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Full text of "Geschichte des Brown'schen Systems und der Erregungstheorie"

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Geschichte 

der 

niediciiiisclien  Schulen  und  Systeme 

des  neunzelinten  Jalirliundcrts 

in  Monographieen. 

Nach     den     Quellen     bearbeitet 
von 

Dr.  Bernhard  Hirschel. 


I. 

beschichte   de«   Bro^rn'ischen    Systems    und    der 
Krrei^uni^stheorie. 


Dresden  und  Leipzig, 

Ariioldische    Bucliliandlung. 

18  4  6. 


Geschichte 


des 


Brown'schen  Systems 


und 


der    Erregungstheorie 


Dr.  Bernhard  Hirschel, 


practischem  Arzte  in  Dresden,  der  Gesellschaft  Isis  fürspecielle,    besonders  vaterlän- 
dische Maturgeschtthte  zu  Dresden,  der  Kaiserlichen  Gesellschaft  russischer  Aerzte  zu 
St.  Petersburg,   der   moldauischen  Gesellschaft  der  Aerzte  und  Naturforscher  zu  Jasey 
und  de«  Vereins  für  W'asserheilkunde  und  Gesundheitspflege  wirklichem  und 
correspondirendem  Mitgliede. 


Dresden  und  Leipzig, 

Arnoldische    Buchhandlung. 

18  4  6. 


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Seinem  väterlichen  Freunde 


Dr.  L.  B.  Georg  Lippert  sen., 

practischem  Arzte   zu  Leipzig,    mehrerer   gelehrten   Gesellschaften 
wirklichem  und   correspondirendem   Mitglied©, 


und 


seinem  lieben  Freunde 


Dr.  Ernst  Meyer, 

practischem  Arzte  zu  St.  Petersburg,  früher  in  Dresden,  Oberarzte 

des   klinischen   Elisabeth -Kinder- Hospitals  ,    Beamten    beim    medi- 

cinischen    Departement    des   Ministeriums    des    Innern ,    wirklichem, 

correspondirendem   und  Ehren -3Iitgliede   mehrerer   gelehrten 

Gesellschaften , 


in  fortdauernder  Verehrung  und  Freundschaft 

gewidmet 


Verfasser. 


Vorrede. 


JLs 


^s  würde  viel  stolze  Zuversicht  verrathen,  wollte  ich  nicht 
dem  vorliegenden  Versuche  einige  motivirende   und   entschuldi- 
gende Worte  vorausschicken;   man   könnte   sonst  glauben,   ich 
wolle  die  Ausführung  für  das  Unternehmen  selbst  sprechen  lassen, 
eine  Meinung,   von  der  Niemand  entfernter  ist,    als  ich  selbst. 
Den  Nutzen   dieses   Themas,   wer  wollte  ihn  läugnen?     Es  ist 
Zeitverschwendung,   davon  zu  sprechen;   denn  wenn  überhaupt 
Geschichte  nützlich  ist,  so  muss  es  eine  Geschichte  der  Zeit,  an 
die  wir  uns  auf  das  Engste  anschliessen,  an  deren  Entwicklung 
wir  selbst  zunächst  betheiligt  sind,  doppelt  sein.      Das  lehrt  ein 
Blick  auf   den  Vorwurf  dieser  Geschichte  deutlich.      Aber   die 
Nothwendigkeit?      Eine  absolute  liegt  nun  allerdings  nicht  vor, 
wenn  man  die   schon   vorhandenen  Bearbeitungen   gelten   lässt, 
aber  eine  relative,  wenn  die  Art  und  Weise  derselben  entweder 
des  zu  beschränkten  oder  des  zu  allgemeinen  Planes  wegen  nicht 
genügt,  ura  einen  Blick  in  das  innere  Getriebe,   in  die   spe- 
ciellsten   Einzelnheilen,    in   die   eigenthünil  i  chs  ten   Be- 
ziehungen zur  damaligen  und  jetzigen  Zeit  zu  thnn.     Gerade  diese 
aber  halten  wir  zu  unserer  Selbsterkenntniss  für  dringend  nöthig, 
gerade  aus  diesen  Details,  wenn  namentlich  nicht  das  Allgemeine 
darüber  vergessen  wird,  ergeben  sich  die  klarsten  Anschauungen, 
gerade  aus  den  scheinbar  geringfügigsten  Umständen  lassen  sich 
nicht   seilen   grosse  Wahrheiten    entwickeln.       Soll   Licht   und 
Schatten  gleichraässig  vertheilt,   das  Gemälde  sorgfältig  ausge- 
führt  werden,   so   dürfen   auch  die  kleinsten  Linien  und  Puncto 
nicht  leichtsinnig  übersehn  oder  verächtlich   behandelt   werden. 


VIII 

Dass  eine  solche  Bearbeitung  zugleich  eine  philosophische  sein 
muss,  ja  dass  letztere  eben  darin  besteht,  dass  auch  das  „kleinste 
Theilchen  Materie  durch  seine  Stellung  und  Umgebung  in  ein 
solches  Verhällniss  zur  waltenden  Idee  des  Ganzen  komme,  dass 
es  vollkommen  durchsichtig  auf  den  ersten  Blick  die  Nothwendig- 
keit  seines  Daseins  und  seiner  Wechselbeziehung  zu  den  andern 
Thatsachen  erkennen  lasse,"  darüber  sind  wir  ganz  mit  Q  u  i  t  z  m  a  n  n 
einverstanden.  Man  sieht  aber  leicht  ein,  dass  für  die  Meisten 
liierzu  eine  Beschränkung  auf  ein  engeres  Gebiet  nöthig  wird. 
Doch  wünschen  wir  nichts  sehnlicher,  als  dass  der  scharfsinnige 
Verfasser  der  „Vorstudien  zu  einer  philosophischen  Geschichte  der 
Medicin"  uns  einmal  diese  vollständig  in  solchem  Sinne  bearbeitete. 
Freilich  niüsste  er  dann  sein  dort  ziemlich  ofTen  als  höchste  Stufe 
der  Entwicklungsgesetze  hingestelltes,  aber  späterhin  etwas  be- 
scheidener als  Identitätsversuch  bezeichnetes  Princip  sehr 
modificiren,  da  wir  in  der  vielgerühmten  Quadruplicität  u.  s.  w. 
wohl  ,, genialen  Schwung",  aber  innere  Wahrheit  und  naturge- 
mässe  Entwicklung  nicht  zu  erkennen  vermögen.  Ich  hatte  be- 
reits vor  mehr  als  4  Jahren,  als  ich  den  Plan  zu  dieser  Arbeit 
fasste,  die  oben  angedeutete  Tendenz  in  Bezug  auf  die  Geschichte 
unsers  Jahrhunderts  und  glaubte  eben  durch  Begrenzung  meines 
Terrains  einem  Ziele  um  so  näher  zu  kommen,  was  ohne  das 
sorgfältigste  Quellenstudium,  ohne  das  genaueste  Eingeha  in  die 
Details  nicht  zu  erreichen  ist.  So  wollte  ich  nach  und  nach  eine 
specielle  Geschichte  der  einzelnen  Systeme  und  Schulen  in  Mono- 
graphieen  geben.  Jede  sollte,  abgeschlossen  für  siel«,  ein  Gan- 
zes bibUn,  aber  dennoch  immer  nur  als  ein  Glied  in  der  grossen 
Kette  der  Entwicklung  erscheinen,  während  innerhalb  der  einzel- 
nen Glieder  seihst  wieder  das  Individuelle  seine  organisclie  Be- 
ziehung auf  dieses  specielle  Ganze  haben  und  erst  dadurch  mit 
der  grossen  Entwicklung  in  Verbindung  gebracht  würde.  Nach 
dieser  Bichfuns;  bearbeilele  ich  zunächst  das  Brown'sclie  System, 
welches  zwar  tlieihvciss  noch  dem  lelzlen  Jahrliiiiiderl  angehört, 
aber  in  das  neue  sowohl  durch  einige  seiner  Anh  inger  als  durch 


IX 

die  auf  das  Genaueste  mit  ihr  zusammenhängende  Erregungs- 
theorie hineinragt  und  seiner  allgemein  reformatorischen 
Tendenz  wegen  mit  Recht  an  die  Spitze  der  Entwicklung  dieses 
Jahrhunderts  gestellt  wird.  Ich  konnte  dabei  die  3Ieinung  Derer 
nicht  beachten,  welche  dieses  System  für  hinlänglich  erörtert 
halten,  wie  es  wohl  Solchen  vorkommen  kann,  die  mitten  ia  der 
damaligen  Zeit  gelebt  und  diese  Kämpfe  selbst  bis  zum  Ueber- 
druss  mitgemacht  haben;  denn  eine  vollständige  geschicht- 
liche Schilderung  derselben  giebt  es  darüber  noch  nicht,  und 
auch  Quitzraaun  wundert  sich  (a.  a.  Orte  1.  Abth.  S.  223)  über 
den  Mangel  an  neuerer  Literatur  über  dieses  Thema.  Noch  we- 
niger glaube  ich,  dass,  wie  mir  ein  ehemals  dabei  betheiligter, 
sehr  achtungswerther  Schriftsteller  schrieb,  nichts  mehr  davon 
übriggeblieben  sei  als  die  Erinnerung  seiner  Existenz,  sondern 
hoffe  gerade  zu  beweisen,  dass  Vieles  davon,  nur  freilich  in  an- 
derer Gestalt,  auf  uns  gekommen  sei. —  Dem  Brown'schen  System 
und  der  Erregungstheorie  nun  soll  die  Geschichte  des  Contra- 
stimulismus,  desBroussaisismus,  der  Naturphilosophie,  der  Homöo- 
pathie, die  der  einzelnen  besonderen  Systeme,  die  der  Eklektiker 
und  der  neuesten  Schulen  folgen.  Wäre  bis  zurVollendung  Dieses 
eine  in  Aussicht  gestellte  specielle  Geschichte  der  einzelnen 
Zweige  der  Heilkunde  noch  nicht  erschienen,  so  würde  sich  eine 
solche  an  das  Obige  passend  anschliessen.  Wenn  ich  aber  bereits 
jetzt,  unerwartet  der  Ausführung  des  ganzen  Themas,  die  Ge- 
schichte des  Brown'schen  Systems  und  der  Erregungs- 
theorie  dem  Publikum  übergebe,  so  bestimmte  mich  dazu  nicht 
etwa  ein  eitler  Wunsch  (denn  die  ganze  kleinere  Hälfte  des 
nonum  preraatur  in  annum  verfloss  seit  dem  Beginn  und  der 
hauptsächlichsten  Beendigung  dieser  Studien),  sondern  nur  die 
Abgeschlossenheit  der  Bearbeitung,  welche„diesem  Tiieile  ein 
gewisses  selbstständiges  Alleinsteiiea  möglich  macht;  noch  mehr 
aber  die  Absicht,  erst  die  Stimme  der  Kritik  zu  hören,  ob  über- 
iiaupt  und  wie  in  der  Ausführung  des  Planes  fortzufahren  sei.  In 
die5er  Hinsicht  kann  mir  eine  ins  Einzelne  gehende  Kritik   nur 


erwünscht  sein,  und  ich  scheue  sie  um  so  weniger,  als  ich  mich 
hestrebt  habe,  mit  grösster  Gewissenhaftigkeit  in  Benutzung  der 
Quellen  zu  verfahren  und  nichts  zu  unterlassen,  was  nur  irgend  zur 
Vervollständigung  eines  Gemäldes  der  damaligen  Zeit  beitragen 
könne.  —  Es  sei  mir  erlaubt,  in  dieser  Beziehung  Einiges  über 
die  Ausführung  hier  beizufügen,  um  Das,  was  aus  dem  Buche 
selbst  nicht  ersichtlich  ist,  dem  kritischen  Leser  vorzulegen. 

Meine  Ansichten  über  Geschichte  als  natürliche  Entwick- 
lung, die  Eintheilung  der  Perioden  derselben,  wie  die  Grund- 
züge der  Entwicklung  der  Medicin  selbst  habe  ich,  nachdem 
ich  sie  zum  Behufe  des  jetzigen  WerkcJiens  ausgearbeitet  hatte, 
diesem  in  einer  besonderen  Schrift  vorausgeschickt,  weil  ich 
glauhle ,  dass  eine  erste  Anregung  zum  Studium  der  Ge- 
schichte bei  dem  Mangel  an  Interesse  für  dasselbe  immer  noch  an 
der  Zeit  sei  und  dass  eben  die  summarische  Bearbeitung,  bei 
welcher  erneuertes  Quellenstudium  nicht  unumgänglich  nölhig 
war,  einem  vorhandenen  Bedürfniss  abhelfen  würde.  Der  Ver- 
breitung dieses  Buches  nach  bin  ich  auch  so  kühn,  diese  Voraus- 
setzung für  gerechtfertigt  zu  halten,  auch  wenn  man  von  einer 
Seite  her  den  ,, genialen  Schwung"  darin  nicht  finden  konnte,  den 
ich  gern  Andern  überlasse.  Wenigstens  aber  hat  mich  die  ge- 
nannte Geschichte  der  Medicin  für  den  vorliegenden  Gegenstand 
mancher  weilliiuligen  Auseinandersetzung  überhoben  und  ich  ver- 
weise desshalb  theils  im  Allgemeinen  darauf,  tlieils  im  Besondern 
auf  die  dort  geschilderten  Zustände  der  Politik,  der  Philosophie, 
der  Wissenschaften  und  Künste  zu  Anfang  des  19.  Jahrhunderts, 
die  hier  eigentlich  hätten  vorausj,^eschickt  werden  sollen.  —  Um 
aber  nicht  wieder  in  den  Fehler  zu  verfallen,  den  man  dort  mehr- 
fach gerügt  hat,  dass  ich  es  nämlich  verab.^äumt  habe,  die  Quellen 
anzugeben  (was  Ich  nicht  für  niilhlg  gehalten  habe,  da  ich  bei 
meinem  Plane  Gruiidzüs,'e  der  Entwicklung  zu  geben,  welche 
als  Einleitung  fiir  dieses  specielle,  auf  crneueriem  Quellenstudium 
beruhende  Werk  dienen  sollten,  mich  im  Materiellen  auf  Vorgän- 
ger slulzle),  so  will  ich  hier  sogleich  erklären,  dass  ich  mit  nur 


wenigen  Ausnahmen  die  ganze  Literatur  selbst  studirt  habe,  da  ich 
die  Ueberzeugung  habe,  dass  nur  so  das  schöne  Ziel,  eine  letzte 
Quelle  für  jeden  künftigen  Geschichtsforscher  zu  werden,  erreiciit 
wird;  dass  man  selbst  lesen  müsse,  um  einen  eigenen  Ideen- 
gang zu  erhalten ;  dass  sich  bei  dem  Quellenstudium  eine  Menge 
Nebenumstcinde  ergeben,  die  keineswegs  unberücksichtigt  bleiben 
dürfen,  und  dass  für  den  Einen  etwas  wichtig  sein  möchte,  was 
ein  Anderer  bei  anderem  Plane  übersehen  kann.  Namentlich  habe 
ich  selbst  frühere  und  spätere  nicht  hierher  gehörige  Werke, 
wenn  sie  von  den  Heroen  dieser  Geschichte  (wie  z.B.  Weikard, 
Röschlaub,  J.  Frank,  Marcus)  herrührten,  durchforscht, 
um  den  ganzen  Entwicklungsgang  der  Verfasser  kennen  zu  lernen. 
Jene  Ausnahmen  betreffen  nun  meist  solche  Bücher,  von  denen  nach 
Vergleichung  der  Recensionen  der  verschiedenen  Partheien  (denn 
hierauf  musste  besonders  gesehen  werden)  nicht  viel  zu  erwarten 
war,  oder  diejenigen,  die  nicht  wesentlich  hierher  gehörten,  oder 
endlich  diejenigen,  die  ich  oft  selbst  mit  grosser  Mühe  nicht  zu 
erlangen  im  Stande  war.  (Diess  habe  ich  stets  angegeben.)  Na- 
mentlich aber  habe  ich  es  mir  zur  Aufgabe  gemacht,  die  Jour- 
nalliteratur der  damaligen  Zeit  zu  studiren  (z.B.  die  von 
Brugnatelli,  Weikard,  Röschlaub,  Marcus,  Harten- 
keil.  Hörn,  Hecker,  Hufeland,  Reil,  Baidinger  u.  A. 
herausgegebenen  Journale,  die  Jenaische  Allgemeine  Literatur- 
Zeitung),  weil  aus  ihnen  der  Geist  der  Zeit,  eben  weil  sie  Zeil- 
schriften sind,  am  besten  zu  ersehen  war,  und  ich  verdanke  dieser 
Leetüre  manche  Unterhaltung  und  Belehrung.  Um  nichts  zu 
übersehen,  habe  ich  mich  ferner  besonders  an  die  kritischen  Zei- 
tungen vom  Jahre  1790  an  bis  zum  Jahre  1812  gehalten.  Auch 
versteht  es  sich  von  selbst,  dass  die  Verzeichnisse  Brown'scher 
Schriften  von  Girtanner  (Darstellung deäBrown'schen Systems), 
H e c k e r  (Lexicon  medico-pract.),  Ersch,  Sprengel  (Lit. med. 
ext.),  Enslin-Engelmann,  Choulant,  Rosenbaum  u.s.w. 
mir  zur  Aufsuchung  der  betreffenden  Literatur  verhelfen  mussten. 
Dass   ich  die  bereits   vorhandenen  Geschichtsbücher    verglichen 


XII 

habe,  obwohl  sie  bei  meinem  specielleren  Planemir  nicht  zur  Un- 
terlage dienen  konnten,  brauche  ich  nicht  erst  zu  erwähnen. 
Trotzdem  ich  so  ein  Verzeichniss  von  313  Schriften  gegeben 
habe,  ist  aber  doch  vielleicht,  wie  auch  bei  dem  grössten  Streben 
nach  Vollständigkeit  geschehen  kann ,  die  eine  oder  die  andere 
übersehen  worden;  ich  würde  daher  sehr  dankbar  sein,  wenn  mir 
eine  solche  bestimmte  Nachweisung  gegeben  würde.  Soviel  über 
die  Quellen  der  vorliegenden  Arbeit. 

Diese  selbst  beginnt  mit  einer  Einleitung,  welche  nach 
den  bereits  in  meiner  Geschichte  niedergelegten  Ansichten  und 
mit  Benutzung  von  Werber's  scharfer  Pointirung  der  Unter- 
schiede des  Alterthif^ns  und  der  späteren  Epochen  durch  einen 
kurzen  Abriss  der  ganzen  vorausgegangenen  Entwicklung  zu  dem 
19.  Jahrhundert  selbst  führt.  —  Hierauf  folgt  die  Lebensge- 
schic-hte  des  Urhebers  des  Brown'schen  Systemes  in  der  Haupt- 
sache nach  Beddo  es  und  dem  eignen  Sohne  Bro  wn 's  bearbei- 
tet ,  da  Ersterer  nicht  ganz  zuverlässig  ist.  Biographieen  habe 
ich  überhaupt  aus  begreiflichen  Gründen  nur  bei  den  hervorra- 
gendsten Anführern  für  nöthig  gehalten,  wie  bei  Weikard, 
Röschlaub,  J.Frank,  Marcus.  —  Das  System  selbst  habe 
ich  so  wiederzugeben  versucht,  dass  der  eigenlhUmlich  concinne 
(■iiarakter  desselben  nicht  verloren  gehe.  Nebenbei  aber  wurde 
alles  Ausservvesentliche  und  auch  anderwärts  Vorhandene  wegge- 
lassen. —  Die  Kritik  ist  wohl  etwas  zu  ausführlich  ausgefallen. 
Diess  kommt  daher,  weil  ich  sie,  um  etwas  Eigenes  zu  liefern 
und  mich  nicht  durch  die  Leclüre  anderer  Kritiker  leiten  zu  lassen 
(was  oft  unwillkührlich  geschieht),  vor  dem  Studium  jeder  an- 
dern Beurtheilung  niedergeschrieben  hatte  und  ich  erst  später  halb 
zu  meiner  Freude,  halb  zu  meinem  Schmerze  fand,  dass  das 
Meiste  bereits  darüber  gesagt  worden  sei.  Icii  Hess  aber  das 
einiinil  Niedergeschriebene  stehen,  theils,  weil  es  doch  etwas 
ltidi\idiielles  war  und  gewissermassen  ein  Ganzes  bildete,  theils, 
weil  i.'h  dadurch  einer  weiteren  Auseinandersetzung  und  öfteren 
Wiederholung  bei  der  Angabe  der  Gegengründe  überhoben  wurde. 


XIII 

Diese  werden  daher  nur  dann  ausführlicher  angegehen,  wo  eine 
besondere  Abweichung  und  Eigenthiinilichkeit.  der  Anschauung 
sichtbar  ist.  —  Die  Geschichte  selbst  Iiabe  icli  nach  den  ver- 
schiedenen Ländern,  in  welchen  das  System  auftrat,  besonders 
abgehandelt,  sowohl  weil  sich  eine  gewisse  nationelle  Ver- 
Bchiedenheit  nicht  verkennen  liisst,  als  weil  die  Deutschland  an- 
gehörige  Erregungstheorie  eine  getrennte  Behandlung  nöthig 
machte.  Besonders  bin  ich  bemüht  gewesen,  die  allmählige 
Entwicklung,  Blülhe  und  Zurückbildung  des  Systems  und 
zwar  sowohl  im  Ganzen  zu  veranschaulichen ,  als  in  psychologi- 
scher Auffassung  der  hervorstechendsten  Individualitäten  wieder 
im  Einzelnen  zu  belegen.  In  dieser  Beziehung  dürfte  ich  z.  B. 
auf  Röschlaub,  Jos.  Frank,  E.  Hörn  u.  A.  verweisen,  in 
deren  Charakteristik  sich  die  ganze  Geschichte  unseres  Systemes 
wiederspiegelt.  Sollte  aber  vielleicht  durch  die  Eintheilung  der 
Anhänger  und  Gegner  das  Gesammtbild  zerrissen  erscheinen  und 
öftere  Wiederliolungen  sich  lästig  machen  ,  so  ist  das  ein  Uebel- 
stand ,  der  nicht  ganz  zu  vermeiden  war,  denn  es  musste  zur 
richtigenWürdigungunseres  Gegenstandes  eine  scharfe  Sonderung 
getroffen  werden,  um  nicht  die  verschiedensten  Richtungen  zu- 
sammenzuwerfen, um  die  Partheinahme  selbst  zu  motiviren  und 
vom  richtigen  Gesichtspuncte  zu  erfassen.  Findet  man  unter  den 
Anhängern  vielleicht  Solche,  die  man  hier  nicht  vermuthet,  so 
vergesse  man  nicht,  einmal,  dass  sie  bei  der  grossen  Theilnahnie, 
welche  das  Brown'sche  System  fand,  eben  unter  den  Beschrän- 
kungen, die  unsere  Eintheilung  möglich  macht,  hierher  ge- 
rechnet werden  konnten,  und  dann,  dass  doch  immer  dieser  An- 
theil  nur  ein  vorübergehender  war.  Eine  besondere  Schwierig- 
keit der  Eintheilung  dürfen  wir  ebenfalls  nicht  verhehlen.  Da 
nämlich  die  Meisten  sich  nur  unter  gewTssen  Bedingungen  für  das 
System  aussprachen,  ihrem  Lobe  Tadel  beimischten,  so  konnte  es 
oft  zweifelhaft  werden ,  ob  sie  den  Anhängern  oder  den  Gegnern 
beizuzählen  seien.  In  diesen  Fällen  habe  ich  stets  von  der  hervor- 
ragendsten Neigung  den  Maassstab   für  meine   Eintheilung  ge- 


XIV 

nommen.  Noch  schwerer  war  diess,  wo  die  Zeit  einen  Unterschied 
abgab,  d.  h.  wo  entweder  die  Partheinahme  oder  der  Widerstand  spä- 
ter aufhörte,  wie  z.  B.  bei  Cappel.  Schelling  musste  desshalb 
doppelt  aufgeführt  werden,  weil  sieh  zwei  ganz  verschiedene 
Phasen  bei  ihm  unterscheiden  lassen,  die  beide  wesentlich  auf  die  Ge- 
schichte einwirkten.  —  Aber  erst  nachdem  die  ganze  Entwicklung 
zu  übersehn  war,  konnte  die  Epikrise  gleichsam  als  Nachlese 
die  Ursachen  der  Entstehung  und  Verbreitung  wie  des  Sturzes 
des  Systems  aus  diesem  selbst,  aus  seiner  Zeit  und  aus  seiner 
Geschichte  entwickeln.  Sie  schliesst  mit  einem  Blick  auf  die  Vergan- 
genheit, vergleicht  die  Erregungstheorie  mit  den  früheren  Syste- 
men und  zeigt  den  geschichtlichen  Werth  und  Einfluss  derselben 
durch  die  materiellen  und  formellen  Folgen ,  die  sie  noch  gegen- 
wärtig für  uns  hat.  —  Die  Literatur  schliesst  sich  genau  an  den 
Text  der  Gescliichte  an,  der  durch  Angabe  von  Büchertiteln  nicht 
erschwert  werden  sollte.  Indem  aber  blosse  Citate,  Abhandlun- 
gen und  einzelne  Aufsätze,  welche  ohne  zu  stören  im  Text  Platz 
linden  konnten,  davon  ausgeschlossen  und  nur  hierher  bezügliche 
selbstständige  Schriften  aufgenommen  wurden,  bildet  sie  auch  ein 
für  s\ö\\  bestehendes  besonderes  Ganze,  welches  schon  zwischen 
den  Zeilen  zu  lesen  gestattet.  —  Gern  hätte  ich  dem  Krankheits- 
charakter der  damaligen  Zeit  ein  Kapitel  gewidmet,  um  den  Zu- 
sammenhang desselben  mit  dem  vorliegenden  Systeme  nachzuwei- 
sen, doch  geschieht  diess  besser  später,  wenn  die  Geschichte 
eines  grösseren  Zeitraumes  ein  reichlicheres  Material  und  eine 
ausführlichere  Vergleichung  gestaltet. 

So  übergebe  ich  zwar  mit  dem  guten  Bewusstsein  eines  red- 
lichen Strebens,  aber  nicht  ohne  die  Bangigkeit  eines  ungenügen- 
den Erfolges  die  vorliegende  Schrift  dem  ärztlichen  Publikum. 
Möge  man  sie  in  einem  Sinne  aufnehmen,  welcher  Vergangenes 
nicht  für  Abgestorbenes  hält  und  in  einer  geschichtlichen  For- 
schung nicht  blos  nach  dem  untergeordneten  Momente  der  Unter- 
haltunff  trachtet.  — 


Inhalt. 


Seite 

Einleitung 1 

lieben  von  John  RroTm 13 

Das  System  Jobn  Bro-wn's 27 

Kritik  des  Bro^rn'scben  Systems 48 

Abhängigkeit  des  Lebens  S.  50,  Erregbarkeit  S.  51.  Quan- 
titatives Element  S.  54.  Verhältniss  der  Reize  zur  Erreg- 
barkeit S.  56.  Erregung  S.  59.  Sthenie  und  Asthenie  S.  61. 
Dynamismus  S.  63.  Aetiologie  S.  65.  Symptomatologie  S.  72. 
Semiotik  S.  78.  Krankheitsprocess  S.  79.  Diagnose  S.  82. 
Nosologie  S.  87.  Specielle  Pathologie  S.  89.  Therapie  S.  92. 
Materia  medica  S.  100. 

6esebichte  des  Bro-wrn'scben  Systems 106 

Geschichte    des    Brownianismus    in    England    (und 

Amerika) — 

Geschichte   des  Brovrnianismus   in  Italien     ....     115 

Geschichte   des  Brovvnianismus   in  Frankreich    und 

Spanien       128 

Geschichte   des  Brownianismus   in  Deutschland    .     .     130 
Ch.  Girtanner  S.  130.     M.  A.  Weikard  S.  134. 

Crescbicbte  der  Erregungstbeorie 144 

I.  Begründer  derErregungstheorie — 

Joh.  Andr.  Röschlaub  S.  144.    [Joh.  Pete»  Frank]  Jos.  Frank 

S.  175.     A.  Fr.  Marcus  S.  186. 

II.  Anhänger  der  Erregungstheorie 191 

1)     Anhänger      ohne      selbstständige      Haltung. 

a)  Schriften  im  Ganzen  S.  191.  ß)  Anwendung  auf  Einzel- 
nes S.  193.  2)  Anhänger  mit  selbstständiger  Hal- 
tung S.  196.     a)  mit  besondern  Modificationen  S.  198. 


XVI 

Seite 

b)  mit  besondern  Combinationen  S.  209.  «)  Combina- 
tion  mit  der  Ilumoralpathologie  S.  210.  ß)  mit  der  ReiV- 
schen  Theorie  S.  213.     y)  mit  der  Naturphilosophie  S.  217. 

c)  mit  eklektischer  Nebenannahme  verschiedener 
Ansichten  S.  228. 

III.    Gegner  der  Err egungs th e orie 230 

1)  Gegner    ohne    selbstständige    Haltung    S.  233. 

2)  Gegner  mit  selbstständiger  Haltung,  a)  Geg- 
ner Tom  Standpunct  besonderer  Systeme,  a)  vom  Stand- 
punct  der  Humoralpathologie  S.  234.  ß)  vom  Standpunct 
der  Reirschen  Theorie  S.  235.  y)  vom  Standpunct  [der 
rsaturphilosophie  S.  236.  b)  Gegner  vom  höheren  eklekti- 
schen Standpunct  S.  239. 

Epikrise 250 

Ursachen   der  Entstehung  und  Verbreitung  des  BrowTi'schen 

Systems  und  der  Erregungstheorie — 

Ursachen  des  Untergangs  des  Brown'schen  Systems  und  der 

Erregungstheorie 255 

Die   geschichtliche  Bedeutung   des  Brown'schen  Systems  und 

der  Erregungstheorie 259 

Iiiteratur  zur  Geschichte  des  Brow^n'schen  Systems 

und  der  Erregungstheorie 275 


Einleitung. 


Langsam  reift   die   Erkenntniss  zur  Vollendung  heran,  aber 
sicher.      In"  grossen    Kreisen    bewegt    sich    der    Genius    der   Ge- 
schichte,   aber    nur    mit    kleinen  Schritten   >vandelt    er    vorwärts. 
So   viel   auch    in   der    Geschichte    der   Medicin    immer    geschehen, 
dennoch    lässt    sich    der    eigentliche    Fortschritt   nur    nach  Linien 
messen,   welche  stufenweis  und  mühevoll,    wie  die   Sprossen  einer 
Leiter,    erklimmt    sein   wollen.       Wie   weit    ist    die   letztzeit    von 
Hip  poerat  es    entfernt?       ^Vie   nah    berühren   sich   Anfang    und 
Ende     Vergangenheit  und  Gegenwart   der  Medicin  !   Und  wie  wie- 
derho'lt  sich   im  Neuen   das   Alte!    Das    aber   lehrt    die  naturhistori- 
sche  Betrachtungsweise   der  Entwicklung   der  Medicin,   dass   diese 
nur  eine  cyklische  sei,  das  Ende  der  potenzirte  Anfang,  das  >eue  die 
höhere   Gradation    des    Alten     nach    verschiedenen   Rückbildungen 
Involutionen,    Metamorphosen.       Denn    ewig,    unveränderlich    und 
einfach    wie    die   Urgesetze    des   Denkens   sind    es   die   der  ^atur, 
des  alter   e-o   des   Geistes   und  somit  auch  die   der  Medicin.      Die 
Urgesetze  bleiben,   nur  die  Form  und  Anwendung  derselben  wechselt 
nach  Zeit  und  Individualität.     Die  Entwicklung  in  der   T  o  t  a  1 1 1  a  t  ist 
darum  einfach   unb  langsam,    die  ideale  Geschichte   des  medicini- 
schen   Ganzen   in   wenig   schlichten  Sätzen  erfassbar.      Anders  der 
reale  Fortschritt  im  Einzelnen.    So  vielgestaltig   und   vie  stot- 
fiawieder   menschliche  Organismus ,    so  mannigfach  und  gegliedert 
,Z   seine    Funktionen,    so    wechselnd    und   verschieden   wie    die 
Zustände    seines    gesunden    und    kranken    Lebens    sind    auch    die 

L 


l<ehren  und  Erfahrungen,  Beobachtungen  und  Handlungen,  -welche 
die  Auffindung  und  Ergriindung  der  Substrate  der  ärztlichen  Kunst, 
der  integrirenden  Theile  des  Avissenschaftlichen  Ganzen  zum  Zwecke 
haben.  Und  das  ist  gleichsam  die  Geschichte  der  körperlichen 
Seite  der  Medicin,  der  reichhaltige  Inhalt  und  die  Frucht  von 
Jahrtausenden ,  ersichtlich  in  materiellen  Bereicherungen ,  in 
faktischer  Vervollkommnung.  Diesen  kostbaren  Schatz  benutzt 
und  vermehrt  die  Jetztzeit  wie  ein  vernünftiger  Erbe.  In 
reicher,  üppiger  Pracht  schiessen  die  Krystallpunkte  zu  festeren 
Gestaltungen  der  Disciplinen  zusammen ,  ans  der  bunten  Mosaik 
bildet  sich  eine  solide  Basis,  mächtig  durch  ihre  vertrauen- 
erweckende Breite.  Andere  mögen  ihr  ruhmvolles  Streben  auf  die 
Darstellung  dieser  Richtung  verwenden,  wie  es  geschehen  ist 
und  noch  weiter  geschehen  muss,  uns  treibt  es  mehr  den  Blick 
in  die  Tiefe  zu  senken  oder,  was  gleich  ist,  in  die  Höhe 
zu  erheben.  Wir  befassen  uns  hier  mit  der  geistigen  Seile 
des  medicinischen  Organismus,  mit  den  Fortschritten  der  Wissen- 
schaft, mit  der  Forlbildung  bestimmter  geistiger  Richtungen, 
mit  dem  Bestreben  zur  Durchführung  gewisser  Grundgedanken, 
mit  den  Versuchen  zu  festerer  Gestaltung  und  Ineinsbildun  g 
einer  vielgegliederten  Mannigfaltigkeit,  mit  der  Ent>Yicklung  im 
Grossen  und  Ganzen,  die  allerdings  wieder  durch  die  im  Ein- 
zelnen bedingt  ist.  Solches  lehrt  die  Geschichte  der  Systeme 
und  Schulen,  —  eine  Geschichte  von  Versuchungen  des  specu- 
lativen,  ordnenden  und  massgebenden  Geistes,  die  meist  zu  Ver- 
suchen führt,  nicht  zu  realisirbaren  Wirklichkeiten.  Denn  alle 
Systeme  und  Schulen  sind  nur  historisch  bedeutsam  durch  die 
Motive  ihres  Ursprungs  und  durch  den  Gang  ihrer  Entwicklung  als 
erkennbare  Zeichen  ihrer  Zeitbildung,  nur  wissenschaft- 
lich wichtig  durch  den  Impuls  zu  einer  besonderen  Richtung 
und  Tendenz  als  neue  Momente  der  Eni wi  ekln ng  im  Gan- 
zen, nur  reell  bereichernd  durch  ihre  wesentlich  mit  der  Tendenz 
zusammenhängenden  oder  zufällig  iuvolvirten  Resultate  im  Ein- 
zelnen als  principielle,  abstrahirto  Gesetze  oder  faktische  Er- 
fahrungen. Sie  entwickeln  sich  darum  als  Ganzes,  erreichen 
einen  Höhepunkt  ihres  Lebens  und  bilden  sich  dann  wieder  zu- 
rück, wie  alle  Naturwesen  die  Individualität  nolhwcndigcrweise 
der  grösseren  Einheit  opfernd.  Denn  noch  nie  hat  ein  System 
der    Medicin  bestanden    und   keines    wird   jemals    bestehen.      Die 


Natur  hasst  alle  Systematik.  Das  lehrt  auch  die  Geschichte  des 
19.  Jahrhunderts,  das  schon  so  viele  Systeme  und  Schulen  be- 
graben hat,  als  es  erzeugte.  Aber  jede  von  diesen  hat  mit- 
gewirkt die  grosse  Aufgabe,  welche  die  Vergangenheit  dieser 
Epoche  Übermacht  hat,  ihrer  Lösung  näher  zu  führen;  jede 
wurzelt  um  so  mehr  in  dem  letzlverflossenen  Zeitraum,  als  das 
ganze  Jahrhundert  selbst  nur  den  Zweck  verfolgt  in  einer  höheren 
Gradation  und  in  geläuterter  Fassung  die  Pläne  des  Cyklus,  dessen 
Endpunkt  Paracelsus  war,  zu  verwirklichen.  Gehen  wir  auf  die 
in  unserer  „Geschichte  der  Medicin"  nach  naturhisforischer  Auf- 
fassung niedergelegten  Entwicklungsmomente  zurück,  so  finden 
wir  die  Heraufbildung  der  Medicin  durch  3  Cyklen  begrenzt,  jeden 
derselben  vom  Geringeren  zum  Höheren  aufsteigend,  die  Zukunft 
vorbildend  und  im  Rückfall  nach  erreichter  Vollkommenheit  ein 
neues  Resultat  nur  um  so  gewisser  heraufführend.  So  war  es 
die  Aufgabe  des  ersten  Cyklus  die  erste  umfassende  Gestaltung 
der  Medicin  als  Wissenschaft  auf  eine  von  Hippocrates  begründete 
er  fahr  ungs  massige  Basis  zu  schaffen.  Das  erreichte  Galen 
durch  einen  vernünftigen  Eklekticismus.  Aber  vorher  gingen 
mühsame  Bestrebungen  und  die  Schulen  erschöpften  sich  in  ge- 
M^altigen  Anstrengungen.  Erst  musste  die  Medicin  von  der  Religion 
getrennt,  dem  Aberglauben  und  einer  herrschenden  Kaste  ent- 
rissen und  Allgemeingut  werden ,  das  Zufällige  zum  Nothwendigen, 
das  Rudimentäre  zum  Zusammenhangenden  sich  umbilden.  Die 
Naturphilosophie  Griechenlands  legte  die  ersten  Keime  zur  Theorie, 
während  die  Saat  des  Hippocrates,  die  praktische  Erfahrung,  unter 
dem  reinen  hellenischen  Himmel  wunderbar  gedieh  und  zum  reich- 
gefüllten  Korne  aufschoss.  Im  Kampfe  um  den  die  Unsterblichkeit 
verheissenden  Fund  eines  Theorie  und  Praxis  durchdringenden  Ge- 
dankens strebten  Dogmatismus  und  Empirismus,  Idealismus  und 
Realismus  der  alten  Meister  und  Schulen  in  immer  wiederkehren- 
den Schwankungen  gegeneinander  an.  Vergeblich  oder  vorüber- 
gehend waren  die  Bemühungen  einen  Frieden  zwischen  ihnen  zu 
stiften;  sie  trennten  sich  mit  der  polarisdi  sich  noch  anfeindenden 
materiellen  oder  dynamischen  Richtung  nur  um  so  entschiedener 
und  folgenreicher  für  ihre  Vervollkommnung  zu  besonderen  Radien 
ab,  aus  welchen  endlich  Galen  durch  Concentration  und 
Beziehung  auf  einen  bestimmten  Punkt,  auf  die  sogenannte  Ratio- 
nalität,  eine   Art    von   homogenem   Ganzen   bewirkte,    welches  als 

1* 


ein  die  Medicin  des  Alterlhums  in  gewisser  systemalisch-wissenschafl- 
licher  Form  umfassender  Codex  eine  Ausgleichung  der  slreitenden  Par- 
theien schuf,  den  Höhepunkt  dieser  Bestrebungen  erreichte  und  für  die 
damalige  Epoche  die  höchstmöglichste  Befriedigung  gewährte.  Also 
endeten  die  philosophischen  Schulen  Griechenlands,  die  dogmatische, 
alexandrinische,  empirische,  methodische,  pneumalische  und  eklektische 
Schule.  Da  begann  der  zweite  Zeilraum,  vorbereitend  wie  alle 
mittelalterlichen  Bestrebungen  die  grossen  Reformen  wie  in  der 
Religion,  im  Staalenleben,  in  den  Künsten  und  AVissenschaflen, 
so  auch  in  der  Medicin,  Reformen,  die  wir  jetzt  erst  zur  vol- 
lendeten Reife  bringen.  Die  Aufgabe  dieses  Cyklus  war  die 
Begründung  der  physiologischen  Jledicin.  Das  er- 
reichle  Paracelsus.  Denn  das  Alterthum  halte  eine  Physiologie, 
aber  keine  physiologische  Medicin.  Das  Alterthum  begnügte  sich 
mit  einer  kosmogonisch-physikalischen  Theorie,  welche  den  Men- 
schen als  Fortsetzung  der  Natur  betrachtete,  die  Elemenlenlehre 
von  dort  auf  ihn  übertrug  und  in  qualitativ-objectiver  Auffassung 
seiner  Gebilde  und  Funktionen  eine  auf  äusserer,  sinnlicher  An- 
schauung beruhende  Identität  desselben  mit  der  Natur  begründete. 
In  dieser  nur  durch  den  Gesammtüberblick  grossartigen  Betrach- 
tung konnte  die  Individualität  des  Lebens  als  eines  innerlich  wal- 
tenden nicht  aufkommen ,  da  die  Natur  sich  von  aussen  in  das 
Leben  übertrug.  Es  war  kein  Unterschied  zwischen  organischen 
und  unorganischen  Wesen;  kein  Prozess  ging  als  selLstständigcr 
Modus  der  Veränderung  oder  Umbildung,  sondern  nur  als  Eigen- 
schaft oder  Wirkung  eines  eingedrungenen  Stoffes  mit  seiner 
dadurch  bedingten  Quaiilät  vor  sich.  Der  Materialismus  als  chemische 
oder  physikalische  Ansicht  und  der  Dynamismus  in  mehr  oder 
minder  materieller  Auffassung  dienten  nicht  als  Forschung,  sondern 
als  Erklärung  und  hielten  sich  auf  der  Oberfläche,  der  Dynamis- 
mus insbesondere  (Pneuma)  entweder  als  anderer  Pol  oder  als 
ausschliessend  Beherrschendes,  nicht  als  innerlich  mit  der  Materie 
zugleich  wallendes  belebendes  Princip.  Daher,  wie  Werber  ♦) 
richtig  bemerkt,  herrscht  weder  die  Höhe  der  organisch-dynamischen, 
noch  die  Tiefe  der  mechanisch-chemischen  Ansicht  in  Alterthum. 
So   war   auch   der   Begriff  der   Krankheit   mehr   ein    causaler;    sie 


*)  Entwicklungsgeschichte  der  Physiologie  und  Medicin.     Stuttgart 
u.  Leipzig.  1835. 


galt  als  eine  von  Aussen  eiiigedning-ene,  stoffliche  Veränderung', 
als  eine  vorzugsweise  in  den  Säften,  aber  auch  in  den  festen  Theilen 
und  Functionen  erkennbare  sinnliche  Wirkung  eines  feindlichen  Natur- 
elements, welches  in  die  Elemente  und  Qualitäten  des  menschlichen 
Körpers  Verwirrung  und  Zerstörung  bringt  und  durch  entgegenge- 
setzte elementare  sinnliche  Einwirkung  und  Veränderungen  bekämpft 
oder  entfernt  werden  muss  (Krisenlehre,  ausleerende  Methode,  Al- 
löopathie).  Gegen  den  Feind  von  aussen  kämpft  die  Natur  durch 
ihre  eigene  Natur  und  Totalität,  die  diesem  sich  entgegensetzt. 
Sie  braucht  nur  unterstützt  oder  gehemmt  zu  werden.  Die  Wirkung 
erkennt  man  an  den  sinnlichen  Qualitäten  der  Arzneien,  deren  spezi- 
fische Affinität  zu  den  Organen  darum  so  günstig  ist,  weil  sie  auf 
äusserer  Aehnlichkeit  nach  den  Elementarqualitäten  beruht.  Ohne  die 
Natur  aber  vermag  der  Arzt  nichts  und  die  Vielfältigkeit  der  Sym- 
ptome verlangt  vielerlei  Arznei.  —  Die  Einheit  dieser  Lehre  bil- 
dete ihre  sinnliche  Auffassung,  ihren  Nut-zen  die  Beobachtung  der 
Natur,  aber  den  Dogmen  fehlte  die  Höhe,  der  Empirie  die  Tiefe.  Der 
Organismus  derMedicin  war  todt.  Er  wartete  auf  den  Prometheus, 
der  ihm  den  Hauch  des  Lebens  einflösse.  Das  war  Paracelsus.  Natur 
und  Mensch  wurden  selbstständig.  Der  Makrokosmus-  und  Mikrokos- 
mus bildeten  ein  harmonisches  Ganze,  Jeder  ein  vielgegliedertes  Or- 
ganenwesen für  sich,  im  Gegensatz  waltend  und  dennoch  eins.  Die  kos- 
mogonisch-physikalischen  Kräfte  und  Elemente  bildeten  nicht  mehr  Fort- 
setzungen, Uebertragungen,  sondern  wurden  durch  den  Organismus  ver- 
wandelt, selbstständig  verarbeitet,  neu  producirt.  Die  Subjectivität  des 
Lebens  machte  sich  geltend,  sie  waltete  nach  ihren  inneren  eigenthüm- 
lichen  Gesetzen.  Die  Persönlichkeit,  Individualität,  imAlterthum  immer 
in  dem  Allgemeinen  der  Religion,  des  Staatenlebens,  der  Künste  und 
Wissenschaft  verschwimmend,  errang  ihre  Rechte,  und  alle  Kräfte 
wurden  ihrer  theilhaftig.  Diese  Wechselwirkung  von  Kräften  und 
Individuen  mit  ihrer  selbstständigen  und  doch  der  Einheit  dienenden 
Aktion  gab  eine  unendlich  erhabenere  Anschauung  als  das  todte 
Kräftespiel  des  Alterthums.  Organisches  und  Unorganisches  schied 
sich,  überall  waren  lebendige  Prozesse,  überall  Zeugung,  Entwick- 
lung, Spontaneität,  für  welche  die  Aussehwelt  nur  den  Reiz,  die 
äussere  Bedingung  hergab.  Die  Qualitäten  und  humores  des  Alter- 
thums traten  hinter  den  subjectiven  Kräften  zurück;  als  Zeichen  und 
Aeusserungen  musslen  sie  der  wirkenden  inneren  Ursache  weichen. 
Selbst  die  Chemie  vergeislete  sich  unter  diesen  lebensvollen  Bezieh- 


6 

ungen;  denn  der  chemische  Prozess  war  durch  das  Leben  gebunden 
und  modifioirt  und  stand  unter  dem  Bilde  der  Zeugung.  Die  Elementen- 
lehre gestaltete  sich  neu.  Als  roher  Anfang  der  Chemie  suchte  die 
Alohymie  das  mehr  innere  stoffliche  Verhältniss  zu  enthüllen,  aber 
immer  war  der  Körper  ein  Produkt  des  Lebens,  mit  dessen  Erlöschen 
erst  die  Substanzen  hervortreten.  Der  Begriff  der  Krankheit  wurde  aus 
aus  dem  causalen  ein  mehr  realer ;  sie  erschien  in  organischer  Auffas- 
sung als  immateriell  mit  Eigenleben  begabt,  als  Reaktion,  als 
individuelle  Entwicklung  und  Gestaltung  auf  dem  Boden  des  Organis- 
mus gleich  einem  besonderen  Gewächs  emporschiessend  und  diesen 
in  seiner  gesunden  Aktion  beschränkend.  Daher  hilft  die  Natur  nur 
in  geringeren  Krankheifszusfänden,  die  Kunst  muss  der  Schwäche 
derselben  zu  Hülfe  kommen,  sie  muss  durch  Hervorbringung  eines 
Heilungsprozesses,  eines  neuen  lebendigen  Aktes,  den  Feind  ver- 
drängen. Dieser  künstliche  und  (denn  das  corpus  ist  nur  die  Hülle) 
immaterielle  Heilprozess  aher  muss  in  specifischer  Beziehung  zum 
Krankheitsprozesse  stehen,  es  muss  zwischen  Beiden  eine  Gleichheit 
oder  Aehnlichkeit  stattfinden,  damit  der  eine  den  andern  ausschliesse. 
(Homöopathie ;  contraria  contrariis  sei  ungründlich,  symptomatisch.) 
Die  wahren  Aroana  seien  specifische  Mittel,  es  bedürfe  daher  nur 
kleiner  Dosen  und  einfacher  3Iedication.  — 

Kann  es  zwei  verschiedenere  Richtungen  geben  als  die  in  der 
Medicin  des  Galen  und  in  der  des  Paracelsus  herrschenden? 
Darum  mussten  lange  Läuterungskämpfe  vorangehen. 

In  den  Wirren  der  damaligen  Zeit  galt  es  zunächst  bei  blinder 
Anbetung  Galens  und  fremder  Beimischung  das  Ueberkommene  zu 
erhalten  (Conservative  Araber).  Dann  musste  die  Erfahrung  ihre  allen 
Tempel  neu  errichten,  mussten  Diätetik  und  Therapie  wieder  als  erstes 
und  letztes  Ziel  erscheinen  (Mönchsmedicin.  Schulen  zu  Salerno  und 
Monte  Cassino.).  Wiederum  aber  schlug  die  Religion  des  Mittel- 
alters als  Mystik  und  die  dialektisch-logische  Philosophie  derselben 
als  neue  Phase  der  Theorie  die  Medicin  in  ihre  starren  Dogmen 
(scholastische  Schule),  bis  Glauben  und  Wissen  sich  trennten,  der 
Schulzwang  einer  freieren  Regung  Platz  machte,  die  realen  Forsch- 
ungen sich  bereicherten,  und  das  Studium  der  Alten  den  Genius  des  Hip- 
pocrates  segnend  an  den  Horizont  der  Medizin  heraufführte  (Hippo- 
cratiker.  Humanisten.  Conciliatoren.).  Aber  um  so  weiter  die  da- 
malige Epoche  durh  Kritik  und  reale  Kenntnisse  fortgcschrilleu  war, 
um  so  mehr  war   bei   der   Rückkehr    zum  Altcrthum  der  Gegensatz 


gegeben  und  so  erhob  sich  die  Naturphilosophie  des  Paracelsus 
ungleich  der  älteren  zu  jener  höheren  kosmisch-physiologischen  An- 
schauung, welche  für  die  Medicin  den  fruchtbringenden  Keim  eines 
organisch-subjectiven  Lebens  und  eines  chemisch-vitalen  Prozesses  er- 
schloss.  3Iit  diesem  Grundgedanken  war  auch  die  Aufgabe  des  nun 
beginnden  dritten  Zeitraumes,  an  welcher  auch  wir  noch  arbeiten, 
gegeben.  Denn  jene  Idee  war  noch  zu  sehr  von  der  schwärmeri- 
schen Ideologie  der  Zeit  umhüllt,  als  dass  sie  allgemein  verstanden 
und  zum  klaren  tageslichthellen  BeMusstsein  geworden  wäre,  es  war 
noch  zuviel  sinnbildliche  Vergleichung,  wie  in  der  Kindheit  der  Er- 
kenntniss,  um  nicht  einer  tiefern  philosophischen  Ergründung  und  that- 
sächlicheren  Bestätigung  zu  bedürfen ;  es  war  erst  die  allgemeinste 
Richtung  und  Tendenz  angegeben ,  welche  der  Ausführung  ins  Ein- 
zelne und  der  speciellen  Belege  harrte;  es  fehlte  endlich  das  physi- 
kalisch-mechanische Element  und  eine  engere  Beziehung  der  einzelnen 
Zweige  der  Medicin  sowohl  wie  der  Theorie  und  Praxis  durch  mehr 
physiologische  Begründung  der  Letzteren.  Der  dritte  Zeitraum  soll 
demnach  den  speciellen  Ausbau  der  physiologischen  SIedicin  unter- 
nehmen, das  chemische,  physikalische  und  dynamische  Element 
gleichmässig  berichtigen  und  durch  empirische  Forschungen  in  seinen 
Verhältnissen  zum  Leben  erfassen,  wie  dieses  selbst  als  organisch- 
vitalen Prozess  unter  allen  Umständen  so  zu  ergründen  suchen,  dass 
daraus  auf  einer  wahrhaft  physiologischen  Grundlage  Theorie  und 
Praxis  rationell-empirische  Gestaltung  und  Uebereinstimmung  erlangen 
kann.  Diesen  Fortschritt  zu  ermöglichen,  musste  die  ganze  Para- 
c eisische  für  ihre  Zeit  zu  erhabene  (obgleich  ihr  theilweis  unter- 
worfene) und  für  die  Zukunft  zu  allgemeine  und  ungenügende  Lehre 
in  ihre  Elemente  zerfallen,  damit  jedes  derselben  durch  besondera 
Anbau  in  das  gehörige  Licht  gesetzt  werde,  ehe  es  sich  wieder  zu 
einem  Ganzen  einen  konnte.  Indem  aber  bei  dieser  einzelnen  Betrach- 
tungsweise Einseitigkeit  nicht  vermieden  wurde,  stürzte  diese  syste- 
matische Isolirung  zusammengehöriger  Bestandfheilc  und  Ertödtung 
lebendiger  Momente  in  sich  selbst  zusammen.  So  entstanden  und 
fielen  die  spiritualistischen,  c heimischen  und  mechani- 
schen Systeme,  welche  den  Synkretisten,  die  eine  Vereinigung  der 
galenischen  und  paracelsischen  Sätze  erstrebten,  und  der  spagirischen 
Schule,  die  besonders  die  Heilmittellehre  des  Paracelsus  aner- 
kannte, folgten;  so  die  concreteren  Formen  (nachdem  durch  Syden- 
ham   und   die  llippocratiker    eine  anderweite  Läuterung  des  Alter- 


8 

thums  voausging)  wie  sie,  in  der  psycliisch-vitaleu  Theorie  Stahls, 
in  der  materiell-dynamischen  Aelhertheorie  Hoffmanns  und  in  der 
chemisch-mechanischen  Humoralpathologie  B  0  er  ha  aves  nur  in  mo- 
dificirler,  mehr  erweiterter  und  combinirler  Fassung  als  bei  v.  11  el- 
mont,  Borelli  undSylvius,  aber  mit  denselben  Hauptelementen, 
wiederkehren.  In  diesen  Schulen,  welche  ihre  Grundsätze  aus 
deutlicher  Unzulänglichkeit  der  einzelnen  öfters  vereinigten,  ohne 
aber  jene  höhere  Einheit  des  organisch -vitalen  Lebensprocesses 
zu  erreichen,  kehrt  eben  desswegen  die  Lehre  des  Alterthums 
wieder.  Dies  ist  ersichtlich  an  Stahls  Humoralpathologie,  welche 
eine  Feindin  des  Chemismus  in  „Fülle  und  Verdickung"  ihre  Stützen 
suchte,  an  seiner  Autokratie  der  Natur,  der  Idee  der  kritischen  Be- 
strebungen der  Krankheiten,  die  der  Paracelsischen  ganz  entgegen- 
läuft; ferner  in  der  Praxis  der  latromathemaliker  (ßaglivi),  welche 
bei  der  Unmöglichkeit  der  Uebertragung  der  Theorie  auf  dieselbe 
diehippocratisch-galenische  war;  mehr  aber  noch  in  der  vorzugsweise 
sinnlichen  Erfassung  der  Natur  nach  chemischen  Lehrsätzen,  die  in 
gewisser  Beziehung  noch  unter  den  Ansichten  des  Alterthums  steht, 
insofern  dort  die  physikalische  Theorie  als  kosmogonische  nicht  des 
Lebens  beraubt  war,  sondern  auf  allgemeiner  Naturanschauung  beruhte, 
während  hier  das  Unorganische  allein  waltete.  Mischung,  Form  und 
Kraft  gab  es  auch  dort,  und  es  war  hier  nur  der  Fortschritt  ersicht- 
lich, den  das  Gedeihen  der  Chemie  und  Physik  selbst  reell  beförderte. 
So  bildete  sich  abgesehen  von  einer  spätem  höhern  Lebensidee  die 
Chemiatrie  immer  weiter  als  Mischungslehre  aus,  je  feiner  die  Elemenlen- 
kenntniss  wurde,  die  latromechanik  als  Formlehre,  je  genauer  Physik 
und  Mathematik  die  Gesetze  der  Bewegung  u.  s.  w.  erforschten.  Diese 
selbst  aber  führte  in  einer  Sublimirung  ihrer  mechanischen  Prozesse  zu 
einer  Kräftelehre  (Electrizität,  Galvanismus),  indem  sie  sie  an  gewisse 
physikalisch-dynamische  Potenzen  knüpfte,  welche  in  ihrer  Allgemein- 
heit sich  dem  Alterlhum  und  in  ihrer  Verwandtschaft  mit  der  Vitalität  auch 
der  neueren  Zeit  als  VermitHungspunkt  anschliessen.  Den  nächsten 
Uebergang  nämlich  zur  AViedererweckung  der  organisch-vitalen  Ansicht 
bildet  die  Beziehung  der  Mischung-,  Form-  und  Krafllehre  aut  die  nähe- 
ren Bestandlheilc  des  Körpers  als  Organismus  und  auf  die  in  ihm 
Maltenden  lebendigen  Gesetze.  So  entwickeln  sich  gegen  Ende  des. 
vorigenJahrhunderlszugegenseiligerErgänzung,  aber  in  einseiliger  Be- 
vorzugung der  Säfte  oder  der  festen  Theile  mit  der  Chemiatrie,  den 
Stoff- und  Mischungs-Untersuchungen,    die  Flüssigkeilslehre,  Humo- 


r  a  1 1  h  e  0  r  i  e ,  und  mit  der   den  Bewegungs  -  und  Formuntersuchun- 
gen   hingegebenen    latromathematik    die   Festlheillehre,    Solidar- 
theorie.    In  beiden  erhebt  sich  das  unorganische  Element  wieder  zum 
Organischen,   insofern  schon  die  Beziehung  auf  etwas  dem  Organis- 
mus allein  zugehöriges  Ganze  dieses  bedingt,  —  und  zum  lebendigen 
Actus,    als  entweder  den  Säften  oder  den  Festtheilen  eine  innere 
Selbstständigkeit,  Lebens-,  Bewegungs-,  Bildungs-,  Erkrankungs-  und 
Heilfähigkeit  zuerkannt  wird,  die  der  älteren  Humoral-  und  Solidar- 
theorie    abging.        Freilich    blieb   bei    Vernachlässigung   der   prak- 
tischen   Seite   die   Idee   von    den    fremden   Eindringlingen    aus   den 
hippocratisch-galenischen  Satzungen  zurück.      Daher  drang  die  Kri- 
senlehre in  Verwechslung  von  Ursache  und  Wirkung  immer  noch  auf 
Ausschaffung  der  fremdartigen  Stoffe   und  hing  die  ausleerende  und 
treibende  Methode,    welche  die  Wiener  Schule  mit  besonderer  Be- 
ziehung auf  den  Gastricismus  bis  in  die  schmutzigsten  Grenzen  führte 
als  einen  düsteren  Schatten  den  besseren  Lehren  der  Humoralpathologie 
an,    während  die  solidarpathologische  Praxis  die  reizende  oder  er- 
schlaffende ,  die  organische  Bewegung  regelnde  Methode  nach  hypo- 
thetischer Beziehung  der  unmittelbaren  Wirkung   auf  die  Festtheile 
übte  oder  nebenbei  dennoch  humoralpathologisch  verfuhr.    In  derSoli- 
dartheorie  aber  liegt  eigentlich  der  Schlüssel  für  die  nächstfolgende 
Zeit,  deren  Betrachtung  wir  uns  als  Ziel  gesteckt.     Indem  sie  Nerven 
und  Muskeln  vorzugsweise  berücksichtigte,  und  anstatt  der  physikali- 
schen Momente  die  ihre  nächste  Vorgängerin,  die  latroraechanik,  be- 
reits zu   dynamischen  Potenzen    gesteigert   hatte,    nach  organischen 
Kräften  zur  Bestimmung  des  Lebens  suchte,  bahnte  sie  den  Rückweg 
zur  physiologischen  Medicin.      Denn  allen  diesen  Grundkräften  liegt 
die  Idee  des  selbsteigenen  Lebens,    der  Spontaneität,  unter;  sie  be- 
ziehen sich  auf  die  lebendige  Action  und  Reaction  und   geben  statt 
einer  Maschinen-  oder  Stofflehre    eine  Functionen  lehre,    wenn 
ihr    gleich   aus   der  latromathematik  die  Begriffe  von  Spannung  und 
Erschlaffung,     Atonie  und  Krampf    für  die   Systeme   übrig   blieben. 
Diese  Kraft-  und  Gesetzlehre  des  Lebens  unterschied  aber  die  todte 
Bewegung  von  der  lebendigen,  ElasticitSt  von  Irritabilität,  setzte  Con- 
tractilität  und  Expansion,  Sensibilität  und  Irritabilität  (Glisson,  Hal- 
ler, Winter,  Schaeffer,   Unzer  u.  A.)  als  polare  Gegensätze 
des  Lebens;  sie  drängte  durch  die  verschiedensten  Annahmen  hindurch, 
diesich  zu  abstracten  Begriffen,  transscendentalen  Principien  und  endlich 
in  der  Nerventheorie  Cullens  zum  ausschliesslichen  solidistischen 


10 

Systeme  geslaltelen,  zu  einer  richtigeren  Erkenntniss  der  Wechsel- 
wirkung der  In-  und  Aussenwelt  und  zu  jenem  höheren,  Mischung  und 
Form,  Flüssiges  und  Festes,  wie  die  zersplitterten  Kräfte  gleich  um- 
schliessenden  Begriffe  der  Lebens  einheit.  Diese  Einheit  verkündete 
schon  das  Brown  seh  e  System  in  der  Allgemeinheit  seiner  Erreg- 
barkeit, welche  leider  auf  die  Einwirkung  der  Aussenwelt  einseitig  Bezug 
nahm,  und  führte  mit  seinen  Anhängen,  der  Err  e  gungs  theorie, 
dem  Broussaisismus  und  dem  Contrastimulismus,  durch  die 
Negation  zur  Position  der  Naturphilosophie  und  Homöopathie,  welche 
beide  zusammen  die  Paracelsische  Lehre  in  vollendeterer  Maasse 
nach  dem  Fortschritt  der  einzelnen  Disciplinen  der  Medicin  und  der 
Naturwissenschaften  wieder  herstellten.  Das  Brownsche  System 
auf  der  Spitze  eines  allen  Materialismus  ausschliessenden  Dynamismus, 
das  abstracleste  Frincip,  nämlich  ein  blos  logisches  zum  Aus- 
gangspunkt nehmend,  den  Humoralismus  und  die  Metamorphose 
gänzlich  verachtend,  die  Causalität  überall  als  das  Wichtigste  setzend 
und  die  Selbstständigkeit  und  Reactiou  des  Lebens  negirend,  fand 
seinen  physio-pathologischen  Gegensatz  in  der  Naturphilosophie,  seinen 
therapeutischen  in  der  auf  dem  Höhepunkt  des  Dynamismus  ebenfalls 
begründeten,  aber  gerade  die  innere  Vitalität  zur  Grundlage  machen- 
den Homöopathie ;  es  lehrte  aber,  wie  erwähnt,  die  E  i  n  h  e  i  t  des  Lebens, 
die  Wichtigkeit  der  Causalität,  die  Einwirkung  der  A  u  s  s  e  n  w  e  1 1 
und  beschränkte  die  m  a  t  e  r  i  e  1 1  e  Einseitigkeit  durch  den  Gegensatz  der 
dynamischen.  Gleich  dem  Bro  w  nianismus  solidistisch  auf 
den  Begriffen  der  Reizung  basirt,  einseitige  Forlsetzungen  der 
Hall  ersehen  Irritabilitätslehre  und  wie  die  ganze  damalige 
Zeit  nach  Principien  und  obersten  Potenzen  haschend,  finden  die 
Erregungstheorie,  der  Contrastimulismus  und  der 
Broussaisismus  ihren  obersten  Vereinigungspunkt  in  der  Erreg- 
barkeit Browns  und  ihre  Gegensätze  theils  unter  sich,  theils  in  den 
Gegensätzen  der  Bro  waschen  Lehre  überhaupt.  Die  Erregung  s- 
theorie  aber  verhalf  durch  die  Begriffe  des  R  e  i  z  u  n  g  s-  und  W  i  r  k- 
ungsverm  ö.g  e  n  s,  des  L  e  b  e  n  s  p  r  i  n  c  i'p  s  und  der  Organisation 
zur  Vermittlung  der  organisch-vitalen  Ansicht  in  der  Naturphilosophie. 
Der  Contrastimulismus  macht  durch  vorwiegende  Aufstellung  der 
slhenischen  Krankheiten  und  der  schwächenden  Methode  mit 
Broussais  Opposition  gegen  das  Vorwalten  der  asthenischen  Krank- 
heiten und  der  s  t  ä  r  k  e  n  d  e  n  Methode  bei  Bro  w  n,  bis  sie  sämmllich 
durch  ein  Drittes,   die  Homöopathie,   ihre  Ausgleichung  finden. 


11 

DerBroussaisismus  begründet  die  Lehre  von  der  Oertliclikeit 
der  Krankheiten  im  Gegensatz  zu  der  Allgemeinheit  bei  Brown  und 
die  anatomische  Basis  nach  Aehnlichkeit  des  Ge>Yebes  und  des 
organischen  Systemes  mit  mehr  Beachtung  des  Chemischen,  Qualita- 
tiven, Assimilafiven.  Die  Naturphilosophie  aber  vereinigte  die 
besonderen  Potenzenlheorieen,  die  materielle  und  dynamische,  humo- 
ralislische  und  solidistische,  quantitative  und  qualitative,  chemische, 
physikalische  und  vitale  Richtung  durch  eine  Indifferenzirung  der  Diffe- 
renzen, durch  die  höhere  Einheit  des  Lebens,  die  Identität  des  subjec- 
tivenundobjectivenPrincips.  Sie  lehrte  mit  demAllerthume  die  Identität 
des  ganzen  Weltalls,  mit  Paracelsus  die  Unterschiede  des  Organi- 
schen und  Unorganischen,  die  Wechselwirkung  des  Makro-  und  Mikro- 
kosmus, die  durch  drei  Potenzen  des  selbstständigen,  individuellen 
Lebens,  Sensibilität,  Irritabilität  und  Reproduction  bezeichnete  Gleich- 
stellung der  chemisch-physikalisohen  und  vitalen  Momente  und  leitete 
so  die  neuere  organisch-vitale  Bledicin  ein,  deren  rother  Faden  und 
sicherster  Grundstein  die  Physiologie  ist  und  bleiben  wird.  Was 
aber  Paracelsus  fiir  die  Praxis  wollte,  ohne  es  zu  vollbringen,  das 
vollführte  die  Homöopathie,  welche  dem  Grundsalz  jenes  Refor- 
mators: similia  similibus,  durch  Begründung  der  Arzneimittelkenntniss 
auf  die  physiologische  Basis,  d.h.  auf  die  durch  Versuche  an  Gesunden 
ermittelte  reine  Wirkung  der  Arzneien  die  schönsten  Erfolge  sichert 
und  so  ein  wahres  Band  zwischen  Theorie  und  Praxis ,  Pathologie 
und  Therapie  knüpft.  DerBr  oussaissch  en  Lehre  von  der  Oerllich- 
keit  und  anatomischen  Grundlage  der  Krankheiten  setzt  sie  die  Specificilät 
in  der  anat  o  misch-physiologi  sehen  Aehnlichkeit  der  Arzneien 
zur  Seite  und  lenkt  durch  die  Aufstellung  von  Erst-  und  Nachwirkung, 
wie  durch  Anwendung  einfacher  Arzneien,  die  reformistische  Richtung 
der  neueren  Zeit  auch  auf  das  so  lange  vernachlässigte  Gebiet  der  Praxis 
hin.  So  gruppiren  sich  denn  die  einzelnen  Schulen  und  Systeme 
dieses  Jahrhunderts  nach  folgenden  Richtungen  : 

A. 

Dynamisch:  ifl  at eriell-Dy namisch: 

Brownianismus.  Naturphilosophie, 

Erregungstheorie. 

Contrastimutismus. 

Broussaiiismus.    j, 

Homöopathie, 


12 


vorzngsweis 
theoretisch: 

Naturphilosophie. 


physiologisch- 
p  athologisch: 

Naturphilosophie, 


theoretisch- 
praktisch: 

Brownianismus  u.  seine  An- 
hänge. 

vorzugswei.s 
therapeutisch: 

Contrastimulismus. 
Homöopathie. 


B. 

vorzugswels 
praktisch: 

Homöopathie. 

c. 

vorzngsweis 
pathologisch: 

Erregungstheorie. 

Broussaisismus. 

p  a  t  h  0 1 0  g.-t  h  e  r  a- 

peii  tisch: 

Brownianismus. 

D. 

Reform  der  der  der 

Physiologie:  Pathologie:  Therapie: 

Naturphilosophie.  Broussais.  Homöopathie. 

Die  Geschichte  dieser  Systeme  und  Schulen  selbst  wird  nun  die 
Stellung  derselben  zur  Vergangenheit  und  Zukunft  und  die  Beziehung 
zu  ihrer  Gegenwart  nachzuweisen  haben ,  sie  wird  insbesondere  das 
Verhältniss  zu  früheren  Systemen  und  Schulen,  ihre  Aehnlichkeiten 
und  Verschiedenheiten,  ihre  Uebereinslimmung  und  Opposition  im 
Auge  behalten,  die  Motive  ihres  Ursprungs  und  Verlaufs,  den  Gang  der 
Entwicklung  innerhalb  der  Schule,  die  Uebergänge  zu  anderen  Ten- 
denzen, den  Einfluss  auf  die  folgenden  Schulen  darlegen,  insbesondere 
aber  die  Kritik  des  absoluten  und  relative«  Werths  und  ihrer 
Innern  Satzungen  enthalten  müssen.  Jede  solche  Spezialgeschichte 
muss  so  zwar  ein  für  sich  bestehendes  Ganze  bilden,  aber  dennoch 
stets  als  ein  organischer  Bestandtheil  eines  grösseren  Ganzen ,  des 
Organismus  der  zur  Vollendung  strebenden  Heilwissenschaft  erschei- 
nen. Die  sicherste  Controle  aber  über  die  Lösung  der  Aufgabe  unse- 
rer Zeit,  den  besten  Nachweis  über  die  Resultate  der  Wirksamkeit 
der  medicinischen  Systeme  und  Schulen  des  19.  Jahrhunderts  giebl 
die  Geschichte  und  die  Betrachtung  des  gegenwärtigen  Zustandes  der 
einzelnen  Zweige  der  öledicin  selbst,  in  welchen  sich  der  Fort- 
schritt der  Theorie  und  Praxis  auf  realem  Grunde  in  der  schönsten 
rationell-empirischen  Gestaltung  und  in  innerer,  ohne  den  Zwang  der 
Systematik  durch  die  Physiologie  bewirkter  Uebereinsfimmung  zu 
zeigen  seit  Kurzem  angefangen  hat.  Eine  solche  Befrachtungs- 
weise gehört  zu  den  belohnendsten  und  ermuthigendsten  und  sie  steht 
Jedem  zu  Gebote,  welcher  das  Buch  der  Geschichte  aufschlägt  und 
diese  als  wahre  Offenbarungslehre  anerkannt. 


liCJben  von  John  Brown.  ) 


tfrosse  Erscheinungen  in  der  Geschichte  menschlicher  Geistes- 
entwickelung'  sind  nicht  zu  begreifen,  ohne  die  Darlegung  ihres  Ur- 
sprungs, ihres  Zusammenhanges  und  Verhältnisses  mit  andern,  ihrer 
Bedingungen  und  Wirkungen,  vor  allem  nicht  ohne  die  Entfallung 
ihrer  allmähligen  Heraufbildung.  Und  wie  derartige  Ereignisse  sich 
an  das  Leben  und  die  Entwickelung  solcher  Personen  knüpfen,  welche 
sie  hervorzurufen  und  zu  tragen  bestimmt  sind,  liegt  die  Motivirung 
derselben,  ausser  in  den  Zeitverhältnissen,  oft  zunächst  in  dem 
Leben  der  betreffenden  Individuen  selbst.  Die  Biographie  eines  gros- 
sen Mannes  kann  daher  aus  diesem  Grunde  keinem  Historiker  erlassen 
werden.  Das  Leben  des  Schöpfers  gibt  den  Stoff  und  die  Färbung, 
die  Geschichte  des  Schöpfers  ist  meist  nur  ein  ergänzendes  Supple- 
ment zum  Verständniss  der  Schöpfung  selbst,  welche  in  der  denken- 
den und  schaffenden  Subjectivität  wurzelt.  Es  giebt  für  den 
Historikervielleicht  nichts  Angenehmeres  und  Belohnenderes ,  als  die 
Lichter  und  Schatten ,  welche  das  irdische  Leben  des  Genius  wirft, 
in  seinem  geistigen  Leben,  das  er  für  Andere  heraufbeschwor,  wie- 
der zu  finden  und  in  diesem  sich  wiederum  ein  Verständniss  über  jenes 
zu  eröffnen.  So  müssen  die  kleinsten  Züge  und  Linien  in  diesem 
wie  in  jenem  Avechselseitigen  Aufschlugs  gewähren  und  das  Bild  eines 
Characters  in  allen  seinen  Lebensäusserungen  vollenden  helfen.  Wie 
aber  hinwiederum  in  dem  Leben  des  Individuums  sich  zugleich  die  Zeit 
in  ihrem  Einfluss  auf  die  menschliche  Gesellschaft  spiegelt   und  der 


♦)  Hauptsächlich  nach  Beddoes  und  dem  Sohne  Browns;  s.  Lit. 


14 

Zeitgenossen  Bilder  in  verscliiedenen  Färbungen  auftauclien,  ge- 
staltet sich  zugleich  in  der  Lebensbeschreibung  eines  Einzelnen  ein 
grösseres  Gemälde  der  Zeit,  der  sie  Bildenden  und  der  ihr  Unterworfe- 
nen, Also  vermag  die  Lebensbeschreibung  eines  in  der  Geschichte 
hervorragenden  einzelnen  3Ianncs  sowohl  die  innern,  in  der  Indivi- 
dualität des  Genius,  als  die  äussern,  in  der  Beschaffenheit  der  Zeit  be- 
gründeten Bedingnisse  der  Ereignisse  zu  gleicher  Zeit  zu  klarer  An- 
schauung zu  erheben. 

Wenn  irgend  eine  Lebensbeschreibung  eines  Epoche  machen- 
den Mannes  die  obigen  Bedingungen  zu  erfüllen  im  Stande  ist,  so  ist 
es  die  von  John  Brown,  Wer  daher  für  eine  so  bedeutsame  Er- 
scheinung, wie  das  BroAvn'sche  System  war,  die  beste  Quelle,  Er- 
klärung und  beziehungsweise  Entschuldigung  finden  will,  der  werfe 
nur  einen  Blick  in  die  Erlebnisse  dieses  Blannes,  um  wichtiger  Motiven 
sich  zu  bemächtigen;  wer  die  innere  Uebereinstimniung  zwischen  dem 
Genius  und  seinem  Erzeugniss  erkennen  will,  der  versetze  sich  mit 
uns  in  die  Zeiten  Bro  wn's,  folge  uns  in  der  Darstellung  des  Lebens, 
Characters,  Geistes  desselben.  Aber  er  bringe  einen  unumwölkten 
Blick  mit,  er  führe  den  Maassiab  eines  höhern  geschichtlichen  Bc- 
wustseins,  das  in  Jenem  den  Träger  und  das  Werkzeug  für  weitere 
Vollendung  der  Wissenschaft  erkennt;  nicht  die  eitle  Neubegierde, 
die  bloss  nach  Tag  und  Ort,  nach  Glück  und  Unglück  fragt,  nicht  das 
bestochene  Urlheil  engherziger  Gesinnung  und  in  der  Zeit  befangener 
Beschränktheit, 

John  Brown  gehört  zu  den  Menschen,  welche  im  Gegensatze 
zu  oft  minder  begabten,  aber  zum  Glücke  ausersehenen  Lieblingen 
des  Geschickes,  trotz  geistigen  Beichthums,  ja  oft  gerade  erst  durch 
diesen,  den  Wermulhskelch  des  Schicksals  bis  auf  die  Hefen  zu  leeren 
bestimmt  sind.  Gleichsam  einen  Gegensatz  heischend  für  die  Fülle  höhe- 
rer Schätze  und  für  die  Berühmtheit  des  Namens  in  der  Gegenwart  oder 
in  der  Zukunft,  treibt  das  Schicksal  solche  in  stürmischer  Unruhe  des 
aufstrebenden  Innern  sich  verzehrende  Individuen  aus  einem  3Iissge- 
schick  in  das  andere;  andeutend,  dass  nicht  die  irdische  Welt  die 
Bahn  sei,  auf  der  sie  die  Früchte  ihrer  Bestrebungen  einerndfen.  Wir 
stehen  nicht  selten  vor  den  reichen  Pflanzungen,  die  ein  solcher  sich 
rastlos  abmühender  Geist  geschaffen,  und  bedauern,  dass  der  Pflanzer 
selbst  nicht  glücklicher  durch  seine  Aussaal  geworden.  Vielleicht 
aber  war  es  gerade  das  Unglück,  der  trübumwölkte  Horizont  des 
Lebens,   welcher  dadurch  Grosses  schuf,  dass  er  in  andern  als  irdi- 


15 

sehen  Dingen  das  Endziel  alles  Daseins,  Befriedig-ung  zu  suchen 
nöthigte,  während  der  im  Schosse  des  Glückes  Weichgebettete  in 
diesem  selbst  Endziel  und  Ruhepuukt  gefunden  hat  und  die  Tage 
seines   Wirkens  verträumt. 

John  Brown  war  von  armen  rechtschaffenen  Aeltern 
niedrigen  Standes  im  Jahre  1735  oder  1736  (nach  des  Rectors 
Wait  in  Dumfries  Aussage)  in  dem  Dorfe  Lintlams  oder 
Preston  im  Kirchspiel  Bunde  in  der  Grafschaft  Berwick 
geboren.  Bei  einem  warmen,  gefühlvollen,  für  die  Schönheiten 
der  Natur  empfänglichen  Gemüthe,  das  ihn  auch  im  Alter  nicht 
verliess ,  zeigte  er  schon  früh  ungewöhnliche  Talente  (im  5ten 
Jahre  hatte  er  bereits  das  alte  Testament  gelesen).  Diess  be- 
wog  die  Aeltern  (seine  Mutter  hatte  nach  dem  Tode  seines  Vaters 
einen  Weber  geheirathet,  der  ihn  zärtlich  liebte),  dem  Wissens- 
drange des  14jährigeu  Knaben,  den  man  anfänglich  fär  das  Weber- 
handwerk  bestimmt  hatte,  nachzugeben  und  ihn  in  die  lateinische 
Schule  zu  Dunse  zu  schicken.  Hier  unter  der  Leitung  eines 
guten  Lehrers,  des  Herrn  Cruikshank,  und  bei  ausdauerndem 
Fleisse  gedieh  er  sichtlich  und  zeichnete  sich  durch  überraschende 
Fähigkeiten  aus.  Nach  Einigen  soll  er  hierauf  durch  Armuth  ge- 
nöthigt  gewesen  sein,  Schnitterdienste  zu  verrichten;  Andere  wider- 
sprechen dem  und  lassen  ihn  schon  zeitig  als  Hülfslehrer  in  der 
Schule  fungiren,  was  er  durch  sein  hervorragendes  Talent  er- 
rungen hatte.  Die  beglückende  Zufriedenheit,  welche  eine  wohl 
angewendete  Zeit  zu  begleiten  pflegt,  wurde  sowohl  durch  Massig- 
keit und  Ordnung  und  dadurch  gedeihende  Stärke  des  Körpers  im 
Verein  mit  grosser  Energie  der  Seele,  als  auch  durch  eine  dem 
jugendlichen  Alter  eigenthüniliche  schwärmerische  Gemüthsrich- 
tung  unterhalten,  die  ihn  zu  einem  eifrigen  Anhänger  der  Secte 
der  Separatisten  (Seceders  oder  Whigs,  Presbyterianer)  machte. 
Vielleicht  würde  er  den  Wünschen  dieser  Gemeinde  und  dem 
eigenen  Hange  entsprechend,  einst  die  Interessen  derselben  mit 
derselben   Kraft    des   Geistes,    die   er   später   der   Medicin   weihte, 

verfochten    haben,    wenn   nicht    ein   an   sich   unbedeutender,    aber 

t 

in  seinen  Folgen  wichtiger  Vorfall  seinen  religiösen  Ansichten 
und  somit  seinem  Lebensplane  eine  andere  Richtung  gegeben  hätte. 
Da  er  nämlich  einst  durch  Schulfreunde  überredet  bei  einer  Ver- 
sammlung der  Merse  und  Teviotdaler  Provincial-Synode  in  einer 
bischöflichen  Kirche   eine  Predigt  angehört  hatte   und  wegen  dieser 


16 

vermeintlichen  Sünde  vor  die  Separatisten  geladen  wurde,  um 
hier  seine  Strafe  zu  empfangen,  zerriss  er  die  Fesseln,  die  ihn 
gefangen  hielten,  und  wurde,  (sei  es  nun,  dass  ihn  eine  bessere 
Ueberzeugung,  oder  das  eigne  Selbstbewustsein,  welche  jede  Be- 
vormundung verabscheute,  dazu  bewog,)  ein  Mitglied  der  allgemeinen 
Kirche,  ohne  seinen  warmen  Eifer  für  die  Religion  aufzugeben,  der 
ihn  sogar  Hume's  damals  Aufsehn  erregende  Schriften  wegen  ihres 
speculativcn  Inhalts  (wie  später  aus  andern  Gründen  die  Philosophie 
überhaupt)  als  gefährlich  bezeichnen  Hess.  Nachdem  er  ungefähr  bis 
in  sein  19tes  Jahr  (1755)  auf  der  lateinischen  Schule  jene  obenerwähnte 
Stelle  eines  Unterlehrers  — usher  —  bekleidet  hatte,  verschaffte  ihm  der 
Ruf  seiner  Sprachkenntnisse  —  denn  schon  nach  zweijährigem  Schul- 
unterricht las  er  alle  lateinischen  Classiker  fertig,  —  eine  Haus- 
lehrerstelle bei  einer  angesehenen  Familie  von  Dunse.  Jedoch  blieb  er 
hier  nichtlange,  weil  ihn  undelicate  Behandlung  oder  vielleicht  auch  die 
Unfügsamkeit seines  Characters  vertrieb,  und  erging  auf  die  Universität 
nach  Edinburg,  um  daselbst  nach  Beendigung  des  philosophischen 
Cursus  Theologie  zu  studiren.  Zu  diesem  Behufe  besuchte  er  fleissig 
die  Collegien,  während  er  sich  durch  Unterricht  seinen  Unterhalt  ver- 
schaffte, und  war  schon  so  weit  vorgerückt,  dass  er  die  vor  der  Ordi- 
nation nothwendige  Probe  ablegte,  als  sein  in  der  geisterweckenden 
Reibung  des  Universitätslebens  gestählter  Verstand  sich  über  die  Fes- 
seln des  Glaubens  erhob,  er  vom  Zweifel  zur  Gleichgültigkeit  und  von 
Unüberzeugtheit  zum  Unglauben  überging  und  an  die  Stelle  seiner 
ehemaligen  Schwärmerei  das  Extrem  der  Irreligion  aufplanzte,  — 
eine  Metamorphose,  die  entweder  einen  momentanen  Uebergang 
im  Jugendleben  bildet  oder  für  das  ganze  Leben  dauert  und  eine 
nicht  seltene  Frucht  einer  gewissenszwängenden  Erziehung  ist. 
Mangel  an  Unterhalt  zwang  nun  Brown,  nach  Dunse  zurüchzukehren 
und  die  Stelle  eines  Unterlehrers  daselbst  wieder  anzunehmen,  die  er 
zum  Nutzen  der  Schüler  von  1758 — 1759  ein  ganzes  Jahr  lang  beklei- 
dete. Obgleich  er  darauf  vergeblich  um  eine  Stelle  bei  der  grossen 
Schule  zu  Edinburg  angehalten  hatte,  führte  ihn  dennoch  ein  Zufall 
dahin  zurück  und  seinem  Ziele  näher.  Die  damals  häufige  Unkenntniss 
der  Studirenden  im  Lateinischen  nöthigte  sie  nämlich  sehr  oft  Privat- 
unterricht zu  nehmen  und  die  Inauguraldissertationen  ins  Lateinische 
übertragen  zu  lassen.  (Man  zahlte  10  Guineen  für  eine  neue,  5  für 
eine  übersetzte.)  Brown,  zu  letzlerem  Zwecke  von  einem  Freunde 
empfohlen,  vollführte  seinen  Auftrag  auf  eine  so  von  den  gewöhnlichen 


17 

Fabrikaten  absiechende  Weise,  dass  ihm  das  reichgespendefe  Lob  dar- 
über das  Bewiisslsein  gab,  er  -werde  durch  dieses  Mitfei  seinen  viel- 
leich  längst  genährten  und  durch  Bearbeitung  der  Dissertationen  wahr- 
scheinlich reifgewordenen  Entschluss  Medicin  zu  studiren,  ins  Werk 
setzen  können.  Ich  habe,  sagte  er  im  Gefühl  seiner  Kraft,  jetzt  meine 
starke  Seite  entdeckt,  und  ich  will  und  muss  es  noch  dahin  bringen, 
dass  ich  in  meinem  eigenen  Wagen  Kranke  besuchen  kann.  Er  ging 
daher  Ende  1759  nach  Edinburg,  mit  dem  doppelten  Geschäfte  eines 
Lehrers  und  Studirenden  (s.  Beddoes),  und  erhielt  auf  sein  An- 
suchen bei  den  Professoren  (der  erste  an  den  er  sich  in  einem  latei- 
nischen Briefe  wendete,  war  Alexander  Monro,  Professorder 
Anatomie)  unentgeldlichen  Zutritt.  Sein  Unterricht  im  Lateinischen 
wie  die  Gewandheit  seiner  Dissertationen  verschafften  ihm  bald  Ruf 
und  hinlängliche  Unterstützung,  namentlich  betrieb  er  das  Geschäft 
des  Zurechtschleifens  (grinding)  d.  h.  die  Vorbereitung  zu  den  Prü- 
fungen. Wie  er  selbst  gesteht,  wendete  er  grossen  Fleiss  auf  seine 
Studien,  lernte  und  lehrte  und  durchforschte  alle  Theile  des  medici- 
nischen Wissens,  das  er  fiir  einen  werthvollen  Schatz  hielt;  er  errang 
sich  dadurch  einen  grossen  Namen  unter  allen  seinen  3Iitstudirenden; 
scheint  aber  schon  damals,  durch  seine  Einnahmen  verführt,  sich  Aus- 
schweifungen hingegeben  zu  haben,  die  bei  einem  so  feurigen  Geiste 
aus  einer  falsch  geleiteten  Strebkraft  entspringen  mochten.  Im  Jahre 
1761  ward  er  Mitglied  der  königl.  Societät  der  Medicin.  Im  Jahre 
1765  verheirathete  er  sich,  da  er  durch  Errichtung  einer  Kostgänger- 
anstalt für  Studirende  bei  seinem  Rufe  sein  genügendes  Auskommen 
zu  finden  hoffte,  mit  der  Tochter  des  Bürgers  Lamond,  hielt  aber 
mit  einer  bei  genialen  Männern  oft  vorkommenden  Nichtachtung  öko- 
nomischer Verhältnisse  so  schlecht  Haus,  dass  er  trotz  des  Zudranges 
von  Kostgängern  nach  einigen  Jahren  banquerott  wurde.  Doch  störte 
dies  keineswegs  den  Gleichmuth  und  die  Selbstständigkeit  seines 
Characters.  Zur  weiteren  Ausbildung  und  Vervollkommnung  seiner 
Kenntnisse  besuchte  er  noch  immer  die  medicinischen  Vorlesungen. 
Um  diese  Zeit  (1770)  löste  sich  das  schöne  Verhältniss,  welches 
bisher  zwischen  Brown  und  seinem  Lehrar  Cullen  bestanden  hatte. 
Diesem  scharfsinnigen  Kopfe  war  das  Talent  B  rown's  nicht  entgan- 
gen; er  suchte  daher,  sei  es  aus  Eigennutz,  sei  es  aus  Anerkennung 
der  vorzüglichen  Kenntnisse  desselben,  seinen  nähern  Umgang  und 
überhäufte  ihn  mit  Wohlwollen,  Hess  ihn  seine  lateinische  Correspon- 
denz  mit  den  gelehrten  Gesellschaften  des  Continents  führen,  wählte 

2 


18 

ihn  zum  Privatlehrer  seiner  Kinder,  empfahl  ihn  Anderen  und  erlaubte 
ihm  sogar,  in  Abendvorlesungen  Repetitorien  und  Erläuterungen  seiner 
eigenen  Vorträge  zu  halten.     Brown  Avar  nicht  undankbar  gegen  so 
viel  Güte  und  es  bildete  sich  ein  enger  Freundschaftsbund,  von  dem 
Bro  wn's  begeisterte  Lobreden  und  die  Namengebung  seines  Sohnes, 
der  William  Cullen  genannt   wurde,   hinlänglich  zeugten.      Als 
aber  Brown  s  Umstände   misslicher  wurden,   während  sein  Ruf  in 
gleicher  Weise  zunahm,  mochte  Eifersucht  auf  der  einen  und  unbe- 
friedigte Zumuthung  auf  der  andern  Seite  das  zwischen  dem  Protector 
und  Klienten  lang  genug  bestandene  gute  Verhältniss  trennen.     Wäh- 
rend Brown  vielleicht  mit  zu  viel  Anmassung  von  Cu Ileus  Einfluss 
die  Verbesserung  seiner  Umstände  erwartete,  soll  dieser,  als  Bro  w  n 
um  eine   vom  Edinburger  Magistrat   zu   vergebende  Professur    (bei 
Girtanner  1.20.  ist  hier  ein  Druckfehler.     Monro  und  Drummond 
waren  zwei  verschiedene  Personen.)  ohne  weitere  Empfehlung  als  sein 
Verdienst  anhielt,  mit  Hohn  auf  diese  Anforderung  geantwortet  haben.  •') 
(s.  Jones's  Enquiry  into  the  State  of  medicine.  1781  p.  358.)     Dieser 
Vorfall  erklärt  sich  leicht  daraus,  dass  Brown  von  Cullen  aufgefor- 
dert schon  ein  Vorlesebuch  ausgearbeitet  hatte,  in  welchem  Cullen 
zu   nicht   geringem  Aerger   ganz    das  Gegentheil  seiner  Meinungen 
fand,  da  hierin  die  ersten  Grundrisse  der„Elemenla  medicinae"  nieder- 
gelegt waren.     Dabei  blieb  es  nicht.    Brown  suchte  nämlich,  angeb- 
lich um  seinen  Freund  zu  prüfen,  um  Aufnahme  in  die  philosophische 
Gesellschaft,   welche   die  Edinburger   Essays   herausgab    und  unter 
dem  directen  Einflüsse  Cu  11  en's  stand,  nach.     Obgleich  nun  früher 
Niemand  abgewiesen  wurde,  geschah  dies  doch  bei  Brown,  dessen 
Versuche  ein  neues  System  zu  begründen,  damals  schon  die  Eifer- 
sucht der  Edinburger  Wissenschaftsmonopolislen  erregt  haben  mochten. 
Was  auch  an  diesen  Avahrscheinlich  von  Bro  wn's  Heftigkeit  über- 
triebenen Beschuldigungen  sein  mag,  soviel  ist  gewiss,  dass  der  Bruch 
zwischen  Brown  und  Cullen  ein  unheilbarer  ward.     Um  diese  Zeit 
entstand  das  neue  System  Bro  wn's,  welches  zuerst  im  Jahre  1780 
gedruckt   erschien.       Sein    von   Zweifeln   bestürmter   Forschertrieb 
mochte  längst  nach  einer  festern  Begründung  der  Wissenschaft 
gestrebt  haben;  sein  aufstrebender  Ehrgeiz  und   productives  Talent 


*)  Collen  soll,  als  die  Herren  vom  Magistrat  nach  dem  unbekannten, 
unempfohlenen  Candidaten  fragten,  im  Edinburger  Dialect  gesagt  haben: 
Was  in  aller  Welt,  das  ist  doch  nicht  gar  unser  Hans!  (Beddoes  Biogr, 
herausg.   v.  Christ  ie,  Kopenh.  1797.  S.  19.) 


19 

suchten  dies  auf  eine  möglichst  neue,  bisherige  Annahmen  umstür- 
zende Weise  zu  thun;  ein  besonderer  Vorfall,  den  Avir  gleich  näher 
berühren  Averden,  gab  die  besondere  Richtung  und  BroAvns  eigen- 
thümliche  scharfe  Logik  und  energische  Consequenz,  -wie  der  klare 
durchdringende  Verstand  desselben  schufen  die  besondere  Form, 
unter  Avelcher  die  neue  Theorie  sich  zum  sogenannten  Systeme  ge- 
staltete. Es  dürfte  gcAAiss  in  psychologischer  Hinsicht  merkAvürdig 
sein  und  zu  interessanten  Reflexionen  führen,  AAenn  man  nachAAcisen 
könnte,  in  aaIc  AAeit  das  Bedürfniss  für  seine  Familie  zu  sorgen  und 
der  Wunsch  Gull  ens  Ansehen  zu  untergraben,  als  befördernde  Um- 
stände dabei  betheiligl  geAvesen  seien.  Dass  eine  Stelle  in  CuUen's 
Institutions  of  medicine  im  130  §.  u.  S.  den  Stoff  zum  Er  o  AAn'schen 
Systeme  gegeben  habe,  aaIc  Beddoes  behauptet,  scheint  nicht  AAahr- 
scheinlich.  Jene  Stelle  lautet:  „Es  ist  AAahrscheinlich,  dass  das  Ner- 
venfluidum  im  Gehirn  eines  verschiedenen  Grades  oder  Zustandes  A'on 
BeAveglichkeit  fähig  ist,  AAelche  ich  den  Zustand  der  Aufregung 
(Excitement)  und  des  Zusammensinkens  (Collapse) nennen  Avill." 
Jedenfalls  ist  diese  an  mechanische  Theorie  streifende  Behauptung  so 
AA'eit  Aon  BroA\'n's  Annahme  entfernt,  dass  sie  den  Ruhm  einer  selbst- 
ständigen Erfindung  gar  nicht  beeinträchtigt.  BroAA'n  selbst  gibt  als 
nächste  Veranlassung  (s.  Vorrede  seiner  Eiern,  med.)  folgendes  an: 
Er  hatte  einen  Podagraanfall  im  36.  Jahre,  der  eingetreten  Avar,  nach- 
dem er  6  Monate  lang  sein  früheres  Wohlleben  mit  einer  magern 
Diät  A-ertauscht  hatte.  Nach  6  Jahren  erlitt  er  nach  längerer  Ent- 
haltsamkeit einen  ZAAeiten  Anfall.  Da  er  A-oUblüfig  und  kräftig  AA'ar, 
schrieb  man  ihm  eine  vegetabilische  Diät,  Entziehung  vor,  jedoch  ohne 
Erfolg.  Schmerzen  und  heftige  Anfälle  mit  Hinken  dauerten  fast  ein 
ganzes  Jahr  fort.  Durch  Nachdenken  kam  nun  B  r  o  av  n  auf  den  Be- 
griff der  Stärkung  undSchAvächung  durch Nahrungs-  und  andere  Erhal- 
tungsmiltel  des  Lebens ,  auf  die  Wirkung  derselben  gegen  das  Ende 
des  Lebens,  avo  sie  statt  zu  stärken,  schwächend  Avirken,  und  auf  die 
Annahme  der  uneigentlichen  SchAväche  durch  Ueberfluss  dieser  Mo- 
mente und  bediente  sich  in  Folge  dessen  der  stärkenden  Methode  mit 
dem  glücklichsten  Erfolge.  ZavcI  Jahr6  hindurch  erlitt  er  nur  einen 
leichten,  viermal  schwachem  Anfall  als  die  früheren.  Er  ging  nun 
weiter  und  suchte  auch  die  asthenische  Natur  der  Entzündung  nach- 
zuweisen, indem  er  in  Gegenwart  mehrerer  dazu  geladener  Personen 
sich  durch  geistige  Reizmittel  den  vollen  Gebrauch  des  vorher  Avegen 
Schmerzes  nicht  zu  beAvegenden  Fusses  verschaffte.     Durch  Verglei- 

2* 


20 

cluing  verwandter  und  unähnlicher  Formen  statuirle  er  nach  und  nach 
die  asthenische  Natur  anderer  Uebel,  bei  denen  man  früher  ein  Ueber- 
maas  von  Blut  angenommen  hatte,  wie  z.  B.  bei  Krämpfen,  Blutflüssen 
(diese  in  d.  1.  Ausg.  unter  die  sthen.  Krankheiten  gesetzt).  Auf  gleiche 
Weise  versuchte  er  an  seinem  Podagra  zuerst  die  reizende  Wirkung 
des  Opiums,  die  er  künftig  so  hoch  stellte.  '■•')  —  Noch  ist  in  Bezug 
auf  den  Ursprung  des  Systems  zu  bemerken  (English  review  for  Oct. 
1794.  S.  282.),  dass  Brown  anfangs  die  Erregung  (gleichbedeutend 
mit  Stärkung)  zur  Basis  des  Systems  machte  und  darnach  Krankheiten 
von  vermehrter  und  verminderter  Erregung  unterschied,  und  erst 
nachdem  man  ihn  auf  die  nothwendige  Verschiedenheit  von  Kraft  und 
Verrichtung  aufmerksam  gemacht  hatte,  die  Erregbarkeit  als  Haupl- 
princip  aufstellte. 

Von  dem  Augenblicke  an,  wo  Brown  durch  seine  Schöpfung 
der  Geschichte  der  Medicin  anheimfiel  und  den  Culminationspunct 
seines  Lebens,  welches  eben  die  Zeugung  ist,  erreicht  hatte,  ging 
seine  irdische  Existenz  stufenweise  abwärts.  Sein  stolzes  Selbstbe- 
wusstsein  steigerte  sich  zu  einer  bei  Reformatoren  nicht  seltenen 
Selbstüberschätzung,  die  nicht  ohne  beleidigende  Zurücksetzung  An- 
derer gedacht  werden  kann,  —  während  die  nicht  im  Verhältniss  mit 
den  Ansprüchen  des  Selbstüberschälzten  stehende  Berücksichtigung, 
ja  die  Vernachlässigung  der  Welt  zu  den  verzweifeltsten  Entschlüssen 
ihr  zu  trotzen,  ihre  Achtung  zu  erzwingen  oder  ohne  sie  nach  eigener 
Willkühr  zu  leben  führte.  —  Die  Gesetze  der  menschlichen  Existenz 
lassen  sich  aber  nicht  gcAvaltsam  vernichten  und  so  fällt,  mit  dem  Man- 
gel des  in  der  Achtung  der  Aussenwelt  begründeten  Schwerpuncts, 
nicht  selten  der  Genius,  ein  Opfer  seiner  willkührlichen  Ueberhebung, 
durch  Zerrissenheit. 

Die  Elemente  der  Medicin,  wie  das  im  Jahre  1772  bekannt  ge- 
wordene System  Brown's  hiess,  fand  unter  den  Freunden  Brown's 
so  vielen  Beifall,  dass  Brown  sich  enlschloss,  Vorlesungen  darüber 
zu  halten.  Diesen  wohnten  zwar  die  tüchtigsten,  aber  auch  leider! 
viele  der  unmoralischsten  Studirenden  bei,  die  man  scherzweise 
Brunonianer  nannte;  aber  die  Bedingungen  waren  so  gut  gestellt, 
dass  Brown's  Verhältnisse  sehr  gewinnen  konnten.    Älusste  nun  die- 


♦)  Der  Bericht  von  Robert  Jones  (Girtanner  I.  S.  72. )  (nicht  von 
Brown  selbst?)  stimmt  wesentlich  hiermit  überein;  die  Zusätze  sind 
spätere  Angaben,  welche  mehr  ausmalen,  als  historische  Nachweisiingen 
über  die  eigentliche  Entstehung  des  Systems  geben. 


21 

ses  Aufsehn,   vie  Brown's  Verdienst    an  sich  schon  den  Neid  der 
Professoren    erwecken,    so   waren    noch   vielmehr   die   Aufführung 
Brownes,  unkluge  Aeusserungen  desselben,  beleidigender,   gering- 
schätzender Ton  auf  den  Trümmern  der  ä  1 1  e  r  e  n  Medicin,  geeignet 
ihm  Feinde  zu  erwecken.     Auch  bei  ihm  wie  bei  andern  Reformatoren 
fehlte  es  nicht  an  stolzen,  hochtrabenden  Phrasen,  mit  denen  er  un- 
überlegt das  eigene  Verdienst  erhob ,   w  ährend  er  eine  scharfe,   oft 
nicht  ungerechte,  aber  im  Allgemeinen  zu  rücksichtslose  Geissei  über 
die  Gebrechen  der  Heilkunde  und  ihrer  Jünger  schwang   (Observations 
on   the   cid   Systems   of  physic.  1787.   p.  XXXI.  ff.  s.  Lehrbegr.  d. 
Bro  wn'schen  Arzneilehre  übersetzt  von  Eyer  el.  p.  48.49.),  Avie  sie 
die   besonnene  Kritik    des  Historikers,   wenn  er  sie  auch   theilweise 
motivirt   findet,    kaum    entschuldigen  würde.     Leider  blieb  es  nicht 
bei  den  Phrasen,  sondern  es  wurden  selbst  thätliche  Midel  versucht, 
den  Werth  des  neuen  Systems  recht  augenfällig  zu  machen.    Und  hier 
ist  es  besonders  ein  Factum,  welches  Brown  unendlich  geschadet 
hat  und  zu  einem  eignen  Schriftenwechsel  Veranlassung  gab,  da  seine 
Feinde  froh  waren,  einen  an  sich  unwesentlichen  aber  den  morali- 
schen Werth  der  Anhänger  des  neuen  Systems  vernichtenden  Ge- 
genstand für  ihre  Beweisführung  ausbeuten  zu  können.   (Jones'  Enquiry, 
p.  134  —  150.  Lettre  to  Dr.  R.  Jones  by  A.  Duncan.  M.  D.  1782.  Letter 
from  Philalethes  to  A.  Duncan  ohne  Datum  und  Namen  —  angekündigt 
aber  wahrscheinlich  nicht  erschienen).  Folgendes  ist  der  Thatbestand. 
Ein  Student,  Isaacson,   erkrankte  an  einem  Fieber,   welches  Dr. 
Duncan  und  Dr.  Monro  behandelten.      Ein  Freund  des   Kranken, 
Dr.  Robert  Jones,  suchte  ihm  heimlich  durch  die  Wärterin  reizende 
Mittel  beizubringen,  welche  anfangs  Besserung,  später  Delirien  herbei- 
führten.    Jones  ängstlich  geworden  wendet  sich  an  Brown,  wel- 
cher sich  soweit  herablässt,  die  Wärterin  durch  Schmeicheleien  und 
Aufklärungen  über  sein  System  zur  Fortsetzung  des  begonnenen  Cur- 
plans  zu  überreden,  was  sie  auch  versprach.    Als  der  Kranke  nun  ge- 
nas und  die  Brownianer  öffentlich  sich  die  Heilung  zuschrieben, 
bekannte  die  Wärterin,  selbst  eidlich,  dass  sie  nie  von  den  Reizmitteln 
etwas  angewendet,  wohl  aber,  dass  Dr.-R.  Jones  mehrmals  vergeb- 
liche Versuche  gemacht  habe,  dem  Kranken  Laudanum   beizubringen, 
was  dieser  jedesmal  zurückgewiesen  habe.    Dr.  Monro  hintertrieb 
aus   wirklich    ehrenwerthen   Gründen  eine  Klage ,    welche  der  auf- 
gebrachte Duncan  anzustellen  beabsichtigte.     Nichts  destowcniger 
traf  Bro  w  n  harte  Strafe   für  diese  hinterlistige  Intrigue,  welche  dem 


22 

Kranken  wie  dem  Collegen  gegenüber  selbst  in  der  Sucht  den  Nutzen 
des  neuen  Systems  recht  schnell  bekannt  zu  machen,  auch  dann  nicht 
Entschuldigung  verdient,  wenn  die  Urheber  von  der  heilenden  "Wirk- 
ung ihrer  Arzneien  gewisse  Ueberzeugung  hatten.  Brown's  Ruf  als 
Arzt  und  Mensch  wurde  fast  gänzlich  vernichtet,  seine  Aussicht  auf 
Privatpraxis  zerstört,  ja  selbst  sein  System  mit  einem  von  der  Person 
auf  die  Sache  nicht  selten  übergehenden  Schatten  umzogen ,  der  sie 
bei  Vielen  verdunkelte  und  unterdrückte. —  Im  Allgemeinen  erzeugte 
aber  die  neue  Lehre  grosse  Aufregung,  wozu  die  Anhänger  Browns 
(der  unterdess  zweimal,  1776  und  1780,  zum  Präsidenten  der  medicini- 
schen  Gesellschaft  und  seiner  antiquarischen  Kenntnisse  wegen  zum 
Secretär  der  antiquarischen  Gesellschaft  in  Edinburg  ernannt  w  orden 
war  und  an  der  Universität  zu  St.  Andrews  1779  —  nach  Andern  1775 — 
denDoctorgrad  erlangt  hatte),  durch  Spott  und  Tadel  der  Professoren, 
der  Aerzte,  der  Gesellschaften  nicht  wenig  beitrugen.  Ja  es  blieb 
nicht  bei  heftigen  mündlichen  Debatten,  in  Folge  deren  selbst  ein 
Verbot  der  Duelle  nöthig  wurde,  sondern  man  suchte  auch  in  Schriften 
(wie  z.B.  in  dem  Schreiben  über  die  Behandlung  der  Patienten  in  deniK. 
Krankenhause  zu  Edinburg  1782,  unterz.  Verl  amicus,  die  schmale 
Hospitaldiät  scharf  gegeisselt  wird)  die  Behandlung  der  Gegner 
lächerlich  zu  machen.  Die  Reaction  blieb  nicht  aus;  man  verfolgte 
Brown  und  darum  sein  System  und  seine  Anhänger,  denen  man  so- 
gar Citate  aus  Brown's  Schriften  in  den  Inauguraldissertationen 
strich  und  die  man  auf  alle  mögliche  Weise  in  den  Prüfungen  chi- 
canirte.  (Briefwechsel  zwischen  Wainmann  und  Mo  uro.)  In 
den  Vorlesungen,  dicBrowMi  später  vor  einem  nicht  zu  zahlreichen 
Auditorium  hielt  (man  sagte ,  es  locke  einen  grossen  Theil  desselben 
blos  der  damit  verbundene  Sprachunterricht,  indem  er  darin  seine  la- 
teinische Ausgabe  übersetzte),  erklärte  er  Satz  für  Salz,  liess  aber  ge- 
wöhnlich zu  Ende  in  seinem  Eifer  nach.  Eine  gleiche  Ueberschätzung, 
wie  in  seinen  Privalgesprächen,  gab  sich  auch  hier  kund  und  um  seine 
Einbildungskraft  und  Ausdauer  aufrecht  zu  erhalten,  pflegte  er  öfters 
Laudanum  zu  nehmen,  wodurch  er  nicht  selten  bis  zum  Wahnsinn  cxal- 
tirt  wurde.  Die  oben  erwähnte  Erfahrung  bei  der  Gicht,  sowie  eigene 
Neigung  mochic  ihn  in  dem  Gebrauch  der  Reizmittel  bestärken  und 
taeilweise  dadurch  kam  er  so  herunter,  dass  seine  Schüler  seine  Vor- 
lesungen im  Schuldgefängnisse  hören  mussten.  Endlich,  nachdem  er 
noch  wahrscheinlich  zur  Forlpflanzung  seiner  Lehre  und  der  römischen 
Literatur  eine  Freimaurerloge  —  zum  römischen  Adler   —  gestiftet 


23 

halte,  zwang  ihn  die  Nolh  nach  London  zu  gehen  (1786).  Hier  fand 
er  anfangs  eine  fast  glänzende  Aufnahme.  Seine  Wohnung  in  golden 
Square  war  von  vielen  gelehrten  Männern  gesucht  und  der  Sam- 
melplatz zahlreicher  Anhänger.  Doch  weder  Praxis,  noch  Vorlesun- 
gen, noch  Honorar  für  seine  Werke  füllten  die  sehr  in  Anspruch  ge- 
nommene Börse.  Ein  Ruf  nach  Berlin  als  Leibarzt  des  Königs  schei- 
terte an  den  Intriguen  einer  Hofcamarille,  Avie  ein  früherer  als  Pro- 
fessor nach  Fadua  an  den  Kabalen  der  medicinischen  Aristokratie. 
Das  Geschick  trieb  ihn  endlich  in  London  ins  Schuldgefängniss,  es 
konnte  ihn  jedoch  trotz  der  fast  sichern  Aussicht  auf  günstige  Erfolge 
nicht  bewegen,  den  Vorschlag  seines  Verlegers  Murray  und  einiger 
Betrüger  anzunehmen,  die  ein  Gemisch  von  Reizmitteln  unter  dem 
Namen:  Brown's  erregende  Pillen,  gegen  eine  namhafte  Summe  von 
ihm  zusammengesetzt  wünschten.  Endlich  durch  Hülfe  des  Herrn 
Maddison  und  einiger  Freunde  befreit  gab  er  im  Jahre  1787  seine 
Observations  heraus ,  welche  sein  System  populär  und  verbreitet 
machen  sollten;  aber  eben  mitten  im  Beginn  einer  glänzenden  schrift- 
stellerischen Laufbahn  und  einer  bessern  Praxis,  die  ihm  zu  lächeln 
anfing,  starb  er  am  7.  Octoberl788,  52  Jahre  alt,  in  Folge  eines  durch 
fernere  Ausschweifungen  herbeigeführten  Schlagflusses.  Da  er  ge- 
rade damals  im  Begriff  war,  einen  Cursus  seiner  Vorlesungen  anzu- 
fangen und  sich  dem  äussern  Anscheine  nach  wohl  befand,  so  ist 
wahrscheinlich,  dass  eine  vor  Schlafengehen  genommene  grosse  Dosis 
Laudanum  diesen  Schlagfluss  herbeigeführt  habe. 

So  endete  John  Brown.  Er  hinterliess  vier  Söhne*)  und 
vier  Töchter,  welche  dem  Wohlthätigkeitssinn  der  Privatleute  anheim- 
fielen. Sein  ältester  Sohn  widmete  sich  ebenfalls  der  Heilkunde,  nicht 
abgeschreckt  von  dem  traurigen  Loose  seines  Vaters,  dem  er  in  einer 
guten  Biographie  ein  schönes  Denkmal  gesetzt  hat. 

Viele  Studirende  in  Pavia  legten  Trauer  an;  die  Zeitungen  füll- 
ten sich  mit  Notizen  über  ihn  und  die  Loge  zum  römischen  Adler  ver- 
anstaltete ihm  zu  Ehren  eine  Leichenfeier. 

Das  Leben  John  Brown's  ist  nur  durch  einen  einzigen  Mo- 
ment, in  welchem  er  die  Grundidee  seinem  Systems  erfand,  bezeichnet, 
und  doch  durch  diesen  Moment  für  lange  Zeit  wichtig  geworden. 
Aeussere  Umstände  und  zum  Theil  er  selbst  waren  Schuld,  dass  die 


*)  Haeser    spricht   nur  von  2  Söhnen,  der  Sohn  Brown's  aber 
giebt  die  Zahl  4  an. 


24 

herrlichen  Gaben  seines  Herzens  und  Geistes  nicht  bessere  Früchte 
trugen.  Seine  intellectuellen  Fähigkeiten  waren  gross.  Schärfe  des 
Verstandes,  logische  Consequenz,  Klarheit  der  BegrifTe  (die  er  unter 
angekünstelter  Dunkelheit  des  Stjis  versteckte),  schnelle  Auffassung, 
Gewandtheit,  Sprachtalent  und  ein  ganz  vorzügliches  Gedächlniss  (er 
Avar  im  Stande  zwei  lateinische  Octavseiten  nach  einmaligem  Durch- 
lesen auswendig  herzusagen)  unterstützten  seinen  Wissensdrang  und 
Forschertrieb,  den  er  auf  selbstständige  Weise  befriedigte.  Er  be- 
sass  ein  empfängliches  Gemüth  für  Naturschönheiten,  ein  warmes  Herz 
für  seine  Gattin,  Kinder  und  Freunde,  Sinn  für  Geselligkeit,  Spring- 
kraft und  Elasticität  des  Willens,  kühnen  Trieb  und  rege  Strebkraft, 
lebhafte,  fortreissende  Phantasie.  Er  war  friedselig  gegen  seine 
Feinde,  offenherzig  gegen  seine  Freunde,  standhaft  und  ungebeugt  im 
Unglück.  Er  verachtete  den  Reichthum,  verabscheute  was  niedrig 
war  und  schätzte  die  Wahrheit  über  Alles.  Aber  er  kannte  die  Welt 
zu  wenig,  um  nicht  mit  seinem  graden  Sinn  anzustossen,  sich  in  vielen 
seiner  Berechnungen  zu  täuschen ;  er  hatte  zu  wenig  Grundsätze  und 
Resistenz  des  Characters,  um  seiner  Phantasie  Zügel  anzulegen,  und 
war  daher  in  seinen  Plänen  und  Unternehmungen  excentrisch.  Er 
trieb  die  Energie  seines  Willens  bis  zu  einer  alle  Schranken  durch- 
brechenden Heftigkeit,  die  Consequenz  bis  zur  Halsstarrigkeit,  den 
Widerstand  bis  zum  verzweifelten,  ungerecht  werdenden,  sich  selbst 
vernichtenden  Trotz.  Auf  dem  Höhepuncte  seines  Wirkens  berauschte 
ihn  sein  geistiger,  über  das  Gewöhnliche  erhabener  Standpunct  und 
da  ihm  die  Aussenwelt  Befriedigung  versagte,  stürzte  er  sich  in  den 
sinnlichen  Genuss  von  Reizmitteln,  um  hier  Trost  und  Erregung  zu 
linden,  nach  der  seine  stürmende  Phantasie  verlangte.  So  versank 
dieser  hohe  Geist  von  Stufe  zu  Stufe  und  bezeugte  endlich  die  in  sei- 
nem Systeme  aufgestellte  ^^'irkung  der  Reize  durch  die  Art  seines 
Todes  selbst. 

Er  war  klein,  wohl  proportionirt,  später  sehr  beleibt  und  roth, 
sein  Auge  lebhaft,  sein  Mienenspiel  sehr  bezeichnend.  Zur  Vervoll- 
ständigung seines  Bildes  dient  noch,  dass  sein  Betragen  in  geselliger 
Hinsicht  zwar  sehr  lebhaft,  aber,  aus  einer  Steile  i)ei  Beddocs  zu 
schliessen,  nicht  eben  fein  war.  Seine  Sprache  war  breit,  für  ein 
englisches  Ohr  unangenehm,  seine  Stimme  iieiser  und  beiuabe  kräch- 
zend; jedoch  wenn  er  in  Feuer  gerieth,  wurde  die  Stimme  wohl- 
klingend und  verlor  alles  Rohe  seines  Accents.  Sein  Styl  ward 
nur   durch    Verkünstelung   dunkel,    er   schrieb   klar    und   fliessend, 


25 

wenn  er  wollte.  In  seiner  politischen  Denkungsart  änderte  er  sich 
plötzlich  um  das  Jahr  1770,  er  wurde  ein  Anhänger  des  Prätendenten 
und  Verehrer  des  schottischen  Adels,  was  vielleicht  mit  seiner  Liebe 
für  Alterthümer  zusammenhing.  Unter  den  philosophischen  Schrift- 
stellern waren  Cicero  und  Baco  seine  Lieblinge.  In  der  Medicin 
hatte  er  mehr  Belesenheit,  als  die  Meisten  seiner  Zeitgenossen,  las  aber 
von  dem  Augenblicke  an,  wo  er  sein  System  herausgab,  nichts  weiter. 
Man  tliut  ihm  Unrecht,  wenn  man  ihn  der  Verachtung  der  Ilülfswissen- 
schaften  zeiht.  Anatomie  studirte  er  fleissig  und  Botanik  war  sogar 
ein  LieblingssUidium  von  ihm.  Privatpraxis  hatte  er  trotz  seiner  Ver- 
sicherung nur  wenig ,  und  diess  erklärt  viele  seiner  Behauptungen, 
welche  die  Probe  der  Erfahrung  nicht  bestehen  können.  — 

Ausser  seiner  angeblich  im  Thesaur.  diss.  med.  Edinb.  1785  ent- 
haltenen Inauguraldissertation,  den  Elementis  und  Observations  giebt 
er  keine  Schrift  als  sein  Werk  an.  Doch  war  die  Vermuthung  aus 
innern  und  äussern  Gründen  allgemein  (Duncans  letter  p.  25.),  dass 
die  unter  Robert  Jones  Namen  erschienene  Enquiry  into  the  State  of 
medicine  etc.  von  ihm  herrühre.  Es  ist  Schade,  dass  seine  Pläne,  über 
Gicht  zu  schreiben  und  eine  kritische  Zeitschrift  über  die  medicini- 
schen  Zeitschriften  zu  gründen,  nicht  zu  Stande  gekommen  sind;  noch 
mehr,  dass  er  seinen  Vorsatz,  Elemente  der  Sittenlehre  (Elementa 
morum)  nach  philosophischen  Grundsätzen  zu  schreiben,  nicht  ausge- 
führt hat,  da  er  gewiss  originelle  und  lehrreiche  Ideen  entwickelt 
haben  würde  und  gerade  hier  die  Consequenz  seines  Denkens  einen 
grössern  Vorlheil  geschafft  hätte,  als  dies  in  der  Darstellung  der  Ele- 
mente der  Medicia  der  Fall  ist  und  sein  kann.  Ausserdem  hat  er  noch 
eine  unvollendete  griechische  Grammatik  in  lat.  Sprache  mit  in  Hexame- 
tern abgefassten  Regeln  hinterlassen. 

Die  Grundzüge  dieser  Lebens-  und  Characterdarstellung  ent- 
halten zugleich  die  Motive  und  Erklärung  mancher  Züge  der  Bro  wn'- 
schen  Schöpfung  selbst,  einen  wichtigen  Beleg  für  den  grossen  An- 
theil  der  Individualität  an  der  Gestaltung  auch  solcher  Ereignisse, 
welche  eine  ganze  Zeit  in  Aufregung  und  Umschwung  zu  versetzen  im 
Stande  sind.  Das  Brown  sehe  System.^  theilt  mit  seinem  Urheber 
die  Consequenz,  welche  sich  Alles  zu  unterwerfen  sucht,  die  Heftig- 
tigkeit  und  den  Widerstand  gegen  alles  Schrankensetzende,  die  immer 
weiter  forlreissende  Phantasie,  welche  dem  Denken  sich  einverleibt 
und  Folgerung  auf  Folgerung  häuft.  Stolz  und  Selbstbewusstsein,  Ein- 
fachheit, Wahrheitsliebe,  Klarheit,  Offenheit  und  Wärme  sind  hier  wie 


26 


dort  bezeichnende  Momente;  aber  auch  hier  wie  dort  eine  Excentri- 
cität,  welche  unüberlegt  in  den  Tag  hineinlebt,  ein  gewisser  Leicht- 
sinn, der  "Wichtiges  und  Nothwendiges  übersieht.  Die  Tiefe  des 
Lebens  nicht  ergründend,  blieb  Brown  auf  der  Oberfläche  des  Ge- 
nusses, und  es  ist  vielleicht  mehr  als  eine  zufällige  Analogie ,  dass 
sein  in  ewiger  Schwankung  zwischen  An-  und  Abspannung,  zwischen 
Glück  und  Unglück,  Ruhm  und  Nichtachtung  sich  abrollendes  Leben 
der  Reize  der  Aussenwelt  bedurfte,  um  die  zum  Dasein  nothwendige 
Erregung  zu  erlangen,  die  endlich  ein  Uebermaass  von  Reizen  er- 
schöpfte. —  Diess,  soweit  in  dem  Urheber  Brown  der  Grund  des 
Systems  lag;  die  übrigen  Motive  zu  entwickeln,  ist  Aufgabe  einer 
späteren  Untersuchung,  der  die  Darstellung  des  Systems  selbst  und 
seiner  Geschichte  zu  nothwendigem  Verständniss  vorangehen  niuss. 


Das  l^ystem  Joliii  Brownes. 


In  Folgendem  geben  wir  in  aphoristischem  Auszuge  und  in 
selbstständiger  ZusammenstelUing  und  Anordnung,  mit  Weglas- 
sung der  weitern  Ausführung  der  Beweissätze  oder  der  uncharacteris- 
tischen  und  anderweitig  bekannten  Einzelnheiten  eine  gedrängte  Dar- 
legung der  Grundzüge 

Des  Brown'schen  Systems  ) 

I.    Allgemeiner    T  h  e  i  1. 

1)  Begriff  des  Lebens.  Das  Belebte  unterscheidet  sich 
vom  Unbelebten  dadurch,  dass  es  durch  äussere  Beize  und  ge- 
wisse eigne  Thätigkeiten  so  afficirt  wird,  dass  seine 
eignen  Lebensäusserungen  daraus  hervorgehn.  (10 *'•"') 
Die  äussern  Dinge  sind  Wärme,  Nahrungsmittel,  andere  in  den  Magen 
übergehende  Stoffe,  Blut,  Luft ;  die  eignen  Thätigkeiten,  Muskelcon- 
traction,  Sinne,  Denk-,  Leidenschaft-  und  Affectkraft  des  Gehirns. 
Ausser  diesen  ist  nichts  zum  Leben  nöthig.  (11.  12.  13.) 

2)  Err  e  gb  ark  eit  u.  s.w.  DieEigenschaft,  durchweiche  diese 
Potenzen  wirken,  heisst  Err  egbarkeit,  incitabilitas,  die  Potenzen 
selbst  heissen  erregende,  incitantes,   die  Wirkung  Erregung, 


*)  Mit  Vergleichung  der  verschiedenen  Ausgaben  und  der  Darstellung 
Girtanner's  hauptsächlich  nach  der  lat.  Ausgabe  und  derUebersetzung  von 
Pf  äff  (John  Brown's  System  der  HeilkufMie.  Nach  der  letzten  vom 
Verf.  sehr  vermehrten  und  mit  Anmerkungen  bereicherten  englischen  Aus- 
gabe seiner  Elements  of  medicine  übersetzt.  Dritte  von  Neuem  durchge- 
sehene Ausgabe,  begleitet  von  einer  neuen  kritischen  Abhandlung  über 
die  Brown' sehen  Grundsätze  von  C.  H.  Pfaff,  Prof.  in  Kiel.  Nebst 
einer  tabell.  Uebers.  d.  Br.  Syst.  v.  Samuel  Lynch.  Kopenb.  1804. 

♦♦)  Die  eingeschalteten  Nummern  bedeuten  die  Paragraphen -Zahl 
bei  Pfaff. 


28 

incitatio.  Allen  Potenzen  gemeinschaftliche  Wirkungen  sind :  Em- 
pfindung, Bewegung,  Verstandesthätigkeit,  Gemüthsaffekte  (l4  — 16). 
Die  erregenden  Potenzen  heissen  auch  Reize  (stimulatrices)  und 
sind  allgemeine  (auf  den  ganzen  Organismus  wirkende)  oder 
örtliche.  (17.) 

3  ■■•')  Wesen  der  Erregbarkeit.  Das  Wesen  der  allen 
Lebenden  zukommenden  Erregbarkeit  ist  unbekannt,  die  Kraft  und 
Menge  derselben  verschieden.  Ob  sie  ein  Stoff  oder  eine  Fähig- 
keit (facultas)  sei,  wie  jede  tiefere  Frage  kümmert  nicht  ßei  That- 
sachen  bleibe  man  stehen,  die  giftige  Schlange  der  Philosophie,  die 
Erforschung  unergründlicher  Ursachen,  fliehe  man.  (18.) 

4)  Grade  der  Erregbarkeit.  Alle  erregenden  Potenzen 
reizen  entweder  im  Uebermaas  oder  in  gehörigem  Verhält- 
niss  oder  zu  wenig.  (Ebenso  Gifte  und  Contagien.)  (19  —  21.) 
Das  Leben  selbst  besteht  nur  im  Reize.  (22.)  Die  Erregung  steht 
im  V  e  r  h  ä  1 1  n  i  s  s  zur  Grösse  der  Reize.  Die  mittlere  erzeugt  G  e- 
sundheit,  die  allzustarke  oder  zu  geringe  Krankheit. (23.) 

5)  Allgemeine  Gesetze  der  Erregung.  Die  Erreg- 
barkeit wird  um  so  mehr  angehäuft,  je  geringer  der 
Reiz,  um  so  mehr  erschöpft,  je  grösser  der  Reiz  ist. 
(24.)  —  Trifft  ein  mittlerer  Reiz  eine  mittlere  Erregbarkeit,  so  ent- 
steht die  höchste  Erregung,  die  immer  geringer  wird,  je  mehr  die 
Erregbarkeit  angehäuft  wird  (Beispiele:  Stärke  der  Jugend,  Schwäche 
der  Kindheit  und  des  Alters ,  Nutzen  einer  mittlen,  Schaden  einer  zu 
sparsamen  oder  zu  reichlichen  Kost).  Je  reichlicher  die  Erregbarkeit, 
desto  leichter  zu  sättigen;  der  geringste  Reiz  kann  sie  zuletzt  ersticken. 
Je  mehr  Erregbarkeit  verbraucht  ist,  desto  geringerer  Reiz  wird  ver- 
tragen. (Die  Kindheit  und  die  Schwäche  von  überflüssiger  Erregbar- 
keit vertragen  nur  geringen  Reiz,  liegen  nieder  bei  einem  zu  geringen, 
werden  unterdrückt  von  einem  zu  grossen  Reize.  Das  Alter  und  die 
Schwäche  aus  Mangel  an  Erregbarkeit  wollen  einen  grossen  Reiz, 
werden  matt  durch  einen  zu  schwachen,  unterdrückt  durch  einen  zu 
grossen  Reiz.)  (25.  26.) 

6)  Endpuncte  der  Erregung.  Die  Erregung  hat  zwei 
Grenzpuncte:  (27.) 

a)  Erschöpfung  der  Erregbarkeit  durch  zu  grosse 
G  e  w  a  1 1  d  e  s  R  c  i  z  e  s,  es  entsteht  keine  Erregung  mehr  =Tod.  (28. 

*)  Dieser,  in  d.  1.  lat.  Ausg.  fehlende  §  wurde  der  Gefahr  derSpe- 
culation  wegen  in  der  2.  zugesetzt.  S.  Br's.  Observ.  on  the  old  Syst. 


29 

Dieser  erfolgt  schnell  bei  zu  kurzer  Dauer  eines  grossen,  langsam, 
bei  zu  langer  Dauer  eines  kleinen  Reizes.  (29.)  Die  erschöpfte 
Erregbarkeit  lässt  sich  durch  einen  geringeren  Reiz  als  der  den 
Verlust  bedingende  war,  wenn  er  nach  und  nach  immer  geringer 
angewendet  wird,  wieder  herstellen  (Cur  der  Trunkenen  etc.)  und 
heisst  i  u  d  i  r  e  c  t  e  Schwäche.  (31 —  33.)  (Während  des  Fort- 
gangs zur  indirecten  Schwäche  wirkt  der  erste  Eindruck  geringer  als 
der  zweite  und  so  fort  bis  keine  Erregung  mehr  erfolgt;  sie  Avird  auf- 
gehalten durch  verhältnissmässige  Vermehrung  der  Erregbarkeit  mit- 
telst allmählig  verminderter  Erregung  (Beispiele :  wenig  Essen  nach 
zu  reichlicher  Mahlzeit).  (36.  37.) 

b)  Aufhäufung  der  Erregbarkeit  durch  zu  ge- 
ringe Gewalt  des  Reizes,  es  entsteht  keine  Erregung  mehr, 
endlich  sogar  der  Tod.  (Beispiele:  kaltes  Bad,  Hunger,  Wasser- 
trinken, Ausleerungen,  grosse  Ruhe,  3Iangel  an  Geistesiibung.)  Den 
Mangel  eines  Reizes  ersetzt  oft  ein  anderer,  (anstatt  Tabakschnupfen 
Kauen  desselben;  anstatt  natürlicher  Reize  künstliche  in  Krankheiten). 
(38 — 41.)  Der  Ueberfluss  von  Erregbarkeit  kann  durch  Reize  nach 
und  nach  so  entfernt  werden,  dass  Gesundheit  entsteht;  je  grösser 
der  Ueberfluss  (je  mehr  3Iangel  an  Reiz),  desto  schwieriger  die  Her- 
abstimmung, ja  es  kann  der  Tod  erfolgen  (Kälte,  Hunger,  Durst, 
Fieber).  (42.)  Hülfe  gewährt  hier  nur  Entziehung  der  Erregbarkeit 
mittelst  allmählig  vermehrter  Erregung.  (Der  erste  Grad  soll  et- 
was stärker  sein  als  der  Grad  des  Reizes,  welcher  die  Anhäufung 
verursachte.  Cur  der  Verhungerten,  Verdursteten,  Erfrornen; 
Mittheilung  von  freudigen  Nachrichten  nach  Kummer.)  (43.  44.)  Die 
Schwäche  aus  Entziehung  der  Reize  heisst  directe  Schwäche. 
(Während  des  Fortgangs  zu  ihr,  wird  jeder  Jlangel  an  Reiz  durch 
einen  folgenden  vermehrt,  bis  endlich  keine  Erregung  mehr  erfolgt, 
ja  selbst  der  Tod  eintritt.)  (45.  46.) 

7)  Sitz  und  Vertheilung  der  Erregbarkeit.  Der 
Sitz  der  Erregbarkeit  ist  das  Nervenmark  und  die  Muskularsubsfanz. 
Die  Erregbarkeit  ist  nicht  verschieden  an  verschiedenen  Orten,  son- 
dern ist  eine  einzige,  unget heilte  (daher  Empfindung,  Bewe- 
gung, Geistesverrichtungen  nicht  in  einer  Reihenfolge,  sondern  sofort 
unmittelbar  erzeugt  werden).  Die  erregende  Kraft  trifft  nur  einen 
Theil,  erregt  aber  das  ganze  System.  Der  unmiltelbar  von  der  er- 
regenden Potenz  berührte  oder  ursprünglich  empfindlichere  Theil 
wird  immer  mehr  afficirt,  als  ein  anderer ;  die  örtliche  Erregung  ist 


30 

zwar  immer  geringer  im  Verliältniss  zur  allgemeinen,  aber  nie  verschie- 
dener Art,  sondern  entweder  erhöht  oder  verringert  im  Allgemeinen. 
Die  Verschiedenheit  der  Erregung  des  einen  Theils  dauert  nur  kurze 
Zeit  und  zieht  bald  die  der  ganzen  übrigen  Constitution  na«h.  Jedes 
örtliche  Leiden  ist  nur  ein  Theil  des  allgemeinen  und  gegen  dieses 
allein  muss  man  einschreiten.  (48  —  56.) 

8)  Wirkungen  der  Erregung.  Die  Erregung  ist 
die  Ursache  der  Zusammenziehung  der  Muskelfasern,  deren  Dich- 
tigkeit und  Bewegung,  deren  Kraft  und  Leichtigkeit  im  Verhält- 
niss  zu  ihr  stehen  (57 — 61.);  sie  ist  die  Ursache  der  Bildung 
und  Erhaltung  der  festen  und  flüssigen  Theile,  Ursache  der  Ge- 
sundheit, der  Krankheit  und  der  dieser  vorangehenden  An- 
lagen. Beweise  für  die  Bestimmbarkeit  des  Lebens  durch  Erregung 
sind  die  Wirkungen  der  Reize,  das  Verhältniss  der  Functionen  zu  der 
Kraft  derselben,  die  Wirkung  der  Heilmittel.  Gesundheit  und  Krank- 
heit sind  nicht  verschiedene  Zustände,  weil  die  Wirkung  der  sie  her- 
vorbringenden und  wegschaffenden  Potenzen  dieselbe  ist.  (62 — 65.) 

9)  Eintheilung  der  Krankheiten.  Die  allgemeinen 
von  übermässiger  Erregung  herrührenden  (denn  man  unterscheidet 
allgemeine  und  örtliche)  Krankheiten  heissen  sthcnische,  die  aus 
mangelnder  Erregung  asthenische.  Beiden  Hauptformen  geht 
allezeit  eine  An  1  age  voraus  (welche  der  örtlichen  Krankheit  fehlt). 
(66.)  In  der  Mitte  zwischen  beiden  Formen  steht  die  Gesundheit,  die 
zu  keiner  von  Beiden  hinneigt.  Die  Potenzen,  welche  eine  Krank- 
heit oder  Anlage  erzeugen,  können  jede  beliebige  andere  derselben 
Kategorie  (Form)  hervorbringen ;  die  Heilmittel  einer  Krankheit 
sind  auch  die  aller  übrigen  derselben  Gattung.  (67.)  Die  erregenden 
Potenzen  der  slhenischen  Krankheiten  oder  Anlagen  heissen  sthe- 
n  ische,  reizende  (auch  exciling  hurtful,  schädliche),  die  der  astheni- 
schen asthenische  oder  schwächende.  Der  bedingende  Zustand 
des  Körpers,  welcher  nur  gradweise  von  Krankheit  und  Anlage  ver- 
schieden und  beiden  gemein  ist,  heisst  dort  s  t  h  e  n  i  s  c  h  c,  hier  asthe- 
nische Beschaffenheit  (diathesis).  (68.) 

10)  Anlage,  Opportunilas ,  Praedisposilio,  ist  der  Zustand 
des  Körpers,  der  von  der  Gesundheit  abweicht  und  sich  der  Krankheit 
so  nähert,  dass  er  noch  immer  innerhalb  der  Grenzen  jener  zu  sein 
scheint.  Die  Krankheilserzeugenden  Potenzen  bringen  auch  sie  her- 
vor. Die  Dauer  der  Anlage,  d.  h.  der  Uebergang  von  dem  einen  Zu- 
stand zum  andern,  richtet  sich  nach  der  Kraft  der  Potenzen.     Sie  geht 


31 

allen  allgemeinen  Krankheiten  voraus,  da  sie  ein  Mittelzustand  ist  und 
der  Uebergang  nicht  plötzlich  erfolgen  kann,  (dies  gilt  auch  von 
Conlagion,  da  diese  nur  Nebensache,  die  Hauptsache  Sthenie  ist; 
Krankheiten  durch  Vergiftung  sind  nur  örtliche  Uebel)  nie  aber 
den  örtlichen,  welche  von  jenen  in  Bezug  auf  Ort,  Entstehung  und  Be- 
handlung gänzlich  zu  trennen  sind.  (73  —  81.) 

11)  Diagnose.  Die  Diagnose  besteht  blos  darin,  sthe- 
nis che  Krankheiten  von  asthenischen,  allgemeine  von  ört- 
lichen zu  unterscheiden.  Alles  übrige  Diagnostische  ist 
überflüssig.  Die  Allgemeinheit  erkennt  man  aus  der  vorher- 
gehenden Anlage.  Nach  örtlichen  Krankheiten  kommen  später  allge- 
meine Folgen  ,  wie  nach  den  allgemeinen  örtliche.  (82 — 85.)  (S. 
weiter  unten  im  jjes.  Theil.  B.) 

12)  Prognose.  Die  Prognose  richtet  sich  nach  demGrade 
der  Beschaffenheit  oder  der  Wichtigkeit  des  befallenen  Theils.  (86.87.) 

13)  Veranlassungen  zu  sthenischer  und  astheni- 
scher Beschaffenheit.  Grosse  Wärme  bedingt  den  slheni- 
schen  Zustand;  sie  reizt  die  Haut,  vermehrt  den  Ton  der  Muskelfasern 
und  ihre  Dichtigkeit,  vermindert  den  Durchmesser  der  Gefässe,  daher 
Unterdrückung  der  Ausdünstung  (und  Zurückhaltung  reizender  Stoffe, 
wie  in  den  Masern,  Blattern  etc.).  Wärme  im  Uebermass  erschlafft 
die  Muskeln,  dehnt  die  Gefässe  aus,  daher  Schweiss.  —  Kälte 
schwächt.  Beide  Extreme  wirken  durch  Erregung,  nicht  durch  Ver- 
derbniss  der  Säfte,  die  blos  durch  Schwäche  der  schlecht 
mischenden  oder  vertheilenden  Gefässe  verderbt  sein  können.  (Die 
Verminderung  des  Umfangs  durch  Kälte  rührt  auch  von  Schwäche  der 
Gefässe  her.)  Indem  die  Kälte  das  Uebermaas  der  Hitze  und  anderer 
Reize  entfernt,  die  Erregung  innerhalb  der  Grenzen  der  Stärke  erhält, 
kann  sie  die  Consumtion  der  Erregbarkeit  verhindern,  den  Körper 
reizempfänglicher  machen  und  die  indirecte  Schwäche  aufhalten.  So 
allein  ist  die  Stärkung  durch  Kälte  zu  verstehen,  die  nur  scheinbar  ist. 
Die  unangenehme  Empfindung  zu  grosser  Hitze  und  Kälte 
schwächt  ebenfalls.  Feuchtigkeit  vermehrt  die  schwächende 
Wirkung.  —  (112  — 123.)  Fleisch  (gesalzenes  und  geräuchertes 
ausgenommen),  Gewürze,  Spirituosa  (Weiniges,  im  Verhällniss 
zum  Alkohol)  reizen.  (124  — 126.  ")    Die  folgenden,  stärker  wirken- 


*)  Der  folg.  §  ist  ein  Zusatz  der  engl,  zur  lat.  Ausg. 


