten, in Gottes 
Augen und an ſich kein Uebel iſt, weil es Gott a 
ſeinen Lieblingen nicht zuſchicken wuͤrde, wenn 10 
ein wirkliches Uebel wäre ). 3 | 

Die praktiſche Anwendung, welche die 

Stoiker von ihren Religionslehren machten, war 
weniger ausgebreitet, als man nach fo reichhalti? 
gen Praͤmiſſen erwarten ſollte. Sie ermahnten 
mit theologiſchen Gründen vorzuͤglich zur Zufriee 
denheit, indem ſie lehrten, daß der Weiſe alle 4 
ſeine Schickſale als den Willen Gottes betrachte, 
und ſich ihnen daher unterwerfe, indem er weiß. 
daß es thoͤrigt und vergeblich iſt, ihnen zu wider⸗ 
. und daß alles was ihm nur 4 1 
koͤnne 


*) Gellius VI. 1. Antonin VI. 36. IX. * 8 * 
. Seneca de providentia c. III. V. 


Buch III. Capitel 7. 269 
könne zum Beſten des Ganzen diene. Frellich ein 
ſchwacher Troſt, im Ungluͤck fi) als Opfer des 


Ganzen zu betrachten! Darum lehrten ſie jedem 
ſeine eigne Angelegenheiten als fremde zu betrach⸗ 


{ 


ten, und 100 Ku zu beurtheilen ). 


Sie lehrten 7 auch Gott zu verehren, 1 
ihm fuͤr ſeine Wohlthaten zu danken. Zur reinen 


und vom Aberglauben freyen Gottes verehrung, fo⸗ 


derten ſie Glauben an Gottes Daſeyn, Erkenntniß 


ſeiner Güte Macht, Weisheit und ſeiner uͤbrigen 


erhabnen Eigenſchaften, und Anbetung Gottes mit 
reinen und tugendhaften Herzen. Sie lehrten da⸗ 
bey Gott nicht ſowohl um aͤuſſere als vielmehr um 


moraliſche Wohlthaten bitten. Der Weiſe wird 


ſich z. B. von Gott nicht den Genuß eines Frauen⸗ 


zimmers ſondern Stärke: erbitten, daß er fie nicht 


begehre, nicht um Erhaltung ſeiner Kinder fle⸗ 


hen, ſondern um Kraft ihren Verluſt nicht zu bes 


fuͤrchten, und wenn er ſich ereignen ſollte, ihn zu 
ertragen Fr Als ein ei Tugendmittel 


uͤber⸗ 


Bee 
7 
5 * 


5 Epictet Euch. 13. Senec. de vita best, e. x. 5 
dich ep. 74. S. 17. 


| 0 ”) Antonin. V. 21. Arrian, I. 16. Cie. de nat. Deot, 


II. 28. Antonin, IX, 40. 


Ei 


270 Buch III. Capitel 7. 5 
überhaupt, betrachteten fie den Gedanken an die All⸗ 7 
gegenwart Gottes). ee 
Zu dem Ideal eines vollkommnen Welfen, 
welches fie entwarfen, brauchten fie die weligiöfen 
Farben, daß fie den Weiſen, der im Beſiß aller a 
Tugenden iſt, als goͤttlich vorſtellten, weil in ihm 
die göttliche Vernunft herrſcht. Er iſt durch die 
Wiſſenſchaft Gott würdig zu verehren, allein wahr⸗ 
haft gottesfuͤrchtig und ein Prieſter im eigentlichen 3 
Sinne zu nennen, und durch ſeine den ‚göttlichen 
Gefegen gemaͤßen Tugenden ein Liebling der 
Gottheit. Der Thor hingegen iſt ein Feind Got⸗ 
tes, weil er den Geſetzen der n wel he 
Geſetze Gottes find, nicht folgt “). e 

So machten die Stoiker amn prakti⸗ a 
ſche Anwendungen von ihren religisfen Ideen „ die 
jedoch, weil ſie die Lehre von der Unſterblichkeit der 
Seele nicht damit verbanden, im Grunde ſehr 
kraftlos waren, und uͤberhaupt kein eigentliches 
moraliſches Verhaͤltniß der i 1 den! Men⸗ ! 
ſchen begruͤndeten. A 

Dies waͤren die vorzuͤglichſten e ee, 


der Stoiker, welche die Religionswiſſenſchaft 


objektive betrachtet, betreffen. Sie breiteten aber 


* Seneca ep. Xx. 
**) Diog. Laert. VII, 119. 


| B.uch III. Capitel 7. a7 
auch ihre Philoſopheme weiter als ihre Vorgänger 
uͤber die ſubjektiven Religionsideen, ihre Entſte⸗ 
hung und ihre verſchiedenen Formen aus. 5 


Die Entſtehung des Begriffs von Gott, 


leiteten ſie nach dem Cicero aus vier Urſachen herz 


aus dem Vorherwiſſen der Zukunft, aus den Vor⸗ 
theilen welche die Einrichtung der Natur dem 


Menſchen bringt, aus dem Schrecken welches ihnen 


furchtbare Naturbegebenheiten verurſachen, und 
aus der bewundernswuͤrdigen Ordnung der Natur). 


Die letzte Urſache führt Sertus Empirikus als die 


vorzuͤglichſte an, und ſetzt noch hinzu, einige neuere 


Stoiker hätten behauptet, die aͤlteſten aus der Erde 


i entſprungenen Menſchen haͤtten die nachfolgenden 
an Geiſteskraͤften weit übertroffen, und wären da⸗ 


9 


durch fähiger geweſen die ee und or n 


ſchaſten zu erkennen ). 


DOhngeachtet fie, wie ale 150 t 10 . 


die Lehre von der Einheit Gottes nicht ſo ſtreng 
behaupten, wie man gewöhnlich glaubt, ſo erlaub⸗ 


ten ſie ſich doch viele Abweichungen von dem ge⸗ 
wohnlichen Volksglauben und manche Mobificas 
tionen beffelben nach ihrer Philoſophie. Sie waren 


hieruͤber unſtreitig unter einander ſelbſt nicht einig, 


„ un f | und 


E 2 
wa 


) Cic. de nat. Deor. IL 5. 


* 7 5 55 
er 


0 Sent. Fp. IX. 26-28. vergl. Senera epih. ge. 


* 


272 Buch UI. Capitel 7. N 


A — r 2 
’ 7 * * 5 
* f 5 


und die en Stoiker giengen 0 walter teen die 
fruͤghern. 0 1 
Nach dem 2 Laertius * . ſie | 
verſchiedene Namen der "Götter" als Benennungen 
verſchiedner Eigenſchaften des einzigen hoͤchſten Got⸗ 
tes. Das Weſen welches alles durchdringt, ſagt 
er, wird auf verſchiedene Weiſe benannt, nach ſei⸗ 


nen Eigenſchaften“. Er führt hierauf die Namen 


Dios, Zeus, Athene, Hera, Hephaiſtos, Poſei⸗ 
don und Demeter als ſolche Benennungen an, und 
erklärt: fie. nach der Etymologie der griechiſchen 


Sprache. Dieſe Erklaͤrun gen ſind zum Theil frei⸗ 


lich ziemlich weit hergeholt. Eben ſo mochten es 
auch die allegoriſchen, welche fie verſuchten, "größe 3: 
tentheils ſeyn. Sie erklaͤrten z. B. die Fabel, daß 
Saturn ſeine Kinder verſchlungen habe, und vom 
Jupiter in Feſſeln gelegt worden ſey, ſo: Saturn 
bedeutet die Zeit, welche durch den Aether, der 
durch Jupiter bezeichnet wird, und die Himmels⸗ 
ſphaͤre erfuͤlt, beſtimmt und eingetheilt: wird ). 
An ſo ſubtile Erklaͤrungen hatten die erſten Erfin⸗ 


der der Fabeln gewiß nicht gedacht. Richtiger 


waren daher unſtreitig die Erklaͤrungen, nach wel⸗ 
chen ſie die Fabeln von den Göttern theils aus 
| | mig 
*) Diog. Laert. VII. 147. 2 6 
4. Cie. de nat. Deor. II. ꝶ5. 


Me 


| Buch III. Capitel 7). 278 
4 mißzderſtandenen phyſiſchen Beobachtungen und Be⸗ 


griffen, die durch Veranlaſſung der Armuth der 
8 Sprache perſonifizirt wurden 4), theils aus der 


Dankbarkeit der Menſchen gegen wohlthaͤtige Nas 


turgegenſtaͤnde, theils aus ihrer Dankbarkeit und 
Verehrung gegen große Männer herleiteten **). 


Sie hatten dabey aber auch manche Lehren 


von Dämonen „die aber wohl mehr individuell und | 


einzelner von ihnen eigen geweſen ſehn duͤrften, als 
daß ſie ſich aus den allgemein von ihrer Schule 
| gebilligten Grunbfägen hätten e laſſen. 


| 5 5 1d. Il. 28. 
) Id. C. 24. 


S | Achtes 


391 


74 Buch II. Capitel 8. 


Achtes Capitel. 


D Ver andre Weg welchen dle Griechen betreten 


onnten, welche nicht ihren Bergen die den 


Schauplatz der philoſophiſchen Originalität vor ih⸗ 


nen eingenommen und ausgefüllt hatten, folgen 


wollten, war der des Skepticismus. Ihn gien⸗ 
gen gewiß viele, theils aus Gleichgültigkeit, theils 
aus Mangel an Befriedigung durch die herrſchen⸗ 


den philoſophiſchen Grundſaͤtze; aber nur wenige 


brachten die Gruͤnde deſſelben zum deutlichen Be⸗ 


wußtſeyn, noch wenigere ſtellten fie wiſenſchaft 


lich dar. 

Am wenigſten ſcheinen die aͤltern Skeptiker 
ihren Skepticismus auf die Religion ausgedehnt 
zu haben, wahrſcheinlich weil ſie dieſelbe mehr als 


einen hiſtoriſchen und politiſchen, als einen philoſo⸗ 
phiſchen Gegenſtand betrachteten. Zwar haben wir 


ſchon unter den aͤltern Sophiſten einen Protagoras 
gefunden, deſſen Ausſpruch: er koͤnne nicht ſagen 


ob Götter find oder nicht, ihn in die Claſſe der 


Skeptiker verſetzte. Aber unter den Skeptikern 
nach Sokrates als deren Hofäherz gewöhnlich 
Py⸗ 


r - DS 


au wu 


* . > 
I u De er ee en ee re u 


Buch III. Capitel Z. 275 
yreho genannt wird, finden ſich nur wenig 
Spuren eines religioͤſen Skepticismus. So wie 
ſie die Religion uͤberhaupt als ein Reſultat von 
Volksſagen und Volksmeinungen betrachteten, ſo 
ſcheint auch der einzige Grund ihre Zweifel an 
der Religion die Verſchiedenheit der Meinun⸗ 
gen der Völker über dieſelbe geweſen zu ſeyn 9 
Je mehr indeſſen die Religion ein Gegenstand 
1 er Ptiofophie ward, und je zahlreicher die dog⸗ 
matiſchen Behauptungen der Philoſophen uͤber die⸗ 
ſelbe wurden, deſto mehr ward ſie auch den An⸗ 
griffen des Skepticismus ausgeſetzt. Er traf das 
her vorzuͤglich die religiöfen heften Epikurs 
und der Stoiker. 
Aus Plato's Schule giengen Phüloſophen 
hervor, bekannt unter dem Namen der neuern 
Akademiker, die nicht ſowohl die Behauptung der 
Lehren ihres Meiſters, uͤber die ſie vielleicht ſelbſt 
zweifelhaft waren, als die Beſtreitung andrer 
Schulen, welche neben ihnen bluͤhten, zu ihrer 
Hauptbefhäftigung machten, und ſich dabey weis⸗ 
lich hinter eine gewiſſe ſtolze Beſcheidenheit, und 
hinter den Grundſaß uͤber nichts entſcheiden zu 
Bohr zuruͤckzogen. Den Geiſt dieſer Schule 
D Diog, Laert. IX, 84. rien 
* S 2 


von der Natur der Eoͤtter mitgetheilt, welche 


276 Buch III. Capitel 8. 
s hatte vorzuͤglich Cicero aufgefaßt, und er hat 5 


uns den Skepticismus derſelben in Ruͤckſicht auf 
die Religion am ausfuͤhrlichſten in den Buͤchern 


überhaupt die wichtigſte Fundgrube der B 
Religionsphiloſophie des Alterthums ſind. 


Aus dem erſten dieſer Buͤcher haben wir 
hauptſaͤchlich die Religionsmeinungen Epikurs ge⸗ 
ſchoͤpft. Eben daſſelbe enthält auch die Gegen⸗ 
gründe der Akademiker gegen dieſelben, welche Ci⸗ 
cero dem Cotta in den Mund legt. Cotta ſucht 


in der Hauptſache zu zeigen, daß Epikur im Grunde 
das Daſeyn der Götter aufhebt, ohngeachtet er ich 
das Anſehn geben will, daſſelbe zu behaupten ?), 
und daß daher die Akademie weit mehr Beyfall 


verdient, indem ſie das Daſeyn der Götter als 
unendlich wahrſcheinlich annimmt, und nur auf 


Gewißheit Verzicht thut). Er ſucht daher zus 
erſt den Beweis Epikurs welcher von der Allge⸗ 
meinbeit des Glaubens an Götter hergenom⸗ 
men iſt, dadurch zu widerlegen, daß er ihm das 
Beyſpiel einiger philoſophiſchen Athelſten, und aller E 
| Wien 8 entgegenfbels a ar 


| 4 5 | 1 


15 Cie. de nat, Deor. I. 26. 29. 34. 37. 44. 
* AR 31. 32. Quseſt. Acad. I. 


„ 


Buch III. Capitel g. 277 


5 ge Hierauf ſucht er zu zeigen, daß das ganze 
atomiſtiſche Syſtem Epikurs ſich mit dem Glau⸗ 
ben an Goͤtter nicht vertrage. Er macht zuerſt 


Rauf das Abentheuerliche dieſes Syſtems überhaupt 
aufmerkſam. Dann zeigt er, daß wenn Goͤtter 


aus Atomen beſtuͤnden, ſo muͤßten ſie einmal ent⸗ 
ſtanden ſeyn, und wären daher auch der Vergaͤng⸗ 
lichkeit unterworfen. Er tadelt hierauf überhaupt 
das willkührliche und grundloſe Verfahren Epikurs 

in der Philoſophie „da er ſich, wenn eine Hypo⸗ 
theſe nicht aus reichte immer mit neuen Hppothe⸗ 
ſen balf, und Begriffe bildete, bey ER er 
| nicht deutliches dachte“). 

Er ſchließt aus dieſem Mangel deutlicher Be⸗ 
griffe von der Gottheit, daß ſie dem Epikur ein 
bloßes Ideal ſey, wie die Coiſche Venus dem 
Kuͤnſtler, und deckt dabey die Schwache von Epi⸗ 
kurs Beweiſen fuͤr die menſchliche Geſtalt der 
Soͤtter auf. Zuerſt widerlegt er die Behauptung, 
daß die Menſchengeſtalt der Goͤtter ein Begriff a 
priori ſey, damit: daß ſie vielmehr eine Erfin⸗ 


dung der Politik zu ſeyn ſcheine, welche durch Dich⸗ 


ter und Kuͤnſtler beguͤnſtigt ward, und welcher die 
natürliche Neigung jedes Geſchöpfs die Form ſei⸗ 


ner Gattung fuͤr die ſchoͤnſte zu halten, zum Grunde 


Eau RER liegt. 
A *) Cap. 25. 26. | 


Nen 


er 


278 Buch III. Eapitel 8. . 
liegt. Darauf bezweifelt er den Grund, daß die 
menſchliche Geſtalt die ſchoͤnſte ſey, auch deswegen, 1 


weil die Menſchen ſelbſt ſehr rſchleden über. 4 


menſchliche Schoͤnheit urtheilen. Daß man ſich 
überhaupt Goͤtter unter einer andern als menſch⸗ 
lichen Geſtalt denken koͤnne, zeigt er mit dem Bey⸗ 


ſpiele der Aegppter. Endlich widerlegt er auß 
den Beweis, daß ſich die Vernunft mit keiner an⸗ 


dern als der menſchlichen Geſtalt verbunden den⸗ | 
ken laſſe, indem er zeigt, daß er ſich blos darauf 
gründe, daß man noch kein andres vernuͤnftiges 
Weſen geſehen habe, als in Menſchengeſtalt, wor⸗ 
aus aber nicht folgt, daß kein andres möglich ſey. | 
Dann fügt er noch hinzu, es laſſe ſich nicht einſe⸗ 
hen wie die Menſchen zu einer den Göttern aͤhn⸗ 
lichen Geſtalt gekommen ſeyn ſollten, da alles blos 
vom Zufall beym Atomenſyſtem abhaͤngt. Er 
zieht hierauf noch einige abſurde Folgerungen welche 


ſich aus der Menſchengeſtalt der Goͤtter ergeben, 6 


3. B. daß fie Glieder haben müßten die fie nicht 
brauchen, daß fie eben die Sorgfalt auf Erhal⸗ 
tung ihrer Glieder wurden wenden mühen mr die 
Menſchen u. fe w. ). 4 


Dann zeigt er das Unzureichende und e, 1 


friedigende in den Meinungen Epikurs von dem 


e 
- ®) Cap. 27- 36. 


Rh III. Capitel 3. 279 
f Aufenthalt und der Seeligkeit der Goͤtter, und 
endlich überhaupt das Unrichtige der Schluͤſſe von 
den Ideen, welche wir uns bilden, auf das wirk⸗ 
liche Daſeyn ihrer Gegenſtaͤnde, worauf im Grunde 
die Meinungen Epikurs von den Göttern überhaupt 
beruhen ). 
Die von Epikur angenommene Jſonomie, 
nach welcher er von dem Dafeyn ſterblicher Weſen 
auf das nothwendige Daſeyn entgegengeſetzter, naͤm⸗ 
lcch unſterblicher ſchließt, widerlegt er kurz durch 
einige abſurde Folgerungen, welche zeigen daß durch 
} ſolche Entgegenſetzungen unendlich mannigfaltige 
und hoͤchſt widerſprechende Geſchoͤpfe der Einbils 
RR dungskraft entſtehen. Denn zeigt er noch einmal 
das Widerſprechende in der thaͤtigkeitsloſen See⸗ 
ligkeit der Götter ). 
| Endlich macht er noch auf das Grundloſe in 
Epikurs Empfehlung der Gottesverehrung nach 
feinem Syſtem aufmerkſam; indem nach demſelben 
die Goͤtter den Menſchen nichts Gutes erzeigen 
können und als unthätige Weſen keine Achtung 
verdienen. Eben dieſen Grund wendet er gegen 
Demokrits religioͤſe Phantaſmen an, und aͤuſſert 
am Ende die Meinung, daß Epikurs ganze Rell: 
Br Me gious⸗ 
J Cap. 1 38. 0 
) Cap. 39. 40. 


280 Buch III. Capitel 83. 
gionstheorie wohl nur zum Schein von ihm er⸗ 
dichtet ſeyn duͤrfte, um ſich nicht der Verfolgung 
auszuſetzen ). Allein aus dem Unbefriedigenden 
und Widerſprechenden welches Epikurs Religions⸗ 
meinungen auſſer ihrem Zuſammenhange haben, 
duͤrfte fi dieſes wohl nicht ganz zuverlaͤſſig fol⸗ 
gern laſſen, da ſich, wie wir oben gezeigt haben, 
gar wohl einſehen laßt, wie er bey feiner Den⸗ 
kungsart darauf kommen konnte. | 
Ohngeachtet der Akademiker Cotta Kai Mel, I 


nungen der Sioiker vor denen der Epifuräer einen 


großen Vorzug gegeben hatte, ſo werden ihm | A 
doch, nachdem Balbus im zweyten Buche das 


ſtoiſche Religionsſyſtem vorgetragen hat, im drit⸗ 4 


ten die Einwendungen der Akademiker gegen a 
ſelbe in den Mund gelegt. ER N 

Gagen die von den Stoikern Mean Neth; 5 
wendigkeit beym Anblick des Himmels eine Gott⸗ 
heit als Regentin deſſelben anzunehmen, wendet er 
ein, daß viele und zwar namentlich die Epikurder, 
dieſe Nothwendigkeit nicht anerkennen. Gegen den 


Grund welchen die Stoiker von dem allgemeinen 4 


Voͤlkerglauben herneymen; daß die Meinung 
vieler Thoren dem Weiſen nichts beweißt. Den 
Goͤttererſcheinungen ſegt er das Wide | 
und 


* 


) Cap. 41-44. 


Bruch III. Capitel 8s. 281 
| und Unwahrfcheinliche in den Erzählungen von 
denſelben entgegen. Den Beweiſen aus der Man⸗ 
tik das Unzweckmaͤßige und Unzuverlaͤſſige dieſen 
Kunſt; den Sotterverſohnungen daß ſie den 
Charakter der Goͤtter zu widerſprechen, und bloſe 
Erfindungen der Politik und Feldherrnkunſt zu 
ſeyn ſcheinen ). Uleberhaupt wendet er gegen 
die Beweiſe des Balbus und der Stoiker ein, 
daß ſie vorausſetzen, was ſie beweiſen ſollen und 
b daher hoͤchſtens beweiſen, daß Menſchen ſind welche 
an Götter: glauben, aber nicht daß Goͤtter ſind. 
Dies bezieht er beſonders auf die Beweiſe, welche 
von der Vorſorge der Goͤtter für die Menſchen 
hergeleitet werden, und die allerdings ſchon einen 
anderweitigen Begriff von den Goͤttern voraus⸗ 
aun Min e 
Er geht . . den Begriff uͤber, 

ai die Stoiker von der Gottheit hatten, und 
aus welchen ſie einen Beweis fuͤr das Daſeyn der⸗ 
ſelben herleiteten. Sie ſuchten nemlich zu zeigen, 
daß die Welt Gott ſey, und daß alſo ein Gott 
ſeyr weil eine Welt iſt. Daß die Welt Gott ſey, 
bewieſen ſie aus dem Begriffe des beſten oder voll⸗ 
eee Weſens, indem ſie ſchloſſt enz Gott iſt 

une 1 S 5 4 das 
9 Cie. de nat. Deor, III. 56 
a 900 C. 7. 8. 


282 Buch III. Capitel 8. 

das beſte Weſen, — die Welt iſt aber das beſte 
Weſen das wir kennen, — alſo iſt die Welt 
Gott. Statt darauf aufmerkſam zu machen, daß 
das beſte Weſen, welches wir denken koͤnnen, nicht 
nothwendig das beſte Weſen ſeyn muͤſſe, das wir 
durch Erfahrung kennen, ſucht Cotta dieſe Be⸗ 
hauptung der Stoiker durch Abſurditaͤten zu wi⸗ 
derlegen, welche er daraus ableitet. Sie ſchloſſen 1 
nemlich weiter, daß dem beſten Weſen auch die 5 1 
beſten Eigenſchaften und unter dieſem vorzuͤglich 
Vernunft beygelegt werden muͤſſe. Hieraus fol⸗ 
gert Cotta, daß die Welt nach dieſen Grundſaͤtzen 


auch der beſte Mathematiker, Floͤtenſpieler u. ſ. 


w. ſeyn muͤſſe. Auch ſucht er den Satz, daß 
Vernunft und Empfindung die beſten Eigenſchaf⸗ 
ten ſind, dadurch zu widerlegen, daß er folgert, 
wenn ein empfindendes Weſen beſſer iſt als ein 
empfindungsloſes, fo- müßte eine Ameiſe beſſer 
ſeyn, als die Stadt Rom, und wenn im Gegen⸗ 


theil dem beſten Weſen die beſten Eigenſchaften 4 


zukommen müffen, fo muß der Stadt Rom Ver⸗ 
nunft zugeſchrieben werden, weil ſie das Beſte auf 

der Erde iſt ). Alle dieſe Verwechslungen und 
Trugſchluͤſſe gründen ſich darauf, daß der relative 
un | 1 Be 


) Cap. 9. 


Buch III. Capitel 8. 283 

Begrif des Beſten oder meer . als eln 
ee Begriff behandelt wird. 25 5 

Dann zeigt er weiter, daß wenn die Welt 
ee iſt, auch die Sterne keine Goͤtter ſind, 
beſonders da man von der regelmaͤßigen Bewe⸗ 
gung oder Einrichtung einer Sache auf ihre Ver⸗ 
nuͤnftigkeit und Goͤttlichkeit nicht ſchließen koͤnne, 
2 ſonſt die Meersſtrudel, Ebbe und Fluth, ja 
Tertian und Quartanfſieber Götter ſeyn 
3 + | 
Be >? Schluß: daß wenn etwas in der Welt 
ſey, was Menſchen nicht hervorbringen koͤnnen, es 
von Goͤttern hervorgebracht ſeyn muͤſſe, giebt er 
nicht zu, indem er einwendet, die Natur koͤnne es 
hervorgebracht haben. Eben darauf beruft er ſich 
gegen den Beweis, daß die Welt zu ſchoͤn fey, 
um bloß zu einem Wohnplaße für Menſchen be⸗ 
flimmt zu ſeyn. Der Vorwurf, daß es der groͤßte 
Stolz ſey, wenn ſich der Menſch fuͤr das beſte 
Weſen halte, entſchuldigt er damit, daß der Menſch 
kein beſſeres Weſen kenne, und ſich freilich fuͤr 
beſſer halten muͤſſe als der Orion und den Hunds⸗ 
ſtern, weil er Vernunft ger die jene vn 
haben. 
Auch gegen den Bewels, daß . Weh 
als ein Produkt der Welt keine Seele haͤtte be⸗ 
eine UN Tom: 


284 Buch i —— 


kommen konnen, wenn die Welt keine bälle, be⸗ 


ruft er ſich auf die Natur. Er billigt die Bes 
merkung der vernunftmaͤßigen Ordnung in der 


Natur, nur will er nicht zugeben, daß ſie nur 
durch einen Gott konne bewirkt werden, ſondern 
meynt ſie koͤnne auch durch einen natuͤrlichen Zu⸗ 


ſammenhang in der Natur, durch eine gewiſſe 
Sympathie ihrer Theile fortdauern 9. 
Hierauf bedient ſich Cotta der Gründe, mit 
welchen ſchon Carneades, der beruͤhmteſte Lehrer 
der mittlern Akademie und Schuͤler des Arceſi⸗ 
laus, den man gewoͤhnlich fuͤr den Stifter dieſer 
Schule und den Urheber ihres Skepticismus an⸗ 
nimmt, gegen die Religionsmeinungen der Stoiker 


ſtritt, und die auch Sextus Empirikus aus fuͤhr⸗ 


lich mittheilt “). Sie waren vorzuͤglich gegen 


die materiellen Begriffe gerichtet, welche die 4 


Stoiker mit der Gottheit verbanden, ſie mochten 5 


ſie nun mit der Welt uͤberhaupt oder mit einem 


aͤtheriſchen Princip, welches den Urſtoff und den 
erſten Grund des Lebens und der Bewegung in 


der Welt ausmacht, verwechſeln. Denn immer 1 


blieb die ſtoiſche Gottheit materiell, fie mochte nin ' 


im BER | Fu der Welt überhaupt oder 


N dig 15 5 
) Cap. 11. | Ss u | 
) Sext, Em. adv, Math. IN, 140. 189. 


ER III. Gavite: 8. 
döſtrakbeſen der einfachſten und feinſten materiellen 


Urſache ihrer Form und aer ede b 
werden. e, te 1 at N 


Carneades wendet dagegen ein, daß kein 0 80 
per unvergaͤnglich iſt, weil ein jeder in Theile aufs 
gelößt werden kann, und der Einwirkung einer 
äuffern Gewalt ausgeſetzt iſt. Alle Körper find 
ferner veränderlich, denn Feuer, Waſſer, Luft 
und Erde, woraus alle Körper beſtehen, find vers 
änderlich, und daher auch vergaͤnglich. Alle be⸗ 
lebte thieriſche Körper haben Empfindung, ſind 
des Vergnuͤgens und Schmerzens empfaͤnglich. 
Was aber fuͤr Schmerz empfaͤnglich iſt, das iſt 
auch des Unterganges fähig. Eben dieſer Schluß 
; auf Vergaͤnglichkeit wird aus der Neigung und 
Abneigung welche der thieriſchen Natur eigen iſt 
gezogen. Ein koͤrperliches belebtes Weſen, wie 
die Gottheit der Stoiker, kann alſo nicht unver⸗ 
j gänglich ſeyn. Was aber 85005 unſterblich itt, das 
iſt nicht Gott ). 

Ari Cotta bricht dleſe Beweisart ab, indem er 
bemerkt, daß auf unzählige Arten bewiefen wer⸗ 
den koͤnne, daß alles was Empfindung hat, dem 
| Untergang ausgeſetzt iſt. im Sextus Empi⸗ 

| ß rikus 
0 0 Cap. 12, 13. | 


286 Pe Il. cane. 3 


rikus finden ſi & auch noch ih andre Sof N 
mit welchen Carneades dieſes bewies. Br 

Er geht aber weiter auf die Beflanbtheile eis 
nes thierifhen Weſens über, Es muß entweder 
zuſammengeſetzt oder einfach ſeyn. Iſt es zuſam⸗ 
mengeſeßt, ſo laſſen ſi ch die Theile deſſelben auch ö 
auflöfen, Doch nach den Stoikern ſoll alles aus 
Feuer beſtehen, alſo einfach ſeyn. Sie bewieſen 
dies zum Theil damit, daß alle belebte Weſen 
umkommen, ſobald ihnen die Waͤrme abgeht. 


Cotta ſetzt dieſem entgegen, daß dies auch der Fall 


iſt, wenn ihnen Luft und Feuchtigkeit mangelt, 


und daß das Feuer, wenn es zu groß wird, ſelbſt 


den Untergang befördert, Wenn aber das Feuer 
ein belebtes Weſen iſt, ſo kommt ihm Empfin⸗ 
dung, alſo auch Schmerz, alſo auch Vergänglich⸗ 
keit zu, wie vorhin gezeigt ward. Auch lehrt die 
Erfahrung, daß jedes Feuer der Nahrung bedarf. 
Sobald ihm dieſe abgeht, muß es derlöſchen un 
ift mithin vergaͤnglich »). Br 
Sextus Empirikus fuͤhrt noch elnige beam 1 


hierher gehörige Beweiſe des Carneades an; Gott 


iſt, ſagt er, entweder endlich oder unendlich. Un, 
endlich kann er nicht ſeyn, ſonſt waͤre er unbeweg⸗ 
lich und unbelebt (als materielles Weſen namlich 
| 9 
*) Cap. 14. 9 


— 


Buch l III. Saite: 8. 287 


bedacht) / da er alſo beweglich vorgeſtellt wird, ſo 
muß er auch endlich ſeyn. Er iſt aber auch nicht 


endlich. Denn das Endliche iſt ein Theil des Un⸗ 
endlichen. Das Ganze aber iſt beſſer als ſeine 


Theile, mithin waͤre das Unendliche beſſer als 


Gott. Es iſt aber nichts beſſer als Gott. Alſo 


kann Gott auch nicht endlich ſeyn. Wenn aber 
Gott weder endlich noch unendlich ſeyn ſoll, ſo giebt 
es kein drittes was er ſeyn kann. Es iſt alſo 


kein (materieller) Gott. Aber fährt er weiter 


fort, auch kein immaterielles Weſen iſt ohne Em⸗ 
pfindung, Leben und Thaͤtigkeit ). (Nach ſtoi⸗ 
ſchen Grundſaͤtzen iſt das allerdings richtig). 


Die weitern Einwendungen des Carneades ges 
gen ben ſtoiſchen Begriff von Gott, welche Cotta 


hier kurz, Sextus Empirikus aber weitläuftiger 


anführt, find gegen die moraliſchen Eigenſchaf⸗ 


ten deſſelben gerichtet, und im Grunde dieſelben, 


um welcher willen Ariſtoteles behauptete, daß Gott 


nicht tugendhaft genannt werden dürfe *). Dies 


wird aus den Begriffen einzelner Tugenden ge⸗ 
zeigt. Gott kann nicht klug genannt werden. 


Denn Klugheit beſteht in der Erkenntniß des Gu⸗ 


ten, des Uebels und des Gleichguͤltigen und in der 


Wahl 


) Sext. Emp. adv. Math IX. 148- 151. 


0 Ariſt. Eth, Nicom. X. g. fr oben. 


288 Buch III. Capitel 8. 
Wahl zwiſchen denſelben. Fuͤr Gott aber giebt 
es kein Uebel, alſo bedarf er auch keiner Klug⸗ 
heit. Verſtand brauchen wir, um von dem Be⸗ 
kannten auf das Unbekannte zu ſchließen. Gott iſt 
aber nichts unbekannt. Alſo braucht Gott keinen 
Verſtand, Gerechtigkeit iſt ein Reſultat des gefells 
ſchaftlichen Zuſtandes unter den Menſchen. a Dieſer | 
findet bey Gott nicht ſtatt, alſo auch keine Ges 
rechtigkeit. Maͤßigkeit iſt Enthaltſamkeit von Wol⸗ 
luͤſten. | Tapferkeit bezieht ſich auf Schmerz und 
Gefahren. Aber Wolluͤſte, Schmerz und Gefah⸗ 
ren ſind fuͤr Gott nicht da, alſo auch keine Maͤßig⸗ 
keit und Tapferkeit ). e 
Carneades brauchte, wie Sertus Empirikus 


uns nach den Nachrichten eines ſeiner Freunde des 


Clitomachus meldet, noch insbeſondre zur Wider⸗ 
legung des Polytheismus den die Stoiker be⸗ 
guͤnſtigten, einen Sorites, der zwar wenig philo⸗ 
ſophiſchen Werth hatte aber recht ver ang 
gemacht, und daher in feinem Zeitalter ſehr wirk⸗ 
ſam war. Er gruͤndete ſich im Ganzen genommen 
auf den Saß: wem ein Ding einer Art für Gott 
gehalten wird, fo muͤſſen alle übrige von gleicher 
Art ebenfalls dafur gehalten werden. Dem zu 
Folge ſchloß er z. B. wenn Neptun ein en iſt, a 
ſo 

) Cie, de N. D. III. 15. Sext. Emp, I. e, 153-176. 


Wu Capiter. 289 


| fo iſt es auch der Nil; ift es aber der Nil ; fo 
0 iſt es jeder Fluß; iſt es jeder Fluß, ſo iſt es 


auch jeder Bach; iſt es jeder Bach, fo iſt es auch 


jeder Graben. — Wenn Venus eine Göttin iſt, 


ſo iſt es auch Amor, iſt es Amor, ſo iſt es auch | 
das Mitleid, denn beyde ſind Affekten, iſt es 


aber das Mitleid, ſo iſt es auch die Furcht und 
überhaupt alle Gemuͤthsbewegungen. Da aber die 
Furcht keine Gottheit ift, fo iſt es auch nicht die 
Venus ). Dieſer Art zu ſchließen bedient ſich 
auch Cotta beym Cicero auf ſeine Weiſe, und 


| bringt dabey viel Gelehrſamkeit an **). Zugleich 


zeigt er das Widerſprechende, was in den Fabeln 


| von den Goͤttern ſelbſt liegt, da die meiften Goͤt⸗ 


ter ſo viele Namens verwandten haben , daß man 


= nicht weiß, welcher der Rechte iſt. So giebt es 
| = B. dreh Jupiter, ſechs Herkules, drey paar 
1 Dioſ kuren, drey Choͤre der Mufen, ö vier Sonnen⸗ 


goͤtter u. ſ. w. deren Geſchichte und Abſtammun⸗ 


gen ſich faͤmmtlich untereinander widerſprechen. 


Dabey zeigt er, daß die allegoriſchen Deutungen der 


b Stoiker dieſe MWiderfprüche nicht aufheben, daß z. 


Pr Ben ine Hoffung Tugend, Ehre, 


E 
. 
= 


| na. 
9 Sixt; wa. adv. M. IX. 182190. 
189 Cic. de N. D. III. 16. 25. 


T 


290 Buch Ul. Capitel 8. 


Sieg, Wohlfarth, Einigkeit u. ſ. w. Sachen, ober 
keine Götter find. Eben fo, wenig kommt, wie 


er weiter zeigt, bey der ſinnreichen, aber oft ſpiß⸗ 
fuͤndigen und willkuͤhrlichen Deutung heraus, welche 
die Stoiker von den Namen der Wali 
machten. En 
Cotta wendet ſich hierauf u den Cuwerbun, 


gen gegen den dritten Hauptgegenſtand der 


Religionsphiloſophie der Stoiker, nemlich gegen die 


Lehre von der Vorſehung. Allein alles dieſes 


und ein betraͤchtlicher Theil deſſen, was er gegen 


den vierten Abſchnitt der ſtoiſchen Religions phi⸗ 4 


loſophie, gegen die Lehre von der göttlichen 


Vorſorge für das Menſchengeſchlecht 1 ſogt, 4 


iſt für uns, vielleicht nicht ohne Schuld eines 


frommen Eifers, verlohren gegangen. Nur den 


Gedanken hat uns Laktanz *) aufbewahrt. Man 
koͤnne auch annehmen, daß die Materie eine eigen⸗ 
thümliche Kraft befige und behalte, und bedürfe 
dann weder eines Weltſchoͤpfers, noch ee 
baumeiſters. D e e mg „ 
Cotta befindet ſich et eg. ae — Fri 
treffen, ſchon bey den Beweiſen, welche von den 
menſchlichen Seclenkräften , und beſonders von der 


e 3 3 


Vernunft hergenommen nde Er ſucht aus den 


) Lactant. divin. inſtit, II, 3, 8. 


Tra⸗ 4 


Buch Ul. Capitel 8. 291 


id gen, daß die Vernunft von den Menſchen eben ſo 


e 


667 p c ⁊ͤ , re ae SEE 2 
LAS and R 2 n r en 5 > 
f | AHA * ; 


N ſehr gemißbraucht, als weiſe und gut angewendet 
werden konne, und mithin ein ſehr zweydeutiges 
Geſchenk der Götter ſey, wenn ſie eins iſt. Die 
gute Abſicht, welche die Goͤtter dabey gehabt haben 


ſollen, laßt er nicht als Entſchuldigung gelten, 


ſondern behauptet, ſie haͤtten den Menſchen uͤber⸗ 
haupt keine Vernunft, oder wenigſtens keine des 


Mißbrauchs fähige Vernunft geben ſollen, da ſie 
denſelben doch haͤtten vorausſehen koͤnnen. Am 


Ende, meint er, gereiche es den Goͤttern eben ſo 


ſehr zum Vorwurf, wenn kein Menſch ſeine Vers 
nunft weiſe gebrauche, als wenn be keiner er 


Kt koͤnne *). | 
| Aber wenigſtens en die Gbtter öh fährt 
er fort, die Guten beguͤnſtigen, wenn ſie nicht 
alle Menſchen gut machen konnten. Daß ſie das 
Be zuweilen betrafen, iſt keine Entſchuldigung⸗ a 


Sie ſollten es verhindern. Oft beſtrafen ſie es 
nicht einmal. Cotta bemerkt dabey, daß dieſes 
eine große Empfehlung des Suͤndigens ſeyn wuͤrde, 


a wenn nicht das Gewiſſen auch ohne alle religiöfe 


Ba cht eine große a e Eben ſo wenig 


e wer⸗ 
25 Cie, x. D. IH. 26. 37. . 8 


Ne j 
de e 
* * 

J 


Traglkern und aus wirklichen Wegebeuhelten zu zei⸗ 


3 


292 Buch III. Capitel 8. 

werden die Guten belohnt. Wenn ſie auch man⸗ 
ches Gute genießen, ſo geſchieht dies auf die ge⸗ 
woͤhnliche Weiſe ohne Ruͤckſicht auf ihre Tugend. 
Daher danken auch die Menſchen den Goͤttern fuͤr 


alles andre Gute, nur nicht fuͤr ihre Tugend. 


Wenn man daher Veyſpiele anfuͤhrt, daß es den 
Guten wohl geht, ſo ſchreibt man dieſes den 
Göttern zu. Die entgegengeſetzten Fälle zählt man 


nicht. Daß die Goͤtter nicht alles bemerken, iſt 


keine Entſchuldigung fuͤr ſie. Noch weniger iſt es 


eine Entſchuldigung, daß ſie die Sünde der Bora 
eltern an den Nachkommen ſtrafen, weil dies die 


größte Unbilligkeit iſt. Gleichwohl ſoll die Gott⸗ 
heit nach ſtoiſchen Grundſaͤtzen alles thun koͤnnen, 
und zwar ohne Muͤhe. Sie kennt alſo entweder 


die menſchlichen Angelegenheiten nicht, oder bekuͤm⸗ 
mert ſich nicht um fie — Cotta ſchließt mit der 
Erklaͤrung, daß er dieſes vorgetragen habe, nicht 
um alle Religionsmeinungen zu ſtuͤrzen, ſondern 
nur um zu zeigen, wie dunkel und wie ſchwer fie 
zu erweiſen find. Auch ſolle das, was er geſagt 
habe, nur fuͤr Meinungen, nicht für Urtheile gelten“). 


9 * 
» 
* er 9 
1 


) Cap. 31- 40. Auch vergleiche man überhaupt den 
Verſuch einen Streit zwiſchen Middleton und 


Erneſti uͤber den wee ee Charakter der 
; Cice⸗ 


— 


5 
ie 
ra 8 


JJ Ga a ]ĩ² ö gran amd But Sri Lew 3 


Buch III. Capitel . 293 


m d In eben dieſem akademiſchen Gelſte ſind Ci⸗ 


cero's Buͤcher de divinatione geſchrieben, die un⸗ 
terhaltendſten der Ciceroniſchen Buͤcher, voll Maͤhr⸗ 


chen und Anekdoten. Die Mantik ſtand ohnge⸗ 


faͤhr in eben dem Verhaͤltniſſe zur Religionsphilo⸗ 
ſophie des Alterthums, in welchem zu der unſrigen 
die Lehre von der Offenbarung und von Wundern 


ſteht. Die größten Philoſophen des Altertums 
e ſich, wie wir hier und da bemerkt haben, 


mit ihr beſchäftigt, und nur wenige ſie gelaͤugnet. 


In der Hauptſache ſuchte man ſie durch die Er⸗ 
fahrung zu beweiſen, und die Fälle, in welchen Vorbe⸗ 


deutungen nicht eingetroffen waren, mit der menſchlichen 


Unwiſſenheit, und mit der Mangelhaftigkeit jeder 


Kunſt und Wiſſenſchaft zu entſchuldigen. Die Phi⸗ 


loſophen und beſonders die Stoiker ſetzten fie mit 

der Lehre von der Vorſehung für das Menſchenge⸗ 

ſchlecht in Verbindung, und behaupteten, die Gott⸗ 
heit habe die Begebenheiten der Welt in ihrem 
urſpruͤnglichen Plane fo eingerichtet, daß mit ges 


wiſſen Erfolgen jederzeit gewiſſe Anzeigen verbun⸗ 


A den wären, und es kaͤme nur auf die Menſchen an, 


T 3 g auf 


u Ciceroniſchen Bücher von der Natur der Goͤt⸗ 
ter zu entſcheiden. Eine Solge von fünf Abe 
handlungen 1799. 


= ä 1 Be 


294 Duc ll. Capitel 8. 


auf ſie zu Altea Diefe Lehre erhielt dadurch, daß 
ſie ein Werkzeug der Politik war, den Feldherrn 


ein großes Anſehn gab, und durch oͤffentliche An⸗ 


ſtalten mancher Art beguͤnſtigt wurde, bey allen al⸗ 


ten Voͤlkern, beſonders aber bey den Roͤmern, 


eine große Autoritaͤt. Cicero laͤßt fie im erſten 


Buche von der Divination durch ſeinen Bruder 


Quintus vertheidigen, und bestreitet ſie im zwey⸗ 


ten mit Gruͤnden der Akademie, beſonders des : 
Carneades, fo daß einem jeden die Freyheit übrig 


bleibt, davon zu denken was er will. Dieſe in⸗ 


tereſſanten Bucher liefern indeſſen mehr Stoff zu 


pſychologiſchen als theologiſchen Bemerkungen, und 
ſind insbeſondre in ſofern lehrreich, als ſie zeigen, 
wie ſich die aufgeklaͤrteſten Leute von Dingen haben 


uͤberreden koͤnnen, an die est nur .. WR Weir 


ber glauben. 


Das Vuch vom Schickſal haͤngt mit dieſen N 
Büchern einigermaaßen zuſammen. Es iſt fehr 5 
mangelhaft auf uns gekommen. Die Bruchſtücke, 1 


welche uns davon uͤbrig ſind, enthalten groͤßten⸗ 


theils hiſtoriſch die Meinungen andrer Philoſophen, f 
und die Frage, ob ein nothwendig beſtimmter Zur 


ſammenhang unter den Dingen in der Welt ſeys 


wird mehr in Ruͤckſicht auf ee Naturwiſ⸗ 


ſen⸗ 


alle dieſen verſchiedenen Meinungen für kein 


Buch ll, Capitel 8. 298 


1 ſenſchaft und moraliſche Yntfeopologie, als auf Wehn | 
| ct erörtert, 


Die Maxime der neuern Akademiker war, bey 
. 
ſelben beſtimmt zu entſcheiden *), und alle zu bes 


ſtreiten, diejenigen aber am meiſten, welche mit der 


entſcheidendſten Mine des Dogmatismus auftraten. 
Dies thaten aber die Epikuraͤer, daher fie dieſelben 
am lebhafteſten angriffen. Sie erlaubten ſich in⸗ 


1 deſſen doch in beſtimmten Faͤllen, eine Meinung wahr⸗ 
ſcheinlicher zu finden als die andre. Daher glaubte 
Cotta keineswegs inconſequent zu handeln, wenn er 


bey feiner Beſtreitung der Gründe andrer Philoſo⸗ 


phen fuͤr das Daſeyn, und die Natur der Goͤtter 
die Wuͤrde eines Pontifex verwaltete. Er gruͤn⸗ 
dete als ſolcher ſeine Religionsmeinungen auf die 
Autoritat der Alten, eben ſo wie es Plato in Anſe⸗ 


hung der griechiſchen Volksreligion gemacht hatte ), 


* und unterſchied von dieſem hiſtoriſchen Grunde der 
Religion die philoſophiſchen, die er eben ſo ſcharf⸗ 


ſinnig und hartnaͤckig kritiſirte, als er jene glaubig 
annahm. Von einem Philoſophen, ſagte er, muß 
ich Gründe für die Religion erhalten; unſern Vor⸗ 


eltern aber auch ohne Gründe glauben“. 


e 


10 | ER Dies 
) Cie, de nat. Deor. I, 1, 5, ar. 0 
) Cic. de N. D. III. 2. Plato Timaeus, 


296 Buch III. Capitel 8. 


Dies war im Ganzen genommen auch dle Den⸗ 


kungsart Cicero's. Die akademiſche Philoſophie, 


deren Maxime, ſich alles Entſcheidens zu enthalten, 


er von Sokrates ableitete, kam ihm als Staats⸗ 


mann und Redner trefflich zu Statten. Sie war 


der Kaͤlte, welche ein Staatsmann in Ruͤckſicht auf 


Meinungen behaupten muß, völlig angemeſſen, und 


ſchien ihn nicht in Gefahr zu feßen, Märtyrer fels 


nes Syſtems zu werden, ob er es gleich im Grunde 


vielleicht ward; ſie ſetzte ihn als Redner in den 


Stand, jede Sache von verſchiednen Seiten zu be⸗ 
trachten, und diejenige, auf welche es ankam, ge⸗ 
ſchickt zu vertheidigen. Nur ließ er in Sachen der 
Religion ſein Herz gern mitſprechen, und dann 


ſchien er ſich zu Religionsgrundſaͤtzen zu neigen, 


welche aus ſokratiſchen und ſtoiſchen zuſammenge⸗ 
ſetzt, und entweder die ſokratiſchen mit ſtoiſcher 


Schaͤrfe und Beſtimmtheit, oder die ſtoiſchen mit 


ſokratiſcher Einfachheit und Wuͤrde dargeſtellt, wa⸗ 


ren. Auch ſcheint er dann gern von einem einzi⸗ 
gen und hoͤchſten Gott, oder vielmehr von einer 
Gottheit überhaupt geſprochen zu haben. Dieſe 
Geſinnung zeigt er vorzuͤglich In feinen ir; 


von den Geſetzen. 


Dogz 


e 


. N 75 
Buch III. Capitel 8. 20907 
Daß er indeſſen auch ſeiner Phantaſie zus 
weilen einen kuͤhnern Schwung bey religlioͤſen 
Ideen erlaubte, zeigt ſein Traum des Scipio. 
Ueberhaupt ſcheinen die aufgeklärteften und 
geſetzteſten unter den Koͤmern, bey welchen bes 
kanntlich keine eigenthuͤmliche Philoſophie entſtand, 


die aber doch nicht ſaͤmmtlich fremden Syſtemen 


anhiengen, eine ahnliche Denkungsart gehabt zu 
haben, von der wir nur wenige Proben geben 
koͤnnen, weil ſie nicht eigentlich philoſophiſch war. 
Der Lehrer des Cicero, O. Mucius Scaͤvola, 
ein Conſul und Pontifer Maximus von großem 
Anſehn, nahm dreyerley Arten von Goͤttern an, 
Goͤtter der Dichter „der Philoſophen und der Ge⸗ 
feßgeber. Die Götter der Dichter hielt er für 
ganz abgeſchmackt, die der Philoſophen nicht fuͤr 
ſchicklich zu einer Volksreligion. Mit ihm behaup⸗ 
tete Varro *): „daß er, wenn ihm jetzo die neue 
Einrichtung des roͤmiſchen Staats aufgetragen 
würde, die Namen und Verehrungsarten der Gott⸗ 
heit ganz anders beſtimmen wuͤrde, als ſie unter 
den Roͤmern ſeiner Zeit gebraͤuchlich waren. Da 
aber von den Roͤmern, als einem alten Volke, ge⸗ 
ö + 15 wiſſe 

2) Auguſtin. de civ. Dei IV, 27. meiners uͤber die 


Myſterien der Alten in ſ. verm. phil. Schriften, 
Th. III. S. 296. 


\ 


8 Buch III. Capitel 8. 


wiſſe Götter einmal als Götter des Staats auf 


genommen worden; fü halte er es fuͤr ſeine Pflicht, 
von ihren Benennungen, u. ſ. w. nach der Weiſe 
der alten frommen Vorfahren ſo zu reden, daß 


das Volk mehr dadurch veranlaßt würde, ſeine 


Götter zu. verehren, als fie zu verachten. Er ließ 
ſich's merken, daß er vieles verſchweige, was nicht 
blos er ſelbſt verachtete, ſondern was ſelbſt das 
Volk verachten wuͤrde, wenn es bekannt waͤre, 
und ſetzte ungeſcheut hinzu, daß es ſehr viele Re⸗ 
ligionswahrheiten gebe, die man dem Volke nicht 
mittheilen dürfe, und daß auf der andern Seite 
wieder eben ſo viele Irthuͤmer ſeyn, die man dem 
Volke laſſen müßte”, 


Daß einzelne Roͤmer ſchon ſehr kühe e ans. 


fiengen, frey über die Volksreligion zu denken, bes 
weißt die Ueberſetzung des Ennius vor Fuhr⸗ 
manns Geſchichte der Goͤtter. Daß aber noch lange 


einige Anhaͤnglichkeit an die Volksreligion bey ih⸗ 
nen uͤberblieb, beweiſen die Spuren derſelben, 


welche ſich noch in den Schriften des Tacitus fin⸗ { 


den. Nach den Bemerkungen, welche wir bisher 


uͤber die religisfe Denkungsart der aufgeklaͤrteſten 


Maͤnner des Alterthums gemacht haben, iſt es 


ſehr wahrſcheinlich, daß dieſe Anhaͤnglichkeit des 


Tacitus an die Volksreligion, die übrigens keinem 


pPuhi⸗ 


1 


HL ie n — ar * 


Bauch III. Cavitel s. 299 
philoſophiſchen Syſteme angehangen, wohl aber fie | 


alle gekannt und ihre tiefften und erhabenſten Ge⸗ 


danken ſich zu eigen gemacht zu haben ſcheint, nicht 
blos um des großen Haufens willen angenommen 


war. Sie gruͤndete ſich vielmehr auf wirkliche 


Ueberzeugung vom Daſeyn hoͤherer Weſen, die 
uͤber den Lauf der Dinge und das Schickſal der 
Menſchen walteten, die Gerechtigkeit der Voͤlker und 
Individuen belohnten, und ihre Ungerechtigkeit bez 
ſtraften, wiewohl ſie zuweilen hierinn nach einer 
Regel der Weisheit verführen, die ſich nicht von 
Menſchen einſehen und beurtheilen laſſe. Er ver⸗ 


raäth auch noch Glauben an Mantik; doch dachte 
er hierinn nicht fo beſchraͤukt wie Livius, der in 


ſeiner roͤmiſchen Geſchichte ſo viele Kuͤhe reden und 
und noch mehr Steine regnen läßt, um die Ereig⸗ 
niſſe der Zukunft vorher zu verkuͤndigen. Der 


wunderbare Gang der menſchlichen Begebenheiten 
vor und in ſeinem Zeitalter, beſonders das oft 
ſehr auffallende Ungluͤck der Rechtſchaffenen und 


das glänzende Gluͤck vieler Voͤſewichter ſcheinen ihn 
zuweilen zu Zweifeln an der Vorſehung veranlaßt 


zu haben. Daher er denn zuweilen anf den Glau⸗ 


E 
er, 


ben an ein blindes Fatum oder einen bloßen Zus 


fall, von welchen die Welt und Ihre Angelegenhei⸗ 
ten abhangen, geratben zuweilen wieder zu einem 


NA A 1 22 . beſ⸗ 


300 Buch III. Capitel 8. 


beſſern Princip der Dinge zurückgekehrt zu t 
ſcheint, wodurch er ſeinen Beurtheilern Veranlaſ⸗ 
ſung gegeben hat, ihn bald fuͤr einen Stoiker, bald 
fuͤr einen Epikuraͤer, bald ar einen mug au 
erklären *). ! 


Ueberhaupt herrſchte unter den Römern, nach 
der richtigen Bemerkung eines trefflichen Geſchicht⸗ 


ſchreibers der Philoſophie *), ein mehr prakti⸗ 
ſcher Geiſt in der Philoſophie, als bey den Grie⸗ 


chen. Sie hatten zu viel Gelegenheit zu großen 
Thaten, um nicht das Handeln fuͤr wichtiger zu 


halten, als das Raiſonniren. Sie verwarfen daher 
zwar die theoretiſche Philoſophie in den Syſtemen 
nicht, welche ſie von den Griechen annahmen, hiel⸗ 
ten ſich aber doch mehr an die praktiſche, und 
ſuchten manche theoretiſche Ideen mehr praktiſch zu 
machen. Dies hatte auch Einfluß auf die Re 
ligionslehre, beſonders bey den fpätern Stoikern, 
welche die Moral genauer mit der Religion ver⸗ 


banden. Es war dieſes, wie jener philoſophiſche 
Geſchichtſchreiber ſagt, im geringſten nicht dem 
Eu, 

„) Buhle Lehrbuch der Geſch. der Phil. Thl. W. 


S. 54. Staͤudlins Bemerkungen uͤber die Philo⸗ 
ſophie des Geſchichtſchreibers Tatitus, Jals Anhang 
zu der Geſchichte des Skepticismus. Bd. II. S. 299. 


8) Buhle Lehrbuch IV. §. 499. 


A 


Buch III. Capitel 3. 30 


| Einfluſſe des Chriſtenthums zuzuſchreiben, das da⸗ 


mals ſich im roͤmiſchen Reiche zu verbreiten an⸗ 
fieng, wie einige neuere Gelehrte geglaubt haben. 
Vielmehr erhellt aus den Werken des Seneca, 
Epiktet und Antonin offenbar, daß Epiktet die ſo⸗ 
genannten Chriſtianer nicht einmal als eine beſon⸗ 


dre Religionspartey kannte, ſondern ſie mit den 


Juden derwechſelte, und die beyden andern Schrift⸗ 
ſteller ſie als Schwaͤrmer verachten. Aber bie 
Bearbeitung der Moral ſelbſt, und die Betrach⸗ 


tung des menſchlichen Lebens in feinem Verhaͤlt⸗ 


niſſe zur Pflicht, konnte an ſich ſelbſt Urſache wer⸗ 
den, daß auch der Begriff von Gott mehr gelaͤu⸗ 


tert und naͤher mit der Moral verknuͤpft wurde. 


Es iſt dies nicht ſo zu verſtehen, als ob die ſpaͤ⸗ 


tern Stoiker die Pflichten für. göttliche Gebote ans F 
gefehen hätten. Im Gegentheile wieſen fie ihnen 
die Vernunft zur einzigen Quelle an. Aber ſiee 5 


f benußten die Idee von Gott mehr als Triebfeder 
zur Vefolgung der ſittlichen Geſetze, wie vor ihnen 


f 


geſchehen war. Sie hatten ſich bereits von den 


Feſſeln der Volksreligion losgewunden, und konn⸗ 
ten auch bey der zu ihrer Zeit freyern religioͤſen 
Denkart des groͤßern Publikums ohne Ruͤckhalt 


ihren religioͤſen Glauben darlegen. Daher ſtellten | 


. ſie ein hoͤchſt vollkommnes und moraliſches Weſen 
a | als 


203 SEE . 
als den Vater der Götter und Menſchen, als den 
Urheber und Regierer der Welt auf. Die Be 
liche Vernunft war ihnen die Quelle und dern 
Grund der menſchlichen, und die Ausübung des 9 
Pflichtgeſetzes der menſchlichen Vernunft bekam 
bey dieſer ihrer Vorſtellungsart ein neues miächtl⸗ | 
ges Motis durch die Idee des Verhaͤltniſſes, wor⸗ 
iun der Menſch zur Gottheit ſtehe, der Würde, 
bis ihm daſſelbe ertheile, und die er um ihrer 
ſelbſtwillen zu bewahren habe. Auch die eſoteri⸗ 
ſche Phlloſophie der altern Stoker hatte zwar viel 
ſubtiliſirt uͤber die letzte Urſache der Welt, und die 
Beziehung in welcher jene zu dieſer ſtehe. Sie 
hatte ebenfalls die Reſultate der Spekulation zur 
Kritik der Volksreligion angewandt. Aber da ſie 
den Begriff von Gott abgeſondert von der Moral 
unterſuchte, ſo hinderten die dialektiſchen Schwierig, 
keiten, die hierbey der theoretiſchen Vernunft un⸗ 
vermeidlich aufſtoßen, daß fie damit auf das Reine 
kam, und der Begriff von Gott blieb auch für die 4 
Moral gaͤnzlich unfruchtbar. Es iſt erſt ein Ver⸗ 5 
dienſt der fpätern Stoiker, Moral und Religion 9 
näher verbunden zu haben. Dieſe Vereinigung Id | 
ihnen auch Gründe der Beruhigung an die 
wenn ſie ſich bey den Lehren, einerſeits von ib 
Vorſehung, und andrerſeits von der Freyheit des 
Men⸗ 


* r 
— 4 


Sog III. Capite 8. 3 


Benfäen;. in Zweifel verwickelt fühlten, die a 0 


nicht zu loͤſen wußten“. 1 | Hohe 1659 
So weit dieſe Wa eng die borthellhaſteſte 
vielleicht, die fi überhaupt“ über die Religtons⸗ 


philoſophie der Boͤmer machen laͤßt. Sonſt 
lehrt die Geſchichte, daß es unter ihnen, beſonders in 


den hoͤchſt verderbten Zeiten der Kaiſer, ſehr viele ir⸗ 
religibſe Menſchen und praktiſche Atheiſten gab. 


Theoretiſche philoſophiſche Gegengruͤnde gegen das 


Daſeyn Gottes, finden wir auſſer den angezeigten 
ſkeptiſchen der Akademiker nicht. Der Epikuroͤis⸗ 
mus, ob er gleich im Ganzen nichts weniger als 
atheiſtiſch war, mußte auch viele Atheiſten unter den 


Roͤmern, bey denen er ſehr beliebt war, machen. 
Denn es war ungleich leichter, ſich von den Gegen⸗ 


gruͤnden Epikurs gegen die religtöſen Ideen andrer 


Philoſophen, als von eee a” 
ee die er an ihre Stelle feßen wollte. 


Der letzte Skeptiker von Bedeutung war ls 
der bedeutendſte unter allen, welche wir aus dem 
Alterthum kennen, Sextus Empirikus, den wir 


ſchon oft genannt haben. Er ſuchte in ſeinen Pyr⸗ 
rhoniſchen Skizzen und in feinen Buͤchern gegen die 


Gelehrten die Gewißheit aller menſchlichen Erkennt⸗ 


5 niſſe nach einem feſten ſyſtematiſchen Plane wankend 


zu machen. In dem erſten ſeiner Vuͤcher gegen 


1 5 die 


/ 


34 Buch III. Capitel s. 

die Phyſiker ») that er dieſes in Rückſicht auf die 
Religions wiſſenſchaft. Schon vieles haben wir hier⸗ 
aus fuͤr die aͤltere Geſchichte der Religionsphiloſo⸗ 
phie geſchoͤpft, und werden daher nur e 
was noch. übrig. iſt, hier anfuͤhren. | 

Sextus geht bey feiner Beurtheilung der Ge; 
wißheit in der Religionswiſſenſchaft kritiſch zu 
Werke, indem er zuerſt von der Entſtehung der 
religioͤſen Begriffe unter den Menſchen ſpricht. 
Er führt die Meinungen verſchiedner Philoſophen 
darüber an, nach welchen fie entweder eine Erfin⸗ 
dung der Geſetzgeber oder herrſchſuͤchtiger Mens 
ſchen, ein Reſultat der Dankbarkeit gegen die Nas 
tur und ihrer Bewunderung, oder der Eindrücke 
von Traͤumen und Viſionen auf die Menſchen, 
oder endlich eine Erfindung des groͤßern Scharfe 
ſinnes der Urmenſchen ſeyn ſollen. Schon aus der 
Verſchiedenheit dieſer Meinungen ſchließt er auf 
ihre Ungewißheit. Er widerlegt ſie aber auch alle 
nach der Reihe. Die, welche die Goͤtter fuͤr eine 

Erfindung der Geſetzgeber ausgeben, ſetzen vor⸗ 

aus, was erklart werden ſoll, denn wie kamen die 
Geſetzgeber ſelbſt zu Begriffen von den Göttern? 
Auch haben alle Voͤlker en und zwar ahnliche 
| Yo Be⸗ 
*) Sent. Emp. adv. Math. IX. g. 13. 194. und 
taͤudlins Geſch. d. Skepticismus Th. I. S. 428 f. 


5 Buch III. Capitel 8. 308 
| Begriffe von den Göttern. Es iſt aber nicht 
. wahrſcheinlich, daß alle ſich ſollten haben von Ge⸗ 

5 ſeßgebern belehren laſſen, und daß alle Geſeßzgeber 
auf aͤhnliche Begriffe gekommen ſeyn ſollten. | Auch 

diejenigen, welche Menſchen vergoͤttert haben ſollen, 

wovon andre die Begriffe von den Goͤttern her⸗ 


leiten, muͤſſen ſchon zuvor dergleichen Begriffe gehabt 


haben. Auch ift eine ſolche Menſchenvergötterung 
nicht wahrſcheinlich. Wenn auch manche ‚Könige 

f ſich bey ihrem Leben vergoͤtterten oder vergoͤttern 

ließen, fo wurden fie nach ihrem Tode verachtet. — - 


Ri Daß. die Alten fo einfältig ſollten geweſen ſeyn, je⸗ 


des nuͤzliche Ding zu vergoͤttern, findet er nicht 
wahrſcheinlich, weil ſie täglich. dergleichen Dinge por 8 
ihren Augen zu Grunde gehen ſahen, und ſie ſelbſt 
zerſtoͤren konnten. Demokrits vergoͤtterte Phantas⸗ 
men, findet er eben ſo unwahrſcheinlich, als Epikurs 
Ableitung der Goͤtter aus Traumbildern. Wenig⸗ 
ſtens konnte man dadurch eben ſo wenig, als durch 
die ſchoͤne Ordnung der Geſtirne auf den Gedanken 
an unſterbliche und ſeelige Weſen kommen. Ueber⸗ 
haupt beſchuldigt er alle dieſe Ableitungen des Be⸗ 
griffs von den Goͤttern eines Cirkels, indem der 

| Begriff der Seeligkeit der Goͤtter, von einer in ihrer | 
. hoͤchſten Vollkommenheit gedachten Gluͤckſeeligkeit 
8 der Menſchen, der Begriff der menſchlichen Glücks 
* 1 ſeelig⸗ 


+ - = 4 A WAT. 


306 Buch III. Capitel 8. 
ſeeligkeit aber, wieder Begriffe von Göttern voraus⸗ 
feßt. Dies paßt am beſten im griechiſchen, wo 
gluͤckſeelig, vdH, derjenige heißt, e 
Daͤmon hat. | 

Weil aber nicht alles was man ſich vorſtell, 
exiſtirt, ſo ſah Sextus ſehr richtig ein, daß nach 
der Unterſuchung über die menſchlichen Vorſtellun 
gen von den Göttern, die Exiſtenz der Goͤtter 
ſelbſt unterſucht werden muß. Er fuͤhrt hierauf 55 
an, daß einige von denen, welche die Exiſtenz Gottes 
unterſucht haben, ſie laͤugneten z. B. Diagoras, 
Critias, Theodor vielleicht auch Epikur; Andre be⸗ 
zweifelten fie Dann ſetzt er die Gruͤnde der Thel⸗ 
ſten für die Exiſtenz Gottes auseinander. Seine 
Darſtellung dieſer ſchon bekannten Gründe, hat | 
viel intereſſantes; fie betrifft: 15 

1) den Beweis des Daſeyns Gottes aus der 
> anden der Voͤlker. Der Glaube 
f an die Gottheit, iſt nicht blos allgemein un⸗ 
ter den Menſchen, ſondern auch dauerhaft. 
Falſche Meinungen dauern nicht lange. Diefer 
Glaube exiſtirte von jeher, und dauert noch 
immer fort. Nicht blos der große Haufe, 
ſondern auch die vernünftigften und edelſten 
Menſchen haben ihn. Die Dichtkunſt hat 
nichts Großes und Glaͤnzendes hervorgebracht, 
a £ mo⸗ 


Er 5 

* 4 A; 
4 
* 


Buch III. Capitel gs. 307 


wobeß nicht ein Gott im Spiele iſt. Die 
meiſten Phyſiker und Philofophen ſtimmen 


damit uͤberein. Sie aber verdienen den mei⸗ 


ſten Glauben als die ſcharfſinnigſten Maͤnner. 


Manche Fabeln werden zwar auch mit großer 


Allgemeinheit geglaubt; allein dieſe haben in 


ſich ſelbſt Widerſpruͤche, welche der Glaube 
an Götter nicht hat. — Auch die Allgemein⸗ 
ag des Glaubens an die Fortdauer der 


ene beguͤnſtigt den Glauben an e 
weil er ihn vorausſetzt. 


2) Der Beweis aus der regelmaͤßigen Ein⸗ 


richtung der Welt, wird fo geführtz die 


5 Materie an ſich iſt unbeweglich, und bedarf 
einer aͤuſſern ſie bewegenden Urſache. Dieſe 


| muß die Kraft der Bewegung in ſich ſelbſt, 


und ſie zu keiner Zeit von einer andern em⸗ 


N pfangen haben, mithin goͤitlich und ewig 


ſeyn. Sie hat vernuͤnftige Menſchen hervor⸗ 


RR gebracht, und muß daher er e 
R m 105 


Die Welt iſt ein eee munigſt mit 


einander verbundenes, nicht blos zuſammengeſetztes 
Ganze, wie eine Kette oder eine Heerde. Ihre 
Theile ſind nicht ſo getrennt, daß der Zuſtand des 
508 N: auf die andern keinen Einfluß hätte, wie 


u 2 3. B. 


38 Buch III. Capto nn. 
z. B. bey einer geſchlagenen Armee ſich die Eins 
zelnen Entkommenen recht wohl befinden koͤnnen, 
ohngeachtet ihre Mitſtreiter verwundet oder gets ? 
tet ſind, ſondern es herrſcht eine allgemeine Sym⸗ 
pathie unter allen Theilen der Welt. Sie wer⸗ 
den alſo durch eine allgemeine Natur vereinigt. 
Da manche Theile der Welt vernuͤnftig find, fo 
muß auch die ſie vereinigende Natur hoͤchſt vers 4 
nuͤuftig und goͤttlich ſeyn. Hierauf folgen die ſchen 
angefuͤhrten ſtoiſchen Beweiſe, welche von dem Be⸗ ; 
griffe des vollkommenſten Weſens hergenommen 4 
ſind, der auf die Welt uͤbergetragen wird; dann 
folgt der Sokratiſche Beweis aus dem Kenophon, 
welcher von der Vortrefflichkeit der menſchlichen Ei⸗ 
genſchaften, auf die hoͤhern Vollkommenheiten ſei⸗ 
nes Urhebers ſchließt. Er wird mit demjenigen 
ſtoiſchen fuͤr gleichbedeutend genommen, bey wel⸗ f 
chem vorausgeſetzt wird, daß der Menſch alle feine 
Eigenſchaften von der Welt erhalten habe, daß 
mithin die Welt eben diejenigen Eigenſchaften be⸗ 
ſitzen muͤſſe, welche fie dem Menſchen mitgetheilt 
hat „ beſonders die Vernunft. Dieſe Behauptung 
konnte leicht laͤcherlich gemacht werden, dadurch, daß 
man daraus folgerte: alſo muͤſſe die Welt auch 
Galle und Blut haben. Hiergegen wird gezeigt, 
daß dieſes nur von einfachen Koͤrpern, als von 3 
De Fo 


3 N eh 
> . 
2 N 


Buch III. Capiel 1 


luft, ni; Waſſer und Erde, nicht von zuſam⸗ 
1 mengefeßten gelte. Es folgt ferner die Schlußart, 
vermoͤge der man, weil man bey einem Kunſtwerke 
auf einen geſchickten Kuͤnſtler ſchließt, bey einem 
Naturprodukte auf einen noch ungleich trefflichern 


Urheber zu ſchließen, berechtigt ſeyn ſoll. Dann 


werden noch einige der ſtoiſchen, von dem auf die 


Welt uͤbergetragenen Begriffe, des vollkommenſten 
und beſten Weſens hergenommenen Beweiſe aus⸗ 


geführt, und dieſer Begriff für gleichbedeutend mit 


der Platoniſchen Meinung von der durch die Güte 


1 Gottes hervorgebrachten beſten Welt erklaͤrt. Dem 


Einwurfe, daß vermoͤge des Begriffs der hoͤchſten 
Vollkommenheit der Welt allerley unpaſſende Ei⸗ 
genſchaften beygelegt werden müßten, z. V. daß 
die Welt der beſte Dichter ſey, wird dadurch be⸗ 
gegnet, daß von abſoluten Vollkommenheiten, nicht 
von hypothetiſchen und relativen hierbey die Rede 
ſey. Vernuͤnftige und lebende Weſen, z. B. find 


ſchlechthin fur beſſer zu halten, als unvernuͤnftige 
und lebloſe. Archilochus iſt aber deswegen, weil 
er ein Dichter iſt, nicht geradezu fuͤr beſſer zu hal⸗ 


ten als Sokrates, der kein Dichter iſt. Endlich | 
macht ein analogiſcher Beweis den Beſchluß. In 


| t jedem zufammengefeßten natuͤrlichen Körper, iſt i 
ein nneheder Theil, alſo muß auch in der Welt 


u 3 ein 


15 


310 Buch III. Capitel 83. 
ein ſolcher ſeyn. d kann aber kein andrer * 
als Gott. 
3) Beweiſe fuͤr das Dusche der Götter, aus | 
den ungereimten Folgen des Atheismus. 
Dieſe find ſehr ſchwach, und ſetzen ſaͤmmtlich 
voraus, was bewieſen werden ſoll. Wenn 
keine Götter find, fo giebt es keine Religion, 
keine Heiligkeit, keine Weisheit, welche die 
Wiſſenſchaft goͤttlicher und menſchlicher Dinge 
iſt, keine Gerechtigkeit, welche aus dem Ver⸗ 
haͤltniſſe der Meuſchen unter ſich und mit den 
Goͤitern entſpringt, und keine Wahrſager⸗ 
kunſt. Da nun aber Religion, Heiligkeit, 
Weisheit, Gerechtigkeit und Wahrſagerkunſt g 
ſtatt finden, ſo ſind auch Goͤtter. 8 . 
Auf dieſe Gruͤnde des Theismus, laßt Sex⸗ Ir 
tus die Gegengruͤnde der Atheiſten folgen. Es 
find vorzuͤglich die Zweifelsgruͤnde des Carneades, 1 
von welchen wir bereits oben geſprochen haben, 


2 5 
1 
u 2 
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2 


und die ſich theils darauf gründen, daß, wenn 
Gott ein lebendes und empfindendes Weſen ſe ſey, wi 


er dem Schmerz und dem Untergange unterworfen 
ſeyn muͤſſe, theils auf Darlegung entgegengefeßter 


a 
En Wr Eine 


Begriffe, von denen Gott nothwendig einer zu: 


kommen muß, als endlich oder unendlich, und von 
denen er zu zeigen ſucht, daß ihm keiner von bey ⸗ 
4 | 4 1 den 


Buch III. Capitel 8. ! 311 
den zukömmt, theils auf moraliſche Elgenſchaften, 


welche Gott beygelegt werden, und von denen er 
zeigt, daß ſie in Widerſpruͤche verwickeln. Den 


Beſchluß macht der oben angefuͤhrte Sorites ge⸗ 


gen die mythiſche Religion. 

Um dieſer einander gegenuͤbergeſtellten Be⸗ 
weiſe, fuͤr und wider des Daſeyn Gottes willen, 
von denen die Gegenbeweiſe doch noch betraͤchtlich 
ſchwaͤcher find, als die Beweiſe fuͤr daſſelbe, fo 
unvollkommen dieſe auch im Ganzen genommen 
find, glaubt Sextus, daß der Skeptiker vollkom⸗ 
men berechtigt ſey, feinen Beyfall uͤber e 
Gegenſtand zuruͤck zu halten. 

Sextus haͤlt uͤbrigens dieſe zweifelnde Den⸗ 


kungsart keinesweges für irreligiöbs. Er ſagt viel⸗ 


mehr: pielleicht wird der Skeptiker in dieſem 
Punkt noch feſter befunden werden, als andre 
Philoſophen; er giebt den Geſetzen und Sitten 


N feines Vaterlandes gemaͤß zu, daß Goͤtter ſind, 


er unterläßt nichts, was zur Gottesverehrung und 
Frömmigkeit gehört; aber in philoſophiſchen Un⸗ 
terſuchungen hieruͤber, uͤbereilt er ſich nicht“. 

Es iſt überhaupt merkwuͤrdig, daß die a 


philofophifchen Skeptiker, und zwar namentlich 


9 


Sertus, ſehr wenig Zweifler über hiſtoriſche Ge⸗ 


genſtaͤnde waren, als ob die menſchliche Natur ein 


u 4 naoth⸗ 


— 


372 Buch III. Capitel 9. 


nothwendiges Beduͤrfniß hätte, von dieſer oder je 


ner Seite feſte Ueberzeugungen zu haben. Dar⸗ 
aus laßt ſich auch erklären, wie Skepticismus und 
Supernaturalismus beyſammen beſtehen koͤnnen. 


Neuntes Capitel. N 


Die Bluͤthe der griechiſchen Philoſophle war mit 
der griechiſchen Freyheit dahin gewelkt. In Rom 
war ſie eine fremde Pflanze, in einem Treibhauſe 


erzogen. Mit Rom und der alten roͤmiſchen Kraft, 


ſank auch die von Roͤmern in Schutz genommene 
Philoſophie immer tiefer. An aͤchte Originalität 
war nicht mehr zu denken, und zwar um ſo we⸗ 
niger, jemehr ſchon das Feld der Phtiofophie durch 
die Altern Philofophen verengt worden war, und 
jemehr Geiſteskraft junge Denker auf die Kennt⸗ 
niß der Syſteme der altern verwenden mußten. 


Neue Erzeugniſſe in der Philoſophie konnten daher 
nur dadurch hervorgebracht werden, daß man die 


Meinungen zweher oder mehrerer altern Philoſo⸗ 
phen mit einander verband, da denn durch die 


gegenſeitigen Modifikationen manche Begriffe eine 


neue 


8 8 £ — * 
u A r r 


8 


Buch III. Capitel 9g. 313 
neue Geſtalt erhielten. Auch fieng die Einbil⸗ | 
dungskraft, deren willkuͤhrliche Beſtimmungen zu 


bekaͤmpfen, ein vorzuͤgliches Gefühl der bisherigen 


Philofophle geweſen war, wieder an, ihre Herr⸗ 
ſchaft auf die Philoſophie ſelbſt auszubreiten. Auch 
die Religionsphiloſophie erfuhr dieſes. Es zeigt 
ſich vorzuͤglich in der Theologie des Maximus Ty⸗ 


Bu rius und Alcinous „ die zwar eigentlich Platoniker 
ſeyn wollten, aber mit Platoniſchen Saͤtzen auch 


Ariſtoteliſche und ſtoiſche vermiſchten, und dabey 
ihrer Einbildungskraft freyern Spielraum ließen, 
als es ihre Meiſter erlaubt haben wuͤrden. 


Maximus von Tyrus, ein Rhetor und 
Philoſoph, der unter den Antoninen lebte, hat 
mehrere von ſeinen Betrachtungen der Theologie 
gewidmet. Gleich die erſte zeigt: was Gott ſey 
nach dem Plato, und giebt zu erkennen, wie 
Plato von ihm in dieſer Ruͤckſicht gefaßt worden 
ſey. Bey der großen Verſchiedenheit menſchlicher 
Meinungen, ſagt er, wirft du alle darinn uͤber⸗ 
einſtimmend finden „daß ein Gott König und Bas 
ter iſt, und viele andre Götter, Soͤhne des hoͤch⸗ 


fin Gottes find, die mit ihm herrſchen. — 
Glaubſt du, daß Plato allein hiermit nicht über 


- Ss eein⸗ 


314 Vuch III. Capitel 9. 


gemacht annahm, was andre Philoſophen zu er⸗ 
weiſen ſuchten, und was Plato mehr angedeutet 


als beſtimmt vorgetragen hat. — Seine Me⸗ 


thode, die Eigenſchaften Gottes zu beſtim⸗ 


men beſchreibt er fo: „man theilt die bekannteſten 


N 


Eigenſchaften der Natur in zwey Theile, und den 


vorzuͤglichſten von beyden wieder, bis man zu dem 
geſuchten kommt. Die Dinge ſind theils leblos, 


theils belebt, — das belebte iſt beſſer als das 


lebloſe. Das Belebte iſt theils vegetirend theils 
empfindend. Das empfindende iſt beſſer als das 
vegetirende. Das empfindende iſt theils vernünfs 


tig theils unvernuͤnftig. — Das Vernünftige bat 155 


einen diskurfieen oder intuitiven Verſtand. — Die 
Beſte dieſer Eigenſchaften wird jedesmal Gott bey⸗ 
gelegt, und fo iſt hier das Reſultat: daß Gott 
Alles, allezeit und zwar zugleich erkennt”, Man 

ſieht, daß dieſes die ſtoiſche Methode iſt, di 
Maximus indeſſen ſcharfſinnig zu brauchen wußte. 


Er erklärt hierauf, daß Gott kelnesweges ein Ge⸗ SB 


genfanb fe ſinnlicher Erkenntniß ſey . und 8 man 


Wr * g 
1 * 


®) Maximi Tyrii diſfertationes Philofopbicae cum 
Interpretatione et notis Dan. Heirfii, acceſſit Al- 
cinoi in Platonem introductio. Lugd. Bat. 1614. 8. 


ke. 