32 

den  (diffusiblen),  durchdringenden  Reize  sind  der  Reihe  nach : 
Moschus,  das  flüchtige  Alkali,  A e t h e r,  das  höchste,  0 pi u lu. 
Sie  verwandeln  die  asthenische  Beschaffenheit  in  Gesundheit,  diese  in 
sthenische  Beschaffenheit,  diese  in  indirecte  Schwäche,  und  diese  end- 
lich in  Tod.  Solche  Reize  treffen  die  Erregbarkeit  direct;  der  in- 
directe Reiz  der  Nahrungsmittel  besteht  noch  überdies  in  der 
Masse,  dem  Umfang  durch  Ausdehnung  der  Fasern.  (Der  letztere  in- 
direkte Reiz  ist  in  umgekehrtem  Verhältniss  zum  directen,  \^ie  z.  ß. 
bei  Fleisch-  und  Pflanzenkost.)  (127.)  —  Vegetabilische  Kost, 
schlechte  und  geringe  Fleischkost,  schwächen.  Gehöriges  Maas  ist 
immer  nöthig. '')  Mangel  an  Gewürzen  schwächt.  Wein  scha- 
det Jüngeren  und  Stärkeren,  Wässeriges  schadet  Schlemmern,  Ael- 
teren.  Schwächeren.  (l29 — 130.)  —  Ueberfluss  von  Chylus  und 
Blut  reizt,  dehnt  die  Gefässe  aus  (blos  die  Menge,  nicht  die  Be- 
schaffenheit kommt  als  Ursache  in  Betracht).  Plethora  steht  im  Ver- 
hältniss zur  Erregung.  Die  Ausdehnung  wird  erhöht  durch  Schnellig- 
keit (velocitas)  des  Blutes ;  diese  ist  vorzüglich  bedingt  durch  Muskel- 
bewegung. (131 — 134.)  Mangel  an  Blut  erzeugt  die  asthenische  Be- 
schaffenheit. Hierdurch  entstehen  Blutflüsse,  weil  der  Tonus  der  Ge- 
fässe ihre  Erregung  vermindert,  sie  nicht  gehörig  ausgedehnt  werden. 
Auch  Uebermaass  an  Blut  erzeugt  (indirecte)  Schwäche.  (134.)  — 
Anfüllung  und  Verminderung  der  Säfte  wirkt  ebenso.  (Samen,  Milch, 
Schweiss,  Galle ;  Blutlassen,  Purgiren,  Erbrechen.  (136.)  So  entsteht 
die  matte  Aktion,  Stockung,  Verderbniss  der  Säfte,  Schwäche.  (37.) 
Passive  B  ewegung,  Leibes  übung,  Arbeit  vermehren  die  Er- 
regung durch  beschleunigte  BlutbcAvegung.  *)  Denken,  Leiden- 
schaften (die  deprimirenden  sind  blos  geringere  Grade  der  excili- 
renden,  wie  z.  B.  Melancholie  von  Freude)  und  Sinnesübungen 
können  ebenfalls  durch  den  Grad  der  Erregung  Sthenie,  directe  und 
indirecte  Asthenie  erzeugen.  (139 — 145.)  Die  Luft  reizt  durch  zu 
grosse  Reinheit,  schwächt  durch  Unreinheit  (Ursache  böser  Fieber). 
(146.)  Ans  te  ckungss  toff  e  und  Gifte  erzeugen  bald  sthenische, 
bald  asthenische  Beschaffenheit.  (147)  Diese  aber  entstehen  meist 
durch  eine  vereinigte  Wirkung  aller  Potenzen,  nie  durch 
eine  ein  gebor  ne  (insita)  Kraft  des   Körpers   selbst.  (148.) 


*)  Ein  Zusatz  in  der  engl.  Ausg.  verwahrt  sich  gegen  den  Vorwurf, 
dass  diese  Lehre  Unmässigkeit  befördere. 

♦*)  Späterer  Zusatz. 


33 

14)  Symptome  a)  der  sthenischen  Beschaffenheit 
(welche  begründet  wird  durch  eine  über  den  ganzen  Organismus  ver- 
breitete zu  heftige  Erregung,  die  anfangs  Anspornung  aller  Functio- 
nen, dann  Unordnung  einiger  und  eine  scheinbare  Abnahme  anderer  zu 
Folge  hat,  aber  nie  durch  schwächende  Wirkung  entsteht)  (69. 149.) 
sind:  Frösteln  (durch  verminderte  Ausdünstung),  Kälte,  Trocken- 
heit der  Haut.  Puls  stark,  voll,  hart,  häufig;  Röthe,  Kopfweh, 
Schmerzen;  Irrereden  (durch  Blutandrang,  nicht  auf  Entzündung  be- 
ruhend); Durst  und  Hitze  (durch  Blutandrang  und  unterdrückte  Aus- 
dünstung in  Folge  von  Contraclion  der  Gefässe) ;  Heiserkeit,  Husten 
(durch  Verschliessung  der  ausdünstenden  und  Schleimgefässe)  und 
Auswurf  (durch Erschlaffung  der  Gefässe);  Blässe,  Collapsus  der  Haut; 
heller  Urin,  Obstruction  (durch  Verschliessung  der  Gefässe) ;  Appe- 
titlosigkeit oder  Heisshunger;  (154  — 157.159.  160.  163.);  Unord- 
nungen des  Magens,  Ekel,  Erbrechen;  acuter  Brustschmerz  (164  — 
167);  Entzündung  der  mehr  oberflächlichen  Theile,  wie  des  Schlundes, 
Gesichts,  der  Gelenke,  der  Lungen  (weil  die  äussere  Temperatur  mit 
der  innern  in  Conflict  kommt).  (Sie  entsteht  durch  einen  höhern  Grad 
der  Erregung  in  einem  Theile,  ist  aber  von  der  örtlichen  durch  ört- 
liche Ursachen,  Fehler  eines  Organs,  Zusammenhangsverletzung  ent- 
standenen Entzündung  Avohl  zu  trennen.)  (Ausschlagsbläschen  sind 
durch  sthenische  Beschaffenheit  zurückgehaltener  Ansteckungsstoff.) 
(168  —  170.  175.) 

Symptome  b)  der  asthenischen  Besch  affenheit  (welche 
begründet  wird  durch  eine  zu  geringe  Erregung  des  ganzen  Organismus, 
die  alle  Functionen  abspannt,  einige  in  Unordnung  bringt  und  immer, 
selbst  beim  Schein  der  Erhöhung,  schwächt,  (69.  150.)  sind:  Frösteln 
(durch  gehemmte  Ausdünstung  in  Folge  von  Schwäche  der  Gefässe  und 
des  Herzens) ;  Puls  schwach,  weich,  klein,  schnell  (wegen  Blutmangels)  ; 
Blässe  und  Trockenheit  der  Haut  (wegen  Schwäche  der  Gefässe) ; 
Kopfweh ;  Gliederschmerz,  Irrereden  (durch  Mangel  an  Reiz,  an  Blut 
und  Gefässausdehnung) ;  Durst  und  Hitze  (wegen  unterdrückter  Aus- 
dünstung durch  Gefässschwäche  (178 — 184.) ;  Appetitlosigkeit,  Wider- 
willen gegen  Speisen  (wegen  Mangel  ai?  Contraction  und  Secretion 
desMagens,  Nichtauflösung  und  Nichtausführung  der  Speisen);  (186.) 
Erbrechen  (durch  Atonie  der  Fiebern,  Kothanhäufung,  Luftausdehnung, 
örtlichen  Reiz  von  unten  nach  oben);  (188.)  Schmerzen  im  3Iagen  und 
an  andern  Orten  durch  Krampf  (dieser  Folge  von  Zusammenziehung 
der  Fasern   durch   ausdehnende  Materie:    Koth,    Luft;   Hauptursache 

3 


34 

immer  Alonie  der  Fasern;  die  Gewalt  der  Ausdehnung  erzeugt 
Schmerz;  ebenso  wirkt  der  Wille  in  äusseren  Gliedern,  oder  Säure- 
bildung im  Darmkanal;  Krämpfe  und  Convulsioncn  in  inneru  und  äus- 
sern Theilcn  sind  daher  gleichen  Ursprungs,  dort  von  Ausdehnung 
und  Säure,  hiervon  demAVillen,  —  beidemal  aus  Schwäche).  Die 
Stufenreihe  geht  von  Appetitlosigkeit  bis  zum  Schmerz.  (Hieher  ge- 
hören Dyspepsie,  Gicht,  Durchfall,  Ruhr,  Cholera,  Kolik,  Darmgicht, 
Würmer,  TabesundAtrophie  dcrKinder.)  (l89  — 198.)  Diese  Schmer- 
zen sind  nie  entzündlicher  Art,  so  oft  die  Symptome  auch  darauf  deu- 
ten (vgl.  Lungenlciden,  Epilepsie,  Apoplexie,  Typhomanie,  Coma, 
Delirien  in  asthenischen  Fiebern).  (l99.  200.)  Eine  allgemeine  asthe- 
nische Entzündung  ist  eine  an  einem  einzelnen  Orte  stärker  auftretende 
asthenische  BeschalTenheil,  so  jedoch,  dass  das  allgemeine  Leiden 
überwiegt  (z.  B.  gichtische,  brandige  Bränne,  Gehirnentzündung  am 
Ende  eines  Nervenfiebers),  wohl  zu  unterscheiden  von  der  örtlichen 
Entzündung  (204.  205.).  Während  bei  der  slhenischen  Entzündung 
Blutfülle  ausdehnt,  reizt,  den  Ton  der  Fasern  vermehrt  und  das  Blut 
sich  durch  die  zusammengezogenen  Gefässc  schmerzhaft  durchdrängt, 
fliesst  dei  der  asthenischen  Enizündung  bei  allgemeinem  Blutmangel 
das  Blut  häufiger  in  die  erschlafflcn  Gefässe  und  dehnt  sie  aus  (206 — 
208.).  (Beispiele:  faulige  Bräune,  podagrische  Entzündung,  conflui- 
rende  Pocken,  Anthrax,  Carbunkeln,  Bubo  u.  a.  Ausschläge.)  (210  — 
220.)  Hitze  begleitet  auch  asthenische  Krankheiten  mit  und  ohne 
Fieber.  Der  höchsten  Hilze  bei  grosser  Schwäche  folgt  durch  lang- 
samere Bewegung  der  Flüssigkeiten  Kälte,  die  weiter  fortschreitet. 
Ungleichförmige  Temperatur  liegt  in  örtlichen  Ursachen.  Das  Schein- 
bare der  Schwäche  (in  der  Pneumonie  u.  s.  w.)  und  der  Stärke  (bei 
Krämpfen  u.  s.  w.)  offenbart  sich  auch  durch  Wirkung  der  Heilmittel. 
Blutllüsse  bei  sthenischeu  Krankheilen  deuten  auf  einen  Uebergang  zu 
indirecter  Asthenie,  sonst  sind  sie  direcl  asthenischer  Art.  (Ursache 
nicht  Plethora,  sondern  Blutmangel).  Husten,  der  erst  trocken,  dann 
heiser,  zuletzt  feucht  mit  Auswurf  auftritt,  kann  slhenischer  und 
asthenischer  Art  sein;  der  Auswurf  rührt  von  ErschlalTung  der  Gefässe 
her  (221.    223  —  225  —  236.).—    Ein  besonderes  Symptom  ist 

c)  der  Schlaf.  Er  entsteht  durch  verminderte  Erregung  entweder 
mit  Erschöpfung(?)  oder  Ueberlluss  der  Erregbarkeit  bis  zu  einem  wieder 
gut  zu  machenden  Grade.  Die  täglichen  Verrichtungen  reizen  nämlich  im- 
mer weniger,  bis  dqr  zum  Wachen  nölhige  Grad  nicht  mehr  vorhanden  ist. 
Diesen  Erfolg  haben  Speise,  Trank,  Bewegung  u.  s.  w.     Zu  frühzei- 


35 

tiger,  unzeitiger  oder  kränklicher  Schlaf  ist  Folge  von  directer  oder 
indirecter  Schwäche.  Gesundes  Wachen  entsteht  dadurch,  dass 
der  Schlaf  dieErregharkeit  wieder  his  zum  normalen  Grad  erhöht.  Zu 
langes  oder  krankhaftes  Wachen  ist  Folge  von  directer  oder  indirec- 
ter Schwäche.  Ursache  des  Schlafs  im  gesunden  Zustande  ist  also 
auch  directe  oder  iudirecte  Schwäche  aber  im  gehörigen  Grade,  oder 
eine  Mischung  Beider.  Die  Heilsamkeit  des  Schlafens  und  Wachens 
hängt  von  dem  Grade  der  Einwirkung  und  der  Dauer  der  Zustände 
selbst  ab.  Ursache  eines  kränklichen  Schlafes  ist  Schwäche  ohne 
Reiz,  Ursache  eines  kränklichen  Wachens  Schwäche  mit  Reiz.  Durch 
angemessenen  Reiz  muss  aus  dem  einen  krankhaften  Zustande  der 
andere  gesunde  herbeigeführt  werden.  Bei  asthenischen  Krankheiten 
folgt  Wachen  auf  directe  Schwäche,  die  grösser  ist  als  die  schlaf- 
erzeugende, daher  der  Nutzen  der  Reizmittel,  daher  die  schlafmachende 
Wirkung  des  Opium,  das  auch  bei  Coma  hilft,  indem  es  erst  Wachen, 
dann  erquickenden  Schlaf  herbeiführt.  Schlafsucht  zeugt  von  geringe- 
rer Schwäche  als  kränkliches  Wachen.  Die  Steigerung  ist  folgende: 
gesundes  Wachen  =  höchste  heilsame  Erregung;  mittelmässiger  und 
tiefer  Schlaf  =  grösste  mit  Gesundheit  vereinbare  Schwäche  ;  gesun- 
der Schlaf  =  massige  indirecle  Schwäche;  kranker  Schlaf  und  krankes 
Wachen  =  grösste  directe  oder  indirecte  Schwäche.  (237 — 2il.  243  — 
2i7.  250.)  *) 

15)  Heilung,  a)  Im  Allgemeinen.  Da  alle  erregenden  Poten- 
zen auf  gleiche  Weise  die  Erscheinungen  des  Lebens  hervorbringen, 
nämlich  durch  Reizung,  so  sind  auch  die  Heilmittel  nur  reizende 
Potenzen,  die  in  sthenischen  Krankheiten  durch  Verminderung,  in 
asthenischen  durch  Vermehrung  der  Erregung  wirken,  bis  der  mittlere 
Grad  der  Gesundheit  entsteht.  (313  —  315.)  Wie  die  Krankheiten  der 
Art  nach  dieselben  und  nur  dem  Grade  nach  verschieden  sind,  so  auch 
die  Mittel,  die  den  entgegengesetzten  Zustand  abhalten  und  heben. 
Was  eine  sthenische  oder  asthenische  Krankheit  heilt,  heilt  alle 
übrigen.  Heilmittel  der  sthenischen  Beschaffenheit  sind  schwächende 
(antisthenische),  d.  h.  mit  geringerem  Reiz  als  zur  Gesundheit  gehört 
erregende  Potenzen ;  Heilmittel  der  asthenischen  Beschaffenheit  sind 
reizende  (sthenische),  d.  h.  mit  grösserem  Reiz  als  zur  Gesundheit  ge- 
hört erregende  Dinge.  Die  Dosis  richtet  sich  nach  dem  Grad  der 
Anlage  und  der  Alfection.      Nie  ist  die  Heilung  einem  Jlittel  allein 

*)  Aenderung  des  §,  250  in  der  engl.  Ausgabe. 


36 

anzuvertrauen,  immer  der  Gebrauch  mehrerer  vorzuziehen,  um  diie 
Erregbarkeit  gleichförmiger  zu  afficiren.  Wo  mächtige  Hilfe  nöthig 
ist,  wirken  alle  zusammen  am  besten.  Man  muss  die  Wirkung  nicht 
auf  einen  bestimmten  Ort,  sondern  auf  die  Erregbarkeit  im  Allge- 
meinen richten.  Allgemeine  Heilmittel  wirken  durch  die  über  den  gan- 
zen Körper  verbreitete,  örtliche  durch  auf  einen  Theil  beschränkte  Erre 
gung.  Die  Kräfte  der  Natur  sind  ohne  äussere  Reize  unwirksam,  erdich- 
tet''") (88 — 95.)  In  Bezug  auf  die  Krankheits  m  a  t  e  r  i  e  (welche  reizt  wie 
in  den  Blattern,  oder  schwächt  wie  in  der  Pest,  oder  die  Krankheit 
modificirt  oder  zur  allgemeinen  ein  örtliches  Leiden  hinzufügt)  gilt 
die  Regel,  ihr  Zeit  zum  Austritt  zu  lassen.  Bei  der  Behandlung  des 
allgemeinen  Zustandes  lassen  auch  die  örtlichen  Symptome  nach. 
Keine  Materie,  sie  sei  contagiös  oder  nicht,  trägt  zur  allgemeinen 
Krankheit  bei;  thut  sie  es,  so  wirkt  sie  nur  wie  andre  Schädlichkeilen. 
Zur  Wegschaffung  der  Krankheitsmaterie  muss  die  Perspiration  offen 
erhalten  werden ;  dies  geschieht  durch  Mittel,  welche  die  ganze  Be- 
schaffenheit heben,  bildet  also  keine  neue  Anzeige.  Eine  Mittel- 
methode zwischen  der  sthenischen  und  asthenischen  ist  die  tonische. 
(96  —  100.)  —  ^Bei  der  II  ei  1  anz  ei  ge  achte  man  auf  alle  erregen- 
den Potenzen,  wozu  auch  die  Rücksicht  auf  Aller,  Geschlecht,  voraus- 
gegangene Heilmittel  kommt.  Bei  der  Heilung  der  indireclen  Schwäche 
gebe  man  anfangs  einen  nicht  viel  geringeren  Reiz  als  der  die  Krank- 
heit bedingende  war,  und  dann  immer  geringere.  (Uebergang  von 
heftigen  und  flüchtigen  zu  milderen  und  dauernderen  Reizen.)  Nur  bei 
dem  Fortgang  zu  indirecter  Schwäche  (zwischen  40  u.  70^)  sind 
schwächende  Mittel  zur  Erhaltung  gut,  darüber  hinaus  schädlich.  Bei 
Heilung  der  directen  Schwäche  steigt  man  von  dem  geringsten  Grad 
des  Reizes  aufwärts.  Durch  zu  grossen  Reiz  erzeugt  man  aber  leicht 
Sthenie  und  dann  indirecle  Schwäche,  wie  dort  durch  zu  grosse  Schwä- 
chung direcle  Asthenie.  (103.  105  —  107.  109  —  110.) 

b)  Im  Besondern.  Bei  Sthenie  ist  Hilze  zu  vermeiden;  bei 
geringem  Grade  derselben  kann  die  massige  Wärme  des  Schweisses 
und  Fussbades  durch  Stoff-Verlust  und  durch  das  angenehme  Gefühl  nüt- 
zen. Hitze  schadet  bei  durcli  Kälte  angehäufter  Erregbarkeit.  Kälte  ist 
durch  Schwächung  und  Abhaltung  von  Hitze  sehr  nülzlich  bei  Sthenie 
(Blallern,  Katarrli  etc.).  Wärme  ist  bei  Asthenie  nützlich.  Bei  Sthenie: 
Pflanzenkost,    keine  Gewürze,   massiges  Getränk,    wenig  Essen;    bei 


*)  §.93  u.  94.  in  der  engl.  Ausg.  geändert;  ebenso  §.  104.   108. 


37 

Asthenie:  Fleischkost,  Gewürze,  Wein,  Opiate.  Dort  weg-en  Blut- 
fülle Enthaltsamkeit,  Aderlass,  Purgiren,  Brechen,  Ruhe,  Entziehung  aller 
Reize,  Entziehung  von  Samen  (durch  den  Beischlaf),  von  Milch,  von 
Chylus,  Schweiss;  hier  wegen  Blutmangel  Reize  aller  Art,  Fleisch,  Be- 
wegung (massig,  wegen  Furcht  vor  indirecter  Schwäche)  u.s.  w.  Den 
Mangel  oder  Ueberfluss  der  abgesonderten  Flüssigkeiten  (mit  Ausartung) 
heilt  ebenfalls  die  reizende,  nicht  die  fäulnisswidrige  Methode.  Nach- 
lassen von  Denken  und  Affecten  schwächt;  zur  Heilung  der  Schwäche 
taugt  nur  ein  mittlerer  Grad  derselben.  (Angenehme  Verstandesübung 
ist  ein  guter  Reiz;  Affecte,  seihst  angenehme,  fuhren  leicht  zu  indirec- 
ter Schwäche;  Nachlass  in  der  Energie  derselben,  Trauer  u.  s.  w.  ist 
durch  höhere  Grade:  Freude  u.  s.  w.  zu  heben).  Reine  Luft  nützt 
bei  Asthenie;  die  Ansteckungsmaterie  wird  entweder  reizend  oder 
schwächend  behandelt  je  nach  der  sie  begleitenden  Beschaffenheit. 
(254  —  279.) 

c)  Heilmittel.  Reihenfolge  in  der  "Wirkung  der  a  n  t  i  s  t  h  e  n  i- 
schen  Mittel :  Aderlass,  Kälte,  Brechen,  Purgiren  und  Schwitzen,— 
Entziehung  der  Nahrung,  Ruhe,  massige  Bewegung.  Reihenfolge  in  der 
Wirkung  der  sthenischen  Mittel  (zur  Vermehrung  der  Blutmenge): 
Fleischkost,  "Stürme  (milllen  Grades),  Verhinderung  des  Brechens, 
Purgirens,  Schwitzens  durch  Fleischkost,  Gewürze,  Wein,  Bewegung; 
im  höhern  Grade  flüchtige  Reize:  weisse,  rolhe  Weine,  Moschus, 
flüchtiges  Alkali,  Campher,  Aelher  ■'),  Opium.  In  der  Reconvalescenz: 
Uebergang  zum  massigen  Genuss  natürlicher  Reize.  (281  —  303.)  ■•"■') 
Bei  der  verschiedenen  Wirkung  der  Heilmittel  auf  die  einzelnen  Theile, 
besonders  da,  wo  sie  unmittelbar  angebracht  sind,  sollen  sie  auf  die 
verschiedenen  Theile  gerichtet  werden,  um  einen  allgemeinen  Effect 
hervorzubringen.  Darum  müssen,  Aveil  verschiedne  Potenzen  die  Er- 
regung vermehren  oder  vermindern  und  dadurch  den  Heilplan  stören 
könnten,  auch  mehrere  zugleich  angewendet  werden.  (Ausser  den 
angeführten  Hülfsmitteln:  Geist,  Gemülh,  Leidenschaften,  Bewegung, 
Luft,  Diät  überhaupt.)    (304-311.) 

16)  Schluss.  Was  die  Gesundheit  bewirkt,  machtauch 
krank,  was  krank  macht,  heilt  auch.  Die  Gesetze  der  Erreg- 
barkeit lassen  sich  auch  auf  die  Pflanzenwelt  übertragen.  Alles 
Lebendige  in  der  Natur  wird  durch  Erregung  geleitet,   keinem  Le- 


♦)  In  der  früheren  (lat.)  Ausg.  über  Opium  stehend. 
'**)  Bei  §.   303.  ist  in   der  späteren  (engl.)   Ausg.   ein   neuer  Ab- 
sclinitt  als  11.  Cap.  gebildet. 

t 


38 

kendigen  wohnt  eine  schützende  und  erhaltende  Kraft  hei. 
Was  das  Lehen  er  ze  u  gt  und  erhält,  zerstört  es  zuletzt.  Le- 
ben, Altern,  Sterhen,  Fortdauern  und  Er  zeugen,  Er- 
neuern und  ewiges  Blühen  der  Natur  —  Alles  geschieht  auf  eine 
Weise.  Aller  Kräfte  Neigung  geht  dahin,  das  Leben ,  auf  eine  ge- 
zwungene Art,  zu  erhalten  und  den  Tod  von  seihst  herbeizuführen. 
(316  —  327.) 

IL   Besonderer    Theil. 

A.      Allgemeine    Krankheiten. 

I.     Form.     Sthenische    Krankheiten*). 

Sie  sind  verschieden  in  Hinsicht  des  Grades,  einige  verbunden 
mit  Pyrexie  (Fieber)  und  Entzündung  eines  äussern  Theiles,  andere 
ohne  die  letztere,  no.ch  andere  frei  von  beiden.  Die  ersteren  sind 
Phlegmasieen  und  Ausschläge  (Sthcnie  zwischen  10 — 55^). 
Der  allgemeine  Zustand,  Pyrexie  zum  Unterschied  vom  (asthenischen) 
Fieber  genannt,  geht  dem  örtlichen  voraus.  Ursache  der  Exantheme 
ist  ein  unter  der  Haut  zurückgehaltener  Ansteckungssloff.  Puls  massig 
frequent  wegen  der  grossen  scliAver  zu  bewegenden  Blutmasse.  Das 
örtliche  Leiden  ist  meistens  später  als  das  allgemeine,  die  übergrosse 
Erregung  bildet  den  Grund  dazu  in  der  Anlage ;  meist  bildet  sich  aber 
das  örtliche  Leiden  erst  nach  der  Krankheit,  indem  nur  ein  höherer 
Grad  von  Krankheit  es  hervorbringen  kann ,  und  dann  richtet  es  sich 
nach  der  allgemeinen  Beschaffenheit  (Entzündung  bei  Pneumonie,  ört- 
liches Leiden  ebenso  bei  Rheumatismus).  Bei  massiger  Diathesis 
fehlt  das  örtliche  Leiden,  (z.  B.  Entzündung).  Auf  örtliche  Entzünd- 
ungen folgen  keine  Phlegmasieen,  wenn  keine  sthenische  Diathesis  zu- 
gegen, und  der  Theil  kein  innerlicher  oder  sehr  empfindlicher  ist  (Phleg- 
mone, Erythem,  Erysipel  örtlich.)   Durch  Druck,  Schärfe  u.  s.  w.  ent- 


♦)  Brown  hatte  anfangs  die  Idee  folgende  Eintheilnng  zu  machen, 
die  nach  einer  Stelle  in  den  Observation«  von  CuUen  entnommen  zu 
sein  scheint: 

A.  sthenische  oder  phlogistische  Krankheiten:  1.  Phlegmasieen. 
2.  Exantheme.     3.  Haemonhagieen.     4.  sthenische  Apyrexieen. 

B.  asthenische  Krankheiten:  1.  krampfliafte  Krankheiten.  2.  con- 
vulsivische  Krankheiten.  3.  atonische  Krankheiten  (paralytische). 
4.  unordentliche  Blutaustiüsse  (denn  er  sah  ein,  dass  diese  nicht  zu  den 
sthenischen   gehörten).      5.  Protluvien.      6.  Fieber. 

Er  unterliess  es  aber  als  Ueberbleibsel  einer  nosologischen  und 
systematischen  Fh-ziehnng  d.  h.  um  originell  zu  erscheinen,  Vergl.  Be- 
merk, über  d.  alt.  Syst.  ed.  Röschl.  S.  131. 


39 

slandeiie  Eiilzüiulimgeii  gehören  nicht  zn  den  Phlegmasieen.  Sthe- 
nische  Krankheiten  mit  Pyrexie  und  äuss  er  liehe  r  Ent- 
zündung sind:  Peripneumonie,  Phrenitis,  Blattern  und  Masern 
heftiger  Art,  heftiger  Rothlauf,  Rheumatismus,  gelinder  Rothlauf, 
Bräune.  Sthcnische  Krankheiten  ohne  Entzündung:  Ka- 
tarrh, einfache  Synocha,  Scharlachfieber,  Blattern  und  Masern  mit  blos 
örtlichem,  geringem  Pustelausschlag.  (329.  330.  332.  343  —  347.) 

a)     Sthcnische    Pyr  cxieen. 

Peripneumonie  ■•')  (Pleuritis  und  idiopathische  Carditis 
mitbegriffen).  Sitz:  das  ganze  Nervensystem,  der  ganze  Körper.  Athem- 
beschwerden  aus  Druck  der  Luft  auf  die  entzündeten  Gefiisse.  Schmerz 
als  diagnostisches  Hülfsmittel  unnütz.  —  Cardi  tis  meist  örtlich,  mit 
Pneumonie  in  Ursache  und  Behandlung  übereinslimmend.  (348  —  360.) 

Phrenitis.  Die  Symptome  werden  durch  zu  grosse  Blutmenge, 
welche  durch  Ausdehnung  reizt,  hervorgebracht.  (361  —  365.) 

Sthenische  Exantheme.  Bios  durch  die  Ansteckung  von 
den  übrigen  sthenischen  Krankheiten  verschieden.  Die  Contagion  ist 
eine  unsichtbare,  unbekannte  Materie,  welche  giihrt,  die  Gcfässe  er- 
füllt, ausgeschieden  wird.  Der  einzige  Unterschied  von  den  übrigen 
sthenischen  Krankheiien  ist  der,  dass  diese  Materie  einige  Zeit  zur 
Ausscheidung  erfordert,  was  durch  Bekämpfung  der  Diathesis  bewirkt 
wird.  Durch  das  Scharfwerden,  die  Entzündung  und  Eiterung  der  unter 
der  Haut  verweilenden  Stoffe,  entsteht  eine  symptomatische  Pyrexie 
(Eiferungsfieber)  (366  —  374.),  Blattern  und  Masern  (Ruheolae). 
Die  katarrhalischen  Zufälle  hängen  von  der  sthenischen  Beschaffenheit 
ab.  Durch  Metastase  entstandene  Entzündungen  sind  symptomatischer 
Art,  da  sie  von  den  Materien  abhängen.  (366  —  381.) 

Heftiger  Rothlauf.  Die  einzige  Entzündung,  welche  das 
corpus  mucosum  der  Haut  befällt.    Röthe  durch  Blulfülle.  (382  —  386). 

Rheumatismus.  Schmerzen  sind  blos  örtliche  Zufälle.  Kälte 
schadet  hier  nicht.  Rheumatismus  befällt  der  sthenischen  Ursache 
wegen  die  grossen  Gelenke,  Podagra  der  Schwäche  wegen  die 
schwächsten,  d.  i.  äusserstenTheile,  die  kleinen  Gelenke.  (387 — 391.) 

Milder  Rofrhlauf  (392  —  394),  nur  ein  geringerer  Grad  als 
der  heftige,  begleitet  off  die 


*)  Die  Erklärung  und  Aufzählung  der  Symptome,  .so   wie  alles  von 
übrigen  Schriftstellern  nicht  Abweichende  ist  hier  weggelassen  worden. 


40 

Sthe  nis che  Bräune,  cynanche  tonsillaris,  oesophagea,  stri- 
dula,  trachealis,  (Croup).  Auch  hier  folgt  die  Entzündung  immer  erst 
der  Pyrexie.  (395 — 406.) 

Catarrh  ist  Phlegmasie  mit  Husten,  durch  Schwächungsmittel, 
oft  allein  durch  Kälte  heilbar.  (407  —  411.) 

Einfache  Synocha;  eine  leichte  Krankheit,  Symptome  der 
Phrenitis  ohne  KopfalTection.  (412) 

Scharlach.  Bestimmte  Zeit  des  Ausbruchs  von  der  Zeit  er- 
fordernden Gährung  abhängig.  Nach  Verschiedenheit  der  Diathese 
bald  sthenischer,  bald  asthenischer  Art.  (413  —  416.) 

Gelinde  Blattern.  Wenig  Pusteln,  abhängig  nicht  von  der 
contagiösen  Materie,  sondern  von  der  allgemeinen  Beschaffenheit. 
Doch  trägt  jene  etwas  dazu  bei.  (417  —  421.) 

Gelinde  Masern.  (422  — 423.) 

6)     Sthenische   Apyrexieen.  (425.) 

Dies  sind  niedere  Grade  von.Sthenie,  welche  nie  in  indirecte 
Schwäche  übergehn  und  keine  beträchtliche  Wirkung  auf  Herz  und 
Gefässe  machen.  (440.)    Es  gehören  hierher: 

Manie;  ist  nicht  blos  eine  Krankheit  des  Gehirns ;  durch  zu 
Geistesanstrengung  oder  Gemüthsaffecte  entstanden.  Auch  Gifte  kön- 
nen, ohne  eine  örtliche  Krankheit  zu  erzeugen,  Manie  hervorbringen. 
(426—431.) 

Krankhafte  Schlaflosigkeit  durch  geringere  Schädlich- 
keit als  bei  Manie  entstanden.  (432^437.) 

Fettsucht  (Obesitas)  durch  Ruhe  und  übermässiges  Essen 
erzeugt  =  sthenischer  Zustand  der  Verdauungswerkzeuge  und  der 
blutbereitenden  Gefässe.  (438  —  436.) 

Alle  diese  Formen  unterscheiden  sich  nicht  ■wesentlich,  daher 
sind  Gattungen  und  Arten  nicht  nöthig,  wohl  aber  die  Unterschei- 
dung der  zweillaiiptformen.  Alle  diese  Krankheiten  sind  allgemein, 
wenn  auch  örtlich  ein  Theil  mehr  afficirt  ist.  Die  Behandlung  ist 
immer  dieselbe.  Die  graduelle  Reihenfolge  der  Krankheiten  ist  die 
obige.  Nicht  die  Namen,  sondern  die  Kraft  der  Krankheit, 
nicht  die  Symptome,  sondern  die  Ursachen  sind  das  Wichtigste. 
Die  Erforschung  der  Symptome  war  ebenso  schädlich  in  der  Medicin, 
wie  die  der  verborgenen  Ursachen  in  der  Philosophie ;  die  Nosologie 
muss  verdammt  werden.  (447 — 451.)  Die  Heilart  besteht  in  Ader- 
lassen, Purgiren,  Brechen,  Pflanzenkost,  wässrigen  Getränken,  Kälte, 


41 

nach  gehobener  strenger  Diafhesis  in  Diaphoreticis  (nur  nicht  bei 
Neigung  zu  indirecter  Schwäche ,  Meil  hier  die  dem  Schweisse  vor- 
hergehende Hitze  den  Uebergang  in  Schwäche  befordern  Avürde)  als : 
leichte  Unterstützung  des  Schweisses,  p.  Doweri,  Laudanum.  Ueber- 
diess  Salpeter,  Säuren,  Blasenpflaster,  Blutegel;  Ruhe  des  Geistes  und 
Gemüthes  etc.  Eine  sparsame  Anwendung  aller  dieser  antisthenischen 
Mittel  wird  dringend  gerathen,  namentlich  in  Bezug  auf  den  Aderlass 
und  Schweiss  (die  Anwendung  des  Letzlern  wird  besonders  auf  den 
Rheumatismus  beschränkt).  (453  —  502.) 

II.     Form.      Asthenische     Krankheiten. 

Diese  nach  dem  Grade  ihrer  Stärke,  nicht  nach  verwandten  Sym- 
ptomen geordnet  bieten  folgende  Reihe  (507.),  können  aber  doch  auch 
innerhalb  dieser  wiederum  in  verschiedener  Stärke  auftreten  (506) : 

Magerkeit  durch  Verdauungsschwäche  -svird  geheilt  durch 
Nahrung,  Verhindern  zu  grosser  Ausdünstung,  durch  Ruhe,  leichte 
Bevregung,  Reiben,  rubefacientia.  (508.  509.) 

Unruhige  Schlaflosigkeit  (hulfreich  dagegen:  Vermei- 
den zu  grosser  Anstrengung,  passende  Reize,  Weine.  (510.  511.) 

Krätzausschlag,  durch  Schwäche  der  Ausdünstungsgefässe, 
wird  durch  gute  Nahrung,  Hebung  der  Perspiration  (Kälte,  Luft,  "Wech- 
sel der  AVäsche)  gehoben.  (512.  513.) 

Gelinde  Harnruhr,  auch  besonders  Leiden  der  Perspiration. 
(514.    515.) 

Rhachitis  hängt  meist  von  Sordes,  Mangel  an  Bewegung, 
Kälte  und  schlechter  Nahrung  ab.  (516.  518.). 

Ausbleiben  der  Jlenstruation,  Retention,  Unter- 
drückung. (Ursachen  der  Menstruation:  erweiterter  Durchmesser 
der  Gefässe  und  ungewohnter  Reiz  auf  den  Uterus.)  (519 — 547.). 

Monatsblutfluss.  (Unter  den  Heilmitteln  massige  Kälte. 
(548 — 551.) 

Nasenbluten.  (552.) 

Hämorrhoiden.  Ursache:  Schwäche  aus  Mangel  an  Reiz, 
besonders  an  Blut.    Plethora'giebt  es  nicht.  (553  —  555.) 

Durst,  Erbrechen,  In  digestion  und  andere  verwandte 
Krankheiten  des  Darmkanals.  Verderbniss  der  Säfte  ist  nicht  Schuld. 
(556  —  563.) 

Diarrhoea.   Colicano  dy  n  e.    (564  —  567.) 


42 

Kinderkrankheiten:  Speicheln,  Erhrechen  der  Milch, 
grüner  Stuhl,  Obslruction,  Würmer,  Darrsucht  (Tabes).  (Unter  den 
Reizmitteln  selbst  Kälte,  Mosclius  und  Opium.)   (568  —  575.) 

Gelinde  Ruhr  und  Cholera.  (576.) 

Scorbut.  (577  —  580.) 

Gelinde  Hysterie,  besonders  durch  Krampf  ersichtlich, 
mit  geringen  Gaben  Opium  heilbar.  (581  —  583.) 

Rheuniatalgie  oder  chronischer  Rheumatismus, 
folgt  meist  nach  schlechter  allzusclnvächender  Behandlung  des  Rheu- 
matismus. (584  —  587.) 

Asthenischer  Husten,  aus direcler und indirecter Schwäche. 

(588 — 598.) 

Keuchhusten,  begleitet  von  einem  AnsteckungsslofF. (599.) 

Blas  enschleimf  luss.   (599 — 600.) 

Gicht  der  Stärkeren  (auch  Indigestion  der  Schwelger), 
eine  Krankheil  des  Darmkanals  in  Folge  von  indirecter  Schwäche, 
nicht  erblich,  da  Erblichkeit  eine  Fabel  ist.  Gicht  und  Dyspepsie  unter- 
scheiden sich  nur  durch  die  bei  der  ersteren  vorhandene  Entzündung. 
Der  erste  Aufall  tritt  ein,  wenn  eine  direct  schwächende  Ursache  zur 
indirecten  Schwäche  hinzutritt.  Kraft  und  Blutreichthum  (Plethora) 
sind  hier  nur  scheinbar  vorhanden.  (600 — 610.) 

Asthma.      Ursachen  und  Mittel  wie  bei  der  Gicht.    (610.611.) 

Krampf  (Cramp,  Spasm.).  (612  —  613.) 

Anasar  ca.  (614 — 615.) 

Colic  odynia.  (616.) 

D  ysp  epsodynia.  (617.) 

Heftige  H  y  s  t  e  r  i  e.    Aehnlichkeit  mit  Epilepsie.  (618.) 

Gicht  der  S  c  h  \v  ä  c  h  e  r  n,  ein  höherer  Grad  als  die  der  Stär- 
keren. Die  Entzündung  hält  länger  an,  bleibt  aber  zuletzt  ganz  aus ; 
das  Allgemeinleiden  steigt  und  nimmt  zuletzt  alle  Formen  der  Asthenie, 
oft  auch  den  Schein  der  Synocha  an.  (619  —  622.) 

Hypochondrie  (Opiate  von  Nutzen).  (623  —  625.) 

Wassersucht.  (Ursache:  Atonie  der  Capillargefässe.)  (626 
—632.) 

Epilepsie.  (Heilung  wie  bei  Gicht.)  (633  —  637.) 

Lähm  u  n  g.  (Heilung  wie  bei  Epilepsie,  besonders  durch  Opium.) 
(638—642.) 

Apoplexie,  Folge  von  Schwäche,  nicht  von  Tlelhora.  (643 
—  648.) 


43 

Trismus.  (649 — 651.) 

T  e  l  a  n  11  s.  (652 — 655) 

Inte  rmittir  ende  Fieber,  blos  diircii  Schwäche  enislandcn. 
Durchdringende  Reize  wirken  sicherer  als  China.  Die  Periodicilät  ist 
nicht  durch  eine  besondere  Ursache  bedingt,  sondern  durch  die  un- 
gleiche Heftigkeit  des  Fiebers.  Fieber  sind  alle  gleich,  infermilti- 
rende  oder  remittirendc  u.  s.  ^v.,  nur  im  Grade  verschieden  unter  sich 
und'  von  andern  Krankheiten  dieser  Form.  Die  Verschiedenheit  des 
Typus  im  Allgemeinen  ist  durch  keine  Materie  bedingt.  Auch  die 
drei  Stadien  des  Fieberanfalls  sind  durch  äussere  Bedingungen  ge- 
setzt. (656 — 668.) 

Heftige  Ruhr.  (669.) 

Heftige  Cholera.  (670.) 

Synochus  =  geliuder  Typhus,  kann  leicht  wie  Synocha  aus- 
sehen; entstehtbesonders  durch  Kalte  (671).  Einfacher  Typhus  oder 
Nervenrieber,besonders  in  Folge  von  "Wärme,  stärker  als  Synochus.(672.) 

Brandige  Bräune;  ein  Typhus,  stärker  als  der  einfache  (673). 

Zusammen  flies  sende  Blattern,  auch  ein  Typhus,  aus 
indirccter  Schwäche.  (674.) 

P  e  s  t  a  r  t  i  g  e  r  T  y  p  h  u  s,  Kerker,-  Faul-  oder  P  e  t  e  c  !i  i  a  1- 
fieber  und  die  Pest.  Säflevcrderbniss,  nicht  durch  die  ansteckende 
Materie,  sondern  durch  Stockung  aus  Schwäche  der  Gefässendigungen 
bedingt.  Gemischte  Schwäche  ist  die  häufigste  Ursache.  Der  An- 
steckungssloff und  die  Säfteverderbniss  werden  durch  die  reizende 
Behandlung  mit  gehoben,  der  erstere  besonders  durch  Ausdünstung. 
(675  —  694.) 

ß.      Oertliche   Krankheiten. 

Diese   sind: 

1)  Organische  Krankheiten,  bei  welchen  nur  im  leidenden  Theil 
ein  krankliaftcr  Zustand  ist.  Solclie  Theile  sind  weniger  empfind- 
lich, daher  bleibt  die  AiTection  örtlich; 

2)  organische  Krankheiten  in  sehr  empfindlichen  inneren  und 
äusseren  Theilen,  von  wo  aus  sich  die  Affeclion  über  den  ganzen  Kör- 
per verbreiten  kann; 

o)  derartige  sthenische  oder  asthenische  allgemeine  Zustände, 
bei  denen  ein  Symptom  eine  solche  Höhe  erreicht,  dass  ein  Theil  gar 
nicht  mehr  erregt  werden  kann,  Heilmittel  nicht  auf  ihn  wirken ; 


44 

4)  Zustände  bedingt  durch  Verbreitung  eines  Ansteckungs- 
stoffes  über  den  Körper,  ohne  dass  er  auf  die  Erregung  Einfluss  hätte  ; 

5)  Krankheiten  in  Folge  von  die  örtliche  Textur  verändernden, 
später  den  ganzen  Körper  ergreifenden  Giften.  (695^ — 699.) 

I.  C lasse.  Ursachen:  Verwundung,  Quetschung,  Druck, 
Verrenkung,  Gifte.  Behandlung :  Abhaltung  von  Luft,  Kälte,  Wärme, 
Anwendung  von  Fonienten,  Ruhe.  Die  Eintheilung  in  Phlegmone  und 
Erythem  ist  unnöthig,  da  beide  eine  Natur  haben.  Ein  gewisses 
Heilbestreben  der  Natur  findet  hier  Statt,  obgleich  die  Heilung  selbst 
auch  nur  durch  Erregbarkeit  erfolgt.  (700 — 706.) 

II.  Classe'^')-  Gastritis,  in  Folge  von  mechanischen  und 
chemischen  Reizen;  sonst  befällt  Entzündung  kaum  diese  Innern  Theile. 
Die  Behandlung  besteht  blos  in  Verdünnung  und  Entfernung  des  Rei- 
zes. (707 — 712.). 

Enteritis  wie  Gastritis.  —  Die  Entzündung  der  übrigen  Ein- 
geweide, der  Leber,  Milz,  der  Nieren,  der  Blase,  des  Uterus  entsteht 
durch  Verwundung,  Fall  u.  s.  w.  Alle  örtlichen  Leiden  dieser  Theile 
sind  sonst  Ueberbleibsel  anderer  Krankheiten.  (713 — 725.) 

Hysteritis,  durch  schwere  Geburt  mit  Asthenie  herbeiführen- 
dem Blutfluss.  (726  —  728.) 

Abortus  entweder  örtlich  oder  mit  allgemeiner  Schwäche 
complicirt.  (Wein  und  Opium!)  (729 — 732.) 

Schwere  Geburt.    (Ursache:    Schwäche.)  (733 — 734.) 

Tiefgehende  Wunden.  Hier  ist  nicht  sthenische  Beschaf- 
fenheit, sondern  Irritation,  ein  Zeichen  von  Asthenie  da.  Die  Behand- 
lung sei  massig  reizend,  aber  erst  nach  Heilung  der  Wunde,  nicht  an- 
tisthenisch  und  nicht  slhenisch.  (733  —  741) 

III.  C lasse.  (Degeneration  allgemeiner  Krankheiten  in  ört- 
liche.) (742.) : 

Suppuration  bei  (allgemeiner  und  örtlicher)  sthenischer  und 
asthenischer  Entzündung.  (743.) 

Pustula  in  den  Blattern.  (744  —  746.) 

Anthrax  (747.) 

Bubo  (beim  Typhus,  in  der  Pest.)  (748—749.). 

Gangraena,  heisser  Brand,  meist  Folge  einer  asthenischen 
Entzündung  (750  —  752.). 


♦)  Von  Brown  selbst  nur  als  unvollkommener  Entwurf  und  Ver- 
such bezeichnet  (§.  757.) 


45 

Sphacelus,  kalter  Brand.  (753 — 754.) 
Scrofulöse  Geschwülste  und  Geschwüre.  (755.) 
Skirrhöse  Geschwülste.     "Wenn  die  allgemeine  Behand- 
lung- nichts  nützt,  ist  die  örtliche  anzuwenden.  (756.) 

IV.  u.V.  C  lasse.     Sind  jetzt  noch  nicht  zur  Bearbeitung  reif, 
da  ihre  Beschaffenheit  noch  zu  unbekannt  ist.  (757.) 


Die  Grundzüge  dieses  Systems  hat  Brown  in  seinem  früher  be- 
reits erwähnten,  von  ihm  als  acht  anerkannten  "Werke  (er  wird  in 
der  dritten  Person  dort  eingeführt):  Bemerkungen  über  die 
älteren  Systeme  der  j\Iedicin  und  Umriss  der  neuen 
Lehre  (deutsch  von  Böschlaub.  Frankfurt  a.  M.  1807.)  in  mehr  gedräng- 
ter Ordnung  zusammengefasst  und  populär  zu  machen  gesucht.  Vor- 
ausgeschickt und  angehängt  sind  dieser  Schrift  Beurtheilungen  der 
altern  und  der  Krampftheorie  Cullens,  wodurch  Brown  auch  auf 
negativem  Wege  die  eignen  Verdienste  fremden  gegenüber  zu  erheben 
gesucht  hat.  Nicht  ohne  Geist  und  Scharfsinn  spricht  er  hier 
manche  treffliche  Wahrheit  aus,  wohin  eine  für  unsere  Zeit  sehr 
zu  beachtende  Stelle  gehört,  in  welcher  es  heisst:  die  Vortheile  der 
pathologischen  Anatomie  seien  nur  dann  zu  bemerken,  wenn  die  Gren- 
zen ihres  Nutzens  in  Erforschung  der  Wirkungen,  nicht  der  Ursachen 
genau  bezeichnet  sind.  Er  prophezeit  richtig  die  Sophistereien,  welche 
die  damals  neueren  Entdeckungen  über  Electricilät  und  Magnetismus 
herbeiführen  würden  und  zeigt  in  klaren,  eindringlichen  AVorten  den 
Gegensatz  einer  ächten  Philosophie  der  Medicin,  begründet  auf  In- 
duction  der  Thalsachen,  gegenüber  einer  unächfen  hypothetischen  Er- 
forschung des  letzte»  Grundes,  der  höchsten  Ursache,  deren  Existenz  und 
Beziehungen  er  allein  nach  Art  seines  Systems  dargestelltwissen  Avill. — 
Nur  Schade,  dass  er  in  diesem  Gegenüberstellen  der  Systematik  und  Er- 
fahrung sich  selbst  oft  das  Urtheil  spricht.  Mit  kritischem,  obgleich  flüch- 
tigem Schritt  und  nicht  ohne  Satyre  geht  er  über  die  verschiedenen  Theo- 
rien der  letzten  Zeit  hin,  welcheZähheit  und  Dichtheit  des  Blutes,  Schärfe, 
Säure,  alkalische  Beschaffenheit  der  Säfte,  Vermögen  des  Blutes  seine 
Richtung  selbst  zu  nehmen,  Aether,  hohlen  Bau  der  Nerven,  unelasti- 
sche und  elastische  Flüssigkeit  derselben,  Krampf  (v.  Helmont, 
Fr.  Hoffmann,  CuUen)  nach  einander  alsObjecte  aufstellten.  Eine 
wichtige  Grundidee  der  nachfolgenden  Abtheilung,  dass  aller  Theo- 


46 

rie  ungeachtet  die  Praxis  immer  dieselbe  bleibe  hat  er 
mit  zu  wenig  Fleiss  und  geschiclillicher  Gründlichkeit  behandelt,  um 
sie  recht  fruchtbringend  zu  machen.  Brown  führt  seine  Beweise  von 
Herophilus  und  Erasistratus  an  bis  Galen,  Paracelsus, 
die  Corpuscularärzl  e ,  B  o  e  r  h  a  a  v  e ,  H  o  f  f  ni  a  n  n ,  Stahl  und  zeigt, 
dass  seli)st  ein  Sydenham  nur  die  ausleerende  Methode  gekannt  habe, 
dass  die  Praxis  der  Alexipharuiaker  trotz  ihrer  reizenden  und  erhitzen- 
den Methode  auch  durch  Drastica  ausleere  und  dass  die  Empiriker  un- 
wissenschafllich  und  ungründlich  handelten.  Allerdings  war  die  anti- 
phlogistische und  purgirende  Methode  in  zu  ausgedehnter  Maasse  an- 
gewendet worden  und  machte  daher  eine  Rüge  nöthig,  aber  es  ist 
doch  einseitig  anzunehmen,  dass  das  ganze  Verfahren  früherer  Aerzle 
hierauf  allein  beschränkt  gewesen  sei  und  grade  ist  Browns  Therapie 
nur  da  gut,  wo  sie  mit  den  guten  Lehren  der  älteren  Praxis  überein- 
stimmt. Das  von  ihm  gegebene  Neue  ist  nicht  überall  das  Bessere. 
Ein  besonderer  Groll  spricht  sich  überdiess  gegen  Cullen  aus,  daher 
die  ganze  letzte  Abtheilung  sich  auf  diesen  bezieht,  indem  sie  die  in 
den  first  lines  of  thepractice  of  physic,  insfitutions  of  medecine  (1785) 
und  Synopsis  nosologiae  methodicae  dieses  Verfassers  gegebenen 
Lehrsätze,  besonders  die  Lehre  vom  Krampf  als  Ursache  der  Fieber, 
die  von  der  Heilkraft  der  Natur  (Widerlegung  Stahl's  zu  gleicher 
Zeit),  von  der  Kälte,  Periodicität,  Eintheilung  der  Krankheiten  u.s.  w. 
mit  einer  Bitterkeit  angreift,  die  selbst  die  Bescheidenheit  Cullens 
nicht  unbegeifert  lässt  und  wohl  nicht  ganz  lauteren  Absichten  ent- 
springt, obwohl  sie  Gelegenheit  zur  Entwicklung  eigener  Meinun- 
gen giebt. 

Als  Anhang  zu  dem  Systeme  fügen  wir  der  Vollständigkeit  und 
Uebersicht  wegen  noch  folgende  von  Brown  aufgestellte  Scala  bei, 
wie  sie  nacli  Lynch  von  Pf  äff  geordnet  worden  ist: 


47 


Scala  der  Erregung  nach  Bro-vm. 


Erre^barlieit 
0. 


Erregung 


10. 


30, 


3o. 


llester  Zustand  40, 


45. 


50. 


'S   \  60. 


65. 


ro. 


so. 


I  1 

1  

I 

i  j 


-— i  F-— 

— I 


80. 


Tod  oder  verflossenes  Leben. 


:5. 


65. 


60. 


.-^ 


Pest. 

Zusammenfliessende  Blattern. 

Apoplexie. 

LähmUDg. 

Brandige  Bräune. 

Svnochus. 


l'eripneumonie. 
I'hrenitis. 
Heftige  Blattern. 
—      Masern. 
Heftiger  Rothlauf. 
Kbeumatismus. 


Typhus. 
Hjdrothurax. 
Schwindsucht. 
Ruhr  etc. 
etc. 


53. 


f-»^ 


30. 


'^■1^ 


Gelinder  Rothbuf. 

Slhenische  Braune. 

Katarrh. 

Einfache  Svnocha. 

Scharlachpyrexie. 

Gelinde  Blattern  und  Masern. 

llanie. 

Schlaflosigkeit. 

Fettsucht. 


45,  "S 


40.  und  voIUiomnienste  Kräftigkeit  des  Lebens. 


33. 


30. 


Magerkeit 

Unruhe. 

Krätze. 

Gelinder  diabetes. 

Rhachitis. 

Abnormer  Monatsfluss. 

Kasenbluten. 


20, 


15. 


10. 


•1^ 

Ae/".-  Scorbut. 

"•■■^o  Gelinde  Hvsterie. 

■■•.'^.  Rheuraatalgie. 

■-.^  Asthenischer  Husten. 

■  5  Keuchhusten. 

■  ■  Blasenschleimflnss. 
:^-  Podagra  der  Starken. 

.•^  Gelindes  .ALSthma. 

•••■<?'  Kolik.    JlagendrUcken. 

:;i3%V'  Krampf.     Anasarca  etc. 

..  ^  Heftige  Hysterie. 

■■•?^p  Podagra  der  Schwachen. 

'•.<{.  Hydrops. 

■;  Epilepsie. 

.•"ä  Lähmung. 

..•■^  Apoplexe. 

..■•"•'>'^  Trismus 


Haemorrhoiden. 

Indigestion  etc. 

Diarrhoe. 

Verstopfung  (Colicanodync). 

Würmer. 

Tabes  etc. 


Künftiges  Leben  oder  Tod. 


Tetanus. 

Fieber,  intermittirend,  remiU. 

Heftige  Ruhr.    Cholera. 

SjTiochus.    Tj-phus  simplex. 

Faulige  Bräune. 

Typhus  pestil. 

Pest. 


-i" 


Kritik  des  Browii'sclien  Systems  ). 


Ijhe  wir  die  Geschichte  des  Brown'schen  Systems  verfolgen, 
ist  es  nolhwendig  einen  kritischen  Blick  auf  dasselbe  zu  werfen,  um 
gleich  von  vorn  herein  die  Anlage  und  den  Keim  zu  denAVechselfällen 
des  Schicksals  und  der  endlichen  Auflösung,  der  in  dem  Systeme 
selbst  lag,  zu  erkennen.  Wir  versp'aren  dabei  die  Vergleichung  mit 
anderen  Systemen  der  Vergangenheit,  die  Beziehung,  welche  es  zur 
Gegenwart,  und  den  Einfluss,  den  es  auf  die  Zukunft  hatte,  auf  eine 
spätere  Darstellung,  wenn  es  erst  möglich  sein  Avird  das  ganze  Schick- 
sal dieses  Systems  zu  übersehen. 

Schon  Inder  äussern  Form  kündigt  es  sich  als  eigenthümlich  und 
originell  an  und  verdankt  vielleicht  auch  ihr  Iheilweis  die  grosse  Sen- 
sation und  den  imponirenden  Eindruck,  den  es  auch  auf  tiefe  Denker, 
ja  auf  die  Gegner  selbst  zu  machen  pflegte.  Mehr  noch  als  in  der 
spätem,  durch  eine  verbreitete  Unkennlniss  der  lateinischen  Sprache 
nothwendig  gew^ordenen,  englischen  Ausgabe  tritt  dies  in  den  früheren 
lateinischen  Editionen  hervor.  In  diessen  herrscht  eine  merkwürdige 
Einfachheit,  Präcision  und  Concinnität  des  Ausdrucks,  eine  ge- 
wisse laciteische  Kürze,  eine  studirte  classische  Dunkelheit  der 
Diction,    die  nicht  verfehlen  konnten   den  Stempel  einer  sich  selbst 


*)  Wir  halten  es  für  nötbig  hier  zu  bemerken,  dass  diese  vorzugs- 
weise nur  die  Mängel  des  Systems  trelfende  Kritik  absichtlich,  um  sie 
ganz  selbstständig  zu  halten,  vor  der  Leetüre  jeder  andern  hieher  ge- 
hörigen Schrift,  sowohl  pro  als  contra,  abgefasst  worden  ist.  Hieraus 
erklärt  sich  manches  Rlangelhafte  derselben,  welches  erst  im  Verlaufe  der 
Geschichtsdarstellung  durch  Aufzählung  der  Gründe  der  Gegner  ergänzt 
werden  wird.  Wir  konnten  aber  auch  nur  auf  diese  Weise  ein  eignes 
Ganze  gewinnen,  welches  uns  einerseits  mancher  spätem  Ausführung  und 
Wiederholung  überheben,  andererseits  aber  eineBeurthellung  nach  neueren 
Standpuncten  liefern  sollte. 


49 

bewussten  Bestimmtheit,  einer  objectiven  Wahrheit  der  Behaup- 
tungen, jii  auch  den  Schein  einer  gewissen  geheimnissvollen  prophe- 
tisclien  Vertrautheit  mit  der  Natur  den  Sätzen  dieses  Reformators 
einzuprägen.  Dazu  kommt  die  fast  aphoristische  Aufstellung  man- 
cher Lehrsätze,  die  Einkleidung  fast  aller  Behauptungen  in  die  Form 
gewisser  Gesetze,  die  strenge  Consequenz  und  Harmonie,  welche 
sich  von  der  Anreihung  der  einzelnen  Capitel  an  bis  auf  die  Paragra- 
phen erstreckt  (vergl.  3.  4.  5.  6.  Kap.  Th.  IL);  also  selbst  in  der 
äusseren  Hülle  des  Blendenden  Mancherlei.  Mächtiger  noch  ist  der 
Eindruck  des  Reformatorischen.  Meist  w  ird  ein  Reformator  zugleich 
in  gewisser  Hinsicht  Tyrann  sein  und  auf  diese  Weise  sich  immer 
einen  Anhang  siegreich  zu  verschaffen  wissen.  Ein  Reformator  dieser 
Art  nun  war  Brown,  um  so  mehr,  als  er  alle  dazu  erforderlichen  Ei- 
genschaften in  vollem  Maasse  besass.  Die  Geschichte  der  vergange- 
nen Zeiten  ist  ihm  wie  vielen  anderen  Reformatoren  nur  ein  Lehrbuch 
vonirrthümern,  Fehlern,  vergeblichen  Bestrebungen,  nur  die  Folie  sei- 
ner eigenen  Leistungen.  Was  früher  war,  ist  dem  Untergange  ge- 
weiht. Auf  den  Trümmern  dieser  alten  ^^'elt,  obgleich  mühsam  er- 
richtet und  durch  das  Feuer  der  Zeit  geläutert,  ersteht  nun  neu  im 
genialen  Aufflug  hervorgezaubert  ein  Werk  des  einen  Augenblicks, 
in  welchem  der  zündende  Gedanke  Feuer  hervorlockfe.  Gleich 
anderen  Reformatoren  rief  Brown  den  Spott,  die  Satyre,  die 
Verhöhnung  seiner  Vorgänger  zu  Hülfe  und  wussfe  durch  Betäu- 
bung da  zu  siegen,  wo  die  Einsicht  und  die  Erkenntniss  nicht  Wur- 
zel schlugen.  Auch  er  besass  jenen  Stolz,  jenes  Selbstgefühl  des 
eigenen  Werthes,  das  nothwendig  ist,  um  mit  Sicherheit  gegen  Jahr- 
hunderte aufzutreten,  und  welches  die  Achtung  der  Tieferstehenden 
erzwingt;  jenes  Gefühl  der  Kraft,  jenen  Enthusiasmus  innerer  Wahr- 
heit, ohne  welche  das  Bewusstsein  eines  grossen  Zweckes,  das  auch 
Brown  beseelte,  nimmer  zur  That  reift.  Auch  ihn  hatte  das  Ideal 
seiner  Schöpfung  mächtig  erfasst  und  hielt  ihn  mit  der  GeM  alt  einer 
fixen  Idee  fest.  Ohne  diese  Begeisterung  für  seinen  Zweck  wäre  es 
nie  möglich  gewesen,  eine  solche  Consequenz  zu  behaupten,  die  über 
alle  Schwierigkeiten  walirhaft  oder  scheinbar  siegreich,  bald  mit  ge- 
waltigem Vernichtungstrilte,  bald  mit  den  Künsten  einer  mehr  oder 
minder  gewandten  Sophistik  und  Dialektik  hinwegschritt. —  Und  wenn 
in  diesen  mehr  äussern  Momenten  der  im  System  und  seinem  Schö- 
pfer liegenden  Gründe  —  die  anderen  lagen  in  der  Zeit  und  dem 
Zustande  der  Medicin   —   schon  die  Erklärung  für  den  stürmischen 


50 

Erobcrungsschrilf,  mit  dem  die  neue  Schöpfung  ihre  Bahn  durchlief, 
aufzutauchen  beginnt,  so  wird  diess  vollends  klar,  wenn  die  mehr 
innern  Gründe  und  Anlagen  in  Erwägung  gezogen  werden.  Hielier 
rechnen  wir  die  Einfachheit  des  Grundprincips.  die  Consequenz  und 
Durchführbarkeit,  die  leichte  Erkennbarkeit  ohne  besondere  Abstrac- 
tion  als  blosse  Auffassung  äusserer  Erscheinungen,  die  plausible 
Erklärung  aller  Erscheinungen  durch  dieses  Prinoip  mit  seiner  überall 
möglichen  Applicirbarkeit ,  den  Schein  mathematischer  Gewissheit 
durch  die  quantitative  Scala,  die  Erleichterung  für  Diagnose  und 
Therapie  in  einer  fast  blos  zwiefachen,  äusserlichen  Rücksichtsnahme 
und  dann  auch  manche  gediegene  Wahrheiten ,  die  hier  ausgespro- 
chen oder  in  ein  helleres  Licht  gesetzt  wurden.  Die  Untersuchung 
dieser  Gründe  führet  uns  zu  der  Betrachtung  des  Systemes  selbst. 

Alihängigkeit  des  I^eliens. 

Der  erste  und  wichtigste  Grundzug  des  Brown'schen  Systems 
ist  die  ausgesprochene  Abhängigkeit  des  Lebens,  das  als  ein  nicht 
natürlicher,  sondern  erzwungener,  nur  von  den  Aussendingen  ge- 
setzter und  hervorgerufener  Zustand  bezeichnet  war  (vergl.  Pfaff 
§  72.  148.  327.). 

Anstatt  des  Selbstbelebten,  welches  die  Physiologie  deutlich 
in  der  Zeugung  und  dem  Leben  der  Nerven,  der  Blutkörperchen,  der 
Zellen,  überall  in  dem  eigenthümlichen  durch  sich  selbst  gesetz- 
ten Leben  einzelner  Organe  nach  allbekannten  nicht  mehr  abzuläug- 
nenden  Daten  nachweisst,  setzt  Brown  ein  erzwungenes  nur  im 
Reize  bestehendes  Leben;  anstatt  der  überall  an  dem  freundlichen 
Zusammenwirken  der  Organe  erkennbaren  Tendenz  zur  Erhaltung, 
die  dem  feindlichen  Einstürmen  der  Aussendinge  sich  widersetzt,  sieht 
er  eine  beständige  Neigung  zur  Auflösung,'  die  nur  durch  äussere 
fremde  Kräfte  aufgehalten  wird.  Anstatt  der  Wechselwirkung  des 
Makro-  und  Mikrokosmus,  die  allerdings  zum  Leben  nothwendig  ist, 
nimmt  er  die  volle  Abhängigkeit  des  letzteren  an.  So  muss  er  den 
so  mühsam  errungenen  erst  von  Paracelsus  näher  entwickelten 
Begriflf  des  organischen  Lebens  (weil  dieser  nur  in  dem  eingeborenen 
Leben  der  einzelnen  das  Leben  des  Individuums  constituirenden  Or- 
gane wurzelt)  mit  einer  dem  organischen  Substrat  grösstentheils 
von  aussen  eingepllanzten  allgemeinen  Eigenschaft  verlauschen, 
(S.  Anmerk.  S.  213.)  Er  zerstört  den  Begriff  der  nach  innerer 
Nothwendigkeit     waltenden    Zweckmässigkeit     des    Bildungstriebes 


51 

(Stahl),  den  Begriff  der  Freiheit  des  physischen  wie  psychischen  und 
moralischen  Lebens,  die  aus  dem  Eigenleben  des  Organismus  folgen- 
den Bestrebungen  des  Insfincls,  des  Willens  der  Naturlieilkraft  (§  95, 
706),  der  Reaction.  Er  bleibt  die  Antwort  schuldig  auf  die  Frage 
nach  dem  deutlich  erkennbaren  Unterschied  des  Primären  und  Secun- 
dären  in  der  Wirkung  der  Aussendinge,  von  denen  das  Erstere  vor- 
zugsweise dieser,  das  Andere  dem  Organismus  zukommt;  er  muss, 
um  consequent  zu  sein,  die  ersten  Uranfange  der  Bildung  des  Embryo 
auch  von  aussen  abhängig  machen,  den  mit  diesem  Erstlingsorganis- 
mus identischen  Körper  der  Mutter  als  Aeusseres,  Blut  und  Säfte,  die 
doch  wahrhaft  innere  integrirende  Bestandlheile  sind,  als  äusserlich 
bezeichnen  und  so  nicht  nur  das  Leben  seiner  schönen  Selbstentfal- 
tung und  Erhaltung  berauben,  zum  Product  der  Aussenwirkung  statt 
zum  Factor  der  Lebens-Acusserungen  machen,  sondern  er  muss  auch 
die  inneren  Bestandlheile  dieses  Producles  zerreissen  und  in  die  Ein- 
heit dieser  erzwungenen  Bildung  die  Zwietracht  innerer  und  äusserer 
Potenzen  werfen.  Er  erkennt  nun  zwar  den  Abgrund,  an  dem  er 
steht,  und  rettet  sich  vor  dem  vernichtenden  trostlosen  Hinblick  auf 
das  Unbelebte,  indem  er  Muskelcontraction,  Sinne,  Leidenschaften, 
Versland,  AfFecte  sowohl  durch  äussere  Dinge  als  durch  sich  selbst 
erregt  werden  lässt,  aber  er  sagt  uns  nicht,  wieso  gerade  diese 
den  Vorzug  verdienen  die  Consequenz  seiner  ganzen  Annahme  — 
und  mit  Recht  —  zu  stören,  indem  sie  den  Keim  des  Lebens  in  sich 
tragen.  Demnach  ist  sogleich  die  erste  Definition  (§  lO)  ein 
Zirkelschluss. 

Erregbarkeit. 

l^nd  was  ist  der  Ersatz  für  das  Entrissene,  den  uns  Brown 
bietet?  Es  ist  der  Begriff  der  Erregbarkeit,  ein  Begriff,  der 
nothwendig  war,  um  das  Belebte  vom  Unbelebten,  vom  todten  Ma- 
terial des  Unorganischen  das  Organische  (welches  als  abhängig  von 
aussen  sonst  mit  jenem  zusammenfallen  würde)  zu  trennen. 

Es  tritt  dieser  Begriff  der  Erregbarkeit  bei  Brown  an  die 
Stelle  der  früheren  Lebensprincipe,  des  1'voQf.iov  des  Hippo- 
krates,  des  Pneuma  bei  Plato  und  den  Stoikern,  der  Entelechie 
des  Aristoteles,  der  Lebenskraft  des  Paracelsus,  des  Ar- 
chaeus  bei  Helmont,  der  Seele  bei  Stahl,  des  Aethers  bei  Hoff- 
ni  a  n  n  etc. ;  aber  es  ersetzt  diese  wie  wohl  oft  nur  hypothetischen 
Annahmen  keineswegs.   Ja  selbst  die  mechanischen  und  chemi- 

4* 


52 

sehen  Ansichten  vom  Wesen  des  Lebens  stehen  über  diesem  neuen 
Symbol,  weil  sie  die  Wesenheit  desselben,  seine  inneren  Vorgänge 
und  Processe,  Avenn  auch  auf  einseitige  Weise,  erklären.  Der  Be- 
griff der  Erregbarkeit  aber  giebt  kein  Princip  des  Lebens,  weil  ein 
solches  den  i  n  n  e  r  n  Grund  und  die  tief  in  dem  Organismus  selbst 
begründete  Bedingung,  Kraft  und  Erklärung  des  Lebens  in 
allen  seinen  Ercheinungcn  enthalten  und  umfassen  soll.  Die  Erreg- 
barkeit ist  nur  eine  durch  die  Aussenwelt  bedingte  Eigenschaft 
und  Fähigkeit  der  organischen  Materie,  eine  einseitige  M  ö  gli  ch- 
keit  der  Lebensthätigkeit,  die  zur  Erklärung  der  allseitigen  Actio- 
nen  benutzt  wird.  Es  ist  dieser  Begriff  ferner  ein  nicht  durch  Beob- 
achtung als  wahrhaft  vorhandener,  als  realer  in's  Leben  tretender 
Grund  gefunden,  sondern  er  ist  mehr  ein  logischer,  aus  dem  Factum 
der  Erregung  entwickelter,  abstrahirfer,  supponirter  Begriff,  un- 
gefähr eben  so,  als  wenn  man  aus  dem  Begriffe  des  Lebens  die  Le- 
bensfähigkeit zum  Princip  erheben  wollte.  Mögen  viele  jener  oben 
erwähnten  Principe  hypothetisch,  halb,  einseitig  sein,  sie  haben  doch  alle 
das  Bestreben,  dem  Grund  der  eigentlichen  Lebenskraft  auf  die 
Spur  zu  kommen;  sie  haben  theilweise  auch  als  Grund  vieler  Actio- 
nen  factische  Bestätigung  gefunden.  Aber  das  Stehenbleiben  auf  der 
Oberfläche  der  Erscheinung,  das  Sichbegnügen  mit  einem  blos 
äusserlichen,  durch  den  Verstand  erst  erschlossenen  Begriff  ist  ein 
Hemmniss  in  dem  Fortschritte  der  Wissenschaft.  Und  Brown  giebt 
sich  nicht  einmal  die  allerdings  unfruchtbare  Mühe,  das  Wesen  dieser 
Erregbarkeit  genauer  zu  definiren;  ,,ob  es  ein  Stoff  oder  eine  Eigen- 
schaft sei,  wie  jede  tiefere  Frage"  kümmert  ihn  nicht  (§  18).  Mit 
seinem  blos  die  Aussenseite  berübrenden  Streben  giebt  er  auch  hier 
nur  die  Eigenschaften  dieser  Eigenschaft  an,  die  eigentlich  der  Er- 
regung angehören,  aber  durch  Verstandesschluss  der  Erregbarkeit 
zugeschrieben  werden.  Diese  Erregbarkeit  wird  als  eine  allge- 
meine, den  ganzen  Körper  gleichmässig  sogleich  ergreifende,  an 
verschiedenen  Orten  nicht  verschiedene,  überall  von  gleicher  Be- 
schaffenheit entweder  erhöhte  oder  erniedrigte,  nur  gradweise  an  ein- 
zelnen Orten  abweichende  bezeichnet  (§48 — 56).  Diese  Erregbar- 
keit wird  also  nicht,  wie  der  Begriff  des  Organischen,  durch  das  Ein- 
zelleben der  besondern  Organe,  durch  die  Erregbarkeit  der  einzelnen 
Theile  zusammengesetzt,  sondern  ist  ungetheilt.  Abgesehen 
davon,  dass  diese  Erregbarkeit  eigentlich  nur  durch  die  Aussenwelt 
gesetzt  wäre,   dennoch  aber  eine  besondere  Empfindlichkeit  einzelner 


53 

Organe  von  Brown  gleich  von  vornherein  statuirt  >vird,  also  gewis- 
sermassen  doch  eine  Selbstständigkeit  des  Organismus,  die  das 
ganze  Grundprincip  umwirft,  so  muss  diese  besondere  Reizempfäng- 
lichkeit nicht  blos  eine  quantitativ,  sondern  auch  qualitativ  verschie- 
dene örtliche  Erregbarkeit  sein,  -welche  alle  im  Verein  die  allge- 
meine Erregbarkeit  als  Product  nicht  als  Ursache  ergeben.  Die  all- 
gemeine Erregbarkeit  zersplittert  sich  daher  nicht,  sondern  sie  wird 
erst  gebildet.  Der  Beweis  nun  für  die  Allgemeinheit  der  Erregbar- 
keit, der  in  dem  unmittelbaren  ohne  Folgereihe  sichtbaren  Ent- 
stehen der  Empfindung,  Bewegung  gesucht  wird,  beruht  auf  Ver- 
kennung der  Gesetze  der  Conbinationen  des  Lebens,  welche  ohne  ein 
von  uns  wahrnehmbares  Zeitmaass  dennoch  in  Uebergängen  eine 
Action  nach  der  andern  erzeugen.  Wie  soll  überhaupt  ein  Theil 
empfindlicher  sein,  mehr  afiicirl  werden  können,  wenn  die  Erregbar- 
keit nicht  eine  örtliche  ist?  Und  wenn  es  ausser  dieser  nicht  nocli 
eine  Erregbarkeit  giebt,  muss  da  nicht  der  Begriff  einer  allgemeinen 
Erregbarkeit  mit  der  örtlichen  zusammenfallen  oder  vielmehr  kann 
nicht  unbeschadet  der  allgemeinen  Lebenskraft  zugleich  eine  be- 
scliränkte  angenommen  werden,  was  Brown  zu  negiren  scheint? 
Auch  von  Andern  wird  die  Lebenskraft  als  allgemein  angenommen, 
aber  diese  nicht  als  ungetheilt  gleichmässig ,  sondern  als  in  verschie- 
denen Organen  verschieden  waltend.  Und  sei  auch  die  Lebenskraft 
der  Organe  nur  eine  nach  bestimmten  Normen  nüancirle  Richtung  der 
allgemeinen,  w  eiche  mehr  abstract  als  wirklich  ist,  so  ist  die  Phy- 
siologie ein  für  allemal  Bürge  für  ein  localbesohränktes  Eigenleben 
der  Organe.  Die  Experimente  der  Erregung  durch  chemische  Sub- 
stanzen (Gifte),  die  Gesetze  der  Reflexbewegungen,  der  IVervenleitung 
von  den  Centren  nach  der  Peripherie,  der  Isolirung  durch  die  Gan- 
glien, die  Gesetze  der  organischen  Bildung  in  der  Entwickelungsge- 
schichte,  der  Ernährung,  Zurückbildung  etc.  sprechen  für  eine  von 
bestimmten  Puncten  aus  fortwirkende  secundäre  Erregung  des  Sy- 
stems, die  nach  Brown  ebenso  wie  die  Gesetze  der  Sympathie,  des 
Consensus,  des  Antagonismus,  der  Wechselwirkungen  wegfallen 
niüsste.  Mag  immerhin  durch  jede  Schädlichkeit,  jedes  Heilmittel  der 
ganze  Organismus  mehr  oder  weniger  ergriffen  sein  und  weder 
Krankheit  noch  Heilung  ahne  die  allgemeine  durch  die  Nervencentra 
vermittelte  Theilnahme  Statt  finden  können,  ein  primäres  Ergriffen- 
sein, eine  primäre  Erregung,  die  nach  Brown  eigentlich  nicht  be- 
steht,   kann    nicht  abgeläugnet  werden.      Und    in   der  Tliat    scheint 


54 


er  im  Widerspruch  mit  sich,  wo  er  von  der  unmittelbaren  Einwirkung 
spricht  (§  49),  etwas  dergleichen  zuzugeben.  Wenn  ferner  eine 
Berecknung  der  Grade  des  Leidens  einzelner  Theile  mit  denen  des 
ganzen  Organismus  Statt  finden  soll,  so  muss  es  entweder  zweierlei 
Erregbarkeiten  geben  oder  die  allgemeine  muss  auch  zugleich  örtlich 
sein  können.  Wir  begreifen  nicht,  wie  die  allgemeine  Erregbarkeit 
im  ganzen  System  entweder  aufgehäuft  oder  erschöpft  sein  muss, 
und  wie  dennoch  einzelne  Organe  höhere  oder  niedere  Grade  die- 
ser Eigenschaften  besitzen  sollen.  Ist  jenes  Vcrhältniss  nur  ein 
quantitatives,  so  ist  nicht  abzusehen,  warum  nicht,  Avie  es  auch  wirk- 
lich der  Fall  ist,  einzelne  Organe  erschöpfte,  andere  aufgehäufte 
Erregbarkeit  haben  sollen,  da  es  sich  ja  hier  nur  um  Grade  handelt. 
In  jedem  Falle  aber  bedingt  selbst  diese  quantitative  Verschiedenheit 
doch  auch  eine  örtlich  modificirte  Erregbarkeit,  welche  Brown's 
Definition  der  allgemeinen  widerlegt. 

Wie  geht  es  ferner  ohne  örtliche  Erregbarkeit  zu,  dass  be- 
stimmte speci fische  Einwirkungen,  z.B.  der  Nahrungsmittel  auf 
den  Darmcanal  (§  51),  bestimmte  Organe  erregen  ?  Spricht  nicht  der 
§  53  im  Widerspruch  mit  der  unmittelbaren  gleichmässigen  Erregung 
des  ganzen  Körpers  von  einer  (wenn  auch  nur  flüchtig)  vorhergehen- 
den Schwäche  oder  erhöhten  Erregung  einzelner  Theile  ?  Kann  dies 
ohne  örtliche  Beschränkung  gedacht  werden?  und  selbst  ohne  qua- 
litative Verschiedenheit,  die  Brown  gänzlich  desavouirt? 

Es  müsste  nach  dieser  Theorie  der  allgemeinen  Erregbarkeit 
die  Eintheilung  der  Krankheiten  in  allgemeine  und  örtliche  gar  nicht 
Statt  finden  können ;  es  Aväre  bei  der  Heilung  gleichgültig,  von  wel- 
chem Puncte  aus  man  den  Organismus  zu  erregen  suchte,  da  in  jedem 
Falle  die  zur  Heilung  nothwendige  allgemeine  Erregung  erfolgen 
müsste;  man  hätte  nicht  nöthig,  mehrere  Heilmittel  zugleich  anzu- 
wenden, um  von  verschiedenen  Puncten  aus  eine  glcicbmässige  Er- 
regung hervorzurufen  u.  s.  w.  Doch  werden  wir  diese  Sätze  später 
wieder  aufnehmen  und  wenden  uns  jetzt  zu  einem  zweiten  characleri- 
stischen  Grundzuge,  der  mit  starrer  Consequenz  durch  das  vorlie- 
gende System  durchgeführt  ist_. 

Q,uantitativefs  Eileinent. 

Das  quantitative  Element  liegt  nach  Brow  n  allen  Erschei- 
nungen des  Lebens  zu  Grunde,  bedingt  Gesundheit  und  Krankheit, 
kommt  bei  der  Betrachtung  ursächlicher  Einwirkungen,   bei  der  Vor- 


55 

gicicliung  und  Werlhscliälzung  der  Symptome,  bei  der  Beurtlieilung, 
Erkenntniss,  Zusammenslellung  der  Krankheitsformen,  bei  der  An- 
reihung und  Wahl  der  Heilmittel,  in  Pathologie  und  Therapie,  mit  ei- 
nem Wort  allein  zur  Anschauung,  ist  einzig  und  allein  Lebensbe- 
dingung und  Erscheinung.  3Iit  einer  wahrhaft  despotischen,  aller 
Rücksicht  ledigen  Consecpienz  trägt  diese  Seile  des  Lebens  den  Sieg 
aber  die  andere  nicht  minder  -wichlige,  die  qualitative,  davon;  diese 
wird  gänzlich  verachtet,  ja  geläugnet,  und  so  entsteht  im  Wider- 
spruch mit  sich  und  mit  der  Erfahrung  eine  in  der  Tliat  originelle 
Theorie,  die  auf  Senkblei  und  Winkelmaass,  auf  Addition  und  Sub- 
traction  gezimmert  ist.  Nach  einer  auf-  und  absteigenden  Scala  wird 
die  Baromelerhöhe  des  gesunden  und  kranken  Lebens  gemessen,  das 
flüssige,  wandelbare  Leben  in  starre  arithmetische  Verhältnisse  ge- 
bannt, der  Schein  einer  mathematischen  Gewissheit  in  willkührlichen 
numerischen  Salzungen  nacii  sclbstgewählten  Nornialzahlen  gesucht. 
Alle  physikalischen,  iatromathematischen  Theorieen  der  Vorzeit,  die 
Medicina  statica  eines  S  an  tori ,  Borelli,  Bcllini,  so  verwerf- 
lich ihre  todte  Naluranschauung  war,  erläuterten  doch  wenigstens  Le- 
bensprocesse  und  Vorgänge  nach  Analogie  der  grossen  Natur  und 
berücksichliglen  eben  die  Qualität;  für  diese  Bro  wüsche  Annahme 
giebt  es  aber  keine  Analogie  in  der  Geschichte  wie  in  der  Natur. 
Wie  die  Kraft  an  die  Materie,  ist  die  Quantität  an  die  Qualität  gebun- 
den, jene  eben  so  wenig  etwas  Zufälliges  als  diese.  Beide  sind 
durch  einander  bedingt  und  keine  ohne  die  andre  zu  denken.  Es  giebt 
eine  Quantität  und  Qualität  der  Kraft  wie  der  Materie.  Dieser  Unter- 
schied kommt  aber  keineswegs  bei  Brown  in  Betracht.  Die  orga- 
nische Materie  ist  bei  ihm  untergeordnet  und  an  die  Stelle  der  Lebens- 
kraft tritt  eine  supponirte  Eigenschaft;  nur  die  Quantität  dieser  Eigen- 
schaft, nur  die  des  Products  der  Erregung,  nur  der  Grad  der  sicht- 
baren äusseren  Wirkung  und  die  Einflüsse  der  äusseren  Potenzen 
misst  er  und  giebt  daher  ein  einseiliges,  äusseres  Maass  für  seine  ein- 
seitige äussere  Ansicht  des  Lebens,  zu  dem  einen  durch  die  schwere 
Ergründung  des  Lebens  verzeihlichen  Irrlhum  das  willkührlichc  Ver- 
kennen als  schlimmeren^Genosseu  fügend.  —  Wir  werden  Gelegen- 
heit haben,  im  Einzelnen  auf  diese  Annahme  zurückzukommen  und 
das  Fehlerhafte  derselben  nachzuweisen. 


56 

Verhältniss  der  Reize  zur  Erregbarkeit. 

Die  ganze  Physio- Pathologie  Brown's  beruht  auf  drei  Pfei- 
lern, auf  dem  Verhältniss  l)  der  Reize,  2)  der  Erregbarkeit  und 
3)  der  Erregung,  und  von  dem  mittleren,  höheren  oder  niederen 
Maasse  derselben  hängen  die  Zustände  des  Lebens,  Gesundheit  oder 
Krankheit  ab.  —  ad  l)  Wir  werden  später  nachweisen,  dass 
zwar  alle  erregenden  Potenzen  reizen,  insofern  sie  eben  erregend 
wirken,  —  die  Meinung  aber,  dass  nur  durch  Erregung  (im  Ueber- 
maas  oder  zu  wenig)  Schwäche  erzeugt  werde  durch  das  Vorhanden- 
sein auch  direct  schwächender  Potenzen,  ohne  Beihülfe  der  Erregung, 
zu  beschränken  suchen.  Hiervon  abgesehen,  theilt  Brown  die  Reize 
nach  Graden  (über  die  Vernachlässigung  der  qualitativen  Seite  weiter 
unten)  und  spricht  von  einem  mittleren,  einem  höheren  und  einem 
niederen  Reiz.  Hierbei  hat  er  offenbar  wiederum  die  Aussenwelt 
als  wichtigeres  Agens  im  Auge;  er  vergisst,  dass  der  Grad  des  Reizes, 
wenn  wir  einmal  diesen  im  Auge  behalten  wollen ,  nichts  Absolutes 
ist,  dass  erst  mittelst  der  Erregbarkeit,  ohne  welche  ja  die  erregende 
Potenz  nicht  wirken  kann,  die  Erregung  hervorgeht.  Wenn  nach 
seiner  eigenen  Aussage  ein  bestimmtes  Maass  der  Erregbarkeit  dem 
Menschen  ursprünglich  beigegeben  ist  (ein  Widerspruch  gegen  die 
absolute,  anderweitig  angenommene  Abhängigkeit  des  Lebens),  diese 
Erregbarkeit  nun  noch  durch  das  Alter  modificirt  wird ,  einzelne 
Organe  mit  einer  höheren  oder  niederen  Erregbarkeit  begabt  sein 
können,  so  spricht  dies  offenbar  für  eine  Relativität  der  Erregbarkeit 
zur  Aussenwelt.  Auf  gleiche  Weise  aber  muss  sich  auch  diese  nach 
der  Erregbarkeit  richten.  Es  kann  eine  Gemüthsbewegung  für  die 
Erregbarkeit  des  Einen  ein  mittlerer,  für  den  andern  in  gleichem  Alter 
Stehenden  ein  höherer  Reiz  sein ;  es  kann  eine  anstrengende  Be- 
wegung für  die  Erregbarkeit  eines  Kindes  ein  mittlerer  Reiz  sein ,  für 
einen  erwachsenen  Mann  aber  ein  zu  grosser,  weil  auch  das  Alter 
kein  absolutes  Maass  der  Erregbarkeit  besitzt  (§.  26),  sondern  diese 
sich  nach  der  ursprünglichen  oder  erworbenen  Gabe  richtet.  Es 
kann  die  Luft  für  die  Lunge  des  Einen  ein  nur  geringer,  für  die  des 
Andern  ein  zu  grosser  Reiz  sein.  Es  giebt  nun  allerdings  in 
Brown's  Sinne  auch  absolut  zu  grosse  und  zu  geringe  Reize  (Gifte, 
mephitische  Luft),  welche  unter  allen  Umständen  krank  machen  oder 
tödten,  doch  kann  von  diesen,  wo  es  sich  um  die  Gesetze  physiolo- 
gischer Einwirkung,  nicht  um  Zerstörung  des  Lebens  handelt,  hier 
nicht  die  Rede  sein.  —    Dazu  kommt,  dass  in  dem  ganzen  Buche  nur 


57 

an  einigen  Stellen  wie  zufällig  von  der  Gewöhnung  an  Reize  die 
Rede  ist,    welche  doch,    ohne  dass  ein  quantitatives  Verhällniss  der 
Erregung    zur   Berücksichtigung    käme,     gerade    gegen    eine    be- 
stimmte  Art  von   Reizen   nicht  reagirt    und  selbst   von   höheren 
Graden  derselben  nicht  mehr  afficirt  werden  lässt ,   während  gerade 
durch  andere,  geringere  Reize  ,   besonders  bei  Ungewohntsein,    eine 
vermehrte  Erregung  hervorgebracht  wird.      Noch  mehr  ist  dies  bei 
den  sogenannten  Idiosynkrasieen  der  Fall ,   wo  der  geringste  Grad 
eines  verhassten  Reizes  selbst  bei  sonst  normaler  Gesundheit  heftige 
Reaction  erzeugt.      Gerade  diese  Wirkung   des  Lebens  übersehend, 
statuirte  Brown  von  den  Reizen  ausgehend  eine  einseitige  Stufen- 
leiter  derselben,    die  erst   durch    die  Beziehung   zum   Leben   selbst 
gebildet  werden  kann,   und  hat  auch  hier  wieder  die  einseitige  Ab- 
hängigkeit des  Lebens  durchgeführt.      Ein  solches  Gesetz ,   wie  es 
z.  B.  §.  23  enthält,   hat  daher  keine  Gültigkeit,   Aveil  die  Erregung 
nicht  im  Verhältniss  mit  dem  Grade  des  Reizes  stehen  kann,   wenn 
dieser  erst  durch  die  Receptivität  und  Erregbarkeit  des  Organismus 
seinen  Grad  erhält   (die   Qualität   ist  dem  Reize  selbst  eigen  und 
in  Bezug  auf  diese  wäre  ein  solches  allgemeines  Verhältniss  gewiss 
zu  statuiren).      Eben  so  wenig  kann  von  Verhältnissen,    wie  sie  der 
§.  25  bei  mittelmässigen  Reizen  einer  mittlen  Erregbarkeit  gegenüber 
aufstellt,  die  Rede  sein. 

ad  2)  B  r  0  w  n  lässt  zwar  unentschieden ,  ob  er  die  Erregbar- 
keit für  eine  Fähigkeit  oder  für  einen  Stoff  hält,  die  Ausdrücke  auf- 
häufen und  erschöpfen  aber  scheinen  mehr  für  Letzteres  zu  sprechen. 
Er  muss  das  Leben  also  für  ein  beständiges  Entziehen  und  Ersetzen 
der  Erregbarkeit  nehmen ,  sonst  könnte  ja  nur  das  Erstere  Statt  fin- 
den, da  alles  Leben  im  Reize  besteht,  der  Reiz  aber  entzieht.  Das 
Vermehren  aber  geschieht  nur  indirect  durch  zu  geringe  Reize,  ist 
mithin  krankhaft,  während  Ersteres  normal  sein  würde.  'NVenn  nun 
gesagt  wird,  dass  die  mittlere  Erregung  Gesundheit  erzeuge  (§.  23), 
so  muss  doch  auch  ein  massiger  Grad  von  Reiz  nach  der  quantitativen 
Ansicht  Br  own's  entziehend  auf  die  Erregbarkeit  wirken;  wie  geht 
nun  dieser  Ersatz  vor  sidi?  wird  dieser  durch  materielle  Reize  der 
Aussenwelt  vermittelt?  Ist  ferner  durch  einen  zu  grossen  Reiz  die 
Erregbarkeit  erschöpft,  soll  sie  sich  dann  durch  immer  geringere 
Reize  wieder  aufhäufen  können,  selbst  wenn  ein  geringer  Reiz  auf 
eine  erschöpfte  Erregbarkeit  noch  entziehend  wirken  muss,  so  er 
überhaupt  wirken  soll?      Dies  würde  eine  negative  Heilmethode  statt 


58 

der  positiven  ergeben.  3Ian  sieht,  wohin  die  Consequenz  führt, 
wenn  die  eigene  Kraft  des  Körpers  übersehen,  das  Leben  blos  auf 
eine  Umstinnnbarlteit  durch  die  Aussenwelt,  nicht  auf  eine  Gegen- 
wirkung mit  ausgedehnt  wird.  Um  die  ersetzende ,  ausgleichende 
Thätigkeit  des  Organismus  abzuschwören,  muss  die  Wechselwirkung 
der  Reize  auf  die  Erregbarkeit  dunkel  bleiben,  darf  die  Art  des  Ersatzes 
der  letzteren  gar  nicht  berührt  werden.  Es  bleibt  kein  deutliches 
Kennzeichen  zwischen  dem  gesunden  und  kranken  Leben,  da  liier  wie 
dort  Entziehen  und  Vermehren  die  Hauptsache  ist,  da  eine  Einwirkung 
der  Reize  auf  die  Erregbarkeit  ohne  jenes  nicht  gedacht  werden 
kann ,  dieses  aber  auf  dem  Wege  selbstsländiger  Reaclion  nicht  an- 
genommen wird,  also  selbst  in  gesundem  Zustande  nur  eine  Gegen- 
wirkung von  Reiz  auf  Reiz ,  ein  Bessermachen  dessen ,  was  der  eine 
Reiz  verschuldet,  durch  den  andern  statuirt  werden  könnte.  Wir 
haben  gar  nicht  nöthig,  auf  die  täglich  vorkommenden  Fälle  einer 
Ausgleichung  der  Primärwirkung  durch  die  Secundärwirkung  des 
Organismus  ohne  alle  Beihülfo  sogenannter  entziehender  oder  ver- 
mehrender Reize  zu  verweisen,  —  ein  Unterschied  der  Wirkung,  den 
Brown  gar  nicht  kennt,  —  wir  wollen  ihm  nur  nach  seinem  eige- 
nen System  zeigen ,  dass  ein  ursprüngliches  Maass  der  Erregbarkeit, 
eine  Stärke  der  Lebensalter,  der  Leibesbeschaffenheit  bei  solchen 
Begriffen  gar  nicht  bestellen  kann.  Wenn  eine  beständige  Variation 
der  Erregbarkeit,  eine  stete  Wechselbeziehung  zwischen  stärkenden 
und  schwächenden  Reizen  Statt  findet,  die  Erregbarkeit  nicht  durch 
den  Organismus  ersetzt  werden  kann,  dieser  die  Reize  nicht  zu  über- 
winden vermag,  dann  hört  alle  Stärke,  alles  Maass,  alle  Bedingung 
der  Constitution,  des  Temperaments  u.  s.  av.  auf;  dann  bestellt  nur 
ein  Unterschied  in  dem  leichteren  und  schnelleren  Unterliegen.  Es 
müssJe  aber  dann  durch  das  angebrachte  Maass  neuer  Reize  nichts 
leichter  sein,  als  alle  Constitutionen  auf  gleichen  Fuss  zu  setzen. 

ad  3)  Die  Erregung  wird  endlich  als  Wirkung  der  erregenden 
Potenzen  bezeichnet,  ohne  auch  nur  den  Factor  der  Erregbarkeit,  der 
an  sich  schon  ein  todter  ist,  mit  als  Ursache  zu  involviren,  während 
doch  von  einem  Grad  der  Erregung  die  Rede  ist,  der  gar  nicht  ohne 
vorgängiges  Verhällniss  der  Erregbarkeit  gedacht  werden  kann. 
Die  Erregung  richtet  sich  ja  darnach,  ob  die  erregende  Potenz  auf 
eine  erschöpfte  oder  aufgehäufte  oder  normale  Erregbarkeit  trifft. ' 
Die  Erregung  wird  als  wahre  Ursache  der  Bildung  und  Erhaltung 
bezeichnet.      Als  Grund  dafür  werden  die  reizende  Einwirkung  aller 


59 

Potenzeil  (s.  unten) ,  das  Verhältniss  der  Stärke  der  Verrichtungen 
zu  der  Kraft  der  Potenz  (bewährt  sich  keineswegs,  weder  im  System 
noch  in  der  Erfahrung)  und  die  Wirkung  der  Heihnittel  (s.  unten) 
angeführt  und  darauf  basirt  sich  fälschlich  die  an  sich  wahre  Ver- 
wandtscliaft  der  Gesundheit  und  Krankheit.  Ein  Product  der  Lebens- 
kraft wird  auf  diese  Weise  zur  Ursache,  zur  Lebenskraft  selbst,  eine 
Aeusserung  des  Lebens  zum  Wesen  veredelt. 

Erregung. 

Der  gehörige  Grad  der  Erregung  setzt  Gesundheit,  Uebermaass 
oder  Mangel  setzt  Krankheiten  oder  die  ihnen  vorausgehende  Anlage; 
—  also  wiederum  nur  eine  quantitative  Bestimmung.     Indem  aber  die 
Gesundheit  als  eine  angenehme,  leichte  und  genaue  Ausübung  aller 
Functionen  bezeichnet  wird,  Krankheit  als  das  Gegentheil,   muss  die 
zur  Gesundheit  nothwendige  Erregung  in  allen  Theilen  gleichmässig 
sein.      Die  Erregung  selbst  ist  aber  nicht  allgemein,  selbst  wenn  wir 
die  Erregbarkeit  als  solche  annehmen  wollten;  sie  ist  in  den  verschie- 
denen Theilen  verschieden,    quantitativ  und    qualitativ,   und  die  Be- 
zeichnung  Brown's    mit  dem   „gehörigen  Grad"    erleidet    dadurch 
eine  bedeutende  Beschränkung,    dass  dieses  scheinbar  absolute  Maass 
■wohl    selten   im    ganzen  Umfange    angetroffen  werden  dürfte.      Der 
Begriff  der  Gesundheil  ist  aber  relativ,   einmal  in  Beziehung  zu  an- 
deren Individuen  ,  dann  in  Beziehung  auf  den  eigenen  Körper,  der  im 
Verhältniss  zu  seiner  Beschaffenheit  immer  noch  gesund  genannt  wer- 
den kann;    die   letztere  Art   der   relativen    Gesundheit  würde   nach 
Brown  gar  nicht  Statt  finden.  —    Dieser  viel  zu  allgemein  gefasste 
Begriff  des   „gehörigen  Grades",  wobei  weder  das  Verhältniss  der 
Reize ,    noch  das  des  Körpers  einen  Anhaltspunct  giebt ,    soll  nun  da- 
durch bestimmt  werden ,   dass  die  Gesundheit  zwischen  Krankheiten 
durch  Uebermaass  und  durch  Mangel  an  Erregung  in  die  Mitte  gestellt 
wird,    d.  h.  es  soll  ein  an  sich  so  relativer  und  unbestimmter  Begriff, 
wie  das  „gehörig"  durch  einen  eben  so  relativen  und  unbestimmten 
Begriff  wie  „Uebermaass  und  Mangel"  definirt  werden.      Was  ist  zu 
viel  und  was  zu  wenig  ithd  was  ist  gehörig?      Resultirt  etwa  aus  so 
schwankenden  und  relativen  Begriffen  eine  deutliche  Grenze  zwischen 
Gesundheit   und  Krankheit?      Und   auch   zugegeben,    dass    Brown 
diese  Relativität  eingesehen  hätte,    wiewohl  seine  Scala  der  Erregung 
das  Gegentheil  beweist,   ist  dieser  Mangel,    dieses  Uebermaass  der 
Erregung  eine  genügende  Ursache  so  verschiedener  Zustände  ?     Kann 


60 


nicht  eben  so  gut  selbst  bei  einem  Uebermaass  als  bei  dem  Mangel 
von  Erregung  durch  die  Bekämpfung  des  Organismus  immer  noch 
Gesundheit  bestehn?  Was  stimmt  also  diese  zur  Krankheit  um? 
Und  ferner  kann  nicht  ein  Uebermaass  der  Erregung  in  einem  der 
Bedeutsamkeit  der  Organe  nach  tiefer  stehenden  Theile  Slalt  finden, 
ohne  Krankheit  zu  erzeugen?  Ist  nicht  diese  Steigerung  oft  erst 
die  Folge  eines  qualitativ  feindlichen  Zustandes,  während  sie  hier  als 
Ursache  obenan  gesetzt  >vird?  Giebt  nicht  Brown  die  blosse  Er- 
scheinung wie  bei  der  Erregbarkeit  so  auch  hier  als  Ursache,  Be- 
dingung an?  Doch  sehen  wir  erst,  wie  er  die  Stufenleiter  der 
Erregung  aufstellt.  Erregung  und  Erregbarkeil  stehen  in  umgekehr- 
tem Verhältniss  und  die  erregenden  Potenzen  wirken  in  folgender 
Reihe  verändernd  auf  die  Erregbarkeit :   (S.  die  Scala  oben.) 


Verhältniss  der  Grade  der 
erregenden  Potenzen 
zu  den 
Graden    der   Erregbarkeit   80 


10 

20 

30 

40 

50 

60 

70 

70 

60 

50 

40 

30 

20 

10 

80 


0 


Die  Erregungszustände  aber,  welche  den  Krankheiten  zu 
Grunde  liegen,  sind  folgende:  Wenn  die  ganze  Scala  der  Erregung 
in  80  Grade  getheilt  wird,  so  würden  die  Grade  von  30  —  50  der 
Gesundheit  angehören,  die  von  50 — 70  der  slheaischcn,  von  70  —  80 
der  indirect  asthenischen,  von  30  —  0  abwärts  der  direct  asthenischen 
Beschaffenheit.  Zwischen  40  und  55  bestünde  die  Anlage  zu  stheni- 
schen ,  zwischen  40  und  25  die  zu  asthenischen  Krankheiten.  So 
viel  Wahres  nun  im  Allgemeinen  in  dieser  Sfufenreihe  der  Erregung 
in  Betreff  der  Ueberreizung  und  Entziehung  liegt,  wodurch  Brown 
wirklich  seinen  grossen  Geist  bewährt  hat,  so  sträubt  sich  doch  der 
wandelbare  Genius  des  Lebens  gegen  eine  so  todte  Berechnung  nach 
Graden ;  denn  l)  sind  die  Grenzpuncte  zwischen  den  einzelnen 
Stufen  nicht  so  genau  und  fest  zu  halten.  Es  kann  hier  eine 
solche  Entziehung,  dort  eine  solche  Vermehrung  Statt  linden, 
dass  weder  hier  noch  dort  eigentlich  asthenische  oder  sthenische 
Zustände  Statt  finden,  ohne  selbst  eine  Anlage  zu  beiden  zu  enthal- 
ten. Es  kann  für  den  Einen  selbst  in  gesundem  Zustande  eine  Ver- 
mehrung der  Erregbarkeit  selbst  in  einem  Grade  ohne  Schaden  vor- 
übergehn,  wo  sie  einem  Andern  einen  asthenischen  Zustand  bereiten 
würde;  es  kann  selbst  eine  vermehrte  Erregung  die  Gesundheit  bis 
zur  Sthenie  steigern,   ohne  dass  hierin  der  Begriff  des  Krankhaften 


61 

liege,  der  nur  in  Ueberreizung  (Hypersllienie)  enlhallen  ist,  die 
später  nach  Brown  zur  indirecten  Asthenie  führt.  Wo  beginnt 
Reizung,  wo  Ueberreizung?  Und  wo  liegt  in  dem  Begriff  der  Ver- 
mehrung der  Erregbarkeit  der  Begriff  der  Schwäche?  Abgesehen 
davon ,  dass  nach  Brown  nur  eine  verminderte  Erregung  die  Erreg- 
barkeit vermehrt,  eine  vermehrte  sie  vermindert  —  ein  Verhältniss, 
was  die  Erfahrung  gar  nicht  iil)erall  bestätigt  — ,  ist  bei  dem  auf 
Schwäche  beruhenden  Torpor  immer  auch  vermehrte  Erregbarkeif, 
nicht  viehnehr  die  grüsste  Indifferenz  vorhanden?  ist  nicht  dagegen 
bei  dem  Erethismus,  der  nach  Brown  auf  Stbenie  beruhen  müsste, 
oft  die  grösste  Erregbarkeit?  Wir  sehen  demnach  ein,  2)  dass  die 
Zustände  Brown 's  keineswegs  weder  für  die  innere  noch  äussere 
Erscheinung  der  Krankheiten  genügende  Erklärung  abgeben :  diess 
hängt  aber  davon  ab,  dass  er  a)  die  Begriffe  Stärke  und  Schwäche 
und  die  der  Reizung  und  Erregung  zusammenwirft,  dass  er  b)  die 
quantitativen  Verhältnisse  allein  berücksichtigt  und  c)  von  einem  ein- 
seitigen Dynamismus  ausgeht. 

Sthenie  und  Asthenie. 

Verminderte  Erregung  ist  noch  keine  Schwäche ,  vermehrte 
keine  Stärke.  Es  ist  die  Erregung  ebenso  abhängig  von  aussen 
als  von  dem  Organismus.  Sie  beruht  auf  einer  bestimmten  Kraft 
desselben,  der  Erregbarkeit,  diese  selbst  aber  ist  eine  beson- 
dere Eigenschaft  des  Körpers,  basirt  auf  eine  eigenthümliche  Recepti- 
vität  desselben ,  welche  in  Uebereinstimmung  mit  dem  physischen  und 
geistigen  Verhalfen  des  Menschen  entweder  angeboren  oder  durch 
Erziehung  und  andere  Umstände  erworben,  dem  Körper  innewohnt. 
Es  kann  diese  Erregbarkeit  aber  darniederliegen  oder  erhöht  sein, 
ohne  die  Grenzen  der  Gesundheit  zu  überschreiten;  sie  kann  selbst  in 
übermässigem  Grade  vorhanden  sein,  oder  in  zu  geringem,  dort  eine 
bedeutende  Irritabilität,  hier  Torpor  erzeugen,  ohne  mehr  als  eine 
besondere  Eigenschaft,  einen  besondern,  vom  Normalen  abweichenden 
Zustand  hervorzubringen  "•).      Die  Grenzen   der  Gesundheit  hängen 


*)  (Späterer  Zusatz.)  Sehr  ricbtig  führt  Pfaff  die  Asphyxie  und  ein 
Beispiel  von  langsamer  Enthaltsamkeit  und  von  Einwirkung  aller  schwächen- 
den Potenzen  an,  in  denen  dennoch  der  Begriff  Krankheit  nicht  statuirt  wer- 
den kann.  Jenes  ist  ein  plötzlicher,  dieses  ein  langsamer  Zustand  von  gänz- 
licher Verminderung  der  Erregung  ohne  Krankheit  zu  heissen.  —  Lässt  sich 
eine  directe  Asthenie  nun  recht  gut  durch  Entziehen  von  Reizen  denken 
und  eine  indirecte  durch  zu  grosse  Ueberreizung,  wodurch  die  Erregbar- 


62 

allein  davon  ab,  in  wie  weit  die  Reactionskraft  des  Körpers  diese 
Afficirbhrkeit  überwältigt,  in  wie  weit  die  Erregung  bis  zur  Fun- 
ctionsstörung  vorscbreifct.  Wie  oft  fanden  wir  in  den  kräftigsten 
Menschen  eine  selbst  nach  Brown'sclien  Graden  gemessene  gleich 
überflüssige  Erregharkcit  wie  bei  schwächeren  Frauen.  Nicht  diese 
ist  es,  welche  den  Begriff  der  Stärke  oder  Schwäche  verleiht, 
sondern  die  Wirkungskraft  des  Organismus ,  welche  sich  dieser  Er- 
regung entgegensetzt;  nicht  die  Erregung  selbst,  sondern  die  Bewäl- 
tigungsfähigkeit derselben  giebt  die  Gradation  der  Stärke  und  Schwä- 
che, wenn  diese  quantitative  Bestimmung  der  Krankheiten  nothwendig 
ist.  Je  länger  die  Erregung  dauert,  je  weniger  sie  überAvunden  wird, 
desto  schwächer  ist  der  Organismus,  findet  das  Gegentheil  Statt, 
desto  stärker.  Die  Erregung  selbst  ist  etwas  Vorübergehendes,  sie 
kann  keinen  Zustand  bedingen,  wie  Krankheit.  Eine  sthenische 
oder  asthenische  Beschaffenheit  U.S.W,  ist  eine  der  Krankheit  eigen- 
thümliche,  oft  ausserwesentliche  Form  und  Eigenschaft;  Sthenie  und 
Asthenie  sind  nicht  Krankheiten  selbst,  während  sie  doch  bei  Brown 
fast  für  identisch  dafür  gelten.  Es  lassen  sich  ferner  selbst  inner- 
halb dieser  quantitativen  Grenzen  so  viele  Abstufungen  wahrnehmen, 
sie  hängen  von  so  vielen  unwesentlichen  Umständen  innerer  und 
äusserer  Art  ab ,  sie  sind  bei  der  Beurtheilung  vieler  Krankheiten 
entweder  gar  nicht  nachweisbar  (indem  veder  eine  Exaltation  noch 
Depression ,  sondern  nur  eine  qualitative  Umstimmung  Statt  findet, 
wie  z.  B.  bei  den  Dyskrasieen ,  die  also  nach  Brown  leicht  zur  Ge- 
sundheit gerechnet  werden  könnten),  oder  treten  wenigstens  in 
Betracht  der  qualitativen  Abweichungen  ganz  in  den  Hintergrund, 
dass  man  recht  eigentlich  einsieht,  wie  diese  Betrachtungsweise  der 
Krankheiten    eine   mehr  als   einseitige   ist.      Es   kommen   überdiess 


keil  erschöpft  wird,  so  ist  doch  der  Uebergang  aus  Sthenie  in  indirecte 
Asthenie  in  der  Brown'schen  Scala  nicht  recht  klar.  Man  begreift 
nicht,  wie  ein  Reiz,  der  bei  70  Grad  noch  vermehrte  Erregung  durch 
10  Grad  Erregbarkeit  hatte  hervorbringen  können,  nun  weiter  hinauf  so- 
gleich keine  mehr  erzeugt.  Es  müsste  eben  so  gut  die  Abnahme  in  der 
Sthenie  stetig  sein,  w]e  die  Zunahme  in  der  indirecten  Asthenie,  d.h.  es 
müsste  jeder  folgende  Reiz  immer  geringere  Erregung  setzen,  t)is  endlich 
in  der  indirecten  Asthenie  Erschöpfung  eintrete.  Eine  plötzliche  Ent- 
ziehung der  Reize  nach  Sthenie  Hesse  diese  plötzliche  Entstehung  der 
indirecten  Asthenie  eher  erklären.  Nun  giebt  Brown  allerdings  einen  so 
langsamen  Fortgang  der  Sthenie  zur  indirecten  Asthenie  an  einer  Stelle 
zu  (36),  aber  darum  dürften  die  höheren  Grade  der  Sthenie  nicht  mehr 
dieser  zugetheilt  werden  und  die  Grenze  z\^ischen  beiden  bleibt  nach 
wie  vor  willkührlich. 


63 

noch  Zustände  vor,  in  denen  per  anlag-onisnium  ein  Organ  in  eine 
krankhafte  Reizung-,  das  andere  in  krankhafte  Sch\yäche  (z.  B.  bei  Krank- 
heiten dos  Darmkanals  und  der  Haut)  versetzt  ist,  Avährend  im  ganzen 
Körper  dennoch  nur  eine  Krankheit  herrscht,  (eine  Erkältungskrank- 
heit) die  aber  aus  den  verschiedenen  Zuständen  von  Reizung  und 
Schwäche  zusammengesetzt  ist.  Diess  könnte  nach  dem  Urheber 
dieses  Systems  in  Voraussetzung  einer  allgemeinen  Erregbarkeit  und 
eines  allgemeinen  Erregungszustandes  nicht  Statt  finden,  wenn  das 
quantitative  Element  beibehalten  ist,  findet  aber  bei  Berücksich- 
lignng  qualilaliver  Unterschiede  selbst  in  der  Theorie  ganz  gut  Er- 
klärung und  Bestätigung.  (Hierüber  mehr  bei  der  Einlheilung  der 
Krankheiten.) 

D  y  n  a,  in  i  s  in  u  8. 

Was  endlich  den  vorwaltenden  Dynamismus  anbelangt,  so  liegt 
in  dieser  Begründung  der  Krankheilsscala  eine  gänzliche  Verkennung 
des  Einflusses  der  organischen  Materie.  Indem  das  plus  und  minus 
der  Erregung  überall  obenan  gesetzt  wird,  wird  der  selbstthätige 
Character  und  Gang  der  organischen  Entwicklung,  Metamorphose 
und  Rückbildung,  der  Einfluss  der  Masse  und  ihrer  Entziehung 
gar  nicht  in  Anschlag  gebracht;  der  mit  diesen  unabhängigen  Le- 
bensprocessen  verbundene  und  durch  sie  bedingte  secundäre  Erre- 
gungszustand, welcher  nur  als  Symptom  oder  als  Folge  "NVerth  hat,  zu 
hoch  geschätzt,  ja  zur  Hauptsache  gemacht,  oder  wenn  selbst  ein 
veränderter  Erregungszustand  die  primäre  Ursache  Avar,  vergessen, 
dass  nach  einem  solchen  Ansloss  der  Process  nach  seinen  eigenen 
Vitalitätsgesetzen  freiwillig  fortschreite.  Mit  dem  neueren  auf  ma- 
terieller Begründung,  auf  Desessentialisirung  gerichteten  Streben 
stehen  diese  von  der  dynamischen  Seite  ausgehenden  Richtungen  in 
directem  Widerspruch.  Eine  weitere  Ausführung  dieser  Sätze,  wo- 
bei wir  noch  die  Eintheilung  der  Krankheiten  in  allgemeine  und  ört- 
liche zu  erwähnen  haben ,  behalten  wir  uns  vor.  Es  genüge  hier, 
nachgewiesen  zu  haben  ,^  dass  die  alleinige  Begründung  der  Krank- 
heiten auf  die  Zustände  von  Sthenie  und  Asthenie  nicht  hinreichend, 
ja  falsch  sei ,  dass  die  Uebergänge  von  Gesundheit  zur  Krankheit  und 
die  Grade  derselben  durch  die  Scala  der  Erregung  nicht  bezeichnet 
seien,  dass  nicht  einmal  der  Krankheitszustand,  der  als  eine 
dauernde  Veränderung,  als  eigenthümlicher  Lebensprocess,  seine  be- 
stimmte Zeit  und  Stadien  durchläuft,    durch  den  an  sich  wandelbaren 


64 

Begriff  der  vorübergehenden  vermehrten  oder  verminderten  Erre- 
gung, die  in  einem  jeden  darauf  folgenden  Reiz  ein  Gegengeviicht 
erhalten  kann,  gedeckt  oder  erklärt  werden  könne.  Wer  will  be- 
haupten, dass  eine  vermehrte  Erregung,  Sthenie  der  Lunge,  Lungen- 
entzündung sei,  und  hat  Brown  für  die  Definition,  die  Diagnose, 
die  Heilung  dieser  Krankheit  einen  andern  bezeichnenderen  Zusatz 
beliebt  oder  nöthig  gefunden?  —  Dieses,  wie  die  Schwierigkeit  der 
Grenzberührung  zwischen  Gesundheit  und  Krankheit  erkennend,  hat 
Brown  in  seiner  Anlage  eine  ganz  neue  und  ihm  eigenthümliche 
Bezeichnung  gefunden.  Sie  ist  nämlich  nicht  die  eingeborene  oder 
erworbene  Prädisposition  zu  Krankheiten,  weil  diese  schon  auf  eine 
dem  Körper  innewohnende  Eigenschaft  hindeutet,  sondern  nur  ein 
geringerer  Grad  von  Krankheit,  wodurch  das  eigentliche,  nach 
Brown  so  schwierige  Zustandekommen,  Dauerndwerden  der 
Krankheit  vermittelt  werden  soll.  Auf  gleich  negative  Weise  wie 
die  Gesundheit  wird  auch  sie  bezeichnet  als  zur  Krankheit  hinneigend, 
noch  innerhalb  der  Grenzen  der  Gesundheit  stehend,  demnach  als 
eine  rein  graduelle  Verschiedenheit  von  Krankheit,  eine  blosse  Grenz- 
bestimmung, qualitativ  ein  Unding,  weder  recht  Gesundheit  noch 
Krankheit.  Dass  dies  eine  relative  Gesundheit  sein  kann,  die  noch 
lange  nicht  zur  Krankheit  tendirt,  noch  lange  nicht  diese  in  sich 
schliesst,  oder  auch,  dass  in  anderer  Beziehung  selbst  nach  Brown's 
Ansicht  von  der  Zerslörungstendenz  des  Lebens  jede  Gesundheit 
insofern  eine  Anlage  ist,  als  es  nur  eines  Zündstoffes  bedarf,  um  die 
Krankheit  zu  erzeugen ,  sieht  Jeder  leicht  ein.  Die  Anlage  im 
Brown'schen  Sinne  ist  daher  nur  ein  Einschiebsel,  ein  vermittelnder 
Begriff,  kein  merklich  vorhandner  besonderer  Zustand.  Wie 
könnte  auch  eine  solche  Anlage  lange  bestehn?  Die  nächste  Er- 
regung schon  müsste  entweder  Gesundheit  oder  Krankheit  herbei- 
führen, obgleich  Brown  ihre  Dauer  von  der  Kraft  der  Potenzen 
abhängig  macht.  Wenn  bei  50  und  30  Grad  die  Anlage  steht,  so 
muss  ein  minus  oder  plus  sie  entweder  in  Gesundheit  oder  Krankheit 
überführen  können,  und  wenn  es  noch  so  gering  ist.  Ueber  die 
Anlage  als  Unterscheidungskennzeichen  der  allgemeinen  Krankheiten 
und  über  die  sie  hervorrufenden  Ursachen  (prädisponirende)  wird 
später  noch  die  Rede  sein. 

Von  allen  übrigen  Zuständen  bleibt  uns  nur  noch  die  Be- 
trachtung des  Todes  nach  Brown.  Er  erfolgt  an  den  End- 
punclen    der   Scala    entweder    durch    zu    vermehrte    oder    zu   ver- 


65 

minderte  Erregbarkeit.  Es  ist  liier  wie  in  dem  Vorhergehenden 
überall.  Einmal  ist  nicht  abzusehen,  -wenn  noch  ein  Funken  Er- 
regbarkeit da  ist,  oder  wenn  sie  übermässig  gehiiiift  ist,  warum 
nicht  bei  dem  Ueberwiegen  der  Aussenwelt  dort  durch  Vermehrung, 
hier  durch  Entziehung  das  Leben  wieder  angefacht  >Yerden  sollte; 
dann  ist  dies  Aufhören  der  Erregung,  welches  erst  selbst  eine  Folge 
innerer  und  äusserer  Lebensumslände  ist,  selbst  als  primäre  Ursache 
gesetzt;  endlich  ist  durch  eine  einseitig  dynamische  Ansicht  gänzlich 
unberücksichtigt  geblieben,  wie  der  Tod  durch  qualitative,  physisch- 
organische  Processe,  durch  örtliche  Einwirkung,  selbst  ohne  deutlich 
nachweisbare  Sthenie  und  Asthenie,  ohne  vorhergehende  Krankheifs- 
symptome  vorkommen  kann  (wer  wollte  z.  B.  den  Tod  durch  Kyslen- 
bildung  bei  der  Apoplexie,  durch  Atheroma  u.  s.  w.  ausserhalb  des 
Lebens  setzen,  als  rein  örtlich  bezeichnen  oder  von  plus  und  minus 
abhängig  machen?)  Dies  so  weit  die  Grundzüge  dieses  Systems 
Tadel  verdienten. 

Aetiologie« 

Bei  der  Beurtheilung  des  Einzelnen  kommt  es  meist  nur  darauf 
an,  die  Consequenzen  und  speciellen  Anwendungen,  Irrfhümer  und 
Eigenthümlichkeiten  darzulegen.  Zunächst  hat  die  Aetiologie  bei 
Brown  (vgl.  Anm.  zu  §.  78.)  einen  völligen  Umsturz  erlitten;  es  ist 
nicht  mehr  die  Rede  von  prädisponirenden  und  Gelegenheitsursachen, 
noch  von  entfernten,  näheren,  nächsten  Ursachen,  noch  von  inneren 
und  äusseren ,  einfachen  und  zusammengesetzten.  Alle  diese  unent- 
behrlichen, auf  Geschichte,  Vernunft  und  Empirie  begründeten  Di- 
stinctionen,  welche  zu  einer  Mahren  Würdigung  der  Thatsachen  füh- 
ren, nennt  er  leer,  zwecklos  und  will  sie  auf  immer  verbannt  wissen. 
In  seinem  Sinne  aber  ist  er  in  vollem  Rechte  dieser  Behauptungen. 
Wenn  es  keine  Prädisposition  zu  Krankheiten  giebt ,  nur  eine  davon 
quantitativ  verschiedene  Anlage,  und  dieselben  Ursachen,  nur  ge- 
ringeren Grades,  die  Anlage  und  die  Krankheiten  erzeugen,  braucht 
es  auch  keiner,  wenn  auch  noch  so  oft  vorkommenden  deutlichen 
Unterschiede  zwischen  "prädisponirenden  und  Gelegenheitsursachen; 
wenn  Alles  im  Organismus  nur  durch  äussere  Momente,  die  selbst 
mitten  in  der  organischen  Sphäre  sitzen,  vermittelt  wird,  fällt  auch 
die  Verschiedenheit  innerer  und  äusserer  Ursachen;  wenn  die  Er- 
forschung der  nächsten  Ursache  der  Krankheiten  unnöthig,  ja  schäd- 
lich ist  und  es  überall  nur  darauf  ankommt,   den  Grad  der  vorhan- 

5 


66 

denen  Erregung  zu  bestimmen,  sind  auch  allein  die  erregenden 
Potenzen  der  Betrachtung  und  Erforschung  werth;  und  wenn  die  Er- 
regbarkeit nur  ihi  Allgemeinen  afficirt  werden  kann ,  ist  die  Einfach- 
heit oder  Complication  der  Ursachen  völlig  bedeutungslos.  Auf  diese 
Weise  spricht  der  neue  Reformator  einer  rationellen  Werthschätzung 
der  Krankheiten  und  ihrer  Genesis  Hohn  und  glaubt  uns  durch  seine 
sthenischen  und  asthenischen  Schädlichkeiten  dafür  entschädigen  zu 
können.  Wir  brauchen  es  hier  nicht  wieder  auszuführen ,  inwiefern 
den  Schädlichkeiten  selbst  nur  bedingungsweise  eine  solche  Bezeich- 
nung zukommt,  wie  es  nicht  in  den  Potenzen  allein,  sondern  noch 
weit  mehr  in  derReceplivität  und  Reaction  des  Körpers  liegt,  den  Grad 
der  Erregung  hervorzubringen,  den  Brown  mit  Sthenie  und  Asthenie 
bezeichnet.  Kann  man  die  Wärme  im  Allgemeinen  eine  sthenische 
Potenz  nennen ,  oder  die  Kälte  eine  asthenische  ?  Oder  deutet  viel- 
leicht die  so  vieler  Auslegungen  fähige  Stelle  in  §.  69.,  nach  welcher 
die  sthenischen  Schädlichkeiten  zuerst  die  Erregung  vermehren,  dann 
zum  Theil  vermindern,  und  die  asthenischen  zuweilen  mit  dem  Schein 
der  Erhöhung  schwächen,  auf  eine  geflissentliche  Doppelzüngigkeit, 
durch  welche  sich  das  Heterogene  dennoch  unter  bestimmte  Gesichts- 
puncte  reihen  soll?  —  Zu  den  schwächenden  Schädlichkeiten  sind 
ohne  alle  genauere  Unterscheidung  diedirect  oder  indirect  wirkenden, 
oder  activen  und  passiven  Schädlichkeiten  gerechnet;  sowohl  jene, 
welche  durch  Entziehung  gewohnter  Thätigkeiten,  wie  der  Bewegung, 
der  Geistesübung ,  schwächen ,  als  auch  solche ,  welche  durch  Ent- 
ziehung substantieller  Bestandtheile  direct  und  unmittelbar  schwächen, 
wie  Hunger,  Durst,  Säfteverlust.  Nach  Brown  ist  nun  eine  asthe- 
nische Schädlichkeit  eine  solche,  welche  durch  verminderte  Erregung 
die  Erregbarkeit  häuft,  d.h.  schwächt.  "Wirkt  nicht  aber  z.B.  ein 
Purgirmittel  grade  durch  vermehrte  Erregung  des  Darmkanals,  und 
ist  dann  der  eigentlich  schwächende  materielle  Verlust,  die  pro- 
ductive  Seite  des  Organismus,  z.  B.  in  Betracht  der  Nahrung,  der 
Blutfulle,  des  Mangels  an  Chjius  allein  auf  Erregung  zu  reduciren? 
Stehen  beide  nicht  vielmehr  in  solcher  AVechselbeziehung,  dass  sie 
sich  gegenseitig  bedingen  ?  B  r  o  w  n  hat  aber  Alles  der  Erregung, 
der  Dynamik  zugeeignet  und  die  andere  Hälfte  der  Lebensthätigkeit, 
welche  in  vielen  Fällen  gewiss  die  erste  Ursache  ist,  die  organisch- 
materielle ,  ganz  vernachlässigt.  Darum  kann  es  sich  bei  ihm  auch 
nicht  um  eine  Primär-  und  Secundärwirkung  handeln,  Avelche  sich 
grade  in  diesem  wechselseitigen  Bedingen  der  verschiedenen  Lebens- 


67 

äusserungen  zeigt.  Den  gröbsten  Verstoss  aber  hat  er  in  Anord- 
nung der  Ursachen  und  ihrer  Gradation  gemacht.  Indem  er  in 
der  Eintheilung  sthenischer  und  asthenischer  Schädlichkeiten  nur 
ihre  Wirkung  auf  den  Organismus,  die  fälschlicherweise  ihnen 
allein  zugeschrieben  wird,  berücksichtigt,  übersieht  er  die  den  Po- 
tenzen selbst  gehörige  Eigenschaft,  und  indem  er  sie  nach  dem 
verschiedenen  Grade  dieser  vermehrten  oder  verminderten  Wirkung 
eintheilt,  sagt  er  uns  nicht,  wodurch  diese  Verschiedenheit  zunächst 
bedingt  sei.  Die  specifische  Qualität  aber  im  Verein  mit  dem  Or- 
ganismus bedingt  den  Grad  der  Wirkung;  von  der  verschiedenen 
Beschaffenheit  insbesondere  hängt  die  Verschiedenheit  der 
Pflanzen-  und  Fleischkost,  der  Luft,  der  Temperatur  u.  s.  w.  ab;  die 
Qualität  der  Getränke,  der  Heilmittel  u.  s.  w.  (s.  Therapie)  bestimmt 
die  Verschiedenheit  der  Erregung,  der  Ernährung,  der  Lebensthätig- 
keit;  nach  dieser  speci fischen  Verschiedenheit  müssen  die  Po- 
tenzen geordnet,  betrachtet  und  in  Beziehung  zum  Leben  gebracht 
werden.  Und  auch  Brown  erkennt  das  Angenehme  und  Unan- 
genehme der  Sinnesempfindungen  (§.  144.)  und  der  Temperatur 
(§.  119.)  und  statuirt  hierin  einen  rein  auf  Qualität  der  Potenzen 
ruhenden  Unterschied,  der  nicht  blos  in  der  Erregung  liegt;  ebenso 
beruht  die  ausnahmsweise  Unterscheidung  der  Nahrungsmittel  von  den 
übrigen  erregenden  Potenzen  (§  127.)  auf  Qualität,  und  noch  mehr 
die  Annahme  des  eigentlichen  und  uneigentlichen  Reizes  (nämlich 
die  zur  Nahrung  erforderliche  Masse)  bei  den  Nahrungsmitteln  auf 
einer  Verschiedenheit  der  Reizung  qua  organische,  materielle  Um- 
änderung, Reproduction.  Denn  warum  findet  nicht  der  uneigentliche 
Reiz  bei  der  Temperatur,  beim  Opium,  Wein  und  andern  Reizmitteln 
Statt?  Noch  deutlicher  spricht  sich  der  §.  41.  in  einer  Aufzählung 
von  Beispielen  vom  Ersatz  der  Reize  für  die  Specificität  der  Reize  aus. 
Nur  diese  Reize,  qua  solche,  nicht  qua  sthenische  und  asthenische, 
sind  im  Stande,  grade  jene  verlornen  Reize  zu  ersetzen.  Diese 
Specificität  der  Reize  will  aber  Brown  nicht  anerkennen,  sie,  die 
eben  in  der  Qualität  der  Reize  und  in  dem  Mahren  specifiken  Leben 
der  einzelnen  Organe  ^begründet  ist.  —  Weil  er  ferner  die  Reize, 
sowohl  Lebenspotenzen  wie  Schädlichkeiten  und  Heilmittel  (denn 
Alles  ist  eins),  in  allgemeine  und  örtliche  theilt,  kann  er  die  Wahrheit 
nicht  eingestehn,  dass  eigentlich  jede  Reizung,  Erregung  ursprünglich 
nur  örtlich  sei  (obgleich  von  unmittelbarem  ErgrilTensein  mehr  als 
einmal  die  Rede  ist).    Darum  kann  er  nicht  zugeben ,  dass  jede  Potenz 

5* 


68 

einen  bestimmten  Reiz  auf  einen  bestimmten  Ort  ausübe ,  dass  für  die 
besondern  Organe  besondere  Reize  da  sein  müssen  und  dass  diese 
eigenthümliche  Verwandtschaft  und  Beziehung  der  Reize  zu  bestimm- 
ten Organen  und  Systemen  die  eigentliche  Bedingung  des  Lebens  ist. 
Nach  dieser  physiologischen  Grundlage  hätte  eine  Eintheilung  der 
ätiologischen  Momente  gegeben  werden  müssen,  dann  wäre  nicht 
der  Nachtheil  für  die  Pathologie  und  Therapie  daraus  erwachsen, 
dessen  wesentlichstes  Kennzeichen  ein  verderbliches  Generalisiren 
ist.  Indem  wir  für  die  Therapie  das  Weitere  aufsparen,  leiten  wir 
aus  dieser  allgemeinen  Ansicht  der  Potenzen  den  traurigen  Satz 
Brown 's,  nach  welchem  (§.  67.)  diejenigen  Ursachen,  welche 
irgend  eine  Krankheit  oder  Anlage  erzeugen,  ebenfalls  die  ganze 
Form  der  Krankheiten,  zu  welchen  jene  gehören,  hervorbringen; 
ein  Satz,  welcher  die  ganze  Rationalität  der  Diagnose  und  Therapie, 
Pathogenie  und  Nosologie,  umwirft  und  alle  Erfahrungen  der  patho- 
logischen Anatomie  zu  nichte  macht;  ein  Satz,  nach  welchem,  couse- 
quent  durchgeführt,  z.  B.  durch  Blutfülle  und  zu  starke  Bewegung 
Pneumonie,  Carditis,  Phrenifis  ebenso  wie  Blattern,  Masern,  Schlaf- 
losigkeit und  Fettsucht  entstehen  müssten,  ohne  dass  besondere  Um- 
stände dabei  in  Betracht  kämen  *).  (Vgl.  unten  bei  der  Eintheilung 
der  Krankheiten).  —  Es  sei  uns  nur  erlaubt,  noch  einige  Andeutun- 
gen im  Kleinen  über  einzelnes  Aetiologische  zu  machen.  Die  Wärme, 
als  expansiv  erschlaffend  überall  bekannt,  wird  als  contractiv,  den 
Ton  der  Muskelfasern  vermehrend  betrachtet  (§.  112 — 114.),  als 
expansiv  nur  im  Uebermaass.  Die  Wirkung  der  Kälte  wird  durchaus 
als  negative  bezeichnet;  reizen  soll  sie  nur  durch  Herabsetzen  auf  den 
gehörigen  Grad  der  Reizung,  wozu  §.37.  eine  subtile  Erläuterung 
giebt;  die  Primär-  und  Secundärwirkung  der  Kälte  hat  Brown  nicht 
berücksichtigt,  nicht  wie  jene  durch  Entziehung,  diese  durch  nach- 
folgende Erregung  wirkt ;  die  contractive  Wirkung  der  Kälte  erklärt 
er  durch  Schwäche  der  Gefässe.  Den  Tonus  und  die  wohllhätige 
Nervenerregung  durch  Kälte,  welche  wirklich  eine  active  ist,  giebt 
er  gezwungen  als  therapeutische  Maassregel  für  eine  indirecte  Wir- 
kung aus;  der  eigentlich  positve  diätetische  Nutzen  der  Kälte  aber 
findet  nach  ihm  keine  Erklärung.      Wie  gewaltsam  ist  die  Erklärung 


*)  Selbst  das  dem  §.  27.  angehängte  Beispiel  von  Katarrh  und  Pneu- 
monie bestätigt  nicht  die  verkehrte  Ansicht  Brown 's.  Sind  sie  blos 
graduell  verschieden  ?  und  wie  unbestimmt  heisst  es :  „das  Uebermaas  im 
Gebrauch  der  Reize." 