Buch II. Capitetg. 31785 


daher ſich allen ſinnlichen Eindrücken entziehen | 


muͤſſe, um jenes reine Licht zu erkennen. Er 


zeigt ſehr redneriſch, daß dieſes jetzt nicht moglich 


ſey, und fuͤgt hinzu: „wie ſoll man dieſem Meere 
entſchwimmen, und Gott ſchauen? Dann wirſt du 
ihn ganz ſehen, wenn du zu ihm gerufen werden 
wirſt. Er wird aber nicht lange verziehen dich zu 
rufen, erwarte nur den Ruf! Das Alter kommt, 
welches dich dahin führt, und der Tod, den der 


Elende beweint, und deſſen Ankunft er fürchtet, 


den aber, der, welcher Gott liebt, gern erwartet 


und muthig entgegengeht“. Dann zeigt er weiter, 


daß hier keine vollkommne Erkenntniß Gottes moͤg⸗ 


ach iſt, und fügt hinzu: „Wenn du aber zu 


* 


ſchwach bift, den Vater und Schöpfer zu erkennen, 


ſo gnöge es dir, feine Werke zu betrachten, und 
feine vielen und mannigfaltigen Kinder anzubeten. 
Denn es ſind nicht etwa nur dreyßigtauſend Sohne 
und Lieblinge Gottes, wie jener Dichter ſagt, fons _ 
i dern unzählige ſowohl im Himmel, die Geſtirne, un 


als in der Luft, die geiftigen Weſen“. 


Man erkennt in dieſen Worten des Maxi⸗ 


0 mus ſchon viel Myſticismus, und eine ſehr aus⸗ 
gebreitete Daͤmonologie, die er auch ſogleich wei⸗ 


ter ausführt. Er beſchließt feine Abhandlung mit 


den Worten: „Stelle dir die Herrſchaft Gottes 


Ar | | | als 
, i . Hl N 


316 Buch lll. Capitel 9. 


als ein Reich vor — ihn ſelbſt als den open 
unerſchüͤtterlichen König, der feinen Unterthanen 


heilſame Geſetze giebt. Theilnehmer ſeiner Herr⸗ 


ſchaft find viele ſichtbare und unſichtbare Götter, 


Einige wohnen ihm zunächſt als ſeine erſten Mi⸗ 


nifter und Verwandten, feine Tiſch- und Hausge⸗ 
noſſen. Andre dienen ihnen, und dieſen wieder 
andre. Du ſiehſt eine Stufenfolge und Rang⸗ 


ordnung, die von Gott bis auf die Erde ae | 


ſteigt'. 


gion mit der Philoſophie zu vereinigen. Sie hat 


indeſſen ſo viel aͤhnliches mit der orientaliſchen Da⸗ | 
monologie, daß er nicht ganz unbekannt mit der⸗ 
ſelben geweſen zu ſeyn ſcheint. Sie iſt unſtreitig 


ſehr reitzend für die Einbildungskraft, doch ſuchte 


Maximus auch den Verſtand davon zu überzeu⸗ 


gen, indem er einen Beweis fuͤr das Daſeyn von 
Mittelweſen zwiſchen der Gottheit, und den Men⸗ 
ſchen aus einer allgemeinen Stufenfolge führte, 
welche in der Natur ſtatt finden fol, Dieſe Stu⸗ 
fenfolge bewies er indeſſen nicht aus der Erfah⸗ 
rung, wie viele ſpaͤtere Philoſophen gethan babet „ 
ſondern er ſuchte ſie a priori aus den allgem 


ſten Eigenſchaften Gottes und der Menſchen 25 5 


S 


Die Daͤmonologie des Maximus Tyrius, ent⸗ 
ſtand offenbar aus dem Beſtreben, die Volksreli⸗ 


ee 


1 


o an Ser 


Boch III. Gapitel 9. 317 


ee Gott iſt unſterblich und anderirberlich | 
der Menſch iſt ſterblich und veränderlich, oder uf 
ferer Eindruͤcke faͤhig. Zwiſchen beyden fehlt eine 
Claſſe von Weſen, die von beyden etwas hat, und 
unſterblich oder veraͤnderlich iſt. Dies ſind die 
8 Dämonen *), über deren Natur er denn noch nach 
dieſen Begriffen mancherley beſtimmt. | 
Auch verſuchte Maximus eine Theodicee, 
Bu ſetzt dabey voraus, daß Gott gut iſt, und 
leitet das Uebel in der Welt theils von der Boͤs⸗ 
0 artigkeit der Materie, theils von der Freyheit der 
RN menſchlichen Seele, und ihrer Verbindung mit dem 
Koͤrper her, und vertroͤſtet auf die Trennung der 
Seele von demſelben und ihre Ruͤckkehr *). Er 
ſpricht in ſeinen Betrachtungen überhaupt fehr her⸗ 
abwuͤrdigend von der menſchlichen Natur. | 
Alcinous, der mit dem Maximus gleichzei⸗ 
tig, und vielleicht noch fruͤher lebte, und von wel⸗ | 
chem wir eine Einleitung in die Platoniſche Phi⸗ 
loſophie beſitzen, ſahe ſich gleichfalls durch die Un⸗ 
beſtimmtheit, mit welcher Plato von dem hoͤchſten 
Weſen ſpricht, in Verlegenheit geſetzt, und gends 
‚thigt, dasjenige, was er darüber vortraͤgt, theils 
aus andern Quellen, theils aus eignem Nachden⸗ 
„ Ba a 
Y Dißfertat: XXVII. 
) Diff. XXV. 


r 


1 N 6 15 2 9 , Ki 
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* re IB ut PTR LA 
. 1 * a 
* j * 1 * 
8 1 
u - 3 * 3 


318 Buch III. Capitel 9. | 
ken zu fhöpfen. Die dritte Urſache der Wel 
(Gott neben der Weltmaterie und dem Ideal) 


ſagt er, haͤlt Plato beynahe für unbeſchreiblich N. 


Er verſucht daher ebenfalls zur Entwerfung ſeiner 


Begriffe von der Gottheit die ſtoiſche Methode, 


nach welcher Gott von allem erkennbaren und denk; 
baren das beſte und vorzuͤglichſte zugeſchrieben wird, 


und findet in ihm nach derſelben zuvoͤrderſt den 


hoͤchſten Verſtand, oder das reinſte Vorſtellungs⸗ 
Vermögen. Ein ſolches muß auch die reinſten, 
blos intelligibeln Vorſtellungen haben. Dies ſind 


für Gott die Ideen, dadurch ſchließt ſich feine Lehre 


wieder an die Platoniſche an. Auch ſucht er da⸗ 
durch mit den Platoniſchen Grundſaͤtzen, nach wel⸗ 
chen die Gottheit unbeſchreiblich iſt, uͤbereinzuſtim⸗ 


men, daß er viel von dieſer Unbeſchreiblichkeit und 


Unbegreiflichkeit ſpricht, und ſelbſt Widerſpruͤche in 
der Lehre von Gott, welche fuͤr andre Einwuͤrfe 


gegen dieſelbe ſeyn wurden, zum Beweis jener 
Unbegreiflichkeit anfuͤhrt. Doch zeigt er einen si ep 


fachen Weg zur Erkenntniß der Eigenſchaften 


Gottes, nemlich durch Abſtraktlon, durch Anal- s 


gie, und dadurch, daß man ſich die Vollkomme 
heiten ſinnlicher Gegenſtaͤnde in einem höhe 
Grade 


9 Alcinoi introductio in dogmata Platonis Cap. X. 
ed. Heinſii 1614. p. 476. ö ö 


4 
70 


Buch Ill. Capitelg. 370 


Grade an überſinnlichen denkt, und fie Gott in eis 


5 nem hoͤhern Grade beylegt. Dadurch kommt er 


— 


auf die hoͤchſte Güte, auf die Einfachheit, Unver⸗ 


aͤnderlichkeit und Immaterialitaͤt Gottes. Uebri⸗ 


gens iſt ſeine Theologie in der Hauptſache plato⸗ 


niſch und mit einer ziemlich reichhaltigen. Daͤmono⸗ 
logie verbunden, wie ſie ſich indeſſen auch ſchon 


beym Plato findet. 


Dieſe Proben zeigen wie die! Theologie, welche 
bey den altern griechiſchen Philoſophen im Grunde 


immer noch phyſiſch war, und daher noch von Sex⸗ 
tus Empirikus als ein Capitel der Phyſik behandelt 
wird, bey den ſpaͤtern immer mehr metaphyſiſch 


ward, indem man immer eine phyſiſche Beſtim⸗ 


mung des Begriffs von der Gottheit nach der an⸗ 


dern demſelben widerſprechend fand, und. fie daber 
durch metaphyſiſche zu erſetzen ſuchte. | 
Es ergoß ſich in den erſten Jahrhunderten 


g 955 des Chriſtenthums, mit unaufhaltbarer Gewalt 
ein Strom von Einbildungskraft, dem die 
Philoſophie bisher feſte Daͤmme entgegenzufeßen 


geſucht hatte, in das Gebiet der menſchlichen Ideen. 


Er kam vom Oriente, der Quelle aller Abentheuer⸗ 


lichkeiten her, und die Philoſophie war zu ſchwach, 
ihm zu widerſtehen, und mußte, wenn ſie noch ei⸗ 


nige Herrschaft uͤber die Gemuͤther der Menſchen 


be⸗ 


320 Buch III. Capitel 9. a 
behaupten wollte, ſich bequemen, der Phantaſie zu } 
dienen. Es iſt für die Geſchichte der menſchlichen 
Geiſtesbildung uͤberheupt, und insbeſondre für die 
Geſchichte der religiöfen Ideen ſehr wichtig, dieſem 
Ereigniſſe bis auf die erſten Quellen deſſelben, 
welche die Geſchichte uns entdecken laͤßt, nachzu⸗ 
ſpuͤren. Ich behalte mir aber dieſes auf eine an⸗ 
dre Zeit vor, und werde daher hier nur die Re⸗ 
ſultate deſſelben ſo weit beruͤhren, als es nothwen⸗ f 
dig iſt, und uͤbrigens den Gang verfolgen, welchen | 
die Philoſophie bisher genommen hatte, und ihre 
fernern Wirkungen zeigen. 

Ein ſtarker Hang zum Sander aten und 
Ueberſinnlichen, war die naͤchſte Folge hiervon, 
wiewohl er auch unſtreitig durch die Ueberſaͤttigung, 
durch alles Natuͤrliche, welches durch die große 
Macht, welche einzelne Perſonen im roͤmiſchen Reiche, 
Kaiſer, Statthalter und Guͤnſtlinge erlangt hatten, 
auf den hoͤchſten Grad getrieben war, den ſie durch 
die damals wirkſamen menſchlichen Kraͤfte erreichen 
i konnte, befoͤrdert wurde. 4 

Diefe Umftände hatten Einfluß auf alle Satz 
tungen von Philofophie, welche damals im Gange | 
waren. Aus allen ſuchte man vorzüglich dasjenige | 
heraus zuheben, was uͤberſinnlich und wunderbar 


ſchien, oder ſich mit dem Wunderbaren am leichteſten 
RW 


Boch Il. Capittg zar 


ö BER ließ. Dadurch ward die Religionsphi 


| loſophie zum wichtigſten Theile der Philoſophie 
a überhaupt, aber ohne daß ſie dadurch gewonnen 
Hätte, Denn man ſuchte ihre Grunde keinesweges 
zu verſtaͤrken, ſondern nahm ſie als ausgemacht 
"a ihre beſondern Lehren ſuchte man nicht durch 


ſchärfere Beſtimmung und feſtere Begründung zu 


vervollkommnen, ſondern fie mit allen möglichen 


5 Farben der Einbildungskraft aus zumahlen, und 


mit unerweis lichen Satzen, die man aber fuͤr er⸗ 
wieſen hielt, weil ſie der Mena uren ve 
2 nn zu uͤberladen. 15 


Unter allen philoſophiſchen Systemen des ar 


tertgums hatte, wie wir geſehen haben, das pla⸗ 
| toniſche am meiſten eine religioͤſe Tendenz, und 


geſtattete zugleich der Einbildungskraft den weite⸗ 
ſten Spielraum. Dadurch gewann es die Ober⸗ 
band über alle andre Syſteme, und die neue Phi⸗ 


5 loſophie, welche aus den mannigfaltigen Einfluͤſſen 
der alten, aus der Religion, und aus dem Ge⸗ 
biete der Einbildungskraft hervorgieng, ward neu⸗ 
platoniſche Philoſophie genannt. = 

Dieſe Philofophie, welche von mehrern guten i 
eee ward, iſt uns am vollſtaͤndigſten ö 


5 in der Darſtellung Plotine übrig geblieben, eines 
m. der ihr nicht ganz en geweſen zu 
in | * 5 fon 


ſeyn fan; der be 40. 1 Celeb: dab, 
Tiefſinn und Unſinn mit einander zu verwechſeln, 


und unter allen Ausſprüchen Plato's ſich die Er⸗ 
mahnung, den Grazien zu opfern 2 am wenigſten 


geſagt ſeyn lieg. Seine ſechs Enneaden ſind aus 


Antworten entſtanden, welche er ſeinen Schuͤlern 
auf Fragen ertheilte, die ſie ihm über philoſophi⸗ 


ſche Gegenſtaͤnde vorlegten, und ſind daher ohne 


allen Plan und Ordnung. Demohngeachtet ſcheint 


ſeine Philoſophie mehr als irgend eine andre den x 


Zweck beabſichtigt zu haben, das ganze menſchliche 
Ideenreich in ein Syſtem zu bringen, und durch 
eben dieſe ſyſtematiſche Tendenz, welche keineswe⸗ 
| ges einer feſten und kritiſchen Methode folgte, in 


a 


manche Fehler gefallen zu ſeyn. Es laͤßt ſich auch u 


nicht ausmachen, wie viel dem Plotin ſelbſt von 


der Erfindung und Ausbildung ſeiner Philoſophie 


zuzuſchreiben ſey. Das meiſte hatte er wahr⸗ 


ſcheinlich ſeinem Lehrer Ammonius Sakkas zu 


danken, den er ausſchweifend verehrt, und daher 
auch gewiß ſklaviſch folgte. Ammonius aber ſcheint 
uͤber alle damals vorhandene Produkte des * 
ſtandes und der Einbildungskraft philofophirt, und 

ſie ſeinem Syſteme einzupaſſen geſtrebt zu 


Plotin, der anfänglich über die Lehren ſeines Mei⸗ 


ſters ein ſtrenges Stillſchweigen beobachtete, theilte 


. b Rh 7 
2 f > am 
7 7 5 7 uf 5 


Buch III. Capitel 9. 323 
en en “fo: viel davon mit, als er ſelbſt sefoßt 
. 5 5 
gur vollſtändigen Ewſicht in die Behanprun 15 
955 Mlotins „ wird eine Kenntniß der in feinem 
Zeitalter überhaupt herrſchenden, aus der Einbil⸗ 
dungskraft ſowohl als aus dem Verſtande, und | 
beſonders aus dem Glauben an höhere Offenba⸗ 


rungen entſprungenen religioͤſen Ideen erfordert. 


Wir behalten uns dieſes fuͤr eine philoſophiſche 
Geſchichte der Offenbarungsreligtonen vor, und 
wollen daher nur auf dasjenige, in Plotins Sy⸗ 
. Ruͤckſicht nehmen, was eigentlich philoſophiſch 

zu ſeyn, und mit den Lehren älterer Philoſophen, 


zuſammen zu hängen ſcheint. Viel aͤcht originelles 


dürften wir ohnedem nicht darinn finden. | 
Die Plotiniſche Philoſophie hatte darinn die | 
meiſte Aehulichkcit mit der Platoniſchen, daß ſie 
. eine religioͤſe Tendenz hatte. Denn 
Plotin betrachtet es als die hoch ſte Aufgabe der 
Pelsſophe, ſich der Gottheit zu nähern. Dies 
that auch Plato, und er forderte, der Menſch 
ſolle durch Tugend Gott ähnlich werden. Allein 
Plotin behauptete, auf dem Wege, den 1 85 Ari⸗ f 
e gezeigt hatte, man konne Gott das Praͤ⸗ 
dikat der Tugend nicht zuſchreiben, weil die Be⸗ 


be 98 menſchlichen 1 nicht auf ihn x 
1 | T 


34 Buch III. Capitel 9. A 
paſſen, weil er keine Tugend hat, ſondern die Tu⸗ 
gend, oder das Gute ſelbſt iſt, und weil nach ſei⸗ 
nem Begriffe von Gott ihm uͤberhaupt keine Pra⸗ 

dikate zukommen. Er betrachtete daher die Zu 
gend nur als eine Vorbereitung zu der Annaͤhe⸗ 
rung zu Gott ). Dieſe Annaͤhrung ſelbſt ſollte 
durch eine beſondre Anſtrengung des Denkvermoͤ⸗ 
gens, durch eine Ekſtaſe geſchehen, worunter Plos 


tin nicht, wie man gewoͤhnlich annimmt, eine 2 
ſchwaͤrmeriſche Erhoͤhung der Einbildungskraft, | 


fondern ein Beſtreben verſtand, vermittelſt einer 
ſehr weit getriebenen Abſtraktion, den allgemefn⸗ 
ſten und einfachſten Begriff zu denken, der ſi ich 
nur erſinnen laßt. Er ſcheint auch hierinn den 
Ariſtoteles zum Fuͤhrer gehabt zu haben, welcher, 
wie wir oben gefehen haben, lehrte, daß der Menſch 
durch Spekulation Gott ahnlich werde. FOR 
Jener allereinfachſte Begriff ift dem Plotin f 
der Begriff von Gott, deſſen Daſeyn zu ‚erweifen 
er überfläffig findet, vermuthlich weil er von ie 
dem verlangte, er folle ſich durch jene intellektuelle 
Anſchauung, durch die Ekſtaſe 1.7 vom Di 
| deſſelben uͤberzeugen. 
Diaß er nicht viel, l nicht del Fr 3 
fländiges zur Erklaͤrung jenes Begriffs ſogen 1 
| konn⸗ | f 
5 Plotin, Ennead 1, ib. z. 1,2 Fi 


| Buch III. ewe 99ů 33 
5 Ahle leuchtet von ſelbſt ein. Er beſthrleb ihn 
nach Art der Pythagoraͤer und Eleatiker als 
* hoͤchſte und abſolute Einheit, die er auch 
h das Weſen oder Seyn (ro ) ſchlechthin nennt. 
„Was iſt das Weſen? (en) ſagt er, die Kraft 
aller Dinge, ohne welche ſie nicht ſeyn wuͤrden, 
auch nicht der Verſtand, die erſte und allgemeinſte 
Lebenskraft. Was uͤber das Leben erhaben ift, iſt 
die Quelle des Lebens. Denn die Wirkung der 


+ 


! Lebenskraft, das All der Dinge iſt nicht das Erſte, 


1 ſondern ſie fließt aus einer Quelle. Denke dir 
. elne Quelle, die keinen hoͤhern Urſprung hat, ſich 
aber ganz im Fluſfe ergießt, und doch durch ſie 
nicht erſchöͤpft wird, ſondern unverändert bleibt; 
die Fluͤſſe aber, welche aus ihr entſpringen, ge⸗ 


BR meinſchaftlich flieſſend, ehe ſie ſich trennen, und 
gleichſam ſchon wiſſend, wohin fie flieſſen werden *)”. 


5 Er zeigt hierauf weiter, wie ein einziges und ein⸗ 
SR faches Weſen, das Princip von vielen ſeyn koͤnne, 

i R aber die Vergleichungen } deren er ſich dabey be⸗ 
dient, machen die Sache nicht deutlicher, als 80 | 
3 e in den angefuͤhrten Worten finden wird. | 
| Er unterſcheidet von dieſem einfachen Wesen, | 
Ei einen hoͤchſten verſtand dadurch, daß er in die⸗ 
ſem eine Mannigfaltigkeit findet, well der Ver⸗ 
a 1 „„ ſtand 


* 


D bletin. Ennead III, 8. 9. 


36 Buhl Eapitel ).. 
ſtand oder die Denkkraft ein Gedachtes voraus⸗ N 
feßt, worauf fie ſich bezieht. Die Denkkraft faßt 
alſo wenigſtens etwas zweyfaches in ſich. Dass 
Einfache aber iſt hoͤher als das Zweyfache. Er 
ſucht daher auch zu zeigen, daß das hödfte eine 
fache Weſen des Denkens nicht bedarf. Er be⸗ 
trachtet es daher auch als das vollkommenſte und 
reinſte Gute, welches ſich ſelbſt genug iſt, und 
auch deswegen des Denkens nicht bedarf, indem 
das Denken Streben nach dem Guten iſt, und die 
Denkkraft erſt durch das Denken gut wird? ). 
Schon dieſe Beſtimmungen laſſen bey Plots 4 
hoͤchſtem Weſen nichts anders zu denken ‚übrig, 1 
wenn man ſich uͤberhaupt etwas babey denken ſoll, A 
als ein reines Handeln, wie wir uns auch die 1 
Gottheit des Ariſtoteles allein denken konnten „oder 5 
einen reinen Willen. So beſchreibt auch Plotin 
wirklich ſeinen Begriff von der hoͤchſten Gottheit. { 
“Seine Handlungen, fagt er, find fein Weſen, 
ſein Weſen und ſein Wille ſind daſſelbe. Wenn 5 
dieſes ſo iſt, fo iſt er das, was er ſeyn will. Sein s 
| Wollen und Handeln iſt alſo nicht ſowohl ſeiner 
Natur gemäß, ſondern ſeine Natur iſt ſeinem Wol⸗ | 
len und Handeln gemäß”. Oterdurch will er die 
vollkommenſte Freyheit des hoͤchſten Weſens ade 


drücken, 2 


9 


5) IV, 6. 4 5. 


= 


Such ln eg 32 


nicken und 0 fei daher hinzu Er iſt alſo vollkommen KR 


Herr ſeiner ſelbſt, denn abe iin San hängt von 
00 ab” 1). 2 00 ai 

Wie kam aber Plotin oder ſeine neupfatanifäe 
fee dazu, ſich von Gott einen ſo ganz abſtrakten 
Begriff mit vieler Muͤhe zu bilden? Hierzu lag 
die Veranlaſſung zum Theil ſchon in den Begriffen 


andrer Philoſophen, denen fie folgten. Plato ließ, 


den Begriff des hoͤchſten Gottes ganz unbeſtimmt, 


ee foobente die meiſten conkreten Beſtimmun⸗ 
2 1 von ihm ab, und ließ nichts übrig, als einige 


von den Beſtimmungen, aus welchen Plotin ſeinen 


Begriff bildete. Die Stoiker gaben der Abſtraks 
. tion in Anſehung der Beſtimmung des eigentlichen | 


Begriffs von Gott völlig freyes Spiel. Das Chri⸗ 
ſtenthum, welches, wenn auch nicht auf Plotin, 
doch gewiß auf ſeinen Lehrer Ammonius Einfluß 
hatte, drang auf Einheit und Immaterialität Got⸗ 
tes. Hierzu kam aber noch vorzuͤglich die Emana⸗ 


tionslehre, welche eigentlich die Grundlage des 


ganzen neuplatoniſchen Syſtems, oder vielmehr das 
Mittel war, durch welches die Neuplatoniker überhaupt 
ihre Behauptungen in Zuſammen hang und in ein 
Syfſtem zu bringen ſuchten. Dieſe Lehre lag ei⸗ 
s ſchon a der ſtoiſchen Philoſophie, denn ſie 
N . late. 
er: Fun. VI. 8: 12, 13. Mi nr 


— I * 
dar 


328 Buch ul. Epil h N 
folgte nothwendig aus der Behauptung, daß dle 


Welt Gott ſey auch lehrten die Stoiker, * daß Gott, 


als ein ewig lebendes Feuer, den Stoff der Welt 


| unaufhörlich verzehre und wieder von Neuem erzeuge. 
Die Stoiker machten indeſſen keinen weitern Ger 
brauch von dieſer Lehre. Sie lag aber auch in der 
phantaſi ereichen Philoſophie der Morgenlaͤnder, | 
welche ſie unter mancherley Formen darſtellten, und 
bald aus der Gottheit, als aus einem großen Licht⸗ a 
meere, das Ganze der Weſen ſich ergießen, bald 
aus ihr als einem Mittelpunkte ringsherum Strah⸗ 
len ausgehen und mehrere concentriſche Sphären 


ſich erzeugen ließen, bald verſchiedene Zeugungen 5 5 


von Göttern oder Daͤmonengeſchlechtern von dem Höhe 
ſten Weſen ableiteten. Alle dieſe Emanationsbe⸗ ii 


griffe waren nichts anders als Hypotheſen, indem 


ſich die Art und Weiſe der Emanation durchaus 


nicht befriedigend zeigen, 1 8 weniger aber ker ae 


fen ig. * 


Die Neuplatoniker glaubten eine gründiche 


Theorie er Emanation in derſLogik gefunden zu har 
ben, und lehrten daher eine logiſche Emana- 
| tion, die fie jedoch fuͤr phyſiſch gehalten wiſſen | 
wollten. Die Logik lehrt allgemeine Begriffe, von 1 


eingeſchraͤnkten und einzelnen unterſchelden „ die a 


gemeinen fun Abſtraktion bilden 7 die einzelnen 7 
5 5 aus 


2 
j 

4 

j 

4 
N 
0 


ug Capie 9% 320 


dds ihnen abletten. Die Neuplatoniker glaubten 
8 wenn ſie Gott als den allgemeinſten Begriff 
dachten, welcher in allen einzelnen Begriffen. enthal⸗ 
ten ift, fo koͤnnten ſie alles aus ihm ableiten, und 
5 meinten daher das Geheimniß der Emantlon ge⸗ 
funden zu haben. Sie bedachten dabey freylich 
nicht, daß wenn das Einzelne auch unter den All⸗ 
gemeinen enthalten ift, es darum nicht in ihm ent⸗ 
halten iſt, und daß alſo vielmehr das Allgemeine aus 
dem Einzelnen, „als das Einzelne aus dem Allge⸗ 
meinen fließt. Auch begiengen ſie dabey ben Feh⸗ 
ler, welcher zu unzähligen Irrthuͤmern in der Phi⸗ 
| loſophie Veranlaſſung gegeben hat, daß ſie von 
der Denkbarkeit dier Sache auf ihre Wirklichkeit 
ſchloſſen. 5 
takt Da nun zum Denken eines allgemeinen Be⸗ 
griffs logiſcher Tiefſinn und Abſtraktion erfordert 
wird, ſo drangen ſie vor allen Dingen auf Ange⸗ | 
wohnung an ein reines und abſtraktes Den: 
ken, indem ſie behaupteten, daß man nur dadurch 
zum Denken des hoͤchſten und allgemeinſten Bes 
ez, welches ſie Anſchauung Gottes nannten, ge⸗ 
langen koͤnnte. Um dieſer Sache und ihrer Philo⸗ 
ſophie überhaupt nun deſto größere Wichtigkeit zu 
775 geben, ſtellten fie dieſe logiſche Ekſtaſe als einen 
4 5 Zuſtand vor, zu welchem man nur 


j X 5 PN durch 


ö . 


330 Buch III. Capitel 9. 
durch Muͤhe und große Vorbereitungen gelangen 
koͤnne, wie denn auch abſtraktes Denken wirklich 1 
nicht Jedermanns Sache ift, ſondern Uebung er⸗ 6 
fordert. Eine gute Anwendung dieſer Vorſtellungs⸗ 
art war, daß ſie ſelbſt der Moral eine Stuͤtze durch 
dieſelbe verſchaften, indem ſie behaupteten, man 
müſſe ſich durch Uebung der eee zu jener Ek⸗ 
ſtaſe vorbereiten. ar hen 
Bey ihrer Ableitung der emgeſchränktern Be 4 
griffe aus dem Allgemeinen, kam den Neuplatonikern 
| beſonders die Pythagordiſche Zahlenlehre zu Statten, 
weil ſie ſich auf eben die ſcheinbare analytiſche Me⸗ 
thode gruͤndet, deren ſich jene bedient. Eine Zahl 
iſt durch eine gewiſſe Operation ein Produkt der an⸗ 
dern. Alle Zahlen ſcheinen ein Produkt der Einheit zu 
ſeyn, weil fie ſich in Einheiten auflöſen laſſen. Daß 
ſie dieſes nur vermöge der Verbindung ſind, in welche 
unſer Verſtand die Einheiten ſetzt, überfahen die 5 
Neuplatoniker, fo wie man es noch lange nach ih⸗ 
nen uͤberſehen hat, und betrachteten als Natutgeſeß, 
was nur Geſetz des Denkens iſt. Da dieſe Philoſo⸗ ; 
phen logiſche Begriffe für wirkliche Weſen anſahen, 4 
1 ſo mußte ihnen nicht ſchwer werden, auch Zahlen da⸗ 99 
| mit zu verwechſeln, beſonders da ſie ſelbſt Plato zum 4 
Vorgänger hatten, der mit der Zahlenlehre wenig⸗ 94 
ſtens ein e Spiel are und vermittelſt 
| Rene 2 


ee De en 8 


Such l III. Capit ek 330, f 
. | ihn verſucht hatte, aus logiſchen und mathe⸗ 
$ 2 matifchen Saͤtzen er und pe G h | 

. an abzuleiten. 
Dies feßte fie in ben Stand U zu überreben, / 


wi fie vollkommen philoſophiſch zu Werke giengen, ö 
wenn fie aus dem hoͤchſten einfachen Weſen ein zwey 


tes, einen hoͤchſten Verſtand ableiteten, weil ſie in 


8 demſelben etwas zweyfaches, dem ſie das einfache 


voraus ſetzten, zu finden glaubten. Aehnliche Bruͤ⸗ 


3 cken, die groͤßtentheils aus den Bruchſtücken älter 


rer Syſteme zuſammengeſetzt waren, ſchlugen ſie ſich 


dann weiter von einem Verſtande zu einer Verſtan⸗ 


deswelt, von einer Verſtandeswelt zu einer Sinnen⸗ 
welt, von dem Begriffe der Welt überhaupt zu einer 
75 Weltſeele, von der Weltſeele zu Menſchen und Thier⸗ 


ſeelen u. ſ. w. Da wir ihr Verfahren nicht fo 


pʒzh̃hiloſophiſch finden können als fie es ſelbſt fanden, fo 


. 


1 dürfen wir uns auch von ihnen keinen reellen Gewinn 
f für die Religionsphiloſophie verſprechen, beſonders ba 


ſelbſt ihr Unſinn groͤßtenstheils nicht originell iſt. 


Wir begnuͤgen uns daher nur noch, kurz einige 
e he ihres 9 wee 0%, 
0 X | 1 Aus 


*) M. 1 505 die ausfühnich Darſtellung des Ploti⸗ 

niſchen Syſtems in Tiedemanns Geiſt d. ſpek. Phil. 

Thl. III. S. 262 = 433. und Buhle Lehrbuch der 
ER Kl der Phil. Thl. IV. S. 303 „ 434 


— 


— 


pen Buch u. Eapitel 9. | 


Aus dem hoͤchſten emfatdien Weſen / bent 


reinen Handeln geht der erſte Verſtand hervor, in 


welchem ſich die Intelligenz und das Intelligible (das 


Ich und Nicht Ich) welche in reinen Handeln eins 
und daſſelbe ſind, trennen. In ihm liegt alles In⸗ 


telligible, mithin die ganze Welt, und ſie iſt, inſofern . 
ſie ⸗darinn liegt, Verſtandeswelt. Aus dem Ver⸗ | 
ſtande geht eine hoͤhere Weltſeele, aus dieſer 


wieder eine niedere, fo wie aus der Verſtandes⸗ 
welt eine niedere Welt hervor. Dieſe zweyte Welt 


erſtreckt ſich bis an die Sphäre des Mondes, und 
ihr Ausfluß ift endlich unſre grobe ſublunariſche 


Sinnenwelt. Bey der Unterſcheidung ſo man⸗ 


nigfaltiger Welten, richteten ſich die Neuplatoniker ' 


wahrſcheinlich am meiſten nach der orlentaliſchen 
und cabbaliſtiſchen Emanationslehre, der ſie jedoh 
einen pythagoräiſchen Anſtrich zu geben wußten. 
Auch ſcheint ihre ganze Unterſcheidung verſchiedener 
Claſſen von Weſen und Welten, ſich nach den Unter 
ſchieden gerichtet zu haben, welche ſie unter den ver⸗ 
ſchiedenen Seelenkraͤften fanden. Wille, oder übers 


haupt praktiſches Vermoͤgen, Verſtand, Einbil⸗ 1 


dungskraft und Sinnlichkeit ſcheinen die Stuffen 


der Seelenvermöͤgen geweſen zu ſeyn, nach wel⸗ | 4 


chen Mar. die Stuffenfolge der un ire. 
Da- 


Buch Ill. 1 ewe 8. 333 


en . die Seele beym Aufſteigen zur Ans 


‚Me ſchauung Gottes diefe Stufenfolge durchlaufen muß. 


Das Verdienſtliche dieſes Syſtems, wel⸗ 


De: ches allem ‚gefunden. und deutlichem Denken fofhe 
entgegen zu ſtehen ſcheint, und daher ſehr oft mit 
der tiefſten Verachtung behandelt worden iſt, ſetzt 


Tiedemann überhaupt in Befoͤrderung des ab⸗ 


| ſtrakten Denkens, ohne welches freilich keine wahre 
Philoſophie beſtehen kann, und in das Beſtreben 


15 alles auf einfache Begriffe zuruͤckzufuͤhren, und die⸗ 
5 ſelben in einen ſyſtematiſchen Zuſammenhang un⸗ 
ter ein oberſtes Princip zu bringen. In der That 


iſt auch in keinem der aͤltern Syſteme das Beſtreben 
ſo ſichtbar, das menſchliche Wiſſen in einen wahren 
ſpſtematiſchen Zuſammenhang zu bringen. Nur 


verſaͤumten die Neuplatoniker „ganz nach einer ein⸗ 


fachen feften und kritiſchen Methode dabey zu Werke 


1 zu gehen, ohne welche der Hang zur Vildung von 


Syſtemen der Philoſophie mehr nachtheilig als 


e wird. 


Fuͤr die Yeligionapbilofopbie: insbeſondre 


| fon es nach eben dieſes Philoſophen Meinung ) 


vorzuͤglich den Nutzen gehabt haben, daß es die 


1 1 philoſophirende Vernunft veranlaßte, von dem Bes 


3 


5 1 ai ber e alle Angeſcheſpnte Prädikate zu 


tren⸗ 


5 = Tiedemann gest d ſpek. Bil 25. I. ©. 438. 


334 Buch Ill. Capiel 99. 
trennen und ihm hoͤhere und a N TO 


mungen beyzulegen. Indem es jedoch Gott in ei⸗ 


nen bloßen abſtrakten Begriff verwandelte, ſo nahm 
es ihm von der andern Seite alles, was es ihm 
von der einen gab, und wuͤrde ſicher das Ende 
aller Religions philoſophie geworden ſeyn, wenn 
man es ſtreng und befriedigend hätte beweiſen und 
hernach uͤber den wahren Gehalt deſſelben 577 
nachdenken koͤnnen. 


Ein Syſtem wie dieſes, war ſehr „ 


faltigen Veraͤnderungen fähig, und wuͤrde deren 


gewiß ſehr viele erfahren haben, wenn die An⸗ 


hänger deſſelben weniger ſchwaͤrmeriſche Verehrer 
ihrer Lehrer geweſen wären, und ihre Ausſprüche 
nicht als höhere Eingebungen betrachtet ‚hätten. 


Plotins beruͤhmteſter Schüler Porphyr, ſuchte in⸗ 


deſſen doch, ohngeachtet ſeiner aus ſchweifenden Ehr⸗ 
furcht für feinen Lehrer, etwas in feiner Theolo⸗ 
gie zu verbeſſern, was in der That einer RR: 
ferung bedurfte. Plotin hatte gelehrt, daß man 
4 dem hoͤchſten Weſen, als der einfachſten e, 
keine Praͤdikate zuſchreiben dürfe, und ihm gleich⸗ 
wohl einige beygelegt. Dies erklärte ſein Schüler 
ſo, daß die Gottheit ihrer Natur nach über alles 
Denken erhaben, und in ſofern ohne alle Prätis 
kate ſey, daß ihr aber doch felt me fo 
bald 


1 2 5 
— 7 r 
3 


Buß ll. Cant u 3 335 
bald fie als ein Weſen gedacht werde. Dies duͤr⸗ 


050 nur verneinende Praͤdikate ſeyn. Da⸗ wa 


her iſt Gott in keinem Orte, und eben deswegen 


uberall in allen Dingen. Auch der hoͤchſte Ver⸗ 


ſtand und die intellektuelle Weltſeele ſind in kei⸗ 


nem Orte, aber in Gott und in allen Dingen. 
Die körperlichen Dinge find in der Seele, im Ver 


ſtande und in Gott zugleich. — Noch mehr 


wußte Prephyr die Dämonologie ſeines Wees aus⸗ 


ere e u 


Ein etwas ſpaͤterer Neuplatoniker, Bei 
der zugleich ein guter Mathematiker war, und 
on überhaupt durch mannigfaltige Gelehrſamkeit 


aus zeichnete „unternahm es zuerſt, die Theologie 


mathematiſch zu demonſtriren ). Der Ge⸗ 


* 


A 


danke war um fo natuͤrlicher, da ſchon ſeine Vor⸗ 


gaänger durch Anwendung der pythagoräiſchen Zah⸗ 

lenlehre, Mathematik und Theologie in Verbin⸗ 
dung geſetzt hatten. Er geht von Sätzen über 
die Einheit aus. „Jede Vielheit ſetzt eine Ein⸗ 


— 


‚heit voraus“, iſt fein erſter Saß. Dann zeigt er 


weiter, daß alles Hervorbringende beſſer iſt als 
dos d e , daß das e 17 über 


ir en en, 


75 


9 Proch Lyei Diadochi element eee et 


* 


N phyſica quae Fr. Fatricius de e fecit latina \ 
Ferrariae 15830 . | . 


336 Buch Ill. Cane 


alle Weſen erhaben it, well alle Weſen barnach 
ſtreben, daß alle Weſen von einer erſten Urſache 
herkommen, daß dieſe erſte Urſache das abſolut 
Gute iſt, u. ſ. w. Er weicht in einigen Stuͤcken 
vom Plotin ab, die aber nicht weſentlich ſind, und 
wodurch wenigſtens die Religions philoſophie nichts 
gewonnen hat. Seine wichtigſte Abweichung war 
die Behauptung der Ewigkeit der Welt, die er je 
doch igroͤßtentheils mit denſelben Gruͤnden unter⸗ 


ſtuͤtzte, mit welchen fie ane 55 nn ge⸗ 


ſucht hatte. 
Mit der meiſten Deutlichkeit, j oßgfeld 8 


Originalität, trägt Boethius die Philoſophie fein, 


nes Zeitalters, und beſonders die Religionslehren 


derſelben in ſeinen Schriften vor. Beſonders ent⸗ 


wickelt er den Begriff von Gott, als dem voll⸗ 
kommenſten Weſen ſehr gut. Auch erklärt er ſich 


über Vorſehung und Fatum befriedigender, als 
man es bisher gethan hatte, ſo: Vorſehung iſt 
die Anordnung, der Plan aller Weltbegebenheiten 


im goͤttlichen Verſtande; Fatum die Ausführung ö 


deſſelben in Zeit und Raum durch die Subſtanzen 
in der Welt. In ſeiner philoſophiſchen Troſtſchrift 
finden ſich beſonders viele lehrreiche, obgleich nicht 
neue egen 12 die Natur des . 


BER 


Are 


2 
wart: 


+ 


Y 


m Bu! III. Gapitel9- “ 337 
Andes Philoſophen des fuͤnften und ſechs⸗ 


N ten ee machten ſich blos durch einzelne 
neue Gedanken oder Gründe , für manche Lehren 


um die Religionsphiloſophie verdient. So ver⸗ 
theidigte z. B. Aeneas von Gaza, die Vorſe⸗ 


hung wegen des Uebels auch damit, daß Gott den 5 


| Menſchen manche kleinere Uebel zuſchicke, um ſie 
vor groͤßeren zu ſichern. Solche, welche das Neu⸗ 
platoniſche Syſtem blos in RNuͤckſicht auf das 
J Chriſtenthum beſtritten, oder annahmen, gehoͤren 

nicht hierher, eben ſo wenig, als die Philoſophie 


der Kirchenvater, die wir einer Geſchichte der 
Philoſophie des e überhaupt vorbe, 


1 Bu *). 


* - 


9 M. vergl. uͤbrigens Tiedemanns Geiſt d. ſpek. 


Phil. Th. III. S. 519. f. und Suͤlleborns Bey⸗ 
‚träge St. 3. auch Meiners Beytraͤge zur Geſch. 
d. Denkart der erſten Jahrhunderte 10 Chriſti 
e Be 17823. | 


aa fi x Bin Zehntes 


338 Buch III. Capitel 10. 


Zehntes Capitel. ER | 


Al die magiſche ang der . . 
Philoſophie begann zu verloͤſchen, als das finſtre 
Jahrtauſend des Mittelalters eintrat, in wel⸗ 


chem nur noch die Schriften der Kirchenvater gleich N 


Lichtmagneten leuchteten, welche einige Stralen der 
. altern griechiſchen Aufklärung eingefogen hatten, 


aber ihre ſchwache Erleuchtung nur ſehr fparfam 


mittheilten. Die Unwiſſenheit ſelbſt erzeugte in⸗ 
deſſen in dieſen Jahrhunderten manche Selbſtden⸗ 
ker, und wuͤrde derer noch mehr erzeugt haben, 
wenn nicht die Barbarey der Sprache dem Selbfts 
denken die größten Hindernuiſſe in den Weg gelegt 
hätte, und es nicht an allen ofen S 
dazu gefehlt haͤtte. ' 
Ohngeachtet Religion in dieſen Jahr busber, 5 
ten ein Hauptgegenſtand fuͤr alle diejenigen wax, ä 
welche von ihren Geiſteskraͤften Gebrauch machten, g 
ſo war doch durch die poſitive Religion, welche in 4 
dieſem Zeitalter ganz hiſtoriſch und auf Autorität 
gegründet war, dem religioͤſen Nachdenken ein zu 4 
fees 2 Yang als daß wahre Originalität, 4 
welche a 


ig nl. eme e. 0 m) 


15 1 venue, dabey bitt ſtatt finden Kane. 5 
Da wir nur auf die Reſultate eines originellen 
Mic denkers über die Reli iglon in dieſer Geſchichte 
"Rück cht zu nehmen haben, ſo wird uns die 

5 Schola des Mittelalters weniger Ausbeute 

„ geben, als eln o langer Zeitraum zu verfprechen 

| 1 9 3 u . 

Dieie erſten Verſuche „ ber Glaubenslehre des 

eine eine wiſſenſchaftliche Geſtalt zu ger 

ben, hatten auch auf dle Religionsppiloſophie mans 
nigfaltigen Einfluß. Johann von Damaſkus, 

der im achten Jahrhunderte lebte, und den man 1 

als den Vater der chriſtlichen Dogmatik betrachtet, 

ſonderte auch die Theologie ſorgfaͤltiger als bisher ; 
ft geſchehen war, von der Phyſik und Metaphyſik 
ab Mr und beftimmte zu Ihrem Inhalte die Betrach⸗ 
tung von immateriellen Weſen, Gott, Geiſtern 

4 und Seelen uͤberhaupt 9. Sonſt war ſeine Phi⸗ 

| loſophie eine Verbindung ariſtoteliſcher und bibli⸗ 

ſcher Ideen. Er betrachtete Gott als das vollkom⸗ 

menſte Weſen „und ſuchte hieraus ein Einheit 
zu erweiſen. Denn waͤren zwey oder mehrere voll⸗ 

1 Weſen, ſo wären fie entweder vollkom⸗ 

* men 


| L 


a Höhknbes Hine phyt c 1. 
>» wc 


340 EN Zug In. Cavitcl 10, 


men gleich, „und mithin eins und daſſabe, oder fe 4 
waͤren dadurch verſchieden daß das eine die Voll- A 
kommenhelt in einem mindern Grade beſaße als 5 
das andre. Dann waͤre es aber nicht . | 
kommenſte Weſen. — Auch fein Schuͤler Theo eo 
dor Abucara gab dem von der Nothwendt g 8 
einer Welturſache hergenommenen Beweiſe dadurch ; 
ein neues Gewicht, daß er zu zeigen ſuchte, daß 
das Menſchengeſchlecht nothwendig einen Schöpfer 
vorausſetze, well es ungereimt ſey, es als ewig, 
oder aus der Erde hervorgewachſen, anzunehmen). 
Ein Philoſoph des neunten Jahrhunderts 
Johann Scotus Erigena, ward durch de 
Schriften des vorgeblichen Dionyſius des Arropa⸗ 
giten mit neuplatoniſchen Religlonsideen erfüllt, 
und warf in feinem Buche von der Elatheilung 
der Natur ), Pſiyſik, Metaphyſik, und Theo» 
logie wieder durch einander. Er ſcheint ſelbſt noch 
weiter, als die Alexandriner zu gehen verſucht zu 
haben, indem er aus dem neuplatoniſchen Sage 
daß Gott keine Prädikate zukommen ; folgerte; 
1 daß 9 
) Tiedemann Get d. fp. öl 20 . Zoctes 9 
Hauptſt S. 37, 48. 3 
> Einen kurzen Auszug der Gaupfiberd dieſes Bu- 7 
ches findet man in Balle comm., de ortu et pro- 


greſſu Pantheilmi in gina Soc, Sc. ar 
Vol. X. ö 


— 


* 
f 


* 


* x > . 


Bic III. Capitel 10. 0 zur 
er 9 fi 0 ſelbſt nicht durch Prädikate kennt. 


5 lehrte ferner, Gott habe von allen Dingen 


auſſer them keine Kenntulß, und eben dieſes mache 


1 feine bolommenſte Erkenntniß aus. Dies ſcheint 
b ſich nicht anders verſtehen zu laſſen, als ſo: daß 
i bon Gott kein Begriff, ſondern nur eine Idee 


att finde, und daß Gott von den Dingen auſſer 


ihm keine diſcurſtoe 1 ſondern eine intuitive Er⸗ 


5 kenntniß vermittelſt der Ideen habe J. Auch fin⸗ 


ben fo bey ihm ſchon Spuren des Unterſchiedes, 
welchen die ſpͤͤtern Scholaſtiker zwiſchen theologis 
ſher und phlloſophiſcher Wahrhelt machten, indem 


er zwiſchen dem theologischen und philoſophiſchen | 


Wer der Allmacht Gottes unterſcheidet, un d be⸗ 
bauptet, jenen komme das Merkmal der Unmit⸗ 


N telbarkeit zu, dieſen aber nicht. Der Begriff der 


gb tuichen Allmacht ward überhaupt im Mittels 
alter ſehr übertrieben und gemißbraucht. N tan 
ſtritt darüber, ob die Allmacht Gottes auch unmög⸗ 
liche Dinge bewirken koͤnne? ob ſie das Geſchehene 
ungeschehen machen koͤnne? Peter Damian, ein 


Cordinal des eilften Jahrhunderts, der fü ch durch 
den N ne den ihm ſeine Talente erwarben, aus 
2285 Y 3 N h r dem k 


In 0 Tiedemann Geiſt ꝛc Th. IU. 8.3 184• 189. und 
die Vorrede zum fuͤnften Thel Allgemeine Lit 


krlaturzeitung 1796. N. 204 u. 5. 


0 


8 342 Buch lll. Capie 10. „ 


dem niedrigsten Stande emporſchwa 19, behauptete 
ſtreng, daß die Allmacht eine Gefallene Wieder zur 
Jungfer machen koͤnne, und daß der, welche r das 5 
Gegentheil lehre, der Allmacht 3 and | 
ein Ruchloſer ſey. Zum Gluͤck ließ ſich nur dle 
neuplatoniſche Phtloſophie von ihm a ie 5 
Behauptungen brauchen 7955 er 
, In ‚eben dieſem eiften Jabber ie 
Anfelm, Biſchoff von Canterbury, we Be 
zuerft einige Verſuche machte, die eee, J 
fophie unabhängig von pofitiven Religionslehren ; | 
bearbeiten sr), Als er noch Prior im Sete bat | 
in der Normandie war, ward er von einigen Klo | 
ſterbrüdern erſucht, etwas Über das göttliche We⸗ 
fen, und die damit zuſammenhängenden lehren, b 
aus bloßen Vernunftgruͤnden zu ſchreiben, und er * 
that es zuerſt in einer Schrift, die er Monolo⸗ 
gium nannte, und in der er die Sprache des eig⸗ N 
nen Nachdenkens über göttliche. Gegenftände — 
Er ſpricht in der Vorrede ſehr beſchelden und furcht⸗ 
ſam von dieſem Verſuche, und beforgt vet 


77 


n 


* Petr. Brise de Dei embihsteütde epif. in de 
la Bigne append, bibl. St. Patramp. 486 ca. Tieder I 
mann IV. 250. 


* 8. Aunſelmi Opera Audio, Gabr. Gerber ei II. 
Paris. 1731 fol, 


. 


Luc ll . Cavite 10, a 
465 906 er es zu neologiſch ſcheinen mochte | 


Diefe berwelßt er auf die Schriſten des hell. Aus 
; guſtinus, a bey dem ſie ähnliche Worte und Lehren 


ur finden würden. Er geht von Vernunftbeweiſen 


ö für das Daſeyn eines hödften Weſens aus. Zu⸗ 

erſt beweißt er, daß es ein hoͤchſtes und abſolutes | 

Gute geben muͤſſe, weil alle einzelne Guͤter, wor⸗ 
nach die Menſchen ſtreben, ein ſolches allgemeines 
Gute vorausſeßen, wodurch ſie eben gut ſind. 

i Dann zeigt er, daß, das hörhfte Gut, auch den 

’ boͤchſten Grad bon Große haben müſſe, weil allein | 
ä das Gute nicht groß genug ſeyn kann. Da nun 


alles eine Urſache haben muß, ſo laßt ſich nichts | 


| denken r was eher die Urſache von Allem ſehn 
könnte, als was das Größte und Beſte zugleich 
iſt. Das Daſehn eines größten und beſten oder 
solfommenften Weſens, erweißt er ferner aus 
den berſchiedenen Graden von Vollkommenheit, 
welche unter dem Weſen ſtatt finden, weil entwer 
der die Rehe von Weſen, deren immer eins voll⸗ 
x kammer iR. als das andre, unendlich ſeyn, oder 
es ein vollkommenſtes Weſen geben muß. Dieſer 
Beweis führt freylich blos auf ein Weſen von der 
relativ ‚höchften Vollkommenheit in Vergleichung 
mit den Unvollkommnern. Anſelm aber betrachtet 
| [2 als einen Erweis eines abſolut vollkommen⸗ 
5 Pi * ſten 


7 Ku wyı% 
* 180 


1 N 


344 Buch III. Capitel 10. 


ſten Weſens ‚ und beweißt daher die Einheit def 
ſelben auf eben die Weiſe, wie es Johann von 
Damaſkus gethan hatte, und legt ihm auch bey, 
daß es völlig nnabhaͤngig durch fü ch fest, alles 


andre aber durch daſſelbe exiſtiren müͤſſe. So iel 


kann in Anſelms Monologium allenfalls noch für 


reine unabhängige Philofophie gelten ). Das 
Weitere ſchließt ſich ſogleich an den Kirchenglauben 
an, und ſoll dazu dienen, die Lehren von der 


Schoͤpfung aus Nichts, von der Drepeinigkeit, und 


andre a priori zu beweiſen. ESC gehört alſo nicht 12 


hierher, und zwar um fo weniger da auch nicht 
einmal die phlloſophiſchen Säge, welche es enthält, 


originell, fondern aus ber Philoſophie der N 


chenväͤter und Neuplatoniker geſchoͤpft fi nd. | 


Eine andre kleine Schrift von ihm, Pest 


gium genannt, hat denſelben Zweck, unterſcheldet 
ſi ch aber von dem Monologlum durch die Form, 


indem ſie wie der Titel andeutet, eine Rede an 
einen andern, jenes aber eln Selbſtgeſpräch iſt. | 
Hier wird der Beweis für das Daſeyn Gottes ſo g 
gefuͤhrt: Ein Weſen deſſen Nichtſeyn nicht gedacht 


werden kann, iſt hoͤher als ein ſolches, deſſen 


Nichtſeyn gedacht werden kann. Das hoͤchſte Be 


fen ift, ei ein DR deſſen Nichtſeyn nicht ge⸗ 4 
4 dacht Ä 


) Monologium de e dirinitatis effentia Cap. 1 V. 


Bit ut Cavite 15. 345 
er werben kann, und muß alſo nothwenbig exl⸗ 
. fir en =). Ein Beweis hiergegen wäre, daß es 
b Atheiſten, f oder wie es der Pfalniſt. ausdrückt, 
beſſen Worte Anſelmus braucht, Toren giebt, 
i welche in ihrem Herzen ſprechen: es iſt kein Gott. 
Dagegen ſagt Anſelmus: die Thoren konnten dies 
ſes wohl in ihren Herzen ſprechen, aber keinen | 
| Begriff damit perbinden, fo wie auch anderer Un⸗ 
| ſinn, 5. 8. Feuer iſt Waſſer, ſich durch Worte 
| ausdrücken laßt, ohne daß ein Begriff damit ver, 65 
| bunden iſt. 
85 Es ift nicht u blaze, baß bieſer Bebels, 
1 W er am Ende auf einer logiſchen Täu⸗ 
ſchung beruht, ungemein ſchärffinnuig iſt, und wenn 
er auch nicht, wle man oft behauptet hat, ganz 
2 if, welchen Des Cartes aus dem Ber 
| dec biete Aehnlichkeit mit demſelben. 
ER Die Schwaͤche dieſes Bewelſes ward indeſſen a 
ſchon in Anſelms Zeitalter gefuͤhlt, und eln Mönch 
Gaunilo ſchrieb daher eine Vertheidlgung des 
Wen 9 7 N 3 Er fast batinnen: 
r =») Proslogium feu de Dei exiſtentis Cap. II. III. 
> ,®%) Liber pro inſipiente adverſus S. Anſelmi in 
Proſ logio ratiocinationem auctore Gaunilone ma- 


ioris monafterii monacho, in eig opp. ed, 
Gerdeton p. 35. ö 


5 


0 we ö Bi u, cane le. 2 


die Behauptung, daß das boͤchſte Weſen 1 
blos im Verſtande, f ſondern auch auf . denſelben 


exiſtiren muß, beruht doch am Ende nur . 1 


daß ich mir das hoͤchſte Weſen ſo denken | 
Ich kann aber auch etwas falſches denken. Se 


5 müßte alſo jenen Gedanken nicht blos denken, 


/ 


ſondern zu gleicher Zeit als wahr erkennen. 
Wenn aber dieſes waͤre fo müßte 1. Denken un 

erkennen bey bieſem Gedanken nicht verſchied en, 
ſondern eins und daſſelbe ſeyn. Dann könnte ih 
aber 2. das Gegentheil gar nicht denken, und die 
ganze Sache bedurfte mithin keines Beweis 


3. müßte es wenigſtens mit einem unumföglichen 1 


Beweiſe dargethan werden, nicht aber damit, daß 
ich es mir ſo denken muß. Er ſucht dann 
weiter zu zeigen, daß ich ein höchſtes Weſen Rat 
einmal denken kann, weil ich mir es nicht ver⸗ 
Bi eines allgemeinen Begriffs wie z. B. einen 
unbekannten Menſchen vorſtellen kann. Er be⸗ 
weißt hierauf, daß der Begriff eines böͤchſten We⸗ 
ſeus ein bloßer Reflectionsbegriff ſey, und erlaͤutert 
dies mit einem ſehr paſſenden Beyſpiele. 1 ‚Man 
ſpricht, ſagt er, von einer glücklichen: Sufel, welche 
alle andre an Vorzügen ‚übertreffen ſoll, Wenn 
mir jemand davon erzählt, ſo kann ich dieſes 
leicht verſtehen. 1 er nun e du 
e nz * 


4 Bug IH, Cute 105 . i w 


AR 1 * 


* heit An Bi dasenge, ER du Er als 4 
\ das vollkommenſte denkſt/ nicht blos „im Verſian⸗ 
de, ſondern in der Wirklichkeit eriſtiren muß; ſo 
würde ich glauben er ſchentte. Dies, glaubt Gaus 
nile könne der 3 Thor, welcher in ſeinem Herzen | 

ſpricht: es iſt fein. ‚Gott, auf Anſelims Beweiſe 
a fr fen Ale findet er ſein Nee 


K 5 ne ee antwortet Anfelm, in einer 1 
7 in welcher er die einzelnen Behauptungen Ganni⸗ 

les zu widerlegen ſucht, in der Hauptſache aber 
ee: es ſey nicht von dem hoͤchſten denkba⸗ 
Weſen die Rede, ſondern von dem wirkli, 


n 55 | 
chen hö fien Weſen. Dies wuͤrde aber nicht das ö 


AN 0 on, wenn es als nicht exiſtirend gedacht 
werden konnte. Man ſieht daß ſi ſich Anſelm auch 

ö hier, wieder dadurch taͤuſcht, daß er vorausſetzt, 
was bewieſen werden ſoll, und. denn aus der Vor⸗ 
aus ſetzung argumentirt. — Dieser Streit fe 
übrigens mit einer Humanitaͤt gefuͤhrt y welche man 
| dm. n eilften Jahrhunderte icht, erwarten „ und die 
6 man 


48 


2 2 * 8. Anſelmi über be contra Gaunilo- . 
nem reſpondentem pro inüpiente. 5 


1 \ 


348 Buch ll. Cp . 
man ſi ch ſelbſt in unſerm Zeitalter zum Muſter . 
| bey mancherley Streltigkeiten haͤtte ne men ſollen. f 
Alle diejenigen, welche in Anfelms und den 
naͤchſt folgenden Zeiten, den Namen von Phu ſo⸗ 
phen erhielten, können ihn zwar nur größtentheils 1 
um deswillen mit einigem Scheine behaupten; well 4 
fie über die Religien phlloſophirten, und man kann 
| fügen, daß Religtonsphilofophie in jenem Zeitalter 
die Sphaͤre der Philoſophie überhaupt ausfüllte x 
und alle andre Theile derſelben blos um jener 
willen bearbeitet wurden. Demohngeachtet g. gewann 
ſie hierdurch als Wiſſenſchaft betrachtet went 3 1 
nichts. Denn das Ziel war zu feſt vorgefſckt, ER. 
bey welchen alle Philosophen ankommen ig 
Es war daher ſchwer zu vermelden, daß nicht 
bey den meiſten philoſophiſchen Behauptungen über 
die Religion vorausgeſeßzt wurde, was zu erwel⸗ 
ſen war. Auch galt die Autorität. der frühern Kl. 
chenſchriftſteller ſo viel, daß nur ſelten ein guter 
Kopf es wagte, zu ihren Behauptungen 2 
binzuzuthun; etwas davon zu thun, welches ft | 
noch nöthiger geweſen wäre, durfte niemand wa⸗ 
gen. Die Scholaſtiker dieſes Zeitaleers beſchöf⸗ 
tigten ſich daher nur mit Philoſophemen über 
einzelne Eigenſchaften und Verhaͤltniſſe Gottes. | 
Gottes Allwiſſenheit ehen en. von 1 La- A 
h pat 


>» 


| ne Buch m. Cant 10 349 
Darin. und Zuge von St. Pitwer; welcher 
| auch den Bewelſen, welche von der Nothwendig⸗ 
3 N keit einer erſten Urſache, und aus der zweckmaͤßi⸗ 
gen Einrichtung der Welt bergen emen find, eine 
neue Wendung gab, gegen die Einwendung zu 
g vertheldigen, daß manches kuͤnftige ganz vom Zu⸗ 
falle abhaͤnge, und es daher vorher zu wiſſen un⸗ 
moͤglich ſey. Die alexandriniſchen Ideen von Got⸗ 
tes Unveränderlichkeit und bie alten von dem Das 
ſeyn des Uebels hergenommenen Einwürfe gegen 


Me die Vorſehung, wurden von ihnen von mancherley 
| Seiten betrachtet. Die Methode des Vortrags 


der Theologie überhaupt, und mithin auch der 
Lehren der Religions philoſophie ward von Hilde⸗ 
bert von Lavardin in eine neue und beſtimmtere 
Form gegoſſen, die durch Petrus Lombardus 
dem ganzen ſcholaſtiſchen Zeitalter zum Muſter 
5 wurde. Aber ſelbſt der ſcharfſinnige Abaͤlard 
38 brachte in der Religionsphiloſophie keine neuen lit 
. 3 von einiger Erheblichkeit hervor 7 
Bi Die meifte Driginalität dürfte ſich noch bey 
ben Myſeikern finden, in ſofern ſie philoſophi⸗ 
ſches N mit der Myſtik verbanden. 
Ho⸗ 


' 9 m. ſ. über dieſe Schriftſteller Biker hift. crit. 
Phil. T. III. und Tiedemann Geiſt d. ſp. Phil, 
Th. IV. S. 271 f. 


335 em nit. ell 10. 


Lonerlus von Autun, ein Wyftker des wel, 


ad 14. 


niß zu Gott „im philoſophiſchen Sinne 2 
zu haben scheint. Wenigſtens beſtimmt fein eis 
was ſpaͤterer Zeitgenoſſe Richard, Prior des . 
ſters zu St. Viktor in Paris die Stufen 4 
Himmelsleiter nach einer ihm eigenthümlichen, fi 

lich im Grunde auch mehr kirchlichen als 1 
phiſchen Pſpychologle. Sie hat ſechs Stufen. 


Zwey liegen im Gebiete der Einbildangskraſt, 
zwey in dem der Vernunft, zwey im Gebiete % 
nes höhern durch übernatürliche Einflͤſe geweckten | 


und geleiteten Erkenntnißvermoͤgens. Die e 
liegt blos in der Einbildungskraft, durch welche 
wir die Groͤße der Werke des Schoͤpfers bewun⸗ 


dern, ohne weitere Schluͤſſe daraus zu ziehen. Die 


zwepte verbindet Vernunft mit der Einbildungs⸗ 


kraft „und lehrt uns die Zwecke der Werke des 3 
Schoͤpfers erforſchen und bewundern. Auf der 


w * 
N re 


ö 
a EAN 
* u x m > + 
e 88 


dritten Stufe, auf welcher die Vernunft vorzuͤg⸗ 


; 2 lich wirkſam iſt, die Einbildungskraft aber doch 5 1 


auch noch Einfluß hat, erheben wir uns zu allges 


meinen und uͤberſinnlichen Begriffen. Auf der 
vierten zeigt uns die Vernunft allein, Ideen von 9 
überſinnlichen Weſen. Auf der fuͤnften verbindet 
5 ſich 


- 


. l. HI. eue 16. . 381 5 


* een mit der Vernunft zu teinern men 
} 5 taphyſt ſchen Ideen von Gott, ſeiner böͤchſten Voll⸗ 
kommenhelt und Einfachheit. * Auf die ſechste 
ſtellt uns die Offenbarung allein, und laßt uns 
ſogar manches glauben, was der Vernunft zu wi⸗ 
WB derſprechen em als die Sn von der Ben 
5 einlgkeit. 
Den Beweis, daß das böchſte Weſen ſelbſt⸗ 
flaͤndig und unabhängig ſeyn müffe, ſcharfte Ri⸗ 
5 chard auf eine neue Art, indem er zeigte, daß das 
5 hoͤchſte Weſen ſeine Eigenſchaften, und beſonders 


die Vernunft nicht von ſolchen Weſen erhalten ha⸗ 


ben koͤnne, welche geringer ſind, als es ſelbſt if, 


und daß es alſo durch ſich ſelbſt eriſtiren muͤſſe. Mn 


# Auch die Einheit Gottes verſucht er hieraus auf 
elne neue Art abzuleiten. Wenn das hoͤchſte We⸗ 
| fen: feine Goͤttlichkelt von ſich ſelbſt hat, fo müßte 


5 ſie e mehrern dieſelbe mitgetheilt haben, wenn meh⸗ 


rere Götter exiſtiren ſollten. Aber dann müßte fie 
f ihre Subſtanz haben mittheilen koͤnnen, alfo müßte 
eine und dieſelbe Subſtanz zugleich mehrere ſeyn 
Tonnen, welches unmöglich iſt. Auch aus der All⸗ 
AR macht Gottes folgert Richard feine Einheit. Es 


. kann nur ein allmachtiges Weſen exiſtiren, well 


mehrere allmaͤchtige ihre Macht gegenſeitig aufhes . 


10 ben, und e 325 allmächtig ſeyn wurden. Die 


it N n * Un⸗ \ 


352 Buch III. Capi 10, 


Unveränberlichkeit Gottes leitet er daraus ab, daß 
Gott weder verbeſſert noch verſchlimmert werden 


kann. Die Allgegenwart folgert er aus der All⸗ . 


macht, beſtimmt ſie aber nach neuplatoniſchen Be⸗ 


griffen, bey denen ſich nichts c denken f 


läßt. 1 3% 


Alanus von Ryſſel, gewöhnlich 1 9 5 
genannt, der ſeine meiſten Zeitgenoſſen des zwoͤlf⸗ 
ten Jahrhunderts an Gelehrſamkett und Scharfſinn 
uͤbertraf, folgerte die Nothwendigkeit einer erſten 
Urſache aus dem Saße: daß die Materie ohne 


— 


Form und die Form ohne Materie nicht ſeyn 
koͤnne, und daß mithin eine hoͤchſte Urſache ihrer 


Zuſammenſetzung ſeyn muͤſſe, da nichts ſich ſelbſt 


zuſammengeſeßzt haben kann. Man hat oft, noch 
in unſern Zeiten die nothwendige Verbindung * 5 


Materie und Form verkannt). 


Ohngeachtet die Philoſopheme der miles, un⸗ we 
ter den Scholaſtikern dieſes Zeitalters, wenn fi e 
conſequent geweſen wären, und ſich nicht ganz 
durch kirchliche Autorität hätten leiten laſſen, fie, 
beſonders in ſofern ſie aus neuplatoniſchen Quellen 


geſchoͤpt waren, nothwendig auf Pantheismus 


haͤtten leiten muͤſſen; (denn die Schoͤpfung aus Nichts | 


war nur ein 2 und ee ganz unphis 


2 7. 21 


) Tiedemann Th. IV. S. 313: 323. 5 W 


loſo⸗ 


— 


Boch III. Capitel 10. 353 0 


f . Nothbehelf, das Daſeyn der Dinge 


durch Gott zu erklaͤren, obne ſie aus ihm abzu⸗ 


leiten), ſo finden wir doch nur zweg derſelben, 
welche ſich dieſer Conſequenz, die in den Augen 
der kirchlichen Orthodoxie ein Verbrechen war, 


ſchuldig machten. Dieſe waren Almarich Lehrer ; 


der Theologie in Paris, und ſein Schuͤler David 


de Dinanto. Von ihren Behauptungen um wel⸗ 


cher willen ihre Gebeine auf dem Concilio zu Paris 


im Jahr 1209 aus ihrer geweihten Grabſtaͤtte ver⸗ 
bannt; „und zu einem unehrlichen Begraͤbniſſe verur⸗ 


ö theilt wurden ſind uns nur folgende aufoehalten 


worden: 8 5 


Alles ift Gott und Sort if Ales; Schöpfer 
ad Gefhönf find Eins; die Ideen ſchaffen und wer⸗ 


den geſchaffen; 55 Gott heißt darum der Endzweck f 


aller Dinge, weil alles in ihn zurückkehren wird, 
um in Gott unberäͤnderlich zu ruhen, und dann nur 


ein einziges und unberänderliches Individuum aus⸗ 
zumachen. Wie Abraham und Iſaak nicht verſchie 


dener Natur ſind: ſo ift alles Eins, und alles 


| haus, Gott * 5 das Wan aller Sa) 


1 85 Die 


7 11 or 


* ac. 11000 O hiſt. BERN et nn p. 110. . 


Buhle comment, de ortu et progr. pantheiſmi | 
* fe u 4 3 3 . 50 


125 


7 


354 Buch III. Capitel 10. 


Die Behauptungen Davids von Dinanto ſtimmen 
im Weſentlichen mit dieſen überein. Man erkennt 
jedoch aus ihnen deutlicher, daß dieſer Pantheis⸗ 


mus aus der neuplatoniſchen Verwechslung logi⸗ 
ſcher allgemeiner Begriffe, mit Subſtanzen im me⸗ 
taphyſiſchen Sinne entſtand. 

So unvollſtaͤndig und a 
auch dieſe Behauptungen ſeyn moͤgen, die uns nur 
von Gegnern der Verurtheilten aufbehalten find, 
fo ſieht man doch, daß fie ein Gemiſch henplatos 
niſcher und ariftotelifcher Ideen waren; beſonders 


iſt der Satz: daß Gott der Endzweck aller Dinge 


fey, dem Ariſtoteles eigenthuͤmlich. Ariſtoteles 
mußte daher die Schuld dieſer Ketzerey mit tra⸗ 
gen, und ſeine Schriften, welche kurz zuvor erſt 
den abendlaͤndiſchen Gelehrten durch die Araber 


bekannt worden waren, wurden von eben dieſer 4 


Kirchenverſammlung verboten. Das Verbot aber 
half, wie die meiſten Verbote dieſer Art, das 
Verbotene nur mehr auszubreiten, und Ariſtoteles 
begann durch daffelbe erſt recht ee E 
zu erhalten. 

Dieſer Einfluß hatte aber die naͤchſte Fog, 
daß durch ihn das Selbſtdenken noch mehr einge⸗ 
ſchränkt ward, als es bisher durch die Schranken 


geſchehen war, in welche das kirchlliche Syſtem den 


Geiſt 


Brach III. Capitel 10. 355 


Sleiſt einengte. Man wagte es gar nicht, andre 


Gegenſtaͤnde des Nachdenkens zu waͤhlen, als 

ſolche welche bereits durch Ariſtoteles und die Kir⸗ 
chenvͤter auf die Bahn gebracht worden waren, 
noch weniger wagte man es, von ihren Behaup⸗ 


| tungen abzugehen, und alles Philoſophiren beſtand 


darinn, daß man Einwuͤrfe gegen die autorifirten 
Behauptungen aufſuchte, und fie entweder durch 


Autorität oder durch Gegengründe, die man aus 


dem angenommenen Syſtem ſchoͤpfte, niederſchlug. 
Daher findet man bey Alexander von Kales, 


Wilhelm von Paris, und Vincent von Beau⸗ 


vais deſto weniger Neues, je mehr ſie ‚Ihre Bor 
| gänger an Gelehrſamkeit uͤbertrafen. 


m. 


| Selbſt Albert der Große machte ſich um 
die Religionsphilofophte wohl groͤßtentheils blos 


} dadurch verdient, daß er ihr eine für fein Zeit, 
alter vollkommnere ſpſtematiſche Form gab, als ſie 


bisher gehabt hatte. In Anſehung der Lehren 
ſelbſt, befchäftigte er ſich groͤßtentheils damit, die 
Kirchlichen Lehren gegen die ariſtoteliſchen, und die 


ariſtoteliſchen gegen die neuplatoniſchen zu vertheidi⸗ 


gen, oder ſie unter einander zu vereinigen. Daß 
er hierbey viel und mit vielem Scharfſinn gedacht 


d bat, iſt nicht zu verkennen. Doch dürfte wohl 
Be fein Verſuch alle Eigenſchaften Gottes 


8 2 c aus 


— — 


356 Buch III. Capitel 10. 
aus dem Begriffe der nothwendigen erſten Urſache 
ſyſtematiſch ebe, e eee Neu⸗ 


heit haben W. > 123 Er wu, 4 << en ie 17 
| Area: ene 
Alberts Zaltgenoß, der nuf ei | 5 


tura, könnte dagegen uns mehr? 116015 ot 


175 


9 0 Nachdenkens liefern. Seine Ideen ge 


ein , Refultat, höherer Erleuchtung. und PR 
betrachtete, mehr als irgend andre in die Geſelchie 
der Dffenbarungsreligion. Eben dahin 14 
wir auch Thomas von Aquin den berühn 
a 7 40 mehrern ge Beitalteen, Richard 
von Middleton, Heinrich, von Gent, Aegi 
dius von Colonna, und aubre berweiſen, die 
zum Hauptzweck hatten ; dle ariſtotelſchen Kehren 


mit dem kirchlichen Syſtem z bereinigen, und „das 


bey zwar manche f ſcharfſi innige Verſuche zur 
ſtimmung dieſer Lehren machten, die aber d 


nicht als Reſultate eines frehen Beige 


angeſehen werden konnen. „ been eee 


95 M. f. Tiedemann Th. w. Cop. 9. 10. Wr die 
Behauptungen dieſer Philoſophen des Mit 8 
ausführlich ngelhantense a und charſßenis be 

. Artheilt find. 


* 


ru 


Au: Der leſte, welcher es wagte, ſich bon ſeinen 


fernen ‚und ſich einen eignen Weg zu bahnen, 
war Johannes Duns Scotus, zu Anfange des 
0 vierzehnten Jahrhunderts. Er that es auch in 


der Religionsphiloſophie, in welcher jedoch dasfes 


nige was er lehrte, mehr fuͤr ſeine Zeit, als uͤber⸗ 
haupt neu war. Er verwarf die Beweiſe a priori 
fuͤr das Daſeyn Gottes, und laͤugnete, daß der 
N Saß: daß ein vollkommenſtes Weſen exiſtiren 
müſſe, an und fuͤr ſich einleuchte. Er wendete da⸗ 


. gegen ein, daß unſer Begriff von Gott nicht ganz 


einfach, ſondern aus den Merkmalen des voll⸗ 


. kommenſten, unendlichen, und hoͤchſten Weſens zu⸗ 


uh lll. Capitel in 3570 


*+ 


ſammengeſetzt ſey, daß es alſo erſt erwieſen wer⸗ 


den muͤſſe, daß dieſe Merkmale in wirklicher Ver⸗ 
1 bindung ſtehen, ehe man etwas von ihnen praͤdizi⸗ 
ren koͤnne, und daß uͤberhaupt erſt zu erweiſen 
ſeh, daß das, was wir uns unter der hoͤchſten 


Vollkommenheit denken, ein Weſen ſey. Er hielt 


ſich daher an die Beweiſe a poſteriori, welche die 


Nothwendigkeit einer erſten Urſache darthun, und 


die er mit der ihm eignen Subtilität führt, die 
jedoch im Grunde keine Originalitaͤt iſt. Aus 
dem Begriff der erſten Urſache, leitet er die Uns 


. * Guatzel abe weil die Zahl der Dinge 


3 2 3 ! un? 


aͤngern und Zeitgenoſſen wieder etwas zu ent- 


358 Duc in een MR 
unendlich iſt, die Gott als erfte urſahe 


und hervorbringen muß. Gottes — | 


gert er aus feiner Unendlichkeit. Denn Gott kann 


nach derſelben nicht aus endlichen Theilen zuſam⸗ 


mengeſetzt ſeyn, weil er ſonſt endlich ſeyn müßte, 


aber auch nicht aus unendlichen, weil bey der Un⸗ 
endlichkeit keine Mehrheit ſtatt findet. Die mei⸗ 
ſten Scholaſtiker hatten durch die Neuplatoniker 


veranlaßt, die Frage aufgeworfen, ob Gott unter 
irgend ein Praͤdikament oder ein Geſchlecht der 


Dinge gehoͤre? Dieſe Frage laßt ſich nur ſo be⸗ 
friedigend beantworten, daß wir von Gott keinen 


Begriff, ſondern eine Idee haben; und Scotus 


näherte ſich dieſer Entſcheidung mehr als bisher | 


geſchehen war, dadurch, daß er behauptete, alle 
von Gott gebrauchte Woͤrter und Begriffe waͤren 
tranſcendent, d. h. von hoͤherer und allgemeinerer 
Bedeutung als bie Gattungsbegriff des Ver, 
ſtandes. | . 
Der Gewinn, welchen die Segmente 


phie im Mittelalter bis auf Duns Scotus er⸗ | | 


langte, war nach der Bemerkung des trefflichſten 
und jetzt vielleicht einzigen Kenners der Philoſo⸗ 
pheme dieſes Zeitalters folgender: „Sie gewann den 
meiſten Zuwachs durch allmälige Reinigung von 


übertriebenen Abſtraktionen der aleraubiigerz dur 
Ver⸗ 


2 


3 
ar sg, 7 


n. * 


Bug! III. Capitel 10. 359 


Berflärtung der Beweiſe von Gottes Daſeyn, und 
1 Bearbeitung des Beweiſes a priori; durch Be⸗ 
richtigung der Begriffe goͤttlicher Allmacht und Weis⸗ 
| heit; durch Ableitung der goͤttlichen Vollkommenhel⸗ 
ten aus wenigen Principien und durch Annaherung 
dieſer Lehre zur wiſſe enſchaftlichen Einheit; endlich 
durch richtigere Erklärung mancher goͤttlichen Ei⸗ 


Rs genſchaſten, und Hebung ſehr ſcheinbarer Schwie⸗ 


rigkeiten * 

Der Zeitgenoffe des Johannes Duns Sera, 
Servaͤus Natalis, beſtrebte ſich vergebens, die 
Einfachheit Gottes mit der Mehrheit, feiner Attribute 
zu vereinigen, und den Widerſpruch zwiſchen bey⸗ 
den zu haben, welcher daher entſtand, daß man 
alle Vorſtellungen von Gott als erſter phyſiſcher 
Urſache, metaphyſiſcher Idee, und moraliſchen We⸗ 


ſeen durcheinander warf. Beſſer gelang es ihm, 


einen Grund fuͤr die Einheit Gottes daraus zu 
ſchoͤpfen, daß, wenn man einmal mehr als einen 
Gott annimmt, die Anzahl der Goͤtter gar nicht 
zu beſtimmen iſt, und mithin unendlich ſeyn kann. 
90 Der beruͤhmteſte Schuͤler des Duns Scotus 
Sranciskus de Mapronis zeichnete ſich vorzuͤg⸗ 
lich dadurch aus, daß er der Philoſophie ein all⸗ 
gemeines Princip zum Grunde zu legen ſuchte. Dies 


ee | 34 war 


) Tiedemann Th. IV. S. 646. 


366 Buch III. Capitel ie 10. 
war im Grunde kein andres als der Saß des Wi, a 


derſpruchs „den er ſo ausdruͤckte: von jedem iſt 


| Bejahung oder Verneinung wahr, von keinem aber 
beydes zugleich. Das allgemeine Subjekt, worauf 
ſich dieſes Princip bezieht, iſt das Ding, ens. 
Nun warf er ſogleich die Frage auf: ob Gott ein 
ens zu nennen ſey? Er bejahete ſie mit verſchiede⸗ 


nen Gruͤnden. Um nun aber gegen die gewoͤhnliche 1 


Lehre von der Einfachheit Gottes nicht anzuſtoßen, 
läugnete er, daß das ens der oberſte Geſchlechtsbe⸗ 
griff ſey, welcher alle hoͤchſt mannigfaltigen Geſchlech⸗ 
ter unter ſich begreift, und verwickelte ſich dadurch 
in Widerſprüche, aus denen er ſich nicht heraus fin⸗ 
den kann, und die ſeine ſonſt ſehr ſcharfſinnigen Be⸗ 
hauptungen ſehr dunkel machen. Die Beweiſe a 
priori fuͤr das Daſeyn Gottes verwarf er wie ſein 
lehrer, und fuͤgte noch den neuplatoniſchen Satz als 
Grund bey, daß Gott nicht definirt werden koͤnne. 