69 

der  Beispiele  vom  Niilzcii  der  Kälte!  (§.  122.)  Die  verschiedenen 
Grade,  Anwendiingsweisen  der  Kälte  u.  s.  w.  kamen  gar  nicht  in 
Betracht.  Bewegung  (Kraft  und  Leichtigkeit  derselben  wurden  in 
§.  57.  fälschlich  als  identisch  betrachtet)  und  Arbeit  sollen  immer 
slhenisch  wirken,  während  sie  doch  selbst  bei  Voraussetzung  des 
gehörigen  Grades  der  Erregung  leicht  Ermüdung  und  Schwäche 
hervorbringen  (Beddoes).  —  Es  ist  eine  dem  System  nach  con- 
sequente  und  geistreiche  Ansicht  Brown's,  welche  die  Melancholie, 
den  Kummer,  kurz  die  deprimirenden  Leidenschaften  als  niedrige 
Grade  der  Freude,  des  Zutrauens  u.  s.  w.  bezeichnet.  Dennoch  ist 
sie  nicht  gegründet,  indem  theils  ihre  Wirkung  zu  positiv  ist,  um  auf 
blos  negativem  Wege  zu  schaden ,  —  auch  sie  erzeugen  sthenische 
Zustände,  Avie  Manie  durch  Schreck,  —  theils  zu  qualitativ  verschie- 
den. Was  ist  z.  B.  der  höhere  Grad  des  Schreckens?  (denn  nicht 
vom  Entgegengesetzten  dürfen  wir  hier  sprechen)  —  ist  es  die 
Freude  ?  ist  Verzweiflung  nicht  grade  das  Gegentheil  von  Hoffnung, 
und  welche  allgemeine  Eigenschaft  liegt  beiden  zu  Grunde?  Eine 
Stufenleiter  unter  den  exaltireuden  und  deprimirenden  Leidenschaften 
ist  wohl  aufzustellen ,  aber  nicht  alle  Leidenschaften  können  nach 
Graden  unterschieden  werden.  —  Von  der  Vernachlässigung  quali- 
tativer Berücksichtigung  der  Schädlichkeiten,  wie  von  der  Unbe- 
stimmtheit in  den  Wirkungsangaben  zeigt  recht  deutlich  die  Brown'- 
sche  Annahme  von  der  schwächenden  und  reizenden  Kraft  der  Luft. 
Die  chemische  Einwirkung  tritt  hier  gar  nicht  hervor,  man  begnügt 
sich  mit  dem  vagen  Begriff  der  Reizung,  mit  der  weiten  Annahme  von 
Reinheit  und  Unreinheit.  Es  erhellt  aber  keineswegs ,  wieso  grade 
die  Reinheit  erregen  oder  das  Gegentheil  nicht  erregen  soll,  ja  man 
gesteht  selbst  zu,  dass  es  nicht  ausgemacht  sei,  ob  Reinheit  sthenische 
Beschaffenheit  erzeugen  könne ,  viel  weniger  ob  zu  grosse  Rein- 
heit (sie!)  indirecte  Schwäche  hervorbringen  könne.  Zu  dieser 
Spitze  hätte  allerdings,  wenn  nicht  geschickt  Zweifel  eingeschoben 
würden,  die  Consequenz  vorschreiten  müssen.  —  Ansteckungs- 
materie (wo  sie  sitzt,  welcher  Art  sie  sei,  ob  sie  der  Krankheit 
adhärire  oder  der  Liitt  —  ist  gleich)  und  Gifte  erzeugen  ebenfalls 
sthenische  oder  asthenische  Beschaffenheit.  Die  Bedingungen  zu 
dieser  verschiedenen  Aeusserung  liegen  in  ihnen  selbst  (s.  d.  Schluss 
von  §.  148.);  im  Systeme  sind  sie  nicht  angegeben. —  Zu  den  äusseren 
Schädlichkeilen  gehören  nach  diesem  Systeme  auch  das  Blut  und  die 
abgesonderten  Säfte.     Nur  die  Menge  des  Blutes,  nicht  die  Beschaffen- 


70 

heit  desselben  kommt  in  Betracht;  der  Ueberfluss  dehnt  die  Gefässe 
aus ;  durch  die  reizende  Menge  erregt  ziehen  sie  sich  zusammen 
und  hieraus  entsteht  die  sthenisclie  Beschaffenheit,  welche  in  gradem 
Verhältniss  mit  der  Plethora  steht.  Menge  und  Schnelligkeit  des 
Blutumtriebes  sind  demnach  die  ■wahren  Ursachen  der  slhenischen 
Diathese,  Mangel  an  Blut  mit  Schnelligkeit  der  Bewegung  dagegen 
erzeugen  die  asthenische  Beschaffenheit.  Durch  diese  Behauptung 
werden  drei  verschiedene  Ansichten,  und  zwar  die  von  der  Irrita- 
bilität der  Fasern  (l) ,  von  den  Humoralkrankheiten  (2)  und  die  Lehre 
von  der  Plethora  (3)  gewaltsam  betroffen.  ad  l)  Während  nach 
andern  Pathologen  theils  dem  Blute  selbst  Irritabilität  zugeschrieben 
wird,  theils  die  Irritabililät  der  Fasern  eine  lebendige  ist,  ist  bei 
Brown  das  todte  Blut  nur  durch  mechanische  Gewalt  im  Stande,  die 
Faser  zur  Bewegung  zu  bringen,  die  ebenfalls,  obgleich  unter  dem 
Oberbegriff  Erregung  zusammengefasst,  zur  mechanischen  wird. 
Die  eigentliche  bewegende  Ursache  liegt  zwar  im  Blute,  aber  nur  in 
seiner  ausdehnenden  Gewalt,  nicht  im  Lebensimpuls.  Gleich  me- 
chanische Ansichten,  die  eben  bei  der  Wegläugnung  eines  Belebt- 
seins der  Organe  nothwendig  werden,  kommen  oft  vor.  So  spricht 
Brown  §.  136.  von  einer  Erschütterung  der  absondernden  Organe; 
nach  ihm  hängt  der  Krampf  von  dem  örtlichen  Beize  der  Ausdehnung 
ab  (§.  58.)  und  diese  selbst  spielt  in  Bezug  auf  die  Gefässe  eine 
grosse  Bolle.  Weitere  mechanische  Ansichten  kommen  in  der  Er- 
klärung des  Schweisses  vor.  Atonie  und  Schlaffheit,  wie  Tonus 
und  Energie  der  Gefässe  hängen  einzig  und  allein  von  der  ausdehnen- 
den Gewalt  des  Blutes  ab.  Hier  aber  influirt  2)  nur  die  Menge; 
hat  die  Qualität  des  Blutes,  in  welchem  selbst  von  Vielen  eine  ex- 
pansive Kraft  gefunden  wurde ,  keinen  Einfluss?  —  Indem  allein  die 
quantitative  Erregung  die  Blutbereitung  vermittelt,  können  zwar 
fehlerhafte  Mischungen  der  Säfte  vorkommen,  diese  sind  aber  nie 
weder  die  näheren  noch  entfernteren  Ursachen,  sondern  sie  wirken 
eben  nur  wieder  durch  Erzeugung  von  Mangel  und  Ueberfluss  an  Er- 
regung. Die  Humoral-  wie  Solidarpalhologie  wird  hier  mit  einem 
Male  dem  einseitigen  dynamischen  Erregungsprincipe  geopfert,  das 
mehr  von  aussen  als  innen  wirkt.  In  §.  115.  läugnet  Brown  eine 
Einwirkung  der  Potenzen  auf  Verschlechterung  und  Verbesserung  der 
Säfte  (Fäulniss) ;  in  §.  118.  leitet  er  die  schlechte  Mischung  und  Ver- 
Iheilung  ausdrücklich  von  Schwäche  der  Gefässe  und  des  Herzens 
(und  durch  sie  bedingte   langsame  Bewegung,  Stockung)  her,    die 


71 

natürlich  bei  ihm  nicht  durch  das  Blut,  sondern  durch  die  Erregung 
bedingt  ist.  Er  vergisst  aber,  dass  in  einem  Organismus  sich  Alles 
wechselseitig  bedingt,  dass  eine  verminderte  Erregung,  Lebensthätig- 
keit,  nicht  blos  die  Quantität,  sondern  auch  die  Qualität  des  Blutes  und 
der  Säfte  ändere,  dass  die  materielle  Veränderung  durch  dynamische 
bedingt  sei  und  umgekehrt,  dass  Mangel  an  Blut  allerdings  Schwäche 
der  Gefässe  erzeugen  könne,  aber  dass  eben  so  ein  schlecht- 
gemischtes zur  Ernährung  nicht  laugliches  Blut  wirke  und  dass,  selbst 
die  Erregung  als  oberste  Lebensthätigkeit  zugegeben,  immer  ebenso 
das  Blut  krankhaft  afficirt  sein  wird,  als  die  Gefässe.  Die  neueren 
Fortschritte  der  Chemie  haben  zu  deutlich  Uebereinstimmung  quali- 
tativ abnormer  Blutbereitung  mit  Krankeitsprocessen  nachgewiesen; 
sthenische  und  asthenische  Krankheiten  (im  Sinne  Brown's)  wie 
Entzündung,  Chlorose,  Gicht,  Tuberkulose,  Typhus,  zeigen  zu  klar 
eine  nicht  erst  als  Krankheitsproduct  hervortretende  anomale  Blut- 
bereitung im  Mangel  oder  Ueberwiegen  der  Bestandtheile,  als  dass 
wir  die  Mischung  des  Blutes  mit  Brown  in  eine  tertiäre  ursächliche 
Beziehung  zu  den  Krankheiten  setzen  sollten.  Wenn  auch  nicht 
überall  auf  Kosten  der  festen  Theile  oder  dynamischer  Einwirkung 
primäre  Humoralkrankheiten  anzunehmen  sind,  so  sind  sie  doch  nach 
festgesetzten  pathologisch -anatomischen  Erfahrungen  keineswegs  als 
selbstständige  Krankheiten  zu  verkennen.  —  ad  3)  Die  Lehre  von  der 
Plethora  wird  von  Brown  bedeutend  reducirt.  Er  erkennt  nämlich 
nnr  jene  Plethora  an,  welche  durch  die  Menge  des  Blutes  die  Gefässe 
durch  Ausdehnung  belästigt,  die  sogenannte  Plethora  vera  s.  ad 
molem;  es  giebt  nach  ihm  nur  eine  sthenische  Plethora  (§.  131.). 
Plethora  ist  daher  nicht  die  Ursache  von  Blutflüssen,  die  asthenischer 
Natur  sind,  Mangel  an  Blut  zur  Ursache  haben  (§.232.).  Blutfülle 
und  Blutmangel  aber  sind  die  wichtigsten  Indicationen  für  sthenische 
und  asthenische  Zustände  (§.  269.  u.  271.).  —  Die  übrigen  Arten  von 
Plethora  erkennt  aber  Brown  nicht  an;  daher  nicht  die  Plethora  ad 
spatium.  Vollblütigkeit  durch  verminderten  Umfang  des  Gefässsystems 
ohne  vermehrte  Blutmenge  (wo  also  auch  Asthenie  die  Ursache  sein 
kann),  nicht  die  von'Expansion  ohne  Vermehrung  abhängige  Plethora 
ad  Volumen.  Dagegen  würde  die  Plethora  ad  vires  der  Alten  mit 
der  durch  zu  grosse  Blutmenge  erzeugten  indirecten  Schwäche 
Brown's  zusammenfallen  (§.  134.  a).  (Mehr  s.  unter  Bhitflüsse.)  — 
Ein  gleiches  Verhältniss  wie  beim  Blut  in  Bezug  auf  Erregung  durch 
Ausdehnung,  Nichterregung  durch  Nichtausdehnung,  indirecte  Schwä- 


72 

che  durch  zu  grossen  Ueberfluss  findet  bei  den  abgesonderten  Säften 
Statt,  wie  Milch,  Samen,  Ausdünslungsfeuchtigkeit  u.  s.  w.  —  Im 
§.  230.  läugnet  Brown  auch  das  Vorhandensein  eines  Nervensaftes, 
eines  Nervenfluidum  elastischer,  magnetischer,  electrischer  Art, 
welches  als  wirkende  Ursache  angenommen  werden  könnte ,  und  tritt 
sonach  auch  gewissermaassen  als  Gegner  der  Nervenpalhologie  auf, 
insofern  in  seinem  Systeme  zwar  das  Nervensystem  der  Sitz ,  aber 
nicht  die  Ursache  der  Erregbarkeit  ist.  —  Mit  der  Humoralpatholo- 
gie  Iland  in  Hand  geht  die  Lehre  von  der  Erblichkeit,  weil  am 
leichtesten  durch  Säftekrankheiten  sich  die  Fortpflanzung  und  das 
Bestehen  gewisser  Krankheitsformen  erklären  lässt.  Auch  diese 
konnte  bei  Brown  nicht  fortbestehen  und  zwar  darum,  Aveil  allein 
die  erregenden  Potenzen  Krankheiten  hervorrufen  können,  es  zwar 
angeborne  Bildungen  und  Neigungen  der  Grundtheiichen  zu  gewissen 
Krankheitsformen  geben  könne  (nicht  im  Widerspruch  mit  seiner 
übrigen  Theorie?),  die  Krankheiten  aber  durch  Erregung  geleitet  und 
geheilt  werden  könnten;  weil  ferner  qualitative  Verschiedenheiten  der 
Krankheitsformen  abgeläugnet  werden  und  dann  alle  zu  einer  Art  ge- 
hörigen Krankheitsformen ,  die  wie  diese  durch  gleiche  Ursachen  ent- 
stünden und  durch  gleiche  Mittel  gehoben  würden,  ebenfalls  erblich 
sein  müssten.  Eine  Beschränkung  der  Annahme  von  Erblichkeit  bei 
Krankheiten  war  gewiss  räthlich ,  da  man  bei  der  Constatirung  der 
Ursachen  mit  diesem  Momente  zu  leichtsinnig  umgeht  und  allerdings 
oft  nur  die  Aehnlichkeit  der  Lebensweise  und  andere  zufällige  Um- 
stände auch  bei  den  Kindern  die  Krankheiten  der  Aeltern  fortdauern 
lassen;  aber  sie  mit  Brown  gänzlich  wegläugnen,  hiesse  der  Er- 
fahrung und  der  Vernunft,  welche  beide  die  Argumentation  Browns 
verwerfen,  unnöthiger  Weise  Hohn  sprechen. 

Symptomatologie. 

Da  die  Diagnostik  Brown's  eine  ganz  eigenlhiimlichc  ist,  es 
bei  ihr  nicht  darauf  ankommt,  besondere  Krankheitsformen,  Species, 
Genera  zu  unterscheiden,  nur  die  Ermittelung  der  Allgemeinheit  oder 
Oertlichkeit  der  Krankheit,  der  sthenischen  oder  asthenischen  Natur 
und  deren  graduelle  Verschiedenheit  (§.82  —  85.)  die  ganze  Kunst 
der  Diagnose  ausmacht,  tritt  auch  bei  ihm  ein  anderes  Verhällniss  der 
Symptome  ein.  Die  physio- pathologische  und  semiotische  Würdi- 
gung derselben  wird  auf  ein  ganz  anderes,  geringes  Terrain  geführt; 
die   Symptome    haben    keinen   Werth   mehr   als    cons tituir ende 


73 

Theile   eines   Krankheitsganzen,   sondern  nur   als  Zeichen  des 
Grades  der.  Erregung,    wobeies  auf  die  specielle  Form  gar  nicht 
ankommt.      Man  bedarf  ihrer  nicht  mehr,  um  den  Ursprung,  den  Sitz, 
den  Gang  der  Krankheit  zu  erkennen ,    sie  sind  zufallige  oder  wenig- 
stens unwesentliche  Momente.     Was  hilft  es  nach  Brown,  wenn  wir 
die  palhognomonischen  Kennzeichen  einer  Pleuritis  gefunden  haben, 
oder  das  Stadium  derselben  bestimmen  wollen;    das  ist  ja  ganz  über- 
flüssig, wir  brauchen  den  Symptomen   nur  anzumerken,   ob  sie  auf 
Sthenie  oder  Asthenie  und  auf  welchen  Grad  derselben  sie  deuten. 
Man  sieht  hieraus,   wieder  ganze  Werth  der  Physiologie,    die  eben 
die  Innern  Beziehungen  der  Symptome  zu  den  Krankheiten  giebt  und 
aus  diesen  eine  gesunde  Ansicht  des  Krankheitswesens  schafft,    zu- 
sammenstürzt, wie  eine  rationelle  Betrachtung,  Anreihung  der  Krank- 
heiten,  Ermittelung  der  ursächlichen  Momente,   Prognose,  Heilung 
wegfällt,   wenn  die  einzig  erkennbaren  Zeichen  und  äusseren  Formen 
des  Krankheitsprocesses  nur  in  ausserwesentliche  Beziehung  genom- 
men ,   ihnen  der  Werth  eines  bestimmten  Bedingtseins  und  Bedingens 
entzogen  wird.      Allerdings   leiten  Symptome   für   sich   nicht   auf 
Erkenntniss  der  Krankheiten  (§.  71.) ,    wohl  aber  die  vergleichende, 
werthschätzende  Betrachtung  derselben.      Darum   unterscheidet  man 
weisslich  wesentliche,  pathognomonische,  und  ausserwesentliche,  be- 
ständige (continua)  und  zeilige  (temporaria),  Symptome  der  Krankheit, 
der  Ursache,  Symptome  der  Symptome.   Alle  diese  Unterschiede  fallen 
bei    Brown   weg   und  damit  die  Möglichkeit    der    eigentlichen  Er- 
kenntniss einer  Krankheit,    indem  seine  Symptome  nur  Kennzeichen 
einer    oft     untergeordneten    quantitativen     Beschaffenheit     der 
Krankheit  sind.      Daher  ist  auch  die  Symptomatologie  seiner  Krank- 
heiten   (obgleich  man  es  mit  dem  Titel  Elementa  medicinae  zu  ent- 
schuldigen versuchte)  so  dürftig,    dass  bei  dem  öftern  Mangel  aller 
characteristischen  Kennzeichen   eine   Krankheitsform ,    eine  Species, 
ein  Genus    durchaus  nicht   diagnosticirt  werden   kann,   weshalb  wir 
nur  auf  die  schlagendsten  Beispiele  verweisen:    so  bei  Peripneumonie 
(348),   Phrenitis  (361  f.) ,  Rheumatismus  (387  f.) ,  Croup  (400),    ein- 
fache Synocha  (412)",  Mania  (426  f.),   Scabies  (512),  Rhachitis  (516), 
Tabes  (570),  Hysterie  (581),  Hydrops  (626),  Gastritis  (708).      Wer 
aus  diesen  Definitionen  eine  Krankheit  erkennen  will  (aber  das  will 
eben  Brown  nicht),  muss  iu  der  Tbat  Meister  in  der  Diagnostik  sein! 
Wer  die  Erforschung  der  Symptome  für  schädlich  und  gleichbedeu- 
tend mit  dem  Nachgrübeln  über  verborgene  Ursachen  in  der  Philo- 


74 

Sophie  hallen  kann,  der  gehe  mit  Brown  und  thue  desgleichen!  — 
Die  Erklärung  der  Symptome  bei  Brown  ist  oft  sehr  seicht  und 
gezwungen.      Ueberall   liegt  natürlich  entweder   erhöhte  oder  ver- 
minderte Erregung   zu  Grunde;   so  vermindert  Sthenie   die  Ausdün- 
stung und  erzeugt  Schaudern  (154).      Viel  zu  allgemein  ist  die  Be- 
hauptung,    dass    Kopfweh   aus   Blutandrang    entstehe    und    der   bei 
Brown  so  beliebte  Beweis  ex  juvantibus  et  nocentibus  eben  so  hin- 
kend und  einseitig  wie  die  Behauptung  selbst   (157).      Wenn  auch 
unter   dem  Obersatze   der  Erregung   stehend,   sind   die  Erklärungs- 
versuche vielfach  mechanischer  Art  und  daher  spielte  die  Ausdehnung 
und  Zusammenziehung,  dieAnfüUung  und  Leere  eine  grosse  Rolle;  ein 
Beweis   mehr,   wie   die  eigentlich    dynamisch    erscheinende  Theorie 
Brown's  dennoch  des  wahren  Lebensgrundes,   der  wahren  vis  vi- 
tilis  entbehrt.      Daher  treten  die  mechanischen  Erklärungen  vorzugs- 
weise  als   nächste  Ursache    auf.      Vgl.    hiermit    die  Erklärung   des 
Durstes  (Trockenheit)  (l59),   der  Heiserkeit  (160)  und  des  Hustens 
(Verstopfung  der  Gefässe),    des  Auswurfs  (Erschlaffung  der  Gefäss- 
enden).      Selbst  die  chemischen  durch  Krankheitsprocesse  umgeän- 
derten Metamorphosen  sind  mechanischen  Ursprungs,  denn  die  Hellig- 
keit des  Urins  entsteht,   weil  nur  der  dünnere  Theil  durch  die  ver- 
schlossenen Gefässenden   durchgeht   (163).      Entzündung  soll   mehr 
die  äusseren  Theile  befallen ,   weil  diese  mehr  der  Hitze  ausgesetzt 
sind.      Doch  bringt  der  Begriff  der  Entzündung,  welche  Brown  als 
örtlich   beschränkt   annehmen  muss   und  wobei   die   materielle  Ver- 
änderung nicht  durch  den  Begriff  der  vermehrten  Erregung  gedeckt 
werden  kann,   ihn  bedeutend  in's  Gedränge,   um  die  allgemeine  Af- 
fection   selbst    dem   Grade    nach    als    gleichmässig    zu    bezeichnen. 
Die  Folge  davon  ist  das  sophistische  Rechenexempel  zu  §.  169.      Den 
höchsten  Grad  von  Seichtigkeit   im  Schliessen   zeigt   der  die  Nicht- 
entzündlichkeit  bei  Phrenitis  beweisensollende  §.  172.  —    Die  Ma- 
terie,   welche  namentlich   als    Krankheitsbedingung   und  Ausschei- 
dung  eine  so  untergeordnete  Rolle   bei  Brown  spielt,   ist  gerade 
wieder   bei  den  Ausschlagskrankheiten    das  Wichtigste  in  der   Er- 
scheinung,   nicht  als  Bedingung.      Die  Pusteln  entstehen  nämlich 
durch  Zurückhaltung  der  im  Körper  verbreiteten  Ansteckungsmaterie, 
und  dies  nur  darum ,   weil  Sthenie  die  Muskelfasern  der  Gefässe  so 
verkürzt,  dass  sie  die  Ausdünstung  nicht  durchlassen!      Es  ist  Wahn- 
sinn mit  Methode!  —    Auch  bei  Erklärung  der  asthenischen  Zufälle 
kommen  die  verschiedenen  nächsten  Ursachen  und  Bedingungen  nicht 


75 

in  Betracht;  es  gilt  dasselbe  hier,  was  bei  den  slhenischen  Symptomen 
erwähnt  wurde;   und  es  ist  nur  zuweilen  höchst  merkwürdig,   wie 
dieselben  Symptome,  z.  B.  Durst,  Hitze,  aus  ganz  entgegengesetzten 
Zuständen  ohne  alles  "Weitere  erklärt  werden,    dort  aus  Ausdehnung, 
hier  aus  Erschlaffung   u.  s.  w.      Die   höchst   mechanische  Erklärung 
vom  Erbrechen  (§.  188.)  könnte,   da  vom  örtlichen  Reize  Alles  ab- 
hängt,   leicht  auch  fiir  Sthenie  passen;   der  Krampf,  im  Zusammen- 
ziehen bestehend,   wird  durch   eine   ausdehnende  Materie   bewerk- 
stelligt und  eigentlich  als  Unelaslicität  der  Fasern  bezeichnet  (§.  58. 
189.).      Die  Materie  ersetzt  der  Wille,  der,  Avidersinnig  genug,  als 
positive   Kraft   negative   Wirkung   haben   müsste.      Der   Krampf  ist 
aber  dem  Einfluss    des  Willens  entzogen.      Säure  ist   mit  Recht  als 
symptomatisch   bezeichnet    (§.  192.).      Einen  grossen  Widerspruch, 
eine  contradictio  in  adjecto  nach  Brown' sehen  Grundsätzen,   ist  die 
asthenische  Entzündung.      Wenn    nämlich   die   Erfahrung   allerdings 
Zustände  von  örtlicher  Entzündung  mit  allgemeiner  Schwäche  nach- 
weist,   so    ist   dieses    Vorkommen    entweder   im   Widerspruch    mit 
Brown's  Lehre  von  der  Allgemeinheit  der  Erregbarkeit,    oder  die 
Definition  Brown's  (§.  204.)  ist  ein  Unding.      Entzündung  ist  doch 
meistens  eine  Steigerung  des  plastischen  Lebens  und  der  Erregung, 
selbst  wenn  sie  auf  Stockung  der  Capillargefässe  (die  Erklärung  des 
Zustandekommens  der  asthenischen  Entzündung  nach  Brown  stimmt 
mit   einigen    neuern    Theorien    wenigstens   theilweis   überein)    oder 
auf  destructiver  Tendenz  beruhte ,   und  ist  im  Verein  mit  allgemeiner 
SchAväche   als    örtlich    beschränkt   recht   gut  denkbar;   wie  soll  sie 
nach    Brown     als    örtlich    vermehrtes    Minus    der    Erregung    ge- 
dacht  werden,     das    noch    dazu    im   Vergleich   zu   der    allgemeinen 
Schwäche  des  ganzen  Körpers  geringeren  Grad  hat?      Wie  soll  die 
positivste  aller  Erregungen  gerade  die  negativste  sein?    gerade  eine 
Steigerung  der  Verminderung,  eine  Potenzirung  des  Mangels?   Selbst 
in  dem  viel  gebräuchlicheren  Sinne,   nach  welchem  eine  asthenische 
Entzündung  noch  heute  eine  energielose,    auf  eigenthümlicher  Blut- 
mischung beruhende ,   langsam  verlaufende  Entzündung  heisst ,    wäre 
immer  eine  erhöhte  Thätigkeit  anzunehmen,  die  nur  im  Vergleich  zu  den 
eigentlichen  sthenischenPhlogosen  asthenisch  genannt  werden  könnte. 
Und  Brown  sagt  selbst,    dass  der  Zustand  der  örtlichen  Gefässe  bei 
beiden  gleich  sei,    dass  es  nur  auf  die  allgemeine  Beschaffenheit  an- 
komme;   dass  hier  wie  dort  Blutüberfüllung  u.  s.  w.  Statt  finde,    diese 
zuerst  entfernt  werden  müsse  u.  s.  w.  —    Die  Hauptstütze  für  seine 


76 

ungenügend  erklärte  falsche  Starke  und  Schwäche,  wo  nämlich 
gerade  die  entgegengesetzten  Zustände  wirklich  vorhanden  sind, 
findet  Brown  in  den  Heilmitteln;  da  diese  aber  noch  auf  eine  andere 
Art  wirken  können,  als  Brown  meint  (wie  es  besonders  mit  dem 
Opium  [s.  unten]  der  Fall  ist),  so  ist  diese  Beweisführung  jedenfalls 
eine  sehr  schwache.  —  In  der  Erklärung  der  Blutflüsse  geht  Brown 
zu  weit,  wenn  er  sie  alle  aus  Schwäche  ableitet,  wiewohl  seine  Be- 
handlung manchen  guten  Fingerzeig  abgiebt.  Er  hat  die  bedingen- 
den Ursachen,  welche  ebensowohl  in  Plethora,  Entzündung  (Sthenie) 
als  in  Schwäche  liegen  können,  die  Qualität  des  Blutes,  den  Einfluss 
der  Gefässwandungen,  die  örtlichen  Ursachen,  wie  Desorganisationen 
u.  s.  w.  nach  seiner  gewöhnlichen  Weise  übersehn ,  namentlich  der 
Lehre  von  der  Plethora  (die  allerdings  bei  Annahme  und  Behandlung 
von  Blulflüssen  ein  schädliches  Gespenst  war)  hier  einen  neuen  Stoss 
gegeben  und  die  für  die  Therapie  so  wichtige  Eintheilung  in  active 
und  passive  Hämorrhagieen  gar  nicht  in  Erwägung  gezogen.  Aber 
S.  218.  scheint  er  wirklich  dennoch  wenn  auch  nur  ein  Blut  tropf  ein 
aus  Blutfülle  zuzugeben.  —  Hierher  gehört  auch  die  Betrachtung 
über  Schlaf  und  AVachen. 

Schlaf    und    Wachen. 

Noch  hat  kein  Physiolog  die  Ursache  des  Schlafens  und 
Wachens  genügend  anzugeben  vermocht.  Brown  unternimmt  es 
durch  die  Yersatilifät  seines  Princips  das  Dunkel  aufzuhellen,  hat 
es  aber  nur  noch  vermehrt.  Wir  finden  hier,  dass  ein  gesunder 
Schlaf  eine  müssige  indirecte  Scliwäche  ist,  ein  mittelmässiger  und 
tiefer  eine  noch  mit  Gesundheit  vereinbare  Schwäche,  dass  demnach 
directe  oder  indirecte  Schwäche ,  welche  doch  pathogenetische  Mo- 
mente sind,  eine  an  sich  normale,  wohlthätige,  physiologische 
Function  erzeugen,  wornach  also  der  Schlaf  eine  auf  der  Grenze 
zwischen  Gesundheit  und  Krankheit  stehende  Erscheinung  sein 
müsste.  Da  aber  die  Periodicität  des  Schlafes  hierdurch  nicht  erklärt 
wird  und  nicht  bewiesen  ist ,  warum  nicht  jede  verminderte  Erregung 
Schlaf  erzeugt,  so  muss  die  Dauer  der  Wirkung  zur  Erklärung  mit 
beilragen.  Die  Potenzen  entziehen  nämlich  durch  ihre  aufeinander- 
folgende Wirkung  immer  mehr  Erregbarkeit,  bis  endlich  durch 
gänzliche  Erschöpfung  Schlaf  eintritt.  Hiernach  müsste  l)  die  Mit- 
tagszeit der  Zenith  der  Stärke  sein ,  wenn  dieses  Entziehen  so  gleich- 
massig  vor  sich  ginge,    dass  anfangs  eine  aufsteigende,  später  eine 


77 

heMbsteigendo  Linie  gebiidel  würde ,  und  2)  halte  die  absolute  Wir- 
kung der  Reize  dadurch  eine  Beschränkung ,  dass  sie  nach  der  Tages- 
zeit sich  richten  müsste  und  ein  schwäclierer  Keiz  am  Nachmittage 
eine  verhällnissmässig  grössere  Einwirkung  halte  als  ein  stärkerer 
am  Vormittage.  Uebrigens  wäre  3)  sodann  der  Schlaf  am  Tage 
jedesmal  krankhaft,  da  er  eine  zu  leicht  erschö[)fbare  oder  anzu- 
häufende Erregbarkeit  voraussetzte.  Alles  dieses  aber  bei  Seile 
gelassen  oder  zugegeben,  ist  bei  Brown  immer  nur  die  Ursache  des 
Schlafes  angegeben,  nicht  das  Wesen  desselben  enthüllt,  noch  er- 
klärt, worin  das  ziemlich  gleiclimässige  Eintrolen  des  Schlafes  bei 
den  verschiedensten  Individualitäten  und  Heizen  liegt.  Worauf  be- 
ruht nun  der  Grenzpunkt  zwisclicn  dem  gesunden  und  kranken  (früh- 
zeitigen, unzeitigen,  kränklichen)  Schlaf,  weicher  letztere  (238  k) 
als  Folge  directer  oder  indirecter  Schwäche  bezeichnet  wird,  die 
doch  auch  bei  dem  gesunden  Schlafe  wirken?  Also  wieder  nur  in 
der  Gradation,  nicht  in  der  Qualität.  So  können  also  ein  paar  Grade, 
deren  Bedingungen  gar  nicht  bestimmt  werden  können ,  eine  physio- 
logische Function  in  eine  pathologische  umwandeln.  Jedenfalls  aber 
ist  nach  Brown  der  Schlaf  schwächend;  denn  durch  den  Mangel  an 
Reiz  wird  die  Erregung  vermindert  und  die  Erregbarkeit  so  ange- 
häuft, bis  der  zum  Wachen  nöfhige  Grad  der  Erregung  vorhanden  ist. 
Wir  wollen  demnach  die  stärkende  Eigenschaft  des  Schlafes  immer- 
hin so  verkehrt  erklären,  aber  es  fragt  sich  ,  wieso  im  Widerspruch 
mit  Bro  wn*s  Heilung  der  indirecten  Asthenie  durch  eine  absteigende 
Scala  von  Reizen  hier  auf  eine  rein  negative  Weise  die  Anhäufung 
der  Erregbarkeit  und  bis  zu  dem  gerade  zum  Wachen  nölhigen  Grad 
erfolgen  kann;  wie  ferner,  wenn  der  Schlaf  durch  directe  Schwäche 
entstand,  Avas  doch  §.  237.  zugiebt,  der  Schlaf  wieder  durch  Ent- 
ziehung der  Erregbarkeit,  da  doch  alle  Reize  hier  fehlen,  den  zum 
Wachen  nölhigen  Grad  herbeifuhren  wird?  Wenn  aber  Schlaf  und 
Wachen  durch  directe  oder  indirecte  Schwäche  entstehen,  wodurch 
kommt  das  Eine  oder  das  Andere  zu  Stande?  es  muss  doch  da  noch 
eine  Bedingung  Statt  finden !  Diese  giebt  ein  Reiz,  der  zur  Schwäche 
hinzutritt,  bei  dem  Schlafe  fehlt,  aber  das  kränkliche  Wachen  da- 
durch erzeugt,  dass  er  den  Körper  in  Unordnung  versetzt.  Ein 
Reiz,  der  zur  Schwäche  hinzutritt,  muss  aber  die  Schwäche  ver- 
mehren, folglich  steht  kränkliches  Wachen  höher  als  kränklicher 
Schlaf,  also  wiederum  ein  nur  gradweise  verschiedener  und  dennoch 
in  Wahrheit  ein  ganz  entgegengesetzter  Zustand.      Dieses  kränkliche 


78 

Wachen  ist  aber  ein  Zustand,  den  Brown  hier  zum  ersten  Male,  seine 
Nachfolger  öfters  erwähnten ,  ein  aus  directer  und  indirecter  Asthenie 
gemischter,  der  an  sich  ein  Unding  ist,  weil  er  zwei  verschiedene 
Erregbarkeiten  voraussetzt,  von  denen  die  eine  erschöpft,  die  andere 
erhöht  sein  miisste.  Wie  unsinnig  ist  es ,  eine  Erregbarkeit  so  weit 
erschöpfen  lassen  zu  wollen,  dass  ein  Reiz  zur  schon  vorhandenen 
Schwäche  noch  die  durch  Ueberfluss  der  Erregbarkeit  entstandene 
fügen  könnte.  Entweder  der  Reiz  vermehrt  noch  die  Erschöpfung, 
steigert  die  indirecte  Asthenie,  oder  er  bleibt  völlig  indifferent.  Die- 
ses in  Unordnung  Versetzen  durch  Reize  bei  Schwäche  nach  Brown 
spricht  für  Hinneigung  desselben  zur  qualitativen  Berücksichtigung 
(§.  241.).  Demnach  ist  auch  die  Heilung  dieser  Zustände  eine  ganz 
eigene  ;  sie  kommt  nicht  durch  besänftigende,  sondern  durch  reizende 
Mittel  zustande,  welche  allemal,  wo  es  das  System  verlangt,  den 
entgegengesetzten  Zustand  herbeiführen,  hier  Wachen,  dort  Schlafen, 
in  beiden  Fällen  durch  Entziehen  der  Erregbarkeit  oder  durch  Ver- 
mehrung derselben.  Wo  ist  hier  die  Norm  für  den  Grad  der  anzu- 
wendenden Mittel,  wo  bleibt  der  characteristische  Unterschied  der 
Heilmittel  wie  der  Zustände  selbst?  Wo  der  Begriff  der  schlaf- 
machenden und  beruhigenden  Wirkung,  wenn  diese  nur  durch  Rei- 
zung zu  Stande  kommt?  Auf  diese  Weise  Avirkt  auch  Opium  schlaf- 
machend durch  Reizung  und  im  Coma  führt  es  erst  Wachen,  dann 
gesunden  Schlaf  herbei  (offenbar  die  einzige  Andeutung  von  der 
Primärwirkung  und  Secundärwirkung  der  Arzneimittel).  Giebt  es 
eine  willkührlichere  Verdrehung  der  Begriffe  als  diese?  und  weiter: 
eine  grössere  Bequemlichkeit,  immer  durch  dasselbe  Mittel  den  ent- 
gegengesetzten Zustand  herbeizuführen? 

IS  emiotik. 

Da  die  Symptome  ihre  Bedeutung  für  die  Diagnose  verloren 
haben,  so  haben  sie  natürlich  auch  keinen  Werth  für  die  Prognose 
oder  die  Erkenntniss  des  Krankheitsverlaufes.  Indem  alle  Symptome 
einander  ähnlicli  sind  und  dadurch  verwandt  werden,  dass  sie  einerlei 
Krankheit,  ein  und  dasselbe  Leiden  ausmachen  (§.  186.  Anm.  y)  und 
nur  als  Zeichen  der  Sthenie  oder  Asthenie  dienen,  hört  alle  Semio- 
tik  insofern  bei  Brown  auf,  als  diese  darauf  beschränkt  bleibt, 
nachzuweisen,  inwieweit  ein  slhenischer  Zustand  asthenisch  wird 
oder  umgekehrt;  eine  Erkenntniss,  die  aber  nach  unserer  früheren 
Auseinandersetzung  eine  rein  formelle ,  äusserliche  ist.      Puls ,  Harn, 


79 

Schweiss  u.  s.  w.  treten  also  nicht  in  Beziehung  zur  Diagnose  des 
Krankheitsverlaufes,  sondern  dienen  nur  als  Mittel  zur  Diagnose  des 
Krankheitscharaklers,  der  Form  derselben  (§.489.)- 

KrankheitsproceHs. 

In  Bezug  auf  den  Krank heitsprocess  selbst  ergeben  sich 
anderweitige,  oben  bereits  Iheihveis  berührte  Consequenzen.  Die 
erste  und  in  ihrer  Art  gefährlichste  ist  die  Abläugnung  der  Natur- 
heilkrafl.  Die  Krätte  der  Natur  seien  erträumt  und  ohne  äusserliche 
Reize  unwirksam.  Wir  haben  nicht  nötliig  uns  auf  die  Beispiele  der 
Aerzte  aller  Zeilen  zu  berufen,  um  die  Naturheilkraft  zu  beweisen; 
ein  jeder  Arzt  erlebt  täglich  Beispiele  davon,  und  der  selbstsländige 
Verlauf  der  Krankheiten,  ihr  typisches  Auftreten,  die  Periodicität  der 
Stadien  und  Exacerbationen,  die  Krisen  selbst  und  der  oft  bewährte 
gleichmässige  Character  des  Processes  zu  allen  Zeiten  und  unter 
jeder  auch  der  heterogensten  Behandlung  spricht  für  die  Autonomie 
des  Krankheitslebens,  Nur  ein  System,  welches  das  Leben  von 
äusseren  Bedingungen  abhängig  machte,  musste  die  Naturheilkraft 
verbannen,  die  ja  auf  eine  dem  Leben  selbst  innewohnende  Macht 
zeigte,  und  nur  Hahnemann's  einseitiger  Dynamismus,  der  die 
Krisen  nicht  brauchen  konnte  und  dessen  Princip  in  der  Naturheilkraft 
einen  Stoss  zu  erleiden  schien,  ist  ihm  hierin  gefolgt.  In  solcher 
Ansicht  befangen  haben  die  Brownianer  den  Ruf  ihres  Meisters, 
„nie  müssig  zu  sein"  (§.  95.)  treulich  beobachtet,  haben  die  schöne 
melhodus  expectativa  verlassen  und  überall  gereizt  und  geschwächt 
—  zu  fremdem  und  eigenem  Verderben.  Aber  dennoch  spricht 
Brown  nahe  am  Schlüsse  seines  Werkes  (706),  wo  von  den  (chir- 
urgischen) örtlichen  Krankheiten  die  Rede  ist,  von  einem  gewis- 
sen Bestreben  der  Natur,  den  gesunden  Zustand  wieder  herzustellen, 
das  er  aber  aus  Furcht  vor  sich  selbst  den  anzuwendenden  Mitteln 
unterordnet.  Eine  weitere  Folge  der  Abhängigkeilserklärung  der 
Lebensthäligkeiten  ist  die  gänzliche  Nichtbeachtung  der  Stadien  und 
des  Typus  des  Krankheitsprocesses ,  sowohl  des  täglichen  in  Bezug 
auf  die  Exacerbationen,  als  des  ganzen  Verlaufes,  dessen  Berück- 
sichtigung für  den  Practiker  ein  so  unendlicher  Vortheil  ist,  weil  er 
hierin  eine  Bestimmung  für  die  Wahl  der  Heilmittel  ündel.  Daher 
kommt  es,  dass  Brown  die  Periodicität  der  intermittirenden  und 
anderer  Fieber,  sowie  sogar  die  einzelneu  Stadien  derselben  (Frost, 
Hitze,   Schweiss)   von  äussern  Momenten  abhängig  macht  und  eine 


80 

Eintheilung  der  Fieber  nach  dem  continuirenden,  remittirenden,  inler- 
mitlirenden  Typus  als  grundlos  verwirft  (§.  662.).  Weil  die  Selbst- 
ständigkeit des  Lebens  fehlt,  welche  dem  regelmässigen  Verlauf  der 
Krankheiten,  in  denen  wieder  ein  eigenlhümlicher  Lebensprocess  mit 
Anfang,  Aufgang  und  Niedergang  sich  kund  giebt,  zu  Grunde  liegt, 
fällt  nur  der  jedesmalige  Zustand  der  Sthenie  oder  Asthenie  in's 
Auge,  nur  das  Bild  im  Kleinen,  in  der  Gegenwart,  nicht  in  der  ganzen 
Anschauung  mit  Vor-  und  Rückwärtsblick  auf  die  Vergangenheit  und 
Zukunft  der  Krankheil.  Wozu  demnach  die  pathologische  Anatomie 
empfehlen?  Was  nützte  es,  den  Process  des  typhösen  Fiebers  mit 
seinen  Stadien  der  Schorfbildung,  Exulceration ,  Vernarbung  kennen 
zu  lernen,  der  zwar  von  einer  äussern  Ursache  abhängig  ward,  aber 
später  seinen  eigenthümlichen  Verlauf  nimmt,  unbekümmert  um  die 
erste  veranlassende  Ursache,  auf  die  bei  Brown  so  unendlich  viel 
ankommt?  Was  nützt  das  Alles,  wenn  man  nur  weiss,  dass  überall 
Asthenie  vorhanden?  Diese  Nichtbeachtung-  des  Processes  und  Ver- 
laufes grenzt  einerseits  ebenfalls  an  die  der  Naturheilkraft  und  an- 
dererseits an  die  der  Krisen.  Da  nämlich  keine  Stadien  angenom- 
men werden,  sondern  nur  Uebergänge  aus  Stärke  zur  Schwäche  oder 
umgekehrt,  so  giebt  es  auch  für  Brown  keine  kritischen  Tage  und 
selbst  keine  Krisen,  sondern  nur  wiederum  dort  zeitweilige  Sthenie 
als  kritische  Regung,  hier  Nachlass  der  Symptome  als  Krisen.  Dieser 
Mangel  des  Brow^n 'sehen  Systems,  wie  die  Abläugnung  der  Stadien 
selbst  liegt  aber  überdiess  noch  in  einem  andern  Grunde,  nämlich  in 
dem  Verkennen  der  organisch -materiellen  Seite  des  Krankheits- 
lebens. Indem  nämlich  Brown  von  einem  reinen  Dynamismus  aus- 
geht, die  Materie  als  etwas  Untergeordnetes  und  nur  insofern  Beach- 
tenswerlhes  ansieht,  als  sie  reizt  oder  schwächt  oder  die  Krankheit 
modificirt  oder  blos  zu  allgemeinen  Leiden  ein  örtliches  fügt  (§.  96.), 
indem  er  ferner  ein  eigentliches  Leiden  der  Säfte  oder  festen  Theile 
einschliesst,  nur  in  dem  Leiden  eines  abstracten  Lebensverhältnisses, 
der  Erregung,  das  Wesen  der  Krankheit  findet,  muss  er  consequenter 
W^eise  die  Wichtigkeit  der  Stadien  wie  der  Krisen  und  deren  Beför- 
derung verlachen  [daher  setzt  er  auch  keine  besondere  Heilanzeige  für 
diese  fest  (96)] ,  da  sie  solche  Momente  sind,  welche  die  eigentlichen 
Anzeichen  der  Veränderungen  der  Mischungs-  und  Cohäsionsverhält- 
nisse  und  die  eigentlichen  reproductiven,  organisch -materiellen 
Phänomene  der  Krankheit  abgeben.  Wie  unrecht  es  aber  ist,  eine 
zwar   oft   überschätzte  Indication,   die  indicatio  crises   promovendi, 


81 

sowie  den  Wcrlh  der  Kristm  selbst  und  wären  sie  auch  nicht  Ursache 
sondern  Zeichen  der  Besserung,  zu  übersehen ,  lehrt  am  bessten  die 
Brown'sche  Praxis  selbst,  die  trotz  ihrer  einseitigen  Dynamik  der 
organisch -materiellen  Ansicht  nicht  gänzlich  entfliehen  kann,  wie 
die  Lehre  von  den  Exanthemen,  den  Contagien  u.  s.  w.  nur  zu  deut- 
lich beweist, 

Reconvalescenz. 

Da  wir  einmal  den  Verlauf  der  Krankheilen  berührt  haben, 
müssen  wir  auch  der  Ausgänge  derselben  erwähnen.  "Wenn  wir 
nun  zugeben ,  dass  sich  die  meisten  Krankheiten  unter  die  BegrilTe 
sthenischer  und  asthenischer  oder  örtlicher  Krankheiten  (wie  De- 
generationen u.  s.  w.)  rubriciren  lassen,  so  dürfte  doch  das  Stadium 
der  Reconvalescenz  für  Brown  eine  grosse  Schwierigkeit  abgeben, 
die  er  auch  gefühlt  und  darum  nicht  berührt  zu  haben  scheint.  Wie 
kommt  der  Uebergang  zur  Besserung  zu  Stande  ?  wie  ist  dieser  oft 
lange  andauernde  Zustand  der  Reconvalescenz  richtig  zu  bezeichnen? 
Wenn  der  Kranke  an  Sthenie  oder  Asthenie  gelitten,  nun  täglich  der 
Besserung  zuschreitet,  aber  dennoch  schwach  und  erregbar  ist,  ist 
dieser  Mittelzustand  zwischen  Gesundheit  und  Krankheit  sthenisch 
oder  asthenisch  zu  nennen?  passt  eine  dieser  Benennungen  für  diesen 
Zwitterzustand?  Oder  ist  er  etwa  der  Brown' sehen  „Anlage" 
analog,  wo  weder  Gesundheit  noch  Krankheit  herrscht?  Und 
sollte  man  nicht  meinen,  dass  ein  Uebergang  aus  Sthenie  nach  den 
gewöhnlichen  Erscheinungen  der  überschüssigen  Erregbarkeit  bei 
solchen  Kranken  meist  nur  auf  dem  Wege  der  Asthenie  zu  Stande 
komme?  (Vgl.  bei  Behandlung.)  Wie  passt  dies  zu  Brown'sScala 
und  zu  seinem  therapeutischen  Verfahren ,  wo  man  bei  Sthenie  nur 
immer  schwächt,  bis  der  normale  Zustand  der  Gesundheit  eintritt? 
Wird  nicht  in  den  meisten  Fällen  erst  Avieder  ein  stärkendes  Verfah- 
ren nothwendig  sein ,  ohne  den  Uebergang  der  Sthenie  gerade  bei 
dem  Nachlass  der  Symptome  als  die  noch  gefährlichere  indirecle 
Asthenie  bezeichnen  zu  müssen?  Wenn  nach  einer  Pneumonie  die 
Reconvalescenz  allmählig  langsam  vorwärts  schreitet  und  die  über- 
schüssige Erregbarkeit  auf  directe  Asthenie  zeigt,  ohne  dass  der 
normale  Grad  der  Schwächungsmittel  überschritten  worden  wäre,  ist 
da  nicht  die  Reconvalescenz  nach  Brown  wieder  ein  ganz  neuer 
krankhafter  Zustand?  Geht  die  Besserung  von  Sthenie  etwa  erst 
durch  directe  oder  indirecte  Asthenie ,  während  durch  ein  paar  Grade 

6 


82      ^ 

herab  die  Gesundheit  normirt  ist?  —    Warum  sind  alle  diese  Fragen 
unbeantwortet  geblieben  ? 

Metastasen    u.  s.  w. 

Da  Bro>An  fernerhin  alle  Erscheinungen  der  Sympathie  und 
des  Consensus  >vie  des  Antagonismus  *)  darum  aufhebt,  weil  er  bei 
der  Allgemeinheit  der  Erregbarkeit  nichts  von  einer  besondern  Be- 
ziehung der  Organe  und  Systeme  '^'^} ,  welche  ein  eigenthümliches 
Leben  derselben  voraussetzt  (und  wie  deutlich  weist  dies  die  von 
Schieiden,  Schwann  und  Reichert  aufgestellte  Zellentheorie 
neuerdings  nach),  wissen  will,  als  ob  nicht  neben  der  allgemeinen 
Lehensfähigkeit  noch  besondere  Gesetze  der  Aeusserung  derselben 
Statt  finden  könnten,  so  hat  auch  die  alte  Lehre  von  den  Metasta- 
sen, welche  auf  der  Ansicht  der  Localisirung  und  Selbstständigkeit 
der  Krankheit  in  bestimmten  Organen  und  auf  deren  wechselseitigem 
Verhalten  beruht,  bei  ihm  berleufende  Beschränkung  gefunden.  Denn 
da  alle  Krankheiten  sich  gleich  sind  und  nur  nach  der  Verschieden- 
heit des  Erregungsgrades  differiren,  muss  es  ja  gleichgültig  sein, 
wo  nur  irgend  eben  die  Krankheit  fixirt  ist.  (So  bei  Gelegenheit 
des  Rheumatismus,  der  Masern,  der  Rose.) 

Combination  und   Complication. 

Die  Gesetze  der  Combination  der  Krankheiten  sind  darum 
ebenfalls  überflüssig  und  die  Complication  könnte  nur  bei  Zu- 
ständen gleicher  Diathese  Statt  finden.  Doch  genug  von  diesen 
Consequenzen,  über  welche  die  Zeit  bereits  ihr  Urtheil  gesprochen, 
indem  sie  gerade  dieses  Capitel  vom  Krankheitsprocesse  neuerdings 
besonders  anbauen  Hess. 

Viagnose. 

Die  Diagnose  (§.82  —  85.)  Brown 's  hat  blos  zwei  Rück- 
sichten, ob  die  Krankheit  örtlich  oder  allgemein  sei,  und  im  letztem 
Falle,  ob  sthenisch  oder  asthenisch.  Aber  gerade  diese  Rücksichten 
haben  den  Sturz  seines  Systems  bedingt.  Indem  er  einsah,  dass 
die  Erregung  allein  nicht  hinreiche,  um  alle  Krankheiten  zu  umfassen, 


*)  §.  472.  Anmerk.  nennt  er  den  Antagonismus  zwischen  Darm  und 
Haut  :  theoretischen  Unsinn. 

*')  Dennoch  aber  soll  sich  die  Prognose  (§.  87.)  nach  der  Wichtig- 
tigkeit  des  befallenen  Theiles  richten. 


83 

dass  auch  die  Oraranisation,  mechanische  und  chemische  Einflüsse  und 
derartige  materielle  Veriinderung-en  bei  der  Eintheilung  der  Krank- 
heiten obAvalten  und  ihr  Hecht  haben  müssten,  erfand  er  die  Reihe 
seiner  örtlichen  Krankheiten,  und  "weil  diese  dem  Obersatze  der  Er- 
regbarkeit zu  schaden  schienen,  brachte  er  sie  in  eine  gewisse  ab- 
hängige Verbindung  damit,  indem  er  sie  entweder  den  allgemeinen 
Krankheiten  folgen  oder  sich  mit  ihnen  compliciren  liess.  Aber  -wo 
ist  die  Grenzlinie,  fragen  wir,  zwischen  Allgemeinheit  und  Oertlich- 
keit  im  Organismus?  Es  ist  ein  Verdienst  der  neueren  Zeit,  nac!»- 
gewiesen  zu  haben,  was  früher  nur  dunkel  geahnt  wurde,  dass  jede 
Erkrankung  ursprünglich  eine  örtliche  sei  und  wenn  sie  auch  das 
ganze  System  bei  ihrem  Auftreten  afficire  ;  es  ist  anzunehmen,  dass, 
wenn  auch  nicht  jede  Erkrankung  ursprünglich  eine  local  materielle 
ist,  was  wir  in  den  meisten  Fällen  glauben  möchten,  sie  doch  wenig- 
stens eine  local  dynamische  ist,  was  aus  den  neueren  Entdeckungen 
in  der  Nervenphysiologie,  namentlich  aus  der  Lehre  von  den  Primitiv- 
fasern wohl  zu  abstrahircn  und  oft  sogar  zu  beweisen  sein  dürfte. 
Wo  aber  hört  die  Oertlichkeit  auf  und  wo  die  Allgemeinheit?  Wer 
bestimmt  immer,  bis  wie  weit  eine  Erkrankung  örtlich  sei,  wel- 
ches Organ  als  örtlich  afficirt  angenommen  werden  dürfe?  Brown 
hat  für  diese  Unterscheidung  seine  „Anlage"  angegeben.  Aber  was 
soll  dieser  vage  Begriff?  Und  gesetzt,  wir  stafuirten  einen  solchen 
Miffelzustand  zwischen  Gesundheit  und  Krankheit  als  Disposition, 
kann  nicht  auch  zu  einer  örtlichen  Krankheit  Anlage  vorhanden  sein, 
wie  wir  z.  B.  bei  vielen  Personen  eine  Vulnerabilität  der  Haut  finden, 
die  Andern  gänzlich  abgeht?  —  Und  andererseits  befallen  nicht  all- 
gemeine Krankheiten  ohne  alle  Anlage  selbst  die  stärksten  Menschen? 
Hat  Brown  keine  Epidemie  beobachtet,  nicht  plötzliche  Erkrankun- 
gen durch  Magenverderbniss,  Erkältung  beobachtet,  ohne  dass  erst 
eine  Anlage  vorausgegangen  wäre?  Und  ist  wirklich  der  Brownia- 
ner  ein  so  guter  Diagnostiker,  dass,  wenn  er  an  das  Krankenbett 
tritt,  er  aus  dem  vorhandenen  Falle  die  frühere  Anlage  herausliest 
und  aus  dem  Unfeekannten  und  Unscheinbaren  auf  das  Sichtbare 
schliesst?  —  Wenn  Avir  also  diese  Anlage  als  diagnostisches  Moment 
zurückweisen,  so  bliebe  uns  für  einen  grossen  Theil  der  örtlichen 
Krankheiten  ein  andres,  die  Ursache,  z.  B.  chirurgische,  mechanische, 
chemische ,  organische  Veränderungen.  Allein  wir  wissen  zu  gut, 
dass  diese  ätiologischen  Momente  auf  den  Krankheitsprocess  nur 
untergeordnet  einwirken,   dass  einestheils  Lebenskraft  und  Organi- 


84 

sation  so  genau  zusammenhängen,  dass  ihre  Trennung  unmöglich  ist, 
die  Erkrankung  der  einen  die  andre  mit  afficirt  und  also  selbst  im 
ersten  Augenblick  dieselbe  zu  einer  allgemeinen  umgestaltet;  dass 
andrerseits,  sobald  die  Ursache  zu  wirken  aufgehört,  die  Krankheit 
nach  ihren  eigenen  Lebensgesefzen  vorschreilet ,  unbekümmert  um 
die  Ursache;  dass  eine  Gastritis  z.  B.  eben  so  gut  durch  innere  wie 
durch  äussere  Momente  hervorgebracht  werden  kann  und  im  Ganzen 
ihrem  Typus  gleich  bleibt.  Die  örtliche  Ursache  hat  längst  auf- 
gehört zu  wirken,  wenn  die  Krankheit  fortschreitet.  Die  Diagnose 
der  Ursache  nützt  dann  gar  nichts,  ja  in  den  meisten  Fällen  wird  die 
örtliche  Ursache  dunkel  bleiben.  Warum  sollen  überdies  nicht  ver- 
schiedene Ursachen  gleiche  Wirkungen  haben  können?  Aus  dem- 
selben Grunde  könnten  viele  allgemeine  Krankheiten  Brownes, 
z.  B.  Lähmung  durch  Exostosen ,  Convulsionen  durch  Wurmreiz ,  ört- 
liche genannt  werden.  Ist  hier  etwa  die  Krankheit  nicht  allgemein 
und  örtlich  zugleich?  Oder  wenn  bei  Vergiftungen  Krämpfe,  Zittern 
der  Glieder,  Delirien  u.  s.  w.  vorkommen,  will  uns  Brown  bestim- 
men, hier  nur  örtliche  Krankheit  anzunehmen?  So  wichtig  die  Er- 
forschung der  Ursachen  für  den  Practiker  ist,  so  können  sie  keines- 
wegs als  durchgreifendes  Unterscheidungsmerkmal  für  die  allgemei- 
nen und  örtlichen  Krankheiten  überhaupt  dienen.  —  Noch  grösser 
wird  die  Verwirrung,  wenn  wir  die  Erregung,  die  bei  den  allgemei- 
nen Krankheiten  als  sthenisch  oder  asthenisch  bezeichnet  wurde,  in 
Betracht  ziehen.  Bei  der  innigen  Verbindung  nämlich  zwischen 
Dynamik  und  Organisation  kann  eine  allgemeine  Theilnahme  nur 
dann  abgeläugnet  werden,  wenn  die  chirurgische  oder  mechanische 
oder  chemische  Veränderung  so  gering  ist,  oder  einen  so  unter- 
geordneten Theil  betrifft,  dass  die  Empfindung  selbst  nicht  weiter 
vorschreilet,  als  bis  zu  dem  ergriffenen  Puncte.  Für  diese  be- 
schränkten Fälle  würde  die  Bezeichnung  ,, örtlich"  passen.  In  allen 
übrigen  Fällen  localer  Affection  muss  die  Lebenskraft  selbst  mit  er- 
kranken, sobald  Functionsstörung  eintritt,  also  nach  Brown  die 
Erregung  vermehrt  oder  vermindert  sein.  Dieses  kann  bei  der  All- 
gemeinheit der  Erregbarkeit  unmöglich  local  bleiben  und  so  ist  selbst 
die  kleinste  Verwundung  im  Stande,  die  Erregbarkeit  allgemein  zu 
afficiren,  da,  wenn  einmal  Erregung  da  ist,  diese  allgemein  sein  muss. 
Nun  läiignet  Brown  diese  ursprüngliche  Thciluahnic  der  Erregbar- 
keit ab  und  weil  er  ('5$.  62.  Anm.)  im  Widerspruch  mit  sich  selbst  die 
Erregung   als  die  örtlichen  und  allgemeinen  Krankheiten   regierend 


85 

bezeichnet  hatte,  hilft  er  sich  durch  die  subtile  Annahme  der  Coinpli- 
calion  localer  Uebel  mit  der  allgemeinen  Diathese,  —  so  die  Einheit 
des  Organismus  in  zwei  Sphären  zerspaltend,  die  nur  im  Vereine  ein 
Ganzes  zu  bilden  im  Stande  sind.  Uie  allgemeine  Theilnahme  ört- 
licher Uebel  und  der  örtliche  Anfang  der  allgemeinen  wirft  diese 
Eintheilung  gänzlich  zu  Boden.  Entweder  die  Erregbarkeit  ist  nicht 
allgemein  und  dann  fällt  ein  Hauptsatz  des  Systems,  oder  es  giebt 
keine  örtlichen  Krankheiten,  und  dann  fehlen  ganze  Classen  von 
Krankheiten,  —  dies  ist  das  Dilemma,  das  keine  spitzfindige  De- 
finition heilt.  Als  deutliches  Beispiel  einer  solchen  widersprechen- 
den Annahme  führen  wir  nur  die  örtliche  sthenische  Entzündung 
(§.171.206.)  an,  wo  Sthenie ,  die  doch  nur  allgemein  sein  kann, 
sich  local  im  höheren  Grade  als  örtliche  Entzündung  beweisen  soll 
(über  Einzelnes  der  örtlichen  Krankheiten  s.  unten) ,  wie  überhaupt 
die  ganze  Lehre  von  der  örtlichen  und  allgemeinen  Entzündung  eine 
hinkende  genannt  werden  muss.  —  Die  wichtigste  Eintheilung  und 
das  hauptsächlichste  diagnostische  Jloment  bleibt  dann  aber  immer 
die  Unterscheidung  der  Krankheiten  in  slbeniscbe  und  asthenische. 
Hierauf  beruht  die  ganze  Pathologie  des  Systems,  die  neue  nosologi- 
sche Eintheilung  und  die  Therapie.  AVir  haben  aber  bereits  oben 
so  weitläufig  über  die  Begriffe  von  Stärke  und  Schwäche  gesprochen, 
dass  es  genügen  dürfte ,  hier  die  gewonnenen  Resultate  zur  Wider- 
legung der  aus  den  genannten  Oberbegriffen  gezogenen  Eintheilung 
zu  recapituliren:  l)  geben  Stärke  und  Schwäche  noch  nicht  die 
Begriffe  von  Krankheit;  es  fehlt  ein  Zweites,  eine  nähere  Bestimmung 
des  eigentlich  Krankmachenden ,  der  Harmonie  und  Disharmonie  der 
Functionen ;  2)  sind  Stärke  und  Schwäche  oft  nur  vorübergehende 
Erscheinungen,  nicht  eigentliche  Krankheiten,  Functionsstörungen, 
Processe;  3)  bezeichnen  diese  Begriffe  nur  die  äussere,  also  un- 
wesentliche Form  der  Krankheiten,  abhängig  von  der  Reactions- 
fähigkeit  des  Organismus ,  und  kann  am  allerwenigsten  eine  Krank- 
heit weder  der  einen  noch  der  andern  ausschliesslich  zuertheilt  oder 
eine  Classification  hierauf  basirt  werden,  weil  jede  Krankheit  beider- 
lei Charactere  annehmen  kann;  4)  lässt  sich  die  grosse  Mannig- 
faltigkeit der  Krankheiten  nicht  nach  diesen  oft  so  abwechselnden 
und  so  verschiedenen,  von  den  heterogensten  Verhältnissen  abhän- 
gigen Umständen  eintheilen,  wozu  noch  die  Unbestimmtheit  der  iu- 
directen  Asthenie,  die  wir  oben  nachgewiesen  haben,  kommt;  5)  in 
vielen  Krankheiten  tritt  diese  eigentlich  quantitative  Exaltation  oder 


66 

Depression  gar  nicht  hervor;  eine  gewisse  Indifferenz;,  ein  Miltel- 
zustand,  oder  das  Ueberwiegen  qualitativer  Verhältnisse  trübt  oder 
verdrängt  diese  Anschauung;  6)  die  gemischten  Zustände,  wo  in 
dem  einen  Theil  Depression,  in  dem  andern  Exaltation  herrscht,  die 
Brown  nicht  durch  seine  allgemeine  Erregbarkeit  wegdemonstriren 
wird,  lassen  ebenfalls  eine  solche  Eintheilung  nicht  zu.  (Es  genügt 
hier  anzuführen,  dass  Brown  durch  seine  Annahme  scheinbarer 
Exaltation  und  Depression  bei  Asthenie  und  Sthenie  diesem  Vorwurf 
entgegenkommen  wollte  und  deshalb  zum  beliebten  Grunde  ex  juvan- 
tibus  et  nocentibus  greift;  dass  er  aus  demselben  Grunde  zu  dem 
Begriff  der  Schwäche  den  Reiz  hinzufügt,  eine  irritirte  und  nicht 
irritirte  Schwäche  annimmt  *) ,  um  so  die  „unruhigen  Bewegungen", 
die  Exaltation  bei  Schwäche  zu  erklären.)  7)  Ferner  richtet  sich  diese 
Eintheilung  theilweise  auch  nach  den  Ursachen ,  denn  §.  451.  werden 
ausdrücklich  die  Ursachen  als  berücksichtigungswerther  dargestellt 
als  die  Symptome;  die  Ursache  selbst  aber  (wir  verstehen  hierunter 
besonders  die  veranlassende  Gelegenheitsursache)  ist  in  vielen  Fällen 
etwas  Untergeordnetes,  Zufälliges,  schwer  zu  Erkennendes  und  hat 
wohl  auf  die  Ent  Wickelung  und  Erzeugung  der  Krankheit,  auf  deren  Dar- 
stellungsart und  Gang  aber  keinen  entschiedenen  Einfluss;  die  sthe- 
nische  oder  asthenische  Richtung,  welche  sie  der  Krankheit  verleihen 
könnte,  liegt  keineswegs  in  der  Ursache,  sondern  mehr  in  dem 
Organismus  und  dessen  Reactionsfähigkeit;  8)  geht  bei  der  Einthei- 
lung der  Krankheiten  in  sthenische  und  asthenische  die  besondere 
Gattung  der  Mischungs-,  Säfte-,  vegetativen  Krankheiten  gänzlich 
verloren.  Da  aber  die  Abweichung  der  Ernährung,  die  chemische 
Umänderung  oder  specifische  Abnormität  der  Reproduclion  und  Orga- 
nisation nicht  unter  dem  BegritT  der  Erregung  gedacht  werden  konnte, 
wurden  diese  mit  grossem  Unrecht  den  allgemeinen  Krankheiten  ent- 
nommen und  den  Localübeln  zugesellt,  während  doch  hier  eben  so 
gut  wie  in  jenen  ein  allgemeines  Uebel  herrscht.  Auf  diese  Weise 
bleiben  theils  unerörtert,  theils  treten  in  ein  falsches  Licht  die 
Kachexieen,  Dyskrasieen,  specifischen  Krankheiten,  wie  Syphilis, 
Carcinom,  Mercurialkachexie,  Scropheln,  chronische  Exantheme, 
Bleichsucht,  Diabetes  u.  s.  w.,  wo  überall  chemisch- organische  Stoff- 
bildung den  hauptsächlichsten  Krankheilsgrund  abgiebt.      Diese  rein 


♦)  Vgl.  §.  57.   (Krampf),    §•  241.    (Schlaf  und  Wachen),    §.  737. 
(Wunden). 


87 

qualilativen  Veränderungen  können  durch  die  quanfifaliven  Begriffe 
der  Sthenie  und  Asthenie  weder  erklärt  noch  völlig  gedeckt  werden. 
9)  Geht  ferner  verloren  die  pathologische  Würdigung  der  einzelnen 
Systeme  und  Organe  und  der  nach  ihrer  physiologisch  verschiedenen 
Bestimmung  variirenden  Krankheitsprocesse,  wie  der  Verwandtschaft, 
Comhinationsfähigkeit  der  einzelnen  Krankheiten,  welche  als  ein  Ver- 
dienst der  neueren  naturhistorischen  Schule  so  viel  Licht  über  das 
Wesen  der  Krankheiten  verbreitet  hat;  lO)  fiiiirt  diese  Einlheilung 
zu  einem  gänzlichen  Ruin  der  Wissenschalt  und  muss,  da  weder  der 
Sitz  noch  die  Art  der  Krankheit,  sondern  nur  die  eine  Aeusserung 
derselben,  der  Grad  der  Receptivität,  die  gesteigerte  oder  vermin- 
derte Erregung  in  Betracht  kommen,  es  gänzlich  gleichgültig  erschei- 
nen lassen,  welchen  Namen  eine  Krankheit  verdient,  welcher  Gattung 
sie  angehört,  was  die  Grundbedingungen  ihrer  Entstehung,  Entwick- 
lung, ihres  Verlaufes  sind  und  welche  Mittel  aus  den  beiden  Classen 
zu  ihrer  Hebung  angewendet  werden  sollen.  —  Ueberdies  zeigt  die 
nosologische  Einlheilung  Brown's  deutlich  die  Verkehrtheit  und 
Unausführbarkeit  dieser  Annahmen. 

STosologie. 

Durch  das  Verdammungsurtheil ,  welches  Brown  nur  zu 
oft  (§.  451.  488.  u.  s.  w.)  über  die  Nosologie  ausspricht  (die  doch 
nur  bedingungsweise  schadet,  wenn  man  über  die  nosologische  Ein- 
theilung  die  specifische  Natur  der  Krankheiten  gering  achtet  und 
durch  Generalisiren  das  Individualisiren  versäumt,  oder  wenn  die 
Nosologie  selbst,  wie  es  wohl  oft  der  Fall  ist.  Verwandtes  trennt, 
Unpassendes  zusammenwirft) ,  hat  er  sich  selbst  sein  Urtheil  ge- 
sprochen. Brown  glaubte  die  Trennungen  früherer  Nosologen  da- 
durch aufzuheben,  dass  er  Alles  auf  zwei  Classen  reducirt.  Inner- 
halb dieser  Classen  aber  nimmt  er  eine  Stufenfolge  an ,  welche  durch- 
aus so  variabel  ist,  dass  sie  gar  keinen  Anhaltepunct  gewährt,  wenn 
sie  auch  für  die  Eintheilung  selbst  nach  Brown's  Absicht  keinen 
gewähren  soll.  Die  Gradverschiedenheit  der  Erregung  in  den  ein- 
zelnen Krankheiten  nämlich,  nach  welcher  z.B.  die  mit  Pyre.xie  und 
Entzündung  verbundenen  höher  stehen  sollen  als  die  übrigen,  kann 
keinen  absoluten  Unterschied  gewähren,  da  z.B.  die  Fettsucht,  welche 
die  letzte  Stelle  bei  Brown  einnimmt,  bei  der  relativen  Verschieden- 
heit der  Erregbarkeit  und  Erregung  höher  stehen  könnte  als  eine 
Pneumonie.      Sobald  nämlich  auf  der  Scala  der  Erregung  nicht  die 


88 

Grade   angegeben   sind,   innerhalb  welcher   nolhwendig    Pneumonie 
bestehen  muss,    und  das  ist   bei  einer  so  variablen  Grundhige  wie 
bei  der  von  aussen  bedingten  Erregung  unmöglich ,    kann  auch  eine 
Gradverschiedenheit   zwischen    bestimmten    Krankheilen    nicht    Statt 
finden ,  wohl  aber  zwischen  bestimmten  Krankheilsfällen ,  Individuen. 
Die  Krankheiten  selbst  erscheinen   übrigens  als  fast  zufällige  Modi- 
ficationen  der  Sthenie  oder  Asthenie,  wesshalb  ihre  Symptomatologie 
und  Therapie   so  dürftig   ausgefallen  ist.      Die   grösste  Verwirrung 
aber   herrscht   in  der  Eintheilung   der    örtlichen  Krankheiten,      Die 
eigentlichen  mechanischen  und  chemischen  Krankheiten  der  weniger 
empfindlichen    Theile    (chirurgische   Uebel,    Vergiftungen)    aus   der 
ersten    Classe    können    als    ursprünglich    oder    andauernd    örtliche 
dieser     Abtheilung     noch     am     ehesten     zugetheilt    werden.      Die 
zweite  Classe   wird  aber   geradezu  als  eine   solche  bezeichnet,    die 
blos    anfangs    örtliche,    später   allgemein    werdende,    organische, 
innere    erregbare    Theile    befallende   Krankheiten   umfasse ;    hierzu 
werden   Gastritis    u.  a.    gerechnet,     als    ob    die    örtliche   Ursache 
nicht  in  dem  Verlaufe  verschwände  und  gerade  bei  der  Erregbarkeit 
der  Theile  nicht  der  Zustand  sogleich  allgemein  würde.     Der  geringe 
Zwischenraum  zwischen  der  örtlichen  und  allgemeinen  Affection  hätte 
gerade  auf  die  3Iöglichkeit  eines  örtlichen  Ursprungs  auch  der  übri- 
gen allgemeinen  Krankheiten  führen  sollen.      Die  dritte  Classe  ent- 
hält die  Degeneration  allgemeiner  Krankheiten  in  örtliche ,    also  sind 
auch   diese  Krankheiten    nicht    örtlich;    und  selbst  die  Degeneration 
bleibt  nicht  selten  im  Verbände  des  Organischen,   wodurch  noch  eine 
Heilung  auf  innerem  Wege  möglich  ist,   Avie  z.  B.  bei  scrophulösen 
Geschwüren,  Bubo,  Carcinom.      Wenn  ferner   (vierte  Classe)    eine 
Ansteckung  sich  durch  den  ganzen  Körper  verbreiten  kann,   ohne  die 
Erregung  zu  afficiren,  so  steht  es  mit  der  Brown"  sehen  allgemeinen 
Erregbarkeit  sehr  schlecht.      Wir  möchten  aber    überhaupt  bezwei- 
feln, dassda,  avo  Ansteckung  ist,   eine  Theilnahme  des  Organismus 
ausgeschlossen    werden   kann,    und    daher    keineswegs    eine    solche 
Krankheit  eine  örtliche  nennen.    Die  weitere  Ausführung  dieser  Classe 
ist  Brown   schuldig   geblieben,   weil   sie  von  zu    „dunkler"  Natur 
sei,    ebenso  die  der   fünften  Classe,   welche  die  Vergiltungen    ent- 
hält,   die  erst  durch  örtliche  Veränderung  Unordnungen    im  ganzen 
Körper   herbeiführen,       (Hätte   leicht    zur   zweiten    Classe    gezogen 
werden    können.)    —    Die  ganze  Rubrik    der  örtlichen  Krankheilen 
aber  ist  so  leichtsinnig   und  rudimentär  angelegt,   dass  man  diesem 


89 

Tlicilc    des    Systems   die   Angst   und   Verlegenheit  seines   Urhebers 
deutlich  ansieht. 

ISpecielle   Patbologie. 

Da  es  hier  nicht  die  Ahsiclit  sein  kann,  eine  specielle  Kritik 
der  B  r  own' sehen  Behauptungen  zu  geben,  wir  uns  vielmehr  an  das 
Ganze  zu  halten  haben  (^vomit  auch  Brown  selbst  einzelne  Mängel 
im  Detail  entschuldigen  mochte),  so  wollen  wir  nur  aphoristisch 
einige  ganz  abweichende  und  auffallende  Aeusserungen  anführen ,  die 
zur  Beurtheilung  der  besondern  Eigenthiimlichkeiten  Browu's  die- 
nen und  zugleich  den  innern  "Widerspruch  im  Einzelnen  nachweisen 
mögen. 

a)     Sthcnische  Krankheiten. 

.  Phlegmasieen  sind  sthenische  Krankheiten  mit  Entzündung 
d.  h.  local  vermehrter  Erregung.  Da  nun  das  allgemeine  Leiden 
vorausgehen  soll  (was  nicht  bewiesen  ist)  und  nun  die  Complication 
als  Folge  erscheint,  so  könnten  die  Phlegmasieen  ebenfalls  zu  den 
örtlichen  Krankheiten,  besonders  der  dritten  Classe  derselben,  ge- 
rechnet werden.  Bei  den  örtlichen  Leiden  soll  jedoch  zuerst  die 
Entzündung  auftreten,  diese  durch  andere  Ursachen  entstehen  und 
dann  erst  allgemeine  Leiden  herbeiführen,  wenn  sthenische  Diathesis 
da  ist  —  (welche  Sophistereil).  Ist  das  begründet?  Sind  hiernach 
wirklich  örtliche  und  allgemeine  Entzündung  zu  unterscheiden  und 
mit  welchem  >'utzen  für  den  Practiker?  —  Nach  Brown  giebt  es 
otTenbar  essentielle  Fieber,  da  von  örtlicher,  materieller  Grundlage 
bei  ihm  keine  Rede  ist.  —  Ist  die  Ursache  der  Exantheme  immer  ein 
AnsteckungsstolT?  (332.)      Hier  ist  Brown  wieder  materiell. 

"Wenn  das  örtliche  Leiden  abhängig  von  der  Diathesis  ist  (Ent- 
zündung) ,  muss  da  nicht  auch  dasselbe  von  der  Erregung  abhängen 
und  kann  dann  ein  örtliches  Leiden  nach  Brown  gedacht  werden, 
da  die  Erregung  allgemein  sein  muss  ?  (§.  343.)  Kann  ein  Uebel 
noch  örtlich  genannt  werden,  wenn  Pyrexie  (symptomatisches  Fieber) 
dabei  ist?  (§.  346.)  —  "Wie  unbestimmt  ist  die  Gradation  von  gelind 
und  heftig  und 'die  Angabe,  ob  viel  oder  wenig  Pusteln  bei  einem 
Ausschlage  sind!  (347.)  —  Unter  Pneumonie  werden  Pleuritis  und 
Carditis  mit  inbegriffen  (348).  An  Begrenzung  der  Entzündung  auf 
Membranen  und  Parenchym  glaubt  Brown  nicht  (3Jl.).  Entzün- 
dung ist  der  unbelräclitlicbste  Tbeil  der  Pneumonie  (3j8.);  der  Puls 
ist  nicht  weich,    sondern  nur  weniger  hart.   —     Bei  Phrenitis  mehr 


90 

Blufmenge  als  Entzündung.      Ausdehnung  der  Gefässe  bewirkt  Alles 
(361 — 365.).      Dagegen  werden  über  eine  natürliche  Anreihung  der 
Exantheme,  deren  gewaltsames  Lossreissen  und  künstliches  Anordnen 
bei  früheren  Nosologen  sehr  wahre  Bemerkungen  gegeben   (367.)- 
Die  Annahme  von  Gährung  der  Contagien   erinnert  an  ähnliche  Theo- 
rieeu  älterer  und  neuerer  Zeit  (368.).  —    Der  Unterschied  zwischen 
ansteckenden  und   nicht  ansteckenden  Exanthemen  gilt  bei  Brown 
nicht,    doch  nimmt    er  ein   symptomatisches  (Eiterungs-)  Fieber  an, 
während  es    nach   ihm  eigentlich    eine  Complication    mit  einem    ört- 
lichen Uebel  sein  müsste.      Wir  hätten  dann  in  einer  solchen  exan- 
Ihemalischen  Krankheit  eine  sthenische  allgemeine  Krankheit  mit  ört- 
licher Affection  und  davon  wieder  abhängender  allgemeiner  Slhenie. 
(371.)   Wie  complicirt!  —    Ist  wirklich  der  AnsteckungsstolF  ohne 
allgemein   schädliche   Potenzen   nicht   im   Stande ,    einen   Ausschlag 
hervorzubringen?    oder  ist  er  es  allein,    der  wirkt  und  die  nicht  so 
unbedeutende  Form  der  Krankheit  bedingt?  (395.)  —  Die  für  Masern 
characterislischen  katarrhalischen  Zufälle  sollen  von  der  sthenischen 
Diathesis  abhängen?  (378.)  —    In  Bezug  auf  den  Broussaisismus,  die 
antiphlogistische  Theorie  von  Marcus  und  auf  die  neuern  Befunde  im 
Typhus,   in  der  Diarrhöe,  Dysenterie  u.  s.  w.  ist  die  bei  Gelegenheit 
der  Metastasen  nach  Masern  ausgesprochene  Behauptung   Brown's 
von    Wichtigkeit,    dass   Entzündung    in    Innern    Theilcn    selten   vor- 
komme,  und  wenn  wirklich,    dass  sie   nur   asthenischer  Natur   sei, 
durch  schwächende  Mittel  u.  s.  w.  erzeugt.      Er  führt  namenllich  die 
Ruhr  als  Beispiel  an.       (Eine  Beschränkung  der  jetzigen   phlogisti- 
schen  Annahme  wäre    gewiss  wieder   an  der  Zeit.)  —    Die  beson- 
dere Gefährlichkeit  der  Gesichtsrose  wird  bestritten  (385.).  —    Weil 
Rheumatismus  sthenisch,    Podagra  asthenisch  ist,    sind  dort  die  grös- 
sern ,   hier  die  kleinern  Gelenke   befallen !   (391.)      Giebt  es  etwas 
Absurderes?   —    Die  Schmerzen  im  Rheumatismus  sind  blos  örtlich, 
haben  mit  der  sthenischen  Diathesis  nichts  zu  thun  (390.).  —   Was  ist 
Synocha  nach  Brown's  Delinition,   bald  einer  Phrenilis  (412),    bald 
einem   gelinden  Typhus  ähnlich  genannt?   (450.  Anm.)      Es  ist  un- 
möglich ,    die  Natur  dieser  Krankheit  hier  zu  erkennen.  —    Also  die 
Ansteckungsmaterie  trägt  doch  etwas  zur  sthenischen  Diathesis  bei! 
(419.)  —  Gehört  Manie  wirklich  immer  zu  den  Apyrexieen?   Herz  und 
Arterien  sollten  dabei  wenig  afficirt  sein?   (427.)  —   Ist  Pervigilium 
nicht  auch  Zeichen  der  Schwäche  ?    (432.)  —    Obesitas  wird  zu  den 
Sfhenieen  gerechnet,   wegen  der  Stärke  (sie!)  der  Verdauung.      Ist 


91 

das  also  krankhaft?  (439.)  Ist  Fellsuclit  wirklich  vermehrte  Er- 
regung, Stlienle  der  hluthereitenden  Gefässe ,  und  doch  keine 
Wirkung"  auf  Herz  und  Arterien  ?  —  Wie  unterscheiden  sich  über- 
haupt die  niederen  Sthenieen  von  der  sthenischen  Anlage,  in  welcher 
doch  auch  ein  niederer  Grad  der  Sthenie  herrschen  muss?  In  der 
Mitle  nun  zwischen  Fettsucht  (d.  h.  der  niederen  Sthenie)  und  der 
folgenden  Abtheilung  der  asthenischen  Krankheiten  liegt  der  Puuct 
der  vollkommenen  Gesundheit  (452.). 

6)     Asthenische  Krankheiten. 

Auch  in  der  Abhandlung  über  asthenische  Krankheiten  ist 
Vielerlei  auffallend  und  eigenthümlich.  Magerkeit  wird  als  beson- 
dere Krankheit  aufgeführt  (508.),  während  sie  doch  nur  Symptom  ist. 
Unruhige  Schlaflosigkeit  erscheint  wieder  einmal  unter  den  astheni- 
schen Krankheiten  (510.).  Für  die  Gebärmutter  wird  ausser  der 
Erregbarkeit  ein  besonderer  Reiz  angenommen  (526.),  die  Menstrua- 
tion blas  durch  Erweiterung  der  Durchmesser  erklärt  (528.);  Sthenie 
soll  nicht  im  Stande  sein,  die  Gefässe  zu  verschliessen,  daher  keine 
sthenische  Unterdrückung  der  Menstruation  (548.).  —  "NVie  unge- 
nügend der  Erregungszustand  zur  Erklärung  der  Erscheinungen  ist, 
sieht  man  besonders  an  der  Lehre  Brown's  von  den  Blutflüssen. 
Diese  werden  als  allgemein  asthenische  bezeichnet.  Aber  wir  finden 
manchmal  eine  grosse  Aufregung  des  ganzen  Systems,  eine  Activität, 
die  in  einem  schwachen  Organe,  den  Lungen,  dem  Uterus,  sich  bis 
zum  Blultfluss  steigert;  oder  auch  der  active  Blutandrang  findet  zu 
schwache  Gefässe  und  durchbricht  sie;  oder  endlich  ist  das  ganze 
System  plethorisch,  blutreich  und  macht  irgendwo,  wo  das  Gleich- 
gewicht zwischen  Ab- und  Zuführung  aufgehoben  ist,  eine  kritische 
Blutentleernng  (Hämorrhoiden,  Nasenbluten),  oder  endlich  eine  blos 
locale  Stockung  des  Blutes  erleichtert  sich  hierdurch  (Lungen- 
blutung). Alle  diese  Fälle ,  wenn  sie  auch  immer  auf  gestörtem 
Gleichgewicht  und  meist  auf  relativer  Schwäche  beruhen,  sind  in  der 
Brown'schen  Annahme  asthenischer  Blutflüsse  (§.  134.  135.548  — 
556.)  nicht  ausgedrückt  und  enthalten.  —  Durst  ist  bald  sthenisch 
bald  asthenisch  (556.).  ^  Auch  bei  Krankheiten  des  Darmcanals  kommt 
gemischte  Schwäche  vor,  ein  Zustand,  der  gar  nicht  denkbar  ist, 
weil  erschöpfte  und  vermehrte  Erregbarkeit  Avohl  stellenweis  nach 
unserer  Ansicht,  aber  nicht  bei  der  Annahme  einer  allgemeinen  Er- 
regbarkeit Statt  finden  können.  —  Also  Kinderkrankheiten  (§.566.  — 


92 

welche  Zusammenstellung!)  sind  immer  asthenischer  Natur?  es  giebt 
keine  sthenischen  Kinderkrankheiten?  —  Rheumatalgie  und  chroni- 
scher Rheumatismus  dürften  doch  zwei  verschiedene  Zustände  sein 
(581.)-  —  Gicht  eipe  Krankheit  des  Darmcanals  zu  nennen,  verräth  zu 
viele  Kühnheit!  (602.)  —  Die  Beschränkung  der  Annahme  von  Ple- 
thora als  Ursache  der  Apoplexie  ist  sachgemäss  (64:7.)-  —  Die 
Periodicität  der  Fieber  so  wie  alle  darauf  beruhenden  Eintheilungen 
nimmt  Brown  nicht  als  selbstständige  Erscheinung  der  Krankheit  an, 
sondern  erklärt  die  Remissionen  und  Intermissionen  aus  der  von 
äussern  Umständen  abhängigen  ungleichen  Heftigkeit  (662.).  Auch 
die  drei  Stadien  der  Fieberanfälle  (Frost,  Hitze,  Schweiss)  werden 
von  äusseren  Bedingungen  abhängig  gemacht  (666.).  Was  heisst 
einfacher  Typhus  oder  Nervenfieber ?  was  ist  der  zusammenge- 
setzte ?  (672.)  —  Brandige  Bräune  ist  ein  Typhus  (673.)  (scheint  an 
die  Neurophlogosen  Schoenlein's  zu  erinnern).  —  Wenn  durch 
jeden  Reiz  bei  directer  Schwäche  indirecte  Schwäche  entsteht,  so 
könnte  ja  gar  keine  Heilung  durch  Reize  Statt  finden?  Wie  kann 
zu  einer  erschöpften  Erregbarkeit  eine  aufgehäufte  treten?  (682.  Anm.) 
Ueber  die  örtlichen  Krankheiten  ist  bereits  oben  hinlänglich 
gesprochen  worden. 

Therapie. 

Der  eigentliche  Probirstein  eines  medicinischen  Systems  ist 
unstreitig  die  Uebereinslimniung  zwischen  Theorie  und  Praxis.  Nun 
finden  wir  aber  in  den  meisten  Systemen,  dass  der  Therapie  zu 
Gefallen  die  Theorie  ersonnen,  oder  dass  der  Theorie  die  Praxis 
angemessen  wurde,  um  die  Kluft,  welche  zwischen  beiden  noch  ob- 
waltet, auszufüllen.  Aber  es  kann  eine  gewisse  Uebereinsfimmung 
auf  dem  Papier  durch  eigenthüniliche  Construction  erzielt  sein,  ohne 
dass  die  Erfahrung  wirklich  diesen  Innern  Zusammenhang  und  die 
daraus  gezogenen  Folgerungen  bestätige.  So  ist  es  auch  mit  dem 
Brown 'sehen  System.  Inniger  und  genauer  als  in  irgend  einem 
andern  System  hängen  hier  Theorie  und  Praxis  zusammen  und  die 
Therapie  selbst  schliesst  sich  so  an  die  pathologischen  Lehrsätze  an, 
dass  sie  sämmlliche  Fehler  derselben  Iheilt  und  schon  in  dieser 
Beziehung  aus  (aprioristisch-)  logischen  Gründen  widerlegt  werden 
könnte,  wenn  auch  die  Erfahrung  selbst  nicht  die  Brown'schen 
Fundamenlalsätze  und  speciellen  Vorschriften  der  Therapie  als  viel- 
fach  tadelnsvverlh   und   verwerflich   hinstellte.      Während   es  daher 


93 

bei  den  übrigen  Systemen ,  tbeils  um  die  genetische  Entwickelung 
derselben  darzulhun,  theils  um  den  richtigen  Angriff  für  die  Po- 
lemik zu  finden,  von  iiöclistem  Interesse  ist,  den  theoretischen  oder 
pracfischen  Ausgangspunct  aufzufinden,  von  welchem  entweder  für 
die  Pathologie  oder  für  die  Tiierapie  gewaltsame  Folgerungen  her- 
vorgingen, dürfle  bei  Brown's  wahrhaft  künstlerisch  consequenter 
Verschmelzung  beider  Theile  diese  ISacIiweisung  schwieriger  sein. 
Nun  steht  aus  eigenen  Aussagen  Brown's  und  seiner  Schüler  fest, 
dass  er  durch  Beobachtungen  an  sich  und  Andern  zunächst  die  wirk- 
samen Erfolge  einer  reizenden  Behandlung  kennen  gelernt  habe. 
Wahrscheinlich  hat  er  dann  diese  reizende  Wirkung  auf  die  übrigen 
Krankheiten  auszudehnen  gesucht  und  ist  so  zu  dem  Begriffe  des 
Reizes  und  durch  eine  Reihe  von  Schlüssen  zu  dem  der  Erregung  und 
Erregbarkeit,  Sthenie  und  Asthenie  u.  s.  w.  gelangt.  Fügt  man  zu 
diesen  Momenten  den  Mangel  an  Privatpraxis  und  eignen  Erfahrungen, 
den  man  Brown  trotz  seiner  Versicherung  (§.  243.  Anm.)  vorwirft, 
so  wie  den  wahrscheinlich  schlechten  Erfolg  derartiger  Behand- 
lungen (§.594.  Anm.  lässt  auf  so  etwas  schliessen  ungeachtet  der  sehr 
naiven  Ausflüchte,  die  an  Bouillaud's  Versicherungen  erinnern, 
der  die  Kranken  immer  gerettet  hätte,  wenn  sie  nur  den  siebenten 
Aderlass  erlebt  haben  würden),  so  ist  es  ersichtlich,  dass  trotz  der 
Gelegenheitsursache,  die  ihn  auf  das  System  führte,  der  Ausgangs- 
punct desselben  ein  theoretischer  war  (worauf  er  §.  150.  Anm.  gros- 
ses Gewicht  legt)  und  dass  er  erst  durch  eine  Reihe  apriorisch- 
abstrahirfer  Begriffe  im  Stande  war,  seinen  eigentlich  therapeutischen 
Zweck  auszuführen  und  als  Reformator  der  Therapie  aufzutreten. 
Leider  führt  auch  der  umgekehrte  aber  richtigere  Weg ,  aus  den 
practisch- therapeutischen  Erfahrungen  eine  Theorie  zu  bilden,  eben- 
falls nicht  selten  auf  Irrwege,  weil  es  gewöhnlich  geschieht,  dass 
dieser  früher  betreten  wird,  ehe  diese  Erfahrungen  bestätigt  und 
richtig  ergründet  oder  erweitert  sind;  aber  hier  bleiben  wenigstens 
die  Erfahrungen  unangetastet,  während  bei  Brown  der  Umsturz  sich 
auf  diese  mit -erstreckt.  Kein  Wunder  übrigens,  dass  dieses  System 
Glück  macht,  wenn  es,  mit  so  grosser  Kunst  zusammengefügt,  noch 
durch  einige  glückliche  Resultate  zu  blenden  versteht;  wenn  es  auf 
negativem  Wege  durch  die  Fehler  der  Vorfaliren,  die  es  mit  hef- 
tiger Polemik  geisselt,  gehoben  wird;  wenn  bei  der  Unbekannt- 
schaft mit  dem  wahren  Wirkungsgrunde  der  Arzneien  sich  alte  Er- 
fahrungen  am   Krankenbette   überraschend  durch   das   neue  Princip 


.      94 

erklären  lassen  (wie  in  vielen  Fällen  beim  Opium  ' )  u.  s.  w.)  und  so 
ein  neues  Gewand  erhalten;  wenn  endlich  der  Krankheitscharacter 
der  Zeit  gerade  mit  den  entwickelten  Grundsätzen  theilweis  überein- 
stimmt.      (Vorherrschen  nervös -asthenischer  Uebel?) 

Wir  haben  oben  gesagt,  dass  die  Therapie  Brov/n's  alle 
Fehler  des  pathologischen  Abschnittes  fheile  und  beweisen  dies  so- 
gleich aus  seiner  Definition  der  Heilmittel  selbst,  die  zwar  auf  das 
Leben  basirt,  aber  nur  quantitativ  von  den  Nahrungsmitteln  unter- 
schieden werden,  während  die  Differenz  des  Heilmittels  und  des 
Lebens  und  die  Homogenität  des  Nahrungsmittels  und  des  Lebens  den 
eigentlich  wahren  qualitativen  Unterschied  zwischen  beiden  bedingen. 
Aus  diesem  Grunde  wie  aus  der  Wichtigkeit  des  Einflusses  aller  äus- 
seren Momente  bei  Brown  überhaupt  folgt  schon  von  selbst,  dass 
er  besonderen  Nachdruck  auf  das  diätetische  Regime  legt,  was  ihm 
zu  nicht  geringem  Lobe  gereicht;  aber  andererseits  ist  es  nicht  ab- 
zusehen, warum  nicht  auch  durch  die  Nahrungsmittel  allein,  durch 
deren  eigenthümliche  Verbindung,  OH'Tilität  u.  s.  w.  die  Heilungen 
herbeigeführt  werden,  wenn  nicht  eben  in  den  Heilmitteln  ein  quali- 
tatives Etwas  liegt,  das  durch  sie  absolut  vermehrte  oder  verminderte 
Erregung  herbeiführt.  Ein  solcher  absoluter  Unterschied  zwischen 
Nahrungs-  und  Heilmitteln  existirt  nun  eigentlich  nicht,  indem  in 
bestimmten  von  der  Qualität  des  Organismus  abhängigen  Fällen  ein 
Nahrungsmittel  ein  Heilmittel  werden  kann  und  umgekehrt,  z.  B.  Ei, 
Milch  im  erstem,  China,  Eisen  im  letztern  Falle.  Bei  Brown  aber 
wird  der  relative  Unterschied  leider  nur  durch  die  Gewalt  des 
Incitaments  und  durch  den  dadurch  herbeigeführten  Grad  der  Er- 
regung gegeben ,  der  in  den  Heilmitteln  absolut  vermehrt  oder  ver- 
mindert wirkt.  Wir  sehen  demnach  auch  hier,  wie  bei  der  ganzen 
Ausführung  des  Brown' sehen  Systems  eine  dynamisch  ein- 
seitige Richtung,  welche  ohne  die  eigentliche  vitale  Selbstständig- 
keit des  Organismus,  dessen  verschiedene  Receptivität  und  Reaclions- 
kraft  zu  beachten,  allein  in  der  verschiedenen  Erregungskraft  der 
äussern  Potenzen  das  bedingende  Moment  findet.  Darum  kann  von 
einer  Verschiedenheit  der  Wirkung  als  primäre  und  secundäre, 
welche  letzlere  meist  durch  die  Reaction  des  Organismus  bedingt  ist, 
nicht  die  Rede  sein ,   noch  kann  bei  der  einseitigen  Rücksichtsnahme 


*)  Zeigt  sich  doch  auch  wieder  bei  Brown  das  merkwürdige  Re- 
sultat, dass  im  Einzelnen  bei  aller  Vcrschiedenlieit  der  Theorie  die 
Behandlung  am  Krankenbette  nur  zu  oft  dieselbe  bleibt. 


95 

auf  (las  Heilmitlel,  welches  bei  Brown  von  vornherein  seine  be- 
stimmte Wirkung  hat,  während  es  erst  durch  den  Factor  des  erkrank- 
ten Lebens  zu  solchem  wird,  die  nach  der  Mannigfaltigkeit  des  vor- 
handenen Krankheitszusfandes  abweichende,  vielseitige  Wirkung 
eines  einzigen  Mittels  in  Betracht  kommen ,  nach  welchem  es  bald  als 
Stärkungs-,  bald  als  Schwächungsmiltel  auftreten  kann  (wie  z.  B. 
die  Mineralsäuren  hei  Hyperämie,  Congeslivzusländen,  Fiebern  als 
schwächend  erscheinen,  bei  Scorbut,  Chlorosis  als  stärkend;  Bella- 
donna bald  als  reizend,  bald  als  consopirend  u.  s.  w.).  Diese  sich 
allein  auf  die  Erregung,  auf  die  Gewalt  der  Reizung  beziehende  Wir- 
kung kann  auch  schon  um  deshalb  nicht  genügen ,  weil  Erregung  in 
vielen  Zuständen  ein  zufälliges,  äusserliches,  unwesentliches  Moment 
ist,  weil  wir  bei  vielen  3Iilteln  entweder  deutlich  ein  Mehr  oder 
Minder  der  Erregung  nicht  wahrnehmen  oder  die  Wirkung  des  Mittels 
aus  vermehrter  und  verminderter  Erregung  zusammengesetzt  ist  (wie 
beim  Opium,  bei  den  acribus  drasticis),  und  weil  sich  die  grosse  Man- 
nigfaltigkeit der  Heilmittel  ebenso  wenig  wie  die  Wirkung  eines  jeden 
einzelnen  Mittels  für  sich  in  so  enge  Grenzen  bannen  lässt.  Wo 
bleiben  z.  B.  nach  dieser  Eintheilung  die  Saccharina ,  die  in  Bezug 
auf  Erregung  völlig  indifferent  erscheinen  ?  Und  lässt  sich  die  che- 
mische Einwirkung  der  Säuren ,  der  Absorbentia ,  der  Metalle  auf 
diese  zwei  verschiedenen  Wirkungsarten  zurückführen?  Es  ist 
durch  die  Fortschritte  der  neueren  Zeit  bewiesen,  namentlich  an  den 
Metallen,  dass  oft  wirklich  chemische  Verbindungen  Ursache  von 
stofflichen  Veränderungen  sind,  wie  durch  Pepsin-  und  Albumin- 
verbindungen der  Metalle  die  Verdauungsschwächende ,  corro- 
dirende,  auflösende  Wirkung  hervorgerufen  wird;  man  nimmt  an, 
dass  das  Eisen  in  der  Chlorosis  dadurch  nützt,  weil  es  den  an  Eisen 
Mangel  leidenden  Cruor  verbessert;  dass  vorwaltende  Säure  bei  der 
zum  Verseifungsprocess  dienenden  Galle  durch  Alkalien  chemisch  um- 
geändert und  gehoben  werde.  Die  vorgefundenen  Arzneistoffe  im  Paren- 
chym  der  Organe,  im  Blute,  im  Chylus,  in  den  Secretionen  (vgl.  So- 
bernheim's  Plijsiologie  der  Arzneiwirkungen.  Berlin  1841.)  sprechen 
für  materielle  Einwirkung ;  die  Behandlung  der  Vergiftungen  u.  s.  w., 
sowie  der  organisch -materiellen  Krankheitsprocesse  in  den  Kache- 
xieen  und  Dyskrasieen  und  vieler  andern  lassen  es  als  ausgemacht 
gellen ,  dass  ein  grosser  Theil  der  Arzneien  nur  durch  organisch- 
qualitative Abänderung  wirke,  Soll  dieses  auch  durch  Erregung 
erklärt  werden?      Man  sieht  also,   dass  wie  die  Krankheiten  selbst, 


96 

so  auch  die  Heilmittel  nicht  unter  diesen  zwei  Classen  hegriffen  sein 
können,  weil  auf  diese  Weise  ein  hauptsächlicher,  integrirend  selbst- 
ständiger Act  des  Lebens  zu  sehr  in  den  Hintergrund  tritt  oder  wohl 
gänzlich  ül)ersehen  wird.    So  aber  ist  es  ganz  erklärlich,  dass  Brown 
die  Antiseptica  als  besondere  Classe  der  Arzneien  verwirft,   dass  er 
eine  eigentlich  antiphlogistische  Methode  nicht   annimmt  und  ebenso 
wenig  eine  eigentlich  umstimmende,  resolvirende  u.  s.  w.      Für  ihn 
giebt  es    nur    sthenische    und    antisthenische   Heilmittel.      Bei    den 
eigentlichen  Schwächungsmitteln   ist  an  eine  Schwächung   auf  posi- 
tivem Wege,    durch  wirklichen  Verlust  an  Säften  und  an  organischer 
Masse  (Quantität) ,    oder  durch  Mangel  an  Cohärenz  der  organischen 
Bildung,   durch  Verflüssigung,   Ueberwiegen  der  Secretion  über  Re- 
sorption  und  Assimilation  (Qualität)    nicht  zu  denken,    sondern  die 
Schwächung   geschieht  nur  auf  negativem  Wege,   indem  geringere 
Erregung    herbeigeführt   wird   als   zur    Gesundheit    nothwendig   ist. 
Eine  eigentliche  Schwächung  giebt  es  daher  nicht,   sondern  nur 
eine  geringere  oder  grössere  Reizung.    Da  Reizung  aber  nicht  absolut 
ist,    sondern  von  der  relativen  Beschaffenheit  der  Organe,  Zustände 
und  Individuen  abhängt  und  ein   absolutes  Maass  der  höheren  oder 
niederen  Reizung  nicht  existirt,  so  dass  ein  slhenisch  reizendes  Mittel 
in  vieler  Beziehung  weniger  erregen  kann  als  ein  von  Brown  so- 
genanntes antisthenisches  (wozu  noch  überdies  die  specifike  Reizung 
besonderer  Organe   kommt)   und   z.  B.  Opium   in  einem    sthenischen 
Exanthem  eher  vertragen  werden  konnte  als  ein  Drasticum,   während 
es  in  der  Hysterie,  wohin  es  nach  Brown  passt,  gerade  mehr  scha- 
den würde  als  letzteres,  so  ist  eigentlich  der  Begriff  sthenischer  oder 
antisthenischer  Heilmittel   im  Allgemeinen   ein  sehr  vager,   unzurei- 
chender.    Desshalb  nahm  Brown  eine  besondere  Mittelmethode  zwi- 
schen beiden,   welche  ein  reichliches  und   gesundes   Blut   liefern 
solle    (§.  99.),     die   tonische,    an,    der    eigentlich   eine    positiv 
schwächende  entgegengesetzt  ist.  —    Mehr  als  Alles  aber  stürzt 
diese  Bezeichnung  der  Heilmittel  die  unverkennbare  besondere  Affi- 
nität derselben  zu  bestimmten  Organen  und  Systemen  und  die  daraus 
resultirende  Specificität,   welche  in  solcher  Satzung  gänzlich  unter- 
gehen  und  so    den  Ruin  der    ganzen  Therapie    herbeiführen  würde. 
Denn  es  ist  das  Bestreben  der  Heilkunde  selbst  von  den  ältesten  Zeiten 
her  gewesen,  die  bestimmten  specifischen  Beziehungen  der  Heilmittel 
zum  Organismus  kennen  zu  lernen,   weil  nur  auf  diesem  Wege  ein 
sicherer  Anballspunct  für  die  Praxis  gewonnen  werden  kann.      Nur 


97 

indem  man  die  physiologisch  eigenthfimliche  Wirkungsweise  des 
Ileilmillels  kennen  lernt  und  seine  individuelle  Natur  ergründet,  ist 
man  im  Stande  nach  und  nach  eine  wahre  Einsicht  in  die  hülfreichen 
Leistungen  desselben  zu  erlangen.  Diese  Individualität  giebt  sich 
eben  als  besondere,  locale ,  qualitative  und  quantitative  Umslimmung 
besonderer  Organe,  wie  der  Leber,  der  Lungen,  oder  der  Ge- 
webe, wie  der  Schleimhäute,  serösen  Häute,  oder  der  Systeme, 
wie  des  Abdominal-,  Nerven-  (Ganglien-),  Gefässsystems  u.  s.  w., 
kund,  die  als  Exaltation  in  den  einen  Theilen,  in  den  andern  als  De- 
pression erscheinen  kann,  wie  z.  B.  in  der  Secrctionsbefördcrung 
und  Assimilationszerstörung  des  Quecksilbers.  Sobald  wir  aber 
mit  B  r  0  w  n  eine  allgemeine  Erregbarkeit  annehmen ,  ist  eine  solche 
speciQko,  locale  Einwirkung  nicht  denkbar*).  Aus  diesem  alles 
■weitere  Streben  der  Erkcnnlniss  der  Heilmittel  und  ihrer  physiolo- 
gisch-therapeutischen Wirkungsweise  auf  schmähliche  Weise  unter- 
grabenden Vordersatze,  der  in  der  That  der  Wissenschaft,  welche  erst 
heule  die  Nolhwendigkcit  dieser  Erkenntniss  zu  begreifen  an- 
fängt, unendlich  geschadet  hat,  folgt  der  noch  viel  gefährlichere,  die 
höchste  Stufe  der  Irrationalität  erreichende  Satz,  dass  ein  Mittel, 
welches  eine  Krankheit  der  einen  Form  heile,  die  sämmtlichen  übri- 
gen Krankheiten  derselben  Form  zu  heilen  im  Stande  sei.  Da  näm- 
lich der  specißsche  und  besondere  Unterschied  zwischen  den  Krank- 
heiten und  zwischen  den  Heilmitteln  wegfällt  und  es  nur  darauf  ankommt, 
zu  wissen,  zu  welcher  Form  eine  Krankheit  und  zu  welcher  ent- 
sprechenden Methode  ein  Heilmittel  gehöre ,  sei  es  ganz  gleichgültig, 
Avelches  Mittel  man  aus  dem  Heilapparat  wähle,  wenn  es  nur  dem 
Grade  nach  passe;  eine  Bestimmung,  welche  einen  Anhaltspunct  durch- 
aus nicht  darbietet  und  schon  deshalb  rein  willkührlich  ist,  da  sich 
der  Grad  der  Krankheit  wie  der  Wirkung  nicht  absolut  messen  lässf. 
So  ist  denn  die  schönste  Pflicht  des  Arztes  auf  eine  einfache  Grad- 
messung herabgesunken.  Aus  diesem  verflachenden  Grunde  giebt 
es  keine  wahre  Indication  der  Krankheit,  ihres  Sitzes,  ihrer  Art, 
ihres  Verlaufes",  ihres  Stadiums;  es  giebt  keine  Indication  der  Krisen 
als  die,  ausnahmsweise  der  Materie  Zeit  zum  Austritt  zu  lassen  (96); 
es    giebt   nur    eine    Indication:     wo   Schwäche   ist,     zu   stärken, 


*)  §.244.  widerlegt  Brown  die  Meinung,  dass  es  specißsche  Mit- 
tel gäbe,  dadurch,  dass  in  der  Natur  Einfachheit  und  Gleichförmigkeit 
herrsche.  Als  ob  die  Annahme  einer  solchen  Verschiedenheit  den 
ewig  einfachen  Gesetzen  der  Natur  widerspräche! 


98 

Avo  Stärke,  zu  schwächen.  Die  Rücksicht  auf  Antagonismus  und 
Consensus  der  Theilc,  auf  physiologisches  Verhalten  der  Organe  und 
Systeme  fällt  weg.  Aus  gleichem  Grunde  kann  die  ahleitende  Me- 
thode, welche  eben  durch  antagonistische  Dethätigung  einzelner 
Theile  vortrefnich  wirkt,  hei  Brown  nicht  Statt  finden.  Dennoch 
zeigt  so  manche  nähere  Beslimnning  darauf  hin,  dass  die  Qualität  und 
Specificilät  der  Wirkung  nicht  ausser  Acht  zu  lassen  ist  (wozu  sonst 
die  diätetischen  Vorschriften  und  gerade  diese  und  jene  Empfeh- 
lung, nicht  eine  andere,  wenn  Alles  promiscue  gebraucht  werden 
könnte,  namentlich  bei  den  asthenischen  Formen?),  und  dass  es  ver- 
geblich ist,  der  Natur  und  Vernunft,  Avelche  eben  im  Besondern 
die  Grösse  des  Allgemeinen  nachweist,  auszuweichen.  Ja  eine 
andere  Bestimmung,  welche  leider  zum  Nachtheil  der  Mitlelkennlniss 
überhaupt  schon  vor  Brown  lange  genug  beobachtet  worden  ist, 
hier  aber  förmlich  gepredigt  wird,  die  nämlich,  sich  nie  auf  ein  Mittel 
allein  zu  verlassen,  sondern  alle  übrigen  Mittel  zugleich  oder  nach 
der  Reihe  anzuwenden,  um  die  Erregbarkeit  gleichförmiger  zu  affi- 
ciren  (§.  92.  286.),  spricht  unbedingt  für  die  Unsicherheit  der  Brown'- 
schen  Praxis  und  die  Aengsllichkeit  ihrer  Anhänger  sowohl,  als  für 
die  örtliche  Einwirkung  der  verschiedenen  Agentien,  ohne  welche 
eine  Zusammenmischung  melirer  zur  gleichförmigen  Affeclion  der 
Erregbarkeit  nicht  nölhig  wäre  *)•  I"  noch  grössern  Conflict  bringt 
Brown  die  Eintheilung  der  Heilmillel  in  allgemeine  und  örtliche, 
worüber  dasselbe  gilt,  was  von  der  ähnlichen  Eintheilung  der  Krank- 
heiten behauptet  wurde.  Die  Beschränkung  der  Heilwirkung 
auf  einen  Ort  ohne  Theilnahme  des  Organismus  widerspricht  der  all- 
gemeinen Wirkung  und  ist  nur  bei  einigen  äusseren  Anwendungen  an- 
nehmbar. Da  überdies  sowohl  eine  Resorption  selbst  äusserlich  und 
örtlich  applicirfer  Millel  als  auch  oft  die  Nothwendigkeit  einer  innern 
Behandlung  örtlicher  Uebel  vorkommt,  so  ist  die  Nichtigkeit  einer 
blos  örtlichen  Behandlung  wie  blos  örtlicher  Uebel  selbst  ausgespro- 
chen. In  der  2.,  3.  und  5.  Classe  ist  ohnehin  die  allgemeine  Be- 
handlung gar  nicht  auszuschliessen  und  von  Brown  selbst  an  mehr 
als  einer  Stelle  Wein,  Opium  u.  s.  w.  angerathen  worden. 

Was  nun  die  Indicalionen  anbelangt,    so  haben  wir    gesehen, 
dass  es  bei  Sthenie  angezeigt  ist,    die  verminderte  Erregbarkeit  zu 


..  *)  Ja>  im  §■  304.  u.  308.  wird  zu  demselben  Behufe  sogar  von  einer 
örtlich  gesteigerten  Einwirkung  auf  die  Applicationsstelle  gesprochen 
(bol.). 


99 

vermehren  oder  mit  andern  Worten  die  Erregung  zu  vermindern,  bei 
Asthenie  dieselbe  zu  vermehren.  Schwerer  diirfle  die  Behandlung 
der  indirecfen  Asthenie  zu  begreifen  sein.  Es  ist  ein  Avichtiger 
Erfahrungssalz,  der  sich  z.  B.  bei  der  Cur  der  Trunkliebe  bewährt, 
dass  man  gewohnte  Reize  nicht  plötzlich  entziehen  darf,  weil  dann 
plötzliche  Sciiwäche  eintritt.  Durch  das  allniiililigo  Entziehen  wird 
die  normale  Receptivilat  und  Reactionskraft  wieder  hergestellt,  wäh- 
rend durch  eine  plötzliche  Beraubung  die  an  äussere  Reize  gebundene 
Nervenkraft  unter  die  Norm  herabsinkt.  Von  ganz  andern  Gcsichts- 
puncten  geht  Brown  aus.  Bei  ihm  wird  durch  einen  grossen  Reiz 
die  Erregung  vermehrt  und  durch  allmählige  Steigerung  der  Reize 
endlich  die  Erregbarkeit  erschöpft,  doch  nur  soweit,  dass  noch  ein 
Reiz  wirken  kann.  Um  diese  erschöpfte  Erregbarkeit  wieder  her- 
zustellen, sollen  immer  geringere  Reize  nach  und  nach  angewendet 
werden.  Dies  ist  die  Cur  der  indirecten  Asthenie.  Nun  aber  fragt 
es  sich :  l)  wie  kommt  es,  dass  plötzlich  bei  einem  bestimmten  Grade 
die  anfangs  vermehrte  Erregung  vermindert  wird?  2)  wie  soll,  wenn 
die  Erregbarkeit  erschöpft  ist,  ein  Reiz,  und  wenn  auch  ein  gerin- 
gerer, noch  so  wirken,  dass  die  Erregung  wieder  vermehrt,  d.h. 
die  Erregbarkeit  mehr  angehäuft  wird?  Sollte  man  nicht  vielmehr 
meinen,  dass  ein  dem  früheren  Reize  dem  Grade  nach  gleichstehender 
entweder  die  Erregbarkeit  noch  mehr  erschöpfen  oder  vielmehr 
gänzlich  indifferent  bleiben  müsste?  wieviel  mehr  noch  ein  geringerer 
Reiz?  Soll  ein  geringerer  Reiz  dadurch  wirken,  dass  er  wieder  die 
Erregbarkeit  anhäuft,  so  muss  zur  vermehrten  Erregung  eine  vermin- 
derte hinzutreten,  trotz  Brown's  Versicherung,  dass  indirecte 
Asthenie  nicht  durch  directe  zu  heilen  sei  (47.);  so  müsste  Ruhe  und 
Entziehung  das  bessle  Heilmittel  der  indirecten  Schwäche  sein ,  diese 
auch  durch  eine  schnell  herbeigeführte  directe  Schwächung  geheilt 
werden  können.  Auch  hier  beruht  wieder  Alles  auf  der  Verkennung 
der  Receptivität  und  Reaclion,  sonst  würden  hier  solche  Mittel  ange- 
zeigt sein,  welche  (wenn  es  natürlich  der  Scala  angemessen  werden 
sollte)  nicbt  durch  Schwächung,  nicht  durch  Herbeiführung  einer 
allmählig  verminderten  Erregung,  die  doch  ohnedies  in  der  in- 
directen Asthenie  vermindert  ist,  heilen  würden,  sondern  durch  eine 
wiederum  vermehrte  und  qualitativ  gestählte  Erregung  von  Slhenie 
absteigend  zur  Gesundheit  führen  müssten.  Soll  aber  etwa  die  vor- 
ausgegangene Sthenie  auf  die  Einwirkung  der  Reize  einen  solchen 
Einflüss  haben ,   dass  diese  als  schwächende  nur  eigentlich  zur  Sthenie 

7* 


100 

zurückführten,  so  liegt  darin  ein  Verkennen  der  Krankheitsprocesse, 
welche,  wenn  einmal  indirecte  Asthenie  eingetreten  ist,  ehen  nur 
asthenische  sind,  ohne  dass  die  vorausgegangene  Stheaie  immer  einen 
Einlluss  auf  die  Behandlung  haben  könnle.  (?S'ach  Brown  müsste 
dann  z.  B.  Ilydrothorax  nach  Pneumonie  erst  wieder  Pneumonie  wer- 
den, ehe  er  geheilt  werden  könnle.)  Dazu  kommt,  dass  bei  Brown 
nicht  von  Entziehung  derselben  Reize  die  Rede  ist,  sondern  andere 
substiluirt  werden  sollen,  deren  Grad  so  schwer  zu  bestimmen  ist,  dass 
es  öfters  unmöglich  sein  dürfte,  einen  gradweis  geringeren  Reiz  zu 
wählen,  als  der  früher  wirkende  war.  —  Wie  aber  soll  endlich  die 
gemischte  Schwäche  zu  behandeln  sein  ?  Brown  begnügt  sich  auf 
höchst  mysteriöse  Weise  uns  eine  gehörige  Verbindung  de^  für  jede 
derselben  passenden  Verhäbnisses  der  Gaben  anzurathen.  Wie  das  be- 
werkstelligt wird,  lässt  er  in  Uugewissheit  und  mit  Recht,  denn  eine 
stärkende  und  schwächende  Methode  dürfte  schwer  zu  gleicher  Zeit 
zu  realisiren  sein  (§.  691.)^  wenn  es  überhaupt  solche  Methoden  gicbt. 

ülateria    inedica. 

Wir  haben  nun  noch  einige  Bemerkungen  über  die  Heilmittel 
gelbst  zu  machen,  deren  sich  Brown  bediente.  Der  Apparat  seiner 
Materia  medica  ist  sehr  gering.  Jener  alle  Spruch,  nach  welchem 
Der  nicht  ein  guter  Arzt  genannt  werden  kann ,  dessen  Materia  me- 
dica sich  nicht  auf  den  Nagel  des  Daumens  schreiben  Hesse,  scheint 
von  Brown  mit  demselben  Nachtheil  beherzigt  worden  zu  sein ,  den 
er  überall  erzeugen  wird,  wenn  man  die  grosse  Mannigfaltigkeit  der 
Krankheiten  in  iiiren  tjpecifischen  Abweichungen  mit  einer  verhältniss- 
mässig  kleinen  Anzahl  von  Mitteln  bekämpfen  will.  Schliesst  denn 
die  Anwendung  vieler  3Iittel  die  genaue  Kenntniss  der  einzelnen 
aus?  —  Wir  haben  gesehn,  dass,  da  Brown  nur  reizende  oder 
schwächende  Mittel  kennt,  er  bei  der  Ausst>hliessung  einer  grossen 
Anzahl  anderer  qualitativ  umstimmender  Mittel  viele  Acrien,  Narco- 
tica,  Metalle,  Adstringentia  und  die  Classe  der  Amara  und  Saccharina 
gänzlich  verwirft  und  nolhgedrungen  den  Reizmitteln  eine  grössere 
Ausdehnung  zu  geben  genöthigt  war.  Da  nun  dergleichen  Arzneien 
vorzüglich  nur  momentan  erregend  wirken ,  ihre  Primär-  und  Secun- 
därwirkung  aber  gar  nicht  unterschieden  wurde  und  die  Natur  der 
Kranken  sich  oft  leicht  gerade  an  Reize  gewöhnt,  so  konnte  die 
Hülfe  derselben  oft  nur  eine  palliativ  anregende  sein,  nnisste  aber  auch 
hinwiede  um  nicht  seit  n  durch  künstliche  Exaltation,  Verabsäumung 


101 

besserer  Hülfe,  nachfolgende  Schwächung  schädlich  werden.  Dulicr 
ist  Brown  auch  noch  heutigen  Tages  von  dem  Vorwurfe  nicht  frei- 
zusprechen den  Missbrauch  der  Heizniitlei,  deren  häufigere  Anwen- 
dung durch  das  Clima  überhaupt  und  vielleicht  damals  durch  eine 
gewisse  nervöse  Intemperanz  geboten  wurde,  sowohl  in  diätetischer 
als  therapeutischer  Hinsicht  auf  lange  Zeit  zum  grossen  Nachtheile 
eingeleitet  zu  haben.  Auf  der  andern  Seile  hat  er  aber  wieder  un- 
bedingte Verdienste  um  die  Beschränkung  des  Aderlasses  und  der 
ausleerenden  Methode,  welclie  damals  leichtsinnig  genug  gehandhabt 
wurden;  nur  Schade,  dass  aucii  hier  wieder  das  Systematisiren  zu 
weit  geführt  hat,  daher  Ausnahmen  wie  (l07.)  Ausleerung  beim  gelben 
Fieber  und  (210.)  Erleichterung  der  Last  der  Gcfässe  in  der  astheni- 
schen Entzündung,  um  das  Blut  in  schnellere  Bewegung  zu  setzen, 
nolhwendig  geworden  sind.  Die  Behandlung  der  sthenischcn  Krank- 
heiten ,  in  denen  ihm  Sydenham  ein  grosses  Muster  gewesen,  im 
allgemeinen,  besonders  die  der  Entzündungen  und  Ausschläge,  enthält 
jianches  Gute  und  ist  in  ihrer  Einfachheit  lobenswerth.  —  Die  Heil- 
mittel selbst  sind  vorzugsweise:  l)  Aderlass,  den  er  nicht  nur  bei 
den  asthenischen  Krankheiten ,  sondern  auch  bei  den  gelinderen 
sthenischen  Entzündungen  verbietet,  bei  den  heftigeren  aber  selbst 
wiederholt  anräth  und  als  souveränes  Mittel  bezeichnet.  2)  Kälte. 
Die  verdienstliche  Anwendung  dieses  311tlels,  namentlich  Lei  Haut- 
krankheiten, ist  sehr  zu  rühmen,  obgleich  er  dessen  Wirkung  nur  davon 
herleitet,  dass  es  der  3Iaterie  dann  freien  Ausgang  verschafft,  wenn 
die  Diathesis  geschwächt  wird.  Beiden  grossen  Vorurllieilen,  die 
man 'selbst  gegen  einen  Trunk  kalten  Wassers  im  Fieber  hatte,  rausste 
diese  Empfehlung  und  Erklärungsweise  viel  nützen.  Empfiehlt  doch 
Brown  Kälte  gegen  Catarrh  (411.)  und  gegen  Masern  (406.), 
was  selbst  Sydenham  widerrathen  hatte,  und  erlaubt  auch  im 
Schweissc  kalt  zu  trinken  (478.).  Keineswegs  aber  darf  uns  dies  be- 
rechtigen, Brown  eine  bessere  Kenntniss  der  Heilwirkung  der  Kälte 
zuzuschreiben,  deren  falsche  Beurtheilung  wir  ihm  bereits  unter  der 
Aetiologie  nachgewiesen  haben.  Er  verwechselt  offenbar  die  küh- 
lende Wirkung  mit  der  schwächenden,  unterscheidet  weder  Frimär- 
noch  Secundärwirkung  und  leitet  die  reizende,  resp.  kräftigende, 
stärkende  \Mrkung  derselben,  welche  eine  wahrhaft  positive  ist,  nur 
von  der  Beschränkung  der  indirecten  Schwäche  innerhalb  der  Gren- 
zen der  Stbenie  her.  Daher  hat  er  auch  ihren  neuerdings  gerade  in 
den   asthenischen  Krankheiten   so   glänzend   bewährten  Nutzen,   bei 


102 

denen  er  namentlich  Kälte  widerrälh ,  wie  bei  Fiebern  (asthenischer 
Art),  Gicht,  übler  Verdauung,  Kolik,  Rheumatalgie  u.  s.  w.,  verkannt 
und  verdient  desswegen  einen  nicht  geringeren  Tadel,  als  er  selbst 
schonungslos  genug  den  Verächtern  der  Kälte  in  sthenischen  Krank- 
heiten angedeihen  lässt.  Wo  Avirkt  Kälte  vorzüglicher  als  in  den 
von  Brown  als  asthenisch  bezeichneten  Blulfliissen?  Und  hat  er 
gehörig  die  Grade,  die  Dauer,  die  verschiedenen  Anwendungsweisen 
der  Kälte  unterschieden,  welche  alle  eine  bedeutende  Modification 
herbeiführen?  —  3)  Brechmittel.  Ohne  sich  genauer  auf  die 
besonderen  hieher  gehörigen  Mittel  einzulassen  (und  tart.  slib.  wirkt 
doch  ganz  anders  als  ipecacuanha)  oder  Contraindicationen  anzugeben 
(Phrenitis)  oder  bestimmte  Anweisungen  (gastrisch-biliöse  Zustände), 
wird  das  Erbrechen  als  ein  rein  schwächender  Act  gegen  Sthenie 
empfohlen,  blos  aus  dem  Grunde,  weil  ein  Verlust  von  Stoffen  her- 
beigeführt wird,  der  einen  geringeren  Reiz  erzeugt.  Ganz  abgesehn 
davon,  dass  das  Erbrechen  durchaus  nicht  in  allen  sthenischen  Krank- 
heilen von  Nutzen,  ja  in  vielen  sogar  schädlich  sein  wird,  Congestio- 
nen,  nervöse  Zufälle  u.  s.  w.  erzeugen  kann,  so  ist  die  qualitativ  um- 
stimmende und  ableitende,  die  sympathische  und  reflecto- motorische 
Wirkung  nach  und  von  den  Centraltheilen,  die  specifische  Wirkung  auf 
die  Ganglien,  den  Vagus  und  das  ganze  übrige  Nervensystem,  beson- 
ders das  vegetative,  ganz  übersehen  und  darum  allein  erklärlich,  wie 
auf  völlig  uabegreifliche  Weise  ,  allen  früheren  Anempfehlungen  zum 
Trotz,  die  wohlthätig  alterirende  Wirkung  der  Brechmittel  in  asthe- 
nischen Krankheiten,  zu  denen  doch  selbst  gasfrische  Uebel  vorzugs- 
weise gehören,  habe  geläugnet  werden  können.  —  Fast  dasselbe 
könnten  wir  4)  von  den  Purgir mittein  erwähnen,  deren  ver- 
schiedene, nicht  blos  schwächende,  sondern  auch  mischungsumän- 
dernde,  den  abweichendsten  Indicalionen  dienende  Heilwirkung  ganz 
übersehn  ist  und  die  trolz  aller  Beschränkung  doch  zu  oft  und  zu 
ausschliesslich  in  sthenischen  Krankheiten  und  ohne  die  gehörigen 
Vorsichtsmaassregeln  (z.  B.  bei  Exanthemen)  von  ihm  angepriesen 
werden. —  5)  Schwitzmittel.  Ihrer  bedient  sich  Brown  nach 
Anwendung  der  genannten  Mittel,  namentlich  dann,  wenn  die  heftige 
Sthenie  nachlässt  (zur  Zeit  dur  Krisen) ;  aber  nicht  um  die  Krisen  zu 
befördern  und  durch  materielle  Ausscheidung  eines  Krankheitspro- 
ducles  eine  organische  Veränderung  herbeizuführen,  sondern  nur  um 
durch  Entziehung  von  Säften  die  reizende  Wirkung  derselben  auf 
die  Gefässe   zu  mindern,   daher  um   zu   schwächen.      Dieser  Grund 


103 

lässt  die  Diaphorese  daher  auch  ohne  nähere  Bestimmung  hei  einem 
nur  scheinbaren  Nachhiss  der  Symitlome  zu,  begründet  keinen  Unter- 
schied zwischen  den  Diaphorelicis,  der  doch  höchst  bedeutend  ist,  und 
dehnt  die  Anwendung  auf  fast  alle  sthcnischcn  Krankheiten  aus.  Da 
Brown  aber  die  primäre  reizende  Wirkung  der  Schwitzmittel  (denn 
hier  allein  ist  der  Unterschied  zwischen  Primär-  und  Secundärwir- 
kung  angegeben)  nicht  abläugnen  kann ,  empfiehlt  er  wenigstens  mil- 
dere, unter  denen  wir  zu  unserer  nicht  geringen  Verwunderung  auch 
Laudanum  u.  a.  Reizmittel  ganz  im  Contrast  mit  der  sthenischen  Heil- 
methode finden.  Aber  aus  demselben  Grunde  verbietet  er  die 
Schwitznnllel  bei  Blattern ,  nur  wiederum  zu  allgemein,  da  es  auch 
Fälle  giebt,  in  denen  eine  leichte  Diaphorese  den  Ausbruch  befördert. 
(Nach  Brown  soll  der  Schweiss  durch  den  Reiz  die  Ausdünstung 
unterdrücken.)  Wenn  Brown  auf  der  einen  Seite  gegen  die  zu 
gewöhnliche  Anwendung  schweissireibcnder  Mittel  mit  Recht  eifert, 
ist  es  falsch,  den  Nutzen  dieser  Mittel  vorzugsweise  auf  sthenische 
Krankheiten  beschränken  zu  wollen,  da  es  doch  ausser  seinen 
für  Diaphorese  passenden  asthenischen  Krankheiten  noch  andere  in 
Menge  giebt,  bei  denen  Diaphorese  angezeigt  sein  kann;  wir  er- 
wähnen nur  Gicht,  Rheumatalgie.  Hier  wirkt  die  Primär-,  dort  die 
Secundärwirkung.  —  6)  Ausser  diesen  Mitteln  führt  Brown  noch 
als  antisthenisch  Salpeter  und  Säuren  an  (wie  steht  es  da  mit  dem  be- 
währten Nutzen  der  Säuren  gegen  die  Blulflüsse,  die  doch  rein  asthe- 
nisch sein  sollen?),  jedoch  sind  sie  nach  ihm  von  geringem  Belange. 
Blutegel,  Schröpfköpfe,  Vesicantien  (deren  Wirkung  übrigens  nach 
seinen  Ansichten  von  allgemeiner  Erregbarkeit  gar  nicht  erklärt  wer- 
den könnte)  helfen  wenig.  Ueberdiess  dienen  als  diätetische  Sliltel: 
Ruhe,  Enthaltsamkeit,  deprimirende  Leidenschaften,  Pflanzenkost, 
wässriges  Getränk,  (sogar!)  Coilus.  —  Wenn  alle  diese  Mittel  ver- 
braucht sind  und  die  Krankheit  nicht  gebessert  ist ,  so  fängt  man 
wieder  von  vorn  an  und  wählt  unter  diesen  verschiedenen  Arzneien, 
die  ja  alle  höchstens  gradweise  differiren.  Dass,  wenn  diese  allenfalls 
für  das  erste  Fieberstadium  überall  zureichen,  später  auch  specifische 
Mittel,  wicbei  Pneumonie,  Rheumatismus,  Bräune,  Calarrh,  Schar- 
lach, Manie  u.  s.  w.,  nolhwendig  werden,  will  Brown  nicht  wissen, 
wie  er  auch  so  viele  andere  wirksame  Mittel,  unter  denen  wir  nur 
die  bei  Exanthemen  so  wohllhätigen  Bäder  nennen,  gar  nicht  er- 
wähnt. Noch  viel  leichtsinniger  und  wie  erwähnt  schadenbringen- 
der geht  Brown  bei  der  Heilung  der  asthenischen  Krankheiten  zu 


104 

Werke ,  gegen  welche  er  den  bereits  gerügten  ausschweifenden  Ge- 
brauch der  Reizmittel  eingeführt  hat.  Manches  Vortreffliche,  was 
besonders  in  der  Behandlung  der  Nervenfieber,  der  Schleim-  und 
Faulfieber,  der  Wechsclfieber  (China  ist  kein  Specificum!),  der  con- 
vulsivischen  Krankheiten,  der  Ruhr,  Kolik,  Diarrhöe,  der  Magen- 
säure [durch  stärkende  Mittel  (l93.)] ,  der  zusammenfliessenden  Blat- 
tern, der  Blulflüsse,  der  asthenischen  Entzündungen  vorkommt,  lässl 
sich  nicht  verkennen,  ist  aber  entweder  nicht  neu  oder  in  viel  zu  all- 
gemeinen und  unbestimmten  Anweisungen  gegeben.  Unter  den  Heil- 
mitteln, denn  er  sich  zur  Erfüllung  der  Indication  des  Beizens  be- 
dient, als:  Wärme,  Fleischkost  (zur  Vermehrung  der  Blutmenge  und 
dadurch  des  Reizes  auf  die  Gefässe),  Gewürze,  Bewegung,  Luft, 
Denken,  Gemüthsausirengung ,  Fieberrinde,  Branntwein,  Wein,  Cam- 
pher, Moschus,  Alkali,  Aether,  Opium  (dilfusible  Reize),  hat  bei 
ihm  das  Opium  die  allerweiteste  und  ausgedehnteste  Anwendung  ge- 
funden, weil  er  es  in  Rücksicht  auf  seine  reizende  Primärwirkung 
mit  dem  bekannten  Wahlspruch  „Minime  hercule  opium  sedat"  (nicht 
„opium  mehercle  non  sedat",  wie  gewöhnlich)  für  reizend  erklärt, 
wobei,  selbst  abgesehen  von  der  consopirendcn  Eigenschaft  desselben 
in  der  Nachwirkung,  die  qualitativ  umstimmende  gänzlich  übersehen 
ist.  Nun  kommen  zuweilen,  wie  so  oft  in  der  Medicin,  Brown's  Er- 
fahrungen mit  denen  Anderer  überein,  wenn  auch  die  Erklärung 
abweicht  (wie  z.  B.  die  consopirende  Wirkung  des  Opiums  mit 
Recht  gegen  Krämpfe ,  aber  als  reizend  gegen  Schwäche  empfohlen 
wird);  noch  weif  öfter  aber  spricht  er,  von  seinen  falschen  Prämissen 
ausgehend,  der  gesunden  Beobachtung  Hohn,  wie  wenn  er  Opium  in 
der  Hysterie  (581.),  bei  Lähmung  (641.),  bei  Kinderkrankheiten 
(Würmern,  Tabes)  (594.),  im  Abortus  und  in  vielen  andern  Fällen 
zum  offenbaren  Nachtheil  der  Kranken  empfiehlt  und  dabei  ganz  ab- 
sieht von  der  Verschiedenheit  der  Wirkung  nach  der  Dosis,  auf  die 
er  nur  eine  geringe  Rücksicht  nimmt,  von  der  Nachwirkung,  von  den 
Contraindicationen  (gastrische  Zustände,  Congestivzustände  machen 
gar  keinen  Unterschied).  Wie  schädlich  kann,  wenn  auch  zuweilen 
eine  palliative  Hülfe  durch  Opium  herbeigeführt  wird,  der  Gebrauch 
desselben  im  Typhus  werden ,  was  schon  ein  eifriger  Brownianer, 
Joseph  Frank,  eingesehen  hat!  Was  soll  Rum  und  Opium  gegen 
Hydrops  leisten?  uui  wie  viel  vorzüglicher  ist  nicht  oft  die  qualitativ 
alterirende  Behandlung  der  Krämpfe  und  Nervenkrankheiten  mit 
Metallen  als   mit   dem  momentan   beruhigenden   Opium?      Und  wie 


105 

leicht  gcwölinl  sich  der  Körper  an  diese  Reize ,  so  dass  selbst  der 
angcrathcno  Wechsel  mit  denselhen  (§.  301.)  nichts  »eiler  leistet! 
wie  leicht  vermehren  sie  die  Irritabilität  und  Reizbarkeit  des  Krau- 
ken! —  Noch  lange  hatte  die  medicinische  Welt  und  England 
bis  heule  an  den  Folgen  dieser  reizenden  Methode  zu  leiden,  — 
und  wie  viele  Opfer  mögen  im  Typhus  dieser  systematischen  Conse- 
quenz  gefallen  sein!  —  Sollen  Schweisse  bei  Krätze,  Reize  aller  Art 
bei  Diabetes,  Rhachitis,  Menslrualionsfehlern ,  Tabes  der  Kinder, 
Scorbut,  Gicht,  Wassersucht,  Epilepsie,  inlermiltirenden  Fiebern, 
Ruhr  allein  wirken  und  eine  specifisch  verschiedene  Behandlung 
überflüssig  machen?  Wie  viel  willkührliche  Verkennung  des  Krank- 
heilsprocesses,  wie  viel  leichtsinnige  Verschmähung  der  bessten  Hiilfs- 
mittel!  Daher  der  Sturz  des  Brown 'sehen  Systems!  Desshalb 
sprach  sich  seine  Therapie  das  Todesurlheil ;  dosshalb  können  wir  sie 
(ohne  selbst  den  Mangel  einer  genauen  Dosenbeslimmung,  die  mehr 
vom  Grade  der  AfFection  als  von  der  Verschiedenheit  der  Individuali- 
tät nach  Alter,  Geschlecht,  Constitution,  Temperament,  Clima  u.  s.  w. 
hergenommen  ist,  genauer  zu  urgiren)  keineswegs  als  eine  auf  dem 
siclu-rn  Boden  der  Erfahrung,  der  Krankheilserkennlniss  wie  der  Er- 
mittelung der  wahren  Heilwirkung  der  Arzneien  beruhende  Methode 
bezeichnen.  Wir  stimmen  daher  nicht  in  das  selbstzufriedene  Eigen- 
lob Brown 's  ein,  mit  dem  er  (§.607.  Anm.)  den  Spruch  des 
Asklepiades  auf  seine  Heilmethode  bezieht;  am  wenigsten  gestat- 
ten wir  ihm  den  Zusatz  „salubriter",  den  er  so  selbstgefällig  in  An- 
spruch nimmt.  Uebrigens  aber  hoffen  wir  in  einer  spätem  Abthei- 
lung dieser  Schrift  noch  Gelegenheit  zu  finden,  diesen  Schattenseiten 
unserer  vielfach  tadelnden  Kritik  auch  die  Vorzüge  mancher  patho- 
logischen und  therapeutischen  Grundlehren  eines  Systems  gegenüber- 
zustellen, das  in  geschichtlicher  und  wissenschaftlicher  Hinsicht  sei- 
nem Urheber  den  Namen  eines  geistreichen  und  genialen  Denkers  mit 
Recht  erworben  hat. 


Gescliiclite  des  Urownsclacii  Systems. 


Geschichte   des  Brownianismus   in  England 
(und  America). 

Die  besle  Beurlheilung  des  Brown'sclien  Systems  gab  die  Zeit 
selbst,  indem  sie  in  den  gescbichllichcn  Entwickelungen  den  Höhe- 
punct  und  Rückschritt  des  Systems  herbeifiihlie,  die  Erkenntniss  des 
Werthes  und  der  Wahrheiten  desselben  zeitigte.  Diese  Entwicke- 
luno- wollen  wir  nach  ihren  verschiedenen  Stadien  vorfuhren,  um  den 
Standpunct,  den  dieses  System  in  der  Geschichte  der  Medicin  ein- 
nimmt ,  zu  veranschaulichen. 

Das  Vaterland  des  Urhebers  dieses  Systems,  England,  war 
nicht  geeignet,  einen  sichern  Zufluchtsort  für  dasselbe  zu  bieten. 
Mag  auch  die  Einfachheit  und  Consequenz  des  Systems  in  dem  natio- 
neilen Character  der  Engländer  einen  Grund  finden  und  die  Lebensart 
derselben  in  einem  nebelfeuchten,  materiellen  und  monotonen  Lande 
der  Reize  mehr  als  anderswo  bedürfen,  der  practische  Sinn  der 
Brüten  ist  einem  blossen  Theoretisiren,  einem  Schematisiren  und 
Systematisiren  zu  abhold,  um  eine  mehr  als  flüchtige  Theilnahme  an 
dem  wunderbar  auftauchenden  Meteore  zu  nehmen,  das  allerdings 
ziemlich  in  der  Luft  schwebte,  obgleich  es  den  Boden  der  Erfahrung 
für  sich  in  Anspruch  nahm.  Dazu  kam,  dass  Brown's  Character 
selbst  nicht  eben  in  grosser  Achtung  stand  und  auf  seine  Schöpfung 
einen  dunkeln  Schalten  zurückwarf;  ferner  die  Aufführung  vieler 
seiner  Anhänger,  die,  grösstentheils  leidenschaftliche  und  ausschwei- 
fende .Jünglinge,  an  den  Lehren  von  den  Reizen  der  Aussenwelt  einen 
so  thiUigen  Antheil  nahmen,  dass  Bcddoes  das  System  von  dem 
Vorwurfe,   es  befördere   die  Unmässigkeit.    zu   reinigen  versuchen 


107 

mussle.  Vorzugsweise  aber  wirkte  die  Auforitäl  aller  Heroen  der 
Medicin ,  die  in  England  einen  unbeschränkten  Glauben  genossen, 
dem  neuern  Systemaliker  entgegen;  besonders  Sydenham's  hoch- 
gestellter Name  als  Wahrzeichen  alter  hippokralischer  Praxis,  und 
unter  den  Coälanen  Brown's  Cullen,  dessen  Verdienste  in  zu 
frischem  Andenken  standen  und  der  eine  zu  grosse  Anzahl  von  Schü- 
lern herangebildet  hatte,  um  von  dem  Jüngern  Zeitgenossen  verdrängt 
zu  werden;  besonders  wenn  so  unredliche  Mittel  angewendet  wurden, 
wie  Avir  sie  in  der  Lebensbeschreibung  Brown's  leider  nicht  un- 
berührt lassen  durften.  Ein  anderer  Versuch,  die  Brown'sche  Me- 
thode durch  Eröffnung  eines  Krankenhauses  für  Arme  in  Edinburg 
einzuführen,  wurde  nicht  verwirklicht,  weil  es  an  Geldmitteln  fehlte. 
Und  so  geschah  es,  dass,  nachdem  überdies  practische  Versuche  die 
Unzulänglichkeit  und  Schädlichkeit  der  Brown' sehen  Heilmethode 
gezeigt  hatten,  Girtanner  bereits  in  den  Jahren  1789  und  1790, 
in  welchen  er  England  bereiste,  in  Grossbrittanien  keinen  Arzt  mehr 
gefunden  haben  will,  der  die  Heilmetiiode  Brown's  unbedingt  be- 
folgt hätte  ■^").  Daher  ist  auch  die  Anzahl  der  in  England  erschie- 
nenen Schriften  über  das  Brown'sche  System  ziemlich  gering. 

Die  erste  Ausgabe  der  Elemente  Brown's  erschien  im  Jahre 
1780  im  lateinischen  Urtext  ^)  ■'•'■•"')•  Hier  wird  die  Ursache  der  Ent- 
stehung des  Systems  ganz  anders  erzählt  als  oben  berichtet  wurde. 
Brown  will  nämlich  durch  Nachdenken  über  die  Entzündungskrank- 
heiten, besonders  über  Pneumonie,  und  durch  Triller's  Werk  über 
diese  Krankheit  die  erste  Idee  seines  Systems  gefasst  haben  (wahr- 
scheinlich ist  hier  die  Abhandlung  Triller's  vom  Seitenstich  ge- 
meint). Da  die  zweite  Auflage,  welche  im  Jahre  1784  (Girtanner 
spricht  von  1787,  vor  uns  liegt  aber  eine  zu  Edinburg  herausgekom- 
mene vom  Jahre  178i)  ^)  erschien ,  bedeutende  Veränderungen  erlitt, 
so  lassen  sich  wohl  beide  Enfstehungsweisen  recht  gut  vereinigen, 
wenn  auch  die  erstere  Angabe  später  gänzlich  negirt  wurde.  Sehr 
wichtig  für  die  Verbreitung  des  Systems  war  aber  die  von  Brown 
selbst  kurz  vor  seinem  Tode  besorgte  englische  Uebersetzung  vom 
Jahre  1788  *),  welche  durch  eine  beträchtliche  Vermehrung  und 
weitere  Beweisführung  wie  durch  die  grössere  Verständlichkeit  und 
Klarheit   dem   System   viele  Anhänger   verschaffte   und   daher   allen 


♦)  S.  Girtanner  Brown's  System,  Vorrede  VI.     (Vgl.  unten.) 
♦♦)  Die  Zahlen  verweisen  auf  die  am  Schlüsse   beigegebene  Lite- 
ratur, welche  aus  dem  Text  verwiesen  wurde,  um  hier  nicht  zu  stören 


108 

kriliscli-hislorischen  Forschungen  zu  Grunde  gelegt  wurde  *).  Von 
den  von  Brown  selbst  herausgegebenen  Observations  on  the  prin- 
ciples  of  tbo  old  Systems  of  Physic  '^) ,  welche  im  Jahre  1787  erschie- 
nen, ist  bereits  oben  die  Rede  gewesen. 

Einer  der  eifrigsten  Anhänger  Brown's,  ihm  unmittelbar  zur 
Seite  stehend,  war  Robert  Jones,  der  jenen  obenerwähnten  un- 
seligen Versuch  mit  der  Anwendung  der  Brown'schen  Methode  bei 
einem  Studenten  machte,  worüber  sich  Duncan,  der  berühmte 
Edinburgische  Lehrer ,  in  einem  besonders  abgedruckten  Briefe  an 
R.  Jones  ^)  mit  Mässigung  und  Offenheit  ausspricht.  Ein  als  Ant- 
wort angekündigter  Gegenbrief  ^)  ist  nach  Girtanner's  Meinung 
wahrscheinlich  nicht  erschienen.  Vielleicht  rührt  von  demselben 
Verfasser  die  heftige  und  bittere  Kritik  über  die  Beköstigung  in  dem 
Edinburgcr  Hospitale  ^)  her,  die  man  eine  Zeitlang  Brown  selbst 
zuschrieb  und  welche  allerdings  bei  der  dort  gebräuchlichen  gar  zu 
schmalen  und  ärmlichen  Kost  der  Berücksichtigung  nicht  unwerth  ge- 
wesen zu  sein  scheint,  die  niedrigen  Schimpfwörter  abgerechnet, 
welche  der  Parlheigänger  Ilefligkeit  nicht  unterlassen  konnte.  Eine 
andere  Schrift  desselben  Verfassers,  Avelche  ebenfalls  Brown  von 
Einigen  zugeschrieben  wurde®),  dient  einerseils  der  Apotheose 
Brown's,  der  neben  Newton  und  Baco  gestellt  wird,  und  an- 
dererseits einer  Schmähung  und  Verunglimpfung  der  Edinbufger 
Professoren,  so  dass  sie  wahrlich  nicht  verdient  hätte,  durch  die  ge- 
schickte Feder  Joseph  Frank's  in  s  Italienische  übersetzt  und  mit 


♦)  Für  die  Besitzer  der  lateinischen  Ausgabe  diene  zum  Nach- 
weis, dass  erläuternde  Bemerkungen  in  der  englischen  Ausgabe 
hinzncefiist  wurden  zu  den  §§.  14.  15.  20.  21.  29.  31.  34—36.  39.  40. 
43.  46.  47.  50.  55—57.  60.  66.  67.  69.  71.  76.  78.  81-83.  89.  97-99. 
104—106.  112—114.  118.  120—122.  127.  129.  131.  135.  136.  140.  145. 
147.  150.  151.  158.  167—169.  170.  172.  174.  176—183.  186.  189.  190. 
J94_199.  200.  205.  206.  208.  212.  213.  215.  216.  220.  221.  227—230. 
232—234.  236.  238.  240.  244.  247.  254.  258.  260.  269-272.  277.  278. 
281.  285.  290—292.  305.  311.  312.  322.  324.  326.  327.  331.  332.  334. 
335.  338.  343—346.  348.  351.  358.  359.  364.  367.  380.  391.  394.  396. 
397.  400.  401.  406.  419.  423.  425.  437.  446.  450-452.  458.  466.  471. 
472.  476.  490.  491.  493.  498.  532.  562.  575.  587.  589.  594.  598.  602. 
604.  605.  607.  609.  611.  625.  630.  637.  656.  659-663.  665.  678.  680. 
682.  687-689.  696.  698.  702.  704.  706.  711.  715.  726.  737.  751.  Zu- 
sätze im  Text  erhielten  die  g.^".  17.  21.  37.  48.  49.  53  62.  71.  126 
—  128.  130.  134.  137.  138.  (die  Zahl  der  ^'g.  rückt,  dafür  fällt  der 
§.  150.  der  lateinischen  Ausgabe  weg)  149.  175-236.  238.  279.  289. 
460.  595.  Veränderungen  erlitten  die  §§.  93.  94.  104.  108.  198. 
239.  241-243.  250.  268.  526.  603.  etc.  Bei  §.  303.  hat  die  englische 
Ausgabe  ein   neues  Capitel. 


109 

Aiiincikimgcn  und  Zusälzcn  bereichert  zu  werden.  In  dem  soge- 
nimnlen  philosopliisclien  Theilc  entwickelt  der  Verfasser  die  Gründe, 
wariiin  die  Modicin  im  Gegensalz  zu  den  übrigen  Wissenscliaflcn  und 
Künsten  stehen  geblieben  sei  und  findet  diese  in  der  Syslemsucht,  in 
der  Erforschung  der  nächsten  Ursaclien  statt  des  ^^'ic  der  A^"irkungen, 
in  der  Nichtbenutzung  der  Analogie  und  Induclion  und  in  der  Vorliebe 
für  Hypothesen.  Der  practische  Theil  enthält  die  Geschichten  von 
Krankiicilen,  wie  sie  von  Gregory  in  Edinburg  behandelt  wurden 
und  wie  sie  hätten  auf  Brown' sehe  Weise  behandelt  werden  müs- 
sen; ferner  wichtige  (I)  practische  Beobachtungen  über  Brown  und 
seine  Schüler  und  —  heftige  Ausfälle.  Endlich  machte  derselbe 
Robert  Jones  einen  letzten,  selbst  von  Brown  gemissbilligten 
Versuch  die  Augen  der  Welt  auf  sich  zu  ziehen,  indem  er  sich  durch 
eine  besondere  Schrift  über  Nervenfieber  ^)  dem  damaligen  unglück- 
lichen Könige  von  England  zum  Arzte  vorschlug  und  ihn  auf  Brown'- 
sche  Weise  herzustellen  versprach.  Auch  dieser  Versuch  miss- 
glückle. 

Andere  Anhänger  Browns  in  England  waren  Samuel 
Lynch  ^^),  von  welchem  die  in  der  englischen  Ausgabe  der  Ele- 
mente und  bei  Bcddoes  befindliche,  auch  von  Pf  äff  benutzte  Ta- 
belle der  Erregung  herrührt,  die  allerdings  zur  Uebersicht  recht 
geeignet  ist;  George  Mossman^^)  (obgleich  er  von  Weikard 
als  Gegner  bezeichnet  wird  [s.  dessen  Vorrede  zum  medicinisch  practi- 
schen  Handbuch]),  der  in  einer  unbedeutenden  Schrift  die  reizende 
Kraft,  des  Opiums  und  die  nützlichen  Dienste  des  Weins  und  der 
Chinarinde  im  Faulfieber  aus  eigner  Erfahrung  preist;  Kentish^^), 
ein  eifriger  Anhänger  Brownes  und  heftiger  Tadler  anderer  Aerzte; 
John  Franks  ^^),  Verfasser  einer  von  Bertoloni  in  das  Italie- 
nische übersetzten,  in  rohem  Styl  verfassten  Schrift,  die  mehr  zur 
Vertheidigung  Brown's  gegen  die  Londoner  Aerzte  als  zur  Ent- 
•wickelung  selbstständiger  Ansichten  dient.  Ferner  gehören  hieher 
Stewart  (de  spasmo),  Campbell  (opium  in  nerv.  fev.).  Von 
Fr.  Carter  ^'^')  (den  ebenfalls  Weikard  als  Gegner  bezeichnet) 
rührt  noch  ein  kurzer  Bericht  über  die  verschiedenen  Systeme  der 
Medicin  her ,  an  den  sich  eine  wörtliche  Wiederholung  von  B  r  o  w  n's 
Anfangsgründen  mit  einigen  Aenderungeu  ganz  im  Sinne  Brown's 
anscbliesst.  Aus  der  Beddo  es 'sehen  Ausgabe  machen  wir  noch 
die  Bekanntschaft  eines  andern  Brownianers,  des  T.  Chris tie  ^^), 
der  die   Brown'schen  Grundsätze   durch  Vergleichungen   in    einer 


110 

besondern  Abhandlung  populär  zu  machen  suchte,  indem  er  den 
Körper  mit  einem  Ofen,  die  Erregbarkeit  mit  Brennmaterialien  und 
das  Leben  mit  dem  durch  Luftzug  unterhaltenen  Feuer  verglich.  Wie 
die  in's  Feuer  geblasene  Luft  mehr  Flamme  erzeuge ,  aber  auch  die 
Feuerung  verzehre,  so  sei  es  auch  mit  dem  Leben.  Diesen  Ver- 
gleich führt  er  streng  zur  Erklärung  der  beiden  Arten  von  Schwächen 
durch  u.  s.  w.  und  nimmt  sogar  den  Ausspruch  eines  römischen  Dich- 
ters als  Bestätigung  des  Brown 'sehen  Systems,  wenn  er  singt: 

Balnea,  Vina,  Vemis  consumunt  corpora  nostra, 
Sed  vi  tarn  faciunt  13alnea,  Vina,  Venus. 

Ferner  lernen  wir  aus  Trott  er  (s.  unten)  einen  Dr.  Milman  als 
Brownianer  kennen. 

Thätiger  jedoch  waren  die  Gegner  Brown' s.  Wir  haben 
gesehen,  wie  sie  bereits  bei  seinen  Lebzeiten  seine  Grundsätze  an- 
griffen und  selbst  die  Persönlichkeit  des  Reformators  nicht  verschon- 
ten. Ein  komisches  Heldengedicht^^),  dessen  Verfasser  sich  Ju- 
lius Juniper  nennt,  schildert  die  Streitigkeiten  zwischen  den 
Brownianern  und  ihren  Gegnern,  und  obgleich  der  Dichter  selbst  zu 
den  ersteren  zu  gehören  scheint,  so  hält  ihn  dies  doch  nicht  ab,  sich 
über  die  Trunksucht  Brown's,  seinen  umfangreichen  Wanst  und 
gleich  Falstaff  über  die  Karfunkeln  auf  der  Stirn  und  die  rosa- 
farbene Nase  lustig  zumachen.  Ein  würdigerer  Gegner  war  Trot- 
ter ^^)  in  seiner  vortrefflichen  Schrift  über  den  Scorbut,  in  welcher 
er  die  Meinung  von  der  Fäulniss  der  Säfte  der  Annahme  von  Brown 
gegenüberstellt.  Er  sagt  unter  Anderm  sehr  richtig  von  Brown's 
Lehre:  „Diese  Lehre  Avar  mehr  dazu  gemacht,  sich  der  Einbildungs- 
kraft zu  bemächtigen,  als  den  Verstand  zu  erleuchten;  auch  war  sie 
geschickter,  die  Phantasie  speculativer  Köpfe  zu  bezaubern,  als  die 
Zweifel  practischer  Aerzfe  zu  lösen.  Dadurch,  dass  Brown  nach 
allzu  grossen  Dingen  strebte,  verlor  er  Alles."  Verschiedene  Theile 
der  Lehre  lobte  er  jedoch.  „Da  wo  das  Ueberströmen  des  Genies 
Brown  nicht  zu  Fehlern  verleitete,  machte  er  mit  gutem  Erfolge 
die  Ungereimtheiten  langweiliger  Professoren  lächerlich."  Er  rühmt 
den  freieren  Gebrauch  der  Reizmittel  bei  Brown,  sagt  aber  über 
die  Praxis  Desselben:  „Den  Studenten  schien  die  Lehre  hinreissend, 
einfach  und  vollständig;  aber  die  Unmöglichkeit,  ihre  Vorschriften 
mit  der  Erfahrung  am  Krankenbette  in  Uebereinstimmung  zu  bringen, 
war  der  Grund ,  warum  nachdenkende  Beobachter  diese  Vorschriften 
nur  mit    grosser   Vorsicht    anwandten.      Man    musste    misstrauisch 


111 

werden,  wenn  man  einerseits  die  Selbstgenügsamkeit  der  Anhänger 
Brown 's,  andererseits  aber  den  Schrecken  sah,  in  Avelchen  eben 
diese  Anhänger  über  irgend  einen  unerwarteten  Krankhcitszufall  ge- 
rielhen,  oder  über  das  Missliugcn  ihrer  Curen.  Anstalt  age  et  vince 
hätte  er  lieber  sagen  sollen:  parce  puer  stimulis."  —  Dieselbe  Ten- 
denz Iheilt  eine  in  massigem  und  überzeugendem  Tone  geschriebene 
kleine  Abhandlung  eines  Anonymus  ^^),  welcher  vorzüglich  durch 
den  Missbrauch  des  Opiums  und  anderer  Reizmittel  den  Schaden  und 
die  Gefahr  der  Brown  sehen  Heilmethode  zeigt.  Unter  allen  engli- 
schen Beurtheilern  Brown's  nimmt  aber  Thomas  Beddoes^^) 
die  erste  Stelle  ein.  Er  veranstaltete  in  der  edelmüthigsten  Absicht, 
zur  Unterstützung  der  darbenden  Hinterlassenen  Brown's,  eine 
neue  Ausgabe  seines  Systems,  obgleich  er  (ein  Beweis,  wie  schon 
1795  die  Theiluahmo  für  dasselbe  gering  war)  wenig  HolTnung  auf 
Erfolg  hatte,  und  sprach  sich  in  allen  seinen  Werken,  besonders  auch 
in  seinen  Observations  on  the  nature  and  eure  of  calculus,  seascurvy, 
consuniption  etc.,  vorurlheilsfrei  und  unpartheiisch  darüber  aus.  Seine 
Bemerkungen  über  Brown's  Character  und  Schriften  zeugen  von 
ebenso  grossherziger  Gesinnung  als  tiefer  Menschenkenntniss,  die, 
mit  einem  guten  Humor  vereint ,  sich  auch  in  den  beigefügten  Notizen 
über  den  Ruf  und  die  Eintheilung  der  Aerzle  wiederfinden.  Um  den 
Text  selbst  hat  er  bei  der  Nachlässigkeit,  mit  welcher  Brown  ver- 
fuhr, durch  grössere  Correctheit  und  bessere  Anordnung  viel  Ver- 
dienste. In  seiner  Kritik  der  Brown'schen  Grundsätze  erkennen  vir 
einen  umsichtigen  Beurtheiler ,  der  gleich  weit  entfernt  vom  Parthei- 
hass  wie  vom  verblendeten  Enthusiasmus,  das  Gute  und  Brauchbare 
von  der  Spreu  zu  sondern  versteht.  Beddoes  tadelt  besonders 
die  Annahme  eines  bestimmt  zuertheilten  Maasses  der  Erregbarkeit 
(er  will  die  beständige  "Wiedererzeugung  derselben  statuirt  wissen), 
die  Behauptung,  dass  alle  Reize  auf  gleiche  Art  wirken  (er  zeigt  die 
Widersprüche  in  der  Annahme  einer  örtlich  verschiedenen  Wirkung 
u.  s.  w.),  den  Mangel  specifischer  Reize,  die  schlechten  Erklärungen 
der  Gefässfunctionen ,  die  Definition  der  Anlage  zu  Krankheiten ,  die 
Lehre  von  der  Erblichkeit,  von  dem,  besondern  Sitze  der  sthenischen 
Entzündungen,  von  der  Natur  der  Leidenschaften,  die  Ausschliessung 
sthenischer  Entzündungen  von  den  Kinderkrankheiten,  die  unvoll- 
ständige Darstellung  der  heilsamen  Wirkungen  der  Kälte,  die  Gäh- 
rung  der  Ansteckungsmaterien.  Lobend  wird  erwähnt,  dass 
Brown's  System  eher  vor  Ausschweifungen  warne  als  sie  befördere 


112 

(was  man  ihm  vorgeworfen  halte),  dass  Brown  alles  Haschen 
nach  Analogieen  vermieden ,  sich  auf  den  Beobachtiingskreis  der 
Aerzle  beschränkt  halte  und  dass  er,  wenn  er  auch  nicht  immer  die 
Wahrheit  entdeckte,  doch  nur  selten  von  dem  Geiste  der  Philosophie 
verlassen  worden  sei.  (Vereinigt  sich  mit  dieser  Behauptung  eine  an- 
dere von  Beddoes,  nach  welcher  Brown  die  Natur  tanquam  ex 
praealta  turri  betrachtet  habe  und  nach  welcher  ihm  eigne  Beobach- 
tungen fehlten?)  Eine  vollständigere  Kritik  lag  nicht  in  der  Absicht 
von  Beddoes,  da  mancherlei  Abschweifungen ,  die  nicht  eigentlich 
dahin  gehören ,  selbst  diesem  kurzen  Abrisse  den  Baum  für  weitere 
Ausführung  nehmen.  —  Neben  dieser  Beurtheilung  ist  die  für  die 
damalige  Epoche  sehr  achtungswerthe  Kritik  Her  dm  an' s  ^^),  die 
sich  durch  ruhige  und  klare  Anschauung  auszeichnet  und  der  Organi- 
sation, obgleich  ohne  tiefere  Ergründung  des  Lebens,  ihr  Becht 
widerfahren  lässt,  sehr  zu  empfehlen,  wenngleich  er  in  der  Haupt- 
sache den  Brown'schen  Grundsätzen  huldigt.  Der  scharfsinnige 
Verfasser  führt  an,  der  Streit  über  slimulireiide  und  sedative  Reize 
sei  nur  Logomachie,  indem  Uebereinkunft  in  den  Tliatsachen  herrsche. 
Nach  ihm  giebt  es  gesunde,  krankhafte  und  künstliche  Beiz-  oder 
Sedativmittel,  die  auch  direct  wirken.  Das  Leben  besieht  durch 
Einwirkung  der  Beize,  bedingt  durch  die  Organisation  und  deren 
Modification  u.  s.  w.  (z.  B.  in  verschiedenen  Lebensaltern),  daher  die 
Zustünde  der  Organisation  und  Erregbarkeit  nur  Tauscliworte  sind. 
Bedingung  der  Modificalionen  ist  die  Fähigkeit  für  den  Beilritt  neuer 
Materie;  Schwäche  ist  allemal  mit  vermehrter  Erregbarkeit ,  der  Be- 
gleiterin einer  geschwächten  Organisation  verbunden ,  so  auch  die 
indirecte  Asthenie,  welche  Avesentlich  von  der  directen  nicht  ver- 
schieden ist.  Die  Wirkungen  der  Beize  stehen  im  Verhällniss  zu 
der  Kraft  der  Organisation.  Das  beste  Mitlei,  die  directe  Schwäche 
zu  entfernen,  seien  gesunde  Reize;  daher  die  Praxis  der  starken 
Reizmittel  schädlich.  Starke  Reizungen  bei  indircclcr  Asthenie, 
selbst  in  dem  nämlichen  Grade,  wo  die  Asthenie  erzeugt  wurde,  sind 
schädlich.  Sthenie  ist  die  höchste  Stufe  der  Gesundheit.  Da  sthe- 
nische  Potenzen  sciiwächen,  so  kann  nach  der  \^'irkung  sthenischer 
nur  Schwäche  des  Organismus  da  sein,  folglich  Sthenie  =  Schwäche 
(also  doch  nicht  die  höchste  Stufe  der  Gesundheit?).  Die  Mannigr 
faltigkeit  der  Reize  lässt  sich  nicht  auf  allgemeine  Grundsätze  zurück- 
führen. Es  giebt  qualitative  Unterschiede.  Verdaulichkeit,  Er- 
nährungsfähigkeit z.  B.   beruht  nicht  blos   auf  Reiz;    die  chemische 


113 

Action ,  das  Verhältniss  der  einzelnen  Siihsfanzen ,  die  Allraclions- 
kraff  zu  dem  Organismus  sei  auch  zu  berücksichtigen.  Deprimirende 
I  eidenschaften  seien  nicht  hlos  sclnvächere,  sondern  wirklich  sedi- 
rende,  stillende  Reize.  Leider  konnten  wir  die  von  Eble  in  seiner 
Forlscfzung  Spreng-el's  erwähnte  Schrift  von  Morison^^)  wie 
die  in  SprengeTs  Lit.  med.  ext.  rec.  Lips.  1829.  aufgeführte  Kritik 
Thornton's  ^-)  und  die  vergleichende  Uebersicht  Baeta's-') 
zwischen  Cullen,  Brown  und  Darwin  (ebendas.)  nicht  erlangen 
und  müssen  uns  daher  mit  ihrer  Erwähnung  begnügen.  —  Trotz 
aller  Angriffe  aber,  ja  selbst  trotz  des  Zwiespalles  im  Lager  der 
Verbündelen  selbst  (denn  die  eigenen  Schüler  Brown's  waren  über 
die  Haupfgrundsätze  uneinig  und  übten  eine  verschiedene  Praxis,  die 
sich  jeder  selbst  zu  bilden  suchte  und  bei  der  vagen  Bestimmung  der 
Therapie  suchen  nuissle)  hatte  das  neue  System  eine  Zeitlang  einen 
merkwürdigen  Einfluss  auf  die  Veränderung  der  Meinungen  und  des 
Heilverfahrens  der  Aerzte  und  noch  jetzt  kann  eigentlich  die  grosse 
Vorliebe  der  Engländer  für  reizende  und  stärkende  Mittel ,  die  aller- 
dings auch  das  nebelfeuchte  und  zehrende  Klima  zu  fordern  scheint, 
auf  die  damalige  (von  Brown  begründete)  Methode  reducirt  werden, 
die  sonach  theilweiss  erst  später  sich  Geltung  verschaffte.  Offen 
oder  versteckt  entlehnte  man  Grundsätze  und  Definitionen  von 
Brown  und  unvermerkt  gingen ,  ohne  dass  das  System  als  Ganzes 
sich  verbreitet  hätte,  viele  seiner  Begriffe,  namentlich  die  der  Erreg- 
barkeit, der  Sthenie  und  Asthenie,  in  die  Schriften  der  damaligen 
Zeit  über,  so  dass  es  nicht  schwer  fällt,  in  den  meisten  damals  er- 
schienenen Werken  den  Einfluss  des  neuen  Systems  wiederzufinden. 
So  findet  z.B.  Robert  Robertson^*),  ein  alter  Mann,  der  30 
Jahre  Schiffswundarzt  war,  im  Brown'schen  System  Bestätigung  sei- 
ner früher  geschöpften  practischen  Ueberzeugung,  obgleich  diese 
von  Empirie  strotzt,  indem  der  Verfasser  bei  Fiebern  erst  Emetica, 
Laxantia ,  Sudorifica ,  dann  Derivativa,  Laxantia ,  zuletzt  Incitanlia 
giebt.  So  hat  auch  Philips  Wilson--'')  in  seiner  Abhandlung 
über  Fieb^,  welche  im  Jahre  1799  erschien,  Brown'sche  Termini, 
obgleich  er  sich  in  Bezug  auf  Theorie  und  Praxis  wesentlich  von  ihm 
unterscheidet,  Erregung  und  Atonie,  Stimuli  und  Atonica  (nach 
Cullen)  gegenüberstellt.  Er  definirt  Gesundheit  als  einen  Zu- 
stand massiger  Reizung  oder  Erschöpfung.  Einfaches  Fieber  ist  ihm 
die  einzige  allgemeine  Krankheit,  d.  i.  übermässige  Reizung  oder 
Schwächung   aller  Functionen;    alle   andern   Krankheiten   sind   nach 

8 


114 

Pli.  Wilson  entweder  local,  oder  allgemein  und  local.  Als  Indi- 
cation  gegen  Fieber  stellt  er  Miissigung  der  Reizung,  Entfernung  der 
Atonie  auf.  Hiernach  richtet  sich  die  Behandlung  der  febris  con- 
tinua  elc.  Er  sagt  nicht  unrichtig:  „Dr.  Brown  alone  has  made 
several  steps  towards  a  truc  sys'em  of  medecine,  but  in  taking  a  few 
right  Steps  he  has  (as  indeed  inight  have  been  expected  from  the 
State  in  which  he  found  the  subject)  taken  many  wrong  ones. 

Auch  nach  America  verbreitete  sich  d:ts  neue  System,  wie 
es  die  enge  wissenschaftliche  Verbindung  des  Tochterwelttheils  mit 
dem  Mutterlande  wahrscheinlich  machte.  Bereits  im  Jahre  1790  er- 
schien zu  Philadelphia  ein  unveränderter  Abdruck  der  englischen 
Ausgabe  der  Elemente '■^^).  Von  Buchanan  auf  Baltimore,  einem 
eifrigen  Anhänger  Brown 's,  besitzen  >vir  eine  Schrift  über  den 
Typhus  ^^),  welche  nach  Gir tanner  nirgends  Aufseben  erregte 
und  von  Unwissenheit  zeugte.  Ein  bedeutendes  Gewicht  aber  in  die 
Wagschale  für  Brown  legte  der  Uebertritt  eines  alten  erfahrenen, 
an  practischem  Scharfsinn  und  belehrender  Beobachtungsgabe  rei- 
chen Arztes,  des  Dr.  Ben j.  Bush  in  Philadelphia,  dessen  medicini- 
sche  Untersuchungen  und  Beobachtungen  -^)  die  Aufmerksamkeit  der 
ärztlichen  Welt  verdienen.  Er  entschuldigt  in  der  Vorrede  zu  die- 
sem Buche  den  erst  im  zweiten  Bande  der  Enquiries  erfolgten  Ueber- 
tritt mit  dem  durch  Anhänglichkeit  an  falsche  Theorieen  herbeige- 
führten Mangel  an  glücklichen  Heilresultaten  trotz  ausgedehnter 
Beschäftigung,  wie  wir  auch  heuligen  Tages  noch  gerade  in  den 
erfahrensten  Aerzten  die  grösste  Sehnsucht  nach  Verbesserung  un- 
serer practischen  Iliilfsmiltel  finden.  Er  suchte  die  neuen  Mei- 
nungen nicht,  sondern  sie  drangen  sich  ihm  auf,  und  das  Bestehn  auf 
einer  Theorie  oder  Praxis  hält  er  mit  Recht  für  die  Folge  einer 
schüchternen  und  trägen  Beharrlichkeit  in  Unwissenheit  oder  Irrthum. 
Zwar  ein  Schüler  Cullen's,  sucht  er  doch  die  Wahrheit  in  allen 
Systemen  auf,  wenn  auch  ein  vollständiges  System  erst  nach  Jahr- 
hunderten möglich  sein  sollte.  So  nimmt  er  auch  nur  theilweise 
Brown's  Ideen  auf,  wie,  um  nur  eins  anzuführen,  aus  den  Abhand- 
lungen über  die  Wirkungen  geistiger  Getränke  erhellt,  denen  er  erst 
Reizung,  dann  Beruhigung  zuschreibt.  In  seiner  so  viel  Vortreff- 
liches enthaltenden  Abhandlung  über  die  Ursachen  und  Heilart  der 
Lungenschwindsucht  nennt  er  diese  eine  Krankheit  von  Schwäche  des 
ganzen  Körpers ,  erklärt  die  Tuberkeln  u.  s.  w.  für  Wirkungen  der 
Schwäche,   welche  die  Lungengefässe  mit  Schleim   anfüllen,   nimmt 


115 

die  Kranklieilen  nur  als  höhere  oder  niedere  Grad  »fionen  u.  s.  w. 
In  der  Behandlung  des  ersten  Stadiums  rühmt  er  neben  Stahl  und 
Rinde  noch  kaltes  Baden.  Die  Behandlung  der  entzündlichen  Schwind- 
sucht mit  Blutlassen,  Pflanzenkost,  Brechmittel,  Salpeter  ist  ganz 
BroNvnisch;  unter  den  lieizmitleln  erwähnter  aber  meist  speciiische, 
wie  Theer  u.  s.  >v. ,  neben  dem  üftern  Gebrauch  des  ,, nicht  gehörig 
erkannten"  Opiums  und  empfiehlt  Derivantien,  Räucherungen  u.  s.  w. 
Seine  diätetischen  Vorschriften  sind  ganz  vorzüglich.  Auch  in  der 
Abhandlung  über  "NN'assersucht  ist  die  Terminologie  Bruwnisch. 
Doch  unterscheidet  Bush  genau  tonische  und  atonische  Wassersucht 
und  spricht  ausdrücklicli  vom  Schaden  der  Reizmittel  bei  ersterer, 
gegen  welche  er  die  antiphlogistischen  und  schwächenden  Heilmittel 
anempfiehlt.  Gegen  letztere  erwähnt  er  die  specifischen  Mittel  neben 
Opium.  Die  "NA'irkung  der  Kälte  erklärt  er  Mie  Brown  durch  grös- 
sere Emptänglichmachung  für  andere  Reize.  —  Das  wichtigste  Werk 
für  uns  bleibt  aber  Rush's  Bericht  über  das  biliöse  remittirende 
gelbe  Fieber -^),  Avelches  im  Jahre  1793  in  Philadelphia  herrschte. 
Rush  wendete  nämlich  unter  dem  'N\'iderspruche  der  dortigen  practi- 
schen  Aerzte  die  Brown'sche  Theorie  auf  die  Behandlung  dieses 
Fiebers  an  und  rettete  durch  die  schwächende  Heilmethode  eine  aus- 
serordentlich grosse  3Ienge  von  Kranken.  In  dieser  Schrift  ist  er 
schon  entschiedener  den  Brown'schen  Ansichten  beigetreten;  er  be- 
trachtet die  Ansteckungsmaterie  blos  als  Reiz  verursachendes  Mittel, 
das  im  höhern  Grade  indirecte  Schwäche  erzeuge,  und  führt  als  Ur- 
sachen dieser  uneigenllichen  wie  der  eigentlichen  Schwäche  Furcht, 
Kummer,  Kälte,  Schlaf,  Ausleerungen  ganz  im  Geiste  Brown 's  auf, 
wenn  er  auch  nichtsdestoweniger  den  Aderlass  als  das  souveränste 
Mittel  in  dieser  Krankheit  rühmt.  —  Wie  überall,  scheint  auch  in 
America  besonders  die  Jugend  durch  das  System  geblendet  worden 
zu  sein;  wenigstens  geht  dies  aus  einer  Stelle  bei  Beddoes  her- 
vor, der  einige  zu  Philadelphia  im  Sinne  Brown's  verfasste  In- 
auguraldissertationen anführt,  welche  als  Beweise  dafür  zu  erwähne- 
sein  dürften.  (Hieher  gehört  wahrscheinlich  auch  der  in  Choun 
lant's  Bibl.  med.  bist,  erwähnte  Rees  ^°). 

Geschichte   des   Brownianismus   in  Italien. 

Mehr  Elemente   für    günstige  Aufnahme    des  Brown'schen  Sy- 
stems   fanden  sich   in  Italien  vor,    wo  in    der  That    bald    nach    dem 

8  •■••• 


116 

Bekanntwerden  desselben  eine  grosse  Gährung  in  der  ärztlichen 
Welt  entstand.  Italien  hat  von  jeher  in  der  Geschichte  der  Mcdicin 
einen  guten  Einfluss  geübt.  Es  war  nicht  der  reformatorische  Fort- 
schritt in  der  Idee,  der  philosophische  Anbau  der  Mcdicin,  wodurch 
sich  italienische  Aerzte  auszeichneten  (daher  auch  z.  B.  die  Lehre  des 
Paracelsus  daselbst  fast  gar  keine  Anhänger  fand),  sondern  es 
waren  mehr  die  realen  Forschungen,  die  sich  in  Italien  einer  günsti- 
gen Pflege  erfreuten.  Die  Schulen  zu  Monte  Cassino  und  Salerno 
wurden  zu  Asklepieen  der  neueren  Zeit;  die  Namen  eines  Sali c et o, 
Lanfranchi,  Mundini,  Valsalva,  Lancisi,  Morgagni, 
Caldani,  Mascagni,  Scarpa,  Ramazzini,  Baglivi  haben 
einen  guten  Klang,  Daneben  aber  laufen  abergläubische  und  schola- 
stische Bestrebungen  und  Charlatanerieen  aller  Art.  Wie  nun  das 
Volk  in  politischer  Hinsicht  nach  und  nach  unterging  und  seiner 
Selbstständigkeit  verlustig  w^urde ,  erhob  sich  auch  die  geistige  Er- 
fassung der  Medicin  nur  bis  zur  ialromathematischen,  mechanischen 
Ansicht  des  Lebens.  Derselbe  Grund  der  Unlust  an  tieferem  philo- 
sophischen Eingehen  in  die  Idee  und  die  Principienfragen  des  Lebens 
und  das  bequeme  Verweilen  in  Abhängigkeit  und  Unselbslständig- 
keit,  welches  so  offen  in  dem  Brown'schen  System  ausgebreitet  liegt, 
mochten  auch  diesem  System  in  Italien  Thor  und  Riegel  öffnen  und 
es  auf  lange  Zeit  erhalten,  ohne  das  System  selbst,  wie  es  in  Deutsch- 
land geschah,  tiefer  und  philosophischer  zu  entwickeln.  Auch  hier 
war  es  zunächst  eine  der  Praxis  unkundige  Jugend,  welche,  geblendet 
von  der  auf  der  Oberfläche  der  Erscheinung  frei  liegenden  Erkennt- 
niss  und  der  Einfachheit  der  ganzen  Construction ,  in  der  Freude  über 
die  sanskülotische  Vernichtung  des  historischen  Bodens  der  Medicin 
diesem  neuen  Ankömmlinge  huldigte.  Nur  der  von  Alters  her 
stammende  practisch- reale  Beobachtungsgeist  italienischer  Aerzte 
schützte  gegen  die  Verdrehung  und  Missdeutung  der  Erschei- 
nungen, die  den  völligen  Umsturz  der  bisherigen  Praxis  herbeiführen 
mussten.  —  Ein  Zufall  war  es,  der  das  Brown'sche  System  nach 
Italien  verpflanzte.  Die  Enquiry  von  R.  Jones  gelangte  nämlich 
von  ungefähr  nach  3Iailand  und  Pavia  und  erregte  dort  die  Aufmerk- 
samkeit und  die  Theilnahme  mchrer,  besonders  jüngerer  Aerzte,  die 
sehr  bald  Anhänger  des  neuen  Systems  wurden.  Deshalb  veran- 
staltete im  Jahre  1792  Massini  eine  neue  Ausgabe  der  lateinischen 
Elemente  Brown's  ^^)  und  das  so  gewissenhaft,  dass  selbst  die 
Druckfehler    der    Edinburger    Ausgabe    nicht    fehlen.      Ihr    suchte 


117 

Pietro  Jloscati,  Professor  in  Mailand,  durch  den  aus  England  ge- 
kommenen Locatelli  mit  dem  Brown'schen  System  bekannt  ge- 
worden, durch  eine  Vorrede  Eingang  zu  verschaffen,  nicht  um  Pro- 
selyten  zu  machen,  da  er  selbst  das  Brown'sche  System  nicht  gänzlich 
billigte,  sondern  mehr  um  der  Humoralpalhologie  eines  Boerhave 
und  den  Theorieen  eines  Redi,  Bellini,  Borsieri  zum  Nutzen 
der  gänzlich  unbekannten  Nervenpathologie  entgegenzuarbeiten  und 
die  schwächende  und  ausleerende  Methode  zu  beschränken.  Also 
auch  hier  wieder  wie  überall  war  doch  das  Brown'sche  System  ein 
historisches  Postulat,  bestimmt  durch  Irrthümer  auf  den  Weg  zur 
Wahrheit  zu  fuhren,  und  auch  hier,  Avenn  auch  nur  auf  indirectem  und 
negativem  Wege,  ein  Bedürfniss  der  Wissenschaft,  welche  unter  Ein- 
seitigkeit seufzt,  aber  durch  Opposition  der  Einseitigkeiten  selbst 
ihren  Fortschritt  feiert.  Moscati  verlangt  Aufmerksamkeit,  tiefes 
Forschen  und  Nachdenken  für  die  Leser  des  neuen  Systems  und 
scheint  es  demnach  nicht  als  eine  ephemere  Erscheinung  betrachtet 
wissen  zu  wollen,  obgleich  er,  wie  eine  spätere  Schrift  ^^)  lehrt, 
von  Systemen  der  Medicin  nicht  viel  hält,  da  sie  mehr  schaden  als 
nützen,  während  die  Erfahrung  die  beste  Führerin  sei.  —  In  dem- 
selben Jahre  erschien  auch  eine  italienische  Uebersetzung  der  Obser- 
vations  von  Rasori^^)  mit  Anmerkungen  und  einer  Vorrede,  die 
Brown  mit  Baco  und  Newton  zusammenhält,  und  nach  einer 
Vergleichung  der  Brown'schen  Ansichten  mit  Sauvages's,  Chan- 
geux's,  Haller's  und  Girtanner's  Theorieen  (welche  letztere 
als  Copie  erklärt  wird)  jenen  so  viel  Werlh.  beilegt,  dass  sie  die 
besten  Köpfe  zur  Bestreitung  ihrer  Irrthümer  und  zur  gründlichen 
Widerlegung  anfeuern  sollten.  Ihre  Anwendung  auf  die  Chirurgie  wird 
besonders  gerühmt  und  die  Hauptgrundsätze  derselben  werden  der 
Kritik  dringend  empfohlen.  „Wenn  sie  eine  Chimäre  ist,"  sagt 
Rasori,  ,,so  ist  nie  eine  so  verführerische,  so  philosophische  Chi- 
märe erschienen."  Wahrhaft  prophetisch  aber ,  ohne  es  zu  wollen, 
ist  der  Schluss  dieser  Rede,  in  welcher  es  heisst;  ,,Ein  falsches 
System,  welches  immer  desto  gefährlicher  in  der  Arzneikunst  ist, 
je  glänzender  es  ist  und  je  mehr  es  Einfluss  auf  Ausübung  zu  haben 
scheint,  verdient  allerdings,  dass  man  es  sogleich  bei  dem  Puncte 
seiner  Entstehung  vertilge,  um  den  Unvorsichtigen  die  verborgene 
Quelle  eines  täuschenden  Irrthums  bekannt  zu  machen,  welchem  sie 
sonst  zum  grösslen  Nachtheil  der  Theorie  und  Praxis  nachrennen 
möchten.      Auf  diese  Weise  würde  auch   hier   eintreffen,   was   bis 


118 

jetzt  in  dem  grössten  Theile  der  in  vielen  Zweigen  der  Wissenschaft 
geschehenen  Fortschritte  sich  zugetragen  hat.  wo  wir  die  Bekämpfun- 
gen und  Zerstörungen  der  Irrtliiiuicr,   welche  nach  und  nach  empor- 
kommen, weit  häufiger  antreffen,  als  festgesetzte  positive  Wahrheiten. 
Wenn  auch  noch  dieses   irrige  Lehrgebäude,    wofern  es  irrig  sein 
sollte,  zerstört  würde,  so  würde,  wenn  es  auch  durch  kein  anderes 
ersetzt  werden  sollte,   doch  eine  negative  Wahrheit  begründet  wer- 
den:   man   würde    zeitig   einen    falschen  Weg   versper- 
ren,  welcher,   wer   weiss   wie   viele   unnütze  Anstren- 
gungen der  Nachkommenschaft,   die   ihn   würde  weiter 
ausbilden    und    bahnen    wollen,     verschlungen    hätte. 
Nachdem   noch   Monteggia,    obgleich  er  Brech-  und  Purgirmitlel 
nicht  in  allen  asthenischen  Krankheiten  ausscliliesst  und  die  Einflüsse 
der  Constitution,  Jahreszeit,  Epidemie,  die  specifischen  \A'irkungen, 
die  Unterscheidung  der  Entzündungen  nach  Oberfläche  und  Substanz 
bei  Brown  vermisst,    in  zwei  Briefen  ^^)  durch  eine  Uebersicht  des 
Systems  die  Bahn  gebrochen  hatte,  wurde  das  Interesse  an  der  neuen 
Lehre  immer  allgemeiner,   wozu  auch   nicht  wenig   die  schon   früh- 
zeitig erwachsenden  Gegner  beitrugen.      Denn  bereits  im  Jahre  1793 
und  179i,   nachdem  von  Schmuck  ^^)  zu  Gunsten  Brown's  noch 
ein   unverständliches  Geschwätz   abgehalten   worden  war ,   entspann 
sich,     vorzüglich  in    dem    physikalisch- medicinischen  Journal   von 
Brugnatelli,    ein  heisser  Kampf  zwischen  Monteggia  und  Ge- 
mello  Villa  ^*^).      Dieser  tadelt  die  Vernachlässigung  der  Emelica 
in  gastrischen  und  WechselPiebern  und  weiss  sich  den  Hydrops  acutus 
und   den  Beginn    des  Petechialfiebers    mit  entzündlichen  Symptomen 
nach  Brown  nicht  zu  erklären.      Epilepsie  sei  nicht  immer  astheni- 
sche Krankheit;    im  Wechselfieber  seien  Blutentleerungen  oft  nöthig, 
und  verschiedene  Ursachen  slhenischer  und  asthenischer  Art  können 
sich  compliciren.      In  einem  zweiten  Briefe  wiederholt  er  die  Vor- 
würfe des  ersten,    hält  Einfachheit,    wenn  sie  so  gewaltsam,  herbei- 
geführt ist,   nicht  für  einen  Vorzug  des  Systems  u.  s.  w.      Einwürfe, 
welche  sehr  gegründet  sind  und  nur  unbefriedigend  widerlegt  wur- 
den. —  Diesen  schlössen  sich  Polidori's  ^^)  ebenfalls  nicht  zurück- 
gewiesene Vorw  ürfe  an.   Er  nennt  Brown  einen  neuen  positiv  gefähr- 
lichen Methodiker  (Burdach  U.A.),   verneint,  dass  der  Mensch  in 
der  Kindheit  an  Erregbarkeit  Ueberfluss  habe ,   dass  der  Reiz  den  Be- 
rahrungsort  stets  am  meisten  afficire ,   dass  bloss  verminderte  Trans- 
spiration    Kälte    und   Schauder   erzeuge,     indem   auch   Verdunstung 


119 

dieselbe  Wirkung  habe ,  tadelt  die  Lehre  vom  Krampf,  Schlaf,  Opium 
u.  s.  w.  (T.  III.  1793.)  Der  wichtigste  Bundesgenosse  dieser  Gegner 
aber  >var  der  berühmle  Carminati  ^®),  dessen  unter  dem  Namen 
Jacob  Sacchi  erscliienene  Schrift  das  ganze  Gebäude  bis  iu  seine 
innersten  Fugen  erschütterte.  Mit  glänzender  Lalinilät  und  scharfer 
Beredlsamkeit  greift  er  Schritt  vor  Schritt  die  einzelnen  Grundsätze 
des  neuen  Systems  um  so  mehr  an,  je  fester  er  an  Haller "s  Irri- 
tabilität hängt.  Die  Definition  des  Lebens  (Beweise  dagegen:  Zu- 
stände von  Asphyxie,  Erstickung,  Apoplexie,  Wiederkehr  des  Lebens 
najli  Paralyse),  die  Verwechselung  der  Fähigkeit  mit  der  Handlung, 
die  Annahme,  dass  alle  Potenzen  reizend  sein  sollen  (Beweise  da- 
gegen: Kälte  und  Wärme,  Wirkung  der  verschiedenen  Heilmittel, 
besonders  die  sedirende  Wirkung  des  Opiums),  dass  Erregbarkeit 
die  einzige  Kraft  sein  soll,  welche  dem  Körper  innewohnt  (Beweiss 
dagegen :  Verschiedenheit  des  organischen  Lebens) ,  die  Nicht- 
berücksichtigung der  specifischen  Unterschiede ,  der  qualitativen  Ver- 
hältnisse, der  Association  der  Verrichtungen,  die  Vermischung  der 
Begriffe  Sensibilität  und  Irritabilität  unterliegen  einem  eben  so  ge- 
rechten als  molivirten  Tadel.  Die  Methodus  medendi  Brown' s 
nennt  der  Verfasser  nee  rationi  consona  nee  experientiae,  erklärt  die 
Heilung  mit  Reizmitteln  auf  ganz  andere  "^^'eise  als  Brown,  ver- 
wirft die  Behandlung  der  eigentlichen  und  uneigentlichen  Sclnväche 
nach  Brown,  zeigt  die  Unmöglichkeit  Complicalionen  nach  ihm  zu 
behandeln,  die  Nothwendigkeit  der  Blutentziehungen  im  Podagra, 
in  der  Chlorosis  und  in  anderen  Schwächekrankheiten  und  ebenso  das 
Erforderniss  der  Verbindung  schwächender  und  stärkender  Mittel. 
Besonderer  Widerlegung  würdigt  er  die  Lehre  von  der  Kälte,  das 
Specielle  aber  deutet  er,  als  zu  viel  des  Tadelnswerthen  enthaltend, 
nur  an,  wie  z.  B.  die  Eintheilung  der  Krankheiten.  Als  überdies 
bezeichnend  für  das  Aufsehn ,  welches  dies  System  unter  der  Jugend 
machte,  heben  wir  eine  Stelle  in  der  Einleitung  heraus,  die  in  wenig 
Worten  die  beste  Kritik  des  Ganzen  enthält.  (S.  4.  5.)  „Haec 
siquidem  omnia  cum  uno  veluti  ictu  adolescentium  ingenia  percelle- 
rent  atque  exagitarent,  aditum  omnem  plerisque  praecludebant  sedula 
consideratione  reputandi  ea,  quae  Brunonianae  hj^pothesi  adversa- 
rentur.  Non  proinde  infirma  ejus  fundamenta  cognoscere,  non 
quorundam  principiorum  vanitatem  intelligere,  non  pugnantium 
quandoque  sententiarum  dissimilitudinem  assequi,  non  ratiocinii  ob- 
velatas  fallacias  eruere,   non  sermonis  perplexitatera  animadvertere. 


120 

non  conjecturas  a  veris  et  demonstralis  distinguere ,  non  vanae  jacta- 
tionis  praestigia  detegere,  non  denique  illalionum  falsitates  ac  peri- 
cula  perspicere  poluerunt."  ISiclit  weniger  bezeichnend  ist  eine 
Stelle  S.  9.  „ —  ut  non  indubie  significare  viderentur  in  eo  sysle- 
mate  non  p  a  u  c  a  dubia  esse,  q  u  a  e  d  a  m  i  n  u  t  i  1  i  a ,  q  u  a  e  - 
dam  jam  refutata,  quaedam  evidenter  falsa,  quaedam 
etiam  aegris  periculosa  futura,  si  ex  iisdem  medendi  ratio 
deducatur."  —  Diese  Schrift  gehört  mit  zu  den  bessten,  welche 
gegen  Brown  erschienen  sind. 

Durch  dergleichen  Anregung  steigerte  sich  das  Interesse  auf 
beiden  Seiten  der  Kämpfenden;  es  erwuchsen  neue  Streiter  und  zu 
Pavia  war  es  besonders  der  im  Beginn  seiner  Laufbahn  ziemlich 
excentrische  Sohn  des  nüchternsten  Beobachters,  Joseph  Frank, 
welcher  den  Streit  fortführte  und  eine  so  grosse  Reaction  erzeugte, 
dass  man  selbst  den  Studirenden  (wie  früher  in  England)  Brown'sche 
Theses  auszusetzen  verbot.  Die  jungen  Aerzte  verlangten  Brown'- 
sche  Vorlesungen  von  ihm.  Diess  erregte  Kabalen.  Man  verbot, 
weil  Frank  Repetitor  war,  allen  Repetitoren  Vorlesungen  über 
Brown' s  Lehrsätze.  Da  aber  Frank  bald  Professor  der  Klinik 
wurde,  so  traf  ihn  dies  Verbot  nicht  mehr  und  er  hielt  also  Vorlesun- 
gen. Schriftstellerisch  trat  er  zuerst  im  Jahre  1794  als  schwärme- 
rischer Vertheidiger  der  Brown'schen  Lehre  in  Brugnatelli's 
Journal  auf  ^^),  wo  er  eine  Analyse  von  Jones  Enquiry  und  andern 
Schriften  giebt,  Gahagan's  osservazioni  sull'  irritabilitä  de' vege- 
tabili  mit  Brown' s  Aussprüchen  vergleicht  und,  freilich  seicht 
genug,  Trotter's,  Villa's,  Polidori's  und  Sacchi's  ge- 
gründeten Einwürfen  zu  entgegnen  sucht.  Er  übersetzte  dann  R. 
Jones  Enquiry  ^^)  (im  Jahre  1795)  und  fügte  viele  Noten,  Zusätze 
und  Krankengeschichten  hinzu,  nachdem  er  in  einer  Vorrede  das 
System  nicht  weniger  als  Jones  selbst  erhoben  hatte.  Die  An- 
merkungen (Bruchstücke  aus  der  Geschichte  der  Medicin,  Erläuterun- 
gen Brown'scher  Lehren)  enthalten  nichts  Neues,  die  Krankenge- 
schichten aber  zeugen  von  dem  reichlichsten  und  verschvrenderisch- 
sten  Gebrauch  der  Reizmittel,  wie  denn  Fleisch,  Eier,  Laudanum, 
Wein  gar  nicht  selten  an  einem  Tage  zugleich  gereicht  wurden. 
Viel  ruhiger,  wahrscheinlich  durch  eigenes  und  seines  Vaters  Ein- 
sehen belehrt,  nicht,  wie  der  erbitterte  Weikard  glaubt,  aus  politi- 
schen Gründen,  um  sich  auf  seine  Lehrerstelle  in  Wien  vorzubereiten, 
tritt  der  indess  zum  Lehrer  in  Pavia  ernannte  junge  Frank  in  einem 


121 

Briefe  an  einün  Freund  über  verschiedene  Puncte  der  Arzneikiinst 
aiif*^)  (1796),  der,  so  unbedeutend  an  sich,  doch  durch  einige 
kleine  Umslände  bemerkenswerfh  erscheint.  Da  er  nämlich  auch  für 
Nichtärzte  bestimmt  ist,  so  zeigt  er  uns,  wie  auch  Diese  an  dem 
Streite  Theil  genommen  haben,  wir  hoITen  aber,  aus  eigenem  Inter- 
esse, nicht,  wie  es  die  Geschichte  der  Homüopalliie  Ichrl,  durch  die 
Aerzle  selbst  zu  Richtern  bestellt.  Ferner  spricht  sich  der  früher 
unbedingte  Lobredner  bereits  hier  nur  grösstentheils  günstig 
für  die  Lehre  aus ,  die  er  für  nicht  fehlerfrei ,  namentlich  was  die  An- 
wendung betrifft,  und  für  nicht  vollkommen  genug  halt,  um  als  Richt- 
schnur in  Schulen  zu  dienen.  Vielleicht  hat  auch  die  oiTenlliciie 
Meinung,  auf  die  der  Verfasser  jetzt  melir  zu  achten  beginnt,  auf 
dieses  Urtheil  Einfluss  gehabt.  Der  Verfasser  sucht  die  Vorwürfe 
zu  widerlegen,  dass  das  System  die  Unmilssigkeit  befördere,  dass  es 
blos  Reizmittel  anwende.  Interessant  ist,  dass  der  Verfasser  die 
Browa'sche  Lehre  nur  far  neu  als  Ganzes,  im  Einzelnen  für  alt  erklärt, 
wodurch  er  ihr  einen  historischen  Boden  unterlegt,  und  dass  er 
glaubt,  der  Urheber  sei  nur  auf  neuen  Wegen  zu  Sydenham"s, 
Torti's  u.  A.  Behandlung  der  Entzündungen,  Wecliselfieber,  Nerven- 
fieber u.  s.  w.  gelangt  und  alle  glücklichen  Curen  seien,  wie  auch 
Hahneraann  Aehnliches  von  seiner  Methode  rühmte,  nur  auf  Brown'- 
schein  AVege  zu  Stande  gekommen.  Zuletzt  sucht  er  noch  den 
Naclitheil  der  Verachtung  der  einzelnen  Disciplinen  von  Seiten  der 
Brownianer  zu  erweisen.  (Auch  hierin  liegt  eine  Aehnlichkeit  mit 
de."  Geschichte  der  Homöopathie.)  Wir  müssen  jedoch  den  weiteren 
für  den  Psychologen  an  sich  interessanten  Entwickelungsgang  des 
Verfassers  bis  auf  später  aufsparen,  wo  wir  ihn  im  Mittelpuncte  der 
deutschen  Bestrebungen  wiederfinden  werden.  Denn  abgesehen  von 
seiner  ferner  zur  italienischen  Literatur  gehörenden  Ueberselzung 
von  Weikard's  Entwurf  der  einfachen  Arzneikunst,  Venedig 
1797.  (s.  unten)  und  einem  Collectivwerk  Brown'scher  Schriften  *-), 
'.welches  Sprengel  Lit.  med.  ext.  recentior  erwähnt,  schliesst 
mit  diesem  Briefe  seine  Wirksamkeit  für  das  Browu'sche  System  in 
Italien. 

Als  Anhänger  des  BroAvnianismus  daselbst  traten  weiter  auf: 
Gelmetti^^),  der  eigentlich  nicht  entschiedener  Brownianer  ist, 
sondern  nur  von  den  Anhängern  dieser  Lehre  dazu  gezählt  wird,  weil 
seine  Behandlung  der  angeführten  Krankheiten  (Exantheme,  Faul- 
fieber   u.  s.  w.) ,     welche    sich    auf   ältere    Erfahrungen ,     besonders 


122 

Sydenham's  stützt,  mit  Brown's  Praxis,  die  in  diesen  Fallen 
viel  Richtiges  lehrte,  zusammenfällt;  Francesco  Frank**); 
Bianchi*^);  Mocini*^),  der  erst  Gegner  der  neuen  Lehre  war, 
später  aher  überging  und  in  seinem  Schreiben  an  Buccio  *^)  die 
glückliche  Heilung  eines  Hüftwehes  durch  sthenische  Mittel  erzählt 
(jung  und  aufrichtig,  aber  zugleich  bescheiden  sagt  er  mit  Recht: 
„die  Brown'sche  Lehre  ist  allzuschön ,  wenn  sie  wahr  ist ;  allzu- 
gefährlich, wenn  sie  falsch  ist");  Solenghi  *^),  der  eine  italie- 
nische Uebersetzung  der  Eiemenfe  veranstaltete  und  mit  Anmerkungen 
begleitete;  Ricco  belli  *^),  der  in  einer  spätem  contrastimulisti- 
schen  (?)  Schrift  seine  früheren  Ansichten  selbst  für  unreif  erklärte 
(vgl.  Sprengel,  Lit.  med.  ext.  p.  22);  Bcrtoloni  (s.  Lit.  N.  13) 
und  Brera,  Professor  zu  Pavia,  der  bereits  im  Jahre  1793  eine 
Krankheifseinlbcilung  nach  Brown  veröffentlichte  ^^)  und  in  einem 
Programm  ^^)  über  die  Aehnlichkeit  des  vegetabilischen  und  animali- 
schen Lebens  im  Jahre  1796  die  Verdienste  Brov.  n's  um  Aufklärung 
mancher  dunklen  Seite  der  thierischen  Oeconomie  rülunt,  ohne  sicli 
auf  ein  weiteres  Urtheil  einzulassen  (,,hujus  systematis  auxilio  nonnuUa 
in  oeconomia  vitali  clariora  evadere,  quae  usque  dum  implicite  a  phy- 
siologicis  respiciebantur").  Im  Jahre  1797  schrieb  er  zu  einer  Samm- 
lung medicinisch- praktischer  Werke  eine  Einleitung  nach  Brown'- 
schen  Grundsätzen  ^-);  das  Hauptwerk  aber  ^^),  seine  medicinisch- 
practischen  Beol)achtungen  über  verschiedene  in  der  Klinik  zu  Pavia 
behandelte  Krankheiten,  welches  als  Fortsetzung  zu  Frank  und  als 
Commenlar  zu  Weikard  in  erster  Auflage  1798  und  1799  erschien 
und  von  F.  A.  Weber  1801  in's  Deutsche  übersetzt  wurde,  beweist, 
dass  trotz  alles  Bro^Yn-^^'eikard'scllcn  Gepräges,  welches  auch  noch 
in  der  zweiten  Auflage  fortbesteht,  der  Verfasser  kein  slricter  und 
einseiliger  Bekenner  des  Systems  ist,  dessen  mannigfache  Irrlhümor 
durch  recht  practische,  wahrhaft  schätzbare  Erfahrungen  widerlegt 
werden,  so  dass  sie  den  bindenden  Buchstaben,  sowie  die  Unterord- 
nung unter  Weikard's  Handbuch  wenigstens  einigermaassen  ver- 
gessen machen.  Darwin,  Frank,  Hufeland,  Reil  und  eigne 
Ansichten  des  Verfassers  erhalten  nebenbei  ihr  Recht.  Im  zweiten 
Bande  geschieht  des  Contrastimulus  Erwälinung.  Die  Nosologie  und 
die  Abhandlung  der  specifischen  Krankheilen  richtet  sich  aber  meist  ' 
nach  Brown,  Weikard,  Frank.  Weiterhin  erklärt  er  sich 
gegen  den  Missbrauch  der  sthenischen  3Iittel  und  behauptet  (was 
nameullich  auch  in   Hufeland's   Journal  verfochten  wurde),   dass 


123 

manche  asthenische  Zustände  Schwächungsniitlel  erforderten.  Auch 
die  Säfte  werden  daselbst  in  ihren  pathologischen  Beziehungen  mehr 
berücksichtigt. 

Luigi  Frank  ^*),  ein  eifriger  Beförderer  der  Brown'schen 
Lehre  in  Italien,  der  auch  Vorlesungen  hierüber  vor  vielen  Medi- 
ciuern  in  Florenz  hielt,  übersetzte  einen  Aufsatz  ^^'eikard's  aus 
dem  ersten  Stück  des  3Iagazins  (s.  untes)  und  gab  eine  Cparllieiische) 
kurze  Geschichte  und  Anzeige  Brownschcr  SchriRon  pro  und  contra. 
Selbslständiger  ist  der  Uebersetzer  der  Erläuterungen  der  Frregungs- 
theorie  von  J.  Frank  (s.  unten):  Za  ndona  tti  ^^),  der  in  kriti- 
schen Noten  treiTendc  Bemerkungen  liefert.  Auch  Scarpa  und 
Nesi  werden  unter  den  Anhängern  Bro  Nvn 's  genannt;  Ersfercr  be- 
sonders in  practischer  Beziehung,  wie  denn  überhaupt  die  Wund- 
ärzte, denen  die  richtige  Anwendung  der  KäUe  und  der  Reizniidel 
(besonders  in  asthenischen  Entzündungen)  schon  bekannt  war,  sich 
günstig  dafür  aussprachen. 

Während  aber  die  meisten  Browniauer  den  hinkenden  Fuss 
des  ganzen  Systems  zu  berühren  scheuten,  greift  Cat  tanio  ^'^), 
scheinbar  Besseres  an  die  Stelle  setzend,  Brown 's  Widersprüche 
in  diesem  Puncto  an.  Nach  ihm  sind  die  örtlichen  Krankheiten  den- 
selben Gesetzen  unterworfen  wie  die  allgemeinen,  nützen  örtliche 
Mittel  in  allgemeinen  und  allgemeine  in  örtlichen  Krankheiten.  An 
die  Stelle  der  Brown'schen  Eintheilung,  die  er  für  unbehauptbar  in 
der  Theorie,  für  nachtheilig  in  der  Praxis  hält,  setzt  er  folgende  Clas- 
sen:  I.  alle  örtlichen  Krankheiten,  welche  von  Vermehrung  oder 
Verminderung  der  Erregung  des  Theils  abhängen  ohne  deutliche  (I) 
allgemeine  Diathese,  als:  Beinbrüche,  Verrenkungen,  Wunden, 
Augen- und  solche  Entzündungen,  die  nicht  schwer  (I)  sind;  II.  alle 
örtlichen  Krankheiten  mit  deutlicher  allgemeiner  Diathese  =:  ört- 
lich allgemeine,  als:  Krankheiten  der  I.  Classe  und  örtliche 
Entzündungen  der  Eingeweide  und  anderer  Theile,  Brand,  Caries; 
""III.  gemischte  (!)  unschmerzhafte  (I)  Krankheiten,  bestehend  in  kränk- 
licher Beschaffenheit  der  Theile  =  organisch-einfache 
Krankheiten,  als:  Geschwülste,  Hernien,  Prolapsus,  Hasenscharte 
u.  s.  w. ;  IV.  organische  schmerzhafte  Krankheiten  mit  kränklicher 
Beschaffenheit  und  alterirter  Erregung  =  complicirte  örtlich - 
allgemeine,  als:  Hämorrhoiden,  Skirrhus,  Slrictureu  u.  s.  w.  — 
Und  ein  solches  Buch  hat  Weikard  übersetzt! 

Gleichwie  endlich  die  Homöopathie  auch  später  in  der  Thier- 


124 

heilkunde  angewendet  wurde,  suchte  Deho^^)  den  Nutzen  der 
Brown'schen  Praxis  in  einer  herrschenden  Hornviehseuche ,  die  er  für 
ein  ansteckendes  Nervenfieber  hielt,  aus  eigenen  Erfahrungen  zu  er- 
weisen. Es  wurden  Zwiebeln,  Knoblauch,  Wein,  Theriak,  Pfeffer, 
Kochsalz,  Opium  angewendet.  (Die  von  Weikard  angezeigte 
Schrift  desselben  Verfassers :  Sulla  pratica  di  G.  Brown  riilessioni 
ed  osservazioni,  die  am  ScWuss  eine  Uebersicht  aller  Brov.n'schen 
Schriften  enthalten  sollte ,  scheint  nichl  erschienen  zu  sein.)  Auch 
Moscati  ^^)  gab  in  einer  anonymen  Schrift  eine  Einleitung  zur  Be- 
handlung dieser  Epidemie ,  worin  er  aber  sich  nicht  durchgängig  der 
Brownschen  Sprache  bedient,  auch  auf  den  gastrischen  Zustand  Rück- 
sicht nimmt  un.l  die  von  den  sirengen  Brownianern  verpönten  Brech- 
und  Purgirmittel  empfiehlt,  sobald  die  gastrischen  Zustände  länger 
bestünden  und  sobald  Ansteckung  der  Säftemasse  erfolgt  ist,  —  um 
die  schwachen  Eingeweide  aufzurichten.  Das  gastrische  Nerven- 
fieber entsteht  nach  ihm  aus  örtlichen  Ursachen  des  Darmkanals, 
welche  daselLst  eine  sich  weiter  verbreitende  Asthenie  erzeugen. 
Hier  wie  später  bei  Weikard,  der  in  diesem  Puncle  gleicher  Mei- 
nung ist,  findet  schon  eine  Rückkehr  zur  älteren  Medicin  Statt,  wäh- 
rend Frank  und  früher  auch  Weikard  selbst  mehr  als  Brown  die 
gastrische  Methode  verbannt  hatten.  Welchen  Einfluss  aber  über- 
haupt die  neueren  Ansichten  übten ,  sieht  man  auch  daraus ,  dass  noch 
lange  nachher  selbst  Gallini  seine  chemisch -atomistischen  An- 
sichten mit  ihnen  verband  und  so  in  seinen  Nuovi  elementi  della 
fisica  del  corpo  umano.  Päd.  1808.  ganz  von  seiner  Introduzione  alla 
fisica  etc.  1802.  und  noch  mehr  von  seinem  Saggio  di  osservazioni 
concernenti  i  nuovi  progressi  della  fisica  del  c.  umano,  1792.  abwich. 
Aber  auch  die  Gegner  blieben  nicht  müssig.  —  Scuderi  ^^) 
ist  in  seiner  Einleitung  zur  alten  und  neuen  Geschichte  der  SIedicin 
unpartheiisch  genug,  neben  seinen  gegründeten  Einwürfen  die  neuen 
Gesichtspuncte  zu  rühmen,  die  das  System  über  die  Krankheiten  er- 
öffnet. Er  nennt  in  seiner  kräftigen  und  gediegenen  Abhandlung 
über  das  Brown'sche  System  dasselbe  „un  capzioso  rigiro  di  alcune 
voci  arbitrarie  artificiosamente  inventale;  una  ipotesi  speculativa ,  un 
bizarro  e  specioso,  ma  fragile  e  vacillante  edifizio."  Und  weiter 
sagt  er :  „H  vero  filosofo  compara  e  profitta,  non  ribulta  con  ingiusto 
desprezzo ,  ne  lascia  soggiogarsi  da  un  fatuo  entusiasmo."  Indem 
er  mit  historischem  Scharfblick  Brown  mit  den  Methodikern  ver- 
gleicht,  verkennt  er  den  Nutzen  nicht,   den  das  System  auf  Verban- 


125 

nang  der  Humoralpathologie  und  so  mancher  Spitzfindigkeit  gehabt 
hat.  Er  sagt  ausdrücklich:  „Essa  tenda  a  dirigere  l'atlenlione  de' 
Medici  verso  le  alTezioni  universali  a  far  considerare  piü  in  grande 
le  malattie,  a  distruggere  Tinfelice  (?)  dotlrina  degli  specifici  e  a 
semplificare  i  mefodi  di  cura."  "Wieviel  Brown  an  dem  folgenden 
Zeitgemälde  der  3Icdicin  zuzuschreiben  ist,  bleibt  dem  Leser  über- 
lassen. Scuderi  sagt  nämlich  an  einer  spätem  Stelle,  wo  die 
Rede  nicht  mehr  von  Brown  ist,  über  den  damaligen  Zustand  der 
Heilkunst:  ,,I1  metodo  curativa  in  generale  e  devcnuta  piü  sem- 
plice  e  naturale,  ma  al  tempo  stesso  piü  attivo  ed  efficace  e  piü 
sicuro  e  ragionalo.  Tulti  i  medici  doüi,  parc  di  non  aver  addossalo 
altro  assunlo  che  quello  di  ridurre  a  maggior  certezza  i  precetfi  tera- 
peutici,  di  rettificare  i  metodi,  di  estendere  Tapplicazione  de'  mezzi 
piü  universali  ed  efficaci  e  di  purgare  la  pratica  da  tanfe  superfluilä  ed 
invecchiati  abusi  (Giorn.  de  Brugnat.  1795.  T.  II.  und  111.  de'  progressi 
e  stato  attuale  della  medicina).  —  Manche  Dunkelheit  und  Seichtheit 
abgerechnet,  ist  auch  Vacca  Berlinghieri's  fragmentarischer 
Angriff  ^^)  nicht  unrühmlich  zu  erwähnen,  da  er  gerade  die 
Hauptsätze  anführt.  Eine  ausführliche  von  Francesco  Frank, 
Bianchi  und  Mocini  ohne  Erfolg  angegriffene  Widerlegung  gab 
Strambio,  der  in  seiner  gediegenen,  lesenswerthen  Schrift  ^^) 
die  sehr  angewandte  Taktik  verfolgt,  aus  den  eigenen  Worten 
Brown's  die  Widersprüche  desselben  nachzuweisen.  So  tadelt 
er,  dass  Erregbarkeit  bald  als  3Iaterie,  bald  als  Eigenschaft  behandelt 
wird,  rügt  die  Vermengung  der  Sensibilität  und  Irritabilität,  beson- 
ders aber  die  Abläugnung  qualitativer  und  specifischer  Wirkungen 
(wornach  man  eben  so  gut  nur  mit  Affecten  zu  curiren  brauche,  wie 
Andere  mit  Heilmitteln).  Er  stellt  ferner  die  Hypothese  auf,  dass 
Brown  mit  ,,stimulare"  vielleicht  mehr  die  Einwirkung  als  die  Wir- 
kung der  Potenzen  habe  bezeichnen  wollen,  wodurch  allenfalls  er- 
klärlich wäre,  dass  alle  gleich  agiren  und  dennoch  verschiedene  Wir- 
kungen haben  könnten.  Die  Erregung  hänge  von  dem  Verhällniss 
-der  Reize  zur  Erregbarkeit  ab,  aber  da  Niemand  die  Erregbarkeit 
berechnen  könne ,  so  wäre  auch  kein  Maassstab  für  die  Behandlung 
deir  Erregung.  Die  Eintheilung  der  Krankheiten  bei  Brown  wird 
ebenfalls  streng  gerügt.  Auch  die  Widersprüche  in  den  Annahmen 
allgemeiner  Erregbarkeit  weist  der  Verfasser  sehr  gut  nach.  —  Für 
die  Unterscheidung  der  directen  und  indirecten  Schwäche,  wie  der 
Sthenie  und  Asthenie   reichen  nach  ihm  weder  die  Symptome   noch 


126 

die  vorhergegangenen  Ursachen  hin.  Die  Heilung  der  gemischten 
Schwäche  durch  Tonica,  als  Miltelslrasse  zwischen  schwächend  und 
reizend,  sei  —  Unsinn.  Die  Lehre  von  der  Plethora,  Apoplexie, 
von  den  Säftekrankheiten  als  Folgen  von  Erregungszuständen,  die  Ab- 
läugnung  der  Naturheilkraft ,  der  Ausspruch,  man  solle  der  Slaterie 
Zeit  zum  Austritt  lassen ,  werden  scharfsinnig  beleuchtet  u.  s.  w. 
Selbst  das  Verdienst  der  Neuheit  bestreitet  der  kritisch  scharfe 
Strambio  in  der  Lehre  vom  Opium  und  von  den  localen  Entzündun- 
gen, in  Bezug  auf  die  Abhängigkeit  flüssiger  Theile  von  den  festen, 
die  Anwendung  der  Purganzen  in  entzündlichen  Krankheiten,  sowie 
der  Reize  in  andern.  Nur  der  Missbrauch  derselben  sei  neu,  wie  es 
ebenso  bei  Sydenham  mit  dem  Gebrauch  der  Anliphlogistica  ge- 
wesen sei.  —  Auch  Del  Monte  ^-)  tadelt  bei  Gelegenheit  einer 
Krankengeschichte  einer  Chlorotischen,  welche  durch  einen  jungen, 
in  einer  gespreitzten  (wahrscheinlich  fingirfen)  Lobrede  auf  das 
Brown'sche  System  sich  ergehenden  Brownianer  zu  Tod  stimulirt 
worden,  die  Brown'sche  Theorie  wie  die  Behandlung  der  Bleichsucht 
und  der  unterdrückten  Blenstruation  mit  triftigen  Gründen.  "Witzig 
genug  theilt  er  einen  Stammbaum  der  Chlorosis  nach  Brown 's  Er- 
klärung mit,  nach  welchem  Stimuli  defectus  der  abavus,  debilitas 
indirecta  der  proavus,  amoris  inopia  der  avus,  amenorrhoea  der 
paler  und  chlorosis  die  filia  petens  remediura  ist.  Und  in  der  That 
lassen  diese  und  andere  von  ihm  mitgetheilte  Krankengeschichten^^) 
den  bittern  Groll  gerecht  erscheinen,  den  der  Verfasser  über  die 
Brown'schen  Behandlungen  auszuschütten  sich  gezwungen  sieht. 
Diese  wenigen  Fälle,  besonders  nützlich,  um  den  Nachtheil  einer 
blossen  Berücksichtigung  causaler  Momente  und  die  eigenthümliche 
Deutung  derselben  zu  zeigen,  sind  schlagender  als  ganze  Bände  von 
Kritiken.  Sehr  wichtige  Einwürfe  von  Caldani  u.  A.  enthielt 
wahrscheinlich  auch  Aglietti's  medicinisches  Journal^'*)  (wel- 
ches leider  weder  Girtanner  noch  mir  zu  Gebote  stand),  weil  die 
Brownianer  mit  grosser  Erbitterung  von  diesen  Aufsätzen  sprachen. 
Aglietti  selbst  führt  in  einer  besondern  Schrift  ^^)  einen  scharf- 
sinnigen Beweiss  von  der  Einheit  und  Uebereinstimmung  der  Grund- 
gesetze aller  medicinischen  Kunst  und  zeigt,  dass  zwischen  der  altern 
und  neuern  Schule  (die  er  ziemlich  ungünstig  beurtheilt  trotz  aller 
Anerkennung  ihrer  Verdienste)  wesentlich  keine  Verschiedenheit 
obwalte.  Auch  Marzani  ^'^)  versuchte  das  Brown'sche  System  zu 
stürzen;   jedoch  fehlte  es  ihm  dazu  an  hinreichender  Grundlage,   ob- 


127 

wohl  nicht  an  Scharfsinn  und  noch  'weniger  an  Anmaassung.  Er 
unterscheidet  eine  imaginäre  und  reale  Erregung  und  lässt  sthenische 
Krankheiten  durch  Ebenmaass  der  Erregung  entstehen.  In  solchem 
Missverständniss  Brown'scher  Sätze  sucht  er  nun  in  der  Art  der  Ma- 
thematiker nach  Beweis,  Scholien  und  Corollarien  in  siebzehn  Ab- 
schnitten Sätze  zu  beweisen,  die  entweder  gar  nicht  bewiesen  zu 
werden  brauchen  oder  bei  Brown  gar  nicht  existiren,  oder,  wenn  sie 
vom  Verfasser  herrühren,  verwirrt  sind.  Seinen  Standpunct  erken- 
nen wir  am  bessten,  wenn  wir  uns  an  die  von  ihm  ausgesprochene 
Hoffnung  halten,  durch  Vau  quelin's  und  Fourcroy's  chemische 
Lehren  werde  die  Humoralpathologie  wieder  hergestellt  werden. 
Hieher  gehört  auch  gewissermaassen  die  unten  erwähnte  französische 
Schrift  von  Canaveri  und  die  von  Sprengel  (Lit.  med.  ext.)  an- 
geführten Kritiken  von  Zappala  ^'),  Strano  ^^)  und  Truso  ^^), 
die  wir  nicht  erlangt  zu  haben  nur  aus  literarischer  Gewissen- 
haftigkeit bedauern,  da  an  guten  Kritikern  über  Brown  kein 
Mangel  ist. 

Die  schwache  Grundlage  des  Systems  und  die  Geislesarmuth 
der  Brownianer  zeigt  sich  deutlich  in  der  Vertheidigung  gegen  Avich- 
tige  Kämpfer,  wie  z.B.  Strambio.  Alle  befolgen  sie  dieselbe 
Taktik,  geben  unerwiesene  Behauptungen,  helfen  sich  mit  buchstäb- 
lichen ^Wiederholungen  Brown's  oder  Analogieen,  oder  klagen 
über  Nichtverständniss,  Nachlässigkeit,  ja  wie  später  auch  Weikard 
in  Deutschland,  über  Böswilligkeit,  verstockte  Herzen,  gleichsam  als 
solle  das  Gemüth  gewähren,  was  der  Verstand  nicht  vermag.  Einige 
unter  den  Anhängern  Hessen  sich  theilweis  bekehren.  Dies  erhellt 
z.B.  aus  Franc.  Frank's  "Widerlegung,  der  (mit  Reil)  eine  In- 
cifabilitas  nervea,  muscularis,  glandularis  annimmt  und  zugiebt,  dass 
verschiedene  Organisation  verschiedene  Erregung  bedinge,  dass 
Fehler  in  der  Eintheilung  sthenischer  und  asthenischer  Krankheiten 
bei  BroMn  vorkämen,  dass  sich  beide  Arten  von  Schwäche  nicht 
immer  gut  unterscheiden  Hessen,  dass  Strambio  in  einigen  Puncten 
über  Plethora  Recht  habe.  Die  Annahme  von  der  gemischten  Schwäche 
modificirt  er  so ,  dass  zur  indirecten  Schwäche  direcf  e ,  aber  jene 
nicht  umgekehrt  zu  dieser  treten  könne,  ohne  dass  beide  in  ein- 
ander übergehen.  Nebenbei  wird  jedoch  die  hippokralisclie  Medicin 
als  eine  solche  bezeichnet,  die  uns  bei  jedem  Vorfall  den  Tod  in 
Aussicht  stellt.  Auch  Mocini  lässt  in  seiner  Gegenschrift  der 
Naturheilkraft   Gerechtigkeit  Aviderfahren  ,    die    er   nicht   abläugnet, 


128 

sondern  nur  für  beschränkt  in  der  Wirkung  erklärt.  —  Ueberall 
also  Kampf  und  rüstiges  Ansireben  gegen  den  neuen  Eindringling. 
Doch  ist  der  Sieg  noch  nicht  errungen  und  wird  es  nicht  leicht  wer- 
den gegen  einen  Feind,  den  selbst  Laien,  und  unter  ihnen  Damen  be- 
günstigen und  von  denen  die  Strassen  der  S'.adt  erzählen ,  wie  aus 
einer  Stelle  bei  Strambio  erhellt;  noch  fehlt  die  grosse  Entwicke- 
lungsphase ,  ^Yelche  die  Geschichte  zur  besseren  Läuterung  der  strei- 
tigen Puncte  aufgespart  hat  und  für  Deutschland  aufgespart  hat, 
das  mit  seinem  philosophischen  Forschergeist  und  seinem  Hang  zum 
Systematisiren,  zur  Empfängniss,  Zeitigung,  wie  zur  Vernichtung 
gleich  würdig  und  passend  erschien  und  diese  wichtige  Mission  den 
Händen  der  Italiener  entriss,  die  gleichsam  nur  das  Vorspiel  des  in- 
teressanten Drama's  gaben ,  welches  sich  bald  darauf  entspann.  Ehe 
wir  dieses  aber  näher  in's  Auge  fassen,  müssen  wir  erst  noch  einen 
Blick  auf  Frankreich  und  Spanien  werfen. 

Gescliichte   des   Brownianismus   in   Frankreich 
und   in   Spanien. 

Bei  dem  practischen  Sinne,  welcher  von  je  die  Fran- 
zosen von  Syslenisucht  und  philosophischer  Construclion  wie  von 
hypothetischer  Idealisirung  frei  hielt,  aber  besonders  am  Schluss  des 
vorigen  Jahrhunderts  durch  Corvisart,  Pinel,  Halle,  Portal, 
Bichat,  Cloquet  u.  A.  sich  positiv  eine  neue  glänzendere  Bahn 
erschloss,  machte  das  Brown'sche  System  einen  nur  geringen  und 
vorübergehenden  Eindruck  in  Frankreich.  So  ersparten  die  Fran- 
zosen, denen  die  Abgeschlossenheit  von  der  germanischen  Medicin 
hier  zu  Statten  kam,  die  Partheikämpfe  dieserEntwickelungskrankhcif, 
v.ährend  sie  dennoch  später  mittelbar  den  für  die  AVissenschaft  dar- 
aus erwachsenen  Vortheil  zogen.  Dass  die  in  Frankreich,  herr- 
schende chemsiche  Theorie  überdies  dort  ein  grosses  Hinderniss  für 
die  Ausbreitung  Brown'scher  Ideen  abgab ,  lässt  sich  mit  fast  gewis- 
sem Rechte  schliessen.  Als  die  erste  Schrift,  welche  die  Franzosen 
mit  Brown  bekannt  zu  machen  suchte,  wird  gewöhnlich  die  eines 
Griechen  Emanuel  Rizo  ^^)  vom  Jahre  1797*)  genannt,  der  unter 
Frank  in  Pavia  studirt  halte.  Doch  schon  damals  muss,  wie  sich 
aus  den  Briefen  eines  Arztes  zu  Paris,  von  >yardenburg  (Göttingen 

*)  In  Rosenbaum's  Additamenta  etc.  Halae  1842.  ist  die  Jahr- 
zahl 1796  angegeben. 


129 

1798),  schliessen  lüsst,  das  Brown'sche  System  dort  bekannt  gewesen 
sein,  denn  die  Franzosen  sagten  mit  gewöhnlichem  Naiionalslolze 
(s.  den  6.  Brief):  „Nous  connaissons  bicn  Brown  et  son  Systeme, 
nous  n'avons  pas  besoin  de  nous  le  faire  expliquer  par  des  etran- 
gers;"  desshalb  erkennen  Andere  die  Priorität  einer  Schrift  des 
Rudolph  Abram  Schiferli^^)  zu,  welche  ebenfalls  1797  er- 
schien, aber  allerdings  von  bedeutenderen  Folgen  Avar,  da  bei  Ge- 
legenheit des  Berichtes  über  dieselbe  im  Nationalinslilut  der  ^Vissen- 
schaften  zu  Paris  besonders  Fourcroy  und  Berthollet  das 
BroMn'sche  System  mit  so  vielem  Eifer  vertheidigten,  dass  die  Classe 
der  Physik  den  Bürger  Desessartz  mit  einem  weilläufigen  Aus- 
zug aus  Brown  beauftragte,  die  Sociele  de  Medecine  hingegen  selbst 
eine  Coinmission  ernannte,  um  zu  untersuchen,  in  wie  weit  die 
Brown'sche  Methode  practisch  nützlich  sein  könne.  Die  Schrift 
selbst,  welche  eine  Uebersicht  der  Brownschen  Theorie  mit  wenig 
Abweichungen  enlliielt,  gab  Belege  hierzu,  von  dem  Hcsiilfate  der  an- 
gestellten Untersuchung  aber  ist  uns  wenigstens  nichts  bekannt  wor- 
den. Dennoch  wollte  das  Interesse  an  Brown  nicht  steigen. 
Uebersetzungen  einzelner  Schriften  von  \Veikard,  Rösch  lau  b 
und  Frank,  durch  Bertin,  Leveille  (1798)  und  Breinersdorf 
(1802)  veranstaltet,  gingen  spurlos  vorüber;  die  halb  Brown'sche 
Schrift  eines  Warschauer  Arztes,  A.  F.  Wolf,  Avis  au  beau  sexe  sur 
les  maux  des  nerfs.  Varsovie  1804.  kam  vielleicht  gar  nicht  nach 
Frankreich;  Lafont-Gouzi's  ^'^)  Considerations  critiques  Avaren 
nicht  practisch  genug  ■•'),  und  am  wenigsten  konnte  die  Excentricitiit 
des  producliven  C  hortet  (nicht  Chordet,  wie  Eble  schreibt) 
trotz  seiner  vielen  Schriften  der  Neuerung  Freunde  erwerben.  Die- 
ser ganz  im  Geiste  der  ersten  Brown'schen  Zeit  selbsfgenügsame, 
Andere,  besonders  Pinel,  verachtende,  deklamirende  Verfasser  gab 
zuerst  eine  Sammlung  Brownscher  Beobachtungen  '^)  heraus,  worin 
noch  die  grosse  Ausdehnung  des  Brown'schen  Systems,  die  Unter- 
ordnung des  Lebensprincips  unter  blos  mechanische  Bewegungen,  die 
ungenügende  Erklärung  geladelt,  das  Qualitative,  Metpsfasen,  Krisen 
u.  s.  w.  verlheidigt  und  der  Erfahrung  und  ferneren  Beobachtung 
Werth  und  Zukunft  des  Systems  anheimgegeben  werden.  Bald  dar- 
auf aber  ging  der  Verfasser  ganz  in  Brown's  und  Röscblaub's 
Ideen    ein,    wie    die    von   W.  G.  Becker    übersetzte    Schrift   des- 


♦)  Eine  Uebersetzung  von  Brown's  Elementen  durch  Fouquier 
(Paris  1805)  kam  schon  eigentlich  post  festum. 

9 


130 

seH)en  '*j  iiber  die  y^  irkung  des  Opium  ii.  s.  w.  beweist,  nocli  mehr 
aber  der  heftige  und  beissende  Ton  in  den  Reflexions  critiqucs  ^^). 
Aber  auch  das  letzte  Unternehmen  des  Verfassers,  die  Begründung 
einer  Zeitschrift  nach  den  Grundsätzen  der  Erregungstheorie  "'^), 
scheiterte  bei  so  geringer  Neigung  und  schlechter  Unterlage.  Daher 
bedurfte  es  nur  leichter  Anstrengung,  an  welcher  es  z.  B.  in  der 
Ecole  de  sanle  nicht  fehlte,  um  die  Anhänger  in  die  Flucht  zu  schla- 
gen. Aus  demselben  Grunde  erklärt  es  sich,  dass  wir  neben  Cana- 
veri's  französischer  Schrift  '^)  keine  einzige  finden,  die  sich  einer 
vollständigen  Untersuchung  unterzöge,  da  sowohl  J.  B.  Ph.  Mau- 
rice"^) als  N.  P.  Gilbert'^),  Tourlet,  Moreau,  de  la 
Sarthe,  Royer  nur  fragmentarische  Prüfungen  anstellten.  F.  Ca- 
naveri,  Professor  der  Pathologie  und  Klinik  in  Turin,  führt  aber  in 
seiner  oben  erwähnten  Sclirift  Brown  selbstredend  ein,  stellt  alle 
dunklen  Stellen  zusammen,  erläutert  den  Sinn  der  verdrehtesten  der- 
selben, tadelt  den  Begriff  der  Irritabilität  und  des  Lebens,  geisselt  be- 
sonders die  practischen  Folgerungen,  die  Eintheilung  und  Behandlung 
der  Krankheiten  und  deckt  die  Widersprüche  in  Anatomie,  Patho- 
logie und  Heilmittellehre ,  wofür  er  zahlreiche  Materialien  beibringt, 
auf.  Diesen  practischen  Standpunct  aber  hat  der  Verfasser  im  Gan- 
zen mehr  für  Italien  als  für  Frankreich  festgehalten,  wo  nach  des  Ver- 
fassers eigener  Aussage  ohnehin  das  System  wenig  Eingang  fand. 

Anhangsweise  mögen  hier  noch  einige  spanische  Schrift- 
steller erwähnt  werden ,  welche  bezeugen,  dass  auch  dorthin  trotz 
Cullen's  bedeutender  Autorität  sich  Spuren,  aber  auch  nur  diese, 
vom  Brown"schen  Geiste  verliefen.  Es  sind  dies  Joaq.  Serrano 
Manzano  ^°),  der  Uebcrselzer  der  Observations  von  Brown,  und 
Vic.  Miljavila  y  Fisonel,  der,  keineswegs  gegen  Brown's 
Schwächen  blind,  die  Nosologie  desselben  ^^)  und  Peter  Frank 's 
berühmte  kritische  Vorrede  ^^)  (s.  unten)  nach  Spanien  verpflanzte. 

Nach  dieser  Episode  begeben  wir  uns  auf  den  eigentlichen 
Schauplatz  der  Geschichte  des  Brownianismus,   nach  Deutschland. 

Geschichte  des  Brownianismus  in  Deutschland. 

Chr.   Crirtanner. 

Es  ist  merkwürdig  genug,  dass  die  erste  Bekanntschaft  mit  den 
Brown'schen  Lehren  in  Deutschland  mittelst  eines  französischen  Jour- 
nals gemacht  wurde,  durch  welches  ein  Deutscher  die  fremde  Theorie 


131 

als  eigene  einzuschmiig-geln  versuchte.  Er  wurde  aber  nur  zu  bald 
entlarvt  und  erklärte  sie  selbst  für  gestohlenes  Gut.  Gir tanner 
nämlich  (1760 —  1800),  der  vielseitig  gebildete  und  talentvolle 
Schriftsteller,  über  dessen  Leistungen  abzusprechen  sein  früher  Tod 
verwehrt,  der  gewiss  manche  keimende  Blüthe  desselben  zerstört 
hat,  hafte  auf  einer  grossen  Reise,  die  er  wissenschaftlicher  For- 
schungen wegen  auch  über  England  ausdehnte,  in  Edinburg  im  Jahre 
1786  und  später  während  seines  zweiten  längern  Aufenthaltes  daselbst 
im  September  1789  bis  zum  Mai  1790  das  Brown'sche  System  genau 
kennen  gelernt,  ja  sich  sogar  ein  Manuscript  desselben  zu  verschalTen 
gewusst,  welches  nach  seiner  Aussage  treffliche  Zusätze  und  wich- 
tige Aufschlüsse  enthielt.  Diesen  für  Frankreich  und  Deutschland 
in  der  That  neuen  und  unbekannten  Fund  benutzte  nun  Girlanner 
nach  seiner  Rückkehr  und  legte  ihn  mit  Verschweigung  des  eigent- 
lichen Urhebers  als  eigenes  Geistesproduct,  mit  Haller'schen  und 
L  a  vo  isi  er  "seilen,  auch  G  o  o  d  wy  n'schen  Ideen  künstlich  zusam- 
mengeschmolzen, in  Roziers  vielgelesenem  Journal  der  Physik 
und  Naturgeschichte  nieder  ^^),  nicht  ohne  die  Aufmerksamkeit  der 
gelehrten  Welt  auf  sich  zu  ziehen.  Im  Juni  1790  erschien  die  erste 
Abhandlung  über  unsern  Gegenstand.  Hier  wird  die  von  Ha  11  er 
entlehnte  Irritabilität  statt  der  Brown'schen  Erregbarkeit  als  ein 
Lebensprincip  dargestellt,  auf  welches  die  Reize  einwirken,  deren 
Resultat  zusammengesetzt  ist  aus  der  Irritabilität  der  Faser,  dem  Reize 
und  der  Gewohnheit.  Die  Irritabilität  wird  als  eine  alllgemeine 
Eigenschaft  des  Körpers  bezeichnet  und  zwischen  drei  Zuständen 
unterschieden ,  dem  Tonus  (Ton  —  der  Fasern)  =  Gesundheit,  und 
der  Anhäufung  und  Erschöpfung  [Accumulation  und  Epuisement]  der 
Irritabilität  =  Krankheit.  Die  letztere  Bestimmung  entspricht  mm 
allerdings  nicht  genau  der  Brown'schen  Einfheilung.  Man  muss 
demnach  die  Irritabilität  bei  Gir  tanner  als  gleichbedeutend  mit  der 
Erregbarkeit  bei  Brown  ansehen  [eigentlich  zwei  an  sich  verschie- 
dene Begriffe].  Girtanner  zählt  dann  die  Reize  einzeln  auf:  Wärme, 
Kälte  (sie  häuft  die  Irritabilität,  wodurch  dann  die  Hitze  stärker  wirkt, 
reizt  also  eigentlich  nicht),  Licht,  Nahrung,  Circulalion  der  Säfte, 
nervösen  Reiz,  GemiithsalTecte  (wie  bei  Brown  blos  gradweis  ver- 
schieden). Im  Monat  August  1790  aber  folgte  ebenfalls  in  Rozier's 
Journal  die  zweite  Abhandlung,  Avorin  der  Sauerstoff  als  Princip  der 
Irritabilität  bezeichnet  wird,  indem  er  sich  mit  dem  Blute  mische, 
sich  so  dem  Körper  mittheile    und    dann  mit  den  Reizen    in  Confact 

9* 


132 

küiuiue,  aiil  Nvelchen  der  Körper  sich  verbiiulef.  Da  min  die  Irrila- 
bilitüt  im  graden  Verliältniss  zu  der  Quanti'.ät  des  Sauerstoffes  steht, 
gestalten  sich  die  drei  Zustände  der  Reize  und  des  Körpers  folgen- 
dermaassen:  l)  Dieselbe  Afrmiliit  der  Reize  zum  Sauerstoff  wie  die 
organische  Fiber  =  Ton,  Gesundbeit.  2)  Weniger  Verwandtschaft 
als  die  organische  Fiber.  Die  Reize  überladen  und  machen  Anhäu- 
fung =  negative  Reize  ^=^  Krankheit.  3)  Mehr  Verwandtschaft, 
daher  Erschöpfung  =  positive  Reize  :=  Krankheit.  Zur  ersten 
Classe  von  Reizen  gehören  alle  organisirten  Körper,  zur  zweiten 
Gifte,  zur  dritten  Opium,  Aether  etc.  Der  Nährstoff  liege  blos  in 
der  Verwandtschaft  zum  Sauerstoff  etc.  Kurz,  man  sieht,  dass  nur 
im  Sauerstoff  ein  Deckmantel  für  Brown'sche  Ansichten  gewonnen 
werden  sollte.  Als  nun  in  der  That  diese  bekanntwurden,  konnte 
sich  Girtanner  den  Vorwürfen  nicht  entziehen,  die  ihm  von  allen 
Seiten  über  sein  Verfahren  gemacht  wurden.  In  seiner  Abhandlung 
über  die  Kinderkrankheiten  in»  Jiihre  1794  (s.  "W ei  kar  d's  Magazin 
2.  St.  S.  214)  entschuldigle  er  sich  damit,  er  habe  sich  nur  über  Brown 
lustig  gemacht;  Engländer  und  Franzosen  hätten  die  Ironie  verstanden, 
Deutsche  aber  nicht;  — ■  eine  Entschuldigung,  die,  obgleich  schon 
wankend  und  schimpflich  an  sich,  noch  durch  Beddoes'  Ausspruch 
widerlegt  wird ,  der  ausdrücklich  sagt :  „If  he  has  not  mentioned  Ihe 
name  of  Brown,  he  has  made  a  free  use  of  bis  doctrines  and  often 
employed  bis  very  expressions.  He  miglit  not  perhaps  in  abslract 
think  it  necessary  lo  point  out  the  source,  from  which  so  many  of  his 
ideas  are  derived,  but  in  his  larger  works  we  have  a  rigbt  to  expect 
that  he  should  do  justice  lo  departed  genius."  Diese  Erwartung 
hat  denn  auch  Girtanner  zu  seiner  eigenen  Ehre  und  Rechtferti- 
gung, wiewohl  erst  spät,  nachdem  bereits  das  System  mehrmals  über- 
setzt war,  erfüllt.  Er  gab  eine  ausführliche  Darstellung  des  Brown'- 
schen  Systems  heraus,  der  er  eine  Biographie  und  Characterskizze 
Brown's  nacli  Beddoes,  so  wie  ein  genaues  und  kritisches  Ver- 
zeichniss  aller  bis  dabin  erschienenen  Brown'scben  und  Antibrown'- 
schen  Schriften  vorausschickte,  die  er  grössteniheils  selbst  gelesen 
hafte  ®*).  Jedoch  ist  dieses  Verzeicbniss  weniger  in  Hinsicht  der 
Anordnung  und  der  Kritik,  als  durch  die  Vollständigkeit  für  den 
Literarhistoriker  wichtig,  während  die  Darstellung  des  Systems  selbst 
in  einer  eigenen  Bearbeitung  nach  den  Disciplinen  (Physiologie, 
Pathologie,  Diätetik,  Semiotik  etc.)  die  Brown  eigenthümliche,  zu 
dem  System  eng  gehörende  Form  und  Färbung  und  den  besondern 


133 

Eindruck  desselben  verwischf.  .  Eine  der  Darstellung'  angehängte 
Kritik  sucht  vom  philosophischen  Standpunct  aus  die  Grundpfeiler  des 
Systems  zu  stürzen,  indem  nachgewiesen  werden  soll:  l)  dass  die 
Grundsätze  des  Systems  unrichtig  und  erschlichen  sind  (keine  ob- 
jeclive  Wahrheit,  Wahrnehmungsurtheile  st;itt  Erfahrungsurtheile) ; 
dass  2)  die  Schlussweise  Brown 's  in  der  Medicin  unstatthaft  sei. 
Auf  Analogie  und  Induction  nändich  basire  Brown  die  drei  Sätze: 
keine  Wirkung  dauere  länger  als  ihre  Ursache;  dieselbe  Ursache 
könne  nicht  verschiedene,  am  wenigsten  entgegengesetzte  Wirkun- 
gen hervorbringen;  dieselbe  Wirkung  könne  nicht  aus  verschiede- 
nen, am  wenigsten  aus  entgegengesetzten  Ursachen  entstehen.  Wie- 
wohl nun  Girtanner  diese  Sätze  durch  Erfahrungen  des  Gegen- 
theils  widerlegt  und  die  unbefriedigende  Erklärung  nach  diesem 
Systeme  bei  einer  Menge  physiologischer  und  pathologischer  Er- 
scheinungen nachweist,  berechtigt  ihn  doch  diese  an  sich  unvollstän- 
dige Kritik  nicht  zu  dem  siegestrunkenen  Schlüsse  seines  Buches. 
Weit  wichtiger  sind  jedenfalls  die  Erfahrungen  (s.  Vorrede  zum 
I.Band),  die  Girtanner  über  die  Erfolge  der  Brownschen  Behand- 
lung in  England  und  Schottland  zu  machen  Gelegenheit  fand.  Nach 
diesen  wurden  Einige  in  Folge  Brown'scher  Behandlung  schnell 
besser,  eine  grössere  Anzahl  starb,  die  Meisten  verfielen  in  chroni- 
sche Krankheiten;  Reizmittel  brachten  bei  gasirischen  Zuständen  den 
grössten  Nachtheil;  Syphilis  heilte  nach  Brown's  Methode  gar  nicht, 
und  Wechselfieber,  Krätze,  Melancholie,  Manie,  Bleichsucht,  unter- 
drückte Menstruation,  gallige  Lungenentzündung,  Rheumatismus,  Ruhr, 
Leberverstopfung,  Krankheiten  des  Darmcanals,  Hämorrhoiden,  Scro- 
pheln  wurden  täglich  schlimmer.  Es  war  von  grosser  Wichtigkeit 
für  Deutschland,  dass  Girtanner  erklärte,  er  habe  bereits  in  den 
Jahren  1789  und  1790  keinen  Arzt  in  Grossbrittannien  mehr  getroffen, 
der  die  Brownsche  Heilmethode  unbedingt  befolgt  hotte  ■■').  Er 
prophezeite  richtig,  wenn  er  die  behufsame  Anwendung  jener  theore- 
tischen Aufschlüsse  auf  die  Praxis,  den  Untergang  dieser  i)ractischen 
Heilmethode    auch    in    Deulschland     und    die    ^A  iedererstehuns:   der 


♦)  Ein  Dr.  Quandt  schreibt  in  Hufeland's  Journal  1798.  Bd.  V. 
St.  2.:  ,,Ueber  Brown  lachten  die  meisten  Engländer,  und  wenn  sie 
gleich  rait  Wein,  Opium  und  China  umgingen  wie  mit  Nahrungsmitteln, 
so  nannten  sie  sich  doch  nie  Brownianer  und  jeder  handelte  nach  seinen 
eigenen  ^leinungen."  Dr.  Saunders,  Brown's  Landsmann,  scherzte 
oft  darüber,  dass  Brown  sein  System  blos  aus  Bosheit  gegen  die 
Edinburger  Professoren  ausgeheckt  habe. 


134 

veraclileleii  Aeliologie,  Nosologie  und  Diagnostik  verkündelc.  Aber 
wir  würden  ihm  gewiss  für  diesen  Ausspruch  noch  freudiger  danken, 
wenn  er  nicht  mit  dem  ,,pace  dulci  quiescat  et  longa  et  aeterna  obli- 
vionis  nocte  decenter  et  silentcr  reponaturi"  (s.  Vorrede  zum  2.  Bd.), 
welches  er  dem  Brown'schen  System  wohl  ein  svenig  undankbar  zu- 
ruft, uns  zu  dem  Darwin' sehen  System,  d.  h.  aus  der  Scylla  in  die 
Charybdis  hätte  führen  wollen. 

Melchior  Adam   l¥eikard. 

Die  eigentliche  Verbreitung  des  Brownschen  Systems  in 
Deutschland  ging  jedoch  von  einem  eben  so  offenen  und  consequen- 
ten,  als  befangenen  Anhänger  desselben  aus,  von  Melchior  Adam 
Weikard,  der  nach  einem  in  Ilildburghausen  im  Jahre  1794  veran- 
stalteten Nachdruck  der  italienischen  Ausgabe  der  Elemente  von 
Moscafi  im  Jahre  1795  die  erste,  ziemlich  fehlerhafte  Uebersetzung 
derselben  herausgab  ^^).  Melchior  Adam  Weikard,  An- 
dreas Rösch laub  und  Joseph  Frank,  welche  auf  den  ver- 
schiedensten Wegen  und  mit  den  verschiedensten  Kräften  nach  einem 
Ziele,  der  Verbreitung  der  Brown'schen  Lehre,  hinstrebten,  stehen 
an  der  Spitze  der  Anhänger  des  Brown'schen  Systems  in  Deutsch- 
land. Eine  Skizze  ihrer  Leistungen  und  Bestrebungen  ist  daher  für 
die  Geschichte  des  Brownianismus  in  Deutschland  unerlässlich,  da 
alle  Entwickelung  desselben  sich  an  diese  Choragen  und  an  die 
Stadien  ihrer  Bildung  anlehnt;  da  alle  Kämpfe  und  Zwistigkeiten  sich 
um  diese  Cenlren  herumbewegen  und  ihre  Fahnen  den  Sammelplatz 
aller  Brownianer  bildeten.  Unter  ihnen  nimmt  Rösch  laub  die 
höchste  Stelle  ein,  da  er  mit  deutschem  Geiste  das  System  durch- 
forschte und  wissenschaftlich  gestaltete.  Jose4)h  Frank  reprä- 
sentirt  das  bildsame  und  vermittelnde  Moment,  welches  der  Entwicke- 
lung der  Ideen  mehr  zu  folgen  im  Stande  ist,  als  sie  herbeizuführen; 
Weikard  aber  ist  der  stabile  Repräsentant  Brown's  für  Deutsch- 
land, sein  erster  und  sein  Ireuester  Anhänger  daselbst. 

Weikard  war  geboren  im  Jahre  1742  zu  Römershag  im 
Fulda'schen ,  wurde  auf  dem  münchskatholischen  Gymnasium  zu  Ham- 
melburg erzogen,  bezog  dann  im  Jahre  1758  die  Universität  Würz- 
burg, wo  er  nach  zweijährigem  Studium  der  Philosophie  nach  vielem 
Schwanken  sich  der  lleilkunst  widmete  und  vier  Jahre  auf  das  Stu- 
dium derselben  verwendete.  Im  Jahre  1764  wurde  er  examinirt  und 
später   zu   Fuld    promovirt.      Seine   Dissertation:    An    et   in  quibiis 


135 

raedicus  naturae  minister,  natura  medicatrix,  steht  in  nierkwürdigein 
Gegensatz  zu  seinem  spätem  Glaubenshekenntnisse.  Nachdem  er 
eine  Zeillang  das  Physikat  zu  ßriickenau  verwaltet  und  über  diesen 
Curort  Erfahrungen  eingesammelt  hatte,  wurde  er  im  Jahre  1770  zum 
zweiten  Leibarzt  des  Fürsten  von  Fuld  ernannt,  wobei  er  jedoch  noch 
in  Brückenau  die  Plliclilen  eines  Badearztes  erfüllte.  Als  Professor 
zu  Fulda  las  er  dort  regelmässig  CoUegia  und  lag  überhaupt  dem 
Studium  fleissig  ob.  Wegen  des  „philosophischen  Arztes",  den  er 
damals  herausgab,  erlitt  er  Verfolgungen  Seitens  der  Mönche,  die 
ihm  den  Aufenthit-If  sehr  erschwerten.  Es  war  daher  kein  Wunder, 
dass  er,  nachdem  er  einen  Ruf  nach  Pavia  an  Tissot's  Stelle  ab- 
gelehnt hatte  (diese  Stelle  erhielt  später  Joseph  Frank),  end- 
lich einem  Rufe  nach  Russland  zur  Kaiserin  Katharina  folgte, 
den  er  dem  Grafen  Schwallow  in  Folge  seines  philosophischen 
Arztes  dankte.  Von  der  Kaiserin  sehr  begünstigt  und  zum  Hofarzt 
ernannt,  erhielt  er  dort  bald  glänzende  Praxis  und  später  den  Titel 
eines  CoUegienraths.  Im  Jahre  1787  unternahm  er  im  Gefolge  der 
Kaiserin  eine  Reise  nach  Taurien.  Nach  seiner  Rückkehr  erwachte 
die  Sehnsucht  nach  der  Heimath,  wozu  Kränklichkeit,  eine  durch 
vielerlei  Intriguen  verbitterte  Stellung  und  wahrscheinlich  die  Un- 
gunst der  Kaiserin  beifragen  mochten,  und  so  erbat  er  sich  die  Er- 
laubniss  zur  Abreise,  welche  ihm  im  Jahre  1789  gewährt  wurde. 
Er  lebte  dann  einige  Zeit  in  Frankfurt ,  Mainz  ,  Aachen  ,  machte  eine 
Reise  nach  Holland,  Spaa,  später  Krankheils  halber  nach  Baden-Baden 
u.  s.  w.  und  lebte  unter  vielfachen  Fehden  in  Mannheim  und  Heil- 
bronn, nachdem  er  vom  Nachfolger  der  Kaiserin  Katharina  noch  zum 
russischen  Etatsralh  ernannt  worden  war.  Im  Jahre  1802  erschienen 
noch  von  ihm  die  Denkwürdigkeiten  aus  seinem  Leben  (Denkwürdig- 
keiten aus  der  Lebensgeschichte  des  K.  russischen  Etafsraths  M.  A. 
Weikard.  Nach  seinem  Tode  zu  lesen.  Frankfurt  und  Leipzig, 
1802.  8.),  welche  ein  helles,  wiewohl  nicht  ganz  günstiges  Licht  auf 
ihn  warfen.  Am  25.  Juli  1803  endete  er  als  Oranien- Nassau -Fulda"- 
scher  geheimer  Rath  und  Director  des  Medicinal\\  esens  zu  Fulda  ein 
Leben ,  welches,  reich  an  glücklichen  wie  an  unglücklichen  Erfahrun- 
gen, in  der  That  ein  vielbewegtes,  wenn  auch  in  der  Hauptsache  ver- 
fehltes zu  nennen  ist,  indem  er  es  sich  zur  Hauptaufgabe  gemacht 
hatte,  ein  System  7.u  stützen,  welches  den  Keim  des  Todes  in  sich 
trug.  Und  wie  verfocht  er  diese  Idee!  3Iif  welcher  Halsstarrigkeit, 
mit   welcher  Empfindlichkeit,    mit   welchen  WalTen    der  Sophisterei. 


136 

Rusticität,  Schmähung  und  Verläumdung!  Weikard  war  ein  Mann 
von  Verstand ,  Witz  und  Scharfsinn ,  wenn  ihm  auch  die  eigentliche 
Grundlage  des  Wissens,  die  Gelehrsamkeit  abging;  er  war  ein  offe- 
ner, gerader  Character,  nicht  ohne  ehrenwerthe  Gesinnung,  wie  er 
im  Kampfe  gegen  3Iönchsthum  und  Despotismus  bewiess.  Aber  eine 
unermessliche  Eitelkeit,  verbunden  mit  Arroganz  und  Empfindlichkeit, 
S.elbstüberschätzung,  Nichtachtung  und  Rücksichtslosigkeit  gegen 
Andere  und  eine  fast  krankhafle  Zanksucht  verdunkelten  diese  guten 
Eigenschaften.  Seine  Denkwürdigkeiten,  in  breiler,  selbstgefälliger 
Sprache  abgefasst  und  untermischt  mit  Ausfällen,  Angriffen,  zänki- 
schen Zwistigkeilen  und  nicht  selten  mit  sinnlichen  Gemeinheiten,  die 
ci'  (wie  auch  Girtanner  rügt)  mit  einer  Art  von  anekelndem  Wohl- 
gefallen vortrug ,  lassen  uns  einen  tiefen  Blick  in  sein  Wesen  thun. 
Sie  enthalten  überdiess  eine  wahrscheinlich  nicht  unwesentliche  Ur- 
sache und  Bedingung  dieser  Eigenschaften.  Weikard  war  näm- 
lich durch  einen  Zufall  ein  Krüppel  geworden,  und  Verwöhnung  und 
Verhöhnungen,  wie  sie  solchen  Unglücklichen  zu  Theil  werden,  so 
wie  ein  fast  beständig  von  Hysterie  und  Gicht  geplagter  Körper 
mögen  wohl  eine  grosse  Schuld  an  diesen  Mängeln  tragen,  die  so 
deutlich  in  allen  seinen  Schriften  vorleuchten  und  seiner  Polemik  und 
seinen  Bemühungen  einen  ungünstigen  Anstrich  geben.  Den  Ruhm 
dieser  Bemühungen  aber ,  wenn  sie  wirklich  einen  verdienen,  —  und 
sie  sollten  es,  da  Weikard  doch  wenigstens  der  Wahrheit  zu  die- 
nen glaubte,  —  schmälert  auch  die  schnelle  Aufnahme,  welche 
das  Brown 'sehe  System  bei  ihm  fand.  Es  kann  eine  Wahrheit 
blenden  und  im  Nu  den  Irrthum  früherer  Wege  beleuchten,  aber  sich 
so  ganz  binden,  so  ganz  gefangen  halten,  so  selbst  zum  Sclaven  des 
Buchstaben  machen  lassen,  dass  das  ganze  frühere  Leben  und  Wirken 
wie  ein  nichtiges  Trugbild  erscheint,  wie  es  bei  Weikard  der  Fall 
war,  darf  ein  Mann  von  Geist  und  Kritik  nie.  —  Kaum  hatte  er 
das  System  gelesen,  kaum  geprüft  und  schon  verschwor  er  sich  ihm 
so  mit  Leib  und  Seele,  dass  Niemand  ihm  ein  Jota  davon  rauben 
durfte:  er  wurde  bei  mangelnder  Originalität  weniger  als  Reprä- 
sentant, nämlich  die  leibhafte  Copie  des  Schotten  in  Deutschland. 
Für  diese  Ehre  ertrug  und  ertheilte  er  gleich  Brown  die  bittersten 
Verfolgungen.  Vergeblich  ist  sein  Bestreben ,  diesen  schnellen 
Uebergang  dadurch  zu  beschönigen,  dass  er  uns  glauben  machen 
will,  er  habe  bereits  früher  von  selbst  Brownisch  behandelt,  ohne 
das   System   gekannt   zu  haben.      Er   meint  damit   die  Anwendung 


137 

slärkender  Älittel  in  einzelnen  Fällen,   die  ja  zu  allen  Zeiten  in  ähn- 
lichen Zuständen  angewendet  worden  sind,  —  weil  sie  wirklich  in- 
dicirt  sind.     Wir  finden  in  seinen  „vermischten  medicinischen  Schrif- 
ten" (Frankfurt  a.  M.  1778 — 1780.  1. — 3.  Stück)  und  in  den  kleinen 
Schriften  verschiedenen  Inhalts   (Mannheim  1782)   keine  Andeutung 
von  Brown'scher  Theorie  oder  Praxis,    sondern  viel  humoralpalholo- 
gische  Ansichten,   Gichfnialerie  als  Ursache  von  Nervenkrankheiten, 
Mittel,   welche  die  Säfte   auswaschen   u.  s.  w.      Dagegen   erkennen 
wir  schon  hierin  die  Flüchtigkeit  seiner  Beobachtungen  neben  man- 
chem guten  practischen  "Wink ,   den  Eigensinn,  dereinen  grundlosen 
Widerwillen  gegen  einige  Arzneien   und  eben  so   grundlose  Furcht 
vor  andern  hat,    der  das  Elixir  acid.  Hall,  bei  Nervenkrankheiten  ver- 
bannt, weil  es  nicht  zu  seiner  Theorie  passt,  aber  sich  „in  den  Kopf 
setzt"   Kalkwasser   müsse   helfen.      Auch   an  Humor   und  Derbheit 
ist  schon  damals  kein  Mangel,   so  wenig  wie  an  Verachtung  anderer 
Schriftsteller.      Ganz  so  verhält  es  sich   mit   seinen   „medicinischen 
Fragmenten  und  Erinnerungen"  (Frankfurt  a.  M.  1791),   welche  eine 
Streitschrift  von  A.  F.  Hecker   und   N.  K.  Molitor   hervorriefen. 
Plötzlich  aber,   nachdem  er  das  Brown'sche  System  kennen  gelernt 
und  übersetzt  hat,  strengt  er  alle  seine  Kräfte  an,  um  Deutschland  so 
dafür  zu  begeistern,  als  er  es  selbst  ist,  und  erklärt  daher  in  seinem 
Entwurf  einer   einfachen  Arzneikunst  ^^),   welcher  nichts   als   eine 
Umschreibung  der  Brown'schen  Elemente  ist,   mit  einer  naiven  Offen- 
heit:  „il  ne  faut  pas  faire  le  crime  ä  demi,"  —  deswegen  habe  er 
das  ganze  Brown'sche  System  auf  seine  Schultern  genommen.      „Un 
objet  essentiel  aux  progres  de  la  vraie  science  est  de  savoir  ignorer 
les  choses  vaines  et  moins  utiles"  ist  das  Motto  seiner  Schrift ,   und 
zu  diesen  choses  vaines  et  moins  utiles  rechnet  er  mit  Brown  die 
Diagnose  und  Nosologie,  wie  die  ganze  frühere  Medicin,   die  er  mit 
einem  Naturmädchen  vergleicht,  das  in  die  Stadt  gebracht,  an  Luxus, 
Coquetterie  und  Ausschweifungen    gewöhnt  und  durch  Anbeter  ver- 
derbt,   nur  durch  [Brown's]  Einfachheit  wieder  in  den  Naturzustand 
gebracht  werden   könne.      Die  Herstellung   der  Gesundheit  sei  der 
einzige   Zweck   des  Arztes,  —    alles    Uebrige   Zeitverschwendung. 
Wie  aber,  wenn  dieser  Zweck  nicht  ohne  „Zeitverschwendung"  er- 
reicht  werden    kann?  —    Dieser  in  unbedingter  Abhängigkeit   von 
Brown  verfasste  Entwurf  wurde  nun  speciell  in  einem  medicinisch- 
practischen  Handbuche  ^')  ausgeführt  (1796),   nachdem  noch  Wei- 
kard    seinen    Namen    an    Bertoloni,     Rasori,     Monteggia, 


138 

J.  Frank,  Gelmetti,  Mocini,  Cattanio  u.  A.  durch  Uebersetzun- 
gen  geknüpft  halte  (s.  oben),  man  weiss  nicht,  ob  aus  blosser 
Schreiblust  oder  aus  allzu  grossem  Eifer,  der  Alles  aufsucht,  was 
nur  irgend  nach  einer  Autorität  für  seine  Meinung  aussieht ;  viel- 
leicht auch,  um  durch  das  Beispiel  der  Italiener,  Avie  schlecht  auch 
immer,  auf  die  Deutschen  zu  wirken,  denen  das  Fremde  nie  gleich- 
gültig war.  —  In  diesem  medicinisch-practischen  Handbuch,  welches 
die  speciellen  Lehren  der  Elemente  Brown's  giebt,  während  der 
Entwurf  sich  mit  den  allgemeinen  beschäftigle ,  sucht  nun  Wei- 
kard  das  Gute  und  Schlechte  seines  Altmeisters  und  Originals  kräf- 
tiglichst  beizubehalten.  Jedoch  ist  die  Symptomatologie  besser  ge- 
worden und  einzelne  Abweichungen  waren  nicht  ganz  zu  vermeiden. 
Scharlach  ist  z.B.  nach  Weikard  eine  Pyrexie  mit,  nach  Brown 
ohne  Entzündung.  Die  Rothlaufsgeschwüre  erklärt  Weikard  von 
Verderbniss  oder  Schärfe  des  Malpighischen  Schleimes  oder  der 
Lymphe.  Bei  den  Ausschlägen  werden  noch  Urticaria  und  Pemphigus 
erwähnt  und  die  bei  Brown  übergangenen  Zustände  von  Blutspeien, 
Blutbrechen  und  Blutharncu,  letzlere  beide  meist  als  örtlichen  Ur- 
sprungs, aufgeführt.  Vielen  Widerspruch  erregte  die  Behauptung, 
dass  Quarlanfieber  leichter  zu  behandeln  seien  als  die  übrigen.  Die 
Therapie  Weikard's  hat  auch  einzelne  Abweichungen;  der  Ap- 
parat seiner  Heilmittel  ist  grösser,  aber  die  Anwendung  der  Reiz- 
mittel noch  viel  ausgedehnter  und  ausschweifender  als  bei  Brown. 
Der  ableitenden  Methode  räumt  er  (im  Widerspruch  mit  der  Allge- 
meinheit der  Erregung)  grösseres  Feld  ein  als  Brown.  Brech- 
mittel bei  Pneumonie  wirken  wohl  durch  die  specifische  Einwirkung 
des  Tart.  stib.  (Ref.),  nicht  durch  das  Brechen.  Bei  Phrenitis  empfiehlt 
er  nach  gemässigter  Diathese  ein  beruhigendes  Mittel  (derglei- 
chen giebt  es  nach  Brown  eigentlich  nicht).  Die  Beliandlung  der 
entzündlichen  Krankheilen  ist  im  Allgemeinen  gut  zu  nennen,  Queck- 
silber aber  gehört  zu  den  reizenden  Mitteln.  Bei  Krätze  werden 
Schwefel-  und  Merkurialeinreibungen,  bei  Rliacliilis  Malaga,  Madera 
und  englischer  Porter,  bei  Mensirualionsstörungen  Aloe,  Wein, 
Opium  etc.,  bei  Metrorrhagie  Ipecacuanha,  —  Alles  als  Reizmittel 
empfohlen.  Was  dis  Cessatio  menstruorum  heilt,  heilt  auch  die 
Blutungen,  —  Aveil  beide  auf  Schwäche  beruhen.  Bei  llacmoplysis 
giebt  Weikard  Rum,  bei  Hämorrhoiden  (=  Schwäche)  Aloe,  bei 
Magensäure  Krebsaugen  (sind  das  auch  Reizmittel  oder  nicht  viel- 
mehr specifische  Arzneien?).      Natürlich  werden  Opium  und  Moschus, 


I 


139 

Wein  u.  s.  \v.  auch  in  „Kinderkrankheiten"  und  neben  Branntwein 
und  Rum  auch  in  der  Hysterie  (wo  bekanntlich  Opium  selten  vertragen 
wird)  angewendet.  Im  Keuchhusten  erhalten  selbst  Säuglinge  Lau- 
danum.  Gegen  Magenkrampf  werden  bittere  Sachen,  Stahl,  China 
gegeben,  denn  slärkcu  und  reizen  ist  auf  gut  Browuisch  dasselbe. 
Fernere  Reizmittel  Weikard's  sind:  Ferrum,  Camphora,  Crocus, 
Serpcntaria,  Conlrajerva,  Sal  Cornu  Ccrvi,  Quajacum,  Aulimonialia, 
Columbo,  Absynlhium,  Calamus,  Cinnamomum,  Terebinthina,  Caslo- 
reum.  —  Mit  Recht  wird  der  3Iissbrauch  der  Brech-  und  Purgirmillel 
bei  Intermittens  sehr  getadelt,  doch  wendet  Weikard  dieselben 
viel  häufiger  nebenbei  an  als  Brown,  wie  er  auch  von  örtlichen 
Unterstützungsmitteln  der  Cur  einen  fleissigern  Gebrauch  macht. 
Doch  genug  von  dieser  Praxis,  der  man  es  ansieht,  wie  sie  sich  der 
Theorie  zu  Liebe  consequent  zu  bleiben  abquält. 

Drei  Jahre  später  (1799)  erschien  dieses  Handbuchs  dritter  Theil, 
der  auch  unter  besondcrm  Titel  die  örtlichen  Krankheiten  ab- 
handelt. Hier  zwang  die  Vernachlässigung  des  Gegenstandes  bei 
Brown  zu  Abänderungen;  —  ob  aber  diese  Verbesserungen  waren? 
Es  werden  nämlich  mehr  diagnostische  Kennzeichen  angegeben,  eine 
partielle  Erregbarkeits-AlTeclion  angenommen  (gegen  Brown),  der 
Schmerz  bei  örtlichen  Leiden  als  accessorischer  Reiz  bezeichnet,  der 
nervöse  Schmerz  ein  Schmerz  von  mangelndem  Reize  genannt,  und 
nach  Darwin  und  Reil  das  Gesetz  der  Association  bei  der  Muskel- 
bewegung, und  als  neu  für  einen  Brownianer  auch  der  Consensus 
erwähnt.  Die  Heilung  aber  soll  ebenfalls  durch  Reize  oder  Schwä- 
chungsmittel bewirkt  werden.  Diese  Verbesserungen  (I)  sind  aber 
nur  Aushülfe,  fremdartiges  Einschiebsel,  Inoculalion,  welche  dem 
Systeme  nicht  zu  gute  kommt,  sondern  mit  ihm  um  so  mehr  im  '^^  ider- 
spruche  steht,  als  keineswegs  eine  Abänderung  der  Principien  damit 
zusammenhängt.  Ganz  abweichend  von  Dem,  wie  es  noch  im  ersten 
Theil  des  Handbuchs  von  Weikard  enthalten  ist,  wird  hier 
die  Eintheilung  der  örtlichen  Krankheiten,  die  so  merk- 
würdig in  ihrer  Art  ist,  dass  wir  am  besten  thun,  den  Leser  selbst  in 
den  Stand  zu  setzen,  ein  Urlheil  darüber  zu  fällen.  Weikard 
nimmt  nämlich  6  Classen  an. 

L  Classe:  Organische  Krankheiten  von  örtlicher 
Disposition  ohne  allgemeine  oder  partielle  Afficirung 
der  Erregbarkeit  (ist  das  wohl  möglich?),  als:  a)  äussere: 
l)  Geschwülste  (Varices,  Hydrarlhrus,  Kaevi,  Scirrhi,  Struma,  Sero- 


140 

fulae),  2)  Ectopiae  (Herniae,  Prolapsus),  3)  Excrescentiae  (Verrucae), 
4)  Ausschläge  (Weinstein,  Ephelis  u.  s.  w.) ,  5)  Deformitates  (Fisteln, 
Hasenscharten,  Coloboma,  Strabismus);  ä)  innerliche  (Steine, 
Würmer,  Texlurveränderung  u.  s.  >v.).  (Passt  wohl  hierfür  die  De- 
finition der  I.  Classe?) 

II.  Classe :  Organische  Krankheiten  mit  allgemei- 
ner oder  partieller  Afficirung  der  Erregbarkeit,  als: 
Strabismus,  Otalgia,  Surditas,  Odontalgia,  Mariscae,  Fistulae,  Car- 
cinoma, Caries,  Hernia  incarcerata,  Erweiterung,  Verengerung; 
verstopfte  und  geschwollene  Drüsen,  Scropheln,  Tinea,  Crusta  lactea, 
Zona,  Erysipelas,  Pemphigus,  Furunculus,  Ulcus,  Hydrophthalmia, 
Cataracta,  Amaurosis,  Exophthalmia,  Herpes,  Comedones,  Panaritium, 
Aphlhae,  Verhärtungen,  Icterus,  Ozaena,  Rhagades,  Eschera,  Arthro- 
cace,  Hordeolum,  Aneurysma,  Steinschmerzen,  Abscessus  interni, 
Tumores  interni,  Verstopfungen,  Verwachsungen,  W^assersäcke ,  An- 
sammlungen. 

III.  Classe:  Krankheiten,  wo  die  örtliche  Erregung 
ohne  allgemeine  Diathesis  oder  Alteration  der  Erreg- 
barkeit ergriffen  ist,  als:  Fracturae ,  Fissurae,  Luxationes, 
Contusiones,  Contorsiones,  Vulnera,  Ambuslio,  Congelatio,  Zerreis- 
sungen,  Bisse,  Excoriationen. 

IV.  Classe:  Organische  Krankheiten  in  sehr  em- 
pfindlichen Theilen,  die  sich  über  das  ganze  System 
verbreiten,  als:  locale  Gastritis,  Enteritis,  Hepatitis,  Splenitis, 
Nephritis,  Cystitis,  Hysleritis,  Verblutungen  mit  nachfolgender  Ent- 
zündung oder  Fieber,  Abortus,  schwere  Geburt. 

V.  Classe:  Oertliche  Krankheiten  von  allgemeiner 
Erregung,  die  eine  solche  Höhe  erreicht,  dass  der 
Theil  fernerer  Erregung  unfähig  wird  (Brown's  III. 
Classe),  als:  Pusteln,  Abscess,  Anthrax,  Bubo,  Carbunculus,  Gan- 
graena,  Sphacelus,  skrophulöse  Geschwülste  und  Geschwüre,  skir- 
rhöse  Verhärtungen,  Empyema  und  andere  Eiferansammlungen,  Lun- 
geugeschwüre,  Weichselzopf,  Ulcera. 

VI.  Classe :  Gifte  oder  Ansteckungen,  welche  örtlich 
afficiren,  mit  partieller  oder  allgemeiner  Alteration 
der  Erregbarkeit,  als:  animalische  Gifte:  Ansteckung,  Venus- 
gift, Bisse  giftiger  Thiere;    mineralische,  vegetabilische  Gifte. 

Hcisst  eine  solche  Eintheilung,  nach  welcher  jedes  Glied  be- 
liebig in  die  verschiedenen  Classen  gebracht  werden  könnte ,    nicht 


141 

eine  Satire  auf  die  Wissenscliaft?  Wahrlich  der  Unverstand  der 
Anordnung,  die  Ignoranz  in  der  Beschreibung  und  die  Flüchtigkeit 
der  Therapie  zeigen  deutlich,  -wie  die  Absicht,  bloss  auf  die  Herstellung 
der  Gesundlieit  bedacht  sein  zu  wollen ,  mit  der  sich  die  Brownianer 
brüsteten ,  nur  der  Deckmantel  für  ihre  gänzliche  Vernachlässigung 
aller  Wissenschaftlichkeit  war,  deren  Beachtung  ihnen  wahrscheinlich 
als  „Zeitverschwendung"  erschien.  Die  neuern  Fortschritte  der 
Diagnostik,  die  genauere  anatomische  Grundlage  der  Pathologie  und 
die  engere  Verknüpfung  der  Chirurgie  und  Medicin,  welche  eine 
physiologische  Beachtung  der  ersteren  herbeigeführt  hat,  werden 
uns  hoffentlich  auf  immer  vor  solchen  ,, Versuchen"  bewahren!  — 

Mittlerweile  aber  halle  das  Brown'sche  System  in  Deutschland 
an  Interesse  und  Anhängern  gewonnen.  Um  jenes  lebendig  zu  er- 
hallen,  diese  aber  zu  vermehren,  stiftete  der  in  Verfolgung  seines 
Zweckes  unermüdliche  "NVeikard,  gleichsam  als  literarischen  Strebe- 
pfeiler, ein  Organ  der  neueren  Heilmelhode,  das  Magazin  der  ver- 
besserten Arzneikunst  ^^),  welches  die  Freunde  schützen  und  ihnen 
als  Sammel-  und  Tummelplatz  zur  Niederlegung  ihrer  Ansichten  pro 
und  contra  dienen  sollte.  Durch  diese  inzwischen  bei  dem  Er- 
wachsen vieler  Gegner  nothwendig  gewordenen  Bekämpfungen  erhielt 
das  Magazin  ein  mehr  theoretisirend- polemisches  Ansehen,  wel- 
ches wohl  zur  klaren  Entwickelung  der  damaligen  Gährungsprocesse 
und  zur  Abscheidung  der  wahren  wissenschaftlichen  Quintessenz  hätte 
führen  können,  wenn  der  Herausgeber  selbst  nicht  von  so  einseitig 
J)linder,  im  Verlaufe  der  Zeit  immer  fanatischer  werdenden  Vorliebe 
irregeführt  worden  wäre.  —  Daher  kam  es,  dass  er  den  besser  zu 
benützenden  Raum  mit  Auszügen  aus  Brown's  Observations,  aus 
JohnFrank's  Schrift,  mit  Uebersetzungen  ziemlich  unbedeutender 
Arbeilen  von  Mocini,  Moseali,  Gelmetti,  und  mit  mehrfachen 
Entgegnungen  auf  Slrambio's  gutes  Werk  füllte  und  nebenbei  mit 
schmähenden ,  intoleranten  Anmerkungen  die  allgemeine  Literatur- 
zeitung, den  gediegenen  Pfaff,  das  Journal  der  Erfindungen,  Gir- 
tanner,  zuletzt  alle  Nichlbrownianer,  die  er  einmal  sogar  als  ..Mör- 
der" bezeichnet,  überhäufle.  Einige  unbedeutende  Originalaufsätze, 
über  die  Diagnose  slhenischer  und  asthenischer  Krankheilen,  Beobach- 
tungen über  Faulfieber  u.  s.  w. ,  über  Wein  und  Opium,  über  Kälte, 
sowie  die  besseren  von  Röschlaub  über  wahre  und  falsche 
Schwäche  der  Aelteren  und  die  Brown'sche  direcle  und  indirecte 
Schwäche,   und  über  die  Diät  der  Krankheiten   gewähren   durchaus 


142 

keine  neue  Beleuchtung  oder  Förderung^.  Auffüllend  ist  jcdocli, 
dass  Weikard  in  den  Anmerkungen  zu  Moscati  zwar  bei  frisch 
entstandenen  gasirischen  Zuständen  nach  Brown  Reizmittel,  bei 
länger  bestandenen  aber  Brechmittel  mit  Moscati  angewendet  wis- 
sen will.  Diese  der  altern  Medicin  sich  nähernde  Verordnung  ent- 
schuldigt er  aber  dadurch,  dass  er  Brechmittel  gelinde  Reiz- 
mittel nennt  und  dass  er  bei  der  Schwierigkeit  gastrische  Zufälle  nach 
Brown  zu  behandeln  eine  Mittelstrasse  zwischen  älterer  und  neuerer 
Medicin  wählen  Avolle.  Sehr  Avichtig  als  Vorbereitung  der  Er- 
regungslheorie  ist  eine  andere  Stelle,  wo  Weikard  ausdrücklich 
sagt,  dass  man  neben  dem  Er  r  egungsz  us  tan  de  auch  auf  Zerrüt- 
tung oder  Umänderung  der  Thcile  oder  der  Organisation  zu 
sehen  habe.  Mit  Recht  wird  aber  auch  andererseits  bei  Nicht- 
brownianern  der  häufige  Gebrauch  der  Purganzen,  der  schwächenden 
und  auflösenden  Methode,  wie  die  schnellferlige  Annahme  von  Fieber 
bei  jeder  Geschwindigkeit  des  Pulses  und  die  ewig  wiederkehrende 
Theorie  von  innerer  Verstopfung  und  Verhärtung  gerügt,  —  Fehler, 
gegen  die  allerdings  das  neue  System  ein  bedeutendes  Bollwerk  er- 
richtete. —  Doch  fand  Weikard's  Ton  und  Unternehmen  keinen 
Anklang;  das  Magazin  erlebte  nur  das  vierte  Stück  und  ging  in  der 
Theilnahmlosigkeit  des  Publikums,  ja  der  Brownianer  selbst,  unter. 
—  Noch  einmal  versuchte  es  Weikard  im  Jahre  1798  auf  anderem 
Wege  durch  eine  Sammlung  medicinisch-practischer  Beobachtun- 
gen^^-'), welche  Röschlaub's  und  Joseph  Frank's  Arbeiten, 
von  ihm  selbst  aber  nichts  enthielt,  sein  Andenken  zu  beleben  ■■■■), 
aber  sein  AVirken  Avar,  besonders  durch  Sprengel  und  Heck  er, 
gegen  die  sich  noch  am  Spätabende  seines  Lebens  in  seiner  letzten 
Schrift  (s.  Denkwürdigkeiten,  letzter  Abschnitt)  die  ganze  hämische 
Bosheit  und  unwissenschaftliche  Gemeinheit  seiner  Polemik  in  ver- 
stärktem Maasse  Aviederholte ,  gelähmt.  In  den  letzten  vier  Jahren 
seines  Lebens  verstummte  dieser  unermüdliche  Verfechter  Brown's, 
um  einem  würdigeren  Nachfolger  Platz  zu  machen,  der  eine  neue 
Entwickelungsphase  des  von  Jenem  fast  in  seiner  Integrität  bewahr- 
ten Systems  herbeiführte. 

Man  kann,  ohne  sich  viel  auf  eine  prophetische  Gabe  einzubil- 
den,  bei  der  Erwägung  dieser  Vorgänge    getrost  behaupten,   dass 


♦)  Seine  ,, Originale  und  Uebersetzungen"  90)  übergehen  wir  billig 
als  Wiederholungen,  ebenso  seine  „Toilettenlectüre"  als  eine  schädliche 
Anweisung  für  Laien. 


143 

unter  solclien  ümsfänden  das  Bro'svn'sche  System  den  Angriffen  der 
Gegner,  denen  es  überall  Lücken  und  Breschen  zeigte,  ebenso  schnell 
in  Deutschland  unterlegen  haben  Avürde  >vie  in  England,  zumal  da 
Weikard  nicht  das  Talent  besass,  die  Fehler  des  Systems  auszu- 
gleichen oder  seine  Gegner  durch  schlagende  oder  wenigstens  ge- 
-\vandle  Gegengründe  zu  entwaffnen,  -wenn  nicht  in  Rösch laub, 
dem  Manne  der  Theorie,  ausgezeichnet  durch  gleich  geschickte  Hand- 
habung der  Offensive  und  Defensive,  wie  durch  productive  Con- 
sfruclion  philosophischer  Lehrsätze,  ein  Retter  der  Brown'schen 
Lehre  erstanden  -wäre.  —  Diesem  in  (1er  That  genialen  Manne  war 
es  vorbehalten,  dadurch,  dass  er  die  Inconsequenzen  Brown 's 
ausglich  und  einige  seiner  gröberen  Widersprüche  aufliob,  wie  durch 
streng  logische  Basirung  seiner  Grundsätze  auf  gewisse  consequent 
durchgeführte  Principien,  eine  vollständigere  Theorie  und  ein  inner- 
licher zusammenhängendes  System  zu  schaffen.  Durch  sein  ge- 
echlossenes  Ganze  trat  dieses  weit  achtunggebietender  als  das 
Brown'sche  System  auf,  obwohl  es  wesentlich  dasselbe  war,  und 
zwang  die  Gegner  zu  einer  genauen,  tiefeingehenden  "Widerlegung. 
So  wurde  diese  Umgestaltung  der  Brown'schen  Lehre,  die  nur  in 
gewissem ,  mehr  formellem  Sinne  eine  Verbesserung  zu  nennen  ist, 
gerade  die  Veranlassung,  im  Kampfe  der  Meinungen  und  in  den 
scharfsinnigen  und  bedeutenden  wissenschaftlichen  Streitigkeiten,  die 
sich  gegen  den  jetzt  weit  gefährlicheren  Gegner  von  allen  Seiten  er- 
hoben. Wahres  und  Unwahres  zu  sichten.  Wir  datiren  daher  mit 
Recht  in  der  Geschichte  des  Brown'schen  Systems  von  Röschlaub's 
Auftreten  die  zweite  wichtigere  Phase  der  Entwickelung 
desselben. 


Oeschiclite  der  Erre^ini^stlieorie. 


I.     Begründer  der  Erregungstlieorie. 

Johann  Andreas  Röschlaul», 

der  Urheber  der  Erregungstheorie,  war  geboren  zu  Lichlenfels 
im  Bambergischen  den  6.  oder  21.  October  1768,  besuchte  seit 
1779  das  Gymnasium  zu  Bamberg,  studirte  anfänglich  (seit  dem 
Herbste  1786),  gleich  Brown,  Theologie,  wandte  sich  aber  im 
folgenden  Jahre  bereits  der  Medicin  zu,  deren  Studium  er  in 
Bamberg  und  Würzburg  betrieb.  Im  Jahre  1786  wurde  er 
Magister  philosophiae  zu  Bamberg.  Von  1792  an  besuchte  er  täg- 
lich das  Krankenhaus  daselbst  bis  zum  Jahre  1795,  wo  er  das 
Doctorat  der  Medicin  erlangte,  sich  habilitirte  und  die  Armen- 
praxis eines  Drilttheils  der  Stadt  übernahm.  Das  Glück  AvoUte 
ihm  wohl  und  so  wurde  er  bereits  im  Jahre  1796  ausserordent- 
licher Professor  an  der  Universität  zu  Bamberg,  1797  Beisitzer 
der  Facultät,  im  Februar  1798  ordentlicher  Professor  der  Pa- 
thologie und  Klinik  und  zweiter  Hospitalarzt  am  Krankenhause 
unter  Marcus.  Im  Frühjahr  1802  wurde  er  nach  Landshut  als 
ordentlicher  Professor  der  niedicinisehen  Klinik,  Hospitalarzt, 
Direktor  der  medicinischen  Schule  und  Beisitzer  der  medicini- 
schen  Facultät  versetzt;  1804  wurde  er  Medicinalrath.  Nach 
Aufhebung  der  Universität  zu  Landshut  erhielt  er  einen  Ruf  nach 
München.  Im  Jahre  1824  wurde  er  in  den  Ruhestand  versetzt.  - 
Seit  1830  führte  er  den  Titel  eines  königlichen  Hofraths  und 
Professors,  wie  auch  Beisitzers  des  Obermedicinalausschusses  und 
starb   im  Jahre   1835. 


145 

Rösch laub  wurde  zuerst  im  Jahre  1793  mit  Brown'» 
Ideen  bekannt  und  kündigte  sich  bereits  im  Jahre  1795  in  einem 
Fragment  über  das  Fieber^')  als  Brownianer  an,  indem  er  die 
Fiebereintheilung  Bro  wns  annahm,  „addere"  und  ,,imminuere"  als 
das  Ziel  aller  therapeutischen  Methoden  aufstellte.  („Medicina  est 
addilio  et  subtraclio.") 

Offener  trat  er  als  Brownianer  in  Weikard's  Magazin 
auf  (vergl.  St.  2.  S.  99  — 183),  um  Brown  von  dem  Vorwurfe  zu 
reinigen,  als  sei  seine  Annahme  der  direkten  und  indirekten 
Schwäche  der  wahren  und  falschen  Schwäche  der  Aelteren  ent- 
sprechend. Hier  deutet  er  bereits  die  später  in  der  Pathogenie 
(s.  unten)  entwickelten  Grundsätze  an,  indem  er  ein  Reactions- 
ver mögen,  Reizverlragungs\ ermögen,  annimmt,  die  physischen 
Gesetze  unter  die  der  Organisation  unterordnet  u.  s.  w. 
Mit  Recht  behauptet  er,  dass  die  Brown'sche  Schwäche  jedes- 
mal Schwäche  sei,  und  widerlegt  so  den  oben  erwähnten  Vor- 
Avurf.  Im  Uebrigen  bewährt  er  sich  als  strenger  Brownianer; 
ebenso  in  dem  Aufsatz  über  Diät  in  Krankheiten  (Weikard's  Ma- 
gazin, 4.  Stück,  Seite  105),  wo  er  besonders  gegen  Hufeland's  An- 
nahme von  der  fäulnissbefördernden  Kraft  des  Fleischgenusses  eifert. 
Einen  nicht  unlehrreichen  Aufschluss  über  die  Praxis  der  Brownia- 
ner geben  die  von  Röschlaub  milgetheilten  Geschichten  ver- 
schiedener Fieberkrankheiten  (in  Weik.  Samml.  med.  pr.  Beobb.), 
von  denen  der  Verfasser  nur  eine  Gattung,  aber  verschie- 
dene Grade  kennt.  Als  haui.tsächlichste  Heilmittel  bei  Syno- 
chus  und  Febris  intermittens  gellen  hier  Arnica,  Valeriana,  Ser- 
pentaria,  Vinum,  Camphora,  China,  Rub.  tinct.,  Laudanum ,  Fer- 
rum, Liehen  Isl. ,  Dulcamara,  Aloe,  Calomel;  und  durch  Versuche 
mit  Brech-  und  Abführmitteln  (welche  das  Brown'sche  System 
eigentlich  hier  gänzlich  verbannte,  die  neuere  deutsche  Schule 
aber  theilweiss  wieder  einfuhren  wollte)  ergab  es  sich,  dass 
diese  stets  das  Fieber  verstärkten,  die  Heilung  erschwerten,  die 
Kräfte  consumirten  und  die  Reconvalescenz  verzögerten.  Die 
Annahme  einer  materiellen  Fieberursache  bei  den  Humoralpalho- 
logen  unterliegt  natürlich  strengem  Tadel.  Einen  anderen  Be- 
weiss seiner  rigoristischeh  Anhänglichkeit  an  die  Brown'sche  Lehre 
giebt  eine  Abhandlung  über  den  Durchfall  (in  >yeikard's 
Beobachtungen,  1797).  Sonderbar  genug  klingt  hier  der  Vor- 
schlag   bei    Durchfall    von    Ausdehnung     durch    Speisen    und    Ge- 

10 


146 

tränke  erst  Brecli-  und  Laxirmittel  (ganz  im  Widerspruch  mit 
der  asthenischen  Natur  des  Uebels)  und  dann  die  slhenische  Me- 
thode anzuwenden.  Natürlich  wird  die  krilische  Natur  der  Durcli- 
fälle  geläugnet,  was  in  verniinflig'er  Beschränkung  auch  eine 
wichtige  Lehre  für  uns  giebt,  die  wir  mit  der  kritischen  Hülfe 
der  Krankheiten,  wie  z.  B.  heim  Zahnen  der  Kinder,  leicht  zu 
freigebig  sind.  —  Mit  dem  stolzen  Bewusstsein,  dass  die  Brown'- 
sche  Theorie  die  Epoche  der  rationellen  Medicin  bezeichne  und 
ihr  einen  philosophischen  Weg  andeute,  trat  er  zuerst  in  einem 
zusammenhängenden  Ganzen  in  der  Schrift  von  dem  Einflüsse 
der  B r  0  vrn  '  s c h  e n  Theorie  in  die  praktische  Heil- 
kunde^-^) auf,  welche  unier  der  Form  des  Nachweises,  wie  sich 
die  einzelnen  Fächer  der  Medicin  bei  Brown  gestalten,  eine 
wenig  selbstständige  Paraphrase  der  Brown'schen  Lehre  enthält 
und  besonders  die  Beslimmungen  der  Krankheit  als  biliös,  schleimig, 
faulig,  entzündlich,  rheumalisch,  katarrhalisch  u.  s.  w. ,  sowie 
die  Annahme  von  Schärfe ,  Infarctus  und  Stockungen  in  ihrer 
ursächlichen  Bedeutung  (während  sie  doch  nur  Folgen  sind), 
ebenso  wie  Erschlaffung,  Straffheit  der  Faser,  Ton,  Empfindlich- 
keit, Beizbarkeit,  geschwächte  Lel)cnskraft,  Plethora,  Anaemie 
mit  mehr  oder  weniger  Recht  verworfen  wissen  will.  Doch  ist 
als  abweichend  von  Brown  die  Annahme  der  Erblichkeit  bei 
örtlichen  Krankheilen  zu  erwähnen.  Im  weiteren  Fortschritt  von 
Röschlaub's  Studien  aber  ergeben  si&Ii  so  viele  Abänderungen, 
dass  er  späterhin  selbst  eine  gänzliche  Umarbeitung  dieser  Schrift 
für  nöthig  erklärte  und  beabsichtigte.  (S.  Bös  chlaub's  Magazin, 
St.  1.)  Indem  nämlich  Röschlaub,  von  wahrhaft  aufrichtigem 
Streben  der  Wissenschaft  zu  nützen  beseelt,  sein  Ziel  durch 
Festgründung  der  Theorie  oder,  um  es  genauer  zu  bezeichnen, 
durch  harmonische  Vereinbarung  der  Theorie  und  Praxis  zu  er- 
reichen holTle,  —  (ein  Bestreben,  welches  jetzt  mit  ganz  an- 
dern Millcln  und  auf  anderm  Wege,  als  auf  dem  der  philoso- 
phischen Conslruction  theoretischer  Lehrsätze  versucht  wird,)  — 
und  er  einmal  in  den  Brownschen  Pjincipien  die  erste  Möglich- 
keit dazu  erkannt  halte  (^ie  denn  auch  wirklich  eine  Ueber- 
einstimmung  zwischen  Theorie  und  Praxis  darin  herrschte,  der 
nichts  fehlle,  als  die  durcij  Erfahrung  bestätigte  Zweckmässigkeit 
der  Letzleren,  d.  h.  der  eigentliche  Prohirstein) ,  so  musste  er 
eine   grössere    Harmonie    in    die    einzelnen    Glieder    bringen.      Er 


147 

suchte  daher  in  einer  mehr  geschlossenen  Phalanx  der  Lehrsätze 
und  in  mehr  ^vissenschafllic■her  Dednction  der  den  Anforderun- 
gen des  Kantianismus  und  der  Anlibrounianer  enlsjirechenden 
Folgerungen  die  ältere  Theorie  Brown's  so  umzugestalten,  dass 
sie  mit  Zugrundelegung  des  alten  Textes  als  neue  fortgeschrit- 
tene Erregungstheorie  auftreten  konnte.  Diese  legte  er 
denn  in  seinen  Untersuchungen  über  P  at  li  o  geni  e^^)  nie- 
der, die,  zuniichst  durch  Hufeland's  Pathogenie  hervorgerufen, 
den  Canon  der  Erregungstheorie  bilden  und  als  solcher  des  Auf- 
sehns  wegen,  welches  sie  zu  damaliger  Zeit  erregten  und  ^^  el- 
ches  sie  auch  noch  jetzt  tlieil weiss,  wenn  wir  vom  Brownsi'hen 
Gesichtspunkt  abstrahiren,  verdienen,  nach  ihrem  wesentlichen 
Inhalt  von  uns  skizzirt  werden  müssen,  um  die  Metamorphose 
des  Brown'schen  Systems ,  welche  wir  als  zweite  Entwicklungs- 
stufe   bezeichnet    haben,    daraus    gebührend   zu    erkennen. 