Er naͤherte ſich den nicht blos dialektiſchen, ſondern f i 


dogmatiſchen Behauptungen in der Religions philo⸗ 
fophte auch dadurch, daß er lehrte: unter Gottes 
Eigenſchaften finde nicht blos ein ddealer oh 
realer Unterſchied a * 


Sn 


9 M f. üser Hervaͤus und Franciskus de e 
Tiedemann Th. V. Cap. 3. u. 4. 


2 Brouch III. Capitel 10. 361 
Daß die Meinung des Scotus, daß das Daſeyn 
* nicht a priori bewieſen werden koͤnne, keines⸗ 
weges allgemein angenommen ward, ſieht man 
daraus, daß Wilhelm Durand die Bewelſe a 
priori wieder hervorſuchte, und uͤberhaupt dreyer⸗ 
ley Beweiſe fuͤr Gottes Daſeyn annahm, nem⸗ 
lich: aus der nothwendigen Exiſtenz des vollkom⸗ 
menſten Weſens, einer erſten Urſache und eines 
durch ſich ſelbſt exiſtirenden Weſens. Er trug 
dieſe an ſich nicht neuen Beweiſe, ſo wie auch die 
Lehren von der Einheit Gottes, auf eine Art vor, 
die ihnen den Schein der Neuheit geben. 
Diemohngeachtet gieng Wilhelm Cccam 
noch weiter, als ſein Lehrer Scotus, und behaup⸗ 
tete, daß ſich das Daſeyn Gottes uͤberhaupt nicht 
demonſtriren, und die Eigenſchaften deſſelben be⸗ 
friedigend aus der Vernunft ableiten laſſen. Sein 
Hauptgrund iſt freilich nur der: weil Ariſtoteles 
es nicht befriedigend demönftrirt hat. Denn es iſt 
nicht nothwendig, einen erſten Beweger anzuneh⸗ 
men, weil ſich etwas auch ſelbſt bewegen kann, 
und es iſt überhaupt nicht nothwendig, eine erſte Ur⸗ 
ſache der Bewegung anzunehmen, weil ſich, we⸗ 
nigſtens nach Ariſtoteles auch eine unendliche Reihe 


von Urſachen denken laßt. Seine Bemerkungen 


5 über bie Eigenſchaften Gottes und das Unvermoͤ⸗ 
| Ä 3 e gen 
\ 5 


362 Buch III. Capitel 10. 


gen der Vernunft ſie zu erkennen, und zu bewei⸗ 
ſen, ſind zwar ein oft ſich widerſprechendes Ge⸗ 
miſch von Dogmatismus und Skepticismus, ver⸗ 
rathen aber doch vielen Scharfſinn. Er ſetzt übers 
baupt die Vernunft in der Theologie herab um 
die Offenbarung zu erheben *). 

Dieſes Mißtrauen gegen die Kräfte der Ver- 
nunft in Sachen der Religion, nahm im vierzehn⸗ 
ten und funfzehnten Jahrhunderte immer mehr 
uͤberhand. Es findet ſich in dem letztern beſonders 
bey Peter de Alliaco, welcher eben fo wie Oe⸗ 
cam behauptete: das Daſeyn Gottes laſſe ſich 
durch die Vernunft nur wahrſcheinlich machen, nicht 


unwiderleglich beweiſen. Er behauptete jedoch, 4 


daß, wenn man das Daſeyn Gottes annehme, die 
Einheit deſſelben nothwendig daraus folge. Da⸗ 
bey behauptete er, daß Gottes Wille keine Ur⸗ 
ſache habe, weil in ihm Denken und Wollen Eins 
iſt. Es ſcheint dieſer Vernunftſcepticismus auch 1 
eine Hauptſache ber Sonderung der Theologie von 


der Philoſophie geweſen zu ſeyn, die man in der 4 


Folge machte, und welche bey Peter de Alliaco 4 
ſchon fichtbar wird. | 

Der leßte unter den Scholaſtikern, welcger 
unſre Aufmerkſamkeit verdient, RHaymund von 


* 


| | 1 

Buch III. Capitel 10. 363 
= Sabunde, ein Spanier, welcher um das Jahr 
1430 als Lehrer der Theologie zu Toulouſe eine 
natürliche Theologie ſchrieb, erwartete deſto mehr 
von der Vernunft, je weniger ihr ſeine naͤchſten 
Vorgaͤnger zugetraut hatten. Er ſuchte nemlich in 
ſeinem Werke, bey welchem er ſo viel man weiß, 
zuerſt den Namen einer natuͤrlichen Theologie 
gebraucht hat, alle Lehren ſeiner Kirche aus der 
Vernunft abzuleiten, und gieng hierinn noch weiter 
als die aͤlteſten Scholaſtiker, welche hoͤchſtens die 
Dreyeinigkeit aus der Vernunft zu beweiſen ſuch⸗ 
ten. Er betrachtet daher die Wiſſenſchaft, welche 
er naturliche Theologie nannte, als ein unentbehr⸗ 
Ülches Huͤlfsmittel zur Erkenntniß des Menſchen 
und ſeiner Beſtimmung, zum Verſtaͤndniſſe der 
heiligen Schrift und zur Vertheidigung des catho⸗ 
liſchen Glaubens gegen alle Ketzereyen ). Er 
ſetzt daher ſein Buch, welches er auch das Buch 
der Natur nennt, ſogar gewiſſermaaßen über die 
heil. Schrift hinaus, und es iſt zu verwundern, 
daß man ihn daruͤber, ſo viel man weiß, nicht 
erketzer N 
5 ur Be Ohn⸗ 


) Theologia naturalis S. liber encakatärm authore 
Raymundo de Sabunde Art, et Med, Doctore et 
SS Theol. quondam Profeſſore. Francofurti 1635. 8. 
Im Prologus zeigt Raymund die Wees neceſ- 
fitatem et ſufficientiam libri. 


1 


364 Buh . Catan, 


Ohngeachtet er aber ſeine Vervunftbeweiſe 
uni den Lehren der Kirche zu modiſiziren ſuchte, 
fo iſt doch fein Buch durchgaͤngig ſelbſtgedacht und 
enthaͤlt manches Neue. Er geht davon aus: der 
Menſch ſtrebt nach Gewißheit. Alle Gewißheit 
beruht auf Zeugniſſen. Das beſte. Zeugniß liefert 
dem Menſchen feine eigne Natur. Er muß alſo 
zuerſt ſich ſelbſt kennen lernen, und die Kenntniß 
aller andern Dinge auf fi beziehen, um ſich das 
durch kennen zu lernen. — Es giebt eine Rang⸗ 
ordnung unter den Dingen, von welchen eins volle 
kommner iſt als das andre. Der Menſch muß diefe 
Stufenleiter von der unvollkommenſten Claſſe den 
Weſen bis zu ſich durchlaufen, um ſich ſelbſt kennen 
zu lernen, und dann auf ihr weiter bis zu der Gott⸗ 
heit aufſteigen. Sie hat vier allgemeine Grade, 
und dazwiſchen noch viel beſondre Stufen. Alle 
Weſen exiſtiren entweder blos, z. B. die Elemente 
und Steine; oder ſie exiſtiren und leben wie die 
Pflanzen; oder ſie empfinden auch, wie die Thiere; 
oder ſie exiſtiren leben und empfinden, und haben | 
zugleich Verſtand und freyen Willen, welches 
der Vorzug des Menſchen iſt. Der Menſch befige 
gemeinſchaftlich, was alle andre Weſen nur einzeln, 
oder im geringern Grade haben. Aber er hat ihnen 

ie ie 40 und ka auch nicht die ſei⸗ 
N 19 5 ngen 


Sub) 1. Capitel 1o. 363 
ven gegeben. Sie müͤſſen daher von einem ho⸗ 


. bern gemeinſchaftlichen Urheber herkommen). 
Dieſe Art, den von der Einrichtung der Na⸗ 


tur hergenommenen Beweis fuͤr das Daſeyn Got⸗ 
tes zuführen, nähert: ſich unter allen am meiſten der 


5 een e en e MER der ag 5 


“rn 


genſchaßte des 6 Menfisen ARE Da Rahmund 


einen allgemeinern Ueberblick uͤber das ganze Reich 


der Natur that, als Sokrates, ſo konnte er auch 


. die Ein heit Gottes daraus folgern, welches Sokra⸗ 
tetees nicht that. Er leitete ſie daher, weil eine Ord⸗ 


mung in der ganzen Natur bey aller Verſchiedenheit 


3; ihrer Gegenſtaͤnde und der Eigenſchaften derſelben 


— 


herrscht, weil immer Eins auf das Andre, und Al⸗ 


les ſich auf den Menſchen als den letzten Zweck in der 


Natur brzleht *). Da ferner auf derjenigen Stufe 
von Weſen, auf welcher der Menſch ſteht, mehr 
Einheit ſtatt findet, als bey den niedern Stufen, 
indem die Eigenſchaften der Menſchheit nur einer ein⸗ 


igen Claſſe von Weſen zukommen, ſo muß auf der 
Hhoͤchſten Stufe der Weſen, auf welcher Gott ſteht, 


auch die hoͤchſte Einheit herrſchen, und die Gottheit 
nicht einer Claſſe von Weſen, ſondern einem einzigen 


Individuo zukommen ). Aus dieſen Verhäͤltniſ⸗ Mi 


A | ſen 
Tit. I.. 20 Ut, VL. ) Tit. V. 


366 Buch III. Copitel 10. 


ſen leltet Raymund auch die Eigenſchaften Gottes 49 


mit vielem Scharfſinn und Streben nach Conſequenz 


ab. Er ſucht dabey die platoniſche Ideenlehre mit 


feinem Syſtem zu vereinigen, und weiß doch bein 
Pantheismus ſehr ſcharfſinnig auszuweichen. Er 
unterſcheidet zu dem Ende ein doppeltes Seyn, ein 
wirkliches und ein Seyn in der Idee. Gott kommt 
alles Seyn zu. Alle Dinge ſind in ihm, aber 
nicht nach ihrem wirklichen Seyn, ſondern in der 
Idee. So exiſtirt ein Haus doppelt, in der Idee 
ſeines Erbauers und auſſer derſelben ). Er leitet 


auch aus ſeinen Ideen die Schoͤpfung aus Nichts, 


und aus dieſer, auf eine ſinnreiche oder nicht cure 
gehoͤrige Weiſe die Dreyeinigkeit ab. Ber 
Sehr ſcharfſinnig erweißt auch Raymund, 50 
es Pflicht des Menſchen ſey, an Gott zu 
glauben. Er geht davon aus: daß es Pflicht für 
den Menſchen ſey, ſich desjenigen, was er beſißzt, 


zu ſeinem Beſten zu bedienen. Nun beſitzt er das 


Vermoͤgen, an Gott zu glauben. Es iſt aber fels 


nem Vortheil gemäß, dies zu thun. Alſo iſt es 


Pflicht fuͤr den Menſchen an Gott zu glauben“ ). 
Raymund leitet hier den Glauben an Gott faſt auf 
dieſelbe Weiſe aus dem Gluͤckſeeligkeits ſyſtem ab, 


| wie ihn Kant aus den formalen Moralprincipien ab⸗ 


lei⸗ 
50 Tit. XIV, 200 Tit. LXVI. L XVIII * 


Buch III. Capitel 10. 367 | 
leitet. Sehr leicht wird es ihm hieraus, auch dle 
* Pflicht abzuleiten, allen Lehren der Kirche zu glau⸗ 
ben, indem er von ihnen allen zeigt, daß f e dem 
Menſchen zum Vortheil gereichen. 

Noch mehr Aehnlichkeit mit dem Kantiſchen 


Glaubensgrunde für das Daſeyn Gottes, hat der 


Beweis, welchen Raymund fuͤr daſſelbe daraus her⸗ 
leitet, daß es einen hoͤchſten Vergelter der menſch⸗ 
chen Handlungen geben muß. Denn wenn ein ſol⸗ 
cher nicht waͤre, ſagt er, ſo waͤre der Menſch verge⸗ 
bens da, und alle feine Handlungen wären ohne 
Zweck; ja alle Dinge überhaupt wären ohne Zweck, 
weil der letzte Zweck, auf den ſie ſich alle bezie⸗ 
hen, der Menſch, keinen Zweck haͤtte. Der Menſch 
muß ſich alſo auf Gott, der ihn belohnt oder be⸗ 
ſtraft, als auf feinen hoͤchſten Zweck beziehen *). 
Aus dieſem Begriffe eines hoͤchſten Vergelters, 
leitet Raymund hierauf nochmals die ſaͤmmtlichen 
Eigenſchaften Gottes, beſonders feine Macht, Weis⸗ 
heit, Gerechtigkeit, auch ſelbſt ſeine Einheit ab. 
Für die Wohlthaten, welche der Menſch von Gott 
8 empfangen hat, iſt er ihm Liebe ſchuldig ). 
Hieraus leitet Raymund die ganze Pflichtenlehre 
und daraus, daß der Menſch ſeine Pflichten ge⸗ 
| gen Gott zufolge ſeines natürlichen Verderbens 
j 2 | nicht 
e) Tit, LXXXIII. 50 Lit. Xx. 


a 


38 Buch Ul. Capital io. 


nicht erfuͤllt, die ganze chriſtliche Religionslehre ab. d 
Die Unſterblichkeit der Seele gruͤndet er auf den 
hohen Werth des Menſchen. 


Ungemelner Scharfſſinn, unausgeſehtes Salbe 
denken und Streben nach wiſſenſchaftlicher Einheit 
und Conſequenz machen dieſes Buch, welches den 
Verdienſten der Scholaſtiker um die Religionsphi⸗ 
loſophie die Krone aufſetzt, auch demjenigen inter 
eſſant, welcher einſieht, wo Raymund zuviel ges 
ſchloſſen, oder ſeine Behauptungen nicht feſt ge⸗ 
ug gegruͤndet hat. Daher fand es ſelbſt Mon⸗ 
tagne vortrefflich, und wuͤrdigte es einer Ueber⸗ 
ſehung ins franzoͤſiſche ). u 

Die ſcholaſtiſche Philoſophie en 
war durchaus keine originelle Philoſophie. Es la⸗ 
gen ihr überall die Philoſopheme des Alterthums, 
und vorzuͤglich die des Ariſtoteles, zum Grunde. 
Da aber die theologiſchen Lehren des Ariſtoteles, 
mit den Lehren des Chriſtenthums, beſonders des 
kirchlichen „nur ſehr wenig uͤbereinſtimmen, ſo 
mußte man in der Religions philoſophie jederzeit 
die neuplatoniſchen Philoſopheme damit verbinden. 
Das Streben, dieſe Verbindung der Phitofophie 
mit dem Chriſtenthum, und um derſelben willen 


die der eee und neuplatonifchen, Puiloſo⸗ 5 


phie 


8 


5 Montagne Eſſays II, 12. 


BU Capitel 10. 369 


krengungen des Scharfſinns und ihre Produkte in 
der Religionsphiloſophie, welche wir angefuͤhrt 
baben. | ER 
. Als im funfzehnten Jahrhunderte die Schrif⸗ 
ten der Alten kritiſcher behandelt zu werden anfin⸗ 
gen, widerfuhr dieſes auch den Schriften der Phi⸗ 4 
loſophen. Man erkannte, daß dasjenige, was 

man bisher für Philoſophie des Alterthums an⸗ 


le zu Stande zu bringen, erzeugte alle die Ans 


geſehen hatte, von der wahren Meinung der A 


ten, und beſonders des Ariſtoteles gar ſehr ab⸗ 
5 wich, und es entfianden jetzt viele neue Anhänger 
4 der alten Philoſophen. Jeder Philoſoph des Al⸗ 
terthums fand ſeinen neuen Vertheidiger. Alle 
vereinigten ſich in Beſtreitung des Scholaſticismus, 
aber alle beſtritten ſich auch untereinander ſelbſt. 
Der Scholaſticismus mußte unter dieſen Um⸗ 
ſtänden nothwendig ſeinen Untergang finden, aber 
die neu hervorgerufenen Syſteme konnten ſich eben 
ſo wenig behaupten. Keins derſelben war an und 
fuͤr fi, beſonders in der unvollftändigen unvolls 
kommenen und dem Geiſte neuerer Zeiten oft wi⸗ 
derſprehenden Darſtellung, in welcher die Syſteme 


der Alten und übrig geblieben find, befriedigend ges 


nug, um allgemeinen Veyfall zu finden, wenn 
5 auch jedes N einen oder mehrere ſeiner Ba 


u 


370 Buch III. Capitei 10. 
ſten Herolde befriedigte. Hieraus entftand beh eis 
nigen Eklekticismus, bey andern Steptictsmus und 


uͤberhaupt der Wunſch nach einer neuen und durch 


aus verbeſſerten Phlloſophie. 


An wahre Originalituͤt war in dieſer Pe, 
rlode, welche ſich von der Mitte des funfsehnten 
Jahrhunderts bis in die Mitte des ſiebzehnten ers 


ſtreckt, noch weniger zu denken als in der ſcholaͤ⸗ 


ſtiſchen. Der menſchliche Geiſt erlag unter der 
laſt der neu erworbenen Kentniſſe. Man fieng 
jegt auch an, den Alten das Vortheilhafte abzu⸗ 


merken, welches ein gefaͤlliges und geſchmackvolles 


Gewand für die Philofophte hat, und ſuchte feine 


Philoſopheme in ein ſolches zu kleiden. Die neue 
Geſtalt welche die Philoſophie dadurch erhielt, ſah 


man oft für Originalitaͤt an, ohne daß fie es 
war. 


In der Religlonsphiloſophie, gab es in dieſem i 


Zeitalter eben fo viel mannigfaltige und wider⸗ 


ſprechende Behauptungen, als in den übrigen Thel⸗ 
len der Philofophie, und noch weit mehr Schwaͤr⸗ 

mereyen; aber deſto weniger neue Ideen, je mehr | 
man bie Vorſtellungsarten derjenigen alten Philos * 


ſophen, die man in Schutz genommen hatte, mit 
dem kirchlichen Syſteme zu vereinigen ſuchte. Ei⸗ 
ner der neuften Anhänger alter Philoſopgen war 

| Ba⸗ 


Bruch I, Cavitel 10. 371 
Badulph Cudworth ein Platoniker. Sein In, 
tellektualſyſtem, ohngeachtet es ganz der Widerle⸗ 
gung des Atheismus gewidmet iſt, enthaͤlt indeſſen 
nicht ſowohl neue Ideen über Religion sphiloſophie, 
als eine reichhaltige Sammlung aͤlterer, die aber 
Aer ſcharfen kritiſchen Pruͤfung gar ſehr beduͤrfen 
um für die Geſchichte der Religions philoſophie 
brauchbar zu ſeyn. — Viele Gelehrte dieſes Zeitals 
ters wurden durch die Philoſophie des Alterthums 
gegen die kirchlichen Religionslehren. eingenommen, 
und noch mehrere kamen in den Verdacht es zu 

ſeyn. Man ſuchte die alte ſchon unter den Gries 


chen herrſchende Gewohnheit, Gegner der Staats⸗ 


religlon Atheiſten zu nennen wieder hervor. Mit 
dieſem Namen ward Hermolaus Barbarus be⸗ 
beichnet, weil er den Teufel citirt haben ſollte, um 
von ihm die Bedeutung des ariſtoteliſchen Kunſt⸗ 
worts eure lex zu erfahren; Michael Ficinus 
weil er den Tod des Sokrates mit dem Leiden 

Chriſti verglichen hatte; Angelus Politianus, 
weil er den Ariſtoteles lieber las als die Bibel; 
Petrus Pomponatius, weil er mit Arlſtoteles 
an der Unſterblichkeit der Seele zweifelte, Andreas 
Czdſalpinus, weil er nach dem Ariſtoteles den 


Ad en nur für ſpekulativ, nicht für 


8 5 Aa 2 Wr prak⸗ 


372 uch III. Capitel 10. 
praktiſch hielt, und viele andre wegen ähnlicher 
von den Alten entlehnter Behauptungen ). 


Lucilius Vanini ward ſogar als Atheiſt 
verbrannt; welches er indeſſen ſo wenig als ein 
origineller Philoſoph war, der hier unſre Auf⸗ 
merkſamkeit verdient “). Eben dieſes Schick ſal 
widerfuhr dem Jordanus Brunus, von deſſen 
angeblichen Pantheismus wir unten weiter ſprechen 
werden, um eben dieſer Beſchuldigung willen. 
Rur der Sathriker Petrus Aretinus ſcheint mit 
etwas mehrerm Grunde, wenigſtens für einen Zweif⸗ 
ler an dem Daſeyn Gottes gehalten worden zu 
ſeyn, weil er, da man ihn fragte, warum er Gott 
allein mit feinen Sathren verſchone? darauf ant⸗ 
wortete: weil ich ihn nicht kenne. Keiner dieſer 
angeblichen Atheiſten hat jedoch Gründe für den 
Atheismus vorgebracht, welche wir hier anführen 
koͤnnten. 3 


Thomas Campanella ward von dem ka⸗ 
tholiſchen Clerus lange Zeit verfolgt, weil man ihn 
beſchuldigte, er habe eine neue 1 einfuͤhren 
wol⸗ 


) Genkini Thomafi ii hiftoria atheiſmi. Cap. VII. l | 
*®) Sülleborns Beptraͤge St. 5. Stäudlins n F 
träge Th. I. S. 147. 


. Se; Re t BR AN Ge NE ENT ge es Bau 8 
Bd N N „ . 5 en 70 \ 
1. ER 4 9 vi * 
a 


** 
> * 2 


5 13 wi Buch III. Gavitel 10, 5 355 


e 5 and ſelbſt der Pabſt konnte ihn, nicht 


ſchuͤtzen. Ohngeachtet er aber einen Atheiſmus 


triumphatus geſchrieben hat, ſo hat er doch fuͤr 
die Religionsphiloſophie nichts neues von Bedeu⸗ 
tung geleiftet *). 

So endigte ſich die lange Periode der alten 
Philoſophie damit, daß die meiſten ihrer Anhaͤn⸗ 
| gr um der aus ihr geſchoͤpften Reltgionsideen wil⸗ 
len wurden. 


g = * 
9 Suͤlleborns Beytraͤge S. 6. Tiedemann Th. V 
S. 530. | | 


* 


Aa 3 Viertes 


34 Buch IV. Capitel t. 


Viertes Buch. 


Erſtes Capitel. 


9 ls man nach mannigfaltigen Verſuchen bie ſcho⸗ 
laſtiſche Philoſophie zu vertheidigen, oder die Sy⸗ 
ſteme der alten Philoſophen wieder geltend zu ma⸗ 
chen, erkannt hatte, daß der menſchliche Gelft durch 
die ſelben auf keine Weiſe voͤllig befriedigt werden 


koͤnne, da wagte man es endlich wieder uͤber die 
wichtigſten Gegenftände der menſchlichen Erkennt⸗ 


niß ſelbſt zu denken. Von dieſem Selbſtden⸗ 
ken an, welches ſich nicht plotzlich und auf einmal 


erhob, ſondern erſt an einzelnen Gegenſtaͤnden ver⸗ 


ſucht ward, ehe es auf das ganze Gebiet der Ph 
loſophie angewendet wurde, datirt ſich die neuere 
philoſophie, die man gewohnlich von Carteſius 
an rechnet, weil er der erſte war, der Über die 
geſammte Philofophie nachdachte, und deſſen Sy 
ſtem Anhaͤnger fand, und herrſchend wurde. 1 

Schon vor ihm lebten indeſſen manche unab⸗ 
baͤngige Selbſtdenker, welche in der Wee | 


Er ai * fr . . 
n 


5 Philoſophie überhaupt nicht übergangen wer⸗ 


den duͤrfen, und von welcher einige auch unſre 


Aufmerkſamkeit verdienen. 

Der beſte Wecker des Selbſtdenkens in der 
Philoſophie, iſt der Skepticismus. Auch der 
neuern Philoſophie überhaupt, fo wie den meiſten 

ihrer beſondern Syſteme gieng er vorher. Schon 
im ſechs zehnten Jahrhunderte lebte Michael von 
755 Montagne, den ein ſehr detirminirter Scepticis⸗ 
mus in Ruͤckſicht auf die Schulphiloſophie, auf 
Grundſaͤtze der Philoſophie des Lebens leitete, 


welche mit Recht noch in unſern Zeiten gefchäßt 


werden. Ohngeachtet er des Raymund von Sa⸗ 
bunde Verſuche die Religionswiſſenſchaft aus der 
Vernunft zu entwickeln, ſehr in Schutz nahm, ſo, 
war er doch Skeptiker in Anſehung der Religions 
philoſophie, indem er alle Religions erkenntniß, 
welche die Menſchen befißen, von der Offenbarung 
ableitete. Er fand vorzuͤglich Schwierigkeiten in 
den Vorſtellungen der Vernunft von den morali⸗ 


N ſchen Eigenſchaften Gottes. Wie kann Gott z. in 


B. Weisheit beſitzen, die zwiſchen Gutem und 
Boͤſem waͤhlt, da kein Uebel ihn trifft? Wie Vers 
nunft und Verſtand, die uns zur Aufklärung dunk⸗ 
ler BR dienen; da ihm nichts dunkel iſt“)“ 2 

Aa 4 Mn Eben 
2 Tiedemann Th. V. S. 585. e 


Buch W. Eavitel 1. i 5 


— 370 Buch IV. Capitel vw. 
Eben dieſe Schwierigkeiten hatte ſchon Arlſtoteles 
bemerkt, und die akademiſchen Skeptiker hatten ſie 
den dogmatiſchen Behauptungen der Stoiker ent⸗ 
gegengeſtellt. Den Atheismus betrachtet er jedoch | 
als eine unnatuͤrliche und monftröfe Denkungsart, 
welche ſich auch in dem verſchrobenſten menſchlichen 

Geiſte nur ſchwer behauptet, und welche die Men⸗ | 
ſchen hoͤchſtens nur aus Eitelkeit vorgeben, fin DR... 
Noth aber bald davon zurückkommen. Die Athets 

ſten nennt er elende und hirnloſe Menſchen, die 
ſich viele Muͤhe geben, ſchlimmer zu ſeyn, als ſie 
ſeyn koͤnnen. — Sein Skepticismus in Abſicht 4 
auf die Vernunftreligion, trug für feinen wohlge⸗ 4 
ordneten Geiſt die ſchoͤne Frucht, daß er zu einer u 

Zeit, wo alles religioͤſen Fanatismus, Verfolgungs⸗ 
ſucht und Partheigeiſt athmete, Religionsduldung 
zu predigen wagte. Jene religiöſen Aus ſchwelfun⸗ 4 

gen betrachtete er als eine Folge der Neigung, 4 

derr Religion nur ſolche Dienfte zu leiſten, die un 

ſern Leldenſchaften ſchmeicheln. Er empfahl daher. 

um deſto mehr ihre ſanftern Pflichten zu uͤben ). 4 

Miontagnes Freund und Nachahmer Char⸗ 4 

ron, der in feinem Werke von der Weisheit, 

Ko ‚jenen ſehr ahnliche f A dan | 

deze 


) Staͤudlin Eeſcichte des Stepriigmnd. Du 
St. 11. 1 


* N 3 

8 78 * 7 1 7 
5 ˖ * 

5 _ 

* 


Vuch IV. Capitel 1. 377 


zeigt, ſcheint feinen Skepticismus auch auf die poſi⸗ 
tive Religion und auf das Chriſtenthum ausge⸗ 


dehnt zu haben. Auch mag er wohl mit den Reli 


geonsmeinungen aller Philoſophen vor ihm wenig 


zufrieden geweſen ſeyn. Doch ſchwebt ihm ein Ideal 


| einer Religion des Geiſtes und Herzens vor, wel⸗ 


ches er auf eine Art ſchildert, durch die er eine 
für fein Zeitalter ſehr aufgeflärte religioſe Den⸗ 


7 kungsart zeigt, De es doch if de e au bes 


gruͤnden ). 


Ebenfalls mehr Zweifler als Gottesläugner | 


ſcheint Thomas Hobbes geweſen zu ſeyn. Zwar 
findet die Religion in feinem Syſteme keinen Platz, 


und ſein Materialismus und Fatalismus ſcheint 
ſie ſogar aus demſelben zu verdraͤngen. Doch 


ſpricht er mit Achtung von der geoffenbarten Re⸗ 
üigion und gruͤndet ſelbſt das Anſehn der geſetzge⸗ 
benden Gewalt zum Theil auf dieſelbe. Auch 


mußte ihn feine Anhaͤnglichkeit an die monarchiſche or 
Regierungsform der Idee geneigt machen, daß ein 


hoͤchſtes Weſen alles mit unumſchraͤnkter Macht 
beherrſche. Er ſcheint indeſſen die Religion obs 
jektiv als ein Reſultat von Thatſachen, und mit⸗ 
hin als einen blos hiſtoriſchen Gegenſtand angeſe⸗ 
en und fie daher als Philoſoph blos ſubjektiv 

1 Aa 3 als 
» Stäudlin e d. Skepticismus ih 2. S. 33. 


— 2 * > ci» 
= 
. 2 
Te 
a 
TH 
1 = 
5 


328 Buch IV. Capitel 1. 


als eine Erſcheinung 10 menſchlichen Seifte betrach 4 
tet zu haben. Dies war unſtreitig eine neue und 


eines Philofophen wuͤrdige Anſicht, von der bie 


Alten jedoch, wenn ſie die Frage uͤber die Entfies 
hung der Religion aufwarfen, auch ſchon ee 
erblickt hatten. | | 

Hobbes ſagt: „Sorge fuͤr die Zukunft macht } 
die Menſchen geneigt, den Urſachen der Dinge 
nachzuforſchen, weil ihre Erkenntniß ſie in den 
Stand ſetzt, in der Gegenwart fuͤr ihre Vortheile 
zu ſorgen. Neugier oder Neigung zur Erkennt 
der Urſachen, treiben den Menſchen zu jeder Wis 
kung die Urſache zu ſuchen und wieder die Urs | 


ſache der Urſache; bis er nothwendig in ſeinen 4 
Gedanken zuletzt darauf kommen muß, daß es 


eine Urſache giebt, die keine Urſache weiter hat, 
ſondern ewig iſt, und dies iſt, was die Menſchen 
Gott nennen. Es iſt alſo unmöglich eine tiefe Un⸗ 
terſuchung über die natürlichen Urſachen anzuſtellen, 
ohne geneigt zu werden zu glauben, daß ein wis 
ger Gott iſt, ob der Menſch gleich keine ſeiner 679 

Natur entſprechende Idee in feinem Geiſte faſſen 
kann“. Er vergleicht hierauf die menſchliche Er⸗ 


kenntniß von Gott, mit der Erkenntniß, welche ein ’ 2 


Blinder von dem Feuer hat das ihn waͤrmt. 35800 


Und 


/ k 
Buch IV. Capitel . 3279 

Und wenn der Menſch, fährt er fort, auch 

| nicht viel über die Urſache der Dinge nachdenkt, ſo 
treibt ihn die Furcht, welche aus der Unwiſſenhelt 
uͤber dasjenige, wovon ſein Wohl und Weh ab⸗ 
haͤngt, entſteht, verſchiedene Arten unſichtbarer 
Maͤchte voraus zuſetzen, fie im Ungluͤck anzurufen, 
und ihnen im Glück zu danken, und alſo die Kin⸗ 
der ſeiner Phantaſie zu vergoͤttern. Dieſe Furcht 
vor unſichtbaren Dingen iſt der natuͤrliche Saame 
desjenigen, was jeder in ſich ſelbſt Religion und 
in denjenigen, welche es auf andre Weiſe fuͤrchten 
oder verehren Aberglaube nennt. Mit dieſem 
Keime der Religion iſt von andern die Erforſchung 
der Urſachen kuͤnftiger Dinge verbunden worden, 
wodurch ſie ſich Macht und Anſehn uͤber andre zu 
verſchaffen geſucht haben. Nur der Menſch allein 
hat Religion, kein andres lebendes Geſchoͤpf. Die 
Furcht iſt die Mutter des Polytheismus, die Er⸗ 
forſchung der Urſachen der Dinge erzeugte die Idee 
von einem ewigen, unendlichen und allmaͤchtigen 
Weſen. Die Menſchen nennen die hoͤhern Maͤchte 
Geiſter, und unkoͤrperlich, wobey ſie ſich aber 
nichts denken, wiſſen auch nicht, auf welche Weiſe 
ſie wirken. Sie ehren ſie auf die Weiſe, wie 
man Menſchen ehrt, und ſchreiben ihnen alle aufs 
ſerordentliche e zu. In vier Dingen 
alſo, 


N Buch IV. Capitel 9 


alſo, im Glauben an Geiſter, Mangel an Kent⸗ 
niß der Mittelurſachen, Furcht und in der Ge⸗ 
wohnheit zufaͤllige Dinge fuͤr Vorbedeutungen zu 
halten, liegt der natuͤrliche Saame der Religion, 
der durch mancherley Einbildungen, Urtheile und 
Leidenſchaften verſchiedner Menſchen, in ſo man⸗ 
nigfaltige Gebräuche ausgeartet iſt, daß die, welche 
bey einigen gewöhnlich fi find, Andern meiſtens laͤ⸗ 
cherllch erſcheinen. Einige haben den Urſtoff der 
Religion durch eigne Erfindungen, andre durch 
Gottes Leitung ausgebildet. Der Zweck der heyd⸗ 
niſchen Religionen, deren Thorheiten Hobbes zu a 
zeigen ſucht, iſt menſchliche, der Zweck der geofe 
fenbarten göttliche Politik ©). Ueber die lettre 


ſagt Hobbes noch manches geiſtreiche, welches in 0 


einer Geſchichte der Offenbarungsbegriffe Aufmerk⸗ 
ſamkeit verdient. 

Durch die Offenbarung hat fi Gott ein Ass 
nigreich errichtet, welches Hobbes das propheti⸗ 


ſche nennt. Er unterſcheidet davon ein natuͤrlie⸗ 


ches, welches hierher gehoͤrt. In ſeinem natuͤr⸗ 
lichen Reiche regiert Gen die Menſchen, * an 
em 


*) Leviathan or the matter Forme et Ne: of 5 
common wealth eecleſiaſtical and civil by The- 
mas Hobbes of Malmesbury. London 1651, fol. 
Part. I. Chapt. II. 13. 


3 


Bruch IV. Capitel r. 381 
ſeine Vorſehung glauben. Das Recht zu dieſer 
Regierungsgewalt gruͤndet ſich nicht auf die Wohl⸗ 


thaten welche er den Menſchen als Schoͤpfer er⸗ 


zeigt hat, ſondern auf ſeine unwiderſtehliche 
Macht. Dieſem Rechtsgrunde gemaͤß belohnt 
und beſtraft Gott willkuͤhrlich die Menſchen, ohne 
auf Verdienſt und Schuld zu ſehen. Es gruͤnden 
ſich darauf die Geſetze Gottes, welches die Ver⸗ 


ſchriften der Vernunft über das Betragen der 
Menſchen gegen einander, und uͤber die Verehrung 


Gottes ſind. Ehre beſteht in der Meinung von 


der Macht und Guͤte eines andern; Verehrung 


Gottes alſo darinn, daß man ſo erhaben von ſei⸗ 


Danks und Gehorſams; theils willkuͤhrlich. Die 


ner Macht und Guͤte denkt als moͤglich. Als in⸗ 
nere Verehrung iſt ſie Liebe die ſich auf die Guͤte 
Gottes bezieht, Hofnung und Furcht die ſich auf 
feine Macht gründen, Die aͤuſre Verehrung bes 


8 ſteget in Lob, welches ſeine Guͤte, in Ehrfurcht 
und Ruhm, die ſeine Macht und die Gluͤckſeelig⸗ 


keit welche durch ſie befördert wird, zum Gegen⸗ 
ſtande haben. Sie wird theils durch Worte, 
theils durch Handlungen ausgedruckt. Die Zei; 
chen der Verehrung ſind theils natürlich, als 
die Attribute der Guͤte, Gerechtigkeit und Wohl⸗ 
thaͤtigkeit, und die Handlungen des Gebets, des 


will⸗ 


382 Buch IV, Capitel 1. 

willkührlichen find entweder geſetzlich oder frey⸗ 
willig. Bey der geſetzlichen Verehrung kommt es 
nicht auf die Worte oder Gebärben an, ſondern 
der Gehorſam gegen die Vorſchriften der Geſetze 
uͤber ſie, macht die Verehrung aus. Der Zweck 
der Verehrung unter Menſchen iſt Macht. Deyn 
wenn ein Menſch einen andern verehrt ſieht, ſo 
hält er ihn für maͤchtig, und iſt um fo bereitwilli⸗ 


ger, ihm zu gehorchen, welches ſeine Macht ven 


größert. Aber Gott hat keine Zwecke; die Vers 
ehrung welche wir ihm widmen, kommt von unſrer 
Schuldigkeit, und richtet ſich nach unſern Begriffen 


von den Regeln der Ehrerbietung, welche der 


ſchwache Menſch dem Maͤchtigen erzeigt. 


Hierauf entwickelt Hobbes die Eigenſchaften 


welche wir Gott beyzulegen haben, aus dem Be⸗ 
griffe der Verehrung. Unſtreitig eine neue, und 
aus ſeiner ſubjektiven Anſicht der Religion ent⸗ 


ſprungene Methode. Nur einige Proben davon: 


zuerſt muͤſſen wir Gott Exiſtenz zuſchreiben, denn | 


kein Menſch kann etwas verehren, wovon er glaubt 
daß es nicht exiſtirt. Zweytens: Solche Philo⸗ 


ſophen, welche ſagen, daß die Welt oder die Welt⸗ 


feele Gott ſey, ſprechen unwurdig von ihm; und er 


1 


laugnen feine Exiſtenz. Denn unter Gott iſt die 


Urſache der Welt zu verſtehen, und zu ſagen dle 
| / Welt 


Buch IV. Capitel “. 383 
Welt iſt Gott „heißt ſagen, daß Gott nicht die | 
| Urſache deſſen iſt, was da iſt, alſo nicht Gott. 
Drittens zu ſagen, daß die Welt unerſchaffen und 
ewig ſey, heißt laͤugnen, daß ein Gott iſt. — 
Wer in Dingen, welche Groͤße oder Macht andeu⸗ 
ten ſagt, daß Gott endlich ſey, verehrt ihn nicht. 
Denn es zeigt nicht den Willen an Gott zu ver⸗ 
ehren, wenn wir ihm weniger zuſchreiben als wir 
| koͤnnen, und endlich iſt weniger als wir koͤnnen, 
weil man zu allen endlichen noch etwas hinzufuͤgen 
kann. Daher iſt es unehrerbietig, Gott eine Fi⸗ 
gur, Theile, einen Ort, Leidenſchaften, Willen, 
Sinnlichkeit, Bewegung und Ruhe, oder uns ei⸗ 
nen Begriff oder eine Idee von ihm zuzuſchreiben, 
denn alles das iſt endlich, auch zu ſagen, daß 
mehr als ein Gott ff, denn es kann nur ein Un⸗ 
endlicher ſeyn. Wir duͤrfen daher Gott nur nega⸗ 
tive oder ſuperlative Attribute geben; als: der 
Hoͤchſte, der Groͤßte, oder unbeſtimmte als: Gut, 
Gerecht, Heilig, Schoͤpfer, und uͤberhaupt nur 
ſolche, die unſre Ehrfurcht gegen ihn erhöhen, 
Denn es iſt nur ein Name, der unſern Begriff 
von feiner Natur ausdrückt, und dieſer iſt: Ich 
bin, und noch ein Name der fein Verhaͤltniß zu uns 
ausdruͤckt, dieſer iſt Gott, in welchem Vater ı Rös 
nig und Herr begriffen iſt. | 


30 


ee 


384 Buch IV. Capitel 1. a 
Zu den Handlungen der Gottesverehrung rech⸗ 1 
net er: Gebet Dankſagung, Geſchenke, bey keinem 3 
andern als Gott zu ſchwoͤren, ehrfurchtsvoll von 4 
Gott zu ſprechen, Gebete und Opfer mit Anſtand 
und Geſchmack darzubringen, Gott nicht biss in Ge⸗ 
heim ſondern auch oͤffentlich zu verehren. Endlich 
fuͤgt er hinzu: Gehorſam gegen ſeine Geſetze, das 1 
iſt gegen die Geſetze der Natur, iſt die größte Got⸗ 1 
tesverehrung. ni 
Nun noch einige Parsdoren, die ſehr berühmt 
geworden ſind, und ſo ſonderbar ſie auch klingen, 
doch von Hobbes aus dem Obigen mit vieler Con⸗ 
ſequenz gefolgert werden: Der oͤffentliche Gottes ⸗ 
dieuſt muß gleichfoͤrmig ſeyn. Denn Handlungen 
welche von verſchiedenen Menſchen auf verſchledene 
Weiſe geſchehen, koͤnnen nicht ein oͤffentlicher Got⸗ 
tesdienſt genannt werden. Wo alſo mehrere Ar⸗ 
ten von Gottesdienſt erlaubt ſind, da kann man 
nicht ſagen, daß ein oͤffentlicher Gottes dienſt ſtatt f 
finde, noch daß der Staat uͤberhaupt Religion 
babe, »- 3 
Da nun Worte (und folglich auch die Attri⸗ 
bute von Gott) ihre Bedeutung durch Einwilligung 
und Feſtſezung der Menſchen erhalten haben, und ei 
dieſe Attribute ſolche ſeyn ſollen, welche allgemein 
unter den Menſchen Verehrung aus druͤcken, ſo muß 
N 1 ihre 


Buch IV. ‚Ca tel a 385 
| ihre Bedeutung als Zeichen der Gottes verehrurg | 
durch die hoͤchſte gefeßgebende Gewalt im en 5 
feſtgeſetzt werden. 

Da aber nicht alle Handlungen conventio⸗ 
nelle Bedeutungen haben, ſondern einige natuͤrliche 
Zeichen von Verehrung, andre von Beſchimpfung 
find, fo konnen die letzteren durch keine menſchliche 
Macht zu einem Zeichen der Gottesverehrung 
gemacht, und die erſtern nicht von ihr getrennt 
werden. Da es aber eine unendliche Zahl gleich- 
gültiger Handlungen und Gebaͤrden giebt, fo müfr 
ſen diejenigen, welche der Staat darunter zu Zei⸗ 
chen der Ehre und des Gottesdienſtes macht, von 
den ane dazu gebraucht werden ). 

Aus der oben erwaͤhnten Unterſcheidung zwi, 
föen einer geſetzlichen und frepwilligen Gottesver⸗ 
ehrung ſieht man, daß Hobbes hierdurch nicht den 
Gewiſſenszwang in Schuß nehmen will, ſondern 
da er nur von einer geſetzlich zu beſtimmenden Sf 
fentlichen Gottesverehrung ſpricht, fo iſt feine 
Meinung keine andre als die ſokratiſche; daß man 
die Goͤtter am beſten verehre, wenn man es den 
jedesmaligen Landesgeſetzen gemäß thue. 

Die 
* Hobbes en pat 1. 454 31 Of the 
! Kingdome of God by Nature, . | 


386 Buch IV. Capitel 1. | 
Die Ideen des brittiſchen Philoſophen vers 
rathen unſtreitig eben ſo viel Originalität als 
Scharfſinn, und ſind ſehr lehrreich wenn ſie auch 
nicht durchaus conſequent, und ſelbſt wenn ſie wie 
man ihn oft beſchuldigt hat, nicht ſeine wahre 
Meinung ſeyn ſollten. Doch konnte er bey Vor⸗ 
aus ſetzung der Subjektivitaͤt der Religion alles ers 
waͤhnte behaupten, ohne ſeinem Materialismus in 
widerſprechen. f 


1 


Zweytes Capitel. 


Nas erſte Syſtem, welches die neuere Phlloſo⸗ 
phie mit Beyfall aufſtellte, war wenigſtens eben 
ſo theologiſch als das platoniſche unter den Syſte⸗ 
men der alten Philoſophie. Es iſt daher fuͤr die | 
Religionsphiloſophie ſehr merkwuͤrdig. Es geht 
vom reinſten Idealismus aus, verbindet damit 
Theologie, und erzeugt dadurch Realismus. 
Dieſen hoͤchſt intereſſanten Gang der Carteſiani⸗ 
ſchen Philoſophie wollen wir in den vorzuͤglichſten F 
Schriften des Urhebers derſelben verfolgen. “ 
Renatus Des Cartes bat in feinen Mer 
ditationen über die erſte Philoſophie, welche 


er der Sorbonne zur Beurtheilung vorlegte, die 
Hauptreſultate feiner Philoſophie, und zugleich die 
Methode durch welche er zu ihnen gelangte, mit 
einer Klarheit vorgelegt, welche ihr als den hell: 
ſten Kopf feines Zeitalters charakteriſirt. Aus 
dem Wirbel von Ideen, in welchem das damalige 
Zeitalter durch die chaotiſch untereinander liegen⸗ 
den, aus dem Alterthume hervorgezogenen, 
und neu entdeckten Kentniſſe umhergetrieben ward, 
| konnte ſich Carteſius nicht glücklicher retten, als 
durch einen allgemeinen Zweifel, von dem fein | 
Philoſophiren ausgeht ). Ihm blieb von feinem 
geſammten Seyn nichts uͤbrig, als fein Denken. 
Dies allein uͤberzeugte ihn von ſeinem Seyn, be⸗ 
ſtimmte ihm aber auch zugleich die Art ſeines 
Seyns, als ein Seyn im Denken, mithin ein 
ideales Seyn. Er zeigt daher, daß alle Gegen⸗ 
ſtaͤnde auſſer ihm, ſich als Modiſikationen ſeines 
Denkens erklaͤren laſſen, daß ſich aber ihre Reall⸗ 
tat nicht beweiſen laſſe, weil er von einem maͤchtl⸗ 
gen Weſen, welches auf ſeine Natur Einfluß 
hätte, in Ben" u. Pr werden 

t N ae koͤnn⸗ 


120 Renati des Cartes meditetichen de prima philofo« | 
phia e 1678. 4. Med. k; ‘ 


Bb 2 


3s Buch . Capitel a. 


koͤnnte ). Er findet indeſſen, daß, geſetzt daß 4 


feine Vorſtellungen auch blos ſubjektiv und ideal 


wären, und ihnen kein Gegenſtand auſſer denſel⸗ | 


ben entſpraͤche, fie doch eine Urſache haben muͤſ⸗ 


hervorzubringen. Dieſe zu raſche Anwendung des 


Satzes der Cauſalitaͤt iſt unſtreitig der Grundfeh⸗ 


ler feines Syſtems. — In der Urſache muß wenige ; 


ſtens eben fo viel Realität ſeyn, als in der Idee, 
welche von ihr in eine bewirkt worden iſt. Wenn 
nun dieſe Urſache auch wieder eine Urſache hat, 
und ſo immer weiter, ſo muß ich doch am Ende 


bey einer hoͤchſten Urſache ſtehen bleiben, welche 1 
die Quelle aller Realität meiner Ideen if. 


Dies führt ihn auf die Idee von Gott). 


u 
— 


Alle andre Ideen koͤnnen jedoch, wie Carte 


ſius zuvor bey Darſtellung des Idealismus, von 
welchem er ausgeht, gezeigt hatte, aus mir ſelbſt 
und als Modifikationen meines Denkens erklärt 


werden. Dies kann aber nicht mit der Idee von 2 


Gott geſchehen. Denn ob ich gleich die Idee von 


einer Subſtanz in mir haben kann, weil ich ſelbſt | | 


eine Subſtanz bin, fo kann ich doch nicht in mir 
| die 


®) Meditatio II. De natura mentis humanae, Quod 
ipſa ſit notior quam corpus. 
*) Med. III. De Deo quod exiſtat. 


Buch IV. Capitel 2. 389 
die Idee von einer unendlichen Subſtanz haben, 
da ich ſelbſt endlich bin, wenn ich ſie nicht von el⸗ 
ner unendlichen Subſtanz ſelbſt erhalten habe Hy 
Hieraus folgert Carteſius, daß Gott nothwendig 
exiſtirt, und dies iſt fein Hauptbewe is für das 
Daſeyn Gottes, mit welchem er, wie wir welter 
ſehen werden, noch andre verbindet. Wenn nun 
Gott die Urquelle aller Realität meiner Ideen iſt, 
ſo folgt daraus, daß ſie auch wirklich real und 
gewiß ſind. Denn Gott koͤnnte mich zwar damit 
ktaͤuſchen; aber Taͤuſchung und Betrug find Une 
vollkommenheiten, welche dem Begriff des voll⸗ 
kommenſten Weſens widerſprechen. Auf die Wahr⸗ 
haftigkeit Gottes gruͤndet Carteſius alſo alle Rea⸗ 
litaͤt der menſchlichen Erkenntniß, daher er ſie 
auch unter den Eigenſchaften Gottes am forgfäls 
ligſten zu erweiſen ſucht ) 
SGewiſſermaaſen unabhängig von dieſen Sägen 
iſt der Beweis fuͤr das Daſeyn Gottes, welchen 
Carteſius aus dem Begriffe des vollkommen⸗ 
ſten Weſens herleitet. Er geht dabey von dem 
Satze aus: Was ich an einer Sache deutlich als 
zu derſelben gehoͤrend wahrnehme, das gehört 


0 warden 12455 4 ee Bb 3 8 * auch g 
) Med. in par. 1 1 dn | 


2 N 2 Med. IV De vero et falſo a De rerum mate- 
tlalium exiftentia. 


300 Buch IV. Capitel 27 


. 
n * er 
2 


auch gewiß zu derſelben. Nun gehört zu dem 


Begriffe des Weſens, welches alle Vollkommen⸗ 


beiten umfaßt, and) Der Snuff des Sens, v 
ihm ohne denſelben eine Vollkommenheit fehl 
und es alſo nicht das vollkommenſte ſeyn würde 


Alſo muß das vollkommenſte Weſen nothwendig 


als exiſtirend gedacht werden. Carteſius erkennt 
ſelbſt, daß dieſer Schluß einem Sophiſma ſehr 
aͤhnlich ſieht. Denn da ich gewohnt bin, ſagt 


er, bey allen andern Dingen die Exiſtenz don dem 5 


Weſen zu trennen, ſo uͤberrede ich mich leicht, 


daß ſie auch von dem Weſen Gottes gelrennt wers 


den, und alſo Gott als nicht exiſtirend gedacht 
weren könne; bey genauerer Aufmerkſämkeit aber 
wird es klar, daß man die Exiſtenz ſo wenig von dem 
Weſen Gottes trenben koͤnne, als von dem Weſen 
eines Triangels, daß ſeiie n drey Winkel zwey rech⸗ 
ten gleich ſind, oder von dem Begriff eines Berges 
den eines Thals; ſo daß es kein größerer Wider⸗ 
ſpruch iſt, Gott (das iſt das vollkommenſte Weſen) 


ohne Exiſtenz (d. i. ohne eine gewiſſe Vollkommen⸗ . 


heit) zu denken, als einen Berg ohne Thal. = 


Indeſſen folgt daraus, daß ich mir einen. Berg 0 


nicht anders als mit einem Thale denken kann, 


nicht daß Berg und Thal exiſtiren, ſondern nur daß 
e und Thal, ſie abge Pr. ober. uicht von 


N n € ıyllen eins 


Buch V. Capitel 2. 39 
einander nicht getrennt werden konnen; aber dar⸗ 
aus daß ich Gott nicht anders denken kann, folgt 
daß die Exiſtenz von Gott unzertrennlich iſt, und 
daß er folglich wirklich exiſtirt, nicht weil mein Ge ⸗ 
danke dieſes macht, ſondern im Gegentheil, well 
Nothwendigkeit der Sache ſelbſt, nemlich der 
Exiſtenz Gottes mich beſtimmt es zu denken 175 
Auf dem dogmatiſch idealiſtiſchen Standpunkt, auf 
welchem Carteſius ſtand, folgerte er vollkommen con⸗ 
ſequent. Er konnte ſich baher aus feinen Fehlſchluͤſ⸗ 
fen nicht herausfinden, und ſeine Gegner konnten 
ihn nicht widerlegen, da fie groͤßtentheils noch von 
5 einemungleich niedrigen Standpunkte aus das Gebiet 
der Philoſophie uͤberſehen wollten. Nur dann 
wenn man die Subjektivitaͤt der ganzen Methode, 
durch welche Carteſius zum Begriffe von Gott ge⸗ 
langte einſieht, kann man ae Beweiſe ars 
wuͤrdigen. 72 N 
den den Vetheldigungen eben cee 
Meditationen gegen die dawider gemachten Eins 
wuͤrfe, ſtellt Carteſius feine Beweiſe fuͤr das Daſeyn 
Gottes in geometriſcher Form auf und fügt daſelbſt 
noch folgende zu den ſchon angefuͤhrten hinzu: Wenn 
ich die Kraft haͤtte, mich ſelbſt zu erhalten, ſo wuͤrde 


7 1 noch mehr die Kraft ee 7¹ mir die Vollkommen⸗ 


8 Bb 4 | hei⸗ 
* Medit. V. p.32. 33. Eo ue ol 11 


392 Buch IV. Cavpitel 2. 
heiten zu geben, welche mir fehlen, denn dleſe ſind 


une Accidenzen, ich aber bin eine Subſtanz, ich 


habe aber dieſe Kraft nicht, weil ich mir ſonſt jene 
Vollkommenheiten ſchon gegeben haben wuͤrde, alſo 


habe ich auch nicht die Kraft, mich zu erhalten. Ich 


muß alſo von einem andern erhalten werden, und 
derjenige, welcher mich erhaͤlt, muß nicht allein die 
Vollkommenheiten haben, welche ich beſitze, ſondern 


auch die welche mir fehlen, mithin alle Vollkom⸗ a 
menheiten ). Dieſer Beweis gründet ſich auf die ö 
aus der ſcholaſtiſchen Philoſophie hergenommene 
Vorausſetzung, welche unzählige Fehlſchluͤſſe in ihr 
erzeugt hat, daß der ſubjektive Reflexionsbegriff 
Subſtanz objektive Realität habe, und daß jede 


Subſtanz ſchlechthin vollkommner ſey als ein Accidenz, 


da es doch nur von meinem Verfahren bey einer Res | 


flexion abhängt, ob ich ein Accidenz für eine Sub⸗ 
ſtanz annehmen will oder umgekehrt. toren 

Da Carteſius dieRealität aller unſrer Erkennt⸗ 
Apen Gott ableitet, ſo war es nicht inconſequent, 


wenn ſein Schuͤler Walebranche behauptete, daß 
wir alles in Gott ſaͤhen. Er gieng davon aus, daß | 
wir alle Gegenſtaͤnde nur vermittelſt der Worftellun 


gen erkennen. Er ſucht hierauf zu zeigen: daß uns 
dieſe Vorſtellungen nicht von den Gegenſtaͤnden ſelbſt 
| mit⸗ 


* 


, Refponfio ad ſecundas obiedtiones p. 89. 


— 


Nah l IW. Capitel . 393 


mitgetheilt werden, daß unſer Geiſt ſie nicht ſelbſt 
hervorbringt, daß fie uns nicht anerſchaffen find, 
oder jedesmal von Gott hervorgebracht werden, ſo 
oft wir ihrer beduͤrfen, daß wir endlich in ihnen 
nicht die Eigenſchaften unſers Geiſtes anſchauen !). 
Es bleibt ihn alſo nicht übrig, als zu behaupten, 
daß wir alles in Gott ſehen. Das iſt nun freis 
lich nicht ſehr deutlich, und man kann auch nicht ſa⸗ 
gen, daß es durch die Beweiſe, welche Malebranche 
dafür fuhrt, deutlicher wuͤrde. Er gründet fie 
hauptſaͤchlich darauf, daß unſre Seelen mit Gott in 
der genaueſten Verbindung ſtehen, und Gott gleich⸗ 
ſam der Ort der Geiſter ſey, ſo wie der Raum der 
Ort der Körper iſt. Wenn Gott alſo den menſch⸗ 
lichen Geiſtern, die in ihm vorhandenen Vorſtellun⸗ 
gen mittheilen will, ſo kann er es thun, und es iſt 
vermoͤge des Geſetzes der Sparſamkeit, welches in 
der Natur herrſcht, wahrſcheinlicher, daß er dieſes 
thun als eine unendliche Menge von Ideen in jedem 
Geiſte erſchaffen werde *). — Man kann hier⸗ 
aus leicht auf den Werth der uͤbrigen Behauptun⸗ 
gen Malebrauches über die Religionsphiloſophie 
ſchließen, die er gleichfalls als die vornehmſte philo⸗ 
| ſoptiſche ee t aber eben nicht 
53 ee ien mit 
KM . Malebranche recherche de iu verite L. III. c 1-5. 
l Chap. 6. 


5 3 17 * > F 
Mn. 14° 48 N h 
„ 2 


394 Buch IV. Capitel 2. N 
mit hellen Begriffen bereichert. Auf dem Wege, 
welchen Carteſius und Malebranche eingeſchlagen 
waren, gleng Berkeley am weiteſten, und kam da⸗ 
durch zu einer dogmatiſchen Behauptung des 
Idealismus. Er geht daven aus: Ich nehme 
nichts wahr als meine eignen Ideen, und keine 
Idee kann anderswo als in einem Geiſte ſich be⸗ 
finden; nun hängen: meine Ideen nicht von mir ab, 

und ich bin nicht Urheber derſelben. Sie muͤſſen 
alſo in einem andern Geiſte exiſtiren, und durch 1 


deuſelben mir mitgetheilt werden. Die Mannig⸗ 7 


faltigkeit und Ordnung dieſer Ideen zeigen, daß 
dieſer Geiſt weiſe, mächtig und gut iſt. Um dieſes } 
Beweiſes fir das Daſeyn Gottes willen, hielt Bers 
keley feinen Idealismus für das kraͤftigſte Mittel 
gegen den Atheismus. — Carteſius hatte im 
Grunde ganz daſſelbe behauptet, nur ſuchte er den 
Realismus damit zu vertheidigen, daß uns Got ä 
mit unſern Ideen taͤuſchen wuͤrde, wenn ſie nicht 
real waͤren. Berkeley ſucht dagegen zu zeigen, daß 1 
dies keine Taͤuſchung von Seiten Gottes, ſondern 
daß der Realismus oder Materlalismus vielmehr 
eine Selbſttaͤuſchung ſe n. 
3 den durch die carteſianiſche Philo ſophie ver- | 
ganlaßten und durch die Schuler des Carteſtus noch 
mehr bearbeiteten, mit der EEE in 
Ver⸗ 


"3 2 * 

1 AN ” 7 
179 "ur 

3 Aa 


Buch IV. Capitel 2. 3095 

indung ſtehenden Lehren, gehoͤrt auch die von 

der Wirkſamkeit Gottes vermittelſt der Ge⸗ 
ſchoͤpfe. Gewöhnlich betrachtet man ſie blos als 
eine theologiſche Erklaͤrung des Zuſammenhanges 
des Leibes und der Seele, und ſie iſt unter dem Na⸗ 
men des Syſtems der gelegentlichen Urſachen 
bekannt. Allein fie ift von groͤßerm Umfange. Mas 
lebranche, der fi e vorzüglich ausarbettete, nach dem 
ſchon de la Forge einiges davon gelehrt hatte, 
betrachtete Gott als den erſten und allgemeinen 
Grund aller Wirkſamkeit der Weſen, und alle übrige 
Weſen als Mittel „deren er ſich zu Erreichung feis 
ner Zwecke bedient ). Die ganze Welt wird da⸗ 
durch zu einer Maſchine, deren Bewegung einzig ö 
von Gott abhängt. Dadurch wird freilich alle Frey⸗ 
| ir re aufgehoben, welches 
ich die Carteſianer nicht zugeben wollten, und 
7 durch mancherlen Sophiſtereyen aus dieſen Wi⸗ 
Berppklieh heralszuhelfen ſuchten. Der Streit dar, 
über, welchen vorzüglich Arnauld erregte, ward 
jedoch mehr mit kirchlich theologischen als pbiloſo⸗ 
phiſchen Grün den geführt, ſo wle auch die ganze 
Lehre durch die Streitigkeiten des Janſevismus für 
die damaligen Zeiten eine e erhielt, bie fie 
| a... 
| 29 Wb beide, fur la Metaphyfique 
p. 118 fd. 0 


396 Boch W. Capitel z. 


jetzt nicht mehr hat. Eine geſunde, die Frepheit 
des Menſchen behauptende Philo ſophie möge 
uns bewahren, daß 2 dieſelbe nie wieder er⸗ 
vn ee een ee eee e eee 3 

1a n ont e ene ee 8 J Bad: | 
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in „ a enn 
Di ieee weht der Garreſtanteuus bath, 
die ganze Philoſophie in Religionsphiloſophie zu 
verwandeln, erreichte durch Spinoza ihr Ziel. 
Denn der Spiaozismus iſt nichts anders, als ein 
philoſophiſches Soſtem, welches durchaus auf ei⸗ 
ner theologiſchen Grundlage beruht, und deſſen 
kleinſte Theile durch theologische Gründe beſtimmt 
werden, und Spinoza iſt, wie Herder ſehr treffend 
von ihm ſagt, ein Architbeiſt vor allen We 

Daß man den wahren Charakter ſeines ‚Soft em 
ſo lange verkannt, daß man es ſelbſt als e, Athels a 
mus geläͤſtert hat, kam daher, weil es auf e 
phyſiſchen Sätzen beruht, die wenn man fi e nicht 
verſteht, den Begriff von Gott bersbzuwür 4 
digen ſcheinen, und wenn man fie berſtehl, der 
niedern Phantasie den n Weg #9 Gott fo. fee ver⸗ 


* 


„rd sh 
. i en⸗ 
0 75 14 4 > 


Buch IV. Capitel3. 397 


engen, daß ſich alle durch Phantaſie erzeugte reli⸗ 
gioͤſe Vorſtellungen, wie es die meiſten Ideen der 
d Volksreligton find, nur ſehr ſchwer damit vereini⸗ 
gen laſſen. Es gehoͤrt hierzu ein Kopf der wenig⸗ 
ſtens dem Geiſte des Spinoza nicht ganz fremd 
iſt; denn dieſer wußte, wie aus ſeiner Geſchichte 
bekannt iſt, nach feinen Grundſaͤtzen jeder redlich 
aher Religionsart Beyfall zu geben. | | 
Die Grundideen des Spinozismus ſind nichts 
weniger als originell. Sie find aus einem Abs 
grunde geſchoͤpft „ in welchen ſich die menſchliche 
Vernunft um ſo leichter verliert, je tiefer ſie das 
Weſen andrer Dinge ergründen will, ohne ſich 
ſelbſt und ihr Erkenntnißvermoͤgen gehörig zu ken⸗ 
nen. aber waren es faſt immer nur die abſtrak⸗ 

| teften und tiefſinnigſten Denker, welche ſich bis das 
bin berloren, wenn die conkreteren und leichtſinnt⸗ 
| gern lieber auf blumigern Wegen wandelten. Schon 
Kenophanes hatte ſich die Idee von Einem gebil⸗ 
det, in welches er Alles hinein legte, aus dem er 
aber nicht viel wieder herauszuholen wußte. Gluͤck⸗ 
N licher waren die Stoiker hierinn, die, wie auch 
ſchon Heraklit vor ihnen gethan hatte, in dem Ei⸗ 
nen ein phyſiſches Weſen, ein ſich ſelbſt nährenz 
des und verzehrendes Feuer dachten, aus dem ſie 
alles zu machen wußten, weil ſie um Conſequenz 
P nicht 


398 BR 0. Capitel 3. 

nicht zu aͤngſtlich bekuͤmmert W 2) 
auch dann und wann einen Sprung über einen 
Widerſpruch hinweg erlaubten. Die Neuplatonl⸗ 
ker wußten durch Logik Alles in Eins und Eins 

in Alles zu verwandeln, und es fehlte ihrem Sy⸗ 
ſteme weiter nichts, als daß die Logik nicht fo der 
Natur, wie dem Verſtande Geſetze giebt. Schon 
vorher hatten es die Kabbaliſten durch Phantaſie 
zu thun gewußt, und a 3 thaten ſie es 


eu 1 


nachher. | BR 


Es fehlte nur noch, daß dieſe phlloſephiſche 
Metamorphose durch Metaphyſik bewerkſtelligt 
wurde. Das unternahm ſchon zu Anfange des 
ſi ebenzehnten Jahrhunderts Giordano Bruno der 
ſich jedoch von allen andern Alles in Eins verwan- 
delnden Philoſophen dadurch auszeichnet, daß er 
das Eins noch von et arge 05 2 babe 


ee Ehe a Bis. 


) So verſtehe ich wenigſtens, was 1 9 
lehren läßt: Ueber die Lehre des Spinoza Veylage | 

1. S. 291. “Nicht bis zum Begriffe des allerhoͤch⸗ 
ſten Weſens, deſſen Erkenntniß auſſer dem Bezirke 

des menſchlichen Verſtandes liegt, koͤnnen wir uns 

auf dieſe Weiſe hinaufſchwingen; — Höhere Bes 
trachtungen, welche über die Natur hinaus gehen, 9 
ſind demjenigen, welcher nicht glaubt, unmöglich, 1 
und von keinem Nutzen“. | 


* 


Buch IV. Capitel 3. 399 
ee Em nur einen negativen Ping in un⸗ 


J 75 Geſchichte findet. En 


Spinoza ſcheint burch die Kabbala, in der 
er als ein geborner Jude unterrichtet ward, zuerſt 
auf dieſe Idee geleitet worden zu ſeyn, und ſie 


f mußte in der carteſi aniſchen Philoſophie, der ... 


ſich fpäterhin ergab, ſehr viel Nahrung finden, 
denn dieſe Philoſophie konnte vermöge ihres Bes 


. geiffes von Gott, nach welchem er das Weſen iſt, 
f welches alle Realitäten in ſich vereinigt, ſehr ns 
| tuͤrlich auf die Idee fuͤhren, daß Gotte Eins und 
Alles ſey. Spinoza glaubte jedoch dieſen Begriff, 


welchen Carteſius ohne einen Grund deſſelben an⸗ 


zugeben, ſchlechthin im menſchlichen Geiſte als 


von Gott ſelbſt mitgetheilt annimmt, noch tiefer 


‚begründen zu koͤnnen. Er legte den Grund beffels 
ben in gewiſſe Satze, von denen er glaubte, daß 
fie an ſich ſelbſt evident wären, und ſcheint dabey 


wenigſtens ſtillſchweigend vorausgeſetzt zu haben, 3 
daß ohne fie anzuerkennen, alles Denken unmoͤg⸗ 
lich ſeyn würde, Er glaubte fein Spſtem mathe⸗ 


matiſch demonſtriren zu konnen, und trägt es in 


biefer Geſtalt in feiner Ethik vor ). Allein es 
geht ihm, wie allen Mathematikern, wenn man 


2 ihm 
®) B. d. S. Opera poſthuma 1677. 4. 


4% Buch IV. Capitel 3. 


ihm ſeine Definitionen nicht e % faut fein 
ganzes Syſtem dahin. 9 eg N 

Gleich die erſte ſetzt voraus, des ein Weſen 
möglich ſey, welches nicht anders als eriſtirend ge⸗ 
dacht werden kann. Dies kaun aber ſehr bezweis 
felt werden. Denn auſſerdem daß alle die Ein⸗ 
wendungen dagegen gelten, welche man gegen den 
Carteſianiſchen Beweis von der nothwendigen Eri⸗ 
ſtenz Gottes gemacht hat, ſo kann ich mich ſelbſt 
denken als nicht exiſtirend. Aller Begriff von 
Exiſtenz iſt aber von mir ſelbſt auf andre Dinge 


uͤbergetragen. Mithin kann ich alles andre auſſer 


mir noch leichter als nicht exiſtirend denken Fl 


— 


Auf dieſem Satze beruht nun vorzuͤglich hr 


Begriff welchen Spinoza von Subſtanz annimmt, 
und ſeine Behauptungen von demſelben, aus wel⸗ 


chen ſein ganzes Syſtem herfließt. Wenn aber 
der Begriff von Subſtanz, als einem Weſen, wel⸗ 


ches die Exiſtenz nothwendig in ſich ſchließt, nicht 


nur nicht nothwendig gedacht werden muß, ſondern 
vielleicht gar nicht gedacht werden kann, ſo wird 
die ganze Grundlage des ſpinoziſchen Syſtems ler. 


ſtoͤrt. 


Ohne dieſe Grundlage bleibt es indeſſen W | 


noch ein Syſtem wie alle andre Syſteme, d. h. 


ein 


* 


) Ethices pars I, Deſinit. t. 


Wr 
9 

E 
* 


Buch l IV. Cavitel 9 4e 


en Berfuh, aus einem schlechthin und ohne Ber 


8 angenommmenem Begriffe das Weſeu aller 


3 Fr ar ihre Eigenſchaften zu erklären, und als 


ein ſolcher Verſuch iſt es ein bewundernswuͤrdiges 
Werk des Scharfſi ines, und der Conſequenz. Ue⸗ 


berall liegt der einmal angenommene Begriff von 
Gott als der einzigen unendlichen Subſtanz zum 


Grunde, und aus der unendlichen Fuͤlle dieſes 


Begriffe werben alle übrigen Begriffe geſchöpft. 
Der Hauptpunkt, wodurch ſich jedes Syſtem 


welches Alles als Eins betrachtet, von demjenigen 
unterſcheldet / die bey der Mannigfaltigkeit der 


Dinge ſtehen bleiben, und ſie nur durch Cauſal⸗ 
zuſammenhang verknuͤpfen, wird ſcharf aufgefaßt. 


Gott iſt innere aber nicht aͤuſſere Urſache der 


Dinge „). Damit wird der Begriff der Urſache 


im Grunde aufgehoben, und an ſeine Stelle ein 


Zuſammenhang der Dinge durch Inhärenz geſetzt. 


Doch nennt Spinoza die Dinge auch goͤttliche Pro⸗ 


dukte u nimmt aber an, daß ihr ganzes Weſen 


Seyn und Wirken „durch Gott beſtimmt wird. 


ate N. en 1 Natur gemaͤß, und in 


% Eth. I. propof. 24. \ 


s 


X 9 Ech . 1. . 18. Deus eſt omnium rerum 1 


cauſa immanens; non vero tranfiens. 


60 


4 BuhIV, Capitei 3. 
ſofern unabhängig, als er von nichts auſſer ihm 
beſtimmt wird, aber deswegen nicht frey. Frey⸗ 
heit findet nur ſtatt wo eine Wahl zwiſchen meh⸗ 
rern Zwecken moͤglich iſt. Spinoza aber behauptete 
daß Gott gar nicht nach Zwecken, ſondern allein 
nach den Geſetzen feiner Natur handle *). Dies 
ſind aber nothwendige Gefeße; daher hat Gott 
keinen freyen Willen. Eben ſo wenig hat er Ver⸗ 
ſtand, oder uͤberhaupt ein Erkenutnißbermögen. 
Denn dies wuͤrde vorausſetzen, daß Dinge ohne 
ſein Denken und vor demſelben da waͤren, ſie ſind 
aber nur durch daſſelbe da. Mithin iſt das Den⸗ 
ken Gottes wenigſtens ganz verſchieden von dem 
menſchlichen Erkenntuißvermoͤgen. n 
| Am paradoreften ſcheint es auf den 3 4 
Anblick im ſpinoziſtiſchen Syſteme zu ſeyn, wie 
Menſchen als goͤttliche Attribute oder Modifikatio⸗ 
nen derſelben betrachtet werden, und ſo der goͤtt⸗ 4 
lichen Subſtanz inhaͤriren koͤnnen. Indeſſen war 1 
auch dieſer Gedanke nicht ganz neu. Schon Car⸗ 
teſins hatte gezeigt, wie alle Dinge als Modifika⸗ 4 
tionen des menſchlichen Denkens gedacht werden } 
koͤnnten. Es mußte daher weit leichter ſeyn, dies 
von dem goͤttlichen ſich vorzuſtellen. — Gott iſt 
ein denkendes Weſen. Seine Ideen und die Dinge 
*) Eth. I. propoſ. 17. Appendix. part, I. l 


Buch IV. Capitel 3. 4003 


find eins und daſſelbe. Der Menſch iſt urſprüng⸗ 


*. lich eine goͤttliche Idee, von einer beſonders exiſti⸗ 


renden Sache. Das Objekt dieſer Idee iſt der 


Leib. Die Ideen unterfcheiden ſich wie ihre Dbs 


jekte. Daher haͤngt die Beſchaffenheit der Seele 
von der Beſchaffenheit des Koͤrpers ab. Die 


Grundeigenſchaft der Körper iſt Bewegung, und 


ſie unterſcheiden ſich durch die Geſchwindigkeit der⸗ 


ſelben. Ein Koͤrper wirkt auf die Bewegung des 


andern, und durch dieſe Wirkung nimmt der Geiſt 
das Daſeyn andrer Koͤrper wahr. Der Geiſt kennt 


ſich und andre Dinge nur durch den Koͤrper, und 
die Eindruͤcke welche auf ihn geſchehen. Aber uns 


fere Erkenntuiß von unſern und fremden Koͤrpern 


iſt unvollkommen. Von Gott haben wir jedoch 


eine vollkommne Erkenntniß, weil die Erkenntniß 


eines jeden andern Dinges die Erkeyntniß Gottes 


art in Gott iſt. Sein Wille hängt ganz von fe 


vorausſetzt. Der menſchliche Geiſt hat keinen 


freyen Willen, weil er eine beſtimmte Vorſtellungs⸗ 


| nem Verſtande ab, denn Wille und Werftaud . 
Eins und daſſelbe ). 


ö *) Dies find die baupibeen des zwepten Theils der 


8 Die 


Ethik. 
75 Ce 2 


* 
“a 


0 4 Buch IV. Capitel 3. 


| 7 Die Empfehlung dieſer Ideen, mik welcher 
Spinoza das zwepte Vuch feiner Ethik ſchlleßt, 
zeigt, was er ſich von ihnen verſprach, und wie 
er ſie angewendet wiſſen wollte. Er haͤlt ſeine 
Lehre für ſehr nuͤtzlich für das Leben ‚ “in ſofern 
fie lehrt, daß wir alles unter goͤttlicher Leitung 
thun, und der göttlichen Natur theilhaftig find, 
und zwar um ſo mehr, je vollkommner wir han⸗ 
deln, und je mehr wir Gott erkennen. Dieſe Lehre 
hat alſo, auſſer dem daß ſie das Gemuͤth voll⸗ 
kommen beruhigt, den Vortheil, daß ſie uns zeigt, 
worinn unſer hoͤchſtes Gluͤck oder unſre Seeligkeit 
beſteht, naͤmlich allein in der Erkenntniß Gottes, | 
durch die wir nur zu Handlungen der Siebe und 1 
Frömmigkeit geleitet werden. Wir erkennen da⸗ 
durch deutlich, wie unrichtig diejenigen bie wahre u 
„Tugend ſchaͤtzen, welche für die Tugend und die 
guten Handlungen, als große Dienſtleiſtungen, die 1 
groͤßten Belohnungen von Gott erwarten, als ob 
Tugend und Gottſeeligkeit nicht ſelbſt Gluck ſeelig⸗ 
keit und hoͤchſte Freyheit wären”, Er zeigt dann 
weiter, wie fie feiner Meinung nach zur Glide 
guͤltigkeit im Gluͤck und Ungluͤck, zur Menſchen⸗ 
liebe, zur Zufriedenheit und zu aan Grund⸗ 1 
ſuͤtzen der Staats verwaltung füge * 


— * 


Der 


Buch IV. Capitel ER | 405 5 
Der dritte Theil der Ethit handelt von den ih 


g Affetten „ die Spinoza ebenfalls von den Ein⸗ 
druͤcken, welche auf den Körper geſchehen, und 


den Ideen ableitet, welch der Geiſt vom Zustande 


feines Körpers hat. Affekten fi ind Eindruͤcke, | 
welche auf den Körper geſchehen, und durch welche 


feine Thaͤtigkeit erhöht oder beſchraͤnkt wird, und 


zugleich die Vorſtellungen dieſer Eindruͤcke. Wenn 


8 wir alſo ſelbſt die zureichende Urſache dieſer Ein⸗ 


druͤcke find, fo find die Affekten thaͤtig, ſonſt aber 
leldend. Aus vollkommnen Ideen geht daher 


Thaͤtigkeit, aus unvollkommnen Leiden hervor. 


5 Hier ſagt Spinoza deutlich, daß Geiſt und Koͤr⸗ 
per eine und dieſelbe Sache ſind, die bald als 


Denken, bald als Ausdehnung vorgeftellt wird. 
Alle Affekten leitet er aus einem vollkommnern 
und unvollkommnern Vorſtellen, und aus Befoͤrde⸗ 
rung oder Hinderung des Vorſtellens her, und 
zeigt ſich bey aller Einſeitigkeit feiner Sr als 
einen ſehr tiefen Menſchenkenner. N 
Die Urſachen, warum der Menſch von er 


fekten beherrſcht wird, und das Gute und Boͤſe, 


was die Affekten haben, zeigt das vierte Buch. 


Gut nennt Spinoza das, wovon wir gewiß wiſ⸗ 


ſen, daß es nuͤtzlich, boſe wovon wir gewiß wiſſen, 
| es ſchaͤdlich iſt. Nuͤzlich iſt, was unſre Er⸗ 


Cc 3 kennt⸗ 


406 Buch IV. Capitel 4. 
kenntniß befoͤrdert. Der hoͤchſte Gegenſtand un⸗ 
ſerer Erkenntniß iſt Gott, alſo Erkenntniß Gottes 
das hoͤchſte Gut. Alles was ſich auf die Erkennt⸗ 
niß Gottes in unſerm Streben und Handeln bezieht, 
gehoͤrt zur Religion. Nuͤtzlich iſt ferner was den 
Koͤrper fuͤr Eiadruͤcke empfaͤnglich und zum Han⸗ 
del faͤhig macht, weil der Geiſt eben dadurch zum 
Erkennen geſchickter wird. Frey iſt, wer der Ver⸗ 
nunft allein folgt. Er fuͤrchtet nichts, auch nicht 
den Tod, fondern ſtrebt unaufhaltſam v dem 
hoͤchſten Gute. 4 
Der fünfte Theil der Sibir fl gabel, N 9 
der Menſch zur Freyheit gelangen kann, und was 
die Vernunft über die Affekten vermag. Affekten 
des Leidens find eine Folge undeutlicher und uns 
vollkommner Vorſtellungen, ſie hören’ daher auf 
ein Leiden hervorzubringen, ſobald wir uns deut⸗ 
liche Begriffe von ihnen bilden. Die Affekten ſind 
alſo deſto mehr in unſrer Gewalt, je bekannter fie 
uns ſind. Es giebt aber keinen Affekt, wovon 
wir uns nicht einen deutlichen Begriff bilden koͤnn⸗ 
ten. Alle Affekten können daher auf die Idee 
von Gott bezogen werden. Sie find in fofen 
Vorſtellungen von Vollkommenheiten, die Freude, 4 
und in Ruͤckſicht auf Gott Liebe erwecken. Daher E 
ſoll die Aebe zu Gott das 4 vollkommen be 
herr⸗ 


# 


Buch V. Capitel 3. 407 
herrſchen. Gott ſelbſt iſt keiner Freude und Trans 


igkeit, welche aus dem Uebergange von einem un⸗ 
vollkommnern Zuſtande zu einem vollkommnern, 


oder umgekehrt, beſtehen, und alſo auch keiner 
Liebe und kelnes Haſſes faͤhig. — Der Geiſt 
kann nicht denken, ohne den Koͤrper, doch wird er 


nicht ganz mit demſelben zerſtoͤrt, denn es bleibt 


in Gott eine ewige Idee von feinem Weſen uͤbrig, 
von welcher der Geiſt, wie Spinoza behauptet, 


auch ein gewiſſes Gefühl beybehaͤlt, fo wie er ihm 


eins von einer Exiſtenz vor ſeiner Vereinigung mit 
dem Körper beylegt. — Je mehr wir die ein⸗ 
zelnen Dinge ihrem Weſen nach erkennen, deſto 
mehr erkennen wir Gott, und erlangen dadurch die 
größte Gemuͤthsruhe. Hieraus entſteht die Liebe 
Gottes, welche ewig iſt. Aus alle dieſem geht 


der Satz hervor: Wer einen Koͤrper hat, der zu 
den meiſten Dingen geſchickt iſt, der hat eine 
Geiſt, deſſen größter Theil ewig iſt. Denn wir 


werden dadurch der Liebe Gottes faͤhig, welche 


ewig iſt. Wenn wir aber auch nicht wuͤßten, daß 
unſer Geiſt ewig iſt, ſo wuͤrden wir doch Froͤm⸗ 


migkeit und Rellgion und alles was zum Edel⸗ 
muth und zur Seelengröße gehört; über alles zu 


ſchätzen haben. Seligkeit iſt nicht der Lohn der 
Hi Tugend, „ fondein die Tugend ſelbſt; und wir ge⸗ 


Ce 4 nießen 


* 


48 Buch IV. Capitel 3. 


nießen fe. e nicht, weil wir die Begierden beherr⸗ 


ſchen, ſondern weil wir ſie genießen, helene 
wir die Beglerden. und wa 
Spinoza beſchließt die Derſtelang Kran Sy 
ſtems damit, daß er die großen Vorzüge des Wei⸗ 
ſen vor dem Unwiſſenden daraus folgert. Der 


Unwiſſende, ſagt er, wird von aͤuſſern Urſachen 


mannigfaltig beunruhigt, und gelangt nie zur wah⸗ 


ren Gemüthsruhe, er lebt ohne Erkenntniß ſeiner 
ſelbſt, Gottes und der Dinge, und hoͤrt auf zu 
ſeyn, ſobald er zu leiden aufhört. Der Weiſe hin⸗ 
gegen, als ſolcher, leidet kaum einige Verändernng 
der Seele, ſondern durch Erkenntniß ſeiner ſelbſt/ 
Gottes und einer ewigen Nothwendigkeit der Din⸗ 
ge, hoͤrt er nie auf zu ſeyn, ſondern genießt un⸗ 
aufhoͤrlich der wahren Gemuͤthsruhe. Iſt auch der 
Weg ſteil, den ich dahin gezeigt habe, ſo iſt er 
2 zu finden. Was ſo ſelten iſt, muß ſchwer 
ſeyn. Wenn der Weg zum Heil leicht und mů⸗ 
helos zu finden ware, wie Eönnte er. faft von al 
len vernachlaͤſſigt werden? Aber alles flüge in 
ſo re als ſelten“. 