Grundsätze   der   ErregungstJteorie. 

1.  Gesundheit  und  Krankheit.  Ueb  elbefinden 
und  Wohlbefinden.  Anlage  und  Neigung.  —  Krank- 
heit und  Gesundheit  sind  Beschaffenheiten  des  Organis- 
mus; Uebel befinden  und  Wohlbefinden  Folgen  dersel- 
ben, nämlich  die  Beschaffenheiten  der  Lebens  Verrichtungen 
selbst.  Ebenso  verschieden  sind  Anlage  und  Neigung  zum 
Uebelbefinden;  jene  ist  Zustand,  Beschaffenheit  des  Organis- 
mus, diese  ist  Folge  derselben,  Beschaffenheit  der  Lebens- 
verrichtungen selbst.  (Opportunität  nach  Röschlaub  ist 
Anlage   nach   Brown,    Neigung    zum   Uebelbefinden.)   — 

2.  Subjekte  der  Krankheit.  —  Subjekte  der  Krankheit 
sind  nur  feste  Theile ;  flüssige  Theile  können  als  nicht  or- 
ganische   nicht   krank,   sondern    nur   verdorben    sein. 

3.  Organisation  und  L  ebensprincip.  —  Die  Beding- 
nisse des  Lebens  sind  l)  eine  äussere  Organisation  (Bau 
und  Mischung  nicht  gleichbedeutend  mit  Leben),  2)  ein  inneres 
Lebensprincip.  Hiernach  giebt  es  äussere  und  innere 
Krankheiten.  Die  inneren  sind  stets  allgemein,  die  äusseren 
stets    örtlich. 

4.  Erregbarkeit,  ihre  Zusammensetzung,  Ver- 
schiedenheit   u.   s.   w.     —     Die    Erregbarkeit    als    Lebens- 

10* 


148 

princii)  (nicht  als  Kraft,  welche  unabhängig  von  aussen  wirkt) 
entspricht  allen  Erfordernissen,  die  man  an  ein  solches  stellen 
kann.  Sie  ist  eine  einzige,  ungetheilte.  Das  Leben  hängt 
von  der  Einwirkung  von  aussen  ab.  Die  Lebensfunktion 
ist  die  Eni  gegen  Wirkung.  Das  Lebensprincip  ist  das  Ver- 
mögen der  Enlgegenwirkung.  Dieses  besieht  nicht  ohne  die 
Fähigkeit  (Receptivität,  Empfänglichkeit)  durch  Eindrücke 
von  aussen  in  der  gegenseitigen  Lage  der  Beslandtheile  eine 
Veränderung  (innerhalb  der  physischen  Berührung)  zu  erlei- 
den. Beides  zusammen  ist  :=:  Err  e  g  b  a  r  keit.  Diese  stellen  wir 
uns  daher  subjektiv  (objektiv  sind  sie  vereint)  als  gelrennt 
vor  in  die  Fähigkeit  von  aussen  afficirt  zu  werden  (Reizbar- 
keit) und  in  das  Vermögen,  durch  Selbstwirksamkeit  bestimmte 
Handlungen  hervorzubringen  (Z  u  s  a  m  m  e  n  z  i  e  h  u  n  g  s  v  e  r  m  ö  g  e  n , 
Ineinanderwirken  der  organischen  Bestandtheile,  atomistische  Theorie, 
Gallini).  Als  subjektiven  Erklärungsversuch  giebt  es  noch  ein 
Vermögen  der  Grundstoffe  oder  der  kleinsten  Theile  im  Körper 
ihre  gegenseitige  Lage  zu  behaupten  =  Vermögen  Reiz  zu 
vertragen,  welches  im  umgekehrten  Verhällniss  zu  der  Erreg- 
barkeit sieht.  —  Die  Erregbarkeit  ist  verschieden  nach  Al- 
ter, Geschlecht,  Constitution,  Lebensart,  Klima,  Gewohnheit""). 
Jedes  Individuum  hat  vom  Beginn  seiner  Geburt  einen  bestimm- 
ten Grad  von  Erregbarkeit.  Diese  -  ist  in  verschiedenen 
Theile n  im  verschiedenen  Grade  vorhanden,  was  bei 
einem  bestimmlen  Verhällniss  die  Gesundheit  nicht  stört  und  sich 
mit  der  einen  ungetheilten  Erregbarkeit  recht  gut  verträgt  (?). 
Spezifike  Erregbarkeit  zu  bestimmten  Reizen  besteht  nur  in 
einem  höheren  Grade  der  Erregbarkeit  einzelner  Organe  für 
diese   Reize.      (Also    immer   nur    quanlitaliv.) 

5.  Gesetze  der  Erregbarkeit  und  der  Erre- 
gung. —  l)  Ohne  Reiz  keine  Reizung.  2)  Ohne  diese  keine 
Erregung.  3)  Ohne  Reizbarkeit  keine  Reizung,  keine  Erregung, 
keine  Lebensfunklion.  4)  Reizung  exislirt  nur  so  lange,  als  der 
Reiz  andauert.  5)  Gleichstarker  Reiz  bringt  desto  heftigere  Rei- 
zung, je  grösser  die  Erregbarkeit,  desto  gelindere,  je  geringer 
sie  ist.  6)  Je  grösser  oder  geringer  die  Erregbarkeit,  desto 
geringerer   oder    desto    stärkerer    Reiz    ist    nöthig ,     um     belrächt- 


*)  Bei  Brown  nicht  genug  beachtet. 


149 

liehe  Erregung  hervorzubringen.  1)  Jeder  Reiz  verminderf,  jede 
Verminderung  des  Reizes  erhöht  die  Erregbarkeit.  8)  Je  längere 
Wirkung  desselben  Grades  von  Reiz,  desto  mehr  Verminderung 
der  Erregbarkeit.  9)  Ein  kleiner  aber  länger  wirkender  Reiz 
vermindert  die  Erregbarkeit  eben  so,  als  ein  heftiger  aber  kür- 
zer wirkender.  lO)  Jeder  gar  zu  heftige,  oder  jeder  gelinde, 
zu  lange  dauernde  Reiz  tilgt  die  Erregbarkeit.  ll)  Ein  be- 
stimmter Reiz  wirkt  nach  langem  Fortwirken  nicht  mehr,  aber 
von  Neuem,  wenn  er  ausgesetzt  wird.  12j  Die  durch  den  einen 
Reiz  verminderte  Erregbarkeit  kann  durch  einen  andern  wieder 
verstärkt  werden.  13)  Derselbe  Reiz  vermindert  die  Erregbarkeit 
desto  mehr,  je  grösser  diese  ist.  14)  Zu  gehörig  starker  Er- 
regung ist  gehörig  starker  Reiz  nölhig.  15)  Zu  gehörig  starker 
Erregung  gehört  bei  verminderter  Erregbarkeit  stärkerer  Reiz, 
bei  erhöhter  schwächerer.  16)  Jede  Erregung  eines  Theils 
wirkt  als  Reiz  und  Erregung  für  alle  übrigen,  in  gleichem  Maasse 
die  Erregbarkeit  erhöhend  und  erniedrigend,  doch  mehr  noch 
für  den  Theil,  den  er  geradezu  afficirt.  17)  Derselbe  Reiz  bringt 
desto  stärkere  Erregung  in  einem  Theile,  je  grösser  dessen  Er- 
regbarkeit ist  und  je  unmittelbarer  auf  ihn  gewirkt  wird.  18)  Bei 
jeder  Reizung  und  Erregung  darf  die  intensive  Grösse  derselben 
nicht  mit  der  extensiven  verwechselt  werden.  19)  Intensiv  grosse 
d.  i.  starke  Erregung  kann  ebensowohl  bei  extensiv  kleiner  als 
grosser  Erregung  bestehn  (z.  B.  bei  dem  höchsten  Grade  der 
Pneumonie  extensive  Einschränkung  des  Athemholens)  und  ebenso 
intensiv  kleine  Erregung  bei  extensiv  grosser  oder  kleiner  Er- 
regung (z.  B.  bei  Schwäche  in  Haemoptysis ,  Wallungen,  Convul- 
sionen  bei  Fiebern).  —  (Das  ist  die  falsche  Stärke  oder  Schwäche.) 
(Bd.  I.) 

6.  Von  der  Entstehung  der  Krankheiten.  —  Nur  bei  ge- 
gebener bestimmter  Gewalt  des  Incitaments  und  bei  einem  bestimmten 
Grade  der  Erregbarkeit,  bei  welchem  die  Stärke  des  Wirkungsvermö- 
gens der  Gewalt  des  bestimmten  Incilamenls  proportional  ist ,  entsteht 
gehörig  starke  Erregung.  Diese  bestimmte  Gewalt  und  Stufe  der 
Erregbarkeit  kann  nur  die  mittelmässige  sein  =  40  (der  höchste  = 
80).  Die  gehörige  Stärke  der  Erregung  dauert  so  lange  fort,  als 
mittle  Gewalt  auf  den  mittlen  Grad  (der  nach  den  Individualitäten  va- 
riirt)  einwirkt;  sie  wird  gestört  durch  D  is  prop  ort  ion  der  Ge- 
walt des  Reizes  und  des  Wir kungs Vermögens.      Die  Ab« 


150 

weichung'  besteht  in  Slhenie  (Hyp  e  r  sthenie)  und  Asthenie. 
Veränderung  in  modo  giebt  es  nicht. 

7.  Von  der  Sthenie  der  Erregung.  —  Sie  kann  nur 
dann  existiren,  wenn  das  Incitament  zu  grosse  Gewalt  hat,  als 
dass  diese  bei  der  gegebenen  Erregbarkeit  dein  VVirkungsvermögen 
proportional  wäre""'),  nicht  aber  bei  so  su  c  ce  ssiver  Ver- 
stärkung des  Reizes ,  dass  auch  die  Erregbarkeit  allmählig  vermindert 
wird,  Nvie  die  absolute  GcAvalt  des  Iiicitamenfs  vermehrt  wird.  Sie 
entsteht  nur  bei  jählings  beträchtlicher  Vermehrung  des  Incita- 
ments;  sie  hat  mannigfache  Grade,  erreicht  desto  höhern  Grad,  je 
höher  bei  derselben  Verstärkung  des  Reizes  der  Grad  der  Erregbar- 
keit oder  je  grösser  bei  demselben  Grade  der  Letzteren  die  Verstär- 
kung Jenes  ist.  Die  Sthenie  ist  grösser  in  erregbaren  und  in  den  un- 
mittelbar afücirten  Theilen.  Sie  entsteht  nur  bei  vorheriger  b  e- 
tr  acht  lic  h  e  r  Vermehrung  des  Incitamenls,  sie  ist  nie  im  Anfang 
so  heftig  als  im  Verlauf.  Die  Erregbarkeit  vermindert  sich  nach  Ver- 
bal t  n  i  s  s  der  Sthenie.  Diese  kann,  sich  selbst  überlassen,  nicht 
lange  fortdauern;  je  heftiger,  desto  kürzer,  je  gelinder,  desto  länger 
dauert  sie;  sie  geht  nie  in  g  eh ör ige  Stärke  von  selbst  über  und 
kann  nur  bis  zu  gewissen  Grenzen  zu-  oder  abnehmen. 

8.  Von  der  Asthenie  der  Erregung.  —  Sie  kann  nur 
dann  existiren,  wenn  das  Incitament  zu  geringe  Gewalt  hat,  als  dass 
diese  bei  der  gegebenen  Erregbarkeit  der  Stärke  des  Wirkungsver- 
mögens proportional  wäre,  und  entsteht  auf  zweierlei  Art: 
a)  durch  absolute  Verminderung  der  Gewalt  des  Incitamenls  = 
direkte  Asthenie,  oder  b)  durch  r  el  a  tive  =  indirekte,  weil 
hier  die  Erregbarkeit  geringer  ist. 

a)  Von  der  direkten  Asthenie.  —  Sie  entsteht  nicht 
bei  successiver ,  absoluter  Verminderung  des  Incitaments;  ist  um  so 
heftiger,  je  geringer  bei  derselben  Verminderung  die  Erregbarkeit, 
je  grösser  bei  derselben  Erregbarkeit  die  Verminderung;  sie  ist 
überall  anzunehmen,  wo  beträchtliche  Verminderung  des  Incita- 
ments vorausging ;  wird  nur  allmählig  heftiger.     Die  Erregbarkeit 


*)  §.  490  sagt:  Wenn  das  Incitament  absoiut  an  Gewalt  zunimmt, 
d.  1.  durch  eine  grössere  Summe  incitirender  Potenzen  hervorgebracht 
ist,  so  Avird ,  wenn  in  demselben  Grade  die  Erregbarkeit  vermindert 
ist,  relativ  die  Gewalt  des  Incitaments  ebenso  wieder  vermindert, 
als  sie  übsohit  zunimmt.  Datier  goliört  zur  stärkeren  Erregung  aucli 
relative  Verstärkung  des  Incitaments  zu  derselben  Zeit,  als  die  Er- 
regbarkeit vermindert  wird. 


151 

wird  vermehrt  nach  V  e  r  h  ä  1 1  n  i  s  s  der  direkten  Asllieiiie,  sie  geht, 
sich  überlassen,  in  höliere  Grade  iiijer  und  kann  als  solche  lange 
andauern ;  bei  zu  hohem  Grade  liort  alle  Erregung  auf;  je  heftiger, 
desto  kürzer,  je  gelinder,  desto  länger  andauernd;  im  höheren  Grade 
kann  sie  bei  einiger  absoluter  Vermehrung  des  Incitaments,  die  jedoch 
nicht  hinlänglich  ist,  länger  andauern,  desto  kürzer  aber,  Nvenn  Ver- 
minderung eintritt.  Sich  selbst  überlassen,  geht  sie  nie  in 
gehörige  Stärke  der  Erregung  über  (kommt  Heilung  zu  Stande,  so 
sind  Diät,  immer  äussere  Umstände  schuld),  kann  bis  zu  gewissen 
Grenzen  ab-  und  zunehmen  und  bei  grosser  Heftigkeil  in  Tod 
übergehn. 

b)  Von  der  direkten  Asthenie.  —  Disproportion 
des  Incitaments  bei  dem  Grade  der  Erregbarkeit  zur  Stärke  des  Wir- 
kungsvermögens durch  relative  Verminderung  seiner  Gewalt 
entsteht  allmählig  und  plötzlich  bei  merklicher  Verminderung, 
nie  aber  ohne  vorhergegangene  Sthenie;  jede  Sthenie  geht  sich 
selbst  überlassen  in  indirekte  Asthenie  über,  ■wenn  die  Totalsumme 
incitirender  Potenzen  zu  sehr  vermehrt  worden  ist;  sie  hat  ver- 
schiedene Grade;  entsteht  um  so  schneller,  je  grössere  Sthenie 
vorherging,  und  um  so  leichter,  je  mehr  Erregbarkeit  da  ist.  Bei 
derselben  Verstärkung  des  Incitaments  tritt  ein  um  so  höherer 
Grad  der  Asthenie  ein,  je  höher  der  Grad  der  Erregbarkeit,  und 
bei  derselben  Erregbarkeit  desto  heftigere  Asthenie,  je  grösser  die 
excessive  Verstärkung  des  Incitaments  ist ;  sie  ist  grösser  in  den  er- 
regbaren und  zunächst  betroffenen  Theilen;  plötzlich  entstanden  ist 
sie  sogleich  sehr  heftig;  selbst  überlassen,  geht  sie  in  immer 
höhere  Grade  über;  bei  zu  hohem  Grade  hört  die  Erregung  gänz- 
lich auf;  sie  kann,  sich  selbst  überlassen,  lange  dauern;  um  so  kür- 
Z3r,  je  gelinder  sie  ist;  zufällig  hinzukommende  absolute  Vermin- 
derung des  Incitaments  erhöht  die  Asthenie.  Durch  einige,  unzu- 
reichende Verstärkung  wird  sie  eingeschränkt,  geht  von  selbst  nie  in 
Gesundheit  über,  kann  bis  zu  gewissen  Grenzen  ab-  und  zunehmen 
und  in  Tod  übergehn.      (Sthenie  selbst  fahrt  nie  direkt  zum  Tode.) 

c)  Von  dem  gemischten  Zustande  der  Asthenie, 
wo  e  i  n  i  g  e  T  h  e  i  l  e  an  direkter,  andere  an  i  n  d  i  r  e  k  t  e  r  Asthe- 
nie leiden,  dadurch,  dass  während  der  Entstehung  und  Existenz  der 
indirekten  Asthenie  zur  relativen  Verminderung  des  Incitaments 
absolute  kommt.  Sie  kann  nicht  entstehn,  wenn  die  nach  gleich- 
massig  verbreiteter  Sthenie  entstandene  indirekte  Asthenie  gänzlich 


152 

sich  überlassen  wird,  denn  gemischte  Asthenie  entsteht  nur,  wenn 
absolute  Verminderung  in  einigen  Theileii  beträchlliclier  ist,  als  die 
relative  in  denselben  und  in  andern  das  umgekehrte  Yerhältniss  stalt- 
Qndet.  In  den  Theilen,  ^Y0  die  indirekte  Asthenie  geringer  ist,  kann, 
wenn  sie  sich  überlassen  bleibt,  direkte  Asthenie  entstehen,  während 
in  andern  indirekte  Asthenie  fortdauert ;  triit  in  einigen  indirekt- 
asthenischen  Theilen  durch  absolute  Verminderung  des  Incitaments 
direkte  Asthenie  ein,  so  kann  diese  bestehn ,  obgleich  in  den  übrigen 
Theilen  indirekte  Asthenie  ist;  ebenso  können  bei  direkter  Asthenie 
einige  Theile  durch  zu  heftige  Reize  indirekt  asthenisch  werden,  ob- 
gleich die  andern  direkt  asthenisch  sind;  kommt  zur  direkten  Asthenie 
indirekte,  so  wird  jene  vermehrt. 

9.  Complicationen  undUebergänge.  —  Slhenie 
und  Asthenie  können  nicht  zu  gleicher  Zeit  existiren ;  die 
Sthenie  kann  übergehn  in  direkte  und  indirekte  Asthenie,  die  direkte 
und  indirekte  Asthenie  in  Sthenie ,  die  direkte  Asthenie  in  indirekte 
und  umgekehrt.  Der  Tod  erfolgt  nur  aus  direkter  oder  indirekter 
Asthenie. 

10.  Von  den  ine  itir  enden  Potenzen.  —  Diese  sind: 
1)  innere:  a)  gewöhnliche,  u)  von  innerem  Reiz,  ,u)  von 
äusserem;  b)  w eniger  gewöhnliche:  a)  von  derWillkühr 
des  Geistes,  /?)  von  aussen  bedingte.  2)  äussere: 
a^  ausser  halb ,  b)  ^7^nerAa/6  des  Organismus.  Zudeninneren 
incitirenden  Potenzen  als  Schädlichkeiten  gehören:  die  Lebensbewe- 
gungen der  kleinsten  organischen  Theile  und  der  daraus  gebildeten 
Organe  ;  Gemüthsaffekte  und  Leidenschaften  ,  Denken  ,  willküluiiche 
Bewegungen  des  Körpers,  Uebung  der  Sprach-,  Sinnes-  u.  a.  Organe. 
Diese  incitirenden  Potenzen  werden  zuerst  immer  durch  äussere  er- 
zeugt und  bringen  auch  äussere  hervor  (Fehler  der  Säfte).  Zu  den 
äusseren  incitirenden  Potenzen  als  Schädlichkeifen  gehören:  At- 
mosphärische Luft  und  ihre  Beslandtlieile  (die  Reinheit  und  Reizung 
ist  nicht  vom  Sauerstoff  abhängig;  gegen  Jos.  Frank),  Wärme 
(Kälte  schwächt  —  nach  We  ika  r  d  und  Jos.  Frank),  elektrisclie 
Materie,  Dünste,  Ansteckungsstoffe  (Miasma  macht  örtliche,  Contagium 
allgemeine  Krankheiten  ;  Contagien  wirken  slheniseh,  entstehen  nicht 
durch  Säfleverderbniss),  Licht,  Schall,  Gerüche,  Geschmack,  Gefühl 
(Reibung),  Bäder  (warme  stärken;  Zusammenziehen  und  Erschlaffen 
beweist  nichts  für  Stärkung  oder  Schwächung),  Kleider,  Betten,  Spei- 
sen und  Getränke    (incitirend  und  eindringend,   nach   Beschalfenheit 


153 

und  Menge;  Letzteres  war  Brown' s  indirekter  Reiz),  Arzneien  und 
Gifte  (eindringend  auf  Bau  und  Zusammenhang  oder  incilirend.  Vor- 
bauungskuren =  Unsinn),  äussere  Krankheiten  (viele  solche  sind 
keine  incifirende  Schädlichkeiten,  wirken  nur  durch  Störung  der  Le- 
bensfunklion  oder  Vermehrung  und  VerminderuHg  der  Säftemasse), 
Säfte  [incitirend  durch  Beschaffenheit  und  Menge;  Fehler  der  Säfte 
wirken  nicht  nach  Begriffen  der  Humoralpalhologen,  sondern  durch 
das  Incilament,  welches  sie  hervorbringen.  Nur  zufällige  Vermin- 
derung durch  Aderlass,  Brechen  u.  s.  w.incilirt  primär  und  auch  dieses 
nur  in  beschränkter  Weise.  Säfteverderbniss  ist  als  erste  Ur- 
sächlichkeit nicht  anzunehmen.  Widerlegung  der  Schärfe-  und  Fäul- 
nisstheorie von  "NVedekind.  Die  Bedingnisse  für  die  Säfte  sind 
innere  (Lebensverrichlungen)  und  äussere  (Nahrung  u.  s.  av.).  Die 
Behandlung  richtet  sich  blos  auf  die  Lebensfunklion.]     (Bd.  II.) 

11.  Von  der  Entstehung  und  Bildung  derFormen 
des  Uebelbefindens  von  innerlicher  Krankheit.  —  Die 
zur  Entstehung  der  Ilypersthenie  und  Asllienie  nölhige  Disproportion 
ist  nicht  durch  alleinige  Veränderung  der  Erregbarkeit  bedingt, 
noch  durch  gle  ichz  ei  l  ige  und  ge  ge  n  s  ei  li  ge  Veränderung  des 
Incitamenis  und  der  Erregbarkeif,  sondern  durch  die  Veränderung  der 
Gewalt  des  Incilaments  allein.  Mischungs Veränderungen 
sind  Folgen  allgemeiner  Krankheiten,  Erregbarkeit  Folge  des  In- 
einander wirkens  organischer  Theile. 

a)  Von  der  Ursache  der  Ilypersthenie  und  Asthe- 
nie. —  Es  giebt  stets  nur  einen  Grund  der  Krankheit.  Die  Mo- 
mente sind  innere  und  äussere.  Inneres  Moment  ist  der  Grad  der 
Erregbarkeit,  welche  die  Disproportion  herbeiführt. 

b)  Von  derBildung  andauernder  und  schnell  vor- 
übergehender Hypersthenie  und  Asthenie.  —  Die  An- 
dauer  hängt  von  einem  der  beiden  Faktoren  der  Disproportion  ab. 
Die  Säflemasse  giebt  den  andauerndsten  Reiz  bei  kräfliger  Assimila- 
tion, gesunder  Nahrung  und  Mangel  an  Entziehung  von  Säften.  Nur 
bei  wirklicher  Vermehrung  der  Menge  und  Energie  der  Säftemasse 
entsteht  andauernde  Ilypersthenie.  Direkte  Asthenie  ist  vorüber- 
gehend, wenn  das  entzogene  Incitament  wieder  hinzugesetzt  wird. 
Die  indirekte  Asthenie  ist  vorübergehend,  wenn  schnell  gehörige 
Vermehrung  eintritt.  Ist  der  Zusatz  incitirender  Potenzen  zu  gering, 
so  bleibt  sie;  ist  er  zu  gross,  so  entsteht  Hypersthenie  (?) ;  durch  Ent- 
ziehung absoluter  Menge  steigt  sie  immer  höher  und  geht  zuletzt  in 


154 

direkte  Asthenie  über.  Vermehrung-  der  Menge  des  Incitanients  der 
Säfte  ist  nothwendige  Bedingung"  bei  Andauer  der  Hypersthenie ,  Ver- 
minderung bei  Asthenie.  Constitution  und  andere  Umstände  verdie- 
nen alle  Rücksicht. 

c)  V  0  n  d  e  r  ^?  i  1  d  u  n  g  b  e  s  0  n  d  e  r  e  r  F  0  r  m  e  n  d  e  r  H  y  p  e  r  - 
s  t h e n i  e  und  Asthenie  in  Hinsicht  g  r  a  d  u a  I e  i'  Verschie- 
denheit derselben  in  e  i  n z  e  1  n  e  n  0 r  g- a n e  n  u n  d  v o  n  ihren 
F  olg-en.  (Bro  wn's  Siafenleiler  ist  lalsclt,  indem  alle  Krankheiten 
geringer  und  heftiger  sein  können.)  —  «)  E  n  t  s  I  c  h  u  n  g  g  r  a  d  u  a  1  e  r 
Verschiedenheit  der  Hypersthenie.  —  Die  graduale  Ver- 
schiedenheit der  Hypersthenie  in  einzelnen  Organen  hängt  davon  ab, 
dass  bei  gleichmässigem  Incitament  entweder  einzelne  Theile  mehr 
oder  >Yeniger  Erregbarkeit  besitzen ,  oder  dass  auf  einzelne  Theile 
bei  gleichmässiger  Erregbarkeit  mehr  oder  weniger  Stärke  des  Inci- 
tanients  wirkt  (indem  alle  äussere  Eindrücke  zuerst  örtlich  wirken). 
Beide  Ursachen  können  sich  auch  compliciren.  ß)  Entstehung 
gradualer  Verschiedenheit  der  direkten  Asthenie. 
Auch  hier  dieselben  Ursachen.  Die  niillelhare  Wirkung  ist  stets  ge- 
ringer als  die  unmittelbare.  y)  Die  Entstehung  gradualer  Verschie- 
denheit der  Hypersthenie  gilt  auch  für  die  der  indirekten  Asthe- 
nie. (5)  Bei  der  gemischten  Schwäche  ist  entweder  die  direkte 
in  einzelnen  Theilen  grösser,  oder  die  indirekte;  oder  in  den  ein- 
zelnen Theilen  herrschen  verschiedene  Grade,  sowohl  der  direkten 
als  der  indirekten.  —  Sich  überlassen  gehen  sie  alle  in  direkte 
Asthenie  über. 

12.  Von  den  noth wendigen  Folgen  gradualer  Ver- 
schiedenheit der  Hypersthenie  u  n  d  A  s  t  h  e  n  i  e.  —  Bei  der 
Entstehung  der  Krankheiten  müssen,  da  mehrere  Potenzen 
zugleich  und  direkt  wirken,  graduale  Verschiedenheiten  herrschen. 
Diese  verbreiten  sich  durch  den  Organismus.  Alle  Erregungen  stehen 
aber  in  Verbindung,  so  zwar,  dass  jeder  Tlieil  sein  Normalmaass  der 
Erregung,  relativ  zu  dem  ganzen  Normalverhällniss  der  Erregung  des 
ganzen  Körpers  hat.  Krankheit  ist  nun  jede  Störung  dieses 
Nor  malv  erhäl  tnisses.  Die  Krankheit  ist  örtlich  oder  all- 
gemein oder  beides;  beide  Arten  sind  zusammengesetzt 
(in  Bezug  auf  die  graduale  Verschiedenheit)  oder  einfach.  Die 
Lebensbewegung  jedes  Organs  ist  als  zusammengesetzt  zu  betrachten. 
Die  Richtung  der  Lebensbewegung  geht  von  da  aus,  wo  der 
stärkste  Widerstand  ist  [Superiorität  der  Energie  eines  Organs];  me- 


155 

chanische,   chemische  und   örtliche  Verhältnisse   bestimmen 
die  Richtung.      Alle  Lebensbewegungen  stimmen  zusammen. 

13.  Von  der  Entstehung  besonderer  Erscheinun- 
gen des  Uebelbefindens.  —  Aus  Brown  leuchtet  nicht  die 
Nothwendigkeit  des  Gesetztseins  der  Erscheinungen  hervor. 
Diese  giebt  die  Störung  des  Normalverhältnisses  der  Erregung. 
Ursachen:  Hypersthenie,  Asthenie  oder  örtliche  Krankhei- 
ten. Der  Aus ga ngspu nkt  der  Störung  ist  immer  zu  berücksich- 
tigen. Diese  Untersuchungen  führen  auf  die  Form  des  Uebelbefin- 
dens. Die  Erregungstheorie  giebt  die  wahre  Causalvermittelung 
zwischen  Ursache  und  Form,  während  B  r  o  w  n  blos  die  Elemente 
lieferte.      (Bd.  III.) 


Betrachten  wir,  ehe  wir  die  weiteren  Sätze  Rösch laub's 
beleuchten,  diese  Grundzüge  der  Erregungstheorie,  so  linden  wir  in 
der  Form  der  Theorie  wie  in  der  näheren  Entwickelung  der  Ge- 
setze allerdings  einen  Fortschritt  vor  Brown,  im  Wesentlichen 
aber  trifft  sie  derselbe  Tadel  wie  jene.  Die  Definition  der  Begriffe 
Krankheit  und  Uebelbefinden,  Gesundheit,  "Wohlbefinden,  Neigung 
und  Anlage  können  wir  nur  eine  sophistisch-unterscheidende  nennen. 
Die  Eintheilung  der  Krankheiten  in  innere  und  äussere,  wovon  jene 
stets  allgemein,  diese  örtlich  sind,  hat  zwar  dadurch,  dass  der  Or- 
ganisation mehr  Recht  ertheilt  wird,  einen  Vorzug;  indem  diese 
aber  wieder  von  dem  Leben sprincip  getrennt  wird,  mit  dem  sie 
einsistundohne  welche  eine  Organisation  immer  todt  bleibt,  leidet  diese 
Eintheilung  an  denselben  Fehlern  wie  die  in  allgemeine  und  örtliche 
Krankheiten,  weil,  wie  dort,  die  Grenzen  ineinander  übergehn ,  die 
Aeusserlichkeit  aber  noch  viel  weniger  ohne  Erkrankung  des  Lebens- 
princips  denkbar  ist.  Röschlaub  widerlegt  mit  vieler,  allerdings 
oft  sophistischer  Gewandtheit  und  dialektischem  Scharfsinn  (Pathogenie, 
I.Band)  die  verschiedenen  Annahmen  mehrerer  Lebensprincipe,  als 
dasind;  Irritabilität ,  Sensibilität,  specifische  Reizbarkeit,  Contracti- 
lilät  des  Zellgewebes,  Einpfindungs-  und  Bewegiingskraft,  thieri- 
scher  Appetit  (Darwin),  Vita  propria  der  Organe  (Blumenbach), 
Secretions-,  Propulsionskraft ,  Nisus  formativus,  (Hufeland's)  orga- 
nische ,  bildende  und  erhaltende  Kraft  (die  Heilkräfte  der  Natur) ,  und 
nennt  sie  Maschinengötter ,    allegorische   Figuren ,  —  aber  er  sub- 


156 

stituii't  nichts,  was  uns  den  wahren  Grund  des  Lebens  zu  enthalten 
schiene.      Zwar    will    er  von  einer  Kraft,    welche    unabhängig   von 
aussen  wirkt,   abstrahiren   und  nur    ein   Lehenspr  in  cip    aufstellen, 
das  Röschlaub'sche  aber  muss,   weil  es  des  letzten  Grundes  ent- 
behrt,  in   sich    zusammenfallen.      Ja,  es  ist  dieses  nicht  einmal  iru 
Stande,  den  Modus  des  Lebens  richtig  darzustellen,  da  es  eben  das 
Leben  selbst  seiner  Spontaneität  beraubt  und  es  in  einseitiger  Rich- 
tung auffasst.      Und  das  ist  der  grosse  Zwiespalt  in  der  Erregungs- 
theorie.     Die  Unselbstständigkcit  und  Abliäiigigkeit  des  Lebens  war 
der  hauptsächlichste  Vorwurf,    der  Brown    von  allen  Gegnern  ge- 
macht wurde.        Diesem  suchte  Röschlaub  dadurch  zu  begegnen, 
dass  er  die  Lebens  fu  n  k  l  i  o  n  als  E  n  t  g  e  g  e  n  w  i  r  k  u  n  g ,  das  Lebens- 
princip  als  Vermögen  der  Entgegenwirkung  bezeichnete  und  den 
BegrilT  der  Erregbarkeit    in    den    der  Empfänglichkeit  und  des 
Wirkungsvermögens   zerspaltete.        Aber    diese   Entgegenwir- 
kung ist  keine  lebendige,  spontane,  nicht  die  freie  Reaction  des 
Organismus  gegen  die  Action  der  Potenzen,  sondern  sie  ist  eine  nur 
von  aussen  hervorgerufene,  den  äussern  Potenzen  adäquate ,  was 
der  Grundsalz;  der  Einwirkung  entspricht  die  Gegenwirkung,  deutlich 
besagt.       Daher  bleibt  die  Zerlegung  der  Erregbarkeit  in  die  Reiz- 
fähigkeit und  Selbstwirksamkeit  eine  rein  subjektive,  nur  zur  Er- 
klärung  dienende,    wie    es  Röschlaub  selbst  ausspricht,    denn 
beide   Begriffe  fallen    objektiv  zusammen  und  nur  der  Name  der 
Reaction  bleibt,    nur   der  Begriff  des  ^^jrku^gsvermögcns ,    das    als 
Folge  der  Wirkung  der  Potenzen  auf  die  Erregbarkeit  mit  derBrown'- 
schen  Erregung  zusammenfällt.     Wenn  nach  u n s e r n  Grundsätzen, 
nach  der  von  Pa  race  1  su  s  belebten  Idee  der  fr  e  i  e  n  Wirksamkeit' 
des  Organismus  Aussenvvelt  undMikrokosnuis  gleich  selbsisländig  sich 
einander  gegenüber  stehen  und  der  Letztere  durch  das  ihm  innewoh- 
nende Inlegritälsbeslreben  auf  eigne  Kraft  hin  dem  Ein^^  irken  .wider- 
steht und  obsiegt,  sobald  diese  stärker  ist,  und  unterliegt,  wenn  sie 
schwächer  ist,  so  ist  hier  die  Stärke  des  Lebens  abhängig  von  der 
Gewalt  der  aus  ser  n  Poten  ze  n  und  dem   eben  vorhandenen  Grade 
der  Erregbarkeit.    Und  da  nach  dieser  Annahme  das  W  ie  und  das  ur- 
sprünglich Causale  der  Function  der  organisirlen  Theile  nicht  deut- 
lich wird,  nimmt  Röschlaub  noch  als  Erklärungsversuch  eine  ato- 
misti  s  che  Ansicht  an.      Hiernach  wird  bei  blosser  Würdigung  der 
festen  Theile  (denn  die  flüssigen  sind  unbelebt)  die  Erregbarkeit  eine 
Folge  des  Ineinanderwirkens  organischer  Theile  (und  wodurch  wirken 


157 

diese?  durch  die  Erregbarkeit?);  wird  ferner  dieReceplivilät  eine  Fä- 
higkeit durch  Eindrücke  von  aussen  in  der  gegenseitigen  Lage  derBe- 
standtheilc  verändert  zu  ^vcrden,  wird  die  Selbstwirksamkeit  ein  Zu- 
sammenziehungsvermögen ,  das  auch  als  Vermögen  Reiz  zu  vertragen 
die  Grundstoffe  der  Theile  ihre  gegenseitige  Lage  behaupten 
lässt.  —  Bestimmter  als  bei  Brown,  aber  mit  der  Annahme  der 
ungetheilten  und  allgemeinen  Erregbarkeit  darum  immer  im  "Wider- 
spruche, werden  die  Bedingungen  der  Verschiedenheiten  der  Erreg- 
barkeit in  den  Individuen  wie  in  den  Organen,  das  ursprünglich  zuge- 
Iheilte  Maass,  die  spezifische  Erregbarkeit  der  einzelnen  Theile  durch 
bestimmte  Stoffe  u.  s.  w.  von  Uöschlaub  entwickelt.  In  der  Dar- 
legung der  Gesetze  der  Erregung,  worin  sich  grosse  Gedankenpräci- 
sion  ausspricht ,  ist  die  Dauer  der  Einwirkung ,  worüber  Brown  so 
flüchtig  hinwegging,  gehörig  gewürdigt  und  besonderer  Nachdruck 
auf  die  vermehrte  Einwirkung  bei  dem  unmittelbar  von  der  Aussenwelt 
befrolfenen  Organe  gelegt,  was  für  die  (künftige)  Lokalisirung  der 
Krankheiten  von  grossem  Werthe  ist.  IN'eu,  aber  im  "Widerspruch 
mit  der  Allgemeinheit  der  Erregbarkeit  ist  die  Vergleichung  der  ex- 
tensiven und  intensiven  Erregung,  welche  auf  die  BegrilTe  der 
wahren  und  falschen  Stärke  und  Schwäche  führt.  —  "Was  die  Sthenie 
oder  Asthenie  der  Erregung  betrilTt,  so  soll  diese  in  einer  Dispro- 
portion der  Gewalt  des  Incitaments  und  des  Wirkungsvermögens 
liegen.  Ist  es  nun  im  Allgemeinen  wahr,  dass  Erregbarkeit  und 
">Virkungsvermögen  meist  im  umgekehrten  Verhältnisse  stehen,  bei 
dem  Vorwalten  der  Einen  das  Andere  darnieder  liegt,  so  rührt  diess 
daher,  dass  diese  Kräfte  von  einander  verschieden  sind  (wesshulb 
auch  Beide  in  gleichem  Verhältnisse  in  einem  Individuum  vorwal- 
tend sein  können);  ferner,  dass  Beide  in  dem  Innern  liegen,  die  eine 
in  gewissem  Sinne  centripetal,  die  andere  centrifugal  ist,  und  von 
der  Qualität,  nicht  von  der  Quantität  abhängen.  Bei  Röschlaub 
aber  sind  Beide  zu  einer  Kraft  verschmolzen,  die  nur  subjektiv 
gedacht  in  zwei  zerfällt,  so  dass,  wenn  bei  ihm  von  einer  zu 
grossen  oder  zu  geringen  Gewalt  des  Incitaments  zum  Wirkungsver- 
raögen  bei  dem  gegebenen  Grade  der  Erregbarkeit  die  Rede  ist,  diess 
nichts  anderes  heisst,  als  verhältnissraässig  zu  grosser  oder  zu  gerin- 
ger Reiz  für  die  vorhandene  Erregbarkeit,  wodurch  vermehrte  oder 
verminderte  Erregung  entsteht.  Denken  wir  uns  nämlich  einen  ge- 
gebenen Grad  von  Erregbarkeit,  so  müssen  wir  uns  mit  Röschlaub 
auch  zugleich  einen  gegebenen  Grad  des  Wirkungsvermögens  denken. 


158 

bei  viel  Erregbarkeit  wenig,  bei  wenig  viel  Wirkungsvermögen. 
Da  aber  Beide  nur  durch  Reize  hervorgerufen  werden,  so  steht  auch 
das  Wirkungsvermögen  als  ebenfalls  abhängig  eigentlich  nur  im  Ver- 
hältniss  zu  den  Reizen.  Darum  muss  nach  Röschlaub  zur  abso- 
luten Verstärkung  des  Incitaments,  weil  die  Erregbarkeit  immer  ver- 
mindert, das  Wirkungsvermögen  daher  verhältnissmässig  erhöht 
wird,  auch  relative  Verstärkung  kommen,  weil  sonst  statt  der 
Sthenie  entweder  gehörige  Erregung  oder  direkte  und  indirekte 
Asthenie  entstehen  würde;  darum  entstehen  Sthenie  und  Asthenie  nur 
successiv  oder  bei  jählinger  beträchtlicher  Vermehrung  oder 
Verminderung.  Wenn  also  das  Wirkungsvermögen  nur  Folge  der 
Einwirkung  von  aussen  ist,  so  ist  nicht  einzusehen,  wie  eine  Dispro- 
portion zwischen  dem  zugleich  Bedingenden  und  Bedingten  einer  aus 
zwei  Faktoren  bestehenden  Ursache  gelten  kann;  oder  auch,  wenn 
durch  zu  grosse  oder  zu  geringe  Gewalt  des  Incitaments  vermehrte 
oder  verminderte  Erregung  entsteht ,  wie  diese  Disproportion  zwi- 
schen Gewalt  und  Wirkungsvermögen ,  die  eben  diese  Zustände  der 
Erregung  selbst  sind,  als  Ursache  gelten  will.  Ueberdiess  ist  ja 
der  Begriff  der  Gewalt  des  Incitaments  auch  nur  ein  relativer,  der  erst 
selbst  von  der  Einwirkung  auf  den  Körper  abhängt.  Wir  müssen 
daher  diese  Definition  für  eine  sehr  gesuchte  und  sophistische  erklä- 
ren, da  sie  in  dem  Bestreben,  zwei  Faktoren  aus  Einem  zu  machen  und 
sie  dem  Dritten  gegenüber  zu  stellen,  von  dem  Beide  erst  abhängig 
gemacht  werden,  ein  Probestück  kunstvoller  Dialektik  abgiebt,  die, 
während  sie  sich  den  Anschein  eines  Avesentlichen  Fortschritts  vor 
Brown  zu  geben  weiss,  in  der  Hauptsache  nur  eine  nominelle  Aen- 
derung  herbeiführt.  Nur  das  ist  als  verdienstlich  hervorzuheben,  dass 
die  relative  Beschaffenheit  der  Einwirkung  je  nach  dem  gegebe- 
nen Grade  der  Erregbarkeit  und  wie  sie  im  Verlaufe  der  Erregung  in 
Bezug  auf  das  Incitament  selbst  und  dessen  Verhältniss  zur  Erregbar- 
keit eintritt,  besser  gewürdigt  wird,  als  vorher.  Dasselbe  gilt  von 
der  Definition  der  direkten  und  indirekten  Asthenie,  von  der 
Aufstellung  der  Bedingungen  und  Gesetze,  unter  welchen  die  ver- 
schiedenen Zustände  der  Erregung  andauern.  Wundern  muss  es  uns 
nur,  dass  Röschlaub  so  bestimmt  die  gemischte  Asthenie  an- 
nimmt und  hier  die  verschiedensten  Zustände  auf  einzelne  Theile  be- 
schränkt, da  sich  doch  diess  mit  der  allgemeinen  Erregbarkeit  nicht 
verträgt.  Ueber  diesen  wie  über  andere  Funkte,  die  nur  als  syste- 
matische Ausführungen  Brown'scher  Sätze  gelten  können,  verweisen 


159 

wir,  lim  Wiederholungen  zu  vermeiden,  auf  unsere  obige  Kritik  des 
Brown'sclicn  Systems.  Dahin  gehören  auch  die  Annahmen  über 
Kälte  und  Wärme,  über  die  Anste  ckungss  toffc,  über  die 
Säfte,  wobei  namentlich  Rösch laub  Hufeland's  und  Wede- 
lt in  d's  Versuche  die  Erregungstheorie  mit  der  Humoral- 
pathologie  zu  vereinigen,  zurückweist.  Die  Antwort  aber  auf  die 
Frage,  wodurch  die  Säfte  incilirende  Gewalt  erlangen,  ist  uns  auch 
Röschlaiib  schuldig  geblieben.  Doch  fühlte  er  sehr  gut  den  Vor- 
wurf, den  man  Brown  damit  machte,  dass  seine  Aufstellung  der  Er- 
regungszustände nicht  hinreiche,  die  Dauer  derselben  in  Krankheiten 
und  somit  die  Bildung  der  Krankheiten  selbst  zu  erklären.  Darum 
entwickelt  Rösch  laub  die  Bedingungen  der  andauernden  und  vor- 
übergehenden Erregungszustände  und  macht  dafür  die  Säftemasse 
veranlworliich,  zeigt  also  den  Werth  der  Organisation  neben  dem 
des  Lebensprincips  und  den  Einfluss  der  As  simil  a  ti  on,  macht  mit 
einem  Worte  nicht  blos  die  dynamische,  sondern  auch  die  vegeta- 
tive Seile  des  Lebensprincips  gellend,  obgleich  vor  der  Hand  nur 
von  der  Menge  und  Energie  der  Säfte,  nicht  von  ihrer  Qualität 
die  Rede  ist.  Die  Gesetze  der  gradualen  Verschiedenheit  enthalten 
ebenfalls  viele  Winke,  welche  auf  die  spezifische  Vitalität  der 
einzelnen  Organe  deuten,  denen  ein  Normalmaass  der  Erregung  im 
Verhältniss  zu  dem  Normalverhältniss  der  Erregung  des  ganzen  Kör- 
pers zugetheilt  wird,  augenscheinlich,  um  die  Widersprüche  gegen 
die  Annahme  einer  allgemeinen  Erregbarkeit  auszugleichen.  So  be- 
stimmen auch  nach  R  ö  s  c  h  1  a  u  b  mechanische,  chemische  und 
örtli che  Verhältnisse  die  Richtung  der  Lebensbewegung.  Die  Be- 
zeichnung Hypersthenie  ferner  deutet  an,  dass  Slhenie  immer 
noch  ein  Zustand  der  Gesundheit  sein  könne.  Auch  die  Bezeichnung 
„eindringende  Schädlichkeit"  weist  auf  die  Organisation  hin.  Bei 
der  Erklärung  der  besondern  Erscheinungen  des  Uebelbefmdens  fin- 
den wir,  obgleich  sie  hauptsächlich  von  der  Störung  der  Erregungs- 
verhältnisse hergeleitet  werden ,  dennoch  auch  einen  Fortschritt  zur 
Anerkennung  wahrer  Pliysiologie.  So  nimmt  Rösch  laub  Rücksicht 
auf  das  Verhältniss  der  Energie  der  Thätigkeit  der  einzelnen  Kreis- 
laufsorgane zu  einander,  zu  der  Menge  und  Qualität  der  zu  bewegen- 
den Säfte  und  zu  den  mit  den  Circulationsorganen  verbundenen  Orga- 
nen;  bei  den  Absonderungen  auf  die  Quantität,  Qualität  und  den  Ort 
der  Ablagerung;  bei  der  Aussonderung  auf  die  Menge,  Frequenz,  Be- 
schaffenheit und  den  Weg ;  überhaupt  auf  vermehrte  und  verminderte 


160 

Reproduction.  (Da  diese  auf  dem  Verhültniss  der  grossen  und  klei- 
nen Gefässe  beruht,  kann  vermehrte  Reproduction  auch  bei  Aslhenie 
bestehen.)  Die  Fettleibigkeit  erkennt  er  für  hyperslhenisch  aber  auch 
für  asthenisch  (Brown  nur  für  sthenisch)  an;  den  Chemismus  lässt 
er  durch  die  Lebensthätigkeit  beschränken,  Ausschläge  hält  er 
für  örtliche  Krankheiten  durch  chemische  Umänderung  (I);  Krampf 
nennt  er  Ueberwiegen  der  Muskelthätigkeit  gegen  antagonisti- 
sche Muskeln,  Bänder  u.  a.  Organe.  —  Alle  diese  Annahmen, 
Avelche  beweisen,  dass  Röschlaub  nicht  bei  der  bequemen  Zuflucht 
zur  Erregung  als  letztem  Grunde  sich  beruhige,  lassen  noch  Manches 
für  die  eigentliche  Nosologie,  für  die  Bestimmung  der  besonderen 
Formen  des  Uebelberindens  und  für  die  Nachweisung  ihres  Causalzu- 
sammenhangs  mit  den  Schädlichkeiten  hoffen,  welche  Röschlaub 
zum  Schlüsse  der  Pathogenie  verheisst. 

Und  in  der  That  bemerken  wir  auch  in  dem  an  die  Untersuchun- 
gen über  Pathogenie  sich  anschliessenden  Lehrbuch  der  Nosolo- 
gie^^) (I8OI)  eine  weitere  Aenderung  in  manchen  Ansichten 
Rösch laub's.  Die  Forlschritte  der  Chemie,  besonders  die  Oxy- 
dationslehre, welche  von  den  Naturphilosophea  so  begierig  ergriffen 
wurde,  zeigen  im  Hintergrunde  in  der  Berücksichtigung  oxy  dir  en- 
der und  desoxydirender  Körper  die  Möglichkeit  eines  andern 
Princips  neben  dem  der  Erregbarkeit.  Schon  werden  neben  den 
mechanischen  Krankheilen  auch  chemische  aufgeführt  und  unter 
diesen  z.  B.  die  Desorganisation  oder  Assimilation  auf  Desoxydation 
und  Oxydation  zurückgeführt.  „Gifte,  Opium,  Ansleckungssloffe  wir- 
ken durch  Desoxydation."  Ebenso  wird  die  chemische  Einwirkung 
der  schmeck-  und  riechbaren  Stoffe  anerkannt.  Bei  der  Untersuchung 
der  Stadien  der  Krankheit  erscheint  die  Beliauplung  sehr  wichtig, 
dass  der  Anfang  jeder  Krankheit  örtlich  sei ,  die  Weiterverbreilung 
durch  die  Organe  vermittelt  und  nach  dem  Verhültniss  der  Organe 
beschränkt  werde.  (Hieraus  ergiebt  sich  notlnvendig  die  vis  vita- 
lis  der  Organe  selbst,  die  Unausfährbarkeit  der  Eintheilung  in  ört- 
liche und  allgemeine  Krankheiten,  der  Sturz  der  Einheit  der  Erregbar- 
keit.) Wegen  dieses  örtlichen  Ursprungs  sollen  Hypersthcnie  und 
Aslhenie,  aber  nur  vorübergehend,  zugleich  vorkounnen  können, 
eine  Meinung  ,  die  bisher  von  allen  Brownianern  auf  das  heftigste  be- 
stritten worden  war.  Auch  die  Erblichkeit  wird  constatirt.  Die 
einzelnen  Symptome  der  Krankheiten  verschiedener  Systeme  werden 
physiologisch  dadurch  zu  erklären  gesucht ,  dass  der  Obersatz  immer 


161 

Abnormität  des  Zusamni  en  s  tr  ömens  der  Lei)  en  sth  ä  ti  g- 
keit  zu  der  dem  organischen  Individuum  seiner  Conslilulion  nach  zu- 
kommenden Energie  der  Lebensthälig-keil  üherhaupt  bleibt,  —  eine 
nicht  unwesentliche  Modification  früherer  Theorieen,  die  auf  eine 
grössere  organische  Selbstständigkeit  hinführt. 

Wollen  wir  aber  recht  eigentlich  dc.s  innere  Ich  und  die 
geistige  Metamorphose  Rösch  laub's  belauschen,  so  müssen 
wir  sein  Auftreten  auf  dem  Kampfplätze  seines  Magazins  ^^) 
verfolgen,  in  welchem  er  in  der  Gährung  des  Streites  die  eigne  Mei- 
nung läuterte  und  umgestaltete.  So  scheint  dieses  Magazin,  welches 
zur  Vervollkommnung  der  Wissenschaft  bestimmt,  später  dem  selbst- 
süchtigen Zweck  der  Erhaltung  der  Erregungstheorie  diente,  eigent- 
lichmehr fiir  die  eigne  Belehrung  Röschlaub's  gethan  zu  haben, 
als  für  die  übrige  Welt.  Da  aber  an  diesen  geistigen  Vorkämpfer 
sich  eine  ganze  Schaar  Gleichgesinnter  lehnt,  die  mit  ihm  steht  oder 
fällt,  so  entwickeln  sich  hier  so  interessante  Wechselbeziehungen 
und  lehrreiche  Momente,  dass  dieser  bisher  leider  nur  zu  sehr  über- 
sehene literarische  Schauplatz  für  die  Kennfniss  der  Geschichte  der 
Erregungstheorie  und  des  Einflusses,  den  sie  auf  Geist  und  Gemüther 
übte,  sowie  für  die  Beurtheilung  der  ganzen  Richtung  der  damaligen  Zeit 
eine  Fundgrube  ist,  deren  Ergiebigkeif  wir  keineswegs  verachten  dürfen. 

Mit  wissenschaftlichem  Ernst,  den  Forlschritt  der  Ileilkunsl  nach 
seinen  Begriffen  im  Auge ,  betritt  Röschlaub  die  Bühne  des  Maga- 
zins (eigentlich  eine  Fortsetzung  des  V/ei  ka  rd 'sehen  Unlerneh- 
mens)  und  verspricht,  wie  er  es  fordert,  ein  männlich  bescheidnes 
Auftreten.  Doch  misstrauen  wir  ihm  von  vornherein ,  wenn  er  allen 
Meinungen  Geltung  verspricht  und  allen  Theorieen  Besprechung  ge- 
stattet, obschon  diess  der  einzige  "NN'eg  war,  dem  vorgesteckten  Ziele 
der  Vollendung  der  Wissenschaft  nachzukommen.  \N'ir  wissen  zu 
gut  aus  der  früheren  Geschiclile,  wie  terroristisch  die  Brownianer  zu 
verfahren  pflegten  und  wie  diese  Strenge  allein  ihnen  eine  Zeit  lang 
die  Herrschaft  sicherte.  Aber  auch  dieses  Magazin  ludet  durch  seine 
theils  kritisch-polemischen,  theils  dogmatisch-construirenden  Artikel 
vielfache  Gelegenheit,  Irrthünier  zu  berichtigen,  Streitigkeiten  zu 
schlichten,  Dunkellieiten  aufzuhellen  und  \N'alirheilen  in  das  gehörige 
Licht  zu  setzen. 

Wenden  wir  uns  zunächst  zu  den  k  r  i  t  i  s  c h  -  p  o  1  e  m  i  s  c  li  e  n 
Aufsätzen,  die  als  Widerlegung  der  Einwürfe  gegen  die  Erre- 
gungstheorie    einen     stehenden     Artikel     bilden.        Diese     Wider- 

11 


162 

legungen  sind  im  1.  Bande  gegen  Girtanner  (ungenügend), 
Wilnians  (s.  unlen)  und  Esche  njnay er  (s.  unten)  gerichlet. 
Heftiger  schon  treten  die  des  2.  Bandes  (1799)  gegen  C.  Ch.  Erh. 
Schmid,  Professor  der  Theologie  zu  Jena,  auf,  der  die  Blossen  der 
Erregungslheorie  so  enthüllte,  dass  Röschlaub  nur  sophistische 
Gründe  dagegen  aufzutreiben  vermag,  der  Beantwortung  wie  ein  Aal 
entschlüpft  und  die  seichte  unärztliche  Entschuldigung  vorbringt, 
Brown  und  seine  Nachfolger  beschäftigen  sich  ja  nicht  mit  der  Phy- 
siologie, sondern  nur  mit  der  Medicin;  —  gegen  Hufeland,  der 
(in  seinem  Journal,  6.  Band,  4.  Stück)  triumphirend  Schmid's  Ur- 
theil  aufführte,  aber  dennoch  eine  Annäherung  beider  Pariheien 
wünschte  (s.  unten).  Die  trelfliche  Recension  von  Stieglitz  aber 
(s.  unten),  die  zu  dem  Besten  mitgehört,  was  über  das  Brown'sche 
System  geschrieben  worden  ist,  bezeichnet  Röschlaub  selbst  als 
Meisterwerk  im  Vergleich  zu  den  übrigen.  Auch  die  Einwürfe  gegen 
Pfaff  und  Cappel  (3.  Band.  1799)  genügen  nicht  zur  gründlichen 
Widerlegung.  —  Als  durch  Schelling's  Billigung  der  Erregungs- 
lheorie das  Vertrauen  Rösch laub's  auf  die  Wahrheit  seiner  Dog- 
men stieg,  wurde  auch  seine  Sprache  gegen  die  Gegner  kühner, 
stolzer,  wegwerfender.  Er  versuchte  es,  das  Magazin  allein  fortzu- 
führen, indem  er  mit  überschwanglicher  Productivität  begabt,  die 
Hülfe  seiner  Mitarbeiter,  von  denen  es  ihm  Keiner  recht  machen 
konnte,  entbehren  zu  können,  auf  seinen  Schullern  allein  die  Last  der 
Weiterbildung  der  Wissenschaft  und  die  Verantwortlichkeit  für  die 
Brown'sche  Lehre  zu  nehmen  sich  getraute.  Aber  nur  kurze  Zeit 
stand  er  so  auf  der  Höhe  seines  Ruhms  und  in  der  Blülhe  seiner 
Macht,  vor  der  gar  Mancher  zitterte.  Der  gewaltige  Aufschwung, 
den  die  Naturphilosophie  in  ihrem  Entstehen  nahm,  hatte  auch  ihn  er- 
fasst;  durch  die  Vereinigung  dieser  mit  der  Erregungstheorie  glaubte 
er  die  theoretische  Vollendung  der  Medicin  beschleunigen  zu  können; 
aber  eben  in  diesem  Bestreben  entwickelte  sich  eine  Halbheit,  ein 
Niederdrücken  des  Praktischen,  Empirischen,  wahrhaft  Realen  zu 
Gunsten  der  Hypothesen  und  Theorieen,  dass  die  Polemik  aus  der  da- 
maligen Zeit  theils  sich  in  hohler  Phrasenmacherei  erging,  theils  durch 
das  dämmernde  Bewusstsein ,  dass  das  Alte  nicht  zu  halten  sei ,  und 
durch  das  Bestreben,  dennoch  consequent  zu  bleiben,  einen  gewissen 
Anstrich  von  Verzweiflung  erhielt,  die  sich  in  den  bittersten  Persön- 
Jichkeiten  und  gehässigsten  Angriffen  Luft  machte.  So  verfiel  leider 
auch  Rösch la üb  in  denselben  Ton  wie  Weikard,  gleich  ihm  kei- 


163 

nerlei  Tadel  vertragend  und  immer  sophistischer  werdend,  wie 
L entin  richtig  bemerkte.  Von  diesem  Tone  litten  Mursinna, 
Dömling,  Autenrieth,  besonders  Kotzebue,  der  der  Gegen- 
stand einer  hämischen  Mystification  der  Brownianer  ward"').  Milder 
wird  J.  U.  G.  Schae  ffe  r  beurtheilt,  der  im  Journal  der  Erfindungen 
(1801.  St.  32)  nur  Einzelnes  im  Brownschen  System  rügte.  Nicht 
besser  als  dem  zu  wiederholten  Jlalen  hämisch  und  böswillig  getadel- 
ten Hufeland  ergeht  es  Loder,  Marcard  (neuer  deutscher 
Merkur,  Stück  7,  Jahrgang  1801) ,  Sprengel,  Trenker,  Win- 
disch mann;  ja  in  höchster  Arroganz  widerräth  Rös  chl au b  Allen 
das  Schriftstellern ,  nennt  auf  seiner  schwindelnden  Höhe  der  Theorie 
jede  praktische  Erfahrung  und  Bereicherung  der  Maleria  medica 
(z.  B.  Marcard's  Empfeidung  des  Selterwassers  bei  Ueblich- 
keit  u.  s.  w.  der  Schwangern)  verächtlich  Empirie.  Dagegen  wird 
am  Schlüsse  der  Ton  viel  milder,  die  Polemik  anständiger,  ruhiger, 
je  mehr  Röschlaub  von  dem  starren  Festhalten  an  frühere  Grund- 
sätze zurück  kommt.  Beweise  dafür  sind  seine  fast  schwachen  und 
demüthigen  Bemerkungen  zu  einer  seine  Inconsequenzen  scharf  rü- 
genden Recension  in  den  zwei  ersten  Stücken  des  9.  Bandes  der  Jenaer 
Allgemeinen  Literatur-Zeitung  Nr.  235,  1806,  und  die  Repliken  gegen 
die  allerdings  zum  Theil  geistesverwandten  Troxler  und  Kilian. 
Damals  unterschied  man  schon  zwischen  einer  ächten  und  unächten 
Erregungstheorie  und  im  eignen  Lager  brachen  Zwistigkeiten  aus, 
wie  aus  Röschlaub's  nicht  ohne  Resignation  geschriebener  Ab- 
handlung über  Jos.  Frank's  Aeusserungen  in  den  Erläuterungen 
der  Erregungstheorie  (s.  unten)  hervorgeht,  die  gewissermassen  als 
Klagen  über  des  Letzfern  Eklekticismus  und  Differenzen  erscheinen. 
Alle  seine  Bitterkeit  aber  concentrirt  er  zuletzt  und  am  meisten  gegen 
Schelling,  dessen  Abfall  von  der  Erregungslheorie  ihn  um  so 
mehr  kränkte,  als  dieser  durch  sehr  schlagende  Gründe  unterstützt 
wurde  (s.  unter  Schelling)  und  als  sich  die  neuere  Philosophie 
nun  derselben  Waffen  zum  Angriff  bediente,  die  Röschlaub  zur 
Vertheidigung  benutzt  hatte.  Gerade  in  Röschlaub's  Munde  nimmt 
es  sich  sehr  sonderbar  aus,    wenn  er  gegen  Schelling    hinwirft: 


*)  Kotzebne  hatte  in  seinem  „neuen  Jahrhundert"  die  Brownia- 
ner persiflirt,  indem  er  einen  Dr.  Reiz  und  Dr.  Potenz  aufführt. 
Im  2.  Stück  des  4.  Bandes  des  Magazins  erschien  darauf  die  Geschichte 
eines  durch  die  Brown'sche  Methode  geheilten  Hypochondristen,  den 
man  am  Schiuss  als  Kotzebue  bezeichnete.  Dieser  widerrief,  daher 
die  FeindseUgkeiten. 


1()4 

„Ein  konsequenter  Mann  konnte  nicht  lange  Dem  folgen,  Avelclier 
jedes  folgende  Jahr  Das  aufgab,  was  er  im  vorigen  als  '^^ahrheit  er- 
kannt hatte."  Und :  „Die  Erregungstheorie  fand  zwar  nie  einen 
Gegner  von  so  kräftigem  Geiste,  aber  auch  nie  von  so  grosser  An- 
maassung  und  ^Vandclbarkeit."  Die  Anmaassung,  Seichtheit  und 
YerNverflichkeil  vieler  seiner  Behauptungen  und  die  Inconsequenz  des 
Meisters  hätten  ihm  die  Augen  geiVifnet.  Einseiligkeit,  Absurditäten, 
Hypothesensucht  Nverden  Schelling  nicht  ohne  Grund  vorgeworfen, 
aber  wir  werden  in  der  folgenden  Darstellung  sehen,  dass  gerade 
Röschlaub  am  wenigsten  die  Vorwürfe  erheben  durfte,  die  ihn, 
wo  nicht  stärker ,  doch  wenigstens  in  gleichem  Maasse  treffen.  — 

Was  nun  die  andre  Hälfte  von  Uö  s  c  h  1  a  u  b '  s  Leistungen  in  diesem 
Magazin ,  nämlich  die  eigentlich  positiven  Abhandlungen  anbelangt, 
so  zeigen  sie  ganz  dieselben  Uebergänge,  wie  die  kritisch-polemi- 
schen. Auch  hier  beginnt  UOschla  u  b  mit  der  Erregungsllieorie  in 
ihrer  alten  Gestalt  und  führt  sie  nach  und  nach  der  Naturphilosophie 
in  die  Arme.  Die  ersten  Aufsätze  Uoschlaub's  sowohl  als  der 
Mitarbeiter  sind  streng  ßrownisch  oder  nach  der  Erregungstheoric 
modificirt.  So  die  Abhandlungen  von  Uöschlaub  über  Ursache 
der  Krankheilen,  Anlage,  Opportunität  (Band  11.),  über  Stuhlverhal- 
tung in  asthenischen  Krankheilen  (Band  IV.  —  sie  ist  nicht  schädlich, 
ja  nützlich;  Laxantia  schaden,  sind  nur  bei  Localübeln,  mechanischer 
Ausdehnung  und  wenn  wirklich  Symptome  der  Verhallung  ent- 
stehen, angezeigt);  ebenso  die  Abhandlungen  von  Erhard  (über  die 
Möglichkeit  der  Heilkunst:  Begründung  auf  Analogie  und  Induction ; 
das  Brown'sche  System  ist  das  voUkommensle),  Köllner  (ist  Heil- 
kunde als  Wissenschaft  möglich?),  Thomann  (Identität  der  Gioht 
und  des  Uheumalismus  in  "^^'esen  und  Behandlung;  über  Behandlung 
venerischer  Leistendrüsengeschvvülsle;  über  Nervenriel)er ;  über 
Schlagtluss  und  Gebärmutterblullluss) ,  Streng  (Jlissbrauch  des 
Opiums),  Beil  (Principien  für  jede  künftige  Pharmakologie),  Mal- 
fatti  (über  Reconvalescenz),  Jos.  Frank  (Bemerkungen  über  das 
NervenHeber),  K.  C.  Jlatthaei  (über  Arzneiwirkungen  u.  s.  w.), 
J.A.Schmidt  (über  Kuriren  und  Heilen),  Wedekind  (über  Ma- 
sern, —  nicht  ohne  Tadel  gegen  Brown),  F.  E.  Holst  (Beobach- 
tungen einer  asthenisclien  Entzündung),  G.  L.  Mini  ker  jun.  (gegen 
Heck  er),  Pop  u.  A.  Seitdem  aber  Schelling  sich  für  die  Er- 
regungstheorie zuerst  im  Magazin,  Band  IL,  bei  Gelegenheit  der 
Stieglitz  "sehen  Recension  Brown'scher  Schriften  in  der  Allgemeinen 


165 

Literatur-Zeitung,  Februar  1799  (s.  unten)  ausgesprochen  und  die 
Anhänger  derselben,  zum  Beweis  des  Mangels  an  innerem  Fond, 
über  diese  Stütze  von  aussen  ein  grosses  Triumphgeschrei  er- 
hoben hatten,  rächte  sich  diese  Begünstigung  durch  ein  reciprokes 
Anlehnen  der  Erregungstheorie  an  die  Naturphilosophie,  die  jener 
nothwendig  den  Untergang  bereiten  musste. 

In  Rösch  lau  b  aber  regte  sich  ein  eigner  Stolz.  Es  war  von 
jeher  die  Verbindung  mit  der  Philosophie,  die  ihn  stolz  auf  die 
Empirie  herabsehen  liess,  durch  die  er  die  Medicin  zur  Vollendung 
führen  wollte,  und  die  neueste,  blendende  Phase  derselben  sanctio- 
nirte  seine  von  Brown  überkommenen  Ideen.  ..Brown's 
Theorie  aber  ist  nur  die  glänzende  Morgenröthe  der  Theorie,  die 
vollendete  Erregungstbeorie  erst  wird  der  helle  Mittag  sein."  Leider 
trat  nur  zu  bald  der  Abend  ein;  die  Verachtung  der  Erfahrung  (in 
diesem  Geiste  nennt  Röschlaub  Sydenham,  Boerhaave, 
Grant,  StoU  Empiriker)  rächte  sich  und  die  Theorie  stürzte  durch 
eine  andere ,  luftigere,  in  Hypothesen  und  Analogieen  spielend  sich 
herumtreibende.  Dieser  Einlluss  der  Naturphilosophie  machte  sich 
aber  nur  allmählig  bei  Röschlaub  geltend,  je  mehr  er  sich  von  den 
alten  Satzungen  losmachte. 

In  einer  grösseren  Abhandlung  über  die  Heilkräfte  der  Na- 
tur oder  ,, Entwicklung  der  Principien  der  Therapie"  sehen  wir  schon 
einen  deutlichen  Fortschritt,  denn  es  zeigt  sich  in  ihr  die  Indivi- 
dualität des  Organismus  im  Kampfe  gegen  die  Natur.  Die  Heilkraft 
der  Natur  ist  keine  innerliche  und  doch  nicht  ganz  Chimäre.  Die 
innere  Thätigkeit  des  Organismus  heilt ,  wie  sie  auch  Krankheiten 
erzeugt.  Es  kommt  Alles  auf  «las  Verbal tniss  des  Wirkens  und 
Entgegenwirkens  an.  Die  äussern  Einflüsse  sind  die  negativen  Be- 
dingungen aller  Erregung,  diese  die  negative  Bedingung  der  Lebens- 
thätigkeit  selbst.  Bei  der  Heilung  muss  auf  jedes  Gebilde  Rücksicht 
genommen  werden.  Nur  die  Hauptmumente  der  Krankiieit ,  nicht 
diese  selbst  sind  allgemein  oder  örtlich;  jede  Krankheit  ist  Beides 
zusammen.  Bei  chemischen  und  mechanischen  Kraukhciteii  kann 
Heilung  nicht  bloss  von  aussen  erfolgen ,  sondern  es  geschieht  durch 
einen  bestimmten  organischen  R  epr  o  d  u  et  io  nsp  r  o  z  ess  (bedingt 
durcb  normale  Erregung  aller  assimilirenden  Organe).  Die  Indicatio- 
nen  müssen  auf  den  Verlauf,  d.h.  die  Prognose,  nicht  auf  die  Diagnose 
begründet  werden  (I).  —  Diese  Fortentwicklung  ergiebt  sich  noch 
weiter,  z.  B.  in  der  Rücksicht  auf  die  GrundstotVe  bei  Anwendung  der 


166 

China,  in  der  Berücksichtigung  der  Eleclricilät,  des  Galvanismus,  des 
chemischen  Prozesses ,  der  Definition  der  Erregbarkeit  als  Synthesis 
äusserer  und  innerer  Thätigkeit.  In  der  Abhandlung  über  die  Cur 
örtlicher  Entzündungen  wird  die  Beförderung  des  allgemeinen  orga- 
nischen Reproduclionsprozesses  zur  Pfliclit  gemacht  u.  s.  w.  In  der 
Einleitung  zum  6.  Bande,  welche  allen  Gegnern  des  Brown'schen 
Systems  olTenen  Krieg  verkündigt,  wird  bei  dem  Lobe  der  Naturwis- 
senschaften und  Schelling's,  Göthe's,  Steffens',  Eschen- 
mayer's  die  beabsichtigte  Vereinigung  der  Brown'schen  Theorie 
mit  der  Naturphilosophie  angekündigt,  wobei  Brown  immer  das  Ver- 
dienst der  Reform  der  Therapie  bleibe,  um  welche  sich  die  Letztere 
nicht  kümmere ,  und  zugleich  das  Versprechen  gegeben,  frühere  Irr- 
thümer  gut  machen,  unrechtmässige  Angriffe  widerrufen  zu  wollen, 
obgleich  dies  wenig  Anklang  bei  den  Brownianern  zu  finden  scheint. 
—  Von  nun  an  wird  der  Grund  der  Existenz  wie  der  Form  jedem 
Wesen  selbst  zuerkannt,  der  organisch-dynamische  Prozess 
als  der  wahre  Lebensprozess  bezeichnet,  der  Assimilations-  und  Orga- 
nisationsprozess  als  bedingend  und  bedingt  für  und  durch  Erregung. 
S  ch  eil  in  g'sche  Ideen  sind  es,  wenn  die  Assimilation  als  Indifferen- 
zirung  erklärt,  eine  Differenz  der  organischen  Gebilde,  Galvanismus, 
Polarität  und  eine  Parallele  zwischen  dem  Universum  und  dem  Indivi- 
duum (Paracelsus)  aufgestellt  werden.  Die  äusseren  Bedingungen 
der  Heilung  werden  in  negative,  die  innern  in  positive  umgewandelt. 
Die  Behauptungen:  es  gebe  nur  einen  Kurplan;  Krankheiten  können 
nicht  nützlich  sein;  der  Satz  „contraria  contrarüs"  lasse  sich  nicht 
überall  durchführen ;  es  existire  ebensowenig  eine  ausschliesslich  anti- 
s'ihenische  und  antiasthenische  Methode,  als  eine  auflösende,  anti- 
gastrische —  sind  bessere  Punkte  für  die  Polemik  als  die  früheren. 
Dagegen  erscheint  die  Rücksicht  auf  Elektricität  und  Magnetismus  bei 
den  Arzneiwirkungen  sehr  hypothetisch  und  der  Widerspruch  sehr 
bedeutend,  wenn  Röschlaub  die  Assimilation  bald  unter,  bald  neben 
die  Erregung  setzt.  —  Im  8.  Bande  des  Magazins  (1803  und  1805), 
wo  es  als  Magazin  für  Physiologie  und  Medizin  erscheint ,  fin- 
den wir  in  einem  offenen  Bekenntnisse  Röschlaub's,  das  ihm  ge- 
wiss zur  Ehre  gereicht,  das  Zugeständniss,  dass  viele  seiner  Angaben 
fehlerhaft  seien,  dass  z.B.  der  Begriff  der  Krankheit  niodificirt  werden 
müsse ,  dass  er  den  Unterschied  zwischen  positiven  und  negativen 
Reizen  nicht  gehörig  berücksichtigt  habe  (gegen  Troxler,  Versuche 
der  organischen  Physik,    1804.,   der   die   negativen   Reize   läugnet; 


167 

Röschlaub  hält  sauersfoff-  und  kohlenstolTlialtige  Ding-e  für  nega- 
tiv, sfickstoff-  und  wassersloffliaHige  für  positiv  reizend).  Einige 
physiologische  Fragmente  sind  schon  ganz  in  der  Sprache  und  dem 
Geiste  der  Naturphilosophie  abgefasst,  handeln  von  Gott,  Geist  und 
Natur,  haben  aber  auch  einen  theosophischen  Anstrich  nach  Fludd, 
Böhme,  Helmont.  Die  früher  verachteten  ,, Empiriker"  :  Hip- 
pokrates,  Galen,  Aretaeus,  Alexander,  Sydenhara, 
Boerhaave,  Fr.  Hoffmann,  St  oll  u.  s.  >v. ,  >velche  alle  von 
Brown  früher  „überstrahlt"  wurden,  werden  jetzt  zum  Studium  em- 
pfohlen. Selbst  die  Annahmen,  dass  Erregung  neben  Assimilation 
und  Reproduction  stehe  und  dass  sie  sich  zum  Vegetationsprozess  ver- 
halte, wie  Elektricität,  Chemismus  und  Cohäsionsmoment  zum  dyna- 
mischen Prozess,  wagt  Rösch  laub  nicht  mehr  als  völlig  ausgemacht 
in  Schutz  zu  nehmen,  und  mit  einer  Art  Janusblick  nach  rückwärts 
und  vorwärts  entschuldigend  und  begütigend  bekennt  er,  dass  er  die 
Erregungstheorie  vertheidige ,  weil  Brown  durch  sie  die  Medicin 
auf  eine  bisher  noch  nicht  erreichte  Stufe  gehoben  habe,  nicht  aber, 
wenn  man  das  Höchste  und  Wesentliche  der  ärztlichen  Kunst  und  der 
Naturwissenschaften  im  Auge  habe ,  weil  sie  in  dieser  Hinsicht  selbst 
nur  un  eigentlich  Theorie  heissen  könne.  — 

Das  schon  hieraus  deutlich  ersichtliche  Bestreben  Rösch- 
laub's,  die  Erregungstheorie  durch  die  Naturphilosophie  zu  modifi- 
ciren  und  so  eine  neue  Combination  zu  schaffen,  entwickelt  sich  deut- 
licher in  dem  Lehrbuch  der  allgemeinen  laterie^^)  (welches  gewis- 
sermaassen  als  Fortsetzung  der  vorausgegangenen  Pathogenie  und 
Nosologie  erschien  [1804]),  wie  aus  folgenden  in  der  Hauptsache  nach 
Schelling  bearbeiteten  Definitionen  erhellt.  Es  heisst  nämlich  da- 
selbst: Alles  was  ist,  ist  nur  Attribut  der  Form  des  Seins,  des  Uni- 
versums oder  der  absoluten  Natur,  welche  das  An  sich,  die  eigentliche 
Substanz  aller  Dinge  ist;  Lebensprincip  ist  das  Subjekt,  Handeln  und 
Sein  sind  die  Factoren  des  Organismus.  Durch  äussere  Dinge  ent- 
steht Differenz  der  Factoren;  Erregbarkeit  ist  das  Vermögen  Indiffe- 
renz hervorzubringen.  Der  Vegetationsprozess  zerfällt  in  drei  Mo- 
mente:  Reizung,  Assimilation,  Reproduction.  Gesundheit  ist  := 
Einheit  der  allgemeinen,  dem  gesammten  Organismus  zukommenden 
Lebensform  in  der  Mannigfaltigkeil  und  Differenz  der  untergeordneten 
Lebensfunctionen.  Das  Lebensprincip  sucht  der  äusseren  Natur  zu 
widerstreben.  Krankheit  wird  gesetzt  entweder  durch  die  allgemeine 
oder  durch  die  besondere  zufällige  Form,  indem  die  eine  mit  der  andern 


1Ö8 

in  Widerspruch  gerälli;  jenes  ist  das  quantilalive,  dieses  das  qualita- 
tive Veriiällniss.  Die  Disproporiion  l)crulil  darauf,  dass  das  IndilTeren- 
zirungsvermögen,  wenn  dasselbe  durch  Uebermaass  positiver  Ueize 
stärker  geweckt  wird,  melir  Realitiit  im  Product  setzt,  als  diesem 
Möglichkeit  zukommt  :=  llyperslheiiic,  oder  dass  jenes  Vermögen 
durch  belrächlliche ,  auf  einmal  eingetretene  Abnahme  positiver  Reize 
oder  durch  eben  so  beträchtlich  gesetzte  negative  Reize  schwächer 
geweckt,  im  Producte  weniger  Realität  macht,  als  ihm  Möglichkeit 
zukommt  ^^^  Asthenie.  Jedem  dieser  Hauptmomente  entspricht  Um- 
änderung der  organischen  ^letamorphose.  Krankheit  beruht  auf  dem 
Missverhältniss  zwischen  dem  geänderten  quantitativen  und  qualitati- 
ven Verhältniss.  Oxydation  und  Desoxydation  bilden  Afterorgani- 
sationen ;  Ansteckung  ist  mittelst  Wasserstoff  gesetzt.  Die  After- 
organisationen  zeigen  zwei  Reihen.  (Strafflieit  und  Schlaffheit  der 
Methodiker).  Auch  die  alten  Begriffe  von  secundär  und  primär,  idio- 
pathisch, sympathisch  u.  s.  w.  erhalten  wieder  Geltung.  Bei  der  Hei- 
lung, die  nur  durch  Zusammenstimmung  der  inneren  und  äusseren 
Bedingungen  gegeben  ist,  wird  auf  positive  und  negative  Reize  geach- 
tet, nicht  minder  auf  Qualität  der  Reize  und  Arzneien,  specifische 
Reize,  Stadien,  verschiedene  Indicationen  (vitalis,  prophylactica)  u.  s.  w. 
und  so  die  Rückkehr  der  Praxis  zur  alten  Erfahrung  zugleich  neben 
dem  Fortschreiten  der  Theorie  zur  Naturphilosophie  gebahnt. 

Wie  aber  schon  in  den  letzteren  Bänden  des  Magazins  ersicht- 
lich "war,  so  blieb  es  nicht  einmal  hierbei,  sondern  Röschlaub  über- 
stieg die  Grenzen  der  seiner  Vorliebe  für  Hypothesen  zusagenden  Na- 
turphilosophie und  verfiel  in  den  drohenden  Abgrund  derselben,  in 
mystische  an  die  Neuplatoniker ,  Plotinus  u.  A.  erinnernde  Schwär- 
merei, die  ähnlich,  wie  in  Glaubenssachen,  ihm  einen  Ersatz  für  das 
Ungenügende  seiner  Erfahrung  und  seines  Räsonnements  geben  soll- 
ten. Daher  stellt  er  in  den  anthropologischen  und  physiologischen 
Fragmenten  des  9.  und  10.  Bandes  des  Magazins  (1806  und  1807) 
Iheosopliisch-kosmogonische  Untersuchungen  nach  3Ioses  und  den 
Kirchenvätern  über  Gott,  Seele,  Geist,  Willen,  Verstand,  Geniülh 
U.S.  vv.  an;  dalier  lindet  er  im  Menschen  die  Schöpfungsgeschichte  wie- 
der, nimmt  astralischcn  Einfluss  nach  Paracelsus,  Feuer  und  Materie 
als  Elemente  aller  Naturwesen  an ;  nennt  die  Krankheit  '•■)  ein  fremd- 


*)  Tnteres>:aiit  sind  die  vorhergehenden  kritischen  Untersuchungen 
über  den  BegiiiT  der  Krankheit  liei  Galen,  Avicenna,  Feinel, 
Paracelsus,    Helmont,    Sylvius,    Sy  den  harn,    Stahl,    Hoff- 


169 

artiges  Leben,  einen  eigenen  Organismus,  der  bald  natürlich,  bald 
geistig,  bald  beides  sei  (Paracelsus).  In  einer  Abhandlung  über 
Entzündung  heisst  es:  Das  Feuerleben  ist  das  Erzeugende,  mensch- 
liche Leiblichkeit  das  Empfangende ,  darüber  schwebt  ein  als  beide 
Vereinendes,  sich  dem  Zuerzeugenden  im  Akte  der  Vereinigung  ein- 
erzeugendes Naturleben,  dessen  Tendenz  der  (hier  in  zu  weit  getrie- 
bener Analogie  mit  dem  Bildungsakte  des  Embryo  verglichene)  3Ieta- 
niorphosirungsprozess  ist.  Wie  dieser  Wahnsinn  Methode  wird  oder 
besser  umgekehrt,  lehrt  deutlich  eine  Abhandlung  über  Opium,  von 
dem  Röschlaub  sagt:  Dass  sein  irdischer  Gehalt  mit  der  irdischen 
Leiblichkeit  der  llauptgebilde  dei"  menschlichen  Verdauungsorgane 
zunächst  verwandt  sei,  nur  dass  die  sonnige,  erzeugende  Kraft, 
welche  dem  Opium  einerzeugt  ist,  ungleich  wichtiger  als  in  jenen 
Hauptgebilden  lebe;  desshalb  (sicl)  sei  es  ein  Cardiacum  und  gegen 
Typhus,  Krämpfe  u.  s,  w.  nützlich!  Und  mit  dieser  Excentricitüt 
durfte  Rösch  laub  allerdings  in  seiner  Replik  gegen  Sehe  Hing 
(nur  in  anderem  als  seinem  Sinne)  behaupten :  „Obgleich  die  Meinun- 
gen des  Meisters  dieser  Schule  seinen  Vorstellungen  nahe  liegen ,  so 
haben  sie  doch  nicht  über  ihn  gesiegt."  Er,  der  selbst  von  S  ch  el- 
lin g  sagt:  ,,die  Kräftigkeit  seines  Geistes  habe  ihn  (Rösch  laub) 
verleitet,  in  Jenem  das  Höchste  der  theoretischen  Ansichten  über  die 
Menschen  und  die  Natur  zu  finden ,"  durfte  es  sich  nicht  „zur  Ehre 
rechnen,  dass  ihn  die  Schule  nicht  unter  ihre  Glieder  zählte,"  nach 
deren  Normen  er  doch  das  von  Brown  Ueberkommene  modificirte.  Er 
mag  uns  immerhin  im  Partheihass  „Alles ,  was  mit  der  Naturphiloso- 
phie wesentlich  und  nothwendig  zusammenhängt,  zu  verwerfen,  jede 
dahin  bezügliche  Stelle  seiner  Schriften  zu  verdammen"  vorspiegeln, 
giebt  er  doch  zu,  dass  er  ,,mit  ihr  das  gemein  haben  will,  was  in 
sich  wahr  ist,"  und  wird  dadurch  tlieilweiss  Schellingianer.  Aber 
,,weil  die  Brown  "sehe  Lehre  mehr  Vortreffliches  enthält,  als  alles 
Neuere,  und  endlich  seine  Ansicht  in  vielen  der  wichtigsten  Punkte 
mehr  mit  jener  Lehre  übereinstimmt,  als  mit  allen  älteren  und  neue- 
ren," —  darum  bleibt  er  auch  trotz  veränderter  Ansicht  Brownianer. 
So  schwebt  er  in  dem  letzten  hiehergehörigen  (unvollendeten), 
der   besonderen    Nosologie,    latreusiologie    und  laterie  gewidmeten 


mann,  Boerhaave,  Gaub. —  Andere  nicht  zu  verachtende  Aufsätze 
in  diesen  Bänden  sind:  über  die  Aufgabe  der  Medicin,  über  Versuche- 
machen, über  Geisteskrankheiten  mit  Zugrundelegung  von  Göthe's 
Lila,  über  das  Studium  der  Alten  u.  s.  w. 


170 

Werke  ^')  (1807) '"') ,  bei  dem  mühsamen  Bestreben,  neben  dem  Frem- 
den das  wenige  Eigene  herauszukehren ,  Altes  und  Neubegründetes 
zweckmässig  zu  verbinden,  zur  Fahne  eines  selbstsländigen  Fort- 
schritts zu  schwören  und  die  früheren  Irrthümer  wieder  durch  die 
Rückkehr  zur  alten  Medicin  gutzumachen,  in  einem  liülflosen  Schwan- 
ken, welches  nicht  einmal  mehr  durch  die  sonst  strenger  festgehaltene 
Form  des  System  es  verdeckt  wird,  indem  Brown'sche,  naturphilo- 
sophische, neuplatonische,  humoralpathologische,  chemische  u.  a. 
Elemente  locker  aneinander  gereiht  sind,  Wohl  war  ihm  schon  da- 
mals manches  Unrecht  klar  geworden ,  welches  er  gegen  die  Gegner 
des  Brownianismus  und  gegen  die  wahre  Schule  der  Medicin ,  die  Er- 
fahrung, begangen  hatte;  wohl  fühlte  er,  wie  der  Boden  unter  ihm 
schwankte  und  eine  Ahnung  mochte  ihm  kommen ,  dass  er  seine  Auf- 
gabe, trotz  manchen  Nutzens  im  Einzelnen,  im  Ganzen  verfehlt  habe. 
Erklärt  er  doch  bereits  im  9.  Bande  des  Magazins  als  Ve:irrungen, 
dass  er  Vieles  durch  logisches  und  dialektisches  Raisonnement  zu  er- 
klären suchte  und  nicht  immer  von  Thafsachen  ausging ,  dass  er  eine 
Lehre,  die  er  noch  nicht  einmal  kannte,  erweitern  und  vervollständi- 
gen wollte,  dass  er  zu  viel  Empfänglichkeit  für  die  theoretischen  Mei- 
nungen und  Versuche  der  damaligen  Zeit  zu  philosophiren  hatte.  Er 
tröstet  sich  zwar  damit,  keine  Schrift  gegeben  zu  haben,  durch  welche 
das  Wohl  eines  Kranken  gelitten  habe  (jedoch  auch  nicht  befördert 
worden  ist?)  —  aber  nur  die  Mittel  und  Wege,  die  er  einschlug,  um 
sein  Unrecht  zu  sühnen,  waren  gut,  insofern  sie  ihn  in  das  rechte 
Gleis  zurückbrachten.  Die  neuen  Versuche  führten  von  einem  Ab- 
weg zum  andern,  da  ihm  der  wahre  Zweck  der  Heilkunst,  die 
empirisch-rationelle   Richtung   fehlte.        Immer    noch    täuschte    ihn, 


♦)  Hierher  gehören  noch  die  in  der  Literatur  sub  98  und  99  ver- 
zeichneten Schriften.  Die  anderweiten  Schriften  Röschlaub's  haben 
andere  Tendenzen  und  Objekte.  Der  Vollständigkeit  wegen  werden 
sie  hier  verzeichnet: 

1)  Ueber  Medicin  und  ihr  Verhältniss  zur  Chirurgie,  nebst  Materia- 

lien zu  einem  Entwurf  der  Polizei  der  Medicin.  P'rankfurt,  1802.  8. 

2)  Afteranwendnng   der  neuesten  Systeme  der  Philosophie    auf  die 

Medicin.     Eine  Rede.     Landshut,  1802. 

3)  Ueber  den  Nutzen  einer  wohleingerichteten  medicinisch-klinischen 

Schule.     Landshut,  1803. 
4r)  An  Marcus  über  den  Typhus.     Landshut,  1803. 

5)  Zeitschrift  für  latrotechnick.   Landshut,  1804.    (Sehr  bescheidenes 

und  humanes  Auftreten.) 

6)  Röschlaub   und  Oeggl,    „Hygiea",   Zeitschrift   für   öffentliche 

und  private  Gesundheitspflege.   I.Band.   Frankfurt,  1804  — 1806. 

7)  Neues  Magazin  für  klinische  Medicin.    1.  Band.  8.  Nürnberg,  1816. 


171 

wie  früher  die  Wirklichkeit,  so  das  Gespenst  des  Brownianismus, 
den  er  noch  lebend  glaubte,  obgleich  er  ihn  selbst  und  mit  diesem 
einen  grossen  Theil  seines  Verdienstes  zu  Grabe  getragen  hatte.  Aus 
diesem  Grunde,  weil  sich  etwas  Persönliches  mit  an  dieses  Systemes 
Dasein  knüpfte,  ist  es  menschlich,  wenn  er  trotz  alles  Wechsels  sich 
noch  an  dem  kleinen  Rest  der  Erregungstheorie  festhielt.  Wie  aber 
sein  Bestreben  unter  allen  Umständen  ein  ehrenwerthes  war,  so  ist 
es  namentlich  die  Art  und  Weise,  wie  er  ohne  Furcht  vor  der  Beschul- 
digung der  Inconsequenz  endlich  Aviderrief,  nachdem  im  längern 
Kampfe,  besonders  durch  Hufeland,  die  Meinungen  auf  beiden  Sei- 
ten geläutert  und  der  Partheihass  ausgeglichen  Avar.  Die  Offenheit 
und  Freimüthigkeit,  womit  er  seine  Fehler  bekannte  und  seinem  Geg- 
ner die  Siegespalme  zuertheilte,  für  sich  aber  nur  noch  einen  geringen 
Theil  der  Wahrheit  bescheiden  zu  erhalten  suchte ,  sichert  ihm  für 
alle  Zeiten  die  Achtung  der  Nachwelt,  welche  einsehen  muss,  wie  es 
ihm  nur  um  die  Wissenschaft  zu  thun  war  und  die  Liebe  zur  Wahrheit 
selbst  über  seinen  Ehrgeiz  den  Sieg  erfocht.  Wir  können  es  uns 
nicht  versagen,  dieses  schöne  Aktenstück ,  eine  Erklärung  Rösch- 
laub's  an  Dr.  Ch.  W.  Hufeland  (in  Dessen  Journal,  Band  32,  Jahr- 
gang 1811,  Stück  1,  Seite  9.),  hier  schon  um  desshalb  im  Auszuge 
mitzutheilen,  weil  es  als  späteres  Glaubensbekenntniss  Rösch  laub's 
und  als  Sühne  für  manche  bittere  Episode  von  Feindseligkeit  den  wür- 
digsten Schluss  der  Charakteristik  eines  der  bedeutendsten  Heroen 
der  Geschichte  des  Brownianismus  bilden  dürfte.  Hier  sagt  Rösch- 
laub ungefähr  Folgendes:  Er  sei  eine  Erklärung  schuldig,  warum  er 
nach  anderthalb  Jahrzehnten  eines  bittern  Kampfes  nun  seit  einem 
halben  Jahrzehnt  sich  alles  Kampfes  gegen  Hufeland  enthalte. 
Nähere  und  strengere  Untersuchungen  seit  1805  haben  ihn  überzeugt, 
dass  er  in  mehreren  Hauptpunkten  ihres  Kampfes  ihm  den  Preis  des- 
selben,  nämlich  das  W  ahre  verfochten  zu  haben,  zuerkennen 
müsse.  Das  näher  Therapeutische  erkennt  er  aber  keineswegs  für 
irrig  an*),  ja  die  meisten  seiner  therapeutischen  Behauptungen 
und  mit  diesen  viele  seiner  pathologischen  u.  a.  seien  durch  neuere 


♦)  Da  man  Röschlaub  wahrscheinlich  mit  demselben  Rechte  wie 
seinem  Vorgänger  Brown  den  Vorwurf  machte,  er  habe  wenig  prak- 
tische Uebung  gehabt,  so  hat  diese,  vielleicht  doch  nur  zu  eigener 
Genugthuling  aufgestellte  Behauptung  nur  in  so  weit  Geltung,  als 
wirklich  einzelnes  Therapeutische  bei  Brown  durch  die  Erfahrung  als 
wahr  bezeichnet  wird. 


172 

Untersuchung'en  noch  fester  begründet  und  bestätigt  worden''), 
viele  freilich  auch  berichtigt  und  verbessert.  Die  we- 
sentliche Einheit  seiner  jefxigeii  Ansichten,  die  vollständig  durchge- 
führt sei  (I),  mit  den  jetzt  angenommenen  und  früher  behaupteten  An- 
sichten, so  wie  mit  den  wichtigsten  Lehren  aller  Zeiten  sieht  er  als 
einen  besonderen  Vorzug  seines  Systems  (?)  an.  Seit  1805  habe  er  ein- 
gesehen ,  dass  während  er  die  materia  morbifica,  die  Prozesse 
der  Rohheit,  Kochung,  Ausscheidung  u.  s.  w.  bestritt, 
diese  ihm  gerade  zur  Befriedigung  fehlten.  Zum  Kampfe 
gegen  Hufeland  sei  er  dadurch  aufgeregt  worden,  dass  er  einge- 
sehen habe,  wie  die  Lehrsätze  der  Therapie  mit  der  wirklichen  Er- 
fahrung nicht  übereinstimmten.  Die  Schuld  gab  er  damals  der 
Humoralpalhologie.  Die  Nervenpathologie  genügte  ihm  mehr  in 
pathologischer  und  therapeutisclier  Hinsicht.  Brov/n  schien  ihm 
das  Meiste  zu  leisten  und  er  wird  immer  sein  grosses  Verdienst  aner- 
kennen. Als  dessen  vorzüglichsten  Gegner  betrachte  er  Hufeland. 
Zu  der  Einsicht,  dass  die  Lehrsätze  Jenes  wahr  seien,  wenn  auch  die 
Consequenz  ihrer  Anwendung  falsch  war,  gelangte  er  auf 
folgendem  Wege.  Da  ihm  Brown  nicht  genügte,  suchte  er  Anderes 
zu  begründen,  zu  berichtigen;  er  gehörte  keiner  Schule,  sondern 
sich  seihst  an.  Je  mehr  er  sich  bemühte,  die  ächte  Erfahrung  (?)  zu 
pflegen ,  desto  reichere  und  lautere  Quellen  ächter  Theorie  (?)  sah  er 
sich  geolVnet.  Er  erkannte  nun  viele  nosologische  und  therapeutische 
Lehrsätze  Brown 's  in  einem  vorher  nicht  gekannten 
Geiste,  aber  auch  die  Lehren  der  Alten  über  Materie, 
Krise  u.  s.  w.  in  einem  ehrwürdigen  mit  jenen  im  Zusam- 
menhange stehenden  Sinne.  Denn  nur  durch  falsche  Consequenz 
und  Einseitigkeit  seien  aus  jenen  hippokratischen  Lehrsätzen  die  the- 
rapeutischen Irrthümer  entstanden.  „Und  so  fand  ich ,"  schliessl  er 
mit  den  Versicherungen  aufrichtiger  Hocliachtung  gegen  Hufeland's 
Verdienste  und  mit  dem  Versprechen  weiterer  Belege  für  jeden 
Punkt,  ,,dass  ich  seihst  in  Täuschung  scheinbarer  Conse- 
(|uenz  befangen,  mich  zur  Fehde  gegen  Hufeland  rüstete  und 
sie  nur,  weil  ich  diese  Täuschung  nicht  als  solche  erkannte,  viele 
Jahre  fortsetzte."  (Die  Antwort  Hufeland's  siehe  unter  , , Hufe- 
land''.) —  Dieses  wahrhaft  schöne  Selhstbekenntniss  giebt  uns  die 
besten  Belege  zur  Beurtheilung  Koschlaub's  und  dessen,  was  nach 


*)  Allerdings  im  Einzelnen,  aber  nicht  als  Theile  eines  Systems. 


173 

solchen  Aeusserungen  des  geistreichen  Vertheidigers  BroAvn's  noch 
von  der  Erregungslheorie  übrig  blieb.  Aber  von  noch  allgemeine- 
rem, bereits  historischen,  Standpunkte  aus  geht  die  zwei  Jahre 
später  zu  Ringseis'  vergleichender  Darstellung  der  Lehren  von 
Brown  und  llippokrates  (de  doctrina  Hippocralica  et  Browniana 
etc.  Norimb.  1813.  s.  unten)  erschienene  Vorrede  Ri»  schlaub 's  ,  in 
welcher  mit  meisterhafter  Prägnanz  die  Grundzüge  des  Brovvn'schen 
Krieges  gesciiildert  und  gewürdigt  Averdcn.  Sehr  wahr  und  ihn 
selbst  am  meisten  treffend,  heilst  es  daselbst:  ,,Non  raro  pars  alfer- 
utra  pugnantium  triumphum  anle  vicloriam  cecinit.  Saepe  etiam  con- 
tigit,  ut  vicloria,  qua  polirenlur  nonnulli,  armis  ulendi  peritiam  dex- 
lerifalemque  vel  et  pugnantium  rol)ur,  vel  sagacitalcm,  neutiquam 
defensac  rei  veritatem  de  fen  d  en  t  i  um  qu  e  jus  leslificare- 
tur."  Die  nun  folgende  Schilderung  der  Parlhcicn  in  diesem  Kriege 
ist  zu  vorzüglich,  als  dass  wir  sie  hier  übergelicn  könnten.  ,,^1^5" 
fährt  näuilicli  Hösohlaub  fort,  ,.cürnm,  qui  a  Brownii  parlibus  ste- 
terunt,  nonnulli  fermc  ad  lilcram  omnia,  quae  auctor  docuit,  lan- 
quam  vcrissinia  el  exira  ümncm  t!ul)itationis  aleam  posila  susceperunt; 
imo  fucruiit,  qui  duclrinani  ab  illo  exposilam,  pluris  adeo ,  quam  ipse- 
met  auctor  aeslumantes ,  eandcm  tanquam  opus  perfeclum  omnibusque 
numeris  absolulum  praedicarent:  alii  vero  nonnisi  primaria  ejus 
decreta  medica,  non  omnia,  nee  quemlibet  illorum  usura  in  Elementis 
medicinae  factum,  approbaverunt ;  alii  horum  decretorum  aliis  assen- 
serunt,  alia  rejeccrunt:  complures  quoque  in  celebri  opere  tum  de- 
fectus,  dum  errores  varii  generis  se  detexisse  arbitrati,  illos  ex- 
plere,  hos  corrigere  enitendo ,  vel  et  dogmata  a  semet  ipsis 
excogitafa  minus  probalis  substituendo,  doctrinae  Brownianae 
partes  tenuerunt.  Verum  nee  defuerunt ,  qui  solius  n  0  vilatis  gra- 
tia,  vel  ut  nova  effando  propugnandoque  famae  auclorilatique  suae 
consulerent,  tempori,  non  arti  et  veritati  servientes ,  Brownio  per 
lempus  assentirent,  postea,  aliam  captantes  auram  data  doctrinae  vel 
recenliori  vel  et  vetusliori  fide,  bellum  illi  indiclum  sequerentur: 
vilem  enim  subdolorum  transfugarum  vel  quamlibet  aurara  inhiantiuni 
plebem  nusquam  non  reperire  est."  Und  endlich,  wo  er  von  sich 
spricht,  S.  XIX.,  verweist  er  auf  das  obige  an  Hufeland  gegebene 
Bekenntniss  mit  den  stolz-bescheidenen  Worten,  welche  seinen  Werth 
im  selbstbekannten  Irrthum  aufrecht  erhalten :  ,,Sic  ego  quidem,  licet 
in  defendenda,  quam  ipsemet  excolui,  incitationis  theoria ,  nisi  omnia 
nie  fallant,   nunquam   me   victas    ut   darem   manus   adversariorum  vi 


174 

coaclum  viderim,  postero  tarnen  tempore  eoriim,  quae  si  non  jure 
Victor,  certe  non  victus ,  tanquam  verissima  propugnaverim  coniplura 
mag-is,  quam  ea,  quae  falsa  esse  ratus  impugnaverim,  a  veritate 
remota  esse  intellexi."  — 

Solcher  Läuterungsstufen  bedurfte  es,  um  einen  Irrlhum  zu 
sühnen ,  der  mit  dem  Gedanken ,  das  Heil  in  der  Medicin  in  der  Be- 
gründung eines  Syslemes  zu  suchen,  auf  das  engste  verschwisterl 
ist.  Doch  hat  Rös  chlaub  für  die  Theorie  der  Medicin  nicht  um- 
sonstgelebt, das  Brauchbare  in  der  Erregungstheorie  geläutert,  die 
Gesetze  einer  Lebensäusserung,  der  Erregbarkeit,  physiologisch 
festgestellt  und  sich  im  Einzelnen  unschätzbare  Verdienste  erworben. 
Wenn  auch  Sophist,  dialektisch,  ein  Freund  der  Hypothesen,  war  er 
doch  einer  höheren,  philosophisch-idealen  Richtung  hingegeben,  die 
in  gehöriger  Beschränkung  durch  die  Erfahrung  Gutes  geleistet  hätte. 
Durch  seine  weitschweifige  an  Wiederholungen  demonstrativer  Um- 
schreibungen nach  Art  der  Wo If'schen  Philosophie  reiche  Schreib- 
art leuchtet  Scharfsinn,  Reichthum  an  Gedanken  und  Gewandtheit 
der  Ideen  hindurch.  Die  Theorie  war  sein  Lebenselement,  in  ihr 
webte  er,  und  es  gehörte  Geist  genug  dazu,  einer  ephemeren  Lehre 
so  lange  Dauer  zu  verleihen,  als  es  Röschlaub  vermochte.  Er 
war  nicht  frei  von  Eigenliebe,  Ehrgeiz,  Arroganz,  aber  die  Wissen- 
schaft ging  ihm  über  sein  Ich;  und  nur  indem  er  Beide  identificirle, 
in  sich  einen  Verfechter  derselben  sah,  verfiel  er  in  Zanksucht,  Wort- 
klauberei und  unedle  Polemik,  ohne  die  Vorwürfe  zu  verdienen  ,  die 
ihm  3Iatthaei's  persönliches  Libell  entgegen  schleuderte,  zumal  wenn 
man  den  Antheil  erwägt,  den  unbegrenzte  Verehrung  auf  der  einen, 
Schmähsucht  auf  der  andern  Seile  hatte.  Der  Mangel  an  realer 
Basis  und  das  Ungenügende  der  Theorie  verleitete  ihn  zum  Wanket- 
muth,  zu  Widersprüchen  und  Inconsequenzen ,  die  ihn  nach  einander 
zu  Brown,  Kant,  Fichte,  Schelling,  Plato  und  Plotinus 
führten.  Aber  selbst  bei  diesem  Hingeben  blieb  noch  eine  gewisse  Selbst- 
ständigkeit; in  diesem  Wechsel  leuchtete  immer  als  schöner  Stern 
die  Liebe  zur  Wissenschaft;  in  diesem  freiwilligen  Aufgeben  der  Gon- 
sequenz  lag  ein  Opfer  der  eigenen  Subjectivitiit ,  welches  er  der  ver- 
meinten objectiven  Wahrheit  brachte;  ja  ihm  gebührt  nicht  blos  der 
zweideutige  Ruhm,  dem  Drange  dieser  willig  gefolgt  zu  sein,  son- 
dern auch  der  höhere,  die  wirkliche  erkannt  und  zu  ihrem  Siege  that- 
sächlich  beigetragen  zu  haben.  — 


175 

[Johann  Peter  Frank,]    Josepb  Frank. 

Ein  dritter  bedeutender  Anhänger  Brown 's,  den  wir  bereits 
in  Italien  kennen  gelernt  haben,  ist  Joseph  Frank.  Wie  wir 
ihn  dort  mit  jugendlich  keckem  Uebermuth  als  schwärmerischen  Ver- 
theidiger  der  neuen  Lehre  frühzeitig  auftreten  sehen,  so  finden  wir 
ihn  wieder  in  Deutschland,  zugesellt  dem  blindslürmenden  Weikard 
und  dem  speculativ  stolzen  Rösch laub,  aber  als  fortbildendes  und 
vermittelndes  Element.  "N^'as  Weikard  auf  dem  Wege  eines  die 
Theorie  und  Praxis  gewaltsam  modelnden  Terrorismus,  Rösch- 
laub durch  philosophisch-kritische  Conslrucfion  und  Be- 
weisführung bewirken  Avollte,  suchte  Frank,  nachdem  er  von 
seiner  anfänglichen  Ueberschwänglichkeit  abgekommen  war,  sehr 
bald  durch  practische  Beispiele,  durch  anscheinende  Ruhe  in  der 
Beobachtung  und  täuschende  Sicherheit  der  Erfahrung  zu  er- 
langen. In  der  Geschichte  der  Erregungstheorie  repräsentirt  er 
demnacii  im  Gegensatz  zu  Rösch  laub  das  practische  Ele- 
ment durch  eine  vorzugsweise  auf  klinische  Anwendung  der 
Brown'schen  Praxis  gestützte  Beweisführung,  wie  er  andererseits, 
im  Gegensatz  zu  Weikard,  zugleich  mit  Röschlaub  die  Fort- 
bildung dadurch  verwirklichte,  dass  er  die  schroffen  Irrthünier  und 
abstossenden  Ecken  abschliff  und  eine  grössere  Wissenschafllichkeit 
in  das  Ganze  zu  bringen  suchte.  Die  Fortbildung  gestaltete  sich 
aber  bei  ihm  nicht,  Mie  bei  Röschlaub,  zum  Uebergang  zu  einem 
neuen  System,  sondern  stellte  sich  als  einfache  Rückkehr  zur  alten 
Medicin  dar.  Diese  Vermittelungstendenz  taucht,  wie  Röschlaub's 
Umbildung,  ebenfalls  nur  allmählig  auf.  So  sehen  wir  aber  auch 
hier  frühzeitig  schon  in  den  vielen  Inconsequenzen  und  Wi(lersprü- 
chen  den  Keim  des  Todes  für  die  neue  Lehre,  da  auch  dieser  geist- 
reiche Mann  ihn  nicht  nur  nicht  aufzuhalten  vermochte ,  sondern  eben 
erst  recht  deutlich  vor  unsern  Augen  entwickelt. 

Joseph  Frank  war  geboren  im  Jahre  1771  zuRastadt,  stu- 
dirte  und  wurde  im  Jahre  1791  promovirt  in  Favia  und  zum  Repetitor 
des  klinischen  Unterrichts  daselbst  im  Jahre  1795  bestellt.  Kurz 
darauf  berief  man  ihn  nach  Wien ,  um  das  Sanitätswesen  der  kaiser- 
lichen Armee  zu  ordnen.  Im  Jahre  1796  Avurde  er  zum  Primararzt 
des  allgemeinen  Wiener  Bürgerhospitals  ernannt.  Im  Jahre  1802 
bereiste  er  Frankreich  und  im  folgenden  Jahre  auch  England  und 
Schottland.  1804  wurde  er  in  Wilna  Professor  der  Pathologie  und 
nachher  übernahm  er  die  Stelle  seines  Vaters  als  klinischer  Lehrer 


176 

an  derselben  Universität,  wo  er  18  Jahre  blieb.  Als  geislige  An- 
strengungen und  klimatische  Einflüsse  seine  Gesundheit  erscliiiltert 
halten  und  endlich  eine  Amblyopie  ihn  zu  seinem  Amte  untauglich 
machte,  gestattete  ihm  der  Kaiser  von  Russland,  der  ihn  zum  Staals- 
rath,  Ritter  mehrer  Orden  u.  s.  w.  sclion  früher  ernannt  hatte,  sich 
vom  Staatsdienste  unter  den  ehrenvollsten  Bedingungen  zurückzu- 
ziehen. Da  er  nun  die  Lombardei  als  sein  zweites  Vaterland  lieble, 
verlebte  er  den  Rest  seiner  Tage  ruhig  in  Coma ,  vorzugsweise ,  nach- 
dem seine  Gesundheit  sich  Avieder  einigermaassen  gebessert  hatte, 
auf  die  Vollendung  seiner  1811  begonnenen  „Praxis  medica"  bedacht, 
und  hatte  die  Freude,  sein  Streben  durch  mehrere  Uebersetzungen 
(Bayle,  Voigt  u.  A.)  anerkannt  zu  sehen.  Sein  Mitürbeilcr  in 
der  letzten  Zeit,  Puchelt,  wurde  zur  Fortsetzung  durch  ein  beson- 
deres Capital  bestimmt.  Ein  im  Jalire  1840  von  ihm  gestellter  Preis 
auf  die  beste  Ausarbeitung  über  die  hlppokralische  Medicin  u.  s.  w., 
seine  fortgesetzten  allgemeinen  Studien  in  den  Sprachen  verschiede- 
ner Nationen  und  seine  Liebe  zu  den  Künsten  beweisen,  dass  sein 
Geist  noch  rege  und  lebendig  bis  zu  seinem  Tode  blieb,  der  am  18. 
December  1842  erfolgte.  (Vergl.  Bullet,  delle  Scienz.med.  di  Bologna, 
1843.) 

Nie  wohl  würde  Joseph  Frank 's  Auftreten  die  Aufmerk- 
samkeit der  ärztlichen  Welt  in  gleicher  Maasse  auf  sich  gezogen 
haben,  Avenn  er  nicht  einen  Namen  getragen  hätte,  der  schon  damals, 
wie  für  alle  Zeiten,  einen  hellen  Klang  halle.  Johann  Peter 
Frank  war  der  Vater  des  jungen  Schriflstellcrs ,  der  im  Bewusst- 
sein  der  reichen  Erbschaft  dieses  Namens  sich  stolz  Frank  der 
Jüngere  nannte  und  in  dieser  Voraussetzung  auch  Andere  zu  HolT- 
nungen  berechtigte ,  die  auf  das  von  ihm  verfochtenc  System  über- 
getragen wurden.  Als  aber  vollends  der  Sy  denhara  des  18.  Jahr- 
hunderts der  neuen  Lehre  sich  annahm,  du  warf  die  Achtung  vor 
diesem  Genius  der  Beobachtung  ein  gutes  Licht  auf  die  schottische 
Theorie.  J.  Frank  gesteht  selbst  in  seiner  Praxis  medica  (S.  70. 
,,amore  paterno  erga  nos  duclo"),  dass  allein  die  l^eberredung  des 
Sohnes  den  zärtlichen  Vater  zu  diesem  Schritt  vermochte,  —  und 
wir  finden  den  bessten  Beleg  dafür  in  der  Halbheit  und  Unenlschie- 
denheit  seiner  etwas  ängstlichen  Parlheinahnie  selbst.  Aber  selbst 
diese  zweideutige  Erklärung  Peter  Frank's  war  von  dem  wich- 
tigsten Eiufluss.  Ist  doch  für  Viele,  die  auf  eigenen  Füssen  nicht 
stehen  können,  ein  Name,  eine  Autorität  ein  entscheidendes  Moment, 


177 

(las  der  Schwäche  der  Verlheidigung  oder  dem  mang-elnden  Miilhe 
zur  Bekenntniss  eines  Antheils  oder  der  Nichtigkeit  der  Sache  selbst 
zu  Hülfe  kommt ,  —  pro  und  contra.  Als  sich  das  Gerücht  ver- 
breitete, der  grosse  Peter  Frank  sei  ßrownianer  worden,  erhoben 
die  Anhänger  ein  Jubelgeschrei  und  ängsleten  sich  die  Gegner. 
Vielen  bangte  vielleicht  in  redlicher  Meinung  vor  dem  Flecken,  den 
ein  geachteter  Name  auf  sich  zu  nehmen  im  Begriff  stand.  Im  Jahre 
1796  wurde  P.  Frank  zuerst  in  der  Salzburger  Zeitung  (Juni  1796. 
No.  16.  p.  248.)  für  einen  Anhänger  Brovvn's  erklärt,  später  eben- 
daselbst (No.  48.  p.  399  f.)  wiederum  für  einen  Gegner,  so  dass ,  um 
diesem  thörichlen  Streite  ein  Ende  zu  machen,  das  Journal  der  Erfin- 
dungen (15.  St.)  endlich  den  grossen  Kliniker  aufforderte,  sich  öffent- 
lich zu  erklären,  als  ob  von  dieser  persönlichen  Entscheidung  der 
Werth  der  Sache  abhinge.  Da  endlich  erschien  Joseph  Frank's, 
damaligen  Primärarztes  in  dem  allgemeinen  Krankenhaus  zu  Wien, 
Heilart  in  der  klinischen  Lehranstalt  zu  Pavia,  mit  einer  Vorrede  von 
Joh.  Peter  Frank  ^^^),  die  offenbar  die  väterliche  Liebe  dictirt 
hatte,  wie  aus  dem  darin  befindlichen  überschwänglichen  Lobe  des 
Sohnes  ersichtlich  sein  dürfte.  In  dieser  Vorrede  giebt  sich  ein 
ängstliches  Streben  kund,  nicht  zu  viel  und  nicht  zu  wenig  zu  sagen, 
seinen  Uebergang  zu  motiviren  und  doch  seine  Treue  für  die  alte 
Medicin  zu  beweisen;  daher  immer  eine  Verwahrung  für  die  alte 
Schule  beigegeben  ist,  wo  der  neuen  Schule  eine  Concession  gemacht 
wird.  Auch  bei  ihm  wie  bei  Weikard  u.  A.  finden  wir  das  Be- 
streben, nachzuweisen,  dass  seine  früheren  Ansichten  schon  auf 
Brown's  Ideen  hingedeutet  haben,  jedoch  hier  wahrscheinlich  mit 
dem  Nebengedanken,  dass  d;uliirch  also  kein  Abfall  von  der  allen 
Schule  angezeigt  sei.  Der  grosse  Frank  zeigt  uns,  wie  er  schon 
früher  die  festen  Theile  vorzugsweise  berücksichtigt ,  Reizbarkeit  und 
Empfindlichkeit  zwar  als  verschieden  gekannt,  aber  aus  einer  Grund- 
ursache hergeleitet  habe;  wie  er  Erhöhung  und  Vertilgung  der  Reize 
auch  früher  angenommen,  die  Ursache  des  Faulfiebers  in  die  Lebens- 
kraft gesetzt  und  nur  eine  Art  von  Fieber  slatuirt  habe;  wie  er 
gastrische  Fieber  ohne  Emctica  und  Laxantia  durch  Tonica  behandelt 
und  in  der  Lehre  von  den  Krisen,  der  Naturheilkraft,  der  Identität 
von  Gesundheit  und  Krankheit,  der  Abläugnung  anderer  Specifica  als 
der  auf  Strucfur  und  Empfindlichkeit  des  Theils  begründeten,  in  der 
Aufstellung  des  Unterschieds  allgemeiner  und  örtlicher  Krankheiten 
schon  früher  dieselben  Ideen  wie   Brown   gehegt  habe.   —    „Das 

12 


178 

Gute  benutze  ich  —  die  Spreu  werfe  ich  weg,"  sagt  er,  —  „aber 
nicht  dem  verdienstvollen  Manne  in's  Gesicht."  Und  an  einer  an- 
dern Stelle  warnt  er  vor  der  flüchtigen  Leetüre,  da  im  ersten  Theile 
kein  geringer  Scluitz  verborgen  liege,  „den  wir  vergeblich  in  dick- 
leibigen Folianten  vieler  Schriftsteller  suchen."  Die  Aufmerksam- 
keit auf  die  Einwirkung  der  Aussenwelt,  der  Heilmittel  u.  s.  w. 
schreibt  er  besonders  und  mit  Recht  dem  neuen  Systeme  zu,  bekennt 
sich  zu  den  Ansichten  von  Leben  und  Tod,  von  Erregbarkeit,  Slhenie 
und  Asthenie,  von  der  Wirkung  der  Reize,  der  Heilmittel  insbeson- 
dere, lobt  die  Behandlung  der  Entzündung,  die  er  meist  für  Asthenie 
hält,  der  Nervenlieber,  die  er  obwohl  sparsam  mit  Reizmitteln  curirl, 
der  Schwächekrankheifen,  ,,über  welche  man  vorher  noch  nie  so 
reine  und  wahre  Grundsätze  gebäht  habe."  Dagegen  aber  (und  auch 
die  Fassung  des  Lobes  selbst  war  eine  nicht  immer  ganz  unzwei- 
deutige) räth  Frank  zur  Vorsicht  beim  Gebrauch  des  zweiten  Tlieils, 
worin  er  scharfsinnig  hier  und  da  Widersprüche  nachweist.  Er 
tadelt  ferner  die  Art  und  die  Sicherheit  des  Ausdrucks,  den  Schein 
des  Neuen,  mit  dem  Brown  fälschlich  prunke,  findet  die  Erregbar- 
keit nicht  zureichend  für  mechanische  und  chemische  Gesetze,  sucht 
für  die  Erregung  noch  andere  O'iellen  als  den  Reiz.  Him  missfällt 
der  Sprung  vom  Wohlsein  in  Asthenie,  die  geringe  Beachtung  der 
Säfte.  Er  verkennt  nicht  die  Schwierigkeit  der  Heilung  bei  in- 
directer  Asthenie;  denn  ,, reizen  sei  nicht  genug,  das  Pferd  könne 
nicht  Mos  vom  Sporn  leben,  es  müsse  auch  Haber  haben."  Lehr- 
reiche 'Berichtigungen  giebt  er  zu  Brown's  Annahmen  von  den  be- 
sänftigenden Mitteln,  von  den  Specifiois,  die  zwar  dem  Grade  nach 
verschieden,  aber  doch  auf  eine  unbekannte  Art  wirken,  ferner  zu 
Brown's  Wirkung  der  Kälie,  zu  seiner  Plethora,  seinem  Blutmangel, 
der  Krämpletheurie  (nicht  immer  aus  Schwäche) ,  zu  der  Lehre  von 
den  Blutflissen  (es  giebt  auch  stlienische)  und  zu  der  Anordnung 
anderer  Krankheiten  unter  die  Gruppen  der  sthenischen  und  astheni- 
schen (z.  B.  Hydrops  sei  auch  sthenisch ;  es  könne  auch  sthenische 
innere  Entzündungen  geben  u.  s.  w.).  31it  diesem  immer  noch  zwei- 
deutigen Hervortreten  wurde  aber  der  Streit  über  P.  Frank 's  wahre 
Meinung  erst  recht  lebendig,  so  dass  beide  Partheien  ihn  für  einen 
ihrer  Anhänger  erklärten.  Solchcnnaassen  vertheidigt  ein  Anony- . 
mus  (J.  A.  S.)  in  der  Salzhiirger  Zeilung  1797.  No.  64.  Bd.  3.  den 
P.Frank  gegen  den  Recenseiilen ;  der  Herausgeber  dieser  Zeitung 
aber  giebt  in  einer  Note  die  beste  Kritik  dieser  Vorrede,   indem  er 


179 

sie  desswegen  für  ein  Muster  von  Kritik  erklärt,  „weil  sich  Brownia- 
ner  und  Antibrownianer  für  überzeugt  hielten,  dass  er  zu  ihrer 
Parthei  gehöre." 

Unter  dem  Schutze  dieser,  wie  wir  gesehen  haben,  bedeuten- 
den Autorität,  welche  in  der  That  dem  Brown'schen  System  eine 
grosse  Anzahl  neuer  Anhänger  zuführte,  konnte  der  Sohn  mit  grös- 
serer Sicherheit  und  besserer  Hoffnung  auf  Erfolge  die  prnclischen 
Beweise  für  den  vermeintlichen  Nutzen  der  Brown'schen  Heilgrund- 
sätzo  beibringen,  die  er  zu  Pavia,  wo  er  1795  als  klinischer  Lehrer 
fungirte,  geschöpft  haben  wollte.  Diese  wurden  überdies  von  dem 
Uebersetzer  (Friedrich  Schaefer)  des  ursprünglich  lateinischen 
Originals,  in  welchem  er  diese  Erfahrungen  niederlegte,  aus  der 
Wiener  Ilospitalpraxis  bestätigt.  Es  ist  aber  die  genannte  Schrift 
insofern  interessant,  als  sie  uns  ein  deutliches  Bild  von  der  damaligen 
Brown'schen  Praxis  giebt,  wesshalb  wir  ihren  Inhalt  etwas  genauer 
detailliren  müssen.  Die  Behandlung  der  Entzündungskrank- 
heiten,  welche  im  Allgemeinen  die  Glanzseite  des  Brown'schen 
Systems  bildet,  ist  sehr  einfach  und  unterscheidet  sich  nicht  von  dem 
strengen  Regulativ  Brown's,  nur  dass  in  leichteren  phlogistischen 
Krankheiten  auch  schweisslreibende  Jlittel  ohne  Gefahr  gegeben  wer- 
den, weil  der  Schweiss  die  vorhergegangene  Erregung  wieder  aus- 
gleiche. Bei  Intermittens  werden  nie  Brech-  und  Abführmittel 
angewendet,  sondern  allemal  reizende  Arzneien  (Opium,  China), 
selbst  wenn  Ueberladung  Statt  findet  (und  es  ist  nicht  zu  läugnen, 
dass  dynamische  Arzneien  selbst  vorhandene  Massen  überwältigen. 
Ref.).  Sehr  richtig  werden  primäre  gastrische  Uebel  für  sehr 
selten  erklärt  und  der  Gastricismus  nicht  immer  für  ein  Zeichen  von 
Unreinigkeit  gehalten,  was  die  anfigastrische  Methode  wohllhätig  be- 
schränken musste.  Quartanen  sollen  leichter  zu  heilen  sein  als  Tertianen, 
diese  leichter  als  Quotidianen.  Von  63  Nervenfieber  kranken  (?) 
starben  nur  9.  Gastrische  Mittel  wurden  nur  angewendet,  wenn  der 
Ansteckungsstoff  mit  dem  Speichel  verschluckt  war  (I).  Hauplmiitel 
waren:  China,  Valeriana,  Serpentaria,  Aleali  volatile ,  Campher, 
Castoreum,  Moschus,  Aether  vitrioli,  Opium  (bei  indirecter  Asthenie, 
sonst  nachtheilig;  wurde  nie  allein  angewendet).  Ausserdem  Wein, 
gute  Kost,  Klystiere,  warme  Bäder,  Vesicantien ,  Ferrum.  (7  Kran- 
kengeschichten mit  glücklichem,  3  mit  födllichem  Ausgang.)  Von 
29  bösartigen  oder  mit  Nervenfiebern  verbundenen  Pneumo- 
nieen,  welche  mit  Opium,  Campher,  Moschus,  Senega,  Serpentaria, 

12* 


180 

Kcrnies,  China,  Aelher  behandelt  wurden,  slarhcii  4.  An  Ruhr, 
die  hier  und  da  auch  slhenisch  war  (also  nicht  wie  hei  Brown  blos 
asthenisch),  starb  Einer  trotz  China,  Opium,  Jloschus.  Letzterer 
wurde  in  einem  Falle  bis  zu  180  Gran  an  einem  Tage  neben  Opium, 
Wein  und  Fleischbrühe  gereicht.  Nach  10  Tagen  genas  der  Kranke 
quand-msme,  doch  blieb  (wahrscheinlich  in  Folge  der  Ueberreizung) 
noch  eine  schleichende  Nervosa  einen  Monat  lang  zurück.  —  Der 
Verfasser  giebt  zu,  dass  auch  ßlutflüsse  mitunter  sthenisch  sein 
können  (also  wieder  ein  Fortschritt!).  Bei  zu  grosser  Reizung 
werden  auffallender  Weise  statt  der  bei  indirecter  Asthenie  ange- 
zeigten Mittel  antiphlogistische  Mittel  angewendet,  aber  beileibe  nicht 
die  Kälte,  über  deren  Nutzen  erst  die  Zukunft  entscheiden  soll,  nach- 
dem doch  die  Vergangenheit  deullich  genug,  nur  nicht  für  die 
Brownianer,  gesprochen  halte.  Merkwürdig  ist  die  Heilung  einer 
Harnruhr  durch  Cuprum  ammoniacum,  Pulvis  Doweri,  Wein,  Can- 
thariden,  China,  Myrrha,  Gentiana;  eine  andere  mit  Camph.,  G.  Kino 
und  denselben  3Iilteln  behandelte  lief  lödtlich  ah.  Die  Behandlung 
der  Wassersucht,  die  auch  slhenisch  sein  kann,  dilTerirt  nicht 
sehr  von  der  unsrigen,  nur  dass  die  Tonica  viel  häufiger  angewendet 
und  die  Anli- hydropica  als  Reizmittel  aufgeführt  werden.  Die  spe- 
cifischen  Arzneien  behalten  öfters  die  Oberhand,  ohne  dass  man 
ihnen  den  Ruhm  gönnt,  wie  wir  aus  einem  Fall  von  Convulsionen 
sehen,  wo  Flores  zinci  heillen,  nachdem  alle  Reizmillel  fehlgeschlagen 
hatten.  Dagegen  verliert  das  Quecksilber  seinen  Ruf  bei  Syphilis, 
denn  man  soll  es  nie  allein  anwenden,  sondern  mit  Opium,  China, 
Wein,  Bädern  verbinden.  Apoplexie  soll  auch  slheniscli  sein 
können.  Andere  Fälle,  wie  Hepatitis  chronica  mit  Nerven- 
fieber, Phthisis,  Chlorosis  werden  alle  mit  Reizmitteln  behan- 
delt, Scabies  und  Porrigo  als  örtliche  Uebcl  auch  mit  äusser- 
lichen  Mitteln.  In  W c i k a r  d ' s  Sammlung  ra  e d.  -  p r a c t.  Be- 
obachtungen giebt  Jos.  Frank  eine  Beschreibung  des  Nerven- 
fiebers, das  unter  den  Jüngern  Aerzten,  welche  die  practische 
Schule  zu  Wien  besuchten,  gegen  Ende  des  Jahres  1796  geherrscht 
hat.  Diese  erhält  dadurch  einigen  Werlh,  dass  wir  ersehen,  wie 
auch  Peter  Frank  der  reizenden  Behandlung  beistimmte.  Hier 
werden  nun  Sudorifera,  China  sehr  frühzeitig,  Campher  und  andere 
Reizmittel  in  ausgede'inter  Maassc  angewendet,  Laxantia  und  Emetica 
sehr  bekämpft,  gegen  die  Behandlung  der  Complicalioncn,  wie  z.B. 
der  Pneumonie,    geeifert   und   die  Brown'sche  Blelhode   wegen  der 


181 

schnellen  Genesung  (meist  am  20.  Tage,  in  einem  Falle  sogar  am  II.), 
der  kurzen  Reconvalescenz  und  ob  des  angenelimen  Verbrauchs  der 
Arzneien  gerühmt.  Schade  nur,  dass  sogar  ein  wahrhaft  ausschwei- 
fender und  erschreckender  Gebrauch  der  Beizmiltel,  als  dessen  wahr- 
scheinliches Opfer  der  Bruder  des  Verfassers,  Francesco  Frank 
(1774  geboren)  am  Typhus  1796  fiel,  dieses  grosse  Lob  nicht  be- 
stätigt. Hier  heisst  es:  ,, Felix,  quem  alicna  faciunt  pericula  caulum!" 
Auch  dürfte  der  Verbrauch  von  7  Drachmen  30  gft.  Laudanum,  ^  3j 
Aeth.  und  Aq.  Menth,  mit  Spir.  vini  praep.  ?j  (den  ^^'ein  ungerechnet) 
in  einem  Falle  von  Sopor  nach  Vergiftung  mit  Schwämmen  schwerlich 
zu  den  „angenehmen"  gehören.  Vgl.  Erläuterungen  der  Brown'- 
schen  Arzneilehre  von  J.  Frank. 

Dem  Einfluss  Joseph  Frank's  ist  wahrscheinlich  auch  das 
Regulativ  zur  bessern  Hcilarl  der  Krankheiten  übcrliaupt,  beson- 
ders der  Nervenfieber,  für  die  k.  k.  Feldärzte  in  Italien  zuzuschreiben, 
welches  nebst  einer  Kritik  über  dasselbe  mit  dem  Motto  „Oportet 
esse  haereses"  1796  im  Druck  erschien.  "Wie  wir  aus  einer  zweifels- 
ohne von  Frank  herrührenden  Beleuchtung  dieser  Schrift  in  der 
Salzburger  Zeitung  erfahren ,  wurde  sie  nur  durch  einen  literarischen 
Schleichhandel  veröffentlicht ,  da  man  ,, nicht  befehlen,  sondern  über- 
reden und  diese  Schrift  nicht  drucken  lassen  wollte ,  in  der  überdies 
auch  die  Meinungen  anderer  Aerzte  aufgenommen  seien."  Aber 
trotz  all  dieser  Anhänglichkeit  Frank's  an  Brown  finden  wir  doch 
jene  Mässigung,  die  bereits  in  Italien  die  erste  überinüthige  Stim- 
mung zu  verdrängen  anfing,  bald  in  einzelnen  kleinen  Zügen  wieder. 
Wir  erhalten  weitere  Belege  dafür  in  den  Erläuterungen  der 
Brown'schen  Ar  zne  ilehr  e  ^*^)  vom  Jahre  1797,  in  welchen 
Frank  zuerst  eine  umschreibende  vollständige  Ansicht  der  Brown'- 
schen  Lehren  zu  geben  suchte,  zu  deren  Beurtheilung  er  junge 
Aerzte,  Damen  und  Nichtärzte  aufruft;  ein  Beweis,  wie  schlimm  es 
schon  damals,  wo  die  Lehre  eigentlich  ihre  Blüthezeit  zu  feiern  an- 
fing, um  den  Anhang  stand.  Hier  erscheinen  schon  Lebensprin- 
cip  und  Organisation  in  Gegensätzen,  die  Annahme  ungleicher 
Verlheilung  der  Erregbarkeit  in  verschiedenen  Organen  und  dadurch 
bedingte  Verschiedenheit  der  Krankheiten,  Berichtigungen  in  Bezug 
auf  die  angenommene  Oertlichkeit  gewisser  Krankheiten,  z.  B.  der 
Augen-,  Ohren-,  Zungencnizündung,  der  Entzändungen  der  Ein- 
geweide ;  bessere  Berücksichtigung  der  Reconvalescenz ,  Conslati- 
rung  der  Krisen  und  iJIetastasen.  der  Nolh\vendigkeit  einer  Methodus 


182 

exspeclativa.  Auch  theilt  Frank  die  Krankheiten  nach  den  befalle- 
nen Organen  ein  und  inuss  so  zu  einer  bessern  physio -pathologischen 
Anschauung  gelangen.  Der  Vorschlag,  die  indirecte  Asthenie  in 
eine  relative  und  positive  einzutheilcn ,  stürzt  in  sich  zusammen; 
ebenso  spricht  die  Annahme,  dass  allgemeine  und  örtliche  Krank- 
heiten sich  maskiren ,  für  die  Unausführbarkeit  dieses  Eintheilungs- 
grundes.  Was  die  Praxis  selbst  anbelangt,  so  haben  wir  schon 
oben  einige  Details  angeführt,  mit  denen  allerdings  eine  Warnung 
vor  der  übermässigen  Brown'schen  Dosis  von  150  gtt.  Laudanum 
seltsam  contraslirt.  Die  Anempfehlung  von  Digitalis  und  Belladonna 
gegen  Encephalitis  führt  auf  die  SpeciQca  zurück,  für  die  der  Name 
Reizmittel  nur  ein  theoretischer  Deckmantel  sein  sollte. 

Zur  weiteren  Verbreitung  im  Publikum  sollte  auch  das  Ge- 
sundheitstasohenbuch  ^^~)  von  einer  Gesellschaft  Wiener  Aerzte 
(Frank  an  der  Spitze)  beitragen,  welches  im  ersten  Jahrgang,  Wien 
1801.  8.  (mit  Er  0  wn's  Bildniss)  13  Abhandlungen  enthielt,  worunter 
eine  Biographie  von  Brown  nach  Beddoes,  eine  Geschichte  des 
Systems  in  Italien,  Deutschland,  England,  Frankreich,  einige  Verse 
aus  the  Brunoniad,  Aufsätze  von  Werner  (über  Wärme  und  Kälte), 
Capellini  (über  Gerüche),  Rath  (gegen  Frühlingscuren),  Mal- 
fatti  (gegen  Adcrlass  und  Abführmittel)  ,  Frank  (über  die  Sterb- 
lichkeit im  allgemeinen  Krankenhause  zu  Wien,  Avoran  das  Brown'- 
schc  System  nicht  Schuld  sei)  u.  s.  w.  In  den  folgenden  Jahr- 
gängen aber  beschränkte  es  sich  mehr  auf  das  Diätetische.  — 
Frank 's  Handbuch  der  Toxikologie  ^^^)  oder  die  Lehre  von 
den  Giften  und  Gegengiften  (iBOO)  enthält  von  Brown  blos  die 
Terminologie  und  ein  Grundriss  der  Pathologie  ^°*)  nach  den 
Gesetzen  der  Erregungstheorie  (1803)  ist  ein  von  einem  Zuhörer 
herausgegebenes  Plagiat  seiner  Vorlesungen,  welches  nur  Brown'- 
sche  und  Röschlaubsche  Salze  enthält  und  keinen  Maassstab  zur 
Beurtheilung  Frank's  abgeben  darf. 