Seitdem man angefangen. Zu. Shea 
Syſtem nicht mehr fuͤr einen Inbegriff der Ruch⸗ 
loſigkeit, ſondern fuͤr ein Meifterftück des menſch⸗ 
lichen . anzuſehen, det man unter den Wor⸗ 


1 5 


Buch IV. City | 4 


ten beſſlben gewöhnlich noch einen welt tiefern 
Sinn geſucht, als ſie unmittelbar deuten, und 

iſt daher über dieſen wahren Sinn ziemlich unei⸗ 
nig geweſen. Allein ob leich der Buchſtabe dies 
ſes Syſtems zuweilen ziemlich paradox iſt, und es 
daher manchem unerklaͤrlich ſcheinen duͤrfte, wie 
Spinoza dieſes oder jenes, woͤrtlich verſtanden, im 
Eruſte behaupten konnte, ſo iſt doch einem ent⸗ 
ſchloſſenen und fuͤr ſein Syſtem eingenommenen 
Denker, vieles moglich, was Andre nicht begreifen 

koͤnnen, und es duͤrfte immer ſichrer ſeyn, bey 

dem Buchſtaben ſtehen zu bleiben, als ihm einen 
fremden Geiſt einzuhauchen ). 


5 M. vergl. ubrigens die geiſtvollen ie we 
des Spinozismus in Jakobi: Ueber die Lehre des 
Spinoza in Briefen an Mendelsſohn zte Ausgabe 
11789. Heydenreich Natur und Gott nach Spinoza 
1789. Gott. Einige Geſpraͤch e über Spinoza's 
Suyſtem von Herder ꝛte Ausgabe 1800. Sichte 
W'iſſenſchaftslebre S. 16. 45. Plattners phil, 
„Auyporiſmen S. 403, 5 KON Demi 


0 „ 


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79 kr ge} 241 


0 1 2 e e . in 
D. Sehens Sins s ward bot den un 
ſten feiner Gegner nur geläftert und als Atheiſmus 
gebrantmarkt. Verſtanden ward er nur von We⸗ 
nigen und widerlegt von noch wenigern. Die beſte 4 
Widerlegung deſſelben duͤrften wohl Lockens Un⸗ 
terſuchungen über den menſchlichen Verſtand ent- 
halten, öb ſie gleich nicht direkte gegen den — 
nozismus gerichtet waren. Sie zeigen nämlich dur 
Induktion die Entſtehung aller Begriffe aus d 
Erfahrung, und beweiſen das Ungegruͤndete der 
Behauptung von angebornen Begriffen. Der car⸗ 
teſianiſche Begriff von Gott und der „ fofnogtftifge 4 
von einer unendlichen Subſtanz aber, werden fr 
angeborne Begriffe genommen. Wenn man auch 
Lockens Herleitung aller Begriffe aus der Erfah⸗ 
rung nicht befriedigend finden kann, ſo muß man 
ihm doch zugeben, daß alle nur vermittelſt der Ers 
fahrung entwickelt werden, und daß man alſo von 
Gegenftänden von welchen keine Erfahrung moͤglich 
iſt, nichts ſo dogmatiſch behaupten duͤrfe wie die 
Carteſianer, und Spinoza von den Ideen thaten, 


die ſie ihren Syſte men zum Grunde legten. ; 
93 5 ? | 2 7 Ei⸗ 4 


Buch IV. Capitel 4. 41x 
Einen andern Beweis, welcher dem Spinoziſ⸗ 
mus und den ihm aͤhnlichen Vorſtellungsarten mit 
Erfolg entgegengeſetzt werden kann, fuͤhrte der 
Englaͤnder de Stair gegen die Behauptung: daß 
Gott alle Thaͤtigkeit in den Subſtanzen hervorbringe 
und alle Bewegung den Koͤrpern mittheile. Er 

zeigt das Gegentheil aus der Empfindung unſrer 
freywillſgen Entſchluͤſſe, und daraus, daß wir oft 
unſre Abſichten verfehlen, welches nicht geſchehen 
| ee wenn Gott unſern Willen lenkte). 
Da die Beweiſe a priori fuͤr das Daſeyn 
Gottes, wenn ſie mit vollendender Conſequenz ge⸗ 
fuͤhrt werden, leicht unvermeidlich zum Spinoziſ⸗ 
mus fuͤhren duͤrften, ſo iſt es ebenfalls fuͤr eine 
Rettung des menſchlichen Verſtandes aus dieſem 
Abgrunde des Tiefſinns anzuſehen, wenn man den 
Beweiſen à poſteriori mehr Nachdruck zu geben 
ſuchte. Da dieſe die Abzweckung der Naturwirkun⸗ 
gen auf Endur ſachen vorauſetzen ſo ſind ſie der 
Lehre des Spinoza, nach welcher keine Endurſachen 
ſtatt finden, gerade entgegen. Die richtigere Me⸗ 
thode in der Phyſik, welche Franz Bako veran⸗ 
laßte en er vun er FETTE und Ver⸗ 
E ee ſiche 
| x "®M De rn phyfiologia nova experimentalis Lugd. 
41᷑8686. Explorat III. fect. 13. Tiedemann Thl. VI- 
S. 259. 


412 Buch IV. Capitel 4. a 
ſuche, als auf vorgefaßte Behauptungen a priori 
zu bauen lehrte, und die großen Entdeckungen in 
allen Thetlen der Naturwiſſenſchaft welche das ſieb⸗ 
zehnte Jahrhundert hervorbrachte, gaben zu ſorg⸗ 
faͤltigerer und allgemeinerer Bearbeitung der aus der 
Natur geſchoͤpften Beweiſe für das Daſeyn Gottes 
treffliche Veranlaſſungen. Hierzu kam der Eifer für 
die Ehre der Naturwiſſenſchaften die man nicht 


beſſer als durch ihre Anwendung auf Theologie zu ; 


befördern glaubte. Dies erzeugte mannigfaltige, 
theils allgemeine Bearbeitungen der natuͤrlichen Theo⸗ 
logie, theils beſondre Sterntheologieen, Steintheo⸗ 
logieen, Fiſchtheologieen, Donnertheologieen und dgl. 
die ſaͤmtlich für die Theologie gut gemeint waren, 
aber doch eigentlich mehr die Naturwiſſenſchaft it 
die Religionsphiloſophie bereicherten. 

Wenn der Bewels für das Daſeyn einer hoͤch⸗ 
ſten weiſen und guͤtigen Urſache aus der Zwecke 
maͤßigkeit und Wohlthaͤtigkeit der Natur vervoll⸗ 
komnet werden ſollte, ſo kam es vorzuͤglich darauf 
an 1) daß er mit der groͤßten moͤglichſten Voll⸗ 


ſtäͤndigkeit durch die ganze Natur und alle ihre 4 


einzelnen Produkte hierdurch gefuͤhrt wurde 2) daß 
dieſes ſo viel als möglich in einer ſyſtematiſch Ord⸗ 
nung geſchahe 3) daß die Erklaͤrungen des Daſehus 
der Naturgegenſtaͤnde aus bloßem Mech ulſnus 

oder 


Buch IV. Capitel . 43 


oder blindem Zufall unmöglich gemacht wurden. | 


Am dieſe Punkte machten ſich die Bearbeiter deſ⸗ 
ſelben auf mancherley Weiſe verdient. Schon Jo⸗ 
hann Bap ſtellte in ſeinen phyſikotheologlſchen 
Betrachtungen uͤber die Schoͤpfung mancherley Be⸗ 
obachtungen auf, welche dem Mechanismus und 
Zufall in ſofern entgegenſtehen, als fie von Din⸗ 
gen hergenommen find, die leicht anders ſeyn koͤnn⸗ 
ten, als fie find, aber dann weniger zweckmäßig 
ſeyn wuͤrden, und daher nicht nothwendig ſo ſeyn 
mußten, und wobey es das groͤßte Wunder wäre, 
wenn ſie durch bloßen Zufall gerade die weiſeſte 
Einrichtung erhalten haͤtten “). Noch mehr vers 
beſſerte Samuel Parker dieſen Beweis, indem 
er das Daſeyn der Endurſachen vorzuͤglich daraus 
zu erweiſen ſuchte, daß unter unzähligen möglichen 
Einrichtungen der Welt und des menſchlichen Koͤrs 
pers gerade die zweckmaͤßigſte getroffen fey. Die 
Erde z. B. koͤnnte unzählige andre Stellen im 
Weltgebaͤude einnehmen, aber keine wuͤrde ihr ſo 
zutraͤglich ſeyn, als diejenige, welche ſie wirklich 
bat *). Es fehlt ihm indeſſen an einem be⸗ 
| ſtimmten Begriffe von e „und er bes 
. trach⸗ 
0 John Rey the Wisdom of God, nin I 
the Works of the creation. London 1691. 8. 
40) Parker difputasiones de Deo. 


414 Buch IV. Capitel 4. N 4 
trachtet den Epikuraͤismus als den einzigen Re⸗ 
praͤſentanten aller Erklaͤrung der Weltentſtehung 
durch Zufall, und begnuͤgt ſich daher damit, blos 
das atomiſtiſche Sy ſtem zu widerlegen, ſtatt zu 4 
zeigen, daß übtehaupt kein Ohngefaͤhr in 4 


ſeyn kann. 


Eben dieſe Beweisart ward durch Senelons 
eindringende Beredſamkeit in Frankreich ſehr em⸗ 
pfohlen, durch Derham in England und durch 
Nieuvetyt in Holland bearbeitet und erweitert, 
wiewohl auch fie nicht von den Fehlern frey blie⸗ 
ben, in welche ihre Vorgaͤnger fielen. Dabey 9% 
ben die Phyſikotheologen uͤberhaupt oft dadurch 
Bloͤßen, daß ſie Endurſachen ſuchten, wo keine 
ſind, fie ſelbſt hier und da willkuͤhrlich voraus ſetz⸗ 
ten, und zu ihrer Unterſtuͤtzung Erſcheinungen in 
der Natur annahmen, die man bey genauerer Un⸗ 
terſuchung als irrig erkannte. Aus einem kurz⸗ 
ſichtigen Eifer entſtanden Behauptungen der Artt 
Es ſey eine beſondre Weisheit Gottes, daß 1 
die großen Fluͤſſe an die großen Staͤdte sr | 
habe. 

Je mehr indeſſen die , Naturwiffenfihaften A 
vollkommnert wurden, deſto glücklicher wurden 
dieſe Fehler vermieden, beſonders da Maͤnner, die 
zugleich tiefe Denker und große Naturfonſcher wa⸗ 

ren, 


Buch 1. Capitel 4. | 418 


nen, nie Bonnet, Sulzer und Beiinasup „den 
Natur Beweis fuͤr das Daſeyn Gottes mit ihren 
ſcharfſinnigen Beobachtungen, und großen Kent⸗ 
niſſen unterſtuͤßten. Daher werden die aus der 
Natur geſchoͤpften Gruͤnde dem Denker jederzeit 
— eben fo ehrwürdig bleiben, als ſie fuͤr den Laien 
lehrreich und uͤberzeugend ſind, wenn auch derje⸗ 
nige, welcher andre als theologiſche Erklärungen 
der Natur und ihrer Beſchaffenheit wenigſtens fuͤr 
1 moglich hält, ihnen keine apodiktiſche ee zu⸗ 
ee Mun. 


i Fünftes Capitel. 


N 2 
} 7 ‘ 
7 


Be das Ende des ſiebzehnten Jahrhunderts 
machte ein Mann, der an Geiſt den größten Wei⸗ 
ſen des Alterthums an die Seite geſetzt werden 
kann, und an Kenntniſſen fie fo weit uͤbertraf, als er 
vermittelſt der Erfahrung von zwey Jahrtauſenden, 
die er vor ihnen voraus hatte es thun konnte, 
Teutſchland zum Hauptſißz der Philoſophie, und 
es iſt es ſeitdem geblieben, 


Der 


416 Buch IV. Capitel 3. 


Der Mann war Leibnitz. Seine Philoſo⸗ 
phie, die er nur bey einzelnen Veranlaſſungen und 
in einzelnen Auffägen vortrug ohne fie in vollſtaͤn⸗ 


digen Zuſammenhang zu bringen iſt noch nirgends 
rein dargeſtellt worden. Von ihren einzelnen Theis 


len haben ſelbſt ſeine eifrigſten Verehrer erkannt, 


daß ſie nicht neu ſind ‚, fondern daß alle den Behaupt⸗ 


tungen, welche Leibnißzen am meiſten eigenthuͤmlich 


zu ſehn feinen, Ideen älterer Philosophen zum 
Grunde liegen. Von den am meiften hieher gehö⸗ 


rigen Ideen ſagt ein Mann, der ſi ch noch ce zu 
feiner Schule bekennt: ) 


«Der mätertelle Gewinn, den bie Metaphyſik 


Leibnitzen zu verdanken hat, iſt nach meinem Urtheil, 


ſo betraͤchtlicht nicht, wie ihn einige von ſeinen Zeit⸗ 
genoſſen gemacht haben und konnte es auch nicht wohl 
ſeyn, da er ſo viele Vorgänger hatte. Der Grund⸗ 
{aß der Identitat und des Widerſpruchs, den er 
fuͤr das Fundament der nothwendigen Wahrheiten 
hielt, findet ſich bekanntlich ſchon im Arifioteles. 
Das Princip des zureichenden Grundes, wird 

allem Philofophiren vorausgeſetzt, und kommt bei 


Ä | = 
*) gen Geh. Nath Schwab in ſeiner 1 


uͤber die Fortſchritte der Metaphyſt k ſeit Leibnitz und 
Wolff in Deutſchland S. 9 f. 8 g 


3 


Buch IV. Capitel . 417 
mehrern alten Philoſophen, nur nicht in diefer ſei⸗ 
ner Allgemeinheit und Beſtimmtheit vor. Es iſt 
auch von dem Grundſaß: aus Nichts wird Nichts, 
womit faſt alle griechiſchen Philoſophen ihre Spe⸗ 
kulationen über die Entſtehung der Welt anfangen, 
wenig unterſchieden. Der Grundſaß des nicht zu 
Unterſcheidenden, den er in der Metaphyſik ein⸗ 
führte, findet ſich im Cicero, der ſich dabey auf 
die (ohne Zweifel Griechiſchen) Naturkundigen be⸗ 

ruft. Auch hat ihn Jordanus Brunus ſchon ges 

lehrt. Seine Lehre von dem Kriterium der 
Wahrheit it ganz Platoniſch und Arlſtoteliſch.— 
Von dem Cosmologiſchen Geſetze der Continuität, 
in fofern es auf die Gattungen der exiſtirenden 
Weſen geht, findet ſich zwar der Name nicht, aber 
doch ganz deutlich die Sache im Ariſtoteles. Die 
Lehre von der durchgaͤngigen Verknüpfung aller 
Theile der Welt nach Raum und Zelt iſt ſtolſch; 
nur daß ſie ſich beſſer mit der Freyheit vereinigen 
läßt. — Den ſcharfen Begriff einer einfachen 
| Subſtanz hatte er von dem Des Cartes erhalten; 


und ſo konnten ihn die Pythagoraͤer, die Eleatiker 


und Plato wohl auf den Gedanken bringen, daß 
der Korper weiter nichts als ein inen „ und 
N mn den Monaden gegründet ſeo.— Die Hypo⸗ 
5 Ügefe der vorher BES iſt nach der 
| Tu Db e Be 


48 Buch IV. Capitel 5. 


Bemerkung Moſes Mendels ſohns, eines großen 


Verehrers von Leibnizen, ſchon in einem Werke 
des Spinoza enthalten: ſie kann aber auch durch 
Combinirung der Hypotheſen des Des Cartes und 


e 
MER 
ar 
. 


1 
f 


des Malebranche uͤber die Vereinigung der Seele N 


und des Koͤrpers, entſtanden ſeyn. — Leibnitzens 
Beweis von dem Daſeyn Gottes, ſtimmt im We⸗ 


ſentlichen mit dem Sokratiſchen, dem Platoniſchen 


und Ariſtoteliſchen uͤberein, nur daß er allgemeiner 


ausgedruͤckt iſt. — Die Sache der Vorſehung 
vertheidiget er ungefaͤhr wie Plato und die Stoi⸗ 


ker, und erklaͤrt wie jener, den Urſprung des Ue⸗ 


bels. — Von ſeiner beſten Welt findet ſich joa 
gar der Ausdruck ſchon beym Thales, und Plato 


war auch hierinn fein Vorgaͤnger. Seine ſchoͤne 
Idee von einem urſpruͤnglichen, mit der Seele un⸗ | 


zertrennlich verbundenen und unzerſtoͤrbaren orga⸗ 
niſirten Koͤrper liegt ihrem Keime nach, ſchon im 


Hippokrates. — Leibnitz war auch, als ein wahr⸗ 
haftig großer Mann von der Eitelkeit uͤberall Er 


finder ſcheinen zu wollen, weit entfernt“ . 9 
Nach dieſem unpartheiſchen und wohl üben 


dachtem Urtheile eines großen Kenners der B 
Leibnitziſchen Philo ſophie duͤrften wir alſo verge⸗ 


bens etwas originelles für die Religionsphiloſophle 


in derſelben ſuchen. RR aha id a u | 


m‘ 7 
al 


> is 
8 u 
Tu ic a nt 


Buch IV. Capitel 5. 419 
auf das Leibnitziſche Syſtem großen Einfluß ges 
habt zu haben. Denn wenn die Leibnitziſchen 
Ideen uͤberall als Syſtem zu betrachten ſind, wenn 
ihnen irgend ein Hauptgedanke zum Grunde liegt, 
ſo iſt es die Idee von Gott. Denn Gott wird 
von Leibniß als die Urquelle der Monaden, mits 


bin aller Materie der: Gegenftände feiner Philos 
N ſophie; als das hoͤchſte Subjekt des zurelchenden 
SGrundes, alſo als der Grund der Form ſeiner 
ö Philoſophie; und als der Urheber der vorher be⸗ 


ſtimmten Harmonie, mithin als der Grund alles 


Zuſammenhanges unter den Vorſtellungen und 
Weſen betrachtet. Die Leibnitztſche Philoſophie 


duͤrfte alſo wenigſtens eben fo theologiſch ſeyn, als 


es die platoniſche und ſpinoziſtiſche ar. 


D.urch ſeine Theodicee, welche Leibniß zur 


f n der Weisheit und Guͤte Gottes bey 


dem Uebel in der Welt, hauptſaͤchlich gegen Ba ple 


f ſchrieb, ward er in einen Streit mit der MNew⸗ 
tonſchen Schule, mit der er ſonſt manche Streſ⸗ 


tigkeiten batte, auch in Rückſicht auf Religlons⸗ 
philoſophie verwickelt. Er betraf hauptſächlich die 


N | Newtonſchen Behauptungen, daß der Naum des 


Hr 

1 
. 
* N 


„Empfiiſdungsorgan oder Senſorlum der Gottheit, 


I. und die. Welt eine Maſchine ſey, welche von Zeit 


n Zelte von Gott ene um: müßte, r Leib⸗ f 


4 8 7 N Hu 01 ‚0 * IE * ntltz 


420 Buch IV. Capitel 3. 
nit ſetzte dieſen Behauptungen, welche von Clarke 
vertheidigt wurden, Gruͤnde entgegen, welche da⸗ 


von hergenommen waren, daß ſie auf Vorſtellungen 


führten, welche der Gottheit unwuͤrdig waren, und 


noch beſſere, durch welche er das Ungegruͤndete der 


Vorſtellungen von einem abſoluten Raume und einer 


abſoluten Zeit mit ſiegendem Scharfſinn zeigte, und 


den Grund zu einer beſſern Theorie dieſer Begriffe 


legte, als man bisher gehabt hatte. So gewann 


durch dieſen Streit die Metaphyſik im Ganzen mehr 4 


als die Religionsphiloſophie. Am wenigſten ges 
wann ſie durch Clarken, der ſich bey dieſem Streite 
nicht eben als ein großer Philoſoph zeigte, ohnge⸗ 


achtet fein Verſuch das Daſeyn Gottes zu demon⸗ 


ſtriren, ihm bey ſeinen Zeitgenoſſen vielen Ruhm er⸗ 
warb. Dieſe Demonſtration war aber im Grunde 
auch nichts anders als der von der Nothwendigkeit 
einer erſten Urſache der exiſtirenden Dinge herge⸗ 
nommene Bewei s, den noch dazu viele andre vor 


ihm ſchon beſſer gefuͤhrt hatten als er, und den vor⸗ 


züglich Leibniz, den er beſtritt ohne ihn zu verſtehen, 
durch den Saß vom er Grunde leer za 


begründen ſuchte . wann EN eit 8 zack 
Leibnitzens babecher Schiler wolff — 4 


‚feine. Ideen aan g can ei S1 


85 


5 Leibnitz Opp- 7. U. 7 1. p. * 


0 ia u R 


Buch IV. Capitel 5. | 42 


eine Claſſifikation. Die Idee von Gott blieb bey | 
ihm nicht mehr Hauptgedanke aller Theile der 


Philoſophie, ſondern er ward in eine beſondere 
Wiſſeuſchaft verwieſen, in die natuͤrliche Theologte. 
Dieſe Abſonderung, beſonders in ſo fern ſie von 
der Moral geſchah, gab nebſt mannigfaltigen Miß⸗ 
verftändniffen und Verdrehungen, den Gegnern 


Wolffs die meiſte Gelegenheit ihn anzugreifen und 


aller möglichen Irrthuͤmer, ja ſelbſt des Atheiſmus 
verdaͤchtig zu machen. Deſto forgfältiger ſuchte er 


ſie zu behaupten und zu vertheidigen. Er zeigte 
15 daher, daß der Menſch auch ohne alle Ruͤckſicht 
Rauf die Idee von Gott durch das Geſetz feiner Na⸗ 


tur verbunden ſey nach Vollkommenheit zu ſtreben, 
und daß ſelbſt der Atheiſt von dieſer Verbindlich⸗ 
keit nicht frey ſey. Etwas origenelles lehrte er in 


der Religions wiſſenſchaft fo wenig als Leibniz, aber 


allen Begriffen gab er mehr Beſtimmtheit, Deut⸗ 
lchkeit und Zuſammenhang. Er ſchaͤrfte die bishe⸗ 


| rigen Beweiſe fuͤr das Dafeyn Gottes; ſelbſt den, 


welcher vom Begriffe des allerrealſten Weſens herge⸗ 
nommen iſt. Leibniß hatte zu dieſem Beweiſe nichts 


mehr verlangt um ihn als richtig anzuerkennen, als 


, . 


daß die Moͤglichkeit eines ſolchen Weſens bewieſen 
mwmuͤrde. Dies that Wolf indem er behauptete, daß | 
5 an dem Begriffe eines Wefens, in welchem alle Reas - 


Du 3 Bu li 


4222 Buch IV. Capitel 5. 
litäten gedacht werden, gar keine Verneinung, mithin 
auch kein Widerſpruch moglich ſey. Ein Begriff 
aber der keinen Widerſpruch in ſich ſchließt, iſt moͤg⸗ 
lich, und nach Leibnitzens und wie ich glaube aller con⸗ 


ſequenter Idealiſten Meinung, iſt der Begriff des 


allerrealſten Weſens, wenn er n ae 1 
wirklich. rin 52 h 


Wolffs Hauptbeweis, und bett . | 
am innigſten mit feinem Syſtem verwebt war, war 


jedoch derjenige, welcher von der Nothwendigkeit eis 
ner hoͤchſten Welturſache hergenommen war. Er 
ſuchte um ſeinetwillen die Zufälligkeit der Welt ſtreng 


zu bewelſen, und leitete auch die Eigenſchaften Gottes 
hauptſaͤchlich aus dem Begriffe eines zureichenden 


Grundes vom Daſeyn der Welt her. Die Vorfiels 
lungen vom göttlichen Erkenntnißvermoͤgen erweitert 
er dadurch ſehr, daß er zeigte, Gott müffe ſich alle 


moglichen Welten haben zugleich vorſtellen koͤnnen, 


um einen zureichenden Grund zu haben, dieſe wirklich 
ins Daſeyn zu rufen. Er fand auch zuerſt einen 


Ausweg aus den unendlichen Verwirrungen in wel. 
che die Begriffe über das Verhaͤltniß der in dnn 
göttlichen Verſtande exiſtirenden Ideenwelt und der 
wirklichen die Religionsphiloſophie gefeßt hatten, ine 
dem er deutlicher als es bisher geſchehen war, 
eine intelligible oder Verſtandeswelt von der ſinnliͤ⸗ 


chen 


* 


P * F 
8 E 


4 


Buch IVV. Capitel 5. 1 423 


. | chen unterſchied, und unter jener die nach deutlichen | 


Verſtandesbegriffen gedachte, unter dieſer aber die 
unter den Formen der eee borgeſſalte Welt 
verſtand. ö | 
Mir ſcheint es auch Wolfen vorzuͤglich ei⸗ 
genthmig zu ſeyn, daß er den allen ungekuͤnſtelten 


. Religionsideen fo natürlichen Anthropomorphiſmus 


des gemeinen Menſchenverſtandes auch philoſophiſch 


Br: in Schutz nahm, beſonders da er es auf eine ganz 


andre Weiſe that, als es Epikur gethan hatte. Er 
behauptete nämlich wir könnten uns einen Begriff von 
Gott bilden wenn wir ihm alle guten Eigenſchaften 
der Menſchheit beylegten und fie dabey in ihm als 
im vollkommenſten Grade exiſtirend daͤchten ). 
Wolfs zahlreiche Schuͤler giengen auf dem Wege 


fort, welchen ihr Lehrer vorgezeichnet hatte und ſuch⸗ 


‚ten feine Behauptungen gegen die Angriffe des Mas 
terialiſmus und Empiriſmus welche beſonders von 
franzöͤſiſchen und engliſchen Philoſophen beguͤnſtigt 
wurden zu vertheidigen. Unter ihnen verdient befona 
ders Reimarus bemerkt zu werden, weil er jenen 


* agu, die beſonders durch die Popularität, mit 
©. Dd 4 a wel⸗ 


*) M. vergl. von Eberſteins Verſuch einer Geſchichte 
der Logik und Metaphyſik bey den Teuſchen von 


KLleibnitz bis auf gegenwärtige Zeit. Erſter Band. 
Herausgegeben von Eberhard Halle 1794. 


4424 Buch IV. Cavittl * 3 
welcher ſie vorgetragen wurden, auf das groͤßere 5 
Publikum Einfluß gewannen, ebenfalls Popularität 
entgegenſetzte, aber eine ungleich gründlichere und ed⸗ 4 
lere Popularität, Er zeigt durch feine Abhandlun⸗ 4 
gen von den vornehmſten Wahrheiten der natürliden 
Religion, daß ſich die Lehren derſelben auch durch die 4 
einfachſten und ſinnlichſten Erfahrungen über die Na⸗ ä 
tur beftätigen laſſen, wenn man fie nur mit ausge⸗ 
breiteter Kenntniß und philoſophiſchem Blicke auffaßt. 
Er ſammelte zu dleſem Endzwecke eine erſtaunens⸗ 
wuͤrdige Menge von Beobachtungen uͤber die ganze 
Natur, aus welchen ſich ſchließen laßt daß Men⸗ 
ſchen und Thiere einen Urſprung, und daß fie dieſen 
Urſprung nicht von der Welt, oder den mechanischen 5 
Kraͤften der Natur haben; daß die körperliche Welt = 
an fich leblos, und daher keiner innerlichen Vollkot 
menheit fähig ſey; daß fie folglich auch nicht f lbſt 
ſtaͤndig, ewig, nothwendig, ſondern von einem ans 
dern um eines andern willen hervorgebracht ſey; und 
daß ſich endlich Abſichten Gottes und Spuren der 
göttlichen Vorſehung in der Natur entdecken laſen.— Be: 
Unter den zahlreichen Gegnern Wolffs, verdient 1 
am meiſten Cruſius bemerkt zu werden. Er fand 
den Saß des zureichenden Grundes nicht hinläng⸗ 8 
lich zum Beweſſe fuͤr das Daſeyn Gottes und häuft 4 
daher die ey dafuͤr und führt ſelbſt die wahr⸗ 
15 


TE 


3 


N 
r en rn 2 


Bin a 


Buch IV. Capitel 5. 425 


ſcheinlichen an. Er nahm auch vorzuͤglich darauf 


Ruͤckſicht, daß es am ſicherſten ſey an Gott zu glau⸗ 


05 ben, weil dies nicht ſchaden koͤnnte, wenn auch kei⸗ 


ner waͤre, wir ihn aber durch Unglauben beleidigen 


konnten, wenn einer wäre. Durch dieſes argumens 


tum a tutiori ſucht auch fein Schüler Wuͤſtemann 


die Einheit Gottes zu beweiſen. Cruſius gruͤndete 


auch die Moral und ihre Verbindlichkeit auf den 


Willen Gottes. 


ER 


5% Einer der neueſten Wolfianer, welche 
den Ruhm dieſer Schule behauptet haben, war 


Ben 
* 


Moſes Wendelsſohn. Auch er ſuchte ſich auf 


mancherley Weiſe um die Religionsphiloſophie vers 
dient zu machen. Er behauptete, ſie habe in ihren 


SR Grundbegriffen geometriſche Evidenz und leiſte ſelbſt 
K noch mehr als die Geometrie, indem alle Eigen⸗ 
Er haften Gottes fo zuſammenhaͤngen, daß aus jeder 


alle erkennbar ſind. Dieſe geometriſche Eoidenz 

ſuchte er beſonders an dem ontologiſchen Beweiſe 
\ für das Daſeyn Gottes zu zeigen. Was nicht iſt, 
5 ſchließzt er, iſt entweder unmoglich, oder blos moͤg⸗ 
lich: im letztern Falle iſt es zufällig. Das allervoll⸗ 
kommenſte Weſen kann aber nicht zufällig ſeyn: es 
iſt alſo entweder unmöglich, oder wirklich. Allein 
unmöglich kann es nicht ſeyn, weil es keinen Wi⸗ 


M Ar 


IE 


dacht werden. Dazu wird aber ein unendlicher a 4 


"aa. Buch IV. Cable. 


derſpruch enthalten kann; Es 1 ale ae 
ſehn ). | 
In feinem Phädon gründet Mendelssohn die Ei 
Unſterblichkeit der Seele hauptſaͤchlich auf die Güte 
Gottes, welcher ſie als eine einfache Subſtanz u 
nicht vernichten werde, da er allein es nur konne. | 
In feinen Morgenſtunden welche hauptſaͤchlich 
Betrachtungen der naturlichen Theologie gewidmet 
ſind, verſucht Mendelsſohn auch einen neuen Ber 
weis für das Daſeyn Gottes zu führen. Er gruͤn⸗ 
det ſich darauf, daß alles in der Welt nicht nur 
vorſtellbar iſt, ſondern auch wirklich vorgeſtellt wer⸗ 
den muß. Denn wenn irgend ein Ding vollkom⸗ 
men vorgeſtellt werden ſoll, ſo muß es in feinem 
Zuſammenhange mit allen möglichen Dingen „ 


Verſtand erfordert. Wenn wir alſo eine Welt 71 
annehmen, ſo muͤſſen wir auch einen Verstand. 
ſetzen, der ſich alles in derſelben . das deut⸗ 
lichſte vorſtellt. 9 
Nicht viel gluͤcklicher als dieſer Beweis dürfte - 7 
die Widerlegung des Spinozismus ſeyn, welche BE 5 
Mendelsſohn in eben dieſem Werke verſucht. Denn 
f ie 1 57 Huftfachlg Wem hinaus, meh er Lücken 
1 


9 Mendel s ſohn Abhandlung über die Evidenz nden 
phil. Schriften Band L 


* 


* 


Buch IV. Capitel 5. 427 
in dieſem Syſteme zu zeigen ſucht, die man bey 
genauerer Aufmerkſamkeit entweder wirklich gefüllt 
findet, oder von denen es ſich doch nicht erweiſen 
läßt, daß fie nicht gefüllt werden Fönnten. Die 
größte Schwierigkeit im ſpinoziſtiſchen Syſteme iſt 
unftreitig, daß durch daſſelbe die Möglichkeit des 
Selbſtbewußtſeyns nicht nur nicht erklaͤrt wird, 
ſondern ſogar aufgehoben zu werden ſcheint. Hier⸗ 
5 auf machte Mendels ſohn vorzuͤglich aufmerkſam. 
Es iſt indeſſen kein Syſtem hierinn viel gluͤcklicher. 
D.urch Mendelsſohn und eine Streitigkeit, 
welche ſich zwiſchen ihm und Jakobi über gewiſſe 
Aeuſſerungen Leſſings, durch welche er ſich noch 
kurz vor ſeinem Tode zum Spinozismus zu beken, 
nen ſchien, erhob, ward dieſe Philoſophie, welche 
1 den tiefſten Grundlagen der Religions philoſophie ſo 


nahe angeht, von neuem zur Sprache gebracht. 
900 Mendelsſohn, Jakobi, SHemſterhuis, Ser— 


der und Heidenreich, entwickelten in ihren bey 
dieſer Gelegenheit geſchriebenen Schriften, viele 
hoͤchſt ſcharfſinnige, wichtige und tief eindringende 


Ideen, über das Weſen und die Grundlagen der 


religioͤſen Begriffe, welche viel dazu beygetragen 
haben, den Ideen der kritiſchen Philoſophie uͤber 
Religion den Weg zu bahnen, und die bisher fo 
fie ee Lebre Spinozas in ein beſſeres Licht 
18 | zu 


428 Buch IV. Capitel 5. | 


zu feßen, Aus den Jakobiſchen Meinungen hat 


man das Reſultat gezogen: „daß die Vernunft 


nur zu Zweifeln und Irrthuͤmern in den wichtigſten f 


Gegenſtaͤnden des Denkens leite, daß der Spino⸗ 


zismus noch das conſequenteſte Syſtem der Ver⸗ 


nunft ſey, daß alle wahre menſchliche Erkenntniß 
auf Glauben und der Glaube auf Offenbarung 
beruhe“. Mendels ſohn verſtand unter dieſem Glau⸗ 


ben den chriſtlichen, und glaubte Jakobt habe ihn 


dazu bekehren wollen, nur etwas feiner wie es 
Lavater einſt thun wollte. Wizenmann hat ins 
deſſen gezeigt, daß Jakobi unter dem Glauben einen 
natürlichen und keinen uͤbernatuͤrlichen verſtanden 
habe; Jakobi hat es beſtaͤtigt; und die kritiſche Phi⸗ 


loſophie hat einen moraliſchen Glauben ans Licht ge⸗ 
bracht, der wenigſtens ein Wen des cen, 


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5 Sich lies Erpitel 


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4 : 1140 115 


ze: eine Vertheidigung des Glaubens, aber nicht 


ar ſowohl des naturlichen als des uͤbernatuͤrlichen, ſuch⸗ 


ten die erſten in der langen Reihe von Skeptikern 


welche neben den Dogmatikern. der neuern Philoſo⸗ 


phie gleichzeitig hinlaͤuft, ihren Skepticiſmus zum 
Theil im Ernſte, zum Theil aber auch wohl nur 
um ſich vor gefährlichen elgen zu ſichern, binaus⸗ 
After. 
| La WMothe le De ſuchte aus der Ver, 
| fötedenhei. der Religionen zu zeigen, daß die Vers 
5 nunſt in Anſehung der Religiou nichts Gewiſſes ent⸗ 
ſcheiden koͤnne, und daß die Skepſis, zu der er ſich 
in jeder Rückſicht, nur nicht in Abſicht anf die ehriſt⸗ 
liche Religion bekannte, den Geiſt am beſten zu der⸗ 
ſelben vorbereiten und der Geheimniſſe des Glaubens 
faͤhig machen koͤnne, welcher der Magnet ſey, der 
unſerm n de Pole der We Gnade ei 
zn. 

Huet, der PER FRE; vorzüglich ges 
up die zu feiner Zeit entſtandene Carteſianiſche Phi 
e richtete, behauptete ebenfalls daß der Menſch 
| * | | nicht 


430 Buch IV. Capitel 6. 

nicht gewiß wiſſen könne, ob feine Kenntniß wird 
lich mit den Objecten uͤbereinſtimme. Er gab ins 
deſſen zu, daß Gott die Objekte nach der Wahrheit 
erkenne, daß er daher auch allein bey den Men⸗ 
ſchen auf eine übernatürliche Art den Glauben wirken 


koͤnne, welcher dasjenlge gewiß macht, was nach der 


Vernunft ſehr ungewiß iſt. Da er den Glauben als 
uͤbernatuͤrliche Wirkung anfahe, fo hatte er nicht 
nöthig zu zeigen, wie er ſelbſt i werden 
konne. 

Auch Peter Baple wollte merkaftehe das Ans 
fehen haben, als ob er feinen Skepticiſmus nur bis 


an die Grenzen der geoffenbarten Religion erſtrekte. ; 
Denn in dem fo berühmt" gewordenen Artikel ſeines 


Woͤrterbuchs über die Manichaͤer, behauptet er, daß 


dieſelben nur durch die Autorität der Offenbarung des h 1 


Irrthums überführt werden koͤnnen. Er ſucht zu 


zeigen, daß die Erfahrung mehr für das Daſebn el 
nes böfen Princips neben dem Guten, als wider 


daſſelbe ftreitet, giebt aber doch zu, daß der Manſ⸗ 


chäiſcnus durch Gründe a priori widerlegt werden 
könne. Ueberhaupt ſcheint feine Vertheidigung dieſer 
alten Meinung die Aufmerkſamkeit nicht zu verdienen, 7 
welche fie erregt hat. Er räumt auch ſonſt dem Glau⸗ 
ben überall eine große Autorität ein, wo er die Ver⸗ 


* * macht, doch * ein ſo heller 
75 N 


8 * de r 
— r en FR 


2 
7 1 5 N / 8 ) m 


Buch IV. Capitel 6. 431 
ö Kopf wie er war, unmoͤglich haben glauben zu koͤn⸗ | 


| nen, daß es dem Glauben zum Vortheil gereiche, wenn 


manche Theologen in England die Sache des 
Glaubens damit gegen die Freydenker bertheidigen 
zu müuͤſſen glaubten, daß ſie die Einfichten . der 


13 er ihn mit den evidenteſten Wahrheiten in Widerſpruch 
g zu ſetzen ſuchte. Er ſcheint ſich indeſſen in ſeinen Mei⸗ 


nungen überhaupt nicht gleich geblieben, und wenig⸗ 
ſtens zuweilen gegen die Religion uͤberhaupt kaltſin⸗ 


nig geweſen zu ſeyn. Denn obgleich ſeine Behaup⸗ 
tungen in ſeinen Gedanken uͤber die Cometen, daß der 
Altheiſt tugendhaft und der Gläubige laſterhaft ſeyn 


koͤnne, und daß Atheiſmus nicht ſchlimmer als aber⸗ 


glaͤubiſche Religion ſey, ſehr richtig ſind; fo wird 
doch die, daß ein Staat von Atheiſten ganz gluͤcklich 


und ſicher ſeyn koͤnne, von jedem warmen Verehrer 
der Religion bezweifelt, und die, daß die Religion auf 
die Sitten und Charaktere der Menſchen keinen es 


ßen Elufluß habe verworfen werden. 