Mittlerweile  aber  hatte  Rösch laub's  Pathogenie  eine  Um- 
wälzung hervorgebracht,  die  auch  auf  Frank's  Ideen  einen  grossen 
Einfluss  übte,  und  S3  erschien  denn  im  Jahre  1803  eine  völlige  Um- 
arbeitung der  obenerwähnten  Erläuterungen,  als:  Erläuterungen 
der  Err eguiigs  theo  rie  ^"^^J.  Hier  wandte  sich  Frank  dem 
Fortschritt,  d.  h.  dem  Rückschritt  zur  älteren  Medicin  weit  mehr  zu 
als  Röschlaub  selbst  und  giebl  zugleich  ein  Beispiel  von  Mässi- 
gung   und  freimüthigem  Bekennen   früherer  Irrlhümer,    das  uns   mit 


183 

seiner  immer  durchblitzenden  Eitelkeit  aussöhnt,  während  eine  ge- 
wisse Originalität  und  Kühnheit  der  Behauptungen  schwerer  für  den 
Alangel  an  Consequenz  und  Schärfe  der  Begrilfe  und  für  den  Ueber- 
fluss  spitzfindiger  und  unerwiesener  Sätze  entschädigt.  Die  Auf- 
stellung einer  besondern  Muskel-  und  Kervenerregbarkeif  fahrt  zu 
den  seit  Halle  r  erlangten  besseren  physiologischen  Resultaten  zu- 
rück, ebenso  wie  die  Annahme  noch  anderer  als  blos  reizender  Ein- 
wirkungen der  Aussendinge  der  Qualität  wieder  ihr  alles  Recht  ein- 
zuräumen sucht.  Das  Leben  erhält  seine  innere  Spontaneität  wieder; 
die  Organisation  tritt  in  ihre  alten  Rechte  ein;  die  pathologische  und 
speciell  diagnostische  >Vichtigkeit  der  Opportunität  wird  tur  hypo- 
thetisch erklärt  und  ebenso  der  Einfluss  der  ätiologischen  Momente 
auf  die  Diagnose  beschränkt.  Die  Eintheilung  der  Krankheilen  in 
allgemeine  und  örtliche,  die  ausschliessliche  Bestimmung  derselben 
als  slhcnische  oder  asthenische  wird  vielfach  berichtigt ,  das  Grad- 
tabellenwesen ,, Unsinn"  genannt,  die  3Iöglichkeit  der  Complicalionen 
erweitert.  Bei  der  Betrachtung  der  Krankheitsursachen  wird  sehr 
richtig  weder  Kälte  noch  "Wärme  als  absolut  reizend  oder  schwä- 
chend betrachtet,  sondern  bei  beiden  die  Einwirkung  stets  von  dem 
Grade  abhängig  gemacht.  Bei  den  Nahrungsmitteln  w  ird  die  ernäh- 
rende ^^  irkung  neben  der  reizenden  zugegeben,  die  oft  in  umge- 
kehrtem Verhältnisse  mit  jener  stehe.  Selbst  eine  Neigung  zur 
Humoralpalhologie  ist  unverkennbar.  Die  Eintheilung  der  Arzneien 
nach  Brown  kommt  ihm  wie  ein  Küchenzettel  vor;  er  will  gar  keine 
Materia  medica  als  besondern  Zweig  gelten  lassen  und  kennt  keine 
positiv  schwächenden  Mittel.  Mit  einer  wahren  Schraubenlogik  aber 
beweist  er  uns  zugleich,  dass  Opium  nur  durch  Reiz  sch^^äche  oder 
sedire,  dass  Ansieckungsstoffe  reizen,  Contagien  auch  Heilmittel 
■werden  können,  Leidenschaften  nicht  gradweise  verschieden  sind, 
sondern  alle  eigentlich  exciliren  und  nur  durch  Ueberreizung  schwä- 
chen. —  Wenn  Frank  nun  fernerhin  zugiebt ,  dass  es  schwierig 
sei,  die  Heilmittel  nach  Graden  zu  wählen,  dass  direcle  und  indirecte 
Schwäche  auch  ohne  äussere  Einwirkung  von  innen  entstehen 
könne,  dass  die  Heilung  der  indireclen  Schwäche  nach  Brown 
unpraclisch  und  sehr  schwer  sei;  wenn  er  die  asthenisch  n\  irkenden 
Vegelabilien  und  Säuren  bei  dem  asthenischen  Scorbul  empliehlt  und 
Haller'sches  Sauer  als  dasjenige  hülfreiche  Mittel  für  direcle  Schwäche 
bezeichnet ,  was  Opium  bei  indirecter  Schwäche  sei ;  wenn  er  end- 
lich sogar  die  Rücksicht   auf  das  leidende  Organ   oder  System   als 


184 

wichtigstes  Criteriiim  bei  der  Wahl  der  Heihnittel  aufstellt  und  da- 
durch „die  Brown'sclie  Praxis  der  gewöhnlichen  nähert  und  sich  eine 
Mittelstrasse  bahnt,"  ja  wenn  seine  Beispiele  beweisen,  dass  er  gar 
nicht  Brownisch  verfährt,  sondern  seine  Mittel  nach  specifisch -patho- 
logischen Grundsätzen  wählt,  so  muss  man  unwillkührlich  daran 
glauben,  dass  Frank  bei  dieser  rühmlichen  Tendenz  entweder  sich 
selbst  über  die  Haltbarkeit  der  Grundsätze  Brown's  täuschte  oder, 
wo  nicht,  dass  er  wenigstens  den  Schein  einer  gewissen  Conse- 
quenz  habe  retten  wollen.  Die  erstere  Vermuthung  bestätigt  das 
enthusiastische  Lob,  welches  er  aus  einem  seiner  ftnihern  Aufsätze  in 
Weikard's  Sammlung  medicinisch- practischer  Beobachtungen  und 
Abhandlungen  S.  102,  wo  er  wie  jeder  Arzt  seiner  Methode  nach- 
sagte, sie  heile  sicher,  schnell,  angenehm,  ja  fast  „wollüstig",  hier 
wiederholt.  Der  Contrast,  dass  derselbe  Verfasser  dasselbe  Ver- 
fahren anderwärts  mit  einem  „schneidenden  Messer"  vergleicht  und 
Dem  ein  Wehe!  zuruft,  welcher  es  nicht  zu  führen  weiss,  darf  uns 
nicht  wundern,  da  er  ja  mit  gleichen  Widersprüchen  vertraut  ist  und 
z.B.  bei  aller  Achtung  vor  dem  Qualitativen  zwar  bekennt,  dass  ausser 
Sthenie  und  Asthenie  noch  etwas  „Anderes"  zur  Krankheit  gehöre, 
aber  dennoch  Hu  fei  and' s  Beigabe  in  modo  verwirft,  ohne  das 
„Andere"  dafür  zu  substituiren ,  was  er  ebenso  wie  die  noch  zu 
dunkle  Refiexion  ül)er  örtliche  Krankheiten,  bequem  genug,  Andern 
überlässt. —  Je  geringer  die  Anzahl  der  geistvollen  Anhänger  Brown's 
war  und  je  mehr  Röschlaub  fühlen  mochte,  wie  schlagend  theil- 
weiss  die  Praxis  Frank's  seine  Principicn  widerlegte,  umso 
schmerzlicher  musste  für  ihn  der  halboffene  Abfall  Frank's  sein. 
Noch  giebt  er  die  Hoffnung  nicht  auf,  ihn  wieder  zu  gewinnen  und 
der  anständig  ruhige ,  fast  resignirende  Ton  seiner  Replik  (im  Maga- 
zin 1803.  Sl.  3.  s.  oben)  sticht  wunderbar  von  dem  heftigen  der  übri- 
gen polemischen  Artikel  ab.  So  eingenommen  ist  Röschlaub 
von  der  Nothwendigkeit  eines  consequenten  Systems,  dass  er 
den  Tadel,  den  Frank  seiner  Verbindung  der  Medicin  mit  der  kriti- 
schen Philosophie  machte  (Röschlaub,  so  heisst  es  bei  Frank, 
fange  damit  an,  womit  er  endigen  sollte,  mit  allgemeinen  Principien, 
S.  118),  mit  dem  Vorwurf  des  Eklckticismus,  der  hier  ein  Verdienst 
war,  erwiedert.  Röschlaub  kann  es  Frank  nicht  vergeben, 
dass  er  meint,  gleiche  Ursachen  könnten  verschiedene  Wirkungen 
haben;  dass  Sauerstoff  reizen  soll;  dass  er  nicht  positive  und  nega- 
tive Reize  anerkenne;   dass  er  nicht   positiv  schwächende  Mittel  an- 


185 

nehme,  ja  Röschlaub  ist  so  verblendet,   zu  behaupten,   dass  aus 
der  Richtung  der  Wirkung  auf  die  Organe,    wodurch  Frank    eben 
den   grössten  Fortschritt  zu  einer   bessern    pathologisch -therapeuti- 
schen Methode  machte,    ein  Schlendrian  entstehen  könne.      Er  wirft 
Frank  vor,    dass  er  verschiedene  Mittel  gegen  direcfe  und  indirecte 
Asthenie,    insbesondere    auch,    dass    er   Haller'sches    Sauer    gegen 
Asthenie  empfiehlt;  dass  er  Wein,  Campher,  Aether,  Opium  nur  gegen 
indirecte  Asthenie  anwende,    die    nach   Frank    häufiger   ist,    nach 
Röschlaub    seltener  als  die  directe;    dass  er  Opium  für  sciiädlich 
im  Typhus,  Wärmeentziehung  für  ein  Heilmittel  in  direcler  Schwäche 
halte  u.  s.  w.     Alles  dies  ist  nicht  ohne  Interesse,  weil  es  uns  einmal 
deutlich    die    schon   bedeutenden  Differenzen   zwischen   zwei   früher 
übereinstimmenden    Verfechtern    der    Erregungstheorie    zeigt,     auf 
Rösch laub's    Seite    die  Irrfahrten    einer    abstracten  Theorie,    auf 
Frank's  Seite  den  Aufgang  besserer  durch  die  Praxis  vermiüelter 
Einsichten.      Diese  reiften  mit  den  Jahren  noch  weit  mehr  und  wur- 
den durch  eine  von   Jos.  Frank   im  Jahre  1803   nach  Frankreich, 
England  und  Schottland  unternommene  Reise  bestärkt.      Und  in  der 
That  begegnen  wir  in  dieser  Reisebeschreibung  ^^^)  nicht  nur  öfte- 
rem Tadel  der  reizenden  Behandlung,    sondern  auch  einem  geflissent- 
lichen Vermeiden    alles  Dessen,    was  auf  Brown    und    dessen  An- 
sichten Bezug  hat,   wie  dies  bei  Gelegenheit  der  Bekanntschaft  mit 
Beddoes    und   selbst   bei    der  Beschreibung    seines  Aufenthalts   in 
Edinburg  ersichtlich  ist.      Hier  fand  Frank  nur  einen  einzigen  An- 
hänger Brown's,   Dr.  Home,    was  ihn  nicht  ohne  Seifenwink  auf 
seine  früliereu  Irrthümer  zu  der  Aeusserung  veranlasst:    ,, Nichts  sei 
schädlicher,    als  wenn  man  in  was  immer  für  einen  Schlendrian  fällt 
und,  indem  man  dieses  oder  jenes  System  befolgt,    nicht  besser  thun 
zu  können  wähne."     Bei  Gelegenheit  der  Behandlung  des  Typhus  ge- 
steht er  selbst,    indem  er  den  Nutzen  von  C,urrie's  Begiessungen 
und  von  dem  exspectativen  Verfahren  in  Edinburg  gesehen  hat,  dass  er 
jetzt  weniger  activ  verfahre  als  früher.      Sein   gänzlicher  Abfall  er- 
hellt endlich  aus  den  Annalen  des  klinischen  Instituts  an  der  k.  Uni- 
versität zu  Wilna  ^°^).       Mit  einer  Offenheit,  die  ihn  uns  von  liebens- 
würdiger Seite    zeigt,   bekennt  er   in  der  Einleitung,    dass  ihn    die 
Phantasie  auf  Abwege  geführt  habe,  und  dass  er,   obgleich  er  weder 
die  Fehler  noch  die  nützlichen  praclischen  Wahrlieilen  in  dem  neuen 
System    verkannt   habe,    ihnen  doch    zu  viel  Gutes    zugetraut   hätte. 
„Mein  grösster  Irrlluim,"    fährt  er  fori,    ., bestand  darin,    überhaupt 


186 

zu  glauben,  die  Arzneiwissenschaft  könne  innerhalb  der  Grenzen 
eines  Systems  gehegt  und  ausgebiklet  werden.  —  „Von  dem  Augen- 
blicke, als  ich  das  ewige  Licht  der  Natur  erblickt,  schämte  ich  mich 
der  Fesseln,  an  welche  mich,  doch  nicht  unauflöslich,  die  Liebe  zum 
System  geschmiedet  hatte.  Ich  fand  meine  Stütze  in  der  Beobach- 
tung und  Vernunft,  den  beiden  Pfeilern  der  Medicin,  von  denen  die 
unbedingten  Anhänger  medicinischer  Systeme  sich  am  ersten  ent- 
fernen." Er  empfiehlt  hierauf  das  Studium  des  Hippokrates, 
Sydenham,  Bagliv,  und  wie  seine  jetzige  Behandlung  der  ehe- 
maligen Brown'schen  schnurstracks  entgegen  ist,  sieht  man  S.  100, 
wo  er  achtungswürdig  genug  dem  Höchsten  bei  Gelegenheit  einer 
durch  Aderlass  geheilten  Apoplexie  dafür  dankt,  dass  er  ihm  nicht 
diesen  Kranken  zugeschickt,  als  er  noch  Brownianer  gewesen,  da 
er  ihm  dann  das  Leben  geraubt  haben  würde.  Und  so  riss  auch  er 
sich,  aber  mit  grösserer  Entschiedenheit  als  Röschlaub,  endlich 
von  einer  Lehre  los,  von  der  er  noch  im  Jahre  1826  schmerzlich 
ausruft,  dass  sie  „non  sine  gravi  generis  humani  et  scientiae  jactura" 
auch  durch  seine  eigenen  Irrthümer  verbreitet  worden  sei.  (Prax. 
med.  univ.  praec.   Lips.  1826.    V.  L   1,  p.  71.) 

Adalbert  Friedricli  Marcus« 

Eine  Zeitlang  focht  auch  in  diesen  Reihen  einer  der  bedeutend- 
sten Männer  unseres  ersten  Jahrzehnts,  Adalbert  Friedrich 
Marcus,  gross  als  Diagnost  und  Therapeut,  ein  klarer,  consequen- 
ter  und  geistreicher  Denker,  mit  lebhaft  schöpferischer  Phantasie 
begabt  und  von  der  humansten  Sinnesweise  beseelt.  Geboren  zu 
Arolsen  im  Jahre  1753,  in  Götlingen  von  den  grössten  damaligen 
Aerzten  unterrichtet ,  wie  von  B  a  1  d  i  n  g  e  r ,  Richter,  W  r  i  s  b  e  r  g , 
R.Vogel,  3Iurray,  Gmelin  U.A.,  und  im  Jahre  1775  promovirt, 
erlangte  er  in  Bamberg  ein  bedeutendes  Ansehn,  welches  die  Gunst 
des  Fürsten  Franz  Ludwig  von  Erthal,  dessen  Leibarzt  er  war, 
durch  Ernennung  zum  dirigirenden  Arzte  des  neuerrichtelen  Kranken- 
hauses in  Bamberg  steigerte.  INdchdem  er  im  Jahre  1793  daselbst 
klinische  Vorträge  begonnen  hatte,  musste  es  bei  seinem  Rufe  gros- 
ses Aufsehn  erregen,  als  er  nach  20jähriger  medicinischer  Praxis 
zu  Brown's  Fahne  schwor.  Er  schloss  sich  zunächst  an  den 
geistesverwandten  Röschlaub  an,  dessen  Principien  er  streng  be- 
folgte, betrat  aber  zugleich  den  Weg  der  Begründung  durch  die 
Praxis  mit  Joseph  Frank.      Als  seine  Prüfungen  des  Brown  sehen 


187 

Systems  durch  Erfahrungen  am  Krankenbette  ^^^)  im  Jahre  1797  er- 
schienen, entstand  ein  starkes  Zuströmen  nach  Bamberg,  welches 
damals  seinen  höchsten  Glanz  erreicht  hatte.  Diese  Prüfungen, 
denen  ungenaue  und  unvollständige  Grundlinien  der  medicinischen 
Theorie  nach  Brown  ohne  eigene  Zuthat  vorausgeschickt  waren, 
enthalten  Falle  von  Pneumonie,  Manie,  Tcrtianfieber  (China,  Opium, 
Ferrum,  Nux  vomica),  Quartanen,  Continua  nervosa,  Haematemesis 
u.  s.  w. ,  in  welchen  der  Nutzen  der  Brown'schen  Praxis  mit  Begei- 
sterung gerühmt  wird.  Diese  wächst  in  dem  2.  Heft  (1798),  in 
welchem  die  Häufung  der  Reizmittel ,  von  denen  aber  doch  auch  wie- 
der zuweilen  abgesprungen  wird,  in  grossen  Massen  erscheint  und 
ziemliche  Einseitigkeit  sich  geltend  macht  ■"').  In  den  letzten  Heften 
beklagt  sich  bereits  3Iarcus  über  Hufe land  und  Hecker,  mit 
welchem  Letzteren  er  in  sehr  persönlicher  animoser  Fehde  bis  zu 
Dessen  Tode  lebte.  Im  Jahre  1799  aber  machte  Marcus  die  Be- 
kanntschaft von  Sehe  Hing,  Steffens  und  Schlegel  und  schloss 
mit  Ersterem  einen  Freundschaftsbund ,  der  ihn  von  dem  damals  noch 
streng  Brown'schen  Röschlaub  entfernte  und  als  dessen  Frucht 
später  die  Jahrbücher  der  Medicin  als  Wissenschaft  von  Schelling 
und  Marcus  (Tübingen  1805.  1808.)  erschienen.  Dieser  Einfluss 
machte  sich  aber  auch  bereits  in  dem  Magazin  für  specielle 
Therapie  und  Klinik  nach  den  Grundsätzen  der  Erregungs- 
theorie ^^^),  und  zwar  schon  im  ersten  Bande  (1802)  so  geltend,  dass 
man  den  Uebergang  zur  Naturphilosophie  leicht  ahnen  kann.  Wie 
Rösch laub   suchte   er   anfangs  Erregungstheorie   und  Naturphilo- 


*)   Es   dürfte  in   dieser   Beziehung  nicht  uninteressant   sein,   ein 
Verzeichniss  der  im  Jahre  1798  in  Bamberg  verbrauchten  Arzneien  zu 
studiren,   welche  bei  46  sthenischen,  367  asthenischen  und  67  örtlichen 
Kranken  angewendet  wurden.      Dieses  ergiebt: 
Opium   gv  Cinnam.   ffiij  ^x 

Moschus   ^j  5iij  Tinct.  mart.  ton.   Sij  ^jv 

Naphtha  vitr.   Siij  ^v  Elix.  rob.  Whytt.    ffxiij 

Camph.    Sxvij  ^ilj  Spir.  vini  rectif.   474  ß 

Liq.  anod.    föxxxviij  

Serpentar.   Kxj  Crem.  tart.   ffj  ^jv 

Arnic.   Sxj  ^vj  Arcan.  dupl.   ©ij 

Valer.   ßxij  ^vj  Amm.  mur.   gj  5vj^ 

Angel,    gij  Nitr.   ßij  5J 

Cort.  Chin.    SxLlv  3viij  Sal  essent.  tart.   ^ 

Gewiss  sehr  deutlich  sprechende  Zahlen!      (Vgl.  Prüf.  4.  St.  1799.) 


188 

Sophie  zu  vereinigen,  da  er  aber  bald  die  Unmöglicbkeit  einsieht, 
so  verkündet  er  ersterer  im  3.  Sliick  (.T.  1803)  den  Untergang  und 
spricht  seinen  Abfall  dadurch  aus,  dass  er  die  Erregung  als  etwas 
Quantitatives  nicht  mehr  fiir  das  Begleitende,  Bestimmende,  sondern 
für  ein  Accidens  und  ein  durch  das  Qualitative  und  die  drei  Dimensio- 
nen Bestimmtes  erklärt.  Im  zweiten  Band  des  Magazins  (1805)  taucht 
lieben  dem  Schematismus  der  Naturphilosophie  schon  seine  spätere 
antiphlogistische  Behandlung  auf  und  im  2.  Heft  (1806)  zeigt  er  be- 
reits den  Nachtheil  der  reizenden  Methode  an  einzelnen  Fällen  und 
ist  überdies  von  dem  Enthusiasmus  für  die  Naturphilosophie  insoweit 
zurückgekehrt ,  dass  er  bei  Anerkennung  ihrer  Schwächen  sich  nur 
für  einen  moderirten  Naturphilosophen  ausgiehl.  '.  lo  Theorie  der 
Entzündung,  der  er  später  huldigte  (Entwurf  sir.ä.  speciellen  The- 
rapie. Nlirnberg  1807 — 1810.),  kann  uns  hier  nicht  weiter  beschäf- 
tigen. Im  Allgemeinen  war  Marcus  ein  viel  zu  wenig  originaler 
Denker,  um  den  Brownianismüs  gewichtig  zu  stützen;  als  ein  desto 
glücklicherer  Practiker  aber  wurde  er  mit  Jos.  Frank  schneller 
von  seinen  Irrlhümern  geheilt,  als  Röschlaub,  an  dessen  theo- 
retische Fortentwickelung  er  sich  eine  Zeitlang  gänzlich  anlelinle.  — 
Marcus  starb,  nachdem  er  sein  öffentliches  Wirken  mit  dem  Privat- 
leben verfansc!it  hatte,  im  Jahre  1816  an  einer  eben  so  schmerzhaften 
als  langwierigen  Krankheit,  in  Folge  von  Vernaclslässigung  seiner 
eigenen  Praxis,  der  Antiphlogose,  was  sich  durch  organische  Zer- 
störung rächte.  (Vgl.  Dr.  A.  F.  Marcus  nach  seinem  Leben  und 
Wirken  geschildert  von  seinen  Neffen  Dr.  Speyer  und  Dr.  Marc. 
Mit  einer  Vorrede  von  G.  31.  Klein.  Bamberg  und  Leipzig.  1817.  8.) 
Nach  der  Schilderung  der  Wirksamkeit  dieser  Anführer  im  Heere 
des  Brownianismüs  ist  es  von  nicht  geringem  Interesse  für  die  Ge- 
schichte der  damaligen  Zeit,  die  intensive  Wirkung,  welche  das 
Brownsche  System  und  die  Erregungstheorie  in  Deutschland  hervor- 
brachten ,  mit  der  extensiven  Dauer  derselben  zu  vergleichen.  Hier 
ergiebt  sich  ein  so  grosses  Missvcrhältniss ,  dass  nothwendig  die 
Herrschaft  der  Mode,  welche  leider  auch  eine  grosse  Bolle  in  der 
Heilkunde  spielt,  ein  3Ioliv  für  eine, so  grossartige  Uebereihing  und 
Befangenheit  so  vieler  Geister  mit  abgeben  niuss.  Sie  ist  es,  welche 
einen  Schwann  von  Nachhetern  der  besseren  Geisler  hervorrief,  die 
durch  Aunalinie  des  äusseren  GesväUiies  in  gleich  sla'.tlicher  Haltung 
einherzuschreilen  glaublen  als  Jene;  sie  ist  es,  welche  die  Character- 
schwachen,    die    einen    isolirten    Standpunct   scheuen,    in   ihr   Joch 


189 

spaiinlc ;  sie  ist  es,  welche  selbst  bessere  Geister ,  die  in  den  Aus- 
sprüchen der  Zeit  die  Orakel  einer  geschichtlichen  Nolhwendigkeit 
erkannten,  wenn  auch  nur  auf  Momente,  umfing.  Dazu  kamen  als 
anderweile  Jlulive  der  heftige  polemische  Ton,  weklicn  die  Brownia- 
ner  gegen  ihre  Widersacher  anschlugen,  die  Scheinphilosophie,  die 
kritische  Prüranjsgabe  Rösch  laub's,  welche  mit  der  herrschenden 
Philosophie  Kant's  und  mit  der  Speculationssucht  des  Jahrzehnts 
in  Einklang,  in  der  neuen  Theorie  endlich  das  Ziel  oder  wenigstens 
den  Anfang  eines  Ziels  gefunden  zu  haben  glaubte.  Die  Einen  woll- 
ten um  jeden  Preis  eine  Theorie,  ein  System  und  glaubten  mit  der 
Form  das  Wesen  erlangt  zu  haben,  während  gerade  Andere,  die  nach 
der  Emj)irie  strebten,  auch  hier  düs  ewige  Klangwort  ,, rationelle 
Empirie"  allein  gerechtfcriigt  fanden.  >A'ieder  Andere,  welche 
sich  in  dem  Wirrsal  der  3Ieinungen  nach  irgend  einem  Rettungsanker 
umsahen,  ergriffen  mit  Hast  die  Bestimmtheit ,  entschiedene  Richtung 
und  schcin!)are  Consequenz.  Den  lockte  das  Positive,  Jenen  das 
Negative,  Den  die  Fundamenlalgrundsätze,  einen  Andern  die  Praxis. 
So  erklärte  z,  B.  ein  Antibrownianer,  C.  A.  Wilmans  an  Dr.  Dou- 
trepont  in  Wien  (Salzburger  medicinisch  chirurgische  Zeitung  1799. 
4.  Bd.  No.  94.)  die  Theorie  für  gänzUch  unbrauchbar;  er  halte  sich 
an  die  Praxis,  denn  er  kenne  nichts  Schöneres.  So  lobt  der  sonst 
von  Brown  sehr  abweichende  J.  Ch.  Stark  in  seinem  Handbuch 
zur  Kenntniss  und  Heilung  innerer  Krankheiten ,  Jena  1799.  den  Ge- 
brauch der  Reizmittel,  die  er  aber  auch  schon  vor  Brown  häuGg 
angewendet  habe.  Die  ^leisten  der  besseren  Anhänger  suchten 
wenigstens,  wie  leider  nur  zu  oft ,  Trost  in  der  Zukunft,  welche  eine 
„ächte"  oder  „geläuterte"  oder  „rationelle"  oder  „vervollkomm- 
nete" oder  „verbesserte"  Erregungstheorie  bringen  sollte.  Daher 
kommt  es,  dass  wir  in  dem  bewegten  Treiben,  welches  Röschlaub 
zunächst  in  Deutschland  hervorrief,  zumal  in  der  Glanzperiode  des 
Systems  von  1802 — 1806  als  Mitielpunct  und  Endziel  immer  das 
Brown'sche  System  (und  sogar  in  der  Terminologie  bei  den  Geg- 
nern) finden;  dass  sich  in  den  Journalen,  welche  die  wahre  Semiotik 
der  Zeit  ergeben,  ein  lebendiger  Kampf  um  diese  Theorie  erhob, 
wie  besonders  aus  Heck  er 's  Journal  der  Erfindungen,  aus  Har- 
tenkeil's  Salzburger  Zeitung  und  aus  J.  Arnemann's  viele  gün- 
stige Recensionen  enhaltendcr  Bibliothek  für3Iedicin,  Chirurgie  und 
Geburtshülfe,  Göttingen  1800,  aus  Horn's  Archiv  u.  s.  w.  (s.  unten) 
ersichtlich  ist;    ein  Kampf,  der,  als  ein  Zeichen  des  Lebens,  seine 


190 

guten  Früchte  trug  und  endlich  den  Sieg  der  Wahrheit  herbeiführte. 
In  Bezug  auf  die  verschiedene  Stellung  der  Kämpfenden  selbst  rufen 
wir  die  oben  von  Röschlaub  gegebene  Characteristik  ins  Gedächt- 
niss  zurück,  finden  es  aber  für  unsern  Zweck  passender,  folgende 
Eintheilung  zu  machen. 

Die  Anhänger  der  Erregungstheorie  sind  entweder: 

1)  Anhänger  ohne  selbstständige  Haltung,  meist  blinde 
Nachfolger  Brown's  oder  Rösch laub's,   oder 

2)  Anhänger  mit  selbstständiger  Haltung.  Diese  Ab- 
theilung zerfällt  nun  in  eine  dreifache  Unterabtheilung,  je  nach- 
dem diese  Anhänger  nämlich 

a)  sich  dem  herrschenden  Einfluss  der  Zeit  nicht  entzogen,  trotz 
mancher  Ausstellungen,   wenigstens  im   Allgemeinsten 
dem  System  huldigten  und  in  der  Hoffnung  auf  eine  bessere 
Zukunft  der  Erregungstheorie,   durch  eigene  Zuthat,  Ver- 
besserung und   besondere   Modificationen   das  zu    er- 
setzen suchten,  was  ihr  an  Consequenz,  Schärfe,  Zuläng- 
lichkeit u.  s.  w.  abging;    oder  je  nachdem  sie 
b)im    Vermittelungsbestreben     die    widerstreitenden 
Partheien   zu   versöhnen    und   durch    combinatorische 
Verbindung  mit  einem   andern  System   («.  Humoralpa- 
thologie,  /?.  Reilianismus,  y.  Naturphilosophie) 
die  Weiterbildung  in  der  Ergänzung  einer  fehlenden  be- 
sonderen Richtung   zu  erreichen   hofften;    oder  endlich  je 
nachdem  sie 
c)  neben  dem  Brownianismus  eklektisch  alle  andern  An- 
sichten gelten  Hessen. 
Die  Zahl  der  eigentlichen  Gegner  (wofür  wir  auch  zuweilen 
Kritiker  sagen  könnten)  ist  aber  darum  sehr  gering,  weil  einestheils 
schon  unter  den  Obigen  insofern  Gegner  mit  inbegrilTen  sind,   als  sie 
sich   gegen   einzelne   Puncte  und  Folgen   aussprachen,   und  weil 
anderntheils  nur  Wenige  dem  System  ganz  abhold  waren,   so  dass 
wir  mit  gleichem  Rechte  wie  dort  bedingungsweise  Anhänger,   hier 
bedingungsweise  Gegner   hätten.    —    Auch  hier  unterscheiden  wir, 
als   gewissermaassen  den   obigen  Rubriken  entsprechend,   zweierlei 
Reihen ,   nämlich 

1)  Gegner  ohne  selbst  ständige  Haltung; 

2)  Gegner  mit  selbslständiger  Haltung,   und  zwar 


191 

a)  vom  besondern  Slandpuncte  einer  fehlenden  Richtang, 
eines  anderweiten  Systems  («.  Humoralpalhologie, 
ß.  Reirsche  Theorie,   y.  Naturphilosophie); 

b)  vom  höheren  eklektischen  Sfandpuncte. 

Versuchen  wir  es  nun,  ein  Rild  von  diesem  Kampfe ,  der  be- 
reits, wie  ein  Blick  auf  die  Journale  lehrt,  im  Jahre  1809  gänzlich 
erloschen  war ,  dadurch  zu  entwerfen ,  dass  wir  nachweisen ,  wie 
diese  Hauplrichfungen  abgeändert  wurden,  wie  sie  sich  in  Neben- 
richfungen  verzweigten  und  zersplitterten  und  wie  sie  so  lange  ge- 
deutet, modificirt  und  bekämpft  wurden,  bis  endlich  nur  Das  übjig 
blieb ,  was  wirklich  der  AVissenschaft  anzugehören  verdiente.  Es 
wiederholt  sich  aber  auch  hier  immer  nur  die  Geschichte  der  Be- 
gründer dieser  Lehre  in  Deutschland,  Ueberall  sehen  wir  Fär- 
bungen, die  uns  an  die  Bilder  eines  Weikard,  Röschlaub, 
Frank,  Jlarcus  erinnern  und  nur  Wenige  verdienen  das  Lob  eines 
ehrenwerthen  Strebens  wie  den  bedingten  Ruhm  einer  Originalität, 
welchen  eine  Abhängigkeit  von  dem  Producle  eines  einzigen  Geistes, 
wie  sie  die  neuere  Geschichte  nicht  wieder  aufzuweisen  hat,  etwa 
noch  zulassen  dürfte. 

II.     Anhänger   der  Erregiingstlieorie  *). 

l)   Anhänger  ohne  selbstständige  Haltung. 

Hierher  gehört  eine  grosse  Anzahl  Derjenigen,  welche  ohne 
eigene  geistige  Zuthat  und  Selbstständigkeit  blos  Das  im  Allge- 
meinen wiedergaben  oder  zusammenstellten,  was  von  den  Chor- 
führern der  neueren  Theorie  bereits  gegeben  war.  Diese  gelten 
also  blos  als  Nachfolger  anderer  Autoritäten. 

«.  Die  Verfasser  solcher,  den  Brownianismus  im  Ganzen  be- 
handelnden Schriften  sind:  J.  Ey er  el  ^^°) '^'•O  (giebt  blosses  Ex- 
cerpt  aus  Brown's  Observafions),  v.  Eicken  ^^^);  Batsch  •^■^-), 
ein  übertriebener  Lobredner  Brown's,  der  auch  Hufeland  be- 
weisen will,  dass  er  Brownianer  ist;  v.  Eckartshausen  ^1^),  ein 


*)  Da  alles  Folgende  wie  Vorhergegangene,  nur  wenige  in  der 
Vorrede  näher  bezeichnete  Fälle  ausgenommen,  auf  Quellenstudium 
beruht,   so  wird  die  beigegebene  Kritik  vom  Verfasser  vertreten. 

**)  Die  Reihenfolge  ist  meist  nach  der  Jahrzahl  der  erschienenen 
Werke  festgehalten. 


192 

mystisch-kabbalistischer  Schriftsteller,  der  das  Bro>vn'sche  System 
sogar  in  dem  Yang  und  Yu  der  Chinesen  und  dem  y-i^;  und  ti^'^'ä  der 
Hebräer  wiederfindet;  Ch.  A.  Struve^^*)  (ungenügend  für  Aerzte); 
H.  W.  Lindemann  ^^^)  ,  ein  unbedingter  Lobredner  Brown 's,  der 
Weikard,  Röschlaub,  Frank  benutzte,  in  der  Praxis  aber 
massig  ist  und  in  einer  Schrift,  über  die  Ruhr  auch  eine  sthenische 
Form  derselben  annimmt;  H.  M.  v.  Leveling  ^*^),  Verfasser  eines 
Auszugs  aus  dem  1.  Theil  von  Röschlaub's  Pathogenie,  etwas  aus- 
führlicher als  3L  H.  Mendel  ^*^),  dem  der  Professor  Job.  Clemens 
Tode  eine  Vorrede  schrieb,  in  welcher  er  Neutralität  verspricht  und 
nur  versteckt  seinen  Tadel  neben  grossen  Lobsprüchen  anbringt,  ob- 
gleich er  anderwärts  (in  s.  medicinischen  Journal)  sich  als  ein  sehr 
erbitterter  Gegner  erwies,  der  Brown  mit  der  Bildsäule  eines  Unge- 
heuers vergleicht,  die  auch  durch  das  sorgfältigste  Poliren  nicht  zu 
einem  angenehmen  Gegenstand  wird.  ölend  el  selbst  ahnt  die  Un- 
brauchbarkeit  der  Erregungstheorie  für  die  Praxis  und  beweist  über- 
diess  die  Uebereinstimmung  Röschlaub's  mit  einigen  Sätzen  von 
Gaub.  —  C.  F.  G.  Schmidt  ^^^)  schrieb  über  die  Brown'schen 
Scalen,  F.  A.  Gehl  er  ^^^)  über  indirecte  Asthenie. 

Ein  leidenschaftlicher  Schüler  war  G.  K.  Winik er  1-^),  wie 
es  seine  Aufsätze  in  Horn's  Archiv  VI.  über  Schwangere,  IX.  über 
Manie,  und  noch  im  Jahre  1810  neues  Archiv  XIIL  über  Geisleszer- 
rüttung beweisen.  Noch  producliver  war  J.  H.  M  üller  ^'-^),  der, 
ein  Feind  aller  Speculation  ,  überall  die  gemeinsten  Ursachen  aufsucht 
und  Alles  auf  Reiz  und  Erregbarkeit  zurückbringt. 

Bios  namentlich  aufzuführen  sind;  A.  Na  c  g  el  e  ^-■^),  J.  L. 
Loos  ^-3),  F.  J.  Zimmermann  1-'*),  Malt.  F  etr  o  vich  ^'^^), 
C.  A.  Pudor  (1807)  ^-^)  und  J.  J.  N.  Trawnitschek  (l8ll)  ^^'^). 
(Beide  Letztere  sind  nur  darum  merkwürdig,  weil  sie  noch  in  so 
später  Zeit  orthodoxe  Brownianer  waren.) 

Zur  BcurlheiUing  von  Peter  Frank  dienen  die  streng  Brown'- 
schen  Beiträge  von  Sal.  Li  b  o  schi  tz  ^'-^)  (jetzt  in  Dresden), —  und 
als  Beweis,  wie  man  alle  Formen  zur  Vertheidigung  Brown's  be- 
nutzte, die  anonym  erschienene  Schrift  von  C.  Jac.  Ch.  J.  Diruf^'^^), 
der  Geist  des  19.  Jahrhunderts  belilcll.  Hier  wird  eine  Scene  im 
Reiche  der  Todten  aufgeführt,  worin  Einer  beklagt,  dass  er  durch 
Abführmittel  und  säuerliche  Getränke  gestorben.  Mährend  ein  Anderer 
später  an  derselben  Krankheit  Verstorbener  seinen  Tod  nicht  dem 
Brownianisnuis  zuschreibt.  —  Brown  zum  Schiedsrichter  gewählt. 


193 

spricht  niil  R  ös  c  li  I  ;i  ii  b  "s  und  S  c  li  e  1 1  i  n  ff'  s  ^^'()^te^  eiiii-  Apologie 
seines  Sysleines  und  giesst  einen  billein,  nicht  immer  decenicn  Tadel 
über  seine  Gegner  aus. 

Zu  den  Besseren  schon  gehören  J.  H.  S  t  e  r  n  b  e  r  g ,  der  gegen 
Marcard's  Angriffe  im  Hannoverschen  Magazin,  Jahrgang  18ü2, ' 
Stück  32 — 42,  eine  ernste  und  genaue  ^Widerlegung  schrieb,  die 
WVirkung  kalter  Umschläge  gegen  Blutflüsse  zu  erklären  sucht  (s. 
Horns  Archiv  IV,,  ebendaselLst  VI.  über  Typhus),  und  J.  Dan. 
Mo  rb  e  ck '^'^),  dem  sogar  einzelne  Abweichungen  Tadel  von  seinem 
Vorredner  >V  eikard  zuzogen.  Seine  Beobachtungen  sind  nur  nach 
Brown  unigemodelt  und  enlhalten  nichts  Besonderes.  —  Eine  Dar- 
stellung der  Geschichte  des  Erown'schen  Systemes  in  der  nicdicini- 
schen  N  alionalz  ei  tu  n  g  für  Deutschland,  Januar  —  Juli,  Altenburg 
1798,  aus  fremden  Quellen  mit  wenig  eignen  Urlheilen  durfte  ebenfalls 
hierher  zu  rechnen  sein. 

ß.     Anwendung  der  Erregungstheorie  auf  Einzelnes. 

"NW  ährend  die  Genannten  die  Brown'sche  Lehre  im  Ganzen 
und  zwar  mit  abhängigem  Geiste  darzustellen  suchten,  wandten  Andere 
mit  gleichem  Verfahren  die  neuen  Satzungen  auf  einzelne  Gegen- 
stände oder  Zweige  an,  oder  behandelten  einzelne  Kapitel  aus  dem 
grösseren  Buche  der  Wissenschaft  im  Sinne  des  schottischen  Refor- 
mators und  seines  deutschen  Nachfolgers,  meist  ohne  dadurch  mehr 
als  den  Schein  der  Reformation  zu  reiten,  wenn  es  nicht  gar  blos 
bei  der  neuen  'lerminologie  und  einem  modernen  Gewände  blieb, 
welches  die  eigne  Geistesarmulh  in  der  entlehnten  Halle  bergen 
sollte.  "Wir  rechnen  hierher  die  Monographieen  von  C.  Rings- 
dorff^^O,  über  gastrische  Fieber;  S.  Hir  s  ch  ^^■•^),  über  Puer- 
peralfieber;  Rademacher  ^^^),  über  Nervenfieber;  eines  Anony- 
mus ^2*),  über  Scharlachexantliem ;  H.  Th.  Freyer^^^),  über 
Purpura;  G.  G.  Zinke  ^^^),  über  eine  Ruhrepidemie,  (durch  prakti- 
sche Erfolge  zum  Anhänger  geworden);  C.  G.  Heun,  über  Pneumo- 
nie (Hern  sagt  von  ihm:  er  werde  noch  vom  streng-systema- 
tischen "NVege  abweichen  lernen),  nach  P.  Frank,  J.  Frank, 
Cappel,  Kreysig,  Hörn  (s.Horn's  Archiv  1802);  C.  F.  J.  Dan- 
nenberg^^^),  über  Asthenie  mit  Localaffection  des  Magens  und  der 
Eingeweide,  ein  Verächter  des  Gastrischen;  W.  War  bürg,  über  ßlut- 
erbrechen  (s.  Horn's  Archiv  1803);  C.  J.  Meyer  ^^Sj  (auch  Ver- 
fasser einer  Sammlung  von   uabcdeutenden  Krankengeschichten  aus 

13 


194 

P.  Frank's  Klinik),  über  BUriflüsse ;  blosse  Brown'sche  Einkleidung' 
P.  Frank'sdicr  Grundsätze.  —  Der  Vollständigkeit  wegen  seien  hier 
auch  erwähnt:  G.  F.  Mun  z^^^),  über  Epilepsie,  —  J.F.Künz  el  ^'*^), 
über  Keuchhusten,  —  II.  Chr.  de  Lang  a  Mutenau^*^),  über 
Krampf,  —  J.  II.  Riems  chneider  i*^),  über  Manie,  —  J.  F. 
Wezler''*^),  über  die  Melhode  Scheinlodte  zu  behandeln  (nach  der 
modificirten  Erregungsthcorie).  —  Andere  übergehen  Avir  gänzlich 
als  zu  unbedeulend. 

A.  Mo  st  baff  ^'^.*)  suchte  im  Allgemeinen  und  F.  Hey  er  ^*^) 
im  Speciellen  den  Werth  der  Krankheilsform  zu  be^veisen  und  K.  J. 
Meyer  ^*^)  mit  G.  F.  L.  Griese  ^*^)  dem  Aderlass  seine  richtige 
Werthschätzung  zu  ermitteln,  Letzterer  in  sehr  überzeugender  und 
selbstdenkender  Weise  ohne  seinen  zweiten  Zweck,  ein  genügendes 
Zeichen  zur  Diagnose  der  Stlienie  aufzufinden,  erreicht  zu  haben. 

Hierher  gehören  auch  die  Aufsätze  von  Erdniann,  Graff, 
Letzlerer  theilweiss  Nalurphilosoph,  und  Fritze  über  VVechselfieber 
(Horn's  Archiv  V.,  VII.,  IX.);  Starke,  über  Bäder  im  Nervenfie- 
ber  (ibid.  II.) ;  Hintze,  über  warme  Bäder  in  asthenischen  Krank- 
heilen (Ilorn's  Archiv  IV.);  Bartels,  über  diagnostische  Kennzei- 
chen für  Brown'sche  Zustünde  (ibid.  II.) ;  J  a  c  o  b  i ,  über  Keuchhusten 
(ibid.  V.).  Besondere  \Mchtigkeit  haben  die  praktischen  Erfahrun- 
gen von  Fritze  in  Berlin  (ibid. VI.),  welcher  den  Nutzen  des  Systems 
dadurch  beweist,  dass  im  Jahre  1803  von  4713  Kranken  3169  (433 
Fieber,  2160  chronische  Fälle)  genesen  seien. 

Auch  die  Verfasser  einzelner  Aufsätze  in  Rösch laub's  Maga- 
zin (s.  oben)  verdienen  hier  eine  kurze  Erwähnung,  namentlich:  Er- 
hard (Band  I,  Heft  l),  Geier,  Köllner  (ibid.  Heft  2,  3),  Streng 
(Band  II,  2;  III,  l),  Loos  in  Heidelberg  (ibid.  2),  Malfatti  (ibid.  3 
und  in  Jos.  Frank's  Gesundheitstaschenbuch),  J.A.Schmidt  in 
Wien  (Röschlaub's  Magazin  IV.  2),  F.  E.  Holst  (ibid.),  Pop, 
Herausgeber  einer  Tabelle  nach  der  Erregungstheorie,  sowie  andere 
Verfasser  in  verschiedenen  Werken,  z.  B.  Rath,  Beitrag  zur  Be- 
handlung der  Blulficisse  (durch  stärkende  Mittel)  in  Werner 's 
Apologie  s.  unten  (von  Hörn  sehr  gelobt)  und  in  Jos.  Frank's 
Gesundheilstaschenbuch.  Andere  Brownianer  finden  sich  noch  bei 
Werner. 


195 


Anwendung  der  Erregnngstheorie  auf  die  Arzneimittellehre. 

Wie  Brown  seihst  sich  ein  leichtes  Spiel  mit  der  Arznei- 
mittellehre machte  und  diese  ohnehin  in    den  Pfuhl   der  Einpirio 
versunkene  Disciplin  vollends  in  den  Schlamm  trat,  so  hatten  seine 
Nachbeter  ein  noch  viel  leiclitercs  Unternehmen ,  wenn  sie  mit  gerin- 
ger Zuthat  oder  Veränderung   sämmtliche  Arzneien   in    die  von  ihm 
angegebenen  zwei  Klammern  einschlössen.      So  verhält  es  sicli  mit 
C.  Ch.  Heinrich  Marc  '*®)    (über  Gifte),    der  Brown  blos  zum 
Aushängeschild   braucht;    ebenso    mit    dem  Versuch  eines  Anony- 
mus**^), die  Mittel  in  reizende  (l.  ernährende,  2.  anhaltende,  3.  näch- 
tig   stärkende)    und    in    schwächende    (l.    mittelbar,    2.    unniillclbar 
schwächende)  einzutheilen ;  ferner  mit  der  geistlosen ,  obgleich  nicht 
ganz  streng  Brown'schcn  Conipilation  eines  Mol  w  i  tz  ^^'^).      So  ver- 
fasste  auch  Joseph  Sal.  Frank,  Verfasser  der  Obscrvationcs  circa 
res  geslas  in  clin.  inslit.    Vindob.  A.  1796  und  1797,    denen    Peter 
Frank  selbst  (Salzburger  Zeitung  1797.  Nr.  9)  Glaubwürdigkeit  und 
Beobachtungsgabe     absprach,     einen    Versuch     einer    Arzneimittel- 
lehre^^^), in  welchem  das  Alte  neu  aufgeputzt  erscheint,  die  Mittel  in 
allgemeine  (stärkende  und  schwächende:  a)  millelbar  durch  Ent- 
ziehen gewohnter  Reize,  b)  unmittelbar  durch  Emetica,  Laxantia,  Blut- 
entleerung) und  örtliche    eingetheilt  werden.        Man   mache    sich 
einen  BegrilF  von  dem  Werthe  dieses  Produktes,  wenn  Acrien,  Can- 
tbaridcn,  Quecksilber,  Antimon  zu  den  durchdringend  nicht  flüchtigen, 
Laxantia,  Emetica,  Anlhelmindiica  zu  den  örtlichen  Mitteln  gerechnet 
werden.  —  >'achdem  auch  der  Entwurf  von  .1.  J.  Loos*^-),  obgleich 
zweimal  aufgelegt,    verunglückte,   regte   sich  ein  besserer  Geist  in 
Ernst  Horn's^^^)  und  W.  H.  G.  Remer's  ^^*)  hierher  gehörigen 
Schriften,  indem  Ersterer  (s.  unten)  neben  seinen  reizvernjehrenden 
(vom  1.,  2.,  3.  Grade)  und  (direkt  und  indirekt)  reizmindernden  3Iil- 
teln   die  sogenannten  cliemiscii-pharmakodynamisclien  Unterabtheilun- 
gen der  guten  alten  Zeit  gellen  lässf  und  die  in  einem  früheren '\^'erke 
verworfene  Specificität  der  Mittel  liier  vertheidigt,  wahrend  Letzlerer 
auf  Dauer  und  Stärke  der  Vt  irkung,  auf  den  enthaltenen  Sioff  und  die 
specifische  ^yirkung  auf  Gcfässe,  Nerven  u.  s.  w.  eine  nach  dem 
Verhältniss  der  damaligen  und  zum  Theil  leider  noch  heutigen  BegrilTe 
lobenswerthe    lUicksicht    nininit.      So    schwankend    aber    waren    be- 
sonders in  letzterer  Beziehung    die  Meinungen,  dass  während  C.  F. 
Speyer  ^^^)  nach  Röschlaub,  ScheUing,  Streng  die  Nicht- 

13  = 


196 

existenz  der  Specifica  behauptete,  ein  Anderer,  J.  B.  Nagel^^^),  ihre 
Existenz  sogar  aus  der  Einiheilung  von  sllienischen  und  asthenischen 
Mitteln  beweisen  v^ill,  —  denn  was  Hesse  sich  nicht  Alles  in  der 
Medicin  beweisen!  —  Beiläufig  sei  hier  erwähnt,  dass  auch  S.  G. 
Vogel  sich  in  der  Vorrede  zum  V.  Theil  seines  Handbuchs  der 
practischen  Arzneiwissenscliaft  (Stendal  1795 — 1800,  Seite  IV.)  im 
Allgemeinen  günstig  für  die  neue  Lehre  ausgesprochen  hat. 

Bios  formelle  Anwendung  der  Erregungstheorie. 

Am  formellsten  endlich  erscheint  die  Anwendung  der  Bro\>n'- 
schen  Principien,  indem  sie  blos  für  die  Terminologie  und  oberfläch- 
lichs'e  Einlheilung  dienen,  in  den  Schriften  über  Kinderkrank- 
heiten von  F.  Jahn^^^j  (alte  Einlheilung  unter  den  neuen  Oberbe- 
griffen; luconsequenzen  gegen  Brown'sche  Behandlungsweise),  C.  B. 
Fleisch  und  Joseph  S  ch  n  ei  d  e  r  ^^^).  Geradezu  unwissen- 
schafllich  sind  die  chirurgiscben  Vorlesungen  nach  Brown  von 
.1.  Weiss  ^^^j,  und  in  einer  anonymen  Ge  is  t  eslehr  e  ^'^^)  be- 
stehen die  auf  dem  Titel  vielleicht  als  Lockvögel  angegebenen 
Brownes 'hen  Principien  blos  in  der  Annahme  von  Reizen  und  Reizbar- 
keil (neben  Organisation  und  Geislesfähigkeit)  und  von  Reizlosigkeit 
und  Ueberreizung  bei  den  einzelnen  psychischen  Aeusscrungen,  Nicht 
viel  höher  steht  Lenhossek  in  seiner  orthodoxen  Befolgung  Dar- 
w  i  n's  ,  W  ei  k  ar  d' 3  ,  Jacob 's  und  Rösch  1  a  u  b's,  besonders  da 
doch  Kant  die  Bahn  gebrochen  hatte.  —  Das  Verzeichniss  der  hierher 
gehörigen,  dem  Einlluss  der  Mode  folgenden  Schriften  könnle  leicht 
noch  vermehrt  werden,  es  unterbleibt  aber  besser,  da  der  "^^'issen- 
schaft  mit  diesem  Motive  nicht  gedient  wird. 

2)   Anhänger  mit  selbstständiger  Hallung. 

Konnte  uns  weder  die  Zahl  noch  der  Geist  der  eben  erwähnten 
Anhänger  des  neuen  Systems  ein  günstiges  Vorurlheil  für  dasselbe 
beibringen,  so  ist  diess  auch  da  nicht  einmal  möglich,  wo  grössere 
Selbs  ts  t  an  dig  k  e  1 1  und  Denkfreiheit  herrscht,  weil  eben 
aus  der  grossen  Mannigfaltigkeil  der  Ansichten  die  Unzulänglichkeil 
der  Theorie  und  aus  den  unendlichen  Modilicationen,  die  mit  mehr 
oder  weniger  Grund  allseilig  angebracht  wurden,  die  Unsicberheit 
der  Grundsätze,  das  Schwankende  der  Basis,  die  Inconsequenz  und 
Deulbarkeit  der  Lehren  hervorsticht.  So  trennten  sich  die  selbst- 
ständigeren  Anhänger  in  viele  Pailheicn,   zeigte   sich  Zwiespalt  im 


197 

Lanier  der  Verbündeten,  ebenso  wie  in  dem  der  Gegner.      Wie  hier 
Altgläubige  (llippokraliker,  Galenislen),  Chemiafriker ,  lalronuitliema- 
tiker,  Ilalleriancr ,  Cullenisfen,  Slollianer,  Boerhaavianer ,  Gaubianer, 
Keilianer  und  Eklektiker  auf  der  einen  Seite  standen,  spaltete  sich  die 
in  gewisser  Hinsicht  jeder    dieser    Pariheien    opponirle  Schaar   der 
Brownianer  in  fast  eben  so  viele  Sectionen ,  als  sie  Individuen   von 
selbstständiger  Geisteskraft  zählte.      Daiier  linden  wir  neben  ortho- 
doxen Brownianern  (oder  Erregnngstheoretikern)  Andere  mit  ge- 
ringeren oder  stärkeren  Modificationen  Brown's  oderKösch- 
laub's  als  .\nhänger  der  sogenannten  ächten,  neuen,  modifi- 
cirten,  verbesserten,  geläuterten  Erregungstlieorie,  welche 
sich  sogar  des  Namens  Brownianer  im  Bewusstsein  ihres  Fortschrittes 
zu  schämen  anhngen,  oder  wir  stossen  auf  Co  m  b  in  i  s  t  en  ,  welche 
die  alte  Schule ,  insbesondere  die  Humoralpathologie,  oder  die 
Ansichten   Reil's    oder  die  früheren  Ansichten  Schelling's  nach 
dem  Vorgang  Rösch  laub's  in  späterer  Zeit  oder  endlich  die  weiter 
entwickelte   Naturphilosophie    mit    der   Erregungstheorie   ver- 
binden und  so  den  grossen  Kampf  sühnen  wollten.        Endlich  aber 
treffen  wir  auch  Eklektiker,   welche    aus  allem  Splitterwerk  ein 
Ganzes  zu  zimmern  sich  abmühten.      Wer  diese  Zersplitterung  recht 
erkennen    will,    der    halte    sich    an    die    praktische  Ausführung   der 
Brown'schen  Curregeln,  da  sie  hier  wegen  der  Individualisirung  iu 
einzelnen  Fällen  nothwendig  stärker  hervortreten  und  wirkliche  Gestalt 
annehmen  niusste.      Die  Einen  gaben  nämlich  vor  Brownisch  zu  be- 
handeln,  während  sie  den  Grundsätzen  der  Alten  folgten;  die  Andern 
verfuhren  in  einigen  Fällen  ßrownisch,  in  andern  nicht;  noch  Andere 
führten  ein  erbauliches  juste  milieu  ein  oder  behandelten  milder  als 
Brown,  oder  sie  übertrieben  wohl  auch.      Um  aber  den  Wirrwarr 
zu  vollenden,  stellten  sich  Einige  unter  den  Gegnern,  als  verführen 
sie  nach  der  alten  Methode,  während  sie  im  Grunde  Brownianer  wa- 
ren.     Wie  natürlich  dachten    dabei  die   Meisten   recht   rationell   zu 
handeln,  wenn  sie  sich  einbildeten,  ihre  Therapie  in  gewissen  „in- 
neren" Zusammenhang  mit  den  Fundamentalgesetzen  Brown's    ge- 
bracht zu  haben;  Andere  bekümmerten  sich  um  diese  gar  nicht  und 
behandelten ,  wenn  auch  nicht  immer  unglücklicher ,  doch  scheinbar 
empirischer.      Eine  grosse  Anzahl  endlich  begnügte  sich  damit,  sich 
auf  die  Autorität  des  Meisters  zu  berufen.     Wir  können  uns  aber  eine 
weitUiuligere  Schilderung  dieser  wohl  manches  Nachtslück  liefernden 
Behandlungsweise  ersparen,  da  sie  aus  der  vorhergehenden  Darslel- 


198 

lung,  aus  dem  Systeme  selbst  und  aus  den  sogleich  anzugebenden  be- 
sonderen Meinungen  der  Erregiingstlieoretiker,  zu  denen  die  Praxis 
wie  leider  zu  oft  nur  den  Appendix  bildet,  leicht  von  selbst  abstrahirt 
werden  kann. 

a)    Anhänger   der   Erreguy\ gstheorie   mit   besonderen 
Modificat  ionen. 

Wir  lernen  hier  die  verscbiedeiisfcn  Färbungen  kennen.  G.  F. 
Krauss^^-^J  ordnet  dem  Brown'schen  System  Hu  fela  n  d's  ,  Reil's 
u.  A.  Ansichten  unter;  C.  J.  Herrmann^^^)  behandelt  die  Wechsel- 
fieber  Brownisch,  aber  mit  Einschränkungen,  giebt  z.  B.  Laxantia. 
Der  Pseudonyme  Stolper  tu  s  ^^*)  (May  in  Mannheim),  der  sich  mit 
Brown  in  einer  sehr  gefälligen  und  doch  acht  wissenschaftlichen 
Manier  beschäftigt,  stellt  vernünftige  Zweifel  am  Krankenbette  auf  und 
sucht  dem  Brown'schen  System  eine  rationellere  Basis  und  festere 
Anzeigen  zu  geben.      Die  Krankengeschichten  sind  belehrend. 

Viel  Aufsehen  erregte  im  Jahre  1799  C.  Werner  ^'^^)  durch 
seine  Apologie  des  Brown'schen  Systems.  Er  mischt  hier  Lob  und 
Tadel  ziemlich  gleichmässig  und  giebt  neben  der  Anzeige  Brown'scher 
und  Widerlegung  entgegengesetzter  Schriften  lehrreiche  von  ihm  selbst 
und  von  Schmidt,  Schenk,  Kaufmann,  Iberer,  S  a  r  e  n  k , 
Neuhauser  abgefasste  Krankengeschichten,  ausserdem  interessante 
Abhandlungen  von  Rath,  über  Missbrauch  des  Abführens ,  Blutflüsse; 
von  Lafont  ain  e,  über  reizende  Mittel;  von  Pol,  über  den  Einfluss  der 
in  unsern  Tagen  herrschenden  Theorieen  auf  die  Behandlungsart  der 
Krankheiten  überhaupt  und  insbesondere  des  sogenannten  Rheumatis- 
mus. Am  Michtigsten  dürfte  für  uns  die  authentische  Berechnung 
der  Sterblichkeit  im  allgemeinen  Krankenhause  zu  V>\en  von  Jos. 
Frank  sein,  der  nachweisst,  dass  diese  sich  trotz  ungünstiger  äusse- 
rer Umstände  nicht  vermehrt  hat,  dass  der  Erfolg  für  die  neue  Me- 
thode spricht,  die  Heilung  schnell  und  ohne  Rückfälle  erfolge. 

Vielfach  in  Brown'schen  Schriften  erN>  ahnt  und  theilweiss  be- 
kämpft wird  C.  A.  Es  ch  e  nmay  er  ^^'^)  ,  welcher  bei  Gelegenheit 
eines  Versuchs,  die  Chemie  und  Pathologie  ans  der  Metaphysik  zu 
conslruiren,  die  Brown'schen  Sätze  im  Abschuill  über  Pathologie  zum 
Vehikel  nahm.  Der  geistreiche  Verfasser  weicht  aber  in  der  Defini- 
tion der  Krankheit  so  bedeutend  ab,  dass  eben  dieser  Punkt  eine  öftere 
Polemik  hervorrief.  Er  betrachtet  Erregbarkeit  und  Reize  wie  po- 
sitiv und  negativ  auf  einander  wirkend,  hält  nur  das  Verhältniss  der 


199 

Kräfte  zu  einander  für  veränderlich ,  die  Siinime  oder  ihr  Prodiict  aber 
könne  sich  gleich  bleiben,  folglich  sei  in  der  Veränderlichkeit  der 
Facf oren ,  da  das  AVachslhnm  des  Einen  mit  gleichmässiger  Vermin- 
derung des  Andern  verknüpft  sei,  der  Begriff  der  Krankheit  noch 
nicht  involvirt.  Nach  Brown  bleibe  das  Verhältniss  zwischen  Reiz 
und  Erregbarkeif  sich  in  jedem  Grade  gleich;  man  müsse  daher  bei 
einer  gleichen  Summe  von  Erregung  ein  Missvcrhältniss  aufsuchen, 
das  in  der  Partialität  der  Reize  und  der  Erregbarkeit  gegen  die  Total- 
summe von  beiden  zu  legen  sei.  Krankbeilen  entstehen  also  durch 
partiell  erhöhte  oder  verminderte  Erregbarkeit,  ohne  dass  die  To- 
talsumme der  Erregung  geändert  zu  werden  braucht.  Es  gebe  sonach 
keine  bloss  stheiiisehe  oder  asthenische  Krankheit  und  keine  dem  ent- 
sprechende bloss  stärkende  und  scliwächende  Heilmethode.  Diese 
nur  von  andern  als  den  gewöhnlichen  Prämissen  ausgehende  fheil- 
weise  AViderlegung  Brown's  und  in  specie  von  Röschlaub 's 
Disproportion  fällt  in  der  Hauptsache  mit  der  Meinung  Anderer  zu- 
sammen. 

L.  H.  C.  Niemeyer ^^^),  ein  massiger,  gründlicher,  licht- 
voller, leider  zu  früh  verstorbener  Schriftsteller,  stellt  interessante 
physiologische  und  pathologische  Untersuchungen  über  willkührliche 
Bewegung,  Schlaf  (angehäufte  Erregbarkeit  des  Gehirns  durch  man- 
gelnden Willenreiz)  und  über  den  Ersatz  der  Erregbarkeit  an  (dieser 
sei  ohne  practisches  Interesse  und  unerwiesen,  auch  zur  Stütze  der 
Erregungstheorie  unnölhig). 

K.  Ch.  Mattbaei  ^^^),  welcher  Röschlaub,  wie  oben  er- 
wähnt, später  auf  die  heftigste  und  persönlicbsteWeise  verfolgte  ^^'), 
Verfasser  mehrerer  hierhergebörigen  Aufsätze  in  Röschlaub's 
Magazin  (IV.  1.)  und  Hufeland's  Journal  (II.  2.''),  giebt  in  seinem 
Hanrlhuch  Brown  den  Vorzug,  ohne  ilim  gerade  in  Allem  beizupflich- 
ten, opponirt  sich  gegen  die  neuere  naturphilosophische  Terminolo- 
gie, will  die  Form  der  Krankheit  beaclitet  wissen,  giebt  zu,  dass 
die  anamnesfischen  und  causalcn  Momente  auch  trüglicli  sind,  und  be- 
zweifelt, dass  man  aus  der  Disproportion  dci"  Facloren  den  Zustand 
der  Kranldicit  erkennen  könne.  .ledoch  sind  seine  Untersuchungen 
nicht  sciiarfsinnig  genug,  die  lleilinaxiinen  zu  allgemein,  zu  wenig 
motivirt  und  individualisirt ,    die  Eintheilung   und  Therapie    der   ört- 


*)  Diese  Al)iian(lluii<i  fülnt  den  Titel:  ,,Waun  darf  und  soll  der  Arzt 
am  Kraukenbette  die  13estimimui<isgrüi\de  seine.s  Hatideliis  nacii  dem 
Systeme  wählen?"  und  wird  von  üu  fei  and  sehr  gerühmt. 


200 

|icl:en  Krankhe:!c!i  zu  erzwnng'en    und    das   Pharmakologische    ganz 
aphorislisch,  — 

Diesem  gerade  entgegen  stellt  sicli  als  grösster  Verehrer 
Röschlaub's,  den  er  den  Repräsentanten  aller  wahren  Aerzte 
nennt,  L.  Me  nde  ^^°);  doch  hindert  ihn  diess  nicht,  gegen  Rö sch- 
lau!) die  vSpoiilaneität  des  Lehens  zu  verfechten,  mit  welcher  der 
Körper  auf  die  Reize  zu  seiner  Erhaltung  einwirke.  Nach  ihm  giebt 
es  keine  Stiienie,  weil  jede  mögliche  Höhe  immer  noch  Norm,  Be- 
stimmtheit sein  könne.  Hypersthenie  sei  relative  Schwäche,  die  nur 
dann  entsteht,  wenn  von  der  äusseren  Umgebung  ein  grösserer  Theil 
aufgenommen  wird,  als  zur  normalen  Reproduction  nöthig  war;  wenn 
daher  das  Blut  zu  thätig  ist,  als  dass  eine  normale  Einwirkung  des 
Organismus  auf  dasselbe  stattfinden  könnte.  So  giebt  es  hier  noch 
viel  Ilypolhelisches  und  Unerwiesenes,  welches  zwar  mit  Scharfsinn 
und  Talent,  aber  mit  noch  weit  mehr  Anniassung  und  Selbstzufrieden- 
heit vorgetragen  wird. 

Einen  vollständigen  und  directen  Versuch  zur  Verbindung  der 
kantischen  Philosophie  mit  den  Brown'schen  Grundsätzen,  welcher 
von  Andern  nur  aphoristisch  gewagt  wurde,  machte  J.  Stoll^^^), 
ohne  mehr  als  einen  „Versuch"  zu  geben. 

K.  G.  Neumann  1^^),  Arzt  in  Pirna,  sucht  um  so  strenger  zu 
prüfen,  je  wichtiger  das  System  ist,  welches  das  schlaffe  Band  zwi- 
schen Theorie  und  Praxis  fester  knüpfte  (sicl).  Der  Weg,  es  am 
Krankenbette  zu  prüfen ,  sei  unsicher.  Er  verzichtet  darauf  zu  er- 
klären, aber  auch  zur  Belehrung  fehlt  es  ihm  bei  aller  Ueberre- 
dungskraft  an  positiver  Basis.  Neben  einer  mechanischen  ,  chemi^ 
sehen  und  lebendigen  Thätigkeit  des  Lebens  (==  Eigenschaft  sich 
selbst  zu  bewegen)  spielt  auch  bei  ihm  eine  qualilas  occulta  die 
Hauptsache. 

Einen  andern  Beweis  von  obgleich  nur  bedingter  Selbstständig- 
keit giebt  Ch.  F.  Harles^^-^),  der  sich  durch  die  obersten  Grund- 
sätze der  Erregungstheorie  nicht  abhalten  lässt,  einer  guten  Praxis 
zu  folgen ,  die  er  gegen  Fieber  überhaupt  und  Typhus  insbesondere 
bewährt. 

Einer  der  älleslon,  treuesten  Anhänger  Brown's,  vorzugs- 
weise bedacht  auf  practische  Anwendung  und  durch  seine  Stellung  als 
klinischer  Lehrer  zur  Prüfung  am  Krankenl)elt  berufen,  wiewohl 
durch  Mangel  an  Unpartheilichkeit  nicht  ganz  dazu  befähigt ,  war 
J.  N.  Thomann,    Professorin  Würzburg,    der  bereits,  in  Rösch- 


201 

laub's  Magazin  iil)er  Gicht  und  Rheumatismus  (T.  3.),  über  Nervenfie- 
ber (III.  1.),  ''her  Schlagnuss  (V.l.),  über  Gebärmutterblulfluss  (V.  2.) 
u.  s.  w.  sich  als  strenger  Brownianer  bewies  und  schon  im  Jahr  1798 
eine  Brown'sche  Schrift:  „de  mania  etc."^^*)  herausgab,  in  welcher 
es  an  Irrlhümern  und  Widersprüchen  nicht  fehlt.  Als  ein  nicht  un- 
wichtiger Beitrag  zur  Erkenntniss  der  Brownschen  Praxis  (welche 
dieselbe  Universität,  wo  der  Verfasser  wirkte,  ein  paar  Jahre  vorher 
für  gefahrlich  erklärt  halte,  —  vergl.  Salzburger  Zeitung  1796,  Bd.  I, 
Seite  32),  können  dann  seine  Annales  instituti  clinici  medici  ^^■irce- 
burgensis  ^^^)  dienen.  (Die  Reflexionen  sind  ziemlich  oberflächlich.) 
Nach  diesen  starben  im  Jahre  1800  von  331  nur  14;  Murden  geheilt 
265.  Im  Jahre  1801  betrug  das  Verhältniss  der  Verstorbenen  zu  den 
Geheilten  1:8,  was  durch  feberhandnehmen  der  Entzündungskrank- 
heifen  erklärlich  wird.  Im  3.  Bande  ist  schon  eine  freiere  Ansicht 
ersichtlich,  im  4.  nimmt  der  Verfasser  auch  auf  Assimilation ,  Repro- 
duction  Rücksicht,  weudet  daher  z.  B.  bei  morbus  maculosus  saure 
Mittel  an.  In  einer  Abhandlung  über  die  Harnruhr  wird  vorzugsweise 
das  chemische  Verhältniss  beachtet  und  so  auch  hier  ein  Fortschritt 
ermöglicht. 

Ein  viel  selbstsländigerer  Practiker  ist  W.  A.Fi  cker,  Fürstlich 
Lippescher  Ilofrath  und  Professor  der  Chirurgie  und  Geburtshülfe  zu 
Paderborn,  der  geradezu  erklärt,  die  Praxis  mache  die  strenge  Be- 
folgung und  AUsremeingültigkeit  der  Erregnngstheorie  unsicher.  Er 
ist  aber  sehr  sophistisch  in  seinen  Erklärungen,  um  die  Consequenz 
der  Theorie  zu  reifen,  wo  er  in  praxi  davon  abweicht,  wie  z.  B.  in 
der  Behandlung  der  Bluttlüsse  durch  Kälte 'O^  i"  der  Definition  der 
Entzündung,  der  Annahme  der  veränderten  örtlichen  Erregung,  dem 
Beweis  des  Nutzens  durch  Kälte  in  den  Bemerkungen  über  Oerllich- 
keit  der  Krankheiten,  Heilung,  Wirkung  äusserer  Einflüsse,  über 
Wunden  und  Geschwüre  u.  s.  w.  Die  Fieber  handelt  er  nach  den 
allen  Benennungen  ab.  Im  Jahr  1806  macht  sich  die  Naturphiloso- 
phie auch  bei  ihm  geltend,  obgleich  er  an  der  Wahrheit  der  drei 
Systeme  zweifelt.  Dynamik,  3Iechanismus  und  Chemismus  greifen 
bei  ihm  in  einander,  sind  aber  den  von  Röschlaub  entlehnten 
Grundsätzen  der  Erregungstheorie  untergeordnet.  Neben  der  An- 
nahme des  u  r  s  p  r  ü  n  g  1  i  c  h  -  0  r  1 1  i  c  h  c  n  A  n  f  a  n  g  s  aller  Krank- 


*)   „Kälte   bewirkt    eine   Erhöhung   der  Erregbarkeit   bis    auf  den 
Punct,    wo  nun  schon  geliiidi>re  Reizmittel   zur  Erregung  hinreichen." 


.  202 

heilen  rechnen  wir  ihm  den  Wunsch  nacli  A r  z n  e  i  p  r  ii  f  ii  n  g e n  an 
Gesunden  und  die  angesehenen  Vorschriften  dazu  als  höchstes 
Verdienst  und  als  Zeichen  einer  besseren  Einsicht  an ,  die  ihre  Ver- 
Avirklichung  erst  später  finden  sollte. 

AVic  für  Viele,  war  insbesondere  auch  für  die  Folgenden  die 
Erregungstheorie  nur  eine  üiirchgangsbildung,  aus  welcher  sie  ge- 
läuterter hervorgingen.      So : 

J.W.  H,  Conradi^^^),  Privatdocent  zu  Marburg,  der  schon 
gegen  Rösch laub's  Disproportion  beweist ^^^),  dass  vielmehr  Pro- 
portion zwischen  Incitament  und  Energie  da  sei.  Er  be'iauptel, 
Thätigkeit  und  Receplivilät  stehen  in  umgekehrtem  Verhältniss;  der 
gehörige  Grad  der  Erregung  finde  statt,  wenn  der  bestimmte  gehörige 
Grad  der  Factoren  der  Errci>harkcit  derselbe  bleibe.  Das  Fieber 
erläutert  er  blos  in  Bezug  auf  die  Form  und  bringt  weder  hier  noch 
über  die  3Iercuria!bereitungen  etwas  wesentlich  von  Röscblauh 
Verschiedenes.  Ebenso  folgt  er  in  seiner  Schrift:  Pneumonie  und 
Pleuritis  ^^^)  (1803)  ganz  Röschlaub,  wurde  aber  später  Eklektiker, 
besonders  ein  Anbänger  Gaub's,  und  erklärte  mehrmals  o'Ten  die 
Einseitigkeit  der  Erregungsibeorie  ^^^). 

Auch  K.  Sprengel  ^^^)  bekannte  sich  eine  Zeit  lang  zur  Er- 
regungstheorie, obgleich  er  Krankheil  ziemlich  eklektisch  als  Abwei- 
chung von  der  normalen  Form,  dem  normalen  Verhältniss  der  Urstolfa 
und  der  Kräfte  des  lebenden  Körpers  bezeichnet.  Hauptsäclilich 
Solidarpatholog  unterschied  er  Reizbarkeit  von  iScrvenkraft,  ver- 
einigte aber  beide  in  der  Lebenskraft,  die  ihm  mit  Erregbarkeit  iden- 
tisch war.  (Vergleiche  die  Vorrede  zu  dem  genannten  Werke,  worin 
er  sich  selbst  zur  Erregungstheorie  bekennt ,  und  siehe  Geschichte 
der  Arzneikunde.   S.Auflage.    Halle,  1828.    Band  V.    Seite  446.) 

Einer  der  thäligsten  Verfecliter  der  neuen  Lehre  war  der  Wür- 
lembergische  Hofmedicus,  später  Baierische  Medicinalrath  F.  W.  von 
Hoven,  obwohl  ihm  gerade  Originalität  gänzlich  abgeht.  In  seiner 
Vertheidigung  der  Erregungsibeorie  gegen  einige  hauplsächliche 
Einwürfe  ^^^)  weicht  er  nur  darin  von  Rö  scb  la  u  b  ab,  dass  er  den 
Grund  der  Erregl)arkeit  in  Mischung  und  Form  (Anklang  an  Reil) 
setzt  und  neben  der  reizenden  Wirkung  noch  eine  mechanische  an- 
nimmt; sonst  wiederholt  er  für  Br  own,  was  schon  als  nichtssagend' 
abgewiesen  worden  ist,  und  geht  in  seiner  Anhänglichkeit  an  ihn  so 
weit,  dass  er  selbst  den  mittlerweile  von  Röschlaub  gemachten 
Fortschritt  übersieht.      Die  Vorzüge  der  Biown'schcn  Praxis  sucht  er 


203 

ein  Jalir  späfer  ^^^)  in  Berücksichtigung-  der  Ursachen,  in  der  hypo- 
thesenfreien  Behandlung,  ferner  in  der  Bestimmung  des  Grades  der 
Scinväche  und  Stärke,  in  rationeller  Verabreichung  der  Roboranüa, 
Incitantia,  Narcotica,  3Iefallica,  mit  welchen  der  Nichtbrownianer 
in  slhenischen  Zuständen  viel  schade,  in  Vermeidung  des  Missbrauches 
schwächender  Mittel,  in  richtigCF  Anwendung  der  Gegensätze  rei- 
zender odiT  scliwächender  Mittel,  in  der  Erkennlniss,  dass  das  Spe- 
cifische  der  Mittel  nur  auf  dem  richtigen  Verhällniss  der  HeizUraft  und 
Erregung  beruhe.  Daher  ist  nacii  ihm  der  Brownianer  glücklicher, 
weil  er  weder  an  Form  noch  Theil ,  sondern  nur  an  die  Natur  der 
Kranklieit  gebunden  ist  (man  sieht,  wie  der  menschliche  Verstand  die 
grösslen  Irrlhümer  sich  zum  Ruhme  anrechnet.').  Andere  (und  zwar 
nicht  eingebildete)  Vorzüge  sieht  der  Verfasser  in  der  Anwendungs- 
weise der  kühlenden  Mittel ,  in  der  Beschränkung  des  Aderlasses, 
der  Evacuantia  (besonders  bei  Gastricismen,  Hydrops,  Ausschlägen, 
Profluvien),  der  l)ia|)horelicaundDiuretica,  welche  Letztere  janur  ande- 
ren Arzucimilteln  gleichstehen.  Natürlich  wird  wie  von  jeder  Methode 
auch  von  dieser  gerühmt,  sie  sei  rationeller,  heile  schneller  und  öfte- 
rer, und  die  Gegenparlliei  ward  mit  dem  Ehrentitel  ,, Empiriker"  be- 
legt. Die  in  dieser  vorzugsweiss  praclisch  gehaltenen  Schrift  enthal- 
tenen Wahrheiten  würden  aber  gewiss  einen  grösseren  Effect  machen, 
wenn  der  Verfasser  auch  die  Schattenseiten  der  Brown'schen  Praxis 
geschildert  hätte.  Dass  er  diese  erkannt  hat,  sieht  man  ans  dem 
später  erschienenen  neuen  medieinischen  Handbuch  der  practischen 
Heilkunde*^*),  auch  ohne  das  offene  Bekenntniss  des  Verfassers, 
weil  hier  trotz  der  Zugrundelegung  von  Brown  und  Röschlaub 
die  besseren  Ansichten  eines  Reil,  Hufeland,  Sprengel,  beson- 
ders auch  Peter  Frank's  benutzt  sind'-').  Einen  noch  geringeren 
Werth  wegen  mannigfacher  Inconsequenzen  ,  Sophismen"'*)  und  Wi- 
dersprüche, die  durch  das  Bestreben,  das  Gleichgewicht  zwischen  der 
sinkenden  und  steigenden  Wagschale  des  Alten  und  Neuen  aufrecht 
zu    erhalten,    hervorgerufen    werden,    haben    seine    Grundsätze    der 


^*)  Die  Jahrbücher  von  Marcus  und  Scheiliiig  (2.  Band,  2.  Stück, 
1807)  sagen  in  einer  Kritik  hierüber  ziendich  beif;send :  „~^^  seien  aus 
einem  JManuscript  von  Jos.  Frank  allgeschrieben;  da  er  nun  auch  aus 
Reil  u.  A.  entlehnt  habe,  A\erde  mau  auch  den  zehnten  Theil  finden, 
so  dass  von  allen  Federn,  in  die  er  sich  gekleidet,  nur  eine  einzige 
übcig  bleiben  wird,  nändich   die,  mit  der  er  abschrieb." 

^  **)  Sü  rechnet  er  zu  den  po.-itiv  schwächenden  Mitteln:  Säuren, 
Opium,  Castoreum,  Moschus;  da  diese  aber  mittelbar  das  Gefässsystem 
erhöhen,  dürfen  sie  nicht  bei  Sthenie  gegeben  werden. 


204 

neueren  Heilkunde  vom  Jahre  1807  ^^^).  Im  Jalire  1810  endlich  ^^^y 
sehen  wir  ihn  bei  Gelegenheit  seiner  Fieberiehre  schon  ganz  von 
Brown  abgewichen  auf  dem  guten  alten  Wege  der  „Erfahrung", 
der  damals  noch  viel  leichter  zu  begehen  war,  als  jetzt.  Schade, 
dass  der  Verfasser  die  urspriingliclie  Oerilichkeit  der  Krankheit,  die 
er  früher  ausgesprochen,  nicht,  hier  in  weitere  ßelrachtung  ge- 
zogen hat. 

Zu  den  Befähigtsten  in  dieser  Ablheilung  müssen  schliesslich 
noch  Henke,  Hörn,  Hecker,  ein  tüchtiges  Kleeblatt,  gerechnet 
werden.  Sie  bewahrten  der  neuen  Lehre  eine  Treue,  die  fast 
Röschlaub's  Anhänglichkeit  übertraf  und  zu  verwundern  sein 
•würde,  wenn  nicht  auch  bei  ihuen  der  Brownianismus  nur  äussere 
Form  gewesen  wäre,  die  besseres  Wissen  und  Handeln  nicht  aus- 
schloss.  Nur  schade,  dass  eine  solche  Herrschaft  der  Form  nicht 
ohne  gewaltigen  Zwang  aufrecht  zu  erhalten  war  und  erst  spät  der 
bessern  Ueberzeugung  wich. 

Adolph  Henke,  Professor  in  Erlangen,  durch  vorzüg- 
liche Leistungen  in  verschiedenen  Zweigen  rühmlichst  bekannt, 
trat  vorzugsweise  im  Verein  mit  Hörn  in  dessen  Archiv  und  nach 
dessen  Richtung  als  Anhänger  der  neuen  Schule  auf.  Die  Göltinger 
Preisfrage  des  Jahres  1803  galt  iliui  Gelc,</c  ilseil,  sich  über  Lebens- 
kraft, Holiheit  der  Kranklieitsmaterie,  Kochung,  Krisen  und  kritische 
Tage  in  Bezug  auf  die  neuesten  Verhandlungen  auszusprechen 
(s.  Horn's  Archiv  Band  IL).  Seine  Entscheidung  ging  dahin,  die 
kritischen  Ausleerungen  als  eine  nicht  gegründete  Hypothese,  die 
von  sehr  schädlichem  Einflüsse  auf  die  Klinik  sei,  hinzustellen  (ebend. 
Band  III.).  In  Hinsicht  auf  das  Opium,  welches  er  gegen  Frank's 
Meinung  auch  bei  directer  Schwäche  angewendet  wissen  vkill,  ist  er 
noch  streng  Brownisch  (Band  IV.).  Dasselbe  beweisen  seine  Ab- 
handlungen über  die  Rose  (Band  VI.).  Seine  Beiträge  zur  theoreti- 
schen und  practischen  Heilkunde  ^^^)  und  die  pathologischen  Unter- 
suchungen über  die  Lebenskraft  des  Blutes '^®)  sind  mehr  historisch- 
kritischer  Natur  zur  Lehre  von  den  Krisen.  Aber  während  er  noch 
in  seinem  Handbuch  der  Pathologie  ^^^)  Röschlaub  und  Frank 
folgte,  ohne  Anspruch  auf  die  Originalität  Dieser  machen  zu  können, 
erscheint  er  schon  im  folgenden  Jahre  in  Horn's  neuem  Archiv 
(Band  V.  über  Geschwüre  auch  Band  IX.  über  krampfhaftes  Asthma) 
gemässigter  und  im  Handbuch  der  speciellen  Pathologie '^^)  (1808) 
endlich    tritt    er    mit   einer    von   Brown   ganz   unabhängigen   No- 


205 

sulogie  in  das  Studium,    welches  ilin  bald  gänzlich    von    demselben 
losriss. 

Weil»  der  Geist  der  Erfahrung,  welcher  die  Bemühungen  eines 
Ernst  llorn  (vergl.  oben  Seile  195)  denen  der  besten  Aerzle  aller 
Zeilen  und  unler  seinen  Zeitgenossen  zunächst  denen  Ilufeland's 
würdig  an  die  Seite  setzt,  sich  eine  Zeit  lang  irrte,  so  war  dieser 
Irrthum  selbst  vielleicht  nur  bedingt  durch  die  Erkenntniss,  wie  sehr 
eigentlich  die  praclische  Medicin  einer  Verbesserung  bedurfte.  Die 
ächte  Erl'alirung  silzt  nämlich  in  allen  Werken  Ilorn's  zu  streng  zu 
Gericht,  als  ddss  wir  glauben  solllen ,  die  Lust  am  Theorelisiren ,  der 
er  ohne  practische  Tendenz  nie  huldigte,  habe  ihn  verführt,  auch 
seine  Kräfte  der  neueren  Schule  zu  ^^  eihen.  Eine  Aeusserung  Ilorn's 
bei  Gelegenheit  der  Kritik  von  Henke 's  Handbuch  der  Paihologio 
spriciil  dcullich  filr  uns.  Dort  lieisstes(s.  Archiv  1807):  Die  Erregungs- 
theorie geoe  das  sicherst  leitende  Princij)  für  die  praclische  Heil- 
kunde: ihr  Zv> eck  sei  nie  gewesen,  eine  allgemeine  physiologische 
Ansicht  aller  Urganismeu  zu  begründen,  sondern  nur  der  ausüben- 
den 3Iedicin  zur  besseren  und  fcs-leitii  Grundlage  zu  dienen.  Dass 
das  einem  solchen  Pracliker  gerade  zunächst  liegende  Bedürfniss  nach 
w  irklicher  Abhülfe  von  dem  Schlendrian  der  damaligen  Zeit  und  nach 
reeller  Verbesserung  der  Therapie  der  hauptsächlichste  Grund  seiner 
zeitweiligen  Hingabe  an  die  Lehre,  welche  dafür  HolTnungen  genug 
darbot,  gewesen  sei,  erhellt  am  besten  auch  durch  die  Art,  wie  er 
Antheil  an  der  Entwicklung  der  Brown'schen  Principien  nahm  und 
wie  der  geistige  Prozess  der  Läuterung  bei  ihm  sich  bewerkstelligte. 
So  schwer  es  in  jener  Beziehung  nämlich  sein  dürfte,  ihm  irgend 
einen  Partheihass  nachzuweisen  (kündigte  er  doch  stets  sein  Archiv 
mit  der  Bemerkung  an,  es  sei  ihm  gleichgültig,  ob  die  Verfasser  der 
eingeschickten  Aufsätze  sich  zur  älteren  oder  neueren  Schule  bekann- 
ten), und  so  wenig  man  bei  ihm  die  theorelisirende,  dialektische,  so- 
phistische Richtung  der  Begründer  des  Brownianisnuis  in  Deutschland 
wiederfindet,  so  leicht  wird  es  auf  der  andern  Seite  zwischen  seinen 
Zeilen  immer  die  Bestrebungen  naoh  reiner  faktischer  Begründung  der 
Brown'schen  Salzungen,  nicht  um  ihrer,  sondern  um  der  hülfsbedürf- 
ligen  Wissenschaft  willen,  zu  erkennen.  Darum  braucht  er  auch, 
nachdem  seine  Erfahrung  ihn  von  diesen  Abschweifungen  zurück- 
gebracht halte,  nichts  als  die  lockere  Form  und  leere  Hülle  aufzu- 
geben, in  welcher  sich  der  Brown'sche  Dogmalismus  bei  ihm  dar- 
stellte.     Den  Tadel  aber,  den  auch  er  desshalb  verdienen  durfte}  dass 


206 

er  nicht  sofort  auf  dem  freieren  Standpuncle  der  Geschichte  stand 
und  vom  Strudel,  obwohl  kämpfend,  sich  fortreissen  Hess,  ein  Tadel, 
der  dadurch  noch  gesteigert  werden  dürfte,  dass  er  mit  grösserer 
Beharrlichkeit  als  die  meisten  seinen  Zeitgenossen  seinen  einmal  ge- 
fasslen  Ansichten  treu  blieb;  dieser  Vorwurf  wird  dadurch  wieder  in 
etwas  aufgehoben,  dass  er  schon  frühzeitig  durch  einzelne  Modifica- 
lionen  und  Ausnahmsmaassregeln  die  allzugrosse  Consequenz  des  Sy- 
slemes  knickte  und  sich  gegen  dieses  als  ein  solches  von  vorn- 
herein aussprach ^^'•^^-).  Er  fand  vielmehr  den  Nutzen  desselben 
in  der  einfachen  Grundlage,  tadelt  aber  die  Fiebcreinllieiliing,  wider- 
legt die  Annahme  der  gemischten  Schwäche,  giebt  Krisen  und  Nalur- 
heilkraft  bedingt  zu,  wogegen  er  seine  Uebereiustimmuug  mit  der 
Lehre  von  den  gastrischen  Krankheiten,  die  allerdings  viel  Widires 
enthielt,  durch  Beobachtungen  belegte.  In  der  Bestimmung  der  ört- 
lichen Krankheilen,  der  Fieber  (er  hat  Fieber  vom  1  —  4.  Grad  der 
Sch^väche)  weicht  er  ebenso  ab,  als  er  in  Definilion  und  Anwendung 
der  Reizmittel  Brownianer  ist.  Bei  aller  Vorliebe  für  das  Opium  aber 
konnte  ihm  der  Missbrauch,  welcher  mit  demselben  gelrieben  wurde, 
nicht  lange  verborgen  bleiben  ^^^)  (1804),  wesshalb  er  die  ver- 
schwenderische Anwendung  desselben  als  anlispasmodicum,  sedans, 
consopiens ,  somniferum,  sudorifenim,  „tarn  respectu  veteris,  quam 
novae  medicorum  doclrinae""  rügt.  Dagegen  war  es  ein  verunglückter 
Versuch,  namenllich  in  Bezug  auf  die  örtlichen  Krankheiten,  die 
Grundsätze  der  Erregungslheorie  auf  die  Chirurgie  übertragen  zu 
•wollen  *^*)  (1804 — 1806).  In  der  Hauptsache  iiumer  noch  Brownisch 
sind  noch  die  späteren  Schriften  über  Huhr^^^)  (1806)  und  das  mit 
Henke  herausgegebene  klinische  Taschenbuch  ^^^^).  Aber  die 
bessere  Erfahrung  gewinnt  doch  imn.er  breitere  Basis,  wie  aus  den 
Anfangsgründen  der  medicinisciien  Klinik  (1807) '''^^)  ersichtlich  ist. 
Denn  „der  Practiker  hat  Manches  zu  Ihun,  was  aus  der  Theorie  nicht 
hervorgeht,  oder  sogar  Uiit  dieser  im  AViderspruch  steht"""-").  Und 
in  dem  trelflichen  Progamm  zur  Eröffnung  des  klinischen  Unterrichts 
in  der  Charite^^^)  (1807)  heisst  es  über  den  Werth  der  Erfahrung: 
„Nur  die  durch  Erfahrung  geläuterte  Erregungstlieorie  (nach  seinen 
Anforderungen  ist  sie  keine  solche  mehr)  mit  skeptischem  Geiste 


*)  In  dem  2.  Theile  dieses  höchst  brauchbaren  Werkes,  welcher 
die  chronischen  Krankheiten  umfasst,  belehrt  uns  die  Eintheilung  der- 
selben nach  dein  Vorwalten  der  Sensibilität,  Irritabilität  und  Repro- 
duction  deutlich  von  dem  eingetretenen  Wendepunct. 


207 

angc>\cndcl,  bewahrt  sich  z>Yar  befriedigender  als  alle  bisherigen 
Theorieeii,  aber  keineswegs  als  völlig  sicher."  —  Wollen  wir  aber 
den  ganzen  Entwicklungsgang  liorns  niil  einem  Blicke  überschn, 
so  dürfen  wir  nur  wie  bei  Röscblaub  auf  die  journalislische  Thälig- 
keit,  in  welcher  sich  stels  das  Princip  der  Bewegung  und  Fortbildung 
verwirklicht,  Rücksicht  neiinien.  In  dem  Archiv  für  medicinische 
Erfahrung  ^^^)  nämlich,  welches  durch  die  Ruhe  der  Beobachtungen, 
durch  die  Klarheit  der  Prüfungen  und  durch  die  wahrhaft  practisch- 
empirische  Richtung  dieses  Namens  sich  würdig  gezeigt  hat,  können 
wir  die  Forlbildung  II  orn's  von  dem  ersten  übermässigen  Gebrauch 
der  Reizmittel  an  (z.  B.  bei  einem  Typhus  mit  Stupor  1,  Dr.  Camph. 
in  24  Stunden  nebst  liq.anod.,  ^^'eingeist,  Pfell'ermünze,  trotz  des  stei- 
genden Widerwillens  der  Kranken  immer  vermehrt,  Archiv  Band  I.) 
bis  zum  gänzlichen  Lossagen  verfolgen.  Die  Abhandlungen  über  Fieber 
von  Schwäche  mit  Pneumonie  (Bund  I.),  ü!)cr  Kindl)oltiieber(::^ Fieber 
von  Schwäche  mit  LokalalTeclion  im  Unterleib  (Band  IL),  über  Gelb- 
sucht (=  örtliches  Leiden  der  Leber  mit  Schwäche  oder  allgemeine 
Schwächel.ranklicit  mit  chronischer  LokulalTeclion  der  Leber  (Bd.  III.), 
obgleich  in  streng  Brown'scher  Form  und  Bebandlungsweise,  lassen 
doch  die  freiere  Ansicht  des  Verfassers ,  der  im  Glauben  an  ein  ge- 
schlossenes System  Einseiligkeit,  Intoleranz  und  Gefahr  für  die  Wahr- 
heit erblickt  (Band  IV.),  durchscheinen.  Namentlich  müssen  wir  als 
bedeutungsvoll  hierfür  das  Hervorheben  der  LokalalTeclion  anführen, 
da  dieses  eigentlich  mit  den  Brown'scben  Ansichten  von  den  allgemei- 
nen Krankheiten  im  \Mdersi)ruch  steht.  Jedoch  spielt  die  reizende 
Methode  immer  eine  zu  grosse  Rolle,  wie  diess  aus  der  Empfehlung 
warmer  aromatisch-spirituöser  Kräuterumschläge  um  den  Kopf  bei  Sopor 
und  anderen  asthenischen  Lokalaffectionen  des  Hirns  (Band  V.)  und 
aus  den  Ansichten  über  Phlhisis  puerperalis  ersichtlich  ist  (Band  VI.). 
Blit  der  Erölfnnng  des  neuen  Archivs  im  Jahre  1805  scheint  eine  vor- 
urtheilsfreiere  Aera  auch  für  den  Herausgeber  zu  beginnen,  denn 
seine  Erklärung  an  das  Publikum  sagt:  „Die  simulirle  Existenz 
eines  vollendeten  und  geschlossenen  medicinischen  Systemes  wider- 
spreche dem  Begriir  der  Heilkunde  als  einer  Erfahrungswissenschaft 
und  der  geblendete  Glaube  au  dasselbe  w  erde  der  Wahrheit  und  dem 
reellen  Nutzen  dieser  wissenschaftlichen  Kunst  schaden.  Ich  glaube," 
heisst  es  weiter,  „nicht  weniger  an  die  Unvollkommenheit  unserer 
bisherigen  Theorie  und  halte  mich  überzeugt,  dtiss  die  Klinik,  obgleich 
sie  ihr  unendlich  viel  verdankt,  noch  grossere  Mängel  offenbar  wer- 


208 

den  Hesse,  wie  es  wirklich  der  Fall  ist,  wenn  die  reine  Erregungs- 
theorie als  solche  und  allein  ohne  Mithülfe  einer  ralion  eilen 
Empirie  die  Regeln  des  speciell  therapeutischen  Handelns  im  con- 
creten  Falle  entscheiden  sollte."  Obgleich  nun  der  Verfasser  der 
Form  nach  immer  noch  der  neuen  Schule  angehört,  wie  diess  die  Ab- 
handlungen über  Hämorrhoiden  (Neues  Archiv  I.),  über  Bluthusten 
(Band  II.)  bezeugen,  so  macht  sich  eine  gewisse  Unabhängigkeil  der 
Therapie  schon  deutlicher  in  den  Abschnitten  über  Ruhr  (Band  HL), 
über  Tripper  ersichtlich.  Die  Form  der  Krankheit  wird  von  dem 
Charakter  der  Hypersthenie  undAsthenie  getrennt,  dieser  tritt  zurück. 
Bei  aller  Rücksicht  auf  die  Lokalaffection  aber  spielt  jener  Characler 
in  der  Behandlung  noch  die  Hauptsache,  obgleich  es  möglich  wird, 
die  gute  Empirie  hier  unterzuordnen  (über  Wöchnerinnenfieber 
Band  V.,  Ruhrepidemie  Band  VI.,  Blutbrechen  Band  VII.).  Nachdem 
mittlerweile  schon  die  obenangeführten  Anfangsgründe  der  medicini- 
schen  Klinik  den  Einfluss  der  Naturphilosophie ,  der  auch  hier  nur  ein 
äusserlicher  war,  dargelegt  halten,  sehen  wir  Hörn  sich  immer  mehr 
von  den  Ansichten  Brown's  losmachen  und  einen  um  so  freieren 
therapeutischen  Sfandpunct  einnehmen,  als  die  neueste  Schule  diesen 
ganz  unberührt  liess.  Diess  erhellt  aus  der  Classification,  Characleri- 
sirung,  Behandlung,  z.  B.  in  den  Aufsätzen  über  die  Herbslruhr  des 
Jahres  1808,  über  Typhus  (Band  IX.  1809),  wo  die  Kälte  sehr 
fleissig  angewendet  wird,  über  Pneumonie,  Rheumatismus  acutus 
(Band  XI.) ,  und  in  den  folgenden  Bänden  wie  in  den  vielen  späteren 
Schriften  über  Nervenfieber  (J814);  besonders  aus  der  Rechtfertigung 
seiner  Dienstführung  in  der  Charile  (1818)  und  aus  zahlreichen  practi- 
schen  Aufsätzen  in  der  Encyklopädie  der  Berliner  Professoren,  wo  ein 
unpartheiisch-eklektischer  Geist  der  Theorie  und  der  geläuterten 
Beobachtung  herrscht,  welciie  die  heilsamsten  Früchte  für  das  Ge- 
deihen der  wahren  Erfahrung  in  der  Medicin  gewährt.  —  Es  dürfte 
am  Schlüsse  nicht  uninteressant  sein,  die  Worte  zu  vernehmen, 
welche  Hörn  noch  vor  Kurzem  über  sein  persönliches  Verhältniss 
zum  Brownianismus  an  den  Verfasser  richtete;  „Ich  habe  dem 
Brownianismns  nur  so  lange  unbedingt  vertraut,  als  Bücher  und  Lehrer 
einen  Einfluss  auf  mich  zu  üben  vermochten.  Sobald  ich  nur  eine 
reichere  Gelegenheit  gewann ,  denselben  am  Krankenbette  zu  prüfen, 
häuften  sich  gar  bald  Zweifel  auf  Zweifel  und  schon  nach  wenigen 
Jahren  war  die  Brown'sche  Lehre  für  mein  praclisches  Wirken  spur- 
los verschwunden." 


209 

Einen  fast  entffeo^engeselzlen  Weg  schlug-  A.  F.  Heck  er 
in  seinem  bekannten  Journal  der  Tlieorie,  Erfindungen  und  ^^  ider- 
sprüche-^^)  ein.  Denn  erst  nach  einer  läng-eren  Zeit,  nachdem 
schon  Rösch laub's  Einfluss  nüiciitig-  geworden  war  und  nach- 
dem er  früher  der  neuen  Schule  nicht  ganz  gewogen  scliien ,  fing 
er  an  im  Jahre  1802  die  Lehren  derselben  mit  Geist  und  Scharfsinn 
in  der  Form  einer  Geschichte  des  Brown'schen  Systems,  d.  h.  fortlau- 
fender Recensionen  (XV.  4.  XVI.  5.  XIX.  1.  XXI.  1.  XXllI.  1. 
XXIV.  3.  XXVII.  I.  XXVIII.  2.  XXIX.  1.  XXXII.  1.  XXXIII.  3. 
XXXV.  2.  XXXVII.  2.  XLI.  3.  XLIII.  2.)  zu  verlheidigen,  ohne  eben 
blind  für  die  Nachlheile  der  Brown'schen  Praxis  zu  sein,  die  er  unter 
andern  auch  in  Hufeland's  Journal  (Dand  IX.,  Stück  1,  S.  43  —  5J) 
durch  ein  eklatantes  Beispiel  belegte.  lu;  Jahre  1804 -"^O  uni erschei- 
det ihn  nur  die  materiellere  Richtung  (denn  die  Erregbarkeit  erscheint 
als  durch  Mischung  und  Organisation  bedingt)  und  das  Zugesländ- 
niss  einer  ausnahm^weissen  Nolhwendigkeit  zum  Specialisiren  bei  der 
Heilung,  von  Brown,  dessen  Ansichten  ziemlich  unvollständig  wie- 
dergegeben werden.  Dasselbe  gilt  von  seinem  medicinisch-practischeii 
Taschenbuche  ^^^).  Aber  schon  im  Jahre  1806 '^'^^)  entfaltet  sich  die 
oben  angegebene  Richtung  zu  einem  Eklekticismus,  dessen  Grundlage 
die  Humoral-  und  Solidarpathologie ,  die  Chemie  und  neuere  Erre- 
gungstheorie bilden.  Dieser  machte,  nachdem  im  Jahre  1807  die 
reizende  Methode  bei  Gelegenheit  der  Nervenfieber^^*)  mannigfache 
Einschränkungen  bei  ihm ,  namentlich  in  Bezug  auf  Opium  (bei  ver- 
satilen  Zuständen!)  und  die  Annahme  stärkender  Mittel,  erlitten  hatte, 
im  Jahre  1808^ "^^j  noch  merklichere  Fortschritte,  so  dass  er,  trotz  der 
scheinbaren  treuen  Anhänglichkeit  an  die  sogenannte  modificirfe  Er- 
regungslheorie  in  den  Annalen  der  gesammten  Medicin^^^)  (1810) 
und  in  der  der  Naturphilosophie  feindlichen  Schrift:  Die  Heilkunst  auf 
dem  Wege  zur  Gewisslieil  ^°')  ,  nicht  mehr  abgeläugnet  werden  kann 
und  zuletzt  mit  einer  gänzlichen  Zurücklassung  des  Brownianismus 
seine  Elemente  vereinfachte.  Die  gediegene  Kritik  in  dem  Lexicon 
medico-practicum  reale.  Goth.  1822.  8.  (Bd.  III.,  Abthl.2,  S.  272  — 296, 
Art.  Erregbarkeit)  legt  hiervon  ein  mehr  als  genügendes  Zeugniss  ab. 

b)   Anhänger  der  Erre gun gstheorie  mit  besonderen 
Covibinationen  {Combi nisten). 

Wenn  wir  bei  den  Vorhergehenden  meist  die  Anhänglichkeit 
auf  einen  w  es ent liehen  Anlheil  am  Ganzen  beziehen  konnten,  der 

14 


210 

nur  diircli  besondere  Modillcalion  einzelner  Satzungen  Abän- 
derungen in  dem  ursprüngliclieu  System  bervorbrachle ,  aber  dieselbe 
stets  in  den  allgemeinsten  Grundzügen  und  in  seiner  bestimm- 
ten hichtung  annahm,  so  lassen  sich  bei  den  Folgenden  diese  Mo- 
dificalionen  in  eine  besondere  Fassung  und  Beziehung  bringen,  inso- 
fern sie  von  einem  anderen  Systeme  oder  einer  besonderen 
Theorie  ausgingen.  Während  demnach  dort  die  Abweichung  nicht 
gerade  durch  die  Anhänglichkeit  an  eine  besondere  oppositionelle 
Richtung  gebunden  war,  hing  sie  hier  gewissermassen  von  einem  zwei- 
ten Elemente,  von  einem  Geg-ensatz  ab,  durch  dessen  Verbindung 
man  das  Fehlende  zu  suppliren,  das  Unvolisländige  zu  vervollkomm- 
nen ,  das  Einseitige  auszugleichen  suchte.  Daher  die  Combinations- 
versuche,  deren  nähere  Motive  sogleich  aus  der  Schilderung  der  ein- 
zelnen hierher  gehörigen  Schrifisieller  selbst  erhellen  werden. 

a.     Combination  mit  der  Humoralpathologie. 

Die  Opposition,  welche  die  Geschichte  durch  Brown  gegen 
die  überwiegende  Geliendmachung  der  Säftelehre  rechtzeitig  be- 
schwor, halle  sich  allzusehr  auf  die  Spitze  gestellt  und  sich  auch 
ihrerseits  zum  Extreme  geslaltet.  Die  Hichtung  Browns  kann  der 
entgegengesetzten  Theorie  gegenüber  vorzugsweise  als  solidistischc 
gelten,  indem  sie  die  Saite  ganzlich  des  Lebeiis  beraubte  und  jede 
primäre  Lebensäusserung  derselben  in  Abrede  stellte.  Sehr  natür- 
lieh  war  es  daher,  wenn  man  diesen  Blangel  auszugleiclien ,  d.  h.  das 
System  dadurch  zu  einem  Alles  umlassenden  zu  machen  -suchte,  dass 
man  auch  die  flüssigen  Bestandtheile  zu  gleicher  Dignität  erhob. 
Man  bemühte  sich  auf  diese  Weise,  die  Humoralpathologie  mit  der 
Erregungstheorie  in  ge\\issen  Einklang  zu  bringen,  indem  man  unter 
den  Oberb  egr  iffen  der  Letzteren  die  Sä  fte  als  innere,  orga- 
nische Potenz,  als  belebten  wesentlichen  Bestandtheil  des 
Organismus,  als  unentbehrliches  Constituens  der  Organisation 
und  Avirksames  Agens  der  Functionen,  als  primär  Afficirendes 
und  Afficirbarcs  darstellte,  ihnen  ihren  Werth  als  ätiologisches  und 
diagnostisches  Moment  sicherte  und  die  betreffenden  Indicationen  und 
Heilmethoden  nach  ihnen  einrichtete  und  umgestaltete.  Derartige 
Bemühungen  aber  mussten  um  so  zahlreicher  sein,  je  leichter  das  Un- 
ternehmen einerseits  erschien  und  je  verdienstlicher  andererseits  die 
Ausgleichung  dünkte,  welche  zur  alten  Medicin  zurückführte  ohne  die 
vermeinten  Vortheile  der  neuen  aufzugeben. 


211 

In  diesem  Geiste  sind  die  bereits  1798  erschienenen,  auch  in's  Ita- 
lienische übersetzten  Präliminarien  zum  medicinischen Friede'i^^^) 
abg-efasst,  Avelche  Brown's,  Ilufeland's  und  Keil's  Ansichten 
zu  verschmelzen  und  in  guten  physiologisch-practischen  Bemerkungen 
die  Einseitigkeiten  Jenes  vermitteln  wollten,  ohne  eben  mehr  zu  lei- 
sten, als  eine  Neb  en  einandersIcUung  und  Erklärung. 

Eine  blos  theihveisse  Verbindung  des  Brauchbaren  von  Brown 
mit  der  bisherigen  Mcdicin  versuchte  J.  U.  G.  Schaeffer  in  seinem 
Entwurf  über  Unpässlichkeit  und  Krankheitskeime -*^^J  und  im  Journal 
der  Erfindungen,  Stück  32,  Seite  50  ff.,  wo  er  mehr  kritisch  zu 
Werke  geht. 

Einen  eigenthümlichen  Weg  zur  Vereinigung  schlug  Schar n - 
dorffer^'^^-  ^^^)  ein,  indem  er  durch  Zurückfiihrung  der  Humorctl- 
lehre  auf  aprioristische  Grundsätze  die  Vereinigung  bewirken  wollte. 
Wir  können  aber  schon  a  priori  das  Misslingen  seines  Versuchs  erra- 
then,  auch  wenn  wir  nicht  wissen ,  dass  es  ihm  gerade  am  Bessten, 
am  philosophischen  Standpuncte ,  fehlte ,  der  ihn  nicht  einmal  in  dem 
Hauptbestandtheil  des  Buchs,  der  Polemik,  wie  viel  weniger  in  der  po- 
sitiven Begründung  leitet.  Daher  ist  es  erklärlich,  wie  er  Krankheit 
als  Missverhältniss  zwischen  Vegetation  und  Animalisation  bezeichnet 
und  die  Krankheiten  in  die  der  starren  und  flüssigen  Massen  eintheilt, 
aber  kaum  begreiflich,  wie  er  die  Erregungstheorie  als  blosse 
Theorie  für  die  Chirurgen,  die  Humorallehre  als  Theorie  der  3Iedici- 
ner  bezeichnen  kann.  Nach  diesen  Zügen  überlassen  wir  es  Anderen, 
seine  Skizze  eines  neuen  Systems  ^^'^)  zu  analysiren  und  wenden 
uns,  aber  ohne  eben  mehr  Befriedigung  zu  erlangen,  zu  dem  ebenfalls 
hierher  gehörigen  Sim.  H  öchh  eimer  ^^^),  einem  abstrusen  Kopf, 
der  das  Alle  nicht  fahren  lassen  will,  das  Neue  nicht  versteht  und 
Beides  nun  ungeschickt  zusammenleimt  ohne  Logik  und  mit  noch  we- 
niger Physiologie.  Er  hat  durch  seine  Oberbegriife,  Atonie  und  Reiz- 
barkeit, auf  die  er  Alles  zurückführt,  keine  neue  Theorie  geschaffen, 
da  sie  auf  die  festen  Theile,  aber  ohne  die  Fortschritte  der  neueren 
Physiologie  und  ChemieRücksicht  nimmt  und  nach  einer  Schutzrede  für 
die  Humorallehre  ganz  auf  dem  Standpuncte  Ch.  L.Hof  fmann's  steht. 
Seine  Nosologie,  Materia  medica  und  allgemeine  Therapie  zeugen  von 
derselben  Verwirrung  und  schwankenden  Haltung. 

Unstreitig ,  wiewohl  nicht  ganz  offen,  vertrat  dieselbe  combina- 
lorische  Richtung  der  früh  verstorbene  Göttinger  Professor  L.  Ch.  W. 
Cappel,  welcher,  merkwürdig  genug,  als  ein  Rückwärtsapostat  zu 

14* 


212 

belracliten  isl.  Nachdem  er  nämlicli  in  seinem  Beitrag  zurBeurtheilung 
des  Bro\Yn'schen  Systems'-^*)  (1797)  dieses  mit  scharfen  Waffen  als  un- 
anwendbar, unzureichend,  unstatthaft,  irrig  bezeichnet  hatte,  kündigte 
er  sich  in  der  2.  Auflage  desselben  Werkes  im  Jahre  J800  unter  der 
Form  eines  Kritikers  als  Anhänger  dieser  Lehre  an.  Auch  ihm  gilt 
der  Tadel ,  dass  ihn  die  Zeitrichtung  bestimmte  und  dass  so  in  seinen 
Aussagen  eine  Halbheit  und  ein  Mangel  an  Prägnanz  entstand,  welche 
der  Differenz  zwischen  Wissenschaft  und  Mode  ihren  nächsten  Ur- 
sprung verdankte.  Neigung  zur  Humoralpathologie  ist  nicht  zu  ver- 
kennen, das  Lob  des  Systems  ziemlich  verschwenderisch,  der  Tadel 
mehr  versteckt  und  bedingt.  Zu  welchen  Verkehrtheiten  führte  diese 
Richtung!  Weil  Brown  keine  Physiologie,  sondern  eine  Theorie 
der  Heilkunde  schreiben  wollte,  brauchte  er  auf  die  Organisation 
nicht  Rücksicht  zu  nehmen!  —  Der  Verbindung  mit  Reil  ist  Cappel 
ebenfalls  nicht  abhold.  Die  Involvirung  des  Wirkungsvermögens  in 
der  Erregbarkeit,  das  umgekehrle  Verhällniss  Beider  wird  von  ihm 
widerlegt,  der  positive  Ersatz  als  der  Beobachtung  entzogen  aber 
durch  das  Blut  vermittelt  dargestellt.  Mangelhaft  sind  die  Gründe  des 
Verfassers  gegen  Hufeland's  und  Dömling's  Meinung  über  die 
Flüssigkeiten  und  trügerisch  die  Schlüsse  gegen  die  Einheit  der 
Erregbarkeit,  mit  denen  die  Nichtannahme  einer  specifischen  Ver- 
schiedenheit im  Widerspruch  ist.  Bei  Gelegenheit  des  Tadels  über 
Brown's  mangelhafte  Bestimmung  der  Reize  und  ihrer  Wirkung 
macht  der  Verfasser  auf  den  Unterschied  aufmerksam,  dass  einige 
Reize  ihre  Kraft  behalten  ,  andere  nicht.  Er  glaubt  nicht ,  dass  zu 
heftige  Reize  immer  erschöpfen,  wohl  aber,  dass  die  von  Brown 
vernachlässigte  Gewohnheit  einen  grossen  Einlluss  übe.  Hufeland's 
Gründe  für  das  Qualilalive  werden  zu  widerlegen  versucht,  aber 
wie!  Dagegen  soll  als  ein  grosser  Forlschritt  die  Annahme  compli- 
cirter,  d.h.  örtlicher  und  allgemeiner  Krankheilen  dienen.  Seine 
Eintheilung  der  Krankheiten  (bei  denen  er  auch  primäre  Säfteverän- 
derung annimmt)  ist  ziemlicli  sonderbar,  denn  bei  den  örtlichen  setzt 
er:  l)  Krankheiten  der  Organisation;  2)  gestörte  \Mrksamkeit  durch 
Hindernisse,  wie  gastrische  Uebel;  3)  Krankheiten  von  fehlerhafter 
Erregung  eines  Organs.  \N'o  ist  hier  Logik,  wo  Physiologie?  Nach 
ihm  kommen  auch  Sthenie  und  Asthenie  in  einem  Organe  vor,  kön- 
nen sich  auch  örtliche  Krankheiten  mit  Sthenie  compliciren,  gelten 
Krankheiten  der  Erregung  und  (primäre)  Säfleveränderungen  als  com- 
plicirte  Krankheiten.  Verständiger  ist  seine  Annahme  der  Selbstheilung 


213 

der  Sllienie  und  Aslhenio.  In  dem  Kapitel  über  Brown 's  Diagno- 
stik ist  manches  Gute,  dagegen  sehr  ungwiiigend,  was  er  in  Brown's 
Arzneimittellehre  rügt.  Ist  Tonisiren  und  Exaltiren  wirklich  dasselbe 
wasReizen?  ist  es  untergeordnete  Verschiedenheit,  wenn  einige  Mitlei 
besondere  Organe  afflciren?  Dass  manche  sogenannte  reizwirkende 
Mittel,  wieBrech-,  Abfuhr-,  Schweissmittel,  den  Reiz  erhöhen ,  ist 
riclitig;  ebenso  dass  Mittclsaize  und  vegetabilische  Säuren  bei  Brown 
fciilcn;  dass  die  Zahl  seiner  reizenden  Arzneien  zu  gering  ist,  dass 
die  permanenten,  die  specifischen  und  die  auf  die  Säfte  wirkenden 
„Reize" vernachlässigt  sind.  Was  dieTIicrapie  Brown's  anbelangt, so 
wird  die  Einschränkung  der  Vorbauungscuren  ihm  nachgerühmt,  die 
complicirte  Ileilmelhode  vermisst,  die  örtliche  getadelt.  Kälte  nach 
dem  Grade  in  allen  Formen  anwendbar  gefunden.  Dass  hervor- 
stechendes Leiden  eines  Organes  das  Mittel  bestimme,  dass  Säftever- 
änderungen ,  gastrische  Unreinigkeiten  auch  bei  Asthenieen  Rücksicht 
verdienen,  dass  die  nährende  und  reizende  3Iethode  verschieden  sei, 
ist  nicht  mehr  als  billig,  aber  zum  Theil  früheren  Behauptungen  des 
Verfassers  widersprechend,  nach  dessen  Forderungen  die  Grundsätze 
des  Brown'schen  Systems  beinah  durchaus  genügend  sind  I  —  In 
demselben  Geiste  der  Inconsequcnz  und  des  Widerspruchs  sind  die 
im  Jahre  1801  erschienenen  medicinischen  Untersuchungen  des 
Verfassers  abgefasst,  die  getrost  der  Vergessenheit  anheimfallen 
dürfen-'^),  wie  auch  aus  andern  theilweiss  Brown'schen  Schrif- 
ten ^^^~'-^^)  nicht  eben  viel  zu  lernen  ist. 

ß.     Combination    mit   der   Reirschen   Theorie. 

Die  Vernachlässigung  des  Materiellen  und  im  Besondern  des 
Physikalisch-Chemischen,  welche  dem  Brown'schen  System  zum  Vor- 
wurf gereichte ,  schien  durch  eine  Combination  mit  den  Reilschen 
Ansichten  am  Besten  ausgeglichen  zu  werden.  Indem  nämlich  Beil 
den  Grund  aller  Erscheinungen,  welche  nicht  Vorstellungen  sind  oder 
mit  ihnen  in  Verbindung  stehen,  in  der  Ihierischen  Materie  und  zwar 
in  der  Verschiedenheit  ihrer  Grundstoffe,  in  Mischung  und  Form 
suchte,  aus  diesen  die  Eigenschaften  derselben  ableitete  und  die  Le- 
benskraft, die  Einwirkung  der  Aussenwelt  u.s.w.  an  die  physikalisch- 
chemische Natur  der  Materie  knüpfte,  schien  eine  Verbindung  des 
einseitig  Materiellen  mit  dem  einseitig  Dynamischen  die  beiderseitigen 
Extreme  am  besten  verhüten  zu  wollen.  Leider  aber  war  weder  der 
Brown'sche  Dynamismus  ein  solcher,  der  zur  wahrhaften  Belebung 


214 

der  Materie  beitragen  konnte,  noch  auch  der  Reil'sche  Materialismus 
bei  dem  damaligen  Slandinincle  der  physikalisch-chemischen  Kennt- 
nisse mehr  als  ein  in  seiner  Abstraclheit  der  Erregbarkeit  analoger 
Begriff.  Die  ganze  Combination  lief  daher  auf  eine  äusserliche  Ver- 
bindung hinaus,  nicht  auf  eine  Durchdringung,  und  sah  oft  weit  mehr 
einer  Zersplitterung  und  Opposition  iihnlich,  wie  aus  dem  Beispiel  der 
Folgenden  erhellen  wird. 

Zuerst  versuchte  M.  D  et  ten,  Professor  in  Münster  ^^^),  Reiz, 
Mischung  und  Form  unter  gemeinschaftlichem  Gesichtspunct  zusam- 
menzufassen, da  sie  wesentliche  Eigenschaften  gemein  haben  sollen. 
Durch  solche  Construction  des  Organismus  sollen  sich  eben  solche 
Gesetze  für  Mischung  und  Form  finden  lassen,  wie  Brown  für  die 
Erregbarkeit  fand.  Es  genügte  dann  eine  einzige  dynamische  For- 
mel, wie  in  der  Algebra,  und  man  hätte  nur  für  einzelne  Phänomene 
das  X  und  y  in  bestimmte  Zahlen  zu  verwandeln.  Mit  solch  phan- 
tastischer Ansicht  vom  Leben  und  unserer  Fähigkeit,  dasselbe  auf 
diese  Art  zu  begreifen,  unterscheidet  der  Verfasser  nun  Organismus- 
und  Säfteerregungen  (erstcre  zerfallend  in  organische  und  unorga- 
nische), erweckt  durch  M  i  s  chun  gs-  oder  Form-  oder  Brown'- 
s  c  h  e  Heize.  Die  normale  Stärke  der  Erregung  entspringt  aus  der 
normalen  dreifachen  Ueizconcurrenz  ,  die  normale  Form  aus  derselben 
Concurrenz  der  Art  und  Menge  nach.  Die  Reize  Brown's  zerfallen 
nun  bei  ihm  in  physische  und  psychische,  chemische,  mechanische, 
gemischte,  äussere  und  innere,  allgemeine  und  besondere.  Die  Mi- 
schungsreize entsprangen  aus  der  Mischung  eines  Nerven  u.  s.  w.  Die 
Formreize  sind  chemisch  und  mechanisch,  röhrig,  schlauchig,  bün- 
delig u.  s.  w.  Nun  gehen  diese  dreifachen  Potenzen  Combinationen 
ein,  bilden  Brownisch- Mischungs-,  Formstärkereize  und  Formform- 
reize ,  wie  z.  B.  indirecte  Mischungsasthenie  und  directe  Formasthenie 
eines  verbrannten  Fingers.  Doch  genug  des  speculativen  Unsinns, 
aus  welchem  sich  die  Aufstellung  der  Krankheitszuslände ,  die  Masse 
neuer  scheusslicher  Termini  und  die  auf  Brownsche  Grundsätze  hin- 
auslaufenden Curvorschriften  von  selbst  abstrahiren  lassen ,  —  ein 
Beweiss  mehr,  dass  das  Vergnügen  am  Denken  und  Construiren  nicht 
selten  zu  Wahnwitz  führt. 

Als  geringfügig  für  die  Geschichte,  trotz  mancher  Vorlrefflich- 
keiten  im  Einzelnen ,  übergehen  wir  kurz  eine  hielier  gehörige  Schrift 
des  schon  oben  (s.  Seite  196)  erwähnten  Fr.  Jahn-^*^),  ebenso  eine 
andere   von  .1.  H.  Br  e  feld^"^^),   welcher    die    Erregbarkeit    durch 


215 

Form  und  Mischung  bedingt  sein  lässt  und  nebenbei  noch  humoral- 
pathologisch  ist;  und  eine  nicht  minder  unbedeutende  von  W.  F. 
D  reyssi  g^'-^j  auf  Königstein,  der  auch  die  Characlere  der  Krank- 
heit nach  Reil's  Synocha,  Typhus,  Lähmung  abhandelt,  —  und 
■wenden uns  zu  den  für  uns  historisch  bedeutungsvolleren:  Himly  und 
Oberreich.  K.  Himly  würdigt  die  Einseitigkeilen  Brown 's 
richtig  ^-^- *^'^*),  nennt  Reizbarkeit  und  Conlractilitiit ,  Quantität  und 
Qualität,  Erregbarkeit  und  Organisation ,  Dynamis  und  Materie  als 
Gegensätze.  Abweichend  ist  seine  Definition  der  Stärke  und 
Schwäche  der  Erregung  wie  der  gemischten  Schwäche,  die  nach  ihm 
dann  entsteht,  wenn  die  Erregbarkeil  so  gering  ist,  dass  der  hinrei- 
chende Ersatz  der  Materie  nicht  erfolgt  und  trotz  der  geringen  Erre- 
gung Abnahme  der  Erregbarkeit  durch  das  Unverhältnissmässige  des 
Ersatzes  zu  den  Verlusten  entsteht.  Die  Minderung  des  Ersatzes  oder 
die  Vermehrung  spielen  bei  der  Cur  auch  eine  grosse  Rolle.  Ueber- 
haupt  stehen  nach  ihm  Erregbarkeit  und  Materie  in  einer  Zirkelver- 
bindung. Durch  Abänderung  der  Mischung  und  Form  giebt  es  auch 
qualitative  Abweichungen  der  Erregung,  wie  nach  Verschiedenheit 
der  Organisation  auch  Verschiedenheiten  der  Erregbarkeit  in  den  be- 
sondern Theilen.  In  Bezug  auf  die  Praxis  bewiess  er^-^),  dass  viele 
Aerzte  grösstentheils  ihre  Heilmethoden  in  Brown  wiederfanden, 
und  hat  sich  überhaupt  später  der  Erregungstiieorie  mehr  zugewendet. 
Was  aber  neben  der  asthenischen  und  slhenischen  seine  neugeschaffne 
dritte  Methode,  nämlich  eine  das  Gleichgewicht  herstellende,  sein  soll, 
bleibt  sehr  mystisch.  Zuletzt  ist  auch  Himly  von  der  Erregungs- 
theorie zur  Naturphilosophie  übergegangen. 

Am  ausführlichsten  unter  Diesen,  wiewohl  ohne  Originalität 
und  Geist  und  ohne  den  Stempel  der  Erfahrung,  aber  mit  desto  mehr 
>Villkühr  beleuchlete  Ch.  F.  Ob  er  reich  die  bei  ihm  in  scharfer  Son- 
derung getrennten  Gesetze  der  Erregbarkeit,  der  Mischung  und  Form. 
Er  bearbeitete  zuerst  einen  Umriss  der  Arzneimittellehre'^-^),  in  wel- 
chem inhumane  Angriffe  auf  die  Humoralpathologie,  auf  Browns 
und  seine  eigenen  Gegner  mit  höchst  allgemeinen,  oberflächlichen  und 
unwissenschaftlichen  Sätzen  abwechseln.  So,  um  nur  Einiges  aufzu- 
führen ,  muss  Alles ,  was  sthenisch  wirken  soll ,  flüchtigen  Stoff  ent- 
halten,  sind  Narcotica  und  Nervina  idenlisch,  giebt  es  keinen  narcoti- 
schen  Stoff,  heisst  es  Vorurtheil ,  die  Narcotica  zu  den  Giften  zu 
zählen.  So  hält  Ipecicuanha  im  Pulv.  Dow.  die  durch  Opium  eintre- 
tende indirecte  Asthenie  auf,  verhalten  sich  die  Be stus cheff'sche 


216 

Nerveiitinctiir,  Und.  valerianae  ii.  s.  w.  ganz  wie  der  liquor  anodynus, 
gehört  Ipecacuanlia,  Serpentaria,  Senega,  Cliamoniilla  zu  den  ge- 
würzhaften Milteln,  sind  ihm  Squilla,  Digitalis,  Rheum,  Asarum,  Col- 
chicum, dieAntimonialia,  3Iarlialia,Sulphur,  Zincum,  Bismuthum  völlig 
entbehrlich  und  ebenso  die  Diaphoretica ,  Diuretica,  Sialagoga,  Vo- 
mitoria ,  —  und  wer  die  Cliina  verlheidige,  sei  ein  Candidat  des 
TollhausesI  (^Vas  für  ein  guter  Arzt  muss  das  gewesen  sein,  der  so 
weniger  Arzneien  bedurfte  I)  —  Hierauf  erschien  im  Jahre  180-i  sein 
Versuch  einer  neuen  Darstellung  der  Erregungstheorie  ■^^^j ,  in 
welcher  nur  das  Formale  neu  ist,  alte  Irrthümer  fortgepflanzt 
werden  und  eigne  Ideen  fehlen.  Die  aufgestellten  Begriffe  sind  Pro- 
ducta der  gemeinsten  Empirie ;  mit  Uebergehung  der  wichtigsten  Sätze 
sind  vorzugsweise  Röschlaub  und  Beil  zu  Grunde  gelegt.  Mi- 
schung, Form  und  Erregbarkeit  sind  die  Bedingungen  der  organischen 
Körper,  Mischung  ist  die  Verbindung  feinerer  Grundstoffe,  Form  die 
Verbindung  gröberer,  welche  sichtbar  werden.  Die  Erregbarkeit 
ist  in  der  Mischung  gegründet ,  ist  aber  dennoch  eine  besondere  Ei- 
genscliaft.  Nun  werden  die  Gesetze  dieser  drei  Momente  im  Beson- 
dern betrachtet  (wobei  Röschlaub  eine  grosse  Rolle  spielt),  die 
festen  Theile  als  einziges  Subject  der  Krankheiten  bezeichnet  (wie 
steht  es  da  mit  der  Mis  chung  der  Säfte?),  die  Krankheiten  selbst 
nach  Erregbarkeit,  Mischung  und  Form  eingetheilt,  die  Fehler  der- 
selben einzeln  in  immer  strenger  Sonderung  beleuchtet  (so  z.B.  leidet 
bei  Syphilis,  Krätze,  Brüchen  blos  die  Mischung  und  Form),  und  die 
sogenannten  Gesetze  der  kränklichen  Mischung,  Form  und  Erregbar- 
keit obenhin  entwickelt,  wobei  namentlich  in  Bezug  auf  Mischung  und 
Erregbarkeit  nur  in  einzelnen  Füllen  gegenseitiges  Bedingtsein  ausge- 
sprochen wird.  Das  übrige  Pathologische  wird  ganz  nach  Rösch- 
laub aufgeführt  und  zuletzt  mit  wahrer  Kunst  eine  Aufzählung  der 
Krankheiten,  je  nachdem  sie  b  1  o s  oder  vorzüglich  oder  neben- 
bei auf  kränklicher  Mischung  u.  s.  w.  beruhen,  bewerkstelligt.  Diese 
Grundsätze  wurden,  nachdem  er  in  einer  Dissertation  pro  facultate 
legendi  zu  Jena  1805  ^^^)  bewiesen,  dass  alle  Krankheiten  auf 
Schwäclie  beruhen ,  von  dem  Verfasser  im  Allgemeinen  Aveiter  ver- 
folgt in  seinem  Handbuch  der  Heilkunst ^^^),  welches  nur  das  Cha- 
racteristische  für  sich  hat,  dass  es  die  allgemeinen  Vorschriften  von 
Brown  und  Röschlaub  specieller  durchführt,  durch  Abhandlung 
der  meisten  Krankheiten  nach  besseren  nosologischen  Grundsätzen  als 
bei  Brown  die  Trennung  zwischen  Chirurgie  und  Medicin  aufzuheben 


217 

sucht,  sonst  aber  höchst  empirisch  einen  ■wahren  prac[ischen  Schlen- 
drian befolgt  und  seine  ewige  Monolonic  und  Oberflächliciikcit  in 
dem  weiten  myslischen  Manlel  der  Erregungstheorie  zu  verbergen 
sucht.  Derselbe  Geist  oder  Ungeist  herrscht  in  dem  an  die  ortho- 
doxesten Zeilen  des  Brownianismus  erinnernden  kritischen  Journal 
der  Arzneikunst  zum  Bcliuf  der  Erregungslheorie  *^^^)  (1805),  wel- 
ches in  absprechendem  Tone  die  llumoralpathologie  verbannen,  dem 
Chemismus  enfgegenarbeilen  und  alle  andern  irrigen  Grundsätze  ver- 
nichten will.  Wie  sehr  der  Verfasser  dazu  besonders  befähigt  sei, 
hüben  wir  oben  bereits  gesehen  und  brauchen  nur  zur  Characteristik 
dieses  höchst  erbärmliclieu,  in  überscll\^  änglichem,  aber  nichtssagen- 
dem Lobe  der  Erregungstheorie  iiberiliessenden  Machwerks  die  Mei- 
nung des  Verfassers  anzuführen:  wie  es  fehlerhaft  sei,  wenn  Aerzle 
gleich  Pfuschern  und  alten  >N'eibern  den  Speciücis  naclijagenl  — ■ 
Papienti  sat!  —  Schliesslich  sei  hier  noch  ein  sehr  gediegenes  Wort 
von  V.  Roose:  über  den  jetzt  herrschenden  Sectengeist  unter  den 
Aerzten,  in  Horn's  Archiv  (Bd.  111.  1803.)  erwähnt,  welches  nach 
Aufzählung  der  Gründe,  warum  die  neue  Lehre  Ansloss  fand,  auf 
Reifs  weniger  dogmatischen  und  weniger  einseitigen  Weg  hindeutet. 

y.     Combination  mit  der  Naturphilosophie. 

Ging  endlich  nicht  die  letzte  Combination  der  Erregungs- 
theorie, die  mit  der  Naturphilosophie,  welche  jene  dem  Untergange 
zuführte,  anfangs  von  demselben  Streben  aus,  die  Einseiligkeiten 
dadurch  auszugleichen ,  dass  Chemismus  und  Vitalismus  eine  gleiche 
Berücksichtigung  erhielten,  dass  die  Spontaneität  des  Organismus 
gerettet  wurde,  dem  Qualitativen  neben  dem  Quantitativen  Raum  blieb 
und  statt  der  Qualitas  occulta  und  ihrer  zwei  Factoren,  Receptivität 
und  Wirkungsvermögen,  eine  Differenz  der  Indifferenz,  eine  Dreiheit 
von  Kräften  des  Lebens  geschaffen  wurde?  Diese  sollten,  eines- 
theils  als  Sensibilität  mehr  der  Receptivität,  als  Irritabilität  dem 
Wirkungsvermögen  entsprechend,  die  subjectiven  Factoren,  andern- 
Iheils  als  Reproductions-  oder  Assimilationskraft  mehr  die  Stelle  des 
Objectiven  vertreten.  Trotz  der  Polarität  der  einzelnen  anatomi- 
schen Systeme  und  der  übrigen  Theilc  sollte  in  organischer  Durch- 
dringung der  jenen  drei  Kräften  entsprechenden  Actionen :  der 
Electricität,  des  Magnetismus  und  des  chemischen  Processes,  die 
Einheit  des  Lebens,  ein  Parallelismus  des  Organismus  und  der  Aussen- 
welt,    eine  gleiche  W^erthslellung  fesler  und  flüssiger  Theile  ausge- 


218 

sprochen ,  die  hauptsächlichsten  Irrthümer  der  Erreg'ungstheorie  ver- 
mieden, sie  selbst  einer  höhern  Ansicht  des  Lebens  zugeführt  werden. 
Denn  es  war  anfangs  keineswegs  auf  ihre  Vernichtung,  sondern 
gerade  auf  feste  Begründung  derselben  abgesehen.  Je  aprioristi- 
scher  und  freiwaltender  diese  Obersiitze  waren,  je  mehr  Spielraum 
Hessen  sie  für  die  Combination  des  Alten  und  Neuen,  für  Beibehaltung 
und  Modificirung  desselben;  je  weniger  eingreifender  in  die  practi- 
sche  Handlungsweise  des  Arztes,  desto  länger  konnte  diese  unter  jenen 
Hauptbegriffen  forlbestehn  und  so  in  einer  wahrhaften  Bastardehe  der 
Theorie  und  Praxis  auf  dem  morastigen  Boden  einer  unedlen  Empirie 
fortwuchern.  Je  mehr  endlich  die  Naturphilosophie  durch  ihre  Kunst- 
sprache mit  dem  Schein  des  Wissens  blendete  und  eine  mystische 
Gestalt  der  Medicia  und  Philosophie  abgab,  um  desto  verlockender 
war  die  Annahme  ihrer  Satzungen,  zumal  da  man  in  Deutschland  von 
jeher  aus  der  Hand  der  Philosophie  den  Fortschritt  am  liebsten  an- 
nahm. Sehr  bezeichnend  sagt  über  diese  Combination  Ph.  K.  Hart- 
mann, als  Verfasser  einer  vortrefflichen  Kritik  über  die  Naturphilo- 
sophie wie  früher  über  die  Erregungslheorie  (s.  unten)  [von  dem 
Einflüsse  der  Philosophie  in  die  Theorie  der  Heilkunde.  Eine  Kritik 
des  gegenwärtigen  Zeitgeistes  in  der  Heilkunde.  Salzburger  Zeitung 
1805.  Bd.  2.  S.  19j:  „Die  Erschütterung  der  Erregungslheorie  öffnete 
der  Naturphilosophie  den  Eingang.  Man  haschte  nach  einem  Stabe, 
welchen  ihr  die  Naturphilosophie  bot,  indem  sie  die  Erregbarkeit 
a  priori  construirte.  Die  Unvorsichtige!  Sie  ahnte  nicht,  dass  sie 
von  ihrer  speculativen  Freundin  viel  schneller  ihrem  Untergange  zu- 
geführt würde,  als  von  allen  ihren  empirischen  Feinden.  Doch  — 
wer  hätte  das  erwartet  —  sie,  die  vorhin  keinen  Fu^s  breit  von  ihrem 
Gebiete  abzutreten  entschlossen  war,  übergab  nun  ohne  Widerrede 
ihr  ganzes  Reich,  zufrieden,  dass  man  ihr  den  Titel  davon  Hess."  — 
Wie  von  der  Erregungslheorie,  so  gilt  auch  von  dieser  neuen  Phase, 
was  der  Verfasser  ferner  sagt:  „So  selir.es  auch  bei  unsern  jungen 
Schriftstellern  zur  Mode  geworden  ist,  auf  Nachbeterei  im  grossen 
Tone  loszugehn,  so  war  doch  in  der  Mode  nie  alle  Originalität  und 
todte  Nachbeterei  so  sehr  herrschend,  als  eben  jetzt,  wo  man  es 
zum  Genie  hinreichend  glaubt,  wenn  man  die  Terminologie  der 
herrschenden  Schule  hersagen  kann."  —  Als  aber  die  Naturphilo- 
sophie mittlerweile  ihre  Construction  vom  Absoluten  begann  und 
dadurch  ihre  ganze  Gestalt  umänderte  ,  „so  verlor  durch  diese  totale 
Revolution  die  neuere  Erregungstheorie  ganz  unerwartet  ihre  Grund- 


219 

läge  und  wurde  dadurch  in  die  falale  Verlegenheit  gebracht,  ent- 
weder ihr  schon  fertiges  Gebäude  wieder  abzutragen  und  es  von 
Neuem  auf  den  Grundpfeilern  der  absoluten  Philosophie  aufzuführen 
oder  sich  von  aller  Verwandtschaft  mit  der  neuern  Philosophie  los- 
zusagen, in  jedem  Falle  aber  einzugeslehen,  dass  ihre  bisherige  Arbeit, 
Avenigstens  Das,  was  an  derselben  Deduction  ist,  die  Lücke  in  der 
Theorie  der  Heilkunde  nicht  ausgefüllt  hat."  — •  Weil  nun  die  Schil- 
derung jener  weiteren  Forlbildung  der  Naturphilosophie,  wodurch 
dieses  endliche  Schicksal  der  sich  wahrhaft  selbst  opfernden  Er- 
regungstheorie herbeigeführt  wurde ,  schon  in  die  Geschichte  der 
Naturphilosophie  gehört,  so  werden  v»  ir  uns  hier  mit  Ausschluss 
aller  späteren,  eigentlich  naturphilosophischen  Schriften  streng 
an  diejenige  Phase  der  Naturphilosophie  halten,  in  welcher  sie  noch 
vereint  mit  der  Erregungstheorie  ebenso  das  letzte  Stadium  dieser 
wie  ihr  eigenes  erstes  bildet,  ohne  mehr  als  historische,  äusser- 
liche  Berührungen  der  beiderseitigen  heterogenen  Lehren  zu  bieten. 
All  den  Grenzen  stehen  die  Koryphäen  Röschlaub  und  Sehe  Hing, 
Jener,  erschöpft,  Abschied  nehmend  von  der  Bühne  der  Wissenschaft, 
Dieser  als  vielversprechender  Heros  sie  muthig  begrüssend. 
F.  W.J.  Schellin  g  gab  zuerst  bei  Gelegenheit  von  Stieglitz's 
Recension  in  der  Allgemeinen  Literalur-Zeitung,  Febr.  1799.  (s.  unten) 
einige  Bemerkungen,  aus  welchen  sein  anfängliches  Verhältniss  zur 
Erregungslheorie  hervorgeht.  (S.  Röschlaub's  Magazin  IL 
S.  255).  Die  Ursache  der  Erregbarkeit  ist  nach  ihm  etwas  Selbst- 
etändiges  im  Gegensatze  gegen  die  Ursache  der  Erregung  (=:  inci- 
tirende  Potenzen),  Jene  ist  durch  sich  selbst  unveränderlich,  auch 
von  Brown  in  höherer  Ordnung  begründet,  ganz  aus  der  Sphäre 
einer  unmittelbaren  Aflicirbarkeit  gerückt,  während  Die,  welche  sie 
unmittelbar  restauriren  oder  exhauriren  lassen,  gerade  die  Erregbar- 
keit von  aussen  abhängig  machen.  Das  Problem ,  wie  dieses  Höhere 
mittelbar  oder  indirect  affieirt  werden  könne,  glaubt  Seh  eil  in  g, 
werde  durch  die  höhere  Physik  gelöst  werden,  welche  das  Phäno- 
men des  Lebens  nicht  so  isolirt  betrachtet,  wie  die  bisherige  Physio- 
logie oder  gar  die  gemeine  Medicin.  Wenn  die  organische 
Erregbarkeit  wie  die  electrische  ihren  letzten  Grund  in  der  dynami- 
schen Organisation  des  Universums  hälfe,  so  wäre  die  Ursache  der- 
selben eben  so  wenig  veränderlich  und  erreichbar  wie  die  des  Lichts, 
der  Elecfricität  u.  s.  w. ,  welche  nur  dadurch  veränderlich  sind ,  dass 
ihre  negativen  Bedingungen  verändert  werden,    die  allein  in  unserer 


220 

Gewalt  stehen.  Durch  solche  Allianz  der  Medicin  und  Physik  macht 
sich  Schein  ng  für  das  bis  jetzt  aller  chemischen  und  physischen 
Kenntnisse  entblösste  Brown'sche  System  grosse  Hoffnungen  und  ver- 
weist endlich  auf  seinen  zunächst  erschienenen  ersten  Entwurf  eines 
Systems  der  Naturphilosophie  -^^).  Hier  wird  der  Beweis  zu  lie- 
fern gesucht ,  dass  die  Natur  in  ihren  ursprünglichsten  Froducten 
organisch  ist,  Sie  ist  absolute  Thätigkeit,  nur  durch  ein  unend- 
liches Product  darstellbar,  ins  Unendliche  gehemmt  und  zwar  nur 
durch  sich  selbst.  Das  absolut  Prodnclive  in  der  Natur  ist  das  ab- 
solut Hemmende  aller  Analysis,  ist  das  mechanisch  und  chemisch 
Unüberwindliche,  die  Ursache  aller  ursprünglichen  Qualität  =  Be- 
griff der  einfachen  Action.  Der  Zustand  der  Gestaltung  ist  der 
ursprünglichste,  in  dem  die  Natur  erblickt  wird  (Geschlechlsverschie- 
denheit,  Permanenz  der  Entwickelungsstufen).  Da  alle  Producte  nur 
auf  verschiedenen  Stufen  gehemmte  Producte  sind,  ist  die  Grund- 
aufgabe  der  Naturphilosophie  die  dynamische  Stufenfolge  in  der 
Natur  abzuleiten.  Die  Natur  kämpft  gegen  das  Individuelle.  In 
allem  Organischen  findet  eine  \A'echselbestimmung  der  Empfänglich- 
keit für  das  Aeussere  und  der  Thätigkeit  gegen  dasselbe  Statt,  jener 
durch  diese,  dieser  durch  jene.  Auch  die  Art  der  Einwirkung  des 
Aeussern  ist  bedingt  durch  die  Art  der  Thätigkeit,  welche  die  in- 
dividuelle Natur  gegen  das  Aeussere  ausübt  (Röschlaub).  Thätig- 
keit des  Innern  ist  Effect  der  Thätigkeit  des  Aeussern  (Brown). 
Form  und  Grad  jener  hängen  von  Form  und  Grad  dieser  ab.  Beide 
sind  wechselseitig  Ursache  und  Wirkung.  In  der  Thätigkeit  liegt 
die  Receptivität,  von  dieser  hängt  jene  ab.  Die  chemische  Phy- 
siologie slatuirt  blos,  dass  die  Thätigkeit  durch  Receptivität  be- 
dingt sei  (blosse  Receptivität;  kein  Subject)  =  physiologischer  Ma- 
terialismus; das  System  der  Lebenskraft  nimmt  blos  an,  dass 
die  Receptivität  bedingt  sei  durch  Thätigkeit  (absolute  Kraft  zu 
leben;  keine  Receptivität)  ^^  physiologischer  Immaterialismus.  Aber 
nur  eine  Verbindung  Beider,  d.  h.  ein  Drittes  aus  Beiden  ist  wahr. 
Die  negative  Bedingung  des  Lebens  ist  Erregung  durch  äussere  Ein- 
flüsse. Diese  wird  zum  Irritament.  Die  Wechselbestimmung  aber 
zwischen  Receptivität  und  Thätigkeit  ist  Reizbarkeit  (Synthesis 
beider  obigen  Systeme).  Jede  äussere  Wirkung  auf  den  Organis- 
mus ist  indirecte  Wirkung.  Beide  Kräfte  erlangen  Realität  erst 
durch  ihre  Wechselbestimmung.  Sie  sind  aber  wie  +  und  —  ent- 
gegengesetzt;  es  findet  ein  umgekehrtes  Verhältniss  zwischen  Beiden 


221 

Statt,  Jeder  Reiz  ist  nur  Reiz,  inwiefern  er  die  Receptivilät  ver- 
mindert, die  Thäligkeit  erhöht.  Die  erregenden  Potenzen  sind  in 
der  Aussenwelt  zu  suchen.  Das  Wesen  des  Organismus  hcsleht  in  der 
Erregbarkeit,  welche  in  jene  zwei  Factoren,  Receptivilät  und  Thälig- 
keit,  zerfällt  und  den  Zusammenhang  des  Organismus  mit  der  anor- 
ganischen Welt  ausdrückt.  Die  dadurch  gesetzte  Duplicilät  des  Orga- 
nismus stammt  aus  der  der  allgemeinen  Organisation  des  Universums. 
Die  chemische  Tliätigkeit  ist  nur  der  Tendenz  nach  chemisch,  dem 
Principe  nach  antichemisch,  daher  die  Möglichkeit  eines  höheren 
dynamischen  Proccsses,  der,  obgleich  nicht  chemisch,  doch  dieselben 
Ursachen  und  Bedingungen  hat  wie  der  chemische  Process.  Brown 
vereinigte  woiil  jene  zwei  enigegengcsetzten  Sysleme  durch  den 
Begriff  der  Erreg!. arkcit,  verstand  ihn  aber  nicht  abzuleiten,  nicht 
auf  Naturursaclien  zu  reduciren  und  als  höhere  Kraft  zu  hezeichnen, 
für  welche  der  Organismus  nur  das  Medium,  die  Natur  selbst  ein 
Aeussercs  ist.  Brown  hat  nur  die  negativen  Bedingungen,  nicht 
die  positive  Ursache  des  Lebens  erklärt.  Daher  die  Notliwendigkoit 
einer  dynamischen  Organisation,  einer  unendlichen  Involution,  wo 
System  in  System  dynamisch  begrilTen  ist.  (Die  folgenden  De- 
ductiouen  geben  nun  viel  Poslulirtes.)  Aus  dem  Begriff  der  Erreg- 
barkeit stammen  die  einzelnen  Functionen:  l)  Sensibilität,  der 
organische  Thäfigkeiisquell,  dessen  Ursache  postulirt  wird,  Duplicilät 
nicht  mehr  voraussetzt  und  sich  in  die  letzten  Bedingungen  der  >'atur 
selbst  verliert  (d.  h.  mit  andern  Worten ,  nicht  erklärt  werden 
kann).  2)  Irritabilität  (Wechsel  von  Contraction  und  Expansion), 
Object  jenes  Thätigkeitsquells,  der  Sensibilität  nämlich,  an  welchem 
diese  erkannt  wird.  Beide  sind  aber  Bedingungen  für  einander. 
3)  Productionskraft,  das  Erlöschen  dieser  Thätigkeit  im  Product,  wo- 
durch aus  dem  Innern  ein  Aeusseres  wird.  Dadurch,  dass  diese 
organischen  Functionen  eine  der  andern  untergeordnet  und  sich  ent- 
gegengeselzl  sind  in  Ansehung  ihres  Hervortretens  (denn  ur- 
sprünglich sind  sie  eins)  ,  ist  eine  dynamische  Stufenfolge  in  der 
Natur  begründet.  Es  bestimmen  sich  wechselseitig  mit  umgekehrten 
Verhältnissen  Sensibilität  und  Irritabilität  (wo  jene  steigt,  fällt  diese, 
oder  umgekehrt;  bewiesen  durch  verschiedene  Organe,  Zustände, 
Organisationen).  Ebenso  wechselseitig  bestimmen  sich  Sensibilität 
und  Reproductionskraft,  Irritabilität  und  Productionskraft  (repro- 
ductives  System).  Hieraus  folgt;  der  Organismus  muss,  um  erreg- 
bar zu  sein ,   mit  siüh  im  Gleichgewicht  stehen.      'NN'äre  dies  nicht. 


222 

so  könnte  keine  Störung  des  Gleichgewichts  Statt  finden,  kein  Thätig- 
keitsquell,  keine  Sensibilität.  Die  Wiederherstellung  dieser  Stö- 
rung zeigt  sich  durch  die  Irritabilität.  Beide  zusammen  sind  die 
coexislirenden  Factoren  der  Erregbarkeit.  Das  Product  der  Wieder- 
herstellung ist  der  Organismus  selbst,  Selbstreproduction ;  die  Ur- 
sache ist  Productionskraft,  die  ebenfalls  nur  aus  der  Erregbarkeit  be- 
greiflich ist. 

Soweit  haben  wir  diesen  ersten  Entwurf  Schelling's  zu 
verfolgen,  da  hier  noch  Erregungstheorie  und  Naturphilosophie  sich 
berühren.  Wir  verweisen  die  weiteren  Folgerungen  der  verschie- 
denen Stufen  der  Einen  Organisation  aus  den  verschiedenen  Erschei- 
nungen dieser  Einen  Kraft,  wie  die  Zusammenstellung  des  Lichts,  der 
Eleclricität,  des  Magnetismus  und  der  diesen  Potenzen  entsprechen- 
den Processe  mit  jenen  organischen  Stufen,  als  enger  der  Natur- 
philosophie angehörend,  in  diesen  Abschnitt  der  Geschichte  der 
Medicin  des  19.  Jahrhunderts ,  der  auch  die  weitere  Entwickelung 
Schelling's  auszuführen  hat.  Doch  gehört  als  eine  Modification 
der  Erregungstheorie  noch  Schelling's  Definition  der  Krankheit 
hieher,  die  sich,  obgleich  meist  von  Rösch  laub  entlehnt,  auf  jene 
Vordersätze  stützt.  Die  Erregbarkeit  könne  nämlich,  da  sie  ein 
Höheres  und  Selbsfständiges  ist,  nur  durch  das  Mittelglied  der  Er- 
regung afficirt  und  verändert  werden.  Krankheit  entstehe  demnach 
nicht  durch  die  Erregbarkeit,  sondern  durch  das  Verhältniss  zu  den 
erregenden  Potenzen.  Wäre  aber  die  Erregbarkeit  ein  einfacher 
Factor  (Brown),  so  würde  bei  steigender  oder  fallender  rela- 
tiver Intensität  der  Reize  im  graden  Verhältniss  mit  der  steigenden 
oder  fallenden  Erregbarkeit  das  Product  ein  unverändertes,  immer 
dasselbe  sein.  Es  niuss  demnach,  um  Disproportion  zu  erlangen 
(Röschlaub),  die  Erregbarkeit  in  die  zwei  Factoren  zerfallen, 
welche  innerhalb  einer  gewissen  Grenze  sich  entgegengesetzt  sind 
und  ein  umgekehrtes  Verhältniss  darstellen ,  während  das  Total- 
product  der  Erregung  allerdings  unverändert  ist.  (Bei  Brown  ist 
der  Reiz  Factor,  bei  Schell  in  g  Ursache.)  So  entsteht  Sthenie 
und  Asthenie,  die  aber  noch  nicht  Krankheit  sind.  Diese  bildet  sich 
erst,  wenn  der  Organismus  als  0])ject  ein  anderer  wird,  durch  Un- 
verträglichkeit eines  zu  hohen  Grades  eines  jener  Factoren  mit  der 
Existenz  des  ganzen  Products.  Die  Krankheiten  selbst  werden  ein- 
getheilt  in  Krankheilen  der  erhöhten  Sensibilität  und  herabgestimmten 
Irritabilität  und  in  Krankheiten  der  herabgestimmten  Sensibilität  und 


223 

erhüllten  IrritabililiiL  Eine  drille  Classe  begreifl  diejenigen,  wo  das 
Steigen  der  Irritabilität  nicht  mehr  dem  Sinken  der  Sensibilität  parallel 
geht,  d.  h.  die  Krankheiten  der  indireclen  Schwäche  des  Reaclions- 
vermögens.  Der  Sitz  aller  Krankheiten  ist  die  Sensibilität,  die  erste 
Stufe  ihrer  Erscheinungen  Irritabilität;  eine  Veränderung  beider 
Grundkräfle  aber  pflanzt  sich  bis  auf  die  Reproduclionskraft  fort. 
(Ueber  Sehe  Hing's  Einwürfe  gegen  die  Erregungslheorie  s. 
weiter  unten.) 

Dieser  Rö  schlaub-Schelling'schen,  nur  sehr  kurz  an- 
dauernden Enlwickelung,  welche  man  als  modificirte  neuere 
Erregungstheorie  ebenso  oft  bezeichnen  hört,  wie  bereits  als 
Naturphilosophie,  gehört  eine  Anzahl  von  Schriftstellern  an,  welchen 
es  trotz  alles  geistigen  Aufwandes  nicht  besser  erging,  als  den  übri- 
gen Combinisten,  die  vergeblich  da  eine  Ausgleichung  und  Stütze 
suchten,  wo  nur  gänzlicher  Umsturz  helfen  konnte.  So  giebt  es 
auch  hier  statt  neuer  Conslruction  nur  eitel  Flickwerk,  Verwirrung, 
Inconsequenz  und  Haltlosigkeit,  wie  wir  es  ja  bei  den  Meislern  selbst 
nicht  besser  finden.  Zu  dieser  engbegrenzten  Kategorie  rechnen  wir 
Folgende:  Schaefer  in  Regensburg  (über  den  Begriff  der  Schwäche 
als  Leitungsprincip  im  Heilverfahren ,  s.  Horn's  neues  Archiv  IV.); 
H.Ch.  A.  Oslhof  f,  Arzt  inVlotho;  dieser  trat  in  seinen  Beiträgen '^^^) 
und  verschiedenen  Journalarfikeln ,  besonders  in  Horn's  Archiv 
(IV.  V.  etc.) ,  anfangs  als  Brownianer  mit  geringen  Modificatio- 
nen,  später  als  Naturphilosoph  auf.  In  der  Salzburger  Zeitung  1803. 
Bd.  III.  S.  108.  vertheidigt  er  die  Anwendung  des  Opiums  in  der  di- 
recten  Schwäche  gegen  Frank,  nimmt  aber  nur  allgemeine  Krank- 
heiten an.  Wieder  ein  Beweiss  eines  Extrems,  Avelches  zu  ganz 
andern  Resultaten  führen  würde,  als  wir  sie  jetzt  erlangt  haben. 
Wahrscheinlich  gehört  auch  hierher  sein  Versuch  zur  Berichtigung 
verschiedener  Gegenstände  u.  s.  w.  ^^^),  da  er  von  demselben  Jahre 
datirt  ist.  (Ich  konnte  ihn  nicht  erlangen).  —  L.  A.  Liffmann 
in  Cassel  handelt  im  ersten  Theil  seiner  Ideen  u.  s.  w.  ^^^)  von  der 
Form  (durch  Wahlanziehung  bedingt),  Organisation  (::=:  Verbindung 
vegetabilischer  und  animalischer  Materie) ,  Lebenskraft  (=  Wechsel- 
wirkung zwischen  Substanz  und  Causalilät) ,  Nerven  -  und  Muskel- 
erregbarkeit (meist  nach  Haller)  ziemlich  oberflächlich  und  will- 
kührlich,  versucht  aber  erst  im  zweiten  Theil  die  eigentliche  Combi- 
nation  der  Erregungstheorie  mit  der  Naturphilosophie ,  wiewohl 
ohne  Erfolg.      Unklarheit,  Weitschweifigkeit,  Widersprüche,  Wort- 


224 

geklingel  und  Sonderbarkeiten  sind  die  charakterislisclien  Merk- 
male dieses  Bachs.  Mit  mehr  Recht  aber  liegt  das  Lebendige  nach 
ihm  eine  Stufe  höher  als  das  Organische,  bestimmt  der  organische 
Process  die  SelLshvirksamkeit  der  organischen  Materie  und  diese  die 
Erregbarkeit,  ist  ferner  das  Erregbarwerden  nicht  Folgerung  aus 
der  Organisation ,  sondern  unmiltelbares  Factum  der  ursprünglichen 
Selbstwirksamkeit.  Organisation  könne  ohne  Erregbarkeit  gedacht 
werden,  wie  bei  den  Knochen,  Knorpeln,  Zähnen  u.  s.  w.  Wiederum 
kommen  auch  Gallini's  Ansichten  vor,  denn  der  Lebensprocess 
besteht  „in  einem  thäligen  UntereinanderAvirken  der  heterogenen 
Grundbeslandtiieile  der  Organe,  in  "welchen  eine  Causalität  für  die 
potenzirende  Natur  Statt  findet."  Bei  dem  Mangel  an  philosophi- 
scher Präcision  schwankt  der  Verfasser  zuweilen  zwischen  Kant 
und  Schelling.  Die  Krankheit  betraclitet  er  in  Rücksicht  auf  Er- 
regung, Organisation  und  Empfindung  und  stellt  zuletzt,  meist  nur 
Röschlaub  umschreibend  oder  zersplitternd,  65  Gesetze  der  Phy- 
sik des  lebenden  Organismus  in  Bezug  auf  Organisation,  Leben,  Er- 
regung, Gesundheit,  Krankheit,  Heilung  auf,  wobei  sehr  viel  Spe- 
cielles  und  Untergeordnetes  als  oberes  Fundamentalgesetz  prangt. 
Dieser  äussere  Glanz  wird  aber  den  Jlangel  an  innerm  Gehalt  und  die 
Planlosigkeit  des  Ganzen  nicht  verhüllen. 

Dahingegen  ist  F.  X!  v.  Sallwürk,  ein  Meister  in  der  philo- 
sophischen Deduction  und  Construction,  nichts  als  Plan.  Er  ver- 
anschaulicht recht  eigenllich  das  Kräftespiel  der  Naturphilosophie 
und  ihre  willkührlichen  Positionen  und  Principien ,  denen  sie  mit 
Zwang  der  Realität  logisch -formell  Alles  unterwarf,  und  beweist 
klar,  wie  wenig  damit  der  Theorie,  geschweige  denn  der  Praxis  der 
Medicin  gedient  ist.  Sein  Versuch  einer  naturgemässen  Erklärung 
der  Wirkungsart  äusserer  Einflüsse  •^^^)  leitet  schon  die  Wirkung 
dieser,  welche  in  chemische  (durch  den  Grad  der  Reaction  ver- 
schiedene) und  mechanische  zerfallen,  von  Attractionskraft,  Affinität, 
Trennung  der  Cohäsion  u.  s.  w.  her,  womit  im  Grunde  eben  nur  etwas 
gesagt  wird.  In  den  Aphorismen  zu  einer  physischen  Deduction 
des  Grundprincips  der  Erregungstheorie  ~^^)  wird  (wie  nach  einer 
Bemerkung  des  Recensenten  der  Salzburger  Zeitung  schon  früher 
der  Jesuit  Boscowich  entwickelt  haben  soll)  Ziehkraft  =  Affini- 
tät und  Cohäsion,  als  Grundkraft  der  ganzen  Natur  im  Werden,  Sein, 
Umwandeln  bezeichnet.  Der  Chemismus  und  der  Brownianismus 
sind  beide  einseitig,   weil  die  Störungen  aus  Anomalie  durch  Reize 


225 

und  Miscliungsänderung  zugleich  enfslelicn.  Die  Umwandlung  sei 
mechanisch  oder  chemisch  mit  und  oliiie  illischungsänderung.  Die 
einzelnen  Erscheinungen  werden  nun  alle  von  dem  Oberprincipe  in 
mechanisch- atoniislischcr  Betrachtungsweise,  wie  in  der  Corpuscuhir- 
philosophie,  von  der  Ziehkraft  nach  ihrer  in  Dualität  zerfallenden 
Richtung,  Affinität  und  Cohäsion,  wahrhaft  deducirt,  d.h.  abge- 
zogen, denn  anders  als  gewaltsam  kann  dies  nicht  geschehen,  so 
wohlgefällig  und  plausibel  es  auch  einem  speculativen  Kopfe  er- 
scheinen mag. 

A.  H.  F.  Gutfeldt,  Arzt  inAltona,  welcher  den  Preis  einer 
Aufgabe  über  den  BegrilT  der  Schwäche  gewonnen  halle,  stellle 
Untersuchungen  über  verschiedene  Sülze  der  herrschenden  niedicini- 
schen  Lehrgebäude  ^^')  an,  in  welchen  vorzugsweise  Schell  ing's 
Ideen  walten  und  mit  Scharfsinn  gegen  einige  Röschlaub'sche 
Sätze  gekämpft  wird.  Vorlrefilich  sind  seine  Regeln  über  die  An- 
wendung der  Emelica  und  Laxantia ,  dagegen  verwirft  er  zu  excen- 
trisch  die  Revulsion  und  Derivation  gänzlich  und  erklärt  sich  auch 
gegen  die  Namenbezeichnung  der  Krankheilen.  Auch  einige  ander- 
weite Schriften  ^^^-  '^^'■^)  dieses  Verfassers  sind  in  den  llauplziigen 
naturphilosophisch. 

Im  Gegensalz  zu  den  Genannten  kündigt  sich  J.  Fries  -^^), 
Privatdocent  zu  Jena,  als  einen  Feind  der  Theorie  und  Speculalion  an. 
Er  bezeichnet  die  Erregbarkeit  als  allgemeine  Form  von  Kriiftever- 
bindungen,  die  dem  organischen  Process  zukommen,  macht  aber  Er- 
regbarkeit und  organischen  Process  wieder  von  einer  besondern 
Kraft,  der  Reproduclionskraft,  abhängig.  Schade,  dass  trotz  ein- 
zelner Lichtblicke  in  die  bestehenden  Systeme  und  mancher  wich- 
tigen Bemerkung  gegen  Schellin  g,  das  Ganze  doch  nur  Umschrei- 
bung von  Rösch  laub  und  Sehe  Hing  ist  und  dass  der  Verfasser 
zwar  immer  von  Erfahrung  und  Beobachtung  spricht,  aber  sie  weder 
kennt,  noch  das  richtige  Verhällniss  zwischen  Theorie  und  Praxis 
ahnt.  — 

Auch  C.  J.  Kilian  strebte,  obgleich  durch  Kritik  und  Ori- 
ginalität unlerstülzt,  vergebens  etwas  Besseres  zu  geben  als  Rösch- 
laub  und  Sehe  Hing  zusammen  geleistet  hatten.  Dies  erhellt 
frühzeitig  aus  seiner  Dissertation  über  die  Fundanienlalmethodon 
der  Therapie  ^*^)  (1802),  noch  mehr  aber  aus  seiner  vorzüglich 
gegen  Röschlaub  gerichteten  Differenz  der  ächten  und  unächlen 
Erreguugstheorie  ^^-) ,   worin  er  Denselben  mit  nicht  gründlich  ver- 

15 


226 

slandencn  Schelling'schen  Sätzen  weitläufig  zu  bekämpfen  sucht, 
bald  aber  dennoch  wieder  cöpirt.  Indem  er  gerade,  als  Gegenstück 
zu  Fries,  gegen  die  Erfahrung  ankämpft,  siebter  das  einzige  Heil 
in  dem  durch  Speculation  gefundenen  Urgesetze  der  Natur,  wozu 
i.m  besslen  die  Naturphilosophie  führe.  Dass  sich  Röschlaub  der 
chemischen  Physiologie  nähere  (wahrscheinlich  seiner  Oxydations- 
theorie wegen),  erfahren  wir  hier  zuerst.  In  der  Bestimmung  von 
Sensibilität,  Irritabilität  und  Reproduction  weicht  der  Verfasser  von 
Schellin  g  ab.  Die  Erregbarkeit  führe  nicht  auf  die  Grundgesetze 
der  Nalur.  Auch  kenne  die  bisherige  Erregungslheorie  den  Begriff 
der  Krankheit  nicht.  Ueberhiuipt  sei  Böschlaub's  Theorie  ein 
Missgritr  der  Elemente  Brownes,  der  allein  noch  Röschlaub 
halte.  Scharfsinniger  als  die  Angriffe  auf  Aeliologie,  Nosologie 
u.  s.  w.  sind  die  auf  Rösch iaub's  Pathogenie;  interessant  aber  ist 
jedenfalls  die  Zusammenstellung  aller  bisherigen,  wie  namentlich  der 
aus  der  Naturphilosophie  stammenden  Einwürfe.  Nach  diesem 
kritisch- negirenden  Unternehmen  [denn  wir  übergehen  hier  den 
brownisch-diätetischen  „Genius  der  Gesundheit  und  des  Lebens"  ^^^) 
und  andere  Schriften]  folgt  das  positive,  der  Entwurf  eines  Systems 
der  gesammten  Medicin  ^^*)  (1802),  der  sich  mit  höchster  Arroganz 
als  das  non  plus  ultra,  in  welchem  Alles  für  Alle  enlhalten  sein  soll, 
ankündigt,  ohne  mehr  zu  geben  als  Scbelling'sche ,  etwas  modificirte 
und  eigenlhümlich  abgefasste  Sätze  unter  dem  Oberprincipe  der  Er- 
regbarkeit und  der  Herrschaft  vorzugsweiss  dynamischer  Ansichten. 
Eben  das  gilt  von  seinen  „mediciniscben  Studien"  '^^^)  (1809),  mit 
welchen  der  Verfasser  von  nun  an  gänzlich  der  Naturphilosophie 
anheimfällt. 

Denselben  Weg  von  der  Negation  zur  Position  verfolgte 
J.  Dömling,  nachdem  er  noch  vorher  theils  in  einem  selbstständi- 
gen Versuche  ^*^),  theils  durch  manche  Aufsätze  (wie  in  Horn's 
Archiv)  den  Säften  die  ihnen  gebührende  Würdigung  hatte  ange- 
deihen  lassen.  In  bestimmter  Erfassung  seines  (iegenstandes,  trotz 
einiger  willkührlichen  Behauj)tungen,  erklärte  er  diese  für  activ  so- 
wohl unter  sich  als  in  Bezug  auf  feste  Theile.  Sie  seien  Mittel  und 
Zweck,  wie  jeder  andere  Theil  des  Organismus.  Für  die  primären 
Säftekrankheiten  sprachen  die  contagiösen  Krankheiten :  Syphilis, 
Pocken,  Hundswuth,  die  weder  durch  den  Grad  der  Erregung,  noch 
durch  die  Wirkung  der  festen  Theile  erklärbar  seien.  Die  leidige 
Trennung  des  Untrennbaren    aber  erhellt  wieder    gerade  aus  seinen 


227 

gemischten  Kranklieileii,  wo,  wie  bei  Hnrnrulir,  Krebs.  Scorbul, 
Festes  und  Flüssiges  zusammenwirken  (als  ob  dies  nicht  immer  der 
Fall  wäre).  Audi  sollen  Gicht,  Rheumatismus,  Rhachitis,  Gallenfieher 
nicht  zu  den  Säflekrankheiten  gehören,  —  ein  Standpunct,  der  eben 
niciil  auf  eine  liber  der  Zeit  stehende  Höhe  hinweist.  Als  später  die 
Nalurphilosopiiic  auch  auf  ihn  ihren  Eiufluss  äusserte,  beleuchtete  er 
zunächst  in  einer  gedrängten  Beurtheilung  -*')  die  dreierlei  Systeme: 
l)  Popularphilosophie,  ^  Kant 'sehe  Philosophie  (Röschlaub), 
3)  transscendenlalen  Idealismus,  fasst  dann  die  materialislisclien  An- 
sichten (von  Girtanner,  Brandis,  Ackermann,  Darwin, 
Frank  jun.,  Marcus),  die  Ideen  von  Leibnifz,  Uiizer, 
Fla  In  er,  besonders  von  Reil,  Sehe  Hing,  Röschlaub  über 
Organisation  (letztere  seien  zu  mechanisch),  die  Einseiligkeiien  der 
chemischen  Physiologie  (Reil,  la  Metlierie,  Fourcroy)  und 
die  Systeme  der  Lebenskraft  (Platner,  Schaeffer,  Brown, 
Röschlaub  u.  s.  w.)  näher  ins  Auge  und  bleibt  zulelzt  auf  dem 
Röschlaub-S  chelling'schen  Standpuncle  stehen,  auf  welchem 
auch  noch  das  Archiv  für  die  Theorie  der  Heilkunde  von  J.  D  ö  m  1 1  n  g 
und  J.  Horsch^*^)  (1804)  (über  Letztern  s.  unten)  sich  be- 
findet. Zuletzt  aber  ging  er,  wie  schon  in  seinem  Lehrbuch  der 
Physiologie  (1802)  ersichtlich,  ganz  zu  ScheUing  über.  Uebri- 
gens  äusserte  Röscblaub  sich  sehr  feindselig  gegen  ihn. 

Nur  eine  kurze  Zeit  gehörte  dieser  transilorischen  Richtung 
auch  J.  P.  v.  Tr  0  xl  er '•^*^)  an,  einer  der  thätigslen  und  geisireicbsten 
Naturphilosophen.  Weil  Hypersthenie  und  Asthenie  nach  ihm  nur 
bestimmte  Relationen  der  Factoren  des  Lebens  sind,  ohne  Krankheit 
begründen  zu  können,  hofft  er  die  Kluft  zwischen  diesen  Begriffen 
und  dem  der  Krankheit  auf  naf urphilosophischem  ^^  ege  auszufüllen. 
Noch  deutlicher  geht  dieses  Bestreben  aus  seinem  von  Röschlaub 
angefochtenen  Versuche  aus  der  organischen  Physik  ^^^)  (1804)  hervor. 

In  der  letzten  Zeit  suchten  endlich  Burdach  und  Grossi 
noch  einmal  die  bereits  ziemlich  verschollene  Erregungstheorie  durch 
die  Weihe  der  Naturphilosophie  aus  dem  Todesschlummer  zu  er- 
wecken, und  zwar  K.  F.  Burdach -^^),  als  Professor  zu  Leipzig, 
indem  er  in  der  Hauptsache  Brown'sche  und  naturphilosophische  An- 
sichten aufstellt,  insbesondere  aber  dynamische  und  chemisch -ma- 
terielle, humoral-  und  solidarpathologische  Lehren  vereinigt ,  in  der 
Aetiologie ,  Symptomatologie  und  allgemeinen  Nosologie  sich  an 
Gaub,   in  der  Pathogenie  vorzüglich  an  Röschlaub  anlehnt.   Er-' 

15* 


228 

regbarkeit,  Reizbarkeit,  Bildung,  Sensibilität,  Irritabilität,  Bestand- 
tlieile  (Miscbung)  und  Form  logisch  und  physiologisch  anordnet  *). 
E.  Gr ossi  ^^'^),  Medicinalralh  in  München,  nähert  sich,  trotz  sei- 
ner Annahme  von  Emplanglichkeit  und  Wirkungsvermögen  und  der 
damit  verbundenen  naturphilosophischen  Theorie  im  richtigen 
Eklekticismus  und  in  wahrer  philosophischer  Entwickelung  der  Be- 
griffe der  Jetztzeit  weit  mehr,  als  jenen  systemholden  Zeilen. 
Auch  diese  Periode  der  Erregungstheorie  hat  endlich  in  einem  Wur- 
zener  Arzte,  B.  La  übender  ^^^),  ebenso  wie  der  frühere  Brownia- 
nismus  nach  Deho  in  G.  v.  Schallern  (Versuche  über  die  reizend 
stärkende  Kurmethode ,  als  die  durch  Erfahrung  bestätigte  einzige 
Ileilart  gegen  die  Viehpest ,  in  Hufeland's  Journal  III.  Bd.  S.  576 
—  58l),  einen  Repräsentanten  für  die  Thierheilkunde  gefunden.  Er 
wandte  diese  Modification  mit  Geist  und  Gewandtheit  auf  besagten 
Zweig  an,  entfernte  sich  aber  bereits  in  dem  letzten  Bande  schon 
sehr  von  Brown. 

Anhangsweise ,  weil  hier  nur  in  einiger  Beziehung  die  Natur- 
philosophie berührt  wird ,  fügen  wir  schliesslich  hinzu :  F.  G. 
Wetzel's  Briefe  über  Brown's  System  der  Heilkunde  ^^*) 
(1806),  in  welchen  Erregbarkeit  als  Princip  verworfen,  Brown 
von  den  Brownianern  getrennt,  aber  ebenso  oft  gelobt  als  ge- 
tadelt wird.  Ueberhaupt  ist  Brown  eigentlich  nur  der  Faden  für 
die  an  Görres  erinnernden  mythischen  Offenbarungen,  Träumereien, 
elektrischen  Verstandesblilze  und  geistreich  phantastischen  Re- 
flexionen des  Verfassers,  welche  ein  unbekannter  Kritiker  sehr  rich- 
tig „eine  medicinische  Novelle"  nennt.  Seine  Ideen  sind  lebendig, 
aber  unklar  und  herumschwirrend,  seine  Beweise  nicht  wissenschaft- 
lich streng,  viele  Behauptungen  grundlos,  hypothetisch,  luftig  bis 
zum  Schwindelerregen;  viel  Geist  und  Poesie,  aber  desto  weniger 
Erfahrung,  an  deren  Stelle  platonische,  paracelsische  und  andere 
naturphilosophische  Analogieen  und  Bilder  treten ,  so  eigentlich  mehr 
ein  ästhetisches  als  wissenschaftliches  Interesse  gewährend. 

c)     Anhänger    der    Erregungstheorie    mit    eklektischer 
Nebenannahme   verschiedener   Ansichten. 

Hätte  der  Eklekticisnuis  bei  dieser  letzten  Classe  wie  bei  den 
sogleich  zu  betrachtenden  Gegnern  vom  eklektischen  Standpuncte 
darin  bestanden,    das  wahrhaft  Brauchbare  aus  den  Brown'schen 


*)  Ueber  eine  andere  Schrift  desselben  Verfassers  s.  weiter  unten. 


229 

Salzungen  hervorzuheben  und  dem  übrigen  aus  andern  Systemen 
Verwendbaren  einzuverleiben,  so  wäre  diese  Richtung  unstreitig  die 
allein  zu  billigende  und  ruhmvollste  gewesen.  Wir  haben  es  aber 
hier  leider  nur  mit  Solchen  zu  tliun ,  die  ohne  tiefere  kritische  Rich- 
tung eben  Alles  aufnahmen,  was  hier  geboten  wurde,  und  so  zu 
gleicher  Zeit  die  heterogensten  Meinungen  adoplirten  und  in  ziem- 
licher Zwanglosigkeit  neben  einander  bestehen  Hessen,  unbekümmert, 
ob  das,  was  sie  aufnahmen,  der  Verlheidigung  werth  war  oder 
ihren  übrigen  Annahmen  entsprach.  Es  kann  also  hier  von  einem 
rationellen  Eklekticismus  nicht  die  Rede  sein  und  ein  histori- 
sches Interesse  um  so  weniger  in  Anspruch  genommen  werden,  als 
zu  diesem  Standpuncte  w'eder  irgend  ein  Mulh  der  Partbei,  noch 
irgend  eine  Aufopferung  oder  selbstständige  Reflexion  nölhig  war. 
Es  Avürde  sich  hiernach  das  Vcrhältniss  dieser  Abtheilung  der  An- 
hänger zu  den  übrigen  so  gestalten,  dass,  während  die  sub  2.  a)  er- 
wähnten Brownianer  dem  System  im  Allgemeinsten  huldigten  und  nur 
besondere  Modificationen  im  Einzelnen  anbrachten,  während  ferner 
die  sub  2.  b)  gedachten  Combinisten  durch  Vermittelung  das  Feh- 
lende zu  ergänzen,  neben  dem  Brownianismus  noch  eine  bestimmte 
Richtung  aufrecht  zu  erhallen  suchten,  dass,  sagen  wir,  die 
jetzt  zu  betrachtende  Classe  ebenfalls  in  der  Hauptsache  Brown 
oder  Rösch laub  folgte,  aber  nebenbei  untermischt  Alles  damit 
verschmolz,  was  nur  irgend  auftauchte.  Diese  vorzugsweise 
Beachtung  der  Erregungslheorie  muss  hier  festgehalten  werden,  weil 
man  sonst  leicht  in  Verwechselung  mit  dem  bessern  Eklekticismus 
alle  Die  mitverstehen  würde,  welche  einzelnes  Vorzügliches  aus 
dieser  neueren  Lehre  in  den  allgemeinen  Verband  der  "Wissenschaft 
aufnahmen.  Dass  die  Zahl  dieser  Letzteren  sehr  bedeutend  ist, 
lässt  sich  erwarten ;  sie  aufzuführen  w  äre  nur  Zeitverschwendung. 
Wir  wollen  aber  auch  im  Folgenden  kurz  sein. 

Das  oben  geschilderte  Juste-milieu ,  implicite  schon  bei 
vielen  Andern  zu  errathen ,  wird  deutlicher  sichtbar  bei  F.  A. 
Weber^öö)^  G.  F.  Geier^^^),  J.  Val.  Müller  ^57)  „„^  An- 
dern. —  G.  W.  Block -^^)  folgte  Hufeland's  Beispiel,  aber 
nicht  mit  Glück,  verflocht  Brown'sche  Ideen  mit  Ansichten  von 
Ritter  und  Reil,  huldigte  zugleich  dem  Dynamisnuis  und  Materia- 
lismus ohne  Neuheit  und  Originalität,  nicht  ohne  Widersprüche  und 
Inconsequenzen.  —  C.  Schöne  *^^^)  war  ein  Nachfolger  von 
Rösch  laub,  Hufeland,   Reil,  Frank,  Hecker,  Cappel  und 


230 

Andern.  —  F.  L.  Aiigustin  ^^^)  Hess  in  ziemlich  bunter  Abwechse- 
lung Brown,  Röschiaub,  Reil,  die  ältere  3Iedicin  und  die  Na- 
turphilosophie vorüberziehen.  Interessant  ist  die  Behauptung  in  der 
Zeitschiift  „Aeskulap"  (1803),  dass  er,  durch  Brown  auf  den  Unter- 
schied zwischen  allgemeinen  und  örtlichen  Krankheiten  geführt,  alle 
Krankheilen  für  ursprünglich  local  halte.  —  Die  besste  Absicht  hat 
der  anonyme  Verfasser  der  Schrift:  Recepte  und  Kurarten  u. s.w.^^^) 
(1808  u.  1809),  indem  er  die  Beobachtung  der  Speculation  vorzieht, 
zugleich  auf  chemische  und  dynamische  Verhältnisse  (Mischung  und 
Kraft)  Rücksicht  nimmt.  —  Wie  allgemein  herrschend  aber  das 
Nebenelement  der  Quantität  auf  die  Betrachtung  der  Krankheiten  ein- 
gewirkt hatte,  zeigt  C.  C.  F.  Jaeger  -^^),  der  in  seiner  Abhandlung 
über  Schwäche,  welcher  die  Akademie  der  Naturforscher  neben  der 
von  Gutfeldt  das  Accessit  eines  darauf  gestellten  Preises  zuerkannt 
halle,  Stärke  und  Schwäche  als  gradative  Verschiedenheiten  der  Qua- 
litäten des  Organismus  ausführlich  beleuchtet. 

Der  Verfasser  der  Abhandlung  in  Coli  e  nbus  ob's  Rathgeber 
für  alle  Stände  (Gotha,  Jahrgang  1800):  Was  hat  das  Publicum  von 
dem  Brown'schen  neuen  Systeme  der  Heilkunde  zu  erwarten?  gehört 
ebenfalls  zu  dieser  Rubrik ,  mit  welcher  wir  von  den  Anhängern  des 
schottisch -deutschen  Systems  Abschied  nehmen,  um  die  direclen 
Gründe  des  Untergangs  desselben  in  den  folgenden  Zeilen  ausführ- 
licher zu  entwickeln. 

III.      Gegner   der  Erregungßtheorie. 

Wenn  die  Anbänger  Brown's  und  Rösch laub's  auf 
negative  Weise  die  Erregungstheorie  stürzten,  indem  sie  so  vie- 
lerlei Abänderungen ,  Combinationen  und  Uebergänge  schufen,  dass 
von  der  alten  Originalität  und  Selbstständigkeit  nichts  mehr  übrig 
blieb,  so  bewirkten  dies  die  Gegner  auf  positive  Weise.  In 
der  Geschichte  beide/  "Partheien  herrscht  aber  insofern  eine  gewisse 
Analogie,  als  das  Ende  hier  wie  dort  auf  eine  zweifache  Weise  her- 
beigeführt wurde,  entweder  durch  Hinweiss  auf  die  älteren  Satzungen 
oder  durch  Forlbildung  der  Wissenschaft  auf  theoretischem  und 
practischem  \^'ege.  Eine  fernere  Aehnlichkeit  herrscht  auf  beiden 
Seilen  in  Bezug  auf  den  Antheil,  der  oft  nur  ein  partieller  war, 
dort  nicht  Alles  annahm,  hier  nicht  Alles  ausschloss;  in  Bezug  auf 
den  Standpunct,    der  hier  wie  dort   bald    mehr  allgemein    philo- 


231 

eophisch,  bald  mehr  speciell  medicinisch,  bald  mehr  theoretisch,  bald 
mehr   praclisch,    bald  ohne    bestimmten  Ausgangspuntf ,    bald  durch 
eine     fehlende    Richtung;     bedingt     humoralpalholojrisch,     materiell 
überhaupt,    naturphilosophisch,    eklektisch    uar;    endlich    in    ßezug 
auf  die  Art  des  Auftretens,    welches  bald   olTen,    bald  versteck!, 
mehr  oder  weniger  ■wissenschattlicli,    feindselig,   ja  persönlich  war. 
Diese  Uebereinstimmung  in  Zweck  und  Art    führte  endlich  zu  einer 
Aussöhnung  der  Pariheien,    da  beide    zu  sühnen  halten,    eben  weil 
sie  PartlTeien  waren.      Denn  hciss  war  der  Kampf  und  allgemein  die 
Theilnahme  und   daher    kam  die  fruchtbringende  Anregung  für  die 
Wissenschaft,  dass  Neulralität  verpönt  war,  dass  wer  schwieg,  darum 
nicht  indifferent  blieb.      Doch  zeigt  schon  meist  die  Art  des  Kami)fes, 
auf  wessen  Seite  das  Beeilt  stand ,    wie  dies  z.  B.  bei  Ilufeland  und 
Röschlaub,    der  erst   spät    sein  Unrecht  erkannte,    der  Fall  war. 
Im  Allgemeinen  war  die  Polemik  der  Gegner  der  Erregungstheorie 
ruhiger,  überlegter,    überhaupt  wissenschaftlicher,   während  die  er- 
hitzten Anhänger  derselben  das  durch  Heftigkeit  und  Feindseligkeit 
zu  ersetzen  suchten,  was  ihnen  an  Gewichtigkeit  der  Gründe  abging. 
Da  sie  den  Tadel  nicht  vertrugen,  so  forderten  sie  selbst  heraus,  bis 
ihr  Stolz  geknickt  war,  bis  die  Schaar  sich  in  mehrere  Theile  spaltete 
und  bis  beide  Pariheien  auf  ihrem  ^^  ege  zur  Wahrheit  sich  einander 
näher  rückten.      Aber  wie  ehrenvoll  auch  das  Benehmen  der  Gegner, 
welche  Hohn  und  Triumphesruf  beim  endlichen  Siege  verschmähten, 
erscheinen  mag,   so  hat  daran  doch  das  allmählige  Nachlassen  des 
Kampfes  und  das  Bewussfsein,  auch  ihrerseits  gefehlt  zu  haben, 
gewiss  einen  nicht  geringen  Antheil  gehabt.      Als  nun  endlich  das 
Ungewitter  sich  aufliellte,  der  dichte  Wolkenschleier  sich  lüftete,  be- 
gannen schon  die  Keime  sichtbar  zu  werden,  welche  in  dem  neube- 
ginnenden,  vollends  von  der  Erregungstheorie  ablenkenden  Streite 
der  Naturphilosophen   und  ihrer  Gegner  einer    grösseren  Reife  ent- 
gegengetührt  wurden. 

Wir  können  bei  dieser  Abtheilung  unserer  Geschichte  um  so 
kürzer  sein,  als  man  von  uns  einerseits  nicht  verlangen  wird,  dass 
wir  Diejenigen,  welche  sich  jemals  gelegentlich  gegen  den 
ßrownianismus  ausgesprochen  haben  (und  die  Anzahl  derselben  ist 
nicht  gering),  namentlich  auffuhren  sollen  und  als  wir  andererseits 
bereits  in  unsern  Kritiken  des  Brownschen  Systems  und  der  Er- 
regungstheorie wie  im  Verlaufe  der  Geschichtsdarstellung  selbst  die 
wichtigsten  Gründe,    welche  gegen  das  System   vorzubringen  sind. 


232 

angegeben  zu  haben   glauben.      Daher  dürfte   hier  eine  kurze  Cha- 
racterislik  genügen. 

Einige  gelegentliche  Kritiken,  welche  öfters  erwähnt  wer- 
den, dürfen  jedoch  nicht  übergangen  werden.  Sie  sind  enthalten  in : 
.1.  D.  Melber,  de  febre  putrida.  Jenae  1794.  (gut);  U.  G.  Blaese, 
de  virtutibus  opii  medicinalibus  secundum  systema  Brunonis  dubiis  et 
male  fundatis.  Jenae  1795.  (Opium  nicht  reizend);  Mezler,  Be- 
merkungen über  die  Vielipest.  Ulm  1798;  Chr.  Mayr,  Dispensa- 
torium universale.  Wien  1798;  in  der  anonymen  Grundlage  zu  einer 
künftigen  Zoonomie  mit  Vorrede  von  Hufeland.  Jena  1798.  8.  (So- 
jhismen);  J.  F.  Lentin,  medicinische  Bemerkungen  auf  einer  litera- 
rischen Reise  durch  Deutschland.  In  Briefen.  Berlin  1800.  (überzeugte 
sich  von  den  practischen  Missgriffen  der  Brownianer  in  Würzburg 
und  Bamberg  bei  Thomann  und  Marcus);  C.  Ch.  Er  h.  S  chmid, 
Physiologie,  philosophisch  bearbeitet.  3  Bde.  Jena  1801.  (sehr  gute 
Widerlegung  einzelner  Sätze;  gab  auch  eine  milde  und  edle  Erklä- 
rung gegen  Röschlaub's  persönliche  Angriffe  in  der  Salzburger 
Zeitung  No.  65.  1799.  Bd.  3.).  Aehnliches  findet  sich  bei  J,  G. 
Rademac  her,  Beschreibung  einer  neuern  Heilart  der  Nervenfieber. 
Berlin  1803.  8.  (nicht  ohne  überzeugende  Kraft  und  Scharfsinn); 
C.  Eberh.  Schelling  (des  Naturphilosophen  Bruder),  Cogitata 
nonnuUa  de  idea  vitae  hujusque  formis  praecipuis,  Tubingae  1803.  8.; 
C.  F.  Becker,  Abhandlung  von  den  Wirkungen  der  äussern  Wärme 
und  Kälte  auf  den  lebenden  menschlichen  Körper.  Eine  gekrönte 
Preisschrift.  Göttingen  1804;  Briefe  über  das  Studium  der  Medicin. 
Leipzig  1805.  (verwirft  Brown's  Theorie,  hält  sie  aber  doch  noch 
t'.ir  besser  als  die  der  meisten  Physiologen);  B.  W.  Seiler,  Progr. 
de  necessitate  magnae  in  medicaminum  usu  copiae.  Vitenb.  1805; 
G.  C.  Reich,  Erläuterung  der  Fieberlehre.  2ter  Bd.  Berlin  1806.  (ziem- 
lich unphilosophisch);  S.  Geiger,  über  die  Gemeinnützigkeit  der 
Heilkunst  als  Bedingniss  ihrer  Ausübung  samnit  einer  Betrachtung  des 
Einflusses  der  Brown'schen  Heiltheorie  auf  die  practische  Heilkunst. 
Ulm  1814.  8.  Vielleicht  gehört  auch  Lieb  seh  ,  Babel  in  der  neuern 
Heilkunde,  I.Heft.  Göttingen  1803.  8.  hieher.  (War  nicht  zu  erlangen.) 

Unter  den  Kritikern ,  welche  sich  im  Besondern  mit  der  Er- 
regungstheorie beschäftigten,  unterscheiden  wir  zuerst  Solche ,  die 
weder  durch  ihre  Autorität  (denn  auch  diese  gilt  im  Partheien- 
kampfe), noch  durch  ihre  Gründe  Eindruck  machten,  insofern  sie  diese 
meist  von  Andern  entlehnten.      Wir  bezeichnen  sie  desshalb  als 


253 


l)     Gegner   ohne   selbstständige   Haltung. 

Die  unbedeutendsten  darunter  sind:  C.  A.  Kisling^^'), 
Job.  Lang  -^*)  (er  vergleicht  Brown  mit  den  Jacobinern,  seine 
Hypothese  sei  auf  Licht-  und  Feuerstoff  gegründet;  —  schreibt  nicht 
einmal  orthographisch;  —  rief  eine  Rechtfertigungsschrift  hervor,  s. 
Werne r's  Apologie);  F.  J.  Schellenberg -^^).  Mehr  An- 
spruch auf  Geltung  machen:    G ,    Bemerkungen  über  die  Brown'- 

sche  Praxis.  1796.  (s.  Ilecker's  Journal  St.  23.  1797.);  D. ,  Frei- 
müthige  Briefe  über  das  Brownisch- Weikard'sche  System,  von  einem 
jungen  Arzte  in  \V. ,  in  v.  Eicken's  Sammlung  interessanter  Auf- 
sätze ,  1.  Bd.  Elberfeld  1797.  (zum  Theil  ungerecht) ;  ein  sehr  feind- 
seliger Anonymus -^^)  über  das  Brown'sche  System;  Lech- 
ler ^^^)  (gegen  mehrere  von  Röschlaub  bereits  zurückgenommene 
Sätze.  Es  heisst  hier  von  dem  neuen  System:  Desinit  in  piscem 
mulier  formosa  superne);  A.  W.  R.  H  ey  denr  ei  ch  ^*^^);  H.  Car- 
ger^^^);  J.  C.  Ürtlepp270).  j.  j.  Schmidt  ^'i)  behandelt  die 
Frage,  ob  Brown's  Grundsätze  als  ein  System  angewendet  werden 
können,  faselt  über  Brown's  Genie  u.  s.  w. ,  das  er  lobt,  will  aber 
seine  Grundsätze  ihrer  Gefährlichkeit  wegen  der  medicinischen  Po- 
lizei unterwerfen.  J.  Ulrich  ^^-)  widerlegt  den  Fundamentaltheil 
und  einige  practische  Folgerungen.  G.  E.  K  let  t  e  n  ■^ '  ^),  in  der 
Hauptsache  Stollianer,  ein  unerbittlicher,  sehr  feindseliger,  aber  kei- 
neswegs origineller  Gegner ,  behauptet,  Röschlaub  habe  blos  den 
BegritT  der  Elasticität  statt  eines  Lebensprincips  gegeben.  Die  mei- 
sten Anhänger  Brown's  fand  er  im  Würzburgischen,  Bambergischen, 
Salzburgischen  und  in  Jena.  —  Hieher  gehören  ferner:  Anonyme 
Fragmente  eines  Briefwechsels  u.  s.  w.  ^'*);  Medicinalrath  Schu- 
bauer's  in  München,  nicht  ohne  Scharfsinn  verfasster,  aber  mehr 
Persiflage  als  Gründe  enthaltender  ,,Antiröschlaub"  ^"^);  M.  E.  C.  F. 
Richtsteig^'^)  (ebenfalls  gegen  Rösch  laub);  M  ende  in  Greifs- 
walde, über  Brown's  Erklärung,  betreffend  die  Entstehung  der  Ent- 
zündung bei  allgemeinem  Leiden  des  Organismus,  und:  über  die  Basis 
der  Brown'schen  Erregungslheorie,  inAugustin's  Aeskulap  St.  2. 
1804.  (sie  stehe  mit  der  Einheit  der  Natur  im  Widerspruch);  Grund- 
mann, einige  Ideen,  den  Brownianismus  betreffend ,  inMursinna's 
Journal  für  Chirurgie,  1.  Bd.  3.  St.  1805.  (sehr  unbedeutend);  ferner 
von  Demselben:  noch  ein  paar  Worte  u.  s.  w. ,  ebendaselbst  2.  Bd. 
3.  St.  (besser,  aber  zu  spät).      H.  G.  Spie  ring  ^'^)  gab  einen  Aus- 


234 

Zug  aus  Brown,  nebst  allen  Gründen  für  und  wider;  die  letzteren 
nimmt  er  selbst  an.  Jm Jahre  1810  nocli  erscliien  anonym  eine  hieher 
gehörige  Sammlung  von  Bemerkungen  über  die  Brown'sche  Irr- 
lehre '^^^).  Trotz  grossen  Fleisses  und  Belesenheit  muss  auch 
Ch.  W.  Schmid^^^)  in  dieser  Abtheilung  Platz  finden,  da  seine 
Gründe  meist  denen  des  Vorredners  C.  Cl).  Erh.  Schmidt  ähneln 
und  nicht  schlagend  genug  sind,  um  ihn  den  Besseren  anzureihen. 
Der  Verfasser  führt  einen  physischen  Beweis  von  der  Nichfexisfenz 
sthenischer  Krankheiten  (Sthenie  ist  nicht  Krankheit),  einen  sympto- 
matischen (es  giebt  keine  Sthenie  ohne  Symptome  von  Asthenie), 
einen  ätiologischen  (schwächende  Potenzen  erzeugen  sthenische, 
reizende  auch  asthenische  Zustände) ,  einen  therapeutischen  (keine 
allgemeine  Krankheit  werde  o'ine  Reizmittel  gehoben  —  sie!  — , 
es  gäbe  keine  eigentlich  schwächenden  Mittel  u.  s.  w.  Positive 
Reize  wie  das  Blut  können  gar  nicht  vermieden  werden).  Was  aus 
solchen  Gründen  fiir  „Resultate"  hervorgehen,  ist  leicht  ersichtlich. 
—  Die  letzte  hier  zu  erwähnende  Schrift  endlich  ist  die  im  Jahre 
1816  erschienene  von  G.  Chr.  Eysser  ^^'^),  über  Asthenie  und 
Hypersthenie.  Cramp,  Hebammenmeister  und  Physikus  zu  Meisen- 
heim ,  J.  C.  F.  Bährens,  Schmidtmann,  Molitor,  Ensler 
(Animadversiones  etc.  Regiom.  1799.)  u.  A.  können  fjglich  über- 
gangen werden,  da  man  von  ihnen  nur  überhaupt  Aveiss,  dass  sie 
Antibrownianer  waren. 

2)  Gegner  mit  selbstständiger  Haltung. 
a)  Gegner  vom  Standjyunct  besonderer  Systeme. 
Eine  grosse  Anzahl  derselben  entspricht  der  Reihe  der  Com- 
bi nisten  unter  den  Anhängern,  insofern  diese  ihre  Gegengründe, 
wie  Jene  die  Veranlassung  zur  Combination ,  gerade  von  einer 
besondern  fehlenden  Richtung  entnahmen.  Wir  unterscheiden  dem- 
nach auch  hier  nach  den  verschiedenen  Ausgangspuncten  der  Kritik 
dreierlei  Standpuncte  und  zwar  zunächst 

a.  Gegner  vom  Standpunct  der  Humoralpathologie. 
Da  diese  Kritiker  ihre  Gründe,  auf  deren  nähere  Beleuchtung  wir 
bei  bereits  sattsam  gegebenen  Beurtheilungen  nicht  einzugehen  brau- 
chen, hauptsächlich,  wie  sich  von  selbst  versteht,  von  Vernachlässigung 
der  Säfte  bei  Brown  hernahmen,  selbst  aber  gewissermasen  nur  eine 
einseitige  Stellung  behaupten  und  das  System  nicht  in  seiner  Totalität 


235 

widerlegten,  so  konnlen  auch  sie  nur  einen  untergeordneten  Einfluss 
auf  den  Untergang  des  Systems  üben.  Unter  diesen  gab  W.  A. 
Stütz  eine  gute  Kritik  ■^^'),  wobei  er  Brown  zugleich  von  dem 
Vorwurfe  reinigt,  als-sei  er  nur  ein  Nachfolger  der  Methodiker.  Er 
will  zwar  diese  Theorie  niciit  als  System  gellen  lassen,  holTt  aber 
doch  eine  „major  mediuinalis  scientiae  ccrlitudo"  davon.  Ch.  G.  G  ru- 
ner ^^'^)  erklärt  das  System  für  unhaltbar,  weil  die  Basis  nur  halb- 
wahr, der  logische  BegrilT  ziemlich  unbestimmt,  die  Folgerung  zu 
weit  ausgedehnt  sei  u.  s.  w,  —  Dagegen  erkennt  A.  Trenker  ^®'), 
welcher  die  Nerven-  und  Humoralpalliologie  vereinigen  wollte,  zwar 
die  Fundamentalsätze  als  richtig  an ,  aber  bestreitet  alle  Consequenzen 
als  der  kritischen  Philosophie,  der  Vernunft  und  Erfahrung  wider- 
streitend. Solcher  Consequenzen  zählt  er  21  auf,  statuirt  nebenbei 
eine  Schwäche  der  Ueizfähigkeit  und  Lebenskraft,  deren  Wesen  nicht 
gehörig  assimilirte  Stoffe  seien,  kämpft  mit  Gaub  für  das  Belebtsein 
des  Blnles  und  dieEvisfenz  primärer  Säftekranklieiten,  mit  Hufeland 
für  die  in  modo  veränderte  Reaction  u.  s.  w.  ohne  etwas  Neues,  Posi- 
tiveres für  seine  Negation  zu  geben.  Am  wenigsten  aber  gelingt  es 
ihm,  eine  rationelle  Vereinigung  der  Humoral-  und  Nervenpathologie 
zu  begründen.  —  Hierher  gehören  ebenfalls  W.  L.  Becker^^*), 
H.  31.  Marcard  in  seinem  feindseligen  Aufsatz  über  die  Brown'sche 
Irrlehre.  Hannoversches  Magazin  (Stück  32  ff.,  Jahrg.  1802),  und  im 
neuen  deutschen  Merkur  (Jahrg.  1801) :  ,,Die  neue  Philosophie  in  der 
Medicin,''  endlich  G.  v.  W  e  d  cki  n  d'^^^),  der  auch  schon  in  Rösch- 
laubs  Magazin  (IV.  St.  2.  u.  VII.  St.  2.)  sich  theilweiss  gegen  Brown 
erklärt  und  zuletzt  in  seiner  Schrift  über  den  AVer th  der  Heilkunde 
(Darmstadt  1812)  ganz  den  C.  L.  H  of  fmann'schen  Standpunct  ein- 
nimmt. 

ß.  Vom  Standpunct  der  Reirschen  Theorie. 
Streng  genommen  gehört  hierher  nur  eine,  aber  sehr  scharfsin- 
nige Kritik  von  dem  oben  bereits  erwähnten  C.  A.  Wilmans^^^)  in 
Reil's  Archiv  für  Physiologie.  Brown  erfüllt  ihm  nämlich  nur  eine 
Bedingung ,  die  Feststellung  des  Verhältnisses  der  Aussendinge,  ohne 
auf  die  andere  zum  Leben  nötbige ,  die  der  Organisation  (Materie), 
Rücksicht  zu  nehmen.  Der  Körper  sei  mit  einem  zu  ihm  selbst  rela- 
tiven Aussendinge,  der  Erregbarkeit,  wie  mit  einer  Sauce  übergössen 
und  diese  wie  die  absoluten  Aussendinge  vollbringen  das  Leben. 
Dieses  bleibe  aber  unerklärt,  da  erstere  nur  wie  ein  deus  ex  machina 
zwischen  dem  Körper  und  der  Welt  in  die  Mitte  geschoben  sei.    Den- 


236 

noch  seien  die  Folgerungen  materialiter  oft  richtig.  Brown' s 
Pathologie  sei  nur  eine  Pathologie  der  Gattungen  und  nur  des 
Grössenverhältnisses  der  Reizung;  seine  Therapie  habe  die  Verän- 
derungen des  inneren  Zustandes  des  Körpers  übergangen.  Der 
Verfasser  glaubt  die  Entstehung  dieses  Systems  aus  einem  Versuch, 
die  CuUen'sche  Nervenpathologie  zu  stürzen,  ableiten  zn  können,  die 
Reizung  aber  hält  er  für  nichts  Höheres,  als  für  eine  der  fünfzig 
Schärfen  der  alten  Hiimoralpathologie,  denn  Reizung  ist  das  Subject, 
der  Körper  blosses  Object  derselben;  der  Begriff  Erregbarkeit  sei 
demnach  ganz  überflüssig.  Die  Behauptung  :  der  Begriff  der  Slhenie 
und  Asthenie  sei  praclisch  (therapeutisch)  unbrauchbar,  scheint  die 
obenerwähnte  desselben  Verfassers,  wo  er  die  Praxis  Brown's 
lobt ,  zu  widerlegen. 

Gewissermaassen  können  wir  auch  Alexander  v.  Hum- 
boldt's^^^)  Beurllieilung  hierher  rechnen,  da  sie  den  Hauptfehler 
Brown's  in  der  Nichtachtung  der  chemischen  Verhältnisse  der  orga- 
nischen Materie,  in  der  hyperphysischen  Behandlung  eines  physischen 
Gegenstandes  sieht  und  die  Grundzüge  eines  vitalen  Chemismus  ent- 
hält, der  der  R  eil"  sehen  Ansicht  näher  steht ,  als  der  späteren  na- 
turphilosophischen. Diese  Kritik  ist  um  so  beachlenswerther,  als  sie 
gegen  einige  der  wichtigsten  Brown'schen  physiologischen  und 
practischen  Sätze  gerichtet  ist  und  Kraft  und  \yürde  vereint. 

K.J. Windischmann's  Aufsatz  in  Ilufeland's  Journal (XIH. 
1.  S.9.):  über  die  gegenwärtige  Lage  der  Heilkunde  und  den  Weg  zu 
ihrer  festeren  Begründung  schliesst  sich  diesen  Bestrebungen  an. 

Wenn  aber  schon  die  friedliche  Verbindung  der  Erregungs- 
theorie mit  der  Naturphilosophie  den  Anfang  vom  Ende  jener  bil- 
dete, sie  um  ihren  wahren  Werlh  betrog  nnd  ihr  nicb.ts  als  einen  in 
den  Lüften  flatternden  Namen  Hess  (indem  bei  blos  äusserlichenBerüh- 
rungspuncten  beide  Richtungen  zu  verschieden  waren,  um  sich  nicht 
mit  der  Weiterentwicklung  der  Naturphilosophie  gegenseitig  auszu- 
schliessen),   so  war  das  Auftreten  der  wirklichen 

y.     Gegner  vom  Standpunct  der  Naturphilosophie 
nur  um  so  gefährlicher,  je  leichter  es  diesen  wurde,  den  Rest  des 
Bodens,  aufweichen  sich  die  Erregungstheorie  in  grösster  Verzweif- 
lung noch  geflüchtet  hatte,  ihr  zu  entziehen,  den  gültigen  Folgerun- 
gen eine  andere  Basis  zu  geben  nnd  sie  in  eine  ganz  verschiedene 

So  wurden  mit  der  gänzlichen  Umarbei- 


237 

tung  des  Feldes  der  Wissenschaft,  wozu  allerdings  die  Erregungs- 
theorie den  nächsten  Anstoss  gegeben  hatte,  aus  den  früheren  Anhän- 
gern zulelzt  olTene  Gegner,  die  um  ihrer  eigenen  Selbstständigkeit 
und  Uniii)hängigkeit  Ovulen  bei  gereifteren  Ansichten  um  so  entschie- 
dener auftraten  und  in  der  philosophischen  Deduction  nicht  unbedeu- 
tende Hülfsiruppen  zur  Widerlegung  fanden.  Wir  haben  hier  zwar 
vorzugsweise  S  c  h  el  1  ing  im  Auge,  dürfen  aber  auch  Andere  nicht 
übergehen,  die  zu  derselben  Fahne  geschworen  hatten' ).  Wir  er- 
wähnen hier:  Hege  wisch  in  Kiel,  der  die  aslhenisirende  Methode 
in  asthenischen  Krankheiten  in  H  orn's  neuem  Archiv  IV.  1.  (1806)  in 
einem  Aufsalze  über  die  Heilkraft  der  Natur  verlheidigl,  Krankheit  als 
ungleiohniässig  ausgegossene  Incilation  und  dadurcii  gesetzte  Dishar- 
monie der  Functionen  definirt,  Charakler  und  Form  derselben  unter- 
scheidet und  nach  dem  absoluten  oder  relativen  Ueberwiegen  der 
Facloren  Synocha,  Torpor,  Paralyse  annimmt,  drei  Unformen  der 
Krankheit:  Krampf,  Fieber,  Entzündung,  als  Leiden  der  sensiblen,  irri- 
tablen und  reproductiven  Faser  aufstellt  und  die  Heilungsprozesse 
durch  Translocation,  Wachslhum  von  Intension  oder  Extension  im 
umgekehrten  Verhällniss,  wirken  lässt.  Er  sagt  sehr  richtig:  „Wer 
mit  den  einzigen  Begriffen  von  Sthenie  und  Asthenie  von  der  Akade- 
mie kommt,  gleicht  dem  Kinde,  das  im  ungewohnten  Besitz  einiger 
Schillinge  auf  den  Jahrmarkt  eilt  und  wähnt,  ihm  stehe  Alles  feil." 
Ferner  gehören  hierher:  W.  Werrlein-^^)  über  Incilation  (nach 
D  ö  11  i  n  g  e  r) ;  der  bereits  oben  erwähnte  P  h.  J.  H  o  r  s  c  h  ^^^)  ;  W  a  1  - 
ther-^°)  (chemischer  und  nalurphilosophischer  Standpunct).  — 

Eine  umfassendere  Kritik  gab  S.  B  r  ei  n  er  s  dor  f '-^l)  (vergl. 
Literatur  Nr.  92),  indem  er  von  ganz  theoretisch -speculativem 
Standpuncte  die  hauptsächlichsten  Gründe  der  Naturphilosophie 
zusammennahm.  Besonders  wird  der  Erregungstlieorie  Mangel 
an  Construclion  und  an  Deduction  aus  einem  höheren  Principe 
vorgeworfen  und  das  Tadelhafle  der  Therapie,  obgleich  sie  an  Con- 
sequenz  und  Technik  das  Beste  gebe,  diesem  Fehler  zugeschrieben. 
Die  Materia  medica  strotze  voll  Empirismus ,  und  nur  in  den  Fort- 
schritten der  speculaliven  Physik  sei  das  Heil  derselben  zu  finden. 
Wenn  in  einer  Wiederholung  dieser  Gedanken  in  einer  späteren 
Schrift  den  Priestern  mehr  vorgeworfen  wird,  als  dem  Systeme  selbst. 


♦)  Wie  man  Einige  unter  den  Combinisten  der  dritten  Art  be- 
dingterweise auch  hieher  rechnen  könnte,  ist  schon  oben  angedeutet 
worden. 


238 

so  weiss  man  nicht,  ob  man  nicht  aus  der  Scylla  in  die  Charybdis 
käme,  wenn  man  diesem  Priester,  dem  sein  Ideal  noch  gar  nicht  klar 
zu  sein  scheint,  zu  folgen  in  Versuchung  gefiihrt  würde. 

In  beslimmterer  Färbung  der  Naturphilosophie  erklärte  sich 
F.  J.  Schelver^^^)  in  seiner  Zeitschrift  für  organische  Physik  l.Bd. 
1.  St.  im  Jahre  1802.  Aber  erst  das  Jahr  1805  brachte  die  eigentliche 
Trennung  beider  Lehren  vollends  zu  Wege,  indem  Döllinger, 
0  k  e  n  ,  S  c  h  e  1 1  i  n  g  die  Waffen  der  Naturphilosophie  gegen  die  ehe- 
malige ßundesgenossin  kehrten;  zunächst  J.  D  ü  11  i  ng er ''^^^)  durch 
Annahme  der  mechanisch-dynamischen  Organisation,  der  Vitalität  der 
Säfte,  der  Identität  von  Leben  und  Organisation,  der  Zusammenge- 
setzlheit  der  Lebenskraft,  der  unmittelbaren  Erkrankungsfähigkeit  der 
Reproduclion  (bei  Schell  ing  producirt  das  Lebensprincip  die  Ma- 
terie, bei  Döllinger  nicht,  daher  primäre  Säftekrankheiten) ;  dann 
L.  Oken-^^),  der  die  stärkende  (reizende)  Praxis  „die  würgende" 
nannte ;  endlich  F.W.  J.  S  c  h  e  1 1  i  n  g ,  indem  er  die  Unmöglichkeit  eines 
längeren  Bestehens  der  Erregungstheorie  aussprach  und  ihren  Unter- 
gang wirklich  erzwang.  Seine  hauptsächlichsten  Einwürfe  ^^■'') 
(vergl.  Röschlaub's  Magazin  Bd.  IX,  S.  308  ff.  in  einem  Aufsatze 
von  S  chelling:  Vorläufige  Bezeichnung  des  Standpunctes  der  Me- 
dicin  nach  Grundsätzen  der  Naturphilosophie)  begründeten  sich  auf 
Folgendes,  woraus  wir  sogleich  seine  Abweichung  von  einer  früheren 
Periode  seiner  Entwicklung  erkennen  werden:  l)  Brown  habe  nur 
eine  Seite  ergriffen,  die  relative,  die  eines  Bestinmitwerdens  durch 
andere  Dinge;  er  habe  die  andere  Seite  unerörtert  gelassen,  wenn 
auch  nicht  ausgeschlossen.  2)  Die  Erregbarkeit  war  nur  erschlossen, 
nicht  an  sich  selbst  erkannt.  3)  Erregbarkeit  ist  nicht  das  Auszeich- 
nende des  Organismus.  4)  Die  Erregung  ist  blos  in  quantitativer 
Hinsicht  erfasst  worden.  ö)  Sthenie  und  Asthenie  können  nicht 
Krankheit  sein,  da  sie  nicht  Gegensätze  der  Gesundheit  sind.  6)  Dess- 
luilb  wurde  Stärke  in  Ueberstärke  verwandelt,  hatte  aber  auch 
Schwäche  Ueberschwäche  werden  müssen.  7)  Krankheit  sei  nicht 
blos  quantitativ;  Sthenie  und  Asthenie  seien  leere  Begriffe.  \^'enn 
diese  das  Wesen  der  Krankheit  ausmachen,  wie  könne  eine  Krankheit 
bald  sthenischer,  bald  asthenischer  Natur  sein?  8)  Die  Erregungsan- 
sicht muss  die  Metamorphose  als  unabhängig,  ursprünglich  und  we- 
sentlich anerkennen.  (Qualität;  Triplicität  der  Dimensionen).  9) Selbst 
in  der  neuen  Bearbeitung  der  Erregungstheorie  w  erde  noch  die  Erre- 
gung als  für  sich  bestehend  und  als  Mittelglied  der  Metamorphose  ge- 


239 

daclil.  lO)  Das  Quantitative  ist  blos  Accidens  der  Qualität.  Jede 
iiusscre  Einwirkung  macht  an  den  Organismus  im  Ganzen  und  Einzel- 
nen unmittelbar  die  Forderung  einer  bestimmten  Dimension.  11)  Das 
Quanlilalive  ist  nur  mittelbar  veränderlich.  12)  Wenn  die  äussere  Ein- 
wirkung unmittelbar  nur  die  Dimensionen  des  Organismus  affizirt,  so 
geschitlit  auch  jede  V'eränderung  des  Verhällnisses  der  Metamorphose 
ohne  Erregung,  man  niüssle  denn  unter  Erregung  jene  Hervorrufung 
der  Dimensionen  verstehen. 

Diese  Einwürfe,  welche  Röschlaub  veranlassen,  sich  von 
seinem  ehemaligen  Bundesgenossen  und  von  dessen  ehedem  befolgter 
Lehre  loszusagen,  um  sich  —  der  Mystik  zu  ergeben,  durften  wir  um 
dcsshilb  nicht  vorenthalten,  weil  sie  die  Quintessenz  der  Gründe  der 
N.iturpiiilosopiien  gegen  den  Browniiinismus  bilden  und  mit  den  Ge- 
gensätzen Schellings  zu  früheren  Meinungen  den  vollendeten 
Uebergang  der  Erregungslheorie  in  die  Naturphilosophie  deutlich 
versinnlichen. 

b)     Gegner  vom  höheren  eklektischen  Standpuncte. 

Da  aber  die  zuletzt  abgehandelten  Kritiker  von  einem  speciellen 
Punkte  ausgingen,  der  eben  desshalb  die  Färbung  einer  Parlhei  auf 
sie  werfen  konnte  und  den  Vorwurf  der  Einseitigkeit  nicht  ausschloss, 
so  mussten  diejenigen  Beurtheiler  einen  ungleich  grösseren  Einfluss 
haben,  welche  im  Sinne  der  höheren,  allgemeinen  Wissenschaft  mit 
rationellem  Eklekticismus  die  Schwächen  des  Systemcs  auf- 
deckten und  besonders  den  physiologischen,  objectiven  Ge- 
sichlspunct  ohne  Rücksicht  auf  besondere  Systeme  und  Ansichten  fest- 
hielten. Diese  von  wahrer  wissenschaftlicher  Würdigung  ausgehen- 
den Gegner  zeichnen  sich  zugleich  durch  Mässigung ,  Ruhe,  Klar- 
heit und  durch  eine  Taktik  aus,  die  in  sich  schon  den  Keim  des 
Sieges  trug.  Wir  finden  nun  diese  Eigenschaften  zwar  in  der  ganzen 
Reihe  der  Folgenden  wieder,  aber  in  Keinem  mehr  verkörpert,  als  in 
dem  consequentesten  und  letzten  aller  Gegner  dieser  Neuerung,  in 
Hufeland.  Desshalb  schliesst  gerade  Er  als  würdigstes  Wahrzei- 
chen des  Triumphes  der  Wissenschaft  die  geschichtliche  Darstellung 
dieser  Partheikämpfe ,  aus  welchen  das  lang  verhüllte  und  verkannte 
Ideal  der  Heilkunst  nur  um  so  leuchtender  hervortrat. 

Eine  der  ältesten  und  besten  Beurtheilungen  dieser  Art  besitzen 
wir  an  einer  in  Deutschland  erschienenen  Abhandlung  eines  Englän- 
ders Latrobe^^*)  vom  Jahre  1795,  in  welcher  mit  scharfen  Worten 


240 

nachgewiesen  wird,  wie  Brov\  n  inconsequenler  Weise  mehrere  Le 
bensprineipe  (z.  B.  das  chemische,  wo  er  von  Gährung,  das  vitale, 
wo  er  von  Reaction  spricht)  gelten  lässt,  quiililative  Reize  bald  zu- 
giebt,  bald  läugnet,  Erregung  bald  als  Actus,  bald  als  Causa,  bald 
als  Leben  selbst  auffuhrt,  wie  eine  indirecte  Asthenie  nach  Brown 
gar  nicht  zu  heilen  ist  u.  s.  w. 

Milder  ,  aber  nicht  minder  gründlich  und  von  höherem  wissen- 
schaftlichen Standpunct  sprach  sich  Aug.  Rin  dfleis  ch^^'^)  im  Jahre 
1799  gegen  das  Verhällniss  der  Verbindung  der  Philosophie  und  Me- 
dicin,  gegen  die  Trennung  der  Physiologie  von  der  Medicin,  der 
Theorie  von  der  Praxis,  gegen  die  neuen  Termini  und  Definilionen 
wie  gegen  die  Unterscheidung  des  Lebensprincips  vom  Organismus 
und  die  Bestimmungen  über  die  Erregbarkeit  aus. 

Dagegen  erscheint  die  Stellung  von  Fr.  W.Hunnius^^®)  nicht 
ganz  unzweideutig,  da  er  mehr  Juste-milieu-Mann  ist  und  gern  beiden  Par- 
theien genügen  möchte.  Es  fehlt  ihm  bei  allem  Scharfsinn  an  Bestimmt- 
heit des  Standpunctes  und  man  sieht  deutlich,  wie  die  Gewalt  der  Zeit- 
richtung auch  die  besseren  Köpfe  in  Fesseln  schlug.  Die  Unbefangen- 
heit des  nicht  eben  zu  bescheidenen  Verfassers  ist  daher  oft  nur  eine 
scheinbare.  Sein  Verdienst  besteht,  abgerechnet  von  den  allgemei- 
nen Angriffspuncten ,  die  fast  alle  Gegner  mehr  oder  minder  berühr- 
ten, wie  die  Wichtigkeit  der  chemischen  Prozesse,  der  Organisation 
u.  s.  w. ,  besonders  im  Aufgreifen  des  Speciellen.  So  läugnet  er, 
dass  Wirkungsvermögen  und  Empfänglichkeit  immer  im  umgekehrten 
Verhältnisse  stehen ,  nimmt  directe  und  absolute  Schwächung  der  Er- 
regbarkeit an  und  direct  verändernde  Mittel,  setzt  die  Säfte  als 
nächste  Ursache  der  Gesundheit  und  Krankheit,  obwohl  sie  nicht 
selbst  erkranken,  behauptet,  dass  Sthenie  länger  bestehen  könne, 
ohne  in  Asthenie  überzugehen.  Er  geisselt  die  Inconsequenzen  der 
Brownianer  in  der  Behandlung,  glaubt  aber  doch,  dass  eine  richtige 
Anwendung  dieses  Systems  mit  der  Erfahrung  aller  Zeiten  überein- 
stimme. Die  Wirkung  des  Opiums  u.  a.  Volatilia  wird  von  ihm  anders 
erklärt,  als  bei  Brown,  asthenische  Entzündung  geläugnet  u.  s.  w. 
Seine  Behandlung  weicht  sehr  ab  und  er  wendet  bei  Asthenieen  laxi- 
rende,  stärkende,  kühlende,  reizende,  urintreibende  und  lindernde 
Mittel  an. 

Die  heftigsten  Anhänger  des  Brownianismus  selbst  aber  sprachen 
mit  grosser  Achtung  von  J.  S tiegli tz's'^'^^)  Anzeige  verschiedener 
das   Brown'sche   System    betreffender    Schriften    [Jenaer   Allgemein o 


241 

Literatur-Zeifung  Nr.  48  —  59,  Februar  1799*)],  ja  nennen  sie  sog-ar 
„ein  meisterliches  Werk,  nur  dass  er  die  Erregungstheorie  nicht  ganz 
verstehe".  (l\  ö  s  c  h  I  a  u  b '  s  Inlelligenzblatt  Nr.  67.  Antwort  darauf 
von  Stieglitz  im  Juni,  Inlelligcnzbiall  Nr.  657:  ,.Er  habe  die  Erre- 
gungstheorie nicht  gemeinl.")  Dieses  Lob  verdiente  er  sich 
ebensowohl  dadurcli,  dass  den  Erregungstheorelikern  noch  viele  Aus- 
flüchte durch  die  von  ihnen  beigebrachten  Modificationen  übrig  blie- 
ben, als  durch  eine  weise  Mässigung  und  lUilie  der  Betrachtung, 
welche  auch  die  guten  Seitch  hervorzuheben  wusste;  ferner  da- 
durch, dass  er  die  neuen  und  umfassenden  Ansichten  vom  Organismus 
lobte,  den  Begriff  der  Erregbarkeit  verdienstlicher  als  die  unbcslimm- 
tend  er  Empfindlichkeit  und  Heizfäbigkeil  fand,  dass  er  dos  Gesetz,  nach 
welchem  die  vorhergehenden  Heize  die  ^^  irkung  der  folgenden  be- 
stimmen, das  fruchtbarste  dieses  Jahrhunderts  nannte  und  überhaupt 
die  Entwicklung  der  Folgen  der  Reizung  Brown  zum  Verdienst 
anrechnete.  Dagegen  aber  erklärt  er  sich  mit  Entschiedenheit 
gegen  das  Wesentlichste  jener  Theorie  und  Praxis,  gegen  das  Quan- 
titative, die  Verwerfung  der  Ilumoralpathologie  wie  der  unmittelbar 
stärkenden  und  schwächenden  Potenzen ,  der  Sedantia,  Anfispasmo- 
dica ,  Narcotica.  Er  enthüllt  auf  das  Klarste  die  bekannten  Wider- 
sprüche dieses  ,. paradoxen  Systems"  und  zeigt,  wie  die  Praxis  nach 
dieser  Theorie  unmöglich  ist.  Diess  wird  bei  der  nun  folgenden 
Anzeige  der  einzelnen  Brown'scben  Schriften  durch  vortreÜliche 
praclisclie  Winke  noch  deutlicher  entwickelt.  Na^h  dieser  umfas- 
senderen Kritik,  welche  von  beiden  Seilen  mit  grösster  Achtung  hin- 
genommen wurde  und  auf  welche  man  sich  allseitig  bezog,  hatte 
Stieglitz  nicht  nöthig  den  Ifempfplatz  ferner  zu  betreten,  daher 
er  auch  später  nur  im  Journal  der  Erfindungen  einiiremale  im  Vorbei- 
gehen dareinsprach  (vergl.  St.  32.).  In  einer  spätem  Schrift:  Ver- 
such einer  Prüfung  und  Verbesserung  der  jetzt  gewöhnlichen  Behand- 
lungsart des  Scharlachfiebers.  Hannover  1807.  fanden  wir  aber  neben 
dem  Tadel  des  Missbrauchs  der  reizenden  und  der  Vernachlässigung 
der  ausleerenden  Methode  doch  wiederholte  Anerkennung  Brown's, 
indem  die  Untersuchung,  ob  eine  Krankheit  sthenisch  oder  asthenisch 
sei,  für  einen  durch  ihn  erlangten  Vortheil  erklärt,  und  schon  die 
gewonnene  Einfachheit ,   Einheit  und  der  Nachdruck  der  Fieberlehre, 


*)  Dieselbe  Zeitung  trat  schon  früher  im  .Tahre  1795  Nr.  274  ff-, 
im  Jahre  1796  (INIärz)  und  iin  Jahre  1797  Nr.  2öl  unter  der  Redaction 
von  Schütz  gegen  B  r  o  w  n '  s   Theorieen  auf. 

16 


242 

wie  die  Verbesserung  der  Ansichten  über  den  Typhus  (obgleich  die 
Praxis  selbst  schlecht  sei)  ihm   zum  Verdienste  angerechnet  werden. 

In  ähnlicher,  nur  prägnanterer  Weise  und  mehr  gelegent- 
lich beurtheilte  F.  L.  Kreysig  ^'^'^),  damals  Professor  in  Wit- 
tenberg, das  neue  System,  indem  er  Bewegung  und  Bildung. 
Reizbarkeit  und  Wirkungsvermögen  von  der  Lebenskraft  unter- 
scheidet, im  zweiten  Bande  mehr  speciell  auf  Brown  eingehend, 
die  Vernachlässigung  der  organisch -chemischen  Verhältnisse  der 
Mischung  und  Form  und  die  Conceufration  auf  etwas  Unsichtbares 
rügt.  Besonders  wird  das- selbslständige  Leben  der  Säfte  und  ihre 
Erkrankungsfähigkeit  vertheidigt,  das  Vorhandensein  reiner  Kräfte- 
krankheiten geläugnet.  Originell  ist  seine  Krankheitseintheilung, 
die  als  versöhnender  Eklekticismus  aus  Brown  und  Hufeland  gel- 
len kann,  indem  er  l)  Fehler  der  Erregbarkeit  in  Bezug  auf  (ver- 
mehrte oder  verminderte)  Quantität  und  Qualität  (Abänderung  der 
Bewegung  und  Empfindung),  2)  Krankheiten  der  Lebenskraft  nach 
Quantität  (vermehrte  ist  nicht  Krankheit)  und  Qualität  (veränderte 
Vitalität)  annimmt,  aber  auch  3)  örtliche  Krankheiten  der  Lebenskrall 
gegen  Brown  zulässt.  Wichtig  ist  die  Behauptung,  dass  die  Säfte 
den  Grund  ihrer  Mischung  mit  in  sich  enthallen  und  dass  fehlerbafle 
Quantität  (durch  Fehler  der  Proportion  der  enthaltenen  und  aufge- 
lösten Stoffe  oder  der  entfernten  Bestandlheile  oder  durch  fremde 
beigemischte  Stoffe)  primär  sein  könne.  In  der  sich  hieran  schlies- 
senden  vorzugsweisen  Begünstigung  der  ausleerenden  und  der  soge- 
nannten die  Säftemischung  verbessernden  Methode,  wie  in  den  viel- 
fachen Zweifeln  über  das  Principal  der  festen  Theile  giebl  sich  schon 
deutlich  die  spätere  überwiegende  Neigung  Kreysig's  zur  Humoral- 
palhologie  kund,  die  er  mit  ernstwissenschaftlichem  Geiste  auffasste 
und  mit  grosser  Mässigung  vertheidigte. 

Will  man  aber  das  Verdienstliche  des  Eklekticismus  und  be- 
sonders des  rationell -empirischen  Standpunctes  in  der  Beurtheilung 
des  Brown'schen  Systems  klarer  erkennen,  so  muss  man  die 
ruhige ,  im  wahren  Sinne  und  Geiste  der  Wissenschaft  geschriebene 
Analyse  der  neueren  Heilkunde  eines  der  gediegensten  Aerzle,  P.  K. 
Hartmann  ^^^) ,  genauer  betrachten,  da  sie  nach  allen  Theilen  hin 
Recht  und  Unrecht  abmisst  und  beim  scharfsinnigen  Detail  immer  das 
grosse  Ganze  und  die  Würde  desselben  vor  Augen  hat.  Zu  Grunde 
gelegt  ist  Röschlaub's  Pathogenie  und  aus  der  Kritik  derselben 
gehen  die  klarsten  und  positiv  gemessensten  Begriffe  über  das  Leben 


243 

und  das  Lebensprincip  hervor.  Die  materielle  Grundlage  wird  als 
l.ebensbedingung  in  ihr  ehrwürdiges  Hecht  Nsieder  eingesetzt  und 
durch  factische  Belege  die  Speculalion  Röschlaub's  geschlagen. 
Bei  aller  Anerkennung  der  Gesetze,  die  jener  geistreiche  Forscher 
aufgestellt  hat,  erklärt  sie  der  Verfasser  doch  für  zu  allgemein  und 
unbestimmt,  theilweiss  auch  für  falsch,  für  unzusammenhängend  mit 
den  Fundamentalsätzen,  für  widerlegbar  durch  die  Erfahrung.  Und 
genügt  uns  auch  des  Verfassers  Definition  der  Krankheit  (jede  Ver- 
änderung der  Organisation,  wodurch  sie  untauglich  wird  vollkom- 
menes Leben  hervorzubringen)  keineswegs,  so  stimmen  wir  ihm  doch 
in  Bezug  auf  gleiche  Würdigung  der  starren  uad  flüssigen  Theile, 
auf  seine  Meinung  über  die  Lcbensverrichlungen  kranker  Organe,  über 
Sthenie  und  Asthenie  und  auf  seine  ^^  idcrlegnng  von  Röschlaub's 
Krankheitsformen  und  Pathogenese  (obgleich  er  die  Disproportion 
annimmt)  bei.  (Vcrgl.  auch  des  Verfassers  allgemeine  Pathologie, 
lateinisch,  1814,    deutsch,  1823  Wien.) 

Auch  der  als  bester  Uebersetzer  *)  Brown 's  (trotz  Wei- 
kard's  und  Girtanner's  mehr  die  erste  Ausgabe  treffenden 
Tadels)  anerkannte  C.  H.  Pfaff  gab  eine  in  zweiter  Auflage  bedeu- 
tend verbesserte  Revision  der  Grundsätze  des  Brown'schen  Systems 
und  der  Erregungslheorie  ^'^'^) ,  welche  vom  richtigen  physiolos'i- 
schen  Standpuncle  ausgeht,  eine  klare  und  gesutide  Anschauung  des 
Lebens  beurkundet  und  von  Liebe  für  die  "^^  issenschaft  zeugt.  Alle 
bereits  mehrfach  erwähnten  Gründe  gegen  Brown  sind  hier  ohne 
einseitigen  Ausgangspunct  oder  besondere  Vorliebe  unparlheiisch 
und  ziemlich  vollständig  zusammengestellt  und  bilden  ein  geschlos- 
senes Ganze.  Namentlich  gut  ist  die  Würdigung  des  Wechselver- 
hältnisses zwischen  Erregbarkeit  und  den  äussern  Potenzen  und  der 
Krankheitseintheilung,  wobei  auch  gegen  Rösch  laub  und  Joseph 
Frank  triftige  Gründe  beigebracht  werden,  deren  weitere  Ausein- 
andersetzung wir  uns  um  so  eher  ersparen,  als  wir  bei  der  Betrach- 
tung des  letzten  und  berülimleslen  Gegners,  Hufelands,  ohne  der 
Originalität  und  der  Autorität  dieses  schon  frühzeitig  erstandenen 
unbefangenen  Kritikers  irgend  zu  nahe  treten  zu  wollen,  noch  einmal 
auf  dieselben  zurückkommen  müssen. 


♦)  Eine  andere  hier  nachträglich  zu  erwähnende  Bearbeitung  von 
Brown''s  Elementen  von  J.  G.  Knebel  ^^^rd  als  sehr  fliessend  ge- 
rühmt. Sie  erschien  anonym  Breslau  1800.  kl.  8.  und  führt  den  Titel: 
Grundsätze  zur  Kenntniss  und  Behandlung  der  Krankheiten  im  Allge- 
meinen oder  Uebersicht  der  Brown'schen  Theorie. 

16  = 


244 

Ja,  unslreilig  der  bedeutendste  in  dieser  Kategorie  war  C  h.  W. 
Hufeland.  Durch  lieinlieil  der  Erlalirung,  Rulie  der  Belriichtiing, 
Würde  des  Anselins  gleich  hochstehend,  schlug  er  ihr  von  Anfang  an 
die  tödliichsten  Wunden.  Die  W  issenschaft  Hess  ihn  sogleich  den 
rechten  Standpuncl  mitten  in  den  Wirren  der  Parlheiung  erkämpfen 
und  jene  so  oft  als  Schwäche  verschrieene  Unpartheilichkcit  blieb 
nicht  feindselig  gegen  das  Gute ,  was  auch  in  diesen  Lehren  lag, 
zumal  da  Hufeland  selbst  vorher  Einiges  davon  ebenso  gedacht 
und  erfahren  hatte.  Die  siegreiche  Sprache  der  Wahrheit,  der  Stolz 
eines  guten  und  redlichen  Bewusstseins  stachen  wunderbar  ab  gegen 
das  Geschrei  der  Coterie  und  den  Muth  der  Verzweiflung  der  Ret- 
tungslosen. Auch  als  zur  Bliilhczcit  der  Erregungslheorie  die  Schaar 
der  treuen  Anhänger  sich  um  den  wackern  Kämpen  minderte,  blie!) 
er  unerschülterl  der  consequenteste  Gegner,  unermüdlich  ausharrend, 
bis  auch  das  letzte  Irrlicht  verglommen  war.  —  Die  auf  die  Erregungs- 
theorie Bezug  habenden  Widerlegungen  Hufelands  befinden  sicii 
in  seinen  Ideen  über  Pathogenie  u.  s,  w.  ^°^),  indircct  und  dirccl, 
in  den  Bemerkungen  über  das  Nervenfieber  und  seine  Complicatio- 
nen  in  den  Jahren  1796,  J797  und  1798  ^"^^j,  in  seiner  Bibliothek  der 
practischen  Heilkunde  ^°^),  vorzugsweise  aber  in  seinem  Journal 
von  1796  an  bis  1812  ^°^j,  und  in  einem  besondern  Abdruck  hieraus 
über  die  Brown"sche  Praxis  ^°^),  und  zeichnen  sich  durch  Würde 
und  Ruhe  des  Styls,  Klarheit  und  Coaisequenz  der  Beweisführung  und 
die  wohlwollend  humane  Gesinnung  aus,  die  so  glänzende  Beigaben 
der  Wissenschaftlichkeit  und  so  mächtige  Hülfsmiltel  seines  Sieges 
waren.  Nach  Hufeland  ist  Erregi)arkeit  oder  Reizfähigkeit  nichts 
Anderes,  als  die  Lebenskraft,  insofern  dieselbe  fähig  ist,  durch  Reize 
erregt  zu  werden  (Journal  1796.  4.  S.  452),  Lebenskraft  aber 
=  X  eine  blosse  Bezeichnung,  die  umfassender  als  Irritabilität  ist, 
weil  sie  zugleich  dynamische  und  chemische  Verhältnisse  ausdrückt 
(1798.  VI.  4.  S.  785).  Klar  und  deutlich  setzt  er  die  Gründe  seiner 
Opposition  auseinander  (1811.  XXXII.  2.  S.  3  ff.)  Die  Erreg- 
barkeit nämlich  ist  nach  ihm  1)  Product  der  Lebenskraft;  sie  ist 
2)  Reizbarkeit  (und  Reaclion)  und  Schöpfungskraft.  3)  Erregung  und 
chemischer  Process  sind  vereinigt,  daher  muss  4)  eine  befriedigende 
Theorie  Beides  umschliessen.  Der  Organismus  ist  5)  nicht  blos 
passiv;  es  existirt  6)  auch  ein  qualitatives  Verhältniss,  eine  speci- 
fische  Beziehung,  eine  Veränderung  in  modo.  Die  nächste  Ursache 
der  Krankheit  ist  7)  qualitativ,  specifisch,  spontan  erzeugt,  daher  ist 


245 

8)  directe    und    indirccle  Aülhenie    in    der   ScuUi    der    Heize    falsch. 

9)  Heilung-sacl  und  Wirkung  der  Arzneien  sind  quantitativ  und  quali- 
tativ zugleich.  lO)  Es  giebl  eine  Krankheitsniaterie,  die  oft  zum 
Ileilohject  wird,  und  11)  jeder  Heilnnsjsprocess  ist  chemisch -animal, 
die  Mittel  sind  die  äussere  Bedingung  dazu,  die  Natur  aber  12)  heilt 
die  Krankheiten.  13)  Coction  und  Krise  sind  Bezeichnungen  des 
Heilprocesses  (nicht  blos  im  humorali)al!iülogisclien  Sinne).  Ü)  Der 
gastrischen  Ursachen  wegen  ist  die  gasirische  Methode  oft  die  beste. 

15)  Conscnsus  und  Antagonismus  sind  (iruudgeselze  des  Organismus. 

16)  Die  Lebenskraft  ist  nicht  gleich  verllieilt,  daher  es  Krankliciten 
gemischler  Art  mit  verschiedenem  Character  des  Ganzen  und  Einzel- 
nen giebt.  17)  Die  Säfle  sind  auch  vital.  Es  gie!)t  auch  Krank- 
heiten der  Sällc.  —  Aus  diesen  Siitzen,  welche  die  Grundlage  aller 
Gegengründe  liufeland's  gegen  düs  Brown'sche  System  enthalten, 
und  welche  später  von  allen  Anhäuiiern  Brown's  als  wahr  erkannt 
wurden,  lässt  sich  schliessen,  in  welchen  Puncleu  beide  Partlieien, 
Höschlaub  als  Anführer  auf  der  einen  Seite  und  Hufeland  auf 
der  andern,  besonders  abweichen.  Brown's  Bezeichnung  der 
Schwäche,  meint  Hufeland,  sei  alt,  seine  Zutliat  aber  sei  eiüe 
falsche;  der  empirische  Unterschied  sei  in  einen  cansalen  ver- 
wandelt worden.  AVichtigo  DilTerenzpuncte  ergeben  die  Eintheilung 
der  Krankheiten,  die  Todesarten,  die  Lehre  von  der  Wärme  und 
Kälte,  von  der  Wirkung  der  Arzneien,  der  Vertheilung  der  Lebens- 
kraft, besonders  aber  die  Behandlungsweise.  Denn  Blutfliisse  seien 
auch  durch  schwächende,  ausleerende,  krampfstillende,  specifische 
Mittel  heili)ar,  was  durch  Heck  er  (s.  Ilufeland's  Journal  1800. 
IX.  1.  S.  43)  bestätigt  wird;  die  Nervenfieber  würden  durch  reizende, 
nährende,  narcotische,  antispasmodisclie  Mittel,  je  nachdem  Schwäche 
mit  erhöhter  oder  verminderter  Beizfähigkeit  da  sei ,  auch  durch 
gastrische  Mittel  bei  Complicationen  mit  Gaslricismus ,  mit  Erfolg 
behandelt.  Besondere  Streitigkeit  aber  erregen  die  gastrischen 
Krankheiten  (denn  Ausleerungen  können  dynamisch,  maleriell  und 
antagonistisch  wirken)  und  der  Gebrauch  des  Aderlassos  (.lournal  XI. 
St.  1.  S.  160.  Scliulzrede  für  denselben).  Dennoch  felilte  es  nicht 
an  Schreiern,  welche  aus  der  Thalsache,  dass  Hn  fei  and  sich  später 
einiger  Termini  Brown's  bediente,  folgern  wollten,  er  sei  zum 
Brownianismus  übergegangen.  Aber  wer  war  ferner  davon  als  Er! 
Gerade  Er  tadelte  am  meisten  den  Seclengeist,  den  ^vang,  den  die 
Brownianer    üben  wollten.      Er    erkf^nnte  die  Gefahr    für  die  Denk- 


246 

Freiheit,  die  Herrschaft  der  Persönlichkeiten,  den  Egoismus  und  die 
Einseitigkeil,  die  in  diesen  Kämpfen  lagen.  „Es  würde  künftig 
Brovvnianer  geben,"  sagte  er,  „aber  nicht  Aerzte ,"  und:  „Nicht  Re- 
volutionen, sondern  Evolutionen  führen  den  Weg  zur  Verbesserung." 
Schon  nach  einer  zweijährigen  Prüfung  erklärte  er  Brown  für  ein 
Genie,  aber  für  ein  einseitiges,  excentrisches;  seine  Schriften  ent- 
hielten Falsches  und  Wahres  gemischt;  das  System  sei  nicht  einmal 
ein  solches;  das  Gebäude  müsse  eingerissen  werden,  die  Mate- 
rialien aber  seien  zu  benutzen.  Der  pure  Brownianismus  despo- 
tisire,  aber  verstehe  die  Natur  nicht;  ein  ächter  Brownianer  sei  etwas 
Erbärmliches.  Er  selbst  sei  ein  Gegner  des  Systems,  aber  Freund 
mehrer  Brown'schen  Ideen. —  Und  wie  Er  dachten  Hensler,  Vogel, 
M.  Herz,  Seile,  Grüner,  Richter,  Hildebrand,  3Ietzger, 
Tode  und  die  von  Rösch  laub  sehr  angefochtenen :  L  o  d e r ,  M u r - 
sinna,  Autenrieth,  Widemann  (Hecker's  Journal  St.  32.), 
lauter  Namen,  die  in  der  Schule  der  Erfahrung  einen  guten  Klang 
haben.  Man  sah  ein,  dass  die  gröbste  Empirie  eingeführt  und  viel 
Unglück  öffentlich  und  im  Stillen  durch  die  Brown"schen  Ideen  be- 
reitet worden  sei.  (S.  Bemerkungen  über  die  Brown'sche  Praxis  in 
Hufeland's  Journal  1797.  Bd.  IV.  1.  S.  118).  Dieses  durch  die 
Philosophie  (Schmid,  s.  oben,  und  Hufeland's  Journal  VI.  4. 
S.  863)  bestätigte  Urtheil  fand  einen  um  so  grösseren  Widersacher 
in  Röschlaub,  je  gewichtiger  die  Waffen  waren,  mit  denen  der 
Feind  kämpfte.  Röschlaub  führte  grobes  Geschütz  auf,  um  zu 
tödten ,  wo  er  nicht  siegen  konnte.  Es  giebt  nichts  Ernsteres,  Wür- 
digeres, Wohlwollenderes  als  Hufeland's  Erklärung  (Salzburger 
Zeitung  1799.  Bd.  II.  No.  36.)  auf  der  einen,  und  nichts  Anmassen- 
deres  und  Drohenderes  als  Röschlaub's  Gegenerklärung  auf  der 
andern  Seite  (ebendaselbst  No.  43.).  Dort  wie  in  seinem  Journal 
(VII.  3.  S.  180)  erklärt  sich  Hufeland  über  sein  System  und 
seine  Grundsätze  offen,  ehrlich  und  würdig.  Er  und  Röschlaub, 
sagt  er,  gehen  von  verschiedenen  Standpuncten  aus,  Jener  vom  spe- 
culativen ,  Er  vom  empirischen.  Er  heisst  Jeden  seinen  eigenen 
Weg  gehen,  zeigt  den  Unterschied  seines  Systems  und  des  Brown'- 
schen  und  rettet  die  Ehre  der  deutschen  öledicin  gegen  die  Verun- 
glimpfungen der  Brownianer.  Diese  aber  Hessen  es  an  Beschimpfung 
eines  Mannes  nicht  fehlen,  dem  nur  die  Wissenschaft  am  Herzen  lag, 
nicht  die  Partliei.  Nur  einmal  scherzte  er  über  den  Namen  Er- 
reguugslheorie :    sie   sei,   heisst  e^,   eine  Theorie,    die  Diejenigen 


247 

errege,  welche  sie  (rieben,  oder  welche  Erregung  d.  h.  AuFsehn  mache  ; 
nur  Brownianisinus  sei  Erregunä"Sthearie,  diese,  spatere,  sei  eine 
Kückkehr  zur  allen  xMedicin  (Bd.  XI\'.  1.  S.  135).  Dass  er  aber 
sein  Journal  zur  endlichen  Herbeiführung  der  Wahrheit  pro  und 
contra  ollen  hielt,  erhellt  aus  den  folgenden  Aufsätzen;  von  J.  K. 
Wenzel,  über  die  durch  Palelta  angestellten  unglticklichen  Ver- 
suche mit  Opium  (VIII.  4.  S.  177).  von  Hunnius  (Bd.  IX.  4. 
S.  40),  von  J.  Meyer,  über  Opiumwirkung  (XXIV.  4.  S.  38),  von 
Kor  tum,  gegen  Brechen  und  Purgiren ,  Kälte  bei  entzündlichen 
Krankheiten  (VII.  3.  S.  II)  (ebenso  Fischer,  X.  4.  S.  96  u.  118), 
von  Demselben  gegen  Brovvn's  Lehre  von  den  Blultlüsscn  und 
Scorbut  (X.  2.  S.  20),  gegen  Marcus,  Abhandlung  über  das  Wechsel- 
fieber (XV.  3.  S.  5) ;  vom  Herausgeber  des  Arzneischatzes, 
Monita  über  die  drei  gangbaren  Kurarten,  als:  Kur  des  Namens, 
des  Symptoms,  der  Ursache,  wobei  Brown  sehr  geistreich,  ge- 
recht, aber  streng  beurtheilt  wird  (XI.  4.  S.  3);  von  Einem  der 
grössten  Aerzte  Deutschlands,  der  noch  gar  nichts  pro  und 
contra  gelesen  hat:  fragmentarische  (höchst  scharfsinnige,  schneidend 
heftige)  Bemerkunü:en  über  Browns  Elemente  (XII.  2.  S.  52);  von 
K.J.  Windisch  mann  (s.  oben):  von  M.  II.  Mendel,  über  die  heil- 
same Anwendung  asUienischer  Mittel  bei  asthenischen  Krankheilen 
(XIV.  1.  S.  135);  von  P.  G.  J  Ordens,  ein  ganz  slhenischer  Krank- 
heitszustand in  einem  höchst  asthenischen  Körper  (XX.  1.  S.  62);  von 
Fr.  Hufeland,  Versuch  einer  Erörterung  des  Begriffes  von  örtlichen 
Krankhcilen  (noch  in  manchen  Puncten  Rösch  laub  folgend  —  XXIII. 
1.  S.  9);  von  A.  E.  Kessler  in  Jena,  (recht  gute)  Prüfung  einiger 
Grundsätze  der  Erregungstheorie  (XXIV.  1.  S.  13);  von  F  ick  er. 
Etwas  über  die  Behandlung  der  am  häufigsten  vorkommenden  astheni- 
schen Fieber  (XXV.  1.  S.  46);  von  Kausch,  Apologie  der  neuer' 
lieh  zu  sehr  verschrieenen  Behandlung  nach  Slhenie  und  Asthenie 
(das  plus  und  minus  sei  nach  dem  Sturze  der  Errogungstheorie  immer 
noch  ein  wichtiges  practisches  Regulativ  —  XXVII.  2);  von  Gut- 
feld, über  den  Schwächezustand  als  Gegenstand  ärzüicher  Theorie 
und  Behandlung  (Berichtigung  seiner  früheren  Meinungen  durch  die 
Naturphilosophie  —  XXVII.  2.  S.  164,  4.  S.  104,  XXVIII.  5.  S.  96; 
von  Wo  Hart  in  Berlin,  über  den  Ersatz  der  Erregbarkeit 
und  die  Wirkung  der  sogenannten  Stärkungsmittel  (Brownisch- 
naturphilosophisch  —  XXIX.  7.  S.  56  und  9.  S.  l).  —  Hufe- 
land selbst  schwieg  zu  allen  Invectiven,  die  sich  nach  seiner  würde' 


2i8 

vollen  Enthüllung  jener  Mystiflcalion  mit  Kotzebue  noch  steigerten 
(XII.  2.  S.  149  und  4.  S.  166).  Es  war  Gefahr  vorhanden  mit 
Koth  beworfen  zu  werden  und  darum  war  es  UUig,  nicht  feig,  wenn 
er  die  offene  Strasse  mied.  Aber  schon  in  der  Vorrede  zum  19. 
Bande  (1804)  konnte  Hufeland  mit  Recht  wieder  sagen:  „Die  Mei- 
nung ist  wieder  frei  und  die  Despotie  der  medicinischen  Scholastik 
ist  voriiber."  Im  Jahre  1808  (Bd.  XYII.)  behauptete  er,  er  sei 
trotz  seines  früheren  Sclnveigens  so  lange  ein  Gegner,  so  lange  die 
zwei  Tuncte,  das  Quantitative  und  die  Passivität  des  Lebens,  noch  in 
der  Erregungstheorie  fortbeständen.  Mittlerweile  aber  war  diese 
selbst  untergegangen  und  ihr  treuester  Kämpe,  Röschlaub,  hatte 
der  Wahrheit  die  Ehre  gegeben  und  mit  einer  ihn  höchlichst  ehren- 
den Offenheit  seinem  Gegner  die  Siegespalme  zuerkannt.  Die  Ge- 
schichte der  Erregungstheorie  hat  uns ,  gleichsam  um  uns  mit  ihren 
vielen  Widerwärtigkeiten  auszusöhnen,  zwei  Actenstücke  hinterlassen, 
welche  die  Sühne  zweier  ganz  entfernt  stehender  Gegner  bezeugen 
und  dadurch  diesen  selbst  zur  grössten  Zierde  gereichen,  uns  aber 
die  Erkenntniss  der  Triebfeder  ihrer  Handlungen  erleichtern,  die  wir 
nach  diesem  Schlüsse  nur  mit  Achtung  und  Genugthuung  beurlheilen 
dürfen.  Wir  meinen  die  bereits  oben  bei  Röschlaub  erwähnte  Er- 
klärung Desselben  an  Hufeland  in  dessen  Journal  (1811.  Bd.  XXXII. 
1.  S.  9),  auf  welche,  obgleich  schon  früher  niedergeschrieben 
(vei'gl.  Journal  XXXIV.  3.  S.  106;  sie  würde  sonst  milder  gewesen 
sein),  gleichsam  als  Antwort,  Ilufeland's  Rechenschaft  an  das 
Publicum  über  sein  Verhältniss  zum  Brownianismus  (XXXII.  2.  S.  3) 
erschien.  Er  bricht  sein  Stillschweigen,  nachdem  die  Waffen  ruhen. 
Der  Standpunct  der  damaligen  Zeit,  heisst  es,  als  das  Brown'sche 
System  zu  herrschen  anfing,  war  der  der  rationellen  Empirie;  facti- 
sche  Wahrheiten  wurden  anerkannt,  Halle  r"s  Entdeckungen  wirk- 
ten fort,  man  hatte  Achtung  vor  dem  Alten  und  eine  fromme  Vereh- 
rung für  die  Naiurkraft.  Die  Anwendung  der  Sensibilität  und  Irri- 
tabilität, sowie  die  Fortschritte  der  Chemie  und  Physik,  des  Magnetis- 
mus und  der  Elektricität  beförderten  die  Neigung  zum  Solidismus; 
der  StolTsche  Gastricismus  nahm  ab,  es  herrschte  kein  System, 
sondern  eine  republikanische  Verfassung,  wie  die  Schriften  von 
Schröder,  Brendel,  Zimmermann,  Tissot,  Schaff  er, 
Frank,  Riciiter  und  die  Universitäten  Göltingen,  Jena,  Halle, 
Leipzig  bewiesen.  Dazu  kamen  sein  (Ilufelands)  empirischer 
Standpunct  und  seine  factische  Richtung,    seine  Ideen   über  Lebens- 


249 

kraft,  Irrilabililät,  Sensibilität,  Metamorphose.  Die  Humoral-  und 
Solidarpalliolügie  veruneinigten  sich.  "Weil  Er  auch  Alles  in  Har- 
monie st'lxte ,  unter  ein  Princip  brachte,  hielten  ihn  Einige  für  einen 
Brownianer  und  trotz  der  Veröffentlichung  seiner  Ideen  schon  im 
Jahre  17ö5  behaupteten  Andere  sogar ,  er  habe  diese  Brown  nach- 
gebildet. Die  neue  Lehre  empörte  seine  Ueberzeugung,  die  Art  der 
Verbreitung  sein  Gefühl.  „Ich  erkannte  sie,"  fährt  Hufeland  fort, 
,,als  unwahr  und  einseitig  in  ihren  Grundsätzen ,  als  höchst  verderb- 
lich in  der  Anwendung,  als  hemmend  für  den  Fortschritt  des  wissen- 
schaftlichen Geistes.  Ich  fühlte  die  schreiende  Ungerechtigkeit ,  mit 
welcher  die  deutsche  Medicin  beiiandelt  wurde,  die  Sichmach,  die 
wir  uns  bei  andern  iS'ationen  und  bei  der  Nachwelt  bereiteten." 
Nun  beweist  er,  dass  diese  Lehre  nicht  neu  ist,  und  sagt  uns,  dnss  er 
noch  kämpfte,  als  selbst  die  Primaten  übergingen  oder  schwiegen  und 
er  fast  10  Jahre  allein  stand.  ,,l{ohhcit,  Einseiligkeit,  leeres  Formen- 
wesen  trat  an  die  Stelle  der  lebendigen  Kun.^t,  die  junge  Saat  wurde 
im  Aufkeimen  erstickt,  Tausende  wurden  ein  Opfer  der  Opiatwulh." 
Erst  dann,  als  der  Streit  in  persönlichen  Faustkampf  ausartete,  als 
die  Generation  in  die  Fesseln  der  Geislesdespotie  geschmiedet  war 
und  das  Streiten  nur  zur  Fortsetzung  des  Unanständigen  dienen 
konnte,  besehloss  er  die  directe  Opposition  aufzugeben  und  desto 
kralliger  durch  Lehre  und  Thal  für  das  Bessere  zu  arbeiten.  — 
Hieran  schliessen  sich  nun  die  obenerwähnten  Hauptgründe  seiner 
Opposition  und  später  (Journal  XXXIV.  3.  S.  108),  als  man  diese  Er- 
klärung tadelte,  eine  Verwahrung,  dass  er  nur  die  Sache,  nicht  die 
Person  gemeint  habe.  Er  bekennt.  Rösch  laub  habe  sich  ihm  als 
Mann  von  reinem  Sinne  für  ^^"ahrheit  und  edlem  Geniülhe  gezeigt  und 
sich  für  immer  seine  ganze  Freundschaft  und  Hochachtung  erworben, 
nicht  durch  die  öWentliche  Anerkennung  seiner  Meinungen,  sondern 
durch  den  Innern  Sinn  seines  Geistes  und  redlich  wissenschaftlichen 
Slrebens.  Seine  Ansichten  seien  immer  noch  abweichend,  ihre 
Freundschaft  aber  gründe  sich  auf  etwas  Höheres.  Nach  so  ver- 
söhnenden Erklärungen  des  consequentesten  und  letzten  Gegners  und 
des  Begründers  der  Erregungstheorie  gab  es  keine  Parthei  mehr, 
wie  es  auch  keine  Erregungstheorie  mehr  gab.  Die  Particular- 
geschichte  derselben  ist  erloschen  und  der  Genius  der  Wissenschaft 
feiert  einen  Siegestriumph. 


Epikrise. 


Der  wohlwollende  Grundsalz  „de  morluis  nil  nisi  bene"  gilt 
nicht  in  der  Geschichte.  Sie  hält  ein  ägyptisches  Todlengericht, 
das  um  so  ernster  aiislällt,  je  weniger  die  Rücksicht  das  strenge  ür- 
theil  bindet,  um  so  wahrer,  je  schweigsamer  der  Ruf  der  Partheiung 
nach  dem  Tode  ist.  Gleich  dem  Neptun  mit  dem  mächtigen  Dreizack 
über  die  stürmischen  Wogen,  die  sein  quos  egol  gebändigt,  herauf- 
steigend, schaut  sie  ruhig  und  gemessen  auf  die  klare  Ebene  hin, 
welche  sich  vor  ihren  Blicken  ausbreitet.  Die  Eindrücke  des  Mo- 
ments sind  verronnen,  es  beginnt  die  Herrschaft  der  Zeit.  Der 
Kampf  der  Parthei  weicht  der  Ruhe  der  Wissenschaft.  Und  diese 
ist  es,  welche  mit  dem  grossen  historischen  Seherauge  gleichsam  die 
Epikrise  einer  Krankengeschichte  liefert,  in  welcher  nachgewiesen 
wird ,  in  welch  innerem  Verhältnisse  Anfang ,  Verlauf  und  Ausgang 
stehen.  In  solchem  Sinne  AvoUen  auch  wir  die  3Iotive  kurz  zusam- 
menstellen, welche  dem  System  Eingang  verschafften,  welche  es 
forderten  und  stürzten,  wollen  wir  das  Verhältniss  der  neuen  Lehre 
zur  Vergangenheit,  Gegenwart  und  Zukunft  zu  erfassen  und  hieraus 
sowohl  Das  zu  entwickeln  suchen,  was  sie  für  die  Wissenschaft  ge- 
schichtlich geleistet,  als  auch  was  sie  ihr  als  bleibend  und  integri- 
rend  überliefert  hat. 

Ursachen    der    Entstehung    und    Verbreitung    des 
Brown'schen    Systems    und    der    Erregungs- 
theorie. 
Die  Entstehung  dieses  Systems  war  zum  Theil  schon  in  einer 
gewissen   Nothwendigkeit    begründet.       Nothwendigkeit    aber    und 


231 


Geschichte  sind  gewissermassen  identische  Begriffe.     Hufeland  be- 
zeichnet die  Zeit  vor  B  r  o  w  n  als  eine  republikanische.     Uns  er- 
scheint sie  als  eine  anarchische.       Jeder  suchte  sich  seine  eigene 
Färbung   aus   und   passte  sich   nach  Gutdünken    ein  Kleid    an.      Mit 
der  gerühmten  rationellen  Empirie,    welche  seit   Galen    ein  Stich- 
wort, aber  leider  nicht  ein  Merkmal,  fast  jeder  Zeit  und  Parlhei  ge- 
worden  ist,    stand  es  schlimmer,   als  die  Wenigen   der   damaligen 
Eklektiker  meinten.       Physiologie  und  Medicin  dachte  man  sich  ent- 
fernt wie  zwei  Pole    eines  Welttheils   und  schon  daraus    sieht  man, 
wie   tief  die  Ansicht   vom  Leben    und    dessen  Aeusserungen    stand. 
Spiritualistische,    vitale,     physikalische    und    chemische    Ansichten 
schweiften  wie  auf  einem  Maskenballe  bunt  untereinander,  berührten 
sich    llüchlig.      Eine    höhere   Einigung    felilte.      Die    divergirenden 
Strahlen,  welche  von  St  ah  1,  Fr.  Hoffmann  und  Boerhaave  aus 
noch    in  die  Abenddämmerung  des   18.  Jahrhunderts    hineindrangen, 
suchten  einzelne  Eklektiker  vergeblich  zu  einer  einzigen  Lichtflamme 
zu  concentriren.       Theorie  und  Praxis,    getrennt  durch  eine  grosse 
Kluft,  fanden  keinen  Uebergang  um  zu  einander  zu  gelangen.     AN  ie- 
der  einmal  in  der  ewig  wechselnden  Schale  der  Zeit  schwebten  IIu- 
moralpathologie   und  Materialismus    in    den  Lüften,    sanken  Solidar- 
pathologie  und  Dynamismus  gewichtig  herab.     Und  gar  die  Therapie! 
Welches  'NA'irrsal  und    babylonische  Treiben!      Dort    ergötzten  sich 
die  StoUianer  an  den  Erfolgen  ihrer  Pillen,  Latwergen  und  Klystiere, 
hier  wateten  die  Antiphlogistiker  in  Blufströmen,    dort  jubelten  die 
Anlispasmodiker  über  ihre  momentanen  Siegesfreuden,  die  sie  oft  nur 
durch  Narcosen  erzwangen ,  hier  stolzirten  in  geheimnissvoller  Igno- 
ranz die  Alexipharmaker  oder  in  allzu  grosssprecherischer  Sicherheit 
die  Hippokratiker  und  Galenisten.      Was   Wunder,    wenn  man  sich 
da  nach  einem  Rettungsanker,    nach  einer  Ausgleichung   umsah 
und  diese  mit   der   philosophisch -construirenden  Richtung   der  Zeit 
in  der  Verbindung  der  Medicin  und  Philosophie  zu  finden 
suchte?      Die  alte  in  Deutschland  immer  rege  Sehnsucht  zum  Sche- 
matisiren  drängte  mehr  als  je  zu  einem  Systeme  hin.      Hierdurch 
glaubte    man    eine   Ehe    zwischen    Theorie   und   Praxis    knüpfen    zu 
können;    die  Auffindung  eines  höheren.   Alles  einigenden  Lebens- 
princips    war  die  Aufgabe,    die  man   allen  Systematikern    stellte. 
Aber  diese   philosophische  Richtung    war  auch    zugleich    eine    kri- 
tisch-negirende  und  kaustisch -zersetz  ende,  es  war  immer 
dieselbe   Richtung,    die    einen   Voltaire    und   Rousseau,    einen 


252 

Danton  und  Robespierre,  einen  H um e,  einen  Les sing,  einen 
Kant  und  einen  Brown  schuf.  Weil  dieser  Brown  in  seiner 
Zeit  stand  und  ihrem  Wunsche,  wenn  auch  auf  eine  unerwartete 
Weise  entgegenkam,  fand  er  einen  Boden  und  eine  Ausbreitung,  die 
nicht  günstiger  und  grösser  hätten  sein  können.  Man  wollte  ein 
System  um  jeden  Preis;  hier  war  eins,  welches  Theorie  und 
Praxis  eng  verknüpfte,  welches  au  Einfachheit,  Concinnilät  und  Con- 
sequenz  alle  bisherigen  Versuche  der  Art  übertraf,  welches  dem 
Erfahrungssüchtigen  den  Schein  der  Empirie  in  die  Augen  streute, 
dem  Theoretiker  ein  oberstes  Princip  gab,  dem  Denker  wie  dem 
Beobachter  gleichmässige  Nahrung  bot.  Die  in  der  Hallungslosig- 
keit  der  damaligen  Zeit  Verzweifelnden  waren  froh  sich  an  ein 
„wissenschaftliches"  Ganze  anschliessen  zu  können ;  die  grosse 
Schaar  der  Indifferenten  im  Kampfe  der  uralten  Differenz  zwischen 
Materialismus  und  Dynamismns  neigte  sich  gern,  frei  von  der  beengen- 
den Rücksicht  der  alten  Parthei,  dem  neuen  Stern  zu  und  dieDlIferenten 
selbst  fanden  hier  eine  Art  von  Ausgleichung,  ein  indilTerenzirendes 
Drittes.  Hat  es  nicht  von  jeher  eine  ungeheuere  Anzahl  Unzufrie- 
dener in  der  Medicin  gegeben?  Diesen  gefiel  der  revolutionäre 
Geist,  welcher  mit  kaustischer  Lauge  die  miss- oder  unverstandenen 
Alten  ebenso  wie  das  eben  erwachsene  Neue  überzog.  Dem  ge- 
nügten die  Alten  nicht,  weil  er  in  der  Zukunft  lebte  und  die  Ge- 
schichte nicht  verstand.  Jenem  missfielen  die  neuen  reformatorischen 
Richtungen,  weil  er  in  der  Vergangenheit  lebte  und  Entwickelungs- 
anfänge  nicht  begriff.  Da  kam  der  Brown'sche  Terrorisnius,  und 
was  die  Reform  nicht  vermochte ,  vollendete  die  Revolution.  Aber 
dieser  Terrorismus  schmeichelte  zugleich  der  Zeit  und  wurzelte ,  wie 
wir  gesehen,  theilweise  in  dem  Bedürfniss  derselben.  Seitdem 
die  mechanische  Ansicht  sich  zur  Solidarpathologie  umgestaltet  hatte 
und  seitdem  in  überwiegender  Ausbildung  des  Dynamismns  die  Irri- 
tabilität Ha  11  er 's  an  die  Stelle  von  StabTs  Psyche  und  Hoff- 
mann's  Aether  mit  mehr  physiologisch- vitaler  Tendenz  getreten 
war,  ging  das  unausgesetzte  Streben  der  Zeit  dahin,  organisch -vitale 
Kräfte  und  Gesetze  des  Lebens  zu  entdecken,  die  man  am  liebsten 
eineni  obersten  Le  b  ens  princip  unterordnete.  Dieses  letztere 
namentlich  war  der  Stein  der  Weisen  der  damaligen  Zeit,  den  Alle 
zu  finden  strebten ,  welche  Theorieen  und  Systeme  schufen.  Wäh- 
rend die  Humoralpathologie  und  Chemie  nur  nebenbei  sich  geltend 
machte,    war    diese    gewissermassen    philosophisch -physiologische 


253 

Rielitung  überwiegend.  Daher  traten  nun  an  die  Stelle  der  alten 
Elaslicitiit  als  organische  Kräfte  die  Irritabilität  und  die  Sensibilität 
IlaUer's,  die  früher  schon  Glisson  ^vohl  unterschied,  die  Grund- 
kraft des  Zpllgewebes  des  Matthäus  van  Geuns  u.  s.  w.  und  die 
Nervenkraft  Unzer 's,  die  Cullen  endlich  zum  ersten  Princip  einer 
Theorie  erhob,  welche  in  Machride  und  3Iacki  t  tr  i  ck ,  Gre- 
gory, 3Iusgrave,  de  la  Roche,  J.  U.  G.  Schaeffer,  Gar- 
diner, Bcrlinghieri  u.  A.  Icbhafle  Vertheidiger  fand.  "War 
man  so  auf  dem  Wege  zur  Auflindung  principieller  Kräfte,  so  war 
die  Verirrung  in  abstracle  und  transscendentale  Begriffe  nicht  fern, 
wie  bei  L  e  i  d  e  n  f  r  o  s  l ,  ^^"  i  u  d  i  s  c  h  m  a  n  n ,  K  i  e  1  ni  a  i  e  r  u.  A. 
Das  ßrownsche  System  ging  zwar  noch  weiter,  indem  es  einen  blos 
logisch  abstrahirten  Begriff  einer  Lebenseigenschaft  zum  Prin- 
cip erhob  und  diese  äussersle  Spitze  zur  Basis  eines  Systems  um- 
schuf, aber  es  machte  einen  um  so  besseren  Eindruck,  als  es  allen 
Anforderungen  der  Zeit  durch  ein  vital -organisches,  überall  durch- 
führbares und  auch  reell  nachweisbares  Princip  zu  genügen  schien. 
Je  mehr  ferner  die  eben  im  Rückgang  befindliche  Humoralpathologie 
durch  Brown  verdrängt  wurde,  um  desto  mehr  Einklang  mit  den 
Zeitgenossen;  je  weniger  er  die  chemische  Ansicht  begünstigte,  um 
desto  grössere  Freude  bei  Denen ,  welche  die  UebergrilTe  des  Che- 
mismus hasslen  oder  die  neuere  Richtung  in  ihrer  zukünftigen  Wich- 
tigkeit verkannten.  Da  endlich  der  mit  der  gastrischen  und  anti- 
phlogistischen Methode  getriebene  Missbrauch  nicht  zu  verkennen 
war,  so  nuissle  die  durch  Brown  herbeigeführte  Beschränkung  der- 
selben nur  als  Wohlthat  erscheinen.  Die  überschwellenden  humo- 
ralen, chemischen  und  antiseplischen  Methoden  wurden  in  ihr  enges 
Bette  zurückgedämmt,  das  Bedürfniss  nach  einer  einfachem  Be- 
handlung der  akut-bthenischen  Krankheiten  erlangte  zum  ersten  Male 
wieder  seit  Sydenham  volle  Befriedigung.  Wie  endlich  nie  eine 
neue  Heilmethode  ohne  entsprechenden  Character  der  Krankheiten 
überwiegende  Geltung  erlangte,  so  fand  auch  die  Reizmethode, 
die  anli- asthenische  Therapie,  einen  günstigen  Acker  in  der  grossen 
Zahl  der  damaligen  asthenischen,  nervösen,  adynamischen  Leiden, 
welche  von  jener  Zeit  an  mit  kurzer  Unterbrechung  in  das  neue  Jahr- 
hundert sich  herüberzogen.  —  War  sonach  das  System  durch  den 
Character  der  Zeit  zuerst  vorbereitet  und  theilweiss  be- 
dingt, dann  vermidelst  innerer  und  äusserer  Eigenschaften 
durch    sich  selbst    gehoben    und  in  den  Vordergrund  der 


254 

Bühne  gedrängt,  so  trugen  endlich  mehre  Momente  seiner  Ge- 
schichte selbst  zu  seiner  weiteren  Verbreitung  bei.  Wir 
begehen  vielleicht  ein  Unrecht,  wenn  wir  dem  Unistande,  dass 
Brown  ein  Ausländer  war,  einen  Einfluss  auf  die  Ausbreitung 
seines  Systems  in  Deutschland  zuschreiben.  Aber  wer  die  Vorliebe 
der  Deutschen  für  das  Fremde  kennt,  wird  es  nicht  unwahrscheinlich 
finden,  dass  auch  dieses  Moment  schon  eine  gewisse  Macht  übte. 
Sodann  war  das  Geschrei  der  Jugend,  welche  sich  schaarenweiss 
dem  neuen  System  in  die  Arme  warf,  weil  sie  von  ihm  die  gewünschte 
Reform  auf  die  bequemste  Weise  erwartete  und  eine  glänzende, 
noch  dazu  mit  leichter  Mühe  zu  erlangende  Zukunft  vor  sich  sah, 
für  Viele  hinreissend  genug,  um  den  kalten,  prüfenden  Verstand  ab- 
zuhalten. Der  Antheil  der  Laien,  denen  diese  doppelte  Scala  um 
so  eher  behagte,  als  auch  sie  dergestalt  auf  die  leichteste  Weise  in  die 
Mysterien  der  Natur  eingeweiht  wurden ,  wie  nicht  minder  die  damals 
grosse  Masse  der  Bequemen  und  Ignoranten,  die  sich  nun  aller 
tieferen  Studien  überhoben  glaubten ,  trugen  ebenfalls  viel  zur  Ver- 
breitung bei.  W^as  ferner  das  Frappante  der  Theorie  nicht  ver- 
mochte, das  bewirkten  einzelne  glückliche  Fälle  aus  der  Praxis, 
die  bei  den  wirklichen  Vorzügen  des  Systems  unausbleiblich  waren 
und  auf  das  Ganze  ein  gutes  Licht  warfen ,  so  lange  man  nicht  eben 
das  Nachtheilige  mit  gleicher  Unpartheilichkeit  abwog.  Das  Bei- 
spiel von  England,  wo  man  sich  wenig  um  das  System  kümmerte, 
und  von  Italien,  welches  sich  sehr  bald  von  Brown  lossagte,  hatte 
auf  Deutschland  keinen  Einfluss.  Hier  schlug  Weikard  die  grosse 
Lärmtrommel  und  man  war  unbesonnen  genug,  namentlich  Seitens 
der  Universitäten ,  grössere  Opposition  zu  machen,  als  er  verdiente. 
Durch  Röschlaub  gesellte  sich  der  Deckmantel  der  Philosophie 
oder  besser  die  Sophisterei  und  eine  gewandte  Dialektik  und  Polemik 
hinzu,  späterhin  die  Sanction  Kant's,  mit  dessen  kritischem  Idea- 
lismus auch  hier  eine  gewisse  harmonische  Uebereinslimmung  Statt 
fand,  und  zuletzt  Sehe  Hing's  geistreiche  Verwendung,  —  für  das 
speculative  Deutschland  bedeutende  Momente  genug.  Wer  nicht 
überzeugt  werden  konnte,  wurde  geblendet,  und  wen  die  Wissen- 
schaft im  Stich  liess,  der  folgte  der  Mode.  Einige  bedeutende 
Autoritäten  Hessen  günstige  Aeusserungen  fallen,  nahmen  ein- 
zelnes Gute  oder  vielleicht  auch  nur  die  Terminologie  auf,  —  so- 
gleich galten  sie  für  Brownianer  und  zogen  einen  Tross  blinder  Nach- 
beter hinter  sich  her.       Oder  man  half  sich  damit,  alle  Gründe  gegen 


255 

den  Brownianistmis  dadurch  von  sich  abzuwenden,  dass  man  sich 
vornehm  genug  für  einen  ,.Er  r  eg  u  ngst  h  e  o.r  eli  k  er"  erklärte. 
—  Immer  aber  hielt  eine  lebliafle  Opposition  das  Interesse  rege 
und  beförderte  die  Ausbreitung  des  Systems.  Gerade  jedoch  als 
jenes  erlahmte,  als  vorlrefnicbe  Kritiker  der  Lehre  den  Todesstoss 
versetzt  hatten,  erreidite  die  Heftigkeit  der  Brownianer  eine 
solche  Höhe,  dass  die  edelsten  Vorkämpfer  der  Wahrheit  schwiegen, 
um  mit  der  Gemeinheit  nicht  handgemein  zu  werden,  —  und  dieses 
Schweigen  selbst  galt  noch  Vielen  für  Begünstigung,  lockte  noch 
Einzelne  herbei,  bis  das  System  an  den  selbstgeschlagenen  Wunden 
verblutete.  Denn  wie  die  Natur  für  ihre  Uebel  ihre  Abhülfe,  hat 
auch  die  Geschichte  die  Heilmittel  für  ihre  Krankheiten. 

Ursachen   des  Untergangs  des  Brown'schen  Systems 
und   der   Erreg u ngst lieorie. 

Mit  dem  Fortschreiten  der  prac tischen  Richtung  sah  man 
nur  zu  bald  ein,  dass  das  Heil  der  Medicin  nicht  in  einem  Systeme 
liege,  und  selbst  die  Naturphilosophie  zeigte,  wie  schwer  eine  Ver- 
bindung des  Speculativen  und  Empirischen  sei.  Je  mehr  die  Ten- 
denz der  Zeit  dahin  ging ,  durch  Ausbildung  der  einzelnen  Disci- 
plinen  das  Ganze  auf  einen  gewissen  Culminationspunct  zu  brin- 
gen, um  so  mehr  verschmähte  man  den  Zwang  oberster  Grundsätze, 
der  das  Einzelne,  Untergeordnete  in  seiner  freien  Entwickelung 
hemmt.  Mit  dem  mächtigen  VorwärtSi^chreiten  der  Naturwissen- 
schaften entfaltete  sich  der  Sinn  für  das  Reale,  Practische 
im  Gegensatz  zum  Idealen,  Theoretischen  immer  weiter  auch  in  der 
Medicin.  Die  Verachtung  der  Hülfswissenschaften  war  zu  einer 
Zeit,  wo  eben  Physik  und  Chemie  im  schönsten  Keimen  waren, 
ein  eben  so  grosser  MissgrilT,  als  die  Geringschätzung  der  Alten, 
welche  gerade  damals  durch  die  Literatur-  und  Geschichts- 
forschung eines  Hensler,  Ackermann,  Metzger,  Hecker, 
Sprengel,  Grüner,  Möhsen,  Reiske,  Faber,  Günz,  He- 
benstreit, G.  G.  Richter,  Tr il  1er  u.  A.  in  ihre  alten  ehrwür- 
digen Rechte  wieder  eingesetzt  wurden.  Seit  Paracelsus  eine 
höhere  Idee  des  Lebens  in  der  Selbstständigkeit  geschaffen, 
konnte  die  Abhängigkeit  und  Autoniatie  desselben  bei  Brown  nur 
vorübergehend  Anklang  finden.  Sein  oberstes  einseitig  dynami- 
sches Lebensprincip  mussle  damals,  wo  das  Organische  ein  Haupt- 
element der  anatomischen  und  physiologischen  Forschungen 


25(3 

M'urde,  in  grosse  Disharmonie  mit  der  Zeit  geratlien.  Begannen 
diese  Letzteren  schon  jetzt  in  ihrem  realen  Anbau  ihren  Einfluss  auf 
die  Pathologie  zu  üben,  so  stand  im  Gegensatz  mit  ihnen  die  ärmliche 
und  abstracle  Physiologie  Brown's  ziemlich  nackt  da.  Und  in 
der  That,  welcher  Contrast  zwischen  Brown's  hohler  Empirie  und 
den  Lehren  und  Studien  eines  Bichat,  Petit,  Sabatier,Vicq 
d'Azyr,  Will.  Hunt  er,  AI.  Mo  uro,  J.  und  Ch.  Bell,  Che- 
selden,  Sömmering,  Autenrieth,  Ph.F.  Meckel,  Scarpa 
u.  A.,  welche  in  die  Fussstapfen  des  grossen  Morgagni  traten,  — 
zwischen  den  Speculationen  und  bodenlosen  Träumereien  der  Er- 
regungslheorie  und  den  trefflichen  physiologischen  Untersuchungen, 
welche  z.  B.  über  die  Circulalionsorgane  seit  Haller  von  Lancisi, 
Sömmering,  Haies,  Prochaska,  Behrens,  Moscati  u.  A., 
über  das  Blut  von  Hufeland,  Blumenbach,  über  das  ürüsen- 
syslem  von  Mascagni  und  Cruikshank,  über  Gehirn  und  Ner- 
ven von  Sömmering,  Ackermann,  Reil,  Malacarne  u.  A. 
angestellt  wurden!  Unter  solchen  Fortschritten  musste  die  orga- 
nisch-vitale Lebensansicht  immer  mehr  reifen  und  konnte  einen 
einseitigen  Solidismus  nicht  dulden,  der  einen  integrirenden  Theil 
des  Organismus,  die  flüssigen  Theile,  für  todt  erklärte.  Eben  so 
wenig  konnte  sie  sich  trotz  der  Unterordnung  unter  ein  scheinbar 
vitales  Princip  mit  den  mechanischen  Erklärungsversuchen  der  Functio- 
nen und  Symptome  zufrieden  gehen.  Wie  sollte  ein  schwindelnder 
Dynamismus,  mit  Verachtung  der  organischen  Basis  überhaupt  und 
der  chemischen  insbesondere  da  bestehen ,  avo  eben  Physik  und 
Chemie  die  Nolhwendigkeit  ihres  Einflusses  durch  eine  engere  Ver- 
bindung mit  der  Physiologie  belegten  ?  Gerade  damals  machte  die 
Lehre  vom  Galvanismus,  von  der  Elektricität  und  der  Nervenwirkung 
durch  G  a  1  V  a  n  i ,  V  o  It  a ,  S  ö  m  m  e  r  i  n  g ,  B  e  h  r  e  n  d  s ,  J.  F.  A  c  k  e  r  - 
mann,  Reil,  Fontana,  ganz  besonders  durch  AI.  v.  Humboldt 
und  J.  W.  Ritter,  grosses  Aufsehn.  Die  Respiration  wurde  damals 
chemisch  untersucht  von  P  r  i  e  s  1 1  e  y ,  D  a  v  y ,  B  e  d  d  o  e  s ,  F  o  n  t  a  n  a  , 
Goodwyn,  Lavoisier,  Menzier;  die  thierische  Wärme  als 
Folge  der  Gährung,  Fäulniss,  Blutreibung,  elektrischen  Strömung 
beleuchtet  von  Mortim  er,  Plenciz,  Shebbaere,  Crawford 
u.  A.  In  dieselbe  Zeit  fielen  die  Untersuchungen  des  Harns  von 
Proust,  Fourcroy,  Vauquelin  U.A.,  die  der  Milch  von  Farmen - 
tier,  Deyeux,  und  die  zahlreichen  chemisch -physiologischen  For- 
schungen eines  Seguin,  31  argueron,  Raymond,  Bert h olle t. 