IN 1 99 — 1 
‘ Ernſtlicher war es unstreitig gemeint, n wenn 


1 Vernunft in Religlonsſachen fo tief als moglich 


berabfeßten. Sie trafen indeſſen hierinn wieder 
mit denjenigen zuſammen, welche die Freydenkerey 


| am weiteſten trieben, und ihren Skepticismus 
nicht Aion. ‚auf Offenbarung ſondern auf Religion 
üben 


„ 


a 


432 Buch IV. Capitel 6. 


überhaupt ausdehnten, wie Tindal, Shafts⸗ f 


bury, Bolingbrocke, Chubb und andre thaten. 
Ein König, welcher die Mitte des achtzehn⸗ 


ten Jahrhunderts verherrlichte, und ſehr viel für 


die Welt that, ſcheint ſehr geneigt geweſen zu 


ſeyn, der Ideenwelt eben fo viel Abbruch zu thun, 
als er der wirklichen Vortheile ſtiftete. Friedrich, 


dem kein philoſophiſches Syſtem voͤllig Gnuͤge lei⸗ 
ſtete, verwarf zwar den Atheismus des Syſteme 
de la nature mit Eifer und Nachdruck, verband 


aber doch die Idee von der Gottheit, welche er 


* 


gegen daſſelbe vertheidigte, weder mit Glauben an 
die Vorſehung noch an Unſterblichkeit der Seele. 


Den Begriff eines Geiſtes hielt er für ganz um 


verſtaͤndlich und widerſprechend. Er verſammelte 


einen Hof von Männern um ſich, welche die größe 2 
ten Philoſophen zu ſeyn glaubten, und es vielleicht 3 


hätten werden koͤnnen, wenn ſie nicht noch mehr 
darnach geſtrebt hätten, die witigſten Koßſe zu 
ſeyn oder zu ſcheinen. Voltaire, unſtreilg der 


größte Kopf unter ihnen, griff die poſi tive Reis 1 
gion mit dem beiſſendſten Witze an, und verſcheüte 8 


auch nicht immer die natürliche. Beſoners! nachte 0 


er Leibnitzens Lehre von der beſten Welt zum er 
genſtande ſeines Spottes in dem Helden feine 


mans 5 Canide, „den er die ganze Welt durch en | ö 
laͤßt, 4 


Buoch IV. Capitel g. 433 


ute, „um alle moͤglichen Uebel aufzuſuchen, welche 
die Meinung ſeines Lehrers Pangloß, daß die 
Welt die beſte ſey, widerlegen ſollen. Da die 
Philoſophie das Lächerliche nie hat als einen Pro⸗ 
bierſtein des Wahren anerkennen wollen, ſo kann 
auch die philoſophiſche Geſchichte entuͤbrigt ſeyn, 
die Art wie Voltaire mit der Philoſophie um⸗ 
gieng, zu referiren, da ihr ohnehin keine feſten 
Principien zum Grunde lagen. Mehr blieb ſich 


la Mettrie gleich, der alles Geiſtige aus Mecha⸗ 


— 


nismus und Organismus herleiten wollte, ohne 
Kenntniß genug davon zu haben, um nur das 


koͤrperliche befriedigend daraus zu erklaͤren. In⸗ 


deſſen bekannte er noch vor ſeinem Tode nicht ans 
Ueberzeugung geſchrieben zu haben. Maupertuis 


vielleicht der gruͤndlichſte unter dieſer vielwiſſenden 


Geſellſchaft, und eben darum oft der Gegenſtand 


des Spottes der Uebrigen, war zwar mit dem 
Pkhyſikotheologiſchen Beweiſe für das Daſeyn Gots 


tes unzufrieden, und wollte keine Endurſachen in 
der Natur anerkennen. Er glaubte aber einen 


andern Beweis an deſſen Stelle ſetzen zu konnen, sr 
indem er ein allmächtiges und allweiſes Weſen 

voraus ſetzte, und aus demſelben die Geſetze der f 
ö Bewegung a priori ableiten wollte. Da er nun 
0 N Bor Bewegungsgeſetze a poſteriori in der Natur 
Br. Ee fand, 


3 


334 Buch IV. Capiti6, 


fand, ſo überzeugte er ſich dadurch von dem Daß 
ſeyn Gottes. Andre, als d'Argens und d' Alem⸗ 
bert, wollten hoͤchſtens den Schein haben der Au⸗ 
torität ihrer Kirche manche Lehren der Religlons⸗ 
philoſopie zugeſtehen, die ſie der Vernunft ab⸗ 
laͤugneten. Der letztere war nebſt Diderot der 
vornehmſte Verfaſſer und Unternehmer der Ency⸗ 
elopädie, in welcher man, fo wie der Verfaſſer des 


Syoſtems der Natur, durch Materialismus alle 


Religion zu verdraͤngen ſuchte, aber dabey ſo ſeicht 
zu Werke gieng, daß man in ganzen Artikeln die 
Schriften religiöfer Schriftſteller z. B. Bonnets 
ausſchrieb, und nichts daran aͤuderte, als daß man 
an die Stelle von Gott, die Natur, und fuͤr das 


8 Wort, Vorſehung, allgemeine Geſetze, feßte. Dis | 


derot behauptete zwar öffentlich, Gott nicht zu ken⸗ 


nen, ſuchte aber doch Gruͤnde dafuͤr auf, daß ihm 


Gott verzeihen werde, feine Exiſtenz gelaͤugnet zu 
haben. Mit dem meiſten Scharfſinn wußte Hel⸗ 
vetius alle Wirkungen der Seele auf ſinnliche 
Empfindungen zu reduciren, und dadurch einen 
Materialismus zu etabliren, wodurch er Moral 


und Religion ungewiß machte. — Der Materias 


lismus ſcheint auf den erſten Anblick gründlicher 


zu ſeyn als der Spiritualismus, weil jener ſo welt 


als moglich auf Erfahrungen baut, dieſer aber 
| 1 a | nur 


Dur. ewt s 


mur zu leiht zu verborgenen Ursachen ſeine Bun 8 


flucht nimmt, wo es nur an feiner Truͤgheit lag, 
daß er keine ſichtbaren entdeckte. Er wird aber 
nie zu einer befriedigenden Erklarung aller geiſti⸗ 
gen Phänomen durchgefuhrt werden konnen, und 
daher immer ein unvollſtaͤndiges Syſtem bleiben. 
Daher ſahen ſich auch die groͤßten Kenner der Na⸗ 
tur gensthigt, den Spiritualismus mit dem Mas 
dterialismus zu verbinden, wie Bonnet that, oder 
ire Syſteme unvollendet zu laſſen und fi) dem 
Skepticismus zu uͤbergeben. | 
R Unter den franzoͤſiſchen Schriſtſtellern, ole 
die Philoſophie mit Aumuth und Beredſam keit 
vortrugen „und einen großen Ruhm erwarben, 
zeichnet ſich Rouſſeau, fo wie durch vieles andre, 


auch dadurch aus, daß er nicht allein die natür⸗ 


liche Religion, ſondern auch das relnere Chriſten⸗ 


thum vertheidigte, welches er als eine natürliche 1 


Religion betrachtete. Um einen beſondern aber 
vorzuͤgtich wichtigen Gegenſtand der Religious phi⸗ 
laoſophie machte ſich Necker verdient, indem er 
1 über den Einfluß religiöfer Meinungen auf den 
Staat ſchrieb und ihre Wichtigkeit für den ſelben 


zeigte. Der neuſte politiſche Atheismus der 


Franzoſen iſt nur wenig mit philoſophiſchen Grüns 
den nn, worden. Doch haben Dupuis und 
* Ee 2 5 Des 


436 15 | Buch IV. Capitel 6. 


Delaulnaye mit vielen unerwieſenen Behauptun⸗ 
gen alle Religionsideen aus aſtronomiſchen und 
phpſiſchen Begriffen abzuleiten geſuchtt. 
Ein Skeptiker den man in Frankreich für zu 
religioͤs hielt, und in England des Atheismus be⸗ 
ſchuldigte, deſſen Skepticismus aber auf die Phi⸗ 
loſophie in Deutſchland vielen Einfluß hatte, war 
ume. Er betrachtete die Erfahrung als den | 
Grund aller menſchlichen Erkenntniß, aber als 
einen ungewiſſen Grund. Alle allgemeinen Saͤtze 
betrachtete er als Folgerungen aus der Erfahrung, 
welche durch die Gewohnheit eine und dieſelbe 
Wahrnehmung oft zu machen, gebildet werden. 
Dies gilt insbeſondre von dem Satz, daß Urſa⸗ 
chen und Wirkungen in beſtaͤndiger Verbindung 
mit einander ſtehen, welchen er davon ableitet, daß 
wir eine ſolche Verbindung oft wahrzunehmen ger 
wohnt ſind, und uns dadurch jenen Satz gebildet 
haben. Er verwarf daher ſchon darum den phy⸗ 
ſikotheologiſchen Beweis fuͤr das Daſeyn Gottes, 5 
weil er ſich auf den Saß der Cauſalitaͤt gründet. 
Hierzu kommt, daß die Verbindung, welche wir 
zwiſchen Gott und der Welt als Urſache uud Wir⸗ | 
kung annehmen, nicht einmal Sache der Wahrneh⸗ 


mung und Gewohnheit iſt, wie in andern Fällen, 
wo wir den Satz der Caufalität anwenden. Auch 


be⸗ 


Buch V. Capitels. 437 


beſtriu er 0 Theiſten von der Seite, daß ſie in 
ihren Begriff von Gott gewoͤhnlich noch weit mehr 


hineinlegen, als fie aus der Beſchaffenheit der 


Welt als feiner Wirkung betrachtet folgern koͤnnen. 
Denn die Menſchen legen oft Gott ihre eigenen 


Abſichten und Maximen unter. Hume haͤlt daher 


die Vergeltung in einem kuͤnftigen Zuſtande für u 


eben fo ungewiß, als die Exiſtenz Gottes. Denn 
entweder beweißt ſchon die Erfahrung, eine ver⸗ 
geltende Gerechtigkeit, — dann iſt ſie befriedigt, 
oder nicht, — dann iſt kein Grund da, ſie zu be⸗ 
welſen, weil alle Wahrheit blos aus der Erfah⸗ 
rung gefolgert werden kanu. Aus einem voraus⸗ 
geſetzten, oder über die Folgerungen aus der Erfah⸗ 
rung hinaus ausgedehnten Begriffe von Gott er⸗ 


laubt Hume nicht auf eine künftige Vergeltung zu 


ſchlie ßen. 


Hume war übrigens nicht gerade zu Gegnern 


der Religion, ſondern nur Skeptiker. Er hatte 
g Achtung für den reinen Deismus als eine eble und 
erhabene Idee, und vertheidigte ihn ſelbſt in Frank⸗ 
reich gegen die Encyclopaͤdiſten. Da wo er alle Res 
ligion zu zertruͤmmern ſchien, verwies er auf den 


— 


7 


Offenbarungsglauben, den er jedoch ebenfalls, wes 


nigſtens in ſo fern er ſich auf Wunder ſtuͤtzt, wan⸗ 
kend zu machen ſuchte In ſeiner naturlichen Ges 
Fe. 3 ſchichte 


Bw 
1 ’ 


438 Buch IV. Capitel 6. 
ſchichte der Religion ſucht er den Urſprung der Re 
ligion aus der menſchlichen Natur zu erklaren. Er 


phaͤlt den Polytheiſmus für die erſte Religion und 


leitet den Deismus aus demſelben ab. Von dem 
reinen Deismus ſpricht er mehrmals mit großer 
Achtung als von einem ſehr vernünftigen Syſtem 
welches dem Menſchen ſeine ganze Wuͤrde fuͤhlbar 
machen konne. Nur geſteht er ihm wenig Einfluß 
auf die Moralitaͤt zu, macht aber deſto mehr auf 
die ſchaͤdlichen Wirkungen fanatiſcher und aberglan 

bifcher Religionen aufmerkſam. | 
Aus Humes Dialogen über die aatörliche Re⸗ 
ligion, welche übrigens die ſchon angeführten Mei⸗ 
nungen enthalten, zieht ein treflicher Kenner feiner 
Philoſopheme *) das Reſultat: Wir koͤnnen zwar 
nicht wohl ohne alle Religion ſeyn, aber ſobald wir 
ſie nach ihrem Fundamente und nach ihren Wir⸗ 
kungen philoſophiſch unterſuchen wollen, ſo ſtellen 
ſich uns unwiderlegliche Einwuͤrfe dar, und der 
Glaͤubige meint nur mehr zu glauben, als der 
Zweifler. In ſeinen moraliſchen Verſuchen ſchloß 
Hume die Religionspflichten ganze aus, und ſuchte 
insbeſondre zu beweiſen, daß der Selbſtmord eben 
| er ſo 
) Stäudlin in der Geſch d. Skeptielsmus Thl. II. 
S. 2 4. die überhaupt über dieſen * Abſchnitt 

zu ee iſt. 


Buch IW. Cmwit 6 439 N 5 


ſo wenig eine Verletzung unſrer Pflichten gegen . 


Gott als gegen andre und gegen uns ſelbſt ſey. 
Humes Grundſaͤtze fanden in England manche 


Anhänger aber noch weit mehr Gegner. Veſon ? 


ders eher ihn Reid, Beattie und Oswald 
aus dem Geſi chtopunkte des gemeinen Menſchen⸗ 
verſtandes zu widerlegen. Der letztre, ohngeachtet 5 
ſein heftiger dogmatiſcher Ton nicht faͤhig war eiuen 
ſo feinen Skeptiker wie Hume zu widerlegen, ent⸗ 
wickelt ſehr gut das naturliche und dem gemeinen 
Menſchenſi nn „dngemeffehe des Theismus. Die 
Eriftenz Gottes haͤlt er fuͤr eine heitige und zu 
leicht ſi ch barbietende Wahrheit, als daß fie dem 
Ratfonnement der Menſchen unterworfen werden 
ſollte. Er hält es für ſchaͤdlich einen Beweis von 
etwas zu verſuchen was jedem von ſelbſt evident 
ſeyn ſollte. Jeder nicht ganz unwiſſende Menſch, 
meint er, werde auch die Eigenſchaften Gottes aus 
der ſichtbaren Harmonie des Univerſums erkennen 
und bey dem Glauben an Einen Gott bleiben, bis 
er einen Grund ſieht, zu vermuthen, daß mehr 
als Einer exiſtirt. Prieſtley ſuchte zu zeigen, 
daß Humens Gegner die Natur des geſunden Ver⸗ 
ſtandes nicht recht begriffen haͤtten, griff ihn aber 


ſelbſt noch lebhafter an, und vertheidigte die Re⸗ 


philoſophiſcher Heftigkeit. 
Ee 4 Sie, 


440 Buch IV. Capitel 7. 


ui 


Zr 


| Mamas) n 
Sisbentel. Cepizte . 


8 


Nie b ir wohl eine Pbüsſophie he Beötefrfen. 
ihres Zeitalters in dem Grade entſprochen wie die 
kritiſche. Als ſie auftrat, fand ſie große N 
tigkeit bey mittelmaͤßigen und ſchlechten, Ungewiß⸗ 
heit und. Zweifelſucht bey den beſſern, und den 
Wunſch nach befriedigendern Unterſuchungen über die 
Urquellen unſrer Erkenntniſſe als man bis her ge⸗ 
macht hatte, bey den beſten Koͤpfen. Viele ſchwank⸗ 
ten zwiſchen Meinen, Glauben und Ueberzeugtſeyn 
ungewiß hin und her, und niemand konnte willkome 
mener ſeyn als Rant der ihnen zu weiſen unter: 
nahm, wie weit fie auf jedem dieſer Weege gehen 
duͤrften. Die menſchliche Ideenmaſſe ſchien das Salz 
der kritiſchen Philoſophie ſehr zu bedürfen am. für, 
Faulheit bewahrt zu werden z Es iſt frech, 
Schade, daß ſie in einzelnen Theilen dadurch ver⸗ 
ſalzen worden iſt; Aber die erregte Gaͤhrung wel⸗ 
che immer weiter fortgeht, wird wohl noch Alles 


“ 
— 


in das richtige Verhältnig bringen. eee, 


Die kritiſche Philoſophie ſchlleßt ſich an alle 
vorhergehende Philoſopgeme von dieſer oder von 


ſtell t. 


Buch IV. Capitel 7. Mar 


jener Sete an. Ste ſichert ber Popufarpbilsfes 


phie und der demonſtrativen Methode ihre Rechte 
indem ſie jeder ihre wahren Grenzen anweißt. Sie 
bahnt dem Forſchen den Weg, ſo weit durch dafs 
ſelbe etwas zu erreichen iſt und macht jenſeits des 
Gebiets der Naturforſchung den Glauben zur Pflicht. 
Der tiefere Denker aber wird ſie unſtreitig am 
liebſten da erwarten, wohin ihn Humens Skepti⸗ 
cismus geſtellt hat und die Belehrung bey ihr 
daruͤber ſuchen, ob die Erfahrung wirklich die ein⸗ 
zige Quelle der menſchlichen Erkenutniß ſey und wie 
ſie es ſey? Sie ſchlaͤgt zu Beantwortung dieſer 


Fragen einen ſehr ſichern Weeg ein, indem ſie die 


Produkte der Erfahrung von den Vernunftideen 
forgfältig abſondert, die Elemente der Erfahrung 
ſelbſt aufſucht, und ſie einzeln betrachtet als die 
vorzuͤglichſten Meents der Philoſophie auf⸗ 


Man 3 über einzelne Behauptungen mit 


1 
der kritiſchen Philoſophie noch fo uneinig ſeyn; die⸗ 
n Weg den Werth der menſchlichen Erkenntniß 


An insbeſondere der Erfahrungskenntniß zu er⸗ 
forſchen, wird man jederzeit für den richtigſten ers 


kennen muͤſſen, und die Philoſophie wird künftig 


immer wieder auf denſelben zuruͤckkehren, wenn 
ſie ſich auch noch ſo oft von ihm verirren 
ſfollte. Ein eigentliches philoſophiſches Syſtem, 


wenn darunter eine Erklärung der geſamten menſch⸗ 
lichen Erkenntniß aus einem gemeinſchaftlichen 
runde oder Geſichtpunkte verſtanden werden ſoll, 


iſt indeſſen auf dieſem Wege zu erreichen nicht moͤg⸗ 


lich; denn bey der gelungenſten Durchfuhrung der 
kritiſchen Philoſpheme Ffuͤhren fie nirgends anders 
als dahin, zu zeigen, * die Erfahrung daun 
N e 5 


44% Buch IV, Capitel 7. 
der menſchlichen Erkenntniß ſey. Die 
ſelbſt aber iſt etwas hoͤchſt mannigfaltiges und kann 
nicht die einfache Grundlage eines Syſtems wer⸗ 
den. Verſteht man dagegen unter einem philoſo⸗ 
phiſchen Syſtem eine vollſtaͤndige Ableitung und 


Erklaͤrung der Quellen der menſchlichen Erkenntniß, 
gleichviel ob aus einem oder aus mehrern Princl⸗ 


pien, ſo kann die kritiſche Philoſophie allerdings 
darauf Anſpruch machen. Die letztre Erklärung 
eines Syſtems duͤrfte auch wohl leicht die richtigſte 
ſeyn, da es immer noch nicht ausgemacht iſt, ob 
nicht ein Syſtem im erſten Sinne, als Ableitung 
alles Wahren aus einem gane eee Pues 
cip, eine Chimaͤre ſey. | 

Um uͤber die Realität der wenſchlchen Reli, 
gionstdeen zu entſcheiden, werden in der kriti⸗ 
ſchen Philoſophie ihre Quellen mit eben der Un⸗ 
partheilichkeit unterſucht, wie die Quellen aller uͤbri⸗ 
gen Begriffe. Kant war ſchon zuvor, ehe er fein 


großes kritiſches Werk in dem Umfange unternahm, f 


in welchen es die Critik der reinen Vernunft bears 
beitet, von der Unzulaͤnglichkeit der gewoͤhnlichen 
Beweiſe fuͤr das Daſeyn Gottes uͤberzeugt, glaubte 
aber doch daſſelbe daraus demonſtriren zu koͤnnen, 


daß die Moͤglichkeit aller denkbaren Dinge ein 


ſchlechterdings nothwendiges Weſen voraus ſetze, 
das er Gott nannte, und aus deſſen Begriffe er 
auch die vorzuͤglichſten Praͤdikate der Gottheit ab⸗ 
leiten zu koͤnnen glaubte. Auf dieſen Beweis, den 
er zuvor fuͤr den einzig moͤglichen gehalten hatte, 
nimmt er in feinen ſpaͤtern kritiſchen Schriften gar 
keine Ruͤckſicht. Es ſcheint jedoch, als ob der Be⸗ 
griff der demſelben zum Grunde liegt, derſelbe fen 
welchen er in der Eritik der reinen Vernunft als l 
as 


r 


* 
— — 3 . * 
.... K ˙ nn re ͤͤ—— en 


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N 


— — 3 = er 


N . 


Buch IV. Capitel7. 4 


das wn Ideal entwickelt, woraus das 0 


Denkvermoͤgen den Stoff der Moͤglichkeit aller 


Dinge hernimmt, wovon er aber zeigt, daß dabey 
nur die Idee deſſelben, nicht aber ſeine Wirklich⸗ 
keit oder Exiſtenz vorausgeſetzt werde Er nimmt 
daher den ontologiſchen, cosmologiſchen und 
phyſikotheologiſchen Beweis fuͤr die einzigen an, 


welche man für das Daſeyn Gottes zu führen verfus 


— 
— 


chen kann. Den erſten widerlegt er mit der ſchon oft 
gegen denſelben gebrauchten Einwendung, daß die 
Exiſtenz keine Realität ſey, und mithin in dem 
Begriffe des allerrealſten Weſens nicht liege. Den 
zweyten damit, daß der Schluß vom Daſeyn einer 
Wirkung auf eine Urſache nur in der Sinnenwelt 
gelte, man aber nicht vermittelſt deſſelben auf das 


Daſeyn eines Weſens auſſerhalb der Sinnenwelt 


— 


und der Erfahrung kommen koͤnne. Er zeigt ferner 


daß die Unmoͤglichkeit einer unendlichen Reihe von 
Urſachen, ſich nicht einmal in der Sinnenwelt, viel 


weniger aber uͤber dieſelbe hinaus erweiſen laſſe, 
und daß es alſo eine falſche Selbſtbefriedigung der 
Vernunft ſey, bey einer erſten Urſache ſtehen zu bleis 
ben. Endlich macht er auf das Unerweisliche der 


Verbindung der ſchlechthin nothwendigen erſten Ur⸗ 
ſache mit dem Begriffe des allerrealſten Weſens 
aufmerkſam. Gegen den phyſikotheologiſchen 
Beweis zeigt Kant, daß wir doch nur eigentlich 
aus der von uns ſelbſt beobachteten Ordnung und 
Zweckmaͤßigkeit der Welt, auf das Daſeyn eines 
weiſen Urhebers derſelben ſchließen koͤnnen. Da 
aber dieſe unſre Beobachtungen nur einen kleinen 
Theil der Welt betreffen koͤnnen, und mithin ſehr 
eingeſchraͤnkt ſeyn muͤſſen, ſo koͤnnen wir uns nach 
Ben nur einen eingeſchraͤnkten . von 11 
a r⸗ 


444 BuhlV. Cavite 7. ? 


Urheber derſelben bilden, und. find ni 

daraus auf ein Weſen von uueingefäpränbtee Voll 
kommenheit zu ſchließen. Wir muͤſſen ferner das 
bey voraus een, daß jene Ordnung und Zweck⸗ 
maͤßigkeit in der Welt nicht nothwendig ſondern 
zufällig fey, und alſo den phyſikotheologiſchen Bez 
weis mit dem cosmologiſchen verbinden, welcher 


wieder mit dem ontologifihen in Verbindung ſtetht; 


daher die Einwuͤrfe, welche gegen einen von dieſen 
Betwelſen gemacht werden koͤnnen, gegen alle gelten. 


In der Critlk der reinen Vernunſt wollte Kant 


wie er ſagt, zwar nicht mit der Vernunft daruͤber 
chikankren, daß bey dieſem Beweiſe Naturprodukte 
mit Kunſtwerken verglichen werden; in der Eritik 
der teleologiſchen Urtheilskraft zeigt er jedoch daß 


dieſe Beurthellungsart der Naturprodukte blos ſub⸗ 5 
jektive Gültigkeit habe, und daß wir alfo daraus 
nicht auf das objektive Verhaͤltniß der Natur zu ei⸗ 


nem hoͤchſten dieſelbe nach Zwecken und Abſichten 
einrichtenden Verſtande ſchließen koͤnnen. Hieraus 


ergiebt ſich alſo, daß dieſe Bewelsart blos von e E f 


jektiver Gültigkeit iſt. Fr 

Uleebrigens zeigt Kant mit der tiefſten Gründ⸗ 
lichkeit, daß der Begriff eines allervollkommenſten 
Weſens als der oberſten Welturſache ganz und gar 


keinen Widerſpruch enthalte, und alſo der Athels⸗ 


mus gar nichts in der Vernunft gegruͤndetes fuͤr 2 
habe. Das Dafegn Gottes bleibt nach dieſen Bes 


krachtungen eine hoͤchſt vernuͤnftige Hypotheſe, 4 


welche ein großes Intereſſe der ſpekulativen Vernunft 

fluͤr ſich hat. Eine ſolche Vorausſetzung kann der 

Vernunft jederzeit nuten, und doch niemals ſcha⸗ 
den. Nur iſt fie als ein regulatives Princip zu 

Han nach welchen wir die Data der Erfah⸗ 

| zung 


- 


Buch IV. Capitel 7. 443 
rung beurtheilen, nicht aber als ein conſtitutives, 
nach welchen wir Behauptungen wagen, zu welchen 
uns die Erfahrung nicht berechtigt, weil wir ſonſt 
leicht in den Fehler der faulen Vernunft, welche 
mit Vernachlaͤſſigung der Beobachtungen immer fos 
gleich zu uͤbernatuͤrlichen Urſachen ihre Zuflucht 
nimmt, oder der verkehrten Vernunft, welche vor- 
aus ſetzt was bewieſen werden ſoll, verfallen koͤnnen. 
Die ſpekulativen Beweiſe für das Daſeyn 
Gottes verlieren alſo keinesweges, wie man oft 
behauptet hat, durch die critiſche Philoſophie gaͤnz⸗ 


lich ihre Guͤltigkeit. Sie werden blos von den 


An ſpruͤchen auf apodiktiſche Gewißheit, auf das 
Anſehn von Gruͤnden fuͤr eine hoͤchſt vernuͤnftige 
pere verwieſen. | 
Man kann es indeſſen in ſpekulativer Ruͤck⸗ 

ſecht dahin geſtellt ſeyn laſſen, ob man dieſe Hy⸗ 
potheſe machen will oder nicht. So wuͤrde die kri⸗ 
tiſche Philoſophie wenigſtens den Indifferentismus 
beguͤnſtigen. Allein dieſem koͤmmt Kant dadurch 
zuvor, daß er zeigt: der Menſch habe ein großes 
praktiſches Intereſſe das Daſeyn Gottes voraus⸗ 
zuſetzen. Er zeigt daß die Vernunft praktiſch ſey, 
und ein hoͤchſtes Sittengeſetz fuͤr die menſchlichen 
Handlungen enthalte. Dieſem Geſetze ſoll der Menſch 
unbedingt gehorchen. Allein es ſteht oft den Neigun⸗ 
gen und Trieben nach Gluͤckſeeligkeit entgegen. Diefe 
Triebe wuͤrden gegruͤndeten Anſpruch darauf machen 
koͤnnen, daß der Menſch nach ihnen handeln ſolle, 
wenn die Vernunft nicht die Voraus ſetzung des Da⸗ 
ſeyns Gottes auf ihrer Seite hätte, welchen fie fi 
als das hoͤchſte moraliſche Weſen denkt, welches Sitt⸗ 
lichkeit und Gluͤckſeeligkeit in einer hoͤhern Verbindung 
der Ringe, als diejenige iſt, welche wir durch Er⸗ 


fah⸗ 


446 Buch IV. Capitel N 
fahrung kennen, in Harmonie ſetzt. Die Vernunft 


gebietet alſo zugleich mit dem Sittengeſetze die Vor⸗ 


ausfeßung anzunehmen, daß ein Gott ſey, deſſen 
Wille durchaus mit dem Sittengeſetze uͤbereinſtimmt, 
der alſo heilig iſt, und deſſen Macht hinreicht die Au⸗ 


torität des Sittengeſetzes im ganzen Univerſum zu be⸗ 


haupten, der alſo allmaͤchtig if. Eine ſolche Er⸗ 
kenntniß unſrer Pflichten als goͤttlicher Gebote heißt 
Religion, und die Vorſtellungen welche wir uns nach 
derſelben von Gott und feinem Verhaͤltuiſſe zu der 
Welt und zu uns ſelbſt bilden, umfaßt die Woral⸗ 
theologie. Die Ueberzeugung welche Religion und 
Theologie auf dieſe Art hervorbringt, beruht durch⸗ 
aus auf ſubjektiven Gruͤnden, und heißt daher Glaube. 
Sieif aber jedem moraliſchen Menſchen nothwendig. 
In ſofern das praktiſche Intereſſe hoͤher iſt, als das 
theoretiſche, behauptet die praktiſche Vernunft ein 
Primat vor der ſpekulativen, und es koͤmmt ihr alſo 
vorzuͤglich zu, die Behauptungen uͤber Gott und ſeine 
Eigenſchaften und Verhaͤltniſſe zu beſtimmen, woben 
ſie jedoch der ſpekulativen Vernunft nicht widerſpre⸗ 
chen darf. 

Auf dem Grund und Boden welchen Kant der 
Philoſophie angewieſen hat, verſucht jetzt Fichte ein 


Syſtem nach der Idee zu errichten, nach welcher ein 
philoſophiſches Syſtem auf einem einzigen hoͤchſten 
Grundſaß beruhen muß. Ob ein ſolches überhaupt 


möglich ſey, wird ſich erſt aus der voͤlligen Durchs 
führung deſſelben bis auf die individuellſten Gegen⸗ 


ſtände der menſchlichen Erkenntniß ergeben. Ob es 


das einzige moͤgliche ſey, wird man vielleicht erſt nach 
Jahrhunderten, wenn die Vernunft alle möglichen 
Wege zur Einheit zu gelangen, deren Anzahl ſich bis 
jest noch gar nicht ee laͤßt, len 


Duc V. Capitel 7). 47 


| „ koͤnnen. Fuͤr den ſpekulativen 


Theil dieſes Syſtems giebt es durchaus keine Theo⸗ 
logie. Denn alle Gegenſtaͤnde der ſpekulativen Er⸗ 

kenntniß werden aus einer Wechſelwirkung des Ich 

auf ſich ſelbſt erklaͤrt und der Grund dieſer Wech⸗ 


ſelwirkung, ſo wie das Bewußtſeyns überhaupt, in 
eine Beſchraͤnkung des Ich gelegt, von der ſich weis 


ter kein Grund angeben laßt. Da nun Beſchraͤn⸗ 
kung der Idee eines unbeſchraͤnkten unendlichen We⸗ 


ſens widerſpricht ſo laͤßt ſich nicht einmal eine ana⸗ 
loge Idee von einem ſolchen Weſen bilden, und das 


Selbſtbewußtſeyn deffelben iſt wenigſtens unbegreifs 
lich. Alles uͤberhaupt was ins Gebiet der Begriffe 
gehoͤrt, darf von dem unendlichen Weſen nicht praͤdi⸗ 


zirt werden, weil es endlich iſt. Fichte rechnet mit 


Kant die Subftanzialicät hierher. Schon Kant hatte 


erklart“) daß die Frage ob das hoͤchſte Weſen eine 


Subſtanz ſey? gar keine Bedeutung habe, daß man 
ſie einraͤumen, dadurch aber auch nichts verſtehen 
konne. Fichte erklaͤrte geradezu, daß man es nicht 
Subſtanz nennen duͤrfe. Dies erneuerte die Miß⸗ 
verſtaͤndniſſe und Wortſtreitigkeiten welche ſchon ſeit 


den Neuplatonikern mehrmals uͤber die Subſtanziall⸗ 
taͤt des hoͤchſten Weſens geführt worden find und bey 


denen nichts herauskoͤmmt, weil immer jede dem 
Worte Subſtanz ſeinen eigenen Begriff unterlegt und 


den andern darnach beurtheilt. 


AJgn prakriſcher Hinſicht folgt Fichte ebenfalls 


in der Hauptſache den Ideen Kants. Er nimmt an 
daß wir, um vernuͤnftigerweiſe den Geſetzen unfrer 


Vernunft folgen und uns von ihrer Erfuͤllung einen 


reellen Erfolg verſprechen zu koͤnnen, glauben muͤſ⸗ 


N ſen, nt ein Weſen ſey, den uns dieſer Er⸗ 
i folg 


oe) Critit der reinen Bernunft gte Ausgabe S. 524. 


N 


AIs Buch IV. Capitel 7 
folg unſerer tugendhaften Handlungen geſichert wird. 


Aber ſo nuͤchtern als Anaxagoras, will er zu dieſer 


Vorausſetzung weiter nichts genommen wiſſen, als 


was unumgaͤnglich dazu erfordert wird: Dies iſt, 


daß eine moraliſche Weltordnung ſey. Dieſe 


nennt er daher Gott. Er giebt jedoch zu, daß ſie 
auch als ein reines Handeln, oder ein reiner Wille 


hypoſtaſirt werden koͤnne, und thut „ 
er davon ſpricht; ja er hält es ſelbſt für nuͤtzlich, fie 


fuͤr den gemeinen Verſtandesgebrauch zu perfonifigts 


ren und anthropomorphiſiren. 


Man hat Fichten um dieſer Behauptungen wil 


len des Atheismus beſchuldigt. Er ſelbſt hat ſich 


ſehr lebhaft gegen dieſe Beſchuldigung pertheibigt und 1 
ſie ſelbſt auf ſeine Gegner zuruͤck zu waͤlzen verſucht. 
Ein Beweis, daß ein jeder, der einen andern Begriff 
von Gott hat als der Andre, denſelben des Atheis⸗ 


mus beſchuldigen koͤnne und zugleich eine Warnung, 


daß man ſich dieſer bürgerlich nachtheiligen Beſchuldi⸗ 
gung, nie gegen einen Menſchen der es nicht wenig⸗ 
ſtens zugleich praktiſch beweißt, daß er ein-Atheift 
ſey, bedienen ſollte. Es iſt uͤbrigens nachtheilig fuͤr 
die Würde der Philo ſophie, daß Philoſophen den Nas 
men eines Atheiſten nicht fo gleichguͤltig dulden khn e 


nen, wie den eines Indeterminiſten. 
Die Kantiſche Critik des Erde 


nennt Platner eine dogmatiſche, und feßt ihr eine 
ſkeptiſche Critik entgegen. Gegen die Kantiſche 


8 


Moraltheologie wirft er ſkepilſche Fragen auf, welche 
theils den phyſikotheologiſchen Beweis für das Das 


ſeyn Gottes, von dem er anzunehmen ſcheint, daß 
ihn Kant ganz verwirft, vertheidigen, theils den 
von Kant angegebnen moraliſchen Glaubensgrund als 
unzureichend zeigen ſollen. Er haͤlt es mau fo uns | 

er⸗ 


— 


a 1 3 Buch w. Capitel 7. ER 449 a 


3 daß die Welt auf . „als daß ſie 
auf Gluͤckſeeligkeit abzwecke. Er ſchreibt der theore⸗ 
tiſchen Vernunft eben fo viel Recht zu, das Daſeyn eis 
nes verfiäudigen Urhebers der Welt anzunehmen, als 
der praktiſchen, welches Kant im Grunde wohl nicht 
leugnet. Er will das Geſetz der Cauſalitaͤt auf die 
theoretiſch vorgeſtellte Welt eben fo wohl ungewendet 
wiſſen wie es Kant auf die moraliſche anwendet. Er 
behauptet mit der Vorſtellung von Gott ſey uns zu⸗ 
gleich ein Vorgeſtelltes, oder mit der Idee von ihm 
ein Objekt dieſer Idee gegeben. Er fragt: Schließt 
man auch richtig von einem vorhandnen Gebote auf 
das wirkliche Daſeyn der Mittel feiner Erfuͤllung? 
Plattner findet uͤbrigens in geometriſch ſeyn ſol⸗ 
lenden Beweiſen für das Daſeyn Gottes keine Evi⸗ 
˖ denz, geſteht aber die volle Ueberzeugung ſeiner ſkep⸗ 
tiſchen Critik von der vernunftmaͤßigen Wahrhelt des 
phyſiſchtheologiſchen; d. h. ihr Unvermoͤgen, die 
. der Vernunftidee von einem verſtaͤndigen 
irheber der Weltanordnung zu leugnen, oder die 
uͤberzeugende Kraft dieſer Idee zu ſchwaͤchen. 
Denn fie. läßt die vernunftmaͤßigen Vorſtellungen gels 
ten wie die ſinnlichen, und bezieht fie eben fo wie dle 
ſiunlichen mit Ueberzeugung auf Objekte, weil dieſes 
der Einrichtung des Vorſtellungsvermoͤgens und alſo 
des Menſchen Natur gemäß iſt. 
Plattner verſteht unter Atheismus die Leugnung 
des Satzes, daß die Zufammenfegung der Welt das 
Werk einer verſtaͤndigen Urſach iſt. In feiner Ver⸗ 
theidigung des Theismus gegen denſelben iſt vorzuͤg⸗ 
lich der Gedanke bemerkenswerth, daß die Endurſa⸗ 
chen den Wirkurſachen keinesweges entgegengeſetzt, 
ſondern ebenfalls wirkende Urſachen find, indem fie 
auf die . eines geiſtigen Weſens wirken die⸗ 
1 ſelbe 


Ep: SV. et, ur 
| ſelbe zu beſinmen. Dem zu a ert 5 


darauf zu per 


daß die materialiſtiſche Erklärung der Welt nic * = E 


3 * % 


ber Einrichtung der Weit aus ai ch ar eb Sei 1 ü 
fies eine natürliche, phyſiſche Erklärung, Er 


als die bloße Moͤglichkeit, die theiſtiſche aus ae 
ſachen eines unendlichen Geiſtes, aber bie höchſte mo⸗ 
raliſche Gewisheit fuͤr ſich habe, die 2 
wisheit aber eben fo völlige 1 2 
geometriſche. | 

. K. 1 . 


Ich uͤberlaſſe es meinen Leſern aus eh 85 4 
ſtellung der Lehren und Meinungen der vorzi 
Selbſtdenker aller Zeiten Reſultate zu 11815 * 
mich ergeben ſich folgende daraus: daß die t menſchl 
che Vernunft ſich jederzeit verirrt, wenn 25 aus ſic 
ſelbſt herauszugehen verſucht, um ſich eine Idee ve 
Gott zu bilden; daß die Menſchen ſehr Unrech 0 n 
und die Würde ihrer Natur welche ſie von allen Seis 
ten auf Ideen von einer hoͤchſten Vollkommenheit 7 
führt, herabſetzen, wenn fie nicht anders als durch apo⸗ 
diktiſche Beweiſe gezwungen das Daſeyn f 
annehmen wollen; daß ſie hingegen wichtige, ; 
dende und überzeugende Gründe haben es freywill 
anzunehmen, und die Maximen ihrer Handlung 1 
und den Erfolg ihrer ee und e f 


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