257 

Chaptal,  Fahre,  Cavallo,  A  ii  t  e?iri  et  h,  Reil  ii.  A.  Diese 
auf  das  Qiialitalive  gericlilele  Tendenz  trat  offenbar  einer  blos 
quantitativen  Berücksichtigung  des  Lebens  und  der  äussern  Einwirkun- 
gen entgegen.  Nicht  minder  beschränkten  die  in  der  Oertlich- 
k  ei  t  wurzelnden,  von  Morgagni  und  Bichat  begonnenen  ana- 
tomisch-pathologischen Bestrebungen  eine  vorzugsweise  durch 
Brown  eingeführte  allgemeine  Anschauung  der  Lebensprocesse, 
obgleich  auch  diese  in  gewisser  Hinsicht  ihr  Gutes  hatte.  Die 
Kunst  zu  beobachten  ferner  war  durch  das  Studium  des  Ilip- 
pokrates  und  durch  zahlreiche  Epidemieen  seit  Sydenham  so 
geübt  worden,  dass  die  Oberilächlichkeit  der  Brownianer  und  ihre 
Berücksichtigung  causaler  Momente  statt  der  naheliegenden  ob- 
jectiven  Zeichen  damit  einen  grossen  Contrasl  bildete,  wesshalb 
es  z.  B.  nichts  Heterogeneres  geben  kann  als  die  damals  erschiene- 
nen Handbücher  der  Semiolik  (Tesla,  Grüner)  und  der  Diagnostik 
(S.  G.  Vogel,  ^V  ichmann)  und  die  dahin  einschlagenden  Lehr- 
sätze des  schottischen  Reformators.  Auch  hatten  die  nosologischen 
Versuche  von  Boissier  de  Sau  vages,  Linne,  Vogel,  Mac- 
1)  r  i  d  e  ,  S  a  g  a  r ,  C  u  1 1  e  n ,  H  e  h  e  n  s  t  r  e  i  t ,  Daniel,  van  der 
HeuveU,  Seile  und  Ploucquet  durch  ihre  Neuheit  gerade  zu 
viele  Hoffnungen  auf  diesen  Zweig  rege  gemacht,  um  sich  durch 
Browns  Verachtung  zu  einem  Aufgeben  desselben  bestimmen  zu 
lassen.  Erscheint  endlich  ein  kleiner  Heilapparat  wohl  als  ein  Vor- 
zug, wenn  er  mit  gehöriger  Sicherheil  und  umfassender  Heilmitlel- 
kenntniss  bei  vielfachen  Formen  von  Krankiieitcn  angewendet  werden 
kann,  so  nnisste  bei  der  Unsicherheil  der  Brownsciien  Indicatio- 
nen  und  der  einseitigen  An  f  f  a  ssung  der  Arzneiwirkungen 
sein  Thesaurus  medicaminum  als  sehr  geringfügig  erscheinen  und 
leicht  den  Vorwurf  erzeugen,  als  habe  er  desshall)  eine  Menge  Mittel 
ausgeschlossen,  weil  er  ihre  besondere  Wirksamkeit  nicht  unter 
seine  zwei  Rubriken  zu  bringen  vermochte.  Daher  konnte  schon 
die  Auffindung  neuer  oder  die  weitere  Anwendung  aller  31itfel  (die, 
mochten  sie  nun  auf  chemische  oder  specifische  Weise  gedeutet  wer- 
den,  immer  der  qualitativen  Betrachtungsweise  grossen  Vorschub 
leisteten)  die  Unzulänglichkeit  der  Brown'schen  Erklärungs- 
art und  seines  Verfahrens  beweisen.  So  geschah  es  mit  vielen 
metallischen  Mitteln  (namentlich  mitAMsmnth,  Antimon,  Zinn,  Zink, 
Blei,  Kupfer,  Silber,  Arsenik),  mit  einigen  Erden-  und  Laugensalzen 
(Kalk,  Seife,  Bittererde),  mit  Neutralsalzen  (von  Baryt,  Kalk,  Kali)., 

17 


258 

besonders  mit  den  Säuren ,  welche  ausserordentlichen  Ruf  erlangten 
(Salpeter-,  Salz-,  Phosphorsäure),  den  Luflarten  (kohlensaures, 
WasserstofF-,  SchwefelwasserstolT-,  SauerstolTgas) ,  dem  Phosphor 
und  vielen  narcotischen  und  scharfen  Stoffen  (z.  B.  Cicuta ,  Bella- 
donna, Slramonium,  Hyoscyamus ,  Nux  vomica,  Blausäure,  Rhus, 
PulsaliUa,  Clematis,  Bryonia  und  andere).  Ja  selbst  die  weitere 
Ausbildung  der  Chirurgie  seit  Petit  durch  Desault,  Percy 
in  Frankreich,  Bromfield,  Abernethy,  die  Hunt  er  s  und  Bell 
in  England,  durch  Heuermann  undCallisen  in  Dänemark,  Pal- 
lucci  in  Italien,  seit  Heister  durch  Theden,  Schmucker, 
Brambilla,  Plenck  in  Deutschland,  wie  die  Fortschritte  der 
Geburtshiilfe  durch  P  a  l  f  y  n ,  L  e  v  r  e  t ,  B  a  u  d  e  1  o  c  q  u  e ,  S  m  e  1 1  i  e , 
Osborne,  Stein,  Boer,  Saxtorph  Hessen  viele  Behauptungen 
BroAvn's,  namentlich  in  Bezug  auf  üertlichkeit  der  Krankheiten, 
Entzündungslehre,  Blulfliisse,  Anwendung  der  Kälte,  des  Aderlasses 
u.  s.  w. ,  in  ganz  falschem  Lichte  erscheinen.  So  trat  die  Erfah- 
rung als  mächtigste  Bundesgenossiu  der  Theorie  zugleich  als  die  be- 
deutendste Feindin  und  Widcrsacherin  der  neuen  Richtung  aul. 
Die  Veranlassungen,  welche  zum  Untergange  der  neuen  Lehre 
schon  in  ihr  selbst  lagen,  steigerten  sich  sonach,  als  sie  dem 
Geiste  der  Zeit  7,u  hemmend  entgegentrat,  und  einige  Neben- 
umstände in  dem  Verlaufe  der  Entwickelung  waren  keinesw'egs 
geeignet  diesen  Ausgang  aufzuhalten.  Dahin  rechnen  wir  die  stür- 
mische Hast  und  blinde  Wuth  der  Brownianer,  welche  gegen  die 
Polemik  der  Gegner  nur  zu  sehr  abstach,  die  Menge  gläubiger,  aber 
urtheilsloser  Nachbeler,  die  Brown  nur  halb,  gar  nicht  oder  miss- 
verstanden, die  Uneinigkeiten  und  Spaltungen  unter  den  Anhängern 
selbst.  Es  ist  oben  des  Breiteren  gezeigt  worden,  wie  dieser  Unter- 
gang nach  den  ewigen  Entwickeinngsgesetzen  in  Uebergängen  er- 
folgte, wie  illodificationen  und  Vennittelungstendenzen  dem  System 
seine  Eigenlhiimlichkeiten  nahmen  und  wie  endlich  zu  einer  Zeit,  wo 
auf  der  einen  Seite  bereits  Verachtung  oder  Gleichgültigkeit,  auf  der 
andern  ein  mühsames  Anstreben  dagegen  Statt  fand,  die  Verbindung 
mit  der  Naturphilosophie,  welche  sich  eigentlich' nur  durch  die  Er- 
regungstheorie in  die  medicinische  Welt,  wie  durch  Fichte  in  die 
philosophische,  einführen  Hess,  eine  kurze  Zeit  lang  den  Sturz  auf- 
hielt, um  ihn  dann  gewissermassen  durch  eine  Assimilation  desto 
sicherer  herbeizuführen.  Dieser  Uebergang,  als  Beweiss  einer  noth- 
wendigen  Folge  und  natürlichen  Ausgleichung  der  Bro\vn"schen 
Extreme,    wenigstens  in   physio- pathologischer  Hinsicht,    führt  uns 


259 

7,11  dem  letr-fen  Alis'^Iiniü  unserer  Darstellung-,    zur  ffescfi  i  c  li  1 1  i- 
chen  Beden  tu  nff  der  Erregungslheorie. 

Die    geschichtliciie   Bedeutung    des    Brown'schen 
Systems    und   der  Erregungstheorie. 

Die  Erforschung  der  geschichtlichen  Bcdeulunff  eines  Ereig- 
nisses hat  sich  nach  drei  Seiten  hinzuwenden.  Sie  muss  einmal  die 
Vorzeit  in's  Auge  fassen  und  abgesehen  von  dem  Innern  Gehalle 
den  geschichtlichen  Werth  feststellen ,  was  durch  Vergleichung 
mit  früheren  und  späteren  Leistungen  bewirkt  wird,  dann  nimmt  sie 
Rücksicht  auf  den  Einfluss,  den  die  Lehre  auf  die  Zeitgenossen 
übte,  und  schildert  endlich  die  Nachzeit,  in  welcher  die  Folgen 
derselben  sichtbar  geworden  sind.  In  Bezug  auf  die  Vorzeit  des 
Systems  haben  wir  bereits  in  der  Einleitung  und  an  andern  Orten 
angegeben,  welche  Stellung  dasselbe  in  der  gesetzmässigen  Ent- 
M'ickelung  der  Heilkunde  einnahm,  und  wie  es  in  dieser  Beziehung, 
ohne  es  zu  wollen,  im  Einklang  oder  im  Widerspruch  mit  andern 
Bestrebungen  der  damaligen  Epoche  stand.  Hier  wird  es  gleichsam 
als  Ergänzung  jenes  in  der  Einleitung  gegebenen  geschichtlichen 
Abrisses  noch  versucht  werden,  näher  auf  einige  vorhergegangene 
Leistungen  einzugehen,  um  namentlich  auch  durch  den  Nachweiss 
einer  gewissen  Neuheit  und  Selbstständigkeit  unseres 
Systems  den  geschichtlichen  Werth  desselben  zu  begründen. 

Freunde  wie  Feinde  des  Brownianismus  zogen  Parallelen  zwi- 
schen Brown  und  älteren  in  der  Geschichte  der  Medicin  hervor- 
ragenden Leistungen.  Jene  wollten  seinen  Lehren  dadurch  mehr 
Gewicht  geben ,  Diese  ihnen  den  Ruhm  und  Reiz  der  Neuheit  rauben. 
Nicht  selten  wird  denn  auch  Hippokrates  in  den  Bereich  des 
Kampfes  gezogen,  der  allerdings  als  Vater  der  Heilkunst  vieles  Ma- 
terial zu  diesem  wie  zu  jedem  andern  medicinischen  Gebäude  geliefert 
hat.  In  engerer  Beziehung  ist  wohl  schwerlich  auf  ihn  zurückzu- 
gehen ,  da  Beide  zu  heterogene  Richtungen  verfolgten ,  um  mit  ein- 
ander verglichen  zu  werden.  Dennoch  ist  diess  speciell  geschehen. 
Der  obengenannte  Ortlepp  will  bev.eisen,  dass  Brown  nichts 
Neues  gegeben  habe,  was  nicht  schon  bei  Hippokrates  sich  vor- 
finde, und  Ringseis  bemühte  sich  in  einer  besondern,  von  Rösch- 
laub mit  einer  Vorrede  (s.  oben  S.  173)  versehenen  Schrift  ^^^) 
die  Uebereinstimmung  zwischen  Brown  und  Hippokrates  und 
die  gegenseitige  Ergänzung  beider  Lehren  zu  zeigen.  Die  Ueber- 
einstimmung sieht  er  in  der  Lehre  vom  Calidum  innatum  und  in  der 

17- 


260 

Incilabilitas,  in  der  Allgemeinheit  der  Krankheiten,  die  auch  Hip- 
pokrales  an  einer  Stelle  annehme.  Inanitio  und  Repletio  bei 
Hippokrates  entspreche  der  Asthenie  und  Sthenie,  nur  ergänze 
Dieser,  was  an  der  Materie  bei  Brown  fehle,  Brown,  Mas  Jener  in 
Bezug  auf  Sthenie  und  Asthenie  versäumt  habe.  lieber  Causalität, 
Bildung  der  Krankheit,  Metaschematismus,  sogar  über  den  Heilpro- 
cess,  über  denAderlass,  die  Purganzen,  Diät  (replens  et  inaniens, 
plenior  et  tenuior,  calefaciens  et  refrigerans)  sollen  sie  einig  sein. 
NunI  wir  brauchen  nur  einen  Satz  herauszuheben,  um  die  Sophistik 
von  Rings  eis  ganz  zu  erkennen.  Dieser  heisst:  „Liquet  Hippo- 
cratem  et  Brownium,  quoad  doctrinam  de  vita  seu  physiologiam  in 
multis  (sehr  Ausserwesentlichem)  inter  sese  consentire,  in  aliis  (!) 
saltem  non  dissentire  (I)  et  non  nisi  in  paucis  (gerade  dem  Wichtig- 
sten) sibi  revera  contradicere."  —  Ein  weiteres  Eingehen  auf  solcle 
Vergleichung  halten  wir  für  überflüssig. 

Dagegen  verdient  eine  andere  Zusammenstellung  grössere 
Beachtung,  weil  sie  in  der  That  mehr  Anhallspuncte  liefert.  Es  ist 
diess  die  Vergleichung  zwischen  Brown  und  Asklepiades  oder 
der  methodischen  Schule.  Oben  ist  bereits  erwähnt  worden,  dass 
schon  Scuderi,  Moscati,  Polidoriu.  A.  eine  solche  Beziehung 
gefunden  haben.  In  Deutschland  fassten  Claras  und  Burdach 
fast  gleichzeitig  ohne  von  einander  zu  wissen  die  Idee,  die  Ueber- 
einstimmung  zwischen  beiden  Schulen  zu  zeigen,  Burda  ch  mit  mehr 
specieller  Beschränkung  auf  Asklepiades.  Clarus^°^)  hat  aber 
nur  die  Hälfte  der  einen  Seile,  nämlich  die  Darstellung  der  theore- 
tischen Ansichten  der  methodischen  Schule  in  seiner  gewohnten 
klaren  und  eleganten  Weise  gegeben  und  überlässt  uns  die  andere 
Seite  der  Betrachtung,  vielleicht  weil  ihn  Burda  ch's  mittlerweile  er- 
schienene Parallele  ^loj  dessen  überhob.  Diese  ist  nämlich  so 
vollständig  ausgefallen,  dass  sie  sich  selbst  auf  die  persönlichen 
Eigenschaften  beider  Syslematiker  und  auf  die  äussern  Veranlassun- 
gen des  Systems  mitbezieht.  Doch  gestehen  wir,  bei  aller  Anerken- 
nung dec  lebensfrisclien  und  geistvollen  Auffassung  Burdach 's, 
dessen  Vorliebe  für  Brown  hier  nur  eine  neue  Bestätigung  auf 
historischem  Boden  zu  suchen  scheint,  dass  der  Vergleich  in  dieser 
Beziehung  zu  weit  ausgedehnt  ist.  Theils  ist  die  Lebensgeschichte 
des  Asklepiades  zu  dunkel,  theils  sind  die  geltend  gemachten 
Puncte,  ein  früheres  mühsames  Leben,  feuriges  Temperament,  Wider- 
spruchsgeist,  Ehrgeiz,  moralischer  Character,  nicht  schlagend  genug 
für  eine  Parallele.      Ebenso    gut   und  vielleicht   noch  besser   hätten 


261 

Vergleiche  mit  dem  Leben  des  Paracelsus,  ja  mit  dem  aller  an- 
dern Reformatoren  gezogen  werden  können.  Dass  Beide  Vorgänger 
halten  —  wie  kann  es  anders  sein ,  da  die  Geschichte  nur  eine  Ent- 
wickelung  ist?  Und  welcher  Genius  hätte  sie  nicht  gehabt?  Wenn 
darin  eine  Aehnliclikeit  gesucht  wird,  dass  Asklepiades  und 
Brown  sich  auf  Philosophen  gestützt  haben,  Jener  auf  Epikur, 
Dieser  auf  Baco,  so  tritTt  diess  nur  die  äussersle  Spitze,  nämlich  das 
Absehen  vom  Uebersinnlichen  ,  das  Ilinicilen  auf  die  Erscheinungs- 
welt. In  der  Verwirklichung  dieser  Tendenz  aber  weichen  sie 
ab.  Burdach  selbst  bekennt,  dass  Epikur  in  den  Materialismus 
versank,  während  Baco  auf  Induction  und  Erfahrung  begründete 
Principien  aufslelUc  und  einem  Realismus  oder  edlerem  Empirismus 
luildigle.  Auch  slellt  sich  das  V^erhältniss  unserer  Systemaliker  zu 
diesen  Philosophen  g&nz  anders,  indem  die  Methodiker  wirklich  die 
Lehren  des  Epikur,  wenn  auch  modificirt,  zur  Ba  s  i  s  «nahmen, 
während  Baco  nur  Brown  die  Methode  anzeigte,  eine  An- 
weisung gab,  die  nicht  einm;il  richtig  befolgt  wurde.  Dass  die 
Alomenhypolhese  keinen  Einlluss  auf  Asklepiades  gehabt  halje, 
können  wir  nicht  annelunen,  obwohl  seine  Striciur  und  Laxität  nicht 
in  so  enger  Verbindung  damit  stehen,  als  die  Sthenie  und  Asthenie 
Brown's  mit  der  Errei^barkeit.  ,, Einen  Mittelweg  zwischen  Empi- 
rismus und  Dogmatismus"  (a.  a.  0.  S.  53)  haben  Beide  nur  insofern 
eingeschlagen,  als  sie  bei  aller  scheinbaren  Empirie  immer  ein 
Dogma  an  die  Spitze  stellten.  In  diesem  selbst  liegt  aber,  obgleich 
die  abgeleiteten  Sätze  mehrfach  zusammenfallen ,  ein  wesentlicher 
Unterschied.  Der  Grundzug  des  bilhynischen  Systems  ist  Materia- 
lismus, der  des  schottischen  Dynamismus.  Hiernach  modificirt  sich 
die  formelle  Anschauungsweise  der  Krankheiten  Beider,  dort  als 
materiell,  hier  als  dynamisch.  Bei  Asklepiades  war,  trotz  der 
^emofHQiig  (Spiritus  nach  Cael.  Aurelia nus),  die  Materie  im- 
mer die  Hauptsache,  der  Ausgangs-  undEndpunct,  bei  Brown 
herrschten  ebenfalls  materiell -mechanische  Ansichten,  aber  diese 
sind  einem  höheren  Principe  untergeordnet,  dienen  nur  zur 
Erklärung,  sind  nicht  der  letzte  Grund.  Es  ist  eine  allzuviel 
beweisende  Behauptung  Burdachs,  wenn  er  sagt:  ,, Hätte  Brown 
meiir  den  Grund  der  Erregbarkeit  namhaft  gemacht,  und  Askle- 
piades mehr  die  Erscheinungen,  wobei  Jener  vor-,  Dieser 
zurückgegangen  wäre,  so  würde  die  Darstellung  Jenes,  die  Einthei- 
luiig  Dieses  dieselbe  gewesen  sein"  (a.  a.  0.  S.  81).  Eben  das  ist 
der  Unterschied,   dass,  während  Asklepiades  sich  damit  täusclite, 


2(52 

ein  blos  sinnliches  Phänomen  zur  Basis  gewählt  zu  haben,  da 
es  doch  eigentlich  eine  Reflexion  über  den  letzten  Grund,  die  nächste 
Ursache,  enthielt,  Brown  seinerseits  ein  Princip  gegeben  zu  haben 
meinte,  da  es  doch  nur  eine  äussere  Erscheinung  war.  Hierzu 
kommt  noch  ein  anderes  Moment.  Bei  Asklepiades  war  nach 
der  AulTcissung  der  Alten  der  Organismus  nur  eine  Fortsetzung  der  - 
äussern  Welt,  d.  h.  es  herrschten  dieselben  Gesetze  im  Organischen 
wie  im  Unorganischen,  und  es  wurde  die  Identität  beider  Reiche  auch 
hier  nachgewiesen,  bei  Brown  dagegen  handelte  es  sich  um  eine 
Abhängigkeit  des  Organismus,  um  eine  Opposition  der  Aussenwelt. 
Haben  wir  uns  insoweit  über  die  Grundlage  beider  Systeme  verständigt 
und  ihre  wesentliche  Verschiedenheit  nachgewiesen,  so  können 
wir  vorurlheilsfrei  die  allerdings  nicht  zu  läugnenden  Aehnlich- 
keiten  betrachten,  die  namentlich  in  den  Folgesätzen  hervortritt. 
Es  ist  wa^ir,  dass  beide  Systeme  practisch  waren,  beide  solidarpatho- 
logisch,  auf  die  Quantität  gerichtet  (dort  das  Maass  der  3Iaterie,  hier 
das  der  Erregbarkeit,  Burdach),  dass  beide  die  allgemeine  Form  im 
Auge  haben  (Communitäten) ,  die  Mischungsveränderungen  als  Folge 
betrachten.  Auch  Asklepiades  soll  nach  Burdach  die  Natur- 
heilkraft geläugnet  haben;  aber  es  ist  von  Clarus  u.  A.  nachgewie- 
sen und  geht  schon  aus  seiner  Ansicht  vom  Fieber  und  von  dessen 
künstlicher  Erregung  hervor,  dass  diess  nicht  der  Fall  gewesen  sei; 
und  von  Caelius  und  Soranus  lässt  sich  das  Gegentheil  bestimmt 
versichern.  Dasselbe  ist  in  der  methodischen  Schule  mit  den  Krisen 
und  den  kritischen  Tagen  der  Fall,  da  auf  bestimmte  Tage,  auf  einen 
ge\^issen  Cykliis  viel  gegeben  wurde  und  nur  die  ursächlichen  Be- 
ziehungen der  kritischen  Erscheinungen,  nicht  diese  selbst,  wie  bei 
Brown,  geläugnet  wurden.  Auch  den  Consensus  nahm  der  Bithy- 
nier  an,  Brown  nicht.  Einen  andern  wicliligen  Unterschied  er- 
giebt  die  Aetiologie,  welche  Burda  ch  gar  niciit  berührt  hat.  Bei 
Brown  beruht  nämlich  die  ganze  Eintheilung  der  Krankheiten  auf 
dem  gelegentlichen  Causalverhältniss  der  Erregung,  bei  Askle- 
piades auf  Zuständen,  die  sich  nuf  den  nächsien  Grund  beziehen. 
Brown  und  die  Jlelhodiker  verachteten  densülben  als  etwas  Un- 
erforschbares. Die  Letzteren  aber  unterschieden  scharf  zwischen 
entfernteren  (jiQoy.axaQKTiyal  ahiui)  und  der  nächsien  Ursache - 
ioorty.Tiy.i]  uhi'u)  (worunter  Einige  die  Communitäten  verstanden) 
und  hielten  gerade  (nach  Clarus  mit  Ausnahme  von  Caelius)  die 
von  Brown  so  sehr  beachteten  entfernteren  für  unwiciilig,  weil  sie 
ihren  EinÜuss   später   verlieren.      Nur   in  seltenen  Fällen,   z.B.  bei 


2Ö3 

Vergiflungen,  gab  es  daher  eine  besondere  auf  Entfernung  der  Ge- 
legenheilsursaclien  gerichtete  sogenannte  prophviactische  Communität. 
Eine  grosse  AehnlichUeit ,  aber  aucli  nur  diese,  herrscht  iu 
beiden  Systemen  in  Bezug  auf  die  Einlheilung  der  Krankheiten.  Denn 
der  Slhenie  bei  Brown  entspricht  die  Slrictur  bei  den  Methodikern, 
der  Asthenie  die  Laxitiit,  d.  h.  es  fallen  die  unter  diesen  gemein- 
schaftlichen Benennungen  gefassten  Krankheiten  in  beiden  Doctrinen 
mit  wenigen  Ausnahmen  zu;^ammen.  Betrachtet  man  aber  die  Aus- 
gangspuncte,  die  Beziehung  dieser  Einlheilung  zu  den  Obersützen, 
60  sieht  man  in  der  That  nur  ein  zufalliges  Zusammentreffen  in  den 
Resultaten,  was  um  so  erklärlicher  ist,  als  eine  solche  Dichotomie 
sehr  nahe  lag,  sehr  plausibel  erschien  und,  wie  wir  sogleich  sehen 
werden,  auch  anderwärts  schon  angedeutet  war.  Abgesehen  hier- 
von aber  kommt  neben  diesen  beiden  Zuständen  ein  dritter  bei  den 
Welhodikern  vor,  für  den  wir  nicht  nur  keine  Analogie  bek  Brown 
haben,  sundern  der  geradezu  bei  ihm  ausgeschlossen  ist:  wir  meinen 
den  gemischten  Zustand.  Es  ist  ein  Fehler,  wenn  man  diesen  mit 
der  gemischten  Asthenie  Brown's  vergleicht,  eine  geistreiche  Hy- 
pothese, wenn  Burdach  der  Parallele  zu  Liebe  die  indirecte  Astlie- 
nie,  deren  Aufstellung  eben  ein  wesentlicher  Vorzug  und  Unterschied 
Brown's  ist,  damit  verwandt  sein  lässt ,  denn  in  jenem  Gemischten 
waren  Strictur  und  I.axität  vereint ,  aber  eins  herrschte  vor  und  nach 
diesem  wurde  die  Indication  bestimmt.  Auch  ist  die  Unterordnung 
der  einzelnen  Krankheiten  in  mancher  Beziehung  verschieden.  So 
gehören  zur  Strictur  (bei  Brown  zur  Asthenie)  Epilepsie,  Schlaf- 
sucht, Gicht,  zur  Schlaffheit  Phrenitis  und  Pneumonie,  die  bei  Brown 
zur  Sthenie  gerechnet  werden.  Beide  Aerzte  aber  haben  Das  gemein- 
schaftlich, dass  sie  Krankheiten  zu  einer  Diathese  rechnen,  die  in 
der  andern  auch  vorkommen  können,  dass  sie  zwischen  Gesundheit  und 
Krankheit  die  Anlage  stellen  und  die  Krankheiten  in  allgemeine  und 
örtliche  theilen;  dass  sie  für  letztere  besondere  Communitäten  aus- 
denken; dass  Asklepiades  die  Idee  der  passiven  Enlzündungs- 
krankheilen  C?)  fasste  (Burdach),  Brown  sie  ausbildete;  dass 
sie  die  Zeichen  der  Communitäten  nicht  feststellten  und,  Caelius 
ausgenommen,  der  auch  kritische  und  symptomatische  Erscheinungen 
schied,  schlechte  Diagnostiker  waren.  —  Die  Aehnlichkeit  ihrer 
Heilmethoden  endlich  stützte  sich  auf  die  vorausgegangene  und, 
wie  wir  gesehen  haben,  verschieden  motivirte  Einlheilung  der  Krank- 
heiten und  darf  um  so  weniger  auffallen,  als  bereits  Hippokrates 
durch  seine   TtQod'toig  /.ai  äcfaioeoig   (addilio  et  sublraclio),   noch 


204 

mehr  Aristoteles  durch  seine  nvxvwoig  y.ai /nurcooig  (densitas  et 
rarilas)  eine  ähnliche  Theilung'  aufgestellt  hatte,  ohne  dass  man  hierin 
weder  eine  Beziehung  zu  dem  Bitliynier  noch  zu  dem  Schollen  finden 
könnte.  Freilich  sind  zuletzt  heida  Methoden  durch  ihre  Mittel 
unter  einander  verAvandt,  ist  die  zusamnienzieliende  oder  nach  Brown 
reizende  3Iethode  üherwiegend,  wird  Aderlassen  und  die  ausleerende 
(erschlaffende,  schwächende)  3Iethode  heschränkt ;  aber  vergessen 
wir  nicht,  dass  die  lleilmittelkenntniss  von  jeher  so  schmiegsam  war, 
dass  jede  Einlheilung-  passte  oder  auch  nicht  passte,  und  dass  in 
den  vorhergegangenen  Blissbräuchen  wie  in  dem  Vorwiegen  der 
Schwächekrankheiten  damals  in  Rom  wie  zu  ßrown's  Zeiten  ein 
nicht  unwichtiger  Grund  für  das  Verhältniss  der  beiden  Methoden 
zu  einander  lag.  Und  wenn  gar  zu  viel  Gewicht  darauf  gelegt  wird, 
dass  Asklepiades  den  Wein  ebenfalls  allzu  reichlich  anwendete 
(auch  in  hitzigen  Krankheiten),  dass  nach  der  allgemeinen  Auffas- 
sung der  3Ietliodiker  auch  bei  ihnen  eine  örtliche  Wirkung  der  Mittel 
nicht  galt,  sondern  selbst  bei  grösserer  Atfection  eines  Theils  die 
Behandlung  auf  das  Allgemeine  gerichtet  wurde,  so  wollen  wir  doch 
als  einen  wichtigen  Unterschied  die  „M  e  t  a  s  y  n  kr  is  e  "  der  Metho- 
diker zu  Hülfe  rufen.  Man  kann  sie  nämlich  als  eine  Art  abwechseln- 
der Spannung  und  Erschlaffung,  ungefähr  wie  die  Priessnitz'sche 
Methode ,  betrachten  oder  sie  jenem  Status  mixtus  an  die  Seite  setzen, 
aber  besser  isl"s  (wie  z.  B.  die  damit  verbundene  Ekelkur,  das  Reisen, 
der  Genuss  der  Seeluft  beweist),  sie  für  eine  umstimmende  Cur  zu  er- 
klären, und  dann  wird  das  qualitative  Verfahren  der  Methodiker 
wesentlich  von  dem  blos  quantitativen  der  Brovvnianer  zu  trennen 
sein.  Möge  uns  übrigens  der  geistreiche  Burda  ch  verzeihen, 
wenn  wir  seine  Hypothese,  dass  Asklepiades  seinen  Beinamen 
ipv/QodoTijg  von  einer  „heimlichen  Liebschaft"  mit  dem  Opium  er- 
halten habe,  stillschweigend  zu  den  Acten  nehmen  und  überhaupt 
wohl  Aehnlichkeiten,  aber  keine  Aehnlichkeit  oder  innere  Ueberein- 
stinnnung  zwischen  Asklepiades  und  Brown  finden  können. 
Aber  gesetzt  auch,  man  nähme  an,  dass  BroAvn  wirklich  Vieles  von 
diesem  seinem  Vorgänger  entlehnt  habe,  so  wäre  die  Art  und  ^^'eise, 
wie  er  trotz  der  Umwandlung  der  obersten  Salze  dieselben  Resultate 
erreicht  hätte,  schon  geistreich  genug,  um  ihm  den  Ruhm  eines  ori-' 
ginellen  Geistes  zu  sichern. 

In  einigen  besondern  Einzelnheiten  wird  Brown  auch  als 
Nachfolger  Sydenham's  bezeichnet.  INamenllich  gilt  diess  von 
seiner  Behandlung  der  sthenischen  Krankheilen,  von  seiner  Vorliebe 


2(35 

lUr  das  Opium  und  von  seinem  Ilass  gegen  die  scliweisstreibende  Me- 
thode. Wenn  aber  Buidacli  und  nach  ihm  IIa  es  er  in  Syden- 
ham's  Gegenüberstellung  des  Aderlasses  und  des  Opiums,  die  er  als 
crura  medicinae  bezeichnete,  Spuren  von  Sthenie  und  Asthenie 
finden  wollen,  so  gehl  das  zu  weit  und  selbst  der  von  Brown  cilirle 
Ausspruch  (s.  Ha  es  er 's  Geschichte  der  3Iedicin.  Jena  1845.  S.  632), 
dass  Sy  denham,  wenn  er  zu  seiner  Zeit  gelebt  hätte,  Brownianer 
gewesen  sein  würde,  kann  sich  nur  auf  eine  hohe  Meinung  Browns 
von  der  Wahrheit  seiner  Satzungen  und  auf  Sy  denh  a  m's  Liebe  zum 
Opium  beziehen,  nichl  eine  Ableitung  des  Brown'schen  Systems  von 
Jenem  beweisen.  NN  enn  überdiess  Burdach  geltend  macht,  dass  Sy- 
denham  Opium  nicht  blos  für  ein  schmerzstillendes  und  schlafmachen- 
des,  sondern  auch  für  das  kriifligste  herzstärkende  Mittel  erklärt 
habe  (Sydenh.  Opp.  Sect.  IV.  c.  3.),  so  geben  andrerseits  die  aufge- 
stellten Indicalionen  für  dessen  Anw  endung :  heftiger  Schmerz,  hef- 
tiges Erbrechen  und  Durchfall  und  bclrächllicbe  Verwirrung  (Ataxie) 
der  Lebensgeister ,  wieder  keine  Belege  für  die  Brown"sche  Auffcis- 
sung  ■■••)•  Einzelnes  halte  wohl  Brown  auch  von  Sy  denham  ent- 
lehnt, aber  wer  wollte  ihm  desswegen  Originalität  absprechen?  Wer 
sieht  nicht  den  grossen  Unterschied  in  den  Grundzügen  Beider,  in 
Sydenham's  Vorliebe  für  Specilica,  namentlich  für  die  von  Brown 
nicht  eben  sehr  geliebte  China,  in  der  häufigen  Annahme  der  Enlzün- 
dungskrankheilen  (wahrscheinlich  bedingt  durch  den  damaligen 
Krankheitscharacter),  in  der  entsprechenden  Anwendung  des  Ader- 
lasses, in  der  Aufstellung  der  radicalen  und  symptomatischen  Behand- 
lungsweise,  der  Begründung  der  Lehre  von  den  Krankheilsprozessen 
(s.  Haeser  a.  a.  0.),  in  der  Anerkennung  der  ^'aturheilkraft  und  der 
Krisen?  Warum  hat  Brown  nicht  dieses  Alles  mit  entnommen, 
wenn  Sydenh  am  wirklich  sein  „Vorgänger"  Avar?  — 

Wenden  wir  uns  mit  Uebergehung  der  wenigen  und  unter- 
geordneten Elemente,  welche  Brown  zur  Erklärung  einzelner  Er- 
scheinungen von  den  latr  0  mathemat  ikern  entnommen  zu  haben 
scheint,  dem  unterscheidenden  Grundprincip  seines  Systems,  der  Er- 
regbarkeit zu,  so  können  wir.  was  Burdach  übersehen  haben 
muss,  seinen  Landsmann  Glisson  mit  grösserem  Rechte  als  Vor- 
läufer bezeichnen ,  denn  Dieser  war  es  zuerst ,  welcher  die  Erschei- 
nungen der  Körperwelt  auf  das  allgemeine  Gesetz  der  Reizbarkeit  zu- 


*)  Auf  die  reizende  Eigenschaft  des  Opiums  hatte  kurz  vor  Brown 
auch  Tralles  in  einer  allgemein  als  gut  anerkannten  Schrift  aufmerk- 
sam gemacht. 


266 

rückführte.  Jedoch  unterscheidet  sich  diese  Reizbarkeit  gar  sehr 
von  der  Brown'schen ,  obgleich  sie  ebenfalls  nicht  blos  die  Bluskelbe- 
wegung,  sondern  jede  organische  Bewegung,  also  auch  die  vegeta- 
tiven Functionen  erzeugt.  Denn  sie  ist  bedingt  durch  Irritabilität 
der  Faser  und  den  Sensus ,  d.  h.  das  Vermögen  der  Nerven  Reize 
aufzunehmen  und  abzugeben,  angeregt  zu  werden  und  anzuregen. 
Dieser  Sensus  ist  sowohl  ein  äusserer  als  ein  innerer  und  letzterer  ent- 
weder ein  peripherischer  oder  centraler  durch  die  Phanlasia  oder  den 
Sensus  internus  im  engeren  Sinne  vermittelt.  Diese  scharfe  Son- 
derung wie  die  Unterscheidung  der  perceplio  naturalis  und  sensitiva, 
denen  ein  entsprechender  appelilus  und  motus,  entweder  willkührlich 
oder  refleclirt  folgt,  stellen  Glisson's  Lehren  den  neuern  Nerven- 
unlersuchungen  sehr  nahe  (vergl.  G.  H.  Meyer  in  Haeser's  Archiv. 
Jena  1843.  V.  1.)  und  beweisen  Dessen  scharfsinnigen  Geist.  Wir 
haben  hier  eine  ganze  Dynamik  des  Nervensystems  und  Brown  hätte 
mehr  leisten  können,  wenn  er  diese  in's  Einzelne  verfolgt  hätte,  statt 
sich  blos  den  obersten  Grundsatz  anzueignen  und  hierauf  andere  Fol- 
gerungen zu  bauen.  Aber  eben  wegen  dieser  allgemeinen  und 
dynamischen  Anffassungsform,  nach  welcher  die  Irritabilität 
Quelle  und  Vermittlerin  aller  Bewegung  und  Ernährung  ist,  und 
wegen  der  Art  und  Weise,  wie  Glisson  zu  diesem  Resultate  ge- 
langte, steht  Brown  ihm  näher  als  IIa  11er,  dessen  auf  dem  Wege 
des  Experiments  ermittelte  Irriiabilität  eine  beschränkte  orga- 
nische Grundkraft  eines  einzigen  körperlichen  Systenis,  des  Muskel- 
systems, ist  und  ihren  natürlichen  Gegensalz  in  der  Sensibilität  findet 
(Brown  setzte  ausdrücklich  seine  Erregbarkeit  in  das  Nervenmark 
und  die  Muskularsubstanz).  Auf  diese  Weise  ist  die  Haller'sche  Irri- 
tabilität, welche  noch  unter  einem  höheren  Gesetze  steht  und  nur 
einzelne  Functionen  erklärt,  auf  keine  AVeise  mit  dem  Principe 
Brown' sin  Vergleich  zu  ziehen,  welches  nach  einer  ganz  andern 
Richtung  hinzeigle.  Vielleicht  haben  aber  dennoch  die  in  die  Jugend- 
zeit Brown's  fallenden  heftigen  Streitigkeiten  über  die  Haller'sche 
Lehre  und  die  damit  in  Verbindung  stehenden  Untersuchungen  durch 
Ideenassociation  auf  jenes  Princip  hingeführt. 

Was  ist  endlich  natürlicher ,  als  dass  man  den  Einfluss  des  Leh- 
rers bei  dem  Schüler  wiederzufinden  glaubt?  Daher  hat  auch  Bur- 
da c  h  C  u  1 1  e  n  einen  grossen  Antheil  an  Brown's  Entwicklung  und 
gewiss  nicht  mit  Unrecht  zugeschrieben.  Cullen  war  es,  der  auf 
die  Induclionsmelhode  drang,  der  die  Autokratie  der  Natur  und  das 
exspectative  Verfahren  herabwürdigle ,  der  die  Nervenpathologie  ver- 


267 

vollkoramnete,  die  \\'irkung  von  Purganzen  und  Aderlässen  nicht  in 
Auslulirung  der  Krankheilsmalerie,  sondern  in  unmittelbarer  Hebung 
des  entzündlichen  Zustandes  sah  und  bei  vielen  Krankheitsformen  nur 
zwei  entgegengesetzte  Dialhesen,  die  entzündliche  und  nervöse,  aner- 
kannte. Auch  einzelne  Bestimmungen,  wie  die  Einthcilung  der  Blat- 
tern, über  die  Ursache  der  Gicht,  die  \N  irkung  der  Miasmen  u.  s.  w., 
kommen  bei  Cullen  wie  bei  Brown  vor.  Ja  selbst  die  häufige  An- 
nahme der  Schwäche  als  eines  primären  Krankheitszustandes,  die 
Eintheilung  der  Fieber  nach  der  starken ,  schwachen  oder  gemischten 
Keaclion,  die  Erregung  der  festen  Theile,  welche  Cullen  aU 
Ursache  der  Krankheiten  annahm,  endlich  die  an  die  Methodiker 
erinnernden  Gegensätze  von  kramplliafler  Spannung  und  atonischer 
Erschlaffung,  haben  gewiss  bei  Brown  mächtig  eingewirkt  und 
einen  unverkennbaren  Einfluss  geübt,  aber  —  das  Alles  ist  immer 
noch  kein  Brown'sches  System,  abgesehn  von  dessen  besondern 
Eigenthümlichkeiten,  die  Iheihveiss  dem  Cullen' sehen  diametral 
entgegenlaufen. 

Das  Resultat  unseres  Rückblicks  auf  die  Vorzeit  Brown's  er- 
weist also  nur,  dass  hier  ein  naturgemässer  Entwicklungsgang  und 
allmählige  Steigerung  statt  fand,  dass  Brown"  s  Ideen  wohl  ange- 
deutet und  vorgebildet  waren ,  dass  er  einzelne  Elemente  seinen  Vor- 
gängern entnahm  und  trotz  aller  Opposition  gegen  die  Vergangenheit 
auf  ihr  fusste,  dass  aber  darum  nichtsdestoweniger  der  Ruhm  seiner 
Originalität,  Neuheit  und  Selbstständigkeit  geschichtlich 
gerechtfertigt  ist  und  feststeht. 

Die  Würdigung  anderer  Parallelen  Brown's:  mit  Darwin 
[Baeta,  Rees,s.ob.],  mit  Reil[Sp  annagel^^^)],  mit  Broussais 
[Slock^^-)]  gehört  einer  späteren  Darstellung  an,  welche  die  Leh- 
ren dieser  Aerzte  zu  entwickeln  und  zu  beurtheilen  hat. 

Es  bleibt  uns  hier  nur  noch  übrig ,  den  Einfluss  und  die  F  o  1  - 
gen  zu  schildern,  welche  das  Brown'sche  System  gehabt  hat.  —  Was 
nun  zunächst  das  Zeitaller  Brown's  und  seiner  nächsten  Nachfolger 
anbelangt,  so  hat  die  obige  Geschichtsdarstellung  uns  hier  einer 
weiteren  Auseinandersetzung  überhoben,  da  sie  ja  eben  diesen  Zweck 
verfolgte.  Wir  wenden  uns  daher  sofort  zu  dem  Schluss  dieses  Ab- 
risses,  dessen  Aufgabe  es  ist,  uns  in  die  Zeit  nach  Brown  zu  ver- 
setzen, uns  gleichsam  die  Zukunft  des  Brown'schen  Systems  zu  zeigen 
und  die  Folgen  der  reformatorischen  Bestrebungen,  den  Antheil, 
den  die  Wissenschaft  noch  jetzt,  den  Nutzen,  den  auch  w  i  r  noch 
davon  haben ,  zu  entfalten. 


268 

Das  Brown'sche  System  war  ein  bedeulendes  Enlwicklungsmo- 
ment  für  das  beginnende  neunzehnte  Jahrhundert.  Kritisch  negirend 
und  positiv  construirend  machte  es  Opposition  gegen  die  Zeit  selbst 
und  trieb  zugleich  ihre  Richtung  bis  ins  Extrem.  Der  Zeit  war  eine 
neue  Bahn  nölhig,  eine  Hinleitung  auf  das  Allgemeine,  eine  princi- 
pielle  Begründung  auf  eine  organisch-vitale  Lebenskraft.  Als  ein 
gewaltiger  GährungsstolT  in  theilweiss  abgestorbene  Massen  ge- 
worfen, rief  die  Erregungslehre  eine  neue  lebendige  Strömung  her- 
vor, belebte  die  abgestandenen  Geister,  spornte  sie  an  zur  Wah- 
rung des  Liebgewonnenen,  zur  Rettung  des  Bedrohten,  zur  Bekäm- 
pfung des  Schädlichen,  zum  Erwerb  des  Nutzlichen.  Dieses  pulsi- 
rende  Leben,  trotz  einiger  fieljerhaffer  Erregung  bald  sthenischer 
bald  asthenischer  Art,  ist  in  der  That  erfreulich,  besser  als  jenes 
Scheinvegetiren  ohne  Gefahr,  aber  auch  ohne  Hoffnung.  Die  neue 
Lehre  entwickelte  eine  heilsame  Skepsis,  concenlrirte  alle  beson- 
deren Richtungen  auf  eine  einzige,  lenkte  den  sich  im  Einzelnen 
verlierenden  Blick  wieder  einmal  auf  das  grosse  Ganze  hin,  indifferen- 
zirte  momentan  die  bisherigen  üitferenzen,  welche  aber  dennoch 
darin  involvirt  waren  und  mit  einem  Schlage  abgemacht  wurden.  Sie 
machte  Opposilion  gegen  den  Materialismus  und  Dynamismus  der 
früheren  Zeit,  gegen  die  herrschenden  spiritualistischen  und  physika- 
lisch-chemischen Theorieen,  gegen  die  alte  Humoral-  wie  Solidarpa- 
thologie,  geiien  die  damaligen  Vitalitälslehren  und  Annahmen  orga- 
nischer Kräfte  ,  gegen  alle  bisherigen  therapeutischen  Methoden.  Und 
so  musste  ein  neues  Streben  in  die  Zeit  kommen,  ein  neuer  gewal- 
tiger Aufschwung  musste  aus  diesem  Kampfe  sich  erheben.  Die  Zeit  des 
Bestehens  der  Erregungslheorie  war  Wirkung  und  Ursache  zugleich, 
sie  war  eine  Zeit  der  Verwirrung,  ja  der  Schuld;  die  Losung  des 
Kampfes  und  die  Siibne  erwuchsen  erst  aus  dem  Falle  derselben. 

Wenn  es  in  der  Encyklopädie  der  Berliner  Professoren  (Bd. 
VL  Berl.  1831.)  vom  Brown'schen  Systeme  heisst:  „Es  habe  die  er- 
fdhrungsmässige  Entwicklung  um  wenigstens  10  Jahre  zurückgehalten, 
die  Literatur  von  1798  — 1800  sei  unbrauchbar  und  verloren  und  nur 
ein  einziges  Gute  sei  die  Einheit  des  Lebens,  die  sie  gelehrt  habe, 
so  setzen  wir  dieser  ebenfalls  nur  ein  einziges  Gute  enthaltenden  Kri- 
tik die  Resultate  entgegen,  die  nach  unserer  51einung  aus  dem 
Brown'schen  System  der  Wissenschaft  erwuchsen.  Wir  theilen  sie 
in  directe  und  i  ndir  e  cte  Folgen,  wobei  Letztere  natürlich  theil- 
Aveiss  der  durch  andere  Hülfsmittel  herbeigeführten  Entwicklung  der 
Zeit  zuerkannt  werden  müssen. 


269 

I.  Direcle  Folgen  und  Resultate  der  Erreg ungslheoric; 

1)  Rücksicht  auf  das  Allgemeine  im  Organismus,  auf  Einheit 
des  Lebens  in  der  Munnigfaltigkeit  (später  durcii  die  Naturphi- 
losophie weiter  ausgebildet);  genauere  Ermittelung  und  Fest- 
stellung der  Erregbarkeit,  der  Gesetze  der  Erregung 
(als  einer  besondern  Eigenlhiimlichkeit  des  Lebens);  bessere 
Erkenntniss  der  Gesetze  der  Einwirkung  der  Aussen>Yelt 
und  ihres  Verhältnisses  zum  Organismus;  bessere  ^^'i^rdigung 
der  äusseren  Potenzen;  eigenlhümliche Ansichten  über  die 
Herrschaft  des  Quantitativen  und  Gradualen;  Berück- 
sichtigung des  K  r  äf  t  ezu  stan  des  und  der  Reactions- 
fähigkeit  des  Körpers  (noch  jetzt  ein  ■wichtiges  Kriterium, 
besonders  in  der  nalurhistorischen  Schule,  welche  das  Quali- 
tativ-3Iateriale  mit  dem  Quantitativ-Formalen  in  Einklang  zu 
bringen  sucht  (vergl.  Eisen mann's  Eintheilung  der  Stase, 
Fieber);  Unterordnung  des  Chemischen  und  Mechanischen  unter 
dem  Vital  -  d  y  n  a  m  i  s  c  h  e  n. 

2)  Erkenntniss  der  Identität  von  Gesundheit  und  Krank- 
heit unter  dem  OberbegrilTe  des  Lebens;  Beschränkung  der 
allzu  localen  und  symptomatischen  Ansicht  von  der 
Krankheit  durch  überwiegende  Ausbildung  des  Allgemei- 
nen; Rücksicht  auf  den  formalen  Character  der  Krankheit 
als  Stärke-  oder  Schwächezustand,  Reactionsfähigkeit,  Ertrag- 
barkeit  der  Reize;  scharfe  Sonderung  der  directen  und  in- 
directen  Schwäche;  Einschränkung  der  Humoralpatho- 
logie;  Beschränkung  der  Lehre  von  der  Ple  thora  und  von 
den  gastrischen  Unreinigkeiten;  festere  Begründung  der 
Lehre  von  der  asthenischen  Entzündung  und  Nachweiss 
der  asthenischen  Natur  anderer  Krankheiten,  wie  der  Blut- 
flüsse u.  s.  w. ;  Vortheile  in  der  Annahme  der  spontanen 
Ausscheidung  der  krankhaften  Materie  nach  gehobener 
Krankheit;  Beschränkung  der  Zersplitterung  der  Krankheits- 
formen und  des  Werthes  der  Krankheils  n  ame  n  (sie  sind  un- 
wesentlich; das  Individuelle  ist  die  Hauptsache);  Aufklärung 
über  Verhältnisse  der  allgemeinen  und  örtlich  e  n  Krank- 
heiten (in  Bezug  auf  die  Uebergänge,  Residuen);  Andeutung 
einer  natürlichen  Anreihung  der  Exantheme. 

3)  Grössere  Rücksicht  auf  die  causa  len  Momente;  Beschränkung 
des  Forschens  nach  der  nächsten  Ursache;  Verbesserungen 
der  Lehre  von  der  Wärme  und  Kälte;  bessere  Würdigung 


270 

der  krankheitscr zeugenden  Potenzen;   genauere  Be- 
stimmung der  Begriffe:  Opportunität,  Anlage,  Dispo- 
sition; Reform  der  Diätetik. 
4)  Erschütterung  des  Begriffes  speci  fisch  er  Mittel  (der  China 
insbesondere,  d.h.  im  alten  Sinne,  gegen  Krankheitsgaltungtn); 
weise  Beschränkung   der   ausleerenden  Methode   und   des 
Aderlasses;   Darlegung   des  Nutzens  der  reizenden  und 
schwächenden  Methode  in  gewissen  Fällen;  Beweiss  für  die 
Möglichkeit   dynamischer   Heilung   bei  materiellem  Leiden 
(z.  B.  Bekämpfung  des  Gastricismus  durch  Reizmittel);  bessere 
Erkenntniss    der    "Wirkungen   einzelner    Mittel,    wie    des 
Opiums  '■■■)  ,  der  W  arme  und  Kälte;  weitere  Einführung  der 
Kälte    bei   Sthenie  (wiewohl   aus   ganz  andern  Gründen  als 
jetzt);  naturgemässere  Behandlung  einzelner  Krankheiten,  wie 
der  Fieber,  Entzündungen,  Exantheme,  Blutflüsse; 
psychische  Heilmethode. 
Mit  Angabe  dieser  Resultate,  welche  gewiss  als  Vorzüge  gel- 
ten können,  halten  wir  das  am  Schlüsse  unserer  Kritik  oben  S.  105 
gegebene  Versprechen  für  gelöst  und  den  dort   möglich  gemachten 
Vorwurf  einer  blos  tadelnden  Auffassung  für  beseitigt.  —  Lagen  aber 
diese  Folgen  in  den  Lichtseiten  des  Systemes ,  so  gingen  andere 
indirect  theilweiss  aus  den  Schattenseiten,  nicht  selten  als  gerade 
Gegensätze  desselben,  hervor. 
IL   I  n  d  i  r  e  c  t  e  Folgen  und  Resultate: 
l)  Eine  genauere  und   gründlichere   Untersuchung   des   Lebens 
und  der  Lebenskraft  überhaupt,  sowie  der  speciellen  Mo- 
dificationen  derselben  (vermittelt  durch  die  Naturphilosophie); 


*)  Diess  geht  schon  aus  den  vielen  Abhandhingen  ü'ber  das  Opium 
hervor,  unter  denen  wir  nur  die  von  Streng,  Reil,  W.  Alexan- 
der, Crampe,  Stütz,  Bendot,  Leigh,  Eccard,  VVirtinsohn, 
Siebold,  Niemeyer,  Hörn,  Baume,  Brera  erwähnen  wollen. 
Derselbe  Brera  sagte  in  seinen  practischen  Bemerkungen  (s.  oben), 
was  wir  hier  noch  anhangsweise  anführen  wollen,  von  dem  Brown'- 
schen  System:  „Durch  dieses  Lehrgebäude  begreifen  wir  die  Nützlich- 
keit der  Heilmethoden  von  Sydenham,  Morton,  Huxham  bei  Ent- 
zündungen, von  Girdlestone  bei  Leberentzündung,  Torti  im  Wech- 
selfieber, von  Frank,  Vacca  Berlinghieri  und  Milman  im 
Nervenfieber,  von  Moscati  im  Kindbettfieber,  von  Baillou,Baglivi, 
Sarcone,  F^rank  in  bösartiger  Pneumonie,  von  Hufeland  in  bös- 
artigen Blattern  und  Masern,  von  Salvador!  in  Phthisis,  von  Ju- 
lian! in  Apoplexie,  von  Valli  in  chronischen  Krankheiten,  von  Un- 
d  er  wo  od  und  Scarpa  bei  alten  Fussgeschwüren,  von  Pott  bei 
trocknem  Brand,  von  Richter  und  Scarpa  bei  skrophulösen  Augen- 
entzündungen, von  Lind  und  Älilman  bei  Scorbut." 


271 


Wiederherslellung  der  Spontaneität,  Selbstständig- 
keit, Selbstermächtigiingskraft  (Natiirlieilkrafl)  des 
Lebens;  Erkenntniss  des  innern  Zusammenhangs  der  Na- 
turwesen (Paracelsus,  Naturphilosophie);  gleichmässige 
Berücksichtigung  der  d  y  n  a  m  i  s  c  h  e  n  und  materiellen  3Io- 
mente  in  gegenseitiger  Durchdringung;  besondere  Würdigung 
der  Reproductionskraft  mit  ihren  Unterarten:  Assimila- 
tion, Secretion,  Metamorphose,  und  der  organischen  Basis 
des  Lebens  überhaupt;  Wiederherstellung  und  festere  Begrün- 
dung des  Qualitativen,  Specifischen,  der  Veränderun- 
gen i  n  m  0  d  0. 

2)  Revision  der  wichtigsten  G  r  u  n  d  1  e  h  r  e  n  der  Pathologie 
und  nähere  Begründung  derselben  auf  eine  anatomisch- 
physio  logi  sehe  Basis;  Beschränkung  der  Einseitigkeit  der 
Solidarp  athol  ogi  e  durch  eine  geläuterte  Hunioralpatholo- 
gie;  festere  Begründung  der  hippokrafischen  Lehrsätze  von  den 
Krisen,  den  kritischen  Tagen,  dem  Krankheitsverlauf 
u.  s.  w. ;  Beginn  einer  anatomischen  Geschichte  des 
Krankheitsprozesses  durch  besondere  Rücksicht  auf  das 
Lokale  (im  Gegensatz  zu  Brown's  allgemeiner  Auffassung); 
Erkenntniss  des  Werthes  einer  auf  innere,  natürliche  Wesen- 
heit der  Krankheit  begründeten  Eintheilung;  Einsicht  vom 
Nutzen  des  Specialisirens  (im  Gegensatz  zum  Generali- 
siren)  der  Krankheitsformen;  strengere  Sonderung  der  symp- 
tomatischen und  Av  es  entlich  en  Erscheinungen  der 
Krankheiten,  des  Primären  und  Seeundären,  Lokalen 
und  Allgemeinen,  überhaupt  schärfere  Diagnose  des 
Thatbestandes  nach  objectiven,  pathognomonischen  Kenn- 
zeichen; objective  Würdigung  der  Symptome  und  ihres 
inneren  und  äusseren  Verhältnisses  zur  Krankheit  und  Beziehung 
derselben  auf  anatomisch-physiologische  Grundlagen  ;  Beschrän- 
kung des  Einflusses  des  formalen  Characters  der  Krank- 
heilen bei  Bestimmungen  über  Diagnose,  Prognose,  The- 
rapie u.  s.  w. 

3)  Hervorhebung  der  inneren  Momente  zur  Krankheifserzeu- 
gung  und  Einschränkung  Hinsichts  des  angenommenen  Ein- 
flusses der  entfernten  Ursache. 

4)  Revision  der  obersten  Grundsätze  der  Therapie;  Her- 
vorhebung der  lokalen,  qualitativen  und  spezifischen 
Eigenschaften  der  Heilmittel  (im  Sinne  der  Homöopathie)   wie, 


272 

der  h  u m  0  r  a  l  e n  und  c  Ii  e  mi  s c h  e  n  Einwirkungen  derselben ; 
Einsicht  vom  Schaden  des  Generalisirens  in  der  Therapie 
und   von    der  Nothwendigkeit  einer   besseren   physiologi- 
schen Begründung  der  Heilmittellehre  (Homöopathie);  gleich- 
massige  Beschränkung  der  reizenden  und  schwächenden 
Methode;    schärfere  Unterscheidung  der   primären  und  se- 
cundären  "^^'irkung  der  Arzneien  (Homöopathie);  genauere 
Bestimmungen    über    die    Indicationen    und    Verabrei- 
chung (Dosen)  der  Arzneien. 
Den  weiteren  Verfolg  dieser  Thalsachen  lehrt  die  Geschichte  der 
Naturphilosophie,  des  Broussaisismus,  der  Homöopathie.      Burdach 
aber  hatte  Recht,  als  er  als  Ende  des  verflossenen  Jalirhunderts  seine 
Parallele  mit  den  Worten  schloss :  „Sei  nun  das  Schicksal  des  Brown- 
schen  Systems  in  dem  kommenden  Jahrhundert   welches   .es   wolle; 
(so)  un  r  üb  m  li  ch  wird  es  gewiss  nicht  verlöschen." 

Ueberblicken  wir  noch  einmal  das  durchwanderte  Gebiet  in  for- 
meller Bedeutung,  so  finden  wir  die  ewig  feststehenden  Gesetze 
der  geschichtlichen  Entwicklung  hier  von  Neuem  bestätigt. 
Denn  auch  hier  sehen  wir  sowohl  das  "Widerstreben,  welches  der 
Empirismus  dem  hier  als  hypothetische  Schlussfolgerung  erscheinenden 
Rationalismus  entgegenzusetzen  bemüht  ist,  wie  die  Nothwendigkeit 
einer  Ergänzung  der  Theorie  durch  die  Praxis,  wenn  sie  anders  eine 
Wahrheit  werden  soll.  Auch  hier  erscheint  der  alte  Wetteifer  zwi- 
schen  Dynamismus  und  Materialismus,  die  sich  ewig  in  der  Geschichte 
b«kämpfen,  bis  dermaleinst  ein  festes  Band  sie  umschlingen  wird.  — 
Wir  erkennen,  Avie  thöricht  es  ist,  eine  dieser  Riclilungen  auszu- 
schliessen  oder  eine  der  andern  unterzuordnen ,  und  wie  nur  innige 
Harmonie  der  vital-organischen,  physikalischen  und  chemischen  Mo- 
mente zum  Ziele  führt.  Auch  hier  kehrt  der  nimmer  endende  Zwie- 
spalt zwischen  Humoral-  und  Solidarpathologie,  zwischen  Nerven  und 
Blut  wieder  und  das  Ganze  stirbt  ab,  weil  es  das  Eine  für  todt  erklärt 
und  beide  Elemenle  des  Einen  Daseins  nicht  in  ihrer  gegenseitigen 
Durchdringung  zu  erfassen  wussle.  Auch  bei  Brown  rächte  sich, 
wie  bei  Vielen  seiner  Vorgänger,  das  Verwechseln  der  Kräfte  und 
der  Eigenschaften,  der  Erscheinungen  und  ihrer  Ursachen,  sowie  das 
Jagen  nach  obersten  Principien  und  das  Deduciren  von  einem  Satze 
aus.  Was  ein  System  für  Nutzen  schaffe,  was  die  gerühmte  Einheit, 
Einfachheit,  Consequenz  im  Reiche  der  Natur  soll,  die  allen  Zwang 
hasst  und  gerade  in  Vielheit,  3Iannigfaltigkeit  und  Abweichungen 
ihre  grösslen  Triumphe  erntet ,  das  hat  keine  Geschichte  so  deutlicli 


27.) 


gelehrt,  wie  die  des  Brownianlsmus.  Sie  giebt  ferner  Belege  dafür, 
dass  eine  gewaltsame  Trennung  der  Physiologie  von  der  3Iedicin,  wie 
sie  niiinenllich  von  den  späteren  Brownianern  gehandhabt  >vurde,  nicht 
nur  unfruchtbar  sei,  sondern  unnatürlich  und  selbstvernichtend  virke, 
und  dass  eine  ungieichmassige  und  unzulängliche  Benutzung  der  ein- 
zelnen Disciplinen ,  wodurch  der  organische  Zusammenhang  des  Gan- 
zen aufgehoben  wird,  überall  Lücken  und  ^Vidersprüche  erzeugt. 
Der  Verlauf,  welchen  diis  Brown'sche  System  nahm,  wird  neuerdings 
gelehrt  haben,  dass  das  Subjective  wohl  eine  Zeit  lang  'N>'erth  haben 
kann,  dass  aber  eine  objective  Grundlage  allein  ihm  Dauer  verleiht. 
Die  neue  Autorität  konnte  trotz  des  historischen  Rechtes  eine  Zeit 
lang  die  älteren  verdrängen,  aber  sie  fiel,  weil  in  der  Medicin  der 
Autoritätenglaube  nur  durch  die  immer  neue  individuelle  Erfahrung 
der  Zeit  bedingt  ist,  während  Das,  was  die  Erfahrung  aller  Zeiten 
bestätigte,  sich  in  steigender  Wahrheit  wieder  erhob.  Der  Nutzen 
der  conservativen  Richtung,  gegenüber  der  progressiven,  sie  sei  nun 
negirend  kritisch  oder  positiv  consiruirend ,  hat  auch  hier  wiederum 
sich  bewährt.  —  Die  verschiedene  Aufnahme,  welche  Brown's 
Lehre  in  England,  Italien,  Frankreich,  Deutschland  fand,  bestätigt 
die  einflussreiche  Einwirkung  nationaler  Eigenlhümlichkeit ,  in  Bezug 
auf  practische  und  speculative  Tendenzen,  die  wir  hier  und  an- 
derswo *)  nachgewiesen ,  aufs  Neue.  Nebenbei  aber  erhielten  wir 
hier  wiederholt  einen  Beweis,  dass  der  Propliet  in  seinem  Vaferlando 
nichts  gelte  und  dass  die  Persönlichkeit  des  Urhebers  mit  seiner 
Schöpfung  nur  zu  oft  wirklich  übereinstimme  oder  geistig  vereint  ge- 
dacht werde,  was  in  diesem  Falle  nicht  eben  glücklich  für  Brown 
ausfiel.  Die  Zeit  aber,  in  welcher  der  Brownianismus  herrschte, 
vermochte  trotz  aller  richtigen  Erkenntniss  der  guten  und  schlechten 
Eigenschaften  desselben  ein  vollgültiges  historisch-kritisches  Urtheil 
nicht  abzugeben,  weil  sie  durch  sich  selbst  und  ihre  Entwicklung  be- 
fangen, den  51aassstab  einer  vorgerückteren  Zeil  nicht  anlegen,  die 
Früchte  des  Kampfes  für  die  Zukunft  nicht  ernten  und  übersehen 
konnte.  —  Wie  Theorieen  leichter  durch  Erfahrungen,  als  diese  durch 
jene  widerlegt  werden  können,  ja  wie  diese  selbst  im  scheinbaren 
Widerspruch  mit  andern  ihren  besondern  oft  erst  in  der  Zukunft  ent- 
räthselten  Werth  erhalten,   ist  auch  hier  deutlich  geworden.      Die 


♦)  In  Biedermann's  Monatsschrift:   „Ueber  die  Herrschaft  des 
aationaten  Elements  in  der  Medicin",  Jahrg.  1842.  Febr. 

18 


274 

fast  gewisse  BesläliguniEr  endlich ,  dass  die  neuen  Heilmellioden 
und  Theoriet»!  in  einem,  wenn  auch  nur  dunklen  und  inslinctartig 
verwirklichten  Zusammenliange  mit  dem  heslehenden  Characler  der 
Krankheiten  stehen,  gehört  gewiss  zu  den  nicht  unhedeulenden  Ergeb- 
nissen der  Geschichte  dieser  Lehre.  —  Eine  andere  Verbindung  dage- 
gen, nämlich  die  mit  der  Philosophie  und  insbesondere  mit  der  kriti- 
schen Richtung  derselben,  konnte  zwar  in  gewisser  Beziehung  eine 
historische  Wichtigkeit  haben,  spricht  aber  hier  vielleicht  deutlicher 
als  anderswo  für  den  nachlheiligen  Einfluss ,  den  eine  mehr  als  for- 
melle Benutzung  jener  ausübt.  —  Rühmt  sich  mit  gewissem  Recht 
eine  jede  Zeit  eine  Zeit  der  Reformen  zu  sein,  so  konnte  diess  die 
Zeit  des  Brownianismus  um  so  eher,  als  in  dem  theilweisen  Rück- 
schritt der  Fortschritt  involvirt  war  und  mit  ihm  gerade  der  Anfangs- 
punct  einer  neuen  Bildung  zusammentraf,  v.elehe  als  eine  höher  po- 
tenzirte  Vergangenheit  angesehen  werden  konnte.  Die  Reformation 
trat  aber  so  einseitig  und  so  gewaltsam  auf,  dass  sie  zur  Revolution 
wurde,  welche  eine  Erfahrungswissenschaft  nun  und  nimmer  dulden 
kann.  Denn  nur  ein  allmähliges  Vorwärtsschreiten  gewährt  die  nö- 
thige  Umsicht,  Selbstbeherrschung  und  Ruhe,  welche  vor  Einseitig- 
keiten schützt,  durch  die  sich  zu  sehr  vorwiegende  Richtungen  selbst 
überschlagen.  In  dieser  Beziehung  können  aber  auch  Extreme  bei  dem 
Siels  herrschenden  dualistischen  Kampfe  der  Principien  als  eine  Wohl- 
that  der  Geschichte  gelten ,  indem  gerade  sie  durch  verdiente  Gering- 
schätzung oder  IndilTerenzirung  der  Extreme  mittelst  eines  polar  Ent- 
gegengesetzten eine  wahre  wissenschaftliche  Ausgleichung  herbei- 
führen. Darum  lässt  sich  auch  erst  spät,  nachdem  die  revolutionäre 
Zutliat  des  Brownianismus  abgestreift  worden  ist,  sein  reformatori- 
scher Einfluss  richtig  würdigen.  Bei  diesem  wollen  wir  stehen  blei- 
ben ,  wollen  die  Mängel  des  Systemes  im  Hinblick  auf  den  aus  ihnen 
erwachsenen  Fortschritt  mit  historischer  Ruhe  betrachten,  aber  mit 
dankbarer  Pietät  die  Bereicherungen  anerkennen,  welche  trotz  viel- 
facher Irrungen  auch  aus  diesem  Ereigniss  für  die  Wissenschaft  ge- 
wonnen wurden.  Die  Wissenschaft  gebe  Zeugniss  und  die  Geschichte 
spreche  das  Urlheil  I 


Ijiteratiir 


Geschichte  des  Brown'scheii  Systems.*) 


Zur  Geschichte  des  Brownianismus  in  England 
(und  America). 

l.  loannis  Brunonis,  M.  D.,  De  inedicina  Praelectoris,  societati.« 
regiae  medicae  Edinensis  Praesidis,  Elementa  Medicinae.  Edinburg 
J780.  12. 

2. Soc.  reg.  med.  Praes.  Antiq.  ap.  Scotos  ab  epistolis   la- 

tinis,  Elementa  Medicinae.  Editio  altera,  plurimum  emen- 
data  et  integrum  demum  opus  exhibens.  Fldiiiburg  1784.  8.  (Nach 
Girtanner,  London  1787.  Auch  eine  dritte,  Edinburg  1788, 
wird  erwähnt.) 

3. The  Elements  of  medecine,  or  a  translation  of  the  Ele- 
menta INIedicinae  Brunonis  with  lai^e  notes,  illustrations  and  com- 
ments  by  the  aiithor  of  the  original  work.  London  1788.  Vol.  II. 
8.  (Ebenfalls  bei  Beddoes  s.  unten,  und  in  dem  Collectivwerk: 
John  Browns  works.  Vol.  I  —  III.  Lond.  1805.  8. 

4.  —  —  —  Observations  on  the  principles  of  the  old  System  of 
Physic,  exhibiting  a  compend  of  the  new  doctrine.  The  who!(' 
«ontaining  a  new  account  of  the  State  of  medecine,  from  the  pre- 
sent  times  backward  to  the  restoration  of  the  Grecian  learning 
in  the  western  parts  of  Europe.  By  a  Gentleman  conver- 
sant  in  the  subject.     London  1787.    8. 

5.  Andr.  Duncan,  A  Letter  to  Dr.  R.  Jones  of  Carmarthenshire. 
London  1782.    8. 

6.  Letter  from  Philalethes  to  Dr.  Andr.  Duncan.  —  (?) 


•)  Hier  sind  nur  selbstätändiffe  Werke  aufgeführt. 

18 


276 

7.  Letter  on  the  management  of  patients  in  the  royal  infirmary. 
Edinburg  1782.  8. 

8.  Robert  Jones,  An  enquiry  into  the  state  of  medecine  on  the 
priiiciples  of  inductive  philosophy ,  with  an  appendijc,  containing 
practical  cases  and  observations.     Edinburg  (V)  1782.    8. 

9.    —  —  An  enquiry  into  the  nature,  causes  ßnd  terminations  of 

nervous  fevers,  together  with  observations,  teading  to  illustrate 
the  method  of  restoring  hls  Majesty  to  health  and  of  preventing 
relapses  of  his  disease.   Salisbury  1789. 

10.  Samuel  Lynch,  Table  of  excitement  and  excit«bility,  dedicated 
to  J.  Brown,  as  a  testimony  of  respect,  by  his  friend  and  pupil. 
(Bei  Pf  äff,  s.  unten.) 

11.  G.  Mossmann,  Observations  on  the  Brunonian  practice  of  phy- 
sic,  including  a  reply  to  an  anonymous  publication,  approbating 
the  use  of  stimulants  in  fevers.     London  1788. 

12.  Kentish,  Advice  to  gouty  persons.     1789. 

13.  John  Franks,  Observations  on  animal  life  and  apparent  death 
from  accidental  Suspension  of  the  functions  of  the  längs,  with  re- 
marks  on  the  Brunonian  system.  London  1790.  (Italienisch  mit 
Anmerkungen  —  deren  einige  Weikard  in  seinem  Buche  „Origi- 
nale und  Uebersetzungen"  mittheilt  —  von  Antonio  Bertoloni.) 

14.  Fr.  Carter,  Account  of  the  various  Systems  of  medecine  from 
the  days  of  Hippocrates  to  the  present  time.  Collected  from  the 
best  Latin,  French  and  English  authors,  particularly  from  the 
works  of  J.  Brown.     London  1789.     2  Vol.     8. 

15.  Mr.  Cristie,  Illustration,  drawn  up  from  a  familiär  Operation  to 
facilitate  the  conception  of  Browns  fundamental  position.  (Deutsch 
von  Scheel,  s.  Nr.  19.) 


16.  Julius  Juniper,  Poet  Laureat  to  the  College  of  Physicians,  the 
Brunoniad.  An  heroic  poem  in  VI  cantos ,  containing  a  solemn 
detail  of  certain  commotions,  which  have  of  late  divided  the  King- 
dom of  Physic  against  itself,  a  critical  and  truly  homerical  cata- 
logue  of  our  present  luminaries   of  Medecine.     1789. 

17.  Thomas  Trotter,  Observations  on  the  scurvy,  with  a  review 
of  the  opinions  lately  advanced  on  that  disease  and  a  new  theory 
defended  on  the  approved  method  of  eure  and  the  induction  of 
pneumatic  Chemistry  etc.     Second  Edition.     London  1792.     8. 

18.  Observations  on  the  medical  practice  of  Brown,  or  an  enquiry 
into  the  abuse  of  stimulants  in  fevers.     London  1788.     8. 

19.  Thomas  Beddoes,  The  Elements  of  Medecine  of  John  Brown 
M.  D.  A  new  edition,  revised  and  corrected,  with  a  biographical 
preface.  London  1795.  Vol.  II.  8.  (Beddoes,  Biographie  Brown's 
und  Prüfung  des  Systems,  deutsch  von  Scheel  in  Kopenhagen. 
1797.    8. 


277 

20.  John  Herdman  (surgeon  at  Leith),  An  essav  on  tlie  rauses  and 
phenomena  of  animal  Itfe.  London  I79ö.  8.  (Deutsch  mit  verschie- 
denen Anmerkungen  von  D.  A.  F.  Andr.  Diel.  Allcnburg  1799.  8. 

21.  Thomas  Morison,  An  examination  in  tlie  principles  of  what  is 
calied  the  Brownian  system.  (Ort  und  Jahr  «ind  bei  Eble  nicht 
angegeben.) 

23.  R.J.  Thor  n  ton,  The  philosophy  of  medicine  or  medical  extracts. 
Ed.  4.  Vol.  1—4.  London  1799.  8.  Ed.  5.  1817.  8. 

23»  L.  Baeta,  A  comparative  view  of  the  theories  and  practices  of 
Dr.  Cullen,  Brown  and  Darwin  etc.     London  IbOO.     8. 

24.  Robert  Robertson  (surgeon  of  his  Majesty's  navy), An  essay  on 
fevers ,  wherein  their  theoretic  genera,  species  and  variuus  deno- 
minations  are  from  obserTation  and  experience  of  30  years  in 
Europe,  Africa  and  America  and  the  intermediate  seas  reduced 
to  their  characteristic  genius  febrile  infection  and  the  eure  e.sta- 
blished  on  philosophical  induction.  London  179L  8.  (Deutsch 
Liegnitz  und   Leipzig   1796.) 

25.  Alex.  Philips  Wilson,  A  treatise  on  febrile  diseases  including 
intermitting,  remitting  and  continu«d  fcTers,  eruptire  fevers  etc. 
Winchester  1799.     (Deutsch  von  G.  W.  Töpelmann.    1804.) 


26.  J.  Brown,  The  elements  of  medecine,  or  a  translation  of  the 
Elementa  Medicinae  Brunonis,  witb  large  notes,  illustrations  and 
comments,  by  the  author  of  the  original  work.  A  new  edition. 
Philadelphia  1790.     8. 

27.  G.  Buch  an  an,  A  treatise  on  the  typhus  fever  published  for  the 
benefit  of  establishing  a  lying-in  Hospital  in  Baltimore.  Ibid.  (Jahr?) 

28.  Benjamin  Rush,  Medical  inquiries  and  observations.  Vol.  IL 
Philadelphia  1793.  8.  (Deutsch  von  Ch.  F.  Michaelis.  Nürnberg 
1797.) 

29. An  account   of  the  bilious  remitting  yellow  fever,    as   it 

appeared  in  the  City  of  Philadelphia  in  the  year  1793.  Philadel- 
phia 1794.  8.  (Deutsch  mit  Zusätzen  von  Fr.  Hop  f  e  n  gärtnor 
und  J.  F.  H.  Autenrieth.     1796.) 

30.  J.  T.  Rees,  Remarks  on  the  medical  theories  of  Brown,  Cullen, 
Darwin  and  Rush.     An  inaug.  diss.     Philadelphia  1805. 


Zur  Geschichte  des  Brownianismus  in  Italien. 

31.  loannis  Brnnonis  etc.  Elementa  Medicinae.  Editio  prima  Ita- 
lica,  post  ultimam  Edinburgensem  plurimum  emendata  atque  inte- 
grum opus  exhibens,  cui  praefatus  est  Petrus  Moscati,  in  Reg. 
Ticin.  univers.   antea  Anat.  et    Chir.   nunc  Mediol.  Objetetr.  Prof. 


278 

Medlolani  1792.  8.  (Unveränderter  Abdruck  in  Hildburghausen 
1794  und  1805.  —  Die  Vorrede  übersetzt  in  Eyerel's  Lehrbegriff 
der  Brown'schen  Arzneilehre,  s.  unten.) 

32.  P.  Moscati,  De  usu  systematum  in  medicina  practica.  Ex  ita- 
lico  in  latinum  sermonem  vertit  Aloys.  Careno.  Lips.  1801. 
(Deutsch   Wien  1801.) 

33.  G.  Rasori,  Compendlo  della  nuova  dottrina  medica  di  G.  Brown 
e  confutazione  del  sistenia  dello  spasmo.  Tradotti  dalT  Inglese, 
coir  aggiunta  di  alcuni  annotazioni  e  d'  un  discorso  preliminare. 
Pavia  1792.  —  Venez.  1799.  8.  (Die  Anmerkungen  deutsch  bei 
Eyerel.  Die  Vorrede  ist  besonders  abgedruckt:  Rede  über  die 
Brown'sche  Lehre  von  Rasori.  Aus  dem  Italienischen  von  M.  A. 
Weikard.     Frankfurt  a.  M.   1796.     8. 

3-t.  G.  B.  Monteggia,  Due  lettere  in  Giornale  medico-chirurgico 
della  piü  recente  letteratura  d'  Europa.  1793 und  1794.  (Deutsch: 
Briefe  über  die  Brown'schen  Elemente  oder  kurze  Uebersicht  der 
Brown'schen  Lehre.  Mit  Anmerkungen  von  M.  A.  Weikard.  Heil- 
bronn 1796.) 

35.  Ed mundo  Schmuck,  Riflessioni  sopra  alcuni  punti  della  dot- 
trina di  Brown  dirette  al  Sign.  G.  Frank  D.  M.  in  Pavia.  In  dem- 
selben Journal,  Juni  1793. 

36.  Gemello  Villa,  Lettera  diretta  al  S.  Brugnatelli  suUa  nuova 
dottrina  di  Brown  in  Giorn.  fisico-med.  di  Brugnat.  Pavia,  Oct.  1793. 

37.  L.  E.  Polidori,  Articolo  di  Lettera  sopra  alcuni  punti  del 
sistema  di  Brown.     Ebend.   1793. 

38.  Jacobi  Sacchi  (Carminati),  in  principia  theoriae  Brunonianae 
animadversiones.     Ticini  1793. 

39.  Giuseppe  Frank,  Lettera  sulla  dottrina  di  Brown  alS.  Brugna- 
telli. Im  Giorn.  fisico-med.  di  Brugn.  179i.  Vol.  IV.  (Deutsch 
von  Weikard.     Frankfurt  1796,     8.) 

■iO.  —  —  —  Ricerche  sullo  stato  della  Medicina  etc.  con  riflessioni 
del  R.  Jones.  Traduzione  dall'  Inglese,  coli'  aggiunta  di  alcune 
note.     Pavia  1795.     Vol.  II.     8.     (Anmerk.  deutsch   bei  Eyerel.) 

•il. Lettera  ad   un   amico    sopra    diversi    punti   di   Medicina, 

interessanti  anche  i  non  medici.  Pavia  1796.  (Deutsch  von  Wei- 
kard.    Heiibronn  1796.) 

42.    Biblioteca  medica  Browniana.     Vol.  I.  —  VI.     Firenza  1798. 

■13.  Gelmetti,  Memoria  sulla  constituzione  delle  malattie,  le  quäle 
hanno  regnato  in  Mantova  1795.  Im  1.  Bande  der  Atti  dell'  Aca- 
demia  di  Mantova.  (Deutsch  in  Weikard's  Magazin  [s.  unlen.] 
Bd.  L  S.  33.) 

44.  FVancesco  Frank,  Considerazioni  intorno  alle  riflessioni  del 
S.  G.  Stiambiü  sul  libro  intitolato;  J.  Brunonis  Elem.  Med.  Pavia 
1796. 

45.  Carlo  Bianchi,  Risposta  alle  riflessioni  di  G.  Strainbio.  Mi- 
lano    1796. 


279 

46.  G  i  u  *>.  iMuciiii,  La  dottriiia  <li  lirown  <liliKi<l;ita  in  vari  punti 
Cüiitradetti  dal  S.  G.  Strambio  etc.  Brescia  1796.  (Deutsch  in 
Weikard's  Magazin  St.  4.   S.  1.) 

47.  — Lettera  al  S.  Carlo  Burcio    iiel    Giorn.  fisico-ined.    cliir. 

di  Milano.    Vol.  X.    Januar.  1796.    (Deutsch  in  Weikard's   Ma- 
gazin Bd.  I.   S.  37.) 

48.  Vincenzo  Solenghi,  Lettera  ad  un  suo  aiiico  intorno  alla 
düttrina  di  Brown;  im  Giorn.  della  piü  rec.  letteratura  Nr.  11, 
Febr.  1796.  —  Desselben  neue  Ausgabe  dor  Elemente  Brown'« 
erschien  in  Rom  im  Jahre  1796. 

49.  P.  Rice  o  b  eil i ,  II  sisteina  Bro\Tniano  difeso  dalle  principali  im- 
putazioni.     Venez.   1797.     8. 

50.  Val.  Aloys.  Brera,  Division«  dellc  nialattie  fatto  secondo  in 
princijü  del  sist.  di  Br.     Pavia   1793.  1798.   1799. 

51.  — Programma   de    vitae    vegetabilis    ac    aniiualis    analojiia. 

Ticini  1796. 

52.  — Sylloge  opusculorum  selectorum  ad  praxin  praecipue  lue- 

dicam  spectantiuni.     Vol.  I.     Pavia  1797. 

53.  —  —  —  Annutazioni  medico-pratiche  suUe  diverse  maiattie  trat- 
tate  neila  clinica  med.  R.  di  Pavia  negli  anni  1796,  1797,  1798  |)er 
servire  di  continuazione  alla  storia  diu.  di  Pav.  dell"  anno  1795 
del  S.  Prof.  G.  Frank  e  di  coramenti  agli  elem.  di  med,  del  S. 
Cons.  M.  A.  Weikard.  Nuova  edizione  accresciuta  e  compita. 
Vol.I.Il.  Cremal806.  (Deutsch  von  F.  A.  Weber.    Zürich  1801. j 

54.  Luigi  Frank  (nicht  wie  bei  Sprengel  Gins.  Frank),  Dello 
stato  stenico  ed  astenico  predouiinante  nelle  maiattie  distinto  se- 
condo la  dottrina  Browniana  del  S.  M.  A.  Weikard.  Traduz. 
dal  Tedesco.  Con  1'  aggiunta  delle  sue  osservazioni  intorno  T  uso 
di  un  nuove  remedio  mercuriale  (Merc.  sol.)  nelle  malatt.  vener. 
Firenza  1797.     8. 

55.  G.  Zandonatti,  Osservazioni  teoretico-pratiche  sui  principi 
fondamentali  della  med.  di  G.  Frank.  Tradux.  dal  Tedesco  coli' 
aggiunta  di  alcune  noti.     P.  I.  II.     Parma  1804. 

56-  Franc.  Cattanio,  (Das  Original  fehlt.)  Betrachtungen  über  das 
System  von  J.  Brown,  oder  neue  Classification  der  örtlichen 
Krankheiten.  1  Theil.  Aus  dem  Italienischen  von  M.  A.  Weikard. 
Heilbronn  1796. 

57-  Deho,  Schreiben  an  Herrn  Marchese  Matteo  Sommariva: 
Ueber  die  wirklich  herrschende  Hornviehseuche  und  die  Auswahl 
der  besten  Heilart,  nach  den  Grundsätzen  der  Brown'schen  Arz- 
neilehre. Aus  dem  Italienischen  von  VVeikard,  unter  dem  Titel: 
Geschichte  der  Brown'schen  Lehre  in  3  Aufsätzen  von  Rasori, 
Deho,  J,  Frank.     Frankfurt  1796. 

58.  (Moscati)  Compendio  di  cognizioni  veterinarie  al  commodo  de' 
medici  e  Chirurghi  di  campagna  nella  occasione  della  maligna 
febbre  epizootica  di  questo  anno  1795  etc.     Milano  1796. 


280 

59.  Rosaiio  Scuderi,  Introduzlone  alla  storia  della  Medicina  an- 
tica  e  nioderna.  Napoli  1794.  In's  Französische  übersetzt  Yon 
Ch.  Billard  et.  Paris  1810.  (Ein  besonderer  Aufsatz:  Intorno 
aüa  setta  eccitabilistica  sotto  Brown,  in  Brugnat.  1795.  T.  II. 
S.  117  behandelt  das  Brown'sche  System.) 

60.  Fr.  Vacca  Berlinghieri,  Meditazioni  sull'  uomo  malato  e  sulla 
uiiova  dottrina  inedica  di  Br.  Pisa  1795.  Venezia  1796.  8.  (Girtan- 
ner  hält  diese  Schrift  für  identisch  mit  der  im  Jahr  1794  erschie- 
nenen :  Meditazione  sopra  la  salute  umana.) 

61.  Gaetano  Strambio,  Riflessioni  sul  libro  intitolato:  J.  Bruno- 
nis  tlem.  Med.     Milano  1795. 

62.  Don  Ignazio  del  Monte,  Amenorrhoea  con  clorosi  incurabile 
per  vizi  organici  finita  accidalraente  per  inflammazione  de'  pre- 
cordj.  Tutto  verificato  nella  sezion'  del  cadavere.  Im  Giorn.  fis.- 
med.  di  Br  ugn.     T.  II.  an.  Ylll.     Pav.  1795.     S.  131. 

63.  — Curagioni  Browniane.     Ebendas.  1795.     T.  IV. 

64.  Aglietti,    Giornale  di  Medicina.     Venez.  —  (Jahr?) 

65.  — Saggio   sopra  la  costanza  delle  legge  fondamentali  deil' 

arte  medica.     Discorso  academ.     1804.     p.  54. 

66.  Marzani,  Confutazione  del  sistema  di  Br.  arrichita  di  nuovi  ed 
interessanti  riflessioni  indiretti  ai  progressi  della  teoria  e  della 
pratica  della  Medicina.     Venez.   1802. 

67.  Zappala,  Analisi  della  pretesa  nuova  dottriiia  dl  Br.  Catanea 
1803. 

68.  G.  Strano,  Saggio  fisico-critico  sulla  dottrina  di  Br.  Catanea 
1805. 

69.  St.  Truso,  Avviso  ai  medici  sopra  il  sistema  di  Br.  Palermo 
1806. 

(Vergleiche  ferner  unten  Nr.  77.) 


Zur  Geschichte  des  Brownianismus  in  Frankreich 
und  Spanien. 

70.  Emanuel  Rizo  (nach  Sprengel:  Lit.  med.  ext.  rec.  Rizzo), 
Essai  sur  la  nouvelle  doctrine  medicale  de  Brown  en  forme  de 
lettre,     Paris.     An  V.     (1797.) 

71.  Rudolph  Abram  Schiferli,  Analyse  raisonnee  du  Systeme  de 
medecine  de  John  Brown  appuyee  de  quelques  observations.  Paris 
1797. 

72.  Lafont-Gouzi,  Considerations  critiques  sur  la  Classification 
des  medicamens  suivies  d'un  nouveau  plan  de  matiere  medicale. 
Paris  1803. 

73.  Fr.  Chortet,  Recueil  d'observations  faites  d'apres  la  theorie 
de  Brown    par  J.  Frank,   Marcus,    Thomann,   Brera    et  Weikard 


281 

avec  des  r^flexions  sur  chaque  nialadie,  pr^ced^  d^une  exposition 
des  principes  fondamentaux  du  nouveau  Systeme,  suivi  d'un  traite 
nur  la  propriete  fortifiante  de  la  chaleur  et  sur  la  vertu  affaiblis- 
sante  du  froid  par  le  meme  auteur.     Luxembourg.     An  XI.    12. 

74.  Ft.  Chortet,  Ueber  die  Wirkung  des  Opium,  als  unentbehrli- 
chen Reiz-  und  Heilmittels  in  der  Arzneikunst.  Nebst  einer  neuen 
Theorie  der  Entzündung,  der  Convulsionen,  des  Schlafs  und  des 
Wachens.  Aus  dem  Französischen  mit  Anmerkungen  von  W.  G. 
Becker.     Leipzig  1805. 

75.  — Reflexions  critiques  sur  la  maniere  dont  les  anti-browniens 

exercent  la  medecine  en  France  ou  traite  de  l'abus  de  la  methode 
atTaiblissante  en  general,  particulierement  de  Temetico-purgative, 
suivi  d'une  nouvelle  th^orie  et  d'un  nouveau  traitement  des  mala- 
dies  dites  des  humeurs.     Paris.     An  XII. 

76.  —  —  —  La  vraie  theorie  medicale  ou  expose  periodique  et  de- 
veloppement  de  la  theorie  de  Brown  dite  de  Pincitation.  Paris  1806. 


77.  F.  Canavcri,  Analyse  et  refutatlon  des  elemens  de  medecine  du 
Dr.  J.  Br.     Turin.     An  XIII. 

78.  J.  B.  Ph.  Maurice,  Refutation  de  la  nouvelle  doctrine  des  so- 
lidistes,  s.  Röschlaub's  Magazin  Bd.  VI.  S.  241  (s.  unt.). 

79.  N.P.Gilbert,  Los  theories  medicales  modernes  comparees  entr'- 
elles  et  rapprochees  de  la  medecine  d'observation.  Memoire  ä 
la  seance  publique  de  la  Soc.  de  med.  de  Par.    Paris.    An  VII.  8. 


80.  Jacq.  Serrano  Manzano,  Errores  y  perjuicios  del  sistema 
espasmodico  del  Dr.  Cullen  demonstratos  por  J.  Br.  Vergl.  Salz- 
burger Zeitung,  Jahrgang  1801,  Band  III. 

81.  Vic.  Miljavila  y  Fisonel,  Division  de  las  Enfermedades 
hecha  segun  los  principios  del  sistema  di  Br.  6  nosologia  Browniana; 
con  un  discorso  preliminar  sobre  las  nosologias  y  dos  grandes 
Tablas  que  presentan  la  classificazion,  causas  y  metodo  curativa 
de  las  Enfermedades.     Madrid  1798. 

82.  —  —  —  Reflexiones  del  Dr.  Pedro  Frank  sobre  la  dottrina 
Browniana,  trad.  dal  Latino.     Madrid  1798.     8. 


Zur  Geschichte  des  Brow^nianismiis  in  Deutschland. 

Christoph    Girtanner. 

83.  In  Rozier's  Journal  de  physique.  Paris.  Vol.  36.  Juin  1790.  T.  I. 
p.  422  und  T.  II.  Aoüt  p.  139. 

84.  Ausführliche  Darstellung  des  Brown'schen  Systems  der  practischen 
Heilkunde,  nebst  einer  vollständigen  Literatur  und  Kritik  dessel- 
ben.    2  Bände.     Göttingen  1797  —  98. 


282 

Melchior  il.daiu   IVeikard. 

85.  J.Brown 's  Grundsätze  der  Arzneilehre.  Aus  dem  Lateinischen. 
Frankfurt  1795  und  1798.     8. 

86.  Entwurf  einer  einfachen  Arzneikunst  oder  Erläuterung  und  Bestä- 
tigung der  Brown'schen  Arzneilehre.  Frankfurt  179öt  8.  (In's  Ita- 
lienische übersetzt  von  Jos.  Frank.     Vened.   1797.     8.) 

87.  Medicinisch-practisches  Handbuch  auf  Brown'sche  Grundsätze  und 
Erfahrung  gegründet.  1.  u.  2.  Theil.  Heilbronn  1796.  8. — Desselben 
3. Theil,  auch  unter  dem  Titel:  Practische  Anweisung  zur  Heilung 
örtlicher  Krankheiten.     Heilbronn  1797.     8. 

88.  Magazin  der  verbesserten  theoretischen  und  practischen  Arznei- 
kunst für  Freunde  und  Feinde  der  neuen  Lehre.  1.  Bd.  1 — 4.  St. 
Heilbronn  1796  — 1797.     8. 

89.  Sammlung  medicinisch-practischer  Beobachtungen  und  Abhandlun- 
gen.    Ulm  1798.     8. 

90.  Originale  und  Uebersetzungen  zum  Behuf  der  Verbesserung  der 
Arzneikunde.   Heilbronn  1796. 


(J.  G.Knebel 's  Bearbeitung  von  Brown's  Elementen  vergl.  8.243.) 


Zur  Geschichte  der  Erregungstheorie. 

I.     Begründer  der  Erregiingslheorie. 

Jobann  Andreas  Höü^eblaub. 

91.  Diss.  inaiig.  de  febri  fragmentum.     Bamberg  1795. 

92.  Von  dein  Fliiiflussc  der  Brown'scben  Theorie  auf  die  Arznemisfipn- 
schaft.  Wfirzburg  1798.  gr.  8.  (In's  Französische  übersetzt  von 
Breinersdorf.     1802.) 

93.  Untersuchungen  über  Pathogenie  oder  Einleitung  in  die  medicini- 
sche  Theorie.  Frankfurt  a.  M.  (1798  — löOO)  1800—1803.  3  ThI. 
gr.  8. 

94.  Lehrbuch  der  Nosologie  für  Vorlesungen.  Bamberg  1801.  2  Tlil. 
gr.  8. 

95.  Magazin  zur  Vervollkommnung  der  theoretischen  und  practischen 
Heilkunde.  Frankfurt  a.  INI.  1  —  10.  Bd.  1799  —  1809.  8.  Vom 
8.  Bande  an  auch  unter  dem  Titel:  Magazin  für  Physiologie  und 
iMedicin. 

96.  Erster  Entwurf  eines  Lehrbuchs  der  allgemeinen  laterie  und  ihrer 
Propädeutik  als  Handschrift  zu  seinen  Vorlesungen.  1.  Thl.  Die 
Einleitung  und  Propädeutik  enthaltend.     Frankfurt  a.  M.  1804.     8. 

97.  Lehrbuch  der  besondern  Nosologie,  latreusiologie  und  laterie. 
1.  Bd.  1.  Abthl.  Die  Einleitung  in  das  Ganze  und  die  Abhand- 
lung der  am  geistigen  Leben  des  Menschen  erscheinenden  Uebel- 
seinsformen  enthaltend.     Frankfurt  a.  M.  1807.     8. 

98.  J.  Brown' s  sämn.tliche  Werke.  2  Bde.  Frankfurt  a.  M.  1806. 
Auch  unter  dem  Titel:  J.  Brown'«  Anfangsgründe  der  Medicin. 
Herausgeg.  u.  s.  w.  (Ohne  Zusätze  und  Commentar  nach  der 
Edinburger  Ausgabe  und  nach  der  von  Beddoes;  deutsche  Ueber.- 
setzung.  Stellen,  welche  in  der  englischen  Ausgabe  von  der  la- 
teinischen abweichen  oder  fehlen,  werden  angegeben,  einige  über- 
flüssige Anmerkungen  weggelassen,  einige  Veränderungen  der  §§. 
und  grössere  bei   den   Kapiteln    gemacht,    die   sich    nach   Pfaff's 


284 

Eintheilung  richten.)  Der  sämmtlichen  Werke  3.  Band.  1807.  Auch 
unter  dem  Titel:  Bemerkungen  über  die  älteren  Systeme  der  Me- 
dicin  und  Umriss  der  neuen  Lehre. 
99.  J.Brown'»  Leben,  beschrieben  von  dessem  Sohne  Dr.  Wil  li  a  m 
Cullen  Brown.  Aus  dem' Englischen  übersetzt  »on  Dr.  C.W. 
F.  Breyer,   herausgegeben   von   Röschlaub.     Frankfurt  a.  M. 

1807.  8.  (Eine  von  Ersch  erwähnte  Rede  Röschlanb's,  die 
Afteranwendung  der  neuesten  Systeme  der  Philosophie  auf  die 
Medicin.     Landshut  1802.  8.  habe  ich  nicht  erlangen  können.) 

{Johann  Peter  Frank.]    Joseph  Frank. 

(Ver^l.  Nr.  39  —  41.) 

100.  Ratio  instituti  clinici  Ticinensis  an.  1795,  praefatus  est  J.  Peter 
Frank.  Viennae  1797.  —  Yenet.  1799.  8.  (Deutsch:  Heilart  der 
klinischen  Lehranstalt  zu  Pavia.  Aus  dem  Lateinischen  mit  practi- 
schen  Bemerkungen  von  Friedrich  Schaefer,  unter  Aufsicht 
des  Verfassers.     Wien  1797. 

101.  Erläuterungen  der  Brown'schen  Arzneilehre.  Heilbronn  (1797) 
1798.  8. 

102.  Gesundheitstaschenbuch.  Von  einer  Gesellschaft  Wiener  Aerzle. 
Wien.  1.  u.  2.  Jahrg.  1801  u.  1802.  3.  Jahrg.  1803.  (Von  Frank 
allein.) 

103.  Handbuch  der  Toxikologie  oder  der  Lehre  von  den  Giften  und 
Gegengiften,  nach  den  Grundsätzen  der  Brown'schen  Arzneilehre 
und  der  neuern  Chemie  bearbeitet.  Wien  1803.  8.  2.  Aufl.  1816, 
Französisch  vonVrancken.     Antwerpen  1803. 

104.  (Grundriss  der  Pathologie  nach  den  Gesetzen  der  Erregungs- 
theorie mit  erläuternden  Zusätzen  und  Anmerkungen  nach  seinen 
Vorlesungen  bearbeitet.     Wien  1803.  —  Plagiat.) 

105.  Erläuterungen  der  Erregungstheorie.     Heilbronn  1803. 

106.  Reise  nach  Paris,  London  und  einem  grossen  Theil  des  übrigen 
Englands  und  Schottlands,  in  Beziehung  auf  Spitäler,  Versor- 
gungshäuser, übrige  Armeninstitute,  medicinische  Lehranstalten 
und  Gefängnisse.     Wien  1804  —  1805.     2  Thle.     8. 

107.  Acta  instituti  clinici  caesareae  universitatis  Vilnensis.      An  I.  II. 

1808.  (Aus  dem  Lateinischen  von  E.  Meyer.     Berlin  1810.) 

Adalbert  Friedrich  mCarcus. 

108.  Prüfungen  des  Brown'schen  Systems  der  Heilkunde  durch  Er- 
fahrungen am  Krankenbette.    Weimar.    1. — 4.  St.    1797 — 1799.8. 

109.  Magazin  für  specielle  Therapie  und  Klinik  nach  den  Grundsätzen 
der  Erregungstheorie.     Jena  1802  —  1805. 


285 

II.     Anhäng-er  der  Erreg-iingsllieorie: 

l)    Ohne   selbstständige  Haltung. 

a.     ^Abhandlungen  über  das  Ganze  der  Erregungstkeorte. 

110.  J.  Eyerel,  Lehrbegriff  der  Brown'schen  Lehre,  aus  dem  Eng- 
lischen, mit  einigen  Anmerkungen  der  Herren  Jos.  Frank  und 
Rasori  aus  dem  Italienischen  und  der  Vorrede  des  Dr.  P.  Mos- 
cati  aus  dem  Lateinischen.     Wien  1796.    8. 

HL  G.  W.  V.  Eicken,  Bemerkungen  über  die  Brown'sche  Arznei- 
lehre.    Offenbach  1796. 

112.  A.  J.  G.  K.  Batsch,  Beitrag  zur  Berichtigung  derUrtheile  über 
das  Brown'sche  System  von  einem  practischen  Arzte.  Jena  1797.  8. 

113.  V.Eck  artsh  ausen,  Hofrath  ,  Ideen  über  das  aftirmative  Prin- 
cip  des  Lebens  und  das  negative  Princip  des  Todes  zur  Bestä- 
tigung des  Brown'schen  Systems.     Leipzig  1798.     8. 

114.  Ch.  A.  Struve,  Tabellarische  Uebersicht  der  Hauptgrundsätze 
des  Brown'schen  Systems.     Hannover  1799.     8. 

115.  H.W.  Lindemann,  Entwurf  die  vorzüglichsten  Krankheiten 
der  Soldaten  im  Felde  schneller  und  glücklicher  zu  heilen.  Berlin 
1799.     8. 

116.  H.  M.  V.  Leveling  ,  Die  ersten  Grundsätze  der  Erregungstheorie 
für  die  Naturlehre  des  gesunden  und  kranken  Organismus,  an- 
gehenden Aerzten  und  Philosophen  dargestellt.  Landshut  1801.  8. 

117-  M.  H.  Mendel,  Grundzüge  der  neueren  Theorie  der  Heilkunde 
und  ihres  EinSusses  auf  die  Heilkunst.  Nach  Röschlaub's  Un- 
tersuchungen dargestellt.  Mit  einer  Vorrede  von  J.  Cl.  Tode. 
Kopenhagen  u.  Leipzig  1801.     8. 

118.  C.  F.  G.  Schmidt ,  De  scalis  Brunonianis  scripsit  novamque 
adjecit.     Cum  tab.  aeri  incisa.     Lips.     (1802.?) 

119.  F.  A.  Gebier,  Diss.  Cogltata  de  asthenia  incitationis  indirecta. 
Jenae  1802. 

120.  G.  K.  Winiker,  Beiträge  zur  Erregungstheorie.  1.  Bändchen. 
Göttingen   1803.     8. 

121.  J.  H.  Müller,  System  der  gesammten  Heilkunde  nach  der  Er- 
regungstheorie. (Auch  unter  dem  Titel:  Handbuch  der  Physio- 
logie nach  der  Erregungstheorie.  Leipzig  1803.  8.  Und:  Hand- 
buch der  allgemeinen  Krankheitslehre  nach  der  Erregungstheorie. 
Leipzig  180i.  8.)  Mit  Einleitung  von  K.  F.  Burdach.  4  Bde. 
Leipzig  1803—10.     gr.  8. 

122.  A.  Naegele,  Das  Werden,  das  Leben,  die  Gesundheit,  die 
Krankheit  und  der  Tod  des  menschlichen  Korpers  nach  Brown'scher 
Art  dargestellt.     Düsseldorf  1801.     gr.  8. 

123.  J.  L.  Loos,  Regeln  zur  Verlängerung  des  Lebens.  Aus  dem 
17.  Jahrhundert  mit  Erläuterungen  nach  der  Erregungstheorie. 
Mannheim  1804.     ]2. 


286 

124.  F.  J.  Zimmermann,  Philosophisch-medicinisches  Wörterbuch 
zur  Erleichterling  des  höheren  medicinischen  Studiums.  Wien 
1803.    2.  Aufl.  1807. 

125.  M.  Petrovich,  Physiologia.     Pesth.  1807.     8. 

126.  (C.  A.  Pudor.)      Versuch    eines    nach    Grundsätzen    der   Errc 
gungstheorie    abgefassten    medicinisch-practischen   Leitfadens   bei 
Heihnig  einiger  sthenischen,    besonders   asthenischen  Krankheits- 
formen u.  s.  w.  von  einem  practischen  Arzte.   Leipzig.   2  Bände. 
1806—1807.  8. 

127.  J.  M.  Trawnitschek  ,  Neue  Entdeckung  eines  wirksam  erre- 
genden Mittels  in  asthenischen  Krankheiten  und  die  damit  ange- 
stellten glücklichen  Versuche  als  Beitrag  zur  neuen  Heilkunde. 
Brunn  1811.     8. 

128.  S.  Liboschitz,  Beiträge  für  die  neuere  Heilkunde.  Nebsteiner 
Sammlung  von  merkAvürdigen  Krankengeschichten  aus  der  Klinik 
zu  Wien.  Mit  Bewilligung  des  Herrn  Hofrath  J.  P.  Frank.  Wien. 
1805.     2  Bände. 

129.  (C.  Jac.  Ch.  J.  Diruf.)  Der  Geist  des  19.  Jahrhunderts  in  me- 
dicinischer  Hinsicht,  den  Freunden  eines  langen  Lebens  gewidmet 
vom  Verfasser.     Süddeutschland  (Heilbronnen)  1802. 

130.  J.Dan.  Morbeck,  Medicinisch-practische  Beobachtungen  im 
Geiste  der  neueren  Brown'schen  Lehre  aufgestellt  und  ausgear- 
beitet, nebst  einer  Vorrede  von  M.  A.  Weikard.  Heilbronn 
am  Neckar  u.  Rothenburg  an  der  Tauber.     1.  ThI.     1797-     8. 

ß.     Anwendung  der  Erregungstheorie  auf  Einseines. 

131.  C.  Rings dor ff,  De  febribus  gastricis.    Erford.  1800. 

132.  S.Hirsch,  De  febre  puerperarum.     Erford.  1800. 

133.  J.  G.  Rademac  her,  Beschreibung  einer  neuen  Heilart  der 
Nervenfieber.     Berlin  1803.     8. 

134.  ( —  Anonym)  Entwurf  einer  Darstellung  des  Scharlachexanthems 
nach  den  Principien  der  Erregungstheorie ,  nebst  einer  Prüfung 
der  über  diesen  Gegenstand  kürzlich  erschienenen  Abhandlungen 
der  Pi-ofessoren  Cappel  u.  Arne  mann  in  Göttingen.  Göttingen 
u.  Leipzig  1802.     8. 

135.  H.Th.  Freyer,  Diss.  notiones  quaedam  de  purpura.  Gottingae 
1801. 

136.  G.  G.  Zinke,  Bemerkungen  über  die  diesjährige  Ruhrepidemie, 
ihre  Ursachen  und  Behandlung  nach  B  rown' sehen  Grundsätzen. 
Jena   1801.     8. 

137.  C  F.  J.  Dannenberg,  De  asthenia  incitationis  cum  ventricuii 
et  intestinorum  affectione  locali  veram  sistens  rejecta  gasti'icismi 
cum  opinione  de  eadem  sententiam.     Jenae  1801.     4. 

138.  C.  J.  Meyer,  Sammlung  medicinisch-practischer  Beobachtungen 
aus  der  Klinik  zu  Wien ,  mit  Bemerkungen.  Mit  Bewilligung  des 
Herrn    Hofrath    Frank.     Wien  1803.     8.     Und:    Systematisches 


287 

Handbuch  zur  Erkenntniss  und  Heilung  der  Blutflüsse  für  Aerzte 
und  Wundärzte.     1.  Band.     Wien   1804. 

139.  G.  F.  Münz,  De  epilepsia,     Erford.  1800. 

140.  J.  F.  Kiinzel,  Diss.  quaedam  de  tussi.s  convulsivae  causa.  Got- 
ting.  1801. 

141.  H.  Chr.  de  Lang  a  Mutenau,  Diss.  de  spasmo  fragmenta 
continens.     Erlang.  1802. 

142.  J.  H.  Ri  enischneider,  Diss.  de  mania  praecipuisque  de  ejus- 
dem  causis.     Gotting.  1802. 

143.  J.  F.  Wezler,  Ueber  das  Fehlerhafte  der  zeitherigen  Methode, 
Scheintodte  zu  behandeln.     Landshut  1801.     8. 

144.  A.  Mosthaft,  Diss.  sistens  disquisitionem  an  in  morborum  cu- 
ratione  ad  formam  respiciendum.     Gotting.  1802. 

145.  F.  H  e  y  e  r ,  Ueber  den  Werth  der  Krankheitsformen  u.  s.  w. 
Brauiischweig  1803. 

146.  K.J.  Meyer,  Ein  Wort  über  den  Aderlass  als  Präservativmittel. 
Würzburg  1798. 

147.  G.  F.  L.  Griese,  Ueber  die  richtige  Anwendung  des  Aderlasses, 
nebst  einer  Anleitung  zur  Diagnose  des  sthenischen  Characters 
einer  Krankheit.     Braunschweig  1804.     8. 

(Ueber  einzelne  hierher  gehörige  Aufsätze  vergl.  S.  194.) 

Anwendung    der    Erregungstheorie    auf   die    Arznei- 
mittellehre. 

148.  C.  Ch.  H.  Marc,  Allgemeine  Bemerkungen  über  die  Gifte  und 
ihre  Wirkungen  im  men.«chlichen  Körper.  Nach  dem  Brown'schen 
System  dargestellt.     Erlangen  1795.     8. 

149.  (Anonym.)  Versuch  einer  einfachen  practischen  Arzneimittel- 
lehre.    Wien  1797.     8. 

150.  F.  Molwitz,  Pharmacologia  Browniana  oder  Handbuch  der  ein- 
fachsten und  wirksamsten  Heilmittel  mit  klinischen  Bemerkungen 
im  Geiste  der  geläuterten  neuen  Arzneilehre.    Stuttg.  1798.    8. 

151.  J.  Salomon  Frank,  Versuch  einer  theoretisch-practischen  Arz- 
neimittellehi-e  nach  den  Grundsätzen  der  Erregungstheorie.  Wien 
1802.  8. 

152.  J.  J.  Loos,  Entwurf  einer  medicinischen  Pharmakologie  nach 
den  Principien  der  Erregungstheorie.  Erlangen  1802.  2.  Aufl. 
1813.  8. 

153.  E.  Hörn,  Handbuch  der  practischen  Arzneimittellehre  für  Aerzte 
und  Wundärzte.  Berlin  1803.  8.  —  Grundriss  der  medicinisch- 
chirurgischen  Arzneimittellehre  zum  Gebrauche  bei  Vorlesungen. 
Berlin  1804.     8. 

154.  W.  H.  G.  Rem  er,  Handbuch  der  Arzneimittellehre  für  academi- 
sche  Vorlesungen.     Braunschweig  u.  Helmstädt  1805.    8. 

155.  C.B\  Speyer,  Diss.  de  remediis  specificis  sie  dictis.  Jenae 
1800.  4. 


288 

156.  J.  B.  Nagel,   Diss.  de  remediorum   in   corpus  humanuni  actione 
diversa  eaque  specifica.     Erlang.  1802. 

Bios  formelle  Anwendung  der  Erregungstheorie. 

157.  Fr.  Jahn,  Neues  System  der  Kinderkrankheiten  nach  Brown'- 
schen  Grundsätzen  und  Erfahrungen.  Rudolstadt  1803.  2.  Aufl. 
1807. 

158.  C.  B.  Fleisch  u.  Jos.  Schneider,  Handbuch  über  die  Krank- 
heiten der  Kinder  und  des  mannbaren  Alters.    1.  Bd.  Leipz.  1808 

159.  J.  Weiss,  Theoretisch-practische  Vorlesungen  über  Chirurgie 
nach  Brown'schen  Grundsätzen.     3  Thle.     Wien  1803. 

160.  (Anonym.)  Geisteslehre  nach  Brown'schen  Principien.  Zürich 
1803. 

161.  M.  Lenhossek,  Untersuchungen  über  Leidenschaften  und  Ge- 
müthsaffecte  als  Ursache  und  Heilmittel  der  Krankheiten.  Pesth 
1804.  8. 

2)    Mit   selbstständiger   Haltung. 

a)    Anhänger   der   Erregungstheorie   mit   besonderen   Modificationen. 

162.  G.  F.  Krauss,  Diss.  inaug.  De  signis  incitationis  tam  imminui 
incipientis,  quam  fere  exstinctae.     Wirceb.  1796. 

163.  C.  J.  Herrmann,  De  febri  intermittente.     Bamberg.  1798. 

164.  Stolpertus,  Ein  junger  Arzt  am  Krankenbett.  Von  einem 
patriotischen  Pfälzer  (May  in  Mannheim).  Mannheim.  (3.  Thl.) 
1798. 

165.  C.  Werner,  Apologie  des  Brown'schen  Systems  der  Heilkunde 
auf  Vernunft  und  Erfahrungen  gegründet.     Wien  1799.     8. 

166.  C.  A.  Eschenmayer,  Sätze  aus  der  Naturphysik  auf  chemi- 
sche und  medicinische  Gegenstände  angewendet.   Tübingen  1797. 

167.  L.  H.  C.  Nieraeyer,  Materialien  zur  Erregungstheorie,  her- 
ausgegeben von  Dr.  G.  F.  Mühry.     Göttingen  J800.     8. 

168.  K.  Ch.  Matthaei,  Handbuch  der  von  J.  Brown  zuerst  vorge- 
tragenen Erregungstheorie.  Nach  den  neuesten  Bearbeitungen 
einfach  dargestellt.     Göttingen  1801.     8. 

169. Ueber  Röschlaub's  Werth  als  Schriftsteller,    Arzt   und 

Mensch,  nebst  einigen  die  Erregungstheorie  betreffenden  Unter- 
suchungen,    Frankfurt  1802.     8. 

170.  L.  Mende,  Beiträge  zur  Prüfung  und  Aufhellung  ärztlicher 
Meinungen  für  Heilkünstler.     1.  Bändchen.     Leipzig  1802.     8. 

171.  J.  Stoll,  Versuch  einer  medicinischen  Beobachtungskunst.  Zürich 
1802.   8. 

172.  K.  G.  Neumann,  Aufsätze  und  Beobachtungen  für  Aerzte.. 
1.  Bdchen.     Leipzig  1802.     8. 

173.  Ch.  F.  Harles,  Neue  Untersuchungen  über  das  Fieber  über- 
haupt und  über  die  Typhusfieber  insbesondere.  Mit  vorzüglicher 


289 

Rücksicht    auf  Befjriiiiduiif;    einer    ricliti{j;en    Heilait   «lor   ief/tiMn. 
I..'i|./i{;  l»0;i.     H. 

174.  J.  N.  Till)  mann,    Oe    maiiia    ac  aiiieiitia  conimentatio.     Wiro^b. 

179Ö. 

175.  _    _   Amialos  iiistitiiti  cliiiici  VVirceburgensis.     Vol.  I.  runi  V. 

fij;.  aeii.  NVin  .'I..  17'J9.    Vol.  II.  c  III.  (i{;.  aeii.   1801.     Und  tl.-ut.Mli 
3.  Bd.  lbü.i.     •*.  lid-   'ÖOJ.     Uiirzbuig  u.  Arnstadt  in  Rudolstadi. 

176.  >V.  A.  Ki«k<>r,  Aursiitze  niid  Ueobachlunfjen  mit  jedesmaliger 
Hinsicht  auf  die  l-Irre^un^^sthtunie  entworfen.  Bd.  I.  Hannover 
1804.     8.     Bd.  II.  Paderborn   1806.    8. 

177.  J.  W.  H.  (..'onradi,  Diss.  de  haemorrlioidibus.  Marbiirj;  1802. 
Deutsch   Ih04. 

17a, IJi'ilrä}^.'  zur  Krr.>{^un;;stheorie.     Marburg   180-2.     8. 

179. Pneumonie  iin.l  Pleuritis,  in  nosologischer  und  thera- 
peutischer Hin>icht.     Marburg   1803. 

löO. Ueber  einige  Mängel   der   Brown'schen  Therapie.     Ein 

Programm  zur  Ankündigung  seiner  Vorlesungen.     Marb.  1805.   8. 

181.  K.  Sprengel,  Handbuch  der  Pathologie.  1.  Thl.  Allgemeine 
Pathologie.  3.  gän/lich  umgeänderte  Autlage.  Leipzig  1802.  8. 
2.  Tbl.    3.  Aufl.    Leipzig  1807.     4.  Autt.   1814. 

182.  F.  W.  V.  Hoven,  Vertheidigung  der  Erregungstheorie  gegen 
einige  hauptsächliche  Kin^^ürfe.     Ludwigsburg  1802.     8. 

123. Die  Vorzüge    der    Brown'schen   Praxis   vor   der  Nichl- 

brown'schen  dargestellt.     Ludwigsb.  1803.     8. 

184. Neues  medicinisches  Handbuch  der  practischen  Heil- 
kunde.    Heilbronn  am  Neckar  u.  Rothenburg.     2  Bde.     1805.^    8. 

185 Grundsätze  der  neueren  Heilkunde.     Rothenh.  1807.  8. 

186^ Versuch  einer  practischen  Fieberlehre.    Nürnb.  IblO.  b. 

187*.    A.  Henke,  Beiträge  zur  theoretischen  u.  practischen  Heilkunde. 

Nürnb.  1806. 
188. Disquisitiones  pathologirae  de  vi  vitali  sanguinis  et  hu 

morum  idiopathia.     Berolini  1806.     Deutsch  ebendas.  180Ü. 
189. Handbuch  der  Pathologie.       1.   Bd.  Allgem.  Patholog.e. 

Berl.  1806.  8.  .  „     t,    ,    ,     • 

,90 Desselben  Buches    2.  u.  3.  Band.    Spezielle  Pathologie. 

Berl.  1808.  8.  ..... 

_     -,  ^         1       L         -vr..    1^^  ^      1lf>iträirp    zur    mediciniscUen 

191.  E.   Hern,    (vergl.  oben    Nr.  loo.)      lieitiage   ^ui 

Klinik.     2  Thle.     Braunschweig  1800.     8.  „  .^       . 

192. Practische  Nosologie  der  Fieber.    1  Hfl.    Braunschweig 

1800.  8. 
193. De  opii  abusu  tarn  respectu   vetens,   quam   novae   me- 

dicorum  doctrinae.     Viteberg.    1804.     8.  .        „     ,•       i   t^m 

194 Handbuch  der  medicinischen  Chirurgie.    Berlin.    1.  1!.. 

.9,.    Tl  1  ™;;*^;e    N,«u.    .-..    Heu..,    de.    Ru...       Er,.. 

löOÜ.      8-  ly 


200 

196.    E.  Hörn  ii.  A.  Henke,    Klini.«clies  Taschenbuch  für  Aerzte  und 

Wundärzte.     Berlin   1807.     8. 
]97. —  Anfangsgründe  der  medicinischen  Klinik.     2  Bde.     Erf. 

1807.  8. 
198. —  Ueber    den    Werth   der    medicinischen     Erfahrung    und 

über  die  Mittel  sie  zu  erlangen.     Berlin   1807. 
199. Archiv    für    niedicinische    P>fahrnng.     6  Bde.     Leipzig 

und  Berlin  1801  — 1804.  gr.  8.    Neues  Archiv  für  niedicinische   F]r- 

fahrung.     14  Bde.     Berlin   1805—1810.   gr.  8.  Neue  Folge.  Berlin 

1811  —  1816. 
200.    A.F.Heck  er,    Journal  der  Theorieen,  Erfindungen  und  Wider- 
sprüche.    Gotha  1802-1808. 
201. Die  Kunst  die  Krankheiten  der  Menschen  zu  heilen  nach 

den  neuesten   Verbesserungen  in  der  Arzneiwissenschaft.     1.  u.  2. 

Band.     Erfurt  1804.     8. 
202.    —  —  —  Medicinisch-practisches  Taschenbuch  für  Feldärzte  und 

Wundärzte  deutscher  Armeen.     Berlin  1806.     8. 
203. Kurzer    Abriss    der    Pathologie    und    Semiotik.     Berlin 

1806.  8. 
204. Ueber  die  Nervenfieber,   welche   in    Berlin  im   J.  1807 

herrschten,  nebst  Bemerkungen  über  die  reizende,  stärkende  und 

schwächende  Kurmethode.     Berlin   1808.     8. 
205. Ueber   die  Natur    und    Heilart    der    Faulfieber,    nebst 

Bemerkungen  über  einige  Verschiedenheiten,    Eintheilnngen    und 

Kurmethoden  der  Fieber  überhaupt.    Einleitungsschrift  zu  seinen 

Vorlesungen  im  Sommer  1808.     Berlin   1809. 

206. —  Annalen  der  gesammten  Medicin.     Berlin  1810. 

207. Die  Heilkunst  auf  ihrem  Wege  zur  Gewissheit.  3.  Aufl. 

Berlin  1808. 

b)    Anhänger    der    Erregungstheorie    mit    besonderen    Combinationen 

{Combinisten). 
a.     Combination    mit    der    Hu  m  or  al  p  athologie. 

208.  (Anonym.)  Präliminarien  zum  medicinischen  Frieden  oderVerei- 
nigungspuncte  zwischen  Brown  und  seinen  Gegnern.  Leipzig 
1798.     (Italienisch:  Venezia  1800.  8.) 

209.  J.  U.  G.  Schaeffer,  Entwurf  über  Unpässlichkeit  und  Krank- 
heitskeime mit  Gedanken  über  die  Würdigung  einer  Theorie  von 
K.  W.  Nose.     Frankfurt  a.  M.  1799.  8. 

210.  Scharndorffer,  Unpartheiische  Beurtheilung  der  Brown'schen 
Heilkunde.     Wien  1800. 

211" Untersuchungen    der   Grundsätze   der  Erregungstheorie 

durch  die  Grund.-ätze  der  Humorallehre  als  Beiträge  zur  Verei- 
nigung beider  Lehren,     l.  u.  2.  Heft.     Wien  1803.     8.     (1809.) 

212. Skizze  eines  neuen  Systems  zur  möglichsten  Einfach- 
heit der  Heilkunde.     Wien  1806. 


291 

213.  S.  Hü  eil  he  im  er,  JSystemati.srh-tlieoretisch-practische  Abhand- 
lung über  Krankheiten  aus  .Schwäche  und  deren  Behundlunp,  nebst 
Beleuchtung  Brown'srher  C.'rnndsiitze.     Frankfurt   a.  M.   1H03.    8. 

214.  L.  Ch.  \V.  Capjiel ,  Beitrag  zur  Heurtlieilung  des  Hrown'Mhen 
Systems.     Cöttingeii   1797.     *2.   Aull.   I»(X).     b. 

21  j. Medicinische   l'ntersuchuiigen.     t.'öttingen  1801.     8. 

216.  — l>e  piieiimonia  typhude  s.  nervosa,  (i'otling.  1799.  8.  (Nach 

Kr.srh  1798.    Fwithält  die  Lehre  von  der  asthenischen  Kntzündung.) 

217.  —  —  —  Medicinisciie  Beohaciitungi-n.  Kine  Auswahl  aus  den 
NüV.  act.  der  K.  Akaiieini«-  d<'r  Naturforscher  in's  Deutsche 
übersetzt  und  mit  Anmerkungen  begleitet.     (Jöttingen   1799.     8. 

218.  — Theoretisciie  und  |>racti.vche  Abhandlung  vum  Schar- 
lachausschlag.     Göttingen  1803.     8. 

ß.     Combi  nation    mit    der    Keil 'scheu    Theorie. 

219.  M.  Detten,  Vorschlag  zur  Brownisirung  des  Organismus  in  der 
Krregungstheorie.     INIünster  IHOO.     8. 

220.  Kr.  Jahn  (vergl.  oben  Nr.  157),  Auswahl  der  wirksamsten 
einfachen  und  zusammengesetzten  Arzneiniitt«'!  oder  practische 
Materia  medica.     Krfurt  1800.     8. 

221.  J.  H.  Brefeld,  Beiträge  zu  den  Grundzügen  der  lleilkmide  fiir 
die  gegenwärtige  Zeit.  Nebst  einer  practischen  Abhandlung  über 
das    kindbetttieber.     Münster   1803.     8. 

222.  W.  F.  Dreyssig,  Handwörterbuch  der  medicinischen  Klinik  i^der 
der  practischen   Arzneikuiule.     2  Bde.     Krfurt   1806  —  7. 

2'23     K.  Hinily,    Abhandlung    über   die  \Virkinig   der  Krankheitsreize 

auf  den  menschlichen  Körper.     Braunschweig  1795.     8. 
224. —  Abhandlung    über    den    Brand   der   weichen  und  harten 

Theile    nebst    einigen    Grundzügen    der    medicinischen    Theorie. 

Göttingen  1800.     8. 
225.    — Ueber  einige  wahre    und    scheinbare  Verschiedenheilen 

des  älteren  und   neueren   Heilverfahrens.     Ein   Antrittsprogramm. 

Braunschweig  1801.     8. 
226     Ch.  F.  Oberreich,     Umriss    der    Arzneimittellehre   nach    den 

Grundsätzen  der  Erregungstlieorle.     Leipzig   1803.     8. 
227. —  Versuch  einer  neuen  Darstellung  der  Erregungstheorie. 

Jena  1804.     8. 
2:?8. Quaedam  de  morborum  fönte.    Diss.  inaug.  pro  fac.  leg- 

Jenae  1805.     8. 
229. Handbuch  der  Heilkunst.  Riga.  1.  u.  2.  Tbl.  1805.  3.  Tbl. 

1806.  8. 
230. —  Kritisches  Journal  der  Arzneikunst  zum  Behufe  der  Er- 
regungstheorie.    Riga  1806  ff.     8. 

y.     Combinatiou    mit    der    Naturphilosophie. 
231.    K.  W.  J.  Schelling,    Erster   Entwurf  eines   Systems   der   Na- 
turphilosophie.    Jena  u.  Leipzig  1799.  8.     (Vergl.  Nr.  295.) 


292 

•232.  H.  Ch.  A.  Ostlioff,  Kleine  Beiträge  zur  Erweiterunp  des  me- 
dicinischea  Wissens.     1.  ßdchen.     Duisburg  u.  Essen  1804-.    8. 

'233. Versuch    zur    Berichtigung    verschiedener    Gegenstände 

aus  den  Gebieten  des  reinen  und  angewandten  medicinischen 
Wissens.     Lemgo  1804.     8. 

234.  h.  A.  Liffmann,  Ideen  zu  einer  neuen  Darstellung  des  Brown'- 
schen  Systems.  1.  ThI.  Allgemeine  und  besondere  Physiologie. 
Göttingen  löüO.  8.     2.  ThI.  Pathogenie.  1802.  8. 

235.  F.  X.  V.  Sallwürk,  Versuch  einer  naturgemässen  Erklärung 
der  Wirkungsart  äusserer  FJintlüsse,  vorzüglich  auf  organisirte 
Naturkörper  und  Klassifikation  derselben.     Wien  1800.     8. 

236. —  Aphorismen   zu  einer  physischen  Deduction  des  Grund" 

princips  der  Erregungstheorie.     Riedlingen   1803.     4. 

237.  A.  H.  F.  Gutfeldt,  Untersuchungen  über  verschiedene  Sätze 
der  herrschenden  medicinischen  Lehrgebäude.     1.  Bd.     Hamburg 

1802.  8. 

238. Ueber  das  Verhältniss  der  Wechselerregung,  Nerven- 
wirkung und  Bewegung   im  thierischen    Organismus.      Göttingen 

1803.  8. 

239.  — Einleitung  in  die  Lehre  von  den  ansteckenden  Krank- 
heiten und  Seuchen.     Posen  1804.     8. 

240.  J.  Fries,  Regulative  für  die  Therapeutik  nach  heuristischen 
Grundsätzen  der  Naturphilosophie.     Leipzig   1803.     8. 

241.  C  J.  Kilian,  Diss.  cont.  reflexiones  quasdam  criticas  therapiae 
fundamentales  eorumque  usum  therapeuticum.     Jenae  1802.     4. 

242. —  Differenz  der  ächten  und  unächten  Erregungstheorie  in 

steter  Beziehung  auf  die  Schule  der  NeubroAvnianer.  Jena  1803.  8. 

243. —  Genius  der  Gesundheit  und  des  Lebens.  Ein  Taschen- 
buch für  Aerzte  und  Nichtärzte  auf  das  Jahr  1801.    Leipz.  1801. 

244. Entwurf  eines  Systems  der   gesammten  Medicin.      Zum 

Behuf  seiner  Vorlesungen  und  zum  Gebrauch  practischer  Aerzte. 
l.  Thl.     Jena  1802.      8. 

243. Medicinische  Studien.    1.  Bd.    Giessen   1809. 

246.  J.  Dömling,  Giebt  es  ursprüngliche  Krankheiten  der  Säfte? 
Welche  sind  es?  und  welche  sind  es  nicht?  Bamberg  u.  Würz- 
burg 1800.  8. 

247.  — Kritik  der  vorzüglichsten  Vorstellungsarten  über  Orga- 
nisation und  Lebensprincip,  ein  Beitrag  zur  Berichtigung  und 
festern    Begründung   der    Erregungstheorie.     Würzburg  1802.     8. 

248.  —  —  —  u.  J.  Horsch,  Archiv  für  die  Theorie  der  Heilkunde. 
Nürnberg  1804.     8. 

249.  J.  P.  V.  Troxier,  Ideen  zur  Grundlage  der  Nosologie  und  The- 
rapie.    Jena  1803.     8. 

2:0.    - —  —  ■ —  Versuche  aus  der  organischen  Physik.    Jena  1804.    8. 

251.  K.F.Burdach,Handb.  d.  Pathologie.  Leipz.  1808.8.  (Vgl. Nr.310.) 

252.  E-  Grossi,  Versuch  einer  allgemeinen  Krankheitslehre,  entwor- 


293 

fen    anf  (lern  Standpunrte  der  Natnrgeschlchte.    2  Bde.    München 
1811.  8. 

253.  B.  Laiibender,  Theoretisch-practisches  Handbuch  der  Thier- 
heilkunde  oder  genaue  Beschreibung  aller  Krankheiten  und  Heil- 
methoden der  sämmtlichen  Hausthlere  nach  den  neueren  medici- 
nischen  Grundsätzen  u.  s.  w.  Erfurt.  1.  Bd.  1803.  2.  Bd.  1804. 
3.  Bd.   1806.     4.  Bd.  1807.    8. 

254.  F.  G.  Wetzel,  Briefe  über  Brown's  System  der  Heilkunde. 
Leipzig  1806.     8. 

c)    Anhänger   der    Erregitngsthcoric    mit   eklektischer    Tscbenannahme 
verschiedener  Ansichten. 

255.  F.  A.  Weber,  Betrachtungen  über  die  Brown'sche  Heilkunde. 
Im  Museum  der  Heilkunde  der  helvetischen  Gesellschaft.  4  Bde 
Zürich  1797. 

2j6,  G.F.Geier,  Natura  medicatrix  [)hi!osophiae  et  phvsices  gene- 
ralis legibus   aestimata.     Wirceb.  1798. 

257.  J.  Val.  Müller,  Orthgdoxie  und  Heterodoxie  oder  Bemerkungen 
über  den  richtigen  Gebrauch  der  Arzneimittel.  Ein  Lesebuch 
für  Brownianer  und  Antibrownianer.     2  Bde.     1798  — 1799. 

258.  G.W.  Block,  Neue  Grundlegung  zur  Theorie  der  Heilkunde. 
Braunschweig  1803.     8. 

259.  C.  Schoene,  Versuch  eines  systematischen  Entwurfs  der  ge- 
sammten  Medicin.     1.  ThI.  Generelle  Therapie.     Berlin  1806.     8. 

260.  F.  L.  Augustin,  Handbuch  der  medicinischen  Therapie.  Nach 
den  neuesten  Verbesserungen  in  der  Heilkunde  und  eigenen  Grund- 
sätzen entworfen.     Allgemeine  Therapie.     Berlin  1806.     8. 

261.  (Anonym.)  Recepte  und  Kurarten  der  besten  Aerzte  aller  Zeiten 
von  einem  practischen  Arzte.     Leipzig  2  Bde.  1808  — 1809.    8. 

262.  C.  C.  F.  Jaeger,  Ueber  die  Natur  und  Behandlung  der  krank- 
haften Schwäche  des  menschlichea  Organismus.     Stuttg.  1807.  8. 


III.     Gegner  der  Erregunofstheorie: 

(Das  Verzeichniss   einiger   gelegentlichen  Beurtheilungen   siehe   im 

Text  S.  232.) 

l)    Gegner   ohne   selbstständige   Haltung. 

263.  C.  A.  Kisling,  Diss.  de  rite  formanda  indicatione  antasthenica. 
Ulm  1798. 

264.  Joh.  Lang,  Ueber  das  Schwankende  des  Brown'schen  Systems 
durch  practische  Erfahrungen  bewiesen.  Eine  Warnung  für  an- 
gehende Aerzte.     Wien  1799.     8. 

265.  F.  J.  Schellenb  erg,  Brownii  sententiae  de  apoplexia  examen. 
Erford.  1800. 


294 

266.  (Anonym.)     Ueber  das  Brown'sche  System.     Ofen  1798. 

267.  Lechler,  Theses  inaugurales  medicae.     Tiibing.  1799. 

268.  A.  W.R.  Hey  denr eich,  Difficultates  quaedam  circa  J.  Bruiiouis 
theoriam  medicam.     Jeiiae  1799.     4, 

269.  H.  Carger,    De  incitabilitate.     Greifswald.  1801. 

270.  J.  C.  Ortlepp,  Diss.  de  talipedibus,  medicamentorum  actione 
dubia  et  Brunoniana  debilitate.     Jenae  1800.  4. 

271.  J.J.Schmidt,  Blicke  in  das  Gebiet  der  Heilkunde  überhaupt 
und  der  Seelenheilkunde  insbesondere.     2  St.     1799. 

272.  J.Ulrich,  Analysis  des  Brown'schen  Systems  der  Heilkunde 
zur  möglichsten  Uebereinkunft  darüber.     Wien  1800.     8. 

273.  G.E.Kletten,  Beiträge  zur  Kritik  der  neuesten  Meinungen 
und  Schriften  in  der  Medicin.     Rostock  u.  Leipzig.  2.  St.  1812.  8. 

274.  (Anonym,)  FVagmente  eines  Briefwechsels,  enthaltend  Rügen  über 
Neuerungssucht  und  Widersprüche,  nebst  Bemerkungen  über  den 
BegrilF  der  Krankheitsursachen  nach  dem  Brown'schen  System. 
Leipzig  1802.     8. 

275.  (Schub  au  er)  Antiröschlaub.  2  Hefte.   1803.  8.  (München?) 

276.  M.  E.  C.  F.  Richtsteig,  Diss.  Conamen  critices  placitorum 
quorundam  ill.  Röschlaubü.     Erlang.  1802. 

277.  H.  G,  Spierin  g  ,  Ergänzungen  zu  dem  Handbuche  der  inneren 
und  äusseren  Heilkunde.     2  Bde.     Leipzig  1804 — 1805. 

278.  (Anonym.)  Sammlung  von  Bemerkungen  über  die  Brown'sche 
Irrlehre  und  die  Anwendbarkelt  der  neueren  Philosophie  auf  die 
Medicin.     Marburg  1810.     8. 

279.  Ch.  W.  Schmid,  Diss.  de  morbis  sthenicis.  Jenae  1801.  8.  — 
Auch:  Kritik  der  Lehre  von  den  sthenischen  Krankheiten.  Jena 
1803. 

280.  G.  Chr.  Eysser,  Was  ist  Asthenie  und  Hypersthenie?  Eine 
Inaug.-Diss.     2.- Ausg.     Nürnberg  1816.     8. 

(Ueber  einzelne  hierher  gehörige  Aufsätze  vergl,  S.  233.) 

2)    Gegner   mit   s  e  1  b  s  t  s  t  ä  n  d  i  g  e  r   Haltung. 

a)   Vom  Standpunkt  besonderer  Systeme. 

«.     VomStandpunct    der    Humoralpathologie. 

281.  W.A.Stütz,  Diss.  exhibens  examen  systematis  Brunoniani  phy- 
siologici.     Altdorf.  1795. 

282.  Ch.  G.  Grüner,  Almanach  für  Aerzte  und  Nichtärzte  auf  die 
Jahre  1795  —  1797.     Jena. 

283.  A.  Trenker,  Kritisch-philospphische  Widerlegung  des  Brown'- 
schen  Systems  überhaupt,  hauptsächlich  der  von  Herrn  Dr.  Rösch  - 
laub hierüber  herausgegebenen  Pathogenie,  sammt  Aufstellung 
einer  neuen  Theorie  über  Lebenskraft  und  Reizfähigkeit  und  Ver- 
einigung der  Nerven-  mit  der  Humoralpathologie.    Wien  1801.  8. 

284.  W.L.Becker,  De  humorum  mutationibus  primariis.  Gotting.  1802. 


295 

285.  W  e  d  e  ki  n  d  ,  Heilungsversuche  im  Kriegslazareth  zu  Mainz.  Berlin 
1802. 

(Ueber  Marcard  vergl.    S,  235.) 

ß.     Vom  Standpunct  der  Reil'schen  Theorie. 

286.  C.  A.  Wilinans  ,    Ueber  medicinische  Kunst   und  ihre  Methode 
logie  in  Reil's  Archiv  für  Physik.     Bd.  III.  S.  287  ff. 

287.  (Alexander  v.  Humboldt,  Versuche  über  die  gereizte  Muskel 
und  Nervenfaser.  2  Bde.  Posen  u.  Berlin  1797.  8.  [U.  S.  75—89.] 
(Ueber  K.  J.  Windischmann,  vergl.  S.  236.) 

y.     Vom  Standpunct  der  Naturphilosophie. 
(Ueber  F.  H.  Hege  wisch,  vergl.  S.  237.) 

288.  W.  Werrlein,  Diss.  inaug.   De  incitatione.     Wirceburg,  1806. 

289.  Ph.  J.  Horsch,  Annalen  der  klinisch-technischen  Schule  u.  s.  w. 
Rudolstadt  1809. 

290.  Walther,  Beiträge  zur  kritischen  Medicin.     Nürnberg  1809. 

291.  S.  Breinersdorf,  Versuch  über  den  gegenwärtigen  Standpunct 
der  Theorie  der  Medicin.     Breslau  1804.     8.     (Vergl.  Nr.  92.) 

292.  F.  J.  Schelver,  Zeitschrift  für  organische  Physik.  1.  Bd.  1.  St. 
Halle  1802.  8. 

293.  J.  Döllinger,  Grundriss  der  Naturlehre  des  menschlichen  Or- 
ganismus. Zum  Gebrauch  bei  seinen  Vorlesungen.  Bamberg  1805.  8. 

294.  L.  Oken,  Abriss  des  Systems  der  Biologie  oder,  Naturphiloso- 
phie zum  Behuf  seiner  Vorlesungen.     Göttingen  1805.     8. 

295.  F.  W.  J.  Schelling  (u.  Marcus),  Jahrbücher  der  Medicin  als 
Wissenschaft.     Tübiiigeu  1805  —  1808. 

b)  Gegner  vom  höheren  eklektischen   Stayidpunct. 

296.  J.  F.  Latrobe,  Diss.  sistens  Brunoniani  systematis  criticen. 
Jenae  1795. 

297.  A.  Rindfleisch,  Animadversiones  criticae  in  Röschlaubii  pa- 
thogeniam,  quas  d.   17.  Maj.  1799.  def.     Halae.     8. 

298.  F.  W.  Hunnius,  Einschränkungen  der  neuesten  Bearbeitungen 
der  Brown'schen  Erregungstheorie.     Weimar  1799.     8. 

299.  J.  Stieglitz,  Anzeige  verschiedener  Schriften  das  Brown'sche 
System  betreffend.  Jenaer  Allgemeine  Literatur-Zeitung  Nr.  48 
—59.  Febr.  1799. 

300.  F.  L.  Kreysig,  Neue  Darstellung  physiologischer  und  pathologi- 
scher Grundlehren  für  angehende  Aerzte  und  Praktiker.  1.  Bd. 
Leipzig  1798.  2.  Bd.  1800.  (Früher  in  einem  Progr.  de  peripneu- 
monia  nervosa  s.  maligna.     Lipsiae  1796.     8.) 

301.  P.K. Hartmann,  Analyse  der  neueren  Heilkunde.  Auch  unter 
dem  Titel:  Analyse  des  Brown'schen  Systems.  1.  u.  2.  Thl.  Wien 
1802. 

302.  C.  H.  Pfaff,  J.  Brown's  System  der  Heilkunde  u.  s.w.  Ko- 
penhagen 1796.  1798.  1804.     8.     (Vergl.  S.  27.  Anm.) 


29G 

302.  C.H.Pf  äff,  Revisioa  der  Grundsätze  des  Brown'schen  Systems 
mit  besonderer  Hinsicht  auf  die  Erregungstheorie.  Kopenhagen 
1804.  8. 

303.  Ch.  W.  Hufeland,    Ideen  über  Pathogenie.     Jena  1795.     8. 
304. Bemerkungen  über  das  Nervenfieber  und  seine  Compii- 

cationen  in  den  Jahren  1796,  1797  u.  1798.     Jena  1799.     8. 

305. Bibliothek  -der  praktischen  Heilkunde.     Berlin  1799.   8. 

306. Journal   für   die  praktische  Heilkunde.      Berlin  1795  — 

1812.  —   Als  besonderer  Abdruck  hieraus: 
307. Bemerkungen  über    die   Brown'sche  Praxis.      Tübingen 

1799.  8. 

(Ueber  andere  hierher  gehörige  Gegner  der  Erregungstheorie 

vergl.  S.  24Ö  IL) 


Vergleichende   Literatur. 

308.  J.  N.  Ringseis,  De  doctrina  Hippocratica  et  Browniana  inter 
se  consentiente  et  mutuo  se  explente;  praef.  est  A.  Röschlaub. 
Norimb.  1813. 

309.  J.  C  h.  A.  Clarus,  Scholae  methodicae  et  Brunonlanae  consen- 
sus.     Commentat.  I.     Lipsiae  1799.     4. 

310.  K.  F.  Burdach,  Asklepiades  und  J.  Brown.  Eine  Parallele. 
Leipzig  1800.    8. 

311.  A.  S.  Spannagel,  Systemata  Reilii  et  Brunonis  sibi  opposita. 
Halae  1798. 

312.  J.  Slock.  Diss.  de  Brownii  et  Broussaisii  doctrinis  medicis.  Gan- 
davi  1830.     4. 

Baeta,  vergl.  Nr.  23.  —  Rees,  vergl.  Nr.  30. 


313.  C.  R.  Günther,  De  doctrinae  Brunonis  in  medicinam  recentio- 
rem  vi  et  auctoritate.  Halae  1840.  (Vergl.  Quitzmann:  Vorstu- 
dien zu  einer  philosophischen  Geschichte  der  Medicin.  Karlsruhe 
1843.    8.     1.  ThI.  1.  Abthl.  S.  223.) 


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